Der Durchlauchtigſten Herzoginn und Frauen Luiſen Regierenden Herzoginn von Sachſen-Weimar und Eiſenach.
Waͤre der Inhalt des gegenwaͤrtigen Werkes auch nicht durchaus geeignet Ew. Durchlaucht vorgelegt zu werden, koͤnnte die Behandlung des Gegebenen bey ſchaͤrferer Pruͤfung kaum genug thun; ſo gehoͤren doch dieſe Baͤnde Ew. Durchlaucht ganz eigentlich an, und ſind ſeit ihrer fruͤheren Entſtehung Hoͤchſtde - nenſelben gewidmet geblieben.
Denn haͤtten Ew. Durchlaucht nicht die Gnade gehabt, uͤber die Farbenlehre ſo wie[VI] uͤber verwandte Naturerſcheinungen einem muͤnd - lichen Vortrag Ihre Aufmerkſamkeit zu ſchen - ken; ſo haͤtte ich mich wohl ſchwerlich im Stande gefunden, mir ſelbſt manches klar zu machen, manches auseinander liegende zuſam - menzufaſſen und meine Arbeit, wo nicht zu vollenden, doch wenigſtens abzuſchließen.
Wenn es bey einem muͤndlichen Vortrage moͤglich wird die Phaͤnomene ſogleich vor Au - gen zu bringen, manches in verſchiedenen[VII] Ruͤckſichten wiederkehrend darzuſtellen; ſo iſt dieſes freylich ein großer Vortheil, welchen das geſchriebene, das gedruckte Blatt vermißt. Moͤge jedoch dasjenige, was auf dem Papier mitgetheilt werden konnte, Hoͤchſtdieſelben zu einigem Wohlgefallen an jene Stunden er - innern, die mir unvergeßlich bleiben, ſo wie mir ununterbrochen alles das mannigfaltige Gute vorſchwebt, das ich ſeit laͤngerer Zeit und in den bedeutendſten Augenblicken meines[VIII] Lebens mit und vor vielen andern Ew. Durch - laucht verdanke.
Mit innigſter Verehrung mich unter - zeichnend Ew. Durchlaucht
Weimar den 30. Januar 1808.unterthaͤnigſterJ. W. v. Goethe.
Ob man nicht, indem von den Farben geſprochen werden ſoll, vor allen Dingen des Lichtes zu er - waͤhnen habe, iſt eine ganz natuͤrliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwiedern: es ſcheine bedenklich, da bisher ſchon ſo viel und mancherley von dem Lichte geſagt worden, das Ge - ſagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.
Denn eigentlich unternehmen wir umſonſt, das Weſen eines Dinges auszudruͤcken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollſtaͤndige Ge - ſchichte dieſer Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Weſen jenes Dinges. Vergebens bemuͤhenX wir uns, den Charakter eines Menſchen zu ſchil - dern; man ſtelle dagegen ſeine Handlungen, ſeine Thaten zuſammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.
Die Farben ſind Thaten des Lichts, Thaten und Leiden. In dieſem Sinne koͤnnen wir von denſelben Aufſchluͤſſe uͤber das Licht erwarten. Far - ben und Licht ſtehen zwar unter einander in dem ge - nauſten Verhaͤltniß, aber wir muͤſſen uns beyde als der ganzen Natur angehoͤrig denken: denn ſie iſt es ganz, die ſich dadurch dem Sinne des Auges beſonders offenbaren will.
Eben ſo entdeckt ſich die ganze Natur einem anderen Sinne Man ſchließe das Auge, man oͤffne, man ſchaͤrfe das Ohr, und vom leiſeſten Hauch bis zum wildeſten Geraͤuſch, vom einfachſten Klang bis zur hoͤchſten Zuſammenſtimmung, von dem hef - tigſten leidenſchaftlichen Schrey bis zum ſanfteſten Worte der Vernunft iſt es nur die Natur, dieXI ſpricht, ihr Daſeyn, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhaͤltniſſe offenbart, ſo daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare verſagt iſt, im Hoͤr - baren ein unendlich Lebendiges faſſen kann.
So ſpricht die Natur hinabwaͤrts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; ſo ſpricht ſie mit ſich ſelbſt und zu uns durch tauſend Erſcheinungen. Dem Aufmerkſa - men iſt ſie nirgends todt noch ſtumm; ja dem ſtarren Erdkoͤrper hat ſie einen Vertrauten zugege - ben, ein Metall, an deſſen kleinſten Theilen wir dasjenige, was in der ganzen Maſſe vorgeht, ge - wahr werden ſollten.
So mannigfaltig, ſo verwickelt und unver - ſtaͤndlich uns oft dieſe Sprache ſcheinen mag, ſo bleiben doch ihre Elemente immer dieſelbigen. Mit leiſem Gewicht und Gegengewicht waͤgt ſich die Natur hin und her, und ſo entſteht ein Huͤben und Druͤben, ein Oben und Unten, ein ZuvorXII und Hernach, wodurch alle die Erſcheinungen be - dingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten.
Dieſe allgemeinen Bewegungen und Beſtim - mungen werden wir auf die verſchiedenſte Weiſe ge - wahr, bald als ein einfaches Abſtoßen und Anzie - hen, bald als ein aufblickendes und verſchwinden - des Licht, als Bewegung der Luft, als Erſchuͤtte - rung des Koͤrpers, als Saͤurung und Entſaͤurung; jedoch immer als verbindend oder trennend, das Daſeyn bewegend und irgend eine Art von Leben befoͤrdernd.
Indem man aber jenes Gewicht und Gegen - gewicht von ungleicher Wirkung zu finden glaubt, ſo hat man auch dieſes Verhaͤltniß zu bezeichnen verſucht. Man hat ein Mehr und Weniger, ein Wirken ein Widerſtreben, ein Thun ein Leiden, ein Vordringendes ein Zuruͤckhaltendes, ein Hefti - ges ein Maͤßigendes, ein Maͤnnliches ein Weibli -XIII ches uͤberall bemerkt und genannt; und ſo entſteht eine Sprache, eine Symbolik, die man auf aͤhn - liche Faͤlle als Gleichniß, als nahverwandten Aus - druck, als unmittelbar paſſendes Wort anwenden und benutzen mag.
Dieſe univerſellen Bezeichnungen, dieſe Na - turſprache auch auf die Farbenlehre anzuwenden, dieſe Sprache durch die Farbenlehre, durch die Mannigfaltigkeit ihrer Erſcheinungen zu bereichern, zu erweitern und ſo die Mittheilung hoͤherer An - ſchauungen unter den Freunden der Natur zu erleich - tern, war die Hauptabſicht des gegenwaͤrtigen Werkes.
Die Arbeit ſelbſt zerlegt ſich in drey Theile. Der erſte giebt den Entwurf einer Farbenlehre. In demſelben ſind die unzaͤhligen Faͤlle der Erſchei - nungen unter gewiſſe Hauptphaͤnomene zuſammen - gefaßt, welche nach einer Ordnung aufgefuͤhrt werden, die zu rechtfertigen der Einleitung uͤber -XIV laſſen bleibt. Hier aber iſt zu bemerken, daß, ob man ſich gleich uͤberall an die Erfahrungen ge - halten, ſie uͤberall zum Grunde gelegt, doch die theoretiſche Anſicht nicht verſchwiegen werden konn - te, welche den Anlaß zu jener Aufſtellung und Anordnung gegeben.
Iſt es doch eine hoͤchſt wunderliche Forderung, die wohl manchmal gemacht, aber auch ſelbſt von denen, die ſie machen, nicht erfuͤllt wird: Erfah - rungen ſolle man ohne irgend ein theoretiſches Band vortragen, und dem Leſer, dem Schuͤler uͤberlaſ - ſen, ſich ſelbſt nach Belieben irgend eine Ueber - zeugung zu bilden. Denn das bloße Anblicken ei - ner Sache kann uns nicht foͤrdern. Jedes Anſe - hen geht uͤber in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknuͤpfen, und ſo kann man ſagen, daß wir ſchon bey jedem aufmerkſamen Blick in die Welt theoretiſiren. Die - ſes aber mit Bewußtſeyn, mit Selbſtkenntniß, mit Freyheit, und um uns eines gewagten Wor -XV tes zu bedienen, mit Ironie zu thun und vorzu - nehmen, eine ſolche Gewandtheit iſt noͤthig, wenn die Abſtraction, vor der wir uns fuͤrchten, un - ſchaͤdlich, und das Erfahrungsreſultat, das wir hoffen, recht lebendig und nuͤtzlich werden ſoll.
Im zweyten Theil beſchaͤftigen wir uns mit Enthuͤllung der Newtoniſchen Theorie, welche ei - ner freyen Anſicht der Farbenerſcheinungen bisher mit Gewalt und Anſehen entgegengeſtanden; wir beſtreiten eine Hypotheſe, die, ob ſie gleich nicht mehr brauchbar gefunden wird, doch noch immer eine herkoͤmmliche Achtung unter den Menſchen be - haͤlt. Ihr eigentliches Verhaͤltniß muß deutlich werden, die alten Irrthuͤmer ſind wegzuraͤumen, wenn die Farbenlehre nicht, wie bisher, hinter ſo manchem anderen beſſer bearbeiteten Theile der Naturlehre zuruͤckbleiben ſoll.
Da aber der zweyte Theil unſres Werkes ſei - nem Inhalte nach trocken, der Ausfuͤhrung nachXVI vielleicht zu heftig und leidenſchaftlich ſcheinen moͤch - te; ſo erlaube man uns hier ein heiteres Gleich - niß, um jenen ernſteren Stoff vorzubereiten, und jene lebhafte Behandlung einigermaßen zu entſchul - digen.
Wir vergleichen die Newtoniſche Farbentheorie mit einer alten Burg, welche von dem Erbauer anfangs mit jugendlicher Uebereilung angelegt, nach dem Beduͤrfniß der Zeit und Umſtaͤnde jedoch nach und nach von ihm erweitert und ausgeſtattet, nicht weniger bey Anlaß von Fehden und Feindſeligkei - ten immer mehr befeſtigt und geſichert worden.
So verfuhren auch ſeine Nachfolger und Er - ben. Man war genoͤthigt, das Gebaͤude zu ver - groͤßern, hier daneben, hier daran, dort hin - aus zu bauen; genoͤthigt durch die Vermehrung innerer Beduͤrfniſſe, durch die Zudringlichkeit aͤuße - rer Widerſacher und durch manche Zufaͤlligkeiten.
Alle dieſe fremdartigen Theile und Zuthaten mußten wieder in Verbindung gebracht werdenXVII durch die ſeltſamſten Galerien, Hallen und Gaͤnge. Alle Beſchaͤdigungen, es ſey von Feindes Hand, oder durch die Gewalt der Zeit, wurden gleich wieder hergeſtellt. Man zog, wie es noͤthig ward, tiefere Graͤben, erhoͤhte die Mauern, und ließ es nicht an Thuͤrmen, Erkern und Schießſcharten fehlen. Dieſe Sorgfalt, dieſe Bemuͤhungen brach - ten ein Vorurtheil von dem hohen Werthe der Fe - ſtung hervor und erhielten’s, obgleich Bau - und Befeſtigungskunſt die Zeit uͤber ſehr geſtiegen wa - ren, und man ſich in andern Faͤllen viel beſſere Wohnungen und Waffenplaͤtze einzurichten gelernt hatte. Vorzuͤglich aber hielt man die alte Burg in Ehren, weil ſie niemals eingenommen worden, weil ſie ſo manchen Angriff abgeſchlagen, manche Befehdung vereitelt und ſich immer als Jungfrau gehalten hatte. Dieſer Name, dieſer Ruf dau - ert noch bis jetzt. Niemanden faͤllt es auf, daß der alte Bau unbewohnbar geworden. Immer wird von ſeiner vortrefflichen Dauer, von ſeiner koͤſtli - chen Einrichtung geſprochen. Pilger wallfahrtenI. **XVIIIdahin; fluͤchtige Abriſſe zeigt man in allen Schu - len herum und empfiehlt ſie der empfaͤnglichen Ju - gend zur Verehrung, indeſſen das Gebaͤude bereits leer ſteht, nur von einigen Invaliden bewacht, die ſich ganz ernſthaft fuͤr geruͤſtet halten.
Es iſt alſo hier die Rede nicht von einer lang - wierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt ſchon als ein verlaſſenes, Einſturz drohendes Al - terthum, und beginnen ſogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umſtaͤnde abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten - und Eulenneſt hineinſcheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene laby - rinthiſch unzuſammenhaͤngende Bauart, das enge Nothduͤrftige, das zufaͤllig Aufgedrungene, das abſichtlich Gekuͤnſtelte, das kuͤmmerlich Geflickte. Ein ſolcher Einblick iſt aber alsdann nur moͤglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein GewoͤlbeXIX nach dem andern faͤllt und der Schutt, ſoviel ſich thun laͤßt, auf der Stelle hinweggeraͤumt wird.
Dieſes zu leiſten und wo moͤglich den Platz zu ebnen, die gewonnenen Materialien aber ſo zu ordnen, daß ſie bey einem neuen Gebaͤude wieder benutzt werden koͤnnen, iſt die beſchwerliche Pflicht, die wir uns in dieſem zweyten Theile auferlegt ha - ben. Gelingt es uns nun, mit froher Anwen - dung moͤglichſter Kraft und Geſchickes, jene Ba - ſtille zu ſchleifen und einen freyen Raum zu gewin - nen; ſo iſt keinesweges die Abſicht, ihn etwa ſo - gleich wieder mit einem neuen Gebaͤude zu uͤber - bauen und zu belaͤſtigen; wir wollen uns vielmehr deſſelben bedienen, um eine ſchoͤne Reihe mannig - faltiger Geſtalten vorzufuͤhren.
Der dritte Theil bleibt daher hiſtoriſchen Un - terſuchungen und Vorarbeiten gewidmet. Aeußer - ten wir oben, daß die Geſchichte des Menſchen den Menſchen darſtelle, ſo laͤßt ſich hier auch wohl** 2XXbehaupten, daß die Geſchichte der Wiſſenſchaft die Wiſſenſchaft ſelbſt ſey. Man kann dasjenige, was man beſitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor uns beſeſſen, zu erkennen weiß. Man wird ſich an den Vorzuͤgen ſeiner Zeit nicht wahr - haft und redlich freuen, wenn man die Vorzuͤge der Vergangenheit nicht zu wuͤrdigen verſteht. Aber eine Geſchichte der Farbenlehre zu ſchreiben oder auch nur vorzubereiten war unmoͤglich, ſo lange die Newtoniſche Lehre beſtand. Denn kein ariſtokratiſcher Duͤnkel hat jemals mit ſolchem un - ertraͤglichen Uebermuthe auf diejenigen herabgeſehen, die nicht zu ſeiner Gilde gehoͤrten, als die New - toniſche Schule von jeher uͤber alles abgeſprochen hat, was vor ihr geleiſtet war und neben ihr ge - leiſtet ward. Mit Verdruß und Unwillen ſieht man, wie Prieſtley in ſeiner Geſchichte der Optik, und ſo manche vor und nach ihm, das Heil der Farbenwelt von der Epoche eines geſpalten ſeyn ſol - lenden Lichtes herdatiren, und mit hohem Aug - braun auf die aͤltern und mittleren herabſehen, dieXXI auf dem rechten Wege ruhig hingingen und im Einzelnen Beobachtungen und Gedanken uͤberliefert haben, die wir nicht beſſer anſtellen koͤnnen, nicht richtiger faſſen werden.
Von demjenigen nun, der die Geſchichte ir - gend eines Wiſſens uͤberliefern will, koͤnnen wir mit Recht verlangen, daß er uns Nachricht gebe, wie die Phaͤnomene nach und nach bekannt gewor - den, was man daruͤber phantaſirt, gewaͤhnt, ge - meynt und gedacht habe. Dieſes alles im Zuſam - menhange vorzutragen, hat große Schwierigkeiten, und eine Geſchichte zu ſchreiben iſt immer eine be - denkliche Sache. Denn bey dem redlichſten Vor - ſatz kommt man in Gefahr unredlich zu ſeyn; ja wer eine ſolche Darſtellung unternimmt erklaͤrt zum voraus, daß er manches ins Licht, manches in Schatten ſetzen werde.
Und doch hat ſich der Verfaſſer auf eine ſolche Arbeit lange gefreut. Da aber meiſt nur derXXII Vorſatz als ein Ganzes vor unſerer Seele ſteht, das Vollbringen aber gewoͤhnlich nur ſtuͤckweiſe ge - leiſtet wird; ſo ergeben wir uns darein, ſtatt der Geſchichte, Materialien zu derſelben zu liefern. Sie beſtehen in Ueberſetzungen, Auszuͤgen, eige - nen und fremden Urtheilen, Winken und Andeu - tungen, in einer Sammlung, der, wenn ſie nicht allen Forderungen entſpricht, doch das Lob nicht mangeln wird, daß ſie mit Ernſt und Liebe ge - macht ſey. Uebrigens moͤgen vielleicht ſolche Ma - terialien, zwar nicht ganz unbearbeitet, aber doch unverarbeitet, dem denkenden Leſer um deſto an - genehmer ſeyn, als er ſelbſt ſich, nach eigener Art und Weiſe, ein Ganzes daraus zu bilden die Bequemlichkeit findet.
Mit gedachtem dritten hiſtoriſchen Theil iſt je - doch noch nicht alles gethan. Wir haben daher noch einen vierten ſupplementaren hinzugefuͤgt. Dieſer enthaͤlt die Reviſion, um derentwillen vor - zuͤglich die Paragraphen mit Nummern verſehenXXIII worden. Denn indem bey der Redaction einer ſol - chen Arbeit einiges vergeſſen werden kann, einiges beſeitigt werden muß, um die Aufmerkſamkeit nicht abzuleiten, anderes erſt hinterdrein erfahren wird, auch anderes einer Beſtimmung und Berichtigung bedarf; ſo ſind Nachtraͤge, Zuſaͤtze und Verbeſ - ſerungen unerlaͤßlich. Bey dieſer Gelegenheit ha - ben wir denn auch die Citate nachgebracht. So - dann enthaͤlt dieſer Band noch einige einzelne Auf - ſaͤtze, z. B. uͤber die atmoſphaͤriſchen Farben, welche, indem ſie in dem Entwurf zerſtreut vorkom - men, hier zuſammen und auf einmal vor die Phan - taſie gebracht werden.
Fuͤhrt nun dieſer Aufſatz den Leſer in das freye Leben, ſo ſucht ein anderer das kuͤnſtliche Wiſſen zu befoͤrdern, indem er den zur Farbenlehre kuͤnf - tig noͤthigen Apparat umſtaͤndlich beſchreibt.
Schließlich bleibt uns nur noch uͤbrig der Ta - feln zu gedenken, welche wir dem Ganzen beyge -XXIV fuͤgt. Und hier werden wir freylich an jene Un - vollſtaͤndigkeit und Unvollkommenheit erinnert, wel - che unſer Werk mit allen Werken dieſer Art ge - mein hat.
Denn wie ein gutes Theaterſtuͤck eigentlich kaum zur Haͤlfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der groͤßere Theil deſſelben dem Glanz der Buͤhne, der Perſoͤnlichkeit des Schauſpielers, der Kraft ſeiner Stimme, der Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Bewegungen, ja dem Geiſte und der guten Laune des Zuſchauers anheim gegeben bleibt; ſo iſt es noch viel mehr der Fall mit einem Buche, das von natuͤrlichen Erſcheinungen handelt. Wenn es genoſſen, wenn es genutzt werden ſoll, ſo muß dem Leſer die Natur entweder wirklich oder in leb - hafter Phantaſie gegenwaͤrtig ſeyn. Denn eigent - lich ſollte der Schreibende ſprechen, und ſeinen Zuhoͤrern die Phaͤnomene, theils wie ſie uns unge - ſucht entgegenkommen, theils wie ſie durch abſicht - liche Vorrichtungen nach Zweck und Willen darge -XXV ſtellt werden koͤnnen, als Text erſt anſchaulich ma - chen; alsdann wuͤrde jedes Erlaͤutern, Erklaͤren, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman - geln.
Ein hoͤchſt unzulaͤngliches Surrogat ſind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu - legen pflegt. Ein freyes phyſiſches Phaͤnomen, das nach allen Seiten wirkt, iſt nicht in Linien zu ſaſſen, und im Durchſchnitt anzudeuten. Nie - mand faͤllt es ein, chemiſche Verſuche mit Figuren zu erlaͤutern; bey den phyſiſchen nah verwandten iſt es jedoch hergebracht, weil ſich eins und das andre dadurch leiſten laͤßt. Aber ſehr oft ſtellen dieſe Figuren nur Begriffe dar; es ſind ſymboli - ſche Huͤlfsmittel, hieroglyphiſche Ueberlieferungswei - ſen, welche ſich nach und nach an die Stelle des Phaͤnomens, an die Stelle der Natur ſetzen und die wahre Erkenntniß hindern, anſtatt ſie zu be - foͤrdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir ſie ſo einzurichten geſucht,XXVI daß man ſie zum didaktiſchen und polemiſchen Ge - brauch getroſt zur Hand nehmen, ja gewiſſe der - ſelben als einen Theil des noͤthigen Apparats an - ſehen kann.
Und ſo bleibt uns denn nichts weiter uͤbrig, als auf die Arbeit ſelbſt hin zu weiſen, und nur vorher noch eine Bitte zu wiederholen, die ſchon ſo mancher Autor vergebens gethan hat, und die beſonders der deutſche Leſer neuerer Zeit ſo ſelten gewaͤhrt: Si quid novisti rectius istis Candidus imperti; si non, his utere mecum.
Si vera nostra sunt aut falsa, erunt talia, licet nostra per vitam defendimus. Post fata nostra pueri qui nunc ludunt nostri judices erunt.
Des Erſten Bandes Erſter, didaktiſcher Theil.
Die Luſt zum Wiſſen wird bey dem Menſchen zu - erſt dadurch angeregt, daß er bedeutende Phaͤno - mene gewahr wird, die ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen. Damit nun dieſe dauernd bleibe, ſo muß ſich eine innigere Theilnahme finden, die uns nach und nach mit den Gegenſtaͤnden bekannter macht. Alsdann bemerken wir erſt eine große Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir ſind genoͤthigt, zu ſondern, zu unterſcheiden und wieder zuſammenzuſtellen; wodurch zuletzt eine Ordnung entſteht, die ſich mit mehr oder weniger Zufriedenheit uͤberſehen laͤßt.
Dieſes in irgend einem Fache nur einigerma - ßen zu leiſten, wird eine anhaltende ſtrenge Be - ſchaͤftigung noͤthig. Deswegen finden wir, daß die Menſchen lieber durch eine allgemeine theoretiſche Anſicht, durch irgend eine Erklaͤrungsart die Phaͤ - nomene bey Seite bringen, anſtatt ſich die Muͤhe*** 2XXXVIzu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein Ganzes zu erbauen.
Der Verſuch, die Farbenerſcheinungen auf - und zuſammenzuſtellen iſt nur zweymal gemacht worden, das erſtemal von Theophraſt, ſodann von Boyle. Dem gegenwaͤrtigen wird man die dritte Stelle nicht ſtreitig machen.
Das naͤhere Verhaͤltniß erzaͤhlt uns die Ge - ſchichte. Hier ſagen wir nur ſo viel, daß in dem verfloſſenen Jahrhundert an eine ſolche Zuſammen - ſtellung nicht gedacht werden konnte, weil Newton ſeiner Hypotheſe einen verwickelten und abgeleiteten Verſuch zum Grund gelegt hatte, auf welchen man die uͤbrigen zudringenden Erſcheinungen, wenn man ſie nicht verſchweigen und beſeitigen konnte, kuͤnſt - lich bezog und ſie in aͤngſtlichen Verhaͤltniſſen um - herſtellte; wie etwa ein Aſtronom verfahren muͤßte, der aus Grille den Mond in die Mitte unſeres Syſtems ſetzen moͤchte. Er waͤre genoͤthigt, die Erde, die Sonne mit allen uͤbrigen Planeten um den ſubalternen Koͤrper herum zu bewegen, und durch kuͤnſtliche Berechnungen und Vorſtellungs - weiſen das Irrige ſeines erſten Annehmens zu ver - ſtecken und zu beſchoͤnigen.
XXXVIISchreiten wir nun in Erinnerung deſſen, was wir oben vorwortlich beygebracht, weiter vor. Dort ſetzten wir das Licht als anerkannt voraus, hier thun wir ein gleiches mit dem Auge. Wir ſagten: die ganze Natur offenbare ſich durch die Farbe dem Sinne des Auges. Nunmehr behaup - ten wir, wenn es auch einigermaßen ſonderbar klin - gen mag, daß das Auge keine Form ſehe, indem Hell, Dunkel und Farbe zuſammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenſtand vom Gegenſtand, die Theile des Gegenſtandes von einander, fuͤrs Auge unterſcheidet. Und ſo erbauen wir aus die - ſen Dreyen die ſichtbare Welt und machen dadurch zugleich die Malerey moͤglich, welche auf der Tafel eine weit vollkommner ſichtbare Welt als die wirk - liche ſeyn kann, hervorzubringen vermag.
Das Auge hat ſein Daſeyn dem Licht zu dan - ken. Aus gleichguͤltigen thieriſchen Huͤlfsorganen ruft ſich das Licht ein Organ hervor, das ſeines gleichen werde; und ſo bildet ſich das Auge am Lichte fuͤrs Licht, damit das innere Licht dem aͤuße - ren entgegentrete.
Hierbey erinnern wir uns der alten ioniſchen Schule, welche mit ſo großer Bedeutſamkeit immerXXXVIII wiederholte: nur von Gleichem werde Gleiches erkannt; wie auch der Worte eines alten Myſti - kers, die wir in deutſchen Reimen folgendermaßen ausdruͤcken moͤchten:
Jene unmittelbare Verwandtſchaft des Lichtes und des Auges wird niemand laͤugnen, aber ſich beyde zugleich als eins und daſſelbe zu denken hat mehr Schwierigkeit. Indeſſen wird es faßlicher, wenn man behauptet, im Auge wohne ein ruhendes Licht, das bey der mindeſten Veranlaſſung von in - nen oder von außen erregt werde. Wir koͤnnen in der Finſterniß durch Forderungen der Einbildungs - kraft uns die hellſten Bilder hervorrufen. Im Traume erſcheinen uns die Gegenſtaͤnde wie am vollen Tage. Im wachenden Zuſtande wird uns die leiſeſte aͤußere Lichteinwirkung bemerkbar; ja wenn das Organ einen mechaniſchen Anſtoß erlei - det, ſo ſpringen Licht und Farben hervor.
Vielleicht aber machen hier diejenigen, welche nach einer gewiſſen Ordnung zu verfahren pflegen,XXXIX bemerklich, daß wir ja noch nicht einmal entſchieden erklaͤrt, was denn Farbe ſey? Dieſer Frage moͤch - ten wir gar gern hier abermals ausweichen und uns auf unſere Ausfuͤhrung berufen, wo wir um - ſtaͤndlich gezeigt, wie ſie erſcheine. Denn es bleibt uns auch hier nichts uͤbrig, als zu wiederholen: die Farbe ſey die geſetzmaͤßige Natur in Bezug auf den Sinn des Auges. Auch hier muͤſſen wir an - nehmen, daß Jemand dieſen Sinn habe, daß Je - mand die Einwirkung der Natur auf dieſen Sinn kenne: denn mit dem Blinden laͤßt ſich nicht von der Farbe reden.
Damit wir aber nicht gar zu aͤngſtlich eine Er - klaͤrung zu vermeiden ſcheinen, ſo moͤchten wir das erſtgeſagte folgendermaßen umſchreiben. Die Farbe ſey ein elementares Naturphaͤnomen fuͤr den Sinn des Auges, das ſich, wie die uͤbrigen alle, durch Trennung und Gegenſatz, durch Miſchung und Vereinigung, durch Erhoͤhung und Neutraliſation, durch Mittheilung und Vertheilung und ſo weiter manifeſtirt, und unter dieſen allgemeinen Natur - formeln am beſten angeſchaut und begriffen werden kann.
Dieſe Art ſich die Sache vorzuſtellen, koͤnnen wir Niemand aufdringen. Wer ſie bequem findet,XL wie wir, wird ſie gern in ſich aufnehmen. Eben ſo wenig haben wir Luſt, ſie kuͤnftig durch Kampf und Streit zu vertheidigen. Denn es hatte von jeher etwas gefaͤhrliches, von der Farbe zu handeln, dergeſtalt daß einer unſerer Vorgaͤnger gelegentlich gar zu aͤußern wagt: Haͤlt man dem Stier ein ro - thes Tuch vor, ſo wird er wuͤthend; aber der Phi - loſoph, wenn man nur uͤberhaupt von Farbe ſpricht, faͤngt an zu raſen.
Sollen wir jedoch nunmehr von unſerem Vor - trag, auf den wir uns berufen, einige Rechenſchaft geben, ſo muͤſſen wir vor allen Dingen anzeigen, wie wir die verſchiedenen Bedingungen, unter wel - chen die Farbe ſich zeigen mag, geſondert. Wir fanden dreyerley Erſcheinungsweiſen, dreyerley Ar - ten von Farben, oder wenn man lieber will, drey - erley Anſichten derſelben, deren Unterſchied ſich aus - ſprechen laͤßt.
Wir betrachteten alſo die Farben zuerſt, in ſo - fern ſie dem Auge angehoͤren und auf einer Wir - kung und Gegenwirkung deſſelben beruhen; ferner zogen ſie unſere Aufmerkſamkeit an ſich, indem wir ſie an farbloſen Mitteln oder durch deren Beyhuͤlfe gewahrten; zuletzt aber wurden ſie uns merkwuͤrdig,XLI indem wir ſie als den Gegenſtaͤnden angehoͤrig den - ken konnten. Die erſten nannten wir phyſiologi - ſche, die zweyten phyſiſche, die dritten chemiſche Farben. Jene ſind unaufhaltſam fluͤchtig, die an - dern voruͤbergehend, aber allenfalls verweilend, die letzten feſtzuhalten bis zur ſpaͤteſten Dauer.
Indem wir ſie nun in ſolcher naturgemaͤßen Ordnung, zum Behuf eines didaktiſchen Vortrags, moͤglichſt ſonderten und aus einander hielten, ge - lang es uns zugleich, ſie in einer ſtetigen Reihe darzuſtellen, die fluͤchtigen mit den verweilenden und dieſe wieder mit den dauernden zu verknuͤpfen, und ſo die erſt ſorgfaͤltig gezogenen Abtheilungen fuͤr ein hoͤheres Anſchauen wieder aufzuheben.
Hierauf haben wir in einer vierten Abtheilung unſerer Arbeit, was bis dahin von den Farben un - ter mannigfaltigen beſondern Bedingungen bemerkt worden, im Allgemeinen ausgeſprochen und dadurch eigentlich den Abriß einer kuͤnftigen Farbenlehre entworfen. Gegenwaͤrtig ſagen wir nur ſo viel vor - aus, daß zur Erzeugung der Farbe Licht und Fin - ſterniß, Helles und Dunkles, oder, wenn man ſich einer allgemeineren Formel bedienen will, Licht und Nichtlicht gefordert werde. Zunaͤchſt am Licht ent -XLII ſteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunaͤchſt an der Finſterniß, die wir mit dem Worte Blau bezeichnen. Dieſe beyden, wenn wir ſie in ihrem reinſten Zuſtand dergeſtalt vermiſchen, daß ſie ſich voͤllig das Gleichgewicht halten, brin - gen eine Dritte hervor, welche wir Gruͤn heißen. Jene beyden erſten Farben koͤnnen aber auch jede an ſich ſelbſt eine neue Erſcheinung hervorbringen, indem ſie ſich verdichten oder verdunkeln. Sie er - halten ein roͤthliches Anſehen, welches ſich bis auf einen ſo hohen Grad ſteigern kann, daß man das urſpruͤngliche Blau und Gelb kaum darin mehr erkennen mag. Doch laͤßt ſich das hoͤchſte und reine Roth, vorzuͤglich in phyſiſchen Faͤllen, dadurch hervorbringen, daß man die beyden Enden des Gelbrothen und Blaurothen vereinigt. Dieſes iſt die lebendige Anſicht der Farbenerſcheinung und Erzeugung. Man kann aber auch zu dem ſpecifi - cirt fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Roth annehmen, und ruͤckwaͤrts durch Miſchung hervor - bringen, was wir vorwaͤrts durch Intenſiren be - wirkt haben. Mit dieſen drey oder ſechs Farben, welche ſich bequem in einen Kreis einſchließen laſ - ſen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu thun. Alle uͤbrigen ins Unendliche gehenden Abaͤnderun - gen gehoͤren mehr in das Angewandte, gehoͤrenXLIII zur Technik des Malers, des Faͤrbers, uͤberhaupt ins Leben.
Sollen wir ſodann noch eine allgemeine Eigen - ſchaft ausſprechen, ſo ſind die Farben durchaus als Halblichter, als Halbſchatten anzuſehen, wes - halb ſie denn auch, wenn ſie zuſammengemiſcht ihre ſpecifiſchen Eigenſchaften wechſelſeitig aufheben, ein Schattiges, ein Graues hervorbringen.
In unſerer fuͤnften Abtheilung ſollten ſodann jene nachbarlichen Verhaͤltniſſe dargeſtellt werden, in welchen unſere Farbenlehre mit dem uͤbrigen Wiſſen, Thun und Treiben zu ſtehen wuͤnſchte. So wichtig dieſe Abtheilung iſt, ſo mag ſie vielleicht gerade eben deswegen nicht zum beſten gelungen ſeyn. Doch wenn man bedenkt, daß eigentlich nachbarliche Ver - haͤltniſſe ſich nicht eher ausſprechen laſſen, als bis ſie ſich gemacht haben, ſo kann man ſich uͤber das Mißlingen eines ſolchen erſten Verſuches wohl troͤ - ſten. Denn freylich iſt erſt abzuwarten, wie diejeni - gen, denen wir zu dienen ſuchten, denen wir etwas Gefaͤlliges und Nuͤtzliches zu erzeigen dachten, das von uns moͤglichſt Geleiſtete aufnehmen werden, ob ſie ſich es zueignen, ob ſie es benutzen und wei - ter fuͤhren, oder ob ſie es ablehnen, wegdraͤngenXLIV und nothduͤrftig fuͤr ſich beſtehen laſſen. Indeſſen duͤrfen wir ſagen, was wir glauben und was wir hoffen.
Vom Philoſophen glauben wir Dank zu ver - dienen, daß wir geſucht die Phaͤnomene bis zu ih - ren Urquellen zu verfolgen, bis dorthin, wo ſie blos erſcheinen und ſind, und wo ſich nichts weiter an ihnen erklaͤren laͤßt. Ferner wird ihm willkommen ſeyn, daß wir die Erſcheinungen in eine leicht uͤber - ſehbare Ordnung geſtellt, wenn er dieſe Ordnung ſelbſt auch nicht ganz billigen ſollte.
Den Arzt, beſonders denjenigen, der das Or - gan des Auges zu beobachten, es zu erhalten, deſ - ſen Maͤngeln abzuhelfen und deſſen Uebel zu heilen berufen iſt, glauben wir uns vorzuͤglich zum Freunde zu machen. In der Abtheilung von den phyſiolo - giſchen Farben, in dem Anhange, der die patholo - giſchen andeutet, findet er ſich ganz zu Hauſe. Und wir werden gewiß durch die Bemuͤhungen je - ner Maͤnner, die zu unſerer Zeit dieſes Fach mit Gluͤck behandeln, jene erſte, bisher vernachlaͤſſigte und man kann wohl ſagen wichtigſte Abtheilung der Farbenlehre ausfuͤhrlich bearbeitet ſehen.
XLVAm freundlichſten ſollte der Phyſiker uns ent - gegenkommen, da wir ihm die Bequemlichkeit ver - ſchaffen, die Lehre von den Farben in der Reihe aller uͤbrigen elementaren Erſcheinungen vorzutra - gen und ſich dabey einer uͤbereinſtimmenden Spra - che, ja faſt derſelbigen Worte und Zeichen, wie unter den uͤbrigen Rubriken, zu bedienen. Frey - lich machen wir ihm, inſofern er Lehrer iſt, etwas mehr Muͤhe: denn das Capitel von den Farben laͤßt ſich kuͤnftig nicht wie bisher mit wenig Paragraphen und Verſuchen abthun; auch wird ſich der Schuͤler nicht leicht ſo frugal, als man ihn ſonſt bedienen moͤgen, ohne Murren abſpeiſen laſſen. Dagegen findet ſich ſpaͤterhin ein anderer Vortheil. Denn wenn die Newtoniſche Lehre leicht zu lernen war, ſo zeigten ſich bey ihrer Anwendung unuͤberwindliche Schwierigkeiten. Unſere Lehre iſt vielleicht ſchwerer zu faſſen, aber alsdann iſt auch alles gethan: denn ſie fuͤhrt ihre Anwendung mit ſich.
Der Chemiker, welcher auf die Farben als Kri - terien achtet, um die geheimern Eigenſchaften koͤr - perlicher Weſen zu entdecken, hat bisher bey Be - nennung und Bezeichnung der Farben manches Hin - derniß gefunden; ja man iſt nach einer naͤheren und feineren Betrachtung bewogen worden, die FarbeXLVI als ein unſicheres und truͤgliches Kennzeichen bey chemiſchen Operationen anzuſehen. Doch hoffen wir ſie durch unſere Darſtellung und durch die vorge - ſchlagene Nomenclatur wieder zu Ehren zu bringen, und die Ueberzeugung zu erwecken, daß ein Werden - des, Wachſendes, ein Bewegliches, der Umwen - dung Faͤhiges nicht betruͤglich ſey, vielmehr geſchickt, die zarteſten Wirkungen der Natur zu offenbaren.
Blicken wir jedoch weiter umher, ſo wandelt uns eine Furcht an, dem Mathematiker zu miß - fallen. Durch eine ſonderbare Verknuͤpfung von Umſtaͤnden iſt die Farbenlehre in das Reich, vor den Gerichtsſtuhl des Mathematikers gezogen wor - den, wohin ſie nicht gehoͤrt. Dieß geſchah we - gen ihrer Verwandtſchaft mit den uͤbrigen Geſetzen des Sehens, welche der Mathematiker zu behan - deln eigentlich berufen war. Es geſchah ferner dadurch, daß ein großer Mathematiker die Far - benlehre bearbeitete, und da er ſich als Phyſiker geirrt hatte, die ganze Kraft ſeines Talents auf - bot, um dieſem Irrthum Conſiſtenz zu verſchaffen. Wird beydes eingeſehen, ſo muß jedes Mißver - ſtaͤndniß bald gehoben ſeyn, und der Mathemati - ker wird gern, beſonders die phyſiſche Abtheilung der Farbenlehre, mit bearbeiten helfen.
XLVIIDem Techniker, dem Faͤrber hingegen, muß unſre Arbeit durchaus willkommen ſeyn. Denn gerade diejenigen, welche uͤber die Phaͤnomene der Faͤrberey nachdachten, waren am wenigſten durch die bisherige Theorie befriedigt. Sie waren die erſten, welche die Unzulaͤnglichkeit der Newtoniſchen Lehre gewahr wurden. Denn es iſt ein großer Un - terſchied, von welcher Seite man ſich einem Wiſſen, einer Wiſſenſchaft naͤhert, durch welche Pforte man herein kommt. Der echte Praktiker, der Fabrikant, dem ſich die Phaͤnomene taͤglich mit Gewalt auf - dringen, welcher Nutzen oder Schaden von der Ausuͤbung ſeiner Ueberzeugungen empfindet, dem Geld - und Zeitverluſt nicht gleichguͤltig iſt, der vorwaͤrts will, von anderen Geleiſtetes erreichen, uͤbertreffen ſoll; er empfindet viel geſchwinder das Hohle, das Falſche einer Theorie, als der Gelehrte, dem zuletzt die hergebrachten Worte fuͤr baare Muͤn - ze gelten, als der Mathematiker, deſſen Formel immer noch richtig bleibt, wenn auch die Unter - lage nicht zu ihr paßt, auf die ſie angewendet worden. Und ſo werden auch wir, da wir von der Seite der Malerey, von der Seite aͤſthetiſcher Faͤrbung der Oberflaͤchen, in die Farbenlehre her - eingekommen, fuͤr den Maler das Dankenswer - theſte geleiſtet haben, wenn wir in der ſechſtenXLVIII Abtheilung die ſinnlichen und ſittlichen Wirkungen der Farbe zu beſtimmen geſucht, und ſie dadurch dem Kunſtgebrauch annaͤhern wollen. Iſt auch hierbey, wie durchaus, manches nur Skitze ge - blieben, ſo ſoll ja alles Theoretiſche eigentlich nur die Grundzuͤge andeuten, auf welchen ſich hernach die That lebendig ergehen und zu geſetzlichem Her - vorbringen gelangen mag.
Dieſe Farben, welche wir billig oben an ſetzen, weil ſie dem Subject, weil ſie dem Auge, theils voͤllig, theils groͤßtens zugehoͤren, dieſe Farben, welche das Funda - ment der ganzen Lehre machen und uns die chromatiſche Harmonie, woruͤber ſo viel geſtritten wird, offenbaren, wurden bisher als außerweſentlich, zufaͤllig, als Taͤu - ſchung und Gebrechen betrachtet. Die Erſcheinungen der - ſelben ſind von fruͤhern Zeiten her bekannt, aber weil man ihre Fluͤchtigkeit nicht haſchen konnte, ſo verbannte man ſie in das Reich der ſchaͤdlichen Geſpenſter und be - zeichnete ſie in dieſem Sinne gar verſchiedentlich.
Alſo heißen ſie colores adventicii nach Boyle, ima - ginarii und phantaſtici nach Rizetti, nach Buͤffon cou - leurs accidentelles, nach Scherfer Scheinfarben; Au - gentaͤuſchungen und Geſichtsbetrug nach mehreren, nach Hamberger vitia fugitiva, nach Darwin ocular ſpectra.
Wir haben ſie phyſiologiſche genannt, weil ſie dem geſunden Auge angehoͤren, weil wir ſie als die nothwen - digen Bedingungen des Sehens betrachten, auf deſſen lebendiges Wechſelwirken in ſich ſelbſt und nach außen ſie hindeuten.
Wir fuͤgen ihnen ſogleich die pathologiſchen hinzu, welche, wie jeder abnorme Zuſtand auf den geſetzlichen, ſo auch hier auf die phyſiologiſchen Farben eine vollkom - menere Einſicht verbreiten.
Die Retina befindet ſich, je nachdem Licht oder Fin - ſterniß auf ſie wirken, in zwey verſchiedenen Zuſtaͤnden, die einander voͤllig entgegenſtehen.
Wenn wir die Augen innerhalb eines ganz finſtern Raums offen halten, ſo wird uns ein gewiſſer Mangel empfindbar. Das Organ iſt ſich ſelbſt uͤberlaſſen, es zieht ſich in ſich ſelbſt zuruͤck, ihm fehlt jene reizende be -3 friedigende Beruͤhrung, durch die es mit der aͤußern Welt verbunden und zum Ganzen wird.
Wenden wir das Auge gegen eine ſtark beleuchtete weiße Flaͤche, ſo wird es geblendet und fuͤr eine Zeit lang unfaͤhig, maͤßig beleuchtete Gegenſtaͤnde zu unterſcheiden.
Jeder dieſer aͤußerſten Zuſtaͤnde nimmt auf die ange - gebene Weiſe die ganze Netzhaut ein, und in ſo fern wer - den wir nur einen derſelben auf einmal gewahr. Dort (6) fanden wir das Organ in der hoͤchſten Abſpannung und Empfaͤnglichkeit, hier (7) in der aͤußerſten Ueberſpan - nung und Unempfindlichkeit.
Gehen wir ſchnell aus einem dieſer Zuſtaͤnde in den andern uͤber, wenn auch nicht von einer aͤußerſten Graͤn - ze zur andern, ſondern etwa nur aus dem Hellen ins Daͤm - mernde; ſo iſt der Unterſchied bedeutend und wir koͤnnen bemerken, daß die Zuſtaͤnde eine Zeit lang dauern.
Wer aus der Tageshelle in einen daͤmmrigen Ort uͤbergeht, unterſcheidet nichts in der erſten Zeit, nach und nach ſtellen ſich die Augen zur Empfaͤnglichkeit wieder her, ſtarke fruͤher als ſchwache, jene ſchon in einer Minute, wenn dieſe ſieben bis acht Minuten brauchen.
Bey wiſſenſchaftlichen Beobachtungen kann die Unem - pfaͤnglichkeit des Auges fuͤr ſchwache Lichteindruͤcke, wenn man aus dem Hellen ins Dunkle geht, zu ſonderbaren Irrthuͤmern Gelegenheit geben. So glaubte ein Beobach - ter, deſſen Auge ſich langſam herſtellte, eine ganze Zeit, das faule Holz leuchte nicht um Mittag, ſelbſt in der dun - keln Kammer. Er ſah naͤmlich das ſchwache Leuchten nicht, weil er aus dem hellen Sonnenſchein in die dunkle Kammer zu gehen pflegte und erſt ſpaͤter einmal ſo lange darin verweilte, bis ſich das Auge wieder hergeſtellt hatte.
Eben ſo mag es dem Doctor Wall mit dem electri - ſchen Scheine des Bernſteins gegangen ſeyn, den er bey Tage, ſelbſt im dunkeln Zimmer, kaum gewahr werden konnte.
Das Nichtſehen der Sterne bey Tage, das Beſſer - ſehen der Gemaͤlde durch eine doppelte Roͤhre iſt auch hieher zu rechnen.
Wer einen voͤllig dunkeln Ort mit einem, den die Sonne beſcheint, verwechſelt, wird geblendet. Wer aus der Daͤmmrung ins nicht blendende Helle kommt, bemerkt alle Gegenſtaͤnde friſcher und beſſer; daher ein ausgeruh - tes Auge durchaus fuͤr maͤßige Erſcheinungen empfaͤngli - cher iſt.
Bey Gefangenen, welche lange im Finſtern geſeſſen, iſt die Empfaͤnglichkeit der Retina ſo groß, daß ſie im Finſtern (wahrſcheinlich in einem wenig erhellten Dun - kel) ſchon Gegenſtaͤnde unterſcheiden.
Die Netzhaut befindet ſich bey dem, was wir ſehen heißen, zu gleicher Zeit in verſchiedenen, ja in entgegen - geſetzten Zuſtaͤnden. Das hoͤchſte nicht blendende Helle wirkt neben dem voͤllig Dunkeln. Zugleich werden wir alle Mittelſtufen des Helldunkeln und alle Farbenbeſtim - mungen gewahr.
Wir wollen gedachte Elemente der ſichtbaren Welt nach und nach betrachten und bemerken, wie ſich das Organ gegen dieſelben verhalte, und zu dieſem Zweck die einfachſten Bilder vornehmen.
Wie ſich die Netzhaut gegen Hell und Dunkel uͤber - haupt verhaͤlt, ſo verhaͤlt ſie ſich auch gegen dunkle und helle einzelne Gegenſtaͤnde. Wenn Licht und Finſterniß ihr im Ganzen verſchiedene Stimmungen geben; ſo wer - den ſchwarze und weiße Bilder, die zu gleicher Zeit ins Auge fallen, diejenigen Zuſtaͤnde neben einander bewirken, welche durch Licht und Finſterniß in einer Folge hervor - gebracht wurden.
Ein dunkler Gegenſtand erſcheint kleiner, als ein hel - ler von derſelben Groͤße. Man ſehe zugleich eine weiße Rundung auf ſchwarzem, eine ſchwarze auf weißem Grunde, welche nach einerley Zirkelſchlag ausgeſchnitten ſind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fuͤnftel kleiner, als die erſte halten. Man mache das ſchwarze Bild um ſoviel groͤßer, und ſie werden gleich erſcheinen.
So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Conjunction (der finſtere) um den fuͤnften Theil klei - ner erſcheine, als in der Oppoſition (der volle helle). Die erſte Mondſichel ſcheint einer groͤßern Scheibe anzu - gehoͤren, als der an ſie graͤnzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterſcheiden kann. Schwarze Kleider machen die Perſonen viel ſchmaͤler aus - ſehen, als helle. Hinter einem Rand geſehene Lichter machen in den Rand einen ſcheinbaren Einſchnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat fuͤr uns eine Scharte. Die auf - und untergehende Son - ne ſcheint einen Einſchnitt in den Horizont zu machen.
Das Schwarze, als Repraͤſentant der Finſterniß, laͤßt das Organ im Zuſtande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, verſetzt es in Thaͤtigkeit. Man ſchloͤſſe vielleicht aus gedachtem Phaͤnomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen7 iſt, in ſich ſelbſt zuſammengezogen ſey, und einen kleinern Raum einnehme, als in dem Zuſtande der Thaͤtigkeit, in den ſie durch den Reiz des Lichtes verſetzt wird.
Kepler ſagt daher ſehr ſchoͤn: certum est vel in re - tina caussâ picturae, vel in spiritibus caussâ impres - sionis exsistere dilatationem lucidorum. Paralip. in Vitellionem p. 220. Pater Scherfer hat eine aͤhnliche Muthmaßung.
Wie dem auch ſey, beyde Zuſtaͤnde, zu welchen das Organ durch ein ſolches Bild beſtimmt wird, beſtehen auf demſelben oͤrtlich, und dauern eine Zeit lang fort, wenn auch ſchon der aͤußre Anlaß entfernt iſt. Im gemeinen Leben bemerken wir es kaum: denn ſelten kommen Bilder vor, die ſehr ſtark von einander abſtechen. Wir vermei - den diejenigen anzuſehn, die uns blenden. Wir blicken von einem Gegenſtand auf den andern, die Succeſſion der Bilder ſcheint uns rein, wir werden nicht gewahr, daß ſich von dem vorhergehenden etwas ins nachfolgende hinuͤberſchleicht.
Wer auf ein Fenſterkreuz, das einen daͤmmernden Himmel zum Hintergrunde hat, morgens beym Erwa - chen, wenn das Auge beſonders empfaͤnglich iſt, ſcharf hinblickt und ſodann die Augen ſchließt, oder gegen einen ganz dunkeln Ort hinſieht, wird ein ſchwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor ſich ſehen.
Jedes Bild nimmt ſeinen beſtimmten Platz auf der Netzhaut ein, und zwar einen groͤßern oder kleinern, nach8 dem Maße, in welchem es nahe oder fern geſehen wird. Schließen wir das Auge ſogleich, wenn wir in die Son - ne geſehen haben; ſo werden wir uns wundern, wie klein das zuruͤckgebliebene Bild erſcheint.
Kehren wir dagegen das geoͤffnete Auge nach einer Wand, und betrachten das uns vorſchwebende Geſpenſt in Bezug auf andre Gegenſtaͤnde; ſo werden wir es im - mer groͤßer erblicken, je weiter von uns es durch irgend eine Flaͤche aufgefangen wird. Dieſes Phaͤnomen erklaͤrt ſich wohl aus dem perſpectiviſchen Geſetz, daß uns der kleine naͤhere Gegenſtand den groͤßern entfernten zudeckt.
Nach Beſchaffenheit der Augen iſt die Dauer dieſes Eindrucks verſchieden. Sie verhaͤlt ſich wie die Herſtel - lung der Netzhaut bey dem Uebergang aus dem Hellen ins Dunkle (10), und kann alſo nach Minuten und Se - cunden abgemeſſen werden, und zwar viel genauer, als es bisher durch eine geſchwungene, brennende Lunte, die dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erſcheint, geſche - hen konnte.
Beſonders auch kommt die Energie in Betracht, wo - mit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am laͤngſten bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger leuchtende Koͤrper laſſen ihre Spur laͤnger oder kuͤrzer zuruͤck.
Dieſe Bilder verſchwinden nach und nach, und zwar indem ſie ſowohl an Deutlichkeit als an Groͤße verlieren.
Sie nehmen von der Peripherie herein ab, und man glaubt bemerkt zu haben, daß bey viereckten Bildern ſich nach und nach die Ecken abſtumpfen, und zuletzt ein im - mer kleineres rundes Bild vorſchwebt.
Ein ſolches Bild, deſſen Eindruck nicht mehr be - merklich iſt, laͤßt ſich auf der Retina gleichſam wieder beleben, wenn wir die Augen oͤffnen und ſchließen und mit Erregung und Schonung abwechſeln.
Daß Bilder ſich bey Augenkrankheiten vierzehn bis ſiebzehn Minuten, ja laͤnger auf der Retina erhielten, deutet auf aͤußerſte Schwaͤche des Organs, auf deſſen Un - faͤhigkeit ſich wieder herzuſtellen, ſo wie das Vorſchwe - ben leidenſchaftlich geliebter oder verhaßter Gegenſtaͤnde aus dem Sinnlichen ins Geiſtige deutet.
Blickt man, indeſſen der Eindruck obgedachten Fen - ſterbildes noch dauert, nach einer hellgrauen Flaͤche, ſo erſcheint das Kreuz hell und der Scheibenraum dunkel. In jenem Falle (20) blieb der Zuſtand ſich ſelbſt gleich, ſo daß auch der Eindruck identiſch verharren konnte; hier10 aber wird eine Umkehrung bewirkt, die unſere Aufmerk - ſamkeit aufregt und von der uns die Beobachter mehrere Faͤlle uͤberliefert haben.
Die Gelehrten, welche auf den Cordilleras ihre Be - obachtungen anſtellten, ſahen um den Schatten ihrer Koͤp - fe, der auf Wolken fiel, einen hellen Schein. Dieſer Fall gehoͤrt wohl hieher: denn indem ſie das dunkle Bild des Schattens fixirten und ſich zugleich von der Stelle bewegten, ſo ſchien ihnen das geforderte helle Bild um das dunkle zu ſchweben. Man betrachte ein ſchwarzes Rund auf einer hellgrauen Flaͤche, ſo wird man bald, wenn man die Richtung des Blicks im ge - ringſten veraͤndert, einen hellen Schein um das dunkle Rund ſchweben ſehen.
Auch mir iſt ein Aehnliches begegnet. Indem ich naͤmlich auf dem Felde ſitzend mit einem Manne ſprach, der, in einiger Entfernung vor mir ſtehend, einen grauen Himmel zum Hintergrund hatte, ſo erſchien mir, nach - dem ich ihn lange ſcharf und unverwandt angeſehen, als ich den Blick ein wenig gewendet, ſein Kopf von einem blendenden Schein umgeben.
Wahrſcheinlich gehoͤrt hieher auch das Phaͤnomen, daß Perſonen, die bey Aufgang der Sonne an feuchten Wieſen hergehen, einen Schein um ihr Haupt erbli - cken, der zugleich farbig ſeyn mag, weil ſich von den Phaͤ - nomenen der Refraction etwas einmiſcht.
So hat man auch um die Schatten der Luftballone, welche auf Wolken fielen, helle und einigermaßen ge - faͤrbte Kreiſe bemerken wollen.
11Pater Beccaria ſtellte einige Verſuche an uͤber die Wetterelectricitaͤt, wobey er den papiernen Drachen in die Hoͤhe ſteigen ließ. Es zeigte ſich um dieſe Maſchine ein kleines glaͤnzendes Woͤlkchen von abwechſelnder Groͤße, ja auch um einen Theil der Schnur. Es verſchwand zuwei - len, und wenn der Drache ſich ſchneller bewegte, ſchien es auf dem vorigen Platze einige Augenblicke hin und wie - der zu ſchweben. Dieſe Erſcheinung, welche die dama - ligen Beobachter nicht erklaͤren konnten, war das im Au - ge zuruͤckgebliebene, gegen den hellen Himmel in ein hel - les verwandelte Bild des dunkeln Drachen.
Bey optiſchen, beſonders chromatiſchen Verſuchen, wo man oft mit blendenden Lichtern, ſie ſeyen farblos oder farbig, zu thun hat, muß man ſich ſehr vorſehen, daß nicht das zuruͤckgebliebene Spectrum einer vorherge - henden Beobachtung ſich mit in eine folgende Beobach - tung miſche und dieſelbe verwirrt und unrein mache.
Dieſe Erſcheinungen hat man ſich folgendermaßen zu erklaͤren geſucht. Der Ort der Retina, auf welchen das Bild des dunklen Kreuzes fiel, iſt als ausgeruht und empfaͤnglich anzuſehen. Auf ihn wirkt die maͤßig erhellte Flaͤche lebhafter, als auf die uͤbrigen Theile der Netzhaut, welche durch die Fenſterſcheiben das Licht em - pfingen, und nachdem ſie durch einen ſo viel ſtaͤrkern Reiz in Thaͤtigkeit geſetzt worden, die graue Flaͤche nur als dunkel gewahr werden.
Dieſe Erklaͤrungsart ſcheint fuͤr den gegenwaͤrtigen Fall ziemlich hinreichend; in Betrachtung kuͤnftiger Er -12 ſcheinungen aber ſind wir genoͤthigt das Phaͤnomen aus hoͤhern Quellen abzuleiten.
Das Auge eines Wachenden aͤußert ſeine Leben - digkeit beſonders darin, daß es durchaus in ſeinen Zu - ſtaͤnden abzuwechſeln verlangt, die ſich am einfachſten vom Dunkeln zum Hellen und umgekehrt bewegen. Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem beſon - dern, in einem durch das Object ſpecificirten Zuſtande identiſch verharren. Es iſt vielmehr zu einer Art von Oppoſition genoͤthigt, die, indem ſie das Extrem dem Extreme, das Mittlere dem Mittleren entgegenſetzt, ſogleich das Entgegengeſetzte verbindet, und in der Suc - ceſſion ſowohl als in der Gleichzeitigkeit und Gleichoͤrt - lichkeit nach einem Ganzen ſtrebt.
Vielleicht entſteht das außerordentliche Behagen, das wir bey dem wohlbehandelten Helldunkel farbloſer Ge - maͤlde und aͤhnlicher Kunſtwerke empfinden, vorzuͤglich aus dem gleichzeitigen Gewahrwerden eines Ganzen, das von dem Organ ſonſt nur in einer Folge mehr geſucht, als hervorgebracht wird, und wie es auch gelingen moͤge, niemals feſtgehalten werden kann.
Ein großer Theil chromatiſcher Verſuche verlangt ein maͤßiges Licht. Dieſes koͤnnen wir ſogleich durch mehr oder minder graue Flaͤchen bewirken, und wir ha - ben uns daher mit dem Grauen zeitig bekannt zu machen, wobey wir kaum zu bemerken brauchen, daß in manchen Faͤllen eine im Schatten oder in der Daͤmmerung ſte - hende weiße Flaͤche fuͤr eine graue gelten kann.
Da eine graue Flaͤche zwiſchen hell und dunkel innen ſteht, ſo laͤßt ſich das, was wir oben (29) als Phaͤ - nomen vorgetragen, zum bequemen Verſuch erheben.
Man halte ein ſchwarzes Bild vor eine graue Flaͤche und ſehe unverwandt, indem es weggenommen wird, auf denſelben Fleck; der Raum, den es einnahm, erſcheint um vieles heller. Man halte auf eben dieſe Art ein wei - ßes Bild hin, und der Raum wird nachher dunkler als die uͤbrige Flaͤche erſcheinen. Man verwende das Auge auf der Tafel hin und wieder; ſo werden in beyden Faͤl - len die Bilder ſich gleichfalls hin und her bewegen.
Ein graues Bild auf ſchwarzem Grunde erſcheint viel heller, als daſſelbe Bild auf weißem. Stellt man beyde Faͤlle neben einander, ſo kann man ſich kaum uͤber - zeugen, daß beyde Bilder aus Einem Topf gefaͤrbt ſeyen. Wir glauben hier abermals die große Regſamkeit der Netzhaut zu bemerken und den ſtillen Widerſpruch, den jedes Lebendige zu aͤußern gedrungen iſt, wenn ihm irgend ein beſtimmter Zuſtand dargeboten wird. So ſetzt das Einathmen ſchon das Ausathmen voraus und umgekehrt; ſo jede Syſtole ihre Diaſtole. Es iſt die ewige Formel des Lebens, die ſich auch hier aͤußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, ſo fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt und zeigt eben dadurch ſeine Lebendigkeit, ſein Recht das Object zu faſſen, indem es etwas, das dem Object ent - gegengeſetzt iſt, aus ſich ſelbſt hervorbringt.
Wenn man ein blendendes voͤllig farbloſes Bild an - ſieht, ſo macht ſolches einen ſtarken dauernden Eindruck, und das Abklingen deſſelben iſt von einer Farbenerſchei - nung begleitet.
In einem Zimmer, das moͤglichſt verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Oeffnung, etwa drey Zoll im Durchmeſſer, die man nach Belieben auf - und zude - cken kann; durch ſelbige laſſe man die Sonne auf ein weißes Papier ſcheinen und ſehe in einiger Entfernung ſtarr das erleuchtete Rund an; man ſchließe darauf die Oeff - nung und blicke nach dem dunkelſten Orte des Zimmers; ſo wird man eine runde Erſcheinung vor ſich ſchweben ſe - hen. Die Mitte des Kreiſes wird man hell, farblos, einigermaßen gelb ſehen, der Rand aber wird ſogleich purpurfarben erſcheinen.
Es dauert eine Zeit lang, bis dieſe Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunct voͤllig vertreibt. Kaum erſcheint aber das ganze Rund purpurfarben, ſo faͤngt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdraͤngt nach und nach hereinwaͤrts den Purpur. Iſt die Erſcheinung vollkom - men blau, ſo wird der Rand dunkel und unfaͤrbig. Es waͤhret lange, bis der unfaͤrbige Rand voͤllig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfaͤrbig wird. Das Bild nimmt ſodann nach und nach ab und zwar dergeſtalt, daß es zugleich ſchwaͤcher und kleiner wird. Hier ſehen wir abermals, wie ſich die Netzhaut, durch eine Succeſſion von Schwingungen, gegen den gewaltſamen aͤußern Ein - druck nach und nach wieder herſtellt. (25. 26.)
Die Verhaͤltniſſe des Zeitmaßes dieſer Erſcheinung habe ich an meinem Auge, bey mehrern Verſuchen uͤber - einſtimmend, folgendermaßen gefunden.
16Auf das blendende Bild hatte ich fuͤnf Secunden ge - ſehen, darauf den Schieber geſchloſſen; da erblickt’ ich das farbige Scheinbild ſchwebend, und nach dreyzehn Secunden erſchien es ganz purpurfarben. Nun vergingen wieder neun und zwanzig Secunden, bis das Ganze blau erſchien, und acht und vierzig, bis es mir farblos vor - ſchwebte. Durch Schließen und Oeffnen des Auges be - lebte ich das Bild immer wieder (27), ſo daß es ſich erſt nach Verlauf von ſieben Minuten ganz verlor.
Kuͤnftige Beobachter werden dieſe Zeiten kuͤrzer oder laͤnger finden, je nachdem ſie ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Au - gen haben (23). Sehr merkwuͤrdig aber waͤre es, wenn man demungeachtet durchaus ein gewiſſes Zahlenverhaͤlt - niß dabey entdecken koͤnnte.
Aber dieſes ſonderbare Phaͤnomen erregt nicht ſobald unſre Aufmerkſamkeit, als wir ſchon eine neue Modifica - tion deſſelben gewahr werden.
Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im Auge aufgenommen und ſehen in einem maͤßig erleuchte - ten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenſtand; ſo ſchwebt abermals ein Phaͤnomen vor uns, aber ein dunkles, das ſich nach und nach von außen mit einem gruͤnen Ran - de einfaßt, welcher eben ſo, wie vorher der purpurne Rand, ſich uͤber das ganze Rund hineinwaͤrts verbreitet. Iſt dieſes geſchehen, ſo ſieht man nunmehr ein ſchmutzi - ges Gelb, das, wie in dem vorigen Verſuche das Blau, die Scheibe ausfuͤllt und zuletzt von einer Unfarbe ver - ſchlungen wird.
Dieſe beyden Verſuche laſſen ſich combiniren, wenn man in einem maͤßig hellen Zimmer eine ſchwarze und weiße Tafel neben einander hinſetzt und, ſo lange das Auge den Lichteindruck behaͤlt, bald auf die weiße, bald auf die ſchwarze Tafel ſcharf hinblickt. Man wird als - dann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein gruͤnes Phaͤ - nomen und ſo weiter das uͤbrige gewahr werden. Ja, wenn man ſich geuͤbt hat, ſo laſſen ſich, indem man das ſchwe - bende Phaͤnomen dahin bringt, wo die zwey Tafeln an einander ſtoßen, die beyden entgegengeſetzten Farben zu - gleich erblicken; welches um ſo bequemer geſchehen kann, als die Tafeln entfernter ſtehen, indem das Spectrum alsdann groͤßer erſcheint.
Ich befand mich gegen Abend in einer Eiſenſchmie - de, als eben die gluͤhende Maſſe unter den Hammer gebracht wurde. Ich hatte ſcharf darauf geſehen, wen - dete mich um und blickte zufaͤllig in einen offenſtehenden Kohlenſchoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild ſchwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick von der dunkeln Oeffnung weg, nach dem hellen Bret - terverſchlag wendete, ſo erſchien mir das Phaͤnomen halb gruͤn, halb purpurfarben, je nachdem es einen dunklern oder hellern Grund hinter ſich hatte. Auf das Abklingen dieſer Erſcheinung merkte ich damals nicht.
Wie das Abklingen eines umſchriebenen Glanzbil - des verhaͤlt ſich auch das Abklingen einer totalen Blen -I. 218dung der Retina. Die Purpurfarbe, welche die vom Schnee Geblendeten erblicken, gehoͤrt hieher, ſo wie die ungemein ſchoͤne gruͤne Farbe dunkler Gegenſtaͤnde, nach - dem man auf ein weißes Papier in der Sonne lange hingeſehen. Wie es ſich naͤher damit verhalte, werden diejenigen kuͤnftig unterſuchen, deren jugendliche Augen, um der Wiſſenſchaft willen, noch etwas auszuſtehen faͤhig ſind.
Hieher gehoͤren gleichfalls die ſchwarzen Buchſta - ben, die im Abendlichte roth erſcheinen. Vielleicht ge - hoͤrt auch die Geſchichte hieher, daß ſich Blutstropfen auf dem Tiſche zeigten, an den ſich Heinrich der Vierte von Frankreich mit dem Herzog von Guiſe, um Wuͤr - fel zu ſpielen, geſetzt hatte.
Wir wurden die phyſiologiſchen Farben zuerſt beym Abklingen farbloſer blendender Bilder, ſo wie auch bey abklingenden allgemeinen farbloſen Blendungen gewahr. Nun finden wir analoge Erſcheinungen, wenn dem Au - ge eine ſchon ſpecificirte Farbe geboten wird, wobey uns alles, was wir bisher erfahren haben, immer ge - genwaͤrtig bleiben muß.
Wie von den farbloſen Bildern, ſo bleibt auch von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns die zur Oppoſition aufgeforderte, und durch den Gegen - ſatz eine Totalitaͤt hervorbringende Lebendigkeit der Netzhaut anſchaulicher wird.
Man halte ein kleines Stuͤck lebhaft farbigen Pa - piers, oder ſeidnen Zeuges, vor eine maͤßig erleuchtete weiße Tafel, ſchaue unverwandt auf die kleine farbige Flaͤche und hebe ſie, ohne das Auge zu verruͤcken, nach einiger Zeit hinweg; ſo wird das Spectrum einer an - dern Farbe auf der weißen Tafel zu ſehen ſeyn. Man kann auch das farbige Papier an ſeinem Orte laſſen, und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen Tafel hinblicken; ſo wird jene farbige Erſcheinung ſich auch dort ſehen laſſen: denn ſie entſpringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehoͤrt.
Um in der Kuͤrze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch dieſen Gegenſatz hervorgerufen werden, bediene man ſich des illuminirten Farbenkrei - ſes unſerer Tafeln, der uͤberhaupt naturgemaͤß einge - richtet iſt, und auch hier ſeine guten Dienſte leiſtet, indem die in demſelben diametral einander entgegenge - ſetzten Farben diejenigen ſind, welche ſich im Auge wechſelsweiſe fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Gruͤne, und umgekehrt. 2 *20So fordern ſich alle Abſtufungen wechſelsweiſe, die einfachere Farbe fordert die zuſammengeſetztere, und um - gekehrt.
Oefter, als wir denken, kommen uns die hieher ge - hoͤrigen Faͤlle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerk - ſame ſieht dieſe Erſcheinungen uͤberall, da ſie hingegen von dem ununterrichteten Theil der Menſchen, wie von unſern Vorfahren, als fluͤchtige Fehler angeſehen wer - den, ja manchmal gar, als waͤren es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, ſorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Faͤlle moͤgen hier Platz nehmen.
Als ich gegen Abend in ein Wirthshaus eintrat und ein wohlgewachſenes Maͤdchen mit blendendweißem Geſicht, ſchwarzen Haaren und einem ſcharlachrothen Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich ſie, die in einiger Entfernung vor mir ſtand, in der Halbdaͤmme - rung ſcharf an. Indem ſie ſich nun darauf hinwegbe - wegte, ſah ich auf der mir entgegenſtehenden weißen Wand ein ſchwarzes Geſicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die uͤbrige Bekleidung der voͤllig deutli - chen Figur erſchien von einem ſchoͤnen Meergruͤn.
Unter dem optiſchen Apparat befinden ſich Bruſt - bilder von Farben und Schattirungen, denen entgegengeſetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man ſie eine Zeit lang angeſchaut, die21 Scheingeſtalt alsdann ziemlich natuͤrlich geſehen haben. Die Sache iſt an ſich ſelbſt richtig und der Erfahrung gemaͤß: denn in obigem Falle haͤtte mir eine Mohrin mit weißer Binde, ein weißes Geſicht ſchwarz umgeben hervorgebracht; nur will es bey jenen gewoͤhnlich klein gemalten Bildern nicht Jedermann gluͤcken, die Thei - le der Scheinfigur gewahr zu werden.
Ein Phaͤnomen, das ſchon fruͤher bey den Natur - forſchern Aufmerkſamkeit erregt, laͤßt ſich, wie ich uͤber - zeugt bin, auch aus dieſen Erſcheinungen ableiten.
Man erzaͤhlt, daß gewiſſe Blumen im Sommer bey Abendzeit gleichſam blitzen, phosphoreſciren oder ein augenblickliches Licht ausſtroͤmen. Einige Beobach - ter geben dieſe Erfahrungen genauer an.
Dieſes Phaͤnomen ſelbſt zu ſehen hatte ich mich oft bemuͤht, ja ſogar, um es hervorzubringen, kuͤnſtliche Verſuche angeſtellt.
Am 19. Jun. 1799, als ich zu ſpaͤter Abendzeit, bey der in eine klare Nacht uͤbergehenden Daͤmmerung, mit einem Freunde im Garten auf - und abging, be - merkten wir ſehr deutlich an den Blumen des orienta - liſchen Mohns, die vor allen andern eine ſehr maͤchtig rothe Farbe haben, etwas flammenaͤhnliches, das ſich in ihrer Naͤhe zeigte. Wir ſtellten uns vor die Stau - den hin, ſahen aufmerkſam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bey abermaligem Hin - und Wiedergehen, gelang, indem wir ſeitwaͤrts dar - auf blickten, die Erſcheinung ſo oft zu wiederholen, als22 uns beliebte. Es zeigte ſich, daß es ein phyſiologiſches Farbenphaͤnomen, und der ſcheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume, in der geforderten blaugruͤ - nen Farbe ſey.
Wenn man eine Blume gerad anſieht, ſo kommt die Erſcheinung nicht hervor; doch muͤßte es auch ge - ſchehen, ſobald man mit dem Blick wankte. Schielt man aber mit dem Augenwinkel hin, ſo entſteht eine momentane Doppelerſcheinung, bey welcher das Schein - bild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt wird.
Die Daͤmmerung iſt Urſache, daß das Auge voͤllig ausgeruht und empfaͤnglich iſt, und die Farbe des Mohns iſt maͤchtig genug, bey einer Sommerdaͤmme - rung der laͤngſten Tage, noch vollkommen zu wirken und ein gefordertes Bild hervorzurufen.
Ich bin uͤberzeugt, daß man dieſe Erſcheinung zum Verſuche erheben und den gleichen Effect durch Papier - blumen hervorbringen koͤnnte.
Will man indeſſen ſich auf die Erfahrung in der Natur vorbereiten, ſo gewoͤhne man ſich, indem man durch den Garten geht, die farbigen Blumen ſcharf an - zuſehen und ſogleich auf den Sandweg hinzublicken; man wird dieſen alsdann mit Flecken der entgegenge - ſetzten Farbe beſtreut ſehen. Dieſe Erfahrung gluͤckt bey bedecktem Himmel, aber auch ſelbſt beym hellſten Sonnenſchein, der, indem er die Farbe der Blume er - hoͤht, ſie faͤhig macht die geforderte Farbe maͤchtig genug hervorzubringen, daß ſie ſelbſt bey einem blendenden Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Paͤo -23 nien ſchoͤn gruͤne, die Calendeln lebhaft blaue Spec - tra hervor.
So wie bey den Verſuchen mit farbigen Bildern auf einzelnen Theilen der Retina ein Farbenwechſel ge - ſetzmaͤßig entſteht, ſo geſchieht daſſelbe, wenn die ganze Netzhaut von Einer Farbe afficirt wird. Hievon koͤn - nen wir uns uͤberzeugen, wenn wir farbige Glasſchei - ben vors Auge nehmen. Man blicke eine Zeit lang durch eine blaue Scheibe, ſo wird die Welt nachher dem befreyten Auge, wie von der Sonne erleuchtet er - ſcheinen, wenn auch gleich der Tag grau und die Ge - gend herbſtlich farblos waͤre. Eben ſo ſehen wir, in - dem wir eine gruͤne Brille weglegen, die Gegenſtaͤnde mit einem roͤthlichen Schein uͤberglaͤnzt. Ich ſollte da - her glauben, daß es nicht wohlgethan ſey, zu Scho - nung der Augen ſich gruͤner Glaͤſer, oder gruͤnen Pa - piers zu bedienen, weil jede Farbſpecification dem Au - ge Gewalt anthut, und das Organ zur Oppoſition noͤ - thigt.
Haben wir bisher die entgegengeſetzten Farben ſich einander ſucceſſiv auf der Retina fordern ſehen; ſo bleibt uns noch uͤbrig zu erfahren, daß dieſe geſetzliche Forderung auch ſimultan beſtehen koͤnne. Malt ſich auf einem Theile der Netzhaut ein farbiges Bild, ſo findet ſich der uͤbrige Theil ſogleich in einer Diſpoſition, die bemerkten correſpondirenden Farben hervorzubringen. Setzt man obige Verſuche fort, und blickt z. B. vor einer weißen Flaͤche auf ein gelbes Stuͤck Papier; ſo24 iſt der uͤbrige Theil des Auges ſchon disponiert, auf gedachter farbloſer Flaͤche das Violette hervorzubringen. Allein das wenige Gelbe iſt nicht maͤchtig genug jene Wirkung deutlich zu leiſten. Bringt man aber auf ei - ne gelbe Wand weiße Papiere, ſo wird man ſie mit einem violetten Ton uͤberzogen ſehen.
Ob man gleich mit allen Farben dieſe Verſuche anſtellen kann, ſo ſind doch beſonders dazu Gruͤn und Purpur zu empfehlen, weil dieſe Farben einander auf - fallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns die - ſe Faͤlle haͤufig. Blickt ein gruͤnes Papier durch ge - ſtreiften oder gebluͤmten Muſſelin hindurch, ſo werden die Streifen oder Blumen roͤthlich erſcheinen. Durch gruͤne Schaltern ein graues Haus geſehen, erſcheint gleichfalls roͤthlich. Die Purpurfarbe an dem beweg - ten Meer iſt auch eine geforderte Farbe. Der beleuch - tete Theil der Wellen erſcheint gruͤn in ſeiner eigenen Farbe, und der beſchattete in der entgegengeſetzten pur - purnen. Die verſchiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch ei - ne Oeffnung rother oder gruͤner Vorhaͤnge erſcheinen die Gegenſtaͤnde draußen mit der geforderten Farbe. Uebrigens werden ſich dieſe Erſcheinungen dem Auf - merkſamen uͤberall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.
Haben wir das Simultane dieſer Wirkungen bisher in den directen Faͤllen kennen gelernt; ſo koͤnnen wir25 ſolche auch in den umgekehrten bemerken. Nimmt man ein ſehr lebhaft orange gefaͤrbtes Stuͤckchen Papier vor die weiße Flaͤche, ſo wird man, wenn man es ſcharf anſieht, das auf der uͤbrigen Flaͤche geforderte Blau ſchwerlich gewahr werden. Nimmt man aber das oran - ge Papier weg, und erſcheint an deſſen Platz das blaue Scheinbild; ſo wird ſich in dem Augenblick, da dieſes voͤllig wirkſam iſt, die uͤbrige Flaͤche, wie in einer Art von Wetterleuchten, mit einem roͤthlich gelben Schein uͤberziehen, und wird dem Beobachter die productive Forderung dieſer Geſetzlichkeit zum lebhaften Anſchauen bringen.
Wie die geforderten Farben, da wo ſie nicht ſind, neben und nach der fordernden leicht erſcheinen; ſo werden ſie erhoͤht, da wo ſie ſind. In einem Hofe, der mit grauen Kalkſteinen gepflaſtert und mit Gras durchwachſen war, erſchien das Gras von einer unend - lich ſchoͤnen Gruͤne, als Abendwolken einen roͤthlichen kaum bemerklichen Schein auf das Pflaſter warfen. Im umgekehrten Falle ſieht derjenige, der bey einer mittleren Helle des Himmels auf Wieſen wandelt, und nichts als Gruͤn vor ſich ſieht, oͤfters die Baumſtaͤmme und Wege mit einem roͤthlichen Scheine leuchten. Bey Landſchaftmahlern, beſonders denjenigen, die mit Aqua - rellfarben arbeiten, kommt dieſer Ton oͤfters vor. Wahr - ſcheinlich ſehen ſie ihn in der Natur, ahmen ihn un - bewußt nach und ihre Arbeit wird als unnatuͤrlich ge - tadelt.
Dieſe Phaͤnomene ſind von der groͤßten Wichtig - keit, indem ſie uns auf die Geſetze des Sehens hindeu - ten, und zu kuͤnftiger Betrachtung der Farben eine nothwendige Vorbereitung ſind. Das Auge verlangt dabey ganz eigentlich Totalitaͤt und ſchließt in ſich ſelbſt den Farbenkreis ab. In dem vom Gelben geforderten Violetten liegt das Rothe und Blaue; im Orange das Gelbe und Rothe, dem das Blaue entſpricht; das Gruͤ - ne vereinigt Blau und Gelb und fordert das Rothe, und ſo in allen Abſtufungen der verſchiedenſten Mi - ſchungen. Daß man in dieſem Falle genoͤthigt werde, drey Hauptfarben anzunehmen, iſt ſchon fruͤher von den Beobachtern bemerkt worden.
Wenn in der Totalitaͤt die Elemente, woraus ſie zuſammenwaͤchſt, noch bemerklich ſind, nennen wir ſie billig Harmonie, und wie die Lehre von der Harmonie der Farben ſich aus dieſen Phaͤnomenen herleite, wie nur durch dieſe Eigenſchaften die Farbe faͤhig ſey, zu aͤſthetiſchem Gebrauch angewendet zu werden, muß ſich in der Folge zeigen, wenn wir den ganzen Kreis der Beobachtungen durchlaufen haben und auf den Punct, wovon wir ausgegangen ſind, zuruͤckkehren.
Ehe wir jedoch weiter ſchreiten, haben wir noch hoͤchſt merkwuͤrdige Faͤlle dieſer lebendig geforderten, neben einander beſtehenden Farben zu beobachten, und zwar indem wir unſre Aufmerkſamkeit auf die far - bigen Schatten richten. Um zu dieſen uͤberzugehen, wenden wir uns vorerſt zur Betrachtung der farbloſen Schatten.
Ein Schatten von der Sonne auf eine weiße Flaͤ - che geworfen giebt uns keine Empfindung von Farbe, ſo lange die Sonne in ihrer voͤlligen Kraft wirkt. Er ſcheint ſchwarz oder, wenn ein Gegenlicht hinzu dringen kann, ſchwaͤcher, halberhellt, grau.
Zu den farbigen Schatten gehoͤren zwey Bedingun - gen, erſtlich, daß das wirkſame Licht auf irgend eine Art die weiße Flaͤche faͤrbe, zweytens, daß ein Gegenlicht den geworfenen Schatten auf einen gewiſſen Grad er - leuchte.
Man ſetze bey der Daͤmmerung auf ein weißes Pa - pier eine niedrig brennende Kerze; zwiſchen ſie und das28 abnehmende Tageslicht ſtelle man einen Bleyſtift auf - recht, ſo daß der Schatten, welchen die Kerze wirft, von dem ſchwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufge - hoben werden kann, und der Schatten wird von dem ſchoͤnſten Blau erſcheinen.
Daß dieſer Schatten blau ſey, bemerkt man alſo - bald; aber man uͤberzeugt ſich nur durch Aufmerkſam - keit, daß das weiße Papier als eine roͤthlich gelbe Flaͤ - che wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im Auge gefordert wird.
Bey allen farbigen Schatten daher muß man auf der Flaͤche, auf welche er geworfen wird, eine erregte Farbe vermuthen, welche ſich auch bey aufmerkſamerer Betrachtung wohl erkennen laͤßt. Doch uͤberzeuge man ſich vorher durch folgenden Verſuch.
Man nehme zu Nachtzeit zwey brennende Kerzen und ſtelle ſie gegen einander auf eine weiße Flaͤche; man halte einen duͤnnen Stab zwiſchen beyden aufrecht, ſo daß zwey Schatten entſtehen; man nehme ein farbi - ges Glas und halte es vor das eine Licht, alſo daß die weiße Flaͤche gefaͤrbt erſcheine, und in demſelben Au - genblick wird der von dem nunmehr faͤrbenden Lichte geworfene, und von dem farbloſen Lichte beleuchtete Schatten die geforderte Farbe anzeigen.
Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf die wir noch oͤfters zuruͤckkommen werden. Die Far - be ſelbſt iſt ein Schattiges (σκιερόν); deswegen Kircher vollkommen recht hat, ſie Lumen opacatum zu nen - nen; und wie ſie mit dem Schatten verwandt iſt, ſo verbindet ſie ſich auch gern mit ihm, ſie erſcheint uns gern in ihm und durch ihn, ſobald der Anlaß nur ge - geben iſt; und ſo muͤſſen wir bey Gelegenheit der far - bigen Schatten zugleich eines Phaͤnomens erwaͤhnen, deſſen Ableitung und Entwickelung erſt ſpaͤter vorge - nommen werden kann.
Man waͤhle in der Daͤmmerung den Zeitpunct, wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten zu werfen im Stande iſt, der von dem Kerzenlichte nicht ganz aufgehoben werden kann, ſo daß vielmehr ein doppelter faͤllt, einmal vom Kerzenlicht gegen das Himmelslicht, und ſodann vom Himmelslicht gegen das Kerzenlicht. Wenn der erſtere blau iſt, ſo wird der letztere hochgelb erſcheinen. Dieſes hohe Gelb iſt aber eigentlich nur der uͤber das ganze Papier von dem Ker - zenlicht verbreitete gelbroͤthliche Schein, der im Schat - ten ſichtbar wird.
Hievon kann man ſich bey dem obigen Verſuche mit zwey Kerzen und farbigen Glaͤſern am beſten uͤber - zeugen, ſo wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der Schatten eine Farbe annimmt, bey der naͤhern Betrach -30 tung der Widerſcheine und ſonſt mehrmals zur Spra - che kommt.
Und ſo waͤre denn auch die Erſcheinung der farbi - gen Schatten, welche den Beobachtern bisher ſo viel zu ſchaffen gemacht, bequem abgeleitet. Ein jeder, der kuͤnftighin farbige Schatten bemerkt, beobachte nur, mit welcher Farbe die helle Flaͤche, worauf ſie erſcheinen, et - wa tingirt ſeyn moͤchte. Ja man kann die Farbe des Schattens als ein Chromatoſcop der beleuchteten Flaͤ - chen anſehen, indem man die der Farbe des Schattens entgegenſtehende Farbe auf der Flaͤche vermuthen und bey naͤherer Aufmerkſamkeit in jedem Falle gewahr werden kann.
Wegen dieſer nunmehr bequem abzuleitenden farbigen Schatten hat man ſich bisher viel gequaͤlt und ſie, weil ſie meiſtentheils unter freyem Himmel beobachtet wurden und vorzuͤglich blau erſchienen, einer gewiſſen heimlich blauen und blau faͤrbenden Eigenſchaft der Luft zugeſchrie - ben. Man kann ſich aber bey jenem Verſuche mit dem Kerzenlicht im Zimmer uͤberzeugen, daß keine Art von blauem Schein oder Widerſchein dazu noͤthig iſt, indem man den Verſuch an einem grauen truͤben Tag, ja hin - ter zugezogenen weißen Vorhaͤngen anſtellen kann, in einem Zimmer, wo ſich auch nicht das mindeſte Blaue befindet, und der blaue Schatten wird ſich nur um deſto ſchoͤner zeigen.
Saufſuͤre ſagt in der Beſchreibung ſeiner Reiſe auf den Montblanc:
„ Eine zweyte nicht unintereſſante Bemerkung be - trifft die Farben der Schatten, die wir trotz der ge - nauſten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene haͤufig der Fall geweſen war. Wir ſahen ſie im Gegentheil von neun und funfzigmal einmal gelblich, ſechsmal blaßblaͤulich, achtzehnmal farbenlos oder ſchwarz, und vier und dreyßigmal blaßviolet.
Wenn alſo einige Phyſiker annehmen, daß dieſe Farben mehr von zufaͤlligen in der Luft zerſtreuten, den Schatten ihre eigenthuͤmlichen Nuͤancen mittheilenden Duͤnſten herruͤhren, nicht aber durch eine beſtimmte Luft - oder reflectirte Himmelsfarbe verurſacht werden; ſo ſcheinen jene Beobachtungen ihrer Meynung guͤnſtig zu ſeyn. “
Die von de Sauſſuͤre angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangiren koͤnnen.
Auf der großen Hoͤhe war der Himmel meiſten - theils rein von Duͤnſten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, ſo daß er dem Auge voͤllig weiß erſchien, und ſie ſahen bey dieſer Ge - legenheit die Schatten voͤllig farbenlos. War die Luft mit wenigen Duͤnſten geſchwaͤngert und entſtand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, ſo folgten violette Schatten und zwar waren dieſe die meiſten. Auch ſa - hen ſie blaͤuliche Schatten, jedoch ſeltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schatten -32 ſtaͤrke gemindert wurde. Nur einmal ſahen ſie den Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70.) geſehen haben, ein Schatten iſt, der von einem farbloſen Ge - genlichte geworfen und von dem faͤrbenden Hauptlichte erleuchtet worden.
Auf einer Harzreiſe im Winter ſtieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flaͤchen auf - und abwaͤrts waren beſchneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerſtreut ſtehenden Baͤume und vorragenden Klip - pen, auch alle Baum - und Felſenmaſſen voͤllig bereift, die Sonne ſenkte ſich eben gegen die Oderteiche hin - unter.
Waren den Tag uͤber, bey dem gelblichen Ton des Schnees, ſchon leiſe violette Schatten bemerklich gewe - ſen, ſo mußte man ſie nun fuͤr hochblau anſprechen, als ein geſteigertes Gelb von den beleuchteten Theilen wiederſchien.
Als aber die Sonne ſich endlich ihrem Niedergang naͤherte, und ihr durch die ſtaͤrkeren Duͤnſte hoͤchſt ge - maͤßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der ſchoͤnſten Purpurfarbe uͤberzog, da verwandelte ſich die Schattenfarbe in ein Gruͤn, das nach ſeiner Klar - heit einem Meergruͤn, nach ſeiner Schoͤnheit einem Schmaragdgruͤn verglichen werden konnte. Die Er - ſcheinung ward immer lebhafter, man glaubte ſich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte ſich in die zwey lebhaften und ſo ſchoͤn uͤbereinſtimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die33 Prachterſcheinung ſich in eine graue Daͤmmerung, und nach und nach in eine mond - und ſternhelle Nacht verlor.
Einer der ſchoͤnſten Faͤlle farbiger Schatten kann bey dem Vollmonde beobachtet werden. Der Kerzen - und Mondenſchein laſſen ſich voͤllig ins Gleich - gewicht bringen. Beyde Schatten koͤnnen gleich ſtark und deutlich dargeſtellt werden, ſo daß beyde Farben ſich vollkommen balanciren. Man ſetzt die Tafel dem Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein wenig an die Seite, in gehoͤriger Entfernung, vor die Tafel haͤlt man einen undurchſichtigen Koͤrper; alsdann entſteht ein doppelter Schatten, und zwar wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzen - licht beſcheint, gewaltig rothgelb, und umgekehrt der, den das Licht wirft und der Mond beſcheint, vom ſchoͤnſten Blau geſehen werden. Wo beyde Schatten zu - ſammentreffen und ſich zu einem vereinigen, iſt er ſchwarz. Der gelbe Schatten laͤßt ſich vielleicht auf keine Weiſe auffallender darſtellen. Die unmittelbare Naͤhe des blauen, der dazwiſchentretende ſchwarze Schatten ma - chen die Erſcheinung deſto angenehmer. Ja, wenn der Blick lange auf der Tafel verweilt, ſo wird das geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenſeitig fordernd ſteigern und ins Gelbrothe treiben, welches denn wieder ſeinen Gegenſatz, eine Art von Meergruͤn, hervorbringt.
Hier iſt der Ort zu bemerken, daß es wahrſchein - lich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der for - dernden Farbe erſt recht afficirt ſeyn, ehe die gefor - derte lebhaft bemerklich wird.
Wenn Taucher ſich unter dem Meere befinden und das Sonnenlicht in ihre Glocke ſcheint, ſo iſt alles Be - leuchtete, was ſie umgiebt, purpurfarbig (wovon kuͤnf - tig die Urſache anzugeben iſt); die Schatten dagegen ſehen gruͤn aus. Eben daſſelbe Phaͤnomen, was ich auf ei - nem hohen Berge gewahr wurde (75.), bemerken ſie in der Tiefe des Meers, und ſo iſt die Natur mit ſich ſelbſt durchaus uͤbereinſtimmend.
Einige Erfahrungen und Verſuche, welche ſich zwiſchen die Capitel von farbigen Bildern und von far - bigen Schatten gleichſam einſchieben, werden hier nach - gebracht.
Man habe an einem Winterabende einen weißen Papierladen inwendig vor dem Fenſter eines Zimmers; in dieſem Laden ſey eine Oeffnung, wodurch man den Schnee eines etwa benachbarten Daches ſehen koͤnne; es ſey draußen noch einigermaßen daͤmmrig und ein Licht komme in das Zimmer; ſo wird der Schnee durch die Oeffnung vollkommen blau erſcheinen, weil nehm - lich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefaͤrbt wird. 35Der Schnee, welchen man durch die Oeffnung ſieht, tritt hier an die Stelle eines durch ein Gegenlicht erhellten Schattens, oder, wenn man will, eines grauen Bildes auf gelber Flaͤche.
Ein andrer ſehr intereſſanter Verſuch mache den Schluß.
Nimmt man eine Tafel gruͤnen Glaſes von eini - ger Staͤrke und laͤßt darin die Fenſterſtaͤbe ſich ſpie - geln; ſo wird man ſie doppelt ſehen, und zwar wird das Bild, das von der untern Flaͤche des Glaſes kommt, gruͤn ſeyn, das Bild hingegen, das ſich von der obern Flaͤche herleitet und eigentlich farblos ſeyn ſollte, wird purpurfarben erſcheinen.
An einem Gefaͤß, deſſen Boden ſpiegelartig iſt, welches man mit Waſſer fuͤllen kann, laͤßt ſich der Verſuch ſehr artig anſtellen, indem man bey reinem Waſſer erſt die farbloſen Bilder zeigen, und durch Faͤrbung deſſelben ſodann die farbigen Bilder produ - ciren kann.
Das energiſche Licht erſcheint rein weiß, und die - ſen Eindruck macht es auch im hoͤchſten Grade der3 *36Blendung. Das nicht in ſeiner ganzen Gewalt wir - kende Licht kann auch noch unter verſchiedenen Bedin - gungen farblos bleiben. Mehrere Naturforſcher und Mathematiker haben die Stufen deſſelben zu meſſen ge - ſucht. Lambert, Bouguer, Rumfort.
Jedoch findet ſich bey ſchwaͤcher wirkenden Lichtern bald eine Farbenerſcheinung, indem ſie ſich wie ab - klingende Bilder verhalten (39).
Irgend ein Licht wirkt ſchwaͤcher, entweder wenn ſeine Energie, es geſchehe wie es wolle, gemindert wird, oder wenn das Auge in eine Dispoſition ge - raͤth, die Wirkung nicht genugſam erfahren zu koͤnnen. Jene Erſcheinungen, welche objectiv genannt werden koͤnnen, finden ihren Platz bey den phyſiſchen Farben. Wir erwaͤhnen hier nur des Uebergangs vom Weiß - gluͤhen bis zum Rothgluͤhen des erhitzten Eiſens. Nicht weniger bemerken wir, daß Kerzen, auch bey Nacht - zeit, nach Maßgabe wie man ſie vom Auge entfernt, roͤther ſcheinen.
Der Kerzenſchein bey Nacht wirkt in der Naͤhe als ein gelbes Licht; wir koͤnnen es an der Wirkung bemerken, welche auf die uͤbrigen Farben hervorgebracht wird. Ein Blaßgelb iſt bey Nacht wenig von dem Weißen zu unterſcheiden; das Blaue naͤhert ſich dem Gruͤnen und ein Roſenfarb dem Orangen.
Der Schein des Kerzenlichts bey der Daͤmmrung wirkt lebhaft als ein gelbes Licht, welches die blauen Schatten am beſten beweiſen, die bey dieſer Gelegen - heit im Auge hervorgerufen werden.
Die Retina kann durch ein ſtarkes Licht dergeſtalt gereizt werden, daß ſie ſchwaͤchere Lichter nicht erken - nen kann (11). Erkennt ſie ſolche, ſo erſcheinen ſie farbig; daher ſieht ein Kerzenlicht bey Tage roͤthlich aus, es verhaͤlt ſich wie ein abklingendes; ja ein Kerzenlicht, das man bey Nacht laͤnger und ſchaͤrfer anſieht, erſcheint immer roͤther.
Es giebt ſchwach wirkende Lichter, welche demun - geachtet eine weiße, hoͤchſtens hellgelbliche Erſcheinung auf der Retina machen, wie der Mond in ſeiner vollen Klarheit. Das faule Holz hat ſogar eine Art von blaͤulichem Schein. Dieſes alles wird kuͤnftig wieder zur Sprache kommen.
Wenn man nahe an eine weiße oder grauliche Wand Nachts ein Licht ſtellt, ſo wird ſie von dieſem Mittelpunct aus auf eine ziemliche Weite erleuchtet ſeyn. Betrachtet man den daher entſtehenden Kreis aus einiger Ferne, ſo erſcheint uns der Rand der erleuchteten Flaͤche mit einem gelben, nach außen roth -38 gelben Kreiſe umgeben, und wir werden aufmerkſam gemacht, daß das Licht, wenn es ſcheinend oder wi - derſcheinend nicht in ſeiner groͤßten Energie auf uns wirkt, unſerm Auge den Eindruck vom Gelben, Roͤth - lichen, und zuletzt ſogar vom Rothen gebe. Hier fin - den wir den Uebergang zu den Hoͤfen, die wir um leuchtende Punkte auf eine oder die andre Weiſe zu ſehen pflegen.
Man kann die Hoͤfe in ſubjective und objective eintheilen. Die letzten werden unter den phyſiſchen Far - ben abgehandelt, nur die erſten gehoͤren hieher. Sie unterſcheiden ſich von den objectiven darin, daß ſie ver - ſchwinden, wenn man den leuchtenden Gegenſtand, der ſie auf der Netzhaut hervorbringt, zudeckt.
Wir haben oben den Eindruck des leuchtenden Bil - des auf die Retina geſehen und wie es ſich auf der - ſelben vergroͤßert; aber damit iſt die Wirkung noch nicht vollendet. Es wirkt nicht allein als Bild, ſondern auch als Energie uͤber ſich hinaus; es verbreitet ſich vom Mittelpuncte aus nach der Peripherie.
Daß ein ſolcher Nimbus um das leuchtende Bild in unſerm Auge bewirket werde, kann man am beſten in der dunkeln Kammer ſehen, wenn man gegen eine maͤßig große Oeffnung im Fenſterladen hinblickt. Hier iſt das helle Bild von einem runden Nebelſchein umgeben.
Einen ſolchen Nebelſchein ſah ich mit einem gelben und gelbrothen Kreiſe umgeben, als ich mehrere Naͤchte in einem Schlafwagen zubrachte und Morgens bey daͤm - merndem Tageslichte die Augen aufſchlug.
Die Hoͤfe erſcheinen am lebhafteſten, wenn das Auge ausgeruht und empfaͤnglich iſt. Nicht weniger vor einem dunklen Hintergrund. Beydes iſt die Urſache, daß wir ſie ſo ſtark ſehen, wenn wir Nachts aufwachen und uns ein Licht entgegengebracht wird. Dieſe Be - dingungen fanden ſich auch zuſammen, als Descartes im Schiff ſitzend geſchlafen hatte und ſo lebhafte far - bige Scheine um das Licht bemerkte.
Ein Licht muß maͤßig leuchten, nicht blenden, wenn es einen Hof im Auge erregen ſoll, wenigſtens wuͤrden die Hoͤfe eines blendenden Lichtes nicht bemerkt werden koͤnnen. Wir ſehen einen ſolchen Glanzhof um die Sonne, welche von einer Waſſerflaͤche ins Auge faͤllt.
Genau beobachtet iſt ein ſolcher Hof an ſeinem Rande mit einem gelben Saume eingefaßt. Aber auch40 hier iſt jene energiſche Wirkung noch nicht geendigt, ſon - dern ſie ſcheint ſich in abwechſelnden Kreiſen weiter fort zu bewegen.
Es giebt viele Faͤlle, die auf eine kreisartige Wir - kung der Retina deuten, es ſey nun, daß ſie durch die runde Form des Auges ſelbſt und ſeiner verſchiedenen Theile, oder ſonſt hervorgebracht werde.
Wenn man das Auge von dem innern Augenwinkel her nur ein wenig druͤckt, ſo entſtehen dunklere oder hellere Kreiſe. Man kann bey Nachtzeit manchmal auch ohne Druck eine Succeſſion ſolcher Kreiſe gewahr werden, von denen ſich einer aus dem andern entwickelt, einer vom andern verſchlungen wird.
Wir haben ſchon einen gelben Rand um den von einem nah geſtellten Licht erleuchteten weißen Raum ge - ſehen. Dieß waͤre eine Art von objectivem Hof (88).
Die ſubjectiven Hoͤfe koͤnnen wir uns als den Con - flict des Lichtes mit einem lebendigen Raume denken. Aus dem Conflict des Bewegenden mit dem Bewegten entſteht eine undulirende Bewegung. Man kann das Gleichniß von den Ringen im Waſſer hernehmen. Der hineingeworfene Stein treibt das Waſſer nach allen Sei - ten, die Wirkung erreicht eine hoͤchſte Stufe, ſie klingt41 ab und gelangt, im Gegenſatz, zur Tiefe. Die Wir - kung geht fort, culminirt aufs neue und ſo wieder - holen ſich die Kreiſe. Erinnert man ſich der concentri - ſchen Ringe, die in einem mit Waſſer gefuͤllten Trink - glaſe entſtehen, wenn man verſucht, einen Ton durch Reiben des Randes hervorzubringen, gedenkt man der intermittirenden Schwingungen beym Abklingen der Glocken; ſo naͤhert man ſich wohl in der Vorſtellung demjenigen, was auf der Retina vorgehen mag, wenn ſie von einem leuchtenden Gegenſtand getroffen wird, nur daß ſie als lebendig ſchon eine gewiſſe kreisartige Dispoſition in ihrer Organiſation hat.
Die um das leuchtende Bild ſich zeigende helle Kreisflaͤche iſt gelb mit Roth geendigt. Darauf folgt ein gruͤnlicher Kreis, der mit einem rothen Rande ge - ſchloſſen iſt. Dieß ſcheint das gewoͤhnliche Phaͤnomen zu ſeyn bey einer gewiſſen Groͤße des leuchtenden Koͤr - pers. Dieſe Hoͤfe werden groͤßer, je weiter man ſich von dem leuchtenden Bilde entfernt.
Die Hoͤfe koͤnnen aber auch im Auge unendlich klein und vielfach erſcheinen, wenn der erſte Anſtoß klein und maͤchtig iſt. Der Verſuch macht ſich am beſten mit einer auf der Erde liegenden, von der Sonne beſchienenen Goldflinter. In dieſen Faͤllen er - ſcheinen die Hoͤfe in bunten Strahlen. Jene farbige Erſcheinung, welche die Sonne im Auge macht, indem42 ſie durch Baumblaͤtter dringt, ſcheint auch hieher zu gehoͤren.
Die phyſiologiſchen Farben kennen wir nunmehr hinreichend, um ſie von den pathologiſchen zu unter - ſcheiden. Wir wiſſen, welche Erſcheinungen dem geſun - den Auge zugehoͤren und noͤthig ſind, damit ſich das Organ vollkommen lebendig und thaͤtig erzeige.
Die krankhaften Phaͤnomene deuten gleichfalls auf organiſche und phyſiſche Geſetze: denn wenn ein beſon - deres lebendiges Weſen von derjenigen Regel abweicht, durch die es gebildet iſt, ſo ſtrebt es ins allgemeine Leben hin, immer auf einem geſetzlichen Wege, und macht uns auf ſeiner ganzen Bahn jene Maximen an - ſchaulich, aus welchen die Welt entſprungen iſt und durch welche ſie zuſammengehalten wird.
Wir ſprechen hier zuerſt von einem ſehr merkwuͤr - digen Zuſtande, in welchem ſich die Augen mancher43 Perſonen befinden. Indem er eine Abweichung von der gewoͤhnlichen Art die Farben zu ſehen anzeigt, ſo ge - hoͤrt er wohl zu den krankhaften; da er aber regel - maͤßig iſt, oͤfter vorkommt, ſich auf mehrere Familien - glieder erſtreckt und ſich wahrſcheinlich nicht heilen laͤßt, ſo ſtellen wir ihn billig auf die Graͤnze.
Ich kannte zwey Subjecte, die damit behaftet wa - ren, nicht uͤber zwanzig Jahr alt; beyde hatten blau - graue Augen, ein ſcharfes Geſicht in der Naͤhe und Ferne, bey Tages - und Kerzenlicht, und ihre Art die Farben zu ſehen war in der Hauptſache voͤllig uͤberein - ſtimmend.
Mit uns treffen ſie zuſammen, daß ſie Weiß, Schwarz und Grau nach unſrer Weiſe benennen; Weiß ſahen ſie Beyde ohne Beymiſchung. Der Eine wollte bey Schwarz etwas Braͤunliches und bey Grau etwas Roͤthliches bemerken. Ueberhaupt ſcheinen ſie die Ab - ſtufung von Hell und Dunkel ſehr zart zu empfinden.
Mit uns ſcheinen ſie Gelb, Rothgelb und Gelb - roth zu ſehen; bey dem letzten ſagen ſie, ſie ſaͤhen das Gelbe gleichſam uͤber dem Roth ſch[we]ben, wie laſirt. Carmin in der Mitte einer Untertaſſe dicht aufgetrocknet nannten ſie roth.
Nun aber tritt eine auffallende Differenz ein. Man ſtreiche mit einem genetzten Pinſel den Carmin leicht uͤber die weiße Schale, ſo werden ſie dieſe ent - ſtehende helle Farbe der Farbe des Himmels vergleichen und ſolche blau nennen. Zeigt man ihnen daneben eine Roſe, ſo nennen ſie dieſe auch blau, und koͤnnen bey allen Proben, die man anſtellt, das Hellblau nicht von dem Roſenfarb unterſcheiden. Sie verwechſeln Roſenfarb, Blau und Violet durchaus; nur durch kleine Schattirungen des Helleren, Dunkleren, Lebhaf - teren, Schwaͤcheren ſcheinen ſich dieſe Farben fuͤr ſie von einander abzuſondern.
Ferner koͤnnen ſie Gruͤn von einem Dunkelorange, beſonders aber von einem Rothbraun nicht unterſcheiden.
Wenn man die Unterhaltung mit ihnen dem Zufall uͤberlaͤßt und ſie bloß uͤber vorliegende Gegenſtaͤnde be - fragt, ſo geraͤth man in die groͤßte Verwirrung und fuͤrchtet wahnſinnig zu werden. Mit einiger Methode hingegen kommt man dem Geſetz dieſer Geſetzwidrigkeit ſchon um vieles naͤher.
Sie haben, wie man aus dem Obigen ſehen kann, weniger Farben als wir; daher denn die Ver - wechſelung von verſchiedenen Farben entſteht. Sie nen -45 nen den Himmel roſenfarb und die Roſe blau, oder umgekehrt. Nun fragt ſich: ſehen ſie beydes blau, oder beydes roſenfarb? ſehen ſie das Gruͤn orange, oder das Orange gruͤn?
Dieſe ſeltſamen Raͤthſel ſcheinen ſich zu loͤſen, wenn man annimmt, daß ſie kein Blau, ſondern an deſſen Statt einen diluirten Purpur, ein Roſenfarb, ein hel - les reines Roth ſehen. Symboliſch kann man ſich dieſe Loͤſung einſtweilen folgendermaßen vorſtellen.
Nehmen wir aus unſerm Farbenkreiſe das Blaue heraus, ſo fehlt uns Blau, Violet und Gruͤn. Das reine Roth verbreitet ſich an der Stelle der beyden erſten, und wenn es wieder das Gelbe beruͤhrt, bringt es anſtatt des Gruͤnen abermals ein Orange hervor.
Indem wir uns von dieſer Erklaͤrungsart uͤber - zeugt halten, haben wir dieſe merkwuͤrdige Abweichung vom gewoͤhnlichen Sehen Akyanoblepſie genannt, und zu beſſerer Einſicht mehrere Figuren gezeichnet und illuminirt, bey deren Erklaͤrung wir kuͤnftig das Wei - tre beyzubringen gedenken. Auch findet man daſelbſt eine Landſchaft, gefaͤrbt nach der Weiſe, wie dieſe Menſchen wahrſcheinlich die Natur ſehen, den Himmel roſenfarb und alles Gruͤne in Toͤnen vom Gelben bis zum Braunrothen, ungefaͤhr wie es uns im Herbſt erſcheint.
Wir ſprechen nunmehr von krankhaften ſowohl als allen widernatuͤrlichen, außernatuͤrlichen, ſeltenen Af - fectionen der Retina, wobey, ohne aͤußres Licht, das Auge zu einer Lichterſcheinung disponirt werden kann, und behalten uns vor, des galvaniſchen Lichtes kuͤnftig zu erwaͤhnen.
Bey einem Schlag aufs Auge ſcheinen Funken umher zu ſpruͤhen. Ferner, wenn man in gewiſſen koͤrperlichen Dispoſitionen, beſonders bey erhitztem Blute und reger Empfindlichkeit, das Auge erſt ſachte, dann immer ſtaͤrker druͤckt, ſo kann man ein blendendes un - ertraͤgliches Licht erregen.
Operirte Staarkranke, wenn ſie Schmerz und Hitze im Auge haben, ſehen haͤufig feurige Blitze und Fun - ken, welche zuweilen acht bis vierzehn Tage bleiben, oder doch ſo lange, bis Schmerz und Hitze weicht.
Ein Kranker, wenn er Ohrenſchmerz bekam, ſah jederzeit Lichtfunken und Kugeln im Auge, ſo lange der Schmerz dauerte.
Wurmkranke haben oft ſonderbare Erſcheinungen im Auge, bald Feuerfunken, bald Lichtgeſpenſter, bald ſchreckhafte Figuren, die ſie nicht entfernen koͤnnen. Bald ſehen ſie doppelt.
Hypochondriſten ſehen haͤufig ſchwarze Figuren als Faͤden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Dieſe Erſcheinungen zeigen ſich auch bey anfangendem ſchwar - zen Staar. Manche ſehen halbdurchſichtige kleine Roͤh - ren, wie Fluͤgel von Inſecten, Waſſerblaͤschen von verſchiedener Groͤße, welche beym Heben des Auges niederſinken, zuweilen gerade ſo in Verbindung haͤn - gen, wie Froſchlaich, und bald als voͤllige Sphaͤren, bald als Linſen bemerkt werden.
Wie dort das Licht ohne aͤußeres Licht, ſo ent - ſpringen auch dieſe Bilder ohne aͤußre Bilder. Sie ſind theils voruͤbergehend, theils lebenslaͤnglich dauernd. Hiebey tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hy - pochondriſten ſehen auch haͤufig gelbrothe ſchmale Baͤn - der im Auge, oft heftiger und haͤufiger am Morgen, oder bey leerem Magen.
Daß der Eindruck irgend eines Bildes im Auge einige Zeit verharre, kennen wir als ein phyſiologiſches Phaͤnomen (23), die allzulange Dauer eines ſolchen Eindrucks hingegen kann als krankhaft angeſehen werden.
Je ſchwaͤcher das Auge iſt, deſto laͤnger bleibt das Bild in demſelben. Die Retina ſtellt ſich nicht ſobald wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art von Paralyſe anſehen (28).
Von blendenden Bildern iſt es nicht zu verwun - dern. Wenn man in die Sonne ſieht, ſo kann man das Bild mehrere Tage mit ſich herumtragen. Boyle erzaͤhlt einen Fall von zehn Jahren.
Das Gleiche findet auch verhaͤltnißmaͤßig von Bil - dern, welche nicht blendend ſind, ſtatt. Buͤſch erzaͤhlt von ſich ſelbſt, daß ihm ein Kupferſtich vollkommen mit allen ſeinen Theilen bey ſiebzehn Minuten im Auge geblieben.
Mehrere Perſonen, welche zu Krampf und Voll - bluͤtigkeit geneigt waren, behielten das Bild eines hoch - rothen Cattuns mit weißen Muſcheln viele Minuten lang im Auge und ſahen es wie einen Flor vor allem ſchweben. Nur nach langem Reiben des Auges verlor ſich’s.
Scherfer bemerkt, daß die Purpurfarbe eines ab - klingenden ſtarken Lichteindrucks einige Stunden dauern koͤnne.
Wie wir durch Druck auf den Augapfel eine Licht - erſcheinung auf der Retina hervorbringen koͤnnen, ſo entſteht bey ſchwachem Druck eine rothe Farbe und wird gleichſam ein abklingendes Licht hervorgebracht.
Viele Kranke, wenn ſie erwachen, ſehen alles in der Farbe des Morgenroths, wie durch einen rothen Flor; auch wenn ſie am Abend leſen, und zwiſchendurch ein - nicken und wieder aufwachen, pflegt es zu geſchehen. Dieſes bleibt minutenlang und vergeht allenfalls, wenn das Auge etwas gerieben wird. Dabey ſind zuweilen rothe Sterne und Kugeln. Dieſes Rothſehen dauert auch wohl eine lange Zeit.
Die Luftfahrer, beſonders Zambeccari und ſeine Gefaͤhrten, wollen in ihrer hoͤchſten Erhebung den Mond blutroth geſehen haben. Da ſie ſich uͤber die irdiſchen Duͤnſte emporgeſchwungen hatten, durch wel - che wir den Mond und die Sonne wohl in einer ſol - chen Farbe ſehen; ſo laͤßt ſich vermuthen, daß dieſe Erſcheinung zu den pathologiſchen Farben gehoͤre. Es moͤgen nehmlich die Sinne durch den ungewohnten Zu - ſtand dergeſtalt afficirt ſeyn, daß der ganze Koͤrper und beſonders auch die Retina in eine Art von Unruͤhrbar - keit und Unreizbarkeit verfaͤllt. Es iſt daher nicht un - moͤglich, daß der Mond als ein hoͤchſt abgeſtumpftes Licht wirke, und alſo das Gefuͤhl der rothen Farbe hervorbringe. Den Hamburger Luftfahrern erſchien auch die Sonne blutroth.
Wenn die Luftfahrenden zuſammen ſprechen und ſich kaum hoͤren, ſollte nicht auch dieſes der Unreizbar - keit der Nerven eben ſo gut als der Duͤnne der Luft zugeſchrieben werden koͤnnen?
Die Gegenſtaͤnde werden von Kranken auch manch - mal vielfaͤrbig geſehen. Boyle erzaͤhlt von einer Dame, daß ſie nach einem Sturze, wobey ein Auge gequetſcht worden, die Gegenſtaͤnde, beſonders aber die weißen, lebhaft bis zum Unertraͤglichen, ſchimmern geſehen.
Die Aerzte nennen Chrupſie, wenn in typhiſchen Krankheiten, beſonders der Augen, die Patienten an den Raͤndern der Bilder, wo Hell und Dunkel an ein - ander graͤnzen, farbige Umgebungen zu ſehen verſichern. Wahrſcheinlich entſteht in den Liquoren eine Veraͤnde - rung, wodurch ihre Achromaſie aufgehoben wird.
Beym grauen Staar laͤßt eine ſtarkgetruͤbte Kry - ſtalllinſe den Kranken einen rothen Schein ſehen. In einem ſolchen Falle, der durch Electricitaͤt behandelt wurde, veraͤnderte ſich der rothe Schein nach und nach in einen gelben, zuletzt in einen weißen, und der Kranke fing an wieder Gegenſtaͤnde gewahr zu werden; woraus man ſchließen konnte, daß der truͤbe Zuſtand der Linſe ſich nach und nach der Durchſichtigkeit naͤ - here. Dieſe Erſcheinung wird ſich, ſobald wir mit den phyſiſchen Farben naͤhere Bekanntſchaft gemacht, bequem ableiten laſſen.
Kann man nun annehmen, daß ein gelbſuͤchtiger Kranker durch einen wirklich gelbgefaͤrbten Liquor hin -51 durchſehe; ſo werden wir ſchon in die Abtheilung der chemiſchen Farben verwieſen, und wir ſehen leicht ein, daß wir das Capitel von den pathologiſchen Farben nur dann erſt vollkommen ausarbeiten koͤnnen, wenn wir uns mit der Farbenlehre in ihrem ganzen Umfang bekannt gemacht; deßhalb ſey es an dem gegenwaͤrtigen genug, bis wir ſpaͤter das Angedeutete weiter ausfuͤh - ren koͤnnen.
Nur moͤchte hier zum Schluſſe noch einiger beſon - dern Dispoſitionen des Auges vorlaͤufig zu erwaͤhnen ſeyn.
Es giebt Maler, welche, anſtatt daß ſie die na - tuͤrliche Farbe wiedergeben ſollten, einen allgemeinen Ton, einen warmen oder kalten uͤber das Bild verbrei - ten. So zeigt ſich auch bey manchen eine Vorliebe fuͤr gewiſſe Farben, bey andern ein Ungefuͤhl fuͤr Har - monie.
Endlich iſt noch bemerkenswerth, daß wilde Na - tionen, ungebildete Menſchen, Kinder eine große Vor - liebe fuͤr lebhafte Farben empfinden, daß Thiere bey gewiſſen Farben in Zorn gerathen, daß gebildete Men - ſchen in Kleidung und ſonſtiger Umgebung die lebhaften Farben vermeiden und ſie durchgaͤngig von ſich zu ent - fernen ſuchen.
Phyſiſche Farben nennen wir diejenigen, zu deren Hervorbringung gewiſſe materielle Mittel noͤthig ſind, welche aber ſelbſt keine Farbe haben, und theils durch - ſichtig, theils truͤb und durchſcheinend, theils voͤllig undurchſichtig ſeyn koͤnnen. Dergleichen Farben wer - den alſo in unſerm Auge durch ſolche aͤußere beſtimmte Anlaͤſſe erzeugt, oder, wenn ſie ſchon auf irgend eine Weiſe außer uns erzeugt ſind, in unſer Auge zuruͤckge - worfen. Ob wir nun ſchon hiedurch denſelben eine Art von Objectivitaͤt zuſchreiben, ſo bleibt doch das Voruͤbergehende, Nichtfeſtzuhaltende meiſtens ihr Kenn - zeichen.
Sie heißen daher auch bey den fruͤhern Naturfor - ſchern Colores apparentes, fluxi, fugitivi, phanta - stici, falsi, variantes. Zugleich werden ſie speciosi und emphatici, wegen ihrer auffallenden Herrlichkeit, genannt. Sie ſchließen ſich unmittelbar an die phyſio -53 logiſchen an, und ſcheinen nur um einen geringen Grad mehr Realitaͤt zu haben. Denn wenn bey jenen vorzuͤglich das Auge wirkſam war, und wir die Phaͤ - nomene derſelben nur in uns, nicht aber außer uns darzuſtellen vermochten; ſo tritt nun hier der Fall ein, daß zwar Farben im Auge durch farbloſe Gegenſtaͤnde erregt werden, daß wir aber auch eine farbloſe Flaͤche an die Stelle unſerer Retina ſetzen und auf derſelben die Erſcheinung außer uns gewahr werden koͤnnen; wo - bey uns jedoch alle Erfahrungen auf das beſtimmteſte uͤberzeugen, daß hier nicht von fertigen, ſondern von werdenden und wechſelnden Farben die Rede ſey.
Wir ſehen uns deßhalb bey dieſen phyſiſchen Far - ben durchaus im Stande, einem ſubjectiven Phaͤnomen ein objectives an die Seite zu ſetzen, und oͤfters, durch die Verbindung beyder, mit Gluͤck tiefer in die Natur der Erſcheinung einzudringen.
Bey den Erfahrungen alſo, wobey wir die phyſi - ſchen Farben gewahr werden, wird das Auge nicht fuͤr ſich als wirkend, das Licht niemals in unmittelba - rem Bezuge auf das Auge betrachtet; ſondern wir rich - ten unſere Aufmerkſamkeit beſonders darauf, wie durch Mittel, und zwar farbloſe Mittel, verſchiedene Bedin - gungen entſtehen.
Das Licht kann auf dreyerley Weiſe unter dieſen Umſtaͤnden bedingt werden. Erſtlich, wenn es von54 der Oberflaͤche eines Mittels zuruͤckſtrahlt, da denn die katoptriſchen Verſuche zur Sprache kommen. Zwey - tens, wenn es an dem Rande eines Mittels herſtrahlt. Die dabey eintretenden Erſcheinungen wurden ehmals perioptiſche genannt, wir nennen ſie paroptiſche. Drittens, wenn es durch einen durchſcheinenden oder durch - ſichtigen Koͤrper durchgeht, welches die dioptriſchen Verſuche ſind. Eine vierte Art phyſiſcher Farben ha - ben wir epoptiſche genannt, indem ſich die Erſchei - nung, ohne vorgaͤngige Mittheilung (βαφή), auf ei - ner farbloſen Oberflaͤche der Koͤrper unter verſchiedenen Bedingungen ſehen laͤßt.
Beurtheilen wir dieſe Rubriken in Bezug auf die von uns beliebten Hauptabtheilungen, nach welchen wir die Farben in phyſiologiſcher, phyſiſcher und che - miſcher Ruͤckſicht betrachten; ſo finden wir, daß die katoptriſchen Farben ſich nahe an die phyſiologiſchen anſchließen, die paroptiſchen ſich ſchon etwas mehr abloͤſen und gewiſſermaßen ſelbſtſtaͤndig werden, die dioptriſchen ſich ganz eigentlich phyſiſch erweiſen und eine entſchieden objective Seite haben; die epopti - ſchen, obgleich in ihren Anfaͤngen auch nur apparent, machen den Uebergang zu den chemiſchen Farben.
Wenn wir alſo unſern Vortrag ſtetig nach Anlei - tung der Natur fortfuͤhren wollten, ſo duͤrften wir nur in der jetzt eben bezeichneten Ordnung auch fernerhin verfahren; weil aber bey didaktiſchen Vortraͤgen es55 nicht ſowohl darauf ankommt, dasjenige, wovon die Rede iſt, an einander zu knuͤpfen, vielmehr ſolches wohl aus einander zu ſondern, damit erſt zuletzt, wenn alles Einzelne vor die Seele gebracht iſt, eine große Einheit das Beſondere verſchlinge: ſo wollen wir uns gleich zu den dioptriſchen Farben wenden, um den Leſer als - bald in die Mitte der phyſiſchen Farben zu verſetzen, und ihm ihre Eigenſchaften auffallender zu machen.
Man nennt dioptriſche Farben diejenigen, zu de - ren Entſtehung ein farbloſes Mittel gefordert wird, dergeſtalt daß Licht und Finſterniß hindurchwirken, entweder aufs Auge, oder auf entgegenſtehende Flaͤ - chen. Es wird alſo gefordert, daß das Mittel durch - ſichtig oder wenigſtens bis auf einen gewiſſen Grad durchſcheinend ſey.
Nach dieſen Bedingungen theilen wir die dioptri - ſchen Erſcheinungen in zwey Claſſen, und ſetzen in die erſte diejenigen, welche bey durchſcheinenden truͤben Mitteln entſtehen, in die zweyte aber ſolche, die ſich56 alsdann zeigen, wenn das Mittel in dem hoͤchſt moͤgli - chen Grade durchſichtig iſt.
Der Raum, den wir uns leer denken, haͤtte durch - aus fuͤr uns die Eigenſchaft der Durchſichtigkeit. Wenn ſich nun derſelbe dergeſtalt fuͤllt, daß unſer Auge die Ausfuͤllung nicht gewahr wird; ſo entſteht ein ma - terielles, mehr oder weniger koͤrperliches, durchſichti - ges Mittel, das luft - und gasartig, fluͤſſig oder auch feſt ſeyn kann.
Die reine durchſcheinende Truͤbe leitet ſich aus dem Durchſichtigen her. Sie kann ſich uns alſo auch auf gedachte dreyfache Weiſe darſtellen.
Die vollendete Truͤbe iſt das Weiße, die gleichguͤl - tigſte, hellſte, erſte undurchſichtige Raumerfuͤllung.
Das Durchſichtige ſelbſt, empiriſch betrachtet, iſt ſchon der erſte Grad des Truͤben. Die ferneren Grade57 des Truͤben bis zum undurchſichtigen Weißen ſind un - endlich.
Auf welcher Stufe wir auch das Truͤbe vor ſeiner Undurchſichtigkeit feſthalten, gewaͤhrt es uns, wenn wir es in Verhaͤltniß zum Hellen und Dunkeln ſetzen, einfache und bedeutende Phaͤnomene.
Das hoͤchſtenergiſche Licht, wie das der Sonne, des Phosphors in Lebensluft verbrennend, iſt blendend und farblos. So kommt auch das Licht der Fixſterne meiſtens farblos zu uns. Dieſes Licht aber durch ein auch nur wenig truͤbes Mittel geſehen, erſcheint uns gelb. Nimmt die Truͤbe eines ſolchen Mittels zu, oder wird ſeine Tiefe vermehrt, ſo ſehen wir das Licht nach und nach eine gelbrothe Farbe annehmen, die ſich end - lich bis zum Rubinrothen ſteigert.
Wird hingegen durch ein truͤbes, von einem dar - auffallenden Lichte erleuchtetes Mittel die Finſterniß ge - ſehen, ſo erſcheint uns eine blaue Farbe, welche immer heller und blaͤſſer wird, jemehr ſich die Truͤbe des Mit - tels vermehrt, hingegen immer dunkler und ſatter ſich zeigt, je durchſichtiger das Truͤbe werden kann, ja bey dem mindeſten Grad der reinſten Truͤbe, als das ſchoͤnſte Violet dem Auge fuͤhlbar wird.
Wenn dieſe Wirkung auf die beſchriebene Weiſe in unſerm Auge vorgeht und alſo ſubjectiv genannt wer - den kann; ſo haben wir uns auch durch objective Er - ſcheinungen von derſelben noch mehr zu vergewiſſern. Denn ein ſo gemaͤßigtes und getruͤbtes Licht wirft auch auf die Gegenſtaͤnde einen gelben, gelbrothen oder pur - purnen Schein; und ob ſich gleich die Wirkung der Finſterniß durch das Truͤbe nicht eben ſo maͤchtig aͤußert; ſo zeigt ſich doch der blaue Himmel in der Camera ob - ſcura ganz deutlich auf dem weißen Papier neben jeder andern koͤrperlichen Farbe.
Wenn wir die Faͤlle durchgehn, unter welchen uns dieſes wichtige Grundphaͤnomen erſcheint, ſo erwaͤhnen wir billig zuerſt der atmoſphaͤriſchen Farben, deren meiſte hieher geordnet werden koͤnnen.
Die Sonne, durch einen gewiſſen Grad von Duͤn - ſten geſehen, zeigt ſich mit einer gelblichen Scheibe. Oft iſt die Mitte noch blendend gelb, wenn ſich die Raͤnder ſchon roth zeigen. Beym Heerrauch, (wie 1794 auch im Norden der Fall war) und noch mehr bey der Dispoſition der Atmoſphaͤre, wenn in ſuͤdlichen Gegen - den der Scirocco herrſcht, erſcheint die Sonne rubin - roth mit allen ſie im letzten Falle gewoͤhnlich umgeben - den Wolken, die alsdann jene Farbe im Wiederſchein zuruͤckwerfen.
59Morgen - und Abendroͤthe entſteht aus derſelben Urſache. Die Sonne wird durch eine Roͤthe verkuͤn - digt, indem ſie durch eine groͤßere Maſſe von Duͤnſten zu uns ſtrahlt. Je weiter ſie herauf kommt, deſto hel - ler und gelber wird der Schein.
Wird die Finſterniß des unendlichen Raums durch atmoſphaͤriſche vom Tageslicht erleuchtete Duͤnſte hin - durch angeſehen, ſo erſcheint die blaue Farbe. Auf hohen Gebirgen ſieht man am Tage den Himmel koͤ - nigsblau, weil nur wenig feine Duͤnſte vor dem un - endlichen finſtern Raum ſchweben; ſobald man in die Thaͤler herabſteigt, wird das Blaue heller, bis es end - lich, in gewiſſen Regionen und bey zunehmenden Duͤn - ſten, ganz in ein Weißblau uͤbergeht.
Eben ſo ſcheinen uns auch die Berge blau: denn indem wir ſie in einer ſolchen Ferne erblicken, daß wir die Lokalfarben nicht mehr ſehen, und kein Licht von ihrer Oberflaͤche mehr auf unſer Auge wirkt; ſo gelten ſie als ein reiner finſterer Gegenſtand, der nun durch die dazwiſchen tretenden truͤben Duͤnſte blau er - ſcheint.
Auch ſprechen wir die Schattentheile naͤherer Gegenſtaͤnde fuͤr blau an, wenn die Luft mit feinen Duͤnſten geſaͤttigt iſt.
Die Eisberge hingegen erſcheinen in großer Ent - fernung noch immer weiß und eher gelblich, weil ſie immer noch als hell durch den Dunſtkreis auf unſer Auge wirken.
Die blaue Erſcheinung an dem untern Theil des Kerzenlichtes gehoͤrt auch hieher. Man halte die Flam - me vor einen weißen Grund, und man wird nichts blaues ſehen; welche Farbe hingegen ſogleich erſcheinen wird, wenn man die Flamme gegen einen ſchwarzen Grund haͤlt. Dieſes Phaͤnomen erſcheint am lebhafte - ſten bey einem angezuͤndeten Loͤffel Weingeiſt. Wir koͤnnen alſo den untern Theil der Flamme fuͤr einen Dunſt anſprechen, welcher obgleich unendlich fein, doch vor der dunklen Flaͤche ſichtbar wird: er iſt ſo fein, daß man bequem durch ihn leſen kann; dahingegen die Spitze der Flamme, welche uns die Gegenſtaͤnde ver - deckt, als ein ſelbſtleuchtender Koͤrper anzuſehen iſt.
Uebrigens iſt der Rauch gleichfalls als ein truͤbes Mittel anzuſehen, das uns vor einem hellen Grunde gelb oder roͤthlich, vor einem dunklen aber blau er - ſcheint.
Wenden wir uns nun zu den fluͤſſigen Mitteln, ſo finden wir, daß ein jedes Waſſer, auf eine zarte Weiſe getruͤbt, denſelben Effect hervorbringe.
Die Infuſion des nephritiſchen Holzes, (der Gui - landina Linnaei,) welche fruͤher ſo großes Aufſehen machte, iſt nur ein truͤber Liquor, der im dunklen hoͤlzernen Becher blau ausſehen, in einem durchſichti - gen Glaſe aber gegen die Sonne gehalten, eine gelbe Erſcheinung hervorbringen muß.
Einige Tropfen wohlriechender Waſſer, eines Wein - geiſtfirniſſes, mancher metalliſchen Solutionen koͤnnen das Waſſer zu ſolchen Verſuchen in allen Graden truͤbe machen. Seifenſpiritus thut faſt die beſte Wirkung.
Der Grund des Meeres erſcheint den Tauchern bey hellem Sonnenſchein purpurfarb, wobey das Meer - waſſer als ein truͤbes und tiefes Mittel wirkt. Sie bemerken bey dieſer Gelegenheit die Schatten gruͤn, wel - ches die geforderte Farbe iſt. (78.)
Unter den feſten Mitteln begegnet uns in der Na - tur zuerſt der Opal, deſſen Farben wenigſtens zum Theil daraus zu erklaͤren ſind, daß er eigentlich ein truͤbes Mittel ſey, wodurch bald helle, bald dunkle Unterlagen ſichtbar werden.
Zu allen Verſuchen aber iſt das Opalglas (vitrum astroides, girasole) der erwuͤnſchteſte Koͤrper. Es wird auf verſchiedene Weiſe verfertigt und ſeine Truͤbe62 durch Metallkalke hervorgebracht. Auch truͤbt man das Glas dadurch, daß man gepuͤlverte und calcinirte Kno - chen mit ihm zuſammenſchmelzt, deßwegen man es auch Beinglas nennt; doch geht dieſes gar zu leicht ins Un - durchſichtige uͤber.
Man kann dieſes Glas zu Verſuchen auf vieler - ley Weiſe zurichten: denn entweder man macht es nur wenig truͤb, da man denn durch mehrere Schichten uͤber einander das Licht vom hellſten Gelb bis zum tiefſten Purpur fuͤhren kann; oder man kann auch ſtark ge - truͤbtes Glas in duͤnnern und ſtaͤrkeren Scheiben an - wenden. Auf beyde Arten laſſen ſich die Verſuche an - ſtellen; beſonders darf man aber, um die hohe blaue Farbe zu ſehen, das Glas weder allzutruͤb noch allzu - ſtark nehmen. Denn da es natuͤrlich iſt, daß das Finſtere nur ſchwach durch die Truͤbe hindurch wirke, ſo geht die Truͤbe, wenn ſie zu dicht wird, gar ſchnell in das Weiße hinuͤber.
Fenſterſcheiben durch die Stellen, an welchen ſie blind geworden ſind, werfen einen gelben Schein auf die Gegenſtaͤnde, und eben dieſe Stellen ſehen blau aus, wenn wir durch ſie nach einem dunklen Gegen - ſtande blicken.
Das angerauchte Glas gehoͤrt auch hieher, und iſt gleichfalls als ein truͤbes Mittel anzuſehen. Es zeigt63 uns die Sonne mehr oder weniger rubinroth; und ob man gleich dieſe Erſcheinung der ſchwarzbraunen Farbe des Rußes zuſchreiben koͤnnte, ſo kann man ſich doch uͤberzeugen, daß hier ein truͤbes Mittel wirke, wenn man ein ſolches maͤßig angerauchtes Glas, auf der vor - dern Seite durch die Sonne erleuchtet, vor einen dunk - len Gegenſtand haͤlt, da wir denn einen blaulichen Schein gewahr werden.
Mit Pergamentblaͤttern laͤßt ſich in der dunkeln Kammer ein auffallender Verſuch anſtellen. Wenn man vor die Oeffnung des eben von der Sonne beſchienenen Fenſterladens ein Stuͤck Pergament befeſtigt, ſo wird es weißlich erſcheinen; fuͤgt man ein zweytes hinzu, ſo entſteht eine gelbliche Farbe, die immer zunimmt und endlich bis ins Rothe uͤbergeht, je mehr man Blaͤt - ter nach und nach hinzufuͤgt.
Einer ſolchen Wirkung der getruͤbten Kryſtalllinſe beym grauen Staar iſt ſchon oben gedacht. (131.)
Sind wir nun auf dieſem Wege ſchon bis zu der Wirkung eines kaum noch durchſcheinenden Truͤben ge - langt; ſo bleibt uns noch uͤbrig, einer wunderbaren Er - ſcheinung augenblicklicher Truͤbe zu gedenken.
Das Portrait eines angeſehenen Theologen war von einem Kuͤnſtler, welcher praktiſch beſonders gut mit der Farbe umzugehen wußte, vor mehrern Jahren,64 gemalt worden. Der hochwuͤrdige Mann ſtand in ei - nem glaͤnzenden Sammtrocke da, welcher faſt mehr als das Geſicht die Augen der Anſchauer auf ſich zog und Bewunderung erregte. Indeſſen hatte das Bild nach und nach durch Lichterdampf und Staub von ſeiner erſten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man uͤbergab es daher einem Maler, der es reinigen und mit einem neuen Firniß uͤberziehen ſollte. Dieſer faͤngt nun ſorg - faͤltig an zuerſt das Bild mit einem feuchten Schwamm abzuwaſchen; kaum aber hat er es einigemal uͤberfah - ren und den ſtaͤrkſten Schmutz weggewiſcht, als zu ſei - nem Erſtaunen der ſchwarze Sammtrock ſich ploͤtzlich in einen hellblauen Pluͤſchrock verwandelt, wodurch der geiſtliche Herr ein ſehr weltliches, obgleich altmodiſches Anſehn gewinnt. Der Maler getraut ſich nicht weiter zu waſchen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde des tiefſten Schwarzen liegen, noch weniger wie er eine Laſur ſo ſchnell koͤnne weggeſcheuert haben, welche ein ſolches Blau, wie er vor ſich ſah, in Schwarz zu verwandeln im Stande geweſen waͤre.
Genug er fuͤhlte ſich ſehr beſtuͤrzt, das Bild auf dieſen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geiſt - liches mehr daran zu ſehen, als nur die vielgelockte, runde Peruͤcke, wobey der Tauſch eines verſchoſſenen Pluͤſchrocks gegen einen trefflichen neuen Sammtrock durchaus unerwuͤnſcht blieb. Das Uebel ſchien indeſſen unheilbar, und unſer guter Kuͤnſtler lehnte mißmuthig das Bild gegen die Wand und legte ſich nicht ohne Sorgen zu Bette.
65Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als er das Gemaͤlde wieder vornahm und den ſchwarzen Sammtrock in voͤlligem Glanze wieder erblickte. Er konnte ſich nicht enthalten, den Rock an einem Ende abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder erſchien, und nach einiger Zeit verſchwand.
Als ich Nachricht von dieſem Phaͤnomen erhielt, begab ich mich ſogleich zu dem Wunderbilde. Es ward in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme uͤberfahren, und die Veraͤnderung zeigte ſich ſehr ſchnell. Ich ſah einen zwar etwas verſchoſſenen aber voͤllig hell - blauen Pluͤſchrock, auf welchem an dem Aermel einige braune Striche die Falten andeuteten.
Ich erklaͤrte mir dieſes Phaͤnomen aus der Lehre von den truͤben Mitteln. Der Kuͤnſtler mochte ſeine ſchon gemalte ſchwarze Farbe, um ſie recht tief zu machen, mit einem beſondern Firniß laſiren, welcher beym Waſchen einige Feuchtigkeit in ſich ſog und da - durch truͤbe ward, wodurch das unterliegende Schwarz ſogleich als Blau erſchien. Vielleicht kommen diejeni - gen, welche viel mit Firniſſen umgehen, durch Zufall oder Nachdenken, auf den Weg, dieſe ſonderbare Er - ſcheinung, den Freunden der Naturforſchung, als Ex - periment darzuſtellen. Mir hat es nach mancherley Proben nicht gelingen wollen.
Haben wir nun die herrlichſten Faͤlle atmoſphaͤri - ſcher Erſcheinungen, ſo wie andre geringere, aber doch immer genugſam bedeutende, aus der HaupterfahrungI. 566mit truͤben Mitteln hergeleitet; ſo zweifeln wir nicht, daß aufmerkſame Naturfreunde immer weiter gehen und ſich uͤben werden, die im Leben mannigfaltig vorkom - menden Erſcheinungen auf eben dieſem Wege abzuleiten und zu erklaͤren; ſo wie wir hoffen koͤnnen, daß die Naturforſcher ſich nach einem hinlaͤnglichen Apparat um - ſehen werden, um ſo bedeutende Erfahrungen den Wiß - begierigen vor Augen zu bringen.
Ja wir moͤchten jene im Allgemeinen ausgeſpro - chene Haupterſcheinung ein Grund - und Urphaͤnomen nennen, und es ſey uns erlaubt, hier, was wir dar - unter verſtehen, ſogleich beyzubringen.
Das was wir in der Erfahrung gewahr werden, ſind meiſtens nur Faͤlle, welche ſich mit einiger Auf - merkſamkeit unter allgemeine empiriſche Rubriken brin - gen laſſen. Dieſe ſubordiniren ſich abermals unter wiſ - ſenſchaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobey uns gewiſſe unerlaͤßliche Bedingungen des Er - ſcheinenden naͤher bekannt werden. Von nun an fuͤgt ſich alles nach und nach unter hoͤhere Regeln und Ge - ſetze, die ſich aber nicht durch Worte und Hypotheſen dem Verſtande, ſondern gleichfalls durch Phaͤnomene dem Anſchauen offenbaren. Wir nennen ſie Urphaͤno - mene, weil nichts in der Erſcheinung uͤber ihnen liegt, ſie aber dagegen voͤllig geeignet ſind, daß man ſtufen - weiſe, wie wir vorhin hinaufgeſtiegen, von ihnen her -67 ab bis zu dem gemeinſten Falle der taͤglichen Erfahrung niederſteigen kann. Ein ſolches Urphaͤnomen iſt dasje - nige, das wir bisher dargeſtellt haben. Wir ſehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finſterniß, das Dunkle, wir bringen die Truͤbe zwiſchen beyde, und aus dieſen Gegenſaͤtzen, mit Huͤlfe gedachter Vermittlung, entwickeln ſich, gleichfalls in einem Gegenſatz, die Farben, deuten aber alsbald, durch einen Wechſelbezug, unmittelbar auf ein Ge - meinſames wieder zuruͤck.
In dieſem Sinne halten wir den in der Naturfor - ſchung begangenen Fehler fuͤr ſehr groß, daß man ein abgeleitetes Phaͤnomen an die obere Stelle, das Ur - phaͤnomen an die niedere Stelle ſetzte, ja ſogar das abgeleitete Phaͤnomen wieder auf den Kopf ſtellte, und an ihm das Zuſammengeſetzte fuͤr ein Einfaches, das Einfache fuͤr ein Zuſammengeſetztes gelten ließ; durch welches Hinterſtzuvoͤrderſt die wunderlichſten Verwick - lungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen ſind, an welchen ſie noch leidet.
Waͤre denn aber auch ein ſolches Urphaͤnomen ge - funden, ſo bleibt immer noch das Uebel, daß man es nicht als ein ſolches anerkennen will, daß wir hinter ihm und uͤber ihm noch etwas weiteres aufſuchen, da wir doch hier die Graͤnze des Schauens eingeſtehen ſollten. Der Naturforſcher laſſe die Urphaͤnomene in5 *68ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit daſtehen, der Phi - loſoph nehme ſie in ſeine Region auf, und er wird finden, daß ihm nicht in einzelnen Faͤllen, allgemeinen Rubriken, Meynungen und Hypotheſen, ſondern im Grund - und Urphaͤnomen ein wuͤrdiger Stoff zu wei - terer Behandlung und Bearbeitung uͤberliefert werde.
Refraction.
Die dioptriſchen Farben der beyden Claſſen ſchlie - ßen ſich genau an einander an, wie ſich bey einiger Betrachtung ſogleich finden laͤßt. Die der erſten Claſſe erſchienen in dem Felde der truͤben Mittel, die der zweyten ſollen uns nun in durchſichtigen Mitteln er - ſcheinen. Da aber jedes empiriſch Durchſichtige an ſich ſchon als truͤb angeſehen werden kann, wie uns jede vermehrte Maſſe eines durchſichtig genannten Mittels zeigt; ſo iſt die nahe Verwandtſchaft beyder Arten ge - nugſam einleuchtend.
Doch wir abſtrahiren vorerſt, indem wir uns zu den durchſichtigen Mitteln wenden, von aller ihnen ei -69 nigermaßen beywohnenden Truͤbe, und richten unſre ganze Aufmerkſamkeit auf das hier eintretende Phaͤno - men, das unter dem Kunſtnamen der Refraction be - kannt iſt.
Wir haben ſchon bey Gelegenheit der phyſiologi - ſchen Farben dasjenige, was man ſonſt Augentaͤuſchun - gen zu nennen pflegte, als Thaͤtigkeiten des geſunden und richtig wirkenden Auges gerettet (2.) und wir kommen hier abermals in den Fall, zu Ehren unſerer Sinne und zu Beſtaͤtigung ihrer Zuverlaͤſſigkeit einiges auszufuͤhren.
In der ganzen ſinnlichen Welt kommt alles uͤber - haupt auf das Verhaͤltniß der Gegenſtaͤnde untereinan - der an, vorzuͤglich aber auf das Verhaͤltniß des be - deutendſten irdiſchen Gegenſtandes, des Menſchen, zu den uͤbrigen. Hierdurch trennt ſich die Welt in zwey Theile, und der Menſch ſtellt ſich als ein Subject dem Object entgegen. Hier iſt es, wo ſich der Praktiker in der Erfahrung, der Denker in der Speculation abmuͤ - det und einen Kampf zu beſtehen aufgefordert iſt, der durch keinen Frieden und durch keine Entſcheidung ge - ſchloſſen werden kann.
Immer bleibt es aber auch hier die Hauptſache, daß die Beziehungen wahrhaft eingeſehen werden. Da nun unſre Sinne, in ſo fern ſie geſund ſind, die aͤu -70 ßern Beziehungen am wahrhafteſten ausſprechen; ſo koͤn - nen wir uns uͤberzeugen, daß ſie uͤberall, wo ſie dem Wirklichen zu widerſprechen ſcheinen, das wahre Ver - haͤltniß deſto ſichrer bezeichnen. So erſcheint uns das Entfernte kleiner, und eben dadurch werden wir die Entfernung gewahr. An farbloſen Gegenſtaͤnden brach - ten wir durch farbloſe Mittel farbige Erſcheinungen hervor, und wurden zugleich auf die Grade des Truͤ - ben ſolcher Mittel aufmerkſam.
Eben ſo werden unſerm Auge die verſchiedenen Grade der Dichtigkeit durchſichtiger Mittel, ja ſogar noch andre phyſiſche und chemiſche Eigenſchaften derſel - ben, bey Gelegenheit der Refraction, bekannt, und fordern uns auf, andre Pruͤfungen anzuſtellen, um in die von einer Seite ſchon eroͤffneten Geheimniſſe auf phyſiſchem und chemiſchem Wege voͤllig einzudringen.
Gegenſtaͤnde durch mehr oder weniger dichte Mit - tel geſehen, erſcheinen uns nicht an der Stelle, an der ſie ſich, nach den Geſetzen der Perſpective, befin - den ſollten. Hierauf beruhen die dioptriſchen Erſchei - nungen der zweyten Claſſe.
Diejenigen Geſetze des Sehens, welche ſich durch mathematiſche Formeln ausdruͤcken laſſen, haben zum Grunde, daß, ſo wie das Licht ſich in gerader Linie bewegt, auch eine gerade Linie zwiſchen dem ſehenden71 Organ und dem geſehenen Gegenſtand muͤſſe zu ziehen ſeyn. Kommt alſo der Fall, daß das Licht zu uns in einer gebogenen oder gebrochenen Linie anlangt, daß wir die Gegenſtaͤnde in einer gebogenen oder gebroche - nen Linie ſehen; ſo werden wir alsbald erinnert, daß die dazwiſchen liegenden Mittel ſich verdichtet, daß ſie dieſe oder jene fremde Natur angenommen haben.
Dieſe Abweichung vom Geſetz des geradlinigen Se - hens wird im Allgemeinen die Refraction genannt, und ob wir gleich vorausſetzen koͤnnen, daß unſre Leſer da - mit bekannt ſind; ſo wollen wir ſie doch kuͤrzlich von ihrer objectiven und ſubjectiven Seite hier nochmals darſtellen.
Man laſſe in ein leeres kubiſches Gefaͤß das Son - nenlicht ſchraͤg in der Diagonale hineinſcheinen, derge - ſtalt daß nur die dem Licht entgegengeſetzte Wand, nicht aber der Boden erleuchtet ſey; man gieße ſodann Waſ - ſer in dieſes Gefaͤß und der Bezug des Lichtes zu dem - ſelben wird ſogleich veraͤndert ſeyn. Das Licht zieht ſich gegen die Seite, wo es herkommt, zuruͤck, und ein Theil des Bodens wird gleichfalls erleuchtet. An dem Puncte, wo nunmehr das Licht in das dichtere Mittel tritt, weicht es von ſeiner geradlinigen Richtung ab und ſcheint gebrochen, deswegen man auch dieſes Phaͤ - nomen die Brechung genannt hat. So viel von dem objectiven Verſuche.
Zu der ſubjectiven Erfahrung gelangen wir aber folgendermaßen. Man ſetze das Auge an die Stelle der Sonne; das Auge ſchaue gleichfalls in der Dia - gonale uͤber die eine Wand, ſo daß es die ihm entge - genſtehende jenſeitige innre Wand-Flaͤche vollkommen, nichts aber vom Boden ſehen koͤnne. Man gieße Waſ - ſer in das Gefaͤß und das Auge wird nun einen Theil des Bodens gleichfalls erblicken, und zwar geſchieht es auf eine Weiſe, daß wir glauben, wir ſehen noch im - mer in gerader Linie: denn der Boden ſcheint uns her - aufgehoben, daher wir das ſubjective Phaͤnomen mit dem Namen der Hebung bezeichnen. Einiges, was noch beſonders merkwuͤrdig hiebey iſt, wird kuͤnftig vorgetragen werden.
Sprechen wir dieſes Phaͤnomen nunmehr im All - gemeinen aus, ſo koͤnnen wir, was wir oben ange - deutet, hier wiederholen: daß nehmlich der Bezug der Gegenſtaͤnde veraͤndert, verruͤckt werde.
Da wir aber bey unſerer gegenwaͤrtigen Darſtel - lung die objectiven Erſcheinungen von den ſubjectiven zu trennen gemeint ſind; ſo ſprechen wir das Phaͤno - men vorerſt ſubjectiv aus, und ſagen: es zeige ſich eine Verruͤckung des Geſehenen, oder des zu Sehenden.
Es kann nun aber das unbegraͤnzt Geſehene ver - ruͤckt werden, ohne daß uns die Wirkung bemerklich73 wird. Verruͤckt ſich hingegen das begraͤnzt Geſehene, ſo haben wir Merkzeichen, daß eine Verruͤckung ge - ſchieht. Wollen wir uns alſo von einer ſolchen Ver - aͤnderung des Bezuges unterrichten; ſo werden wir uns vorzuͤglich an die Verruͤckung des begraͤnzt Geſehenen, an die Verruͤckung des Bildes zu halten haben.
Dieſe Wirkung uͤberhaupt kann aber geſchehen durch parallele Mittel: denn jedes parallele Mittel verruͤckt den Gegenſtand und bringt ihn ſogar im Perpendikel dem Auge entgegen. Merklicher aber wird dieſes Ver - ruͤcken durch nicht parallele Mittel.
Dieſe koͤnnen eine voͤllig ſphaͤriſche Geſtalt haben, auch als convexe, oder als concave Linſen angewandt werden. Wir bedienen uns derſelben gleichfalls bey unſern Erfahrungen. Weil ſie aber nicht allein das Bild von der Stelle verruͤcken, ſondern daſſelbe auch auf mancherley Weiſe veraͤndern; ſo gebrauchen wir lieber ſolche Mittel, deren Flaͤchen zwar nicht paral - lel gegen einander, aber doch ſaͤmmtlich eben ſind, nehmlich Prismen, die einen Triangel zur Baſe haben, die man zwar auch als Theile einer Linſe betrachten kann, die aber zu unſern Erfahrungen deßhalb beſon - ders tauglich ſind, weil ſie das Bild ſehr ſtark von der Stelle verruͤcken, ohne jedoch an ſeiner Geſtalt eine bedeutende Veraͤnderung hervorzubringen.
Nunmehr, um unſre Erfahrungen mit moͤglichſter Genauigkeit anzuſtellen und alle Verwechslung abzuleh - nen, halten wir uns zuerſt an Subjective Verſuche, bey welchen nehmlich der Gegenſtand durch ein brechen - des Mittel von dem Beobachter geſehen wird. Sobald wir dieſe der Reihe nach abgehandelt, ſollen die ob - jectiven Verſuche in gleicher Ordnung folgen.
Die Refraction kann ihre Wirkung aͤußern, ohne daß man eine Farbenerſcheinung gewahr werde. So ſehr auch durch Refraction das unbegraͤnzt Geſehene, eine farbloſe oder einfach gefaͤrbte Flaͤche verruͤckt werde, ſo entſteht innerhalb derſelben doch keine Farbe. Man kann ſich hievon auf mancherley Weiſe uͤberzeugen.
Man ſetze einen glaͤſernen Kubus auf irgend eine Flaͤche und ſchaue im Perpendikel oder im Winkel dar - auf; ſo wird die reine Flaͤche dem Auge voͤllig entge -75 gen gehoben, aber es zeigt ſich keine Farbe. Wenn man durchs Prisma einen rein grauen oder blauen Him - mel, eine rein weiße oder farbige Wand betrachtet; ſo wird der Theil der Flaͤche, den wir eben ins Auge ge - faßt haben, voͤllig von ſeiner Stelle geruͤckt ſeyn, ohne daß wir deßhalb die mindeſte Farbenerſcheinung darauf bemerken.
Haben wir bey den vorigen Verſuchen und Beob - achtungen alle reinen Flaͤchen, groß oder klein, farb - los gefunden; ſo bemerken wir an den Raͤndern, da wo ſich eine ſolche Flaͤche gegen einen hellern oder dunk - lern Gegenſtand abſchneidet, eine farbige Erſcheinung.
Durch Verbindung von Rand und Flaͤche entſtehen Bilder. Wir ſprechen daher die Haupterfahrung derge - ſtalt aus: es muͤſſen Bilder verruͤckt werden, wenn eine Farbenerſcheinung ſich zeigen ſoll.
Wir nehmen das einfachſte Bild vor uns, ein helles Rund auf dunklem Grunde A. An dieſem fin - det eine Verruͤckung ſtatt, wenn wir ſeine Raͤnder von76 dem Mittelpuncte aus ſcheinbar nach außen dehnen, in - dem wir es vergroͤßern. Dieſes geſchieht durch jedes convexe Glas, und wir erblicken in dieſem Falle einen blauen Rand B.
Den Umkreis eben deſſelben Bildes koͤnnen wir nach dem Mittelpuncte zu ſcheinbar hineinbewegen, in - dem wir das Rund zuſammenziehen; da alsdann die Raͤnder gelb erſcheinen C. Dieſes geſchieht durch ein concaves Glas, das aber nicht, wie die gewoͤhnlichen Lorgnetten, duͤnn geſchliffen ſeyn darf, ſondern einige Maſſe haben muß. Damit man aber dieſen Verſuch auf einmal mit dem convexen Glas machen koͤnne, ſo bringe man in das helle Rund auf ſchwarzem Grunde eine kleinere ſchwarze Scheibe. Denn vergroͤßert man durch ein convexes Glas die ſchwarze Scheibe auf wei - ßem Grund, ſo geſchieht dieſelbe Operation, als wenn man ein weißes Rund verkleinerte: denn wir fuͤhren den ſchwarzen Rand nach dem weißen zu; und wir erblicken alſo den gelblichen Farbenrand zugleich mit dem blauen D.
Dieſe beyden Erſcheinungen, die blaue und gelbe, zeigen ſich an und uͤber dem Weißen. Sie nehmen, in ſo fern ſie uͤber das Schwarze reichen, einen roͤthli - chen Schein an.
Und hiermit ſind die Grundphaͤnomene aller Far - benerſcheinung bey Gelegenheit der Refraction ausge -77 ſprochen, welche denn freylich auf mancherley Weiſe wiederholt, variirt, erhoͤht, verringert, verbunden, verwickelt, verwirrt, zuletzt aber immer wieder auf ihre urſpruͤngliche Einfalt zuruͤckgefuͤhrt werden koͤnnen.
Unterſuchen wir nun die Operation, welche wir vorgenommen, ſo finden wir, daß wir in dem einen Falle den hellen Rand gegen die dunkle, in dem an - dern den dunkeln Rand gegen die helle Flaͤche ſcheinbar gefuͤhrt, eins durch das andre verdraͤngt, eins uͤber das andre weggeſchoben haben. Wir wollen nunmehr ſaͤmmtliche Erfahrungen ſchrittweiſe zu entwickeln ſuchen.
Ruͤckt man die helle Scheibe, wie es beſonders durch Prismen geſchehen kann, im Ganzen von ihrer Stelle; ſo wird ſie in der Richtung gefaͤrbt, in der ſie ſcheinbar bewegt wird, und zwar nach jenen Ge - ſetzen. Man betrachte durch ein Prisma die in a be - findliche Scheibe dergeſtalt, daß ſie nach b verruͤckt erſcheine; ſo wird der obere Rand, nach dem Geſetz der Figur c, blau und blauroth erſcheinen, der untere, nach dem Geſetz der Scheibe b, gelb und gelbroth. Denn im erſten Fall wird das helle Bild in den dunk - len Rand hinuͤber, und in dem andern der dunkle Rand uͤber das helle Bild gleichſam hineingefuͤhrt. Ein gleiches gilt, wenn man die Scheibe von a nach c, von a nach d, und ſo im ganzen Kreiſe ſcheinbar her - umfuͤhrt.
Wie ſich nun die einfache Wirkung verhaͤlt, ſo ver - haͤlt ſich auch die zuſammengeſetzte. Man ſehe durch das horizontale Prisma a b nach einer hinter demſelben in einiger Entfernung befindlichen weißen Scheibe in e; ſo wird die Scheibe nach f erhoben und nach dem obigen Geſetz gefaͤrbt ſeyn. Man hebe dieß Prisma weg und ſchaue durch ein verticales c d nach eben dem Bilde; ſo wird es in h erſcheinen, und nach eben demſelben Geſetze gefaͤrbt. Man bringe nun beyde Pris - men uͤber einander, ſo erſcheint die Scheibe, nach ei - nem allgemeinen Naturgeſetz, in der Diagonale ver - ruͤckt und gefaͤrbt, wie es die Richtung e g mit ſich bringt.
Geben wir auf dieſe entgegengeſetzten Farbenraͤn - der der Scheibe wohl Acht; ſo finden wir, daß ſie nur in der Richtung ihrer ſcheinbaren Bewegung ent - ſtehen. Ein rundes Bild laͤßt uns uͤber dieſes Verhaͤlt - niß einigermaßen ungewiß; ein vierecktes hingegen be - lehrt uns klaͤrlich daruͤber.
Das viereckte Bild a, in der Richtung a b oder a d verruͤckt, zeigt uns an den Seiten, die mit der Richtung parallel gehen, keine Farben; in der Rich - tung a c hingegen, da ſich das Quadrat in ſeiner eig - nen Diagonale bewegt, erſcheinen alle Graͤnzen des Bildes gefaͤrbt.
Hier beſtaͤtigt ſich alſo jener Ausſpruch (203. f.), ein Bild muͤſſe dergeſtalt verruͤckt werden, daß ſeine helle Graͤnze uͤber die dunkle, die dunkle Graͤnze aber uͤber die helle, das Bild uͤber ſeine Begraͤnzung, die Begraͤnzung uͤber das Bild ſcheinbar hingefuͤhrt werde. Bewegen ſich aber die geradlinigen Graͤnzen eines Bildes durch Refraction immerfort, daß ſie nur neben einan - der, nicht aber uͤber einander ihren Weg zuruͤcklegen; ſo entſtehen keine Farben, und wenn ſie auch bis ins Unendliche fortgefuͤhrt wuͤrden.
Wir haben in dem Vorigen geſehen, daß alle Farbenerſcheinung bey Gelegenheit der Refraction dar - auf beruht, daß der Rand eines Bildes gegen das Bild ſelbſt oder uͤber den Grund geruͤckt, daß das Bild gleichſam uͤber ſich ſelbſt oder uͤber den Grund hingefuͤhrt werde. Und nun zeigt ſich auch, bey ver - mehrter Verruͤckung des Bildes, die Farbenerſcheinung in einem breitern Maße, und zwar bey ſubjectiven80 Verſuchen, bey denen wir immer noch verweilen, unter folgenden Bedingungen.
Erſtlich, wenn das Auge gegen parallele Mittel eine ſchiefere Richtung annimmt.
Zweytens, wenn das Mittel aufhoͤrt, parallel zu ſeyn, und einen mehr oder weniger ſpitzen Winkel bildet.
Drittens, durch das verſtaͤrkte Maß des Mittels; es ſey nun, daß parallele Mittel am Volumen zuneh - men, oder die Grade des ſpitzen Winkels verſtaͤrkt werden, doch ſo, daß ſie keinen rechten Winkel errei - chen.
Viertens, durch Entfernung des mit brechenden Mit - teln bewaffneten Auges von dem zu verruͤckenden Bilde.
Fuͤnftens, durch eine chemiſche Eigenſchaft, welche dem Glaſe mitgetheilt, auch in demſelben erhoͤht wer - den kann.
Die groͤßte Verruͤckung des Bildes, ohne daß deſ - ſelben Geſtalt bedeutend veraͤndert werde, bringen wir durch Prismen hervor, und dieß iſt die Urſache, warum durch ſo geſtaltete Glaͤſer die Farbenerſcheinung hoͤchſt maͤchtig werden kann. Wir wollen uns jedoch bey dem Gebrauch derſelben von jenen glaͤnzenden Erſcheinungen nicht blenden laſſen, vielmehr die oben feſtgeſetzten ein - fachen Anfaͤnge ruhig im Sinne behalten.
Diejenige Farbe, welche bey Verruͤckung eines Bildes vorausgeht, iſt immer die breitere, und wir nennen ſie einen Saum; diejenige Farbe, welche an der Graͤnze zuruͤckbleibt, iſt die ſchmaͤlere, und wir nen - nen ſie einen Rand.
Bewegen wir eine dunkle Graͤnze gegen das Helle, ſo geht der gelbe breitere Saum voran, und der ſchmaͤ - lere gelbrothe Rand folgt mit der Graͤnze. Ruͤcken wir eine helle Graͤnze gegen das Dunkle, ſo geht der brei - tere violette Saum voraus und der ſchmaͤlere blaue Rand folgt.
Iſt das Bild groß, ſo bleibt deſſen Mitte unge - faͤrbt. Sie iſt als eine unbegraͤnzte Flaͤche anzuſehen, die verruͤckt, aber nicht veraͤndert wird. Iſt es aber ſo ſchmal, daß unter obgedachten vier Bedingungen der gelbe Saum den blauen Rand erreichen kann; ſo wird die Mitte voͤllig durch Farben zugedeckt. Man mache dieſen Verſuch mit einem weißen Streifen auf ſchwarzem Grunde; uͤber einem ſolchen werden ſich die beyden Extreme bald vereinigen und das Gruͤn erzeu - gen. Man erblickt alsdann folgende Reihe von Farben:
Bringt man auf weiß Papier einen ſchwarzen Streifen; ſo wird ſich der violette Saum daruͤber hin - breiten, und den gelbrothen Rand erreichen. Hier wird das dazwiſchen liegende Schwarz, ſo wie vorher das dazwiſchen liegende Weiß aufgehoben, und an ſei - ner Stelle ein praͤchtig reines Roth erſcheinen, das wir oft mit dem Namen Purpur bezeichnet haben. Nunmehr iſt die Farbenfolge nachſtehende:
Nach und nach koͤnnen in dem erſten Falle (214.) Gelb und Blau dergeſtalt uͤber einander greifen, daß dieſe beyden Farben ſich voͤllig zu Gruͤn verbinden, und das farbige Bild folgendermaßen erſcheint:
Im zweyten Falle (215) ſieht man unter aͤhnlichen Umſtaͤnden nur:
Welche Erſcheinung am ſchoͤnſten ſich an Fenſter - ſtaͤben zeigt, die einen grauen Himmel zum Hinter - grunde haben.
Bey allem dieſem laſſen wir niemals aus dem Sinne, daß dieſe Erſcheinung nie als eine fertige, voll - endete, ſondern immer als eine werdende, zunehmende, und in manchem Sinn beſtimmbare Erſcheinung anzu - ſehen ſey. Deßwegen ſie auch bey Negation obiger fuͤnf Bedingungen (210.) wieder nach und nach ab - nimmt, und zuletzt voͤllig verſchwindet.
Ehe wir nun weiter gehen, haben wir die erſtge - dachten ziemlich einfachen Phaͤnomene aus dem Vorher - gehenden abzuleiten, oder wenn man will, zu erklaͤ - ren, damit eine deutliche Einſicht in die folgenden mehr zuſammengeſetzten Erſcheinungen dem Liebhaber der Natur werden koͤnne.
Vor allen Dingen erinnern wir uns, daß wir im Reiche der Bilder wandeln. Beym Sehen uͤberhaupt iſt das begraͤnzt Geſehene immer das, worauf wir vor - zuͤglich merken; und in dem gegenwaͤrtigen Falle, da wir von Farbenerſcheinung bey Gelegenheit der Refrac -6 *84tion ſprechen, kommt nur das begraͤnzt Geſehene, kommt nur das Bild in Betrachtung.
Wir koͤnnen aber die Bilder uͤberhaupt zu unſern chromatiſchen Darſtellungen in primaͤre und ſecun - daͤre Bilder eintheilen. Die Ausdruͤcke ſelbſt bezeich - nen, was wir darunter verſtehen, und nachfolgendes wird unſern Sinn noch deutlicher machen.
Man kann die primaͤren Bilder anſehen, erſtlich als urſpruͤngliche, als Bilder, die von dem anwe - ſenden Gegenſtande in unſerm Auge erregt werden, und die uns von ſeinem wirklichen Daſeyn verſichern. Dieſen kann man die ſecundaͤren Bilder entgegenſetzen, als abgeleitete Bilder, die, wenn der Gegenſtand weggenommen iſt, im Auge zuruͤckbleiben, jene Schein - und Gegenbilder, welche wir in der Lehre von phyſio - logiſchen Farben umſtaͤndlich abgehandelt haben.
Man kann die primaͤren Bilder zweytens auch als directe Bilder anſehen, welche wie jene urſpruͤngli - chen unmittelbar von dem Gegenſtande zu unſerm Auge gelangen. Dieſen kann man die ſecundaͤren, als in - directe Bilder entgegenſetzen, welche erſt von einer ſpiegelnden Flaͤche aus der zweyten Hand uns uͤberlie - fert werden. Es ſind dieſes die katoptriſchen Bilder, welche auch in gewiſſen Faͤllen zu Doppelbildern wer - den koͤnnen.
Wenn nehmlich der ſpiegelnde Koͤrper durchſichtig iſt und zwey hinter einander liegende parallele Flaͤchen hat; ſo kann von jeder Flaͤche ein Bild ins Auge kom - men, und ſo entſtehen Doppelbilder, in ſo fern das obere Bild das untere nicht ganz deckt, welches auf mehr als eine Weiſe der Fall iſt.
Man halte eine Spielkarte nahe vor einen Spie - gel. Man wird alsdann zuerſt das ſtarke lebhafte Bild der Karte erſcheinen ſehen; allein den Rand des gan - zen ſowohl als jedes einzelnen darauf befindlichen Bil - des mit einem Saume verbraͤmt, welcher der Anfang des zweyten Bildes iſt. Dieſe Wirkung iſt bey ver - ſchiedenen Spiegeln, nach Verſchiedenheit der Staͤrke des Glaſes und nach vorgekommenen Zufaͤlligkeiten beym Schleifen, gleichfalls verſchieden. Tritt man mit einer weißen Weſte auf ſchwarzen Unterkleidern vor manchen Spiegel, ſo erſcheint der Saum ſehr ſtark, wobey man auch ſehr deutlich die Doppelbilder der Metallknoͤpfe auf dunklem Tuche erkennen kann.
Wer ſich mit andern, von uns fruͤher angedeute - ten Verſuchen (80.) ſchon bekannt gemacht hat, der wird ſich auch hier eher zurecht finden. Die Fenſter - ſtaͤbe von Glastafeln zuruͤckgeworfen zeigen ſich doppelt und laſſen ſich, bey mehrerer Staͤrke der Tafel und ver - groͤßertem Zuruͤckwerfungswinkel gegen das Auge, voͤllig trennen. So zeigt auch ein Gefaͤß voll Waſſer mit fla - chem ſpiegelndem Boden die ihm vorgehaltnen Gegen -86 ſtaͤnde doppelt, und nach Verhaͤltniß mehr oder weni - ger von einander getrennt; wobey zu bemerken iſt, daß da, wo beyde Bilder einander decken, eigentlich das vollkommen lebhafte Bild entſteht, wo es aber aus einander tritt und doppelt wird, ſich nun mehr ſchwa - che, durchſcheinende und geſpenſterhafte Bilder zeigen.
Will man wiſſen, welches das untere, und wel - ches das obere Bild ſey; ſo nehme man gefaͤrbte Mit - tel, da denn ein helles Bild, das von der untern Flaͤ - che zuruͤckgeworfen wird, die Farbe des Mittels, das aber von der obern zuruͤckgeworfen wird, die geforderte Farbe hat. Umgekehrt iſt es mit dunklen Bildern; weswegen man auch hier ſchwarze und weiße Tafeln ſehr wohl brauchen kann. Wie leicht die Doppelbilder ſich Farbe mittheilen laſſen, Farbe hervorrufen, wird auch hier wieder auffallend ſeyn.
Drittens kann man die primaͤren Bilder auch als Hauptbilder anſehen und ihnen die ſecundaͤren als Nebenbilder gleichſam anfuͤgen. Ein ſolches Ne - benbild iſt eine Art von Doppelbild, nur daß es ſich von dem Hauptbilde nicht trennen laͤßt, ob es ſich gleich immer von demſelben zu entfernen ſtrebt. Von ſolchen iſt nun bey den prismatiſchen Erſcheinungen die Rede.
Das unbegraͤnzt durch Refraction Geſehene zeigt keine Farbenerſcheinung (195.) Das Geſehene muß be -87 graͤnzt ſeyn. Es wird daher ein Bild gefordert; die - ſes Bild wird durch Refraction verruͤckt, aber nicht vollkommen, nicht rein, nicht ſcharf verruͤckt, ſondern unvollkommen, dergeſtalt, daß ein Nebenbild entſtehet.
Bey einer jeden Erſcheinung der Natur, beſonders aber bey einer bedeutenden, auffallenden, muß man nicht ſtehen bleiben, man muß ſich nicht an ſie heften, nicht an ihr kleben, ſie nicht iſolirt betrachten; ſondern in der ganzen Natur umherſehen, wo ſich etwas Aehn - liches, etwas Verwandtes zeigt: denn nur durch Zuſam - menſtellen des Verwandten entſteht nach und nach eine Totalitaͤt, die ſich ſelbſt ausſpricht und keiner weitern Erklaͤrung bedarf.
Wir erinnern uns alſo hier, daß bey gewiſſen Faͤllen Refraction unlaͤugbare Doppelbilder hervorbringt, wie es bey dem ſogenannten Islaͤndiſchen Kryſtalle der Fall iſt. Dergleichen Doppelbilder entſtehen aber auch bey Refraction durch große Bergkryſtalle und ſonſt; Phaͤnomene, die noch nicht genugſam beobachtet ſind.
Da nun aber in gedachtem Falle (227.) nicht von Doppel -, ſondern von Nebenbildern die Rede iſt; ſo gedenken wir einer von uns ſchon dargelegten, aber noch nicht vollkommen ausgefuͤhrten Erſcheinung. Man erinnere ſich jener fruͤhern Erfahrung, daß ein helles Bild mit einem dunklen Grunde, ein dunkles mit ei -88 nem hellen Grunde ſchon in Abſicht auf unſre Retina in einer Art von Conflict ſtehe. (16.) Das Helle er - ſcheint in dieſem Falle groͤßer, das Dunkle kleiner.
Bey genauer Beobachtung dieſes Phaͤnomens laͤßt ſich bemerken, daß die Bilder nicht ſcharf vom Grunde abgeſchnitten, ſondern mit einer Art von grauem, eini - germaßen gefaͤrbtem Rande, mit einem Nebenbild er - ſcheinen. Bringen nun Bilder ſchon in dem nackten Auge ſolche Wirkungen hervor, was wird erſt geſche - hen, wenn ein dichtes Mittel dazwiſchen tritt. Nicht das allein, was uns im hoͤchſten Sinne lebendig er - ſcheint, uͤbt Wirkungen aus und erleidet ſie; ſondern auch alles, was nur irgend einen Bezug auf einander hat, iſt wirkſam auf einander und zwar oft in ſehr hohem Maße.
Es entſtehet alſo, wenn die Refraction auf ein Bild wirkt, an dem Hauptbilde ein Nebenbild, und zwar ſcheint es, daß das wahre Bild einigermaßen zu - ruͤckbleibe und ſich dem Verruͤcken gleichſam widerſetze. Ein Nebenbild aber in der Richtung, wie das Bild durch Refraction uͤber ſich ſelbſt und uͤber den Grund hin bewegt wird, eilt vor und zwar ſchmaͤler oder brei - ter, wie oben ſchon ausgefuͤhrt worden. (212 — 216.)
Auch haben wir bemerkt (224.), daß Doppelbilder als halbirte Bilder, als eine Art von durchſichtigem89 Geſpenſt erſcheinen, ſo wie ſich die Doppelſchatten je - desmal als Halbſchatten zeigen muͤſſen. Dieſe nehmen die Farbe leicht an und bringen ſie ſchnell hervor. (69.) Jene gleichfalls. (80.) Und eben der Fall tritt auch bey den Nebenbildern ein, welche zwar von dem Haupt - bilde nicht ab, aber auch als halbirte Bilder aus dem - ſelben hervortreten, und daher ſo ſchnell, ſo leicht und ſo energiſch gefaͤrbt erſcheinen koͤnnen.
Daß nun die prismatiſche Farbenerſcheinung ein Nebenbild ſey, davon kann man ſich auf mehr als eine Weiſe uͤberzeugen. Es entſteht genau nach der Form des Hauptbildes. Dieſes ſey nun gerade oder im Bo - gen begraͤnzt, gezackt oder wellenfoͤrmig, durchaus haͤlt ſich das Nebenbild genau an den Umriß des Haupt - bildes.
Aber nicht allein die Form des wahren Bildes, ſondern auch andre Beſtimmungen deſſelben theilen ſich dem Nebenbilde mit. Schneidet ſich das Hauptbild ſcharf vom Grunde ab, wie Weiß auf Schwarz, ſo er - ſcheint das farbige Nebenbild gleichfalls in ſeiner hoͤch - ſten Energie. Es iſt lebhaft, deutlich und gewaltig. Am allermaͤchtigſten aber iſt es, wenn ein leuchtendes Bild ſich auf einem dunkeln Grunde zeigt, wozu man verſchiedene Vorrichtungen machen kann.
Stuft ſich aber das Hauptbild ſchwach von dem Grunde ab, wie ſich graue Bilder gegen Schwarz und90 Weiß, oder gar gegen einander verhalten; ſo iſt auch das Nebenbild ſchwach, und kann bei einer geringen Differenz von Tinten beynahe unmerklich werden.
So iſt es ferner hoͤchſt merkwuͤrdig, was an far - bigen Bildern auf hellem, dunklem oder farbigem Grun - de beobachtet wird. Hier entſteht ein Zuſammentritt der Farbe des Nebenbildes mit der realen Farbe des Hauptbildes, und es erſcheint daher eine zuſammenge - ſetzte, entweder durch Uebereinſtimmung beguͤnſtigte oder durch Widerwaͤrtigkeit verkuͤmmerte Farbe.
Ueberhaupt aber iſt das Kennzeichen des Doppel - und Nebenbildes die Halbdurchſichtigkeit. Man denke ſich daher innerhalb eines durchſichtigen Mittels, deſſen innre Anlage nur halbdurchſichtig, nur durchſcheinend zu werden ſchon oben ausgefuͤhrt iſt (147); man denke ſich innerhalb deſſelben ein halbdurchſichtiges Schein - bild, ſo wird man dieſes ſogleich fuͤr ein truͤbes Bild anſprechen.
Und ſo laſſen ſich die Farben bey Gelegenheit der Refraction aus der Lehre von den truͤben Mitteln gar bequem ableiten. Denn wo der voreilende Saum des truͤben Nebenbildes ſich vom Dunklen uͤber das Helle zieht, erſcheint das Gelbe; umgekehrt wo eine helle Graͤnze uͤber die dunkle Umgebung hinaustritt, erſcheint das Blaue. (150. 151.)
Die voreilende Farbe iſt immer die breitere. So greift die gelbe uͤber das Licht mit einem breiten Sau - me; da wo ſie aber an das Dunkle graͤnzt, entſteht, nach der Lehre der Steigerung und Beſchattung, das Gelbrothe als ein ſchmaͤlerer Rand.
An der entgegengeſetzten Seite haͤlt ſich das ge - draͤngte Blau an der Graͤnze, der vorſtrebende Saum aber, als[ein] leichtes Truͤbes uͤber das Schwarze ver - breitet, laͤßt uns die violette Farbe ſehen, nach eben denſelben Bedingungen, welche oben bey der Lehre von den truͤben Mitteln angegeben worden, und welche ſich kuͤnftig in mehreren andern Faͤllen gleichmaͤßig wirkſam zeigen werden.
Da eine Ableitung wie die gegenwaͤrtige ſich ei - gentlich vor dem Anſchauen des Forſchers legitimiren muß; ſo verlangen wir von jedem, daß er ſich nicht auf eine fluͤchtige, ſondern gruͤndliche Weiſe mit dem bisher Vorgefuͤhrten bekannt mache. Hier werden nicht willkuͤhrliche Zeichen, Buchſtaben und was man ſonſt belieben moͤchte, ſtatt der Erſcheinungen hingeſtellt; hier werden nicht Redensarten uͤberliefert, die man hundert - mal wiederholen kann, ohne etwas dabey zu denken, noch Jemanden etwas dadurch denken zu machen; ſon - dern es iſt von Erſcheinungen die Rede, die man vor den Augen des Leibes und des Geiſtes gegenwaͤrtig ha -92 ben muß, um ihre Abkunft, ihre Herleitung ſich und andern mit Klarheit entwickeln zu koͤnnen.
Da man jene vorſchreitenden fuͤnf Bedingungen, (210.) unter welchen die Farbenerſcheinung zunimmt, nur ruͤckgaͤngig annehmen darf, um die Abnahme des Phaͤnomens leicht einzuſehen und zu bewirken; ſo waͤre nur noch dasjenige, was dabey das Auge gewahr wird, kuͤrzlich zu beſchreiben und durchzufuͤhren.
Auf dem hoͤchſten Puncte wechſelſeitiger Deckung der entgegengeſetzten Raͤnder erſcheinen die Farben fol - gendermaßen (216):
Bey minderer Deckung zeigt ſich das Phaͤnomen folgendermaßen (214. 215 ):
93| Gelbroth | Blau |
| Gelb | Blauroth |
| Gruͤn | Purpur |
| Blau | Gelbroth |
| Blauroth | Gelb. |
Hier erſcheinen alſo die Bilder noch voͤllig gefaͤrbt, aber dieſe Reihen ſind nicht als urſpruͤngliche, ſtetig ſich auseinander entwickelnde ſtufen - und ſcalenartige Reihen anzuſehen; ſie koͤnnen und muͤſſen vielmehr in ihre Elemente zerlegt werden, wobey man denn ihre Natur und Eigenſchaft beſſer kennen lernt.
Dieſe Elemente aber ſind (199. 200. 201 ):
| Gelbroth | Blau |
| Gelb | Blauroth |
| Weißes | Schwarzes |
| Blau | Gelbroth |
| Blauroth | Gelb. |
Hier tritt nun das Hauptbild, das bisher ganz zugedeckt und gleichſam verloren geweſen, in der Mitte der Erſcheinung wieder hervor, behauptet ſein Recht und laͤßt uns die ſecundaͤre Natur der Nebenbilder, die ſich als Raͤnder und Saͤume zeigen, voͤllig erkennen.
Es haͤngt von uns ab, dieſe Raͤnder und Saͤume ſo ſchmal werden zu laſſen, als es uns beliebt, ja noch Refraction uͤbrig zu behalten, ohne daß uns deßwegen eine Farbe an der Graͤnze erſchiene.
94Dieſes nunmehr genugſam entwickelte farbige Phaͤ - nomen laſſen wir denn nicht als ein urſpruͤngliches gel - ten; ſondern wir haben es auf ein fruͤheres und ein - facheres zuruͤckgefuͤhrt, und ſolches aus dem Urphaͤno - men des Lichtes und der Finſterniß durch die Truͤbe vermittelt, in Verbindung mit der Lehre von den ſecun - daͤren Bildern abgeleitet, und ſo geruͤſtet werden wir die Erſcheinungen, welche graue und farbige Bilder durch Brechung verruͤckt hervorbringen, zuletzt umſtaͤnd - lich vortragen und damit den Abſchnitt ſubjectiver Er - ſcheinungen voͤllig abſchließen.
Wir haben bisher nur ſchwarze und weiße Bilder auf entgegengeſetztem Grunde durchs Prisma betrachtet, weil ſich an denſelben die farbigen Raͤnder und Saͤu - me am deutlichſten ausnehmen. Gegenwaͤrtig wieder - holen wir jene Verſuche mit grauen Bildern und fin - den abermals die bekannten Wirkungen.
Nannten wir das Schwarze den Repraͤſentanten der Finſterniß, das Weiße den Stellvertreter des Lichts95 (18); ſo koͤnnen wir ſagen, daß das Graue den Halb - ſchatten repraͤſentire, welcher mehr oder weniger an Licht und Finſterniß Theil nimmt und alſo zwiſchen beyden inne ſteht (36). Zu unſerm gegenwaͤrtigen Zwecke ru - fen wir folgende Phaͤnomene ins Gedaͤchtniß.
Graue Bilder erſcheinen heller auf ſchwarzem als auf weißem Grunde (33), und erſcheinen in ſolchen Faͤl - len, als ein Helles auf dem Schwarzen, groͤßer; als ein Dunkles auf dem Weißen, kleiner (16.)
Je dunkler das Grau iſt, deſto mehr erſcheint es als ein ſchwaches Bild auf Schwarz, als ein ſtarkes Bild auf Weiß, und umgekehrt; daher giebt Dunkel - grau auf Schwarz nur ſchwache, daſſelbe auf Weiß ſtar - ke, Hellgrau auf Weiß ſchwache, auf Schwarz ſtarke Nebenbilder.
Grau auf Schwarz wird uns durchs Prisma jene Phaͤnomene zeigen, die wir bisher mit Weiß auf Schwarz hervorgebracht haben; die Raͤnder werden nach eben der Regel gefaͤrbt, die Saͤume zeigen ſich nur ſchwaͤ - cher. Bringen wir Grau auf Weiß, ſo erblicken wir eben die Raͤnder und Saͤume, welche hervorgebracht wurden, wenn wir Schwarz auf Weiß durchs Prisma betrachteten.
Verſchiedene Schattirungen von Grau, ſtufenweiſe an einander geſetzt, werden, je nachdem man das Dunk -96 lere oben oder untenhin bringt, entweder nur Blau und Violett, oder nur Roth und Gelb an den Raͤndern zeigen.
Eine Reihe grauer Schattirungen, horizontal an einander geſtellt, wird, wie ſie oben oder unten an ei - ne ſchwarze oder weiße Flaͤche ſtoͤßt, nach den bekann - ten Regeln gefaͤrbt.
Auf der zu dieſem Abſchnitt beſtimmten, von jedem Naturfreund fuͤr ſeinen Apparat zu vergroͤßernden Ta - fel kann man dieſe Phaͤnomene durchs Prisma mit ei - nem Blicke gewahr werden.
Hoͤchſt wichtig aber iſt die Beobachtung und Be - trachtung eines grauen Bildes, welches zwiſchen einer ſchwarzen und einer weißen Flaͤche dergeſtalt ange - bracht iſt, daß die Theilungslinie vertical durch das Bild durchgeht.
An dieſem grauen Bilde werden die Farben nach der bekannten Regel, aber nach dem verſchiedenen Ver - haͤltniſſe des Hellen zum Dunklen, auf einer Linie ent - gegengeſetzt erſcheinen. Denn indem das Graue zum Schwarzen ſich als hell zeigt; ſo hat es oben das Ro - the und Gelbe, unten das Blaue und Violette. In - dem es ſich zum Weißen als dunkel verhaͤlt; ſo ſieht97 man oben den blauen und violetten, unten hingegen den rothen und gelben Rand. Dieſe Beobachtung wird fuͤr die naͤchſte Abtheilung hoͤchſt wichtig.
Eine farbige große Flaͤche zeigt innerhalb ihrer ſelbſt, ſo wenig als eine ſchwarze, weiße oder graue, irgend eine prismatiſche Farbe; es muͤßte denn zufaͤllig oder vorſaͤtzlich auf ihr Hell und Dunkel abwechſeln. Es ſind alſo auch nur Beobachtungen durchs Prisma an farbigen Flaͤchen anzuſtellen, in ſo fern ſie durch einen Rand von einer andern verſchieden tingirten Flaͤ - che abgeſondert werden, alſo auch nur an farbigen Bildern.
Es kommen alle Farben, welcher Art ſie auch ſeyn moͤgen, darin mit dem Grauen uͤberein, daß ſie dunk - ler als Weiß, und heller als Schwarz erſcheinen. Die - ſes Schattenhafte der Farbe (σκιεϱόν) iſt ſchon fruͤher angedeutet worden, (69.) und wird uns immer bedeu - tender werden. Wenn wir alſo vorerſt farbige Bilder auf ſchwarze und weiße Flaͤchen bringen, und ſie durchsI. 798Prisma betrachten; ſo werden wir alles, was wir bey grauen Flaͤchen bemerkt haben, hier abermals finden.
Verruͤcken wir ein farbiges Bild, ſo entſteht, wie bey farbloſen Bildern, nach eben den Geſetzen, ein Ne - benbild. Dieſes Nebenbild behaͤlt, was die Farbe be - trifft, ſeine urſpruͤngliche Natur bey und wirkt auf der einen Seite als ein Blaues und Blaurothes, auf der entgegengeſetzten als ein Gelbes und Gelbrothes. Da - her muß der Fall eintreten, daß die Scheinfarbe des Randes und des Saumes mit der realen Farbe eines farbigen Bildes homogen ſey; es kann aber auch im andern Falle das mit einem Pigment gefaͤrbte Bild mit dem erſcheinenden Rand und Saum ſich heterogen finden. In dem erſten Falle identificirt ſich das Schein - bild mit dem wahren und ſcheint daſſelbe zu vergroͤßern; dahingegen in dem zweyten Falle das wahre Bild durch das Scheinbild verunreinigt, undeutlich gemacht und verkleinert werden kann. Wir wollen die Faͤlle durch - gehen, wo dieſe Wirkungen ſich am ſonderbarſten zeigen.
Man nehme die zu dieſen Verſuchen vorbereitete Tafel vor ſich, und betrachte das rothe und blaue Viereck auf ſchwarzem Grunde neben einander, nach der gewoͤhnlichen Weiſe durchs Prisma; ſo werden, da beyde Farben heller ſind als der Grund, an beyden, ſowohl oben als unten, gleiche farbige Raͤnder und Saͤu -99 me entſtehen, nur werden ſie dem Auge des Beobach - ters nicht gleich deutlich erſcheinen.
Das Rothe iſt verhaͤltnißmaͤßig gegen das Schwarze viel heller als das Blaue. Die Farben der Raͤnder werden alſo an dem Rothen ſtaͤrker als an dem Blauen erſcheinen, welches hier wie ein Dunkelgraues wirkt, das wenig von dem Schwarzen unterſchieden iſt. (251.)
Der obere rothe Rand wird ſich mit der Zinnober - farbe des Vierecks identificiren und ſo wird das rothe Viereck hinaufwaͤrts ein wenig vergroͤßert erſcheinen; der gelbe herabwaͤrtsſtrebende Saum aber giebt der ro - then Flaͤche nur einen hoͤhern Glanz und wird erſt bey genauerer Aufmerkſamkeit bemerkbar.
Dagegen iſt der rothe Rand und der gelbe Saum mit dem blauen Viereck heterogen; es wird alſo an dem Rande eine ſchmutzig rothe, und hereinwaͤrts in das Viereck eine ſchmutzig gruͤne Farbe entſtehen, und ſo wird beym fluͤchtigen Anblick das blaue Viereck von dieſer Seite zu verlieren ſcheinen.
An der untern Graͤnze der beyden Vierecke wird ein blauer Rand und ein violetter Saum entſtehen und die entgegengeſetzte Wirkung hervorbringen. Denn der blaue Rand, der mit der Zinnoberflaͤche heterogen iſt, wird das Gelbrothe beſchmutzen und eine Art von Gruͤn7 *100hervorbringen, ſo daß das Rothe von dieſer Seite ver - kuͤrzt und hinaufgeruͤckt erſcheint, und der violette Saum nach dem Schwarzen zu kaum bemerkt wird.
Dagegen wird der blaue Scheinrand ſich mit der blauen Flaͤche identificiren, ihr nicht allein nichts neh - men, ſondern vielmehr noch geben; und dieſelbe wird alſo dadurch und durch den violetten benachbarten Saum, dem Anſcheine nach, vergroͤßert und ſcheinbar herunter geruͤckt werden.
Die Wirkung der homogenen und heterogenen Raͤn - der, wie ich ſie gegenwaͤrtig genau beſchrieben habe, iſt ſo maͤchtig und ſo ſonderbar, daß einem fluͤchtigen Beſchauer beym erſten Anblicke die beyden Vierecke aus ihrer wechſelſeitig horizontalen Lage geſchoben und im entgegengeſetzten Sinne verruͤckt ſcheinen, das Rothe hinaufwaͤrts, das Blaue herabwaͤrts. Doch Niemand, der in einer gewiſſen Folge zu beobachten, Verſuche an einander zu knuͤpfen, aus einander herzuleiten ver - ſteht, wird ſich von einer ſolchen Scheinwirkung taͤu - ſchen laſſen.
Eine richtige Einſicht in dieſes bedeutende Phaͤno - men wird aber dadurch erleichtert, daß gewiſſe ſcharfe, ja aͤngſtliche Bedingungen noͤthig ſind, wenn dieſe Taͤuſchung ſtatt finden ſoll. Man muß nehmlich zu dem rothen Viereck ein mit Zinnober oder dem beſten101 Mennig, zu dem blauen ein mit Indig recht ſatt ge - faͤrbtes Papier beſorgen. Alsdann verbindet ſich der blaue und rothe prismatiſche Rand, da wo er homo - gen iſt, unmerklich mit dem Bilde, da wo er heterogen iſt, beſchmutzt er die Farbe des Vierecks, ohne eine ſehr deutliche Mittelfarbe hervorzubringen. Das Roth des Vierecks darf nicht zu ſehr ins Gelbe fallen, ſonſt wird oben der dunkelrothe Scheinrand zu ſehr bemerk - lich; es muß aber von der andern Seite genug vom Gelben haben, ſonſt wird die Veraͤnderung durch den gelben Saum zu deutlich. Das Blaue darf nicht hell ſeyn, ſonſt wird der rothe Rand ſichtbar, und der gelbe Saum bringt zu offenbar ein Gruͤn hervor, und man kann den untern violetten Saum nicht mehr fuͤr die ver - ruͤckte Geſtalt eines hellblauen Vierecks anſehen oder ausgeben.
Von allem dieſem wird kuͤnftig umſtaͤndlicher die Rede ſeyn, wenn wir vom Apparate zu dieſer Abthei - lung handeln werden. Jeder[Naturforſcher] bereite ſich die Tafeln ſelbſt, um dieſes Taſchenſpielerſtuͤckchen her - vorbringen zu koͤnnen, und ſich dabey zu uͤberzeugen, daß die farbigen Raͤnder ſelbſt in dieſem Falle einer ge - ſchaͤrften Aufmerkſamkeit nicht entgehen koͤnnen.
Indeſſen ſind andere mannigfaltige Zuſammenſtel - lungen, wie ſie unſre Tafel zeigt, voͤllig geeignet, allen Zweifel uͤber dieſen Punct jedem Aufmerkſamen zu be - nehmen.
Man betrachte dagegen ein weißes, neben dem blauen ſtehendes Viereck auf ſchwarzem Grunde; ſo wer - den an dem weißen, welches hier an der Stelle des rothen ſteht, die entgegengeſetzten Raͤnder in ihrer hoͤch - ſten Energie ſich zeigen. Es erſtreckt ſich an demſelben der rothe Rand faſt noch mehr als oben am rothen ſelbſt uͤber die Horizontallinie des blauen hinauf; der untere blaue Rand aber iſt an dem weißen in ſeiner gan - zen Schoͤne ſichtbar; dagegen verliert er ſich in dem blauen Viereck durch Identification. Der violette Saum hinabwaͤrts iſt viel deutlicher an dem weißen, als an dem blauen.
Man vergleiche nun die mit Fleiß uͤber einander geſtellten Paare gedachter Vierecke, das rothe mit dem weißen, die beyden blauen Vierecke mit einander, das blaue mit dem rothen, das blaue mit dem weißen, und man wird die Verhaͤltniſſe dieſer Flaͤchen zu ihren far - bigen Raͤndern und Saͤumen deutlich einſehen.
Noch auffallender erſcheinen die Raͤnder und ihre Verhaͤltniſſe zu den farbigen Bildern, wenn man die far - bigen Vierecke und das ſchwarze auf weißem Grunde be - trachtet. Denn hier faͤllt jene Taͤuſchung voͤllig weg, und die Wirkungen der Raͤnder ſind ſo ſichtbar, als wir ſie nur in irgend einem andern Falle bemerkt haben. Man be - trachte zuerſt das blaue und rothe Viereck durchs Prisma. 103An beyden entſteht der blaue Rand nunmehr oben. Dieſer, homogen mit dem blauen Bilde, verbindet ſich demſelben und ſcheint es in die Hoͤhe zu heben; nur daß der hellblaue Rand oberwaͤrts zu ſehr abſticht. Der vio - lette Saum iſt auch herabwaͤrts ins blaue deutlich genug. Ebendieſer obere blaue Scheinrand iſt nun mit dem rothen Viereck heterogen, er iſt in der Gegenwirkung begriffen und kaum ſichtbar. Der violette Saum indeſſen bringt, verbunden mit dem Gelbrothen des Bildes, eine Pfirſich - bluͤthfarbe zu Wege.
Wenn nun aus der angegebenen Urſache die oberen Raͤnder dieſer Vierecke nicht horizontal erſcheinen, ſo erſcheinen die untern deſto gleicher: denn indem beyde Farben, die rothe und die blaue, gegen das Weiße ge - rechnet, dunkler ſind, als ſie gegen das Schwarze hell waren, welches beſonders von der letztern gilt; ſo ent - ſteht unter beyden der rothe Rand mit ſeinem gelben Saume ſehr deutlich. Er zeigt ſich unter dem gelbro - then Bilde in ſeiner ganzen Schoͤnheit, und unter dem dunkelblauen beynahe wie er unter dem ſchwarzen er - ſchien; wie man bemerken kann, wenn man abermals die uͤbereinandergeſetzten Bilder und ihre Raͤnder und Saͤume vergleicht.
Um nun dieſen Verſuchen die groͤßte Mannigfal - tigkeit und Deutlichkeit zu geben, ſind Vierecke von ver - ſchiedenen Farben in der Mitte der Tafel dergeſtalt an - gebracht, daß die Graͤnze des Schwarzen und Weißen104 vertical durch ſie durchgeht. Man wird ſie, nach je - nen uns uͤberhaupt und beſonders bey farbigen Bildern genugſam bekannt gewordenen Regeln, an jedem Rand zwiefach gefaͤrbt finden, und die Vierecke werden in ſich ſelbſt entzwey geriſſen und hinauf - oder herunter - waͤrts geruͤckt erſcheinen. Wir erinnern uns hiebey je - nes grauen, gleichfalls auf der Graͤnzſcheidung des Schwarzen und Weißen beobachteten Bildes. (257.)
Da nun das Phaͤnomen, das wir vorhin an ei - nem rothen und blauen Viereck auf ſchwarzem Grunde bis zur Taͤuſchung geſehen haben, das Hinauf - und Hinabruͤcken zweyer verſchieden gefaͤrbten Bilder uns hier an zwey Haͤlften eines und deſſelben Bildes von einer und derſelben Farbe ſichtbar wird; ſo werden wir dadurch abermals auf die farbigen Raͤnder, ihre Saͤume und auf die Wirkungen ihrer homogenen und heteroge - nen Natur hingewieſen, wie ſie ſich zu den Bildern verhaͤlt, an denen die Erſcheinung vorgeht.
Ich uͤberlaſſe den Beobachtern die mannigfaltigen Schattirungen der halb auf Schwarz, halb auf Weiß angebrachten farbigen Vierecke ſelbſt zu vergleichen, und bemerke nur noch die widerſinnige ſcheinbare Verzerrung, da Roth und Gelb auf Schwarz hinaufwaͤrts, auf Weiß herunterwaͤrts, Blau auf Schwarz herunterwaͤrts, und auf Weiß hinaufwaͤrts gezogen ſcheinen; welches doch alles dem bisher weitlaͤuftig Abgehandelten ge - maͤß iſt.
Nun ſtelle der Beobachter die Tafel dergeſtalt vor ſich, daß die vorgedachten, auf der Graͤnze des Schwar - zen und Weißen ſtehenden Vierecke ſich vor ihm in ei - ner horizontalen Reihe befinden, und daß zugleich der ſchwarze Theil oben, der weiße aber unten ſey. Er betrachte durchs Prisma jene Vierecke, und er wird bemerken, daß das rothe Viereck durch den Anſatz zweyer rothen Raͤnder gewinnt; er wird bey genauer Aufmerkſamkeit den gelben Saum auf dem rothen Bilde bemerken, und der untere gelbe Saum nach dem Wei - ßen zu wird voͤllig deutlich ſeyn.
Oben an dem gelben Viereck iſt der rothe Rand ſehr merklich, weil das Gelbe als hell gegen das Schwarz genugſam abſticht. Der gelbe Saum identificirt ſich mit der gelben Flaͤche, nur wird ſolche etwas ſchoͤner dadurch; der untere Rand zeigt nur wenig Roth, weil das helle Gelb gegen das Weiße nicht genugſam ab - ſticht. Der untere gelbe Saum aber iſt deutlich genug.
An dem blauen Viereck hingegen iſt der obere rothe Rand kaum ſichtbar; der gelbe Saum bringt herunter - waͤrts ein ſchmutziges Gruͤn im Bilde hervor; der un - tere rothe Rand und der gelbe Saum zeigen ſich in lebhaften Farben.
Bemerkt man nun in dieſen Faͤllen, daß das rothe Bild durch einen Anſatz auf beyden Seiten zu gewin -106 nen, das dunkelblaue von einer Seite wenigſtens zu verlieren ſcheint; ſo wird man, wenn man die Pappe umkehrt, ſo daß der weiße Theil ſich oben, der ſchwarze ſich unten befindet, das umgekehrte Phaͤnomen erblicken.
Denn da nunmehr die homogenen Raͤnder und Saͤume an den blauen Vierecken oben und unten ent - ſtehen; ſo ſcheinen dieſe vergroͤßert, ja ein Theil der Bilder ſelbſt ſchoͤner gefaͤrbt, und nur eine genaue Be - obachtung wird die Raͤnder und Saͤume von der Far - be der Flaͤche ſelbſt unterſcheiden lehren.
Das gelbe und rothe dagegen werden in dieſer Stellung der Tafel von den heterogenen Raͤndern ein - geſchraͤnkt und die Wirkung der Localfarbe verkuͤmmert. Der obere blaue Rand iſt an beyden faſt gar nicht ſicht - bar. Der violette Saum zeigt ſich als ein ſchoͤnes Pfirſichbluͤth auf dem rothen, als ein ſehr blaſſes auf dem gelben; die beyden untern Raͤnder ſind gruͤn; an dem rothen ſchmutzig, lebhaft an dem gelben; den violetten Saum bemerkt man unter dem rothen wenig, mehr unter dem gelben.
Ein jeder Naturfreund mache ſich zur Pflicht, mit allen den vorgetragenen Erſcheinungen genau bekannt zu werden, und halte es nicht fuͤr laͤſtig, ein einziges Phaͤnomen durch ſo manche bedingende Umſtaͤnde durch - zufuͤhren. Ja dieſe Erfahrungen laſſen ſich noch ins107 Unendliche durch Bilder von verſchiedenen Farben, auf und zwiſchen verſchiedenfarbigen Flaͤchen, vervielfaͤlti - gen. Unter allen Umſtaͤnden aber wird jedem Aufmerk - ſamen deutlich werden, daß farbige Vierecke neben ein - ander nur deßwegen durch das Prisma verſchoben er - ſcheinen, weil ein Anſatz von homogenen und hetero - genen Raͤndern eine Taͤuſchung hervorbringt. Dieſe iſt man nur alsdann zu verbannen faͤhig, wenn man eine Reihe von Verſuchen neben einander zu ſtellen und ih - re Uebereinſtimmung darzuthun genugſame Geduld hat.
Warum wir aber vorſtehende Verſuche mit farbi - gen Bildern, welche auf mehr als eine Weiſe vorge - tragen werden konnten, gerade ſo und ſo umſtaͤndlich dargeſtellt, wird in der Folge deutlicher werden. Ge - dachte Phaͤnomene waren fruͤher zwar nicht unbekannt; aber ſehr verkannt, deßwegen wir ſie, zu Erleichterung eines kuͤnftigen hiſtoriſchen Vortrags, genau entwickeln mußten.
Wir wollen nunmehr zum Schluſſe den Freunden der Natur eine Vorrichtung anzeigen, durch welche dieſe Erſcheinungen auf einmal deutlich, ja in ihrem groͤßten Glanze, geſehen werden koͤnnen.
Man ſchneide aus einer Pappe fuͤnf, ungefaͤhr ei - nen Zoll große, voͤllig gleiche Vierecke neben einander aus, genau in horizontaler Linie. Man bringe dahin - ter fuͤnf farbige Glaͤſer, in der bekannten Ordnung, Orange, Gelb, Gruͤn, Blau, Violett. Man befeſtige dieſe Tafel in einer Oeffnung der Camera obſcura, ſo108 daß der helle Himmel durch ſie geſehen wird, oder daß die Sonne darauf ſcheint, und man wird hoͤchſt ener - giſche Bilder vor ſich haben. Man betrachte ſie nun durchs Prisma und beobachte die durch jene Ver - ſuche an gemalten Bildern ſchon bekannten Phaͤnomene, nehmlich die theils beguͤnſtigenden, theils verkuͤmmern - den Raͤnder und Saͤume, und die dadurch bewirkte ſcheinbare Verruͤckung der ſpecifiſch gefaͤrbten Bilder aus der horizontalen Linie.
Das was der Beobachter hier ſehen wird, folgt genugſam aus dem fruͤher Abgeleiteten; daher wir es auch nicht einzeln abermals durchfuͤhren, um ſo weni - ger, als wir auf dieſe Erſcheinungen zuruͤckzukehren noch oͤfteren Anlaß finden werden.
In der fruͤhern Zeit, da man noch manches, was in der Natur regelmaͤßig und conſtant war, fuͤr ein bloßes Abirren, fuͤr zufaͤllig hielt, gab man auf die Farben weniger Acht, welche bey Gelegenheit der Re - fraction entſtehen, und hielt ſie fuͤr eine Erſcheinung, die ſich von beſondern Nebenumſtaͤnden herſchreiben moͤchte.
Nachdem man ſich aber uͤberzeugt hatte, daß dieſe Farbenerſcheinung die Refraction jederzeit begleite; ſo war es natuͤrlich, daß man ſie auch als innig und einzig mit der Refraction verwandt anſah, und nicht anders glaubte, als daß das Maß der Farbenerſcheinung ſich nach dem Maße der Brechung richten und beyde gleichen Schritt mit einander halten muͤßten.
Wenn man alſo nicht gaͤnzlich, doch einigermaßen, das Phaͤnomen einer ſtaͤrkeren oder ſchwaͤcheren Brechung der verſchiedenen Dichtigkeit der Mittel zuſchrieb; wie denn auch reinere atmoſphaͤriſche Luft, mit Duͤnſten an - gefuͤllte, Waſſer, Glas, nach ihren ſteigenden Dichtig - keiten, die ſogenannte Brechung, die Verruͤckung des Bildes vermehren: ſo mußte man kaum zweifeln, daß auch in ſelbiger Maße die Farbenerſcheinung ſich ſtei - gern muͤſſe, und man glaubte voͤllig gewiß zu ſeyn, daß bey verſchiedenen Mitteln, welche man im Gegenſinne der Brechung zu einander brachte, ſich, ſo lange Bre - chung vorhanden ſey, die Farbe zeigen, ſo bald aber die Farbe verſchwaͤnde, auch die Brechung aufgehoben ſeyn muͤſſe.
In ſpaͤterer Zeit hingegen ward entdeckt, daß die - ſes als gleich angenommene Verhaͤltniß ungleich ſey, daß zwey Mittel das Bild gleich weit verruͤcken, und doch ſehr ungleiche Farbenſaͤume hervorbringen koͤnnen.
Man fand, daß man zu jener phyſiſchen Eigen - ſchaft, welcher man die Refraction zuſchrieb, noch eine chemiſche hinzu zu denken habe (210); wie wir ſolches kuͤnftig, wenn wir uns chemiſchen Ruͤckſichten naͤhern, weiter auszufuͤhren denken, ſo wie wir die naͤhern Um - ſtaͤnde dieſer wichtigen Entdeckung in der Geſchichte der Farbenlehre aufzuzeichnen haben. Gegenwaͤrtig ſey fol - gendes genug.
Es zeigt ſich bey Mitteln von gleicher, oder we - nigſtens nahezu gleicher, Brechungskraft der merkwuͤr - dige Umſtand, daß ein Mehr und Weniger der Far - benerſcheinung durch eine chemiſche Behandlung hervor - gebracht werden kann; das Mehr wird nehmlich durch Saͤuren, das Weniger durch Alcalien beſtimmt. Bringt man unter eine gemeine Glasmaſſe Metalloxyde, ſo wird die Farbenerſcheinung ſolcher Glaͤſer, ohne daß die Re - fraction merklich veraͤndert werde, ſehr erhoͤht. Daß das Mindere hingegen auf der alcaliſchen Seite liege, kann leicht vermuthet werden.
Diejenigen Glasarten, welche nach der Entdeckung zuerſt angewendet worden, nennen die Englaͤnder Flint - und Crownglas, und zwar gehoͤrt jenem erſten die ſtaͤrkere, dieſem zweyten die geringere Farbenerſchei - nung an.
Zu unſerer gegenwaͤrtigen Darſtellung bedienen wir uns dieſer beyden Ausdruͤcke als Kunſtwoͤrter, und neh - men an, daß in beyden die Refraction gleich ſey, das Flintglas aber die Farbenerſcheinung um ein Drittel ſtaͤrker als das Crownglas hervorbringe; wobey wir un - ſerm Leſer eine, gewiſſermaßen ſymboliſche, Zeichnung zur Hand geben.
Man denke ſich auf einer ſchwarzen Tafel, welche hier, des bequemeren Vortrags wegen, in Caſen getheilt iſt, zwiſchen den Parallellinien a b und c d fuͤnf weiße Vierecke. Das Viereck Nr. 1. ſtehe vor dem nackten Auge unverruͤckt auf ſeinem Platz.
Das Viereck Nr. 2. aber ſey, durch ein vor das Auge gehaltenes Prisma von Crownglas g, um drey Caſen verruͤckt und zeige die Farbenſaͤume in einer ge - wiſſen Breite; ferner ſey das Viereck Nr. 3., durch ein Prisma von Flintglas, gleichfalls um drey Caſen her - untergeruͤckt, dergeſtalt daß es die farbigen Saͤume nunmehr um ein Drittel breiter als Nr. 2. zeige.
Ferner ſtelle man ſich vor, das Viereck Nr. 4. ſey eben wie das Nr. 2., durch ein Prisma von Crown - glas, erſt drey Caſen verruͤckt geweſen, dann ſey es aber, durch ein entgegengeſtelltes Prisma h von Flint -112 glas, wieder auf ſeinen vorigen Fleck, wo man es nun ſieht, gehoben worden.
Hier hebt ſich nun die Refraction zwar gegen ein - ander auf; allein da das Prisma h bey der Verruͤckung durch drey Caſen um ein Drittel breitere Farbenſaͤume, als dem Prisma g eigen ſind, hervorbringt; ſo muß, bey aufgehobener Refraction, noch ein Ueberſchuß von Farbenſaum uͤbrig bleiben, und zwar im Sinne der ſcheinbaren Bewegung, welche das Prisma h dem Bil - de ertheilt, und folglich umgekehrt, wie wir die Far - ben an den herabgeruͤckten Nummern 2. und 3. erbli - cken. Dieſes Ueberſchießende der Farbe haben wir Hy - perchromaſie genannt, woraus ſich denn die Achromaſie unmittelbar folgern laͤßt.
Denn geſetzt es waͤre das Viereck Nr. 5. von ſei - nem erſten ſupponirten Platze, wie Nr. 2., durch ein Prisma von Crownglas g, um drey Caſen herunter ge - ruͤckt worden; ſo duͤrfte man nur den Winkel eines Prisma’s von Flintglas h verkleinern, ſolches im um - gekehrten Sinne an das Prisma g anſchließen, um das Viereck Nr. 5. zwey Caſen ſcheinbar hinauf zu heben; wobey die Hyperchromaſie des vorigen Falles wegfiele, das Bild nicht ganz an ſeine erſte Stelle gelangte und doch ſchon farblos erſchiene. Man ſieht auch an den fortpunctirten Linien der zuſammengeſetzten Prismen un - ter Nr. 5. daß ein wirkliches Prisma uͤbrig bleibt, und113 alſo auch auf dieſem Wege, ſo bald man ſich die Linien krumm denkt, ein Ocularglas entſtehen kann; wodurch denn die achromatiſchen Fernglaͤſer abgeleitet ſind.
Zu dieſen Verſuchen, wie wir ſie hier vortragen, iſt ein kleines aus drey verſchiedenen Prismen zuſam - mengeſetztes Prisma, wie ſolche in England verfertigt werden, hoͤchſt geſchickt. Hoffentlich werden kuͤnftig unſre inlaͤndiſchen Kuͤnſtler mit dieſem nothwendigen Inſtrumente jeden Naturfreund verſehen.
Wir haben die Farbenerſcheinungen, welche ſich bey Gelegenheit der Refraction ſehen laſſen, zuerſt durch ſubjective Verſuche dargeſtellt, und das Ganze in ſich dergeſtalt abgeſchloſſen, daß wir auch ſchon jene Phaͤ - nomene aus der Lehre von den truͤben Mitteln und Doppelbildern ableiteten.
Da bey Vortraͤgen, die ſich auf die Natur beziehen, doch alles auf Sehen und Schauen ankommt, ſo ſindI. 8114dieſe Verſuche um deſto erwuͤnſchter, als ſie ſich leicht und bequem anſtellen laſſen. Jeder Liebhaber kann ſich den Apparat, ohne große Umſtaͤnde und Koſten, an - ſchaffen; ja wer mit Papparbeiten einigermaßen umzu - gehen weiß, einen großen Theil ſelbſt verfertigen. We - nige Tafeln, auf welchen ſchwarze, weiße, graue und farbige Bilder auf hellem und dunkelm Grunde abwech - ſeln, ſind dazu hinreichend. Man ſtellt ſie unverruͤckt vor ſich hin, betrachtet bequem und anhaltend die Er - ſcheinungen an dem Rande der Bilder; man entfernt ſich, man naͤhert ſich wieder und beobachtet genau den Stufengang des Phaͤnomens.
Ferner laſſen ſich auch durch geringe Prismen, die nicht von dem reinſten Glaſe ſind, die Erſcheinungen noch deutlich genug beobachten. Was jedoch wegen die - ſer Glasgeraͤthſchaften noch zu wuͤnſchen ſeyn moͤchte, wird in dem Abſchnitt, der den Apparat abhandelt, umſtaͤndlich zu finden ſeyn.
Ein Hauptvortheil dieſer Verſuche iſt ſodann, daß man ſie zu jeder Tageszeit anſtellen kann, in jedem Zimmer, es ſey nach einer Weltgegend gerichtet nach welcher es wolle; man braucht nicht auf Sonnenſchein zu warten, der einem nordiſchen Beobachter uͤberhaupt nicht reichlich gewogen iſt.
115Die objectiven Verſuche
verlangen hingegen nothwendig den Sonnenſchein, der, wenn er ſich auch einſtellt, nicht immer den wuͤn - ſchenswerthen Bezug auf den ihm entgegengeſtellten Ap - parat haben kann. Bald ſteht die Sonne zu hoch, bald zu tief, und doch auch nur kurze Zeit in dem Meridian des am beſten gelegenen Zimmers. Unter dem Beobach - ten weicht ſie; man muß mit dem Apparat nachruͤcken, wodurch in manchen Faͤllen die Verſuche unſicher wer - den. Wenn die Sonne durchs Prisma ſcheint, ſo of - fenbart ſie alle Ungleichheiten, innere Faͤden und Blaͤs - chen des Glaſes, wodurch die Erſcheinung verwirrt, ge - truͤbt und mißfaͤrbig gemacht wird.
Doch muͤſſen die Verſuche beyder Arten gleich ge - nau bekannt ſeyn. Sie ſcheinen einander entgegenge - ſetzt und gehen immer mit einander parallel; was die einen zeigen, zeigen die andern auch, und doch hat je - de Art wieder ihre Eigenheiten, wodurch gewiſſe Wir - kungen der Natur auf mehr als eine Weiſe offenbar werden.
Sodann giebt es bedeutende Phaͤnomene, wel - che man durch Verbindung der ſubjectiven und objec - tiven Verſuche hervorbringt. Nicht weniger gewaͤhren uns die objectiven den Vortheil, daß wir ſie meiſt8 *116durch Linearzeichnungen darſtellen und die innern Ver - haͤltniſſe des Phaͤnomens auf unſern Tafeln vor Augen legen koͤnnen. Wir ſaͤumen daher nicht die objectiven Verſuche ſogleich dergeſtalt vorzutragen, daß die Phaͤ - nomene mit den ſubjectiv vorgeſtellten durchaus glei - chen Schritt halten; deßwegen wir auch neben der Zahl eines jeden Paragraphen die Zahl der fruͤheren in Pa - rentheſe unmittelbar anfuͤgen. Doch ſetzen wir im Gan - zen voraus, daß der Leſer ſich mit den Tafeln, der For - ſcher mit dem Apparat bekannt mache, damit die Zwil - lings-Phaͤnomene, von denen die Rede iſt, auf ei - ne oder die andere Weiſe, dem Liebhaber vor Augen ſeyen.
Daß die Refraction ihre Wirkung aͤußre, ohne eine Farbenerſcheinung hervorzubringen, iſt bey objectiven Verſuchen nicht ſo vollkommen als bey ſubjectiven dar - zuthun. Wir haben zwar unbegraͤnzte Raͤume, nach welchen wir durchs Prisma ſchauen und uns uͤberzeu - gen koͤnnen, daß ohne Graͤnze keine Farbe entſtehe; aber wir haben kein unbegraͤnzt Leuchtendes, welches wir koͤnnten aufs Prisma wirken laſſen. Unſer Licht117 kommt uns von begraͤnzten Koͤrpern, und die Sonne, welche unſre meiſten objectiven prismatiſchen Erſchei - nungen hervorbringt, iſt ja ſelbſt nur ein kleines be - graͤnzt leuchtendes Bild.
Indeſſen koͤnnen wie jede groͤßere Oeffnung, durch welche die Sonne durchſcheint, jedes groͤßere Mittel, wodurch das Sonnenlicht aufgefangen und aus ſeiner Richtung gebracht wird, ſchon in ſofern als unbegraͤnzt anſehen, indem wir bloß die Mitte der Flaͤchen, nicht aber ihre Graͤnzen betrachten.
Man ſtelle ein großes Waſſerprisma in die Sonne, und ein heller Raum wird ſich in die Hoͤhe gebrochen an einer entgegengeſetzten Tafel zeigen und die Mitte dieſes erleuchteten Raumes farblos ſeyn. Eben daſſelbe erreicht man, wenn man mit Glasprismen, welche Winkel von wenigen Graden haben, den Verſuch an - ſtellt. Ja dieſe Erſcheinung zeigt ſich ſelbſt bey Glas - prismen, deren brechender Winkel ſechzig Grad iſt, wenn man nur die Tafel nahe genug heran bringt.
Wenn nun gedachter erleuchteter Raum zwar ge - brochen, von der Stelle geruͤckt, aber nicht gefaͤrbt er -118 ſcheint; ſo ſieht man jedoch an den horizontalen Graͤn - zen deſſelben eine farbige Erſcheinung. Daß auch hier die Farbe bloß durch Verruͤckung eines Bildes entſtehe, iſt umſtaͤndlicher darzuthun.
Das Leuchtende, welches hier wirkt, iſt ein Be - graͤnztes, und die Sonne wirkt hier, indem ſie ſcheint und ſtrahlt, als ein Bild. Man mache die Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ſo klein als man kann, immer wird das ganze Bild der Sonne herein - dringen. Das von ihrer Scheibe herſtroͤmende Licht wird ſich in der kleinſten Oeffnung kreuzen und den Winkel machen, der ihrem ſcheinbaren Diameter gemaͤß iſt. Hier kommt ein Conus mit der Spitze außen an und inwendig verbreitert ſich dieſe Spitze wieder, bringt ein durch eine Tafel aufzufaſſendes rundes, ſich durch die Entfernung der Tafel auf immer vergroͤßerndes Bild hervor, welches Bild nebſt allen uͤbrigen Bildern der aͤu - ßeren Landſchaft auf einer weißen gegengehaltenen Flaͤ - che im dunklen Zimmer umgekehrt erſcheint.
Wie wenig alſo hier von einzelnen Sonnenſtrah - len, oder Strahlenbuͤndeln und Buͤſcheln, von Strah - lencylindern, Staͤben und wie man ſich das alles vor - ſtellen mag, die Rede ſeyn kann, iſt auffallend. Zu Bequemlichkeit gewiſſer Lineardarſtellungen nehme man das Sonnenlicht als parallel einfallend an; aber man wiſſe, daß dieſes nur eine Fiction iſt, welche man ſich gar wohl erlauben kann, da wo der zwiſchen die Fic - tion und die wahre Erſcheinung fallende Bruch unbe -119 deutend iſt. Man huͤte ſich aber, dieſe Fiction wieder zum Phaͤnomen zu machen, und mit einem ſolchen fingir - ten Phaͤnomen weiter fort zu operiren.
Man vergroͤßre nunmehr die Oeffnung in dem Fenſterladen ſo weit man will, man mache ſie rund oder viereckt, ja man oͤffne den Laden ganz und laſſe die Sonne durch den voͤlligen Fenſterraum in das Zim - mer ſcheinen; der Raum, den ſie erleuchtet, wird immer ſo viel groͤßer ſeyn, als der Winkel, den ihr Durch - meſſer macht, verlangt; und alſo iſt auch ſelbſt der ganze durch das groͤßte Fenſter von der Sonne erleuch - tete Raum nur das Sonnenbild plus der Weite der Oeffnung. Wir werden hierauf zuruͤckzukehren kuͤnftig Gelegenheit finden.
Fangen wir nun das Sonnenbild durch convexe Glaͤſer auf, ſo ziehen wir es gegen den Focus zuſam - men. Hier muß, nach den oben ausgefuͤhrten Regeln, ein gelber Saum und ein gelbrother Rand entſtehen, wenn das Bild auf einem weißen Papiere aufgefangen wird. Weil aber dieſer Verſuch blendend und unbe - quem iſt, ſo macht er ſich am ſchoͤnſten mit dem Bilde des Vollmonds. Wenn man dieſes durch ein convexes Glas zuſammenzieht, ſo erſcheint der farbige Rand in der groͤßten Schoͤnheit: denn der Mond ſendet an ſich ſchon ein gemaͤßigtes Licht, und er kann alſo um deſto eher die Farbe, welche aus Maͤßigung des Lichts ent -120 ſteht, hervorbringen; wobey zugleich das Auge des Be - obachters nur leiſe und angenehm beruͤhrt wird.
Wenn man ein leuchtendes Bild durch concave Glaͤſer auffaßt, ſo wird es vergroͤßert und alſo ausge - dehnt. Hier erſcheint das Bild blau begraͤnzt.
Beyde entgegengeſetzten Erſcheinungen kann man durch ein convexes Glas ſowohl ſimultan als ſucceſſiv hervorbringen, und zwar ſimultan, wenn man auf das convexe Glas in der Mitte eine undurchſichtige Scheibe klebt, und nun das Sonnenbild auffaͤngt. Hier wird nun ſowohl das leuchtende Bild als der in ihm befind - liche ſchwarze Kern zuſammengezogen, und ſo muͤſſen auch die entgegengeſetzten Farberſcheinungen entſtehen. Ferner kann man dieſen Gegenſatz ſucceſſiv gewahr wer - den, wenn man das leuchtende Bild erſt bis gegen den Focus zuſammenzieht; da man denn Gelb und Gelb - roth gewahr wird: dann aber hinter dem Focus daſ - ſelbe ſich ausdehnen laͤßt; da es denn ſogleich eine blaue Graͤnze zeigt.
Auch hier gilt, was bey den ſubjectiven Erfah - rungen geſagt worden, daß das Blaue und Gelbe ſich an und uͤber dem Weißen zeige, und daß beyde Farben einen roͤthlichen Schein annehmen in ſofern ſie uͤber das Schwarze reichen.
Dieſe Grunderſcheinungen wiederhohlen ſich bey allen folgenden objectiven Erfahrungen, ſo wie ſie die Grundlage der ſubjectiven ausmachten. Auch die Ope - ration, welche vorgenommen wird, iſt eben dieſelbe; ein heller Rand wird gegen eine dunkle Flaͤche, eine dunkle Flaͤche gegen eine helle Graͤnze gefuͤhrt. Die Graͤnzen muͤſſen einen Weg machen und ſich gleichſam uͤber ein - ander draͤngen, bey dieſen Verſuchen wie bey jenen.
Laſſen wir alſo das Sonnenbild durch eine groͤßere oder kleinere Oeffnung in die dunkle Kammer, fangen wir es durch ein Prisma auf, deſſen brechender Win - kel hier wie gewoͤhnlich unten ſeyn mag; ſo kommt das leuchtende Bild nicht in gerader Linie nach dem Fuß - boden, ſondern es wird an eine vertical geſetzte Tafel hinaufgebrochen. Hier iſt es Zeit, des Gegenſatzes zu gedenken, in welchem ſich die ſubjective und objective Verruͤckung des Bildes befindet.
Sehen wir durch ein Prisma, deſſen brechender Winkel ſich unten befindet, nach einem in der Hoͤhe be - findlichen Bilde; ſo wird dieſes Bild heruntergeruͤckt, anſtatt daß ein einfallendes leuchtendes Bild von dem - ſelben Prisma in die Hoͤhe geſchoben wird. Was wir hier der Kuͤrze wegen nur hiſtoriſch angeben, laͤßt ſich aus den Regeln der Brechung und Hebung ohne Schwie - rigkeit ableiten.
Indem nun alſo auf dieſe Weiſe das leuchtende Bild von ſeiner Stelle geruͤckt wird; ſo gehen auch die Farbenſaͤume nach den fruͤher ausgefuͤhrten Regeln ih - ren Weg. Der violette Saum geht jederzeit voraus, und alſo bey objectiven hinaufwaͤrts, wenn er bey ſub - jectiven herunterwaͤrts geht.
Eben ſo uͤberzeuge ſich der Beobachter von der Faͤrbung in der Diagonale, wenn die Verruͤckung durch zwey Prismen in dieſer Richtung geſchieht, wie bey dem ſubjectiven Falle deutlich genug angegeben; man ſchaffe ſich aber hiezu Prismen mit Winkeln von wenigen, etwa funfzehn Graden.
Daß die Faͤrbung des Bi des auch hier nach der Rich - tung ſeiner Bewegung geſchehe, wird man einſehen, wenn man eine Oeffnung im Laden von maͤßiger Groͤße vier - eckt macht, und das leuchtende Bild durch das Waſſer - prisma gehen laͤßt, erſt die Raͤnder in horizontaler und verticaler Richtung, ſodann in der diagonalen.
Wobey ſich denn abermals zeigen wird, daß die Graͤnzen nicht neben einander weg, ſondern uͤber einan - der gefuͤhrt werden muͤſſen.
Auch hier bringt eine vermehrte Verruͤckung des Bildes eine ſtaͤrkere Farbenerſcheinung zu Wege.
Dieſe vermehrte Verruͤckung aber hat Statt
Die objectiven Verſuche geben uns den Vortheil, daß wir das Werdende des Phaͤnomens, ſeine ſucceſſive124 Geneſe außer uns darſtellen und zugleich mit Linear - zeichnungen deutlich machen koͤnnen, welches bey ſub - jectiven der Fall nicht iſt.
Wenn man das aus dem Prisma heraustretende leuchtende Bild und ſeine wachſende Farbenerſchei - nung auf einer entgegengehaltenen Tafel ſtufenweiſe beobachten, und ſich Durchſchnitte von dieſem Conus mit elliptiſcher Baſe vor Augen ſtellen kann; ſo laͤßt ſich auch das Phaͤnomen auf ſeinem ganzen Wege zum ſchoͤnſten folgendermaßen ſichtbar machen. Man errege nehmlich in der Linie, in welcher das Bild durch den dunklen Raum geht, eine weiße feine Staub - wolke, welche durch feinen recht trocknen Haarpuder am beſten hervorgebracht wird. Die mehr oder weni - ger gefaͤrbte Erſcheinung wird nun durch die weißen Atomen aufgefangen und dem Auge in ihrer ganzen Breite und Laͤnge dargeſtellt.
Eben ſo haben wir Linearzeichnungen bereitet und ſolche unter unſre Tafeln aufgenommen, wo die Er - ſcheinung von ihrem erſten Urſprunge an dargeſtellt iſt, und an welchen man ſich deutlich machen kann, warum das leuchtende Bild durch Prismen ſo viel ſtaͤrker als durch parallele Mittel gefaͤrbt wird.
An den beyden entgegengeſetzten Graͤnzen ſteht eine entgegengeſetzte Erſcheinung in einem ſpitzen Winkel auf,125 die ſich, wie ſie weiter in dem Raume vorwaͤrts geht, nach Maßgabe dieſes Winkels verbreitert. So ſtrebt in der Richtung, in welcher das leuchtende Bild verruͤckt worden, ein violetter Saum in das Dunkle hinaus, ein blauer ſchmalerer Rand bleibt an der Graͤnze. Von der andern Seite ſtrebt ein gelber Saum in das Helle hinein und ein gelbrother Rand bleibt an der Graͤnze.
Hier iſt alſo die Bewegung das Dunklen gegen das Helle, des Hellen gegen das Dunkle wohl zu be - achten.
Eines großen Bildes Mitte bleibt lange ungefaͤrbt, beſonders bey Mitteln von minderer Dichtigkeit und ge - ringerem Maße, bis endlich die entgegengeſetzten Saͤu - me und Raͤnder einander erreichen, da alsdann bey dem leuchtenden Bild in der Mitte ein Gruͤn entſteht.
Wenn nun die objectiven Verſuche gewoͤhnlich nur mit dem leuchtenden Sonnenbilde gemacht wurden, ſo iſt ein objectiver Verſuch mit einem dunklen Bilde bis - her faſt gar nicht vorgekommen. Wir haben hierzu aber auch eine bequeme Vorrichtung angegeben. Jenes gro - ße Waſſerprisma nehmlich ſtelle man in die Sonne und klebe auf die aͤußere oder innere Seite eine runde Pap - penſcheibe; ſo wird die farbige Erſcheinung abermals an den Raͤndern vorgehen, nach jenem bekannten Ge - ſetz entſpringen, die Raͤnder werden erſcheinen, ſich in126 jener Maße verbreitern und in der Mitte der Purpur entſtehen. Man kann neben das Rund ein Viereck in beliebiger Richtung hinzufuͤgen und ſich von dem oben mehrmals angegebenen und ausgeſprochenen von neuen uͤberzeugen.
Nimmt man von dem gedachten Prisma dieſe dunk - len Bilder wieder hinweg, wobey jedoch die Glastafeln jedesmal ſorgfaͤltig zu reinigen ſind, und haͤlt einen ſchwachen Stab, etwa einen ſtarken Bleyſtift, vor die Mitte des horizontalen Prisma; ſo wird man das voͤl - lige Uebereinandergreifen des violetten Saums und des rothen Randes bewirken und nur die drey Farben, die zwey aͤußern und die mittlere, ſehen.
Schneidet man eine vor das Prisma zu ſchiebende Pappe dergeſtalt aus, daß in der Mitte derſelben eine horizontale laͤngliche Oeffnung gebildet wird, und laͤßt alsdann das Sonnenlicht hindurchfallen; ſo wird man die voͤllige Vereinigung des gelben Saumes und des blauen Randes nunmehr uͤber das Helle bewirken und nur Gelbroth, Gruͤn und Violett ſehen; auf welche Art und Weiſe, iſt bey Erklaͤrung der Tafeln weiter aus einander geſetzt.
Die prismatiſche Erſcheinung iſt alſo keinesweges fertig und vollendet, indem das leuchtende Bild aus dem Prisma hervortritt. Man wird alsdann nur erſt ihre127 Anfaͤnge im Gegenſatz gewahr; dann waͤchſt ſie, das Entgegengeſetzte vereinigt ſich und verſchraͤnkt ſich zu - letzt aufs innigſte. Der von einer Tafel aufgefangene Durchſchnitt dieſes Phaͤnomens iſt in jeder Entfernung vom Prisma anders, ſo daß weder von einer ſtetigen Folge der Farben, noch von einem durchaus gleichen Maß derſelben die Rede ſeyn kann; weßhalb der Lieb - haber und Beobachter ſich an die Natur und unſre na - turgemaͤßen Tafeln wenden wird, welchen zum Ueber - fluß eine abermalige Erklaͤrung, ſo wie eine genugſame Anweiſung und Anleitung zu allen Verſuchen, hinzu - gefuͤgt iſt.
Wenn wir dieſe Ableitung ſchon bey Gelegenheit der ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich vorgetragen, wenn alles, was dort gegolten hat, auch hier gilt; ſo bedarf es keiner weitlaͤufigen Ausfuͤhrung mehr, um zu zeigen, daß dasjenige, was in der Erſcheinung voͤllig parallel geht, ſich auch aus eben denſelben Quellen ableiten laſſe.
Daß wir auch bey objectiven Verſuchen mit Bil - dern zu thun haben, iſt oben umſtaͤndlich dargethan128 worden. Die Sonne mag durch die kleinſte Oeffnung hereinſcheinen, ſo dringt doch immer das Bild ihrer ganzen Scheibe hindurch. Man mag das groͤßte Pris - ma in das freye Sonnenlicht ſtellen, ſo iſt es doch immer wieder das Sonnenbild, das ſich an den Raͤn - dern der brechenden Flaͤchen ſelbſt begraͤnzt und die Ne - benbilder dieſer Begraͤnzung hervorbringt. Man mag eine vielfach ausgeſchnittene Pappe vor das Waſſerprisma ſchieben, ſo ſind es doch nur die Bilder aller Art, wel - che, nachdem ſie durch Brechung von ihrer Stelle ge - ruͤckt worden, farbige Raͤnder und Saͤume, und in denſelben durchaus vollkommene Nebenbilder zeigen.
Haben uns bey ſubjectiven Verſuchen ſtark von ein - ander abſtechende Bilder eine hoͤchſt lebhafte Farbener - ſcheinung zu Wege gebracht; ſo wird dieſe bey objecti - ven Verſuchen noch viel lebhafter und herrlicher ſeyn, weil das Sonnenbild von der hoͤchſten Energie iſt, die wir kennen, daher auch deſſen Nebenbild maͤch - tig und, ungeachtet ſeines ſecundaͤren getruͤbten und verdunkelten Zuſtandes, noch immer herrlich und glaͤn - zend ſeyn muß. Die vom Sonnenlicht durchs Prisma auf irgend einen Gegenſtand geworfenen Farben brin - gen ein gewaltiges Licht mit ſich, indem ſie das hoͤchſt energiſche Urlicht gleichſam im Hintergrunde haben.
In wiefern wir auch dieſe Nebenbilder truͤb nen - nen und ſie aus der Lehre von den truͤben Mitteln ab -129 leiten duͤrfen, wird jedem, der uns bis hieher aufmerk - ſam gefolgt, klar ſeyn, beſonders aber dem, der ſich den noͤthigen Apparat verſchafft, um die Beſtimmtheit und Lebhaftigkeit, womit truͤbe Mittel wirken, ſich je - derzeit vergegenwaͤrtigen zu koͤnnen.
Haben wir uns bey Darſtellung der Abnahme unſe - rer farbigen Erſcheinung in ſubjectiven Faͤllen kurz faſ - ſen koͤnnen, ſo wird es uns erlaubt ſeyn, hier noch kuͤrzer zu verfahren, indem wir uns auf jene deutliche Darſtellung berufen. Nur eines mag wegen ſeiner gro - ßen Bedeutung, als ein Hauptmoment des ganzen Vor - trags, hier dem Leſer zu beſonderer Aufmerkſamkeit em - pfohlen werden.
Der Abnahme der prismatiſchen Erſcheinung muß erſt eine Entfaltung derſelben vorangehen. Aus dem gefaͤrbten Sonnenbilde verſchwinden, in gehoͤriger Ent - fernung der Tafel vom Prisma, zuletzt die blaue und gelbe Farbe, indem beyde uͤber einander greifen, voͤllig, und man ſieht nur Gelbroth, Gruͤn und Blauroth. I. 9130Naͤhert man die Tafel dem brechenden Mittel, ſo er - ſcheinen Gelb und Blau ſchon wieder, und man erblickt die fuͤnf Farben mit ihren Schattirungen. Ruͤckt man mit der Tafel noch naͤher, ſo treten Gelb und Blau voͤllig aus einander, das Gruͤne verſchwindet und zwi - ſchen den gefaͤrbten Raͤndern und Saͤumen zeigt ſich das Bild farblos. Je naͤher man mit der Tafel gegen das Prisma zuruͤckt, deſto ſchmaͤler werden gedachte Raͤn - der und Saͤume, bis ſie endlich an und auf dem Pris - ma null werden.
Wir haben die grauen Bilder als hoͤchſt wichtig bey ſubjectiven Verſuchen dargeſtellt. Sie zeigen uns durch die Schwaͤche der Nebenbilder, daß eben dieſe Nebenbilder ſich jederzeit von dem Hauptbilde herſchrei - ben. Will man nun die objectiven Verſuche auch hier parallel durchfuͤhren; ſo koͤnnte dieſes auf eine bequeme Weiſe geſchehen, wenn man ein mehr oder weniger matt geſchliffenes Glas vor die Oeffnung hielte, durch welche das Sonnenbild hereinfaͤllt. Es wuͤrde dadurch ein gedaͤmpftes Bild hervorgebracht werden, welches nach der Refraction viel mattere Farben, als das von131 der Sonnenſcheibe unmittelbar abgeleitete, auf der Ta - fel zeigen wuͤrde; und ſo wuͤrde auch von dem hoͤchſt energiſchen Sonnenbilde nur ein ſchwaches, der Daͤm - pfung gemaͤßes Nebenbild entſtehen; wie denn freylich durch dieſen Verſuch dasjenige, was uns ſchon genug - ſam bekannt iſt, nur noch aber und abermal bekraͤftigt wird.
Es giebt mancherley Arten, farbige Bilder zum Behuf objectiver Verſuche hervorzubringen. Erſtlich kann man farbiges Glas vor die Oeffnung halten, wo - durch ſogleich ein farbiges Bild hervorgebracht wird. Zweytens kann man das Waſſerprisma mit farbigen Liquoren fuͤllen. Drittens kann man die von einem Prisma ſchon hervorgebrachten emphatiſchen Farben durch proportionirte kleine Oeffnungen eines Bleches durch - laſſen, und alſo kleine Bilder zu einer zweyten Refrac - tion vorbereiten. Dieſe letzte Art iſt die beſchwerlichſte, indem, bei dem beſtaͤndigen Fortruͤcken der Sonne, ein ſolches Bild nicht feſt gehalten, noch in beliebiger Rich - tung beſtaͤtigt werden kann. Die zweyte Art hat auch ihre Unbequemlichkeiten, weil nicht alle farbige Liquo -9 *132ren ſchoͤn hell und klar zu bereiten ſind. Daher die erſte um ſo mehr den Vorzug verdient, als die Phyſiker ſchon bisher die von dem Sonnenlicht durchs Prisma hervorgebrachten Farben, diejenigen, welche durch Liquo - ren und Glaͤſer erzeugt werden, und die, welche ſchon auf Papier oder Tuch fixirt ſind, bey der Demonſtration als gleichwirkend gelten laſſen.
Da es nun alſo bloß darauf ankommt, daß das Bild gefaͤrbt werde; ſo gewaͤhrt uns das ſchon einge - fuͤhrte große Waſſerprisma hierzu die beſte Gelegenheit: denn indem man vor ſeine großen Flaͤchen, welche das Licht ungefaͤrbt durchlaſſen, eine Pappe vorſchieben kann, in welche man Oeffnungen von verſchiedener Figur ge - ſchnitten, um unterſchiedene Bilder und alſo auch un - terſchiedene Nebenbilder hervorzubringen; ſo darf man nur vor die Oeffnungen der Pappe farbige Glaͤſer be - feſtigen, um zu beobachten, welche Wirkung die Re - fraction im objectiven Sinne auf farbige Bilder her - vorbringt.
Man bediene ſich nehmlich jener ſchon beſchriebenen Tafel (281.) mit farbigen Glaͤſern, welche man genau in der Groͤße eingerichtet, daß ſie in die Falzen des großen Waſſerprismas eingeſchoben werden kann. Man laſſe nunmehr die Sonne hindurchſcheinen, ſo wird man die hinaufwaͤrts gebrochenen farbigen Bilder, jedes nach ſeiner Art, geſaͤumt und geraͤndert ſehen, indem ſich133 dieſe Saͤume und Raͤnder an einigen Bildern ganz deutlich zeigen, an andern ſich mit der ſpecifiſchen Far - be des Glaſes vermiſchen, ſie erhoͤhen oder verkuͤmmern; und jedermann wird ſich uͤberzeugen koͤnnen, daß hier abermals nur von dieſem von uns ſubjectiv und objec - tiv ſo umſtaͤndlich vorgetragenen einfachen Phaͤnomen die Rede ſey.
Wie man die hyperchromatiſchen und achromati - ſchen Verſuche auch objectiv anſtellen koͤnne, dazu brau - chen wir nur, nach allem was oben weitlaͤuftig ausge - fuͤhrt worden, eine kurze Anleitung zu geben, beſonders da wir vorausſetzen koͤnnen, daß jenes erwaͤhnte zuſam - mengeſetzte Prisma ſich in den Haͤnden des Naturfreun - des befinde.
Man laſſe durch ein ſpitzwinkliges Prisma von wenigen Graden, aus Crownglas geſchliffen, das Son - nenbild dergeſtalt durchgehen, daß es auf der entgegen - geſetzten Tafel in die Hoͤhe gebrochen werde; die Raͤn - der werden nach dem bekannten Geſetz gefaͤrbt erſchei -134 nen, das Violette und Blaue nehmlich oben und au - ßen, das Gelbe und Gelbrothe unten und innen. Da nun der brechende Winkel dieſes Prismas ſich unten befindet; ſo ſetze man ihm ein andres proportionirtes von Flintglas entgegen, deſſen brechender Winkel nach oben gerichtet ſey. Das Sonnenbild werde dadurch wieder an ſeinen Platz gefuͤhrt, wo es denn durch den Ueberſchuß der farberregenden Kraft des herabfuͤhrenden Prismas von Flintglas, nach dem Geſetze dieſer Her - abfuͤhrung, wenig gefaͤrbt ſeyn, das Blaue und Vio - lette unten und außen, das Gelbe und Gelbrothe oben und innen zeigen wird.
Man ruͤcke nun durch ein proportionirtes Prisma von Crownglas das ganze Bild wieder um weniges in die Hoͤhe; ſo wird die Hyperchromaſie aufgehoben, das Sonnenbild vom Platze geruͤckt und doch farblos er - ſcheinen.
Mit einem aus drey Glaͤſern zuſammengeſetzten achromatiſchen Objectivglaſe kann man eben dieſe Ver - ſuche ſtufenweiſe machen, wenn man es ſich nicht reuen laͤßt, ſolches aus der Huͤlſe, worein es der Kuͤnſtler eingenietet hat, herauszubrechen. Die beyden convexen Glaͤſer von Crownglas, indem ſie das Bild nach dem Focus zuſammenziehen, das concave Glas von Flint - glas, indem es das Sonnenbild hinter ſich ausdehnt, zeigen an dem Rande die hergebrachten Farben. Ein135 Convexglas mit dem Concavglaſe zuſammengenommen zeigt die Farben nach dem Geſetz des letztern. Sind alle drey Glaͤſer zuſammengelegt, ſo mag man das Son - nenbild nach dem Focus zuſammenziehen, oder ſich daſ - ſelbe hinter dem Brennpuncte ausdehnen laſſen, niemals zeigen ſich farbige Raͤnder, und die von dem Kuͤnſtler intendirte Achromaſie bewaͤhrt ſich hier abermals.
Da jedoch das Crownglas durchaus eine gruͤnliche Farbe hat, ſo daß beſonders bey großen und ſtarken Objectiven etwas von einem gruͤnlichen Schein mit un - ter laufen, und ſich daneben die geforderte Purpurfarbe unter gewiſſen Umſtaͤnden einſtellen mag; welches uns jedoch, bey wiederholten Verſuchen mit mehreren Ob - jectiven, nicht vorgekommen: ſo hat man hierzu die wunderbarſten Erklaͤrungen erſonnen und ſich, da man theoretiſch die Unmoͤglichkeit achromatiſcher Fernglaͤſer zu beweiſen genoͤthigt war, gewiſſermaßen gefreut, eine ſolche radicale Verbeſſerung laͤugnen zu koͤnnen; wovon jedoch nur in der Geſchichte dieſer Erfindungen um - ſtaͤndlich gehandelt werden kann.
Wenn wir oben angezeigt haben, daß die objectiv und ſubjectiv betrachtete Refraction im Gegenſinne wir - ken muͤſſe (318); ſo wird daraus folgen, daß wenn man die Verſuche verbindet, entgegengeſetzte und ein - ander aufhebende Erſcheinungen ſich zeigen werden.
Durch ein horizontal geſtelltes Prisma werde das Sonnenbild an eine Wand hinaufgeworfen. Iſt das Prisma lang genug, daß der Beobachter zugleich hin - durch ſehen kann; ſo wird er das durch die objective Refraction hinaufgeruͤckte Bild wieder heruntergeruͤckt und ſolches an der Stelle ſehen, wo es ohne Refrac - tion erſchienen waͤre.
Hierbey zeigt ſich ein bedeutendes, aber gleichfalls aus der Natur der Sache herfließendes Phaͤnomen. Da nehmlich, wie ſchon ſo oft erinnert worden, das objectiv an die Wand geworfene gefaͤrbte Sonnenbild keine fertige noch unveraͤnderliche Erſcheinung iſt; ſo wird bey obgedachter Operation das Bild nicht al - lein fuͤr das Auge heruntergezogen, ſondern auch ſei -137 ner Raͤnder und Saͤume voͤllig beraubt und in eine farbloſe Kreisgeſtalt zuruͤckgebracht.
Bedient man ſich zu dieſem Verſuche zweyer voͤllig gleichen Prismen; ſo kann man ſie erſt neben einan - der ſtellen, durch das eine das Sonnenbild durchfallen laſſen, durch das andre aber hindurchſehen.
Geht der Beſchauer mit dem zweyten Prisma nun - mehr weiter vorwaͤrts; ſo zieht ſich das Bild wieder hinauf und wird ſtufenweiſe nach dem Geſetz des erſten Prismas gefaͤrbt. Tritt der Beſchauer nun wieder zu - ruͤck, bis er das Bild wieder auf den Nullpunkt ge - bracht hat und geht ſodann immer weiter von dem Bilde weg; ſo bewegt ſich das fuͤr ihn rund und farb - los gewordene Bild immer weiter herab und faͤrbt ſich im entgegengeſetzten Sinne, ſo daß wir daſſelbe Bild, wenn wir zugleich durch das Prisma hindurch und daran herſehen, nach objectiven und ſubjectiven Geſetzen gefaͤrbt erblicken.
Wie dieſer Verſuch zu vermannigfaltigen ſey, er - giebt ſich von ſelbſt. Iſt der brechende Winkel des Prismas, wodurch das Sonnenbild objectiv in die Hoͤhe gehoben wird, groͤßer als der des Prismas, wodurch der Beobachter blickt; ſo muß der Beobachter viel wei - ter zuruͤcktreten, um das farbige Bild an der Wand ſo weit herunterzufuͤhren, daß es farblos werde, und umgekehrt.
Daß man auf dieſem Wege die Achromaſie und Hyperchromaſie gleichfalls darſtellen koͤnne, faͤllt in die Augen; welches wir weiter auseinander zu ſetzen und auszufuͤhren dem Liebhaber wohl ſelbſt uͤberlaſſen koͤn - nen, ſo wie wir auch andere complicirte Verſuche, wobey man Prismen und Linſen zugleich anwendet, auch die objectiven und ſubjectiven Erfahrungen auf mancherley Weiſe durch einander miſcht, erſt ſpaͤterhin darlegen und auf die einfachen, uns nunmehr genug - ſam bekannten Phaͤnomene zuruͤckfuͤhren werden.
Wenn wir auf die bisherige Darſtellung und Ab - leitung der dioptriſchen Farben zuruͤckſehen; koͤnnen wir keine Reue empfinden, weder daß wir ſie ſo umſtaͤnd - lich abgehandelt, noch daß wir ſie vor den uͤbrigen phyſiſchen Farben, außer der von uns ſelbſt angegebe - nen Ordnung, vorgetragen haben. Doch gedenken wir hier an der Stelle des Uebergangs unſern Leſern und Mitarbeitern deßhalb einige Rechenſchaft zu geben.
Sollten wir uns verantworten, daß wir die Lehre von den dioptriſchen Farben, beſonders der zweyten139 Claſſe, vielleicht zu weitlaͤuftig ausgefuͤhrt; ſo haͤtten wir folgendes zu bemerken. Der Vortrag irgend eines Gegenſtandes unſres Wiſſens kann ſich theils auf die innre Nothwendigkeit der abzuhandelnden Materie, theils aber auch auf das Beduͤrfniß der Zeit, in welcher der Vortrag geſchieht, beziehen. Bey dem unſrigen waren wir genoͤthigt, beyde Ruͤckſichten immer vor Augen zu haben. Einmal war es die Abſicht, unſre ſaͤmmtlichen Erfahrungen ſo wie unſre Ueberzeugungen, nach einer lange gepruͤften Methode, vorzulegen; ſodann aber muß - ten wir unſer Augenmerk darauf richten, manche zwar bekannte, aber doch verkannte, beſonders auch in falſchen Verknuͤpfungen aufgeſtellte Phaͤnomene in ihrer natuͤr - lichen Entwicklung und wahrhaft erfahrungsmaͤßigen Ordnung darzuſtellen, damit wir kuͤnftig, bey polemi - ſcher und hiſtoriſcher Behandlung, ſchon eine vollſtaͤn - dige Vorarbeit zu leichterer Ueberſicht ins Mittel brin - gen koͤnnten. Daher iſt denn freylich eine groͤßere Um - ſtaͤndlichkeit noͤthig geworden, welche eigentlich nur dem gegenwaͤrtigen Beduͤrfniß zum Opfer gebracht wird. Kuͤnftig, wenn man erſt das Einfache als einfach, das Zuſammengeſetzte als zuſammengeſetzt, das Erſte und Obere als ein ſolches, das Zweyte, Abgeleitete auch als ein ſolches anerkennen und ſchauen wird; dann laͤßt ſich dieſer ganze Vortrag ins Engere zuſammen - ziehen, welches, wenn es uns nicht ſelbſt noch gluͤcken ſollte, wir einer heiter thaͤtigen Mit - und Nachwelt uͤberlaſſen.
Was ferner die Ordnung der Capitel uͤberhaupt betrifft, ſo mag man bedenken, daß ſelbſt verwandte Naturphaͤnomene in keiner eigentlichen Folge oder ſteti - gen Reihe ſich an einander ſchließen; ſondern daß ſie durch Thaͤtigkeiten hervorgebracht werden, welche ver - ſchraͤnkt wirken, ſo daß es gewiſſermaßen gleichguͤltig iſt, was fuͤr eine Erſcheinung man zuerſt, und was fuͤr eine man zuletzt betrachtet: weil es doch nur dar - auf ankommt, daß man ſich alle moͤglichſt vergegenwaͤr - tige, um ſie zuletzt unter einem Geſichtspunct, theils nach ihrer Natur, theils nach Menſchen-Weiſe und Bequemlichkeit, zuſammenzufaſſen.
Doch kann man im gegenwaͤrtigen beſondern Falle behaupten, daß die dioptriſchen Farben billig an die Spitze der phyſiſchen geſtellt werden, ſo wohl wegen ihres auf - fallenden Glanzes und uͤbrigen Bedeutſamkeit, als auch weil, um dieſelben abzuleiten, manches zur Sprache kommen mußte, welches uns zunaͤchſt große Erleichte - rung gewaͤhren wird.
Denn man hat bisher das Licht als eine Art von Abſtractum, als ein fuͤr ſich beſtehendes und wirken - des, gewiſſermaßen ſich ſelbſt bedingendes, bey geringen Anlaͤſſen aus ſich ſelbſt die Farben hervorbringendes Weſen angeſehen. Von dieſer Vorſtellungsart jedoch die Naturfreunde abzulenken, ſie aufmerkſam zu machen,141 daß, bey prismatiſchen und andern Erſcheinungen, nicht von einem unbegraͤnzten bedingenden, ſondern von ei - nem begraͤnzten bedingten Lichte, von einem Lichtbilde, ja von Bildern uͤberhaupt, hellen oder dunklen, die Rede ſey. Dieß iſt die Aufgabe, welche zu loͤſen, das Ziel, welches zu erreichen waͤre.
Was bey dioptriſchen Faͤllen, beſonders der zwey - ten Claſſe, naͤmlich bey Refractionsfaͤllen vorgeht, iſt uns nunmehr genugſam bekannt, und dient uns zur Einleitung ins Kuͤnftige.
Die katoptriſchen Faͤlle erinnern uns an die phy - ſiologiſchen, nur daß wir jenen mehr Objectivitaͤt zu - ſchreiben, und ſie deßhalb unter die phyſiſchen zu zaͤh - len uns berechtigt glauben. Wichtig aber iſt es, daß wir hier abermals nicht ein abſtractes Licht, ſondern ein Lichtbild zu beachten finden.
Gehen wir zu den paroptiſchen uͤber, ſo werden wir, wenn das fruͤhere gut gefaßt worden, uns mit Verwundrung und Zufriedenheit abermals im Reiche der Bilder finden. Beſonders wird uns der Schatten eines Koͤrpers, als ein ſecundaͤres, den Koͤrper ſo ge - nau begleitendes Bild, manchen Aufſchluß geben.
Doch greifen wir dieſen fernern Darſtellungen nicht vor, um, wie bisher geſchehen, nach unſerer Ueberzeu - gung regelmaͤßigen Schritt zu halten.
Wenn wir von katoptriſchen Farben ſprechen, ſo deuten wir damit an, daß uns Farben bekannt ſind, welche bey Gelegenheit einer Spiegelung erſcheinen. Wir ſetzen voraus, daß das Licht ſowohl, als die Flaͤ - che, wovon es zuruͤckſtrahlt, ſich in einem voͤllig farblo - ſen Zuſtand befinde. In dieſem Sinne gehoͤren dieſe Er - ſcheinungen unter die phyſiſchen Farben. Sie entſtehen bey Gelegenheit der Reflexion, wie wir oben die diop - triſchen der zweyten Claſſe, bey Gelegenheit der Refrac - tion, hervortreten ſahen. Ohne jedoch weiter im All - gemeinen zu verweilen, wenden wir uns gleich zu den beſondern Faͤllen, und zu den Bedingungen, welche noͤthig ſind, daß gedachte Phaͤnomene ſich zeigen.
Wenn man eine feine Stahlſaite vom Roͤllchen abnimmt, ſie ihrer Elaſticitaͤt gemaͤß verworren durch einander laufen laͤßt, und ſie an ein Fenſter in die Tageshelle legt; ſo wird man die Hoͤhen der Kreiſe und Windungen erhellt, aber weder glaͤnzend noch farbig ſehen. Tritt die Sonne hingegen hervor; ſo zieht ſich dieſe Hellung auf einen Punct zuſammen, und das143 Auge erblickt ein kleines glaͤnzendes Sonnenbild, das, wenn man es nahe betrachtet, keine Farbe zeigt. Geht man aber zuruͤck und faßt den Abglanz in einiger Ent - fernung mit den Augen auf; ſo ſieht man viele kleine, auf die mannigfaltigſte Weiſe gefaͤrbte Sonnenbilder, und ob man gleich Gruͤn und Purpur am meiſten zu ſehen glaubt, ſo zeigen ſich doch auch, bey genauerer Auf - merkſamkeit, die uͤbrigen Farben.
Nimmt man eine Lorgnette, und ſieht dadurch auf die Erſcheinung; ſo ſind die Farben verſchwunden, ſo wie der ausgedehntere Glanz, in dem ſie erſcheinen, und man erblickt nur die kleinen leuchtenden Puncte, die wiederholten Sonnenbilder. Hieraus erkennt man, daß die Erfahrung ſubjectiver Natur iſt, und daß ſich die Erſcheinung an jene anſchließt, die wir unter dem Na - men der ſtrahlenden Hoͤfe eingefuͤhrt haben (100).
Allein wir koͤnnen dieſes Phaͤnomen auch von der objectiven Seite zeigen. Man befeſtige unter eine maͤßige Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ein weißes Papier, und halte, wenn die Sonne durch die Oeff - nung ſcheint, die verworrene Drathſaite in das Licht, ſo daß ſie dem Papiere gegenuͤber ſteht. Das Sonnen - licht wird auf und in die Ringe der Drathſaite fallen, ſich aber nicht, wie im concentrirenden menſchlichen Auge, auf einem Puncte zeigen; ſondern, weil das Papier auf jedem Theile ſeiner Flaͤche den Abglanz des144 Lichtes aufnehmen kann, in haarfoͤrmigen Streifen, wel - che zugleich bunt ſind, ſehen laſſen.
Dieſer Verſuch iſt rein katoptriſch: denn da man ſich nicht denken kann, daß das Licht in die Oberflaͤche des Stahls hineindringe und etwa darin veraͤndert wer - de; ſo uͤberzeugen wir uns leicht, daß hier bloß von einer reinen Spiegelung die Rede ſey, die ſich, in ſo fern ſie ſubjectiv iſt, an die Lehre von den ſchwachwir - kenden und abklingenden Lichtern anſchließt, und in ſo fern ſie objectiv gemacht werden kann, auf ein außer dem Menſchen Reales, ſogar in den leiſeſten Erſchei - nungen hindeutet.
Wir haben geſehen, daß hier nicht allein ein Licht, ſondern ein energiſches Licht, und ſelbſt dieſes nicht im Abſtracten und Allgemeinen, ſondern ein begraͤnztes Licht, ein Lichtbild noͤthig ſey, um dieſe Wirkung hervorzu - bringen. Wir werden uns hiervon bey verwandten Faͤllen noch mehr uͤberzeugen.
Eine polirte Silberplatte gibt in der Sonne einen blendenden Schein von ſich; aber es wird bey dieſer Gelegenheit keine Farbe geſehen. Ritzt man hingegen die Oberflaͤche leicht, ſo erſcheinen bunte, beſonders gruͤne und purpurne Farben, unter einem gewiſſen Win - kel, dem Auge. Bey ciſelirten und guilloſchirten Me -145 tallen tritt auch dieſes Phaͤnomen auffallend hervor; doch laͤßt ſich durchaus bemerken, daß wenn es erſchei - nen ſoll, irgend ein Bild, eine Abwechſelung des Dunk - len und Hellen, bey der Abſpiegelung mitwirken muͤſſe, ſo daß ein Fenſterſtab, der Aſt eines Baumes, ein zu - faͤlliges oder mit Vorſatz aufgeſtelltes Hinderniß, eine merkliche Wirkung hervorbringt. Auch dieſe Erſchei - nung laͤßt ſich in der Camera obſcura objectiviren.
Laͤßt man ein polirtes Silber durch Scheidewaſſer dergeſtalt anfreſſen, daß das darin befindliche Kupfer aufgeloͤſt und die Oberflaͤche gewiſſermaßen rauh wer - de, und laͤßt alsdann das Sonnenbild ſich auf der Platte ſpiegeln; ſo wird es von jedem unendlich klei - nen erhoͤhten Puncte einzeln zuruͤckglaͤnzen, und die Oberflaͤche der Platte in bunten Farben erſcheinen. Eben ſo, wenn man ein ſchwarzes ungeglaͤttetes Papier in die Sonne haͤlt und aufmerkſam darauf blickt, ſieht man es in ſeinen kleinſten Theilen bunt in den lebhaf - teſten Farben glaͤnzen.
Dieſe ſaͤmmtlichen Erfahrungen deuten auf eben die - ſelben Bedingungen hin. In dem erſten Falle ſcheint das Lichtbild von einer ſchmalen Linie zuruͤck; in dem zwey - ten wahrſcheinlich von ſcharfen Kanten; in dem dritten von ſehr kleinen Puncten. Bey allen wird ein lebhaf - tes Licht und eine Begraͤnzung deſſelben verlangt. Nicht weniger wird zu dieſen ſaͤmmtlichen FarberſcheinungenI. 10146erfordert, daß ſich das Auge in einer proportionirten Ferne von den reflectirenden Puncten befinde.
Stellt man dieſe Beobachtungen unter dem Mikro - ſkop an, ſo wird die Erſcheinung an Kraft und Glanz unendlich wachſen: denn man ſieht alsdann die klein - ſten Theile der Koͤrper, von der Sonne beſchienen, in dieſen Reflexionsfarben ſchimmern, die, mit den Re - fractionsfarben verwandt, ſich nun auf die hoͤchſte Stu - fe ihrer Herrlichkeit erheben. Man bemerkt in ſolchem Falle ein wurmfoͤrmig Buntes auf der Oberflaͤche orga - niſcher Koͤrper, wovon das Naͤhere kuͤnftig vorgelegt werden ſoll.
Uebrigens ſind die Farben, welche bey der Reflexion ſich zeigen, vorzuͤglich Purpur und Gruͤn; woraus ſich vermuthen laͤßt, daß beſonders die ſtreifige Erſcheinung aus einer zarten Purpurlinie beſtehe, welche an ihren beyden Seiten theils mit Blau, theils mit Gelb einge - faßt iſt. Treten die Linien ſehr nahe zuſammen, ſo muß der Zwiſchenraum gruͤn erſcheinen; ein Phaͤnomen, das uns noch oft vorkommen wird.
In der Natur begegnen uns dergleichen Farben oͤfters. Die Farben der Spinneweben ſetzen wir denen, die von Stahlſaiten wiederſcheinen, voͤllig gleich, ob ſich ſchon daran nicht ſo gut als an dem Stahl die147 Undurchdringlichkeit beglaubigen laͤßt, weßwegen man auch dieſe Farben mit zu den Refractionserſcheinungen hat ziehen wollen.
Beym Perlemutter werden wir unendlich feine, nebeneinanderliegende organiſche Fibern und Lamellen gewahr, von welchen, wie oben beym geritzten Silber, mannigfaltige Farben, vorzuͤglich aber Purpur und Gruͤn, entſpringen moͤgen.
Die changeanten Farben der Vogelfedern werden hier gleichfalls erwaͤhnt, obgleich bey allem Organiſchen eine chemiſche Vorbereitung und eine Aneignung der Farbe an den Koͤrper gedacht werden kann; wovon bey Gelegenheit der chemiſchen Farben weiter die Rede ſeyn wird.
Daß die Erſcheinungen der objectiven Hoͤfe auch in der Naͤhe katoptriſcher Phaͤnomene liegen, wird leicht zugegeben werden, ob wir gleich nicht laͤugnen, daß auch Refraction mit im Spiele ſey. Wir wollen hier nur Einiges bemerken, bis wir, nach voͤllig durch - laufenem theoretiſchen Kreiſe, eine vollkommnere Anwen - dung des uns alsdann im Allgemeinen Bekannten auf die einzelnen Naturerſcheinungen zu machen im Stand - ſeyn werden.
Wir gedenken zuerſt jenes gelben und rothen Krei - ſes an einer weißen oder graulichen Wand, den wir10 *148durch ein nah geſtelltes Licht hervorgebracht (88). Das Licht, indem es von einem Koͤrper zuruͤckſcheint, wird gemaͤßigt, das gemaͤßigte Licht erregt die Empfindung der gelben und ferner der rothen Farbe.
Eine ſolche Kerze erleuchte die Wand lebhaft in un - mittelbarer Naͤhe. Je weiter der Schein ſich verbreitet, deſto ſchwaͤcher wird er; allein er iſt doch immer die Wirkung der Flamme, die Fortſetzung ihrer Energie, die ausgedehnte Wirkung ihres Bildes. Man koͤnnte dieſe Kreiſe daher gar wohl Graͤnzbilder nennen, weil ſie die Graͤnze der Thaͤtigkeit ausmachen und doch auch nur ein erweitertes Bild der Flamme darſtellen.
Wenn der Himmel um die Sonne weiß und leuch - tend iſt, indem leichte Duͤnſte die Atmoſphaͤre er - fuͤllen, wenn Duͤnſte oder Wolken um den Mond ſchweben; ſo ſpiegelt ſich der Abglanz der Scheibe in denſelben. Die Hoͤfe, die wir alsdann erblicken, ſind einfach oder doppelt, kleiner oder groͤßer, zuweilen ſehr groß, oft farblos, manchmal farbig.
Einen ſehr ſchoͤnen Hof um den Mond ſah ich den 15. November 1799 bey hohem Barometerſtande und dennoch wolkigem und dunſtigem Himmel. Der Hof war voͤllig farbig, und die Kreiſe folgten ſich wie bey ſubjectiven Hoͤfen ums Licht. Daß er objectiv war, konnte ich bald einſehen, indem ich das Bild des149 Mondes zuhielt und der Hof dennoch vollkommen ge - ſehen wurde.
Die verſchiedene Groͤße der Hoͤfe ſcheint auf die Naͤhe oder Ferne des Dunſtes von dem Auge des Be - obachters einen Bezug zu haben.
Da leicht angehauchte Fenſterſcheiben die Lebhaf - tigkeit der ſubjectiven Hoͤfe vermehren, und ſie gewiſ - ſermaßen zu objectiven machen; ſo ließe ſich vielleicht mit einer einfachen Vorrichtung, bey recht raſch kalter Winterzeit, hiervon die naͤhere Beſtimmung auffinden.
Wie ſehr wir Urſache haben, auch bey dieſen Krei - ſen auf das Bild und deſſen Wirkung zu dringen, zeigt ſich bey dem Phaͤnomen der ſogenannten Neben - ſonnen. Dergleichen Nachbarbilder finden ſich immer auf gewiſſen Puncten der Hoͤfe und Kreiſe, und ſtel - len das wieder nur begraͤnzter dar, was in dem gan - zen Kreiſe immerfort allgemeiner vorgeht. An die Er - ſcheinung des Regenbogens wird ſich dieſes alles be - quemer anſchließen.
Zum[Schluſſe] bleibt uns nichts weiter uͤbrig, als daß wir die Verwandtſchaft der katoptriſchen Farben mit den paroptiſchen einleiten.
150Die paroptiſchen Farben werden wir diejenigen nennen, welche entſtehen, wenn das Licht an einem undurchſichtigen farbloſen Koͤrper herſtrahlt. Wie nahe ſie mit den dioptriſchen der zweyten Claſſe verwandt ſind, wird Jedermann leicht einſehen, der mit uns uͤber - zeugt iſt, daß die Farben der Refraction bloß an den Raͤndern entſtehen. Die Verwandtſchaft der katoptri - ſchen und paroptiſchen aber wird uns in dem folgen - den Capitel klar werden.
Die paroptiſchen Farben wurden bisher periopti - ſche genannt, weil man ſich eine Wirkung des Lichts gleichſam um den Koͤrper herum dachte, die man ei - ner gewiſſen Biegbarkeit des Lichtes nach dem Koͤrper hin und vom Koͤrper ab zuſchrieb.
Auch dieſe Farben kann man in objective und ſubjective eintheilen, weil auch ſie theils außer uns, gleichſam wie auf der Flaͤche gemalt, theils in uns, unmittelbar auf der Retina, erſcheinen. Wir finden bey dieſem Capitel das vortheilhafteſte, die objectiven zuerſt zu nehmen, weil die ſubjectiven ſich ſo nah an151 andre uns ſchon bekannte Erſcheinungen anſchließen, daß man ſie kaum davon zu trennen vermag.
Die paroptiſchen Farben werden alſo genannt, weil, um ſie hervorzubringen, das Licht an einem Rande herſtrahlen muß. Allein nicht immer, wenn das Licht an einem Rande herſtrahlt, erſcheinen ſie; es ſind dazu noch ganz beſondre Nebenbedingungen noͤthig.
Ferner iſt zu bemerken, daß hier abermals das Licht keinesweges in Abſtracto wirke (361); ſondern die Sonne ſcheint an einem Rande her. Das ganze von dem Sonnenbild ausſtroͤmende Licht wirkt an ei - ner Koͤrpergraͤnze vorbey und verurſacht Schatten. An dieſen Schatten, innerhalb derſelben, werden wir kuͤnftig die Farbe gewahr werden.
Vor allen Dingen aber betrachten wir die hieher gehoͤrigen Erfahrungen in vollem Lichte. Wir ſetzen den Beobachter ins Freye, ehe wir ihn in die Be - ſchraͤnkung der dunklen Kammer fuͤhren.
Wer im Sonnenſchein in einem Garten oder ſonſt auf glatten Wegen wandelt, wird leicht bemerken, daß ſein Schatten nur unten am Fuß, der die Erde be - tritt, ſcharf begraͤnzt erſcheint, weiter hinauf, be -152 ſonders um das Haupt, verfließt er ſanft in die helle Flaͤche. Denn indem das Sonnenlicht nicht allein aus der Mitte der Sonne herſtroͤmt, ſondern auch von den beyden Enden dieſes leuchtenden Geſtir - nes uͤbers Kreuz wirkt; ſo entſteht eine objective Pa - rallaxe, die an beyden Seiten des Koͤrpers einen Halbſchatten hervorbringt.
Wenn der Spaziergaͤnger ſeine Hand erhebt, ſo ſieht er an den Fingern deutlich das Auseinanderwei - chen der beyden Halbſchatten nach außen, die Ver - ſchmaͤlerung des Hauptſchattens nach innen, beydes Wirkungen des ſich kreuzenden Lichtes.
Man kann vor einer glatten Wand dieſe Ver - ſuche mit Staͤben von verſchiedener Staͤrke, ſo wie auch mit Kugeln wiederhohlen und vervielfaͤltigen; immer wird man finden, daß je weiter der Koͤrper von der Tafel entfernt wird, deſto mehr verbreitet ſich der ſchwache Doppelſchatten, deſto mehr verſchmaͤ - lert ſich der ſtarke Hauptſchatten, bis dieſer zuletzt ganz aufgehoben ſcheint, ja die Doppelſchatten endlich ſo ſchwach werden, daß ſie beynahe verſchwinden; wie ſie denn in mehrerer Entfernung unbemerklich ſind.
Daß dieſes von dem ſich kreuzenden Lichte her - ruͤhre, davon kann man ſich leicht uͤberzeugen; ſo wie denn auch der Schatten eines zugeſpitzten Koͤrpers153 zwey Spitzen deutlich zeigt. Wir duͤrfen alſo niemals außer Augen laſſen, daß in dieſem Falle das ganze Sonnenbild wirke, Schatten hervorbringe, ſie in Dop - pelſchatten verwandle und endlich ſogar aufhebe.
Man nehme nunmehr, ſtatt der feſten Koͤrper, ausgeſchnittene Oeffnungen von verſchiedener beſtimm - ter Groͤße neben einander, und laſſe das Sonnenlicht auf eine etwas entfernte Tafel hindurch fallen; ſo wird man finden, daß das helle Bild, welches auf der Tafel von der Sonne hervorgebracht wird, groͤßer ſey als die Oeffnung; welches daher kommt, daß der eine Rand der Sonne durch die entgegengeſetzte Seite der Oeffnung noch hindurch ſcheint, wenn der andre durch ſie ſchon verdeckt iſt. Daher iſt das helle Bild an ſeinen Raͤndern ſchwaͤcher beleuchtet.
Nimmt man viereckte Oeffnungen von welcher Groͤße man wolle, ſo wird das helle Bild auf einer Tafel, die neun Fuß von den Oeffnungen ſteht, um einen Zoll an jeder Seite groͤßer ſeyn als die Oeff - nung; welches mit dem Winkel des ſcheinbaren Son - nendiameters ziemlich uͤbereinkommt.
Daß eben dieſe Randerleuchtung nach und nach abnehme, iſt ganz natuͤrlich, weil zuletzt nur ein Minimum des Sonnenlichtes vom Sonnenrande uͤbers Kreuz durch den Rand der Oeffnung einwirken kann.
Wir ſehen alſo hier abermals, wie ſehr wir Ur - ſache haben, uns in der Erfahrung vor der Annahme von parallelen Strahlen, Strahlenbuͤſcheln - und Buͤn - deln und dergleichen hypothetiſchen Weſen zu huͤten (309. 310.)
Wir koͤnnen uns vielmehr das Scheinen der Sonne, oder irgend eines Lichtes, als eine unendliche Ab - ſpiegelung des beſchraͤnkten Lichtbildes vorſtellen; wor - aus ſich denn wohl ableiten laͤßt, wie alle viereckte Oeffnungen, durch welche die Sonne ſcheint, in ge - wiſſen Entfernungen, je nachdem ſie groͤßer oder klei - ner ſind, ein rundes Bild geben muͤſſen.
Obige Verſuche kann man durch Oeffnungen von mancherley Form und Groͤße wiederholen, und es wird ſich immer daſſelbe in verſchiedenen Abweichun - gen zeigen; wobey man jedoch immer bemerken wird, daß im vollen Lichte, und bey der einfachen Opera - tion des Herſcheinens der Sonne an einem Rand, keine Farbe ſich ſehen laſſe.
Wir wenden uns daher zu den Verſuchen mit dem gedaͤmpften Lichte, welches noͤthig iſt, damit die Far - benerſcheinung eintrete. Man mache eine kleine Oeff - nung in den Laden der dunklen Kammer, man fange das uͤbers Kreuz eindringende Sonnenbild mit einem155 weißen Papiere auf, und man wird, je kleiner die Oeffnung iſt, ein deſto matteres Licht erblicken; und zwar ganz natuͤrlich, weil die Erleuchtung nicht von der ganzen Sonne, ſondern nur von einzelnen Punc - ten, nur theilweiſe gewirkt wird.
Betrachtet man dieſes matte Sonnenbild genau, ſo findet man es gegen ſeine Raͤnder zu immer matter und mit einem gelben Saume begraͤnzt, der ſich deut - lich zeigt, am deutlichſten aber, wenn ſich ein Nebel, oder eine durchſcheinende Wolke vor die Sonne zieht, ihr Licht maͤßiget und daͤmpft. Sollten wir uns nicht gleich hiebey jenes Hofes an der Wand und des Scheins eines nahe davorſtehenden Lichtes erinnern? (88.)
Betrachtet man jenes oben beſchriebene Sonnen - bild genauer, ſo ſieht man, daß es mit dieſem gel - ben Saume noch nicht abgethan iſt; ſondern man be - merkt noch einen zweyten blaulichen Kreis, wo nicht gar eine hofartige Wiederholung des Farbenſaums. Iſt das Zimmer recht dunkel, ſo ſieht man, daß der zunaͤchſt um die Sonne erhellte Himmel gleichfalls ein - wirkt, man ſieht den blauen Himmel, ja ſogar die ganze Landſchaft auf dem Papiere und uͤberzeugt ſich abermals, daß hier nur von dem Sonnenbilde die Rede ſey.
Nimmt man eine etwas groͤßere, viereckte Oeff - nung, welche durch das Hineinſtrahlen der Sonne nicht156 gleich rund wird; ſo kann man die Halbſchatten von jedem Rande, das Zuſammentreffen derſelben in den Ecken, die Faͤrbung derſelben, nach Maßgabe obge - meldeter Erſcheinung der runden Oeffnung, genau be - merken.
Wir haben nunmehr ein parallaktiſch ſcheinendes Licht gedaͤmpft, indem wir es durch kleine Oeffnun - gen ſcheinen ließen, wir haben ihm aber ſeine paral - laktiſche Eigenſchaft nicht genommen, ſo daß es aber - mals Doppelſchatten der Koͤrper, wenn gleich mit ge - daͤmpfter Wirkung, hervorbringen kann. Dieſe ſind nunmehr diejenigen, auf welche man bisher aufmerk - ſam geweſen, welche in verſchiedenen hellen und dun - keln, farbigen und farbloſen Kreiſen auf einander fol - gen, und vermehrte, ja gewiſſermaßen unzaͤhlige Hoͤfe hervorbringen. Sie ſind oft gezeichnet und in Kupfer geſtochen worden, indem man Nadeln, Haare und andre ſchmale Koͤrper in das gedaͤmpfte Licht brachte, die vielfachen, hofartigen Doppelſchatten bemerkte und ſie einer Aus - und Einbiegung des Lichtes zuſchrieb, und dadurch erklaͤren wollte, wie der Kernſchatten aufgehoben, und wie ein Helles an der Stelle des Dunkeln erſcheinen koͤnne.
Wir aber halten vorerſt daran feſt, daß es aber - mals parallaktiſche Doppelſchatten ſind, welche mit farbigen Saͤumen und Hoͤfen begraͤnzt erſcheinen.
Wenn man alles dieſes nun geſehen, unterſucht und ſich deutlich gemacht hat; ſo kann man zu dem Verſuche mit den Meſſerklingen ſchreiten, welches nur ein Aneinanderruͤcken und parallaktiſches Uebereinander - greifen der uns ſchon bekannten Halbſchatten und Hoͤfe genannt werden kann.
Zuletzt hat man jene Verſuche mit Haaren, Nadeln und Draͤhten in jenem Halblichte, das die Sonne wirkt, ſo wie im Halblichte, das ſich vom blauen Himmel herſchreibt und auf dem Papiere zeigt, anzu - ſtellen und zu betrachten; wodurch man der wahren Anſicht dieſer Phaͤnomene ſich immer mehr bemeiſtern wird.
Da nun aber bey dieſen Verſuchen alles darauf ankommt, daß man ſich von der parallaktiſchen Wir - kung des ſcheinenden Lichtes uͤberzeuge; ſo kann man ſich das, worauf es ankommt, durch zwey Lichter deut - licher machen, wodurch ſich die zwey Schatten uͤber einander fuͤhren und voͤllig ſondern laſſen. Bey Tage kann es durch zwey Oeffnungen am Fenſterladen ge - ſchehen, bey Nacht durch zwey Kerzen; ja es giebt manche Zufaͤlligkeiten in Gebaͤuden beym Auf - und Zu - ſchlagen von Laͤden, wo man dieſe Erſcheinungen beſ - ſer beobachten kann, als bey dem ſorgfaͤltigſten Appa - rate. Jedoch laſſen ſich alle und jede zum Verſuch er - heben, wenn man einen Kaſten einrichtet, in den158 man oben hineinſehen kann, und deſſen Thuͤre man ſachte zulehnt, nachdem man vorher ein Doppellicht einfallen laſſen. Daß hierbey die von uns unter den phyſiologiſchen Farben abgehandelten farbigen Schat - ten ſehr leicht eintreten, laͤßt ſich erwarten.
Ueberhaupt erinnre man ſich, was wir uͤber die Natur der Doppelſchatten, Halblichter und dergleichen fruͤher ausgefuͤhrt haben, beſonders aber mache man Verſuche mit verſchiedenen neben einander geſtellten Schat - tirungen von Grau, wo jeder Streif an ſeinem dunk - len Nachbar hell, am hellen dunkel erſcheinen wird. Bringt man Abends mit drey oder mehreren Lichtern Schatten hervor, die ſich ſtufenweiſe decken; ſo kann man dieſes Phaͤnomen ſehr deutlich gewahr werden, und man wird ſich uͤberzeugen, daß hier der phyſio - logiſche Fall eintritt, den wir oben weiter ausgefuͤhrt haben. (38.)
Inwiefern nun aber alles, was von Erſchei - nungen die paroptiſchen Farben begleitet, aus der Lehre vom gemaͤßigten Lichte, von Halbſchatten und von phyſiologiſcher Beſtimmung der Retina ſich ableiten laſſe, oder ob wir genoͤthigt ſeyn werden, zu gewiſ - ſen innern Eigenſchaften des Lichts unſere Zuflucht zu nehmen, wie man es bisher gethan, mag die Zeit lehren. Hier ſey es genug, die Bedingungen ange - zeigt zu haben, unter welchen die paroptiſchen Farben159 entſtehen, ſo wie wir denn auch hoffen koͤnnen, daß unſre Winke auf den Zuſammenhang mit dem bisheri - gen Vortrag von Freunden der Natur nicht unbeach - tet bleiben werden.
Die Verwandtſchaft der paroptiſchen Farben mit den dioptriſchen der zweyten Claſſe wird ſich auch jeder Denkende gern ausbilden. Hier wie dort iſt von Raͤn - dern die Rede; hier wie dort von einem Lichte, das an dem Rande herſcheint. Wie natuͤrlich iſt es alſo, daß die paroptiſchen Wirkungen durch die dioptriſchen erhoͤht, verſtaͤrkt und verherrlicht werden koͤnnen. Doch kann hier nur von den objectiven Refractionsfaͤllen die Rede ſeyn, da das leuchtende Bild wirklich durch das Mittel durchſcheint: denn dieſe ſind eigentlich mit den paroptiſchen verwandt. Die ſubjectiven Refractions - faͤlle, da wir die Bilder durchs Mittel ſehen, ſtehen aber von den paroptiſchen voͤllig ab, und ſind auch ſchon wegen ihrer Reinheit von uns geprieſen worden.
Wie die paroptiſchen Farben mit den katoptriſchen zuſammenhaͤngen, laͤßt ſich aus dem Geſagten ſchon vermuthen: denn da die katoptriſchen Farben nur an Ritzen, Puncten, Stahlſaiten, zarten Faͤden ſich zeigen, ſo iſt es ungefaͤhr derſelbe Fall, als wenn das Licht an einem Rande herſchiene. Es muß jeder Zeit von einem Rande zuruͤck ſcheinen, damit unſer Auge eine Farbe gewahr werde. Wie auch hier die160 Beſchraͤnkung des leuchtenden Bildes, ſo wie die Maͤ - ßigung des Lichtes, zu betrachten ſey, iſt oben ſchon angezeigt worden.
Von den ſubjectiven paroptiſchen Farben fuͤhren wir nur noch weniges an, weil ſie ſich theils mit den phyſiologiſchen, theils mit den dioptriſchen der zwey - ten Claſſe in Verbindung ſetzen laſſen, und ſie groͤß - tentheils kaum hieher zu gehoͤren ſcheinen, ob ſie gleich, wenn man genau aufmerkt, uͤber die ganze Lehre und ihre Verknuͤpfung ein erfreuliches Licht verbreiten.
Wenn man eine Lineal dergeſtalt vor die Augen haͤlt, daß die Flamme des Lichts uͤber daſſelbe hervor - ſcheint; ſo ſieht man das Lineal gleichſam eingeſchnit - ten und ſchartig an der Stelle, wo das Licht hervor - ragt. Es ſcheint ſich dieſes aus der ausdehnenden Kraft des Lichtes auf der Retina ableiten zu laſſen. (18).
Daſſelbige Phaͤnomen im Großen zeigt ſich beym Aufgang der Sonne, welche, wenn ſie rein, aber nicht allzu maͤchtig, aufgeht, alſo daß man ſie noch anblik - ken kann, jederzeit einen ſcharfen Einſchnitt in den Horizont macht.
Wenn man bey grauem Himmel gegen ein Fen - ſter tritt, ſo daß das dunkle Kreuz ſich gegen denſel -161 ben abſchneidet, wenn man die Augen alsdann auf das horizontale Holz richtet, ferner den Kopf etwas vorzubiegen, zu blinzen und aufwaͤrts zu ſehen an - faͤngt; ſo wird man bald unten an dem Holze einen ſchoͤnen gelbrothen Saum, oben uͤber demſelben einen ſchoͤnen hellblauen entdecken. Je dunkelgrauer und gleicher der Himmel, je daͤmmernder das Zimmer und folglich je ruhiger das Auge, deſto lebhafter wird ſich die Erſcheinung zeigen, ob ſie ſich gleich einem auf - merkſamen Beobachter auch bey hellem Tage darſtellen wird.
Man biege nunmehr den Kopf zuruͤck und blinzle mit den Augen dergeſtalt, daß man den horizontalen Fenſterſtab unter ſich ſehe, ſo wird auch das Phaͤno - men umgekehrt erſcheinen. Man wird nehmlich die obere Kante gelb und die untre blau ſehen.
In einer dunkeln Kammer ſtellen ſich die Beob - achtungen am beſten an. Wenn man vor die Oeff - nung, vor welche man gewoͤhnlich das Sonnen-Mi - kroſkop ſchraubt, ein weißes Papier heftet, wird man den untern Rand des Kreiſes blau, den obern gelb erblicken, ſelbſt indem man die Augen ganz offen hat, oder ſie nur in ſo fern zublinzt, daß kein Hof ſich mehr um das Weiße herum zeigt. Biegt man den Kopf zuruͤck, ſo ſieht man die Farben umgekehrt.
Dieſe Phaͤnomene ſcheinen daher zu entſtehen, daß die Feuchtigkeiten unſres Auges eigentlich nur in der Mitte, wo das Sehen vorgeht, wirklich achroma - tiſch ſind, daß aber gegen die Peripherie zu, und in unnatuͤrlichen Stellungen, als Auf - und Nieder - biegen des Kopfes, wirklich eine chromatiſche Eigen - ſchaft, beſonders wenn ſcharf abſetzende Bilder be - trachtet werden, uͤbrig bleibe. Daher dieſe Phaͤno - mene zu jenen gehoͤren moͤgen, welche mit den diop - triſchen der zweyten Claſſe verwandt ſind.
Aehnliche Farben erſcheinen, wenn man gegen ſchwarze und weiße Bilder durch den Nadelſtich einer Charte ſieht. Statt des weißen Bildes kann man auch den lichten Punct im Bleche des Ladens der Ca - mera obſcura waͤhlen, wenn die Vorrichtung zu den paroptiſchen Farben gemacht iſt.
Wenn man durch eine Roͤhre durchſieht, deren untre Oeffnung verengt, oder durch verſchiedene Aus - ſchnitte bedingt iſt, erſcheinen die Farben gleichfalls.
An die paroptiſchen Erſcheinungen aber ſchließen ſich meines Beduͤnkens folgende Phaͤnomene naͤher an. Wenn man eine Nadelſpitze nah vor das Auge haͤlt, ſo entſteht in demſelben ein Doppelbild. Beſonders163 merkwuͤrdig iſt aber, wenn man durch die zu parop - tiſchen Verſuchen eingerichteten Meſſerklingen hindurch und gegen einen grauen Himmel ſieht. Man blickt nehmlich wie durch einen Flor, und es zeigen ſich im Auge ſehr viele Faͤden, welches eigentlich nur die wie - derholten Bilder der Klingenſchaͤrfen ſind, davon das eine immer von dem folgenden ſucceſſiv, oder wohl auch von dem gegenuͤber wirkenden parallaktiſch bedingt und in eine Fadengeſtalt verwandelt wird.
So iſt denn auch noch ſchließlich zu bemerken, daß, wenn man durch die Klingen nach einem lichten Punct im Fenſterladen hinſieht, auf der Retina die - ſelben farbigen Streifen und Hoͤfe, wie auf dem Pa - piere, entſtehen.
Und ſo ſey dieſes Kapitel gegenwaͤrtig um ſo mehr geſchloſſen, als ein Freund uͤbernommen hat, daſſelbe nochmals genau durch zu experimentiren, von deſſen Bemerkungen wir, bey Gelegenheit der Reviſion, der Tafeln und des Apparats, in der Folge weitere Rechen - ſchaft zu geben hoffen.
Haben wir bisher uns mit ſolchen Farben abge - geben, welche zwar ſehr lebhaft erſcheinen, aber auch, bey aufgehobener Bedingung, ſogleich wieder ver - ſchwinden; ſo machen wir nun die Erfahrung von ſolchen, welche zwar auch als voruͤbergehend beobach - tet werden, aber unter gewiſſen Umſtaͤnden ſich der - geſtalt fixiren, daß ſie, auch nach aufgehobenen Be - dingungen, welche ihre Erſcheinung hervorbrachten, beſtehen bleiben, und alſo den Uebergang von den phy - ſiſchen zu den chemiſchen Farben ausmachen.
Sie entſpringen durch verſchiedene Veranlaſſun - gen auf der Oberflaͤche eines farbloſen Koͤrpers, ur - ſpruͤnglich, ohne Mittheilung, Faͤrbe, Taufe (βαφή); und wir werden ſie nun, von ihrer leiſeſten Erſchei - nung bis zu ihrer hartnaͤckigſten Dauer, durch die verſchiedenen Bedingungen ihres Entſtehens hindurch verfolgen, welche wir zu leichterer Ueberſicht hier ſo - gleich ſummariſch anfuͤhren.
Erſte Bedingung. Beruͤhrung zweyer glatten Flaͤ - chen harter durchſichtiger Koͤrper.
165Erſter Fall, wenn Glasmaſſen, Glastafeln, Lin - ſen an einander gedruͤckt werden.
Zweyter Fall, wenn in einer ſoliden Glas - Kry - ſtall - oder Eismaſſe ein Sprung entſteht.
Dritter Fall, indem ſich Lamellen durchſichtiger Steine von einander trennen.
Zweyte Bedingung. Wenn eine Glasflaͤche oder ein geſchliffner Stein angehaucht wird.
Dritte Bedingung. Verbindung von beyden obi - gen, daß man nehmlich die Glastafel anhaucht, eine andre drauf legt, die Farben durch den Druck erregt, dann das Glas abſchiebt, da ſich denn die Farben nachziehen und mit dem Hauche verfliegen.
Vierte Bedingung. Blaſen verſchiedener Fluͤſſig - keiten, Seife, Chocolade, Bier, Wein, feine Glas - blaſen.
Fuͤnfte Bedingung. Sehr feine Haͤutchen und Lamellen mineraliſcher und metalliſcher Aufloͤſungen; das Kalkhaͤutchen, die Oberflaͤche ſtehender Waſſer, beſonders eiſenſchuͤſſiger; ingleichen Haͤutchen von Oel auf dem Waſſer, beſonders von Firniß auf Scheide - waſſer.
Sechſte Bedingung. Wenn Metalle erhitzt wer - den. Anlaufen des Stahls und andrer Metalle.
Siebente Bedingung. Wenn die Oberflaͤche des Glaſes angegriffen wird.
Erſte Bedingung, Erſter Fall. Wenn zwey convexe Glaͤſer, oder ein Convex - und Planglas, am166 beſten ein Convex - und Hohlglas ſich einander beruͤh - ren, ſo entſtehn concentriſche farbige Kreiſe. Bey dem gelindeſten Druck zeigt ſich ſogleich das Phaͤno - men, welches nach und nach durch verſchiedene Stu - fen gefuͤhrt werden kann. Wir beſchreiben ſogleich die vollendete Erſcheinung, weil wir die verſchiedenen Grade, durch welche ſie durchgeht, ruͤckwaͤrts alsdann deſto beſſer werden einſehen lernen.
Die Mitte iſt farblos; daſelbſt, wo die Glaͤſer durch den ſtaͤrkſten Druck gleichſam zu einem vereinigt ſind, zeigt ſich ein dunkelgrauer Punct, um denſel - ben ein ſilberweißer Raum, alsdann folgen in abneh - menden Entfernungen verſchiedene iſolirte Ringe, welche ſaͤmmtlich aus drey Farben, die unmittelbar mit ein - ander verbunden ſind, beſtehen. Jeder dieſer Ringe, deren etwa drey bis vier gezaͤhlt werden koͤnnen, iſt inwendig gelb, in der Mitte purpurfarben und auswen - dig blau. Zwiſchen zwey Ringen findet ſich ein ſilber - weißer Zwiſchenraum. Die letzten Ringe gegen die Peripherie des Phaͤnomens ſtehen immer enger zuſam - men. Sie wechſeln mit Purpur und Gruͤn, ohne ei - nen dazwiſchen bemerklichen ſilberweißen Raum.
Wir wollen nunmehr die ſucceſſive Entſtehung des Phaͤnomens vom gelindeſten Druck an beobachten.
Beym gelindeſten Druck erſcheint die Mitte ſelbſt gruͤn gefaͤrbt. Darauf folgen bis an die Peripherie167 ſaͤmmtlicher concentriſchen Kreiſe purpurne und gruͤne Ringe. Sie ſind verhaͤltnißmaͤßig breit und man ſieht keine Spur eines ſilberweißen Raums zwiſchen ihnen. Die gruͤne Mitte entſteht durch das Blau eines unent - wickelten Cirkels, das ſich mit dem Gelb des erſten Kreiſes vermiſcht. Alle uͤbrigen Kreiſe ſind bey dieſer gelinden Beruͤhrung breit, ihre gelben und blauen Raͤnder vermiſchen ſich und bringen das ſchoͤne Gruͤn hervor. Der Purpur aber eines jeden Ringes bleibt rein und unberuͤhrt, daher zeigen ſich ſaͤmmtliche Kreiſe von dieſen beyden Farben.
Ein etwas ſtaͤrkerer Druck entfernt den erſten Kreis von dem unentwickelten um etwas weniges und iſolirt ihn, ſo daß er ſich nun ganz vollkommen zeigt. Die Mitte erſcheint nun als ein blauer Punct: denn das Gelbe des erſten Kreiſes iſt nun durch einen ſilberwei - ßen Raum von ihr getrennt. Aus dem Blauen ent - wickelt ſich in der Mitte ein Purpur, welcher jeder - zeit nach außen ſeinen zugehoͤrigen blauen Rand behaͤlt. Der zweyte, dritte Ring, von innen gerechnet, iſt nun ſchon voͤllig iſolirt. Kommen abweichende Faͤlle vor, ſo wird man ſie aus dem geſagten und noch zu ſagenden zu beurtheilen wiſſen.
Bey einem ſtaͤrkern Druck wird die Mitte gelb, ſie iſt mit einem purpurfarbenen und blauen Rand umgeben. Endlich zieht ſich auch dieſes Gelb voͤllig aus der Mitte. Der innerſte Kreis iſt gebildet und168 die gelbe Farbe umgiebt deſſen Rand. Nun erſcheint die ganze Mitte ſilberweiß, bis zuletzt bey dem ſtaͤrkſten Druck ſich der dunkle Punct zeigt und das Phaͤnomen, wie es zu Anfang beſchrieben wurde, vollendet iſt.
Das Maß der concentriſchen Ringe und ihrer Entfernungen bezieht ſich auf die Form der Glaͤſer, welche zuſammen gedruͤckt werden.
Wir haben oben bemerkt, daß die farbige Mitte aus einem unentwickelten Kreiſe beſtehe. Es findet ſich aber oft bey dem gelindeſten Druck, daß mehrere un - entwickelte Kreiſe daſelbſt gleichſam im Keime liegen, welche nach und nach vor dem Auge des Beobachters entwickelt werden koͤnnen.
Die Regelmaͤßigkeit dieſer Ringe entſpringt aus der Form des Convex-Glaſes, und der Durchmeſſer des Phaͤnomens richtet ſich nach dem groͤßern oder kleinern Kugelſchnitt, wornach eine Linſe geſchliffen iſt. Man ſchließt daher leicht, daß man durch das Aneinander - druͤcken von Planglaͤſern nur unregelmaͤßige Erſchei - nungen ſehen werde, welche wellenfoͤrmig nach Art der gewaͤſſerten Seidenzeuge erſcheinen und ſich von dem Puncte des Drucks aus nach allen Enden verbrei - ten. Doch iſt auf dieſem Wege das Phaͤnomen viel herrlicher als auf jenem und fuͤr einen jeden auffallend und reizend. Stellt man nun den Verſuch auf dieſe169 Weiſe an, ſo wird man voͤllig wie bey dem oben beſchriebenen bemerken, daß bey gelindem Druck die gruͤnen und purpurnen Wellen zum Vorſchein kommen, beym ſtaͤrkeren aber Streifen, welche blau, purpurn und gelb ſind, ſich iſoliren. In dem erſten Falle be - ruͤhren ſich ihre Außenſeiten, in dem zweyten ſind ſie durch einen ſilberweißen Raum getrennt.
Ehe wir nun zur fernern Beſtimmung dieſes Phaͤ - nomens uͤbergehen, wollen wir die bequemſte Art, daſ - ſelbe hervorzubringen, mittheilen.
Man lege ein großes Convexglas vor ſich auf den Tiſch gegen ein Fenſter, und auf daſſelbe eine Tafel wohlgeſchliffenen Spiegelglaſes, ungefaͤhr von der Groͤße einer Spielcharte; ſo wird die bloße Schwere der Ta - fel ſie ſchon dergeſtalt andruͤcken, daß eins oder das andre der beſchriebenen Phaͤnomene entſteht, und man wird ſchon durch die verſchiedene Schwere der Glas - tafel, durch andre Zufaͤlligkeiten, wie z. B. wenn man die Glastafel auf die abhaͤngende Seite des Con - vexglaſes fuͤhrt, wo ſie nicht ſo ſtark aufdruͤckt als in der Mitte, alle von uns beſchriebenen Grade nach und nach hervorbringen koͤnnen.
Um das Phaͤnomen zu bemerken, muß man ſchief auf die Flaͤche ſehen, auf welcher uns daſſelbe er - ſcheint. Aeußerſt merkwuͤrdig iſt aber, daß, wenn man ſich immer mehr neigt, und unter einem ſpitzeren170 Winkel nach dem Phaͤnomen ſieht, die Kreiſe ſich nicht allein erweitern; ſondern aus der Mitte ſich noch an - dre Kreiſe entwickeln, von denen ſich, wenn man per - pendiculaͤr auch durch das ſtaͤrkſte Vergroͤßerungsglas darauf ſah, keine Spur entdecken ließ.
Wenn das Phaͤnomen gleich in ſeiner groͤßten Schoͤnheit erſcheinen ſoll, ſo hat man ſich der aͤußer - ſten Reinlichkeit zu befleißigen. Macht man den Ver - ſuch mit Spiegelglasplatten, ſo thut man wohl, lederne Handſchuh anzuziehen. Man kann bequem die innern Flaͤchen, welche ſich auf das genaueſte beruͤhren muͤſ - ſen, vor dem Verſuche reinigen, und die aͤußern, bey dem Verſuche ſelbſt, unter dem Druͤcken rein erhalten.
Man ſieht aus obigem, daß eine genaue Beruͤh - rung zweyer glatten Flaͤchen noͤthig iſt. Geſchliffene Glaͤſer thun den beſten Dienſt. Glasplatten zeigen die ſchoͤnſten Farben, wenn ſie an einander feſthaͤngen; und aus eben dieſer Urſache ſoll das Phaͤnomen an Schoͤn - heit wachſen, wenn ſie unter die Luftpumpe gelegt werden, und man die Luft auspumpt.
Die Erſcheinung der farbigen Ringe kann am ſchoͤnſten hervorgebracht werden, wenn man ein con - vexes und concaves Glas, die nach einerley Kugel - ſchnitt geſchliffen ſind, zuſammenbringt. Ich habe die171 Erſcheinung niemals glaͤnzender geſehen, als bey dem Objectivglaſe eines achromatiſchen Fernrohrs, bey wel - chem das Crownglas mit dem Flintglaſe ſich allzu ge - nau beruͤhren mochte.
Merkwuͤrdig iſt die Erſcheinung, wenn ungleich - artige Flaͤchen, z. B. ein geſchliffner Kryſtall an eine Glasplatte gedruͤckt wird. Die Erſcheinung zeigt ſich keinesweges in großen fließenden Wellen, wie bey der Verbindung des Glaſes mit dem Glaſe, ſondern ſie iſt klein und zackig und gleichſam unterbrochen, ſo daß es ſcheint, die Flaͤche des geſchliffenen Kryſtalls, die aus unendlich kleinen Durchſchnitten der Lamellen be - ſteht, beruͤhre das Glas nicht in einer ſolchen Conti - nuitaͤt, als es von einem andern Glaſe geſchieht.
Die Farbenerſcheinung verſchwindet durch den ſtaͤrk - ſten Druck, der die beyden Flaͤchen ſo innig verbindet, daß ſie nur einen Koͤrper auszumachen ſcheinen. Da - her entſteht der dunkle Punct in der Mitte, weil die gedruckte Linſe auf dieſem Puncte kein Licht mehr zu - ruͤckwirft, ſo wie eben derſelbe Punct, wenn man ihn gegen das Licht ſieht, voͤllig hell und durchſichtig iſt. Bey Nachlaſſung des Drucks verſchwinden die Farben allmaͤhlich, und voͤllig, wenn man die Flaͤchen von einander ſchiebt.
Eben dieſe Erſcheinungen kommen noch in zwey aͤhnlichen Faͤllen vor. Wenn ganze durchſichtige Maſ -172 ſen ſich von einander in dem Grade trennen, daß die Flaͤchen ihrer Theile ſich noch hinreichend beruͤhren; ſo ſieht man dieſelben Kreiſe und Wellen mehr oder we - niger. Man kann ſie ſehr ſchoͤn hervorbringen, wenn man eine erhitzte Glasmaſſe ins Waſſer taucht, in de - ren verſchiedenen Riſſen und Spruͤngen man die Far - ben in mannigfaltigen Zeichnungen bequem beobachten kann. Die Natur zeigt uns oft daſſelbe Phaͤnomen an geſprungenem Bergkryſtall.
Haͤufig aber zeigt ſich dieſe Erſcheinung in der mi - neraliſchen Welt an ſolchen Steinarten, welche ihrer Natur nach blaͤttrig ſind. Dieſe urſpruͤnglichen Lamel - len ſind zwar ſo innig verbunden, daß Steine dieſer Art auch voͤllig durchſichtig und farblos erſcheinen koͤn - nen; doch werden die innerlichen Blaͤtter durch manche Zufaͤlle getrennt, ohne daß die Beruͤhrung aufgehoben werde; und ſo wird die uns nun genugſam bekannte Erſcheinung oͤfters hervorgebracht, beſonders bey Kalk - ſpaͤthen, bey Fraueneis, bey der Adularia und meh - rern aͤhnlich gebildeten Mineralien. Es zeigt alſo eine Unkenntniß der naͤchſten Urſachen einer Erſcheinung, welche zufaͤllig ſo oft hervorgebracht wird, wenn man ſie in der Mineralogie fuͤr ſo bedeutend hielt und den Exemplaren, welche ſie zeigten, einen beſondern Werth beylegte.
Es bleibt uns nur noch uͤbrig, von der hoͤchſt merk - wuͤrdigen Umwendung dieſes Phaͤnomens zu ſprechen,173 wie ſie uns von den Naturforſchern uͤberliefert worden. Wenn man nehmlich, anſtatt die Farben bey reflectir - tem Lichte zu betrachten, ſie bey durchfallendem Licht beobachtet; ſo ſollen an derſelben Stelle die entgegen - geſetzten, und zwar auf eben die Weiſe, wie wir ſolche oben phyſiologiſch, als Farben, die einander for - dern, angegeben haben, erſcheinen. An der Stelle des Blauen ſoll man das Gelbe, und umgekehrt; an der Stelle des Rothen das Gruͤne u. ſ. w. ſehen. Die naͤheren Verſuche ſollen kuͤnftig angegeben werden, um ſo mehr, als bey uns uͤber dieſen Punct noch einige Zweifel obwalten.
Verlangte man nun von uns, daß wir uͤber dieſe bisher vorgetragenen epoptiſchen Farben, die unter der erſten Bedingung erſcheinen, etwas Allgemeines aus - ſprechen und dieſe Phaͤnomene an die fruͤhern phyſi - ſchen Erſcheinungen anknuͤpfen ſollten; ſo wuͤrden wir folgendermaßen zu Werke gehen.
Die Glaͤſer, welche zu den Verſuchen gebraucht werden, ſind als ein empiriſch moͤglichſt Durchſichtiges anzuſehen. Sie werden aber, nach unſrer Ueberzeugung, durch eine innige Beruͤhrung, wie ſie der Druck ver - urſacht, ſogleich auf ihren Oberflaͤchen, jedoch nur auf das leiſeſte, getruͤbt. Innerhalb dieſer Truͤbe ent - ſtehn ſogleich die Farben, und zwar enthaͤlt jeder Ring das ganze Syſtem: denn indem die beyden entgegen - geſetzten, das Gelb und Blau, mit ihren rothen En -174 den verbunden ſind, zeigt ſich der Purpur. Das Gruͤne hingegen, wie bey dem prismatiſchen Verſuch, wenn Gelb und Blau ſich erreichen.
Wie durchaus bey Entſtehung der Farbe das ganze Syſtem gefordert wird, haben wir ſchon fruͤher mehr - mals erfahren, und es liegt auch in der Natur jeder phyſiſchen Erſcheinung, es liegt ſchon in dem Begriff von polariſcher Entgegenſetzung, wodurch eine elemen - tare Einheit zur Erſcheinung kommt.
Daß bey durchſcheinendem Licht eine andre Farbe ſich zeigt, als bey reflectirtem, erinnert uns an jene dioptriſchen Farben der erſten Claſſe, die wir auf eben dieſe Weiſe aus dem Truͤben entſpringen ſahen. Daß aber auch hier ein Truͤbes obwalte, daran kann faſt kein Zweifel ſeyn: denn das Ineinandergreifen der glaͤtteſten Glasplatten, welches ſo ſtark iſt, daß ſie feſt an einander haͤngen, bringt eine Halbvereinigung hervor, die jeder von beyden Flaͤchen etwas an Glaͤtte und Durchſichtigkeit entzieht. Den voͤlligen Ausſchlag aber moͤchte die Betrachtung geben, daß in der Mitte, wo die Linſe am feſteſten auf das andre Glas aufge - druͤckt und eine vollkommene Vereinigung hergeſtellt wird, eine voͤllige Durchſichtigkeit entſtehe, wobey man keine Farbe mehr gewahr wird. Jedoch mag alles die - ſes ſeine Beſtaͤtigung erſt nach vollendeter allgemei - ner Ueberſicht des Ganzen erhalten.
Zweyte Bedingung. Wenn man eine ange - hauchte Glasplatte mit dem Finger abwiſcht und ſo - gleich wieder anhaucht, ſieht man ſehr lebhaft durch einander ſchwebende Farben, welche, indem der Hauch ablaͤuft, ihren Ort veraͤndern und zuletzt mit dem Hau - che verſchwinden. Wiederholt man dieſe Operation, ſo werden die Farben lebhafter und ſchoͤner, und ſcheinen auch laͤnger als die erſten Male zu beſtehen.
So ſchnell auch dieſes Phaͤnomen voruͤbergeht und ſo confus es zu ſeyn ſcheint, ſo glaub’ ich doch fol - gendes bemerkt zu haben. Im Anfange erſcheinen alle Grundfarben und ihre Zuſammenſetzungen. Haucht man ſtaͤrker, ſo kann man die Erſcheinung in einer Folge gewahr werden. Dabey laͤßt ſich bemerken, daß, wenn der Hauch im Ablaufen ſich von allen Seiten ge - gen die Mitte des Glaſes zieht, die blaue Farbe zu - letzt verſchwindet.
Das Phaͤnomen entſteht am leichteſten zwiſchen den zarten Streifen, welche der Strich des Fingers auf der klaren Flaͤche zuruͤcklaͤßt, oder es erfordert eine ſonſtige gewiſſermaßen rauhe Dispoſition der Oberflaͤche des Koͤrpers. Auf manchen Glaͤſern kann man durch den bloßen Hauch ſchon die Farbenerſcheinung hervor - bringen, auf andern hingegen iſt das Reiben mit dem Finger noͤthig; ja ich habe geſchliffene Spiegelglaͤſer176 gefunden, von welchen die eine Seite angehaucht ſo - gleich die Farben lebhaft zeigte, die andre aber nicht. Nach den uͤberbliebenen Facetten zu urtheilen, war jene ehmals die freye Seite des Spiegels, dieſe aber die innere durch das Queckſilber bedeckte geweſen.
Wie nun dieſe Verſuche ſich am beſten in der Kaͤlte anſtellen laſſen, weil ſich die Platte ſchneller und reiner anhauchen laͤßt und der Hauch ſchneller wieder ab - laͤuft; ſo kann man auch bey ſtarkem Froſt, in der Kut - ſche fahrend, das Phaͤnomen im Großen gewahr werden, wenn die Kutſchfenſter ſehr rein geputzt und ſaͤmmtlich aufgezogen ſind. Der Hauch der in der Kutſche ſitzen - den Perſonen ſchlaͤgt auf das zarteſte an die Scheiben und erregt ſogleich das lebhafteſte Farbenſpiel. In wie fern eine regelmaͤßige Succeſſion darin ſey, habe ich nicht bemerken koͤnnen. Beſonders lebhaft aber erſcheinen die Farben, wenn ſie einen dunklen Gegen - ſtand zum Hintergrunde haben. Dieſer Farbenwechſel dauert aber nicht lange: denn ſobald ſich der Hauch in ſtaͤrkere Tropfen ſammelt oder zu Eisnadeln gefriert, ſo iſt die Erſcheinung alsbald aufgehoben.
Dritte Bedingung. Man kann die beyden vorhergehenden Verſuche des Druckes und Hauches ver - binden, indem man nehmlich eine Glasplatte anhaucht und die andre ſogleich darauf druͤckt. Es entſtehen alsdann die Farben, wie beym Drucke zweyer unan - gehauchten, nur mit dem Unterſchiede, daß die Feuch -177 tigkeit hie und da einige Unterbrechung der Wellen ver - urſacht. Schiebt man eine Glasplatte von der andern weg, ſo laͤuft der Hauch farbig ab.
Man koͤnnte jedoch behaupten, daß dieſer ver - bundene Verſuch nichts mehr als die einzelnen ſage: denn wie es ſcheint, ſo verſchwinden die durch den Druck erregten Farben in dem Maße, wie man die Glaͤſer von einander abſchiebt, und die behauchten Stellen laufen alsdann mit ihren eignen Farben ab.
Vierte Bedingung. Farbige Erſcheinungen laſſen ſich faſt an allen Blaſen beobachten. Die Sei - fenblaſen ſind die bekannteſten und ihre Schoͤnheit iſt am leichteſten darzuſtellen. Doch findet man ſie auch beym Weine, Bier, bey geiſtigen reinen Liquoren, be - ſonders auch im Schaume der Chocolade.
Wie wir oben einen unendlich ſchmalen Raum zwiſchen zwey Flaͤchen, welche ſich beruͤhren, erfor - derten, ſo kann man das Haͤutchen der Seifenblaſe als ein unendlich duͤnnes Blaͤttchen zwiſchen zwey elaſti - ſchen Koͤrpern anſehen: denn die Erſcheinung zeigt ſich doch eigentlich zwiſchen der innern, die Blaſe auftrei - benden Luft und zwiſchen der atmoſphaͤriſchen.
Die Blaſe, indem man ſie hervorbringt, iſt farblos; dann fangen farbige Zuͤge, wie des Marmorpapieres,I. 12178an ſich ſehen zu laſſen, die ſich endlich uͤber die ganze Blaſe verbreiten, oder vielmehr um ſie herumgetrieben werden, indem man ſie aufblaͤſt.
Es giebt verſchiedene Arten, die Blaſe zu machen; frey, indem man den Strohhalm nur in die Aufloͤ - ſung taucht und die haͤngende Blaſe durch den Athem auftreibt. Hier iſt die Entſtehung der Farbenerſcheinung ſchwer zu beobachten, weil die ſchnelle Rotation keine genaue Bemerkung zulaͤßt, und alle Farben durch ein - ander gehen. Doch laͤßt ſich bemerken, daß die Far - ben am Strohhalm anfangen. Ferner kann man in die Aufloͤſung ſelbſt blaſen, jedoch vorſichtig, damit nur eine Blaſe entſtehe. Sie bleibt, wenn man ſie nicht ſehr auftreibt, weiß; wenn aber die Aufloͤſung nicht allzu waͤßrig iſt, ſo ſetzen ſich Kreiſe um die perpendi - culare Achſe der Blaſe, die gewoͤhnlich gruͤn und pur - purn abwechſeln, indem ſie nah an einander ſtoßen. Zuletzt kann man auch mehrere Blaſen neben einander hervorbringen, die noch mit der Aufloͤſung zuſammen - hangen. In dieſem Falle entſtehen die Farben an den Waͤnden, wo zwey Blaſen einander platt gedruͤckt haben.
An den Blaſen des Chocoladenſchaums ſind die Farben faſt bequemer zu beobachten, als an den Sei - fenblaſen. Sie ſind beſtaͤndiger, obgleich kleiner. In ihnen wird durch die Waͤrme ein Treiben, eine Bewe - gung hervorgebracht und unterhalten, die zur Entwick -179 lung, Succeſſion und endlich zum Ordnen des Phaͤ - nomens noͤthig zu ſeyn ſcheinen.
Iſt die Blaſe klein, oder zwiſchen andern ein - geſchloſſen, ſo treiben ſich farbige Zuͤge auf der Ober - flaͤche herum, dem marmorirten Papiere aͤhnlich; man ſieht alle Farben unſres Schema’s durch einander zie - hen, die reinen, geſteigerten, gemiſchten, alle deutlich hell und ſchoͤn. Bey kleinen Blaſen dauert das Phaͤ - nomen immer fort.
Iſt die Blaſe groͤßer, oder wird ſie nach und nach iſolirt, dadurch daß die andern neben ihr zerſpringen; ſo bemerkt man bald, daß dieſes Treiben und Ziehen der Farben auf etwas abzwecke. Wir ſehen nehmlich auf dem hoͤchſten Puncte der Blaſe einen kleinen Kreis entſtehen, der in der Mitte gelb iſt; die uͤbrigen far - bigen Zuͤge bewegen ſich noch immer wurmfoͤrmig um ihn her.
Es dauert nicht lange, ſo vergroͤßert ſich der Kreis und ſinkt nach allen Seiten hinab. In der Mitte be - haͤlt er ſein Gelb, nach unten und außen wird er pur - purfarben und bald blau. Unter dieſem entſteht wieder ein neuer Kreis von eben dieſer Farbenfolge. Stehen ſie nahe genug beyſammen, ſo entſteht aus Vermi - ſchung der Endfarben ein Gruͤn.
Wenn ich drey ſolcher Hauptkreiſe zaͤhlen konnte, ſo war die Mitte farblos und dieſer Raum wurde nach und nach groͤßer, indem die Kreiſe mehr niederſanken, bis zuletzt die Blaſe zerplatzte.
Fuͤnfte Bedingung. Es koͤnnen auf verſchie - dene Weiſe ſehr zarte Haͤutchen entſtehen, an welchen man ein ſehr lebhaftes Farbenſpiel entdeckt, indem nehmlich ſaͤmmtliche Farben entweder in der bekannten Ordnung, oder mehr verworren durch einander laufend geſehen werden. Das Waſſer, in welchem ungeloͤſchter Kalk aufgeloͤſt worden, uͤberzieht ſich bald mit einem farbigen Haͤutchen. Ein Gleiches geſchieht auf der Oberflaͤche ſtehender Waſſer, vorzuͤglich ſolcher, welche Eiſen enthalten. Die Lamellen des feinen Weinſteins, die ſich, beſonders von rothem franzoͤſiſchen Weine, in den Bouteillen anlegen, glaͤnzen von den ſchoͤnſten Farben, wenn ſie auf ſorgfaͤltige Weiſe losgeweicht und an das Tageslicht gebracht werden. Oeltropfen auf Waſſer, Branntwein und andern Fluͤſſigkeiten brin - gen auch dergleichen Ringe und Flaͤmmchen hervor. Der ſchoͤnſte Verſuch aber, den man machen kann, iſt folgender. Man gieße nicht allzuſtarkes Scheidewaſſer in eine flache Schale und tropfe mit einem Pinſel von jenem Firniß darauf, welchen die Kupferſtecher brau - chen, um waͤhrend des Aetzens gewiſſe Stellen ihrer Platten zu decken. Sogleich entſteht unter lebhafter Bewegung ein Haͤutchen, das ſich in Kreiſe ausbrei -181 tet, und zugleich die lebhafteſten Farbenerſcheinungen hervorbringt.
Sechſte Bedingung. Wenn Metalle erhitzt werden, ſo entſtehen auf ihrer Oberflaͤche fluͤchtig auf einander folgende Farben, welche jedoch nach Belieben feſt gehalten werden koͤnnen.
Man erhitze einen polirten Stahl, und er wird in einem gewiſſen Grad der Waͤrme gelb uͤberlaufen. Nimmt man ihn ſchnell von den Kohlen weg, ſo bleibt ihm dieſe Farbe.
Sobald der Stahl heißer wird, erſcheint das Gelbe dunkler, hoͤher und geht bald in den Purpur hinuͤber. Dieſer iſt ſchwer feſt zu halten, denn er eilt ſehr ſchnell ins Hochblaue.
Dieſes ſchoͤne Blau iſt feſt zu halten, wenn man ſchnell den Stahl aus der Hitze nimmt und ihn in Aſche ſteckt. Die blau angelaufnen Stahlarbeiten wer - den auf dieſem Wege hervorgebracht. Faͤhrt man aber fort, den Stahl frey uͤber dem Feuer zu halten, ſo wird er in kurzem hellblau und ſo bleibt er.
Dieſe Farben ziehen wie ein Hauch uͤber die Stahl - platte, eine ſcheint vor der andern zu fliehen; aber182 eigentlich entwickelt ſich immer die folgende aus der vorhergehenden.
Wenn man ein Federmeſſer ins Licht haͤlt, ſo wird ein farbiger Streif quer uͤber die Klinge entſtehen. Der Theil des Streifes, der am tiefſten in der Flamme war, iſt hellblau, das ſich ins Blaurothe verliert. Der Purpur ſteht in der Mitte, dann folgt Gelbroth und Gelb.
Dieſes Phaͤnomen leitet ſich aus dem vorhergehen - den ab; denn die Klinge nach dem Stile zu iſt we - niger erhitzt, als an der Spitze, welche ſich in der Flamme befindet; und ſo muͤſſen alle Farben, die ſonſt nach einander entſtehen, auf einmal erſcheinen, und man kann ſie auf das beſte figirt aufbewahren.
Robert Boyle giebt dieſe Farbenſucceſſion folgender - maßen an: a florido flavo ad flavum saturum et ru - bescentem (quem artifices sanguineum vocant) inde ad languidum, postea ad saturiorem cyaneum. Die - ſes waͤre ganz gut, wenn man die Worte languidus und saturior ihre Stellen verwechſeln ließe. Inwiefern die Bemerkung richtig iſt, daß die verſchiedenen Far - ben auf die Grade der folgenden Haͤrtung Einfluß ha - ben, laſſen wir dahingeſtellt ſeyn. Die Farben ſind hier nur Anzeichen der verſchiedenen Grade der Hitze.
Wenn man Bley calcinirt, wird die Oberflaͤche erſt graulich. Dieſes grauliche[Pulver] wird durch groͤ - ßere Hitze gelb, und ſodann orange. Auch das Sil - ber zeigt bey der Erhitzung Farben. Der Blick des Silbers beym Abtreiben gehoͤrt auch hieher. Wenn metalliſche Glaͤſer ſchmelzen, entſtehen gleichfalls Farben auf der Oberflaͤche.
Siebente Bedingung. Wenn die Oberflaͤche des Glaſes angegriffen wird. Das Blindwerden des Glaſes iſt uns oben ſchon merkwuͤrdig geweſen. Man bezeichnet durch dieſen Ausdruck, wenn die Oberflaͤche des Glaſes dergeſtalt angegriffen wird, daß es uns truͤb erſcheint.
Das weiße Glas wird am erſten blind, desglei - chen gegoſſenes und nachher geſchliffenes Glas, das blauliche weniger, das gruͤne am wenigſten.
Eine Glastafel hat zweyerley Seiten, davon man die eine die Spiegelſeite nennt. Es iſt die, welche im Ofen oben liegt, an der man rundliche Erhoͤhungen bemerken kann. Sie iſt glaͤtter als die andere, die im Ofen unten liegt und an welcher man manchmal Kritzen bemerkt. Man nimmt deswegen gern die Spie - gelſeite in die Zimmer, weil ſie durch die von innen anſchlagende Feuchtigkeit weniger als die andre ange - griffen, und das Glas daher weniger blind wird.
Dieſes Blindwerden oder Truͤben des Glaſes geht nach und nach in eine Farbenerſcheinung uͤber, die ſehr lebhaft werden kann, und bey welcher vielleicht auch eine gewiſſe Succeſſion, oder ſonſt etwas Ord - nungsgemaͤßes zu entdecken waͤre.
Und ſo haͤtten wir denn auch die phyſiſchen Far - ben von ihrer leiſeſten Wirkung an bis dahin gefuͤhrt, wo ſich dieſe fluͤchtigen Erſcheinungen an die Koͤrper feſtſetzen, und wir waͤren auf dieſe Weiſe an die Graͤnze gelangt, wo die chemiſchen Farben eintreten, ja ge - wiſſermaßen haben wir dieſe Graͤnze ſchon uͤberſchrit - ten; welches fuͤr die Staͤtigkeit unſres Vortrags ein gutes Vorurtheil erregen mag. Sollen wir aber noch zu Ende dieſer Abtheilung etwas Allgemeines ausſpre - chen und auf ihren innern Zuſammenhang hindeuten; ſo fuͤgen wir zu dem, was wir oben (451 — 454.) ge - ſagt haben, noch folgendes hinzu.
Das Anlaufen des Stahls und die verwandten Erfahrungen koͤnnte man vielleicht ganz bequem aus der Lehre von den truͤben Mitteln herleiten. Polirter Stahl wirft maͤchtig das Licht zuruͤck. Man denke ſich das durch die Hitze bewirkte Anlaufen als eine gelinde Truͤbe; ſogleich muͤßte daher ein Hellgelb erſcheinen, welches bey zunehmender Truͤbe immer verdichteter, ge - draͤngter und roͤther, ja zuletzt Purpur - und Rubin - roth erſcheinen muß. Waͤre nun zuletzt dieſe Farbe auf185 den hoͤchſten Punct des Dunkelwerdens geſteigert, und man daͤchte ſich die immer fortwaltende Truͤbe; ſo wuͤrde dieſe nunmehr ſich uͤber ein Finſteres verbreiten und zuerſt ein Violett, dann ein Dunkelblau und end - lich ein Hellblau hervorbringen, und ſo die Reihe der Erſcheinungen beſchließen.
Wir wollen nicht behaupten, daß man mit dieſer Erklaͤrungsart voͤllig auslange, unſre Abſicht iſt viel - mehr, nur auf den Weg zu deuten, auf welchem zu - letzt die alles umfaſſende Formel, das eigentliche Wort des Raͤthſels gefunden werden kann.
So nennen wir diejenigen, welche wir an gewiſſen Koͤrpern erregen, mehr oder weniger fixiren, an ih - nen ſteigern, von ihnen wieder wegnehmen und an - dern Koͤrpern mittheilen koͤnnen, denen wir denn auch deshalb eine gewiſſe immanente Eigenſchaft zuſchreiben. Die Dauer iſt meiſt ihr Kennzeichen.
In dieſen Ruͤckſichten bezeichnete man fruͤher die chemiſchen Farben mit verſchiedenen Beywoͤrtern. Sie hießen colores proprii, corporei, materiales, veri, permanentes, fixi.
Wie ſich das Bewegliche und Voruͤbergehende der phyſiſchen Farben nach und nach an den Koͤrpern fixire, haben wir in dem Vorhergehenden bemerkt, und den Uebergang eingeleitet.
Die Farbe fixirt ſich an den Koͤrpern mehr oder weniger dauerhaft, oberflaͤchlich oder durchdringend.
Alle Koͤrper ſind der Farbe faͤhig, entweder daß ſie an ihnen erregt, geſteigert, ſtufenweiſe fixirt, oder wenigſtens ihnen mitgetheilt werden kann.
Indem wir bey Darſtellung der farbigen Erſchei - nung auf einen Gegenſatz durchaus aufmerkſam zu ma - chen Urſache hatten, ſo finden wir, indem wir den Boden der Chemie betreten, die chemiſchen Gegenſaͤtze uns auf eine bedeutende Weiſe begegnend. Wir ſpre - chen hier zu unſern Zwecken nur von demjenigen, den man unter dem allgemeinen Namen von Saͤure und Alcali zu begreifen pflegt.
Wenn wir den chromatiſchen Gegenſatz nach An - leitung aller uͤbrigen phyſiſchen Gegenſaͤtze durch ein Mehr oder Weniger bezeichnen, der gelben Seite das Mehr, der blauen das Weniger zuſchreiben; ſo ſchlie -188 ßen ſich dieſe beyden Seiten nun auch in chemiſchen Faͤllen an die Seiten des chemiſch Entgegengeſetzten an. Das Gelb und Gelbrothe widmet ſich den Saͤuern, das Blau und Blaurothe den Alcalien; und ſo laſſen ſich die Erſcheinungen der chemiſchen Farben, freylich mit noch manchen andern eintretenden Betrachtungen, auf eine ziemlich einfache Weiſe durchfuͤhren.
Da uͤbrigens die Hauptphaͤnomene der chemiſchen Farben bey Saͤuerungen der Metalle vorkommen, ſo ſieht man, wie wichtig dieſe Betrachtung hier an der Spitze ſey. Was uͤbrigens noch weiter zu bedenken eintritt, werden wir unter einzelnen Rubriken naͤher bemerken; wobey wir jedoch ausdruͤcklich erklaͤren, daß wir dem Chemiker nur im allgemeinſten vorzuarbeiten gedenken, ohne uns in irgend ein Beſondres, ohne uns in die zartern chemiſchen Aufgaben und Fragen miſchen oder ſie beantworten zu wollen. Unſre Abſicht kann nur ſeyn, eine Skizze zu geben, wie ſich allenfalls nach unſerer Ueberzeugung die chemiſche Farbenlehre an die allgemeine phyſiſche anſchließen koͤnnte.
Wir haben hiezu ſchon oben bey Gelegenheit der dioptriſchen Farben der erſten Claſſe (155 ff. ) einige189 Schritte gethan. Durchſichtige Koͤrper ſtehen auf der hoͤchſten Stufe unorganiſcher Materialitaͤt. Zunaͤchſt daran fuͤgt ſich die reine Truͤbe, und das Weiße kann als die vollendete reine Truͤbe angeſehen werden.
Reines Waſſer zu Schnee kryſtalliſirt erſcheint weiß, indem die Durchſichtigkeit der einzelnen Theile kein durchſichtiges Ganzes macht. Verſchiedene Salz - kryſtalle, denen das Kryſtalliſationswaſſer entweicht, erſcheinen als ein weißes Pulver. Man koͤnnte den zu - faͤllig undurchſichtigen Zuſtand des rein Durchſichtigen Weiß nennen; ſo wie ein zermalmtes Glas als ein weißes Pulver erſcheint. Man kann dabey die Aufhe - bung einer dynamiſchen Verbindung und die Darſtel - lung der atomiſtiſchen Eigenſchaft der Materie in Be - tracht ziehn.
Die bekannten unzerlegten Erden ſind in ihrem reinen Zuſtand alle weiß. Sie gehn durch natuͤrliche Kryſtalliſation in Durchſichtigkeit uͤber; Kieſelerde in den Bergkryſtall, Tonerde in den Glimmer, Bitter - erde in den Talk, Kalkerde und Schwererde erſcheinen in ſo mancherley Spaͤthen durchſichtig.
Da uns bey Faͤrbung mineraliſcher Koͤrper die Metallkalke vorzuͤglich begegnen werden, ſo bemerken wir noch zum Schluſſe, daß angehende gelinde Saͤu - rungen weiße Kalke darſtellen, wie das Bley durch die Eſſigſaͤure in Bleyweiß verwandelt wird.
Das Schwarze entſpringt uns nicht ſo uranfaͤng - lich, wie das Weiße. Wir treffen es im vegetabili - ſchen Reiche bey Halbverbrennungen an, und die Koh - le, der auch uͤbrigens hoͤchſt merkwuͤrdige Koͤrper, zeigt uns die ſchwarze Farbe. Auch wenn Holz, z. B. Bre - ter, durch Licht, Luft und Feuchtigkeit ſeines Brenn - lichen zum Theil beraubt wird; ſo erſcheint erſt die graue, dann die ſchwarze Farbe. Wie wir denn auch animaliſche Theile durch eine Halbverbrennung in Kohle verwandeln koͤnnen.
Eben ſo finden wir auch bey den Metallen, daß oft eine Halboxydation ſtatt findet, wenn die ſchwarze Farbe erregt werden ſoll. So werden durch ſchwache Saͤuerung mehrere Metalle, beſonders das Eiſen, ſchwarz, durch Eſſig, durch gelinde ſaure Gaͤhrungen, z. B. eines Reißdecocts u. ſ. w.
Nicht weniger laͤßt ſich vermuthen, daß eine Ab - oder Ruͤckſaͤuerung die ſchwarze Farbe hervorbringe. Dieſer Fall iſt bey der Entſtehung der Tinte, da das191 in der ſtarken Schwefelſaͤure aufgeloͤſte Eiſen gelblich wird, durch die Gallusinfuſion aber zum Theil ent - ſaͤuert nunmehr ſchwarz erſcheint.
Als wir oben in der Abtheilung von phyſiſchen Farben truͤbe Mittel behandelten, ſahen wir die Farbe eher, als das Weiße und Schwarze. Nun ſetzen wir ein gewordnes Weißes, ein gewordnes Schwarzes fixirt voraus, und fragen, wie ſich an ihm die Farbe erre - gen laſſe.
Auch hier koͤnnen wir ſagen, ein Weißes, das ſich verdunkelt, das ſich truͤbt, wird gelb; das Schwarze, das ſich erhellt, wird blau.
Auf der activen Seite, unmittelbar am Lichte, am Hellen, am Weißen entſteht das Gelbe. Wie leicht vergilbt alles, was weiße Oberflaͤchen hat, das Papier, die Leinwand, Baumwolle, Seide, Wachs; beſonders auch durchſichtige Liquoren, welche zum Bren - nen geneigt ſind, werden leicht gelb, d. h. mit andern Worten, ſie gehen leicht in eine gelinde Truͤbung uͤber.
So iſt die Erregung auf der paſſiven Seite am Finſtern, Dunkeln, Schwarzen ſogleich mit der blauen, oder vielmehr mit einer roͤthlich blauen Erſcheinung begleitet. Eiſen in Schwefelſaͤure aufgeloͤſt und ſehr mit Waſſer diluirt bringt in einem gegen das Licht ge - haltnen Glaſe, ſobald nur einige Tropfen Gallus dazu kommen, eine ſchoͤne violette Farbe hervor, welche die Eigenſchaften des Rauchtopaſes, das Orphninon ei - nes verbrannten Purpurs, wie ſich die Alten ausdruͤ - cken, dem Auge darſtellt.
Ob an den reinen Erden durch chemiſche Opera - tionen der Natur und Kunſt, ohne Beymiſchung von Metallkalken eine Farbe erregt werden koͤnne, iſt eine wichtige Frage, die gewoͤhnlich mit Nein beantwortet wird. Sie haͤngt vielleicht mit der Frage zuſammen, inwiefern ſich durch Oxydation den Erden etwas ab - gewinnen laſſe.
Fuͤr die Verneinung der Frage ſpricht allerdings der Umſtand, daß uͤberall, wo man mineraliſche Far - ben findet, ſich eine Spur von Metall, beſonders von Eiſen zeigt; wobey man freylich in Betracht zieht, wie leicht ſich das Eiſen oxydire, wie leicht der Eiſenkalk verſchiedene Farben annehme, wie unendlich theilbar derſelbe ſey und wie geſchwind er ſeine Farbe mittheile. Demungeachtet waͤre zu wuͤnſchen, daß neue Verſuche193 hieruͤber angeſtellt, und die Zweifel entweder beſtaͤrkt oder beſeitigt wuͤrden.
Wie dem auch ſeyn mag, ſo iſt die Receptivitaͤt der Erden gegen ſchon vorhandne Farben ſehr groß, worunter ſich die Alaunerde beſonders auszeichnet.
Wenn wir nun zu den Metallen uͤbergehen, welche ſich im unorganiſchen Reiche beynahe privativ das Recht farbig zu erſcheinen zugeeignet haben, ſo finden wir, daß ſie ſich in ihrem reinen, ſelbſtaͤndigen, reguliniſchen Zuſtande ſchon dadurch von den reinen Erden unterſcheiden, daß ſie ſich zu irgend einer Farbe hinneigen.
Wenn das Silber ſich dem reinen Weißen am mei - ſten naͤhert, ja das reine Weiß, erhoͤht durch metalli - ſchen Glanz, wirklich darſtellt, ſo ziehen Stahl, Zinn, Bley u. ſ. w. ins bleiche Blaugraue hinuͤber; dagegen das Gold ſich zum reinen Gelben erhoͤht, das Kupfer zum Rothen hinanruͤckt, welches unter gewiſſen Um - ſtaͤnden ſich faſt bis zum Purpur ſteigert, durch Zink hin - gegen wieder zur gelben Goldfarbe hinabgezogen wird.
Zeigen Metalle nun im gediegenen Zuſtande ſolche ſpecifiſche Determinationen zu dieſem oder jenem Far - benausdruck, ſo werden ſie durch die Wirkung der Oxydation gewiſſermaßen in eine gemeinſame Lage ver -I. 13194ſetzt. Denn die Elementarfarben treten nun rein her - vor, und obgleich dieſes und jenes Metall zu dieſer oder jener Farbe eine beſondre Beſtimmbarkeit zu haben ſcheint, ſo wiſſen wir doch von einigen, daß ſie den ganzen Farbenkreis durchlaufen koͤnnen, von andern, daß ſie mehr als eine Farbe darzuſtellen faͤhig ſind; wobey ſich jedoch das Zinn durch ſeine Unfaͤrblichkeit auszeichnet. Wir geben kuͤnftig eine Tabelle, in wie - fern die verſchiedenen Metalle mehr oder weniger durch die verſchiedenen Farben durchgefuͤhrt werden koͤnnen.
Daß die reine glatte Oberflaͤche eines gediegenen Metalles bey Erhitzung von einem Farbenhauch uͤber - zogen wird, welcher mit ſteigender Waͤrme eine Reihe von Erſcheinungen durchlaͤuft, deutet nach unſerer Ueber - zeugung auf die Faͤhigkeit der Metalle, den ganzen Far - benkreis zu durchlaufen. Am ſchoͤnſten werden wir die - ſes Phaͤnomen am polirten Stahl gewahr; aber Sil - ber, Kupfer, Meſſing, Bley, Zinn laſſen uns leicht aͤhnliche Erſcheinungen ſehen. Wahrſcheinlich iſt hier eine oberflaͤchliche Saͤurung im Spiele, wie man aus der fortgeſetzten Operation, beſonders bey den leichter verkalklichen Metallen ſchließen kann.
Daß ein gegluͤhtes Eiſen leichter eine Saͤurung durch ſaure Liquoren erleidet, ſcheint auch dahin zu deuten, indem eine Wirkung der andern entgegenkommt. Noch bemerken wir, daß der Stahl, je nachdem er in verſchiedenen Epochen ſeiner Farbenerſcheinung gehaͤrtet195 wird, einigen Unterſchied der Elaſticitaͤt zeigen ſoll; welches ganz naturgemaͤß iſt, indem die verſchiede - nen Farbenerſcheinungen die verſchiedenen Grade der Hitze andeuten.
Geht man uͤber dieſen oberflaͤchlichen Hauch, uͤber dieſes Haͤutchen hinweg, beobachtet man, wie Metalle in Maſſen penetrativ geſaͤuert werden, ſo erſcheint mit dem erſten Grade, Weiß oder Schwarz, wie man beym Bleyweiß, Eiſen und Queckſilber bemerken kann.
Fragen wir nun weiter nach eigentlicher Erregung der Farbe, ſo finden wir ſie auf der Plusſeite am haͤufigſten. Das oft erwaͤhnte Anlaufen glatter metal - liſcher Flaͤchen geht von dem Gelben aus. Das Eiſen geht bald in den gelben Ocher, das Bley aus dem Bleyweiß in den Maſſicot, das Queckſilber aus dem Aethiops in den gelben Turbith hinuͤber. Die Aufloͤ - ſungen des Goldes und der Platina in Saͤuren ſind gelb.
Die Erregungen auf der Minusſeite ſind ſeltner. Ein wenig geſaͤuertes Kupfer erſcheint blau. Bey Be - reitung des Berlinerblau ſind Alcalien im Spiele.
Ueberhaupt aber ſind dieſe Farbenerſcheinungen von ſo beweglicher Art, daß die Chemiker ſelbſt, ſobald ſie ins Feinere gehen, ſie als truͤgliche Kennzeichen13 *196betrachten. Wir aber koͤnnen zu unſern Zwecken dieſe Materie nur im Durchſchnitt behandeln, und wollen nur ſo viel bemerken, daß man vielleicht die metalli - ſchen Farbenerſcheinungen, wenigſtens zum didaktiſchen Behuf, einſtweilen ordnen koͤnne, wie ſie durch Saͤu - rung, Aufſaͤurung, Abſaͤurung und Entſaͤurung entſte - hen, ſich auf mannigfaltige Weiſe zeigen und ver - ſchwinden.
Die Steigerung erſcheint uns als eine in ſich ſelbſt Draͤngung, Saͤttigung, Beſchattung der Farben. So haben wir ſchon oben bey farbloſen Mitteln geſehen, daß wir durch Vermehrung der Truͤbe einen leuchten - den Gegenſtand vom leiſeſten Gelb bis zum hoͤchſten Rubinroth ſteigern koͤnnen. Umgekehrt ſteigert ſich das Blau in das ſchoͤnſte Violett, wenn wir eine erleuch - tete Truͤbe vor der Finſterniß verduͤnnen und vermin - dern (150. 151.)
Iſt die Farbe ſpecificirt, ſo tritt ein Aehnliches hervor. Man laſſe nehmlich Stufengefaͤße aus weißem Porcellan machen, und fuͤlle das eine mit einer reinen197 gelben Feuchtigkeit, ſo wird dieſe von oben herunter bis auf den Boden ſtufenweiſe immer roͤther und zu - letzt orange erſcheinen. In das andre Gefaͤß gieße man eine blaue reine Solution, die oberſten Stufen werden ein Himmelblau, der Grund des Gefaͤßes ein ſchoͤnes Violett zeigen. Stellt man das Gefaͤß in die Sonne, ſo iſt die Schattenſeite der obern Stufen auch ſchon violett. Wirft man mit der Hand, oder einem andern Gegenſtande, Schatten uͤber den erleuchteten Theil des Gefaͤßes, ſo erſcheint dieſer Schatten gleich - falls roͤthlich.
Es iſt dieſes eine der wichtigſten Erſcheinungen in der Farbenlehre, indem wir ganz greiflich erfahren, daß ein quantitatives Verhaͤltniß einen qualitativen Ein - druck auf unſre Sinne hervorbringe. Und indem wir ſchon fruͤher, bey Gelegenheit der letzten epoptiſchen Farben (452), unſre Vermuthungen eroͤffnet, wie man das Anlaufen des Stahls vielleicht aus der Lehre von truͤben Mitteln herleiten koͤnnte; ſo bringen wir dieſes hier abermals ins Gedaͤchtniß.
Uebrigens folgt alle chemiſche Steigerung unmit - telbar auf die Erregung. Sie geht unaufhaltſam und ſtetig fort; wobey man zu bemerken hat, daß die Stei - gerung auf der Plusſeite die gewoͤhnlichſte iſt. Der gelbe Eiſenocher ſteigert ſich ſowohl durchs Feuer, als durch andre Operationen zu einer ſehr hohen Roͤthe. Maſſicot wird in Mennige, Turbith in Zinnober geſtei -198 gert; welcher letztere ſchon auf eine ſehr hohe Stufe des Gelbrothen gelangt. Eine innige Durchdringung des Metalls durch die Saͤure, eine Theilung deſſelben ins empiriſch Unendliche geht hierbey vor.
Die Steigerung auf der Minusſeite iſt ſeltner, ob wir gleich bemerken, daß je reiner und gedraͤngter das Berlinerblau oder das Kobaltglas bereitet wird, es immer einen roͤthlichen Schein annimmt und mehr ins Violette ſpielt.
Fuͤr dieſe unmerkliche Steigerung des Gelben und Blauen ins Rothe haben die Franzoſen einen artigen Ausdruck, indem ſie ſagen, die Farbe habe einen Oeil de Rouge, welches wir durch einen roͤthlichen Blick ausdruͤcken koͤnnten.
Sie erfolgt bey fortſchreitender Steigerung. Das Rothe, worin weder Gelb noch Blau zu entdecken iſt, macht hier den Zenith.
Suchen wir ein auffallendes Beyſpiel einer Cul - mination von der Plusſeite her; ſo finden wir es aber -199 mals beym anlaufenden Stahl, welcher bis in den Purpurzenith gelangt und auf dieſem Puncte feſtgehal - ten werden kann.
Sollen wir die vorhin (516) angegebene Termi - nologie hier anwenden, ſo wuͤrden wir ſagen, die erſte Saͤuerung bringe das Gelbe hervor, die Aufſaͤurung das Gelbrothe; hier entſtehe ein gewiſſes Summum, da denn eine Abſaͤurung und endlich eine Entſaͤurung eintrete.
Hohe Puncte von Saͤuerung bringen eine Purpur - farbe hervor. Gold aus ſeiner Aufloͤſung durch Zinn - aufloͤſung gefaͤllt, erſcheint purpurfarben. Das Oxyd des Arſeniks mit Schwefel verbunden bringt eine Ru - binfarbe hervor.
Wiefern aber eine Art von Abſaͤurung bey man - cher Culmination mitwirke, waͤre zu unterſuchen: denn eine Einwirkung der Alcalien auf das Gelbrothe ſcheint auch die Culmination hervorzubringen, indem die Farbe gegen das Minus zu in den Zenith genoͤthigt wird.
Aus dem beſten ungariſchen Zinnober, welcher das hoͤchſte Gelbroth zeigt, bereiten die Hollaͤnder eine Farbe, die man Vermillon nennt. Es iſt auch nur ein Zinnober, der ſich aber der Purpurfarbe naͤhert,200 und es laͤßt ſich vermuthen, daß man durch Alcalien ihn der Culmination naͤher zu bringen ſucht.
Vegetabiliſche Saͤfte ſind, auf dieſe Weiſe behan - delt, ein in die Augen fallendes Beyſpiel. Gurcuma, Orlean, Safflor und andre, deren faͤrbendes Weſen man mit Weingeiſt ausgezogen, und nun Tincturen von gelber, gelb - und hyacinthrother Farbe vor ſich hat, gehen durch Beymiſchung von Alcalien in den Zenith, ja druͤber hinaus nach dem Blaurothen zu.
Kein Fall einer Culmination von der Minus - ſeite iſt mir im mineraliſchen und vegetabiliſchen Reiche bekannt. In dem animaliſchen iſt der Saft der Pur - purſchnecke merkwuͤrdig, von deſſen Steigerung und Culmination von der Minusſeite her, wir kuͤnftig ſpre - chen werden.
Die Beweglichkeit der Farbe iſt ſo groß, daß ſelbſt diejenigen Pigmente, welche man glaubt ſpecificirt zu haben, ſich wieder hin und her wenden laſſen. Sie201 iſt in der Naͤhe des Culminationspunctes am merkwuͤr - digſten, und wird durch wechſelsweiſe Anwendung der Saͤuren und Alcalien am auffallendſten bewirkt.
Die Franzoſen bedienen ſich, um dieſe Erſcheinung bey der Faͤrberey auszudruͤcken, des Wortes virer, welches von einer Seite nach der andern wenden heißt, und druͤcken dadurch auf eine ſehr geſchickte Weiſe das - jenige aus, was man ſonſt durch Miſchungsverhaͤlt - niſſe zu bezeichnen und anzugeben verſucht.
Hievon iſt diejenige Operation, die wir mit dem Lacmus zu machen pflegen, eine der bekannteſten und auffallendſten. Lacmus iſt ein Farbematerial, das durch Alcalien zum Rothblauen ſpecificirt worden. Es wird dieſes ſehr leicht durch Saͤuren ins Rothgelbe hinuͤber und durch Alcalien wieder heruͤber gezogen. In wie fern in dieſem Fall durch zarte Verſuche ein Culminations - punct zu entdecken und feſtzuhalten ſey, wird denen, die in dieſer Kunſt geuͤbt ſind, uͤberlaſſen, ſo wie die Faͤrbekunſt, beſonders die Scharlachfaͤrberey, von dieſem Hin - und Herwenden mannigfaltige Beyſpiele zu liefern im Stande iſt.
Die Erregung und Steigerung kommt mehr auf der Plus - als auf der Minus-Seite vor. So geht auch die Farbe, bey Durchwanderung des ganzen Wegs, meiſt von der Plus-Seite aus.
Eine ſtaͤtige in die Augen fallende Durchwande - rung des Wegs, vom Gelben durchs Rothe zum Blauen, zeigt ſich beym Anlaufen des Stahls.
Die Metalle laſſen ſich durch verſchiedene Stufen und Arten der Oxydation auf verſchiedenen Puncten des Farbenkreiſes ſpecificiren.
Da ſie auch gruͤn erſcheinen, ſo iſt die Frage, ob man eine ſtaͤtige Durchwandrung aus dem Gelben durchs Gruͤne ins Blaue, und umgekehrt, in dem Mi - neralreiche kennt. Eiſenkalk mit Glas zuſammenge - ſchmolzen bringt erſt eine gruͤne, bey verſtaͤrktem Feuer eine blaue Farbe hervor.
Es iſt wohl hier am Platz, von dem Gruͤnen uͤber - haupt zu ſprechen. Es entſteht vor uns vorzuͤglich im atomiſtiſchen Sinne und zwar voͤllig rein, wenn wir Gelb und Blau zuſammenbringen; allein auch ſchon ein unreines beſchmutztes Gelb bringt uns den Eindruck des Gruͤnlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht ſchon Gruͤn; aber auch dieſes leitet ſich davon ab, daß Schwarz mit dem Blauen verwandt iſt. Ein unvoll - kommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, giebt uns den Eindruck von einem Gruͤnlichen. Eben ſo werden wir ein unvollkommenes Blau als gruͤn gewahr. Das Gruͤne der Weinflaſchen entſteht, ſo ſcheint es, durch eine unvollkommene Verbindung des Eiſenkalks mit dem Glaſe. Bringt man durch groͤßere Hitze eine voll - kommenere Verbindung hervor, ſo entſteht ein ſchoͤnes blaues Glas.
Aus allem dieſem ſcheint ſo viel hervorzugehen, daß eine gewiſſe Kluft zwiſchen Gelb und Blau in der Natur ſich findet, welche zwar durch Verſchraͤnkung und Vermiſchung atomiſtiſch gehoben, und zum Gruͤ - nen verknuͤpft werden kann, daß aber eigentlich die wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch das Rothe geſchieht.
Was jedoch dem Unorganiſchen nicht gemaͤß zu ſeyn ſcheint, das werden wir, wenn von organiſchen Naturen die Rede iſt, moͤglich finden, indem in dieſem letzten204 Reiche eine ſolche Durchwandrung des Kreiſes vom Gelben durchs Gruͤne und Blaue bis zum Purpur wirklich vorkommt.
Auch eine unmittelbare Umkehrung in den gefor - derten Gegenſatz zeigt ſich als eine ſehr merkwuͤrdige Erſcheinung, wovon wir gegenwaͤrtig nur folgendes anzugeben wiſſen.
Das mineraliſche Chamaͤleon, welches eigentlich ein Braunſteinoxyd enthaͤlt, kann man in ſeinem ganz trocknen Zuſtande als ein gruͤnes Pulver anſehen. Streut man es in Waſſer, ſo zeigt ſich in dem erſten Augenblick der Aufloͤſung die gruͤne Farbe ſehr ſchoͤn; aber ſie verwandelt ſich ſogleich in die dem Gruͤnen entgegengeſetzte Purpurfarbe, ohne daß irgend eine Zwiſchenſtufe bemerklich waͤre.
Derſelbe Fall iſt mit der ſympathetiſchen Tinte, welche auch als ein roͤthlicher Liquor angeſehen wer - den kann, deſſen Austrocknung durch Waͤrme die gruͤne Farbe auf dem Papiere zeigt.
Eigentlich ſcheint hier der Conflict zwiſchen Trockne und Feuchtigkeit dieſes Phaͤnomen hervorzubringen, wie, wenn wir uns nicht irren, auch ſchon von den Scheidekuͤnſtlern angegeben worden. Was ſich weiter daraus ableiten, woran ſich dieſe Phaͤnomene anknuͤp - fen laſſen, daruͤber koͤnnen wir von der Zeit hinlaͤng - liche Belehrung erwarten.
So beweglich wir bisher die Farbe, ſelbſt bey ih - rer koͤrperlichen Erſcheinung geſehen haben, ſo fixirt ſie ſich doch zuletzt unter gewiſſen Umſtaͤnden.
Es giebt Koͤrper, welche faͤhig ſind ganz in Far - beſtoff verwandelt zu werden, und hier kann man ſa - gen, die Farbe fixire ſich in ſich ſelbſt, beharre auf ei - ner gewiſſen Stufe und ſpecificire ſich. So entſtehen Faͤrbematerialien aus allen Reichen, deren beſonders das vegetabiliſche eine große Menge darbietet, worun - ter doch einige ſich beſonders auszeichnen und als die Stellvertreter der andern angeſehen werden koͤnnen;206 wie auf der activen Seite der Krapp, auf der paſſi - ven der Indig.
Um dieſe Materialien bedeutend und zum Gebrauch vortheilhaft zu machen, gehoͤrt, daß die faͤrbende Ei - genſchaft in ihnen innig zuſammengedraͤngt und der faͤrbende Stoff zu einer unendlichen empiriſchen Theil - barkeit erhoben werde, welches auf allerley Weiſe und beſonders bey den genannten durch Gaͤhrung und Faͤul - niß hervorgebracht wird.
Dieſe materiellen Farbenſtoffe fixiren ſich nun wie - der an andern Koͤrpern. So werfen ſie ſich im Mine - ralreich an Erden und Metallkalke, ſie verbinden ſich durch Schmelzung mit Glaͤſern und erhalten hier bey durchſcheinendem Licht die hoͤchſte Schoͤnheit, ſo wie man ihnen eine ewige Dauer zuſchreiben kann.
Vegetabiliſche und animaliſche Koͤrper ergreifen ſie mit mehr oder weniger Gewalt und halten daran mehr oder weniger feſt, theils ihrer Natur nach, wie denn Gelb vergaͤnglicher iſt als Blau, oder nach der Natur der Unterlagen. An vegetabiliſchen dauern ſie weniger als an animaliſchen, und ſelbſt innerhalb dieſer Reiche giebt es abermals Verſchiedenheit. Flachs - oder baum - wollnes Garn, Seide oder Wolle zeigen gar verſchie - dene Verhaͤltniſſe zu den Faͤrbeſtoffen.
Hier tritt nun die wichtige Lehre von den Beizen hervor, welche als Vermittler zwiſchen der Farbe und dem Koͤrper angeſehen werden koͤnnen. Die Faͤrbebuͤ - cher ſprechen hievon umſtaͤndlich. Uns ſey genug dahin gedeutet zu haben, daß durch dieſe Operationen die Farbe eine nur mit dem Koͤrper zu verwuͤſtende Dauer erhaͤlt, ja ſogar durch den Gebrauch an Klarheit und Schoͤnheit wachſen kann.
Eine jede Miſchung ſetzt eine Specification voraus, und wir ſind daher, wenn wir von Miſchung reden, im atomiſtiſchen Felde. Man muß erſt gewiſſe Koͤrper auf irgend einem Puncte des Farbenkreiſes ſpecificirt vor ſich ſehen, ehe man durch Miſchung derſelben neue Schattirungen hervorbringen will.
Man nehme im Allgemeinen Gelb, Blau und Roth als reine, als Grundfarben, fertig an. Roth208 und Blau wird Violett, Roth und Gelb Orange, Gelb und Blau Gruͤn hervorbringen.
Man hat ſich ſehr bemuͤht, durch Zahl-Maaß - und Gewichtsverhaͤltniſſe dieſe Miſchungen naͤher zu beſtim - men, hat aber dadurch wenig Erſprießliches geleiſtet.
Die Malerey beruht eigentlich auf der Miſchung ſolcher ſpecificirten, ja individualiſirten Farbenkoͤrper und ihrer unendlichen moͤglichen Verbindungen, welche allein durch das zarteſte, geuͤbteſte Auge empfunden und unter deſſen Urtheil bewirkt werden koͤnnen.
Die innige Verbindung dieſer Miſchungen ge - ſchieht durch die reinſte Theilung der Koͤrper durch Reiben, Schlemmen u. ſ. w. nicht weniger durch Saͤfte, welche das Staubartige zuſammenhalten, und das Unorganiſche gleichſam organiſch verbinden; der - gleichen ſind die Oele, Harze u. ſ. w.
Saͤmmtliche Farben zuſammengemiſcht behalten ih - ren allgemeinen Charakter als σκιερόν, und da ſie nicht mehr neben einander geſehen werden, wird keine Totalitaͤt, keine Harmonie empfunden, und ſo ent - ſteht das Grau, das, wie die ſichtbare Farbe, immer etwas dunkler als Weiß, und immer etwas heller als Schwarz erſcheint.
Dieſes Grau kann auf verſchiedene Weiſe hervor - gebracht werden. Einmal, wenn man aus Gelb und Blau ein Smaragdgruͤn miſcht und alsdann ſo viel reines Roth hinzubringt, bis ſich alle drey gleichſam neutraliſirt haben. Ferner entſteht gleichfalls ein Grau, wenn man eine Scala der urſpruͤnglichen und abgelei - teten Farben in einer gewiſſen Proportion zuſammen - ſtellt und hernach vermiſcht.
Daß alle Farben zuſammengemiſcht weiß machen, iſt eine Abſurditaͤt, die man nebſt andern Abſurditaͤ - ten ſchon ein Jahrhundert glaͤubig und dem Augen - ſchein entgegen zu wiederholen gewohnt iſt.
Die zuſammengemiſchten Farben tragen ihr Dunk - les in die Miſchung uͤber. Je dunkler die Farben ſind, deſto dunkler wird das entſtehende Grau, wel - ches zuletzt ſich dem Schwarzen naͤhert. Je heller die Farben ſind, deſto heller wird das Grau, welches zuletzt ſich dem Weißen naͤhert.
Die ſcheinbare Miſchung wird hier um ſo mehr gleich mit abgehandelt, als ſie in manchem Sinne von großer Bedeutung iſt, und man ſogar die von uns als real angegebene Miſchung fuͤr ſcheinbar hal - ten koͤnnte. Denn die Elemente, woraus die zuſam - mengeſetzte Farbe entſprungen iſt, ſind nur zu klein, um einzeln geſehen zu werden. Gelbes und blaues Pulver zuſammengerieben erſcheint dem nackten Auge gruͤn, wenn man durch ein Vergroͤßerungsglas noch Gelb und Blau von einander abgeſondert bemerken kann. So machen auch gelbe und blaue Streifen in der Entfernung eine gruͤne Flaͤche, welches alles auch von der Vermiſchung der uͤbrigen ſpecificirten Farben gilt.
Unter dem Apparat wird kuͤnftig auch das Schwung - rad abgehandelt werden, auf welchem die ſcheinbare Miſchung durch Schnelligkeit hervorgebracht wird. Auf einer Scheibe bringt man verſchiedene Farben im Kreiſe neben einander an, dreht dieſelben durch die Ge - walt des Schwunges mit groͤßter Schnelligkeit herum,211 und kann ſo, wenn man mehrere Scheiben zuberei - tet, alle moͤglichen Miſchungen vor Augen ſtellen, ſo wie zuletzt auch die Miſchung aller Farben zum Grau naturgemaͤß auf oben angezeigte Weiſe.
Phyſiologiſche Farben nehmen gleichfalls Miſchung an. Wenn man z. B. den blauen Schatten (65) auf einem leicht gelben Papiere hervorbringt, ſo erſcheint derſelbe gruͤn. Ein gleiches gilt von den uͤbrigen Far - ben, wenn man die Vorrichtung darnach zu machen weiß.
Wenn man die im Auge verweilenden farbigen Scheinbilder (39 ff. ) auf farbige Flaͤchen fuͤhrt, ſo entſteht auch eine Miſchung und Determination des Bildes zu einer andern Farbe, die ſich aus beyden herſchreibt.
Phyſiſche Farben ſtellen gleichfalls eine Miſchung dar. Hieher gehoͤren die Verſuche, wenn man bunte Bilder durchs Prisma ſieht, wie wir ſolches oben (258 — 284.) umſtaͤndlich angegeben haben.
Am meiſten aber machten ſich die Phyſiker mit jenen Erſcheinungen zu thun, welche entſtehen, wenn man die prismatiſchen Farben auf gefaͤrbte Flaͤchen wirft.
Das was man dabey gewahr wird, iſt ſehr ein - fach. Erſtlich muß man bedenken, daß die prismati - ſchen Farben viel lebhafter ſind, als die Farben der Flaͤche, worauf man ſie fallen laͤßt. Zweytens kommt in Betracht, daß die prismatiſche Farbe entweder ho - mogen mit der Flaͤche, oder heterogen ſeyn kann. Im erſten Fall erhoͤht und verherrlicht ſie ſolche und wird dadurch verherrlicht, wie der farbige Stein durch eine gleichgefaͤrbte Folie. Im entgegengeſetzten Falle be - ſchmutzt, ſtoͤrt und zerſtoͤrt eine die andre.
Man kann dieſe Verſuche durch farbige Glaͤſer wiederholen, und das Sonnenlicht durch dieſelben auf farbige Flaͤchen fallen laſſen; und durchaus werden aͤhnliche Reſultate erſcheinen.
Ein Gleiches wird bewirkt, wenn der Beobach - ter durch farbige Glaͤſer nach gefaͤrbten Gegenſtaͤnden hinſieht, deren Farben ſodann nach Beſchaffenheit er - hoͤht, erniedrigt oder aufgehoben werden.
Laͤßt man die prismatiſchen Farben durch farbige Glaͤſer durchgehen, ſo treten die Erſcheinungen voͤllig analog hervor; wobey mehr oder weniger Energie, mehr oder weniger Helle und Dunkle, Klarheit und Reinheit des Glaſes in Betracht kommt, und man - chen zarten Unterſchied hervorbringt, wie jeder genaue213 Beobachter wird bemerken koͤnnen, der dieſe Phaͤno - mene durchzuarbeiten Luſt und Geduld hat.
So iſt es auch wohl kaum noͤthig zu erwaͤhnen, daß mehrer[e]farbige Glaͤſer uͤber einander, nicht weni - ger oͤlgetraͤnkte, durchſcheinende Papiere, alle und jede Arten von Miſchung hervorbringen, und dem Auge, nach Belieben des Experimentirenden, darſtellen.
Schließlich gehoͤren hieher die Laſuren der Ma - ler, wodurch eine viel geiſtigere Miſchung entſteht, als durch die mechaniſch atomiſtiſche, deren ſie ſich ge - woͤhnlich bedienen, hervorgebracht werden kann.
Wenn wir nunmehr auf gedachte Weiſe uns Far - bematerialien verſchafft haben, ſo entſteht ferner die Frage, wie wir ſolche farbloſen Koͤrpern mittheilen koͤnnen, deren Beantwortung fuͤr das Leben, den Ge - brauch, die Benutzung, die Technik von der groͤßten Bedeutung iſt.
Hier kommt abermals die dunkle Eigenſchaft einer jeden Farbe zur Sprache. Von dem Gelben, das ganz nah am Weißen liegt, durchs Orange und Mennigfarbe zum Reinrothen und Carmin, durch alle Abſtufungen des Violetten bis in das ſatteſte Blau, das ganz am Schwarzen liegt, nimmt die Farbe immer an Dunkel - heit zu. Das Blaue einmal ſpecificirt laͤßt ſich ver - duͤnnen, erhellen, mit dem Gelben verbinden, wodurch es Gruͤn wird und ſich nach der Lichtſeite hinzieht. Keinesweges geſchieht dieß aber ſeiner Natur nach.
Bey den phyſiologiſchen Farben haben wir ſchon geſehen, daß ſie ein Minus ſind als das Licht, in - dem ſie beym Abklingen des Lichteindrucks entſtehen, ja zuletzt dieſen Eindruck ganz als ein Dunkles zuruͤck - laſſen. Bey phyſiſchen Verſuchen belehrt uns ſchon der Gebrauch truͤber Mittel, die Wirkung truͤber Neben - bilder, daß hier von einem gedaͤmpften Lichte, von ei - nem Uebergang ins Dunkle die Rede ſey.
Bey der chemiſchen Entſtehung der Pigmente wer - den wir daſſelbe bey der erſten Erregung gewahr. Der gelbe Hauch, der ſich uͤber den Stahl zieht, ver - dunkelt ſchon die glaͤnzende Oberflaͤche. Bey der Ver - wandlung des Bleyweißes in Maſſicot iſt es deutlich, daß das Gelbe dunkler als Weiß ſey.
Dieſe Operation iſt von der groͤßten Zartheit, und ſo auch die Steigerung, welche immer fortwaͤchſt, die Koͤrper, welche bearbeitet werden, immer inniger und kraͤftiger faͤrbt, und ſo auf die groͤßte Feinheit der be - handelten Theile, auf unendliche Theilbarkeit hinweiſt.
Mit den Farben, welche ſich gegen das Dunkle hinbegeben, und folglich beſonders mit dem Blauen koͤn - nen wir ganz an das Schwarze hinanruͤcken; wie uns denn ein recht vollkommnes Berlinerblau, ein durch Vi - triolſaͤure behandelter Indig faſt als Schwarz erſcheint.
Hier iſt es nun der Ort, einer merkwuͤrdigen Er - ſcheinung zu gedenken, daß nehmlich Pigmente in ih - rem hoͤchſt geſaͤttigten und gedraͤngten Zuſtande, be - ſonders aus dem Pflanzenreiche, als erſtgedachter In - dig, oder auf ſeine hoͤchſte Stufe gefuͤhrter Krapp, ihre Farbe nicht mehr zeigen; vielmehr erſcheint auf ihrer Oberflaͤche ein entſchiedener Metallglanz, in wel - chem die phyſiologiſch geforderte Farbe ſpielt.
Schon jeder gute Indig zeigt eine Kupferfarbe auf dem Bruch; welches im Handel ein Kennzeichen aus - macht. Der durch Schwefelſaͤure bearbeitete aber, wenn man ihn dick aufſtreicht, oder eintrocknet, ſo daß weder das weiße Papier noch die Porcellanſchale durchwirken kann, laͤßt eine Farbe ſehen, die dem Orange nahkommt.
Die hochpurpurfarbne ſpaniſche Schminke, wahr - ſcheinlich aus Krapp bereitet, zeigt auf der Oberflaͤche einen vollkommnen gruͤnen Metallglanz. Streicht man beyde Farben, die blaue und rothe, mit einem Pin - ſel auf Porcellan oder Papier aus einander; ſo hat man ſie wieder in ihrer Natur, indem das Helle der Unterlage durch ſie hindurchſcheint.
Farbige Liquoren erſcheinen ſchwarz, wenn kein Licht durch ſie hindurchfaͤllt, wie man ſich in paral - lelepipediſchen Blechgefaͤßen mit Glasboden ſehr leicht uͤberzeugen kann. In einem ſolchen wird jede durch - ſichtige, farbige Infuſion, wenn man einen ſchwar - zen Grund unterlegt, ſchwarz und farblos erſcheinen.
Macht man die Vorrichtung, daß das Bild einer Flamme von der untern Flaͤche zuruͤckſtrahlen kann; ſo erſcheint dieſe gefaͤrbt. Hebt man das Gefaͤß in die Hoͤhe und laͤßt das Licht auf druntergehaltenes weißes Papier fallen; ſo erſcheint die Farbe auf dieſem. Jede helle Unterlage durch ein ſolches gefaͤrbtes Mittel geſehen zeigt die Farbe deſſelben.
Jede Farbe alſo, um geſehen zu werden, muß ein Licht im Hinterhalte haben. Daher kommt es, daß je heller und glaͤnzender die Unterlagen ſind, deſto ſchoͤner erſcheinen die Farben. Zieht man Lackfarben217 auf einen metalliſch glaͤnzenden weißen Grund, wie unſre ſogenannten Folien verfertigt werden; ſo zeigt ſich die Herrlichkeit der Farbe bey dieſem zuruͤckwirken - den Licht ſo ſehr als bey irgend einem prismatiſchen Verſuche. Ja die Energie der phyſiſchen Farben be - ruht hauptſaͤchlich darauf, daß mit und hinter ihnen das Licht immerfort wirkſam iſt.
Lichtenberg, der zwar ſeiner Zeit und Lage nach der hergebrachten Vorſtellung folgen mußte, war doch zu ein guter Beobachter, und zu geiſtreich, als daß er das, was ihm vor Augen erſchien, nicht haͤtte bemerken und nach ſeiner Weiſe erklaͤren und zurecht legen ſollen. Er ſagt in der Vorrede zu Delavalle: „ Auch ſcheint es mir aus andern Gruͤnden — wahr - ſcheinlich, daß unſer Organ, um eine Farbe zu em - pfinden, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mit empfinden muͤſſe. “
Sich weiße Unterlagen zu verſchaffen, iſt das Haupt - geſchaͤft des Faͤrbers. Farbloſen Erden, beſonders dem Alaun, kann jede ſpecificirte Farbe leicht mitgetheilt werden. Beſonders aber hat der Faͤrber mit Produk - ten der animaliſchen und der Pflanzenorganiſation zu ſchaffen.
Alles Lebendige ſtrebt zur Farbe, zum Beſondern, zur Specification, zum Effect, zur Undurchſichtigkeit218 bis ins Unendlichfeine. Alles Abgelebte zieht ſich nach dem Weißen, zur Abſtraction, zur Allgemeinheit, zur Verklaͤrung, zur Durchſichtigkeit.
Wie dieſes durch Technik bewirkt werde, iſt in dem Kapitel von Entziehung der Farbe anzudeuten. Hier bey der Mittheilung haben wir vorzuͤglich zu be - denken, daß Thiere und Vegetabilien im lebendigen Zuſtande Farbe an ihnen hervorbringen, und ſolche daher, wenn ſie ihnen voͤllig entzogen iſt, um deſto leichter wieder in ſich aufnehmen.
Die Mittheilung trifft, wie man leicht ſehen kann, mit der Miſchung zuſammen, ſowohl die wahre als die ſcheinbare. Wir wiederholen deswegen nicht, was oben ſo viel als noͤthig ausgefuͤhrt worden.
Doch bemerken wir gegenwaͤrtig umſtaͤndlicher die Wichtigkeit einer ſcheinbaren Mittheilung, welche durch219 den Widerſchein geſchieht. Es iſt dieſes zwar ſehr be - kannte, doch immer ahndungsvolle Phaͤnomen dem Phyſiker wie dem Maler von der groͤßten Bedeutung.
Man nehme eine jede ſpecificirte farbige Flaͤche, man ſtelle ſie in die Sonne und laſſe den Widerſchein auf andre farbloſe Gegenſtaͤnde fallen. Dieſer Wider - ſchein iſt eine Art gemaͤßigten Lichts, ein Halblicht, ein Halbſchatten, der außer ſeiner gedaͤmpften Natur die ſpecifiſche Farbe der Flaͤche mit abſpiegelt.
Wirkt dieſer Widerſchein auf lichte Flaͤchen, ſo wird er aufgehoben, und man bemerkt die Farbe wenig, die er mit ſich bringt. Wirkt er aber auf Schattenſtellen, ſo zeigt ſich eine gleichſam magiſche Verbindung mit dem σκιερῷ. Der Schatten iſt das ei - gentliche Element der Farbe, und hier tritt zu demſel - ben eine ſchattige Farbe beleuchtend, faͤrbend und be - lebend. Und ſo entſteht eine eben ſo maͤchtige als an - genehme Erſcheinung, welche dem Maler, der ſie zu benutzen weiß, die herrlichſten Dienſte leiſtet. Hier ſind die Vorbilder der ſogenannten Reflexe, die in der Geſchichte der Kunſt erſt ſpaͤter bemerkt werden, und die man ſeltner als billig in ihrer ganzen Man - nigfaltigkeit anzuwenden gewußt hat.
Die Scholaſtiker nannten dieſe Farben colores notionales und intentionales; wie uns denn uͤber - haupt die Geſchichte zeigen wird, daß jene Schule220 die Phaͤnomene ſchon gut genug beachtete, auch ſie gehoͤrig zu ſondern wußte, wenn ſchon die ganze Be - handlungsart ſolcher Gegenſtaͤnde von der unſrigen ſehr verſchieden iſt.
Den Koͤrpern werden auf mancherley Weiſe die Farben entzogen, ſie moͤgen dieſelben von Natur be - ſitzen, oder wir moͤgen ihnen ſolche mitgetheilt haben. Wir ſind daher im Stande, ihnen zu unſerm Vortheil zweckmaͤßig die Farbe zu nehmen, aber ſie entflieht auch oft zu unſerm Nachtheil gegen unſern Willen.
Nicht allein die Grunderden ſind in ihrem natuͤr - lichen Zuſtande weiß, ſondern auch vegetabiliſche und animaliſche Stoffe koͤnnen, ohne daß ihr Gewebe zer - ſtoͤrt wird, in einen weißen Zuſtand verſetzt werden. Da uns nun zu mancherley Gebrauch ein reinliches Weiß hoͤchſt noͤthig und angenehm iſt, wie wir uns beſonders gern der leinenen und baumwollenen Zeuge ungefaͤrbt bedienen; auch ſeidene Zeuge, das Papier und anderes uns deſto angenehmer ſind, je weißer ſie gefunden werden; weil auch ferner, wie wir oben221 geſehen, das Hauptfundament der ganzen Faͤrberey weiße Unterlagen ſind: ſo hat ſich die Technik, theils zufaͤllig, theils mit Nachdenken, auf das Entziehen der Farbe aus dieſen Stoffen ſo emſig geworfen, daß man hieruͤber unzaͤhlige Verſuche gemacht und gar manches Bedeutende entdeckt hat.
In dieſer voͤlligen Entziehung der Farbe liegt ei - gentlich die Beſchaͤftigung der Bleichkunſt, welche von mehreren empiriſcher oder methodiſcher abgehandelt wor - den. Wir geben die Hauptmomente hier nur kuͤrzlich an.
Das Licht wird als eines der erſten Mittel, die Farbe den Koͤrpern zu entziehen, angeſehen, und zwar nicht allein das Sonnenlicht, ſondern das bloße ge - waltloſe Tageslicht. Denn wie beyde Lichter, ſowohl das directe von der Sonne, als auch das abgeleitete Himmelslicht, die Bonnoniſchen Phosphoren entzuͤn - den, ſo wirken auch beyde Lichter auf gefaͤrbte Flaͤchen. Es ſey nun, daß das Licht die ihm verwandte Farbe ergreife, ſie, die ſo viel Flammenartiges hat, gleichſam entzuͤnde, verbrenne, und das an ihr Spe - cificirte wieder in ein Allgemeines aufloͤſe, oder daß eine andre uns unbekannte Operation geſchehe, genug das Licht uͤbt eine große Gewalt gegen farbige Flaͤchen aus und bleicht ſie mehr oder weniger. Doch zeigen auch hier die verſchiedenen Farben eine verſchiedene Zerſtoͤrlichkeit und Dauer; wie denn das Gelbe, be -222 ſonders das aus gewiſſen Stoffen bereitete hier zuerſt davon fliegt.
Aber nicht allein das Licht, ſondern auch die Luft und beſonders das Waſſer wirken gewaltig auf die Entziehung der Farbe. Man will ſogar bemerkt haben, daß wohl befeuchtete, bey Nacht auf dem Raſen aus - gebreitete Garne beſſer bleichen, als ſolche, welche, gleichfalls wohl befeuchtet, dem Sonnenlicht ausgeſetzt werden. Und ſo mag ſich denn freylich das Waſſer auch hier als ein Aufloͤſendes, Vermittlendes, das Zufaͤllige Aufhebendes, und das Beſondre ins Allge - meine Zuruͤckfuͤhrendes beweiſen.
Durch Reagentien wird auch eine ſolche Entziehung bewirkt. Der Weingeiſt hat eine beſondre Neigung, dasjenige, was die Pflanzen faͤrbt, an ſich zu ziehen und ſich damit, oft auf eine ſehr beſtaͤndige Weiſe, zu faͤr - ben. Die Schwefelſaͤure zeigt ſich, beſonders gegen Wolle und Seide, als farbentziehend ſehr wirkſam; und wem iſt nicht der Gebrauch des Schwefeldampfes da bekannt, wo man etwas vergilbtes oder beflecktes Weiß herzuſtellen gedenkt.
Die ſtaͤrkſten Saͤuren ſind in der neuren Zeit als kuͤrzere Bleichmittel angerathen worden.
Eben ſo wirken im Gegenſinne die alcaliſchen Rea - gentien, die Laugen an ſich, die zu Seife mit Lauge223 verbundenen Oele und Fettigkeiten u. ſ. w. wie dieſes alles in den ausdruͤcklich zu dieſem Zwecke verfaßten Schriften umſtaͤndlich gefunden wird.
Uebrigens moͤchte es wohl der Muͤhe werth ſeyn, gewiſſe zarte Verſuche zu machen, inwiefern Licht und Luft auf das Entziehen der Farbe ihre Thaͤtigkeit aͤußern. Man koͤnnte vielleicht unter luftleeren, mit gemeiner Luft oder beſondern Luftarten gefuͤllten Glocken ſolche Farbſtoffe dem Licht ausſetzen, deren Fluͤchtig - keit man kennt, und beobachten, ob ſich nicht an das Glas wieder etwas von der verfluͤchtigten Farbe anſetzte, oder ſonſt ein Niederſchlag ſich zeigte; und ob alsdann dieſes Wiedererſcheinende dem Unſichtbar - gewordnen voͤllig gleich ſey, oder ob es eine Veraͤn - derung erlitten habe. Geſchickte Experimentatoren er - ſinnen ſich hierzu wohl mancherley Vorrichtungen.
Wenn wir nun alſo zuerſt die Naturwirkungen betrachtet haben, wie wir ſie zu unſern Abſichten an - wenden, ſo iſt noch einiges zu ſagen von dem, wie ſie feindlich gegen uns wirken.
Die Malerey iſt in dem Falle, daß ſie die ſchoͤn - ſten Arbeiten des Geiſtes und der Muͤhe durch die Zeit auf mancherley Weiſe zerſtoͤrt ſieht. — Man hat da - her ſich immer viel Muͤhe gegeben, dauernde Pigmente zu finden, und ſie auf eine Weiſe unter ſich, ſo wie224 mit der Unterlage zu vereinigen, daß ihre Dauer da - durch noch mehr geſichert werde; wie uns hiervon die Technik der Malerſchulen genugſam unterrichten kann.
Auch iſt hier der Platz, einer Halbkunſt zu ge - denken, welcher wir in Abſicht auf Faͤrberey ſehr vie - les ſchuldig ſind, ich meyne die Tapetenwirkerey. In - dem man nehmlich in den Fall kam, die zarteſten Schattirungen der Gemaͤlde nachzuahmen, und daher die verſchiedenſt gefaͤrbten Stoffe oft neben einander zu bringen; ſo bemerkte man bald, daß die Farben nicht alle gleich dauerhaft waren, ſondern die eine eher als die andre dem gewobenen Bilde entzogen wurde. Es entſprang daher das eifrigſte Beſtreben, den ſaͤmmtlichen Farben und Schattirungen eine gleiche Dauer zu verſichern, welches beſonders in Frankreich unter Colbert geſchah, deſſen Verfuͤgungen uͤber dieſen Punct in der Geſchichte der Faͤrbekunſt Epoche machen. Die ſogenannte Schoͤnfaͤrberey, welche ſich nur zu ei - ner vergaͤnglichen Anmuth verpflichtete, ward eine beſondre Gilde; mit deſto groͤßerm Ernſt hingegen ſuchte man diejenige Technik, welche fuͤr die Dauer ſtehn ſollte, zu begruͤnden.
So waͤren wir, bey Betrachtung des Entziehens, der Fluͤchtigkeit und Vergaͤnglichkeit glaͤnzender Farben - erſcheinungen, wieder auf die Forderung der Dauer zuruͤckgekehrt, und haͤtten auch in dieſem Sinne un - ſern Kreis abermals abgeſchloſſen.
Nach dem, was wir bisher von dem Entſtehen, dem Fortſchreiten und der Verwandtſchaft der Farben ausgefuͤhrt, wird ſich beſſer uͤberſehen laſſen, welche Nomenclatur kuͤnftig wuͤnſchenswerth waͤre, und was von der bisherigen zu halten ſey.
Die Nomenclatur der Farben ging, wie alle No - menclaturen, beſonders aber diejenigen, welche ſinnliche Gegenſtaͤnde bezeichnen, vom Beſondern aus ins All - gemeine und vom Allgemeinen wieder zuruͤck ins Be - ſondre. Der Name der Species ward ein Geſchlechts - name, dem ſich wieder das Einzelne unterordnete.
Dieſer Weg konnte bey der Beweglichkeit und Un - beſtimmtheit des fruͤhern Sprachgebrauchs zuruͤckgelegt werden, beſonders da man in den erſten Zeiten ſich auf ein lebhafteres ſinnliches Anſchauen verlaſſen durfte. Man bezeichnete die Eigenſchaften der Gegenſtaͤnde un - beſtimmt, weil ſie Jedermann deutlich in der Imagi - nation feſthielt.
Der reine Farbenkreis war zwar enge, er ſchien aber an unzaͤhligen Gegenſtaͤnden ſpecificirt und indivi - dualiſirt und mit Nebenbeſtimmungen bedingt. Man ſehe die Mannigfaltigkeit der griechiſchen und roͤmiſchen Ausdruͤcke (2r Band. S. 54 — 59.) und man wird mit Vergnuͤgen dabey gewahr werden, wie beweglich und laͤßlich die Worte beynahe durch den ganzen Far - benkreis herum gebraucht worden.
In ſpaͤteren Zeiten trat durch die mannigfaltigen Operationen der Faͤrbekunſt manche neue Schattirung ein. Selbſt die Modefarben und ihre Benennungen ſtellten ein unendliches Heer von Farbenindividualitaͤten dar. Auch die Farbenterminologie der neuern Spra - chen werden wir gelegentlich auffuͤhren; wobey ſich denn zeigen wird, daß man immer auf genauere Be - ſtimmungen ausgegangen, und ein Fixirtes, Specificir - tes auch durch die Sprache feſtzuhalten und zu verein - zelnen geſucht hat.
Was die deutſche Terminologie betrifft, ſo hat ſie den Vortheil, daß wir vier einſylbige, an ihren Ur - ſprung nicht mehr erinnernde Namen beſitzen, nehm - lich Gelb, Blau, Roth, Gruͤn. Sie ſtellen nur das Allgemeinſte der Farbe der Einbildungskraft dar, ohne auf etwas Specifiſches hinzudeuten.
Wollten wir in jeden Zwiſchenraum zwiſchen die - ſen vieren noch zwey Beſtimmungen ſetzen, als Roth - gelb und Gelbroth, Rothblau und Blauroth, Gelbgruͤn und Gruͤngelb, Blaugruͤn und Gruͤnblau; ſo wuͤr - den wir die Schattirungen des Farbenkreiſes beſtimmt genug ausdruͤcken; und wenn wir die Bezeichnungen von Hell und Dunkel hinzufuͤgen wollten, ingleichen die Beſchmutzungen einigermaßen andeuten, wozu uns die gleichfalls einſylbigen Worte Schwarz, Weiß, Grau und Braun zu Dienſten ſtehn; ſo wuͤrden wir ziemlich auslangen, und die vorkommenden Erſcheinungen aus - druͤcken, ohne uns zu bekuͤmmern, ob ſie auf dyna - miſchem oder atomiſtiſchem Wege entſtanden ſind.
Man koͤnnte jedoch immer hiebey die ſpecifiſchen und individuellen Ausdruͤcke vortheilhaft benutzen; ſo wie wir uns auch des Worts Orange und Violett bedienten. Ingleichen haben wir das Wort Purpur gebraucht, um das reine in der Mitte ſtehende Roth zu bezeichnen, weil der Saft der Purpurſchnecke, be - ſonders wenn er ſeine Leinwand durchdrungen hat, vorzuͤglich durch das Sonnenlicht zu dem hoͤchſten Puncte der Culmination zu bringen iſt.
Die Farben der Mineralien ſind alle chemiſcher Natur, und ſo kann ihre Entſtehungsweiſe aus dem, was wir von den chemiſchen Farben geſagt haben, ziemlich entwickelt werden.
Die Farbenbenennungen ſtehn unter den aͤußern Kennzeichen oben an, und man hat ſich, im Sinne der neuern Zeit, große Muͤhe gegeben, jede vorkom - mende Erſcheinung genau zu beſtimmen und feſtzuhal - ten; man hat aber dadurch, wie uns duͤnkt, neue Schwierigkeiten erregt, welche beym Gebrauch manche Unbequemlichkeit veranlaſſen.
Freylich fuͤhrt auch dieſes, ſobald man bedenkt, wie die Sache entſtanden, ſeine Entſchuldigung mit ſich. Der Maler hatte von jeher das Vorrecht, die Farbe zu handhaben. Die wenigen ſpecificirten Far - ben ſtanden feſt, und dennoch kamen durch kuͤnſtliche Miſchungen unzaͤhlige Schattirungen hervor, welche die Oberflaͤche der natuͤrlichen Gegenſtaͤnde nachahmten. War es daher ein Wunder, wenn man auch dieſen Mi -229 ſchungsweg einſchlug und den Kuͤnſtler aufrief, ge - faͤrbte Muſterflaͤchen aufzuſtellen, nach denen man die natuͤrlichen Gegenſtaͤnde beurtheilen und bezeichnen koͤnnte. Man fragte nicht, wie geht die Natur zu Werke, um dieſe und jene Farbe auf ihrem innern lebendigen Wege hervorzubringen, ſondern wie belebt der Maler das Todte, um ein dem Lebendigen aͤhn - liches Scheinbild darzuſtellen. Man ging alſo immer von Miſchung aus und kehrte auf Miſchung zuruͤck, ſo daß man zuletzt das Gemiſchte wieder zu miſchen vornahm, um einige ſonderbare Specificationen und Individualiſationen auszudruͤcken und zu unterſcheiden.
Uebrigens laͤßt ſich bey der gedachten eingefuͤhrten mineraliſchen Farbenterminologie noch manches erin - nern. Man hat nehmlich die Benennungen nicht, wie es doch meiſtens moͤglich geweſen waͤre, aus dem Mi - neralreich, ſondern von allerley ſichtbaren Gegenſtaͤnden genommen, da man doch mit groͤßerem Vortheil auf eigenem Grund und Boden haͤtte bleiben koͤnnen. Fer - ner hat man zu viel einzelne, ſpecifiſche Ausdruͤcke aufgenommen, und indem man, durch Vermiſchung dieſer Specificationen, wieder neue Beſtimmungen hervorzubringen ſuchte, nicht bedacht, daß man da - durch vor der Imagination das Bild und vor dem Verſtand den Begriff voͤllig aufhebe. Zuletzt ſtehen denn auch dieſe gewiſſermaßen als Grundbeſtimmungen gebrauchten einzelnen Farbenbenennungen nicht in der beſten Ordnung, wie ſie etwa von einander ſich ab -230 leiten; daher denn der Schuͤler jede Beſtimmung ein - zeln lernen und ſich ein beynahe todtes Poſitives ein - praͤgen muß. Die weitere Ausfuͤhrung dieſes Angedeu - teten ſtuͤnde hier nicht am rechten Orte.
Man kann die Farben organiſcher Koͤrper uͤber - haupt als eine hoͤhere chemiſche Operation anſehen, weswegen ſie auch die Alten durch das Wort Kochung (πέψις) ausgedruͤckt haben. Alle Elementarfarben ſowohl als die gemiſchten und abgeleiteten kommen auf der Oberflaͤche organiſcher Naturen vor; dahingegen das Innere, man kann nicht ſagen, unfaͤrbig, doch eigentlich mißfaͤrbig erſcheint, wenn es zu Tage ge - bracht wird. Da wir bald an einem andern Orte von unſern Anſichten uͤber organiſche Natur einiges mitzu - theilen denken; ſo ſtehe nur dasjenige hier, was fruͤ - her mit der Farbenlehre in Verbindung gebracht war, indeſſen wir zu jenen beſondern Zwecken das weitre vorbereiten. Von den Pflanzen ſey alſo zuerſt ge - ſprochen.
Die Saamen, Bulben, Wurzeln und was uͤber - haupt vom Lichte ausgeſchloſſen iſt, oder unmittelbar231 von der Erde ſich umgeben befindet, zeigt ſich mei - ſtentheils weiß.
Die im Finſtern aus Saamen erzogenen Pflanzen ſind weiß oder ins Gelbe ziehend. Das Licht hinge - gen, indem es auf ihre Farben wirkt, wirkt zugleich auf ihre Form.
Die Pflanzen, die im Finſtern wachſen, ſetzen ſich von Knoten zu Knoten zwar lange fort; aber die Stengel zwiſchen zwey Knoten ſind laͤnger als billig; keine Seitenzweige werden erzeugt und die Metamor - phoſe der Pflanzen hat nicht ſtatt.
Das Licht verſetzt ſie dagegen ſogleich in einen thaͤtigen Zuſtand, die Pflanze erſcheint gruͤn und der Gang der Metamorphoſe bis zur Begattung geht un - aufhaltſam fort.
Wir wiſſen, daß die Stengelblaͤtter nur Vorberei - tungen und Vorbedeutungen auf die Blumen - und Fruchtwerkzeuge ſind; und ſo kann man in den Sten - gelblaͤttern ſchon Farben ſehen, die von weiten auf die Blume hindeuten, wie bey den Amaranthen der Fall iſt.
Es gibt weiße Blumen, deren Blaͤtter ſich zur groͤßten Reinheit durchgearbeitet haben; aber auch far -232 bige, in denen die ſchoͤne Elementarerſcheinung hin und wieder ſpielt. Es gibt deren, die ſich nur theil - weiſe vom Gruͤnen auf eine hoͤhere Stufe losgearbeitet haben.
Blumen einerley Geſchlechts, ja einerley Art, fin - den ſich von allen Farben. Roſen und beſonders Mal - ven z. B. gehen einen großen Theil des Farbenkreiſes durch, vom Weißen ins Gelbe, ſodann durch das Rothgelbe in den Purpur, und von da in das dun - kelſte, was der Purpur, indem er ſich dem Blauen naͤhert, ergreifen kann.
Andere fangen ſchon auf einer hoͤhern Stufe an, wie z. B. die Mohne, welche von dem Gelbrothen aus - gehen und ſich in das Violette hinuͤberziehen.
Doch ſind auch Farben bey Arten, Gattungen, ja Familien und Claſſen, wo nicht beſtaͤndig, doch herr - ſchend, beſonders die gelbe Farbe: die blaue iſt uͤber - haupt ſeltner.
Bey den ſaftigen Huͤllen der Frucht geht etwas aͤhnliches vor, indem ſie ſich von der gruͤnen Farbe durch das Gelbliche und Gelbe bis zu dem hoͤchſten Roth erhoͤhen, wobey die Farbe der Schale die Stu - fen der Reife andeutet. Einige ſind ringsum gefaͤrbt, einige nur an der Sonnenſeite, in welchem letzten233 Falle man die Steigerung des Gelben ins Rothe durch groͤßere An - und Uebereinanderdraͤngung ſehr wohl beobachten kann.
Auch ſind mehrere Fruͤchte innerlich gefaͤrbt, be - ſonders ſind purpurrothe Saͤfte gewoͤhnlich.
Wie die Farbe ſowohl oberflaͤchlich auf der Blume, als durchdringend in der Frucht ſich befindet, ſo ver - breitet ſie ſich auch durch die uͤbrigen Theile, indem ſie die Wurzeln und die Saͤfte der Stengel faͤrbt, und zwar mit ſehr reicher und maͤchtiger Farbe.
So geht auch die Farbe des Holzes vom Gelben durch die verſchiedenen Stufen des Rothen bis ins Pur - purfarbene und Braune hinuͤber. Blaue Hoͤlzer ſind mir nicht bekannt; und ſo zeigt ſich ſchon auf dieſer Stufe der Organiſation die active Seite maͤchtig, wenn in dem allgemeinen Gruͤn der Pflanzen beyde Seiten ſich balanciren moͤgen.
Wir haben oben geſehen, daß der aus der Erde dringende Keim ſich mehrentheils weiß und gelblich zeigt, durch Einwirkung von Licht und Luft aber in die gruͤne Farbe uͤbergeht. Ein aͤhnliches geſchieht bey jungen Blaͤttern der Baͤume, wie man z. B. an den Birken ſehen kann, deren junge Blaͤtter gelblich234 ſind und beym Auskochen einen ſchoͤnen gelben Saft von ſich geben. Nachher werden ſie immer gruͤner, ſo wie die Blaͤtter von andern Baͤumen nach und nach in das Blaugruͤne uͤbergehen.
So ſcheint auch das Gelbe weſentlicher den Blaͤt - tern anzugehoͤren, als der blaue Antheil: denn die - ſer verſchwindet im Herbſte, und das Gelbe des Blat - tes ſcheint in eine braune Farbe uͤbergegangen. Noch merkwuͤrdiger aber ſind die beſonderen Faͤlle, da die Blaͤtter im Herbſte wieder rein gelb werden, und an - dre ſich bis zu dem hoͤchſten Roth hinaufſteigern.
Uebrigens haben einige Pflanzen die Eigenſchaft, durch kuͤnſtliche Behandlung faſt durchaus in ein Far - bematerial verwandelt zu werden, das ſo fein, wirk - ſam und unendlich theilbar iſt, als irgend ein anderes. Beyſpiele ſind der Indigo und Krapp, mit denen ſo viel geleiſtet wird. Auch werden Flechten zum Faͤrben benutzt.
Dieſem Phaͤnomen ſteht ein anderes unmittelbar entgegen, daß man nehmlich den faͤrbenden Theil der Pflanzen ausziehen und gleichſam beſonders darſtellen kann, ohne daß ihre Organiſation dadurch etwas zu leiden ſcheint. Die Farben der Blumen laſſen ſich durch Weingeiſt ausziehen und tingiren denſelben; die Blumenblaͤtter dagegen erſcheinen weiß.
Es gibt verſchiedene Bearbeitungen der Blumen und ihrer Saͤfte durch Reagentien. Dieſes hat Boyle in vielen Experimenten geleiſtet. Man bleicht die Ro - ſen durch Schwefel und ſtellt ſie durch andre Saͤuern wieder her. Durch Tobaksrauch werden die Roſen gruͤn.
Von den Thieren, welche auf den niedern Stufen der Organiſation verweilen, ſey hier vorlaͤufig folgen - des geſagt. Die Wuͤrmer, welche ſich in der Erde aufhalten, der Finſterniß und der kalten Feuchtigkeit gewidmet ſind, zeigen ſich mißfaͤrbig; die Eingewei - dewuͤrmer von warmer Feuchtigkeit im Finſtern aus - gebruͤtet und genaͤhrt, unfaͤrbig; zu Beſtimmung der Farbe ſcheint ausdruͤcklich Licht zu gehoͤren.
Diejenigen Geſchoͤpfe, welche im Waſſer wohnen, welches als ein obgleich ſehr dichtes Mittel dennoch hinreichendes Licht hindurch laͤßt, erſcheinen mehr oder weniger gefaͤrbt. Die Zoophyten, welche die reinſte Kalkerde zu beleben ſcheinen, ſind meiſtentheils weiß;236 doch finden wir die Corallen bis zum ſchoͤnſten Gelb - roth hinaufgeſteigert, welches in andern Wurmgehaͤu - ſen ſich bis nahe zum Purpur hinanhebt.
Die Gehaͤuſe der Schalthiere ſind ſchoͤn gezeich - net und gefaͤrbt; doch iſt zu bemerken, daß weder die Landſchnecken, noch die Schale der Muſcheln des ſuͤßen Waſſers mit ſo hohen Farben geziert ſind, als die des Meerwaſſers.
Bey Betrachtung der Muſchelſchalen, beſonders der gewundenen, bemerken wir, daß zu ihrem Ent - ſtehen eine Verſammlung unter ſich aͤhnlicher, thieri - ſcher Organe ſich wachſend vorwaͤrts bewegte, und, indem ſie ſich um eine Axe drehten, das Gehaͤuſe durch eine Folge von Riefen, Raͤndern, Rinnen und Erhoͤhungen, nach einem immer ſich vergroͤßernden Maaßſtab, hervorbrachten. Wir bemerken aber auch zugleich, daß dieſen Organen irgend ein mannigfaltig faͤrbender Saft beywohnen mußte, der die Oberflaͤche des Gehaͤuſes, wahrſcheinlich durch unmittelbare Ein - wirkung des Meerwaſſers, mit farbigen Linien, Punc - ten, Flecken und Schattirungen, Epochenweis be - zeichnete, und ſo die Spuren ſeines ſteigenden Wachs - thums auf der Außenſeite dauernd hinterließ, indeß die innre meiſtens weiß oder nur blaßgefaͤrbt angetrof - fen wird.
Daß in den Muſcheln ſolche Saͤfte ſich befinden, zeigt uns die Erfahrung auch außerdem genugſam, in - dem ſie uns dieſelben noch in ihrem fluͤſſigen und faͤr - benden Zuſtande darbietet; wovon der Saft des Tin - tenfiſches ein Zeugniß gibt; ein weit ſtaͤrkeres aber derjenige Purpurſaft, welcher in mehreren Schnecken gefunden wird, der von Alters her ſo beruͤhmt iſt und in der neuern Zeit auch wohl benutzt wird. Es gibt nehmlich unter den Eingeweiden mancher Wuͤr - mer, welche ſich in Schalgehaͤuſen aufhalten, ein gewiſſes Gefaͤß, das mit einem rothen Safte gefuͤllt iſt. Dieſer enthaͤlt ein ſehr ſtark und dauerhaft faͤr - bendes Weſen, ſo daß man die ganzen Thiere zer - knirſchen, kochen und aus dieſer animaliſchen Bruͤhe doch noch eine hinreichend faͤrbende Feuchtigkeit heraus - nehmen konnte. Es laͤßt ſich aber dieſes farbgefuͤllte Gefaͤß auch von dem Thiere abſondern, wodurch denn freylich ein concentrirterer Saft gewonnen wird.
Dieſer Saft hat das Eigene, daß er, dem Licht und der Luft ausgeſetzt, erſt gelblich, dann gruͤnlich er - ſcheint, dann ins Blaue, von da ins Violette uͤber - geht, immer aber ein hoͤheres Roth annimmt, und zuletzt durch Einwirkung der Sonne, beſonders wenn er auf Battiſt aufgetragen worden, eine reine hohe rothe Farbe annimmt.
Wir haͤtten alſo hier eine Steigerung von der Minusſeite bis zur Culmination, die wir bey den un - organiſchen Faͤllen nicht leicht gewahr wurden; ja wir koͤnnen dieſe Erſcheinung beynahe ein Durchwandern des ganzen Kreiſes nennen, und wir ſind uͤberzeugt, daß durch gehoͤrige Verſuche wirklich die ganze Durch - wanderung des Kreiſes bewirkt werden koͤnne: denn es iſt wohl kein Zweifel, daß ſich durch wohl ange - wendete Saͤuern der Purpur vom Culminationspuncte heruͤber nach dem Scharlach fuͤhren ließe.
Dieſe Feuchtigkeit ſcheint von der einen Seite mit der Begattung zuſammenzuhaͤngen, ja ſogar finden ſich Eier, die Anfaͤnge kuͤnftiger Schalthiere, welche ein ſolches faͤrbendes Weſen enthalten. Von der an - dern Seite ſcheint aber dieſer Saft auf das bey hoͤher ſtehenden Thieren ſich entwickelnde Blut zu deuten. Denn das Blut laͤßt uns aͤhnliche Eigenſchaften der Farbe ſehen. In ſeinem verduͤnnteſten Zuſtande er - ſcheint es uns gelb, verdichtet, wie es in den Adern ſich befindet, roth, und zwar zeigt das arterielle Blut ein hoͤheres Roth, wahrſcheinlich wegen der Saͤurung, die ihm beym Athemholen widerfaͤhrt; das venoͤſe Blut geht mehr nach dem Violetten hin, und zeigt durch dieſe Beweglichkeit auf jenes uns genug - ſam bekannte Steigern und Wandern.
Sprechen wir, ehe wir das Element des Waſ - ſers verlaſſen, noch einiges von den Fiſchen, deren ſchuppige Oberflaͤche zu gewiſſen Farben oͤfters theils im Ganzen, theils ſtreifig, theils fleckenweis ſpecifi - cirt iſt, noch oͤfter ein gewiſſes Farbenſpiel zeigt, das auf die Verwandtſchaft der Schuppen mit den Gehaͤu - ſen der Schalthiere, dem Perlemutter, ja ſelbſt der Perle hinweiſt. Nicht zu uͤbergehen iſt hierbey, daß heißere Himmelsſtriche, auch ſchon in das Waſſer wirk - ſam, die Farben der Fiſche hervorbringen, verſchoͤ - nern und erhoͤhen.
Auf Otahiti bemerkte Forſter Fiſche, deren Ober - flaͤchen ſehr ſchoͤn ſpielten, beſonders im Augenblick, da der Fiſch ſtarb. Man erinnre ſich hierbey des Chamaͤleons und andrer aͤhnlichen Erſcheinungen, wel - che dereinſt zuſammengeſtellt dieſe Wirkungen deutlicher erkennen laſſen.
Noch zuletzt, obgleich außer der Reihe, iſt wohl noch das Farbenſpiel gewiſſer Molusken zu erwaͤhnen, ſo wie die Phosphorescenz einiger Seegeſchoͤpfe, welche ſich auch in Farben ſpielend verlieren ſoll.
Wenden wir nunmehr unſre Betrachtung auf die - jenigen Geſchoͤpfe, welche dem Licht und der Luft und der trocknen Waͤrme angehoͤren; ſo finden wir uns240 freylich erſt recht im lebendigen Farbenreiche. Hier erſcheinen uns an trefflich organiſirten Theilen die Ele - mentarfarben in ihrer groͤßten Reinheit und Schoͤnheit. Sie deuten uns aber doch, daß eben dieſe Geſchoͤpfe noch auf einer niedern Stufe der Organiſation ſtehen, eben weil dieſe Elementarfarben noch unverarbeitet bey ihnen hervortreten koͤnnen. Auch hier ſcheint die Hitze viel zu Ausarbeitung dieſer Erſcheinung beyzutragen.
Wir finden Inſecten, welche als ganz concentrir - ter Farbenſtoff anzuſehen ſind, worunter beſonders die Coccusarten beruͤhmt ſind; wobey wir zu bemer - ken nicht unterlaſſen, daß ihre Weiſe, ſich an Vegeta - bilien anzuſiedeln, ja in dieſelben hineinzuniſten, auch zugleich jene Auswuͤchſe hervorbringt, welche als Bei - zen zu Befeſtigung der Farben ſo große Dienſte leiſten.
Am auffallendſten aber zeigt ſich die Farbengewalt, verbunden mit regelmaͤßiger Organiſation, an denjeni - gen Inſecten, welche eine vollkommene Metamorphoſe zu ihrer Entwicklung beduͤrfen, an Kaͤfern, vorzuͤg - lich aber an Schmetterlingen.
Dieſe letztern, die man wahrhafte Ausgeburten des Lichtes und der Luft nennen koͤnnte, zeigen ſchon in ihrem Raupenzuſtand oft die ſchoͤnſten Farben, welche, ſpecificirt wie ſie ſind, auf die kuͤnftigen Farben des Schmetterlings deuten; eine Betrachtung,241 die wenn ſie kuͤnftig weiter verfolgt wird, gewiß in manches Geheimniß der Organiſation eine erfreuliche Einſicht gewaͤhren muß.
Wenn wir uͤbrigens die Fluͤgel des Schmetterlings naͤher betrachten und in ſeinem netzartigen Gewebe die Spuren eines Armes entdecken, und ferner die Art, wie dieſer gleichſam verflaͤchte Arm durch zarte Federn bedeckt und zum Organ des Fliegens beſtimmt wor - den; ſo glauben wir ein Geſetz gewahr zu werden, wo - nach ſich die große Mannigfaltigkeit der Faͤrbung rich - tet, welches kuͤnftig naͤher zu entwickeln ſeyn wird.
Daß auch uͤberhaupt die Hitze auf Groͤße des Ge - ſchoͤpfes, auf Ausbildung der Form, auf mehrere Herrlichkeit der Farben Einfluß habe, bedarf wohl kaum erinnert zu werden.
Je weiter wir nun uns gegen die hoͤhern Orga - niſationen bewegen, deſto mehr haben wir Urſache, fluͤchtig und voruͤbergehend, nur einiges hinzuſtreuen. I. 16242Denn alles, was ſolchen organiſchen Weſen natuͤrlich begegnet, iſt eine Wirkung von ſo vielen Praͤmiſſen, daß ohne dieſelben wenigſtens angedeutet zu haben, nur etwas Unzulaͤngliches und Gewagtes ausgeſprochen wird.
Wie wir bey den Pflanzen finden, daß ihr Hoͤhe - res, die ausgebildeten Bluͤten und Fruͤchte auf dem Stamme gleichſam gewurzelt ſind, und ſich von voll - kommneren Saͤften naͤhren, als ihnen die Wurzel zuerſt zugebracht hat; wie wir bemerken, daß die Schmarotzerpflanzen, die das Organiſche als ihr Ele - ment behandeln, an Kraͤften und Eigenſchaften ſich ganz vorzuͤglich beweiſen, ſo koͤnnen wir auch die Fe - dern der Voͤgel in einem gewiſſen Sinne mit den Pflanzen vergleichen. Die Federn entſpringen als ein Letztes aus der Oberflaͤche eines Koͤrpers, der noch viel nach außen herzugeben hat, und ſind deswegen ſehr reich ausgeſtattete Organe.
Die Kiele erwachſen nicht allein verhaͤltnißmaͤßig zu einer anſehnlichen Groͤße, ſondern ſie ſind durchaus geaͤſtet, wodurch ſie eigentlich zu Federn werden, und manche dieſer Ausaͤſtungen, Befiederungen ſind wieder ſubdividirt, wodurch ſie abermals an die Pflanzen erinnern.
Die Federn ſind ſehr verſchieden an Form und Groͤße, aber ſie bleiben immer daſſelbe Organ, das243 ſich nur nach Beſchaffenheit des Koͤrpertheiles, aus welchem es entſpringt, bildet und umbildet.
Mit der Form verwandelt ſich auch die Farbe, und ein gewiſſes Geſetz leitet ſowohl die allgemeine Faͤrbung, als auch die beſondre, wie wir ſie nennen moͤchten, diejenige nehmlich, wodurch die einzelne Feder ſcheckig wird. Dieſes iſt es, woraus alle Zeich - nung des bunten Gefieders entſpringt, und woraus zuletzt das Pfauenauge hervorgeht. Es iſt ein aͤhnli - ches mit jenem, das wir bey Gelegenheit der Meta - morphoſe der Pflanzen fruͤher entwickelt, und welches darzulegen wir die naͤchſte Gelegenheit ergreifen werden.
Noͤthigen uns hier Zeit und Umſtaͤnde uͤber dieſes organiſche Geſetz hinauszugehen, ſo iſt doch hier unſre Pflicht, der chemiſchen Wirkungen zu gedenken, welche ſich bey Faͤrbung der Federn auf eine uns nun ſchon hinlaͤnglich bekannte Weiſe zu aͤußern pflegen.
Das Gefieder iſt allfarbig, doch im Ganzen das gelbe, das ſich zum Rothen ſteigert, haͤufiger als das blaue.
Die Einwirkung des Lichts auf die Federn und ihre Farben iſt durchaus bemerklich. So iſt zum Bey - ſpiel auf der Bruſt gewiſſer Papageyen die Feder ei -16 *244gentlich gelb. Der ſchuppenartig hervortretende Theil, den das Licht beſcheint, iſt aus dem Gelben ins Ro - the geſteigert. So ſieht die Bruſt eines ſolchen Thiers hochroth aus, wenn man aber in die Federn blaͤſt, erſcheint das Gelbe.
So iſt durchaus der unbedeckte Theil der Federn von dem im ruhigen Zuſtand bedeckten hoͤchlich unter - ſchieden, ſo daß ſogar nur der unbedeckte Theil, z. B. bey Raben, bunte Farben ſpielt, der bedeckte aber nicht; nach welcher Anleitung man die Schwanzfe - dern, wenn ſie durch einander geworfen ſind, ſogleich wieder zurecht legen kann.
Hier fangen die Elementarfarben an uns ganz zu verlaſſen. Wir ſind auf der hoͤchſten Stufe, auf der wir nur fluͤchtig verweilen.
Das Saͤugthier ſteht uͤberhaupt entſchieden auf der Lebensſeite. Alles, was ſich an ihm aͤußert, iſt le - bendig. Von dem Innern ſprechen wir nicht, alſo hier nur einiges von der Oberflaͤche. Die Haare un -245 terſcheiden ſich ſchon dadurch von den Federn, daß ſie der Haut mehr angehoͤren, daß ſie einfach, faden - artig, nicht geaͤſtet ſind. An den verſchiedenen Thei - len des Koͤrpers ſind ſie aber auch, nach Art der Fe - dern, kuͤrzer, laͤnger, zarter und ſtaͤrker, farblos oder gefaͤrbt, und dieß alles nach Geſetzen, welche ſich aus - ſprechen laſſen.
Weiß und Schwarz, Gelb, Gelbroth und Braun wechſeln auf mannigfaltige Weiſe, doch erſcheinen ſie niemals auf eine ſolche Art, daß ſie uns an die Ele - mentarfarben erinnerten. Sie ſind alle vielmehr ge - miſchte, durch organiſche Kochung bezwungene Farben, und bezeichnen mehr oder weniger die Stufenhoͤhe des Weſens, dem ſie angehoͤren.
Eine von den wichtigſten Betrachtungen der Mor - phologie, in ſofern ſie Oberflaͤchen beobachtet, iſt dieſe, daß auch bey den vierfuͤßigen Thieren die Flecken der Haut auf die innern Theile, uͤber welche ſie gezogen iſt, einen Bezug haben. So willkuͤhrlich uͤbrigens die Natur dem fluͤchtigen Anblick hier zu wirken ſcheint, ſo conſequent wird dennoch ein tiefes Geſetz beobachtet, deſſen Entwicklung und Anwendung freylich nur einer genauen Sorgfalt und treuen Theilnehmung vorbe - halten iſt.
Wenn bey Affen gewiſſe nackte Theile bunt, mit Elementarfarben, erſcheinen, ſo zeigt dieß die weite246 Entfernung eines ſolchen Geſchoͤpfs von der Vollkom - menheit an: denn man kann ſagen, je edler ein Ge - ſchoͤpf iſt, je mehr iſt alles Stoffartige in ihm verar - beitet; je weſentlicher ſeine Oberflaͤche mit dem In - nern zuſammenhaͤngt, deſto weniger koͤnnen auf derſel - ben Elementarfarben erſcheinen. Denn da, wo alles ein vollkommenes Ganzes zuſammen ausmachen ſoll, kann ſich nicht hier und da etwas Specifiſches abſon - dern.
Von dem Menſchen haben wir wenig zu ſagen, denn er trennt ſich ganz von der allgemeinen Naturlehre los, in der wir jetzt eigentlich wandeln. Auf des Men - ſchen Inneres iſt ſo viel verwandt, daß ſeine Oberflaͤche nur ſparſamer begabt werden konnte.
Wenn man nimmt, daß ſchon unter der Haut die Thiere mit Intercutanmuskeln mehr belaſtet als be - guͤnſtigt ſind; wenn man ſieht, daß gar manches Ueberfluͤſſige nach außen ſtrebt, wie zum Beyſpiel die großen Ohren und Schwaͤnze, nicht weniger die Haare, Maͤhnen, Zotten: ſo ſieht man wohl, daß die Natur vieles abzugeben und zu verſchwenden hatte.
Dagegen iſt die Oberflaͤche des Menſchen glatt und rein, und laͤßt, bey den vollkommenſten, außer wenigen mit Haar mehr gezierten als bedeckten Stel - len, die ſchoͤne Form ſehen: denn im Vorbeygehen247 ſey es geſagt, ein Ueberfluß der Haare an Bruſt, Ar - men, Schenkeln deutet eher auf Schwaͤche als auf Staͤrke; wie denn wahrſcheinlich nur die Poeten, durch den Anlaß einer uͤbrigens ſtarken Thiernatur ver - fuͤhrt, mit unter ſolche haarige Helden zu Ehren ge - bracht haben.
Doch haben wir hauptſaͤchlich an dieſem Ort von der Farbe zu reden. Und ſo iſt die Farbe der menſch - lichen Haut, in allen ihren Abweichungen, durchaus keine Elementarfarbe, ſondern eine durch organiſche Kochung hoͤchſt bearbeitete Erſcheinung.
Daß die Farbe der Haut und Haare auf einen Unterſchied der Charaktere deute, iſt wohl keine Frage, wie wir ja ſchon einen bedeutenden Unterſchied an blonden und braunen Menſchen gewahr werden; wo - durch wir auf die Vermuthung geleitet worden, daß ein oder das andre organiſche Syſtem vorwaltend eine ſolche Verſchiedenheit hervorbringe. Ein gleiches laͤßt ſich wohl auf Nationen anwenden; wobey vielleicht zu bemerken waͤre, daß auch gewiſſe Farben mit ge - wiſſen Bildungen zuſammentreffen, worauf wir ſchon durch die Mohrenphyſiognomien aufmerkſam geworden.
Uebrigens waͤre wohl hier der Ort, der Zweifler - frage zu begegnen, ob denn nicht alle Menſchenbil - dung und Farbe gleich ſchoͤn, und nur durch Gewohn -248 heit und Eigenduͤnkel eine der andern vorgezogen werde. Wir getrauen uns aber in Gefolg alles deſſen, was bisher vorgekommen, zu behaupten, daß der weiße Menſch, d. h. derjenige, deſſen Oberflaͤche vom Wei - ßen ins Gelbliche, Braͤunliche, Roͤthliche ſpielt, kurz deſſen Oberflaͤche am gleichguͤltigſten erſcheint, am wenigſten ſich zu irgend etwas Beſondrem hinneigt, der ſchoͤnſte ſey. Und ſo wird auch wohl kuͤnftig, wenn von der Form die Rede ſeyn wird, ein ſolcher Gip - fel menſchlicher Geſtalt ſich vor das Anſchauen bringen laſſen; nicht als ob dieſe alte Streitfrage hierdurch fuͤr immer entſchieden ſeyn ſollte: denn es gibt Men - ſchen genug, welche Urſache haben, dieſe Deutſamkeit des Aeußern in Zweifel zu ſetzen; ſondern daß dasjenige ausgeſprochen werde, was aus einer Folge von Beob - achtung und Urtheil einem Sicherheit und Beruhigung ſuchenden Gemuͤthe hervorſpringt. Und ſo fuͤgen wir zum Schluß noch einige auf die elementarchemiſche Farbenlehre ſich beziehende Betrachtungen bey.
Die phyſiſchen und chemiſchen Wirkungen farblo - ſer Beleuchtung ſind bekannt, ſo daß es hier unnoͤ -249 thig ſeyn duͤrfte, ſie weitlaͤuftig aus einander zu ſetzen. Das farbloſe Licht zeigt ſich unter verſchiedenen Bedin - gungen, als Waͤrme erregend, als ein Leuchten ge - wiſſen Koͤrpern mittheilend, als auf Saͤurung und Entſaͤurung wirkend. In der Art und Staͤrke dieſer Wirkungen findet ſich wohl mancher Unterſchied, aber keine ſolche Differenz, die auf einen Gegenſatz hin - wieſe, wie ſolche bey farbigen Beleuchtungen erſcheint, wovon wir nunmehr kuͤrzlich Rechenſchaft zu geben ge - denken.
Von der Wirkung farbiger Beleuchtung als Waͤrme erregend wiſſen wir folgendes zu ſagen: An einem ſehr ſenſiblen, ſogenannten Luftthermometer beobachte man die Temperatur des dunklen Zimmers. Bringt man die Kugel darauf in das direct hereinſcheinende Sonnenlicht, ſo iſt nichts natuͤrlicher, als daß die Fluͤſſigkeit einen viel hoͤhern Grad der Waͤrme anzeige. Schiebt man alsdann farbige Glaͤſer vor, ſo folgt auch ganz natuͤrlich, daß ſich der Waͤrmegrad vermindre, erſtlich weil die Wirkung des directen Lichts ſchon durch das Glas etwas gehindert iſt, ſodann aber vor - zuͤglich, weil ein farbiges Glas, als ein Dunkles, ein wenigeres Licht hindurchlaͤßt.
Hiebey zeigt ſich aber dem aufmerkſamen Beobach - ter ein Unterſchied der Waͤrmerregung, je nachdem dieſe oder jene Farbe dem Glaſe eigen iſt. Das gelbe und gelbrothe Glas bringt eine hoͤhere Temperatur, als250 das blaue und blaurothe hervor, und zwar iſt der Un - terſchied von Bedeutung.
Will man dieſen Verſuch mit dem ſogenannten prismatiſchen Spectrum anſtellen, ſo bemerke man am Thermometer erſt die Temperatur des Zimmers, laſſe alsdann das blaufaͤrbige Licht auf die Kugel fallen; ſo wird ein etwas hoͤherer Waͤrmegrad angezeigt, wel - cher immer waͤchſt, wenn man die uͤbrigen Farben nach und nach auf die Kugel bringt. In der gelbro - then iſt die Temperatur am ſtaͤrkſten, noch ſtaͤrker aber unter dem Gelbrothen.
Macht man die Vorrichtung mit dem Waſſer - prisma, ſo daß man das weiße Licht in der Mitte vollkommen haben kann, ſo iſt dieſes zwar gebrochne, aber noch nicht gefaͤrbte Licht das waͤrmſte; die uͤbri - gen Farben verhalten ſich hingegen wie vorher geſagt.
Da es hier nur um Andeutung, nicht aber um Ableitung und Erklaͤrung dieſer Phaͤnomene zu thun iſt, ſo bemerken wir nur im Vorbeygehen, daß ſich am Spectrum unter dem Rothen keinesweges das Licht vollkommen abſchneidet, ſondern daß immer noch ein gebrochnes, von ſeinem Wege abgelenktes, ſich hin - ter dem prismatiſchen Farbenbilde gleichſam herſchlei - chendes Licht zu bemerken iſt; ſo daß man bey naͤhe - rer Betrachtung wohl kaum noͤthig haben wird zu un - ſichtbaren Strahlen und deren Brechung ſeine Zuflucht zu nehmen.
Die Mittheilung des Lichtes durch farbige Beleuch - tung zeigt dieſelbige Differenz. Den Bononiſchen Phosphoren theilt ſich das Licht mit durch blaue und violette Glaͤſer, keinesweges aber durch gelbe und gelb - rothe; ja man will ſogar bemerkt haben, daß die Phosphoren, welchen man durch violette und blaue Glaͤſer den Gluͤhſchein mitgetheilt, wenn man ſolche nachher unter die gelben und gelbrothen Scheiben ge - bracht, fruͤher verloͤſchen, als die, welche man im dunklen Zimmer ruhig liegen laͤßt.
Man kann dieſe Verſuche wie die vorhergehenden auch durch das prismatiſche Spectrum machen, und es zeigen ſich immer dieſelben Reſultate.
Von der Wirkung farbiger Beleuchtung auf Saͤu - rung und Entſaͤurung kann man ſich folgendermaßen unterrichten. Man ſtreiche feuchtes, ganz weißes Horn - ſilber auf einen Papierſtreifen; man lege ihn ins Licht, daß er einigermaßen grau werde und ſchneide ihn als - denn in drey Stuͤcke. Das eine lege man in ein Buch, als bleibendes Muſter, das andre unter ein gelbrothes, das dritte unter ein blaurothes Glas. Dieſes letzte Stuͤck wird immer dunkelgrauer werden und eine Entſaͤurung anzeigen. Das unter dem gelb - rothen befindliche wird immer heller grau, tritt alſo dem erſten Zuſtand vollkommnerer Saͤurung wieder252 naͤher. Von beyden kann man ſich durch Vergleichung mit dem Muſterſtuͤcke uͤberzeugen.
Man hat auch eine ſchoͤne Vorrichtung gemacht, dieſe Verſuche mit dem prismatiſchen Bilde anzuſtellen. Die Reſultate ſind denen bisher erwaͤhnten gemaͤß, und wir werden das naͤhere davon ſpaͤterhin vortragen und dabey die Arbeiten eines genauen Beobachters be - nutzen, der ſich bisher mit dieſen Verſuchen ſorgfaͤltig beſchaͤftigte.
Zuerſt erſuchen wir unſre Leſer, dasjenige wieder nachzuſehen, was wir oben (285 — 298) uͤber dieſe Materie vorgetragen, damit es hier keiner weitern Wie - derholung beduͤrfe.
Man kann alſo einem Glaſe die Eigenſchaft geben, daß es, ohne viel ſtaͤrker zu refrangiren als vorher, d. h. ohne das Bild um ein ſehr merkliches weiter zu253 verruͤcken, dennoch viel breitere Farbenſaͤume hervor - bringt.
Dieſe Eigenſchaft wird dem Glaſe durch Metall - kalke mitgetheilt. Daher Mennige mit einem reinen Glaſe innig zuſammengeſchmolzen und vereinigt, dieſe Wirkung hervorbringt. Flintglas (291) iſt ein ſolches mit Bleykalk bereitetes Glas. Auf dieſem Wege iſt man weiter gegangen und hat die ſogenannte Spieß - glanzbutter, die ſich nach einer neuern Bereitung als reine Fluͤſſigkeit darſtellen laͤßt, in linſenfoͤrmigen und prismatiſchen Gefaͤßen benutzt, und hat eine ſehr ſtarke Farbenerſcheinung bey maͤßiger Refraction hervorge - bracht, und die von uns ſogenannte Hyperchromaſie ſehr lebhaft dargeſtellt.
Bedenkt man nun, daß das gemeine Glas, we - nigſtens uͤberwiegend alcaliſcher Natur ſey, indem es vorzuͤglich aus Sand und Laugenſalzen zuſammenge - ſchmolzen wird; ſo moͤchte wohl eine Reihe von Ver - ſuchen belehrend ſeyn, welche das Verhaͤltniß voͤllig alcaliſcher Liquoren zu voͤlligen Saͤuren auseinander - ſetzten.
Waͤre nun das Maximum und Minimum gefun - den; ſo waͤre die Frage, ob nicht irgend ein brechend Mittel zu erdenken ſey, in welchem die von der Re - fraction beynah unabhaͤngig auf - und abſteigende Far -254 benerſcheinung, bey Verruͤckung des Bildes, voͤllig Null werden koͤnnte.
Wie ſehr wuͤnſchenswerth waͤre es daher fuͤr die - ſen letzten Punct ſowohl, als fuͤr unſre ganze dritte Abtheilung, ja fuͤr die Farbenlehre uͤberhaupt, daß die mit Bearbeitung der Chemie, unter immer fortſchrei - tenden neuen Anſichten, beſchaͤftigten Maͤnner auch hier eingreifen, und das, was wir beynahe nur mit ro - hen Zuͤgen angedeutet, in das Feinere verfolgen und in einem allgemeinen, der ganzen Wiſſenſchaft zuſa - genden Sinne bearbeiten moͤchten.
Wir haben bisher die Phaͤnomene faſt gewaltſam aus einander gehalten, die ſich theils ihrer Natur nach, theils dem Beduͤrfniß unſres Geiſtes gemaͤß, immer wieder zu vereinigen ſtrebten. Wir haben ſie, nach einer gewiſſen Methode, in drey Abtheilungen vorge - tragen, und die Farben zuerſt bemerkt als fluͤchtige Wirkung und Gegenwirkung des Auges ſelbſt, ferner als voruͤbergehende Wirkung farbloſer, durchſcheinen - der, durchſichtiger, undurchſichtiger Koͤrper auf das Licht, beſonders auf das Lichtbild; endlich ſind wir zu dem Puncte gelangt, wo wir ſie als dauernd, als den Koͤrpern wirklich einwohnend zuverſichtlich anſpre - chen konnten.
In dieſer ſtaͤtigen Reihe haben wir, ſo viel es moͤglich ſeyn wollte, die Erſcheinungen zu beſtimmen,256 zu ſondern, und zu ordnen geſucht. Jetzt, da wir nicht mehr fuͤrchten, ſie zu vermiſchen, oder zu verwir - ren, koͤnnen wir unternehmen, erſtlich das Allgemeine, was ſich von dieſen Erſcheinungen innerhalb des ge - ſchloſſenen Kreiſes praͤdiciren laͤßt, anzugeben, zweytens, anzudeuten, wie ſich dieſer beſondre Kreis an die uͤbri - gen Glieder verwandter Naturerſcheinungen anſchließt und ſich mit ihnen verkettet.
Wir haben beobachtet, daß die Farbe unter man - cherley Bedingungen ſehr leicht und ſchnell entſtehe. Die Empfindlichkeit des Auges gegen das Licht, die geſetzliche Gegenwirkung der Retina gegen daſſelbe brin - gen augenblicklich ein leichtes Farbenſpiel hervor. Je - des gemaͤßigte Licht kann als farbig angeſehen werden, ja wir duͤrfen jedes Licht, inſofern es geſehen wird, farbig nennen. Farbloſes Licht, farbloſe Flaͤchen ſind gewiſſermaßen Abſtractionen; in der Erfahrung wer - den wir ſie kaum gewahr.
Wenn das Licht einen farbloſen Koͤrper beruͤhrt, von ihm zuruͤckprallt, an ihm her, durch ihn durch - geht, ſo erſcheinen die Farben ſogleich; nur muͤſſen257 wir hierbey bedenken, was ſo oft von uns urgirt worden, daß nicht jene Hauptbedingungen der Refraction, der Reflexion u. ſ. w. hinreichend ſind, die Erſcheinung hervorzubringen. Das Licht wirkt zwar manchmal da - bey an und fuͤr ſich, oͤfters aber als ein beſtimmtes, begraͤnztes, als ein Lichtbild. Die Truͤbe der Mittel iſt oft eine nothwendige Bedingung, ſo wie auch Halb - und Doppelſchatten zu manchen farbigen Er - ſcheinungen erfordert werden. Durchaus aber entſteht die Farbe augenblicklich und mit der groͤßten Leichtig - keit. So finden wir denn auch ferner, daß durch Druck, Hauch, Rotation, Waͤrme, durch mancherley Arten von Bewegung und Veraͤnderung an glatten rei - nen Koͤrpern, ſo wie an farbloſen Liquoren, die Farbe ſogleich hervorgebracht werde.
In den Beſtandtheilen der Koͤrper darf nur die geringſte Veraͤnderung vor ſich gehen, es ſey nun durch Miſchung mit andern, oder durch ſonſtige Be - ſtimmungen; ſo entſteht die Farbe an den Koͤrpern, oder veraͤndert ſich an denſelben.
Die phyſiſchen Farben und beſonders die prisma - tiſchen wurden ehemals wegen ihrer beſondern Herr -I. 17258lichkeit und Energie colores emphatici genannt. Bey naͤherer Betrachtung aber kann man allen Farber - ſcheinungen eine hohe Emphaſe zuſchreiben; vorausge - ſetzt, daß ſie unter den reinſten und vollkommenſten Bedingungen dargeſtellt werden.
Die dunkle Natur der Farbe, ihre hohe geſaͤt - tigte Qualitaͤt iſt das, wodurch ſie den ernſthaften und zugleich reizenden Eindruck hervorbringt, und indem man ſie als eine Bedingung des Lichtes anſehen kann, ſo kann ſie auch das Licht nicht entbehren als der mit - wirkenden Urſache ihrer Erſcheinung, als der Unterlage ihres Erſcheinens, als einer aufſcheinenden und die Farbe manifeſtirenden Gewalt.
Entſtehen der Farbe und ſich entſcheiden iſt eins. Wenn das Licht mit einer allgemeinen Gleichguͤltigkeit ſich und die Gegenſtaͤnde darſtellt, und uns von einer bedeutungsloſen Gegenwart gewiß macht, ſo zeigt ſich die Farbe jederzeit ſpecifiſch, charakteriſtiſch, bedeutend.
Im Allgemeinen betrachtet entſcheidet ſie ſich nach zwey Seiten. Sie ſtellt einen Gegenſatz dar, den wir259 eine Polaritaͤt nennen und durch ein + und — recht gut bezeichnen koͤnnen.
| Plus. | Minus. |
| Gelb. | Blau. |
| Wirkung. | Beraubung. |
| Licht. | Schatten. |
| Hell. | Dunkel. |
| Kraft. | Schwaͤche. |
| Waͤrme. | Kaͤlte. |
| Naͤhe. | Ferne. |
| Abſtoßen. | Anziehen. |
| Verwandtſchaft | Verwandtſchaft |
| mit Saͤuren. | mit Alkalien. |
Wenn man dieſen ſpecificirten Gegenſatz in ſich vermiſcht, ſo heben ſich die beyderſeitigen Eigenſchaften nicht auf; ſind ſie aber auf den Punct des Gleichge - wichts gebracht, daß man keine der beyden beſonders erkennt, ſo erhaͤlt die Miſchung wieder etwas Speci - fiſches fuͤrs Auge, ſie erſcheint als eine Einheit, bey der wir an die Zuſammenſetzung nicht denken. Dieſe Einheit nennen wir Gruͤn.
Wenn nun zwey aus derſelben Quelle entſprin - gende entgegengeſetzte Phaͤnomene, indem man ſie zu -17 *260ſammenbringt, ſich nicht aufheben, ſondern ſich zu ei - nem dritten angenehm Bemerkbaren verbinden; ſo iſt dieß ſchon ein Phaͤnomen, das auf Uebereinſtimmung hindeutet. Das Vollkommnere iſt noch zuruͤck.
Das Blaue und Gelbe laͤßt ſich nicht verdichten, ohne daß zugleich eine andre Erſcheinung mit eintrete. Die Farbe iſt in ihrem lichteſten Zuſtand ein Dunkles, wird ſie verdichtet, ſo muß ſie dunkler werden; aber zugleich erhaͤlt ſie einen Schein, den wir mit dem Worte roͤthlich bezeichnen.
Dieſer Schein waͤchſt immer fort, ſo daß er auf der hoͤchſten Stufe der Steigerung praͤvalirt. Ein ge - waltſamer Lichteindruck klingt purpurfarben ab. Bey dem Gelbrothen der prismatiſchen Verſuche, das un - mittelbar aus dem Gelben entſpringt, denkt man kaum mehr an das Gelbe.
Die Steigerung entſteht ſchon durch farbloſe truͤbe Mittel, und hier ſehen wir die Wirkung in ihrer hoͤch - ſten Reinheit und Allgemeinheit. Farbige ſpecificirte261 durchſichtige Liquoren zeigen dieſe Steigerung ſehr auf - fallend in den Stufengefaͤßen. Dieſe Steigerung iſt unaufhaltſam ſchnell und ſtaͤtig; ſie iſt allgemein und kommt ſowohl bey phyſiologiſchen als phyſiſchen und chemiſchen Farben vor.
Haben die Enden des einfachen Gegenſatzes durch Miſchung ein ſchoͤnes und angenehmes Phaͤnomen be - wirkt; ſo werden die geſteigerten Enden, wenn man ſie verbindet, noch eine anmuthigere Farbe hervorbrin - gen, ja es laͤßt ſich denken, daß hier der hoͤchſte Punct der ganzen Erſcheinung ſeyn werde.
Und ſo iſt es auch: denn es entſteht das reine Roth, das wir oft, um ſeiner hohen Wuͤrde willen, den Purpur genannt haben.
Es gibt verſchiedene Arten, wie der Purpur in der Erſcheinung entſteht; durch Uebereinanderfuͤhrung des violetten Saums und gelbrothen Randes bey prisma - tiſchen Verſuchen; durch fortgeſetzte Steigerung bey chemiſchen; durch den organiſchen Gegenſatz bey phy - ſiologiſchen Verſuchen.
Als Pigment entſteht er nicht durch Miſchung oder Vereinigung; ſondern durch Fixirung einer Koͤrperlich - keit auf dem hohen culminirenden Farbenpuncte. Da - her der Maler Urſache hat, drey Grundfarben anzuneh - men, indem er aus dieſen die uͤbrigen ſaͤmmtlich zu - ſammenſetzt. Der Phyſiker hingegen nimmt nur zwey Grundfarben an, aus denen er die uͤbrigen entwickelt und zuſammenſetzt.
Die mannigfaltigen Erſcheinungen auf ihren ver - ſchiedenen Stufen fixirt und neben einander betrachtet bringen Totalitaͤt hervor. Dieſe Totalitaͤt iſt Harmonie fuͤrs Auge.
Der Farbenkreis iſt vor unſern Augen entſtanden, die mannigfaltigen Verhaͤltniſſe des Werdens ſind uns deutlich. Zwey reine urſpruͤngliche Gegenſaͤtze ſind das Fundament des Ganzen. Es zeigt ſich ſodann eine Steigerung, wodurch ſie ſich beyde einem dritten naͤ - hern; dadurch entſteht auf jeder Seite ein Tiefſtes und ein Hoͤchſtes, ein Einfachſtes und Bedingteſtes, ein263 Gemeinſtes und ein Edelſtes. Sodann kommen zwey Vereinungen, (Vermiſchungen, Verbindungen, wie man es nennen will,) zur Sprache; einmal der ein - fachen anfaͤnglichen, und ſodann der geſteigerten Ge - genſaͤtze.
Die Totalitaͤt neben einander zu ſehen macht einen harmoniſchen Eindruck aufs Auge. Man hat hier den Unterſchied zwiſchen dem phyſiſchen Gegenſatz und der harmoniſchen Entgegenſtellung zu bedenken. Der erſte beruht auf der reinen nackten urſpruͤnglichen Dualitaͤt, inſofern ſie als ein Getrenntes angeſehen wird; die zweyte beruht auf der abgeleiteten, entwickelten und dargeſtellten Totalitaͤt.
Jede einzelne Gegeneinanderſtellung, die harmoniſch ſeyn ſoll, muß Totalitaͤt enthalten. Hievon werden wir durch die phyſiologiſchen Verſuche belehrt. Eine Entwicklung der ſaͤmmtlichen moͤglichen Entgegenſtellun - gen um den ganzen Farbenkreis wird naͤchſtens ge - leiſtet.
Die Beweglichkeit der Farbe haben wir ſchon bey der Steigerung und bey der Durchwanderung des Krei - ſes zu bedenken Urſache gehabt; aber auch ſogar hin - uͤber und heruͤber werfen ſie ſich nothwendig und ge - ſchwind.
Phyſiologiſche Farben zeigen ſich anders auf dunk - lem als auf hellem Grund. Bey den phyſikaliſchen iſt die Verbindung des objectiven und ſubjectiven Verſuchs hoͤchſt merkwuͤrdig. Die epoptiſchen Farben ſollen beym durchſcheinenden Licht und beym aufſcheinenden entge - gengeſetzt ſeyn. Wie die chemiſchen Farben durch Feuer und Alcalien umzuwenden, iſt ſeines Orts hin - laͤnglich gezeigt worden.
Was ſeit der ſchnellen Erregung und ihrer Ent - ſcheidung bisher bedacht worden, die Miſchung, die265 Steigerung, die Verbindung, die Trennung, ſo wie die harmoniſche Forderung, alles geſchieht mit der groͤßten Schnelligkeit und Bereitwilligkeit; aber eben ſo ſchnell verſchwindet auch die Farbe wieder gaͤnzlich.
Die phyſiologiſchen Erſcheinungen ſind auf keine Weiſe feſtzuhalten; die phyſiſchen dauern nur ſo lange, als die aͤußre Bedingung waͤhrt; die chemiſchen ſelbſt haben eine große Beweglichkeit und ſind durch entge - gengeſetzte Reagentien heruͤber und hinuͤber zu werfen, ja ſogar aufzuheben.
Die chemiſchen Farben geben ein Zeugniß ſehr langer Dauer. Die Farben durch Schmelzung in Glaͤ - ſern fixirt, ſo wie durch Natur in Edelſteinen, trotzen aller Zeit und Gegenwirkung.
Die Faͤrberey fixirt von ihrer Seite die Farben ſehr maͤchtig. Und Pigmente, welche durch Reagen - tien ſonſt leicht heruͤber und hinuͤbergefuͤhrt werden, laſſen ſich durch Beizen zur groͤßten Beſtaͤndigkeit an und in Koͤrper uͤbertragen.
Man kann von dem Phyſiker nicht fordern, daß er Philoſoph ſey; aber man kann von ihm erwarten, daß er ſo viel philoſophiſche Bildung habe, um ſich gruͤndlich von der Welt zu unterſcheiden und mit ihr wieder im hoͤhern Sinne zuſammenzutreten. Er ſoll ſich eine Methode bilden, die dem Anſchauen gemaͤß iſt; er ſoll ſich huͤten, das Anſchauen in Begriffe, den Begriff in Worte zu verwandeln, und mit dieſen Worten, als waͤren’s Gegenſtaͤnde, umzugehen und zu verfahren; er ſoll von den Bemuͤhungen des Philo - ſophen Kenntniß haben, um die Phaͤnomene bis an die philoſophiſche Region hinanzufuͤhren.
Man kann von dem Philoſophen nicht verlangen, daß er Phyſiker ſey; und dennoch iſt ſeine Einwirkung auf den phyſiſchen Kreis ſo nothwendig und ſo wuͤn - ſchenswerth. Dazu bedarf er nicht des Einzelnen, ſon - dern nur der Einſicht in jene Endpuncte, wo das Ein - zelne zuſammentrifft.
Wir haben fruͤher (175. ff. ) dieſer wichtigen Betrach - tung im Vorbeygehen erwaͤhnt, und ſprechen ſie hier, als am ſchicklichen Orte, nochmals aus. Das ſchlimm - ſte, was der Phyſik, ſo wie mancher andern Wiſſen - ſchaft, widerfahren kann, iſt, daß man das Abge - leitete fuͤr das Urſpruͤngliche haͤlt, und da man das Urſpruͤngliche aus Abgeleitetem nicht ableiten kann, das Urſpruͤngliche aus dem Abgeleiteten zu erklaͤren ſucht. Dadurch entſteht eine unendliche Verwirrung, ein Wortkram und eine fortdauernde Bemuͤhung, Aus - fluͤchte zu ſuchen und zu finden, wo das Wahre nur irgend hervortritt und maͤchtig werden will.
Indem ſich der Beobachter, der Naturforſcher auf dieſe Weiſe abquaͤlt, weil die Erſcheinungen der Meynung jederzeit widerſprechen; ſo kann der Philo - ſoph mit einem falſchen Reſultate in ſeiner Sphaͤre noch immer operiren, indem kein Reſultat ſo falſch iſt, daß es nicht, als Form ohne allen Gehalt, auf irgend eine Weiſe gelten koͤnnte.
Kann dagegen der Phyſiker zur Erkenntniß desje - nigen gelangen, was wir ein Urphaͤnomen genannt haben; ſo iſt er geborgen und der Philoſoph mit ihm; Er, denn er uͤberzeugt ſich, daß er an die Graͤnze ſeiner Wiſſenſchaft gelangt ſey, daß er ſich auf der empiriſchen Hoͤhe befinde, wo er ruͤckwaͤrts die Erfah - rung in allen ihren Stufen uͤberſchauen, und vor - waͤrts in das Reich der Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken koͤnne. Der Philoſoph iſt geborgen: denn er nimmt aus des Phyſikers Hand ein Letztes, das bey ihm nun ein Erſtes wird. Er bekuͤmmert ſich nun mit Recht nicht mehr um die Erſcheinung, wenn man darunter das Abgeleitete verſteht, wie man es entweder ſchon wiſſenſchaftlich zuſammengeſtellt findet, oder wie es gar in empiriſchen Faͤllen zerſtreut und verworren vor die Sinne tritt. Will er ja auch die - ſen Weg durchlaufen und einen Blick ins Einzelne nicht verſchmaͤhen; ſo thut er es mit Bequemlichkeit, an - ſtatt daß er bey anderer Behandlung ſich entweder zu lange in den Zwiſchenregionen aufhaͤlt, oder ſie nur fluͤchtig durchſtreift, ohne ſie genau kennen zu lernen.
In dieſem Sinne die Farbenlehre dem Philoſophen zu naͤhern, war des Verfaſſers Wunſch, und wenn ihm ſolches in der Ausfuͤhrung ſelbſt aus mancherley Urſa - chen nicht gelungen ſeyn ſollte; ſo wird er bey Revi - ſion ſeiner Arbeit, bey Recapitulation des Vorgetra - genen, ſo wie in dem polemiſchen und hiſtoriſchen269 Theile, dieſes Ziel immer im Auge haben, und ſpaͤ - ter, wo manches deutlicher wird auszuſprechen ſeyn, auf dieſe Betrachtung zuruͤckkehren.
Man kann von dem Phyſiker, welcher die Na - turlehre in ihrem ganzen Umfange behandeln will, ver - langen, daß er Mathematiker ſey. In den mittleren Zeiten war die Mathematik das vorzuͤglichſte unter den Organen, durch welche man ſich der Geheimniſſe der Natur zu bemaͤchtigen hoffte; und noch iſt in gewiſſen Theilen der Naturlehre die Meßkunſt, wie billig, herrſchend.
Der Verfaſſer kann ſich keiner Cultur von dieſer Seite ruͤhmen, und verweilt auch deshalb nur in den von der Meßkunſt unabhaͤngigen Regionen, die ſich in der neuern Zeit weit und breit aufgethan haben.
Wer bekennt nicht, daß die Mathematik, als eins der herrlichſten menſchlichen Organe, der Phyſik von ei - ner Seite ſehr vieles genutzt; daß ſie aber durch falſche Anwendung ihrer Behandlungsweiſe dieſer Wiſſenſchaft270 gar manches geſchadet, laͤßt ſich auch nicht wohl laͤug - nen, und man findet’s, hier und da, nothduͤrftig eingeſtanden.
Die Farbenlehre beſonders hat ſehr viel gelitten, und ihre Fortſchritte ſind aͤußerſt gehindert worden, daß man ſie mit der uͤbrigen Optik, welche der Meß - kunſt nicht entbehren kann, vermengte, da ſie doch eigentlich von jener ganz abgeſondert betrachtet werden kann.
Dazu kam noch das Uebel, daß ein großer Ma - thematiker uͤber den phyſiſchen Urſprung der Farben eine ganz falſche Vorſtellung bey ſich feſtſetzte, und durch ſeine großen Verdienſte als Meßkuͤnſtler die Feh - ler, die er als Naturforſcher begangen, vor einer in Vorurtheilen ſtets befangnen Welt auf lange Zeit ſanctionirte.
Der Verfaſſer des Gegenwaͤrtigen hat die Farben - lehre durchaus von der Mathematik entfernt zu halten geſucht, ob ſich gleich gewiſſe Puncte deutlich genug ergeben, wo die Beyhuͤlfe der Meßkunſt wuͤnſchens - werth ſeyn wuͤrde. Waͤren die vorurtheilsfreyen Ma - thematiker, mit denen er umzugehen das Gluͤck hatte und hat, nicht durch andre Geſchaͤfte abgehalten ge - weſen, um mit ihm gemeine Sache machen zu koͤnnen; ſo wuͤrde der Behandlung von dieſer Seite einiges271 Verdienſt nicht fehlen. Aber ſo mag denn auch dieſer Mangel zum Vortheil gereichen, indem es nunmehr des geiſtreichen Mathematikers Geſchaͤft werden kann, ſelbſt aufzuſuchen, wo denn die Farbenlehre ſeiner Huͤlfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieſes Theils der Naturwiſſenſchaft das Seinige beytragen kann.
Ueberhaupt waͤre es zu wuͤnſchen, daß die Deut - ſchen, die ſo vieles Gute leiſten, indem ſie ſich das Gute fremder Nationen aneignen, ſich nach und nach gewoͤhnten, in Geſellſchaft zu arbeiten. Wir leben zwar in einer dieſem Wunſche gerade entgegengeſetzten Epoche. Jeder will nicht nur original in ſeinen Anſichten, ſon - dern auch im Gange ſeines Lebens und Thuns, von den Bemuͤhungen anderer unabhaͤngig, wo nicht ſeyn, doch daß er es ſey, ſich uͤberreden. Man bemerkt ſehr oft, daß Maͤnner, die freylich manches geleiſtet, nur ſich ſelbſt, ihre eigenen Schriften, Journale und Compendien citiren; anſtatt daß es fuͤr den Einzelnen und fuͤr die Welt viel vortheilhafter waͤre, wenn meh - rere zu gemeinſamer Arbeit gerufen wuͤrden. Das Be - tragen unſerer Nachbarn, der Franzoſen, iſt hierin muſter - haft, wie man z. B. in der Vorrede Cuvier’s zu ſei - nem Tableau élémentaire de l’Histoire naturelle des animaux mit Vergnuͤgen ſehen wird.
Wer die Wiſſenſchaften und ihren Gang mit treuem Auge beobachtet hat, wird ſogar die Frage aufwerfen:272 ob es denn vortheilhaft ſey? ſo manche, obgleich ver - wandte, Beſchaͤftigungen und Bemuͤhungen in Einer Perſon zu vereinigen; und ob es nicht bey der Be - ſchraͤnktheit der menſchlichen Natur gemaͤßer ſey, z. B. den aufſuchenden und findenden von dem behandeln - den und anwendenden Manne zu unterſcheiden. Haben ſich doch die Himmelbeobachtenden und Sternaufſuchen - den Aſtronomen von den Bahnberechnenden, das Ganze umfaſſenden und naͤher beſtimmenden, in der neuern Zeit, gewiſſermaßen getrennt. Die Geſchichte der Farbenlehre wird uns zu dieſen Betrachtungen oͤf - ter zuruͤckfuͤhren.
Sind wir bey unſern Arbeiten dem Mathematiker aus dem Wege gegangen; ſo haben wir dagegen ge - ſucht, der Technik des Faͤrbers zu begegnen. Und ob - gleich diejenige Abtheilung, welche die Farben in che - miſcher Ruͤckſicht abhandelt, nicht die vollſtaͤndigſte und umſtaͤndlichſte iſt; ſo wird doch ſowohl darin, als in dem, was wir Allgemeines von den Farben aus - geſprochen, der Faͤrber weit mehr ſeine Rechnung fin - den, als bey der bisherigen Theorie, die ihn ohne allen Troſt ließ.
Merkwuͤrdig iſt es, in dieſem Sinne die Anleitun - gen zur Faͤrbekunſt zu betrachten. Wie der katholiſche Chriſt, wenn er in ſeinen Tempel tritt, ſich mit Weih - waſſer beſprengt und vor dem Hochwuͤrdigen die Kniee beugt und vielleicht alsdann, ohne ſonderliche Andacht, ſeine Angelegenheiten mit Freunden beſpricht, oder Lie - besabenteuern nachgeht; ſo fangen die ſaͤmmtlichen Faͤrbelehren mit einer reſpectvollen Erwaͤhnung der Theorie geziemend an, ohne daß ſich auch nachher nur eine Spur faͤnde, daß etwas aus dieſer Theorie herfloͤſſe, daß dieſe Theorie irgend etwas erleuchte, erlaͤutere und zu praktiſchen Handgriffen irgend einen Vortheil gewaͤhre.
Dagegen finden ſich Maͤnner, welche den Um - fang des praktiſchen Faͤrbeweſens wohl eingeſehen, in dem Falle ſich mit der herkoͤmmlichen Theorie zu ent - zweyen, ihre Bloͤßen mehr oder weniger zu entdecken, und ein der Natur und Erfahrung gemaͤßeres Allge - meines aufzuſuchen. Wenn uns in der Geſchichte die Namen Caſtel und Guͤlich begegnen, ſo werden wir hieruͤber weitlaͤuftiger zu handeln Urſache haben; wo - bey ſich zugleich Gelegenheit finden wird zu zeigen, wie eine fortgeſetzte Empirie, indem ſie in allem Zufaͤlligen umhergreift, den Kreis, in den ſie gebannt iſt, wirk - lich auslaͤuft und ſich als ein hohes Vollendetes dem Theoretiker, wenn er klare Augen und ein redlichesI. 18274Gemuͤth hat, zu ſeiner großen Bequemlichkeit uͤberlie fert.
Wenn wir in der Abtheilung, welche die Farben in phyſiologiſcher und pathologiſcher Ruͤckſicht betrach - tet, faſt nur allgemein bekannte Phaͤnomene uͤberlie - fert; ſo werden dagegen einige neue Anſichten dem Phyſiologen nicht unwillkommen ſeyn. Beſonders hof - fen wir ſeine Zufriedenheit dadurch erreicht zu haben, daß wir gewiſſe Phaͤnomene, welche iſolirt ſtanden, zu ihren aͤhnlichen und gleichen gebracht und ihm da - durch gewiſſermaßen vorgearbeitet haben.
Was den pathologiſchen Anhang betrifft, ſo iſt er freylich unzulaͤnglich und incohaͤrent. Wir beſitzen aber die vortrefflichſten Maͤnner, die nicht allein in dieſem Fache hoͤchſt erfahren und kenntnißreich ſind; ſondern auch zugleich wegen eines ſo gebildeten Geiſtes verehrt werden, daß es ihnen wenig Muͤhe machen kann, dieſe Rubriken umzuſchreiben, und das, was ich ange - deutet, vollſtaͤndig auszufuͤhren und zugleich an die hoͤheren Einſichten in den Organismus anzuſchließen.
Inſofern wir hoffen koͤnnen, daß die Naturge - ſchichte auch nach und nach ſich in eine Ableitung der Naturerſcheinungen aus hoͤhern Phaͤnomenen umbilden wird, ſo glaubt der Verfaſſer auch hierzu einiges an - gedeutet und vorbereitet zu haben. Indem die Farbe in ihrer groͤßten Mannigfaltigkeit ſich auf der Ober - flaͤche lebendiger Weſen dem Auge darſtellt, ſo iſt ſie ein wichtiger Theil der aͤußeren Zeichen, wodurch wir gewahr werden, was im Innern vorgeht.
Zwar iſt ihr von einer Seite, wegen ihrer Un - beſtimmtheit und Verſatilitaͤt nicht allzu viel zu trauen; doch wird eben dieſe Beweglichkeit, inſofern ſie ſich uns als eine conſtante Erſcheinung zeigt, wieder ein Kriterion des beweglichen Lebens; und der Verfaſſer wuͤnſcht nichts mehr, als daß ihm Friſt gegoͤnnt ſey, das, was er hieruͤber wahrgenommen, in einer Folge, zu der hier der Ort nicht war, weitlaͤuftiger ausein - ander zu ſetzen.
Der Zuſtand, in welchem ſich die allgemeine Phyſik gegenwaͤrtig befindet, ſcheint auch unſerer Arbeit be - ſonders guͤnſtig, indem die Naturlehre durch raſtloſe, mannigfaltige Behandlung ſich nach und nach zu einer ſolchen Hoͤhe erhoben hat, daß es nicht unmoͤglich ſcheint, die graͤnzenloſe Empirie an einen methodiſchen Mittelpunct heranzuziehen.
Deſſen, was zu weit von unſerm beſondern Kreiſe abliegt, nicht zu gedenken, ſo finden ſich die For - meln, durch die man die elementaren Naturerſchei - nungen, wo nicht dogmatiſch, doch wenigſtens zum didaktiſchen Behufe ausſpricht, durchaus auf dem Wege, daß man ſieht, man werde durch die Uebereinſtimmung der Zeichen bald auch nothwendig zur Uebereinſtimmung im Sinne gelangen.
Treue Beobachter der Natur, wenn ſie auch ſonſt noch ſo verſchieden denken, werden doch darin mit einander uͤbereinkommen, daß alles, was erſcheinen, was uns als ein Phaͤnomen begegnen ſolle, muͤſſe ent - weder eine urſpruͤngliche Entzweyung, die einer Ver -277 einigung faͤhig iſt, oder eine urſpruͤngliche Einheit, die zur Entzweyung gelangen koͤnne, andeuten, und ſich auf eine ſolche Weiſe darſtellen. Das Geeinte zu entzweyen, das Entzweyte zu einigen, iſt das Leben der Natur; dieß iſt die ewige Syſtole und Diaſtole, die ewige Synkriſis und Diakriſis, das Ein - und Ausathmen der Welt, in der wir leben, weben und ſind.
Daß dasjenige, was wir hier als Zahl, als Eins und Zwey ausſprechen, ein hoͤheres Geſchaͤft ſey, ver - ſteht ſich von ſelbſt; ſo wie die Erſcheinung eines Drit - ten, Vierten ſich ferner entwickelnden immer in einem hoͤhern Sinne zu nehmen, beſonders aber allen dieſen Ausdruͤcken eine echte Anſchauung unterzulegen iſt.
Das Eiſen kennen wir als einen beſondern von andern unterſchiedenen Koͤrper; aber es iſt ein gleich - guͤltiges, uns nur in manchem Bezug und zu man - chem Gebrauch merkwuͤrdiges Weſen. Wie wenig aber bedarf es, und die Gleichguͤltigkeit dieſes Koͤrpers iſt aufgehoben. Eine Entzweyung geht vor, die, indem ſie ſich wieder zu vereinigen ſtrebt und ſich ſelbſt auf - ſucht, einen gleichſam magiſchen Bezug auf ihres Gleichen gewinnt, und dieſe Entzweyung, die doch nur wieder eine Vereinigung iſt, durch ihr ganzes Geſchlecht fortſetzt. Hier kennen wir das gleichguͤltige Weſen, das Eiſen; wir ſehen die Entzweyung an ihm entſtehen, ſich fortpflanzen und verſchwinden, und278 ſich leicht wieder aufs neue erregen: nach unſerer Meynung ein Urphaͤnomen, das unmittelbar an der Idee ſteht und nichts Irdiſches uͤber ſich erkennt.
Mit der Electricitaͤt verhaͤlt es ſich wieder auf eine eigne Weiſe. Das Electriſche, als ein Gleich - guͤltiges, kennen wir nicht. Es iſt fuͤr uns ein Nichts, ein Null, ein Nullpunct, ein Gleichguͤltigkeitspunct, der aber in allen erſcheinenden Weſen liegt, und zu - gleich der Quellpunct iſt, aus dem bey dem gering - ſten Anlaß eine Doppelerſcheinung hervortritt, welche nur inſofern erſcheint, als ſie wieder verſchwindet. Die Bedingungen, unter welchen jenes Hervortreten erregt wird, ſind, nach Beſchaffenheit der beſondern Koͤrper, unendlich verſchieden. Von dem groͤbſten mechaniſchen Reiben ſehr unterſchiedener Koͤrper an ein - ander bis zu dem leiſeſten Nebeneinanderſeyn zweyer voͤllig gleichen, nur durch weniger als einen Hauch anders determinirten Koͤrper, iſt die Erſcheinung rege und gegenwaͤrtig, ja auffallend und maͤchtig, und zwar dergeſtalt beſtimmt und geeignet, daß wir die Formeln der Polaritaͤt, des Plus und Minus, als Nord und Suͤd, als Glas und Harz, ſchicklich und naturgemaͤß anwenden.
Dieſe Erſcheinung, ob ſie gleich der Oberflaͤche beſonders folgt, iſt doch keinesweges oberflaͤchlich. Sie wirkt auf die Beſtimmung koͤrperlicher Eigenſchaften,279 und ſchließt ſich an die große Doppelerſcheinung, welche ſich in der Chemie ſo herrſchend zeigt, an Oxydation und Desoxydation unmittelbar wirkend an.
In dieſe Reihe, in dieſen Kreis, in dieſen Kranz von Phaͤnomenen auch die Erſcheinungen der Farbe heranzubringen und einzuſchließen, war das Ziel unſeres Beſtrebens. Was uns nicht gelungen iſt, werden an - dre leiſten. Wir fanden einen uranfaͤnglichen unge - heuren Gegenſatz von Licht und Finſterniß, den man allgemeiner durch Licht und Nichtlicht ausdruͤcken kann; wir ſuchten denſelben zu vermitteln und dadurch die ſichtbare Welt aus Licht, Schatten und Farbe herauszu - bilden, wobey wir uns zu Entwickelung der Phaͤno - mene verſchiedener Formeln bedienten, wie ſie uns in der Lehre des Magnetismus, der Electricitaͤt, des Chemismus uͤberliefert werden. Wir mußten aber wei - ter gehen, weil wir uns in einer hoͤhern Region be - fanden und mannigfaltigere Verhaͤltniſſe auszudruͤcken hatten.
Wenn ſich Electricitaͤt und Galvanitaͤt in ihrer All - gemeinheit von dem Beſondern der magnetiſchen Erſchei - nungen abtrennt und erhebt; ſo kann man ſagen, daß die Farbe, obgleich unter eben den Geſetzen ſtehend, ſich doch viel hoͤher erhebe und, indem ſie fuͤr den edlen Sinn des Auges wirkſam iſt, auch ihre Natur zu ihrem Vortheile darthue. Man vergleiche das Man - nigfaltige, das aus einer Steigerung des Gelben und280 Blauen zum Rothen, aus der Verknuͤpfung dieſer beyden hoͤheren Enden zum Purpur, aus der Ver - miſchung der beyden niedern Enden zum Gruͤn ent - ſteht. Welch ein ungleich mannigfaltigeres Schema entſpringt hier nicht, als dasjenige iſt, worin ſich Magnetismus und Electricitaͤt begreifen laſſen. Auch ſtehen dieſe letzteren Erſcheinungen auf einer niedern Stufe, ſo daß ſie zwar die allgemeine Welt durch - dringen und beleben, ſich aber zum Menſchen im hoͤ - heren Sinne nicht heraufbegeben koͤnnen, um von ihm aͤſthetiſch benutzt zu werden. Das allgemeine ein - fache phyſiſche Schema muß erſt in ſich ſelbſt erhoͤht und vermannigfaltigt werden, um zu hoͤheren Zwecken zu dienen.
Man rufe in dieſem Sinne zuruͤck, was durch - aus von uns bisher ſowohl im Allgemeinen als Beſon - dern von der Farbe praͤdicirt worden, und man wird ſich ſelbſt dasjenige, was hier nur leicht angedeutet iſt, ausfuͤhren und entwickeln. Man wird dem Wiſſen, der Wiſſenſchaft, dem Handwerk und der Kunſt Gluͤck wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre, das ſchoͤne Kapi - tel der Farbenlehre aus ſeiner atomiſtiſchen Beſchraͤnkt - heit und Abgeſondertheit, in die es bisher verwieſen, dem allgemeinen dynamiſchen Fluſſe des Lebens und Wirkens wieder zu geben, deſſen ſich die jetzige Zeit erfreut. Dieſe Empfindungen werden bey uns noch leb - hafter werden, wenn uns die Geſchichte ſo manchen wak - kern und einſichtsvollen Mann vorfuͤhren wird, dem281 es nicht gelang, von ſeinen Ueberzeugungen ſeine Zeit - genoſſen zu durchdringen.
Ehe wir nunmehr zu den ſinnlich-ſittlichen und daraus entſpringenden aͤſthetiſchen Wirkungen der Farbe uͤbergehen, iſt es der Ort, auch von ihrem Verhaͤlt - niſſe zu dem Ton einiges zu ſagen.
Daß ein gewiſſes Verhaͤltniß der Farbe zum Ton ſtatt finde, hat man von jeher gefuͤhlt, wie die oͤftern Vergleichungen, welche theils voruͤbergehend, theils umſtaͤndlich genug angeſtellt worden, beweiſen. Der Fehler, den man hiebey begangen, beruhet nur auf folgendem.
Vergleichen laſſen ſich Farbe und Ton unter einan - der auf keine Weiſe; aber beyde laſſen ſich auf eine hoͤhere Formel beziehen, aus einer hoͤhern Formel beyde, jedoch jedes fuͤr ſich, ableiten. Wie zwey Fluͤſſe, die auf einem Berge entſpringen, aber unter ganz verſchiedenen Bedingungen in zwey ganz entge - gengeſetzte Weltgegenden laufen, ſo daß auf dem bey - derſeitigen ganzen Wege keine einzelne Stelle der an - dern verglichen werden kann; ſo ſind auch Farbe und282 Ton. Beyde ſind allgemeine elementare Wirkungen nach dem allgemeinen Geſetz des Trennens und Zuſam - menſtrebens, des Auf - und Abſchwankens, des Hin - und wiederwaͤgens wirkend, doch nach ganz verſchiede - nen Seiten, auf verſchiedene Weiſe, auf verſchiedene Zwiſchenelemente, fuͤr verſchiedene Sinne.
Moͤchte Jemand die Art und Weiſe, wie wir die Far - benlehre an die allgemeine Naturlehre angeknuͤpft, recht faſſen, und dasjenige, was uns entgangen und abge - gangen durch Gluͤck und Genialitaͤt erſetzen; ſo wuͤrde die Tonlehre, nach unſerer Ueberzeugung, an die allge - meine Phyſik vollkommen anzuſchließen ſeyn, da ſie jetzt innerhalb derſelben gleichſam nur hiſtoriſch abge - ſondert ſteht.
Aber eben darin laͤge die groͤßte Schwierigkeit, die fuͤr uns gewordene poſitive, auf ſeltſamen empi - riſchen, zufaͤlligen, mathematiſchen, aͤſthetiſchen, genia - liſchen Wegen entſprungene Muſik zu Gunſten einer phyſikaliſchen Behandlung zu zerſtoͤren und in ihre er - ſten phyſiſchen Elemente aufzuloͤſen. Vielleicht waͤre auch hierzu, auf dem Puncte, wo Wiſſenſchaft und Kunſt ſich befinden, nach ſo manchen ſchoͤnen Vorar - beiten, Zeit und Gelegenheit.
Man bedenkt niemals genug, daß eine Sprache eigentlich nur ſymboliſch, nur bildlich ſey und die Ge - genſtaͤnde niemals unmittelbar, ſondern nur im Wider - ſcheine ausdruͤcke. Dieſes iſt beſonders der Fall, wenn von Weſen die Rede iſt, welche an die Erfahrung nur herantreten und die man mehr Thaͤtigkeiten als Gegenſtaͤnde nennen kann, dergleichen im Reiche der Naturlehre immerfort in Bewegung ſind. Sie laſſen ſich nicht feſthalten, und doch ſoll man von ihnen re - den; man ſucht daher alle Arten von Formeln auf, um ihnen wenigſtens gleichnißweiſe beyzukommen.
Metaphyſiſche Formeln haben eine große Breite und Tiefe, jedoch ſie wuͤrdig auszufuͤllen, wird ein rei - cher Gehalt erfordert, ſonſt bleiben ſie hohl. Mathema - tiſche Formeln laſſen ſich in vielen Faͤllen ſehr bequem und gluͤcklich anwenden; aber es bleibt ihnen immer etwas ſteifes und ungelenkes, und wir fuͤhlen bald ihre Unzulaͤnglichkeit, weil wir, ſelbſt in Elementar - faͤllen, ſehr fruͤh ein Incommenſurables gewahr wer - den; ferner ſind ſie auch nur innerhalb eines gewiſſen284 Kreiſes beſonders hiezu gebildeter Geiſter verſtaͤndlich. Mechaniſche Formeln ſprechen mehr zu dem gemeinen Sinn, aber ſie ſind auch gemeiner, und behalten immer etwas Rohes. Sie verwandlen das Lebendige in ein Todtes; ſie toͤdten das innre Leben, um von außen ein unzulaͤngliches heranzubringen. Corpuscular - Formeln ſind ihnen nahe verwandt; das Bewegliche wird ſtarr durch ſie, Vorſtellung und Ausdruck unge - ſchlacht. Dagegen erſcheinen die moraliſchen Formeln, welche freylich zartere Verhaͤltniſſe ausdruͤcken, als bloße Gleichniſſe und verlieren ſich denn auch wohl zu - letzt in Spiele des Witzes.
Koͤnnte man ſich jedoch aller dieſer Arten der Vor - ſtellung und des Ausdrucks mit Bewußtſeyn bedienen, und in einer mannigfaltigen Sprache ſeine Betrachtun - gen uͤber Naturphaͤnomene uͤberliefern; hielte man ſich von Einſeitigkeit frey, und faßte einen lebendigen Sinn in einen lebendigen Ausdruck, ſo ließe ſich man - ches Erfreuliche mittheilen.
Jedoch wie ſchwer iſt es, das Zeichen nicht an die Stelle der Sache zu ſetzen, das Weſen immer le - bendig vor ſich zu haben und es nicht durch das Wort zu toͤdten. Dabey ſind wir in den neuern Zeiten in eine noch groͤßere Gefahr gerathen, indem wir aus allem Erkenn - und Wißbaren Ausdruͤcke und Termino - logien heruͤbergenommen haben, um unſre Anſchauun -285 gen der einfacheren Natur auszudruͤcken. Aſtronomie, Kosmologie, Geologie, Naturgeſchichte, ja Religion und Myſtik werden zu Huͤlfe gerufen; und wie oft wird nicht das Allgemeine durch ein Beſonderes, das Elementare durch ein Abgeleitetes mehr zugedeckt, und verdunkelt, als aufgehellt und naͤher gebracht. Wir kennen das Beduͤrfniß recht gut, wodurch eine ſolche Sprache entſtanden iſt und ſich ausbreitet; wir wiſſen auch, daß ſie ſich in einem gewiſſen Sinne unent - behrlich macht: allein nur ein maͤßiger, anſpruchs - loſer Gebrauch mit Ueberzeugung und Bewußtſeyn kann Vortheil bringen.
Am wuͤnſchenswertheſten waͤre jedoch, daß man die Sprache, wodurch man die Einzelnheiten eines gewiſſen Kreiſes bezeichnen will, aus dem Kreiſe ſelbſt naͤhme; die einfachſte Erſcheinung als Grundformel behandelte, und die mannigfaltigern von daher ableitete und entwickelte.
Die Nothwendigkeit und Schicklichkeit einer ſol - chen Zeichenſprache, wo das Grundzeichen die Er - ſcheinung ſelbſt ausdruͤckt, hat man recht gut gefuͤhlt, indem man die Formel der Polaritaͤt, dem Magneten abgeborgt, auf Electricitaͤt u. ſ. w. hinuͤber gefuͤhrt hat. Das Plus und Minus, was an deſſen Stelle geſetzt werden kann, hat bey ſo vielen Phaͤnomenen eine ſchickliche Anwendung gefunden; ja der Tonkuͤnſtler iſt, wahrſcheinlich ohne ſich um jene andern Faͤcher286 zu bekuͤmmern, durch die Natur veranlaßt worden, die Haupt-Differenz der Tonarten durch Majeur und Mineur auszudruͤcken.
So haben auch wir ſeit langer Zeit den Ausdruck der Polaritaͤt in die Farbenlehre einzufuͤhren gewuͤnſcht; mit welchem Rechte und in welchem Sinne, mag die gegenwaͤrtige Arbeit ausweiſen. Vielleicht finden wir kuͤnftig Raum, durch eine ſolche Behandlung und Symbolik, welche ihr Anſchauen jederzeit mit ſich fuͤh - ren muͤßte, die elementaren Naturphaͤnomene nach unſrer Weiſe an einander zu knuͤpfen, und dadurch dasjenige deutlicher zu machen, was hier nur im Allge - meinen, und vielleicht nicht beſtimmt genug ausge - ſprochen worden.
Da die Farbe in der Reihe der uranfaͤnglichen Naturerſcheinungen einen ſo hohen Platz behauptet, in - dem ſie den ihr angewieſenen einfachen Kreis mit ent - ſchiedener Mannigfaltigkeit ausfuͤllt; ſo werden wir uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß ſie auf den Sinn des Auges, dem ſie vorzuͤglich zugeeignet iſt, und durch deſſen Vermittelung, auf das Gemuͤth, in ihren allgemeinſten elementaren Erſcheinungen, ohne Bezug auf Beſchaffenheit oder Form eines Materials, an deſſen Oberflaͤche wir ſie gewahr werden, einzeln eine ſpecifiſche, in Zuſammenſtellung eine theils har - moniſche, theils charakteriſtiſche, oft auch unharmo - niſche, immer aber eine entſchiedene und bedeutende Wirkung hervorbringe, die ſich unmittelbar an das Sittliche anſchließt. Deshalb denn Farbe, als ein Element der Kunſt betrachtet, zu den hoͤchſten aͤſtheti - ſchen Zwecken mitwirkend genutzt werden kann.
Die Menſchen empfinden im Allgemeinen eine große Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie es des Lichtes bedarf. Man erinnre ſich der Erquik - kung, wenn an einem truͤben Tage die Sonne auf einen einzelnen Theil der Gegend ſcheint und die Far - ben daſelbſt ſichtbar macht. Daß man den farbigen Edelſteinen Heilkraͤfte zuſchrieb, mag aus dem tiefen Gefuͤhl dieſes unausſprechlichen Behagens entſtanden ſeyn.
Die Farben, die wir an den Koͤrpern erblicken, ſind nicht etwa dem Auge ein voͤllig Fremdes, wo - durch es erſt zu dieſer Empfindung gleichſam geſtem - pelt wuͤrde; Nein. Dieſes Organ iſt immer in der Diſpoſition, ſelbſt Farben hervorzubringen, und genießt einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eig - nen Natur gemaͤßes ihm von außen gebracht wird; wenn ſeine Beſtimmbarkeit nach einer gewiſſen Seite hin bedeutend beſtimmt wird.
Aus der Idee des Gegenſatzes der Erſcheinung, aus der Kenntniß, die wir von den beſondern Beſtim - mungen deſſelben erlangt haben, koͤnnen wir ſchließen, daß die einzelnen Farbeindruͤcke nicht verwechſelt wer - den koͤnnen, daß ſie ſpecifiiſch wirken, und entſchie - den ſpecifiſche Zuſtaͤnde in dem lebendigen Organ her - vorbringen muͤſſen.
Eben auch ſo in dem Gemuͤth. Die Erfahrung lehrt uns, daß die einzelnen Farben beſondre Ge - muͤthsſtimmungen geben. Von einem geiſtreichen Fran - zoſen wird erzaͤhlt: Il prétendoit que son ton de conversation avec Madame étoit changé depuis qu’elle avoit changé en cramoisi le meuble de son cabinet qui étoit bleu.
Dieſe einzelnen bedeutenden Wirkungen vollkom - men zu empfinden, muß man das Auge ganz mit ei - ner Farbe umgeben, z. B. in einem einfarbigen Zim - mer ſich befinden, durch ein farbiges Glas ſehen. Man identificirt ſich alsdann mit der Farbe; ſie ſtimmt Auge und Geiſt mit ſich unisono.
Die Farben von der Plusſeite ſind Gelb, Roth - gelb (Orange), Gelbroth (Mennig, Zinnober). Sie ſtimmen regſam, lebhaft, ſtrebend.
Es iſt die naͤchſte Farbe am Licht. Sie entſteht durch die gelindeſte Maͤßigung deſſelben, es ſey durch truͤbe Mittel, oder durch ſchwache Zuruͤckwerfung von weißen Flaͤchen. Bey den prismatiſchen Verſuchen er - ſtreckt ſie ſich allein breit in den lichten Raum, und kann dort, wenn die beyden Pole noch abgeſondert von einander ſtehen, ehe ſie ſich mit dem Blauen zum Gruͤnen vermiſcht, in ihrer ſchoͤnſten Reinheit geſehen werden. Wie das chemiſche Gelb ſich an und uͤber dem Weißen entwickelt, iſt gehoͤrigen Orts um - ſtaͤndlich vorgetragen worden.
Sie fuͤhrt in ihrer hoͤchſten Reinheit immer die Natur des Hellen mit ſich, und beſitzt eine heitere, muntere, ſanft reizende Eigenſchaft.
In dieſem Grade iſt ſie als Umgebung, es ſey als Kleid, Vorhang, Tapete, angenehm. Das Gold in ſeinem ganz ungemiſchten Zuſtande gibt uns, be - ſonders wenn der Glanz hinzukommt, einen neuen und hohen Begriff von dieſer Farbe; ſo wie ein ſtar - kes Gelb, wenn es auf glaͤnzender Seide, z. B. auf291 Atlas erſcheint, eine praͤchtige und edle Wirkung thut.
So iſt es der Erfahrung gemaͤß, daß das Gelbe einen durchaus warmen und behaglichen Eindruck mache. Daher es auch in der Malerey der beleuchte - ten und wirkſamen Seite zukommt.
Dieſen erwaͤrmenden Effect kann man am lebhaf - teſten bemerken, wenn man durch ein gelbes Glas, beſonders in grauen Wintertagen, eine Landſchaft an - ſieht. Das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemuͤth erheitert; eine unmittelbare Waͤrme ſcheint uns anzuwehen.
Wenn nun dieſe Farbe, in ihrer Reinheit und hellem Zuſtande angenehm und erfreulich, in ihrer gan - zen Kraft aber etwas Heiteres und Edles hat; ſo iſt ſie dagegen aͤußerſt empfindlich und macht eine ſehr un - angenehme Wirkung, wenn ſie beſchmutzt, oder einiger - maßen ins Minus gezogen wird. So hat die Farbe des Schwefels, die ins Gruͤne faͤllt, etwas Unange - nehmes.
Wenn die gelbe Farbe unreinen und unedlen Ober - flaͤchen mitgetheilt wird, wie dem gemeinen Tuch, dem Filz und dergleichen, worauf ſie nicht mit ganzer19 *292Energie erſcheint, entſteht eine ſolche unangenehme Wirkung. Durch eine geringe und unmerkliche Bewe - gung wird der ſchoͤne Eindruck des Feuers und Gol - des in die Empfindung des Kothigen verwandelt, und die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abſcheu’s und Mißbehagens umgekehrt. Daher moͤgen die gelben Huͤte der Bankerottirer, die gelben Ringe auf den Maͤnteln der Juden entſtanden ſeyn; ja die ſogenannte Hahnreihfarbe iſt eigentlich nur ein ſchmutziges Gelb.
Da ſich keine Farbe als ſtillſtehend betrachten laͤßt, ſo kann man das Gelbe ſehr leicht durch Verdichtung und Verdunklung ins Roͤthliche ſteigern und erheben. Die Farbe waͤchſt an Energie und erſcheint im Roth - gelben maͤchtiger und herrlicher.
Alles was wir vom Gelben geſagt haben, gilt auch hier, nur im hoͤheren Grade. Das Rothgelbe gibt eigentlich dem Auge das Gefuͤhl von Waͤrme und Wonne, indem es die Farbe der hoͤhern Glut, ſo wie den mildern Abglanz der untergehenden Sonne repraͤſentirt. Deswegen iſt ſie auch bey Umgebungen293 angenehm, und als Kleidung in mehr oder minderm Grade erfreulich oder herrlich. Ein kleiner Blick ins Rothe gibt dem Gelben gleich ein ander Anſehn; und wenn Englaͤnder und Deutſche ſich noch an blaßgelben hellen Lederfarben genuͤgen laſſen, ſo liebt der Fran - zoſe, wie Pater Caſtel ſchon bemerkt, das ins Roth geſteigerte Gelb; wie ihn uͤberhaupt an Farben alles freut, was ſich auf der activen Seite befindet.
Wie das reine Gelb ſehr leicht in das Rothgelbe hinuͤbergeht, ſo iſt die Steigerung dieſes letzten ins Gelbrothe nicht aufzuhalten. Das angenehme heitre Gefuͤhl, das uns das Rothgelbe noch gewaͤhrt, ſtei - gert ſich bis zum unertraͤglich Gewaltſamen im hohen Gelbrothen.
Die active Seite iſt hier in ihrer hoͤchſten Energie, und es iſt kein Wunder, daß energiſche, geſunde, rohe Menſchen ſich beſonders an dieſer Farbe erfreuen. Man hat die Neigung zu derſelben bey wilden Voͤlkern durchaus bemerkt. Und wenn Kinder, ſich ſelbſt uͤber - laſſen, zu illuminiren anfangen, ſo werden ſie Zin - nober und Mennig nicht ſchonen.
Man darf eine vollkommen gelbrothe Flaͤche ſtarr anſehen, ſo ſcheint ſich die Farbe wirklich ins Organ zu bohren. Sie bringt eine unglaubliche Erſchuͤtterung hervor und behaͤlt dieſe Wirkung bey einem ziemlichen Grade von Dunkelheit.
Die Erſcheinung eines gelbrothen Tuches beunru - higt und erzuͤrnt die Thiere. Auch habe ich gebildete Menſchen gekannt, denen es unertraͤglich fiel, wenn ihnen an einem ſonſt grauen Tage Jemand im Schar - lachrock begegnete.
Die Farben von der Minusſeite ſind Blau, Roth - blau, und Blauroth. Sie ſtimmen zu einer unruhi - gen, weichen und ſehnenden Empfindung.
So wie Gelb immer ein Licht mit ſich fuͤhrt, ſo kann man ſagen, daß Blau immer etwas Dunkles mit ſich fuͤhre.
Dieſe Farbe macht fuͤr das Auge eine ſonderbare und faſt unausſprechliche Wirkung. Sie iſt als Farbe295 eine Energie; allein ſie ſteht auf der negativen Seit - und iſt in ihrer hoͤchſten Reinheit gleichſam ein reizen - des Nichts. Es iſt etwas Widerſprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick.
Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau ſehen, ſo ſcheint eine blaue Flaͤche auch vor uns zuruͤckzuweichen.
Wie wir einen angenehmen Gegenſtand, der vor uns flieht, gern verfolgen, ſo ſehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, ſondern weil es uns nach ſich zieht.
Das Blaue gibt uns ein Gefuͤhl von Kaͤlte, ſo wie es uns auch an Schatten erinnert. Wie es vom Schwarzen abgeleitet ſey, iſt uns bekannt.
Zimmer, die rein blau austapezirt ſind, erſcheinen gewiſſermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt.
Blaues Glas zeigt die Gegenſtaͤnde im traurigen Licht.
Es iſt nicht unangenehm, wenn das Blau einiger - maßen vom Plus participirt. Das Meergruͤn iſt viel - mehr eine liebliche Farbe.
Wie wir das Gelbe ſehr bald in einer Steigerung gefunden haben, ſo bemerken wir auch bey dem Blauen dieſelbe Eigenſchaft.
Das Blaue ſteigert ſich ſehr ſanft ins Rothe und erhaͤlt dadurch etwas Wirkſames, ob es ſich gleich auf der paſſiven Seite befindet. Sein Reiz iſt aber von ganz andrer Art, als der des Rothgelben. Er belebt nicht ſowohl, als daß er unruhig macht.
So wie die Steigerung ſelbſt unaufhaltſam iſt, ſo wuͤnſcht man auch mit dieſer Farbe immer fortzu - gehen, nicht aber, wie beym Rothgelben, immer thaͤtig vorwaͤrts zu ſchreiten, ſondern einen Punct zu finden, wo man ausruhen koͤnnte.
Sehr verduͤnnt kennen wir die Farbe unter dem Namen Lila; aber auch ſo hat ſie etwas Lebhaftes ohne Froͤhlichkeit.
Jene Unruhe nimmt bey der weiter ſchreitenden Steigerung zu, und man kann wohl behaupten, daß eine Tapete von einem ganz reinen geſaͤttigten Blau - roth eine Art von unertraͤglicher Gegenwart ſeyn muͤſſe. Deswegen es auch, wenn es als Kleidung, Band, oder ſonſtiger Zierath vorkommt, ſehr verduͤnnt und hell angewendet wird; da es denn ſeiner bezeichneten Natur nach einen ganz beſondern Reiz ausuͤbt.
Indem die hohe Geiſtlichkeit dieſe unruhige Farbe ſich angeeignet hat; ſo duͤrfte man wohl ſagen, daß ſie auf den unruhigen Staffeln einer immer vordrin - genden Steigerung unaufhaltſam zu dem Cardinalpur - pur hinaufſtrebe.
Man entferne bey dieſer Benennung alles, was im Rothen einen Eindruck von Gelb oder Blau machen298 koͤnnte. Man denke ſich ein ganz reines Roth, einen vollkommenen, auf einer weißen Porzellanſchale auf - getrockneten Carmin. Wir haben dieſe Farbe, ihrer hohen Wuͤrde wegen, manchmal Purpur genannt, ob wir gleich wohl wiſſen, daß der Purpur der Alten ſich mehr nach der blauen Seite hinzog.
Wer die prismatiſche Entſtehung des Purpurs kennt, der wird nicht paradox finden, wenn wir be - haupten, daß dieſe Farbe theils actu, theils potentia alle andern Farben enthalte.
Wenn wir beym Gelben und Blauen eine ſtre - bende Steigerung ins Rothe geſehen und dabey unſre Gefuͤhle bemerkt haben; ſo laͤßt ſich denken, daß nun in der Vereinigung der geſteigerten Pole eine eigent - liche Beruhigung, die wir eine ideale Befriedigung nennen moͤchten, ſtatt finden koͤnne. Und ſo entſteht, bey phyſiſchen Phaͤnomenen, dieſe hoͤchſte aller Far - benerſcheinungen aus dem Zuſammentreten zweyer entge - gengeſetzten Enden, die ſich zu einer Vereinigung nach und nach ſelbſt vorbereitet haben.
Als Pigment hingegen erſcheint ſie uns als ein Fertiges und als das vollkommenſte Roth in der Co - chenille; welches Material jedoch durch chemiſche Be - handlung bald ins Plus, bald ins Minus zu fuͤhren iſt, und allenfalls im beſten Carmin als voͤllig im Gleichgewicht ſtehend angeſehen werden kann.
Die Wirkung dieſer Farbe iſt ſo einzig wie ihre Natur. Sie gibt einen Eindruck ſowohl von Ernſt und Wuͤrde, als von Huld und Anmuth. Jenes leiſtet ſie in ihrem dunklen verdichteten, dieſes in ih - rem hellen verduͤnnten Zuſtande. Und ſo kann ſich die Wuͤrde des Alters und die Liebenswuͤrdigkeit der Ju - gend in Eine Farbe kleiden.
Von der Eiferſucht der Regenten auf den Purpur erzaͤhlt uns die Geſchichte manches. Eine Umgebung von dieſer Farbe iſt immer ernſt und praͤchtig.
Das Purpurglas zeigt eine wohlerleuchtete Land - ſchaft in furchtbarem Lichte. So muͤßte der Farbeton uͤber Erd’ und Himmel am Tage des Gerichts ausge - breitet ſeyn.
Da die beyden Materialien, deren ſich die Faͤr - berey zur Hervorbringung dieſer Farbe vorzuͤglich be - dient, der Kermes und die Cochenille, ſich mehr oder weniger zum Plus und Minus neigen; auch ſich durch Behandlung mit Saͤuern und Alcalien heruͤber und hin - uͤber fuͤhren laſſen: ſo iſt zu bemerken, daß die Franzo - ſen ſich auf der wirkſamen Seite halten, wie der fran - zoͤſiſche Scharlach zeigt, welcher ins Gelbe zieht; die Italiaͤner hingegen auf der paſſiven Seite verharren, ſo daß ihr Scharlach eine Ahndung von Blau behaͤlt.
Durch eine aͤhnliche alcaliſche Behandlung entſteht das Karmeſin, eine Farbe, die den Franzoſen ſehr verhaßt ſeyn muß, da ſie die Ausdruͤcke sot en cra - moisi, méchant en cramoisi als das Aeußerſte des Abgeſchmackten und Boͤſen bezeichnen.
Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die erſten und einfachſten Farben anſehen, gleich bey ih - rem erſten Erſcheinen, auf der erſten Stufe ihrer Wir - kung zuſammenbringt, ſo entſteht diejenige Farbe, wel - che wir Gruͤn nennen.
Unſer Auge findet in derſelben eine reale Befrie - digung. Wenn beyde Mutterfarben ſich in der Mi - ſchung genau das Gleichgewicht halten, dergeſtalt, daß keine vor der andern bemerklich iſt, ſo ruht das Auge und das Gemuͤth auf dieſem Gemiſchten wie auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht weiter. Deswegen fuͤr Zimmer, in denen man ſich immer befindet, die gruͤne Farbe zur Tapete meiſt gewaͤhlt wird.
Wir haben bisher zum Behuf unſres Vortrages angenommen, daß das Auge genoͤthigt werden koͤnne, ſich mit irgend einer einzelnen Farbe zu identificiren; allein dieß moͤchte wohl nur auf einen Augenblick moͤg - lich ſeyn.
Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben ſehen, welche die Empfindung ihrer Eigenſchaft in unſerm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart noͤthigt, mit ihr in einem identiſchen Zuſtande zu verharren; ſo iſt es eine gezwungene Lage, in wel - cher das Organ ungern verweilt.
Wenn das Auge die Farbe erblickt, ſo wird es gleich in Thaͤtigkeit geſetzt, und es iſt ſeiner Natur gemaͤß, auf der Stelle eine andre, ſo unbewußt als nothwendig, hervorzubringen, welche mit der gege - benen die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes enthaͤlt. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine ſpecifiſche Empfindung, das Streben nach Allgemein - heit.
Um nun dieſe Totalitaͤt gewahr zu werden, um ſich ſelbſt zu befriedigen, ſucht es neben jedem far - bigen Raum einen farbloſen, um die geforderte Farbe an demſelben hervorzubringen.
Hier liegt alſo das Grundgeſetz aller Harmonie der Farben, wovon ſich jeder durch eigene Erfahrung uͤberzeugen kann, indem er ſich mit den Verſuchen, die wir in der Abtheilung der phyſiologiſchen Farben angezeigt, genau bekannt macht.
Wird nun die Farbentotalitaͤt von außen dem Auge als Object gebracht, ſo iſt ſie ihm erfreulich, weil ihm die Summe ſeiner eignen Thaͤtigkeit als Rea - litaͤt entgegen kommt. Es ſey alſo zuerſt von dieſen harmoniſchen Zuſammenſtellungen die Rede.
Um ſich davon auf das leichteſte zu unterrichten, denke man ſich in dem von uns angegebenen Farben - kreiſe einen beweglichen Diameter und fuͤhre denſelben im ganzen Kreiſe herum; ſo werden die beyden En - den nach und nach die ſich fordernden Farben bezeich - nen; welche ſich denn freylich zuletzt auf drey einfache Gegenſaͤtze zuruͤckfuͤhren laſſen.
und umgekehrt.
Wie der von uns ſupponirte Zeiger von der Mitte der von uns naturmaͤßig geordneten Farben wegruͤckt; eben ſo ruͤckt er mit dem andern Ende in der entge - gengeſetzten Abſtufung weiter, und es laͤßt ſich durch eine ſolche Vorrichtung zu einer jeden fordernden Farbe die geforderte bequem bezeichnen. Sich hiezu einen Farbenkreis zu bilden, der nicht wie der unſre abge - ſetzt, ſondern in einem ſtetigen Fortſchritte die Farben und ihre Uebergaͤnge zeigte, wuͤrde nicht unnuͤtz ſeyn: denn wir ſtehen hier auf einem ſehr wichtigen Punct, der alle unſre Aufmerkſamkeit verdient.
Wurden wir vorher bey dem Beſchauen einzelner Farben gewiſſermaßen pathologiſch afficirt, indem wir zu einzelnen Empfindungen fortgeriſſen, uns bald leb - haft und ſtrebend, bald weich und ſehnend, bald zum Edlen emporgehoben, bald zum Gemeinen herabgezo - gen fuͤhlten; ſo fuͤhrt uns das Beduͤrfniß nach Tota - litaͤt, welches unſerm Organ eingeboren iſt, aus die - ſer Beſchraͤnkung heraus; es ſetzt ſich ſelbſt in Frey - heit, indem es den Gegenſatz des ihm aufgedrungenen Einzelnen und ſomit eine befriedigende Ganzheit her - vorbringt.
So einfach alſo dieſe eigentlich harmoniſchen Ge - genſaͤtze ſind, welche uns in dem engen Kreiſe gege - ben werden, ſo wichtig iſt der Wink, daß uns die Natur durch Totalitaͤt zur Freyheit heraufzuheben an - gelegt iſt, und daß wir dießmal eine Naturerſcheinung zum aͤſthetiſchen Gebrauch unmittelbar uͤberliefert er - halten.
Indem wir alſo ausſprechen koͤnnen, daß der Far - benkreis, wie wir ihn angegeben, auch ſchon dem Stoff nach eine angenehme Empfindung hervorbringe, iſt es der Ort zu gedenken, daß man bisher den Re - genbogen mit Unrecht als ein Beyſpiel der Farbentota - litaͤt angenommen: denn es fehlt demſelben die Haupt - farbe, das reine Roth, der Purpur, welcher nicht entſtehen kann, da ſich bey dieſer Erſcheinung ſo wenig als bey dem hergebrachten prismatiſchen Bilde das Gelbroth und Blauroth zu erreichen vermoͤgen.
Ueberhaupt zeigt uns die Natur kein allgemeines Phaͤnomen, wo die Farbentotalitaͤt voͤllig beyſammen waͤre. Durch Verſuche laͤßt ſich ein ſolches in ſeiner vollkommnen Schoͤnheit hervorbringen. Wie ſich aber die voͤllige Erſcheinung im Kreiſe zuſammenſtellt, ma - chen wir uns am beſten durch Pigmente auf Papier begreiflich, bis wir, bey natuͤrlichen Anlagen und nach mancher Erfahrung und Uebung, uns endlich305 von der Idee dieſer Harmonie voͤllig penetrirt und ſie uns im Geiſte gegenwaͤrtig fuͤhlen.
Außer dieſen rein harmoniſchen, aus ſich ſelbſt entſpringenden Zuſammenſtellungen, welche immer To - talitaͤt mit ſich fuͤhren, gibt es noch andre, welche durch Willkuͤhr hervorgebracht werden, und die wir dadurch am leichteſten bezeichnen, daß ſie in unſerm Farbenkreiſe nicht nach Diametern, ſondern nach Chor - den aufzufinden ſind, und zwar zuerſt dergeſtalt, daß eine Mittelfarbe uͤberſprungen wird.
Wir nennen dieſe Zuſammenſtellungen charakteri - ſtiſch, weil ſie ſaͤmmtlich etwas Bedeutendes haben, das ſich uns mit einem gewiſſen Ausdruck aufdringt, aber uns nicht befriedigt, indem jedes Charakteriſti - ſche nur dadurch entſteht, daß es als ein Theil aus einem Ganzen heraustritt, mit welchem es ein Ver - haͤltniß hat, ohne ſich darin aufzuloͤſen.
Da wir die Farben in ihrer Entſtehung, ſo wie deren harmoniſche Verhaͤltniſſe kennen, ſo laͤßt ſich er -I. 20306warten, daß auch die Charaktere der willkuͤhrlichen Zuſammenſtellungen von der verſchiedenſten Bedeutung ſeyn werden. Wir wollen ſie einzeln durchgehen.
Dieſes iſt die einfachſte von ſolchen Zuſammenſtel - lungen. Man kann ſagen, es ſey zu wenig in ihr: denn da ihr jede Spur von Roth fehlt, ſo geht ihr zu viel von der Totalitaͤt ab. In dieſem Sinne kann man ſie arm und, da die beyden Pole auf ihrer nie - drigſten Stufe ſtehn, gemein nennen. Doch hat ſie den Vortheil, daß ſie zunaͤchſt am Gruͤnen und alſo an der realen Befriedigung ſteht.
Hat etwas Einſeitiges, aber Heiteres und Praͤch - tiges. Man ſieht die beyden Enden der thaͤtigen Seite neben einander, ohne daß das ſtetige Werden ausge - druͤckt ſey.
307Da man aus ihrer Miſchung durch Pigmente das Gelbrothe erwarten kann, ſo ſtehn ſie gewiſſermaßen anſtatt dieſer Farbe.
Die beyden Enden der paſſiven Seite mit dem Uebergewicht des obern Endes nach dem activen zu. Da durch Miſchung beyder das Blaurothe entſteht, ſo wird der Effect dieſer Zuſammenſtellung ſich auch gedachter Farbe naͤhern.
Haben zuſammengeſtellt, als die geſteigerten En - den der beyden Seiten, etwas Erregendes Hohes. Sie geben uns die Vorahndung des Purpurs, der bey phyſikaliſchen Verſuchen aus ihrer Vereinigung entſteht.
Dieſe vier Zuſammenſtellungen haben alſo das Ge - meinſame, daß ſie, vermiſcht, die Zwiſchenfarben un - ſeres Farbenkreiſes hervorbringen wuͤrden; wie ſie auch ſchon thun, wenn die Zuſammenſtellung aus kleinen Theilen beſteht und aus der Ferne betrachtet wird. Eine Flaͤche mit ſchmalen blau und gelben Streifen erſcheint in einiger Entfernung gruͤn.
Wenn nun aber das Auge Blau und Gelb neben einander ſieht, ſo befindet es ſich in der ſonderbaren Bemuͤhung, immer Gruͤn hervorbringen zu wollen, ohne damit zu Stande zu kommen, und ohne alſo im Einzelnen Ruhe, oder im Ganzen Gefuͤhl der Totalitaͤt bewirken zu koͤnnen.
Man ſieht alſo, daß wir nicht mit Unrecht dieſe Zuſammenſtellungen charakteriſtiſch genannt haben, ſo wie denn auch der Charakter einer jeden ſich auf den Charakter der einzelnen Farben, woraus ſie zuſammen - geſtellt iſt, beziehen muß.
Wir wenden uns nun zu der letzten Art der Zu - ſammenſtellungen, welche ſich aus dem Kreiſe leicht herausfinden laſſen. Es ſind nehmlich diejenigen, welche durch kleinere Chorden angedeutet werden, wenn man nicht eine ganze Mittelfarbe, ſondern nur den Ueber - gang aus einer in die andere uͤberſpringt.
Man kann dieſe Zuſammenſtellungen wohl die charakterloſen nennen, indem ſie zu nahe an einander liegen, als daß ihr Eindruck bedeutſam werden koͤnnte. Doch behaupten die meiſten immer noch ein gewiſſes Recht, da ſie ein Fortſchreiten andeuten, deſſen Ver - haͤltniß aber kaum fuͤhlbar werden kann.
So drucken Gelb und Gelbroth, Gelbroth und Purpur, Blau und Blauroth, Blauroth und Purpur die naͤchſten Stufen der Steigerung und Culmination aus, und koͤnnen in gewiſſen Verhaͤltniſſen der Maſ - ſen keine uͤble Wirkung thun.
Gelb und Gruͤn hat immer etwas Gemein-heiteres, Blau und Gruͤn aber immer etwas Gemein-widerliches;310 deswegen unſre guten Vorfahren dieſe letzte Zuſammen - ſtellung auch Narrenfarbe genannt haben.
Dieſe Zuſammenſtellungen koͤnnen ſehr vermannich - faltigt werden, indem man beyde Farben hell, beyde Farben dunkel, eine Farbe hell die andre dunkel zu - ſammenbringen kann; wobey jedoch, was im Allge - meinen gegolten hat, in jedem beſondern Falle gelten muß. Von dem unendlich Mannigfaltigen, was dabey ſtatt findet, erwaͤhnen wir nur folgendes.
Die active Seite mit dem Schwarzen zuſammen - geſtellt, gewinnt an Energie; die paſſive verliert. Die active mit dem Weißen und Hellen zuſammengebracht, verliert an Kraft; die paſſive gewinnt an Heiterkeit. Purpur und Gruͤn mit Schwarz ſieht dunkel und duͤſter, mit Weiß hingegen erfreulich aus.
Hierzu kommt nun noch, daß alle Farben mehr oder weniger beſchmutzt, bis auf einen gewiſſen Grad unkenntlich gemacht, und ſo theils unter ſich ſelbſt,311 theils mit reinen Farben zuſammengeſtellt werden koͤn - nen; wodurch zwar die Verhaͤltniſſe unendlich variirt werden, wobey aber doch alles gilt, was von dem reinen gegolten hat.
Wenn in dem Vorhergehenden die Grundſaͤtze der Farbenharmonie vorgetragen worden; ſo wird es nicht zweckwidrig ſeyn, wenn wir das dort Ausgeſprochene in Verbindung mit Erfahrungen und Beyſpielen noch - mals wiederholen.
Jene Grundſaͤtze waren aus der menſchlichen Na - tur und aus den anerkannten Verhaͤltniſſen der Far - benerſcheinungen abgeleitet. In der Erfahrung be - gegnet uns manches, was jenen Grundſaͤtzen gemaͤß, manches, was ihnen widerſprechend iſt.
Naturmenſchen, rohe Voͤlker, Kinder haben große Neigung zur Farbe in ihrer hoͤchſten Energie, und alſo beſonders zu dem Gelbrothen. Sie haben auch eine Neigung zum Bunten. Das Bunte aber entſteht, wenn die Farben in ihrer hoͤchſten Energie ohne har -312 moniſches Gleichgewicht zuſammengeſtellt worden. Fin - det ſich aber dieſes Gleichgewicht durch Inſtinct, oder zufaͤllig beobachtet, ſo entſteht eine angenehme Wir - kung. Ich erinnere mich, daß ein heſſiſcher Officier, der aus Amerika kam, ſein Geſicht nach Art der Wil - den mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art von Totalitaͤt entſtand, die keine unangenehme Wir - kung that.
Die Voͤlker des ſuͤdlichen Europa’s tragen zu Klei - dern ſehr lebhafte Farben. Die Seidenwaaren, welche ſie leichten Kaufs haben, beguͤnſtigen dieſe Neigung. Auch ſind beſonders die Frauen mit ihren lebhafteſten Miedern und Baͤndern immer mit der Gegend in Har - monie, indem ſie nicht im Stande ſind, den Glanz des Himmels und der Erde zu uͤberſcheinen.
Die Geſchichte der Faͤrberey belehrt uns, daß bey den Trachten der Nationen gewiſſe techniſche Bequem - lichkeiten und Vortheile ſehr großen Einfluß hatten. So ſieht man die Deutſchen viel in Blau gehen, weil es eine dauerhafte Farbe des Tuches iſt; auch in manchen Gegenden, alle Landleute in gruͤnem Zwillich, weil dieſer gedachte Farbe gut annimmt. Moͤchte ein Reiſender hierauf achten, ſo wuͤrden ihm bald ange - nehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen.
Farben, wie ſie Stimmungen hervorbringen, fuͤ - gen ſich auch zu Stimmungen und Zuſtaͤnden. Leb -313 hafte Nationen, z. B. die Franzoſen, lieben die ge - ſteigerten Farben, beſonders der activen Seite; ge - maͤßigte, als Englaͤnder und Deutſche, das Stroh - oder Ledergelb, wozu ſie Dunkelblau tragen. Nach Wuͤrde ſtrebende Nationen, als Italiaͤner und Spa - nier, ziehen die rothe Farbe ihrer Maͤntel auf die paſſive Seite hinuͤber.
Man bezieht bey Kleidungen den Charakter der Farbe auf den Charakter der Perſon. So kann man das Verhaͤltniß der einzelnen Farben und Zuſammen - ſtellungen zu Geſichtsfarbe, Alter und Stand be - obachten.
Die weibliche Jugend haͤlt auf Roſenfarb und Meergruͤn; das Alter auf Violett und Dunkelgruͤn. Die Blondine hat zu Violett und Hellgelb, die Bruͤ - nette zu Blau und Gelbroth Neigung, und ſaͤmmtlich mit Recht.
Die roͤmiſchen Kaiſer waren auf den Purpur hoͤchſt eiferſuͤchtig. Die Kleidung des chineſiſchen Kai - ſers iſt Orange mit Purpur geſtickt. Citronengelb duͤr - fen auch ſeine Bedienten und die Geiſtlichen tragen.
Gebildete Menſchen haben einige Abneigung vor Farben. Es kann dieſes theils aus Schwaͤche des Organs, theils aus Unſicherheit des Geſchmacks ge - ſchehen, die ſich gern in das voͤllige Nichts fluͤchtet. 314Die Frauen gehen nunmehr faſt durchgaͤngig weiß, und die Maͤnner ſchwarz.
Ueberhaupt aber ſteht hier eine Beobachtung nicht am unrechten Platze, daß der Menſch, ſo gern er ſich auszeichnet, ſich auch eben ſo gern unter ſeines Glei - chen verlieren mag.
Die ſchwarze Farbe ſollte den venetianiſchen Edel - mann an eine republicaniſche Gleichheit erinnern.
In wiefern der truͤbe nordiſche Himmel die Far - ben nach und nach vertrieben hat, ließe ſich vielleicht auch noch unterſuchen.
Man iſt freylich bey dem Gebrauch der ganzen Farben ſehr eingeſchraͤnkt; dahingegen die beſchmuzten, getoͤdteten, ſogenannten Modefarben unendlich viele abweichende Grade und Schattirungen zeigen, wovon die meiſten nicht ohne Anmuth ſind.
Zu bemerken iſt noch, daß die Frauenzimmer bey ganzen Farben in Gefahr kommen, eine nicht ganz lebhafte Geſichtsfarbe noch unſcheinbarer zu machen; wie ſie denn uͤberhaupt genoͤthigt ſind, ſobald ſie einer glaͤnzenden Umgebung das Gleichgewicht halten ſollen, ihre Geſichtsfarbe durch Schminke zu erhoͤhen.
Hier waͤre nun noch eine artige Arbeit zu machen uͤbrig, naͤmlich eine Beurtheilung der Uniformen, Livreen, Cocarden und andrer Abzeichen, nach den oben aufgeſtellten Grundſaͤtzen. Man koͤnnte im Allge - meinen ſagen, daß ſolche Kleidungen oder Abzeichen keine harmoniſchen Farben haben duͤrfen. Die Unifor - men ſollten Charakter und Wuͤrde haben; die Livreen koͤnnen gemein und ins Auge fallend ſeyn. An Bey - ſpielen von guter und ſchlechter Art wuͤrde es nicht fehlen, da der Farbenkreis eng und ſchon oft genug durchprobirt worden iſt.
Aus der ſinnlichen und ſittlichen Wirkung der Farben, ſowohl einzeln als in Zuſammenſtellung, wie wir ſie bisher vorgetragen haben, wird nun fuͤr den Kuͤnſtler die aͤſthetiſche Wirkung abgeleitet. Wir wol - len auch daruͤber die noͤthigſten Winke geben, wenn wir vorher die allgemeine Bedingung maleriſcher Dar - ſtellung, Licht und Schatten, abgehandelt, woran ſich die Farbenerſcheinung unmittelbar anſchließt.
Das Helldunkel, clair-obscur, nennen wir die Erſcheinung koͤrperlicher Gegenſtaͤnde, wenn an denſel - ben nur die Wirkung des Lichtes und Schattens be - trachtet wird.
Im engern Sinne wird auch manchmal eine Schat - tenpartie, welche durch Reflexe beleuchtet wird, ſo ge - nannt; doch wir brauchen hier das Wort in ſeinem er - ſten allgemeinern Sinne.
Die Trennung des Helldunkels von aller Farben - erſcheinung iſt moͤglich und noͤthig. Der Kuͤnſtler wird das Raͤthſel der Darſtellung eher loͤſen, wenn er ſich zuerſt das Helldunkel unabhaͤngig von Farben denkt, und daſſelbe in ſeinem ganzen Umfange kennen lernt.
Das Helldunkel macht den Koͤrper als Koͤrper er - ſcheinen, indem uns Licht und Schatten von der Dich - tigkeit belehrt.
Es kommt dabey in Betracht das hoͤchſte Licht, die Mitteltinte, der Schatten, und bey dem letzten317 wieder der eigene Schatten des Koͤrpers, der auf andre Koͤrper geworfene Schatten, der erhellte Schatten oder Reflex.
Zum natuͤrlichſten Beyſpiel fuͤr das Helldunkel waͤre die Kugel guͤnſtig, um ſich einen allgemeinen Begriff zu bilden, aber nicht hinlaͤnglich zum aͤſthetiſchen Ge - brauch. Die verfließende Einheit einer ſolchen Run - dung fuͤhrt zum Nebuliſtiſchen. Um Kunſtwirkungen zu erzwecken, muͤſſen an ihr Flaͤchen hervorgebracht werden, damit die Theile der Schatten - und Lichtſeite ſich mehr in ſich ſelbſt abſondern.
Die Italiaͤner nennen dieſes il piazzoſo; man koͤnnte es im Deutſchen das Flaͤchenhafte nennen. Wenn nun alſo die Kugel ein vollkommenes Beyſpiel des natuͤrlichen Helldunkels waͤre; ſo wuͤrde ein Vieleck ein Beyſpiel des kuͤnſtlichen ſeyn, wo alle Arten von Lichtern, Halblichtern, Schatten und Reflexen bemerk - lich waͤren.
Die Traube iſt als ein gutes Beyſpiel eines ma - leriſchen Ganzen im Helldunkel anerkannt, um ſo mehr als ſie ihrer Form nach eine vorzuͤgliche Gruppe dar - zuſtellen im Stande iſt; aber ſie iſt bloß fuͤr den Mei - ſter tauglich, der das, was er auszuuͤben verſteht, in ihr zu ſehen weiß.
Um den erſten Begriff faßlich zu machen, der ſelbſt von einem Vieleck immer noch ſchwer zu abſtrahiren iſt, ſchlagen wir einen Cubus vor, deſſen drey geſehene Seiten das Licht, die Mitteltinte und den Schatten, abgeſondert neben einander vorſtellen.
Jedoch um zum Helldunkel einer zuſammengeſetz - tern Figur uͤberzugehen, waͤhlen wir das Beyſpiel ei - nes aufgeſchlagenen Buches, welches uns einer groͤßern Mannigfaltigkeit naͤher bringt.
Die antiken Statuen aus der ſchoͤnen Zeit findet man zu ſolchen Wirkungen hoͤchſt zweckmaͤßig gearbeitet. Die Lichtpartieen ſind einfach behandelt, die Schatten - ſeiten deſto mehr unterbrochen, damit ſie fuͤr mannigfal - tige Reflexe empfaͤnglich wuͤrden; wobey man ſich des Beyſpiels vom Vieleck erinnern kann.
Beyſpiele antiker Malerey geben hierzu die her - kulaniſchen Gemaͤlde und die aldobrandiniſche Hochzeit.
Moderne Beyſpiele finden ſich in einzelnen Figu - ren Raphaels, an ganzen Gemaͤlden Correggios, der niederlaͤndiſchen Schule, beſonders des Rubens.
Ein Kunſtwerk ſchwarz und weiß kann in der Malerey ſelten vorkommen. Einige Arbeiten von Po - lydor geben uns davon Beyſpiele, ſo wie unſre Kup - ferſtiche und geſchabten Blaͤtter. Dieſe Arten, in ſo - fern ſie ſich mit Formen und Haltung beſchaͤftigen, ſind ſchaͤtzenswerth; allein ſie haben wenig Gefaͤlliges fuͤrs Auge, indem ſie nur durch eine gewaltſame Abſtraction entſtehen.
Wenn ſich der Kuͤnſtler ſeinem Gefuͤhl uͤberlaͤßt, ſo meldet ſich etwas farbiges gleich. So bald das Schwarze ins Blauliche faͤllt, entſteht eine Forderung des Gelben, das denn der Kuͤnſtler inſtinctmaͤßig vertheilt und theils rein in den Lichtern, theils geroͤthet und beſchmutzt als Braun in den Reflexen, zu Belebung des Ganzen an - bringt, wie es ihm am raͤthlichſten zu ſeyn ſcheint.
Alle Arten von Camayeu, oder Farb’ in Farbe, laufen doch am Ende dahin hinaus, daß ein geforderter Gegenſatz oder irgend eine farbige Wirkung angebracht wird. So hat Polydor in ſeinen ſchwarz und weißen Frescogemaͤlden ein gelbes Gefaͤß, oder ſonſt etwas der Art eingefuͤhrt.
Ueberhaupt ſtrebten die Menſchen in der Kunſt in - ſtinctmaͤßig jederzeit nach Farbe. Man darf nur taͤg - lich beobachten, wie Zeichenluſtige von Tuſche oder ſchwarzer Kreide auf weiß Papier zu farbigem Papier ſich ſteigern; dann verſchiedene Kreiden anwenden und endlich ins Paſtell uͤbergehen. Man ſah in un - ſern Zeiten Geſichter mit Silberſtift gezeichnet, durch rothe Baͤckchen belebt und mit farbigen Kleidern ange - than; ja Silhouetten in bunten Uniformen. Paolo Uccello malte farbige Landſchaften zu farbloſen Fi - guren.
Selbſt die Bildhauerey der Alten konnte dieſem Trieb nicht widerſtehen. Die Aegypter ſtrichen ihre Basreliefs an. Den Statuen gab man Augen von farbigen Steinen. Zu marmornen Koͤpfen und Extre - mitaͤten fuͤgte man porphyrne Gewaͤnder, ſo wie man bunte Kalkſinter zum Sturze der Bruſtbilder nahm. Die Jeſuiten verfehlten nicht, ihren heiligen Aloyſius in Rom auf dieſe Weiſe zuſammen zu ſetzen, und die neuſte Bildhauerey unterſcheidet das Fleiſch durch eine Tinc - tur von den Gewaͤndern.
Wenn die Linearperſpective die Abſtufung der Ge - genſtaͤnde in ſcheinbarer Groͤße durch Entfernung zeigt; ſo laͤßt uns die Luftperſpective die Abſtufung der Ge - genſtaͤnde in mehr oder minderer Deutlichkeit durch Entfernung ſehen.
Ob wir zwar entfernte Gegenſtaͤnde nach der Na - tur unſres Auges nicht ſo deutlich ſehen als naͤhere; ſo ruht doch die Luftperſpective eigentlich auf dem wich - tigen Satz, daß alle durchſichtigen Mittel einigermaßen truͤbe ſind.
Die Atmoſphaͤre iſt alſo immer mehr oder weniger truͤb. Beſonders zeigt ſie dieſe Eigenſchaft in den ſuͤd - lichen Gegenden bey hohem Barometerſtand, trocknem Wetter und wolkenloſem Himmel, wo man eine ſehr merkliche Abſtufung wenig auseinanderſtehender Gegen - ſtaͤnde beobachten kann.
Im Allgemeinen iſt dieſe Erſcheinung jedermann be - kannt; der Maler hingegen ſieht die Abſtufung bey den geringſten Abſtaͤnden, oder glaubt ſie zu ſehen. ErI. 21322ſtellt ſie praktiſch dar, indem er die Theile eines Koͤr - pers, z. B. eines voͤllig vorwaͤrts gekehrten Geſichtes, von einander abſtuft. Hiebey behauptet Beleuchtung ihre Rechte. Dieſe kommt von der Seite in Betracht, ſo wie die Haltung von vorn nach der Tiefe zu.
Indem wir nunmehr zur Farbengebung uͤbergehen, ſetzen wir voraus, daß der Maler uͤberhaupt mit dem Entwurf unſerer Farbenlehre bekannt ſey und ſich ge - wiſſe Kapitel und Rubriken, die ihn vorzuͤglich beruͤh - ren, wohl zu eigen gemacht habe: denn ſo wird er ſich im Stande befinden, das Theoretiſche ſowohl als das Praktiſche, im Erkennen der Natur und im An - wenden auf die Kunſt, mit Leichtigkeit zu behan - deln.
Die erſte Erſcheinung des Colorits tritt in der Natur gleich mit der Haltung ein: denn die Luftper -323 ſpective beruht auf der Lehre von den truͤben Mitteln. Wir ſehen den Himmel, die entfernten Gegenſtaͤnde, ja die nahen Schatten blau. Zugleich erſcheint uns das Leuchtende und Beleuchtete ſtufenweiſe Gelb bis zur Purpurfarbe. In manchen Faͤllen tritt ſogleich die phyſiologiſche Forderung der Farben ein, und eine ganz farbloſe Landſchaft wird durch dieſe mit und ge - gen einander wirkenden Beſtimmungen vor unſerm Auge voͤllig farbig erſcheinen.
Localfarben ſind die allgemeinen Elementarfarben, aber nach den Eigenſchaften der Koͤrper und ihrer Oberflaͤchen, an denen wir ſie gewahr werden, ſpecifi - cirt. Dieſe Specification geht bis ins Unendliche.
Es iſt ein großer Unterſchied, ob man gefaͤrbte Seide oder Wolle vor ſich hat. Jede Art des Berei - tens und Webens bringt ſchon Abweichungen hervor. Rauhigkeit, Glaͤtte, Glanz kommen in Betrachtung.
Es iſt daher ein der Kunſt ſehr ſchaͤdliches Vorurtheil, daß der gute Maler keine Ruͤckſicht auf den Stoff der21 *324Gewaͤnder nehmen, ſondern nur immer gleichſam ab - ſtracte Falten malen muͤſſe. Wird nicht hierdurch alle charakteriſtiſche Abwechſlung aufgehoben, und iſt das Portraͤt von Leo X. deshalb weniger trefflich, weil au dieſem Bilde Sammt, Atlas und Mohr neben einander nachgeahmt ward?
Bey Naturproducten erſcheinen die Farben mehr oder weniger modificirt, ſpecificirt, ja individualiſirt; welches bey Steinen und Pflanzen, bey den Federn der Voͤgel und den Haaren der Thiere wohl zu beob - achten iſt.
Die Hauptkunſt des Malers bleibt immer, daß er die Gegenwart des beſtimmten Stoffes nachahme und das Allgemeine, Elementare der Farbenerſcheinung zerſtoͤre. Die hoͤchſte Schwierigkeit findet ſich hier bey der Ober - flaͤche des menſchlichen Koͤrpers.
Das Fleiſch ſteht im Ganzen auf der activen Sei - te; doch ſpielt das Blauliche der paſſiven auch mit herein. Die Farbe iſt durchaus ihrem elementaren Zuſtande entruͤckt und durch Organiſation neutra - liſirt.
Das Colorit des Ortes und das Colorit der Ge - genſtaͤnde in Harmonie zu bringen, wird nach Betrach -325 tung deſſen, was von uns in der Farbenlehre abgehan - delt worden, dem geiſtreichen Kuͤnſtler leichter werden, als bisher der Fall war, und er wird im Stande ſeyn, unendlich ſchoͤne, mannigfaltige und zugleich wah - re Erſcheinungen darzuſtellen.
Die Zuſammenſtellung farbiger Gegenſtaͤnde ſowohl als die Faͤrbung des Raums, in welchem ſie enthalten ſind, ſoll nach Zwecken geſchehen, welche der Kuͤnſtler ſich vorſetzt. Hiezu iſt beſonders die Kenntniß der Wir - kung der Farben auf Empfindung, ſowohl im Einzel - nen als in Zuſammenſtellung, noͤthig. Deshalb ſich denn der Maler von dem allgemeinen Dualism ſo - wohl als von den beſondern Gegenſaͤtzen penetriren ſoll; wie er denn uͤberhaupt wohl inne haben muͤßte, was wir von den Eigenſchaften der Farben geſagt haben.
Das Charakteriſtiſche kann unter drey Hauptrubri - ken begriffen werden, die wir einſtweilen durch das Maͤchtige, das Sanfte und das Glaͤnzende bezeichnen wollen.
Das erſte wird durch das Uebergewicht der activen, das zweyte durch das Uebergewicht der paſſiven Seite,326 das dritte durch Totalitaͤt und Darſtellung des ganzen Farbenkreiſes im Gleichgewicht hervorgebracht.
Der maͤchtige Effect wird erreicht durch Gelb, Gelbroth und Purpur, welche letzte Farbe auch noch auf der Plusſeite zu halten iſt. Wenig Violett und Blau, noch weniger Gruͤn iſt anzubringen. Der ſanfte Effect wird durch Blau, Violett und Purpur, welcher jedoch auf die Minusſeite zu fuͤhren iſt, hervorgebracht. Wenig Gelb und Gelbroth, aber viel Gruͤn, kann ſtatt finden.
Wenn man alſo dieſe beyden Effecte in ihrer vol - len Bedeutung hervorbringen will, ſo kann man die geforderten Farben bis auf ein Minimum ausſchließen und nur ſo viel von ihnen ſehen laſſen, als eine Ahn - dung der Totalitaͤt unweigerlich zu verlangen ſcheint.
Obgleich die beyden charakteriſtiſchen Beſtimmungen, nach der eben angezeigten Weiſe, auch gewiſſermaßen harmoniſch genannt werden koͤnnen; ſo entſteht doch die eigentliche harmoniſche Wirkung nur alsdann, wenn327 alle Farben neben einander im Gleichgewicht angebracht ſind.
Man kann hiedurch das Glaͤnzende ſowohl als das Angenehme hervorbringen, welche beyde jedoch immer etwas Allgemeines und in dieſem Sinne etwas Charak - terloſes haben werden.
Hierin liegt die Urſache, warum das Colorit der meiſten Neuern charakterlos iſt; denn indem ſie nur ihrem Inſtinct folgen, ſo bleibt das Letzte, wohin er ſie fuͤhren kann, die Totalitaͤt, die ſie mehr oder weni - ger erreichen, dadurch aber zugleich den Charakter ver - ſaͤumen, den das Bild allenfalls haben koͤnnte.
Hat man hingegen jene Grundſaͤtze im Auge, ſo ſieht man, wie ſich fuͤr jeden Gegenſtand mit Sicher - heit eine andre Farbenſtimmung waͤhlen laͤßt. Freylich fordert die Anwendung unendliche Modificationen, wel - che dem Genie allein, wenn es von dieſen Grundſaͤtzen durchdrungen iſt, gelingen werden.
Wenn man das Wort Ton, oder vielmehr Ton - art, auch noch kuͤnftig von der Muſik borgen und bey328 der Farbengebung brauchen will; ſo wird es in einem beſſern Sinne als bisher geſchehen koͤnnen.
Man wuͤrde nicht mit Unrecht ein Bild von maͤch - tigem Effect, mit einem muſikaliſchen Stuͤcke aus dem Durton; ein Gemaͤlde von ſanftem Effect, mit einem Stuͤcke aus dem Molton vergleichen; ſo wie man fuͤr die Modification dieſer beyden Haupteffecte andre Ver - gleichungen finden koͤnnte.
Was man bisher Ton nannte, war ein Schleyer von einer einzigen Farbe uͤber das ganze Bild gezogen. Man nahm ihn gewoͤhnlich gelb, indem man aus In - ſtinct das Bild auf die maͤchtige Seite treiben wollte.
Wenn man ein Gemaͤlde durch ein gelbes Glas anſieht, ſo wird es uns in dieſem Ton erſcheinen. Es iſt der Muͤhe werth, dieſen Verſuch zu machen und zu wiederholen, um genau kennen zu lernen, was bey ei - ner ſolchen Operation eigentlich vorgeht. Es iſt eine Art Nachtbeleuchtung, eine Steigerung, aber zugleich Verduͤſterung der Plusſeite, und eine Beſchmutzung der Minusſeite.
Dieſer unechte Ton iſt durch Inſtinct aus Unſi - cherheit deſſen, was zu thun ſey, entſtanden; ſo daß man anſtatt der Totalitaͤt eine Uniformitaͤt hervor - brachte.
Eben dieſe Unſicherheit iſt Urſache, daß man die Farben der Gemaͤlde ſo ſehr gebrochen hat, daß man aus dem Grauen heraus, und in das Graue hinein malt, und die Farbe ſo leiſe behandelt als moͤglich.
Man findet in ſolchen Gemaͤlden oft die harmoni - ſchen Gegenſtellungen recht gluͤcklich, aber ohne Muth, weil man ſich vor dem Bunten fuͤrchtet.
Bunt kann ein Gemaͤlde leicht werden, in welchem man bloß empiriſch, nach unſichern Eindruͤcken, die Farben in ihrer ganzen Kraft neben einander ſtellen wollte.
Wenn man dagegen ſchwache, obgleich widrige Farben neben einander ſetzt, ſo iſt freylich der Effect nicht auffallend. Man traͤgt ſeine Unſicherheit auf den Zuſchauer hinuͤber, der denn an ſeiner Seite weder lo - ben noch tadeln kann.
Auch iſt es eine wichtige Betrachtung, daß man zwar die Farben unter ſich in einem Bilde richtig auf - ſtellen koͤnne, daß aber doch ein Bild bunt werden muͤſſe, wenn man die Farben in Bezug auf Licht und Schatten falſch anwendet.
Es kann dieſer Fall um ſo leichter eintreten, als Licht und Schatten ſchon durch die Zeichnung gegeben und in derſelben gleichſam enthalten iſt, dahingegen die Farbe der Wahl und Willkuͤhr noch unterworfen bleibt.
Man fand bisher bey den Malern eine Furcht, ja eine entſchiedene Abneigung gegen alle theoretiſche Betrachtungen uͤber die Farbe und was zu ihr gehoͤrt;331 welches ihnen jedoch nicht uͤbel zu deuten war. Denn das bisher ſogenannte Theoretiſche war grundlos, ſchwankend und auf Empirie hindeutend. Wir wuͤn - ſchen, daß unſre Bemuͤhungen dieſe Furcht einigermaßen vermindern und den Kuͤnſtler anreizen moͤgen, die auf - geſtellten Grundſaͤtze praktiſch zu pruͤfen und zu be - leben.
Denn ohne Ueberſicht des Ganzen wird der letzte Zweck nicht erreicht. Von allem dem, was wir bisher vorgetragen, durchdringe ſich der Kuͤnſtler. Nur durch die Einſtimmung des Lichtes und Schattens, der Hal - tung, der wahren und charakteriſtiſchen Farbengebung kann das Gemaͤlde von der Seite, von der wir es ge - genwaͤrtig betrachten, als vollendet erſcheinen.
Es war die Art der aͤltern Kuͤnſtler, auf hellen Grund zu malen. Er beſtand aus Kreide und wurde332 auf Leinwand oder Holz ſtark aufgetragen und polirt. Sodann wurde der Umriß aufgezeichnet und das Bild mit einer ſchwaͤrzlichen oder braͤunlichen Farbe ausge - tuſcht. Dergleichen auf dieſe Art zum Coloriren vorbe - reitete Bilder ſind noch uͤbrig von Leonardo da Vin - ci, Fra Bartolomeo und mehrere von Guido.
Wenn man zur Colorirung ſchritt und weiße Ge - waͤnder darſtellen wollte; ſo ließ man zuweilen dieſen Grund ſtehen. Tizian that es in ſeiner ſpaͤtern Zeit, wo er die große Sicherheit hatte, und mit wenig Muͤ - he viel zu leiſten wußte. Der weißliche Grund wurde als Mitteltinte behandelt, die Schatten aufgetragen und die hohen Lichter aufgeſetzt.
Beym Coloriren war das untergelegte gleichſam getuſchte Bild immer wirkſam. Man malte z. B. ein Gewand mit einer Laſurfarbe, und das Weiße ſchien durch und gab der Farbe ein Leben, ſo wie der ſchon fruͤher zum Schatten angelegte Theil die Farbe gedaͤmpft zeigte, ohne daß ſie gemiſcht oder beſchmutzt geweſen waͤre.
Dieſe Methode hatte viele Vortheile. Denn an den lichten Stellen des Bildes hatte man einen hel - len, an den beſchatteten einen dunkeln Grund. Das ganze Bild war vorbereitet; man konnte mit leichten Farben malen, und man war der Uebereinſtimmung333 des Lichtes mit den Farben gewiß. Zu unſern Zeiten ruht die Aquarellmalerey auf dieſen Grundſaͤtzen.
Uebrigens wird in der Oelmalerey gegenwaͤrtig durchaus ein heller Grund gebraucht, weil Mitteltin - ten mehr oder weniger durchſichtig ſind, und alſo durch einen hellen Grund einigermaßen belebt, ſo wie die Schatten ſelbſt nicht ſo leicht dunkel werden.
Auf dunkle Gruͤnde malte man auch eine Zeit - lang. Wahrſcheinlich hat ſie Tintoret eingefuͤhrt; ob Giorgione ſich derſelben bedient, iſt nicht bekannt. Ti - zians beſte Bilder ſind nicht auf dunkeln Grund ge - malt.
Ein ſolcher Grund war rothbraun, und wenn auf denſelben das Bild aufgezeichnet war, ſo wurden die ſtaͤrkſten Schatten aufgetragen, die Lichtfarben im - paſtirte man auf den hohen Stellen ſehr ſtark und ver - trieb ſie gegen den Schatten zu; da denn der dunkle Grund durch die verduͤnnte Farbe als Mitteltinte durch - ſah. Der Effect wurde beym Ausmalen durch mehr - maliges Uebergehen der lichten Partieen und Aufſetzen der hohen Lichter erreicht.
Wenn dieſe Art ſich beſonders wegen der Ge - ſchwindigkeit bey der Arbeit empfielt, ſo hat ſie doch334 in der Folge viel Schaͤdliches. Der energiſche Grund waͤchſt und wird dunkler; was die hellen Farben nach und nach an Klarheit verlieren, giebt der Schattenſeite immer mehr und mehr Uebergewicht. Die Mitteltinten werden immer dunkler und der Schatten zuletzt ganz finſter. Die ſtark aufgetragenen Lichter bleiben allein hell und man ſieht nur lichte Flecken auf dem Bilde; wo - von uns die Gemaͤlde der bologneſiſchen Schule und des Caravaggio genugſame Beyſpiele geben.
Auch iſt nicht unſchicklich, hier noch zum Schluſſe des Laſirens zu erwaͤhnen. Dieſes geſchieht, wenn man eine ſchon aufgetragene Farbe als hellen Grund be - trachtet. Man kann eine Farbe dadurch fuͤrs Auge miſchen, ſie ſteigern, ihr einen ſogenannten Ton geben; man macht ſie dabey aber immer dunkler.
Wir empfangen ſie aus der Hand des Chemikers und Naturforſchers. Manches iſt daruͤber aufgezeichnet und durch den Druck bekannt geworden; doch ver - diente dieſes Capitel von Zeit zu Zeit neu bearbeitet zu werden. Indeſſen theilt der Meiſter ſeine Kennt -335 niſſe hieruͤber dem Schuͤler mit, der Kuͤnſtler dem Kuͤnſtler.
Diejenigen Pigmente, welche ihrer Natur nach die dauerhafteſten ſind, werden vorzuͤglich ausgeſucht; aber auch die Behandlungsart traͤgt viel zur Dauer des Bildes bey. Deswegen ſind ſo wenig Farbenkoͤrper als moͤglich anzuwenden, und die ſimpelſte Methode des Auftrags nicht genug zu empfehlen.
Denn aus der Menge der Pigmente iſt manches Uebel fuͤr das Colorit entſprungen. Jedes Pigment hat ſein eigenthuͤmliches Weſen in Abſicht ſeiner Wir - kung aufs Auge; ferner etwas Eigenthuͤmliches, wie es techniſch behandelt ſeyn will. Jenes iſt Urſache, daß die Harmonie ſchwerer durch mehrere als durch wenige Pigmente zu erreichen iſt; dieſes, daß chemiſche Wir - kung und Gegenwirkung unter den Farbekoͤrpern ſtatt finden kann.
Ferner gedenken wir noch einiger falſchen Rich - tungen, von denen ſich die Kuͤnſtler hinreißen laſſen. Die Maler begehren immer nach neuen Farbekoͤr - pern, und glauben, wenn ein ſolcher gefunden wird, einen Vorſchritt in der Kunſt gethan zu haben. Sie tragen großes Verlangen, die alten mecha - niſchen Behandlungsarten kennen zu lernen, wodurch ſie viel Zeit verlieren; wie wir uns denn zu Ende des vorigen Jahrhunderts mit der Wachsmalerey viel336 zu lange gequaͤlt haben. Andre gehen darauf aus, neue Behandlungsarten zu erfinden; wodurch denn auch weiter nichts gewonnen wird. Denn es iſt zuletzt doch nur der Geiſt, der jede Technik lebendig macht.
Es iſt oben umſtaͤndlich nachgewieſen worden, daß eine jede Farbe einen beſondern Eindruck auf den Menſchen mache, und dadurch ihr Weſen ſowohl dem Auge als Gemuͤth offenbare. Daraus folgt ſogleich, daß die Farbe ſich zu gewiſſen ſinnlichen, ſittlichen, aͤſthetiſchen Zwecken anwenden laſſe.
Einen ſolchen Gebrauch alſo, der mit der Na - tur voͤllig uͤbereintraͤfe, koͤnnte man den ſymboliſchen nennen, indem die Farbe ihrer Wirkung gemaͤß an - gewendet wuͤrde, und das wahre Verhaͤltniß ſogleich die Bedeutung ausſpraͤche. Stellt man z. B. den Purpur als die Majeſtaͤt bezeichnend auf, ſo wird wohl kein Zweifel ſeyn, daß der rechte Ausdruck ge - funden worden; wie ſich alles dieſes ſchon oben hin - reichend auseinandergeſetzt findet.
Hiermit iſt ein anderer Gebrauch nahe verwandt, den man den allegoriſchen nennen koͤnnte. Bey dieſem iſt mehr zufaͤlliges und willkuͤhrliches, ja man kann ſagen etwas Conventionelles, indem uns erſt der Sinn des Zeichens uͤberliefert werden muß, ehe wir wiſſen, was es bedeuten ſoll, wie es ſich z. B. mit der gruͤnen Farbe verhaͤlt, die man der Hoff - nung zugetheilt hat.
Daß zuletzt auch die Farbe eine myſtiſche Deu - tung erlaube, laͤßt ſich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin ſich die Farbenmannigfaltigkeit dar - ſtellen laͤßt, ſolche Urverhaͤltniſſe andeutet, die ſowohl der menſchlichen Anſchauung als der Natur angehoͤren, ſo iſt wohl kein Zweifel, daß man ſich ihrer Bezuͤge, gleichſam als einer Sprache, auch da bedienen koͤnne, wenn man Urverhaͤltniſſe ausdruͤcken will, die nicht eben ſo maͤchtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker ſchaͤtzt den Werth und Gebrauch des Triangels; der Triangel ſteht bey dem Myſtiker in großer Verehrung; gar manches laͤßt ſich im Tri - angel ſchematiſiren und die Farbenerſcheinung gleich - falls, und zwar dergeſtalt, daß man durch Verdopp - lung und Verſchraͤnkung zu dem alten geheimnißvollen Sechseck gelangt.
Wenn man erſt das Auseinandergehen des Gelben und Blauen wird recht gefaßt, beſondersI. 22338aber die Steigerung ins Rothe genugſam betrach - tet haben, wodurch das Entgegengeſetzte ſich ge - gen einander neigt, und ſich in einem Dritten verei - nigt; dann wird gewiß eine beſondere geheimnißvolle Anſchauung eintreten, daß man dieſen beyden getrenn - ten, einander entgegengeſetzten Weſen eine geiſtige Bedeutung unterlegen koͤnne, und man wird ſich kaum enthalten, wenn man ſie unterwaͤrts das Gruͤn, und oberwaͤrts das Roth hervorbringen ſieht, dort an die irdiſchen, hier an die himmliſchen Ausgeburten der Elohim zu gedenken.
Doch wir thun beſſer, uns nicht noch zum Schluſſe dem Verdacht der Schwaͤrmerey auszuſetzen, um ſo mehr als es, wenn unſre Farbenlehre Gunſt gewinnt, an allegoriſchen ſymboliſchen und myſtiſchen Anwen - dungen und Deutungen, dem Geiſte der Zeit gemaͤß, gewiß nicht fehlen wird.
Das Beduͤrfniß des Malers, der in der bisheri - gen Theorie keine Huͤlfe fand, ſondern ſeinem Gefuͤhl, ſeinem Geſchmack, einer unſichern Ueberlieferung in Abſicht auf die Farbe voͤllig uͤberlaſſen war, ohne ir - gend ein phyſiſches Fundament gewahr zu werden, worauf er ſeine Ausuͤbung haͤtte gruͤnden koͤnnen, dieſes Beduͤrfniß war der erſte Anlaß, der den Verfaſſer ver - mochte, in eine Bearbeitung der Farbenlehre ſich ein - zulaſſen. Da nichts wuͤnſchenswerther iſt, als daß dieſe theoretiſche Ausfuͤhrung bald im Praktiſchen ge - nutzt und dadurch gepruͤft und ſchnell weiter gefuͤhrt werde; ſo muß es zugleich hoͤchſt willkommen ſeyn, wenn wir finden, daß Kuͤnſtler ſelbſt ſchon den Weg einſchlagen, den wir fuͤr den rechten halten.
Ich laſſe daher zum Schluß, um hiervon ein Zeugniß abzugeben, den Brief eines talentvollen Ma - lers, des Herrn Philipp Otto Runge, mit Ver - gnuͤgen abdrucken, eines jungen Mannes, der ohne von meinen Bemuͤhungen unterrichtet zu ſeyn, durch Naturel, Uebung und Nachdenken ſich auf die glei - chen Wege gefunden hat. Man wird in dieſem Briefe, den ich ganz mittheile, weil ſeine ſaͤmmtlichen Glie - der in einem innigen Zuſammenhange ſtehen, bey auf - merkſamer Vergleichung gewahr werden, daß mehrere Stellen genau mit meinem Entwurf uͤbereinkommen,22 *340daß andere ihre Deutung und Erlaͤuterung aus mei - ner Arbeit gewinnen koͤnnen, und daß dabey der Ver - faſſer in mehreren Stellen mit lebhafter Ueberzeugung und wahrem Gefuͤhle mir ſelbſt auf meinem Gange vorgeſchritten iſt. Moͤge ſein ſchoͤnes Talent praktiſch bethaͤtigen, wovon wir uns beyde uͤberzeugt halten, und moͤchten wir bey fortgeſetzter Betrachtung und Aus - uͤbung mehrere gewogene Mitarbeiter finden.
Wollgaſt den 3. Julii 1806.
Nach einer kleinen Wanderung, die ich durch un - ſere anmuthige Inſel Ruͤgen gemacht hatte, wo der ſtille Ernſt des Meeres von den freundlichen Halbinſeln und Thaͤlern, Huͤgeln und Felſen, auf mannigfaltige Art unterbrochen wird, fand ich zu dem freundlichen Willkommen der Meinigen, auch noch Ihren werthen Brief; und es iſt eine große Beruhigung fuͤr mich, meinen herzlichen Wunſch in Erfuͤllung gehen zu ſehen, daß meine Arbeiten doch auf irgend eine Art anſpre - chen moͤchten. Ich empfinde es ſehr, wie Sie ein Beſtreben, was auch außer der Richtung, die Sie der Kunſt wuͤnſchen, liegt, wuͤrdigen; und es wuͤrde eben ſo albern ſeyn, Ihnen meine Urſachen, warum ich ſo arbeite, zu ſagen, als wenn ich bereden wollte, die meinige waͤre die rechte.
Wenn die Praktik fuͤr Jeden mit ſo großen Schwierigkeiten verbunden iſt, ſo iſt ſie es in unſern Zeiten im hoͤchſten Grade. Fuͤr den aber, der in ei - nem Alter, wo der Verſtand ſchon eine große Ober - hand erlangt hat, erſt anfaͤngt, ſich in den Anfangs -341 gruͤnden zu uͤben, wird es unmoͤglich, ohne zu Grunde zu gehen, aus ſeiner Individualitaͤt heraus ſich in ein allgemeines Beſtreben zu verſetzen.
Derjenige, der, indem er ſich in der unendlichen Fuͤlle von Leben, die um ihn ausgebreitet iſt, ver - liert, und unwiderſtehlich dadurch zum Nachbilden an - gereizt wird, ſich von dem totalen Eindrucke eben ſo gewaltig ergriffen fuͤhlt, wird gewiß auf eben die Weiſe, wie er in das Charakteriſtiſche der Einzelnhei - ten eingeht, auch in das Verhaͤltniß, die Natur und die Kraͤfte der großen Maſſen einzudringen ſuchen.
Wer in dem beſtaͤndigen Gefuͤhl, wie alles bis ins kleinſte Detail lebendig iſt, und auf einander wirkt, die großen Maſſen betrachtet, kann ſolche nicht ohne eine beſondere Connexion oder Verwandtſchaft ſich denken, noch viel weniger darſtellen, ohne ſich auf die Grundurſachen einzulaſſen. Und thut er dieß, ſo kann er nicht eher wieder zu der erſten Freyheit ge - langen, wenn er ſich nicht gewiſſermaßen bis auf den reinen Grund durchgearbeitet hat.
Um es deutlicher zu machen, wie ich es meyne: ich glaube, daß die alten deutſchen Kuͤnſtler, wenn ſie etwas von der Form gewußt haͤtten, die Unmit - telbarkeit und Natuͤrlichkeit des Ausdrucks in ihren Figuren wuͤrden verloren haben, bis ſie in dieſer Wiſ - ſenſchaft einen gewiſſen Grad erlangt haͤtten.
Es hat manchen Menſchen gegeben, der aus freyer Fauſt Bruͤcken und Haͤngewerke und gar kuͤnſtliche Sa - chen gebaut hat. Es geht auch wohl eine Zeit lang, wann er aber zu einer gewiſſen Hoͤhe gekommen und342 er von ſelbſt auf mathematiſche Schluͤſſe verfaͤllt, ſo iſt ſein ganzes Talent fort, er arbeite ſich denn durch die Wiſſenſchaft durch wieder in die Freyheit hinein.
So iſt es mir unmoͤglich geweſen, ſeit ich zuerſt mich uͤber die beſondern Erſcheinungen bey der Mi - ſchung der drey Farben verwunderte, mich zu beru - higen, bis ich ein gewiſſes Bild von der ganzen Far - benwelt hatte, welches groß genug waͤre, um alle Verwandlungen und Erſcheinungen in ſich zu ſchließen.
Es iſt ein ſehr natuͤrlicher Gedanke fuͤr einen Ma - ler, wenn er zu wiſſen begehrt, indem er eine ſchoͤne Gegend ſieht, oder auf irgend eine Art von einem Effect in der Natur angeſprochen wird, aus welchen Stoffen gemiſcht dieſer Effect wieder zu geben waͤre. Dieß hat mich wenigſtens angetrieben, die Eigenhei - ten der Farben zu ſtudiren, und ob es moͤglich waͤre, ſo tief einzudringen in ihre Kraͤfte, damit es mir deut - licher wuͤrde, was ſie leiſten, oder was durch ſie ge - wirkt wird, oder was auf ſie wirkt. Ich hoffe, daß Sie mit Schonung einen Verſuch anſehen, den ich bloß aufſchreibe, um Ihnen meine Anſicht deutlich zu machen, die, wie ich doch glaube, ſich praktiſch nur ganz auszuſprechen vermag. Indeß hoffe ich nicht, daß es fuͤr die Malerey unnuͤtz iſt, oder nur entbehrt werden kann, die Farben von dieſer Seite anzuſehen; auch wird dieſe Anſicht den phyſikaliſchen Verſuchen, et - was vollſtaͤndiges uͤber die Farben zu erfahren, weder widerſprechen, noch ſie unnoͤthig machen.
Da ich Ihnen hier aber keine unumſtoͤßlichen Be - weiſe vorlegen kann, weil dieſe auf eine vollſtaͤndige343 Erfahrung begruͤndet ſeyn muͤſſen, ſo bitte ich nur, daß Sie auf Ihr eignes Gefuͤhl ſich reduciren moͤchten, um zu verſtehen, wie ich meynte, daß ein Maler mit keinen andern Elementen zu thun haͤtte, als mit de - nen, die Sie hier angegeben finden.
1) Drey Farben, Gelb, Roth und Blau, gibt es bekanntlich nur, wenn wir dieſe in ihrer ganzen Kraft annehmen, und ſtellen ſie uns wie einen Cirkel vor, z. B. (ſiehe die Tafeln).
ſo bilden ſich aus den drey Farben, Gelb, Roth und Blau drey Uebergaͤnge, Orange, Violett und Gruͤn (ich heiße alles Orange, was zwiſchen Gelb und Roth faͤllt, oder was von Gelb oder Roth aus ſich nach dieſen Seiten hinneigt) und dieſe ſind in ihrer mittleren Stellung am brillanteſten und die reinen Mi - ſchungen der Farben.
2) Wenn man ſich ein blaͤuliches Orange, ein roͤthliches Gruͤn oder ein gelbliches Violett denken will, wird einem ſo zu Muthe wie bey einem ſuͤdweſtlichen344 Nordwinde. Wie ſich aber ein warmes Violett erklaͤ - ren laͤßt, gibt es im Verfolg vielleicht Materie.
3) Zwey reine Farben wie Gelb und Roth geben eine reine Miſchung Orange. Wenn man aber zu ſol - cher Blau miſcht, ſo wird ſie beſchmutzt, alſo daß wenn ſie zu gleichen Theilen geſchieht, alle Farbe in ein unſcheinendes Grau aufgehoben iſt.
Zwey reine Farben laſſen ſich miſchen, zwey Mit - telfarben aber heben ſich einander auf oder beſchmutzen ſich, da ein Theil von der dritten Farbe hinzugekom - men iſt.
Wenn die drey reinen Farben ſich einander aufhe - ben in Grau, ſo thun die drey Miſchungen, Oran - ge, Violett und Gruͤn daſſelbe in ihrer mittlern Stel - lung, weil die drey Farben wieder gleich ſtark darin ſind.
Da nun in dieſem ganzen Kreiſe nur die reinen Uebergaͤnge der drey Farben liegen und ſie durch ihre Miſchung nur den Zuſatz von Grau erhalten, ſo liegt außer ihnen zur groͤßern Vervielfaͤltigung noch Weiß und Schwarz.
4) Das Weiß macht durch ſeine Beymiſchung alle Farben matter, und wenn ſie gleich heller wer - den, ſo verlieren ſie doch ihre Klarheit und Feuer.
5) Schwarz macht alle Farben ſchmutzig, und wenn es ſolche gleich dunkler macht, ſo verlieren ſie eben ſo wohl ihre Reinheit und Klarheit.
6) Weiß und Schwarz mit einander gemiſcht gibt Grau.
3457) Man empfindet ſehr leicht, daß in dem Um - fang von den drey Farben nebſt Weiß und Schwarz der durch unſre Augen empfundene Eindruck der Na - tur in ſeinen Elementen nicht erſchoͤpft iſt. Da Weiß die Farben matt, und Schwarz ſie ſchmutzig macht, werden wir daher geneigt, ein Hell und Dunkel anzu - nehmen. Die folgenden Betrachtungen werden uns aber zeigen, in wiefern ſich hieran zu halten iſt.
8) Es iſt in der Natur außer dem Unterſchied von Heller und Dunkler in den reinen Farben noch ein an - drer wichtiger auffallend. Wann wir z. B. in einer Helligkeit und in einer Reinheit rothes Tuch, Papier, Taft, Atlas oder Sammet, das Rothe des Abend - roths oder rothes durchſichtiges Glas annehmen, ſo iſt da noch ein Unterſchied, der in der Durchſichtig - keit oder Undurchſichtigkeit der Materie liegt.
9) Wenn wir die drey Farben, Roth Blau und Gelb undurchſichtig zuſammen miſchen, ſo entſteht ein Grau, welches Grau eben ſo aus Weiß und Schwarz gemiſcht werden kann.
10) Wenn man dieſe drey Farben durchſichtig alſo miſcht, daß keine uͤberwiegend iſt, ſo erhaͤlt man eine Dunkelheit, die durch keine von den andern Thei - len hervorgebracht werden kann.
11) Weiß ſowohl als Schwarz ſind beyde un - durchſichtig oder koͤrperlich. Man darf ſich an den Ausdruck weißes Glas nicht[ſtoßen], womit man kla - res meynt. Weißes Waſſer wird man ſich nicht den - ken koͤnnen, was rein iſt, ſo wenig wie klare Milch. Wenn das Schwarze bloß dunkel machte, ſo koͤnnte346 es wohl klar ſeyn, da es aber ſchmutzt, ſo kann es ſolches nicht.
12) Die undurchſichtigen Farben ſtehen zwiſchen dem Weißen und Schwarzen; ſie koͤnnen nie ſo hell wie Weiß und nie ſo dunkel wie Schwarz ſeyn.
13) Die durchſichtigen Farben ſind in ihrer Er - leuchtung wie in ihrer Dunkelheit graͤnzenlos, wie Feuer und Waſſer als ihre Hoͤhe und ihre Tiefe ange - ſehen werden kann.
14) Das Product der drey undurchſichtigen Far - ben, Grau, kann durch das Licht nicht wieder zu einer Reinheit kommen, noch durch eine Miſchung dazu gebracht werden; es verbleicht entweder zu Weiß oder verkohlt ſich zu Schwarz.
15) Drey Stuͤcken Glas von den drey reinen durchſichtigen Farben wuͤrden auf einander gelegt eine Dunkelheit hervorbringen, die tiefer waͤre als jede Farbe einzeln, nehmlich ſo: Drey durchſichtige Far - ben zuſammen geben eine farbloſe Dunkelheit, die tie - fer iſt, als irgend eine von den Farben. Gelb iſt z. E. die hellſte und leuchtendſte unter den drey Far - ben, und doch, wenn man zu ganz dunklem Violett ſo viel Gelb miſcht, bis ſie ſich einander aufheben, ſo iſt die Dunkelheit in hohem Grade verſtaͤrkt.
16) Wenn man ein dunkles durchſichtiges Glas, wie es allenfalls bey den optiſchen Glaͤſern iſt, nimmt, und von der halben Dicke eine polirte Steinkohle, und legt beyde auf einen weißen Grund, ſo wird das Glas heller erſcheinen; verdoppelt man aber beyde, ſo muß die Steinkohle ſtille ſtehen, wegen der Undurchſichtig -347 keit; das Glas wird aber bis ins Unendliche ſich ver - dunkeln, obwohl fuͤr unſre Augen nicht ſichtbar. Eine ſolche Dunkelheit koͤnnen eben ſowohl die einzelnen durchſichtigen Farben erreichen, ſo daß Schwarz da - gegen nur wie ein ſchmutziger Fleck erſcheint.
17) Wenn wir ein ſolches durchſichtiges Product der drey durchſichtigen Farben auf die Weiſe verduͤn - nen und das Licht durchſcheinen ließen, ſo wird es auch eine Art Grau geben, die aber ſehr verſchieden von der Miſchung der drey undurchſichtigen Farben ſeyn wuͤrde.
18) Die Helligkeit an einem klaren Himmel bey Sonnenaufgang dicht um die Sonne herum, oder vor der Sonne her kann ſo groß ſeyn, daß wir ſie kaum ertragen koͤnnen. Wenn wir nun von dieſer dort vor - kommenden farbloſen Klarheit, als einem Product von den drey Farben auf dieſe ſchließen wollten, ſo wuͤr - den dieſe ſo hell ſeyn muͤſſen, und ſo ſehr uͤber un - ſere Kraͤfte weggeruͤckt, daß ſie fuͤr uns daſſelbe Ge - heimniß blieben, wie die in der Dunkelheit verſunke - nen.
19) Nun merken wir aber auch, daß die Hel - ligkeit oder Dunkelheit nicht in den Vergleich oder Verhaͤltniß zu den durchſichtigen Farben zu ſetzen ſey, wie das Schwarz und Weiß zu den undurchſichtigen. Sie iſt vielmehr eine Eigenſchaft und eins mit der Klarheit und mit der Farbe. Man ſtelle ſich einen reinen Rubin vor, ſo dick oder ſo duͤnn man will, ſo iſt das Roth eins und daſſelbe, und iſt alſo nur ein durchſichtiges Roth, welches hell oder dunkel wird, je348 nachdem es vom Licht erweckt oder verlaſſen wird. Das Licht entzuͤndet natuͤrlich eben ſo das Product die - ſer Farben in ſeiner Tiefe und erhebt es zu einer leuch - tenden Klarheit, die jede Farbe durchſcheinen laͤßt. Dieſe Erleuchtung, der ſie faͤhig iſt, indem das Licht ſie zu immer hoͤherem Brand entzuͤndet, macht, daß ſie oft unbemerkt um uns wogt und in tauſend Ver - wandlungen die Gegenſtaͤnde zeigt, die durch eine ein - fache Miſchung unmoͤglich waͤren, und alles in ſeiner Klarheit laͤßt und noch erhoͤht. So koͤnnen wir uͤber die gleichguͤltigſten Gegenſtaͤnde oft einen Reiz verbrei - tet ſehen, der meiſt mehr in der Erleuchtung der zwi - ſchen uns und dem Gegenſtand befindlichen Luft liegt, als in der Beleuchtung ſeiner Formen.
20) Das Verhaͤltniß des Lichts zur durchſichtigen Farbe iſt, wenn man ſich darein vertieft, unendlich reizend, und das Entzuͤnden der Farben und das Verſchwimmen in einander und Wiederentſtehen und Verſchwinden iſt wie das Odemhohlen in großen Pau - ſen von Ewigkeit zu Ewigkeit vom hoͤchſten Licht bis in die einſame und ewige Stille in den allertiefſten Toͤnen.
21) Die undurchſichtigen Farben ſtehen wie Blu - men dagegen, die es nicht wagen, ſich mit dem Him - mel zu meſſen, und doch mit der Schwachheit von der einen Seite, dem Weißen, und dem Boͤſen, dem Schwarzen, von der andern zu thun haben.
22) Dieſe ſind aber gerade faͤhig, wenn ſie ſich nicht mit Weiß noch Schwarz vermiſchen, ſondern duͤnn daruͤber gezogen werden, ſo anmuthige Varia -349 tionen und ſo natuͤrliche Effecte hervorzubringen, daß ſich an ihnen gerade der praktiſche Gebrauch der Ideen halten muß, und die durchſichtigen am Ende nur wie Geiſter ihr Spiel daruͤber haben, und nur dienen, um ſie zu heben und zu erhoͤhen in ihrer Kraft.
Der feſte Glaube an eine beſtimmte geiſtige Ver - bindung in den Elementen kann dem Maler zuletzt ei - nen Troſt und Heiterkeit mittheilen, den er auf keine andre Art zu erlangen im Stande iſt; da ſein eignes Leben ſich ſo in ſeiner Arbeit verliert und Materie, Mittel und Ziel in eins zuletzt in ihm eine Vollendung hervorbringt, die gewiß durch ein ſtets fleißiges und getreues Beſtreben hervorgebracht werden muß, ſo daß es auch auf andere nicht ohne wohlthaͤtige Wirkung bleiben kann.
Wenn ich die Stoffe, womit ich arbeite, betrachte, und ich halte ſie an den Maßſtab dieſer Qualitaͤten, ſo weiß ich beſtimmt wo und wie ich ſie anwenden kann, da kein Stoff, den wir verarbeiten, ganz rein iſt. Ich kann mich hier nicht uͤber die Praktik ausbreiten, weil es erſtlich zu weitlaͤuftig waͤre, auch ich bloß im Sinne gehabt habe, Ihnen den Standpunct zu zeigen, von welchem ich die Farben betrachte.
Indem ich dieſe Arbeit, welche mich lange genug beſchaͤftigt, doch zuletzt nur als Entwurf gleichſam aus dem Stegreife herauszugeben im Falle bin, und nun die vorſtehenden gedruckten Bogen durchblaͤttere, ſo er - innere ich mich des Wunſches, den ein ſorgfaͤltiger Schriftſteller vormals geaͤußert, daß er ſeine Werke lie - ber zuerſt ins Concept gedruckt ſaͤhe, um alsdann aufs neue mit friſchem Blick an das Geſchaͤft zu gehen, weil alles Mangelhafte uns im Drucke deutlicher entgegen komme, als ſelbſt in der ſauberſten Handſchrift.
Um wie lebhafter mußte bey mir dieſer Wunſch ent - ſtehen, da ich nicht einmal eine voͤllig reinliche Abſchrift vor dem Druck durchgehen konnte, da die ſucceſſive Redaction dieſer Blaͤtter in eine Zeit fiel, welche eine ru - hige Sammlung des Gemuͤths unmoͤglich machte.
Wie vieles haͤtte ich daher meinen Leſern zu ſagen, wovon ſich doch manches ſchon in der Einleitung findet. Ferner wird man mir vergoͤnnen, in der Geſchichte der Farbenlehre auch meiner Bemuͤhungen und der Schickſale zu gedenken, welche ſie erduldeten.
Hier aber ſtehe wenigſtens eine Betrachtung vielleicht nicht am unrechten Orte, die Beantwortung der Frage, was kann derjenige, der nicht im Fall iſt, ſein ganzes Leben den Wiſſenſchaften zu widmen, doch fuͤr die Wiſ - ſenſchaften leiſten und wirken? was kann er als Gaſt in351 einer fremden Wohnung zum Vortheile der Beſitzer aus - richten?
Wenn man die Kunſt in einem hoͤhern Sinne be - trachtet, ſo moͤchte man wuͤnſchen, daß nur Meiſter ſich damit abgaͤben, daß die Schuͤler auf das ſtrengſte gepruͤft wuͤrden, daß Liebhaber ſich in einer ehrfurchtsvollen An - naͤherung gluͤcklich fuͤhlten. Denn das Kunſtwerk ſoll aus dem Genie entſpringen, der Kuͤnſtler ſoll Gehalt und Form aus der Tiefe ſeines eigenen Weſens hervorrufen, ſich gegen den Stoff beherrſchend verhalten, und ſich der aͤußern Einfluͤſſe nur zu ſeiner Ausbildung bedienen.
Wie aber dennoch aus mancherley Urſachen ſchon der Kuͤnſtler den Dilettanten zu ehren hat, ſo iſt es bey wiſ - ſenſchaftlichen Gegenſtaͤnden noch weit mehr der Fall, daß der Liebhaber etwas erfreuliches und nuͤtzliches zu leiſten im Stande iſt. Die Wiſſenſchaften ruhen weit mehr auf der Erfahrung als die Kunſt, und zum Erfah - ren iſt gar mancher geſchickt. Das Wiſſenſchaftliche wird von vielen Seiten zuſammengetragen, und kann vieler Haͤnde, vieler Koͤpfe nicht entbehren. Das Wiſſen laͤßt ſich uͤberliefern, dieſe Schaͤtze koͤnnen vererbt werden; und das von Einem Erworbene werden manche ſich zu - eignen. Es iſt daher Niemand, der nicht ſeinen Beytrag den Wiſſenſchaften anbieten duͤrfte. Wie vieles ſind wir nicht dem Zufall, dem Handwerk, einer augenblicklichen Aufmerkſamkeit ſchuldig. Alle Naturen, die mit einer gluͤcklichen Sinnlichkeit begabt ſind, Frauen, Kinder ſind faͤhig, uns lebhafte und wohlgefaßte Bemerkungen mit - zutheilen.
352In der Wiſſenſchaft kann alſo nicht verlangt wer - den, daß derjenige, der etwas fuͤr ſie zu leiſten gedenkt, ihr das ganze Leben widme, ſie ganz uͤberſchaue und umgehe; welches uͤberhaupt auch fuͤr den Eingeweihten eine hohe Forderung iſt. Durchſucht man jedoch die Geſchichte der Wiſſenſchaften uͤberhaupt, beſonders aber die Geſchichte der Naturwiſſenſchaft; ſo findet man, daß manches Vorzuͤglichere von Einzelnen in einzelnen Faͤchern, ſehr oft von Laien geleiſtet worden.
Wohin irgend die Neigung, Zufall oder Gelegen - heit den Menſchen fuͤhrt, welche Phaͤnomene beſonders ihm auffallen, ihm einen Antheil abgewinnen, ihn feſt - halten, ihn beſchaͤftigen, immer wird es zum Vortheil der Wiſſenſchaft ſeyn. Denn jedes neue Verhaͤltniß, das an den Tag kommt, jede neue Behandlungsart, ſelbſt das Unzulaͤngliche, ſelbſt der Irrthum iſt brauch - bar, oder aufregend und fuͤr die Folge nicht verloren.
In dieſem Sinne mag der Verfaſſer denn auch mit einiger Beruhigung auf ſeine Arbeit zuruͤckſehen; in dieſer Betrachtung kann er wohl einigen Muth ſchoͤpfen zu dem, was zu thun noch uͤbrig bleibt, und, zwar nicht mit ſich ſelbſt zufrieden, doch in ſich ſelbſt getroſt, das Geleiſtete und Zu-leiſtende einer theilneh - menden Welt und Nachwelt empfehlen.
Multi pertransibunt et augebitur scientia.
Des Erſten Bandes Zweyter, polemiſcher Theil.
I. 23[354][355]Wenn wir in dem erſten Theile den didaktiſchen Schritt ſo viel als moͤglich gehalten und jedes eigentlich polemiſche vermieden haben, ſo konnte es doch hie und da an mancher Misbilligung der bis jetzt herrſchenden Theorie nicht fehlen. Auch iſt jener Entwurf unſerer Farbenlehre, ſeiner in - nern Natur nach, ſchon polemiſch, indem wir eine Vollſtaͤndigkeit der Phaͤnomene zuſammenzu - bringen und dieſe dergeſtalt zu ordnen geſucht haben, daß Jeder genoͤthigt ſey, ſie in ihrer wahren Folge und in ihren eigentlichen Verhaͤlt - niſſen zu betrachten, daß ferner kuͤnftig denjenigen, denen es eigentlich nur darum zu thun iſt, ein - zelne Erſcheinungen herauszuheben, um ihre hy -23 *356pothetiſchen Ausſpruͤche dadurch aufzuſtutzen, ihr Handwerk erſchwert werde.
Denn ſo ſehr man auch bisher geglaubt, die Natur der Farbe gefaßt zu haben, ſo ſehr man ſich einbildete, ſie durch eine ſichre Theorie auszuſpre - chen; ſo war dieß doch keinesweges der Fall, ſon - dern man hatte Hypotheſen an die Spitze geſetzt, nach welchen man die Phaͤnomene kuͤnſtlich zu ord - nen wußte, und eine wunderliche Lehre kuͤmmerli - chen Inhalts mit großer Zuverſicht zu uͤberliefern verſtand.
Wie der Stifter dieſer Schule, der außeror - dentliche Newton, zu einem ſolchen Vorurtheile ge - langt, wie er es bey ſich feſtgeſetzt und andern ver - ſchiedentlich mitgetheilt, davon wird uns die Ge - ſchichte kuͤnftig unterrichten. Gegenwaͤrtig nehmen wir ſein Werk vor, das unter dem Titel der Optik bekannt iſt, worin er ſeine Ueberzeugungen ſchließ - lich niederlegte, indem er dasjenige, was er vorher geſchrieben, anders zuſammenſtellte und auffuͤhrte. Dieſes Werk, welches er in ſpaͤten Jahren heraus - gab, erklaͤrt er ſelbſt fuͤr eine vollendete Darſtellung357 ſeiner Ueberzeugungen. Er will davon kein Wort ab, keins dazu gethan wiſſen, und veranſtaltet die lateiniſche Ueberſetzung deſſelben unter ſeinen Augen.
Der Ernſt, womit dieſe Arbeit unternommen, die Umſtaͤndlichkeit, womit ſie ausgefuͤhrt war, er - regte das groͤßte Zutrauen. Eine Ueberzeugung, daß dieſes Buch unumſtoͤßliche Wahrheit ent - halte, machte ſich nach und nach allgemein; und noch gilt es unter den Menſchen fuͤr ein Meiſter - ſtuͤck wiſſenſchaftlicher Behandlung der Naturer - ſcheinungen.
Wir finden daher zu unſerm Zwecke dienlich und nothwendig, dieſes Werk theilweiſe zu uͤberſe - tzen, auszuziehen und mit Anmerkungen zu begleiten, damit denjenigen, welche ſich kuͤnftig mit dieſer Angelegenheit beſchaͤftigen, ein Leitfaden geſponnen ſey, an dem ſie ſich durch ein ſolches Labyrinth durchwinden koͤnnen. Ehe wir aber das Geſchaͤft ſelbſt antreten, liegt uns ob, einiges vorauszu - ſchicken.
Daß bey einem Vortrag natuͤrlicher Dinge der Lehrer die Wahl habe, entweder von den Erfahrun - gen zu den Grundſaͤtzen, oder von den Grundſaͤtzen zu den Erfahrungen ſeinen Weg zu nehmen, ver - ſteht ſich von ſelbſt; daß er ſich beyder Methoden wechſelsweiſe bediene, iſt wohl auch vergoͤnnt, ja manchmal nothwendig. Daß aber Newton eine ſolche gemiſchte Art des Vortrags zu ſeinem Zweck advocatenmaͤßig misbraucht, indem er das, was erſt eingefuͤhrt, abgeleitet, erklaͤrt, bewieſen werden ſollte, ſchon als bekannt annimmt, und ſodann aus der großen Maſſe der Phaͤnomene nur diejenigen her - ausſucht, welche ſcheinbar und nothduͤrftig zu dem einmal ausgeſprochenen paſſen, dieß liegt uns ob, anſchaulich zu machen, und zugleich darzuthun, wie er dieſe Verſuche, ohne Ordnung, nach Belieben anſtellt, ſie keinesweges rein vortraͤgt, ja ſie viel - mehr nur immer vermannigfaltigt und uͤber einander ſchichtet, ſo daß zuletzt der beſte Kopf ein ſolches Chaos lieber glaͤubig verehrt, als daß er ſich zur unabſehlichen Muͤhe verpflichtete, jene ſtreitenden Elemente verſoͤhnen und ordnen zu wollen. Auch wuͤrde dieſes voͤllig unmoͤglich ſeyn, wenn man nicht vorher, wie von uns mit Sorgfalt geſchehen, die359 Farbenphaͤnomene in einer gewiſſen natuͤrlichen Ver - knuͤpfung nach einander aufgefuͤhrt und ſich dadurch in den Stand geſetzt haͤtte, eine kuͤnſtliche und will - kuͤhrliche Stellung und Entſtellung derſelben an - ſchaulicher zu machen. Wir koͤnnen uns nunmehr auf einen natuͤrlichen Vortrag ſogleich beziehen, und ſo in die groͤßte Verwirrung und Verwicklung ein heilſames Licht verbreiten. Dieſes ganz allein iſt’s, wodurch die Entſcheidung eines Streites moͤglich wird, der ſchon uͤber hundert Jahre dauert, und ſo oft er erneuert worden, von der triumphi - renden Schule als verwegen, frech, ja als laͤ - cherlich und abgeſchmackt weggewieſen und unter - druͤckt wurde.
Wie nun eine ſolche Hartnaͤckigkeit moͤglich war, wird ſich unſern Leſern nach und nach aufklaͤren. Newton hatte durch eine kuͤnſtliche Methode ſeinem Werk ein dergeſtalt ſtrenges An - ſehn gegeben, daß Kenner der Form es bewun - derten und Laien davor erſtaunten. Hiezu kam noch der ehrwuͤrdige Schein einer mathematiſchen Behandlung, womit er das Ganze aufzuſtutzen wußte.
An der Spitze naͤmlich ſtehen Definitionen und Axiome, welche wir kuͤnftig durchgehen werden, wenn ſie unſern Leſern nicht mehr imponiren koͤnnen. Sodann finden wir Propoſitionen, welche das im - mer wiederholt feſtſetzen, was zu beweiſen waͤre; Theoreme, die ſolche Dinge ausſprechen, die Nie - mand ſchauen kann; Experimente, die unter veraͤn - derten Bedingungen immer das Vorige wiederbrin - gen, und ſich mit großem Aufwand in einem ganz kleinen Kreiſe herumdrehen; Probleme zuletzt, die nicht zu loͤſen ſind, wie das alles in der weiteren Ausfuͤhrung umſtaͤndlich darzuthun iſt.
Im Engliſchen fuͤhrt das Werk den Titel: Op - ticks, or a Treatise of the Reflections, Refractions, In - flections and Colours of Light. Obgleich das engliſche Wort Optics ein etwas naiveres Anſehen haben mag, als das lateiniſche Optice und das deutſche Optik; ſo druͤckt es doch, ohne Frage, einen zu großen Umfang aus, den das Werk ſelbſt nicht ausfuͤllt. Dieſes han - delt ausſchließlich von Farbe, von farbigen Erſchei - nungen. Alles uͤbrige, was das natuͤrliche oder kuͤnſt -361 liche Sehen betrifft, iſt beynahe ausgeſchloſſen, und man darf es nur in dieſem Sinne mit den opti - ſchen Lectionen vergleichen, ſo wird man die gro - ße Maſſe eigentlich mathematiſcher Gegenſtaͤnde, welche ſich dort findet, vermiſſen.
Es iſt noͤthig, hier gleich zu Anfang dieſe Be - merkung zu machen: denn eben durch den Titel iſt das Vorurtheil entſtanden, als wenn der Stoff und die Ausfuͤhrung des Werkes mathematiſch ſey, da jener bloß phyſiſch iſt und die mathematiſche Be - handlung nur ſcheinbar; ja, beym Fortſchritt der Wiſſenſchaft hat ſich ſchon laͤngſt gezeigt, daß, weil Newton als Phyſiker ſeine Beobachtungen nicht ge - nau anſtellte, auch ſeine Formeln, wodurch er die Erfahrungen ausſprach, unzulaͤnglich und falſch be - funden werden mußten; welches man uͤberall, wo von der Entdeckung der achromatiſchen Fernroͤhre gehandelt wird, umſtaͤndlich nachleſen kann.
Dieſe ſogenannte Optik, eigentlicher Chroma - tik, beſteht aus drey Buͤchern, von welchen wir gegenwaͤrtig nur das erſte, das in zwey Theile ge -362 theilt iſt, polemiſch behandeln. Wir haben uns bey der Ueberſetzung meiſtens des engliſchen Originals in der vierten Ausgabe, London 1730, bedient, das in einem natuͤrlichen naiven Stil geſchrieben iſt. Die lateiniſche Ueberſetzung iſt ſehr treu und genau, wird aber durch die roͤmiſche Sprachweiſe etwas pomphafter und dogmatiſcher.
Da wir jedoch nur Auszuͤge liefern, und die ſaͤmmtlichen Newtoniſchen Tafeln nachſtechen zu laſſen keinen Beruf fanden, ſo ſind wir genoͤ - thigt, uns oͤfters auf das Werk ſelbſt zu bezie - hen, welches diejenigen unſerer Leſer, die bey der Sache wahrhaft intereſſirt ſind, entweder im Original oder in der Ueberſetzung zur Seite ha - ben werden.
Die woͤrtlich uͤberſetzten Stellen, in denen der Gegner ſelbſt ſpricht, haben wir mit kleinerer Schrift, unſre Bemerkungen aber mit der groͤ - ßern, die unſre Leſer ſchon gewohnt ſind, abdrucken laſſen.
Uebrigens haben wir die Saͤtze, in welche unſre Arbeit ſich theilen ließ, mit Nummern bezeichnet. Es geſchieht dieſes hier, ſo wie im Entwurf der Far - benlehre, nicht um dem Werke einen Schein hoͤherer Conſequenz zu geben, ſondern bloß um jeden Bezug, jede Hinweiſung zu erleichtern, welches dem Freunde ſowohl als dem Gegner angenehm ſeyn kann. Wenn wir kuͤnftig den Entwurf citiren, ſo ſetzen wir ein E. vor die Nummer des Paragraphen.
Vorſtehendes war geſchrieben und das Nachſte - hende zum groͤßten Theil, als die Frage entſtand, ob es nicht raͤthlich ſey, mit wenigem gleich hier anzugeben, worin ſich denn die Meynung, welcher wir zugethan ſind, von derjenigen unterſcheidet, die von Newton herſtammend ſich uͤber die gelehrte und ungelehrte Welt verbreitet hat.
Wir bemerken zuerſt, daß diejenige Denkweiſe, welche wir billigen, uns nicht etwa eigenthuͤmlich angehoͤrt, oder als eine neue nie vernommene Lehre vorgetragen wird. Es finden ſich vielmehr von der - ſelben in den fruͤhern Zeiten deutliche Spuren, ja ſie hat ſich immer, durch alle ſchwankenden Mey - nungen hindurch, ſo manche Jahrhunderte her le - bendig erhalten, und iſt von Zeit zu Zeit wieder ausgeſprochen worden, wovon uns die Geſchichte weiter unterrichten wird.
Newton behauptet, in dem weißen farbloſen Lichte uͤberall, beſonders aber in dem Sonnenlicht, ſeyen mehrere farbige, (die Empfindung der Farbe erregende,) verſchiedene Lichter wirklich enthalten, de - ren Zuſammenſetzung das weiße Licht (die Empfin - dung des weißen Lichts) hervorbringe.
Damit aber dieſe Lichter zum Vorſchein kom - men, ſetzt er dem weißen Licht gar mancherley Be - dingungen entgegen, durchſichtige Koͤrper, welche das Licht von ſeiner Bahn ablenken, undurchſichtige, die es zuruͤckwerfen, andre, an denen es hergeht; aber dieſe Bedingungen ſind ihm nicht einmal ge - nug. Er gibt den brechenden Mitteln allerley For - men, den Raum, in dem er operirt, richtet er auf mannigfaltige Weiſe ein, er beſchraͤnkt das Licht durch kleine Oeffnungen, durch winzige Spalten, und bringt es auf hunderterley Art in die Enge. Dabey behauptet er nun, daß alle dieſe Bedingun - gen keinen andern Einfluß haben, als die Eigen - ſchaften, die Fertigkeiten (fits) des Lichtes rege zu machen, ſo daß dadurch ſein Innres aufgeſchloſſen werde, und was in ihm liegt, an den Tag komme.
Jene farbigen Lichter ſind die integrirenden Theile ſeines weißen Lichtes. Es kommt durch alle obgemeldeten Operationen nichts zu dem Licht hinzu, es wird ihm nichts genommen, ſondern es werden nur ſeine Faͤhigkeiten, ſein Inhalt geoffenbart. Zeigt es nun bey der Refraction verſchiedene Farben, ſo iſt es divers refrangibel; auch bey der Reflexion zeigt es Farben, deßwegen iſt es divers reflexibel, u. ſ. w. Jede neue Erſcheinung deutet auf eine neue Faͤhigkeit des Lichtes, ſich aufzuſchließen, ſeinen Inhalt herzugeben.
Die Lehre dagegen, von der wir uͤberzeugt ſind, und von der wir dießmal nur inſofern ſprechen, als ſie der Newtoniſchen entgegenſteht, beſchaͤftigt ſich auch mit dem weißen Lichte. Sie bedient ſich auch aͤußerer Bedingungen, um farbige Erſcheinungen hervorzubringen. Sie geſteht aber dieſen Bedin - gungen Werth und Wuͤrde zu, ſie bildet ſich nicht ein, Farben aus dem Licht zu entwickeln, ſie ſucht uns vielmehr zu uͤberzeugen, daß die Farbe zugleich von dem Lichte und von dem, was ſich ihm entge - genſtellt, hervorgebracht werde.
Alſo, um nur des Refractionsfalles, mit dem ſich Newton in der Optik vorzuͤglich beſchaͤftigt, hier zu gedenken, ſo iſt es keinesweges die Bre - chung, welche die Farben aus dem Licht hervorlockt, vielmehr bleibt eine zweyte Bedingung unerlaͤßlich, daß die Brechung auf ein Bild wirke, und ſolches von der Stelle wegruͤcke. Ein Bild entſteht nur durch Graͤnzen, dieſe Graͤnzen uͤberſieht Newton ganz, ja er laͤugnet ihren Einfluß. Wir aber ſchrei - ben dem Bilde ſowohl als ſeiner Umgebung, der hellen Mitte ſowohl als der dunkeln Graͤnze, der Thaͤtigkeit ſowohl als der Schranke, in dieſem Falle vollkommen gleiche Wirkung zu. Alle Verſuche ſtimmen uns bey, und jemehr wir ſie vermannigfal - tigen, deſto mehr wird ausgeſprochen, was wir be - haupten, deſto planer, deſto klarer wird die Sache. Wir gehen vom Einfachen aus, indem wir einen ſich wechſelſeitig entſprechenden Gegenſatz zugeſtehen, und durch Verbindung deſſelben die farbige Welt her - vorbringen.
Newton ſcheint vom Einfacheren auszugehen, indem er ſich bloß ans Licht halten will; allein er368 ſetzt ihm auch Bedingungen entgegen ſo gut wie wir, nur daß er denſelben ihren integrirenden Antheil an dem Hervorgebrachten ablaͤugnet. Seine Lehre hat nur den Schein, daß ſie monadiſch oder unitariſch ſey. Er legt in ſeine Einheit ſchon die Mannigfal - tigkeit, die er heraus bringen will, welche wir aber viel beſſer aus der eingeſtandenen Dualitaͤt zu ent - wickeln und zu conſtruiren glauben.
Wie er nun zu Werke geht, um das Unwahre wahr, das Wahre unwahr zu machen, das iſt jetzt unſer Geſchaͤft zu zeigen und der eigentliche Zweck des gegenwaͤrtigen polemiſchen Theils.
Wenn wir gleich von Anfang willig zugeſtehen, das Werk, welches wir behandeln, ſey voͤllig aus einem Guſſe, ſo duͤrfen wir auch bemerken, daß in den vorſtehenden erſten Worten, in dieſer Propoſition, die uns zum Eintritt begegnet, ſchon die ganze Lehre wie in einer Ruß vorhanden ſey, und daß auch zugleich jene captioͤſe Methode voͤllig eintrete, wodurch uns der Verfaſſer das ganze Buch hindurch zum Beſten hat. Dieſes zu zeigen, dieſes anſchaulich und deutlich zu machen, duͤrfen wir ihm nicht leicht ein Wort, eine Wendung hingehen laſſen; und wir erſuchen unſre Leſer um die vollkommenſte Aufmerkſamkeit, dafuͤr ſie ſichI. 24370denn aber auch von der Knechtſchaft dieſer Lehre auf ewige Zeiten befreyt fuͤhlen werden.
Lichter — Mit dieſem Plural kommt die Sub - und Obreption, deren ſich Newton durch das ganze Werk ſchuldig macht, gleich recht in den Gang. Lichter, meh - rere Lichter! und was denn fuͤr Lichter?
welche an Farbe verſchieden ſind — In dem erſten und zweyten Verſuche, welche zum Beweis dienen ſollen, fuͤhrt man uns farbige Papiere vor, und diejenigen Wirkungen, die von dorther in unſer Auge kommen, werden gleich als Lichter behandelt. Offenbar ein hy - pothetiſcher Ausdruck: denn der gemeine Sinn beobach - tet nur, daß uns das Licht mit verſchiedenen Eigen - ſchaften der Oberflaͤchen bekannt macht; daß aber das - jenige, was von dieſen zuruͤckſtrahlt, als ein verſchie - denartiges Licht angeſehen werden koͤnne, darf nicht vorausgeſetzt werden.
Genug wir haben ſchon farbige Lichter fertig, ehe noch von einem farbloſen die Rede geweſen. Wir ope - riren ſchon mit farbigen Lichtern, und erſt hinterdrein vernehmen wir, wie und wo etwa ihr Urſprung ſeyn moͤchte. Daß aber hier von Lichtern die Rede nicht ſeyn koͤnne, davon iſt jeder uͤberzeugt, der den Entwurf unſerer Farbenlehre wohl erwogen hat. Wir haben naͤmlich genugſam dargethan, daß alle Farbe einem Licht und Nicht-Licht ihr Daſeyn ſchuldig ſey, daß die Farbe ſich durchaus zum Dunkeln hinneige, daß ſie ein371 σκιερὸν ſey, daß wenn wir eine Farbe auf einen hellen Gegenſtand hinwerfen, es ſey auf welche Weiſe es wolle, wir denſelben nicht beleuchten, ſondern beſchat - ten. Mit ſolchem Schattenlicht, mit ſolcher Halbfinſter - niß faͤngt Newton ſehr kuͤnſtlich ſeinen ganzen Vortrag an, und kein Wunder, daß er diejenigen, die ihm ſein Erſtes zugeben, von nun an im Dunkeln oder Halbdun - keln zu erhalten weiß.
dieſelben ſind auch an Refrangibilitaͤt — Wie ſpringt doch auf einmal dieſes abſtracte Wort hervor! Freylich ſteht es ſchon in den Axiomen, und der auf - merkſam glaͤubige Schuͤler iſt bereits von dieſen Wundern durchdrungen, und hat nicht mehr die Freyheit, dasjenige, was ihm vorgefuͤhrt wird, mit einigem Mistrauen zu unterſuchen.
verſchieden — Die Refrangibilitaͤt macht uns alſo mit einem großen Geheimniß bekannt. Das Licht, je - nes Weſen, das wir nur als eine Einheit, als einfach wirkend gewahr werden, wird uns nun als ein Zuſam - mengeſetztes, aus verſchiedenartigen Theilen Beſtehendes, auf eine verſchiedene Weiſe Wirkendes dargeſtellt.
Wir geben gern zu, daß ſich aus einer Einheit, an einer Einheit ein Diverſes entwickeln, eine Differenz ent - ſtehen koͤnne; allein es gibt gar verſchiedene Arten, wie dieſes geſchehen mag. Wir wollen hier nur zweyer geden -24 *372ken: Erſtens daß ein Gegenſatz hervortritt, wodurch die Einheit ſich nach zwey Seiten hin manifeſtirt und dadurch großer Wirkungen faͤhig wird; Zweytens daß die Ent - wickelung des Unterſchiedenen ſtaͤtig in einer Reihe vor - geht. Ob jener erſte Fall etwa bey den prismatiſchen Erſcheinungen eintreten koͤnne, davon hat Newton nicht die mindeſte Vermuthung, ob ihn gleich das Phaͤnomen oft genug zu dieſer Auslegungsart hindraͤngt. Er be - ſtimmt ſich vielmehr ohne Bedenken fuͤr den zweyten Fall. Es iſt nicht nur eine diverſe Refrangibilitaͤt, ſondern ſie wirkt auch
gradweiſe — Und ſo iſt denn gleich ein auf - und aus einander folgendes Bild, eine Scala, ein aus verſchiedenen Theilen, aber aus unendlichen beſtehendes, in einander fließendes und doch ſeparables, zugleich aber auch inſeparables Bild fertig, ein Geſpenſt, das nun ſchon hundert Jahre die wiſſenſchaftliche Welt in Ehr - furcht zu erhalten weiß.
Sollte in jener Propoſition etwas Erfahrungsge - maͤßes ausgeſprochen werden, ſo konnte es allenfalls heißen: Bilder, welche an Farbe verſchieden ſind, er - ſcheinen durch Refraction auf verſchiedene Weiſe von der Stelle bewegt. Indem man ſich dergeſtalt aus - druͤckte, ſpraͤche man denn doch das Phaͤnomen des er - ſten Verſuchs allenfalls aus. Man koͤnnte die Erſchei - nung eine diverſe Refraction nennen, und alsdann ge -373 nauer nachforſchen, wie es denn eigentlich damit aus - ſehe. Aber daß wir ſogleich zu den Ibilitaͤten, zu den Keiten gefuͤhrt werden, daß wir den Beweis derſelben mit Gefallen aufnehmen ſollen, ja daß wir nur darauf eingehen ſollen, ſie uns beweiſen zu laſſen, iſt eine ſtarke Forderung.
Wir moͤchten nicht gern gleich von Anfang unſre Leſer durch irgend eine Paradoxie ſcheu machen, wir koͤnnen uns aber doch nicht enthalten, zu behaupten, daß ſich durch Erfahrungen und Verſuche eigentlich nichts beweiſen laͤßt. Die Phaͤnomene laſſen ſich ſehr genau beobachten, die Verſuche laſſen ſich reinlich anſtellen, man kann Erfahrungen und Verſuche in einer gewiſſen Ordnung auffuͤhren, man kann eine Erſcheinung aus der andern ableiten, man kann einen gewiſſen Kreis des Wiſſens darſtellen, man kann ſeine Anſchauungen zur Gewißheit und Vollſtaͤndigkeit erheben, und das, daͤchte ich, waͤre ſchon genug. Folgerungen hingegen zieht je - der fuͤr ſich daraus; beweiſen laͤßt ſich nichts dadurch, beſonders keine Ibilitaͤten und Keiten. Alles, was Mey - nungen uͤber die Dinge ſind, gehoͤrt dem Individuum an, und wir wiſſen nur zu ſehr, daß die Ueberzeugung nicht von der Einſicht, ſondern von dem Willen abhaͤngt; daß374 Niemand etwas begreift, als was ihm gemaͤß iſt und was er deßwegen zugeben mag. Im Wiſſen wie im Han - deln entſcheidet das Vorurtheil alles, und das Vorurtheil wie ſein Name wohl bezeichnet, iſt ein Urtheil vor der Unterſuchung. Es iſt eine Bejahung oder Verneinung deſſen, was unſre Natur anſpricht oder ihr widerſpricht; es iſt ein freudiger Trieb unſres lebendigen Weſens nach dem Wahren wie nach dem Falſchen, nach allem was wir mit uns im Einklang fuͤhlen.
Wir bilden uns alſo keinesweges ein, zu beweiſen, daß Newton unrecht habe; denn jeder Atomiſtiſch - ge - ſinnte, jeder am Hergebrachten Feſthaltende, jeder vor einem großen alten Namen mit heiliger Scheu Zuruͤck - tretende, jeder Bequeme wird viel lieber die erſte Pro - poſition Newtons wiederholen, darauf ſchwoͤren, ver - ſichern, daß alles erwieſen und bewieſen ſey und unſere Bemuͤhungen verwuͤnſchen.
Ja wir geſtehen es gerne, daß wir ſeit mehreren Jahren oft mit Widerwillen dieſes Geſchaͤft aufs neue vorgenommen haben. Denn man koͤnnte ſich’s wirklich zur Suͤnde rechnen, die ſelige Ueberzeugung der New - toniſchen Schule, ja uͤberhaupt die himmliſche Ruhe der ganzen halb unterrichteten Welt in und an dem Credit dieſer Schule zu ſtoͤren und in Unbehaglichkeit zu ſetzen. Denn wenn die ſaͤmmtlichen Meiſter die alte ſtarre Con - feſſion immer auf ihren Lehrſtuͤhlen wiederholen, ſo im - primiren ſich die Schuͤler jene kurzen Formeln ſehr ger -375 ne, womit das Ganze abgethan und bey Seite gebracht wird; indeſſen das uͤbrige Publicum dieſe ſelige Ueber - zeugung gleichſam aus der Luft aufſchnappt; wie ich denn die Anekdote hier nicht verſchweigen kann, daß ein ſolcher Gluͤcklicher, der von den neueren Bemuͤhun - gen etwas vernahm, verſicherte: Newton habe das alles ſchon geſagt und beſſer; er wiſſe nur nicht wo.
Indem wir uns nun alſo zu den Verſuchen wen - den, ſo bitten wir unſre Leſer, auf den erſten ſogleich alle Aufmerkſamkeit zu richten, den der Verfaſſer durch einen Salto mortale gleich zu Anfang wagt, und uns ganz unerwartet in medias res hineinreißt; wobey wir, wenn wir nicht wohl Acht haben, uͤberraſcht werden, uns verwirren und ſogleich die Freyheit des Urtheils verlieren.
Diejenigen Freunde der Wiſſenſchaft, die mit den ſubjectiven dioptriſchen Verſuchen der zweyten Claſſe, die wir umſtaͤndlich genug vorgetragen und abgeleitet, gehoͤrig bekannt ſind, werden ſogleich einſehen, daß Newton hier nicht auf eine Weiſe verfaͤhrt, die dem Mathematiker geziemt. Denn dieſer ſetzt, wenn er be - lehren will, das Einfachſte voraus, und baut aus den begreiflichſten Elementen ſein bewundernswuͤrdiges Ge - baͤude zuſammen. Newton hingegen ſtellt den compli - cirteſten ſubjectiven Verſuch, den es vielleicht gibt, an376 die Spitze, verſchweigt ſeine Herkunft, huͤtet ſich, ihn von mehreren Seiten darzuſtellen, und uͤberraſcht den unvorſichtigen Schuͤler, der wenn er einmal Beyfall ge - geben, ſich in dieſer Schlinge gefangen hat, nicht mehr weiß, wie er zuruͤck ſoll.
Dagegen wird es demjenigen, der die wahren Ver - haͤltniſſe dieſes erſten Verſuchs einſieht, leicht ſeyn, ſich auch vor den uͤbrigen Feſſeln und Banden zu huͤten, und wenn ſie ihm fruͤher durch Ueberlieferung umge - worfen worden, ſie mit freudiger Energie abzuſchuͤtteln.
Ich nahm ein ſchwarzes laͤnglichtes ſteifes Papier, das von parallelen Seiten begraͤnzt war, und theilte es durch eine per - pendiculaͤre Linie, die von einer der laͤngern Seiten zu der an - dern reichte, in zwey gleiche Theile. Einen dieſer Theile ſtrich ich mit einer rothen, den andern mit einer blauen Farbe an; das Papier war ſehr ſchwarz und die Farben ſtark und ſatt aufgetragen, damit die Erſcheinung deſto lebhafter ſeyn moͤchte.
Daß hier das Papier ſchwarz ſeyn muͤſſe, iſt eine ganz unnoͤthige Bedingung. Denn wenn das Blaue und Rothe ſtark und dick genug aufgetragen iſt, ſo kann der Grund nicht mehr durchblicken, er ſey von377 welcher Farbe er will. Wenn man jedoch die Newto - niſche Hypotheſe kennt, ſo ſieht man ungefaͤhr, was es heißen ſoll. Er fordert hier einen ſchwarzen Grund, damit ja nicht etwas von ſeinem ſupponirten unzerleg - ten Licht durch die aufgetragenen Farben als durchfal - lend vermuthet werden koͤnne. Allein, wie ſchon gezeigt iſt, ſteht die Bedingung hier ganz unnuͤtz, und nichts verhindert mehr die wahre Einſicht in ein Phaͤnomen, oder einen Verſuch, als uͤberfluͤſſige Bedingungen. Ei - gentlich heißt alles nichts weiter, als man verſchaffe ſich zwey gleiche Vierecke von rothem und blauem ſteifen Papier und bringe ſie genau neben einander.
Wollte nun der Verfaſſer fortfahren, ſeinen Verſuch richtig zu beſchreiben, ſo mußte er vor allen Dingen die Lage, Stellung, genug die Localitaͤt dieſes zweyfar - bigen Papiers genau angeben, anſtatt daß ſie jetzt der Leſer erſt aus dem ſpaͤter folgenden nach und nach, muͤhſam und nicht ohne Gefahr ſich zu vergreifen, ein - zeln zuſammen ſuchen muß.
Dieſes Papier betrachtete ich durch ein glaͤſernes maſſives Prisma, deſſen zwey Seiten, durch welche das Licht zum Auge gelangte, glatt und wohl polirt waren, und in einem Winkel von ungefaͤhr ſechzig Graden zuſammenſtießen, den ich den brechenden Winkel nenne. Und indem ich alſo nach dem Papier ſchaute, hielt ich das Prisma gegen das Fenſter dergeſtalt, daß die langen Seiten des Papiers und das Pris - ma ſich parallel gegen den Horizont verhielten, da denn jene Durchſchnittslinie, welche die beiden Farben trennte, gegen denſelben rechtwinklicht gerichtet war.
Im Engliſchen ſteht anſtatt rechtwinklicht paral - lel, welches offenbar ein Druckfehler iſt. Denn die langen Seiten des farbigen Papiers und die Durch - ſchnittslinie koͤnnen nicht zugleich parallel mit dem Ho - rizont ſeyn. Im Lateiniſchen ſteht perpendicular, welches an ſich ganz richtig iſt; da aber nicht von einem Grundriſſe, ſondern einem raͤumlichen Verhaͤltniſſe die Rede iſt, ſo verſteht man leicht vertical darunter: wo - durch der Verſuch in Confuſion geriethe. Denn das far - bige Papier muß flach liegen, und die kurzen Seiten muͤſſen, wie wir angeben, mit dem Horizont, oder wenn man will, mit der Fenſterbank, einen rechten Winkel machen.
Und das Licht, das von dem Fenſter auf das Papier fiel, einen Winkel mit dem Papier machte, demjenigen gleich, in welchem das Papier das Licht nach dem Auge zuruͤckwarf.
Wie kann man ſagen, daß das allgemeine Tages - licht, denn hier ſcheint nicht vom Sonnenlichte die Re - de zu ſeyn, einen Winkel mit dem Papier mache, da es von allen Enden hier darauf faͤllt? Auch iſt die Bedingung ganz unnoͤthig; denn man koͤnnte die Vor - richtung eben ſo gut an der Seite des Fenſters machen.
Jenſeits des Prismas war die Fenſterbruͤſtung mit ſchwar - zem Tuche beſchlagen, welches alſo ſich im Dunkeln befand, damit kein Licht von daher kommen konnte, das etwa an den Kanten des Papiers vorbey zu dem Auge gelangt waͤre, ſich mit dem Lichte des Papiers vermiſcht und das Phaͤnomen un - ſicher gemacht haͤtte.
Warum ſagt er nicht lieber jenſeits des farbigen Papiers? Denn dieſes kommt ja naͤher an das Fenſter zu ſtehen, und das ſchwarze Tuch ſoll nur dazu dienen, um dem farbigen Papier einen dunkeln Hintergrund zu verſchaffen. Wollte man dieſe Vorrichtung gehoͤrig und deutlich angeben, ſo wuͤrde es auf folgende Weiſe ge - ſchehen: man beſchlage den Wandraum unter einer Fen - ſterbank bis an den Fußboden mit ſchwarzem Tuche; man verſchaffe ſich ein Parallelogramm von Pappe, und uͤberziehe es zur Haͤlfte mit rothem, zur Haͤlfte mit blauem Papier, welche beyde an der kurzen Durch - ſchnittslinie zuſammenſtoßen. Dieſe Pappe bringe man flachliegend, etwa in der halben Hoͤhe der ſchwarzbe - ſchlagenen Fenſterbruͤſtung vor derſelben dergeſtalt an, daß ſie dem etwas weiter abſtehenden Beobachter wie auf ſchwarzem Grunde erſcheine, ohne daß von dem Geſtell, worauf man ſie angebracht, etwas zu ſehen ſey. Ihre laͤngeren Seiten ſollen ſich zur Fenſterwand parallel verhalten, und in derſelben Richtung halte der Beobachter auch das Prisma, wodurch er nach gedach -380 tem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel aufwaͤrts und ſodann denſelben unterwaͤrts gekehrt.
Was heißt nun aber dieſe umſtaͤndliche Vorrichtung anders, als man bringe das oben beſchriebene doppel - farbige Papier auf einen ſchwarzen Grund, oder man klebe ein rothes und ein blaues Viereck horizontal ne - ben einander auf eine ſchwarzgrundirte Tafel, und ſtelle ſie vor ſich hin; denn es iſt ganz gleichguͤltig, ob dieſer ſchwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet ſey, und allenfalls ein dunkles Grau vorſtelle, das Phaͤno - men wird immer daſſelbe ſeyn. Durch die ſaͤmmtlichen Newtoniſchen Verſuche jedoch geht eine ſolche pedanti - ſche Genauigkeit, alles nach ſeiner Hypotheſe unzerlegte Licht zu entfernen, und dadurch ſeinen Experimenten eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir noch genugſam zeigen werden, durchaus nichtig iſt, und nur zu unnuͤtzen Forderungen und Bedingungen die Veranlaſſung gibt.
Als dieſe Dinge ſo geordnet waren, fand ich, indem ich den brechenden Winkel des Prismas aufwaͤrts kehrte, und das farbige Papier ſcheinbar in die Hoͤhe hob, daß die blaue Haͤlfte durch die Brechung hoͤher gehoben wurde, als die ro - the Haͤlfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unter - waͤrts kehrte, ſo daß das Papier durch die Brechung herabge - zogen ſchien; ſo war die blaue Haͤlfte tiefer heruntergefuͤhrt als die rothe.
Wir haben in unſerm Entwurf der Farbenlehre die381 dioptriſchen Farben der zweyten Claſſe und beſonders die ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich genug ausgefuͤhrt, beſonders aber im 18. Capitel von Paragraph 258. bis 284., auf das genaueſte dargethan, was eigentlich vor - geht, wenn farbige Bilder durch Brechung verruͤckt werden. Es iſt dort auf das klaͤrſte gezeigt, daß an farbigen Bildern, eben wie an farbloſen, farbige Raͤn - der entſtehen, welche mit der Flaͤche entweder gleich - namig oder ungleichnamig ſind, in dem erſten Falle aber die Farbe der Flaͤche beguͤnſtigen, in dem andern ſie beſchmutzen und unſcheinbar machen; und dieſes iſt es, was einem leichtſinnigen oder von Vorurtheilen be - nebelten Beobachter entgeht, und was auch den Autor zu der uͤbereilten Folgerung verfuͤhrte, wenn er aus - ruft:
Deßhalb in beyden Faͤllen das Licht, welches von der blauen Haͤlfte des Papiers durch das Prisma zum Auge kommt, unter denſelben Umſtaͤnden eine groͤßere Refraction er - leidet, als das Licht, das von der rothen Haͤlfte kommt, und folglich refrangibler iſt als dieſes.
Dieß iſt nun der Grund - und Eckſtein des Newto - niſchen optiſchen Werks; ſo ſieht es mit einem Experi - ment aus, das dem Verfaſſer ſo viel zu bedeuten ſchien, daß er es aus hunderten heraushob, um es an die Spitze aller chromatiſchen Erfahrungen zu ſetzen. Wir haben ſchon (E. 268.) bemerkt, wie captioͤs und taſchen - ſpieleriſch dieſer Verſuch angegeben worden: denn wenn382 die Erſcheinung einigermaßen taͤuſchen ſoll; ſo muß das Rothe ein Zinnoberroth, und das Blaue ſehr dunkelblau ſeyn. Nimmt man Hellblau, ſo wird man die Taͤu - ſchung gleich gewahr. Und warum iſt denn Niemanden eingefallen, noch eine andre verfaͤngliche Frage zu thun? Nach der Newtoniſchen Lehre iſt das Gelbroth am we - nigſten refrangibel, das Blauroth am meiſten; warum nimmt er denn alſo nicht ein violettes Papier neben das rothe, ſondern ein dunkelblaues? Waͤre die Sache wahr, ſo muͤßte die Verſchiedenheit der Refrangibilitaͤt bey Gelbroth und Violett weit ſtaͤrker ſeyn, als bey Gelbroth und Blau. Allein hier findet ſich der Um - ſtand, daß ein violettes Papier die prismatiſchen Raͤn - der weniger verſteckt, als ein dunkelblaues; wovon ſich jeder Beobachter nunmehr, nach unſrer umſtaͤndlichen Anleitung, leicht uͤberzeugen kann. Wie es dagegen um die Newtoniſche Beobachtungsgabe und um die Ge - nauigkeit ſeiner Experimente ſtehe, wird jeder, der Au - gen und Sinn hat, mit Verwunderung gewahr wer - den; ja man darf dreiſt ſagen, wer haͤtte einen Mann von ſo außerordentlichen Gaben, wie Newton war, durch ein ſolches Hocus pocus betruͤgen koͤnnen, wenn er ſich nicht ſelbſt betrogen haͤtte? Nur derjenige, der die Gewalt des Selbſtbetruges kennt, und weiß, daß er ganz nahe an die Unredlichkeit graͤnzt, wird allein das Verfahren Newtons und ſeiner Schule ſich erklaͤren koͤnnen.
Wir wollen nur noch mit wenigem auf die New -383 toniſche Figur, die eilfte ſeiner zweyten Tafel, welche bey ihm ſelbſt nachzuſehen waͤre, die Aufmerkſamkeit erregen. Sie iſt perſpectiviſch confus gezeichnet, und hat nebenher noch etwas merkwuͤrdig captioͤſes. Die zweyfarbige Pappe iſt hier durch Dunkel und Hell un - terſchieden, die rechtwinklichte Lage ihrer Flaͤche gegen das Fenſter iſt ziemlich deutlich angegeben; allein das durchs Prisma bewaffnete Auge ſteht nicht an der rech - ten Stelle; es muͤßte in Einer Linie mit der Durch - ſchnittslinie der gefaͤrbten Pappe ſtehen. Auch iſt die Verruͤckung der Bilder nicht gluͤcklich angegeben, denn es ſieht aus, als wenn ſie in der Diagonale verruͤckt wuͤrden, welches doch nicht iſt: denn ſie werden nur, je nachdem der brechende Winkel gehalten wird, vom Beobachter ab, oder zum Beobachter zu geruͤckt. Was aber hoͤchſt merkwuͤrdig iſt, darf Niemanden entgehen. Die verruͤckten, nach der Newtoniſchen Lehre divers refrangirten Bilder ſind mit Saͤumen vorgeſtellt, die im Original an dem dunkeln Theil undeutlich, an dem hellen Theil ſehr deutlich zu ſehen ſind, welches letzte auch die Tafeln zur lateiniſchen Ueberſetzung zeigen. Wenn alſo bey dieſem Experimente nichts weiter ge - ſchieht, als daß ein Bild weiter geruͤckt werde, als das andre, warum laͤßt er denn die Bilder nicht in ihren Linien eingeſchloſſen, warum macht er ſie breiter, warum gibt er ihnen verfließende Saͤume? Er hat alſo dieſe Saͤume wohl geſehen; aber er konnte ſich nicht uͤberzeugen, daß dieſen Saͤumen, und keinesweges einer diverſen Refrangibilitaͤt, das Phaͤnomen zuzuſchrei - ben ſey. Warum erwaͤhnt er denn im Texte dieſer Er -384 ſcheinung nicht, die er doch ſorgfaͤltig, obgleich nicht ganz richtig, in Kupfer ſtechen laͤßt? Wahrſcheinlich wird ein Newtonianer darauf antworten: das iſt eben noch von dem undecomponirten Lichte, das wir niemals ganz los werden koͤnnen und das hier ſein Unweſen treibt.
Inwiefern auch dieſer Verſuch auf einer Taͤuſchung beruhe, wie der vorige, iſt nunmehr unſre Pflicht klar zu machen. Wir finden aber dießmal gerathener, den Verfaſſer nicht zu unterbrechen, ſondern ihn ausreden zu laſſen, alsdann aber unſre Gegenrede im Zuſammen - hange vorzutragen.
Um das vorgemeldete Papier, deſſen eine Haͤlfte blau, die andre roth angeſtrichen und welches ſteif wie Pappe war, wickelte ich einen Faden ſchwarzer Seide mehrmals um, der - geſtalt, daß es ausſah, als wenn ſchwarze Linien uͤber die Farbe gezogen waͤren, oder als wenn ſchmale ſchwarze Schat - ten darauf fielen. Ich haͤtte eben ſo gut ſchwarze Linien mit einer Feder ziehen koͤnnen, aber die Seide bezeichnete feinere Striche.
Dieſes ſo gefaͤrbte und liniirte Papier befeſtigte ich an eine Wand, ſo daß eine Farbe zur rechten, die andere zur385 linken Hand zu ſtehen kam. Genau vor das Papier, unten wo die beyden Farben zuſammentrafen, ſtellte ich ein Licht, um das Papier ſtark zu beleuchten, denn das Experiment war bey Nacht angeſtellt.
Die Flamme der Kerze reichte bis zum untern Rande des Papiers, oder um ein weniges hoͤher. Dann, in der Entfer - nung von ſechs Fuß und ein oder zwey Zoll von dem Papier an der Wand, richtete ich eine Glaslinſe auf, welche vier und einen Viertelzoll breit war, welche die Strahlen, die von den verſchiedenen Puncten des Papiers herkaͤmen, auffaſſen und, in der Entfernung von ſechs Fuß, ein oder zwey Zoll auf der andern Seite der Linſe, in ſo viel andern Puncten zuſammen - bringen, und das Bild des farbigen Papiers auf einem wei - ßen Papier, das dorthin geſtellt war, abbilden ſollte, auf die Art, wie die Linſe in einer Ladenoͤffnung die Bilder der Ob - jecte raußen auf einen weißen Bogen Papier in der dunkeln Cammer werfen mag.
Das vorgedachte weiße Papier ſtand vertical zu dem Ho - rizont und parallel mit der Linſe. Ich bewegte daſſelbe manchmal gegen die Linſe, manchmal von ihr weg, um die Plaͤtze zu finden, wo die Bilder der blauen und rothen Theile des Papiers am deutlichſten erſcheinen wuͤrden. Dieſe Plaͤtze konnte ich leicht erkennen an den Bildern der ſchwarzen Linien, die ich hervorgebracht hatte, indem ich die Seide um das Pa - pier wand. Denn die Bilder dieſer feinen und zarten Linien, die ſich wegen ihrer Schwaͤrze wie ein Schatten auf der Farbe abſetzten, waren dunkel und kaum ſichtbar, außer wenn die Farbe an jeder Seite einer jeden Linie ganz deutlich be - graͤnzt war. Deßwegen bezeichnete ich ſo genau als moͤglich die Plaͤtze, wo die Bilder der blauen und rothen Haͤlfte desI. 25386farbigen Papiers am deutlichſten erſchienen. Ich fand, daß wo die rothe Haͤlfte ganz deutlich war, die blaue Haͤlfte ver - worren erſchien, ſo daß ich die darauf gezogenen ſchwarzen Linien kaum ſehen konnte; im Gegentheil, wo man die blaue Haͤlfte deutlich unterſcheiden konnte, erſchien die rothe verwor - ren, ſo daß die ſchwarzen Linien darauf kaum ſichtbar waren. Zwiſchen den beiden Orten aber, wo dieſe Bilder ſich deutlich zeigten, war die Entfernung ein und ein halber Zoll. Denn die Entfernung des weißen Papiers von der Linſe, wenn das Bild der rothen Haͤlfte ſehr deutlich erſchien, war um einen und einen halben Zoll groͤßer, als die Entfernung des weißen Papiers von der Linſe, wenn das Bild der blauen Haͤlfte ſehr deutlich war. Daraus folgern wir, daß indem das Blaue und Rothe gleichmaͤßig auf die Linſe fiel, doch das Blaue mehr durch die Linſe gebrochen wurde, als das Rothe, ſo daß es um anderthalb Zoll fruͤher convergirte, und daß es deßwe - gen refrangibler ſeyn muͤſſe.
Nachdem wir den Verfaſſer angehoͤrt, ſeine Vor - richtung wohl kennen gelernt, und das, was er da - durch zu bewirken glaubt, vernommen haben, ſo wollen wir unſre Bemerkungen zu dieſem Verſuche unter ver - ſchiedenen Rubriken vorbringen, und denſelben in ſeine Elemente zu zerlegen ſuchen, worin der Hauptvortheil aller Controvers mit Newton beſtehen muß.
Unſre Betrachtungen beziehen ſich alſo 1) auf das Vorbild, 2) auf die Beleuchtung, 3) auf die Linſe, 4) auf das gewirkte Abbild und 5) auf die aus den Erſcheinungen gezogene Folgerung.
1) Das Vorbild. Ehe wir mit der aus dem vorigen Verſuch uns ſchon bekannten doppelfarbigen Pappe weiter operiren, ſo muͤſſen wir ſie und ihre Ei - genſchaften uns erſt naͤher bekannt machen.
Man bringe mennigrothes und ſattblaues Papier neben einander, ſo wird jenes hell, dieſes aber dunkel und, beſonders bey Nacht, dem Schwarzen faſt aͤhnlich erſcheinen. Wickelt man nun ſchwarze Faͤden um beyde, oder zieht man ſchwarze Linien daruͤber her, ſo iſt offen - bar, daß man mit bloßem Auge die ſchwarzen Linien auf dem hellrothen in ziemlicher Entfernung erkennen wird, wo man eben dieſe Linien auf dem blauen noch nicht erkennen kann. Man denke ſich zwey Maͤnner, den einen im ſcharlachrothen, den andern im dunkel - blauen Rocke, beyde Kleider mit ſchwarzen Knoͤpfen; man laſſe ſie beyde neben einander eine Straße heran gegen den Beobachter kommen; ſo wird dieſer die Knoͤpfe des rothen Rocks viel eher ſehen, als die des blauen, und die beyden Perſonen muͤſſen ſchon nahe ſeyn, wenn beyde Kleider mit ihren Knoͤpfen gleich deutlich dem Auge erſcheinen ſollen.
Um daher das richtige Verhaͤltniß jenes Verſuches einzuſehen, vermannigfaltige man ihn. Man theile eine25 *388viereckte Flaͤche in vier gleiche Quadrate, man gebe einem jeden eine beſondre Farbe, man ziehe ſchwarze Striche uͤber ſie alle hin, man betrachte ſie in gewiſſer Entfernung mit bloßem Auge, oder mit einer Lorgnette, man veraͤndre die Entfernung und man wird durchaus finden, daß die ſchwarzen Faͤden dem Sinne des Au - ges fruͤher oder ſpaͤter erſcheinen, keinesweges weil die verſchiedenen farbigen Gruͤnde beſondre Eigenſchaften haben, ſondern bloß inſofern als der eine heller iſt als der andre. Nun aber, um keinen Zweifel uͤbrig zu laſſen, wickle man weiße Faͤden um die verſchiedenen farbigen Papiere, man ziehe weiße Linien darauf und die Faͤlle werden nunmehr umgekehrt ſeyn. Ja, um ſich voͤllig zu uͤberzeugen, ſo abſtrahire man von aller Farbe und wiederhole das Experiment mit weißen, ſchwarzen, grauen Papieren; und immer wird man ſe - hen, daß bloß der Abſtand des Hellen und Dunkeln Ur - ſache der mehrern oder wenigern Deutlichkeit ſey. Und ſo werden wir es auch bey dem Verſuche, wie Newton ihn vorſchlaͤgt, durchaus antreffen.
2) Die Beleuchtung. Man kann das aufge - ſtellte Bild durch eine Reihe angezuͤndeter Wachskerzen, welche man gegen die Linſe zu verdeckt, ſehr ſtark be - leuchten, oder man bringt drey Wachskerzen unmittel - bar an einander, ſo daß ihre drey Dochte gleichſam nur eine Flamme geben. Dieſe verdeckt man gegen die Linſe zu und laͤßt, indem man beobachtet, einen Gehuͤlfen389 die Flamme ganz nahe an dem Bilde ſachte hin und wiederfuͤhren, daß alle Theile deſſelben nach und nach lebhaft erleuchtet werden. Denn eine ſehr ſtarke Er - leuchtung iſt noͤthig, wenn der Verſuch einigermaßen deutlich werden ſoll.
3) Die Linſe. Wir ſehen uns hier genoͤthigt, einiges Allgemeine vorauszuſchicken, was wir ſowohl an dieſem Orte, als auch kuͤnftig zur richtigen Einſicht in die Sache beduͤrfen.
Jedes Bild bildet ſich ab auf einer entgegengeſetzten glatten Flaͤche, wohin ſeine Wirkung in gerader Linie gelangen kann. Auch erſcheint es auf einer rauhen Flaͤche, wenn die einzelnen Theile des Bildes aus - ſchließlich von einzelnen Theilen der entgegengeſetzten Flaͤche zuruͤckgeſendet werden. Bey einer kleinen Oeff - nung in der Camera obſcura bilden ſich die aͤußern Gegenſtaͤnde auf einer weißen Tafel umgekehrt ab.
Bey einer ſolchen Abbildung wird der Zwiſchen - raum als leer gedacht; der ausgefuͤllte, aber durchſich - tige Raum, verruͤckt die Bilder. Die Phaͤnomene, welche, bey Verruͤckung der Bilder durch Mittel, ſich aufdringen, beſonders die farbigen Erſcheinungen, ſind es, die uns hier beſonders intereſſiren.
Durch Prismen von dreyſeitiger Baſe und durch Linſen werden diejenigen Operationen vollbracht, mit denen wir uns beſonders beſchaͤftigen.
Die Linſen ſind gleichſam eine Verſammlung un - endlicher Prismen; und zwar convexe eine Verſammlung von Prismen, die mit dem Ruͤcken aneinanderſtehen; concave eine Verſammlung von Prismen, die mit der Schneide aneinanderſtehen, und in beyden Faͤllen um ein Centrum verſammelt mit krummlinigen Oberflaͤchen.
Das gewoͤhnliche Prisma, mit dem brechenden Winkel nach unten gekehrt, bewegt die Gegenſtaͤnde nach dem Beobachter zu; das Prisma mit dem brechen - den Winkel nach oben gekehrt, ruͤckt die Gegenſtaͤnde vom Beobachter ab. Wenn man ſich dieſe beyden Ope - rationen im Kreiſe herumdenkt, ſo verengt das erſte den Raum um den Beobachter her, das zweyte erweitert ihn. Daher muß ein convexes Glas im ſubjectiven Fall vergroͤßern, ein concaves verkleinern; bey der Operation hingegen, die wir die objective nennen, ge - ſchieht das Gegentheil.
Die convexe Linſe, mit der wir es hier eigentlich zu thun haben, bringt die Bilder, welche durch ſie hin -391 einfallen, ins Enge. Das bedeutendſte Bild iſt das Sonnenbild. Laͤßt man es durch die Linſe hindurchfal - len, und faͤngt es bald hinter derſelben mit einer Tafel auf; ſo ſieht man es zuerſt bey wachſender Entfernung der Tafel immer mehr ſich verkleinern, bis es auf eine Stelle kommt, wo es nach Verhaͤltniß der Linſe ſeine groͤßte Kleinheit erreicht und am deutlichſten geſehen wird.
Schon fruͤher zeigt ſich bey dieſen Verſuchen eine ſtarke Hitze, und eine Entzuͤndung der entgegengehalte - nen Tafel, beſonders einer ſchwarzen. Dieſe Wirkung aͤußert ſich eben ſo gut hinter dem Bildpuncte der Sonne als vor demſelben; doch kann man ſagen, daß ihr Bildpunct und der maͤchtigſte Brennpunct zuſam - menfalle.
Die Sonne iſt das entfernteſte Bild, das ſich bey Tage abbilden kann. Darum kommt es auch zuerſt durch die Operation der Linſe entſchieden und genau begraͤnzt zuſammen. Will man die Wolken auf der Tafel deutlich ſehen, ſo muß man ſchon weiter ruͤcken. Die Berge und Waͤlder, die Haͤuſer, die zunaͤchſt ſte - henden Baͤume, alle bilden ſich ſtufenweiſe ſpaͤter ab, und das Sonnenbild hat ſich hinter ſeiner Bildſtelle ſchon wieder ſehr ſtark ausgedehnt, wenn die nahen Gegenſtaͤnde ſich erſt an ihrer Bildſtelle zuſammendraͤn - gen. So viel ſagt uns die Erfahrung in Abſicht auf Abbildung aͤußerer Gegenſtaͤnde durch Linſen.
Bey dem Verſuche, den wir gegenwaͤrtig beleuch - ten, ſind die verſchiedenfarbigen Flaͤchen, welche mit ihren ſchwarzen Faͤden hinter der Linſe abgebildet wer - den ſollen, neben einander. Sollte nun eine fruͤher als die andre deutlich erſcheinen, ſo kann die Urſache nicht in der verſchiedenen Entfernung geſucht werden.
Newton wuͤnſcht ſeine diverſe Refrangibilitaͤt da - durch zu beweiſen; wir haben aber ſchon oben, bey Be - trachtung des Vorbildes, auseinandergeſetzt, daß eigent - lich nur die verſchiedene Deutlichkeit der auf verſchieden - farbigen Gruͤnden angebrachten Bilder die Urſache der verſchiedenen Erſcheinungen hinter der Linſe ſey. Daß dieſes ſich alſo verhalte, haben wir naͤher〈…〉〈…〉 zeigen.
Wir beſchreiben zuerſt die Vorrichtung, welche wir gemacht, um bey dem Verſuche ganz ſicher zu gehen. Auf einem horizontalgelegten Geſtelle findet ſich an einem Ende Gelegenheit, das Vorbild einzuſchieben. Vor dem - ſelben in einer Vertiefung koͤnnen die Lichter angebracht werden. Die Linſe iſt in einem verticalen Brett befe - ſtigt, welches ſich auf dem Geſtelle hin und wieder be - wegen laͤßt. Innerhalb des Geſtells iſt ein beweglicher Rahmen, an deſſen Ende eine Tafel aufgerichtet iſt,393 worauf die Abbildung vor ſich geht. Auf dieſe Weiſe kann man die Linſe gegen das Vorbild, oder gegen die Tafel, und die Tafel entweder gegen beyde zu, oder von beyden abruͤcken, und die drey verſchiedenen Theile, Vorbild, Linſe und Tafel ſtehn vollkommen parallel ge - gen einander. Hat man den Punct, der zur Beobach - tung guͤnſtig iſt, gefunden; ſo kann man durch eine Schraube den innern Rahmen feſthalten. Dieſe Vor - richtung iſt bequem und ſicher, weil alles zuſammen - ſteht und genau auf einander paßt. Man ſucht nun den Punct, wo das Abbild am deutlichſten iſt, indem man Linſe und Tafel hin und her bewegt. Hat man dieſen gefunden; ſo faͤngt man die Beobachtung an.
4) Das Abbild. Newton fuͤhrt uns mit ſeiner hellrothen und dunkelblauen Pappe, wie er pflegt, in medias res; und wir haben ſchon oben bemerkt, daß erſt das Vorbild vermannigfaltigt und unterſucht wer - den muͤſſe, um zu erfahren, was man von dem Abbild erwarten koͤnne. Wir gehen daher folgendermaßen zu Werke. Wir bringen auf eine Pappe vier Vierecke in ein groͤßeres Viereck zuſammen, ein ſchwarzes, ein weißes, ein dunkelgraues und ein hellgraues. Wir zie - hen ſchwarze und weiße Striche daruͤber hin und be - merken ſie ſchon mit bloßem Auge nach Verſchiedenheit des Grundes mehr oder weniger. Doch da Newton ſelbſt ſeine ſchwarzen Faͤden Bilder nennt, warum macht er denn den Verſuch nicht mit wirklichen kleinen Bil -394 dern? Wir bringen daher auf die vier oben benannten Vierecke helle und dunkle kleine Bilder, gleichfalls Vier - ecke, oder Scheiben, oder Figuren wie die der Spiel - charten an, und dieſe ſo ausgeruͤſtete Pappe machen wir zum Vorbilde. Nun koͤnnen wir zuerſt zu einer ſichern Pruͤfung desjenigen fortſchreiten, was wir von dem Abbilde zu erwarten haben.
Ein jedes von Kerzen erleuchtetes Bild zeigt ſich weniger deutlich, als es beym Sonnenſchein geſchehen wuͤrde, und ein ſolches von Kerzen erleuchtetes Bild ſoll hier gar noch durch eine Linſe gehen, ſoll ein Ab - bild hergeben, das deutlich genug ſey, um eine bedeu - tende Theorie darauf zu gruͤnden.
Erleuchten wir nun jene unſere bemeldete Pappe ſo ſtark als moͤglich, und ſuchen ih Abbild auch moͤglichſt genau durch die Linſe auf die weiße Tafel zu bringen, ſo ſehen wir immer doch nur eine ſtumpfe Abbildung. Das Schwarze erſcheint als ein dunkles Grau, das Weiße als ein helles Grau, das dunkle und helle Grau der Pappe ſind auch weniger zu unterſcheiden als mit bloßem Auge. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Bildern. Diejenigen, welche ſich, dem Hellen und Dunkeln nach, am ſtaͤrkſten entgegenſetzen, dieſe ſind auch die deutlich - ſten. Schwarz auf Weiß, Weiß auf Schwarz laͤßt ſich gut unterſcheiden; Weiß und Schwarz auf Grau er -395 ſcheint ſchon matter, obgleich noch immer in einem ge - wiſſen Grade von Deutlichkeit.
Bereiten wir uns nun ein Vorbild von farbigen Quadraten an einander, ſo muß uns zum Voraus ge - genwaͤrtig bleiben, daß wir im Reich der halbbeſchatte - ten Flaͤchen ſind, und daß das farbige Papier ſich ge - wiſſermaßen verhalten wird wie das graue. Dabey haben wir uns zu erinnern, daß die Farben beym Ker - zenlicht anders als bey Tage erſcheinen. Das Violette wird grau, das Hellblaue gruͤnlich, das Dunkelblaue faſt ſchwarz, das Gelbe naͤhert ſich dem Weißen, weil auch das Weiße gelb wird, und das Gelbrothe waͤchſt auch nach ſeiner Art, ſo daß alſo die Farben der acti - ven Seite auch hier die helleren und wirkſameren, die der paſſiven hingegen die dunkleren und unwirkſameren bleiben. Man hat alſo bey dieſem Verſuch beſonders die Farben der paſſiven Seite hell und energiſch zu nehmen, damit ſie bey dieſer Nachtoperation etwas ver - lieren koͤnnen. Bringt man nun auf dieſe farbigen Flaͤchen kleine ſchwarze, weiße und graue Bilder, ſo werden ſie ſich verhalten, wie es jene angezeigten Ei - genſchaften mit ſich bringen. Sie werden deutlich ſeyn, inſofern ſie als Hell und Dunkel von den Farben mehr oder weniger abſtechen. Eben daſſelbe gilt, wenn man auf die ſchwarzen, weißen und grauen, ſo wie auf die farbigen Flaͤchen, farbige Bilder bringt.
Wir haben dieſen Apparat der Vorbilder, um zur Gewißheit zu gelangen, bis ins Ueberfluͤſſige vervielfaͤl - tigt. Denn dadurch unterſcheidet ſich ja bloß der Ex - perimentirende von dem, der zufaͤllige Erſcheinungen, als waͤren’s unzuſammenhaͤngende Begebenheiten, an - blickt und anſtaunt. Newton ſucht dagegen ſeinen Schuͤler immer nur an gewiſſen Bedingungen feſtzuhal - ten, weil veraͤnderte Bedingungen ſeiner Meynung nicht guͤnſtig ſind. Man kann daher die Newtoniſche Dar - ſtellung einer perſpectiviſch gemalten Theaterdecoration vergleichen, an der nur aus einem einzigen Standpuncte alle Linien zuſammentreffend und paſſend geſehen wer - den. Aber Newton und ſeine Schuͤler leiden nicht, daß man ein wenig zur Seite trete, um in die offnen Cou - liſſen zu ſehen. Dabey verſichern ſie dem Zuſchauer, den ſie auf ſeinem Stuhle feſthalten, es ſey eine wirk - lich geſchloſſene und undurchdringliche Wand.
Wir haben bisher referirt, wie wir die Sache bey genauer Aufmerkſamkeit gefunden; und man ſieht wohl, daß einerſeits die Taͤuſchung dadurch moͤglich ward, daß Newton zwey farbige Flaͤchen, eine helle und eine dunkle mit einander vergleicht, und verlangt, daß die dunkle leiſten ſoll, was die helle leiſtet. Er fuͤhrt ſie uns vor, nur als an Farbe verſchieden, und macht uns nicht aufmerkſam, daß ſie auch am Helldunkel verſchie -