Der Durchlauchtigſten Herzoginn und Frauen Luiſen Regierenden Herzoginn von Sachſen-Weimar und Eiſenach.
Waͤre der Inhalt des gegenwaͤrtigen Werkes auch nicht durchaus geeignet Ew. Durchlaucht vorgelegt zu werden, koͤnnte die Behandlung des Gegebenen bey ſchaͤrferer Pruͤfung kaum genug thun; ſo gehoͤren doch dieſe Baͤnde Ew. Durchlaucht ganz eigentlich an, und ſind ſeit ihrer fruͤheren Entſtehung Hoͤchſtde - nenſelben gewidmet geblieben.
Denn haͤtten Ew. Durchlaucht nicht die Gnade gehabt, uͤber die Farbenlehre ſo wie[VI] uͤber verwandte Naturerſcheinungen einem muͤnd - lichen Vortrag Ihre Aufmerkſamkeit zu ſchen - ken; ſo haͤtte ich mich wohl ſchwerlich im Stande gefunden, mir ſelbſt manches klar zu machen, manches auseinander liegende zuſam - menzufaſſen und meine Arbeit, wo nicht zu vollenden, doch wenigſtens abzuſchließen.
Wenn es bey einem muͤndlichen Vortrage moͤglich wird die Phaͤnomene ſogleich vor Au - gen zu bringen, manches in verſchiedenen[VII] Ruͤckſichten wiederkehrend darzuſtellen; ſo iſt dieſes freylich ein großer Vortheil, welchen das geſchriebene, das gedruckte Blatt vermißt. Moͤge jedoch dasjenige, was auf dem Papier mitgetheilt werden konnte, Hoͤchſtdieſelben zu einigem Wohlgefallen an jene Stunden er - innern, die mir unvergeßlich bleiben, ſo wie mir ununterbrochen alles das mannigfaltige Gute vorſchwebt, das ich ſeit laͤngerer Zeit und in den bedeutendſten Augenblicken meines[VIII] Lebens mit und vor vielen andern Ew. Durch - laucht verdanke.
Mit innigſter Verehrung mich unter - zeichnend Ew. Durchlaucht
Weimar den 30. Januar 1808.unterthaͤnigſterJ. W. v. Goethe.
Ob man nicht, indem von den Farben geſprochen werden ſoll, vor allen Dingen des Lichtes zu er - waͤhnen habe, iſt eine ganz natuͤrliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwiedern: es ſcheine bedenklich, da bisher ſchon ſo viel und mancherley von dem Lichte geſagt worden, das Ge - ſagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.
Denn eigentlich unternehmen wir umſonſt, das Weſen eines Dinges auszudruͤcken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollſtaͤndige Ge - ſchichte dieſer Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Weſen jenes Dinges. Vergebens bemuͤhenX wir uns, den Charakter eines Menſchen zu ſchil - dern; man ſtelle dagegen ſeine Handlungen, ſeine Thaten zuſammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.
Die Farben ſind Thaten des Lichts, Thaten und Leiden. In dieſem Sinne koͤnnen wir von denſelben Aufſchluͤſſe uͤber das Licht erwarten. Far - ben und Licht ſtehen zwar unter einander in dem ge - nauſten Verhaͤltniß, aber wir muͤſſen uns beyde als der ganzen Natur angehoͤrig denken: denn ſie iſt es ganz, die ſich dadurch dem Sinne des Auges beſonders offenbaren will.
Eben ſo entdeckt ſich die ganze Natur einem anderen Sinne Man ſchließe das Auge, man oͤffne, man ſchaͤrfe das Ohr, und vom leiſeſten Hauch bis zum wildeſten Geraͤuſch, vom einfachſten Klang bis zur hoͤchſten Zuſammenſtimmung, von dem hef - tigſten leidenſchaftlichen Schrey bis zum ſanfteſten Worte der Vernunft iſt es nur die Natur, dieXI ſpricht, ihr Daſeyn, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhaͤltniſſe offenbart, ſo daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare verſagt iſt, im Hoͤr - baren ein unendlich Lebendiges faſſen kann.
So ſpricht die Natur hinabwaͤrts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; ſo ſpricht ſie mit ſich ſelbſt und zu uns durch tauſend Erſcheinungen. Dem Aufmerkſa - men iſt ſie nirgends todt noch ſtumm; ja dem ſtarren Erdkoͤrper hat ſie einen Vertrauten zugege - ben, ein Metall, an deſſen kleinſten Theilen wir dasjenige, was in der ganzen Maſſe vorgeht, ge - wahr werden ſollten.
So mannigfaltig, ſo verwickelt und unver - ſtaͤndlich uns oft dieſe Sprache ſcheinen mag, ſo bleiben doch ihre Elemente immer dieſelbigen. Mit leiſem Gewicht und Gegengewicht waͤgt ſich die Natur hin und her, und ſo entſteht ein Huͤben und Druͤben, ein Oben und Unten, ein ZuvorXII und Hernach, wodurch alle die Erſcheinungen be - dingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten.
Dieſe allgemeinen Bewegungen und Beſtim - mungen werden wir auf die verſchiedenſte Weiſe ge - wahr, bald als ein einfaches Abſtoßen und Anzie - hen, bald als ein aufblickendes und verſchwinden - des Licht, als Bewegung der Luft, als Erſchuͤtte - rung des Koͤrpers, als Saͤurung und Entſaͤurung; jedoch immer als verbindend oder trennend, das Daſeyn bewegend und irgend eine Art von Leben befoͤrdernd.
Indem man aber jenes Gewicht und Gegen - gewicht von ungleicher Wirkung zu finden glaubt, ſo hat man auch dieſes Verhaͤltniß zu bezeichnen verſucht. Man hat ein Mehr und Weniger, ein Wirken ein Widerſtreben, ein Thun ein Leiden, ein Vordringendes ein Zuruͤckhaltendes, ein Hefti - ges ein Maͤßigendes, ein Maͤnnliches ein Weibli -XIII ches uͤberall bemerkt und genannt; und ſo entſteht eine Sprache, eine Symbolik, die man auf aͤhn - liche Faͤlle als Gleichniß, als nahverwandten Aus - druck, als unmittelbar paſſendes Wort anwenden und benutzen mag.
Dieſe univerſellen Bezeichnungen, dieſe Na - turſprache auch auf die Farbenlehre anzuwenden, dieſe Sprache durch die Farbenlehre, durch die Mannigfaltigkeit ihrer Erſcheinungen zu bereichern, zu erweitern und ſo die Mittheilung hoͤherer An - ſchauungen unter den Freunden der Natur zu erleich - tern, war die Hauptabſicht des gegenwaͤrtigen Werkes.
Die Arbeit ſelbſt zerlegt ſich in drey Theile. Der erſte giebt den Entwurf einer Farbenlehre. In demſelben ſind die unzaͤhligen Faͤlle der Erſchei - nungen unter gewiſſe Hauptphaͤnomene zuſammen - gefaßt, welche nach einer Ordnung aufgefuͤhrt werden, die zu rechtfertigen der Einleitung uͤber -XIV laſſen bleibt. Hier aber iſt zu bemerken, daß, ob man ſich gleich uͤberall an die Erfahrungen ge - halten, ſie uͤberall zum Grunde gelegt, doch die theoretiſche Anſicht nicht verſchwiegen werden konn - te, welche den Anlaß zu jener Aufſtellung und Anordnung gegeben.
Iſt es doch eine hoͤchſt wunderliche Forderung, die wohl manchmal gemacht, aber auch ſelbſt von denen, die ſie machen, nicht erfuͤllt wird: Erfah - rungen ſolle man ohne irgend ein theoretiſches Band vortragen, und dem Leſer, dem Schuͤler uͤberlaſ - ſen, ſich ſelbſt nach Belieben irgend eine Ueber - zeugung zu bilden. Denn das bloße Anblicken ei - ner Sache kann uns nicht foͤrdern. Jedes Anſe - hen geht uͤber in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknuͤpfen, und ſo kann man ſagen, daß wir ſchon bey jedem aufmerkſamen Blick in die Welt theoretiſiren. Die - ſes aber mit Bewußtſeyn, mit Selbſtkenntniß, mit Freyheit, und um uns eines gewagten Wor -XV tes zu bedienen, mit Ironie zu thun und vorzu - nehmen, eine ſolche Gewandtheit iſt noͤthig, wenn die Abſtraction, vor der wir uns fuͤrchten, un - ſchaͤdlich, und das Erfahrungsreſultat, das wir hoffen, recht lebendig und nuͤtzlich werden ſoll.
Im zweyten Theil beſchaͤftigen wir uns mit Enthuͤllung der Newtoniſchen Theorie, welche ei - ner freyen Anſicht der Farbenerſcheinungen bisher mit Gewalt und Anſehen entgegengeſtanden; wir beſtreiten eine Hypotheſe, die, ob ſie gleich nicht mehr brauchbar gefunden wird, doch noch immer eine herkoͤmmliche Achtung unter den Menſchen be - haͤlt. Ihr eigentliches Verhaͤltniß muß deutlich werden, die alten Irrthuͤmer ſind wegzuraͤumen, wenn die Farbenlehre nicht, wie bisher, hinter ſo manchem anderen beſſer bearbeiteten Theile der Naturlehre zuruͤckbleiben ſoll.
Da aber der zweyte Theil unſres Werkes ſei - nem Inhalte nach trocken, der Ausfuͤhrung nachXVI vielleicht zu heftig und leidenſchaftlich ſcheinen moͤch - te; ſo erlaube man uns hier ein heiteres Gleich - niß, um jenen ernſteren Stoff vorzubereiten, und jene lebhafte Behandlung einigermaßen zu entſchul - digen.
Wir vergleichen die Newtoniſche Farbentheorie mit einer alten Burg, welche von dem Erbauer anfangs mit jugendlicher Uebereilung angelegt, nach dem Beduͤrfniß der Zeit und Umſtaͤnde jedoch nach und nach von ihm erweitert und ausgeſtattet, nicht weniger bey Anlaß von Fehden und Feindſeligkei - ten immer mehr befeſtigt und geſichert worden.
So verfuhren auch ſeine Nachfolger und Er - ben. Man war genoͤthigt, das Gebaͤude zu ver - groͤßern, hier daneben, hier daran, dort hin - aus zu bauen; genoͤthigt durch die Vermehrung innerer Beduͤrfniſſe, durch die Zudringlichkeit aͤuße - rer Widerſacher und durch manche Zufaͤlligkeiten.
Alle dieſe fremdartigen Theile und Zuthaten mußten wieder in Verbindung gebracht werdenXVII durch die ſeltſamſten Galerien, Hallen und Gaͤnge. Alle Beſchaͤdigungen, es ſey von Feindes Hand, oder durch die Gewalt der Zeit, wurden gleich wieder hergeſtellt. Man zog, wie es noͤthig ward, tiefere Graͤben, erhoͤhte die Mauern, und ließ es nicht an Thuͤrmen, Erkern und Schießſcharten fehlen. Dieſe Sorgfalt, dieſe Bemuͤhungen brach - ten ein Vorurtheil von dem hohen Werthe der Fe - ſtung hervor und erhielten’s, obgleich Bau - und Befeſtigungskunſt die Zeit uͤber ſehr geſtiegen wa - ren, und man ſich in andern Faͤllen viel beſſere Wohnungen und Waffenplaͤtze einzurichten gelernt hatte. Vorzuͤglich aber hielt man die alte Burg in Ehren, weil ſie niemals eingenommen worden, weil ſie ſo manchen Angriff abgeſchlagen, manche Befehdung vereitelt und ſich immer als Jungfrau gehalten hatte. Dieſer Name, dieſer Ruf dau - ert noch bis jetzt. Niemanden faͤllt es auf, daß der alte Bau unbewohnbar geworden. Immer wird von ſeiner vortrefflichen Dauer, von ſeiner koͤſtli - chen Einrichtung geſprochen. Pilger wallfahrtenI. **XVIIIdahin; fluͤchtige Abriſſe zeigt man in allen Schu - len herum und empfiehlt ſie der empfaͤnglichen Ju - gend zur Verehrung, indeſſen das Gebaͤude bereits leer ſteht, nur von einigen Invaliden bewacht, die ſich ganz ernſthaft fuͤr geruͤſtet halten.
Es iſt alſo hier die Rede nicht von einer lang - wierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt ſchon als ein verlaſſenes, Einſturz drohendes Al - terthum, und beginnen ſogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umſtaͤnde abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten - und Eulenneſt hineinſcheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene laby - rinthiſch unzuſammenhaͤngende Bauart, das enge Nothduͤrftige, das zufaͤllig Aufgedrungene, das abſichtlich Gekuͤnſtelte, das kuͤmmerlich Geflickte. Ein ſolcher Einblick iſt aber alsdann nur moͤglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein GewoͤlbeXIX nach dem andern faͤllt und der Schutt, ſoviel ſich thun laͤßt, auf der Stelle hinweggeraͤumt wird.
Dieſes zu leiſten und wo moͤglich den Platz zu ebnen, die gewonnenen Materialien aber ſo zu ordnen, daß ſie bey einem neuen Gebaͤude wieder benutzt werden koͤnnen, iſt die beſchwerliche Pflicht, die wir uns in dieſem zweyten Theile auferlegt ha - ben. Gelingt es uns nun, mit froher Anwen - dung moͤglichſter Kraft und Geſchickes, jene Ba - ſtille zu ſchleifen und einen freyen Raum zu gewin - nen; ſo iſt keinesweges die Abſicht, ihn etwa ſo - gleich wieder mit einem neuen Gebaͤude zu uͤber - bauen und zu belaͤſtigen; wir wollen uns vielmehr deſſelben bedienen, um eine ſchoͤne Reihe mannig - faltiger Geſtalten vorzufuͤhren.
Der dritte Theil bleibt daher hiſtoriſchen Un - terſuchungen und Vorarbeiten gewidmet. Aeußer - ten wir oben, daß die Geſchichte des Menſchen den Menſchen darſtelle, ſo laͤßt ſich hier auch wohl** 2XXbehaupten, daß die Geſchichte der Wiſſenſchaft die Wiſſenſchaft ſelbſt ſey. Man kann dasjenige, was man beſitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor uns beſeſſen, zu erkennen weiß. Man wird ſich an den Vorzuͤgen ſeiner Zeit nicht wahr - haft und redlich freuen, wenn man die Vorzuͤge der Vergangenheit nicht zu wuͤrdigen verſteht. Aber eine Geſchichte der Farbenlehre zu ſchreiben oder auch nur vorzubereiten war unmoͤglich, ſo lange die Newtoniſche Lehre beſtand. Denn kein ariſtokratiſcher Duͤnkel hat jemals mit ſolchem un - ertraͤglichen Uebermuthe auf diejenigen herabgeſehen, die nicht zu ſeiner Gilde gehoͤrten, als die New - toniſche Schule von jeher uͤber alles abgeſprochen hat, was vor ihr geleiſtet war und neben ihr ge - leiſtet ward. Mit Verdruß und Unwillen ſieht man, wie Prieſtley in ſeiner Geſchichte der Optik, und ſo manche vor und nach ihm, das Heil der Farbenwelt von der Epoche eines geſpalten ſeyn ſol - lenden Lichtes herdatiren, und mit hohem Aug - braun auf die aͤltern und mittleren herabſehen, dieXXI auf dem rechten Wege ruhig hingingen und im Einzelnen Beobachtungen und Gedanken uͤberliefert haben, die wir nicht beſſer anſtellen koͤnnen, nicht richtiger faſſen werden.
Von demjenigen nun, der die Geſchichte ir - gend eines Wiſſens uͤberliefern will, koͤnnen wir mit Recht verlangen, daß er uns Nachricht gebe, wie die Phaͤnomene nach und nach bekannt gewor - den, was man daruͤber phantaſirt, gewaͤhnt, ge - meynt und gedacht habe. Dieſes alles im Zuſam - menhange vorzutragen, hat große Schwierigkeiten, und eine Geſchichte zu ſchreiben iſt immer eine be - denkliche Sache. Denn bey dem redlichſten Vor - ſatz kommt man in Gefahr unredlich zu ſeyn; ja wer eine ſolche Darſtellung unternimmt erklaͤrt zum voraus, daß er manches ins Licht, manches in Schatten ſetzen werde.
Und doch hat ſich der Verfaſſer auf eine ſolche Arbeit lange gefreut. Da aber meiſt nur derXXII Vorſatz als ein Ganzes vor unſerer Seele ſteht, das Vollbringen aber gewoͤhnlich nur ſtuͤckweiſe ge - leiſtet wird; ſo ergeben wir uns darein, ſtatt der Geſchichte, Materialien zu derſelben zu liefern. Sie beſtehen in Ueberſetzungen, Auszuͤgen, eige - nen und fremden Urtheilen, Winken und Andeu - tungen, in einer Sammlung, der, wenn ſie nicht allen Forderungen entſpricht, doch das Lob nicht mangeln wird, daß ſie mit Ernſt und Liebe ge - macht ſey. Uebrigens moͤgen vielleicht ſolche Ma - terialien, zwar nicht ganz unbearbeitet, aber doch unverarbeitet, dem denkenden Leſer um deſto an - genehmer ſeyn, als er ſelbſt ſich, nach eigener Art und Weiſe, ein Ganzes daraus zu bilden die Bequemlichkeit findet.
Mit gedachtem dritten hiſtoriſchen Theil iſt je - doch noch nicht alles gethan. Wir haben daher noch einen vierten ſupplementaren hinzugefuͤgt. Dieſer enthaͤlt die Reviſion, um derentwillen vor - zuͤglich die Paragraphen mit Nummern verſehenXXIII worden. Denn indem bey der Redaction einer ſol - chen Arbeit einiges vergeſſen werden kann, einiges beſeitigt werden muß, um die Aufmerkſamkeit nicht abzuleiten, anderes erſt hinterdrein erfahren wird, auch anderes einer Beſtimmung und Berichtigung bedarf; ſo ſind Nachtraͤge, Zuſaͤtze und Verbeſ - ſerungen unerlaͤßlich. Bey dieſer Gelegenheit ha - ben wir denn auch die Citate nachgebracht. So - dann enthaͤlt dieſer Band noch einige einzelne Auf - ſaͤtze, z. B. uͤber die atmoſphaͤriſchen Farben, welche, indem ſie in dem Entwurf zerſtreut vorkom - men, hier zuſammen und auf einmal vor die Phan - taſie gebracht werden.
Fuͤhrt nun dieſer Aufſatz den Leſer in das freye Leben, ſo ſucht ein anderer das kuͤnſtliche Wiſſen zu befoͤrdern, indem er den zur Farbenlehre kuͤnf - tig noͤthigen Apparat umſtaͤndlich beſchreibt.
Schließlich bleibt uns nur noch uͤbrig der Ta - feln zu gedenken, welche wir dem Ganzen beyge -XXIV fuͤgt. Und hier werden wir freylich an jene Un - vollſtaͤndigkeit und Unvollkommenheit erinnert, wel - che unſer Werk mit allen Werken dieſer Art ge - mein hat.
Denn wie ein gutes Theaterſtuͤck eigentlich kaum zur Haͤlfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der groͤßere Theil deſſelben dem Glanz der Buͤhne, der Perſoͤnlichkeit des Schauſpielers, der Kraft ſeiner Stimme, der Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Bewegungen, ja dem Geiſte und der guten Laune des Zuſchauers anheim gegeben bleibt; ſo iſt es noch viel mehr der Fall mit einem Buche, das von natuͤrlichen Erſcheinungen handelt. Wenn es genoſſen, wenn es genutzt werden ſoll, ſo muß dem Leſer die Natur entweder wirklich oder in leb - hafter Phantaſie gegenwaͤrtig ſeyn. Denn eigent - lich ſollte der Schreibende ſprechen, und ſeinen Zuhoͤrern die Phaͤnomene, theils wie ſie uns unge - ſucht entgegenkommen, theils wie ſie durch abſicht - liche Vorrichtungen nach Zweck und Willen darge -XXV ſtellt werden koͤnnen, als Text erſt anſchaulich ma - chen; alsdann wuͤrde jedes Erlaͤutern, Erklaͤren, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman - geln.
Ein hoͤchſt unzulaͤngliches Surrogat ſind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu - legen pflegt. Ein freyes phyſiſches Phaͤnomen, das nach allen Seiten wirkt, iſt nicht in Linien zu ſaſſen, und im Durchſchnitt anzudeuten. Nie - mand faͤllt es ein, chemiſche Verſuche mit Figuren zu erlaͤutern; bey den phyſiſchen nah verwandten iſt es jedoch hergebracht, weil ſich eins und das andre dadurch leiſten laͤßt. Aber ſehr oft ſtellen dieſe Figuren nur Begriffe dar; es ſind ſymboli - ſche Huͤlfsmittel, hieroglyphiſche Ueberlieferungswei - ſen, welche ſich nach und nach an die Stelle des Phaͤnomens, an die Stelle der Natur ſetzen und die wahre Erkenntniß hindern, anſtatt ſie zu be - foͤrdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir ſie ſo einzurichten geſucht,XXVI daß man ſie zum didaktiſchen und polemiſchen Ge - brauch getroſt zur Hand nehmen, ja gewiſſe der - ſelben als einen Theil des noͤthigen Apparats an - ſehen kann.
Und ſo bleibt uns denn nichts weiter uͤbrig, als auf die Arbeit ſelbſt hin zu weiſen, und nur vorher noch eine Bitte zu wiederholen, die ſchon ſo mancher Autor vergebens gethan hat, und die beſonders der deutſche Leſer neuerer Zeit ſo ſelten gewaͤhrt: Si quid novisti rectius istis Candidus imperti; si non, his utere mecum.
Si vera nostra sunt aut falsa, erunt talia, licet nostra per vitam defendimus. Post fata nostra pueri qui nunc ludunt nostri judices erunt.
Des Erſten Bandes Erſter, didaktiſcher Theil.
Die Luſt zum Wiſſen wird bey dem Menſchen zu - erſt dadurch angeregt, daß er bedeutende Phaͤno - mene gewahr wird, die ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen. Damit nun dieſe dauernd bleibe, ſo muß ſich eine innigere Theilnahme finden, die uns nach und nach mit den Gegenſtaͤnden bekannter macht. Alsdann bemerken wir erſt eine große Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir ſind genoͤthigt, zu ſondern, zu unterſcheiden und wieder zuſammenzuſtellen; wodurch zuletzt eine Ordnung entſteht, die ſich mit mehr oder weniger Zufriedenheit uͤberſehen laͤßt.
Dieſes in irgend einem Fache nur einigerma - ßen zu leiſten, wird eine anhaltende ſtrenge Be - ſchaͤftigung noͤthig. Deswegen finden wir, daß die Menſchen lieber durch eine allgemeine theoretiſche Anſicht, durch irgend eine Erklaͤrungsart die Phaͤ - nomene bey Seite bringen, anſtatt ſich die Muͤhe*** 2XXXVIzu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein Ganzes zu erbauen.
Der Verſuch, die Farbenerſcheinungen auf - und zuſammenzuſtellen iſt nur zweymal gemacht worden, das erſtemal von Theophraſt, ſodann von Boyle. Dem gegenwaͤrtigen wird man die dritte Stelle nicht ſtreitig machen.
Das naͤhere Verhaͤltniß erzaͤhlt uns die Ge - ſchichte. Hier ſagen wir nur ſo viel, daß in dem verfloſſenen Jahrhundert an eine ſolche Zuſammen - ſtellung nicht gedacht werden konnte, weil Newton ſeiner Hypotheſe einen verwickelten und abgeleiteten Verſuch zum Grund gelegt hatte, auf welchen man die uͤbrigen zudringenden Erſcheinungen, wenn man ſie nicht verſchweigen und beſeitigen konnte, kuͤnſt - lich bezog und ſie in aͤngſtlichen Verhaͤltniſſen um - herſtellte; wie etwa ein Aſtronom verfahren muͤßte, der aus Grille den Mond in die Mitte unſeres Syſtems ſetzen moͤchte. Er waͤre genoͤthigt, die Erde, die Sonne mit allen uͤbrigen Planeten um den ſubalternen Koͤrper herum zu bewegen, und durch kuͤnſtliche Berechnungen und Vorſtellungs - weiſen das Irrige ſeines erſten Annehmens zu ver - ſtecken und zu beſchoͤnigen.
XXXVIISchreiten wir nun in Erinnerung deſſen, was wir oben vorwortlich beygebracht, weiter vor. Dort ſetzten wir das Licht als anerkannt voraus, hier thun wir ein gleiches mit dem Auge. Wir ſagten: die ganze Natur offenbare ſich durch die Farbe dem Sinne des Auges. Nunmehr behaup - ten wir, wenn es auch einigermaßen ſonderbar klin - gen mag, daß das Auge keine Form ſehe, indem Hell, Dunkel und Farbe zuſammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenſtand vom Gegenſtand, die Theile des Gegenſtandes von einander, fuͤrs Auge unterſcheidet. Und ſo erbauen wir aus die - ſen Dreyen die ſichtbare Welt und machen dadurch zugleich die Malerey moͤglich, welche auf der Tafel eine weit vollkommner ſichtbare Welt als die wirk - liche ſeyn kann, hervorzubringen vermag.
Das Auge hat ſein Daſeyn dem Licht zu dan - ken. Aus gleichguͤltigen thieriſchen Huͤlfsorganen ruft ſich das Licht ein Organ hervor, das ſeines gleichen werde; und ſo bildet ſich das Auge am Lichte fuͤrs Licht, damit das innere Licht dem aͤuße - ren entgegentrete.
Hierbey erinnern wir uns der alten ioniſchen Schule, welche mit ſo großer Bedeutſamkeit immerXXXVIII wiederholte: nur von Gleichem werde Gleiches erkannt; wie auch der Worte eines alten Myſti - kers, die wir in deutſchen Reimen folgendermaßen ausdruͤcken moͤchten:
Jene unmittelbare Verwandtſchaft des Lichtes und des Auges wird niemand laͤugnen, aber ſich beyde zugleich als eins und daſſelbe zu denken hat mehr Schwierigkeit. Indeſſen wird es faßlicher, wenn man behauptet, im Auge wohne ein ruhendes Licht, das bey der mindeſten Veranlaſſung von in - nen oder von außen erregt werde. Wir koͤnnen in der Finſterniß durch Forderungen der Einbildungs - kraft uns die hellſten Bilder hervorrufen. Im Traume erſcheinen uns die Gegenſtaͤnde wie am vollen Tage. Im wachenden Zuſtande wird uns die leiſeſte aͤußere Lichteinwirkung bemerkbar; ja wenn das Organ einen mechaniſchen Anſtoß erlei - det, ſo ſpringen Licht und Farben hervor.
Vielleicht aber machen hier diejenigen, welche nach einer gewiſſen Ordnung zu verfahren pflegen,XXXIX bemerklich, daß wir ja noch nicht einmal entſchieden erklaͤrt, was denn Farbe ſey? Dieſer Frage moͤch - ten wir gar gern hier abermals ausweichen und uns auf unſere Ausfuͤhrung berufen, wo wir um - ſtaͤndlich gezeigt, wie ſie erſcheine. Denn es bleibt uns auch hier nichts uͤbrig, als zu wiederholen: die Farbe ſey die geſetzmaͤßige Natur in Bezug auf den Sinn des Auges. Auch hier muͤſſen wir an - nehmen, daß Jemand dieſen Sinn habe, daß Je - mand die Einwirkung der Natur auf dieſen Sinn kenne: denn mit dem Blinden laͤßt ſich nicht von der Farbe reden.
Damit wir aber nicht gar zu aͤngſtlich eine Er - klaͤrung zu vermeiden ſcheinen, ſo moͤchten wir das erſtgeſagte folgendermaßen umſchreiben. Die Farbe ſey ein elementares Naturphaͤnomen fuͤr den Sinn des Auges, das ſich, wie die uͤbrigen alle, durch Trennung und Gegenſatz, durch Miſchung und Vereinigung, durch Erhoͤhung und Neutraliſation, durch Mittheilung und Vertheilung und ſo weiter manifeſtirt, und unter dieſen allgemeinen Natur - formeln am beſten angeſchaut und begriffen werden kann.
Dieſe Art ſich die Sache vorzuſtellen, koͤnnen wir Niemand aufdringen. Wer ſie bequem findet,XL wie wir, wird ſie gern in ſich aufnehmen. Eben ſo wenig haben wir Luſt, ſie kuͤnftig durch Kampf und Streit zu vertheidigen. Denn es hatte von jeher etwas gefaͤhrliches, von der Farbe zu handeln, dergeſtalt daß einer unſerer Vorgaͤnger gelegentlich gar zu aͤußern wagt: Haͤlt man dem Stier ein ro - thes Tuch vor, ſo wird er wuͤthend; aber der Phi - loſoph, wenn man nur uͤberhaupt von Farbe ſpricht, faͤngt an zu raſen.
Sollen wir jedoch nunmehr von unſerem Vor - trag, auf den wir uns berufen, einige Rechenſchaft geben, ſo muͤſſen wir vor allen Dingen anzeigen, wie wir die verſchiedenen Bedingungen, unter wel - chen die Farbe ſich zeigen mag, geſondert. Wir fanden dreyerley Erſcheinungsweiſen, dreyerley Ar - ten von Farben, oder wenn man lieber will, drey - erley Anſichten derſelben, deren Unterſchied ſich aus - ſprechen laͤßt.
Wir betrachteten alſo die Farben zuerſt, in ſo - fern ſie dem Auge angehoͤren und auf einer Wir - kung und Gegenwirkung deſſelben beruhen; ferner zogen ſie unſere Aufmerkſamkeit an ſich, indem wir ſie an farbloſen Mitteln oder durch deren Beyhuͤlfe gewahrten; zuletzt aber wurden ſie uns merkwuͤrdig,XLI indem wir ſie als den Gegenſtaͤnden angehoͤrig den - ken konnten. Die erſten nannten wir phyſiologi - ſche, die zweyten phyſiſche, die dritten chemiſche Farben. Jene ſind unaufhaltſam fluͤchtig, die an - dern voruͤbergehend, aber allenfalls verweilend, die letzten feſtzuhalten bis zur ſpaͤteſten Dauer.
Indem wir ſie nun in ſolcher naturgemaͤßen Ordnung, zum Behuf eines didaktiſchen Vortrags, moͤglichſt ſonderten und aus einander hielten, ge - lang es uns zugleich, ſie in einer ſtetigen Reihe darzuſtellen, die fluͤchtigen mit den verweilenden und dieſe wieder mit den dauernden zu verknuͤpfen, und ſo die erſt ſorgfaͤltig gezogenen Abtheilungen fuͤr ein hoͤheres Anſchauen wieder aufzuheben.
Hierauf haben wir in einer vierten Abtheilung unſerer Arbeit, was bis dahin von den Farben un - ter mannigfaltigen beſondern Bedingungen bemerkt worden, im Allgemeinen ausgeſprochen und dadurch eigentlich den Abriß einer kuͤnftigen Farbenlehre entworfen. Gegenwaͤrtig ſagen wir nur ſo viel vor - aus, daß zur Erzeugung der Farbe Licht und Fin - ſterniß, Helles und Dunkles, oder, wenn man ſich einer allgemeineren Formel bedienen will, Licht und Nichtlicht gefordert werde. Zunaͤchſt am Licht ent -XLII ſteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunaͤchſt an der Finſterniß, die wir mit dem Worte Blau bezeichnen. Dieſe beyden, wenn wir ſie in ihrem reinſten Zuſtand dergeſtalt vermiſchen, daß ſie ſich voͤllig das Gleichgewicht halten, brin - gen eine Dritte hervor, welche wir Gruͤn heißen. Jene beyden erſten Farben koͤnnen aber auch jede an ſich ſelbſt eine neue Erſcheinung hervorbringen, indem ſie ſich verdichten oder verdunkeln. Sie er - halten ein roͤthliches Anſehen, welches ſich bis auf einen ſo hohen Grad ſteigern kann, daß man das urſpruͤngliche Blau und Gelb kaum darin mehr erkennen mag. Doch laͤßt ſich das hoͤchſte und reine Roth, vorzuͤglich in phyſiſchen Faͤllen, dadurch hervorbringen, daß man die beyden Enden des Gelbrothen und Blaurothen vereinigt. Dieſes iſt die lebendige Anſicht der Farbenerſcheinung und Erzeugung. Man kann aber auch zu dem ſpecifi - cirt fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Roth annehmen, und ruͤckwaͤrts durch Miſchung hervor - bringen, was wir vorwaͤrts durch Intenſiren be - wirkt haben. Mit dieſen drey oder ſechs Farben, welche ſich bequem in einen Kreis einſchließen laſ - ſen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu thun. Alle uͤbrigen ins Unendliche gehenden Abaͤnderun - gen gehoͤren mehr in das Angewandte, gehoͤrenXLIII zur Technik des Malers, des Faͤrbers, uͤberhaupt ins Leben.
Sollen wir ſodann noch eine allgemeine Eigen - ſchaft ausſprechen, ſo ſind die Farben durchaus als Halblichter, als Halbſchatten anzuſehen, wes - halb ſie denn auch, wenn ſie zuſammengemiſcht ihre ſpecifiſchen Eigenſchaften wechſelſeitig aufheben, ein Schattiges, ein Graues hervorbringen.
In unſerer fuͤnften Abtheilung ſollten ſodann jene nachbarlichen Verhaͤltniſſe dargeſtellt werden, in welchen unſere Farbenlehre mit dem uͤbrigen Wiſſen, Thun und Treiben zu ſtehen wuͤnſchte. So wichtig dieſe Abtheilung iſt, ſo mag ſie vielleicht gerade eben deswegen nicht zum beſten gelungen ſeyn. Doch wenn man bedenkt, daß eigentlich nachbarliche Ver - haͤltniſſe ſich nicht eher ausſprechen laſſen, als bis ſie ſich gemacht haben, ſo kann man ſich uͤber das Mißlingen eines ſolchen erſten Verſuches wohl troͤ - ſten. Denn freylich iſt erſt abzuwarten, wie diejeni - gen, denen wir zu dienen ſuchten, denen wir etwas Gefaͤlliges und Nuͤtzliches zu erzeigen dachten, das von uns moͤglichſt Geleiſtete aufnehmen werden, ob ſie ſich es zueignen, ob ſie es benutzen und wei - ter fuͤhren, oder ob ſie es ablehnen, wegdraͤngenXLIV und nothduͤrftig fuͤr ſich beſtehen laſſen. Indeſſen duͤrfen wir ſagen, was wir glauben und was wir hoffen.
Vom Philoſophen glauben wir Dank zu ver - dienen, daß wir geſucht die Phaͤnomene bis zu ih - ren Urquellen zu verfolgen, bis dorthin, wo ſie blos erſcheinen und ſind, und wo ſich nichts weiter an ihnen erklaͤren laͤßt. Ferner wird ihm willkommen ſeyn, daß wir die Erſcheinungen in eine leicht uͤber - ſehbare Ordnung geſtellt, wenn er dieſe Ordnung ſelbſt auch nicht ganz billigen ſollte.
Den Arzt, beſonders denjenigen, der das Or - gan des Auges zu beobachten, es zu erhalten, deſ - ſen Maͤngeln abzuhelfen und deſſen Uebel zu heilen berufen iſt, glauben wir uns vorzuͤglich zum Freunde zu machen. In der Abtheilung von den phyſiolo - giſchen Farben, in dem Anhange, der die patholo - giſchen andeutet, findet er ſich ganz zu Hauſe. Und wir werden gewiß durch die Bemuͤhungen je - ner Maͤnner, die zu unſerer Zeit dieſes Fach mit Gluͤck behandeln, jene erſte, bisher vernachlaͤſſigte und man kann wohl ſagen wichtigſte Abtheilung der Farbenlehre ausfuͤhrlich bearbeitet ſehen.
XLVAm freundlichſten ſollte der Phyſiker uns ent - gegenkommen, da wir ihm die Bequemlichkeit ver - ſchaffen, die Lehre von den Farben in der Reihe aller uͤbrigen elementaren Erſcheinungen vorzutra - gen und ſich dabey einer uͤbereinſtimmenden Spra - che, ja faſt derſelbigen Worte und Zeichen, wie unter den uͤbrigen Rubriken, zu bedienen. Frey - lich machen wir ihm, inſofern er Lehrer iſt, etwas mehr Muͤhe: denn das Capitel von den Farben laͤßt ſich kuͤnftig nicht wie bisher mit wenig Paragraphen und Verſuchen abthun; auch wird ſich der Schuͤler nicht leicht ſo frugal, als man ihn ſonſt bedienen moͤgen, ohne Murren abſpeiſen laſſen. Dagegen findet ſich ſpaͤterhin ein anderer Vortheil. Denn wenn die Newtoniſche Lehre leicht zu lernen war, ſo zeigten ſich bey ihrer Anwendung unuͤberwindliche Schwierigkeiten. Unſere Lehre iſt vielleicht ſchwerer zu faſſen, aber alsdann iſt auch alles gethan: denn ſie fuͤhrt ihre Anwendung mit ſich.
Der Chemiker, welcher auf die Farben als Kri - terien achtet, um die geheimern Eigenſchaften koͤr - perlicher Weſen zu entdecken, hat bisher bey Be - nennung und Bezeichnung der Farben manches Hin - derniß gefunden; ja man iſt nach einer naͤheren und feineren Betrachtung bewogen worden, die FarbeXLVI als ein unſicheres und truͤgliches Kennzeichen bey chemiſchen Operationen anzuſehen. Doch hoffen wir ſie durch unſere Darſtellung und durch die vorge - ſchlagene Nomenclatur wieder zu Ehren zu bringen, und die Ueberzeugung zu erwecken, daß ein Werden - des, Wachſendes, ein Bewegliches, der Umwen - dung Faͤhiges nicht betruͤglich ſey, vielmehr geſchickt, die zarteſten Wirkungen der Natur zu offenbaren.
Blicken wir jedoch weiter umher, ſo wandelt uns eine Furcht an, dem Mathematiker zu miß - fallen. Durch eine ſonderbare Verknuͤpfung von Umſtaͤnden iſt die Farbenlehre in das Reich, vor den Gerichtsſtuhl des Mathematikers gezogen wor - den, wohin ſie nicht gehoͤrt. Dieß geſchah we - gen ihrer Verwandtſchaft mit den uͤbrigen Geſetzen des Sehens, welche der Mathematiker zu behan - deln eigentlich berufen war. Es geſchah ferner dadurch, daß ein großer Mathematiker die Far - benlehre bearbeitete, und da er ſich als Phyſiker geirrt hatte, die ganze Kraft ſeines Talents auf - bot, um dieſem Irrthum Conſiſtenz zu verſchaffen. Wird beydes eingeſehen, ſo muß jedes Mißver - ſtaͤndniß bald gehoben ſeyn, und der Mathemati - ker wird gern, beſonders die phyſiſche Abtheilung der Farbenlehre, mit bearbeiten helfen.
XLVIIDem Techniker, dem Faͤrber hingegen, muß unſre Arbeit durchaus willkommen ſeyn. Denn gerade diejenigen, welche uͤber die Phaͤnomene der Faͤrberey nachdachten, waren am wenigſten durch die bisherige Theorie befriedigt. Sie waren die erſten, welche die Unzulaͤnglichkeit der Newtoniſchen Lehre gewahr wurden. Denn es iſt ein großer Un - terſchied, von welcher Seite man ſich einem Wiſſen, einer Wiſſenſchaft naͤhert, durch welche Pforte man herein kommt. Der echte Praktiker, der Fabrikant, dem ſich die Phaͤnomene taͤglich mit Gewalt auf - dringen, welcher Nutzen oder Schaden von der Ausuͤbung ſeiner Ueberzeugungen empfindet, dem Geld - und Zeitverluſt nicht gleichguͤltig iſt, der vorwaͤrts will, von anderen Geleiſtetes erreichen, uͤbertreffen ſoll; er empfindet viel geſchwinder das Hohle, das Falſche einer Theorie, als der Gelehrte, dem zuletzt die hergebrachten Worte fuͤr baare Muͤn - ze gelten, als der Mathematiker, deſſen Formel immer noch richtig bleibt, wenn auch die Unter - lage nicht zu ihr paßt, auf die ſie angewendet worden. Und ſo werden auch wir, da wir von der Seite der Malerey, von der Seite aͤſthetiſcher Faͤrbung der Oberflaͤchen, in die Farbenlehre her - eingekommen, fuͤr den Maler das Dankenswer - theſte geleiſtet haben, wenn wir in der ſechſtenXLVIII Abtheilung die ſinnlichen und ſittlichen Wirkungen der Farbe zu beſtimmen geſucht, und ſie dadurch dem Kunſtgebrauch annaͤhern wollen. Iſt auch hierbey, wie durchaus, manches nur Skitze ge - blieben, ſo ſoll ja alles Theoretiſche eigentlich nur die Grundzuͤge andeuten, auf welchen ſich hernach die That lebendig ergehen und zu geſetzlichem Her - vorbringen gelangen mag.
Dieſe Farben, welche wir billig oben an ſetzen, weil ſie dem Subject, weil ſie dem Auge, theils voͤllig, theils groͤßtens zugehoͤren, dieſe Farben, welche das Funda - ment der ganzen Lehre machen und uns die chromatiſche Harmonie, woruͤber ſo viel geſtritten wird, offenbaren, wurden bisher als außerweſentlich, zufaͤllig, als Taͤu - ſchung und Gebrechen betrachtet. Die Erſcheinungen der - ſelben ſind von fruͤhern Zeiten her bekannt, aber weil man ihre Fluͤchtigkeit nicht haſchen konnte, ſo verbannte man ſie in das Reich der ſchaͤdlichen Geſpenſter und be - zeichnete ſie in dieſem Sinne gar verſchiedentlich.
Alſo heißen ſie colores adventicii nach Boyle, ima - ginarii und phantaſtici nach Rizetti, nach Buͤffon cou - leurs accidentelles, nach Scherfer Scheinfarben; Au - gentaͤuſchungen und Geſichtsbetrug nach mehreren, nach Hamberger vitia fugitiva, nach Darwin ocular ſpectra.
Wir haben ſie phyſiologiſche genannt, weil ſie dem geſunden Auge angehoͤren, weil wir ſie als die nothwen - digen Bedingungen des Sehens betrachten, auf deſſen lebendiges Wechſelwirken in ſich ſelbſt und nach außen ſie hindeuten.
Wir fuͤgen ihnen ſogleich die pathologiſchen hinzu, welche, wie jeder abnorme Zuſtand auf den geſetzlichen, ſo auch hier auf die phyſiologiſchen Farben eine vollkom - menere Einſicht verbreiten.
Die Retina befindet ſich, je nachdem Licht oder Fin - ſterniß auf ſie wirken, in zwey verſchiedenen Zuſtaͤnden, die einander voͤllig entgegenſtehen.
Wenn wir die Augen innerhalb eines ganz finſtern Raums offen halten, ſo wird uns ein gewiſſer Mangel empfindbar. Das Organ iſt ſich ſelbſt uͤberlaſſen, es zieht ſich in ſich ſelbſt zuruͤck, ihm fehlt jene reizende be -3 friedigende Beruͤhrung, durch die es mit der aͤußern Welt verbunden und zum Ganzen wird.
Wenden wir das Auge gegen eine ſtark beleuchtete weiße Flaͤche, ſo wird es geblendet und fuͤr eine Zeit lang unfaͤhig, maͤßig beleuchtete Gegenſtaͤnde zu unterſcheiden.
Jeder dieſer aͤußerſten Zuſtaͤnde nimmt auf die ange - gebene Weiſe die ganze Netzhaut ein, und in ſo fern wer - den wir nur einen derſelben auf einmal gewahr. Dort (6) fanden wir das Organ in der hoͤchſten Abſpannung und Empfaͤnglichkeit, hier (7) in der aͤußerſten Ueberſpan - nung und Unempfindlichkeit.
Gehen wir ſchnell aus einem dieſer Zuſtaͤnde in den andern uͤber, wenn auch nicht von einer aͤußerſten Graͤn - ze zur andern, ſondern etwa nur aus dem Hellen ins Daͤm - mernde; ſo iſt der Unterſchied bedeutend und wir koͤnnen bemerken, daß die Zuſtaͤnde eine Zeit lang dauern.
Wer aus der Tageshelle in einen daͤmmrigen Ort uͤbergeht, unterſcheidet nichts in der erſten Zeit, nach und nach ſtellen ſich die Augen zur Empfaͤnglichkeit wieder her, ſtarke fruͤher als ſchwache, jene ſchon in einer Minute, wenn dieſe ſieben bis acht Minuten brauchen.
Bey wiſſenſchaftlichen Beobachtungen kann die Unem - pfaͤnglichkeit des Auges fuͤr ſchwache Lichteindruͤcke, wenn man aus dem Hellen ins Dunkle geht, zu ſonderbaren Irrthuͤmern Gelegenheit geben. So glaubte ein Beobach - ter, deſſen Auge ſich langſam herſtellte, eine ganze Zeit, das faule Holz leuchte nicht um Mittag, ſelbſt in der dun - keln Kammer. Er ſah naͤmlich das ſchwache Leuchten nicht, weil er aus dem hellen Sonnenſchein in die dunkle Kammer zu gehen pflegte und erſt ſpaͤter einmal ſo lange darin verweilte, bis ſich das Auge wieder hergeſtellt hatte.
Eben ſo mag es dem Doctor Wall mit dem electri - ſchen Scheine des Bernſteins gegangen ſeyn, den er bey Tage, ſelbſt im dunkeln Zimmer, kaum gewahr werden konnte.
Das Nichtſehen der Sterne bey Tage, das Beſſer - ſehen der Gemaͤlde durch eine doppelte Roͤhre iſt auch hieher zu rechnen.
Wer einen voͤllig dunkeln Ort mit einem, den die Sonne beſcheint, verwechſelt, wird geblendet. Wer aus der Daͤmmrung ins nicht blendende Helle kommt, bemerkt alle Gegenſtaͤnde friſcher und beſſer; daher ein ausgeruh - tes Auge durchaus fuͤr maͤßige Erſcheinungen empfaͤngli - cher iſt.
Bey Gefangenen, welche lange im Finſtern geſeſſen, iſt die Empfaͤnglichkeit der Retina ſo groß, daß ſie im Finſtern (wahrſcheinlich in einem wenig erhellten Dun - kel) ſchon Gegenſtaͤnde unterſcheiden.
Die Netzhaut befindet ſich bey dem, was wir ſehen heißen, zu gleicher Zeit in verſchiedenen, ja in entgegen - geſetzten Zuſtaͤnden. Das hoͤchſte nicht blendende Helle wirkt neben dem voͤllig Dunkeln. Zugleich werden wir alle Mittelſtufen des Helldunkeln und alle Farbenbeſtim - mungen gewahr.
Wir wollen gedachte Elemente der ſichtbaren Welt nach und nach betrachten und bemerken, wie ſich das Organ gegen dieſelben verhalte, und zu dieſem Zweck die einfachſten Bilder vornehmen.
Wie ſich die Netzhaut gegen Hell und Dunkel uͤber - haupt verhaͤlt, ſo verhaͤlt ſie ſich auch gegen dunkle und helle einzelne Gegenſtaͤnde. Wenn Licht und Finſterniß ihr im Ganzen verſchiedene Stimmungen geben; ſo wer - den ſchwarze und weiße Bilder, die zu gleicher Zeit ins Auge fallen, diejenigen Zuſtaͤnde neben einander bewirken, welche durch Licht und Finſterniß in einer Folge hervor - gebracht wurden.
Ein dunkler Gegenſtand erſcheint kleiner, als ein hel - ler von derſelben Groͤße. Man ſehe zugleich eine weiße Rundung auf ſchwarzem, eine ſchwarze auf weißem Grunde, welche nach einerley Zirkelſchlag ausgeſchnitten ſind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fuͤnftel kleiner, als die erſte halten. Man mache das ſchwarze Bild um ſoviel groͤßer, und ſie werden gleich erſcheinen.
So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Conjunction (der finſtere) um den fuͤnften Theil klei - ner erſcheine, als in der Oppoſition (der volle helle). Die erſte Mondſichel ſcheint einer groͤßern Scheibe anzu - gehoͤren, als der an ſie graͤnzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterſcheiden kann. Schwarze Kleider machen die Perſonen viel ſchmaͤler aus - ſehen, als helle. Hinter einem Rand geſehene Lichter machen in den Rand einen ſcheinbaren Einſchnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat fuͤr uns eine Scharte. Die auf - und untergehende Son - ne ſcheint einen Einſchnitt in den Horizont zu machen.
Das Schwarze, als Repraͤſentant der Finſterniß, laͤßt das Organ im Zuſtande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, verſetzt es in Thaͤtigkeit. Man ſchloͤſſe vielleicht aus gedachtem Phaͤnomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen7 iſt, in ſich ſelbſt zuſammengezogen ſey, und einen kleinern Raum einnehme, als in dem Zuſtande der Thaͤtigkeit, in den ſie durch den Reiz des Lichtes verſetzt wird.
Kepler ſagt daher ſehr ſchoͤn: certum est vel in re - tina caussâ picturae, vel in spiritibus caussâ impres - sionis exsistere dilatationem lucidorum. Paralip. in Vitellionem p. 220. Pater Scherfer hat eine aͤhnliche Muthmaßung.
Wie dem auch ſey, beyde Zuſtaͤnde, zu welchen das Organ durch ein ſolches Bild beſtimmt wird, beſtehen auf demſelben oͤrtlich, und dauern eine Zeit lang fort, wenn auch ſchon der aͤußre Anlaß entfernt iſt. Im gemeinen Leben bemerken wir es kaum: denn ſelten kommen Bilder vor, die ſehr ſtark von einander abſtechen. Wir vermei - den diejenigen anzuſehn, die uns blenden. Wir blicken von einem Gegenſtand auf den andern, die Succeſſion der Bilder ſcheint uns rein, wir werden nicht gewahr, daß ſich von dem vorhergehenden etwas ins nachfolgende hinuͤberſchleicht.
Wer auf ein Fenſterkreuz, das einen daͤmmernden Himmel zum Hintergrunde hat, morgens beym Erwa - chen, wenn das Auge beſonders empfaͤnglich iſt, ſcharf hinblickt und ſodann die Augen ſchließt, oder gegen einen ganz dunkeln Ort hinſieht, wird ein ſchwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor ſich ſehen.
Jedes Bild nimmt ſeinen beſtimmten Platz auf der Netzhaut ein, und zwar einen groͤßern oder kleinern, nach8 dem Maße, in welchem es nahe oder fern geſehen wird. Schließen wir das Auge ſogleich, wenn wir in die Son - ne geſehen haben; ſo werden wir uns wundern, wie klein das zuruͤckgebliebene Bild erſcheint.
Kehren wir dagegen das geoͤffnete Auge nach einer Wand, und betrachten das uns vorſchwebende Geſpenſt in Bezug auf andre Gegenſtaͤnde; ſo werden wir es im - mer groͤßer erblicken, je weiter von uns es durch irgend eine Flaͤche aufgefangen wird. Dieſes Phaͤnomen erklaͤrt ſich wohl aus dem perſpectiviſchen Geſetz, daß uns der kleine naͤhere Gegenſtand den groͤßern entfernten zudeckt.
Nach Beſchaffenheit der Augen iſt die Dauer dieſes Eindrucks verſchieden. Sie verhaͤlt ſich wie die Herſtel - lung der Netzhaut bey dem Uebergang aus dem Hellen ins Dunkle (10), und kann alſo nach Minuten und Se - cunden abgemeſſen werden, und zwar viel genauer, als es bisher durch eine geſchwungene, brennende Lunte, die dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erſcheint, geſche - hen konnte.
Beſonders auch kommt die Energie in Betracht, wo - mit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am laͤngſten bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger leuchtende Koͤrper laſſen ihre Spur laͤnger oder kuͤrzer zuruͤck.
Dieſe Bilder verſchwinden nach und nach, und zwar indem ſie ſowohl an Deutlichkeit als an Groͤße verlieren.
Sie nehmen von der Peripherie herein ab, und man glaubt bemerkt zu haben, daß bey viereckten Bildern ſich nach und nach die Ecken abſtumpfen, und zuletzt ein im - mer kleineres rundes Bild vorſchwebt.
Ein ſolches Bild, deſſen Eindruck nicht mehr be - merklich iſt, laͤßt ſich auf der Retina gleichſam wieder beleben, wenn wir die Augen oͤffnen und ſchließen und mit Erregung und Schonung abwechſeln.
Daß Bilder ſich bey Augenkrankheiten vierzehn bis ſiebzehn Minuten, ja laͤnger auf der Retina erhielten, deutet auf aͤußerſte Schwaͤche des Organs, auf deſſen Un - faͤhigkeit ſich wieder herzuſtellen, ſo wie das Vorſchwe - ben leidenſchaftlich geliebter oder verhaßter Gegenſtaͤnde aus dem Sinnlichen ins Geiſtige deutet.
Blickt man, indeſſen der Eindruck obgedachten Fen - ſterbildes noch dauert, nach einer hellgrauen Flaͤche, ſo erſcheint das Kreuz hell und der Scheibenraum dunkel. In jenem Falle (20) blieb der Zuſtand ſich ſelbſt gleich, ſo daß auch der Eindruck identiſch verharren konnte; hier10 aber wird eine Umkehrung bewirkt, die unſere Aufmerk - ſamkeit aufregt und von der uns die Beobachter mehrere Faͤlle uͤberliefert haben.
Die Gelehrten, welche auf den Cordilleras ihre Be - obachtungen anſtellten, ſahen um den Schatten ihrer Koͤp - fe, der auf Wolken fiel, einen hellen Schein. Dieſer Fall gehoͤrt wohl hieher: denn indem ſie das dunkle Bild des Schattens fixirten und ſich zugleich von der Stelle bewegten, ſo ſchien ihnen das geforderte helle Bild um das dunkle zu ſchweben. Man betrachte ein ſchwarzes Rund auf einer hellgrauen Flaͤche, ſo wird man bald, wenn man die Richtung des Blicks im ge - ringſten veraͤndert, einen hellen Schein um das dunkle Rund ſchweben ſehen.
Auch mir iſt ein Aehnliches begegnet. Indem ich naͤmlich auf dem Felde ſitzend mit einem Manne ſprach, der, in einiger Entfernung vor mir ſtehend, einen grauen Himmel zum Hintergrund hatte, ſo erſchien mir, nach - dem ich ihn lange ſcharf und unverwandt angeſehen, als ich den Blick ein wenig gewendet, ſein Kopf von einem blendenden Schein umgeben.
Wahrſcheinlich gehoͤrt hieher auch das Phaͤnomen, daß Perſonen, die bey Aufgang der Sonne an feuchten Wieſen hergehen, einen Schein um ihr Haupt erbli - cken, der zugleich farbig ſeyn mag, weil ſich von den Phaͤ - nomenen der Refraction etwas einmiſcht.
So hat man auch um die Schatten der Luftballone, welche auf Wolken fielen, helle und einigermaßen ge - faͤrbte Kreiſe bemerken wollen.
11Pater Beccaria ſtellte einige Verſuche an uͤber die Wetterelectricitaͤt, wobey er den papiernen Drachen in die Hoͤhe ſteigen ließ. Es zeigte ſich um dieſe Maſchine ein kleines glaͤnzendes Woͤlkchen von abwechſelnder Groͤße, ja auch um einen Theil der Schnur. Es verſchwand zuwei - len, und wenn der Drache ſich ſchneller bewegte, ſchien es auf dem vorigen Platze einige Augenblicke hin und wie - der zu ſchweben. Dieſe Erſcheinung, welche die dama - ligen Beobachter nicht erklaͤren konnten, war das im Au - ge zuruͤckgebliebene, gegen den hellen Himmel in ein hel - les verwandelte Bild des dunkeln Drachen.
Bey optiſchen, beſonders chromatiſchen Verſuchen, wo man oft mit blendenden Lichtern, ſie ſeyen farblos oder farbig, zu thun hat, muß man ſich ſehr vorſehen, daß nicht das zuruͤckgebliebene Spectrum einer vorherge - henden Beobachtung ſich mit in eine folgende Beobach - tung miſche und dieſelbe verwirrt und unrein mache.
Dieſe Erſcheinungen hat man ſich folgendermaßen zu erklaͤren geſucht. Der Ort der Retina, auf welchen das Bild des dunklen Kreuzes fiel, iſt als ausgeruht und empfaͤnglich anzuſehen. Auf ihn wirkt die maͤßig erhellte Flaͤche lebhafter, als auf die uͤbrigen Theile der Netzhaut, welche durch die Fenſterſcheiben das Licht em - pfingen, und nachdem ſie durch einen ſo viel ſtaͤrkern Reiz in Thaͤtigkeit geſetzt worden, die graue Flaͤche nur als dunkel gewahr werden.
Dieſe Erklaͤrungsart ſcheint fuͤr den gegenwaͤrtigen Fall ziemlich hinreichend; in Betrachtung kuͤnftiger Er -12 ſcheinungen aber ſind wir genoͤthigt das Phaͤnomen aus hoͤhern Quellen abzuleiten.
Das Auge eines Wachenden aͤußert ſeine Leben - digkeit beſonders darin, daß es durchaus in ſeinen Zu - ſtaͤnden abzuwechſeln verlangt, die ſich am einfachſten vom Dunkeln zum Hellen und umgekehrt bewegen. Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem beſon - dern, in einem durch das Object ſpecificirten Zuſtande identiſch verharren. Es iſt vielmehr zu einer Art von Oppoſition genoͤthigt, die, indem ſie das Extrem dem Extreme, das Mittlere dem Mittleren entgegenſetzt, ſogleich das Entgegengeſetzte verbindet, und in der Suc - ceſſion ſowohl als in der Gleichzeitigkeit und Gleichoͤrt - lichkeit nach einem Ganzen ſtrebt.
Vielleicht entſteht das außerordentliche Behagen, das wir bey dem wohlbehandelten Helldunkel farbloſer Ge - maͤlde und aͤhnlicher Kunſtwerke empfinden, vorzuͤglich aus dem gleichzeitigen Gewahrwerden eines Ganzen, das von dem Organ ſonſt nur in einer Folge mehr geſucht, als hervorgebracht wird, und wie es auch gelingen moͤge, niemals feſtgehalten werden kann.
Ein großer Theil chromatiſcher Verſuche verlangt ein maͤßiges Licht. Dieſes koͤnnen wir ſogleich durch mehr oder minder graue Flaͤchen bewirken, und wir ha - ben uns daher mit dem Grauen zeitig bekannt zu machen, wobey wir kaum zu bemerken brauchen, daß in manchen Faͤllen eine im Schatten oder in der Daͤmmerung ſte - hende weiße Flaͤche fuͤr eine graue gelten kann.
Da eine graue Flaͤche zwiſchen hell und dunkel innen ſteht, ſo laͤßt ſich das, was wir oben (29) als Phaͤ - nomen vorgetragen, zum bequemen Verſuch erheben.
Man halte ein ſchwarzes Bild vor eine graue Flaͤche und ſehe unverwandt, indem es weggenommen wird, auf denſelben Fleck; der Raum, den es einnahm, erſcheint um vieles heller. Man halte auf eben dieſe Art ein wei - ßes Bild hin, und der Raum wird nachher dunkler als die uͤbrige Flaͤche erſcheinen. Man verwende das Auge auf der Tafel hin und wieder; ſo werden in beyden Faͤl - len die Bilder ſich gleichfalls hin und her bewegen.
Ein graues Bild auf ſchwarzem Grunde erſcheint viel heller, als daſſelbe Bild auf weißem. Stellt man beyde Faͤlle neben einander, ſo kann man ſich kaum uͤber - zeugen, daß beyde Bilder aus Einem Topf gefaͤrbt ſeyen. Wir glauben hier abermals die große Regſamkeit der Netzhaut zu bemerken und den ſtillen Widerſpruch, den jedes Lebendige zu aͤußern gedrungen iſt, wenn ihm irgend ein beſtimmter Zuſtand dargeboten wird. So ſetzt das Einathmen ſchon das Ausathmen voraus und umgekehrt; ſo jede Syſtole ihre Diaſtole. Es iſt die ewige Formel des Lebens, die ſich auch hier aͤußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, ſo fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt und zeigt eben dadurch ſeine Lebendigkeit, ſein Recht das Object zu faſſen, indem es etwas, das dem Object ent - gegengeſetzt iſt, aus ſich ſelbſt hervorbringt.
Wenn man ein blendendes voͤllig farbloſes Bild an - ſieht, ſo macht ſolches einen ſtarken dauernden Eindruck, und das Abklingen deſſelben iſt von einer Farbenerſchei - nung begleitet.
In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf - und zude - cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff - nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers; ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe - hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos, einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich purpurfarben erſcheinen.
Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom - men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein - druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.)
Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber - einſtimmend, folgendermaßen gefunden.
16Auf das blendende Bild hatte ich fuͤnf Secunden ge - ſehen, darauf den Schieber geſchloſſen; da erblickt’ ich das farbige Scheinbild ſchwebend, und nach dreyzehn Secunden erſchien es ganz purpurfarben. Nun vergingen wieder neun und zwanzig Secunden, bis das Ganze blau erſchien, und acht und vierzig, bis es mir farblos vor - ſchwebte. Durch Schließen und Oeffnen des Auges be - lebte ich das Bild immer wieder (27), ſo daß es ſich erſt nach Verlauf von ſieben Minuten ganz verlor.
Kuͤnftige Beobachter werden dieſe Zeiten kuͤrzer oder laͤnger finden, je nachdem ſie ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Au - gen haben (23). Sehr merkwuͤrdig aber waͤre es, wenn man demungeachtet durchaus ein gewiſſes Zahlenverhaͤlt - niß dabey entdecken koͤnnte.
Aber dieſes ſonderbare Phaͤnomen erregt nicht ſobald unſre Aufmerkſamkeit, als wir ſchon eine neue Modifica - tion deſſelben gewahr werden.
Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im Auge aufgenommen und ſehen in einem maͤßig erleuchte - ten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenſtand; ſo ſchwebt abermals ein Phaͤnomen vor uns, aber ein dunkles, das ſich nach und nach von außen mit einem gruͤnen Ran - de einfaßt, welcher eben ſo, wie vorher der purpurne Rand, ſich uͤber das ganze Rund hineinwaͤrts verbreitet. Iſt dieſes geſchehen, ſo ſieht man nunmehr ein ſchmutzi - ges Gelb, das, wie in dem vorigen Verſuche das Blau, die Scheibe ausfuͤllt und zuletzt von einer Unfarbe ver - ſchlungen wird.
Dieſe beyden Verſuche laſſen ſich combiniren, wenn man in einem maͤßig hellen Zimmer eine ſchwarze und weiße Tafel neben einander hinſetzt und, ſo lange das Auge den Lichteindruck behaͤlt, bald auf die weiße, bald auf die ſchwarze Tafel ſcharf hinblickt. Man wird als - dann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein gruͤnes Phaͤ - nomen und ſo weiter das uͤbrige gewahr werden. Ja, wenn man ſich geuͤbt hat, ſo laſſen ſich, indem man das ſchwe - bende Phaͤnomen dahin bringt, wo die zwey Tafeln an einander ſtoßen, die beyden entgegengeſetzten Farben zu - gleich erblicken; welches um ſo bequemer geſchehen kann, als die Tafeln entfernter ſtehen, indem das Spectrum alsdann groͤßer erſcheint.
Ich befand mich gegen Abend in einer Eiſenſchmie - de, als eben die gluͤhende Maſſe unter den Hammer gebracht wurde. Ich hatte ſcharf darauf geſehen, wen - dete mich um und blickte zufaͤllig in einen offenſtehenden Kohlenſchoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild ſchwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick von der dunkeln Oeffnung weg, nach dem hellen Bret - terverſchlag wendete, ſo erſchien mir das Phaͤnomen halb gruͤn, halb purpurfarben, je nachdem es einen dunklern oder hellern Grund hinter ſich hatte. Auf das Abklingen dieſer Erſcheinung merkte ich damals nicht.
Wie das Abklingen eines umſchriebenen Glanzbil - des verhaͤlt ſich auch das Abklingen einer totalen Blen -I. 218dung der Retina. Die Purpurfarbe, welche die vom Schnee Geblendeten erblicken, gehoͤrt hieher, ſo wie die ungemein ſchoͤne gruͤne Farbe dunkler Gegenſtaͤnde, nach - dem man auf ein weißes Papier in der Sonne lange hingeſehen. Wie es ſich naͤher damit verhalte, werden diejenigen kuͤnftig unterſuchen, deren jugendliche Augen, um der Wiſſenſchaft willen, noch etwas auszuſtehen faͤhig ſind.
Hieher gehoͤren gleichfalls die ſchwarzen Buchſta - ben, die im Abendlichte roth erſcheinen. Vielleicht ge - hoͤrt auch die Geſchichte hieher, daß ſich Blutstropfen auf dem Tiſche zeigten, an den ſich Heinrich der Vierte von Frankreich mit dem Herzog von Guiſe, um Wuͤr - fel zu ſpielen, geſetzt hatte.
Wir wurden die phyſiologiſchen Farben zuerſt beym Abklingen farbloſer blendender Bilder, ſo wie auch bey abklingenden allgemeinen farbloſen Blendungen gewahr. Nun finden wir analoge Erſcheinungen, wenn dem Au - ge eine ſchon ſpecificirte Farbe geboten wird, wobey uns alles, was wir bisher erfahren haben, immer ge - genwaͤrtig bleiben muß.
Wie von den farbloſen Bildern, ſo bleibt auch von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns die zur Oppoſition aufgeforderte, und durch den Gegen - ſatz eine Totalitaͤt hervorbringende Lebendigkeit der Netzhaut anſchaulicher wird.
Man halte ein kleines Stuͤck lebhaft farbigen Pa - piers, oder ſeidnen Zeuges, vor eine maͤßig erleuchtete weiße Tafel, ſchaue unverwandt auf die kleine farbige Flaͤche und hebe ſie, ohne das Auge zu verruͤcken, nach einiger Zeit hinweg; ſo wird das Spectrum einer an - dern Farbe auf der weißen Tafel zu ſehen ſeyn. Man kann auch das farbige Papier an ſeinem Orte laſſen, und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen Tafel hinblicken; ſo wird jene farbige Erſcheinung ſich auch dort ſehen laſſen: denn ſie entſpringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehoͤrt.
Um in der Kuͤrze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch dieſen Gegenſatz hervorgerufen werden, bediene man ſich des illuminirten Farbenkrei - ſes unſerer Tafeln, der uͤberhaupt naturgemaͤß einge - richtet iſt, und auch hier ſeine guten Dienſte leiſtet, indem die in demſelben diametral einander entgegenge - ſetzten Farben diejenigen ſind, welche ſich im Auge wechſelsweiſe fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Gruͤne, und umgekehrt. 2 *20So fordern ſich alle Abſtufungen wechſelsweiſe, die einfachere Farbe fordert die zuſammengeſetztere, und um - gekehrt.
Oefter, als wir denken, kommen uns die hieher ge - hoͤrigen Faͤlle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerk - ſame ſieht dieſe Erſcheinungen uͤberall, da ſie hingegen von dem ununterrichteten Theil der Menſchen, wie von unſern Vorfahren, als fluͤchtige Fehler angeſehen wer - den, ja manchmal gar, als waͤren es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, ſorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Faͤlle moͤgen hier Platz nehmen.
Als ich gegen Abend in ein Wirthshaus eintrat und ein wohlgewachſenes Maͤdchen mit blendendweißem Geſicht, ſchwarzen Haaren und einem ſcharlachrothen Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich ſie, die in einiger Entfernung vor mir ſtand, in der Halbdaͤmme - rung ſcharf an. Indem ſie ſich nun darauf hinwegbe - wegte, ſah ich auf der mir entgegenſtehenden weißen Wand ein ſchwarzes Geſicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die uͤbrige Bekleidung der voͤllig deutli - chen Figur erſchien von einem ſchoͤnen Meergruͤn.
Unter dem optiſchen Apparat befinden ſich Bruſt - bilder von Farben und Schattirungen, denen entgegengeſetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man ſie eine Zeit lang angeſchaut, die21 Scheingeſtalt alsdann ziemlich natuͤrlich geſehen haben. Die Sache iſt an ſich ſelbſt richtig und der Erfahrung gemaͤß: denn in obigem Falle haͤtte mir eine Mohrin mit weißer Binde, ein weißes Geſicht ſchwarz umgeben hervorgebracht; nur will es bey jenen gewoͤhnlich klein gemalten Bildern nicht Jedermann gluͤcken, die Thei - le der Scheinfigur gewahr zu werden.
Ein Phaͤnomen, das ſchon fruͤher bey den Natur - forſchern Aufmerkſamkeit erregt, laͤßt ſich, wie ich uͤber - zeugt bin, auch aus dieſen Erſcheinungen ableiten.
Man erzaͤhlt, daß gewiſſe Blumen im Sommer bey Abendzeit gleichſam blitzen, phosphoreſciren oder ein augenblickliches Licht ausſtroͤmen. Einige Beobach - ter geben dieſe Erfahrungen genauer an.
Dieſes Phaͤnomen ſelbſt zu ſehen hatte ich mich oft bemuͤht, ja ſogar, um es hervorzubringen, kuͤnſtliche Verſuche angeſtellt.
Am 19. Jun. 1799, als ich zu ſpaͤter Abendzeit, bey der in eine klare Nacht uͤbergehenden Daͤmmerung, mit einem Freunde im Garten auf - und abging, be - merkten wir ſehr deutlich an den Blumen des orienta - liſchen Mohns, die vor allen andern eine ſehr maͤchtig rothe Farbe haben, etwas flammenaͤhnliches, das ſich in ihrer Naͤhe zeigte. Wir ſtellten uns vor die Stau - den hin, ſahen aufmerkſam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bey abermaligem Hin - und Wiedergehen, gelang, indem wir ſeitwaͤrts dar - auf blickten, die Erſcheinung ſo oft zu wiederholen, als22 uns beliebte. Es zeigte ſich, daß es ein phyſiologiſches Farbenphaͤnomen, und der ſcheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume, in der geforderten blaugruͤ - nen Farbe ſey.
Wenn man eine Blume gerad anſieht, ſo kommt die Erſcheinung nicht hervor; doch muͤßte es auch ge - ſchehen, ſobald man mit dem Blick wankte. Schielt man aber mit dem Augenwinkel hin, ſo entſteht eine momentane Doppelerſcheinung, bey welcher das Schein - bild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt wird.
Die Daͤmmerung iſt Urſache, daß das Auge voͤllig ausgeruht und empfaͤnglich iſt, und die Farbe des Mohns iſt maͤchtig genug, bey einer Sommerdaͤmme - rung der laͤngſten Tage, noch vollkommen zu wirken und ein gefordertes Bild hervorzurufen.
Ich bin uͤberzeugt, daß man dieſe Erſcheinung zum Verſuche erheben und den gleichen Effect durch Papier - blumen hervorbringen koͤnnte.
Will man indeſſen ſich auf die Erfahrung in der Natur vorbereiten, ſo gewoͤhne man ſich, indem man durch den Garten geht, die farbigen Blumen ſcharf an - zuſehen und ſogleich auf den Sandweg hinzublicken; man wird dieſen alsdann mit Flecken der entgegenge - ſetzten Farbe beſtreut ſehen. Dieſe Erfahrung gluͤckt bey bedecktem Himmel, aber auch ſelbſt beym hellſten Sonnenſchein, der, indem er die Farbe der Blume er - hoͤht, ſie faͤhig macht die geforderte Farbe maͤchtig genug hervorzubringen, daß ſie ſelbſt bey einem blendenden Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Paͤo -23 nien ſchoͤn gruͤne, die Calendeln lebhaft blaue Spec - tra hervor.
So wie bey den Verſuchen mit farbigen Bildern auf einzelnen Theilen der Retina ein Farbenwechſel ge - ſetzmaͤßig entſteht, ſo geſchieht daſſelbe, wenn die ganze Netzhaut von Einer Farbe afficirt wird. Hievon koͤn - nen wir uns uͤberzeugen, wenn wir farbige Glasſchei - ben vors Auge nehmen. Man blicke eine Zeit lang durch eine blaue Scheibe, ſo wird die Welt nachher dem befreyten Auge, wie von der Sonne erleuchtet er - ſcheinen, wenn auch gleich der Tag grau und die Ge - gend herbſtlich farblos waͤre. Eben ſo ſehen wir, in - dem wir eine gruͤne Brille weglegen, die Gegenſtaͤnde mit einem roͤthlichen Schein uͤberglaͤnzt. Ich ſollte da - her glauben, daß es nicht wohlgethan ſey, zu Scho - nung der Augen ſich gruͤner Glaͤſer, oder gruͤnen Pa - piers zu bedienen, weil jede Farbſpecification dem Au - ge Gewalt anthut, und das Organ zur Oppoſition noͤ - thigt.
Haben wir bisher die entgegengeſetzten Farben ſich einander ſucceſſiv auf der Retina fordern ſehen; ſo bleibt uns noch uͤbrig zu erfahren, daß dieſe geſetzliche Forderung auch ſimultan beſtehen koͤnne. Malt ſich auf einem Theile der Netzhaut ein farbiges Bild, ſo findet ſich der uͤbrige Theil ſogleich in einer Diſpoſition, die bemerkten correſpondirenden Farben hervorzubringen. Setzt man obige Verſuche fort, und blickt z. B. vor einer weißen Flaͤche auf ein gelbes Stuͤck Papier; ſo24 iſt der uͤbrige Theil des Auges ſchon disponiert, auf gedachter farbloſer Flaͤche das Violette hervorzubringen. Allein das wenige Gelbe iſt nicht maͤchtig genug jene Wirkung deutlich zu leiſten. Bringt man aber auf ei - ne gelbe Wand weiße Papiere, ſo wird man ſie mit einem violetten Ton uͤberzogen ſehen.
Ob man gleich mit allen Farben dieſe Verſuche anſtellen kann, ſo ſind doch beſonders dazu Gruͤn und Purpur zu empfehlen, weil dieſe Farben einander auf - fallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns die - ſe Faͤlle haͤufig. Blickt ein gruͤnes Papier durch ge - ſtreiften oder gebluͤmten Muſſelin hindurch, ſo werden die Streifen oder Blumen roͤthlich erſcheinen. Durch gruͤne Schaltern ein graues Haus geſehen, erſcheint gleichfalls roͤthlich. Die Purpurfarbe an dem beweg - ten Meer iſt auch eine geforderte Farbe. Der beleuch - tete Theil der Wellen erſcheint gruͤn in ſeiner eigenen Farbe, und der beſchattete in der entgegengeſetzten pur - purnen. Die verſchiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch ei - ne Oeffnung rother oder gruͤner Vorhaͤnge erſcheinen die Gegenſtaͤnde draußen mit der geforderten Farbe. Uebrigens werden ſich dieſe Erſcheinungen dem Auf - merkſamen uͤberall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.
Haben wir das Simultane dieſer Wirkungen bisher in den directen Faͤllen kennen gelernt; ſo koͤnnen wir25 ſolche auch in den umgekehrten bemerken. Nimmt man ein ſehr lebhaft orange gefaͤrbtes Stuͤckchen Papier vor die weiße Flaͤche, ſo wird man, wenn man es ſcharf anſieht, das auf der uͤbrigen Flaͤche geforderte Blau ſchwerlich gewahr werden. Nimmt man aber das oran - ge Papier weg, und erſcheint an deſſen Platz das blaue Scheinbild; ſo wird ſich in dem Augenblick, da dieſes voͤllig wirkſam iſt, die uͤbrige Flaͤche, wie in einer Art von Wetterleuchten, mit einem roͤthlich gelben Schein uͤberziehen, und wird dem Beobachter die productive Forderung dieſer Geſetzlichkeit zum lebhaften Anſchauen bringen.
Wie die geforderten Farben, da wo ſie nicht ſind, neben und nach der fordernden leicht erſcheinen; ſo werden ſie erhoͤht, da wo ſie ſind. In einem Hofe, der mit grauen Kalkſteinen gepflaſtert und mit Gras durchwachſen war, erſchien das Gras von einer unend - lich ſchoͤnen Gruͤne, als Abendwolken einen roͤthlichen kaum bemerklichen Schein auf das Pflaſter warfen. Im umgekehrten Falle ſieht derjenige, der bey einer mittleren Helle des Himmels auf Wieſen wandelt, und nichts als Gruͤn vor ſich ſieht, oͤfters die Baumſtaͤmme und Wege mit einem roͤthlichen Scheine leuchten. Bey Landſchaftmahlern, beſonders denjenigen, die mit Aqua - rellfarben arbeiten, kommt dieſer Ton oͤfters vor. Wahr - ſcheinlich ſehen ſie ihn in der Natur, ahmen ihn un - bewußt nach und ihre Arbeit wird als unnatuͤrlich ge - tadelt.
Dieſe Phaͤnomene ſind von der groͤßten Wichtig - keit, indem ſie uns auf die Geſetze des Sehens hindeu - ten, und zu kuͤnftiger Betrachtung der Farben eine nothwendige Vorbereitung ſind. Das Auge verlangt dabey ganz eigentlich Totalitaͤt und ſchließt in ſich ſelbſt den Farbenkreis ab. In dem vom Gelben geforderten Violetten liegt das Rothe und Blaue; im Orange das Gelbe und Rothe, dem das Blaue entſpricht; das Gruͤ - ne vereinigt Blau und Gelb und fordert das Rothe, und ſo in allen Abſtufungen der verſchiedenſten Mi - ſchungen. Daß man in dieſem Falle genoͤthigt werde, drey Hauptfarben anzunehmen, iſt ſchon fruͤher von den Beobachtern bemerkt worden.
Wenn in der Totalitaͤt die Elemente, woraus ſie zuſammenwaͤchſt, noch bemerklich ſind, nennen wir ſie billig Harmonie, und wie die Lehre von der Harmonie der Farben ſich aus dieſen Phaͤnomenen herleite, wie nur durch dieſe Eigenſchaften die Farbe faͤhig ſey, zu aͤſthetiſchem Gebrauch angewendet zu werden, muß ſich in der Folge zeigen, wenn wir den ganzen Kreis der Beobachtungen durchlaufen haben und auf den Punct, wovon wir ausgegangen ſind, zuruͤckkehren.
Ehe wir jedoch weiter ſchreiten, haben wir noch hoͤchſt merkwuͤrdige Faͤlle dieſer lebendig geforderten, neben einander beſtehenden Farben zu beobachten, und zwar indem wir unſre Aufmerkſamkeit auf die far - bigen Schatten richten. Um zu dieſen uͤberzugehen, wenden wir uns vorerſt zur Betrachtung der farbloſen Schatten.
Ein Schatten von der Sonne auf eine weiße Flaͤ - che geworfen giebt uns keine Empfindung von Farbe, ſo lange die Sonne in ihrer voͤlligen Kraft wirkt. Er ſcheint ſchwarz oder, wenn ein Gegenlicht hinzu dringen kann, ſchwaͤcher, halberhellt, grau.
Zu den farbigen Schatten gehoͤren zwey Bedingun - gen, erſtlich, daß das wirkſame Licht auf irgend eine Art die weiße Flaͤche faͤrbe, zweytens, daß ein Gegenlicht den geworfenen Schatten auf einen gewiſſen Grad er - leuchte.
Man ſetze bey der Daͤmmerung auf ein weißes Pa - pier eine niedrig brennende Kerze; zwiſchen ſie und das28 abnehmende Tageslicht ſtelle man einen Bleyſtift auf - recht, ſo daß der Schatten, welchen die Kerze wirft, von dem ſchwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufge - hoben werden kann, und der Schatten wird von dem ſchoͤnſten Blau erſcheinen.
Daß dieſer Schatten blau ſey, bemerkt man alſo - bald; aber man uͤberzeugt ſich nur durch Aufmerkſam - keit, daß das weiße Papier als eine roͤthlich gelbe Flaͤ - che wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im Auge gefordert wird.
Bey allen farbigen Schatten daher muß man auf der Flaͤche, auf welche er geworfen wird, eine erregte Farbe vermuthen, welche ſich auch bey aufmerkſamerer Betrachtung wohl erkennen laͤßt. Doch uͤberzeuge man ſich vorher durch folgenden Verſuch.
Man nehme zu Nachtzeit zwey brennende Kerzen und ſtelle ſie gegen einander auf eine weiße Flaͤche; man halte einen duͤnnen Stab zwiſchen beyden aufrecht, ſo daß zwey Schatten entſtehen; man nehme ein farbi - ges Glas und halte es vor das eine Licht, alſo daß die weiße Flaͤche gefaͤrbt erſcheine, und in demſelben Au - genblick wird der von dem nunmehr faͤrbenden Lichte geworfene, und von dem farbloſen Lichte beleuchtete Schatten die geforderte Farbe anzeigen.
Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf die wir noch oͤfters zuruͤckkommen werden. Die Far - be ſelbſt iſt ein Schattiges (σκιερόν); deswegen Kircher vollkommen recht hat, ſie Lumen opacatum zu nen - nen; und wie ſie mit dem Schatten verwandt iſt, ſo verbindet ſie ſich auch gern mit ihm, ſie erſcheint uns gern in ihm und durch ihn, ſobald der Anlaß nur ge - geben iſt; und ſo muͤſſen wir bey Gelegenheit der far - bigen Schatten zugleich eines Phaͤnomens erwaͤhnen, deſſen Ableitung und Entwickelung erſt ſpaͤter vorge - nommen werden kann.
Man waͤhle in der Daͤmmerung den Zeitpunct, wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten zu werfen im Stande iſt, der von dem Kerzenlichte nicht ganz aufgehoben werden kann, ſo daß vielmehr ein doppelter faͤllt, einmal vom Kerzenlicht gegen das Himmelslicht, und ſodann vom Himmelslicht gegen das Kerzenlicht. Wenn der erſtere blau iſt, ſo wird der letztere hochgelb erſcheinen. Dieſes hohe Gelb iſt aber eigentlich nur der uͤber das ganze Papier von dem Ker - zenlicht verbreitete gelbroͤthliche Schein, der im Schat - ten ſichtbar wird.
Hievon kann man ſich bey dem obigen Verſuche mit zwey Kerzen und farbigen Glaͤſern am beſten uͤber - zeugen, ſo wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der Schatten eine Farbe annimmt, bey der naͤhern Betrach -30 tung der Widerſcheine und ſonſt mehrmals zur Spra - che kommt.
Und ſo waͤre denn auch die Erſcheinung der farbi - gen Schatten, welche den Beobachtern bisher ſo viel zu ſchaffen gemacht, bequem abgeleitet. Ein jeder, der kuͤnftighin farbige Schatten bemerkt, beobachte nur, mit welcher Farbe die helle Flaͤche, worauf ſie erſcheinen, et - wa tingirt ſeyn moͤchte. Ja man kann die Farbe des Schattens als ein Chromatoſcop der beleuchteten Flaͤ - chen anſehen, indem man die der Farbe des Schattens entgegenſtehende Farbe auf der Flaͤche vermuthen und bey naͤherer Aufmerkſamkeit in jedem Falle gewahr werden kann.
Wegen dieſer nunmehr bequem abzuleitenden farbigen Schatten hat man ſich bisher viel gequaͤlt und ſie, weil ſie meiſtentheils unter freyem Himmel beobachtet wurden und vorzuͤglich blau erſchienen, einer gewiſſen heimlich blauen und blau faͤrbenden Eigenſchaft der Luft zugeſchrie - ben. Man kann ſich aber bey jenem Verſuche mit dem Kerzenlicht im Zimmer uͤberzeugen, daß keine Art von blauem Schein oder Widerſchein dazu noͤthig iſt, indem man den Verſuch an einem grauen truͤben Tag, ja hin - ter zugezogenen weißen Vorhaͤngen anſtellen kann, in einem Zimmer, wo ſich auch nicht das mindeſte Blaue befindet, und der blaue Schatten wird ſich nur um deſto ſchoͤner zeigen.
Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf den Montblanc:
„ Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be - trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge - nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.
Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte Luft - oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden; ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig zu ſeyn. “
Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen.
Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten - theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge - legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa - hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten -32 ſtaͤrke gemindert wurde. Nur einmal ſahen ſie den Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70.) geſehen haben, ein Schatten iſt, der von einem farbloſen Ge - genlichte geworfen und von dem faͤrbenden Hauptlichte erleuchtet worden.
Auf einer Harzreiſe im Winter ſtieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flaͤchen auf - und abwaͤrts waren beſchneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerſtreut ſtehenden Baͤume und vorragenden Klip - pen, auch alle Baum - und Felſenmaſſen voͤllig bereift, die Sonne ſenkte ſich eben gegen die Oderteiche hin - unter.
Waren den Tag uͤber, bey dem gelblichen Ton des Schnees, ſchon leiſe violette Schatten bemerklich gewe - ſen, ſo mußte man ſie nun fuͤr hochblau anſprechen, als ein geſteigertes Gelb von den beleuchteten Theilen wiederſchien.
Als aber die Sonne ſich endlich ihrem Niedergang naͤherte, und ihr durch die ſtaͤrkeren Duͤnſte hoͤchſt ge - maͤßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der ſchoͤnſten Purpurfarbe uͤberzog, da verwandelte ſich die Schattenfarbe in ein Gruͤn, das nach ſeiner Klar - heit einem Meergruͤn, nach ſeiner Schoͤnheit einem Schmaragdgruͤn verglichen werden konnte. Die Er - ſcheinung ward immer lebhafter, man glaubte ſich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte ſich in die zwey lebhaften und ſo ſchoͤn uͤbereinſtimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die33 Prachterſcheinung ſich in eine graue Daͤmmerung, und nach und nach in eine mond - und ſternhelle Nacht verlor.
Einer der ſchoͤnſten Faͤlle farbiger Schatten kann bey dem Vollmonde beobachtet werden. Der Kerzen - und Mondenſchein laſſen ſich voͤllig ins Gleich - gewicht bringen. Beyde Schatten koͤnnen gleich ſtark und deutlich dargeſtellt werden, ſo daß beyde Farben ſich vollkommen balanciren. Man ſetzt die Tafel dem Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein wenig an die Seite, in gehoͤriger Entfernung, vor die Tafel haͤlt man einen undurchſichtigen Koͤrper; alsdann entſteht ein doppelter Schatten, und zwar wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzen - licht beſcheint, gewaltig rothgelb, und umgekehrt der, den das Licht wirft und der Mond beſcheint, vom ſchoͤnſten Blau geſehen werden. Wo beyde Schatten zu - ſammentreffen und ſich zu einem vereinigen, iſt er ſchwarz. Der gelbe Schatten laͤßt ſich vielleicht auf keine Weiſe auffallender darſtellen. Die unmittelbare Naͤhe des blauen, der dazwiſchentretende ſchwarze Schatten ma - chen die Erſcheinung deſto angenehmer. Ja, wenn der Blick lange auf der Tafel verweilt, ſo wird das geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenſeitig fordernd ſteigern und ins Gelbrothe treiben, welches denn wieder ſeinen Gegenſatz, eine Art von Meergruͤn, hervorbringt.
Hier iſt der Ort zu bemerken, daß es wahrſchein - lich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der for - dernden Farbe erſt recht afficirt ſeyn, ehe die gefor - derte lebhaft bemerklich wird.
Wenn Taucher ſich unter dem Meere befinden und das Sonnenlicht in ihre Glocke ſcheint, ſo iſt alles Be - leuchtete, was ſie umgiebt, purpurfarbig (wovon kuͤnf - tig die Urſache anzugeben iſt); die Schatten dagegen ſehen gruͤn aus. Eben daſſelbe Phaͤnomen, was ich auf ei - nem hohen Berge gewahr wurde (75.), bemerken ſie in der Tiefe des Meers, und ſo iſt die Natur mit ſich ſelbſt durchaus uͤbereinſtimmend.
Einige Erfahrungen und Verſuche, welche ſich zwiſchen die Capitel von farbigen Bildern und von far - bigen Schatten gleichſam einſchieben, werden hier nach - gebracht.
Man habe an einem Winterabende einen weißen Papierladen inwendig vor dem Fenſter eines Zimmers; in dieſem Laden ſey eine Oeffnung, wodurch man den Schnee eines etwa benachbarten Daches ſehen koͤnne; es ſey draußen noch einigermaßen daͤmmrig und ein Licht komme in das Zimmer; ſo wird der Schnee durch die Oeffnung vollkommen blau erſcheinen, weil nehm - lich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefaͤrbt wird. 35Der Schnee, welchen man durch die Oeffnung ſieht, tritt hier an die Stelle eines durch ein Gegenlicht erhellten Schattens, oder, wenn man will, eines grauen Bildes auf gelber Flaͤche.
Ein andrer ſehr intereſſanter Verſuch mache den Schluß.
Nimmt man eine Tafel gruͤnen Glaſes von eini - ger Staͤrke und laͤßt darin die Fenſterſtaͤbe ſich ſpie - geln; ſo wird man ſie doppelt ſehen, und zwar wird das Bild, das von der untern Flaͤche des Glaſes kommt, gruͤn ſeyn, das Bild hingegen, das ſich von der obern Flaͤche herleitet und eigentlich farblos ſeyn ſollte, wird purpurfarben erſcheinen.
An einem Gefaͤß, deſſen Boden ſpiegelartig iſt, welches man mit Waſſer fuͤllen kann, laͤßt ſich der Verſuch ſehr artig anſtellen, indem man bey reinem Waſſer erſt die farbloſen Bilder zeigen, und durch Faͤrbung deſſelben ſodann die farbigen Bilder produ - ciren kann.
Das energiſche Licht erſcheint rein weiß, und die - ſen Eindruck macht es auch im hoͤchſten Grade der3 *36Blendung. Das nicht in ſeiner ganzen Gewalt wir - kende Licht kann auch noch unter verſchiedenen Bedin - gungen farblos bleiben. Mehrere Naturforſcher und Mathematiker haben die Stufen deſſelben zu meſſen ge - ſucht. Lambert, Bouguer, Rumfort.
Jedoch findet ſich bey ſchwaͤcher wirkenden Lichtern bald eine Farbenerſcheinung, indem ſie ſich wie ab - klingende Bilder verhalten (39).
Irgend ein Licht wirkt ſchwaͤcher, entweder wenn ſeine Energie, es geſchehe wie es wolle, gemindert wird, oder wenn das Auge in eine Dispoſition ge - raͤth, die Wirkung nicht genugſam erfahren zu koͤnnen. Jene Erſcheinungen, welche objectiv genannt werden koͤnnen, finden ihren Platz bey den phyſiſchen Farben. Wir erwaͤhnen hier nur des Uebergangs vom Weiß - gluͤhen bis zum Rothgluͤhen des erhitzten Eiſens. Nicht weniger bemerken wir, daß Kerzen, auch bey Nacht - zeit, nach Maßgabe wie man ſie vom Auge entfernt, roͤther ſcheinen.
Der Kerzenſchein bey Nacht wirkt in der Naͤhe als ein gelbes Licht; wir koͤnnen es an der Wirkung bemerken, welche auf die uͤbrigen Farben hervorgebracht wird. Ein Blaßgelb iſt bey Nacht wenig von dem Weißen zu unterſcheiden; das Blaue naͤhert ſich dem Gruͤnen und ein Roſenfarb dem Orangen.
Der Schein des Kerzenlichts bey der Daͤmmrung wirkt lebhaft als ein gelbes Licht, welches die blauen Schatten am beſten beweiſen, die bey dieſer Gelegen - heit im Auge hervorgerufen werden.
Die Retina kann durch ein ſtarkes Licht dergeſtalt gereizt werden, daß ſie ſchwaͤchere Lichter nicht erken - nen kann (11). Erkennt ſie ſolche, ſo erſcheinen ſie farbig; daher ſieht ein Kerzenlicht bey Tage roͤthlich aus, es verhaͤlt ſich wie ein abklingendes; ja ein Kerzenlicht, das man bey Nacht laͤnger und ſchaͤrfer anſieht, erſcheint immer roͤther.
Es giebt ſchwach wirkende Lichter, welche demun - geachtet eine weiße, hoͤchſtens hellgelbliche Erſcheinung auf der Retina machen, wie der Mond in ſeiner vollen Klarheit. Das faule Holz hat ſogar eine Art von blaͤulichem Schein. Dieſes alles wird kuͤnftig wieder zur Sprache kommen.
Wenn man nahe an eine weiße oder grauliche Wand Nachts ein Licht ſtellt, ſo wird ſie von dieſem Mittelpunct aus auf eine ziemliche Weite erleuchtet ſeyn. Betrachtet man den daher entſtehenden Kreis aus einiger Ferne, ſo erſcheint uns der Rand der erleuchteten Flaͤche mit einem gelben, nach außen roth -38 gelben Kreiſe umgeben, und wir werden aufmerkſam gemacht, daß das Licht, wenn es ſcheinend oder wi - derſcheinend nicht in ſeiner groͤßten Energie auf uns wirkt, unſerm Auge den Eindruck vom Gelben, Roͤth - lichen, und zuletzt ſogar vom Rothen gebe. Hier fin - den wir den Uebergang zu den Hoͤfen, die wir um leuchtende Punkte auf eine oder die andre Weiſe zu ſehen pflegen.
Man kann die Hoͤfe in ſubjective und objective eintheilen. Die letzten werden unter den phyſiſchen Far - ben abgehandelt, nur die erſten gehoͤren hieher. Sie unterſcheiden ſich von den objectiven darin, daß ſie ver - ſchwinden, wenn man den leuchtenden Gegenſtand, der ſie auf der Netzhaut hervorbringt, zudeckt.
Wir haben oben den Eindruck des leuchtenden Bil - des auf die Retina geſehen und wie es ſich auf der - ſelben vergroͤßert; aber damit iſt die Wirkung noch nicht vollendet. Es wirkt nicht allein als Bild, ſondern auch als Energie uͤber ſich hinaus; es verbreitet ſich vom Mittelpuncte aus nach der Peripherie.
Daß ein ſolcher Nimbus um das leuchtende Bild in unſerm Auge bewirket werde, kann man am beſten in der dunkeln Kammer ſehen, wenn man gegen eine maͤßig große Oeffnung im Fenſterladen hinblickt. Hier iſt das helle Bild von einem runden Nebelſchein umgeben.
Einen ſolchen Nebelſchein ſah ich mit einem gelben und gelbrothen Kreiſe umgeben, als ich mehrere Naͤchte in einem Schlafwagen zubrachte und Morgens bey daͤm - merndem Tageslichte die Augen aufſchlug.
Die Hoͤfe erſcheinen am lebhafteſten, wenn das Auge ausgeruht und empfaͤnglich iſt. Nicht weniger vor einem dunklen Hintergrund. Beydes iſt die Urſache, daß wir ſie ſo ſtark ſehen, wenn wir Nachts aufwachen und uns ein Licht entgegengebracht wird. Dieſe Be - dingungen fanden ſich auch zuſammen, als Descartes im Schiff ſitzend geſchlafen hatte und ſo lebhafte far - bige Scheine um das Licht bemerkte.
Ein Licht muß maͤßig leuchten, nicht blenden, wenn es einen Hof im Auge erregen ſoll, wenigſtens wuͤrden die Hoͤfe eines blendenden Lichtes nicht bemerkt werden koͤnnen. Wir ſehen einen ſolchen Glanzhof um die Sonne, welche von einer Waſſerflaͤche ins Auge faͤllt.
Genau beobachtet iſt ein ſolcher Hof an ſeinem Rande mit einem gelben Saume eingefaßt. Aber auch40 hier iſt jene energiſche Wirkung noch nicht geendigt, ſon - dern ſie ſcheint ſich in abwechſelnden Kreiſen weiter fort zu bewegen.
Es giebt viele Faͤlle, die auf eine kreisartige Wir - kung der Retina deuten, es ſey nun, daß ſie durch die runde Form des Auges ſelbſt und ſeiner verſchiedenen Theile, oder ſonſt hervorgebracht werde.
Wenn man das Auge von dem innern Augenwinkel her nur ein wenig druͤckt, ſo entſtehen dunklere oder hellere Kreiſe. Man kann bey Nachtzeit manchmal auch ohne Druck eine Succeſſion ſolcher Kreiſe gewahr werden, von denen ſich einer aus dem andern entwickelt, einer vom andern verſchlungen wird.
Wir haben ſchon einen gelben Rand um den von einem nah geſtellten Licht erleuchteten weißen Raum ge - ſehen. Dieß waͤre eine Art von objectivem Hof (88).
Die ſubjectiven Hoͤfe koͤnnen wir uns als den Con - flict des Lichtes mit einem lebendigen Raume denken. Aus dem Conflict des Bewegenden mit dem Bewegten entſteht eine undulirende Bewegung. Man kann das Gleichniß von den Ringen im Waſſer hernehmen. Der hineingeworfene Stein treibt das Waſſer nach allen Sei - ten, die Wirkung erreicht eine hoͤchſte Stufe, ſie klingt41 ab und gelangt, im Gegenſatz, zur Tiefe. Die Wir - kung geht fort, culminirt aufs neue und ſo wieder - holen ſich die Kreiſe. Erinnert man ſich der concentri - ſchen Ringe, die in einem mit Waſſer gefuͤllten Trink - glaſe entſtehen, wenn man verſucht, einen Ton durch Reiben des Randes hervorzubringen, gedenkt man der intermittirenden Schwingungen beym Abklingen der Glocken; ſo naͤhert man ſich wohl in der Vorſtellung demjenigen, was auf der Retina vorgehen mag, wenn ſie von einem leuchtenden Gegenſtand getroffen wird, nur daß ſie als lebendig ſchon eine gewiſſe kreisartige Dispoſition in ihrer Organiſation hat.
Die um das leuchtende Bild ſich zeigende helle Kreisflaͤche iſt gelb mit Roth geendigt. Darauf folgt ein gruͤnlicher Kreis, der mit einem rothen Rande ge - ſchloſſen iſt. Dieß ſcheint das gewoͤhnliche Phaͤnomen zu ſeyn bey einer gewiſſen Groͤße des leuchtenden Koͤr - pers. Dieſe Hoͤfe werden groͤßer, je weiter man ſich von dem leuchtenden Bilde entfernt.
Die Hoͤfe koͤnnen aber auch im Auge unendlich klein und vielfach erſcheinen, wenn der erſte Anſtoß klein und maͤchtig iſt. Der Verſuch macht ſich am beſten mit einer auf der Erde liegenden, von der Sonne beſchienenen Goldflinter. In dieſen Faͤllen er - ſcheinen die Hoͤfe in bunten Strahlen. Jene farbige Erſcheinung, welche die Sonne im Auge macht, indem42 ſie durch Baumblaͤtter dringt, ſcheint auch hieher zu gehoͤren.
Die phyſiologiſchen Farben kennen wir nunmehr hinreichend, um ſie von den pathologiſchen zu unter - ſcheiden. Wir wiſſen, welche Erſcheinungen dem geſun - den Auge zugehoͤren und noͤthig ſind, damit ſich das Organ vollkommen lebendig und thaͤtig erzeige.
Die krankhaften Phaͤnomene deuten gleichfalls auf organiſche und phyſiſche Geſetze: denn wenn ein beſon - deres lebendiges Weſen von derjenigen Regel abweicht, durch die es gebildet iſt, ſo ſtrebt es ins allgemeine Leben hin, immer auf einem geſetzlichen Wege, und macht uns auf ſeiner ganzen Bahn jene Maximen an - ſchaulich, aus welchen die Welt entſprungen iſt und durch welche ſie zuſammengehalten wird.
Wir ſprechen hier zuerſt von einem ſehr merkwuͤr - digen Zuſtande, in welchem ſich die Augen mancher43 Perſonen befinden. Indem er eine Abweichung von der gewoͤhnlichen Art die Farben zu ſehen anzeigt, ſo ge - hoͤrt er wohl zu den krankhaften; da er aber regel - maͤßig iſt, oͤfter vorkommt, ſich auf mehrere Familien - glieder erſtreckt und ſich wahrſcheinlich nicht heilen laͤßt, ſo ſtellen wir ihn billig auf die Graͤnze.
Ich kannte zwey Subjecte, die damit behaftet wa - ren, nicht uͤber zwanzig Jahr alt; beyde hatten blau - graue Augen, ein ſcharfes Geſicht in der Naͤhe und Ferne, bey Tages - und Kerzenlicht, und ihre Art die Farben zu ſehen war in der Hauptſache voͤllig uͤberein - ſtimmend.
Mit uns treffen ſie zuſammen, daß ſie Weiß, Schwarz und Grau nach unſrer Weiſe benennen; Weiß ſahen ſie Beyde ohne Beymiſchung. Der Eine wollte bey Schwarz etwas Braͤunliches und bey Grau etwas Roͤthliches bemerken. Ueberhaupt ſcheinen ſie die Ab - ſtufung von Hell und Dunkel ſehr zart zu empfinden.
Mit uns ſcheinen ſie Gelb, Rothgelb und Gelb - roth zu ſehen; bey dem letzten ſagen ſie, ſie ſaͤhen das Gelbe gleichſam uͤber dem Roth ſch[we]ben, wie laſirt. Carmin in der Mitte einer Untertaſſe dicht aufgetrocknet nannten ſie roth.
Nun aber tritt eine auffallende Differenz ein. Man ſtreiche mit einem genetzten Pinſel den Carmin leicht uͤber die weiße Schale, ſo werden ſie dieſe ent - ſtehende helle Farbe der Farbe des Himmels vergleichen und ſolche blau nennen. Zeigt man ihnen daneben eine Roſe, ſo nennen ſie dieſe auch blau, und koͤnnen bey allen Proben, die man anſtellt, das Hellblau nicht von dem Roſenfarb unterſcheiden. Sie verwechſeln Roſenfarb, Blau und Violet durchaus; nur durch kleine Schattirungen des Helleren, Dunkleren, Lebhaf - teren, Schwaͤcheren ſcheinen ſich dieſe Farben fuͤr ſie von einander abzuſondern.
Ferner koͤnnen ſie Gruͤn von einem Dunkelorange, beſonders aber von einem Rothbraun nicht unterſcheiden.
Wenn man die Unterhaltung mit ihnen dem Zufall uͤberlaͤßt und ſie bloß uͤber vorliegende Gegenſtaͤnde be - fragt, ſo geraͤth man in die groͤßte Verwirrung und fuͤrchtet wahnſinnig zu werden. Mit einiger Methode hingegen kommt man dem Geſetz dieſer Geſetzwidrigkeit ſchon um vieles naͤher.
Sie haben, wie man aus dem Obigen ſehen kann, weniger Farben als wir; daher denn die Ver - wechſelung von verſchiedenen Farben entſteht. Sie nen -45 nen den Himmel roſenfarb und die Roſe blau, oder umgekehrt. Nun fragt ſich: ſehen ſie beydes blau, oder beydes roſenfarb? ſehen ſie das Gruͤn orange, oder das Orange gruͤn?
Dieſe ſeltſamen Raͤthſel ſcheinen ſich zu loͤſen, wenn man annimmt, daß ſie kein Blau, ſondern an deſſen Statt einen diluirten Purpur, ein Roſenfarb, ein hel - les reines Roth ſehen. Symboliſch kann man ſich dieſe Loͤſung einſtweilen folgendermaßen vorſtellen.
Nehmen wir aus unſerm Farbenkreiſe das Blaue heraus, ſo fehlt uns Blau, Violet und Gruͤn. Das reine Roth verbreitet ſich an der Stelle der beyden erſten, und wenn es wieder das Gelbe beruͤhrt, bringt es anſtatt des Gruͤnen abermals ein Orange hervor.
Indem wir uns von dieſer Erklaͤrungsart uͤber - zeugt halten, haben wir dieſe merkwuͤrdige Abweichung vom gewoͤhnlichen Sehen Akyanoblepſie genannt, und zu beſſerer Einſicht mehrere Figuren gezeichnet und illuminirt, bey deren Erklaͤrung wir kuͤnftig das Wei - tre beyzubringen gedenken. Auch findet man daſelbſt eine Landſchaft, gefaͤrbt nach der Weiſe, wie dieſe Menſchen wahrſcheinlich die Natur ſehen, den Himmel roſenfarb und alles Gruͤne in Toͤnen vom Gelben bis zum Braunrothen, ungefaͤhr wie es uns im Herbſt erſcheint.
Wir ſprechen nunmehr von krankhaften ſowohl als allen widernatuͤrlichen, außernatuͤrlichen, ſeltenen Af - fectionen der Retina, wobey, ohne aͤußres Licht, das Auge zu einer Lichterſcheinung disponirt werden kann, und behalten uns vor, des galvaniſchen Lichtes kuͤnftig zu erwaͤhnen.
Bey einem Schlag aufs Auge ſcheinen Funken umher zu ſpruͤhen. Ferner, wenn man in gewiſſen koͤrperlichen Dispoſitionen, beſonders bey erhitztem Blute und reger Empfindlichkeit, das Auge erſt ſachte, dann immer ſtaͤrker druͤckt, ſo kann man ein blendendes un - ertraͤgliches Licht erregen.
Operirte Staarkranke, wenn ſie Schmerz und Hitze im Auge haben, ſehen haͤufig feurige Blitze und Fun - ken, welche zuweilen acht bis vierzehn Tage bleiben, oder doch ſo lange, bis Schmerz und Hitze weicht.
Ein Kranker, wenn er Ohrenſchmerz bekam, ſah jederzeit Lichtfunken und Kugeln im Auge, ſo lange der Schmerz dauerte.
Wurmkranke haben oft ſonderbare Erſcheinungen im Auge, bald Feuerfunken, bald Lichtgeſpenſter, bald ſchreckhafte Figuren, die ſie nicht entfernen koͤnnen. Bald ſehen ſie doppelt.
Hypochondriſten ſehen haͤufig ſchwarze Figuren als Faͤden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich auch bey anfangendem ſchwar - zen Staar. Manche ſehen halbdurchſichtige kleine Roͤh - ren, wie Fluͤgel von Inſecten, Waſſerblaͤschen von verſchiedener Groͤße, welche beym Heben des Auges niederſinken, zuweilen gerade ſo in Verbindung haͤn - gen, wie Froſchlaich, und bald als voͤllige Sphaͤren, bald als Linſen bemerkt werden.
Wie dort das Licht ohne aͤußeres Licht, ſo ent - ſpringen auch dieſe Bilder ohne aͤußre Bilder. Sie ſind theils voruͤbergehend, theils lebenslaͤnglich dauernd. Hiebey tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hy - pochondriſten ſehen auch haͤufig gelbrothe ſchmale Baͤn - der im Auge, oft heftiger und haͤufiger am Morgen, oder bey leerem Magen.
Daß der Eindruck irgend eines Bildes im Auge einige Zeit verharre, kennen wir als ein phyſiologiſches Phaͤnomen (23), die allzulange Dauer eines ſolchen Eindrucks hingegen kann als krankhaft angeſehen werden.
Je ſchwaͤcher das Auge iſt, deſto laͤnger bleibt das Bild in demſelben. Die Retina ſtellt ſich nicht ſobald wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art von Paralyſe anſehen (28).
Von blendenden Bildern iſt es nicht zu verwun - dern. Wenn man in die Sonne ſieht, ſo kann man das Bild mehrere Tage mit ſich herumtragen. Boyle erzaͤhlt einen Fall von zehn Jahren.
Das Gleiche findet auch verhaͤltnißmaͤßig von Bil - dern, welche nicht blendend ſind, ſtatt. Buͤſch erzaͤhlt von ſich ſelbſt, daß ihm ein Kupferſtich vollkommen mit allen ſeinen Theilen bey ſiebzehn Minuten im Auge geblieben.
Mehrere Perſonen, welche zu Krampf und Voll - bluͤtigkeit geneigt waren, behielten das Bild eines hoch - rothen Cattuns mit weißen Muſcheln viele Minuten lang im Auge und ſahen es wie einen Flor vor allem ſchweben. Nur nach langem Reiben des Auges verlor ſich’s.
Scherfer bemerkt, daß die Purpurfarbe eines ab - klingenden ſtarken Lichteindrucks einige Stunden dauern koͤnne.
Wie wir durch Druck auf den Augapfel eine Licht - erſcheinung auf der Retina hervorbringen koͤnnen, ſo entſteht bey ſchwachem Druck eine rothe Farbe und wird gleichſam ein abklingendes Licht hervorgebracht.
Viele Kranke, wenn ſie erwachen, ſehen alles in der Farbe des Morgenroths, wie durch einen rothen Flor; auch wenn ſie am Abend leſen, und zwiſchendurch ein - nicken und wieder aufwachen, pflegt es zu geſchehen. Dieſes bleibt minutenlang und vergeht allenfalls, wenn das Auge etwas gerieben wird. Dabey ſind zuweilen rothe Sterne und Kugeln. Dieſes Rothſehen dauert auch wohl eine lange Zeit.
Die Luftfahrer, beſonders Zambeccari und ſeine Gefaͤhrten, wollen in ihrer hoͤchſten Erhebung den Mond blutroth geſehen haben. Da ſie ſich uͤber die irdiſchen Duͤnſte emporgeſchwungen hatten, durch wel - che wir den Mond und die Sonne wohl in einer ſol - chen Farbe ſehen; ſo laͤßt ſich vermuthen, daß dieſe Erſcheinung zu den pathologiſchen Farben gehoͤre. Es moͤgen nehmlich die Sinne durch den ungewohnten Zu - ſtand dergeſtalt afficirt ſeyn, daß der ganze Koͤrper und beſonders auch die Retina in eine Art von Unruͤhrbar - keit und Unreizbarkeit verfaͤllt. Es iſt daher nicht un - moͤglich, daß der Mond als ein hoͤchſt abgeſtumpftes Licht wirke, und alſo das Gefuͤhl der rothen Farbe hervorbringe. Den Hamburger Luftfahrern erſchien auch die Sonne blutroth.
Wenn die Luftfahrenden zuſammen ſprechen und ſich kaum hoͤren, ſollte nicht auch dieſes der Unreizbar - keit der Nerven eben ſo gut als der Duͤnne der Luft zugeſchrieben werden koͤnnen?
Die Gegenſtaͤnde werden von Kranken auch manch - mal vielfaͤrbig geſehen. Boyle erzaͤhlt von einer Dame, daß ſie nach einem Sturze, wobey ein Auge gequetſcht worden, die Gegenſtaͤnde, beſonders aber die weißen, lebhaft bis zum Unertraͤglichen, ſchimmern geſehen.
Die Aerzte nennen Chrupſie, wenn in typhiſchen Krankheiten, beſonders der Augen, die Patienten an den Raͤndern der Bilder, wo Hell und Dunkel an ein - ander graͤnzen, farbige Umgebungen zu ſehen verſichern. Wahrſcheinlich entſteht in den Liquoren eine Veraͤnde - rung, wodurch ihre Achromaſie aufgehoben wird.
Beym grauen Staar laͤßt eine ſtarkgetruͤbte Kry - ſtalllinſe den Kranken einen rothen Schein ſehen. In einem ſolchen Falle, der durch Electricitaͤt behandelt wurde, veraͤnderte ſich der rothe Schein nach und nach in einen gelben, zuletzt in einen weißen, und der Kranke fing an wieder Gegenſtaͤnde gewahr zu werden; woraus man ſchließen konnte, daß der truͤbe Zuſtand der Linſe ſich nach und nach der Durchſichtigkeit naͤ - here. Dieſe Erſcheinung wird ſich, ſobald wir mit den phyſiſchen Farben naͤhere Bekanntſchaft gemacht, bequem ableiten laſſen.
Kann man nun annehmen, daß ein gelbſuͤchtiger Kranker durch einen wirklich gelbgefaͤrbten Liquor hin -51 durchſehe; ſo werden wir ſchon in die Abtheilung der chemiſchen Farben verwieſen, und wir ſehen leicht ein, daß wir das Capitel von den pathologiſchen Farben nur dann erſt vollkommen ausarbeiten koͤnnen, wenn wir uns mit der Farbenlehre in ihrem ganzen Umfang bekannt gemacht; deßhalb ſey es an dem gegenwaͤrtigen genug, bis wir ſpaͤter das Angedeutete weiter ausfuͤh - ren koͤnnen.
Nur moͤchte hier zum Schluſſe noch einiger beſon - dern Dispoſitionen des Auges vorlaͤufig zu erwaͤhnen ſeyn.
Es giebt Maler, welche, anſtatt daß ſie die na - tuͤrliche Farbe wiedergeben ſollten, einen allgemeinen Ton, einen warmen oder kalten uͤber das Bild verbrei - ten. So zeigt ſich auch bey manchen eine Vorliebe fuͤr gewiſſe Farben, bey andern ein Ungefuͤhl fuͤr Har - monie.
Endlich iſt noch bemerkenswerth, daß wilde Na - tionen, ungebildete Menſchen, Kinder eine große Vor - liebe fuͤr lebhafte Farben empfinden, daß Thiere bey gewiſſen Farben in Zorn gerathen, daß gebildete Men - ſchen in Kleidung und ſonſtiger Umgebung die lebhaften Farben vermeiden und ſie durchgaͤngig von ſich zu ent - fernen ſuchen.
Phyſiſche Farben nennen wir diejenigen, zu deren Hervorbringung gewiſſe materielle Mittel noͤthig ſind, welche aber ſelbſt keine Farbe haben, und theils durch - ſichtig, theils truͤb und durchſcheinend, theils voͤllig undurchſichtig ſeyn koͤnnen. Dergleichen Farben wer - den alſo in unſerm Auge durch ſolche aͤußere beſtimmte Anlaͤſſe erzeugt, oder, wenn ſie ſchon auf irgend eine Weiſe außer uns erzeugt ſind, in unſer Auge zuruͤckge - worfen. Ob wir nun ſchon hiedurch denſelben eine Art von Objectivitaͤt zuſchreiben, ſo bleibt doch das Voruͤbergehende, Nichtfeſtzuhaltende meiſtens ihr Kenn - zeichen.
Sie heißen daher auch bey den fruͤhern Naturfor - ſchern Colores apparentes, fluxi, fugitivi, phanta - stici, falsi, variantes. Zugleich werden ſie speciosi und emphatici, wegen ihrer auffallenden Herrlichkeit, genannt. Sie ſchließen ſich unmittelbar an die phyſio -53 logiſchen an, und ſcheinen nur um einen geringen Grad mehr Realitaͤt zu haben. Denn wenn bey jenen vorzuͤglich das Auge wirkſam war, und wir die Phaͤ - nomene derſelben nur in uns, nicht aber außer uns darzuſtellen vermochten; ſo tritt nun hier der Fall ein, daß zwar Farben im Auge durch farbloſe Gegenſtaͤnde erregt werden, daß wir aber auch eine farbloſe Flaͤche an die Stelle unſerer Retina ſetzen und auf derſelben die Erſcheinung außer uns gewahr werden koͤnnen; wo - bey uns jedoch alle Erfahrungen auf das beſtimmteſte uͤberzeugen, daß hier nicht von fertigen, ſondern von werdenden und wechſelnden Farben die Rede ſey.
Wir ſehen uns deßhalb bey dieſen phyſiſchen Far - ben durchaus im Stande, einem ſubjectiven Phaͤnomen ein objectives an die Seite zu ſetzen, und oͤfters, durch die Verbindung beyder, mit Gluͤck tiefer in die Natur der Erſcheinung einzudringen.
Bey den Erfahrungen alſo, wobey wir die phyſi - ſchen Farben gewahr werden, wird das Auge nicht fuͤr ſich als wirkend, das Licht niemals in unmittelba - rem Bezuge auf das Auge betrachtet; ſondern wir rich - ten unſere Aufmerkſamkeit beſonders darauf, wie durch Mittel, und zwar farbloſe Mittel, verſchiedene Bedin - gungen entſtehen.
Das Licht kann auf dreyerley Weiſe unter dieſen Umſtaͤnden bedingt werden. Erſtlich, wenn es von54 der Oberflaͤche eines Mittels zuruͤckſtrahlt, da denn die katoptriſchen Verſuche zur Sprache kommen. Zwey - tens, wenn es an dem Rande eines Mittels herſtrahlt. Die dabey eintretenden Erſcheinungen wurden ehmals perioptiſche genannt, wir nennen ſie paroptiſche. Drittens, wenn es durch einen durchſcheinenden oder durch - ſichtigen Koͤrper durchgeht, welches die dioptriſchen Verſuche ſind. Eine vierte Art phyſiſcher Farben ha - ben wir epoptiſche genannt, indem ſich die Erſchei - nung, ohne vorgaͤngige Mittheilung (βαφή), auf ei - ner farbloſen Oberflaͤche der Koͤrper unter verſchiedenen Bedingungen ſehen laͤßt.
Beurtheilen wir dieſe Rubriken in Bezug auf die von uns beliebten Hauptabtheilungen, nach welchen wir die Farben in phyſiologiſcher, phyſiſcher und che - miſcher Ruͤckſicht betrachten; ſo finden wir, daß die katoptriſchen Farben ſich nahe an die phyſiologiſchen anſchließen, die paroptiſchen ſich ſchon etwas mehr abloͤſen und gewiſſermaßen ſelbſtſtaͤndig werden, die dioptriſchen ſich ganz eigentlich phyſiſch erweiſen und eine entſchieden objective Seite haben; die epopti - ſchen, obgleich in ihren Anfaͤngen auch nur apparent, machen den Uebergang zu den chemiſchen Farben.
Wenn wir alſo unſern Vortrag ſtetig nach Anlei - tung der Natur fortfuͤhren wollten, ſo duͤrften wir nur in der jetzt eben bezeichneten Ordnung auch fernerhin verfahren; weil aber bey didaktiſchen Vortraͤgen es55 nicht ſowohl darauf ankommt, dasjenige, wovon die Rede iſt, an einander zu knuͤpfen, vielmehr ſolches wohl aus einander zu ſondern, damit erſt zuletzt, wenn alles Einzelne vor die Seele gebracht iſt, eine große Einheit das Beſondere verſchlinge: ſo wollen wir uns gleich zu den dioptriſchen Farben wenden, um den Leſer als - bald in die Mitte der phyſiſchen Farben zu verſetzen, und ihm ihre Eigenſchaften auffallender zu machen.
Man nennt dioptriſche Farben diejenigen, zu de - ren Entſtehung ein farbloſes Mittel gefordert wird, dergeſtalt daß Licht und Finſterniß hindurchwirken, entweder aufs Auge, oder auf entgegenſtehende Flaͤ - chen. Es wird alſo gefordert, daß das Mittel durch - ſichtig oder wenigſtens bis auf einen gewiſſen Grad durchſcheinend ſey.
Nach dieſen Bedingungen theilen wir die dioptri - ſchen Erſcheinungen in zwey Claſſen, und ſetzen in die erſte diejenigen, welche bey durchſcheinenden truͤben Mitteln entſtehen, in die zweyte aber ſolche, die ſich56 alsdann zeigen, wenn das Mittel in dem hoͤchſt moͤgli - chen Grade durchſichtig iſt.
Der Raum, den wir uns leer denken, haͤtte durch - aus fuͤr uns die Eigenſchaft der Durchſichtigkeit. Wenn ſich nun derſelbe dergeſtalt fuͤllt, daß unſer Auge die Ausfuͤllung nicht gewahr wird; ſo entſteht ein ma - terielles, mehr oder weniger koͤrperliches, durchſichti - ges Mittel, das luft - und gasartig, fluͤſſig oder auch feſt ſeyn kann.
Die reine durchſcheinende Truͤbe leitet ſich aus dem Durchſichtigen her. Sie kann ſich uns alſo auch auf gedachte dreyfache Weiſe darſtellen.
Die vollendete Truͤbe iſt das Weiße, die gleichguͤl - tigſte, hellſte, erſte undurchſichtige Raumerfuͤllung.
Das Durchſichtige ſelbſt, empiriſch betrachtet, iſt ſchon der erſte Grad des Truͤben. Die ferneren Grade57 des Truͤben bis zum undurchſichtigen Weißen ſind un - endlich.
Auf welcher Stufe wir auch das Truͤbe vor ſeiner Undurchſichtigkeit feſthalten, gewaͤhrt es uns, wenn wir es in Verhaͤltniß zum Hellen und Dunkeln ſetzen, einfache und bedeutende Phaͤnomene.
Das hoͤchſtenergiſche Licht, wie das der Sonne, des Phosphors in Lebensluft verbrennend, iſt blendend und farblos. So kommt auch das Licht der Fixſterne meiſtens farblos zu uns. Dieſes Licht aber durch ein auch nur wenig truͤbes Mittel geſehen, erſcheint uns gelb. Nimmt die Truͤbe eines ſolchen Mittels zu, oder wird ſeine Tiefe vermehrt, ſo ſehen wir das Licht nach und nach eine gelbrothe Farbe annehmen, die ſich end - lich bis zum Rubinrothen ſteigert.
Wird hingegen durch ein truͤbes, von einem dar - auffallenden Lichte erleuchtetes Mittel die Finſterniß ge - ſehen, ſo erſcheint uns eine blaue Farbe, welche immer heller und blaͤſſer wird, jemehr ſich die Truͤbe des Mit - tels vermehrt, hingegen immer dunkler und ſatter ſich zeigt, je durchſichtiger das Truͤbe werden kann, ja bey dem mindeſten Grad der reinſten Truͤbe, als das ſchoͤnſte Violet dem Auge fuͤhlbar wird.
Wenn dieſe Wirkung auf die beſchriebene Weiſe in unſerm Auge vorgeht und alſo ſubjectiv genannt wer - den kann; ſo haben wir uns auch durch objective Er - ſcheinungen von derſelben noch mehr zu vergewiſſern. Denn ein ſo gemaͤßigtes und getruͤbtes Licht wirft auch auf die Gegenſtaͤnde einen gelben, gelbrothen oder pur - purnen Schein; und ob ſich gleich die Wirkung der Finſterniß durch das Truͤbe nicht eben ſo maͤchtig aͤußert; ſo zeigt ſich doch der blaue Himmel in der Camera ob - ſcura ganz deutlich auf dem weißen Papier neben jeder andern koͤrperlichen Farbe.
Wenn wir die Faͤlle durchgehn, unter welchen uns dieſes wichtige Grundphaͤnomen erſcheint, ſo erwaͤhnen wir billig zuerſt der atmoſphaͤriſchen Farben, deren meiſte hieher geordnet werden koͤnnen.
Die Sonne, durch einen gewiſſen Grad von Duͤn - ſten geſehen, zeigt ſich mit einer gelblichen Scheibe. Oft iſt die Mitte noch blendend gelb, wenn ſich die Raͤnder ſchon roth zeigen. Beym Heerrauch, (wie 1794 auch im Norden der Fall war) und noch mehr bey der Dispoſition der Atmoſphaͤre, wenn in ſuͤdlichen Gegen - den der Scirocco herrſcht, erſcheint die Sonne rubin - roth mit allen ſie im letzten Falle gewoͤhnlich umgeben - den Wolken, die alsdann jene Farbe im Wiederſchein zuruͤckwerfen.
59Morgen - und Abendroͤthe entſteht aus derſelben Urſache. Die Sonne wird durch eine Roͤthe verkuͤn - digt, indem ſie durch eine groͤßere Maſſe von Duͤnſten zu uns ſtrahlt. Je weiter ſie herauf kommt, deſto hel - ler und gelber wird der Schein.
Wird die Finſterniß des unendlichen Raums durch atmoſphaͤriſche vom Tageslicht erleuchtete Duͤnſte hin - durch angeſehen, ſo erſcheint die blaue Farbe. Auf hohen Gebirgen ſieht man am Tage den Himmel koͤ - nigsblau, weil nur wenig feine Duͤnſte vor dem un - endlichen finſtern Raum ſchweben; ſobald man in die Thaͤler herabſteigt, wird das Blaue heller, bis es end - lich, in gewiſſen Regionen und bey zunehmenden Duͤn - ſten, ganz in ein Weißblau uͤbergeht.
Eben ſo ſcheinen uns auch die Berge blau: denn indem wir ſie in einer ſolchen Ferne erblicken, daß wir die Lokalfarben nicht mehr ſehen, und kein Licht von ihrer Oberflaͤche mehr auf unſer Auge wirkt; ſo gelten ſie als ein reiner finſterer Gegenſtand, der nun durch die dazwiſchen tretenden truͤben Duͤnſte blau er - ſcheint.
Auch ſprechen wir die Schattentheile naͤherer Gegenſtaͤnde fuͤr blau an, wenn die Luft mit feinen Duͤnſten geſaͤttigt iſt.
Die Eisberge hingegen erſcheinen in großer Ent - fernung noch immer weiß und eher gelblich, weil ſie immer noch als hell durch den Dunſtkreis auf unſer Auge wirken.
Die blaue Erſcheinung an dem untern Theil des Kerzenlichtes gehoͤrt auch hieher. Man halte die Flam - me vor einen weißen Grund, und man wird nichts blaues ſehen; welche Farbe hingegen ſogleich erſcheinen wird, wenn man die Flamme gegen einen ſchwarzen Grund haͤlt. Dieſes Phaͤnomen erſcheint am lebhafte - ſten bey einem angezuͤndeten Loͤffel Weingeiſt. Wir koͤnnen alſo den untern Theil der Flamme fuͤr einen Dunſt anſprechen, welcher obgleich unendlich fein, doch vor der dunklen Flaͤche ſichtbar wird: er iſt ſo fein, daß man bequem durch ihn leſen kann; dahingegen die Spitze der Flamme, welche uns die Gegenſtaͤnde ver - deckt, als ein ſelbſtleuchtender Koͤrper anzuſehen iſt.
Uebrigens iſt der Rauch gleichfalls als ein truͤbes Mittel anzuſehen, das uns vor einem hellen Grunde gelb oder roͤthlich, vor einem dunklen aber blau er - ſcheint.
Wenden wir uns nun zu den fluͤſſigen Mitteln, ſo finden wir, daß ein jedes Waſſer, auf eine zarte Weiſe getruͤbt, denſelben Effect hervorbringe.
Die Infuſion des nephritiſchen Holzes, (der Gui - landina Linnaei,) welche fruͤher ſo großes Aufſehen machte, iſt nur ein truͤber Liquor, der im dunklen hoͤlzernen Becher blau ausſehen, in einem durchſichti - gen Glaſe aber gegen die Sonne gehalten, eine gelbe Erſcheinung hervorbringen muß.
Einige Tropfen wohlriechender Waſſer, eines Wein - geiſtfirniſſes, mancher metalliſchen Solutionen koͤnnen das Waſſer zu ſolchen Verſuchen in allen Graden truͤbe machen. Seifenſpiritus thut faſt die beſte Wirkung.
Der Grund des Meeres erſcheint den Tauchern bey hellem Sonnenſchein purpurfarb, wobey das Meer - waſſer als ein truͤbes und tiefes Mittel wirkt. Sie bemerken bey dieſer Gelegenheit die Schatten gruͤn, wel - ches die geforderte Farbe iſt. (78.)
Unter den feſten Mitteln begegnet uns in der Na - tur zuerſt der Opal, deſſen Farben wenigſtens zum Theil daraus zu erklaͤren ſind, daß er eigentlich ein truͤbes Mittel ſey, wodurch bald helle, bald dunkle Unterlagen ſichtbar werden.
Zu allen Verſuchen aber iſt das Opalglas (vitrum astroides, girasole) der erwuͤnſchteſte Koͤrper. Es wird auf verſchiedene Weiſe verfertigt und ſeine Truͤbe62 durch Metallkalke hervorgebracht. Auch truͤbt man das Glas dadurch, daß man gepuͤlverte und calcinirte Kno - chen mit ihm zuſammenſchmelzt, deßwegen man es auch Beinglas nennt; doch geht dieſes gar zu leicht ins Un - durchſichtige uͤber.
Man kann dieſes Glas zu Verſuchen auf vieler - ley Weiſe zurichten: denn entweder man macht es nur wenig truͤb, da man denn durch mehrere Schichten uͤber einander das Licht vom hellſten Gelb bis zum tiefſten Purpur fuͤhren kann; oder man kann auch ſtark ge - truͤbtes Glas in duͤnnern und ſtaͤrkeren Scheiben an - wenden. Auf beyde Arten laſſen ſich die Verſuche an - ſtellen; beſonders darf man aber, um die hohe blaue Farbe zu ſehen, das Glas weder allzutruͤb noch allzu - ſtark nehmen. Denn da es natuͤrlich iſt, daß das Finſtere nur ſchwach durch die Truͤbe hindurch wirke, ſo geht die Truͤbe, wenn ſie zu dicht wird, gar ſchnell in das Weiße hinuͤber.
Fenſterſcheiben durch die Stellen, an welchen ſie blind geworden ſind, werfen einen gelben Schein auf die Gegenſtaͤnde, und eben dieſe Stellen ſehen blau aus, wenn wir durch ſie nach einem dunklen Gegen - ſtande blicken.
Das angerauchte Glas gehoͤrt auch hieher, und iſt gleichfalls als ein truͤbes Mittel anzuſehen. Es zeigt63 uns die Sonne mehr oder weniger rubinroth; und ob man gleich dieſe Erſcheinung der ſchwarzbraunen Farbe des Rußes zuſchreiben koͤnnte, ſo kann man ſich doch uͤberzeugen, daß hier ein truͤbes Mittel wirke, wenn man ein ſolches maͤßig angerauchtes Glas, auf der vor - dern Seite durch die Sonne erleuchtet, vor einen dunk - len Gegenſtand haͤlt, da wir denn einen blaulichen Schein gewahr werden.
Mit Pergamentblaͤttern laͤßt ſich in der dunkeln Kammer ein auffallender Verſuch anſtellen. Wenn man vor die Oeffnung des eben von der Sonne beſchienenen Fenſterladens ein Stuͤck Pergament befeſtigt, ſo wird es weißlich erſcheinen; fuͤgt man ein zweytes hinzu, ſo entſteht eine gelbliche Farbe, die immer zunimmt und endlich bis ins Rothe uͤbergeht, je mehr man Blaͤt - ter nach und nach hinzufuͤgt.
Einer ſolchen Wirkung der getruͤbten Kryſtalllinſe beym grauen Staar iſt ſchon oben gedacht. (131.)
Sind wir nun auf dieſem Wege ſchon bis zu der Wirkung eines kaum noch durchſcheinenden Truͤben ge - langt; ſo bleibt uns noch uͤbrig, einer wunderbaren Er - ſcheinung augenblicklicher Truͤbe zu gedenken.
Das Portrait eines angeſehenen Theologen war von einem Kuͤnſtler, welcher praktiſch beſonders gut mit der Farbe umzugehen wußte, vor mehrern Jahren,64 gemalt worden. Der hochwuͤrdige Mann ſtand in ei - nem glaͤnzenden Sammtrocke da, welcher faſt mehr als das Geſicht die Augen der Anſchauer auf ſich zog und Bewunderung erregte. Indeſſen hatte das Bild nach und nach durch Lichterdampf und Staub von ſeiner erſten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man uͤbergab es daher einem Maler, der es reinigen und mit einem neuen Firniß uͤberziehen ſollte. Dieſer faͤngt nun ſorg - faͤltig an zuerſt das Bild mit einem feuchten Schwamm abzuwaſchen; kaum aber hat er es einigemal uͤberfah - ren und den ſtaͤrkſten Schmutz weggewiſcht, als zu ſei - nem Erſtaunen der ſchwarze Sammtrock ſich ploͤtzlich in einen hellblauen Pluͤſchrock verwandelt, wodurch der geiſtliche Herr ein ſehr weltliches, obgleich altmodiſches Anſehn gewinnt. Der Maler getraut ſich nicht weiter zu waſchen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde des tiefſten Schwarzen liegen, noch weniger wie er eine Laſur ſo ſchnell koͤnne weggeſcheuert haben, welche ein ſolches Blau, wie er vor ſich ſah, in Schwarz zu verwandeln im Stande geweſen waͤre.
Genug er fuͤhlte ſich ſehr beſtuͤrzt, das Bild auf dieſen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geiſt - liches mehr daran zu ſehen, als nur die vielgelockte, runde Peruͤcke, wobey der Tauſch eines verſchoſſenen Pluͤſchrocks gegen einen trefflichen neuen Sammtrock durchaus unerwuͤnſcht blieb. Das Uebel ſchien indeſſen unheilbar, und unſer guter Kuͤnſtler lehnte mißmuthig das Bild gegen die Wand und legte ſich nicht ohne Sorgen zu Bette.
65Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als er das Gemaͤlde wieder vornahm und den ſchwarzen Sammtrock in voͤlligem Glanze wieder erblickte. Er konnte ſich nicht enthalten, den Rock an einem Ende abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder erſchien, und nach einiger Zeit verſchwand.
Als ich Nachricht von dieſem Phaͤnomen erhielt, begab ich mich ſogleich zu dem Wunderbilde. Es ward in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme uͤberfahren, und die Veraͤnderung zeigte ſich ſehr ſchnell. Ich ſah einen zwar etwas verſchoſſenen aber voͤllig hell - blauen Pluͤſchrock, auf welchem an dem Aermel einige braune Striche die Falten andeuteten.
Ich erklaͤrte mir dieſes Phaͤnomen aus der Lehre von den truͤben Mitteln. Der Kuͤnſtler mochte ſeine ſchon gemalte ſchwarze Farbe, um ſie recht tief zu machen, mit einem beſondern Firniß laſiren, welcher beym Waſchen einige Feuchtigkeit in ſich ſog und da - durch truͤbe ward, wodurch das unterliegende Schwarz ſogleich als Blau erſchien. Vielleicht kommen diejeni - gen, welche viel mit Firniſſen umgehen, durch Zufall oder Nachdenken, auf den Weg, dieſe ſonderbare Er - ſcheinung, den Freunden der Naturforſchung, als Ex - periment darzuſtellen. Mir hat es nach mancherley Proben nicht gelingen wollen.
Haben wir nun die herrlichſten Faͤlle atmoſphaͤri - ſcher Erſcheinungen, ſo wie andre geringere, aber doch immer genugſam bedeutende, aus der HaupterfahrungI. 566mit truͤben Mitteln hergeleitet; ſo zweifeln wir nicht, daß aufmerkſame Naturfreunde immer weiter gehen und ſich uͤben werden, die im Leben mannigfaltig vorkom - menden Erſcheinungen auf eben dieſem Wege abzuleiten und zu erklaͤren; ſo wie wir hoffen koͤnnen, daß die Naturforſcher ſich nach einem hinlaͤnglichen Apparat um - ſehen werden, um ſo bedeutende Erfahrungen den Wiß - begierigen vor Augen zu bringen.
Ja wir moͤchten jene im Allgemeinen ausgeſpro - chene Haupterſcheinung ein Grund - und Urphaͤnomen nennen, und es ſey uns erlaubt, hier, was wir dar - unter verſtehen, ſogleich beyzubringen.
Das was wir in der Erfahrung gewahr werden, ſind meiſtens nur Faͤlle, welche ſich mit einiger Auf - merkſamkeit unter allgemeine empiriſche Rubriken brin - gen laſſen. Dieſe ſubordiniren ſich abermals unter wiſ - ſenſchaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobey uns gewiſſe unerlaͤßliche Bedingungen des Er - ſcheinenden naͤher bekannt werden. Von nun an fuͤgt ſich alles nach und nach unter hoͤhere Regeln und Ge - ſetze, die ſich aber nicht durch Worte und Hypotheſen dem Verſtande, ſondern gleichfalls durch Phaͤnomene dem Anſchauen offenbaren. Wir nennen ſie Urphaͤno - mene, weil nichts in der Erſcheinung uͤber ihnen liegt, ſie aber dagegen voͤllig geeignet ſind, daß man ſtufen - weiſe, wie wir vorhin hinaufgeſtiegen, von ihnen her -67 ab bis zu dem gemeinſten Falle der taͤglichen Erfahrung niederſteigen kann. Ein ſolches Urphaͤnomen iſt dasje - nige, das wir bisher dargeſtellt haben. Wir ſehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finſterniß, das Dunkle, wir bringen die Truͤbe zwiſchen beyde, und aus dieſen Gegenſaͤtzen, mit Huͤlfe gedachter Vermittlung, entwickeln ſich, gleichfalls in einem Gegenſatz, die Farben, deuten aber alsbald, durch einen Wechſelbezug, unmittelbar auf ein Ge - meinſames wieder zuruͤck.
In dieſem Sinne halten wir den in der Naturfor - ſchung begangenen Fehler fuͤr ſehr groß, daß man ein abgeleitetes Phaͤnomen an die obere Stelle, das Ur - phaͤnomen an die niedere Stelle ſetzte, ja ſogar das abgeleitete Phaͤnomen wieder auf den Kopf ſtellte, und an ihm das Zuſammengeſetzte fuͤr ein Einfaches, das Einfache fuͤr ein Zuſammengeſetztes gelten ließ; durch welches Hinterſtzuvoͤrderſt die wunderlichſten Verwick - lungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen ſind, an welchen ſie noch leidet.
Waͤre denn aber auch ein ſolches Urphaͤnomen ge - funden, ſo bleibt immer noch das Uebel, daß man es nicht als ein ſolches anerkennen will, daß wir hinter ihm und uͤber ihm noch etwas weiteres aufſuchen, da wir doch hier die Graͤnze des Schauens eingeſtehen ſollten. Der Naturforſcher laſſe die Urphaͤnomene in5 *68ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit daſtehen, der Phi - loſoph nehme ſie in ſeine Region auf, und er wird finden, daß ihm nicht in einzelnen Faͤllen, allgemeinen Rubriken, Meynungen und Hypotheſen, ſondern im Grund - und Urphaͤnomen ein wuͤrdiger Stoff zu wei - terer Behandlung und Bearbeitung uͤberliefert werde.
Refraction.
Die dioptriſchen Farben der beyden Claſſen ſchlie - ßen ſich genau an einander an, wie ſich bey einiger Betrachtung ſogleich finden laͤßt. Die der erſten Claſſe erſchienen in dem Felde der truͤben Mittel, die der zweyten ſollen uns nun in durchſichtigen Mitteln er - ſcheinen. Da aber jedes empiriſch Durchſichtige an ſich ſchon als truͤb angeſehen werden kann, wie uns jede vermehrte Maſſe eines durchſichtig genannten Mittels zeigt; ſo iſt die nahe Verwandtſchaft beyder Arten ge - nugſam einleuchtend.
Doch wir abſtrahiren vorerſt, indem wir uns zu den durchſichtigen Mitteln wenden, von aller ihnen ei -69 nigermaßen beywohnenden Truͤbe, und richten unſre ganze Aufmerkſamkeit auf das hier eintretende Phaͤno - men, das unter dem Kunſtnamen der Refraction be - kannt iſt.
Wir haben ſchon bey Gelegenheit der phyſiologi - ſchen Farben dasjenige, was man ſonſt Augentaͤuſchun - gen zu nennen pflegte, als Thaͤtigkeiten des geſunden und richtig wirkenden Auges gerettet (2.) und wir kommen hier abermals in den Fall, zu Ehren unſerer Sinne und zu Beſtaͤtigung ihrer Zuverlaͤſſigkeit einiges auszufuͤhren.
In der ganzen ſinnlichen Welt kommt alles uͤber - haupt auf das Verhaͤltniß der Gegenſtaͤnde untereinan - der an, vorzuͤglich aber auf das Verhaͤltniß des be - deutendſten irdiſchen Gegenſtandes, des Menſchen, zu den uͤbrigen. Hierdurch trennt ſich die Welt in zwey Theile, und der Menſch ſtellt ſich als ein Subject dem Object entgegen. Hier iſt es, wo ſich der Praktiker in der Erfahrung, der Denker in der Speculation abmuͤ - det und einen Kampf zu beſtehen aufgefordert iſt, der durch keinen Frieden und durch keine Entſcheidung ge - ſchloſſen werden kann.
Immer bleibt es aber auch hier die Hauptſache, daß die Beziehungen wahrhaft eingeſehen werden. Da nun unſre Sinne, in ſo fern ſie geſund ſind, die aͤu -70 ßern Beziehungen am wahrhafteſten ausſprechen; ſo koͤn - nen wir uns uͤberzeugen, daß ſie uͤberall, wo ſie dem Wirklichen zu widerſprechen ſcheinen, das wahre Ver - haͤltniß deſto ſichrer bezeichnen. So erſcheint uns das Entfernte kleiner, und eben dadurch werden wir die Entfernung gewahr. An farbloſen Gegenſtaͤnden brach - ten wir durch farbloſe Mittel farbige Erſcheinungen hervor, und wurden zugleich auf die Grade des Truͤ - ben ſolcher Mittel aufmerkſam.
Eben ſo werden unſerm Auge die verſchiedenen Grade der Dichtigkeit durchſichtiger Mittel, ja ſogar noch andre phyſiſche und chemiſche Eigenſchaften derſel - ben, bey Gelegenheit der Refraction, bekannt, und fordern uns auf, andre Pruͤfungen anzuſtellen, um in die von einer Seite ſchon eroͤffneten Geheimniſſe auf phyſiſchem und chemiſchem Wege voͤllig einzudringen.
Gegenſtaͤnde durch mehr oder weniger dichte Mit - tel geſehen, erſcheinen uns nicht an der Stelle, an der ſie ſich, nach den Geſetzen der Perſpective, befin - den ſollten. Hierauf beruhen die dioptriſchen Erſchei - nungen der zweyten Claſſe.
Diejenigen Geſetze des Sehens, welche ſich durch mathematiſche Formeln ausdruͤcken laſſen, haben zum Grunde, daß, ſo wie das Licht ſich in gerader Linie bewegt, auch eine gerade Linie zwiſchen dem ſehenden71 Organ und dem geſehenen Gegenſtand muͤſſe zu ziehen ſeyn. Kommt alſo der Fall, daß das Licht zu uns in einer gebogenen oder gebrochenen Linie anlangt, daß wir die Gegenſtaͤnde in einer gebogenen oder gebroche - nen Linie ſehen; ſo werden wir alsbald erinnert, daß die dazwiſchen liegenden Mittel ſich verdichtet, daß ſie dieſe oder jene fremde Natur angenommen haben.
Dieſe Abweichung vom Geſetz des geradlinigen Se - hens wird im Allgemeinen die Refraction genannt, und ob wir gleich vorausſetzen koͤnnen, daß unſre Leſer da - mit bekannt ſind; ſo wollen wir ſie doch kuͤrzlich von ihrer objectiven und ſubjectiven Seite hier nochmals darſtellen.
Man laſſe in ein leeres kubiſches Gefaͤß das Son - nenlicht ſchraͤg in der Diagonale hineinſcheinen, derge - ſtalt daß nur die dem Licht entgegengeſetzte Wand, nicht aber der Boden erleuchtet ſey; man gieße ſodann Waſ - ſer in dieſes Gefaͤß und der Bezug des Lichtes zu dem - ſelben wird ſogleich veraͤndert ſeyn. Das Licht zieht ſich gegen die Seite, wo es herkommt, zuruͤck, und ein Theil des Bodens wird gleichfalls erleuchtet. An dem Puncte, wo nunmehr das Licht in das dichtere Mittel tritt, weicht es von ſeiner geradlinigen Richtung ab und ſcheint gebrochen, deswegen man auch dieſes Phaͤ - nomen die Brechung genannt hat. So viel von dem objectiven Verſuche.
Zu der ſubjectiven Erfahrung gelangen wir aber folgendermaßen. Man ſetze das Auge an die Stelle der Sonne; das Auge ſchaue gleichfalls in der Dia - gonale uͤber die eine Wand, ſo daß es die ihm entge - genſtehende jenſeitige innre Wand-Flaͤche vollkommen, nichts aber vom Boden ſehen koͤnne. Man gieße Waſ - ſer in das Gefaͤß und das Auge wird nun einen Theil des Bodens gleichfalls erblicken, und zwar geſchieht es auf eine Weiſe, daß wir glauben, wir ſehen noch im - mer in gerader Linie: denn der Boden ſcheint uns her - aufgehoben, daher wir das ſubjective Phaͤnomen mit dem Namen der Hebung bezeichnen. Einiges, was noch beſonders merkwuͤrdig hiebey iſt, wird kuͤnftig vorgetragen werden.
Sprechen wir dieſes Phaͤnomen nunmehr im All - gemeinen aus, ſo koͤnnen wir, was wir oben ange - deutet, hier wiederholen: daß nehmlich der Bezug der Gegenſtaͤnde veraͤndert, verruͤckt werde.
Da wir aber bey unſerer gegenwaͤrtigen Darſtel - lung die objectiven Erſcheinungen von den ſubjectiven zu trennen gemeint ſind; ſo ſprechen wir das Phaͤno - men vorerſt ſubjectiv aus, und ſagen: es zeige ſich eine Verruͤckung des Geſehenen, oder des zu Sehenden.
Es kann nun aber das unbegraͤnzt Geſehene ver - ruͤckt werden, ohne daß uns die Wirkung bemerklich73 wird. Verruͤckt ſich hingegen das begraͤnzt Geſehene, ſo haben wir Merkzeichen, daß eine Verruͤckung ge - ſchieht. Wollen wir uns alſo von einer ſolchen Ver - aͤnderung des Bezuges unterrichten; ſo werden wir uns vorzuͤglich an die Verruͤckung des begraͤnzt Geſehenen, an die Verruͤckung des Bildes zu halten haben.
Dieſe Wirkung uͤberhaupt kann aber geſchehen durch parallele Mittel: denn jedes parallele Mittel verruͤckt den Gegenſtand und bringt ihn ſogar im Perpendikel dem Auge entgegen. Merklicher aber wird dieſes Ver - ruͤcken durch nicht parallele Mittel.
Dieſe koͤnnen eine voͤllig ſphaͤriſche Geſtalt haben, auch als convexe, oder als concave Linſen angewandt werden. Wir bedienen uns derſelben gleichfalls bey unſern Erfahrungen. Weil ſie aber nicht allein das Bild von der Stelle verruͤcken, ſondern daſſelbe auch auf mancherley Weiſe veraͤndern; ſo gebrauchen wir lieber ſolche Mittel, deren Flaͤchen zwar nicht paral - lel gegen einander, aber doch ſaͤmmtlich eben ſind, nehmlich Prismen, die einen Triangel zur Baſe haben, die man zwar auch als Theile einer Linſe betrachten kann, die aber zu unſern Erfahrungen deßhalb beſon - ders tauglich ſind, weil ſie das Bild ſehr ſtark von der Stelle verruͤcken, ohne jedoch an ſeiner Geſtalt eine bedeutende Veraͤnderung hervorzubringen.
Nunmehr, um unſre Erfahrungen mit moͤglichſter Genauigkeit anzuſtellen und alle Verwechslung abzuleh - nen, halten wir uns zuerſt an Subjective Verſuche, bey welchen nehmlich der Gegenſtand durch ein brechen - des Mittel von dem Beobachter geſehen wird. Sobald wir dieſe der Reihe nach abgehandelt, ſollen die ob - jectiven Verſuche in gleicher Ordnung folgen.
Die Refraction kann ihre Wirkung aͤußern, ohne daß man eine Farbenerſcheinung gewahr werde. So ſehr auch durch Refraction das unbegraͤnzt Geſehene, eine farbloſe oder einfach gefaͤrbte Flaͤche verruͤckt werde, ſo entſteht innerhalb derſelben doch keine Farbe. Man kann ſich hievon auf mancherley Weiſe uͤberzeugen.
Man ſetze einen glaͤſernen Kubus auf irgend eine Flaͤche und ſchaue im Perpendikel oder im Winkel dar - auf; ſo wird die reine Flaͤche dem Auge voͤllig entge -75 gen gehoben, aber es zeigt ſich keine Farbe. Wenn man durchs Prisma einen rein grauen oder blauen Him - mel, eine rein weiße oder farbige Wand betrachtet; ſo wird der Theil der Flaͤche, den wir eben ins Auge ge - faßt haben, voͤllig von ſeiner Stelle geruͤckt ſeyn, ohne daß wir deßhalb die mindeſte Farbenerſcheinung darauf bemerken.
Haben wir bey den vorigen Verſuchen und Beob - achtungen alle reinen Flaͤchen, groß oder klein, farb - los gefunden; ſo bemerken wir an den Raͤndern, da wo ſich eine ſolche Flaͤche gegen einen hellern oder dunk - lern Gegenſtand abſchneidet, eine farbige Erſcheinung.
Durch Verbindung von Rand und Flaͤche entſtehen Bilder. Wir ſprechen daher die Haupterfahrung derge - ſtalt aus: es muͤſſen Bilder verruͤckt werden, wenn eine Farbenerſcheinung ſich zeigen ſoll.
Wir nehmen das einfachſte Bild vor uns, ein helles Rund auf dunklem Grunde A. An dieſem fin - det eine Verruͤckung ſtatt, wenn wir ſeine Raͤnder von76 dem Mittelpuncte aus ſcheinbar nach außen dehnen, in - dem wir es vergroͤßern. Dieſes geſchieht durch jedes convexe Glas, und wir erblicken in dieſem Falle einen blauen Rand B.
Den Umkreis eben deſſelben Bildes koͤnnen wir nach dem Mittelpuncte zu ſcheinbar hineinbewegen, in - dem wir das Rund zuſammenziehen; da alsdann die Raͤnder gelb erſcheinen C. Dieſes geſchieht durch ein concaves Glas, das aber nicht, wie die gewoͤhnlichen Lorgnetten, duͤnn geſchliffen ſeyn darf, ſondern einige Maſſe haben muß. Damit man aber dieſen Verſuch auf einmal mit dem convexen Glas machen koͤnne, ſo bringe man in das helle Rund auf ſchwarzem Grunde eine kleinere ſchwarze Scheibe. Denn vergroͤßert man durch ein convexes Glas die ſchwarze Scheibe auf wei - ßem Grund, ſo geſchieht dieſelbe Operation, als wenn man ein weißes Rund verkleinerte: denn wir fuͤhren den ſchwarzen Rand nach dem weißen zu; und wir erblicken alſo den gelblichen Farbenrand zugleich mit dem blauen D.
Dieſe beyden Erſcheinungen, die blaue und gelbe, zeigen ſich an und uͤber dem Weißen. Sie nehmen, in ſo fern ſie uͤber das Schwarze reichen, einen roͤthli - chen Schein an.
Und hiermit ſind die Grundphaͤnomene aller Far - benerſcheinung bey Gelegenheit der Refraction ausge -77 ſprochen, welche denn freylich auf mancherley Weiſe wiederholt, variirt, erhoͤht, verringert, verbunden, verwickelt, verwirrt, zuletzt aber immer wieder auf ihre urſpruͤngliche Einfalt zuruͤckgefuͤhrt werden koͤnnen.
Unterſuchen wir nun die Operation, welche wir vorgenommen, ſo finden wir, daß wir in dem einen Falle den hellen Rand gegen die dunkle, in dem an - dern den dunkeln Rand gegen die helle Flaͤche ſcheinbar gefuͤhrt, eins durch das andre verdraͤngt, eins uͤber das andre weggeſchoben haben. Wir wollen nunmehr ſaͤmmtliche Erfahrungen ſchrittweiſe zu entwickeln ſuchen.
Ruͤckt man die helle Scheibe, wie es beſonders durch Prismen geſchehen kann, im Ganzen von ihrer Stelle; ſo wird ſie in der Richtung gefaͤrbt, in der ſie ſcheinbar bewegt wird, und zwar nach jenen Ge - ſetzen. Man betrachte durch ein Prisma die in a be - findliche Scheibe dergeſtalt, daß ſie nach b verruͤckt erſcheine; ſo wird der obere Rand, nach dem Geſetz der Figur c, blau und blauroth erſcheinen, der untere, nach dem Geſetz der Scheibe b, gelb und gelbroth. Denn im erſten Fall wird das helle Bild in den dunk - len Rand hinuͤber, und in dem andern der dunkle Rand uͤber das helle Bild gleichſam hineingefuͤhrt. Ein gleiches gilt, wenn man die Scheibe von a nach c, von a nach d, und ſo im ganzen Kreiſe ſcheinbar her - umfuͤhrt.
Wie ſich nun die einfache Wirkung verhaͤlt, ſo ver - haͤlt ſich auch die zuſammengeſetzte. Man ſehe durch das horizontale Prisma a b nach einer hinter demſelben in einiger Entfernung befindlichen weißen Scheibe in e; ſo wird die Scheibe nach f erhoben und nach dem obigen Geſetz gefaͤrbt ſeyn. Man hebe dieß Prisma weg und ſchaue durch ein verticales c d nach eben dem Bilde; ſo wird es in h erſcheinen, und nach eben demſelben Geſetze gefaͤrbt. Man bringe nun beyde Pris - men uͤber einander, ſo erſcheint die Scheibe, nach ei - nem allgemeinen Naturgeſetz, in der Diagonale ver - ruͤckt und gefaͤrbt, wie es die Richtung e g mit ſich bringt.
Geben wir auf dieſe entgegengeſetzten Farbenraͤn - der der Scheibe wohl Acht; ſo finden wir, daß ſie nur in der Richtung ihrer ſcheinbaren Bewegung ent - ſtehen. Ein rundes Bild laͤßt uns uͤber dieſes Verhaͤlt - niß einigermaßen ungewiß; ein vierecktes hingegen be - lehrt uns klaͤrlich daruͤber.
Das viereckte Bild a, in der Richtung a b oder a d verruͤckt, zeigt uns an den Seiten, die mit der Richtung parallel gehen, keine Farben; in der Rich - tung a c hingegen, da ſich das Quadrat in ſeiner eig - nen Diagonale bewegt, erſcheinen alle Graͤnzen des Bildes gefaͤrbt.
Hier beſtaͤtigt ſich alſo jener Ausſpruch (203. f.), ein Bild muͤſſe dergeſtalt verruͤckt werden, daß ſeine helle Graͤnze uͤber die dunkle, die dunkle Graͤnze aber uͤber die helle, das Bild uͤber ſeine Begraͤnzung, die Begraͤnzung uͤber das Bild ſcheinbar hingefuͤhrt werde. Bewegen ſich aber die geradlinigen Graͤnzen eines Bildes durch Refraction immerfort, daß ſie nur neben einan - der, nicht aber uͤber einander ihren Weg zuruͤcklegen; ſo entſtehen keine Farben, und wenn ſie auch bis ins Unendliche fortgefuͤhrt wuͤrden.
Wir haben in dem Vorigen geſehen, daß alle Farbenerſcheinung bey Gelegenheit der Refraction dar - auf beruht, daß der Rand eines Bildes gegen das Bild ſelbſt oder uͤber den Grund geruͤckt, daß das Bild gleichſam uͤber ſich ſelbſt oder uͤber den Grund hingefuͤhrt werde. Und nun zeigt ſich auch, bey ver - mehrter Verruͤckung des Bildes, die Farbenerſcheinung in einem breitern Maße, und zwar bey ſubjectiven80 Verſuchen, bey denen wir immer noch verweilen, unter folgenden Bedingungen.
Erſtlich, wenn das Auge gegen parallele Mittel eine ſchiefere Richtung annimmt.
Zweytens, wenn das Mittel aufhoͤrt, parallel zu ſeyn, und einen mehr oder weniger ſpitzen Winkel bildet.
Drittens, durch das verſtaͤrkte Maß des Mittels; es ſey nun, daß parallele Mittel am Volumen zuneh - men, oder die Grade des ſpitzen Winkels verſtaͤrkt werden, doch ſo, daß ſie keinen rechten Winkel errei - chen.
Viertens, durch Entfernung des mit brechenden Mit - teln bewaffneten Auges von dem zu verruͤckenden Bilde.
Fuͤnftens, durch eine chemiſche Eigenſchaft, welche dem Glaſe mitgetheilt, auch in demſelben erhoͤht wer - den kann.
Die groͤßte Verruͤckung des Bildes, ohne daß deſ - ſelben Geſtalt bedeutend veraͤndert werde, bringen wir durch Prismen hervor, und dieß iſt die Urſache, warum durch ſo geſtaltete Glaͤſer die Farbenerſcheinung hoͤchſt maͤchtig werden kann. Wir wollen uns jedoch bey dem Gebrauch derſelben von jenen glaͤnzenden Erſcheinungen nicht blenden laſſen, vielmehr die oben feſtgeſetzten ein - fachen Anfaͤnge ruhig im Sinne behalten.
Diejenige Farbe, welche bey Verruͤckung eines Bildes vorausgeht, iſt immer die breitere, und wir nennen ſie einen Saum; diejenige Farbe, welche an der Graͤnze zuruͤckbleibt, iſt die ſchmaͤlere, und wir nen - nen ſie einen Rand.
Bewegen wir eine dunkle Graͤnze gegen das Helle, ſo geht der gelbe breitere Saum voran, und der ſchmaͤ - lere gelbrothe Rand folgt mit der Graͤnze. Ruͤcken wir eine helle Graͤnze gegen das Dunkle, ſo geht der brei - tere violette Saum voraus und der ſchmaͤlere blaue Rand folgt.
Iſt das Bild groß, ſo bleibt deſſen Mitte unge - faͤrbt. Sie iſt als eine unbegraͤnzte Flaͤche anzuſehen, die verruͤckt, aber nicht veraͤndert wird. Iſt es aber ſo ſchmal, daß unter obgedachten vier Bedingungen der gelbe Saum den blauen Rand erreichen kann; ſo wird die Mitte voͤllig durch Farben zugedeckt. Man mache dieſen Verſuch mit einem weißen Streifen auf ſchwarzem Grunde; uͤber einem ſolchen werden ſich die beyden Extreme bald vereinigen und das Gruͤn erzeu - gen. Man erblickt alsdann folgende Reihe von Farben:
Bringt man auf weiß Papier einen ſchwarzen Streifen; ſo wird ſich der violette Saum daruͤber hin - breiten, und den gelbrothen Rand erreichen. Hier wird das dazwiſchen liegende Schwarz, ſo wie vorher das dazwiſchen liegende Weiß aufgehoben, und an ſei - ner Stelle ein praͤchtig reines Roth erſcheinen, das wir oft mit dem Namen Purpur bezeichnet haben. Nunmehr iſt die Farbenfolge nachſtehende:
Nach und nach koͤnnen in dem erſten Falle (214.) Gelb und Blau dergeſtalt uͤber einander greifen, daß dieſe beyden Farben ſich voͤllig zu Gruͤn verbinden, und das farbige Bild folgendermaßen erſcheint:
Im zweyten Falle (215) ſieht man unter aͤhnlichen Umſtaͤnden nur:
Welche Erſcheinung am ſchoͤnſten ſich an Fenſter - ſtaͤben zeigt, die einen grauen Himmel zum Hinter - grunde haben.
Bey allem dieſem laſſen wir niemals aus dem Sinne, daß dieſe Erſcheinung nie als eine fertige, voll - endete, ſondern immer als eine werdende, zunehmende, und in manchem Sinn beſtimmbare Erſcheinung anzu - ſehen ſey. Deßwegen ſie auch bey Negation obiger fuͤnf Bedingungen (210.) wieder nach und nach ab - nimmt, und zuletzt voͤllig verſchwindet.
Ehe wir nun weiter gehen, haben wir die erſtge - dachten ziemlich einfachen Phaͤnomene aus dem Vorher - gehenden abzuleiten, oder wenn man will, zu erklaͤ - ren, damit eine deutliche Einſicht in die folgenden mehr zuſammengeſetzten Erſcheinungen dem Liebhaber der Natur werden koͤnne.
Vor allen Dingen erinnern wir uns, daß wir im Reiche der Bilder wandeln. Beym Sehen uͤberhaupt iſt das begraͤnzt Geſehene immer das, worauf wir vor - zuͤglich merken; und in dem gegenwaͤrtigen Falle, da wir von Farbenerſcheinung bey Gelegenheit der Refrac -6 *84tion ſprechen, kommt nur das begraͤnzt Geſehene, kommt nur das Bild in Betrachtung.
Wir koͤnnen aber die Bilder uͤberhaupt zu unſern chromatiſchen Darſtellungen in primaͤre und ſecun - daͤre Bilder eintheilen. Die Ausdruͤcke ſelbſt bezeich - nen, was wir darunter verſtehen, und nachfolgendes wird unſern Sinn noch deutlicher machen.
Man kann die primaͤren Bilder anſehen, erſtlich als urſpruͤngliche, als Bilder, die von dem anwe - ſenden Gegenſtande in unſerm Auge erregt werden, und die uns von ſeinem wirklichen Daſeyn verſichern. Dieſen kann man die ſecundaͤren Bilder entgegenſetzen, als abgeleitete Bilder, die, wenn der Gegenſtand weggenommen iſt, im Auge zuruͤckbleiben, jene Schein - und Gegenbilder, welche wir in der Lehre von phyſio - logiſchen Farben umſtaͤndlich abgehandelt haben.
Man kann die primaͤren Bilder zweytens auch als directe Bilder anſehen, welche wie jene urſpruͤngli - chen unmittelbar von dem Gegenſtande zu unſerm Auge gelangen. Dieſen kann man die ſecundaͤren, als in - directe Bilder entgegenſetzen, welche erſt von einer ſpiegelnden Flaͤche aus der zweyten Hand uns uͤberlie - fert werden. Es ſind dieſes die katoptriſchen Bilder, welche auch in gewiſſen Faͤllen zu Doppelbildern wer - den koͤnnen.
Wenn nehmlich der ſpiegelnde Koͤrper durchſichtig iſt und zwey hinter einander liegende parallele Flaͤchen hat; ſo kann von jeder Flaͤche ein Bild ins Auge kom - men, und ſo entſtehen Doppelbilder, in ſo fern das obere Bild das untere nicht ganz deckt, welches auf mehr als eine Weiſe der Fall iſt.
Man halte eine Spielkarte nahe vor einen Spie - gel. Man wird alsdann zuerſt das ſtarke lebhafte Bild der Karte erſcheinen ſehen; allein den Rand des gan - zen ſowohl als jedes einzelnen darauf befindlichen Bil - des mit einem Saume verbraͤmt, welcher der Anfang des zweyten Bildes iſt. Dieſe Wirkung iſt bey ver - ſchiedenen Spiegeln, nach Verſchiedenheit der Staͤrke des Glaſes und nach vorgekommenen Zufaͤlligkeiten beym Schleifen, gleichfalls verſchieden. Tritt man mit einer weißen Weſte auf ſchwarzen Unterkleidern vor manchen Spiegel, ſo erſcheint der Saum ſehr ſtark, wobey man auch ſehr deutlich die Doppelbilder der Metallknoͤpfe auf dunklem Tuche erkennen kann.
Wer ſich mit andern, von uns fruͤher angedeute - ten Verſuchen (80.) ſchon bekannt gemacht hat, der wird ſich auch hier eher zurecht finden. Die Fenſter - ſtaͤbe von Glastafeln zuruͤckgeworfen zeigen ſich doppelt und laſſen ſich, bey mehrerer Staͤrke der Tafel und ver - groͤßertem Zuruͤckwerfungswinkel gegen das Auge, voͤllig trennen. So zeigt auch ein Gefaͤß voll Waſſer mit fla - chem ſpiegelndem Boden die ihm vorgehaltnen Gegen -86 ſtaͤnde doppelt, und nach Verhaͤltniß mehr oder weni - ger von einander getrennt; wobey zu bemerken iſt, daß da, wo beyde Bilder einander decken, eigentlich das vollkommen lebhafte Bild entſteht, wo es aber aus einander tritt und doppelt wird, ſich nun mehr ſchwa - che, durchſcheinende und geſpenſterhafte Bilder zeigen.
Will man wiſſen, welches das untere, und wel - ches das obere Bild ſey; ſo nehme man gefaͤrbte Mit - tel, da denn ein helles Bild, das von der untern Flaͤ - che zuruͤckgeworfen wird, die Farbe des Mittels, das aber von der obern zuruͤckgeworfen wird, die geforderte Farbe hat. Umgekehrt iſt es mit dunklen Bildern; weswegen man auch hier ſchwarze und weiße Tafeln ſehr wohl brauchen kann. Wie leicht die Doppelbilder ſich Farbe mittheilen laſſen, Farbe hervorrufen, wird auch hier wieder auffallend ſeyn.
Drittens kann man die primaͤren Bilder auch als Hauptbilder anſehen und ihnen die ſecundaͤren als Nebenbilder gleichſam anfuͤgen. Ein ſolches Ne - benbild iſt eine Art von Doppelbild, nur daß es ſich von dem Hauptbilde nicht trennen laͤßt, ob es ſich gleich immer von demſelben zu entfernen ſtrebt. Von ſolchen iſt nun bey den prismatiſchen Erſcheinungen die Rede.
Das unbegraͤnzt durch Refraction Geſehene zeigt keine Farbenerſcheinung (195.) Das Geſehene muß be -87 graͤnzt ſeyn. Es wird daher ein Bild gefordert; die - ſes Bild wird durch Refraction verruͤckt, aber nicht vollkommen, nicht rein, nicht ſcharf verruͤckt, ſondern unvollkommen, dergeſtalt, daß ein Nebenbild entſtehet.
Bey einer jeden Erſcheinung der Natur, beſonders aber bey einer bedeutenden, auffallenden, muß man nicht ſtehen bleiben, man muß ſich nicht an ſie heften, nicht an ihr kleben, ſie nicht iſolirt betrachten; ſondern in der ganzen Natur umherſehen, wo ſich etwas Aehn - liches, etwas Verwandtes zeigt: denn nur durch Zuſam - menſtellen des Verwandten entſteht nach und nach eine Totalitaͤt, die ſich ſelbſt ausſpricht und keiner weitern Erklaͤrung bedarf.
Wir erinnern uns alſo hier, daß bey gewiſſen Faͤllen Refraction unlaͤugbare Doppelbilder hervorbringt, wie es bey dem ſogenannten Islaͤndiſchen Kryſtalle der Fall iſt. Dergleichen Doppelbilder entſtehen aber auch bey Refraction durch große Bergkryſtalle und ſonſt; Phaͤnomene, die noch nicht genugſam beobachtet ſind.
Da nun aber in gedachtem Falle (227.) nicht von Doppel -, ſondern von Nebenbildern die Rede iſt; ſo gedenken wir einer von uns ſchon dargelegten, aber noch nicht vollkommen ausgefuͤhrten Erſcheinung. Man erinnere ſich jener fruͤhern Erfahrung, daß ein helles Bild mit einem dunklen Grunde, ein dunkles mit ei -88 nem hellen Grunde ſchon in Abſicht auf unſre Retina in einer Art von Conflict ſtehe. (16.) Das Helle er - ſcheint in dieſem Falle groͤßer, das Dunkle kleiner.
Bey genauer Beobachtung dieſes Phaͤnomens laͤßt ſich bemerken, daß die Bilder nicht ſcharf vom Grunde abgeſchnitten, ſondern mit einer Art von grauem, eini - germaßen gefaͤrbtem Rande, mit einem Nebenbild er - ſcheinen. Bringen nun Bilder ſchon in dem nackten Auge ſolche Wirkungen hervor, was wird erſt geſche - hen, wenn ein dichtes Mittel dazwiſchen tritt. Nicht das allein, was uns im hoͤchſten Sinne lebendig er - ſcheint, uͤbt Wirkungen aus und erleidet ſie; ſondern auch alles, was nur irgend einen Bezug auf einander hat, iſt wirkſam auf einander und zwar oft in ſehr hohem Maße.
Es entſtehet alſo, wenn die Refraction auf ein Bild wirkt, an dem Hauptbilde ein Nebenbild, und zwar ſcheint es, daß das wahre Bild einigermaßen zu - ruͤckbleibe und ſich dem Verruͤcken gleichſam widerſetze. Ein Nebenbild aber in der Richtung, wie das Bild durch Refraction uͤber ſich ſelbſt und uͤber den Grund hin bewegt wird, eilt vor und zwar ſchmaͤler oder brei - ter, wie oben ſchon ausgefuͤhrt worden. (212 — 216.)
Auch haben wir bemerkt (224.), daß Doppelbilder als halbirte Bilder, als eine Art von durchſichtigem89 Geſpenſt erſcheinen, ſo wie ſich die Doppelſchatten je - desmal als Halbſchatten zeigen muͤſſen. Dieſe nehmen die Farbe leicht an und bringen ſie ſchnell hervor. (69.) Jene gleichfalls. (80.) Und eben der Fall tritt auch bey den Nebenbildern ein, welche zwar von dem Haupt - bilde nicht ab, aber auch als halbirte Bilder aus dem - ſelben hervortreten, und daher ſo ſchnell, ſo leicht und ſo energiſch gefaͤrbt erſcheinen koͤnnen.
Daß nun die prismatiſche Farbenerſcheinung ein Nebenbild ſey, davon kann man ſich auf mehr als eine Weiſe uͤberzeugen. Es entſteht genau nach der Form des Hauptbildes. Dieſes ſey nun gerade oder im Bo - gen begraͤnzt, gezackt oder wellenfoͤrmig, durchaus haͤlt ſich das Nebenbild genau an den Umriß des Haupt - bildes.
Aber nicht allein die Form des wahren Bildes, ſondern auch andre Beſtimmungen deſſelben theilen ſich dem Nebenbilde mit. Schneidet ſich das Hauptbild ſcharf vom Grunde ab, wie Weiß auf Schwarz, ſo er - ſcheint das farbige Nebenbild gleichfalls in ſeiner hoͤch - ſten Energie. Es iſt lebhaft, deutlich und gewaltig. Am allermaͤchtigſten aber iſt es, wenn ein leuchtendes Bild ſich auf einem dunkeln Grunde zeigt, wozu man verſchiedene Vorrichtungen machen kann.
Stuft ſich aber das Hauptbild ſchwach von dem Grunde ab, wie ſich graue Bilder gegen Schwarz und90 Weiß, oder gar gegen einander verhalten; ſo iſt auch das Nebenbild ſchwach, und kann bei einer geringen Differenz von Tinten beynahe unmerklich werden.
So iſt es ferner hoͤchſt merkwuͤrdig, was an far - bigen Bildern auf hellem, dunklem oder farbigem Grun - de beobachtet wird. Hier entſteht ein Zuſammentritt der Farbe des Nebenbildes mit der realen Farbe des Hauptbildes, und es erſcheint daher eine zuſammenge - ſetzte, entweder durch Uebereinſtimmung beguͤnſtigte oder durch Widerwaͤrtigkeit verkuͤmmerte Farbe.
Ueberhaupt aber iſt das Kennzeichen des Doppel - und Nebenbildes die Halbdurchſichtigkeit. Man denke ſich daher innerhalb eines durchſichtigen Mittels, deſſen innre Anlage nur halbdurchſichtig, nur durchſcheinend zu werden ſchon oben ausgefuͤhrt iſt (147); man denke ſich innerhalb deſſelben ein halbdurchſichtiges Schein - bild, ſo wird man dieſes ſogleich fuͤr ein truͤbes Bild anſprechen.
Und ſo laſſen ſich die Farben bey Gelegenheit der Refraction aus der Lehre von den truͤben Mitteln gar bequem ableiten. Denn wo der voreilende Saum des truͤben Nebenbildes ſich vom Dunklen uͤber das Helle zieht, erſcheint das Gelbe; umgekehrt wo eine helle Graͤnze uͤber die dunkle Umgebung hinaustritt, erſcheint das Blaue. (150. 151.)
Die voreilende Farbe iſt immer die breitere. So greift die gelbe uͤber das Licht mit einem breiten Sau - me; da wo ſie aber an das Dunkle graͤnzt, entſteht, nach der Lehre der Steigerung und Beſchattung, das Gelbrothe als ein ſchmaͤlerer Rand.
An der entgegengeſetzten Seite haͤlt ſich das ge - draͤngte Blau an der Graͤnze, der vorſtrebende Saum aber, als[ein] leichtes Truͤbes uͤber das Schwarze ver - breitet, laͤßt uns die violette Farbe ſehen, nach eben denſelben Bedingungen, welche oben bey der Lehre von den truͤben Mitteln angegeben worden, und welche ſich kuͤnftig in mehreren andern Faͤllen gleichmaͤßig wirkſam zeigen werden.
Da eine Ableitung wie die gegenwaͤrtige ſich ei - gentlich vor dem Anſchauen des Forſchers legitimiren muß; ſo verlangen wir von jedem, daß er ſich nicht auf eine fluͤchtige, ſondern gruͤndliche Weiſe mit dem bisher Vorgefuͤhrten bekannt mache. Hier werden nicht willkuͤhrliche Zeichen, Buchſtaben und was man ſonſt belieben moͤchte, ſtatt der Erſcheinungen hingeſtellt; hier werden nicht Redensarten uͤberliefert, die man hundert - mal wiederholen kann, ohne etwas dabey zu denken, noch Jemanden etwas dadurch denken zu machen; ſon - dern es iſt von Erſcheinungen die Rede, die man vor den Augen des Leibes und des Geiſtes gegenwaͤrtig ha -92 ben muß, um ihre Abkunft, ihre Herleitung ſich und andern mit Klarheit entwickeln zu koͤnnen.
Da man jene vorſchreitenden fuͤnf Bedingungen, (210.) unter welchen die Farbenerſcheinung zunimmt, nur ruͤckgaͤngig annehmen darf, um die Abnahme des Phaͤnomens leicht einzuſehen und zu bewirken; ſo waͤre nur noch dasjenige, was dabey das Auge gewahr wird, kuͤrzlich zu beſchreiben und durchzufuͤhren.
Auf dem hoͤchſten Puncte wechſelſeitiger Deckung der entgegengeſetzten Raͤnder erſcheinen die Farben fol - gendermaßen (216):
Bey minderer Deckung zeigt ſich das Phaͤnomen folgendermaßen (214. 215 ):
93| Gelbroth | Blau |
| Gelb | Blauroth |
| Gruͤn | Purpur |
| Blau | Gelbroth |
| Blauroth | Gelb. |
Hier erſcheinen alſo die Bilder noch voͤllig gefaͤrbt, aber dieſe Reihen ſind nicht als urſpruͤngliche, ſtetig ſich auseinander entwickelnde ſtufen - und ſcalenartige Reihen anzuſehen; ſie koͤnnen und muͤſſen vielmehr in ihre Elemente zerlegt werden, wobey man denn ihre Natur und Eigenſchaft beſſer kennen lernt.
Dieſe Elemente aber ſind (199. 200. 201 ):
| Gelbroth | Blau |
| Gelb | Blauroth |
| Weißes | Schwarzes |
| Blau | Gelbroth |
| Blauroth | Gelb. |
Hier tritt nun das Hauptbild, das bisher ganz zugedeckt und gleichſam verloren geweſen, in der Mitte der Erſcheinung wieder hervor, behauptet ſein Recht und laͤßt uns die ſecundaͤre Natur der Nebenbilder, die ſich als Raͤnder und Saͤume zeigen, voͤllig erkennen.
Es haͤngt von uns ab, dieſe Raͤnder und Saͤume ſo ſchmal werden zu laſſen, als es uns beliebt, ja noch Refraction uͤbrig zu behalten, ohne daß uns deßwegen eine Farbe an der Graͤnze erſchiene.
94Dieſes nunmehr genugſam entwickelte farbige Phaͤ - nomen laſſen wir denn nicht als ein urſpruͤngliches gel - ten; ſondern wir haben es auf ein fruͤheres und ein - facheres zuruͤckgefuͤhrt, und ſolches aus dem Urphaͤno - men des Lichtes und der Finſterniß durch die Truͤbe vermittelt, in Verbindung mit der Lehre von den ſecun - daͤren Bildern abgeleitet, und ſo geruͤſtet werden wir die Erſcheinungen, welche graue und farbige Bilder durch Brechung verruͤckt hervorbringen, zuletzt umſtaͤnd - lich vortragen und damit den Abſchnitt ſubjectiver Er - ſcheinungen voͤllig abſchließen.
Wir haben bisher nur ſchwarze und weiße Bilder auf entgegengeſetztem Grunde durchs Prisma betrachtet, weil ſich an denſelben die farbigen Raͤnder und Saͤu - me am deutlichſten ausnehmen. Gegenwaͤrtig wieder - holen wir jene Verſuche mit grauen Bildern und fin - den abermals die bekannten Wirkungen.
Nannten wir das Schwarze den Repraͤſentanten der Finſterniß, das Weiße den Stellvertreter des Lichts95 (18); ſo koͤnnen wir ſagen, daß das Graue den Halb - ſchatten repraͤſentire, welcher mehr oder weniger an Licht und Finſterniß Theil nimmt und alſo zwiſchen beyden inne ſteht (36). Zu unſerm gegenwaͤrtigen Zwecke ru - fen wir folgende Phaͤnomene ins Gedaͤchtniß.
Graue Bilder erſcheinen heller auf ſchwarzem als auf weißem Grunde (33), und erſcheinen in ſolchen Faͤl - len, als ein Helles auf dem Schwarzen, groͤßer; als ein Dunkles auf dem Weißen, kleiner (16.)
Je dunkler das Grau iſt, deſto mehr erſcheint es als ein ſchwaches Bild auf Schwarz, als ein ſtarkes Bild auf Weiß, und umgekehrt; daher giebt Dunkel - grau auf Schwarz nur ſchwache, daſſelbe auf Weiß ſtar - ke, Hellgrau auf Weiß ſchwache, auf Schwarz ſtarke Nebenbilder.
Grau auf Schwarz wird uns durchs Prisma jene Phaͤnomene zeigen, die wir bisher mit Weiß auf Schwarz hervorgebracht haben; die Raͤnder werden nach eben der Regel gefaͤrbt, die Saͤume zeigen ſich nur ſchwaͤ - cher. Bringen wir Grau auf Weiß, ſo erblicken wir eben die Raͤnder und Saͤume, welche hervorgebracht wurden, wenn wir Schwarz auf Weiß durchs Prisma betrachteten.
Verſchiedene Schattirungen von Grau, ſtufenweiſe an einander geſetzt, werden, je nachdem man das Dunk -96 lere oben oder untenhin bringt, entweder nur Blau und Violett, oder nur Roth und Gelb an den Raͤndern zeigen.
Eine Reihe grauer Schattirungen, horizontal an einander geſtellt, wird, wie ſie oben oder unten an ei - ne ſchwarze oder weiße Flaͤche ſtoͤßt, nach den bekann - ten Regeln gefaͤrbt.
Auf der zu dieſem Abſchnitt beſtimmten, von jedem Naturfreund fuͤr ſeinen Apparat zu vergroͤßernden Ta - fel kann man dieſe Phaͤnomene durchs Prisma mit ei - nem Blicke gewahr werden.
Hoͤchſt wichtig aber iſt die Beobachtung und Be - trachtung eines grauen Bildes, welches zwiſchen einer ſchwarzen und einer weißen Flaͤche dergeſtalt ange - bracht iſt, daß die Theilungslinie vertical durch das Bild durchgeht.
An dieſem grauen Bilde werden die Farben nach der bekannten Regel, aber nach dem verſchiedenen Ver - haͤltniſſe des Hellen zum Dunklen, auf einer Linie ent - gegengeſetzt erſcheinen. Denn indem das Graue zum Schwarzen ſich als hell zeigt; ſo hat es oben das Ro - the und Gelbe, unten das Blaue und Violette. In - dem es ſich zum Weißen als dunkel verhaͤlt; ſo ſieht97 man oben den blauen und violetten, unten hingegen den rothen und gelben Rand. Dieſe Beobachtung wird fuͤr die naͤchſte Abtheilung hoͤchſt wichtig.
Eine farbige große Flaͤche zeigt innerhalb ihrer ſelbſt, ſo wenig als eine ſchwarze, weiße oder graue, irgend eine prismatiſche Farbe; es muͤßte denn zufaͤllig oder vorſaͤtzlich auf ihr Hell und Dunkel abwechſeln. Es ſind alſo auch nur Beobachtungen durchs Prisma an farbigen Flaͤchen anzuſtellen, in ſo fern ſie durch einen Rand von einer andern verſchieden tingirten Flaͤ - che abgeſondert werden, alſo auch nur an farbigen Bildern.
Es kommen alle Farben, welcher Art ſie auch ſeyn moͤgen, darin mit dem Grauen uͤberein, daß ſie dunk - ler als Weiß, und heller als Schwarz erſcheinen. Die - ſes Schattenhafte der Farbe (σκιεϱόν) iſt ſchon fruͤher angedeutet worden, (69.) und wird uns immer bedeu - tender werden. Wenn wir alſo vorerſt farbige Bilder auf ſchwarze und weiße Flaͤchen bringen, und ſie durchsI. 798Prisma betrachten; ſo werden wir alles, was wir bey grauen Flaͤchen bemerkt haben, hier abermals finden.
Verruͤcken wir ein farbiges Bild, ſo entſteht, wie bey farbloſen Bildern, nach eben den Geſetzen, ein Ne - benbild. Dieſes Nebenbild behaͤlt, was die Farbe be - trifft, ſeine urſpruͤngliche Natur bey und wirkt auf der einen Seite als ein Blaues und Blaurothes, auf der entgegengeſetzten als ein Gelbes und Gelbrothes. Da - her muß der Fall eintreten, daß die Scheinfarbe des Randes und des Saumes mit der realen Farbe eines farbigen Bildes homogen ſey; es kann aber auch im andern Falle das mit einem Pigment gefaͤrbte Bild mit dem erſcheinenden Rand und Saum ſich heterogen finden. In dem erſten Falle identificirt ſich das Schein - bild mit dem wahren und ſcheint daſſelbe zu vergroͤßern; dahingegen in dem zweyten Falle das wahre Bild durch das Scheinbild verunreinigt, undeutlich gemacht und verkleinert werden kann. Wir wollen die Faͤlle durch - gehen, wo dieſe Wirkungen ſich am ſonderbarſten zeigen.
Man nehme die zu dieſen Verſuchen vorbereitete Tafel vor ſich, und betrachte das rothe und blaue Viereck auf ſchwarzem Grunde neben einander, nach der gewoͤhnlichen Weiſe durchs Prisma; ſo werden, da beyde Farben heller ſind als der Grund, an beyden, ſowohl oben als unten, gleiche farbige Raͤnder und Saͤu -99 me entſtehen, nur werden ſie dem Auge des Beobach - ters nicht gleich deutlich erſcheinen.
Das Rothe iſt verhaͤltnißmaͤßig gegen das Schwarze viel heller als das Blaue. Die Farben der Raͤnder werden alſo an dem Rothen ſtaͤrker als an dem Blauen erſcheinen, welches hier wie ein Dunkelgraues wirkt, das wenig von dem Schwarzen unterſchieden iſt. (251.)
Der obere rothe Rand wird ſich mit der Zinnober - farbe des Vierecks identificiren und ſo wird das rothe Viereck hinaufwaͤrts ein wenig vergroͤßert erſcheinen; der gelbe herabwaͤrtsſtrebende Saum aber giebt der ro - then Flaͤche nur einen hoͤhern Glanz und wird erſt bey genauerer Aufmerkſamkeit bemerkbar.
Dagegen iſt der rothe Rand und der gelbe Saum mit dem blauen Viereck heterogen; es wird alſo an dem Rande eine ſchmutzig rothe, und hereinwaͤrts in das Viereck eine ſchmutzig gruͤne Farbe entſtehen, und ſo wird beym fluͤchtigen Anblick das blaue Viereck von dieſer Seite zu verlieren ſcheinen.
An der untern Graͤnze der beyden Vierecke wird ein blauer Rand und ein violetter Saum entſtehen und die entgegengeſetzte Wirkung hervorbringen. Denn der blaue Rand, der mit der Zinnoberflaͤche heterogen iſt, wird das Gelbrothe beſchmutzen und eine Art von Gruͤn7 *100hervorbringen, ſo daß das Rothe von dieſer Seite ver - kuͤrzt und hinaufgeruͤckt erſcheint, und der violette Saum nach dem Schwarzen zu kaum bemerkt wird.
Dagegen wird der blaue Scheinrand ſich mit der blauen Flaͤche identificiren, ihr nicht allein nichts neh - men, ſondern vielmehr noch geben; und dieſelbe wird alſo dadurch und durch den violetten benachbarten Saum, dem Anſcheine nach, vergroͤßert und ſcheinbar herunter geruͤckt werden.
Die Wirkung der homogenen und heterogenen Raͤn - der, wie ich ſie gegenwaͤrtig genau beſchrieben habe, iſt ſo maͤchtig und ſo ſonderbar, daß einem fluͤchtigen Beſchauer beym erſten Anblicke die beyden Vierecke aus ihrer wechſelſeitig horizontalen Lage geſchoben und im entgegengeſetzten Sinne verruͤckt ſcheinen, das Rothe hinaufwaͤrts, das Blaue herabwaͤrts. Doch Niemand, der in einer gewiſſen Folge zu beobachten, Verſuche an einander zu knuͤpfen, aus einander herzuleiten ver - ſteht, wird ſich von einer ſolchen Scheinwirkung taͤu - ſchen laſſen.
Eine richtige Einſicht in dieſes bedeutende Phaͤno - men wird aber dadurch erleichtert, daß gewiſſe ſcharfe, ja aͤngſtliche Bedingungen noͤthig ſind, wenn dieſe Taͤuſchung ſtatt finden ſoll. Man muß nehmlich zu dem rothen Viereck ein mit Zinnober oder dem beſten101 Mennig, zu dem blauen ein mit Indig recht ſatt ge - faͤrbtes Papier beſorgen. Alsdann verbindet ſich der blaue und rothe prismatiſche Rand, da wo er homo - gen iſt, unmerklich mit dem Bilde, da wo er heterogen iſt, beſchmutzt er die Farbe des Vierecks, ohne eine ſehr deutliche Mittelfarbe hervorzubringen. Das Roth des Vierecks darf nicht zu ſehr ins Gelbe fallen, ſonſt wird oben der dunkelrothe Scheinrand zu ſehr bemerk - lich; es muß aber von der andern Seite genug vom Gelben haben, ſonſt wird die Veraͤnderung durch den gelben Saum zu deutlich. Das Blaue darf nicht hell ſeyn, ſonſt wird der rothe Rand ſichtbar, und der gelbe Saum bringt zu offenbar ein Gruͤn hervor, und man kann den untern violetten Saum nicht mehr fuͤr die ver - ruͤckte Geſtalt eines hellblauen Vierecks anſehen oder ausgeben.
Von allem dieſem wird kuͤnftig umſtaͤndlicher die Rede ſeyn, wenn wir vom Apparate zu dieſer Abthei - lung handeln werden. Jeder[Naturforſcher] bereite ſich die Tafeln ſelbſt, um dieſes Taſchenſpielerſtuͤckchen her - vorbringen zu koͤnnen, und ſich dabey zu uͤberzeugen, daß die farbigen Raͤnder ſelbſt in dieſem Falle einer ge - ſchaͤrften Aufmerkſamkeit nicht entgehen koͤnnen.
Indeſſen ſind andere mannigfaltige Zuſammenſtel - lungen, wie ſie unſre Tafel zeigt, voͤllig geeignet, allen Zweifel uͤber dieſen Punct jedem Aufmerkſamen zu be - nehmen.
Man betrachte dagegen ein weißes, neben dem blauen ſtehendes Viereck auf ſchwarzem Grunde; ſo wer - den an dem weißen, welches hier an der Stelle des rothen ſteht, die entgegengeſetzten Raͤnder in ihrer hoͤch - ſten Energie ſich zeigen. Es erſtreckt ſich an demſelben der rothe Rand faſt noch mehr als oben am rothen ſelbſt uͤber die Horizontallinie des blauen hinauf; der untere blaue Rand aber iſt an dem weißen in ſeiner gan - zen Schoͤne ſichtbar; dagegen verliert er ſich in dem blauen Viereck durch Identification. Der violette Saum hinabwaͤrts iſt viel deutlicher an dem weißen, als an dem blauen.
Man vergleiche nun die mit Fleiß uͤber einander geſtellten Paare gedachter Vierecke, das rothe mit dem weißen, die beyden blauen Vierecke mit einander, das blaue mit dem rothen, das blaue mit dem weißen, und man wird die Verhaͤltniſſe dieſer Flaͤchen zu ihren far - bigen Raͤndern und Saͤumen deutlich einſehen.
Noch auffallender erſcheinen die Raͤnder und ihre Verhaͤltniſſe zu den farbigen Bildern, wenn man die far - bigen Vierecke und das ſchwarze auf weißem Grunde be - trachtet. Denn hier faͤllt jene Taͤuſchung voͤllig weg, und die Wirkungen der Raͤnder ſind ſo ſichtbar, als wir ſie nur in irgend einem andern Falle bemerkt haben. Man be - trachte zuerſt das blaue und rothe Viereck durchs Prisma. 103An beyden entſteht der blaue Rand nunmehr oben. Dieſer, homogen mit dem blauen Bilde, verbindet ſich demſelben und ſcheint es in die Hoͤhe zu heben; nur daß der hellblaue Rand oberwaͤrts zu ſehr abſticht. Der vio - lette Saum iſt auch herabwaͤrts ins blaue deutlich genug. Ebendieſer obere blaue Scheinrand iſt nun mit dem rothen Viereck heterogen, er iſt in der Gegenwirkung begriffen und kaum ſichtbar. Der violette Saum indeſſen bringt, verbunden mit dem Gelbrothen des Bildes, eine Pfirſich - bluͤthfarbe zu Wege.
Wenn nun aus der angegebenen Urſache die oberen Raͤnder dieſer Vierecke nicht horizontal erſcheinen, ſo erſcheinen die untern deſto gleicher: denn indem beyde Farben, die rothe und die blaue, gegen das Weiße ge - rechnet, dunkler ſind, als ſie gegen das Schwarze hell waren, welches beſonders von der letztern gilt; ſo ent - ſteht unter beyden der rothe Rand mit ſeinem gelben Saume ſehr deutlich. Er zeigt ſich unter dem gelbro - then Bilde in ſeiner ganzen Schoͤnheit, und unter dem dunkelblauen beynahe wie er unter dem ſchwarzen er - ſchien; wie man bemerken kann, wenn man abermals die uͤbereinandergeſetzten Bilder und ihre Raͤnder und Saͤume vergleicht.
Um nun dieſen Verſuchen die groͤßte Mannigfal - tigkeit und Deutlichkeit zu geben, ſind Vierecke von ver - ſchiedenen Farben in der Mitte der Tafel dergeſtalt an - gebracht, daß die Graͤnze des Schwarzen und Weißen104 vertical durch ſie durchgeht. Man wird ſie, nach je - nen uns uͤberhaupt und beſonders bey farbigen Bildern genugſam bekannt gewordenen Regeln, an jedem Rand zwiefach gefaͤrbt finden, und die Vierecke werden in ſich ſelbſt entzwey geriſſen und hinauf - oder herunter - waͤrts geruͤckt erſcheinen. Wir erinnern uns hiebey je - nes grauen, gleichfalls auf der Graͤnzſcheidung des Schwarzen und Weißen beobachteten Bildes. (257.)
Da nun das Phaͤnomen, das wir vorhin an ei - nem rothen und blauen Viereck auf ſchwarzem Grunde bis zur Taͤuſchung geſehen haben, das Hinauf - und Hinabruͤcken zweyer verſchieden gefaͤrbten Bilder uns hier an zwey Haͤlften eines und deſſelben Bildes von einer und derſelben Farbe ſichtbar wird; ſo werden wir dadurch abermals auf die farbigen Raͤnder, ihre Saͤume und auf die Wirkungen ihrer homogenen und heteroge - nen Natur hingewieſen, wie ſie ſich zu den Bildern verhaͤlt, an denen die Erſcheinung vorgeht.
Ich uͤberlaſſe den Beobachtern die mannigfaltigen Schattirungen der halb auf Schwarz, halb auf Weiß angebrachten farbigen Vierecke ſelbſt zu vergleichen, und bemerke nur noch die widerſinnige ſcheinbare Verzerrung, da Roth und Gelb auf Schwarz hinaufwaͤrts, auf Weiß herunterwaͤrts, Blau auf Schwarz herunterwaͤrts, und auf Weiß hinaufwaͤrts gezogen ſcheinen; welches doch alles dem bisher weitlaͤuftig Abgehandelten ge - maͤß iſt.
Nun ſtelle der Beobachter die Tafel dergeſtalt vor ſich, daß die vorgedachten, auf der Graͤnze des Schwar - zen und Weißen ſtehenden Vierecke ſich vor ihm in ei - ner horizontalen Reihe befinden, und daß zugleich der ſchwarze Theil oben, der weiße aber unten ſey. Er betrachte durchs Prisma jene Vierecke, und er wird bemerken, daß das rothe Viereck durch den Anſatz zweyer rothen Raͤnder gewinnt; er wird bey genauer Aufmerkſamkeit den gelben Saum auf dem rothen Bilde bemerken, und der untere gelbe Saum nach dem Wei - ßen zu wird voͤllig deutlich ſeyn.
Oben an dem gelben Viereck iſt der rothe Rand ſehr merklich, weil das Gelbe als hell gegen das Schwarz genugſam abſticht. Der gelbe Saum identificirt ſich mit der gelben Flaͤche, nur wird ſolche etwas ſchoͤner dadurch; der untere Rand zeigt nur wenig Roth, weil das helle Gelb gegen das Weiße nicht genugſam ab - ſticht. Der untere gelbe Saum aber iſt deutlich genug.
An dem blauen Viereck hingegen iſt der obere rothe Rand kaum ſichtbar; der gelbe Saum bringt herunter - waͤrts ein ſchmutziges Gruͤn im Bilde hervor; der un - tere rothe Rand und der gelbe Saum zeigen ſich in lebhaften Farben.
Bemerkt man nun in dieſen Faͤllen, daß das rothe Bild durch einen Anſatz auf beyden Seiten zu gewin -106 nen, das dunkelblaue von einer Seite wenigſtens zu verlieren ſcheint; ſo wird man, wenn man die Pappe umkehrt, ſo daß der weiße Theil ſich oben, der ſchwarze ſich unten befindet, das umgekehrte Phaͤnomen erblicken.
Denn da nunmehr die homogenen Raͤnder und Saͤume an den blauen Vierecken oben und unten ent - ſtehen; ſo ſcheinen dieſe vergroͤßert, ja ein Theil der Bilder ſelbſt ſchoͤner gefaͤrbt, und nur eine genaue Be - obachtung wird die Raͤnder und Saͤume von der Far - be der Flaͤche ſelbſt unterſcheiden lehren.
Das gelbe und rothe dagegen werden in dieſer Stellung der Tafel von den heterogenen Raͤndern ein - geſchraͤnkt und die Wirkung der Localfarbe verkuͤmmert. Der obere blaue Rand iſt an beyden faſt gar nicht ſicht - bar. Der violette Saum zeigt ſich als ein ſchoͤnes Pfirſichbluͤth auf dem rothen, als ein ſehr blaſſes auf dem gelben; die beyden untern Raͤnder ſind gruͤn; an dem rothen ſchmutzig, lebhaft an dem gelben; den violetten Saum bemerkt man unter dem rothen wenig, mehr unter dem gelben.
Ein jeder Naturfreund mache ſich zur Pflicht, mit allen den vorgetragenen Erſcheinungen genau bekannt zu werden, und halte es nicht fuͤr laͤſtig, ein einziges Phaͤnomen durch ſo manche bedingende Umſtaͤnde durch - zufuͤhren. Ja dieſe Erfahrungen laſſen ſich noch ins107 Unendliche durch Bilder von verſchiedenen Farben, auf und zwiſchen verſchiedenfarbigen Flaͤchen, vervielfaͤlti - gen. Unter allen Umſtaͤnden aber wird jedem Aufmerk - ſamen deutlich werden, daß farbige Vierecke neben ein - ander nur deßwegen durch das Prisma verſchoben er - ſcheinen, weil ein Anſatz von homogenen und hetero - genen Raͤndern eine Taͤuſchung hervorbringt. Dieſe iſt man nur alsdann zu verbannen faͤhig, wenn man eine Reihe von Verſuchen neben einander zu ſtellen und ih - re Uebereinſtimmung darzuthun genugſame Geduld hat.
Warum wir aber vorſtehende Verſuche mit farbi - gen Bildern, welche auf mehr als eine Weiſe vorge - tragen werden konnten, gerade ſo und ſo umſtaͤndlich dargeſtellt, wird in der Folge deutlicher werden. Ge - dachte Phaͤnomene waren fruͤher zwar nicht unbekannt; aber ſehr verkannt, deßwegen wir ſie, zu Erleichterung eines kuͤnftigen hiſtoriſchen Vortrags, genau entwickeln mußten.
Wir wollen nunmehr zum Schluſſe den Freunden der Natur eine Vorrichtung anzeigen, durch welche dieſe Erſcheinungen auf einmal deutlich, ja in ihrem groͤßten Glanze, geſehen werden koͤnnen.
Man ſchneide aus einer Pappe fuͤnf, ungefaͤhr ei - nen Zoll große, voͤllig gleiche Vierecke neben einander aus, genau in horizontaler Linie. Man bringe dahin - ter fuͤnf farbige Glaͤſer, in der bekannten Ordnung, Orange, Gelb, Gruͤn, Blau, Violett. Man befeſtige dieſe Tafel in einer Oeffnung der Camera obſcura, ſo108 daß der helle Himmel durch ſie geſehen wird, oder daß die Sonne darauf ſcheint, und man wird hoͤchſt ener - giſche Bilder vor ſich haben. Man betrachte ſie nun durchs Prisma und beobachte die durch jene Ver - ſuche an gemalten Bildern ſchon bekannten Phaͤnomene, nehmlich die theils beguͤnſtigenden, theils verkuͤmmern - den Raͤnder und Saͤume, und die dadurch bewirkte ſcheinbare Verruͤckung der ſpecifiſch gefaͤrbten Bilder aus der horizontalen Linie.
Das was der Beobachter hier ſehen wird, folgt genugſam aus dem fruͤher Abgeleiteten; daher wir es auch nicht einzeln abermals durchfuͤhren, um ſo weni - ger, als wir auf dieſe Erſcheinungen zuruͤckzukehren noch oͤfteren Anlaß finden werden.
In der fruͤhern Zeit, da man noch manches, was in der Natur regelmaͤßig und conſtant war, fuͤr ein bloßes Abirren, fuͤr zufaͤllig hielt, gab man auf die Farben weniger Acht, welche bey Gelegenheit der Re - fraction entſtehen, und hielt ſie fuͤr eine Erſcheinung, die ſich von beſondern Nebenumſtaͤnden herſchreiben moͤchte.
Nachdem man ſich aber uͤberzeugt hatte, daß dieſe Farbenerſcheinung die Refraction jederzeit begleite; ſo war es natuͤrlich, daß man ſie auch als innig und einzig mit der Refraction verwandt anſah, und nicht anders glaubte, als daß das Maß der Farbenerſcheinung ſich nach dem Maße der Brechung richten und beyde gleichen Schritt mit einander halten muͤßten.
Wenn man alſo nicht gaͤnzlich, doch einigermaßen, das Phaͤnomen einer ſtaͤrkeren oder ſchwaͤcheren Brechung der verſchiedenen Dichtigkeit der Mittel zuſchrieb; wie denn auch reinere atmoſphaͤriſche Luft, mit Duͤnſten an - gefuͤllte, Waſſer, Glas, nach ihren ſteigenden Dichtig - keiten, die ſogenannte Brechung, die Verruͤckung des Bildes vermehren: ſo mußte man kaum zweifeln, daß auch in ſelbiger Maße die Farbenerſcheinung ſich ſtei - gern muͤſſe, und man glaubte voͤllig gewiß zu ſeyn, daß bey verſchiedenen Mitteln, welche man im Gegenſinne der Brechung zu einander brachte, ſich, ſo lange Bre - chung vorhanden ſey, die Farbe zeigen, ſo bald aber die Farbe verſchwaͤnde, auch die Brechung aufgehoben ſeyn muͤſſe.
In ſpaͤterer Zeit hingegen ward entdeckt, daß die - ſes als gleich angenommene Verhaͤltniß ungleich ſey, daß zwey Mittel das Bild gleich weit verruͤcken, und doch ſehr ungleiche Farbenſaͤume hervorbringen koͤnnen.
Man fand, daß man zu jener phyſiſchen Eigen - ſchaft, welcher man die Refraction zuſchrieb, noch eine chemiſche hinzu zu denken habe (210); wie wir ſolches kuͤnftig, wenn wir uns chemiſchen Ruͤckſichten naͤhern, weiter auszufuͤhren denken, ſo wie wir die naͤhern Um - ſtaͤnde dieſer wichtigen Entdeckung in der Geſchichte der Farbenlehre aufzuzeichnen haben. Gegenwaͤrtig ſey fol - gendes genug.
Es zeigt ſich bey Mitteln von gleicher, oder we - nigſtens nahezu gleicher, Brechungskraft der merkwuͤr - dige Umſtand, daß ein Mehr und Weniger der Far - benerſcheinung durch eine chemiſche Behandlung hervor - gebracht werden kann; das Mehr wird nehmlich durch Saͤuren, das Weniger durch Alcalien beſtimmt. Bringt man unter eine gemeine Glasmaſſe Metalloxyde, ſo wird die Farbenerſcheinung ſolcher Glaͤſer, ohne daß die Re - fraction merklich veraͤndert werde, ſehr erhoͤht. Daß das Mindere hingegen auf der alcaliſchen Seite liege, kann leicht vermuthet werden.
Diejenigen Glasarten, welche nach der Entdeckung zuerſt angewendet worden, nennen die Englaͤnder Flint - und Crownglas, und zwar gehoͤrt jenem erſten die ſtaͤrkere, dieſem zweyten die geringere Farbenerſchei - nung an.
Zu unſerer gegenwaͤrtigen Darſtellung bedienen wir uns dieſer beyden Ausdruͤcke als Kunſtwoͤrter, und neh - men an, daß in beyden die Refraction gleich ſey, das Flintglas aber die Farbenerſcheinung um ein Drittel ſtaͤrker als das Crownglas hervorbringe; wobey wir un - ſerm Leſer eine, gewiſſermaßen ſymboliſche, Zeichnung zur Hand geben.
Man denke ſich auf einer ſchwarzen Tafel, welche hier, des bequemeren Vortrags wegen, in Caſen getheilt iſt, zwiſchen den Parallellinien a b und c d fuͤnf weiße Vierecke. Das Viereck Nr. 1. ſtehe vor dem nackten Auge unverruͤckt auf ſeinem Platz.
Das Viereck Nr. 2. aber ſey, durch ein vor das Auge gehaltenes Prisma von Crownglas g, um drey Caſen verruͤckt und zeige die Farbenſaͤume in einer ge - wiſſen Breite; ferner ſey das Viereck Nr. 3., durch ein Prisma von Flintglas, gleichfalls um drey Caſen her - untergeruͤckt, dergeſtalt daß es die farbigen Saͤume nunmehr um ein Drittel breiter als Nr. 2. zeige.
Ferner ſtelle man ſich vor, das Viereck Nr. 4. ſey eben wie das Nr. 2., durch ein Prisma von Crown - glas, erſt drey Caſen verruͤckt geweſen, dann ſey es aber, durch ein entgegengeſtelltes Prisma h von Flint -112 glas, wieder auf ſeinen vorigen Fleck, wo man es nun ſieht, gehoben worden.
Hier hebt ſich nun die Refraction zwar gegen ein - ander auf; allein da das Prisma h bey der Verruͤckung durch drey Caſen um ein Drittel breitere Farbenſaͤume, als dem Prisma g eigen ſind, hervorbringt; ſo muß, bey aufgehobener Refraction, noch ein Ueberſchuß von Farbenſaum uͤbrig bleiben, und zwar im Sinne der ſcheinbaren Bewegung, welche das Prisma h dem Bil - de ertheilt, und folglich umgekehrt, wie wir die Far - ben an den herabgeruͤckten Nummern 2. und 3. erbli - cken. Dieſes Ueberſchießende der Farbe haben wir Hy - perchromaſie genannt, woraus ſich denn die Achromaſie unmittelbar folgern laͤßt.
Denn geſetzt es waͤre das Viereck Nr. 5. von ſei - nem erſten ſupponirten Platze, wie Nr. 2., durch ein Prisma von Crownglas g, um drey Caſen herunter ge - ruͤckt worden; ſo duͤrfte man nur den Winkel eines Prisma’s von Flintglas h verkleinern, ſolches im um - gekehrten Sinne an das Prisma g anſchließen, um das Viereck Nr. 5. zwey Caſen ſcheinbar hinauf zu heben; wobey die Hyperchromaſie des vorigen Falles wegfiele, das Bild nicht ganz an ſeine erſte Stelle gelangte und doch ſchon farblos erſchiene. Man ſieht auch an den fortpunctirten Linien der zuſammengeſetzten Prismen un - ter Nr. 5. daß ein wirkliches Prisma uͤbrig bleibt, und113 alſo auch auf dieſem Wege, ſo bald man ſich die Linien krumm denkt, ein Ocularglas entſtehen kann; wodurch denn die achromatiſchen Fernglaͤſer abgeleitet ſind.
Zu dieſen Verſuchen, wie wir ſie hier vortragen, iſt ein kleines aus drey verſchiedenen Prismen zuſam - mengeſetztes Prisma, wie ſolche in England verfertigt werden, hoͤchſt geſchickt. Hoffentlich werden kuͤnftig unſre inlaͤndiſchen Kuͤnſtler mit dieſem nothwendigen Inſtrumente jeden Naturfreund verſehen.
Wir haben die Farbenerſcheinungen, welche ſich bey Gelegenheit der Refraction ſehen laſſen, zuerſt durch ſubjective Verſuche dargeſtellt, und das Ganze in ſich dergeſtalt abgeſchloſſen, daß wir auch ſchon jene Phaͤ - nomene aus der Lehre von den truͤben Mitteln und Doppelbildern ableiteten.
Da bey Vortraͤgen, die ſich auf die Natur beziehen, doch alles auf Sehen und Schauen ankommt, ſo ſindI. 8114dieſe Verſuche um deſto erwuͤnſchter, als ſie ſich leicht und bequem anſtellen laſſen. Jeder Liebhaber kann ſich den Apparat, ohne große Umſtaͤnde und Koſten, an - ſchaffen; ja wer mit Papparbeiten einigermaßen umzu - gehen weiß, einen großen Theil ſelbſt verfertigen. We - nige Tafeln, auf welchen ſchwarze, weiße, graue und farbige Bilder auf hellem und dunkelm Grunde abwech - ſeln, ſind dazu hinreichend. Man ſtellt ſie unverruͤckt vor ſich hin, betrachtet bequem und anhaltend die Er - ſcheinungen an dem Rande der Bilder; man entfernt ſich, man naͤhert ſich wieder und beobachtet genau den Stufengang des Phaͤnomens.
Ferner laſſen ſich auch durch geringe Prismen, die nicht von dem reinſten Glaſe ſind, die Erſcheinungen noch deutlich genug beobachten. Was jedoch wegen die - ſer Glasgeraͤthſchaften noch zu wuͤnſchen ſeyn moͤchte, wird in dem Abſchnitt, der den Apparat abhandelt, umſtaͤndlich zu finden ſeyn.
Ein Hauptvortheil dieſer Verſuche iſt ſodann, daß man ſie zu jeder Tageszeit anſtellen kann, in jedem Zimmer, es ſey nach einer Weltgegend gerichtet nach welcher es wolle; man braucht nicht auf Sonnenſchein zu warten, der einem nordiſchen Beobachter uͤberhaupt nicht reichlich gewogen iſt.
115Die objectiven Verſuche
verlangen hingegen nothwendig den Sonnenſchein, der, wenn er ſich auch einſtellt, nicht immer den wuͤn - ſchenswerthen Bezug auf den ihm entgegengeſtellten Ap - parat haben kann. Bald ſteht die Sonne zu hoch, bald zu tief, und doch auch nur kurze Zeit in dem Meridian des am beſten gelegenen Zimmers. Unter dem Beobach - ten weicht ſie; man muß mit dem Apparat nachruͤcken, wodurch in manchen Faͤllen die Verſuche unſicher wer - den. Wenn die Sonne durchs Prisma ſcheint, ſo of - fenbart ſie alle Ungleichheiten, innere Faͤden und Blaͤs - chen des Glaſes, wodurch die Erſcheinung verwirrt, ge - truͤbt und mißfaͤrbig gemacht wird.
Doch muͤſſen die Verſuche beyder Arten gleich ge - nau bekannt ſeyn. Sie ſcheinen einander entgegenge - ſetzt und gehen immer mit einander parallel; was die einen zeigen, zeigen die andern auch, und doch hat je - de Art wieder ihre Eigenheiten, wodurch gewiſſe Wir - kungen der Natur auf mehr als eine Weiſe offenbar werden.
Sodann giebt es bedeutende Phaͤnomene, wel - che man durch Verbindung der ſubjectiven und objec - tiven Verſuche hervorbringt. Nicht weniger gewaͤhren uns die objectiven den Vortheil, daß wir ſie meiſt8 *116durch Linearzeichnungen darſtellen und die innern Ver - haͤltniſſe des Phaͤnomens auf unſern Tafeln vor Augen legen koͤnnen. Wir ſaͤumen daher nicht die objectiven Verſuche ſogleich dergeſtalt vorzutragen, daß die Phaͤ - nomene mit den ſubjectiv vorgeſtellten durchaus glei - chen Schritt halten; deßwegen wir auch neben der Zahl eines jeden Paragraphen die Zahl der fruͤheren in Pa - rentheſe unmittelbar anfuͤgen. Doch ſetzen wir im Gan - zen voraus, daß der Leſer ſich mit den Tafeln, der For - ſcher mit dem Apparat bekannt mache, damit die Zwil - lings-Phaͤnomene, von denen die Rede iſt, auf ei - ne oder die andere Weiſe, dem Liebhaber vor Augen ſeyen.
Daß die Refraction ihre Wirkung aͤußre, ohne eine Farbenerſcheinung hervorzubringen, iſt bey objectiven Verſuchen nicht ſo vollkommen als bey ſubjectiven dar - zuthun. Wir haben zwar unbegraͤnzte Raͤume, nach welchen wir durchs Prisma ſchauen und uns uͤberzeu - gen koͤnnen, daß ohne Graͤnze keine Farbe entſtehe; aber wir haben kein unbegraͤnzt Leuchtendes, welches wir koͤnnten aufs Prisma wirken laſſen. Unſer Licht117 kommt uns von begraͤnzten Koͤrpern, und die Sonne, welche unſre meiſten objectiven prismatiſchen Erſchei - nungen hervorbringt, iſt ja ſelbſt nur ein kleines be - graͤnzt leuchtendes Bild.
Indeſſen koͤnnen wie jede groͤßere Oeffnung, durch welche die Sonne durchſcheint, jedes groͤßere Mittel, wodurch das Sonnenlicht aufgefangen und aus ſeiner Richtung gebracht wird, ſchon in ſofern als unbegraͤnzt anſehen, indem wir bloß die Mitte der Flaͤchen, nicht aber ihre Graͤnzen betrachten.
Man ſtelle ein großes Waſſerprisma in die Sonne, und ein heller Raum wird ſich in die Hoͤhe gebrochen an einer entgegengeſetzten Tafel zeigen und die Mitte dieſes erleuchteten Raumes farblos ſeyn. Eben daſſelbe erreicht man, wenn man mit Glasprismen, welche Winkel von wenigen Graden haben, den Verſuch an - ſtellt. Ja dieſe Erſcheinung zeigt ſich ſelbſt bey Glas - prismen, deren brechender Winkel ſechzig Grad iſt, wenn man nur die Tafel nahe genug heran bringt.
Wenn nun gedachter erleuchteter Raum zwar ge - brochen, von der Stelle geruͤckt, aber nicht gefaͤrbt er -118 ſcheint; ſo ſieht man jedoch an den horizontalen Graͤn - zen deſſelben eine farbige Erſcheinung. Daß auch hier die Farbe bloß durch Verruͤckung eines Bildes entſtehe, iſt umſtaͤndlicher darzuthun.
Das Leuchtende, welches hier wirkt, iſt ein Be - graͤnztes, und die Sonne wirkt hier, indem ſie ſcheint und ſtrahlt, als ein Bild. Man mache die Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ſo klein als man kann, immer wird das ganze Bild der Sonne herein - dringen. Das von ihrer Scheibe herſtroͤmende Licht wird ſich in der kleinſten Oeffnung kreuzen und den Winkel machen, der ihrem ſcheinbaren Diameter gemaͤß iſt. Hier kommt ein Conus mit der Spitze außen an und inwendig verbreitert ſich dieſe Spitze wieder, bringt ein durch eine Tafel aufzufaſſendes rundes, ſich durch die Entfernung der Tafel auf immer vergroͤßerndes Bild hervor, welches Bild nebſt allen uͤbrigen Bildern der aͤu - ßeren Landſchaft auf einer weißen gegengehaltenen Flaͤ - che im dunklen Zimmer umgekehrt erſcheint.
Wie wenig alſo hier von einzelnen Sonnenſtrah - len, oder Strahlenbuͤndeln und Buͤſcheln, von Strah - lencylindern, Staͤben und wie man ſich das alles vor - ſtellen mag, die Rede ſeyn kann, iſt auffallend. Zu Bequemlichkeit gewiſſer Lineardarſtellungen nehme man das Sonnenlicht als parallel einfallend an; aber man wiſſe, daß dieſes nur eine Fiction iſt, welche man ſich gar wohl erlauben kann, da wo der zwiſchen die Fic - tion und die wahre Erſcheinung fallende Bruch unbe -119 deutend iſt. Man huͤte ſich aber, dieſe Fiction wieder zum Phaͤnomen zu machen, und mit einem ſolchen fingir - ten Phaͤnomen weiter fort zu operiren.
Man vergroͤßre nunmehr die Oeffnung in dem Fenſterladen ſo weit man will, man mache ſie rund oder viereckt, ja man oͤffne den Laden ganz und laſſe die Sonne durch den voͤlligen Fenſterraum in das Zim - mer ſcheinen; der Raum, den ſie erleuchtet, wird immer ſo viel groͤßer ſeyn, als der Winkel, den ihr Durch - meſſer macht, verlangt; und alſo iſt auch ſelbſt der ganze durch das groͤßte Fenſter von der Sonne erleuch - tete Raum nur das Sonnenbild plus der Weite der Oeffnung. Wir werden hierauf zuruͤckzukehren kuͤnftig Gelegenheit finden.
Fangen wir nun das Sonnenbild durch convexe Glaͤſer auf, ſo ziehen wir es gegen den Focus zuſam - men. Hier muß, nach den oben ausgefuͤhrten Regeln, ein gelber Saum und ein gelbrother Rand entſtehen, wenn das Bild auf einem weißen Papiere aufgefangen wird. Weil aber dieſer Verſuch blendend und unbe - quem iſt, ſo macht er ſich am ſchoͤnſten mit dem Bilde des Vollmonds. Wenn man dieſes durch ein convexes Glas zuſammenzieht, ſo erſcheint der farbige Rand in der groͤßten Schoͤnheit: denn der Mond ſendet an ſich ſchon ein gemaͤßigtes Licht, und er kann alſo um deſto eher die Farbe, welche aus Maͤßigung des Lichts ent -120 ſteht, hervorbringen; wobey zugleich das Auge des Be - obachters nur leiſe und angenehm beruͤhrt wird.
Wenn man ein leuchtendes Bild durch concave Glaͤſer auffaßt, ſo wird es vergroͤßert und alſo ausge - dehnt. Hier erſcheint das Bild blau begraͤnzt.
Beyde entgegengeſetzten Erſcheinungen kann man durch ein convexes Glas ſowohl ſimultan als ſucceſſiv hervorbringen, und zwar ſimultan, wenn man auf das convexe Glas in der Mitte eine undurchſichtige Scheibe klebt, und nun das Sonnenbild auffaͤngt. Hier wird nun ſowohl das leuchtende Bild als der in ihm befind - liche ſchwarze Kern zuſammengezogen, und ſo muͤſſen auch die entgegengeſetzten Farberſcheinungen entſtehen. Ferner kann man dieſen Gegenſatz ſucceſſiv gewahr wer - den, wenn man das leuchtende Bild erſt bis gegen den Focus zuſammenzieht; da man denn Gelb und Gelb - roth gewahr wird: dann aber hinter dem Focus daſ - ſelbe ſich ausdehnen laͤßt; da es denn ſogleich eine blaue Graͤnze zeigt.
Auch hier gilt, was bey den ſubjectiven Erfah - rungen geſagt worden, daß das Blaue und Gelbe ſich an und uͤber dem Weißen zeige, und daß beyde Farben einen roͤthlichen Schein annehmen in ſofern ſie uͤber das Schwarze reichen.
Dieſe Grunderſcheinungen wiederhohlen ſich bey allen folgenden objectiven Erfahrungen, ſo wie ſie die Grundlage der ſubjectiven ausmachten. Auch die Ope - ration, welche vorgenommen wird, iſt eben dieſelbe; ein heller Rand wird gegen eine dunkle Flaͤche, eine dunkle Flaͤche gegen eine helle Graͤnze gefuͤhrt. Die Graͤnzen muͤſſen einen Weg machen und ſich gleichſam uͤber ein - ander draͤngen, bey dieſen Verſuchen wie bey jenen.
Laſſen wir alſo das Sonnenbild durch eine groͤßere oder kleinere Oeffnung in die dunkle Kammer, fangen wir es durch ein Prisma auf, deſſen brechender Win - kel hier wie gewoͤhnlich unten ſeyn mag; ſo kommt das leuchtende Bild nicht in gerader Linie nach dem Fuß - boden, ſondern es wird an eine vertical geſetzte Tafel hinaufgebrochen. Hier iſt es Zeit, des Gegenſatzes zu gedenken, in welchem ſich die ſubjective und objective Verruͤckung des Bildes befindet.
Sehen wir durch ein Prisma, deſſen brechender Winkel ſich unten befindet, nach einem in der Hoͤhe be - findlichen Bilde; ſo wird dieſes Bild heruntergeruͤckt, anſtatt daß ein einfallendes leuchtendes Bild von dem - ſelben Prisma in die Hoͤhe geſchoben wird. Was wir hier der Kuͤrze wegen nur hiſtoriſch angeben, laͤßt ſich aus den Regeln der Brechung und Hebung ohne Schwie - rigkeit ableiten.
Indem nun alſo auf dieſe Weiſe das leuchtende Bild von ſeiner Stelle geruͤckt wird; ſo gehen auch die Farbenſaͤume nach den fruͤher ausgefuͤhrten Regeln ih - ren Weg. Der violette Saum geht jederzeit voraus, und alſo bey objectiven hinaufwaͤrts, wenn er bey ſub - jectiven herunterwaͤrts geht.
Eben ſo uͤberzeuge ſich der Beobachter von der Faͤrbung in der Diagonale, wenn die Verruͤckung durch zwey Prismen in dieſer Richtung geſchieht, wie bey dem ſubjectiven Falle deutlich genug angegeben; man ſchaffe ſich aber hiezu Prismen mit Winkeln von wenigen, etwa funfzehn Graden.
Daß die Faͤrbung des Bi des auch hier nach der Rich - tung ſeiner Bewegung geſchehe, wird man einſehen, wenn man eine Oeffnung im Laden von maͤßiger Groͤße vier - eckt macht, und das leuchtende Bild durch das Waſſer - prisma gehen laͤßt, erſt die Raͤnder in horizontaler und verticaler Richtung, ſodann in der diagonalen.
Wobey ſich denn abermals zeigen wird, daß die Graͤnzen nicht neben einander weg, ſondern uͤber einan - der gefuͤhrt werden muͤſſen.
Auch hier bringt eine vermehrte Verruͤckung des Bildes eine ſtaͤrkere Farbenerſcheinung zu Wege.
Dieſe vermehrte Verruͤckung aber hat Statt
Die objectiven Verſuche geben uns den Vortheil, daß wir das Werdende des Phaͤnomens, ſeine ſucceſſive124 Geneſe außer uns darſtellen und zugleich mit Linear - zeichnungen deutlich machen koͤnnen, welches bey ſub - jectiven der Fall nicht iſt.
Wenn man das aus dem Prisma heraustretende leuchtende Bild und ſeine wachſende Farbenerſchei - nung auf einer entgegengehaltenen Tafel ſtufenweiſe beobachten, und ſich Durchſchnitte von dieſem Conus mit elliptiſcher Baſe vor Augen ſtellen kann; ſo laͤßt ſich auch das Phaͤnomen auf ſeinem ganzen Wege zum ſchoͤnſten folgendermaßen ſichtbar machen. Man errege nehmlich in der Linie, in welcher das Bild durch den dunklen Raum geht, eine weiße feine Staub - wolke, welche durch feinen recht trocknen Haarpuder am beſten hervorgebracht wird. Die mehr oder weni - ger gefaͤrbte Erſcheinung wird nun durch die weißen Atomen aufgefangen und dem Auge in ihrer ganzen Breite und Laͤnge dargeſtellt.
Eben ſo haben wir Linearzeichnungen bereitet und ſolche unter unſre Tafeln aufgenommen, wo die Er - ſcheinung von ihrem erſten Urſprunge an dargeſtellt iſt, und an welchen man ſich deutlich machen kann, warum das leuchtende Bild durch Prismen ſo viel ſtaͤrker als durch parallele Mittel gefaͤrbt wird.
An den beyden entgegengeſetzten Graͤnzen ſteht eine entgegengeſetzte Erſcheinung in einem ſpitzen Winkel auf,125 die ſich, wie ſie weiter in dem Raume vorwaͤrts geht, nach Maßgabe dieſes Winkels verbreitert. So ſtrebt in der Richtung, in welcher das leuchtende Bild verruͤckt worden, ein violetter Saum in das Dunkle hinaus, ein blauer ſchmalerer Rand bleibt an der Graͤnze. Von der andern Seite ſtrebt ein gelber Saum in das Helle hinein und ein gelbrother Rand bleibt an der Graͤnze.
Hier iſt alſo die Bewegung das Dunklen gegen das Helle, des Hellen gegen das Dunkle wohl zu be - achten.
Eines großen Bildes Mitte bleibt lange ungefaͤrbt, beſonders bey Mitteln von minderer Dichtigkeit und ge - ringerem Maße, bis endlich die entgegengeſetzten Saͤu - me und Raͤnder einander erreichen, da alsdann bey dem leuchtenden Bild in der Mitte ein Gruͤn entſteht.
Wenn nun die objectiven Verſuche gewoͤhnlich nur mit dem leuchtenden Sonnenbilde gemacht wurden, ſo iſt ein objectiver Verſuch mit einem dunklen Bilde bis - her faſt gar nicht vorgekommen. Wir haben hierzu aber auch eine bequeme Vorrichtung angegeben. Jenes gro - ße Waſſerprisma nehmlich ſtelle man in die Sonne und klebe auf die aͤußere oder innere Seite eine runde Pap - penſcheibe; ſo wird die farbige Erſcheinung abermals an den Raͤndern vorgehen, nach jenem bekannten Ge - ſetz entſpringen, die Raͤnder werden erſcheinen, ſich in126 jener Maße verbreitern und in der Mitte der Purpur entſtehen. Man kann neben das Rund ein Viereck in beliebiger Richtung hinzufuͤgen und ſich von dem oben mehrmals angegebenen und ausgeſprochenen von neuen uͤberzeugen.
Nimmt man von dem gedachten Prisma dieſe dunk - len Bilder wieder hinweg, wobey jedoch die Glastafeln jedesmal ſorgfaͤltig zu reinigen ſind, und haͤlt einen ſchwachen Stab, etwa einen ſtarken Bleyſtift, vor die Mitte des horizontalen Prisma; ſo wird man das voͤl - lige Uebereinandergreifen des violetten Saums und des rothen Randes bewirken und nur die drey Farben, die zwey aͤußern und die mittlere, ſehen.
Schneidet man eine vor das Prisma zu ſchiebende Pappe dergeſtalt aus, daß in der Mitte derſelben eine horizontale laͤngliche Oeffnung gebildet wird, und laͤßt alsdann das Sonnenlicht hindurchfallen; ſo wird man die voͤllige Vereinigung des gelben Saumes und des blauen Randes nunmehr uͤber das Helle bewirken und nur Gelbroth, Gruͤn und Violett ſehen; auf welche Art und Weiſe, iſt bey Erklaͤrung der Tafeln weiter aus einander geſetzt.
Die prismatiſche Erſcheinung iſt alſo keinesweges fertig und vollendet, indem das leuchtende Bild aus dem Prisma hervortritt. Man wird alsdann nur erſt ihre127 Anfaͤnge im Gegenſatz gewahr; dann waͤchſt ſie, das Entgegengeſetzte vereinigt ſich und verſchraͤnkt ſich zu - letzt aufs innigſte. Der von einer Tafel aufgefangene Durchſchnitt dieſes Phaͤnomens iſt in jeder Entfernung vom Prisma anders, ſo daß weder von einer ſtetigen Folge der Farben, noch von einem durchaus gleichen Maß derſelben die Rede ſeyn kann; weßhalb der Lieb - haber und Beobachter ſich an die Natur und unſre na - turgemaͤßen Tafeln wenden wird, welchen zum Ueber - fluß eine abermalige Erklaͤrung, ſo wie eine genugſame Anweiſung und Anleitung zu allen Verſuchen, hinzu - gefuͤgt iſt.
Wenn wir dieſe Ableitung ſchon bey Gelegenheit der ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich vorgetragen, wenn alles, was dort gegolten hat, auch hier gilt; ſo bedarf es keiner weitlaͤufigen Ausfuͤhrung mehr, um zu zeigen, daß dasjenige, was in der Erſcheinung voͤllig parallel geht, ſich auch aus eben denſelben Quellen ableiten laſſe.
Daß wir auch bey objectiven Verſuchen mit Bil - dern zu thun haben, iſt oben umſtaͤndlich dargethan128 worden. Die Sonne mag durch die kleinſte Oeffnung hereinſcheinen, ſo dringt doch immer das Bild ihrer ganzen Scheibe hindurch. Man mag das groͤßte Pris - ma in das freye Sonnenlicht ſtellen, ſo iſt es doch immer wieder das Sonnenbild, das ſich an den Raͤn - dern der brechenden Flaͤchen ſelbſt begraͤnzt und die Ne - benbilder dieſer Begraͤnzung hervorbringt. Man mag eine vielfach ausgeſchnittene Pappe vor das Waſſerprisma ſchieben, ſo ſind es doch nur die Bilder aller Art, wel - che, nachdem ſie durch Brechung von ihrer Stelle ge - ruͤckt worden, farbige Raͤnder und Saͤume, und in denſelben durchaus vollkommene Nebenbilder zeigen.
Haben uns bey ſubjectiven Verſuchen ſtark von ein - ander abſtechende Bilder eine hoͤchſt lebhafte Farbener - ſcheinung zu Wege gebracht; ſo wird dieſe bey objecti - ven Verſuchen noch viel lebhafter und herrlicher ſeyn, weil das Sonnenbild von der hoͤchſten Energie iſt, die wir kennen, daher auch deſſen Nebenbild maͤch - tig und, ungeachtet ſeines ſecundaͤren getruͤbten und verdunkelten Zuſtandes, noch immer herrlich und glaͤn - zend ſeyn muß. Die vom Sonnenlicht durchs Prisma auf irgend einen Gegenſtand geworfenen Farben brin - gen ein gewaltiges Licht mit ſich, indem ſie das hoͤchſt energiſche Urlicht gleichſam im Hintergrunde haben.
In wiefern wir auch dieſe Nebenbilder truͤb nen - nen und ſie aus der Lehre von den truͤben Mitteln ab -129 leiten duͤrfen, wird jedem, der uns bis hieher aufmerk - ſam gefolgt, klar ſeyn, beſonders aber dem, der ſich den noͤthigen Apparat verſchafft, um die Beſtimmtheit und Lebhaftigkeit, womit truͤbe Mittel wirken, ſich je - derzeit vergegenwaͤrtigen zu koͤnnen.
Haben wir uns bey Darſtellung der Abnahme unſe - rer farbigen Erſcheinung in ſubjectiven Faͤllen kurz faſ - ſen koͤnnen, ſo wird es uns erlaubt ſeyn, hier noch kuͤrzer zu verfahren, indem wir uns auf jene deutliche Darſtellung berufen. Nur eines mag wegen ſeiner gro - ßen Bedeutung, als ein Hauptmoment des ganzen Vor - trags, hier dem Leſer zu beſonderer Aufmerkſamkeit em - pfohlen werden.
Der Abnahme der prismatiſchen Erſcheinung muß erſt eine Entfaltung derſelben vorangehen. Aus dem gefaͤrbten Sonnenbilde verſchwinden, in gehoͤriger Ent - fernung der Tafel vom Prisma, zuletzt die blaue und gelbe Farbe, indem beyde uͤber einander greifen, voͤllig, und man ſieht nur Gelbroth, Gruͤn und Blauroth. I. 9130Naͤhert man die Tafel dem brechenden Mittel, ſo er - ſcheinen Gelb und Blau ſchon wieder, und man erblickt die fuͤnf Farben mit ihren Schattirungen. Ruͤckt man mit der Tafel noch naͤher, ſo treten Gelb und Blau voͤllig aus einander, das Gruͤne verſchwindet und zwi - ſchen den gefaͤrbten Raͤndern und Saͤumen zeigt ſich das Bild farblos. Je naͤher man mit der Tafel gegen das Prisma zuruͤckt, deſto ſchmaͤler werden gedachte Raͤn - der und Saͤume, bis ſie endlich an und auf dem Pris - ma null werden.
Wir haben die grauen Bilder als hoͤchſt wichtig bey ſubjectiven Verſuchen dargeſtellt. Sie zeigen uns durch die Schwaͤche der Nebenbilder, daß eben dieſe Nebenbilder ſich jederzeit von dem Hauptbilde herſchrei - ben. Will man nun die objectiven Verſuche auch hier parallel durchfuͤhren; ſo koͤnnte dieſes auf eine bequeme Weiſe geſchehen, wenn man ein mehr oder weniger matt geſchliffenes Glas vor die Oeffnung hielte, durch welche das Sonnenbild hereinfaͤllt. Es wuͤrde dadurch ein gedaͤmpftes Bild hervorgebracht werden, welches nach der Refraction viel mattere Farben, als das von131 der Sonnenſcheibe unmittelbar abgeleitete, auf der Ta - fel zeigen wuͤrde; und ſo wuͤrde auch von dem hoͤchſt energiſchen Sonnenbilde nur ein ſchwaches, der Daͤm - pfung gemaͤßes Nebenbild entſtehen; wie denn freylich durch dieſen Verſuch dasjenige, was uns ſchon genug - ſam bekannt iſt, nur noch aber und abermal bekraͤftigt wird.
Es giebt mancherley Arten, farbige Bilder zum Behuf objectiver Verſuche hervorzubringen. Erſtlich kann man farbiges Glas vor die Oeffnung halten, wo - durch ſogleich ein farbiges Bild hervorgebracht wird. Zweytens kann man das Waſſerprisma mit farbigen Liquoren fuͤllen. Drittens kann man die von einem Prisma ſchon hervorgebrachten emphatiſchen Farben durch proportionirte kleine Oeffnungen eines Bleches durch - laſſen, und alſo kleine Bilder zu einer zweyten Refrac - tion vorbereiten. Dieſe letzte Art iſt die beſchwerlichſte, indem, bei dem beſtaͤndigen Fortruͤcken der Sonne, ein ſolches Bild nicht feſt gehalten, noch in beliebiger Rich - tung beſtaͤtigt werden kann. Die zweyte Art hat auch ihre Unbequemlichkeiten, weil nicht alle farbige Liquo -9 *132ren ſchoͤn hell und klar zu bereiten ſind. Daher die erſte um ſo mehr den Vorzug verdient, als die Phyſiker ſchon bisher die von dem Sonnenlicht durchs Prisma hervorgebrachten Farben, diejenigen, welche durch Liquo - ren und Glaͤſer erzeugt werden, und die, welche ſchon auf Papier oder Tuch fixirt ſind, bey der Demonſtration als gleichwirkend gelten laſſen.
Da es nun alſo bloß darauf ankommt, daß das Bild gefaͤrbt werde; ſo gewaͤhrt uns das ſchon einge - fuͤhrte große Waſſerprisma hierzu die beſte Gelegenheit: denn indem man vor ſeine großen Flaͤchen, welche das Licht ungefaͤrbt durchlaſſen, eine Pappe vorſchieben kann, in welche man Oeffnungen von verſchiedener Figur ge - ſchnitten, um unterſchiedene Bilder und alſo auch un - terſchiedene Nebenbilder hervorzubringen; ſo darf man nur vor die Oeffnungen der Pappe farbige Glaͤſer be - feſtigen, um zu beobachten, welche Wirkung die Re - fraction im objectiven Sinne auf farbige Bilder her - vorbringt.
Man bediene ſich nehmlich jener ſchon beſchriebenen Tafel (281.) mit farbigen Glaͤſern, welche man genau in der Groͤße eingerichtet, daß ſie in die Falzen des großen Waſſerprismas eingeſchoben werden kann. Man laſſe nunmehr die Sonne hindurchſcheinen, ſo wird man die hinaufwaͤrts gebrochenen farbigen Bilder, jedes nach ſeiner Art, geſaͤumt und geraͤndert ſehen, indem ſich133 dieſe Saͤume und Raͤnder an einigen Bildern ganz deutlich zeigen, an andern ſich mit der ſpecifiſchen Far - be des Glaſes vermiſchen, ſie erhoͤhen oder verkuͤmmern; und jedermann wird ſich uͤberzeugen koͤnnen, daß hier abermals nur von dieſem von uns ſubjectiv und objec - tiv ſo umſtaͤndlich vorgetragenen einfachen Phaͤnomen die Rede ſey.
Wie man die hyperchromatiſchen und achromati - ſchen Verſuche auch objectiv anſtellen koͤnne, dazu brau - chen wir nur, nach allem was oben weitlaͤuftig ausge - fuͤhrt worden, eine kurze Anleitung zu geben, beſonders da wir vorausſetzen koͤnnen, daß jenes erwaͤhnte zuſam - mengeſetzte Prisma ſich in den Haͤnden des Naturfreun - des befinde.
Man laſſe durch ein ſpitzwinkliges Prisma von wenigen Graden, aus Crownglas geſchliffen, das Son - nenbild dergeſtalt durchgehen, daß es auf der entgegen - geſetzten Tafel in die Hoͤhe gebrochen werde; die Raͤn - der werden nach dem bekannten Geſetz gefaͤrbt erſchei -134 nen, das Violette und Blaue nehmlich oben und au - ßen, das Gelbe und Gelbrothe unten und innen. Da nun der brechende Winkel dieſes Prismas ſich unten befindet; ſo ſetze man ihm ein andres proportionirtes von Flintglas entgegen, deſſen brechender Winkel nach oben gerichtet ſey. Das Sonnenbild werde dadurch wieder an ſeinen Platz gefuͤhrt, wo es denn durch den Ueberſchuß der farberregenden Kraft des herabfuͤhrenden Prismas von Flintglas, nach dem Geſetze dieſer Her - abfuͤhrung, wenig gefaͤrbt ſeyn, das Blaue und Vio - lette unten und außen, das Gelbe und Gelbrothe oben und innen zeigen wird.
Man ruͤcke nun durch ein proportionirtes Prisma von Crownglas das ganze Bild wieder um weniges in die Hoͤhe; ſo wird die Hyperchromaſie aufgehoben, das Sonnenbild vom Platze geruͤckt und doch farblos er - ſcheinen.
Mit einem aus drey Glaͤſern zuſammengeſetzten achromatiſchen Objectivglaſe kann man eben dieſe Ver - ſuche ſtufenweiſe machen, wenn man es ſich nicht reuen laͤßt, ſolches aus der Huͤlſe, worein es der Kuͤnſtler eingenietet hat, herauszubrechen. Die beyden convexen Glaͤſer von Crownglas, indem ſie das Bild nach dem Focus zuſammenziehen, das concave Glas von Flint - glas, indem es das Sonnenbild hinter ſich ausdehnt, zeigen an dem Rande die hergebrachten Farben. Ein135 Convexglas mit dem Concavglaſe zuſammengenommen zeigt die Farben nach dem Geſetz des letztern. Sind alle drey Glaͤſer zuſammengelegt, ſo mag man das Son - nenbild nach dem Focus zuſammenziehen, oder ſich daſ - ſelbe hinter dem Brennpuncte ausdehnen laſſen, niemals zeigen ſich farbige Raͤnder, und die von dem Kuͤnſtler intendirte Achromaſie bewaͤhrt ſich hier abermals.
Da jedoch das Crownglas durchaus eine gruͤnliche Farbe hat, ſo daß beſonders bey großen und ſtarken Objectiven etwas von einem gruͤnlichen Schein mit un - ter laufen, und ſich daneben die geforderte Purpurfarbe unter gewiſſen Umſtaͤnden einſtellen mag; welches uns jedoch, bey wiederholten Verſuchen mit mehreren Ob - jectiven, nicht vorgekommen: ſo hat man hierzu die wunderbarſten Erklaͤrungen erſonnen und ſich, da man theoretiſch die Unmoͤglichkeit achromatiſcher Fernglaͤſer zu beweiſen genoͤthigt war, gewiſſermaßen gefreut, eine ſolche radicale Verbeſſerung laͤugnen zu koͤnnen; wovon jedoch nur in der Geſchichte dieſer Erfindungen um - ſtaͤndlich gehandelt werden kann.
Wenn wir oben angezeigt haben, daß die objectiv und ſubjectiv betrachtete Refraction im Gegenſinne wir - ken muͤſſe (318); ſo wird daraus folgen, daß wenn man die Verſuche verbindet, entgegengeſetzte und ein - ander aufhebende Erſcheinungen ſich zeigen werden.
Durch ein horizontal geſtelltes Prisma werde das Sonnenbild an eine Wand hinaufgeworfen. Iſt das Prisma lang genug, daß der Beobachter zugleich hin - durch ſehen kann; ſo wird er das durch die objective Refraction hinaufgeruͤckte Bild wieder heruntergeruͤckt und ſolches an der Stelle ſehen, wo es ohne Refrac - tion erſchienen waͤre.
Hierbey zeigt ſich ein bedeutendes, aber gleichfalls aus der Natur der Sache herfließendes Phaͤnomen. Da nehmlich, wie ſchon ſo oft erinnert worden, das objectiv an die Wand geworfene gefaͤrbte Sonnenbild keine fertige noch unveraͤnderliche Erſcheinung iſt; ſo wird bey obgedachter Operation das Bild nicht al - lein fuͤr das Auge heruntergezogen, ſondern auch ſei -137 ner Raͤnder und Saͤume voͤllig beraubt und in eine farbloſe Kreisgeſtalt zuruͤckgebracht.
Bedient man ſich zu dieſem Verſuche zweyer voͤllig gleichen Prismen; ſo kann man ſie erſt neben einan - der ſtellen, durch das eine das Sonnenbild durchfallen laſſen, durch das andre aber hindurchſehen.
Geht der Beſchauer mit dem zweyten Prisma nun - mehr weiter vorwaͤrts; ſo zieht ſich das Bild wieder hinauf und wird ſtufenweiſe nach dem Geſetz des erſten Prismas gefaͤrbt. Tritt der Beſchauer nun wieder zu - ruͤck, bis er das Bild wieder auf den Nullpunkt ge - bracht hat und geht ſodann immer weiter von dem Bilde weg; ſo bewegt ſich das fuͤr ihn rund und farb - los gewordene Bild immer weiter herab und faͤrbt ſich im entgegengeſetzten Sinne, ſo daß wir daſſelbe Bild, wenn wir zugleich durch das Prisma hindurch und daran herſehen, nach objectiven und ſubjectiven Geſetzen gefaͤrbt erblicken.
Wie dieſer Verſuch zu vermannigfaltigen ſey, er - giebt ſich von ſelbſt. Iſt der brechende Winkel des Prismas, wodurch das Sonnenbild objectiv in die Hoͤhe gehoben wird, groͤßer als der des Prismas, wodurch der Beobachter blickt; ſo muß der Beobachter viel wei - ter zuruͤcktreten, um das farbige Bild an der Wand ſo weit herunterzufuͤhren, daß es farblos werde, und umgekehrt.
Daß man auf dieſem Wege die Achromaſie und Hyperchromaſie gleichfalls darſtellen koͤnne, faͤllt in die Augen; welches wir weiter auseinander zu ſetzen und auszufuͤhren dem Liebhaber wohl ſelbſt uͤberlaſſen koͤn - nen, ſo wie wir auch andere complicirte Verſuche, wobey man Prismen und Linſen zugleich anwendet, auch die objectiven und ſubjectiven Erfahrungen auf mancherley Weiſe durch einander miſcht, erſt ſpaͤterhin darlegen und auf die einfachen, uns nunmehr genug - ſam bekannten Phaͤnomene zuruͤckfuͤhren werden.
Wenn wir auf die bisherige Darſtellung und Ab - leitung der dioptriſchen Farben zuruͤckſehen; koͤnnen wir keine Reue empfinden, weder daß wir ſie ſo umſtaͤnd - lich abgehandelt, noch daß wir ſie vor den uͤbrigen phyſiſchen Farben, außer der von uns ſelbſt angegebe - nen Ordnung, vorgetragen haben. Doch gedenken wir hier an der Stelle des Uebergangs unſern Leſern und Mitarbeitern deßhalb einige Rechenſchaft zu geben.
Sollten wir uns verantworten, daß wir die Lehre von den dioptriſchen Farben, beſonders der zweyten139 Claſſe, vielleicht zu weitlaͤuftig ausgefuͤhrt; ſo haͤtten wir folgendes zu bemerken. Der Vortrag irgend eines Gegenſtandes unſres Wiſſens kann ſich theils auf die innre Nothwendigkeit der abzuhandelnden Materie, theils aber auch auf das Beduͤrfniß der Zeit, in welcher der Vortrag geſchieht, beziehen. Bey dem unſrigen waren wir genoͤthigt, beyde Ruͤckſichten immer vor Augen zu haben. Einmal war es die Abſicht, unſre ſaͤmmtlichen Erfahrungen ſo wie unſre Ueberzeugungen, nach einer lange gepruͤften Methode, vorzulegen; ſodann aber muß - ten wir unſer Augenmerk darauf richten, manche zwar bekannte, aber doch verkannte, beſonders auch in falſchen Verknuͤpfungen aufgeſtellte Phaͤnomene in ihrer natuͤr - lichen Entwicklung und wahrhaft erfahrungsmaͤßigen Ordnung darzuſtellen, damit wir kuͤnftig, bey polemi - ſcher und hiſtoriſcher Behandlung, ſchon eine vollſtaͤn - dige Vorarbeit zu leichterer Ueberſicht ins Mittel brin - gen koͤnnten. Daher iſt denn freylich eine groͤßere Um - ſtaͤndlichkeit noͤthig geworden, welche eigentlich nur dem gegenwaͤrtigen Beduͤrfniß zum Opfer gebracht wird. Kuͤnftig, wenn man erſt das Einfache als einfach, das Zuſammengeſetzte als zuſammengeſetzt, das Erſte und Obere als ein ſolches, das Zweyte, Abgeleitete auch als ein ſolches anerkennen und ſchauen wird; dann laͤßt ſich dieſer ganze Vortrag ins Engere zuſammen - ziehen, welches, wenn es uns nicht ſelbſt noch gluͤcken ſollte, wir einer heiter thaͤtigen Mit - und Nachwelt uͤberlaſſen.
Was ferner die Ordnung der Capitel uͤberhaupt betrifft, ſo mag man bedenken, daß ſelbſt verwandte Naturphaͤnomene in keiner eigentlichen Folge oder ſteti - gen Reihe ſich an einander ſchließen; ſondern daß ſie durch Thaͤtigkeiten hervorgebracht werden, welche ver - ſchraͤnkt wirken, ſo daß es gewiſſermaßen gleichguͤltig iſt, was fuͤr eine Erſcheinung man zuerſt, und was fuͤr eine man zuletzt betrachtet: weil es doch nur dar - auf ankommt, daß man ſich alle moͤglichſt vergegenwaͤr - tige, um ſie zuletzt unter einem Geſichtspunct, theils nach ihrer Natur, theils nach Menſchen-Weiſe und Bequemlichkeit, zuſammenzufaſſen.
Doch kann man im gegenwaͤrtigen beſondern Falle behaupten, daß die dioptriſchen Farben billig an die Spitze der phyſiſchen geſtellt werden, ſo wohl wegen ihres auf - fallenden Glanzes und uͤbrigen Bedeutſamkeit, als auch weil, um dieſelben abzuleiten, manches zur Sprache kommen mußte, welches uns zunaͤchſt große Erleichte - rung gewaͤhren wird.
Denn man hat bisher das Licht als eine Art von Abſtractum, als ein fuͤr ſich beſtehendes und wirken - des, gewiſſermaßen ſich ſelbſt bedingendes, bey geringen Anlaͤſſen aus ſich ſelbſt die Farben hervorbringendes Weſen angeſehen. Von dieſer Vorſtellungsart jedoch die Naturfreunde abzulenken, ſie aufmerkſam zu machen,141 daß, bey prismatiſchen und andern Erſcheinungen, nicht von einem unbegraͤnzten bedingenden, ſondern von ei - nem begraͤnzten bedingten Lichte, von einem Lichtbilde, ja von Bildern uͤberhaupt, hellen oder dunklen, die Rede ſey. Dieß iſt die Aufgabe, welche zu loͤſen, das Ziel, welches zu erreichen waͤre.
Was bey dioptriſchen Faͤllen, beſonders der zwey - ten Claſſe, naͤmlich bey Refractionsfaͤllen vorgeht, iſt uns nunmehr genugſam bekannt, und dient uns zur Einleitung ins Kuͤnftige.
Die katoptriſchen Faͤlle erinnern uns an die phy - ſiologiſchen, nur daß wir jenen mehr Objectivitaͤt zu - ſchreiben, und ſie deßhalb unter die phyſiſchen zu zaͤh - len uns berechtigt glauben. Wichtig aber iſt es, daß wir hier abermals nicht ein abſtractes Licht, ſondern ein Lichtbild zu beachten finden.
Gehen wir zu den paroptiſchen uͤber, ſo werden wir, wenn das fruͤhere gut gefaßt worden, uns mit Verwundrung und Zufriedenheit abermals im Reiche der Bilder finden. Beſonders wird uns der Schatten eines Koͤrpers, als ein ſecundaͤres, den Koͤrper ſo ge - nau begleitendes Bild, manchen Aufſchluß geben.
Doch greifen wir dieſen fernern Darſtellungen nicht vor, um, wie bisher geſchehen, nach unſerer Ueberzeu - gung regelmaͤßigen Schritt zu halten.
Wenn wir von katoptriſchen Farben ſprechen, ſo deuten wir damit an, daß uns Farben bekannt ſind, welche bey Gelegenheit einer Spiegelung erſcheinen. Wir ſetzen voraus, daß das Licht ſowohl, als die Flaͤ - che, wovon es zuruͤckſtrahlt, ſich in einem voͤllig farblo - ſen Zuſtand befinde. In dieſem Sinne gehoͤren dieſe Er - ſcheinungen unter die phyſiſchen Farben. Sie entſtehen bey Gelegenheit der Reflexion, wie wir oben die diop - triſchen der zweyten Claſſe, bey Gelegenheit der Refrac - tion, hervortreten ſahen. Ohne jedoch weiter im All - gemeinen zu verweilen, wenden wir uns gleich zu den beſondern Faͤllen, und zu den Bedingungen, welche noͤthig ſind, daß gedachte Phaͤnomene ſich zeigen.
Wenn man eine feine Stahlſaite vom Roͤllchen abnimmt, ſie ihrer Elaſticitaͤt gemaͤß verworren durch einander laufen laͤßt, und ſie an ein Fenſter in die Tageshelle legt; ſo wird man die Hoͤhen der Kreiſe und Windungen erhellt, aber weder glaͤnzend noch farbig ſehen. Tritt die Sonne hingegen hervor; ſo zieht ſich dieſe Hellung auf einen Punct zuſammen, und das143 Auge erblickt ein kleines glaͤnzendes Sonnenbild, das, wenn man es nahe betrachtet, keine Farbe zeigt. Geht man aber zuruͤck und faßt den Abglanz in einiger Ent - fernung mit den Augen auf; ſo ſieht man viele kleine, auf die mannigfaltigſte Weiſe gefaͤrbte Sonnenbilder, und ob man gleich Gruͤn und Purpur am meiſten zu ſehen glaubt, ſo zeigen ſich doch auch, bey genauerer Auf - merkſamkeit, die uͤbrigen Farben.
Nimmt man eine Lorgnette, und ſieht dadurch auf die Erſcheinung; ſo ſind die Farben verſchwunden, ſo wie der ausgedehntere Glanz, in dem ſie erſcheinen, und man erblickt nur die kleinen leuchtenden Puncte, die wiederholten Sonnenbilder. Hieraus erkennt man, daß die Erfahrung ſubjectiver Natur iſt, und daß ſich die Erſcheinung an jene anſchließt, die wir unter dem Na - men der ſtrahlenden Hoͤfe eingefuͤhrt haben (100).
Allein wir koͤnnen dieſes Phaͤnomen auch von der objectiven Seite zeigen. Man befeſtige unter eine maͤßige Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ein weißes Papier, und halte, wenn die Sonne durch die Oeff - nung ſcheint, die verworrene Drathſaite in das Licht, ſo daß ſie dem Papiere gegenuͤber ſteht. Das Sonnen - licht wird auf und in die Ringe der Drathſaite fallen, ſich aber nicht, wie im concentrirenden menſchlichen Auge, auf einem Puncte zeigen; ſondern, weil das Papier auf jedem Theile ſeiner Flaͤche den Abglanz des144 Lichtes aufnehmen kann, in haarfoͤrmigen Streifen, wel - che zugleich bunt ſind, ſehen laſſen.
Dieſer Verſuch iſt rein katoptriſch: denn da man ſich nicht denken kann, daß das Licht in die Oberflaͤche des Stahls hineindringe und etwa darin veraͤndert wer - de; ſo uͤberzeugen wir uns leicht, daß hier bloß von einer reinen Spiegelung die Rede ſey, die ſich, in ſo fern ſie ſubjectiv iſt, an die Lehre von den ſchwachwir - kenden und abklingenden Lichtern anſchließt, und in ſo fern ſie objectiv gemacht werden kann, auf ein außer dem Menſchen Reales, ſogar in den leiſeſten Erſchei - nungen hindeutet.
Wir haben geſehen, daß hier nicht allein ein Licht, ſondern ein energiſches Licht, und ſelbſt dieſes nicht im Abſtracten und Allgemeinen, ſondern ein begraͤnztes Licht, ein Lichtbild noͤthig ſey, um dieſe Wirkung hervorzu - bringen. Wir werden uns hiervon bey verwandten Faͤllen noch mehr uͤberzeugen.
Eine polirte Silberplatte gibt in der Sonne einen blendenden Schein von ſich; aber es wird bey dieſer Gelegenheit keine Farbe geſehen. Ritzt man hingegen die Oberflaͤche leicht, ſo erſcheinen bunte, beſonders gruͤne und purpurne Farben, unter einem gewiſſen Win - kel, dem Auge. Bey ciſelirten und guilloſchirten Me -145 tallen tritt auch dieſes Phaͤnomen auffallend hervor; doch laͤßt ſich durchaus bemerken, daß wenn es erſchei - nen ſoll, irgend ein Bild, eine Abwechſelung des Dunk - len und Hellen, bey der Abſpiegelung mitwirken muͤſſe, ſo daß ein Fenſterſtab, der Aſt eines Baumes, ein zu - faͤlliges oder mit Vorſatz aufgeſtelltes Hinderniß, eine merkliche Wirkung hervorbringt. Auch dieſe Erſchei - nung laͤßt ſich in der Camera obſcura objectiviren.
Laͤßt man ein polirtes Silber durch Scheidewaſſer dergeſtalt anfreſſen, daß das darin befindliche Kupfer aufgeloͤſt und die Oberflaͤche gewiſſermaßen rauh wer - de, und laͤßt alsdann das Sonnenbild ſich auf der Platte ſpiegeln; ſo wird es von jedem unendlich klei - nen erhoͤhten Puncte einzeln zuruͤckglaͤnzen, und die Oberflaͤche der Platte in bunten Farben erſcheinen. Eben ſo, wenn man ein ſchwarzes ungeglaͤttetes Papier in die Sonne haͤlt und aufmerkſam darauf blickt, ſieht man es in ſeinen kleinſten Theilen bunt in den lebhaf - teſten Farben glaͤnzen.
Dieſe ſaͤmmtlichen Erfahrungen deuten auf eben die - ſelben Bedingungen hin. In dem erſten Falle ſcheint das Lichtbild von einer ſchmalen Linie zuruͤck; in dem zwey - ten wahrſcheinlich von ſcharfen Kanten; in dem dritten von ſehr kleinen Puncten. Bey allen wird ein lebhaf - tes Licht und eine Begraͤnzung deſſelben verlangt. Nicht weniger wird zu dieſen ſaͤmmtlichen FarberſcheinungenI. 10146erfordert, daß ſich das Auge in einer proportionirten Ferne von den reflectirenden Puncten befinde.
Stellt man dieſe Beobachtungen unter dem Mikro - ſkop an, ſo wird die Erſcheinung an Kraft und Glanz unendlich wachſen: denn man ſieht alsdann die klein - ſten Theile der Koͤrper, von der Sonne beſchienen, in dieſen Reflexionsfarben ſchimmern, die, mit den Re - fractionsfarben verwandt, ſich nun auf die hoͤchſte Stu - fe ihrer Herrlichkeit erheben. Man bemerkt in ſolchem Falle ein wurmfoͤrmig Buntes auf der Oberflaͤche orga - niſcher Koͤrper, wovon das Naͤhere kuͤnftig vorgelegt werden ſoll.
Uebrigens ſind die Farben, welche bey der Reflexion ſich zeigen, vorzuͤglich Purpur und Gruͤn; woraus ſich vermuthen laͤßt, daß beſonders die ſtreifige Erſcheinung aus einer zarten Purpurlinie beſtehe, welche an ihren beyden Seiten theils mit Blau, theils mit Gelb einge - faßt iſt. Treten die Linien ſehr nahe zuſammen, ſo muß der Zwiſchenraum gruͤn erſcheinen; ein Phaͤnomen, das uns noch oft vorkommen wird.
In der Natur begegnen uns dergleichen Farben oͤfters. Die Farben der Spinneweben ſetzen wir denen, die von Stahlſaiten wiederſcheinen, voͤllig gleich, ob ſich ſchon daran nicht ſo gut als an dem Stahl die147 Undurchdringlichkeit beglaubigen laͤßt, weßwegen man auch dieſe Farben mit zu den Refractionserſcheinungen hat ziehen wollen.
Beym Perlemutter werden wir unendlich feine, nebeneinanderliegende organiſche Fibern und Lamellen gewahr, von welchen, wie oben beym geritzten Silber, mannigfaltige Farben, vorzuͤglich aber Purpur und Gruͤn, entſpringen moͤgen.
Die changeanten Farben der Vogelfedern werden hier gleichfalls erwaͤhnt, obgleich bey allem Organiſchen eine chemiſche Vorbereitung und eine Aneignung der Farbe an den Koͤrper gedacht werden kann; wovon bey Gelegenheit der chemiſchen Farben weiter die Rede ſeyn wird.
Daß die Erſcheinungen der objectiven Hoͤfe auch in der Naͤhe katoptriſcher Phaͤnomene liegen, wird leicht zugegeben werden, ob wir gleich nicht laͤugnen, daß auch Refraction mit im Spiele ſey. Wir wollen hier nur Einiges bemerken, bis wir, nach voͤllig durch - laufenem theoretiſchen Kreiſe, eine vollkommnere Anwen - dung des uns alsdann im Allgemeinen Bekannten auf die einzelnen Naturerſcheinungen zu machen im Stand - ſeyn werden.
Wir gedenken zuerſt jenes gelben und rothen Krei - ſes an einer weißen oder graulichen Wand, den wir10 *148durch ein nah geſtelltes Licht hervorgebracht (88). Das Licht, indem es von einem Koͤrper zuruͤckſcheint, wird gemaͤßigt, das gemaͤßigte Licht erregt die Empfindung der gelben und ferner der rothen Farbe.
Eine ſolche Kerze erleuchte die Wand lebhaft in un - mittelbarer Naͤhe. Je weiter der Schein ſich verbreitet, deſto ſchwaͤcher wird er; allein er iſt doch immer die Wirkung der Flamme, die Fortſetzung ihrer Energie, die ausgedehnte Wirkung ihres Bildes. Man koͤnnte dieſe Kreiſe daher gar wohl Graͤnzbilder nennen, weil ſie die Graͤnze der Thaͤtigkeit ausmachen und doch auch nur ein erweitertes Bild der Flamme darſtellen.
Wenn der Himmel um die Sonne weiß und leuch - tend iſt, indem leichte Duͤnſte die Atmoſphaͤre er - fuͤllen, wenn Duͤnſte oder Wolken um den Mond ſchweben; ſo ſpiegelt ſich der Abglanz der Scheibe in denſelben. Die Hoͤfe, die wir alsdann erblicken, ſind einfach oder doppelt, kleiner oder groͤßer, zuweilen ſehr groß, oft farblos, manchmal farbig.
Einen ſehr ſchoͤnen Hof um den Mond ſah ich den 15. November 1799 bey hohem Barometerſtande und dennoch wolkigem und dunſtigem Himmel. Der Hof war voͤllig farbig, und die Kreiſe folgten ſich wie bey ſubjectiven Hoͤfen ums Licht. Daß er objectiv war, konnte ich bald einſehen, indem ich das Bild des149 Mondes zuhielt und der Hof dennoch vollkommen ge - ſehen wurde.
Die verſchiedene Groͤße der Hoͤfe ſcheint auf die Naͤhe oder Ferne des Dunſtes von dem Auge des Be - obachters einen Bezug zu haben.
Da leicht angehauchte Fenſterſcheiben die Lebhaf - tigkeit der ſubjectiven Hoͤfe vermehren, und ſie gewiſ - ſermaßen zu objectiven machen; ſo ließe ſich vielleicht mit einer einfachen Vorrichtung, bey recht raſch kalter Winterzeit, hiervon die naͤhere Beſtimmung auffinden.
Wie ſehr wir Urſache haben, auch bey dieſen Krei - ſen auf das Bild und deſſen Wirkung zu dringen, zeigt ſich bey dem Phaͤnomen der ſogenannten Neben - ſonnen. Dergleichen Nachbarbilder finden ſich immer auf gewiſſen Puncten der Hoͤfe und Kreiſe, und ſtel - len das wieder nur begraͤnzter dar, was in dem gan - zen Kreiſe immerfort allgemeiner vorgeht. An die Er - ſcheinung des Regenbogens wird ſich dieſes alles be - quemer anſchließen.
Zum[Schluſſe] bleibt uns nichts weiter uͤbrig, als daß wir die Verwandtſchaft der katoptriſchen Farben mit den paroptiſchen einleiten.
150Die paroptiſchen Farben werden wir diejenigen nennen, welche entſtehen, wenn das Licht an einem undurchſichtigen farbloſen Koͤrper herſtrahlt. Wie nahe ſie mit den dioptriſchen der zweyten Claſſe verwandt ſind, wird Jedermann leicht einſehen, der mit uns uͤber - zeugt iſt, daß die Farben der Refraction bloß an den Raͤndern entſtehen. Die Verwandtſchaft der katoptri - ſchen und paroptiſchen aber wird uns in dem folgen - den Capitel klar werden.
Die paroptiſchen Farben wurden bisher periopti - ſche genannt, weil man ſich eine Wirkung des Lichts gleichſam um den Koͤrper herum dachte, die man ei - ner gewiſſen Biegbarkeit des Lichtes nach dem Koͤrper hin und vom Koͤrper ab zuſchrieb.
Auch dieſe Farben kann man in objective und ſubjective eintheilen, weil auch ſie theils außer uns, gleichſam wie auf der Flaͤche gemalt, theils in uns, unmittelbar auf der Retina, erſcheinen. Wir finden bey dieſem Capitel das vortheilhafteſte, die objectiven zuerſt zu nehmen, weil die ſubjectiven ſich ſo nah an151 andre uns ſchon bekannte Erſcheinungen anſchließen, daß man ſie kaum davon zu trennen vermag.
Die paroptiſchen Farben werden alſo genannt, weil, um ſie hervorzubringen, das Licht an einem Rande herſtrahlen muß. Allein nicht immer, wenn das Licht an einem Rande herſtrahlt, erſcheinen ſie; es ſind dazu noch ganz beſondre Nebenbedingungen noͤthig.
Ferner iſt zu bemerken, daß hier abermals das Licht keinesweges in Abſtracto wirke (361); ſondern die Sonne ſcheint an einem Rande her. Das ganze von dem Sonnenbild ausſtroͤmende Licht wirkt an ei - ner Koͤrpergraͤnze vorbey und verurſacht Schatten. An dieſen Schatten, innerhalb derſelben, werden wir kuͤnftig die Farbe gewahr werden.
Vor allen Dingen aber betrachten wir die hieher gehoͤrigen Erfahrungen in vollem Lichte. Wir ſetzen den Beobachter ins Freye, ehe wir ihn in die Be - ſchraͤnkung der dunklen Kammer fuͤhren.
Wer im Sonnenſchein in einem Garten oder ſonſt auf glatten Wegen wandelt, wird leicht bemerken, daß ſein Schatten nur unten am Fuß, der die Erde be - tritt, ſcharf begraͤnzt erſcheint, weiter hinauf, be -152 ſonders um das Haupt, verfließt er ſanft in die helle Flaͤche. Denn indem das Sonnenlicht nicht allein aus der Mitte der Sonne herſtroͤmt, ſondern auch von den beyden Enden dieſes leuchtenden Geſtir - nes uͤbers Kreuz wirkt; ſo entſteht eine objective Pa - rallaxe, die an beyden Seiten des Koͤrpers einen Halbſchatten hervorbringt.
Wenn der Spaziergaͤnger ſeine Hand erhebt, ſo ſieht er an den Fingern deutlich das Auseinanderwei - chen der beyden Halbſchatten nach außen, die Ver - ſchmaͤlerung des Hauptſchattens nach innen, beydes Wirkungen des ſich kreuzenden Lichtes.
Man kann vor einer glatten Wand dieſe Ver - ſuche mit Staͤben von verſchiedener Staͤrke, ſo wie auch mit Kugeln wiederhohlen und vervielfaͤltigen; immer wird man finden, daß je weiter der Koͤrper von der Tafel entfernt wird, deſto mehr verbreitet ſich der ſchwache Doppelſchatten, deſto mehr verſchmaͤ - lert ſich der ſtarke Hauptſchatten, bis dieſer zuletzt ganz aufgehoben ſcheint, ja die Doppelſchatten endlich ſo ſchwach werden, daß ſie beynahe verſchwinden; wie ſie denn in mehrerer Entfernung unbemerklich ſind.
Daß dieſes von dem ſich kreuzenden Lichte her - ruͤhre, davon kann man ſich leicht uͤberzeugen; ſo wie denn auch der Schatten eines zugeſpitzten Koͤrpers153 zwey Spitzen deutlich zeigt. Wir duͤrfen alſo niemals außer Augen laſſen, daß in dieſem Falle das ganze Sonnenbild wirke, Schatten hervorbringe, ſie in Dop - pelſchatten verwandle und endlich ſogar aufhebe.
Man nehme nunmehr, ſtatt der feſten Koͤrper, ausgeſchnittene Oeffnungen von verſchiedener beſtimm - ter Groͤße neben einander, und laſſe das Sonnenlicht auf eine etwas entfernte Tafel hindurch fallen; ſo wird man finden, daß das helle Bild, welches auf der Tafel von der Sonne hervorgebracht wird, groͤßer ſey als die Oeffnung; welches daher kommt, daß der eine Rand der Sonne durch die entgegengeſetzte Seite der Oeffnung noch hindurch ſcheint, wenn der andre durch ſie ſchon verdeckt iſt. Daher iſt das helle Bild an ſeinen Raͤndern ſchwaͤcher beleuchtet.
Nimmt man viereckte Oeffnungen von welcher Groͤße man wolle, ſo wird das helle Bild auf einer Tafel, die neun Fuß von den Oeffnungen ſteht, um einen Zoll an jeder Seite groͤßer ſeyn als die Oeff - nung; welches mit dem Winkel des ſcheinbaren Son - nendiameters ziemlich uͤbereinkommt.
Daß eben dieſe Randerleuchtung nach und nach abnehme, iſt ganz natuͤrlich, weil zuletzt nur ein Minimum des Sonnenlichtes vom Sonnenrande uͤbers Kreuz durch den Rand der Oeffnung einwirken kann.
Wir ſehen alſo hier abermals, wie ſehr wir Ur - ſache haben, uns in der Erfahrung vor der Annahme von parallelen Strahlen, Strahlenbuͤſcheln - und Buͤn - deln und dergleichen hypothetiſchen Weſen zu huͤten (309. 310.)
Wir koͤnnen uns vielmehr das Scheinen der Sonne, oder irgend eines Lichtes, als eine unendliche Ab - ſpiegelung des beſchraͤnkten Lichtbildes vorſtellen; wor - aus ſich denn wohl ableiten laͤßt, wie alle viereckte Oeffnungen, durch welche die Sonne ſcheint, in ge - wiſſen Entfernungen, je nachdem ſie groͤßer oder klei - ner ſind, ein rundes Bild geben muͤſſen.
Obige Verſuche kann man durch Oeffnungen von mancherley Form und Groͤße wiederholen, und es wird ſich immer daſſelbe in verſchiedenen Abweichun - gen zeigen; wobey man jedoch immer bemerken wird, daß im vollen Lichte, und bey der einfachen Opera - tion des Herſcheinens der Sonne an einem Rand, keine Farbe ſich ſehen laſſe.
Wir wenden uns daher zu den Verſuchen mit dem gedaͤmpften Lichte, welches noͤthig iſt, damit die Far - benerſcheinung eintrete. Man mache eine kleine Oeff - nung in den Laden der dunklen Kammer, man fange das uͤbers Kreuz eindringende Sonnenbild mit einem155 weißen Papiere auf, und man wird, je kleiner die Oeffnung iſt, ein deſto matteres Licht erblicken; und zwar ganz natuͤrlich, weil die Erleuchtung nicht von der ganzen Sonne, ſondern nur von einzelnen Punc - ten, nur theilweiſe gewirkt wird.
Betrachtet man dieſes matte Sonnenbild genau, ſo findet man es gegen ſeine Raͤnder zu immer matter und mit einem gelben Saume begraͤnzt, der ſich deut - lich zeigt, am deutlichſten aber, wenn ſich ein Nebel, oder eine durchſcheinende Wolke vor die Sonne zieht, ihr Licht maͤßiget und daͤmpft. Sollten wir uns nicht gleich hiebey jenes Hofes an der Wand und des Scheins eines nahe davorſtehenden Lichtes erinnern? (88.)
Betrachtet man jenes oben beſchriebene Sonnen - bild genauer, ſo ſieht man, daß es mit dieſem gel - ben Saume noch nicht abgethan iſt; ſondern man be - merkt noch einen zweyten blaulichen Kreis, wo nicht gar eine hofartige Wiederholung des Farbenſaums. Iſt das Zimmer recht dunkel, ſo ſieht man, daß der zunaͤchſt um die Sonne erhellte Himmel gleichfalls ein - wirkt, man ſieht den blauen Himmel, ja ſogar die ganze Landſchaft auf dem Papiere und uͤberzeugt ſich abermals, daß hier nur von dem Sonnenbilde die Rede ſey.
Nimmt man eine etwas groͤßere, viereckte Oeff - nung, welche durch das Hineinſtrahlen der Sonne nicht156 gleich rund wird; ſo kann man die Halbſchatten von jedem Rande, das Zuſammentreffen derſelben in den Ecken, die Faͤrbung derſelben, nach Maßgabe obge - meldeter Erſcheinung der runden Oeffnung, genau be - merken.
Wir haben nunmehr ein parallaktiſch ſcheinendes Licht gedaͤmpft, indem wir es durch kleine Oeffnun - gen ſcheinen ließen, wir haben ihm aber ſeine paral - laktiſche Eigenſchaft nicht genommen, ſo daß es aber - mals Doppelſchatten der Koͤrper, wenn gleich mit ge - daͤmpfter Wirkung, hervorbringen kann. Dieſe ſind nunmehr diejenigen, auf welche man bisher aufmerk - ſam geweſen, welche in verſchiedenen hellen und dun - keln, farbigen und farbloſen Kreiſen auf einander fol - gen, und vermehrte, ja gewiſſermaßen unzaͤhlige Hoͤfe hervorbringen. Sie ſind oft gezeichnet und in Kupfer geſtochen worden, indem man Nadeln, Haare und andre ſchmale Koͤrper in das gedaͤmpfte Licht brachte, die vielfachen, hofartigen Doppelſchatten bemerkte und ſie einer Aus - und Einbiegung des Lichtes zuſchrieb, und dadurch erklaͤren wollte, wie der Kernſchatten aufgehoben, und wie ein Helles an der Stelle des Dunkeln erſcheinen koͤnne.
Wir aber halten vorerſt daran feſt, daß es aber - mals parallaktiſche Doppelſchatten ſind, welche mit farbigen Saͤumen und Hoͤfen begraͤnzt erſcheinen.
Wenn man alles dieſes nun geſehen, unterſucht und ſich deutlich gemacht hat; ſo kann man zu dem Verſuche mit den Meſſerklingen ſchreiten, welches nur ein Aneinanderruͤcken und parallaktiſches Uebereinander - greifen der uns ſchon bekannten Halbſchatten und Hoͤfe genannt werden kann.
Zuletzt hat man jene Verſuche mit Haaren, Nadeln und Draͤhten in jenem Halblichte, das die Sonne wirkt, ſo wie im Halblichte, das ſich vom blauen Himmel herſchreibt und auf dem Papiere zeigt, anzu - ſtellen und zu betrachten; wodurch man der wahren Anſicht dieſer Phaͤnomene ſich immer mehr bemeiſtern wird.
Da nun aber bey dieſen Verſuchen alles darauf ankommt, daß man ſich von der parallaktiſchen Wir - kung des ſcheinenden Lichtes uͤberzeuge; ſo kann man ſich das, worauf es ankommt, durch zwey Lichter deut - licher machen, wodurch ſich die zwey Schatten uͤber einander fuͤhren und voͤllig ſondern laſſen. Bey Tage kann es durch zwey Oeffnungen am Fenſterladen ge - ſchehen, bey Nacht durch zwey Kerzen; ja es giebt manche Zufaͤlligkeiten in Gebaͤuden beym Auf - und Zu - ſchlagen von Laͤden, wo man dieſe Erſcheinungen beſ - ſer beobachten kann, als bey dem ſorgfaͤltigſten Appa - rate. Jedoch laſſen ſich alle und jede zum Verſuch er - heben, wenn man einen Kaſten einrichtet, in den158 man oben hineinſehen kann, und deſſen Thuͤre man ſachte zulehnt, nachdem man vorher ein Doppellicht einfallen laſſen. Daß hierbey die von uns unter den phyſiologiſchen Farben abgehandelten farbigen Schat - ten ſehr leicht eintreten, laͤßt ſich erwarten.
Ueberhaupt erinnre man ſich, was wir uͤber die Natur der Doppelſchatten, Halblichter und dergleichen fruͤher ausgefuͤhrt haben, beſonders aber mache man Verſuche mit verſchiedenen neben einander geſtellten Schat - tirungen von Grau, wo jeder Streif an ſeinem dunk - len Nachbar hell, am hellen dunkel erſcheinen wird. Bringt man Abends mit drey oder mehreren Lichtern Schatten hervor, die ſich ſtufenweiſe decken; ſo kann man dieſes Phaͤnomen ſehr deutlich gewahr werden, und man wird ſich uͤberzeugen, daß hier der phyſio - logiſche Fall eintritt, den wir oben weiter ausgefuͤhrt haben. (38.)
Inwiefern nun aber alles, was von Erſchei - nungen die paroptiſchen Farben begleitet, aus der Lehre vom gemaͤßigten Lichte, von Halbſchatten und von phyſiologiſcher Beſtimmung der Retina ſich ableiten laſſe, oder ob wir genoͤthigt ſeyn werden, zu gewiſ - ſen innern Eigenſchaften des Lichts unſere Zuflucht zu nehmen, wie man es bisher gethan, mag die Zeit lehren. Hier ſey es genug, die Bedingungen ange - zeigt zu haben, unter welchen die paroptiſchen Farben159 entſtehen, ſo wie wir denn auch hoffen koͤnnen, daß unſre Winke auf den Zuſammenhang mit dem bisheri - gen Vortrag von Freunden der Natur nicht unbeach - tet bleiben werden.
Die Verwandtſchaft der paroptiſchen Farben mit den dioptriſchen der zweyten Claſſe wird ſich auch jeder Denkende gern ausbilden. Hier wie dort iſt von Raͤn - dern die Rede; hier wie dort von einem Lichte, das an dem Rande herſcheint. Wie natuͤrlich iſt es alſo, daß die paroptiſchen Wirkungen durch die dioptriſchen erhoͤht, verſtaͤrkt und verherrlicht werden koͤnnen. Doch kann hier nur von den objectiven Refractionsfaͤllen die Rede ſeyn, da das leuchtende Bild wirklich durch das Mittel durchſcheint: denn dieſe ſind eigentlich mit den paroptiſchen verwandt. Die ſubjectiven Refractions - faͤlle, da wir die Bilder durchs Mittel ſehen, ſtehen aber von den paroptiſchen voͤllig ab, und ſind auch ſchon wegen ihrer Reinheit von uns geprieſen worden.
Wie die paroptiſchen Farben mit den katoptriſchen zuſammenhaͤngen, laͤßt ſich aus dem Geſagten ſchon vermuthen: denn da die katoptriſchen Farben nur an Ritzen, Puncten, Stahlſaiten, zarten Faͤden ſich zeigen, ſo iſt es ungefaͤhr derſelbe Fall, als wenn das Licht an einem Rande herſchiene. Es muß jeder Zeit von einem Rande zuruͤck ſcheinen, damit unſer Auge eine Farbe gewahr werde. Wie auch hier die160 Beſchraͤnkung des leuchtenden Bildes, ſo wie die Maͤ - ßigung des Lichtes, zu betrachten ſey, iſt oben ſchon angezeigt worden.
Von den ſubjectiven paroptiſchen Farben fuͤhren wir nur noch weniges an, weil ſie ſich theils mit den phyſiologiſchen, theils mit den dioptriſchen der zwey - ten Claſſe in Verbindung ſetzen laſſen, und ſie groͤß - tentheils kaum hieher zu gehoͤren ſcheinen, ob ſie gleich, wenn man genau aufmerkt, uͤber die ganze Lehre und ihre Verknuͤpfung ein erfreuliches Licht verbreiten.
Wenn man eine Lineal dergeſtalt vor die Augen haͤlt, daß die Flamme des Lichts uͤber daſſelbe hervor - ſcheint; ſo ſieht man das Lineal gleichſam eingeſchnit - ten und ſchartig an der Stelle, wo das Licht hervor - ragt. Es ſcheint ſich dieſes aus der ausdehnenden Kraft des Lichtes auf der Retina ableiten zu laſſen. (18).
Daſſelbige Phaͤnomen im Großen zeigt ſich beym Aufgang der Sonne, welche, wenn ſie rein, aber nicht allzu maͤchtig, aufgeht, alſo daß man ſie noch anblik - ken kann, jederzeit einen ſcharfen Einſchnitt in den Horizont macht.
Wenn man bey grauem Himmel gegen ein Fen - ſter tritt, ſo daß das dunkle Kreuz ſich gegen denſel -161 ben abſchneidet, wenn man die Augen alsdann auf das horizontale Holz richtet, ferner den Kopf etwas vorzubiegen, zu blinzen und aufwaͤrts zu ſehen an - faͤngt; ſo wird man bald unten an dem Holze einen ſchoͤnen gelbrothen Saum, oben uͤber demſelben einen ſchoͤnen hellblauen entdecken. Je dunkelgrauer und gleicher der Himmel, je daͤmmernder das Zimmer und folglich je ruhiger das Auge, deſto lebhafter wird ſich die Erſcheinung zeigen, ob ſie ſich gleich einem auf - merkſamen Beobachter auch bey hellem Tage darſtellen wird.
Man biege nunmehr den Kopf zuruͤck und blinzle mit den Augen dergeſtalt, daß man den horizontalen Fenſterſtab unter ſich ſehe, ſo wird auch das Phaͤno - men umgekehrt erſcheinen. Man wird nehmlich die obere Kante gelb und die untre blau ſehen.
In einer dunkeln Kammer ſtellen ſich die Beob - achtungen am beſten an. Wenn man vor die Oeff - nung, vor welche man gewoͤhnlich das Sonnen-Mi - kroſkop ſchraubt, ein weißes Papier heftet, wird man den untern Rand des Kreiſes blau, den obern gelb erblicken, ſelbſt indem man die Augen ganz offen hat, oder ſie nur in ſo fern zublinzt, daß kein Hof ſich mehr um das Weiße herum zeigt. Biegt man den Kopf zuruͤck, ſo ſieht man die Farben umgekehrt.
Dieſe Phaͤnomene ſcheinen daher zu entſtehen, daß die Feuchtigkeiten unſres Auges eigentlich nur in der Mitte, wo das Sehen vorgeht, wirklich achroma - tiſch ſind, daß aber gegen die Peripherie zu, und in unnatuͤrlichen Stellungen, als Auf - und Nieder - biegen des Kopfes, wirklich eine chromatiſche Eigen - ſchaft, beſonders wenn ſcharf abſetzende Bilder be - trachtet werden, uͤbrig bleibe. Daher dieſe Phaͤno - mene zu jenen gehoͤren moͤgen, welche mit den diop - triſchen der zweyten Claſſe verwandt ſind.
Aehnliche Farben erſcheinen, wenn man gegen ſchwarze und weiße Bilder durch den Nadelſtich einer Charte ſieht. Statt des weißen Bildes kann man auch den lichten Punct im Bleche des Ladens der Ca - mera obſcura waͤhlen, wenn die Vorrichtung zu den paroptiſchen Farben gemacht iſt.
Wenn man durch eine Roͤhre durchſieht, deren untre Oeffnung verengt, oder durch verſchiedene Aus - ſchnitte bedingt iſt, erſcheinen die Farben gleichfalls.
An die paroptiſchen Erſcheinungen aber ſchließen ſich meines Beduͤnkens folgende Phaͤnomene naͤher an. Wenn man eine Nadelſpitze nah vor das Auge haͤlt, ſo entſteht in demſelben ein Doppelbild. Beſonders163 merkwuͤrdig iſt aber, wenn man durch die zu parop - tiſchen Verſuchen eingerichteten Meſſerklingen hindurch und gegen einen grauen Himmel ſieht. Man blickt nehmlich wie durch einen Flor, und es zeigen ſich im Auge ſehr viele Faͤden, welches eigentlich nur die wie - derholten Bilder der Klingenſchaͤrfen ſind, davon das eine immer von dem folgenden ſucceſſiv, oder wohl auch von dem gegenuͤber wirkenden parallaktiſch bedingt und in eine Fadengeſtalt verwandelt wird.
So iſt denn auch noch ſchließlich zu bemerken, daß, wenn man durch die Klingen nach einem lichten Punct im Fenſterladen hinſieht, auf der Retina die - ſelben farbigen Streifen und Hoͤfe, wie auf dem Pa - piere, entſtehen.
Und ſo ſey dieſes Kapitel gegenwaͤrtig um ſo mehr geſchloſſen, als ein Freund uͤbernommen hat, daſſelbe nochmals genau durch zu experimentiren, von deſſen Bemerkungen wir, bey Gelegenheit der Reviſion, der Tafeln und des Apparats, in der Folge weitere Rechen - ſchaft zu geben hoffen.
Haben wir bisher uns mit ſolchen Farben abge - geben, welche zwar ſehr lebhaft erſcheinen, aber auch, bey aufgehobener Bedingung, ſogleich wieder ver - ſchwinden; ſo machen wir nun die Erfahrung von ſolchen, welche zwar auch als voruͤbergehend beobach - tet werden, aber unter gewiſſen Umſtaͤnden ſich der - geſtalt fixiren, daß ſie, auch nach aufgehobenen Be - dingungen, welche ihre Erſcheinung hervorbrachten, beſtehen bleiben, und alſo den Uebergang von den phy - ſiſchen zu den chemiſchen Farben ausmachen.
Sie entſpringen durch verſchiedene Veranlaſſun - gen auf der Oberflaͤche eines farbloſen Koͤrpers, ur - ſpruͤnglich, ohne Mittheilung, Faͤrbe, Taufe (βαφή); und wir werden ſie nun, von ihrer leiſeſten Erſchei - nung bis zu ihrer hartnaͤckigſten Dauer, durch die verſchiedenen Bedingungen ihres Entſtehens hindurch verfolgen, welche wir zu leichterer Ueberſicht hier ſo - gleich ſummariſch anfuͤhren.
Erſte Bedingung. Beruͤhrung zweyer glatten Flaͤ - chen harter durchſichtiger Koͤrper.
165Erſter Fall, wenn Glasmaſſen, Glastafeln, Lin - ſen an einander gedruͤckt werden.
Zweyter Fall, wenn in einer ſoliden Glas - Kry - ſtall - oder Eismaſſe ein Sprung entſteht.
Dritter Fall, indem ſich Lamellen durchſichtiger Steine von einander trennen.
Zweyte Bedingung. Wenn eine Glasflaͤche oder ein geſchliffner Stein angehaucht wird.
Dritte Bedingung. Verbindung von beyden obi - gen, daß man nehmlich die Glastafel anhaucht, eine andre drauf legt, die Farben durch den Druck erregt, dann das Glas abſchiebt, da ſich denn die Farben nachziehen und mit dem Hauche verfliegen.
Vierte Bedingung. Blaſen verſchiedener Fluͤſſig - keiten, Seife, Chocolade, Bier, Wein, feine Glas - blaſen.
Fuͤnfte Bedingung. Sehr feine Haͤutchen und Lamellen mineraliſcher und metalliſcher Aufloͤſungen; das Kalkhaͤutchen, die Oberflaͤche ſtehender Waſſer, beſonders eiſenſchuͤſſiger; ingleichen Haͤutchen von Oel auf dem Waſſer, beſonders von Firniß auf Scheide - waſſer.
Sechſte Bedingung. Wenn Metalle erhitzt wer - den. Anlaufen des Stahls und andrer Metalle.
Siebente Bedingung. Wenn die Oberflaͤche des Glaſes angegriffen wird.
Erſte Bedingung, Erſter Fall. Wenn zwey convexe Glaͤſer, oder ein Convex - und Planglas, am166 beſten ein Convex - und Hohlglas ſich einander beruͤh - ren, ſo entſtehn concentriſche farbige Kreiſe. Bey dem gelindeſten Druck zeigt ſich ſogleich das Phaͤno - men, welches nach und nach durch verſchiedene Stu - fen gefuͤhrt werden kann. Wir beſchreiben ſogleich die vollendete Erſcheinung, weil wir die verſchiedenen Grade, durch welche ſie durchgeht, ruͤckwaͤrts alsdann deſto beſſer werden einſehen lernen.
Die Mitte iſt farblos; daſelbſt, wo die Glaͤſer durch den ſtaͤrkſten Druck gleichſam zu einem vereinigt ſind, zeigt ſich ein dunkelgrauer Punct, um denſel - ben ein ſilberweißer Raum, alsdann folgen in abneh - menden Entfernungen verſchiedene iſolirte Ringe, welche ſaͤmmtlich aus drey Farben, die unmittelbar mit ein - ander verbunden ſind, beſtehen. Jeder dieſer Ringe, deren etwa drey bis vier gezaͤhlt werden koͤnnen, iſt inwendig gelb, in der Mitte purpurfarben und auswen - dig blau. Zwiſchen zwey Ringen findet ſich ein ſilber - weißer Zwiſchenraum. Die letzten Ringe gegen die Peripherie des Phaͤnomens ſtehen immer enger zuſam - men. Sie wechſeln mit Purpur und Gruͤn, ohne ei - nen dazwiſchen bemerklichen ſilberweißen Raum.
Wir wollen nunmehr die ſucceſſive Entſtehung des Phaͤnomens vom gelindeſten Druck an beobachten.
Beym gelindeſten Druck erſcheint die Mitte ſelbſt gruͤn gefaͤrbt. Darauf folgen bis an die Peripherie167 ſaͤmmtlicher concentriſchen Kreiſe purpurne und gruͤne Ringe. Sie ſind verhaͤltnißmaͤßig breit und man ſieht keine Spur eines ſilberweißen Raums zwiſchen ihnen. Die gruͤne Mitte entſteht durch das Blau eines unent - wickelten Cirkels, das ſich mit dem Gelb des erſten Kreiſes vermiſcht. Alle uͤbrigen Kreiſe ſind bey dieſer gelinden Beruͤhrung breit, ihre gelben und blauen Raͤnder vermiſchen ſich und bringen das ſchoͤne Gruͤn hervor. Der Purpur aber eines jeden Ringes bleibt rein und unberuͤhrt, daher zeigen ſich ſaͤmmtliche Kreiſe von dieſen beyden Farben.
Ein etwas ſtaͤrkerer Druck entfernt den erſten Kreis von dem unentwickelten um etwas weniges und iſolirt ihn, ſo daß er ſich nun ganz vollkommen zeigt. Die Mitte erſcheint nun als ein blauer Punct: denn das Gelbe des erſten Kreiſes iſt nun durch einen ſilberwei - ßen Raum von ihr getrennt. Aus dem Blauen ent - wickelt ſich in der Mitte ein Purpur, welcher jeder - zeit nach außen ſeinen zugehoͤrigen blauen Rand behaͤlt. Der zweyte, dritte Ring, von innen gerechnet, iſt nun ſchon voͤllig iſolirt. Kommen abweichende Faͤlle vor, ſo wird man ſie aus dem geſagten und noch zu ſagenden zu beurtheilen wiſſen.
Bey einem ſtaͤrkern Druck wird die Mitte gelb, ſie iſt mit einem purpurfarbenen und blauen Rand umgeben. Endlich zieht ſich auch dieſes Gelb voͤllig aus der Mitte. Der innerſte Kreis iſt gebildet und168 die gelbe Farbe umgiebt deſſen Rand. Nun erſcheint die ganze Mitte ſilberweiß, bis zuletzt bey dem ſtaͤrkſten Druck ſich der dunkle Punct zeigt und das Phaͤnomen, wie es zu Anfang beſchrieben wurde, vollendet iſt.
Das Maß der concentriſchen Ringe und ihrer Entfernungen bezieht ſich auf die Form der Glaͤſer, welche zuſammen gedruͤckt werden.
Wir haben oben bemerkt, daß die farbige Mitte aus einem unentwickelten Kreiſe beſtehe. Es findet ſich aber oft bey dem gelindeſten Druck, daß mehrere un - entwickelte Kreiſe daſelbſt gleichſam im Keime liegen, welche nach und nach vor dem Auge des Beobachters entwickelt werden koͤnnen.
Die Regelmaͤßigkeit dieſer Ringe entſpringt aus der Form des Convex-Glaſes, und der Durchmeſſer des Phaͤnomens richtet ſich nach dem groͤßern oder kleinern Kugelſchnitt, wornach eine Linſe geſchliffen iſt. Man ſchließt daher leicht, daß man durch das Aneinander - druͤcken von Planglaͤſern nur unregelmaͤßige Erſchei - nungen ſehen werde, welche wellenfoͤrmig nach Art der gewaͤſſerten Seidenzeuge erſcheinen und ſich von dem Puncte des Drucks aus nach allen Enden verbrei - ten. Doch iſt auf dieſem Wege das Phaͤnomen viel herrlicher als auf jenem und fuͤr einen jeden auffallend und reizend. Stellt man nun den Verſuch auf dieſe169 Weiſe an, ſo wird man voͤllig wie bey dem oben beſchriebenen bemerken, daß bey gelindem Druck die gruͤnen und purpurnen Wellen zum Vorſchein kommen, beym ſtaͤrkeren aber Streifen, welche blau, purpurn und gelb ſind, ſich iſoliren. In dem erſten Falle be - ruͤhren ſich ihre Außenſeiten, in dem zweyten ſind ſie durch einen ſilberweißen Raum getrennt.
Ehe wir nun zur fernern Beſtimmung dieſes Phaͤ - nomens uͤbergehen, wollen wir die bequemſte Art, daſ - ſelbe hervorzubringen, mittheilen.
Man lege ein großes Convexglas vor ſich auf den Tiſch gegen ein Fenſter, und auf daſſelbe eine Tafel wohlgeſchliffenen Spiegelglaſes, ungefaͤhr von der Groͤße einer Spielcharte; ſo wird die bloße Schwere der Ta - fel ſie ſchon dergeſtalt andruͤcken, daß eins oder das andre der beſchriebenen Phaͤnomene entſteht, und man wird ſchon durch die verſchiedene Schwere der Glas - tafel, durch andre Zufaͤlligkeiten, wie z. B. wenn man die Glastafel auf die abhaͤngende Seite des Con - vexglaſes fuͤhrt, wo ſie nicht ſo ſtark aufdruͤckt als in der Mitte, alle von uns beſchriebenen Grade nach und nach hervorbringen koͤnnen.
Um das Phaͤnomen zu bemerken, muß man ſchief auf die Flaͤche ſehen, auf welcher uns daſſelbe er - ſcheint. Aeußerſt merkwuͤrdig iſt aber, daß, wenn man ſich immer mehr neigt, und unter einem ſpitzeren170 Winkel nach dem Phaͤnomen ſieht, die Kreiſe ſich nicht allein erweitern; ſondern aus der Mitte ſich noch an - dre Kreiſe entwickeln, von denen ſich, wenn man per - pendiculaͤr auch durch das ſtaͤrkſte Vergroͤßerungsglas darauf ſah, keine Spur entdecken ließ.
Wenn das Phaͤnomen gleich in ſeiner groͤßten Schoͤnheit erſcheinen ſoll, ſo hat man ſich der aͤußer - ſten Reinlichkeit zu befleißigen. Macht man den Ver - ſuch mit Spiegelglasplatten, ſo thut man wohl, lederne Handſchuh anzuziehen. Man kann bequem die innern Flaͤchen, welche ſich auf das genaueſte beruͤhren muͤſ - ſen, vor dem Verſuche reinigen, und die aͤußern, bey dem Verſuche ſelbſt, unter dem Druͤcken rein erhalten.
Man ſieht aus obigem, daß eine genaue Beruͤh - rung zweyer glatten Flaͤchen noͤthig iſt. Geſchliffene Glaͤſer thun den beſten Dienſt. Glasplatten zeigen die ſchoͤnſten Farben, wenn ſie an einander feſthaͤngen; und aus eben dieſer Urſache ſoll das Phaͤnomen an Schoͤn - heit wachſen, wenn ſie unter die Luftpumpe gelegt werden, und man die Luft auspumpt.
Die Erſcheinung der farbigen Ringe kann am ſchoͤnſten hervorgebracht werden, wenn man ein con - vexes und concaves Glas, die nach einerley Kugel - ſchnitt geſchliffen ſind, zuſammenbringt. Ich habe die171 Erſcheinung niemals glaͤnzender geſehen, als bey dem Objectivglaſe eines achromatiſchen Fernrohrs, bey wel - chem das Crownglas mit dem Flintglaſe ſich allzu ge - nau beruͤhren mochte.
Merkwuͤrdig iſt die Erſcheinung, wenn ungleich - artige Flaͤchen, z. B. ein geſchliffner Kryſtall an eine Glasplatte gedruͤckt wird. Die Erſcheinung zeigt ſich keinesweges in großen fließenden Wellen, wie bey der Verbindung des Glaſes mit dem Glaſe, ſondern ſie iſt klein und zackig und gleichſam unterbrochen, ſo daß es ſcheint, die Flaͤche des geſchliffenen Kryſtalls, die aus unendlich kleinen Durchſchnitten der Lamellen be - ſteht, beruͤhre das Glas nicht in einer ſolchen Conti - nuitaͤt, als es von einem andern Glaſe geſchieht.
Die Farbenerſcheinung verſchwindet durch den ſtaͤrk - ſten Druck, der die beyden Flaͤchen ſo innig verbindet, daß ſie nur einen Koͤrper auszumachen ſcheinen. Da - her entſteht der dunkle Punct in der Mitte, weil die gedruckte Linſe auf dieſem Puncte kein Licht mehr zu - ruͤckwirft, ſo wie eben derſelbe Punct, wenn man ihn gegen das Licht ſieht, voͤllig hell und durchſichtig iſt. Bey Nachlaſſung des Drucks verſchwinden die Farben allmaͤhlich, und voͤllig, wenn man die Flaͤchen von einander ſchiebt.
Eben dieſe Erſcheinungen kommen noch in zwey aͤhnlichen Faͤllen vor. Wenn ganze durchſichtige Maſ -172 ſen ſich von einander in dem Grade trennen, daß die Flaͤchen ihrer Theile ſich noch hinreichend beruͤhren; ſo ſieht man dieſelben Kreiſe und Wellen mehr oder we - niger. Man kann ſie ſehr ſchoͤn hervorbringen, wenn man eine erhitzte Glasmaſſe ins Waſſer taucht, in de - ren verſchiedenen Riſſen und Spruͤngen man die Far - ben in mannigfaltigen Zeichnungen bequem beobachten kann. Die Natur zeigt uns oft daſſelbe Phaͤnomen an geſprungenem Bergkryſtall.
Haͤufig aber zeigt ſich dieſe Erſcheinung in der mi - neraliſchen Welt an ſolchen Steinarten, welche ihrer Natur nach blaͤttrig ſind. Dieſe urſpruͤnglichen Lamel - len ſind zwar ſo innig verbunden, daß Steine dieſer Art auch voͤllig durchſichtig und farblos erſcheinen koͤn - nen; doch werden die innerlichen Blaͤtter durch manche Zufaͤlle getrennt, ohne daß die Beruͤhrung aufgehoben werde; und ſo wird die uns nun genugſam bekannte Erſcheinung oͤfters hervorgebracht, beſonders bey Kalk - ſpaͤthen, bey Fraueneis, bey der Adularia und meh - rern aͤhnlich gebildeten Mineralien. Es zeigt alſo eine Unkenntniß der naͤchſten Urſachen einer Erſcheinung, welche zufaͤllig ſo oft hervorgebracht wird, wenn man ſie in der Mineralogie fuͤr ſo bedeutend hielt und den Exemplaren, welche ſie zeigten, einen beſondern Werth beylegte.
Es bleibt uns nur noch uͤbrig, von der hoͤchſt merk - wuͤrdigen Umwendung dieſes Phaͤnomens zu ſprechen,173 wie ſie uns von den Naturforſchern uͤberliefert worden. Wenn man nehmlich, anſtatt die Farben bey reflectir - tem Lichte zu betrachten, ſie bey durchfallendem Licht beobachtet; ſo ſollen an derſelben Stelle die entgegen - geſetzten, und zwar auf eben die Weiſe, wie wir ſolche oben phyſiologiſch, als Farben, die einander for - dern, angegeben haben, erſcheinen. An der Stelle des Blauen ſoll man das Gelbe, und umgekehrt; an der Stelle des Rothen das Gruͤne u. ſ. w. ſehen. Die naͤheren Verſuche ſollen kuͤnftig angegeben werden, um ſo mehr, als bey uns uͤber dieſen Punct noch einige Zweifel obwalten.
Verlangte man nun von uns, daß wir uͤber dieſe bisher vorgetragenen epoptiſchen Farben, die unter der erſten Bedingung erſcheinen, etwas Allgemeines aus - ſprechen und dieſe Phaͤnomene an die fruͤhern phyſi - ſchen Erſcheinungen anknuͤpfen ſollten; ſo wuͤrden wir folgendermaßen zu Werke gehen.
Die Glaͤſer, welche zu den Verſuchen gebraucht werden, ſind als ein empiriſch moͤglichſt Durchſichtiges anzuſehen. Sie werden aber, nach unſrer Ueberzeugung, durch eine innige Beruͤhrung, wie ſie der Druck ver - urſacht, ſogleich auf ihren Oberflaͤchen, jedoch nur auf das leiſeſte, getruͤbt. Innerhalb dieſer Truͤbe ent - ſtehn ſogleich die Farben, und zwar enthaͤlt jeder Ring das ganze Syſtem: denn indem die beyden entgegen - geſetzten, das Gelb und Blau, mit ihren rothen En -174 den verbunden ſind, zeigt ſich der Purpur. Das Gruͤne hingegen, wie bey dem prismatiſchen Verſuch, wenn Gelb und Blau ſich erreichen.
Wie durchaus bey Entſtehung der Farbe das ganze Syſtem gefordert wird, haben wir ſchon fruͤher mehr - mals erfahren, und es liegt auch in der Natur jeder phyſiſchen Erſcheinung, es liegt ſchon in dem Begriff von polariſcher Entgegenſetzung, wodurch eine elemen - tare Einheit zur Erſcheinung kommt.
Daß bey durchſcheinendem Licht eine andre Farbe ſich zeigt, als bey reflectirtem, erinnert uns an jene dioptriſchen Farben der erſten Claſſe, die wir auf eben dieſe Weiſe aus dem Truͤben entſpringen ſahen. Daß aber auch hier ein Truͤbes obwalte, daran kann faſt kein Zweifel ſeyn: denn das Ineinandergreifen der glaͤtteſten Glasplatten, welches ſo ſtark iſt, daß ſie feſt an einander haͤngen, bringt eine Halbvereinigung hervor, die jeder von beyden Flaͤchen etwas an Glaͤtte und Durchſichtigkeit entzieht. Den voͤlligen Ausſchlag aber moͤchte die Betrachtung geben, daß in der Mitte, wo die Linſe am feſteſten auf das andre Glas aufge - druͤckt und eine vollkommene Vereinigung hergeſtellt wird, eine voͤllige Durchſichtigkeit entſtehe, wobey man keine Farbe mehr gewahr wird. Jedoch mag alles die - ſes ſeine Beſtaͤtigung erſt nach vollendeter allgemei - ner Ueberſicht des Ganzen erhalten.
Zweyte Bedingung. Wenn man eine ange - hauchte Glasplatte mit dem Finger abwiſcht und ſo - gleich wieder anhaucht, ſieht man ſehr lebhaft durch einander ſchwebende Farben, welche, indem der Hauch ablaͤuft, ihren Ort veraͤndern und zuletzt mit dem Hau - che verſchwinden. Wiederholt man dieſe Operation, ſo werden die Farben lebhafter und ſchoͤner, und ſcheinen auch laͤnger als die erſten Male zu beſtehen.
So ſchnell auch dieſes Phaͤnomen voruͤbergeht und ſo confus es zu ſeyn ſcheint, ſo glaub’ ich doch fol - gendes bemerkt zu haben. Im Anfange erſcheinen alle Grundfarben und ihre Zuſammenſetzungen. Haucht man ſtaͤrker, ſo kann man die Erſcheinung in einer Folge gewahr werden. Dabey laͤßt ſich bemerken, daß, wenn der Hauch im Ablaufen ſich von allen Seiten ge - gen die Mitte des Glaſes zieht, die blaue Farbe zu - letzt verſchwindet.
Das Phaͤnomen entſteht am leichteſten zwiſchen den zarten Streifen, welche der Strich des Fingers auf der klaren Flaͤche zuruͤcklaͤßt, oder es erfordert eine ſonſtige gewiſſermaßen rauhe Dispoſition der Oberflaͤche des Koͤrpers. Auf manchen Glaͤſern kann man durch den bloßen Hauch ſchon die Farbenerſcheinung hervor - bringen, auf andern hingegen iſt das Reiben mit dem Finger noͤthig; ja ich habe geſchliffene Spiegelglaͤſer176 gefunden, von welchen die eine Seite angehaucht ſo - gleich die Farben lebhaft zeigte, die andre aber nicht. Nach den uͤberbliebenen Facetten zu urtheilen, war jene ehmals die freye Seite des Spiegels, dieſe aber die innere durch das Queckſilber bedeckte geweſen.
Wie nun dieſe Verſuche ſich am beſten in der Kaͤlte anſtellen laſſen, weil ſich die Platte ſchneller und reiner anhauchen laͤßt und der Hauch ſchneller wieder ab - laͤuft; ſo kann man auch bey ſtarkem Froſt, in der Kut - ſche fahrend, das Phaͤnomen im Großen gewahr werden, wenn die Kutſchfenſter ſehr rein geputzt und ſaͤmmtlich aufgezogen ſind. Der Hauch der in der Kutſche ſitzen - den Perſonen ſchlaͤgt auf das zarteſte an die Scheiben und erregt ſogleich das lebhafteſte Farbenſpiel. In wie fern eine regelmaͤßige Succeſſion darin ſey, habe ich nicht bemerken koͤnnen. Beſonders lebhaft aber erſcheinen die Farben, wenn ſie einen dunklen Gegen - ſtand zum Hintergrunde haben. Dieſer Farbenwechſel dauert aber nicht lange: denn ſobald ſich der Hauch in ſtaͤrkere Tropfen ſammelt oder zu Eisnadeln gefriert, ſo iſt die Erſcheinung alsbald aufgehoben.
Dritte Bedingung. Man kann die beyden vorhergehenden Verſuche des Druckes und Hauches ver - binden, indem man nehmlich eine Glasplatte anhaucht und die andre ſogleich darauf druͤckt. Es entſtehen alsdann die Farben, wie beym Drucke zweyer unan - gehauchten, nur mit dem Unterſchiede, daß die Feuch -177 tigkeit hie und da einige Unterbrechung der Wellen ver - urſacht. Schiebt man eine Glasplatte von der andern weg, ſo laͤuft der Hauch farbig ab.
Man koͤnnte jedoch behaupten, daß dieſer ver - bundene Verſuch nichts mehr als die einzelnen ſage: denn wie es ſcheint, ſo verſchwinden die durch den Druck erregten Farben in dem Maße, wie man die Glaͤſer von einander abſchiebt, und die behauchten Stellen laufen alsdann mit ihren eignen Farben ab.
Vierte Bedingung. Farbige Erſcheinungen laſſen ſich faſt an allen Blaſen beobachten. Die Sei - fenblaſen ſind die bekannteſten und ihre Schoͤnheit iſt am leichteſten darzuſtellen. Doch findet man ſie auch beym Weine, Bier, bey geiſtigen reinen Liquoren, be - ſonders auch im Schaume der Chocolade.
Wie wir oben einen unendlich ſchmalen Raum zwiſchen zwey Flaͤchen, welche ſich beruͤhren, erfor - derten, ſo kann man das Haͤutchen der Seifenblaſe als ein unendlich duͤnnes Blaͤttchen zwiſchen zwey elaſti - ſchen Koͤrpern anſehen: denn die Erſcheinung zeigt ſich doch eigentlich zwiſchen der innern, die Blaſe auftrei - benden Luft und zwiſchen der atmoſphaͤriſchen.
Die Blaſe, indem man ſie hervorbringt, iſt farblos; dann fangen farbige Zuͤge, wie des Marmorpapieres,I. 12178an ſich ſehen zu laſſen, die ſich endlich uͤber die ganze Blaſe verbreiten, oder vielmehr um ſie herumgetrieben werden, indem man ſie aufblaͤſt.
Es giebt verſchiedene Arten, die Blaſe zu machen; frey, indem man den Strohhalm nur in die Aufloͤ - ſung taucht und die haͤngende Blaſe durch den Athem auftreibt. Hier iſt die Entſtehung der Farbenerſcheinung ſchwer zu beobachten, weil die ſchnelle Rotation keine genaue Bemerkung zulaͤßt, und alle Farben durch ein - ander gehen. Doch laͤßt ſich bemerken, daß die Far - ben am Strohhalm anfangen. Ferner kann man in die Aufloͤſung ſelbſt blaſen, jedoch vorſichtig, damit nur eine Blaſe entſtehe. Sie bleibt, wenn man ſie nicht ſehr auftreibt, weiß; wenn aber die Aufloͤſung nicht allzu waͤßrig iſt, ſo ſetzen ſich Kreiſe um die perpendi - culare Achſe der Blaſe, die gewoͤhnlich gruͤn und pur - purn abwechſeln, indem ſie nah an einander ſtoßen. Zuletzt kann man auch mehrere Blaſen neben einander hervorbringen, die noch mit der Aufloͤſung zuſammen - hangen. In dieſem Falle entſtehen die Farben an den Waͤnden, wo zwey Blaſen einander platt gedruͤckt haben.
An den Blaſen des Chocoladenſchaums ſind die Farben faſt bequemer zu beobachten, als an den Sei - fenblaſen. Sie ſind beſtaͤndiger, obgleich kleiner. In ihnen wird durch die Waͤrme ein Treiben, eine Bewe - gung hervorgebracht und unterhalten, die zur Entwick -179 lung, Succeſſion und endlich zum Ordnen des Phaͤ - nomens noͤthig zu ſeyn ſcheinen.
Iſt die Blaſe klein, oder zwiſchen andern ein - geſchloſſen, ſo treiben ſich farbige Zuͤge auf der Ober - flaͤche herum, dem marmorirten Papiere aͤhnlich; man ſieht alle Farben unſres Schema’s durch einander zie - hen, die reinen, geſteigerten, gemiſchten, alle deutlich hell und ſchoͤn. Bey kleinen Blaſen dauert das Phaͤ - nomen immer fort.
Iſt die Blaſe groͤßer, oder wird ſie nach und nach iſolirt, dadurch daß die andern neben ihr zerſpringen; ſo bemerkt man bald, daß dieſes Treiben und Ziehen der Farben auf etwas abzwecke. Wir ſehen nehmlich auf dem hoͤchſten Puncte der Blaſe einen kleinen Kreis entſtehen, der in der Mitte gelb iſt; die uͤbrigen far - bigen Zuͤge bewegen ſich noch immer wurmfoͤrmig um ihn her.
Es dauert nicht lange, ſo vergroͤßert ſich der Kreis und ſinkt nach allen Seiten hinab. In der Mitte be - haͤlt er ſein Gelb, nach unten und außen wird er pur - purfarben und bald blau. Unter dieſem entſteht wieder ein neuer Kreis von eben dieſer Farbenfolge. Stehen ſie nahe genug beyſammen, ſo entſteht aus Vermi - ſchung der Endfarben ein Gruͤn.
Wenn ich drey ſolcher Hauptkreiſe zaͤhlen konnte, ſo war die Mitte farblos und dieſer Raum wurde nach und nach groͤßer, indem die Kreiſe mehr niederſanken, bis zuletzt die Blaſe zerplatzte.
Fuͤnfte Bedingung. Es koͤnnen auf verſchie - dene Weiſe ſehr zarte Haͤutchen entſtehen, an welchen man ein ſehr lebhaftes Farbenſpiel entdeckt, indem nehmlich ſaͤmmtliche Farben entweder in der bekannten Ordnung, oder mehr verworren durch einander laufend geſehen werden. Das Waſſer, in welchem ungeloͤſchter Kalk aufgeloͤſt worden, uͤberzieht ſich bald mit einem farbigen Haͤutchen. Ein Gleiches geſchieht auf der Oberflaͤche ſtehender Waſſer, vorzuͤglich ſolcher, welche Eiſen enthalten. Die Lamellen des feinen Weinſteins, die ſich, beſonders von rothem franzoͤſiſchen Weine, in den Bouteillen anlegen, glaͤnzen von den ſchoͤnſten Farben, wenn ſie auf ſorgfaͤltige Weiſe losgeweicht und an das Tageslicht gebracht werden. Oeltropfen auf Waſſer, Branntwein und andern Fluͤſſigkeiten brin - gen auch dergleichen Ringe und Flaͤmmchen hervor. Der ſchoͤnſte Verſuch aber, den man machen kann, iſt folgender. Man gieße nicht allzuſtarkes Scheidewaſſer in eine flache Schale und tropfe mit einem Pinſel von jenem Firniß darauf, welchen die Kupferſtecher brau - chen, um waͤhrend des Aetzens gewiſſe Stellen ihrer Platten zu decken. Sogleich entſteht unter lebhafter Bewegung ein Haͤutchen, das ſich in Kreiſe ausbrei -181 tet, und zugleich die lebhafteſten Farbenerſcheinungen hervorbringt.
Sechſte Bedingung. Wenn Metalle erhitzt werden, ſo entſtehen auf ihrer Oberflaͤche fluͤchtig auf einander folgende Farben, welche jedoch nach Belieben feſt gehalten werden koͤnnen.
Man erhitze einen polirten Stahl, und er wird in einem gewiſſen Grad der Waͤrme gelb uͤberlaufen. Nimmt man ihn ſchnell von den Kohlen weg, ſo bleibt ihm dieſe Farbe.
Sobald der Stahl heißer wird, erſcheint das Gelbe dunkler, hoͤher und geht bald in den Purpur hinuͤber. Dieſer iſt ſchwer feſt zu halten, denn er eilt ſehr ſchnell ins Hochblaue.
Dieſes ſchoͤne Blau iſt feſt zu halten, wenn man ſchnell den Stahl aus der Hitze nimmt und ihn in Aſche ſteckt. Die blau angelaufnen Stahlarbeiten wer - den auf dieſem Wege hervorgebracht. Faͤhrt man aber fort, den Stahl frey uͤber dem Feuer zu halten, ſo wird er in kurzem hellblau und ſo bleibt er.
Dieſe Farben ziehen wie ein Hauch uͤber die Stahl - platte, eine ſcheint vor der andern zu fliehen; aber182 eigentlich entwickelt ſich immer die folgende aus der vorhergehenden.
Wenn man ein Federmeſſer ins Licht haͤlt, ſo wird ein farbiger Streif quer uͤber die Klinge entſtehen. Der Theil des Streifes, der am tiefſten in der Flamme war, iſt hellblau, das ſich ins Blaurothe verliert. Der Purpur ſteht in der Mitte, dann folgt Gelbroth und Gelb.
Dieſes Phaͤnomen leitet ſich aus dem vorhergehen - den ab; denn die Klinge nach dem Stile zu iſt we - niger erhitzt, als an der Spitze, welche ſich in der Flamme befindet; und ſo muͤſſen alle Farben, die ſonſt nach einander entſtehen, auf einmal erſcheinen, und man kann ſie auf das beſte figirt aufbewahren.
Robert Boyle giebt dieſe Farbenſucceſſion folgender - maßen an: a florido flavo ad flavum saturum et ru - bescentem (quem artifices sanguineum vocant) inde ad languidum, postea ad saturiorem cyaneum. Die - ſes waͤre ganz gut, wenn man die Worte languidus und saturior ihre Stellen verwechſeln ließe. Inwiefern die Bemerkung richtig iſt, daß die verſchiedenen Far - ben auf die Grade der folgenden Haͤrtung Einfluß ha - ben, laſſen wir dahingeſtellt ſeyn. Die Farben ſind hier nur Anzeichen der verſchiedenen Grade der Hitze.
Wenn man Bley calcinirt, wird die Oberflaͤche erſt graulich. Dieſes grauliche[Pulver] wird durch groͤ - ßere Hitze gelb, und ſodann orange. Auch das Sil - ber zeigt bey der Erhitzung Farben. Der Blick des Silbers beym Abtreiben gehoͤrt auch hieher. Wenn metalliſche Glaͤſer ſchmelzen, entſtehen gleichfalls Farben auf der Oberflaͤche.
Siebente Bedingung. Wenn die Oberflaͤche des Glaſes angegriffen wird. Das Blindwerden des Glaſes iſt uns oben ſchon merkwuͤrdig geweſen. Man bezeichnet durch dieſen Ausdruck, wenn die Oberflaͤche des Glaſes dergeſtalt angegriffen wird, daß es uns truͤb erſcheint.
Das weiße Glas wird am erſten blind, desglei - chen gegoſſenes und nachher geſchliffenes Glas, das blauliche weniger, das gruͤne am wenigſten.
Eine Glastafel hat zweyerley Seiten, davon man die eine die Spiegelſeite nennt. Es iſt die, welche im Ofen oben liegt, an der man rundliche Erhoͤhungen bemerken kann. Sie iſt glaͤtter als die andere, die im Ofen unten liegt und an welcher man manchmal Kritzen bemerkt. Man nimmt deswegen gern die Spie - gelſeite in die Zimmer, weil ſie durch die von innen anſchlagende Feuchtigkeit weniger als die andre ange - griffen, und das Glas daher weniger blind wird.
Dieſes Blindwerden oder Truͤben des Glaſes geht nach und nach in eine Farbenerſcheinung uͤber, die ſehr lebhaft werden kann, und bey welcher vielleicht auch eine gewiſſe Succeſſion, oder ſonſt etwas Ord - nungsgemaͤßes zu entdecken waͤre.
Und ſo haͤtten wir denn auch die phyſiſchen Far - ben von ihrer leiſeſten Wirkung an bis dahin gefuͤhrt, wo ſich dieſe fluͤchtigen Erſcheinungen an die Koͤrper feſtſetzen, und wir waͤren auf dieſe Weiſe an die Graͤnze gelangt, wo die chemiſchen Farben eintreten, ja ge - wiſſermaßen haben wir dieſe Graͤnze ſchon uͤberſchrit - ten; welches fuͤr die Staͤtigkeit unſres Vortrags ein gutes Vorurtheil erregen mag. Sollen wir aber noch zu Ende dieſer Abtheilung etwas Allgemeines ausſpre - chen und auf ihren innern Zuſammenhang hindeuten; ſo fuͤgen wir zu dem, was wir oben (451 — 454.) ge - ſagt haben, noch folgendes hinzu.
Das Anlaufen des Stahls und die verwandten Erfahrungen koͤnnte man vielleicht ganz bequem aus der Lehre von den truͤben Mitteln herleiten. Polirter Stahl wirft maͤchtig das Licht zuruͤck. Man denke ſich das durch die Hitze bewirkte Anlaufen als eine gelinde Truͤbe; ſogleich muͤßte daher ein Hellgelb erſcheinen, welches bey zunehmender Truͤbe immer verdichteter, ge - draͤngter und roͤther, ja zuletzt Purpur - und Rubin - roth erſcheinen muß. Waͤre nun zuletzt dieſe Farbe auf185 den hoͤchſten Punct des Dunkelwerdens geſteigert, und man daͤchte ſich die immer fortwaltende Truͤbe; ſo wuͤrde dieſe nunmehr ſich uͤber ein Finſteres verbreiten und zuerſt ein Violett, dann ein Dunkelblau und end - lich ein Hellblau hervorbringen, und ſo die Reihe der Erſcheinungen beſchließen.
Wir wollen nicht behaupten, daß man mit dieſer Erklaͤrungsart voͤllig auslange, unſre Abſicht iſt viel - mehr, nur auf den Weg zu deuten, auf welchem zu - letzt die alles umfaſſende Formel, das eigentliche Wort des Raͤthſels gefunden werden kann.
So nennen wir diejenigen, welche wir an gewiſſen Koͤrpern erregen, mehr oder weniger fixiren, an ih - nen ſteigern, von ihnen wieder wegnehmen und an - dern Koͤrpern mittheilen koͤnnen, denen wir denn auch deshalb eine gewiſſe immanente Eigenſchaft zuſchreiben. Die Dauer iſt meiſt ihr Kennzeichen.
In dieſen Ruͤckſichten bezeichnete man fruͤher die chemiſchen Farben mit verſchiedenen Beywoͤrtern. Sie hießen colores proprii, corporei, materiales, veri, permanentes, fixi.
Wie ſich das Bewegliche und Voruͤbergehende der phyſiſchen Farben nach und nach an den Koͤrpern fixire, haben wir in dem Vorhergehenden bemerkt, und den Uebergang eingeleitet.
Die Farbe fixirt ſich an den Koͤrpern mehr oder weniger dauerhaft, oberflaͤchlich oder durchdringend.
Alle Koͤrper ſind der Farbe faͤhig, entweder daß ſie an ihnen erregt, geſteigert, ſtufenweiſe fixirt, oder wenigſtens ihnen mitgetheilt werden kann.
Indem wir bey Darſtellung der farbigen Erſchei - nung auf einen Gegenſatz durchaus aufmerkſam zu ma - chen Urſache hatten, ſo finden wir, indem wir den Boden der Chemie betreten, die chemiſchen Gegenſaͤtze uns auf eine bedeutende Weiſe begegnend. Wir ſpre - chen hier zu unſern Zwecken nur von demjenigen, den man unter dem allgemeinen Namen von Saͤure und Alcali zu begreifen pflegt.
Wenn wir den chromatiſchen Gegenſatz nach An - leitung aller uͤbrigen phyſiſchen Gegenſaͤtze durch ein Mehr oder Weniger bezeichnen, der gelben Seite das Mehr, der blauen das Weniger zuſchreiben; ſo ſchlie -188 ßen ſich dieſe beyden Seiten nun auch in chemiſchen Faͤllen an die Seiten des chemiſch Entgegengeſetzten an. Das Gelb und Gelbrothe widmet ſich den Saͤuern, das Blau und Blaurothe den Alcalien; und ſo laſſen ſich die Erſcheinungen der chemiſchen Farben, freylich mit noch manchen andern eintretenden Betrachtungen, auf eine ziemlich einfache Weiſe durchfuͤhren.
Da uͤbrigens die Hauptphaͤnomene der chemiſchen Farben bey Saͤuerungen der Metalle vorkommen, ſo ſieht man, wie wichtig dieſe Betrachtung hier an der Spitze ſey. Was uͤbrigens noch weiter zu bedenken eintritt, werden wir unter einzelnen Rubriken naͤher bemerken; wobey wir jedoch ausdruͤcklich erklaͤren, daß wir dem Chemiker nur im allgemeinſten vorzuarbeiten gedenken, ohne uns in irgend ein Beſondres, ohne uns in die zartern chemiſchen Aufgaben und Fragen miſchen oder ſie beantworten zu wollen. Unſre Abſicht kann nur ſeyn, eine Skizze zu geben, wie ſich allenfalls nach unſerer Ueberzeugung die chemiſche Farbenlehre an die allgemeine phyſiſche anſchließen koͤnnte.
Wir haben hiezu ſchon oben bey Gelegenheit der dioptriſchen Farben der erſten Claſſe (155 ff. ) einige189 Schritte gethan. Durchſichtige Koͤrper ſtehen auf der hoͤchſten Stufe unorganiſcher Materialitaͤt. Zunaͤchſt daran fuͤgt ſich die reine Truͤbe, und das Weiße kann als die vollendete reine Truͤbe angeſehen werden.
Reines Waſſer zu Schnee kryſtalliſirt erſcheint weiß, indem die Durchſichtigkeit der einzelnen Theile kein durchſichtiges Ganzes macht. Verſchiedene Salz - kryſtalle, denen das Kryſtalliſationswaſſer entweicht, erſcheinen als ein weißes Pulver. Man koͤnnte den zu - faͤllig undurchſichtigen Zuſtand des rein Durchſichtigen Weiß nennen; ſo wie ein zermalmtes Glas als ein weißes Pulver erſcheint. Man kann dabey die Aufhe - bung einer dynamiſchen Verbindung und die Darſtel - lung der atomiſtiſchen Eigenſchaft der Materie in Be - tracht ziehn.
Die bekannten unzerlegten Erden ſind in ihrem reinen Zuſtand alle weiß. Sie gehn durch natuͤrliche Kryſtalliſation in Durchſichtigkeit uͤber; Kieſelerde in den Bergkryſtall, Tonerde in den Glimmer, Bitter - erde in den Talk, Kalkerde und Schwererde erſcheinen in ſo mancherley Spaͤthen durchſichtig.
Da uns bey Faͤrbung mineraliſcher Koͤrper die Metallkalke vorzuͤglich begegnen werden, ſo bemerken wir noch zum Schluſſe, daß angehende gelinde Saͤu - rungen weiße Kalke darſtellen, wie das Bley durch die Eſſigſaͤure in Bleyweiß verwandelt wird.
Das Schwarze entſpringt uns nicht ſo uranfaͤng - lich, wie das Weiße. Wir treffen es im vegetabili - ſchen Reiche bey Halbverbrennungen an, und die Koh - le, der auch uͤbrigens hoͤchſt merkwuͤrdige Koͤrper, zeigt uns die ſchwarze Farbe. Auch wenn Holz, z. B. Bre - ter, durch Licht, Luft und Feuchtigkeit ſeines Brenn - lichen zum Theil beraubt wird; ſo erſcheint erſt die graue, dann die ſchwarze Farbe. Wie wir denn auch animaliſche Theile durch eine Halbverbrennung in Kohle verwandeln koͤnnen.
Eben ſo finden wir auch bey den Metallen, daß oft eine Halboxydation ſtatt findet, wenn die ſchwarze Farbe erregt werden ſoll. So werden durch ſchwache Saͤuerung mehrere Metalle, beſonders das Eiſen, ſchwarz, durch Eſſig, durch gelinde ſaure Gaͤhrungen, z. B. eines Reißdecocts u. ſ. w.
Nicht weniger laͤßt ſich vermuthen, daß eine Ab - oder Ruͤckſaͤuerung die ſchwarze Farbe hervorbringe. Dieſer Fall iſt bey der Entſtehung der Tinte, da das191 in der ſtarken Schwefelſaͤure aufgeloͤſte Eiſen gelblich wird, durch die Gallusinfuſion aber zum Theil ent - ſaͤuert nunmehr ſchwarz erſcheint.
Als wir oben in der Abtheilung von phyſiſchen Farben truͤbe Mittel behandelten, ſahen wir die Farbe eher, als das Weiße und Schwarze. Nun ſetzen wir ein gewordnes Weißes, ein gewordnes Schwarzes fixirt voraus, und fragen, wie ſich an ihm die Farbe erre - gen laſſe.
Auch hier koͤnnen wir ſagen, ein Weißes, das ſich verdunkelt, das ſich truͤbt, wird gelb; das Schwarze, das ſich erhellt, wird blau.
Auf der activen Seite, unmittelbar am Lichte, am Hellen, am Weißen entſteht das Gelbe. Wie leicht vergilbt alles, was weiße Oberflaͤchen hat, das Papier, die Leinwand, Baumwolle, Seide, Wachs; beſonders auch durchſichtige Liquoren, welche zum Bren - nen geneigt ſind, werden leicht gelb, d. h. mit andern Worten, ſie gehen leicht in eine gelinde Truͤbung uͤber.
So iſt die Erregung auf der paſſiven Seite am Finſtern, Dunkeln, Schwarzen ſogleich mit der blauen, oder vielmehr mit einer roͤthlich blauen Erſcheinung begleitet. Eiſen in Schwefelſaͤure aufgeloͤſt und ſehr mit Waſſer diluirt bringt in einem gegen das Licht ge - haltnen Glaſe, ſobald nur einige Tropfen Gallus dazu kommen, eine ſchoͤne violette Farbe hervor, welche die Eigenſchaften des Rauchtopaſes, das Orphninon ei - nes verbrannten Purpurs, wie ſich die Alten ausdruͤ - cken, dem Auge darſtellt.
Ob an den reinen Erden durch chemiſche Opera - tionen der Natur und Kunſt, ohne Beymiſchung von Metallkalken eine Farbe erregt werden koͤnne, iſt eine wichtige Frage, die gewoͤhnlich mit Nein beantwortet wird. Sie haͤngt vielleicht mit der Frage zuſammen, inwiefern ſich durch Oxydation den Erden etwas ab - gewinnen laſſe.
Fuͤr die Verneinung der Frage ſpricht allerdings der Umſtand, daß uͤberall, wo man mineraliſche Far - ben findet, ſich eine Spur von Metall, beſonders von Eiſen zeigt; wobey man freylich in Betracht zieht, wie leicht ſich das Eiſen oxydire, wie leicht der Eiſenkalk verſchiedene Farben annehme, wie unendlich theilbar derſelbe ſey und wie geſchwind er ſeine Farbe mittheile. Demungeachtet waͤre zu wuͤnſchen, daß neue Verſuche193 hieruͤber angeſtellt, und die Zweifel entweder beſtaͤrkt oder beſeitigt wuͤrden.
Wie dem auch ſeyn mag, ſo iſt die Receptivitaͤt der Erden gegen ſchon vorhandne Farben ſehr groß, worunter ſich die Alaunerde beſonders auszeichnet.
Wenn wir nun zu den Metallen uͤbergehen, welche ſich im unorganiſchen Reiche beynahe privativ das Recht farbig zu erſcheinen zugeeignet haben, ſo finden wir, daß ſie ſich in ihrem reinen, ſelbſtaͤndigen, reguliniſchen Zuſtande ſchon dadurch von den reinen Erden unterſcheiden, daß ſie ſich zu irgend einer Farbe hinneigen.
Wenn das Silber ſich dem reinen Weißen am mei - ſten naͤhert, ja das reine Weiß, erhoͤht durch metalli - ſchen Glanz, wirklich darſtellt, ſo ziehen Stahl, Zinn, Bley u. ſ. w. ins bleiche Blaugraue hinuͤber; dagegen das Gold ſich zum reinen Gelben erhoͤht, das Kupfer zum Rothen hinanruͤckt, welches unter gewiſſen Um - ſtaͤnden ſich faſt bis zum Purpur ſteigert, durch Zink hin - gegen wieder zur gelben Goldfarbe hinabgezogen wird.
Zeigen Metalle nun im gediegenen Zuſtande ſolche ſpecifiſche Determinationen zu dieſem oder jenem Far - benausdruck, ſo werden ſie durch die Wirkung der Oxydation gewiſſermaßen in eine gemeinſame Lage ver -I. 13194ſetzt. Denn die Elementarfarben treten nun rein her - vor, und obgleich dieſes und jenes Metall zu dieſer oder jener Farbe eine beſondre Beſtimmbarkeit zu haben ſcheint, ſo wiſſen wir doch von einigen, daß ſie den ganzen Farbenkreis durchlaufen koͤnnen, von andern, daß ſie mehr als eine Farbe darzuſtellen faͤhig ſind; wobey ſich jedoch das Zinn durch ſeine Unfaͤrblichkeit auszeichnet. Wir geben kuͤnftig eine Tabelle, in wie - fern die verſchiedenen Metalle mehr oder weniger durch die verſchiedenen Farben durchgefuͤhrt werden koͤnnen.
Daß die reine glatte Oberflaͤche eines gediegenen Metalles bey Erhitzung von einem Farbenhauch uͤber - zogen wird, welcher mit ſteigender Waͤrme eine Reihe von Erſcheinungen durchlaͤuft, deutet nach unſerer Ueber - zeugung auf die Faͤhigkeit der Metalle, den ganzen Far - benkreis zu durchlaufen. Am ſchoͤnſten werden wir die - ſes Phaͤnomen am polirten Stahl gewahr; aber Sil - ber, Kupfer, Meſſing, Bley, Zinn laſſen uns leicht aͤhnliche Erſcheinungen ſehen. Wahrſcheinlich iſt hier eine oberflaͤchliche Saͤurung im Spiele, wie man aus der fortgeſetzten Operation, beſonders bey den leichter verkalklichen Metallen ſchließen kann.
Daß ein gegluͤhtes Eiſen leichter eine Saͤurung durch ſaure Liquoren erleidet, ſcheint auch dahin zu deuten, indem eine Wirkung der andern entgegenkommt. Noch bemerken wir, daß der Stahl, je nachdem er in verſchiedenen Epochen ſeiner Farbenerſcheinung gehaͤrtet195 wird, einigen Unterſchied der Elaſticitaͤt zeigen ſoll; welches ganz naturgemaͤß iſt, indem die verſchiede - nen Farbenerſcheinungen die verſchiedenen Grade der Hitze andeuten.
Geht man uͤber dieſen oberflaͤchlichen Hauch, uͤber dieſes Haͤutchen hinweg, beobachtet man, wie Metalle in Maſſen penetrativ geſaͤuert werden, ſo erſcheint mit dem erſten Grade, Weiß oder Schwarz, wie man beym Bleyweiß, Eiſen und Queckſilber bemerken kann.
Fragen wir nun weiter nach eigentlicher Erregung der Farbe, ſo finden wir ſie auf der Plusſeite am haͤufigſten. Das oft erwaͤhnte Anlaufen glatter metal - liſcher Flaͤchen geht von dem Gelben aus. Das Eiſen geht bald in den gelben Ocher, das Bley aus dem Bleyweiß in den Maſſicot, das Queckſilber aus dem Aethiops in den gelben Turbith hinuͤber. Die Aufloͤ - ſungen des Goldes und der Platina in Saͤuren ſind gelb.
Die Erregungen auf der Minusſeite ſind ſeltner. Ein wenig geſaͤuertes Kupfer erſcheint blau. Bey Be - reitung des Berlinerblau ſind Alcalien im Spiele.
Ueberhaupt aber ſind dieſe Farbenerſcheinungen von ſo beweglicher Art, daß die Chemiker ſelbſt, ſobald ſie ins Feinere gehen, ſie als truͤgliche Kennzeichen13 *196betrachten. Wir aber koͤnnen zu unſern Zwecken dieſe Materie nur im Durchſchnitt behandeln, und wollen nur ſo viel bemerken, daß man vielleicht die metalli - ſchen Farbenerſcheinungen, wenigſtens zum didaktiſchen Behuf, einſtweilen ordnen koͤnne, wie ſie durch Saͤu - rung, Aufſaͤurung, Abſaͤurung und Entſaͤurung entſte - hen, ſich auf mannigfaltige Weiſe zeigen und ver - ſchwinden.
Die Steigerung erſcheint uns als eine in ſich ſelbſt Draͤngung, Saͤttigung, Beſchattung der Farben. So haben wir ſchon oben bey farbloſen Mitteln geſehen, daß wir durch Vermehrung der Truͤbe einen leuchten - den Gegenſtand vom leiſeſten Gelb bis zum hoͤchſten Rubinroth ſteigern koͤnnen. Umgekehrt ſteigert ſich das Blau in das ſchoͤnſte Violett, wenn wir eine erleuch - tete Truͤbe vor der Finſterniß verduͤnnen und vermin - dern (150. 151.)
Iſt die Farbe ſpecificirt, ſo tritt ein Aehnliches hervor. Man laſſe nehmlich Stufengefaͤße aus weißem Porcellan machen, und fuͤlle das eine mit einer reinen197 gelben Feuchtigkeit, ſo wird dieſe von oben herunter bis auf den Boden ſtufenweiſe immer roͤther und zu - letzt orange erſcheinen. In das andre Gefaͤß gieße man eine blaue reine Solution, die oberſten Stufen werden ein Himmelblau, der Grund des Gefaͤßes ein ſchoͤnes Violett zeigen. Stellt man das Gefaͤß in die Sonne, ſo iſt die Schattenſeite der obern Stufen auch ſchon violett. Wirft man mit der Hand, oder einem andern Gegenſtande, Schatten uͤber den erleuchteten Theil des Gefaͤßes, ſo erſcheint dieſer Schatten gleich - falls roͤthlich.
Es iſt dieſes eine der wichtigſten Erſcheinungen in der Farbenlehre, indem wir ganz greiflich erfahren, daß ein quantitatives Verhaͤltniß einen qualitativen Ein - druck auf unſre Sinne hervorbringe. Und indem wir ſchon fruͤher, bey Gelegenheit der letzten epoptiſchen Farben (452), unſre Vermuthungen eroͤffnet, wie man das Anlaufen des Stahls vielleicht aus der Lehre von truͤben Mitteln herleiten koͤnnte; ſo bringen wir dieſes hier abermals ins Gedaͤchtniß.
Uebrigens folgt alle chemiſche Steigerung unmit - telbar auf die Erregung. Sie geht unaufhaltſam und ſtetig fort; wobey man zu bemerken hat, daß die Stei - gerung auf der Plusſeite die gewoͤhnlichſte iſt. Der gelbe Eiſenocher ſteigert ſich ſowohl durchs Feuer, als durch andre Operationen zu einer ſehr hohen Roͤthe. Maſſicot wird in Mennige, Turbith in Zinnober geſtei -198 gert; welcher letztere ſchon auf eine ſehr hohe Stufe des Gelbrothen gelangt. Eine innige Durchdringung des Metalls durch die Saͤure, eine Theilung deſſelben ins empiriſch Unendliche geht hierbey vor.
Die Steigerung auf der Minusſeite iſt ſeltner, ob wir gleich bemerken, daß je reiner und gedraͤngter das Berlinerblau oder das Kobaltglas bereitet wird, es immer einen roͤthlichen Schein annimmt und mehr ins Violette ſpielt.
Fuͤr dieſe unmerkliche Steigerung des Gelben und Blauen ins Rothe haben die Franzoſen einen artigen Ausdruck, indem ſie ſagen, die Farbe habe einen Oeil de Rouge, welches wir durch einen roͤthlichen Blick ausdruͤcken koͤnnten.
Sie erfolgt bey fortſchreitender Steigerung. Das Rothe, worin weder Gelb noch Blau zu entdecken iſt, macht hier den Zenith.
Suchen wir ein auffallendes Beyſpiel einer Cul - mination von der Plusſeite her; ſo finden wir es aber -199 mals beym anlaufenden Stahl, welcher bis in den Purpurzenith gelangt und auf dieſem Puncte feſtgehal - ten werden kann.
Sollen wir die vorhin (516) angegebene Termi - nologie hier anwenden, ſo wuͤrden wir ſagen, die erſte Saͤuerung bringe das Gelbe hervor, die Aufſaͤurung das Gelbrothe; hier entſtehe ein gewiſſes Summum, da denn eine Abſaͤurung und endlich eine Entſaͤurung eintrete.
Hohe Puncte von Saͤuerung bringen eine Purpur - farbe hervor. Gold aus ſeiner Aufloͤſung durch Zinn - aufloͤſung gefaͤllt, erſcheint purpurfarben. Das Oxyd des Arſeniks mit Schwefel verbunden bringt eine Ru - binfarbe hervor.
Wiefern aber eine Art von Abſaͤurung bey man - cher Culmination mitwirke, waͤre zu unterſuchen: denn eine Einwirkung der Alcalien auf das Gelbrothe ſcheint auch die Culmination hervorzubringen, indem die Farbe gegen das Minus zu in den Zenith genoͤthigt wird.
Aus dem beſten ungariſchen Zinnober, welcher das hoͤchſte Gelbroth zeigt, bereiten die Hollaͤnder eine Farbe, die man Vermillon nennt. Es iſt auch nur ein Zinnober, der ſich aber der Purpurfarbe naͤhert,200 und es laͤßt ſich vermuthen, daß man durch Alcalien ihn der Culmination naͤher zu bringen ſucht.
Vegetabiliſche Saͤfte ſind, auf dieſe Weiſe behan - delt, ein in die Augen fallendes Beyſpiel. Gurcuma, Orlean, Safflor und andre, deren faͤrbendes Weſen man mit Weingeiſt ausgezogen, und nun Tincturen von gelber, gelb - und hyacinthrother Farbe vor ſich hat, gehen durch Beymiſchung von Alcalien in den Zenith, ja druͤber hinaus nach dem Blaurothen zu.
Kein Fall einer Culmination von der Minus - ſeite iſt mir im mineraliſchen und vegetabiliſchen Reiche bekannt. In dem animaliſchen iſt der Saft der Pur - purſchnecke merkwuͤrdig, von deſſen Steigerung und Culmination von der Minusſeite her, wir kuͤnftig ſpre - chen werden.
Die Beweglichkeit der Farbe iſt ſo groß, daß ſelbſt diejenigen Pigmente, welche man glaubt ſpecificirt zu haben, ſich wieder hin und her wenden laſſen. Sie201 iſt in der Naͤhe des Culminationspunctes am merkwuͤr - digſten, und wird durch wechſelsweiſe Anwendung der Saͤuren und Alcalien am auffallendſten bewirkt.
Die Franzoſen bedienen ſich, um dieſe Erſcheinung bey der Faͤrberey auszudruͤcken, des Wortes virer, welches von einer Seite nach der andern wenden heißt, und druͤcken dadurch auf eine ſehr geſchickte Weiſe das - jenige aus, was man ſonſt durch Miſchungsverhaͤlt - niſſe zu bezeichnen und anzugeben verſucht.
Hievon iſt diejenige Operation, die wir mit dem Lacmus zu machen pflegen, eine der bekannteſten und auffallendſten. Lacmus iſt ein Farbematerial, das durch Alcalien zum Rothblauen ſpecificirt worden. Es wird dieſes ſehr leicht durch Saͤuren ins Rothgelbe hinuͤber und durch Alcalien wieder heruͤber gezogen. In wie fern in dieſem Fall durch zarte Verſuche ein Culminations - punct zu entdecken und feſtzuhalten ſey, wird denen, die in dieſer Kunſt geuͤbt ſind, uͤberlaſſen, ſo wie die Faͤrbekunſt, beſonders die Scharlachfaͤrberey, von dieſem Hin - und Herwenden mannigfaltige Beyſpiele zu liefern im Stande iſt.
Die Erregung und Steigerung kommt mehr auf der Plus - als auf der Minus-Seite vor. So geht auch die Farbe, bey Durchwanderung des ganzen Wegs, meiſt von der Plus-Seite aus.
Eine ſtaͤtige in die Augen fallende Durchwande - rung des Wegs, vom Gelben durchs Rothe zum Blauen, zeigt ſich beym Anlaufen des Stahls.
Die Metalle laſſen ſich durch verſchiedene Stufen und Arten der Oxydation auf verſchiedenen Puncten des Farbenkreiſes ſpecificiren.
Da ſie auch gruͤn erſcheinen, ſo iſt die Frage, ob man eine ſtaͤtige Durchwandrung aus dem Gelben durchs Gruͤne ins Blaue, und umgekehrt, in dem Mi - neralreiche kennt. Eiſenkalk mit Glas zuſammenge - ſchmolzen bringt erſt eine gruͤne, bey verſtaͤrktem Feuer eine blaue Farbe hervor.
Es iſt wohl hier am Platz, von dem Gruͤnen uͤber - haupt zu ſprechen. Es entſteht vor uns vorzuͤglich im atomiſtiſchen Sinne und zwar voͤllig rein, wenn wir Gelb und Blau zuſammenbringen; allein auch ſchon ein unreines beſchmutztes Gelb bringt uns den Eindruck des Gruͤnlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht ſchon Gruͤn; aber auch dieſes leitet ſich davon ab, daß Schwarz mit dem Blauen verwandt iſt. Ein unvoll - kommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, giebt uns den Eindruck von einem Gruͤnlichen. Eben ſo werden wir ein unvollkommenes Blau als gruͤn gewahr. Das Gruͤne der Weinflaſchen entſteht, ſo ſcheint es, durch eine unvollkommene Verbindung des Eiſenkalks mit dem Glaſe. Bringt man durch groͤßere Hitze eine voll - kommenere Verbindung hervor, ſo entſteht ein ſchoͤnes blaues Glas.
Aus allem dieſem ſcheint ſo viel hervorzugehen, daß eine gewiſſe Kluft zwiſchen Gelb und Blau in der Natur ſich findet, welche zwar durch Verſchraͤnkung und Vermiſchung atomiſtiſch gehoben, und zum Gruͤ - nen verknuͤpft werden kann, daß aber eigentlich die wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch das Rothe geſchieht.
Was jedoch dem Unorganiſchen nicht gemaͤß zu ſeyn ſcheint, das werden wir, wenn von organiſchen Naturen die Rede iſt, moͤglich finden, indem in dieſem letzten204 Reiche eine ſolche Durchwandrung des Kreiſes vom Gelben durchs Gruͤne und Blaue bis zum Purpur wirklich vorkommt.
Auch eine unmittelbare Umkehrung in den gefor - derten Gegenſatz zeigt ſich als eine ſehr merkwuͤrdige Erſcheinung, wovon wir gegenwaͤrtig nur folgendes anzugeben wiſſen.
Das mineraliſche Chamaͤleon, welches eigentlich ein Braunſteinoxyd enthaͤlt, kann man in ſeinem ganz trocknen Zuſtande als ein gruͤnes Pulver anſehen. Streut man es in Waſſer, ſo zeigt ſich in dem erſten Augenblick der Aufloͤſung die gruͤne Farbe ſehr ſchoͤn; aber ſie verwandelt ſich ſogleich in die dem Gruͤnen entgegengeſetzte Purpurfarbe, ohne daß irgend eine Zwiſchenſtufe bemerklich waͤre.
Derſelbe Fall iſt mit der ſympathetiſchen Tinte, welche auch als ein roͤthlicher Liquor angeſehen wer - den kann, deſſen Austrocknung durch Waͤrme die gruͤne Farbe auf dem Papiere zeigt.
Eigentlich ſcheint hier der Conflict zwiſchen Trockne und Feuchtigkeit dieſes Phaͤnomen hervorzubringen, wie, wenn wir uns nicht irren, auch ſchon von den Scheidekuͤnſtlern angegeben worden. Was ſich weiter daraus ableiten, woran ſich dieſe Phaͤnomene anknuͤp - fen laſſen, daruͤber koͤnnen wir von der Zeit hinlaͤng - liche Belehrung erwarten.
So beweglich wir bisher die Farbe, ſelbſt bey ih - rer koͤrperlichen Erſcheinung geſehen haben, ſo fixirt ſie ſich doch zuletzt unter gewiſſen Umſtaͤnden.
Es giebt Koͤrper, welche faͤhig ſind ganz in Far - beſtoff verwandelt zu werden, und hier kann man ſa - gen, die Farbe fixire ſich in ſich ſelbſt, beharre auf ei - ner gewiſſen Stufe und ſpecificire ſich. So entſtehen Faͤrbematerialien aus allen Reichen, deren beſonders das vegetabiliſche eine große Menge darbietet, worun - ter doch einige ſich beſonders auszeichnen und als die Stellvertreter der andern angeſehen werden koͤnnen;206 wie auf der activen Seite der Krapp, auf der paſſi - ven der Indig.
Um dieſe Materialien bedeutend und zum Gebrauch vortheilhaft zu machen, gehoͤrt, daß die faͤrbende Ei - genſchaft in ihnen innig zuſammengedraͤngt und der faͤrbende Stoff zu einer unendlichen empiriſchen Theil - barkeit erhoben werde, welches auf allerley Weiſe und beſonders bey den genannten durch Gaͤhrung und Faͤul - niß hervorgebracht wird.
Dieſe materiellen Farbenſtoffe fixiren ſich nun wie - der an andern Koͤrpern. So werfen ſie ſich im Mine - ralreich an Erden und Metallkalke, ſie verbinden ſich durch Schmelzung mit Glaͤſern und erhalten hier bey durchſcheinendem Licht die hoͤchſte Schoͤnheit, ſo wie man ihnen eine ewige Dauer zuſchreiben kann.
Vegetabiliſche und animaliſche Koͤrper ergreifen ſie mit mehr oder weniger Gewalt und halten daran mehr oder weniger feſt, theils ihrer Natur nach, wie denn Gelb vergaͤnglicher iſt als Blau, oder nach der Natur der Unterlagen. An vegetabiliſchen dauern ſie weniger als an animaliſchen, und ſelbſt innerhalb dieſer Reiche giebt es abermals Verſchiedenheit. Flachs - oder baum - wollnes Garn, Seide oder Wolle zeigen gar verſchie - dene Verhaͤltniſſe zu den Faͤrbeſtoffen.
Hier tritt nun die wichtige Lehre von den Beizen hervor, welche als Vermittler zwiſchen der Farbe und dem Koͤrper angeſehen werden koͤnnen. Die Faͤrbebuͤ - cher ſprechen hievon umſtaͤndlich. Uns ſey genug dahin gedeutet zu haben, daß durch dieſe Operationen die Farbe eine nur mit dem Koͤrper zu verwuͤſtende Dauer erhaͤlt, ja ſogar durch den Gebrauch an Klarheit und Schoͤnheit wachſen kann.
Eine jede Miſchung ſetzt eine Specification voraus, und wir ſind daher, wenn wir von Miſchung reden, im atomiſtiſchen Felde. Man muß erſt gewiſſe Koͤrper auf irgend einem Puncte des Farbenkreiſes ſpecificirt vor ſich ſehen, ehe man durch Miſchung derſelben neue Schattirungen hervorbringen will.
Man nehme im Allgemeinen Gelb, Blau und Roth als reine, als Grundfarben, fertig an. Roth208 und Blau wird Violett, Roth und Gelb Orange, Gelb und Blau Gruͤn hervorbringen.
Man hat ſich ſehr bemuͤht, durch Zahl-Maaß - und Gewichtsverhaͤltniſſe dieſe Miſchungen naͤher zu beſtim - men, hat aber dadurch wenig Erſprießliches geleiſtet.
Die Malerey beruht eigentlich auf der Miſchung ſolcher ſpecificirten, ja individualiſirten Farbenkoͤrper und ihrer unendlichen moͤglichen Verbindungen, welche allein durch das zarteſte, geuͤbteſte Auge empfunden und unter deſſen Urtheil bewirkt werden koͤnnen.
Die innige Verbindung dieſer Miſchungen ge - ſchieht durch die reinſte Theilung der Koͤrper durch Reiben, Schlemmen u. ſ. w. nicht weniger durch Saͤfte, welche das Staubartige zuſammenhalten, und das Unorganiſche gleichſam organiſch verbinden; der - gleichen ſind die Oele, Harze u. ſ. w.
Saͤmmtliche Farben zuſammengemiſcht behalten ih - ren allgemeinen Charakter als σκιερόν, und da ſie nicht mehr neben einander geſehen werden, wird keine Totalitaͤt, keine Harmonie empfunden, und ſo ent - ſteht das Grau, das, wie die ſichtbare Farbe, immer etwas dunkler als Weiß, und immer etwas heller als Schwarz erſcheint.
Dieſes Grau kann auf verſchiedene Weiſe hervor - gebracht werden. Einmal, wenn man aus Gelb und Blau ein Smaragdgruͤn miſcht und alsdann ſo viel reines Roth hinzubringt, bis ſich alle drey gleichſam neutraliſirt haben. Ferner entſteht gleichfalls ein Grau, wenn man eine Scala der urſpruͤnglichen und abgelei - teten Farben in einer gewiſſen Proportion zuſammen - ſtellt und hernach vermiſcht.
Daß alle Farben zuſammengemiſcht weiß machen, iſt eine Abſurditaͤt, die man nebſt andern Abſurditaͤ - ten ſchon ein Jahrhundert glaͤubig und dem Augen - ſchein entgegen zu wiederholen gewohnt iſt.
Die zuſammengemiſchten Farben tragen ihr Dunk - les in die Miſchung uͤber. Je dunkler die Farben ſind, deſto dunkler wird das entſtehende Grau, wel - ches zuletzt ſich dem Schwarzen naͤhert. Je heller die Farben ſind, deſto heller wird das Grau, welches zuletzt ſich dem Weißen naͤhert.
Die ſcheinbare Miſchung wird hier um ſo mehr gleich mit abgehandelt, als ſie in manchem Sinne von großer Bedeutung iſt, und man ſogar die von uns als real angegebene Miſchung fuͤr ſcheinbar hal - ten koͤnnte. Denn die Elemente, woraus die zuſam - mengeſetzte Farbe entſprungen iſt, ſind nur zu klein, um einzeln geſehen zu werden. Gelbes und blaues Pulver zuſammengerieben erſcheint dem nackten Auge gruͤn, wenn man durch ein Vergroͤßerungsglas noch Gelb und Blau von einander abgeſondert bemerken kann. So machen auch gelbe und blaue Streifen in der Entfernung eine gruͤne Flaͤche, welches alles auch von der Vermiſchung der uͤbrigen ſpecificirten Farben gilt.
Unter dem Apparat wird kuͤnftig auch das Schwung - rad abgehandelt werden, auf welchem die ſcheinbare Miſchung durch Schnelligkeit hervorgebracht wird. Auf einer Scheibe bringt man verſchiedene Farben im Kreiſe neben einander an, dreht dieſelben durch die Ge - walt des Schwunges mit groͤßter Schnelligkeit herum,211 und kann ſo, wenn man mehrere Scheiben zuberei - tet, alle moͤglichen Miſchungen vor Augen ſtellen, ſo wie zuletzt auch die Miſchung aller Farben zum Grau naturgemaͤß auf oben angezeigte Weiſe.
Phyſiologiſche Farben nehmen gleichfalls Miſchung an. Wenn man z. B. den blauen Schatten (65) auf einem leicht gelben Papiere hervorbringt, ſo erſcheint derſelbe gruͤn. Ein gleiches gilt von den uͤbrigen Far - ben, wenn man die Vorrichtung darnach zu machen weiß.
Wenn man die im Auge verweilenden farbigen Scheinbilder (39 ff. ) auf farbige Flaͤchen fuͤhrt, ſo entſteht auch eine Miſchung und Determination des Bildes zu einer andern Farbe, die ſich aus beyden herſchreibt.
Phyſiſche Farben ſtellen gleichfalls eine Miſchung dar. Hieher gehoͤren die Verſuche, wenn man bunte Bilder durchs Prisma ſieht, wie wir ſolches oben (258 — 284.) umſtaͤndlich angegeben haben.
Am meiſten aber machten ſich die Phyſiker mit jenen Erſcheinungen zu thun, welche entſtehen, wenn man die prismatiſchen Farben auf gefaͤrbte Flaͤchen wirft.
Das was man dabey gewahr wird, iſt ſehr ein - fach. Erſtlich muß man bedenken, daß die prismati - ſchen Farben viel lebhafter ſind, als die Farben der Flaͤche, worauf man ſie fallen laͤßt. Zweytens kommt in Betracht, daß die prismatiſche Farbe entweder ho - mogen mit der Flaͤche, oder heterogen ſeyn kann. Im erſten Fall erhoͤht und verherrlicht ſie ſolche und wird dadurch verherrlicht, wie der farbige Stein durch eine gleichgefaͤrbte Folie. Im entgegengeſetzten Falle be - ſchmutzt, ſtoͤrt und zerſtoͤrt eine die andre.
Man kann dieſe Verſuche durch farbige Glaͤſer wiederholen, und das Sonnenlicht durch dieſelben auf farbige Flaͤchen fallen laſſen; und durchaus werden aͤhnliche Reſultate erſcheinen.
Ein Gleiches wird bewirkt, wenn der Beobach - ter durch farbige Glaͤſer nach gefaͤrbten Gegenſtaͤnden hinſieht, deren Farben ſodann nach Beſchaffenheit er - hoͤht, erniedrigt oder aufgehoben werden.
Laͤßt man die prismatiſchen Farben durch farbige Glaͤſer durchgehen, ſo treten die Erſcheinungen voͤllig analog hervor; wobey mehr oder weniger Energie, mehr oder weniger Helle und Dunkle, Klarheit und Reinheit des Glaſes in Betracht kommt, und man - chen zarten Unterſchied hervorbringt, wie jeder genaue213 Beobachter wird bemerken koͤnnen, der dieſe Phaͤno - mene durchzuarbeiten Luſt und Geduld hat.
So iſt es auch wohl kaum noͤthig zu erwaͤhnen, daß mehrer[e]farbige Glaͤſer uͤber einander, nicht weni - ger oͤlgetraͤnkte, durchſcheinende Papiere, alle und jede Arten von Miſchung hervorbringen, und dem Auge, nach Belieben des Experimentirenden, darſtellen.
Schließlich gehoͤren hieher die Laſuren der Ma - ler, wodurch eine viel geiſtigere Miſchung entſteht, als durch die mechaniſch atomiſtiſche, deren ſie ſich ge - woͤhnlich bedienen, hervorgebracht werden kann.
Wenn wir nunmehr auf gedachte Weiſe uns Far - bematerialien verſchafft haben, ſo entſteht ferner die Frage, wie wir ſolche farbloſen Koͤrpern mittheilen koͤnnen, deren Beantwortung fuͤr das Leben, den Ge - brauch, die Benutzung, die Technik von der groͤßten Bedeutung iſt.
Hier kommt abermals die dunkle Eigenſchaft einer jeden Farbe zur Sprache. Von dem Gelben, das ganz nah am Weißen liegt, durchs Orange und Mennigfarbe zum Reinrothen und Carmin, durch alle Abſtufungen des Violetten bis in das ſatteſte Blau, das ganz am Schwarzen liegt, nimmt die Farbe immer an Dunkel - heit zu. Das Blaue einmal ſpecificirt laͤßt ſich ver - duͤnnen, erhellen, mit dem Gelben verbinden, wodurch es Gruͤn wird und ſich nach der Lichtſeite hinzieht. Keinesweges geſchieht dieß aber ſeiner Natur nach.
Bey den phyſiologiſchen Farben haben wir ſchon geſehen, daß ſie ein Minus ſind als das Licht, in - dem ſie beym Abklingen des Lichteindrucks entſtehen, ja zuletzt dieſen Eindruck ganz als ein Dunkles zuruͤck - laſſen. Bey phyſiſchen Verſuchen belehrt uns ſchon der Gebrauch truͤber Mittel, die Wirkung truͤber Neben - bilder, daß hier von einem gedaͤmpften Lichte, von ei - nem Uebergang ins Dunkle die Rede ſey.
Bey der chemiſchen Entſtehung der Pigmente wer - den wir daſſelbe bey der erſten Erregung gewahr. Der gelbe Hauch, der ſich uͤber den Stahl zieht, ver - dunkelt ſchon die glaͤnzende Oberflaͤche. Bey der Ver - wandlung des Bleyweißes in Maſſicot iſt es deutlich, daß das Gelbe dunkler als Weiß ſey.
Dieſe Operation iſt von der groͤßten Zartheit, und ſo auch die Steigerung, welche immer fortwaͤchſt, die Koͤrper, welche bearbeitet werden, immer inniger und kraͤftiger faͤrbt, und ſo auf die groͤßte Feinheit der be - handelten Theile, auf unendliche Theilbarkeit hinweiſt.
Mit den Farben, welche ſich gegen das Dunkle hinbegeben, und folglich beſonders mit dem Blauen koͤn - nen wir ganz an das Schwarze hinanruͤcken; wie uns denn ein recht vollkommnes Berlinerblau, ein durch Vi - triolſaͤure behandelter Indig faſt als Schwarz erſcheint.
Hier iſt es nun der Ort, einer merkwuͤrdigen Er - ſcheinung zu gedenken, daß nehmlich Pigmente in ih - rem hoͤchſt geſaͤttigten und gedraͤngten Zuſtande, be - ſonders aus dem Pflanzenreiche, als erſtgedachter In - dig, oder auf ſeine hoͤchſte Stufe gefuͤhrter Krapp, ihre Farbe nicht mehr zeigen; vielmehr erſcheint auf ihrer Oberflaͤche ein entſchiedener Metallglanz, in wel - chem die phyſiologiſch geforderte Farbe ſpielt.
Schon jeder gute Indig zeigt eine Kupferfarbe auf dem Bruch; welches im Handel ein Kennzeichen aus - macht. Der durch Schwefelſaͤure bearbeitete aber, wenn man ihn dick aufſtreicht, oder eintrocknet, ſo daß weder das weiße Papier noch die Porcellanſchale durchwirken kann, laͤßt eine Farbe ſehen, die dem Orange nahkommt.
Die hochpurpurfarbne ſpaniſche Schminke, wahr - ſcheinlich aus Krapp bereitet, zeigt auf der Oberflaͤche einen vollkommnen gruͤnen Metallglanz. Streicht man beyde Farben, die blaue und rothe, mit einem Pin - ſel auf Porcellan oder Papier aus einander; ſo hat man ſie wieder in ihrer Natur, indem das Helle der Unterlage durch ſie hindurchſcheint.
Farbige Liquoren erſcheinen ſchwarz, wenn kein Licht durch ſie hindurchfaͤllt, wie man ſich in paral - lelepipediſchen Blechgefaͤßen mit Glasboden ſehr leicht uͤberzeugen kann. In einem ſolchen wird jede durch - ſichtige, farbige Infuſion, wenn man einen ſchwar - zen Grund unterlegt, ſchwarz und farblos erſcheinen.
Macht man die Vorrichtung, daß das Bild einer Flamme von der untern Flaͤche zuruͤckſtrahlen kann; ſo erſcheint dieſe gefaͤrbt. Hebt man das Gefaͤß in die Hoͤhe und laͤßt das Licht auf druntergehaltenes weißes Papier fallen; ſo erſcheint die Farbe auf dieſem. Jede helle Unterlage durch ein ſolches gefaͤrbtes Mittel geſehen zeigt die Farbe deſſelben.
Jede Farbe alſo, um geſehen zu werden, muß ein Licht im Hinterhalte haben. Daher kommt es, daß je heller und glaͤnzender die Unterlagen ſind, deſto ſchoͤner erſcheinen die Farben. Zieht man Lackfarben217 auf einen metalliſch glaͤnzenden weißen Grund, wie unſre ſogenannten Folien verfertigt werden; ſo zeigt ſich die Herrlichkeit der Farbe bey dieſem zuruͤckwirken - den Licht ſo ſehr als bey irgend einem prismatiſchen Verſuche. Ja die Energie der phyſiſchen Farben be - ruht hauptſaͤchlich darauf, daß mit und hinter ihnen das Licht immerfort wirkſam iſt.
Lichtenberg, der zwar ſeiner Zeit und Lage nach der hergebrachten Vorſtellung folgen mußte, war doch zu ein guter Beobachter, und zu geiſtreich, als daß er das, was ihm vor Augen erſchien, nicht haͤtte bemerken und nach ſeiner Weiſe erklaͤren und zurecht legen ſollen. Er ſagt in der Vorrede zu Delavalle: „ Auch ſcheint es mir aus andern Gruͤnden — wahr - ſcheinlich, daß unſer Organ, um eine Farbe zu em - pfinden, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mit empfinden muͤſſe. “
Sich weiße Unterlagen zu verſchaffen, iſt das Haupt - geſchaͤft des Faͤrbers. Farbloſen Erden, beſonders dem Alaun, kann jede ſpecificirte Farbe leicht mitgetheilt werden. Beſonders aber hat der Faͤrber mit Produk - ten der animaliſchen und der Pflanzenorganiſation zu ſchaffen.
Alles Lebendige ſtrebt zur Farbe, zum Beſondern, zur Specification, zum Effect, zur Undurchſichtigkeit218 bis ins Unendlichfeine. Alles Abgelebte zieht ſich nach dem Weißen, zur Abſtraction, zur Allgemeinheit, zur Verklaͤrung, zur Durchſichtigkeit.
Wie dieſes durch Technik bewirkt werde, iſt in dem Kapitel von Entziehung der Farbe anzudeuten. Hier bey der Mittheilung haben wir vorzuͤglich zu be - denken, daß Thiere und Vegetabilien im lebendigen Zuſtande Farbe an ihnen hervorbringen, und ſolche daher, wenn ſie ihnen voͤllig entzogen iſt, um deſto leichter wieder in ſich aufnehmen.
Die Mittheilung trifft, wie man leicht ſehen kann, mit der Miſchung zuſammen, ſowohl die wahre als die ſcheinbare. Wir wiederholen deswegen nicht, was oben ſo viel als noͤthig ausgefuͤhrt worden.
Doch bemerken wir gegenwaͤrtig umſtaͤndlicher die Wichtigkeit einer ſcheinbaren Mittheilung, welche durch219 den Widerſchein geſchieht. Es iſt dieſes zwar ſehr be - kannte, doch immer ahndungsvolle Phaͤnomen dem Phyſiker wie dem Maler von der groͤßten Bedeutung.
Man nehme eine jede ſpecificirte farbige Flaͤche, man ſtelle ſie in die Sonne und laſſe den Widerſchein auf andre farbloſe Gegenſtaͤnde fallen. Dieſer Wider - ſchein iſt eine Art gemaͤßigten Lichts, ein Halblicht, ein Halbſchatten, der außer ſeiner gedaͤmpften Natur die ſpecifiſche Farbe der Flaͤche mit abſpiegelt.
Wirkt dieſer Widerſchein auf lichte Flaͤchen, ſo wird er aufgehoben, und man bemerkt die Farbe wenig, die er mit ſich bringt. Wirkt er aber auf Schattenſtellen, ſo zeigt ſich eine gleichſam magiſche Verbindung mit dem σκιερῷ. Der Schatten iſt das ei - gentliche Element der Farbe, und hier tritt zu demſel - ben eine ſchattige Farbe beleuchtend, faͤrbend und be - lebend. Und ſo entſteht eine eben ſo maͤchtige als an - genehme Erſcheinung, welche dem Maler, der ſie zu benutzen weiß, die herrlichſten Dienſte leiſtet. Hier ſind die Vorbilder der ſogenannten Reflexe, die in der Geſchichte der Kunſt erſt ſpaͤter bemerkt werden, und die man ſeltner als billig in ihrer ganzen Man - nigfaltigkeit anzuwenden gewußt hat.
Die Scholaſtiker nannten dieſe Farben colores notionales und intentionales; wie uns denn uͤber - haupt die Geſchichte zeigen wird, daß jene Schule220 die Phaͤnomene ſchon gut genug beachtete, auch ſie gehoͤrig zu ſondern wußte, wenn ſchon die ganze Be - handlungsart ſolcher Gegenſtaͤnde von der unſrigen ſehr verſchieden iſt.
Den Koͤrpern werden auf mancherley Weiſe die Farben entzogen, ſie moͤgen dieſelben von Natur be - ſitzen, oder wir moͤgen ihnen ſolche mitgetheilt haben. Wir ſind daher im Stande, ihnen zu unſerm Vortheil zweckmaͤßig die Farbe zu nehmen, aber ſie entflieht auch oft zu unſerm Nachtheil gegen unſern Willen.
Nicht allein die Grunderden ſind in ihrem natuͤr - lichen Zuſtande weiß, ſondern auch vegetabiliſche und animaliſche Stoffe koͤnnen, ohne daß ihr Gewebe zer - ſtoͤrt wird, in einen weißen Zuſtand verſetzt werden. Da uns nun zu mancherley Gebrauch ein reinliches Weiß hoͤchſt noͤthig und angenehm iſt, wie wir uns beſonders gern der leinenen und baumwollenen Zeuge ungefaͤrbt bedienen; auch ſeidene Zeuge, das Papier und anderes uns deſto angenehmer ſind, je weißer ſie gefunden werden; weil auch ferner, wie wir oben221 geſehen, das Hauptfundament der ganzen Faͤrberey weiße Unterlagen ſind: ſo hat ſich die Technik, theils zufaͤllig, theils mit Nachdenken, auf das Entziehen der Farbe aus dieſen Stoffen ſo emſig geworfen, daß man hieruͤber unzaͤhlige Verſuche gemacht und gar manches Bedeutende entdeckt hat.
In dieſer voͤlligen Entziehung der Farbe liegt ei - gentlich die Beſchaͤftigung der Bleichkunſt, welche von mehreren empiriſcher oder methodiſcher abgehandelt wor - den. Wir geben die Hauptmomente hier nur kuͤrzlich an.
Das Licht wird als eines der erſten Mittel, die Farbe den Koͤrpern zu entziehen, angeſehen, und zwar nicht allein das Sonnenlicht, ſondern das bloße ge - waltloſe Tageslicht. Denn wie beyde Lichter, ſowohl das directe von der Sonne, als auch das abgeleitete Himmelslicht, die Bonnoniſchen Phosphoren entzuͤn - den, ſo wirken auch beyde Lichter auf gefaͤrbte Flaͤchen. Es ſey nun, daß das Licht die ihm verwandte Farbe ergreife, ſie, die ſo viel Flammenartiges hat, gleichſam entzuͤnde, verbrenne, und das an ihr Spe - cificirte wieder in ein Allgemeines aufloͤſe, oder daß eine andre uns unbekannte Operation geſchehe, genug das Licht uͤbt eine große Gewalt gegen farbige Flaͤchen aus und bleicht ſie mehr oder weniger. Doch zeigen auch hier die verſchiedenen Farben eine verſchiedene Zerſtoͤrlichkeit und Dauer; wie denn das Gelbe, be -222 ſonders das aus gewiſſen Stoffen bereitete hier zuerſt davon fliegt.
Aber nicht allein das Licht, ſondern auch die Luft und beſonders das Waſſer wirken gewaltig auf die Entziehung der Farbe. Man will ſogar bemerkt haben, daß wohl befeuchtete, bey Nacht auf dem Raſen aus - gebreitete Garne beſſer bleichen, als ſolche, welche, gleichfalls wohl befeuchtet, dem Sonnenlicht ausgeſetzt werden. Und ſo mag ſich denn freylich das Waſſer auch hier als ein Aufloͤſendes, Vermittlendes, das Zufaͤllige Aufhebendes, und das Beſondre ins Allge - meine Zuruͤckfuͤhrendes beweiſen.
Durch Reagentien wird auch eine ſolche Entziehung bewirkt. Der Weingeiſt hat eine beſondre Neigung, dasjenige, was die Pflanzen faͤrbt, an ſich zu ziehen und ſich damit, oft auf eine ſehr beſtaͤndige Weiſe, zu faͤr - ben. Die Schwefelſaͤure zeigt ſich, beſonders gegen Wolle und Seide, als farbentziehend ſehr wirkſam; und wem iſt nicht der Gebrauch des Schwefeldampfes da bekannt, wo man etwas vergilbtes oder beflecktes Weiß herzuſtellen gedenkt.
Die ſtaͤrkſten Saͤuren ſind in der neuren Zeit als kuͤrzere Bleichmittel angerathen worden.
Eben ſo wirken im Gegenſinne die alcaliſchen Rea - gentien, die Laugen an ſich, die zu Seife mit Lauge223 verbundenen Oele und Fettigkeiten u. ſ. w. wie dieſes alles in den ausdruͤcklich zu dieſem Zwecke verfaßten Schriften umſtaͤndlich gefunden wird.
Uebrigens moͤchte es wohl der Muͤhe werth ſeyn, gewiſſe zarte Verſuche zu machen, inwiefern Licht und Luft auf das Entziehen der Farbe ihre Thaͤtigkeit aͤußern. Man koͤnnte vielleicht unter luftleeren, mit gemeiner Luft oder beſondern Luftarten gefuͤllten Glocken ſolche Farbſtoffe dem Licht ausſetzen, deren Fluͤchtig - keit man kennt, und beobachten, ob ſich nicht an das Glas wieder etwas von der verfluͤchtigten Farbe anſetzte, oder ſonſt ein Niederſchlag ſich zeigte; und ob alsdann dieſes Wiedererſcheinende dem Unſichtbar - gewordnen voͤllig gleich ſey, oder ob es eine Veraͤn - derung erlitten habe. Geſchickte Experimentatoren er - ſinnen ſich hierzu wohl mancherley Vorrichtungen.
Wenn wir nun alſo zuerſt die Naturwirkungen betrachtet haben, wie wir ſie zu unſern Abſichten an - wenden, ſo iſt noch einiges zu ſagen von dem, wie ſie feindlich gegen uns wirken.
Die Malerey iſt in dem Falle, daß ſie die ſchoͤn - ſten Arbeiten des Geiſtes und der Muͤhe durch die Zeit auf mancherley Weiſe zerſtoͤrt ſieht. — Man hat da - her ſich immer viel Muͤhe gegeben, dauernde Pigmente zu finden, und ſie auf eine Weiſe unter ſich, ſo wie224 mit der Unterlage zu vereinigen, daß ihre Dauer da - durch noch mehr geſichert werde; wie uns hiervon die Technik der Malerſchulen genugſam unterrichten kann.
Auch iſt hier der Platz, einer Halbkunſt zu ge - denken, welcher wir in Abſicht auf Faͤrberey ſehr vie - les ſchuldig ſind, ich meyne die Tapetenwirkerey. In - dem man nehmlich in den Fall kam, die zarteſten Schattirungen der Gemaͤlde nachzuahmen, und daher die verſchiedenſt gefaͤrbten Stoffe oft neben einander zu bringen; ſo bemerkte man bald, daß die Farben nicht alle gleich dauerhaft waren, ſondern die eine eher als die andre dem gewobenen Bilde entzogen wurde. Es entſprang daher das eifrigſte Beſtreben, den ſaͤmmtlichen Farben und Schattirungen eine gleiche Dauer zu verſichern, welches beſonders in Frankreich unter Colbert geſchah, deſſen Verfuͤgungen uͤber dieſen Punct in der Geſchichte der Faͤrbekunſt Epoche machen. Die ſogenannte Schoͤnfaͤrberey, welche ſich nur zu ei - ner vergaͤnglichen Anmuth verpflichtete, ward eine beſondre Gilde; mit deſto groͤßerm Ernſt hingegen ſuchte man diejenige Technik, welche fuͤr die Dauer ſtehn ſollte, zu begruͤnden.
So waͤren wir, bey Betrachtung des Entziehens, der Fluͤchtigkeit und Vergaͤnglichkeit glaͤnzender Farben - erſcheinungen, wieder auf die Forderung der Dauer zuruͤckgekehrt, und haͤtten auch in dieſem Sinne un - ſern Kreis abermals abgeſchloſſen.
Nach dem, was wir bisher von dem Entſtehen, dem Fortſchreiten und der Verwandtſchaft der Farben ausgefuͤhrt, wird ſich beſſer uͤberſehen laſſen, welche Nomenclatur kuͤnftig wuͤnſchenswerth waͤre, und was von der bisherigen zu halten ſey.
Die Nomenclatur der Farben ging, wie alle No - menclaturen, beſonders aber diejenigen, welche ſinnliche Gegenſtaͤnde bezeichnen, vom Beſondern aus ins All - gemeine und vom Allgemeinen wieder zuruͤck ins Be - ſondre. Der Name der Species ward ein Geſchlechts - name, dem ſich wieder das Einzelne unterordnete.
Dieſer Weg konnte bey der Beweglichkeit und Un - beſtimmtheit des fruͤhern Sprachgebrauchs zuruͤckgelegt werden, beſonders da man in den erſten Zeiten ſich auf ein lebhafteres ſinnliches Anſchauen verlaſſen durfte. Man bezeichnete die Eigenſchaften der Gegenſtaͤnde un - beſtimmt, weil ſie Jedermann deutlich in der Imagi - nation feſthielt.
Der reine Farbenkreis war zwar enge, er ſchien aber an unzaͤhligen Gegenſtaͤnden ſpecificirt und indivi - dualiſirt und mit Nebenbeſtimmungen bedingt. Man ſehe die Mannigfaltigkeit der griechiſchen und roͤmiſchen Ausdruͤcke (2r Band. S. 54 — 59.) und man wird mit Vergnuͤgen dabey gewahr werden, wie beweglich und laͤßlich die Worte beynahe durch den ganzen Far - benkreis herum gebraucht worden.
In ſpaͤteren Zeiten trat durch die mannigfaltigen Operationen der Faͤrbekunſt manche neue Schattirung ein. Selbſt die Modefarben und ihre Benennungen ſtellten ein unendliches Heer von Farbenindividualitaͤten dar. Auch die Farbenterminologie der neuern Spra - chen werden wir gelegentlich auffuͤhren; wobey ſich denn zeigen wird, daß man immer auf genauere Be - ſtimmungen ausgegangen, und ein Fixirtes, Specificir - tes auch durch die Sprache feſtzuhalten und zu verein - zelnen geſucht hat.
Was die deutſche Terminologie betrifft, ſo hat ſie den Vortheil, daß wir vier einſylbige, an ihren Ur - ſprung nicht mehr erinnernde Namen beſitzen, nehm - lich Gelb, Blau, Roth, Gruͤn. Sie ſtellen nur das Allgemeinſte der Farbe der Einbildungskraft dar, ohne auf etwas Specifiſches hinzudeuten.
Wollten wir in jeden Zwiſchenraum zwiſchen die - ſen vieren noch zwey Beſtimmungen ſetzen, als Roth - gelb und Gelbroth, Rothblau und Blauroth, Gelbgruͤn und Gruͤngelb, Blaugruͤn und Gruͤnblau; ſo wuͤr - den wir die Schattirungen des Farbenkreiſes beſtimmt genug ausdruͤcken; und wenn wir die Bezeichnungen von Hell und Dunkel hinzufuͤgen wollten, ingleichen die Beſchmutzungen einigermaßen andeuten, wozu uns die gleichfalls einſylbigen Worte Schwarz, Weiß, Grau und Braun zu Dienſten ſtehn; ſo wuͤrden wir ziemlich auslangen, und die vorkommenden Erſcheinungen aus - druͤcken, ohne uns zu bekuͤmmern, ob ſie auf dyna - miſchem oder atomiſtiſchem Wege entſtanden ſind.
Man koͤnnte jedoch immer hiebey die ſpecifiſchen und individuellen Ausdruͤcke vortheilhaft benutzen; ſo wie wir uns auch des Worts Orange und Violett bedienten. Ingleichen haben wir das Wort Purpur gebraucht, um das reine in der Mitte ſtehende Roth zu bezeichnen, weil der Saft der Purpurſchnecke, be - ſonders wenn er ſeine Leinwand durchdrungen hat, vorzuͤglich durch das Sonnenlicht zu dem hoͤchſten Puncte der Culmination zu bringen iſt.
Die Farben der Mineralien ſind alle chemiſcher Natur, und ſo kann ihre Entſtehungsweiſe aus dem, was wir von den chemiſchen Farben geſagt haben, ziemlich entwickelt werden.
Die Farbenbenennungen ſtehn unter den aͤußern Kennzeichen oben an, und man hat ſich, im Sinne der neuern Zeit, große Muͤhe gegeben, jede vorkom - mende Erſcheinung genau zu beſtimmen und feſtzuhal - ten; man hat aber dadurch, wie uns duͤnkt, neue Schwierigkeiten erregt, welche beym Gebrauch manche Unbequemlichkeit veranlaſſen.
Freylich fuͤhrt auch dieſes, ſobald man bedenkt, wie die Sache entſtanden, ſeine Entſchuldigung mit ſich. Der Maler hatte von jeher das Vorrecht, die Farbe zu handhaben. Die wenigen ſpecificirten Far - ben ſtanden feſt, und dennoch kamen durch kuͤnſtliche Miſchungen unzaͤhlige Schattirungen hervor, welche die Oberflaͤche der natuͤrlichen Gegenſtaͤnde nachahmten. War es daher ein Wunder, wenn man auch dieſen Mi -229 ſchungsweg einſchlug und den Kuͤnſtler aufrief, ge - faͤrbte Muſterflaͤchen aufzuſtellen, nach denen man die natuͤrlichen Gegenſtaͤnde beurtheilen und bezeichnen koͤnnte. Man fragte nicht, wie geht die Natur zu Werke, um dieſe und jene Farbe auf ihrem innern lebendigen Wege hervorzubringen, ſondern wie belebt der Maler das Todte, um ein dem Lebendigen aͤhn - liches Scheinbild darzuſtellen. Man ging alſo immer von Miſchung aus und kehrte auf Miſchung zuruͤck, ſo daß man zuletzt das Gemiſchte wieder zu miſchen vornahm, um einige ſonderbare Specificationen und Individualiſationen auszudruͤcken und zu unterſcheiden.
Uebrigens laͤßt ſich bey der gedachten eingefuͤhrten mineraliſchen Farbenterminologie noch manches erin - nern. Man hat nehmlich die Benennungen nicht, wie es doch meiſtens moͤglich geweſen waͤre, aus dem Mi - neralreich, ſondern von allerley ſichtbaren Gegenſtaͤnden genommen, da man doch mit groͤßerem Vortheil auf eigenem Grund und Boden haͤtte bleiben koͤnnen. Fer - ner hat man zu viel einzelne, ſpecifiſche Ausdruͤcke aufgenommen, und indem man, durch Vermiſchung dieſer Specificationen, wieder neue Beſtimmungen hervorzubringen ſuchte, nicht bedacht, daß man da - durch vor der Imagination das Bild und vor dem Verſtand den Begriff voͤllig aufhebe. Zuletzt ſtehen denn auch dieſe gewiſſermaßen als Grundbeſtimmungen gebrauchten einzelnen Farbenbenennungen nicht in der beſten Ordnung, wie ſie etwa von einander ſich ab -230 leiten; daher denn der Schuͤler jede Beſtimmung ein - zeln lernen und ſich ein beynahe todtes Poſitives ein - praͤgen muß. Die weitere Ausfuͤhrung dieſes Angedeu - teten ſtuͤnde hier nicht am rechten Orte.
Man kann die Farben organiſcher Koͤrper uͤber - haupt als eine hoͤhere chemiſche Operation anſehen, weswegen ſie auch die Alten durch das Wort Kochung (πέψις) ausgedruͤckt haben. Alle Elementarfarben ſowohl als die gemiſchten und abgeleiteten kommen auf der Oberflaͤche organiſcher Naturen vor; dahingegen das Innere, man kann nicht ſagen, unfaͤrbig, doch eigentlich mißfaͤrbig erſcheint, wenn es zu Tage ge - bracht wird. Da wir bald an einem andern Orte von unſern Anſichten uͤber organiſche Natur einiges mitzu - theilen denken; ſo ſtehe nur dasjenige hier, was fruͤ - her mit der Farbenlehre in Verbindung gebracht war, indeſſen wir zu jenen beſondern Zwecken das weitre vorbereiten. Von den Pflanzen ſey alſo zuerſt ge - ſprochen.
Die Saamen, Bulben, Wurzeln und was uͤber - haupt vom Lichte ausgeſchloſſen iſt, oder unmittelbar231 von der Erde ſich umgeben befindet, zeigt ſich mei - ſtentheils weiß.
Die im Finſtern aus Saamen erzogenen Pflanzen ſind weiß oder ins Gelbe ziehend. Das Licht hinge - gen, indem es auf ihre Farben wirkt, wirkt zugleich auf ihre Form.
Die Pflanzen, die im Finſtern wachſen, ſetzen ſich von Knoten zu Knoten zwar lange fort; aber die Stengel zwiſchen zwey Knoten ſind laͤnger als billig; keine Seitenzweige werden erzeugt und die Metamor - phoſe der Pflanzen hat nicht ſtatt.
Das Licht verſetzt ſie dagegen ſogleich in einen thaͤtigen Zuſtand, die Pflanze erſcheint gruͤn und der Gang der Metamorphoſe bis zur Begattung geht un - aufhaltſam fort.
Wir wiſſen, daß die Stengelblaͤtter nur Vorberei - tungen und Vorbedeutungen auf die Blumen - und Fruchtwerkzeuge ſind; und ſo kann man in den Sten - gelblaͤttern ſchon Farben ſehen, die von weiten auf die Blume hindeuten, wie bey den Amaranthen der Fall iſt.
Es gibt weiße Blumen, deren Blaͤtter ſich zur groͤßten Reinheit durchgearbeitet haben; aber auch far -232 bige, in denen die ſchoͤne Elementarerſcheinung hin und wieder ſpielt. Es gibt deren, die ſich nur theil - weiſe vom Gruͤnen auf eine hoͤhere Stufe losgearbeitet haben.
Blumen einerley Geſchlechts, ja einerley Art, fin - den ſich von allen Farben. Roſen und beſonders Mal - ven z. B. gehen einen großen Theil des Farbenkreiſes durch, vom Weißen ins Gelbe, ſodann durch das Rothgelbe in den Purpur, und von da in das dun - kelſte, was der Purpur, indem er ſich dem Blauen naͤhert, ergreifen kann.
Andere fangen ſchon auf einer hoͤhern Stufe an, wie z. B. die Mohne, welche von dem Gelbrothen aus - gehen und ſich in das Violette hinuͤberziehen.
Doch ſind auch Farben bey Arten, Gattungen, ja Familien und Claſſen, wo nicht beſtaͤndig, doch herr - ſchend, beſonders die gelbe Farbe: die blaue iſt uͤber - haupt ſeltner.
Bey den ſaftigen Huͤllen der Frucht geht etwas aͤhnliches vor, indem ſie ſich von der gruͤnen Farbe durch das Gelbliche und Gelbe bis zu dem hoͤchſten Roth erhoͤhen, wobey die Farbe der Schale die Stu - fen der Reife andeutet. Einige ſind ringsum gefaͤrbt, einige nur an der Sonnenſeite, in welchem letzten233 Falle man die Steigerung des Gelben ins Rothe durch groͤßere An - und Uebereinanderdraͤngung ſehr wohl beobachten kann.
Auch ſind mehrere Fruͤchte innerlich gefaͤrbt, be - ſonders ſind purpurrothe Saͤfte gewoͤhnlich.
Wie die Farbe ſowohl oberflaͤchlich auf der Blume, als durchdringend in der Frucht ſich befindet, ſo ver - breitet ſie ſich auch durch die uͤbrigen Theile, indem ſie die Wurzeln und die Saͤfte der Stengel faͤrbt, und zwar mit ſehr reicher und maͤchtiger Farbe.
So geht auch die Farbe des Holzes vom Gelben durch die verſchiedenen Stufen des Rothen bis ins Pur - purfarbene und Braune hinuͤber. Blaue Hoͤlzer ſind mir nicht bekannt; und ſo zeigt ſich ſchon auf dieſer Stufe der Organiſation die active Seite maͤchtig, wenn in dem allgemeinen Gruͤn der Pflanzen beyde Seiten ſich balanciren moͤgen.
Wir haben oben geſehen, daß der aus der Erde dringende Keim ſich mehrentheils weiß und gelblich zeigt, durch Einwirkung von Licht und Luft aber in die gruͤne Farbe uͤbergeht. Ein aͤhnliches geſchieht bey jungen Blaͤttern der Baͤume, wie man z. B. an den Birken ſehen kann, deren junge Blaͤtter gelblich234 ſind und beym Auskochen einen ſchoͤnen gelben Saft von ſich geben. Nachher werden ſie immer gruͤner, ſo wie die Blaͤtter von andern Baͤumen nach und nach in das Blaugruͤne uͤbergehen.
So ſcheint auch das Gelbe weſentlicher den Blaͤt - tern anzugehoͤren, als der blaue Antheil: denn die - ſer verſchwindet im Herbſte, und das Gelbe des Blat - tes ſcheint in eine braune Farbe uͤbergegangen. Noch merkwuͤrdiger aber ſind die beſonderen Faͤlle, da die Blaͤtter im Herbſte wieder rein gelb werden, und an - dre ſich bis zu dem hoͤchſten Roth hinaufſteigern.
Uebrigens haben einige Pflanzen die Eigenſchaft, durch kuͤnſtliche Behandlung faſt durchaus in ein Far - bematerial verwandelt zu werden, das ſo fein, wirk - ſam und unendlich theilbar iſt, als irgend ein anderes. Beyſpiele ſind der Indigo und Krapp, mit denen ſo viel geleiſtet wird. Auch werden Flechten zum Faͤrben benutzt.
Dieſem Phaͤnomen ſteht ein anderes unmittelbar entgegen, daß man nehmlich den faͤrbenden Theil der Pflanzen ausziehen und gleichſam beſonders darſtellen kann, ohne daß ihre Organiſation dadurch etwas zu leiden ſcheint. Die Farben der Blumen laſſen ſich durch Weingeiſt ausziehen und tingiren denſelben; die Blumenblaͤtter dagegen erſcheinen weiß.
Es gibt verſchiedene Bearbeitungen der Blumen und ihrer Saͤfte durch Reagentien. Dieſes hat Boyle in vielen Experimenten geleiſtet. Man bleicht die Ro - ſen durch Schwefel und ſtellt ſie durch andre Saͤuern wieder her. Durch Tobaksrauch werden die Roſen gruͤn.
Von den Thieren, welche auf den niedern Stufen der Organiſation verweilen, ſey hier vorlaͤufig folgen - des geſagt. Die Wuͤrmer, welche ſich in der Erde aufhalten, der Finſterniß und der kalten Feuchtigkeit gewidmet ſind, zeigen ſich mißfaͤrbig; die Eingewei - dewuͤrmer von warmer Feuchtigkeit im Finſtern aus - gebruͤtet und genaͤhrt, unfaͤrbig; zu Beſtimmung der Farbe ſcheint ausdruͤcklich Licht zu gehoͤren.
Diejenigen Geſchoͤpfe, welche im Waſſer wohnen, welches als ein obgleich ſehr dichtes Mittel dennoch hinreichendes Licht hindurch laͤßt, erſcheinen mehr oder weniger gefaͤrbt. Die Zoophyten, welche die reinſte Kalkerde zu beleben ſcheinen, ſind meiſtentheils weiß;236 doch finden wir die Corallen bis zum ſchoͤnſten Gelb - roth hinaufgeſteigert, welches in andern Wurmgehaͤu - ſen ſich bis nahe zum Purpur hinanhebt.
Die Gehaͤuſe der Schalthiere ſind ſchoͤn gezeich - net und gefaͤrbt; doch iſt zu bemerken, daß weder die Landſchnecken, noch die Schale der Muſcheln des ſuͤßen Waſſers mit ſo hohen Farben geziert ſind, als die des Meerwaſſers.
Bey Betrachtung der Muſchelſchalen, beſonders der gewundenen, bemerken wir, daß zu ihrem Ent - ſtehen eine Verſammlung unter ſich aͤhnlicher, thieri - ſcher Organe ſich wachſend vorwaͤrts bewegte, und, indem ſie ſich um eine Axe drehten, das Gehaͤuſe durch eine Folge von Riefen, Raͤndern, Rinnen und Erhoͤhungen, nach einem immer ſich vergroͤßernden Maaßſtab, hervorbrachten. Wir bemerken aber auch zugleich, daß dieſen Organen irgend ein mannigfaltig faͤrbender Saft beywohnen mußte, der die Oberflaͤche des Gehaͤuſes, wahrſcheinlich durch unmittelbare Ein - wirkung des Meerwaſſers, mit farbigen Linien, Punc - ten, Flecken und Schattirungen, Epochenweis be - zeichnete, und ſo die Spuren ſeines ſteigenden Wachs - thums auf der Außenſeite dauernd hinterließ, indeß die innre meiſtens weiß oder nur blaßgefaͤrbt angetrof - fen wird.
Daß in den Muſcheln ſolche Saͤfte ſich befinden, zeigt uns die Erfahrung auch außerdem genugſam, in - dem ſie uns dieſelben noch in ihrem fluͤſſigen und faͤr - benden Zuſtande darbietet; wovon der Saft des Tin - tenfiſches ein Zeugniß gibt; ein weit ſtaͤrkeres aber derjenige Purpurſaft, welcher in mehreren Schnecken gefunden wird, der von Alters her ſo beruͤhmt iſt und in der neuern Zeit auch wohl benutzt wird. Es gibt nehmlich unter den Eingeweiden mancher Wuͤr - mer, welche ſich in Schalgehaͤuſen aufhalten, ein gewiſſes Gefaͤß, das mit einem rothen Safte gefuͤllt iſt. Dieſer enthaͤlt ein ſehr ſtark und dauerhaft faͤr - bendes Weſen, ſo daß man die ganzen Thiere zer - knirſchen, kochen und aus dieſer animaliſchen Bruͤhe doch noch eine hinreichend faͤrbende Feuchtigkeit heraus - nehmen konnte. Es laͤßt ſich aber dieſes farbgefuͤllte Gefaͤß auch von dem Thiere abſondern, wodurch denn freylich ein concentrirterer Saft gewonnen wird.
Dieſer Saft hat das Eigene, daß er, dem Licht und der Luft ausgeſetzt, erſt gelblich, dann gruͤnlich er - ſcheint, dann ins Blaue, von da ins Violette uͤber - geht, immer aber ein hoͤheres Roth annimmt, und zuletzt durch Einwirkung der Sonne, beſonders wenn er auf Battiſt aufgetragen worden, eine reine hohe rothe Farbe annimmt.
Wir haͤtten alſo hier eine Steigerung von der Minusſeite bis zur Culmination, die wir bey den un - organiſchen Faͤllen nicht leicht gewahr wurden; ja wir koͤnnen dieſe Erſcheinung beynahe ein Durchwandern des ganzen Kreiſes nennen, und wir ſind uͤberzeugt, daß durch gehoͤrige Verſuche wirklich die ganze Durch - wanderung des Kreiſes bewirkt werden koͤnne: denn es iſt wohl kein Zweifel, daß ſich durch wohl ange - wendete Saͤuern der Purpur vom Culminationspuncte heruͤber nach dem Scharlach fuͤhren ließe.
Dieſe Feuchtigkeit ſcheint von der einen Seite mit der Begattung zuſammenzuhaͤngen, ja ſogar finden ſich Eier, die Anfaͤnge kuͤnftiger Schalthiere, welche ein ſolches faͤrbendes Weſen enthalten. Von der an - dern Seite ſcheint aber dieſer Saft auf das bey hoͤher ſtehenden Thieren ſich entwickelnde Blut zu deuten. Denn das Blut laͤßt uns aͤhnliche Eigenſchaften der Farbe ſehen. In ſeinem verduͤnnteſten Zuſtande er - ſcheint es uns gelb, verdichtet, wie es in den Adern ſich befindet, roth, und zwar zeigt das arterielle Blut ein hoͤheres Roth, wahrſcheinlich wegen der Saͤurung, die ihm beym Athemholen widerfaͤhrt; das venoͤſe Blut geht mehr nach dem Violetten hin, und zeigt durch dieſe Beweglichkeit auf jenes uns genug - ſam bekannte Steigern und Wandern.
Sprechen wir, ehe wir das Element des Waſ - ſers verlaſſen, noch einiges von den Fiſchen, deren ſchuppige Oberflaͤche zu gewiſſen Farben oͤfters theils im Ganzen, theils ſtreifig, theils fleckenweis ſpecifi - cirt iſt, noch oͤfter ein gewiſſes Farbenſpiel zeigt, das auf die Verwandtſchaft der Schuppen mit den Gehaͤu - ſen der Schalthiere, dem Perlemutter, ja ſelbſt der Perle hinweiſt. Nicht zu uͤbergehen iſt hierbey, daß heißere Himmelsſtriche, auch ſchon in das Waſſer wirk - ſam, die Farben der Fiſche hervorbringen, verſchoͤ - nern und erhoͤhen.
Auf Otahiti bemerkte Forſter Fiſche, deren Ober - flaͤchen ſehr ſchoͤn ſpielten, beſonders im Augenblick, da der Fiſch ſtarb. Man erinnre ſich hierbey des Chamaͤleons und andrer aͤhnlichen Erſcheinungen, wel - che dereinſt zuſammengeſtellt dieſe Wirkungen deutlicher erkennen laſſen.
Noch zuletzt, obgleich außer der Reihe, iſt wohl noch das Farbenſpiel gewiſſer Molusken zu erwaͤhnen, ſo wie die Phosphorescenz einiger Seegeſchoͤpfe, welche ſich auch in Farben ſpielend verlieren ſoll.
Wenden wir nunmehr unſre Betrachtung auf die - jenigen Geſchoͤpfe, welche dem Licht und der Luft und der trocknen Waͤrme angehoͤren; ſo finden wir uns240 freylich erſt recht im lebendigen Farbenreiche. Hier erſcheinen uns an trefflich organiſirten Theilen die Ele - mentarfarben in ihrer groͤßten Reinheit und Schoͤnheit. Sie deuten uns aber doch, daß eben dieſe Geſchoͤpfe noch auf einer niedern Stufe der Organiſation ſtehen, eben weil dieſe Elementarfarben noch unverarbeitet bey ihnen hervortreten koͤnnen. Auch hier ſcheint die Hitze viel zu Ausarbeitung dieſer Erſcheinung beyzutragen.
Wir finden Inſecten, welche als ganz concentrir - ter Farbenſtoff anzuſehen ſind, worunter beſonders die Coccusarten beruͤhmt ſind; wobey wir zu bemer - ken nicht unterlaſſen, daß ihre Weiſe, ſich an Vegeta - bilien anzuſiedeln, ja in dieſelben hineinzuniſten, auch zugleich jene Auswuͤchſe hervorbringt, welche als Bei - zen zu Befeſtigung der Farben ſo große Dienſte leiſten.
Am auffallendſten aber zeigt ſich die Farbengewalt, verbunden mit regelmaͤßiger Organiſation, an denjeni - gen Inſecten, welche eine vollkommene Metamorphoſe zu ihrer Entwicklung beduͤrfen, an Kaͤfern, vorzuͤg - lich aber an Schmetterlingen.
Dieſe letztern, die man wahrhafte Ausgeburten des Lichtes und der Luft nennen koͤnnte, zeigen ſchon in ihrem Raupenzuſtand oft die ſchoͤnſten Farben, welche, ſpecificirt wie ſie ſind, auf die kuͤnftigen Farben des Schmetterlings deuten; eine Betrachtung,241 die wenn ſie kuͤnftig weiter verfolgt wird, gewiß in manches Geheimniß der Organiſation eine erfreuliche Einſicht gewaͤhren muß.
Wenn wir uͤbrigens die Fluͤgel des Schmetterlings naͤher betrachten und in ſeinem netzartigen Gewebe die Spuren eines Armes entdecken, und ferner die Art, wie dieſer gleichſam verflaͤchte Arm durch zarte Federn bedeckt und zum Organ des Fliegens beſtimmt wor - den; ſo glauben wir ein Geſetz gewahr zu werden, wo - nach ſich die große Mannigfaltigkeit der Faͤrbung rich - tet, welches kuͤnftig naͤher zu entwickeln ſeyn wird.
Daß auch uͤberhaupt die Hitze auf Groͤße des Ge - ſchoͤpfes, auf Ausbildung der Form, auf mehrere Herrlichkeit der Farben Einfluß habe, bedarf wohl kaum erinnert zu werden.
Je weiter wir nun uns gegen die hoͤhern Orga - niſationen bewegen, deſto mehr haben wir Urſache, fluͤchtig und voruͤbergehend, nur einiges hinzuſtreuen. I. 16242Denn alles, was ſolchen organiſchen Weſen natuͤrlich begegnet, iſt eine Wirkung von ſo vielen Praͤmiſſen, daß ohne dieſelben wenigſtens angedeutet zu haben, nur etwas Unzulaͤngliches und Gewagtes ausgeſprochen wird.
Wie wir bey den Pflanzen finden, daß ihr Hoͤhe - res, die ausgebildeten Bluͤten und Fruͤchte auf dem Stamme gleichſam gewurzelt ſind, und ſich von voll - kommneren Saͤften naͤhren, als ihnen die Wurzel zuerſt zugebracht hat; wie wir bemerken, daß die Schmarotzerpflanzen, die das Organiſche als ihr Ele - ment behandeln, an Kraͤften und Eigenſchaften ſich ganz vorzuͤglich beweiſen, ſo koͤnnen wir auch die Fe - dern der Voͤgel in einem gewiſſen Sinne mit den Pflanzen vergleichen. Die Federn entſpringen als ein Letztes aus der Oberflaͤche eines Koͤrpers, der noch viel nach außen herzugeben hat, und ſind deswegen ſehr reich ausgeſtattete Organe.
Die Kiele erwachſen nicht allein verhaͤltnißmaͤßig zu einer anſehnlichen Groͤße, ſondern ſie ſind durchaus geaͤſtet, wodurch ſie eigentlich zu Federn werden, und manche dieſer Ausaͤſtungen, Befiederungen ſind wieder ſubdividirt, wodurch ſie abermals an die Pflanzen erinnern.
Die Federn ſind ſehr verſchieden an Form und Groͤße, aber ſie bleiben immer daſſelbe Organ, das243 ſich nur nach Beſchaffenheit des Koͤrpertheiles, aus welchem es entſpringt, bildet und umbildet.
Mit der Form verwandelt ſich auch die Farbe, und ein gewiſſes Geſetz leitet ſowohl die allgemeine Faͤrbung, als auch die beſondre, wie wir ſie nennen moͤchten, diejenige nehmlich, wodurch die einzelne Feder ſcheckig wird. Dieſes iſt es, woraus alle Zeich - nung des bunten Gefieders entſpringt, und woraus zuletzt das Pfauenauge hervorgeht. Es iſt ein aͤhnli - ches mit jenem, das wir bey Gelegenheit der Meta - morphoſe der Pflanzen fruͤher entwickelt, und welches darzulegen wir die naͤchſte Gelegenheit ergreifen werden.
Noͤthigen uns hier Zeit und Umſtaͤnde uͤber dieſes organiſche Geſetz hinauszugehen, ſo iſt doch hier unſre Pflicht, der chemiſchen Wirkungen zu gedenken, welche ſich bey Faͤrbung der Federn auf eine uns nun ſchon hinlaͤnglich bekannte Weiſe zu aͤußern pflegen.
Das Gefieder iſt allfarbig, doch im Ganzen das gelbe, das ſich zum Rothen ſteigert, haͤufiger als das blaue.
Die Einwirkung des Lichts auf die Federn und ihre Farben iſt durchaus bemerklich. So iſt zum Bey - ſpiel auf der Bruſt gewiſſer Papageyen die Feder ei -16 *244gentlich gelb. Der ſchuppenartig hervortretende Theil, den das Licht beſcheint, iſt aus dem Gelben ins Ro - the geſteigert. So ſieht die Bruſt eines ſolchen Thiers hochroth aus, wenn man aber in die Federn blaͤſt, erſcheint das Gelbe.
So iſt durchaus der unbedeckte Theil der Federn von dem im ruhigen Zuſtand bedeckten hoͤchlich unter - ſchieden, ſo daß ſogar nur der unbedeckte Theil, z. B. bey Raben, bunte Farben ſpielt, der bedeckte aber nicht; nach welcher Anleitung man die Schwanzfe - dern, wenn ſie durch einander geworfen ſind, ſogleich wieder zurecht legen kann.
Hier fangen die Elementarfarben an uns ganz zu verlaſſen. Wir ſind auf der hoͤchſten Stufe, auf der wir nur fluͤchtig verweilen.
Das Saͤugthier ſteht uͤberhaupt entſchieden auf der Lebensſeite. Alles, was ſich an ihm aͤußert, iſt le - bendig. Von dem Innern ſprechen wir nicht, alſo hier nur einiges von der Oberflaͤche. Die Haare un -245 terſcheiden ſich ſchon dadurch von den Federn, daß ſie der Haut mehr angehoͤren, daß ſie einfach, faden - artig, nicht geaͤſtet ſind. An den verſchiedenen Thei - len des Koͤrpers ſind ſie aber auch, nach Art der Fe - dern, kuͤrzer, laͤnger, zarter und ſtaͤrker, farblos oder gefaͤrbt, und dieß alles nach Geſetzen, welche ſich aus - ſprechen laſſen.
Weiß und Schwarz, Gelb, Gelbroth und Braun wechſeln auf mannigfaltige Weiſe, doch erſcheinen ſie niemals auf eine ſolche Art, daß ſie uns an die Ele - mentarfarben erinnerten. Sie ſind alle vielmehr ge - miſchte, durch organiſche Kochung bezwungene Farben, und bezeichnen mehr oder weniger die Stufenhoͤhe des Weſens, dem ſie angehoͤren.
Eine von den wichtigſten Betrachtungen der Mor - phologie, in ſofern ſie Oberflaͤchen beobachtet, iſt dieſe, daß auch bey den vierfuͤßigen Thieren die Flecken der Haut auf die innern Theile, uͤber welche ſie gezogen iſt, einen Bezug haben. So willkuͤhrlich uͤbrigens die Natur dem fluͤchtigen Anblick hier zu wirken ſcheint, ſo conſequent wird dennoch ein tiefes Geſetz beobachtet, deſſen Entwicklung und Anwendung freylich nur einer genauen Sorgfalt und treuen Theilnehmung vorbe - halten iſt.
Wenn bey Affen gewiſſe nackte Theile bunt, mit Elementarfarben, erſcheinen, ſo zeigt dieß die weite246 Entfernung eines ſolchen Geſchoͤpfs von der Vollkom - menheit an: denn man kann ſagen, je edler ein Ge - ſchoͤpf iſt, je mehr iſt alles Stoffartige in ihm verar - beitet; je weſentlicher ſeine Oberflaͤche mit dem In - nern zuſammenhaͤngt, deſto weniger koͤnnen auf derſel - ben Elementarfarben erſcheinen. Denn da, wo alles ein vollkommenes Ganzes zuſammen ausmachen ſoll, kann ſich nicht hier und da etwas Specifiſches abſon - dern.
Von dem Menſchen haben wir wenig zu ſagen, denn er trennt ſich ganz von der allgemeinen Naturlehre los, in der wir jetzt eigentlich wandeln. Auf des Men - ſchen Inneres iſt ſo viel verwandt, daß ſeine Oberflaͤche nur ſparſamer begabt werden konnte.
Wenn man nimmt, daß ſchon unter der Haut die Thiere mit Intercutanmuskeln mehr belaſtet als be - guͤnſtigt ſind; wenn man ſieht, daß gar manches Ueberfluͤſſige nach außen ſtrebt, wie zum Beyſpiel die großen Ohren und Schwaͤnze, nicht weniger die Haare, Maͤhnen, Zotten: ſo ſieht man wohl, daß die Natur vieles abzugeben und zu verſchwenden hatte.
Dagegen iſt die Oberflaͤche des Menſchen glatt und rein, und laͤßt, bey den vollkommenſten, außer wenigen mit Haar mehr gezierten als bedeckten Stel - len, die ſchoͤne Form ſehen: denn im Vorbeygehen247 ſey es geſagt, ein Ueberfluß der Haare an Bruſt, Ar - men, Schenkeln deutet eher auf Schwaͤche als auf Staͤrke; wie denn wahrſcheinlich nur die Poeten, durch den Anlaß einer uͤbrigens ſtarken Thiernatur ver - fuͤhrt, mit unter ſolche haarige Helden zu Ehren ge - bracht haben.
Doch haben wir hauptſaͤchlich an dieſem Ort von der Farbe zu reden. Und ſo iſt die Farbe der menſch - lichen Haut, in allen ihren Abweichungen, durchaus keine Elementarfarbe, ſondern eine durch organiſche Kochung hoͤchſt bearbeitete Erſcheinung.
Daß die Farbe der Haut und Haare auf einen Unterſchied der Charaktere deute, iſt wohl keine Frage, wie wir ja ſchon einen bedeutenden Unterſchied an blonden und braunen Menſchen gewahr werden; wo - durch wir auf die Vermuthung geleitet worden, daß ein oder das andre organiſche Syſtem vorwaltend eine ſolche Verſchiedenheit hervorbringe. Ein gleiches laͤßt ſich wohl auf Nationen anwenden; wobey vielleicht zu bemerken waͤre, daß auch gewiſſe Farben mit ge - wiſſen Bildungen zuſammentreffen, worauf wir ſchon durch die Mohrenphyſiognomien aufmerkſam geworden.
Uebrigens waͤre wohl hier der Ort, der Zweifler - frage zu begegnen, ob denn nicht alle Menſchenbil - dung und Farbe gleich ſchoͤn, und nur durch Gewohn -248 heit und Eigenduͤnkel eine der andern vorgezogen werde. Wir getrauen uns aber in Gefolg alles deſſen, was bisher vorgekommen, zu behaupten, daß der weiße Menſch, d. h. derjenige, deſſen Oberflaͤche vom Wei - ßen ins Gelbliche, Braͤunliche, Roͤthliche ſpielt, kurz deſſen Oberflaͤche am gleichguͤltigſten erſcheint, am wenigſten ſich zu irgend etwas Beſondrem hinneigt, der ſchoͤnſte ſey. Und ſo wird auch wohl kuͤnftig, wenn von der Form die Rede ſeyn wird, ein ſolcher Gip - fel menſchlicher Geſtalt ſich vor das Anſchauen bringen laſſen; nicht als ob dieſe alte Streitfrage hierdurch fuͤr immer entſchieden ſeyn ſollte: denn es gibt Men - ſchen genug, welche Urſache haben, dieſe Deutſamkeit des Aeußern in Zweifel zu ſetzen; ſondern daß dasjenige ausgeſprochen werde, was aus einer Folge von Beob - achtung und Urtheil einem Sicherheit und Beruhigung ſuchenden Gemuͤthe hervorſpringt. Und ſo fuͤgen wir zum Schluß noch einige auf die elementarchemiſche Farbenlehre ſich beziehende Betrachtungen bey.
Die phyſiſchen und chemiſchen Wirkungen farblo - ſer Beleuchtung ſind bekannt, ſo daß es hier unnoͤ -249 thig ſeyn duͤrfte, ſie weitlaͤuftig aus einander zu ſetzen. Das farbloſe Licht zeigt ſich unter verſchiedenen Bedin - gungen, als Waͤrme erregend, als ein Leuchten ge - wiſſen Koͤrpern mittheilend, als auf Saͤurung und Entſaͤurung wirkend. In der Art und Staͤrke dieſer Wirkungen findet ſich wohl mancher Unterſchied, aber keine ſolche Differenz, die auf einen Gegenſatz hin - wieſe, wie ſolche bey farbigen Beleuchtungen erſcheint, wovon wir nunmehr kuͤrzlich Rechenſchaft zu geben ge - denken.
Von der Wirkung farbiger Beleuchtung als Waͤrme erregend wiſſen wir folgendes zu ſagen: An einem ſehr ſenſiblen, ſogenannten Luftthermometer beobachte man die Temperatur des dunklen Zimmers. Bringt man die Kugel darauf in das direct hereinſcheinende Sonnenlicht, ſo iſt nichts natuͤrlicher, als daß die Fluͤſſigkeit einen viel hoͤhern Grad der Waͤrme anzeige. Schiebt man alsdann farbige Glaͤſer vor, ſo folgt auch ganz natuͤrlich, daß ſich der Waͤrmegrad vermindre, erſtlich weil die Wirkung des directen Lichts ſchon durch das Glas etwas gehindert iſt, ſodann aber vor - zuͤglich, weil ein farbiges Glas, als ein Dunkles, ein wenigeres Licht hindurchlaͤßt.
Hiebey zeigt ſich aber dem aufmerkſamen Beobach - ter ein Unterſchied der Waͤrmerregung, je nachdem dieſe oder jene Farbe dem Glaſe eigen iſt. Das gelbe und gelbrothe Glas bringt eine hoͤhere Temperatur, als250 das blaue und blaurothe hervor, und zwar iſt der Un - terſchied von Bedeutung.
Will man dieſen Verſuch mit dem ſogenannten prismatiſchen Spectrum anſtellen, ſo bemerke man am Thermometer erſt die Temperatur des Zimmers, laſſe alsdann das blaufaͤrbige Licht auf die Kugel fallen; ſo wird ein etwas hoͤherer Waͤrmegrad angezeigt, wel - cher immer waͤchſt, wenn man die uͤbrigen Farben nach und nach auf die Kugel bringt. In der gelbro - then iſt die Temperatur am ſtaͤrkſten, noch ſtaͤrker aber unter dem Gelbrothen.
Macht man die Vorrichtung mit dem Waſſer - prisma, ſo daß man das weiße Licht in der Mitte vollkommen haben kann, ſo iſt dieſes zwar gebrochne, aber noch nicht gefaͤrbte Licht das waͤrmſte; die uͤbri - gen Farben verhalten ſich hingegen wie vorher geſagt.
Da es hier nur um Andeutung, nicht aber um Ableitung und Erklaͤrung dieſer Phaͤnomene zu thun iſt, ſo bemerken wir nur im Vorbeygehen, daß ſich am Spectrum unter dem Rothen keinesweges das Licht vollkommen abſchneidet, ſondern daß immer noch ein gebrochnes, von ſeinem Wege abgelenktes, ſich hin - ter dem prismatiſchen Farbenbilde gleichſam herſchlei - chendes Licht zu bemerken iſt; ſo daß man bey naͤhe - rer Betrachtung wohl kaum noͤthig haben wird zu un - ſichtbaren Strahlen und deren Brechung ſeine Zuflucht zu nehmen.
Die Mittheilung des Lichtes durch farbige Beleuch - tung zeigt dieſelbige Differenz. Den Bononiſchen Phosphoren theilt ſich das Licht mit durch blaue und violette Glaͤſer, keinesweges aber durch gelbe und gelb - rothe; ja man will ſogar bemerkt haben, daß die Phosphoren, welchen man durch violette und blaue Glaͤſer den Gluͤhſchein mitgetheilt, wenn man ſolche nachher unter die gelben und gelbrothen Scheiben ge - bracht, fruͤher verloͤſchen, als die, welche man im dunklen Zimmer ruhig liegen laͤßt.
Man kann dieſe Verſuche wie die vorhergehenden auch durch das prismatiſche Spectrum machen, und es zeigen ſich immer dieſelben Reſultate.
Von der Wirkung farbiger Beleuchtung auf Saͤu - rung und Entſaͤurung kann man ſich folgendermaßen unterrichten. Man ſtreiche feuchtes, ganz weißes Horn - ſilber auf einen Papierſtreifen; man lege ihn ins Licht, daß er einigermaßen grau werde und ſchneide ihn als - denn in drey Stuͤcke. Das eine lege man in ein Buch, als bleibendes Muſter, das andre unter ein gelbrothes, das dritte unter ein blaurothes Glas. Dieſes letzte Stuͤck wird immer dunkelgrauer werden und eine Entſaͤurung anzeigen. Das unter dem gelb - rothen befindliche wird immer heller grau, tritt alſo dem erſten Zuſtand vollkommnerer Saͤurung wieder252 naͤher. Von beyden kann man ſich durch Vergleichung mit dem Muſterſtuͤcke uͤberzeugen.
Man hat auch eine ſchoͤne Vorrichtung gemacht, dieſe Verſuche mit dem prismatiſchen Bilde anzuſtellen. Die Reſultate ſind denen bisher erwaͤhnten gemaͤß, und wir werden das naͤhere davon ſpaͤterhin vortragen und dabey die Arbeiten eines genauen Beobachters be - nutzen, der ſich bisher mit dieſen Verſuchen ſorgfaͤltig beſchaͤftigte.
Zuerſt erſuchen wir unſre Leſer, dasjenige wieder nachzuſehen, was wir oben (285 — 298) uͤber dieſe Materie vorgetragen, damit es hier keiner weitern Wie - derholung beduͤrfe.
Man kann alſo einem Glaſe die Eigenſchaft geben, daß es, ohne viel ſtaͤrker zu refrangiren als vorher, d. h. ohne das Bild um ein ſehr merkliches weiter zu253 verruͤcken, dennoch viel breitere Farbenſaͤume hervor - bringt.
Dieſe Eigenſchaft wird dem Glaſe durch Metall - kalke mitgetheilt. Daher Mennige mit einem reinen Glaſe innig zuſammengeſchmolzen und vereinigt, dieſe Wirkung hervorbringt. Flintglas (291) iſt ein ſolches mit Bleykalk bereitetes Glas. Auf dieſem Wege iſt man weiter gegangen und hat die ſogenannte Spieß - glanzbutter, die ſich nach einer neuern Bereitung als reine Fluͤſſigkeit darſtellen laͤßt, in linſenfoͤrmigen und prismatiſchen Gefaͤßen benutzt, und hat eine ſehr ſtarke Farbenerſcheinung bey maͤßiger Refraction hervorge - bracht, und die von uns ſogenannte Hyperchromaſie ſehr lebhaft dargeſtellt.
Bedenkt man nun, daß das gemeine Glas, we - nigſtens uͤberwiegend alcaliſcher Natur ſey, indem es vorzuͤglich aus Sand und Laugenſalzen zuſammenge - ſchmolzen wird; ſo moͤchte wohl eine Reihe von Ver - ſuchen belehrend ſeyn, welche das Verhaͤltniß voͤllig alcaliſcher Liquoren zu voͤlligen Saͤuren auseinander - ſetzten.
Waͤre nun das Maximum und Minimum gefun - den; ſo waͤre die Frage, ob nicht irgend ein brechend Mittel zu erdenken ſey, in welchem die von der Re - fraction beynah unabhaͤngig auf - und abſteigende Far -254 benerſcheinung, bey Verruͤckung des Bildes, voͤllig Null werden koͤnnte.
Wie ſehr wuͤnſchenswerth waͤre es daher fuͤr die - ſen letzten Punct ſowohl, als fuͤr unſre ganze dritte Abtheilung, ja fuͤr die Farbenlehre uͤberhaupt, daß die mit Bearbeitung der Chemie, unter immer fortſchrei - tenden neuen Anſichten, beſchaͤftigten Maͤnner auch hier eingreifen, und das, was wir beynahe nur mit ro - hen Zuͤgen angedeutet, in das Feinere verfolgen und in einem allgemeinen, der ganzen Wiſſenſchaft zuſa - genden Sinne bearbeiten moͤchten.
Wir haben bisher die Phaͤnomene faſt gewaltſam aus einander gehalten, die ſich theils ihrer Natur nach, theils dem Beduͤrfniß unſres Geiſtes gemaͤß, immer wieder zu vereinigen ſtrebten. Wir haben ſie, nach einer gewiſſen Methode, in drey Abtheilungen vorge - tragen, und die Farben zuerſt bemerkt als fluͤchtige Wirkung und Gegenwirkung des Auges ſelbſt, ferner als voruͤbergehende Wirkung farbloſer, durchſcheinen - der, durchſichtiger, undurchſichtiger Koͤrper auf das Licht, beſonders auf das Lichtbild; endlich ſind wir zu dem Puncte gelangt, wo wir ſie als dauernd, als den Koͤrpern wirklich einwohnend zuverſichtlich anſpre - chen konnten.
In dieſer ſtaͤtigen Reihe haben wir, ſo viel es moͤglich ſeyn wollte, die Erſcheinungen zu beſtimmen,256 zu ſondern, und zu ordnen geſucht. Jetzt, da wir nicht mehr fuͤrchten, ſie zu vermiſchen, oder zu verwir - ren, koͤnnen wir unternehmen, erſtlich das Allgemeine, was ſich von dieſen Erſcheinungen innerhalb des ge - ſchloſſenen Kreiſes praͤdiciren laͤßt, anzugeben, zweytens, anzudeuten, wie ſich dieſer beſondre Kreis an die uͤbri - gen Glieder verwandter Naturerſcheinungen anſchließt und ſich mit ihnen verkettet.
Wir haben beobachtet, daß die Farbe unter man - cherley Bedingungen ſehr leicht und ſchnell entſtehe. Die Empfindlichkeit des Auges gegen das Licht, die geſetzliche Gegenwirkung der Retina gegen daſſelbe brin - gen augenblicklich ein leichtes Farbenſpiel hervor. Je - des gemaͤßigte Licht kann als farbig angeſehen werden, ja wir duͤrfen jedes Licht, inſofern es geſehen wird, farbig nennen. Farbloſes Licht, farbloſe Flaͤchen ſind gewiſſermaßen Abſtractionen; in der Erfahrung wer - den wir ſie kaum gewahr.
Wenn das Licht einen farbloſen Koͤrper beruͤhrt, von ihm zuruͤckprallt, an ihm her, durch ihn durch - geht, ſo erſcheinen die Farben ſogleich; nur muͤſſen257 wir hierbey bedenken, was ſo oft von uns urgirt worden, daß nicht jene Hauptbedingungen der Refraction, der Reflexion u. ſ. w. hinreichend ſind, die Erſcheinung hervorzubringen. Das Licht wirkt zwar manchmal da - bey an und fuͤr ſich, oͤfters aber als ein beſtimmtes, begraͤnztes, als ein Lichtbild. Die Truͤbe der Mittel iſt oft eine nothwendige Bedingung, ſo wie auch Halb - und Doppelſchatten zu manchen farbigen Er - ſcheinungen erfordert werden. Durchaus aber entſteht die Farbe augenblicklich und mit der groͤßten Leichtig - keit. So finden wir denn auch ferner, daß durch Druck, Hauch, Rotation, Waͤrme, durch mancherley Arten von Bewegung und Veraͤnderung an glatten rei - nen Koͤrpern, ſo wie an farbloſen Liquoren, die Farbe ſogleich hervorgebracht werde.
In den Beſtandtheilen der Koͤrper darf nur die geringſte Veraͤnderung vor ſich gehen, es ſey nun durch Miſchung mit andern, oder durch ſonſtige Be - ſtimmungen; ſo entſteht die Farbe an den Koͤrpern, oder veraͤndert ſich an denſelben.
Die phyſiſchen Farben und beſonders die prisma - tiſchen wurden ehemals wegen ihrer beſondern Herr -I. 17258lichkeit und Energie colores emphatici genannt. Bey naͤherer Betrachtung aber kann man allen Farber - ſcheinungen eine hohe Emphaſe zuſchreiben; vorausge - ſetzt, daß ſie unter den reinſten und vollkommenſten Bedingungen dargeſtellt werden.
Die dunkle Natur der Farbe, ihre hohe geſaͤt - tigte Qualitaͤt iſt das, wodurch ſie den ernſthaften und zugleich reizenden Eindruck hervorbringt, und indem man ſie als eine Bedingung des Lichtes anſehen kann, ſo kann ſie auch das Licht nicht entbehren als der mit - wirkenden Urſache ihrer Erſcheinung, als der Unterlage ihres Erſcheinens, als einer aufſcheinenden und die Farbe manifeſtirenden Gewalt.
Entſtehen der Farbe und ſich entſcheiden iſt eins. Wenn das Licht mit einer allgemeinen Gleichguͤltigkeit ſich und die Gegenſtaͤnde darſtellt, und uns von einer bedeutungsloſen Gegenwart gewiß macht, ſo zeigt ſich die Farbe jederzeit ſpecifiſch, charakteriſtiſch, bedeutend.
Im Allgemeinen betrachtet entſcheidet ſie ſich nach zwey Seiten. Sie ſtellt einen Gegenſatz dar, den wir259 eine Polaritaͤt nennen und durch ein + und — recht gut bezeichnen koͤnnen.
| Plus. | Minus. |
| Gelb. | Blau. |
| Wirkung. | Beraubung. |
| Licht. | Schatten. |
| Hell. | Dunkel. |
| Kraft. | Schwaͤche. |
| Waͤrme. | Kaͤlte. |
| Naͤhe. | Ferne. |
| Abſtoßen. | Anziehen. |
| Verwandtſchaft | Verwandtſchaft |
| mit Saͤuren. | mit Alkalien. |
Wenn man dieſen ſpecificirten Gegenſatz in ſich vermiſcht, ſo heben ſich die beyderſeitigen Eigenſchaften nicht auf; ſind ſie aber auf den Punct des Gleichge - wichts gebracht, daß man keine der beyden beſonders erkennt, ſo erhaͤlt die Miſchung wieder etwas Speci - fiſches fuͤrs Auge, ſie erſcheint als eine Einheit, bey der wir an die Zuſammenſetzung nicht denken. Dieſe Einheit nennen wir Gruͤn.
Wenn nun zwey aus derſelben Quelle entſprin - gende entgegengeſetzte Phaͤnomene, indem man ſie zu -17 *260ſammenbringt, ſich nicht aufheben, ſondern ſich zu ei - nem dritten angenehm Bemerkbaren verbinden; ſo iſt dieß ſchon ein Phaͤnomen, das auf Uebereinſtimmung hindeutet. Das Vollkommnere iſt noch zuruͤck.
Das Blaue und Gelbe laͤßt ſich nicht verdichten, ohne daß zugleich eine andre Erſcheinung mit eintrete. Die Farbe iſt in ihrem lichteſten Zuſtand ein Dunkles, wird ſie verdichtet, ſo muß ſie dunkler werden; aber zugleich erhaͤlt ſie einen Schein, den wir mit dem Worte roͤthlich bezeichnen.
Dieſer Schein waͤchſt immer fort, ſo daß er auf der hoͤchſten Stufe der Steigerung praͤvalirt. Ein ge - waltſamer Lichteindruck klingt purpurfarben ab. Bey dem Gelbrothen der prismatiſchen Verſuche, das un - mittelbar aus dem Gelben entſpringt, denkt man kaum mehr an das Gelbe.
Die Steigerung entſteht ſchon durch farbloſe truͤbe Mittel, und hier ſehen wir die Wirkung in ihrer hoͤch - ſten Reinheit und Allgemeinheit. Farbige ſpecificirte261 durchſichtige Liquoren zeigen dieſe Steigerung ſehr auf - fallend in den Stufengefaͤßen. Dieſe Steigerung iſt unaufhaltſam ſchnell und ſtaͤtig; ſie iſt allgemein und kommt ſowohl bey phyſiologiſchen als phyſiſchen und chemiſchen Farben vor.
Haben die Enden des einfachen Gegenſatzes durch Miſchung ein ſchoͤnes und angenehmes Phaͤnomen be - wirkt; ſo werden die geſteigerten Enden, wenn man ſie verbindet, noch eine anmuthigere Farbe hervorbrin - gen, ja es laͤßt ſich denken, daß hier der hoͤchſte Punct der ganzen Erſcheinung ſeyn werde.
Und ſo iſt es auch: denn es entſteht das reine Roth, das wir oft, um ſeiner hohen Wuͤrde willen, den Purpur genannt haben.
Es gibt verſchiedene Arten, wie der Purpur in der Erſcheinung entſteht; durch Uebereinanderfuͤhrung des violetten Saums und gelbrothen Randes bey prisma - tiſchen Verſuchen; durch fortgeſetzte Steigerung bey chemiſchen; durch den organiſchen Gegenſatz bey phy - ſiologiſchen Verſuchen.
Als Pigment entſteht er nicht durch Miſchung oder Vereinigung; ſondern durch Fixirung einer Koͤrperlich - keit auf dem hohen culminirenden Farbenpuncte. Da - her der Maler Urſache hat, drey Grundfarben anzuneh - men, indem er aus dieſen die uͤbrigen ſaͤmmtlich zu - ſammenſetzt. Der Phyſiker hingegen nimmt nur zwey Grundfarben an, aus denen er die uͤbrigen entwickelt und zuſammenſetzt.
Die mannigfaltigen Erſcheinungen auf ihren ver - ſchiedenen Stufen fixirt und neben einander betrachtet bringen Totalitaͤt hervor. Dieſe Totalitaͤt iſt Harmonie fuͤrs Auge.
Der Farbenkreis iſt vor unſern Augen entſtanden, die mannigfaltigen Verhaͤltniſſe des Werdens ſind uns deutlich. Zwey reine urſpruͤngliche Gegenſaͤtze ſind das Fundament des Ganzen. Es zeigt ſich ſodann eine Steigerung, wodurch ſie ſich beyde einem dritten naͤ - hern; dadurch entſteht auf jeder Seite ein Tiefſtes und ein Hoͤchſtes, ein Einfachſtes und Bedingteſtes, ein263 Gemeinſtes und ein Edelſtes. Sodann kommen zwey Vereinungen, (Vermiſchungen, Verbindungen, wie man es nennen will,) zur Sprache; einmal der ein - fachen anfaͤnglichen, und ſodann der geſteigerten Ge - genſaͤtze.
Die Totalitaͤt neben einander zu ſehen macht einen harmoniſchen Eindruck aufs Auge. Man hat hier den Unterſchied zwiſchen dem phyſiſchen Gegenſatz und der harmoniſchen Entgegenſtellung zu bedenken. Der erſte beruht auf der reinen nackten urſpruͤnglichen Dualitaͤt, inſofern ſie als ein Getrenntes angeſehen wird; die zweyte beruht auf der abgeleiteten, entwickelten und dargeſtellten Totalitaͤt.
Jede einzelne Gegeneinanderſtellung, die harmoniſch ſeyn ſoll, muß Totalitaͤt enthalten. Hievon werden wir durch die phyſiologiſchen Verſuche belehrt. Eine Entwicklung der ſaͤmmtlichen moͤglichen Entgegenſtellun - gen um den ganzen Farbenkreis wird naͤchſtens ge - leiſtet.
Die Beweglichkeit der Farbe haben wir ſchon bey der Steigerung und bey der Durchwanderung des Krei - ſes zu bedenken Urſache gehabt; aber auch ſogar hin - uͤber und heruͤber werfen ſie ſich nothwendig und ge - ſchwind.
Phyſiologiſche Farben zeigen ſich anders auf dunk - lem als auf hellem Grund. Bey den phyſikaliſchen iſt die Verbindung des objectiven und ſubjectiven Verſuchs hoͤchſt merkwuͤrdig. Die epoptiſchen Farben ſollen beym durchſcheinenden Licht und beym aufſcheinenden entge - gengeſetzt ſeyn. Wie die chemiſchen Farben durch Feuer und Alcalien umzuwenden, iſt ſeines Orts hin - laͤnglich gezeigt worden.
Was ſeit der ſchnellen Erregung und ihrer Ent - ſcheidung bisher bedacht worden, die Miſchung, die265 Steigerung, die Verbindung, die Trennung, ſo wie die harmoniſche Forderung, alles geſchieht mit der groͤßten Schnelligkeit und Bereitwilligkeit; aber eben ſo ſchnell verſchwindet auch die Farbe wieder gaͤnzlich.
Die phyſiologiſchen Erſcheinungen ſind auf keine Weiſe feſtzuhalten; die phyſiſchen dauern nur ſo lange, als die aͤußre Bedingung waͤhrt; die chemiſchen ſelbſt haben eine große Beweglichkeit und ſind durch entge - gengeſetzte Reagentien heruͤber und hinuͤber zu werfen, ja ſogar aufzuheben.
Die chemiſchen Farben geben ein Zeugniß ſehr langer Dauer. Die Farben durch Schmelzung in Glaͤ - ſern fixirt, ſo wie durch Natur in Edelſteinen, trotzen aller Zeit und Gegenwirkung.
Die Faͤrberey fixirt von ihrer Seite die Farben ſehr maͤchtig. Und Pigmente, welche durch Reagen - tien ſonſt leicht heruͤber und hinuͤbergefuͤhrt werden, laſſen ſich durch Beizen zur groͤßten Beſtaͤndigkeit an und in Koͤrper uͤbertragen.
Man kann von dem Phyſiker nicht fordern, daß er Philoſoph ſey; aber man kann von ihm erwarten, daß er ſo viel philoſophiſche Bildung habe, um ſich gruͤndlich von der Welt zu unterſcheiden und mit ihr wieder im hoͤhern Sinne zuſammenzutreten. Er ſoll ſich eine Methode bilden, die dem Anſchauen gemaͤß iſt; er ſoll ſich huͤten, das Anſchauen in Begriffe, den Begriff in Worte zu verwandeln, und mit dieſen Worten, als waͤren’s Gegenſtaͤnde, umzugehen und zu verfahren; er ſoll von den Bemuͤhungen des Philo - ſophen Kenntniß haben, um die Phaͤnomene bis an die philoſophiſche Region hinanzufuͤhren.
Man kann von dem Philoſophen nicht verlangen, daß er Phyſiker ſey; und dennoch iſt ſeine Einwirkung auf den phyſiſchen Kreis ſo nothwendig und ſo wuͤn - ſchenswerth. Dazu bedarf er nicht des Einzelnen, ſon - dern nur der Einſicht in jene Endpuncte, wo das Ein - zelne zuſammentrifft.
Wir haben fruͤher (175. ff. ) dieſer wichtigen Betrach - tung im Vorbeygehen erwaͤhnt, und ſprechen ſie hier, als am ſchicklichen Orte, nochmals aus. Das ſchlimm - ſte, was der Phyſik, ſo wie mancher andern Wiſſen - ſchaft, widerfahren kann, iſt, daß man das Abge - leitete fuͤr das Urſpruͤngliche haͤlt, und da man das Urſpruͤngliche aus Abgeleitetem nicht ableiten kann, das Urſpruͤngliche aus dem Abgeleiteten zu erklaͤren ſucht. Dadurch entſteht eine unendliche Verwirrung, ein Wortkram und eine fortdauernde Bemuͤhung, Aus - fluͤchte zu ſuchen und zu finden, wo das Wahre nur irgend hervortritt und maͤchtig werden will.
Indem ſich der Beobachter, der Naturforſcher auf dieſe Weiſe abquaͤlt, weil die Erſcheinungen der Meynung jederzeit widerſprechen; ſo kann der Philo - ſoph mit einem falſchen Reſultate in ſeiner Sphaͤre noch immer operiren, indem kein Reſultat ſo falſch iſt, daß es nicht, als Form ohne allen Gehalt, auf irgend eine Weiſe gelten koͤnnte.
Kann dagegen der Phyſiker zur Erkenntniß desje - nigen gelangen, was wir ein Urphaͤnomen genannt haben; ſo iſt er geborgen und der Philoſoph mit ihm; Er, denn er uͤberzeugt ſich, daß er an die Graͤnze ſeiner Wiſſenſchaft gelangt ſey, daß er ſich auf der empiriſchen Hoͤhe befinde, wo er ruͤckwaͤrts die Erfah - rung in allen ihren Stufen uͤberſchauen, und vor - waͤrts in das Reich der Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken koͤnne. Der Philoſoph iſt geborgen: denn er nimmt aus des Phyſikers Hand ein Letztes, das bey ihm nun ein Erſtes wird. Er bekuͤmmert ſich nun mit Recht nicht mehr um die Erſcheinung, wenn man darunter das Abgeleitete verſteht, wie man es entweder ſchon wiſſenſchaftlich zuſammengeſtellt findet, oder wie es gar in empiriſchen Faͤllen zerſtreut und verworren vor die Sinne tritt. Will er ja auch die - ſen Weg durchlaufen und einen Blick ins Einzelne nicht verſchmaͤhen; ſo thut er es mit Bequemlichkeit, an - ſtatt daß er bey anderer Behandlung ſich entweder zu lange in den Zwiſchenregionen aufhaͤlt, oder ſie nur fluͤchtig durchſtreift, ohne ſie genau kennen zu lernen.
In dieſem Sinne die Farbenlehre dem Philoſophen zu naͤhern, war des Verfaſſers Wunſch, und wenn ihm ſolches in der Ausfuͤhrung ſelbſt aus mancherley Urſa - chen nicht gelungen ſeyn ſollte; ſo wird er bey Revi - ſion ſeiner Arbeit, bey Recapitulation des Vorgetra - genen, ſo wie in dem polemiſchen und hiſtoriſchen269 Theile, dieſes Ziel immer im Auge haben, und ſpaͤ - ter, wo manches deutlicher wird auszuſprechen ſeyn, auf dieſe Betrachtung zuruͤckkehren.
Man kann von dem Phyſiker, welcher die Na - turlehre in ihrem ganzen Umfange behandeln will, ver - langen, daß er Mathematiker ſey. In den mittleren Zeiten war die Mathematik das vorzuͤglichſte unter den Organen, durch welche man ſich der Geheimniſſe der Natur zu bemaͤchtigen hoffte; und noch iſt in gewiſſen Theilen der Naturlehre die Meßkunſt, wie billig, herrſchend.
Der Verfaſſer kann ſich keiner Cultur von dieſer Seite ruͤhmen, und verweilt auch deshalb nur in den von der Meßkunſt unabhaͤngigen Regionen, die ſich in der neuern Zeit weit und breit aufgethan haben.
Wer bekennt nicht, daß die Mathematik, als eins der herrlichſten menſchlichen Organe, der Phyſik von ei - ner Seite ſehr vieles genutzt; daß ſie aber durch falſche Anwendung ihrer Behandlungsweiſe dieſer Wiſſenſchaft270 gar manches geſchadet, laͤßt ſich auch nicht wohl laͤug - nen, und man findet’s, hier und da, nothduͤrftig eingeſtanden.
Die Farbenlehre beſonders hat ſehr viel gelitten, und ihre Fortſchritte ſind aͤußerſt gehindert worden, daß man ſie mit der uͤbrigen Optik, welche der Meß - kunſt nicht entbehren kann, vermengte, da ſie doch eigentlich von jener ganz abgeſondert betrachtet werden kann.
Dazu kam noch das Uebel, daß ein großer Ma - thematiker uͤber den phyſiſchen Urſprung der Farben eine ganz falſche Vorſtellung bey ſich feſtſetzte, und durch ſeine großen Verdienſte als Meßkuͤnſtler die Feh - ler, die er als Naturforſcher begangen, vor einer in Vorurtheilen ſtets befangnen Welt auf lange Zeit ſanctionirte.
Der Verfaſſer des Gegenwaͤrtigen hat die Farben - lehre durchaus von der Mathematik entfernt zu halten geſucht, ob ſich gleich gewiſſe Puncte deutlich genug ergeben, wo die Beyhuͤlfe der Meßkunſt wuͤnſchens - werth ſeyn wuͤrde. Waͤren die vorurtheilsfreyen Ma - thematiker, mit denen er umzugehen das Gluͤck hatte und hat, nicht durch andre Geſchaͤfte abgehalten ge - weſen, um mit ihm gemeine Sache machen zu koͤnnen; ſo wuͤrde der Behandlung von dieſer Seite einiges271 Verdienſt nicht fehlen. Aber ſo mag denn auch dieſer Mangel zum Vortheil gereichen, indem es nunmehr des geiſtreichen Mathematikers Geſchaͤft werden kann, ſelbſt aufzuſuchen, wo denn die Farbenlehre ſeiner Huͤlfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieſes Theils der Naturwiſſenſchaft das Seinige beytragen kann.
Ueberhaupt waͤre es zu wuͤnſchen, daß die Deut - ſchen, die ſo vieles Gute leiſten, indem ſie ſich das Gute fremder Nationen aneignen, ſich nach und nach gewoͤhnten, in Geſellſchaft zu arbeiten. Wir leben zwar in einer dieſem Wunſche gerade entgegengeſetzten Epoche. Jeder will nicht nur original in ſeinen Anſichten, ſon - dern auch im Gange ſeines Lebens und Thuns, von den Bemuͤhungen anderer unabhaͤngig, wo nicht ſeyn, doch daß er es ſey, ſich uͤberreden. Man bemerkt ſehr oft, daß Maͤnner, die freylich manches geleiſtet, nur ſich ſelbſt, ihre eigenen Schriften, Journale und Compendien citiren; anſtatt daß es fuͤr den Einzelnen und fuͤr die Welt viel vortheilhafter waͤre, wenn meh - rere zu gemeinſamer Arbeit gerufen wuͤrden. Das Be - tragen unſerer Nachbarn, der Franzoſen, iſt hierin muſter - haft, wie man z. B. in der Vorrede Cuvier’s zu ſei - nem Tableau élémentaire de l’Histoire naturelle des animaux mit Vergnuͤgen ſehen wird.
Wer die Wiſſenſchaften und ihren Gang mit treuem Auge beobachtet hat, wird ſogar die Frage aufwerfen:272 ob es denn vortheilhaft ſey? ſo manche, obgleich ver - wandte, Beſchaͤftigungen und Bemuͤhungen in Einer Perſon zu vereinigen; und ob es nicht bey der Be - ſchraͤnktheit der menſchlichen Natur gemaͤßer ſey, z. B. den aufſuchenden und findenden von dem behandeln - den und anwendenden Manne zu unterſcheiden. Haben ſich doch die Himmelbeobachtenden und Sternaufſuchen - den Aſtronomen von den Bahnberechnenden, das Ganze umfaſſenden und naͤher beſtimmenden, in der neuern Zeit, gewiſſermaßen getrennt. Die Geſchichte der Farbenlehre wird uns zu dieſen Betrachtungen oͤf - ter zuruͤckfuͤhren.
Sind wir bey unſern Arbeiten dem Mathematiker aus dem Wege gegangen; ſo haben wir dagegen ge - ſucht, der Technik des Faͤrbers zu begegnen. Und ob - gleich diejenige Abtheilung, welche die Farben in che - miſcher Ruͤckſicht abhandelt, nicht die vollſtaͤndigſte und umſtaͤndlichſte iſt; ſo wird doch ſowohl darin, als in dem, was wir Allgemeines von den Farben aus - geſprochen, der Faͤrber weit mehr ſeine Rechnung fin - den, als bey der bisherigen Theorie, die ihn ohne allen Troſt ließ.
Merkwuͤrdig iſt es, in dieſem Sinne die Anleitun - gen zur Faͤrbekunſt zu betrachten. Wie der katholiſche Chriſt, wenn er in ſeinen Tempel tritt, ſich mit Weih - waſſer beſprengt und vor dem Hochwuͤrdigen die Kniee beugt und vielleicht alsdann, ohne ſonderliche Andacht, ſeine Angelegenheiten mit Freunden beſpricht, oder Lie - besabenteuern nachgeht; ſo fangen die ſaͤmmtlichen Faͤrbelehren mit einer reſpectvollen Erwaͤhnung der Theorie geziemend an, ohne daß ſich auch nachher nur eine Spur faͤnde, daß etwas aus dieſer Theorie herfloͤſſe, daß dieſe Theorie irgend etwas erleuchte, erlaͤutere und zu praktiſchen Handgriffen irgend einen Vortheil gewaͤhre.
Dagegen finden ſich Maͤnner, welche den Um - fang des praktiſchen Faͤrbeweſens wohl eingeſehen, in dem Falle ſich mit der herkoͤmmlichen Theorie zu ent - zweyen, ihre Bloͤßen mehr oder weniger zu entdecken, und ein der Natur und Erfahrung gemaͤßeres Allge - meines aufzuſuchen. Wenn uns in der Geſchichte die Namen Caſtel und Guͤlich begegnen, ſo werden wir hieruͤber weitlaͤuftiger zu handeln Urſache haben; wo - bey ſich zugleich Gelegenheit finden wird zu zeigen, wie eine fortgeſetzte Empirie, indem ſie in allem Zufaͤlligen umhergreift, den Kreis, in den ſie gebannt iſt, wirk - lich auslaͤuft und ſich als ein hohes Vollendetes dem Theoretiker, wenn er klare Augen und ein redlichesI. 18274Gemuͤth hat, zu ſeiner großen Bequemlichkeit uͤberlie fert.
Wenn wir in der Abtheilung, welche die Farben in phyſiologiſcher und pathologiſcher Ruͤckſicht betrach - tet, faſt nur allgemein bekannte Phaͤnomene uͤberlie - fert; ſo werden dagegen einige neue Anſichten dem Phyſiologen nicht unwillkommen ſeyn. Beſonders hof - fen wir ſeine Zufriedenheit dadurch erreicht zu haben, daß wir gewiſſe Phaͤnomene, welche iſolirt ſtanden, zu ihren aͤhnlichen und gleichen gebracht und ihm da - durch gewiſſermaßen vorgearbeitet haben.
Was den pathologiſchen Anhang betrifft, ſo iſt er freylich unzulaͤnglich und incohaͤrent. Wir beſitzen aber die vortrefflichſten Maͤnner, die nicht allein in dieſem Fache hoͤchſt erfahren und kenntnißreich ſind; ſondern auch zugleich wegen eines ſo gebildeten Geiſtes verehrt werden, daß es ihnen wenig Muͤhe machen kann, dieſe Rubriken umzuſchreiben, und das, was ich ange - deutet, vollſtaͤndig auszufuͤhren und zugleich an die hoͤheren Einſichten in den Organismus anzuſchließen.
Inſofern wir hoffen koͤnnen, daß die Naturge - ſchichte auch nach und nach ſich in eine Ableitung der Naturerſcheinungen aus hoͤhern Phaͤnomenen umbilden wird, ſo glaubt der Verfaſſer auch hierzu einiges an - gedeutet und vorbereitet zu haben. Indem die Farbe in ihrer groͤßten Mannigfaltigkeit ſich auf der Ober - flaͤche lebendiger Weſen dem Auge darſtellt, ſo iſt ſie ein wichtiger Theil der aͤußeren Zeichen, wodurch wir gewahr werden, was im Innern vorgeht.
Zwar iſt ihr von einer Seite, wegen ihrer Un - beſtimmtheit und Verſatilitaͤt nicht allzu viel zu trauen; doch wird eben dieſe Beweglichkeit, inſofern ſie ſich uns als eine conſtante Erſcheinung zeigt, wieder ein Kriterion des beweglichen Lebens; und der Verfaſſer wuͤnſcht nichts mehr, als daß ihm Friſt gegoͤnnt ſey, das, was er hieruͤber wahrgenommen, in einer Folge, zu der hier der Ort nicht war, weitlaͤuftiger ausein - ander zu ſetzen.
Der Zuſtand, in welchem ſich die allgemeine Phyſik gegenwaͤrtig befindet, ſcheint auch unſerer Arbeit be - ſonders guͤnſtig, indem die Naturlehre durch raſtloſe, mannigfaltige Behandlung ſich nach und nach zu einer ſolchen Hoͤhe erhoben hat, daß es nicht unmoͤglich ſcheint, die graͤnzenloſe Empirie an einen methodiſchen Mittelpunct heranzuziehen.
Deſſen, was zu weit von unſerm beſondern Kreiſe abliegt, nicht zu gedenken, ſo finden ſich die For - meln, durch die man die elementaren Naturerſchei - nungen, wo nicht dogmatiſch, doch wenigſtens zum didaktiſchen Behufe ausſpricht, durchaus auf dem Wege, daß man ſieht, man werde durch die Uebereinſtimmung der Zeichen bald auch nothwendig zur Uebereinſtimmung im Sinne gelangen.
Treue Beobachter der Natur, wenn ſie auch ſonſt noch ſo verſchieden denken, werden doch darin mit einander uͤbereinkommen, daß alles, was erſcheinen, was uns als ein Phaͤnomen begegnen ſolle, muͤſſe ent - weder eine urſpruͤngliche Entzweyung, die einer Ver -277 einigung faͤhig iſt, oder eine urſpruͤngliche Einheit, die zur Entzweyung gelangen koͤnne, andeuten, und ſich auf eine ſolche Weiſe darſtellen. Das Geeinte zu entzweyen, das Entzweyte zu einigen, iſt das Leben der Natur; dieß iſt die ewige Syſtole und Diaſtole, die ewige Synkriſis und Diakriſis, das Ein - und Ausathmen der Welt, in der wir leben, weben und ſind.
Daß dasjenige, was wir hier als Zahl, als Eins und Zwey ausſprechen, ein hoͤheres Geſchaͤft ſey, ver - ſteht ſich von ſelbſt; ſo wie die Erſcheinung eines Drit - ten, Vierten ſich ferner entwickelnden immer in einem hoͤhern Sinne zu nehmen, beſonders aber allen dieſen Ausdruͤcken eine echte Anſchauung unterzulegen iſt.
Das Eiſen kennen wir als einen beſondern von andern unterſchiedenen Koͤrper; aber es iſt ein gleich - guͤltiges, uns nur in manchem Bezug und zu man - chem Gebrauch merkwuͤrdiges Weſen. Wie wenig aber bedarf es, und die Gleichguͤltigkeit dieſes Koͤrpers iſt aufgehoben. Eine Entzweyung geht vor, die, indem ſie ſich wieder zu vereinigen ſtrebt und ſich ſelbſt auf - ſucht, einen gleichſam magiſchen Bezug auf ihres Gleichen gewinnt, und dieſe Entzweyung, die doch nur wieder eine Vereinigung iſt, durch ihr ganzes Geſchlecht fortſetzt. Hier kennen wir das gleichguͤltige Weſen, das Eiſen; wir ſehen die Entzweyung an ihm entſtehen, ſich fortpflanzen und verſchwinden, und278 ſich leicht wieder aufs neue erregen: nach unſerer Meynung ein Urphaͤnomen, das unmittelbar an der Idee ſteht und nichts Irdiſches uͤber ſich erkennt.
Mit der Electricitaͤt verhaͤlt es ſich wieder auf eine eigne Weiſe. Das Electriſche, als ein Gleich - guͤltiges, kennen wir nicht. Es iſt fuͤr uns ein Nichts, ein Null, ein Nullpunct, ein Gleichguͤltigkeitspunct, der aber in allen erſcheinenden Weſen liegt, und zu - gleich der Quellpunct iſt, aus dem bey dem gering - ſten Anlaß eine Doppelerſcheinung hervortritt, welche nur inſofern erſcheint, als ſie wieder verſchwindet. Die Bedingungen, unter welchen jenes Hervortreten erregt wird, ſind, nach Beſchaffenheit der beſondern Koͤrper, unendlich verſchieden. Von dem groͤbſten mechaniſchen Reiben ſehr unterſchiedener Koͤrper an ein - ander bis zu dem leiſeſten Nebeneinanderſeyn zweyer voͤllig gleichen, nur durch weniger als einen Hauch anders determinirten Koͤrper, iſt die Erſcheinung rege und gegenwaͤrtig, ja auffallend und maͤchtig, und zwar dergeſtalt beſtimmt und geeignet, daß wir die Formeln der Polaritaͤt, des Plus und Minus, als Nord und Suͤd, als Glas und Harz, ſchicklich und naturgemaͤß anwenden.
Dieſe Erſcheinung, ob ſie gleich der Oberflaͤche beſonders folgt, iſt doch keinesweges oberflaͤchlich. Sie wirkt auf die Beſtimmung koͤrperlicher Eigenſchaften,279 und ſchließt ſich an die große Doppelerſcheinung, welche ſich in der Chemie ſo herrſchend zeigt, an Oxydation und Desoxydation unmittelbar wirkend an.
In dieſe Reihe, in dieſen Kreis, in dieſen Kranz von Phaͤnomenen auch die Erſcheinungen der Farbe heranzubringen und einzuſchließen, war das Ziel unſeres Beſtrebens. Was uns nicht gelungen iſt, werden an - dre leiſten. Wir fanden einen uranfaͤnglichen unge - heuren Gegenſatz von Licht und Finſterniß, den man allgemeiner durch Licht und Nichtlicht ausdruͤcken kann; wir ſuchten denſelben zu vermitteln und dadurch die ſichtbare Welt aus Licht, Schatten und Farbe herauszu - bilden, wobey wir uns zu Entwickelung der Phaͤno - mene verſchiedener Formeln bedienten, wie ſie uns in der Lehre des Magnetismus, der Electricitaͤt, des Chemismus uͤberliefert werden. Wir mußten aber wei - ter gehen, weil wir uns in einer hoͤhern Region be - fanden und mannigfaltigere Verhaͤltniſſe auszudruͤcken hatten.
Wenn ſich Electricitaͤt und Galvanitaͤt in ihrer All - gemeinheit von dem Beſondern der magnetiſchen Erſchei - nungen abtrennt und erhebt; ſo kann man ſagen, daß die Farbe, obgleich unter eben den Geſetzen ſtehend, ſich doch viel hoͤher erhebe und, indem ſie fuͤr den edlen Sinn des Auges wirkſam iſt, auch ihre Natur zu ihrem Vortheile darthue. Man vergleiche das Man - nigfaltige, das aus einer Steigerung des Gelben und280 Blauen zum Rothen, aus der Verknuͤpfung dieſer beyden hoͤheren Enden zum Purpur, aus der Ver - miſchung der beyden niedern Enden zum Gruͤn ent - ſteht. Welch ein ungleich mannigfaltigeres Schema entſpringt hier nicht, als dasjenige iſt, worin ſich Magnetismus und Electricitaͤt begreifen laſſen. Auch ſtehen dieſe letzteren Erſcheinungen auf einer niedern Stufe, ſo daß ſie zwar die allgemeine Welt durch - dringen und beleben, ſich aber zum Menſchen im hoͤ - heren Sinne nicht heraufbegeben koͤnnen, um von ihm aͤſthetiſch benutzt zu werden. Das allgemeine ein - fache phyſiſche Schema muß erſt in ſich ſelbſt erhoͤht und vermannigfaltigt werden, um zu hoͤheren Zwecken zu dienen.
Man rufe in dieſem Sinne zuruͤck, was durch - aus von uns bisher ſowohl im Allgemeinen als Beſon - dern von der Farbe praͤdicirt worden, und man wird ſich ſelbſt dasjenige, was hier nur leicht angedeutet iſt, ausfuͤhren und entwickeln. Man wird dem Wiſſen, der Wiſſenſchaft, dem Handwerk und der Kunſt Gluͤck wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre, das ſchoͤne Kapi - tel der Farbenlehre aus ſeiner atomiſtiſchen Beſchraͤnkt - heit und Abgeſondertheit, in die es bisher verwieſen, dem allgemeinen dynamiſchen Fluſſe des Lebens und Wirkens wieder zu geben, deſſen ſich die jetzige Zeit erfreut. Dieſe Empfindungen werden bey uns noch leb - hafter werden, wenn uns die Geſchichte ſo manchen wak - kern und einſichtsvollen Mann vorfuͤhren wird, dem281 es nicht gelang, von ſeinen Ueberzeugungen ſeine Zeit - genoſſen zu durchdringen.
Ehe wir nunmehr zu den ſinnlich-ſittlichen und daraus entſpringenden aͤſthetiſchen Wirkungen der Farbe uͤbergehen, iſt es der Ort, auch von ihrem Verhaͤlt - niſſe zu dem Ton einiges zu ſagen.
Daß ein gewiſſes Verhaͤltniß der Farbe zum Ton ſtatt finde, hat man von jeher gefuͤhlt, wie die oͤftern Vergleichungen, welche theils voruͤbergehend, theils umſtaͤndlich genug angeſtellt worden, beweiſen. Der Fehler, den man hiebey begangen, beruhet nur auf folgendem.
Vergleichen laſſen ſich Farbe und Ton unter einan - der auf keine Weiſe; aber beyde laſſen ſich auf eine hoͤhere Formel beziehen, aus einer hoͤhern Formel beyde, jedoch jedes fuͤr ſich, ableiten. Wie zwey Fluͤſſe, die auf einem Berge entſpringen, aber unter ganz verſchiedenen Bedingungen in zwey ganz entge - gengeſetzte Weltgegenden laufen, ſo daß auf dem bey - derſeitigen ganzen Wege keine einzelne Stelle der an - dern verglichen werden kann; ſo ſind auch Farbe und282 Ton. Beyde ſind allgemeine elementare Wirkungen nach dem allgemeinen Geſetz des Trennens und Zuſam - menſtrebens, des Auf - und Abſchwankens, des Hin - und wiederwaͤgens wirkend, doch nach ganz verſchiede - nen Seiten, auf verſchiedene Weiſe, auf verſchiedene Zwiſchenelemente, fuͤr verſchiedene Sinne.
Moͤchte Jemand die Art und Weiſe, wie wir die Far - benlehre an die allgemeine Naturlehre angeknuͤpft, recht faſſen, und dasjenige, was uns entgangen und abge - gangen durch Gluͤck und Genialitaͤt erſetzen; ſo wuͤrde die Tonlehre, nach unſerer Ueberzeugung, an die allge - meine Phyſik vollkommen anzuſchließen ſeyn, da ſie jetzt innerhalb derſelben gleichſam nur hiſtoriſch abge - ſondert ſteht.
Aber eben darin laͤge die groͤßte Schwierigkeit, die fuͤr uns gewordene poſitive, auf ſeltſamen empi - riſchen, zufaͤlligen, mathematiſchen, aͤſthetiſchen, genia - liſchen Wegen entſprungene Muſik zu Gunſten einer phyſikaliſchen Behandlung zu zerſtoͤren und in ihre er - ſten phyſiſchen Elemente aufzuloͤſen. Vielleicht waͤre auch hierzu, auf dem Puncte, wo Wiſſenſchaft und Kunſt ſich befinden, nach ſo manchen ſchoͤnen Vorar - beiten, Zeit und Gelegenheit.
Man bedenkt niemals genug, daß eine Sprache eigentlich nur ſymboliſch, nur bildlich ſey und die Ge - genſtaͤnde niemals unmittelbar, ſondern nur im Wider - ſcheine ausdruͤcke. Dieſes iſt beſonders der Fall, wenn von Weſen die Rede iſt, welche an die Erfahrung nur herantreten und die man mehr Thaͤtigkeiten als Gegenſtaͤnde nennen kann, dergleichen im Reiche der Naturlehre immerfort in Bewegung ſind. Sie laſſen ſich nicht feſthalten, und doch ſoll man von ihnen re - den; man ſucht daher alle Arten von Formeln auf, um ihnen wenigſtens gleichnißweiſe beyzukommen.
Metaphyſiſche Formeln haben eine große Breite und Tiefe, jedoch ſie wuͤrdig auszufuͤllen, wird ein rei - cher Gehalt erfordert, ſonſt bleiben ſie hohl. Mathema - tiſche Formeln laſſen ſich in vielen Faͤllen ſehr bequem und gluͤcklich anwenden; aber es bleibt ihnen immer etwas ſteifes und ungelenkes, und wir fuͤhlen bald ihre Unzulaͤnglichkeit, weil wir, ſelbſt in Elementar - faͤllen, ſehr fruͤh ein Incommenſurables gewahr wer - den; ferner ſind ſie auch nur innerhalb eines gewiſſen284 Kreiſes beſonders hiezu gebildeter Geiſter verſtaͤndlich. Mechaniſche Formeln ſprechen mehr zu dem gemeinen Sinn, aber ſie ſind auch gemeiner, und behalten immer etwas Rohes. Sie verwandlen das Lebendige in ein Todtes; ſie toͤdten das innre Leben, um von außen ein unzulaͤngliches heranzubringen. Corpuscular - Formeln ſind ihnen nahe verwandt; das Bewegliche wird ſtarr durch ſie, Vorſtellung und Ausdruck unge - ſchlacht. Dagegen erſcheinen die moraliſchen Formeln, welche freylich zartere Verhaͤltniſſe ausdruͤcken, als bloße Gleichniſſe und verlieren ſich denn auch wohl zu - letzt in Spiele des Witzes.
Koͤnnte man ſich jedoch aller dieſer Arten der Vor - ſtellung und des Ausdrucks mit Bewußtſeyn bedienen, und in einer mannigfaltigen Sprache ſeine Betrachtun - gen uͤber Naturphaͤnomene uͤberliefern; hielte man ſich von Einſeitigkeit frey, und faßte einen lebendigen Sinn in einen lebendigen Ausdruck, ſo ließe ſich man - ches Erfreuliche mittheilen.
Jedoch wie ſchwer iſt es, das Zeichen nicht an die Stelle der Sache zu ſetzen, das Weſen immer le - bendig vor ſich zu haben und es nicht durch das Wort zu toͤdten. Dabey ſind wir in den neuern Zeiten in eine noch groͤßere Gefahr gerathen, indem wir aus allem Erkenn - und Wißbaren Ausdruͤcke und Termino - logien heruͤbergenommen haben, um unſre Anſchauun -285 gen der einfacheren Natur auszudruͤcken. Aſtronomie, Kosmologie, Geologie, Naturgeſchichte, ja Religion und Myſtik werden zu Huͤlfe gerufen; und wie oft wird nicht das Allgemeine durch ein Beſonderes, das Elementare durch ein Abgeleitetes mehr zugedeckt, und verdunkelt, als aufgehellt und naͤher gebracht. Wir kennen das Beduͤrfniß recht gut, wodurch eine ſolche Sprache entſtanden iſt und ſich ausbreitet; wir wiſſen auch, daß ſie ſich in einem gewiſſen Sinne unent - behrlich macht: allein nur ein maͤßiger, anſpruchs - loſer Gebrauch mit Ueberzeugung und Bewußtſeyn kann Vortheil bringen.
Am wuͤnſchenswertheſten waͤre jedoch, daß man die Sprache, wodurch man die Einzelnheiten eines gewiſſen Kreiſes bezeichnen will, aus dem Kreiſe ſelbſt naͤhme; die einfachſte Erſcheinung als Grundformel behandelte, und die mannigfaltigern von daher ableitete und entwickelte.
Die Nothwendigkeit und Schicklichkeit einer ſol - chen Zeichenſprache, wo das Grundzeichen die Er - ſcheinung ſelbſt ausdruͤckt, hat man recht gut gefuͤhlt, indem man die Formel der Polaritaͤt, dem Magneten abgeborgt, auf Electricitaͤt u. ſ. w. hinuͤber gefuͤhrt hat. Das Plus und Minus, was an deſſen Stelle geſetzt werden kann, hat bey ſo vielen Phaͤnomenen eine ſchickliche Anwendung gefunden; ja der Tonkuͤnſtler iſt, wahrſcheinlich ohne ſich um jene andern Faͤcher286 zu bekuͤmmern, durch die Natur veranlaßt worden, die Haupt-Differenz der Tonarten durch Majeur und Mineur auszudruͤcken.
So haben auch wir ſeit langer Zeit den Ausdruck der Polaritaͤt in die Farbenlehre einzufuͤhren gewuͤnſcht; mit welchem Rechte und in welchem Sinne, mag die gegenwaͤrtige Arbeit ausweiſen. Vielleicht finden wir kuͤnftig Raum, durch eine ſolche Behandlung und Symbolik, welche ihr Anſchauen jederzeit mit ſich fuͤh - ren muͤßte, die elementaren Naturphaͤnomene nach unſrer Weiſe an einander zu knuͤpfen, und dadurch dasjenige deutlicher zu machen, was hier nur im Allge - meinen, und vielleicht nicht beſtimmt genug ausge - ſprochen worden.
Da die Farbe in der Reihe der uranfaͤnglichen Naturerſcheinungen einen ſo hohen Platz behauptet, in - dem ſie den ihr angewieſenen einfachen Kreis mit ent - ſchiedener Mannigfaltigkeit ausfuͤllt; ſo werden wir uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß ſie auf den Sinn des Auges, dem ſie vorzuͤglich zugeeignet iſt, und durch deſſen Vermittelung, auf das Gemuͤth, in ihren allgemeinſten elementaren Erſcheinungen, ohne Bezug auf Beſchaffenheit oder Form eines Materials, an deſſen Oberflaͤche wir ſie gewahr werden, einzeln eine ſpecifiſche, in Zuſammenſtellung eine theils har - moniſche, theils charakteriſtiſche, oft auch unharmo - niſche, immer aber eine entſchiedene und bedeutende Wirkung hervorbringe, die ſich unmittelbar an das Sittliche anſchließt. Deshalb denn Farbe, als ein Element der Kunſt betrachtet, zu den hoͤchſten aͤſtheti - ſchen Zwecken mitwirkend genutzt werden kann.
Die Menſchen empfinden im Allgemeinen eine große Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie es des Lichtes bedarf. Man erinnre ſich der Erquik - kung, wenn an einem truͤben Tage die Sonne auf einen einzelnen Theil der Gegend ſcheint und die Far - ben daſelbſt ſichtbar macht. Daß man den farbigen Edelſteinen Heilkraͤfte zuſchrieb, mag aus dem tiefen Gefuͤhl dieſes unausſprechlichen Behagens entſtanden ſeyn.
Die Farben, die wir an den Koͤrpern erblicken, ſind nicht etwa dem Auge ein voͤllig Fremdes, wo - durch es erſt zu dieſer Empfindung gleichſam geſtem - pelt wuͤrde; Nein. Dieſes Organ iſt immer in der Diſpoſition, ſelbſt Farben hervorzubringen, und genießt einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eig - nen Natur gemaͤßes ihm von außen gebracht wird; wenn ſeine Beſtimmbarkeit nach einer gewiſſen Seite hin bedeutend beſtimmt wird.
Aus der Idee des Gegenſatzes der Erſcheinung, aus der Kenntniß, die wir von den beſondern Beſtim - mungen deſſelben erlangt haben, koͤnnen wir ſchließen, daß die einzelnen Farbeindruͤcke nicht verwechſelt wer - den koͤnnen, daß ſie ſpecifiiſch wirken, und entſchie - den ſpecifiſche Zuſtaͤnde in dem lebendigen Organ her - vorbringen muͤſſen.
Eben auch ſo in dem Gemuͤth. Die Erfahrung lehrt uns, daß die einzelnen Farben beſondre Ge - muͤthsſtimmungen geben. Von einem geiſtreichen Fran - zoſen wird erzaͤhlt: Il prétendoit que son ton de conversation avec Madame étoit changé depuis qu’elle avoit changé en cramoisi le meuble de son cabinet qui étoit bleu.
Dieſe einzelnen bedeutenden Wirkungen vollkom - men zu empfinden, muß man das Auge ganz mit ei - ner Farbe umgeben, z. B. in einem einfarbigen Zim - mer ſich befinden, durch ein farbiges Glas ſehen. Man identificirt ſich alsdann mit der Farbe; ſie ſtimmt Auge und Geiſt mit ſich unisono.
Die Farben von der Plusſeite ſind Gelb, Roth - gelb (Orange), Gelbroth (Mennig, Zinnober). Sie ſtimmen regſam, lebhaft, ſtrebend.
Es iſt die naͤchſte Farbe am Licht. Sie entſteht durch die gelindeſte Maͤßigung deſſelben, es ſey durch truͤbe Mittel, oder durch ſchwache Zuruͤckwerfung von weißen Flaͤchen. Bey den prismatiſchen Verſuchen er - ſtreckt ſie ſich allein breit in den lichten Raum, und kann dort, wenn die beyden Pole noch abgeſondert von einander ſtehen, ehe ſie ſich mit dem Blauen zum Gruͤnen vermiſcht, in ihrer ſchoͤnſten Reinheit geſehen werden. Wie das chemiſche Gelb ſich an und uͤber dem Weißen entwickelt, iſt gehoͤrigen Orts um - ſtaͤndlich vorgetragen worden.
Sie fuͤhrt in ihrer hoͤchſten Reinheit immer die Natur des Hellen mit ſich, und beſitzt eine heitere, muntere, ſanft reizende Eigenſchaft.
In dieſem Grade iſt ſie als Umgebung, es ſey als Kleid, Vorhang, Tapete, angenehm. Das Gold in ſeinem ganz ungemiſchten Zuſtande gibt uns, be - ſonders wenn der Glanz hinzukommt, einen neuen und hohen Begriff von dieſer Farbe; ſo wie ein ſtar - kes Gelb, wenn es auf glaͤnzender Seide, z. B. auf291 Atlas erſcheint, eine praͤchtige und edle Wirkung thut.
So iſt es der Erfahrung gemaͤß, daß das Gelbe einen durchaus warmen und behaglichen Eindruck mache. Daher es auch in der Malerey der beleuchte - ten und wirkſamen Seite zukommt.
Dieſen erwaͤrmenden Effect kann man am lebhaf - teſten bemerken, wenn man durch ein gelbes Glas, beſonders in grauen Wintertagen, eine Landſchaft an - ſieht. Das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemuͤth erheitert; eine unmittelbare Waͤrme ſcheint uns anzuwehen.
Wenn nun dieſe Farbe, in ihrer Reinheit und hellem Zuſtande angenehm und erfreulich, in ihrer gan - zen Kraft aber etwas Heiteres und Edles hat; ſo iſt ſie dagegen aͤußerſt empfindlich und macht eine ſehr un - angenehme Wirkung, wenn ſie beſchmutzt, oder einiger - maßen ins Minus gezogen wird. So hat die Farbe des Schwefels, die ins Gruͤne faͤllt, etwas Unange - nehmes.
Wenn die gelbe Farbe unreinen und unedlen Ober - flaͤchen mitgetheilt wird, wie dem gemeinen Tuch, dem Filz und dergleichen, worauf ſie nicht mit ganzer19 *292Energie erſcheint, entſteht eine ſolche unangenehme Wirkung. Durch eine geringe und unmerkliche Bewe - gung wird der ſchoͤne Eindruck des Feuers und Gol - des in die Empfindung des Kothigen verwandelt, und die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abſcheu’s und Mißbehagens umgekehrt. Daher moͤgen die gelben Huͤte der Bankerottirer, die gelben Ringe auf den Maͤnteln der Juden entſtanden ſeyn; ja die ſogenannte Hahnreihfarbe iſt eigentlich nur ein ſchmutziges Gelb.
Da ſich keine Farbe als ſtillſtehend betrachten laͤßt, ſo kann man das Gelbe ſehr leicht durch Verdichtung und Verdunklung ins Roͤthliche ſteigern und erheben. Die Farbe waͤchſt an Energie und erſcheint im Roth - gelben maͤchtiger und herrlicher.
Alles was wir vom Gelben geſagt haben, gilt auch hier, nur im hoͤheren Grade. Das Rothgelbe gibt eigentlich dem Auge das Gefuͤhl von Waͤrme und Wonne, indem es die Farbe der hoͤhern Glut, ſo wie den mildern Abglanz der untergehenden Sonne repraͤſentirt. Deswegen iſt ſie auch bey Umgebungen293 angenehm, und als Kleidung in mehr oder minderm Grade erfreulich oder herrlich. Ein kleiner Blick ins Rothe gibt dem Gelben gleich ein ander Anſehn; und wenn Englaͤnder und Deutſche ſich noch an blaßgelben hellen Lederfarben genuͤgen laſſen, ſo liebt der Fran - zoſe, wie Pater Caſtel ſchon bemerkt, das ins Roth geſteigerte Gelb; wie ihn uͤberhaupt an Farben alles freut, was ſich auf der activen Seite befindet.
Wie das reine Gelb ſehr leicht in das Rothgelbe hinuͤbergeht, ſo iſt die Steigerung dieſes letzten ins Gelbrothe nicht aufzuhalten. Das angenehme heitre Gefuͤhl, das uns das Rothgelbe noch gewaͤhrt, ſtei - gert ſich bis zum unertraͤglich Gewaltſamen im hohen Gelbrothen.
Die active Seite iſt hier in ihrer hoͤchſten Energie, und es iſt kein Wunder, daß energiſche, geſunde, rohe Menſchen ſich beſonders an dieſer Farbe erfreuen. Man hat die Neigung zu derſelben bey wilden Voͤlkern durchaus bemerkt. Und wenn Kinder, ſich ſelbſt uͤber - laſſen, zu illuminiren anfangen, ſo werden ſie Zin - nober und Mennig nicht ſchonen.
Man darf eine vollkommen gelbrothe Flaͤche ſtarr anſehen, ſo ſcheint ſich die Farbe wirklich ins Organ zu bohren. Sie bringt eine unglaubliche Erſchuͤtterung hervor und behaͤlt dieſe Wirkung bey einem ziemlichen Grade von Dunkelheit.
Die Erſcheinung eines gelbrothen Tuches beunru - higt und erzuͤrnt die Thiere. Auch habe ich gebildete Menſchen gekannt, denen es unertraͤglich fiel, wenn ihnen an einem ſonſt grauen Tage Jemand im Schar - lachrock begegnete.
Die Farben von der Minusſeite ſind Blau, Roth - blau, und Blauroth. Sie ſtimmen zu einer unruhi - gen, weichen und ſehnenden Empfindung.
So wie Gelb immer ein Licht mit ſich fuͤhrt, ſo kann man ſagen, daß Blau immer etwas Dunkles mit ſich fuͤhre.
Dieſe Farbe macht fuͤr das Auge eine ſonderbare und faſt unausſprechliche Wirkung. Sie iſt als Farbe295 eine Energie; allein ſie ſteht auf der negativen Seit - und iſt in ihrer hoͤchſten Reinheit gleichſam ein reizen - des Nichts. Es iſt etwas Widerſprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick.
Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau ſehen, ſo ſcheint eine blaue Flaͤche auch vor uns zuruͤckzuweichen.
Wie wir einen angenehmen Gegenſtand, der vor uns flieht, gern verfolgen, ſo ſehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, ſondern weil es uns nach ſich zieht.
Das Blaue gibt uns ein Gefuͤhl von Kaͤlte, ſo wie es uns auch an Schatten erinnert. Wie es vom Schwarzen abgeleitet ſey, iſt uns bekannt.
Zimmer, die rein blau austapezirt ſind, erſcheinen gewiſſermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt.
Blaues Glas zeigt die Gegenſtaͤnde im traurigen Licht.
Es iſt nicht unangenehm, wenn das Blau einiger - maßen vom Plus participirt. Das Meergruͤn iſt viel - mehr eine liebliche Farbe.
Wie wir das Gelbe ſehr bald in einer Steigerung gefunden haben, ſo bemerken wir auch bey dem Blauen dieſelbe Eigenſchaft.
Das Blaue ſteigert ſich ſehr ſanft ins Rothe und erhaͤlt dadurch etwas Wirkſames, ob es ſich gleich auf der paſſiven Seite befindet. Sein Reiz iſt aber von ganz andrer Art, als der des Rothgelben. Er belebt nicht ſowohl, als daß er unruhig macht.
So wie die Steigerung ſelbſt unaufhaltſam iſt, ſo wuͤnſcht man auch mit dieſer Farbe immer fortzu - gehen, nicht aber, wie beym Rothgelben, immer thaͤtig vorwaͤrts zu ſchreiten, ſondern einen Punct zu finden, wo man ausruhen koͤnnte.
Sehr verduͤnnt kennen wir die Farbe unter dem Namen Lila; aber auch ſo hat ſie etwas Lebhaftes ohne Froͤhlichkeit.
Jene Unruhe nimmt bey der weiter ſchreitenden Steigerung zu, und man kann wohl behaupten, daß eine Tapete von einem ganz reinen geſaͤttigten Blau - roth eine Art von unertraͤglicher Gegenwart ſeyn muͤſſe. Deswegen es auch, wenn es als Kleidung, Band, oder ſonſtiger Zierath vorkommt, ſehr verduͤnnt und hell angewendet wird; da es denn ſeiner bezeichneten Natur nach einen ganz beſondern Reiz ausuͤbt.
Indem die hohe Geiſtlichkeit dieſe unruhige Farbe ſich angeeignet hat; ſo duͤrfte man wohl ſagen, daß ſie auf den unruhigen Staffeln einer immer vordrin - genden Steigerung unaufhaltſam zu dem Cardinalpur - pur hinaufſtrebe.
Man entferne bey dieſer Benennung alles, was im Rothen einen Eindruck von Gelb oder Blau machen298 koͤnnte. Man denke ſich ein ganz reines Roth, einen vollkommenen, auf einer weißen Porzellanſchale auf - getrockneten Carmin. Wir haben dieſe Farbe, ihrer hohen Wuͤrde wegen, manchmal Purpur genannt, ob wir gleich wohl wiſſen, daß der Purpur der Alten ſich mehr nach der blauen Seite hinzog.
Wer die prismatiſche Entſtehung des Purpurs kennt, der wird nicht paradox finden, wenn wir be - haupten, daß dieſe Farbe theils actu, theils potentia alle andern Farben enthalte.
Wenn wir beym Gelben und Blauen eine ſtre - bende Steigerung ins Rothe geſehen und dabey unſre Gefuͤhle bemerkt haben; ſo laͤßt ſich denken, daß nun in der Vereinigung der geſteigerten Pole eine eigent - liche Beruhigung, die wir eine ideale Befriedigung nennen moͤchten, ſtatt finden koͤnne. Und ſo entſteht, bey phyſiſchen Phaͤnomenen, dieſe hoͤchſte aller Far - benerſcheinungen aus dem Zuſammentreten zweyer entge - gengeſetzten Enden, die ſich zu einer Vereinigung nach und nach ſelbſt vorbereitet haben.
Als Pigment hingegen erſcheint ſie uns als ein Fertiges und als das vollkommenſte Roth in der Co - chenille; welches Material jedoch durch chemiſche Be - handlung bald ins Plus, bald ins Minus zu fuͤhren iſt, und allenfalls im beſten Carmin als voͤllig im Gleichgewicht ſtehend angeſehen werden kann.
Die Wirkung dieſer Farbe iſt ſo einzig wie ihre Natur. Sie gibt einen Eindruck ſowohl von Ernſt und Wuͤrde, als von Huld und Anmuth. Jenes leiſtet ſie in ihrem dunklen verdichteten, dieſes in ih - rem hellen verduͤnnten Zuſtande. Und ſo kann ſich die Wuͤrde des Alters und die Liebenswuͤrdigkeit der Ju - gend in Eine Farbe kleiden.
Von der Eiferſucht der Regenten auf den Purpur erzaͤhlt uns die Geſchichte manches. Eine Umgebung von dieſer Farbe iſt immer ernſt und praͤchtig.
Das Purpurglas zeigt eine wohlerleuchtete Land - ſchaft in furchtbarem Lichte. So muͤßte der Farbeton uͤber Erd’ und Himmel am Tage des Gerichts ausge - breitet ſeyn.
Da die beyden Materialien, deren ſich die Faͤr - berey zur Hervorbringung dieſer Farbe vorzuͤglich be - dient, der Kermes und die Cochenille, ſich mehr oder weniger zum Plus und Minus neigen; auch ſich durch Behandlung mit Saͤuern und Alcalien heruͤber und hin - uͤber fuͤhren laſſen: ſo iſt zu bemerken, daß die Franzo - ſen ſich auf der wirkſamen Seite halten, wie der fran - zoͤſiſche Scharlach zeigt, welcher ins Gelbe zieht; die Italiaͤner hingegen auf der paſſiven Seite verharren, ſo daß ihr Scharlach eine Ahndung von Blau behaͤlt.
Durch eine aͤhnliche alcaliſche Behandlung entſteht das Karmeſin, eine Farbe, die den Franzoſen ſehr verhaßt ſeyn muß, da ſie die Ausdruͤcke sot en cra - moisi, méchant en cramoisi als das Aeußerſte des Abgeſchmackten und Boͤſen bezeichnen.
Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die erſten und einfachſten Farben anſehen, gleich bey ih - rem erſten Erſcheinen, auf der erſten Stufe ihrer Wir - kung zuſammenbringt, ſo entſteht diejenige Farbe, wel - che wir Gruͤn nennen.
Unſer Auge findet in derſelben eine reale Befrie - digung. Wenn beyde Mutterfarben ſich in der Mi - ſchung genau das Gleichgewicht halten, dergeſtalt, daß keine vor der andern bemerklich iſt, ſo ruht das Auge und das Gemuͤth auf dieſem Gemiſchten wie auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht weiter. Deswegen fuͤr Zimmer, in denen man ſich immer befindet, die gruͤne Farbe zur Tapete meiſt gewaͤhlt wird.
Wir haben bisher zum Behuf unſres Vortrages angenommen, daß das Auge genoͤthigt werden koͤnne, ſich mit irgend einer einzelnen Farbe zu identificiren; allein dieß moͤchte wohl nur auf einen Augenblick moͤg - lich ſeyn.
Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben ſehen, welche die Empfindung ihrer Eigenſchaft in unſerm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart noͤthigt, mit ihr in einem identiſchen Zuſtande zu verharren; ſo iſt es eine gezwungene Lage, in wel - cher das Organ ungern verweilt.
Wenn das Auge die Farbe erblickt, ſo wird es gleich in Thaͤtigkeit geſetzt, und es iſt ſeiner Natur gemaͤß, auf der Stelle eine andre, ſo unbewußt als nothwendig, hervorzubringen, welche mit der gege - benen die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes enthaͤlt. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine ſpecifiſche Empfindung, das Streben nach Allgemein - heit.
Um nun dieſe Totalitaͤt gewahr zu werden, um ſich ſelbſt zu befriedigen, ſucht es neben jedem far - bigen Raum einen farbloſen, um die geforderte Farbe an demſelben hervorzubringen.
Hier liegt alſo das Grundgeſetz aller Harmonie der Farben, wovon ſich jeder durch eigene Erfahrung uͤberzeugen kann, indem er ſich mit den Verſuchen, die wir in der Abtheilung der phyſiologiſchen Farben angezeigt, genau bekannt macht.
Wird nun die Farbentotalitaͤt von außen dem Auge als Object gebracht, ſo iſt ſie ihm erfreulich, weil ihm die Summe ſeiner eignen Thaͤtigkeit als Rea - litaͤt entgegen kommt. Es ſey alſo zuerſt von dieſen harmoniſchen Zuſammenſtellungen die Rede.
Um ſich davon auf das leichteſte zu unterrichten, denke man ſich in dem von uns angegebenen Farben - kreiſe einen beweglichen Diameter und fuͤhre denſelben im ganzen Kreiſe herum; ſo werden die beyden En - den nach und nach die ſich fordernden Farben bezeich - nen; welche ſich denn freylich zuletzt auf drey einfache Gegenſaͤtze zuruͤckfuͤhren laſſen.
und umgekehrt.
Wie der von uns ſupponirte Zeiger von der Mitte der von uns naturmaͤßig geordneten Farben wegruͤckt; eben ſo ruͤckt er mit dem andern Ende in der entge - gengeſetzten Abſtufung weiter, und es laͤßt ſich durch eine ſolche Vorrichtung zu einer jeden fordernden Farbe die geforderte bequem bezeichnen. Sich hiezu einen Farbenkreis zu bilden, der nicht wie der unſre abge - ſetzt, ſondern in einem ſtetigen Fortſchritte die Farben und ihre Uebergaͤnge zeigte, wuͤrde nicht unnuͤtz ſeyn: denn wir ſtehen hier auf einem ſehr wichtigen Punct, der alle unſre Aufmerkſamkeit verdient.
Wurden wir vorher bey dem Beſchauen einzelner Farben gewiſſermaßen pathologiſch afficirt, indem wir zu einzelnen Empfindungen fortgeriſſen, uns bald leb - haft und ſtrebend, bald weich und ſehnend, bald zum Edlen emporgehoben, bald zum Gemeinen herabgezo - gen fuͤhlten; ſo fuͤhrt uns das Beduͤrfniß nach Tota - litaͤt, welches unſerm Organ eingeboren iſt, aus die - ſer Beſchraͤnkung heraus; es ſetzt ſich ſelbſt in Frey - heit, indem es den Gegenſatz des ihm aufgedrungenen Einzelnen und ſomit eine befriedigende Ganzheit her - vorbringt.
So einfach alſo dieſe eigentlich harmoniſchen Ge - genſaͤtze ſind, welche uns in dem engen Kreiſe gege - ben werden, ſo wichtig iſt der Wink, daß uns die Natur durch Totalitaͤt zur Freyheit heraufzuheben an - gelegt iſt, und daß wir dießmal eine Naturerſcheinung zum aͤſthetiſchen Gebrauch unmittelbar uͤberliefert er - halten.
Indem wir alſo ausſprechen koͤnnen, daß der Far - benkreis, wie wir ihn angegeben, auch ſchon dem Stoff nach eine angenehme Empfindung hervorbringe, iſt es der Ort zu gedenken, daß man bisher den Re - genbogen mit Unrecht als ein Beyſpiel der Farbentota - litaͤt angenommen: denn es fehlt demſelben die Haupt - farbe, das reine Roth, der Purpur, welcher nicht entſtehen kann, da ſich bey dieſer Erſcheinung ſo wenig als bey dem hergebrachten prismatiſchen Bilde das Gelbroth und Blauroth zu erreichen vermoͤgen.
Ueberhaupt zeigt uns die Natur kein allgemeines Phaͤnomen, wo die Farbentotalitaͤt voͤllig beyſammen waͤre. Durch Verſuche laͤßt ſich ein ſolches in ſeiner vollkommnen Schoͤnheit hervorbringen. Wie ſich aber die voͤllige Erſcheinung im Kreiſe zuſammenſtellt, ma - chen wir uns am beſten durch Pigmente auf Papier begreiflich, bis wir, bey natuͤrlichen Anlagen und nach mancher Erfahrung und Uebung, uns endlich305 von der Idee dieſer Harmonie voͤllig penetrirt und ſie uns im Geiſte gegenwaͤrtig fuͤhlen.
Außer dieſen rein harmoniſchen, aus ſich ſelbſt entſpringenden Zuſammenſtellungen, welche immer To - talitaͤt mit ſich fuͤhren, gibt es noch andre, welche durch Willkuͤhr hervorgebracht werden, und die wir dadurch am leichteſten bezeichnen, daß ſie in unſerm Farbenkreiſe nicht nach Diametern, ſondern nach Chor - den aufzufinden ſind, und zwar zuerſt dergeſtalt, daß eine Mittelfarbe uͤberſprungen wird.
Wir nennen dieſe Zuſammenſtellungen charakteri - ſtiſch, weil ſie ſaͤmmtlich etwas Bedeutendes haben, das ſich uns mit einem gewiſſen Ausdruck aufdringt, aber uns nicht befriedigt, indem jedes Charakteriſti - ſche nur dadurch entſteht, daß es als ein Theil aus einem Ganzen heraustritt, mit welchem es ein Ver - haͤltniß hat, ohne ſich darin aufzuloͤſen.
Da wir die Farben in ihrer Entſtehung, ſo wie deren harmoniſche Verhaͤltniſſe kennen, ſo laͤßt ſich er -I. 20306warten, daß auch die Charaktere der willkuͤhrlichen Zuſammenſtellungen von der verſchiedenſten Bedeutung ſeyn werden. Wir wollen ſie einzeln durchgehen.
Dieſes iſt die einfachſte von ſolchen Zuſammenſtel - lungen. Man kann ſagen, es ſey zu wenig in ihr: denn da ihr jede Spur von Roth fehlt, ſo geht ihr zu viel von der Totalitaͤt ab. In dieſem Sinne kann man ſie arm und, da die beyden Pole auf ihrer nie - drigſten Stufe ſtehn, gemein nennen. Doch hat ſie den Vortheil, daß ſie zunaͤchſt am Gruͤnen und alſo an der realen Befriedigung ſteht.
Hat etwas Einſeitiges, aber Heiteres und Praͤch - tiges. Man ſieht die beyden Enden der thaͤtigen Seite neben einander, ohne daß das ſtetige Werden ausge - druͤckt ſey.
307Da man aus ihrer Miſchung durch Pigmente das Gelbrothe erwarten kann, ſo ſtehn ſie gewiſſermaßen anſtatt dieſer Farbe.
Die beyden Enden der paſſiven Seite mit dem Uebergewicht des obern Endes nach dem activen zu. Da durch Miſchung beyder das Blaurothe entſteht, ſo wird der Effect dieſer Zuſammenſtellung ſich auch gedachter Farbe naͤhern.
Haben zuſammengeſtellt, als die geſteigerten En - den der beyden Seiten, etwas Erregendes Hohes. Sie geben uns die Vorahndung des Purpurs, der bey phyſikaliſchen Verſuchen aus ihrer Vereinigung entſteht.
Dieſe vier Zuſammenſtellungen haben alſo das Ge - meinſame, daß ſie, vermiſcht, die Zwiſchenfarben un - ſeres Farbenkreiſes hervorbringen wuͤrden; wie ſie auch ſchon thun, wenn die Zuſammenſtellung aus kleinen Theilen beſteht und aus der Ferne betrachtet wird. Eine Flaͤche mit ſchmalen blau und gelben Streifen erſcheint in einiger Entfernung gruͤn.
Wenn nun aber das Auge Blau und Gelb neben einander ſieht, ſo befindet es ſich in der ſonderbaren Bemuͤhung, immer Gruͤn hervorbringen zu wollen, ohne damit zu Stande zu kommen, und ohne alſo im Einzelnen Ruhe, oder im Ganzen Gefuͤhl der Totalitaͤt bewirken zu koͤnnen.
Man ſieht alſo, daß wir nicht mit Unrecht dieſe Zuſammenſtellungen charakteriſtiſch genannt haben, ſo wie denn auch der Charakter einer jeden ſich auf den Charakter der einzelnen Farben, woraus ſie zuſammen - geſtellt iſt, beziehen muß.
Wir wenden uns nun zu der letzten Art der Zu - ſammenſtellungen, welche ſich aus dem Kreiſe leicht herausfinden laſſen. Es ſind nehmlich diejenigen, welche durch kleinere Chorden angedeutet werden, wenn man nicht eine ganze Mittelfarbe, ſondern nur den Ueber - gang aus einer in die andere uͤberſpringt.
Man kann dieſe Zuſammenſtellungen wohl die charakterloſen nennen, indem ſie zu nahe an einander liegen, als daß ihr Eindruck bedeutſam werden koͤnnte. Doch behaupten die meiſten immer noch ein gewiſſes Recht, da ſie ein Fortſchreiten andeuten, deſſen Ver - haͤltniß aber kaum fuͤhlbar werden kann.
So drucken Gelb und Gelbroth, Gelbroth und Purpur, Blau und Blauroth, Blauroth und Purpur die naͤchſten Stufen der Steigerung und Culmination aus, und koͤnnen in gewiſſen Verhaͤltniſſen der Maſ - ſen keine uͤble Wirkung thun.
Gelb und Gruͤn hat immer etwas Gemein-heiteres, Blau und Gruͤn aber immer etwas Gemein-widerliches;310 deswegen unſre guten Vorfahren dieſe letzte Zuſammen - ſtellung auch Narrenfarbe genannt haben.
Dieſe Zuſammenſtellungen koͤnnen ſehr vermannich - faltigt werden, indem man beyde Farben hell, beyde Farben dunkel, eine Farbe hell die andre dunkel zu - ſammenbringen kann; wobey jedoch, was im Allge - meinen gegolten hat, in jedem beſondern Falle gelten muß. Von dem unendlich Mannigfaltigen, was dabey ſtatt findet, erwaͤhnen wir nur folgendes.
Die active Seite mit dem Schwarzen zuſammen - geſtellt, gewinnt an Energie; die paſſive verliert. Die active mit dem Weißen und Hellen zuſammengebracht, verliert an Kraft; die paſſive gewinnt an Heiterkeit. Purpur und Gruͤn mit Schwarz ſieht dunkel und duͤſter, mit Weiß hingegen erfreulich aus.
Hierzu kommt nun noch, daß alle Farben mehr oder weniger beſchmutzt, bis auf einen gewiſſen Grad unkenntlich gemacht, und ſo theils unter ſich ſelbſt,311 theils mit reinen Farben zuſammengeſtellt werden koͤn - nen; wodurch zwar die Verhaͤltniſſe unendlich variirt werden, wobey aber doch alles gilt, was von dem reinen gegolten hat.
Wenn in dem Vorhergehenden die Grundſaͤtze der Farbenharmonie vorgetragen worden; ſo wird es nicht zweckwidrig ſeyn, wenn wir das dort Ausgeſprochene in Verbindung mit Erfahrungen und Beyſpielen noch - mals wiederholen.
Jene Grundſaͤtze waren aus der menſchlichen Na - tur und aus den anerkannten Verhaͤltniſſen der Far - benerſcheinungen abgeleitet. In der Erfahrung be - gegnet uns manches, was jenen Grundſaͤtzen gemaͤß, manches, was ihnen widerſprechend iſt.
Naturmenſchen, rohe Voͤlker, Kinder haben große Neigung zur Farbe in ihrer hoͤchſten Energie, und alſo beſonders zu dem Gelbrothen. Sie haben auch eine Neigung zum Bunten. Das Bunte aber entſteht, wenn die Farben in ihrer hoͤchſten Energie ohne har -312 moniſches Gleichgewicht zuſammengeſtellt worden. Fin - det ſich aber dieſes Gleichgewicht durch Inſtinct, oder zufaͤllig beobachtet, ſo entſteht eine angenehme Wir - kung. Ich erinnere mich, daß ein heſſiſcher Officier, der aus Amerika kam, ſein Geſicht nach Art der Wil - den mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art von Totalitaͤt entſtand, die keine unangenehme Wir - kung that.
Die Voͤlker des ſuͤdlichen Europa’s tragen zu Klei - dern ſehr lebhafte Farben. Die Seidenwaaren, welche ſie leichten Kaufs haben, beguͤnſtigen dieſe Neigung. Auch ſind beſonders die Frauen mit ihren lebhafteſten Miedern und Baͤndern immer mit der Gegend in Har - monie, indem ſie nicht im Stande ſind, den Glanz des Himmels und der Erde zu uͤberſcheinen.
Die Geſchichte der Faͤrberey belehrt uns, daß bey den Trachten der Nationen gewiſſe techniſche Bequem - lichkeiten und Vortheile ſehr großen Einfluß hatten. So ſieht man die Deutſchen viel in Blau gehen, weil es eine dauerhafte Farbe des Tuches iſt; auch in manchen Gegenden, alle Landleute in gruͤnem Zwillich, weil dieſer gedachte Farbe gut annimmt. Moͤchte ein Reiſender hierauf achten, ſo wuͤrden ihm bald ange - nehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen.
Farben, wie ſie Stimmungen hervorbringen, fuͤ - gen ſich auch zu Stimmungen und Zuſtaͤnden. Leb -313 hafte Nationen, z. B. die Franzoſen, lieben die ge - ſteigerten Farben, beſonders der activen Seite; ge - maͤßigte, als Englaͤnder und Deutſche, das Stroh - oder Ledergelb, wozu ſie Dunkelblau tragen. Nach Wuͤrde ſtrebende Nationen, als Italiaͤner und Spa - nier, ziehen die rothe Farbe ihrer Maͤntel auf die paſſive Seite hinuͤber.
Man bezieht bey Kleidungen den Charakter der Farbe auf den Charakter der Perſon. So kann man das Verhaͤltniß der einzelnen Farben und Zuſammen - ſtellungen zu Geſichtsfarbe, Alter und Stand be - obachten.
Die weibliche Jugend haͤlt auf Roſenfarb und Meergruͤn; das Alter auf Violett und Dunkelgruͤn. Die Blondine hat zu Violett und Hellgelb, die Bruͤ - nette zu Blau und Gelbroth Neigung, und ſaͤmmtlich mit Recht.
Die roͤmiſchen Kaiſer waren auf den Purpur hoͤchſt eiferſuͤchtig. Die Kleidung des chineſiſchen Kai - ſers iſt Orange mit Purpur geſtickt. Citronengelb duͤr - fen auch ſeine Bedienten und die Geiſtlichen tragen.
Gebildete Menſchen haben einige Abneigung vor Farben. Es kann dieſes theils aus Schwaͤche des Organs, theils aus Unſicherheit des Geſchmacks ge - ſchehen, die ſich gern in das voͤllige Nichts fluͤchtet. 314Die Frauen gehen nunmehr faſt durchgaͤngig weiß, und die Maͤnner ſchwarz.
Ueberhaupt aber ſteht hier eine Beobachtung nicht am unrechten Platze, daß der Menſch, ſo gern er ſich auszeichnet, ſich auch eben ſo gern unter ſeines Glei - chen verlieren mag.
Die ſchwarze Farbe ſollte den venetianiſchen Edel - mann an eine republicaniſche Gleichheit erinnern.
In wiefern der truͤbe nordiſche Himmel die Far - ben nach und nach vertrieben hat, ließe ſich vielleicht auch noch unterſuchen.
Man iſt freylich bey dem Gebrauch der ganzen Farben ſehr eingeſchraͤnkt; dahingegen die beſchmuzten, getoͤdteten, ſogenannten Modefarben unendlich viele abweichende Grade und Schattirungen zeigen, wovon die meiſten nicht ohne Anmuth ſind.
Zu bemerken iſt noch, daß die Frauenzimmer bey ganzen Farben in Gefahr kommen, eine nicht ganz lebhafte Geſichtsfarbe noch unſcheinbarer zu machen; wie ſie denn uͤberhaupt genoͤthigt ſind, ſobald ſie einer glaͤnzenden Umgebung das Gleichgewicht halten ſollen, ihre Geſichtsfarbe durch Schminke zu erhoͤhen.
Hier waͤre nun noch eine artige Arbeit zu machen uͤbrig, naͤmlich eine Beurtheilung der Uniformen, Livreen, Cocarden und andrer Abzeichen, nach den oben aufgeſtellten Grundſaͤtzen. Man koͤnnte im Allge - meinen ſagen, daß ſolche Kleidungen oder Abzeichen keine harmoniſchen Farben haben duͤrfen. Die Unifor - men ſollten Charakter und Wuͤrde haben; die Livreen koͤnnen gemein und ins Auge fallend ſeyn. An Bey - ſpielen von guter und ſchlechter Art wuͤrde es nicht fehlen, da der Farbenkreis eng und ſchon oft genug durchprobirt worden iſt.
Aus der ſinnlichen und ſittlichen Wirkung der Farben, ſowohl einzeln als in Zuſammenſtellung, wie wir ſie bisher vorgetragen haben, wird nun fuͤr den Kuͤnſtler die aͤſthetiſche Wirkung abgeleitet. Wir wol - len auch daruͤber die noͤthigſten Winke geben, wenn wir vorher die allgemeine Bedingung maleriſcher Dar - ſtellung, Licht und Schatten, abgehandelt, woran ſich die Farbenerſcheinung unmittelbar anſchließt.
Das Helldunkel, clair-obscur, nennen wir die Erſcheinung koͤrperlicher Gegenſtaͤnde, wenn an denſel - ben nur die Wirkung des Lichtes und Schattens be - trachtet wird.
Im engern Sinne wird auch manchmal eine Schat - tenpartie, welche durch Reflexe beleuchtet wird, ſo ge - nannt; doch wir brauchen hier das Wort in ſeinem er - ſten allgemeinern Sinne.
Die Trennung des Helldunkels von aller Farben - erſcheinung iſt moͤglich und noͤthig. Der Kuͤnſtler wird das Raͤthſel der Darſtellung eher loͤſen, wenn er ſich zuerſt das Helldunkel unabhaͤngig von Farben denkt, und daſſelbe in ſeinem ganzen Umfange kennen lernt.
Das Helldunkel macht den Koͤrper als Koͤrper er - ſcheinen, indem uns Licht und Schatten von der Dich - tigkeit belehrt.
Es kommt dabey in Betracht das hoͤchſte Licht, die Mitteltinte, der Schatten, und bey dem letzten317 wieder der eigene Schatten des Koͤrpers, der auf andre Koͤrper geworfene Schatten, der erhellte Schatten oder Reflex.
Zum natuͤrlichſten Beyſpiel fuͤr das Helldunkel waͤre die Kugel guͤnſtig, um ſich einen allgemeinen Begriff zu bilden, aber nicht hinlaͤnglich zum aͤſthetiſchen Ge - brauch. Die verfließende Einheit einer ſolchen Run - dung fuͤhrt zum Nebuliſtiſchen. Um Kunſtwirkungen zu erzwecken, muͤſſen an ihr Flaͤchen hervorgebracht werden, damit die Theile der Schatten - und Lichtſeite ſich mehr in ſich ſelbſt abſondern.
Die Italiaͤner nennen dieſes il piazzoſo; man koͤnnte es im Deutſchen das Flaͤchenhafte nennen. Wenn nun alſo die Kugel ein vollkommenes Beyſpiel des natuͤrlichen Helldunkels waͤre; ſo wuͤrde ein Vieleck ein Beyſpiel des kuͤnſtlichen ſeyn, wo alle Arten von Lichtern, Halblichtern, Schatten und Reflexen bemerk - lich waͤren.
Die Traube iſt als ein gutes Beyſpiel eines ma - leriſchen Ganzen im Helldunkel anerkannt, um ſo mehr als ſie ihrer Form nach eine vorzuͤgliche Gruppe dar - zuſtellen im Stande iſt; aber ſie iſt bloß fuͤr den Mei - ſter tauglich, der das, was er auszuuͤben verſteht, in ihr zu ſehen weiß.
Um den erſten Begriff faßlich zu machen, der ſelbſt von einem Vieleck immer noch ſchwer zu abſtrahiren iſt, ſchlagen wir einen Cubus vor, deſſen drey geſehene Seiten das Licht, die Mitteltinte und den Schatten, abgeſondert neben einander vorſtellen.
Jedoch um zum Helldunkel einer zuſammengeſetz - tern Figur uͤberzugehen, waͤhlen wir das Beyſpiel ei - nes aufgeſchlagenen Buches, welches uns einer groͤßern Mannigfaltigkeit naͤher bringt.
Die antiken Statuen aus der ſchoͤnen Zeit findet man zu ſolchen Wirkungen hoͤchſt zweckmaͤßig gearbeitet. Die Lichtpartieen ſind einfach behandelt, die Schatten - ſeiten deſto mehr unterbrochen, damit ſie fuͤr mannigfal - tige Reflexe empfaͤnglich wuͤrden; wobey man ſich des Beyſpiels vom Vieleck erinnern kann.
Beyſpiele antiker Malerey geben hierzu die her - kulaniſchen Gemaͤlde und die aldobrandiniſche Hochzeit.
Moderne Beyſpiele finden ſich in einzelnen Figu - ren Raphaels, an ganzen Gemaͤlden Correggios, der niederlaͤndiſchen Schule, beſonders des Rubens.
Ein Kunſtwerk ſchwarz und weiß kann in der Malerey ſelten vorkommen. Einige Arbeiten von Po - lydor geben uns davon Beyſpiele, ſo wie unſre Kup - ferſtiche und geſchabten Blaͤtter. Dieſe Arten, in ſo - fern ſie ſich mit Formen und Haltung beſchaͤftigen, ſind ſchaͤtzenswerth; allein ſie haben wenig Gefaͤlliges fuͤrs Auge, indem ſie nur durch eine gewaltſame Abſtraction entſtehen.
Wenn ſich der Kuͤnſtler ſeinem Gefuͤhl uͤberlaͤßt, ſo meldet ſich etwas farbiges gleich. So bald das Schwarze ins Blauliche faͤllt, entſteht eine Forderung des Gelben, das denn der Kuͤnſtler inſtinctmaͤßig vertheilt und theils rein in den Lichtern, theils geroͤthet und beſchmutzt als Braun in den Reflexen, zu Belebung des Ganzen an - bringt, wie es ihm am raͤthlichſten zu ſeyn ſcheint.
Alle Arten von Camayeu, oder Farb’ in Farbe, laufen doch am Ende dahin hinaus, daß ein geforderter Gegenſatz oder irgend eine farbige Wirkung angebracht wird. So hat Polydor in ſeinen ſchwarz und weißen Frescogemaͤlden ein gelbes Gefaͤß, oder ſonſt etwas der Art eingefuͤhrt.
Ueberhaupt ſtrebten die Menſchen in der Kunſt in - ſtinctmaͤßig jederzeit nach Farbe. Man darf nur taͤg - lich beobachten, wie Zeichenluſtige von Tuſche oder ſchwarzer Kreide auf weiß Papier zu farbigem Papier ſich ſteigern; dann verſchiedene Kreiden anwenden und endlich ins Paſtell uͤbergehen. Man ſah in un - ſern Zeiten Geſichter mit Silberſtift gezeichnet, durch rothe Baͤckchen belebt und mit farbigen Kleidern ange - than; ja Silhouetten in bunten Uniformen. Paolo Uccello malte farbige Landſchaften zu farbloſen Fi - guren.
Selbſt die Bildhauerey der Alten konnte dieſem Trieb nicht widerſtehen. Die Aegypter ſtrichen ihre Basreliefs an. Den Statuen gab man Augen von farbigen Steinen. Zu marmornen Koͤpfen und Extre - mitaͤten fuͤgte man porphyrne Gewaͤnder, ſo wie man bunte Kalkſinter zum Sturze der Bruſtbilder nahm. Die Jeſuiten verfehlten nicht, ihren heiligen Aloyſius in Rom auf dieſe Weiſe zuſammen zu ſetzen, und die neuſte Bildhauerey unterſcheidet das Fleiſch durch eine Tinc - tur von den Gewaͤndern.
Wenn die Linearperſpective die Abſtufung der Ge - genſtaͤnde in ſcheinbarer Groͤße durch Entfernung zeigt; ſo laͤßt uns die Luftperſpective die Abſtufung der Ge - genſtaͤnde in mehr oder minderer Deutlichkeit durch Entfernung ſehen.
Ob wir zwar entfernte Gegenſtaͤnde nach der Na - tur unſres Auges nicht ſo deutlich ſehen als naͤhere; ſo ruht doch die Luftperſpective eigentlich auf dem wich - tigen Satz, daß alle durchſichtigen Mittel einigermaßen truͤbe ſind.
Die Atmoſphaͤre iſt alſo immer mehr oder weniger truͤb. Beſonders zeigt ſie dieſe Eigenſchaft in den ſuͤd - lichen Gegenden bey hohem Barometerſtand, trocknem Wetter und wolkenloſem Himmel, wo man eine ſehr merkliche Abſtufung wenig auseinanderſtehender Gegen - ſtaͤnde beobachten kann.
Im Allgemeinen iſt dieſe Erſcheinung jedermann be - kannt; der Maler hingegen ſieht die Abſtufung bey den geringſten Abſtaͤnden, oder glaubt ſie zu ſehen. ErI. 21322ſtellt ſie praktiſch dar, indem er die Theile eines Koͤr - pers, z. B. eines voͤllig vorwaͤrts gekehrten Geſichtes, von einander abſtuft. Hiebey behauptet Beleuchtung ihre Rechte. Dieſe kommt von der Seite in Betracht, ſo wie die Haltung von vorn nach der Tiefe zu.
Indem wir nunmehr zur Farbengebung uͤbergehen, ſetzen wir voraus, daß der Maler uͤberhaupt mit dem Entwurf unſerer Farbenlehre bekannt ſey und ſich ge - wiſſe Kapitel und Rubriken, die ihn vorzuͤglich beruͤh - ren, wohl zu eigen gemacht habe: denn ſo wird er ſich im Stande befinden, das Theoretiſche ſowohl als das Praktiſche, im Erkennen der Natur und im An - wenden auf die Kunſt, mit Leichtigkeit zu behan - deln.
Die erſte Erſcheinung des Colorits tritt in der Natur gleich mit der Haltung ein: denn die Luftper -323 ſpective beruht auf der Lehre von den truͤben Mitteln. Wir ſehen den Himmel, die entfernten Gegenſtaͤnde, ja die nahen Schatten blau. Zugleich erſcheint uns das Leuchtende und Beleuchtete ſtufenweiſe Gelb bis zur Purpurfarbe. In manchen Faͤllen tritt ſogleich die phyſiologiſche Forderung der Farben ein, und eine ganz farbloſe Landſchaft wird durch dieſe mit und ge - gen einander wirkenden Beſtimmungen vor unſerm Auge voͤllig farbig erſcheinen.
Localfarben ſind die allgemeinen Elementarfarben, aber nach den Eigenſchaften der Koͤrper und ihrer Oberflaͤchen, an denen wir ſie gewahr werden, ſpecifi - cirt. Dieſe Specification geht bis ins Unendliche.
Es iſt ein großer Unterſchied, ob man gefaͤrbte Seide oder Wolle vor ſich hat. Jede Art des Berei - tens und Webens bringt ſchon Abweichungen hervor. Rauhigkeit, Glaͤtte, Glanz kommen in Betrachtung.
Es iſt daher ein der Kunſt ſehr ſchaͤdliches Vorurtheil, daß der gute Maler keine Ruͤckſicht auf den Stoff der21 *324Gewaͤnder nehmen, ſondern nur immer gleichſam ab - ſtracte Falten malen muͤſſe. Wird nicht hierdurch alle charakteriſtiſche Abwechſlung aufgehoben, und iſt das Portraͤt von Leo X. deshalb weniger trefflich, weil au dieſem Bilde Sammt, Atlas und Mohr neben einander nachgeahmt ward?
Bey Naturproducten erſcheinen die Farben mehr oder weniger modificirt, ſpecificirt, ja individualiſirt; welches bey Steinen und Pflanzen, bey den Federn der Voͤgel und den Haaren der Thiere wohl zu beob - achten iſt.
Die Hauptkunſt des Malers bleibt immer, daß er die Gegenwart des beſtimmten Stoffes nachahme und das Allgemeine, Elementare der Farbenerſcheinung zerſtoͤre. Die hoͤchſte Schwierigkeit findet ſich hier bey der Ober - flaͤche des menſchlichen Koͤrpers.
Das Fleiſch ſteht im Ganzen auf der activen Sei - te; doch ſpielt das Blauliche der paſſiven auch mit herein. Die Farbe iſt durchaus ihrem elementaren Zuſtande entruͤckt und durch Organiſation neutra - liſirt.
Das Colorit des Ortes und das Colorit der Ge - genſtaͤnde in Harmonie zu bringen, wird nach Betrach -325 tung deſſen, was von uns in der Farbenlehre abgehan - delt worden, dem geiſtreichen Kuͤnſtler leichter werden, als bisher der Fall war, und er wird im Stande ſeyn, unendlich ſchoͤne, mannigfaltige und zugleich wah - re Erſcheinungen darzuſtellen.
Die Zuſammenſtellung farbiger Gegenſtaͤnde ſowohl als die Faͤrbung des Raums, in welchem ſie enthalten ſind, ſoll nach Zwecken geſchehen, welche der Kuͤnſtler ſich vorſetzt. Hiezu iſt beſonders die Kenntniß der Wir - kung der Farben auf Empfindung, ſowohl im Einzel - nen als in Zuſammenſtellung, noͤthig. Deshalb ſich denn der Maler von dem allgemeinen Dualism ſo - wohl als von den beſondern Gegenſaͤtzen penetriren ſoll; wie er denn uͤberhaupt wohl inne haben muͤßte, was wir von den Eigenſchaften der Farben geſagt haben.
Das Charakteriſtiſche kann unter drey Hauptrubri - ken begriffen werden, die wir einſtweilen durch das Maͤchtige, das Sanfte und das Glaͤnzende bezeichnen wollen.
Das erſte wird durch das Uebergewicht der activen, das zweyte durch das Uebergewicht der paſſiven Seite,326 das dritte durch Totalitaͤt und Darſtellung des ganzen Farbenkreiſes im Gleichgewicht hervorgebracht.
Der maͤchtige Effect wird erreicht durch Gelb, Gelbroth und Purpur, welche letzte Farbe auch noch auf der Plusſeite zu halten iſt. Wenig Violett und Blau, noch weniger Gruͤn iſt anzubringen. Der ſanfte Effect wird durch Blau, Violett und Purpur, welcher jedoch auf die Minusſeite zu fuͤhren iſt, hervorgebracht. Wenig Gelb und Gelbroth, aber viel Gruͤn, kann ſtatt finden.
Wenn man alſo dieſe beyden Effecte in ihrer vol - len Bedeutung hervorbringen will, ſo kann man die geforderten Farben bis auf ein Minimum ausſchließen und nur ſo viel von ihnen ſehen laſſen, als eine Ahn - dung der Totalitaͤt unweigerlich zu verlangen ſcheint.
Obgleich die beyden charakteriſtiſchen Beſtimmungen, nach der eben angezeigten Weiſe, auch gewiſſermaßen harmoniſch genannt werden koͤnnen; ſo entſteht doch die eigentliche harmoniſche Wirkung nur alsdann, wenn327 alle Farben neben einander im Gleichgewicht angebracht ſind.
Man kann hiedurch das Glaͤnzende ſowohl als das Angenehme hervorbringen, welche beyde jedoch immer etwas Allgemeines und in dieſem Sinne etwas Charak - terloſes haben werden.
Hierin liegt die Urſache, warum das Colorit der meiſten Neuern charakterlos iſt; denn indem ſie nur ihrem Inſtinct folgen, ſo bleibt das Letzte, wohin er ſie fuͤhren kann, die Totalitaͤt, die ſie mehr oder weni - ger erreichen, dadurch aber zugleich den Charakter ver - ſaͤumen, den das Bild allenfalls haben koͤnnte.
Hat man hingegen jene Grundſaͤtze im Auge, ſo ſieht man, wie ſich fuͤr jeden Gegenſtand mit Sicher - heit eine andre Farbenſtimmung waͤhlen laͤßt. Freylich fordert die Anwendung unendliche Modificationen, wel - che dem Genie allein, wenn es von dieſen Grundſaͤtzen durchdrungen iſt, gelingen werden.
Wenn man das Wort Ton, oder vielmehr Ton - art, auch noch kuͤnftig von der Muſik borgen und bey328 der Farbengebung brauchen will; ſo wird es in einem beſſern Sinne als bisher geſchehen koͤnnen.
Man wuͤrde nicht mit Unrecht ein Bild von maͤch - tigem Effect, mit einem muſikaliſchen Stuͤcke aus dem Durton; ein Gemaͤlde von ſanftem Effect, mit einem Stuͤcke aus dem Molton vergleichen; ſo wie man fuͤr die Modification dieſer beyden Haupteffecte andre Ver - gleichungen finden koͤnnte.
Was man bisher Ton nannte, war ein Schleyer von einer einzigen Farbe uͤber das ganze Bild gezogen. Man nahm ihn gewoͤhnlich gelb, indem man aus In - ſtinct das Bild auf die maͤchtige Seite treiben wollte.
Wenn man ein Gemaͤlde durch ein gelbes Glas anſieht, ſo wird es uns in dieſem Ton erſcheinen. Es iſt der Muͤhe werth, dieſen Verſuch zu machen und zu wiederholen, um genau kennen zu lernen, was bey ei - ner ſolchen Operation eigentlich vorgeht. Es iſt eine Art Nachtbeleuchtung, eine Steigerung, aber zugleich Verduͤſterung der Plusſeite, und eine Beſchmutzung der Minusſeite.
Dieſer unechte Ton iſt durch Inſtinct aus Unſi - cherheit deſſen, was zu thun ſey, entſtanden; ſo daß man anſtatt der Totalitaͤt eine Uniformitaͤt hervor - brachte.
Eben dieſe Unſicherheit iſt Urſache, daß man die Farben der Gemaͤlde ſo ſehr gebrochen hat, daß man aus dem Grauen heraus, und in das Graue hinein malt, und die Farbe ſo leiſe behandelt als moͤglich.
Man findet in ſolchen Gemaͤlden oft die harmoni - ſchen Gegenſtellungen recht gluͤcklich, aber ohne Muth, weil man ſich vor dem Bunten fuͤrchtet.
Bunt kann ein Gemaͤlde leicht werden, in welchem man bloß empiriſch, nach unſichern Eindruͤcken, die Farben in ihrer ganzen Kraft neben einander ſtellen wollte.
Wenn man dagegen ſchwache, obgleich widrige Farben neben einander ſetzt, ſo iſt freylich der Effect nicht auffallend. Man traͤgt ſeine Unſicherheit auf den Zuſchauer hinuͤber, der denn an ſeiner Seite weder lo - ben noch tadeln kann.
Auch iſt es eine wichtige Betrachtung, daß man zwar die Farben unter ſich in einem Bilde richtig auf - ſtellen koͤnne, daß aber doch ein Bild bunt werden muͤſſe, wenn man die Farben in Bezug auf Licht und Schatten falſch anwendet.
Es kann dieſer Fall um ſo leichter eintreten, als Licht und Schatten ſchon durch die Zeichnung gegeben und in derſelben gleichſam enthalten iſt, dahingegen die Farbe der Wahl und Willkuͤhr noch unterworfen bleibt.
Man fand bisher bey den Malern eine Furcht, ja eine entſchiedene Abneigung gegen alle theoretiſche Betrachtungen uͤber die Farbe und was zu ihr gehoͤrt;331 welches ihnen jedoch nicht uͤbel zu deuten war. Denn das bisher ſogenannte Theoretiſche war grundlos, ſchwankend und auf Empirie hindeutend. Wir wuͤn - ſchen, daß unſre Bemuͤhungen dieſe Furcht einigermaßen vermindern und den Kuͤnſtler anreizen moͤgen, die auf - geſtellten Grundſaͤtze praktiſch zu pruͤfen und zu be - leben.
Denn ohne Ueberſicht des Ganzen wird der letzte Zweck nicht erreicht. Von allem dem, was wir bisher vorgetragen, durchdringe ſich der Kuͤnſtler. Nur durch die Einſtimmung des Lichtes und Schattens, der Hal - tung, der wahren und charakteriſtiſchen Farbengebung kann das Gemaͤlde von der Seite, von der wir es ge - genwaͤrtig betrachten, als vollendet erſcheinen.
Es war die Art der aͤltern Kuͤnſtler, auf hellen Grund zu malen. Er beſtand aus Kreide und wurde332 auf Leinwand oder Holz ſtark aufgetragen und polirt. Sodann wurde der Umriß aufgezeichnet und das Bild mit einer ſchwaͤrzlichen oder braͤunlichen Farbe ausge - tuſcht. Dergleichen auf dieſe Art zum Coloriren vorbe - reitete Bilder ſind noch uͤbrig von Leonardo da Vin - ci, Fra Bartolomeo und mehrere von Guido.
Wenn man zur Colorirung ſchritt und weiße Ge - waͤnder darſtellen wollte; ſo ließ man zuweilen dieſen Grund ſtehen. Tizian that es in ſeiner ſpaͤtern Zeit, wo er die große Sicherheit hatte, und mit wenig Muͤ - he viel zu leiſten wußte. Der weißliche Grund wurde als Mitteltinte behandelt, die Schatten aufgetragen und die hohen Lichter aufgeſetzt.
Beym Coloriren war das untergelegte gleichſam getuſchte Bild immer wirkſam. Man malte z. B. ein Gewand mit einer Laſurfarbe, und das Weiße ſchien durch und gab der Farbe ein Leben, ſo wie der ſchon fruͤher zum Schatten angelegte Theil die Farbe gedaͤmpft zeigte, ohne daß ſie gemiſcht oder beſchmutzt geweſen waͤre.
Dieſe Methode hatte viele Vortheile. Denn an den lichten Stellen des Bildes hatte man einen hel - len, an den beſchatteten einen dunkeln Grund. Das ganze Bild war vorbereitet; man konnte mit leichten Farben malen, und man war der Uebereinſtimmung333 des Lichtes mit den Farben gewiß. Zu unſern Zeiten ruht die Aquarellmalerey auf dieſen Grundſaͤtzen.
Uebrigens wird in der Oelmalerey gegenwaͤrtig durchaus ein heller Grund gebraucht, weil Mitteltin - ten mehr oder weniger durchſichtig ſind, und alſo durch einen hellen Grund einigermaßen belebt, ſo wie die Schatten ſelbſt nicht ſo leicht dunkel werden.
Auf dunkle Gruͤnde malte man auch eine Zeit - lang. Wahrſcheinlich hat ſie Tintoret eingefuͤhrt; ob Giorgione ſich derſelben bedient, iſt nicht bekannt. Ti - zians beſte Bilder ſind nicht auf dunkeln Grund ge - malt.
Ein ſolcher Grund war rothbraun, und wenn auf denſelben das Bild aufgezeichnet war, ſo wurden die ſtaͤrkſten Schatten aufgetragen, die Lichtfarben im - paſtirte man auf den hohen Stellen ſehr ſtark und ver - trieb ſie gegen den Schatten zu; da denn der dunkle Grund durch die verduͤnnte Farbe als Mitteltinte durch - ſah. Der Effect wurde beym Ausmalen durch mehr - maliges Uebergehen der lichten Partieen und Aufſetzen der hohen Lichter erreicht.
Wenn dieſe Art ſich beſonders wegen der Ge - ſchwindigkeit bey der Arbeit empfielt, ſo hat ſie doch334 in der Folge viel Schaͤdliches. Der energiſche Grund waͤchſt und wird dunkler; was die hellen Farben nach und nach an Klarheit verlieren, giebt der Schattenſeite immer mehr und mehr Uebergewicht. Die Mitteltinten werden immer dunkler und der Schatten zuletzt ganz finſter. Die ſtark aufgetragenen Lichter bleiben allein hell und man ſieht nur lichte Flecken auf dem Bilde; wo - von uns die Gemaͤlde der bologneſiſchen Schule und des Caravaggio genugſame Beyſpiele geben.
Auch iſt nicht unſchicklich, hier noch zum Schluſſe des Laſirens zu erwaͤhnen. Dieſes geſchieht, wenn man eine ſchon aufgetragene Farbe als hellen Grund be - trachtet. Man kann eine Farbe dadurch fuͤrs Auge miſchen, ſie ſteigern, ihr einen ſogenannten Ton geben; man macht ſie dabey aber immer dunkler.
Wir empfangen ſie aus der Hand des Chemikers und Naturforſchers. Manches iſt daruͤber aufgezeichnet und durch den Druck bekannt geworden; doch ver - diente dieſes Capitel von Zeit zu Zeit neu bearbeitet zu werden. Indeſſen theilt der Meiſter ſeine Kennt -335 niſſe hieruͤber dem Schuͤler mit, der Kuͤnſtler dem Kuͤnſtler.
Diejenigen Pigmente, welche ihrer Natur nach die dauerhafteſten ſind, werden vorzuͤglich ausgeſucht; aber auch die Behandlungsart traͤgt viel zur Dauer des Bildes bey. Deswegen ſind ſo wenig Farbenkoͤrper als moͤglich anzuwenden, und die ſimpelſte Methode des Auftrags nicht genug zu empfehlen.
Denn aus der Menge der Pigmente iſt manches Uebel fuͤr das Colorit entſprungen. Jedes Pigment hat ſein eigenthuͤmliches Weſen in Abſicht ſeiner Wir - kung aufs Auge; ferner etwas Eigenthuͤmliches, wie es techniſch behandelt ſeyn will. Jenes iſt Urſache, daß die Harmonie ſchwerer durch mehrere als durch wenige Pigmente zu erreichen iſt; dieſes, daß chemiſche Wir - kung und Gegenwirkung unter den Farbekoͤrpern ſtatt finden kann.
Ferner gedenken wir noch einiger falſchen Rich - tungen, von denen ſich die Kuͤnſtler hinreißen laſſen. Die Maler begehren immer nach neuen Farbekoͤr - pern, und glauben, wenn ein ſolcher gefunden wird, einen Vorſchritt in der Kunſt gethan zu haben. Sie tragen großes Verlangen, die alten mecha - niſchen Behandlungsarten kennen zu lernen, wodurch ſie viel Zeit verlieren; wie wir uns denn zu Ende des vorigen Jahrhunderts mit der Wachsmalerey viel336 zu lange gequaͤlt haben. Andre gehen darauf aus, neue Behandlungsarten zu erfinden; wodurch denn auch weiter nichts gewonnen wird. Denn es iſt zuletzt doch nur der Geiſt, der jede Technik lebendig macht.
Es iſt oben umſtaͤndlich nachgewieſen worden, daß eine jede Farbe einen beſondern Eindruck auf den Menſchen mache, und dadurch ihr Weſen ſowohl dem Auge als Gemuͤth offenbare. Daraus folgt ſogleich, daß die Farbe ſich zu gewiſſen ſinnlichen, ſittlichen, aͤſthetiſchen Zwecken anwenden laſſe.
Einen ſolchen Gebrauch alſo, der mit der Na - tur voͤllig uͤbereintraͤfe, koͤnnte man den ſymboliſchen nennen, indem die Farbe ihrer Wirkung gemaͤß an - gewendet wuͤrde, und das wahre Verhaͤltniß ſogleich die Bedeutung ausſpraͤche. Stellt man z. B. den Purpur als die Majeſtaͤt bezeichnend auf, ſo wird wohl kein Zweifel ſeyn, daß der rechte Ausdruck ge - funden worden; wie ſich alles dieſes ſchon oben hin - reichend auseinandergeſetzt findet.
Hiermit iſt ein anderer Gebrauch nahe verwandt, den man den allegoriſchen nennen koͤnnte. Bey dieſem iſt mehr zufaͤlliges und willkuͤhrliches, ja man kann ſagen etwas Conventionelles, indem uns erſt der Sinn des Zeichens uͤberliefert werden muß, ehe wir wiſſen, was es bedeuten ſoll, wie es ſich z. B. mit der gruͤnen Farbe verhaͤlt, die man der Hoff - nung zugetheilt hat.
Daß zuletzt auch die Farbe eine myſtiſche Deu - tung erlaube, laͤßt ſich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin ſich die Farbenmannigfaltigkeit dar - ſtellen laͤßt, ſolche Urverhaͤltniſſe andeutet, die ſowohl der menſchlichen Anſchauung als der Natur angehoͤren, ſo iſt wohl kein Zweifel, daß man ſich ihrer Bezuͤge, gleichſam als einer Sprache, auch da bedienen koͤnne, wenn man Urverhaͤltniſſe ausdruͤcken will, die nicht eben ſo maͤchtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker ſchaͤtzt den Werth und Gebrauch des Triangels; der Triangel ſteht bey dem Myſtiker in großer Verehrung; gar manches laͤßt ſich im Tri - angel ſchematiſiren und die Farbenerſcheinung gleich - falls, und zwar dergeſtalt, daß man durch Verdopp - lung und Verſchraͤnkung zu dem alten geheimnißvollen Sechseck gelangt.
Wenn man erſt das Auseinandergehen des Gelben und Blauen wird recht gefaßt, beſondersI. 22338aber die Steigerung ins Rothe genugſam betrach - tet haben, wodurch das Entgegengeſetzte ſich ge - gen einander neigt, und ſich in einem Dritten verei - nigt; dann wird gewiß eine beſondere geheimnißvolle Anſchauung eintreten, daß man dieſen beyden getrenn - ten, einander entgegengeſetzten Weſen eine geiſtige Bedeutung unterlegen koͤnne, und man wird ſich kaum enthalten, wenn man ſie unterwaͤrts das Gruͤn, und oberwaͤrts das Roth hervorbringen ſieht, dort an die irdiſchen, hier an die himmliſchen Ausgeburten der Elohim zu gedenken.
Doch wir thun beſſer, uns nicht noch zum Schluſſe dem Verdacht der Schwaͤrmerey auszuſetzen, um ſo mehr als es, wenn unſre Farbenlehre Gunſt gewinnt, an allegoriſchen ſymboliſchen und myſtiſchen Anwen - dungen und Deutungen, dem Geiſte der Zeit gemaͤß, gewiß nicht fehlen wird.
Das Beduͤrfniß des Malers, der in der bisheri - gen Theorie keine Huͤlfe fand, ſondern ſeinem Gefuͤhl, ſeinem Geſchmack, einer unſichern Ueberlieferung in Abſicht auf die Farbe voͤllig uͤberlaſſen war, ohne ir - gend ein phyſiſches Fundament gewahr zu werden, worauf er ſeine Ausuͤbung haͤtte gruͤnden koͤnnen, dieſes Beduͤrfniß war der erſte Anlaß, der den Verfaſſer ver - mochte, in eine Bearbeitung der Farbenlehre ſich ein - zulaſſen. Da nichts wuͤnſchenswerther iſt, als daß dieſe theoretiſche Ausfuͤhrung bald im Praktiſchen ge - nutzt und dadurch gepruͤft und ſchnell weiter gefuͤhrt werde; ſo muß es zugleich hoͤchſt willkommen ſeyn, wenn wir finden, daß Kuͤnſtler ſelbſt ſchon den Weg einſchlagen, den wir fuͤr den rechten halten.
Ich laſſe daher zum Schluß, um hiervon ein Zeugniß abzugeben, den Brief eines talentvollen Ma - lers, des Herrn Philipp Otto Runge, mit Ver - gnuͤgen abdrucken, eines jungen Mannes, der ohne von meinen Bemuͤhungen unterrichtet zu ſeyn, durch Naturel, Uebung und Nachdenken ſich auf die glei - chen Wege gefunden hat. Man wird in dieſem Briefe, den ich ganz mittheile, weil ſeine ſaͤmmtlichen Glie - der in einem innigen Zuſammenhange ſtehen, bey auf - merkſamer Vergleichung gewahr werden, daß mehrere Stellen genau mit meinem Entwurf uͤbereinkommen,22 *340daß andere ihre Deutung und Erlaͤuterung aus mei - ner Arbeit gewinnen koͤnnen, und daß dabey der Ver - faſſer in mehreren Stellen mit lebhafter Ueberzeugung und wahrem Gefuͤhle mir ſelbſt auf meinem Gange vorgeſchritten iſt. Moͤge ſein ſchoͤnes Talent praktiſch bethaͤtigen, wovon wir uns beyde uͤberzeugt halten, und moͤchten wir bey fortgeſetzter Betrachtung und Aus - uͤbung mehrere gewogene Mitarbeiter finden.
Wollgaſt den 3. Julii 1806.
Nach einer kleinen Wanderung, die ich durch un - ſere anmuthige Inſel Ruͤgen gemacht hatte, wo der ſtille Ernſt des Meeres von den freundlichen Halbinſeln und Thaͤlern, Huͤgeln und Felſen, auf mannigfaltige Art unterbrochen wird, fand ich zu dem freundlichen Willkommen der Meinigen, auch noch Ihren werthen Brief; und es iſt eine große Beruhigung fuͤr mich, meinen herzlichen Wunſch in Erfuͤllung gehen zu ſehen, daß meine Arbeiten doch auf irgend eine Art anſpre - chen moͤchten. Ich empfinde es ſehr, wie Sie ein Beſtreben, was auch außer der Richtung, die Sie der Kunſt wuͤnſchen, liegt, wuͤrdigen; und es wuͤrde eben ſo albern ſeyn, Ihnen meine Urſachen, warum ich ſo arbeite, zu ſagen, als wenn ich bereden wollte, die meinige waͤre die rechte.
Wenn die Praktik fuͤr Jeden mit ſo großen Schwierigkeiten verbunden iſt, ſo iſt ſie es in unſern Zeiten im hoͤchſten Grade. Fuͤr den aber, der in ei - nem Alter, wo der Verſtand ſchon eine große Ober - hand erlangt hat, erſt anfaͤngt, ſich in den Anfangs -341 gruͤnden zu uͤben, wird es unmoͤglich, ohne zu Grunde zu gehen, aus ſeiner Individualitaͤt heraus ſich in ein allgemeines Beſtreben zu verſetzen.
Derjenige, der, indem er ſich in der unendlichen Fuͤlle von Leben, die um ihn ausgebreitet iſt, ver - liert, und unwiderſtehlich dadurch zum Nachbilden an - gereizt wird, ſich von dem totalen Eindrucke eben ſo gewaltig ergriffen fuͤhlt, wird gewiß auf eben die Weiſe, wie er in das Charakteriſtiſche der Einzelnhei - ten eingeht, auch in das Verhaͤltniß, die Natur und die Kraͤfte der großen Maſſen einzudringen ſuchen.
Wer in dem beſtaͤndigen Gefuͤhl, wie alles bis ins kleinſte Detail lebendig iſt, und auf einander wirkt, die großen Maſſen betrachtet, kann ſolche nicht ohne eine beſondere Connexion oder Verwandtſchaft ſich denken, noch viel weniger darſtellen, ohne ſich auf die Grundurſachen einzulaſſen. Und thut er dieß, ſo kann er nicht eher wieder zu der erſten Freyheit ge - langen, wenn er ſich nicht gewiſſermaßen bis auf den reinen Grund durchgearbeitet hat.
Um es deutlicher zu machen, wie ich es meyne: ich glaube, daß die alten deutſchen Kuͤnſtler, wenn ſie etwas von der Form gewußt haͤtten, die Unmit - telbarkeit und Natuͤrlichkeit des Ausdrucks in ihren Figuren wuͤrden verloren haben, bis ſie in dieſer Wiſ - ſenſchaft einen gewiſſen Grad erlangt haͤtten.
Es hat manchen Menſchen gegeben, der aus freyer Fauſt Bruͤcken und Haͤngewerke und gar kuͤnſtliche Sa - chen gebaut hat. Es geht auch wohl eine Zeit lang, wann er aber zu einer gewiſſen Hoͤhe gekommen und342 er von ſelbſt auf mathematiſche Schluͤſſe verfaͤllt, ſo iſt ſein ganzes Talent fort, er arbeite ſich denn durch die Wiſſenſchaft durch wieder in die Freyheit hinein.
So iſt es mir unmoͤglich geweſen, ſeit ich zuerſt mich uͤber die beſondern Erſcheinungen bey der Mi - ſchung der drey Farben verwunderte, mich zu beru - higen, bis ich ein gewiſſes Bild von der ganzen Far - benwelt hatte, welches groß genug waͤre, um alle Verwandlungen und Erſcheinungen in ſich zu ſchließen.
Es iſt ein ſehr natuͤrlicher Gedanke fuͤr einen Ma - ler, wenn er zu wiſſen begehrt, indem er eine ſchoͤne Gegend ſieht, oder auf irgend eine Art von einem Effect in der Natur angeſprochen wird, aus welchen Stoffen gemiſcht dieſer Effect wieder zu geben waͤre. Dieß hat mich wenigſtens angetrieben, die Eigenhei - ten der Farben zu ſtudiren, und ob es moͤglich waͤre, ſo tief einzudringen in ihre Kraͤfte, damit es mir deut - licher wuͤrde, was ſie leiſten, oder was durch ſie ge - wirkt wird, oder was auf ſie wirkt. Ich hoffe, daß Sie mit Schonung einen Verſuch anſehen, den ich bloß aufſchreibe, um Ihnen meine Anſicht deutlich zu machen, die, wie ich doch glaube, ſich praktiſch nur ganz auszuſprechen vermag. Indeß hoffe ich nicht, daß es fuͤr die Malerey unnuͤtz iſt, oder nur entbehrt werden kann, die Farben von dieſer Seite anzuſehen; auch wird dieſe Anſicht den phyſikaliſchen Verſuchen, et - was vollſtaͤndiges uͤber die Farben zu erfahren, weder widerſprechen, noch ſie unnoͤthig machen.
Da ich Ihnen hier aber keine unumſtoͤßlichen Be - weiſe vorlegen kann, weil dieſe auf eine vollſtaͤndige343 Erfahrung begruͤndet ſeyn muͤſſen, ſo bitte ich nur, daß Sie auf Ihr eignes Gefuͤhl ſich reduciren moͤchten, um zu verſtehen, wie ich meynte, daß ein Maler mit keinen andern Elementen zu thun haͤtte, als mit de - nen, die Sie hier angegeben finden.
1) Drey Farben, Gelb, Roth und Blau, gibt es bekanntlich nur, wenn wir dieſe in ihrer ganzen Kraft annehmen, und ſtellen ſie uns wie einen Cirkel vor, z. B. (ſiehe die Tafeln).
ſo bilden ſich aus den drey Farben, Gelb, Roth und Blau drey Uebergaͤnge, Orange, Violett und Gruͤn (ich heiße alles Orange, was zwiſchen Gelb und Roth faͤllt, oder was von Gelb oder Roth aus ſich nach dieſen Seiten hinneigt) und dieſe ſind in ihrer mittleren Stellung am brillanteſten und die reinen Mi - ſchungen der Farben.
2) Wenn man ſich ein blaͤuliches Orange, ein roͤthliches Gruͤn oder ein gelbliches Violett denken will, wird einem ſo zu Muthe wie bey einem ſuͤdweſtlichen344 Nordwinde. Wie ſich aber ein warmes Violett erklaͤ - ren laͤßt, gibt es im Verfolg vielleicht Materie.
3) Zwey reine Farben wie Gelb und Roth geben eine reine Miſchung Orange. Wenn man aber zu ſol - cher Blau miſcht, ſo wird ſie beſchmutzt, alſo daß wenn ſie zu gleichen Theilen geſchieht, alle Farbe in ein unſcheinendes Grau aufgehoben iſt.
Zwey reine Farben laſſen ſich miſchen, zwey Mit - telfarben aber heben ſich einander auf oder beſchmutzen ſich, da ein Theil von der dritten Farbe hinzugekom - men iſt.
Wenn die drey reinen Farben ſich einander aufhe - ben in Grau, ſo thun die drey Miſchungen, Oran - ge, Violett und Gruͤn daſſelbe in ihrer mittlern Stel - lung, weil die drey Farben wieder gleich ſtark darin ſind.
Da nun in dieſem ganzen Kreiſe nur die reinen Uebergaͤnge der drey Farben liegen und ſie durch ihre Miſchung nur den Zuſatz von Grau erhalten, ſo liegt außer ihnen zur groͤßern Vervielfaͤltigung noch Weiß und Schwarz.
4) Das Weiß macht durch ſeine Beymiſchung alle Farben matter, und wenn ſie gleich heller wer - den, ſo verlieren ſie doch ihre Klarheit und Feuer.
5) Schwarz macht alle Farben ſchmutzig, und wenn es ſolche gleich dunkler macht, ſo verlieren ſie eben ſo wohl ihre Reinheit und Klarheit.
6) Weiß und Schwarz mit einander gemiſcht gibt Grau.
3457) Man empfindet ſehr leicht, daß in dem Um - fang von den drey Farben nebſt Weiß und Schwarz der durch unſre Augen empfundene Eindruck der Na - tur in ſeinen Elementen nicht erſchoͤpft iſt. Da Weiß die Farben matt, und Schwarz ſie ſchmutzig macht, werden wir daher geneigt, ein Hell und Dunkel anzu - nehmen. Die folgenden Betrachtungen werden uns aber zeigen, in wiefern ſich hieran zu halten iſt.
8) Es iſt in der Natur außer dem Unterſchied von Heller und Dunkler in den reinen Farben noch ein an - drer wichtiger auffallend. Wann wir z. B. in einer Helligkeit und in einer Reinheit rothes Tuch, Papier, Taft, Atlas oder Sammet, das Rothe des Abend - roths oder rothes durchſichtiges Glas annehmen, ſo iſt da noch ein Unterſchied, der in der Durchſichtig - keit oder Undurchſichtigkeit der Materie liegt.
9) Wenn wir die drey Farben, Roth Blau und Gelb undurchſichtig zuſammen miſchen, ſo entſteht ein Grau, welches Grau eben ſo aus Weiß und Schwarz gemiſcht werden kann.
10) Wenn man dieſe drey Farben durchſichtig alſo miſcht, daß keine uͤberwiegend iſt, ſo erhaͤlt man eine Dunkelheit, die durch keine von den andern Thei - len hervorgebracht werden kann.
11) Weiß ſowohl als Schwarz ſind beyde un - durchſichtig oder koͤrperlich. Man darf ſich an den Ausdruck weißes Glas nicht[ſtoßen], womit man kla - res meynt. Weißes Waſſer wird man ſich nicht den - ken koͤnnen, was rein iſt, ſo wenig wie klare Milch. Wenn das Schwarze bloß dunkel machte, ſo koͤnnte346 es wohl klar ſeyn, da es aber ſchmutzt, ſo kann es ſolches nicht.
12) Die undurchſichtigen Farben ſtehen zwiſchen dem Weißen und Schwarzen; ſie koͤnnen nie ſo hell wie Weiß und nie ſo dunkel wie Schwarz ſeyn.
13) Die durchſichtigen Farben ſind in ihrer Er - leuchtung wie in ihrer Dunkelheit graͤnzenlos, wie Feuer und Waſſer als ihre Hoͤhe und ihre Tiefe ange - ſehen werden kann.
14) Das Product der drey undurchſichtigen Far - ben, Grau, kann durch das Licht nicht wieder zu einer Reinheit kommen, noch durch eine Miſchung dazu gebracht werden; es verbleicht entweder zu Weiß oder verkohlt ſich zu Schwarz.
15) Drey Stuͤcken Glas von den drey reinen durchſichtigen Farben wuͤrden auf einander gelegt eine Dunkelheit hervorbringen, die tiefer waͤre als jede Farbe einzeln, nehmlich ſo: Drey durchſichtige Far - ben zuſammen geben eine farbloſe Dunkelheit, die tie - fer iſt, als irgend eine von den Farben. Gelb iſt z. E. die hellſte und leuchtendſte unter den drey Far - ben, und doch, wenn man zu ganz dunklem Violett ſo viel Gelb miſcht, bis ſie ſich einander aufheben, ſo iſt die Dunkelheit in hohem Grade verſtaͤrkt.
16) Wenn man ein dunkles durchſichtiges Glas, wie es allenfalls bey den optiſchen Glaͤſern iſt, nimmt, und von der halben Dicke eine polirte Steinkohle, und legt beyde auf einen weißen Grund, ſo wird das Glas heller erſcheinen; verdoppelt man aber beyde, ſo muß die Steinkohle ſtille ſtehen, wegen der Undurchſichtig -347 keit; das Glas wird aber bis ins Unendliche ſich ver - dunkeln, obwohl fuͤr unſre Augen nicht ſichtbar. Eine ſolche Dunkelheit koͤnnen eben ſowohl die einzelnen durchſichtigen Farben erreichen, ſo daß Schwarz da - gegen nur wie ein ſchmutziger Fleck erſcheint.
17) Wenn wir ein ſolches durchſichtiges Product der drey durchſichtigen Farben auf die Weiſe verduͤn - nen und das Licht durchſcheinen ließen, ſo wird es auch eine Art Grau geben, die aber ſehr verſchieden von der Miſchung der drey undurchſichtigen Farben ſeyn wuͤrde.
18) Die Helligkeit an einem klaren Himmel bey Sonnenaufgang dicht um die Sonne herum, oder vor der Sonne her kann ſo groß ſeyn, daß wir ſie kaum ertragen koͤnnen. Wenn wir nun von dieſer dort vor - kommenden farbloſen Klarheit, als einem Product von den drey Farben auf dieſe ſchließen wollten, ſo wuͤr - den dieſe ſo hell ſeyn muͤſſen, und ſo ſehr uͤber un - ſere Kraͤfte weggeruͤckt, daß ſie fuͤr uns daſſelbe Ge - heimniß blieben, wie die in der Dunkelheit verſunke - nen.
19) Nun merken wir aber auch, daß die Hel - ligkeit oder Dunkelheit nicht in den Vergleich oder Verhaͤltniß zu den durchſichtigen Farben zu ſetzen ſey, wie das Schwarz und Weiß zu den undurchſichtigen. Sie iſt vielmehr eine Eigenſchaft und eins mit der Klarheit und mit der Farbe. Man ſtelle ſich einen reinen Rubin vor, ſo dick oder ſo duͤnn man will, ſo iſt das Roth eins und daſſelbe, und iſt alſo nur ein durchſichtiges Roth, welches hell oder dunkel wird, je348 nachdem es vom Licht erweckt oder verlaſſen wird. Das Licht entzuͤndet natuͤrlich eben ſo das Product die - ſer Farben in ſeiner Tiefe und erhebt es zu einer leuch - tenden Klarheit, die jede Farbe durchſcheinen laͤßt. Dieſe Erleuchtung, der ſie faͤhig iſt, indem das Licht ſie zu immer hoͤherem Brand entzuͤndet, macht, daß ſie oft unbemerkt um uns wogt und in tauſend Ver - wandlungen die Gegenſtaͤnde zeigt, die durch eine ein - fache Miſchung unmoͤglich waͤren, und alles in ſeiner Klarheit laͤßt und noch erhoͤht. So koͤnnen wir uͤber die gleichguͤltigſten Gegenſtaͤnde oft einen Reiz verbrei - tet ſehen, der meiſt mehr in der Erleuchtung der zwi - ſchen uns und dem Gegenſtand befindlichen Luft liegt, als in der Beleuchtung ſeiner Formen.
20) Das Verhaͤltniß des Lichts zur durchſichtigen Farbe iſt, wenn man ſich darein vertieft, unendlich reizend, und das Entzuͤnden der Farben und das Verſchwimmen in einander und Wiederentſtehen und Verſchwinden iſt wie das Odemhohlen in großen Pau - ſen von Ewigkeit zu Ewigkeit vom hoͤchſten Licht bis in die einſame und ewige Stille in den allertiefſten Toͤnen.
21) Die undurchſichtigen Farben ſtehen wie Blu - men dagegen, die es nicht wagen, ſich mit dem Him - mel zu meſſen, und doch mit der Schwachheit von der einen Seite, dem Weißen, und dem Boͤſen, dem Schwarzen, von der andern zu thun haben.
22) Dieſe ſind aber gerade faͤhig, wenn ſie ſich nicht mit Weiß noch Schwarz vermiſchen, ſondern duͤnn daruͤber gezogen werden, ſo anmuthige Varia -349 tionen und ſo natuͤrliche Effecte hervorzubringen, daß ſich an ihnen gerade der praktiſche Gebrauch der Ideen halten muß, und die durchſichtigen am Ende nur wie Geiſter ihr Spiel daruͤber haben, und nur dienen, um ſie zu heben und zu erhoͤhen in ihrer Kraft.
Der feſte Glaube an eine beſtimmte geiſtige Ver - bindung in den Elementen kann dem Maler zuletzt ei - nen Troſt und Heiterkeit mittheilen, den er auf keine andre Art zu erlangen im Stande iſt; da ſein eignes Leben ſich ſo in ſeiner Arbeit verliert und Materie, Mittel und Ziel in eins zuletzt in ihm eine Vollendung hervorbringt, die gewiß durch ein ſtets fleißiges und getreues Beſtreben hervorgebracht werden muß, ſo daß es auch auf andere nicht ohne wohlthaͤtige Wirkung bleiben kann.
Wenn ich die Stoffe, womit ich arbeite, betrachte, und ich halte ſie an den Maßſtab dieſer Qualitaͤten, ſo weiß ich beſtimmt wo und wie ich ſie anwenden kann, da kein Stoff, den wir verarbeiten, ganz rein iſt. Ich kann mich hier nicht uͤber die Praktik ausbreiten, weil es erſtlich zu weitlaͤuftig waͤre, auch ich bloß im Sinne gehabt habe, Ihnen den Standpunct zu zeigen, von welchem ich die Farben betrachte.
Indem ich dieſe Arbeit, welche mich lange genug beſchaͤftigt, doch zuletzt nur als Entwurf gleichſam aus dem Stegreife herauszugeben im Falle bin, und nun die vorſtehenden gedruckten Bogen durchblaͤttere, ſo er - innere ich mich des Wunſches, den ein ſorgfaͤltiger Schriftſteller vormals geaͤußert, daß er ſeine Werke lie - ber zuerſt ins Concept gedruckt ſaͤhe, um alsdann aufs neue mit friſchem Blick an das Geſchaͤft zu gehen, weil alles Mangelhafte uns im Drucke deutlicher entgegen komme, als ſelbſt in der ſauberſten Handſchrift.
Um wie lebhafter mußte bey mir dieſer Wunſch ent - ſtehen, da ich nicht einmal eine voͤllig reinliche Abſchrift vor dem Druck durchgehen konnte, da die ſucceſſive Redaction dieſer Blaͤtter in eine Zeit fiel, welche eine ru - hige Sammlung des Gemuͤths unmoͤglich machte.
Wie vieles haͤtte ich daher meinen Leſern zu ſagen, wovon ſich doch manches ſchon in der Einleitung findet. Ferner wird man mir vergoͤnnen, in der Geſchichte der Farbenlehre auch meiner Bemuͤhungen und der Schickſale zu gedenken, welche ſie erduldeten.
Hier aber ſtehe wenigſtens eine Betrachtung vielleicht nicht am unrechten Orte, die Beantwortung der Frage, was kann derjenige, der nicht im Fall iſt, ſein ganzes Leben den Wiſſenſchaften zu widmen, doch fuͤr die Wiſ - ſenſchaften leiſten und wirken? was kann er als Gaſt in351 einer fremden Wohnung zum Vortheile der Beſitzer aus - richten?
Wenn man die Kunſt in einem hoͤhern Sinne be - trachtet, ſo moͤchte man wuͤnſchen, daß nur Meiſter ſich damit abgaͤben, daß die Schuͤler auf das ſtrengſte gepruͤft wuͤrden, daß Liebhaber ſich in einer ehrfurchtsvollen An - naͤherung gluͤcklich fuͤhlten. Denn das Kunſtwerk ſoll aus dem Genie entſpringen, der Kuͤnſtler ſoll Gehalt und Form aus der Tiefe ſeines eigenen Weſens hervorrufen, ſich gegen den Stoff beherrſchend verhalten, und ſich der aͤußern Einfluͤſſe nur zu ſeiner Ausbildung bedienen.
Wie aber dennoch aus mancherley Urſachen ſchon der Kuͤnſtler den Dilettanten zu ehren hat, ſo iſt es bey wiſ - ſenſchaftlichen Gegenſtaͤnden noch weit mehr der Fall, daß der Liebhaber etwas erfreuliches und nuͤtzliches zu leiſten im Stande iſt. Die Wiſſenſchaften ruhen weit mehr auf der Erfahrung als die Kunſt, und zum Erfah - ren iſt gar mancher geſchickt. Das Wiſſenſchaftliche wird von vielen Seiten zuſammengetragen, und kann vieler Haͤnde, vieler Koͤpfe nicht entbehren. Das Wiſſen laͤßt ſich uͤberliefern, dieſe Schaͤtze koͤnnen vererbt werden; und das von Einem Erworbene werden manche ſich zu - eignen. Es iſt daher Niemand, der nicht ſeinen Beytrag den Wiſſenſchaften anbieten duͤrfte. Wie vieles ſind wir nicht dem Zufall, dem Handwerk, einer augenblicklichen Aufmerkſamkeit ſchuldig. Alle Naturen, die mit einer gluͤcklichen Sinnlichkeit begabt ſind, Frauen, Kinder ſind faͤhig, uns lebhafte und wohlgefaßte Bemerkungen mit - zutheilen.
352In der Wiſſenſchaft kann alſo nicht verlangt wer - den, daß derjenige, der etwas fuͤr ſie zu leiſten gedenkt, ihr das ganze Leben widme, ſie ganz uͤberſchaue und umgehe; welches uͤberhaupt auch fuͤr den Eingeweihten eine hohe Forderung iſt. Durchſucht man jedoch die Geſchichte der Wiſſenſchaften uͤberhaupt, beſonders aber die Geſchichte der Naturwiſſenſchaft; ſo findet man, daß manches Vorzuͤglichere von Einzelnen in einzelnen Faͤchern, ſehr oft von Laien geleiſtet worden.
Wohin irgend die Neigung, Zufall oder Gelegen - heit den Menſchen fuͤhrt, welche Phaͤnomene beſonders ihm auffallen, ihm einen Antheil abgewinnen, ihn feſt - halten, ihn beſchaͤftigen, immer wird es zum Vortheil der Wiſſenſchaft ſeyn. Denn jedes neue Verhaͤltniß, das an den Tag kommt, jede neue Behandlungsart, ſelbſt das Unzulaͤngliche, ſelbſt der Irrthum iſt brauch - bar, oder aufregend und fuͤr die Folge nicht verloren.
In dieſem Sinne mag der Verfaſſer denn auch mit einiger Beruhigung auf ſeine Arbeit zuruͤckſehen; in dieſer Betrachtung kann er wohl einigen Muth ſchoͤpfen zu dem, was zu thun noch uͤbrig bleibt, und, zwar nicht mit ſich ſelbſt zufrieden, doch in ſich ſelbſt getroſt, das Geleiſtete und Zu-leiſtende einer theilneh - menden Welt und Nachwelt empfehlen.
Multi pertransibunt et augebitur scientia.
Des Erſten Bandes Zweyter, polemiſcher Theil.
I. 23[354][355]Wenn wir in dem erſten Theile den didaktiſchen Schritt ſo viel als moͤglich gehalten und jedes eigentlich polemiſche vermieden haben, ſo konnte es doch hie und da an mancher Misbilligung der bis jetzt herrſchenden Theorie nicht fehlen. Auch iſt jener Entwurf unſerer Farbenlehre, ſeiner in - nern Natur nach, ſchon polemiſch, indem wir eine Vollſtaͤndigkeit der Phaͤnomene zuſammenzu - bringen und dieſe dergeſtalt zu ordnen geſucht haben, daß Jeder genoͤthigt ſey, ſie in ihrer wahren Folge und in ihren eigentlichen Verhaͤlt - niſſen zu betrachten, daß ferner kuͤnftig denjenigen, denen es eigentlich nur darum zu thun iſt, ein - zelne Erſcheinungen herauszuheben, um ihre hy -23 *356pothetiſchen Ausſpruͤche dadurch aufzuſtutzen, ihr Handwerk erſchwert werde.
Denn ſo ſehr man auch bisher geglaubt, die Natur der Farbe gefaßt zu haben, ſo ſehr man ſich einbildete, ſie durch eine ſichre Theorie auszuſpre - chen; ſo war dieß doch keinesweges der Fall, ſon - dern man hatte Hypotheſen an die Spitze geſetzt, nach welchen man die Phaͤnomene kuͤnſtlich zu ord - nen wußte, und eine wunderliche Lehre kuͤmmerli - chen Inhalts mit großer Zuverſicht zu uͤberliefern verſtand.
Wie der Stifter dieſer Schule, der außeror - dentliche Newton, zu einem ſolchen Vorurtheile ge - langt, wie er es bey ſich feſtgeſetzt und andern ver - ſchiedentlich mitgetheilt, davon wird uns die Ge - ſchichte kuͤnftig unterrichten. Gegenwaͤrtig nehmen wir ſein Werk vor, das unter dem Titel der Optik bekannt iſt, worin er ſeine Ueberzeugungen ſchließ - lich niederlegte, indem er dasjenige, was er vorher geſchrieben, anders zuſammenſtellte und auffuͤhrte. Dieſes Werk, welches er in ſpaͤten Jahren heraus - gab, erklaͤrt er ſelbſt fuͤr eine vollendete Darſtellung357 ſeiner Ueberzeugungen. Er will davon kein Wort ab, keins dazu gethan wiſſen, und veranſtaltet die lateiniſche Ueberſetzung deſſelben unter ſeinen Augen.
Der Ernſt, womit dieſe Arbeit unternommen, die Umſtaͤndlichkeit, womit ſie ausgefuͤhrt war, er - regte das groͤßte Zutrauen. Eine Ueberzeugung, daß dieſes Buch unumſtoͤßliche Wahrheit ent - halte, machte ſich nach und nach allgemein; und noch gilt es unter den Menſchen fuͤr ein Meiſter - ſtuͤck wiſſenſchaftlicher Behandlung der Naturer - ſcheinungen.
Wir finden daher zu unſerm Zwecke dienlich und nothwendig, dieſes Werk theilweiſe zu uͤberſe - tzen, auszuziehen und mit Anmerkungen zu begleiten, damit denjenigen, welche ſich kuͤnftig mit dieſer Angelegenheit beſchaͤftigen, ein Leitfaden geſponnen ſey, an dem ſie ſich durch ein ſolches Labyrinth durchwinden koͤnnen. Ehe wir aber das Geſchaͤft ſelbſt antreten, liegt uns ob, einiges vorauszu - ſchicken.
Daß bey einem Vortrag natuͤrlicher Dinge der Lehrer die Wahl habe, entweder von den Erfahrun - gen zu den Grundſaͤtzen, oder von den Grundſaͤtzen zu den Erfahrungen ſeinen Weg zu nehmen, ver - ſteht ſich von ſelbſt; daß er ſich beyder Methoden wechſelsweiſe bediene, iſt wohl auch vergoͤnnt, ja manchmal nothwendig. Daß aber Newton eine ſolche gemiſchte Art des Vortrags zu ſeinem Zweck advocatenmaͤßig misbraucht, indem er das, was erſt eingefuͤhrt, abgeleitet, erklaͤrt, bewieſen werden ſollte, ſchon als bekannt annimmt, und ſodann aus der großen Maſſe der Phaͤnomene nur diejenigen her - ausſucht, welche ſcheinbar und nothduͤrftig zu dem einmal ausgeſprochenen paſſen, dieß liegt uns ob, anſchaulich zu machen, und zugleich darzuthun, wie er dieſe Verſuche, ohne Ordnung, nach Belieben anſtellt, ſie keinesweges rein vortraͤgt, ja ſie viel - mehr nur immer vermannigfaltigt und uͤber einander ſchichtet, ſo daß zuletzt der beſte Kopf ein ſolches Chaos lieber glaͤubig verehrt, als daß er ſich zur unabſehlichen Muͤhe verpflichtete, jene ſtreitenden Elemente verſoͤhnen und ordnen zu wollen. Auch wuͤrde dieſes voͤllig unmoͤglich ſeyn, wenn man nicht vorher, wie von uns mit Sorgfalt geſchehen, die359 Farbenphaͤnomene in einer gewiſſen natuͤrlichen Ver - knuͤpfung nach einander aufgefuͤhrt und ſich dadurch in den Stand geſetzt haͤtte, eine kuͤnſtliche und will - kuͤhrliche Stellung und Entſtellung derſelben an - ſchaulicher zu machen. Wir koͤnnen uns nunmehr auf einen natuͤrlichen Vortrag ſogleich beziehen, und ſo in die groͤßte Verwirrung und Verwicklung ein heilſames Licht verbreiten. Dieſes ganz allein iſt’s, wodurch die Entſcheidung eines Streites moͤglich wird, der ſchon uͤber hundert Jahre dauert, und ſo oft er erneuert worden, von der triumphi - renden Schule als verwegen, frech, ja als laͤ - cherlich und abgeſchmackt weggewieſen und unter - druͤckt wurde.
Wie nun eine ſolche Hartnaͤckigkeit moͤglich war, wird ſich unſern Leſern nach und nach aufklaͤren. Newton hatte durch eine kuͤnſtliche Methode ſeinem Werk ein dergeſtalt ſtrenges An - ſehn gegeben, daß Kenner der Form es bewun - derten und Laien davor erſtaunten. Hiezu kam noch der ehrwuͤrdige Schein einer mathematiſchen Behandlung, womit er das Ganze aufzuſtutzen wußte.
An der Spitze naͤmlich ſtehen Definitionen und Axiome, welche wir kuͤnftig durchgehen werden, wenn ſie unſern Leſern nicht mehr imponiren koͤnnen. Sodann finden wir Propoſitionen, welche das im - mer wiederholt feſtſetzen, was zu beweiſen waͤre; Theoreme, die ſolche Dinge ausſprechen, die Nie - mand ſchauen kann; Experimente, die unter veraͤn - derten Bedingungen immer das Vorige wiederbrin - gen, und ſich mit großem Aufwand in einem ganz kleinen Kreiſe herumdrehen; Probleme zuletzt, die nicht zu loͤſen ſind, wie das alles in der weiteren Ausfuͤhrung umſtaͤndlich darzuthun iſt.
Im Engliſchen fuͤhrt das Werk den Titel: Op - ticks, or a Treatise of the Reflections, Refractions, In - flections and Colours of Light. Obgleich das engliſche Wort Optics ein etwas naiveres Anſehen haben mag, als das lateiniſche Optice und das deutſche Optik; ſo druͤckt es doch, ohne Frage, einen zu großen Umfang aus, den das Werk ſelbſt nicht ausfuͤllt. Dieſes han - delt ausſchließlich von Farbe, von farbigen Erſchei - nungen. Alles uͤbrige, was das natuͤrliche oder kuͤnſt -361 liche Sehen betrifft, iſt beynahe ausgeſchloſſen, und man darf es nur in dieſem Sinne mit den opti - ſchen Lectionen vergleichen, ſo wird man die gro - ße Maſſe eigentlich mathematiſcher Gegenſtaͤnde, welche ſich dort findet, vermiſſen.
Es iſt noͤthig, hier gleich zu Anfang dieſe Be - merkung zu machen: denn eben durch den Titel iſt das Vorurtheil entſtanden, als wenn der Stoff und die Ausfuͤhrung des Werkes mathematiſch ſey, da jener bloß phyſiſch iſt und die mathematiſche Be - handlung nur ſcheinbar; ja, beym Fortſchritt der Wiſſenſchaft hat ſich ſchon laͤngſt gezeigt, daß, weil Newton als Phyſiker ſeine Beobachtungen nicht ge - nau anſtellte, auch ſeine Formeln, wodurch er die Erfahrungen ausſprach, unzulaͤnglich und falſch be - funden werden mußten; welches man uͤberall, wo von der Entdeckung der achromatiſchen Fernroͤhre gehandelt wird, umſtaͤndlich nachleſen kann.
Dieſe ſogenannte Optik, eigentlicher Chroma - tik, beſteht aus drey Buͤchern, von welchen wir gegenwaͤrtig nur das erſte, das in zwey Theile ge -362 theilt iſt, polemiſch behandeln. Wir haben uns bey der Ueberſetzung meiſtens des engliſchen Originals in der vierten Ausgabe, London 1730, bedient, das in einem natuͤrlichen naiven Stil geſchrieben iſt. Die lateiniſche Ueberſetzung iſt ſehr treu und genau, wird aber durch die roͤmiſche Sprachweiſe etwas pomphafter und dogmatiſcher.
Da wir jedoch nur Auszuͤge liefern, und die ſaͤmmtlichen Newtoniſchen Tafeln nachſtechen zu laſſen keinen Beruf fanden, ſo ſind wir genoͤ - thigt, uns oͤfters auf das Werk ſelbſt zu bezie - hen, welches diejenigen unſerer Leſer, die bey der Sache wahrhaft intereſſirt ſind, entweder im Original oder in der Ueberſetzung zur Seite ha - ben werden.
Die woͤrtlich uͤberſetzten Stellen, in denen der Gegner ſelbſt ſpricht, haben wir mit kleinerer Schrift, unſre Bemerkungen aber mit der groͤ - ßern, die unſre Leſer ſchon gewohnt ſind, abdrucken laſſen.
Uebrigens haben wir die Saͤtze, in welche unſre Arbeit ſich theilen ließ, mit Nummern bezeichnet. Es geſchieht dieſes hier, ſo wie im Entwurf der Far - benlehre, nicht um dem Werke einen Schein hoͤherer Conſequenz zu geben, ſondern bloß um jeden Bezug, jede Hinweiſung zu erleichtern, welches dem Freunde ſowohl als dem Gegner angenehm ſeyn kann. Wenn wir kuͤnftig den Entwurf citiren, ſo ſetzen wir ein E. vor die Nummer des Paragraphen.
Vorſtehendes war geſchrieben und das Nachſte - hende zum groͤßten Theil, als die Frage entſtand, ob es nicht raͤthlich ſey, mit wenigem gleich hier anzugeben, worin ſich denn die Meynung, welcher wir zugethan ſind, von derjenigen unterſcheidet, die von Newton herſtammend ſich uͤber die gelehrte und ungelehrte Welt verbreitet hat.
Wir bemerken zuerſt, daß diejenige Denkweiſe, welche wir billigen, uns nicht etwa eigenthuͤmlich angehoͤrt, oder als eine neue nie vernommene Lehre vorgetragen wird. Es finden ſich vielmehr von der - ſelben in den fruͤhern Zeiten deutliche Spuren, ja ſie hat ſich immer, durch alle ſchwankenden Mey - nungen hindurch, ſo manche Jahrhunderte her le - bendig erhalten, und iſt von Zeit zu Zeit wieder ausgeſprochen worden, wovon uns die Geſchichte weiter unterrichten wird.
Newton behauptet, in dem weißen farbloſen Lichte uͤberall, beſonders aber in dem Sonnenlicht, ſeyen mehrere farbige, (die Empfindung der Farbe erregende,) verſchiedene Lichter wirklich enthalten, de - ren Zuſammenſetzung das weiße Licht (die Empfin - dung des weißen Lichts) hervorbringe.
Damit aber dieſe Lichter zum Vorſchein kom - men, ſetzt er dem weißen Licht gar mancherley Be - dingungen entgegen, durchſichtige Koͤrper, welche das Licht von ſeiner Bahn ablenken, undurchſichtige, die es zuruͤckwerfen, andre, an denen es hergeht; aber dieſe Bedingungen ſind ihm nicht einmal ge - nug. Er gibt den brechenden Mitteln allerley For - men, den Raum, in dem er operirt, richtet er auf mannigfaltige Weiſe ein, er beſchraͤnkt das Licht durch kleine Oeffnungen, durch winzige Spalten, und bringt es auf hunderterley Art in die Enge. Dabey behauptet er nun, daß alle dieſe Bedingun - gen keinen andern Einfluß haben, als die Eigen - ſchaften, die Fertigkeiten (fits) des Lichtes rege zu machen, ſo daß dadurch ſein Innres aufgeſchloſſen werde, und was in ihm liegt, an den Tag komme.
Jene farbigen Lichter ſind die integrirenden Theile ſeines weißen Lichtes. Es kommt durch alle obgemeldeten Operationen nichts zu dem Licht hinzu, es wird ihm nichts genommen, ſondern es werden nur ſeine Faͤhigkeiten, ſein Inhalt geoffenbart. Zeigt es nun bey der Refraction verſchiedene Farben, ſo iſt es divers refrangibel; auch bey der Reflexion zeigt es Farben, deßwegen iſt es divers reflexibel, u. ſ. w. Jede neue Erſcheinung deutet auf eine neue Faͤhigkeit des Lichtes, ſich aufzuſchließen, ſeinen Inhalt herzugeben.
Die Lehre dagegen, von der wir uͤberzeugt ſind, und von der wir dießmal nur inſofern ſprechen, als ſie der Newtoniſchen entgegenſteht, beſchaͤftigt ſich auch mit dem weißen Lichte. Sie bedient ſich auch aͤußerer Bedingungen, um farbige Erſcheinungen hervorzubringen. Sie geſteht aber dieſen Bedin - gungen Werth und Wuͤrde zu, ſie bildet ſich nicht ein, Farben aus dem Licht zu entwickeln, ſie ſucht uns vielmehr zu uͤberzeugen, daß die Farbe zugleich von dem Lichte und von dem, was ſich ihm entge - genſtellt, hervorgebracht werde.
Alſo, um nur des Refractionsfalles, mit dem ſich Newton in der Optik vorzuͤglich beſchaͤftigt, hier zu gedenken, ſo iſt es keinesweges die Bre - chung, welche die Farben aus dem Licht hervorlockt, vielmehr bleibt eine zweyte Bedingung unerlaͤßlich, daß die Brechung auf ein Bild wirke, und ſolches von der Stelle wegruͤcke. Ein Bild entſteht nur durch Graͤnzen, dieſe Graͤnzen uͤberſieht Newton ganz, ja er laͤugnet ihren Einfluß. Wir aber ſchrei - ben dem Bilde ſowohl als ſeiner Umgebung, der hellen Mitte ſowohl als der dunkeln Graͤnze, der Thaͤtigkeit ſowohl als der Schranke, in dieſem Falle vollkommen gleiche Wirkung zu. Alle Verſuche ſtimmen uns bey, und jemehr wir ſie vermannigfal - tigen, deſto mehr wird ausgeſprochen, was wir be - haupten, deſto planer, deſto klarer wird die Sache. Wir gehen vom Einfachen aus, indem wir einen ſich wechſelſeitig entſprechenden Gegenſatz zugeſtehen, und durch Verbindung deſſelben die farbige Welt her - vorbringen.
Newton ſcheint vom Einfacheren auszugehen, indem er ſich bloß ans Licht halten will; allein er368 ſetzt ihm auch Bedingungen entgegen ſo gut wie wir, nur daß er denſelben ihren integrirenden Antheil an dem Hervorgebrachten ablaͤugnet. Seine Lehre hat nur den Schein, daß ſie monadiſch oder unitariſch ſey. Er legt in ſeine Einheit ſchon die Mannigfal - tigkeit, die er heraus bringen will, welche wir aber viel beſſer aus der eingeſtandenen Dualitaͤt zu ent - wickeln und zu conſtruiren glauben.
Wie er nun zu Werke geht, um das Unwahre wahr, das Wahre unwahr zu machen, das iſt jetzt unſer Geſchaͤft zu zeigen und der eigentliche Zweck des gegenwaͤrtigen polemiſchen Theils.
Wenn wir gleich von Anfang willig zugeſtehen, das Werk, welches wir behandeln, ſey voͤllig aus einem Guſſe, ſo duͤrfen wir auch bemerken, daß in den vorſtehenden erſten Worten, in dieſer Propoſition, die uns zum Eintritt begegnet, ſchon die ganze Lehre wie in einer Ruß vorhanden ſey, und daß auch zugleich jene captioͤſe Methode voͤllig eintrete, wodurch uns der Verfaſſer das ganze Buch hindurch zum Beſten hat. Dieſes zu zeigen, dieſes anſchaulich und deutlich zu machen, duͤrfen wir ihm nicht leicht ein Wort, eine Wendung hingehen laſſen; und wir erſuchen unſre Leſer um die vollkommenſte Aufmerkſamkeit, dafuͤr ſie ſichI. 24370denn aber auch von der Knechtſchaft dieſer Lehre auf ewige Zeiten befreyt fuͤhlen werden.
Lichter — Mit dieſem Plural kommt die Sub - und Obreption, deren ſich Newton durch das ganze Werk ſchuldig macht, gleich recht in den Gang. Lichter, meh - rere Lichter! und was denn fuͤr Lichter?
welche an Farbe verſchieden ſind — In dem erſten und zweyten Verſuche, welche zum Beweis dienen ſollen, fuͤhrt man uns farbige Papiere vor, und diejenigen Wirkungen, die von dorther in unſer Auge kommen, werden gleich als Lichter behandelt. Offenbar ein hy - pothetiſcher Ausdruck: denn der gemeine Sinn beobach - tet nur, daß uns das Licht mit verſchiedenen Eigen - ſchaften der Oberflaͤchen bekannt macht; daß aber das - jenige, was von dieſen zuruͤckſtrahlt, als ein verſchie - denartiges Licht angeſehen werden koͤnne, darf nicht vorausgeſetzt werden.
Genug wir haben ſchon farbige Lichter fertig, ehe noch von einem farbloſen die Rede geweſen. Wir ope - riren ſchon mit farbigen Lichtern, und erſt hinterdrein vernehmen wir, wie und wo etwa ihr Urſprung ſeyn moͤchte. Daß aber hier von Lichtern die Rede nicht ſeyn koͤnne, davon iſt jeder uͤberzeugt, der den Entwurf unſerer Farbenlehre wohl erwogen hat. Wir haben naͤmlich genugſam dargethan, daß alle Farbe einem Licht und Nicht-Licht ihr Daſeyn ſchuldig ſey, daß die Farbe ſich durchaus zum Dunkeln hinneige, daß ſie ein371 σκιερὸν ſey, daß wenn wir eine Farbe auf einen hellen Gegenſtand hinwerfen, es ſey auf welche Weiſe es wolle, wir denſelben nicht beleuchten, ſondern beſchat - ten. Mit ſolchem Schattenlicht, mit ſolcher Halbfinſter - niß faͤngt Newton ſehr kuͤnſtlich ſeinen ganzen Vortrag an, und kein Wunder, daß er diejenigen, die ihm ſein Erſtes zugeben, von nun an im Dunkeln oder Halbdun - keln zu erhalten weiß.
dieſelben ſind auch an Refrangibilitaͤt — Wie ſpringt doch auf einmal dieſes abſtracte Wort hervor! Freylich ſteht es ſchon in den Axiomen, und der auf - merkſam glaͤubige Schuͤler iſt bereits von dieſen Wundern durchdrungen, und hat nicht mehr die Freyheit, dasjenige, was ihm vorgefuͤhrt wird, mit einigem Mistrauen zu unterſuchen.
verſchieden — Die Refrangibilitaͤt macht uns alſo mit einem großen Geheimniß bekannt. Das Licht, je - nes Weſen, das wir nur als eine Einheit, als einfach wirkend gewahr werden, wird uns nun als ein Zuſam - mengeſetztes, aus verſchiedenartigen Theilen Beſtehendes, auf eine verſchiedene Weiſe Wirkendes dargeſtellt.
Wir geben gern zu, daß ſich aus einer Einheit, an einer Einheit ein Diverſes entwickeln, eine Differenz ent - ſtehen koͤnne; allein es gibt gar verſchiedene Arten, wie dieſes geſchehen mag. Wir wollen hier nur zweyer geden -24 *372ken: Erſtens daß ein Gegenſatz hervortritt, wodurch die Einheit ſich nach zwey Seiten hin manifeſtirt und dadurch großer Wirkungen faͤhig wird; Zweytens daß die Ent - wickelung des Unterſchiedenen ſtaͤtig in einer Reihe vor - geht. Ob jener erſte Fall etwa bey den prismatiſchen Erſcheinungen eintreten koͤnne, davon hat Newton nicht die mindeſte Vermuthung, ob ihn gleich das Phaͤnomen oft genug zu dieſer Auslegungsart hindraͤngt. Er be - ſtimmt ſich vielmehr ohne Bedenken fuͤr den zweyten Fall. Es iſt nicht nur eine diverſe Refrangibilitaͤt, ſondern ſie wirkt auch
gradweiſe — Und ſo iſt denn gleich ein auf - und aus einander folgendes Bild, eine Scala, ein aus verſchiedenen Theilen, aber aus unendlichen beſtehendes, in einander fließendes und doch ſeparables, zugleich aber auch inſeparables Bild fertig, ein Geſpenſt, das nun ſchon hundert Jahre die wiſſenſchaftliche Welt in Ehr - furcht zu erhalten weiß.
Sollte in jener Propoſition etwas Erfahrungsge - maͤßes ausgeſprochen werden, ſo konnte es allenfalls heißen: Bilder, welche an Farbe verſchieden ſind, er - ſcheinen durch Refraction auf verſchiedene Weiſe von der Stelle bewegt. Indem man ſich dergeſtalt aus - druͤckte, ſpraͤche man denn doch das Phaͤnomen des er - ſten Verſuchs allenfalls aus. Man koͤnnte die Erſchei - nung eine diverſe Refraction nennen, und alsdann ge -373 nauer nachforſchen, wie es denn eigentlich damit aus - ſehe. Aber daß wir ſogleich zu den Ibilitaͤten, zu den Keiten gefuͤhrt werden, daß wir den Beweis derſelben mit Gefallen aufnehmen ſollen, ja daß wir nur darauf eingehen ſollen, ſie uns beweiſen zu laſſen, iſt eine ſtarke Forderung.
Wir moͤchten nicht gern gleich von Anfang unſre Leſer durch irgend eine Paradoxie ſcheu machen, wir koͤnnen uns aber doch nicht enthalten, zu behaupten, daß ſich durch Erfahrungen und Verſuche eigentlich nichts beweiſen laͤßt. Die Phaͤnomene laſſen ſich ſehr genau beobachten, die Verſuche laſſen ſich reinlich anſtellen, man kann Erfahrungen und Verſuche in einer gewiſſen Ordnung auffuͤhren, man kann eine Erſcheinung aus der andern ableiten, man kann einen gewiſſen Kreis des Wiſſens darſtellen, man kann ſeine Anſchauungen zur Gewißheit und Vollſtaͤndigkeit erheben, und das, daͤchte ich, waͤre ſchon genug. Folgerungen hingegen zieht je - der fuͤr ſich daraus; beweiſen laͤßt ſich nichts dadurch, beſonders keine Ibilitaͤten und Keiten. Alles, was Mey - nungen uͤber die Dinge ſind, gehoͤrt dem Individuum an, und wir wiſſen nur zu ſehr, daß die Ueberzeugung nicht von der Einſicht, ſondern von dem Willen abhaͤngt; daß374 Niemand etwas begreift, als was ihm gemaͤß iſt und was er deßwegen zugeben mag. Im Wiſſen wie im Han - deln entſcheidet das Vorurtheil alles, und das Vorurtheil wie ſein Name wohl bezeichnet, iſt ein Urtheil vor der Unterſuchung. Es iſt eine Bejahung oder Verneinung deſſen, was unſre Natur anſpricht oder ihr widerſpricht; es iſt ein freudiger Trieb unſres lebendigen Weſens nach dem Wahren wie nach dem Falſchen, nach allem was wir mit uns im Einklang fuͤhlen.
Wir bilden uns alſo keinesweges ein, zu beweiſen, daß Newton unrecht habe; denn jeder Atomiſtiſch - ge - ſinnte, jeder am Hergebrachten Feſthaltende, jeder vor einem großen alten Namen mit heiliger Scheu Zuruͤck - tretende, jeder Bequeme wird viel lieber die erſte Pro - poſition Newtons wiederholen, darauf ſchwoͤren, ver - ſichern, daß alles erwieſen und bewieſen ſey und unſere Bemuͤhungen verwuͤnſchen.
Ja wir geſtehen es gerne, daß wir ſeit mehreren Jahren oft mit Widerwillen dieſes Geſchaͤft aufs neue vorgenommen haben. Denn man koͤnnte ſich’s wirklich zur Suͤnde rechnen, die ſelige Ueberzeugung der New - toniſchen Schule, ja uͤberhaupt die himmliſche Ruhe der ganzen halb unterrichteten Welt in und an dem Credit dieſer Schule zu ſtoͤren und in Unbehaglichkeit zu ſetzen. Denn wenn die ſaͤmmtlichen Meiſter die alte ſtarre Con - feſſion immer auf ihren Lehrſtuͤhlen wiederholen, ſo im - primiren ſich die Schuͤler jene kurzen Formeln ſehr ger -375 ne, womit das Ganze abgethan und bey Seite gebracht wird; indeſſen das uͤbrige Publicum dieſe ſelige Ueber - zeugung gleichſam aus der Luft aufſchnappt; wie ich denn die Anekdote hier nicht verſchweigen kann, daß ein ſolcher Gluͤcklicher, der von den neueren Bemuͤhun - gen etwas vernahm, verſicherte: Newton habe das alles ſchon geſagt und beſſer; er wiſſe nur nicht wo.
Indem wir uns nun alſo zu den Verſuchen wen - den, ſo bitten wir unſre Leſer, auf den erſten ſogleich alle Aufmerkſamkeit zu richten, den der Verfaſſer durch einen Salto mortale gleich zu Anfang wagt, und uns ganz unerwartet in medias res hineinreißt; wobey wir, wenn wir nicht wohl Acht haben, uͤberraſcht werden, uns verwirren und ſogleich die Freyheit des Urtheils verlieren.
Diejenigen Freunde der Wiſſenſchaft, die mit den ſubjectiven dioptriſchen Verſuchen der zweyten Claſſe, die wir umſtaͤndlich genug vorgetragen und abgeleitet, gehoͤrig bekannt ſind, werden ſogleich einſehen, daß Newton hier nicht auf eine Weiſe verfaͤhrt, die dem Mathematiker geziemt. Denn dieſer ſetzt, wenn er be - lehren will, das Einfachſte voraus, und baut aus den begreiflichſten Elementen ſein bewundernswuͤrdiges Ge - baͤude zuſammen. Newton hingegen ſtellt den compli - cirteſten ſubjectiven Verſuch, den es vielleicht gibt, an376 die Spitze, verſchweigt ſeine Herkunft, huͤtet ſich, ihn von mehreren Seiten darzuſtellen, und uͤberraſcht den unvorſichtigen Schuͤler, der wenn er einmal Beyfall ge - geben, ſich in dieſer Schlinge gefangen hat, nicht mehr weiß, wie er zuruͤck ſoll.
Dagegen wird es demjenigen, der die wahren Ver - haͤltniſſe dieſes erſten Verſuchs einſieht, leicht ſeyn, ſich auch vor den uͤbrigen Feſſeln und Banden zu huͤten, und wenn ſie ihm fruͤher durch Ueberlieferung umge - worfen worden, ſie mit freudiger Energie abzuſchuͤtteln.
Ich nahm ein ſchwarzes laͤnglichtes ſteifes Papier, das von parallelen Seiten begraͤnzt war, und theilte es durch eine per - pendiculaͤre Linie, die von einer der laͤngern Seiten zu der an - dern reichte, in zwey gleiche Theile. Einen dieſer Theile ſtrich ich mit einer rothen, den andern mit einer blauen Farbe an; das Papier war ſehr ſchwarz und die Farben ſtark und ſatt aufgetragen, damit die Erſcheinung deſto lebhafter ſeyn moͤchte.
Daß hier das Papier ſchwarz ſeyn muͤſſe, iſt eine ganz unnoͤthige Bedingung. Denn wenn das Blaue und Rothe ſtark und dick genug aufgetragen iſt, ſo kann der Grund nicht mehr durchblicken, er ſey von377 welcher Farbe er will. Wenn man jedoch die Newto - niſche Hypotheſe kennt, ſo ſieht man ungefaͤhr, was es heißen ſoll. Er fordert hier einen ſchwarzen Grund, damit ja nicht etwas von ſeinem ſupponirten unzerleg - ten Licht durch die aufgetragenen Farben als durchfal - lend vermuthet werden koͤnne. Allein, wie ſchon gezeigt iſt, ſteht die Bedingung hier ganz unnuͤtz, und nichts verhindert mehr die wahre Einſicht in ein Phaͤnomen, oder einen Verſuch, als uͤberfluͤſſige Bedingungen. Ei - gentlich heißt alles nichts weiter, als man verſchaffe ſich zwey gleiche Vierecke von rothem und blauem ſteifen Papier und bringe ſie genau neben einander.
Wollte nun der Verfaſſer fortfahren, ſeinen Verſuch richtig zu beſchreiben, ſo mußte er vor allen Dingen die Lage, Stellung, genug die Localitaͤt dieſes zweyfar - bigen Papiers genau angeben, anſtatt daß ſie jetzt der Leſer erſt aus dem ſpaͤter folgenden nach und nach, muͤhſam und nicht ohne Gefahr ſich zu vergreifen, ein - zeln zuſammen ſuchen muß.
Dieſes Papier betrachtete ich durch ein glaͤſernes maſſives Prisma, deſſen zwey Seiten, durch welche das Licht zum Auge gelangte, glatt und wohl polirt waren, und in einem Winkel von ungefaͤhr ſechzig Graden zuſammenſtießen, den ich den brechenden Winkel nenne. Und indem ich alſo nach dem Papier ſchaute, hielt ich das Prisma gegen das Fenſter dergeſtalt, daß die langen Seiten des Papiers und das Pris - ma ſich parallel gegen den Horizont verhielten, da denn jene Durchſchnittslinie, welche die beiden Farben trennte, gegen denſelben rechtwinklicht gerichtet war.
Im Engliſchen ſteht anſtatt rechtwinklicht paral - lel, welches offenbar ein Druckfehler iſt. Denn die langen Seiten des farbigen Papiers und die Durch - ſchnittslinie koͤnnen nicht zugleich parallel mit dem Ho - rizont ſeyn. Im Lateiniſchen ſteht perpendicular, welches an ſich ganz richtig iſt; da aber nicht von einem Grundriſſe, ſondern einem raͤumlichen Verhaͤltniſſe die Rede iſt, ſo verſteht man leicht vertical darunter: wo - durch der Verſuch in Confuſion geriethe. Denn das far - bige Papier muß flach liegen, und die kurzen Seiten muͤſſen, wie wir angeben, mit dem Horizont, oder wenn man will, mit der Fenſterbank, einen rechten Winkel machen.
Und das Licht, das von dem Fenſter auf das Papier fiel, einen Winkel mit dem Papier machte, demjenigen gleich, in welchem das Papier das Licht nach dem Auge zuruͤckwarf.
Wie kann man ſagen, daß das allgemeine Tages - licht, denn hier ſcheint nicht vom Sonnenlichte die Re - de zu ſeyn, einen Winkel mit dem Papier mache, da es von allen Enden hier darauf faͤllt? Auch iſt die Bedingung ganz unnoͤthig; denn man koͤnnte die Vor - richtung eben ſo gut an der Seite des Fenſters machen.
Jenſeits des Prismas war die Fenſterbruͤſtung mit ſchwar - zem Tuche beſchlagen, welches alſo ſich im Dunkeln befand, damit kein Licht von daher kommen konnte, das etwa an den Kanten des Papiers vorbey zu dem Auge gelangt waͤre, ſich mit dem Lichte des Papiers vermiſcht und das Phaͤnomen un - ſicher gemacht haͤtte.
Warum ſagt er nicht lieber jenſeits des farbigen Papiers? Denn dieſes kommt ja naͤher an das Fenſter zu ſtehen, und das ſchwarze Tuch ſoll nur dazu dienen, um dem farbigen Papier einen dunkeln Hintergrund zu verſchaffen. Wollte man dieſe Vorrichtung gehoͤrig und deutlich angeben, ſo wuͤrde es auf folgende Weiſe ge - ſchehen: man beſchlage den Wandraum unter einer Fen - ſterbank bis an den Fußboden mit ſchwarzem Tuche; man verſchaffe ſich ein Parallelogramm von Pappe, und uͤberziehe es zur Haͤlfte mit rothem, zur Haͤlfte mit blauem Papier, welche beyde an der kurzen Durch - ſchnittslinie zuſammenſtoßen. Dieſe Pappe bringe man flachliegend, etwa in der halben Hoͤhe der ſchwarzbe - ſchlagenen Fenſterbruͤſtung vor derſelben dergeſtalt an, daß ſie dem etwas weiter abſtehenden Beobachter wie auf ſchwarzem Grunde erſcheine, ohne daß von dem Geſtell, worauf man ſie angebracht, etwas zu ſehen ſey. Ihre laͤngeren Seiten ſollen ſich zur Fenſterwand parallel verhalten, und in derſelben Richtung halte der Beobachter auch das Prisma, wodurch er nach gedach -380 tem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel aufwaͤrts und ſodann denſelben unterwaͤrts gekehrt.
Was heißt nun aber dieſe umſtaͤndliche Vorrichtung anders, als man bringe das oben beſchriebene doppel - farbige Papier auf einen ſchwarzen Grund, oder man klebe ein rothes und ein blaues Viereck horizontal ne - ben einander auf eine ſchwarzgrundirte Tafel, und ſtelle ſie vor ſich hin; denn es iſt ganz gleichguͤltig, ob dieſer ſchwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet ſey, und allenfalls ein dunkles Grau vorſtelle, das Phaͤno - men wird immer daſſelbe ſeyn. Durch die ſaͤmmtlichen Newtoniſchen Verſuche jedoch geht eine ſolche pedanti - ſche Genauigkeit, alles nach ſeiner Hypotheſe unzerlegte Licht zu entfernen, und dadurch ſeinen Experimenten eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir noch genugſam zeigen werden, durchaus nichtig iſt, und nur zu unnuͤtzen Forderungen und Bedingungen die Veranlaſſung gibt.
Als dieſe Dinge ſo geordnet waren, fand ich, indem ich den brechenden Winkel des Prismas aufwaͤrts kehrte, und das farbige Papier ſcheinbar in die Hoͤhe hob, daß die blaue Haͤlfte durch die Brechung hoͤher gehoben wurde, als die ro - the Haͤlfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unter - waͤrts kehrte, ſo daß das Papier durch die Brechung herabge - zogen ſchien; ſo war die blaue Haͤlfte tiefer heruntergefuͤhrt als die rothe.
Wir haben in unſerm Entwurf der Farbenlehre die381 dioptriſchen Farben der zweyten Claſſe und beſonders die ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich genug ausgefuͤhrt, beſonders aber im 18. Capitel von Paragraph 258. bis 284., auf das genaueſte dargethan, was eigentlich vor - geht, wenn farbige Bilder durch Brechung verruͤckt werden. Es iſt dort auf das klaͤrſte gezeigt, daß an farbigen Bildern, eben wie an farbloſen, farbige Raͤn - der entſtehen, welche mit der Flaͤche entweder gleich - namig oder ungleichnamig ſind, in dem erſten Falle aber die Farbe der Flaͤche beguͤnſtigen, in dem andern ſie beſchmutzen und unſcheinbar machen; und dieſes iſt es, was einem leichtſinnigen oder von Vorurtheilen be - nebelten Beobachter entgeht, und was auch den Autor zu der uͤbereilten Folgerung verfuͤhrte, wenn er aus - ruft:
Deßhalb in beyden Faͤllen das Licht, welches von der blauen Haͤlfte des Papiers durch das Prisma zum Auge kommt, unter denſelben Umſtaͤnden eine groͤßere Refraction er - leidet, als das Licht, das von der rothen Haͤlfte kommt, und folglich refrangibler iſt als dieſes.
Dieß iſt nun der Grund - und Eckſtein des Newto - niſchen optiſchen Werks; ſo ſieht es mit einem Experi - ment aus, das dem Verfaſſer ſo viel zu bedeuten ſchien, daß er es aus hunderten heraushob, um es an die Spitze aller chromatiſchen Erfahrungen zu ſetzen. Wir haben ſchon (E. 268.) bemerkt, wie captioͤs und taſchen - ſpieleriſch dieſer Verſuch angegeben worden: denn wenn382 die Erſcheinung einigermaßen taͤuſchen ſoll; ſo muß das Rothe ein Zinnoberroth, und das Blaue ſehr dunkelblau ſeyn. Nimmt man Hellblau, ſo wird man die Taͤu - ſchung gleich gewahr. Und warum iſt denn Niemanden eingefallen, noch eine andre verfaͤngliche Frage zu thun? Nach der Newtoniſchen Lehre iſt das Gelbroth am we - nigſten refrangibel, das Blauroth am meiſten; warum nimmt er denn alſo nicht ein violettes Papier neben das rothe, ſondern ein dunkelblaues? Waͤre die Sache wahr, ſo muͤßte die Verſchiedenheit der Refrangibilitaͤt bey Gelbroth und Violett weit ſtaͤrker ſeyn, als bey Gelbroth und Blau. Allein hier findet ſich der Um - ſtand, daß ein violettes Papier die prismatiſchen Raͤn - der weniger verſteckt, als ein dunkelblaues; wovon ſich jeder Beobachter nunmehr, nach unſrer umſtaͤndlichen Anleitung, leicht uͤberzeugen kann. Wie es dagegen um die Newtoniſche Beobachtungsgabe und um die Ge - nauigkeit ſeiner Experimente ſtehe, wird jeder, der Au - gen und Sinn hat, mit Verwunderung gewahr wer - den; ja man darf dreiſt ſagen, wer haͤtte einen Mann von ſo außerordentlichen Gaben, wie Newton war, durch ein ſolches Hocus pocus betruͤgen koͤnnen, wenn er ſich nicht ſelbſt betrogen haͤtte? Nur derjenige, der die Gewalt des Selbſtbetruges kennt, und weiß, daß er ganz nahe an die Unredlichkeit graͤnzt, wird allein das Verfahren Newtons und ſeiner Schule ſich erklaͤren koͤnnen.
Wir wollen nur noch mit wenigem auf die New -383 toniſche Figur, die eilfte ſeiner zweyten Tafel, welche bey ihm ſelbſt nachzuſehen waͤre, die Aufmerkſamkeit erregen. Sie iſt perſpectiviſch confus gezeichnet, und hat nebenher noch etwas merkwuͤrdig captioͤſes. Die zweyfarbige Pappe iſt hier durch Dunkel und Hell un - terſchieden, die rechtwinklichte Lage ihrer Flaͤche gegen das Fenſter iſt ziemlich deutlich angegeben; allein das durchs Prisma bewaffnete Auge ſteht nicht an der rech - ten Stelle; es muͤßte in Einer Linie mit der Durch - ſchnittslinie der gefaͤrbten Pappe ſtehen. Auch iſt die Verruͤckung der Bilder nicht gluͤcklich angegeben, denn es ſieht aus, als wenn ſie in der Diagonale verruͤckt wuͤrden, welches doch nicht iſt: denn ſie werden nur, je nachdem der brechende Winkel gehalten wird, vom Beobachter ab, oder zum Beobachter zu geruͤckt. Was aber hoͤchſt merkwuͤrdig iſt, darf Niemanden entgehen. Die verruͤckten, nach der Newtoniſchen Lehre divers refrangirten Bilder ſind mit Saͤumen vorgeſtellt, die im Original an dem dunkeln Theil undeutlich, an dem hellen Theil ſehr deutlich zu ſehen ſind, welches letzte auch die Tafeln zur lateiniſchen Ueberſetzung zeigen. Wenn alſo bey dieſem Experimente nichts weiter ge - ſchieht, als daß ein Bild weiter geruͤckt werde, als das andre, warum laͤßt er denn die Bilder nicht in ihren Linien eingeſchloſſen, warum macht er ſie breiter, warum gibt er ihnen verfließende Saͤume? Er hat alſo dieſe Saͤume wohl geſehen; aber er konnte ſich nicht uͤberzeugen, daß dieſen Saͤumen, und keinesweges einer diverſen Refrangibilitaͤt, das Phaͤnomen zuzuſchrei - ben ſey. Warum erwaͤhnt er denn im Texte dieſer Er -384 ſcheinung nicht, die er doch ſorgfaͤltig, obgleich nicht ganz richtig, in Kupfer ſtechen laͤßt? Wahrſcheinlich wird ein Newtonianer darauf antworten: das iſt eben noch von dem undecomponirten Lichte, das wir niemals ganz los werden koͤnnen und das hier ſein Unweſen treibt.
Inwiefern auch dieſer Verſuch auf einer Taͤuſchung beruhe, wie der vorige, iſt nunmehr unſre Pflicht klar zu machen. Wir finden aber dießmal gerathener, den Verfaſſer nicht zu unterbrechen, ſondern ihn ausreden zu laſſen, alsdann aber unſre Gegenrede im Zuſammen - hange vorzutragen.
Um das vorgemeldete Papier, deſſen eine Haͤlfte blau, die andre roth angeſtrichen und welches ſteif wie Pappe war, wickelte ich einen Faden ſchwarzer Seide mehrmals um, der - geſtalt, daß es ausſah, als wenn ſchwarze Linien uͤber die Farbe gezogen waͤren, oder als wenn ſchmale ſchwarze Schat - ten darauf fielen. Ich haͤtte eben ſo gut ſchwarze Linien mit einer Feder ziehen koͤnnen, aber die Seide bezeichnete feinere Striche.
Dieſes ſo gefaͤrbte und liniirte Papier befeſtigte ich an eine Wand, ſo daß eine Farbe zur rechten, die andere zur385 linken Hand zu ſtehen kam. Genau vor das Papier, unten wo die beyden Farben zuſammentrafen, ſtellte ich ein Licht, um das Papier ſtark zu beleuchten, denn das Experiment war bey Nacht angeſtellt.
Die Flamme der Kerze reichte bis zum untern Rande des Papiers, oder um ein weniges hoͤher. Dann, in der Entfer - nung von ſechs Fuß und ein oder zwey Zoll von dem Papier an der Wand, richtete ich eine Glaslinſe auf, welche vier und einen Viertelzoll breit war, welche die Strahlen, die von den verſchiedenen Puncten des Papiers herkaͤmen, auffaſſen und, in der Entfernung von ſechs Fuß, ein oder zwey Zoll auf der andern Seite der Linſe, in ſo viel andern Puncten zuſammen - bringen, und das Bild des farbigen Papiers auf einem wei - ßen Papier, das dorthin geſtellt war, abbilden ſollte, auf die Art, wie die Linſe in einer Ladenoͤffnung die Bilder der Ob - jecte raußen auf einen weißen Bogen Papier in der dunkeln Cammer werfen mag.
Das vorgedachte weiße Papier ſtand vertical zu dem Ho - rizont und parallel mit der Linſe. Ich bewegte daſſelbe manchmal gegen die Linſe, manchmal von ihr weg, um die Plaͤtze zu finden, wo die Bilder der blauen und rothen Theile des Papiers am deutlichſten erſcheinen wuͤrden. Dieſe Plaͤtze konnte ich leicht erkennen an den Bildern der ſchwarzen Linien, die ich hervorgebracht hatte, indem ich die Seide um das Pa - pier wand. Denn die Bilder dieſer feinen und zarten Linien, die ſich wegen ihrer Schwaͤrze wie ein Schatten auf der Farbe abſetzten, waren dunkel und kaum ſichtbar, außer wenn die Farbe an jeder Seite einer jeden Linie ganz deutlich be - graͤnzt war. Deßwegen bezeichnete ich ſo genau als moͤglich die Plaͤtze, wo die Bilder der blauen und rothen Haͤlfte desI. 25386farbigen Papiers am deutlichſten erſchienen. Ich fand, daß wo die rothe Haͤlfte ganz deutlich war, die blaue Haͤlfte ver - worren erſchien, ſo daß ich die darauf gezogenen ſchwarzen Linien kaum ſehen konnte; im Gegentheil, wo man die blaue Haͤlfte deutlich unterſcheiden konnte, erſchien die rothe verwor - ren, ſo daß die ſchwarzen Linien darauf kaum ſichtbar waren. Zwiſchen den beiden Orten aber, wo dieſe Bilder ſich deutlich zeigten, war die Entfernung ein und ein halber Zoll. Denn die Entfernung des weißen Papiers von der Linſe, wenn das Bild der rothen Haͤlfte ſehr deutlich erſchien, war um einen und einen halben Zoll groͤßer, als die Entfernung des weißen Papiers von der Linſe, wenn das Bild der blauen Haͤlfte ſehr deutlich war. Daraus folgern wir, daß indem das Blaue und Rothe gleichmaͤßig auf die Linſe fiel, doch das Blaue mehr durch die Linſe gebrochen wurde, als das Rothe, ſo daß es um anderthalb Zoll fruͤher convergirte, und daß es deßwe - gen refrangibler ſeyn muͤſſe.
Nachdem wir den Verfaſſer angehoͤrt, ſeine Vor - richtung wohl kennen gelernt, und das, was er da - durch zu bewirken glaubt, vernommen haben, ſo wollen wir unſre Bemerkungen zu dieſem Verſuche unter ver - ſchiedenen Rubriken vorbringen, und denſelben in ſeine Elemente zu zerlegen ſuchen, worin der Hauptvortheil aller Controvers mit Newton beſtehen muß.
Unſre Betrachtungen beziehen ſich alſo 1) auf das Vorbild, 2) auf die Beleuchtung, 3) auf die Linſe, 4) auf das gewirkte Abbild und 5) auf die aus den Erſcheinungen gezogene Folgerung.
1) Das Vorbild. Ehe wir mit der aus dem vorigen Verſuch uns ſchon bekannten doppelfarbigen Pappe weiter operiren, ſo muͤſſen wir ſie und ihre Ei - genſchaften uns erſt naͤher bekannt machen.
Man bringe mennigrothes und ſattblaues Papier neben einander, ſo wird jenes hell, dieſes aber dunkel und, beſonders bey Nacht, dem Schwarzen faſt aͤhnlich erſcheinen. Wickelt man nun ſchwarze Faͤden um beyde, oder zieht man ſchwarze Linien daruͤber her, ſo iſt offen - bar, daß man mit bloßem Auge die ſchwarzen Linien auf dem hellrothen in ziemlicher Entfernung erkennen wird, wo man eben dieſe Linien auf dem blauen noch nicht erkennen kann. Man denke ſich zwey Maͤnner, den einen im ſcharlachrothen, den andern im dunkel - blauen Rocke, beyde Kleider mit ſchwarzen Knoͤpfen; man laſſe ſie beyde neben einander eine Straße heran gegen den Beobachter kommen; ſo wird dieſer die Knoͤpfe des rothen Rocks viel eher ſehen, als die des blauen, und die beyden Perſonen muͤſſen ſchon nahe ſeyn, wenn beyde Kleider mit ihren Knoͤpfen gleich deutlich dem Auge erſcheinen ſollen.
Um daher das richtige Verhaͤltniß jenes Verſuches einzuſehen, vermannigfaltige man ihn. Man theile eine25 *388viereckte Flaͤche in vier gleiche Quadrate, man gebe einem jeden eine beſondre Farbe, man ziehe ſchwarze Striche uͤber ſie alle hin, man betrachte ſie in gewiſſer Entfernung mit bloßem Auge, oder mit einer Lorgnette, man veraͤndre die Entfernung und man wird durchaus finden, daß die ſchwarzen Faͤden dem Sinne des Au - ges fruͤher oder ſpaͤter erſcheinen, keinesweges weil die verſchiedenen farbigen Gruͤnde beſondre Eigenſchaften haben, ſondern bloß inſofern als der eine heller iſt als der andre. Nun aber, um keinen Zweifel uͤbrig zu laſſen, wickle man weiße Faͤden um die verſchiedenen farbigen Papiere, man ziehe weiße Linien darauf und die Faͤlle werden nunmehr umgekehrt ſeyn. Ja, um ſich voͤllig zu uͤberzeugen, ſo abſtrahire man von aller Farbe und wiederhole das Experiment mit weißen, ſchwarzen, grauen Papieren; und immer wird man ſe - hen, daß bloß der Abſtand des Hellen und Dunkeln Ur - ſache der mehrern oder wenigern Deutlichkeit ſey. Und ſo werden wir es auch bey dem Verſuche, wie Newton ihn vorſchlaͤgt, durchaus antreffen.
2) Die Beleuchtung. Man kann das aufge - ſtellte Bild durch eine Reihe angezuͤndeter Wachskerzen, welche man gegen die Linſe zu verdeckt, ſehr ſtark be - leuchten, oder man bringt drey Wachskerzen unmittel - bar an einander, ſo daß ihre drey Dochte gleichſam nur eine Flamme geben. Dieſe verdeckt man gegen die Linſe zu und laͤßt, indem man beobachtet, einen Gehuͤlfen389 die Flamme ganz nahe an dem Bilde ſachte hin und wiederfuͤhren, daß alle Theile deſſelben nach und nach lebhaft erleuchtet werden. Denn eine ſehr ſtarke Er - leuchtung iſt noͤthig, wenn der Verſuch einigermaßen deutlich werden ſoll.
3) Die Linſe. Wir ſehen uns hier genoͤthigt, einiges Allgemeine vorauszuſchicken, was wir ſowohl an dieſem Orte, als auch kuͤnftig zur richtigen Einſicht in die Sache beduͤrfen.
Jedes Bild bildet ſich ab auf einer entgegengeſetzten glatten Flaͤche, wohin ſeine Wirkung in gerader Linie gelangen kann. Auch erſcheint es auf einer rauhen Flaͤche, wenn die einzelnen Theile des Bildes aus - ſchließlich von einzelnen Theilen der entgegengeſetzten Flaͤche zuruͤckgeſendet werden. Bey einer kleinen Oeff - nung in der Camera obſcura bilden ſich die aͤußern Gegenſtaͤnde auf einer weißen Tafel umgekehrt ab.
Bey einer ſolchen Abbildung wird der Zwiſchen - raum als leer gedacht; der ausgefuͤllte, aber durchſich - tige Raum, verruͤckt die Bilder. Die Phaͤnomene, welche, bey Verruͤckung der Bilder durch Mittel, ſich aufdringen, beſonders die farbigen Erſcheinungen, ſind es, die uns hier beſonders intereſſiren.
Durch Prismen von dreyſeitiger Baſe und durch Linſen werden diejenigen Operationen vollbracht, mit denen wir uns beſonders beſchaͤftigen.
Die Linſen ſind gleichſam eine Verſammlung un - endlicher Prismen; und zwar convexe eine Verſammlung von Prismen, die mit dem Ruͤcken aneinanderſtehen; concave eine Verſammlung von Prismen, die mit der Schneide aneinanderſtehen, und in beyden Faͤllen um ein Centrum verſammelt mit krummlinigen Oberflaͤchen.
Das gewoͤhnliche Prisma, mit dem brechenden Winkel nach unten gekehrt, bewegt die Gegenſtaͤnde nach dem Beobachter zu; das Prisma mit dem brechen - den Winkel nach oben gekehrt, ruͤckt die Gegenſtaͤnde vom Beobachter ab. Wenn man ſich dieſe beyden Ope - rationen im Kreiſe herumdenkt, ſo verengt das erſte den Raum um den Beobachter her, das zweyte erweitert ihn. Daher muß ein convexes Glas im ſubjectiven Fall vergroͤßern, ein concaves verkleinern; bey der Operation hingegen, die wir die objective nennen, ge - ſchieht das Gegentheil.
Die convexe Linſe, mit der wir es hier eigentlich zu thun haben, bringt die Bilder, welche durch ſie hin -391 einfallen, ins Enge. Das bedeutendſte Bild iſt das Sonnenbild. Laͤßt man es durch die Linſe hindurchfal - len, und faͤngt es bald hinter derſelben mit einer Tafel auf; ſo ſieht man es zuerſt bey wachſender Entfernung der Tafel immer mehr ſich verkleinern, bis es auf eine Stelle kommt, wo es nach Verhaͤltniß der Linſe ſeine groͤßte Kleinheit erreicht und am deutlichſten geſehen wird.
Schon fruͤher zeigt ſich bey dieſen Verſuchen eine ſtarke Hitze, und eine Entzuͤndung der entgegengehalte - nen Tafel, beſonders einer ſchwarzen. Dieſe Wirkung aͤußert ſich eben ſo gut hinter dem Bildpuncte der Sonne als vor demſelben; doch kann man ſagen, daß ihr Bildpunct und der maͤchtigſte Brennpunct zuſam - menfalle.
Die Sonne iſt das entfernteſte Bild, das ſich bey Tage abbilden kann. Darum kommt es auch zuerſt durch die Operation der Linſe entſchieden und genau begraͤnzt zuſammen. Will man die Wolken auf der Tafel deutlich ſehen, ſo muß man ſchon weiter ruͤcken. Die Berge und Waͤlder, die Haͤuſer, die zunaͤchſt ſte - henden Baͤume, alle bilden ſich ſtufenweiſe ſpaͤter ab, und das Sonnenbild hat ſich hinter ſeiner Bildſtelle ſchon wieder ſehr ſtark ausgedehnt, wenn die nahen Gegenſtaͤnde ſich erſt an ihrer Bildſtelle zuſammendraͤn - gen. So viel ſagt uns die Erfahrung in Abſicht auf Abbildung aͤußerer Gegenſtaͤnde durch Linſen.
Bey dem Verſuche, den wir gegenwaͤrtig beleuch - ten, ſind die verſchiedenfarbigen Flaͤchen, welche mit ihren ſchwarzen Faͤden hinter der Linſe abgebildet wer - den ſollen, neben einander. Sollte nun eine fruͤher als die andre deutlich erſcheinen, ſo kann die Urſache nicht in der verſchiedenen Entfernung geſucht werden.
Newton wuͤnſcht ſeine diverſe Refrangibilitaͤt da - durch zu beweiſen; wir haben aber ſchon oben, bey Be - trachtung des Vorbildes, auseinandergeſetzt, daß eigent - lich nur die verſchiedene Deutlichkeit der auf verſchieden - farbigen Gruͤnden angebrachten Bilder die Urſache der verſchiedenen Erſcheinungen hinter der Linſe ſey. Daß dieſes ſich alſo verhalte, haben wir naͤher〈…〉〈…〉 zeigen.
Wir beſchreiben zuerſt die Vorrichtung, welche wir gemacht, um bey dem Verſuche ganz ſicher zu gehen. Auf einem horizontalgelegten Geſtelle findet ſich an einem Ende Gelegenheit, das Vorbild einzuſchieben. Vor dem - ſelben in einer Vertiefung koͤnnen die Lichter angebracht werden. Die Linſe iſt in einem verticalen Brett befe - ſtigt, welches ſich auf dem Geſtelle hin und wieder be - wegen laͤßt. Innerhalb des Geſtells iſt ein beweglicher Rahmen, an deſſen Ende eine Tafel aufgerichtet iſt,393 worauf die Abbildung vor ſich geht. Auf dieſe Weiſe kann man die Linſe gegen das Vorbild, oder gegen die Tafel, und die Tafel entweder gegen beyde zu, oder von beyden abruͤcken, und die drey verſchiedenen Theile, Vorbild, Linſe und Tafel ſtehn vollkommen parallel ge - gen einander. Hat man den Punct, der zur Beobach - tung guͤnſtig iſt, gefunden; ſo kann man durch eine Schraube den innern Rahmen feſthalten. Dieſe Vor - richtung iſt bequem und ſicher, weil alles zuſammen - ſteht und genau auf einander paßt. Man ſucht nun den Punct, wo das Abbild am deutlichſten iſt, indem man Linſe und Tafel hin und her bewegt. Hat man dieſen gefunden; ſo faͤngt man die Beobachtung an.
4) Das Abbild. Newton fuͤhrt uns mit ſeiner hellrothen und dunkelblauen Pappe, wie er pflegt, in medias res; und wir haben ſchon oben bemerkt, daß erſt das Vorbild vermannigfaltigt und unterſucht wer - den muͤſſe, um zu erfahren, was man von dem Abbild erwarten koͤnne. Wir gehen daher folgendermaßen zu Werke. Wir bringen auf eine Pappe vier Vierecke in ein groͤßeres Viereck zuſammen, ein ſchwarzes, ein weißes, ein dunkelgraues und ein hellgraues. Wir zie - hen ſchwarze und weiße Striche daruͤber hin und be - merken ſie ſchon mit bloßem Auge nach Verſchiedenheit des Grundes mehr oder weniger. Doch da Newton ſelbſt ſeine ſchwarzen Faͤden Bilder nennt, warum macht er denn den Verſuch nicht mit wirklichen kleinen Bil -394 dern? Wir bringen daher auf die vier oben benannten Vierecke helle und dunkle kleine Bilder, gleichfalls Vier - ecke, oder Scheiben, oder Figuren wie die der Spiel - charten an, und dieſe ſo ausgeruͤſtete Pappe machen wir zum Vorbilde. Nun koͤnnen wir zuerſt zu einer ſichern Pruͤfung desjenigen fortſchreiten, was wir von dem Abbilde zu erwarten haben.
Ein jedes von Kerzen erleuchtetes Bild zeigt ſich weniger deutlich, als es beym Sonnenſchein geſchehen wuͤrde, und ein ſolches von Kerzen erleuchtetes Bild ſoll hier gar noch durch eine Linſe gehen, ſoll ein Ab - bild hergeben, das deutlich genug ſey, um eine bedeu - tende Theorie darauf zu gruͤnden.
Erleuchten wir nun jene unſere bemeldete Pappe ſo ſtark als moͤglich, und ſuchen ih Abbild auch moͤglichſt genau durch die Linſe auf die weiße Tafel zu bringen, ſo ſehen wir immer doch nur eine ſtumpfe Abbildung. Das Schwarze erſcheint als ein dunkles Grau, das Weiße als ein helles Grau, das dunkle und helle Grau der Pappe ſind auch weniger zu unterſcheiden als mit bloßem Auge. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Bildern. Diejenigen, welche ſich, dem Hellen und Dunkeln nach, am ſtaͤrkſten entgegenſetzen, dieſe ſind auch die deutlich - ſten. Schwarz auf Weiß, Weiß auf Schwarz laͤßt ſich gut unterſcheiden; Weiß und Schwarz auf Grau er -395 ſcheint ſchon matter, obgleich noch immer in einem ge - wiſſen Grade von Deutlichkeit.
Bereiten wir uns nun ein Vorbild von farbigen Quadraten an einander, ſo muß uns zum Voraus ge - genwaͤrtig bleiben, daß wir im Reich der halbbeſchatte - ten Flaͤchen ſind, und daß das farbige Papier ſich ge - wiſſermaßen verhalten wird wie das graue. Dabey haben wir uns zu erinnern, daß die Farben beym Ker - zenlicht anders als bey Tage erſcheinen. Das Violette wird grau, das Hellblaue gruͤnlich, das Dunkelblaue faſt ſchwarz, das Gelbe naͤhert ſich dem Weißen, weil auch das Weiße gelb wird, und das Gelbrothe waͤchſt auch nach ſeiner Art, ſo daß alſo die Farben der acti - ven Seite auch hier die helleren und wirkſameren, die der paſſiven hingegen die dunkleren und unwirkſameren bleiben. Man hat alſo bey dieſem Verſuch beſonders die Farben der paſſiven Seite hell und energiſch zu nehmen, damit ſie bey dieſer Nachtoperation etwas ver - lieren koͤnnen. Bringt man nun auf dieſe farbigen Flaͤchen kleine ſchwarze, weiße und graue Bilder, ſo werden ſie ſich verhalten, wie es jene angezeigten Ei - genſchaften mit ſich bringen. Sie werden deutlich ſeyn, inſofern ſie als Hell und Dunkel von den Farben mehr oder weniger abſtechen. Eben daſſelbe gilt, wenn man auf die ſchwarzen, weißen und grauen, ſo wie auf die farbigen Flaͤchen, farbige Bilder bringt.
Wir haben dieſen Apparat der Vorbilder, um zur Gewißheit zu gelangen, bis ins Ueberfluͤſſige vervielfaͤl - tigt. Denn dadurch unterſcheidet ſich ja bloß der Ex - perimentirende von dem, der zufaͤllige Erſcheinungen, als waͤren’s unzuſammenhaͤngende Begebenheiten, an - blickt und anſtaunt. Newton ſucht dagegen ſeinen Schuͤler immer nur an gewiſſen Bedingungen feſtzuhal - ten, weil veraͤnderte Bedingungen ſeiner Meynung nicht guͤnſtig ſind. Man kann daher die Newtoniſche Dar - ſtellung einer perſpectiviſch gemalten Theaterdecoration vergleichen, an der nur aus einem einzigen Standpuncte alle Linien zuſammentreffend und paſſend geſehen wer - den. Aber Newton und ſeine Schuͤler leiden nicht, daß man ein wenig zur Seite trete, um in die offnen Cou - liſſen zu ſehen. Dabey verſichern ſie dem Zuſchauer, den ſie auf ſeinem Stuhle feſthalten, es ſey eine wirk - lich geſchloſſene und undurchdringliche Wand.
Wir haben bisher referirt, wie wir die Sache bey genauer Aufmerkſamkeit gefunden; und man ſieht wohl, daß einerſeits die Taͤuſchung dadurch moͤglich ward, daß Newton zwey farbige Flaͤchen, eine helle und eine dunkle mit einander vergleicht, und verlangt, daß die dunkle leiſten ſoll, was die helle leiſtet. Er fuͤhrt ſie uns vor, nur als an Farbe verſchieden, und macht uns nicht aufmerkſam, daß ſie auch am Helldunkel verſchie -397 den ſind. Wie er aber andrerſeits ſagen kann, Schwarz auf Blau ſey alsdann ſichtbar geweſen, wenn Schwarz auf Roth nicht mehr erſchien, iſt uns ganz und gar unbegreiflich.
Wir haben zwar bemerkt, daß, wenn man fuͤr die weiße Tafel die Stelle gefunden hat, wo ſich das Ab - bild am deutlichſten zeigt, man mit derſelben noch etwas weniges vor und ruͤckwaͤrts gehen kann, ohne der Deut - lichkeit merklich Abbruch zu thun. Wenn man jedoch etwas zu weit vor oder zu weit zuruͤckgeht, ſo nimmt die Deutlichkeit der Bilder ab, und wenn man ſie un - ter ſich vergleicht, geſchieht es in der Maße, daß die ſtark vom Grunde abſtechenden ſich laͤnger als die ſchwach abſtechenden erhalten. So ſieht man Welß auf Schwarz noch ziemlich deutlich, wenn Weiß auf Grau undeutlich wird. Man ſieht Schwarz auf Mennigroth noch einigermaßen, wenn Schwarz auf Indigblau ſchon verſchwindet, und ſo verhaͤlt es ſich mit den uͤbrigen Farben durch alle Bedingungen unſerer Vorbilder. Daß es aber fuͤr das Abbild eine Stelle geben koͤnne, wo das weniger abſtechende deutlich, das mehr abſtechende undeutlich ſey, davon haben wir noch keine Spur ent - decken koͤnnen, und wir muͤſſen alſo die Newtoniſche Aſſertion bloß als eine beliebige, aus dem vorgefaßten Vorurtheil entſprungene, bloß mit den Augen des Gei - ſtes geſehene Erſcheinung halten und angeben. Da der Apparat leicht iſt, und die Verſuche keine großen Um - ſtaͤnde erfordern, ſo ſind andre vielleicht gluͤcklicher, etwas398 zu entdecken, was wenigſtens zu des Beobachters Ent - ſchuldigung dienen koͤnne.
5) Folgerung. Nachdem wir gezeigt, wie es mit den Praͤmiſſen ſtehe, ſo haben wir unſres Beduͤn - kens das vollkommenſte Recht, die Folgerung ohne wei - teres zu laͤugnen. Ja wir ergreifen dieſe Gelegenheit, den Leſer auf einen wichtigen Punct aufmerkſam zu machen, der noch oͤfters zur Sprache kommen wird. Es iſt der, daß die Newtoniſche Lehre durchaus zu - viel beweiſt. Denn wenn ſie wahr waͤre, ſo koͤnnte es eigentlich gar keine dioptriſchen Fernroͤhre geben; wie denn auch Newton aus ſeiner Theorie die Unmoͤglichkeit ihrer Verbeſſerung folgerte: ja ſelbſt unſerm bloßen Auge muͤßten farbige Gegenſtaͤnde neben einander durch - aus verworren erſcheinen, wenn ſich die Sache wirklich ſo verhielte. Denn man denke ſich ein Haus, das in vollem Sonnenlicht ſtuͤnde; es haͤtte ein rothes Ziegel - dach, waͤre gelb angeſtrichen, haͤtte gruͤne Schaltern, hinter den offnen Fenſtern blaue Vorhaͤnge, und ein Frauenzimmer ginge im violetten Kleide zur Thuͤre heraus. Betrachteten wir nun das Ganze mit ſeinen Theilen aus einem gewiſſen Standpuncte, wo wir es auf einmal ins Auge faſſen koͤnnten, und die Ziegel waͤren uns recht deutlich, wir wendeten aber das Auge ſogleich auf das Frauenzimmer, ſo wuͤrden wir die Form und die Falten ihres Kleides keinesweges be - ſtimmt erblicken, wir muͤßten vorwaͤrts treten, und ſaͤ - hen wir das Frauenzimmer deutlich, ſo muͤßten uns die399 Ziegel wie im Nebel erſcheinen, und wir haͤtten dann auch, um die Bilder der uͤbrigen Theile ganz beſtimmt im Auge zu haben, immer etwas vor - und etwas zu - ruͤckzutreten, wenn die praͤtendirte, im zweyten Experi - ment erwieſen ſeyn ſollende diverſe Refrangibilitaͤt ſtatt faͤnde. Ein gleiches gilt von allen Augenglaͤſern, ſie moͤgen einfach oder zuſammengeſetzt ſeyn, nicht weniger von der Camera obſcura.
Ja daß wir eine dem zweyten Newtoniſchen Expe - riment unmittelbar verwandte Inſtanz beybringen, ſo erinnern wir unſre Leſer an jenen optiſchen Kaſten, in welchem ſtark erleuchtete Bilder von Hauptſtaͤdten, Schloͤſſern und Plaͤtzen durch eine Linſe angeſehen und verhaͤltnißmaͤßig vergroͤßert, zugleich aber auch ſehr klar und deutlich erblickt werden. Man kann ſagen, es ſey hier der Newtoniſche Verſuch ſelbſt, nur in groͤßerer Mannigfaltigkeit ſubjectiv wiederholt. Waͤre die New - toniſche Hypotheſe wahr, ſo koͤnnte man unmoͤglich den hellblauen Himmel, das hellgruͤne Meer, die gelb - und blaugruͤnen Baͤume, die gelben Haͤuſer, die rothen Zie - geldaͤcher, die bunten Kutſchen, Livreen und Spazier - gaͤnger neben einander zugleich deutlich erblicken.
Noch einiger andern wunderlichen Conſequenzen, die aus der Newtoniſchen Lehre herfließen, muͤſſen wir erwaͤhnen. Man gedenke der ſchwarzen Bilder auf ver -400 ſchiedenfarbigen, an Hellung nicht allzuſehr von einan - der unterſchiedenen Flaͤchen. Nun fragen wir, ob das ſchwarze Bild denn nicht auch das Recht habe, ſeine Graͤnze zu beſtimmen, wenn es durch die Linſe durchge - gangen iſt? Zwey ſchwarze Bilder, eins auf rothem, das andre auf blauem Grunde, werden beyde gleich gebrochen: denn dem Schwarzen ſchreibt man doch keine diverſe Refrangibilitaͤt zu. Kommen aber beyde ſchwarze Bilder mit gleicher Deutlichkeit auf der entgegengehalte - nen weißen Tafel an, ſo moͤchten wir doch wiſſen, wie ſich der rothe und blaue Grund gebaͤhrden wollten, um ihnen die einmal ſcharfbezeichneten Graͤnzen ſtreitig zu machen. Und ſo ſtimmt denn auch die Erfahrung mit dem, was wir behaupten, vollkommen uͤberein; ſo wie das Unwahre und Ungehoͤrige der Newtoniſchen Lehre immer maͤchtiger in die Augen ſpringt, je laͤnger man ſich damit, es ſey nun experimentirend oder nachden - kend, beſchaͤftigt.
Fragt man nun gar nach farbigen Bildern auf far - bigem Grund, ſo wird der praͤtendirte Verſuch und die daraus gezogene Folgerung ganz laͤcherlich: denn ein rothes Bild auf blauem Grunde koͤnnte niemals erſchei - nen und umgekehrt. Denn wenn es der rothen Graͤnze beliebte, deutlich zu werden, ſo haͤtte die blaue keine Luſt, und wenn dieſe ſich endlich bequemte, ſo waͤr’ es jener nicht gelegen. Fuͤrwahr, wenn es mit den Ele - menten der Farbenlehre ſo beſchaffen waͤre, ſo haͤtte die Natur dem Sehen, dem Gewahrwerden der401 ſichtbaren Erſcheinungen, auf eine ſaubre Weiſe vor - gearbeitet.
So ſieht es alſo mit den beyden Experimenten aus, auf welche Newton einen ſo großen Werth legte, daß er ſie als Grundpfeiler ſeiner Theorie an die erſte Stelle des Werkes brachte, welches zu ordnen er ſich uͤber dreyßig Jahre Zeit nahm. So beſchaffen ſind zwey Verſuche, deren Ungrund die Raturforſcher ſeit hundert Jahren nicht einſehn wollten, obgleich das, was wir vorgebracht und eingewendet haben, ſchon oͤfters in Druckſchriften dargelegt, behauptet und eingeſchaͤrft wor - den, wie uns davon die Geſchichte umſtaͤndlicher beleh - ren wird.
Nachdem wir alſo ſchon farbige Lichter kennen ge - lernt, welche ſogar durch das matte Kerzenlicht aus den Oberflaͤchen farbiger Koͤrper herausgelockt werden, nach - dem man uns das Abgeleitete oder erſt AbzuleitendeI. 26402ſchon bekannt gemacht; ſo wendet ſich der Verfaſſer an die rechte Quelle, zur Sonne nehmlich, als demjenigen Lichte, das wir gern fuͤr ein Urlicht annehmen.
Das Licht der Sonne alſo, heißt es, beſteht aus Strahlen von verſchiedener Refrangibilitaͤt. Warum wird denn aber hier der Sonne vorzuͤglich erwaͤhnt? Das Licht des Mondes, der Sterne, einer jeden Kerze, eines jeden hellen Bildes auf dunklem Grunde iſt in dem Fall, uns die Phaͤnomene zu zeigen, die man hier der Sonne als eigenthuͤmlich zuſchreibt. Sey es auch, daß man ſich der Sonne zu den Verſuchen, welche wir die objectiven genannt haben, wegen ihrer maͤchtigen Wir - kung bediene, ſo iſt dieß ein Umſtand, der fuͤr den Ex - perimentator guͤnſtig iſt, aber keinesweges eine Grund - erſcheinung, an die man eine Theorie anlehnen koͤnnte.
Wir haben deßwegen in unſerm Entwurfe, bey den dioptriſchen Verſuchen der zweyten Claſſe, die ſubjectiven vorangeſtellt, weil ſich aus denſelben deutlich machen laͤßt, daß hier keinesweges von Licht, noch Lichtern, ſondern von einem Bilde und deſſen Graͤnzen die Rede ſey; da denn die Sonne vor keinem andern Bilde, ja nicht vor einem hell - oder dunkelgrauen auf ſchwarzem Grunde, den mindeſten Vorzug hat.
Jedoch, nach der Newtoniſchen Lehre, ſollen ja die Farben im Lichte ſtecken, ſie ſollen daraus entwickelt werden. Schon der Titel des Werkes deutet auf dieſen Zweck hin. Schon dort werden wir auf die Colours of Light hingewieſen, auf die Farben des Lichtes, wie ſie denn auch die Newtonianer bis auf den heutigen Tag zu nennen pflegen. Kein Wunder alſo, daß dieſer Satz auch hier alſo geſtellt wird. Laſſet uns jedoch unterſuchen, wie der Verfaſſer dieſes Fundament ſeiner chromatiſchen Lehre mit acht Experimenten zu beweiſen denkt, indem er das dritte bis zum zehnten dieſem End - zwecke widmet, welche wir nunmehr der Reihe nach durchgehen.
Wir verfolgen des Verfaſſers Vortrag hier nicht von Wort zu Wort: denn es iſt dieſes der allgemein bekannte Verſuch, da man durch eine kleine Oeffnung des Fenſterladens das Sonnenbild in eine dunkle Kam - mer fallen laͤßt, ſolches durch ein horizontal geſtelltes Prisma, deſſen brechender Winkel nach unten gerichtet iſt, auffaͤngt; da denn das Bild an die entgegengeſetzte26 *404Wand in die Hoͤhe gebrochen nicht mehr farblos und rund, ſondern laͤnglich und farbig erſcheint.
Wie es eigentlich mit dieſem Phaͤnomen beſchaffen ſey, wiſſen alle Theilnehmende nunmehr genau, welche dasjenige wohl inne haben, was von uns uͤber die dioptriſchen Farben der zweyten Claſſe uͤberhaupt, vor - zuͤglich aber uͤber die objectiven vom 20 bis 24 Capitel umſtaͤndlich vorgetragen worden; ſo wie wir uns deßhalb noch beſonders auf unſre zweyte, fuͤnfte und ſechſte Ta - fel berufen. Es iſt daraus klar, daß die Erſcheinung, wie ſie aus dem Prisma tritt, keinesweges eine fertige ſey, ſondern daß ſie, je naͤher und je weiter man die Tafel haͤlt, worauf ſie ſich abbilden ſoll, immer neue Verhaͤltniſſe zeigt. Sobald man dieſes eingeſehen hat, ſo bedarf es gegen dieſes dritte Experiment, ja gegen die ganze Newtoniſche Lehre, keines Streites mehr: denn der Meiſter ſowohl als die Schuͤler ſtellen den Verſuch, auf den ſie ihr groͤßtes Gewicht legen, voͤl - lig falſch vor, wie wir ſolches auf unſerer Tafel, welche mit VI. a. bezeichnet iſt, vor die Angen bringen.
Sie geben nehmlich, der Wahrheit ganz zuwider, vor, das Phaͤnomen ſey, wie es aus dem Prisma her - auskomme, fertig, man ſehe die Farben in dem verlaͤn - gerten Bilde gleich in derſelben Ordnung und Propor -405 tion; in dieſer Ordnung und Proportion wachſe nun das Bild, bey mehr entfernter Tafel, immer an Laͤnge, bis es, da wo ſie es endlich feſt zu halten belieben, un - gefaͤhr um fuͤnfmal laͤnger iſt als breit. Wenn ſie nun dieß Bild auf dieſe Stelle fixirt, beobachtet, gemeſſen und auf allerley Weiſe gehandhabt haben, ſo ziehen ſie den Schluß, wenn in dem runden Bilde, das ſie den Abglanz eines Strahls nennen, alle Theile gleich refran - gibel waͤren, ſo muͤßten ſie nach der Refraction alle an dem gleichen Orte anlangen und das Bild alſo noch immer erſcheinen wie vorher. Nun aber iſt das Bild laͤnglicht, es bleiben alſo einige Theile des ſogenannten Strahls zuruͤck, andre eilen vor, und alſo muͤſſen ſie in ſich eine verſchiedene Determinabilitaͤt durch Refrac - tion und folglich eine diverſe Refrangibilitaͤt haben. Ferner iſt dieſes Bild nicht weiß, ſondern vielfarbig und laͤßt eine aufeinander folgende bunte Reihe ſehen; daher ſie denn auch ſchließen, daß jene angenomme - nen divers refrangiblen Strahlen auch diverſe Farben haben muͤſſen.
Hierauf antworten wir gegenwaͤrtig nichts weiter, als daß das ganze Raͤſonnement auf einen falſch dar - geſtellten Verſuch gebaut iſt, der ſich in der Natur an - ders zeigt als im Buche; wobey hauptſaͤchlich in Be - trachtung kommt, daß das prismatiſche Bild, wie es aus dem Prisma tritt, keinesweges eine ſtaͤtige farbige Reihe, ſondern eine durch ein weißes Licht getrennte farbige Erſcheinung darſtellt. Indem nun alſo Newton406 und ſeine Schuͤler dieſes Phaͤnomen keinesweges, wie ſie es haͤtten thun ſollen, entwickelten, ſo mußte ihnen auch ſeine eigentliche Natur verborgen bleiben und Irrthum uͤber Irrthum ſich anhaͤufen. Wir machen be - ſonders auf das, was wir jetzt vortragen werden, den Leſer aufmerkſam.
Newton, nachdem er die Erſcheinung ſorgfaͤltig gemeſſen und mancherley dabey vorkommende Umſtaͤnde, nur die rechten nicht, beobachtet, faͤhrt fort:
Die verſchiedene Groͤße der Oeffnung in dem Fenſterladen und die verſchiedene Staͤrke der Prismen, wodurch die Strah - len hindurchgehen, machen keine merkliche Veraͤnderung in der Laͤnge des Bildes.
Dieſe beyden Aſſertionen ſind voͤllig unwahr, weil gerade die Groͤße des Bildes, ſo wie die Groͤße des Winkels des gebrauchten Prismas, vorzuͤglich die Aus - dehnung der Laͤnge des Bildes gegen ſeine Breite be - ſtimmt und verſchieden macht. Wir werden der erſten dieſer beyden Wirkungen eine Figur auf unſern Tafeln widmen, und hier das Noͤthige zur naͤheren Einſicht des Verhaͤltniſſes ausſprechen.
Unſern aufmerkſamen Leſern iſt bekannt, daß wenn ein helles Bild verruͤckt wird, der gelbrothe Rand und407 der gelbe Saum in das Bild hinein, der blaue Rand und der violette Saum hingegen aus dem Bilde hin - ausſtrebe. Der gelbe Saum kann niemals weiter ge - langen als bis zum entgegengeſetzten blauen Rande, mit dem er ſich zum Gruͤn verbindet; und hier iſt eigentlich das Ende des innern Bildes. Der violette Saum geht aber immer ſeiner Wege fort und wird von Schritt zu Schritt breiter. Nimmt man alſo eine kleine Oeffnung und verruͤckt das Lichtbild ſo lange, daß es nunmehr um fuͤnf Theile laͤnger als breit erſcheint, ſo iſt dieß keinesweges die Normallaͤnge fuͤr groͤßere Bilder unter gleicher Bedingung. Denn man bereite ſich eine Pappe oder ein Blech, in welchem mehrere Oeffnungen von verſchiedener Groͤße oben an einer Horizontallinie anſte - hen; man ſchiebe dieſe Vorrichtung vor das Waſſer - prisma und laſſe auf dieſe ſaͤmmtlichen Oeffnungen nun das Sonnenlicht fallen, und die durch das Prisma ge - brochenen Bilder werden ſich an der Wand in jeder beliebigen Entfernung zeigen, jedoch ſo, daß weil ſie alle an einer Horizontallinie oben anſtehen, der violette Saum bey keinem Bilde laͤnger ſeyn kann als beym andern. Iſt nun das Bild groͤßer, ſo hat es ein an - dres Verhaͤltniß zu dieſem Saume, und folglich iſt ſeine Breite nicht ſo oft in der Laͤnge enthalten, als am kleinen Bilde. Man kann dieſen Verſuch auch ſubjectiv ſehr bequem machen, wenn man auf eine ſchwarze Ta - fel weiße Scheiben von verſchiedener Groͤße neben ein - ander klebt, die aber, weil man gewoͤhnlich den bre - chenden Winkel unterwaͤrts haͤlt, unten auf einer Hori - zontallinie aufſtehen muͤſſen.
Daß ferner die Staͤrke des Prismas, d. h. die Vergroͤßerung ſeines Winkels, eine Differenz in der Laͤnge des Bildes zur Breite machen muͤſſe, wird jeder - mann deutlich ſeyn, der das, was wir im 210. und 324. Paragraph und zwar im dritten Puncte angedeu - tet, und im Gange des Vortrags weiter ausgefuͤhrt haben, gegenwaͤrtig hat, daß nehmlich eine Hauptbedin - gung einer ſtaͤrkern Faͤrbung ſey, wenn das Bild mehr verruͤckt werde. Da nun ein Prisma von einem groͤ - ßern Winkel das Bild ſtaͤrker verruͤckt, als ein anderes von einem kleinern, ſo wird auch die Farbenerſcheinung, unter uͤbrigens gleichen Bedingungen, ſehr verſchieden ſeyn. Wie es alſo mit dieſem Experiment und ſeiner Beweiskraft beſchaffen ſey, werden unſre Leſer nun wohl ohne weitres vollkommen einſehen.
Der Beobachter blickt nun durch das Prisma gegen das einfallende Sonnenbild, oder gegen die bloß durch den Himmel erleuchtete Oeffnung, und kehrt alſo den vorigen objectiven Verſuch in einen ſubjectiven um; wo - gegen nichts zu ſagen waͤre, wenn wir dadurch nur409 einigermaßen gefoͤrdert wuͤrden. Allein das ſubjective Bild wird hier ſo wenig auf ſeine Anfaͤnge zuruͤckgefuͤhrt, als vorher das objective. Der Beobachter ſieht nur das verlaͤngerte ſtaͤtig gefaͤrbte Bild, an welchem der violette Theil abermals der laͤngſte bleibt.
Leider verhehlt uns der Verfaſſer bey dieſer Gele - genheit abermals einen Hauptpunct, daß nehmlich die Erſcheinung geradezu die umgekehrte ſey von der, die wir bisher an der Wand erblickten. Bemerkt man dieſes, ſo kann man die Frage aufwerfen, was wuͤrde denn geſchehen, wenn das Auge ſich an die Stelle der Tafel ſetzte? wuͤrde es denn die Farben in eben der Ordnung ſehen, wie man ſie auf der Tafel erblickt, oder umgekehrt? und wie iſt denn eigentlich im Ganzen das Verhaͤltniß?
Dieſe Frage iſt ſchon zu Newtons Zeiten aufge - worfen worden, und es fanden ſich Perſonen, die gegen ihn behaupteten, das Auge ſehe gerade die entgegenge - ſetzte Farbe, wenn es hinwaͤrts blicke, von der, welche herwaͤrts auf die Tafel oder auch auf ein Auge falle, das ſich an die Stelle der Tafel ſetzte. Newton lehnt nach ſeiner Weiſe dieſen Einwurf ab, anſtatt ihn zu heben.
Das wahre Verhaͤltniß aber iſt dieſes. Beyde Bilder haben nichts mit einander gemein. Es ſind zwey410 ganz verſchiedene Bilder, das eine heraufwaͤrts, das an - dere herunterwaͤrts bewegt, und alſo geſetzmaͤßig ver - ſchieden gefaͤrbt.
Von der Coexiſtenz dieſer zwey verſchiedenen Bil - der, wovon das objective heraufwaͤrts, das ſubjective herunterwaͤrts gefaͤrbt iſt, kann man ſich auf mancherley Weiſe uͤberzeugen. Jedoch iſt folgender Verſuch wohl der bequemſte und vollkommenſte. Man laſſe mittelſt einer Oeffnung des Fenſterladens von etwa zwey bis drey Zoll das Sonnenbild durch das große Waſſer - prisma auf ein weißes feines uͤber einen Rahmen ge - ſpanntes Papier hinaufwaͤrts gebrochen in der Entfer - nung anlangen, daß die beyden gefaͤrbten Raͤnder noch von einander abſtehen, das Gruͤn noch nicht entſtanden, ſondern die Mitte noch weiß ſey. Man betrachte die - ſes Bild hinter dem Rahmen; man wird das Blaue und Violette ganz deutlich oben, das Gelbrothe und Gelbe unten ſehen. Nun ſchaue man neben dem Rah - men hervor, und man wird durch das Prisma das hin - untergeruͤckte Bild der Fenſteroͤffnung umgekehrt gefaͤrbt ſehen.
Damit man aber beyde Bilder uͤber - und mit ein - ander erblicke, ſo bediene man ſich folgenden Mittels. Man mache das Waſſer im Prisma durch einige Trop - fen Seifenſpiritus dergeſtalt truͤbe, daß das Bild auf dem Papierrahmen nicht undeutlich, das Sonnenlicht aber dergeſtalt gemaͤßigt werde, daß es dem Auge er -411 traͤglich ſey. Man mache alsdann, indem man ſich hin - ter den Rahmen ſtellt, an dem Ort, wo ſich das ge - brochene und gefaͤrbte Bild abbildet, ins Papier eine kleine Oeffnung, und ſchaue hindurch; und man wird wie vorher das Sonnenbild hinabgeruͤckt ſehen. Nun kann man, wenn die in das Papier gemachte Oeffnung groß genug iſt, etwas zuruͤcktreten, und zugleich das objective durchſcheinende aufwaͤrts gefaͤrbte Bild und das ſubjective, das ſich im Auge darſtellt, erbli - cken; ja man kann mit einiger Auf - und Abbewegung des Papiers die gleichnamigen und ungleichnamigen Raͤnder beyder Erſcheinungen zuſammenbringen, wie es beliebig iſt; und indem man ſich von der Coexiſtenz der beyden Erſcheinungen uͤberzeugt, uͤberzeugt man ſich zu - gleich von ihrem ewig beweglichen und werdend wirkſa - men Weſen. Man erinnere ſich hierbey jenes hoͤchſt merkwuͤrdigen Verſuchs (E. 350 — 354.) und familia - riſire ſich mit demſelben, weil wir noch oͤfters auf ihn zuruͤckkommen muͤſſen.
Auch dieſen Verſuch betrachtet Newton nur durch den Nebel des Vorurtheils. Er weiß nicht recht, was er ſieht, noch was aus dem Verſuche folgt. Doch iſt412 ihm die Erſcheinung zum Behuf ſeiner Beweiſe außer - ordentlich willkommen, und er kehrt immer wieder auf dieſelbe zuruͤck. Es wird nehmlich das Spectrum, das heißt jenes verlaͤngerte farbige Bild der Sonne, welches durch ein horizontales Prisma im dritten Experiment hervorgebracht worden, durch ein verticalſtehendes Pris - ma aufgefangen, und durch ſelbiges nach der Seite ge - brochen, da es denn voͤllig wie vorher, nur etwas vor - waͤrts gebogen, erſcheint, ſo nehmlich, daß der violette Theil vorausgeht.
Newton ſchließt nun daraus folgendermaßen:
Laͤge die Urſache der Verlaͤngerung des Bildes in der Bre - chung etwa dergeſtalt, daß die Sonnenſtrahlen durch ſie zer - ſtreut, zerſplittert und ausgeweitet wuͤrden, ſo muͤßte ein ſol - cher Effect durch eine zweyte Refraction abermals hervorge - bracht und das lange Bild, wenn man ſeine Laͤnge durch ein zweytes Prisma, parallel mit deſſen Axe auffaͤngt, abermals in die Breite gezogen, und wie vorher aus einander geworfen werden. Allein dieſes geſchieht nicht, ſondern das Bild geht lang, wie es war, heraus und neigt ſich nur ein wenig; da - her ſich folgern laͤßt, daß die Urſache der Erſcheinung auf einer Eigenſchaft des Lichtes beruhe, und daß dieſe Eigen - ſchaft, da ſie ſich nun in ſo viel farbigen Lichtern einmal manifeſtirt, nun keine weitere Einwirkung annehme, ſon - dern daß das Phaͤnomen nunmehr unveraͤnderlich bleibe, nur daß es ſich bey einer zweyten Refraction etwas niederbuͤckt, je - doch auf eine der Natur ſehr gemaͤße Weiſe, indem auch hier die mehr refrangibeln Strahlen, die violetten, vorausgehen und alſo auch ihre Eigenheit vor den uͤbrigen ſehen laſſen.
Newton begeht hierbey den Fehler, den wir ſchon fruͤher geruͤgt haben, und den er durch ſein ganzes Werk begeht, daß er nehmlich das prismatiſche Bild als ein fertiges unveraͤnderliches anſieht, da es doch eigentlich immer nur ein werdendes und immer abaͤnderliches bleibt. Wer dieſen Unterſchied wohl gefaßt hat, der kennt die Summe des ganzen Streites und wird unſre Einwen - dungen nicht allein einſehen und ihnen beypflichten, ſon - dern er wird ſie ſich ſelbſt entwickeln. Auch haben wir ſchon in unſerm Entwurfe dafuͤr geſorgt (205 — 207.) daß man das Verhaͤltniß dieſes gegenwaͤrtigen Phaͤno - mens bequem einſehen koͤnne; wozu auch unſre zweyte Tafel das ihrige beytragen wird. Man muß nehmlich Prismen von wenigen Graden, z. B. von funfzehn an - wenden; wobey man das Werden des Bildes deutlich beobachten kann. Verruͤckt man ſubjectiv nun durch ein Prisma das Bild dergeſtalt, daß es in die Hoͤhe geho - ben erſcheint, ſo wird es in dieſer Richtung gefaͤrbt. Man ſehe nun durch ein andres Prisma, daß das Bild im rechten Winkel nach der Seite geruͤckt erſcheint, ſo wird es in dieſer Richtung gefaͤrbt ſeyn; man bringe beyde Prismen nunmehr kreuzweiſe uͤbereinander, ſo muß das Bild nach einem allgemeinen Geſetze ſich in der Diagonale verruͤcken und ſich in dieſer Richtung faͤrben: denn es iſt, in einem wie in dem andern Falle, ein werdendes erſt entſtehendes Gebilde. Denn die Raͤnder und Saͤume entſtehen bloß in der Linie des Verruͤckens. Jenes gebuͤckte Bild Newtons aber iſt keinesweges das414 aufgefangene erſte, das nach der zweyten Refraction einen Reverenz macht, ſondern ein ganz neues, das nunmehr in der ihm zugenoͤthigten Richtung gefaͤrbt wird. Man kehre uͤbrigens zu unſern angefuͤhrten Para - graphen und Tafeln nochmals zuruͤck, und man wird die voͤllige Ueberzeugung deſſen, was wir ſagen, zum Gewinn haben.
Und auf dieſe Weiſe vorbereitet, gehe man nun bey Newton ſelbſt die ſogenannte Illuſtration dieſes Ex - periments und die derſelben gewidmeten Figuren und Beſchreibungen durch, und man wird einen Fehlſchluß nach dem andern entdecken, und ſich uͤberzeugen, daß jene Propoſition keinesweges durch dieſes Experiment irgend ein Gewicht erhalten habe.
Indem wir nun, ohne unſre Leſer zu begleiten, ihnen das Geſchaͤft fuͤr einen Augenblick ſelbſt uͤberlaſ - ſen, muͤſſen wir auf die ſonderbaren Wege aufmerkſam machen, welche der Verfaſſer nunmehr einzuſchlagen ge - denkt.
Bey dem fuͤnften Verſuche erſcheint das prismati - ſche Bild nicht allein geſenkt, ſondern auch verlaͤngert. Wir wiſſen dieſes aus unſern Elementen ſehr gut abzu - leiten: denn indem wir, um das Bild in der Diago - nale erſcheinen zu laſſen, ein zweytes Prisma noͤthig haben, ſo heißt das eben ſo viel, als wenn die Erſchei -415 nung durch ein gedoppeltes Prisma hervorgebracht waͤre. Da nun eine der vorzuͤglichſten Bedingungen der zu verbreiternden Farbenerſcheinung das verſtaͤrkte Maß des Mittels iſt (E. 210.), ſo muß alſo auch dieſes Bild, nach dem Verhaͤltniß der Staͤrke der angewende - ten Prismen, mehr in die Laͤnge gedehnt erſcheinen. Man habe dieſe Ableitung beſtaͤndig im Auge, indem wir deutlich zu machen ſuchen, wie kuͤnſtlich Newton es anlegt, um zu ſeinem Zwecke zu gelangen.
Unſern Leſern iſt bekannt, wie man das bey der Refraction entſtehende farbige Bild immer mehr verlaͤn - gern koͤnne, da wir die verſchiedenen Bedingungen hier - zu umſtaͤndlich ausgefuͤhrt. Nicht weniger ſind ſie uͤber - zeugt, daß, weil bey der Verlaͤngerung des Bildes die farbigen Raͤnder und Saͤume immer breiter werden und die gegen einander geſtellten ſich immer inniger zuſam - mendraͤngen, daß durch eine Verlaͤngerung des Bildes zugleich eine groͤßere Vereinigung ſeiner entgegengeſetzten Elemente vorgehe. Dieſes erzaͤhlen und behaupten wir gerne, ganz einfach, wie es der Natur gemaͤß iſt.
Newton hingegen muß ſich mit ſeiner erſonnenen Unnatur viel zu ſchaffen machen, Verſuche uͤber Verſu - che, Fictionen uͤber Fictionen haͤufen, um zu blenden, wo er nicht uͤberzeugen kann.
Seine zweyte Propoſition, mit deren Beweis er ſich gegenwaͤrtig beſchaͤftigt, lautet doch, das Son - nenlicht beſtehe aus verſchiedenrefrangiblen Strahlen. Da dieſe verſchiedenen Lichtſtrahlen und Lichter integri - rende Theile des Sonnenlichtes ſeyn ſollen, ſo begreift416 der Verfaſſer wohl, daß die Forderung entſtehen koͤnne und muͤſſe, dieſe verſchiedenen Weſen doch auch abge - ſondert und deutlich vereinzelt neben einander zu ſehen.
Schon wird das Phaͤnomen des dritten Experiments, das gewoͤhnliche Spectrum, ſo erklaͤrt, daß es die ausein - andergeſchobenen verſchiedenen Lichter des Sonnenlichts, die aus einandergezogenen verſchiedenfarbigen Bilder des Sonnenbildes zeige und manifeſtire. Allein bis zur Ab - ſonderung iſt es noch weit hin. Eine ſtaͤtige Reihe in einander greifender, aus einander gleichſam quellender Far - ben zu trennen, zu zerſchneiden, zu zerreißen, iſt eine ſchwere Aufgabe; und doch wird Newton in ſeiner vier - ten Propoſition mit dem Problem hervortreten: Man ſolle die heterogenen Strahlen des zuſammengeſetzten Lichtes von einander abſondern. Da er ſich hierdurch etwas Unmoͤgliches aufgibt, ſo muß er freylich bey Zei - ten anfangen, um den unaufmerkſamen Schuͤler nach und nach uͤberliſten zu koͤnnen. Man gebe wohl Acht, wie er ſich hierbey benimmt.
Aber daß man den Sinn dieſes Experiments deſto deutli - cher einſehe, muß man bedenken, daß die Strahlen, welche von gleicher Brechbarkeit ſind, auf einen Cirkel fallen, der der Sonnenſcheibe entſpricht, wie es im dritten Experiment bewieſen worden.
Wenn es bewieſen waͤre, ließe ſich nichts dagegen ſagen: denn es waͤre natuͤrlich, wenn die Theile, die417 von der Sonne herfließen, verſchieden refrangibel waͤ - ren, ſo muͤßten einige, ob ſie gleich von einer und der - ſelben Sonnenſcheibe herkommen, nach der Refraction zuruͤckbleiben, wenn die andern vorwaͤrts gehen. Daß die Sache ſich aber nicht ſo verhalte, iſt uns ſchon be - kannt. Nun hoͤre man weiter.
Unter einem Cirkel verſtehe ich hier nicht einen vollkomme - nen geometriſchen Cirkel, ſondern irgend eine Kreisfigur, deren Laͤnge der Breite gleich iſt, und die den Sinnen allen - falls wie ein Cirkel vorkommen koͤnnte.
Dieſe Art von Vor - und Nachklage, wie man es nennen moͤchte, geht durch die ganze Newtoniſche Optik. Denn erſt ſpricht er etwas aus, und ſetzt es feſt; weil es aber mit der Erfahrung nur ſcheinbar zuſammentrifft, ſo limitirt er ſeine Propoſition wieder ſo lange, bis er ſie ganz aufgehoben hat. Dieſe Verfahrungsart iſt ſchon oft von den Gegnern relevirt worden; doch hat ſie die Schule weder einſehen koͤnnen, noch eingeſtehen wollen. Zu mehrerer Einſicht der Frage nehme man nun die Figuren 4. 5. 6. 7. unſerer ſiebenten Tafel vor ſich.
In der vierten Figur wird das Spectrum darge - ſtellt, wie es Newton und ſeine Schuͤler, oft captioͤs genug, als eine zwiſchen zwey Parallellinien eingefaßte, oben und unten abgerundete lange Figur vorſtellen, ohne auf irgend eine Farbe Ruͤckſicht zu nehmen. Fi -I. 27418gur 5. iſt dagegen die Figur, welche zu der gegenwaͤr - tigen Darſtellung gehoͤrt.
Man laſſe alſo den obern Kreis fuͤr die brechbarſten Strahlen gelten, welche von der ganzen Scheibe der Sonne herkommen und auf der entgegengeſetzten Wand ſich alſo er - leuchtend abmalen wuͤrden, wenn ſie allein waͤren. Der un - tre Kreis beſtehe aus den wenigſt brechbaren Strahlen, wie er ſich, wenn er allein waͤre, gleichfalls erleuchtend abbilden wuͤrde. Die Zwiſchenkreiſe moͤgen ſodann diejenigen ſeyn, de - ren Brechbarkeit zwiſchen die beyden aͤußern hineinfaͤllt, und die ſich gleichfalls an der Wand einzeln zeigen wuͤrden, wenn ſie einzeln von der Sonne kaͤmen, und aufeinander folgen koͤnnten, indem man die uͤbrigen auffinge. Nun ſtelle man ſich vor, daß es noch andre Zwiſchencirkel ohne Zahl gebe, die vermoͤge unzaͤhliger Zwiſchenarten der Strahlen ſich nach und nach auf der Wand zeigen wuͤrden, wenn die Sonne nach und nach jede beſondre Art herunterſchickte. Da nun aber die Sonne ſie alle zuſammen von ſich ſendet, ſo muͤſſen ſie zuſammen als unzaͤhlige gleiche Cirkel ſich auf der Wand erleuchtend abbil - den, aus welchen, indem ſie nach den verſchiedenen Graden der Refrangibilitaͤt ordnungsgemaͤß in einer zuſammenhaͤngen - den Reihenfolge ihren Platz einnehmen, jene laͤnglichte Erſchei - nung zuſammengeſetzt iſt, die ich in dem dritten Verſuche be - ſchrieben habe.
Wie der Verfaſſer dieſe hypothetiſche Darſtellung, die Hieroglyphe ſeiner Ueberzeugung, keinesweges aber ein Bild der Natur, benutzt, um die Buͤcklinge ſeines Spectrums deutlicher zu machen, mag der wißbegierige419 Leſer bey ihm ſelbſt nachſehen. Uns iſt gegenwaͤrtig nur darum zu thun, das Unſtatthafte dieſer Vorſtellung deut - lich zu machen. Hier ſind keinesweges Kreiſe, die in einander greifen; eine Art von Taͤuſchung kann bloß entſtehen, wenn das refrangirte Bild rund iſt; wo - durch denn auch die Graͤnzen des farbigen Bildes, als eines Nebenbildes, rundlich erſcheinen, da doch eigentlich der Fortſchritt der verſchiedenen Abtheilungen des farbigen Bildes bey den prismatiſchen Verſuchen immer in Parallellinien geſchieht, welche die Linie des Vorſchreitens jederzeit in einem rechten Winkel durch - ſchneiden. Wir haben, um dieſes deutlich zu machen, auf unſerer fuͤnften und ſechſten Tafel angenommen, daß ein vierecktes Bild verruͤckt werde; da man ſich denn von dem parallelen Vorruͤcken der verſchiedenen farbigen Reihen einen deutlichen Begriff machen kann. Wir muͤſſen es daher abermals wiederholen, hier kann weder von ineinandergreifenden fuͤnf, noch ſieben, noch unzaͤhligen Kreiſen die Rede ſeyn; ſondern an den Graͤnzen des Bildes entſtehet ein rother Rand, der ſich in den gelben verliert, ein blauer Rand, der ſich in den violetten verliert. Erreicht bey der Schmaͤle des Bildes, oder der Staͤrke der Re - fraction, der gelbe Saum den blauen Rand uͤber das weiße Bild, ſo entſteht Gruͤn; erreicht der violette Saum den gelbrothen Rand uͤber das ſchwarze Bild, ſo entſteht Purpur. Das kann man mit Augen ſehen, ja man moͤchte ſagen, mit Haͤnden greifen.
Nicht genug aber, daß Newton ſeine verſchieden refrangibeln Strahlen zwar auseinander zerrt, aber doch ihre Kreiſe noch ineinander greifen laͤßt; er will ſie, weil er wohl ſieht, daß die Forderung entſteht, noch weiter auseinander bringen. Er ſtellt ſie auch wirklich in einer zweyten Figur abgeſondert vor, laͤßt aber immer noch die Graͤnzlinien ſtehen, ſo daß ſie ge - trennt und doch zuſammenhaͤngend ſind. Man ſehe die beyden Figuren, welche Newton auf ſeiner dritten Tafel mit 15 bezeichnet. Auf unſrer ſiebenten gibt die ſechſte Figur die Vorſtellung dieſer vorgeblichen Auseinander - zerrung der Kreiſe, worauf wir kuͤnftig abermals zuruͤck - kommen werden.
Worauf wir aber den Forſcher aufmerkſam zu ma - chen haben, iſt die Stelle, womit der Autor zu dem folgenden Experiment uͤbergeht. Er hatte nehmlich zwey Prismen uͤbereinander geſtellt, ein Sonnenbild durch jedes durchfallen laſſen, um beyde zugleich durch ein verticales Prisma aufzufangen und nach der Seite zu biegen. Wahrſcheinlich war dieſes letztere nicht lang genug, um zwey vollendete Spectra aufzufaſſen; er ruͤckte alſo damit nahe an die erſten Prismen heran, und findet, was wir lange kennen und wiſſen, auch nach der Refraction zwey runde und ziemlich farbloſe Bilder. Dieß irrt ihn aber gar nicht: denn anſtatt einzuſehen und einzugeſtehen, daß ſeine bisherige Dar -421 ſtellung durchaus falſch ſey, ſagte er ganz naiv und un - bewunden:
Uebrigens wuͤrde dieſes Experiment einen voͤllig gleichen Erfolg haben, man mag das dritte Prisma gleich hinter die beyden erſten, oder auch in groͤßere Entfernung ſtellen, ſo daß das Licht im erſten Falle, nachdem es durch die beyden vordern Prismen gebrochen worden, von dem dritten entweder weiß und rund, oder gefaͤrbt und laͤnglicht aufgenommen werde.
Wir haben alſo hier auf einmal ein durch das Prisma durchgegangenes und gebrochenes Farbenbild, das noch weiß und rund iſt, da man uns doch bisher daſſelbe durchaus als laͤnglicht auseinander gezogen und voͤllig gefaͤrbt dargeſtellt hatte. Wie kommt nun auf einmal das Weiße durch die Hinterthuͤr herein? wie iſt es abgeleitet? ja, wie iſt es, nach dem bisher vorge - tragenen, nur moͤglich? Dieß iſt einer von den ſehr ſchlimmen Advocatenſtreichen, wodurch ſich die Newto - niſche Optik ſo ſehr auszeichnet. Ein gebrochnes und doch weißes, ein zuſammengeſetztes und durch Brechung in ſeine Elemente nicht geſondertes Licht, haben wir nun auf einmal durch eine beylaͤufige Erwaͤhnung er - halten. Niemand bemerkt, daß durch die Erſcheinung dieſes Weißen der ganze bisherige Vortrag zerſtoͤrt iſt, daß man ganz wo anders ausgehen, ganz wo anders anfangen muͤſſe, wenn man zur Wahrheit gelangen will. Der Verfaſſer faͤhrt vielmehr auf ſeinem einmal einge -422 ſchlagenen Wege ganz geruhig fort, und hat nun außer ſeiner gruͤnen Mitte des fertigen Geſpenſtes auch noch eine weiße Mitte des erſt werdenden noch unfarbigen Geſpenſtes, er hat ein langes Geſpenſt, er hat ein run - des, und operirt nun mit beyden wechſelsweiſe, wie es ihm beliebt, ohne daß die Welt, die hundert Jahre ſeine Lehre nachbetet, den Taſchenſpielerſtreich gewahr wird, vielmehr diejenigen, die ihn aus Licht bringen wollen, verfolgt und uͤbel behandelt.
Denn ſehr kuͤnſtlich iſt dieſe Bemerkung hier ange - bracht, indem der Verfaſſer dieſe weiße Mitte, welche hier auf einmal in den Vortrag hereinſpringt, bey dem naͤchſten Verſuch hoͤchſt noͤthig braucht, um ſein Hocus Pocus weiter fortzuſetzen.
Haben wir uns bisher lebhaft, ja mit Heftigkeit, vorgeſehen und verwahrt, wenn uns Newton zu ſolchen Verſuchen berief, die er vorſaͤtzlich und mit Bewußtſeyn ausgeſucht zu haben ſchien, um uns zu taͤuſchen, und zu einem uͤbereilten Beyfall zu verfuͤhren; ſo haben wir es gegenwaͤrtig noch weit ernſtlicher zu nehmen, indem wir an jenen Verſuch gelangen, durch welchen ſich Newton ſelbſt zuerſt von der Wahrheit ſeiner Erklaͤ -423 rungsart uͤberzeugte, und welcher auch wirklich unter allen den meiſten Schein vor ſich hat. Es iſt dieſes das ſogenannte. Experimentum crucis, wobey der For - ſcher die Natur auf die Folter ſpannte, um ſie zu dem Bekenntniß deſſen zu noͤthigen, was er ſchon vorher bey ſich feſtgeſetzt hatte. Allein die Natur gleicht einer ſtand - haften und edelmuͤthigen Perſon, welche ſelbſt unter allen Qualen bey der Wahrheit verharrt. Steht es anders im Protocoll, ſo hat der Inquiſitor falſch ge - hoͤrt, der Schreiber falſch niedergeſchrieben. Sollte darauf eine ſolche untergeſchobene Ausſage fuͤr eine kleine Zeit gelten, ſo findet ſich doch wohl in der Fol - ge noch Jemand, welcher ſich der gekraͤnkten Unſchuld annehmen mag; wie wir uns denn gegenwaͤrtig geruͤ - ſtet haben, fuͤr unſere Freundinn dieſen Ritterdienſt zu wagen. Wir wollen nun zuerſt vernehmen, wie New - ton zu Werke geht.
In der Mitte zweyer duͤnnen Bretter machte ich runde Oeffnungen, ein drittel Zoll groß, und in den Fenſterladen eine viel groͤßere. Durch letztere ließ ich in mein dunkles Zim - mer einen breiten Strahl des Sonnenlichtes herein, ich ſetzte ein Prisma hinter den Laden in den Strahl, damit er auf die entgegengeſetzte Wand gebrochen wuͤrde, und nahe hinter das Prisma befeſtigte ich eines der Bretter dergeſtalt, daß die Mitte des gebrochnen Lichtes durch die kleine Oeffnung hin - durchging und das uͤbrige von dem Rande aufgefangen wurde.
Hier verfaͤhrt Newton nach ſeiner alten Weiſe. 424Er giebt Bedingungen an, aber nicht die Urſache der - ſelben. Warum iſt denn hier auf einmal die Oeffnung im Fenſterladen groß? und wahrſcheinlich das Prisma auch groß, ob er es gleich nicht meldet. Die Groͤße der Oeffnung bewirkt ein großes Bild, und ein großes Bild faͤllt, auch nach der Refraction, mit weißer Mitte auf eine nah hinter das Prisma geſtellte Tafel. Hier iſt alſo die weiße Mitte, die er am Schluß des vori - gen Verſuches (112.) heimlich hereingebracht. In die - ſer weißen Mitte operirt er; aber warum geſteht er denn nicht, daß ſie weiß iſt? warum laͤßt er dieſen wichtigen Umſtand errathen? Doch wohl darum, weil ſeine ganze Lehre zuſammenfaͤllt, ſobald dieſes ausge - ſprochen iſt.
Dann in einer Entfernung von zwoͤlf Fuß von dem erſten Brett befeſtigte ich das andre dergeſtalt, daß die Mitte des gebrochenen Lichtes, welche durch die Oeffnung des erſten Brettes hindurch fiel, nunmehr auf die Oeffnung dieſes zwey - ten Brettes gelangte, das uͤbrige aber, welches von der Flaͤche des Brettes aufgefangen wurde, das farbige Spectrum der Sonne daſelbſt zeichnete.
Wir haben alſo hier abermals eine Mitte des ge - brochenen Lichtes und dieſe Mitte iſt, wie man aus dem Nachſatz deutlich ſieht, gruͤn: denn das uͤbrige ſoll ja das farbige Bild darſtellen. Uns werden zwey - erley Mitten, eine farbloſe und eine gruͤne, gegeben, in denen und mit denen wir nach Belieben operiren, ohne425 daß man uns den Unterſchied im mindeſten anzeigt, und einen ſo bedeutenden Unterſchied, auf den alles an - kommt. Wem hier uͤber die Newtoniſche Verfahrungs - weiſe die Augen nicht aufgehn, dem moͤchten ſie wohl ſchwerlich jemals zu oͤffnen ſeyn. Doch wir brechen ab: denn die angegebene genaue Vorrichtung iſt nicht einmal noͤthig, wie wir bald ſehen werden, wenn wir die Illuſtration dieſes Verſuchs durchgehen, zu welcher wir uns ſogleich hinwenden und eine Stelle des Textes uͤberſchlagen, deren Inhalt ohnehin in dem folgenden wiederholt wird. Dem beſſern Verſtaͤndniß dieſer Sa - che widmen wir unſre zwoͤlfte Tafel, welche daher un - ſere Leſer zur Hand nehmen werden. Sie finden auf der - ſelben unter andern zwey Figuren, die eine falſch, wie ſie Newton angiebt, die andre wahr, ſo daß ſie das Ex - periment rein darſtellt. Beyden Figuren geben wir ei - nerley Buchſtaben, damit man ſie unmittelbar verglei - chen koͤnne.
Es ſoll F eine etwas große Oeffnung im Fenſterladen vor - ſtellen, wodurch das Sonnenlicht zu dem erſten Prisma A B C gelange, worauf denn das gebrochne Licht auf den mittlern Theil der Tafel D E fallen wird. Dieſes Lichtes mittlerer Theil gehe durch die Oeffnung G durch und falle auf die Mit - te der zweyten Tafel d e und bilde dort das laͤnglichte Son - nenbild, wie wir ſolches oben im dritten Experimente beſchrie - ben haben.
Das erſtemal iſt alſo, wie oben ſchon bemerkt426 worden, der mittlere Theil weiß, welches hier abermals vom Verfaſſer nicht angezeigt wird. Nun fragen wir, wie geht es denn zu, daß jener auf der Tafel D E an - langende weiße Theil, indem er durch die Oeffnung G durchgeht, auf der zweyten Tafel d e ein voͤllig ge - faͤrbtes Bild hervorbringt? Darauf muͤßte man denn doch antworten: es geſchaͤhe durch die Beſchraͤnkung, wel - che nach der Refraction das Lichtbild in der kleinen Oeff - nung G erleidet. Dadurch aber waͤre auch zugleich ſchon eingeſtanden, daß eine Beſchraͤnkung, eine Begraͤnzung zur prismatiſchen Farbenerſcheinung nothwendig ſey; wel - ches jedoch in dem zweyten Theile dieſes Buches hartnaͤ - ckig gelaͤugnet werden ſoll. Dieſe Verhaͤltniſſe, dieſe noth - wendigen und unerlaͤßlichen Bedingungen muß Newton verſchweigen, er muß den Leſer, den Schuͤler im Dun - keln erhalten, damit ihr Glaube nicht wankend werde. Unſre Figur ſetzt dagegen das Factum aufs deutlichſte auseinander, und man ſieht recht wohl, daß ſo gut durch Wirkung des Randes der erſten Oeffnung als des Randes der zweyten, gefaͤrbte Saͤume entſtehen, welche, da die zweyte Oeffnung klein genug iſt, indem ſie ſich verbreitern, ſehr bald uͤbereinander greifen und das voͤllig gefaͤrbte Bild darſtellen. Nach dieſer Vor - richtung ſchreitet Newton zu ſeinem Zweck.
Nun kann man jenes farbige Bild, wenn man das erſte Prisma A B C langſam auf ſeiner Achſe hin und her bewegt, auf der Tafel d e nach Belieben herauf und herabfuͤhren, und wenn man auf derſelben gleichfalls eine Oeffnung g anbringt,427 jeden einzelnen farbigen Theil des gedachten Bildes der Ord - nung nach hindurchlaſſen. Inzwiſchen ſtelle man ein zweytes Prisma a b c hinter die zweyte Oeffnung g und laſſe das durchgehende farbige Licht dadurch abermals in die Hoͤhe ge - brochen werden. Nachdem dieſes alſo gethan war, bezeichnete ich an der aufgeſtellten Wand die beyden Orte M und N, wohin die verſchiedenen farbigen Lichter gefuͤhrt wurden, und bemerkte, daß, wenn die beyden Tafeln und das zweyte Pris - ma feſt und unbeweglich blieben, jene beyden Stellen, indem man das erſte Prisma um ſeine Achſe drehte, ſich immerfort veraͤnderten. Denn wenn der untre Theil des Bildes, das ſich auf der Tafel d e zeigte, durch die Oeffnung g gefuͤhrt wur - de, ſo gelangte er nach einer untern Stelle der Wand M; ließ man aber den obern Theil deſſelben Lichtes durch gedachte Oeffnung g fallen, ſo gelangte derſelbe nach einer obern Stelle der Wand N; und wenn ein mittlerer Theil hindurch ging, ſo nahm er auf der Wand gleichfalls die Mitte zwiſchen M und N ein; wobey man zu bemerken hat, daß, da an der Stellung der Oeffnungen in den Tafeln nichts veraͤndert wurde, der Einfallswinkel der Strahlen auf das zweyte Pris - ma in allen Faͤllen derſelbige blieb. Dem ungeachtet wurden bey gleicher Incidenz einige Strahlen mehr gebrochen als die andern, und die im erſten Prisma durch eine groͤßere Refrac - tion weiter vom Wege abgenoͤthigt waren, auch dieſe wurden durch das zweyte Prisma abermals am meiſten gebrochen. Da das nun auf eine gewiſſe und beſtaͤndige Weiſe geſchah, ſo muß man die einen fuͤr refrangibler als die andern anſprechen.
Die Urſache, warum ſich Newton bey dieſem Ver - ſuche zweyer durchloͤcherten Bretter bedient, ſpricht er ſelbſt aus, indem er nehmlich dadurch zeigen will, daß der Einfallswinkel der Strahlen auf das zweyte Pris -428 ma, bey jeder Bewegung des erſten, derſelbige blieb; allein er uͤberſieht oder verbirgt uns, was wir ſchon oben bemerkt, daß das farbige Bild erſt hinter der Oeffnung des erſten Brettes entſtehe, und daß man ſei - nen verſchiedenen Theilen, indem ſie durch die Oeffnung des zweyten Brettes hindurchgehen, immer noch den Vorwurf einer verſchiedenen Incidenz auf das zweyte Prisma machen koͤnne.
Allein wir gehoͤren nicht zu denjenigen, welche der Incidenz bey dieſen Verſuchen bedeutende Wirkung zu - ſchreiben, wie es mehrere unter Newtons fruͤhern Geg - nern gethan haben; wir erwaͤhnen dieſes Umſtands nur, um zu zeigen, daß man ſich bey dieſem Verſuche, wie bey andern, gar wohl von aͤngſtlichen Bedingungen losmachen koͤnne. Denn die doppelten Bretter ſind in gegenwaͤrtigem Falle ſehr beſchwerlich; ſie geben ein kleineres ſchwaͤcheres Bild, mit welchem nicht gut noch ſcharf zu operiren iſt. Und ob gleich das Reſultat zu - letzt erſcheint, ſo bleibt es doch oft, wegen der Compli - cation der Vorrichtung ſchwankend, und der Experi - mentirende iſt nicht leicht im Fall, die ganze Anſtalt mit vollkommener Genauigkeit einzurichten.
Wir ſuchen daher der Erſcheinung, welche wir nicht laͤugnen, auf einem andern Wege beyzukommen, um ſowohl ſie als das, was uns der folgende Verſuch429 darſtellen wird, an unſere fruͤher begruͤndeten Erfahrun - gen anzuknuͤpfen; wobey wir unſre Leſer um beſondre Aufmerkſamkeit bitten, weil wir uns zunaͤchſt an der Achſe befinden, um welche ſich der ganze Streit um - dreht, weil hier eigentlich der Punct iſt, wo die New - toniſche Lehre entweder beſtehen kann, oder fallen muß.
Die verſchiedenen Bedingungen, unter welchen das prismatiſche Bild ſich verlaͤngert, ſind unſern Leſern, was ſowohl ſubjective als objective Faͤlle betrifft, hin - laͤnglich bekannt. (E. 210. 324.) Sie laſſen ſich meiſt unter eine Hauptbedingung zuſammenfaſſen, daß nehm - lich das Bild immer mehr von der Stelle geruͤckt werde.
Wenn man nun das durch das erſte Prisma ge - gangene, und auf der Tafel farbig erſcheinende Bild, ganz, mit allen ſeinen Theilen auf einmal, durch ein zweytes Prisma im gleichen Sinne hindurchlaͤßt und es auf dem Wege abermals verruͤckt; ſo hebt man es in die Hoͤhe und zugleich verlaͤngert man es. Was geſchieht aber bey Verlaͤngerung des Bildes? Die Diſtanzen der verſchiedenen Farben erweitern ſich, die Farben ziehen ſich in gewiſſen Proportionen weiter aus - einander.
Da bey Verruͤckung des hellen Bildes der gelb -430 rothe Rand keinesweges in der Maße nachfolgt, in welcher der violette Saum vorausgeht; ſo iſt es eigent - lich dieſer, der ſich von jenem entfernt. Man meſſe das ganze, durch das erſte Prisma bewirkte Spectrum; es habe z. B. drey Zoll, und die Mitte der gelbrothen Farbe ſey etwa von der Mitte der violetten um zwey Zoll entfernt; man refrangire nun dieſes ganze Spec - trum abermals durch das zweyte Prisma, und es wird eine Laͤnge von etwa neun Zoll gewinnen. Daher wird die Mitte der gelbrothen und violetten Farbe auch viel weiter von einander abſtehen, als vor - her.
Was von dem ganzen Bilde gilt, das gilt auch von ſeinen Theilen. Man fange das durchs erſte Pris - ma hervorgebrachte farbige Bild mit einer durchloͤcher - ten Tafel auf, und laſſe dann die aus verſchiedenen farbigen iſolirten Bildern beſtehende Erſcheinung auf die weiße Tafel fallen; ſo werden dieſe einzelnen Bilder, welche ja nur ein unterbrochenes ganzes Spectrum ſind, den Platz einnehmen, den ſie vorher in der Folge des Ganzen behauptet hatten.
Nun fange man dieſes unterbrochene Bild gleich hin - ter der durchloͤcherten Tafel mit einem Prisma auf, und refrangire es zum zweytenmal; ſo werden die einzelnen Bilder, indem ſie weiter in die Hoͤhe ſteigen, ihre Di - ſtanzen veraͤndern, und beſonders das Violette, als der431 vorſtrebende Saum, ſich in ſtaͤrkerer Proportion als die andern entfernen. Es iſt aber weiter nichts, als daß das ganze Bild geſetzmaͤßig verlaͤngert worden, von welchem im letztern Fall nur die Theile geſehen werden.
Bey der Newtoniſchen Vorrichtung iſt dieſes nicht ſo deutlich; doch bleiben Urſache und Reſultat immer dieſelbigen, er mag die Bilder einzeln, indem er das erſte Prisma bewegt, durchs zweyte hindurchfuͤhren; es ſind immer Theile des ganzen farbigen Bildes, die ihrer Natur getreu bleiben.
Hier iſt alſo keine diverſe Refrangibilitaͤt, es iſt nur eine wiederholte Refraction, eine wiederholte Verruͤckung, eine vermehrte Verlaͤngerung, nichts mehr und nichts weniger.
Zu voͤlliger Ueberzeugung mache man den Verſuch mit einem dunklen Bilde. Bey demſelben iſt der gelbe Saum vorſtrebend und der blaue Rand zuruͤckbleibend. Alles, was bisher vom violetten Theile praͤdicirt worden, gilt nunmehr vom gelben, was vom gelbrothen geſagt worden, gilt vom blauen. Wer dieſes mit Augen ge - ſehen und recht erwogen hat, dem wird nun wohl die vermeynte Bedeutſamkeit dieſes Hauptverſuches wie ein Nebel verſchwinden. Wir wollen auf unſrer zwoͤlf - ten Tafel, und bey Erlaͤuterung derſelben noch alles432 nachholen, was zu mehrerer Deutlichkeit noͤthig ſchei - nen moͤchte; ſo wie wir auch den zu dieſem Ver - ſuche noͤthigen Apparat noch beſonders beſchreiben wer - den.
Wir fuͤgen hier nur noch die Bemerkung hinzu, wie captios Newton die Sache vortraͤgt, (121.) wenn er ſagt: bey der zweyten Refraction ſey das ro - the Bildchen nach dem untern Theil der Wand, das violette nach dem obern gelangt. (Im Engliſchen ſteht went, im Lateiniſchen pergebat.) Denn es verhaͤlt ſich keinesweges alſo. Sowohl der gelbrothe Theil als der violette ſteigen beyde nach der zweyten Refraction in die Hoͤhe, nur entfernt ſich der letzte von dem erſten in der Maße, wie das Bild gewachſen waͤre, wenn man es ganz und nicht in ſeinen Theilen refrangirt haͤtte.
Da nun aber dieſer Verſuch gar nichts im Hinter - halte hat, nichts beweiſt, nicht einmal abgeleitet oder erklaͤrt zu werden braucht, ſondern nichts als ein ſchon bekanntes Phaͤnomen ſelbſt iſt; da die Sache ſich nach dem, was wir in unſerm Entwurfe dargelegt, leicht abthun laͤßt: ſo koͤnnte man uns den Einwurf machen und die Frage erregen, warum wir denn nicht direct auf dieſen eingebildeten Haupt - und Grundverſuch zu - gegangen, das Unſtatthafte der daraus gezogenen Argu - mente nachgewieſen, anſtatt mit ſo vielen Umſtaͤnden433 der Newtoniſchen Deduction Schritt vor Schritt zu fol - gen und den Verfaſſer durch ſeine Irrwege zu be - gleiten. Hierauf antworten wir, daß, wenn davon die Rede iſt, ein eingewurzeltes Vorurtheil zu zerſtoͤren, man keinesweges ſeinen Zweck erreicht, indem man bloß das Hauptaperçuͤ uͤberliefert. Es iſt nicht genug, daß man zeigt, das Haus ſey baufaͤllig und unbewohn - bar: denn es koͤnnte doch immer noch geſtuͤtzt und nothduͤrftig eingerichtet werden; ja es iſt nicht genug, daß man es einreißt und zerſtoͤrt, man muß auch den Schutt wegſchaffen, den Platz abraͤumen und ebnen. Dann moͤchten ſich allenfalls wohl Liebhaber finden, einen neuen kunſtgemaͤßen Bau aufzufuͤhren.
In dieſem Sinne fahren wir fort, die Verſuche zu vermannigfaltigen. Will man das Phaͤnomen, von welchem die Rede iſt, recht auffallend machen, ſo be - diene man ſich folgender Anſtalt. Man bringe zwey gleiche Prismen hart nebeneinander und ſtelle ihnen eine Tafel entgegen, auf welcher zwey kleine runde Oeffnungen horizontal neben einander in einiger Ent - fernung eingeſchnitten ſind; man laſſe aus dem einen Prisma auf die eine Oeffnung den gelbrothen Theil des Bildes, und aus dem andern Prisma den violetten Theil auf die andere Oeffnung fallen; man fange die beyden verſchiedenfarbigen Bilder auf einer dahinter ſtehenden weißen Tafel auf, und man wird ſie horizontal neben - einander ſehen. Nun ergreife man ein Prisma, das groß und lang genug iſt, beyde Bildchen aufzufaſſen,I. 28434und bringe daſſelbe horizontal nahe hinter die durchloͤ - cherte Tafel, und breche beyde Bildchen zum zweyten - mal, ſo daß ſie ſich auf der weißen Tafel abermals abbilden. Beyde werden in die Hoͤhe geruͤckt erſchei - nen, aber ungleich, das violette weit hoͤher als das gelbrothe; wovon uns die Urſache aus dem vorigen bekannt iſt. Wir empfehlen dieſen Verſuch allen uͤbrig bleibenden Newtonianern, um ihre Schuͤler in Erſtau - nen zu ſetzen und im Glauben zu ſtaͤrken. Wer aber unſerer Darſtellung ruhig gefolgt iſt, wird erkennen, daß hier an einzelnen Theilen auch nur das geſche - he, was an den ganzen Bildern geſchehen wuͤrde, wenn zwey derſelben, wovon das eine tiefer als das andere ſtuͤnde, eine zweyte Refraction erlitten. Es iſt dieſes letzte ein Verſuch, den man mit dem großen Waſſerprisma recht gut anſtellen kann.
Genoͤthigt finden wir uns uͤbrigens, noch eines Umſtandes zu erwaͤhnen, welcher beſonders bey dem folgenden Verſuch zur Sprache kommen wird, und der auch bey dem gegenwaͤrtigen mit eintritt, ob er hier gleich nicht von ſo großer Bedeutung iſt. Man kann nehmlich die durch die objective prismatiſche Wirkung entſtandenen Bilder als immer werdende und bewegliche anſehen, ſo wie wir es durchaus gethan haben. Mit dieſen kann man nicht operiren, ohne ſie zu veraͤndern. Man kann ſie aber auch, wie beſonders Newton thut, wie wir aber nur mit der groͤßten Einſchraͤnkung und fuͤr435 einen Augenblick thun, als fertig anſehen und mit ih - nen operiren.
Sehen wir nun die einzelnen durch eine durchloͤ - cherte Tafel durchgegangenen Bilder als fertig an, ope - riren mit denſelben und verruͤcken ſie durch eine zweyte Refraction, ſo muß das eintreten, was wir uͤberhaupt von Verruͤckung farbiger Bilder dargethan haben: Es muͤſſen nehmlich an ihnen abermals Raͤnder und Saͤu - me entſtehen, aber entweder durch die Farbe des Bil - des beguͤnſtigte oder verkuͤmmerte. Das iſolirte gelbro - the Bild nehmen wir aus dem einwaͤrts ſtrebenden gelbrothen Rande; an ſeiner untern Graͤnze wird es durch einen gleichnamigen neuen Rand an Farbe ver - ſtaͤrkt, das allenfalls entſpringende Gelb verliert ſich und an der entgegengeſetzten Seite kann wegen des Widerſpruchs kein Blau und folglich auch kein Violett entſtehen. Das Gelbrothe bleibt alſo gleichſam in ſich ſelbſt zuruͤckgedraͤngt, erſcheint kleiner und geringer als es ſeyn ſollte. Das violette Bild hingegen iſt ein Theil des aus dem ganzen Bilde hinausſtrebenden vio - letten Saumes. Es wird allenfalls an ſeiner untern Graͤnze ein wenig verkuͤmmert und hat oben die voͤllige Freyheit, vorwaͤrts zu gehen. Dieſes mit jenen obigen Betrachtungen zuſammengenommen, laͤßt auf ein weite - res Vorruͤcken des Violetten auch durch dieſen Umſtand ſchließen. Jedoch legen wir hierauf keinen allzugroßen Werth, ſondern fuͤhren es nur an, damit man ſich bey einer ſo complicirten Sache eines jeden Nebenumſtan -28 *436des erinnere; wie man denn, um ſich von der Entſte - hung dieſer neuen Raͤnder zu uͤberzeugen, nur den gelben Theil des Bildes durch eine Oeffnung im Brette durch - fuͤhren und alsdann zum zweytenmal hinter demſelben refrangiren mag.
Hier laͤßt der Verfaſſer durch zwey nebenein - ander geſtellte Prismen zwey Spectra in die dunk - le Kammer fallen. Auf einen horizontalen ſchma - len Streifen Papier trifft nun die rothe Farbe des einen Spectrums und gleich daneben die vio - lette Farbe des andern. Nun betrachtet er dieſen doppelt prismatiſch gefaͤrbten Streifen durch ein zweytes Prisma und findet das Papier gleichſam auseinander geriſſen. Die blaue Farbe des Streifens hat ſich nehm - lich viel weiter herunter begeben, als die rothe; es ver - ſteht ſich, daß der Beobachter durch ein Prisma blickt, deſſen brechender Winkel nach unten gekehrt iſt.
Man ſieht, daß dieß eine Wiederholung des er - ſten Verſuches werden ſoll, welcher dort mit koͤrperli - chen Farben angeſtellt war, hier aber mit Flaͤchen an -437 geſtellt wird, die eine ſcheinbare Mittheilung durch ap - parente Farben erhalten haben. Der gegenwaͤrtige Fall, die gegenwaͤrtige Vorrichtung iſt doch von jenen him - melweit unterſchieden, und wir werden, da wir das Phaͤnomen nicht laͤugnen, es abermals auf mancherley Weiſe darzuſtellen, aus unſern Quellen abzuleiten und das Hohle der Newtoniſchen Erklaͤrung darzuthun ſu - chen.
Wir koͤnnen unſre erſtgemeldete (135.) Vor - richtung mit zwey Prismen nebeneinander beybehalten. Wir laſſen das rothe und violette Bildchen nebeneinan - der auf die hintere weiße Tafel fallen, ſo daß ſie voͤl - lig horizontal ſtehen. Man nehme nun das horizontale Prisma vor die Augen, den brechenden Winkel gleich - falls unterwaͤrts gekehrt, und betrachte jene Tafel; ſie wird auf die bekannte Weiſe verruͤckt ſeyn, allein zu - gleich wird man einen bedeutenden Umſtand eintreten ſehen: das rothe Bild nehmlich ruͤckt nur in ſofern von der Stelle, als die Tafel verruͤckt wird; ſeine Stelle auf der Tafel hingegen behaͤlt es genau. Mit dem violetten Bilde verhaͤlt es ſich nicht ſo; dieſes veraͤndert ſeine Stelle, es zieht ſich viel weiter herunter, es ſteht nicht mehr mit dem rothen Bilde auf Einer horizonta - len Linie.
Sollte es den Newtonianern moͤglich ſeyn, auch kuͤnftig noch die Farbenlehre in die dunkle Kammer ein -438 zuſperren, ihre Schuͤler in die Gaͤngelbank einzuzwaͤngen und ihnen jeden Schritt freyer Beobachtung zu verſagen; ſo wollen wir ihnen auch dieſen Verſuch beſonders em - pfohlen haben, weil er etwas Ueberraſchendes und Im - ponirendes mit ſich fuͤhrt. Uns aber muß angelegen ſeyn, die Verhaͤltniſſe des Ganzen deutlich zu machen und bey dem gegenwaͤrtigen Verſuche zu leiſten, was bey dem vorigen beſtanden worden.
Newton verbindet hier zum erſtenmal die objecti - ven Verſuche mit den ſubjectiven. Es haͤtte ihm alſo geziemt, den Hauptverſuch (E. 350 — 356) zuerſt aufzuſtellen und vorzutragen, deſſen er, nach ſeiner Unmethode, erſt viel ſpaͤter erwaͤhnt, wo das Phaͤnomen, weit entfernt zur wahren Einſicht in die Sache etwas beyzutragen, nur wieder neue Verwirrungen anzurichten im Fall iſt. Wir ſetzen voraus, daß jedermann dieſen Verſuch geſehen habe, daß jedermann, den die Sache intereſſirt, ſo eingerichtet ſey, um ihn, ſo oft die Sonne ſcheint, wiederholen zu koͤnnen.
Dort wird alſo das laͤnglichte Farbenbild durch ein Prisma an die Wand in die Hoͤhe geworfen; man nimmt ſodann ein voͤllig gleiches Prisma, den bre - chenden Winkel unterwaͤrts gekehrt, haͤlt es vor die Augen und tritt nahe vor das Bild auf der Tafel. Man ſieht es wenig veraͤndert, aber je weiter man zu -439 ruͤcktritt, deſto mehr zieht es ſich, nicht allein herab - waͤrts, ſondern auch in ſich ſelbſt zuſammen, dergeſtalt, daß der violette Saum immer kuͤrzer wird. Endlich erſcheint die Mitte weiß und nur die Graͤnzen des Bildes gefaͤrbt. Steht der Beobachter genau ſo weit als das erſte Prisma, wodurch das farbige Bild ent - ſtand, ſo erſcheint es ihm nunmehr ſubjectiv farblos. Tritt er weiter zuruͤck, ſo faͤrbt es ſich im umgekehrten Sinne herabwaͤrts. Iſt man doppelt ſoweit zuruͤckge - treten, als das erſte Prisma von der Wand ſteht, ſo ſieht man mit freyem Auge das aufſtrebende, durch das zweyte Prisma aber das herabſtrebende umgekehrte gleich ſtark gefaͤrbte Bild; woraus ſoviel abermals erhellt, daß jenes erſte Bild an der Wand keinesweges ein fertiges, im Ganzen und in ſeinen Theilen unveraͤnderliches We - ſen ſey, ſondern daß es ſeiner Natur nach zwar be - ſtimmt, aber doch wieder beſtimmbar und zwar bis zum Gegenſatz beſtimmbar, gefunden werde.
Was nun von dem ganzen Bilde gilt, das gilt auch von ſeinen Theilen. Man faſſe das ganze Bild, ehe es zur gedachten Tafel gelangt, mit einer durchloͤ - cherten Zwiſchentafel auf, und man ſtelle ſich ſo, daß man zugleich das ganze Bild auf der Zwiſchentafel und die einzelnen verſchiedenfarbigen Bilder auf der Haupt - tafel ſehen koͤnne. Nun beginne man den vorigen Ver - ſuch. Man trete ganz nahe zur Haupttafel und betrachte durchs horizontale Prisma die vereinzelt uͤbereinander ſtehenden farbigen Bilder; man wird ſie, nach Verhaͤlt -440 niß der Naͤhe, nur wenig vom Platze geruͤckt finden. Man entferne ſich nunmehr nach und nach, und man wird mit Bewunderung ſehen, daß das rothe Bild ſich nur inſofern verruͤckt, als die Tafel verruͤckt ſcheint, daß ſich hingegen die obern Bilder, das violette, blaue, gruͤne, nach und nach herab gegen das rothe ziehen und ſich mit dieſem verbinden, welches denn zugleich ſeine Farbe, doch nicht voͤllig, verliert und als ein ziemlich rundes einzelnes Bild daſteht.
Betrachtet man nun, was indeſſen auf der Zwiſchen - tafel vorgegangen, ſo ſieht man, daß ſich das verlaͤn - gerte farbige Bild fuͤr das Auge gleichfalls zuſammen - gezogen, daß der violette Saum ſcheinbar die Oeffnung verlaſſen, vor welcher dieſe Farbe ſonſt ſchwebte, daß die blaue, gruͤne, gelbe Farbe gleichfalls verſchwunden, daß die rothe zuletzt auch voͤllig aufgehoben iſt, und fuͤrs Auge nur ein weißes Bild auf der Zwiſchentafel ſteht. Entfernt man ſich noch weiter, ſo faͤrbt ſich die - ſes weiße Bild umgekehrt, wie ſchon weitlaͤuftig aus - gefuͤhrt worden (143.).
Man beobachte nun aber, was auf der Hauptta - fel geſchieht. Das einzige, dort uͤbrige, noch etwas roͤthliche Bild faͤngt nun auch an, ſich am obern Theile ſtark roth, am untern blau und violett zu faͤrben. Bey dieſer Umkehrung vermoͤgen die verſchwundenen Bilder441 des obern Theils nicht ſich einzeln wiederherzuſtellen. Die Faͤrbung geſchieht an dem einzig uͤbrig geblie - benen untern Theil, an der Baſe, an dem Kern des Ganzen.
Wer dieſe ſich einander entſprechenden Verſuche genau kennt, der wird ſogleich einſehen, was es fuͤr eine Bewandniß mit den zwey horizontal nebeneinan - der gebrachten Bildern (140.) und deren Verru - ckung habe, und warum ſich das Violette von der Linie des Rothen entfernen muͤſſen, ohne deßhalb eine diverſe Refrangibilitaͤt zu beweiſen. Denn wie alles dasjenige, was vom ganzen Bilde gilt, auch von den einzelnen Theilen gelten muß, ſo gilt von zwey Bildern neben - einander und von ihren Theilen eben daſſelbe; welches wir nun durch Darſtellung und Entwickelung der Newtoniſchen Vorrichtung noch umſtaͤndlicher und un - widerſprechlicher zeigen wollen.
Man ſtelle einen ſchmalen, etwa fingerbreiten Streifen weiß Papier, quer uͤber einen Rahmen befeſtigt, in der dunklen Kammer dergeſtalt auf, daß er einen dunklen Hintergrund habe, und laſſe nun von zwey nebeneinander geſtellten Prismen, von einem die rothe Farbe, vom andern die violette oder auch wohl blaue auf dieſen Streifen fallen; man nehme alsdann das Prisma vors Auge und ſehe nach dieſem Streifen: das Rothe wird an demſelben verharren, ſich mit dem442 Streifen verrucken und nur noch feuriger roth wer - den. Das Violette hingegen wird das Papier verlaſſen und als ein geiſtiger, jedoch ſehr deutlicher Streif, tie - fer unten, uͤber der Finſterniß ſchweben. Abermals eine ſehr empfehlenswerthe Erſcheinung fuͤr diejenigen, welche die Newtoniſche Taſchenſpielerey fortzuſetzen ge - denken; hoͤchlich bewundernswerth fuͤr die Schuͤler in der Laufbank.
Aber damit man vom Staunen zum Schauen uͤber - gehen moͤge, geben wir folgende Vorrichtung an. Man mache den gedachten Streifen nicht ſehr lang, nicht laͤnger, als daß beyde Bildertheile jedes zur Haͤlfte darauf Platz haben. Man mache die Wangen des Rahmens, an die man den Streifen befeſtigt, etwas breit, ſo daß die andre Haͤlfte der Bilder, der Laͤnge nach getheilt, darauf erſcheinen koͤnne. Man ſieht nun alſo beyde Bilder zugleich, mit allen ihren Schattirun - gen, das eine hoͤher, das andre tiefer, zu beyden Sei - ten des Rahmens. Man ſieht nun auch einzelne Theile nach Belieben, z. B. Gelbroth und Blauroth von beyden Seiten auf dem Papierſtreifen. Nun er - greife man jene Verſuchsweiſe. Man blicke durchs Prisma nach dieſer Vorrichtung; ſo wird man zugleich die Veraͤnderung der ganzen Bilder und die Veraͤnde - rung der Theile gewahr werden. Das hoͤhere Bild, welches dem Streifen die rothe Farbe mittheilt, zieht ſich zuſammen, ohne daß das Rothe ſeine Stelle auf dem Rahmen, ohne daß die rothe Farbe den Strei -443 ſen verlaſſe. Das niedrigere Bild aber, welches die violette Farbe dem Streifen mittheilt, kann ſich nicht zuſammenziehen, ohne daß das Violette ſeine Stelle auf dem Rahmen und folglich auch auf dem Papier ver - laſſe. Auf dem Rahmen wird man ſein Verhaͤltniß zu den uͤbrigen Farben noch immer erblicken, neben dem Rahmen aber wird der vom Papier ſich herunterbewe - gende Theil wie in der Luft zu ſchweben ſcheinen. Denn die hinter ihm liegende Finſterniß iſt fuͤr ihn eben ſo gut eine Tafel, als es der Rahmen fuͤr das auf ihn geworfene und auf ihm ſich veraͤndernde objective Bild iſt. Daß dem alſo ſey, kann man daraus aufs genau - ſte erkennen, daß der herabſchwebende iſolirte Farben - ſtreif immer mit ſeiner gleichen Farbe im halben Spec - trum an der Seite Schritt haͤlt, mit ihr horizontal ſteht, mit ihr ſich herabzieht und endlich, wenn jene verſchwunden iſt, auch verſchwindet. Wir werden die - ſer Vorrichtung und Erſcheinung eine Figur auf unſrer zwoͤlften Tafel widmen, und ſo wird demjenigen, der nach uns experimentiren, nach uns die Sache genau be - trachten und uͤberlegen will, wohl kein Zweifel uͤbrig bleiben, daß dasjenige was wir behaupten das Wah - re ſey.
Sind wir ſo weit gelangt, ſo werden wir nun auch diejenigen Verſuche einzuſehen und einzuordnen wiſſen, welche Newton ſeinem ſiebenten Verſuche, ohne ihnen jedoch eine Zahl zu geben, hinzufuͤgt. Doch wol - len wir ſelbige ſorgfaͤltig bearbeiten und ſie zu Be -444 quemlichkeit kuͤnftigen Allegirens mit Nummern ver - ſehen.
Man erinnere ſich vor allen Dingen jenes fuͤnften Verſuches, bey welchem zwey uͤbers Kreuz gehaltene Prismen dem Spectrum einen Buͤckling abzwangen; wodurch die diverſe Refrangibilitaͤt der verſchiedenen Strahlen erwieſen werden ſollte, wodurch aber nach uns bloß ein allgemeines Naturgeſetz, die Wirkung in der Diagonale bey zwey gleichen im rechten Winkel anregenden Kraͤften, ausgeſprochen wird.
Gedachten Verſuch koͤnnen wir nun gleichfalls durch Verbindung des Subjectiven mit dem Objectiven anſtellen und geben folgende Vorrichtung dazu an, welche ſo wohl dieſes als die nachſtehenden Experi - mente erleichtert. Man werfe zuerſt durch ein verti - cal ſtehendes Prisma das verlaͤngerte Sonnenbild ſeit - waͤrts auf die Tafel, ſo daß die Farben horizontal ne - beneinander zu ſtehen kommen; man halte nunmehr das zweyte Prisma horizontal wie gewoͤhnlich vor die Augen: ſo wird, indem das rothe Ende des Bildes an ſeinem Platze verharrt, die violette Spitze ihren Ort auf der Tafel ſcheinbar verlaſſen und ſich in der Dia - gonale herunterneigen. Alſo vorbereitet, ſchreite man zu den zwey von Newton vorgeſchlagenen Verſuchen.
VII a. Jenem von uns angegebenen vertikalen Prisma, fuͤge man ein andres gleichfalls verticales hinzu dergeſtalt, daß zwey laͤnglichte farbige Bilder in einer Reihe liegen. Dieſe beyden zuſammen betrachte man nun abermals durch ein horizontales Prisma; ſo werden ſie ſich beyde in der Diagonale neigen, dergeſtalt, daß das rothe Ende feſt ſteht und gleichſam die Axe iſt, worum ſich das Bild herumdreht; wodurch aber weiter nichts ausgeſprochen wird, als was wir ſchon wiſſen.
VII b. Aber eine Vermannigfaltigung des Verſuches iſt demungeachtet noch angenehm. Man ſtelle die beyden verticalen Prismen dergeſtalt, daß die Bilder uͤberein - ander fallen, jedoch im umgekehrten Sinne, ſo daß das gelbrothe des einen auf das violette des andern, und umgekehrt, falle; man betrachte nun durch das horizontale Prisma dieſe beyden fuͤrs nackte Auge ſich deckenden Bilder, und ſie werden ſich fuͤr das bewaff - nete nunmehr kreuzweiſe uͤbereinander neigen, weil je - des in ſeinem Sinn diagonal bewegt wird. Auch die - ſes iſt eigentlich nur ein curioſer Verſuch, denn es bleibt unter einer wenig verſchiedenen Bedingung im - mer daſſelbe, was wir gewahr werden. Mit den fol - genden beyden verhaͤlt es ſich eben ſo.
VII c. Man laͤſſe auf jenen weißen Papierſtreifen (148.) den rothen und violetten Theil der beyden prismati -446 ſchen farbigen Bilder aufeinander fallen; ſie werden ſich vermiſchen und eine Purpurfarbe hervorbringen. Nimmt man nunmehr ein Prisma vor die Augen, betrachtet dieſen Streifen, ſo wird das Violette ſich von dem Gelbrothen abloͤſen, herunter ſteigen, die Purpurfarbe verſchwinden, das Gelbrothe aber ſtehen zu bleiben ſchei - nen. Es iſt dieſes daſſelbige, was wir oben (149.) nebeneinander geſehen haben, und fuͤr uns kein Be - weis fuͤr die diverſe Refraction, ſondern nur fuͤr die Determinabilitaͤt des Farbenbildes.
VII d. Man ſtelle zwey kleine runde Papierſcheiben in geringer Entfernung nebeneinander, und werfe den gelbrothen Theil des Spectrums durch ein Prisma auf die eine Scheibe, den blaurothen auf die andre, der Grund dahinter ſey dunkel. Dieſe ſo erleuchteten Scheiben betrachte man durch ein Prisma, welches man dergeſtalt haͤlt, daß die Refraction ſich gegen den rothen Cirkel bewegt; je weiter man ſich entfernt, je naͤher ruͤckt das Violette zum Rothen hin, trifft endlich mit ihm zuſammen, und geht ſogar daruͤber hinaus. Auch dieſes Phaͤnomen wird Jemand, der mit dem bisher beſchriebenen Apparat umzugehn weiß, leicht hervorbringen und abzuleiten verſtehen.
Alle dieſe dem ſiebenten Verſuche angehaͤngte Ver - ſuche ſind, ſo wie der ſiebente ſelbſt, nur Variationen jenes ob - und ſubjectiven Hauptverſuches (E. 350 — 356.) Denn es iſt ganz einerley, ob ich das objectiv an die Wand geworfene prismatiſche Bild, im Ganzen oder447 theilweiſe, in ſich ſelbſt zuſammenziehe, oder ob ich ihm einen Buͤckling in der Diagonale abzwinge. Es iſt ganz einerley, ob ich dieß mit einem oder mit mehre - ren prismatiſchen objectiven Bildern thue, ob ich es mit den ganzen Bildern, oder mit den Theilen vor - nehme, ob ich ſie nebeneinander, uͤbereinander, ver - ſchraͤnkt oder ſich theilweiſe deckend, richte und ſchiebe: immer bleibt das Phaͤnomen eins und daſſelbe und ſpricht nichts weiter aus, als daß ich das in einem Sinn, z. B. aufwaͤrts, hervorgebrachte objective Bild, durch ſubjective, im entgegengeſetzten Sinn, z. B. her - abwaͤrts angewendete Refraction, zuſammenziehen, auf - heben und im Gegenſatze faͤrben kann.
Man ſieht alſo hieraus, wie ſich eigentlich die Theile des objectiv entſtandenen Farbenbildes zu ſubjec - tiven Verſuchen keinesweges gebrauchen laſſen, weil in ſolchem Falle, ſowohl die ganzen Erſcheinungen als die Theile derſelben veraͤndert werden, und nicht einen Augenblick dieſelbigen bleiben. Was bey ſolchen Ver - ſuchen fuͤr eine Complication obwalte, wollen wir durch ein Beyſpiel anzeigen, und etwas oben geaͤußertes da - durch weiter ausfuͤhren und voͤllig deutlich machen.
Wenn man jenen Papierſtreifen in der dunklen Kammer mit dem rothen Theile des Bildes erleuchtet, und ihn alsdann durch ein zweytes Prisma in ziemli -448 cher Naͤhe betrachtet; ſo verlaͤßt die Farbe das Papier nicht, vielmehr wird ſie an dem obern Rande ſehr viel lebhafter. Woher entſpringt aber dieſe lebhaftere Farbe? Blos daher, weil der Streifen nunmehr als ein helles rothes Bild winkt, welches durch die ſubjective Bre - chung oben einen gleichnamigen Rand gewinnt, und alſo erhoͤht an Farbe erſcheint. Ganz anders verhaͤlt ſichs, wenn der Streifen mit dem violetten Theile des Bildes erleuchtet wird. Durch die ſubjective Wirkung zieht ſich zwar die violette Farbe von dem Streifen weg, (148. 149. ) aber die Hellung bleibt ihm einigerma - ßen. Dadurch erſcheint er in der dunklen Kammer, wie ein weißer Streif auf ſchwarzem Grunde und faͤrbt ſich nach dem bekannten Geſetz, indeſſen das herabgeſunkene violette Schemen dem Auge gleichfalls ganz deutlich vorſchwebt. Hier iſt die Natur abermals durchaus con - ſequent, und wer unſern didactiſchen und polemiſchen Darſtellungen gefolgt iſt, wird hieran nicht wenig Ver - gnuͤgen finden. Ein Gleiches bemerkt man bey dem Verſuche VII d.
Eben ſo verhaͤlt es ſich in dem oben beſchriebe - nen Falle, (144) da wir die einzelnen uͤbereinan - der erſcheinenden farbigen Bilder ſubjectiv herabziehen. Die farbigen Schemen ſind es nur, die den Platz ver - laſſen, aber die Hellung, die ſie auf der weißen Tafel erregt haben, kann nicht aufgehoben werden. Dieſe farbloſen hellen zuruͤckbleibenden Bilder werden nunmehr nach den bekannten ſubjectiven Geſetzen gefaͤrbt und449 bringen dem, der mit dieſer Erſcheinung nicht bekannt iſt, eine ganz beſondere Confuſion in das Phaͤno - men.
Auf das vorhergehende, vorzuͤglich aber auf un - ſern hundert und fuͤnf und dreyßigſten Paragraph, be - zieht ſich ein Verſuch, den wir nachbringen. Man habe im Fenſterladen, horizontal nahe neben einander, zwey kleine runde Oeffnungen. Vor die eine ſchiebe man ein blaues, vor die andere ein gelbrothes Glas, wodurch die Sonne hereinſcheint. Man hat alſo hier wie dort (135) zwey verſchiedenfarbige Bilder neben einander. Nun faſſe man ſie mit einem Prisma auf und werfe ſie auf eine weiße Tafel. Hier werden ſie nicht ungleich in die Hoͤhe geruͤckt, ſondern ſie bleiben unten auf Einer Linie; aber genau beſehen ſind es zwey prismatiſche Bilder, welche unter dem Einfluß der verſchiedenen farbigen Glaͤſer ſtehen, und alſo in ſo fern veraͤndert ſind, wie es nach der Lehre der ſcheinbaren Miſchung und Mittheilung nothwendig iſt.
Das eine durch das gelbe Glas fallende Spectrum hat ſeinen obern violetten Schweif faſt gaͤnzlich eingebuͤßt; der untere gelbrothe Saum hingegen erſcheint mit ver - doppelter Lebhaftigkeit; das Gelbe der Mitte erhoͤht ſich auch zu einem Gelbrothen und der obere blaue Saum wird in einen gruͤnlichen verwandelt. Dagegen behaͤlt jenes durch das blaue Glas gehende SpectrumI. 29450ſeinen violetten Schweif voͤllig bey; das Blaue iſt deutlich und lebhaft; das Gruͤne zieht ſich herunter, und ſtatt des Gelbrothen erſcheint eine Art Purpur.
Stellt man die gedachten beyden Verſuche entwe - der neben einander, oder doch unmittelbar nach einan - der an; ſo uͤberzeugt man ſich, wie Unrecht Newton gehandelt habe, mit den beweglichen phyſiſchen Far - ben und den fixirten chemiſchen ohne Unterſchied zu operiren, da ſie doch ihrer verſchiedenen Natur nach ganz verſchiedene Reſultate hervorbringen muͤſſen, wie wir wohl hier nicht weiter auseinander zu ſetzen brauchen.
Auch jenen objectiv-ſubjectiven Verſuch (E. 350 — 354.) mit den eben gedachten beyden verſchiedenen pris - matiſchen Farbenbildern vorzunehmen, wird belehrend ſeyn. Man nehme wie dort das Prisma vor die Au - gen, betrachte die Spectra erſt nahe, dann entferne man ſich von ihnen nach und nach; ſie werden ſich beyde, beſonders das blaue, von oben herein zuſam - menziehen, das eine endlich ganz gelbroth, das an - dere ganz blau erſcheinen, und indem man ſich weiter entfernt, umgekehrt gefaͤrbt werden.
So moͤchte denn auch hier der Platz ſeyn, jener Vorrichtung abermals zu gedenken, welche wir ſchon451 fruͤher (E. 284.) beſchrieben haben. In einer Pappe ſind mehrere Quadrate farbigen Glaſes angebracht; man erhellet ſie durch das Sonnen -, auch nur durch das Tageslicht, und wir wollen hier genau anzeigen, was geſehen wird, wenn man an ihnen den ſubjecti - ven Verſuch macht, indem man ſie durch das Prisma betrachtet. Wir thun es um ſo mehr, als dieſe Vor - richtung kuͤnftig bey ſubjectiver Verruͤckung farbiger Bil - der den erſten Platz einnehmen, und mit einiger Veraͤn - derung und Zuſaͤtzen, beynahe allen uͤbrigen Apparat ent - behrlich machen wird.
Zuvoͤrderſt meſſe man jene Quadrate, welche aus der Pappe herausgeſchnitten werden ſollen, ſehr genau ab und uͤberzeuge ſich, daß ſie von einerley Groͤße ſind. Man bringe alsdann die farbigen Glaͤſer dahinter, ſtelle ſie gegen den grauen Himmel und betrachte ſie mit bloßem Auge. Das gelbe Quadrat als das hellſte wird am groͤßten erſcheinen. (E. 16.) Das gruͤne und blaue wird ihm nicht viel nachgeben, hingegen das gelbrothe und violette als die dunkelſten werden ſehr viel kleiner erſcheinen. Dieſe phyſiologiſche Wirkung der Farben, inſofern ſie heller oder dunkler ſind, nur beylaͤufig zu Ehren der großen Conſequenz natuͤrlicher Erſcheinungen.
Man nehme ſodann ein Prisma vor die Augen und betrachte dieſe nebeneinander geſtellten Bilder. Da29 *452ſie ſpecificirt und chemiſch fixirt ſind, ſo werden ſie nicht, wie jene des Spectrums, veraͤndert oder gar aufgehoben; ſondern ſie verharren in ihrer Natur und nur die beguͤnſtigende oder verkuͤmmernde Wirkung der Raͤnder findet ſtatt.
Obgleich jeder dieſe leichte Vorrichtung ſich ſelbſt anſchaffen wird, ob wir ſchon dieſer Phaͤnomene oͤf - ters gedacht haben; ſo beſchreiben wir ſie doch wegen eines beſondern Umſtands hier kuͤrzlich, aber genau. Am gelben Bilde ſieht man deutlich den obern hochrothen Rand, der gelbe Saum verliert ſich in der gelben Flaͤche; am untern Rande entſteht ein Gruͤn, doch ſieht man das Blaue ſo wie ein maͤßig herausſtrebendes Violett ganz deutlich. Beym gruͤnen iſt alles unge - faͤhr daſſelbige, nur matter, gedaͤmpfter, weniger Gelb, mehr Blau. Am blauen erſcheint der rothe Rand braͤunlich und ſtark abgeſetzt, der gelbe Saum macht eine Art von ſchmutzigem Gruͤn, der blaue Rand iſt ſehr beguͤnſtigt und erſcheint faſt in der Groͤße des Bildes ſelbſt. Er endigt in einen lebhaften violetten Saum. Dieſe drey Bilder, gelb, gruͤn und blau, ſchei - nen ſich ſtufenweiſe herabzuſenken und einem Unauf - merkſamen die Lehre der diverſen Refrangibilitaͤt zu beguͤnſtigen. Nun tritt aber die merkwuͤrdige Erſchei - nung des Violetten ein, welche wir ſchon oben (45) angedeutet haben. Verhaͤltnißmaͤßig zum Violetten iſt der gelbrothe Rand nicht widerſprechend: denn Gelb - roth und Blauroth bringen bey apparenten Farben453 Purpur hervor. Weil nun hier die Farbe des durch - ſcheinenden Glaſes auch auf einem hohen Grade von Reinheit ſteht, ſo verbindet ſie ſich mit dem an ihr entſpringenden gelbrothen Rand, es entſteht eine Art von braͤunlichem Purpur und das Violette bleibt mit ſeiner obern Graͤnze unverruckt, indeß der untere vio - lette Saum ſehr weit und lebhaft herabwaͤrts ſtrebt. Daß ferner das gelbrothe Bild an der obern Graͤnze beguͤnſtigt wird und alſo auf der Linie bleibt, verſteht ſich von ſelbſt, ſo wie daß an der untern, wegen des Wi - derſpruchs kein Blau und alſo auch kein daraus ent - ſpringendes Violett entſtehen kann, ſondern vielmehr etwas ſchmutziges daſelbſt zu ſehen iſt.
Will man dieſe Verſuche noch mehr vermannigfal - tigen, ſo nehme man farbige Fenſterſcheiben und klebe Bilder von Pappe auf dieſelben. Man ſtelle ſie gegen die Sonne, ſo daß dieſe Bilder dunkel auf farbigem Grund erſcheinen; und man wird die umgekehrten Raͤn - der, Saͤume und ihre Vermiſchung mit der Farbe des Glaſes abermals gewahr werden. Ja, man mag die Vorrichtung vermannigfaltigen ſo viel man will, ſo wird das Falſche jenes erſten Newtoniſchen Verſuchs und aller der uͤbrigen, die ſich auf ihn beziehen, dem Freunde des Wahren, Geraden und Folgerechten im - mer deutlicher werden.
Der Verfaſſer laͤßt das prismatiſche Bild auf ein ge - drucktes Blatt fallen, und wirft ſodann durch die Linſe des zweyten Experiments dieſe farbig erleuchtete Schrift auf eine weiße Tafel. Hier will er denn auch, wie dort, die Buchſtaben im blauen und violetten Licht naͤher an der Linſe, die im rothen aber weiter von der Linſe, deutlich geſehen haben. Der Schluß, den er daraus zieht, iſt uns ſchon be - kannt, und wie es mit dem Verſuche, welcher nur der zweyte, jedoch mit apparenten Farben, wiederholt iſt, beſchaffen ſeyn mag, kann ſich Jeder im Allgemeinen vorſtellen, dem jene Ausfuͤhrung gegenwaͤrtig geblie - ben. Allein es treten noch beſondere Umſtaͤnde hinzu, die es raͤthlich machen, auch den gegenwaͤrtigen Ver - ſuch genau durchzugehen, und zwar dabey in der Ord - nung zu verfahren, welche wir bey jenem zweyten der Sache gemaͤß gefunden; damit man voͤllig einſehe, in wiefern dieſe beyden Verſuche parallel gehen, und in wiefern ſie von einander abweichen.
1) Das Vorbild (54 — 57.) In dem gegen - waͤrtigen Falle ſtehen die Lettern der Druckſchrift an - ſtatt jener ſchwarzen Faͤden; und nicht einmal ſo vor - theilhaft: denn ſie ſind von den apparenten Farben mehr oder weniger uͤberlaſirt. Aber der von Newton455 hier wie dort vernachlaͤſſigte Hauptpunkt iſt dieſer: daß die verſchiedenen Farben des Spectrums an Hellung ungleich ſind. Denn das prismatiſche Sonnenbild zer - faͤllt in zwey Theile, in eine Tag - und Nachtſeite. Gelb und Gelbroth ſtehen auf der erſten, Blau und Blauroth auf der zweyten. Die unterliegende Druck - ſchrift iſt in der gelben Farbe am deutlichſten; im Gelbrothen weniger: denn dieſes iſt ſchon gedraͤngter und dunkler. Blauroth iſt durchſichtig, verduͤnnt, aber beleuchtet wenig. Blau iſt gedraͤngter, dichter, macht die Buchſtaben truͤber; oder vielmehr ſeine Truͤbe verwandelt die Schwaͤrze der Buchſtaben in ein ſchoͤnes Blau, deswegen ſie vom Grunde weniger ab - ſtechen. Und ſo erſcheint, nach Maßgabe ſo verſchie - dener Wirkungen, dieſe farbig beleuchtete Schrift, dieſes Vorbild, an verſchiedenen Stellen verſchieden deutlich.
Außer dieſen Maͤngeln des hervorgebrachten Bil - des iſt die Newtoniſche Vorrichtung in mehr als einem Sinne unbequem. Wir haben daher eine neue erſonnen, die in folgendem beſteht. Wir nehmen einen Rahmen, der zu unſerm Geſtelle (69) paßt, uͤberzie - hen denſelben mit Seidenpapier, worauf wir mit ſtarker Tuſche verſchiedene Zuͤge, Punkte und dergl. calligraphiſch anbringen, und ſodann den Grund mit feinem Oel durchſichtig machen. Dieſe Tafel kommt voͤllig an die Stelle des Vorbildes zum zweyten Ver - ſuche. Das prismatiſche Bild wird von hinten dar -456 auf geworfen, die Linſe iſt nach dem Zimmer zu ge - richtet und in gehoͤriger Entfernung ſteht die zweite Tafel, worauf die Abbildung geſchehen ſoll. Eine ſolche Vorrichtung hat große Bequemlichkeiten, indem ſie dieſen Verſuch dem zweyten gleichſtellt; auch ſogar darin, daß die Schattenſtriche rein ſchwarz daſtehen und nicht von den priſmatiſchen Farben uͤberlaſirt ſind.
Hier draͤngt ſich uns abermals auf, daß durchaus das experimentirende Verfahren Newtons deshalb tadel - haft iſt, weil er ſeinen Apparat mit auffallender Un - gleichheit einmal zufaͤllig ergreift, wie ihm irgend et - was zur Hand kommt, dann aber mit Complication und Ueberkuͤnſtelung nicht fertig werden kann.
Ferner iſt hier zu bemerken, daß Newton ſein Vorbild behandelt als waͤr’ es unveraͤnderlich, wie das Vorbild des zweyten Verſuchs, da es doch wan - delbar iſt. Natuͤrlicher Weiſe laͤßt ſich das hier auf der Ruͤckſeite des durchſichtigen Papiers erſcheinende Bild, durch ein entgegengeſetztes Prisma angeſehen, auf den Nullpunkt reduciren und ſodann voͤllig umkehren. Wie ſich durch Linſen das prismatiſche Bild veraͤndern laͤßt, erfahren wir kuͤnftig, und wir halten uns um ſo weniger bey dieſer Betrachtung auf, als wir zum Zwecke des gegenwaͤrtigen Verſuchs dieſes Bild einſt - weilen als ein fixes annehmen duͤrfen.
2) Die Beleuchtung (57.) Die apparenten Farben bringen ihr Licht mit; ſie haben es in und hinter ſich. Aber doch ſind die verſchiedenen Stellen des Bildes, nach der Natur der Farben, mehr oder weniger beleuchtet, und daher jenes Bild der uͤber - faͤrbten Druckſchrift hoͤchſt ungleich und mangelhaft. Ueberhaupt gehoͤrt dieſer Verſuch, ſo wie der zweyte, ins Fach der Camera obſcura. Man weiß, daß alle Gegenſtaͤnde, welche ſich in der dunklen Kammer ab - bilden ſollen, hoͤchſt erleuchtet ſeyn muͤſſen. Bey der Newtoniſchen, ſo wie bey unſerer Vorrichtung aber, iſt es keine Beleuchtung des Gegenſtandes, der Buch - ſtaben oder der Zuͤge, ſondern eine Beſchattung der - ſelben und zwar eine ungleiche; deshalb auch Buch - ſtaben und Zuͤge als ganze Schatten in helleren oder dunkleren Halbſchatten und Halblichtern ſich ungleich darſtellen muͤſſen. Doch hat auch in dieſem Betracht die neuere Vorrichtung große Vorzuͤge, wovon man ſich leicht uͤberzeugen kann.
3) Die Linſe (58 — 69.) Wir bedienen uns eben derſelben, womit wir den zweyten Verſuch an - ſtellten, wie uͤberhaupt des ganzen dort beſchriebenen Apparates.
4) Das Abbild (70 — 76.) Da nach der New - toniſchen Weiſe ſchon das Vorbild ſehr ungleich und458 undeutlich iſt, wie kann ein deutliches Abbild entſte - hen? Auch legt Newton, unſern angegebenen Beſtim - mungen gemaͤß, ein Bekenntniß ab, wodurch er, wie oͤfters geſchieht, das Reſultat ſeines Verſuches wieder aufhebt. Denn ob er gleich zu Anfang verſichert, er habe ſein Experiment im Sommer bey dem hellſten Sonnenſchein angeſtellt, ſo kommt er doch zuletzt mit einer Nachklage und Entſchuldigung, damit man ſich nicht wundern moͤge, wenn die Wiederholung des Verſuchs nicht ſonderlich gelaͤnge. Wir hoͤren ihn ſelbſt:
Das gefaͤrbte Licht des Prismas war aber doch noch ſehr zuſammengeſetzt, weil die Kreiſe, die ich in der zweyten Figur des fuͤnften Experiments beſchrieben habe, ſich in ein - ander ſchoben, und auch das Licht von glaͤnzenden Wolken, zunaͤchſt bey der Sonne, ſich mit dieſen Farben vermiſchte; ferner weil das Licht durch die Ungleichheiten in der Politur des Prismas unregelmaͤßig zerſplittert wurde. Um aller die - ſer Nebenumſtaͤnde willen war das farbige Licht, wie ich ſagte, noch ſo mannigfaltig zuſammengeſetzt, daß der Schein von jenen ſchwachen und dunklen Farben, dem Blauen und Violetten, der auf das Papier fiel, nicht ſo viel Deut - lichkeit gewaͤhrte, um eine gute Beobachtung zuzulaſſen.
Das Unheil ſolcher Reſervationen und Reſtrictionen geht durch das ganze Werk. Erſt verſichert der Ver - faſſer: er habe bey ſeinen Vorrichtungen die groͤßte Vorſicht gebraucht, die hellſten Tage abgewartet, die459 Kammer hermetiſch verfinſtert, die vortrefflichſten Prismen ausgewaͤhlt; und dann will er ſich hinter Zufaͤlligkeiten fluͤchten, daß Wolken vor der Sonne geſtanden, daß durch eine ſchlechte Politur das Prisma unſicher geworden ſey. Der homogenen nie zu homo - geniſirenden Lichter nicht zu gedenken, welche ſich ein - ander verwirren, verunreinigen, in einander greifen, ſich ſtoͤren und niemals das ſind noch werden koͤnnen, was ſie ſeyn ſollen. Mehr als einmal muß uns daher jener beruͤhmte theatraliſche Hetmann der Coſacken ein - fallen, welcher ſich ganz zum Newtonianer geſchickt haͤtte. Denn ihn wuͤrde es vortrefflich kleiden, mit großer Behaglichkeit auszurufen: wenn ich Zirkel ſage, ſo meyn’ ich eben, was nicht rund iſt; ſage ich gleich - artig, ſo heißt das immer noch zuſammengeſetzt; und ſag’ ich Weiß, ſo kann es fuͤrwahr nichts anders hei - ßen als ſchmutzig.
Betrachten wir nunmehr die Erſcheinung nach un - ſerer Anſtalt, ſo finden wir die ſchwarzen Zuͤge deutli - cher oder undeutlicher, nicht in Bezug auf die Farben, ſondern aufs Hellere oder Dunklere derſelben; und zwar ſind die Stufen der Deutlichkeit folgende: Gelb, Gruͤn, Blau, Gelbroth und Blauroth; da denn die beyden letztern, je mehr ſie ſich dem Rande, dem Dunklen naͤ - hern, die Zuͤge immer undeutlicher darſtellen.
Ferner iſt hierbey ein gewiſſer Bildpunct offenbar,460 in welchem, ſo wie auf der Flaͤche, die ihn parallel mit der Linſe durchſchneidet, die ſaͤmmtlichen Abbildun - gen am deutlichſten erſcheinen. Indeſſen kann man die Linſe von dem Vorbilde ab und zu dem Vorbilde zu - ruͤcken, ſo daß der Unterſchied beynahe einen Fuß be - traͤgt, ohne daß das Abbild merklicher undeutlich werde.
Innerhalb dieſes Raumes hat Newton operirt; und nichts iſt natuͤrlicher, als daß die von den helle - ren prismatiſchen Farben erleuchteten Zuͤge, auch da ſchon oder noch ſichtbar ſind, wenn die von den dunk - leren Farben erleuchteten, oder vielmehr beſchatteten Zuͤge verſchwinden. Daß aber, wie Newton behaup - tet, die von den Farben der Tagſeite beleuchteten Buchſtaben alsdann undeutlich werden, wenn die von der Nachtſeite her beſchienenen deutlich zu ſehen ſind, iſt ein fuͤr allemal nicht wahr, ſo wenig wie beym zweyten Experimente, und alles, was Newton daher behaupten will, faͤllt zuſammen.
5) Die Folgerung. Gegen dieſe bleibt uns, nach allem dem was bisher ausgefuͤhrt und dargethan worden, weiter nichts zu wirken uͤbrig.
Ehe wir aber uns aus der Gegend dieſer Verſuche entfernen, ſo wollen wir noch einiger andern erwaͤh -461 nen, die wir bey dieſer Gelegenheit anzuſtellen veran - laßt worden. Das zweyte Experiment ſo energiſch als moͤglich darzuſtellen, brachten wir verſchiedenfar - bige von hinten wohl erleuchtete Scheiben an die Stelle des Vorbildes, und fanden, was voraus zu ſehen war, daß ſich die durch ausgeſchnittene Pappe oder ſonſt auf denſelben abzeichnenden dunklen Bilder auch nur nach der verſchiedenen Helle oder Dunkelheit des Grundes mehr oder weniger auszeichneten. Dieſer Verſuch fuͤhrte uns auf den Gedanken, gemalte Fenſterſcheiben an die Stelle des Vorbildes zu ſetzen, und alles fand ſich einmal wie das andremal.
Hievon war der Uebergang zur Zauberlaterne ganz natuͤrlich, deren Erſcheinungen mit dem zweyten und achten Verſuche Newtons im Weſentlichen zuſammen - treffen; uͤberall ſpricht ſich die Wahrheit der Natur und unſerer naturgemaͤßen Darſtellung, ſo wie das Falſche der Newtoniſchen verkuͤnſtelten Vorſtellungsart, energiſch aus.
Nicht weniger ergriffen wir die Gelegenheit in ei - ner portativen Camera obſcura an einem Feſttage, bey dem hellſten Sonnenſchein, die buntgeputzten Leute auf dem Spaziergange anzuſehen. Alle nebeneinander ſich befindenden variegirten Kleider waren deutlich, ſobald die Perſonen in den Bildpunct oder in ſeine Region kamen; alle Muſter zeigten ſich genau, es mochte462 bloß Hell und Dunkel, oder beydes mit Farbe, oder Farbe mit Farbe wechſeln. Wir koͤnnen alſo hier abermals kuͤhn wiederholen, daß alles natuͤrliche und kuͤnſtliche Sehen unmoͤglich waͤre, wenn die Newioni - ſche Lehre wahr ſeyn ſollte.
Der Hauptirrthum, deſſen Beweis man durch den achten ſo wie durch die zwey erſten Verſuche erzwingen will, iſt der: daß man farbigen Flaͤchen, Farben, wenn ſie als Maſſen im Malerſinne erſcheinen und wirken, eine Eigenſchaft zuſchreiben moͤchte, vermoͤge welcher ſie, nach der Refraction, fruͤher oder ſpaͤter in irgend einem Bildpunct anlangen; da es doch kei - nen Bildpunct ohne Bild gibt, und die Aberration, die bey Verruͤckung des Bildes durch Brechung ſich zeigt, bloß an den Raͤndern vorgeht, die Mitte des Bildes hingegen nur in einem aͤußerſten Falle afficirt wird. Die diverſe Refrangibilitaͤt iſt alſo ein Maͤhr - chen. Wahr aber iſt, daß Refraction auf ein Bild nicht rein wirkt, ſondern ein Doppelbild hervorbringt, deſſen Eigenſchaft wir in unſerm Entwurf genugſam klar gemacht haben.
Da wir nunmehr auf einen Punct unſerer polemi - ſchen Wanderung gekommen ſind, wo es vortheilhaft ſeyn moͤchte, ſtill zu ſtehen, und ſich umzuſchauen nach dem Weg, welchen wir zuruͤckgelegt haben; ſo wollen wir das bisherige zuſammenfaſſen und mit wenigen Worten die Reſultate darſtellen.
Newtons bekannte, von andern und uns bis zum Ueberdruß wiederholte Lehre ſoll durch jene acht Ver - ſuche bewieſen ſeyn. Und gewiß, was zu thun war, hat er gethan: denn im folgenden findet ſich wenig Neues; vielmehr ſucht er nur von andern Seiten her ſeine Argumente zu bekraͤftigen. Er vermannigfal - tigt die Experimente und noͤthigt ihnen immer neue Bedingungen auf. Aus dem ſchon Abgehandelten zieht er Folgerungen, ja er geht polemiſch gegen An - dersgeſinnte zu Werke. Doch immer dreht er ſich nur in einem engen Kreiſe und ſtellt ſeinen kuͤmmerlichen Hausrath bald ſo, bald ſo zurechte. Kennen wir den Werth der hinter uns liegenden acht Experimente, ſo iſt uns in dem Folgenden weniges mehr fremd. Daher kommt es auch, daß die Ueberlieferung der Newtoni -464 ſchen Lehre in den Compendien unſerer Experimental - phyſik ſo laconiſch vorgetragen werden konnte. Mehr gedachte Verſuche gehen wir nun einzeln durch.
In dem dritten Verſuche wird das Hauptphaͤno - men, das prismatiſche Spectrum, unrichtig als Scale dargeſtellt; da es urſpruͤnglich aus einem Entgegenge - ſetzten, das ſich erſt ſpaͤter vereinigt, beſteht. Der vierte Verſuch zeigt uns eben dieſe Erſcheinung ſubjec - tiv, ohne daß wir mit ihrer Natur tiefer bekannt wuͤr - den. Im fuͤnften neigt ſich gedachtes Bild durch wie - derholte Refraction etwas verlaͤngert zur Seite. Wo - her dieſe Neigung in der Diagonale ſo wie die Ver - laͤngerung ſich herſchreibe, wird von uns umſtaͤndlich dargethan.
Der ſechſte Verſuch iſt das ſogenannte Experimen - tum Crucis, und hier iſt wohl der Ort anzuzeigen, was eigentlich durch dieſen Ausdruck gemeynt ſey. Crux bedeutet hier einen in Kreuzesform an der Land - ſtraße ſtehenden Wegweiſer, und dieſer Verſuch ſoll alſo fuͤr einen ſolchen gelten, der uns vor allem Irr - thum bewahrt und unmittelbar auf das Ziel hindeutet. Wie es mit ihm beſchaffen, wiſſen diejenigen, die unſe - rer Ausfuͤhrung gefolgt ſind. Eigentlich gerathen wir dadurch ganz ins Stecken und werden um nichts wei - ter gebracht, nicht einmal weiter gewieſen. Denn im Grunde iſt es nur ein Idem per Idem. Refrangirt465 man das ganze prismatiſche Bild in derſelben Richtung zum zweytenmal, ſo verlaͤngert es ſich, wobey aber die verſchiedenen Farben ihre vorigen Entfernungen nicht behalten. Was auf dieſe Weiſe am Ganzen ge - ſchieht, geſchieht auch an den Theilen. Im Ganzen ruckt das Violette viel weiter vor als das Rothe, und eben daſſelbe thut das abgeſonderte Violette. Dieß iſt das Wort des Raͤthſels, auf deſſen falſche Aufloͤſung man ſich bisher ſo viel zu gute gethan hat. In dem ſiebenten Verſuche werden aͤhnliche ſubjective Wirkun - gen gezeigt und von uns auf ihre wahren Elemente zuruͤckgefuͤhrt.
Hatte ſich nun der Verfaſſer bis dahin beſchaͤftigt, die farbigen Lichter aus dem Sonnenlichte herauszu - zwingen; ſo war ſchon fruͤher eingeleitet, daß auch koͤrperliche Farben eigentlich ſolche farbige Lichttheile von ſich ſchicken. Hiezu war der erſte Verſuch be - ſtimmt, der eine ſcheinbare Verſchiedenheit in Verru - ckung bunter Quadrate auf dunklem Grund vors Auge brachte. Das wahre Verhaͤltniß haben wir umſtaͤnd - lich gezeigt, und gewieſen, daß hier nur die Wirkung der prismatiſchen Raͤnder und Saͤume an den Graͤn - zen der Bilder die Urſache der Erſcheinung ſey.
Im zweyten Verſuche wurden auf gedachten bun - ten Flaͤchen kleinere Bilder angebracht, welche, durch eine Linſe auf eine weiße Tafel geworfen, ihre Um -I. 30466riſſe fruͤher oder ſpaͤter daſelbſt genauer bezeichnen ſoll - ten. Auch hier haben wir das wahre Verhaͤltniß um - ſtaͤndlich auseinander geſetzt, ſo wie bey dem achten Verſuch, welcher, mit prismatiſchen Farben angeſtellt, dem zweyten zu Huͤlfe kommen und ihn außer Zweifel ſetzen ſollte. Und ſo glauben wir durchaus das Ver - faͤngliche und Falſche der Verſuche, ſo wie die Nich - tigkeit der Folgerungen, enthuͤllt zu haben.
Um zu dieſem Zwecke zu gelangen, haben wir immerfort auf unſern Entwurf hingewieſen, wo die Phaͤnomene in naturgemaͤßerer Ordnung aufgefuͤhrt ſind. Ferner bemerkten wir genau, wo Newton etwas Unvorbereitetes einfuͤhrt, um den Leſer zu uͤberraſchen. Nicht weniger ſuchten wir zugleich die Verſuche zu ver - einfachen und zu vermannigfaltigen, damit man ſie von der rechten Seite und von vielen Seiten ſehen moͤge, um ſie durchaus beurtheilen zu koͤnnen. Was wir ſonſt noch gethan und geleiſtet, um zu unſerm Endzweck zu gelangen, daruͤber wird uns der guͤn - ſtige Leſer und Theilnehmer ſelbſt das Zeugniß geben.
Nachdem der Verfaſſer uns genugſam uͤberzeugt zu haben glaubt, daß unſer weißes reines einfaches helles Licht aus verſchiedenen farbigen dunklen Lich - tern insgeheim gemiſcht ſey, und dieſe innerlichen Theile durch Refraction hervorgenoͤthigt zu haben waͤhnt; ſo denkt er nach, ob nicht auch noch auf andere Weiſe dieſe Operation gluͤcken moͤchte, ob man nicht durch andere verwandte Bedingungen das Licht noͤthigen koͤnne, ſeinen Buſen aufzuſchließen.
Der Refraction iſt die Reflexion nahe verwandt, ſo daß die erſte nicht ohne die letzte vorkommen kann. Warum ſollte Reflexion, die ſonſt ſo maͤchtig iſt, nicht auch dießmal auf das unſchuldige Licht ihre Gewalt ausuͤben? Wir haben eine diverſe Refrangibilitaͤt, es waͤre doch ſchoͤn, wenn wir auch eine diverſe Reflexibi - litaͤt haͤtten. Und wer weiß, was ſich nicht noch alles fernerhin daran anſchließen laͤßt. Daß nun dem Ver - faſſer der Beweis durch Verſuche, wozu er ſich nun - mehr anſchickt, vor den Augen eines gewarnten Beob -30 *468achters eben ſo wenig als ſeine bisherigen Beweiſe gelingen werde, laͤßt ſich voraus ſehen; und wir wol - len von unſerer Seite zur Aufklaͤrung dieſes Fehlgriffs das moͤglichſte beytragen.
Wie der Verfaſſer hierbey zu Werke geht, erſu - chen wir unſere Leſer in der Optik ſelbſt nachzuſehen: denn wir gedenken, anſtatt uns mit ihm einzulaſſen, anſtatt ihm zu folgen und ihn Schritt vor Schritt zu widerlegen, uns auf eigenem Wege um die wahre Darſtellung des Phaͤnomens zu bemuͤhen. Wir haben zu dieſem Zweck auf unſerer achten Tafel die ein und zwanzigſte Figur der vierten Newtoniſchen Tafel zum Grunde gelegt, jedoch eine naturgemaͤßere Abbildung lineariſch ausgedruckt, auch zu beſſerer Ableitung des Phaͤnomens die Figur fuͤnfmal nach ihren ſteigenden Verhaͤltniſſen wiederholt, wodurch die in dem Verſuch vorgeſchriebene Bewegung gewiſſermaßen vor Augen ge - bracht, und was eigentlich vorgehe dem Beſchauenden offenbar wird. Uebrigens haben wir zur leichtern Ueber - ſicht des Ganzen die Buchſtaben der Newtoniſchen Ta - feln beybehalten, ſo daß eine Vergleichung ſich be - quem anſtellen laͤßt. Wir beziehen uns hierbey auf469 die Erlaͤuterung unſerer Kupfertafeln, wo wir noch manches, uͤber die Unzulaͤnglichkeit und Verfaͤnglich - keit der Newtoniſchen Figuren uͤberhaupt, beyzubringen gedenken.
Man nehme nunmehr unſere achte Tafel vor ſich und betrachte die erſte Figur. Bey F trete das Son - nenbild in die finſtre Kammer, gehe durch das recht - winklichte Prisma ABC bis auf deſſen Baſe M, von da an gehe es weiter durch, werde gebrochen, ge - faͤrbt und male ſich, auf die uns bekannte Weiſe, auf einer unterliegenden Tafel als ein laͤngliches Bild GH. Bey dieſer erſten Figur erfahren wir weiter nichts, als was uns ſchon lange bekannt iſt.
In der zweyten Figur trete das Sonnenbild gleich - falls bey F in die dunkle Kammer, gehe in das recht - winklichte Prisma ABC, und ſpiegle ſich auf deſſen Bo - den M dergeſtalt ab, daß es durch die Seite AC her - aus nach einer unterliegenden Tafel gehe, und daſelbſt das runde und farbloſe Bild N aufwerfe. Dieſes runde Bild iſt zwar ein abgeleitetes aber ein voͤllig un - veraͤndertes; es hat noch keine Determination zu ir - gend einer Farbe erlitten.
Man laſſe nun, wie die dritte Figur zeigt, die - ſes Bild N auf ein zweytes Prisma VXY fallen, ſo470 wird es beym Durchgehen eben das leiſten, was ein originaͤres oder von jedem Spiegel zuruͤckgeworfenes Bild leiſtet; es wird nehmlich, nach der uns genug - ſam bekannten Weiſe, auf der entgegengeſtellten Tafel das laͤngliche gefaͤrbte Bild p t abmalen.
Man laſſe nun, nach unſrer vierten Figur, den Apparat des erſten Prismas durchaus wie bey den drey erſten Faͤllen, und faſſe mit einem zweyten Prisma VXY auf eine behutſame Weiſe nur den obern Rand des Bildes N auf; ſo wird ſich zuerſt auf der entgegen - geſetzten Tafel der obere Rand p des Bildes p t blau und violett zeigen, dahingegen der untere t ſich erſt etwas ſpaͤter ſehen laͤßt, nur dann erſt, wenn man das ganze Bild N durch das Prisma VXY aufgefaßt hat. Daß man eben dieſen Verſuch mit einem directen oder von einem Planſpiegel abgeſpiegelten Sonnenbilde ma - chen koͤnne, verſteht ſich von ſelbſt.
Der grobe Irrthum, den hier der Verfaſſer be - geht, iſt der, daß er ſich und die Seinigen uͤberredet, das bunte Bild GH der erſten Figur habe mit dem farbloſen Bilde N der zweyten, dritten und vierten Fi - gur den innigſten Zuſammenhang, da doch auch nicht der mindeſte ſtatt findet. Denn wenn das bey der erſten Figur in M anlangende Sonnenbild durch die Seite BC hindurchgeht und nach der Refraction in GH gefaͤrbt wird; ſo iſt dieſes ein ganz anderes Bild471 als jenes, das in der zweyten Figur von der Stelle M nach N zuruͤckgeworfen wird und farblos bleibt, bis es, wie uns die dritte Figur uͤberzeugt, in p t auf der Tafel, bloß als kaͤme es von einem directen Lichte, durch das zweyte Prisma gefaͤrbt abgebildet wird.
Bringt man nun, wie in der vierten Figur ge - zeichnet iſt, ein Prisma ſehr ſchief in einen Theil des Bildes (200); ſo geſchieht daſſelbe, was Newton durch eine langſame Drehung des erſten Prismas um ſeine Axe bewirkt: eine von den ſcheinbaren Feinhei - ten und Accurateſſen unſeres Experimentators.
Denn wie wenig das Bild, das bey M durchgeht und auf der Tafel das Bild GH bildet, mit dem Bilde, das bey M zuruͤckgeworfen und farblos bey N abgebil - det wird, gemein habe, wird nun Jedermann deut - lich ſeyn. Allein noch auffallender iſt es, wenn man bey der fuͤnften Figur den Gang der Linien verfolgt. Man wird alsdann ſehen, daß da, wo das Bild M nach der Refraction den gelben und gelbrothen Rand G erzeugt, das Bild N nach der Refraction den vio - letten p erzeuge; und umgekehrt, wo das Bild M den blauen und blaurothen Rand H erzeugt, das Bild N, wenn es die Refraction durchgegangen, den gelben und gelbrothen Rand t erzeuge: welches ganz natuͤrlich iſt, da einmal das Sonnenbild F in dem erſten Prisma herunterwaͤrts und das abgeleitete Bild472 M in N hinaufwaͤrts gebrochen wird. Es iſt alſo nichts als die alte, uns bis zum Ueberdruß bekannte Regel, die ſich hier wiederholt und welche nur durch die Newtoniſchen Subtilitaͤten, Verworrenheiten und falſchen Darſtellungen dem Beobachter und Denker aus den Augen geruͤckt wird. Denn die Newtoniſche Dar - ſtellung auf ſeiner vierten Tafel Figur 21. giebt bloß das Bild mit einer einfachen Linie an, weil der Ver - faſſer, wie es ihm beliebt, bald vom Sonnenbild, bald vom Licht, bald vom Strahle redet; und ge - rade im gegenwaͤrtigen Falle iſt es hoͤchſt bedeutend, wie wir oben bey der vierten Figur unſerer achten Tafel gezeigt haben, die Erſcheinung als Bild, als einen gewiſſen Raum einnehmend, zu betrachten. Es wuͤrde leicht ſeyn, eine gewiſſe Vorrichtung zu machen, wo alles das erforderliche auf einem Geſtelle fixirt bey - ſammen ſtuͤnde; welches noͤthig iſt, damit man durch eine ſachte Wendung das Phaͤnomen hervorbringen, und das Verfaͤngliche und Unzulaͤngliche des Newtoni - ſchen Verſuchs dem Freunde der Wahrheit vor Augen ſtellen koͤnne.
Auch hier waͤre es Noth, daß man einige Figu - ren und mehrere Blaͤtter Widerlegung einem Verſuch473 widmete, der mit dem vorigen in genauem Zuſammen - hang ſteht. Aber es wird nun Zeit, daß wir dem Leſer ſelbſt etwas zutrauen, daß wir ihm die Freude goͤnnen, jene Verworrenheiten ſelbſt zu entwickeln. Wir uͤbergeben ihm daher Newtons Text und die da - ſelbſt angefuͤhrte Figur. Er wird eine umſtaͤndliche Darſtellung, eine Illuſtration, ein Scholion finden, welche zuſammen weiter nichts leiſten, als daß ſie den neunten Verſuch mit mehr Bedingungen und Umſtaͤnd - lichkeiten belaſten, den Hauptpunct unfaßlicher machen, keinesweges aber einen beſſern Beweis gruͤnden.
Dasjenige worauf hierbey alles ankommt, haben wir ſchon umſtaͤndlich herausgeſetzt (201), und wir duͤrfen alſo hier dem Beobachter, dem Beurtheiler nur kuͤrzlich zur Pflicht machen, daran feſtzuhalten, daß die beyden prismatiſchen Bilder, wovon das eine nach der Spiegelung, das andere nach dem Durch - gang durch das Mittel hervorgebracht wird, in keiner Verbindung, in keinem Verhaͤltniß zuſammen ſtehen, jedes vielmehr fuͤr ſich betrachtet werden muß, jedes fuͤr ſich entſpringt, jedes fuͤr ſich aufgehoben wird; ſo daß alle Beziehung unter einander, von welcher uns Newton ſo gern uͤberreden moͤchte, als ein leerer Wahn, als ein beliebiges Maͤhrchen anzuſehen iſt.
Wenn wir es von unſerer Seite fuͤr noͤthig und vortheilhaft hielten, nach den acht erſten Verſuchen eine Ueberſicht derſelben zu veranlaſſen, ſo thut New - ton daſſelbige auf ſeine Weiſe, nach dem zehnten; und indem wir ihn hier zu beobachten alle Urſache ha - ben, finden wir uns in dem Falle, unſern Widerſpruch abermals zu articuliren. In einem hoͤchſt verwickelten Perioden draͤngt er das nicht Zuſammengehoͤrende neben und uͤbereinander dergeſtalt, daß man nur mit inner - ſter Kenntniß ſeines bisherigen Verfahrens und mit genaueſter Aufmerkſamkeit dieſer Schlinge entgehen kann, die er hier, nachdem er ſie lange zurecht gelegt, endlich zuſammenzieht. Wir erſuchen daher unſere Le - ſer dasjenige nochmals mit Geduld in anderer Verbin - dung anzuhoͤren, was ſchon oͤfter vorgetragen worden: denn es iſt kein ander Mittel, ſeinen bis zum Ueber - druß wiederholten Irrthum zu vertilgen, als daß man das Wahre gleichfalls bis zum Ueberdruß wiederhole.
Findet man nun bey allen dieſen mannigfaltigen Experi - menten, man mache den Verſuch mit reflectirtem Licht, und475 zwar ſowohl mit ſolchem, das von natuͤrlichen Koͤrpern (Exper. 1. 2. ) als auch mit ſolchem, das von ſpiegelnden (Exper. 9.) zuruͤckſtrahlt;
Hier bringt Newton unter der Rubrik des reflec - tirten Lichtes Verſuche zuſammen, welche nichts ge - mein mit einander haben, weil es ihm darum zu thun iſt, die Reflexion in gleiche Wuͤrde und Wirkung mit der Refraction, was Farbenhervorbringen betrifft, zu ſetzen. Das ſpiegelnde Bild im neunten Experiment wirkt nicht anders als ein directes, und ſein Spiegeln hat mit Hervorbringung der Farbe gar nichts zu thun. Die natuͤrlichen gefaͤrbten Koͤrper des erſten und zwey - ten Experiments hingegen kommen auf eine ganz an - dere Weiſe in Betracht. Ihre Oberflaͤchen ſind ſpeci - ficirt, die Farbe iſt an ihnen fixirt, das daher re - flectirende Licht macht dieſe ihre Eigenſchaften ſichtbar, und man will nur, wie auch ſchon fruͤher geſchehen, durch das Spiel der Terminologie, hier abermals an - deuten, daß von den natuͤrlichen Koͤrpern farbige Lich - ter, aus dem farbloſen Hauptlicht durch gewiſſe Eigen - ſchaften der Oberflaͤche herausgelockte Lichter, reflectiren, welche ſodann eine diverſe Refraction erdulden ſollen. Wir wiſſen aber beſſer, wie es mit dieſem Phaͤnomen ſteht, und die drey hier angefuͤhrten Experimente im - poniren uns weder in ihrer einzelnen falſchen Darſtel - lung, noch in ihrer gegenwaͤrtigen erzwungenen Zu - ſammenſtellung.
Oder man mache denſelben mit gebrochenem Licht, es ſey nun bevor die ungleich gebrochenen Strahlen durch Diver - genz von einander abgeſondert ſind, bevor ſie noch die Weiße, welche aus ihrer Zuſammenſetzung entſpringt, verloren haben, alſo bevor ſie noch einzeln, als einzelne Farben erſcheinen (Experiment 5.);
Bey dieſer Gelegenheit kommen uns die Num - mern unſerer Paragraphen ſehr gut zu ſtatten: denn es wuͤrde Schwierigkeit haben, am fuͤnften Verſuche das was hier geaͤußert wird, aufzufinden. Es iſt eigentlich nur bey Gelegenheit des fuͤnften Verſuches angebracht, und wir haben ſchon dort auf das Einpaſchen dieſes contrebanden Punctes alle Aufmerkſamkeit erregt. Wie kuͤnſtlich bringt Newton auch hier das Wahre gedaͤmpft herein, damit es ja ſein Falſches nicht uͤberleuchte. Man merke ſein Bekenntniß. Die Brechung des Lichtes iſt alſo nicht allein hinreichend, um die Farben zu ſondern, ihnen ihre anfaͤngliche Weiße zu nehmen, die ungleichen Strahlen einzeln als einzelne Farben er - ſcheinen zu machen; es gehoͤrt noch etwas anderes dazu, und zwar eine Divergenz. Wo iſt von dieſer Divergenz bisher auch nur im mindeſten die Rede ge - weſen? Selbſt an der angefuͤhrten Stelle (112.) ſpricht Newton wohl von einem gebrochnen und weißen Lichte, das noch rund ſey, auch daß es gefaͤrbt und laͤnglich erſcheinen koͤnne; wie aber ſich eins aus dem andern entwickele, eins aus dem andern herfließe, daruͤber477 iſt ein tiefes Stillſchweigen. Nun erſt in der Recapi - tulation ſpricht der kluge Mann das Wort Divergenz als im Vorbeygehen aus, als etwas das ſich von ſelbſt verſteht. Aber es verſteht ſich neben ſeiner Lehre nicht von ſelbſt, ſondern es zerſtoͤrt ſolche unmittelbar. Es wird alſo oben (112.) und hier abermals zugeſtan - den, daß ein Licht, ein Lichtbild, die Brechung erlei - den und nicht voͤllig farbig erſcheinen koͤnne. Wenn dem ſo iſt, warum ſtellen denn Newton und ſeine Schuͤler Brechung und voͤllige Farbenerſcheinung als einen und denſelben Act vor? Man ſehe die erſte Fi - gur unſerer ſiebenten Tafel, die durch alle Compen - dien bis auf den heutigen Tag wiederholt wird; man ſehe ſo viele andere Darſtellungen, ſogar die ausfuͤhr - lichſten, z. B. in Martins Optik: wird nicht uͤberall Brechung und vollkommene Divergenz aller ſogenannten Strahlen gleich am Prisma vorgeſtellt? Was heißt denn aber eine nach vollendeter Brechung eintretende ſpaͤtere Divergenz? Es heißt nur geſtehen, daß man unred - lich zu Werke geht, daß man etwas einſchieben muß, was man nicht brauchen und doch nicht laͤugnen kann.
Auch oben (112.) geht Newton unredlich zu Werke, indem er das gebrochene Lichtbild fuͤr weiß und rund angiebt, da es zwar in der Mitte weiß, aber doch an den Raͤndern gefaͤrbt und ſchon einigermaßen laͤng - lich erſcheint. Daß die Farbenerſcheinung bloß an den Raͤndern entſtehe, daß dieſe Raͤnder divergiren, daß ſie endlich uͤber einander greifen und das ganze Bild478 bedecken, daß hierauf alles ankomme, daß durch dieſes ſimple Phaͤnomen die Newtoniſche Theorie zerſtoͤrt werde, haben wir zu unſerem eigenen Ueberdruß hun - dertmal wiederholt. Allein wir verſaͤumen hier die Gelegenheit nicht, eine Bemerkung beyzubringen, wo - durch der Starrſinn der Newtonianer einigermaßen ent - ſchuldigt wird. Der Meiſter nehmlich kannte recht gut die Umſtaͤnde, welche ſeiner Lehre widerſtrebten. Er verſchwieg ſie nicht, er verhuͤllte, er verſteckte ſie nur; doch erwaͤhnt war derſelben. Brachte man nun nach - her den Newtonianern einen ſolchen Umſ[t]and als der Lehre widerſtreitend vor, ſo verſicherten ſie: der Meiſter habe das alles ſchon gewußt, aber nicht darauf geach - tet, ſeine Theorie immerfort fuͤr gegruͤndet und unum - ſtoͤßlich gehalten; und ſo muͤßten denn doch wohl dieſe Dinge von keiner Bedeutung ſeyn. Was uns betrifft, ſo machen wir auf das Bekenntniß: Refraction thue es nicht allein, ſondern es gehoͤre Divergenz dazu, aber und abermals aufmerkſam, indem wir uns in der Folge des Streites noch manchmal darauf werden beziehen muͤſſen.
Oder nachdem ſie von einander geſondert worden und ſich gefaͤrbt zeigen (Exper. 6. 7. 8.);
Wem durch unſere umſtaͤndliche Ausfuͤhrung nicht klar geworden, daß durch gedachte drey Experimente479 nicht das mindeſte geleiſtet und dargethan iſt, mit dem haben wir weiter nichts mehr zu reden.
Man experimentire mit Licht, das durch parallele Oberflaͤ - chen hindurchgegangen, welche wechſelſeitig ihre Wirkung auf - heben (Exper. 10.):
Ein Sonnenbild, das rechtwinklicht durch parallele Oberflaͤchen hindurchgegangen iſt, findet ſich wenig veraͤndert und bringt, wenn es nachher durch ein Prisma hindurchgeht, voͤllig diejenige Erſcheinung her - vor, welche ein unmittelbares leiſtet. Das zehnte Ex - periment iſt wie ſo viele andere nichts als eine Ver - kuͤnſtelung ganz einfacher Phaͤnomene, vermehrt nur die Maſſe deſſen, was uͤberſchaut werden ſoll, und ſteht auch hier in dieſer Recapitulation ganz muͤßig.
Findet man, ſage ich, bey allen dieſen Experimenten immer Strahlen, welche bey gleichen Incidenzen auf daſſelbe Mit - tel, ungleiche Brechungen erleiden,
Niemals findet man Strahlen, man erklaͤrt nur die Erſcheinungen durch Strahlen; nicht eine ungleiche, ſondern eine nicht ganz reine, nicht ſcharf abgeſchnit - tene Brechung eines Bildes findet man, deren Ur - ſprung und Anlaß wir genugſam entwickelt haben. 480Daß Newton und ſeine Schule dasjenige mit Augen zu ſehen glauben, was ſie in die Phaͤnomene hinein theoretiſirt haben, das iſt es eben, woruͤber man ſich beſchwert.
Und das nicht etwa durch Zerſplitterung oder Erweite - rung der einzelnen Strahlen,
Hier wird eine ganz unrichtige Vorſtellung aus - geſprochen. Newton behauptet naͤmlich, dem farbigen Lichte begegne das nicht, was dem weißen Lichte begeg - net; welches nur der behaupten kann, der unauf - merkſam iſt und auf zarte Differenzen nicht achtet. Wir haben umſtaͤndlich genug gezeigt, daß einem far - bigen Bilde eben das bey der Brechung begegne, was einem weißen begegnet, daß es an den Raͤndern ge - ſetzmaͤßig prismatiſch gefaͤrbt werde.
Noch durch irgend eine zufaͤllige Ungleichheit der Refrac - tion (Exper. 5 u. 6.);
Daß die Farbenerſcheinung bey der Refraction nicht zufaͤllig, ſondern geſetzmaͤßig ſey, dieſes hat New - ton ganz richtig eingeſehen und behauptet. Die Ge - ſchichte wird uns zeigen, wie dieſes wahre Aperçuͤ ſei -481 nem Falſchen zur Baſe gedient; wie uns denn dort auch noch manches wird erklaͤrbar werden.
Findet man ferner, daß die an Brechbarkeit verſchiedenen Strahlen von einander getrennt und ſortirt werden koͤnnen, und zwar ſowohl durch Refraction (Exper. 3) als durch Re - flexion (Exper. 10);
Im dritten Experiment ſehen wir die Farbenreihe des Spectrums; daß das aber getrennte und ſortirte Strahlen ſeyen, iſt eine bloße hypothetiſche und, wie wir genugſam wiſſen, hochſt unzulaͤngliche Erklaͤrungs - formel. Im zehnten Experiment geſchieht nichts, als daß an der einen Seite ein Spectrum verſchwindet, indem an der andern Seite ein neues entſteht, das ſich jedoch weder im Ganzen noch im Einzelnem kei - nesweges von dem erſten herſchreibt, nicht im mindeſten mit demſelben zuſammenhaͤngt.
Und daß dieſe verſchiedenen Arten von Strahlen jede be - ſonders bey gleichen Incidenzen ungleiche Refraction erleiden, indem diejenigen welche vor der Scheidung mehr als die an - dern gebrochen wurden, auch nach der Scheidung mehr ge - brochen werden (Exper. 6 und ff.);
Wir haben das ſogenannte Experimentum CrucisI. 31482und was Newton demſelben noch irgend zur Seite ſtellen mag, ſo ausfuͤhrlich behandelt, und die dabey vorkommenden verfaͤnglichen Umſtaͤnde und verdeckten Bedingungen ſo ſorgfaͤltig ins Plane und Klare ge - bracht, daß uns hier nichts zu wiederholen uͤbrig bleibt, als daß bey jenem Experiment, welches uns den wah - ren Weg weiſen ſoll, keine diverſe Refrangibilitaͤt im Spiel iſt; ſondern daß eine wiederholte fortgeſetzte Re - fraction nach ihren ganz einfachen Geſetzen immer fort und weiter wirkt.
Findet man endlich, daß wenn das Sonnenlicht durch drey oder mehrere kreuzweis geſtellte Prismen nach und nach hindurchgeht, diejenigen Strahlen, welche in dem erſten Prisma mehr gebrochen waren als die andern, auf dieſelbe Weiſe und in demſelben Verhaͤltniß in allen folgenden Pris - men abermals gebrochen werden:
Hier iſt abermals ein Kreuz, an das der einfache Menſchenſinn geſchlagen wird: denn es iſt auch hier derſelbe Fall wie bey dem Experimentum Crucis. Bey dieſem iſt es eine wiederholte fortgeſetzte Refraction auf geradem Wege im Sinne der erſten; beym fuͤnften Verſuch aber iſt es eine wiederholte fortgeſetzte Refrac - tion nach der Seite zu, wodurch das Bild in die Diagonale und nachher zu immer weiterer Senkung genoͤthigt wird, wobey es denn auch, wegen immer weiterer Verruͤckung, an Laͤnge zunimmt.
So iſt offenbar, daß das Sonnenlicht eine heterogene Miſchung von Strahlen iſt, deren einige beſtaͤndig mehr re - frangibel ſind als andre; welches zu erweiſen war.
Uns iſt nur offenbar, daß das Sonnenbild ſo gut wie jedes andre, helle oder dunkle, farbige oder farb - loſe, in ſofern es ſich vom Grunde auszeichnet, durch Refraction an dem Rand ein farbiges Nebenbild er - haͤlt, welches Nebenbild unter gewiſſen Bedingungen wachſen und das Hauptbild zudecken kann;
Daß Newton aus lauter falſchen Praͤmiſſen keine wahre Folgerung ziehen konnte, verſteht ſich von ſelbſt. Daß er durch ſeine zehn Experimente nichts bewieſen, darin ſind gewiß alle aufmerkſame Leſer mit uns einig. Der Gewinn, den wir von der zuruͤckgelegten Arbeit ziehen, iſt erſtlich: daß wir eine falſche hohle Mey - nung los ſind; zweytens: daß wir die Conſequenz ei - nes fruͤher (E. 178 — 356) abgeleiteten Phaͤnomens deutlich einſehen; und drittens: daß wir ein Muſter von ſophiſtiſcher Entſtellung der Natur kennen lernten, das nur ein außerordentlicher Geiſt wie Newton, deſſen Eigenſinn und Hartnaͤckigkeit ſeinem Genie gleich kam, aufſtellen konnte. Wir wollen nun, nachdem wir ſoweit gelangt, verſuchen, ob wir zunaͤchſt unſre Polemik uns und unſern Leſern bequemer machen koͤnnen.
Wenn wir uns haͤtten durch die Newtoniſche Recapitulation uͤberzeugen laſſen, wenn wir geneigt waͤren, ſeinen Worten Beyfall zu geben, ſeiner Theorie beyzutreten; ſo wuͤrden wir uns verwundern, warum er denn die Sache nicht fuͤr abgethan halte, warum er fortfahre zu beweiſen, ja warum er wieder von vorn anfange? Es iſt daher eine Ueberſicht deſto noͤ - thiger, was und wie er es denn eigentlich beginnen will, damit uns deutlich werde, zu welchem Ziele er nun eigentlich hinſchreitet.
Im Allgemeinen ſagen wir erſt hieruͤber ſoviel. Newtons Lehre war der naturforſchenden Welt lange Zeit nur aus dem Briefe an die Londner Societaͤt be - kannt; man unterſuchte, man beurtheilte ſie hiernach, mit mehr oder weniger Faͤhigkeit und Gluͤck. Der Hauptſatz, daß die aus dem weißen heterogenen Licht geſchiedenen homogenen Lichter unveraͤnderlich ſeyen, und bey wiederholter Refraction keine andere Farbe als ihre eigene zeigten, ward von Mariotte beſtritten,485 der wahrſcheinlich, indem er das Experimentum Crucis unterſuchte, bey der zweyten Refraction die fremden Farbenraͤnder der kleinen farbigen Bildchen bemerkt hatte. Newton griff alſo nach der Ausflucht: jene durch den einfachen prismatiſchen Verſuch geſonderten Lichter ſeyen nicht genugſam geſondert; hierzu gehoͤre abermals eine neue Operation: und ſo ſind die vier naͤchſten Verſuche zu dieſem Zweck erſonnen und gegen dieſen Widerſacher gerichtet, gegen welchen ſie in der Folge auch durch Desaguliers gebraucht werden.
Zuerſt alſo macht er aufs neue wunderbare An - ſtalten, um die verſchiedenen, in dem heterogenen Licht ſteckenden homogenen Lichter, welche bisher nur ge - wiſſermaßen getrennt worden, endlich und ſchließlich voͤllig zu ſcheiden, und widmet dieſem Zweck den elften Verſuch. Dann iſt er bemuͤht abermals vor Augen zu bringen und einzuſchaͤrfen, daß dieſe nunmehr wirklich geſchiedenen Lichter bey einer neuen Refraction keine weitre Veraͤnderung erleiden. Hiezu ſoll der zwoͤlfte, dreyzehnte und vierzehnte Verſuch dienſtlich und huͤlf - reich ſeyn.
Wie oft ſind uns nicht ſchon jene beyden Propo - ſitionen wiederholt worden, wie entſchieden hat der Verfaſſer nicht ſchon behauptet, dieſe Aufgaben ſeyen geloͤſt, und hier wird alles wieder von vorn vorge -486 nommen als waͤre nichts geſchehen! Die Schule haͤlt ſich deshalb um ſo ſichrer, weil es dem Meiſter ge - lungen auf ſo vielerley Weiſe dieſelbe Sache darzuſtel - len und zu befeſtigen. Allein genauer betrachtet, iſt ſeine Methode die Methode der Regentraufe, die durch wiederholtes Tropfen auf dieſelbige Stelle den Stein endlich aushoͤhlt; welches denn doch zuletzt eben ſoviel iſt als wenn es gleich mit tuͤchtiger wahrer Gewalt eingepraͤgt waͤre.
Um ſodann zu dem Praktiſchen zu gelangen, ſchaͤrft er die aus ſeinem Wahn natuͤrlich herzuleitende Folge - rung nochmals ein: daß, bey gleicher Incidenz des zu - ſammengeſetzten heterogenen Lichts, nach der Brechung jeder geſonderte homogene Strahl ſein beſonderes Rich - tungsverhaͤltniß habe, ſo daß alſo dasjenige was vor - her beyſammen geweſen, nunmehr unwiederbringlich von einander abgeſondert ſey.
Hieraus leitet er nun zum Behuf der Praxis, wie er glaubt, unwiderleglich ab: daß die dioptriſchen Fernroͤhre nicht zu verbeſſern ſeyen. Die dioptriſchen Fernroͤhre ſind aber verbeſſert worden, und nur wenige Menſchen haben ſogleich ruͤckwaͤrts geſchloſſen, daß eben deshalb die Theorie falſch ſeyn muͤſſe; vielmehr hat die Schule, wie es uns in der Geſchichte beſon - ders intereſſiren wird, bey ihrer voͤlligen theoretiſchen487 Uberzeugung noch immer verſichert: die dioptriſchen Fernroͤhre ſeyen nicht zu verbeſſern, nachdem ſie ſchon lange verbeſſert waren.
So viel von dem Inhalt des erſten Theils von hier bis ans Ende. Der Verfaſſer thut weiter nichts als daß er das Geſagte mit wenig veraͤnderten Wor - ten, das Verſuchte mit wenig veraͤnderten Umſtaͤnden wiederholt: weswegen wir uns denn abermals mit Aufmerkſamkeit und Geduld zu waffnen haben.
Schließlich fuͤhrt Newton ſodann das von ihm eingerichtete Spiegelteleſkop vor, und wir haben ihm und uns Gluͤck zu wuͤnſchen, daß er durch eine fal - ſche Meynung beſchraͤnkt einen ſo wahrhaft nuͤtzlichen Ausweg gefunden. Geſtehen wir es nur! der Irrthum inſofern er eine Noͤthigung enthaͤlt, kann uns auch auf das Wahre hindraͤngen, ſo wie man ſich vor dem Wahren, wenn es uns mit allzu großer Gewalt er - greift, gar zu gern in den Irrthum fluͤchten mag.
Wie mag Newton hier abermals mit dieſer Auf - gabe hervortreten? hat er doch oben ſchon verſichert, daß die homogenen Strahlen von einander geſondert (212.), daß ſie von einander getrennt und ſortirt wor - den (222.). Nur zu wohl fuͤhlt er, bey den Einwen - dungen ſeines Gegners, daß er fruͤher nichts geleiſtet und geſteht nun auch, daß es nur gewißermaßen geſche - hen. Deshalb bemuͤht er ſich aufs neue mit einem weitlaͤuftigen Vortrag, mit Aufgabe des
mit Illuſtration der zu demſelben gehoͤrigen Figur, und bewirkt dadurch eben ſo wenig als vorher; nur ver - wickelt er die Sache, nach ſeiner Weiſe, dergeſtalt, daß nur der Wohlunterrichtete darin klar ſehen kann.
Indem nun dieß alles nach ſchon abgeſchloſſener489 Recapitulation geſchieht, ſo laͤßt ſich denken, daß nur dasjenige wiederholt wird, was ſchon dageweſen. Woll - ten wir, wie bisher meiſt geſchehen, Wort vor Wort mit dem Verfaſſer controvertiren; ſo wuͤrden wir uns auch nur wiederholen muͤſſen und unſern Leſer aufs neue in ein Labyrinth fuͤhren, aus dem er ſich ſchon mit uns herausgewickelt hat. Wir erwaͤhlen daher eine andere Verfahrungsart; wir gedenken zu zeigen, daß jene Aufgabe unmoͤglich zu loͤſen ſey, und brauchen hiezu nur an das zu erinnern, was von uns ſchon an mehreren Stellen, beſonders zum fuͤnften Verſuch, um - ſtaͤndlich ausgefuͤhrt worden.
Alles kommt darauf an, daß man einſehe, die Sonne ſey bey objectiven prismatiſchen Experimenten nur als ein leuchtendes Bild zu betrachten; daß man ferner gegenwaͤrtig habe, was vorgeht, wenn ein helles Bild verruͤckt wird. An der einen Seite erſcheint naͤm - lich der gelbrothe Rand, der ſich hineinwaͤrts, nach dem Hellen zu, ins Gelbe verliert, an der andern der blaue Rand, der ſich hinauswaͤrts, nach dem Dunkeln zu, ins Violette verliert.
Dieſe beyden farbigen Seiten ſind urſpruͤnglich ge - trennt, geſondert und geſchieden; dagegen iſt das Gel - be nicht vom Gelbrothen, das Blaue nicht vom Blau - rothen zu trennen. Verbreitert man durch weitere Ver -490 ruͤckung des Bildes dieſe Raͤnder und Saͤume dergeſtalt, daß Gelb und Blau einander ergreifen; ſo miſcht ſich das Gruͤn, und die auf eine ſolche Weiſe nunmehr entſtandene Reihe von Farben kann durch abermalige Verlaͤngerung des Bildes ſo wenig aus einander geſchie - den werden, daß vielmehr die innern Farben, Gelb und Blau, ſich immer mehr uͤber einander ſchieben und ſich zuletzt im Gruͤnen voͤllig verlieren, da denn ſtatt ſieben oder fuͤnf Farben nur drey uͤbrig bleiben.
Wer dieſe von uns wiederholt vorgetragene Er - ſcheinung recht gefaßt hat, der wird das Newtoniſche Benehmen ohne Weiteres beurtheilen koͤnnen. Newton bereitet ſich ein ſehr kleines leuchtendes Bild und ver - ruͤckt es durch eine wunderliche Vorrichtung dergeſtalt, daß er es fuͤnfundſiebzigmal laͤnger als breit will ge - funden haben. Wir geſtehen die Moͤglichkeit djeſer Er - ſcheinung zu; allein was iſt dadurch gewonnen?
Die eigentliche Verlaͤngerung eines hellen großen oder kleinen Bildes bewirkt nur der aͤußere violette Saum; der innre gelbe verbindet ſich mit dem blauen Rande und geht aus dem Bilde nicht heraus. Daher folgt, daß bey gleicher Verruͤckung ein kleines Bild ein ander Verhaͤltniß ſeiner Breite zur Laͤnge habe, als ein großes; welches Newton gern laͤugnen moͤchte,491 weil es freylich ſeiner Lehre geradezn widerſpricht (90 — 93).
Hat man den wahren Begriff recht gefaßt, ſo wird man das Falſche der Newtoniſchen Vorſtellung gleich erkennen, die wir (P. 103 — 110) genugſam eroͤrtert haben. Gegenwaͤrtig bringen wir folgendes bey. Nach Newton beſteht das verlaͤngerte Bild aus lauter in einander greifenden Kreiſen, welche in dem weißen Sonnenbilde ſich gleichſam deckend uͤber einander liegen und nun, wegen ihrer diverſen Refrangibilitaͤt, durch die Refraction aus einander geſchoben werden. Nun kommt er auf den Gedanken, wenn man die Diameter der Kreiſe verkleinerte und das prismatiſche Bild ſoviel als moͤglich verlaͤngerte; ſo wuͤrden ſie nicht mehr, wie beym groͤßren Bilde uͤber einander greifen, ſondern ſich mehr von einander entfernen und aus einander treten. Um ſich dieſes zu verſinnlichen, ſtelle man eine Saͤule von Speciesthalern und eine andere von eben ſoviel Groſchen neben einander auf den Tiſch, lege ſie um, und ſchiebe ſie in gleicher Richtung ſacht aus einander, und zwar daß die Mittelpuncte der Thaler und Gro - ſchen jederzeit gegen einander uͤber liegen; und man wird bald ſehen, daß die Groſchen ſchon lange von einander abgeſondert ſind, wenn die Peripherieen der Thaler noch uͤber einander greifen. Auf eine ſo crude Weiſe hat ſich Newton die diverſe Refrangibilitaͤt ſeiner homogenen Strahlen gedacht, ſo hat er ſie abgebildet;492 man ſehe ſeine 15 und 23ſte Figur und auf unſerer ſiebenten Tafel Figur 5. 6. 7. Allein da er bey allem Zerren des Bildes, weder in dem vorigen Verſuche noch beym gegenwaͤrtigen, die Farben aus einander ſondern kann; ſo faßt er in der Zeichnung die Kreiſe immer noch mit punctirten Linien ein, ſo daß ſie als geſondert und nicht geſondert, auf dem Papier ange - deutet ſind. Da fluͤchtet man ſich denn hinter eine andere Suppoſition; man verſichert, daß es nicht etwa fuͤnf oder ſieben, ſondern unendliche homogene Strahlen gebe. Hat man alſo diejenigen die man erſt fuͤr nach - barlich annahm, von einander abgeſondert, ſo tritt immer ein Zwiſchenſtrahl gleich hervor und macht die muͤhſelige, ſchon als gluͤcklich gelungen angegebene Operation abermals unmoͤglich.
Auf dieſes elfte Experiment hin, ohne ſolches im mindeſten zu unterſuchen, hat man die Moͤglichkeit einer vollkommnen Abſonderung jener homogen ſupponirten Strahlen in Schulen fortgelehrt, und die Figuren nach der Hypotheſe, ohne die Natur oder den Verſuch zu fragen, kecklich abgebildet. Wir koͤnnen nicht umhin, den 370ſten Paragraph der Erxlebenſchen Naturlehre hier Wort vor Wort abdrucken zu laſſen, damit man an dieſem Beyſpiel ſehe, wie verwegen ein compilirender Compendienſchreiber ſeyn muß, um ein unbearbeitetes oder falſchbearbeitetes Capitel fertig zu machen.
493„ Das farbige Licht beſteht aus ſoviel Kreiſen als Farben darin ſind, wovon der eine roth, der andre orangegelb u. ſ. w. der letzte violett iſt, und die in einander in den farbigen Streifen zuſammenfließen. Jeder dieſer Kreiſe iſt das Bild der Sonne, das von ſolchem Lichte, deſſen Brechbarkeit verſchieden iſt, auch nicht an Einen Ort fallen kann. Weil aber dieſe Kreiſe ſo groß ſind, daß ſie nur deswegen in einander zuſamenfließen, ſo kann man ſie dadurch kleiner ma - chen, daß man ein erhobenes Glas zwiſchen das Prisma und das Loch im Fenſterladen haͤlt; dann ſtellt ſich jedes einfache Licht in Geſtalt kleiner runder Scheiben einzeln vor, in einer Reihe uͤber einander, 75 Fig. a. iſt das rothe, b. das violette Licht. “
In gedachter Figur nun ſind die ſieben Lichter als ſieben Cirkelchen ganz rein und ruhig uͤber einander geſetzt, eben als wenn ſie doch irgend Jemand einmal ſo geſehen haͤtte; die verbindenden Strichelchen ſind weggelaſſen, welche Newton denſelben kluͤglich doch im - mer beygegeben. Und ſo ſteht dieſe Figur ganz ſicher zwiſchen andern mathematiſchen Linearzeichnungen und Abbildungen mancher zuverlaͤſſigen Erfahrung, und ſo hat ſie ſich durch alle Lichtenbergiſche Ausgaben erhalten.
Daß wir uͤber dieſes elfte Experiment ſchneller als uͤber die andern weggehen, dazu bewegt uns außer ob; gemeldeten Urſachen auch noch folgende. Newton ver -494 bindet hier zum erſtenmal Prisma und Linſe, ohne uns auch nur im mindeſten belehrt zu haben, was denn eigentlich vorgehe, wenn man mit dieſen ſo nahver - wandten und ſo ſehr verſchiedenen Inſtrumenten zuſam - men operire. Dießmal will er durch ihre Verbindung ſeine maͤhrchenhaften Lichter ſondern, in der Folge wird er ſie auf eben dem Weg vereinigen und ſein weißes Licht daraus wieder herſtellen; welches letztere Experi - ment beſonders mit unter diejenigen gehoͤrt, deren die Newtonianer immer im Triumph erwaͤhnen. Wir wer - den daher, ſobald wir einen ſchicklichen Ruhepunct fin - den, deutlich machen, was eigentlich vorgeht, wenn man zu einem Verſuche Prismen und Linſen vereinigt. Iſt dieſes geſchehen, ſo koͤnnen wir das elfte Experi - ment wieder vorfuͤhren und ſein wahres Verhaͤltniß an den Tag bringen; wie wir denn auch bey Gelegen - heit der Controvers des Desaguliers gegen Mariotte dieſes Verſuchs abermals zu gedenken haben.
Der erſte Theil dieſer Propoſition iſt ſchon fruͤher durch das fuͤnfte Experiment genugſam erwieſen worden;
Daß das fuͤnfte Experiment nichts bewies, haben wir umſtaͤndlich dargethan.
Und die Sache wird durch nachſtehende Verſuche noch deutlicher werden.
Durch unſre Bemerkung wird noch deutlicher wer - den, daß die Behauptung grundlos und unerweis - lich iſt.
Ein ſchwarzes Papier
Warum ein ſchwarzes Papier? Zu dieſem Zweck iſt jede durchloͤcherte Tafel von Holz, Pappe oder Blech vollkommen geeignet; vielleicht auch wieder ein ſchwar - zes Papier, um recht vorſichtig zu ſcheinen, daß kein ſtoͤrendes Licht mitwirke.
Ein ſchwarzes Papier, worin eine runde Oeffnung be - ſindlich war, deren Durchmeſſer etwa den fuͤnften oder ſech - ſten Theil eines Zolls hatte,
Warum war die Oeffnung ſo klein? Doch nur daß die Beobachtung ſchwerer und jeder Unterſchied unbemerklicher waͤre.
ſtellte ich ſo, daß es ein Bild aus homogenem Lichte, ſo wie wir es in der vorhergehenden Propoſition beſchrieben ha - ben, aufnahm, und ein Theil dieſes Lichts durch die Oeff -497 nung durchging. Dann fing ich dieſen durchgegangenen Theil mit einem hinter das Papier geſteilten Prisma dergeſtalt auf, daß es in der Entfernung von zwey bis drey Fuß auf eine weiße Tafel ſenkrecht auffiel. Nach dieſer Vorrichtung be - merkte ich, daß jenes Bild, das auf der weißen Tafel durch Brechung jenes homogenen Lichtes abgemalt war, nicht laͤng - lich ſey, wie jenes, als wir im dritten Experiment das zu - ſammengeſetzte Sonnenlicht gebrochen hatten. Vielmehr war es, in ſofern ich mit bloßen Augen urtheilen konnte, an Laͤnge und Breite gleich und vollkommen rund. Woraus folgt, daß dieſes Licht regelmaͤßig gebrochen worden ſey, ohne weitre Verbreiterung der Strahlen.
Hier tritt abermals ein Kunſtgriff des Verfaſſers hervor. Dieſes Experiment iſt voͤllig dem ſechſten gleich, nur mit wenig veraͤnderten Umſtaͤnden; hier wird es aber wieder als ein neues gebracht, die Zahl der Ex - perimente wird unnoͤthig vermehrt, und der Unauf - merkſame, der eine Wiederholung vernimmt, glaubt eine Beſtaͤtigung, einen neuen Beweis zu hoͤren. Das einmal geſagte Falſche druͤckt ſich nur ſtaͤrker ein und man glaubt in den Beſitz neuer Ueberzeugungsgruͤnde zu gelangen.
Was wir daher gegen den ſechſten Verſuch um - ſtaͤndlich angefuͤhrt, gilt auch gegen dieſen, und wir enthalten uns das oft wiederholte zu wiederholen.
Doch machen wir noch eine Bemerkung. DerI. 32498Verfaſſer ſagt, daß er ein homogenes Licht durch die Oeffnung gelaſſen und ſodann zum zweytenmal gebro - chen habe; er ſagt aber nicht, welche Farbe. Gewiß war es die rothe, die ihm zu dieſen Zwecken ſo ange - nehme gelbrothe, weil ſie gleichſam mit ihm conſpirirt und das verhehlt, was er gern verhehlen moͤchte. Ver - ſuch’ er es doch mit den uͤbrigen Farben, und wie anders werden die Verſuche, wenn er recht zu beob - achten Luſt hat, ausfallen!
Die beyden folgenden Experimente ſind nun pris - matiſch ſubjective, von denen unſre Leſer durch den Entwurf genugſam unterrichtet ſind. Wir wollen jedoch nicht verſchmaͤhen auch beyde hier nochmals zu entwickeln.
Ins homogene Licht
Doch wohl wahrſcheinlich wieder ins rothe.
ſtellte ich eine papierne Scheibe, deren Diameter ein Viertelszoll war.
Was ſoll nun wieder dieſes winzige Scheibchen? Was iſt fuͤr eine Bemerkung daran zu machen? Doch freylich ſind wir mit winzigen Oeffnungen im Laden zu operiren gewohnt, warum nicht auch mit Papier - ſchnitzeln!
Dagegen ſtellte ich in das weiße heterogene Sonnenlicht
Man merke noch beſonders, nun iſt das homo - gene und heterogene Licht vollkommen fertig. Das was noch immer bewieſen werden ſoll, wird ſchon als ausgemacht, beſtimmt, benamſet ausgeſprochen und druͤckt ſich in das Gehirn des glaͤubigen Schuͤlers im - mer tiefer ein.
das noch nicht gebrochen war, eine andre papierne Scheibe von derſelbigen Groͤße.
Wohl auch deshalb ſo klein, damit die ganze Flaͤche nachher durchs Prisma angeſchaut, ſogleich ge - faͤrbt wuͤrde.
Dann trat ich einige Schritte zuruͤck und betrachtete32 *500beyde Scheiben durch das Prisma. Die Scheibe welche von dem heterogenen Sonnenlicht erleuchtet war, erſchien ſehr verlaͤngt, wie jene helle Oeffnung im vierten Experiment, ſo daß die Breite von der Laͤnge vielmal uͤbertroffen wurde; die Scheibe aber vom homogenen Lichte erleuchtet, ſchien voͤllig rund und genau begraͤnzt, eben ſo als wenn man ſie mit nackten Augen anſah.
Wahrſcheinlich war alſo dieſe letzte, wie ſchon oben erwaͤhnt, im rothen Lichte, und wir koͤnnen, da Newton ſelbſt im erſten Experiment gefaͤrbtes Papier an die Stelle der prismatiſchen Farben ſetzt, unſre Le - ſer vollkommen auf das was theils bey Gelegenheit des ſechſten Experiments, theils bey Gelegenheit des erſten geſagt worden, verweiſen. Man nehme unſre dritte Tafel wieder zur Hand, worauf ſich neben an - dern Vierecken auch ein rothes und weißes auf ſchwar - zem Grunde finden wird; man betrachte ſie durch ein Prisma und leſe dazu, was wir fruͤher ausge - fuͤhrt (271. 272. ), und man wird begreifen, woher der Schein kam, durch welchen Newton ſich taͤuſchte, ja ein fuͤr allemal taͤuſchen wollte. Wenn er nun fort - faͤhrt:
Mit welchem Verſuch denn alſo beyde Theile dieſer Pro - poſition bewieſen werden.
So wird wohl Niemand, der ſich beſſer belehrte,501 mit ihm einſtimmen, vielmehr den alten Irrthum er - kennen und, wenn er ihn je ſelbſt gehegt haben ſollte, auf immer von ſich werfen.
Damit unſre Leſer den Werth dieſes Verſuchs ſo - gleich beurtheilen koͤnnen, haben wir auf einer Tafel ſechs Felder, mit den Hauptfarben illuminirt, ange - bracht und auf ſelbige verſchiedene dunkle, helle und farbige Koͤrper gezeichnet. Man betrachte dieſe Tafeln nunmehr durchs Prisma, leſe alsdann die Newtoni - ſche Darſtellung der eintretenden Erſcheinung und be - merke wohl, daß er bloß dunkle Koͤrper in dem ſoge - nannten homogenen Licht beobachtet und beobachten kann, daß unſer Verſuch hingegen eine Mannigfaltig - keit von Faͤllen darbietet, wodurch wir allein uͤber das Phaͤnomen zu einer voͤlligen und reinen Einſicht gelan - gen moͤgen.
Wenn ich Fliegen und andre dergleichen kleine Koͤrper, vom homogenen Lichte beſchienen, durchs Prisma betrachtete, ſo ſah ich ihre Theile ſo genau begraͤnzt, als wenn ich ſie mit bloßen Augen beſchaute.
Das hier eintretende Verhaͤltniß muß unſern Le - ſern, beſonders denen auf die unſer didactiſcher Vor - trag Eindruck gemacht, ſchon genugſam bekannt ſeyn. Es iſt naͤmlich dieſes, daß die Raͤnder eines farbigen Bildes auf dunklem Grunde, beſonders wenn die Far - ben ſelbſt dunkel ſind, ſich nur mit Aufmerkſamkeit beobachten laſſen. Hier iſt der Fall umgekehrt. Newton bringt dunkle Bilder auf farbigen Grund, welche noch uͤberdieß von dem farbigen Lichte, das den Grund hervorbringt, ſelbſt beſchienen und einigermaßen tingirt werden. Daß die prismatiſchen Raͤnder ſodann we - niger an dieſen Gegenſtaͤnden erſcheinen, ſondern ſich mit ihnen vermiſchen oder am entgegengeſetzten Ende aufgehoben werden, iſt natuͤrlich, ſo daß ſie alſo ziem - lich begraͤnzt und ohne merkliche Saͤume geſehen wer - den. Um aber das Phaͤnomen von allen Seiten auf einmal deutlich zu machen, ſo haben wir auf unſerer zwoͤlften Tafel auf den farbigen Gruͤnden helle, dunkle und farbige Bilder angebracht. Der Beobach - ter kann ſie ſogleich durchs Prisma anſchauen, und wird die Raͤnder und Saͤume nach den verſchiedenen Verhaͤltniſſen des Hellen und Dunklen, ſo wie nach den Eigenſchaften der verſchiedenen Farben, uͤberall erkennen und beobachten lernen. Er wird einſehen, wie ungluͤcklich der Newtoniſche Vortrag iſt, der aus allen Phaͤnomenen immer nur eins, nur dasjenige heraus - hebt, was ihm guͤnſtig ſeyn kann, alle die uͤbrigen aber verſchweigt und verbirgt, und ſo von Anfang bis zu Ende ſeiner belobten Optik verfaͤhrt.
503Kaum waͤre es noͤthig den Ueberreſt der ſich auf dieſes Experiment bezieht, zu uͤberſetzen und zu beleuch - ten; wir wollen uns aber dieſe kleine Muͤhe nicht reuen laſſen.
Wenn ich aber dieſelben Koͤrper im weißen, heteroge - nen, noch nicht gebrochenen Sonnenlicht
Man merke wohl: Schwarz auf Welß.
gleichfalls durch das Prisma anſah; ſo erſchienen ihre Graͤnzen ſehr verworren, ſo daß man ihre kleineren Theile nicht erkennen konnte.
Ganz recht! Denn die kleineren, ſchmaͤleren Theile wurden voͤllig von den Saͤumen uͤberſtrahlt und alſo unkenntlich gemacht.
Gleichfalls, wenn ich kleine gedruckte Buchſtaben erſt im homogenen, dann im heterogenen Licht durchs Prisma anſah, erſchienen ſie in dem letztern ſo verworren und undeutlich, daß man ſie nicht leſen konnte, in dem erſtern aber ſo deut - lich, daß man ſie bequem las und ſo genau erkannte, als wenn man ſie mit bloßen Augen ſaͤhe. In beyden Faͤllen504 habe ich die Gegenſtaͤnde in derſelben Lage, durch daſſelbe Prisma, in derſelben Entfernung betrachtet.
Hier gebaͤrdet ſich der Verfaſſer als wenn er recht genau auf die Umſtaͤnde Acht gaͤbe, da er doch den Hauptumſtand außer Acht gelaſſen.
Nichts war unterſchieden als daß ſie von verſchiedenem Licht erleuchtet wurden, davon das eine einfach und das an - dre zuſammengeſetzt war.
Und nun haͤtten wir denn alſo das einfache und zuſammengeſetzte Licht voͤllig fertig, das freylich ſchon viel fruͤher fertig war: denn es ſtak ſchon in der er - ſten Propoſition und kam immer gleich unerwieſen in jeder Propoſition und in jedem Experimente zuruͤck.
Deswegen alſo keine andre Urſache ſeyn kann, warum wir jene Gegenſtaͤnde in einem Fall ſo deutlich, in dem an - dern ſo dunkel ſehen, als die Verſchiedenheit der Lichter.
Ja wohl der Lichter; aber nicht in ſofern ſie farbig oder farblos, einfach oder zuſammengeſetzt ſind, ſondern in ſofern ſie heller oder dunkler ſcheinen.
Wodurch denn zugleich die ganze Propoſition bewieſen wird.
Wodurch denn aber, wie wir unter hoffentlicher Beyſtimmung aller unſerer Leſer ausrufen, nichts be - wieſen iſt.
Ferner iſt in dieſen drey Experimenten das auch hoͤchſt bemerkenswerth, daß die Farbe des homogenen Lichtes bey dieſen Verſuchen um nichts veraͤndert worden.
Es iſt freylich hoͤchſt bemerkenswerth, daß New - ton erſt hier bemerkt, was zu dem ABC der prisma - tiſchen Erfahrungen gehoͤrt, daß naͤmlich eine farbige Flaͤche ſo wenig als eine ſchwarze, weiße oder graue durch Refraction veraͤndert werde, ſondern daß allein die Graͤnzen der Bilder ſich bunt bezeichnen. Betrach - tet man nun durch ein Prisma das farbige Spectrum in ziemlicher Naͤhe, ſo daß es nicht merklich vom Flecke geruͤckt und ſeine Verſatilitaͤt (E. 350 — 356.) nicht offenbar werde; ſo kann man die von demſelben be - ſchienene Flaͤche als eine wirklich gefaͤrbte zu dieſem Zwecke annehmen. Und ſomit gedenken wir denn, da der Verfaſſer gluͤcklich ans Ende ſeines Beweiſes ge - langt zu ſeyn glaubt, wir hingegen uͤberzeugt ſind,506 daß ihm ſeine Arbeit ungeachtet aller Bemuͤhung hoͤchſt mißgluͤckt ſey, ſeinen fernern Conſequenzen auf dem Fuße zu folgen.
Anſtatt mit dem Verfaſſer zu controvertiren, legen wir die Sache wie ſie iſt, naturgemaͤß vor, und gehen daher bis zu den erſten Anfaͤngen der Erſcheinung zu - ruͤck. Die Geſetze der Refraction waren durch Snel - lius entdeckt worden. Man hatte ſodann gefunden, daß der Sinus des Einfalls-Winkels mit dem Sinus des Refractions-Winkels im gleichen Mittel jederzeit im gleichen Verhaͤltniß ſteht.
Dieſes Geſundene pflegte man durch eine Line - arzeichnung vorzuſtellen, die wir in der erſten Figur unſerer elften Tafel wiederholen. Man zog einen Cir - kel und theilte denſelben durch eine Horizontallinie: der obere Halbzirkel ſtellt das duͤnnere Mittel, der un - tere das dichtere vor. Beyde theilt man wieder durch507 eine Perpendicularlinie; alsdann laͤßt man im Mittel - puncte den Winkel der Incidenz von oben, und den Winkel der Refraction von unten zuſammenſtoßen, und kann nunmehr ihr wechſelſeitiges Maaß ausdruͤcken.
Dieſes iſt gut und hinreichend, um die Lehre an - ſchaulich zu machen und das Verhaͤltniß in Abſtracto darzuſtellen; allein, um in der Erfahrung die beyden Winkel gegen einander wirklich zu meſſen, dazu gehoͤrt eine Vorrichtung, auf die bey dieſer Linearfigur nicht hingedeutet iſt.
Die Sonne ſcheine in ein leeres Gefaͤß (E. 187.) ſie werfe den Schatten genau bis an die gegenuͤber - ſtehende Wand und der Schatten bedecke den Boden ganz. Nun gieße man Waſſer in das Gefaͤß, und der Schatten wird ſich zuruͤckziehen gegen die Seite wo das Licht herkommt. Hat man in dem erſten Falle die Richtung des einfallenden Lichtes, ſo findet man im zweyten die Richtung des gebrochnen. Woraus erfaͤhrt man denn aber das Maaß dieſer beyden Richtungen, als aus dem Schatten und zwar aus des Schattens Graͤnze? Um alſo in der Erfahrung das Maaß der Refraction zu finden, bedarf es eines begraͤnzten Mittels.
Wir ſchreiten weiter. Man hatte das oben aus -508 geſprochene Geſetz der Refraction entdeckt, ohne auf die bey dieſer Gelegenheit eintretende Farbenerſcheinung nur im mindeſten zu achten, indem ſie freylich bey parallelen Mitteln ſehr gering iſt; man hatte die Re - fraction des hellen, weißen, energiſchen Lichtes zu ſeiner Incidenz gemeſſen betrachtet und auf obige Weiſe ge - zeichnet: nun fand aber Newton, daß bey der Refrac - tion geſetzmaͤßig eine Farbenerſcheinung eintrete; er er - klaͤrte ſie durch verſchiedenfarbige Lichter, welche in dem weißen ſtecken ſollten, und ſich, indem ſie eine verſchie - dene Brechbarkeit haͤtten, ſonderten und nebeneinander erſchienen.
Hieraus folgte natuͤrlich, daß wenn das weiße Licht einen gewiſſen einzigen Einfallswinkel, wie z. E. bey uns, 45 Grad hatte, der Refractionswinkel der nach der Brechung geſonderten Strahlen verſchieden ſeyn mußte, indem einige mehr als andre ruͤckwaͤrts gingen, und daß alſo, wenn bey dem einfallenden Licht nur Ein Sinus in Betracht kam, bey den Refractions - winkeln fuͤnf, ſieben, ja unzaͤhlige Sinus gedacht wer - den mußten.
Um dieſes faßlich zu machen, bediente ſich Newton einer Figur von derjenigen entlehnt, wie man das Verhaͤltniß der Refraction zur Incidenz bisher vorge - ſtellt hatte, aber nicht ſo vollſtaͤndig und ausfuͤhrlich.
Man hatte einen Lichtſtrahl, der Bequemlichkeit wegen, angenommen, weil die abſtracte Linie die Stelle von Millionen Strahlen vertritt; auch hatte man, bey der gedachten Figur, der Schranke nicht erwaͤhnt, weil man ſie vorausſetzte: nun erwaͤhnt Newton der Schranke auch nicht, ſetzt ſie auch nicht voraus, ſon - dern uͤbergeht, beſeitigt ſie und zeichnet ſeine Figur, wie man bey uns in Nr. 2. ſehen kann.
Bedenke man aber, wie oben ſchon eingeleitet, ſelbſt bey dieſen Figuren den Erfahrungsfall. Man laſſe unendliche Sonnenſtrahlen durch den obern Halb - kreis des duͤnnern Mittels auf den untern Halbkreis des dichtern Mittels in einem Winkel von 45 Graden fallen; auf welche Weiſe ſoll man denn aber beobachten koͤnnen, welch ein Verhaͤltniß die auf die freye Hori - zontallinie oder Flaͤche des dichtern Mittels fallenden Lichtſtrahlen nunmehr nach der Brechung haben? Wie will man den Bezug des Einfallswinkels zum Brechungswinkel auffinden? Man muß doch wohl erſt einen Punct geben, an welchem beyde bemerkbar zuſam - menſtoßen koͤnnen.
Dieſes iſt auf keine Weiſe zu bewirken, als wenn man irgend ein Hinderniß, eine Bedeckung, uͤber die eine Seite bis an den Mittelpunct ſchiebt. Und dieſes510 kann geſchehen entweder an der Lichtſeite, wie wir es in Nr. 4. oder an der entgegengeſetzten, wie wir es Nr. 3. dargeſtellt haben. In beyden Faͤllen verhaͤlt ſich der Sinus des Einfallswinkels zu dem Sinus des Refractionswinkels ganz gleich, nur daß im erſten Falle das Licht gegen die Finſterniß zuruͤckt, im zweyten die Finſterniß gegen das Licht. Daher denn im erſten der blaue und blaurothe Rand und Saum, im zweyten der gelbe und gelbrothe zum Vorſchein kommen; wobey uͤbrigens keine Differenz ihrer Refraction, noch weniger alſo einer Refrangibilitaͤt eintritt.
Es ſteht alſo hier die Bemerkung wohl am rechten Platze, daß man zwar irgend ein durch Erfahrung aus - gemitteltes allgemeines Naturgeſetz linearſymboliſch aus - druͤcken und dabey gar wohl die Umſtaͤnde, wodurch das zum Grunde liegende Phaͤnomen hervorgebracht wird, vorausſetzen koͤnne; daß man aber von ſolchen Figuren auf dem Papiere nicht gegen die Natur wei - ter operiren duͤrfe, daß man bey Darſtellung eines Phaͤnomens, das bloß durch die beſtimmteſten Bedingun - gen hervorgebracht wird, eben dieſe Bedingungen nicht ignoriren, verſchweigen, beſeitigen duͤrfe; ſondern ſich Muͤhe zu geben habe, dieſe gleichfalls im Allgemeinen auszuſprechen und ſymboliſch darzuſtellen. Wir glauben dieſes auf unſrer elften Tafel geleiſtet, dem was wir in unſerm Entwurf muͤhſam auferbaut, hierdurch den Schlußſtein eingeſetzt und die Sache zur endlichen Ent -511 ſcheidung gebracht zu haben; und duͤrfen wohl hoffen, daß man beſonders dieſe Figuren kuͤnftig in die Com - pendien aufnehmen werde, da man an ihnen Lehre und Controvers am beſten und kuͤrzeſten vortragen kann.
Um endlich alles auf einem Blatte uͤberſehen zu koͤnnen, haben wir in der fuͤnften Figur dasjenige Phaͤ - nomen dargeſtellt, woraus die Achromaſie und ſogar die Hyperchromaſie entſpringt. Wir nehmen an, daß ein mit dem vorigen gleich brechendes Mittel die chemi - ſche Kraft und Gabe beſitze, die Farbenerſcheinung mehr zu verbreiten. Hier ſieht man, daß bey gleicher Incidenz mit Nr. 1. und gleicher Refraction, dennoch eine anſehnliche Differenz in der Farbenerſcheinung ſey. Vielleicht iſt dieſes Phaͤnomen auch in der Natur dar - zuſtellen, wie es hier nur in Abſtracto ſteht; wie man denn ſchon jetzt die Farbenerſcheinung eines Mittels ver - mehren kann, ohne an ſeiner Refractionskraft merklich zu aͤndern. Auch wiederholen wir hier die Vermu - thung (E. 686.), daß es moͤglich ſeyn moͤchte, irgend einem refrangirenden Mittel die chemiſche Eigenſchaft, farbige Raͤnder und Saͤume hervorzubringen, gaͤnzlich zu benehmen.
Wem nunmehr dieſes bisher von uns Dargeſtellte deutlich und gelaͤufig iſt, dem wird alles was Newton von Meſſung, Berechnung und Raͤſonnement bey dieſer512 Propoſition anbringt, weiter nicht imponiren, um ſo weniger als durch die neuern Erfahrungen jenes alte Sparrwerk laͤngſt eingeriſſen iſt. So bekriegen wir auch nicht den
Es wird in demſelben die Seitenbewegung des Spectrums, die uns durch den fuͤnften Verſuch bekannt geworden, durch mehrere Prismen wiederholt, dadurch aber weiter nichts geleiſtet, als daß das immer verlaͤn - gerte Spectrum ſich immermehr buͤckt; welches alles uns nach dem, was wir ſchon genugſam kennen, wei - ter nicht intereſſirt.
Man kann von verſchiedenen Seiten in eine Wiſ - ſenſchaft herein oder auch zu einem einzelnen Phaͤno -513 men herankommen, und von dieſer erſten Anſicht haͤngt ſehr oft die ganze Behandlung des Gegenſtandes ab. Giebt man hierauf in der Geſchichte des Wiſſens wohl Acht, bemerkt man genau, wie gewiſſe Individuen, Geſellſchaften, Nationen, Zeitgenoſſen an eine Entde - ckung, an die Bearbeitung eines Entdeckten herankom - men; ſo klaͤrt ſich manches auf, was außerdem verbor - gen bliebe oder uns verwirrt machte. In der Geſchichte der Chromatik werden wir dieſen Leitfaden oͤfters an - knuͤpfen, und auch bey Beurtheilung des gegenwaͤrtigen Abſchnittes ſoll er uns gute Dienſte thun. Wir bemer - ken alſo vor allen Dingen, daß Newton ſein Intereſſe fuͤr die Farbenlehre dadurch gewann, daß er die diop - triſchen Fernroͤhre zu verbeſſern ſuchte.
Bey Entdeckung der Refractionsgeſetze hatte man die Farbenerſcheinung nicht beachtet und zwar mit Recht: denn bey Verſuchen mit parallelen Mitteln iſt ſie von keiner Bedeutung. Als man aber geſchliffene Glaͤſer zu Brillen und Teleſkopen anwendete, kam die - ſes Phaͤnomen naͤher zur Sprache. Sobald die Teleſko - pe einmal entdeckt waren, gingen Mathematiker und Techniker mit Ernſt auf ihre Verbeſſerung los, der ſich beſonders zwey Maͤngel entgegenſtellten, die man Aber - rationen, Abirrungen nannte. Die eine kam von der Form her: denn man bemerkte, daß die aus Kugel - ſchnitten beſtehenden Linſen nicht alle Theile des Bildes rein in einen Punct verſammelten, ſondern die Strah - len (indem man ſich dieſer Vorſtellung dabey bediente) I. 33514theils fruͤher, theils ſpaͤter zur Convergenz brachten. Man that daher den Vorſchlag und machte Verſuche, elliptiſche und paraboliſche Glaͤſer anzuwenden, welche jedoch nicht vollkommen gelingen wollten.
Waͤhrend ſolcher Bemuͤhungen ward man auf die zweyte Abweichung, welche farbig war, aufmerkſam. Es zeigte ſich, daß der Deutlichkeit der Bilder ſich eine Farbenerſcheinung entgegenſetzte, welche beſonders die Graͤnzen, worauf es doch hauptſaͤchlich bey einem Bilde ankommt, unſicher machte. Lange hielt man dieſe Erſchei - nung fuͤr zufaͤllig; man ſchob ſie auf eine unregelmaͤ - ßige Brechung, auf Unrichtigkeiten des Glaſes, auf Umſtaͤnde welche vorhanden und nicht vorhanden ſeyn konnten, und war indeß unablaͤſſig bemuͤht, jene erſte von der Form ſich herſchreibende Abweichung auszuglei - chen und aufzuheben.
Newton wendete hingegen ſeine Aufmerkſamkeit auf die zweyte Art der Aberration. Er findet die Farbenerſcheinung conſtant und, da er von prismati - ſchen Verſuchen ausgeht, ſehr maͤchtig; er ſetzt die Lehre von diverſer Refrangibilitaͤt bey ſich feſt. Wie er ſie begruͤndet, haben wir geſehen; wie er dazu ver - leitet worden, wird uns die Geſchichte zeigen.
Nach ſeinen Erfahrungen, nach der Art wie er ſie515 auslegt, nach der Weiſe wie er theoretiſirt, iſt die in der Propoſition ausgeſprochne Folgerung ganz richtig: denn wenn das farbloſe Licht divers refrangibel iſt; ſo kann die Farbenerſcheinung von der Refraction nicht getrennt werden, jene Aberration iſt nicht ins Gleiche zu bringen, die dioptriſchen Fernroͤhre ſind nicht zu verbeſſern.
Jedoch nicht allein dieſes, ſondern weit mehr folgt aus der Hypotheſe der diverſen Refrangibilitaͤt. Un - mittelbar folgt daraus, daß die dioptriſchen Fernroͤhre ganz unbrauchbar ſeyn muͤſſen, indem wenigſtens alles was an den Gegenſtaͤnden weiß iſt, vollkommen bunt erſcheinen muͤßte.
Ja, ganz abgeſehen von dioptriſchen Fernroͤhren, Brillen und Lorgnetten, muͤßte die ganze ſichtbare Welt, waͤre die Hypotheſe wahr, in der hoͤchſten Verworren - heit erſcheinen. Alle Himmelslichter ſehen wir durch Refraction; Sonne, Mond und Sterne zeigen ſich uns, indem ſie durch ein Mittel hindurchblicken, an einer an - dern Stelle als an der ſie ſich wirklich befinden; wie bey ihrem Auf - und Untergang die Aſtronomen beſon - ders zu bemerken wiſſen. Warum ſehen wir denn dieſe ſaͤmmtlichen leuchtenden Bilder, dieſe groͤßern und kleinern Funken, nicht bunt, nicht in die ſieben Far - ben aufgeloͤſt? Sie haben die Refraction erlitten, und33 *516waͤre die Lehre von der diverſen Refrangibilitaͤt unbe - dingt wahr; ſo muͤßte unſre Erde, bey Tag und bey Nacht, mit der wunderlichſten bunten Beleuchtung uͤberſchimmert werden.
Newton fuͤhlt dieſe Folgerung wohl: denn da er in Gefolg obiger Propoſition eine ganze Weile ge - meſſen und gerechnet hat, ſo bricht er ſehr naiv in die bedeutenden Worte aus: „ Wobey man ſich denn ver - wundern muß, daß Fernroͤhre die Gegenſtaͤnde noch ſo deutlich zeigen, wie ſie es thun. “ Er rechnet wie - der fort und zeigt, daß die Aberration die aus der Form des Glaſes herkommt, beynahe ſechſtehalbtau - ſendmal geringer ſey als die welche ſich von der Farbe herſchreibt, und kann daher die Frage nicht unterlaſſen: „ Wenn aber die Abweichungen die aus der verſchiede - nen Refrangibilitaͤt der Strahlen entſpringen, ſo un - geheuer ſind, wie ſehen wir durch Fernroͤhre die Gegen - ſtaͤnde nur noch ſo deutlich wie es geſchieht? “ Die Art wie er dieſe Frage beantwortet, wird der nunmehr unterrichtete Leſer mit ziemlicher Bequemlichkeit im Ori - ginal wahrnehmen koͤnnen. Es iſt auch hier hoͤchſt merkwuͤrdig, wie er ſich herumdruͤckt und wie ſeltſam er ſich gebaͤrdet.
Waͤre er aber auch auf dem rechten Wege geweſen und haͤtte er, wie Descartes vor ihm, eingeſehn, daß517 zu der prismatiſchen Farbenerſcheinung nothwendig ein Rand gehoͤre; ſo haͤtte er doch immer noch behaupten koͤnnen und duͤrfen, daß jene Aberration nicht auszu - gleichen, jene Randerſcheinung nicht wegzunehmen ſey. Denn auch ſeine Gegner, wie Rizzetti und andre, konnten eben deshalb nicht recht Fuß faſſen, weil ſie jene Randerſcheinung der Refraction allein zuſchreiben mußten, ſobald ſie als conſtant anerkannt war. Nur erſt die ſpaͤtere Entdeckung, daß die Farbenerſcheinung nicht allein eine allgemeine phyſiſche Wirkung ſey, ſon - dern eine beſondre chemiſche Eigenſchaft des Mittels vorausſetze, konnte auf den Weg leiten, den man zwar nicht gleich einſchlug, auf dem wir aber doch gegen - waͤrtig mit Bequemlichkeit wandeln.
Newton bemuͤht ſich hier, die Farbenerſcheinung wie ſie durchs Prisma gegeben iſt, mit der welche ſich bey Linſen findet, zu vergleichen, und durch einen Ver - ſuch zu beweiſen, daß ſie beyde voͤllig mit einander uͤbereintreffen. Er waͤhlt die Vorrichtung ſeines zwey - ten Verſuches, wo er ein roth und blaues, mit ſchwar - zen Faͤden umwickeltes Bild durch eine Linſe auf eine entgegengeſtellte Tafel warf. Statt jenes zwiefach ge - faͤrbten Bildes nimmt er ein gedrucktes, oder auch mit518 ſchwarzen Linien bezogenes weißes Blatt, auf welches er das prismatiſche Spectrum wirft, um die deutli - chere oder undeutlichere Erſcheinung der Abbildung hinter der Linſe zu beobachten.
Was uͤber die Sache zu ſagen iſt, haben wir weitlaͤuftig genug bey jenem zweyten Experiment aus - gefuͤhrt, und wir betrachten hier nur kuͤrzlich abermals ſein Benehmen. Sein Zweck iſt, auch an den pris - matiſchen Farben zu zeigen, daß die mehr refrangiblen ihren Bildpunct naͤher an der Linſe, die weniger re - frangiblen weiter von der Linſe haben. Indem man nun denkt, daß er hierauf los gehen werde, macht er, nach ſeiner ſcheinbaren großen Genauigkeit, die Be - merkung, daß bey dieſem Verſuche nicht das ganze prismatiſche Bild zu brauchen ſey: denn das tiefſte Violett ſey ſo dunkel, daß man die Buchſtaben oder Linien bey der Abbildung gar nicht gewahr werden koͤnne; und nachdem er hiervon umſtaͤndlich gehandelt und das Rothe zu unterſuchen anfaͤngt, ſpricht er, wie ganz im Vorbeygehen, von einem ſenſiblen Rothen; alsdann bemerkt er, daß auch an dieſem Ende des Spectrums die Farbe ſo dunkel werde, daß ſich die Buchſtaben und Linien gleichfalls nicht erkennen ließen, und daß man daher in der Mitte des Bildes operiren muͤſſe, wo die gedachten Buchſtaben und Linien noch ſichtbar werden koͤnnen.
Man erinnere ſich alles deſſen was wir oben an - gefuͤhrt, und bemerke, wie Newton durch dieſe Aus - flucht den ganzen Verſuch aufhebt. Denn, wenn eine Stelle iſt im Violetten, wo die Buchſtaben unſichtbar werden, und eben ſo im Rothen eine, wo ſie gleich - falls verſchwinden; ſo folgt ja natuͤrlich, daß in die - ſem Falle die Figuren auf der meiſt refrangiblen Far - benflaͤche zugleich mit denen auf der mindeſt refran - giblen verſchwinden, und umgekehrt, daß wo ſie ſicht - bar ſind, ſie ſtufenweiſe zu gleicher Zeit ſichtbar ſeyn muͤſſen; daß alſo hier an keine diverſe Refrangibilitaͤt der Farben zu denken, ſondern daß allein der hellere oder dunklere Grund die Urſache der deutlichern oder undeutlichern Erſcheinung jener Zuͤge ſeyn muͤſſe. Um aber ſein Spiel zu verdecken, druͤckt Newton ſich hoͤchſt unbeſtimmt aus: er ſpricht von ſenſiblem Roth, da es doch eigentlich die ſchwarzen Buchſtaben ſind, die im helleren Rothen noch ſenſibel bleiben. Senſibel iſt das Roth noch ganz zuletzt am Spectrum in ſeiner groͤßten Tiefe und Dunkelheit, wenn es auch kein gedrucktes Blatt mehr erleuchten kann, und die Buchſtaben darin nicht mehr ſenſibel ſind. Eben ſo druͤckt ſich Newton auch uͤber das Violette und die uͤbrigen Farben aus. Bald ſtehen ſie wie in Abſtracto da, bald als Lichter die das Buch erleuchten; und doch koͤnnen ſie als leuchtend und ſcheinend fuͤr ſich, bey dieſem Verſuche keineswegs gelten; ſie muͤſſen allein als ein heller oder dunkler Grund in Bezug auf die Buchſtaben und Faͤ - den betrachtet werden.
Dieſer Verſuch alſo wird von dem zweyten, auf den er ſich bezieht, zerſtoͤrt und hilft dagegen auch den zweyten zerſtoͤren, da wir das Bekenntniß Newtons vor uns haben, daß von beyden Seiten die Bemerk - barkeit der unterliegenden ſchwarzen Zuͤge aufhoͤre, und zwar wegen des eintretenden Dunklen; woraus denn folgt, daß bey zunehmender Hellung die Deut - lichkeit dieſer Zuͤge durchaus mitwachſen wird, die Farbe mag ſeyn welche ſie will. Alles was hieruͤber zu ſagen iſt, werden wir nochmals bey Beſchreibung des Apparats zuſammenfaſſen.
Hier fuͤhrt nun Newton ſein katoptriſches Teleſkop vor: eine Erfindung die auch nach Verbeſſerung der dioptriſchen Fernroͤhre bey Ehren und Wuͤrden geblie - ben iſt, und von der wir unſererſeits, da wir uns nur mit den Farben beſchaͤftigen, nichts zu ſagen haben.
Auch in dieſem Theile ſind falſche und captioſe Verſuche, confus genug aber doch abſichtlich, zuſam - mengeſtellt. Man kann ſie in eine polemiſche und in eine didactiſche Maſſe ſondern.
Polemiſch faͤngt der Verfaſſer an: denn nachdem er unumſtoͤßlich dargethan zu haben glaubt, die Far - ben ſeyen wirklich im Lichte enthalten; ſo muß er die aͤltere auf Erfahrung gegruͤndete Vorſtellungsart, daß naͤmlich zu den Farbenerſcheinungen in Refractions - faͤllen eine Graͤnze noͤthig ſey, widerlegen, und er waͤhnt ſolches mit den vier erſten Verſuchen geleiſtet zu haben.
Didactiſch urgirt er ſodann aufs neue die Unver - aͤnderlichkeit des einmal hervorgebrachten homogenen522 Lichtes und die verſchiedenen Grade der Refrangibilitaͤt. Hiermit beſchaͤftigt er ſich vom fuͤnften bis zum achten Experiment. Spaͤterhin im ſiebzehnten limitirt er, ja hebt er wieder auf, was er im fuͤnften bewieſen hat.
Nun aber beſchaͤftigt er ſich vom neunten bis zum funfzehnten Verſuch, etwas hervorzubringen und zu be - weiſen, woran ihm ſehr viel gelegen ſeyn muß. Wenn er naͤmlich aus dem farbloſen Lichte und aus weißen Flaͤchen die Farben hervorgelockt, oder vielmehr das reine weiße Licht in Farben geſpalten hat; ſo muß er ja auch, wenn er das Herausgebrachte wieder hinein - bringt, das Geſonderte wieder zuſammendraͤngt, jenes reine koͤrperliche Weiß wieder herſtellen.
Da wir aber genugſam uͤberzeugt ſind, daß die Farbe nicht aus einer Theilung des Lichtes entſtehe, ſondern vielmehr durch den Zutritt einer aͤußeren Be - dingung, die unter mancherley empiriſchen Formen, als des Truͤben, des Schattens, der Graͤnze, ſich aus - ſpricht; ſo erwarten wir wohl, Newton werde ſich ſeltſam gebaͤrden muͤſſen, um das bedingte, getruͤbte, uͤberſchattete, beſchattete Licht mit Inbegriff dieſer Be - dingung als reines weißes Licht darzuſtellen, um aus dunklen Farben ein helles Weiß zu miſchen.
Indem er alſo hier gleichſam die Probe auf ſein523 erſtes Rechnungsexempel machen will, zeigen will, daß dasjenige was er durch bloße Trennung hervorgebracht, abermals durch bloße Verbindung jenes erſte Reſultat geben muͤſſe; ſo ſtellt ſich ihm durchaus das Dritte, die aͤußere Bedingung, die er beſeitigt zu haben glaubt, in den Weg, und ſo muß er Sinne, ſinnlichen Ein - druck, Menſchenverſtand, Sprachgebrauch und alles verlaͤugnen, wodurch ſich Jemand als Menſch, als Beob - achter, als Denker bethaͤtigt.
Wie dieß zugehen konnte, glauben wir im hiſtori - ſchen Theil von der pſychiſchen und ethiſchen Seite, unter der Rubrik: Newtons Perſoͤnlichkeit, hinreichend entwickelt zu haben. Hier bleibt uns nichts uͤbrig, als unſre polemiſche Pflicht abermals im Beſondern zu erfuͤllen.
Da wir in unſerm Entwurf gezeigt, daß bey der524 Refraction gar keine Farben entſtehen, als da wo Licht und Dunkel an einander graͤnzen; ſo werden die - jenigen welche ſich durch unſern Vortrag von der Wahrheit dieſer Verhaͤltniſſe uͤberzeugt haben, neugie - rig ſeyn, zu erfahren, wie ſich Newton benehme, um nunmehr das Wahre unwahr zu machen. Er verfaͤhrt hierbey wie in dem erſten Falle, da er das Unwahre wahr zu machen gedachte, wie wir bald im Einzelnen einſehen werden.
Siehe Fig. 4. Taf. XIII.
Laſſet die Sonne in eine dunkle Cammer ſcheinen durch eine laͤngliche Oeffnung F.
Dieſe Oeffnung muß nothwendig in die Hoͤhe ge - hen, obgleich die Figur nur einen Punct vorſtellt und alſo dadurch ſogleich die Einſicht in die Sache er - ſchwert.
Die Breite kann ſechs oder acht Theile eines Zolls ſeyn, auch weniger.
Dieſe erſte Vorrichtung beſtehe alſo in einer etwa ſechs Zoll hohen und aͤußerſt ſchmalen Spalte im Bleche des Fenſterladens.
Nun gehe der Strahl FH
Nun iſt es ſchon wieder ein Strahl, da es doch eigentlich nur ein von einer Seite ſehr verſchmaͤlertes, von der andern ſehr verlaͤngertes Sonnenbild iſt.
zuerſt durch ein ziemlich großes Prisma ABC, das ohn - gefaͤhr zwanzig Fuß von der Oeffnung ſteht.
Warum denn nun wieder zwanzig Fuß? Ueber dieſes Einfuͤhren von Bedingungen, ohne daß man die Urſachen davon entdeckt, haben wir uns oͤfters be - klagt und durchaus gefunden, daß ſie entweder uͤber - fluͤſſig oder captios ſind. Hier iſt die Bedingung cap - tios. Denn eigentlich will er nur ein ganz ſchwaches Licht haben, ganz ſchwache Farben hervorbringen, ja vielleicht gar den Verſuch gleichſam unmoͤglich machen. Denn wer hat gleich eine dunkle Cammer von zwanzig Fuß Tiefe und druͤber, und wenn er ſie hat, wie526 lange ſteht denn die Sonne niedrig genug, um in der Mittagszeit die dem Fenſter entgegengeſetzte Wand oder ein Prisma, das doch wenigſtens in einiger Hoͤhe vom Boden ſtehn muß, zu beſcheinen?
Wir erklaͤren daher dieſe Bedingung fuͤr ganz un - noͤthig, da der Verſuch mit dem Prisma geſchieht und keine Linſe mit ins Spiel kommt, wo ſich wegen der Brenn - und Bildweite die Bedingungen der Entfer - nung allenfalls nothwendig machen.
Dieſes Prisma ſey parallel zu der Oeffnung.
Das heißt parallel zur Tafel worin die Oeffnung ſich befindet, parallel zur Fenſterbank, eigentlich aber, wie bey allen prismatiſchen Verſuchen, ſo, daß eine aus dem Mittelpunct des Sonnenbildes gedachte Linie rechtwinklig auf dem Prisma ſtehe.
Dann gehe dieſer Strahl mit ſeinem weißen Theile
Hier haben wir alſo wieder einen weißen Theil eines ſchon gebrochnen Strahles. Es iſt aber weiter527 nichts als die weiße Mitte des ſehr verlaͤngerten Bildes.
durch eine laͤngliche Oeffnung H,
Dieſe laͤngliche Oeffnung iſt auch wieder als ein Punct gezeichnet, wodurch die Darſtellung ganz falſch wird; denn dieſe Oeffnung muß bey dem Verſuch auch laͤng - lich ſeyn und vertical ſtehen wie die Oeffnung F im Fenſterladen.
welche breit ſey den vierten oder ſechſten Theil eines Zolles.
Das heißt doch alſo nur eine ſchmale Ritze. Und warum ſoll denn dieſe Ritze ſo ſchmal ſeyn? Bloß damit man nicht ſehe, was denn eigentlich vorgeht und was getrieben wird.
Dieſe Oeffnung H ſey in einen ſchwarzen dunklen Koͤr - per GI gemacht.
Daß das Blech oder die Pappe GI ſchwarz ſey,528 iſt gar nicht noͤthig; daß ſie aber undurchſichtig ſey, verſteht ſich von ſelbſt.
und ſtehe zwey oder drey Fuß vom Prisma
Dieſe Entfernung iſt aber auch wieder gleichguͤltig oder zufaͤllig.
in einer parallelen Lage zu dem Prisma und zu der vor - dern Oeffnung.
Weil Newton ſeine Verſuche nicht in einer na - tuͤrlichen Ordnung, ſondern auf eine kuͤnſtlich ver - ſchraͤnkte Weiſe vorbringt; ſo iſt er genoͤthigt bey einem jeden Verſuch den ganzen Apparat zu beſchreiben, da derſelbe Apparat doch ſchon oͤfter dageweſen iſt und Newton ſich, wenn er redlich waͤre, nur auf den vo - rigen beziehen koͤnnte. Allein bey ihm wird jeder Ver - ſuch fuͤr ſich aufgebaut und das Nothwendige mit un - noͤthigen Bedingungen durchwebt, ſo daß eben da - durch das Helldunkel entſteht, in dem er ſo gern operirt.
Wenn nun das weiße Licht durch die Oeffnung H durch -529 gegangen, ſo falle es auf ein weißes Papier p t, das hinter der Oeffnung ohngefaͤhr drey bis vier Fuß entfernt ſteht, damit ſich die gewoͤhnlichen Farben des Prisma’s darauf ab - bilden moͤgen, naͤmlich Roth in t; Gelb in s, Gruͤn in r, Blau in q, und Violett in p.
Man gebe wohl Acht! Das Licht iſt an der Spalte weiß angekommen und bildet hinter derſelben das Spectrum. Auf das was folgt wende man nun aber alle Aufmerkſamkeit.
Man nehme einen Eiſendraht, oder ſonſt einen duͤnnen undurchſichtigen Koͤrper, deſſen Staͤrke ohngefaͤhr der zehnte Theil eines Zolls iſt; damit kann man die Strahlen in k l m n o auffangen.
Nun nehme man die Figur vor ſich und ſehe, wo ſich denn dieſe Strahlen k l m n o finden ſollen. Dieſe Buchſtaben ſtehen vor dem Prisma, gegen die Sonne zu, und ſollen alſo, wie auch die fuͤnf Linien bezeichnen, farbige Strahlen vorſtellen, wo noch keine Farbe iſt. In keiner Figur des ganzen Werkes, in keinem Experiment iſt noch dergleichen vorgekommen, iſt uns zugemuthet worden, etwas das ſelbſt gegen den Sinn des Verfaſſers iſt, anzunehmen und zu - zugeben.
Was thut denn alſo das Staͤbchen r, indem es an der Außenſeite des Prisma’s herumfaͤhrt? Es ſchnei - det das farbloſe Bild in mehrere Theile, macht aus einem Bild mehrere Bilder. Dadurch wird freylich die Wirkung in p q r s t verwirrt und verunreinigt; aber Newton legt die Erſcheinung dergeſtalt aus:
Sind die Strahlen k l m n o ſucceſſiv aufgefangen, ſo werdet ihr auch die Farben t s r q oder p eine nach der andern dadurch wegnehmen, indeſſen die uͤbrigen auf dem Papier bleiben wie vorher; oder mit einem etwas ſtaͤrkeren Hinderniß koͤnnt ihr zwey, drey oder vier Farben zuſammen wegnehmen, ſo daß der Ueberreſt bleibt.
Die drey erſten Figuren unſerer 13ten Tafel ſtellen die Erſcheinungen dieſes erſten Verſuchs der Wahrheit gemaͤß vor. Da wir bey Beſchreibung und Erklaͤrung dieſer Tafel die Sache umſtaͤndlicher entwickeln, ſo er - lauben wir uns unſre Leſer dorthin zu verweiſen und fragen nur vorlaͤufig: was hat denn Newton vorge - nommen, um ſeinen Satz zu beweiſen?
Er behauptet daß Raͤnder, daß Graͤnzen des Hel - len und Dunklen keinen Einfluß auf die Farbenerſchei - nung bey der Refraction haben; und was thut er in531 ſeinem Experiment? Er bringt dreymal Graͤnzen hervor, damit er beweiſe, die Graͤnze ſey ohne Bedeutung!
Die erſte Graͤnze iſt oben und unten an der Oeff - nung H im Fenſterladen. Er behaͤlt noch weißes Licht in der Mitte, geſteht aber nicht, daß ſchon Farben an den beyden Enden ſich zeigen. Die zweyte Graͤnze wird durch die Ritze H hervorgebracht. Denn warum wird denn das refrangirte Licht, das weiß auf der Ta - fel GI ankommt, farbig, als weil die Graͤnze der Ritze H oben und unten die prismatiſchen Farben her - vorbringt? Nun haͤlt er das dritte Hinderniß, einen Draht oder ſonſt einen andern cylindriſchen Koͤrper, vor das Prisma und bringt alſo dadurch abermals Graͤnzen hervor, bringt im Bilde ein Bild, die Faͤr - bung an den Raͤndern des Staͤbchens umgekehrt her - vor. Beſonders erſcheint die Purpurfarbe in der Mitte, an der einen Seite das Blaue, an der andern das Gelbe. Nun bildet er ſich ein, mit dieſem Staͤbchen farbige Strahlen wegzunehmen, wirft aber dadurch nur ein ganz gefaͤrbtes ſchmales Bild auf die Ta - fel GI. Mit dieſem Bilde operirt er denn auch in die Oeffnung H hinein; verdraͤngt, verſchmutzt die dort abgebildeten Farben, ja verhindert ſogar ihr Werden, indem ſie in der Oeffnung H erſt werdend ſind, und ſetzt denjenigen der die Verhaͤltniſſe einſehen lernt, in Erſtaunen, wie man ſich ſo viele unredliche Muͤhe ge - ben konnte, ein Phaͤnomen zu verwirren, und wie34 *532ein Mann von ſolchen Talenten in dieſem Fall gerade dasjenige thun konnte was er laͤugnet. So iſt denn auch das was hierauf folgt keinesweges der Erfahrung gemaͤß.
Auf dieſe Weiſe kann jede der Farben ſo gut als die vio - lette die letzte an der Graͤnze des Schattens, gegen p. zu, wer - den, und eine jede kann ſo gut als das Rothe die letzte an der Graͤnze des Schattens t ſeyn.
Einem unaufmerkſamen Zuſchauer koͤnnte man wohl dergleichen vorſpiegeln, weil durch das Hinderniß r neue Farben entſtehen, indem die alten verdraͤngt werden; aber man kann geradezu ſagen, wie Newton die Sache ausdruͤckt, iſt ſie nicht wahr: bey den mitt - lern Farben kann er wohl eine Confuſion hervorbrin - gen, doch nicht an der Graͤnze; weder in p noch in t wird man jemals Gruͤn ſehen koͤnnen. Man beherzige genau die folgende Stelle, wo er wieder anfaͤngt wie Bileam das entgegengeſetzte von dem zu ſagen, was er ſagen will.
Ja, einige Farben koͤnnen auch den Schatten begraͤnzen, welcher durch das Hinderniß r innerhalb des Farbenbildes hervorgebracht worden.
Nun geſteht er alſo, daß er durch ſein Hinderniß r533 Schatten hervorbringt, daß an dieſen Schatten Farben - ſaͤume geſehen werden, und dieß ſagt er zum Beweis daß die Graͤnze des Lichtes und Schattens auf die Far - be nicht einfließe! Man gebe uns ein Beyſpiel in der Geſchichte der Wiſſenſchaften, wo Hartnaͤckigkeit und Unverſchaͤmtheit auf einen ſo hohen Grad getrieben worden.
Zuletzt kann jede Farbe, wenn man alle uͤbrigen wegge - nommen hat und ſie allein bleibt, zugleich an beyden Seiten vom Schatten begraͤnzt ſeyn.
Daß die ſchon entſtandene Farbe des prismatiſchen Bildes einzeln durch irgend eine Oeffnung gelaſſen und iſolirt werden koͤnne, wird nicht gelaͤugnet; daß man durch das Staͤbchen etwas aͤhnliches hervorbrin - gen koͤnne, iſt natuͤrlich: allein der aufmerkſame Be - obachter wird ſelbſt an dieſer entſtandenen Farbe die durch dieſe Einklemmung abgenoͤthigte entgegengeſetzte Farbe entſtehen ſehen, die bey der Unreinlichkeit dieſes Verſuchs dem Unerfahrenen entgehen moͤchte. Ganz vergeblich alſo zieht er den Schluß:
Alle Farben verhalten ſich gleichguͤltig zu den Graͤnzen des Schattens.
Daß die Graͤnzen des Schattens nach ganz be - ſtimmten Geſetzen bey der Refraction auf die Farben wirken, haben wir in dem Entwurf umſtaͤndlich gezeigt.
Und deswegen entſtehen die Unterſchiede dieſer Farben von einander nicht von den Graͤnzen des Schattens, wodurch das Licht verſchiedentlich modificirt wuͤrde, wie es bisher die Meynung der Philoſophen geweſen.
Da ſeine Praͤmiſſen falſch ſind, ſeine ganze Dar - ſtellung unwahr, ſo iſt ſeine Concluſion auch nichtig; und wir hoffen die Ehre der alten Philoſophen wieder herzuſtellen, die bis auf Newton die Phaͤnomene in wahrer Richtung verfolgt, wenn auch gleich manchmal auf Seitenwege abgelenkt hatten.
Der Schluß ſeiner Darſtellung laͤßt uns noch etwas tiefer in die Charte ſehen.
Wenn man dieſe Dinge verſucht, ſo muß man bemerken, daß je ſchmaͤler die Oeffnungen F und H ſind, je groͤßer die Intervalle zwiſchen ihnen und dem Prisma, je dunkler das Zimmer, um deſto mehr werde das Experiment gelingen, vor - ausgeſetzt, daß das Licht nicht ſo ſehr vermindert ſey, daß man die Farben bey p t nicht noch genugſam ſehen koͤnne.
Daß alſo wegen der Entfernung vom Fenſter, we - gen der Entfernung der Tafeln vom Prisma, die Lich - ter ſehr ſchwach ſind mit denen man operire, geſteht er Die Oeffnungen ſollen kaum Ritzen ſeyn, ſo daß das Far - benbild auch nicht einmal einige Breite habe, und man ſoll denn doch genau beobachten koͤnnen, welche Farbe denn eigentlich die Graͤnze macht. Eigentlich aber iſt es nur drauf angelegt, das Ganze den Sinnen zu entziehen, blaſſe Farben hervorzubringen, um innerhalb derſelben mit dem Staͤbchen r deſto beſſer operiren zu koͤnnen. Denn wer den Verſuch, wie wir ihn nachher vortra - gen werden, beym energiſchen Lichte macht, der wird das Unwahre der Aſſertion auffallend genug finden.
Ein Prisma von maſſivem Glas, das groß genug zu die - ſem Experiment waͤre, zu finden, wuͤrde ſchwer ſeyn, weswe - gen ein prismatiſches Gefaͤß, von polirten Glasplatten zuſam - mengefuͤgt und mit Salzwaſſer oder Oel gefuͤllt, noͤthig iſt.
Wie wir Newton ſchon oben den Vorwurf ge - macht, daß er die Beſchreibung ſeines Apparats bey jedem Experiment wiederholt, ohne daß man das Ver - haͤltniß der Experimente die mit gleichem Apparat her - vorgebracht werden, gewahr wird; ſo laͤßt ſich auch hier bemerken, daß Newton immer ſein Waſſerprisma bringt, wenn er die weiße Mitte braucht und alſo ein großes Bild durch Refraction verruͤcken muß.
Merkwuͤrdig iſt es, wie er erſtlich dieſe weiße Mitte durch eine Hinterthuͤre hereinſchiebt und ſie nach und nach ſo uͤberhand nehmen laͤßt, daß von den ſie begraͤnzenden Raͤndern gar die Rede nicht mehr iſt; und das alles geht vor den Augen der gelehrten und experimentirenden Welt vor, die doch ſonſt genau und widerſprechend genug iſt!
Da dieſer Verſuch gleichfalls unter die zuſammen - geſetzten gehoͤrt, wobey Prismen und Linſen vereinigt gebraucht werden; ſo koͤnnen wir denſelben nur erſt in unſerm mehr erwaͤhnten ſupplementaren Aufſatz ent - wickeln. Auch duͤrfen wir ihn um ſo eher hier uͤber - gehen, als Newton einen voͤllig gleichgeltenden nach - bringt, der, wie er ſelbſt geſteht, bequemer iſt und genau betrachtet, den gegenwaͤrtigen voͤllig unnoͤthig macht.
Siehe Fig. 2. Taf. XIV.
Ein anderes aͤhnliches Experiment laͤßt ſich leichter anſtellen, wie folgt. Laßt einen breiten Sonnenſtrahl
Nun iſt der Sonnenſtrahl breit. Es heißt aber weiter nichts, als man mache die Oeffnung groß, wo - durch das Licht herein faͤllt; ja, welches bey dieſem Verſuch ganz einerley iſt, man ſtelle das Prisma ins freye Sonnenlicht. Hier aber ſoll es
in eine dunkle Kammer fallen durch eine Oeffnung im Fenſterladen, und durch ein großes Prisma A B C gebrochen werden,
Unſer gewoͤhnliches Waſſerprisma iſt zu dieſem Verſuche ſehr geſchickt.
deſſen brechender Winkel C mehr als ſechzig Grade hat,
Dieſe Vermehrung der Grade des Winkels iſt, bey dieſem Verſuch beſonders, ganz unnuͤtz, nur eine Be - dingung die einen ſehr leichten Verſuch erſchwert, in - dem ſie einen umſtaͤndlicheren Apparat fordert als er ſich gewoͤhlich findet.
und ſobald es aus dem Prisma kommt, laßt es auf das weiße Papier D E, das auf eine Pappe gezogen iſt, fallen, und dieſes Licht, wenn das Papier perpendicular gegen daſſelbe ſteht, wie es in D E gezeichnet iſt, wird vollkommen weiß auf dem Papier erſcheinen.
Hier haben wir nun alſo endlich ein durchs Pris - ma gegangnes, gebrochnes und voͤllig weißes Licht. Wir muͤſſen hier abermals, und waͤre es unſern Leſern verdruͤßlich, aufmerkſam machen, wie es herein ge - kommen.
Erſtlich, im dritten Experiment des erſten Theils wird uns ein voͤllig farbiges Spectrum vorgefuͤhrt, und an demſelben durch mancherley Verſuche und Folgerungen die diverſe Refrangibilitaͤt bewieſen. Iſt der Verfaſſer damit zu Stande, ſo kommt am Ende der Illuſtration des fuͤnften Experiments ein zwar refrangirtes aber doch noch weißes Licht unangemeldet zum Vorſchein. 539Nun bringt er auch bald das ſonſt ſtaͤtig gefaͤrbte Vild mit einer weißen Mitte. Dann faͤngt er an in dieſer weißen Mitte zu operiren, manchal ſogar ohne es zu geſtehen; und jetzt, weil er die Wirkung der Graͤnze zwiſchen Licht und Schatten nicht anerkennt, laͤugnet er auf der Tafel D E jede farbige Erſcheinung. Warum ſind denn aber die an den beyden Enden A C der in - nern Seite des Prisma’s hervortretenden farbigen Raͤn - der verſchwiegen? Warum iſt denn die Tafel D E nicht groͤßer angegeben? Doch wohl nur darum, weil er ſonſt, wenn ſie groͤßer waͤre, nothwendig jener auf ihr erſcheinenden Raͤnder gedenken muͤßte.
Man betrachte nun die Figur und ſehe wie ein Linienſtrom auf das Prisma herankommt, durch daſſelbe durchgeht, und hinter demſelben wieder heraustritt, und dieſer Linienſtrom ſoll einen durchaus weißen Raum vorſtellen. Indeſſen werden uns durch dieſe fingirten Linien die hypothetiſchen Strahlen doch wie - der vor die Augen gebracht. Nun bemerke man aber wohl, was mit der Tafel D E vorgeht. Sie wird in die Stellung d e gebracht und was geſchieht in e? Das gebrochene Licht gelangt weiß an den Rand der Tafel, und beginnt an dieſem Rande ſogleich die eine Seite der Farben hervorzubringen, und zwar in dieſer Lage die gelbe und gelbrothe. Dieſer hier entſtehende Rand und Saum verbreitet ſich uͤber die ganze Tafel wegen der ſchiefen Lage derſelben; und alſo da, wo540 Newton einen Rand, eine Graͤnze laͤugnet, muß er gerade einen Rand hervorbringen, um das Phaͤnomen wovon er ſpricht darzuſtellen. In der Lage δ ε entſteht die umgekehrte Erſcheinung, naͤmlich der violette Rand, und verbreitet ſich gleichfalls uͤber die ganze Tafel, wie man ſich deſſen genugſam an unſrer wahrheitge - maͤßen Figur unterrichten kann.
Da alſo Newton nicht einſehen konnte, daß hier der Rand der Tafel vollkommen wirkſam ſey, ſo bleibt er bey ſeiner ſtarren Ueberzeugung, indem er fortfaͤhrt:
Und wenn das Licht, ehe es auf das Papier faͤllt, zwey - mal in derſelben Richtung durch zwey parallele Prismen ge - brochen wird, ſo werden dieſe Farben viel deutlicher ſeyn.
Alſo ein Licht kann zweymal durch zwey hinter - einanderſtehende Prismen gebrochen werden, und immer weiß bleiben und ſo auf der Tafel D E ankommen? Dieß merke man doch ja! Daß aber nachher, wenn man in dieſem doppelt gebrochnen weißen Lichte operirt, die Farben lebhafter erſcheinen, iſt natuͤrlich, weil die Ver - ruͤckung des Bildes verdoppelt wird. Aber dieſe Vor - richtung, die keinesweges leicht zu machen iſt, weil man nach ſeiner Forderung zwey Waſſerprismen und beyde am Ende gar uͤber ſechzig Grade haben ſollte, dieſe Steigerung des Verſuchs hier anzuempfehlen, iſt541 abermals gaͤnzlich unnuͤtz: denn bey der Operation mit Einem Prisma ſind die Farben ſchon deutlich genug, und wer da nicht ſieht wo ſie herkommen, der wird es durch das zweyte Prisma auch nicht lernen. In - deſſen faͤhrt Newton fort:
Hier geſchah es nun, daß alle die mittlern Theile des breiten Strahls vom weißen Lichte, das auf das Papier fiel, ohne eine Graͤnze von Schatten, die es haͤtte modificiren koͤn - nen, uͤber und uͤber mit einer gleichen Farbe gefaͤrbt wurden.
Wir haben oben gezeigt, daß der Rand der Pappe hier ſelbſt die Graͤnze mache und ſeinen gefaͤrbten Halb - ſchatten uͤber das Papier hinwerfe.
Die Farbe aber war ganz dieſelbe in der Mitte des Pa - piers wie an den Enden.
Keineswegs! denn der genaue Beobachter wird recht gut Einmal an der Graͤnze das Gelbrothe, aus dem das Gelbe ſich entwickelt, das andremal das Blaue, von dem das Violette herſtralt, bemerken koͤnnen.
Die Farbe wechſelte nur nach der verſchiedenen Schiefe542 der Tafel, ohne daß in der Refraction oder dem Schatten oder dem Licht etwas waͤre veraͤndert worden.
Er biegt ſeine Pappe hin und wieder und behaup - tet, es ſey in den Umſtaͤnden nichts veraͤndert worden. Daſſelbe behauptete er mit eben ſo wenig Genauigkeit beym vorigen Experimente. Da er nun immer die Hauptmomente uͤberſieht und ſich um ſeine Praͤmiſſen nichts bekuͤmmert, ſo iſt ſein ergo immer daſſelbige.
Es faͤllt uns bey dieſer Gelegenheit ein, daß Baſedow, der ein ſtarker Trinker war, und in ſeinen beſten Jahren in guter Geſellſchaft einen ſehr erfreuli - chen Humor zeigte, ſtets zu behaupten pflegte: die Concluſion ergo bibamus paſſe zu allen Praͤmiſſen. Es iſt ſchoͤn Wetter, ergo bibamus! Es iſt ein haͤßli - cher Tag, ergo bibamus! Wir ſind unter Freunden, ergo bibamus! Es ſind fatale Burſche in der Geſell - ſchaft, ergo bibamus! So ſetzt auch Newton ſein ergo zu den verſchiedenſten Praͤmiſſen. Das gebrochne Lichtbild iſt ganz und ſtaͤtig gefaͤrbt; alſo iſt das Licht divers refrangibel. Es hat eine weiße Mitte; und doch iſt es divers refrangibel. Es iſt einmal ganz weiß; und doch iſt es divers refrangibel. Und ſo ſchließt er auch hier, nachdem er in dieſen drey Experimenten dop - pelt und dreyfach Raͤnder und Graͤnzen des Lichts und Schattens gebraucht:
Deswegen muß man dieſe Farben aus einer andern Urſache herleiten, als von neuen Modificationen des Lichtes durch Refraction und Schatten.
Dieſe Art Logik hat er ſeiner Schule uͤberliefert und bis auf den heutigen Tag wiederholen ſie ihr ewi - ges ergo bibamus, das eben ſo laͤcherlich und noch viel laͤſtiger iſt als das Baſedowiſche manchmal wer - den konnte, wenn er denſelben Spaß unaufhoͤrlich wie - derbrachte.
Daß der Verfaſſer nunmehr bereit ſeyn werde, die Urſache nach ſeiner Weiſe anzugeben, verſteht ſich von ſelbſt. Denn er faͤhrt fort:
Fragt man nun aber nach ihrer Urſache, ſo antworte ich: das Papier in der Stellung d e iſt ſchiefer gegen die mehr re - frangiblen Strahlen als gegen die weniger refrangiblen gerich - tet, und wird daher ſtaͤrker durch die letzten als durch die erſten erleuchtet, und deswegen ſind die weniger refrangiblen Strahlen in dem von der Tafel zuruͤckgeworfnen Lichte vor - herrſchend.
Man bemerke, welche ſonderbare Wendung er neh - men muß, um ſein Phaͤnomen zu erklaͤren. Erſt hatte544 er ein gebrochnes und doch voͤllig weißes Licht. In dem - ſelben ſind keine Farben ſichtbar, wenn die Tafel gerade ſteht; dieſe Farben aber kommen gleich zum Vorſchein, ſobald die Tafel eine ſchiefe Richtung erhaͤlt. Weil er von den Raͤndern und Saͤumen nichts wiſſen will, die nur einſeitig wirken, ſo ſupponirt er, daß bey ſchieferer Lage der Tafel wirklich das ganze Spectrum entſtehe, aber nur das eine Ende davon ſichtbar werde. Warum wird denn aber das ans Gelbe ſtoßende Gruͤn niemals ſichtbar? Warum kann man das Gelbe uͤber die wei - ße Tafel hin und her fuͤhren, ſo daß es immer im Weißen endigt? wobey niemals ein Gruͤn zum Vor - ſchein kommt, und dieſes ganz naturgemaͤß, weil hier der gelbe und gelbrothe Rand nur einſeitig wirkt, und ihm der andere nicht entgegen kommen kann. Im zwey - ten Falle aͤußert der Rand wieder ſeine einſeitige Wir - kung; Blau und Violett entſtehen, ohne daß Gelb und Gelbroth entſpringen und entgegenſtrahlen koͤnnen.
Um recht deutlich zu machen, daß dieſe Farben hier bloß von dem Rande entſtehen, ſo haben wir zu dieſem Verſuch eine Tafel mit Erhoͤhungen, mit Stif - ten, mit Kugelſegmenten angegeben, damit man ſich ſogleich uͤberzeugen koͤnne, daß nur eine ſchattenwer - fende Graͤnze innerhalb des gebrochenen aber noch wei - ßen Lichtes, Farben hervorzubringen im Stande ſey.
Und wo dieſe weniger refrangiblen Strahlen im Lichte545 praͤdominiren, ſo faͤrben ſie es mit Roth oder Gelb, wie es einigermaßen aus der erſten Propoſition des erſten Theils die - ſes Buchs erſcheint,
Dieſes Newtoniſche einigermaßen heißt auch hier in der Hetmanniſchen Manier, gar nicht. Denn aus der Propoſition kann nichts erſcheinen oder hervortreten, als inſofern ſie bewieſen iſt: nun haben wir umſtaͤndlich gezeigt, daß ſie nicht bewieſen iſt, und ſie laͤßt ſich alſo zu keiner Beſtaͤtigung anfuͤhren.
und wie kuͤnftig noch ausfuͤhrlicher erſcheinen wird.
Mit dem Kuͤnftigen hoffen wir ſowohl als mit dem Vergangenen fertig zu werden.
Hier fuͤhrt Newton den Fall mit Seifenblaſen an, welche ihre Farbe veraͤndern, ohne daß man ſagen koͤnne, es trete dabey eine Veraͤnderung der Graͤnze des Lichts und Schattens ein. Dieſe Inſtanz paßtI. 35546hier gar nicht. Die Erſcheinungen an den Seifenbla - ſen gehoͤren in ein ganz andres Fach, wie in unſerem Entwurfe genugſam auseinander geſetzt iſt.
Wenn man zwar im Ganzen behauptet, daß zur Entſtehung der Farbe ein Licht und Schatten, ein Licht und Nichtlicht noͤthig ſey; ſo kann doch dieſe Be - dingung auf gar vielerley Weiſe eintreten. Beym Refractionsfall ſpricht ſich aber jene allgemeine Be - dingung als eine beſondre, als Verruͤckung der Graͤnze zwiſchen Licht und Schatten aus.
Zu dieſen Verſuchen kann man noch das zehnte Experi - ment des erſten Theils dieſes Buchs hinzufuͤgen.
Wir koͤnnen das was hier geſagt iſt, uͤbergehen, weil wir bey Auslegung jenes Verſuches ſchon auf die gegenwaͤrtige Stelle Ruͤckſicht genommen.
Bey den Verſuchen zu der vierten Propoſition des erſten Theils dieſes erſten Buchs, als ich die heterogenen Strahlen von einander geſchieden hatte,
Wie reinlich dieſe Scheidung geſchehen, iſt unſern Freunden ſchon oben klar geworden, und Newton wird ſogleich wieder ſelbſt bekennen, wie es denn eigentlich mit dieſer Abſonderung ausſehe.
erſchien das Spectrum p t, welches durch die geſchiede - nen Strahlen hervorgebracht war, im Fortſchritt
Hier iſt alſo ein Fortſchritt! Doch wohl ein ſtaͤtiger?
von dem Ende p, wohin die refrangibelſten Strahlen35 *548fielen, bis zu dem andern Ende t, wohin die wenigſt refran - giblen Strahlen anlangten, gefaͤrbt mit den Reihen von Farben,
Man bemerke wohl: Reihen.
Violett, Dunkel - und Hellblau, Gruͤn, Gelb, Orange und Roth zugleich,
Man merke wohl: zugleich.
mit allen ihren Zwiſchenſtufen
Die Reihen ſtanden alſo nicht von einander ab, ſondern ſie hatten Stufen zwiſchen ſich. Nun bemerke man was folgt.
in einer beſtaͤndigen Folge, die immer abwechſelte,
Alſo oben hatten wir ſeparirte Farben, und hier haben wir eine beſtaͤndige Folge derſelben; und mit549 wie leiſem Schritt, man moͤchte auch wohl ſagen, in welcher ſtaͤtigen Folge wird hier Luͤge mit Wahrheit verbunden: Luͤge, daß die Farben in jenem Experi - ment ſeparirt worden, Wahrheit, daß ſie in einer ſtaͤti - gen Folge erſcheinen.
dergeſtalt daß ſie als eben ſo viele Stufen von Farben erſchienen, als es Arten von Strahlen giebt, die an Refran - gibilitaͤt verſchieden ſind.
Hier ſind es nun wieder Stufen. In einer nach Newtons Weiſe dargeſtellten ſtaͤtigen Reihe giebt es keine natuͤrlichen Stufen, wohl aber kuͤnſtliche; wie je - doch ſeinem kuͤnſtlichen Stufenweſen die Natur, die er laͤugnet, heimlich zu Huͤlfe kommt, wiſſen theils unſre Leſer ſchon, theils muͤſſen wir ſpaͤter nochmals darauf zuruͤckkommen.
Dieſe Farben alſo konnten durch Refraction nicht weiter veraͤndert werden. Ich erkannte das, als ich durch ein Prisma einen kleinen Theil bald dieſes bald jenes Lichtes wieder der Brechung unterwarf: denn durch eine ſolche Bre -550 chung ward die Farbe des Lichtes niemals im mindeſten veraͤndert.
Wie es ſich damit verhaͤlt, haben wir ſchon oben gezeigt, und man gebe nur Acht, wohin dieſe abſoluten Aſſertionen, niemals, im mindeſten, ſogleich hin - auslaufen werden.
Wir anticipiren hier eine Bemerkung die eigent - lich in die Geſchichte der Farbenlehre gehoͤrt. Hauy in ſeinem Handbuch der Phyſik wiederholt obige Be - hauptung mit Newtons entſchiedenen Worten; allein der deutſche Ueberſetzer iſt genoͤthigt in einer Note an - zufuͤgen: „ Ich werde unten Gelegenheit nehmen zu ſagen, von welchen Lichtarten des Farbenſpectrums, meinen eigenen Verſuchen zufolge, dieß eigentlich gilt und von welchen nicht. “ Dasjenige alſo, von deſſen abſoluter Behauptung ganz allein die Haltbarkeit der Newtoniſchen Lehre abhinge, gilt und gilt nicht. Hauy ſpricht die Newtoniſche Lehre unbedingt aus, und ſo wird ſie im Lyceen-Unterricht jedem jungen Franzoſen unbedingt in den Kopf gepraͤgt; der Deutſche muß mit Bedingungen hervortreten, und doch iſt jene durch Bedingungen ſogleich zerſtoͤrte Lehre noch immer die guͤltige: ſie wird gedruckt, uͤberſetzt und das Publicum muß dieſe Maͤhrchen zum tauſendſtenmal bezahlen.
Aber in ſolchen Bedingungen iſt Newton ſeinen551 Schuͤlern ſchon muſterhaft vorgegangen, wie wir gleich wieder hoͤren werden.
Ward ein Theil des rothen Lichtes gebrochen, ſo blieb es voͤllig von derſelben rothen Farbe wie vorher.
Er faͤngt mit ſeinem guͤnſtigen Roth wieder an, damit ja jeder Experimentator auch wieder mit dem - ſelben anfange, und, wenn er ſich genug damit herum - gequaͤlt, die uͤbrigen Farben entweder fahren laſſe oder die Erſcheinungen wenigſtens mit Vorurtheil betrachte. Deswegen faͤhrt auch der Verfaſſer mit ſo beſtimmter Sicherheit fort:
Weder Orange noch Gelb, weder Gruͤn noch Blau, noch irgend eine neue Farbe ward durch dieſe Brechung hervorge - bracht, auch ward die Farbe durch wiederholte Refractionen keineswegs veraͤndert, ſondern blieb immer das voͤllige Roth wie zuerſt.
Wie es ſich damit verhalte, iſt oben umſtaͤndlich ausgefuhrt.
Die gleiche Beſtaͤndigkeit und Unveraͤnderlichkeit fand ich ebenfalls in blauen, gruͤnen und andern Farben.
Wenn der Verfaſſer ein gut Gewiſſen hat, warum erwaͤhnt er denn der Farben hier außer der Ordnung? Warum erwaͤhnt er das Gelbe nicht, an welchem die entgegengeſetzten Raͤnder ſo deutlich erſcheinen? Warum erwaͤhnt er des Gruͤnen zuletzt, an dem ſie doch auch nicht zu verkennen ſind?
Eben ſo, wenn ich durch ein Prisma auf einen Koͤrper ſah, der von einem Theil dieſes homogenen Lichtes erleuchtet war, wie im vierzehnten Experiment des erſten Theils dieſes Buchs beſchrieben iſt; ſo konnte ich keine neue Frabe, die auf dieſem Weg erzeugt worden waͤre, gewahr werden.
Wie es ſich damit verhalte, haben wir auch dort ſchon gewieſen.
Alle Koͤrper die mit zuſammengeſetztem Lichte erleuchtet ſind, erſcheinen durch Prismen verworren, wie ſchon oben geſagt iſt, und mit verſchiedenen neuen Farben gefaͤrbt; aber die, welche mit homogenem Lichte erleuchtet ſind, ſchienen durch die Prismen weder undeutlicher noch anders gefaͤrbt als wenn man ſie mit bloßen Augen ſah.
Die Augen muͤſſen aͤußerſt ſchlecht, oder der Sinn553 muß ganz von Vorurtheil umnebelt ſeyn, wenn man ſo ſehen, ſo reden will.
Die Farben dieſer Koͤrper waren nicht im mindeſten ver - aͤndert durch die Refraction des angewendeten Prisma’s.
Man halte dieſes abſolute nicht im mindeſten nur einen Augenblick feſt und hoͤre.
Ich ſpreche hier von einer merklichen (seusibel) Veraͤnde - rung der Farbe:
Merklich muß doch freylich etwas ſeyn, wenn man es bemerken ſoll.
denn das Licht, das ich homogen nenne,
Hier haben wir den Coſaken Hetmann wieder.
iſt nicht abſolut homogen, und es koͤnnte denn doch von ſeiner Heterogenitaͤt eine kleine Veraͤnderung der Farbe entſpringen.
554Iſt aber jene Heterogenitaͤt ſo klein, als ſie bey jenen Experimenten zur vierten Propoſition gemacht worden; ſo war dieſe Veraͤnderung nicht merklich.
Man gehe zu dem zuruͤck was wir bey jenen Ex - perimenten geſagt haben, wobey auch auf gegenwaͤrtige Stelle Ruͤckſicht genommen worden, und man wird ſich uͤberzeugen, daß die ſogenannte Newtoniſche Hete - rogenitaͤt gar nicht vermindert werden kann, und daß alles nur Spiegelfechtereyen ſind was er zu ſeinen ſo - phiſtiſchen Zwecken vornimmt. Eben ſo ſchlecht iſt es mit der Homogenitaͤt beſtellt. Genug, alles was er erſt in ſeinen Propoſitionen abſolut ausſpricht, bedingt er nachher und fluͤchtet ſich entweder ins Unend - liche oder ins Indiscernible; wie er denn gegenwaͤrtig auch thut, indem er ſchließt:
Deswegen bey Experimenten, wo die Sinne Richter ſind,
Auch ein eigner Ausdruck. Die Sinne ſind kei - nesweges Richter, aber vortreffliche Zeugen, wenn ſie außen geſund ſind und von innen nicht beſtochen.
jene allenfalls uͤbrige Heterogenitaͤt fuͤr gar nichts gerech - net werden darf.
Hier beißt ſich die Schlange wieder in den Schwanz, und wir erleben zum hundertſtenmal immer eben dieſelbe Verfahrungsart. Erſt ſind die Farben voͤllig unveraͤnderlich, dann wird eine gewiſſe Veraͤn - derung doch merklich, dieſes Merkliche wird ſo lange gequaͤlt bis es ſich vermindert und wieder vermindert, aber doch den Sinnen nicht entzogen werden kann, und doch zuletzt fuͤr ganz und gar nichts erklaͤrt. Ich moͤchte wohl wiſſen, wie es mit der Phyſik ansſaͤhe, wenn man durch alle Capitel ſo verfahren waͤre.
Wie nun dieſe Farben durch Refraction nicht zu veraͤndern ſind, ſo ſind ſie es auch nicht durch Reflexion. Denn alle wei - ße, graue, rothe, gelbe, gruͤne, blaue, violette Koͤrper, als Papier, Aſche, Mennige, Auripigment, Indig, Bergblau, Gold, Silber, Kupfer, Gras, blaue Blumen, Veilchen, Waſ - ſerblaſen mit verſchiedenen Farben gefaͤrbt, Papageyen-Federn, die Tinetur der nephritiſchen Holzes u. dgl. erſchienen im ro - then homogenen Lichte voͤllig roth, im blauen Licht voͤllig blau, im gruͤnen Licht voͤllig gruͤn, und ſo in den andern Farben.
Wenn wir nicht von Newton gewohnt waͤren, daß556 dasjenige was er angiebt, der Erfahrung geradezu widerſpricht; ſo wuͤrde es unbegreiflich ſeyn, wie er hier etwas voͤllig Unwahres behaupten kann. Der Ver - ſuch iſt ſo einfach und laͤßt ſich ſo leicht anſtellen, daß die Falſchheit dieſer Angabe einem jeden leicht vor die Augen gebracht werden kann.
Eigentlich gehoͤrt dieſer Verſuch in das Capitel der ſcheinbaren Miſchung, wo wir ihn auch (E. 565. 566. ) angefuͤhrt haben.
Warum nimmt denn aber Newton zu ſeinem Zwecke farbige Pulver, Blumen, kleine Koͤrper, die ſich nicht gut handhaben laſſen? da doch der Verſuch ſich ſehr viel bequemer, und demjenigen dem es ums Rechte zu thun iſt, ſehr viel deutlicher auf groͤßern farbigen Flaͤchen, z. B. auf farbigem Papier, am deutlichſten zeigt.
Es verſteht ſich zuerſt, daß die weiße Flaͤche die ſaͤmmtlichen Farben des Bildes am reinſten und maͤch - tigſten zeigen wird. Das Graue zeigt ſie zwar auch rein, aber nicht ſo maͤchtig, und dieß immer weniger je mehr ſich das Graue dem Schwarzen naͤhert. Nimmt man aber farbige Flaͤchen, ſo entſteht die ſcheinbare Miſchung, und die Farben des Spectrums erſcheinen entweder, in ſofern ſie mit der Farbe des557 Papiers uͤbereinkommen, maͤchtiger und ſchoͤner, oder, in ſofern ſie der Farbe des Papiers widerſprechen, un - ſcheinbarer und undeutlicher; in ſofern ſie aber ſich mit der Farbe des Papiers vermiſchen und eine dritte her - vorbringen koͤnnen, wird dieſe dritte Farve wirklich hervorgebracht. Dieſes iſt das wahre und naturgemaͤße Verhaͤltniß, von welchem ſich Jedermann uͤberzeugen kann, der nur ein Prisma in die Sonne ſtellen und das Spectrum mit weißem, grauem oder farbigem Pa - pier der Reihe nach auffangen will.
Man bemerke nun, daß in dem naͤchſtfolgenden der Verfaſſer auf ſeine alte Manier das erſt ausge - ſprochene wieder bedingt.
In dem homogenen Lichte einer jeden Farbe erſchienen alle koͤrperlichen Farben voͤllig von jener einen Farbe, mit dem einzigen Unterſchied, daß einige derſelben das Licht ſtaͤr - ker, andre ſchwaͤcher zuruͤckwarfen.
Mit ſtark und ſchwach laͤßt ſich die Erſcheinung nur bey Weiß und Grau und Schwarz ausdruͤcken; bey allen farbigen Flaͤchen aber muß, wie geſagt, auf die Miſchung geſehen werden, da ſich denn das ereignet was wir eben angezeigt haben.
Und doch fand ich niemals einen Koͤrper, der wenn er das homogene Licht zuruͤckwarf, merklich deſſen Farbe veraͤn - dern konnte.
Hier haben wir das Wort merklich ſchon wieder, und doch iſt es wohl ſehr merklich, wenn das gelbrothe Ende des Spectrums auf ein blaues oder violettes Papier geworfen wird, da denn ſogleich mehr oder weniger die Purpurfarbe entſteht: und ſo mit allen uͤbrigen Miſchungen, wie ſie uns bekannt ſind. Doch ha - ben wir noch zu bemerken, daß die Art wie Newton den Verſuch mit Koͤrpern oder koͤrperlichen Gegenſtaͤnden, mit Pulvern u. dgl. anſtellt, etwas captioſes im Hinterhalte hat; weil alsdann nicht von einer reinen Flaͤche, ſondern aus Hoͤhen und Tiefen, aus erleuchteten und beſchatte - ten Stellen, das Licht zuruͤck ins Auge kommt und der Verſuch unſicher und unrein wird. Wir beſtehen daher darauf, daß man ihn mit ſchoͤnen farbigen, glatt auf Pappe gezogenen Papieren anſtelle. Will man Taffent, Atlaß, ſeines Tuch zu dem Verſuche nehmen, ſo wird er mehr oder weniger ſchoͤn und deutlich aus - fallen.
Daß nunmehr Newton abermals mit ſeinem ergo bibamus ſchließen werde, laͤßt ſich erwarten: denn er ſetzt ſehr glorios hinzu:
Woraus denn klar iſt, daß wenn das Sonnenlicht nur559 aus Einer Art Strahlen beſtuͤnde, nur Eine Farbe in der gan - zen Welt ſeyn wuͤrde. Auch wird es nicht moͤglich ſeyn irgend eine neue Farbe durch Reflexionen und Refractionen hervorzu - bringen, und folglich haͤngt die Verſchiedenheit der Farben von der Zuſammenſetzung des Lichtes ab.
Unſre Leſer welche einſehen, wie es mit den Praͤ - miſſen ſteht, werden die Schlußfolge von ſelbſt wuͤr - digen koͤnnen.
Das homogene Licht, die homogenen Strahlen, welche roth erſcheinen oder vielmehr die Gegenſtaͤnde ſo erſcheinen machen, nenne ich rubrifik oder rothmachend, diejenigen durch welche die Gegenſtaͤnde gelb, gruͤn, blau, violett erſcheinen, nenne ich gelbmachend, gruͤnmachend, blaumachend, violett - machend und ſo mit den uͤbrigen. Denn, wenn ich manchmal von Licht und Strahlen rede, als wenn ſie gefaͤrbt oder von Farben durchdrungen waͤren, ſo will ich dieſes nicht philoſo - phiſch und eigentlich geſagt haben; ſondern auf gemeine Weiſe, nach ſolchen Begriffen wie das gemeine Volk, wenn es dieſe Experimente ſaͤhe, ſie ſich vorſtellen koͤnnte. Denn, eigentlich zu reden, ſind die Strahlen nicht farbig, es iſt nichts darin als eine gewiſſe Kraft und Dispoſition das Gefuͤhl dieſer oder jener Farbe zu erregen: denn wie der Klang einer Glocke, ei - ner Muſikſaite, eines andern klingenden Koͤrpes nichts als560 eine zitternde Bewegung iſt, und in der Luft nichts als dieſe Bewegung, die von dem Object fortgepflanzt wird, und im Senſorium das Gefuͤhl dieſer Bewegung, unter der Form des Klanges; eben ſo ſind die Farben der Gegenſtaͤnde nur eine Dispoſition dieſe oder jene Art Strahlen haͤufiger als die uͤbrigen zuruͤckzuwerfen, in den Strahlen aber iſt nichts als ihre Dispoſitionen dieſe oder jene Bewegung bis zum Senſo - rium fortzupflanzen, und im Senſorium ſind es Empfindun - gen dieſer Bewegungen, unter der Form von Farben.
Wie unter der Rubrik einer Definition dieſe wun - derliche theoretiſche Stelle hier eingeſchaltet wird, eini - germaßen begreiflich zu machen, iſt hier vor allen Dingen unſre Pflicht, weil wir allein dadurch zu einer beſſern Einſicht in die Stelle ſelbſt gelangen koͤnnen. Die Geſchichte der Farbenlehre benachrichtigt uns, daß ſogleich als Newton mit ſeiner Erklaͤrung des prismatiſchen Phaͤnomens hervortrat, die Naturforſcher der damaligen Zeit, wohlbemerkend, daß nach dieſer Art ſich die Sache zu denken, die Farben koͤrperlich in dem Lichte enthalten ſeyn muͤßten, ihm die damals ſehr in Gunſt ſtehende Theorie der Schwingungen ent - gegen ſetzten und behaupteten, daß die Farben bequemer und beſſer auf dieſem Wege erklaͤrt oder gedacht werden koͤnnten. Newton erwiederte, daß es ganz gleichguͤltig ſey, was man fuͤr eine hoͤhere Theorie zu Erklaͤrung dieſer Phaͤnomene anwenden wolle; ihm ſey es nur um die Thatſache zu thun, daß dieſe farbebringenden Eigenſchaften des Lichtes durch Refraction manifeſtirt wuͤrden, und ſich eben auch ſo durch Reflexion, In -561 flexion u. ſ. w. manifeſtirten. Dieſe Schwingungslehre, dieſe Vergleichung der Farbe mit dem Ton, ward durch Malebranche abermals beguͤnſtigt und man war alſo auch in Frankreich geneigt dazu. Gegenwaͤrtige Defi - nition oder Declaration ſteht alſo hier, um jene theore - tiſche Differenz aufzuheben und zu neutraliſiren, das Atomiſtiſche der Newtoniſchen Vorſtellungsart mit der dynamiſchen ſeiner Gegner zu amalgamiren, dergeſtalt daß es wirklich ausſehe, als ſey zwiſchen beyden Lehren kein Unterſchied. Der Leſer commentire ſich die Stelle ſelbſt und bemerke das Zuſammenkneten dynamiſcher und atomiſtiſcher Ausdruͤcke.
In dieſer unſerer Erlaͤuterung liegt die Antwort fuͤr diejenigen welche die Frage aufwerfen, wie ſich die Newtoniſche Farbenlehre noch habe allgemein erhalten koͤnnen, da ſpaͤterhin Euler die Schwingungslehre wie - der angeregt und in Gunſt gebracht. Man ließ ſich naͤmlich gefallen, daß die verſchiedenen Schwingungs - moͤglichkeiten, die im Lichte ſich heimlich befinden, durch Refraction und andere aͤußere Beſtimmungen zur Er - ſcheinung gebracht wuͤrden; wodurch man denn auch nicht weiter kam, wie Newton ſelbſt bey Gelegenheit ſeiner Controvers und in der oben angefuͤhrten Stelle anmerkt und behauptet.
Dieſer Verhaͤltniſſe aber hier zu erwaͤhnen, hatI. 36562Newton noch einen beſondern Anlaß. Er bereitet ſich vor, das Verhaͤltniß der Farben ſeines Spectrums zu meſſen, und dieſe Verhaͤltniſſe mit denen des Tons zu vergleichen; wobey ihm denn jene Schwingungslehre zur Einleitung dient.
Der Verfaſſer, welcher wohl gefuͤhlt haben mag, daß ſeine Farbenlehre ſich im phyſikaliſchen Kreiſe voͤl - lig iſolire, daß ſeine Erklaͤrung der Phaͤnomene mit der Erklaͤrung andrer Naturerſcheinungen ſich nicht wohl verbinden laſſe, geht nun darauf aus, die Maßverhaͤlt - niſſe ſeines Spectrums an die Tonverhaͤltniſſe anzuſchlie - ßen und durch dieſe Verbindung ſeiner Meynung eini - gen Ruͤckenhalt zu verſchaffen ..
Ganz vergeblicherweiſe knuͤpft er daher gegenwaͤrti - gen Verſuch an den fuͤnften des erſten Theils und an dasjenige was bey Gelegenheit der vierten Propoſition geſagt worden: denn eigentlich nimmt er ſein gewoͤhn - lich Spectrum, laͤßt es aufs Papier fallen, auf wel - chem der Umriß gezeichnet iſt, und zieht alsdann an der Graͤnze jeder Farbe Querlinien, um den Raum den eine jede einnimmt, und die Verhaͤltniſſe der Diſtanzen von einander zu meſſen.
Nachdem er alſo im Vorhergehenden viele Zeit und Papier verdorben, um gegen die Natur zu bewei - ſen, daß das Spectrum aus unendlichen in einander greifenden Farben-Cirkeln beſtehe; ſo laſſen ſich nun auf einmal Querlinien ziehen durch die Graͤnzen, wo eine die andere beruͤhrt, eine von der andern zu un - terſcheiden iſt.
Wie nun bey dem Verfaſſer Wahrheit und Irr - thum innig mit einander verbunden ſind, weswegen ſein Amalgama ſich um ſo ſchwerer beurtheilen laͤßt; ſo tritt auch hier das Wahre, daß die Farben im perpendi - cularen Spectrum ſich ziemlich mit horizontalen Stri - chen bezeichnen laſſen, zum erſtenmal auf; allein der Irrthum, daß dieſe Farben unter ſich ein feſtſtehendes Maßverhaͤltniß haben, wird zugleich mit eingefuͤhrt36 *564und gewinnt durch Meſſungen und Berechnungen ein ernſthaftes und ſichres Anſehen.
Wie es ſich mit dieſen beyden Puncten verhalte, iſt unſern Leſern ſchon genugſam bekannt. Wollen ſie ſichs kuͤrzlich wiederholen, ſo duͤrfen ſie nur nochmals unſre fuͤnfte Tafel vor ſich nehmen. Wir haben auf derſelben das verruͤckte helle Bild viereckt angenommen, wobey man am deutlichſten ſehen kann, wie es ſich mit der Sache verhaͤlt. Die Farben der gezeichneten Durch - ſchnitte erſcheinen zwiſchen horizontalen parallelen Linien. Erſt ſind ſie durch das Weiße getrennt, dann tritt das Gelbe und Blaue uͤber einander, ſo daß ein Gruͤnes erſcheint. Dieſes nimmt endlich uͤberhand, denn das Gelbe und Blaue verliert ſich in demſelben. Man ſieht deutlich, indem man dieſe Tafel betrachtet, daß jeder Durchſchnitt, den man durch die fortſchreitende Erſchei - nung macht, anders ausfaͤllt, und daß nur derjenige, uͤber den ein punctirtes Oval gezeichnet iſt, mit dem Newtoniſchen Spectrum allenfalls uͤbereinkommt. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit dem verruͤckten dunklen Bilde auf der ſechſten Tafel, wodurch die Sache vollkommen ins Klare geſetzt wird.
Uns ſcheint ſie ſo außer allem Streit, daß wir die Meſſungen und die darauf gegruͤndeten Zahlen und Berechnungen ohne weiteres uͤbergehen, um ſomehr565 als man dieſes Scheingebaͤude bey dem Autor ſelbſt be - liebig nachſehen kann; behaupten aber ausdruͤcklich, daß dieſe hier ausgegruͤbelten Terzen, Quarten, Quinten bloß imaginaͤr ſeyen, und daß ſich von dieſer Seite keine Vergleichung der Farbe und des Tons denken laſſe.
Wie nun in dem vorigen Verſuche das durchs Glasprisma hervorgebrachte Spectrum angeblich gemeſ - ſen und ſeine Verhaͤltniſſe faͤlſchlich berechnet worden, ſo geht der Verfaſſer auf Verbindung mehrerer Mittel uͤber, um die verſchiedene Farbenerſcheinung, nach dem einmal gefundenen Geſetz, zu beſtimmen.
Zu dieſem Zwecke nimmt er ein Waſſerprisma mit unterwaͤrts gekehrtem brechenden Winkel, ſetzt in daſſelbe ein Glasprisma, den brechenden Winkel oberwaͤrts ge - kehrt, und laͤßt alsdann das Sonnenlicht durchfallen. Nun verſucht er ſo lange bis er ein Glasprisma findet, das bey geringerem Winkel als das Waſſerprisma, durch ſtaͤrkere Refraction die Refraction des Waſſerpris - ma’s aufhebt, dergeſtalt daß die einfallenden und aus -566 fallenden Strahlen mit einander parallel werden; da denn auch, nach aufgehobener Brechung, die Farben - erſcheinung verſchwunden ſeyn ſoll.
Wir uͤberſetzen und beſtreiten dieſes Experiment nicht, indem deſſen Unſtatthaftigkeit von Jedermann anerkannt iſt: denn daß Newton hier einen wichtigen Umſtand uͤberſehen, mußte ſogleich in die Augen fallen, als die Achromaſie bey fortdauernder Refraction, oder umgekehrt die Chromaſie bey aufgehobener Refraction, entdeckt war.
Indeſſen war es ſehr verzeihlich, daß Newton hier nicht genau nachſpuͤrte. Denn da er den Grund der Farbenerſcheinung in die Refraction ſelbſt legte, da er die Brechbarkeit, die verſchiedene Brechbarkeit ausge - ſprochen und feſtgeſetzt hatte; ſo war nichts natuͤrlicher als daß er die Wirkung der Urſache gleich ſetzte, daß er glaubte und behauptete, ein Mittel das mehr breche, muͤſſe auch die Farben ſtaͤrker hervorbringen, und in - dem es die Brechung eines andern aufhebe, auch zu - gleich die Farbenerſcheinung wegnehmen. Denn indem die Brechbarkeit aus der Brechung entſpringt, ſo muß ſie ja mit ihr gleichen Schritt halten.
Man hat ſich verwundert, daß ein ſo genauer567 Experimentator, wofuͤr man Newton bisher gehalten, daß ein ſo vortrefflicher Beobachter ein ſolches Experi - ment anſtellen und den Hauptumſtand dabey uͤberſehen konnte. Aber Newton hat nicht leicht einen Verſuch angeſtellt, als inſofern er ſeiner Meynung guͤnſtig war; wenigſtens beharrt er nur auf ſolchen, welche ſeiner Hypotheſe ſchmeicheln. Und wie ſollte er eine diverſe Refrangibilitaͤt, die von der Refraction ſelbſt wieder divers waͤre, auch nur ahnden? In der Geſchichte der Farbenlehre werden wir die Sache weiter auseinander ſetzen, wenn von Dollonds Erfindung die Rede ſeyn wird, da wir in unſerm Entwurf das Naturverhaͤltniß deutlich gemacht haben (682 — 687.).
Eigentlich war die Newtoniſche Lehre auf der Stelle todt, ſobald die Achromaſie entdeckt war. Geiſtreiche Maͤnner, z. B. unſer Kluͤgel, empfanden es, druͤckten ſich aber unentſchieden daruͤber aus. Der Schule hingegen, welche ſich ſchon lange gewoͤhnt hatte, an dieſer Lehre zu leimen, zu flicken und zu verklei - ſtern, feh[l]te es nicht an Wundaͤrzten welche den Leich - nam balſamirten, damit er auf aͤgyptiſche Weiſe, auch nach ſeinem Tode, bey phyſiſchen Gelagen praͤſidiren moͤge.
Man brauchte neben der verſchiedenen Brechbarkeit auch noch den Ausdruck einer verſchiedenen Zerſtreu -568 barkeit, indem man das unbeſtimmte, ſchon von Gri - maldi, Rizzetti, Newton ſelbſt und andern gebrauchte Wort Zerſtreuen hier in einem ganz eigenen Sinne anwendete, und, ſo ungeſchickt es auch war, der neu bekannt gewordenen Erſcheinung anpaßte, ihm ein gro - ßes Gewicht gab, und eine Lehre durch Redensarten rettete, die eigentlich nur aus Redensarten beſtand.
Uebergehen wir nun die bey dieſer Gelegenheit vorgebrachten Meſſungen und Berechnungen, welche ſchon von der phyſiſchen und mathematiſchen Welt fuͤr falſch erklaͤrt worden, ſo uͤberſetzen und beleuchten wir doch die Schlußrede, welche den Uebergang zu neuen Kunſtſtuͤcken macht, durch die wir nicht ins Licht, ſon - dern hinter das Licht gefuͤhrt werden ſollen. Denn alſo ſpricht der Verfaſſer:
Nimmt man nun dieſe Theoreme in die Optik auf,
Es iſt ſehr wunderbar, daß er dieſe Empfehlung gerade an einer Stelle anbringt, welche nun ſchon durchaus fuͤr falſch anerkannt iſt.
ſo haͤtte man Stoff genug, dieſe Wiſſenſchaft weitlaͤuftig (voluminously) nach einer neuen Manier zu behandeln, nicht569 allein bey dem Vortrag alles deſſen was zur Vollkommenheit des Sehens beytraͤgt, ſondern auch indem man mathematiſch alle Arten der Farbenphaͤnomene, welche durch Refraction entſtehen koͤnnen, beſtimmte.
Daß man aber eben dieſes auf Newtons Weiſe, nach Anleitung des letzten Experiments that, dadurch iſt die Verbeſſerung der dioptriſchen Fernroͤhre, und die wahre Einſicht in die Natur der Farbe uͤberhaupt, beſonders aber der Farbe in ſofern ſie durch Refrac - tion entſteht, auf lange Zeit unmoͤglich gemacht worden.
Nun folgt ein ganz leiſer Uebergang zu dem was wir uns zunaͤchſt ſollen gefallen laſſen.
Denn hiezu iſt nichts weiter noͤthig, als daß man die Abſonderung der heterogenen Strahlen finde,
Welche wunderlichen Anſtalten er hierzu gemacht, wie wenig er damit zu Stande gekommen, iſt von uns au und weitlaͤuftig ausgefuͤhrt. Aber man merke was noch weiter noͤthig iſt.
und ihre verſchiedenen Miſchungen und Proportionen in jeder Miſchung.
Alſo erſt ſoll man ſie abſondern und dann wieder miſchen, ihre Proportion in der Abſonderung, ihre Proportion in der Miſchung finden. Und was hat man denn davon? Was aber der Autor darunter hat, wird ſich bald zeigen, indem er uns mit den Miſchun - gen in die Enge treiben will. Indeſſen faͤhrt er fort goldne Berge zu verſprechen.
Auf dieſem Wege zu denken und zu ſchließen (way of arguing) habe ich die meiſten Phaͤnomene, die in dieſem Buche beſchrieben ſind, erfunden,
Ja wohl hat er ſie erfunden, oder ſie vielmehr ſeinem Argutiren angepaßt.
und andre mehr, die weniger zu der gegenwaͤrtigen Ab - handlung gehoͤren. Und ich kann bey den Fortſchritten, die ich in den Verſuchen gemacht habe, wohl verſprechen, daß derjenige der recht denken und folgern und alles mit guten Glaͤſern und hinreichender Vorſicht unternehmen wird, des erwarteten Erfolgs nicht ermangeln ſoll.
Der erwartete Erfolg wird nur der ſeyn, wie er es denn auch geweſen iſt, daß eine Hypotheſe im -571 mer mehr ausgeputzt wird und die vorgefaßte Mey - nung im Sinn immer mehr erſtarrt.
Aber man muß zuerſt erkennen, was fuͤr Farben von an - dern, die man in beſtimmter Proportion vermiſcht, entſtehen koͤnnen.
Und ſo haͤtte uns der Verfaſſer ganz leiſe wieder an eine Schwelle hingefuͤhrt, uͤber die er uns in eine neue Concameration ſeines Wahnes hoͤflicherweiſe hineinnoͤthigt.
Was dieſe Propoſition hier bedeuten ſolle, wie ſie mit dem Vorhergehenden eigentlich zuſammenhange und was ſie fuͤr die Folge beabſichtige, muͤſſen wir vor allen Dingen unſern Leſern deutlich zu machen ſu - chen. Die falſche Anſicht des Spectrums, daß es ur - ſpruͤnglich aus einer ſtaͤtigen Farbenreihe beſtehe, hatte Newton in dem Vorhergehenden noch mehr befeſtigt, indem er darin eine der Tonleiter aͤhnliche Scale ge - funden haben wollte.
Nun wiſſen wir aber, daß man, um der Erſchei - nung auf den Grund zu kommen, zugleich ein verruͤck - tes helles und ein verruͤcktes dunkles Bild betrachten muß. Da finden ſich nun zwey Farben, die man fuͤr einfach anſprechen kann, Gelb und Blau, zwey geſtei - gerte, Gelbroth und Blauroth, und zwey gemiſchte, Gruͤn und Purpur. Auf dieſe Unterſchiede hatte New - ton keine Acht, ſondern betrachtete nur die bey ſtarker Verruͤckung eines hellen Bildes vorkommenden Farben, unterſchied, zaͤhlte ſie, nahm ihrer fuͤnf oder ſieben an, ja ließ deren, weil in einer ſtaͤtigen Reihe ſich unend - liche Einſchnitte machen laſſen, unzaͤhlige gelten; und dieſe alle ſollten nun, ſo viel ihrer auch ſeyn moͤchten, primitive, primaͤre, in dem Licht fuͤr ſich befindliche Urfarben ſeyn.
Bey genauerer Betrachtung mußte er jedoch fin - den, daß manche von dieſen einfachen Urfarben gerade ſo ausſahen wie andere, die man durch Miſchung her - vorbringen konnte. Wie nun aber das Gemiſchte dem Urſpruͤnglichen, und das Urſpruͤngliche dem Gemiſchten aͤhnlich, ja gleich ſeyn koͤnne, dieß waͤre freylich in einem naturgemaͤßen Vortrag ſchwer genug darzuſtellen geweſen; in der Newtoniſchen Behandlung wird es jedoch moͤglich, und wir wollen, ohne uns weiter im Allgemeinen aufzuhalten, gleich zu dem Vortrag des Verfaſſers uͤbergehen, und in kurzen Anmerkungen, wie574 bisher, unſere Leſer aufmerkſam machen, worauf es denn eigentlich mit dieſem Miſchen und Wiedermiſchen am Ende hinausgeht.
Denn eine Miſchung von homogenem Roth und Gelb bringt ein Orange hervor, gleich an Farbe dem Orange das in der Reihe von ungemiſchten prismatiſchen Farben zwiſchen - inne liegt, aber das Licht des einen Orange iſt homogen, die Refrangibilitaͤt betreffend; das andere aber iſt heterogen: denn die Farbe des erſten, wenn man ſie durch ein Prisma anſieht, bleibt unveraͤndert, die von dem zweyten wird ver - aͤndert und in die Farben zerlegt die es zuſammenſetzen, naͤmlich Roth und Gelb.
Da uns der Verfaſſer mit ſo verſchiedenen um - ſtaͤndlichen Verſuchen gequaͤlt hat, warum giebt er nicht auch hier den Verſuch genau an? Warum bezieht er ſich nicht auf einen der vorigen, an den man ſich halten koͤnnte? Wahrſcheinlicherweiſe iſt er denjenigen aͤhnlich, die wir oben (154 und 155) mit eingefuͤhrt haben, wo ein Paar prismatiſche Bilder, entweder im Ganzen oder theilweiſe, objectiv uͤber einander gewor - fen und dann, durch ein Prisma angeſehen, ſubjectiv auseinander geruͤckt werden. Newton’s Intention hier - bey iſt aber keine andere, als eine Ausflucht ſich zu bereiten, damit, wenn bey abermaliger Verruͤckung ſei - ner homogenen Farbenbilder ſich neue Farben zeigen, er ſagen koͤnne, jene ſeyen eben nicht homogen gewe -575 ſen; da denn freylich Niemand Einem der auf dieſe Weiſe lehrt und disputirt, etwas anhaben kann.
Auf dieſelbe Weiſe koͤnnen andere benachbarte homogene Farben neue Farben hervorbringen, den homogenen gleich, welche zwiſchen ihnen liegen, z. B. Gelb und Gruͤn.
Man bemerke, wie liſtig der Verfaſſer auftritt. Er nimmt hier ſein homogenes Gruͤn, da doch Gruͤn als eine zuſammengeſetzte Farbe durchaus aner - kannt iſt.
Gelb und Gruͤn alſo bringen die Farbe hervor, die zwi - ſchen ihnen beyden liegt.
Das heißt alſo ungefaͤhr ein Papageygruͤn, das nach der Natur und in unſerer Sprache durch mehr Gelb und weniger Blau hervorgebracht wird. Aber man gebe nur weiter Acht.
Und nachher wenn man Blau dazu thut, ſo wird es ein Gruͤn werden, von der mittlern Farbe der drey, woraus es zuſammengeſetzt iſt.
Erſt macht er alſo Gruͤn zur einfachen Farbe und erkennt das Gelb und Blau nicht an, woraus es zu - ſammengeſetzt iſt; dann giebt er ihm ein Uebergewicht von Gelb, und dieſes Uebergewicht von Gelb nimmt er durch eine Beymiſchung von Blau wieder weg, oder vielmehr er verdoppelt nur ſein erſtes Gruͤn, in - dem er noch eine Portion neues Gruͤn hinzubringt. Er weiß aber die Sache ganz anders auszulegen.
Denn das Gelbe und Blaue an jeder Seite, wenn ſie in gleicher Menge ſind, ziehen das mittlere Gruͤn auf gleiche Weiſe zu ſich und halten es wie es war, im Gleichgewicht, ſo daß es nicht mehr gegen das Gelbe auf der einen, noch gegen das Blaue an der andern ſich neigt, ſondern durch ihre gemiſchten Wirkungen als eine Mittelfarbe erſcheint.
Wie viel kuͤrzer waͤr’ er davon gekommen, wenn er der Natur die Ehre erzeigt und das Phaͤnomen, wie es iſt, ausgeſprochen haͤtte, daß naͤmlich das prisma - tiſche Blau und Gelb, die erſt im Spectrum getrennt ſind, ſich in der Folge verbinden und ein Gruͤn ma - chen, und daß im Spectrum an kein einfaches Gruͤn zu denken ſey. Was hilft es aber! Ihm und ſeiner Schule ſind Worte lieber als die Sache.
Zu dieſem gemiſchten Gruͤn kann man noch etwas Roth577 und Violett hinzuthun, und das Gruͤne wird nicht gleich verſchwinden, ſondern nur weniger voll und lebhaft werden. Thut man noch mehr Roth und Violett hinzu, ſo wird es immer mehr und mehr verduͤnnt, bis durch das Uebergewicht von hinzugethanen Farben es uͤberwaͤltigt und in Weiß oder in irgend eine andre Farbe verwandelt wird.
Hier tritt wieder das Hauptuͤbel der Newioniſchen Lehre herein, daß ſie das σκιερὸν der Farbe verkennt, und immer glaubt mit Lichtern zu thun zu haben. Es ſind aber keinesweges Lichter, ſondern Halblichter, Halb - ſchatten, welche durch gewiſſe Bedingungen als ver - ſchiedenfarbig erſcheinen. Bringt man nun dieſe ver - ſchiedenen Halblichter, dieſe Halbſchatten uͤbereinander, ſo werden ſie zwar nach und nach ihre Specification aufgeben, ſie werden aufhoͤren, Blau, Gelb oder Roth zu ſeyn; aber ſie werden keinesweges dadurch diluirt. Der Fleck des weißen Papiers auf den man ſie wirft, wird dadurch dunkler; es entſteht ein Halb - licht, ein Halbſchatten aus ſoviel andern Halblichtern, Halbſchatten zuſammengeſetzt.
So wird, wenn man zu der Farbe von irgend einem homogenen Lichte das weiße Sonnenlicht, das aus allen Arten Strahlen zuſammengeſetzt iſt, hinzuthut, dieſe Farbe nicht verſchwinden, oder ihre Art veraͤndern, aber immer mehr und mehr verduͤnnt werden.
Man laſſe das Spectrum auf eine weiße Tafel fallen, die im Sonnenlicht ſteht, und es wird bleich aus - ſehen, wie ein anderer Schatten auch, auf welchen das Sonnenlicht wirkt ohne ihn ganz aufzuheben.
Zuletzt wenn man Roth und Violett miſcht, ſo werden nach verſchiedenen Proportionen verſchiedene Purpurfarben zum Vorſchein kommen, und zwar ſolche, die keiner Farbe irgend eines homogenen Lichtes gleichen.
Hier tritt denn endlich der Purpur hervor, das eigentliche wahre reine Roth, das ſich weder zum Gelben noch zum Blauen hinneigt. Dieſe vornehmſte Farbe, deren Entſtehung wir im Entwurf, in phyſio - logiſchen, phyſiſchen und chemiſchen Faͤllen, hinreichend nachgewieſen haben, fehlt dem Newton, wie er ſelbſt geſteht, in ſeinem Spectrum ganz, und das bloß des - wegen, weil er nur das Spectrum eines verruͤckten hellen Bildes zum Grunde ſeiner Betrachtung legt, und das Spectrum eines verruͤckten dunklen Bildes nicht zugleich auffuͤhrt, nicht mit dem erſten paralle - liſirt. Denn wie bey Verruͤckung des hellen Bildes endlich in der Mitte Gelb und Blau zuſammenkommen und Gruͤn bilden, ſo kommen bey Verruͤckung des dunklen Bildes endlich Gelbroth und Blauroth zuſam - men. Denn das was Newton am einen Ende ſeiner579 Farbenſcale Roth nennt, iſt eigentlich nur Gelbroth, und er hat alſo unter ſeinen primitiven Farben nicht einmal ein vollkommenes Roth. Aber ſo muß es allen ergehen, die von der Natur abweichen, welche das Hinterſte zu voͤrderſt ſtellen, das Abgeleitete zum Ur - ſpruͤnglichen erheben, das Urſpruͤngliche zum Abgeleite - ten erniedrigen, das Zuſammengeſetzte einfach, das Einfache zuſammengeſetzt nennen. Alles muß bey ih - nen verkehrt werden, weil das erſte verkehrt war; und doch finden ſich Geiſter vorzuͤglicher Art, die ſich auch am Verkehrten erfreuen.
Und aus dieſen Purpurfarben, wenn man Gelb und Blau hinzumiſcht, koͤnnen wieder andre neue Farben erzeugt werden.
Und ſo haͤtte er denn ſein Miſchen und Mengen auf die confuſeſte Weiſe zu Stande gebracht; worauf es aber eigentlich angeſehn iſt, zeigt ſich im folgenden.
Durch dieſe Miſchung der Farben ſucht er ihre ſpecifiſche Wirkung endlich zu neutraliſiren, und moͤchte gar zu gern aus ihnen Weiß hervorbringen; welches ihm zwar in der Erfahrung nicht geraͤth, ob er gleich mit Worten immer verſichert, daß es moͤglich und thu - lich ſey.
Wie es ſich mit dem erſten verhalte, haben wir in den Capiteln der realen und ſcheinbaren Miſchung genugſam dargelegt; und die zweyte Haͤlfte der Pro - poſition wiſſen unſre Leſer auch zu ſchaͤtzen. Wir wol - len jedoch ſehen, wie er das Vorgebrachte zu bewei - ſen gedenkt.
Die Sonne ſchien in eine dunkle Kammer durch eine kleine runde Oeffnung in dem Fenſterladen, und warf das gefaͤrbte Bild auf die entgegengeſetzte Wand. Ich hielt ein weißes Papier an die Seite, auf die Art, daß es durch das vom Bild zuruͤckgeworfene Licht erleuchtet wurde, ohne einen Theil des Lichtes auf ſeinem Wege vom Prisma zum Spec - trum aufzufangen; und ich fand, wenn man das Papier581 naͤher zu einer Farbe als zu den uͤbrigen hielt, ſo erſchien es von dieſer Farbe; wenn es aber gleich oder faſt gleich von allen Farben entfernt war, ſo daß alle es erleuchteten, erſchien es weiß.
Man bedenke was bey dieſer Operation vorgeht. Es iſt naͤmlich eine unvollkommene Reflexion eines farbigen halbhellen Bildes, welche jedoch nach den Geſetzen der ſcheinbaren Mittheilung geſchieht. (E. 588 — 592.) Wir wollen aber den Verfaſſer ausreden laſſen, um alsdann das wahre Verhaͤltniß im Zuſam - menhang vorzubringen.
Wenn nun bey dieſer letzten Lage des Papiers einige Far - ben aufgefangen wurden, verlor daſſelbe ſeine weiße Farbe und erſchien in der Farbe des uͤbrigen Lichtes das nicht aufgefan - gen war. Auf dieſe Weiſe konnte man das Papier mit Lich - tern von verſchiedenen Farben erleuchten, namentlich mit Roth, Gelb, Gruͤn, Blau und Violett, und jeder Theil des Lichts behielt ſeine eigene Farbe bis er aufs Papier fiel und von da zum Auge zuruͤckgeworfen wurde, ſo daß er, wenn entweder die Farbe allein war, und das uͤbrige Licht aufge - fangen, oder wenn ſie praͤdominirte, dem Papier ſeine eigene Farbe gab; war ſie aber vermiſcht mit den uͤbrigen Farben in gehoͤrigem Verhaͤltniß, ſo erſchien das Papier weiß, und brachte alſo dieſe Farbe in Zuſammenſetzung mit den uͤbrigen hervor. Die verſchiedenen Theile des farbigen Lichtes, welche das Spectrum reflectirt, indem ſie von daher durch die Luft fortgepflanzt werden, behalten beſtaͤndig ihre eigenen Farben: denn wie ſie auch auf die Augen des Zuſchauers fallen, ſo582 erſcheinen die verſchiedenen Theile des Spectrums unter ih - ren eigenen Farben. Auf gleiche Weiſe behalten ſie auch ihre eigenen Farben, wenn ſie auf das Papier fallen; aber dort machen ſie durch Verwirrung und vollkommene Miſchung aller Farben die Weiße des Lichts, welche von dorther zuruͤck - geworfen wird.
Die ganze Erſcheinung iſt, wie geſagt, nichts als eine unvollkommene Reflexion. Denn erſtlich bedenke man, daß das Spectrum ſelbſt ein dunkles aus lauter Schattenlichtern zuſammengeſetztes Bild ſey. Man bringe ihm nah an die Seite eine zwar weiße aber doch rauhe Oberflaͤche, wie das Papier iſt, ſo wird jede Farbe des Spectrums von derſelben obgleich nur ſchwach reflectiren, und der aufmerkſame Beobachter wird die Farben noch recht gut unterſcheiden koͤnnen. Weil aber das Papier auf jedem ſeiner Puncte von allen Farben zugleich erleuchtet iſt, ſo neutraliſiren ſie ſich gewiſſermaßen einander und es entſteht ein Daͤm - merſchein, dem man keine eigentliche Farbe zuſchreiben kann. Die Hellung dieſes Daͤmmerſcheins verhaͤlt ſich wie die Daͤmmerung des Spectrums ſelbſt, keineswe - ges aber wie die Hellung des weißen Lichtes, ehe es Farben annahm und ſich damit uͤberzog. Und dieſes iſt immer die Hauptſache welcher Newton ausweicht. Denn man kann freylich aus ſehr hellen Farben, auch wenn ſie koͤrperlich ſind, ein Grau zuſammenſetzen, das ſich aber, von weißer Kreide z. B., ſchon genug - ſam unterſcheidet. Alles dieß iſt in der Natur ſo ein -583 fach und ſo kurz, und nur durch dieſe falſchen Theo - rieen und Sophiſtereyen hat man die Sache ins Weite, ja ins Unendliche geſpielt.
Will man dieſen Verſuch mit farbigen Papieren, auf die man das Sonnenlicht gewaltig fallen und von da auf eine im Dunklen ſtehende Flaͤche reflectiren laͤßt, anſtellen, in dem Sinne wie unſere Capitel von ſcheinbarer Miſchung und Mittheilung der Sache er - waͤhnen; ſo wird man ſich noch mehr von dem wah - ren Verhaͤltniß der Sache uͤberzeugen, daß naͤmlich durch Verbindung aller Farben ihre Specification zwar aufgehoben, aber das was ſie alle gemein haben, das σκιερόν, nicht beſeitigt werden kann.
In den drey folgenden Experimenten bringt New - ton wieder neue Kunſtſtuͤckchen und Boſſeleyen hervor, ohne das wahre Verhaͤltniß ſeines Apparats und der dadurch erzwungenen Erſcheinung anzugeben. Nach gewohnter Weiſe ordnet er die drey Experimente falſch, indem er das complicirteſte voranſetzt, ein anderes das dieſer Stelle gewiſſermaßen fremd iſt, folgen laͤßt, und das einfachſte zuletzt bringt. Wir werden daher, um uns und unſern Leſern die Sache zu erleichtern, die Ordnung umkehren, und wenden uns deshalb ſo - gleich zum
Das Licht der Sonne gehe durch ein großes Prisma durch, falle ſodann auf eine weiße Tafel und bilde dort einen wei - ßen Raum.
Newton operirt alſo hier wieder in dem zwar re - frangirten aber doch noch ungefaͤrbten Lichte.
Gleich hinter das Prisma ſetze man einen Kamm.
Man gebe doch Acht, auf welche rohe Weiſe Newton ſein weißes Licht zuſammenkraͤmpeln und fil - zen will.
Die Breite der Zaͤhne ſey gleich ihren Zwiſchenraͤumen, und die ſieben Zaͤhne
Doch als wenn fuͤr jeden Hauptlichtſtrahl einer praͤparirt waͤre.
nehmen mit ihren Intervallen die Breite eines Zolles ein. Wenn nun das Papier zwey oder drey Zoll von dem Kamm entfernt ſtand, ſo zeichnete das Licht, das durch die ver - ſchiedenen Zwiſchenraͤume hindurchging, verſchiedene Reihen Farben,
Warum ſagt er nicht die prismatiſchen Farben - reihen?
die parallel unter ſich waren und ohne eine Spur von Weiß.
Und dieſe Erſcheinung kam doch wohl bloß daher, weil jeder Zahn zwey Raͤnder machte, und das ge - brochene ungefaͤrbte Licht ſogleich an dieſen Graͤnzen, durch dieſe Graͤnzen zur Farbe beſtimmt wurde: wel - ches Newton in der erſten Propoſition dieſes Buchs ſo entſchieden laͤugnete. Das iſt eben das Unerhoͤrte bey dieſem Vortrag, daß erſt die wahren Verhaͤltniſſe und Erſcheinungen abgelaͤugnet werden, und daß, wenn ſie zu irgend einem Zwecke brauchbar ſind, man ſie ohne weiteres hereinfuͤhrt, als waͤre gar nichts geſchehen noch geſagt worden.
Dieſe Farbenſtreifen, wenn der Kamm auf und abwaͤrts bewegt ward, ſtiegen auf und abwaͤrts.
Keinesweges dieſelben Farbenſtreifen; ſondern wie der Kamm ſich bewegte, entſtunden an ſeinen Graͤnzen immer neue Farbenerſcheinungen, und es waren ewig werdende Bilder.
Wenn aber die Bewegung des Kamms ſo ſchnell war, daß man die Farben nicht von einander unterſcheiden konnte, ſo erſchien das ganze Papier durch ihre Verwirrung und Miſchung dem Sinne weiß.
So kardetſcht unſer gewandter Naturforſcher ſeine homogenen Lichter dergeſtalt durcheinander, daß ſie ihm abermals ein Weiß hervorbringen, welches wir aber auch nothwendig verkuͤmmern muͤſſen. Wir haben zu dieſem Verſuche einen Apparat erſonnen, der ſeine Ver - haͤltniſſe ſehr gut an den Tag legt. Die Vorrichtung einen Kamm auf und abwaͤrts ſehr ſchnell zu bewegen, iſt unbequem und umſtaͤndlich. Wir bedienen uns daher eines Rades mit zarten Speichen, das an die Walze unſers Schwungrades befeſtigt werden kann. Dieſes Rad ſtellen wir zwiſchen das erleuchtete große Prisma und die weiße Tafel. Wir ſetzen es langſam587 in Bewegung, und wie eine Speiche vor dem wei - ßen Raum des refrangirten Bildes vorbeygeht, ſo bil - det ſie dort einen farbigen Stab in der bekannten Fol - ge: Blau, Purpur und Gelb. Wie eine andre Speiche eintritt, ſo entſtehen abermals dieſe farbigen Erſcheinun - gen, die ſich geſchwinder folgen, wenn man das Rad ſchneller herumdreht. Giebt man nun dem Rade den voͤlligen Umſchwung, ſo daß der Beobachtende wegen der Schnelligkeit die Speichen nicht mehr unterſcheiden kann, ſondern daß eine runde Scheibe dem Auge er - ſcheint; ſo tritt der ſchoͤne Fall ein, daß einmal das aus dem Prisma hervorkommende weiße, an ſeinen Graͤnzen gefaͤrbte Bild auf jener Scheibe voͤllig deutlich erſcheint, und zugleich, weil dieſe ſcheinbare Scheibe doch noch immer als halbdurchſichtig angeſehen werden kann, auf der hinteren weißen Pappe ſich abbildet. Es iſt dieſes ein Verſuch, der ſogleich das wahre Verhaͤlt - niß vor Augen bringt, und welchen Jedermann mit Ver - gnuͤgen anſehn wird. Denn hier iſt nicht von Kraͤm - peln, Filzen und Kardetſchen fertiger Farbenlichter die Rede; ſondern eben die Schnelligkeit, welche auf der ſcheinbaren Scheibe das ganze Bild auffaͤngt, laͤßt es auch hindurch auf die weiße Tafel fallen, wo eben wegen der Schnelligkeit der vorbeygehenden Speichen keine Farben fuͤr uns entſtehen koͤnnen; und das hintre Bild auf der weißen Tafel iſt zwar in der Mitte weiß, doch etwas truͤber und daͤmmernder, weil es ja ver - mittelſt der fuͤr halbdurchſichtig anzunehmenden Scheibe gedaͤmpft und gemaͤßigt wird.
Noch angenehmer zeigt ſich der Verſuch, wenn man durch ein kleineres Prisma die Farbenerſcheinung dergeſtalt hervorbringt, daß ein ſchon ganz fertiges Spectrum auf die Speichen des umzudrehenden Rades faͤllt. Es ſteht in ſeiner voͤlligen Kraft alsdann auf der ſchnell umgetriebenen ſcheinbaren Scheibe, und eben ſo unverwandt und unveraͤndert auf der hintern weißen Tafel. Warum geht denn hier keine Miſchung, keine Confuſion vor? warum quirlt denn das auf das ſchnellſte herumgedrehte Speichenrad die fertigen Far - ben nicht zuſammen? warum operirt denn dießmal Newton nicht mit ſeinen fertigen Farben? warum mit entſtehenden? Doch bloß darum, daß er ſagen koͤnne, ſie ſeyen fertig geworden und durch Miſchung ins Weiße verwandelt; da der Raum doch bloß darum vor unſern Augen weiß bleibt, weil die voruͤbereilenden Speichen ihre Graͤnze nicht bezeichnen und deshalb keine Farbe entſtehn kann.
Da nun der Verfaſſer einmal mit ſeinem Kamme operirt, ſo haͤuft er noch einige Experimente, die er aber nicht numerirt, deren Gehalt wir nun auch kuͤrz - lich wuͤrdigen wollen.
Laßt nun den Kamm ſtill ſtehn und das Papier ſich weiter589 vom Prisma nach und nach entfernen, ſo werden die verſchie - denen Farbenreihen ſich verbreitern und eine uͤber die andre mehr hinausruͤcken, und indem ſie ihre Farben mit einander vermiſchen, einander verduͤnnen; und dieſes wird zuletzt ſo ſehr geſchehen, daß ſie weiß werden.
Was vorgeht, wenn ſchmale ſchwarze und weiße Streifen auf einer Tafel wechſeln, kann man ſich am beſten durch einen ſubjectiven Verſuch bekannt machen. Die Raͤnder entſtehen naͤmlich geſetzmaͤßig an den Graͤn - zen ſowohl des Schwarzen als des Weißen, die Saͤu - me verbreiten ſich ſowohl uͤber das Weiße als das Schwarze, und ſo erreicht der gelbe Saum geſchwind den blauen Rand und macht Gruͤn, der violette Rand den gelbrothen und macht Purpur, ſo daß wir ſowohl das Syſtem des verruͤckten weißen, als des verruͤckten ſchwarzen Bildes zugleich gewahr werden. Entfernt man ſich weiter von der Pappe, ſo greifen Raͤnder und Saͤume dergeſtalt in einander, vereinigen ſich in - nigſt, ſo daß man nur noch gruͤne und purpurne Strei - fen uͤbereinander ſieht.
Dieſelbe Erſcheinung kann man durch einen Kamm, mit dem man vor einem großen Prisma operirt, objec - tiv hervorbringen und die abwechſelnden purpurnen und gruͤnen Streifen auf der weißen Tafel recht gut gewahr werden.
Es iſt daher ganz falſch was Newton andeutet, als wenn die ſaͤmmtlichen Farben in einander griffen, da ſich doch nur die Farben der entgegengeſetzten Raͤn - der vermiſchen koͤnnen, und gerade, indem ſie es thun, die uͤbrigen aus einander halten. Daß alſo dieſe Far - ben, wenn man mit der Pappe ſich weiter entfernt, indem es doch im Grunde lauter Halbſchatten ſind, verduͤnnter erſcheinen, entſteht daher, weil ſie ſich mehr ausbreiten, weil ſie ſchwaͤcher wirken, weil ihre Wir - kung nach und nach faſt aufhoͤret, weil jede fuͤr ſich unſcheinbar wird, nicht aber weil ſie ſich vermiſchen und ein Weiß hervorbringen. Die Neutraliſation, die man bey andern Verſuchen zugeſteht, findet hier nicht einmal ſtatt.
Ferner nehme man durch irgend ein Hinderniß
Hier iſt ſchon wieder ein Hinderniß, mit dem er bey dem erſten Experiment des zweyten Theils ſo un - gluͤcklich operirt hat, und das er hier nicht beſſer an - wendet.
das Licht hinweg, das durch irgend einen der Zwiſchen - raͤume der Kammzaͤhne durchgefallen war, ſo daß die Reihe Farben, welche daher entſprang, aufgehoben ſey, und man591 wird bemerken, daß das Licht der uͤbrigen Reihen an die Stelle der weggenommenen Reihe tritt und ſich daſelbſt faͤrbt.
Keinesweges iſt dieſes das Factum, ſondern ein genauer Beobachter ſieht ganz etwas anders. Wenn man naͤmlich einen Zwiſchenraum des Kammes zudeckt, ſo erhaͤlt man nur einen breitern Zahn, der, wenn die Intervalle und die Zaͤhne gleich ſind, dreymal ſo breit iſt wie die uͤbrigen. An den Graͤnzen dieſes breitern Zahns geht nun gerade das vor, was an den Graͤnzen der ſchmaͤleren vorgeht: der violette Saum erſtreckt ſich hereinwaͤrts, der gelbrothe Rand bezeichnet die andre Seite. Nun iſt es moͤglich, daß bey der gegebenen Diſtanz dieſe beyden Farben ſich uͤber den breiten Zahn noch nicht erreichen, waͤhrend ſie ſich uͤber die ſchmalen Zaͤhne ſchon ergriffen haben; wenn man alſo bey den uͤbrigen Faͤllen ſchon Purpur ſieht, ſo wird man hier noch das Gelbrothe vom Blaurothen getrennt ſehen.
Laͤßt man aber dieſe aufgefangene Reihe wieder wie vor - her auf das Papier fallen; ſo werden die Farben derſelben in die Farben der uͤbrigen Reihen einfallen, ſich mit ihnen ver - miſchen und wieder das Weiße hervorbringen.
Keineswegs; ſondern, wie ſchon oben gedacht, werden die durch die ſchmalen Kammoͤffnungen durch - fallenden Farbenreihen in einer ſolchen Entfernung nur592 unſcheinbar, ſo daß ein zweydeutiger, eher bunt als farblos zu nennender Schein hervorgebracht wird.
Biegt man nun die Tafel ſehr ſchraͤg gegen die einfallenden Strahlen, ſo daß die am ſtaͤrkſten refrangiblen haͤufiger als die uͤbrigen zuruͤckgeworfen werden; ſo wird die Weiße der Tafel, weil gedachte Strahlen haͤufiger zuruͤckgeworfen wer - den als die uͤbrigen, ſich in Blau und Violett verwandeln. Wird das Papier aber im entgegengeſetzten Sinne gebeugt, daß die weniger refrangiblen Strahlen am haͤufigſten zu - ruͤckgeworfen werden, ſo wird das Weiße in Gelb und Roth verwandelt.
Dieſes iſt, wie man ſieht, nur noch ein Septleva auf das dritte Experiment des zweyten Theils.
Man kann, weil wir einmal dieſen Spielausdruck gebraucht haben, Newton einem falſchen Spieler ver - gleichen, der bey einem unaufmerkſamen Banquier ein Paroli in eine Charte biegt, die er nicht gewonnen hat, und nachher, theils durch Gluͤck theils durch Liſt, ein Ohr nach dem andern in die Charte knickt und ihren Werth immer ſteigert. Dort operirt er in dem weißen Lichte und hier nun wieder in einem durch den Kamm gegangenen Lichte, in einer ſolchen Ent - fernung, wo die Farbenwirkungen der Kammzaͤhne ſehr geſchwaͤcht ſind. Dieſes Licht iſt aber immer noch ein refrangirtes Licht, und durch jedes Hinderniß nahe593 an der Tafel kann man wieder Schatten und Farben - ſaͤume hervorbringen. Und ſo kann man auch das dritte Experiment hier wiederholen, indem die Raͤnder, die Ungleichheit der Tafel ſelbſt, entweder Violett und Blau, oder Gelb und Gelbroth hervorbringen und mehr oder weniger uͤber die Tafel verbreiten, je nachdem die Richtung iſt, in welcher die Tafel gehalten wird. Bewies alſo jenes Experiment nichts, ſo wird auch ge - genwaͤrtiges nichts beweiſen, und wir erlaſſen unſern Leſern das ergo bibamus, welches hier auf die ge - woͤhnliche Weiſe hinzugefuͤgt wird.
Hier bringt der Verfaſſer jenen Hauptverſuch, deſ - ſen wir ſo oft erwaͤhnen, und den wir in dem neun - zehnten Capitel von Verbindung objectiver und ſub - jectiver Verſuche (E. 350 — 355) vorgetragen haben. Es iſt naͤmlich derjenige, wo ein objectiv an die Wand geworfenes Bild ſubjectiv heruntergezogen, entfaͤrbt und wieder umgekehrt gefaͤrbt wird. Newton huͤ - thet ſich wohl dieſes Verſuchs an der rechten Stelle zu erwaͤhnen: denn eigentlich gaͤbe es fuͤr denſelben gar keine rechte Stelle in ſeinem Buche, indem ſeine Theorie vor dieſem Verſuch verſchwindet. Seine fer - tigen, ewig unveraͤnderlichen Farben werden hier ver -I. 38594mindert, aufgehoben, umgekehrt, und ſtellen uns das Werdende, immerfort Entſtehende und ewig Bewegliche der prismatiſchen Farben recht vor die Sinne. Nun bringt er dieſen Verſuch ſo nebenbey, als eine Gelegen - heit ſich weißes Licht zu verſchaffen und in demſelben mit Kaͤmmen zu operiren. Er beſchreibt den Verſuch, wie wir ihn auch ſchon dargeſtellt, behauptet aber nach ſeiner Art, daß dieſe Weiße des ſubjectiv herunterge - fuͤhrten Bildes aus der Vereinigung aller farbigen Lichter entſtehe, da die voͤllige Weiße doch hier, wie bey allen prismatiſchen Verſuchen, den Indifferenzpunct und die nahe Umwendung der begraͤnzenden Farben in den Gegenſatz andeutet. Nun operirt er in dieſem ſubjectiv weiß gewordnen Bilde mit ſeinen Kammzaͤhnen und bringt alſo, durch neue Hinderniſſe, neue Farben - ſtreifen von außen herbey, keineswegs von innen heraus.
Hier kommen wir nun an eine recht zerknickte Charte, an einen Verſuch der aus nicht weniger als fuͤnf bis ſechs Verſuchen zuſammengeſetzt iſt. Da wir ſie aber alle ſchon ihrem Werth nach kennen, da wir ſchon uͤberzeugt ſind, daß ſie einzeln nichts beweiſen;595 ſo werden ſie uns auch in der gegenwaͤrtigen Verſchraͤn - kung und Zuſammenſetzung keinesweges imponiren.
Anſtatt alſo dem Verfaſſer hier, wie wir wohl ſonſt gethan, Wort vor Wort zu folgen, ſo gedenken wir die verſchiedenen Verſuche, aus denen der gegen - waͤrtige zuſammengeſetzt iſt, als Glieder dieſes mon - ſtroſen Ganzen, nur kuͤrzlich anzuzeigen, auf das was ſchon einzeln geſagt iſt, zuruͤckzudeuten und auch ſo uͤber das gegenwaͤrtige Experiment abzuſchließen.
Wie Newton dieſen complicirten Verſuch beſchreibt, auslegt und was er daraus folgert, werden diejenigen welche die Sache intereſſirt, bey ihm ſelbſt nachſehen, ſo wie die welche ſich in den Stand ſetzen, dieſe ſaͤmmtlichen Verſuche nachzubilden, mit Verwunderung und Erſtaunen das ganz Unnuͤtze dieſer Aufhaͤufungen und Verwicklungen von Verſuchen erkennen werden. Da auch hier abermals Linſen und Prismen verbunden werden, ſo kommen wir ohnehin in unſerer ſupplemen - taren Abhandlung auch auf gegenwaͤrtigen Verſuch zuruͤck.
Siehe Fig. 3. Taf. XIV.
Bey den vorerwaͤhnten Verſuchen thun die verſchiedenen Zwiſchenraͤume der Kammzaͤhne den Dienſt verſchiedener Pris - men, indem ein jeder Zwiſchenraum das Phaͤnomen eines Prisma’s hervorbringt.
Freylich wohl, aber warum? Weil innerhalb des weißen Raums, der ſich im refrangirten Bilde des großen Prisma’s zeigte, friſche Graͤnzen hervorgebracht werden, und zwar durch den Kamm oder Rechen wie - derholte Graͤnzen, da denn das geſetzliche Farbenſpiel ſein Weſen treibt.
Wenn ich nun alſo, anſtatt dieſer Zwiſchenraͤume, ver - ſchiedene Prismen gebrauchen und, indem ich ihre Farben ver - miſchte, das Weiße hervorbringen wollte; ſo bediente ich mich dreyer Prismen, auch wohl nur zweyer.
Ohne uns weitlaͤuftig dabey aufzuhalten, bemer - ken wir nur mit Wenigem, daß der Verſuch mit meh - reren Prismen und der Verſuch mit dem Kamm kei - neswegs einerley ſind. Newton bedient ſich, wie ſeine Figur und deren Erklaͤrung ausweiſt, nur zweyer Prismen, und wir wollen ſehen was durch dieſelben, oder vielmehr zwiſchen denſelben hervorgebracht wird.
Es moͤgen zwey Prismen ABC und abc, deren brechende Winkel B und b gleich ſind, ſo parallel gegen einander ge - ſtellt ſeyn, daß der brechende Winkel B des einen, den Win - kel c an der Baſe des andern beruͤhre, und ihre beyden Seiten CB und cb, wo die Strahlen heraustreten, moͤgen gleiche Richtung haben; dann mag das Licht, das durch ſie598 durchgehet, auf das Papier MN, etwa acht oder zwoͤlf Zoll von dem Prisma, hinfallen: alsdann werden die Farben, welche an den innern Graͤnzen B und c der beyden Prismen entſtehen, an der Stelle PT vermiſcht und daraus das Weiße zuſammengeſetzt.
Wir begegnen dieſem Paragraphen, welcher man - ches Bedenkliche enthaͤlt, indem wir ihn ruͤckwaͤrts analyſiren. Newton bekennt hier, auch wieder nach ſeiner Art, im Vorbeygehen, daß die Farben an den Graͤnzen entſtehen: eine Wahrheit die er ſo oft und hartnaͤckig gelaͤugnet hat. Sodann fragen wir billig: warum er denn dießmal ſo nahe an den Prismen operire? die Tafel nur acht oder zwoͤlf Zoll von den - ſelben entferne? Die verborgene Urſache iſt aber keine andere, als daß er das Weiß, das er erſt hervorbrin - gen will, in dieſer Entfernung noch urſpruͤnglich hat, indem die Farbenſaͤume an den Raͤndern noch ſo ſchmal ſind, daß ſie nicht uͤbereinander greifen und kein Gruͤn hervorbringen koͤnnen. Faͤlſchlich zeichnet alſo Newton an den Winkeln B und c fuͤnf Linien, als wenn zwey ganze Syſteme des Spectrums hervortraͤten, anſtatt daß nur in c der blaue und blaurothe, in B der gelbrothe und gelbe Rand entſpringen koͤnnen. Was aber noch ein Hauptpunct iſt, ſo ließe ſich ſagen, daß, wenn man das Experiment nicht nach der Newtoni - ſchen Figur, ſondern nach ſeiner Beſchreibung anſtellt, ſo naͤmlich daß die Winkel B und c ſich unmittelbar beruͤhren, und die Seiten CB und cb in Einer Linie599 liegen, daß alsdann an den Puncten B und c keine Farben entſpringen koͤnnen, weil Glas an Glas un - mittelbar anſtoͤßt, Durchſichtiges ſich mit Durchſichtigem verbindet und alſo keine Graͤnze hervorgebracht wird.
Da jedoch Newton in dem Folgenden behauptet, was wir ihm auch zugeben koͤnnen, daß das Phaͤno - men ſtatt finde, wenn die beyden Winkel B und c ſich einander nicht unmittelbar beruͤhren; ſo muͤſſen wir nur genau erwaͤgen, was alsdann vorgeht, weil hier die Newtoniſche falſche Lehre ſich der wahren annaͤ - hert. Die Erſcheinung iſt erſt im Werden; an dem Puncte c entſpringt, wie ſchon geſagt, das Blaue und Blaurothe, an dem Puncte B das Gelbrothe und Gelbe. Fuͤhrt man dieſe nun auf der Tafel genau uͤbereinander, ſo muß das Blaue das Gelbrothe, und das Blaurothe das Gelbe aufheben und neutraliſiren, und weil alsdann zwiſchen M und N, wo die andern Farbenſaͤume erſcheinen, das uͤbrige noch weiß iſt, auch die Stelle wo jene farbigen Raͤnder uͤber einander fallen, farblos wird; ſo muß der ganze Raum weiß erſcheinen.
Man gehe nun mit der Tafel weiter zuruͤck, ſo daß das Spectrum ſich vollendet und das Gruͤne in der Mitte ſich darſtellt, und man wird ſich vergebens bemuͤhen, durch Uebereinanderwerfen der Theile oder des Ganzen farbloſe Stellen hervorzubringen. Denn600 das durch Verruͤckung des hellen Bildes hervorge - brachte Spectrum kann weder fuͤr ſich allein, noch durch ein zweytes gleiches Bild neutraliſirt werden; wie ſich kuͤrzlich darthun laͤßt. Man bringe das zweyte Spectrum von oben herein uͤber das erſte; das Gelb - rothe mit dem Blaurothen verbunden bringt den Pur - pur hervor; das Gelbrothe mit dem Blauen verbunden ſollte eine farbloſe Stelle hervorbringen: weil aber das Blaue ſchon meiſtens auf das Gruͤne verwandt iſt, und das Ueberbliebene ſchon vom Violetten participirt; ſo wird keine entſchiedene Neutraliſation moͤglich. Das Gelbrothe uͤber das Gruͤne gefuͤhrt, hebt dieſes auch nicht auf, weil es allenfalls nur dem darin enthalte - nen Blauen widerſtrebt, von dem Gelben aber ſecun - dirt wird. Daß das Gelbrothe auf Gelb und Gelb - roth gefuͤhrt, nur noch maͤchtiger werde, verſteht ſich von ſelbſt. Und hieraus iſt alſo vollkommen klar, in wiefern zwey ſolche vollendete Spectra ſich zuſammen verhalten, wenn man ſie theilweiſe oder im Ganzen uͤbereinander bringt.
Will man aber in einem ſolchen vollendeten Spec - txum die Mitte, d. h. das Gruͤne aufheben, ſo wird dieß bloß dadurch moͤglich, daß man erſt durch zwey Prismen vollendete Spectra hervorbringt, durch Ver - einigung von dem Gelbrothen des einen mit dem Vio - letten des andern einen Purpur darſtellt, und dieſen nunmehr mit dem Gruͤnen eines dritten vollendeten601 Spectrums auf Eine Stelle bringt. Dieſe Stelle wird alsdann farblos, hell und, wenn man will, weiß er - ſcheinen, weil auf derſelben ſich die wahre Farbento - talitaͤt vereinigt, neutraliſirt und jede Specification aufhebt. Daß man an einer ſolchen Stelle das σκιερὸν nicht bemerken werde, liegt in der Natur, indem die Farben welche auf dieſe Stelle fallen, drey Sonnen - bilder und alſo eine dreyfache Erleuchtung hinter ſich haben.
Wir muͤſſen bey dieſer Gelegenheit des gluͤcklichen Gedankens erwaͤhnen, wie man das Lampenlicht, wel - ches gewoͤhnlich einen gelben Schein von ſich wirft, farblos zu machen geſucht hat, indem man die bey der argandiſchen Lampe angewendeten Glascylinder maͤßig mit einer violetten Farbe tingirte.
Jenes iſt alſo das Wahre an der Sache, Jenes iſt die Erſcheinung wie ſie nicht gelaͤugnet wird; aber man halte unſere Erklaͤrung, unſere Ableitung gegen die Newtoniſche: die unſrige wird uͤberall und voll - kommen paſſen, jene nur unter kuͤmmerlich erzwunge - nen Bedingungen.
Bisher habe ich das Weiße hervorgebracht, indem ich die Prismen vermiſchte.
In wiefern ihm dieſes Weiße gerathen, haben wir umſtaͤndlich ausgelegt.
Nun kommen wir zur Miſchung koͤrperlicher Farben, und da laßt ein duͤnnes Seifenwaſſer dergeſtalt in Bewegung ſe - tzen, daß ein Schaum entſtehe, und wenn der Schaum ein wenig geſtanden hat, ſo wird derjenige der ihn recht genau anſieht, auf der Oberflaͤche der verſchiedenen Blaſen lebhafte Farben gewahr werden. Tritt er aber ſo weit davon, daß er die Farben nicht mehr unterſcheiden kann, ſo wird der Schaum weiß ſeyn und zwar ganz vollkommen.
Wer ſich dieſen Uebergang in ein ganz anderes Capitel gefallen laͤßt, von einem Refractionsfalle zu einem epoptiſchen, der iſt freylich von einer Sinnes - und Verſtandesart, die es auch mit dem Kuͤnftigen ſo genau nicht nehmen wird. Von dem Mannigfaltigen was ſich gegen dieſes Experiment ſagen laͤßt, wollen603 wir nur bemerken, daß hier das Unterſcheidbare dem Ununterſcheidbaren entgegengeſetzt iſt, daß aber darum etwas noch nicht aufhoͤrt zu ſeyn, nicht aufhoͤrt innerhalb eines Dritten zu ſeyn, wenn es dem aͤußern Sinne unbe - merkbar wird. Ein Kleid das kleine Flecken hat, wird deswegen nicht rein, weil ich ſie in einiger Entfernung nicht bemerke, das Papier nicht weiß, weil ich kleine Schriftzuͤge darauf in der Entfernung nicht unterſcheide. Der Chemiker bringt aus den diluirteſten Infuſionen durch ſeine Reagentien Theile an den Tag, die der gerade geſunde Sinn darin nicht entdeckte. Und bey Newton iſt nicht einmal von geradem geſunden Sinn die Rede, ſondern von einem verkuͤnſtelten, in Vorurtheilen be - fangenen, dem Aufſtutzen gewiſſer Vorausſetzungen ge - widmeten Sinn, wie wir beym folgenden Experiment ſehen werden.
Wenn ich nun zuletzt aus farbigen Pulvern, deren ſich die Maler bedienen, ein Weiß zuſammenzuſetzen verſuchte; ſo fand ich, daß alle dieſe farbigen Pulver einen großen Theil des Lichts, wodurch ſie erleuchtet werden, in ſich ver - ſchlingen und ausloͤſchen.
Hier kommt der Verfaſſer ſchon wieder mit ſeiner604 Vorklage, die wir ſo wie die Nachklagen an ihm ſchon lange gewohnt ſind. Er muß die dunkle Natur der Farbe anerkennen, er weiß jedoch nicht wie er ſich recht dagegen benehmen ſoll, und bringt nun ſeine vorigen unreinen Verſuche, ſeine falſchen Folgerungen wieder zu Markte, wodurch die Anſicht immer truͤber und unerfreulicher wird.
Denn die farbigen Pulver erſcheinen dadurch gefaͤrbt, daß ſie das Licht der Farbe die ihnen eigen iſt, haͤufiger und das Licht aller andern Farben ſpaͤrlicher zuruͤckwerfen; und doch werfen ſie das Licht ihrer eigenen Farben nicht ſo haͤufig zuruͤck als weiße Koͤrper thun. Wenn Mennige z. B. und weißes Papier in das rothe Licht des farbigen Spectrums in der dunklen Kammer gelegt werden; ſo wird das Papier hel - ler erſcheinen als die rothe Mennige, und deswegen die ru - brifiken Strahlen haͤufiger als die Mennige zuruͤckwerfen.
Die letzte Folgerung iſt nach Newtoniſcher Weiſe wieder uͤbereilt. Denn das Weiße iſt ein heller Grund, der von dem rothen Halblicht erleuchtet, durch dieſes zuruͤckwirkt und das prismatiſche Roth in voller Klar - heit ſehen laͤßt; die Mennige aber iſt ſchon ein dunk - ler Grund, von einer Farbe die dem prismatiſchen Roth zwar aͤhnlich, aber nicht gleich ſpecificirt iſt. Dieſer wirkt nun, indem er von dem rothen prisma - tiſchen Halblicht erleuchtet wird, durch daſſelbe gleich - falls zuruͤck, aber auch ſchon als ein Halbdunkles. 605Daß daraus eine verſtaͤrkte, verdoppelte, verduͤſterte Farbe hervorgehen muͤſſe, iſt natuͤrlich.
Und wenn man Papier und Mennige in das Licht ande - rer Farben haͤlt, ſo wird das Licht das vom Papier zuruͤck - ſtrahlt, das Licht das von der Mennige kommt, in einem weit groͤßern Verhaͤltniſſe uͤbertreffen.
Und dieſes naturgemaͤß, wie wir oben genugſam auseinandergeſetzt haben. Denn die ſaͤmmtlichen Far - ben erſcheinen auf dem weißen Papier, jede nach ihrer eigenen Beſtimmung, ohne gemiſcht, geſtoͤrt, beſchmutzt zu ſeyn, wie es durch die Mennige geſchieht, wenn ſie nach dem Gelben, Gruͤnen, Blauen, Violetten hin - geruͤckt wird. Und daß ſich die uͤbrigen Farben eben ſo verhalten, iſt unſern Leſern ſchon fruͤher deutlich ge - worden. Die folgende Stelle kann ſie daher nicht mehr uͤberraſchen, ja das Laͤcherliche derſelben muß ihnen auffallend ſeyn, wenn er verdrießlich, aber ent - ſchloſſen fortfaͤhrt:
Und deswegen, indem man ſolche Pulver vermiſcht, muͤſ - ſen wir nicht erwarten ein reines und vollkommenes Weiß zu erzeugen, wie wir etwa am Papier ſehen; ſondern ein gewiſſes duͤſteres dunkles Weiß, wie aus der Miſchung von Licht und Finſterniß entſtehen moͤchte,
Hier ſpringt ihm endlich auch dieſer ſo lang zu - ruͤckgehaltene Ausdruck durch die Zaͤhne; ſo muß er immer wie Bileam ſegnen, wenn er fluchen will, und alle ſeine Hartnaͤckigkeit hilft ihm nichts gegen den Daͤ - mon der Wahrheit, der ſich ihm und ſeinem Eſel ſo oft in den Weg ſtellt. Alſo aus Licht und Finſterniß! mehr wollten wir nicht. Wir haben die Entſtehung der Farben aus Licht und Finſterniß abgeleitet, und was jeder einzelnen, jeder beſonders ſpecificirten als Hauptmerkmal, allen nebeneinander als gemeines Merk - mal zukommt, wird auch der Miſchung zukommen, in welcher die Specificationen verſchwinden. Wir neh - men alſo recht gerne an, weil es uns dient, wenn er fortfaͤhrt:
oder aus Weiß und Schwarz, naͤmlich ein graues, brau - nes, rothbraunes, dergleichen die Farbe der Menſchennaͤgel iſt; oder maͤuſefarben, aſchfarben, etwa ſteinfarben oder wie der Moͤrtel, Staub, oder Straßenkoth ausſieht und dergleichen. Und ſo ein dunkles Weiß habe ich oft hervorgebracht, wenn ich farbige Pulver zuſammenmiſchte.
Woran denn freylich Riemand zweifeln wird, nur wuͤnſchte ich, daß die ſaͤmmtlichen Newtonianer der - gleichen Leibwaͤſche tragen muͤßten, damit man ſie an dieſem Abzeichen von andern vernuͤnftigen Leuten un - terſcheiden koͤnnte.
Daß ihm nun ſein Kunſtſtuͤck gelingt, aus farbigen Pulvern ein Schwarzweiß zuſammenzuſetzen, daran iſt wohl kein Zweifel; doch wollen wir ſehen, wie er ſich benimmt, um wenigſtens ein ſo helles Grau als nur moͤglich hervorzubringen.
Denn ſo ſetzte ich z. B. aus Einem Theil Mennige und fuͤnf Theilen Gruͤnſpan eine Art von Maͤuſegrau zuſammen.
Der Gruͤnſpan pulveriſirt erſcheint hell und meh - lig, deshalb braucht ihn Newton gleich zuerſt, ſo wie er ſich durchaus huͤthet, ſatte Farben anzuwenden.
Denn dieſe zwey Farben ſind aus allen andern zuſam - mengeſetzt, ſo daß ſich in ihrer Miſchung alle uͤbrigen be - finden.
Er will hier dem Vorwurf ausweichen, daß er ja nicht aus allen Farben ſeine Unfarbe zuſammenſetze. Welcher Streit unter den ſpaͤteren Naturforſchern uͤber die Miſchung der Farben uͤberhaupt und uͤber die end - liche Zuſammenſetzung der Unfarbe aus drey, fuͤnf oder ſieben Farben entſtanden, davon wird uns die Ge - ſchichte Nachricht geben.
Ferner mit Einem Theil Mennige und vier Theilen Berg - blau ſetzte ich eine graue Farbe zuſammen, die ein wenig ge - gen den Purpur zog, und indem ich dazu eine gewiſſe Mi - ſchung von Opperment und Gruͤnſpan in ſchicklichem Maße hinzufuͤgte, verlor die Miſchung ihren Purpurſchein und ward vollkommen grau. Aber der Verſuch gerieth am beſten ohne Mennige folgendermaßen. Zum Opperment that ich nach und nach ſatten glaͤnzenden Purpur hinzu, wie ſich deſſen die Maler bedienen, bis das Opperment aufhoͤrte gelb zu ſeyn und blaßroth erſchien. Dann verduͤnnte ich das Roth, indem ich etwas Gruͤnſpan und etwas mehr Bergblau als Gruͤn - ſpan hinzuthat, bis die Miſchung ein Grau oder blaſſes Weiß annahm, das zu keiner Farbe mehr als zu der andern hinneigte. Und ſo entſtand eine Farbe an Weiße der Aſche gleich, oder friſch gehauenem Holze, oder der Menſchenhaut.
Auch in dieſer Miſchung ſind Bergblau und Gruͤn - ſpan die Hauptingredienzien, welche beyde ein mehliges kreidenhaftes Anſehen haben. Ja Newton haͤtte nur immer noch Kreide hinzumanſchen koͤnnen, um die Far - ben immer mehr zu verduͤnnen, und ein helleres Grau hervorzubringen, ohne daß dadurch in der Sache im mindeſten etwas gewonnen waͤre.
Betrachtete ich nun, daß dieſe grauen und dunklen Far - ben ebenfalls hervorgebracht werden koͤnnen, wenn man Weiß und Schwarz zuſammenmiſcht, und ſie daher vom vollkomme - nen Weißen nicht in der Art der Farbe, ſondern nur in dem Grade der Hellung verſchieden ſind:
Hier liegt eine ganz eigene Tuͤcke im Hinterhalt, die ſich auf eine Vorſtellungsart bezieht, von der an einem andern Orte gehandelt werden muß, und von der wir gegenwaͤrtig nur ſo viel ſagen. Man kann ſich ein weißes Papier im voͤlligen Lichte denken, man kann es bey hellem Sonnenſcheine in den Schatten le - gen, man kann ſich ferner denken, daß der Tag nach und nach abnimmt, daß es Nacht wird, und daß das weiße Papier vor unſern Augen zuletzt in der Finſter - niß verſchwindet. Die Wirkſamkeit des Lichtes wird nach und nach gedaͤmpft und ſo die Gegenwirkung des Papieres, und wir koͤnnen uns in dieſem Sinne vor - ſtellen, daß das Weiße nach und nach in das Schwarze uͤbergehe. Man kann jedoch ſagen, daß der Gang des Phaͤnomens dynamiſcher idealer Natur iſt.
Ganz entgegengeſetzt iſt der Fall, wenn wir uns ein weißes Papier im Lichte denken und ziehen erſt eine duͤnne ſchwarze Tinktur daruͤber. Wir verdopplen, wir verdreyfachen den Ueberzug, ſo daß das Papier immer dunkler Grau wird, bis wir es zuletzt ſo ſchwarz als moͤglich faͤrben, ſo daß von der weißen Unterlage nichts mehr hindurchſcheint. Wir haben hier auf dem ato - miſtiſchen, techniſchen Weg eine reale Finſterniß uͤber das Papier verbreitet, welche durch auffallendes Licht wohl einigermaßen bedingt und gemildert, keinesweges aber aufgehoben werden kann. Nun ſucht ſich aber unſerI. 39610Sophiſt zwiſchen dieſen beyden Arten die Sache darzu - ſtellen und zu denken einen Mittelſtand, wo er, je nachdem es ihm nuͤtzt, eine von den beyden Arten braucht, oder vielmehr wo er ſie beyde uͤbereinander ſchiebt, wie wir gleich ſehen werden.
So iſt offenbar, daß nichts weiter noͤthig iſt, um ſie voll - kommen weiß zu machen, als ihr Licht hinlaͤnglich zu vermeh - ren, und folglich, wenn man ſie durch Vermehrung ihres Lichtes zur vollkommnen Weiße bringen kann, ſo ſind ſie von derſelben Art Farbe, wie die beſten Weißen, und unterſchei - den ſich allein durch die Quantitaͤt des Lichtes.
Es iſt ein großes Unheil, das nicht allein durch die Newtoniſche Optik, ſondern durch mehrere Schrif - ten, beſonders jener Zeit durchgeht, daß die Verfaſſer ſich nicht bewußt ſind, auf welchem Standpunct ſie ſtehen, daß ſie erſt mitten in dem Realen ſtecken, auf einmal ſich zu einer idealen Vorſtellungsart erheben, und dann wieder ins Reale zuruͤckfallen. Daher ent - ſtehn die wunderlichſten Vorſtellungs - und Erklaͤrungs - weiſen, denen man einen gewiſſen Gehalt nicht ab - ſprechen kann, deren Form aber einen innern Wider - ſpruch mit ſich fuͤhrt. Eben ſo iſt es mit der Art, wie Newton nunmehr ſein Hellgrau zum Weißen er - heben will.
Ich nahm die dritte der oben gemeldeten grauen Mi -611 ſchungen und ſtrich ſie dick auf den Fußboden meines Zim - mers, wohin die Sonne durch das offne Fenſter ſchien, und daneben legte ich ein Stuͤck weißes Papier von derſelbigen Groͤße in den Schatten.
Was hat unſer Ehrenmann denn nun gethan? Um das reell dunkle Pulver weiß zu machen, muß er das reell weiße Papier ſchwaͤrzen; um zwey Dinge mit ein - ander vergleichen und ſie gegen einander aufheben zu koͤnnen, muß er den Unterſchied, der zwiſchen bey - den obwaltet, wegnehmen. Es iſt eben als wenn man ein Kind auf den Tiſch ſtellte, vor dem ein Mann ſtuͤnde, und behauptete nun, ſie ſeyen gleich groß.
Das weiße Papier im Schatten iſt nicht mehr weiß: denn es iſt verdunkelt, beſchattet; das graue Pulver in der Sonne iſt doch nicht weiß: denn es fuͤhrt ſeine Finſterniß unausloͤſchlich bey ſich. Die laͤ - cherliche Vorrichtung kennt man nun; man ſehe wie ſich der Beobachter dabey benimmt.
Dann ging ich etwa zwoͤlf oder achtzehn Fuß hinweg, ſo daß ich die Unebenheiten auf der Oberflaͤche des Pulvers nicht ſehen konnte, noch die kleinen Schatten, die von den ein - zelnen Theilen der Pulver etwa fallen mochten; da ſah das Pulver vollkommen weiß aus, ſo daß es gar noch das Pa - pier an Weiße uͤbertraf, beſonders wenn man von dem Pa -39 *612piere noch das Licht abhielt, das von einigen Wolken her dar - auf fiel. Dann erſchien das Papier, mit dem Pulver vergli - chen, ſo grau als das Pulver vorher.
Nichts iſt natuͤrlicher! Wenn man das Papier, womit das Pulver verglichen werden ſoll, durch ei - nen immer mehr entſchiedenen Schatten nach und nach verdunkelt, ſo muß es freylich immer grauer werden. Er lege doch aber das Papier neben das Pulver in die Sonne, oder ſtreue ſein Pulver auf ein weißes Pa - pier das in der Sonne liegt, und das wahre Ver - haͤltniß wird hervortreten.
Wir uͤbergehen, was er noch weiter vorbringt, ohne daß ſeine Sache dadurch gebeſſert wuͤrde. Zu - letzt kommt gar noch ein Freund herein, welcher auch das graue in der Sonne liegende Pulver fuͤr weiß an - ſpricht, wie es einem jeden, der uͤberraſcht in Dingen welche zweydeutig in die Sinne fallen, ein Zeugniß abgeben ſoll, gar leicht ergehen kann.
Wir uͤberſchlagen gleichfalls ſein triumphirendes ergo bibamus, indem fuͤr diejenigen, welche die wahre Anſicht zu faſſen geneigt ſind, ſchon im Vorhergehenden genugſam geſagt iſt.
Daß ein Farbenſchema ſich bequem in einen Kreis einſchließen laſſe, daran zweifelt wohl Niemand, und die erſte Figur unſerer erſten Tafel zeigt ſolches auf eine Weiſe welche wir fuͤr die vortheilhafteſte hielten. Newton nimmt ſich hier daſſelbige vor; aber wie geht er zu Werke? Das flammenartig vorſchreitende, be - kannte Spectrum ſoll in einen Kreis gebogen und die Raͤume, welche die Farben an der Peripherie einneh - men, ſollen nach jenen Tonmaßen beſtimmt werden, welche Newton in dem Spectrum gefunden haben will.
Allein hier zeigt ſich eine neue Unbequemlichkeit: denn zwiſchen ſeinem Violetten und Orange, indem alle Stufen von Roth angegeben werden muͤſſen, iſt er genoͤthigt das reine Roth, das ihm in ſeinem Spec - trum fehlt, in ſeinen Urfarbenkreis mit einzuſchalten. Es bedarf freylich nur einer kleinen Wendung nach ſeiner Art, um auch dieſes Roth zu intercaliren, ein - zuſchwaͤrzen, wie er es fruͤher mit dem Gruͤnen und614 Weißen gethan. Nun ſollen centra gravitatis ge - funden, kleine Cirkelchen in gewiſſen Proportionen be - ſchrieben, Linien gezogen, und ſo auf diejenige Farbe gedeutet werden, welche aus der Miſchung mehrerer gegebenen entſpringt.
Wir muͤſſen einem jeden Leſer uͤberlaſſen dieſe neue Quaͤkeley bey dem Verfaſſer ſelbſt zu ſtudiren. Wir halten uns dabey nicht auf, weil uns nur zu deutlich iſt, daß die Raumeintheilung der Farben um gedach - ten Kreis nicht naturgemaͤß ſey, indem keine Verglei - chung des Spectrums mit den Tonintervallen ſtatt findet; wie denn auch die einander entgegenſtehenden, ſich fordernden Farben aus dem Newtoniſchen Kreiſe keineswegs entwickelt werden koͤnnen. Uebrigens nach - dem er genug gemeſſen und gebuchſtabt, ſagt er ja ſelbſt: „ Dieſe Regel finde ich genau genug fuͤr die Praktik, obgleich nicht mathematiſch vollkommen. “ Fuͤr die Ausuͤbung hat dieſes Schema und die Operation an demſelben nicht den mindeſten Nutzen; und wie wollte es ihn haben, da ihm nichts theoretiſch wahres zum Grunde liegt.
Unter dieſer Rubrik recapitulirt Newton was er in dem gegenwaͤrtigen zweyten Theile des erſten Buchs nach und nach vorgetragen, und ſchließt daraus, wie es die Propoſition ausweiſt: daß alle Farben der Koͤr - per eigentlich nur integrirende Theile des Lichts ſeyen, welche auf mancherley Weiſe aus dem Licht heraus ge - zwaͤngt, geaͤngſtigt, geſchieden und ſodann auch wohl wieder gemiſcht worden. Da wir den Inhalt des zweyten Theils Schritt vor Schritt gepruͤft, ſo brau - chen wir uns bey dieſer Wiederholung nicht aufzu - halten.
Zuletzt erwaͤhnt er derjenigen Farben, welche wir unter der Rubrik der phyſiologiſchen und pathologi - ſchen bearbeitet haben. Dieſe ſollen dem Lichte nicht616 angehoͤren, und er wird ſie dadurch auf einmal los, daß er ſie der Einbildungskraft zuſchreibt.
Sollte man nicht mit Verwunderung fragen, wie denn eigentlich dieſes Problem hieher komme? Vom erſten Anfang ſeiner Optik an iſt Newton bemuͤht, vermittelſt der prismatiſchen Farben, die Eigenſchaf - ten des Lichts zu entdecken. Waͤre es ihm gelungen, ſo wuͤrde nichts leichter ſeyn, als die Demonſtration umzukehren, und aus den offenbarten Eigenſchaften des Lichts die prismatiſchen Farben herzuleiten.
Allein es liegt dieſem Problem abermals eine Tuͤcke zum Grunde. In der hieher gehoͤrigen Figur, welche zu ſeinem zweyten Theil die zwoͤlfte iſt, und auf unſerer ſiebenten Tafel mit Nr. 9 bezeichnet wor - den, bringt er zum erſtenmal das zwiſchen den beyden farbigen Randerſcheinungen unveraͤnderte Weiß ent - ſchieden vor, nachdem er ſolches fruͤher mehrmals, und zuletzt bey dem dreyzehnten Verſuch, wo er zwey Prismen anwendete, ſtillſchweigend eingefuͤhrt hatte. 617Dort wie hier bezeichnet er jede der beyden Rander - ſcheinungen mit fuͤnf Linien, wodurch er anzudeuten ſcheinen moͤchte, daß an beyden Enden jedesmal das ganze Farbenſyſtem hervortrete. Allein genau beſehen, laͤßt er die uns wohlbekannten Randerſcheinungen end - lich einmal gelten; doch anſtatt durch ihr einfaches Zu - ſammenneigen das Gruͤn hervorzubringen, laͤßt er, wun - derlich genug, die Farben hintereinander aufmarſchiren, ſich einander decken, ſich miſchen, und will nun durch dieſe Wort - und Zeichenmengerey das Weiß hervorge - bracht haben, das freylich in der Erſcheinung da iſt, aber an und fuͤr ſich, ohne erſt durch jene farbigen Lichter zu entſpringen, die er hypothetiſch uͤber einan - der ſchiebt.
So ſehr er ſich nun auch bemuͤht, mit griechiſchen und lateiniſchen Buchſtaben ſeine ſo falſche als unge - reimte und abſtruſe Vorſtellungsart faßlich zu machen, ſo gelingt es ihm doch nicht, und ſeine treuen glaͤubi - gen Schuͤler fanden ſich genoͤthigt, dieſe lineariſche Darſtellung in eine tabellariſche zu verwandeln.
Green in Halle hat, indem er ſich unſern unſchul - digen optiſchen Veytraͤgen mit pfaͤffiſchem Stolz und Heftigkeit widerſetzte, eine ſolche tabellariſche Darſtel - lung mit Buchſtaben ausgearbeitet, was die Verruͤ - ckung des hellen Bildes betrifft. Der Recenſent un -618 ſerer Beytraͤge in der jenaiſchen Literaturzeitung hat die naͤmliche Bemuͤhung wegen Verruͤckung eines dunk - len Bildes uͤbernommen. Weil aber eine ſolche Buch - ſtabenkraͤmerey nicht von jedem an und durchgeſchaut werden kann; ſo haben wir unſere neunte und zehnte Tafel einer anſchaulichen Darſtellung gewidmet, wo man die prismatiſchen Farbenſyſteme theils zuſammen, theils in Diviſionen und Detachements, en échelon hinter einander als farbige Quadrate vertical aufmar - ſchiren ſieht, da man ſie denn horizontal mit den Augen ſogleich zuſammenſummiren und die laͤcherlichen Reſultate, welche nach Newton und ſeiner Schule auf dieſe Weiſe entſpringen ſollen, mit bloßem Gerad - ſinn beurtheilen kann.
Wir haben auf denſelbigen Tafeln noch andere ſolche Farbenreihen aufgefuͤhrt, um zugleich des wun - derlichen Wuͤnſch ſeltſame Reduction der prismatiſchen Farbenerſcheinung deutlich zu machen, der, um die Newtoniſche Darſtellung zu retten, dieſelbe epitomiſirt, und mit der wunderlichſten Intrigue, indem er das Geſchaͤft zu vereinfachen glaubte, noch mehr verun - naturt hat.
Wir verſparen das Weitere hieruͤber bis zur Er - klaͤrung der Tafeln, da es uns denn mit Gunſt unſe - rer Leſer wohl erlaubt ſeyn wird, uns uͤber dieſe Geg -619 ner und Halbgegner ſowohl als ihren Meiſter, zur Entſchaͤdigung fuͤr ſo viele Muͤhe, billigermaßen luſtig zu machen.
Dieſes aus der bloßen Empirie genommene und dem bisherigen hypothetiſchen Verfahren nur gleichſam angeklebte, durch eine ungeſchickte Figur, die dreyzehnte des zweyten Theils, keinesweges verſinnlichte Phaͤno - men muͤſſen wir erſt zum Verſuch erheben, wenn wir verſtehen wollen, worauf er eigentlich deute.
Man ſtelle ſich mit einem Prisma an ein offnes Fenſter, wie gewoͤhnlich den brechenden Winkel unter ſich gekehrt; man lehne ſich ſo weit vor, daß nicht et - wa ein oberes Fenſterkreuz durch Refraction erſcheine: alsdann wird man oben am Prisma unter einem dunk - len Rand einen gelben Bogen erblicken, der ſich an dem hellen Himmel herzieht. Dieſer dunkle Rand ent - ſpringt von dem aͤußern oberen Rande des Prisma’s, wie man ſich ſogleich uͤberzeugen wird, wenn man ein Stuͤckchen Wachs uͤber denſelben hinaus klebt; welches innerhalb des farbigen Bogens recht gut geſehen wer - den kann.
620Unter dieſem gelben Bogen erblickt man ſodann den klaren Himmel, tiefer den Horizont, er beſtehe nun aus Haͤuſern oder Bergen, welche nach dem Ge - ſetz blau und blauroth geſaͤumt erſcheinen.
Nun biege man das Prisma immer mehr nieder, indem man immer fortfaͤhrt hineinzuſehen. Nach und nach werden die Gebaͤude, der Horizont, ſich zuruͤck - legen, endlich ganz verſchwinden und der gelbe und gelbrothe Bogen, den man bisher geſehen, wird ſich ſodann in einen blauen und blaurothen verwandeln, welches derjenige iſt, von dem Newton ſpricht ohne des vorhergehenden und dieſer Verwandlung zu er - waͤhnen.
Dieſes iſt aber auch noch kein Experiment, ſon - dern ein bloßes empiriſches Phaͤnomen. Die Vorrich - tung aber, welche wir vorſchlagen, um von dieſer Er - ſcheinung das Zufaͤllige wegzunehmen und ſie in ihren Bedingungen zugleich zu vermannigfaltigen und zu be - feſtigen, wollen wir ſogleich angeben, wenn wir vor - her noch eine Bemerkung gemacht haben. Das Phaͤ - nomen, wie es ſich uns am Fenſter zeigt, entſpringt indem der helle Himmel uͤber der dunklen Erde ſteht. Wir koͤnnen es nicht leicht umkehren und uns einen dunklen Himmel und eine helle Erde verſchaffen. Eben dieſes gilt von Zimmern, in welchen die Decken mei - ſtens hell und die Waͤnde mehr oder weniger dun - kel ſind.
In dieſem Sinne mache man in einem maͤßig großen und hohen Zimmer folgende Vorrichtung. In dem Winkel, da wo die Wand ſich von der Decke ſcheidet, bringe man eine Bahn ſchwarzes Papier ne - ben einer Bahn weißen Papiers an; an der Decke da - gegen bringe man, in gedachtem Winkel zuſammenſto - ßend, uͤber der ſchwarzen Bahn eine weiße, uͤber der weißen eine ſchwarze an, und betrachte nun dieſe Bah - nen neben und uͤber einander auf die Weiſe wie man vorher zum Fenſter hinaus ſah. Der Bogen wird wieder erſcheinen, den man aber freylich von allen andern, welche Raͤnder oder Leiſten verurſachen, un - terſcheiden muß. Wo der Bogen uͤber die weiße Bahn der Decke geht, wird er wie vorher, als er uͤber den weißen Himmel zog, gelb, wo er ſich uͤber die ſchwarze Bahn zieht, blau erſcheinen. Senkt man nun wie - der das Prisma, ſo daß die Wand ſich zuruͤckzulegen ſcheint; ſo wird der Bogen ſich auf einmal umkehren, wenn er uͤber die umgekehrten Bahnen der Wand her - laͤuft: auf der weißen Bahn wird er auch hier gelb, und auf der ſchwarzen blau erſcheinen.
Iſt man hiervon unterrichtet, ſo kann man auch in der zufaͤlligen Empirie, beym Spazirengehn in be - ſchneiten Gegenden, bey hellen Sandwegen, die an dunklen Raſenpartieen herlaufen, daſſelbige Phaͤnomen gewahr werden. Um dieſe Erſcheinung, welche um -622 ſtaͤndlich auszulegen, ein groͤßerer Aufſatz und eine ei - gene Tafel erfordert wuͤrde, vorlaͤufig zu erklaͤren, ſagen wir nur ſoviel, daß bey dieſem Refractionsfalle, welcher die gerade vor uns ſtehenden Gegenſtaͤnde her - unterzieht, die uͤber uns ſich befindenden Gegenſtaͤnde oder Flaͤchen, indem ſich wahrſcheinlich eine Reflexion mit in das Spiel miſcht, gegen den obern Rand des Prisma’s getrieben und an demſelben, je nachdem ſie hell oder dunkel ſind, nach dem bekannten Geſetze ge - faͤrbt werden. Der Rand des Prisma’s erſcheint als Bogen, wie alle vor uns liegende horizontale Linien durch das Prisma die Geſtalt eines Bogens annehmen.
Daß alles was von den Prismen gilt, auch von den Linſen gelte, iſt natuͤrlich; daß dasjenige was von den Kugelſchnitten gilt, auch von den Kugeln ſelbſt gelten werde, wenn auch einige andere Beſtimmungen und Bedingungen miteintreten ſollten, laͤßt ſich gleich - falls erwarten. Wenn alſo Newton ſeine Lehre, die er auf Prismen und Linſen angewandt, nunmehr auch auf Kugeln und Tropfen anwendet, ſo iſt dieſes ſei -623 nem theoretiſchen und hypothetiſchen Gange ganz gemaͤß.
Haben wir aber bisher alles anders gefunden als er, ſo werden wir natuͤrlicher Weiſe ihm auch hier zu widerſprechen und das Phaͤnomen des Regenbogens auf unſere Art auszulegen haben. Wir halten uns jedoch bey dieſem in die angewandte Phyſik gehoͤrigen Falle hier nicht auf, ſondern werden was wir des - halb zu ſagen noͤthig finden, in einer der ſupplementa - ren Abhandlungen nachbringen.
Dieſe Farben entſtehen daher, daß einige natuͤrliche Koͤr - per eine gewiſſe Art Strahlen haͤufiger als die uͤbrigen Strah - len zuruͤckwerfen, und daß andre natuͤrliche Koͤrper eben die - ſelbe Eigenſchaft gegen andre Strahlen ausuͤben.
Man merke hier gleich haͤufiger; alſo nicht et - wa allein, oder ausſchließlich, wie es doch ſeyn muͤßte,624 wenigſtens bey einigen ganz reinen Farben. Be - trachtet man ein reines Gelb, ſo koͤnnte man ſich die Vorſtellung gefallen laſſen, daß dieſes reine Gelb die gelben Strahlen allein von ſich ſchickt; eben ſo mit ganz reinem Blau. Allein der Verfaſſer huͤtet ſich wohl, dieſes zu behaupten, weil er ſich abermals eine Hinterthuͤre auflaſſen muß, um einem dringenden Gegner zu entgehen, wie man bald ſehen wird.
Mennige wirft die am wenigſten refrangiblen Strahlen am haͤufigſten zuruͤck und erſcheint deswegen roth. Veilchen werfen die refrangibelſten Strahlen am haͤufigſten zuruͤck und haben ihre Farbe daher; und ſo verhaͤlt es ſich mit den uͤbrigen Koͤrpern. Jeder Koͤrper wirft die Strahlen ſeiner ei - genen Farbe haͤufiger zuruͤck, als die uͤbrigen Strahlen; und von ihrem Uebermaße und Vorherrſchaft im zuruͤckgeworfenen Licht hat er ſeine Farbe.
Die Newtoniſche Theorie hat das Eigene, daß ſie ſehr leicht zu lernen und ſehr ſchwer anzuwenden iſt. Man darf nur die erſte Propoſition, womit die Optik anfaͤngt, gelten laſſen oder glaͤubig in ſich auf - nehmen; ſo iſt man auf ewig uͤber das Farbenweſen beruhigt. Schreitet man aber zur naͤhern Unterſu - chung, will man die Hypotheſe auf die Phaͤnomene anwenden; dann geht die Noth erſt an; dann kom - men Vor - und Nachklagen, Limitationen, Reſtrictio - nen, Reſervationen kommen zum Vorſchein, bis ſich625 jede Propoſition erſt im Einzelnen, und zuletzt die Lehre im Ganzen vor dem Blick des ſcharfen Beobachters voͤllig neutraliſirt. Man gebe Acht, wie die es hier abermals der Fall iſt.
Denn wenn ihr in die homogenen Lichter, welche ihr durch die Aufloͤſung des Problems, welches in der vierten Propoſition des erſten Theiles aufgeſtellt wurde, erhaltet,
Daß wir auch dort durch alle Bemuͤhung keine homogeneren Lichter, als durch den gewoͤhnlichen pris - matiſchen Verſuch erhielten, iſt ſeines Ortes dargethan worden.
Koͤrper von verſchiedenen Farben hineinbringt; ſo werdet ihr finden, daß jeder Koͤrper, in das Licht ſeiner eigenen Farbe gebracht, glaͤnzend und leuchtend erſcheint.
Dagegen iſt nichts zu ſagen, nur wird derſelbe Effect hervorgebracht, wenn man auch das ganz ge -I. 40626woͤhnliche und ungequaͤlte prismatiſche Bild bey dieſem Verſuche anwendet. Und nichts iſt natuͤrlicher als wenn man Gleiches zu Gleichem bringt, daß die Wirkung nicht vermindert werde, ſondern vielmehr verſtaͤrkt, wenn das eine Homogene dem Grade nach wirkſamer iſt, als das andre. Man gieße concentrirten Eſſig zu gemeinem Eſſig und dieſe ſo verbundene Fluͤſſigkeit wird ſtaͤrker ſeyn, als die gemeine. Ganz anders iſt es, wenn man das Heterogene dazu miſcht, wenn man Alcali in den gemeinen Eſſig wirft. Die Wirkung beyder geht verloren bis zur Neutraliſation. Aber von dieſem Gleichnamigen und Ungleichnamigen will und kann Newton nichts wiſſen. Er quaͤlt ſich auf ſeinen Graden und Stufen herum, und muß doch zu - letzt eine entgegengeſetzte Wirkung geſtehen.
Zinnober glaͤnzt am meiſten im homogenen rothen Licht, weniger im gruͤnen, und noch weniger im blauen.
Wie ſchlecht iſt hier das Phaͤnomen ausgedruͤckt, indem er bloß auf den Zinnober und ſein Glaͤnzen Ruͤckſicht nimmt, und die Miſchung verſchweigt, wel - che die auffallende prismatiſche Farbe mit der unter - liegenden koͤrperlichen hervorbringt.
Indig im veilchenblauen Licht glaͤnzt am meiſten.
Aber warum? Weil der Indig, der eigentlich nur eine dunkle ſatte blaue Farbe iſt, durch das violette Licht einen Glanz, einen Schein, Hellung und Leben er - haͤlt; und ſein Glanz wird ſtufenweiſe vermindert, wie man ihn gegen Gruͤn, Gelb und Roth bewegt.
Warum ſpricht denn der Verfaſſer nur vom Glanz der ſich vermindern ſoll? warum ſpricht er nicht von der neuen gemiſchten Farbenerſcheinung, welche auf die - ſem Wege entſteht? Freylich iſt das Wahre zu natuͤr - lich, und man braucht das Falſche, Halbe, um die Un - natur zu beſchoͤnigen, in die man die Sache gezogen hat.
Ein Lauchblatt
Und was ſoll nun der Knoblauch im Experimente und gleich auf die Pulver? Warum bleibt er nicht bey gleichen Flaͤchen, Papier oder aufgezogenem Sei - denzeug? Wahrſcheinlich ſoll der Knoblauch hier nur ſo viel heißen, daß die Lehre auch von Pflanzen gelte.
wirft das gruͤne Licht und das gelbe und blaue, woraus40 *628es zuſammengeſetzt iſt, lebhafter zuruͤck als es das rothe und violette zuruͤckwirft.
Damit aber dieſe Verſuche deſto lebhafter erſcheinen, ſo muß man ſolche Koͤrper waͤhlen, welche die vollſten und leb - hafteſten Farben haben, und zwey ſolche Koͤrper muͤſſen mit einander verglichen werden. Z. B. wenn man Zinnober und Ultramarinblau
Mit Pulvern ſollte man, wie ſchon oft geſagt, nicht operiren; denn wie kann man hindern, daß ihre ungleichen Theile Schatten werfen?
zuſammen (neben einander) in rothes homogenes Licht haͤlt, ſo werden ſie beyde roth erſcheinen;
Dieß ſagt er hier auch nur, um es gleich wieder zuruͤckzunehmen.
aber der Zinnober wird von einem ſtarken leuchtenden und glaͤnzenden Roth ſeyn, und der Ultramarin von einem ſchwachen dunklen und finſtern Roth.
Und das von Rechtswegen: denn Gelbroth erhebt das Gelbrothe und zerſtoͤrt das Blaue.
Dagegen wenn man ſie zuſammen in das blaue Licht haͤlt, ſo werden ſie beyde blau erſcheinen; nur wird der Ultrama - rin maͤchtig leuchtend und glaͤnzend ſeyn, das Blau des Zin - nobers aber ſchwach und finſter.
Und zwar auch, nach unſerer Auslegung, von Rechtswegen.
Sehr ungern wiederholen wir dieſe Dinge, da ſie oben ſchon ſo umſtaͤndlich von uns ausgefuͤhrt worden. Doch muß man den Widerſpruch wiederholen, da Newton das Falſche immer wiederholt, nur um es tie - fer einzupraͤgen.
Welches außer Streit ſetzt, daß der Zinnober das rothe Licht haͤufiger als der Ultramarin zuruͤckwirft, und der Ultra - marin das blaue Licht mehr als der Zinnober.
Dieſes iſt die eigene Art etwas außer Streit zu ſetzen, nachdem man erſt eine Meynung unbedingt ausgeſprochen, und bey den Beobachtungen nur mit Worten und deren Stellung ſich jener Behauptung genaͤhert hat. Denn das ganze Newtoniſche Farben - weſen iſt nur ein Wortkram, mit dem ſich deshalb ſo gut kramen laͤßt, weil man vor lauter Kram die Na - tur nicht mehr ſieht.
Daſſelbe Experiment kann man nach und nach mit Men - nige, Indig oder andern zwey Farben machen, um die ver - ſchiedene Staͤrke und Schwaͤche ihrer Farbe und ihres Lichtes einzuſehen.
Was dabey einzuſehen iſt, iſt den Einſichtigen ſchon bekannt.
Und da nun die Urſache der Farben an natuͤrlichen Koͤr - pern durch dieſe Experimente klar iſt;
Es iſt nichts klar, als daß er die Erſcheinung un - vollſtaͤndig und ungeſchickt ausſpricht, um ſie nach ſei - ner Hypotheſe zu bequemen.
ſo iſt dieſe Urſache ferner beſtaͤtigt und außer allem Streit geſetzt, durch die zwey erſten Experimente des erſten Theils, da man an ſolchen Koͤrpern bewies, daß die reflectir - ten Lichter, welche an Farbe verſchieden ſind, auch an Graden der Refrangibilitaͤt verſchieden ſind.
Hier ſchließt ſich nun das Ende an den Anfang kuͤnſtlich an, und da man uns dort die koͤrperlichen631 Farben ſchon auf Treu und Glauben fuͤr Lichter gab; ſo ſind dieſe Lichter endlich hier voͤllig fertige Farben geworden und werden nun abermals zu Huͤlfe gerufen.
Da wir nun aber dort aufs Umſtaͤndlichſte darge - than haben, daß jene Verſuche gar nichts beweiſen, ſo werden ſie auch hier weiter der Theorie nicht zu ſtatten kommen.
Daher iſt es alſo gewiß, daß einige Koͤrper die mehr, andre die weniger refrangiblen Strahlen haͤufiger zuruͤckwerfen.
Und uns iſt gewiß, daß es weder mehr noch we - niger refrangible Strahlen giebt, ſondern daß die Na - turerſcheinungen auf eine aͤchtere und bequemere Weiſe ausgeſprochen werden koͤnnen.
Und dieß iſt nicht allein die wahre Urſache dieſer Farben, ſondern auch die einzige, wenn man bedenkt, daß die Farben des homogenen Lichtes nicht veraͤndert werden koͤnnen durch die Reflexion von natuͤrlichen Koͤrpern.
Wie ſicher muß Newton von dem blinden Glau - ben ſeiner Leſer ſeyn, daß er zu ſagen wagt, die Far - ben des homogenen Lichtes koͤnnen durch Reflexion von632 natuͤrlichen Koͤrpern nicht veraͤndert werden, da er doch auf der vorhergehenden Seite zugiebt, daß das ro - the Licht ganz anders vom Zinnober als vom Ultrama - rin, das blaue Licht ganz anders vom Ultramarin als vom Zinnober zuruͤckgeworfen werde. Nun ſieht man aber wohl, warum er dort ſeine Redensarten ſo kuͤnſtlich ſtellt, warum er nur vom Glanz und Hellen oder vom Matten und Dunklen der Farbe, keineswegs aber von ihrem andern Bedingtwerden durch Miſchung reden mag. Es iſt unmoͤglich ein ſo deutliches und einfaches Phaͤnomen ſchiefer und unredlicher zu behandlen; aber freylich wenn er Recht haben wollte, ſo mußte er ſich, ganz oder halb bewußt, mit Reineke Fuchs zurufen:
Aber ich ſehe wohl, Luͤgen bedarf’s, und uͤber die Maßen!
Denn nachdem er oben die Veraͤnderung der pris - matiſchen Farben auf den verſchiedenen Koͤrpern aus - druͤcklich zugeſtanden, ſo faͤhrt er hier fort:
Denn wenn Koͤrper durch Reflexion auch nicht im minde - ſten die Farbe irgend einer Art von Strahlen veraͤndern koͤnnen; ſo koͤnnen ſie nicht auf andre Weiſe gefaͤrbt erſchei - nen, als indem ſie diejenigen zuruͤckwerfen, welche entweder von ihrer eigenen Farbe ſind, oder die durch Miſchung ſie hervorbringen koͤnnen.
Hier tritt auf einmal die Miſchung hervor und633 zwar dergeſtalt, daß man nicht recht weiß, was ſie ſa - gen will; aber das Gewiſſen regt ſich bey ihm, es iſt nur ein Uebergang zum Folgenden, wo er wieder alles zuruͤcknimmt, was er behauptet hat. Merke der Leſer auf, er wird den Verfaſſer bis zum Unglaublichen un - verſchaͤmt finden.
Denn wenn man dieſe Verſuche macht, ſo muß man ſich bemuͤhen das Licht ſoviel als moͤglich homogen zu erhalten.
Wie es mit den Bemuͤhungen, die prismatiſchen farbigen Lichter homogener zu machen, als ſie bey dem einfachen Verſuch im Spectrum erſcheinen, haben wir oben umſtaͤndlich dargethan, und wir wiederholen es nicht. Nur erinnere ſich der Leſer, daß Newton die ſchwierigſten, ja gewiſſermaßen unmoͤgliche Vorrichtun - gen vorgeſchrieben hat, um dieſer beliebten Homogeni - taͤt naͤher zu kommen. Nun bemerke man, daß er uns die einfachen, einem jeden moͤglichen Verſuche verdaͤch - tig macht, indem er fortfaͤhrt:
Denn wenn man Koͤrper mit den gewoͤhnlichen prisma - tiſchen Farben erleuchtet, ſo werden ſie weder in ihrer eige - nen Tageslichts-Farbe, noch in der Farbe erſcheinen, die man auf ſie wirft, ſondern in einer gewiſſen Mittelfarbe zwiſchen beyden, wie ich durch Erfahrung gefunden habe.
Es iſt recht merkwuͤrdig, wie er endlich einmal eine Erfahrung eingeſteht, die einzig moͤgliche, die ein - zig nothwendige, und ſie ſogleich wieder verdaͤchtig macht. Denn was von der einfachſten prismatiſchen Erſcheinung, wenn ſie auf koͤrperliche Farben faͤllt, wahr iſt, das bleibt wahr, man mag ſie durch noch ſo viel Oeffnungen, große und kleine, durch Linſen von nahem oder weitem Brennpunct quaͤlen und bedingen: nie kann, nie wird etwas anders zum Vorſchein kommen.
Wie benimmt ſich aber unſer Autor, um dieſe Un - ſicherheit ſeiner Schuͤler zu vermehren? Auf die ver - ſchmitzteſte Weiſe. Und betrachtet man dieſe Kniffe mit redlichem Sinn, hat man ein lebendiges Gefuͤhl fuͤrs Wahre, ſo kann man wohl ſagen, der Autor benimmt ſich ſchaͤndlich: denn man hoͤre nur:
Dénn die Mennige, wenn man ſie mit dem gewoͤhnlichen prismatiſchen Gruͤn erleuchtet, wird nicht roth oder gruͤn, ſon - dern orange oder gelb erſcheinen, je nachdem das gruͤne Licht, wodurch ſie erleuchtet wird, mehr oder weniger zuſam - mengeſetzt iſt.
Warum geht er denn hier nicht grad - oder ſtu -635 fenweiſe? Er werfe doch das ganz gewoͤhnliche pris - matiſche Roth auf die Mennige, ſo wird ſie eben ſo ſchoͤn und glaͤnzend roth erſcheinen, als wenn er das gequaͤlteſte Spectrum dazu anwendete. Er werfe das Gruͤn des gequaͤlteſten Spectrums auf die Mennige und die Erſcheinung wird ſeyn, wie er ſie beſchreibt, oder vielmehr wie wir ſie oben, da von der Sache die Rede war, beſchrieben haben. Warum macht er denn erſt die moͤglichen Verſuche verdaͤchtig, warum ſchiebt er alles ins Ueberfeine, und warum kehrt er dann zuletzt immer wieder zu den erſten Verſuchen zu - ruͤck? Nur um die Menſchen zu verwirren und ſich und ſeiner Heerde eine Hinterthuͤr offen zu laſſen.
Mit Widerwillen uͤberſetzen wir die fratzenhafte Erklaͤrungsart, wodurch er, nach ſeiner Weiſe, die Zerſtoͤrung der gruͤnen prismatiſchen auf die Mennige geworfenen Farbe auslegen will.
Denn wie Mennige roth erſcheint, wenn ſie vom weißen Licht erleuchtet wird, in welchem alle Arten Strahlen gleich gemiſcht ſind; ſo muß bey Erleuchtung derſelben mit dem gruͤnen Licht in welchem alle Arten von Strahlen ungleich ge - miſcht ſind, etwas anders vorgehen.
Man bemerke, daß hier im Gruͤnen alle Arten von Strahlen enthalten ſeyn ſollen, welches jedoch nicht zu ſeiner fruͤheren Darſtellung der Heterogenitaͤt der636 homogenen Strahlen paßt: denn indem er dort die ſupponirten Zirkel auseinander zieht, ſo greifen doch nur die naͤchſten Farben in einander; hier aber geht jede Farbe durchs ganze Bild und man ſieht alſo gar die Moͤglichkeit nicht ein, ſie auf irgend eine Weiſe zu ſepariren. Es wird kuͤnftig zur Sprache kommen, was noch alles fuͤr Unſinn aus dieſer Vorſtellungsart, in einem Syſtem fuͤnf bis ſieben Syſteme en échelon aufmarſchiren zu laſſen, hervorſpringt.
Denn einmal wird das Uebermaß der gelbmachenden, gruͤn - machenden und blaumachenden Strahlen, das ſich in dem auf - fallenden gruͤnen Lichte befindet, Urſache ſeyn, daß dieſe Strah - len auch in dem zuruͤckgeworfenen Lichte ſich ſo haͤufig befinden, daß ſie die Farbe vom Rothen gegen ihre Farbe ziehen. Weil aber die Mennige dagegen die rothmachenden Strahlen haͤu - figer in Ruͤckſicht ihrer Anzahl zuruͤckwirft, und zunaͤchſt die orangemachenden und gelbmachenden Strahlen, ſo werden dieſe in dem zuruͤckgeworfenen Licht haͤufiger ſeyn, als ſie es in dem einfallenden gruͤnen Licht waren, und werden deswe - gen das zuruͤckgeworfene Licht vom Gruͤnen gegen ihre Farbe ziehen; und deswegen wird Mennige weder roth noch gruͤn, ſondern von einer Farbe erſcheinen, die zwiſchen beyden iſt.
Da das ganze Verhaͤltniß der Sache oben um - ſtaͤndlich dargethan worden, ſo bleibt uns weiter nichts uͤbrig, als dieſen baaren Unſinn der Nachwelt zum Muſterbilde einer ſolchen Behandlungsart zu empfehlen.
Er fuͤgt nun noch vier Erfahrungen hinzu, die er637 auf ſeine Weiſe erklaͤrt, und die wir nebſt unſern Be - merkungen mittheilen wollen.
In gefaͤrbten durchſichtigen Liquoren laͤßt ſich bemerken, daß die Farbe nach ihrer Maſſe ſich veraͤndert. Wenn man z. B. eine rothe Fluͤſſigkeit in einem koniſchen Glaſe zwiſchen das Licht und das Auge haͤlt; ſo ſcheint ſie unten, wo ſie we - niger Maſſe hat, als ein blaſſes und verduͤnntes Gelb, etwas hoͤher, wo das Glas weiter wird, erſcheint ſie orange, noch weiter hinauf roth, und ganz oben von dem tiefſten und dun - kelſten Roth.
Wir haben dieſe Erfahrung in Stufengefaͤßen dar - geſtellt (E. 517. 518. ) und an ihnen die wichtige Lehre der Steigerung entwickelt, wie naͤmlich das Gelbe durch Verdichtung und Beſchattung, eben ſo wie das Blaue, zum Rothen ſich hinneigt, und dadurch die Ei - genſchaft bewaͤhret, welche wir bey ihrem erſten Ur - ſprung in truͤben Mitteln gewahr wurden. Wir erkann - ten die Einfachheit, die Tiefe dieſer Ur - und Grund - erſcheinungen; deſto ſonderbarer wird uns die Qual vorkommen, welche ſich Newton macht, ſie nach ſeiner Weiſe auszulegen.
Hier muß man ſich vorſtellen, daß eine ſolche Feuchtigkeit die indigomachenden und violettmachenden Strahlen ſehr leicht abhaͤlt, die blaumachenden ſchwerer, die gruͤninachenden638 noch ſchwerer und die rothmachenden am allerſchwerſten. Wenn nun die Maſſe der Feuchtigkeit nicht ſtaͤrker iſt, als daß ſie nur eine hinlaͤngliche Anzahl von violettmachenden und blau - machenden Strahlen abhaͤlt, ohne die Zahl der uͤbrigen zu vermindern; ſo muß der Ueberreſt (nach der ſechſten Propoſi - tion des zweyten Theils) ein blaſſes Gelb machen: gewinnt aber die Feuchtigkeit ſo viel an Maſſe, daß ſie eine große Anzahl von blaumachenden Strahlen und einige gruͤnmachende abhalten kann, ſo muß aus der Zuſammenſetzung der uͤbrigen ein Orange entſtehen; und wenn die Feuchtigkeit noch breiter wird um eine große Anzahl von den gruͤnmachenden und eine bedeutende Anzahl von den gelbmachenden abzuhalten, ſo muß der Ueberreſt anfangen ein Roth zuſammenzuſetzen; und die - ſes Roth muß tiefer und dunkler werden, wenn die gelbma - chenden und orangemachenden Strahlen mehr und mehr durch die wachſende Maſſe der Feuchtigkeit abgehalten werden, ſo daß wenig Strahlen außer den rothmachenden durchgelangen koͤnnen.
Ob wohl in der Geſchichte der Wiſſenſchaften etwas aͤhnlich naͤrriſches und laͤcherliches von Erklaͤ - rungsart zu finden ſeyn moͤchte?
Von derſelben Art iſt eine Erfahrung, die mir neulich Herr Halley erzaͤhlt hat; der, als er tief in die See in einer Taucherglocke hinabſtieg, an einem klaren Sonnenſcheinstag, bemerkte, daß wenn er mehrere Faden tief ins Waſſer hinab - kam, der obere Theil ſeiner Hand, worauf die Sonne gerade durchs Waſſer und durch ein kleines Glasfenſter in der Glocke ſchien, eine rothe Farbe hatte, wie eine Damascener Roſe, ſo wie das Waſſer unten und die untere Seite ſeiner Hand,639 die durch das von dem Waſſer reflectirte Licht erleuchtet war, gruͤn ausſah.
Wir haben dieſes Verſuchs unter den phyſiologi - ſchen Farben, da wo er hingehoͤrt, ſchon erwaͤhnt. Das Waſſer wirkt hier als ein truͤbes Mittel welches die Sonnenſtrahlen nach und nach maͤßigt, bis ſie aus dem Gelben ins Rothe uͤbergehen und endlich purpur - farben erſcheinen; dagegen denn die Schatten in der geforderten gruͤnen Farbe geſehen werden. Man hoͤre nun, wie ſeltſam ſich Newton benimmt, um dem Phaͤnomen ſeine Terminologie anzupaſſen.
Daraus laͤßt ſich ſchließen, daß das Seewaſſer die violett - und blaumachenden Strahlen ſehr leicht zuruͤckwirft und die rothmachenden Strahlen frey und haͤufig in große Tiefen hinunter laͤßt; deshalb das directe Sonnenlicht in allen gro - ßen Tiefen, wegen der vorwaltenden rothmachenden Strahlen, roth erſcheinen muß, und je groͤßer die Tiefe iſt, deſto ſtaͤr - ker und maͤchtiger muß das Roth werden. Und in ſolchen Tiefen, wo die violettmachenden Strahlen kaum hinkommen, muͤſſen die blaumachenden, gruͤnmachenden, gelbmachenden Strahlen von unten haͤufiger zuruͤckgeworfen werden als die rothmachenden, und ein Gruͤn zuſammenſetzen.
Da uns nunmehr die wahre Ableitung dieſes Phaͤ - nomens genugſam bekannt iſt, ſo kann uns die New - toniſche Lehre nur zur Beluſtigung dienen, wobey denn640 zugleich, indem wir die falſche Erklaͤrungsart einſehen, das ganze Syſtem unhaltbarer erſcheint.
Nimmt man zwey Fluͤſſigkeiten von ſtarker Farbe, z. B. Roth und Blau, und beyde hinlaͤnglich geſaͤttigt; ſo wird man, wenn jede Fluͤſſigkeit fuͤr ſich noch durchſichtig iſt, nicht durch beyde hindurchſehen koͤnnen, ſobald ſie zuſammengeſtellt werden. Denn wenn durch die eine Fluͤſſigkeit nur die rothma - chenden Strahlen hindurchkoͤnnen und nur die blaumachenden durch die andre, ſo kann kein Strahl durch beyde hindurch. Dieſes hat Herr Hook zufaͤllig mit keilfoͤrmigen Glasgefaͤßen, die mit rothen und blauen Liquoren gefuͤllt waren, verſucht, und wunderte ſich uͤber die unerwartete Wirkung, da die Urſache damals noch unbekannt war. Ich aber habe alle Urſache an die Wahrheit dieſes Experiments zu glauben, ob ich es gleich ſelbſt nicht verſucht habe. Wer es jedoch wieder - holen will, muß ſorgen, daß die Fluͤſſigkeiten von ſehr guter und ſtarker Farbe ſeyen.
Worauf beruht nun dieſer ganze Verſuch? Er ſagt weiter nichts aus, als daß ein noch allenfalls durchſcheinendes Mittel, wenn es doppelt genommen wird, undurchſichtig werde; und dieſes geſchieht, man mag einerley Farbe oder zwey verſchiedene Farben, erſt einzeln und dann an einander geruͤckt, be - trachten.
Um dieſes Experiment, welches nun auch ſchon641 uͤber hundert Jahre in der Geſchichte der Farbenlehre ſpukt, los zu werden, verſchaffe man ſich mehrere, aus Glastafeln zuſammengeſetzte keilfoͤrmige aufrechtſte - hende Gefaͤße, die an einander geſchoben Parallelepipe - den bilden, wie ſie ſollen ausfuͤhrlicher beſchrieben werden, wenn von unſerm Apparat die Rede ſeyn wird. Man fuͤlle ſie erſt mit reinem Waſſer, und ge - woͤhne ſich die Verruͤckung entgegengeſtellter Bilder und die bekannten prismatiſchen Erſcheinungen dadurch zu beobachten; dann ſchiebe man zwey uͤber einander und troͤpfle in jedes Tinte, nach und nach, ſo lange bis endlich der Liquor undurchſichtig wird; nun ſchiebe man die beyden Keile aus einander, und jeder fuͤr ſich wird noch genugſam durchſcheinend ſeyn.
Dieſelbe Operation mache man nunmehr mit far - bigen Liquoren, und das Reſultat wird immer daſſelbe bleiben, man mag ſich nur Einer Farbe in den beyden Gefaͤßen oder zweyer bedienen. So lange die Fluͤſſig - keiten nicht uͤberſaͤttigt ſind, wird man durch das Pa - rallelepipedon recht gut hindurchſehen koͤnnen.
Nun begreift man alſo wohl, warum Newton wiederholt zu Anfang und zu Ende ſeines Perioden auf geſaͤttigte und reiche Farben dringt. Damit man aber ſehe, daß die Farbe gar nichts zur Sache thut, ſo bereite man mit Lacmus in zwey ſolchen KeilglaͤſernI. 41642einen blauen Liquor dergeſtalt, daß man durch das Parallelepipedon noch durchſehen kann. Man laſſe als - dann in das eine Gefaͤß, durch einen Gehuͤlfen, Eſſig troͤpfeln, ſo wird ſich die blaue Farbe in eine rothe verwandeln, die Durchſichtigkeit aber bleiben, wie vor - her, ja wohl eher zunehmen, indem durch die Saͤure dem Blauen von ſeinem σκιερὸν etwas entzogen wird. Bey Vermannigfaltigung des Verſuchs kann man auch alle die Verſuche wiederholen, die ſich auf ſcheinbare Farbenmiſchung beziehen.
Will man dieſe Verſuche ſich und andern recht anſchaulich machen, ſo habe man vier bis ſechs ſolcher Gefaͤße zugleich bey der Hand, damit man nicht durch Ausgießen und Umfuͤllen die Zeit verliere und keine Unbequemlichkeit und Unreinlichkeit entſtehe. Auch laſſe man ſich dieſen Apparat nicht reuen, weil man mit demſelben die objectiven und ſubjectiven prismatiſchen Verſuche, wie ſie ſich durch farbige Mittel modificiren, mit einiger Uebung vortheilhaft darſtellen kann. Wir ſprechen alſo was wir oben geſagt, nochmals aus: ein Durchſcheinendes doppelt oder mehrfach genommen, wird undurchſichtig, wie man ſich durch farbige Fen - ſterſcheiben, Opalglaͤſer, ja ſogar durch farbloſe Fen - ſterſcheiben uͤberzeugen kann.
Nun kommt Newton noch auf den Verſuch mit643 truͤben Mitteln. Uns ſind dieſe Urphaͤnomene aus dem Entwurf umſtaͤndlich bekannt, und wir werden deshalb um deſto leichter das Unzulaͤngliche ſeiner Erklaͤrungs - art einſehen koͤnnen.
Es giebt einige Feuchtigkeiten, wie die Tinctur des Lig - num nephriticum, und einige Arten Glas, welche eine Art Licht haͤufig durchlaſſen und eine andre zuruͤckwerfen, und deswegen von verſchiedener Farbe erſcheinen, je nachdem die Lage des Auges gegen das Licht iſt. Aber wenn dieſe Feuch - tigkeiten oder Glaͤſer ſo dick waͤren, ſo viel Maſſe haͤtten, daß gar kein Licht hindurch koͤnnte; ſo zweifle ich nicht, ſie wuͤrden andern dunklen Koͤrpern gleich ſeyn und in allen Lagen des Auges dieſelbe Farbe haben, ob ich es gleich nicht durch Experimente beweiſen kann.
Und doch iſt gerade in dem angefuͤhrten Falle das Experiment ſehr leicht. Wenn naͤmlich ein truͤbes Mit - tel noch halbdurchſichtig iſt, und man haͤlt es vor einen dunklen Grund, ſo erſcheint es blau. Dieſes Blau wird aber keinesweges von der Oberflaͤche zuruͤckgewor - fen, ſondern es kommt aus der Tiefe. Reflectirten ſol - che Koͤrper die blaue Farbe leichter als eine andre von ihrer Oberflaͤche, ſo muͤßte man dieſelbe noch immer blau ſehen, auch dann, wenn man die Truͤbe auf den hoͤchſten Grad, bis zur Undurchſichtigkeit ge - bracht hat. Aber man ſieht Weiß, aus den von uns im Entwurf genugſam ausgefuͤhrten Urſachen. Newton41 *644macht ſich aber hier ohne Noth Schwierigkeiten, weil er wohl fuͤhlt, daß der Boden, worauf er ſteht, nicht ſicher iſt.
Denn durch alle farbigen Koͤrper, ſo weit meine Bemerkung reicht, kann man hindurchſehen, wenn man ſie duͤnn genug macht; ſie ſind deswegen gewiſſermaßen durchſichtig, und alſo nur in Graden der Durchſichtigkeit von gefaͤrbten durchſichti - gen Liquoren verſchieden. Dieſe Feuchtigkeiten, ſo gut wie ſolche Koͤrper, werden bey hinreichender Maſſe undurchſichtig. Ein durchſichtiger Koͤrper, der in einer gewiſſen Farbe er - ſcheint wenn das Licht hindurchfaͤllt, kann bey zuruͤckgeworfe - nem Licht dieſelbe Farbe haben, wenn das Licht dieſer Farbe von der hinteren Flaͤche des Koͤrpers zuruͤckgeworfen wird, oder von der Luft die daran ſtoͤßt. Dann kann aber die zu - ruͤckgeworfene Farbe vermindert werden, ja aufhoͤren, wenn man den Koͤrper ſehr dick macht, oder ihn auf der Ruͤckſeite mit Pech uͤberzieht, um die Reflexion der hinteren Flaͤche zu vermindern, ſo daß das von den faͤrbenden Theilen zuruͤckge - worfene Licht vorherrſchen mag. In ſolchen Faͤllen wird die Farbe des zuruͤckgeworfenen Lichtes von der des durchfallenden Lichtes wohl abweichen koͤnnen.
Alles dieſes Hin - und Wiederreden findet man unnuͤtz, wenn man die Ableitung der koͤrperlichen Far - ben kennt, wie wir ſolche im Entwurf verſucht haben; beſonders wenn man mit uns uͤberzeugt iſt, daß jede Farbe, um geſehen zu werden, ein Licht im Hinter - grunde haben muͤſſe, und daß wir eigentlich alle koͤrper - liche Farbe mittelſt eines durchfallenden Lichts gewahr645 werden, es ſey nun, daß das einfallende Licht durch einen durchſichtigen Koͤrper durchgehe, oder daß es bey dem undurchſichtigen Koͤrper auf ſeine helle Grundlage dringe und von da wieder zuruͤckkehre.
Das ergo bibamus des Autors uͤbergehen wir und eilen mit ihm zum Schluſſe.
Hier verbindet Newton nochmals Prismen mit Linſen, und es gehoͤrt deshalb dieſes Problem in jenes ſupplementare Capitel, auf welches wir abermals unſere Leſer anweiſen. Vorlaͤufig geſagt, ſo leiſtet er hier doch auch nichts: denn er bringt nur die durch ein Prisma auf den hoͤchſten Gipfel gefuͤhrte Farbenerſchei - nung durch eine Linſe auf den Nullpunct zuruͤck; hinter dieſem kehrt ſie ſich um, das Blaue und Violette kommt nun unten, das Gelbe und Gelbrothe oben hin. Dieſes ſo geſaͤumte Bild faͤllt abermals auf ein Pris -646 ma, das, weil es das umgekehrt anlangende Bild in die Hoͤhe ruͤckt, ſolches wieder umkehrt, die Raͤnder auf den Nullpunct bringt, wo denn abermals von einem dritten Prisma, das den brechenden Winkel nach oben richtet, das farbloſe Bild aufgefangen wird und nach der Brechung wieder gefaͤrbt erſcheint.
Hieran koͤnnen wir nichts merkwuͤrdiges finden: denn daß man ein verruͤcktes und gefaͤrbtes Bild auf mancherley Weiſe wieder zurecht ruͤcken und farblos machen koͤnne, iſt uns kein Geheimniß. Daß ferner ein ſolches entfaͤrbtes Bild auf mancherley Weiſe durch neue Verruͤckung wieder von vorn anfange gefaͤrbt zu werden, ohne daß dieſe neue Faͤrbung mit der erſten aufgehobenen auch nur in der mindeſten Verbindung ſtehe, iſt uns auch nicht verborgen, da wir, was ge - wiſſe Reflexionsfaͤlle betrifft, unſere achte Tafel mit ei - ner umſtaͤndlichen Auslegung dieſem Gegenſtand gewid - met haben.
So iſt denn auch aufmerkſamen Leſern und Experi - mentatoren keineswegs unbekannt, wann ſolche gefaͤrbte, auf den Nullpunct entweder ſubjectiv oder objectiv zu - ruͤckgebrachte Bilder, nach den Geſetzen des erſten An - ſtoßes, oder durch entgegengeſetzte Determination, ihre Eigenſchaften behaupten, fortſetzen, erneuern oder um - kehren.
Wir glauben nunmehr in polemiſcher Behandlung des erſten Buches der Optik unſre Pflicht erfuͤllt und ins Klare geſetzt zu haben, wie wenig Newtons hy - pothetiſche Erklaͤrung und Ableitung der Farbenerſchei - nung beym Refractionsfall Stich halte. Die folgenden Buͤcher laſſen wir auf ſich beruhen. Sie beſchaͤftigen ſich mit den Erſcheinungen, welche wir die epoptiſchen und paroptiſchen genannt haben. Was Newton gethan, um dieſe zu erklaͤren und auszulegen, hat eigentlich niemals großen Einfluß gehabt, ob man gleich in allen Geſchichten und Woͤrterbuͤchern der Phyſik hiſtori - ſche Rechenſchaft davon gab. Gegenwaͤrtig iſt die Na - turforſchende Welt, und mit ihr ſogar des Verfaſſers eigene Landsleute, voͤllig davon zuruͤckgekommen, und wir haben alſo nicht Urſache uns weiter darauf einzulaſſen.
Will Jemand ein Uebriges thun, der vergleiche unſere Darſtellung der epoptiſchen Erſcheinungen mit der Newtoniſchen. Wir haben ſie auf einfache Elemente zu - ruͤckgefuͤhrt; er hingegen bringt auch hier wieder Noth - wendiges und Zufaͤlliges durch einander vor, mißt und berechnet, erklaͤrt und theoretiſirt eins mit dem andern und alles durch einander, wie er es bey dem Refrac - tionsfalle gemacht hat; und ſo muͤßten wir denn auch648 nur unſere Behandlung des erſten Buches bey den fol - genden wiederholen.
Blicken wir nun auf unſre Arbeit zuruͤck, ſo wuͤnſch - ten wir wohl in dem Falle jenes Cardinals zu ſeyn, der ſeine Schriften ins Concept drucken ließ. Wir wuͤr - den alsdann noch manches nachzuholen und zu beſſern Urſache finden. Beſonders wuͤrden wir vielleicht einige heftige Ansdruͤcke mildern, welche den Gegner auf - bringen, dem Gleichguͤltigen verdrießlich ſind und die der Freund wenigſtens verzeihen muß. Allein wir be - denken zu unſerer Beruhigung, daß dieſe ganze Arbeit mitten in dem heftigſten Kriege der unſer Vaterland er - ſchuͤtterte, unternommen und vollendet wurde. Das Gewaltſame der Zeit dringt leider bis in die friedli - chen Wohnungen der Muſen, und die Sitten der Men - ſchen werden durch die naͤchſten Beyſpiele, wo nicht beſtimmt, doch modificirt. Wir haben mehrere Jahre erlebt und geſehen, daß es im Conflict von Meynungen und Thaten nicht darauf ankommt ſeinen Gegner zu ſchonen, ſondern ihn zu uͤberwinden; daß Niemand ſich aus ſeinem Vortheil herausſchmeicheln oder heraus - complimentiren laͤßt, ſondern daß er, wenn es ja nicht anders ſeyn kann, wenigſtens herausgeworfen ſeyn will. Hartnaͤckiger als die Newtoniſche Partey hat ſich kaum eine in der Geſchichte der Wiſſenſchaften bewieſen. Sie hat manchem wahrheitsliebenden Man - ne das Leben verkuͤmmert, ſie hat auch mir eine fro - here und vortheilhaftere Benutzung mehrerer Jahre ge - raubt: man verzeihe mir daher, wenn ich von ihr649 und ihrem Urheber alles moͤgliche Boͤſe geſagt habe. Ich wuͤnſche, daß es unſern Nachfahren zu Gute kom - men moͤge.
Aber mit allem dieſem ſind wir noch nicht am Ende. Denn der Streit wird in dem folgenden hiſtoriſchen Theile gewiſſermaßen wieder aufgenommen, indem ge - zeigt werden muß, wie ein ſo außerordentlicher Mann zu einem ſolchen Irrthum gekommen, wie er bey dem - ſelben verharren und ſo viele vorzuͤgliche Menſchen, ihm Beyfall zu geben, verfuͤhren koͤnnen. Hierdurch muß mehr als durch alle Polemik geleiſtet, auf dieſem Wege muß der Urheber, die Schuͤler, das einſtimmende und beharrende Jahrhundert nicht ſowohl angeklagt als entſchuldigt werden. Zu dieſer milderen Behandlung alſo, welche zu Vollendung und Abſchluß des Ganzen nothwendig erfordert wird, laden wir un - ſere Leſer hiermit ein und wuͤnſchen, daß ſie einen freyen Blick und guten Willen mitbringen moͤgen.
Die ſowohl auf die Farbenlehre uͤberhaupt als zu - naͤchſt auf dieſen erſten Band bezuͤglichen Tafeln hat man, des bequemeren Gebrauchs wegen, in einem be - ſondern Heft gegeben und dazu eine Beſchreibung ge - fuͤgt, welche beſtimmt iſt, den Hauptzweck derſelben650 noch mehr vor Augen zu bringen und ſie mit dem Werke ſelbſt in naͤhere Verbindung zu ſetzen.
Die Linearzeichnungen welche ſie enthalten, ſtellen die Phaͤnomene, wie es gewoͤhnlich iſt, in ſo fern es ſich thun ließ, im Durchſchnitte vor; in andern Faͤllen hat man die aufrechte Anſicht gewaͤhlt. Sie haben theils einen didactiſchen, theils einen polemi - ſchen Zweck. Ueber die didactiſchen belehrt der Ent - wurf ſelbſt; was die polemiſchen betrifft, ſo ſtellen ſie die unwahren und captioſen Figuren Newtons und ſeiner Schule theils wirklich nachgebildet dar, theils entwickeln ſie dieſelben auf mannigfaltige Weiſe, um was in ihnen verborgen liegt an den Tag zu bringen.
Man hat ferner die meiſten Tafeln illuminirt, weil bisher ein gar zu auffallender Schaden daraus ent - ſprang, daß man eine Erſcheinung wie die Farbe, die am naͤchſten durch ſich ſelbſt gegeben werden konnte, durch bloße Linien und Buchſtaben bezeichnen wollte.
Endlich ſind auch einige Tafeln ſo eingerichtet, daß ſie als Glieder eines anzulegenden Apparats mit Bequemlichkeit gebraucht werden koͤnnen.
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