Atqui perpendat philosophiae cultor, rerum abstrusarum investigationem non unius esse seculi; saepe veritas furtim quasi in conspectum veniens, negligentia philosophorum of - fensa subito se rursum subducit, non dignata homines sui conspectu mero, nisi officiosos et industrios.
Des Zweyten Bandes Erſter, hiſtoriſcher Theil.
[IV][V]Wird einer ſtrebenden Jugend die Geſchichte eher laͤſtig als erfreulich, weil ſie gern von ſich ſelbſt eine neue, ja wohl gar eine Urwelt-Epoche begin - nen moͤchte; ſo haben die in Bildung und Alter Fortſchreitenden gar oft mit lebhaftem Danke zu erkennen, wie mannigfaltiges Gute, Brauchbare und Huͤlfreiche ihnen von den Vorfahren hinterlaſ - ſen worden.
Nichts iſt ſtillſtehend. Bey allen ſcheinbaren Ruͤckſchritten muͤſſen Menſchheit und Wiſſenſchaft immer vorſchreiten, und wenn beyde ſich zuletzt auch wieder in ſich ſelbſt abſchließen ſollten. Vorzuͤgliche Geiſter haben ſich immer gefunden, die ſich mit - theilen mochten. Viel Schaͤtzenswerthes hievon iſt auf uns gekommen, woraus wir uns uͤberzeugen koͤnnen, daß es unſern Vorfahren an treffenden Anſichten der Natur nie gefehlt habe.
*VIDer Kreis, den die Menſchheit auszulaufen hat, iſt beſtimmt genug, und ungeachtet des gro - ßen Stillſtandes, den die Barbarey machte, hat ſie ihre Laufbahn ſchon mehr als einmal zuruͤckge - legt. Will man ihr auch eine Spiralbewegung zu - ſchreiben, ſo kehrt ſie doch immer wieder in jene Gegend, wo ſie ſchon einmal durchgegangen. Auf dieſem Wege wiederholen ſich alle wahren Anſichten und alle Irrthuͤmer.
Um ſich von der Farbenlehre zu unterrichten, mußte man die ganze Geſchichte der Naturlehre we - nigſtens durchkreuzen, und die Geſchichte der Phi - loſophie nicht außer Acht laſſen. Eine gedraͤngte Darſtellung waͤre zu wuͤnſchen geweſen; aber ſie war unter den gegebenen Umſtaͤnden nicht zu leiſten. Wir mußten uns daher entſchließen nur Materia - lien zur Geſchichte der Farbenlehre zu liefern, und hiezu das, was ſich bey uns aufgehaͤuft hatte, ei - nigermaßen ſichten.
Was wir unter jenem Ausdrucke verſtehen, wird nicht ſchwer zu deuten ſeyn. Wer Materia - lien zu einem Gebaͤude liefert, bringt immer mehr und weniger als erforderlich iſt. Denn dem Her - beygeſchafften muß oͤfters ſoviel genommen werden,VII nur um ihm eine Form zu geben, und an dasje - nige, was eigentlich zur letzten beſten Zierde ge - reicht, daran pflegt man zu Anfang einer Bauan - ſtalt am wenigſten zu denken.
Wir haben Auszuͤge geliefert und fanden uns hiezu durch mehrere Urſachen bewogen. Die Buͤ - cher, welche hier zu Rathe gezogen werden mußten, ſind ſelten zu haben, wo nicht in großen Staͤdten und wohlausgeſtatteten Bibliotheken, doch gewiß an manchen mittlern und kleinen Orten, von deren theilnehmenden Bewohnern und Lehrern wir unſre Arbeit gepruͤft und genutzt wuͤnſchten. Deshalb ſollte dieſer Band eine Art Archiv werden, in wel - chem niedergelegt waͤre, was die vorzuͤglichſten Maͤnner, welche ſich mit der Farbenlehre befaßt, daruͤber ausgeſprochen.
Auch trat noch eine beſondre Betrachtung ein, welche ſowohl hier als in der Geſchichte der Wiſſen - ſchaften uͤberhaupt gilt. Es iſt aͤußerſt ſchwer, fremde Meynungen zu referiren, beſonders wenn ſie ſich nachbarlich annaͤhern, kreuzen und decken. Iſt der Referent umſtaͤndlich, ſo erregt er Unge - duld und lange Weile; will er ſich zuſammenfaſſen, ſo kommt er in Gefahr, ſeine Anſicht fuͤr dieVIII fremde zu geben; vermeidet er zu urtheilen, ſo weiß der Leſer nicht, woran er iſt; richtet er nach gewiſſen Maximen, ſo werden ſeine Darſtellungen einſeitig und erregen Widerſpruch, und die Ge - ſchichte macht ſelbſt wieder Geſchichten.
Ferner ſind die Geſinnungen und Meynungen eines bedeutenden Verfaſſers nicht ſo leicht auszu - ſprechen. Alle Lehren, denen man Originalitaͤt zu - ſchreiben kann, ſind nicht ſo leicht gefaßt, nicht ſo geſchwind epitomirt und ſyſtematiſirt. Der Schrift - ſteller neigt ſich zu dieſer oder jener Geſinnung; ſie wird aber durch ſeine Individualitaͤt, ja oft nur durch den Vortrag, durch die Eigenthuͤmlichkeit des Idioms, in welchem er ſpricht und ſchreibt, durch die Wendung der Zeit, durch mancherley Ruͤckſichten modificirt. Wie wunderbar verhaͤlt ſich nicht Gaſſendi zu Epicur!
Ein Mann, der laͤnger gelebt, iſt verſchiedene Epochen durchgegangen; er ſtimmt vielleicht nicht immer mit ſich ſelbſt uͤberein; er traͤgt manches vor, davon wir das eine fuͤr wahr, das andre fuͤr falſch anſprechen moͤchten: alles dieſes darzuſtellen, zu ſondern, zu bejahen, zu verneinen, iſt eine unend - liche Arbeit, die nur dem gelingen kann, der ſich ihr ganz widmet und ihr ſein Leben aufopfern mag.
IXDurch ſolche Betrachtungen veranlaßt, durch ſolche Noͤthigungen gedraͤngt, laſſen wir meiſtens die Verfaſſer ſelbſt ſprechen; ja wir haͤtten die Ori - ginale lieber als die Ueberſetzung geliefert, wenn uns nicht eine gewiſſe Gleichfoͤrmigkeit und allge - meinere Brauchbarkeit zu dem Gegentheil bewogen haͤtte. Der einſichtsvolle Leſer wird ſich mit jedem beſonders unterhalten; wir haben geſucht ihm ſein Urtheil zu erleichtern, nicht ihm vorzugreifen. Die Belege ſind bey der Hand, und ein faͤhiger Geiſt wird ſie leicht zuſammenſchmelzen. Die Wie - derholung am Schluſſe wird hiezu behuͤlflich ſeyn.
Wollte man uns hier noch eine heitere Anmer - kung erlauben, ſo wuͤrden wir ſagen: daß durch dieſe Art, jeden Verfaſſer ſeinen Irrthum wie ſeine Wahrheit frey ausſprechen zu laſſen, auch fuͤr die Freunde des Unwahren und Falſchen geſorgt ſey, denen hierdurch die beſte Gelegenheit verſchafft wird, dem Seltſamſten und am wenigſten Haltbaren ihren Beyfall zuzuwenden.
Nach dieſem Erſten, welches eigentlich den Grund unſerer Bemuͤhung ausmacht, haben wir charakteriſtiſche Skizzen, einzelne biographiſche Zuͤge, manchen bedeutenden Mann betreffend, aphoriſtiſchX mitgetheilt. Sie ſind aus Notizen entſtanden, die wir zu kuͤnftigem unbeſtimmten Gebrauch, beym Durchleſen ihrer Schriften, bey Betrachtung ihres Lebensganges, aufgezeichnet. Sie machen keinen Anſpruch ausfuͤhrlich zu ſchildern, oder entſchie - den abzuurtheilen; wir geben ſie wie wir ſie fan - den: denn nicht immer waren wir in dem Falle, bey Redaction dieſer Papiere, alles einer nochmali - gen genauen Pruͤfung zu unterwerfen.
Moͤgen ſie nur daſtehen, um zu erinnern, wie hoͤchſt bedeutend es ſey, einen Autor als Menſchen zu betrachten; denn wenn man behauptet hat: ſchon der Styl eines Schriftſtellers ſey der ganze Mann, wie vielmehr ſollte nicht der ganze Menſch den gan - zen Schriftſteller enthalten. Ja eine Geſchichte der Wiſſenſchaften, inſofern dieſe durch Menſchen be - handelt worden, zeigt ein ganz anderes und hoͤchſt belehrendes Anſehen, als wenn bloß Entdeckungen und Meynungen an einander gereiht werden.
Vielleicht iſt auch noch auf eine andre Weiſe noͤthig, dasjenige zu entſchuldigen, was wir zu viel gethan. Wir gaben Nachricht von Autoren, die nichts oder wenig fuͤr die Farbenlehre geleiſtet, je - doch nur von ſolchen, die fuͤr die NaturforſchungXI uͤberhaupt bedeutend waren. Denn wie ſchwierig es ſey, die Farbenlehre, die ſich uͤberall gleichſam nur durchſchmiegt, von dem uͤbrigen Wiſſen eini - germaßen zu iſoliren und ſie dennoch wieder zuſam - men zu halten, wird jedem Einſichtigen fuͤhlbar ſeyn.
Und ſo haben wir, um eines durchgehenden Fadens nicht zu ermangeln, allgemeine Betrachtun - gen eingeſchaltet, den Gang der Wiſſenſchaften in verſchiedenen Epochen fluͤchtig bezeichnet, auch die Farbenlehre mit durchzufuͤhren und anzuknuͤpfen ge - ſucht. Daß hiebey mancher Zufall gewaltet, man - ches einer augenblicklichen Stimmung ſeinen Ur - ſprung verdankt, kann nicht gelaͤugnet werden. In - deſſen wird man einige Launen auch wohl einer ern - ſten Sammlung verzeihen, zu einer Zeit, in der ganze wetterwendiſche Buͤcher mit Vergnuͤgen und Beyfall aufgenommen werden.
Wie Manches nachzubringen ſey, wird erſt in der Folge recht klar werden, wenn die Aufmerkſam - keit mehrerer auf dieſen Gegenſtand ſich richtet. Verſchiedene Buͤcher ſind uns ungeachtet aller Be - muͤhungen nicht zu Handen gekommen; auch wird man finden, daß Memoiren der Academien, Jour - nale und andre dergleichen Sammlungen nicht ge -XII nugſam genutzt ſind. Moͤchten doch mehrere, ſelbſt diejenigen, die, um anderer Zwecke willen, alte und neue Werke durchgehen, gelegentlich notiren, was ihnen fuͤr unſer Fach bedeutend ſcheint und es ge - faͤllig mittheilen; wie wir denn ſchon bisher man - chen Freunden fuͤr eine ſolche Mittheilung den be - ſten Dank ſchuldig geworden.
Die Zuſtaͤnde ungebildeter Voͤlker, ſowohl der alten als der neuern Zeit, ſind ſich meiſtens aͤhnlich. Stark in die Sinne fallende Phaͤnomene werden leb - haft aufgefaßt.
In dem Kreiſe meteoriſcher Erſcheinungen mußte der ſeltnere, unter gleichen Bedingungen immer wie - derkehrende Regenbogen die Aufmerkſamkeit der Na - turmenſchen beſonders an ſich ziehen. Die Frage, woher irgend ein ſolches Ereigniß entſpringe, iſt dem kindlichen Geiſte wie dem ausgebildeten natuͤr - lich. Jener loͤſ’t das Raͤthſel bequem durch ein phantaſtiſches, hoͤchſtens poetiſches Symboliſiren; und ſo verwandelten die Griechen den Regenbogen in ein liebliches Maͤdchen, eine Tochter des Thau - mas (des Erſtaunens); beydes mit Recht: denn wir werden bey dieſem Anblick das Erhabene auf eine erfreuliche Weiſe gewahr. Und ſo ward ſie die - ſem Geſtalt liebenden Volke ein Individuum, Iris,XXIV ein Friedensbote, ein Goͤtterbote uͤberhaupt; an - dern, weniger Form beduͤrfenden Nationen, ein Friedenszeichen.
Die uͤbrigen atmoſphaͤriſchen Farbenerſcheinun - gen, allgemein, weit ausgebreitet, immer wiederkeh - rend, waren nicht gleich auffallend. Die Morgen - roͤthe nur noch erſchien geſtaltet.
Was wir uͤberall und immer um uns ſehen, das ſchauen und genießen wir wohl, aber wir beobachten es kaum, wir denken nicht daruͤber. Und wirklich entzog ſich die Farbe, die alles Sichtbare bekleidet, ſelbſt bey gebildeteren Voͤlkern gewiſſermaßen der Betrachtung. Deſtomehr Gebrauch ſuchte man von den Farben zu machen, indem ſich faͤrbende Stoffe uͤberall vorfanden. Das Erfreuliche des Farbigen, Bunten, wurde gleich gefuͤhlt; und da die Zierde des Menſchen erſtes Beduͤrfniß zu ſeyn ſcheint und ihm faſt uͤber das Nothwendige geht, ſo war die Anwendung der Farben auf den nackten Koͤrper und zu Gewaͤndern hald im Gebrauch.
Nirgends fehlte das Material zum Faͤrben. Die Fruchtſaͤfte, faſt jede Feuchtigkeit außer dem reinen Waſſer, das Blut der Thiere, alles iſt gefaͤrbt; ſoXXV auch die Metallkalke, beſonders des uͤberall vor - handnen Eiſens. Mehrere verfaulte Pflanzen ge - ben einen entſchiedenen Faͤrbeſtoff, dergeſtalt daß der Schlick an ſeichten Stellen großer Fluͤſſe als Farbematerial benutzt werden konnte.
Jedes Beflecken iſt eine Art von Faͤrben, und die augenblickliche Mittheilung konnte jeder bemer - ken, der eine rothe Beere zerdruͤckte. Die Dauer dieſer Mittheilung erfaͤhrt man gleichfalls bald. Auf dem Koͤrper bewirkte man ſie durch Tatuiren und Einreiben. Fuͤr die Gewaͤnder fanden ſich bald farbige Stoffe, welche auch die beizende Dauer mit ſich fuͤhren, vorzuͤglich der Eiſenroſt, gewiſſe Fruchtſchalen, durch welche ſich der Uebergang zu den Gallaͤpfeln mag gefunden haben.
Beſonders aber machte ſich der Saft der Pur - purſchnecke merkwuͤrdig, indem das damit Gefaͤrbte nicht allein ſchoͤn und dauerhaft war, ſondern auch zugleich mit der Dauer an Schoͤnheit wuchs.
Bey dieſer jedem Zufall freygegebenen Anfaͤr - bung, bey der Bequemlichkeit das Zufaͤllige vorſaͤtz - lich zu wiederholen und nachzuahmen, mußte auch die Aufforderung entſtehen, die Farbe zu entfernen. XXVIDurchſichtigkeit und Weiße haben an und fuͤr ſich ſchon etwas edles und wuͤnſchenswerthes. Alle er - ſten Glaͤſer waren farbig; ein farbloſes Glas mit Abſicht darzuſtellen gelang erſt ſpaͤtern Bemuͤhun - gen. Wenig Geſpinnſte, oder was ſonſt zu Ge - waͤndern benutzt werden kann, iſt von Anfang weiß; und ſo mußte man aufmerkſam werden auf die ent - faͤrbende Kraft des Lichtes, beſonders bey Vermitt - lung gewiſſer Feuchtigkeiten. Auch hat man gewiß bald genug den guͤnſtigen Bezug eines reinen weißen Grundes zu der darauf zu bringenden Farbe in fruͤheren Zeiten eingeſehen.
Die Faͤrberey konnte ſich leicht und bequem ver - vollkommnen. Das Miſchen, Sudlen und Manſchen iſt dem Menſchen angeboren. Schwankendes Taſten und Verſuchen iſt ſeine Luſt. Alle Arten von Infu - ſionen gehen in Gaͤhrung oder in Faͤulniß uͤber; beyde Eigenſchaften beguͤnſtigen die Farbe in einem entgegengeſetzten Sinne. Selbſt untereinander ge - miſcht und verbunden heben ſie die Farbe nicht auf, ſondern bedingen ſie nur. Das Saure und Alca - liſche in ſeinem rohſten empiriſchen Vorkommen, in ſeinen abſurdeſten Miſchungen wurde von jeher zur Faͤrberey gebraucht, und viele Faͤrberecepte bis auf den heutigen Tag ſind laͤcherlich und zweckwidrig.
XXVIIDoch konnte bey geringem Wachsthum der Cul - tur bald eine gewiſſe Abſonderung der Materialien ſo wie Reinlichkeit und Conſequenz ſtatt finden, und die Technik gewann durch Ueberlieferung un - endlich. Deswegen finden wir die Faͤrberey bey Voͤlkern von ſtationaͤren Sitten auf einem ſo hohen Grade der Vollkommenheit, bey Aegyptiern, In - diern, Chineſen.
Stationaͤre Voͤlker behandlen ihre Technik mit Religion. Ihre Vorarbeit und Vorbereitung der Stoffe iſt hoͤchſt reinlich und genau, die Bearbei - tung ſtufenweiſe ſehr umſtaͤndlich. Sie gehen mit einer Art von Naturlangſamkeit zu Werke; da - durch bringen ſie Fabricate hervor, welche bildungs - faͤhigern, ſchnell vorſchreitenden Nationen unnach - ahmlich ſind.
Nur die techniſch hoͤchſtgebildeten Voͤlker, wo die Maſchinen wieder zu verſtaͤndigen Organen wer - den, wo die groͤßte Genauigkeit ſich mit der groͤß - ten Schnelligkeit verbindet, ſolche reichen an jene hinan und uͤbertreffen ſie in vielem. Alles Mittlere iſt nur eine Art von Pfuſcherey, welche eine Con - currenz, ſobald ſie entſieht, nicht aushalten kann.
XXVIIIStationaͤre Voͤlker verfertigen das Werk um ſein ſelbſt willen, aus einem frommen Begriff, un - bekuͤmmert um den Effect; gebildete Voͤlker aber muͤſſen auf ſchnelle augenblickliche Wirkung rechnen, um Beyfall und Geld zu gewinnen.
Der charakteriſtiſche Eindruck der verſchiedenen Farben wurde gar bald von den Voͤlkern bemerkt, und man kann die verſchiedene Anwendung in die - ſem Sinne bey der Faͤrberey und der damit verbun - denen Weberey, wenigſtens manchmal, als abſicht - lich und aus einer richtigen Empfindung entſprin - gend anſehen.
Und ſo iſt alles, was wir in der fruͤheren Zeit und bey ungebildeten Voͤlkern bemerken koͤnnen, praktiſch. Das Theoretiſche begegnet uns zuerſt, indem wir nunmehr zu den gebildeten Griechen uͤbergehen.
Pythagoras ſagt von den Sinnen uͤberhaupt und insbeſondere vom Geſicht, es ſey: eine heiße Aus - duͤnſtung oder Dampf, vermittelſt deſſen wir ſowohl durch Luft als Waſſer ſehen: denn das Heiße werde von dem Kalten zuruͤckgeworfen. Waͤre nun die Aus - duͤnſtung in den Augen kalt, ſo wuͤrde ſie in die ihr aͤhnliche aͤußere Luft uͤbergehen. An einer andern Stelle nennt er die Augen Pforten der Sonne.
Die Pythagoreer laſſen die katoptriſchen Erſchei - nungen entſtehen durch eine Zuruͤckwerfung der Opſis. II. 12Die Opſis erſtrecke ſich bis auf den Spiegel und von ſeiner Dichte und Glaͤtte getroffen, kehre ſie in ſich ſelbſt zuruͤck, indem ſie etwas aͤhnliches erleide mit der Hand, welche ausgeſtreckt und an die Schulter zu - ruͤckgezogen wird.
Die Pythagoreer nannten die Oberflaͤche der Koͤr - per χροιά, das heißt Farbe. Ferner gaben ſie als Farbgeſchlechter an, das Weiße, das Schwarze, das Rothe und das Gelbe. Die Unterſchiede der Farben ſuchten ſie in der verſchiedenen Miſchung der Elemente; die mannigfaltigen Farben der Thiere hingegen in der Verſchiedenheit der Nahrungsmittel und Himmelsſtriche.
Empedocles ſagt, das Innre des Auges ſey Feuer (und Waſſer), die aͤußre Umgebung Erde und Luft; durch welche das Feuer, als ein Zartes durchſchwitze, wie das Licht durch die Laterne .... Die Gaͤnge (πόροι) aber des Feuers und Waſſers laͤgen verſchraͤnkt; durch die Gaͤnge des Feuers erkenne man das Weiße, durch die des Waſſers das Schwarze: denn jedes von die - ſen beyden ſey dem andern von beyden angemeſſen oder damit uͤbereinſtimmend (nach dem Grundſatz: Aehnli -3 ches wird durch Aehnliches erkannt). Die Farben aber gelangten durch einen Abfluß zu dem Geſicht. Die Augen ſeyen aber nicht aus Gleichem zuſammenge - ſetzt, ſondern aus Entgegenſtehendem; auch haͤtten einige das Feuer in ſich, andre außer ſich. Daher ſaͤhen auch einige Thiere bey Tage, andre bey Nacht beſſer. Die nehmlich weniger Feuer haͤtten, bey Tage: das innre Licht werde durch das aͤußre ausgeglichen; die im Gegentheil, bey Nacht: denn ihnen werde das Fehlende erſetzt. In den entgegengeſetzt organiſirten verhalte es ſich umgekehrt; ſie ſaͤhen ſchlecht. Bey de - nen nehmlich das Feuer vorwalte, am Tage noch ver - mehrt (durch das aͤußre) uͤberwaͤltige und verſtopfe es die Gaͤnge des Waſſers; bey denen aber das Waſſer vorwalte, werde des Nachts das Feuer vom Waſſer uͤberwaͤltigt, ſo lange bis daß in dieſen das Waſſer vom aͤußern Licht, bey jenen das Feuer durch die Luft ausgeſchieden und abgeſondert werde. Denn immer das Entgegenſtehende ſey die Heilung des andern. Am beſten gemiſcht und am tauglichſten ſeyen die Augen, die aus beyden Beſtandtheilen gleichfoͤrmig gemiſcht waͤren.
Empedocles erklaͤrt die Farbe fuͤr etwas, das den Gaͤngen des Auges oder Geſichts angemeſſen und damit uͤbereinſtimmend ſey. Ihre Verſchiedenheit leitet er von der Mannigfaltigkeit der Nahrung ab. Gleich den Ele -1 *4menten nimmt er viere derſelben an: weiß, ſchwarz, roth, gelb.
Nach Empedocles geſchehen die Erſcheinungen im Spiegel durch Ausfluͤſſe von den Gegenſtaͤnden, welche ſich auf der Oberflaͤche des Spiegels verſammeln, und vollendet werden durch das aus dem Auge ſich aus - ſcheidende Feuerhafte, welches die umgebende Luft, in welche jene Ausfluͤſſe getrieben werden, mit in Bewe - gung ſetzt.
Democritus laͤßt das Sehen entſtehn durch eine Emphaſis. Darunter verſteht er etwas beſonderes. Die Emphaſis geſchehe nicht geradenweges in der Pupille; ſondern die Luft zwiſchen dem Geſicht und dem Geſe - henen erhalte eine Form, indem ſie von dem Geſehenen und Sehenden zuſammengedruͤckt werde: denn von Allem geſchehe ein beſtaͤndiger Ausfluß. Die nunmehr harte und anders gefaͤrbte Luft ſpiegle ſich in den naſſen Au - gen. Das Dichte nun werde nicht aufgenommen, das Waͤſſrichte aber ſeihe durch. Darum waͤren auch die naſſen Augen tauglicher zum ſehen, als die harten, wo - fern die Hornhaut ſehr fein und dicht waͤre, das In -5 nere des Auges aber ſchwammig und leer an dickem und ſtarkem Fleiſche, ſo wie an dicker und fetter Feuch - tigkeit, die durch die Augen gehenden Adern aber in gerader Richtung und trocken, ſo wie von paßlicher Geſtalt fuͤr das Abgebildete: denn jedes erkenne am meiſten das ihm verwandte und aͤhnliche.
Democritus behauptet: τῷ νόμῳ χροιὴν εἶναι: die Farbe ſey nichts von Natur nothwendiges, ſondern ein durch Geſetz, Uebereinkunft, Gewoͤhnung Ange - nommenes und Feſtgeſtelltes.
Democritus ſagt, die Farbe ſey Nichts an ſich. Die Elemente, das Volle und das Leere haͤtten (zwar) Eigenſchaften; aber das aus ihnen Zuſammengeſetzte erhalte Farbe (erſt) durch Ordnung, Geſtalt und Lage oder Richtung: denn darnach fielen die Erſcheinungen aus. Dieſer Farbe ſeyen vier Veſchiedenheiten, weiß, ſchwarz, roth und gelb.
Democritus und Epicurus ſagen, das Sehen ge - ſchehe dadurch, daß Bilder von den Gegenſtaͤnden ſich abſondern und ins Auge kommen.
Die katoptriſchen Erſcheinungen geſchehen durch Zuruͤckwerfung von Bildern, welche von uns ausge - hen und ſich auf dem Spiegel vereinigen.
Epicur im zweyten Buche gegen Theophraſt laͤug - net, daß Farben den Koͤrpern inwohnen, und behauptet vielmehr, ſie entſtaͤnden durch gewiſſe Stellungen und Lagen der Koͤrper gegen das Geſicht; und auf dieſe Weiſe koͤnne ein Koͤrper eben ſo wenig farblos ſeyn, als Farbe haben. Weiter vorn ſchreibt er alſo: Auch davon abgeſehen, weiß ich nicht, wie man ſagen koͤnne, daß Koͤrper in der Finſterniß auch Farbe haͤtten.
Die Farbe veraͤndre ſich nach der Lage der Atomen.
Die Farben ſeyen die erſten Schematismen der Materie.
Nach Chryſippus Meynung geſchieht das Sehen, indem die Luft zwiſchen dem Gegenſtande und uns ſich erſtreckt, getroffen von dem zum Sehen beſtimmten Pneuma, das von der Seele aus bis in die Pupille dringt, und nach der Beruͤhrung der aͤußern Luft ſich in Geſtalt eines Kegels hinerſtreckt. Es ergießen ſich aber aus dem Auge feurige Strahlen, nicht ſchwarze oder neblichte; daher wir die Finſterniß ſehen koͤnnen.
Das Sehen geſchieht, wenn das Licht, welches zwiſchen dem Geſicht und dem Gegenſtande iſt, ſich in koniſcher Geſtalt hinerſtreckt. Die Spitze des Luftke - gels entſteht am Auge und die Baſis an dem was ge - ſehen wird; und ſo, indem die Luft wie ein Stab ſich hinerſtreckt, kuͤndigt ſich das Geſehene an.
Nichts erſcheint rein und an ſich, ſondern mit Luft und Licht, mit Fluͤſſigem und Feſtem, mit Waͤrme und Kaͤlte, Bewegung, Verdunſtung und andern Ei - genſchaften. Der Purpur z. B. zeigt eine andre Farbe in der Sonne, eine andre bey Mond - und Lampenlicht. Unſre eigene Farbe iſt anders um Mittag, und ſo auch der Sonne. Durch Lage, Ort und Entfernung erſcheint Großes klein, Eckiges rund, Ebenes uneben; Gerades erſcheint gebrochen, das Bleiche anders gefaͤrbt. Berge erſcheinen von fern luftartig und glatt, in der Naͤhe rauh; der nehmliche Koͤrper im ſchattigen Hain anders als im Freyen; der Hals der Taube, je nachdem ſie ihn wendet.
Uebrigens giebt es noch eine vierte Art Empfindbares, die wir abzuhandeln haben, welche aus vielen Man - nigfaltigkeiten beſteht. Dieſe werden von uns ſaͤmmt - lich Farben genannt, eine Flamme, die von jedem Koͤrper ausfließt und ſolche Theile hat, die ſich zum Sinn des Geſichts dergeſtalt verhalten, daß ſie von ihm empfunden werden koͤnnen.
Was das Geſicht betrifft, von deſſen Urſprung haben wir oben geredet, und nun ziemt es ſich auch die Farben kuͤrzlich abzuhandeln.
9Was von jenen Theilen dergeſtalt herangebracht wird, daß es ins Geſicht faͤllt, iſt entweder kleiner oder groͤßer als die Theile des Geſichts, oder ihnen voͤllig gleich. Das Gleiche wird nicht empfunden, deßhalb wir es durchſichtig nennen. Durch das Kleine hingegen wird das Geſicht geſammelt, durch das Groͤßere entbun - den, und beyde ſind mit dem Warmen und Kalten das auf die Haut, mit dem Sauern das auf die Zunge wirkt, mit dem Hitzigen das wir auch bitter nennen, verſchwiſtert.
Durch Schwarz und Weiß entſtehen eben ſolche Wir - kungen, aber als Erſcheinungen fuͤr einen andern Sinn, jedoch aus denſelben Urſachen. Daher laͤßt ſich behaupten: durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch das Schwarze hingegen geſammelt.
Ein lebhafter Trieb aber und eine Art andern Feuers dringt von innen gegen die Augen und entbindet gleichfalls das Geſicht, und indem er die Gaͤnge der Augaͤpfel mit Gewalt durchdringt und ſchmelzt, wird ein feuriges Waſſer haͤufig vergoſſen, das wir Thraͤne heißen. Jener Trieb aber iſt ein Feuer das dem aͤußern begegnet.
Wenn nun das innere Feuer herausſtuͤrzt wie ein Blitzſtrahl, indem das aͤußre eindringt und in der Feuch - tigkeit verliſcht, werden wir durch die bey ſolcher gegen - ſeitigen Wirkung entſtandenen Farben geblendet, und dasjenige, wovon ſich die Wirkung herſchreibt, nennen wir leuchtend oder glaͤnzend.
Eine mittlere Art Feuer hingegen, die zu der Augen - feuchte gelangt und ſich damit verbindet, bringt zwar10 keinen Glanz hervor; weil jedoch die Feuchtigkeit ſich mit dem Leuchten des Feuers vereinigt, entſteht eine Blutfarbe, welche man Roth nennt.
Das Leuchtende ferner mit Roth und Weiß ver - miſcht erzeugt das Gelbe.
Nach welchem Maße aber ſolches entſtehe, wuͤrde Jemand, ſelbſt wenn er es verſtuͤnde, zu ſagen nicht unternehmen, weil er weder das Nothwendige noch das Wahrſcheinliche davon einigermaßen auszufuͤhren im Stande waͤre.
Roth mit Schwarz und Weiß vermiſcht giebt die Purpurfarbe.
Wenn dieſe Miſchung eine Verbrennung erleidet, ſo daß das Schwarze uͤberwiegend wird, entſteht das Orphnion (ein leuchtend feurig Schwarz).
Das Braunrothe entſteht, wenn Gelb und Grau, das Graue hingegen, wenn Weiß und Schwarz ge - miſcht werden.
Aus Weiß und Gelb entſteht das Balſſe (Gelb).
Wenn das Glaͤnzende mit dem Weißen zuſammen - tritt und auf reines Schwarz faͤllt, dann wird die blaue Farbe vollendet.
Blau mit Weiß macht Hellblau.
Braunroth und Schwarz Lauchfarbe.
Hieraus ſind denn auch die uͤbrigen gewiſſermaßen offenbar und durch was fuͤr aͤhnliche Miſchungen ſie hervorgebracht werden.
Anzunehmen, daß die blauen Augen feuerhaft ſind, wie Empedocles ſagt, die ſchwarzen aber mehr Waſſer als Feuer haben und dieſerwegen am Tage nicht ſcharf ſehen aus Mangel des Waſſers, die andern aber des Nachts aus Mangel des Feuers, iſt irrig; ſin - temal nicht des Feuers das Auge iſt, ſondern des Waſſers. Außerdem laͤßt ſich die Urſache der Farben noch auf eine andre Weiſe angeben.
Waͤre das Auge Feuer, wie Empedocles behauptet, und im Timaͤus geſchrieben ſteht, und geſchaͤhe das Sehen, indem das Licht, wie aus einer Laterne, (aus den Augen) herausgehe; warum in der Finſterniß ſieht nicht das Auge? Daß es ausgeloͤſcht werde im Fin - ſtern, wenn es herauskomme, wie der Timaͤus ſagt, iſt durchaus nichtig. Denn was heißt Ausloͤſchung des Lichtes? Geloͤſcht wird im Naſſen oder im Kalten das Warme (Heiße) und Trockne; dergleichen in dem Koh - lichten das Feuer zu ſeyn ſcheint und die Flamme. Keins von beyden aber ſcheint dem Augenlicht zu Grunde zu liegen. Laͤgen ſie aber auch, und nur, wegen der We - nigkeit, auf eine uns verborgne Weiſe; ſo muͤßte taͤg - lich auch vom Waſſer das Augenlicht ausgeloͤſcht werden, und im Froſt zumeiſt muͤßte Finſterniß entſtehen, wie wenigſtens mit der Flamme und brennenden Koͤr - pern geſchieht. Nun aber geſchieht nichts dergleichen. 12Empedocles nun ſcheint einmal zu behaupten, indem das Licht herausgehe, ſaͤhen wir, ein andermal wieder durch Aus - oder Abfluͤſſe von den geſehenen Gegenſtaͤnden.
Democritus hingegen, ſo fern er behauptet das Auge ſey Waſſer, hat Recht; ſo fern er aber meint, daß Sehen ſey eine Emphaſis (Spiegelung), hat er Unrecht. Denn dieß geſchieht, weil das Auge glatt iſt, und eine Emphaſis findet nicht ſtatt im Gegenſtande, ſondern im Sehenden: denn der Zuſtand iſt eine Zuruͤckwerfung. Doch uͤber die Emphaͤnomena und uͤber die Zuruͤckwer - fung hatte er, wie es ſcheint, keine deutlichen Begriffe. Sonderbar iſt es auch, daß ihm nicht die Frage aufſtieß: warum das Auge allein ſieht, die andern Dinge, worin die Bilder ſich ſpiegeln, aber nicht. Daß nun das Auge Waſſer ſey, darin hat er Recht. Das Sehen aber ge - ſchieht nicht, in ſo fern das Auge Waſſer iſt, ſondern in ſo fern das Waſſer durchſichtig iſt, welche Eigen - ſchaft es mit der Luft gemein hat.
Democritus aber und die meiſten Phyſiologen, die von der Wahrnehmung des Sinnes handeln, behaupten etwas ganz unſtatthaftes. Denn alles Empfindbare machen ſie zu etwas Fuͤhlbarem; da doch, wenn dem ſo waͤre, in die Augen faͤllt, daß auch alle uͤbrigen Empfindungen ein Fuͤhlen ſeyn muͤßten; welches, wie leicht einzuſehen, unmoͤglich. Ferner machen ſie, was allen Wahrnehmungen der Sinne gemeinſchaftlich iſt, zu einem Eigenthuͤmlichen. Denn Groͤße und Geſtalt, Rauhes und Glattes, Scharfes und Stumpfes an den13 Maſſen ſind etwas allen Sinneswahrnehmungen gemei - nes, oder wenn nicht allen, doch dem Geſichte und Gefuͤhl. Darum taͤuſchen dieſe beyden Sinne ſich zwar hieruͤber, nicht aber uͤber das jedem eigenthuͤmliche, z. E. das Geſicht nicht uͤber die Farbe, das Gehoͤr nicht uͤber den Schall. Jene Phyſiologen aber werfen das Eigenthuͤmliche mit dem Gemeinſchaftlichen zuſam - men, wie Democritus. Vom Weißen nehmlich und Schwarzen behauptet er, dieſes ſey rauh und jenes glatt. Auch die Geſchmaͤcke bringt er auf Geſtalten zu - ruͤck. Wiewohl es des Geſichtes mehr als jedes andern Sinnes Eigenſchaft iſt, das Gemeinſame zu erkennen. Sollte es nun mehr des Geſchmackes Sache ſeyn; ſo muͤßte, da das kleinſte in jeglicher Art zu unterſcheiden, dem ſchaͤrfſten Sinne angehoͤrt, der Geſchmack zumeiſt das uͤbrige gemeinſame empfinden und uͤber die Geſtalt der vollkommenſte Richter ſeyn. Ferner alles Empfind - bare hat Gegenſaͤtze, z. E. in der Farbe, iſt dem Schwarzen das Weiße, im Geſchmack, das Suͤße dem Bittern entgegen; Geſtalt aber ſcheint kein Gegenſatz von Geſtalt zu ſeyn. Denn welchem Eck ſteht der Zirkel entgegen? Ferner da die Geſtalten unendlich ſind, muͤß - ten auch die Geſchmaͤcke unendlich ſeyn: denn warum ſollte man von den ſchmeckbaren Dingen einige empfin - den, andre aber nicht? —
Sichtbar iſt, weſſen allein das Geſicht iſt. Sicht - bar iſt aber die Farbe und etwas das ſich zwar be - ſchreiben laͤßt, aber keinen eigenen Nahmen hat. Was14 wir meynen, ſoll weiterhin klar werden. Das Sichtbare nun, von dem wir reden, iſt einmal die Farbe. Dieſe aber iſt das, was an dem an ſich Sichtbaren ſich befindet. An ſich ſichtbar iſt, was es nicht (τῷ λόγῳ) durch Be - zug auf ein anderes iſt, ſondern den Grund des Sicht - barſeyns in ſich hat. Alle Farbe aber iſt ein Erregendes des actu Durchſichtigen. Und dieß iſt ſeine Natur. Da - her iſt ohne Licht Farbe nicht ſichtbar, ſondern jede Farbe iſt durchaus nur im Lichte ſichtbar. Daher muͤſſen wir zuerſt ſagen, was das Licht iſt.
Es giebt ein Durchſichtiges (διαφανές). Durch - ſichtig nenn’ ich, was zwar ſichtbar iſt, aber nicht ſichtbar an ſich, ſondern durch eine andre Farbe. Von der Art iſt die Luft, das Waſſer und mehrere feſte Koͤrper. Denn nicht in ſo fern ſie Waſſer und in ſo fern ſie Luft, ſind ſie durchſichtig; ſondern weil eine ſolche Natur in ihnen iſt.
Licht nun iſt der actus dieſes Durchſichtigen, als Durchſichtigen. Worin es ſich nur potentia befindet, das kann auch Finſterniß ſeyn. Licht iſt aber gleichſam die Farbe des Durchſichtigen, wann es actu durchſich - tig iſt, es ſey durchs Feuer oder durch das hoͤchſte und letzte Element.
Was nun das Durchſichtige und was das Licht ſey, iſt geſagt, daß es nicht Feuer ſey, noch uͤberhaupt ein Koͤrper, noch der Ausfluß irgend eines Koͤrpers: denn auch ſo wuͤrde es ein Koͤrper ſeyn; ſondern Feuers oder eines Andern dergleichen Anweſen - heit in dem Durchſichtigen. Denn zwey Koͤrper koͤnnen nicht zugleich in Einem ſeyn. Das Licht ferner ſcheint15 der Gegenſatz von Finſterniß. Finſterniß ſcheint der Mangel einer dergleichen ἕξις in dem Durchſichtigen. Wie daraus erhellt, daß die Anweſenheit deſſelben das Licht iſt. Daher Empedocles, und wer ſonſt, nicht recht hat zu behaupten, das Licht verbreite ſich und komme zwiſchen die Erde und ihre Umgebung, ohne daß wir es merkten. Denn dieß iſt gegen alle Principien, und gegen die Erſcheinung. In einem kleinen Raume koͤnnte es unbemerkt bleiben; aber vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang iſt die Foderung zu groß.
Der Farbe nun empfaͤnglich iſt das Farbloſe, wie des Schalls das Schallloſe. Farblos iſt das Durch - ſichtige und Unſichtliche, oder das kaum Sichtbare, der - gleichen das Finſtere zu ſeyn ſcheint. Dergleichen alſo iſt das Durchſichtige, aber nicht wenn es actu durch - ſichtig iſt, ſondern, wenn es potentia. Denn das iſt ſeine Natur, daß es bald Licht bald Finſterniß iſt. Nicht alles aber iſt ſichtbar im Licht: ſondern nur eines jeden eigenthuͤmliche Farbe. Denn einiges wird nicht geſehen im Licht, aber in der Finſterniß giebt es Em - pfindung, z. E. das Feurige und Leuchtende. Dieſe Dinge laſſen ſich mit einem Worte nicht benennen, z. E. die Schnuppe am Licht, Horn, die Koͤpfe der Fiſche und Schuppen und Augen. An keinem von dieſen Dingen wird die eigenthuͤmliche Farbe geſchaut; wo - durch ſie aber nun ſichtbar werden, iſt eine andre Un - terſuchung.
Soviel iſt allbereits klar, daß das im Licht ge - ſehene, Farbe iſt; daher wird ſie nicht ohne Licht ge - ſehen. Denn das iſt das Weſen der Farbe, daß es16 das Erregende des actu Durchſichtigen iſt. Der actus des Durchſichtigen aber iſt das Licht. Ein offenbarer Beweis davon iſt: Wenn jemand etwas Farbiges auf das Auge ſelbſt legt, ſo ſieht er es nicht; ſondern die Farbe erregt das Durchſichtige, die Luft; von dieſer aber, die ein continuum iſt, wird das Geſichtsorgan erregt. Daher hat Democritus unrecht, zu glauben, wenn der Zwiſchenraum leer waͤre, ſo wuͤrde man auch eine Ameiſe am Himmel genau ſehen koͤnnen. Denn dieß iſt unmoͤglich. Denn nur dadurch, daß das Geſichts - organ etwas erleidet, geſchieht das Sehen. Von der geſehenen Farbe ſelbſt kann jenes nicht erfolgen; es bleibt alſo nur uͤbrig, daß es von dem, was zwiſchen iſt (dem Medium), geſchehe. Darum muß nothwendig etwas zwiſchen ſeyn. Waͤre der Zwiſchenraum leer, ſo wuͤrde die Ameiſe nicht nur nicht genau, ſondern ganz und gar nicht geſehen werden koͤnnen.
Warum nun die Farbe nothwendig im Licht geſe - hen werden muß, iſt geſagt. Das Feuer aber wird in beyden geſehen, im Licht und in der Finſterniß; und dieß nothwendiger Weiſe. Denn das Durchſichtige wird dadurch durchſichtig. Dieſelbe Bewandniß hat es mit dem Schall und mit dem Geruch.
Denn keins von beyden, wenn es unmittelbar das Organ beruͤhrt, bringt eine Empfindung hervor; ſondern von Geruch und Schall muß zuvor das Medium bewegt werden, und durch dieſes erſt das Organ fuͤr Beyde. Wenn Jemand unmittelbar an das Organ ein Schallendes oder Riechendes bringt; ſo entſteht durch - aus keine[Empfindung]. Auf gleiche Weiſe verhaͤlt es17 ſich mit dem Gefuͤhl (tactus) und Geſchmack, nur faͤllt es da nicht ſo in die Augen. Das Medium fuͤr den Schall, iſt die Luft, fuͤr das Riechende, etwas das keinen Nahmen hat. Denn ſo wie das Durchſich - tige fuͤr die Farbe eine gemeinſchaftliche Affection des Waſſers und der Luft iſt; ſo giebt es eine andre ge - meinſchaftliche Affection in beyden, dem Waſſer und der Luft, fuͤr das Riechende. Es ſcheinen nehmlich die im Waſſer lebenden Thiere eine Empfindung des Geruchs zu haben; aber der Menſch, und andre Land - thiere, welche athmen, koͤnnen nicht riechen ohne zu athmen.
Licht iſt des Durchſichtigen Farbe per accidens: denn die Gegenwart eines Feuerartigen im Durchſich - tigen iſt Licht, die Abweſenheit, Finſterniß.
Was wir durchſichtig nennen, iſt weder der Luft, noch dem Waſſer, noch einem der Elemente beſonders eigen; ſondern es iſt eine gemeinſame Natur und Ei - genſchaft, die abgeſondert zwar nicht iſt, aber in ihnen befindet ſie ſich und wohnt einem Koͤrper mehr, andern weniger bey. So wie nun der Koͤrper ein Aeußerſtes haben muß, ſo auch das Durchſichtige. Die Natur des Lichts iſt nun in einem unbegraͤnzten (ἀορίστῳ) Durchſichtigen. Daß nun das Durch - ſichtige in den Koͤrpern ein Aeußerſtes haben muß, iſt allen einleuchtend; daß dieſes aber die Farbe ſey, iſt aus den Vorderſaͤtzen ergeblich. Denn die Farbe iſt entweder in der Graͤnze, oder ſelbſt die Graͤnze. II. 218Daher nannten auch die Pythagoreer die Oberflaͤche Farbe. Nun iſt aber die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers und nicht ſelbſt die Graͤnze; ſondern dieſelbe faͤrbende Natur, die man außen annimmt, muß man auch innerhalb annehmen.
Luft und Waſſer erſcheinen gefaͤrbt: denn ihr Ausſehen (αὐγή) iſt ein ſolches. Aber weil dort die Farbe in einem Unbegraͤnzten iſt, zeigen beyde in der Naͤhe und in der Ferne nicht einerley Farbe. In (feſten) Koͤrpern aber iſt die Erſcheinung der Farbe eine beſtimmte, wenn nicht etwa das, was den Koͤr - per einſchließt, eine Veraͤnderung hervorbringt. Es iſt alſo klar, daß ein und daſſelbe der Farbe Em - pfaͤngliche, ſo wohl dort als hier ſtatt findet. Das Durchſichtige alſo, in ſo fern es den Koͤrpern in - wohnt, und das iſt mehr oder weniger der Fall, macht ſie alle der Farbe faͤhig oder theilhaft. Da nun die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers iſt, ſo iſt ſie auch in der Graͤnze des Durchſichtigen, ſo daß alſo Farbe die Graͤnze des Durchſichtigen an dem begraͤnzten Koͤrper waͤre. Den durchſichtigen Koͤrpern ſelbſt, als dem Waſſer und was ſonſt der Art iſt, und was eine eigene Farbe hat, dieſen allen wohnt ſie bey im Aeußerſten.
In dem Durchſichtigen nun iſt dasjenige, wodurch auch in der Luft das Licht hervorgebracht wird, bald wirklich vorhanden, bald nicht, ſondern entnommen. So wie nun dort bald Licht, bald Finſterniß ſtatt findet, ſo iſt auch in den Koͤrpern Weiß und Schwarz.
19Von den andern Farben iſt nun zu handeln, auf wie vielerley Art ſie entſtehen. Einmal koͤnnen ſie ſo entſtehen, daß wenn Schwarz und Weiß neben ein - ander liegen, eins wie das andre aber wegen ihrer Kleinheit unſichtbar ſind, dennoch Etwas aus ihnen ent - ſpringe, welches ſichtbar wird. Dieſes kann nun we - der ſchwarz, noch auch weiß ſeyn; da es aber doch eine Farbe ſeyn muß, ſo muß ſie eine gemiſchte ſeyn und einen andern Anblick gewaͤhren.
Auf dieſe Weiſe koͤnnen nun ſehr viele Farben, außer dem Weißen und Schwarzen, entſtehen. Einige durch Verhaͤltniſſe, indem ſie wie drey zu zwey, drey zu viere und ſo fort in andern Portionen neben einan - der liegen. Andre hingegen nicht durch Zahlenverhaͤlt - niſſe, ſondern durch ein ineommenſurables Plus oder Minus. So koͤnnen ſie ſich verhalten z. E. wie die Conſonanzen in der Muſik, daß nehmlich die Farben von den leichteſten Zahlenverhaͤltniſſen, gerade wie die Conſonanzen, als die angenehmſten erſchienen, z. B. Violett und Roth, und einige andre dergleichen. Daher auch nur wenige Conſonanzen ſind. Andre ferner, die nicht in ſolchen Verhaͤltniſſen beſtehen, wuͤrden die uͤbri - gen Farben ausmachen. Oder auch, alle Farben, ſo - wohl die in einer Ordnung als die in keiner beſtehen, beruhten auf Zahlenverhaͤltniſſen, und ſelbſt dieſe, wenn ſie nicht rein ſind, weil ſie auf keinem Zahlenverhaͤlt - niß beruhen, muͤßten es dennoch werden.
Dieß iſt nun Eine Art der Farbenentſtehung. Eine andre Art iſt, wenn ſie durch einander erſcheinen; wie z. B. die Maler thun, daß ſie eine Farbe uͤber eine2 *20andre mehr energiſche herſtreichen, wenn ſie etwas als in Luft oder Waſſer befindlich vorſtellen wollen; oder wie die Sonne, die an ſich weiß erſcheint, durch Ne - bel und Rauch geſehen aber roth. Auf dieſe Weiſe koͤnnen viele Farben entſtehen, daß nehmlich eine gegen - ſeitige Bedingung der oben und der unten befindlichen Farbe ſtatt findet. Andre koͤnnen gaͤnzlich ohne die - ſelbe entſtehen.
Zu behaupten, wie die Alten ſagen, die Farben ſeyen Ausfluͤſſe und das Sehen geſchaͤhe aus dieſer Urſache, iſt ganz unſtatthaft. Denn alsdann muͤſſen ſie die Em - pfindung von allem andern durch Beruͤhren entſtehen laſſen. Viel beſſer iſt es daher zu ſagen, durch die Bewegung des Mediums zwiſchen dem Organ und dem Empfindbaren geſchehe die Empfindung, als durch Aus - fluͤſſe und Beruͤhren.
Bey Nebeneinanderliegendem muß man, wie man eine unſichtliche Groͤße annimmt, auch eine unmerkliche Zeit annehmen, damit wir die ankommenden Bewe - gungen nicht bemerken, und der Gegenſtand Eins ſcheine, weil er zugleich erſcheint. Aber bey der Farbe iſt das nicht nothwendig. Denn die uͤber einer andern liegende Farbe, ſie mag von der untern bewegt werden oder nicht, bringt doch keine gleichen Eindruͤcke hervor. Darum erſcheint ſie als eine andre Farbe und nicht weder als weiß noch als ſchwarz. Daher, wenn auch keine unſichtliche Groͤße, ſondern alles in einer gewiſſen Entfernung ſichtbar waͤre, wuͤrde auch ſo noch eine Miſchung der Farbe ſtatt finden, und nichts uns hin -21 dern, auch in der Entfernung eine gemeinſchaftliche Farbe wahrzunehmen.
Wenn nun eine Miſchung der Koͤrper ſtatt findet, ſo geſchieht es nicht blos auf die Weiſe, wie Einige ſich die Sache vorſtellen, daß nehmlich kleinſte Theile neben einander liegen, die uns unbemerklich ſind; ſon - dern auch ſo, daß die Miſchung uͤberall und durchweg ſey. Denn auf jene Weiſe miſcht ſich nur, was ſich in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, wie Menſchen, Pferde, Samenkoͤrner. Denn von einer Menge Men - ſchen iſt ein Menſch der kleinſte Theil, von Pferden, ein Pferd; ſo daß aus Zuſammenſtellung beyder die Menge beyder gemiſcht iſt. Von einem Menſchen und einem Pferde kann man nicht ſagen, daß ſie gemiſcht ſind. Was ſich nun nicht in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, bey dem findet keine Miſchung auf dieſe Art ſtatt; ſondern auf die Art, daß alles durchaus und aller Orten gemiſcht ſey, was ſich be - ſonders zu einer ſolchen Miſchung eignet.
Daß nun wie jenes ſich miſcht, auch die Farben ſich miſchen, iſt klar, und daß dieſes die Haupturſache der Verſchiedenheit der Farben ſey und nicht das Ueber - und Nebeneinanderliegen derſelben. Denn nicht etwa in der Ferne blos und in der Naͤhe nicht, zeigen ver - miſchte Dinge einerley Farbe, ſondern in jedem Standpunct.
Viele Farben werden ſich ergeben, weil viele Ver - haͤltniſſe moͤglich ſind, in denen das Gemiſchte ſich miſcht. Einige beruhen auf Zahlen, andere blos auf einem Uebermaaß; andere endlich auf derſelben Weiſe,22 wie bey uͤber - oder nebeneinander liegenden Farben geſchieht.
Wie die Farben aus der Miſchung des Weißen und Schwarzen entſtehen, ſo auch die Geſchmaͤcke aus der des Suͤßen und Bittern; und zwar nach Verhaͤlt - niß des Mehr oder Weniger, es ſey der Zahl nach, oder der Bewegung, oder unbeſtimmt. Die angeneh - men Geſchmaͤcke beruhen auf dem Zahlenverhaͤltniß. Der fette Geſchmack gehoͤrt zu dem ſuͤßen; der ſalzige und bittre ſind beynahe eins. Der beißende, herbe, zuſammenziehende und ſaure fallen dazwiſchen. Schier wie die Arten des Geſchmacks verhalten ſich auch die Species der Farben. Denn beyder ſind ſieben; wenn man, wie billig, das φαιὸν zum Schwarzen rechnet. Daraus folgt, daß das Gelbe zum Weißen gehoͤre, wie das Fette zum Suͤßen. Das Rothe, Violette, Gruͤne und Blaue liegt zwiſchen dem Weißen und Schwarzen. Die uͤbrigen ſind aus dieſen gemiſcht. Und wie das Schwarze eine Beraubung des Weißen im Durchſichti - gen; ſo iſt das Salzige und Bittre eine Beraubung des Suͤßen in dem naͤhrenden Feuchten. Darum iſt die Aſche aller verbrannten Koͤrper bitter: denn das Trinkbare iſt ihr entzogen.
Die empfindbaren Dinge geben uns durch einen jeglichen Sinn eine Empfindung, und dieſer durch die - ſelben in uns entſtehende Zuſtand dauert nicht blos ſo23 lange die Sinne eben thaͤtig ſind, ſondern auch wenn ſie aufhoͤren. Wenn wir anhaltend einer Sinnesem - pfindung uns hingeben, und nun den Sinn auf einen andern Gegenſtand uͤbertragen; ſo begleitet ihn der erſte Zuſtand mit hinuͤber, z. E. wenn man aus der Sonne ins Dunkle geht. Dann ſieht man nichts, we - gen des in den Augen fortdauernden Lichteindrucks. Auch wenn wir auf eine Farbe, weiß oder gruͤn, lange hingeſchaut haben, ſo erſcheint uns etwas der - gleichen, wohin wir auch den Blick wenden moͤgen. Auch ſobald wir in die Sonne, oder auf einen andern hellen Gegenſtand geſehen haben, und die Augen ſchließen, erſcheint, wenn wir in der geraden Rich - tung, worin wir ſehen, beobachten, zufoͤrderſt etwas dergleichen an Farbe: dann verwandelt es ſich in Roth, dann in Purpur, bis es zuletzt ins Schwarze uͤbergeht und verſchwindet.
I. Von den einfachen Farben ‒ ‒ 1 — 14. II. Von den mittlern oder gemiſchten ‒ 15 — 16. III. Von der Unbeſtimmbarkeit der Farben ‒ 27 — 37. IV. Von den kuͤnſtlichen Farben ‒ ‒ 38. V. Von der Veraͤnderung der Farben an den Pflan - zen durch organiſche Kochung ‒ ‒ 39 — 62. VI. Von den Farben der Haare, Federn und Haͤute 63 — 82.
Einfache Farben ſind diejenigen, welche die Ele - mente begleiten, das Feuer, die Luft, das Waſſer und die Erde. Die Luft und das Waſſer ſind ihrer Natur nach weiß, das Feuer und die Sonne aber gelb. Die Erde iſt urſpruͤnglich gleichfalls weiß, aber wegen der Tingirung erſcheint ſie vielfaͤrbig. Dieſes wird offen -25 bar an der Aſche; denn ſobald nur die Feuchtigkeit ausgebrannt iſt, welche die Tinctur verurſachte, ſo wird der Ueberreſt weiß, nicht aber voͤllig; denn etwas wird wieder von dem Rauch gefaͤrbt, welcher ſchwarz iſt. Deswegen wird auch die Lauge gelb, weil etwas Flammenartiges und Schwarzes das Waſſer faͤrbt.
Die ſchwarze Farbe begleitet die Elemente, wenn ſie in einander uͤbergehen.
Die uͤbrigen Farben aber entſtehen, wenn ſich jene einfachen vermiſchen und wechſelſeitig temperiren.
Die Finſterniß entſteht, wenn das Licht mangelt.
Schwarz erſcheint uns auf dreyerley Weiſe: denn, erſtens, was durchaus nicht geſehen wird, wenn man den umgebenden Raum ſieht, erſcheint uns als ſchwarz, ſo auch, zweytens, dasjenige, wovon gar kein Licht in das Auge kommt. Drittens nennen wir aber auch ſolche Koͤrper ſchwarz, von denen ein ſchwaches und ge - ringes Licht zuruͤckgeworfen wird.
Deswegen halten wir auch die Schatten fuͤr ſchwarz.
Ingleichen das Waſſer, wenn es rauh wird, wie das Meer im Sturm. Denn da von der rauhen Ober - flaͤche wenig Lichtſtrahlen zuruͤckgeworfen werden, viel - mehr das Licht ſich zerſtreut, ſo erſcheint das Schattige ſchwarz.
Durchſichtige Koͤrper, wenn ſie ſehr dick ſind, z. B. die Wolken, laſſen kein Licht durch und erſchei - nen ſchwarz. Auch ſtrahlt, wenn ſie eine große Tiefe haben, aus Waſſer und Luft kein Licht zuruͤck, daher die mittlern Raͤume ſchwarz und finſter erſcheinen.
Daß aber die Finſterniß keine Farbe ſey, ſondern eine Beraubung des Lichts, dieſes iſt nicht ſchwer aus verſchiedenen Umſtaͤnden einzuſehen; am meiſten aber daher: daß ſich nicht empfinden laͤßt, wie groß und von welcher Art das Gebilde derſelben ſey, wie es ſich doch bey andern ſichtbaren Dingen verhaͤlt.
Daß aber das Licht zugleich die Farbe des Feuers ſey, iſt daraus deutlich, weil man an dieſem keine an - dere Farbe findet und weil es durch ſich allein ſichtbar iſt, ſo wie es alles uͤbrige ſichtbar macht.
Das Gleiche gilt von einigem, was weder Feuer, noch feuerartig iſt, und doch Licht von ſich zu geben ſcheint.
Die ſchwarze Farbe aber entſteht, wenn Luft und Waſſer vom Feuer verbrannt werden, deswegen alles angebrannte ſchwarz wird, wie z. B. Holz und Koh - len, nach ausgeloͤſchtem Feuer. Ja ſogar der Rauch, der aus dem Ziegel aufſteigt, iſt ſchwarz, indem die Feuchtigkeit, welche im Ziegel war, ſich abſondert und verbrennt.
Deswegen auch der Rauch am ſchwaͤrzeſten iſt, der von Fett und harzigen Dingen aufſteigt, als von Oel, Pech und Kien; weil dieſe am heftigſten bren - nen und von gedraͤngter Natur ſind.
Woran aber Waſſer herfließt, auch dieſes wird ſchwarz; denn hierdurch entſteht etwas moosartiges, deſ - ſen Feuchtigkeit ſodann austrocknet und einen ſchwaͤrz - lichen Ueberzug zuruͤck laͤßt, wie man am Bewurf der Waͤnde, nicht weniger an Steinen, welche im Bache liegen, ſehen kann.
Und ſo viel war von den einfachen Farben zu ſagen.
Diejenigen Farben, welche aus der Miſchung (ϰρἀσις) der vorhergehenden, oder durch das Mehr und Weniger entſtehen, ſind viel und mannigfaltig. Durchs Mehr und Weniger erzeugen ſich die Stufen zwiſchen dem Scharlach und Purpur; durch die Mi - ſchung aber, z. B. des Schwarzen und Weißen, ent - ſteht das Grau.
Auch wenn wir das Schwarze und Schattige mit dem Licht, welches von der Sonne oder dem Feuer her ſcheint, vermiſchen, ſo entſteht ein Gelbroth; in - gleichen wird das Schwarze, das ſich entzuͤndet, roth, z. B. rauchende Flamme und gluͤhende Kohlen.
Eine lebhafte und glaͤnzende Purpurfarbe aber er - ſcheint, wenn, mit maͤßigem und ſchattigem Weiß, ſchwache Sonnenſtrahlen temperirt werden.
Deswegen auch, um die Gegend des Aufgangs und Untergangs, wenn die Sonne dahin tritt, die Luft purpurfarb ausſieht; denn die ſchwachen Strahlen29 fallen alsdann meiſtentheils in die ſchattige Atmo - ſphaͤre.
Auch das Meer erſcheint purpuraͤhnlich, wenn die erregten Wellen beym Niederbeugen beſchattet werden, indem die Sonnenſtrahlen nur ſchwach in die Biegung einfallen koͤnnen.
Ein gleiches erblicken wir auch auf den Federn, denn wenn ſie in einem gewiſſen Sinne gegen das Licht ausgebreitet werden, ſo haben ſie eine Purpur - farbe, wenn aber weniger Licht einfaͤllt, eine dunkle, die man orphninos nennt.
Wird aber das Licht, durch ein haͤufiges und rei - nes Schwarz, gemaͤßigt, ſo erſcheint ein Gelbroth, das, ſo wie es lebhaft wird und leuchtet, in Flam - menfarbe uͤbergeht.
Dieſe Erſcheinungen koͤnnen wir daher als die wechſelſeitigen Wirkungen des gewiſſermaßen verkoͤr - perten Schwarzen und Weißen von der einen, und des Lichts von der andern Seite, recht wohl annehmen, ohne zu behaupten, daß gedachte Farben immer auf dieſelbe Weiſe entſtehen muͤſſen.
Denn es iſt bey den Farben nicht allein das ein - fache Verhaͤltniß zu betrachten, ſondern es giebt auch30 zuſammengeſetzte, die ſich verhalten wie die einfachen; jedoch, da ihre Miſchungen einigen Spielraum haben, nicht eben eine entſchiedene, voraus zu ſagende Wir - kung hervorbringen.
Wenn wir z. B. von der Entſtehung der blau - oder gelbrothen Farbe ſprechen, ſo muͤſſen wir auch die Erzeugung ſolcher Farben angeben, die aus dieſen ge - miſcht werden und eine ganz verſchiedene Erſcheinung verurſachen, und zwar ſollen wir immer aus den an - gezeigten Grundſaͤtzen folgern. So erzeugt ſich die Weinfarbe, wenn mit reinem und leuchtendem Schwarz ſich lichte Strahlen verbinden. Dies geſchieht auch koͤrperlich an den Weinbeeren; denn indem ſie reifen, ſind ſie von weinhafter Farbe, wenn ſie ſich aber ſchwaͤrzen, ſo geht das Gelbrothe ins Blaurothe hin - uͤber.
Nun muß man aber auf die angezeigte Weiſe alle Verſchiedenheit der Farben betrachten, welche bey man - nigfaltiger Bewegung ſich doch ſelber aͤhnlich bleiben, je nachdem ihre Miſchung beſchaffen iſt; und ſo wer - den wir uns von den Urſachen der Erſcheinung, wel - che ſie ſowohl beym Entſtehen, als beym wechſelſeiti - gen Wirken hervorbringen, voͤllig uͤberzeugen. Allein man muß die Betrachtung hieruͤber nicht anſtellen, in - dem man die Farben vermiſcht, wie der Maler, ſon - dern indem man, wie vorgeſagt, die zuruͤckgeworfe - nen Strahlen auf einander wirken laͤßt, denn auf die -31 ſe Weiſe kann man am beſten die Verſchiedenheiten der Farben betrachten. Als Beweiſe aber muß man die einfacheren Faͤlle aufzuſuchen verſtehen, in welchen man den Urſprung der Farben deutlich erkennt; deshalb muß man beſonders das Licht der Sonne, Feuer, Luft und Waſſer vor Augen haben; denn, indem dieſe mehr oder weniger auf einander wirken, vollenden ſie, kann man ſagen, alle Farben. Ferner muß man nach der Aehn - lichkeit anderer, mehr koͤrperlichen, Farben ſehen, wel - che ſich mit leuchtenden Strahlen vermiſchen. So bringen z. B. Kohlen, Rauch, Roſt, Schwefel, Fe - dern, indem ſie theils von den Sonnenſtrahlen, theils von dem Glanze des Feuers temperirt werden, viele und mannigfaltige Farbenveraͤnderungen hervor.
Auch iſt zu betrachten, was durch (organiſche) Ko - chung in Pflanzen, Fruͤchten, Haaren, Federn und dergleichen bewirkt wird.
Es darf uns aber nicht verborgen bleiben, woher das Vielfaͤltige und Unbeſtimmbare der Farben entſtehe, indem wir finden, daß die Verbindung des Lichts und32 des Schattens ſich ungleich und unregelmaͤßig ereigne. Beyde ſind, durch das Mehr oder Weniger, gar ſehr von einander unterſchieden, daher ſie, ſowohl unter ſich, als wenn ſie mit den Farben vermiſcht werden, viele Farbenveraͤnderungen hervorbringen; theils weil das, was nun zuſammen wirkt, an Menge und an Kraͤften ſich nicht gleich iſt, theils weil ſie gegen ein - ander nicht dieſelben Beziehungen haben. Und ſo ha - ben denn auch die Farben in ſich viel Verſchiedenhei - ten, das Blaurothe, ſo wie das Gelbrothe, ingleichen das Weiße und ſo auch die uͤbrigen, ſowohl wegen des Mehr oder Weniger, als wegen wechſelſeitiger Mi - ſchung, oder Reinheit.
Denn es macht einen Unterſchied, ob dasjenige, was zugemiſcht wird, leuchtend und glaͤnzend ſey, oder im Gegentheil ſchmutzig und glanzlos. Das Glaͤnzende aber iſt nichts anders als die Gedraͤngtheit und Dicht - heit des Lichtes. So entſteht die Goldfarbe, wenn das Gelbe und Sonnenhafte, verdichtet, ſtark leuchtet, deswegen auch die Haͤlſe der Tauben und die Waſſer - tropfen golden erſcheinen, wenn das Licht zuruͤckgewor - fen wird.
Es giebt auch Koͤrper, welche, indem ſie durch Reiben oder ſonſt eine Gewalt glatt werden, eine Ver - aͤnderung verſchiedener Farben zeigen, wie abgeriebenes Silber, Gold, Erz und Eiſen.
Auch bringen gewiſſe Steinarten mehrerley Farben hervor, z. B. (der Schiefer) der indem er ſchwarz iſt, weiße Linien zieht. Bey ſolchen Koͤrpern ſind die Ur - Theile klein, dicht und ſchwarz, das Gewebe des Steins aber ward, bey ſeiner Entſtehung, mit allen ſeinen Gaͤngen, beſonders gefaͤrbt, daher man auch aͤußerlich entweder dieſe oder jene Farbe ſieht. Das vom Koͤrper Abgeriebene aber erſcheint nicht mehr gold - oder kupferfarbig, noch auf irgend eine Weiſe gefaͤrbt, ſondern ganz ſchwarz, weil das anders gefaͤrbte Ge - webe zerriſſen iſt und nun die uranfaͤngliche Natur der kleinſten Theile geſehen wird.
Streicht man aber einen ſolchen Koͤrper an etwas Gleiches und Glattes, wie z. B. an einen Probier - ſtein, ſo kommt ſeine Urfarbe, die ſchwarze nehmlich, nicht zum Vorſchein, ſondern er zeigt die Farbe wo - mit ſein Gewebe bey deſſen erſter Schichtung und Ver - bindung tingirt ward.
Unter den brennenden, im Feuer ſich aufloͤſenden und ſchmelzenden Koͤrpern zeigen ſolche, deren Rauch duͤnn und luftartig iſt, die verſchiedenſten Farben, wie der Schwefel und die roſtenden Kupfergefaͤße; auch Koͤrper, welche dicht und glatt ſind, wie das Silber.
Auch andere Koͤrper, welche ſchattige Farben zei - gen, ſind gleichfalls glatt, wie z. B. das WaſſerII. 334und die Wolken und die Federn der Voͤgel; denn weil hier die Strahlen auf die Glaͤtte fallen, und bald ſo oder ſo temperirt werden, entſtehen verſchiedene Farben, wie auch durch die Finſterniß geſchieht.
Keine Farbe ſehen wir aber rein, wie ſie iſt, ſon - dern entweder durch den Einfluß fremder Farben, oder durch Licht und Schatten veraͤndert; wir moͤgen daher einen Koͤrper in den Sonnenſtrahlen oder im Schat - ten ſehen, bey ſtarker oder ſchwacher Beleuchtung, bey der oder jener Neigung der Flaͤchen; immer wird die Farbe anders erſcheinen.
Eben ſo geſchieht es bey Feuer -, Monden - oder Lampenlicht; denn ein jedes von dieſen hat eine eigene Farbe. Wenn ſie nun mit der Farbe des Koͤrpers durch einander ſpielt, ſo entſteht die gemiſchte Farbe, die wir ſehen.
Wenn das Licht auf irgend einen Koͤrper faͤllt und dadurch z. B. einen purpurnen oder gruͤnen Schein an - nimmt, von da aber auf einen andern Koͤrper geworfen wird und von der Farbe deſſelben abermals eine Ver - aͤnderung erleidet; ſo geſchieht dieß zwar in der That, doch nicht fuͤr die Empfindung: denn das Licht kommt zum Auge von vielerley Farben getraͤnkt, aber nur die - jenige, welche vorzuͤglich wirkt, wird empfunden. So erſcheint im Waſſer alles waſſerhaft, im Spiegel nach35 der Farbe des Spiegels, und wir koͤnnen vermuthen, daß es in der Luft auch alſo geſchehe.
Wir finden alſo, daß alle gemiſchte Farben aus drey Urſpruͤngen erzeugt werden, aus dem Licht, durch das Mittel, wodurch das Licht erſcheint, als Waſſer oder Luft, und ſodann von den untergelegten Farben, von denen das Licht zuruͤck geworfen wird.
Das Weiße und Durchſcheinende, wenn es ſehr duͤnn iſt, erſcheint luftfaͤrbig, an allem Dichten aber erſcheint eine gewiſſe Truͤbe, z. B. am Waſſer, am Glas, an dunſtiger Luft; denn wegen der Dichte nehmen die Strahlen uͤberall ab, und wir koͤnnen das, was in die - ſen Mitteln iſt, nicht deutlich erkennen. Die Luft, wenn wir ſie nahe ſehen, ſcheint keine Farbe zu haben, denn ſie wird, weil ſie duͤnn iſt, von den Strahlen uͤberwunden und getheilt, indem dieſe maͤchtiger ſind und durch ſie hindurch ſcheinen. Wenn man aber die Luft in einiger Tiefe ſieht, ſo erſcheint ſie, wenn ſie noch duͤnn genug iſt, blau; denn wo das Licht abnimmt, wird die Luft von der Finſterniß aufgefaßt und erſcheint blau; verdichtet aber iſt ſie, wie das Waſſer, ganz weiß.
Uebrigens was gefaͤrbt wird (vorausgeſetzt daß es ganz weiß ſey), empfaͤngt ſeine Farbe von dem Faͤrbenden. So wird vieles durch Blumen, Wurzeln, Rinden, Hoͤl - zer, Blaͤtter und Fruͤchte gefaͤrbt, ſodann vieles mit Erde, Schaum und metalliſchen Tinten, auch mit thieri - ſchen Saͤften, wie das Blaurothe durch die Purpur - ſchnecke. Einiges wird mit Wein, einiges mit Rauch, mit Lauge, ja ſogar durch das Meer gefaͤrbt, wie die Haare der Seeleute, denn dieſe werden roth, und uͤberhaupt mit allen Koͤrpern, welche eigene Farben ent - halten.
Denn verbunden mit dem Feuchten und Warmen, dringen ſolche Farben in die Gaͤnge der Koͤrper ein, und wenn dieſe trocken ſind, ſo haben ſie die Farben ſich zu - geeignet, ja man kann oͤfters die Farbe auswaſchen, indem ſie aus den Poren wieder ausfließt.
Auch macht der Gebrauch zuſammenziehender In - gredienzien beym Faͤrben großen Unterſchied, ſowohl der Miſchung, als auch uͤberhaupt deſſen, was die Koͤrper dabey erleiden.
Man faͤrbt auch ſchwarze Felle; an dieſen wird aber die Farbe nicht ſonderlich ſcheinbar, indem ſich zwar, ſowohl die Farbe, als die innern Gaͤnge der37 Wolle einander wechſelsweiſe aufnehmen, aber das Ge - webe der Haare ſelbſt die Farbe nicht annimmt.
Das Weiße hat zu den Farben ein reines Ver - haͤltniß und bewirkt eine glaͤnzendere Erſcheinung der Bluͤthe; das Schwarze hingegen macht ſich dunkel, obgleich die Farbe, welche ſie Orphnios nennen, ſich bluͤhender auf Schwarz als auf Weiß ausnimmt, weil ihre Bluͤthe durch die Strahlen des Schwarzen geho - ben wird.
Die Zwiſchenraͤume der Gaͤnge ſieht man aber an ſich ſelbſt nicht, wegen ihrer Kleinheit, ſo wie man die Theile des Zinnes und des Kupfers nicht unterſchei - den kann, wenn beyde Metalle gemiſcht ſind.
Und ſo werden aus vorgemeldeten Urſachen die Farben der gefaͤrbten Dinge veraͤndert.
Die Haare aber, die Federn, Blumen, Fruͤchte und alle Pflanzen nehmen durch Kochung alle Veraͤn - derung der Farben an, wie ſolches aus vielerley Faͤllen deutlich iſt. Was aber die einzelnen Dinge, die aus der Erde wachſen, fuͤr Anfaͤnge der Farben haben, was fuͤr Veraͤnderungen mit ihnen vorgehen und warum38 ſie ſolches leiden, daruͤber kann man, wenn auch einige Zweifel dieſe Betrachtungen begleiten ſollten, folgender - maßen denken:
In allen Pflanzen iſt der Anfang der Farbe gruͤn, und die Knospen, die Blaͤtter und die Fruͤchte ſind im Anfange von dieſer Farbe.
Man kann auch ebendaſſelbe am Regenwaſſer ſehen, denn wenn es eine Weile geſtanden hat und ſodann ver - trocknet, ſo erhaͤlt es eine gruͤne Farbe.
Auf dieſe Weiſe geſchieht es, daß allem demjenigen, was aus der Erde waͤchſt, die gruͤne Farbe zuerſt ange - hoͤrt; denn altes Waſſer, worauf die Sonnenſtrahlen gewirkt haben, hat anfaͤnglich dieſe Farbe, hernach wird ſie allmaͤhlig ſchwarz; vermiſcht man ſie aber aufs neue mit dem Gelben, ſo erſcheint ſie wieder gruͤn. Denn das Feuchte, wie ſchon geſagt iſt, das in ſich ſelbſt ver - altet und austrocknet, wird ſchwarz, wie der Bewurf von den Waſſerbehaͤltern, ſo wie alles, was ſich immer unter dem Waſſer befindet; weil die der Luft aus - geſetzte Feuchtigkeit austrocknet. Schoͤpft man es aber und bringt es an die Sonne, ſo wird es gruͤn, weil ſich das Gelbe mit dem Schwarzen ver - bindet, wenn aber die Feuchtigkeit mehr ins Schwarze faͤllt, ſo giebt es ein ſehr geſaͤttigtes, lauchfarbes Gruͤn.
Deswegen auch alle aͤltere Knospen ſchwaͤrzer ſind als die neuen; dieſe aber gelblicher, weil die Feuchtig - keit in ihnen ſich noch nicht voͤllig geſchwaͤrzt hat. Wenn nun aber, bey langſamerem Wachsthum, die Feuch - tigkeit lange in ihnen verweilt, ſo wird das der Luft ausgeſetzte Feuchte nach und nach ſchwarz und die Farbe lauchartig, indem ſie durch ein ganz reines Schwarz temperirt iſt.
Diejenigen Theile der Pflanzen aber, in denen das Feuchte nicht mit den Sonnenſtrahlen gemiſcht wird, bleiben weiß, wenn ſie nicht etwa ſchon ver - altet und ausgetrocknet und daher ſchwarz geworden ſind.
Deswegen auch an den Pflanzen alles, was uͤber der Erde ſteht, zuerſt gruͤn iſt, unter der Erde aber Sten - gel, Wurzeln und Keime die weiße Farbe haben. So wie man ſie aber von der Erde entbloͤßt, wird, wie geſagt iſt, alles gruͤn; weil die Feuchtigkeit, welche durch die Keime zu den uͤbrigen Theilen durchſeigt, die Natur dieſer Farbe hat und zu dem Wachsthum der Fruͤchte ſogleich verbraucht wird.
Wenn die Fruͤchte aber nicht mehr zunehmen, weil die Waͤrme die zufließende Nahrung nicht mehr beherr - ſchen kann, ſondern die Feuchtigkeit nur von der Waͤrme40 aufgeloͤſt erhalten wird, ſo reifen alle Fruͤchte, und in - dem, theils von der Sonnenwaͤrme, theils von der Waͤrme der Luft, die Feuchtigkeit, die ſich in den Fruͤch - ten befindet, gar gekocht worden, nehmen ſie nun an - dere Farben an, welche den Pflanzen eigen ſind, wie wir ein Aehnliches beym Faͤrben (38) geſehen haben; und ſo faͤrben ſie ſich lang am; ſtark aber faͤrben ſich die Theile, welche gegen die Sonne und die Waͤrme ſtehen.
Deswegen verwandeln die Fruͤchte ihre Farben mit den Jahrszeiten.
Wie bekannt iſt. Denn was vorher gruͤn war, nimmt, wenn es reift, die Farbe an, die ſeiner Na - tur gemaͤß iſt.
Denn ſie koͤnnen weiß, ſchwarz, braun, gelb, ſchwaͤrzlich, ſchattenfaͤrbig, gelbroth, wein - und ſafran - farbig werden und beynahe alle Farbenunterſchiede an - nehmen.
Wenn nun aber uͤberhaupt die Mannigfaltigkeit der Farben daher entſteht, daß mehrere wechſelsweiſe Ein - fluß auf einander haben, ſo folgt auch, daß bey den Far - ben der Pflanzen derſelbe Fall ſey.
Die Feuchtigkeit, indem ſie die Pflanzengefaͤße durchſeihet und durchſpuͤlet, nimmt alle Farbenkraͤfte in ſich, und wenn ſie nun, beym Reifen der Fruͤchte, durch Sonnen - und Luftwaͤrme durchgekocht wird, treten41 die einzelnen Farben in ſich zuſammen und erſcheinen abgeſondert, einige ſchneller, andere langſamer.
Etwas Aehnliches begegnet beym Purpurfaͤrben. Denn wenn man die Schnecke zerſtoͤßt, ihre Feuchtig - keit auspreßt und im Keſſel kocht; ſo iſt in der Kuͤpe zuerſt keine beſtimmte Farbe zu ſehen, nach und nach aber trennen ſich die eingebornen Farben und miſchen ſich wieder, wodurch denn die Mannigfaltigkeit ent - ſteht, als Schwarz, Weiß, Schatten - und Luftfarbe. Zuletzt wird alles purpurfarbig, wenn die Farben ge - hoͤrig zuſammengekocht ſind, ſo daß wegen ihrer Mi - ſchung und Uebergang aus einer in die andere keine der einzelnen Farben an ſich mehr zu ſehen iſt.
Dieſes begegnet auch an Fruͤchten. Denn bey vielen werden nicht alle Farben auf einmal gar ge - kocht, ſondern einige zeigen ſich fruͤher, andere ſpaͤter, und eine wird in die andere veraͤndert, wie man an den Trauben und Datteln ſieht. Denn dieſe letzten werden zuerſt roth; wenn aber das Schwarze in ihnen in ſich zuſammentritt, gehen ſie in die Weinfarbe uͤber. Zuletzt werden ſie blau, wenn das Rothe mit vielem und reinem Schwarz gemiſcht iſt.
Denn die Farben, welche ſpaͤter entſtehen, ver - aͤndern, wenn ſie vorwalten, die erſten Farben, wel - ches beſonders bey ſchwarzen Fruͤchten deutlich iſt. Denn die meiſten, welche zuerſt gruͤn ausſehen, nei -42 gen ſich ein wenig ins Rothe und werden dann feuer - farb, aber bald veraͤndern ſie auch dieſe Farbe wieder, weil ein reines Schwarz ſich urſpruͤnglich in ihnen befindet.
Es iſt offenbar, daß auch die Reiſer, die Haͤr - chen und die Blaͤtter dieſer Pflanzen einige Schwaͤrze zeigen, weil ſich eine ſolche Farbe haͤufig in ihnen befindet; daß aber die ſchwarzen Fruͤchte beyde Farben in ſich haben, zeigt der Saft, welcher weinhaft ausſieht.
Bey der Entſtehung aber iſt die rothe Farbe ſpaͤter als die ſchwarze, wie man an dem Pflaſter unter den Dachtraufen ſieht und uͤberall, wo an ſchattigen Orten maͤßiges Waſſer fließt; alles verwandelt ſich da aus der gruͤnen in die rothe Farbe und das Pflaſter wird, als wenn beym Schlachten friſches Blut ausgegoſſen worden waͤre. Denn die gruͤne Farbe iſt hier weiter durchgekocht worden, zuletzt aber wirds auch hier ſehr ſchwarz und blau, wie es an den Fruͤchten geſchieht.
Davon aber, daß die Farbe der Fruͤchte ſich ver - wandelt, wenn die erſten Farben durch die folgenden uͤberwaͤltigt werden, laſſen ſich Beyſpiele an der Frucht des Granatbaums und an den Roſenblaͤttern zeigen; denn beyde ſind anfaͤnglich weiß, zuletzt aber, wenn die Saͤfte aͤlter und durch Kochung gefaͤrbt werden, ſo verwandeln ſie ſich in Purpur und hochrothe Farbe.
Manche Koͤrper haben mehrere Farben in ſich, wie der Saft des Mohns und die Neige des ausgepreßten Olivenoͤls; auch dieſe ſind anfangs weiß, wie der Granatapfel, ſodann gehen ſie ins Hochrothe uͤber, zu - letzt aber, wenn viel Schwarzes dazu kommt, wird die Farbe blau, deswegen auch die Blaͤtter des Mohns oberhalb roth ſind, weil die Kochung in ihnen ſehr ſchnell vorgeht, gegen den Anſatz aber ſchwarz, da be - reits dieſe Farbe in ihnen die Oberhand hat, wie auch bey der Frucht, die zuletzt ſchwarz wird.
Bey ſolchen Pflanzen aber, in welchen nur Eine Farbe herrſcht, etwa die weiße, ſchwarze, hochrothe, oder violette, behalten auch die Fruͤchte diejenige Farbe, in welche ſie ſich einmal aus dem Gruͤnen veraͤn - dert haben.
Auch findet man bey einigen, daß Bluͤthe und Frucht gleiche Farbe hat, wie z. B. am Granatapfel; denn hier iſt die Frucht ſo wie die Bluͤthe roth. Bey andern aber iſt die Farbe beyder ſehr verſchieden, wie beym Lorber und Epheu; denn an dieſen ſehen wir die Bluͤthe ganz gelb und die Frucht ſchwarz. Die Bluͤthe des Apfels neigt ſich aus dem Weißen ins Pur - purfarbne, die Frucht hingegen iſt gelb. Die Blume des Mohns iſt roth, aber die Frucht bald weiß, bald ſchwarz; weil die Kochung der einwohnenden Saͤfte zu verſchiedenen Zeiten geſchieht.
Dieſes bewaͤhrt ſich aber auf vielerley Weiſe. Denn einige Fruͤchte veraͤndern, mit der fortſchreitenden Ko - chung, ſowohl Farbe als Geruch und Geſchmack. Auch iſt hierin zwiſchen Blume und Frucht oft ein großer Unterſchied.
Ja, an einer und derſelben Blume bemerkt man eine ſolche Mannigfaltigkeit, indem das eine Blatt ſchwarz, das andere roth, das eine weiß, das andere purpurfarb ſeyn kann, welches auffallend an der Iris geſehen wird; denn, wegen mannigfaltiger Kochung, hat dieſe Blume die verſchiedenſten Farben.
Ein gleiches geſchieht an den Trauben, wenn ſie reifen.
Auch werden die Enden der Blumenblaͤtter am meiſten ausgekocht, denn da, wo ſie am Stiel anſitzen, ſind ſie weniger gefaͤrbt.
Faſt wird auch an einigen das Feuchte gleichſam aus - gebrannt, ehe es ſeine eigentliche Kochung erreicht; da - her behalten die Blumen ihre Farbe, die Fruͤchte aber bey fortſchreitender Kochung veraͤndern die ihrige. Denn die Blumenblaͤtter ſind, wegen der geringen Nah - rung, gleich durchgekocht; die Fruͤchte aber laſſen ſich, wegen der Menge Feuchtigkeit, die in ihnen wohnt, beym Auskochen, durch alle Farben durchfuͤhren, die ihrer Natur gemaͤß ſind.
Etwas Aehnliches geſchieht, wie ſchon vorher geſagt worden iſt, auch beym Faͤrben. Denn im Anfang,45 wenn die Purpurfaͤrber die Blutbruͤhe anſetzen, wird ſie dunkel, ſchwarz und luftfarbig; iſt aber die Maſſe genug durchgearbeitet, ſo wird die Purpurfarbe bluͤhend und glaͤnzend.
Daher muͤſſen auch die Blumen an Farbe von den Fruͤchten ſehr unterſchieden ſeyn; einige uͤberſteigen gleichſam das Ziel, das ihnen die Natur geſteckt hat, andre bleiben dahinter zuruͤck, die einen, weil ſie eine vollendete, die andern, weil ſie eine unvollendete Ko - chung erfahren.
Dieß ſind nun die Urſachen, warum Bluͤthen und Fruͤchte von einander unterſchiedene Farben zeigen.
Die meiſten Blaͤtter mehrerer Baͤume aber werden zuletzt gelb, weil die Nahrung abnimmt und ſie eher welken, als ſie in die (hoͤchſte) Farbe, die ihrer Natur moͤglich iſt, uͤbergehen. Auch werden einige abfallende Fruͤchte gelb, weil ihnen die Nahrung vor der vollkom - menen Kochung ausgeht.
Ferner wird ſowohl der Waizen, als alles, was unmittelbar aus der Erde waͤchſt, zuletzt gelb; denn in ſolchen Pflanzen wird das Feuchte nicht ſchwarz, ſon - dern, weil ſie ſchnell trocknen, geſchieht ein Ruͤckſchritt in der Farbe.
Denn das Schwarze, mit dem Gelbgruͤnen verbunden, wird, wie geſagt, grasgruͤn; wo aber das Schwarze immer ſchwaͤcher wird, geht die Farbe wieder ins Gelb - gruͤne und dann ins Gelbe.
46Zwar werden die Blaͤtter des Apium und der An - drachne, auch einiger andern Pflanzen, wenn ſie voll - kommen durchgekocht ſind, hochroth; aber was an ihnen geſchwind trocknet, wird gelb, weil ihm die Nahrung vor der voͤlligen Kochung abgeht.
Daher kann man ſchließen, daß der Unterſchied der Pflanzen (- Farben) ſich aus den vorgeſagten Urſa - chen herſchreibt.
Auch die Haare, Federn und Haͤute der Pferde, Ochſen, Schafe und Menſchen, ſo wie aller andern Thiere, werden weiß, grau, roth oder ſchwarz, aus derſelben Urſache.
Und zwar werden ſie weiß, wenn das Feuchte, indem es vertrocknet, ſeine eigne Farbe behaͤlt.
Schwarz hingegen werden ſie, wenn das urſpruͤng - liche Feuchte haͤufig genug vorhanden iſt, ſo daß es langſam altern und zeitigen kann. Auf dieſe Weiſe werden Felle und Haͤute ſchwarz.
Koͤrper hingegen, welche eine braune, rothe, gelbe, oder ſonſt eine Farbe haben, ſind ſolche, die fruͤher aus - trocknen, ehe das Feuchte vollkommen in die ſchwarze Farbe uͤbergeht.
Wenn aber dieſes (Austrocknen) ungleich geſchieht, ſo werden auch die Farben verſchieden, wobey ſich die Farbe der Haare nach der Farbe der Haut richtet. So ſind die Haare roͤthlicher Menſchen hellroth, ſchwar - zer Menſchen aber ſchwarz. Bricht aber eine weiße Stelle hervor, ſo ſind die Haare ebenfalls auf der Stelle weiß, wie man auch bey ſcheckigen Thieren ſieht, und ſo richten ſich Haare und Federn nach der Haut, ent - weder zum Theil, oder im Ganzen.
So verhaͤlt ſichs auch mit dem Hufe, den Klauen, dem Schnabel und den Hoͤrnern. An ſchwarzen Thieren werden ſie ſchwarz, an weißen aber weiß; weil auch bey dieſen Theilen die Nahrung, durch die Haut, nach der aͤußeren Bedeckung durchſeihet.
Daß aber die angegebene Urſache die richtige ſey, laͤßt ſich an mancherley Faͤllen erkennen. Denn die Haͤupter aller Knaben ſind anfangs roth, wegen gerin - gerer Nahrung, eben deßhalb ſind die Haare ſchwach, duͤnn und kurz; bey fortſchreitendem Alter hingegen48 werden ſie ſchwarz, wenn die Kinder durch die Menge der zufließenden Nahrung mehr Farbe gewinnen.
So iſt es auch mit den Milchhaaren und dem Barte beſchaffen. Wenn dieſe ſich zu zeigen anfangen, ſo werden ſie geſchwind roth, wegen der wenigen Feuch - tigkeit, die in ihnen austrocknet; wenn aber etwas mehr Nahrung zugefuͤhrt wird, ſo werden ſie gleichfalls ſchwarz.
An dem Koͤrper alſo bleiben die Haare ſo lange roth, als ihnen die Nahrung fehlt; wenn ſie aber wachſen, ſo werden ſie auch ſchwarz, ſowohl am Bart, als auf der Scheitel.
Auch ſtreitet fuͤr unſere Meinung der Umſtand, daß bey ſolchen Geſchoͤpfen, welche lange Haare haben, in der Naͤhe des Koͤrpers die Haare ſchwaͤrzer, gegen die Spitzen aber gelber werden, wie man bey Scha - fen, Pferden und Menſchen ſieht; weil gegen die Enden weniger Nahrung hingefuͤhrt wird und ſie da - ſelbſt ſchneller vertrocknet.
Auch die Federn ſchwarzer Voͤgel ſind in der Naͤhe des Leibes am ſchwaͤrzeſten, an den Enden aber gelber. So verhalten ſie ſich auch um den Hals und uͤberhaupt wo ſie geringere Nahrung empfangen.
Imgleichen gehen alle Haare nach der Vollendung zuruͤck und werden braunroth, weil die nun wieder ab - nehmende Nahrung ſchnell vertrocknet.
Zuletzt aber werden ſie weiß, wenn die Nahrung in denſelben ausgekocht wird, ehe das Feuchte ſchwarz werden kann. Dieß iſt am ſichtbarſten bey Thieren, welche unter dem Joche gehen. An ſolcher Stelle wer - den die Haare durchaus weiß; denn es kann daſelbſt die Nahrung nicht gleichfoͤrmig angezogen werden, und bey einer ſchwachen Waͤrme vertrocknet die Feuchtigkeit zu geſchwind und wird weiß.
Um die Schlaͤfe werden die Haare am fruͤheſten grau, ſo wie uͤberhaupt an ſchwachen und leidenden Stellen.
Vorzuͤglich aber gehen Geſchoͤpfe, wenn ſie ausar - ten, in dieſe Farbe hinuͤber. So gibt es weiße Haa - ſen, weiße Hirſche und Baͤren, auch kommen weiße Wachteln, Rebhuͤhner und Schwalben vor. Dieſes alles geſchieht bey einer ſchwachen Zeugung und wegen Mangel von naͤhrendem Stoff, der zu fruͤh austrocknet, und ſo werden ſie weiß.
So ſind auch anfangs die Kopfhaare der Kinder weiß, die Augenbraunen und Wimpern. Nicht weniger erfaͤhrt auch jedermann im Alter, daß ſich die Haare bleichen, wegen Schwaͤche und Mangel an Nahrung.
Deßhalb ſind auch meiſtentheils die weißen Thiere ſchwaͤcher als die ſchwarzen; denn ehe ihr Bau vollen -II. 450det werden kann, iſt ſchon ihre mangelhafte Nahrung durchgekocht, und ſo werden ſie weiß. Eben dieſes be - gegnet den Fruͤchten, welche kraͤnkeln, denn dieſe ſind auch wegen ihrer Schwaͤche bald durchgekocht.
Die Thiere aber, welche weiß werden und von andern auf dieſe Art ſich unterſcheiden, als Pferde und Hunde, gehen aus ihrer natuͤrlichen Farbe in das Wei - ße hinuͤber wegen reichlicher Nahrung; denn das Feuch - te in ihnen veraltet nicht, ſondern wird zum Wachs - thum verbraucht und weiß. Die meiſten dieſer Ge - ſchoͤpfe ſind feucht und fruchtbar, wegen reichlicher Nahrung, daher auch die weiße Farbe in keine andere uͤbergeht, (weil ſie ſchon das Ende erreicht hat,) ſo wie dagegen ſchwarze Haare, ehe ſie grau werden, durch das Rothe durchgehen und zuletzt weiß werden.
Uebrigens glauben einige alles werde ſchwarz, weil die Nahrung von der Waͤrme verbrannt werde, ſo wie beym Blut und manchem andern geſchieht, worinn ſie jedoch irren.
Denn einige Thiere werden gleich anfangs ſchwarz, als Hunde, Ziegen und Ochſen und uͤberhaupt alle diejenigen, deren Haͤute und Haare von Anfang genug - ſame Nahrung haben, bey fortſchreitenden Jahren aber weniger. Doch ſollten, (wenn jene Meynung wahr waͤre,) die Haare zu Anfang vielmehr weiß ſeyn und erſt, wenn das Thier auf dem Gipfel ſeiner Kraft51 ſteht, ſchwarz werden, als um welche Zeit auch ſeine Waͤrme den hoͤchſten Punkt erreicht hat. Denn zu An - fang der Organiſation iſt die Waͤrme viel ſchwaͤcher, als um die Zeit, wo (ſonſt) das Haar (wieder) weiß zu werden anfaͤngt.
Die Unrichtigkeit jener Meynung ergibt ſich auch an den weißen Thieren. Einige ſind naͤmlich gleich anfaͤnglich von der weißeſten Farbe, denen gleich An - fangs die meiſte Nahrung zufließt, und in denen die Feuchtigkeit nicht vor der Zeit vertrocknet; hingegen bey fortſchreitendem Alter, wenn ihnen mindere Nah - rung zufließt, werden ſie gelb. Andere ſind von An - fang gelb und auf dem Gipfel ihres Wachsthums ſehr weiß. Wie denn auch die Farbe der Voͤgel ſich wie - der veraͤndert; wenn die Nahrung abnimmt, werden ſie alle gelb, beſonders um den Hals, und uͤberhaupt an allen den Stellen, welche bey abnehmender Feuchtigkeit Mangel an Nahrung haben. Denn ſo wie das Roͤth - liche ins Weiße ſich verwandelt, und das Schwarze ins Roͤthliche; ſo geht auch das Weiße ins Gelbe uͤber.
Etwas Aehnliches begegnet auch mit den Pflanzen. Denn einige, wenn ſie ſchon durch Kochung in eine andere Farbe uͤbergegangen, kehren doch wieder zur er - ſten zuruͤck. Dieſes iſt am deutlichſten am Granat - apfel zu ſehen; denn im Anfange ſind die Kerne der4 *52Aepfel roth, ſo wie die Blaͤtter, weil nur geringe Nahrung ausgekocht wird, dann werden ſie gruͤn, wenn viel Saft zuſtroͤmt und die Kochung nicht mit gleicher Kraft vor ſich geht. Zuletzt aber, wenn die Kochung vollendet iſt, entſteht wieder die rothe Farbe.
Ueberhaupt aber gilt von den Haaren und Federn, daß ſie ſich veraͤndern, theils, wenn ihnen die Nah - rung fehlt, theils, wenn ſie zu reichlich iſt. Deßhalb werden auf verſchiedenen Stufen des Alters die Haare ſehr weiß, ſo wie ſehr ſchwarz. Manchmal gehen ſo - gar die Rabenfedern in eine gelbe Farbe uͤber, wenn ihnen die Nahrung mangelt.
Unter den Haaren gibt es aber keine ſcharlach - noch purpurrothe, ſo wenig als lauchgruͤne oder von ſonſt einer Farbe dieſer Art, weil dieſe Farben zu ih - rer Entſtehung die Beymiſchung der Sonnenſtrahlen beduͤrfen. Dieſe nehmen aber die feuchten Haare nicht an, ſondern ſie ſind an innere Veraͤnderungen gebun - den. Dagegen ſind die Federn zu Anfang nicht wie in der Folge gefaͤrbt. Denn auch die bunten Voͤgel haben anfangs faſt alle ſchwarze Federn, als der Pfau, die Taube und die Schwalbe. Nachher nehmen ſie aber große Mannigfaltigkeit an, indem die Kochung außerhalb des Koͤrpers vor ſich geht, ſowohl in den Kielen als in den Verzweigungen derſelben, wie bey den Pflanzen außerhalb der Erde; (daher koͤnnen die53 Lichtſtrahlen zu Entſtehung mannigfaltiger Farben mit - wirken.)
So haben auch die uͤbrigen Thiere, die ſchwim - menden, kriechenden und beſchaalten, alle Arten der Farben, weil bey ihnen auch eine vielfache Kochung vorgeht.
Und ſo moͤchte einer wohl die Theorie der Farben aus dem Geſagten einzuſehen im Stande ſeyn.
Die Alten laſſen alle Farbe aus Weiß und Schwarz, aus Licht und Finſterniß entſtehen. Sie ſagen, alle Farben fallen zwiſchen Weiß und Schwarz und ſeyen aus dieſen gemiſcht. Man muß aber nicht waͤhnen, daß ſie hierunter eine blos atomiſtiſche Miſchung ver - ſtanden, ob ſie ſich gleich an ſchicklichen Orten des Wortes μίξις bedienen, dagegen ſie an den bedeuten - den Stellen, wo ſie eine Art Wechſelwirkung beyder Gegenſaͤtze ausdruͤcken wollen, das Wort κράσις, σύγ - κρισις gebrauchen; ſo wie ſie denn uͤberhaupt ſowohl Licht als Finſterniß, als die Farben untereinander ſich temperiren laſſen, wofuͤr das Wort κεράννυσϑαι vor - kommt; wie man ſich davon aus den bisher uͤberſetz - ten und mitgetheilten Stellen uͤberzeugen kann.
Sie geben die Farbengeſchlechter verſchieden, Ei - nige zu ſieben, Andre zu zwoͤlfen an, doch ohne ſie vollſtaͤndig aufzuzaͤhlen.
Aus der Betrachtung ihres Sprachgebrauchs, ſo - wohl des griechiſchen als roͤmiſchen, ergiebt ſich, daß ſie generelle Benennungen der Farben ſtatt der ſpeciellen und umgekehrt dieſe ſtatt jener ſetzen.
Ihre Farbenbenennungen ſind nicht fix und genau beſtimmt, ſondern beweglich und ſchwankend, indem55 ſie nach beyden Seiten auch von angraͤnzenden Farben gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt ſich einerſeits ins Rothe, andrerſeits ins Blaue; das Blaue theils ins Gruͤne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe bald ins Blaue; der Purpur ſchwebt auf der Graͤnze zwiſchen Roth und Blau und neigt ſich bald zum Schar - lach bald zum Violetten.
Indem die Alten auf dieſe Weiſe die Farbe als ein nicht nur an ſich bewegliches und fluͤchtiges anſe - hen; ſondern auch ein Vorgefuͤhl der Steigerung und des Ruͤckganges haben: ſo bedienen ſie ſich, wenn ſie von den Farben reden, auch ſolcher Ausdruͤcke, welche dieſe Anſchauung andeuten. Sie laſſen das Gelbe roͤtheln, weil es in ſeiner Steigerung zum Ro - then fuͤhrt; oder das Rothe gelbeln, indem es ſich oft zu dieſem ſeinen Urſprunge zuruͤck neigt.
Die ſo ſpecificirten Farben laſſen ſich nun wieder - um ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe kann, auf welchem Puncte man ſie feſthalten will, durch ein ſtaͤrkeres Licht diluirt, durch einen Schatten verfinſtert, ja in ſich ſelbſt vermehrt und zuſammenge - draͤngt werden. Fuͤr die dadurch entſtehenden Nuͤançen werden oft nur die Nahmen der Species, auch wohl nur das Genus uͤberhaupt, angewendet.
Die geſaͤttigten, in ſich gedraͤngten und noch dazu ſchattigen Farben werden zur Bezeichnung des Dunklen, Finſtern, Schwarzen uͤberhaupt gebraucht, ſo wie im Fall daß ſie ein gedraͤngtes Licht zuruͤckwerfen, fuͤr leuchtend, glaͤnzend, weiß oder hell.
56Jede Farbe, welcher Art ſie ſey, kann von ſich ſelbſt eingenommen, in ſich ſelbſt vermehrt, uͤberdraͤngt, geſaͤttigt ſeyn und wird in dieſem Falle mehr oder we - niger dunkel erſcheinen. Die Alten nennen ſie alsdann suasum πεπεισμένον, in se consumptum, plenum, saturum κατακορές, meracum ἄκρατον, pressum βαρύ, adstrictum, triste, austerum αὐστηρόν, ama - rum πικρόν, nubilum ἀμαυρόν, profundum βαϑύ.
Sie kann ferner diluirt und in einer gewiſſen Blaͤſſe erſcheinen, in ſo fern nennt man ſie dilutum, liquidum, ὑδαρές, pallidum ἔκλευκον.
Bey aller Saͤttigung kann die Farbe dennoch von vielem Lichte ſtrahlen und daſſelbe zuruͤckwerfen; dann nennt man ſie clarum, λαμπρόν, candidum, acu - tum ὀξὐ, excitatum, laetum, hilare, vegetum, flo - ridum εὐανϑές, ἀνϑηρόν. Saͤmmtliche Benennungen geben die beſondern Anſchauungen durch andre ſymboli - ſche vermittelnd wieder.
Wir haben nunmehr noch die generellen Benen - nungen der Farbe, ſammt den ſpecifiſchen, die ihre Sphaͤre ausmachen, anzugeben.
Fangen wir von der unterſten Stufe an, wo das Licht ſo alterirt erſcheint, daß es die beſondre Empfin - dung deſſen, was wir Farbe nennen, erregt; ſo tref - fen wir daſelbſt zuerſt ὠχρόν, dann ξανϑόν, ferner πυῤῥόν, dann ἐρυϑρόν, ſodann φοινικοῦν, zuletzt πορφυροῦν an. Im gemeinen wie im poetiſchen Sprachgebrauch finden wir herauf und herabwaͤrts oͤfter ein Genus fuͤr das andre geſetzt. Das πορφυροῦν ſteigt abwaͤrts in das ἁλουργές, κυανοῦν coeruleum,57 γλαυκόν caesium, und ſchließt ſich durch dieſes an das πράσινον porraceum, ποῶδες herbidum, und zuletzt an das χλωρόν viride an, das ſowohl ein mit Blau vermiſchtes Gelb, d. i. ein Gruͤnes, als das reine Gelb anzeigt und ſo das Ende des Farbenkreiſes mit dem Anfange verbindet und zuſchließt.
Die Farbenbenennungen, welche die weiteſte Sphaͤre haben, ſind vorzuͤglich folgende:
Εανϑόν geht vom Strohgelben und Hellblonden durch das Goldgelbe, Braungelbe bis ins Rothgelbe, Gelbrothe, ſogar in den Scharlach.
Darunter gehoͤren als Species ὠχρόν, ϑάψινον, κιῤῥόν, κιτρινόν, κνηκόν, μήλινον, μήλοψ, σιτό - χρουν, ξοῦϑον, πυῤῥόν, χρυσοειδές, ἡλιώδες, φλο - γοειδές, οἰνῶδες, κροκοειδές etc. Im Lat. buxeum, melleum, cereum, flavum, fulvum, helvum, gal - binum, aureum, croceum, igneum, luteum, meli - num, gilvum, robeum, adustum, russum, rufum.
Ἐρυϑρόν, rufum, welches nach Gellius das Geſchlechtswort aller rothen Farbe iſt, begreift unter ſich, von ξανϑόν, πυῤῥόν an, alles was roth iſt und braun, welches zum Gelben oder Rothen neigt, bis zum Purpur. Im Lateiniſchen rufum, russum, rubrum, rutilum, rubicundum, spadix, badium, φοινικοῦν puniceum, (ponçeau, coqueticot, nacarat), coccine - um Scharlach, ὑσγινόν, welches nach Plinius zwi - ſchen purpureum und coccineum liegt und wahrſchein - lich cramoisi Carmeſin iſt; zuletzt purpureum πορ - φυροῦν, das vom Roſenrothen an durchs Blut - und58 Braunrothe bis ins Blaurothe ἁλουργές und Violette uͤbergeht.
Κυάνεον geht vom Himmelblauen bis ins Dunkel - und Schwarzblaue, Violette, und Violetpurpurne. Eben ſo coeruleum; das ſogar ins Dunkelgruͤne und Blaugruͤne γλαυκόν, wie in das caesium Katzengruͤne uͤbergeht.
Darunter fallen ἀερί〈…〉〈…〉 ον, ἀεροειδές aërium, coeli - num, οὐρανοειδές, ὑακίνϑινον, ferrugineum, οἰνω - πόν, ἀμεϑύστινον, thalassinum, vitreum, venetum, γλαυκόν, das aus dem Blaugruͤnen und Katzengruͤ - nen ins bloße Graue uͤbergeht und noch das χαροπόν und ravum unter ſich begreift.
Χλωρόν geht aus der einen Seite ins Gelbe, aus der andern ins Gruͤne. Eben ſo viride, das nicht nur ins Gelbe ſondern auch ins Blaue geht.
Darunter fallen ποῶδες herbidum, πράσινον porraceum, aerugineum ἰῶδες, σμαράγδινον, vitre - um ἰσατῶδες, venetum.
Aus der Miſchung von Schwarz und Weiß gehen, nach Ariſtoteles und Platon, hervor: das φαιόν, wel - ches auch μύϊνον erklaͤrt wird, alſo Grau.
Ferner πελλός, πέλιος, πόλιος, pullus ſowohl ſchwaͤrzlich als weißlich, je nachdem die Anfoderung an das Weiße oder an das Schwarze gemacht wird.
Ferner τεφρόν aſchfarben, und σπόδιον welches iſabelfarben erklaͤrt wird, wahrſcheinlich gris cendré; druͤckt aber auch Eſelsfarbe aus, welche an den Spi - tzen der Haare in ein πυῤῥόν, mehr oder weniger Gelbbraunes, auslaͤuft.
59Aus verbranntem Purpur und Schwarz entſteht, nach eben dieſen Beyden, das ὄρφνινον, die Farbe des Rauchtopaſes; welches, wie im Lateiniſchen das verwandte furvum, oft nur in der allgemeinern Be - deutung des Schwarzen und Dunkeln gebraucht wird.
In dieſes, nach unſern theoretiſchen Einſichten nunmehr im Allgemeinen aufgeſtellte Schema laſſen ſich die uͤbrigen allenfalls noch vorzufindenden Ausdruͤcke leicht einordnen; wobey ſich mehr und mehr ergeben wird, wie klar und richtig die Alten das Außerihnen gewahr geworden, und wie ſehr, als naturgemaͤß, ihr Ausſprechen des Erfahrenen und ihre Behandlung des Gewußten zu ſchaͤtzen ſey.
Da dieſer Autor in Jedermanns Haͤnden ſeyn kann, ſowohl im Original als in Ueberſetzungen, ſo waͤre ſeinen Text hier abdrucken zu laſſen uͤberfluͤßig und unnuͤtz, um ſo mehr als derjenige, der ihn im Einzelnen zu verſtehen und auszulegen ſucht, manche Schwierigkeiten findet, welche wir nicht zu uͤberwin - den hoffen. Wir ziehen daher vor, einen Aufſatz einzuruͤcken, in welchem ein Freund das, was Pli - nius von Farben und Colorit geſagt, zuſammenfaßt, und ſeine Meynung aͤußert, wie nach dem natuͤrlichen Vorſchritte der Malerkunſt das Einzelne moͤchte zu verſtehen und zurecht zu legen ſeyn.
Es mag dieſer Verſuch als ein Beyſpiel dienen, wie man eine bedeutende Weltbegebenheit aus ihrer eigenen Natur heraus entwickeln, darſtellen, und die hiezu uͤberlieferten Nachrichten nur inſofern benutzen kann, als ſie mit der Nothwendigkeit in Harmonie ſtehen. Die Hauptpuncte, worauf alles ankommt, tre - ten alsdann glaͤnzender hervor; Luͤcken werden ent - deckt und, wo nicht ausgefuͤllt, doch wenigſtens be - zeichnet; und auf dieſe Weiſe theils gegenwaͤrtig etwas Belehrendes und Aufregendes geleiſtet, theils der Zu - kunft vorgearbeitet.
Der Verfaſſer nennt die gegenwaͤrtige Abhand - lung eine hypothetiſche Geſchichte, weil die Nachrich - ten, welche uns durch alte Schriftſteller uͤberliefert worden, in vielen Stuͤcken hoͤchſt undeutlich und luͤcken - haft ſind, und alſo durch Vermuthungen erſt aufge - klaͤrt und ergaͤnzt werden muͤſſen. Wenn indeſſen dasjenige, was wir vermuthen, auf eine ganz natuͤr - liche und keinesweges gezwungene Weiſe aus dem Ganzen der Nachrichten hervorgeht, oder durch den Gang der Sache ſelbſt als nothwendig gefordert wird; ſo verdient daſſelbe allerdings mehr Glaubwuͤrdigkeit als ein ſolches Ueberliefertes, das ſich mit dem We - ſen der Kunſt ſchwer oder gar nicht vertraͤgt. Der Verfaſſer behaͤlt ſich alſo die Freyheit vor, theils Ver - muthungen, deren Wahrſcheinlichkeit ihm nach dem nothwendigen Gange der Kunſt einleuchtend iſt, vor - zubringen, theils Nachrichten, welche ihm widerſpre - chend ſcheinen, wenn ſie ſich gleich auf die Autoritaͤt eines alten Schriftſtellers gruͤnden ſollten, zu ver - werfen.
70Nach des Plinius Behauptung ſtimmten alle aͤlte - ren Ueberlieferungen darin uͤberein, daß die Malerey eigentlich vom Umriß eines menſchlichen Schattens be - gonnen habe; welches unter der Bedingung fuͤr wahr - ſcheinlich gelten kann, daß man ſich dabey nicht etwa wirkliche Schatten - oder Silhouettenfiguren denke; ſondern vielmehr die erſten Linearverſuche, eine Geſtalt auf eine Flaͤche aufzuzeichnen: denn dieſes iſt ja in der That das Elementare der Malerey.
Ardices und Telephancs, ſagt Plinius, hatten zuerſt dieſe Art von Kunſt geuͤbt, noch aber keiner Farben ſich bedient, ſondern nur innerhalb der Figu - ren hin und wieder Linien gezogen; wobey er hinzu - fuͤgt, es ſey in dieſer erſten Zeit uͤblich geweſen, je - desmal daneben zu ſchreiben, wen man abgemalt habe.
Hier zeigt ſich dieſelbe Bemuͤhung, Formen und Geſtalten darzuſtellen, wie wir noch an den Kindern gewahr werden, wenn ſie ſpielend ihre Popanze an die Waͤnde zeichnen.
Schelte indeſſen Niemand die alten Erfinder der Kunſt kindiſchen oder unreifen Geiſtes, wenn auch die Werke, die ſie verfertigten, ſich mit dem Beſtre - ben der Kinder vergleichen laſſen. Denn durch ſie iſt der erſte Anlaß zur Malerey, zur Darſtellung erho - bener runder Gegenſtaͤnde auf ebener Flaͤche, in die Welt gekommen, und jeder erſte Schritt kann als ein großer und wichtiger angeſehen werden.
71Ferner ſehen wir auch unſere Kinder, welche ei - nen Begriff von Malerey ſich geſchwind bilden koͤn - nen, ſehr bald um etwas weiter gehen, und den Verſuch machen, wie ſie mit Ziegelmehl ihren Fratzen von Seiten der Farbe mehr Naturaͤhnlichkeit verſchaf - fen moͤchten: eben ſo, wie nach Plinius Bericht der Corinthier Cleophantus ſoll gethan haben. Und wir ſehen nicht, was ſich gegen die Wahrſcheinlichkeit die - ſer Nachricht von der erſten einfachſten Weiſe, wie ſich der Sinn fuͤrs Colorit ausgeſprochen, viel ein - wenden ließe. Denn ehe man den Boden nach Ocker - arten und Kreiden durchſucht und verſchiedene Haupt - farben zur Nachahmung der Carnation zu miſchen ge - wagt, moͤgen wohl die Scherben gebrannter irdener Gefaͤße oder Backſteine das naͤchſte und beſte Mittel dargeboten haben, den vorgeſetzten Zweck zu errei - chen.
Hierbey wird Jedermann leicht einfallen, daß die bemalten, ſogenannten hetruriſchen, Gefaͤße in ge - brannter Erde gewiſſermaßen als Symbole dieſer uran - faͤnglichen Malerey koͤnnen angeſehen werden. Die aͤlteſten derſelben mit ſchwarzen, im Detail oft noch unfoͤrmlichen Geſtalten, ſtellen uns die Linearzeichnun - gen des Telephanes und Ardices vor Augen; und wie Plinius von den Werken dieſer beyden Kuͤnſtler erzaͤhlt, ſo ſind auch auf den erwaͤhnten Vaſenzeich - nungen aͤlteſter Art, im Innern, zur Andeutung der Theile, einzelne Linien gezogen. Woraus klar erhellt, daß man dadurch keinesweges eigentliche Schattenriſſe72 bezweckte, ſondern wirklich allgemeine Zeichnung pla - ſtiſcher Geſtalten auf ebener Flaͤche, doch ohne Begriff von Colorit, noch weniger von Licht und Schatten; welcher letzteren Erkenntniß, wie wir in der Folge ſe - hen werden, erſt ſpaͤter aufgegangen iſt und die Voll - endung der Malerey bewirkt hat.
Die andere und vermuthlich ſpaͤtere Art der Va - ſenbilder, mit gelbrothen Figuren auf ſchwarzem Grun - de, kann den durch Kleophantus eingefuͤhrten erſten vorſchreitenden Verſuch, die anfaͤngliche Andeutung der Farbe, darſtellen. Denn wenn er mit zerſtoße - nen Scherben malte, ſo muß daraus eben dieſelbe Farbe entſtanden ſeyn, die der gebrannte Thon auf nicht glaſirten Gefaͤßen wirklich zeigt.
Wenn wir die ſogenannten hetruriſchen Gefaͤße als Darſtellung der uranfaͤnglichen Verſuche in der Male - rey anfuͤhrten, ſo wuͤrde man uns doch mißverſtehen, wenn man glauben wollte, daß wir die Zeichnungen auf dergleichen Gefaͤßen wirklich in ein ſo hohes Alter - thum hinaufruͤcken und ſie ſelbſt als Erſtlinge der Ma - lerey betrachten moͤchten. Wiewohl einige mit ſchwar - zen Figuren, uralter Schrift und unbeholfener noch roher Zeichnung, in der That ſehr alt ſind, und aus Zeiten herruͤhren koͤnnen, welche von der Erfindung der auf Flaͤchen zeichnenden Kunſt bey den Griechen nicht fern geweſen. Wir aber gedenken ihrer bloß als ſolcher Kunſtwerke, worauf die erſten urſpruͤnglichen Arten der Malerey noch beybehalten waren, und wo - durch wir uns dieſelben deſto beſſer vorſtellen koͤnnen.
73Fruchtlos wuͤrde die Bemuͤhung ohne Zweifel aus - fallen, wenn Jemand unternehmen wollte, die Zeit beſtimmt auszumitteln, wann eigentlich bey den Grie - chen die erſten Anfaͤnge der Malerey ſtatt gehabt. Die Namen Philocles, Cleanthes, Ardices, Tele - phanes, welche Plinius den Erfindern beylegt, moͤ - gen wohl nur bloße Namen ſeyn, ſo wie alles, was er uͤber das Alter der bildenden Kunſt in Griechenland und Italien vorgebracht, aus ungewiſſen, widerſpre - chenden Nachrichten zuſammengetragen iſt.
Das Einzige laͤßt ſich mit Gewißheit behaupten, daß die erſten Verſuche der Malerey in ſehr entfernte Zeiten fallen. Und wenn man gleich anfaͤnglich ſchon einige Lebhaftigkeit des Kunſtbetriebs annehmen duͤrfte, ſo muͤßte die Plaſtik ſelbſt nicht betraͤchtlich aͤlter ſeyn. Doch iſt nicht zu laͤugnen, daß ihre Erfindung oder erſte Uebung dem Menſchen leichter als die der Ma - lerey fallen mochte, und daß man jene immer als die aͤltere, dieſe als die nachgeborne juͤngere Schweſter wird erkennen muͤſſen.
Wir ſchreiten in unſern Betrachtungen weiter fort und finden einen Eumarus, der den Ruhm erwarb, zuerſt in ſeinen Darſtellungen die maͤnnlichen von den weiblichen Figuren unterſchieden zu haben. Dieſes ſcheint mehr von Verbeſſerung und Berichtigung der Geſtalt oder der Zeichnung, als von Verfeinerung des Colorits auszulegen.
Dieſer, und Cimon von Cleone erweiterten die74 Kunſt, indem von ihnen die katagraphiſchen Darſtel - lungen erfunden wurden. Die Unbeſtimmtheit der Be - deutung dieſes Worts hat den Auslegern nicht allein zu ſchaffen gemacht, ſondern man kann ſogar behaup - ten, der eigentliche Sinn deſſelben ſey ihnen verbor - gen geblieben. Nach unſerm Dafuͤrhalten geht die Meynung des Plinius dahin, daß durch die Bemuͤ - hungen der genannten Kuͤnſtler die menſchlichen Geſtal - ten in der Malerey zuerſt mehrere Bewegung und Mannigfaltigkeit erhalten haben. Die Figuren wur - den zuruͤckſchauend, aufſchauend und niederſchauend dargeſtellt; Gelenke und Adern, wie auch an Ge - waͤndern die Falten angedeutet, mit einem Worte, die Kunſt hatte ſich der Natur genaͤhert und ſie nach - zuahmen begonnen.
Wenn alſo Plinius von der Erfindung katagra - phiſcher Darſtellungen redet, ſo will er dadurch das Vermoͤgen oder die Kunſt, im Umriß die Wendungen und Verkuͤrzungen anzudeuten, ausdruͤcken. Ein Um - ſtand, welcher allerdings von ſo großer Wichtigkeit in geſchichtlicher Ruͤckſicht iſt, als unſer Autor darauf zu legen ſcheint. Denn es war dadurch eine der großen Hauptſtufen erſtiegen, uͤber welche die Kunſt ſich zu ihrer Vollkommenheit emporarbeiten mußte.
Hierauf wird nun eine Luͤcke in den von Plinius uns uͤberlieferten Nachrichten bemerkt. Die Kunſt mag vielleicht durch eine geraume Zeit von verſchie - denen Kuͤnſtlern mancherley Verbeſſerungen erhalten ha -75 ben; doch ohne daß eine derſelben ſo auffallend gewe - ſen, um als ein wichtiger Vorfall in der alten Kunſt - geſchichte angezeigt zu werden. Unterdeſſen mag man zu mehrerer Fertigkeit gelangt, die Maler moͤgen nach dem damaligen Maß der gangbaren Kenntniſſe mehr Meiſter ihres Fachs geworden ſeyn.
Ohne Zweifel erhielt die Malerey große und be - deutende Verbeſſerungen durch den Polygnot von Tha - ſos. Die Bewunderung, welche das ganze Alterthum ſeinen Werken zollte, iſt ein ſicherer Buͤrge fuͤr ihre hohen Verdienſte. Und noch koͤnnen wir uͤber den ed - len Geiſt ſeiner Erfindungen urtheilen, indem uns Pauſanias den Inhalt von zweyen ſeiner Hauptge - maͤlde beſchrieben und uͤberliefert hat.
Polygnot mag als ein außerordentlicher Geiſt im Ganzen uͤber die Kunſt gewaltet und ſie ihrer Voll - kommenheit naͤher gebracht haben; aber unſere gegen - waͤrtigen Betrachtungen bezielen bloß dasjenige, was die Fortſchritte der Farbengebung angeht.
Er muß, den alten Nachrichten zufolge, um mehrere Mannigfaltigkeit der Farben bemuͤht geweſen ſeyn, ſie auf eine zwar einfache Weiſe, aber mit Sinn und nach Maßgabe des beabſichtigten Charakters, angewendet haben. Er kleidete zuerſt die weiblichen Fi - guren in helle Gewaͤnder, und gab dem Hauptſchmuck derſelben froͤhlich bunte Farben; wodurch alſo die Ge - maͤlde im allgemeinen anziehender und gefaͤlliger wur - den.
76Man ſagt, Polygnot und ſein Zeitgenoſſe Mikon haͤtten ſich zuerſt des lichten Ockers zum Malen be - dient. Nimmt man dieſe Nachricht in dem Sinne, als haͤtten dieſe Kuͤnſtler die erwaͤhnte Farbe unver - miſcht zum Anſtrich von Gewaͤndern gebraucht, ſo er - hellt daraus eben das vorhin bemerkte ſorgfaͤltige Be - ſtreben nach Mannigfaltigkeit, Abwechſelung und Far - benreiz. Will man aber gar zugeben, ſie haͤtten, was nicht unwahrſcheinlich iſt, durch Vermiſchung dieſer Farbe mit Roth und Weiß, die genauere Nach - ahmung der Wahrheit in Darſtellung der nackten Theile ihrer Figuren, beſonders der weiblichen, erzwecken wollen; ſo war die Kunſt der Malerey bereits auf dem Wege, der ſie ihrer vollkommen Entwicklung zufuͤhren mußte. Es iſt vielleicht hier der ſchicklichſte Ort, beyzubringen, daß, ebenfalls einer Nachricht des Plinius zufolge, nicht lange vor dieſer Zeit auch die Farbe des Zinnobers erfunden wurde.
Von Panaͤnus, des Phidias Bruder, einem Zeit - und Kunſtgenoſſen des Polygnot, wiſſen wir aus Nachrichten des Plinius und Pauſanias, daß er in der Poekile zu Athen die Schlacht bey Marathon ge - malt, und zwar, wie aus eben dieſen Nach - richten zu vermuthen iſt, mit mancherley Farben. Auch ſollen die Figuren der Feldherren, ſowohl der Griechen als Perſer, wirkliche Bildniſſe dargeſtellt ha - ben. Man ſieht alſo offenbar das damalige lebhafte Bemuͤhen der Maler, ihren Werken Wahrheit zu ge - ben. Dieſes Bemuͤhen aber mußte vornehmlich Farbe77 und Farbenmiſchung betreffen: denn die Zeichnung war damals ſchon auf den Gipfel des Großen, Ed - len, Wuͤrdigen gelangt, wovon die plaſtiſchen Werke jener Zeit zu unverwerflichem Zeugniß dienen koͤnnen.
Um die neunzigſte Olympiade ſcheint ſich die Ma - lerey bis zur Selbſtaͤndigkeit emporgearbeitet zu haben. Offenbar ſetzt Plinius einen bedeutenden Lebenspunct, das Beginnen einer neuen Epoche der Malerey, in dieſe Zeit, hat aber zu bemerken unterlaſſen, worin die weſentliche, damals bewirkte Verbeſſerung eigent - lich beſtanden habe. Wir machen uns davon unge - faͤhr folgende Vorſtellung.
Bis auf dieſe Zeit waren die ſchnelleren Fortſchritte der malenden Kunſt noch immer gehindert, theils weil die Kuͤnſtler dieſes Fachs die nothwendige Fertig - keit und Bequemlichkeit der Behandlung noch nicht in ihrer Gewalt haben mochten, theils weil es ihnen an zweckmaͤßigen Werkzeugen gebrach. In der fruͤhſten Zeit bediente man ſich des Griffels; allein dieſer konnte doch wohl nur bloße Umriſſe zu ziehen gebraucht wer - den. Sobald aber die Abſicht, mehrere Farben an - zuwenden, entſtanden war, trat auch das nothwendige Beduͤrfniß eines die Auftragung derſelben erleichternden Werkzeuges ein. Wie aber und wann eigentlich zu ſolchem Behuf der Pinſel erdacht und nach und nach vervollkommnet worden, davon iſt keine ſichere Nach - richt vorhanden.
Im Beſitz zwar einfacher, aber doch fuͤr die78 Nachbildung aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde genugſam hin - reichender Farben, moͤgen die Kuͤnſtler dieſer Zeit ge - weſen ſeyn. Als beruͤhmte Maͤnner, die alſo wahr - ſcheinlich Steigerer und Erweiterer der Malerey gewe - ſen, nennt Plinius in der neunzigſten Olympiade den Aglaophon, vermuthlich einen andern als den Vater des Polygnot; ferner Cephiſſodorus und Evenor, deſſen Sohn und Schuͤler Parrhaſius war. Worin aber eigentlich ihre Verdienſte und die von ihnen be - wirkten Fortſchritte der Kunſt beſtanden haben, wird nicht gemeldet. Jedoch finden wir Urſache zu glau - ben, daß von ihnen, wo nicht die ganz erſten, doch wenigſtens die allmaͤhlig beſſer gelungenen Verſuche, Licht und Schatten anzudeuten, gemacht worden. Hierzu ſcheint uns die Erwaͤhnung verſchiedener Um - ſtaͤnde zu berechtigen.
Denn erſtlich iſt, nach vorhin geſchehenen Andeu - tungen, die Zeichnung ſchwerlich derjenige Theil ge - weſen, in welchem die erwaͤhnten Kuͤnſtler, die dem Polygnot unmittelbar folgten, eine hoͤhere Vollkom - menheit als dieſer große Meiſter erlangt haben. Alſo muͤſſen ſie, da mit ihnen eine neue Epoche der Ma - lerey anfangen ſoll, in irgend einem vorhin noch nicht, oder wenigſtens mit geringem Erfolg, bearbeiteten Theile ſtarke Vorſchritte gemacht haben.
Nun iſt, angezeigter Weiſe ſowohl als auch der innern Nothwendigkeit nach, die Malerey vom rei - nen Umriß zu Figuren, die ſich bloß durch eine ein -79 fache Localfarbe vom Grund, auf den ſie gearbeitet waren, unterſchieden, vorgeſchritten; dann wurden, als man ſich nach und nach im Beſitz von mehreren Farben ſah, dieſelben von großen Kuͤnſtlern zu ſinn - voller Bedeutung, aber wie wir zu glauben geneigt ſind, alle noch immer bloß als Localfarbe gebraucht, ohne durch Abſtufung von helleren und dunkleren Toͤnen die Wirkung des Lichts und Schattens nachahmen zu wollen.
Denn wenn uns die neuere Kunſtgeſchichte belehrt, daß erſt nach langen und ſchweren Bemuͤhungen das Helldunkel an natuͤrlichen Gegenſtaͤnden richtig wahrge - nommen werden konnte, obgleich die Tradition davon aus dem Alterthum einigermaßen noch uͤbrig war, wie ſehr viel groͤßere Schwierigkeiten hatten nicht die Alten zu beſiegen, da ſie ſich den Begriff ſelbſt neu erſchaf - fen mußten! Auch iſt kein einziger wahrſcheinlicher Grund und keine alte Nachricht vorhanden, nach wel - chen vermuthet werden duͤrfte, daß in Polygnots Ge - maͤlden bereits Licht und Schatten angegeben geweſen. Vielmehr laͤßt das Symboliſche ſeiner Darſtellungen, die vielen Figuren, die er auf Gemaͤlden angebracht und Reihenweiſe geordnet, ſchließen, daß die Angabe von Licht und Schatten von ihm noch nicht bezweckt worden. Hingegen iſt wohl nicht zu zweifeln, daß dieſes vom Apollodorus, einem Athenienſer, der ſich um die vierundneunzigſte Olympiade beruͤhmt gemacht, geſchehen ſey. Selbſt Plinius bemerkt, daß von den vor dieſem Meiſter verfertigten Gemaͤlden kein einzi -80 ges das Auge angezogen; wovon der Grund doch wohl nur in dem fruͤher noch gar nicht, oder doch nur unbeſtimmt, angedeuteten Licht und Schatten zu ſuchen iſt.
Auch hinſichtlich auf die Gegenſtaͤnde ſcheinen die vom Apollodorus gemalten Werke ſich von denen des Polygnot weſentlich unterſchieden, und meiſt nur ein - zelne oder doch eingeſchraͤnkte Figuren dargeſtellt zu ha - ben, welche vom Symboliſchen, als dem vornehmlich der Plaſtik gehoͤrigen Feld, abwichen und allmaͤhlig den fuͤr die Malerey beſſer geeigneten dramatiſchen Charakter annahmen.
Nach dem Ruhme zu urtheilen, welchen die Al - ten einſtimmig dem Xeuxis von Heraklea gegeben, muß derſelbe ſich außerordentliche Verdienſte um die Kunſt erworben haben. Und wenn wir ſeine Bemuͤhungen bloß aus dem beſchraͤnktern Geſichtspunct, den wir hier vorzuͤglich im Auge haben muͤſſen, anſehen; ſo ſcheint durch ihn ſowohl eine freyere maleriſche Be - handlung, als auch in Hinſicht auf das Colorit und den Gebrauch von Licht und Schatten mehr Freyheit eingefuͤhrt worden zu ſeyn.
Betrachten wir aber, was Xeuxis auch in andern Theilen geleiſtet, ſo ſcheint er als einer der großen Befoͤrderer der Kunſt im allgemeinen anzuſehen: denn ſeine Erfindungen waren von der edelſten, gehaltvollſten Art, die Formen nach dem Zeitgeſchmack von wuͤrdi -81 ger Großheit; aber ſein eigenthuͤmliches Beſtreben ging auf das Schoͤne. Und alſo mochten, nach unſerm Ermeſſen, die Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers wohl nicht fern von der hoͤchſten in der Kunſt erreichbaren Hoͤhe geſtanden haben. Im vierten Jahr der fuͤnf und neun - zigſten Olympiade wird aller Wahrſcheinlichkeit nach ei - nes der vorzuͤglichſten Werke von ihm verfertigt wor - den ſeyn, weil Plinius des Kuͤnſtlers hoͤchſten Ruhm von dieſem Jahre datirt hat.
Androcydes, Eupompus, Parrhaſius und Ti - manthes waren Nebenbuhler des Xeuxis, wahrſchein - lich aber auch etwas juͤnger als derſelbe. Von den beyden erſten wiſſen wir wenig mehr als die Namen; doch von den letztern ſind umſtaͤndlichere Nachrichten vorhanden, und es leidet durchaus keinen Zweifel, daß Parrhaſius die Malerey vorzuͤglich befoͤrdert und vervollkommnet habe. Hauptſaͤchlich moͤgen durch ihn die Umriſſe der Figuren weicher und ſchwindender, die Geſtalten wie mit Luft umgeben, gemalt worden ſeyn. Dieſes zeigt, daß die Beobachtung und Nach - ahmung von Licht und Schatten bereits auf einen ho - hen Grad von Feinheit und Genauigkeit getrieben war. Daß er auch in der Wahrheit des Colorits zu einer großen Hoͤhe gelangt ſey, lernen wir aus einer andern Nachricht des Plinius, wo unter den beruͤhmteſten Werken dieſes Kuͤnſtlers eines Wettlaͤufers gedacht wird, welcher zu ſchwitzen ſchien. Es kann alſo kein Raͤthſel fuͤr uns ſeyn, warum Parrhaſius dem Xeuxis fuͤr uͤberlegen geachtet wurde. Er war, nach unſererII. 682Anſicht der Dinge, kein beſſerer Kuͤnſtler als Xeuxis aber unſtreitig war er ein vollkommnerer Maler.
Das flache Maͤhrchen, welches Plinius von dem Wettſtreit der genannten beyden großen Kuͤnſtler erzaͤhlt, wo Xeuxis Trauben, Parrhaſius aber eine als mit dem Vorhang bedeckte Tafel dargeſtellt haben ſoll, moͤchten wir freylich ſeinem ganzen Umfange nach nicht in Schutz nehmen; allein es konnte unmoͤglich erfun - den und nacherzaͤhlt werden, ohne daß ſich beyde Kuͤnſtler um das Colorit beſonders verdient gemacht, ohne daß Parrhaſius die taͤuſchende Wahrheit der Nach - ahmung in ſeiner Gewalt gehabt, das heißt, daß ſeine Localtinten richtig und die Schattirung nach der Natur ſehr wohl beobachtet geweſen.
Timanthes ſoll in einem Wettſtreit ſelbſt uͤber den Parrhaſius geſiegt haben. Ob er aber auch in Hin - ſicht auf das Colorit beſonders vortrefflich geweſen, und durch Vorzuͤge dieſer Art den Sieg erlangt, geht aus den Nachrichten nicht hervor. Er wird uns vor - nehmlich als hoͤchſt ſinnreich in ſeinen Erfindungen be - ſchrieben; auch muͤſſen ſeine Gemaͤlde in Betreff des Ausdrucks der Leidenſchaft und Darſtellung des Charak - ters der Figuren hoͤchſt ſchaͤtzbar geweſen ſeyn. Jenes iſt aus ſeiner beruͤhmten Iphigenia wahrſcheinlich; die - ſes ſchließen wir aus der Nachricht von einem andern ſeiner Gemaͤlde, welches einen Helden dargeſtellt, und worin, wie Plinius anmerkt, die ganze Kunſt Maͤnner zu malen enthalten war.
83Demnach bleibt es allerdings raͤthſelhaft, worauf Parrhaſius eigentlich gezielt, welcher, als das Ge - maͤlde des Timanthes vom Streit des Ulyſſes und Ajax um Achills Waffen dem ſeinigen, wo derſelbe Gegenſtand abgebildet war, vorgezogen wurde, ſoll geſagt haben: es kraͤnke ihn, daß Ajax abermals von einem Unwuͤrdigen uͤberwunden werde.
Eben ſo ſchwer moͤchte auszumachen ſeyn, worin die Vorzuͤge des Eupompus, Stifters der Sycioni - ſchen Schule, beſtanden haben; weil durchaus keine umſtaͤndlichen Nachrichten uͤber ihn vorhanden ſind, wir auch uͤberhaupt noch nicht wiſſen, auf welche Weiſe ſich die griechiſchen Malerſchulen in Geſchmack, Styl und Behandlung von einander unterſchieden haben.
Euphranor vom Corinthiſchen Iſthmus, ein be - ruͤhmter Kuͤnſtler, der ſowohl gemalte als plaſtiſche Meiſterſtuͤcke verfertigt, und nach Plinius in der hun - dert und vierten Olympiade gebluͤht, wird ſonder Zweifel auch zur Vervollkommnung des Colorits beyge - tragen haben: denn es waren von ihm verfaßte Buͤ - cher uͤber die Farben vorhanden. Und weil er von einem gemalten Theſeus des oben erwaͤhnten Parrha - ſius zu urtheilen wagte: derſelbe ſey mit Roſen ge - naͤhrt, ein anderer aber, von ihm ſelbſt gemalter, mit Fleiſch; ſo iſt alſo durch ihn damals groͤßere Wahrheit, Abwechſelung und Charakteriſtik des Far - bentons erreicht worden.
6 *84Wir nennen hier noch den Echion, Ariſtides und Pamphilus. Echion lebte in der hundert und ſieben - ten Olympiade, und man muß damals ſchon mit gro - ßer Kraft und Gegenſaͤtzen von Hell und Dunkel ge - malt haben, weil unter den beruͤhmteſten Gemaͤlden dieſes Kuͤnſtlers eines erwaͤhnt wird, worauf eine Neuvermaͤhlte dargeſtellt war, der eine alte Frau die Lampe vortrug. Alſo ein Nachtſtuͤck, und neben dem hoͤhern Verdienſt ungemein zarten Ausdrucks, von kraͤf - tiger Wirkung.
Pamphilus hatte den Ruhm, den groͤßten der griechiſchen Maler gezogen zu haben, und ſcheint von den Alten, beſonders wegen ſeiner theoretiſchen Kennt - niſſe, geſchaͤtzt worden zu ſeyn. Ob ihm die Kunſt auch von Seiten des Practiſchen und vorzuͤglich des Colorits, Erweiterungen zu danken habe, iſt uns nicht uͤberliefert worden.
Ariſtides, der Thebaner, mag etwas juͤnger als die eben genannten Meiſter und ein noch groͤßerer, ja dem Apelles ſelbſt gleichgeſchaͤtzter Kuͤnſtler geweſen ſeyn. Unterdeſſen wird von ihm ausdruͤcklich bemerkt, ſein Hauptverdienſt habe nicht in vorzuͤglicher Anmuth der Behandlung, oder in zartem Colorit, ſondern in bewundernswuͤrdigem Geiſt und Lebhaftigkeit des Aus - drucks ſeiner Figuren, und in gehaltreicher Erfindung beſtanden.
Dieſer Kuͤnſtler, ſo wie einige der vorhergenann - ten koͤnnten zwar hier als uͤberfluͤſſig angefuͤhrt betrach -85 tet werden, weil wir bloß die Abſicht angekuͤndigt, den Fortſchritten in der Malerey, hinſichtlich auf An - wendung der Farben, und was uͤberhaupt mit dem Colorit verwandt iſt, nachzuforſchen. Allein eben aus dem Umſtand, daß einige Kuͤnſtler ruͤhmlich bemerkt ſind, deren Kunſt ganz anderer Vorzuͤge als des Colo - rits wegen gelobt worden, und der gedachte ſo hoch geruͤhmte Ariſtides ſogar von dieſer Seite gelindem Tadel nicht entgangen, eben daraus ergiebt ſich klar, daß die Kunſt der Farbenbehandlung und der Nachah - mung natuͤrlicher Gegenſtaͤnde durch dieſelben, um ge - dachte Zeit ſchon ſehr weit getrieben geweſen, ſo daß an den Kuͤnſtler von dieſer Seite damals ſchon ſehr große Anforderungen gemacht werden konnten.
Die zufaͤllige Erfindung des gebrannten Bleywei - ßes, oder deſſen, was wir jetzt Neapel-Gelb nennen, und die Einfuͤhrung ſeines Gebrauchs in die Malerey, iſt ein Umſtand welchen wir nicht uͤbergehen duͤrfen. Nicias ſoll der erſte geweſen ſeyn, der dieſe Farbe an - gewendet. Dieſer Kuͤnſtler aber lebte zur Zeit des Praxiteles. Weibliche Figuren ſollen ihm vorzuͤglich gelungen ſeyn. Die Richtigkeit der Beleuchtung und das Vortretende in ſeinen Bildern wird geruͤhmt; wor - aus geſchloſſen werden kann, daß dieſer Meiſter kraͤftig und mit Effekt gemalt habe.
In Bezug hierauf kann man ebenfalls die Bemer - kung des Plinius anfuͤhren, der, wo er von der86 Uſta, dem gebrannten Bleyweiße ſpricht, hinzufuͤgt: daß ohne dieſe Farbe der Schatten nicht ausgedruͤckt werden koͤnne; welches genau mit den Grundſaͤtzen der neuern Maler, die mit kraͤftigem Colorit gearbei - tet, uͤbereinſtimmt.
Zu welcher Zeit und von welchem Kuͤnſtler das Syſtem der Maſſen von Licht und Schatten in der Malerey gegruͤndet worden, iſt nicht genau bekannt; aber wenn wir daſſelbe an den plaſtiſchen Werken, zur Zeit des ſchoͤnen Styls, um die Zeit des Praxiteles, angewandt ſehen, ſo iſt mit Grund zu vermuthen, daß in der Malerey ſchon etwas fruͤher davon Ge - brauch gemacht worden, und dieſe Maximen nachher auf die Plaſtik uͤbergegangen.
Durch den Apelles erreichte endlich die Malerey bey den Griechen ihr hoͤchſtes Ziel. Was den Adel der Erfindung, die Schoͤnheit der Geſtalten betrifft, ſcheint er allen ſeinen Kunſtgenoſſen wenigſtens gleich - gekommen zu ſeyn; in Betreff der Anmuth aber uͤber alle den Vorzug behauptet zu haben.
Aus der Menge Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers, von denen uns noch Nachricht uͤbrig geblieben, laͤßt ſich ſchließen, daß die Behandlung derſelben vollkommen meiſterhaft und leicht geweſen, ohne jedoch der Zart - heit der Ausfuͤhrung einigen Abbruch zu thun. Und ſo duͤrfen wir auch, theils aus dieſem, theils aus andern Gruͤnden, welche die erwaͤhnten Nachrichten uns dar -87 bieten, die beſte Meynung von der Vollkommenheit des Colorits in den Bildern des Apelles hegen.
Durch ihn ſoll die Zahl der Pigmente noch um eines, naͤmlich um das aus gebranntem Elfenbein ver - fertigte Schwarz, vermehrt worden ſeyn. Woraus zu vermuthen iſt, daß er damit eine vorher noch nicht erreichte Staͤrke und Wirkung beabſichtigt habe.
Allein eine noch weit wichtigere Erweiterung der maleriſch-techniſchen Mittel war die von ihm einge - fuͤhrte Lafirung, wodurch er den Bildern jenen kuͤnſtli - chen bezaubernden Schein, den Farben die gefaͤllige Milde, und die hoͤchſt zarte, auf keinem andern Wege in ſolcher Vollkommenheit erreichbare Abſtufung ertheilte. Die hieher gehoͤrige Stelle des Plinius iſt ungemein deutlich, ja ſie ſcheint ſogar keine andere Auslegung zu leiden.
„ Wenn ſeine Gemaͤlde vollendet waren, uͤberzog er ſie mit einer ſehr feinen Schwaͤrze, atramentum, die durch ihren Glanz die Schoͤnheit der Farben noch erhob, das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz ſchuͤtzte, und erſt bemerkt werden konnte, wenn man es naͤher betrachtete. Er verfuhr aber darin ſehr behutſam. Die Lebhaftigkeit der Farben ſollte das Auge nicht be - leidigen, und es ſollte ſie in der Entfernung wie durch einen Spiegelſtein erblicken. Eben dieſe Schwaͤrze ſollte auch den zu hellen Farben unvermerkt mehr Ernſt geben. “
88Der Umſtand, daß es ein glaͤnzender Firniß war, durch welchen das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz geſchuͤtzt wurde, iſt nicht minder intereſſant, als die noch ferner hinzugefuͤgte Anmerkung, daß das Auge die Farben oder das Gemaͤlde wie durch Spiegelſtein erblicken ſollte. Es geht daraus hervor, daß Apelles auf oder uͤber ſeine Malereyen einen in hohem Grade dehnbaren, nach Willkuͤhr ſtaͤrker oder ſchwaͤcher aufzu - tragenden Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz die Eigenſchaft und Wirkung der in der Oelmalerey heut zu Tage angewendeten Laſurfarben, vorzuͤglich des Asphalts, hatte. Ob es ſogar dieſes Erdharz ſelbſt, mit irgend einer Art Oel oder Gummi ver - miſcht, geweſen ſey, laͤßt ſich zwar nicht unumſtoͤßlich darthun; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, da die beſchriebenen Wirkungen gerade diejenigen ſind, welche wir auf den vortrefflichſten Oelgemaͤlden der vorzuͤg - lichſten neuern Meiſter in dieſem Theile der Kunſt er - reicht ſehen.
Protogenes, des Apelles Zeitgenoſſe und Mitei - ferer um den hoͤchſten Ruhm in der Malerey, ſcheint ſeine Bilder mit auffallend groͤßerer Sorgfalt ausgear - beitet zu haben, woruͤber das ſo hoͤchſt erfreuliche Leichte, der Schein eines freyen froͤhlichen Spiels, zum Theil eingebuͤßt werden mochte; wie wir aus dem aufbewahrten Urtheil des Apelles vermuthen koͤn - nen, welcher geſtanden: daß Protogenes ihm ſelbſt in allem gleich komme, ja ihn wohl noch uͤbertreffe; nur wiſſe er nicht zur rechten Zeit aufzuhoͤren. Hierauf89 beſchraͤnkt ſich alles Weſentliche, was uͤber dieſen gro - ßen Kuͤnſtler bis auf uns gekommen.
Nun bleibt uns noch ein ſchwieriger Punct in den Nachrichten des Plinius zu unterſuchen uͤbrig; wobey aber wenig Hoffnung iſt, denſelben voͤllig ins Klare zu ſetzen. Mehrmals berichtet naͤmlich der angefuͤhrte Schriftſteller, die aͤlteren großen griechiſchen Meiſter haͤtten ihre unſterblichen Werke nur mit vier Farben gemalt. Er geht noch weiter und ſpecificirt ſogar dieſe vier Farben, deren ſich ſeiner Angabe nach Apelles, Echion, Melanthius und Nicomachus, mit Ausſchluß aller andern Pigmente, ſollen bedient haben.
Von den weißen Farben iſt es das Melinum al - lein, welches eine Kreide war: das Erethriſche hielt man fuͤr das beſte; von den ockerartigen, das Atticum, wahrſcheinlich ein ſchoͤner heller Ocker; von den rothen die pontiſche Sinopis, ohne Zweifel eine rothe Erde wie die Neapolitaniſche; und von den ſchwarzen das Atramentum. Unter der letzten Benennung wird, wie es ſcheint, von Plinius alle ſchwarze Farbe, oder Schwaͤrze uͤberhaupt, und oft eine beſondere Art Schwarz verſtanden; wie hier der Fall ſeyn mag: und folglich iſt es ungewiß, ob er das Erdpech, den Kien - ruß, Kohlſchwarz, oder die aus gebrannten Weinhefen und aus Weintreſtern verfertigte ſchwarze Farbe, oder gar das verkohlte Elfenbein, deſſen Erfindung er dem Apelles zuſchreibt, gemeynt habe.
90So beſtimmt auch Plinius im Ganzen an dieſer Stelle zu ſeyn ſcheint, ſo kann man doch unmoͤglich ſeinen Bericht buchſtaͤblich auslegen, weil offenbare Schwierigkeiten, ja Widerſpruͤche daraus entſtehen wuͤrden. Die angefuͤhrte Stelle kann demnach ſchwer - lich eine andere als die allgemeine Bedeutung haben: daß die großen Meiſter des Colorits in Griechenland — denn ohne Zweifel ſind dieſe vorhingenannten in dieſer beſondern Ruͤckſicht aufgefuͤhrt worden — ſich bloß einfacher Farbenmittel bedient, aber durch ver - ſtaͤndige kunſtreiche Anwendung derſelben nichts deſto weniger große Wirkungen erzielt und den aͤchten Kunſt - forderungen genug gethan; dahingegen die Maler zu Plinius Zeiten blendende Farben mancherley Art an - wendeten, aber das Weſentlichſte der Kunſt vernach - laͤſſigten.
Man duͤrfte ſich freylich ſehr wundern in Aufzaͤh - lung der einfachen Farben, deren ſich die groͤßten Maler bey den Griechen zu ihren Werken bedient, das Blau ganz vergeſſen zu ſehen. Und wenn es erweislich iſt, daß zur guten Wirkung eines Gemaͤldes unum - gaͤnglich die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes erfor - dert wird; ſo muͤßte die hohe Meynung vom Farben - ſpiel und von der Harmonie, welche die Verehrer des Alterthums ſonſt den Werken jener genannten großen Meiſter zuſchreiben mochten, allerdings vermindert wer - den, und ſie ſchwerlich, bey allen uͤbrigen Vorzuͤgen, vor dem Verdacht der Monotonie zu ſchuͤtzen ſeyn. Denn wenn ſie ſich keiner blauen Farbe ſollten bedient91 haben, ſo haͤtte nothwendig auch das friſche Gruͤn mangeln muͤſſen. Allein es iſt keinesweges wahrſchein - lich, daß die großen Meiſter die Vortheile nicht einge - ſehen haben ſollten, welche aus der Anwendung von Blau und Gruͤn fuͤr beſſere Harmonie und Mannig - faltigkeit des Farbenſpiels in Gemaͤlden entſpringen.
Unſres Beduͤnkens muß man daher, um die Stelle beym Plinius zu retten, auf die buchſtaͤbliche Ausle - gung derſelben verzichten, und unter den vier Farben bloß den Gebrauch einfacher Farben verſtehen: denn ſonſt wuͤrde der Autor mit ſich ſelbſt in Widerſpruch gerathen. Er berichtet ja, daß Minium, es ſey nun Zinnober oder Mennig darunter verſtanden, ſchon fruͤh erfunden worden. Er rechnet dem Polygnot als ein Verdienſt an, daß derſelbe ſeinen weiblichen Figuren buntes Kopfzeug gegeben habe, welches aus denen Farben, die er dem Nicias und Apelles ſelbſt nur laſſen will, nicht zu bewerkſtelligen war. Vom Ni - cias wird aber an einem andern Orte ausdruͤcklich ge - meldet, er habe ſich der Uſta, des gebrannten Bley - weißes, zuerſt bedient; und es wird ferner beygefuͤgt, ohne Uſta laſſe ſich der Schatten nicht ausdruͤcken. Folglich muͤßten alle die großen alten Meiſter den Schatten nur unzulaͤnglich dargeſtellt haben. Es geht aber aus den eigenen Anmerkungen, die Plinius uͤber ihre Werke eingeſchaltet hat, ganz das Gegentheil her - vor. Und waͤre es nicht alſo geweſen, haͤtte die Ma - lerey ſich in der That von dieſer Seite erſt ſpaͤter ver - vollkommnet, ſo waͤren ja die Vorwuͤrfe ungerecht,92 die Plinius eben den ſpaͤtern Kuͤnſtlern uͤber die An - wendung mehrerer Farben machen will. Apelles ſelbſt hat ſicherlich ſein Elfenbeinſchwarz um groͤßerer Kraft willen, und um allenfalls die uͤbrigen ſchwarzen Far - ben durch noch tiefere Schwaͤrze abſchattiren zu koͤn - nen, gebraucht, und nicht etwa darum, weil es zur Miſchung in den Fleiſchtinten am bequemſten war, wie ein jeder neuerer Maler wohl aus Erfahrung weiß.
Warum aber vom Plinius unter jenen vier Far - ben das Blau nicht erwaͤhnt wird, erklaͤrt ſich vielleicht durch die Stelle, wo derſelbe vom Atrament oder von ſchwarzen Farben ſpricht, am beſten. Er meldet naͤm - lich, die gebrannten Hefen von gutem Wein gaͤben nach der Behauptung einiger Maler eine Schwaͤrze, welche dem Indicum nahe kaͤme, und Indicum ſelbſt wird von ihm an die ſchwarzen Farben angeſchloſſen. Aus einer folgenden Stelle geht aber hervor, daß un - ter Indicum ſchwerlich etwas andres als der wirkliche Indigo, und alſo blaue Farbe, gemeynt ſeyn kann; die denn auch in Gouach - und Leimfarben noch immer gebraucht wird. Das Blau von Waid, Vitrum, war wenigſtens zur Zeit des Plinius ebenfalls bekannt. Man verfaͤlſchte damals das Indicum damit. Eben ſo ha - ben die Alten das Bergblau, und zu Alexanders Zeiten ſicherlich auch den Lapis Lazuli gekannt. Dieſes iſt es, was wir uͤber eine allerdings ſchwierige und vielfacher, nur nicht woͤrtlicher, Auslegung faͤhige Stelle anzu - merken fuͤr ſchicklich erachtet haben.
93Nachdem wir nun das erſte Entſprießen der grie - chiſchen Malerey, ihre Bluͤten und die herrlichen gol - denen Fruͤchte, die ſie zur Zeit ihres hoͤchſten Glanzes getragen, betrachtet haben, verfolgen wir dieſelbe auch waͤhrend ihres Sinkens bis zu ihrem endlichen Unter - gang. Gewiß, es koͤnnte demjenigen nicht an Gruͤnden fehlen, der eine Naturnothwendigkeit auch hier behaup - ten und ſagen wollte, kein moͤgliches Mittel ſey gewe - ſen, ihren Verfall zu verhindern, da ewige Geſetze ſo die Kunſt wie alle uͤbrigen Dinge einem Anf - und Niederſteigen, der Jugend und dem Alter, dem Er - ſcheinen und Vergehen unterworfen haͤtten. Allein die - ſes duͤrfte uns zu weit von unſerm vorgeſetzten Zwecke ableiten, der hier nicht iſt, Urſachen zu ergruͤnden, ſondern was wahrſcheinlich geſchehen iſt, darzulegen.
So geſchah es alſo, daß hinter dem Apelles und Protogenes, deren Werke man als die hoͤchſten Gipfel der Malerey anſehen kann, die Kunſt, durch immer verſuchte Neuerungen, an Gehalt, an Styl, an Rein - heit der Formen und des Geſchmacks immer mehr ab - nahm.
Aus den freylich ſehr mangelhaften Nachrichten, die uns davon noch uͤbrig ſind, laͤßt ſich ſchließen, daß Maler aufgeſtanden, welche vornehmlich die Wir - kung fuͤrs Auge bezweckten; andere, welche bey gemei - nen Gegenſtaͤnden durch das Gefaͤllige der Ausfuͤhrung; andere, die ſich durch Witz und Laune des Inhalts Beyfall zu erwerben geſucht. Noch von andern wird ausdruͤcklich gemeldet, ſie haͤtten ſich vorzuͤglich durch94 Geſchwindigkeit mit der ſie arbeiteten, hervorgethan. Dieſe waren alſo genoͤthigt, dem Weſentlichen, Ge - nauen, ſorgfaͤltig Ausſtudirten und Wohlgeendigten zu entſagen, und das bloß Scheinbare zu ſuchen. Und ſo werden ihre Arbeiten gegen die Werke des Apelles und Protogenes gehalten, ungefaͤhr eben das Verhaͤlt - niß, wie in neuerer Zeit die Gemaͤlde des Peter von Cortona und des Luca Giordano gegen die des Michel Angelo oder Raphael, gehabt haben.
Mit dieſen wenigen Betrachtungen ſind wir frey - lich genoͤthigt, einen Zeitraum von etwa dreyhundert Jahren, naͤmlich von Alexander dem Großen an bis zu den erſten roͤmiſchen Kaiſern, duͤrftig auszufuͤllen. Allein die ſpaͤrlichen Nachrichten erlauben kein groͤßeres Detail. Von hier an treten wir jedoch aus der Dun - kelheit einigermaßen heraus, und koͤnnen unſere Unter - ſuchungen auf feſterem Grunde fortſetzen. Wenn wir uns ſonſt begnuͤgen mußten zu ſagen: es ſcheint, wir meynen, wir vermuthen; ſo werden nunmehr That - ſachen angefuͤhrt werden koͤnnen, indem wirklich noch Monumente der alten Malerey aus der Zeit, da Pli - nius ſchrieb, wohl auch noch von etwas fruͤherem Datum, vorhanden ſind; desgleichen andere, welche uns uͤber den Zuſtand der Malerey in ſpaͤteren Zeiten belehren.
Bey weitem die groͤßte Zahl der noch jetzt vorhan - denen antiken Gemaͤlde wurde in den Gruͤften von Herculanum und Pompeji wieder gefunden. Nach95 Maßgabe des an ihnen wahrzunehmenden Geſchmackes und Styls gehoͤren ſie, ohne Ausnahme, den Zeiten nach Alexander dem Großen an, und reichen bis da - hin, als unter Titus die erwaͤhnten beyden Staͤdte vom Veſuv mit Lava und Aſche verſchuͤttet wurden. Es waͤre indeſſen moͤglich, daß einige der dort auf - gefundenen Bilder nur Erfindungen aͤlterer Kuͤnſtler, frey und fluͤchtig nachgeahmt, darſtellen. Allein keines zeigt jene einfache Groͤße und Ernſt des Geſchmacks, wodurch es ſich als Originalarbeit eines von den Mei - ſtern, welche vor Alexanders Zeiten gelebt haben, an - kuͤndigte. Vielmehr erſcheint uͤberall der Geiſt einer ſchon ausgebildeten uͤppigen Kunſt, der man ohne Muͤhe anſehen kann, daß ſie nicht im Auf - ſondern im Niederſteigen begriffen iſt. Durchgaͤngig, es moͤgen nun gute oder bloß handwerksmaͤßige Maler den Pinſel gefuͤhrt haben, wird eine ſehr große Leichtigkeit in der Behandlung wahrgenommen, ein herkoͤmmliches Verfah - ren nach uͤberlieferten Regeln. Ob ſchon es eben nicht wahrſcheinlich iſt, daß ſich unter den in Pompeji und Herculanum bis jetzt gefundenen antiken Gemaͤlden wirk - liche Arbeiten hochberuͤhmter Kuͤnſtler befinden, und wir alſo durch dieſe Entdeckungen noch immer keinen durchaus vollſtaͤndigen Begriff erlangen von dem was die Malerkunſt in der Zeit, aus welcher die beſagten Werke ſtammen, leiſten konnte; ſo haben gleichwohl diejenigen Kunſtrichter, welche alle ohne Ausnahme fuͤr mittelmaͤßig erklaͤren wollen, ſich ſehr voreiliger Urtheile ſchuldig gemacht, deren Widerlegung zwar nicht ſchwer fallen duͤrfte, doch uns gegenwaͤrtig zu96 weit von unſerm vorgeſetzten Zweck ableiten wuͤrde. Wir behaupten aber an unſerm Theil, kein unparteyi - ſcher Kenner der Kunſt koͤnne, mit billigen Gruͤn - den, den bekannten Taͤnzerinnen oder den Centauren erhebliche Fehler vorwerfen. In dieſen, ſo wie in noch einigen andern, offenbart ſich ein aͤußerſt zarter, eleganter Geſchmack der Formen. Durchgaͤngig ſind ſie leicht und lieblich gedacht, oft in hohem Grade ſinn - reich. An den Centauren erregt neben den uͤbrigen Verdienſten noch die vollendete Kunſt, mit welcher der Meiſter die Gruppen anordnete, gerechte Bewunderung. Nicht weniger muſterhaft iſt Schatten und Licht in große ununterbrochene Maſſen vertheilt. Die Taͤnze - rinnen, ſo wie verſchiedene andere der beſſeren Bilder, haben einen ganz ungemein froͤhlichen Farbenreiz. Dieſe letzte Eigenſchaft, welche uns hier vornehmlich inter - eſſirt, fuͤhrt auf allgemeinere Betrachtungen.
Saͤmmtliche noch uͤbrig gebliebenen antiken Male - reyen zeigen einen froͤhlichen heiteren Charakter der Far - ben, wodurch ſie ſich auffallend, und, man mag hin - zuſetzen, nicht weniger vortheilhaft von den Arbeiten der Neuern unterſcheiden, als durch die anerkannte Ueberlegenheit in Geſchmack und Styl der Formen. Die Urſache dieſer froͤhlicheren Farbenwirkung kann gro - ßentheils dem froͤhlicheren Geiſt der alten Kunſt zuge - ſchrieben werden, und uͤberdem hat ſelbſt die Malerey mit Waſſerfarben wahrſcheinlich dazu beygetragen; da - hingegen die neuern Maler ſchon durch die Natur der Oelmalerey, welche dem Duͤſtern guͤnſtig iſt, und97 durch den oft ſchwermuͤthigen Inhalt ihrer Bilder, auf einen ganz andren Weg gelenkt wurden.
In Betreff der Harmonie, oder mit andern Wor - ten, der kuͤnſtlichen Stellung und Vertheilung der Farben, ſind die Alten, wie wir uns in der Folge zu zeigen bemuͤhen werden, ſolchen Regeln gefolgt, die ihnen mehrere Mannigfaltigkeit und groͤßern Spiel - raum erlaubten, als die Neuern bey ihrer Weiſe zu denken und zu malen gehabt haben.
Die antiken Gemaͤlde, welche zu Rom in den Ruinen der Baͤder des Titus noch an Ort und Stelle uͤbrig ſind; andere beſſere, die vor etwa dreyßig Jah - ren in der Villa Negroni ausgegraben und ſeither nach England gebracht worden; ferner die beruͤhmte aldo - brandiniſche Hochzeit, welche ſchon im ſiebzehnten Jahr - hundert entdeckt und noch jetzt in Rom befindlich iſt, ſind ohne Zweifel ſaͤmmtlich zeitverwandt mit den Ma - lereyen aus Herculanum und Pompeji. Wenigſtens ent - ſprechen ihre Eigenſchaften und Vorzuͤge einander der - geſtalt, daß wenn wir hier noch einiges Naͤhere uͤber das Colorit, uͤber Anwendung und Austheilung der Farben, wie auch uͤber die Behandlung in der eben erwaͤhnten aldobrandiniſchen Hochzeit beybringen, ſol - ches als von allen den noch vorhandenen antiken Ge - malden beſſerer Art wird gelten koͤnnen.
Beabſichtigter Kuͤrze wegen muͤſſen wir annehmen, unſeren Leſern ſey die Darſtellung der aldobrandini - ſchen Hochzeit ſchon bekannt, und ſo unterlaſſen wirII. 798auch von der Kunſt der Erfindung, der Anordnung, der Zeichnung u. ſ. w. zu reden. Die folgenden Bemer - kungen bezielen demnach vornehmlich nur:
Obſchon die Arbeit im Ganzen nur fluͤchtig und ſkizzenhaft iſt, ſo war der Maler dennoch mit großer Sorgfalt um zweckmaͤßige Abwechſelung der Farbentoͤne, nach Maßgabe der verſchiedenen Charaktere ſeiner Fi - guren, bemuͤht und hat ſich darin beſonders tuͤchtig er - wieſen. Die zarte auf der Wange der Braut gluͤhende Schamroͤthe contraſtirt vortrefflich mit dem kraͤftigen Ton, in welchem der Braͤutigam gehalten iſt. Auch ſind alle uͤbrigen Figuren des Bildes mit feiner Kunſt ſo nuͤanzirt, wie die Bedeutung einer jeden es erfor - dert. Nicht geringere Fertigkeit und Kenntniſſe zeigte unſer alte Meiſter an den verſchiedenen Stellen, wo er das Durchſcheinende farbiger Gewaͤnder durch Weiß angegeben, wo benachbarte Farben ſich einander mit - theilen; und ferner in der Wahl und Vertheilung der den herrſchenden violetten Ton des Bildes beguͤnſtigen - den und von demſelben wieder gehobenen Farben, zum Zweck einer froͤhlich harmoniſchen Wirkung des Ganzen.
Den Ton eigens betreffend, moͤgen hier zu mehrerer Deutlichkeit noch folgende Bemerkungen Platz nehmen.
Wenn die, Neuern, vielleicht durch das Bequeme einiger Farben in der Oelmalerey veranlaßt, den Ton ihrer Bilder faſt immer gelb gewaͤhlt, oder auch zu -99 weilen die Uebereinſtimmung, wie durch daͤmmerndes Licht, mit dem farbeloſen Dunkel des Asphalts zu be - wirken geſucht; ſo iſt man hingegen durch den vorhin erwaͤhnten violetten Ton, welcher in der aldobrandini - ſchen Hochzeit erſcheint, ohne Zweifel berechtigt, der Malerey der Alten uͤberhaupt mehrere Mannigfaltigkeit und Ausbildung von dieſer Seite zuzuſchreiben, und beſagtes Bild, inſofern ſich naͤmlich fuͤr Erweiterung der Kunſt nutzbare Regeln aus demſelben ableiten oder wieder auffinden laſſen, den Kuͤnſtlern unſerer Zeit zur aufmerkſamen Beobachtung zu empfehlen. Ein bunter, als Einfaſſung, unten durch gezogener Streifen, bey - nahe auf die Art eines prismatiſchen Farbenbildes ab - ſchattirt, duͤrfte dem Betrachtenden, nach allem, wo - von wir bereits gehandelt haben, noch beſonders auf - fallen, vielleicht raͤthſelhaft, vielleicht auch nur zufaͤl - lig und ohne Bedeutung ſcheinen. Wir unſeres Orts waͤren der Vermuthung geneigt, der antike Maler habe dieſen Streifen ſo zu ſagen als Declaration der von ihm beabſichtigten Farbenharmonie und Tons unter ſein Werk geſetzt. Hierdurch ſoll nun einer wahrſcheinliche - ren und beſſern Erklaͤrung keinesweges vorgegriffen ſeyn; unterdeſſen iſt die Sache von ſolchem Belang, daß wir vorlaͤufig uns die Freyheit nehmen, die Freun - de der alten Kunſt, bey etwa vorkommenden Entde - ckungen antiker Malereyen, zur naͤheren Erforſchung derſelben aufzufordern.
Gegen die Angabe von der Mannigfaltigkeit des allgemeinen Farbentons in den Gemaͤlden der Alten duͤrſte vielleicht eingewendet werden: „ daß Plinius7 *100zwar von dem Kunſtbehelf des Tons uͤberhaupt als von einer Kuͤnſtlern und Kunſtrichtern wohlbekannten Sache ſpreche, daß aber eben aus ſeiner Beſchreibung des bewunderten, Farben maͤßigenden und vereinbaren - den Ueberzugs oder Firniſſes des Apelles weniger fuͤr als gegen eine damals uͤbliche Mannigfaltigkeit des Far - bentones zu ſchließen ſey; falls aber eine ſolche Man - nigfaltigkeit erſt in ſpaͤten Zeiten waͤre aufgebracht wor - den, ſo moͤchte Plinius, da er dieſer Erfindung nicht eigens gedacht hat, ſie wohl uͤberhaupt bloß nur unter die uͤberfluͤßigen, wahrer Kunſt nachtheiligen Kuͤnſte - leyen gerechnet haben. “
Auf dergleichen Einwendungen wuͤrden wir etwa folgendermaßen antworten.
Iſt eine vorherrſchende Farbe, oder durchgehender Schein von einerley Farbe, den wir Ton nennen, ein wirklich nuͤtzlicher und noͤthiger Kunſtbehelf zur Erzwe - ckung harmoniſcher Anmut in der Malerey, dann gibt es keinen guͤltigen Grund, warum dieſer Behelf bloß auf eine einfoͤrmige und nicht lieber auf die moͤglichſt mannigfaltige Weiſe angewendet werden ſollte, da ſin - nige geſchickte Kuͤnſtler ſich groͤßerer Verſchiedenheit zum Behuf der Bedeutung ohne Zweifel nuͤtzlich zu bedienen wiſſen werden. Ueberdem ſchließt die Laſirung des Apelles, deren Plinius gedenkt, den verſchiedenfarbi - gen Ton in Gemaͤlden nicht unbedingt aus; jene La - ſirung, deren Apelles zur letzten Vollendung ſeiner Bilder ſich bediente, verurſachte nur uͤberhaupt einen milden Schein, eine groͤßere Uebereinſtimmung des Lichts und der Farben; das Werk mochte uͤbrigens ge -101 malt ſeyn aus was fuͤr einem Tone der Charakter und die Bedeutung des Gegenſtandes es forderten. So ſe - hen wir, um durch Beyſpiele das Geſagte deutlicher zu machen, etwa von Rembrand oder vom Ferdinand Bol, Bilder in ſehr gelbem Tone gemalt, wo aber doch wieder durch die letzten endenden Laſuren ein alle Farben, alle Lichter mildernder Schein, eine dem Auge ſchmeichelnde Daͤmmerung uͤber das Ganze ergoſſen iſt. Adrian von Oſtade, nebſt einigen andern Meiſtern, hat hingegen Bilder geliefert, woran kein entſchiedener Ton einer im Allgemeinen uͤbergreifenden Farbe wahr - genommen wird, deren ſtille Harmonie einzig durch den Ueberzug einer farbloſen bloß dunklen Laſirung bewirkt iſt, und man die Gegenſtaͤnde erblickt ungefaͤhr wie ſie im ſchwarz unterlegten Spiegel erſcheinen.
Wenn wir unſere Betrachtungen uͤber die aldo - brandiniſche Hochzeit nun weiter fortſetzen und theils die kunſtmaͤßige Vertheilung der Farben, theils die an - gewendeten Farbenſtoffe fuͤr ſich ſelbſt in Erwaͤgung zie - hen; ſo zeigt ſich das Weiße, Gelbe, Gruͤne und Vio - lette, zwar in verſchiedenen Nuͤanzen, uͤbrigens aber an Maſſe oder Quantitaͤt ohngefaͤhr gleichmaͤßig durch das ganze Bild vertheilt. Reines Blau iſt wenig und nur in heller Miſchung zur Luft und zum Untergewan - de der Braut gebraucht; hingegen deſto oͤfter eine hohe Purpur - oder Lackfarbe, die aber nirgends Maſſe macht, ſondern nur die Schatten bricht und erwaͤrmt, oder auch Changeant bewirkt, und ſo auf verſchiedene Weiſe zur allgemeinen Harmonie des Ganzen ſehr weſentlich beytraͤgt. Daß Zinnoberroth und Orangefarb ausge -102 ſchloſſen ſind, mag noch ferner die Einſichten und das zweckmaͤßige Verfahren des Kuͤnſtlers bewaͤhren. Denn dieſe Farben wuͤrden dem von ihm beabſichtigten froͤh - lichen und doch ſanften Farbenſpiel entgegen und un - vereinbar mit dem uͤberhaupt herrſchenden violetten Ton geweſen ſeyn.
Die weiße Farbe, deren ſich unſer Meiſter be - diente, ſcheint wenig Koͤrper zu haben, und iſt wahr - ſcheinlich eine Art Kreide, worunter man ſich alſo das Melinum, deſſen Plinius gedenkt, vorzuſtellen haͤtte; das Gelb eine ganz ausnehmend ſchoͤne goldgelbe Ocher - art, vermuthlich das attiſche Sil. Von dem Gruͤn, welches einen reinen friſchen Schein hat, getrauen wir uns nicht zu entſcheiden, ob es durch Miſchung her - vorgebracht oder in ſeinem natuͤrlichen Zuſtande ange - wendet worden, ſind aber doch aus verſchiedenen Gruͤn - den geneigt, das letztere zu glauben. Zum Roth dien - te außer der vorerwaͤhnten Purpurfarbe oder Lack eine ſchoͤne rothe Erde, welche wohl fuͤr die Synopis gel - ten koͤnnte, wenn man nicht etwa lieber annehmen will, die neapolitaniſche rothe Erde ſey zu Rom um die Zeit, da dieſes Gemaͤlde verfertigt wurde, bereits bekannt geweſen; woruͤber jedoch, ſo viel wir wiſſen, keine beſtimmten Nachrichten vorhanden ſind. Von dem Blau halten wir uns fuͤr uͤberzeugt, daß es aus Indigo beſteht, welcher gemiſcht mit der vorgedachten Purpurfarbe auch das Violett gegeben. In vertiefenden Miſchungen, beſonders im Schatten der Fleiſchpar - tieen, mag ferner noch ein brauner Ocher angewandt ſeyn, und in den dunkelſten Strichen laͤßt ſich die Ge -103 genwart einer ſchwarzbraunen Erde von der Art, wie die Caſſeler und Coͤllniſchen Erden ſind, wahrnehmen. Schwarz zeigt ſich im Grauen ſehr innig mit der wei - ßen Farbe vereint, woraus man alſo eher auf Ruß als auf Kohle ſchließen kann. Dieſes ſind die ſaͤmmtli - chen Farben, deren Spur wir in dieſem Gemaͤlde be - merkt zu haben glauben.
Die Behandlung oder das an demſelben beobach - tete techniſche Verfahren ſcheint ein etwas anderes und Vollkommneres, als das heut zu Tage uͤbliche mit Gouache oder Leimfarben. Ohne ſo verſchmolzen ſanft und weich zu ſeyn, als Malerey mit Oelfarben, ge - waͤhrte es doch im Ganzen faſt eben die Vortheile fuͤr allgemeine Wirkung und erhielt nebenbey die Eigen - ſchaften, durch welche ſich Waſſerfarben vorzuͤglich empfehlen, naͤmlich das Froͤhlichere, Heitere uͤberhaupt und die Wahrheit in den Toͤnen der beleuchteten Partien.
Wir gedenken mit dieſer Bemerkung keineswegs die Oelmalerey verdaͤchtig zu machen, ſind auch gar nicht des Glaubens derer, welche da meynen, man koͤnne mit Erneuerung des techniſchen Verfahrens der Alten auch den Geiſt ihrer Kunſt wieder aufrufen; eben ſo wenig moͤchten wir uns aber auch zu denen bekennen, die hingegen aus dem Gebrauche der Oelfar - ben eine Ueberlegenheit der neueren Malerey uͤber die alte zu zeigen gedachten. So viel ſcheint ſich aus un - ſern angeſtellten Unterſuchungen als wahr zu ergeben, daß die Alten ihre zwar einfachen Mittel ſehr zweck - maͤßig zu behandeln gewußt und damit jedem we -104 ſentlichen Kunſterforderniß hinlaͤnglich Genuͤge leiſten konnten.
Der Meiſter der aldobrandiniſchen Hochzeit malte auf weißen glatten Grund, welches auch bey mehreren andern antiken Malereyen der Fall iſt, wie aus Stel - len, wo die Farben ſich abgeloͤſet, klar wird. Ob Leim, Gummi, Eyer, Milch von Feigenſproͤßlingen, oder welches andre Bindungsmittel den Farben beyge - miſcht worden, laͤßt ſich vor der Hand nicht beſtimmt nachweiſen. Daß es Wachs geweſen, iſt wenigſtens in Hinſicht auf die aldobrandiniſche Hochzeit unwahr - ſcheinlich, weil ſich die laſirenden, der Aquarelle aͤhn - lichen Farben uͤber Wachs ſchwerlich haͤtten auftragen laſſen, und fruͤher, als der Ueberzug mit Wachs ge - ſchehen war, ebenfalls nicht anders als aͤußerſt unbe - quem, indem ihre Feuchtigkeit zu ſchnell in die unter - liegenden trocknen Farben wuͤrde eingedrungen ſeyn. Uebrigens laͤßt eben der Umſtand, daß die erwaͤhnten laſirenden Farben viel und mit Bequemlichkeit ange - wendet ſind, auf ein feſtes, den geſammten Farben beygemiſchtes Bindemittel ſchließen. Die erſte Anlage iſt voͤllig in der Art gemacht, wie noch jetzt in Leim - und Freseofarben zu geſchehen pflegt, naͤmlich in gro - ßen hellen und dunkeln Maſſen, beydes mittlere Tin - ten, wohinein denn, beſonders im Fleiſch, mit nicht ſehr regelmaͤßigen Schraffirungen, in den Gewaͤndern hingegen zuweilen mit freyen breitern Pinſelſtrichen, die weitern Vertiefungen gearbeitet ſind. Auf die an - gelegten hellen Partieen wurden die hoͤhern Lichttinten keck aufgeſetzt und endlich durch die mehrmals erwaͤhn -105 ten verduͤnnten, der Aquarelle vergleichbaren, bloß la - ſirenden Farben (vornehmlich Purpur und ſchwaͤrzlich Braun) das Werk vollendet, dem Ganzen mehr Ueber - einſtimmung, dem Schatten groͤßere Klarheit gegeben, und die Einwirkung einer jeden Farbe auf die benach - barte angedeutet. Vielleicht ſind ganz zuletzt noch eini - ge Striche des vorſtechendſten Lichts aufgeſetzt worden, mit einem Wort, man bemerkt durchgehends, wenn ſchon nicht die Hand eines großen Meiſters, doch die eines fertigen Malers und in den Kunſtregeln, nach welchen er verfahren, die herrliche Schule, worin er ſich gebildet. Verſchiedene, obwohl nicht eben vorzuͤg - lich bedeutende Reſte alter Malerey in den Ruinen der Villa des Hadrian bey Tivoli, die lebensgroße Figur der Roma im Pallaſt Barberini zu Rom, welche nach der Meynung einiger Alterthumsforſcher aus Conſtan - tins Zeit ſeyn ſoll, allein wie wir nach Maßgabe des darin herrſchenden Geſchmacks glauben, fruͤher entſtan - den iſt; ferner einige Bilder von geringem Umfang und nicht großen Verdienſten, im Pallaſt Rospiglioſi eben - falls zu Rom, zeigen alle dieſelbe heitere Anmut in den Farben und ſind, ſo viel ſich aus ihren beſchraͤnk - tern Darſtellungen wahrnehmen laͤßt, in eben der Ma - nier, oder wenn man lieber will, unter dem Einfluß aͤhnlicher Grundſaͤtze verfertigt, als wir kurz zuvor be - merkt haben und deutlicher aus einander zu ſetzen be - muͤht geweſen ſind.
Einige von den Herculaniſchen Bildern ausgenom - men, mochten alle uͤbrigen von uns bisher erwaͤhnten, noch vorhandenen, antiken Malereyen, die beſſern Mo -106 ſaiken mit eingerechnet, welche indeſſen ihrer Natur nach nur wenig Unterricht gewaͤhren, etwa aus dem Zeitraum von Auguſtus bis auf Conſtantin den Gro - ßen herruͤhren; nachher ging die verfallende Kunſt in geiſtloſe Manier uͤber, die Nachahmung der Natur wurde ſeltener und in eben dem Maße verſchwand auch der beſſre Geſchmack im Colorit, der Sinn fuͤr Harmo - nie der Farbe.
Werke der Malerey von einigermaßen betraͤchtli - chem Umfang aus dem fuͤnften, ſechſten, ſiebenten und vielleicht auch achten Jahrhundert der chriſtlichen Zeit - rechnung ſind uns aus eigener Anſchauung nicht be - kannt; allein an Madonnen - und Heiligen-Bildern, welche vermuthlich noch ſpaͤter in Conſtantinopel fabri - zirt worden, zeigt es ſich, daß der Begriff von natur - nachahmendem Colorit gaͤnzlich verloren gegangen war. Denn die Geſichter derſelben, ſo wie Haͤnde und Fuͤße, ſind nußbraun gefaͤrbt und mit weißgelblichen grellen Strichen regellos und unannehmlich aufgeblickt. So - gar der Glaube an die Moͤglichkeit, einem Bilde durch die Kunſt Werth zu ertheilen, ſcheint den Malern da - maliger Zeit ausgegangen geweſen zu ſeyn. Daher be - muͤhten ſie ſich bloß durch koͤſtliches Material ihren Arbeiten einige Achtung zu verſchaffen. Aus dieſem Grunde waren Moſaiken die geſchaͤtzteſten Malereyen; den uͤbrigen gab man durch ſtark vergoldeten Grund, durch Ultramarin und Purpurfarbe ſo viel moͤglich ein reiches Anſehen.
Wie irgend Jemand uͤber einen gewiſſen Fall denke, wird man nur erſt recht einſehen, wenn man weiß, wie er uͤberhaupt geſinnt iſt. Dieſes gilt, wenn wir die Meynungen uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde, es ſey nun einzelner Menſchen oder ganzer Schulen und Jahr - hunderte, recht eigentlich erkennen wollen. Daher iſt die Geſchichte der Wiſſenſchaften mit der Geſchichte der Philoſophie innigſt verbunden, aber eben ſo auch mit der Geſchichte des Lebens und des Charakters der In - dividuen, ſo wie der Voͤlker.
So begreift ſich die Geſchichte der Farbenlehre auch nur in Gefolg der Geſchichte aller Naturwiſſen - ſchaften. Denn zur Einſicht in den geringſten Theil iſt die Ueberſicht des Ganzen noͤthig. Auf eine ſolche Be - handlung koͤnnen wir freylich nur hindeuten; indeſſen wenn wir unter unſern Materialien manches mit ein - fuͤhren, was nicht unmittelbar zum Zwecke zu gehoͤren ſcheint; ſo iſt ihm doch eigentlich nur deßwegen der Platz gegoͤnnt, um an allgemeine Bezuͤge zu erinnern,108 welches in der Geſchichte der Farbenlehre um ſo noth - wendiger iſt, als ſie ihre eigenen Schickſale gehabt hat und auf dem Meere des Wiſſens bald nur fuͤr kurze Zeit auftaucht, bald wieder auf laͤngere niederſinkt und verſchwindet.
In wiefern bey der erſten Entwickelung nachſin - nender Menſchen myſtiſch-arithmetiſche Vorſtellungsar - ten wirklich ſtatt gefunden, iſt ſchwer zu beurtheilen, da die Documente meiſtens verdaͤchtig ſind. Manches andre, was man uns von jenen Anfaͤngen gern moͤchte glauben machen, iſt eben ſo unzuverlaͤſſig, und wenige werden uns daher verargen, wenn wir den Blick von der Wiege ſo mancher Nationen weg und dahin wen - den, wo uns eine erfreuliche Jugend entgegen kommt.
Die Griechen, welche zu ihren Naturbetrachtungen aus den Regionen der Poeſie heruͤberkamen, erhielten ſich dabey noch dichteriſche Eigenſchaften. Sie ſchauten die Gegenſtaͤnde tuͤchtig und lebendig und fuͤhlten ſich gedrungen, die Gegenwart lebendig auszuſprechen. Su - chen ſie ſich darauf von ihr durch Reſiexion loszuwin - den, ſo kommen ſie wie Jedermann in Verlegenheit, indem ſie die Phaͤnomene fuͤr den Verſtand zu bearbei - ten denken. Sinnliches wird aus Sinnlichem erklaͤrt, daſſelbe durch daſſelbe. Sie finden ſich in einer Art von Cirkel und jagen das Unerklaͤrliche immer vor ſich her im Kreiſe herum.
Der Bezug zu dem Aehnlichen iſt das erſte Huͤlfsmittel, wozu ſie greifen. Es iſt bequem und nuͤtzlich, indem109 dadurch Symbole entſtehen, und der Beobachter einen dritten Ort außerhalb des Gegenſtandes findet; aber es iſt auch ſchaͤdlich, indem das, was man ergreifen will, ſogleich wieder entwiſcht, und das, was man geſondert hat, wieder zuſammen fließt.
Bey ſolchen Bemuͤhungen fand man gar bald, daß man nothwendig ausſprechen muͤſſe, was im Subject vorgeht, was fuͤr ein Zuſtand in dem Betrachtenden und Beobachtenden erregt wird. Hierauf entſtand der Trieb, das Aeußere mit dem Innern in der Betrach - tung zu vereinen; welches freylich mitunter auf eine Weiſe geſchah, die uns wunderlich, abſtrus und unbe - greiflich vorkommen muß. Der Billige wird jedoch des - halb nicht uͤbler von ihnen denken, wenn er geſtehen muß, daß es uns, ihren ſpaͤten Nachkommen, oft ſelbſt nicht beſſer geht.
Aus dem, was uns von den Pythagoreern uͤberliefert wird, iſt wenig zu lernen. Daß ſie Farbe und Oberflaͤche mit Einem Worte bezeichnen, deutet auf ein ſinnlich gutes, aber doch nur gemeines Gewahr - werden, das uns von der tiefern Einſicht in das Pe - netrative der Farbe ablenkt. Wenn auch ſie das Blaue nicht nennen, ſo werden wir abermals erinnert, daß das Blaue mit dem Dunklen und Schattigen dergeſtalt innig verwandt iſt, daß man es lange Zeit dazu zaͤh - len konnte.
Die Geſinnungen und Meynungen Demokrits beziehen ſich auf Forderungen einer erhoͤhten geſchaͤrften110 Sinnlichkeit und neigen ſich zum Oberflaͤchlichen. Die Unſicherheit der Sinne wird anerkannt; man findet ſich genoͤthigt, nach einer Controlle umherzuſchauen, die aber nicht gefunden wird. Denn anſtatt bey der Ver - wandtſchaft der Sinne nach einem ideellen Sinn auf - zublicken, in dem ſich alle vereinigten; ſo wird das Geſehene in ein Getaſtetes verwandelt, der ſchaͤrfſte Sinn ſoll ſich in den ſtumpfſten aufloͤſen, uns durch ihn begreiflicher werden. Daher entſteht Ungewißheit anſtatt einer Gewißheit. Die Farbe iſt nicht, weil ſie nicht getaſtet werden kann, oder ſie iſt nur inſofern, als ſie allenfalls taſtbar werden koͤnnte. Daher die Symbole von dem Taſten hergenommen werden. Wie ſich die Oberflaͤchen glatt, rauh, ſcharf, eckig und ſpitz finden, ſo entſpringen auch die Farben aus dieſen ver - ſchiedenen Zuſtaͤnden. Auf welche Weiſe ſich aber hier - mit die Behauptung vereinigen laſſe, die Farbe ſey ganz conventionell, getrauen wir uns nicht aufzuloͤſen. Denn ſobald eine gewiſſe Eigenſchaft der Oberflaͤche eine gewiſſe Farbe mit ſich fuͤhrt, ſo kann es doch hier nicht ganz an einem beſtimmten Verhaͤltniß fehlen.
Betrachten wir nun Epikur und Lukrez, ſo gedenken wir einer allgemeinen Bemerkung, daß die originellen Lehrer immer noch das Unaufloͤsbare der Aufgabe empfinden, und ſich ihr auf eine naive ge - lenke Weiſe zu naͤhern ſuchen. Die Nachfolger werden ſchon didactiſch, und weiterhin ſteigt das Dogmatiſche bis zum Intoleranten.
111Auf dieſe Weiſe moͤchten ſich Demokrit, Epikur und Lukrez verhalten. Bey dem Letztern finden wir die Geſinnung der Erſtern, aber ſchon als Ueberzeu - gungsbekenntniß erſtarrt und leidenſchaftlich parteiiſch uͤberliefert.
Jene Ungewißheit dieſer Lehre, die wir ſchon oben bemerkt, verbunden mit ſolcher Lebhaftigkeit einer Lehr - uͤberlieferung, laͤßt uns den Uebergang zur Lehre der Pyrrhonier finden. Dieſen war alles ungewiß, wie es Jedem wird, der die zufaͤlligen Bezuͤge irdiſcher Dinge gegen einander zu ſeinem Hauptaugenmerk macht; und am wenigſten waͤre ihnen zu verargen, daß ſie die ſchwankende, ſchwebende, kaum zu erha - ſchende Farbe fuͤr ein unſicheres, nichtiges Meteor an - ſehen: allein auch in dieſem Puncte iſt nichts von ih - nen zu lernen, als was man meiden ſoll.
Dagegen nahen wir uns dem Empedokles mit Vertrauen und Zuverſicht. Er erkennt ein Aeuße - res an, die Materie; ein Inneres, die Organiſation. Er laͤßt die verſchiedenen Wirkungen der erſten, das mannigfaltig Verflochtene der andern, gelten. Seine πόροω machen uns nicht irre. Freylich entſpringen ſie aus der gemein-ſinnlichen Vorſtellungsart. Ein Fluͤſ - ſiges ſoll ſich beſtimmt bewegen; da muß es ja wohl eingeſchloſſen ſeyn, und ſo iſt der Canal ſchon fertig. Und doch laͤßt ſich bemerken, daß dieſer Alte gedachte Vorſtellung keinesweges ſo roh und koͤrperlich genommen habe, als manche Neuern; daß er vielmehr daran nur ein bequemes faßliches Symbol gefunden. Denn die112 Art, wie das Aeußere und Innere eins fuͤr das an - dre da iſt, eins mit dem andern uͤbereinſtimmt, zeigt ſogleich von einer hoͤhern Anſicht, die durch jenen all - gemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem er - kannt, noch geiſtiger erſcheint.
Daß Zeno, der Stoiker, auch irgendwo ſichern Fuß faſſen werde, laͤßt ſich denken. Jener Ausdruck: die Farben ſeyen die erſten Schematismen der Materie, iſt uns ſehr[willkommen]. Denn wenn dieſe Worte im antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hin - einlegen koͤnnten, ſo ſind ſie doch immer bedeutend ge - nug. Die Materie tritt in die Erſcheinung, ſie bildet, ſie geſtaltet ſich. Geſtalt bezieht ſich auf ein Geſetz und nun zeigt ſich in der Farbe, in ihrem Beſtehen und Wechſeln, ein Naturgeſetzliches fuͤrs Auge, von keinem andern Sinne leicht unterſcheidbar.
Noch willkommner tritt uns bey Plato jede vo - rige Denkweiſe, gereinigt und erhoͤht, entgegen. Er ſondert, was empfunden wird. Die Farbe iſt ſein viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das Innere, das dem Aeußern antwortet, wie beym Em - pedokles, nur geiſtiger und maͤchtiger; aber was vor allem ausdruͤcklich zu bemerken iſt, er kennt den Hauptpunct der ganzen Farben - und Lichtſchatten-Leh - re; denn er ſagt uns: durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch das Schwarze geſammelt.
Wir moͤgen anſtatt der griechiſchen Worte συγκρί - νειν und διακρίνειν in anderen Sprachen ſetzen was113 wir wollen: Zuſammenziehen, Ausdehnen, Sammlen, Entbinden, Feſſeln, Loͤſen, rétrécir und développer etc. ſo finden wir keinen ſo geiſtig-koͤrperlichen Aus - druck fuͤr das Pulſiren, in welchem ſich Leben und Empfinden ausſpricht. Ueberdieß ſind die griechiſchen Ausdruͤcke Kunſtworte, welche bey mehrern Gelegen - heiten vorkommen, wodurch ſich ihre Bedeutſamkeit jedesmal vermehrt.
So entzuͤckt uns denn auch in dieſem Fall, wie in den uͤbrigen, am Plato die heilige Scheu, womit er ſich der Natur naͤhert, die Vorſicht, womit er ſie gleichſam nur umtaſtet, und bey naͤherer Bekannt - ſchaft vor ihr ſogleich wieder zuruͤcktritt, jenes Er - ſtaunen, das, wie er ſelbſt ſagt, den Philoſophen ſo gut kleidet.
Den uͤbrigen Gehalt jener kurzen aus dem Ti - maͤus ausgezogenen Stelle bringen wir in dem Fol - genden nach, indem wir unter dem Namen des Ari - ſtoteles alles verſammeln koͤnnen, was den Alten uͤber dieſen Gegenſtand bekannt geweſen.
Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im Auge; ſie fuͤhlten ſodann als reine kraͤftige Menſchen die Selbſtthaͤtigkeit dieſes Organs und deſſen Gegen - wirken gegen das Aeußre ſichtbare; nur ſprachen ſie dieſes Gefuͤhl ſo wie des Faſſens, des Ergreifens der Gegenſtaͤnde mit dem Auge durch allzu krude Gleichniſſe aus. Die Einwirkung des Auges nicht aufs Auge allein, ſondern auch auf andre Gegenſtaͤnde erſchienII. 8114ihnen ſo maͤchtig wunderſam, daß ſie eine Art von Bann und Zauber gewahr zu werden glaubten.
Das Sammlen und Entbinden des Auges durch Licht und Finſterniß, die Dauer des Eindrucks war ihnen bekannt. Von einem farbigen Abklingen, von einer Art Gegenſatz finden ſich Spuren. Ariſtoteles kannte den Werth und die Wuͤrde der Beachtung der Gegenſaͤtze uͤberhaupt. Wie aber Einheit ſich in Zwey - heit ſelbſt auseinander lege, war den Alten verborgen. Sie kannten den Magnet, das Electron, bloß als Anziehen; Polaritaͤt war ihnen noch nicht deutlich ge - worden. Und hat man bis auf die neuſten Zeiten nicht auch nur immer der Anziehung die Aufmerkſam - keit geſchenkt, und das zugleich geforderte Abſtoßen nur als eine Nachwirkung der erſten ſchaffenden Kraft betrachtet?
In der Farbenlehre ſtellten die Alten Licht und Finſterniß, Weiß und Schwarz, einander entgegen. Sie bemerkten wohl, daß zwiſchen dieſen die Farben entſpringen; aber die Art und Weiſe ſprachen ſie nicht zart genug aus, obgleich Ariſtoteles ganz deutlich ſagt, daß hier von keiner gemeinen Miſchung die Rede ſey.
Derſelbe legt einen ſehr großen Werth auf die Er - kenntniß des Diaphanen, als des Mittels, und kennt ſo gut als Plato die Wirkung des truͤben Mittels zu Hervorbringung des Blauen. Bey allen ſeinen Schrit - ten aber wird er denn doch durch Schwarz und Weiß, das er bald materiell nimmt, bald ſymboliſch oder115 vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre ge - fuͤhrt.
Die Alten kannten das Gelbe, entſpringend aus gemaͤßigtem Licht; das Blaue bey Mitwirkung der Fin - ſterniß; das Rothe durch Verdichtung, Beſchattung, obgleich das Schwanken zwiſchen einer atomiſtiſchen und dynamiſchen Vorſtellungsart auch hier oft Undeut - lichkeit und Verwirrung erregt.
Sie waren ganz nahe zu der Eintheilung gelangt, die auch wir als die guͤnſtigſte angeſehen haben. Ei - nige Farben ſchrieben ſie dem bloßen Lichte zu, andere dem Licht und den Mitteln; andre den Koͤrpern als inwohnend, und bey dieſen letztern kannten ſie das Ober - flaͤchliche der Farbe ſowohl als ihr Penetratives und hatten in die Umwandlung der chemiſchen Farben gute Einſichten. Wenigſtens wurden die verſchiedenen Faͤlle wohl bemerkt und die organiſche Kochung wohl beachtet.
Und ſo kann man ſagen, ſie kannten alle die hauptſaͤchlichſten Puncte, worauf es ankommt; aber ſie gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen und zuſammen zu bringen. Und wie einem Schatz - graͤber, der durch die maͤchtigſten Formeln den mit Gold und Juwelen gefuͤllten blinkenden Keſſel ſchon bis an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein Einziges an der Beſchwoͤrung verſieht, das nah ge - hoffte Gluͤck unter Gepraſſel und Gepolter und daͤmo - niſchem Hohngelaͤchter wieder zuruͤckſinkt, um auf ſpaͤte Epochen hinaus abermals verſcharrt zu liegen; ſo8 *116iſt auch jede unvollendete Bemuͤhung fuͤr Jahrhunderte wieder verloren; woruͤber wir uns jedoch troͤſten muͤſ - ſen, da ſogar von mancher vollendeten Bemuͤhung kaum noch eine Spur uͤbrig bleibt.
Werfen wir nun einen Blick auf das allgemeine Theoretiſche, wodurch ſie das Gewahrgewordne ver - binden; ſo finden wir die Vorſtellung, daß die Ele - mente von den Farben begleitet werden. Die Ein - theilung der urſpruͤnglichen Naturkraͤfte in vier Ele - mente iſt fuͤr kindliche Sinnen faßlich und erfreulich, ob ſie gleich nur oberflaͤchlich gelten kann; aber die unmittelbare Begleitung der Elemente durch Farben iſt ein Gedanke, den wir nicht ſchelten duͤrfen, da wir ebenfalls in den Farben eine elementare uͤber alles aus - gegoſſene Erſcheinung anerkennen.
Ueberhaupt aber entſprang die Wiſſenſchaft fuͤr die Griechen aus dem Leben. Beſchaut man das Buͤchelchen uͤber die Farben genau, wie gehaltvoll fin - det man ſolches. Welch ein Aufmerken, welch ein Aufpaſſen auf jede Bedingung, unter welcher dieſe Er - ſcheinung zu beobachten iſt. Wie rein, wie ruhig gegen ſpaͤtre Zeiten, wo die Theorieen keinen andern Zweck zu haben ſchienen, als die Phaͤnomene bey Seite zu bringen, die Aufmerkſamkeit von ihnen ab - zulenken, ja ſie wo moͤglich aus der Natur zu ver - tilgen.
Das was man unter jenen Elementen verſtand, mit allen Zufaͤlligkeiten ihres Erſcheinens, ward be -117 obachtet: Feuer ſo gut als Rauch, Waſſer ſo gut als das daraus entſpringende Gruͤn, Luft und ihre Truͤbe, Erde rein und unrein gedacht. Die apparenten Far - ben wechſeln hin und her; mannigfaltig veraͤndert ſich das Organiſche; die Werkſtaͤtten der Faͤrber werden beſucht und das Unendliche Unbeſtimmbare des engen Kreiſes recht wohl eingeſehen.
Wir laͤugnen nicht, daß uns manchmal der Ge - danke gekommen, eben gedachtes Buͤchlein umzuſchreiben mit ſo wenig Abaͤnderungen als moͤglich, wie es ſich vielleicht bloß durch Veraͤnderung des Ausdrucks thun ließe. Eine ſolche Arbeit waͤre wohl fruchtbarer, als durch einen weitlaͤuftigen Commentar auseinander zu ſe - tzen, worin man mit dem Verfaſſer eins oder uneins waͤre. Jedes gute Buch, und beſonders die der Al - ten, verſteht und genießt Niemand, als wer ſie ſuppli - ren kann. Wer etwas weiß, findet unendlich mehr in ihnen, als derjenige, der erſt lernen will.
Sehen wir uns aber nach den eigentlichen Urſa - chen um, wodurch die Alten in ihren Vorſchritten ge - hindert worden; ſo finden wir ſie darin, daß ihnen die Kunſt fehlt, Verſuche anzuſtellen, ja ſogar der Sinn dazu. Die Verſuche ſind Vermittler zwiſchen Natur und Begriff, zwiſchen Natur und Idee, zwi - ſchen Begriff und Idee. Die zerſtreute Erfahrung zieht uns allzuſehr nieder und iſt ſogar hinderlich, auch nur zum Begriff zu gelangen. Jeder Verſuch aber iſt ſchon theoretiſirend; er entſpringt aus einem Be - griff oder ſtellt ihn ſogleich auf. Viele einzelne Faͤlle118 werden unter ein einzig Phaͤnomen ſubſummirt; die Erfahrung kommt ins Enge, man iſt im Stande wei - ter vorwaͤrts zu gehen.
Die Schwierigkeit, den Ariſtoteles zu verſtehen, ent - ſpringt aus der antiken Behandlungsart, die uns fremd iſt. Zerſtreute Faͤlle ſind aus der gemeinen Empirie aufgegriffen, mit gehoͤrigem und geiſtreichen Raͤſonne - ment begleitet, auch wohl ſchicklich genug zuſammen - geſtellt; aber nun tritt der Begriff ohne Vermittlung hinzu, das Raͤſonnement geht ins Subtile und Spitz - fuͤndige, das Begriffene wird wieder durch Begriffe bearbeitet, anſtatt daß man es nun deutlich auf ſich beruhen ließe, einzeln vermehrte, maſſenweiſe zuſam - menſtellte, und erwartete, ob eine Idee daraus entſprin - gen wolle, wenn ſie ſich nicht gleich von Anfang an dazu geſellte.
Hatten wir nun bey der wiſſenſchaftlichen Behand - lung, wie ſie von den Griechen unternommen worden, wie ſie ihnen gegluͤckt, manches zu erinnern; ſo tref - fen wir nunmehr, wenn wir ihre Kunſt betrachten, auf einen vollendeten Kreis, der, indem er ſich in ſich ſelbſt abſchließt, doch auch zugleich als Glied in jene Bemuͤhungen eingreift und, wo das Wiſſen nicht Genuͤge leiſtete, uns durch die That befriedigt.
Die Menſchen ſind uͤberhaupt der Kunſt mehr ge - wachſen als der Wiſſenſchaft. Jene gehoͤrt zur gro - ßen Haͤlfte ihnen ſelbſt, dieſe zur großen Haͤlfte der Welt an. Bey jener laͤßt ſich eine Entwickelung in reiner Folge, dieſe kaum ohne ein unendliches Zuſam -119 menhaͤufen denken. Was aber den Unterſchied vorzuͤg - lich beſtimmt: die Kunſt ſchließt ſich in ihren einzel - nen Werken ab; die Wiſſenſchaft erſcheint uns graͤn - zelnos.
Das Gluͤck der griechiſchen Ausbildung iſt ſchon oft und trefflich dargeſtellt worden. Gedenken wir nur ihrer bildenden Kunſt und des damit ſo nahe verwand - ten Theaters. An den Vorzuͤgen ihrer Plaſtik zwei - felt Niemand. Daß ihre Malerey, ihr Helldunkel, ihr Colorit eben ſo hoch geſtanden, koͤnnen wir in vollkommenen Beyſpielen nicht vor Augen ſtellen; wir muͤſſen das wenige Uebriggebliebene, die hiſtoriſchen Nachrichten, die Analogie, den Naturſchritt, das Moͤgliche zu Huͤlfe nehmen, wie es der Verfaſſer des obenſtehenden Aufſatzes gethan, und es wird uns kein Zweifel uͤbrig bleiben, daß ſie auch in dieſem Puncte alle ihre Nachfahren uͤbertroffen.
Zu dem geprieſenen Gluͤck der Griechen muß vor - zuͤglich gerechnet werden, daß ſie durch keine aͤußre Einwirkung irre gemacht worden: ein guͤnſtiges Ge - ſchick, das in der neuern Zeit den Individuen ſelten, den Nationen nie zu Theil wird; denn ſelbſt vollkom - mene Vorbilder machen irre, indem ſie uns veranlaſ - ſen, nothwendige Bildungsſtufen zu uͤberſpringen, wo - durch wir denn meiſtens am Ziel vorbey in einen graͤn - zenloſen Irrthum gefuͤhrt werden.
Kehren wir nun zur Vergleichung der Kunſt und Wiſſenſchaft zuruͤck; ſo begegnen wir folgender Betrach - tung: Da im Wiſſen ſowohl als in der Reflexion kein120 Ganzes zuſammengebracht werden kann, weil jenem das Innre, dieſer das Aeußere fehlt; ſo muͤſſen wir uns die Wiſſenſchaft nothwendig als Kunſt denken, wenn wir von ihr irgend eine Art von Ganzheit er - warten. Und zwar haben wir dieſe nicht im Allge - meinen im Ueberſchwaͤnglichen zu ſuchen, ſondern wie die Kunſt ſich immer ganz in jedem einzelnen Kunſtwerk darſtellt, ſo ſollte die Wiſſenſchaft ſich auch jedesmal ganz in jedem einzelnen Behandelten erweiſen.
Um aber einer ſolchen Forderung ſich zu naͤhern, ſo muͤßte man keine der menſchlichen Kraͤfte bey wiſſen - ſchaftlicher Thaͤtigkeit ausſchließen. Die Abgruͤnde der Ahndung, ein ſicheres Anſchauen der Gegenwart, ma - thematiſche Tiefe, phyſiſche Genauigkeit, Hoͤhe der Vernunft, Schaͤrfe des Verſtandes, bewegliche ſehn - ſuchtsvolle Phantaſie, liebevolle Freude am Sinnlichen, nichts kann entbehrt werden zum lebhaften fruchtbaren Ergreifen des Augenblicks, wodurch ganz allein ein Kunſtwerk, von welchem Gehalt es auch ſey, entſte - hen kann.
Wenn dieſe geforderten Elemente wo nicht wider - ſprechend, doch ſich dergeſtalt gegenuͤberſtehend erſchei - nen moͤchten, daß auch die vorzuͤglichſten Geiſter nicht hoffen duͤrften ſie zu vereinigen; ſo liegen ſie doch in der geſammten Menſchheit offenbar da, und koͤnnen jeden Augenblick hervortreten, wenn ſie nicht durch Vorurtheile, durch Eigenſinn einzelner Beſitzenden, und wie ſonſt alle die verkennenden, zuruͤckſchreckenden und toͤdtenden Verneinungen heißen moͤgen, in dem121 Augenblick, wo ſie allein wirkſam ſeyn koͤnnen, zu - ruͤckgedraͤngt werden und die Erſcheinung im Entſtehen vernichtet wird.
Vielleicht iſt es kuͤhn, aber wenigſtens in dieſer Zeit noͤthig zu ſagen: daß die Geſammtheit jener Ele - mente vielleicht vor keiner Nation ſo bereit liegt als vor der deutſchen. Denn ob wir gleich, was Wiſ - ſenſchaft und Kunſt betrifft, in der ſeltſamſten Anar - chie leben, die uns von jedem erwuͤnſchten Zweck im - mer mehr zu entfernen ſcheint; ſo iſt es doch eben dieſe Anarchie, die uns nach und nach aus der Weite ins Enge, aus der Zerſtreuung zur Vereinigung draͤn - gen muß.
Niemals haben ſich die Individuen vielleicht mehr vereinzelt und von einander abgeſondert als gegenwaͤr - tig. Jeder moͤchte das Univerſum vorſtellen und aus ſich darſtellen; aber indem er mit Leidenſchaft die Na - tur in ſich aufnimmt, ſo iſt er auch das Ueberlieferte, das was andre geleiſtet, in ſich aufzunehmen genoͤ - thigt. Thut er es nicht mit Bewußtſeyn, ſo wird es ihm unbewußt begegnen; empfaͤngt er es nicht offen - bar und gewiſſenhaft, ſo mag er es heimlich und ge - wiſſenlos ergreifen; mag er es nicht dankbar anerken - nen, ſo werden ihm Andere nachſpuͤren: genug, wenn er nur Eigenes und Fremdes, unmittelbar und mittel - bar aus den Haͤnden der Natur oder von Vorgaͤngern Empfangenes tuͤchtig zu bearbeiten und einer bedeuten - den Individualitaͤt anzueignen weiß; ſo wird jederzeit fuͤr alle ein großer Vortheil daraus entſtehen. Und122 wie dieß nun gleichzeitig ſchnell und heftig geſchieht, ſo muß eine Uebereinſtimmung daraus entſpringen, das was man in der Kunſt Stil zu nennen pflegt, wo - durch die Individualitaͤten im Rechten und Guten im - mer naͤher aneinander geruͤckt und eben dadurch mehr herausgehoben, mehr beguͤnſtigt werden, als wenn ſie ſich durch ſeltſame Eigenthuͤmlichkeiten carricaturmaͤ - ßig von einander zu entfernen ſtreben.
Wem die Bemuͤhungen der Deutſchen in dieſem Sinne ſeit mehrern Jahren vor Augen ſind, wird ſich Beyſpiele genug zu dem, was wir im Allgemeinen aus - ſprechen, vergegenwaͤrtigen koͤnnen, und wir ſagen getroſt in Gefolg unſerer Ueberzeugung: an Tiefe ſo wie an Fleiß hat es dem Deutſchen nie gefehlt. Naͤ - hert er ſich andern Nationen an Bequemlichkeit der Behandlung und uͤbertrifft ſie an Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit; ſo wird man ihm fruͤher oder ſpaͤter die erſte Stelle in Wiſſenſchaft und Kunſt nicht ſtreitig machen.
Ehe wir uns von dieſen gutmuͤthigen Hoffnungen zu jener traurigen Luͤcke wenden, die zwiſchen der Ge - ſchichte alter und neuer Zeit ſich nun bald vor uns aufthut, ſo haben wir noch einiges nachzubringen, das uns den Ueberblick des bisherigen erleichtert und uns zu weiterem Fortſchreiten anregt.
Wir gedenken hier des Lucius Annaͤus Se - neca nicht ſowohl inſofern er von Farben etwas er - waͤhnt, da es nur ſehr wenig iſt und bloß beylaͤufig geſchieht, als vielmehr wegen ſeines allgemeinen Ver - haͤltniſſes zur Naturforſchung.
Ungeachtet der ausgebreiteten Herrſchaft der Roͤ - mer uͤber die Welt ſtockten doch die Naturkenntniſſe eher bey ihnen, als daß ſie ſich verhaͤltnißmaͤßig erweitert haͤtten. Denn eigentlich intereſſirte ſie nur der Menſch, inſofern man ihm mit Gewalt oder durch Ueberredung etwas abgewinnen kann. Wegen des letztern waren alle ihre Studien auf redneriſche Zwecke berechnet. Uebri - gens benutzten ſie die Naturgegenſtaͤnde zu nothwen - digem und willkuͤhrlichem Gebrauch ſo gut und ſo wunderlich als es gehn wollte.
124Seneca war, wie er ſelbſt bedauert, ſpaͤt zur Naturbetrachtung gelangt. Was die Fruͤheren in die - ſem Fache gewußt, was ſie daruͤber gedacht hatten, war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen Meynungen und Ueberzeugungen haben etwas Tuͤchti - ges. Eigentlich aber ſteht er gegen die Natur doch nur als ein ungebildeter Menſch: denn nicht ſie inter - eſſirt ihn, ſondern ihre Begebenheiten. Wir nennen aber Begebenheiten diejenigen zuſammengeſetzten auffal - lenden Ereigniſſe, die auch den roheſten Menſchen er - ſchuͤttern, ſeine Aufmerkſamkeit erregen, und wenn ſie voruͤber ſind, den Wunſch in ihm beleben, zu erfahren, woher ſo etwas denn doch wohl kommen moͤchte.
Im Ganzen fuͤhrt Seneca dergleichen Phaͤnomene, auf die er in ſeinem Lebensgange aufmerkſam geworden, nach der Ordnung der vier Clemente auf, laͤßt ſich aber doch, nach vorkommenden Umſtaͤnden, bald da bald dorthin ableiten.
Die meteoriſchen Feuerkugeln, Hoͤfe um Sonn und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Neben-Son - nen, Wetterleuchten, Sternſchnuppen, Cometen, be - ſchaͤftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der Luft ſind Blitz und Donner die Hauptveranlaſſungen ſeiner Betrachtungen. Spaͤter wendet er ſich zu den Winden, und da er das Erdbeben auch einem unter - irdiſchen Geiſte zuſchreibt, findet er zu dieſem den Uebergang.
Bey dem Waſſer ſind ihm, außer dem ſuͤßen, die Geſundbrunnen merkwuͤrdig, nicht weniger die perio -125 diſchen Quellen. Von den Heilkraͤften der Waſſer geht er zu ihrem Schaden uͤber, beſonders zu dem, den ſie durch Ueberſchwemmung anrichten. Nach den Quellen des Nils und der weiſen Benutzung dieſes Fluſſes beſchaͤftigen ihn Hagel, Schnee, Eis und Regen.
Er laͤßt keine Gelegenheit vorbeygehen, praͤchtige und, wenn man den rhetoriſchen Stil einmal zugeben will, wirklich koͤſtliche Beſchreibungen zu machen, wo - von die Art, wie er den Nil und was dieſen Fluß betrifft, behandelt, nicht weniger ſeine Beſchreibung der Ueberſchwemmungen und Erdbeben, ein Zeugniß ablegen mag. Seine Geſinnungen und Meynungen ſind tuͤchtig. So ſtreitet er z. B. lebhaft gegen die - jenigen, welche das Quellwaſſer vom Regen ableiten, welche behaupten, daß die Cometen eine voruͤberge - hende Erſcheinung ſeyen.
Worin er ſich aber vom wahren Phyſiker am mei - ſten unterſcheidet, ſind ſeine beſtaͤndigen, oft ſehr ge - zwungen herbeygefuͤhrten Nutzanwendungen und die Verknuͤpfung der hoͤchſten Naturphaͤnomene mit dem Be - duͤrfniß, dem Genuß, dem Wahn und dem Ueber - muth der Menſchen.
Zwar ſieht man wohl, daß er gegen Leichtglaͤubig - keit und Aberglauben im Kampfe ſteht, daß er den humanen Wunſch nicht unterdruͤcken kann, alles was die Natur uns reicht, moͤge dem Menſchen zum Be - ſten gedeihen; er will, man ſolle ſo viel als moͤglich in126 Maͤßigkeit genießen und zugleich den verderblichen und zerſtoͤrenden Naturwirkungen mit Ruhe und Ergebung entgegenſehen; in ſofern erſcheint er hoͤchſt ehrwuͤrdig, und da er einmal von der Redekunſt herkommt, auch nicht außer ſeinem Kreiſe.
Unleidlich wird er aber, ja laͤcherlich, wenn er oft, und gewoͤhnlich zur Unzeit, gegen den Luxus und die verderbten Sitten der Roͤmer loszieht. Man ſieht dieſen Stellen ganz deutlich an, daß die Redekunſt aus dem Leben ſich in die Schulen und Hoͤrſaͤle zuruͤck - gezogen hat: denn in ſolchen Faͤllen finden wir meiſt bey ihm wo nicht leere doch unnuͤtze Declamationen, die, wie man deutlich ſieht, bloß daher kommen, daß der Philoſoph ſich uͤber ſein Zeitalter nicht erheben kann. Doch iſt dieſes das Schickſal faſt ſeiner ganzen Nation.
Die Roͤmer waren aus einem engen, ſittlichen, bequemen, behaglichen, buͤrgerlichen Zuſtand zur gro - ßen Breite der Weltherrſchaft gelangt, ohne ihre Be - ſchraͤnktheit abzulegen; ſelbſt das, was man an ihnen als Freyheitsſinn ſchaͤtzt, iſt nur ein bornirtes Weſen. Sie waren Koͤnige geworden und wollten nach wie vor Hausvaͤter, Gatten, Freunde bleiben; und wie wenig ſelbſt die beſſeren begriffen, was Regieren heißt, ſieht man an der abgeſchmackteſten That, die jemals began - gen worden, an der Ermordung Caͤſars.
Aus eben dieſer Quelle laͤßt ſich ihr Luxus herlei - ten. Ungebildete Menſchen, die zu großem Vermoͤgen127 gelangen, werden ſich deſſen auf eine laͤcherliche Weiſe bedienen; ihre Wolluͤſte, ihre Pracht, ihre Verſchwen - dung werden ungereimt und uͤbertrieben ſeyn. Daher denn auch jene Luſt zum Seltſamen, Unzaͤhligen und Ungeheuern. Ihre Theater, die ſich mit den Zuſchau - ern drehen, das zweyte Volk von Statuen, womit die Stadt uͤberladen war, ſind wie der ſpaͤtere coloſſale Napf, in welchem der große Fiſch ganz geſotten wer - den ſollte, alle Eines Urſprungs; ſogar der Uebermuth und die Grauſamkeit ihrer Tyrannen laͤuft meiſtens aufs Alberne hinaus.
Bloß indem man dieſe Betrachtungen anſtellt, be - greift man, wie Seneca, der ein ſo bedeutendes Leben gefuͤhrt, dagegen zuͤrnen kann, daß man gute Mahl - zeiten liebt, ſein Getraͤnk dabey mit Schnee abkuͤhlt, daß man ſich des guͤnſtigen Windes bey Seeſchlachten bedient, und was dergleichen Dinge mehr ſeyn moͤgen. Solche Capuzinerpredigten thun keine Wirkung, hin - dern nicht die Aufloͤſung des Staates und koͤnnen ſich einer eindringenden Barbarey keinesweges entgegen - ſetzen.
Schließlich duͤrfen wir jedoch nicht verſchweigen, wie er hoͤchſt liebenswuͤrdig in ſeinem Vertrauen auf die Nachwelt erſcheint. Alle jene verflochtenen Natur - begebenheiten, auf die er vorzuͤglich ſeine Aufmerkſam - keit wendet, aͤngſtigen ihn als eben ſo viele unergruͤnd - liche Raͤthſel. Aufs Einfachere zu dringen, das Ein - fachſte durch eine Erfahrung, in einem Verſuch vor die Sinne zu ſtellen, die Natur durch Entwicklung zu ent -128 raͤthſeln, war noch nicht Sitte geworden. Nun bleibt ihm, bey dem großen Drange, den er in ſich fuͤhlt, nichts uͤbrig, als auf die Nachkommen zu hoffen, mit Vorfreude uͤberzeugt zu ſeyn, daß ſie mehr wiſſen, mehr einſehen werden als er, ja ihnen ſogar die Selbſt - gefaͤlligkeit zu goͤnnen, mit der ſie wahrſcheinlich auf ihre unwiſſenden Vorfahren herabſehen wuͤrden.
Das haben ſie denn auch redlich gethan und thun es noch. Freylich ſind ſie viel ſpaͤter dazu gelangt, als unſer Philoſoph ſich vorſtellen mochte. Das Ver - derbniß der Roͤmer ſchwebt ihm fuͤrchterlich vor; daß aber daraus nur allzubald das Verderben ſich entwi - ckeln, daß die vorhandene Welt voͤllig untergehen, die Menſchheit uͤber ein Jahrtauſend verworren und huͤlf - los irren und ſchwanken wuͤrde, ohne auf irgend einen Ausweg zu gerathen, das war ihm wohl unmoͤglich zu denken, ihm, der das Reich, deſſen Kaiſer von ihm er - zogen ward, in uͤbermaͤßiger Herrlichkeit vor ſich bluͤ - hen ſah.
Jene fruͤheren Geographen, welche die Charte von Africa verfertigten, waren gewohnt, dahin, wo Berge, Fluͤſſe, Staͤdte fehlten, allenfalls einen Elefanten, Loͤ - wen oder ſonſt ein Ungeheuer der Wuͤſte zu zeichnen, ohne daß ſie deshalb waͤren getadelt worden. Man wird uns daher wohl auch nicht verargen, wenn wir in die große Luͤcke, wo uns die erfreuliche, lebendige, fortſchreitende Wiſſenſchaft verlaͤßt, einige Betrachtun - gen einſchieben, auf die wir uns kuͤnftig wieder bezie - hen koͤnnen.
Die Cultur des Wiſſens durch inneren Trieb um der Sache ſelbſt willen, das reine Intereſſe am Gegen - ſtand, ſind freylich immer das vorzuͤglichſte und nutz - barſte; und doch ſind von den fruͤhſten Zeiten an die Einſichten der Menſchen in natuͤrliche Dinge durch je -II. 9130nes weniger gefoͤrdert worden, als durch ein nahe lie - gendes Beduͤrfniß, durch einen Zufall, den die Auf - merkſamkeit nutzte, und durch mancherley Art von Aus - bildung zu entſchiedenen Zwecken.
Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig wiſſen, Zuſtaͤnde, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Sa - me unter der Erde zubringt, gehoͤrt vorzuͤglich mit zum Pflanzenleben.
Es gibt auffallende Zeiten, von denen uns weni - ges, aber hoͤchſt merkwuͤrdiges bekannt iſt. Hier treten außerordentliche Individuen hervor, es ereignen ſich ſeltſame Begebenheiten. Solche Epochen geben einen entſchiedenen Eindruck, ſie erregen große Bilder, die uns durch ihr Einfaches anziehen.
Die hiſtoriſchen Zeiten erſcheinen uns im vollen Tag. Man ſieht vor lauter Licht keinen Schatten, vor lauter Hellung keinen Koͤrper, den Wald nicht vor Baͤumen, die Menſchheit nicht vor Menſchen; aber es ſieht aus, als wenn Jedermann und Allem Recht geſchaͤhe und ſo iſt Jedermann zufrieden.
Die Exiſtenz irgend eines Weſens erſcheint uns ja nur, in ſofern wir uns deſſelben bewußt werden. Da - her ſind wir ungerecht gegen die ſtillen dunklen Zeiten, in denen der Menſch, unbekannt mit ſich ſelbſt, aus131 innerm ſtarken Antrieb thaͤtig war, trefflich vor ſich hin wirkte und kein anderes Document ſeines Daſeyns zuruͤckließ als eben die Wirkung, welche hoͤher zu ſchaͤ - tzen waͤre als alle Nachrichten.
Hoͤchſt reizend iſt fuͤr den Geſchichtsforſcher der Punct, wo Geſchichte und Sage zuſammengraͤnzen. Es iſt meiſtens der ſchoͤnſte der ganzen Ueberlieferung. Wenn wir uns aus dem bekannten Gewordenen das unbekannte Werden aufzubauen genoͤthigt finden, ſo erregt es eben die angenehme Empfindung, als wenn wir eine uns bisher unbekannte gebildete Perſon kennen lernen und die Geſchichte ihrer Bildung lieber heraus - ahnden als herausforſchen.
Nur muͤßte man nicht ſo grießgraͤmig, wie es wuͤrdige Hiſtoriker neuerer Zeit gethan haben, auf Dichter und Chronikenſchreiber herabſehen.
Betrachtet man die einzelne fruͤhere Ausbildung der Zeiten, Gegenden, Ortſchaften, ſo kommen uns aus der dunklen Vergangenheit uͤberall tuͤchtige und vortreffliche Menſchen, tapfere, ſchoͤne, gute in herrli - cher Geſtalt entgegen. Der Lobgeſang der Menſchheit, dem die Gottheit ſo gerne zuhoͤren mag, iſt niemals verſtummt, und wir ſelbſt fuͤhlen ein goͤttliches Gluͤck, wenn wir die durch alle Zeiten und Gegenden ver - theilten harmoniſchen Ausſtroͤmungen, bald in einzel - nen Stimmen, in einzelnen Choͤren, bald Fugenweiſe, bald in einem herrlichen Vollgeſang vernehmen.
9 *132Freylich muͤßte man mit reinem friſchen Ohre hin - lauſchen, und jedem Vorurtheil ſelbſtſuͤchtiger Partey - lichkeit, mehr vielleicht als dem Menſchen moͤglich iſt, entſagen.
Es gibt zwey Momente der Weltgeſchichte, die bald auf einander folgen, bald gleichzeitig, theils ein - zeln und abgeſondert, theils hoͤchſt verſchraͤnkt, ſich an Individuen und Voͤlkern zeigen.
Der erſte iſt derjenige, in welchem ſich die Einzel - nen neben einander frey ausbilden; dieß iſt die Epoche des Werdens, des Friedens, des Naͤhrens, der Kuͤn - ſte, der Wiſſenſchaften, der Gemuͤthlichkeit, der Ver - nunft. Hier wirkt alles nach innen, und ſtrebt in den beſten Zeiten zu einem gluͤcklichen, haͤuslichen Auf - erbauen; doch loͤſ’t ſich dieſer Zuſtand zuletzt in Par - teyſucht und Anarchie auf.
Die zweyte Epoche iſt die des Benutzens, des Kriegens, des Verzehrens, der Technik, des Wiſſens, des Verſtandes. Die Wirkungen ſind nach außen ge - richtet; im ſchoͤnſten und hoͤchſten Sinne gewaͤhrt die - ſer Zeitpunct Dauer und Genuß unter gewiſſen Be - dingungen. Leicht artet jedoch ein ſolcher Zuſtand in Selbſtſucht und Tyranney aus, wo man ſich aber kei - nesweges den Tyrannen als eine einzelne Perſon zu denken noͤthig hat; es gibt eine Tyranney ganzer Maſ - ſen, die hoͤchſt gewaltſam und unwiderſtehlich iſt.
133Man mag ſich die Bildung und Wirkung der Menſchen unter welchen Bedingungen man will denken, ſo ſchwanken beyde durch Zeiten und Laͤnder, durch Einzelnheiten und Maſſen, die proportionirlich und unproportionirlich auf einander wirken; und hier liegt das Inealculable, das Incommenſurable der Weltge - ſchichte. Geſetz und Zufall greifen in einander, der betrachtende Menſch aber kommt oft in den Fall beyde mit einander zu verwechſeln, wie ſich beſonders an parteyiſchen Hiſtorikern bemerken laͤßt, die zwar mei - ſtens unbewußt, aber doch kuͤnſtlich genug, ſich eben dieſer Unſicherheit zu ihrem Vortheil bedienen.
Der ſchwache Faden, der ſich aus dem manchmal ſo breiten Gewebe des Wiſſens und der Wiſſenſchaften durch alle Zeiten, ſelbſt die dunkelſten und verworren - ſten, ununterbrochen fortzieht, wird durch Individuen durchgefuͤhrt. Dieſe werden in einem Jahrhundert wie in dem andern von der beſten Art geboren und verhalten ſich immer auf dieſelbe Weiſe gegen jedes Jahrhundert, in welchem ſie vorkommen. Sie ſtehen naͤmlich mit der Menge im Gegenſatz, ja im Wider - ſtreit. Ausgebildete Zeiten haben hierin nichts vor - aus vor den barbariſchen: denn Tugenden ſind zu jeder Zeit ſelten, Maͤngel gemein. Und ſtellt ſich denn nicht ſogar im Individuum eine Menge von Fehlern der einzelnen Tuͤchtigkeit entgegen?
134Gewiſſe Tugenden gehoͤren der Zeit an, und ſo auch gewiſſe Maͤngel, die einen Bezug auf ſie haben.
Die neuere Zeit ſchaͤtzt ſich ſelbſt zu hoch, wegen der großen Maſſe Stoffes, den ſie umfaßt. Der Haupt - vorzug des Menſchen beruht aber nur darauf, in wie fern er den Stoff zu behandeln und zu beherrſchen weiß.
Es gibt zweyerley Erfahrungsarten, die Erfah - rung des Abweſenden und die des Gegenwaͤrtigen. Die Erfahrung des Abweſenden, wozu das Vergan - gene gehoͤrt, machen wir auf fremde Autoritaͤt, die des Gegenwaͤrtigen ſollten wir auf eigene Autoritaͤt machen. Beydes gehoͤrig zu thun, iſt die Natur des Individuums durchaus unzulaͤnglich.
Die in einander greifenden Menſchen - und Zeital - ter noͤthigen uns, eine mehr oder weniger unterſuchte Ueberlieferung gelten zu laſſen, um ſo mehr als auf der Moͤglichkeit dieſer Ueberlieferung die Vorzuͤge des menſchlichen Geſchlechts beruhen.
Ueberlieferung fremder Erfahrung, fremden Ur - theils ſind bey ſo großen Beduͤrfniſſen der eingeſchraͤnk - ten Menſchheit hoͤchſt willkommen, beſonders wenn135 von hohen Dingen, von allgemeinen Anſtalten die Rede iſt.
Ein ausgeſprochnes Wort tritt in den Kreis der uͤbrigen, nothwendig wirkenden Naturkraͤfte mit ein. Es wirkt um ſo lebhafter, als in dem engen Raume, in welchem die Menſchheit ſich ergeht, die naͤmlichen Beduͤrfniſſe, die naͤmlichen Forderungen immer wie - derkehren.
Und doch iſt jede Wortuͤberlieferung ſo bedenklich. Man ſoll ſich, heißt es, nicht an das Wort, ſon - dern an den Geiſt halten. Gewoͤhnlich aber vernich - tet der Geiſt das Wort, oder verwandelt es doch der - geſtalt, daß ihm von ſeiner fruͤhern Art und Bedeu - tung wenig uͤbrig bleibt.
Wir ſtehen mit der Ueberlieferung beſtaͤndig im Kampfe, und jene Forderung, daß wir die Erfahrung des Gegenwaͤrtigen auf eigene Autoritaͤt machen ſoll - ten, ruft uns gleichfalls zu einem bedenklichen Streit auf. Und doch fuͤhlt ein Menſch, dem eine originelle Wirkſamkeit zu Theil geworden, den Beruf, dieſen dop - pelten Kampf perſoͤnlich zu beſtehen, der durch den Fortſchritt der Wiſſenſchaften nicht erleichtert, ſondern erſchwert wird. Denn es iſt am Ende doch nur im -136 mer das Individuum, das einer breiteren Natur und breiteren Ueberlieferung Bruſt und Stirn bieten ſoll.
Der Conflict des Individuums mit der unmittel - baren Erfahrung und der mittelbaren Ueberlieferung, iſt eigentlich die Geſchichte der Wiſſenſchaften: denn was in und von ganzen Maſſen geſchieht, bezieht ſich doch nur zuletzt auf ein tuͤchtigeres Individuum, das alles ſammeln, ſondern, redigiren und vereinigen ſoll; wobey es wirklich ganz einerley iſt, ob die Zeitgenoſ - ſen ein ſolch Bemuͤhen beguͤnſtigen oder ihm widerſtre - ben. Denn was heißt beguͤnſtigen, als das Vor - handene vermehren und allgemein machen. Dadurch wird wohl genutzt, aber die Hauptſache nicht ge - foͤrdert.
Sowohl in Abſicht auf Ueberlieferung als eigene Erfahrung muß nach Natur der Individuen, Nati - onen und Zeiten ein ſonderbares Entgegenſtreben, Schwanken und Vermiſchen entſtehen.
Gehalt ohne Methode fuͤhrt zur Schwaͤrmerey; Methode ohne Gehalt zum leeren Kluͤgeln; Stoff ohne Form zum beſchwerlichen Wiſſen, Form ohne Stoff zu einem hohlen Waͤhnen.
137Leider beſteht der ganze Hintergrund der Geſchichte der Wiſſenſchaften bis auf den heutigen Tag aus lau - ter ſolchen beweglichen in einander fließenden und ſich doch nicht vereinigenden Geſpenſtern, die den Blick dergeſtalt verwirren, daß man die hervortretenden, wahrhaft wuͤrdigen Geſtalten kaum recht ſcharf ins Auge faſſen kann.
Nun koͤnnen wir nicht einen Schritt weiter gehen, ohne jenes Ehrwuͤrdige, wodurch das Entfernte ver - bunden, das Zerriſſene ergaͤnzt wird, ich meyne das Ueberlieferte, naͤher zu bezeichnen.
Weniges gelangt aus der Vorzeit heruͤber als voll - ſtaͤndiges Denkmal, vieles in Truͤmmern; manches als Technik, als praktiſcher Handgriff; einiges, weil es dem Menſchen nahe verwandt iſt, wie Mathematik; anderes, weil es immer wieder gefordert und angeregt wird, wie Himmel - und Erd-Kunde; einiges, weil man deſſen beduͤrftig bleibt, wie die Heilkunſt; ande - res zuletzt, weil es der Menſch, ohne zu wollen, im - mer wieder ſelbſt hervorbringt, wie Muſik und die uͤbrigen Kuͤnſte.
Doch von alle dieſem iſt im wiſſenſchaftlichen Fal - le nicht ſowohl die Rede als von ſchriftlicher Ueber -138 lieferung. Auch hier uͤbergehen wir vieles. Soll je - doch fuͤr uns ein Faden aus der alten Welt in die neue heruͤberreichen, ſo muͤſſen wir dreyer Hauptmaſ - ſen gedenken, welche die groͤßte, entſchiedenſte, ja oft eine ausſchließende Wirkung hervorgebracht haben, der Bibel, der Werke Plato’s und Ariſtoteles.
Jene große Verehrung, welche der Bibel von vie - len Voͤlkern und Ceſchlechtern der Erde gewidmet wor - den, verdankt ſie ihrem innern Werth. Sie iſt nicht etwa nur ein Volksbuch, ſondern das Buch der Voͤl - ker, weil ſie die Schickſale eines Volks zum Symbol aller uͤbrigen aufſtellt, die Geſchichte deſſelben an die Entſtehung der Welt anknuͤpft und durch eine Stufen - reihe irdiſcher und geiſtiger Entwickelungen, nothwen - diger und zufaͤlliger Ereigniſſe, bis in die entfernteſten Regionen der aͤußerſten Ewigkeiten hinausfuͤhrt.
Wer das menſchliche Herz, den Bildungsgang der Einzelnen kennt, wird nicht in Abrede ſeyn, daß man einen trefflichen Menſchen tuͤchtig heraufbilden koͤnnte, ohne dabey ein anderes Buch zu brauchen als etwa Tſchudi’s ſchweizeriſche, oder Aventins bayeriſche Chro - nik. Wie vielmehr muß alſo die Bibel zu dieſem Zwecke genuͤgen, da ſie das Muſterbuch zu jenen erſt - genannten geweſen, da das Volk, als deſſen Chronik ſie ſich darſtellt, auf die Weltbegebenheiten ſo großen Einfluß ausgeuͤbt hat und noch ausuͤbt.
Es iſt uns nicht erlaubt, hier ins Einzelne zu ge - hen; doch liegt einem Jeden vor Augen, wie in bey -139 den Abtheilungen dieſes wichtigen Werkes der geſchicht - liche Vortrag mit dem Lehrvortrage dergeſtalt innig verknuͤpft iſt, daß einer dem andern auf und nachhilft, wie vielleicht in keinem andern Buche. Und was den Inhalt betrifft, ſo waͤre nur wenig hinzuzufuͤgen, um ihn bis auf den heutigen Tag durchaus vollſtaͤndig zu machen. Wenn man dem alten Teſtamente einen Aus - zug aus Joſephus beyfuͤgte, um die juͤdiſche Geſchichte bis zur Zerſtoͤrung Jeruſalems fortzufuͤhren; wenn man, nach der Apoſtelgeſchichte, eine gedraͤngte Dar - ſtellung der Ausbreitung des Chriſtenthums und der Zerſtreuung des Judenthums durch die Welt, bis auf die letzten treuen Miſſionsbemuͤhungen Apoſtel-aͤhn - licher Maͤnner, bis auf den neuſten Schacher - und Wucherbetrieb der Nachkommen Abrahams, einſchal - tete; wenn man vor der Offenbarung Johannis die reine chriſtliche Lehre im Sinn des neuen Teſtamentes zuſammengefaßt auſſtellte, um die verworrene Lehrart der Epiſteln zu entwirren und aufzuhellen: ſo verdiente dieſes Werk gleich gegenwaͤrtig wieder in ſeinen alten Rang einzutreten, nicht nur als allgemeines Buch, ſondern auch als allgemeine Bibliothek der Voͤlker zu gelten, und es wuͤrde gewiß, je hoͤher die Jahr - hunderte an Bildung ſteigen, immer mehr zum Theil als Fundament, zum Theil als Werkzeug der Erzie - hung, freylich nicht von naſeweiſen, ſondern von wahr - haft weiſen Menſchen, genutzt werden koͤnnen.
Die Bibel an ſich ſelbſt, und dieß bedenken wir nicht genug, hat in der aͤltern Zeit faſt gar keine Wir -140 kung gehabt. Die Buͤcher des alten Teſtaments fan - den ſich kaum geſammelt, ſo war die Nation, aus der ſie entſprungen, voͤllig zerſtreut; nur der Buchſta - be war es, um den die Zerſtreuten ſich ſammelten und noch ſammlen. Kaum hatte man die Buͤcher des neuen Teſtaments vereinigt, als die Chriſtenheit ſich in unendliche Meynungen ſpaltete. Und ſo finden wir, daß ſich die Menſchen nicht ſowohl mit dem Werke als an dem Werke beſchaͤftigten, und ſich uͤber die ver - ſchiedenen Auslegungsarten entzweyten, die man auf den Text anwenden, die man dem Text unterſchieben, mit denen man ihn zudecken konnte.
Hier werden wir nun veranlaßt, jener beyden treff - lichen Maͤnner zu gedenken, die wir oben genannt. Es waͤre Verwegenheit, ihr Verdienſt an dieſer Stelle wuͤrdigen, ja nur ſchildern zu wollen; alſo nicht mehr denn das Nothwendigſte zu unſern Zwecken.
Plato verhaͤlt ſich zu der Welt, wie ein ſeliger Geiſt, dem es beliebt, einige Zeit auf ihr zu herbergen. Es iſt ihm nicht ſowohl darum zu thun, ſie kennen zu lernen, weil er ſie ſchon vorausſetzt, als ihr dasjenige, was er mitbringt und was ihr ſo noth thut, freund - lich mitzutheilen. Er dringt in die Tiefen, mehr um ſie mit ſeinem Weſen auszufuͤllen, als um ſie zu erfor - ſchen. Er bewegt ſich nach der Hoͤhe, mit Sehnſucht, ſeines Urſprungs wieder theilhaft zu werden. Alles was er aͤußert, bezieht ſich auf ein ewig Ganzes, Gu - tes, Wahres, Schoͤnes, deſſen Forderung er in jedem141 Buſen aufzuregen ſtrebt. Was er ſich im Einzelnen von irdiſchem Wiſſen zueignet, ſchmilzt, ja man kann ſagen, verdampft in ſeiner Methode, in ſeinem Vor - trag.
Ariſtoteles hingegen ſteht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeiſterlicher. Er iſt nun einmal hier und ſoll hier wirken und ſchaffen. Er erkundigt ſich nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunct der Erde iſt ihm das Uebrige gleichguͤltig. Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis fuͤr ſein Gebaͤude, ſchafft Materialien von allen Seiten her, ordnet ſie, ſchichtet ſie auf und ſteigt ſo in regelmaͤßiger Form pyramidenartig in die Hoͤhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer ſpitzen Flamme gleich, den Himmel ſucht.
Wenn ein Paar ſolcher Maͤnner, die ſich gewiſſer - maßen in die Menſchheit theilten, als getrennte Re - praͤſentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigen - ſchaften auftraten; wenn ſie das Gluͤck hatten, ſich voll - kommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete voll - kommen auszuſprechen, und nicht etwa in kurzen lako - niſchen Saͤtzen gleich Orakelſpruͤchen, ſondern in aus - fuͤhrlichen, ausgefuͤhrten, mannigfaltigen Werken; wenn dieſe Werke zum Beſten der Menſchheit uͤbrig blieben, und immerfort mehr oder weniger ſtudirt und betrachtet wurden: ſo folgt natuͤrlich, daß die Welt, inſofern ſie als empfindend und denkend anzuſehen iſt, genoͤthigt war, ſich Einem oder dem Andern hinzuge -142 ben, Einen oder den Andern, als Meiſter, Lehrer, Fuͤhrer anzuerkennen.
Dieſe Nothwendigkeit zeigte ſich am deutlichſten bey Auslegung der heiligen Schrift. Dieſe, bey der Selbſtſtaͤndigkeit, wunderbaren Originalitaͤt, Vielſeitig - keit, Totalitaͤt, ja Unermeßlichkeit ihres Inhalts, brachte keinen Maaßſtab mit, wonach ſie gemeſſen werden konnte; er mußte von außen geſucht und an ſie ange - legt werden, und das ganze Chor derer, die ſich des - halb verſammelten, Juden und Chriſten, Heiden und Heilige, Kirchenvaͤter und Ketzer, Concilien und Paͤbſte, Reformatoren und Widerſacher, ſaͤmmtlich, indem ſie auslegen und erklaͤren, verknuͤpfen oder ſuppliren, zu - rechtlegen oder anwenden wollten, thaten es auf Pla - toniſche oder Ariſtoteliſche Weiſe, bewußt oder unbe - wußt, wie uns, um nur der juͤdiſchen Schule zu er - waͤhnen, ſchon die talmudiſtiſche und cabbaliſtiſche Be - handlung der Bibel uͤberzeugt.
Wie bey Erklaͤrung und Benutzung der heiligen Schriften, ſo auch bey Erklaͤrung, Erweiterung und Benutzung des wiſſenſchaftlich Ueberlieferten, theilte ſich das Chor der Wiß - und Kenntnißbegierigen in zwey Parteyen. Betrachten wir die africaniſchen, beſonders aͤgyptiſchen, neuern Weiſen und Gelehrten, wie ſehr neigt ſich dort alles nach der Platoniſchen Vorſtellungs - art. Bemerken wir die Aſiaten, ſo finden wir mehr Neigung zur Ariſtoteliſchen Behandlungsweiſe, wie es ſpaͤter bey den Arabern beſonders auffaͤllt.
143Ja wie die Voͤlker, ſo theilen ſich auch Jahrhun - derte in die Verehrung des Plato und Ariſtoteles, bald friedlich, bald in heftigem Widerſtreit; und es iſt als ein großer Vorzug des unſrigen anzuſehen, daß die Hochſchaͤtzung beyder ſich im Gleichgewichte haͤlt, wie ſchon Rafael, in der ſogenannten Schule von Athen, beyde Maͤnner gedacht und gegen einander uͤber geſtellt hat.
Wir fuͤhlen und wiſſen recht gut, was ſich gegen die von uns aphoriſtiſch entworfene Skizze einwenden laͤßt, beſonders wenn man von dem, was ihr mangelt, und von dem, was an ihr naͤher zu beſtimmen waͤre, reden wollte. Allein es war die Aufgabe, in moͤglich - ſter Kuͤrze hinzuzeichnen, was von Hauptwirkungen uͤber die durch Barbaren geriſſene Luͤcke in die mittlere und neuere Zeit vor allem andern bedeutend heruͤber - reicht, was in die Wiſſenſchaften uͤberhaupt, in die Naturwiſſenſchaften beſonders und in die Farbenlehre, die uns vorzuͤglich beſchaͤftigt, einen dauernden Einfluß ausuͤbte.
Denn andre koͤſtliche Maſſen des unſchaͤtzbar Ue - berlieferten, wie z. E. die Maſſe der griechiſchen Dich - ter, hat erſt ſpaͤt, ja ſehr ſpaͤt, wieder lebendig auf Bildung gewirkt, ſo wie die Denkweiſen anderer phi - loſophiſchen Schulen, der Epikureer, der Skeptiker, auch erſt ſpaͤt fuͤr uns einige Bedeutung gewinnen.
Wenn wir nun oben ſchon ausgeſprochen und be - hauptet, daß die Griechen mit allem bekannt geweſen,144 was wir als Hauptgrund der Farbenlehre anerkennen, was wir als die Hauptmomente derſelben verehren; ſo bleibt uns nun die Pflicht, dem Natur - und Ge - ſchichtsfreunde vor Augen zu legen, wie in der neuern Zeit die platoniſchen und ariſtoteliſchen Ueberzeugungen wieder emporgehoben, wie ſie verdraͤngt oder genutzt, wie ſie vervollſtaͤndigt oder verſtuͤmmelt werden moch - ten, und wie, durch ein ſeltſames Schwanken aͤlterer und neuerer Meynungsweiſen, die Sache von einer Seite zur andern geſchoben, und zuletzt am Anfang des vorigen Jahrhunderts voͤllig verſchoben worden.
Indem wir nun von Ueberlieferung ſprechen, ſind wir unmittelbar aufgefordert, zugleich von Autoritaͤt zu reden. Denn genau betrachtet, ſo iſt jede Autoritaͤt eine Art Ueberlieferung. Wir laſſen die Exiſtenz, die Wuͤrde, die Gewalt von irgend einem Dinge gelten, ohne daß wir ſeinen Urſprung, ſein Herkommen, ſeinen Werth deutlich einſehen und erkennen. So ſchaͤtzen und ehren wir z. B. die edlen Metalle beym Gebrauch des gemeinen Lebens; doch ihre großen phyſiſchen und chemiſchen Verdienſte ſind uns dabey ſelten gegenwaͤrtig. So hat die Vernunft und das ihr verwandte Gewiſſen eine ungeheure Autoritaͤt, weil ſie unergruͤndlich ſind; ingleichen das was wir mit dem Namen Genie be - zeichnen. Dagegen kann man dem Verſtand gar keine145 Autoritaͤt zuſchreiben: denn er bringt nur immer ſeines Gleichen hervor; ſo wie denn offenbar aller Verſtandes - Unterricht zur Anarchie fuͤhrt.
Gegen die Autoritaͤt verhaͤlt ſich der Menſch, ſo wie gegen vieles andere, beſtaͤndig ſchwankend. Er fuͤhlt in ſeiner Duͤrftigkeit, daß er, ohne ſich auf etwas Drittes ſtuͤtzen, mit ſeinen Kraͤften nicht auslangt. Dann aber, wenn das Gefuͤhl ſeiner Macht und Herrlichkeit in ihm aufgeht, ſtoͤßt er das Huͤlfreiche von ſich und glaubt fuͤr ſich ſelbſt und andre hinzu - reichen.
Das Kind bequemt ſich meiſt mit Ergebung unter die Autoritaͤt der Aeltern; der Knabe ſtraͤubt ſich dage - gen; der Juͤngling entflieht ihr, und der Mann laͤßt ſie wieder gelten, weil er ſich deren mehr oder weniger ſelbſt verſchafft, weil die Erfahrung ihn gelehrt hat, daß er ohne Mitwirkung anderer doch nur wenig aus - richte.
Eben ſo ſchwankt die Menſchheit im Ganzen. Bald ſehen wir um einen vorzuͤglichen Mann ſich Freunde, Schuͤler, Anhaͤnger, Begleiter, Mitlebende, Mitwohnende, Mitſtreitende verſammeln. Bald faͤllt eine ſolche Geſellſchaft, ein ſolches Reich wieder in vie - lerley Einzelnheiten auseinander. Bald werden Monu - mente aͤlterer Zeiten, Documente fruͤherer Geſinnungen, goͤttlich verehrt, buchſtaͤblich aufgenommen; Jedermann gibt ſeine Sinne, ſeinen Verſtand darunter gefangen;II. 10146alle Kraͤfte werden aufgewendet, das Schaͤtzbare ſolcher Ueberreſte darzuthun, ſie bekannt zu machen, zu com - mentiren, zu erlaͤutern, zu erklaͤren, zu verbreiten und fortzupflanzen. Bald tritt dagegen, wie jene bilderſtuͤr - mende, ſo hier eine ſchriftſtuͤrmende Wuth ein; es thaͤte Noth man vertilgte bis auf die letzte Spur das, was bisher ſo großen Werthes geachtet wurde. Kein ehmals ausgeſprochenes Wort ſoll gelten, alles was weiſe war, ſoll als naͤrriſch erkannt werden, was heilſam war, als ſchaͤdlich, was ſich lange Zeit als foͤrderlich zeigte, nun - mehr als eigentliches Hinderniß.
Die Epochen der Naturwiſſenſchaften im Allgemei - nen und der Farbenlehre insbeſondre, werden uns ein ſolches Schwanken auf mehr als eine Weiſe bemerklich machen. Wir werden ſehen, wie dem menſchlichen Geiſt das aufgehaͤufte Vergangene hoͤchſt laͤſtig wird zu einer Zeit, wo das Neue, das Gegenwaͤrtige gleich - falls gewaltſam einzudringen anfaͤngt; wie er die alten Reichthuͤmer aus Verlegenheit, Inſtinkt, ja aus Maxi - me wegwirft; wie er waͤhnt, man koͤnne das Neuzu - erfahrende durch bloße Erfahrung in ſeine Gewalt be - kommen: wie man aber bald wieder genoͤthigt wird, Raͤſonnement und Methode, Hypotheſe und Theorie zu Huͤlfe zu rufen; wie man dadurch abermals in Ver - wirrung, Controvers, Meynungenwechſel, und fruͤher oder ſpaͤter aus der eingebildeten Freyheit wieder un - ter den ehernen Scepter einer aufgedrungenen Autori - taͤt faͤllt.
147Alles was wir an Materialien zur Geſchichte, was wir Geſchichtliches einzeln ausgearbeitet zugleich uͤber - liefern, wird nur der Commentar zu dem vorgeſagten ſeyn. Die Naturwiſſenſchaften haben ſich bewunderns - wuͤrdig erweitert, aber keinesweges in einem ſtaͤtigen Gange, auch nicht einmal ſtufenweiſe, ſondern durch Auf - und Abſteigen, durch Vor - und Ruͤckwaͤrts - wandeln in grader Linie oder in der Spirale; wo - bey ſich denn von ſelbſt verſteht, daß man in jeder Epoche uͤber ſeine Vorgaͤnger weit erhaben zu ſeyn glaubte. Doch wir duͤrfen kuͤnftigen Betrachtungen nicht vorgreifen. Da wir die Theilnehmenden durch einen labyrinthiſchen Garten zu fuͤhren haben, ſo muͤſ - ſen wir ihnen und uns das Vergnuͤgen mancher uͤber - raſchenden Ausſicht vorbehalten.
Wenn nun derjenige, wo nicht fuͤr den Vorzuͤg - lichſten, doch fuͤr den Begabteſten und Gluͤcklichſten zu halten waͤre, der Ausdauer, Luſt, Selbſtverlaͤug - nung genug haͤtte, ſich mit dem Ueberlieferten voͤllig bekannt zu machen, und dabey noch Kraft und Muth genug behielte, ſein originelles Weſen ſelbſtſtaͤndig aus - zubilden und das vielfach Aufgenommene nach ſeiner Weiſe zu bearbeiten und zu beleben: wie erfreulich muß es nicht ſeyn, wenn dergleichen Maͤnner in der Ge - ſchichte der Wiſſenſchaften uns, wiewohl ſelten ge - nug, wirklich begegnen. Ein ſolcher iſt derjenige, zu dem wir uns nun wenden, der uns vor vielen andern treff - lichen Maͤnnern aus einer zwar regſamen, aber doch im - mer noch truͤben Zeit, lebhaft und freudig entgegen tritt.
von 1216 — 1294.
Die in Britannien durch Roͤmerherrſchaft gewirkte Cultur, diejenige, welche fruͤh genug durch das Chriſten - thum daſelbſt eingeleitet worden, verlor ſich nur gar zu bald, vernichtet durch den Zudrang wilder Inſel - Nachbarn und ſeeraͤuberiſcher Schaaren. Bey zuruͤck - kehrender obgleich oft geſtoͤrter Ruhe fand ſich auch die Religion wieder ein und wirkte auf eine vorzuͤgliche Weiſe zum Guten. Treffliche Maͤnner bildeten ſich aus zu Apoſteln ihres eigenen Vaterlandes, ja des Auslan - des. Kloͤſter wurden geſtiftet, Schulen eingerichtet und jede Art beſſerer Bildung ſchien ſich in dieſe abgeſon - derten Laͤnder zu fluͤchten, ſich daſelbſt zu bewahren und zu ſteigern.
Roger Bacon war in einer Epoche geboren, wel - che wir die des Werdens, der freyen Ausbildung der Einzelnen neben einander genannt haben, fuͤr einen Geiſt wie der ſeine, in der gluͤcklichſten. Sein eigent - liches Geburtsjahr iſt ungewiß, aber die magna Charta war bereits unterzeichnet (1215), als er zur Welt kam, jener große Freyheitsbrief, der durch die Zuſaͤtze nach - folgender Zeiten das wahre Fundament neuer engliſcher Nationalfreyheit geworden. So ſehr auch der Clerus und die Baronen fuͤr ihren Vortheil dabey mochten ge - ſorgt haben, ſo gewann doch der Buͤrgerſtand dadurch außerordentlich, daß freyer Handel geſtattet, beſon -149 ders der Verkehr mit Auswaͤrtigen voͤllig ungehindert ſeyn ſollte, daß die Gerichtsverfaſſung verbeſſert ward, daß der Gerichtshof nicht mehr dem Koͤnige folgen, ſondern ſtets an Einem Orte Sitz haben, daß kein freyer Mann ſollte gefangen gehalten, verbannt oder auf irgend eine Weiſe an Freyheit und Leben ange - griffen werden; es ſey denn, Seinesgleichen haͤtten uͤber ihn geſprochen, oder es geſchaͤhe nach dem Recht des Landes.
Was auch noch in der Verfaſſung zu wuͤnſchen uͤbrig blieb, was in der Ausfuͤhrung mangeln, was durch politiſche Stuͤrme erſchuͤttert werden mochte, die Nation war im Vorſchreiten, und Roger brachte ſein hoͤheres Alter unter der Regierung Koͤnigs Eduard des erſten zu, wo die Wiſſenſchaften aller Art einen be - traͤchtlichen Fortgang nahmen und großen Einfluß auf eine vollkommnere Juſtiz - und Polizeyverfaſſung hatten. Der dritte Stand wurde mehr und mehr beguͤnſtigt und einige Jahre nach Rogers Tode (1297) erhielt die magna Charta einen Zuſatz zu Gunſten der Volks - claſſe.
Obgleich Roger nur ein Moͤnch war und ſich in dem Bezirk ſeines Kloſters halten mochte, ſo dringt doch der Hauch ſolcher Umgebungen durch alle Mauern, und gewiß verdankt er gedachten nationellen Anlagen, daß ſein Geiſt ſich uͤber die truͤben Vorurtheile der Zeit erheben und der Zukunft voreilen konnte. Er war von der Natur mit einem geregelten Charakter begabt, mit150 einem ſolchen, der fuͤr ſich und andre Sicherheit will, ſucht und findet. Seine Schriften zeugen von großer Ruhe, Beſonnenheit und Klarheit. Er ſchaͤtzt die Au - toritaͤt, verkennt aber nicht das Verworrene und Schwankende der Ueberlieferung. Er iſt uͤberzeugt von der Moͤglichkeit einer Einſicht in Sinnliches und Ueber - ſinnliches, Weltliches und Goͤttliches.
Zuvoͤrderſt weiß er das Zeugniß der Sinne gehoͤ - rig anzuerkennen; doch bleibt ihm nicht unbewußt, daß die Natur dem bloß ſinnlichen Menſchen vieles verberge. Er wuͤnſcht daher tiefer einzudringen und wird gewahr, daß er die Kraͤfte und Mittel hiezu in ſeinem eigenen Geiſte ſuchen muß. Hier begegnet ſeinem kindlichen Sinne die Mathematik als ein einfaches, eingebornes, aus ihm ſelbſt hervorſpringendes Werkzeug, welches er um ſo mehr ergreift, als man ſchon ſo lange alles Ei - gene vernachlaͤſſigt, die Ueberlieferung auf eine ſeltſame Weiſe uͤbereinander gehaͤuft und ſie dadurch gewiſſer - maßen in ſich ſelbſt zerſtoͤrt hatte.
Er gebraucht nunmehr ſein Organ, um die Vor - gaͤnger zu beurtheilen, die Natur zu betaſten, und zu - frieden mit der Weiſe, nach der ihm manches gelingt, erklaͤrt er die Mathematik zu dem Hauptſchluͤſſel aller wiſſenſchaftlichen Verborgenheiten.
Je nachdem nun die Gegenſtaͤnde ſind, mit wel - chen er ſich beſchaͤftigt, danach iſt auch das Gelingen. In den einfachſten phyſiſchen Faͤllen loͤſt die Formel das151 Problem, in complicirteren iſt ſie wohl behuͤlflich, deu - tet auf den Weg, bringt uns naͤher; aber ſie dringt nicht mehr auf den Grund. In den hoͤheren Faͤllen und nun gar im Organiſchen und Moraliſchen bleibt ſie ein bloßes Symbol.
Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, ſehr gehaltvoll iſt, auch nichts fehlt, was den ſinnenden Menſchen intereſſiren kann, ob er ſich ſchon mit großer Ehrfurcht den erhabenen Gegenſtaͤnden des Univerſums naͤhert; ſo muß er doch den einzelnen Theilen des Wiß - baren und Ausfuͤhrbaren, einzelnen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten, Unrecht thun, um ſeine Theſe durchzuſetzen. Was in ihnen eigenthuͤmlich, fundamental und elemen - tar gewiß iſt, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die Seite, die ſie gegen die Mathematik bieten. So loͤſt er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Muſik auf, und erklaͤrt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer De - monſtrationen fuͤr die beſſere Logik.
Indem er nun zwar parteyiſch aber keinesweges Pedant iſt, ſo fuͤhlt er ſehr bald, wo ſeine Grundma - ximen (canones), mit denen er alles ausrichten will, nicht hinreichen, und es ſcheint ihm ſelbſt nicht recht Ernſt zu ſeyn, wenn er ſeinen mathematiſch-phyſiſchen Maßſtab geiſtigen und goͤttlichen Dingen anpaſſen und durch ein witziges Bilderſpiel das, was nicht ineinan - der greift, zuſammenhaͤngen will.
Bey alle dem laͤßt ihn ſein großes Sicherheitsbe - duͤrfniß durchaus feſte und entſchiedene Schritte thun. 152Was die Alten erfahren und gedacht, was er ſelbſt ge - funden und erſonnen, das alles bringt er nicht gerade ſtreng methodiſch, aber doch in einem ſehr faßlichen naiven Vortrag, uns vor Seel’ und Gemuͤth. Alles haͤngt zuſammen, alles hat die ſchoͤnſte Folge, und in - dem das Bekannte klar vor ihm liegt, ſo iſt ihm auch das Unbekannte ſelbſt nicht fremd; daher er denn vorausſieht, was noch kuͤnftig zu leiſten iſt und was erſt einige Jahrhunderte nachher, durch fortſchreitende Beobachtung der Natur und durch eine immer verfei - nerte Technik, wirklich geleiſtet worden.
Wir laſſen ihn ſeine allgemeinen Grundſaͤtze ſelbſt vortragen, ſowohl weil es intereſſant iſt, ſie an und fuͤr ſich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch Gelegenheit finden, unſere Ueberzeugungen in ſeinem Sinne auszuſprechen.
„ Es gibt mancherley, das wir geradehin und leicht erkennen; anderes aber, das fuͤr uns verborgen iſt, wel - ches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Der - gleichen ſind alle hoͤhere Weſen, Gott und die Engel, als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hin - reichen. Aber es findet ſich, daß wir auch einen Sinn haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was der Natur bekannt iſt, und dieſer iſt der mathematiſche: denn durch dieſen erkennen wir auch die hoͤheren We - ſen, als den Himmel und die Sterne, und gelangen auf dieſem Wege zur Erkenntniß der uͤbrigen erhabenen153 Naturen und zwar auch auf eine einfache und leichte Weiſe. “
„ Alle natuͤrlichen Dinge werden zum Daſeyn ge - bracht durch ein Wirkſames und durch eine Materie, auf welche jenes ſeine Thaͤtigkeit ausuͤbt: denn dieſe beyden treffen zu allererſt zuſammen. Denn das Han - delnde durch ſeine Tugend bewegt und verwandelt die Materie, daß ſie eine Sache werde; aber die Wahrheit des Wirkſamen und der Materie koͤnnen wir nicht ein - ſehen, ohne große Gewalt der Mathematik, ja nicht einmal die hervorgebrachten Wirkungen. Dieſe drey ſind alſo zu beachten, das Wirkende, die Materie und das Gewirkte.
Alles Wirkſame handelt durch ſeine Tugend, die es in der untergelegten Materie zur Wirklichkeit bringt. Eine ſolche (abgeleitete) Tugend wird ein Gleichniß, ein Bild, ein Artiges genannt und ſonſt noch auf man - cherley Weiſe bezeichnet. Dieſes aber wird ſowohl durch die Weſenheit als durch das Zufaͤllige, durch das Geiſtige wie durch das Koͤrperliche hervorgebracht, durch die Weſenheit aber mehr, als durch das Zufaͤlli - ge, durch das Geiſtige mehr als durch das Koͤrperliche; und dieſes Gleichartige macht alle Wirkungen dieſer Welt: denn es wirkt auf den Sinn, auf den Geiſt und auf die ganze Materie der Welt durch Erzeugung der Dinge. Und ſo bringt ein natuͤrlich Wirkſames immer Ein - und daſſelbe hervor, es mag wirken, wor -154 auf es will; weil es hier nicht etwa uͤberlegen und waͤhlen kann, ſondern was ihm vorkommt macht es zu ſeines gleichen. Wirkt es auf Sinne und Verſtandes - kraͤfte, ſo entſteht das Bild, das Gleichartige, wie ein jeder weiß, aber auch in der Materie wird dieſes Gleichniß gewirkt. Und diejenigen wirkſamen Weſen, welche Vernunft und Verſtand haben, wenn ſie gleich vieles aus Ueberlegung und Wahl des Willens thun, ſo iſt doch dieſe Wirkung, die Erzeugung des Gleich - niſſes, ihnen ſo gut natuͤrlich als andern Weſen, und ſo vervielfaͤltigt die Weſenheit der Seele ihre Tugend im Koͤrper und außerhalb des Koͤrpers, und ein jeder Koͤrper ſchafft auch außer ſich ſeine Tugenden, und die Engel bewegen die Welt durch dergleichen Tu - genden.
Aber Gott ſchafft die Tugenden aus Nichts, die er alsdann in den Dingen vervielfaͤltigt. Die erſchaf - fenen wirkſamen Weſen vermoͤgen dieß nicht, ſondern leiſten das Ihre auf andre Weiſe, wobey wir uns ge - genwaͤrtig nicht aufhalten koͤnnen. Nur wiederhohlen wir, daß die Tugenden wirkſamer Weſen in dieſer Welt alles hervorbringen. Dabey iſt aber zweyerley zu bemerken: erſtlich die Vervielfaͤltigung des Gleichniſſes und der Tugend, von dem Urſprung ihrer Zeugung her; zweytens das mannigfaltige Wirken in dieſer Welt, wodurch Fortzeugung und Verderbniß entſteht. Das Zweyte laͤßt ſich nicht ohne das Erſte begreifen; des - halb wir uns zuerſt an die Vervielfaͤltigung wenden. “
155Wie er nun zu Werke geht, die Vervielfaͤltigung der urſpruͤnglichen Tugenden nach Linien, Winkeln, Fi - guren und ſo fort auf mathematiſche Weiſe zu bewir - ken, iſt hoͤchſt bedeutend und erfreulich. Beſonders ge - lingt es ihm, die fortſchreitende Wirkung phyſiſcher und mechaniſcher Kraͤfte, die wachſende Mittheilung erſter Anſtoͤße, vorzuͤglich auch die Ruͤckwirkungen, auf eine folgerechte und heitre Weiſe abzuleiten. So einfach ſeine Maximen ſind, ſo fruchtbar zeigen ſie ſich in der Anwendung, und man begreift wohl, wie ein reines freyes Gemuͤth ſehr zufrieden ſeyn konnte, auf ſolche Weiſe ſich von himmliſchen und irdiſchen Dingen Re - chenſchaft zu geben.
Von Farben ſpricht er nur gelegentlich. Auch er ſetzt ſie voraus und erwaͤhnt ihrer mehr beyſpielsweiſe und zu Erlaͤuterung anderer Erſcheinungen, als daß er ſie ſelbſt zu ergruͤnden ſuchte. Wir koͤnnten es alſo hier bey dem Geſagten bewenden laſſen. Damit aber doch etwas geſchehe, ſo verſetzen wir uns im Geiſt an ſeine Stelle, nehmen an, das Buͤchlein von Theophraſt ſey ihm bekannt geweſen, was die Griechen eingeſehen, ſey auch ihm zur Ueberzeugung geworden, ihm waͤre nicht entgangen, worauf es eigentlich bey der Sache ankom - me, und ſo haͤtte er nachſtehende kurze Farbenlehre, ſeinen Maximen gemaͤß, verfaſſen koͤnnen, die auch uns ganz willkommen ſeyn wuͤrde.
156Das Licht iſt eine der urſpruͤnglichen, von Gott erſchaffenen Kraͤfte und Tugenden, welches ſein Gleich - niß in der Materie darzuſtellen ſich beſtrebt. Dieſes geſchieht auf mancherley Weiſe, fuͤr unſer Auge aber folgendermaßen.
Das reine Materielle, inſofern wir es mit Augen erblicken, iſt entweder Durchſichtig, oder Undurchſichtig, oder Halbdurchſichtig. Das letzte nennen wir Truͤbe. Wenn nun die Tugend des Lichts durch das Truͤbe hin - durchſtrebt, ſo daß ſeine urſpruͤngliche Kraft zwar im - mer aufgehalten wird, jedoch aber immer fortwirkt, ſo erſcheint ſein Gleichniß Gelb und Gelbroth; ſetzt aber ein Finſteres dem Truͤben Graͤnze, ſo daß des Lichts Tugend nicht fortzuſchreiten vermag, ſondern aus dem erhellten Truͤben als ein Abglanz zuruͤckkehrt, ſo iſt deſſen Gleichniß Blau und Blauroth.
Aehnliches begegnet bey durchſichtigen und un - durchſichtigen Koͤrpern, ja im Auge ſelbſt.
Dieſe Wirkungen ſind ſehr einfach und beſchraͤnkt. Die Unendlichkeit und Unzaͤhligkeit der Farben aber erzeugt ſich aus der Miſchung und daß die urſpruͤnglichen Farben abermals ihr Gleichniß in der Materie und ſonſt hervorbringen, welches denn, wie alles Abgeleitete, unreiner und ungewiſſer erſcheint; wobey wir jedoch zu bedenken haben, daß eben durch dieſes Abgeleitete, durch dieſes Bild vom Bilde, durch das Gleichniß vom Gleichniß, das meiſte geſchieht und eben dadurch das157 voͤllige Verſchwinden der erſten Tugend, Verderbniß und Untergang moͤglich wird.
Nachſtehendes kann zum Theil als Wiederholung, zum Theil als weitre Aus - und Fortbildung des oben Geſagten angeſehen werden; ſodann aber mag man entſchuldigen, daß hier abermals gelegentlich erregte Gedanken mit aufgefuͤhrt ſind.
Die Schriften Bacons zeugen von großer Ruhe und Beſonnenheit. Er fuͤhlte ſehr tief den Kampf, den er mit der Natur und mit der Ueberlieferung zu beſte - hen hat. Er wird gewahr, daß er die Kraͤfte und Mit - tel hiezu bey ſich ſelbſt ſuchen muß. Hier findet er die Mathematik als ein ſicheres, aus ſeinem Innern her - vorſpringendes Werkzeug. Er operirt mit demſelben ge - gen die Natur und gegen ſeine Vorgaͤnger, ſein Unter - nehmen gluͤckt ihm und er uͤberzeugt ſich, daß Mathe - matik den Grund zu allem Wiſſenſchaftlichen lege.
Hat ihm jedoch dieſes Organ bey allem Meßbaren gehoͤrige Dienſte geleiſtet, ſo findet er bald bey ſeinem zarten Gefuͤhle, daß es Regionen gebe, wo es nicht hinreicht. Er ſpricht ſehr deutlich aus, daß ſie in ſol - chen Faͤllen als eine Art von Symbolik zu brauchen ſey; aber in der Ausfuͤhrung ſelbſt vermiſcht er den reellen Dienſt, den ſie ihm leiſtet, mit dem ſymboliſchen; wenigſtens knuͤpft er beyde Arten ſo genau zuſammen,158 daß er beyden denſelben Grad von Ueberzeugung zu - ſchreibt, obgleich ſein Symboliſiren manchmal bloß auf ein Witzſpiel hinauslaͤuft. In dieſem Wenigen ſind alle ſeine Tugenden und alle ſeine Fehler begriffen.
Man halte dieſe Anſicht feſt und man wird ſich uͤberzeugen, daß es eine falſche Anwendung der reinen Mathematik und eben ſo eine falſche Anwendung der angewandten Mathematik gebe. Offenbar iſt die Aſtro - logie aus der Aſtronomie durch den eben geruͤgten Miß - griff entſtanden, indem man aus den Wirkungen be - kannter Kraͤfte auf die Wirkungen unbekannter ſchloß und beyde als gleichgeltende behandelte.
Man ſehe, wie Baco das Mathematiſche geiſtigen und geiſtlichen Dingen annaͤhern will durch ein an - muthiges, heiteres Zahlenſpiel.
Ein großer Theil deſſen, was man gewoͤhnlich Aberglauben nennt, iſt aus einer falſchen Anwendung der Mathematik entſtanden, deswegen ja auch der Na - me eines Mathematikers mit dem eines Wahnkuͤnſtlers und Aſtrologen gleich galt. Man erinnere ſich der Signatur der Dinge, der Chiromantie, der Punctirkunſt, ſelbſt des Hoͤllenzwangs; alle dieſes Unweſen nimmt ſei - nen wuͤſten Schein von der klarſten aller Wiſſenſchaften, ſeine Verworrenheit von der exacteſten. Man hat daher nichts fuͤr verderblicher zu halten, als daß man, wie in der neuern Zeit abermals geſchieht, die Mathematik aus der Vernunft - und Verſtandesregion, wo ihr Sitz159 iſt, in die Region der Phantaſie und Sinnlichkeit fre - ventlich heruͤberzieht.
Dunklen Zeiten ſind ſolche Mißgriffe nachzuſehen; ſie gehoͤren mit zum Charakter. Denn eigentlich er - greift der Aberglaube nur falſche Mittel, um ein wah - res Beduͤrfniß zu befriedigen, und iſt deswegen weder ſo ſcheltenswerth als er gehalten wird, noch ſo ſelten in den ſogenannten aufgeklaͤrten Jahrhunderten und bey aufgeklaͤrten Menſchen.
Denn wer kann ſagen, daß er ſeine unerlaͤßlichen Beduͤrfniſſe immer auf eine reine, richtige, wahre, un - tadelhafte und vollſtaͤndige Weiſe befriedige; daß er ſich nicht neben dem ernſteſten Thun und Leiſten, wie mit Glauben und Hoffnung, ſo auch mit Aberglauben und Wahn, Leichtſinn und Vorurtheil hinhalte.
Wie viel falſche Formeln zu Erklaͤrung wahrer und unlaͤugbarer Phaͤnomene finden ſich nicht durch alle Jahrhunderte bis zu uns herauf. Die Schriften Lu - thers enthalten, wenn man will, viel mehr Aberglau - ben, als die unſers engliſchen Moͤnchs. Wie bequem macht ſich’s nicht Luther durch ſeinen Teufel, den er uͤberall bey der Hand hat, die wichtigſten Phaͤnomene der allgemeinen und beſonders der menſchlichen Natur auf eine oberflaͤchliche und barbariſche Weiſe zu erklaͤ - ren und zu beſeitigen; und doch iſt und bleibt er, der er war, außerordentlich fuͤr ſeine und fuͤr kuͤnftige Zei - ten. Bey ihm kam es auf That an; er fuͤhlte den160 Conflict, in dem er ſich befand, nur allzu laͤſtig, und in - dem er ſich das ihm Widerſtrebende recht haͤßlich, mit Hoͤrnern, Schwanz und Klauen dachte, ſo wurde ſein heroiſches Gemuͤth nur deſto lebhafter aufgeregt, dem Feindſeligen zu begegnen und das Gehaßte zu ver - tilgen.
An jene Neigung Roger Bacons, das Unbekannte durch das Bekannte aufzuloͤſen, das Ferne durch das Nahe zu gewaͤltigen, wodurch ſich eben ſein vorzuͤgli - cher Geiſt legitimirt, ſchließt ſich eine Eigenheit an, welche genau beachtet zu werden verdient, weil ſie ſchon fruͤher hiſtoriſche Zweifel erregt hat. Aus ge - wiſſen Eigenſchaften der Koͤrper, die ihm bekannt ſind, aus gewiſſen Folgen, die ſich von ihrer Verbindung oder von einer gewiſſen beſtimmten Form hoffen laſſen, folgert er ſo richtig, daß er uͤber das, was zu ſeiner Zeit geleiſtet war, weit hinausgeht und von Dingen ſpricht, als wenn ſie ſchon geleiſtet waͤren. Das Schießpulver, beſonders aber die Fernroͤhre, behandelt er ſo genau, daß wir uns uͤberzeugt halten muͤſſen, er habe ſie vor ſich gehabt, zumal da er ja ſchon ge - ſchliffene Kugeln, Abſchnitte von Kugeln in Glas be - ſeſſen.
Allein wem bekannt iſt, wie der Menſchengeiſt voreilen kann, ehe ihm die Technik nachkommt, der wird auch hier nichts Unerhoͤrtes finden.
Und ſo wagen wir zu behaupten, daß es nur Fol - gerungen bey ihm geweſen. Auch hier bey der ange -161 wandten Mathematik geht es ihm, wie bey der reinen. Wie er jene anwendete, wo ſie nicht hingehoͤrte, ſo traut er dieſer zu, was ſie nicht leiſten kann.
Durch die von ihm beſchriebenen Glaͤſer ſoll man nicht allein die entfernteſten Gegenſtaͤnde ganz nah, die kleinſten ungeheuer groß im eignen Auge wahrnehmen; ſondern dieſe und andre Bilder ſollen auch hinaus in die Luft, in die Atmosphaͤre, geworfen einer Menge zur Erſcheinung kommen. Zwar iſt auch dieſes nicht ohne Grund. So mancherley Naturerſcheinungen, die auf Refraction und Reflexion beruhen, die viel ſpaͤ - ter erfundene Camera obscura, die Zauberlaterne, das Sonnenmikroſcop und ihre verſchiedenen Anwen - dungen haben ſein Vorausgeſagtes faſt buchſtaͤblich wahr gemacht, weil er alle dieſe Folgen vorausſah. Aber die Art, wie er ſich uͤber dieſe Dinge aͤußert, zeigt, daß ſein Apparat nur in ſeinem Geiſte gewirkt und daß daher manche imaginaͤre Reſultate entſprungen ſeyn moͤgen.
Zunaͤchſt bemerken wir, daß er, wie alle Erfinder, weit ſchauende und geiſtig lebhaft wirkende Menſchen, von ſeinen Zeitgenoſſen angegangen worden, auch un - mittelbar etwas zu ihrem Nutzen zu thun. Der Menſch iſt ſo ein Luſt - und Huͤlfsbeduͤrftiges Weſen, daß man ihm nicht verargen kann, wenn er ſich uͤberall umſieht, wo er im Gluͤck einigen Spaß und in der Bedraͤngtheit einigen Beyſtand finden kann.
II. 11162Den Mathematikern ſind von jeher die Kriegshel - den auf der Spur geweſen, weil man ſeine Macht gern mechaniſch vermehren und jeder Uebermacht große Wirkungen mit geringen Kraͤften entgegenſetzen moͤchte. Daher findet ſich bey Baco die Wiederhohlung aͤlterer und die Zuſicherung neuer dergleichen Huͤlfsmittel. Brennſpiegel, um in der Ferne die Sonnenſtrahlen zu concentriren, Vervielfaͤltigungsſpiegel, wodurch dem Feinde wenige Truppen als eine große Anzahl erſchie - nen, und andre ſolche Dinge kommen bey ihm vor, die wunderbar genug ausſehen, und die dennoch bey erhoͤh - ter Technik, geuͤbteſter Taſchenſpielerkunſt, und auf andre Weiſe wenigſtens zum Theil moͤglich gemacht worden.
Daß man ihn der Irrlehre angeklagt, das Schick - ſal hat er mit allen denen gemein, die ihrer Zeit vor - laufen; daß man ihn der Zauberey bezuͤchtigt, war da - mals ganz natuͤrlich. Aber ſeine Zeit nicht allein be - ging dieſe Uebereilung, daß ſie das, was tiefen, unbe - kannten, feſtgegruͤndeten, conſequenten, ewigen Natur - kraͤften moͤglich iſt, als dem Willen und der Willkuͤhr unterworfen, als zufaͤllig herbeygerufen, im Widerſtreit mit Gott und der Natur gelten ließ.
Auch hieruͤber iſt der Menſch weder zu ſchelten noch zu bedauern: denn dieſe Art von Aberglauben wird er nicht los werden, ſo lange die Menſchheit exiſtirt. Ein ſolcher Aberglaube erſcheint immer wieder, nur unter einer andern Form. Der Menſch ſieht nur163 die Wirkungen, die Urſachen, ſelbſt die naͤchſten, ſind ihm unbekannt; nur ſehr wenige, tiefer dringende, er - fahrene, aufmerkende werden allenfalls gewahr, woher die Wirkung entſpringe.
Man hat oft geſagt und mit Recht, der Unglaube ſey ein umgekehrter Aberglaube, und an dem letzten moͤchte gerade unſere Zeit vorzuͤglich leiden. Eine edle That wird dem Eigennutz, eine heroiſche Handlung der Eitelkeit, das unlaͤugbare poetiſche Product einem fie - berhaften Zuſtande zugeſchrieben; ja was noch wun - derlicher iſt, das allervorzuͤglichſte was hervortritt, das allermerkwuͤrdigſte was begegnet, wird ſo lange als nur moͤglich iſt, verneint.
Dieſer Wahnſinn unſerer Zeit iſt auf alle Faͤlle ſchlimmer, als wenn man das Außerordentliche, weil es nun einmal geſchah, gezwungen zugab und es dem Teufel zuſchrieb. Der Aberglaube iſt ein Erbtheil ener - giſcher, großthaͤtiger, fortſchreitender Naturen; der Un - glaube das Eigenthum ſchwacher, kleingeſinnter, zu - ruͤckſchreitender, auf ſich ſelbſt beſchraͤnkter Menſchen. Jene lieben das Erſtaunen, weil das Gefuͤhl des Erha - benen dadurch in ihnen erregt wird, deſſen ihre Seele faͤhig iſt, und da dieß nicht ohne eine gewiſſe Apprehen - ſion geſchieht, ſo ſpiegelt ſich ihnen dabey leicht ein boͤ - ſes Princip vor. Eine ohnmaͤchtige Generation aber wird durchs Erhabene zerſtoͤrt, und da man Niemanden zumuthen kann, ſich willig zerſtoͤren zu laſſen; ſo haben ſie voͤllig das Recht, das Große und Uebergroße, wenn11 *164es neben ihnen wirkt, ſo lange zu laͤugnen, bis es hi - ſtoriſch wird, da es denn aus gehoͤriger Entfernung in gedaͤmpftem Glanze leidlicher anzuſchauen ſeyn mag.
Unter dieſer Rubrik mag das wenige Platz neh - men, was wir in unſern Collectaneen, den erſt be - ſprochenen Zeitpunct betreffend, vorgefunden haben.
Von den Arabern iſt mir nicht bekannt geworden, daß ſie eine theoretiſche Aufmerkſamkeit auf die Farbe geworfen haͤtten. Averroes und Avempazes moͤ - gen, wie aus einigen Citaten zu vermuthen iſt, bey Gelegenheit, daß ſie den Ariſtoteles commentirt, et - was beylaͤufig daruͤber geaͤußert haben. Das Buͤch - lein des Theophraſt ſcheint ihrer Aufmerkſamkeit ent - gangen zu ſeyn. Alhazen, von dem ein optiſcher Tractat auf uns gekommen, beſchaͤftigt ſich mit den Geſetzen des Sehens uͤberhaupt; doch war ihm der im Auge bleibende Eindruck eines angeſchauten Bildes be - kannt geworden.
Ueberhaupt war dieſes phyſiologiſche Phaͤnomen des bleibenden, ja des farbig abklingenden Lichteindruckes rein ſinnlichen Naturen jener Zeit nicht verborgen ge - blieben, weshalb wir eine Stelle des Auguſtinus und eine des Themiſtius als Zeugniß anfuͤhren.
Wenn wir eine Zeitlang irgend ein Licht an - ſchauen, und ſodann die Augen ſchließen, ſo ſchweben vor unſerm Blick gewiſſe leuchtende Farben, die ſich verſchiedentlich veraͤndern und nach und nach weniger glaͤnzen, bis ſie zuletzt gaͤnzlich verſchwinden. Dieſe koͤnnen wir fuͤr das uͤberbleibende jener Form halten, welche in dem Sinn erregt ward, indem wir das leuchtende Bild erblickten.
Wenn Jemand den Blick von einem Gegenſtande, den er aufs ſchaͤrfſte betrachtet hat, wegwendet, ſo wird ihn doch die Geſtalt der Sache, die er anſchaute, begleiten, als wenn der fruͤhere Anſtoß die Augen be - ſtimmt und in Beſitz genommen haͤtte. Deshalb, wenn Jemand aus dem Sonnenſchein ſich ins Finſtere be - gibt, ſehen die vor großem Glanz irre gewordenen Au - gen nichts; auch wenn du etwas ſehr Glaͤnzendes oder Gruͤnes laͤnger angeſehen, ſo wird alles, was dir hernach in die Augen faͤllt, gleichfarbig erſcheinen. Nicht weniger, wenn du die Augen gegen die Sonne, oder ſonſt etwas glaͤnzendes richteſt, und ſodann zu - druͤckſt; ſo wirſt du eine Farbe ſehen, wie etwa Weiß oder Gruͤn, welche ſich alsdann in Hochroth verwan - delt, ſodann in Purpur, nachher in andre Farben, zu - letzt ins Schwarze, von da an aber abnimmt und ver ſchwindet. Gleichermaßen zerruͤttet auch das, was ſich166 ſchnell bewegt, unſere Augen, ſo daß, wenn du in einen reißenden Strom hinabſiehſt, eine Art von Schaͤu - men und Schwindel in dir entſteht, und auch das Stillſtehende ſich vor dir zu bewegen ſcheint.
Das Ueberlieferte war ſchon zu einer großen Maſſe angewachſen, die Schriften aber, die es enthielten, nur im Beſitz von wenigen; jene Schaͤtze, die von Griechen, Roͤmern und Arabern uͤbrig geblieben waren, ſah man nur durch einen Flor; die vermittelnden Kenntniſſe mangelten; es fehlte voͤllig an Critik; apocryphiſche Schriften galten den aͤchten gleich, ja es fand ſich mehr Neigung zu jenen als zu dieſen.
Eben ſo draͤngten ſich die Beobachtungen einer erſt wieder neu und friſch erblickten Natur auf. Wer woll - te ſie ſondern, ordnen und nutzen? Was jeder Ein - zelne erfahren hatte, wollte er auch ſich zu Vortheil und Ehre gebrauchen; beydes wird mehr durch Vor - urtheile als durch Wahrhaftigkeit erlangt. Wie nun die fruͤheren, um die Gewandtheit ihrer dialectiſchen Formen zu zeigen, auf allen Cathedern ſich oͤffentlich hoͤren ließen; ſo fuͤhlte man ſpaͤter, daß man mit ei - nem gehaltreichen Beſitz Urſach hatte ſparſamer umzu - gehen. Man verbarg, was dem Verbergenden ſelbſt167 noch halb verborgen war, und weil es bey einem gro - ßen Ernſt an einer vollkommnen Einſicht in die Sache fehlte; ſo entſtand, was uns bey Betrachtung jener Bemuͤhungen irre macht und verwirrt, der ſeltſame Fall, daß man verwechſelte, was ſich zu eſoteriſcher und was ſich zu exoteriſcher Ueberlieferung qualificirt. Man verhehlte das Gemeine und ſprach das Ungemei - ne laut, wiederhohlt und dringend aus.
Wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen, die mancherley Arten dieſes Verſteckens naͤher zu be - trachten. Symbolik, Allegorie, Raͤthſel, Attrape, Chif - friren wurden in Uebung geſetzt. Aprehenſion gegen Kunſtverwandte, Marktſchreyerey, Duͤnkel, Witz und Geiſt hatten alle gleiches Intereſſe, ſich auf dieſe Weiſe zu uͤben und geltend zu machen, ſo daß der Gebrauch dieſer Verheimlichungskuͤnſte ſehr lebhaft bis in das ſiebzehnte Jahrhundert hinuͤbergeht, und ſich zum Theil noch in den Canzleyen der Diplomatiker erhaͤlt.
Aber auch bey dieſer Gelegenheit koͤnnen wir nicht umhin, unſern Roger Baco, von dem nicht genug Gu - tes zu ſagen iſt, hoͤchlich zu ruͤhmen, daß er ſich die - ſer falſchen und ſchiefen Ueberlieferungsweiſe gaͤnzlich enthalten, ſo ſehr, daß wir wohl behaupten koͤnnen, der Schluß ſeiner hoͤchſtſchaͤtzbaren Schrift de mirabili potestate artis et naturae gehoͤre nicht ihm, ſondern einem Verfaͤlſcher, der dadurch dieſen kleinen Tractat an eine Reihe alchymiſtiſcher Schriften anſchließen wollen.
168An dieſer Stelle muͤſſen wir manches, was ſich in unſern Collectaneen vorfindet, bey Seite legen, weil es uns zu weit von dem vorgeſteckten Ziele ablenken wuͤrde. Vielleicht zeigt ſich eine andere Gelegenheit, die Luͤcke, die auch hier abermals entſteht, auf eine ſchickliche Weiſe auszufuͤllen.
Eine geſchichtliche Darſtellung nach Jahrhunderten ein - zutheilen, hat ſeine Unbequemlichkeit. Mit keinem ſchneiden ſich die Begebenheiten rein ab; Menſchen - Leben und Handeln greift aus einem ins andre; aber alle Eintheilungsgruͤnde, wenn man ſie genau beſieht, ſind doch nur von irgend einem Ueberwiegenden her - genommen. Gewiſſe Wirkungen zeigen ſich entſchieden in einem gewiſſen Jahrhundert, ohne daß man die Vorbereitung verkennen, oder die Nachwirkung laͤug - nen moͤchte. Bey der Farbenlehre geben uns die drey nunmehr auf einander folgenden Jahrhunderte Gelegen - heit, das was wir vorzutragen haben, in gehoͤriger Abſonderung und Verknuͤpfung darzuſtellen.
Daß wir in der ſo genannten mittlern Zeit fuͤr Farbe und Farbenlehre wenig gewonnen, liegt in dem vorhergehenden nur allzu deutlich am Tage. Vielleicht170 gluͤckt es denjenigen, die ſich mit den Denkmalen jener Zeit genauer bekannt machen, noch einiges aufzufinden; vielleicht kann in der Geſchichte des Colorits und der Faͤrbekunſt noch manches beygebracht werden. Fuͤr uns ging die Farbenlehre mit dem Glanz der uͤbrigen Wiſ - ſenſchaften und Kuͤnſte ſcheidend unter, um erſt ſpaͤter wieder hervorzutreten. Wenn wir hier und da der Farbe erwaͤhnt finden, ſo iſt es nur gelegentlich; ſie wird vorausgeſetzt wie das Athemholen und Sprechen bey der Redekunſt. Niemand beſchaͤftigt ſich mit ih - ren Elementen und Verhaͤltniſſen, bis endlich dieſe er - freuliche Erſcheinung, die uns in der Natur ſo lebhaft umgibt, auch fuͤr das Bewußtſeyn mit den uͤbrigen Wiſſenſchaften aus der Ueberlieferung wieder hervor - tritt.
Je mehrere und vorzuͤglichere Menſchen ſich mit den koͤſtlichen uͤberlieferten Reſten des Alterthums be - ſchaͤftigen mochten, deſto energiſcher zeigte ſich jene Function des Verſtandes, die wir wohl die hoͤchſte nennen duͤrfen, die Critik naͤmlich, das Abſondern des Aechten vom Unaͤchten.
Dem Gefuͤhl, der Einbildungskraft iſt es ganz gleichguͤltig, wovon ſie angeregt werden, da ſie beyde ganz reine Selbſtthaͤtigkeiten ſind, die ſich ihre Ver - haͤltniſſe nach Belieben hervorbringen, nicht ſo dem Verſtande, der Vernunft. Beyde haben einen entſchie - denen Bezug auf die Welt; der Verſtand will ſich171 nichts Unaͤchtes aufbinden laſſen, und die Vernunft verabſcheuet es.
Dieſer natuͤrliche Abſcheu vor dem Unaͤchten und das Sonderungsvermoͤgen ſind nicht immer beyſam - men. Jener fuͤhlt wohl, was er will, aber vermag es nicht immer zu beweiſen; dieſes will eigentlich nichts, aber das Erkannte vermag es darzuthun. Es verwirft wohl ohne Abneigung und nimmt auf ohne Liebe. Viel - leicht entſteht dadurch eine der Abſicht gemaͤße Gerech - tigkeit. Wenn beydes jedoch, Abſcheu und Sonde - rungsgabe, zuſammentraͤfe, ſtuͤnde die Critik wohl auf der hoͤchſten Stufe.
Die Bibel, als ein heiliges unantaſtbares Buch, entfernte von ſich die Critik, ja eine uncritiſche Be - handlung ſchien ihr wohl angemeſſen. Den platoni - ſchen und ariſtoteliſchen Schriften erging es anfaͤng - lich auf aͤhnliche Weiſe. Erſt ſpaͤter ſah man ſich nach einem Pruͤfſtein um, der nicht ſo leicht zu finden war. Doch ward man zuletzt veranlaßt, den Buchſtaben die - ſer Werke naͤher zu unterſuchen; mehrere Abſchriften gaben zu Vergleichung Anlaß. Ein richtigeres Ver - ſtehen fuͤhrte zum beſſern Ueberſetzen. Dem geiſtreichen Manne mußten bey dieſer Gelegenheit Emendationen in die Hand fallen und der reine Wortverſtand immer be - deutender werden.
Die Farbenlehre verdankt auch dieſen Bemuͤhun - gen ihre neuen Anfaͤnge, obgleich das, was auf ſolche172 Weiſe geſchehen, fuͤr die Folge ohne ſonderliche Wir - kung blieb. Wir werden hier zuerſt das Buͤchlein des Antonius Thyleſius von den Farben in der Ur - ſchrift abdrucken laſſen, und ſodann unſre Leſer mit dieſem Manne etwas naͤher bekannt machen; ferner des Simon Portius gedenken, welcher die kleine ariſtoteliſche Schrift, deren Ueberſetzung wir fruͤher ein - geruͤckt, zuerſt uͤberſetzt und commentirt. Ihm folgt Julius Caͤſar Scaliger, der im aͤhnlichen Sinne fuͤr uns nicht ohne Verdienſt bleibt; ſo wie wir denn auch bey dieſer Gelegenheit den Aufſatz uͤber Farben - benennung, den wir auf der vier und funfzigſten Sei - te eingeſchaltet, wieder in Erinnerung zu bringen haben.
173Dicam aliquid de coloribus in hoc libello, non quidem unde conficiantur aut quae sit eorum na - tura: neque enim pictoribus haec traduntur aut philosophis, sed tantum philologis, qui Latini ser - monis elegantiam studiose inquirunt. Scribam om - nia breviter et accurate, ac rerum ipsarum nomina, quo statim colores intelligantur, singulis appo - nam.
1. Coeruleus. Exordiar primum a coeru - leo: quo nisi natura ipsa maxime gauderet, nun - quam profecto deorum hoc domicilium Continuo circumplexu cuncta coerceus, Specie tam laeta universum exhilarasset. reliquos deinde contexam. Coeruleus igitur dictus quasi coeluleus, ut ex voce ipsa apparet, proprie color est coeli, sed sereni: id quod Ennius respiciens, Coeli inquit, coerula templa. atque inde ab omnibus ma - re appellatur coeruleum: refert enim illud eundem quem ab ipso superne accipit coeli nitorem. Quare ex antiquis nonnulli, ut alterum Homeri opus, propter caedes, de quibus illic poeta loquitur, co -174 lore exornabant sanguineo: sic Odysseam, ubi Ulyssis idem maritimos scribit errores, membrana contegebant coerulea. Sed quoniam coerulei quae - dam species est pene nigra, ut quod Indicum dici - tur, eoque olim vestitu Graecae mulieres amictae producebant corum funera, quorum in coelum ani - mas migrasse coeruleum existimabant: idcirco pro tristi nonnunquam capitur, ut apud Virgilium puppis coerulea Charontis, Imberque et Sol coeru - leus. Cucumis autem coeruleus, nam id quoque legitur, Melopeponem significat, qui inter cucume - res, multa enim sunt eorum genera, pulcherri - mus est. Nec tantum coerulei videtur particeps, sed ipsius quoque mundi gradus, introrsum ver - sus, attenuatos ostendit, ut hoc olim de eo lu - simus, Quis neget e coelo missum formamque, coloremque Atque gradus coeli Nectaris atque refert. Est enim sapore svavissimo. Sine ulla dubitatione, quod nos coeruleum, Graeci dicunt cyaneum, in quorum etiam commentariis lazurion invenio. Ad - scribitur huic generi, qui venetus olim nunc vulgo blavus nuncupatur color, ex factione Circensi valde nobilitatus. Fuerunt autem colores in Circo, prae - ter hunc venetum, roseus, albus et prasinus: qui - bus auratus postea, purpureus et luteus additi sunt. De iis loco dicemus.
1752. Caesius. Caesius vero si dictus esset, ut doctissimi viri monumentis olim tradiderunt, qua - si coelius a coelo, eadem foret in coelo et caesio diphthongus. Constat autem esse in iis vocibus diversam: nihil praeterea differret a coeruleo, quan - do id, ut ostendimus, a coelo deductum est: dif - fert autem sine dubio, vel ex ipsius M. Tullii au - ctoritate, cujus haec sunt verba in primo de na - tura deorum libro, Caesios oculos Minerva, coe - ruleos esse Neptuni. Ad haec non quemadmo - dum legimus coelum, mare, vestem, florem coe - ruleum: ita legimus coelum, mare, vestem, flo - rem caesium: sed oculos tantum caesios veteres dixerunt, quibus inest fulgor quidam visu horren - dus. Unde existimo, sicut Caesar et Caeso dicun - tur a caedendo: ita caesium a caede nominatum esse: ut qui caesius sit, caedem quodammodo ocu - lis minari videatur: qualis proelio gaudens et caede dicitur fuisse Minerva, ex quo illa ab antiquis vocata fuit, ut ego arbitror, caesia. Significat hoc M. Cicero, ubi de Catilina ait, Notat et designat oculis ad caedem unumquemque nostrum. Hic qui oculis ad caedem Senatores designabat, caesius erat. Cujus etiam oculos Sallustius, insignis histo - ricus, fuisse tradidit foedos, id est caesios. Cu - jusmodi memoriae proditum est Neronis quoque oculos fuisse: quod ipsum non leve fuit argumen - tum tyrannicae crudelitatis. Quin a Terentio cae - sii hominis facies dicitur cadaverosa, hoc est im - manis, et saevitiam arguens, qualem Sicarii prae176 se ferunt et carnifices: quamvis alii parum erudite cadaverosam pro sublivida exposuerint. Enimvero leonis oculos si quis inspexit, qualis sit hic color, intelligit. Micant illi, ut studiose ipsi prope con - sideravimus, velut ignis penitus flagrans. Dicitur color hic Graece ab omnibus glaucus, quod ver - bum longo jam usu Latini poetae suum fecerunt. Latius tamen patet glaucus: nam praeter oculos noctuinos, quos, ut avis ipsius Graecum nomen declarat, omnes glaucos esse confirmant: multa quoque dicuntur glauca, ut ulva palustris herba: ut salix, cujus quum frondes, tum multo magis cortex in ramis, praesertim anniculis, nitet hoc colore. Quem laudat Virgilius in equis eosque no - to carmine glaucos appellat, communi Italorum lingua baios nominatos. Nam spadices honesti ab eodem poeta ibidem vocati, illustriores sunt ali - quanto, baii et ipsi, sed clari vulgo nuncupati: atque ii duo aliorum omnium maxime probantur colores in equis. Ulva igitur et salix, quas idem Virgilius glaucas dixit, equi item species optima: castaneae etiam nucis tunica, aliaque multa, prac - ter leonis ac noctuae oculos, colorem glaucum ostendunt. Sed ut unde discessi, redeam: quando caesius color tantum est oculorum, videndum est, ne is sit potius quem Aristoteles charopon vocat. Sic enim ab illo dicitur leo ab oculorum saevitia, quem Catullus poeta doctissimus caesium appellat. Unde Hercules cognomento dictus fuit charops, quasi iracunde intuens. Nam chara Graece, ira177 quoque dicitur Latine: et ex eodem ut puto, hor - rore Charybdis nominata est, et Charon: de quo cum inquit Virgilius, Stant circum lumina flamma, Caesium voluit senem illum horribilem ac dirum significare. Quamvis non nesciam, charopon ab aliis aliter quoque exponi.
3. Ater. Horribilis etiam color est ater di - ctus, omnino velut anthrax, id est carbo: nam proprie est carbonis extincti. Quare scite, ut om - nia, Terentius, Tam excoctam, inquit, reddam atque atram, quam est carbo. Et inde a Virgilio cinis dictus est ater et favilla atra. Sanguis prae - terea caloris atque coloris ignei particeps, effusus ac frigefactus amisso rubore, tanquam in carbonem mutatus, ater ab omnibus vocatur. Dicitur et mors atra, quia cadaver extincto calore illo vitali, quo corpus alitur, atrum relinquitur, ut est carbo, quae mihi perquam elegans videtur similitudo. Quid quod dies atri eadem de causa dicti fuerunt! Qui enim luctum afferebant, carbonibus: ut con - tra dies laeti scrupis signabantur gypseis. ex quo Horatius ait: Creta, an carbone notandi. Differt in hoc a colore nigro, quod ut omnis ater est niger: sic non omnis niger est ater: horren - dus est hic, tristis, visu injucundus, lugentibus accommodatus, ille contra nonnunquam lepidus acII. 12178venustus: ut humani oculi sunt complures, quos nemo atros diceret, sed nigros, iisque tamen ni - hil majori cum voluptate spectamus. Vocabatur autem ater ab antiquis etiam anthracinus, idemque furvus: quibus longe minus sunt nigri, lividus et fuscus. Alter ex gravi corporis ictu proveniens de - formitatem habet. Unde invidi aliorum bonis, ve - lut verberibus laniati, et idcirco exsangues, lividi nuncupantur. Alter non insuavis, et in homine persaepe laudatur. Qui tamen, si modum excedit, ac maxime fuscus est, et quasi nigrescit, pressus dicitur: ut quae aliquamdiu sub prelo vestis pres - sa nimium coloratur. Legimus etiam equi colorem pressum. Secus vero fasciolae coloriscae dictae fue - runt, quae non saturatae, sed vix colore aliquo illitae e coronis dependebant. Est autem forma diminutiva, ut Lycisca, Syrisca. Aquilum veteres hunc fuscum a colore aquae vocarunt, qui inter nigrum est et album, id quod Plato etiam docet.
4. Albus. Est autem albus color purissimus, quocirca ad animum translatus pro sincero capi - tur: is nullibi quam in nive clarior est, quam ta - men atram esse Anaxagoras affirmabat. Sumitur pro pallido, unde timor albus legitur et metu exal - buit. Quam ob rem Romanae mulieres quondam funera sequebantur in veste alba, tanquam mortui quem efferebant, colorem referrent. Elucet candi - dus atque oculos delectat. At candens non hoc tan - tum est, sed pro ignito accipitur. Itaque Veneris179 humeros recte dixeris candidos, vel candentes. Ferrum quod a marito tunditur, non candidum est, sed candens. Ejusdem generis est canus, qui etsi ad alia transfertur, proprie tamen est capilli et barbae senilis. Nascitur equus nonnunquam ca - nus atque albineus, non idem qui et candidus aut albus, sed hujus non expers. Est et color albi ni - grique particeps, a Graecis inde leucophaeus, voce jam a nostris usurpata, vocatus. Genus est id co - loris nativi, non enim inficitur, sed ovis ipsa sic natura quasi pingitur. Hunc sibi secta sacerdotum sumpsit sanctissima, qui nulla tunica linea peni - tus induti, pro cingulo reste se vinciunt nodosa, ac ligneis tantum calciamentis usi, precario victum quaeritant.
5. Pullus. Qualis vero sit pullus, ostendit terrae ipsius color: major enim illius pars pulla est. Itaque quoniam ea mortuis injicitur, volue - runt veteres, ut qui lugerent, pullis pallis, terrae similibus, essent amicti. Dorsum etiam lepori - num proprie est pullum: quam ob rem naturae ipsius doctus magisterio, terram recentem ab aratro metu pavidus quaerit ille, ibique non - nunquam stratus, nullaque re abditus, venatores canesque ipsos praetereuntes, ac sagaciter prope omnia perquirentes, coloris tantum beneficio sae - pissime latet: et ut in quodam epigrammate de le - pore diximus,12 *180Quem fuga non rapit ore canum, non occulit umbra: Concolor immotum sub Jove terra tegit. Nulla arte aut impensa color hic paratur. Natura enim sic provenit, unde nativus quoque vocatus est, diversus ab eo de quo locuti sumus. Jamque nos Cosentini, apud quos multa antiquitatis vesti - gia apparent, siquidem et pracficae, ut quondam, mortuos laudant, et silicernium in usu est, ac nemo sine suorum osculo sepelitur, utriusque se xus vestimentum funebre, nativum dicimus: quam - vis atrum sit illud, et in mulieribus matrimonio junctis cyaneum, quo Graeci, ut dictum est, olim in funere utebantur. Idem quoque Hispanus voca - tus est et Baeticus, etiam Mutinensis. In iis enim locis id genus lanae videtur. Est autem pullus no - men, ut reor, diminutivum a puro, velut a rara vestimenti genere fit ralla, ab opere opella, a terra etiam tellus: ut lana pulla sit pura, nullo alio colore infecta, sed suo tantum et ingenuo conten - ta. Colorias hujusmodi vestes per se coloratas ali - qui dixerunt. Posuit hanc vocem Augustus in suo testamento, ubi haec verba legebantur Gausapes, lodices purpureas et colorias meas. Atque indidem, ut sentio, dicti sunt pulli equorum aliarumque pecudum, quasi puri, nulla adhuc libidine aut la - bore violati. Sunt huic pullo simillimi color im - pluviatus, dictus velut fumato stillicidio implutus: et suasus, qui insuasus quoque vocatus, lutum re -181 fert. Est autem suasus e stillicidio etiam factus fumoso in vestimento albo. Quare haud dubitan - ter non alius est quam impluviatus: quamvis aliqui tradiderint colorem omnem, qui fiat inficiendo, suasum dici, quod illi quodammodo sit persuasum, in alium quemvis colorem ex albo transire.
6. Ferrugineus. Ferrum longo situ rubi - ginosum, facile ostendit colorem ab ipso appella - tum ferrugineum: agit enim is, id est refert colo - rem ferri. Quin et filamenta, quibus saepe co - nopaeum, et multae praeterea vestes lineae circum - su untur, ferrugineum dicunt infectores. Tunica etiam nuclei pinei lanugine quadam pulverulenta ferruginea est. Erat is quoque lugentium color. Itaque capitur nonnunquam et ipse pro funesto, atque ea de causa hyacinthi dicti fuerunt a Virgi - lio ferruginei, quasi lugubres: quia puerum, ut est in fabulis, casu interfectum Apollo diu luxit: atque in ejus foliis velut epitaphium, in sui do - loris perpetuum monumentum inscripsit, non quia vere floris color sit ferrugineus: est enim is, in quem mutatum ferunt adulescentulum, purpureus. De Hyacintho in literatum flosculum transformato fecimus hoc, Nil opus elogio redimire aut flore sepulchrum: Ipse sibi flos est, elogiumque puer. Eodem modo coelum vocatur ferrugineum, hoc est nubilum et triste: atque apud eundem Virgi -182 lium, Sol caput suum nitidum in morte Caesaris texit ferrugine, quasi colorem se induit lugenti aptum: ut tanti viri caedem sol ipse lamentari vi - deretur. Nec alia ratione Charontis naviculam di - xit ferrugineam, quam quoniam ea una loco san - dapilae, mortuos omnes vespillo indefessus trans - vectat.
7. Rufus. Non eundem esse rufum atque rubrum, ex hoc intelligi potest, quod recte dici - tur sanguis ruber, rufus non recte. Rursus bar - bam et capillum Aenobarbi rubrum veteres non dixerunt: sed modo rufum, rutilum modo, qui idem est. Quin et canes immolabant Romani sa - cerdotes, nunquam rubras vocatas, sed quas nunc rufas, nunc rutilas appellabant, ad placandum ca - niculae sidus, frugibus inimicum. Ex quo mani - festum est rufum rutilumque eundem esse, id quod ex antiquis etiam aliqui docent. E canis igitur colore satis noto, atque e multorum barba et ca - pillo, cujusmodi sit color rufus apparet. Hunc rustici in armentis robum, gilvumque olim dixerunt, atque etiam helvum, ut vini genus est quoddam inter rufum albumque nulli non cognitum: quod quoniam cerasi colorem refert duracini, cerasolum aliqui dicunt Italiae populi. Sed et burrham iidem appellebant vitulam, quae rostro esset rufo. At homo burrhus est, qui pransus, cibo et potione rubet: hunc aliqui etiam rubidum vocant. Inve - nitur et rubeus, etsi aliqui non indocti vocem non183 esse Latinam monuerint: cum tamen apud aucto - res non malos ex uvis nigris fieri vinum forte le - gatur, e rubeis autem suave, nec non bos rubeus probetur. Verbum est omnino rusticum, nec pror - sus idem color est, qui et ruber, sed ad eum proxime accedit. Quid quod russeus etiam legitur? negat quidam e vetustis grammaticis dici posse, russum jubet, ex quo pannus est russatus. Vtrum - que certe Latinum est, sed aratoris magis quam oratoris: habent enim et sua verba qui ruri vi - vunt, urbanis nonnullis inaudita. Russeum equum dicunt illi, qui non plane russus est, sed aliquan - to minus ruboris habens, idem fere videtur. Hic autem, quoniam quasi cruentato similis est, hodie saginatus, quasi sanguinatus vulgo nominatur; quamvis hujus nominis nonnunquam equi albes - cant.
8. Ruber. Rubrum maxime indicat animan - tium sanguis, et quo lana inficitur, coccus: gra - num id a nostris vocatur, unde vestis est coccina, nullis ignota. Ostentat tamen hunc colorem prae caeteris rebus liquor purpurae, cujus adeo gratus est color, ut siquid paululum habeat ruboris, mo - do visu sit illud non injucundum, purpureum sae - pe dicatur, ut sunt violae, et varia florum genera: quin et candidus, is enim quoque oculos remora - tur, a poetis vocatur nonnunquam purpureus. Nam et olores purpureos dixit Horatius, et nivem ipsam purpuream Albinovanus. Invenitur et blat -184 teus positus pro purpureo. Non praetereundus est color viteis frondibus arefactis simillimus, et id - circo xerampelinus Graece dictus. Usurpant hanc vocem Latini: certum enim vitis genus adulto jam autumno pampinis rubet velut cruentatis, unde nomen colori inditum est. Atrabapticas vestes eo colore infectas, quoniam in eo purpura nigresce - ret, aliqui appellaverunt. De ea re fabellam ex - cogitatam his versiculis fui complexus, Caederet immeritae vitis dum crura, cecidit Ipse sua: et dira caede Lycurgus obit. Unde prius viridis, rubet hostis sparsa cruore Illaeso vitis stipite, et ulta nefas.
9. Roseus. Jucundissimus omnium est color roseus, atque humano corpori, si id formosum est quam simillimus. Itaque os, cervicem, papillas, digi - tos roseos poetae dicunt: id est candidos, rubore san - guinis penitus diffuso cum venustate: isque color proprie est, quem communis sermo incarnatum vo - cat. Refert enim maxime omnium pueri nitorem ac virginis: rosam non Milesiam intelligo quae ni - mis purpurea ardere quodammodo videtur, nec rursus albam: sed quae utrinque decorem accepit, et quia corpus hominis imitatur, quod lingua ver - nacula carnem appellat, eadem id genus rosarum incarnatum nominavit. Cicero colorem hunc sua - vem dixit.
18510. Puniceus. A Phoenicibus color phoeni - ceus, puniceus quoque dictus flagrat, velut viola flammea: atque ita a multis olim purpura vocata fuit violacea, hodie pene nomen servat: nam Pao - nacius, quasi puniceus dicitur, etsi aliqui vocem hanc vernaculam a pavonis colore factam volunt. Phoeniceum vero alium ab hoc palma (quae phoe - nix Graece est) a se nominavit. Color hic in equo, ut jam diximus, maxime laudatur, qui modo spa - diceus, baius modo, badius etiam et balius, variis nominibus vocatus est. Termites enim palmarum cum fructu spadices, et baia Graeci dicunt: unde equus ab equisonibus appellatur baius.
11. Fulvus. Ex omnibus maxime lucet ful - vus, quem multa jactant, orichalcum in primis, aurum, ipsaeque etiam stellae: Quas non extinguunt venti, non nimbus aquosa Nube cadens: celsa semper sed luce coruscant. Quare Tibullus proprie sidera fulva appellavit. Est et aureolae species arenac, quam fulvam dixit Virgilius: et genus quoddam aquilae ab Aristotele maxime celebratum, colore etiam fulvo. Qui si obtusus quodammodo est, atque obscuratus, vo - catur ravus. Jamque sic Horatius lupam appella - vit, cujus colorem noto magis verbo plerique omnes fulvum dixerunt. Tradunt aliqui ravos oculos, quos in cane et ariete laudat M. Varro, inter caesios esse et flavos.
186Ornat saepe color hic flavus virginum, ac puerorum capita: atque in maturis frugibus sem - per elucet, nec non pro pulchro frequenter posi - tum videmus.
At luteum nihil aeque ostentat, ac flos calthae et genistae, ovique etiam vitellus. Croceo est hic perquam similis, sed lucidior aliquanto: ab anti - quis flammeus quoque dictus, quoniam eo Flaminis uxor flaminica utebatur. Potest hoc loco pallidus poni, ac luridus: mortui color est hic horribilis, ipsiusque mortis, ut poetae dicunt, et Plutonis. Ille nonnunquam vel gratus in homine, atque ama - bilis.
12. Viridis. Cujusmodi sit color viridis, suppeditat exemplum herbarum multitudo, quarum tanta est varietas, ut cum earum vis sit infinita, nulla tamen aeque, atque ex iis aliqua prorsus vi - reat: sed omnes inter se discolores videantur, id quod in reliquis omnibus coloribus apparet. Quare si minus est hic albus aut niger, quam ille: non idcirco nomen albi amittit, aut nigri. Ex avibus autem insignis est hoc colore psittacus, avis inde a quibusdam viridis appellata, et qua nihil laetius est, smaragdus: maxime quoque lucet viriditas in genere quodam scarabei, cujus ipse meminit Ari - stoteles. Is quoniam dorsum habet, nota quadam aureola sic litum atque illustratum, ut lunae spe - oiem exiguae sustinere videatur, non invenuste a187 nobis Cosentinis equus lunae nuncupatur. Feci - mus hoc jam pridem de scarabeis jocosum epi - gramma:
Egregius est inter colores, qui virent, prasi - nus, multorum carminibus collaudatus, nunc viride porrum ab infectoribus vocatur.
Epilogus. Libet epilogum addere, varietatem proprie de coloribus dici, ex quo vestis varia, dis - color est, diversisque coloribus consuta. Divisam nunc omnes vocant, et equus varius non totus vel candidus vel niger, sed his aliisve caloribus distinctus: sic et coelum varium, cujus partes se - renae interlucent, partes nubilae tristantur. Atque alium saepe pro alio, si inter eos affinitas est, co - lorem usurpant poetae, ut lumen Minervae flavum dixit Virgilius pro glauco, quo venustatem quoque esse in oculis deae ostenderet: quemadmodum188 amictum Tiberis, cujus aquam alibi flavam appel - lavit, glaucum idem esse cecinit: est enim inter hos colores similitudo et quasi vicinitas. Sic ut jam dictum est, albus pro pallido, ac coeruleus pro subviridi poetice ponitur, proque etiam sub - nigro, multique praeterea invicem cedunt. Ex omnibus vero maxime contrarii sunt albus et ni - ger, quare nihil aeque apparet atque in alba papy - ro atramentum. Utebantur veteres, quod nunc etiam servatur, quum librorum titulos notarent, colore puniceo, in honorem memoriamque Phoe - nicum, quos literarum tradunt fuisse inventores. Sunt etiam e coloribus aliqui incerti, qui intuen - tium oculos fallunt, ut est coeli nitor, quod quum tenebrosum quidam autument, illustratum radiis solaribus cyaneum videtur, ut iris, ut quas suspi - cimus nubes nonnunquam ignescere, ut mare ipsum, quod praeter coeruleum, modo atrum horret, modo virescit, interdum etiam flavum, ravumque se ostendit, aut specie quadam pur - purascit violacea. Non idem quoque decor in collo cernitur columbae et pavonis, unde aves sae - pe dicuntur versicolores, quale est serici genus satis notum, quod e diversis partibus spectanti, non eundem offert coloris leporem.
Discolor autem non modo pro vario sumitur, sed si quid eundem colorem velut radios quosdam diffundit, ut, Discolor unde auri per ramos aura refulsit. At decoloris dicitur ex cujus ore color de -189 fluxit, et exsanguis relictus est, atque idcirco pro deformi capitur et nigro, ut decolor Indus: nam concolorem ejusdem esse coloris nemo ignorat. Ad haec colores bifariam dividuntur, nam austeri vo - cabantur reliqui omnes, praeter minium, purpu - rissum, einnabarim, armenium, chrysocollam, in - dicum, quos floridos dixerunt. Sed haec pictores videant, quibus olim in usu tantum erat melinus color, candidus. Silaceus, qui inter coeruleos no - minatur, Sinopis genus rubricae, et atramentum. Quidam etiam suaves dicti sunt, ut flavus, pur - pureus, candidus, in primis roseus: humanis au - tem ocalis nihil venusti hominis colore suavius vi - detur. Inesse vero coloribus suavitatem, praeter - quam quod sensus ipsi judicant, egregii Latinita - tis auctores ostendunt, M. Cicero et Virgilius Ma - ro, quorum alter suavem hominis colorem dixit, ab altero suave rubens hyacinthus vocatus est. Alii tristes sunt et lugubres, velut atrum esse dicimus, pullum, ferrugineum, et coerulei speciem. Quin ut videntur, sic sordidi etiam aliqui dicti sunt, ut de quibus locuti sumus, svasus et impluviatus: iis enim rei ut misericordiam apud judices captarent, se deturpabant. Talem quoque fuisse vestitum Charontis ostendit, cum inquit Virgilius, Sordidus ex humeris nodo pendebat amictus. Jam vero colores partim nominati sunt a locis, ut Puniceus, Tyrius, idemque Sarranus. Purpurei190 sunt hi, Indicum, Sinopis, Melinus, Hispanus, Baeticus, Mutinensis, de quibus dictum est. Co - lossinus a Colosso urbe in Troade, ubi lana infici - tur, florem referens cyclamini, quod tum rapum, tum terrae malum, ac tuber vocatur, a nobis Co - sentinis terrigena. Fulget flos ille inter candorem et purpuram. Partim a metallis nuncupati sunt, ut plumbeus, ferrugineus, argenteus, aureus. Sed a plantis nomen acceperunt complures, ut praeter phoeniceum, id est palmeum, ac xerampelinum, buxeus est qui pro pallido sumitur: pallet enim prae caeteris buxea materia. Roseus praeterea hya - cinthinus, in quo purpura lucet subnigra. Hys - ginus ab hysge herba: coccinus, et utrique similis sandycinus. Violaceus qui et ianthinus, ex quo tyrianthinus, e purpura ut nomen indicat, factus, et viola. Additur his croceus. Unde crocotula ve - stis genus, ut a calta caltula: a bysso lini genere tenuissimo byssina: erantque hae omnes luteae, sed byssina pene ut aurum fulgebat. Fuit in usu vestis a citri similitudine, citrosa dicta. Et quae - dam coloris candidi, papaverata a Lucilio Satyrico, cum eam, ut probrum, Torquato objecisset, no - minata. Invenitur quoque Galbia vestis alba a Gal - bano. A malvae item flosculo color est molochi - nus, ut a punicae etiam flore balaustinus. Virentis quoque porri folia nomen ex se, ut jam diximus, fecerunt prasinum. Multi praeterea ab animalibus vocati sunt, ut cervinus, murinus. Atque hi co - lores sunt in equo notissimi. Mustellinus, de quo191 Terentius. Ictericus, qui regio morbo laborat, a colore galguli, quam Graeci avem icteron dicunt. Luteus est hic admodum. Cygneus, idemque La - tine olorinus, id est candidus, ut contra cora - cinus, niger. Adscribuntur et his ostrinus, con - chyliatus, muriceus, purpureus, ab Hercule ut fabulantur, primum inventus. Feci paucos de ea re choriambos, quos visum est hic ponere.
A rebus denique diversis nonnulli colores dicti sunt, ut igneus, flammeus. Sic orbis nitorque solis ab Attio et Catullo appellatus est. Quare co - lor solis, et quia ita apparet, et ex illorum aucto - ritate flammeus proprie potest vocari. A coelo, ut jam principio dixi, coeruleus est. Marinus, et thalassinus a mari: ab unda cymatilis et cymatius: idemque est in iis omnibus color. Quin etiam ab arcu pluviarum nuntio, arquatus est nominatus. Hyalinus, qui et vitreus, niveus, marmoreus, la - cteus, eburneus, quo dictus fuit cognomento prop - ter candorem corporis Fabius quidam. Amethysti - nus praeterea, ex quo tyriamethystius in usu fuit olim. Sandaracinus, flammeus est is, quibus etiam impluviatus, sanguineus, atque herbidus ad - duntur. Cereus item, piceus, cinereus, ut car - dui genus esculenti a colore, Cinara vocatum. In hoc autem carduo esse etiam aliquod ipsius virtu - tis simulachrum, pauci, quos hic subjeci, decla - rant versiculi.
A spumis quoque et maculis, spumeus est et maculosus: atque ii equorum sunt etiam colores, ut a guttis guttatus: cujusmodi praeter equos, ca - nes videntur nonnulli sagaces, quos a muscarum similitudine muscatos dicunt, velut equus scutu - latus a scutulis: quem ab exiguorum pomorum specie, pomulatum vocant equisones, et si orbes sunt latiusculi, rotatum. Videtur ad extremum na - tura amare coeruleum: eo enim, ut initio diximus, mare collustravit, ac coelum ipsum: quod nun - quam stellis fulgentibus ornasset, nisi eadem quo - que fulvo maxime delectaretur. Sed quia vicis - sim videmus terram, aut viriditate convestiri, aut eo ornatu spoliatam, pullam esse, aut etiam can - dore niveo contegi: viridem, pullum, atque al - bum naturae gratum esse nemo potest dubitare. Nigra insuper est nox: nigri sunt Indi, atque Aethiopes. Gaudet igitur rerum mater colore ni - gro: quam a rubro nihil abhorrere, hominum ac caeterarum animantium sanguis facile declarat.
Als uns in der Epoche der erneuerten Wiſſenſchaf - ten vorſtehendes kleines Buch freundlich begegnete, war es uns eine angenehme Erſcheinung, um ſo mehr, als es ſich jenem des Ariſtoteles an die Seite und in ge - wiſſem Sinne entgegen ſtellte. Wir gedachten es zu uͤberſetzen, fanden aber bald, daß man in einer Spra - che nicht die Etymologie der andern behandeln koͤnne, und ſo entſchloſſen wir uns, es in der Urſchrift wieder abdrucken zu laſſen. Es iſt zwar nicht ſelten, indem es oͤfter anderen groͤßeren und kleineren Schriften bey - gefuͤgt worden, jedoch einzeln nicht immer zur Hand, und ſo glaubten wir es um ſo mehr einſchalten zu duͤr - fen, als uns aus demſelben das Gefuͤhl einer freyen und heitern Zeit entgegenkommt, und die Tugenden des Verfaſſers wohl verdienen, daß ihre Wirkungen nochmals vervielfaͤltigt werden.
Antonius Thyleſius war zu Coſenza geboren, einer Stadt, die an der Cultur des untern Italien ſchon fruͤher Theil nahm. In dem erſten Viertel des ſechszehnten Jahrhunderts war er Profeſſor zu Mai - land. Er gehoͤrt unter diejenigen, welche man in der Literargeſchichte als Philologen, Redner und Poeten zugleich geruͤhmt findet. Ein gruͤndliches und doch li - berales Studium der Alten regte in ſolchen Maͤnnern die eigene Productivitaͤt auf, und wenn ſie auch ei -195 gentlich nicht zu Poeten geboren waren, ſo ſchaͤrfte ſich doch am Alterthum ihr Blick fuͤr die Natur und fuͤr die Darſtellung derſelben.
Ein Buͤchelchen de coronis gab er 1526 heraus. Die Anmuth des gewaͤhlten Gegenſtandes zeugt fuͤr die Anmuth ſeines Geiſtes. Er fuͤhrt in demſelben ſehr kurz und leicht alle Kraͤnze und Kronen vor, womit ſich Goͤtter und Heroen, Prieſter, Helden, Dichter, Schmauſende und Leidtragende zu ſchmuͤcken pflegten, und man begreift ſehr leicht, wie bey ſolcher Gelegen - heit ein geſunder Blick auf Farbe mußte aufmerkſam gemacht werden.
So finden wir denn auch in der kleinen Schrift uͤber die Farben einen Mann, dem es um das Ver - ſtaͤndniß der Alten zu thun iſt. Es entgeht ihm nicht, daß die Farbenbenennungen ſehr beweglich ſind und von mancherley Gegenſtaͤnden gebraucht werden. Er dringt daher auf den erſten Urſprung der Worte, und ob wir gleich ſeinem Etymologiſiren nicht immer bey - ſtimmen, ſo folgen wir ihm doch gern und belehren uns an und mit ihm.
Beyde oben benannte Aufſaͤtze wurden mit ſeinen uͤbrigen poetiſchen Schriften von Conrad Geßner 1545 zu Baſel herausgegeben, wobey ſich bemerken laͤßt, daß ihm ſeine Zeitgenoſſen eine gewiſſe Originalitaͤt zuge - ſtanden, indem ſie ihn andern entgegenſetzen, die nur durch Zuſammenſtellung von Worten und Phraſen der13 *196Alten ein neues Gedicht, eine neue Rede hervorzubrin - gen glaubten.
Eine Tragoͤdie, der goldene Regen, kleinere Ge - dichte, der Cyclop, Galathee, u. ſ. w. zeigen genug - ſam, daß wenn man ihn auch nicht eigentlich einen Poeten nennen darf, einen ſolchen, der einen Gegen - ſtand zu beleben, das Zerſtreute zur Einheit zwingen kann; ſo muͤſſen wir doch außer ſeiner antiquariſchen Bildung, einen aufmerkſamen Blick in die Welt, ein zartes Gemuͤth an ihm ruͤhmen. Er behandelt die Spinne, den Leuchtwurm, das Rohr, auf eine Weiſe, die uns uͤberzeugt, daß er in der Mittelgattung von Dichtkunſt, in der beſchreibenden, noch manches erfreu - liche haͤtte leiſten koͤnnen. Uns ſteht er als Repraͤſen - tant mancher ſeiner Zeitgenoſſen da, die das Wiſſen mit Anmuth behandelten, und der Anmuth etwas Ge - wußtes unterzulegen noͤthig fanden.
Mit welchem freyen, liebe - und ehrfurchtsvollen Blick er die Natur angeſehen, davon zeugen wenige Verſe, die wir zu ſeinem Angedenken hier einzuruͤcken uns nicht enthalten koͤnnen.
Das Buͤchlein von den Farben, welches dem Theophraſt zugeſchrieben wird, ſcheint in der mittlern Zeit nicht viel gekannt geweſen zu ſeyn; wenigſtens haben wir es auf unſerm Wege nicht citirt gefunden. In der erſten Haͤlfte des ſechszehnten Jahrhunderts nimmt Simon Portius ſich deſſelben an, uͤberſetzt, commentirt es, und giebt ſtatt einer Vorrede eine klei - ne Abhandlung uͤber die Natur der Farben.
Aus der Zueignung an Cosmus den erſten, Groß - herzog von Florenz, lernen wir, daß er von demſel - ben als Gelehrter beguͤnſtigt und unter den ſeinen wohl - aufgenommen war. Er hielt uͤber die ariſtoteliſchen Schriften oͤffentliche Lehrſtunden, und hatte auch uͤber mehr gedachtes Buͤchlein in den Ferien geleſen. Spaͤ - ter ward Ueberſetzung und Commentar eine Villeggia - tur-Arbeit. So viel wir wiſſen, erſchien die erſte Aus - gabe zu Neapel 1537. Diejenige, deren wir uns be - dienen, iſt zu Paris 1549. gedruckt.
Sogleich wie ſich einige Bildungsluſt auf der Welt wieder zeigt, treten uns die ariſtoteliſchen Verdienſte198 friſch entgegen. Freylich ſtanden dieſe ſchriftlichen Ue - berlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und von einer andern auf einem zu hohen Puncte der gluͤck - lichſten Bildung, als daß die Auffinder ihnen haͤtten gewachſen ſeyn koͤnnen. Man verſtand ſie leider nicht genugſam, weder ihrer Abſicht nach, noch inſofern ſchon genug durch ſie geleiſtet war. Was alſo gegen - waͤrtig an ihnen geſchah, war eine zwar lobenswerthe, aber meiſt unfruchtbare Muͤhe.
Sowohl in der von Portius vorausgeſchickten Vor - rede, worin uns etwas uͤber die Natur der Farben verſprochen wird, als auch in den Anmerkungen ſelbſt, welche dem Text beygefuͤgt ſind, ſehen wir einen bele - ſenen und zugleich in der ariſtoteliſchen Schulmethode wohlgeuͤbten Mann, und koͤnnen ihm daher unſere Ach - tung, ſo wie unſern Dank fuͤr das, was wir von ihm lernen, nicht verſagen. Allein der Gewinn, den wir aus einem muͤhſamen Studium ſeiner Arbeit zie - hen, iſt doch nur hiſtoriſch. Wir erfahren, wie die Alten ſich uͤber dieſen Gegenſtand ausgedruͤckt, wir ver - nehmen ihre Meynungen und Gegenmeynungen; wir werden von mancherley Widerſtreit belehrt, den unſer Autor nach ſeiner Art weder zu vergleichen noch zu entſcheiden ſich im Stande befindet.
Von einer eigentlichen Naturanſchauung iſt hier gar die Rede nicht. Das ausgeſprochene Wort, die gebildete Phraſe, die mehr oder weniger zulaͤngliche Definition, werden zum Grund gelegt; das Original,199 die Ueberſetzung, eine Worterklaͤrung, eine Umſchrei - bung ergreifen ſich wechſelsweiſe; bald wird etwas Verwandtes herbeygehohlt, etwas Aehnliches oder Un - aͤhnliches citirt, Zweifel nicht verſchwiegen, Fragen be - antwortet, dem Widerſpruch begegnet und bald beyfaͤl - lig, bald abfaͤllig verfahren, wobey es nicht an Miß - verſtaͤndniſſen und Halbverſtaͤndniſſen fehlt; da denn durchaus eine ſorgfaͤltige und fleißige Behandlung an die Stelle einer gruͤndlichen tritt. Die Form des Vor - trags, Noten zu einem Text zu ſchreiben, noͤthigt zum Wiederhohlen, zum Zuruͤckweiſen, alles Geſagte wird aber und abermals durch und uͤber einander gearbeitet, ſo daß es dem Ganzen zwar an innerer Klarheit und Conſequenz nicht fehlt, wie irgend einem Karten - und Steinſpiel; hat man jedoch alles geleſen und wieder geleſen, ſo weiß man wohl etwas mehr als vorher, aber gerade das nicht, was man erwartete und wuͤnſchte.
Solche ſchaͤtzenswerthe und oft nur ſehr geringe Frucht tragende Arbeiten muß man kennen, wenn man in der Folge diejenigen Maͤnner rechtfertigen will, wel - che von einem lebhaften Trieb zur Sache beſeelt, dieſe Wortarbeiten als Hinderniſſe anſahen, die Ueberliefe - rung uͤberhaupt anfeindeten und ſich gerade zur Natur wendeten, oder gerade zu ihr hinwieſen.
Wir geben den Vorſatz auf, einige uͤberſetzte Stel - len mitzutheilen, indem ſie weder belehrend noch erfreu - lich ſeyn koͤnnten. Auch haben wir ſchon das Brauch - bare in unſerm Aufſatze, worin wir die Meynungen200 und Lehren der Griechen behandeln, aufgefuͤhrt, und werden kuͤnftig Gelegenheit haben, Eins und Anderes am ſchicklichen Orte zu wiederhohlen.
Von 1484 bis 1558.
Dieſer merkwuͤrdige Mann brachte ſeine Jugend am Hof, ſein Juͤnglingsalter im Militaͤrſtande zu, ſuchte ſpaͤter als Arzt ſeinen Lebensunterhalt und war wegen ſeiner ausgebreiteten Gelehrſamkeit vor vielen ſeiner Zeitgenoſſen beruͤhmt. Ein ſtarkes Gedaͤchtniß verhalf ihm zu vielem Wiſſen; doch thut man ihm wohl nicht Unrecht, wenn man ihm eigentlichen Ge - ſchmack und Wahrheitsſinn abſpricht. Dagegen war er, bey einem großen Vorgefuͤhl ſeiner ſelbſt, von dem Geiſte des Widerſpruchs und Streitluſt unablaͤſſig erregt.
Cardan, deſſen wir ſpaͤter gedenken werden, pu - blicirt eine ſeiner Arbeiten unter dem Titel: de sub - tilitate. Scaliger findet es gelegen, ſich daran zu uͤben und verfaßte ein großes Buch gegen ihn, worin er ihm zeigt, daß man mehr wiſſen, genauer bemer - ken, ſubtiler unterſcheiden und beſtimmter vortragen koͤnne. Dieſes Werk iſt ſeinem Inhalte nach ſchaͤtz -201 bar genug: denn es ſind eigentlich nur in Streitform zuſammengeſtellte Collectaneen, wodurch wir unterrich - tet werden, wie manches damals bekannt war, und wie vieles die Wißbegierigen ſchon intereſſirte.
Was Scaliger uͤber die Farben in der dreyhun - dert fuͤnf und zwanzigſten Exercitation vorzubringen weiß, laͤßt ſich in zwey Hauptabſchnitte theilen, in einen theoretiſchen und einen etymologiſchen. In dem erſten wiederhohlt er, was die Alten von den Farben geſagt, theils beyfaͤllig, theils mißfaͤllig; er haͤlt ſich auf der Seite des Ariſtoteles, die platoniſchen Vor - ſtellungsarten wollen ihm nicht einleuchten. Da er aber keinen eigentlichen Standpunct hat, ſo iſt es auch nur ein Hin - und Wiederreden, wodurch nichts ausgemacht wird.
Bey dieſer Gelegenheit laͤßt ſich jene Betrachtung anſtellen, die uns auch ſchon fruͤher entgegendrang: welch eine andre wiſſenſchaftliche Anſicht wuͤrde die Welt gewonnen haben, wenn die griechiſche Sprache lebendig geblieben waͤre und ſich anſtatt der Lateini - ſchen verbreitet haͤtte.
Die weniger ſorgfaͤltigen arabiſchen und lateini - ſchen Ueberſetzungen hatten ſchon fruͤher manches Un - heil angerichtet, aber auch die ſorgfaͤltigſte Ueberſetzung bringt immer etwas fremdes in die Sache, wegen Verſchiedenheit des Sprachgebrauchs.
202Das Griechiſche iſt durchaus naiver, zu einem natuͤrlichen, heitern, geiſtreichen, aͤſthetiſchen Vortrag gluͤcklicher Naturanſichten viel geſchickter. Die Art, durch Verba, beſonders durch Infinitiven und Parti - cipien zu ſprechen, macht jeden Ausdruck laͤßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts beſtimmt, be - pfaͤhlt und feſtgeſetzt, es iſt nur eine Andeutung, um den Gegenſtand in der Einbildungskraft hervorzurufen.
Die lateiniſche Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der Subſtantiven entſcheidend und befehls - haberiſch. Der Begriff iſt im Wort fertig aufgeſtellt, im Worte erſtarrt, mit welchem nun als einem wirk - lichen Weſen verfahren wird. Wir werden ſpaͤter Urſache haben, an dieſe Betrachtungen wieder zu er - innern.
Was den zweyten etymologiſchen Theil betrifft, ſo iſt derſelbe ſchaͤtzenswerth, weil er uns mit vielen lateiniſchen Farbenbenennungen bekannt macht; wo - durch wir den Thyleſius und andre ſuppliren koͤnnen.
Wir fuͤgen hier eine Bemerkung bey, jedoch mit Vorſicht, weil ſie uns leicht zu weit fuͤhren koͤnnte. In unſerm kleinen Aufſatz uͤber die Farbenbenennun - gen der Griechen und Roͤmer, S. 54. des gegenwaͤr - tigen Bandes, haben wir auf die Beweglichkeit der Farbenbenennungen bey den Alten aufmerkſam ge - macht; doch iſt nicht zu vergeſſen, wie viele derſelben bey ihrem Urſprunge ſogleich fixirt worden: denn ge -203 rade durch dieſen Widerſtreit des Fixen und Beweglichen wird die Anwendung der Farbenbenennungen bis auf den heutigen Tag noch immer ſchwierig.
So einfach auch die Farben in ihrer erſten ele - mentaren Erſcheinung ſeyn moͤgen; ſo werden ſie doch unendlich mannigfaltig, wenn ſie aus ihrem reinen und gleichſam abſtracten Zuſtande ſich in der Wirklich - keit manifeſtiren, beſonders an Koͤrpern, wo ſie tau - ſend Zufaͤlligkeiten ausgeſetzt ſind. Dadurch entſpringt eine Individualiſirung bis ins Graͤnzenloſe, wohin keine Sprache, ja alle Sprachen der Welt zuſammen - genommen, nicht nachreichen.
Nun ſind aber die meiſten Farbenbenennungen da - von ausgegangen, daß man einen individuellen Fall als ein Beyſpiel ergriffen, um, nach ihm und an ihm, andre aͤhnliche zu bezeichnen. Wenn uns nun das Al - terthum dergleichen Worte ſchon genugſam uͤberliefert, ſo iſt in der Folge der Zeit, durch eine ausgebreitetere Kenntniß der Welt, natuͤrlicher Koͤrper, ja ſo vieler Kunſtproducte, bey jeder Nation ein neuer Zuwachs von Terminologie entſtanden, die immer aufs Neue wieder auf bekannte und unbekannte Gegenſtaͤnde ange - wendet, neue Bedenklichkeiten, neue Zweifel und Ir - rungen hervorbringt; wobey denn doch zuletzt nichts weiter uͤbrig bleibt, als den Gegenſtand, von dem die Rede iſt, recht genau zu kennen, und ihn wo moͤglich in der Einbildungskraft zu behalten.
Da wir durch erſtgedachte drey Maͤnner in das Alterthum wieder zuruͤckgefuͤhrt worden, ſo erinnern wir uns billig deſſen, was fruͤher, die naturwiſſen - ſchaftlichen Einſichten der Alten betreffend, bemerkt ward. Sie wurden naͤmlich als tuͤchtige Menſchen von den Naturbegebenheiten aufgeregt, und betrachte - ten mit Verwunderung die verwickelten Phaͤnomene, die uns taͤglich und ſtuͤndlich umgeben, und wo - durch die Natur ihnen eher verſchleyert als aufgedeckt ward.
Wenn wir oben dem gluͤcklichen theoretiſchen Be - muͤhen mancher Maͤnner volle Gerechtigkeit widerfah - ren laſſen; ſo iſt doch nicht zu laͤugnen, daß man ihren Theorieen meiſtens einen empiriſchen Urſprung nur allzuſehr anſieht. Denn was war ihre Theilung natuͤrlicher Uranfaͤnge in vier Elemente anders, als eine nothduͤrftige Topik, nach welcher ſich die erſchei - nenden Erſcheinungen allenfalls ordnen und mit eini - ger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl, die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie, und die daraus entſpringende Bequemlichkeit machte eine ſolche Lehre zur Fortpflanzung geſchickt, und obgleich auf - merkſamere Beobachter mancherley Zweifel erregen, manche Frage aufwerfen mochten; ſo blieb doch Schule und Menge dieſer Vorſtellungs - und Eintheilungsart geneigt.
205In der neuern Zeit brachte die Chemie eine Haupt - veraͤnderung hervor; ſie zerlegte die natuͤrlichen Koͤrper und ſetzte daraus kuͤnſtliche auf mancherley Weiſe wie - der zuſammen; ſie zerſtoͤrte eine wirkliche Welt, um eine neue, bisher unbekannte, kaum moͤglich geſchie - nene, nicht geahndete wieder hervor zu bauen. Nun ward man genoͤthigt, uͤber die wahrſcheinlichen Anfaͤnge der Dinge und uͤber das daraus Entſprungene immer mehr nachzudenken, ſo daß man ſich bis an unſre Zeit zu immer neuen und hoͤheren Vorſtellungsarten herauf - gehoben ſah, und das um ſo mehr, als der Chemiker mit dem Phyſiker einen unaufloͤslichen Bund ſchloß, um dasjenige, was bisher als einfach erſchienen war, wo nicht in Theile zu zerlegen, doch wenigſtens in den mannigfaltigſten Bezug zu ſetzen, und ihm eine bewundernswuͤrdige Vielſeitigkeit abzugewinnen. In dieſer Ruͤckſicht haben wir zu unſern Zwecken gegen - waͤrtig nur eines einzigen Mannes zu gedenken.
geb. 1493. geſt. 1543.
Man iſt gegen den Geiſt und die Talente dieſes außerordentlichen Mannes in der neuern Zeit mehr als in einer fruͤheren gerecht, daher man uns eine Schil - derung derſelben gern erlaſſen wird. Uns iſt er des - halb merkwuͤrdig, weil er den Reihen derjenigen an -206 fuͤhrt, welche auf den Grund der chemiſchen Farben - erſcheinung und Veraͤnderung zu dringen ſuchen.
Paracelſus ließ zwar noch vier Elemente gelten, jedes war aber wieder aus dreyen zuſammengeſetzt, aus Sal, Sulphur und Mercurius, wodurch ſie denn ſaͤmmtlich, ungeachtet ihrer Verſchiedenheit und Un - aͤhnlichkeit, wieder in einen gewiſſen Bezug unter ein - ander kamen.
Mit dieſen drey Uranfaͤngen ſcheint er dasjenige ausdruͤcken zu wollen, was man in der Folge alcali - ſche Grundlagen, ſaͤuernde Wirkſamkeiten, und begei - ſtende Vereinigungsmittel genannt hat. Den Urſprung der Farben ſchreibt Paracelſus dem Schwefel zu, wahr - ſcheinlich daher, weil ihm die Wirkung der Saͤuren auf Farbe und Farbenerſcheinung am bedeutendſten auffiel, und im gemeinen Schwefel ſich die Saͤure im hohen Grade manifeſtirt. Hat ſodann jedes Element ſeinen Antheil an dem hoͤher verſtandenen myſtiſchen Schwefel, ſo laͤßt ſich auch wohl ableiten, wie in den verſchiedenſten Faͤllen Farben entſtehen koͤnnen.
So viel fuͤr dießmal; in der Folge werden wir ſehen, wie ſeine Schuͤler und Nachkommen dieſe Lehre erweitert und ihr durch mancherley Deutungen zu hel - fen geſucht.
Auf eben dieſem Wege gingen die Alchymiſten fort und mußten ſich, weil darunter wenig originelle Gei - ſter, hingegen viele Nachahmer ſich befanden, immer tiefer zur Geheimnißkraͤmerey ihre Zuflucht nehmen, de - ren Dunkelheiten aus dem vorigen Jahrhundert heruͤber gekommen waren. Daher die Monotonie aller dieſer Schriften.
Betrachtet man die Alchymie uͤberhaupt; ſo fin - det man an ihr dieſelbe Entſtehung, die wir oben bey anderer Art Aberglauben bemerkt haben. Es iſt der Misbrauch des Aechten und Wahren, ein Sprung von der Idee, vom Moͤglichen, zur Wirklichkeit, eine falſche Anwendung aͤchter Gefuͤhle, ein luͤgenhaftes Zuſagen, wodurch unſern liebſten Hoffnungen und Wuͤnſchen geſchmeichelt wird.
Hat man jene drey erhabenen unter einander im innigſten Bezug ſtehenden Ideen, Gott, Tugend und Unſterblichkeit, die hoͤchſten Forderungen der Vernunft genannt; ſo giebt es offenbar drey ihnen entſprechende Forderungen der hoͤheren Sinnlichkeit, Gold, Geſund - heit und langes Leben. Gold iſt ſo unbedingt maͤch - tig auf der Erde, wie wir uns Gott im Weltall den - ken. Geſundheit und Tauglichkeit fallen zuſammen. Wir wuͤnſchen einen geſunden Geiſt in einem geſunden Koͤrper. Und das lange Leben tritt an die Stelle der Unſterblichkeit. Wenn es nun edel iſt, jene drey208 hohen Ideen in ſich zu erregen und fuͤr die Ewigkeit zu cultiviren; ſo waͤre es doch auch gar zu wuͤnſchens - werth, ſich ihrer irdiſchen Repraͤſentanten fuͤr die Zeit zu bemaͤchtigen. Ja dieſe Wuͤnſche muͤſſen leiden - ſchaftlich in der menſchlichen Natur gleichſam wuͤthen und koͤnnen nur durch die hoͤchſte Bildung ins Gleich - gewicht gebracht werden. Was wir auf ſolche Weiſe wuͤnſchen, halten wir gern fuͤr moͤglich; wir ſuchen es auf alle Weiſe, und derjenige, der es uns zu lie - fern verſpricht, wird unbedingt beguͤnſtigt.
Daß ſich hierbey die Einbildungskraft ſogleich thaͤtig erzeige, laͤßt ſich erwarten. Jene drey oberſten Erforderniſſe zur hoͤchſten irdiſchen Gluͤckſeligkeit ſchei - nen ſo nahe verwandt, daß man ganz natuͤrlich fin - det, ſie auch durch ein einziges Mittel erreichen zu koͤnnen. Es fuͤhrt zu ſehr angenehmen Betrachtungen, wenn man den poetiſchen Theil der Alchymie, wie wir ihn wohl nennen duͤrfen, mit freyem Geiſte behandelt. Wir finden ein aus allgemeinen Begriffen entſpringen - des auf einen gehoͤrigen Naturgrund aufgebautes Maͤhr - chen.
Etwas Materielles muß es ſeyn, aber die erſte allgemeine Materie, eine jungfraͤuliche Erde. Wie die - ſe zu finden, wie ſie zu bearbeiten, dieſes iſt die ewige Ausfuͤhrung alchymiſcher Schriften, die mit einem un - ertraͤglichen Einerley, wie ein anhaltendes Glockenge - laͤute, mehr zum Wahnſinn als zur Andacht hin - draͤngen.
209Eine Materie ſoll es ſeyn, ein Unorganiſirtes, das durch eine der organiſchen aͤhnliche Behandlung veredelt wird. Hier iſt ein Ey, ein Sperma, Mann und Weib, Vierzig Wochen, und ſo entſpringt zugleich der Stein der Weiſen, das Univerſal-Recipe und der allzeit fertige Caſſier.
Die Farbenerſcheinungen, welche dieſe Operation begleiten, und die uns eigentlich hier am meiſten inter - eſſiren muͤſſen, geben zu keiner bedeutenden Bemerkung Anlaß. Das Weiße, das Schwarze, das Rothe und das Bunte, das bey chemiſchen Verſuchen vorkommt, ſcheint vorzuͤglich die Aufmerkſamkeit gefeſſelt zu haben.
Sie legten jedoch in alle dieſe Beobachtungen kei - ne Folge, und die Lehre der chemiſchen Farben erhielt durch ſie keine Erweiterung, wie doch haͤtte geſchehen koͤnnen und ſollen. Denn da ihre Operationen ſaͤmmt - lich auf Uebergaͤnge, Metaſchematismen und Verwand - lungen hindeuteten, und man dabey eine jede, auch die geringſte, Veraͤnderung des bearbeiteten Koͤrpers zu beachten Urſache hatte; ſo waͤre z. B. jene hoͤchſt be - deutende Wirkung der Farbennatur, die Steigerung, am erſten zu bemerken und, wenn auch nur irrig, als Hoffnungsgrund der geheimnißvollen Arbeit anzuſehen geweſen. Wir erinnern uns jedoch nicht, etwas dar - auf bezuͤgliches gefunden zu haben.
Uebrigens mag ein Muſterſtuͤck, wie ſie ihr Ge - ſchaͤft uͤberhaupt, beſonders aber die Farbenerſcheinung behandelt, in der Ueberſetzung hier Platz finden.
II. 14210Calid, ein fabelhafter Koͤnig von Aegypten, unter - haͤlt ſich mit einem palaͤſtiniſchen Einſiedler Morienus, um uͤber das große Werk des wunderbaren Steins be - lehrt zu werden. Der Koͤnig. Von der Natur und dem Weſen jenes großen Werkes haſt du mir genug eroͤffnet, nun wuͤrdige mich auch, mir deſſen Farbe zu offenbaren. Dabey moͤchte ich aber weder Allegorie noch Gleichniſſe hoͤren. Morienus. Es war die Art der Weiſen, daß ſie ihr Aſſos von dem Stein und mit dem Stein immer verfertigten. Dieſes aber ge - ſchah, ehe ſie damit etwas anders faͤrbten. Aſſos iſt ein arabiſcher Ausdruck und koͤnnte lateiniſch Alaun verdolmetſcht werden. O guter Koͤnig, Dir ſey genug, was ich hier vorbringe. Laß uns zu aͤltern Zeugniſſen zu - ruͤckkehren, und verlangſt Du ein Beyſpiel, ſo nimm die Worte Datin des Philoſophen wohl auf, denn er ſagt: Unſer Lato, ob er gleich zuerſt roth iſt, ſo iſt er doch unnuͤtz; wird er aber nach der Roͤthe ins Weiße verwandelt, ſo hat er großen Werth. Deswegen ſpricht Datin zum Euthices: O Euthices, dieſes wird alles feſt und wahrhaft bleiben; denn ſo haben die Weiſen davon geſprochen: Die Schwaͤrze haben wir weggenom - men, und nun mit dem Salz Anatron, d. i. Salpeter, und Almizadir, deſſen Eigenſchaft kalt und trocken iſt, halten wir die Weiße feſt. Deswegen geben wir ihm den Namen Borreza, welches arabiſch Tinkar heißt. Das Wort aber Datin des Philoſophen wird durch Hermes Wort beſtaͤtigt. Hermes aber ſagt: Zuerſt iſt die Schwaͤrze, nachher mit dem Salz Anatron folgt die Weiße. Zuerſt war es roth und zuletzt weiß, und211 ſo wird alle Schwaͤrze weggenommen und ſodann in ein helles leuchtendes Roth verwandelt. Maria ſagt gleichfalls: Wenn Laton mit Alzebric, d. h. mit Schwe - fel, verbrennt, und das Weichliche drauf gegoſſen wird, ſo daß deſſen Hitze aufgehoben werde, dann wird die Dunkelheit und Schwaͤrze davon weggenommen und derſelbe in das reinſte Gold verwandelt. Nicht weni - ger ſagt Datin der Philoſoph: Wenn du aber Laton mit Schwefel verbrennſt und das Weichliche wiederholt auf ihn gießeſt; ſo wird ſeine Natur aus dem Guten ins Beſſere mit Huͤlfe Gottes gewendet. Auch ein an - derer ſagt: Wenn der reine Laton ſo lange gekocht wird, bis er wie Fiſchaugen glaͤnzt, ſo iſt ſeine Nuͤtz - lichkeit zu erwarten. Dann ſollſt du wiſſen, daß er zu ſeiner Natur und zu ſeiner Farbe zuruͤckkehrt. Ein an - derer ſagt gleichfalls: Jemehr etwas gewaſchen wird, deſto klarer und beſſer erſcheint es. Wird er nicht ab - gewaſchen, ſo wird er nicht rein erſcheinen, noch zu ſei - ner Farbe zuruͤckkehren. Desgleichen ſagt Maria: Nichts iſt, was vom Lato die Dunkelheit noch die Farbe wegnehmen koͤnne, aber Azoc iſt gleichſam ſeine Decke, naͤmlich zuerſt, wenn er gekocht wird: denn er faͤrbt ihn und macht ihn weiß; dann aber beherrſcht Lato den Azoc, macht ihn zu Wein, d. i. roth.
Wie ſehr der Koͤnig Calid durch dieſe Unterhal - tung ſich erbaut und aufgeklaͤrt gefunden habe, uͤber - laſſen wir unſern Leſern ſelbſt zu beurtheilen.
Wir befinden uns nunmehr auf dem Puncte, wo die Scheidung der aͤltern und neuern Zeit immer be - deutender wird. Ein gewiſſer Bezug aufs Alterthum geht noch immer ununterbrochen und maͤchtig fort; doch finden wir von nun an mehrere Menſchen, die ſich auf ihre eigenen Kraͤfte verlaſſen.
Man ſagt von dem menſchlichen Herzen, es ſey ein trotzig und verzagtes Weſen. Von dem menſchli - chen Geiſte darf man wohl aͤhnliches praͤdiciren. Er iſt ungeduldig und anmaßlich und zugleich unſicher und zaghaft. Er ſtrebt nach Erfahrung und in ihr nach einer erweiterten reinern Thaͤtigkeit, und dann bebt er wieder davor zuruͤck, und zwar nicht mit Unrecht. Wie er vorſchreitet, fuͤhlt er immer mehr, wie er be - dingt ſey, daß er verlieren muͤſſe, indem er gewinnt: denn ans Wahre wie ans Falſche ſind nothwendige Bedingungen des Daſeyns gebunden.
Daher wehrt man ſich im Wiſſenſchaftlichen ſo lange als nur moͤglich fuͤr das Hergebrachte, und es entſtehen heftige, langwierige Streitigkeiten, theoretiſche ſowohl als practiſche Retardationen. Hievon geben uns das funfzehnte und ſechszehnte Jahrhundert die lebhafteſten Beyſpiele. Die Welt iſt kaum durch Ent - deckung neuer Laͤnder unmaͤßig in die Laͤnge ausgedehnt; ſo muß ſie ſich ſchon in ſich ſelbſt als rund abſchließen. 213Kaum deutet die Magnetnadel nach entſchiednen Welt - gegenden, ſo beobachtet man, daß ſie ſich eben ſo ent - ſchieden zur Erde nieder neigt.
Im Sittlichen gehen aͤhnliche große Wirkungen und Gegenwirkungen vor. Das Schießpulver iſt kaum erfunden, ſo verliert ſich die perſoͤnliche Tapferkeit aus der Welt, oder nimmt wenigſtens eine andre Richtung. Das tuͤchtige Vertrauen auf ſeine Fauſt und Gott loͤſ’t ſich auf in die blindeſte Ergebenheit unter ein unaus - weichlich beſtimmendes, unwiederruflich gebietendes Schickſal. Kaum wird durch Buchdruckerey Cultur all - gemeiner verbreitet, ſo macht ſich ſchon die Cenſur noͤ - thig, um dasjenige einzuengen, was bisher in einem natuͤrlich beſchraͤnkten Kreiſe frey geweſen war.
Doch unter allen Entdeckungen und Ueberzeugun - gen moͤchte nichts eine groͤßere Wirkung auf den menſch - lichen Geiſt hervorgebracht haben, als die Lehre des Co - pernikus. Kaum war die Welt als rund anerkannt und in ſich ſelbſt abgeſchloſſen, ſo ſollte ſie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht thun, der Mittelpunct des Weltalls zu ſeyn. Vielleicht iſt noch nie eine groͤßere Forderung an die Menſchheit geſchehen: denn was ging nicht alles durch dieſe Anerkennung in Dunſt und Rauch auf: ein zweytes Paradies, eine Welt der Un - ſchuld, Dichtkunſt und Froͤmmigkeit, das Zeugniß der Sinne, die Ueberzeugung eines poetiſch-religioͤſen Glau - bens; kein Wunder, daß man dieß alles nicht wollte fahren laſſen, daß man ſich auf alle Weiſe einer ſol -214 chen Lehre entgegenſetzte, die denjenigen, der ſie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahneten Denk - freyheit und Großheit der Geſinnungen berechtigte und aufforderte.
Wir fuͤgen noch zwey Bemerkungen hinzu, die uns in der Geſchichte der Wiſſenſchaften uͤberhaupt und der Farbenlehre beſonders, leitend und nuͤtzlich ſeyn koͤnnen.
In jedem Jahrhundert, ja in jedem Jahrzehend werden tuͤchtige Entdeckungen gemacht, geſchehen uner - wartete Begebenheiten, treten vorzuͤgliche Menſchen auf, welche neue Anſichten verbreiten. Weil aber ſolche Er - eigniſſe ſich gewoͤhnlich nur auf partielle Gegenſtaͤnde beziehen, ſo wird die ganze Maſſe der Menſchen und ihre Aufmerkſamkeit dahin geleitet. Dergleichen mehr oder weniger ausſchließliche Beſchaͤftigungen ziehen ein ſolches Zeitalter von allem Uebrigen ab, ſo daß man weder an das Wichtige denkt, was ſchon da geweſen, noch an das, was noch zu thun ſey, bis denn endlich das beguͤnſtigte Particulare genugſam durchgearbeitet in den allgemeinen Kreis des Bekannten mit eintritt und nunmehr ſtill fortwirkt, ohne ein beſonderes leb - haftes Intereſſe weiter zu erregen.
Alles iſt in der Natur aufs innigſte verknuͤpft und verbunden, und ſelbſt was in der Natur getrennt iſt, mag der215 Menſch gern zuſammenbringen und zuſammenhalten. Da - her kommt es, daß gewiſſe einzelne Naturerſcheinungen ſchwer vom Uebrigen abzuloͤſen ſind und nicht leicht durch Vorſatz didactiſch abgeloͤſt werden.
Mit der Farbenlehre war dieſes beſonders der Fall. Die Farbe iſt eine Zugabe zu allen Erſcheinungen, und obgleich immer eine weſentliche, doch oft ſcheinbar eine zufaͤllige. Deshalb konnte es kaum jemand beygehen, ſie an und fuͤr ſich zu betrachten, und beſonders zu behandeln. Auch geſchieht dieſes von uns beynahe zum erſtenmal, indem alle fruͤheren Bearbeitungen nur gelegent - lich geſchahen und von der Seite des Brauchbaren oder Widerwaͤrtigen, des einzelnen oder eminenten Vor - kommens, oder ſonſt, eingeleitet worden.
Dieſe beyden Umſtaͤnde werden wir alſo nicht aus dem Auge verlieren und bey den verſchiednen Epochen anzeigen, womit die Naturforſcher beſonders beſchaͤf - tigt geweſen, wie auch bey welchem eigenen Anlaß die Farbe wieder zur Sprache kommt.
geb. 1508. geſt. 1588.
Durch die Buchdruckerey wurden mehrere Schrif - ten der Alten verbreitet. Ariſtoteles und Plato feſſel - ten nicht allein die Aufmerkſamkeit; auch andere Mey - nungen und theoretiſche Geſinnungen wurden bekannt,216 und ein guter Kopf konnte ſich die eine oder die andre zur Nachfolge waͤhlen, je nachdem ſie ihm ſeiner Denk - weiſe gemaͤß ſchien. Dennoch hatte Autoritaͤt im All - gemeinen ſo großes Gewicht, daß man kaum etwas zu behaupten unternahm, was nicht fruͤher von einem Alten ſchon geaͤußert worden; wobey man jedoch zu bemerken nicht unterlaſſen kann, daß ſie den abgeſchloſ - ſenen Kreis menſchlicher Vorſtellungsarten voͤllig, wenn gleich oft nur fluͤchtig und genialiſch, durchlaufen hat - ten, ſo daß der Neuere, indem er ſie naͤher kennen lernt, ſeine geglaubte Originalitaͤt oft beſchaͤmt ſieht.
Daß die Elemente, wonach Ariſtoteles und die ſei - nigen die Anfaͤnge der Dinge darſtellen und eintheilen wollen, empiriſchen, und wenn man will, poetiſchen Urſprungs ſeyen, war einem frey aufblickenden Geiſte nicht ſchwer zu entdecken. Teleſius fuͤhlte, daß man, um zu Anfaͤngen zu gelangen, ins Einfachere gehen muͤſſe. Er ſetzt daher die Materie voraus und ſtellt ſie unter den Einfluß von zwey empfindbaren aber un - greiflichen Principien, der Waͤrme und der Kaͤlte. Was er hiebey fruͤhern Ueberlieferungen ſchuldig, laſſen wir unausgemacht.
Genug er faßte jene geheimnißvolle Syſtole und Diaſtole, aus der ſich alle Erſcheinungen entwickeln, gleichfalls unter einer empiriſchen Form auf, die aber doch, weil ſie ſehr allgemein iſt, und die Begriffe von Ausdehnung und Zuſammenziehung, von Solidescenz und Liquescenz hinter ſich hat, ſehr fruchtbar iſt und eine hoͤchſt mannigfaltige Anwendung leidet.
217Wie Bernhardinus dieſes geleiſtet und wie er denn doch zuletzt empfunden, daß ſich nicht alle Erſcheinun - gen unter ſeiner Formel ausſprechen laſſen, ob ſie gleich uͤberall hindeutet, davon belehrt uns die Geſchichte der Philoſophie eines weitern. Was aber fuͤr uns hoͤchſt merkwuͤrdig iſt, er hat ein Buͤchelchen de colorum generatione geſchrieben, das 1570 zu Neapel in Quart herauskam. Wir haben es leider nie zu ſehen Gele - genheit gehabt und wiſſen nur ſo viel, daß er die Far - ben gleichfalls ſaͤmmtlich aus den Principien der Waͤr - me und Kaͤlte ableitet. Da auch unſre Ableitung der - ſelben auf einem Gegenſatz beruht, ſo wuͤrde es inter - eſſant ſeyn zu ſehen, wie er ſich benommen und in wiefern ſich ſchon eine Annaͤherung an das, was wir fuͤr wahr halten, bey ihm zeige. Wir wuͤnſchen dieſes um ſo mehr zu erfahren, als im achtzehnten Jahrhun - dert Weſtfeld mit dem Gedanken hervortritt, daß die Farbe, wenn ſie auch nicht der Waͤrme zuzuſchreiben ſey, doch wenigſtens mit derſelben und ihren Modifica - tionen in genauer Verwandtſchaft ſtehe.
geb. 1501. geſt. 1576.
Cardan gehoͤrt unter diejenigen Menſchen, mit de - nen die Nachwelt nie fertig wird, uͤber die ſie ſich nicht leicht im Urtheil vereinigt. Bey großen angebornen Vorzuͤgen konnte er ſich doch nicht zu einer gleichmaͤ -218 ßigen Bildung erheben; es blieb immer etwas Wildes und Verworrenes in ſeinen Studien, ſeinem Charakter und ganzen Weſen zuruͤck. Man mag uͤbrigens an ihm noch ſo vieles Tadelnswerthe finden, ſo muß er doch des großen Lobes theilhaft werden, daß es ihm ſowohl um die aͤußern Dinge, als um ſich ſelbſt Ernſt und zwar recht bitterer Ernſt geweſen, weshalb denn auch ſeine Behandlung ſowohl der Gegenſtaͤnde als des Lebens bis an ſein Ende leidenſchaftlich und heftig war. Er kannte ſein eigenes Naturell bis auf einen gewiſſen Grad, doch konnte er bis ins hoͤchſte Alter nicht daruͤber Herr werden. Gar oft haben wir bey ihm, ſeiner Umgebung und ſeinem Beſtreben, an Cellini denken muͤſſen, um ſo mehr, als beyde gleichzeitig gelebt. Auch die Biographien oder Confeſſionen beyder, wie man ſie wohl nennen kann, treffen darin zuſammen, daß die Verfaſſer, ob - ſchon mit Misbilligung, doch auch zugleich mit eini - gem Behagen von ihren Fehlern ſprechen, und in ihre Reue ſich immer eine Art von Selbſtgefaͤlligkeit uͤber das Vollbrachte mit einmiſcht. Erinnern wir uns hie - bey noch eines juͤngern Zeitgenoſſen, des Michael Mon - taigne, der mit einer unſchaͤtzbar heitern Wendung ſei - ne perſoͤnlichen Eigenheiten, ſo wie die Wunderlichkeiten der Menſchen uͤberhaupt, zum Beſten gibt; ſo findet man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß dasjenige, was bisher nur im Beichtſtuhl als Geheim - niß dem Prieſter aͤngſtlich vertraut wurde, nun mit einer Art von kuͤhnem Zutrauen der ganzen Welt vor - gelegt ward. Eine Vergleichung der ſogenannten Con - feſſionen aller Zeiten wuͤrde in dieſem Sinne gewiß219 ſchoͤne Reſultate geben. So ſcheinen uns die Bekennt - niſſe, deren wir erwaͤhnten, gewiſſermaßen auf den Proteſtantismus hinzudeuten.
Wie Cardan die Farben behandelt, iſt nicht ohne Originalitaͤt. Man ſieht, er beobachtete ſie und die Bedingungen unter welchen ſie entſpringen. Doch that er es nur im Voruͤbergehen, ohne ſich ein eigenes Geſchaͤft daraus zu machen, deshalb er auch allzuwenig leiſtet und Scaligern Gelegenheit giebt, ſich uͤber Fluͤch - tigkeit und Uebereilung zu beklagen.
Erſt fuͤhrt er die Namen der vornehmſten und ge - woͤhnlichſten Farben auf und erklaͤrt ihre Bedeutung; dann wendet er ſich gegen das Theoretiſche, wobey man zwar eine gute Intention ſieht, ohne daß jedoch die Behandlung zulaͤnglich waͤre und dem Gegenſtand ge - nug thaͤte. Bey Eroͤrterung der Frage: auf wie man - cherley Weiſe die Farben entſpringen, gelangt er zu keiner gluͤcklichen Eintheilung. So hilft er ſich auch an einigen bedeutenden Puncten, die er gewahr wird, mehr vorbey als druͤber hinaus, und weil ſeine erſten Beſtimmungen nicht umfaſſend ſind, ſo wird er genoͤ - thigt Ausnahmen zu machen, ja das Geſagte wieder zuruͤckzunehmen.
Es waͤre leicht, die wenigen Spalten zu uͤberſe - tzen, die Cardan dieſer Materie widmet, aber ſchwer, ihre Maͤngel kuͤrzlich anzudeuten, und zu weitlaͤuftig, das Fehlende zu ſuppliren. Eigentlich Falſches findet220 ſich nichts darin; inwiefern er das Rechte geahndet, werden diejenigen, welche unſern Entwurf der Farben - lehre wohl inne haben, kuͤnftig, wenn es ſie intereſſirt, ohne große Muͤhe entwickeln.
Schließlich haben wir zu bemerken, daß bey Car - dan eine naivere Art, die Wiſſenſchaften zu behandeln, hervortritt. Er betrachtet ſie uͤberall in Verbindung mit ſich ſelbſt, ſeiner Perſoͤnlichkeit, ſeinem Lebensgan - ge, und ſo ſpricht aus ſeinen Werken eine Natuͤrlich - keit und Lebendigkeit, die uns anzieht, anregt, erfriſcht und in Thaͤtigkeit ſetzt. Es iſt nicht der Doctor im langen Kleide, der uns vom Catheder herab belehrt; es iſt der Menſch, der umherwandelt, aufmerkt, erſtaunt, von Freude und Schmerz ergriffen wird und uns da - von eine leidenſchaftliche Mittheilung aufdringt. Nennt man ihn vorzuͤglich unter den Erneuerern der Wiſſen - ſchaften, ſo hat ihm dieſer ſein angedeuteter Charakter ſo ſehr als ſeine Bemuͤhungen zu dieſer Ehrenſtelle ver - holfen.
Wenn gleich Porta fuͤr unſer Fach wenig geleiſtet, ſo koͤnnen wir ihn doch, wenn wir im Zuſammenhan - ge der Naturwiſſenſchaften einigermaßen bleiben wollen, nicht uͤbergehen. Wir haben vielmehr Urſache, uns laͤn - ger bey ihm aufzuhalten, weil er uns Gelegenheit gibt,221 einiges, was wir ſchon beruͤhrt, umſtaͤndlicher aus - zufuͤhren.
Er iſt hauptſaͤchlich bekannt durch ſein Buch von der natuͤrlichen Magie. Der Urſprung dieſer Art von halbgeheimer Wiſſenſchaft liegt in den aͤlteſten Zeiten. Ein ſolches Wiſſen, eine ſolche Kunſt war dem Aber - glauben, von dem wir ſchon fruͤher gehandelt, unent - behrlich. Es gibt ſo manches wuͤnſchenswerthe, moͤg - lich ſcheinende; durch eine kleine Verwechſelung machen wir es zu einem erreichbaren Wirklichen. Denn ob - gleich die Thaͤtigkeiten, in denen das Leben der Welt ſich aͤußert, begraͤnzt, und alle Specificationen hartnaͤ - ckig und zaͤh ſind; ſo laͤßt ſich doch die Graͤnze keiner Thaͤtigkeit genau beſtimmen, und die Specificationen finden wir auch biegſam und wandelbar.
Die natuͤrliche Magie hofft mit demjenigen, was wir fuͤr thaͤtig erkennen, weiter als billig iſt zu wirken, und mit dem, was ſpecificirt vor uns liegt, mehr als thunlich iſt zu ſchalten. Und warum ſollten wir nicht hoffen, daß ein ſolches Unternehmen gelingen koͤnne. Metaſchematismen und Metamorphoſen gehen vor unſern Augen vor, ohne daß ſie von uns begriffen werden; mehrere und andere laſſen ſich vermuthen und erwar - ten, wie ihrer denn auch taͤglich neue entdeckt und be - merkt werden. Es gibt ſo viele Bezuͤge der ſpecifi - cirten Weſen unter einander, die wahrhaft und doch wunderbar genug ſind, wie z. B. der Metalle beym Galvanism. Thun wir einen Blick auf die Bezuͤge222 der ſpecificirten organiſchen Weſen, ſo ſind dieſe von unendlicher Mannigfaltigkeit und oft erſtaunenswuͤrdig ſeltſam. Man erinnere ſich, im groͤberen Sinne, an Ausduͤnſtungen, Geruch; im zarteren, an Bezuͤge der koͤrperlichen Form, des Blickes, der Stimme. Man ge - denke der Gewalt des Wollens, der Intentionen, der Wuͤnſche, des Gebetes. Was fuͤr unendliche und un - erforſchliche[Sympathieen], Antipathieen, Idioſyncraſieen uͤberkreuzen ſich nicht! Wie manches wird Jahrelang als ein wunderſamer einzelner Fall bemerkt, was zu - letzt als ein allgemeiner durchgehendes Naturgeſetz er - ſcheint. Schon lange war es den Beſitzern alter Schloͤſ - ſer verdrießlich, daß die bleyernen und kupfernen Dach - rinnen, da wo ſie auf den eiſernen Haken auflagen, vom Roſt fruͤher aufgezehrt wurden, als an allen an - dern Stellen; jetzt wiſſen wir die Urſache und wie auf eine ganz natuͤrliche Weiſe zu helfen iſt. Haͤtte fruͤher Jemand bemerkt, daß ein zwiſchengeſchobenes Stuͤck - chen Holz die ganze Wirkung aufhebe; ſo haͤtte er viel - leicht dieſem beſondern Holze die Wirkung zugeſchrie - ben und als ein Hausmittel bekannt gemacht.
Wenn uns nun die fortſchreitende Naturbetrach - tung und Naturkenntniß, indem ſie uns etwas ver - borgenes entdecken, auf etwas noch verborgeneres auf - merkſam machen; wenn erhoͤhte Kunſt, verfeinerte Kuͤnſtlichkeit das Unmoͤgliche in etwas Gemeines ver - wandeln; wenn der Taſchenſpieler taͤglich mehr alles Glaub - wuͤrdige und Begreifliche vor unſern Augen zu Schan - den macht, werden wir dadurch nicht immerfort ſchwe -223 bend erhalten, ſo daß uns Erwartung, Hoffnung, Glau - be und Wahn immer natuͤrlicher, bequemer und be - haglicher bleiben muͤſſen, als Zweifelſucht, Unglaube und ſtarres hochmuͤthiges Ablaͤugnen.
Die Anlaͤſſe zur Magie uͤberhaupt finden wir bey allen Voͤlkern und in allen Zeiten. Je beſchraͤnkter der Erkenntnißkreis, je dringender das Beduͤrfniß, je hoͤher das Ahndungsvermoͤgen, je froher das poetiſche Talent, deſto mehr Elemente entſpringen dem Menſchen, jene wunderbare, unzuſammenhaͤngende, nur durch ein gei - ſtiges Band zu verknuͤpfende Kunſt wuͤnſchenswerth zu machen.
Betrachten wir die natuͤrliche Magie inſofern ſie ſie ſich abſondern laͤßt; ſo finden wir, daß ſchon die Alten viele ſolche einzelne Bemerkungen und Recepte aufbewahrt hatten. Die mittlere Zeit nahm ſie auf und erweiterte den Vorrath nach allen Seiten. Albert der Große, beſonders ſeine Schule, ſodann die Alchymiſten wirkten immer weiter fort. Roger Baco, zu ſeinen Ehren ſey es geſagt, iſt, bey allem Wunderbaren wo - mit er ſich beſchaͤftigt, bey allem Seltſamen das er verſpricht, faſt gaͤnzlich frey von Aberglauben; denn ſein Vorahnden zukuͤnftiger Moͤglichkeiten ruht auf einem ſichern Fundament, ſo wie ſein koͤſtliches Buͤchel - chen de mirabili poteſtate artis et naturae gegen das Wuͤſte, Abſurde des Wahnes ganz eigentlich gerichtet iſt, nicht mit jener negirenden erkaͤltenden Manier der Neuern, ſondern mit einem Glauben erregenden heite - ren Hinweiſen auf aͤchte Kunſt und Naturkraft.
224So hatte ſich manches bis zu Porta’s Zeiten fort - gepflanzt; doch lagen die Kenntniſſe zerſtreut. Sie waren mehr im Gedaͤchtniſſe bewahrt als geſchrie - ben, und ſelbſt dauerte es eine Zeitlang bis die Buch - druckerkunſt durch alle Faͤcher des Wiſſens durchwirkte und das Wiſſenswerthe durchaus zur Sprache foͤrderte.
Porta gibt ſein Buch de magia naturali im Jahr 1560 heraus, eben als er das funfzehnte ſeines Alters erreicht hatte. Dieſes Buͤchelchen mit beſtaͤndiger Ruͤck - ſicht auf jene Zeit und auf einen ſo jugendlichen Ver - faſſer zu leſen, iſt hoͤchſt intereſſant. Man ſieht deſſen Bildung in der platoniſchen Schule, heitere mannig - faltige Kenntniſſe, doch die entſchiedene Neigung zum Wahn, zum Seltſamen und Unerreichbaren.
Er wendet nun ſein uͤbriges Leben an, dieſe Be - muͤhungen fortzuſetzen. Er verſaͤumt nicht zu ſtudiren, Verſuche anzuſtellen, Reiſen zu machen; einer gelehrten Geſellſchaft, die er in Neapel in ſeinem Hauſe errich - tet, verdankt er Beyhuͤlfe und Mitwirkung. Beſon - ders hat er ſich auch der Gunſt des Cardinals von Eſte zu ruͤhmen.
Nach fuͤnf und dreyßig Jahren gibt er das Buch zum zweytenmale heraus, da uns denn die Verglei - chung beyder Ausgaben einen ſchoͤnen Blick verſchafft, wie in dieſer Zeit das Jahrhundert und er ſelbſt zuge - nommen.
Zwar von den abenteuerlichen Forderungen, Vor - ſchlaͤgen und Recepten iſt noch immer mehr oder we -225 niger die Rede; doch ſieht man hie und da, wo das gar zu Abgeſchmackte uͤberliefert wird, den klugen Mann, der ſich eine Hinterthuͤre offen laͤßt.
Was die Farben betrifft, ſo werden ſie nur bey - laͤufig angefuͤhrt, wenn verſchieden-gefaͤrbte Blumen hervorgebracht, falſche Edelſteine verfertigt und die Tu - genden natuͤrlicher Edelſteine geruͤhmt werden ſollen.
Uebrigens bemerkt man wohl, daß in dieſen fuͤnf und dreyßig Jahren die chemiſchen Kenntniſſe ſehr ge - wachſen, und was die phyſiſchen betrifft, beſonders die Eigenſchaften des Magnets viel genauer bekannt gewor - den ſind.
Ungern verlaſſen wir einen Mann, von dem noch vieles zu ſagen waͤre: denn eine genauere Beachtung deſſen, womit er ſich beſchaͤftigt, wuͤrde der Geſchichte der Wiſſenſchaften hoͤchſt foͤrderlich ſeyn. Will man ihn auch nicht fuͤr einen ſolchen Geiſt erkennen, der faͤhig geweſen waͤre, die Wiſſenſchaften in irgend einem Sinne zur Einheit heran zu rufen; ſo muß man ihn doch als einen lebhaften, geiſtreichen Sammler gelten laſſen. Mit unermuͤdlicher unruhiger Thaͤtigkeit durch - forſcht er das Feld der Erfahrung; ſeine Aufmerkſam - keit reicht uͤberall hin, ſeine Sammlerluſt kommt nir - gends unbefriedigt zuruͤck. Naͤhme man ſeine ſaͤmmtli - chen Schriften zuſammen, das phyſiognomiſche Werk und die Verheimlichungskunſt, und was ſonſt noch von ihm uͤbrig iſt, ſo wuͤrden wir in ihm das ganze Jahr - hundert abgeſpiegelt erblicken.
Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge - ben wir gewoͤhnlich nur in ſofern Rechenſchaft, als ſie auf uns gewirkt, unſre Ausbildung entweder gefoͤrdert, oder auch ſich derſelben entgegengeſetzt haben. Nach ſolchen an uns ſelbſt gemachten Erfahrungen beurthei - len wir unſre Vorgaͤnger, und aus dieſem Geſichts - puncte moͤchte auch wohl dasjenige zu betrachten ſeyn, was wir, indem das ſechzehnte Jahrhundert ſich ſchließt und das ſiebzehnte anfaͤngt, uͤber einen bewundernswuͤr - digen Geiſt mitzutheilen uns erkuͤhnen.
Was Baco von Verulam uns hinterlaſſen, kann man in zwey Theile ſondern. Der erſte iſt der hiſtori - ſche, meiſtens misbilligende, die bisherigen Maͤngel auf - deckende, die Luͤcken anzeigende, das Verfahren der Vorgaͤnger ſcheltende Theil. Den zweyten wuͤrden wir den belehrenden nennen, den didaktiſch dogmatiſchen, zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver - heißenden Theil.
Beyde Theile haben fuͤr uns etwas erfreuliches und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen naͤher bezeichnen. Im hiſtoriſchen iſt erfreulich die Ein - ſicht in das, was ſchon da geweſen und vorgekommen, beſonders aber die große Klarheit, womit die wiſſen - ſchaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefuͤhrt ſind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche227 die Menſchen im Einzelnen und im Ganzen abhalten vorwaͤrts zu ſchreiten. Hoͤchſt unerfreulich dagegen die Unempfindlichkeit gegen Verdienſte der Vorgaͤnger, ge - gen die Wuͤrde des Alterthums. Denn wie kann man mit Gelaſſenheit anhoͤren, wenn er die Werke des Ariſtoteles und Plato leichten Tafeln vergleicht, die eben, weil ſie aus keiner tuͤchtigen gehaltvollen Maſſe beſtuͤn - den, auf der Zeitfluth gar wohl zu uns heruͤber ge - ſchwemmt werden koͤnnen. Im zweyten Theil ſind un - erfreulich ſeine Forderungen, die alle mir nach der Breite gehen, ſeine Methode, die nicht conſtructiv iſt, ſich nicht in ſich ſelbſt abſchließt, nicht einmal auf ein Ziel hinweiſt, ſondern zum Vereinzeln Anlaß gibt. Hoͤchſt erfreulich hingegen iſt ſein Aufregen, Aufmun - tern und Verheißen.
Aus dem Erfreulichen iſt ſein Ruf entſtanden: denn wer laͤßt ſich nicht gern die Maͤngel vergangener Zeiten vorerzaͤhlen? wer vertraut nicht auf ſich ſelbſt, wer hofft nicht auf die Nachwelt? Das Unerfreuliche dagegen wird zwar von Einſichtsvolleren bemerkt, aber wie billig geſchont und verziehen.
Aus dieſer Betrachtung getrauen wir uns das Raͤthſel aufzuloͤſen, daß Baco ſo viel von ſich reden machen konnte, ohne zu wirken, ja daß ſeine Wirkung mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich geweſen. Denn da ſeine Methode, in ſofern man ihm eine zuſchreiben kann, hoͤchſt peinlich iſt, ſo entſtand weder um ihn noch um ſeinen Nachlaß eine Schule. Es mußten und15 *228konnten alſo wieder vorzuͤgliche Menſchen auftreten, die ihr Zeitalter zu conſequenteren Naturanſichten em - porhoben und alle Wiſſens - und Faſſensluſtigen um ſich verſammelten.
Da er uͤbrigens die Menſchen an die Erfahrung hinwies, ſo geriethen die ſich ſelbſt uͤberlaſſenen ins Weite, in eine graͤnzenloſe Empirie; ſie empfanden da - bey eine ſolche Methodenſcheu, daß ſie Unordnung und Wuſt als das wahre Element anſahen, in welchem das Wiſſen einzig gedeihen koͤnne. Es ſey uns erlaubt, nach unſerer Art das Geſagte in einem Gleichniß zu wieder - hohlen.
Baco gleicht einem Manne, der die Unregelmaͤßig - keit, Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit eines alten Gebaͤu - des recht wohl einſieht, und ſolche den Bewohnern deutlich zu machen weiß. Er raͤth ihnen, es zu verlaſ - ſen, Grund und Boden, Materialien und alles Zubehoͤr zu verſchmaͤhen, einen andern Bauplatz zu ſuchen und ein neues Gebaͤude zu errichten. Er iſt ein trefflicher Redner und Ueberreder; er ruͤttelt an einigen Mauern, ſie fallen ein, und die Bewohner ſind genoͤthigt, theil - weiſe auszuziehen. Er deutet auf neue Plaͤtze; man faͤngt an zu ebnen, und doch iſt es uͤberall zu enge. Er legt neue Riſſe vor, ſie ſind nicht deutlich, nicht einladend. Hauptſaͤchlich aber ſpricht er von neuen un - bekannten Materialien, und nun iſt der Welt gedient. Die Menge zerſtreut ſich nach allen Himmelsgegenden und bringt unendlich Einzelnes zuruͤck, indeſſen zu229 Hauſe neue Plane, neue Thaͤtigkeiten, Anſiedelungen die Buͤrger beſchaͤftigen und die Aufmerkſamkeit ver - ſchlingen.
Mit allem dieſem und durch alles dieſes bleiben die Baconiſchen Schriften ein großer Schatz fuͤr die Nachwelt, beſonders wenn der Mann nicht mehr un - mittelbar, ſondern hiſtoriſch auf uns wirken wird; wel - ches nun bald moͤglich ſeyn ſollte, da ſich zwiſchen ihn und uns ſchon einige Jahrhunderte geſtellt haben.
Daß dieſe gegen Ueberlieferung und Autoritaͤt an - ſtuͤrmenden Geſinnungen Bacons ſchon zu ſeiner Zeit Widerſtand gefunden haben, laͤßt ſich denken. Auch iſt eine im Namen des Alterthums und der bisherigen Cultur eingelegte Proteſtation eines trefflichen gelehrten Mannes uͤbrig geblieben, die wir ſowohl wegen ihrer Maͤßigung als wegen ihrer Derbheit theilweiſe uͤber - ſetzen und einſchalten.
Der Ritter Bodley, der einen Theil ſeines Lebens an diplomatiſche Geſchaͤfte gewendet hatte, ſich ſodann zuruͤckzog, und indem er ſich den Wiſſenſchaften wid - mete, eine große Bibliothek zuſammenbrachte, die noch jetzt zu Oxford aufbewahrt wird, war ein Freund Ba - cons und erhielt von dieſem den Aufſatz cogitata et visa, der einem Gelehrten und Alterthumsforſcher kei - neswegs erfreulich ſeyn konnte. Ein Brief Bodleys,230 bey dieſer Gelegenheit geſchrieben, iſt uns uͤbrig, aus welchem folgende Stellen hier Platz finden moͤgen.
„ Soll ich aufrichtig ſeyn, ſo muß ich offen bezeu - gen, daß ich unter diejenigen gehoͤre, welche unſre Kuͤnſte und Wiſſenſchaften fuͤr feſter gegruͤndet halten, als Du gern zugeben moͤchteſt. “
„ Wenn wir uns deinem Rathe folgſam bezeigen und die allgemeinen Begriffe, die dem Menſchen einge - boren ſind, ablegen, alles was wir geleiſtet ausloͤſchen, und im Handeln und Denken Kinder werden, damit wir ins Reich der Natur eingehen duͤrfen, wie wir unter gleichen Bedingungen, nach Bibliſcher Vorſchrift, ins Himmelreich gelangen ſollen; ſo iſt nach meiner Ueberzeugung nichts gewiſſer, als daß wir uns jaͤhlings in eine Barbarey verlieren, aus der wir nach vielen Jahrhunderten, um nichts an theoretiſchen Huͤlfsmit - teln reicher als jetzt, hervortauchen werden. Ja wohl wuͤrden wir eine zweyte Kindheit antreten, wenn wir zur tabula rasa geworden, und nach ausgetilgter Spur fruͤherer Grundſaͤtze, die Anfaͤnge einer neuen Welt wieder hervorzulocken unternaͤhmen. Und wenn wir aus dem was geſchieht, aus dem was uns die Sinne bringen, erſt wieder ſoviel zuſammen klauben ſollten, als im Verſtande zu einem allgemeinen Begriff hin - reichend waͤre, nach jenem Waidſpruch: im Verſtande231 ſey nichts was nicht vorher in den Sinnen geweſen; ſo iſt mir wenigſtens wahrſcheinlich, daß wenn man, nach Umwaͤlzung eines platoniſchen Jahres, die Wiſ - ſenſchaft unterſuchen wollte, ſie weit geringer erfunden werden moͤchte, als ſie gegenwaͤrtig beſteht. “
„ Wenn Du uns eine herrlichere Lehre verſprichſt, als ſie jetzt unter uns bluͤhet, die wir von Erfahrungen[hernehmen] ſollen, indem wir die Verborgenheiten der Natur erforſchen und eroͤffnen, um im Einzelnen recht gewiß zu werden; ſo will das weiter nichts heißen, als daß du die Menſchen dazu anreizeſt, wozu ſie ihr innerer Trieb auch ohne aͤußre Anmahnung hinfuͤhrt. Denn es iſt natuͤrlich, daß unzaͤhlige Menſchen in allen Theilen der Welt ſich befinden, welche den Weg, auf den Du deuteſt, betreten, und zwar mit lebhaftem und dringendem Fleiß. Denn allen iſt das Verlangen zu wiſſen eingeboren, ſo daß man ihren Eifer gar nicht anzufachen noch zu reizen braucht; eben ſo wenig als man noͤthig hat, der Waſſerſucht nachzuhelfen, welche den Koͤrper ohnehin uͤbermaͤßig aufſchwellt. “
„ Ich glaube nicht, daß ſich derjenige betruͤgt, welcher uͤberzeugt iſt, daß alle Wiſſenſchaften, wie ſie jetzt oͤffent - lich gelehrt werden, jederzeit vorhanden geweſen, nicht aber an allen Orten in gleichem Maaß, noch an ei - nem Orte in gleicher Zahl, ſondern nach dem Geiſte232 der Zeit, auf mancherley Weiſe veraͤndert, bald belebt und bluͤhend, bald unaufgeregt und auf eine finſtre und rohe Weiſe mitgetheilt. “
Haben alſo durch alle Jahrhunderte in allen Kuͤn - ſten und Wiſſenſchaften die Menſchen ſich fleißig bear - beitet und geuͤbt, ſind ſie zu Erkenntniſſen gelangt, eben ſo wie zu unſrer Zeit, obgleich auf eine veraͤnder - liche und ſchwankende Weiſe, wie es Zeit, Ort und Gelegenheit erlauben mochten; wie koͤnnten wir nun Dir Beyfall geben, und unſre Wiſſenſchaft verwerfen als zweifelhaft und ungewiß? Sollten wir unſre Axiome Maximen und allgemeine Behauptungen abthun, die wir von unſern Vorfahren erhalten, und welche durch die ſcharfſinnigſten Menſchen aller Zeiten ſind gebilligt worden, und nun erſt erwarten, daß eine Art und Wei - ſe erſonnen werde, welche uns, die wir indeß wieder zu Abcſchuͤtzen geworden, durch die Umwegskruͤmmun - gen der beſondern Erfahrungen, zur Erkenntniß gruͤnd - lich aufgeſtellter allgemeiner Saͤtze hinfuͤhren, damit ſo - dann wieder neue Grundfeſten der Kuͤnſte und Wiſſen - ſchaften gelegt wuͤrden: was duͤrfte von allem dieſem das Ende ſeyn, als daß wir entbloͤßt von den Kennt - niſſen, die wir beſitzen, ermuͤdet durch die im Cir - kel wiederkehrenden Arbeiten, dahin gelangen, wo wir ausgegangen ſind, gluͤcklich genug, wenn wir nur in den vorigen Zuſtand wieder zuruͤckverſetzt werden. Mich daͤucht, ſo viele Bemuͤhungen voriger Jahrhun - derte koͤnnten uns gleich jetzt eines beſſern uͤberzeugen233 und uns wohl getroſt machen, als am Ziel ſtehend, endlich zu verharren. “
„ Doch man glaube nicht, daß ich ſtolz das verwer - fe, was durch neue Erfindungen den Wiſſenſchaften fuͤr eine Vermehrung zuwaͤchſt: denn jenes Bemuͤhen iſt edel und mit großem Lob zu erkennen; auch bringt es jedesmal Frucht und Nutzen in der Gegenwart. Nie - mals hat der Welt ein großer Haufe ſolcher Menſchen gefehlt, welche ſich bemuͤhen Neues aufzufinden und auszudenken; aber unſere Begriffe und Grundſaͤtze ſind immer ſowohl von ſolchen, als von den hoͤchſten Ge - lehrten dankbar aufgenommen worden. “
Nicht leicht koͤnnen ſich Meynungen ſo ſchnurſtracks entgegen ſtehen, als hier die Baconiſche und Bodleyi - ſche, und wir moͤchten uns zu keiner von beyden aus - ſchließlich bekennen. Fuͤhrt uns jene in eine unabſeh - bare Weite, ſo will uns dieſe zu ſehr beſchraͤnken. Denn wie von der einen Seite die Erfahrung graͤnzen - los iſt, weil immer noch ein Neues entdeckt werden kann, ſo ſind es die Maximen auch, indem ſie nicht erſtarren, die Faͤhigkeit nicht verlieren muͤſſen, ſich ſelbſt auszudehnen um mehreres zu umfaſſen, ja ſich in einer hoͤhern Anſicht aufzuzehren und zu verlieren.
Denn wahrſcheinlich verſteht hier Bodley nicht et - wa die ſubjectiven Axiome, welche durch eine fortſchrei - tende Zeit weniger Veraͤnderung erleiden, als ſolche,234 welche aus der Betrachtung der Natur entſpringen und ſich auf die Natur beziehen. Und da iſt es denn nicht zu laͤugnen, daß dergleichen Grundſaͤtze der aͤltern Schu - len, beſonders in Verbindung mit religioͤſen Ueberzeu - gungen, dem Fortſchritt wahrer Naturanſichten ſehr unbequem im Wege ſtanden. Auch iſt es intereſſant zu bemerken, was eigentlich einem Manne wie Baco, der ſelbſt wohl unterrichtet, gelehrt und nach aͤlterem Herkommen cultivirt war, beſonders hinderlich geſchie - nen, daß er ſich gedrungen gefuͤhlt, auf eine ſo zer - ſtoͤrende Weiſe zu verfahren, und wie man im Spruͤch - worte ſagt, das Kind mit dem Bade auszuſchuͤtten. Revolutionaͤre Geſinnungen werden bey einzelnen Men - ſchen mehr durch einzelne Anlaͤſſe als durch allgemeine Zuſtaͤnde erzeugt, und ſo ſind uns in Bacons Schrif - ten einige ſolcher Axiome begegnet, die er mit beſon - derm Verdruſſe immer wieder aufſucht und verfolgt; z. B. die Lehre von den Endurſachen die ihm hoͤchlich zuwider iſt.
In der Denkweiſe Bacons findet ſich uͤbrigens manches, was auf den Weltmann hindeutet. Eben die - ſe Forderung einer graͤnzenloſen Erfahrung, das Ver - kennen, ja Verneinen gegenwaͤrtiger Verdienſte, das Dringen auf Werkthaͤtigkeit hat er mit denjenigen ge - mein, die im Wirken auf eine große Maſſe und im Beherrſchen und Benutzen ihrer Gegenwirkung das Le - ben zubringen.
235Wenn Baco ungerecht gegen die Vergangenheit war, ſo ließ ihm ſein immer vorſtrebender Geiſt auch eine ruhige Schaͤtzung der Mitwelt nicht zu. Wir wol - len hier nur Gilberts erwaͤhnen, deſſen Bemuͤhungen um den Magneten dem Canzler Bacon bekannt ſeyn konnten und waren: denn er erwaͤhnt Gilberts ſelbſt mit Lob in ſeinen Schriften. Aber wie wichtig die Gegenſtaͤnde, Magnetismus und Electricitaͤt ſeyen, ſchien Baco nicht zu faſſen, dem in der Breite der Erſchei - nung alles gleich war. Denn ob er ſchon ſelbſt immer darauf hindeutet, man ſolle die Particularien nur des - wegen ſammeln, damit man aus ihnen waͤhlen, ſie ordnen und endlich zu Univerſalien gelangen koͤnne; ſo behalten doch bey ihm die einzelnen Faͤlle zu viele Rech - te, und ehe man durch Induction, ſelbſt diejenige, die er anpreiſt, zur Vereinfachung und zum Abſchluß ge - langen kann, geht das Leben weg und die Kraͤfte verzehren ſich. Wer nicht gewahr werden kann, daß ein Fall oft Tauſende werth iſt, und ſie alle in ſich ſchließt, wer nicht das zu faſſen und zu ehren im Staͤnde iſt, was wir Urphaͤnomene genannt haben, der wird weder ſich noch andern jemals etwas zur Freude und zum Nutzen foͤrdern koͤnnen. Man ſehe die Fragen an, die Baco aufwirft und die Vorſchlaͤge zu Unterſuchun - gen im Einzelnen; man bedenke ſeinen Tractat von den Winden in dieſem Sinne, und frage ſich, ob man auf dieſem Wege an irgend ein Ziel zu gelangen hoffen koͤnne.
Auch halten wir es fuͤr einen großen Fehler Ba -236 cons, daß er die mechaniſchen Bemuͤhungen der Hand - werker und Fabricanten zu ſehr verachtete. Handwer - ker und Kuͤnſtler, die einen beſchraͤnkten Kreis zeitlebens durcharbeiten, deren Exiſtenz vom Gelingen irgend eines Vorſatzes abhaͤngt, ſolche werden weit eher vom Parti - cularen zum Univerſalen gelangen, als der Philoſoph auf Baconiſchem Wege. Sie werden vom Pfuſchen zum Verſuchen, vom Verſuch zur Vorſchrift, und was noch mehr iſt, zum gewiſſen Handgriff vorſchreiten, und nicht allein reden ſondern thun und durch das Thun das Moͤgliche darſtellen; ja ſie werden es darſtellen muͤſſen, wenn ſie es ſogar laͤugnen ſollten, wie der außeror - dentliche Fall ſich bey Entdeckung der achromatiſchen Fernroͤhre gefunden hat.
Techniſchen und artiſtiſchen abgeſchloſſenen Thaͤtig - keitskreiſen ſind die Wiſſenſchaften mehr ſchuldig als hervorgehoben wird, weil man auf jene treu fleißige Menſchen oft nur als auf werkzeugliche Thaͤtler hinab - ſieht. Haͤtte jemand zu Ende des ſechzehnten Jahr - hunderts ſich in die Werkſtaͤtten der Faͤrber und Ma - ler begeben und nur alles redlich und conſequent aufge - zeichnet, was er dort gefunden; ſo haͤtten wir einen weit vollſtaͤndigeren und methodiſcheren Beytrag zu un - ſerm gegenwaͤrtigen Zweck, als er uns durch Beant - wortung tauſend Baconiſcher Fragen nicht haͤtte werden koͤnnen.
Damit man aber nicht denke, daß dieſes nur ein frommer Wunſch oder eine Forderung ins Blaue ſey, ſo237 wollen wir unſers Laudsmannes Georg Agricola geden - ken, der ſchon in der erſten Haͤlfte des ſechzehnten Jahr - hunderts, in Abſicht auf das Bergweſen, dasjenige ge - leiſtet was wir fuͤr unſer Fach haͤtten wuͤnſchen moͤgen. Er hatte freylich das Gluͤck, in ein abgeſchloſſenes, ſchon ſeit geraumer Zeit behandeltes, in ſich hoͤchſt mannig - faltiges und doch immer auf einen Zweck hingeleitetes Natur - und Kunſtweſen einzutreten. Gebirge aufge - ſchloſſen durch Bergbau, bedeutende Naturproducte roh aufgeſucht, gewaͤltigt, behandelt, bearbeitet, geſondert, gereinigt und menſchlichen Zwecken unterworfen: dieſes war es, was ihn als einen Dritten, denn er lebte im Gebirg als Bergarzt, hoͤchlich intereſſirte, indem er ſelbſt eine tuͤchtige und wohl um ſich der ſchauende Na - tur war, dabey Kenner des Alterthums, gebildet durch die alten Sprachen, ſich bequem und anmuthig darin ausdruͤckend. So bewundern wir ihn noch jetzt in ſei - nen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und neuen Bergbaus, alter und neuer Erz - und Steinkunde umfaſſen und uns als ein koͤſtliches Geſchenk vorlie - gen. Er war 1494 geboren und ſtarb 1555, lebte alſo in der hoͤchſten und ſchoͤnſten Zeit der neu hervorbre - chenden, aber auch ſogleich ihren hoͤchſten Gipfel errei - chenden Kunſt und Literatur. Wir errinnern uns nicht, daß Baco des Agricola gedenke, auch nicht, daß er das, was wir an dieſem Manne ſo hoͤchlich ſchaͤtzen, an andern zu wuͤrdigen gewußt habe.
Ein Blick auf die Umſtaͤnde, unter welchen beyde Maͤnner gelebt, giebt zu einer heitern Vergleichung An -238 laß. Der mittellaͤndiſche Deutſche findet ſich eingela - den, in dem abgeſchloſſenen Kreiſe des Bergweſens zu verweilen, ſich zu concentriren und ein beſchraͤnktes Ganzes wiſſenſchaftlich auszubilden. Baco als ein meer - umgebener Inſulaner, Glied einer Nation, die ſich mit der ganzen Welt im Rapport ſah, wird durch die aͤu - ßern Umſtaͤnde bewogen, ins Breite und Unendliche zu gehen, und das unſicherſte aller Naturphaͤnomene, die Winde, als Hauptaugenmerk zu faſſen, weil Winde den Schifffahrern von ſo großer Bedeutung ſind.
Daß die Weltgeſchichte von Zeit zu Zeit umge - ſchrieben werden muͤſſe, daruͤber iſt in unſern Tagen wohl kein Zweifel uͤbrig geblieben. Eine ſolche Noth - wendigkeit entſteht aber nicht etwa daher, weil viel Geſchehenes nachentdeckt worden, ſondern weil neue Anſichten gegeben werden, weil der Genoſſe einer fort - ſchreitenden Zeit auf Standpuncte gefuͤhrt wird, von welchen ſich das Vergangene auf eine neue Weiſe uͤber - ſchauen und beurtheilen laͤßt. Eben ſo iſt es in den Wiſſenſchaften. Nicht allein die Entdeckung von bis - her unbekannten Naturverhaͤltniſſen und Gegenſtaͤnden, ſondern auch die abwechſelnden vorſchreitenden Geſin - nungen und Meynungen veraͤndern ſehr vieles und ſind werth von Zeit zu Zeit beachtet zu werden. Beſonders wuͤrde ſichs noͤthig machen, das vergangene achtzehnte Jahrhundert in dieſem Sinne zu controliren. Bey ſei - nen großen Verdienſten hegte und pflegte es manche Maͤngel und that den vorhergehenden Jahrhunderten,239 beſonders den weniger ausgebildeten, gar mannigfalti - ges Unrecht. Man kann es in dieſem Sinne wohl das ſelbſtkluge nennen, indem es ſich auf eine gewiſſe klare Verſtaͤndigkeit ſehr viel einbildete, und alles nach ei - nem einmal gegebenen Maßſtabe abzumeſſen ſich ge - woͤhnte. Zweifelſucht und entſcheidendes Abſprechen wechſelten mit einander ab, um eine und dieſelbe Wir - kung hervorzubringen: eine duͤnkelhafte Selbſtgenuͤg - ſamkeit, und ein Ablehnen alles deſſen, was ſich nicht ſogleich erreichen noch uͤberſchauen ließ.
Wo findet ſich Ehrfurcht fuͤr hohe unerreichbare Forderungen? Wo das Gefuͤhl fuͤr einen in unergruͤnd - liche Tiefe ſich ſenkenden Ernſt? Wie ſelten iſt die Nachſicht gegen kuͤhnes mislungenes Beſtreben! wie ſel - ten die Geduld gegen den langſam Werdenden! Ob hierin der lebhafte Franzoſe oder der trockne Deutſche mehr gefehlt, und in wiefern beyde wechſelſeitig zu die - ſem weit verbreiteten Tone beygetragen, iſt hier der Ort nicht zu unterſuchen. Man ſchlage diejenigen Wer - ke, Hefte, Blaͤtter nach, in welchen kuͤrzere oder laͤnge - re Notizen von dem Leben gelehrter Maͤnner, ihrem Charakter und Schriften gegeben ſind; man durchſuche Dictionnaire, Bibliotheken, Nekrologen, und ſelten wird ſich finden, daß eine problematiſche Natur mit Gruͤndlichkeit und Billigkeit dargeſtellt worden. Man kommt zwar den wackern Perſonen fruͤherer Zeiten dar - in zu Huͤlfe, daß man ſie vom Verdacht der Zaube - rey zu befreyen ſucht; aber nun thaͤte es gleich wieder Noth, daß man ſich auf eine andre Weiſe ihrer an -240 naͤhme und ſie aus den Haͤnden ſolcher Exorciſten aber - mals befreyte, welche, um die Geſpenſter zu vertreiben, ſichs zur heiligen Pflicht machen, den Geiſt ſelbſt zu verjagen.
Wir haben bey Gelegenheit, als von einigen ver - dienten Maͤnnern, Roger Baco, Cardan, Porta, als von Alchymie und Aberglauben die Rede war, auf un - ſere Ueberzeugungen hingedeutet, und dieß mit ſo mehr Zuverſicht, als das neunzehnte Jahrhundert auf dem Wege iſt, gedachten Fehler des vorangegangenen wie - der gut zu machen, wenn es nur nicht in den entge - gengeſetzten ſich zu verlieren das Schickſal hat.
Was von Wiederbelebung der Malerkunſt an, die großen Meiſter fuͤr das Colorit ſtufenweiſe geleiſtet, bringen wir zu Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts nach, da ſich denn der ganze Gang, den dieſer Theil der Kunſt genommen, auf einmal wird uͤberſchauen laſſen.
Und ſollten wir nun nochmals einen Blick auf das ſechzehnte Jahrhundert zuruͤckwerfen; ſo wuͤrden wir ſeine beyden Haͤlften von einander deutlich unter - ſchieden finden. In der erſten zeigt ſich eine hohe Bil - dung, die aus Gruͤndlichkeit, Gewiſſenhaftigkeit, Ge - bundenheit und Ernſt hervortritt. Sie ruht auf der zweyten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts. Was in dieſer geboren und erzogen ward, glaͤnzt nunmehr241 in ſeinem ganzen Werth, in ſeiner vollen Wuͤrde, und die Welt erlebt nicht leicht wieder eine ſolche Erſchei - nung. Hier zeigt ſich zwar ein Conflict zwiſchen Au - toritaͤt und Selbſtthaͤtigkeit, aber noch mit einem ge - wiſſen Maße. Beyde ſind noch nicht von einander ge - trennt, beyde wirken auf einander, tragen und erhe - ben ſich.
In der zweyten Haͤlfte wird das Streben der In - dividuen nach Freyheit ſchon viel ſtaͤrker. Schon iſt es Jedem bequem, ſich an dem Entſtandenen zu bilden, das Gewonnene zu genießen, die freygemachten Raͤume zu durchlaufen; die Abneigung vor Autoritaͤt wird im - mer ſtaͤrker, und wie einmal in der Religion proteſtirt worden, ſo wird durchaus und auch in den Wiſſen - ſchaften proteſtirt, ſo daß Baco von Verulam zuletzt wagen darf, mit dem Schwamm uͤber alles hinzufahren, was bisher auf die Tafel der Menſchheit verzeichnet worden war.
Wir haben den Baco von Verulam am Ende des vorigen Jahrhunderts beſprochen, deſſen Leben noch in den vierten Theil des gegenwaͤrtigen heruͤberdauert, und deſſen eigentlich wiſſenſchaftliche Bemuͤhungen an das Ende ſeiner Laufbahn fallen. Doch hat ſich der in ſei - nen Schriften aufbewahrte, gegen die Autoritaͤt anſtre - bende, proteſtirende, revolutionaͤre Sinn im vorigen Jahrhundert bereits entwickelt und zeigt ſich nur bey Baco, bezuͤglich auf Naturwiſſenſchaften, in ſeiner hoͤch - ſten Energie.
Wie nun eben dieſe Wiſſenſchaften durch andre bedeutende Menſchen nunmehr eine entgegengeſetzte Rich - tung nehmen, iſt die Aufgabe zu zeigen, wenn wir ei - niges uns bey dieſer Gelegenheit Entgegentretende vor - her mitgetheilt haben.
243Wenn die Frage: welcher Zeit der Menſch eigent - lich angehoͤre? gewiſſermaßen wunderlich und muͤßig ſcheint, ſo regt ſie doch ganz eigene Betrachtungen auf, die uns intereſſiren und unterhalten koͤnnten.
Das Leben jedes bedeutenden Menſchen, das nicht durch einen fruͤhen Tod abgebrochen wird, laͤßt ſich in drey Epochen theilen, in die der erſten Bildung, in die des eigenthuͤmlichen Strebens, und in die des Ge - langens zum Ziele, zur Vollendung.
Meiſtens kann man nur von der erſten ſagen, daß die Zeit Ehre von ihr habe: denn erſtlich deutet der Werth eines Menſchen auf die Natur und Kraft der in ſeiner Geburts-Epoche Zeugenden; das Geſchlecht, aus dem er ſtammt, manifeſtirt ſich in ihm oͤfters mehr als durch ſich ſelbſt, und das Jahr der Geburt eines Jeden enthaͤlt in dieſem Sinne eigentlich das wahre Nativitaͤts-Prognoſticon mehr in dem Zuſammentreffen irdiſcher Dinge, als im Aufeinanderwirken himmliſcher Geſtirne.
Sodann wird das Kind gewoͤhnlich mit Freund - lichkeit aufgenommen, gepflegt und Jedermann erfreut ſich deſſen was es verſpricht. Jeder Vater, jeder Leh - rer ſucht die Anlagen nach ſeinen Einſichten und Faͤ - higkeiten beſtens zu entwickeln, und wenigſtens iſt es der gute Wille, der alle die Umgebungen des Knaben16 *244belebt. Sein Fleiß wird geprieſen, ſeine Fortſchritte werden belohnt, der groͤßte Eifer wird in ihm erregt, und ihm zugleich die thoͤrige Hoffnung vorgeſpiegelt, daß das immer ſtufenweiſe ſo fortgehn werde.
Allein er wird den Irrthum nur allzubald gewahr: denn ſobald die Welt den einzelnen Strebenden erblickt, ſobald erſchallt ein allgemeiner Aufruf, ſich ihm zu wi - derſetzen. Alle Vor - und Mitwerber ſind hoͤchlich be - muͤht, ihn mit Schranken und Graͤnzen zu umbauen, ihn auf jede Weiſe zu retardiren, ihn ungeduldig, ver - drießlich zu machen, und ihn nicht allein von außen, ſondern auch von innen zum Stocken zu bringen.
Dieſe Epoche iſt alſo gewoͤhnlich die des Conflicts, und man kann niemals ſagen, daß dieſe Zeit Ehre von einem Manne habe. Die Ehre gehoͤrt ihm ſelbſt an und zwar ihm allein und den wenigen, die ihn beguͤn - ſtigen und mit ihm halten.
Sind nun dieſe Widerſtaͤnde uͤberwunden, iſt die - ſes Streben gelungen, das Angefangene vollbracht, ſo laͤßt ſichs denn die Welt zuletzt wohl auch gefallen; aber auch dieſes gereicht ihr keineswegs zur Ehre. Die Vorwerber ſind abgetreten, den Mitwerbern iſt es nicht beſſer gegangen, und ſie haben vielleicht doch auch ihre Zwecke erreicht und ſind beruhigt; die Nachwerber ſind nun an ihrer Reihe der Lehre, des Raths, der Huͤlfe beduͤrftig, und ſo ſchließt ſich der Kreis, oder vielmehr ſo dreht ſich das Rad abermals, um ſeine immer er - neuerte wunderliche Linie zu beſchreiben.
245Man ſieht hieraus, daß es ganz allein von dem Geſchichtſchreiber abhange, wie er einen Mann einord - nen, wann er ſeiner gedenken will. So viel iſt aber gewiß, wenn man bey biographiſchen Betrachtungen, bey Bearbeitung einzelner Lebensgeſchichten, ein ſolches Schema vor Augen hat, und die unendlichen Abwei - chungen von demſelben zu bemerken weiß; ſo wird man, wie an einem guten Leitfaden, ſich durch die labyrin - thiſchen Schickſale manches Menſchenlebens hindurch finden.
geb. 1564. geſt. 1642.
Wir nennen dieſen Namen mehr um unſere Blaͤt - ter damit zu zieren, als weil ſich der vorzuͤgliche Mann mit unſerm Fache beſchaͤftigt.
Schien durch die Verulamiſche Zerſtreuungsmethode die Naturwiſſenſchaft auf ewig zerſplittert, ſo ward ſie durch Galilei ſogleich wieder zur Sammlung gebracht; er fuͤhrte die Naturlehre wieder in den Menſchen zu - ruͤck und zeigte ſchon in fruͤher Jugend, daß dem Ge - nie Ein Fall fuͤr tauſend gelte, indem er ſich aus ſchwin - genden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des Falles der Koͤrper entwickelte. Alles kommt in der Wiſ - ſenſchaft auf das an, was man ein Aperçuͤ nennt, auf ein Gewahrwerden deſſen, was eigentlich den Erſchei -246 nungen zum Grunde liegt. Und ein ſolches Gewahr - werden iſt bis ins Unendliche fruchtbar.
Galilei bildete ſich unter guͤnſtigen Umſtaͤnden und genoß die erſte Zeit ſeines Lebens des wuͤnſchenswer - theſten Gluͤckes. Er kam wie ein tuͤchtiger Schnitter zur reichlichſten Erndte und ſaͤumte nicht bey ſeinem Tagewerk. Die Fernroͤhre hatten einen neuen Himmel aufgethan. Viele neue Eigenſchaften der Naturweſen, die uns mehr oder weniger ſichtbar und greiflich um - geben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konn - te der heitere maͤchtige Geiſt Eroberungen machen. Und ſo iſt der groͤßte Theil ſeines Lebens eine Reihe von herrlichen, glaͤnzenden Wirkungen.
Leider truͤbt ſich der Himmel fuͤr ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Menſch ſeine Ueberzeugungen andern mit - zutheilen gedraͤngt wird. Man pflegt zu ſagen, des Menſchen Wille ſey ſein Himmelreich; noch mehr fin - det er aber ſeine Seligkeit in ſeinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Copernicaniſchen Syſtems durchdrungen enthaͤlt ſich Ga - lilei nicht, dieſe von der Kirche, von der Schule ver - worfne Lehre, wenigſtens indirect, zu beſtaͤtigen und aus - zubreiten; und beſchließt ſein Leben in einem traurigen Halbmaͤrtyrerthum.
Was das Licht betrifft, ſo iſt er geneigt es als et - was gewiſſermaßen materielles mittheilbares anzuſehen:247 eine Vorſtellungsart, zu der ihm die an dem bononiſchen Stein gemachte Erfahrung Anlaß gibt. Sich uͤber die Farbe zu erklaͤren lehnt er ab, und es iſt nichts natuͤr - licher, als daß er, geſchaffen ſich in die Tiefen der Na - tur zu ſenken, er, deſſen angebornes eindringendes Ge - nie durch mathematiſche Cultur ins Unglaubliche geſchaͤrft worden war, zu der oberflaͤchlichen, wechſelnden, nicht zu haſchenden, leicht verſchwindenden Farbe wenig An - muthung haben konnte.
geb. 1571. geſt. 1630.
Wenn man Kepplers Lebensgeſchichte mit demjeni - gen was er geworden und geleiſtet zuſammenhaͤlt, ſo geraͤth man in ein frohes Erſtaunen, indem man ſich uͤberzeugt, daß der wahre Genius alle Hinderniſſe uͤber - windet. Der Anfang und das Ende ſeines Lebens wer - den durch Familienverhaͤltniſſe verkuͤmmert, ſeine mitt - lere Zeit faͤllt in die unruhigſte Epoche, und doch dringt ſein gluͤckliches Naturell durch. Die ernſteſten Gegen - ſtaͤnde behandelt er mit Heiterkeit und ein verwickeltes muͤhſames Geſchaͤft mit Bequemlichkeit.
Gibt er ſchriftlich Rechenſchaft von ſeinem Thun, von ſeinen Einſichten, ſo iſt es als wenn es nur ge - legentlich, im Vorbeygehen geſchaͤhe, und doch findet er immer die Methode, die von Grund aus anſpricht. An -248 dern ſey es uͤberlaſſen ſeine Verdienſte anzuerkennen und zu ruͤhmen, welche außer unſerm Geſichtskreiſe lie - gen; aber uns ziemt es, ſein herrliches Gemuͤth zu be - merken, das uͤberall auf das freudigſte durchblickt. Wie verehrt er ſeinen Meiſter und Vorgeſetzten Tycho! Wie ſchaͤtzt er die Verdienſte dieſes Mannes, der ſich dem ganzen Himmel gewachſen fuͤhlte, inſofern er ſich durch die Sinne faſſen und durch Inſtrumente bezwin - gen ließ. Wie weiß er dieſen ſeinen Lehrer und Vor - gaͤnger auch nach dem Tode gegen unfreundliche An - griffe zu vertheidigen! Wie gruͤndlich und anmuthig beſchreibt er, was an dem aſtronomiſchen Baue ſchon geleiſtet, was gegruͤndet, was aufgefuͤhrt, was noch zu thun und zu ſchmuͤcken ſey! Und wie arbeitet er ſein ganzes Leben unverruͤckt an der Vollendung!
Indeß war Tycho bey allen ſeinen Verdienſten doch einer von den beſchraͤnkten Koͤpfen, die ſich mit der Natur gewiſſermaßen im Widerſpruch fuͤhlen und deswegen das complicirte Paradoxe mehr als das ein - fache Wahre lieben und ſich am Irrthum freuen, weil er ihnen Gelegenheit gibt ihren Scharfſinn zu zeigen; da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und die Natur, nicht aber ſich ſelbſt zu ehren ſcheint, und von dieſer letzten Art war Keppler. Jedes klare Ver - dienſt klaͤrt ihn ſelbſt auf; durch freye Beyſtimmung eilt er es ſich zuzueignen. Wie gern ſpricht er von Copernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig ſchoͤne Aperçuͤ, was uns die Geſchichte noch ganz allein er - freulich machen kann, daß die aͤchten Menſchen aller249 Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin - weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge - nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire!
Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen. Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob - ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der Camera obscura, fuͤr die dadurch auf einmal erwei - terte Einſicht in die Geſetze des Sehens.
Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu - druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all - gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke, entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und claſſiſchen Stellen.
Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat, ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe, die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm, dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um250 ihrer Natur einigermaßen beyzukommen, daß wir ſie nicht zu uͤberſetzen wagen, ſondern im Original hier einſchalten: Color est lux in potentia, lux sepulta in pellucidi materia si jam extra visionem consi - deretur; et diversi gradus in dispositione materiae, caussâ raritatis et densitatis, seu pellucidi et tene - brarum; diversi item gradus luculae, quae materiae est concreta, efficiunt discrimina colorum. Die Auslegung davon laͤßt ſich vielleicht eher in einer an - dern Sprache wiedergeben; ſie iſt folgende:
„ Denn da die Farben, welche man im Regenbo - gen ſieht, von derſelben Art ſind, wie die der Koͤrper, ſo muͤſſen ſie auch einen gleichen Urſprung haben; jene aber entſpringen nur aus den angefuͤhrten Urſachen. Denn wie das Auge ſeinen Platz verlaͤßt, ſo veraͤndert ſich auch die Farbe, und zwar entſpringen ſie alle an der Graͤnze des Lichts und des Schattens; woraus er - hellet, daß ſie aus einer Schwaͤchung des Lichtes und aus einem Ueberzug der waͤßrigen Materie entſtehen. Deswegen werden auch die Farben der Koͤrper auf gleiche Weiſe entſpringen und es wird nur der Unter - ſchied zwiſchen ihnen ſeyn, daß bey dem Regenbogen das Licht hinzutretend iſt, bey den Farben aber einge - boren, auf die Weiſe wie in den Theilen vieler Thiere ſich Lichter wirklich befinden. Wie nun die Moͤglich - keit der Waͤrme im Ingwer von der wirklichen Waͤrme im Feuer unterſchieden iſt, ſo ſcheint auch das Licht in der gefaͤrbten Materie vom Licht in der Sonne verſchieden zu ſeyn. Denn dasjenige iſt nur der Faͤhigkeit nach da,251 was ſich nicht mittheilt, ſondern innerhalb der Graͤnzen ſeines Gegenſtandes gehalten wird, wie das Licht, das in den Farben verborgen iſt, ſo lange ſie nicht von der Sonne erleuchtet werden. Doch kann man nicht wiſ - ſen, ob die Farben nicht in tiefer Nacht ihre Lichtlein umherſtreuen. “
„ Freylich hat dieſer Gegenſtand die Koͤpfe der ſcharf - ſinnigſten Philoſophen auf mancherley Weiſe in Uebung geſetzt, und wir finden uns gegenwaͤrtig weder im Fal - le noch im Stande ſeine Dunkelheit zu enthuͤllen. Woll - teſt Du mir aber den Einwurf machen, die Finſterniß ſey eine Privation und koͤnne deshalb niemals etwas Poſitives, niemals eine active Eigenſchaft werden, wel - che naͤmlich zu ſtrahlen und ſich auf den Waͤnden ab - zubilden vermoͤchte; ſo erwaͤhne ich der Kaͤlte dagegen, welche auch eine reine Privation iſt und doch, bezuͤg - lich auf die Materie, als wirkſame Eigenſchaft er - ſcheint. “
Das Uebrige werden diejenigen, welche bey der Sache intereſſirt ſind, bey ihm ſelbſt nachſehen; nur bemerken wir noch, daß ihm verſchiedene Hauptpuncte, die wir in der Rubrik von den phyſiologiſchen Farben behandelt haben, nicht unbekannt geweſen; daß naͤmlich helle und dunkle Bilder von gleichem Maß dem Auge als verſchieden groß erſcheinen, daß das Bild im Auge eine Dauer habe, daß lebhafte Lichteindruͤcke farbig ab - klingen. Erwaͤhnt er auch nur beylaͤufig dergleichen Er - ſcheinungen; ſo bemerkt man mit Vergnuͤgen, wie le -252 bendig alles mit ſeinem Hauptgeſchaͤft zuſammenhaͤngt, wie innig er alles was ihm begegnet auf ſich zu be - ziehen weiß.
geb. 1591. geſt. 1626.
Nach Erfindung der Fernroͤhre draͤngte ſich alles, um an ihrer Verbeſſerung zu arbeiten. Die Geſetze der Refraction, die man vorher nur empiriſch und muͤhſam zu beſtimmen wußte, wurden immer genauer unterſucht; man kam immer mehr in Uebung, hoͤhere mathema - tiſche Formeln auf Naturerſcheinungen anzuwenden, und ſo naͤherte ſich Snellius dem gegenwaͤrtig allgemein bekannten Geſetze der Refraction, ob er es gleich noch nicht unter dem Verhaͤltniß der Sinus des Einfalls - und Brechungswinkels ausſprach.
Dieſes in allen Lehrbuͤchern vorgetragene Geſetz brauchen wir hier nicht umſtaͤndlicher auszufuͤhren; doch machen wir zwey Bemerkungen, die ſich naͤher auf die Gegenſtaͤnde unſerer Behandlung beziehen.
Snellius gruͤndete ſeine Meſſungen und Berech - nungen nicht auf den objectiven Verſuch, da man naͤm - lich das Licht durch das Mittel hindurchfallen laͤßt, wo - bey das was man Brechung nennt zum Vorſchein kommt; ſondern auf den ſubjectiven, deſſen Wirkung253 wir die Hebung genannt haben, weil ein durch das Mittel geſehener Gegenſtand uns entgegenzutreten ſcheint. Er ſchreibt daher ganz richtig dem perpendicularen Strahl (wenn es doch einmal Strahl ſeyn ſoll) die vollkommne Hebung zu, wie man denn bey jedem voll - kommen perpendicularen Aufſchauen auf einen glaͤſer - nen Cubus ganz bequem erfahren kann, daß die darun - terliegende Flaͤche dem Auge vollkommen entgegentritt.
Da man aber in der Folge ſich bloß an den ob - jectiven Verſuch hielt, als der das Phaͤnomen nur ein - ſeitig, das Verhaͤltniß der Sinus aber am beſten aus - druͤckt; ſo fing man an zu laͤugnen, daß der perpendi - culare Strahl veraͤndert werde, weil man dieſe Ver - aͤndrung unter der Form der Brechung nicht gewahr wird und kein Verhaͤltniß der Sinus dabey ſtatt ha - ben kann.
Schon Huygens, durch den die Entdeckung des Snellius eigentlich bekannt wurde, proteſtirt gegen die Veraͤnderung des perpendicularen Strahls und fuͤhrt ſeine ſaͤmmtlichen Nachfolger in Irrthum. Denn man kann ganz allein von der Wirkung der Mittel auf Licht und beleuchtete Gegenſtaͤnde ſich einen Begriff machen, wenn man beyde Faͤlle, den objectiven und ſubjectiven, den Fall des Brechens und Hebens, das wechſelſeitige Verhaͤltniß des dichten Mittels zum duͤnnen, des duͤn - nen zum dichten, zugleich faßt und eins durch das an - dere ergaͤnzt und erklaͤrt. Woruͤber wir an ſeinem Orte das nothwendigſte geſagt haben. (E. 187. 188)
254Die andere Betrachtung, die wir hier nicht uͤber - gehen duͤrfen, iſt die, daß man die Geſetze der Bre - chung entdeckt, und der Farben, die doch eigentlich durch ſie manifeſtirt werden ſollen, gar nicht gedenkt; wel - ches ganz in der Ordnung war. Denn in parallelen Mitteln, welche man zu jenem Grundverſuch der Bre - chung und Hebung benutzt, laͤßt ſich die Farben-Er - ſcheinung zwar an der Graͤnze von Licht und Schatten deutlich ſehen, aber ſo unbedeutend, daß man uͤber ſie recht wohl hinausgehen konnte. Wir wiederholen hier was wir ſchon fruͤher urgirt: (E. 195. 196.) Gaͤbe es eine wirklich verſchiedene Brechbarkeit, ſo muͤßte ſie ſich bey Brechung jeder Art manifeſtiren. Aber dieſe Lehre iſt, wie wir bereits geſehen haben und noch kuͤnf - tig ſehen werden, nicht auf einen einfachen natuͤrli - chen Fall, ſondern auf einen kuͤnſtlich zuſammengeſetz - ten gebaut, und ſie kann daher nur demjenigen wahr vorkommen, der ſich in einer ſolchen gemachten Ver - wirrung gefallen mag; jedem hingegen muß ſie falſch erſcheinen, der aus dem Freyen kommt oder ins Freye gelangt.
Was ſonſt von Snellins und ſeiner Lehre zu ſa - gen iſt, findet ſich in allen Schriften, die von dieſer Materie handeln.
Vorſtehendes war geſchrieben, als uns zufaͤlliger Weiſe bekannt wurde, Iſaac Voſſius, von welchem255 ſpaͤterhin noch die Rede ſeyn wird, ſey gleichfalls der Ueberzeugung geweſen, daß dasjenige, was man Re - fraction zu nennen pflegt, auch im Perpendikel wirke. Er hatte die drey optiſchen Buͤcher des Willebrord Snellius im Manuſcripte geleſen und ſich deſſen An - ſichten zu eigen gemacht. Dabey erzaͤhlt er, daß er zu Bruͤſſel vor der Koͤniginn von Schweden dieſe ſeine Meynung vorgetragen, jedoch einen allgemeinen Wider - ſpruch gefunden; ja man habe ihm vorgeworfen, daß er gegen die erſten Grundſaͤtze ſuͤndige. Nachdem aber die Geſellſchaft durch den Augenſchein uͤberzeugt worden, ſo habe man die Sache in einen Wortſtreit geſpielt und geſagt: incidi quidem radium, non ta - men frangi. Er fuͤhrt darauf aus den Werken des Snellius eine Demonſtration des ſubjectiven Verſuchs an, wodurch die ſtufenweiſe Hebung ins Klare geſetzt wird.
umgekommen 1624.
De radiis visus et lucis in vitris perspectivis et iride tractatus Marci Antonii de Dominis, per Joannem Bartolum in lucem editus Venetiis 1611.
Durch dieſes Werk von nicht großem Umfange iſt der Verfaſſer unter den Naturforſchern beruͤhmt gewor - den und zwar mit Recht: denn man erkennt hier die256 Arbeit eines unterrichteten, in mathematiſchen und phy - ſiſchen Dingen wohlgeuͤbten Mannes, und was mehr iſt, eines originellen Beobachters. Hier wird ein Aus - zug an der rechten Stelle ſeyn.
Das Werk enthaͤlt im erſten Capitel die erſte oͤffent - liche Bekanntmachung der Theorie der Fernglaͤſer. Nachdem ſodann der Verfaſſer verſchiedene allgemeine mathematiſche und phyſiſche Grundſaͤtze vorausgeſchickt, welche das Licht und das Sehen betreffen, kommt er zu Ende des dritten Capitels auf der neunten Seite zu den Farben, welche bey der Refraction erſcheinen, und aͤußert ſich daruͤber folgendermaßen.
„ Außer den eigenen Farben der Koͤrper, welche in den Koͤrpern ſelbſt verharren, ſie moͤgen nun aus welcher Urſache ſie wollen entſpringen und entſtehen, gibt es in der Natur einige wechſelbare und veraͤnder - liche Farben, welche man emphatiſche und erſcheinende nennt und welche ich die glaͤnzenden zu nennen pflege. Daß dieſe Farben aus dem Lichte entſpringen, daran habe ich keinen Zweifel, ja ſie ſind nichts anders als das Licht ſelbſt: denn wenn in einem Koͤrper reines Licht ſich befindet, wie in den Sternen und dem Feuer, und er verliert aus irgend einer Urſache ſein Funkeln; ſo wird uns ein ſolcher Koͤrper weiß. Miſcht man dem Licht irgend etwas Dunkles hinzu, wodurch jedoch das ganze Licht nicht verhindert oder ausgeloͤſcht wird, ſo entſtehen die Farben dazwiſchen. Denn deshalb wird unſer Feuer roth, weil es Rauch bey ſich fuͤhrt, der es257 verdunkelt. Deshalb auch roͤthen ſich Sonn’ und Ge - ſtirne nah am Horizont, weil die dazwiſchen tretenden Duͤnſte ſolche verdunkeln. Und ſolcher mittleren Farben koͤnnen wir eigentlich drey zaͤhlen. Die erſte Beymi - ſchung des Dunklen, welche das Weiße einigermaßen ver - dunkelt, macht das Licht roth: und die rothe Farbe iſt die leuchtendſte der Mittelfarben zwiſchen den beyden Enden, dem Weißen und Schwarzen, wie man es deut - lich in dem laͤnglichen dreykantigen Glaſe ſieht. Der Sonnenſtrahl naͤmlich, der das Glas bey dem Winkel durchdringt, wo die geringſte Dicke iſt und alſo auch die geringſte Dunkelheit, tritt hochroth heraus; zunaͤchſt folgt das Gruͤn bey zunehmender Dicke; endlich das Violette bey noch groͤßerer Dicke: und ſo nimmt nach Verhaͤltniß der Staͤrke des Glaſes auch die Verdunklung zu oder ab. “
„ Eine etwas mehrere Dunkelheit bringt, wie geſagt, das Gruͤne hervor. Waͤchſt die Dunkelheit, ſo wird die Farbe blau oder violett, welche die dunkelſte iſt aus allen Mittelfarben. Waͤchſt nun die Dunkelheit noch mehr, ſo loͤſcht ſie das ganze Licht aus und die Schwaͤrze bleibt, obgleich die Schwaͤrze mehr eine Be - raubung des Lichts als eine wirkliche Farbe iſt; des - wegen auch das Auge die Finſterniß ſelbſt und ſehr ſchwarze Koͤrper fuͤr eins haͤlt. Die uͤbrigen Farben aber ſind aus dieſen zuſammengeſetzt. “
„ Die Dunkelheit aber verwandelt das Licht in eine glaͤnzende Farbe, nicht allein wenn ſie ſich mit demII. 17258leuchtenden Koͤrper ſelbſt vermiſcht, wie es beym Feuer geſchieht, ſondern auch wenn ſie zwiſchen das Licht und das Auge gebracht wird, dergeſtalt, daß das Licht, wenn es durch einen etwas dunklen Koͤrper, deſſen Durchſichtigkeit nicht ganz aufgehoben iſt, durchgeht, nothwendig gefaͤrbt wird, und ſo gefaͤrbt, nicht allein vom Auge, ſondern auch oft von jedem andern Koͤrper, farbig aufgenommen wird. So erſcheint uns die Son - ne beym Auf - und Untergang roth, nicht weiß, wie im Mittage, und ſo wird das Licht, wenn es durch ein Glas von ungleicher Dicke, jedoch von bedeutender Maſſe, wie jene dreykantigen Prismen ſind, oder durch ein glaͤſernes mit Waſſer gefuͤlltes Gefaͤß, oder durch ein gefaͤrbtes Glas hindurch geht, gefaͤrbt. Daher werden auch die fernliegenden Berge unter einer blauen Farbe geſehen. Denn die große Ferne verdunkelt, we - gen der Menge des Mittels und durch das einigerma - ßen Koͤrperliche des Dunkeln, alle Lichter, die nicht ſo maͤchtig ſind als das der Sonne, verdunkelt auch die er - leuchteten Gegenſtaͤnde und macht ſie blau. So ſcheint uns gleichfalls der Ferne wegen das Licht des Him - mels blau. Was aber eine gar zu ſchwache Farbe hat, wird auch wohl ſchwarz. “
Diejenigen unſrer Leſer, welche den Entwurf unſe - rer Farbenlehre wohl inne haben, werden ſelbſt beur - theilen, in wiefern der Verfaſſer ſich der Wahrheit ge - naͤhert, in wiefern noch manches Hinderniß einer rei - nen Einſicht in die Dinge ihm entgegen geſtanden. Merkwuͤrdig iſt, daß er im prismatiſchen Bild nur259 drey Farben geſehen, welches andeutet, daß er auch ein ſehr kleines Bild gehabt und es verhaͤltnißmaͤßig ſehr weit von dem Ausfallen aus dem Prisma aufgefangen, wie er denn auch das Weiße zwiſchen den beyden Raͤn - dern nicht bemerkt. Das Uebrige wiſſen wir nun aus der Lehre vom Truͤben weit beſſer zu entwickeln.
Hierauf traͤgt er im vierten Capitel noch verſchie - dene mathematiſche Propoſitionen vor, die ihm zu ſei - ner Deduction noͤthig ſcheinen. Endlich gelangt er zu einem runden durchſichtigen Koͤrper und zeigt, erſtlich, wie von demſelben das auffallende Licht zuruͤckgeworfen werde, und nun geht er ſeinem Ziele entgegen, indem er auf der dreyzehnten und vierzehnten Seite umſtaͤnd - lich anzeigt, was auf der innern hintern concaven Flaͤche des runden durchſichtigen Koͤrpers, welche wie ein Hohl - ſpiegel wirkt, vorgehe. Er fuͤgt eine Figur hinzu, wel - che, wenn man ſie recht verſteht, das Phaͤnomen in ſeinem Umfange und ſeiner Complication, wo nicht vollſtaͤndig darſtellt, jedoch ſich demſelben weit mehr naͤhert, als diejenigen einfacheren Figuren, welche Des - cartes theils aus ihm genommen, theils nach ihm ge - bildet. Uebrigens wird ſich in der Folge zeigen, daß eben dasjenige, was auf dem Grunde des durchſichti - gen Koͤrpers vorgeht, mit Linearzeichnung keinesweges dargeſtellt werden kann. Bey der Figur des De Domi - nis tritt uͤberdieß noch ein ſonderbarer Fall ein, daß gerade dieſe ſehr complicirte Hauptfigur, die wegen ih - rer Wichtigkeit viermal im Buche vorkommt, durch die Ungeſchicklichkeit des Holzſchneiders in ihren Haupt17 *260puncten undeutlich und wahrſcheinlich deshalb fuͤr die Nachfolger des Verfaſſers unbrauchbar geworden. Wir haben ſie nach ſeiner Beſchreibung wiederhergeſtellt und werden ſie unter unſern Tafeln beybringen, wie wir denn jetzt ſeine Erklaͤrung derſelben, worin das Verdienſtliche ſeiner Beobachtung und Entdeckung ruht, uͤberſetzt mittheilen.
„ Jener ſphaͤriſche durchſichtige Koͤrper, ſolid oder ausgefuͤllt, außerdem daß er von ſeiner erhoͤhten Ober - flaͤche die Strahlen gedachtermaßen zuruͤckwirft, bewirkt noch einen andern Widerſchein des Lichtes, der mit ei - niger Refraction verbunden iſt: denn der Lichtſtrahl aus dem Mittelpuncte des leuchtenden Koͤrpers b dringt ungebrochen gerade bis nach v durchs Centrum a, da er perpendicular iſt; die Strahlen aber bc und bd werden in c und d gebrochen, nach der Perpendicu - lare zu, und dringen gleichfalls nach dem Grunde g und weiter nach v; daſelbſt bringen ſie viel Licht zu - ſammen, vereint mit den inneren Strahlen br und bo, welche an den Puncten r und o gebrochen nach g ge - langen, auf dem Hohlgrunde der Kugel a; welches auch die uͤbrigen Strahlen thun, welche von b her auf die ganze erhoͤhte Flaͤche von c bis d fallen. “
„ Aber indeſſen dringen nicht nur die gebrochnen und um den Grund g verſammelten Strahlen zum Theil hindurch und vereinigen ſich in v, wo ſie Feuer anzuͤnden koͤnnen; ſondern ſie werden auch großentheils, gleichfalls mit verſtaͤrktem Licht wegen ihrer Verſamm -261 lung, vom Grunde g zuruͤckgeworfen, welcher Grund g dieſes vervielfaͤltigte Licht, nach dem Geſetz der Wider - ſcheine aus einer Hohlkugel, auf mancherley Weiſe zu - ruͤckwirft. Wobey zu bedenken iſt, daß einige Abaͤnde - rung ſtatt findet, weil die Zuruͤckwerfung nach den eben erwaͤhnten Brechungen geſchieht und weil nicht allein die auf die Kugel a, aus dem Mittelpuncte des leuch - tenden Koͤrpers b, fallenden Strahlen, ſondern auch un - zaͤhlige andre von dem großen und leuchtenden Koͤrper wie die Sonne iſt, alle naͤmlich die aus t und p, in - gleichen von dem ganzen Umfange t. q. p hervortreten, zuruͤckgeworfen werden. Welche Abweichung aber hier mit Demonſtrationen zu beweiſen nicht die Muͤhe lohnte. “
„ Genug daß ich durch die deutlichſten Verſuche ge - funden habe, ſowohl in Schalen, welche mit Waſſer gefuͤllt worden, als auch in Glaskugeln gleichfalls ge - fuͤllt, welche ich zu dieſem Endzwecke verfertigen laſ - ſen, daß aus dem Grunde g, welcher der Sonne ge - rade entgegenſtehet, außer der Refraction, welche nach v zu geſchieht, eine doppelte Reflexion geſchehe: einmal gleich gegen die Seite f und e im Cirkel; ſodann aber gegen die Sonne, naͤchſt gegen die Perpendiculare b a, nach dem vordern Theile h und i, gleichfalls im Cir - kel, und nicht durch eine einzige untheilbare Linie, ſon - dern durch mehrere nach allen Seiten hin mit einiger Breite, (wie in der erſten Reflexion gf. gn. gm; in der andern aber gi. gk. gl;) welche Breite theils ent - ſpringt aus den Brechungen, welche innerhalb der Kugel262 geſchehen, wodurch mehrere Strahlen verſammlet wer - den, zum Theil aus der großen Breite des leuchtenden Koͤrpers p. q. t, wie wir kurz vorher geſagt. “
Da wir uns genoͤthigt ſehen, in der Folge dem Regenbogen einen beſondern Aufſatz zu widmen, um zu zeigen, daß bey dieſem Meteor nichts anderes vor - gehe, als das was wir in unſerm Entwurf von den Farben, welche bey Gelegenheit der Refraction entſte - hen, umſtaͤndlich ausgefuͤhrt haben; ſo muß das bis - her mitgetheilte als Material zu jenem Behuf ruhen und liegen bleiben; nur bemerken wir, daß dasjenige, was im Tropfen vorgeht, keinesweges durch eine Linear - zeichnung, welche nur Grundriſſe und Durchſchnitte geben kann, ſondern durch eine Perſpectiviſche darzu - ſtellen iſt, wie unſer De Dominis zuletzt ſelbſt andeu - tet in den Worten: „ und nicht durch eine einzige un - theilbare Linie, ſondern durch mehrere nach allen Sei - ten hin mit einiger Breite. “ Wir geben nunmehr von ſeinem weitern Verfahren Rechenſchaft.
Vom fuͤnften Capitel bis zum neunten einſchließ - lich handelt er von den Fernroͤhren und dem was ſich darauf bezieht. Im zehnten von den vorzuͤglichſten Meynungen uͤber den Regenbogen. Er traͤgt die Ge - ſinnungen des Albertus Magnus aus deſſen drittem Buch der Meteore und deſſen vierzehntem Capitel, die des Cardanus aus dem vierten Buch de subtilitate, des Ariſtoteles aus den Meteoren vor. Alle nehmen an, daß die Farben aus einer Schwaͤchung der Lichtſtrah -263 len entſtehen, welche nach jenen beyden, durch die Maſſe der Duͤnſte, nach letzterem, durch mehr oder minder ſtarke Reflexion der ſich vom Perpendikel mehr oder weniger entfernenden Strahlen bewirkt werde. Vitellio haͤlt ſich nahe an den Ariſtoteles, wie auch Piccoluomini.
Im elften Capitel werden die vorgemeldeten Mey - nungen uͤber die Farben bearbeitet und widerlegt. Im zwoͤlften ausgefuͤhrt, woher die runde Geſtalt des Re - genbogens komme. Im dreyzehnten der wahre Ur - ſprung des Regenbogens voͤllig erklaͤrt: es werden naͤmlich Tropfen erfordert und durch eine Figur gezeigt, wie das Sonnenlicht aus dem Grunde des Tropfens nach dem Auge reflectirt werde. Hierauf wendet er ſich zu den Farben und erklaͤrt ſie nach ſeiner ſechſten und ſiebenten Propoſition im dritten Capitel, die wir oben uͤberſetzt haben, wonach die Farben in ihrer Leb - haftigkeit vom Rothen durchs Gruͤne bis zum Blauen abnehmen ſollen. Hier wird ſodann die Hauptfigur wiederhohlt und daraus, daß der Strahl gf nach der Reflexion durch eine geringere Glasmaſſe durchgehe als die Strahlen gm und gn, die Farbenabſtufung derſel - ben dargethan. Zur Urſache der Breite des Regenbo - gens gibt er jene Breite der farbigen Reflexion an, die er ſchon oben nach der Erfahrung dargelegt.
Das vierzehnte Capitel beſchaͤftigt ſich mit dem aͤußern Regenbogen und mit Erzaͤhlung und Widerle - gung verſchiedener Meynungen daruͤber. Im funfzehn - ten Capitel jedoch ſucht er denſelben zu erklaͤren. Er264 gebraucht hiezu wieder die Hauptfigur, leitet den zwey - ten Regenbogen von den Strahlen gi gk gl ab und die verſchiedene Faͤrbung derſelben, von der mehr oder minder ſtarken Reflexion. Man ſieht alſo, daß er ſich hier dem Ariſtoteles naͤhert, wie bey Erklaͤrung der Farben des erſten Regenbogens dem Albertus Magnus und dem Cardan.
Das ſechzehnte Capitel ſammelt einige Corollarien aus dem ſchon Geſagten. Das ſiebzehnte traͤgt noch einige Fragen uͤber den Regenbogen vor und beantwor - tet ſie. Im achtzehnten wird abgehandelt, wie der Regenbogen mit den Hoͤfen, Wettergallen und Neben - ſonnen uͤbereintreffe und wie er von ihnen verſchieden ſey. In dieſen drey Capiteln, den letzten der Abhand - lung, ſteht noch manches Gute, das nachgeſehen und genutzt zu werden verdient.
Geb. 1567. geſt. 1617.
Er war Jeſuit zu Bruͤſſel und gab 1613 ſeine Optik in Folio heraus zu Antwerpen. Ihr ſollten noch die Dioptrik und Catoptrik folgen, welches durch ſeinen Tod, der 1617, als er funfzig Jahr alt war, erfolgte, verhindert wurde.
Man ſieht ſeinem Werke die Ruhe des Kloſters an, die bey einer Arbeit bis ins Einzelnſte zu gehen265 erlaubt; man ſieht die Bedaͤchtlichkeit eines Lehrers, der nichts zuruͤcklaſſen will. Daher iſt das Werk ausfuͤhrlich, umſtaͤndlich, ja uͤberfluͤſſig durchgearbeitet. Betrachtet man es aber als einen Diskurs, als einen Vortrag, ſo iſt es, beſonders Stellenweiſe, angenehm und unterhaltend, und weil es uns mit Klarheit und Genauigkeit in fruͤhere Zeiten zuruͤckfuͤhrt, auf manche Weiſe belehrend.
Hier ſteht die Autoritaͤt noch in ihrer voͤlligen Wuͤrde: die griechiſchen Urvaͤter der Schulen, ihre Nachfolger und Commentatoren, die neueren Lichter und Forſcher, ihre Lehre, ihre Controverſen, bey wel - chen ein oder der andre Theil durch Gruͤnde beguͤn - ſtiget wird. Indeſſen kann man nicht laͤugnen, daß der Verfaſſer, indem er ſeinem Nachfolger nichts zu thun uͤbrig laſſen moͤchte, im Theoretiſchen ſich bis ins Kleinliche und im Practiſchen bis in die Kuͤnſte - ley verliert; wobey wir ihn jedoch immer als einen ernſten und tuͤchtigen Mann zu ſchaͤtzen haben.
Was die Farbe und das damit zunaͤchſt Ver - wandte betrifft, ſo iſt ihm das vom Plato ſich her - ſchreibende und von uns ſo oft urgirte Disgregiren und Colligiren des Auges, jenes erſte durch das Licht und das Weiße, dieſes letztere durch Finſterniß und das Schwarze, wohl bekannt und merkwuͤrdig, doch mehr im pathologiſchen Sinne, in ſo fern das Helle das Auge blendet, das Finſtere ihm auf eine negative Weiſe ſchadet. Der reine phyſiologiſche Sinn dieſer266 Erſcheinung mag ihm nicht aufgegangen ſeyn, wor - uͤber wir uns um ſo weniger wundern werden, als Hamberger ſolche der geſunden Natur gemaͤße, zum reinen Sehen unumgaͤnglich nothwendige Bedingungen gleichfalls fuͤr krankhaft und fuͤr vitia fugitiva er - klaͤrt hat.
Das Weiße und Schwarze nun ſetzt er an die beyden Enden, dazwiſchen in eine Reihe Gelb, Roth und Blau, und hat alſo fuͤnf Farben auf einer Linie, welches ein ganz huͤbſches Schema gibt, indem das Gelbe zunaͤchſt an dem Weißen, das Blaue an dem Schwarzen und das Rothe in der Mitte ſteht, welche ſaͤmmtlich mit einander durch Halbzirkel verbunden ſind, wodurch die Mittelfarben angedeutet werden.
Daß nach den verſchiedenen Erſcheinungsarten die Farben eingetheilt werden muͤſſen, kommt bey ihm auf eine entſchiedenere Weiſe als bisher zur Sprache. Er theilt ſie in wahre, apparente und intentionelle Farben. Da nun die intentionellen, wie wir nachher ſehen werden, keinen richtigen Eintheilungsgrund hinter ſich haben, die phyſiologiſchen aber fehlen; ſo quaͤlt er ſich ab, die verſchiedenen Erſcheinungsfaͤlle unter dieſe Rubriken zu bringen.
Die wahren Farben werden den Eigenſchaften der Koͤrper zugeſchrieben, die apparenten fuͤr unerklaͤr - lich, ja als ein goͤttliches Geheimniß angeſehen, und doch gewiſſermaßen wieder als zufaͤllig betrachtet. Er267 bedient ſich dabey eines ſehr artigen und unuͤberſetz - lichen Ausdrucks: penduli in medio diaphano ober - rant, ceu extemporaneae quaedam Lucis affectiones.
Die Hauptfragen, wie ſie Ariſtoteles ſchon beruͤhrt, kommen zur Sprache, und gegen Plato wird polemi - ſirt. Was uͤberhaupt hievon und ſonſt noch brauchbar iſt, haben wir am gehoͤrigen Orte eingeſchaltet. Daß jede Farbe ihre eigene Wirkung aufs Geſicht habe, wird behauptet und ausgefuͤhrt; doch gleichfalls mehr patho - logiſch als phyſiologiſch.
Da wir der intentionellen Farben in unſerm Entwurf nicht beſonders gedacht haben, und dieſer Ausdruck in den Schriftſtellern, vorzuͤglich auch in dem gegenwaͤrtigen, vorkommt; ſo iſt unſre Pflicht, wenigſtens hiſtoriſch, dieſer Terminologie zu gedenken, und anzuzeigen, wie ſie mit den uͤbrigen Lehren und Geſinnungen jener Zeit zuſammenhaͤngt. Man ver - zeihe uns, wenn wir, der Deutlichkeit wegen, etwas weit auszuhohlen ſcheinen.
Die Poeſie hat in Abſicht auf Gleichnißreden und uneigentlichen Ausdruck ſehr große Vortheile vor allen uͤbrigen Sprachweiſen, denn ſie kann ſich eines jeden Bildes, eines jeden Verhaͤltniſſes nach ihrer Art und Bequemlichkeit bedienen. Sie vergleicht Geiſtiges mit268 Koͤrperlichem und umgekehrt; den Gedanken mit dem Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch wird das Wechſelleben der Weltgegenſtaͤnde am beſten ausgedruͤckt. Die Philoſophie auf ihren hoͤchſten Punc - ten bedarf auch uneigentlicher Ausdruͤcke und Gleichniß - reden, wie die von uns oft erwaͤhnte, getadelte und in Schutz genommene Symbolik bezeugt.
Nur leiden die philoſophiſchen Schulen, wie uns die Geſchichte belehrt, meiſtentheils daran, daß ſie, nach Art und Weiſe ihrer Stifter und Hauptlehrer, meiſt nur einſeitige Symbole brauchen, um das Gan - ze auszudruͤcken und zu beherrſchen, und beſonders die Einen durchaus das Koͤrperliche durch geiſtige Sym - bole, die Andern das Geiſtige durch koͤrperliche Sym - bole bezeichnen wollen. Auf dieſe Weiſe werden die Gegenſtaͤnde niemals durchdrungen; es entſteht viel - mehr eine Entzweyung in dem was vorgeſtellt und bezeichnet werden ſoll, und alſo auch eine Discrepanz in denen, die davon handeln, woraus alsbald ein Widerwille auf beyden Seiten entſpringt und ein Parteyfinn ſich befeſtigt.
Wenn man von intentionellen Farben ſpricht, ſo iſt es eigentlich eine Gleichnißrede, daß man den Far - ben wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine geiſtige Natur zuſchreibt, ihnen einen Willen, eine Abſicht un - terlegt.
Wer dieſes faſſen mag, der wird dieſe Vorſtel - lungsart anmuthig und geiſtreich finden, und ſich269 daran, wie etwa an einem poetiſchen Gleichniſſe, er - getzen. Doch wir muͤſſen dieſe Denkart, dieſen Ausdruck bis zu ihrer Quelle verfolgen.
Man erinnere ſich, was wir oben von der Lehre des Roger Baco mitgetheilt, die wir bey ihm auf - gegriffen haben, weil ſie uns da zunaͤchſt im Wege lag, ob ſie ſich gleich von weit fruͤheren Zeiten her - ſchreibt: daß ſich naͤmlich jede Tugend, jede Kraft, jede Tuͤchtigkeit, alles dem man ein Weſen, ein Da - ſeyn zuſchreiben kann, ins unendliche vervielfaͤltigt und zwar dadurch, daß immerfort Gleichbilder, Gleichniſſe, Abbildungen als zweyte Selbſtheiten von ihm ausgehen, dergeſtalt daß dieſe Abbilder ſich wieder darſtellen, wirkſam werden, und indem ſie immer fort und fort reflectiren, dieſe Welt der Erſcheinungen ausmachen. Nun liegt zwiſchen der wirkenden Tugend und zwiſchen dem gewirkten Abbild ein Drittes in der Mitte, das aus der Wirklichkeit des Erſten und aus der Moͤglich - keit des Zweyten zuſammengeſetzt ſcheint. Fuͤr dieſes Dritte, was zugleich iſt und nicht iſt, was zugleich wirkt und unwirkſam bleiben kann, was zugleich das allerhoͤchſte Schaffende und in demſelben Augenblicke ein vollkommenes Nichts iſt, hat man kein ſchick - licheres Gleichniß finden koͤnnen, als das menſchliche Wollen, welches alle jene Widerſpruͤche in ſich verei - nigt. Und ſo hat man auch den wirkſamen Naturgegen - ſtaͤnden, beſonders denjenigen, die uns als thaͤtige Bil - der zu erſcheinen pflegen, dem Lichte ſo wie dem Erleuch - teten, welche beyde nach allen Orten hin ſich zu aͤußern270 beſtimmt ſind, ein Wollen, eine Intention gegeben und daher das Abbild (species), in ſo fern es noch nicht zur Erſcheinung kommt, intentionell genannt, indem es, wie das menſchliche Wollen, eine Realitaͤt, eine Noth - wendigkeit, eine ungeheure Tugend und Wirkſamkeit mit ſich fuͤhrt, ohne daß man noch etwas davon ge - wahr wuͤrde. Vielleicht ſind ein Paar ſinnliche Bey - ſpiele nicht uͤberfluͤſſig.
Es befinde ſich eine Perſon in einem großen von rohen Mauern umgraͤnzten Saal, ihre Geſtalt hat die Intention, oder wie wir uns in unſerm Entwurfe mit einem gleichfalls ſittlichen Gleichniß ausgedruͤckt haben, das Recht ſich an allen Waͤnden abzuſpiegeln; allein die Bedingung der Glaͤtte fehlt. Denn das iſt der Unterſchied der urſpruͤnglichen Tugenden von den abgebildeten, daß jene unbedingt wirken, dieſe aber Bedingniſſen unterworfen ſind. Man gebe hier die Bedingung der Glaͤtte zu, man polire die Wand mit Gipsmoͤrtel oder behaͤnge ſie mit Spiegeln, und die Geſtalt der Perſoͤnlichkeit wird ins Tauſendfaͤltige ver - mehrt erſcheinen.
Man gebe nun dieſer Perſoͤnlichkeit etwa noch einen eitlen Sinn, ein leidenſchaftliches Verlangen ſich abgeſpiegelt zuruͤckkehren zu ſehen, ſo wuͤrde man mit einem heiteren Gleichniſſe die intentionellen Bilder auch eitle Bilder nennen koͤnnen.
Noch ein andres Beyſpiel gebe endlich der Sache voͤllig den Ausſchlag. Man mache ſich auf den Weg271 zu irgend einem Ziele, es ſtehe uns nun vor den Au - gen, oder bloß vor den Gedanken; ſo iſt zwiſchen dem Ziel und dem Vorſatz etwas das beyde enthaͤlt, naͤm - lich die That, das Fortſchreiten.
Dieſes Fortſchreiten iſt ſo gut als das Ziel: denn dieſes wird gewiß erreicht, wenn der Entſchluß feſt und die Bedingungen zulaͤnglich ſind; und doch kann man dieſes Fortſchreiten immer nur intentionell nen - nen, weil der Wanderer noch immer ſo gut vor dem letzten Schritt als vor dem erſten paralyſirt wer - den kann.
Intentionelle Farben, intentionelle Miſchungen derſelben ſind alſo ſolche, die innerhalb des Durch - ſichtigen der Bedingung ſich zu manifeſtiren entbehren. Die Bedingung aber, worunter jede Farbe nur er - ſcheinen kann, iſt eine doppelte: ſie muß entweder ein Helles vor ſich und ein Dunkles hinter ſich, oder ein Dunkles vor ſich und ein Helles hinter ſich haben, wie von uns anderwaͤrts umſtaͤndlich ausgefuͤhrt wor - den. Doch ſtehe hier noch ein Beyſpiel, um dem Ge - ſagten die moͤglichſte Deutlichkeit zu geben.
Das Sonnenlicht falle in ein reines Zimmer zu den offnen Fenſtern herein und man wird in der Luft, in dem Durchſichtigen, den Weg des Lichtes nicht bemerken; man errege Staub und ſogleich iſt der Weg, den es nimmt, bezeichnet. Daſſelbe gilt von den apparen - ten Farben, welche ein ſo gewaltſames Licht hinter ſich272 haben. Das prismatiſche Bild wird ſich auf ſeinem Wege vom Fenſter bis zur Tafel kaum auszeichnen; man errege Staub und beſonders von weißem Puder, ſo wird man es vom Austritt aus dem Prisma bis zur Tafel begleiten koͤnnen: denn die Intention ſich abzu - bilden wird jeden Augenblik erfuͤllt, eben ſo als wenn ich einer Colonne Soldaten entgegen und alsdann gerade durch ſie hindurch ginge, wo mit jedem Manne der Zweck, das Regiment zu erreichen, erfuͤllt und, wenn wir ſo ſagen duͤrfen, ricochetirt wird. Und ſo ſchließen wir mit einem ſinnlichen Gleichniß, nachdem wir etwas, das nicht in die Sinne fallen kann, durch eine uͤberſinnliche Gleichnißrede begreiflich zu machen geſucht haben.
Wie man nun zu ſagen pflegt, daß jedes Gleich - niß hinke, welches eigentlich nur ſoviel heißen will, daß es nicht identiſch mit dem Verglichenen zuſammen - falle; ſo muß eben dieſes ſogleich bemerkt werden, wenn man ein Gleichniß zu lange und zu umſtaͤndlich durchfuͤhrt, da die Unaͤhnlichkeiten, welche durch den Glanz des Witzes verborgen wurden, nach und nach in einer traurigen, ja ſogar abgeſchmackten Realitaͤt zum Vorſchein kommen. So ergeht es daher den Philoſophen oft auf dieſe Weiſe, die nicht bemerken, daß ſie mit einer Gleichnißrede anfangen und im Durch - und Ausfuͤhren derſelben immer mehr ins Hin - ken gerathen. So ging es auch mit den intentionellen Bildern (speciebus); anſtatt daß man zufrieden ge - weſen waͤre, durch ein geiſtiges Gleichniß dieſe un -273 faßlichen Weſen aus dem Reiche der Sinnlichkeit in ein geiſtigeres heruͤbergeſpielt zu haben, ſo wollte man ſie auf ihrem Wege haſchen, ſie ſollten ſeyn oder nicht ſeyn, je nachdem man ſich zu einer oder der andern Vorſtellung geneigt fuͤhlte, und der durch eine geiſt - reiche Terminologie ſchon geſchlichtete Streit ging wieder von vorn an. Diejenigen welche realer geſinnt waren, worunter auch Aguilonius gehoͤrt, behaupteten: die Farben der Koͤrper ſeyen ruhig, muͤßig, traͤge; das Licht rege ſie an, entreiße ſie dem Koͤrper, fuͤhre ſie mit ſich fort und ſtreue ſie umher, und ſo war man wieder bey der Erklaͤrungsart des Epicur, die Lukrez ſo anmuthig ausdruͤckt:
geb. 1596. geſt. 1560.
Das Leben dieſes vorzuͤglichen Mannes wie auch ſeine Lehre wird kaum begreiflich, wenn man ſich ihn nicht immer zugleich als franzoͤſiſchen Edelmann denkt. Die Vortheile ſeiner Geburt kommen ihm von Jugend auf zu ſtatten, ſelbſt in den Schulen, wo er den erſten guten Unterricht im Lateiniſchen, Griechiſchen und in der Mathematik erhaͤlt. Wie er ins Leben tritt, zeigt ſich die Facilitaͤt in mathematiſchen Combinationen bey ihm theoretiſch und wiſſenſchaftlich, wie ſie ſich bey an - dern im Spielgeiſt aͤußert.
Als Hof -, Welt - und Kriegsmann bildet er ſeinen geſelligen ſittlichen Charakter aufs Hoͤchſte aus. In Abſicht auf Betragen erinnere man ſich, daß er Zeit - genoſſe, Freund und Correſpondent des hyperboliſch - complimentoͤſen Balzac war, den er in Briefen und Antworten auf eine geiſtreiche Weiſe gleichſam parodirt. 275Außerordentlich zart behandelt er ſeine Mitlebenden, Freunde, Studiengenoſſen, ja ſogar ſeine Gegner. Reizbar und voll Ehrgefuͤhl entweicht er allen Gele - genheiten ſich zu compromittiren; er verharrt im her - gebrachten Schicklichen und weiß zugleich ſeine Eigen - thuͤmlichkeit auszubilden, zu erhalten und durchzufuͤhren. Daher ſeine Ergebenheit unter die Ausſpruͤche der Kir - che, ſein Zaudern als Schriftſteller hervorzutreten, ſeine Aengſtlichkeit bey den Schickſalen Galilei’s, ſein Suchen der Einſamkeit und zugleich ſeine ununter - brochne Geſelligkeit durch Briefe.
Seine Avantagen als Edelmann nutzt er in juͤn - gern und mittlern Jahren; er beſucht alle Hof -, Staats -, Kirchen - und Kriegsfeſte; eine Vermaͤhlung, eine Kroͤnung, ein Jubilaͤum, eine Belagerung kann ihn zu einer weiten Reiſe bewegen; er ſcheut weder Muͤhe, noch Aufwand, noch Gefahr, um nur alles mit Augen zu ſehen, um mit ſeines Gleichen, die ſich jedoch in ganz anderm Sinne in der Welt herumtummeln, an den merkwuͤrdigſten Ereigniſſen ſeiner Zeit ehrenvoll Theil zu nehmen.
Wie man nun dieſes Aufſuchen einer unendlichen Empirie an ihm verulamiſch nennen koͤnnte, ſo zeigt ſich an dem ſtets wiederhohlten Verſuch der Ruͤckkehr in ſich ſelbſt, in der Ausbildung ſeiner Originalitaͤt und Productionskraft ein gluͤckliches Gegengewicht. Er wird muͤde mathematiſche Probleme aufzugeben und aufzuloͤſen, weil er ſieht, daß dabey nichts her -18 *276auskommt; er wendet ſich gegen die Natur und gibt ſich im Einzelnen viele Muͤhe; doch mochte ihm als Naturforſcher manches entgegenſtehen. Er ſcheint nicht ruhig und liebevoll an den Gegenſtaͤnden zu verweilen, um ihnen etwas abzugewinnen; er greift ſie als auf - loͤsbare Probleme mit einiger Haſt an und kommt mei - ſtentheils von der Seite des complicirteſten Phaͤno - mens in die Sache.
Dann ſcheint es ihm auch an Einbildungskraft und an Erhebung zu fehlen. Er findet keine geiſtigen lebendigen Symbole, um ſich und andern ſchwer aus - zuſprechende Erſcheinungen anzunaͤhern. Er bedient ſich, um das Unfaßliche, ja das Unbegreifliche zu er - klaͤren, der crudeſten ſinnlichen Gleichniſſe. So ſind ſeine verſchiedenen Materien, ſeine Wirbel, ſeine Schrauben, Haken und Zacken, niederziehend fuͤr den Geiſt, und wenn dergleichen Vorſtellungsarten mit Beyfall aufgenommen wurden, ſo zeigt ſich daraus, daß eben das Roheſte, Ungeſchickteſte der Menge das Gemaͤßeſte bleibt.
In dieſer Art iſt denn auch ſeine Lehre von den Farben. Das Mittlere ſeiner Elemente beſteht aus Lichtkuͤgelchen, deren directe gemeſſene Bewegung nach einer gewiſſen Geſchwindigkeit wirkt. Bewegen ſich die Kuͤgelchen rotirend, aber nicht geſchwinder als die gradlinigen; ſo entſteht die Empfindung von Gelb. Eine ſchnellere Bewegung derſelben bringt Roth hervor, und eine langſamere als die der gradlinigen, Blau. 277Schon fruͤher hatte man der mehrern Staͤrke des Sto - ßes aufs Auge die Verſchiedenheit der Farben zuge - ſchrieben.
Carteſius Verdienſte um den Regenbogen ſind nicht zu laͤugnen. Aber auch hier, wie in andern Faͤllen, iſt er gegen ſeine Vorgaͤnger nicht dankbar. Er will nun ein fuͤr allemal ganz original ſeyn; er lehnt nicht allein die laͤſtige Autoritaͤt ab, ſondern auch die foͤrderliche. Solche Geiſter, ohne es beynahe ſelbſt gewahr zu werden, verlaͤugnen was ſie von ihren Vorgaͤngern gelernt und was ſie von ihren Mitlebenden genutzt. So verſchweigt er den Antonius De Dominis, der zuerſt die Glaskugel angewen - det, um die ganze Erſcheinung des Regenbogens inner - halb des Tropfens zu beſchraͤnken, auch den innern Regenbogen ſehr gut erklaͤrt hat.
Des Cartes hingegen hat ein bedeutendes Ver - dienſt um den aͤußern Regenbogen. Es gehoͤrte ſchon Aufmerkſamkeit dazu, die zweyte Reflexion zu bemer - ken, wodurch er hervorgebracht wird, ſo wie ſein ma - thematiſches Talent dazu noͤthig war, um die Winkel zu berichtigen, unter denen das Phaͤnomen ins Auge kommt.
Die Linearzeichnungen jedoch, welche er, um den Vorgang deutlich zu machen, ausſinnt, ſtellen keines - wegs die Sache dar, ſondern deuten ſie nur an. Dieſe Figuren ſind ein abſtractes compendioͤſes Sapienti278 sat, belehren aber nicht uͤber das Phaͤnomen, indem ſie die Erſcheinung auf einfache Strahlen zuruͤckfuͤhren, da doch eigentlich Sonnenbilder im Grunde des Trop - fens verengt, zuſammengefuͤhrt und uͤber einander ver - ſchraͤnkt werden. Und ſo konnten dieſe Carteſiſchen, einzelne Strahlen vorſtellenden Linien der Newtoniſchen Erklaͤrung des Regenbogens guͤnſtig zum Grunde liegen.
Der Regenbogen als anerkannter Refractionsfall fuͤhrt ihn zu den prismatiſchen einfacheren Verſuchen. Er hat ein Prisma von 30 bis 40 Graden, legt es auf ein durchloͤchert Holz und laͤßt die Sonne hin - durchſcheinen; das ganze colorirte Spectrum erblickt er bey kleiner Oeffnung: weil aber ſein Prisma von wenig Graden iſt, ſo kann er leicht, bey vergroͤßerter Oeffnung, den weißen Raum in der Mitte bemerken.
Hierdurch gelangt er zu der Haupteinſicht, daß eine Beſchraͤnkung noͤthig ſey, um die prismatiſchen Farben hervorzubringen. Zugleich ſieht er ein, daß weder die Ruͤnde der Kugel, noch die Reflexion, zur Hervorbringung der Farbenerſcheinung beytrage, weil beydes beym Prisma nicht ſtatt findet, und die Farbe doch maͤchtig erſcheint. Nun ſucht er auch im Regen - bogen jene noͤthige Beſchraͤnkung und glaubt ſie in der Graͤnze der Kugel, in dem dahinter ruhenden Dunkel anzutreffen, wo ſie denn freylich, wie wir kuͤnftig zei - gen werden, nicht zu ſuchen iſt.
geb. 1601. geſt. 1680.
Er gibt in dem Jahre 1646 ſein Werk Ars magna lucis et umbrae heraus. Der Titel ſo wie das Motto Sicut tenebrae ejus ita lumen ejus, ver - kuͤndigen die gluͤckliche Hauptmaxime des Buches. Zum erſtenmal wird deutlich und umſtaͤndlich ausge - fuͤhrt, daß Licht, Schatten und Farbe als die Elemen - te des Sehens zu betrachten; wie denn auch die Far - ben als Ausgeburten jener beyden erſten dargeſtellt ſind.
Nachdem er Licht und Schatten im Allgemeinen behandelt, gelangt er im dritten Theile des erſten Buches an die Farbe, deſſen Vorrede wir uͤberſetzt einſchalten.
Vorrede.
„ Es iſt gewiß, daß in dem Umfange unſeres Erdkreiſes kein dergeſtalt durchſichtiger Koͤrper ſich be - finde, der nicht einige Dunkelheit mit ſich fuͤhre. Daraus folgt, daß wenn kein dunkler Koͤrper in der Welt waͤre, weder eine Ruͤckſtrahlung des Lichtes, noch in den verſchiedenen Mitteln eine Brechung deſſel - ben, und auch keine Farbe ſichtbar ſeyn wuͤrde, als jene erſte, die zugleich im Lichte mit geſchaffen iſt. Hebt man aber die Farbe auf, ſo wird zugleich alles Sehen aufgehoben, da alles Sichtbare nur vermoͤge der gefaͤrbten Oberflaͤche geſehen wird; ja der leuch -280 tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden wegnaͤhme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte. Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten. Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr - pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht, des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt werde. “
Erſtes Capitel. Unſer Verfaſſer moͤchte, um ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben, eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr, daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand auszudruͤcken pflegten.
Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man - nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das281 Schema des Aguilonius, das er mit einiger Ver - aͤnderung benutzt. Er behauptet, alle Farben ſeyen wahr, worin er in gewiſſem Sinne Recht hat, will von den andern Eintheilungen nichts wiſſen, worin er didactiſch Unrecht hat. Genug er gruͤndet ſich darauf, daß jede Farbe, ſie moͤge an Koͤrpern oder ſonſt erſcheinen, eine wahre entſchiedene Urſache hinter ſich habe.
Drittes Capitel. Chromatismus der Luft. Er handelt von den Farben des Himmels und des Mee - res und bringt verſchiedene aͤltere Meynungen uͤber die Blaͤue der Luft vor. Wir uͤberſetzen die Stelle, welche ſeine eigenen Gedanken enthaͤlt, um den Leſer urthei - len zu laſſen, wie nahe er an der aͤchten Erklaͤrungs - art geweſen. Denn er fuͤhlt die Bedeutſamkeit des nicht voͤllig Durchſichtigen, wodurch wir ja zunaͤchſt auf die Truͤbe hingeleitet werden.
„ Zuvoͤrderſt muß man wiſſen, daß unſer Geſicht nichts ſehen koͤnne, als was eine Farbe hat. Weil aber das Geſicht nicht immer auf dunkle Koͤrper oder Koͤrper von gefaͤrbter Oberflaͤche gerichtet iſt, ſondern auch ſich in den unendlichen Luftraum und in die himmliſchen durchſichtigen Fernen, welche keine Duͤ - ſternheit haben, verliert, wie wenn wir den heiteren Himmel und entfernte hohe Gebirgsgipfel betrachten; ſo war, damit eine ſolche Handlung nicht ihres Zwe -282 ckes beraubt werde und ſich im Graͤnzenloſen verliere, die Natur ſchuldig, jenem durchſichtigen unendlichen Mittel eine gewiſſe Farbe zu verleihen, auf daß der Blick eine Graͤnze faͤnde, nicht aber in Finſterniß und Nichts ausliefe. Eine ſolche Farbe nun konnte weder Weiß, Gelb noch Roth ſeyn, indem die - ſe, als dem Licht benachbart und verwandt, einen unterliegenden Gegenſtand verlangen, um geſehen werden zu koͤnnen. Denn was nahe iſt, vergleicht ſich dem Lichte, und das Fernſte der Finſterniß. Deswegen auch helle Farben, wenn man ſie in einem beſtimmten Raum gewahr wird, deſtomehr zum Schatten und zur Finſterniß ſich neigen, jemehr ſie ſich vom Lichte oder der Sehkraft entfernen. Der Blick jedoch, der in jene unendliche aͤtheriſche Raͤume dringt, ſollte zuletzt begraͤnzt werden und war ſowohl wegen der unendlichen Ferne, als wegen der unendlichen Ver - mannigfaltigung der Luftſchichten nur durch Finſter - niß zu begraͤnzen, eine ſchwarze Farbe aber wollte ſich weder fuͤr die Augen, noch fuͤr die Welt ſchicken; deswegen berieth ſich die Natur aufs weiſeſte, und zwiſchen den lichten Farben, dem Weißen, Gelben und Rothen und dem eigentlich Finſtern fand ſich eine Mittelfarbe, naͤmlich die blaue, die aus einer unglei - chen Miſchung des Lichtes und der Finſterniß be - ſtand. Durch dieſe nun, wie durch einen hoͤchſt an - genehmen Schatten, ſollte der Blick begraͤnzt ſeyn, daß er vom Hellen nicht ſo ſehr zerſtreut, vom Finſtern nicht zu ſehr zuſammengezogen oder von dem Rothen entzuͤndet wuͤrde, und ſo ſtellte die Natur das Blaue283 dazwiſchen, zunaͤchſt an der Finſterniß, ſo daß das Auge, ohne verletzt zu werden, die erfreulichen Him - melsraͤume durch ihre Vorſehung mit Vergnuͤgen und Bewunderung betrachten kann. “
Die Naivetaͤt, womit Kircher um die Sache her - umgeht, iſt merkwuͤrdig genug. Man koͤnnte ſie comiſch nennen, wenn man nicht dabey ein treues Beſtreben wahrnaͤhme. Und iſt er es doch nicht allein, ſind doch bis auf den heutigen Tag noch Menſchen, denen die Vorſtellungsart der Endurſachen gefaͤllt, weil ſie wirklich etwas geiſtiges hat und als eine Art von Anthropomorphism angeſehen werden kann. Dem Aufmerkſameren freylich wird nicht entgehen, daß man der Natur nichts abgewinnen kann, wenn man ihr, die bloß nothwendig handelt, einen Vorſatz unter - ſchiebt und ihren Reſultaten ein zweckmaͤßiges Anſehen verleihen moͤchte.
Viertes Capitel. Chromatismus der Bre - chung. Die Farben des Prismas erklaͤrt er wie An - tonius de Dominis dadurch, daß die hellſten Farben beym Durchgang durch die ſchwaͤchſte Seite des Gla - ſes, die dunkelſten beym Durchgang durch die ſtaͤrk - ſten Seiten des Glaſes entſtehen.
Die Erfahrung mit dem nephritiſchen Holze traͤgt er weitlaͤuftig vor.
Fuͤnftes Capitel. Chromatismus der Me -284 talle, Gefaͤrbtheit durchſichtiger Steine, der Salze, der Metallkalke.
Sechſtes Capitel. Chromatismus der Pflan - zen. Beſonders wird gefragt: wie man Pflanzen faͤrben koͤnne.
Siebentes Capitel. Chromatismus der Thiere. Er bringt zur Sprache warum Pferde nicht gruͤn und blau ſeyn koͤnnen; warum die vierfuͤßigen Thiere nicht goldfarben ausſehen, warum hingegen die Voͤgel und Inſekten alle Arten von Farben an - nehmen. Auf welche Fragen durchaus er, wie man wohl erwarten kann, keine befriedigende Antwort gibt. Von den Farben des Chamaͤleons werden eigene Er - fahrungen beygebracht.
Achtes Capitel. Vom Urtheil nach Farben, und zwar zuerſt von den Farben des Himmels, der Wolken; Beurtheilung der Steine, Pflanzen und Thiere nach den Farben. Hiezu werden Regeln ge - geben. Beurtheilung der Menſchen, ihre Complexion und ſonſtige Eigenſchaften betreffend, nach den ver - ſchiedenen Farben der Haut, der Augen, der Haare. Der Farben des Urins wird gedacht, wobey zu be - merken iſt, daß bey Gelegenheit des Urins die Farben ſchon fruͤher zur Sprache gekommen, und wenn wir nicht irren, ein Buͤchlein de Urinis der Abhandlung des Theophraſt uͤber die Farben bey einer fruͤheren Edition hinzugefuͤgt iſt.
285Kircher hat bey dem Vielen, was er unternommen und geliefert, in der Geſchichte der Wiſſenſchaften doch einen ſehr zweydeutigen Ruf. Es iſt hier der Ort nicht, ſeine Apologie zu uͤbernehmen; aber ſoviel iſt gewiß: die Naturwiſſenſchaft kommt uns durch ihn froͤhlicher und heiterer entgegen, als bey keinem ſeiner Vorgaͤnger. Sie iſt aus der Studierſtube, vom Ca - theder in ein bequemes wohlausgeſtattetes Kloſter ge - bracht, unter Geiſtliche, die mit aller Welt in Ver - bindung ſtehen, auf alle Welt wirken, die Menſchen belehren aber auch unterhalten und ergetzen wollen.
Wenn Kircher auch wenig Probleme aufloͤſt, ſo bringt er ſie doch zur Sprache und betaſtet ſie auf ſeine Weiſe. Er hat eine leichte Faſſungskraft, Be - quemlichkeit und Heiterkeit in der Mittheilung, und wenn er ſich aus gewiſſen techniſchen Spaͤßen, Per - ſpectiv - und Sonnenuhr-Zeichnungen gar nicht los - winden kann, ſo ſteht die Bemerkung hier am Platze, daß, wie jenes im vorigen Jahrhundert bemerkliche hoͤhere Streben nachlaͤßt, wie man mit den Eigen - ſchaften der Natur bekannter wird, wie die Technik zunimmt, man nun das Ende von Spielereyen und Kuͤnſteleyen gar nicht finden, ſich durch Wiederhohlung und mannigfaltige Anwendung eben derſelben Er - ſcheinung, eben deſſelben Geſetzes, niemals erſaͤttigen kann; wodurch zwar die Kenntniß verbreitet, die Ausuͤbung erleichtert, Wiſſen und Thun aber zuletzt geiſtlos wird. Witz und Klugheit arbeiten indeſſen jenen Forderungen des Wunderbaren entgegen und machen die Taſchenſpielerey vollkommner.
286Wir wollen hier noch zum Schluſſe des Pater Bonacurſius gedenken, der mit Kirchern auf die Dauer des Bildeindrucks im Auge aufmerkſam ward. Zu - faͤlligerweiſe war es das Fenſterkreuz, das ſie von jener merkwuͤrdigen phyſiologiſchen Erſcheinung belehrte, und es iſt ihnen als Geiſtlichen nicht zu verargen, daß ſie zuerſt der Heiligkeit dieſer mathematiſchen Figur eine ſolche Wunderwirkung zuſchrieben. Uebri - gens iſt dieß einer von den wenigen Faͤllen, wo eine Art von Aberglaube ſich zur Betrachtung der Far - benerſcheinung geſellt hat.
geb. 1595. geſt. 1667.
Die großen Wirkungen, welche Keppler und Tycho de Brahe, in Verbindung mit Galilei, im ſuͤdlichen Deutſchland hervorgebracht, konnten nicht ohne Folge bleiben, und es laͤßt ſich bemerken, daß in den kaiſer - lichen Staaten, ſowohl bey einzelnen Menſchen als ganzen Geſellſchaften, dieſer erſte kraͤftige Anſtoß immer fortwirkt.
Marcus Marci, etliche und zwanzig Jahre juͤnger als Keppler, ob er ſich gleich vorzuͤglich auf Sprachen gelegt hatte, ſcheint auch durch jenen mathematiſch - aſtronomiſchen Geiſt angeregt worden zu ſeyn. Er war zu Landscron geboren und zuletzt Profeſſor in287 Prag. Bey allen ſeinen Verdienſten, die von ſeinen gleichzeitigen Landsleuten hoͤchlich geſchaͤtzt wurden, fehlte es ihm doch eigentlich, ſoviel wir ihn beurthei - len koͤnnen, an Klarheit und durchdringendem Sinn. Sein Werk, das uns hier beſonders angeht, Thauman - tias, Liber de arcu coelesti, deque Colorum ap - parentium natura, ortu et causis, zeugt von dem Ernſt, Fleiß und Beharrlichkeit des Verfaſſers; aber es hat im Ganzen etwas Truͤbſeliges. Er iſt mit den Alten noch im Streit, mit den Neuern nicht einig, und kann die Angelegenheit, mit der er ſich eigentlich beſchaͤftigt, nicht in die Enge bringen; welches freylich eine ſchwere Aufgabe iſt, da ſie nach allen Seiten hindeutet.
Einſicht in die Natur kann man ihm nicht ab - ſprechen; er kennt die prismatiſchen Verſuche ſehr ge - nau; die dabey vorkommende farbloſe Refraction, die Faͤrbung ſowohl in objectiven als ſubjectiven Faͤllen, hat er vollſtaͤndig durchgearbeitet: es mangelt ihm aber an Sonderungsgabe und Ordnungsgeiſt. Sein Vor - trag iſt unbequem, und wenn man auch begreift, wie er auf ſeinem Weg, zum Zweck zu gelangen glaubte; ſo iſt es doch aͤngſtlich, ihm zu folgen.
Bald ſtellt er fremde Saͤtze auf, mit denen er ſtreitet, bald ſeine eigenen, denen er gleichfalls op - ponirt, ſodann aber ſie wieder rechtfertigt, dergeſtalt daß nichts auseinander tritt, vielmehr eins uͤber das andre hingeſchoben wird.
288Die prismatiſchen Farben entſtehen ihm aus einer Condenſation des Lichts; er ſtreitet gegen die, welche den Schatten zu einer nothwendigen Bedingung dieſer Erſcheinung machen, und muß doch bey ſubjectiven Verſuchen sepimenta und insterstitia umbrosa ver - langen und hinzufuͤgen: cujus ratio est, quod spe - cies lucis aut color se mediam infert inter umbro - sa intervalla. Auch iſt zu bemerken, daß wir bey ihm ſchon eine diverſe Refraction finden.
So wie in Methode und Vortrag, alſo auch in Sprache und Styl iſt er Kepplern entgegengeſetzt. Wenn man bey dieſem mit Luſt Materien abgehandelt ſieht, die man nicht kennt, und ihn zu verſtehen glaubt; ſo wird bey jenem dasjenige, was man ſehr gut ver - ſteht, wovon wir die genaueſte Kenntniß haben, durch eine duͤſtre Behandlung verworren, truͤb, ja man darf ſagen ausgeloͤſcht. Um ſich hiervon zu uͤberzeugen, leſe derjenige, dem die ſubjectiven prismatiſchen Ver - ſuche vollkommen bekannt ſind, die Art, wie der Verfaſſer das Phaͤnomen erklaͤrt S. 177.
geb. 1594. geſt. 1669.
La Lumiere, par le Sieur De la Chambre, Conseiller du Roy en Ses Conseils, et son Mede - cin ordinaire. Paris 1657.
289Kircher hatte ausgeſprochen, daß die Farben Kin - der des Lichts und des Schattens ſeyen; Carteſius hatte bemerkt, daß zum Erſcheinen der prismatiſchen Farben eine Beſchraͤnkung mitwirken muͤſſe: man war alſo von zwey Seiten her auf dem Wege, das Rechte zu treffen, indem man jenen dem Licht entgegengeſetzten Bedingungen ihren integrirenden und conſtituirenden Antheil an der Farbenerſcheinung zugeſtand.
Man warf ſich jedoch bald wieder auf die ent - gegengeſetzte Seite und ſuchte alles in das Licht hin - einzulegen, was man hernach wieder aus ihm heraus - demonſtriren wollte. Der einfache Titel des Buchs La Lumiere, im Gegenſatz mit dem Kircheriſchen, iſt recht charakteriſtiſch. Es iſt dabey darauf angeſehen, alles dem Lichte zuzuſchieben, ihm alles zuzuſchreiben, um nachher alles wieder von ihm zu fordern.
Dieſe Geſinnung nahm immer mehr uͤberhand, jemehr man ſich dem Ariſtoteles entgegenſtellte, der das Licht als ein Accidens, als etwas, das einer be - kannten oder verborgenen Subſtanz begegnen kann, an - geſehen hatte. Nun wurde man immer geneigter, das Licht wegen ſeiner ungeheuern Wirkungen nicht als etwas Abgeleitetes anzuſehen; man ſchrieb ihm viel - mehr eine Subſtanz zu, man ſah es als etwas Ur - ſpruͤngliches, fuͤr ſich Beſtehendes, Unabhaͤngiges, Unbe - dingtes an; doch mußte dieſe Subſtanz, um zu erſchei - nen, ſich materiiren, materiell werden, Materie wer - den, ſich koͤrperlich und endlich als Koͤrper darſtellen,II. 19290als gemeiner Koͤrper, der nun Theile aller Art[ent - halten], auf das verſchiedenſte und wunderlichſte ge - miſcht, und ungeachtet ſeiner anſcheinenden Einfalt als ein heterogenes Weſen angeſehen werden konnte. Dieß iſt der Gang, den von nun an die Theorie nimmt, und die wir in der Newtoniſchen Lehre auf ihrem hoͤchſten Puncte finden.
Jene fruͤhere Erklaͤrungsart aber, die wir durch Kirchern umſtaͤndlicher kennen gelernt, geht neben der neuern bis zu Ende des Jahrhunderts immer parallel fort, bildet ſich immer mehr und mehr aus und tritt noch einmal zuletzt ganz deutlich in Nuguet hervor, wird aber von der Newtoniſchen voͤllig verdraͤngt, nach - dem ſie vorher durch Boyle bey Seite geſchoben war.
De la Chambre ſelbſt erſcheint uns als ein Mann von ſehr ſchwachen Kraͤften: es iſt weder Tiefe in ſeinen Conceptionen, noch Scharfſinn in ſeinen Controverſen. Er nimmt vier Arten Licht in der Natur an; die erſte ſey das innere, radicale, gewiſſen Koͤrpern weſentliche, das Licht der Sonne, der Sterne, des Feuers; das andre ein aͤußeres, abgeleitetes, voruͤbergehendes, das Licht der von jenen Koͤrpern erleuchteten Gegenſtaͤnde. Nun gibt es, nach ſeiner Lehre, noch andre Lichter, die vermindert und geſchwaͤcht ſind und nur einige Theile jener Vollkommenheit beſitzen, das ſind die Farben. Man ſieht alſo, daß von einer Seite eine Bedingung zugegeben werden muß, die das Licht ſchwaͤcht, und daß man von der andern wieder dem Lichte eine Eigen -291 ſchaft zuſchreibt, gleichſam ohne Bedingung geſchwaͤch - ſeyn zu koͤnnen. Wir wollen uͤbrigens dem Verfaſſer in ſeiner Deduction folgen.
Erſter Artikel. Daß das aͤußre Licht von der - ſelben Art ſey wie das radicale. Nachdem er Wirkun und Urſache getrennt, welche in der Natur voͤllig zu - ſammen fallen, ſo muß er ſie hier wieder verknuͤpfen und alſo ſeine Eintheilung gewiſſermaßen wieder auf - heben.
Zweyter Artikel. Daß die apparenten Far - ben nichts anders als das Licht ſelbſt ſeyen. Auch hier muß er das Mittel, wodurch das Licht durchgeht, als Bedingung vorausſetzen; dieſe Bedingung ſoll aber nichts als eine Schwaͤchung hervorbringen.
Dritter Artikel. Das Licht vermiſche ſich nicht mit der Dunkelheit (obscurité). Es iſt ja aber auch nicht von der Dunkelheit die Rede, ſondern von dem Schatten, mit welchem das Licht ſich auf manche Weiſe verbinden, und der unter gewiſſen Umſtaͤnden zur Bedingung werden kann, daß Farben erſcheinen, ſo wie bey den Doppelbildern ſchattengleiche Halbbilder entſtehen, welche eben in den Fall kommen koͤnnen farbig zu ſeyn. Alles uͤbrige ſchon oft Geſagte wollen wir hier nicht wiederhohlen.
Vierter Artikel. Das Licht vermiſche ſich nicht mit dem Duͤſtern (opacité). Bey dem prisma -19 *292tiſchen Falle, wovon er ſpricht, mag er zwar in ge - wiſſem Sinne Recht haben: denn die Farben entſtehen nicht aus dem einigermaßen Duͤſtern des Prismas, ſondern an dem zugleich gewirkten Doppelbilde. Hat man aber die Lehre vom Truͤben recht inne; ſo ſieht man, wie das, was man allenfalls auch duͤſter nennen koͤnnte, naͤmlich das nicht vollkommen Durchſichtige, das Licht bedingen kann, farbig zu erſcheinen.
Fuͤnfter Artikel. Daß das Licht, indem es ſich in Farbe verwandelt, ſeine Natur nicht veraͤndere. Hier wiederhohlt er nur die Behauptung: die Farben ſeyen bloß geſchwaͤchte Lichter.
Sechſter Artikel. Welche Art von Schwaͤ - chung das Licht in Farbe verwandle. Durch ein Gleich - niß vom Ton hergenommen unterſcheidet er zwey Ar - ten der Schwaͤchung des Lichtes: die erſte vergleicht er einem Ton, der durch die Entfernung geſchwaͤcht wird, und das iſt nun ſeine dritte Art Licht; die zweyte ver - gleicht er einem Ton, der von der Tiefe zur Hoͤhe uͤbergeht und durch dieſe Veraͤnderung ſchwaͤcher wird, dieſes iſt nun ſeine vierte Art Licht, naͤmlich die Far - be. Die erſte Art moͤchte man eine quantitative und die zweyte eine qualitative nennen, und dem Verfaſſer eine Annaͤhrung an das Rechte nicht ablaͤngnen. Am Ende, nachdem er die Sache weitlaͤuftig auseinander geſetzt, zieht er den Schluß, daß die Farben nur ge - ſchwaͤchte Lichter ſeyn koͤnnen, weil ſie nicht mehr die Lebhaftigkeit haben, welche das Licht beſaß, woraus ſie293 entſpringen. Wir geben gern zu, daß die Farben als geſchwaͤchte Lichter angeſehen werden koͤnnen, die aber nicht aus dem Licht entſpringen, ſondern an dem Licht gewirkt werden.
Siebenter Artikel. Daß die apparenten und die fixen Farben beyde von einerley Art ſeyen. Daß die ſaͤmmtlichen Farben, die phyſiologiſchen apparenten und fixen, unter einander in der groͤßten Verwandtſchaft ſte - hen, waͤre Thorheit zu laͤugnen. Wir ſelbſt haben dieſe Verwandtſchaft in unſerm Entwurfe abzuleiten und, wo es nicht moͤglich war ſie ganz durchzufuͤhren, ſie we - nigſtens anzudeuten geſucht.
Achter Artikel. Daß die fixen Farben nicht vom Sonnenlichte herkommen. Er ſtreitet hier gegen diejenigen, welche die Oberflaͤche der Koͤrper aus ver - ſchieden geſtalteten Theilchen zuſammenſetzen und von dieſen das Licht verſchiedenfarbig zuruͤckſtrahlen laſſen. Da wir den fixen Farben einen chemiſchen Urſprung zugeſtehen und eine gleiche Realitaͤt wie andern chemi - ſchen Phaͤnomenen; ſo koͤnnen wir den Argumenten des Verfaſſers beytreten. Uns iſt Lacmus in der Fin - ſterniß ſo gut gelbroth als der zugemiſchte Eſſig ſauer, eben ſo gut blauroth als das dazugemiſchte Alcali fade. Man koͤnnte, um es hier im Vorbeygehen zu ſagen, die Farben der Finſterniß auch intentionell nen - nen: ſie haben die Intention eben ſo gut, zu erſcheinen und zu wirken, als ein Gefangner im Gefaͤngniß, frey zu ſeyn und umher zu gehen.
294Neunter Artikel. Daß die Farben keine Flammen ſeyen. Dieſes iſt gegen den Plato gerichtet, der indeſſen, wenn man ſeine Rede gleichnißweiſe neh - men will, der Sache nahe genug kommt: denn der Verfaſſer muß ja im
Zehnten Artikel behaupten: daß die fixen Farben innerliche Lichter der Koͤrper ſeyen. Was hier zur Sprache kommt, druͤckt ſich viel beſſer aus durch die ſpaͤter von De la Val hauptſaͤchlich urgirte nothwen - dige Bedingung zum Erſcheinen der fixen Farben, daß ſie naͤmlich einen hellen Grund hinter ſich haben muͤſ - ſen, bis zu dem das auffallende Licht hindurchdringt, durch die Farbe zum Auge zuruͤckkehrt, ſich mit ihr gleichſam tingirt und auf ſolche Weiſe ſpecifiſch fort - wirkt. Das Gleiche geſchieht beym Durchſcheinen eines urſpruͤnglich farbloſen Lichtes durch transparente farbige Koͤrper oder Flaͤchen Wie nun aber dieß zugehe, daß die den Koͤrpern angehoͤrigen Lichter durch das radicale Licht aufgeweckt werden, daruͤber verſpricht uns der Verfaſſer in ſeinem Capitel von der Wirkung des Lich - tes zu belehren, wohin wir ihm jedoch zu folgen nicht rathſam finden. Wir bemerken nur noch, daß er in ſeinem
Elften Artikel nun die vier verſchiedenen Lich - ter fertig hat, naͤmlich das Licht, das den leuchtenden Koͤrpern angehoͤrt, dasjenige was ſie von ſich abſchi - cken, das Licht das in den fixen Farben ſich befindet, und das was von dieſen als Wirkung, Gleichniß,295 Gleichartiges, Species, espèce abgeſendet wird. Da - durch erhaͤlt er alſo zwey vollkommene und voͤllig ra - dicale, den Koͤrpern eigene, ſo wie zwey geſchwaͤchte und verminderte aͤußerliche und voruͤbergehende Lichter.
Auf dieſem Wege glaubt er nun dem Licht oder den Lichtern, ihrem Weſen und Eigenſchaften naͤher zu dringen, und ſchreitet nun im zweyten Capitel des er - ſten Buchs zur eigentlichen Abhandlung. Da jedoch das was uns intereſſirt, naͤmlich ſeine Geſinnung uͤber Farbe, in dem erſten Capitel des erſten Buchs voͤllig ausgeſprochen iſt, ſo glauben wir ihm nicht weiter fol - gen zu muͤſſen, um ſo weniger, als wir ſchon den Ge - winn, den wir von der ganzen Abhandlung haben koͤnnten, nach dem bisher Geſagten, zu ſchaͤtzen im Stande ſind.
Geb. 1618. geſt. 1689.
Sohn und Bruder vorzuͤglicher Gelehrten und fuͤr die Wiſſenſchaften thaͤtiger Menſch. Fruͤhe wird er in alten Sprachen und den damit verbundenen Kenntniſ - ſen unterrichtet. In ihm entwickelt ſich eine leiden - ſchaftliche Liebhaberey zu Manuſcripten. Er beſtimmt ſich zum Herausgeber alter Autoren und beſchaͤftigt ſich vorzuͤglich mit geographiſchen und aſtronomiſchen Wer - ken. Hier mag er empfinden, wie nothwendig zu Be -296 arbeitung derſelben Sachkenntniſſe gefordert werden; und ſo naͤhert er ſich der Phyſik und Mathematik. Weite Reiſen befoͤrdern ſeine Naturanſchauung.
Wie hoch man ſeine eigenen Arbeiten in dieſem Fache anzuſchlagen habe, wollen wir nicht entſcheiden. Sie zeugen von einem hellen Verſtand und ernſten Wil - len. Man findet darin originelle Vorſtellungsarten, welche uns Freude machen, wenn ſie auch mit den unſrigen nicht uͤbereinſtimmen. Seine Zeitgenoſſen, meiſt Descartes Schuͤler, ſind uͤbel mit ihm zufrieden und laſſen ihn nicht gelten.
Uns intereſſirt hier vorzuͤglich ſein Werk de Lucis natura et proprietate. Amstelodami 1662; wozu er ſpaͤter einen polemiſchen Nachtrag herausgegeben. Wie er uͤber die Farben gedacht, laſſen wir ihn ſelbſt vor - tragen.
„ Opak, d. h. undurchſichtig, werden alle Koͤrper genannt, die gefaͤrbt ſind und das Licht nicht durchlaſ - ſen. Genau genommen iſt eigentlich nichts vollkommen durchſichtig, als der leere Raum, indem die meiſten Koͤrper, ob ſie gleich klar erſcheinen, eben weil ſie ge - ſehen werden, offenbar etwas von Undurchſichtigkeit an ſich haben. “
„ Daß alſo einige Koͤrper durchſichtig, andre aber opak erſcheinen, dieſes ruͤhrt von nichts anderm als von der Beymiſchung der Farbe her. Wenn es keine Farben gaͤbe, ſo wuͤrde alles durchſichtig oder weiß ausſehen. Es gibt keinen Koͤrper, er ſey fluͤſſig oder feſt und dicht, der nicht ſogleich durchſichtig wuͤrde, ſobald man die Farbe von ihm trennt. Daher iſt die Meynung derer nicht richtig, welche die Farbe ein mo - dificirtes Licht nennen, da dem Lichte nichts ſo entge - gen iſt als die Farbe. Wenn die Farben Licht in ſich haͤtten, ſo wuͤrden ſie auch des Nachts leuchten, wel - ches doch nicht der Fall iſt. “
„ Urſache und Urſprung der Farben daher kommt allein von dem Feuer oder der Waͤrme. Wir koͤnnen dieſes daran ſehen, daß in kalten Gegenden alles weiß iſt, ja ſelbſt die Thiere weiß werden, beſonders im Win - ter. Die Weiße aber iſt mehr der Anfang der Farben als Farbe ſelbſt. “
„ An heißen Orten hingegen findet ſich die ganze Mannigfaltigkeit der Farben. Was auch die Sonne mit ihren guͤnſtigen Strahlen beſcheint, dieſes nimmt ſogleich eine angenehme und erfreuliche Faͤrbung an. Findet ſich auch in kalten Gegenden manchmal etwas gefaͤrbtes, ſo iſt es doch nur ſelten und ſchwach, und298 deutet mehr auf ein Beſtreben einer abnehmenden Na - tur, als ihre Macht und Gewalt an; wie denn ein einziges indiſches Voͤgelchen eine groͤßere Farbenman - nigfaltigkeit leiſtet, als das ſaͤmmtliche Voͤgelgeſchlecht, das norwegiſche und ſchwediſche Waͤlder bevoͤlkert. Eben ſo verhaͤlt ſichs mit den uͤbrigen Thieren, Pflanzen und Blumen; denn in jenen Gegenden findeſt du nicht einmal die Thaͤler mit leuchtenden und lebhaften Far - ben geſchmuͤckt, man muͤßte ſie denn durch Kunſt her - vorbringen, oder der Boden muͤßte von einer beſon - dern Beſchaffenheit ſeyn. Gelangt man weiter nach Norden, ſo begegnet einem nichts als Graues und Wei - ßes. Deswegen nehmen wir an: die Urſache der Far - ben ſey das Verbrennen der Koͤrper. “
„ Der Grundſtoff der Farben ſchreibt ſich nirgends anders her als von dem Schwefel, der einem jeden Koͤrper beygemiſcht iſt. Nach dem verſchiedenen Bren - nen dieſes Elements entſtehen auch die verſchiedenen Farben: denn der natuͤrliche Schwefel, ſo lange er weder Waͤrme noch Feuer erfahren hat, iſt durchſichtig; wird er aufgeloͤſt, dann nimmt er verſchiedene Farben an und verunreinigt die Koͤrper, denen er beygemiſcht iſt. Und zwar erſcheint er zuerſt gruͤn, dann gelb, ſodann roth, dann purpurfarb und zuletzt wird er ſchwarz. Iſt aller Schwefel erſchoͤpft und verzehrt, dann loͤſen ſich die Koͤrper auf, alle Farbe geht weg und nichts299 bleibt als eine weiße oder durchſichtige Aſche; und ſo iſt die Weiße der Anfang aller Farben, und das Schwarze das Ende. Das Weiße iſt am wenigſten Farbe; das Schwarze hingegen am meiſten. Und nun wollen wir die einzelnen Arten und Stufen der Farbe durchgehen. “
„ Die erſte Farbe daher, wenn man es Farbe nen - nen kann, iſt das Weiße. Dieſes tritt zunaͤchſt an das Durchſichtige, und da alle Koͤrper von Natur durchſich - tig ſind, ſo kommt hier zuerſt das Duͤſtre (opacitas) hin - zu und der Koͤrper wird ſichtbar bey dem geringſten Lichte, auch wenn der Schwefel nicht ſchmilzt, den wir jedem Koͤrper zugeſchrieben haben. Denn jeder durch - ſichtige Koͤrper, wenn er zerrieben wird, ſo daß eine Verſchiedenheit der Oberflaͤchen entſteht, erſcheint ſo - gleich als weiß, und es iſt ganz einerley, ob die Ma - terie feſt oder fluͤſſig geweſen. Man verwandle Waſſer zu Schaum, oder Glas in Pulver, ſo wird ſich die Durchſichtigkeit ſogleich in das Weiße verwandeln. Und zwar iſt dieſes die erſte Art des Weißen, und wenn du ſie allein betrachteſt; ſo kann man die Weiße nur uneigentlich zu den Farben zaͤhlen. Denn wenn du die einzelnen Koͤrperchen und ihre kleinſten Oberflaͤchen be - ſonders anſiehſt, ſo bleibt ihnen die Durchſichtigkeit, und bloß die Stellung, die Lage der Koͤrper betriegt den Anblick. “
300„ Aber eine andre Art des Weißen gibt es, wenn in einem durchſichtigen Koͤrper durch Einwirkung des Lichtes und der Waͤrme die zarteren Theile des Schwe - fels ſchmelzen und angezuͤndet werden: denn da auf dieſe Weiſe die Koͤrper austrocknen und duͤnner wer - den, ſo folgt daraus, daß auch verſchiedene neue Ober - flaͤchen entſtehen; und auf dieſe Art werden durchſich - tige Dinge, auch ehe die Tinctur des Schwefels hin - zutritt, weiß. Denn es iſt eine allgemeine Regel, daß jeder klein zerſtuͤckte Koͤrper weiß werde, und umge - kehrt, daß jeder weiße Koͤrper aus kleinen durchſichti - gen Theilen beſtehe. “
„ Zunaͤchſt an der Weiße folgen zwey Farben, das blaͤſſere Gruͤn und das Gelbe. Iſt die Waͤrme ſchwach, die das, was ſchweflicht iſt, in den Koͤrpern aufloͤſen ſoll; ſo geht das Gruͤne voraus, welches roher und waͤßriger iſt als das Gelbe. Verurſacht aber die Waͤr - me eine maͤchtigere Kochung; ſo tritt ſogleich nach dem Weißen ein Gelbes hervor, das reifer iſt und feuriger. Folgt aber auf dieſe Art das Gelbe dem Weißen, ſo bleibt kein Platz mehr fuͤr das Gruͤne. Denn auch in den Pflanzen wie in andern Koͤrpern, wenn ſie gruͤn werden, geht das Gruͤne dem Gelben voraus. “
„ In welcher Ordnung man auch die Farben zaͤhlt, ſo iſt die mittlere immer roth. Am maͤchtigſten iſt hier das flammende Roth, und dieſes entſteht nicht aus dem Weißen und Schwarzen, ſondern es iſt dem Schwefel ſeinen Urſprung ſchuldig. Und doch laſſen ſich aus dem301 Rothen, dem Weißen und dem Schwarzen alle Farben zuſammenſetzen. “
„ Entſteht naͤmlich eine groͤßere Verbrennung der Koͤrper und des Schwefels, ſo erſcheint die Purpur - und blaue Farbe, deren Miſchung bekannt iſt. Die Graͤnze der Farbe jedoch, ſo wie die letzte Verbren - nung iſt die Schwaͤrze. Dieſes iſt die letzte Tinctur des Schwefels und ſeine letzte Wirkung. Hierauf folgt die Aufloͤſung der Koͤrper. Wenn aber der Schwefel erſchoͤpft und die Feuchtigkeit aufgezehrt iſt, ſo bleibt nichts als die weiße und durchſichtige Aſche. Gibſt du dieſer die Feuchtigkeit und den Halt wieder, ſo kehren die Koͤrper in ihren erſten Zuſtand zuruͤck. “
„ In denjenigen Flammen, wie ſie taͤglich auf un - ſerm Heerde aufſteigen, iſt die entgegengeſetzte Ord - nung der Farben. Denn je dunkler die Tinctur des Schwefels in der Kohle iſt, deſto reiner und weißer ſteigt die Flamme auf. Jedoch iſt die Flamme, die zu - erſt aufſteigt, wegen beygemiſchten Unraths, dunkel und finſter; dann wird ſie purpurfarb, dann roͤthet ſie ſich und wird gelb. Faͤngt ſie an weiß zu werden, ſo iſt es ein Zeichen, daß Schwefel und brennbare Ma - terien zu Ende gehen. “
„ Es gibt aber weder eine voͤllig ſchwarze, noch voͤllig weiße Flamme. Wird ſie zu ſehr verdunkelt, dann iſt es Rauch, nicht Flamme; wird ſie zu ſehr weiß, ſo kann ſie auch nicht laͤnger beſtehen, da ihr der Schwefel ausgeht. “
302„ Und ſo glaub’ ich, iſt deutlich genug, warum verſchiedene Koͤrper, nach der verſchiedenen Tinctur des Schwefels, ſich auf eine verſchiedene Weiſe gefaͤrbt ſehen laſſen, und ich hoffe, hier werden mir die Chemi - ker nicht entgegen ſeyn, die, ob ſie gleich, wie uͤber - haupt, alſo auch von den Farben, ſehr verworren und raͤthſelhaft ſprechen, doch nicht viel von dem, was wir bisher ausgeſprochen, abzuweichen ſcheinen. “
„ Nun iſt aber eine andere Frage zu beantworten, welche verwickelter und ſchwerer iſt: woher naͤmlich die Farben kommen, welche von ihren Koͤrpern gewiſ - ſermaßen abgeſondert ſind, welche man die apparenten nennt, wie die Farben des Regenbogens, der Morgen - roͤthe und die, welche durch glaͤſerne Prismen ſich aus - breiten. Aus dem, was wir geſagt haben, erhellt, wie mich duͤnkt, genugſam, daß die Flamme jederzeit der Farbe des Schwefels folgt und alle Farben zulaͤßt, au - ßer dem Schwarzen und dem voͤllig Weißen. Denn der Schwefel enthaͤlt wohl die beyden Farben, aber eigentlich in der Flamme koͤnnen ſie nicht ſeyn. Weiß zwar erſcheinen zarte Flaͤmmchen; wenn ſie es aber vollkommen waͤren, und nicht noch etwas von anderer Farbe zugemiſcht haͤtten, ſo waͤren ſie durchſichtig und wuͤrden kein Licht oder ein ſehr ſchwaches verbreiten. Daß aber eine Flamme ſchwarz ſey, iſt gegen die Ver - nunft und gegen die Sinne. “
303„ Dieſes feſtgeſetzt, fahr’ ich fort: wie die Farbe des Schwefels in der verbrennlichen Materie, ſo iſt auch die Farbe der Flammen; wie aber die Flamme, ſo iſt auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird; da aber die Flamme alle Farben enthaͤlt und begreift, ſo iſt nothwendig, daß das Licht dieſelbe Eigenſchaft habe. Deswegen ſind auch in dem Licht alle Farben, obgleich nicht immer ſichtbar. Denn wie eine maͤchtige Flamme weiß und einfaͤrbig erſcheint, wenn man ſie aber durch einen Nebel oder andern dichten Koͤrper ſieht, verſchiedene Farben annimmt, auf eben dieſe Weiſe bekleidet ſich das Licht, ob es gleich unſichtbar oder weiß iſt, wenn es durch ein glaͤſernes Prisma oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verſchiede - nen Farben. “
„ Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben erſcheinen, ſo ſind ſie demungeachtet wahrhaft in dem Licht enthalten. Denn wie ein groͤßeres Licht einem geringeren ſchadet, ſo verhindert auch ein reines Licht, das verdunkelte Licht zu ſehen. Daß aber ein jedes Licht Farben mit ſich fuͤhre, kann man daraus folgern, daß, wenn man durch eine Glaslinſe oder auch nur durch eine Oeffnung Licht in eine dunkle Kammer fal - len laͤßt, ſich auf einer entferntern Mauer oder Lein - wand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den Kreuzungspuncten der Strahlen und an den Stellen, die der Linſe allzunah ſind, keine Farbe, ſondern das bloße Licht erſcheint. “
„ Da nun aber das Licht Form und Bild des304 Feuers iſt, welche aus dem Feuer nach allen Seiten hinſtrahlen, ſo ſind auch die Farben, die das Licht mit - bringt, Formen und Bilder der Farben, welche wahrhaft und auf eine materielle Weiſe ſich in dem Feuer befinden, von dem das Licht umhergeſendet wird. “
„ Wie aber Flamme und Feuer, je ſchwaͤcher ſie ſind, ein deſto ſchwaͤcheres Licht von ſich geben, ſo auch nach Geſetz und Verhaͤltniß der wahren und materiali - ſirten Farbe, die in der Flamme iſt, wachſen und neh - men ab die apparenten Farben im Lichte. “
„ Und wie nun bey abnehmender Flamme auch das Licht geſchwaͤcht wird, ſo verſchwindet auch die apparente Farbe, wenn die wahre Farbe abnimmt. Deswegen wirft das glaͤſerne Prisma bey Nacht oder bey ſchwachem Lichte keine Farben umher, es gibt keine farbigen Phaͤnomene, die Mondſcheinregenbogen ſind blaß, nichts erſcheint irgend feurig oder von einer andern deutlichen Farbe tingirt. “
„ So wie auch keine Flamme vollkommen ſchwarz oder weiß iſt, ſo ſind auch keine apparenten Farben weiß oder ſchwarz, ſondern ſo wie bey der Flamme ſo auch im Lichte ſind das Gelbe und Blaue die Graͤn - zen der Farbe. “
„ Und hieraus, wenn ich nicht irre, ergibt ſich deutlich, was die wahre, permanente und fixe Far - be ſey, desgleichen die vergaͤngliche, unſtaͤte, die ſie305 auch apparent nennen. Denn die wahre Farbe iſt ein Grad, eine Art der Verbrennung in irgend einem Koͤr - per; die apparente Farbe aber iſt ein Bild einer wah - ren Farbe, das man außer ſeiner Stelle ſieht. Wie man aber auch die wahren Farben mit den apparenten zuſammenhalten und vergleichen will, ſo werden ſie ſich immer wie Urſache zu Urſache und wie Wirkung zu Wirkung verhalten, und was den fixen Farben be - gegnet, wird auch den Bildern, welche von denſelben erzeugt werden, geſchehen. Trifft dieſes manchmal nicht vollkommen ein, ſo ereignet ſichs wegen der Lage und Geſtalt der Koͤrper, wodurch die Bilder durchge - fuͤhrt und fortgepflanzt werden. “
Hier ſehen wir alſo einige Jahre fruͤher als New - ton ſich mit dieſem Gegenſtande beſchaͤftigt, ſeine Lehre voͤllig ausgeſprochen. Wir ſtreiten hier nicht mit Iſaac Voſſius, ſondern fuͤhren ſeine Meynung nur hiſtoriſch an. Die Tendenz jener Zeit, den aͤußeren Bedingungen ihren integrirenden Antheil an der Farbenerſcheinung abzuſprechen und ihnen nur einen anregenden, entwick - lenden Anſtoß zuzuſchreiben, dagegen alles im Lichte ſchon im Voraus zu ſyntheſiren, zuſammenzufaſſen, zu verſtecken und zu verheimlichen, was man kuͤnftig aus ihm hervorhohlen und an den Tag bringen will, ſpricht ſich immer deutlicher aus, bis zuletzt Newton mit ſei - nen Ibilitaͤten hervortritt, den Reihen ſchließt und, obgleich nicht ohne Widerſpruch, dieſer Vorſtellungsart den Ausſchlag giebt. Wir werden in der Folge nochII. 20306Gelegenheit haben anzuzeigen, was noch alles voraus - gegangen, um Newtons Lehre den Weg zu bahnen; koͤnnen aber hier nicht unbemerkt laſſen, daß ſchon Matthaͤus Pankl, in ſeinem Compendium Inſti - tutionum physicarum, Posoniae 1793. unſern Iſaac Voſſius fuͤr einen Vorlaͤufer Newtons erklaͤrt, indem er ſagt: „ Den Alten war das Licht das einfachſte und gleichartigſte Weſen. Zuerſt hat Iſaac Voſſius vermu - thet, die Mannigfaltigkeit der Farben, die wir an den Koͤrpern wahrnehmen, komme nicht von den Koͤrpern, ſondern von Theilchen des Lichts her. “
geb. 1613. geſt. 1663.
Er ſtammte aus einem alten beruͤhmten Ge - ſchlechte und zwar von dem Zweige deſſelben, der zu Bologna bluͤhte. Er ſcheint ſeine erſte Bildung in den Jeſuitenſchulen erhalten zu haben; beſonders be - fleißigte er ſich der Mathematik und der damals innigſt mit ihr verbundenen Naturlehre.
Nachdem er in den Orden getreten, ward er Pro - feſſor der Mathematik zu Bologna und zeigte ſich als einen in ſeinem Fache ſehr geuͤbten Mann, kenntniß - reich, ſcharfſinnig, fleißig, puͤnctlich, unermuͤdet. Als einen ſolchen ruͤhmt ihn Riccioli in der Dedication ſei - nes Almageſt und preiſt ihn als einen treuen Mitarbei -307 ter. Sein Werk, wodurch er uns bekannt, wodurch er uͤberhaupt beruͤhmt geworden, fuͤhrt den Titel; Physico-Mathesis de Lumine, Coloribus et Iride, Bo - noniae 1665. Man bemerke, daß auch hier nur des Lichts und nicht des Schattens erwaͤhnt iſt, und er - warte, daß Grimaldi ſich als ein ſolcher zeigen werde, der die Farbenerſcheinungen aus dem Licht entwickelt.
Hier haben wir nun das dritte Werk in unſerm Fache, das ſich von einem Jeſuitiſchen Ordensgeiſtlichen herſchreibt. Wenn Aguilonius ſorgfaͤltig und umſtaͤnd - lich, Kircher heiter und weitlaͤuftig iſt, ſo muß man den Verfaſſer des gegenwaͤrtigen Buchs hoͤchſt conſequent nennen. Es iſt reich in Abſicht auf Erfahrungen und Experimente, ausfuͤhrlich und methodiſch in ſeiner Be - handlung, und man ſieht wohl, daß der Verfaſſer in allen Subtilitaͤten der Dialectik ſehr geuͤbt iſt.
Vor allem aber iſt zu bemerken, daß Form und Darſtellung problematiſch, ja ironiſch ſind, welches einer ſo ernſten folgerechten Arbeit eine ganz wunderli - che Wendung gibt. Galilei hatte ſich ſchon einer aͤhnli - chen Wendung bedient, in den Dialogen, wegen wel - cher er von den Jeſuiten ſo heftig verfolgt wurde. Hier bedient ſich ein Jeſuit, nach etwa zwanzig Jah - ren, deſſelben Kunſtgriffs. Im erſten Buch, das 472 geſpaltene Quartſeiten ſtark iſt, thut er alles moͤgliche, um zu zeigen, daß das Licht eine Subſtanz ſey; im zweyten Buch, welches nur 63 geſpaltene Seiten ent - haͤlt, widerlegt er ſcheinbar ſeine vorige Meynung und20 *308verclauſulirt dieſe Widerlegung aufs neue dergeſtalt, daß er ſie voͤllig vernichtet. Auch darf man nur die Vorrede des Ganzen und den Schluß des erſten Theils leſen, ſo faͤllt ſeine Abſicht ſchon deutlich genug in die Augen. Bey allen dieſen Verwahrungen zaudert er, das Werk herauszugeben, das bey ſeinem Tode voͤllig fertig liegt, wie es denn auch drey Jahre nach dem - ſelben, und ſo viel ſich bemerken laͤßt, ohne Verſtuͤmm - lung erſcheint.
Indem er nun das Licht als Subſtanz behandelt, ſo finden wir ihn auf dem Wege, auf dem wir Carteſius, De la Chambre und Voſſius wandeln ſahen, nur betritt er denſelben mit mehr Ernſt und Sicherheit und zugleich mit mehr Vorſicht und Zartheit. Seine Naturkenntniß uͤberhaupt iſt hoͤchſt ſchaͤtzenswerth. Erfahrungen und Verſuche, dieſe Gegenſtaͤnde betreffend, ſind vor ihm von keinem ſo vollſtaͤndig zuſammengebracht worden. Freylich ſtellt er ſie alle zurecht, um ſeine Erklaͤrungs - art zu begruͤnden, doch kann man ihm nachſagen, daß er keine Erfahrung, keinen Verſuch entſtelle, um ihn ſeiner Meynung anzupaſſen.
Das Licht iſt ihm alſo eine Subſtanz, im phyſi - ſchen Sinne eine Fluͤſſigkeit, die er jedoch aufs aͤußer - ſte zu verfeinern ſucht. Durch Beyſpiele und Gleich - niſſe will er uns von der Zartheit eines ſo ſubtilen materiellen Weſens, das gleichſam nur wie ein geiſti - ger Aushauch wirkt, uͤberzeugen. Er fuͤhrt die Lehre vom Magneten zu dieſem Zwecke umſtaͤndlich durch,309 bringt die Faͤlle von unendlicher Theilbarkeit der Farbe, aͤußerſter Ductilitaͤt der Metalle und dergleichen vor, nimmt den Schall, und was er ſonſt noch brauchen kann, zu Huͤlfe, um unſre Kenntniſſe durch Erinne - rung auf einen Punct zu ſammeln und unſre Einbil - dungskraft anzuregen.
Man hatte bisher drey Arten, in welchen ſich das Licht verbreite, angenommen: die directe, refracte, reflexe, wozu er noch die inflexe hinzuſetzt, welche er ſogleich in Ruͤckſicht ſeiner hypothetiſchen Zwecke die diffracte nennt.
Jene verſchiednen Arten der Lichtfortpflanzung zu erklaͤren und andre dabey vorkommende Phaͤnomene auszulegen, gibt er ſeiner feinen Fluͤſſigkeit eine verſchie - dene innere Dispoſition. Und ſo wird denn dieſem wirkſamen Weſen ein Fließen (fluidatio), ein Wogen (undulatio, undatio), ein Regen und Bewegen (agitatio), ein Waͤlzen (volutatio) zugeſchrieben.
Durchſichtigen Koͤrpern wird eine continua poro - sitas zugeeignet, welches eigentlich eine contradictio in adjecto iſt, woran ſich erkennen laͤßt, wie leicht man mit Worten das Unmoͤgliche und Ungehoͤrige als ein Moͤg - liches, Verſtaͤndiges und Verſtaͤndliches mittheilen koͤnne. Die undurchſichtigen Koͤrper haben auch mannigfaltige wunderliche Oberflaͤchen, die das Licht verſchiedentlich zu - ruͤckwerfen; deshalb er ſich denn vertheidigen muß, daß ſeine Lehre mit der Lehre der Atomiſten nicht zuſammen - falle, welches ihm auch Ernſt zu ſeyn ſcheint.
310In jenen Poren und Irrgaͤngen, wunderlichen Aus - und Einwegen, Schlupfloͤchern und andern man - nigfaltigen Beſtimmungen, muͤdet ſich nun das Licht auf oben beſchriebene Weiſe gewaltig ab und erleidet eine Zerſtreuung (dissipatio), Zerbrechung (diffractio), Zerreißung (disscissio) und natuͤrlicher Weiſe auch eine Trennung (separatio); dabey denn auch gelegentlich eine Anhaͤufung (glomeratio) ſtatt findet.
Wir bemerken hier im Vorbeygehen, daß einer Zerſtreuung des Lichtes ſchon bey den Griechen erwaͤhnt wird. Dort iſt es aber nur ein empiriſcher naiver Ausdruck, der eine oft vorkommende Erſcheinung von hin und wiedergeworfenem, geſchwaͤchtem Lichte ſo gut er kann bezeichnen ſoll. Bey Grimaldi hingegen ſol - len die mannigfaltigen Verſuren des Lichtes, das In - nere dieſes zarten, unbegreiflichen Weſens aufſchließen und uns von ſeiner Natur dogmatiſch belehren.
Die Farben werden alſo, nach Grimaldi, bey Ge - legenheit der Refraction, Reflexion und Inflexion be - merkt; ſie ſind das Licht ſelbſt, das nur auf eine be - ſondre Weiſe fuͤr den Sinn des Geſichts fuͤhlbar wird. Doch geht der Verfaſſer auch wohl ſo weit, daß er im Licht beſtimmte Arten der Farbe annimmt und alſo die Newtoniſche Lehre unmittelbar vorbereitet.
Alle Farben ſind ihm wahr und entſpringen auf einerley Weiſe; doch laͤßt er, um ſie erklaͤren zu koͤn - nen, den Unterſchied zwiſchen dauernden und voruͤber -311 gehenden Farben einſtweilen zu, und um jene auch in voruͤbergehende zu verwandeln, benutzt er auf eine ſehr geſchickte Weiſe die Verſatilitaͤt der chemiſchen Farben.
Was uͤbrigens den Apparat betrifft, ſo bedient er ſich oͤfters der kleinen Oeffnung im Fenſterladen, die ſich eigentlich von der die aͤußern Gegenſtaͤnde innerlich abbildenden Camera obscura herſchreibt. Die prisma - tiſchen Phaͤnomene kennt er meiſtens, wie er denn auch auf die laͤngliche Geſtalt des Farbenbildes unſere Auf - merkſamkeit hinlenkt. Unter ſeiner theoretiſchen Termi - nologie finden wir auch ſchon Strahlenbuͤndel. Da ihm manche Erfahrungen und Verſuche, die erſt ſpaͤter bekannt geworden, in der Reihe ſeines Vortrags abge - hen; ſo zeigen ſich in demſelben Luͤcken und Spruͤnge und gar manches Unzulaͤngliche, das ihm aber nicht zu Schulden kommt. Den Regenbogen mit ſeinen Um - ſtaͤnden und Bedingungen fuͤhrt er ſorgfaͤltig aus; die Farben deſſelben weiß er nicht abzuleiten.
geb. 1627. geſt. 1691.
Die Scheidung zwiſchen Geiſt und Koͤrper, Seele und Leib, Gott und Welt war zu Stande gekommen. Sittenlehre und Religion fanden ihren Vortheil dabey: denn indem der Menſch ſeine Freyheit behaupten will,312 muß er ſich der Natur entgegenſetzen; indem er ſich zu Gott zu erheben ſtrebt, muß er ſie hinter ſich laſſen, und in beyden Faͤllen kann man ihm nicht verdenken, wenn er ihr ſo wenig als moͤglich zuſchreibt, ja wenn er ſie als etwas Feindſeliges und Laͤſtiges anſieht. Ver - folgt wurden daher ſolche Maͤnner, die an eine Wiederver - einigung des Getrennten dachten. Als man die teleolo - giſche Erklaͤrungsart verbannte, nahm man der Natur den Verſtand; man hatte den Muth nicht ihr Vernunft zuzuſchreiben und ſie blieb zuletzt geiſtlos liegen. Was man von ihr verlangte, waren techniſche, mechaniſche Dienſte, und man fand ſie zuletzt auch nur in dieſem Sinne faßlich und begreiflich.
Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich einſehen, wie das zarte, fromme Gemuͤth eines Robert Boyle ſich fuͤr die Na - tur intereſſiren, ſich zeitlebens mit ihr beſchaͤftigen und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als daß ſie ein Weſen ſey, das ſich ausdehnen und zu - ſammenziehen, miſchen und ſondern laſſe, deſſen Theile, indem ſie durch Druck, Stoß gegen einander arbeiten und ſich in die verſchiedenſten Lagen begeben, auch ver - ſchiedene Wirkungen auf unſre Sinne hervorbringen.
In die Farbenlehre war er von der chemiſchen Seite hereingekommen. Er iſt der erſte ſeit Theo - phraſt, der Anſtalt macht, eine Sammlung der Phaͤ - nomene aufzuſtellen und eine Ueberſicht zu geben. Er betreibt das Geſchaͤft nur gelegentlich und zaudert ſeine Arbeit abzuſchließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrank -313 heit hinderlich iſt, ordnet er ſeine Erfahrungen, ſo gut es gehen will, zuſammen, in der Form als wenn er das Unvollſtaͤndige einem jungen Freunde zu weiterer Bearbeitung uͤbergaͤbe. Dabey moͤchte er zwar gern von einer Seite das Anſehen haben, als wenn er nur Erfahrungen zuſammenſtellte, ohne eben dadurch eine Hypotheſe begruͤnden zu wollen; allein er iſt von der andern Seite aufrichtig genug, zu geſtehen, daß er ſich zur corpuscularen mechaniſchen Erklaͤrungsart hinneige und mit dieſer am weiteſten auszulangen glaube. Er bearbeitet daher das Weiße und Schwarze am ausfuͤhrlichſten, weil freylich bey dieſem noch am erſten ein gewiſſer Mechanismus plauſibel werden duͤrfte. Was aber die eigentlich farbigen Phaͤnomene der Koͤrper, ſo wie was die apparenten Farben be - trifft, bey dieſen geht er weniger methodiſch zu Werke, ſtellt aber eine Menge Erfahrungen zuſammen, welche intereſſant genug ſind und nach ihm immer wieder zur Sprache gekommen. Auch haben wir ſie, in ſofern wir es fuͤr noͤthig erachtet, in unſerm Entwurfe, nach unſerer Weiſe und Ueberzeugung aufgefuͤhrt.
Der Titel dieſes Werkes in der lateiniſchen Aus - gabe, der wir gefolgt ſind, iſt: Experimenta et consi - derationes de coloribus — seu initium historiae experimentalis de Coloribus a Roberto Boyle. Londini 1665.
Seine ganze Denkart, ſeine Vorſaͤtze, ſein Thun und Leiſten wird aus dem fuͤnften Capitel des erſten Thei -314 les am klaͤrſten und eigentlichſten erkannt, welches wir denn auch uͤberſetzt hier einſchalten.
I. „ Es gibt, wie du weißt, mein Pyrophilus, außer jenen veralteten Meynungen von den Farben, die man ſchon laͤngſt verworfen hat, gar verſchiedene Theorieen, deren jede zu unſerer Zeit von bedeutenden Maͤnnern in Schutz genommen wird. 1) Denn die peripathetiſchen Schulen, ob ſie gleich wegen der be - ſonderen Farben unter ſich nicht ganz eins ſind, kom - men doch alle darin uͤberein: die Farben ſeyen ein - wohnende und wirkliche Eigenſchaften, welche das Licht nur offenbare, nicht aber ſie hervorzubringen etwas bey - trage. 2) Alsdann gibt es unter den Neueren einige, die mit geringer Veraͤnderung die Meynung Platons annehmen, und wie er die Farbe fuͤr eine Art Flamme haͤlt, die aus den kleinſten Koͤrperchen beſtehe, welche von dem Object gleichſam ins Auge geſchleudert worden und deren Figur mit den Poren des Auges ſich in Uebereinſtimmung befinde; ſo lehren ſie, die Farbe ſey ein innres Licht der helleren Theile des Gegenſtan - des, welches durch die verſchiedenen Miſchungen der weniger leuchtenden Theile verdunkelt und veraͤndert worden. 3) Nun gibt es andere, welche einigen der alten Atomiſten nachfolgen und die Farbe zwar nicht fuͤr eine leuchtende Emanation, aber doch fuͤr ei - nen koͤrperlichen Ausfluß halten, der aus dem315 gefaͤrbten Koͤrper hervortritt. Aber die gelehrteren unter ihnen haben neulich ihre Hypotheſe verbeſſert, indem ſie anerkannten und hinzufuͤgten: es ſey etwas aͤußeres Licht noͤthig, um dieſe Koͤrperchen der Farbe zu reizen und anzuregen und ſie zum Auge zu bringen. 4) Eine bedeutendere Meynung der neuern Philoſophen iſt ſodann: die Farben entſpringen aus einer Miſchung des Lichts und der Finſterniß oder vielmehr des Lichts und der Schatten, und dieſe Meynung ließe ſich denn wohl gewiſſermaßen mit der vorhergehenden vereinigen. 5) Was die Chemiker betrifft, ſo ſchreibt die Menge derſelben den Urſprung der Farben dem Princip des Schwefels in den Koͤrpern zu, ob ich gleich finde, daß einige ihrer Anfuͤhrer die Farben mehr vom Salz als vom Schwefel herleiten, ja andere ſogar von dem dritten Elementarprincip, dem Mercur. 6) Von des Carteſius Nachfolgern brauch’ ich dir nicht zu ſagen, daß ſie behaupten, die Empfindung des Lichtes werde von einem Anſtoß hervorgebracht, welcher auf die Organe des Sehens von ſehr kleinen und feſten Kuͤ - gelchen gewirkt wird, welche durch die Poren der Luft und andrer durchſichtiger Koͤrper durchdringen koͤnnen. Daraus verſuchen ſie denn auch die Verſchiedenheit der Farben zu erklaͤren, indem ſie die verſchiedenen Be - wegungen dieſer Kuͤgelchen und die Proportion der Be - wegung zu der Rotation um ihren Mittelpunct be - achten, wodurch ſie naͤmlich geſchickt werden ſollen, den optiſchen Nerven auf mancherley Weiſe zu treffen, ſo daß man dadurch verſchiedene Farben gewahr wer - den koͤnne. “
316II. „ Außer dieſen ſechs vornehmſten Hypothe - ſen kann es noch andre geben, mein Pyrophilus, die, obſchon weniger bekannt, doch eben ſo gut als dieſe deine Betrachtung verdienen. Erwarte aber nicht, daß ich ſie gegenwaͤrtig umſtaͤndlich durcharbeite, da du den Zweck dieſer Blaͤtter und die mir vorgeſetzte Kuͤrze kenneſt. Deswegen will ich nur noch einiges im Allgemeinen bemerken, was ſich auf den Tractat, den du in Haͤnden haſt, beſonders bezieht. “
III. „ Und zwar geſteh’ ich dir zuerſt, daß ich, obgleich die Anhaͤnger der gedachten verſchiedenen Hypotheſen durch eine jede beſonders und ausſchließlich die Farben erklaͤren und hiezu weiter keine Beyhuͤlfe annehmen wollen, was mich betrifft, zweifle: ob irgend eine dieſer Hypotheſen, wenn man alle andern ausſchließt, der Sache genug thue. Denn mir iſt wahrſcheinlich, daß man das Weiße und Schwarze durch die bloße Reflexion, ohne Refraction anzunehmen, erklaͤren koͤnne, wie ich es in nachſtehender Abhand - lung vom Urſprunge des Schwarzen und Weißen zu leiſten geſucht habe. Da ich aber nicht habe finden koͤnnen, daß durch irgend eine Miſchung des Weißen und wahrhaft Schwarzen (denn hier iſt nicht von einem Blauſchwarz die Rede, welches Viele fuͤr das aͤchte halten) daß, ſage ich, je daraus Blau, Gelb, Roth, geſchweige denn die uͤbrigen Farben koͤnn - ten erzeugt werden; da wir ferner ſehen, daß dieſe Farben durchs Prisma und andre durchſichtige Koͤrper hervorzubringen ſind mit Beyhuͤlfe der Brechung: ſo317 ſcheint es, man muͤſſe die Brechung auch zu Huͤlfe nehmen, um einige Farben zu erklaͤren, zu deren Ent - ſtehung ſie beytraͤgt, weil ſie auf eine oder die andre Weiſe den Schatten mit dem gebrochenen Lichte ver - bindet, oder auf eine Art, die wir gegenwaͤrtig nicht abhandeln koͤnnen. Scheint es nun einigen wahr - ſcheinlich, daß die Poren der Luft und anderer durch - ſichtiger Koͤrper durchaus mit ſolchen Kuͤgelchen ange - fuͤllt ſind, wie die Carteſianer vorausſetzen, und daß zugleich die verſchiedenen Bewegungsarten dieſer Kuͤ - gelchen in vielen Faͤllen von Bedeutung ſind, um das verſchiedene Gewahrwerden der Farbe bey uns zu be - wirken; ſo laͤßt ſich auch ohne dieſe Kuͤgelchen, die man nicht ſo leicht beweiſen kann, vorauszuſetzen, uͤberhaupt mit Wahrſcheinlichkeit annehmen: das Auge koͤnne mannigfaltig afficirt werden nicht allein von ganzen Lichtſtrahlen die darauf fallen, und zwar als ſolchen, ſondern auch von der Ordnung derſelben und dem Grade der Geſchwindigkeit, und daß ich mich kurz faſſe, nach der Art und Weiſe, wie die Theilchen woraus die einzelnen Strahlen beſtehen zu dem Sinn gelangen, dergeſtalt daß, welche Figur auch jene klei - nen Koͤrper haben aus denen die Lichtſtrahlen beſtehen, ſie nicht allein durch ihre Geſchwindigkeit oder Lang - ſamkeit der Entwicklung oder Rotation im Fort - ſchreiten, ſondern noch mehr durch ihre abſolute Schnelligkeit, ihre directe oder wogende Bewegung und andre Zufaͤlligkeiten, welche ihren Stoß aufs Auge begleiten koͤnnen, geſchickt ſind, verſchiedenartige Eindruͤcke zu erregen. “
318IV. „ Zweytens muß ich dich, wegen dieſer und aͤhnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß du dieſe kleine Abhandlung anſeheſt, nicht als eine Diſſertation, die geſchrieben ſey, um eine der vorſtehen - den Hypotheſen ausſchließlich vor allen andern zu ver - theidigen, oder eine neue, welche mein waͤre, dafuͤr aufzuſtellen; ſondern als einen Anfang einer Geſchichte der Farben, worauf, wenn ſie erſt durch dich und deine geiſtreichen Freunde bereichert worden, eine gruͤndliche Theorie koͤnne aufgebaut werden. Weil aber dieſe Geſchichte nicht bloß als Catalog der darin uͤber - lieferten Sachen anzuſehen iſt, ſondern auch als ein Apparat zu einer gruͤndlichen und umfaſſenden Hy - potheſe; hielt ich es der Sache gemaͤß, ſo meine ganze Diſſertation zu ſtellen, daß ich ſie zu jenem Zweck ſo brauchbar machte, als es ſich wollte thun laſſen. Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich ſey geneigt geweſen, ſowohl dir die Arbeit zu erſparen, verſchiedene unzulaͤngliche Theorieen, die dich niemals zu deinem Zweck fuͤhren wuͤrden, ſelbſt zu erforſchen; als uͤberhaupt deine Unterſuchungen zu vereinfachen, weshalb ich mir zweyerley zum Augenmerk nahm, einmal daß ich gewiſſe Verſuche aufzeichnete, welche durch Huͤlfe begleitender Betrachtungen und Erinne - rungen dir dienen koͤnnten, die Schwaͤche und Unzu - laͤnglichkeit der gemeinen peripathetiſchen Lehre und der gegenwaͤrtig mit noch mehr Beyfall aufgenommenen Theorie der Chemiker von den Farben einzuſehen. Denn da dieſe beyden Lehren ſich feſtgeſetzt haben, und zwar die eine in den meiſten Schulen, die andre319 aber bey den meiſten Aerzten und andern gelehrten Maͤnnern, deren Leben und Berufsart nicht erlaubt, daß ſie die eigentlichſten erſten nnd einfachſten Natur - anfaͤnge gewiſſenhaft unterſuchten; ſo glaubt’ ich wenig nuͤtzliches zu leiſten, wenn ich nicht etwas thaͤte, die Unzulaͤnglichkeit dieſer Hypotheſen offenbar zu machen. Deswegen ich denn zweytens unter meine Verſuche diejenigen in groͤßerer Zahl aufgenommen, welche dir zeigen moͤgen, daß ich jener Meynung geneigt bin, welche behauptet, die Farbe ſey eine Modification des Lichtes; wodurch ich dich anlocken wollen, dieſe Hy - potheſe weiter auszubilden und dahin zu erheben, daß du vermittelſt derſelben die Erzeugung der beſon - dern Farben erklaͤren koͤnneſt, wie ich bemuͤht geweſen, ſie zur Erklaͤrung des Weißen und Schwarzen an - zuwenden. “
V. „ Zum Dritten aber, mein Pyrophilus, ob dieſes zwar gegenwaͤrtig die Hypotheſe iſt, die ich vorziehe, ſo ſchlage ich ſie doch nur im allgemeinen Sinne vor, indem ich nur lehre: die Lichtſtrahlen wer - den von den Koͤrpern, woher ſie zuruͤckgeworfen oder gebrochen zum Auge kommen, modificirt und bringen ſo jene Empfindung hervor, welche wir Farbe zu nennen pflegen. Ob aber dieſe Modification des Lichts geſchehe, indem es mit den Schatten gemiſcht wird, oder durch ein verſchiedenes Verhaͤltniß der Bewegung und Rotation der Kuͤgelchen des Carteſins, oder auf irgend eine andre Weiſe, dieß unterſtehe ich mich nicht hier auszumachen. Vielweniger unterſtehe320 ich mich anzugeben, ja ich glaube nicht einmal alles Wiſſensnoͤthige zu wiſſen, um dir oder auch mir ſelbſt eine vollkommene Theorie des Sehens und der Farben zu uͤberliefern. Denn erſtlich, um dergleichen zu unter - nehmen, muͤßte ich zuvor einſehen, was das Licht ſey, und wenn es ein Koͤrper iſt, und das ſcheint es wohl oder doch die Bewegung eines Koͤrpers zu ſeyn, aus was fuͤr einer Art Koͤrperchen nach Groͤße und Figur es beſtehe, mit welcher Geſchwindigkeit ſie vorſchreiten und ſich um ihre Mittelpuncte bewegen; hernach moͤchte ich die Natur der Brechung erkennen, welche von den geheimſten iſt, wenn du ſie nicht ſcheinbar, ſondern gruͤndlich erklaͤren willſt, die ich nur in der Naturlehre gefunden habe. Dann moͤchte ich wiſſen, welche Art und welcher Grad der Vermiſchung der Finſterniß oder der Schatten bey Refractionen und Reflexionen oder durch beyde geſchehe, auf den ober - flaͤchlichen Theilen der Koͤrper, welche erleuchtet immer nur eine Farbe zeigen, die blaue, gelbe, rothe. Dann wuͤnſcht’ ich unterrichtet zu ſeyn, warum die Verbin - dung des Lichtes und Schattens, welche z. B. von dem Haͤutchen einer reifen Kirſche gewirkt wird, eine rothe Farbe zeige, nicht aber eine gruͤne, und das Blatt deſſelben Baums mehr eine gruͤne als eine rothe Farbe. Zuletzt auch, warum das Licht, das zu ſolchen Farben modificirt iſt, wenn es nur aus Koͤrperchen beſteht, welche gegen die Retina oder das Mark des optiſchen Nerven bewegt werden, nicht bloß ein Stechen, ſondern eine Farbe hervorbringe, da doch die Nadel, wenn ſie das Auge verwundet, keine Farbe, ſondern einen321 Schmerz hervorbringen wuͤrde. Dieß und anderes wuͤnſcht ich zu wiſſen, ehe ich glaubte die wahre und vollkommene Natur der Farben erkannt zu haben. Daher, ob ich gleich durch die Verſuche und Betrachtun - gen, die ich in dieſem Buͤchelchen uͤberliefre, einigermaßen meine Unwiſſenheit in dieſer Sache zu mindern geſucht habe und es fuͤr viel beſſer halte, etwas als gar nichts zu entdecken; ſo nehme ich mir doch nur vor, durch die Verſuche welche ich darlege, wahrſcheinlich zu ma - chen, daß ſich einige Farben ſehr wohl durch die hier uͤberlieferte Lehre im Allgemeinen erklaͤren laſſen. Denn ſo oft ich mich auf eine ins Einzelne gehende und ge - naue Erklaͤrung des Beſondern einlaſſen ſoll, empfinde ich die große Dunkelheit der Dinge, ſelbſt die nicht ausgenommen, die wir nicht anders zu Geſicht be - kommen als wenn ſie erleuchtet werden, und ich ſtimme Scaligern bey, wenn er von der Natur der Farbe handlend ſpricht: die Natur verbirgt dieſe ſo wie andre Erſcheinungen in die tiefſte Dunkelheit des menſchlichen Unwiſſens. “
So unverkennbar auch aus dem Vortrage Boyle’s die Vorliebe, gewiſſe Farbenphaͤnomene mechaniſch zu erklaͤren, erhellt, ſo beſcheiden druͤckt er ſich doch gegen andere Theorieen und Hypotheſen aus, ſo ſehr empfin - det er, daß noch andre Arten von Erklaͤrungen, Ab - leitungen moͤglich und zulaͤſſig waͤren; er bekennt, daß noch lange nicht genug vorgearbeitet ſey und laͤßt uns zuletzt in einem ſchwankenden, zweifelhaften Zuſtande.
II. 21322Wenn er nun von einer Seite, durch die vielfa - chen Erfahrungen die er geſammlet, ſich bey den Na - turforſchern Anſehen und Dank erwarb, ſo daß dasje - nige was er mitgetheilt und uͤberliefert, lange Zeit in der Naturlehre Werth und Guͤltigkeit behielt, in allen Lehrbuͤchern wiederhohlt und fortgepflanzt wurde; ſo war doch von der andern Seite ſeine Geſinnung viel zu zart, ſeine Aeußerungen zu ſchwankend, ſeine Forderun - gen zu breit, ſeine Zwecke zu unabſehlich, als daß er nicht haͤtte durch eine neu eintretende ausſchließende Theorie leicht verdraͤngt werden koͤnnen, da ein lern - begieriges Publicum am liebſten nach einer Lehre greift, woran es ſich feſthalten und wodurch es aller weitern Zweifel, alles weitern Nachdenkens bequem uͤberhoben wird.
geb. 1635. geſt. 1703.
Er iſt mehr ein emſiger als ein fleißiger Beobach - ter und Experimentator zu nennen. Er blickt uͤberall um ſich her und ſeine unruhige Thaͤtigkeit verbreitet ſich uͤber die ganze Naturlehre. Man muß ihm zuge - ſtehen, daß er gute Entdeckungen gemacht, Entdecktes gluͤcklich bearbeitet habe; doch iſt er kein theoretiſcher Kopf, nicht einmal ein methodiſcher.
Die Lehre von Licht und Farben iſt ihm manches ſchuldig. Er beobachtet die brechende Kraft des Eiſes,323 bemerkt mit Grimaldi die Ablenkung des Lichtes und thut Vorſchlaͤge, wie man die Sonne anſchauen koͤnne, ohne geblendet zu werden; richtet eine tragbare Camera obscura zu bequemerer Abzeichnung ein und bemuͤht ſich ums reflectirende Telescop.
Seine Farbenlehre iſt freylich barok. Er nimmt nur zwey Farben an, Blau und Roth; dieſe ſollen durch ſchiefe oder ungleiche Erſchuͤtterung aufs Auge erregt werden. Seitdem Descartes die Lehre von dem Lichte materialiſirt und mechaniſirt hatte, ſo koͤnnen ſich die Denker nicht wieder aus dieſem Kreiſe heraus - finden: denn diejenigen welche Licht und Farben nicht materiell nehmen wollen, muͤſſen doch zur mechaniſchen Erklaͤrung greifen, und ſo ſchwankt die Lehre immer fort in einem unfruchtbaren Raume, ſie mag ſich nach der dynamiſchen oder atomiſtiſchen Seite neigen.
Das Capitel der Farben, die wir epoptiſche ge - nannt haben, iſt ihm mancherley ſchuldig. Er macht auf den Verſuch mit den Seifenblaſen aufmerkſam, auf die farbigen Kreiſe im ruſſiſchen Glaſe und zwiſchen den an einander gedruckten Glasplatten. Doch konnte er dieſe Erſcheinungen nicht zuſammenbringen noch ru - briciren.
Was von ihm als Secretaͤr der Londner Societaͤt und als Gegner Newtons zu ſagen iſt, wird kuͤnftig beygebracht werden.
geb. 1638. geſt. 1715.
Réflexions sur la lumière et les couleurs et la génération du feu par le Père Malebranche. Mémoi - res de l’Académie royale 1699.
„ Die Philoſophie hat das Joch der Autoritaͤt voͤl - lig abgeworfen und die groͤßten Philoſophen uͤberreden uns nur noch durch ihre Gruͤnde. So ſcharfſinnig auch das Syſtem uͤber das Licht von Herrn Descar - tes ſeyn mag, ſo hat es doch der Pater Malebranche verlaſſen, um ein andres aufzuſtellen, das nach dem Syſtem des Tones gebildet iſt, und dieſe Aehnlichkeit ſelbſt kann fuͤr die Wahrheit deſſelben zeugen bey ſol - chen, welchen bekannt iſt, wie ſehr die Natur, was die allgemeinen Principien betrifft, gleichfoͤrmig ſey. “
„ Man iſt uͤberzeugt, daß der Ton hervorgebracht wird durch das Zittern oder Schwingen unmerklicher Theile des klingenden Koͤrpers. Groͤßere oder kleinere Schwingungen, d. h. ſolche, welche groͤßere oder kleinere Bogen deſſelben Kreiſes machen, begeben ſich fuͤr die Em - pfindung in gleichen Zeiten, und die Toͤne welche ſie hervorbringen, koͤnnen nicht unterſchieden ſeyn, als daß ſie ſtaͤrker oder ſchwaͤcher ſind. Die ſtaͤrkern werden durch die groͤßeren Schwingungen hervorgebracht, die ſchwachen durch die kleineren. Geſetzt aber, es entſtehe zu gleicher Zeit eine groͤßere Anzahl Schwingungen in325 einem Koͤrper als in einem andern, ſo werden diejeni - gen welche in groͤßerer Zahl entſtehen, weil ſie gedraͤng - ter und ſo zu ſagen lebhafter ſind, von einer verſchie - denen Art ſeyn als die andern. Die Klaͤnge alſo ſind auch der Art nach verſchieden, und das iſt, was man die Toͤne nennt. Die ſchnellſten Vibrationen bringen die hohen Toͤne hervor und die langſamſten die tiefen. Dieſe Grundſaͤtze, welche von allen Philoſophen ange - nommen werden, laſſen ſich leicht auf das Licht und die Farben anwenden. Alle die kleinſten Theile eines leuchtenden Koͤrpers ſind in einer ſehr ſchnellen Be - wegung, welche von Augenblick zu Augenblick durch ſehr lebhafte Erſchuͤtterungen die ganze aͤußerſt zarte, bis zum Auge reichende Materie, zuſammendruͤckt und in ihr, nach Pater Malebranche, Schwingungen des Drucks hervorbringt. Sind dieſe Schwingungen groͤ - ßer, ſo erſcheint der Koͤrper leuchtender oder mehr er - hellt; ſind ſie ſchneller oder langſamer, ſo iſt er von dieſer oder jener Farbe; und daher kommt, daß der Grad des Lichtes gewoͤhnlich nicht die Art der Farben veraͤndert, und daß ſie bey ſtaͤrkerer oder ſchwaͤcherer Beleuchtung immer als dieſelben erſcheinen, obgleich mehr oder weniger lebhaft. Koͤnnen nun dieſe Schwin - gungen, welche zu gleicher Zeit hervorgebracht werden, aber an Zahl verſchieden ſind, nach aller moͤglichen Art von Zahlenverhaͤltniſſen verſchieden ſeyn; ſo kann man deutlich erkennen, daß aus dieſer unendlichen Verſchie - denheit der Verhaͤltniſſe auch die Verſchiedenheit der Farben entſtehen muß, und daß die verſchiedenſten Far - ben auch aus den verſchiedenſten und am weitſten von326 der Gleichheit entfernten Verhaͤltniſſen entſpringen muͤſ - ſen; z. B. wenn ein gefaͤrbter Koͤrper vier Schwin - gungen des Drucks auf die zarte Materie hervorbringt, indeſſen ein andrer nur zwey; ſo wird er an Far - be davon verſchiedener ſeyn, als wenn er nur drey Schwingungen machte. “
„ Man hat in der Muſik die Verhaͤltniſſe der Zah - len beſtimmt, welche die verſchiedenen Toͤne hervorbrin - gen; aber es laͤßt ſich nicht hoffen, daß dieſes auch bey den Farben gelinge. “
„ Die Erfahrung belehrt uns, daß, wenn man ei - nige Zeit die Sonne oder einen andern ſehr erleuchte - ten Gegenſtand angeſehen und darauf das Auge ſchließt, man erſt Weiß ſieht, ſodann Geld, Roth, Blau, end - lich Schwarz; daher man denn folgerecht ſchließen kann, vorausgeſetzt, daß dieſe Ordnung immer dieſelbige ſey, daß die Farben welche zuerſt erſcheinen, durch ſchnellere Schwingungen hervorgebracht werden, weil die Bewe - gung welche auf der Netzhaut durch den leuchtenden Gegenſtand gewirkt wird, ſich immerfort vermindert. “
„ Bey dieſer Gelegenheit erzaͤhlte Herr Homberg der Academie eine Erfahrung, die er uͤber die Ordnung und die Folge der verſchiedenen Farben gemacht hatte. Er nahm naͤmlich ein Glas, das von beyden Seiten rauh und deshalb wenig durchſichtig war. Er brachte es vor eine Oeffnung und ließ es vom Lichte beſchei - nen. Indem er nun durch das Glas hindurch ſah,327 konnte er draußen nur die weißen Gegenſtaͤnde bemer - ken, keinesweges aber die von einer andern Farbe. Nun polirte er ein wenig das Glas und ſah nun das Weiße beſſer, wobey ſich das Gelbe zu zeigen anfing. Je mehr er nun das Glas glaͤttete, wurden die uͤbri - gen Farben in folgender Ordnung ſichtbar: Gelb, Gruͤn, Roth, Blau und Schwarz. “
„ Nach dem Syſtem des Herrn Descartes wird das Licht durch die Kuͤgelchen des zweyten Elements fortgepflanzt, welche die zarte Materie des leuchtenden Koͤrpers in grader Linie fortſtoͤßt. Was aber die Far - ben bildet, iſt der Umſtand, daß dieſe Kuͤgelchen, au - ßer der directen Bewegung, beſtimmt ſind ſich zu dre - hen, und daß aus der verſchiedenen Verbindung der directen und zirkelnden Bewegung die verſchiedenen Farben entſtehen. Da aber dieſe Kuͤgelchen nach gedach - tem Syſtem hart ſeyn muͤßten, wie kann nun daſſelbige Kuͤgelchen zu gleicher Zeit ſich auf verſchiedene Art herumwaͤlzen, welches doch noͤthig ſeyn muͤßte, wenn die verſchiedenen Strahlen, welche verſchiedene Farben nach dem Auge bringen, ſich in einem Puncte kreuzen ſollten, ohne ſich zu verwirren und zu zerſtoͤren, welches ſie doch nicht thun, wie uns die Erfahrung lehrt. “
„ Deswegen hat der Pater Malebranche an die Stelle dieſer harten Kuͤgelchen kleine Wirbel von ſubti - ler Materie geſetzt, welche ſich leicht zuſammendruͤcken laſſen und an ihren verſchiedenen Seiten auf verſchie - dene Weiſe zuſammengedruͤckt werden koͤnnen: denn ſo328 klein man ſie ſich auch denkt, ſo haben ſie Theile, denn die Materie iſt ins Unendliche theilbar, und die klein - ſte Sphaͤre kann ſich auf allen Puncten mit der groͤß - ten, die man ſich denken mag, beruͤhren. “
geb. 1685. geſt. 1703.
Physica electiva sive hypothetica. Norimbergae 1697.
Die Lehre von den Farben behandelt er wie die uͤbrigen Rubriken. Erſt bringt er ohne ſonderliche Ord - nung und Methode die Phaͤnomene vor, wie ſie ihm die Schriftſteller uͤberlieferten; dann die Meynungen der Alten und Neuern, jedoch keineswegs vollſtaͤndig; zuletzt waͤhlt er ſich aus alle dem bisher Geſagten und Theoretiſirten dasjenige, womit er ſich nothduͤrftig uͤber die Erſcheinungen hinaus zu helfen glaubt. Es iſt uͤberall nur Druck und Papier und nirgends Natur. Wie ſehr waͤre zu wuͤnſchen geweſen, daß ein geiſtrei - cher Mann dieſe Arbeit uͤbernommen und ſeinen Nach - folgern durchgreifender vorgearbeitet haͤtte.
De coloribus coeli. Ulmae 1716. Eine fruͤhere Ausgabe von 1705 iſt mir nicht zu Geſicht gekommen.
Daß etwas Schattiges zum Lichte oder zum Hel - len hinzutreten muͤſſe, damit Farben entſtehen koͤnnen, hatte Kircher ſehr umſtaͤndlich zur Sprache gebracht. Einer ſeiner Zeitgenoſſen, Honoratus Fabri, gleichfalls Jeſuit, iſt von derſelben Ueberzeugung durchdrungen. Er wendet ſich aber, um die Sache naͤher zu beſtimmen, und die verſchiedenen Farben entſtehen zu laſſen, zu ei - ner quantitativen Erklaͤrung, auf welche Ariſtoteles ſchon hingedeutet, und nimmt an, daß vom Weißen das reine gedraͤngte Licht zuruͤckſtrahle, daß Roth aus gleichen Theilen von Licht und Schatten beſtehe, Gelb aus zwey Theilen Licht und einem Theil Schatten, Blau aus zwey Theilen Schatten und einem Theile Licht.
Auf demſelben Wege geht Funccius, indem er von den atmoſphaͤriſchen Farben handelt. Unſere Leſer, denen bekannt iſt, wie ſich die meiſten farbigen Him - melserſcheinungen kuͤrzlich und bequem aus der Lehre von den truͤben Mitteln herleiten laſſen, moͤchten ſich wohl wundern, wie ein ganzes Buͤchlein daruͤber zu ſchreiben geweſen.
Der Verfaſſer geht freylich etwas umſtaͤndlich zu Werke. Erſt leitet er, wie ſeine Vorgaͤnger, die far -330 bigen Erſcheinungen von einer Verbindung des Hellen und Dunkeln, von einer Vermaͤhlung des Lichts mit dem Schatten, ſodann die atmoſphaͤriſchen von einer Wirkung der Sonne auf Nebel und Wolken her. Al - lein der nothwendige Gegenſatz, wodurch an der einen Seite das Gelbe, an der andern das Blaue nahe bis an den Purpur geſteigert werden, war ihm nicht deut - lich geworden. Er ſah wohl ein, daß vom Gelben bis zum Purpur und ruͤckwaͤrts eine Art von quantitati - vem Verhaͤltniß ſtatt finde; aber er wollte auf eben dieſem Wege uͤber den Purpur hinaus ins Blaue, um ſo mehr als wirklich die Sonne auf der hoͤchſten Stufe der Maͤßigung ihres Lichtes durch truͤbe Duͤnſte eine Art von blaͤulichem Schein anzunehmen genoͤthigt wer - den kann. Allein es gelang ihm die Ableitung der ſchoͤnen Himmelsblaͤue nicht, und ſein ganzes Werk wird dadurch unzulaͤnglich. Er polemiſirt mit ſich ſelbſt und andern, keineswegs zwecklos und ungeſchickt, aber weder ſtringent noch gluͤcklich.
Da er ſich von der quantitativen Steigerung uͤber - zeugt hat, ſo faͤngt er an die Farben mit Zahlen und Bruͤchen auszudruͤcken, wodurch denn der Vortrag nur krauſer wird, ohne daß fuͤr die Behandlung ſelbſt der mindeſte Gewinn entſpraͤnge.
Franzoͤſiſcher Prieſter, wahrſcheinlich Jeſuit, be - ſchaͤftigte ſich uͤberhaupt mit Phyſik und ließ in das ſo genannte Journal de Trevoux April 1705. p. 675. einen Aufſatz uͤber Farben einruͤcken, den wir uͤberſetzt und mit einigen Anmerkungen begleitet mittheilen. Das Wahre, was er enthaͤlt, iſt, wie ſo manches andere was in dieſem Journal Platz gefunden, bey Seite gedraͤngt worden, weil dieſe in vielen Stuͤcken parteyiſche Zeitſchrift ſich einer maͤchtigern Partey, der academiſchen, entgegenſetzte.
So wird im Journal des Savans, im Supplement zum July 1707, der Beſchreibung eines neuen Ther - mometers gedacht, welche Nuͤguet 1706 herausgegeben, worin er ſich uͤber die Erfindung vielleicht mit allzu großer Selbſtgefaͤlligkeit mochte geaͤußert haben. Man perſifflirt ſein Thermometer, und bey dieſer Gelegenheit auch ſein Farbenſyſtem, wobey man, um ſeine et - wanigen Verdienſte herabzuſetzen, ihm die Ehre der Erfindung abſpricht und bemerkt, daß Honoratus Fabri ſchon das aͤhnliche behauptet; als wenn es nicht verdienſtlich genug waͤre, ein richtiges Aperçuͤ aufzufaſſen, das andre ſchon gehabt, und das, was ſie bis auf einen gewiſſen Grad gefoͤrdert, weiter auszu - arbeiten und auf den rechten Punct hinzufuͤhren. Wir wollen ihn vor allen Dingen ſelbſt hoͤren.
„ Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften Urſache der Farben und von dem was ihren Unter - ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen, indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde - rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her - vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be - zeugten. Und ſo bemerkte ich “
„ Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver - ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen, daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder - lich ſey. “
„ Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als das Licht. “
„ Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht - ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder333 durch das dreyſeitige Prisma durchgingen. Daher ſchloß ich ſogleich, daß die Farben einzig und allein aus der Vermiſchung des Lichtes und des Schattens, und ihre Verſchiedenheit aus der Verſchiedenheit dieſer beyden entſpraͤngen. “
„ Ferner um zu beſtimmen, worin jede Farbe be - ſonders beſtehe, ſo ſtellte ich mancherley Verſuche an, aus denen man nicht allein erkennt, worin ganz ge - nau jede Urfarbe von allen andern unterſchieden iſt, ſondern die auch zugleich ganz unumſtoͤßlich beweiſen, daß die Farben nichts anders ſind als Schatten und Licht zuſammengemiſcht. Hier ſind nun die vorzuͤg - lichſten. “
I. „ Wenn ich durch ein Brennglas mehrere Licht - ſtrahlen auf ein ſchwarzes Tuch verſammelte, ſo be - merkte ich, daß der Ort, wo die Strahlen ſich ver - einigten, merklich weiß erſchien; dagegen aber, wenn ich eine Flaſche voll Waſſer zwiſchen ein angezuͤndetes Licht und ein weiß Papier ſetzte, ſo erſchienen die Stellen des Papiers, wo nur wenig Strahlen zu - ſammenkamen, ſchwarz. Daraus zieh’ ich die Folge, daß das Weiße aus Lichtſtrahlen beſtand, die wenig oder gar keinen Schatten enthielten; das Schwarze dagegen aus reinem Schatten oder doch nur mit wenig Licht vermiſcht; ſodann uͤberzeugte ich mich, daß Schwarz und Weiß die erſte Materie aller Farben ſey, aber daß ſie, um eigentlich zu reden, ſelbſt nicht wirkliche Farben ſeyen. “
334II. „ Wenn man ein Glas rothen Wein auf ein weiß Papier ſetzt und dann eine brennende Kerze der - geſtalt richtet, daß ihr Licht durch den Wein geht und ſich auf irgend einem Fleck des Papiers endigt, ſo wird man daſelbſt ein ſehr glaͤnzendes Roth ſe - hen; naͤhert man aber dieſem Roth ein andres brennendes Licht, ſo wird es merklich gelb. Eben ſo verwandelt ſich das Roth des prismatiſchen Far - benbildes, das glaͤnzend und tief an einem ſchat - tigen Orte iſt, ſogleich in Gelb, wenn man das Bild auf einen Fleck fallen laͤßt, auf den die Strahlen der Sonne unmittelbar auffallen. Daraus konnte ich ſchließen, daß das Roth mehr Schatten und weniger Licht enthalte denn das Gelbe. “
III. „ Wenn man durch einen Brennſpiegel mehrere Sonnenſtrahlen zuſammenzieht und ſie auf ein pris - matiſches Farbenbild wirft, das man vorher in einem mittelmaͤßig erhellten Zimmer durch ein Prisma ſehr glaͤnzend farbig hervorgebracht; ſo verſchwinden dieſe Farben ſogleich; welches ganz deutlich beweiſ’t, daß die urſpruͤnglichen Farben nothwendigerweiſe einen gewiſſen Antheil Schatten mit ſich fuͤhren, der, wenn er durch die haͤufig auf dieſe Farbe verſammelten Strahlen zerſtreut und aufgehoben wird, ſie auch ſo - gleich verſchwinden laͤßt. “
IV. „ Nimmt man fuͤnf Blaͤtter Papier von fuͤnf verſchiedenen Farben, naͤmlich ein violettes, blaues, rothes, gruͤnes und gelbes, und man ſtellt ſie uͤber335 einander in verſchiedenen Reihen an einen Ort, wo - hin man das prismatiſche Farbenbild bringen kann; ſo wird man deutlich ſehen, daß das Rothe dieſes Farbenbildes dunkler und tiefer iſt auf dem violetten Papier als auf dem blauen, auf dem blauen mehr als auf dem rothen, auf dem rothen mehr als auf dem gruͤnen, auf dem gruͤnen mehr als auf dem gelben. Dieſe Erfahrung, die ich ſehr oft mit demſelbigen Erfolg wiederhohlt habe, iſt ein uͤberzeugender Beweis, daß das Violette mehr Schatten als das Blaue, das Blaue mehr als das Rothe, das Rothe mehr als das Gruͤne, das Gruͤne mehr als das Gelbe in ſich enthalte. Denn eine Farbe verfinſtert ſich nur nach Maßgabe des Schattens, mit dem ſie ſich vermiſcht. “
V. „ Hat man Acht auf die Art und Weiſe, wie die Lichtſtrahlen durchs Prisma hindurchgehen, auf die Brechungen, welche dieſe Strahlen erleiden, auf die Schatten, die eine natuͤrliche Folge dieſer Brechungen ſind; ſo bemerkt man, daß das Gelbe des prismatiſchen Farbenbildes mehr Licht und weniger Schatten als alle uͤbrigen Farben enthaͤlt, das Gruͤne mehr Licht und weniger Schatten als das Blaue, das Blaue mehr Licht und weniger Schatten als das Violette, das Violette mehr Schatten und weniger Licht als alle uͤbrigen Farben des Prismas. Denn die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß das Rothe und Violette von beyden Seiten durch Strahlen hervorgebracht wurde, die unmittelbar von Schatten umgeben waren, ver - urſacht durch Brechungen, welche dieſe Strahlen beym336 Durchgang durchs Prisma erlitten hatten; mit dem einzigen Unterſchied, daß diejenigen Strahlen welche das Violette verurſachten, durch die Brechung ſich dem Schatten naͤherten, an den ſie anſtießen, anſtatt daß diejenigen die das Rothe bildeten, ſich durch die Brechung vom Schatten entfernten, der ſie unmittelbar umgab. Daher ſchloß ich, a) daß die Strahlen welche das Violette hervorbringen, mehr Schatten enthalten als diejenigen die das Rothe bilden, weil dieſe ſich durch die Wirkung der Refraction vom Schatten ent - fernen, der ſie umgab, anſtatt daß ſich die andern dem Schatten annaͤherten, der ihnen unmittelbar nach der Brechung nahe lag. Ich folgerte, b) daß das Gelbe weniger Schatten enthalte als das Rothe, das Blaue weniger als das Violette; c) daß das Gruͤne, das nur ein Gemiſch des Gelben[und] Blauen iſt, weniger Schatten enthalte als das Blaue und mehr als das Gelbe; d) endlich, daß das Violette mehr Schatten enthalte als keine andre Farbe, weil es durch Strahlen gebildet war die ſich der Brechung gemaͤß gegen den Schatten bewegten, der ihnen un - mittelbar begegnete. Dieſe kurze und natuͤrliche Er - klaͤrung der prismatiſchen Farben iſt augenſcheinlich bekraͤftigt durch folgenden Verſuch, der ſo angenehm als leicht auszufuͤhren iſt. “
VI. „ Um dieſen Verſuch zu machen, waͤhlte ich die Zeit, als die Sonne auf Haͤuſer traf die dem Fenſter einer ziemlich dunklen Kammer, wo ich mich damals befand, entgegenſtanden, dergeſtalt, daß die zuruͤckge -337 worfenen Sonnenſtrahlen die eine Seite des Fenſters bedeutender erhellten als die andre. Auf einen Tiſch, der nicht weit von der Oeffnung ſtand, legte ich ſo - dann ein weißes Papier, worauf das Licht der zwey Zuruͤckſtrahlungen fiel. Nachdem ich das Fenſter ge - ſchloſſen hatte, erhob ich meine Hand ein wenig uͤber das Papier, um auf beyden Seiten Schatten zu er - regen, und ſogleich bemerkte ich auf dem Papier vier deutliche Farben: Gelb, Blau, Gruͤn und Violett. Das Gelbe erſchien jedesmal an der Stelle, wo das ſtaͤrkſte Licht ſich mit dem ſchwaͤchſten Schatten verband, d. h. auf der Seite der ſtaͤrkſten Wiederſtrahlung; das Blau dagegen zeigte ſich nur an der Stelle, wo das ſchwaͤchſte Licht ſich mit dem ſtaͤrkſten Schatten ver - einigte, d. h. an der Seite der geringſten Wieder - ſtrahlung; das Violette zeigte ſich immer an der Stelle, wo die Schatten der zwey Wiederſtrahlungen zuſammenliefen; und das Gruͤne entſtand durch die Vermiſchung des Gelben und Blauen. Alle dieſe Far - ben entſtanden nur aus den verſchiedenen Vermi - ſchungen von Licht und Schatten, wie es offenbar iſt, und ſie verſchwanden ſogleich, nachdem die Sonne aufgehoͤrt hatte auf die Haͤuſer zu leuchten, die dem Zimmer, wo ich den Verſuch machte, entgegenſtunden, obgleich ſonſt der Tag noch ſehr hell war. Um nun aufs neue dieſelben Farben wieder darzuſtellen, ohne daß man Zuruͤckſtrahlungen der Sonne von ungleicher Kraft noͤthig haͤtte, nahm ich ein angezuͤndetes Licht und ein Buch in Quart, das mir Schatten auf das Papier gaͤbe, um verſchiedene Miſchungen des Tages -II. 22338lichts und ſeines Schattens mit dem Kerzenlicht und deſſen Schatten hervorzubringen: denn ich vermuthete, daß auch hier ſich Farben zeigen muͤßten; welches mir vollkommen gelang. Denn das Tageslicht und der Schatten des Kerzenlichtes bildeten Blau durch ihr Zuſammentreffen; der Schatten des Tageslichts und das Licht der Kerze brachten das Gelbe hervor, und wenn man ſodann das Gelbe mit dem Blauen ver - band, welches ſehr leicht war, ſo entſtand ein ſehr deutlich Gruͤn. “
„ Dieſe drey letzten Verſuche beweiſen ganz klar: einmal, daß die Farben in nichts anderem beſtehen als in Miſchung von Licht und Schatten, und ihre Verſchiedenheit in der Verſchiedenheit der Miſchungen die man machen kann; ſodann, daß das Violette von den andern urſpruͤnglichen Farben ſich dadurch unter - ſcheidet, daß es mehr Schatten hat als die uͤbrigen; das Gelbe, daß es weniger Schatten hat als die andern; das Gruͤne, daß es mehr Schatten hat als das Gelbe und weniger als alle uͤbrigen; das Rothe, daß es mehr Schatten enthaͤlt als Gelb und Gruͤn, weniger als Blau und Violett; das Blaue zuletzt, daß es weniger Schatten enthaͤlt als das Violette und mehr als die uͤbrigen urſpruͤnglichen Farben. Und weil in dieſen drey Verſuchen dieſelbigen Farben immer entſprangen durch dieſelbigen Miſchungen von Schatten und Licht, und da ſie ſogleich verſchwanden, wenn jene beyden aufgehoben waren; ſo ſehen wir339 darin eine uͤberzeugende Probe von der Wahrheit des vorgeſchlagenen Syſtems. “
„ Und da man in dieſem Syſtem eine ſichre Urſache der Natur der Farben uͤberhaupt und einer jeden ur - ſpruͤnglichen beſonders angeben kann, ſo iſt es unnoͤthig, zu unbekannten Urſachen ſeine Zuflucht zu nehmen, wie z. B. die ſtaͤrkeren oder ſchwaͤcheren Schwingungen ei - ner ſubtilen Materie oder die verſchiedenen Umdrehun - gen der kugelartigen Materie, welches bloße Fictionen des Geiſtes ſind, die keinen Grund in der Natur ha - ben, und deren Exiſtenz weder vom Pater Malebran - che, dem Erfinder der erſten, noch von Descartes, dem Erfinder der andern, iſt dargethan worden. “
„ Aus allem vorhergeſagten folgt alſo, daß alle Farben aus Gelb und Blau zuſammengeſetzt ſind: denn das Gruͤne iſt nur eine Vermiſchung von Gelb und Blau, wie denn gelbes und blaues Glas aufeinander gelegt ein Gruͤnes hervorbringt; das Rothe iſt nur ein Gelb mit Schatten gemiſcht, wie es fruͤher bewie - ſen worden; das Violette iſt nur eine Miſchung von vielem Blau mit wenig Roth, wie man erfahren kann, wenn man mehrere blaue Glaͤſer und ein rothes zuſam - menlegt. Weil aber das Blau ſelbſt nur eine Miſchung von Schatten und wenigem Licht, das Gelbe eine Mi - ſchung von vielem Licht und wenigem Schatten iſt, wie wir oben gezeigt haben; ſo iſt offenbar, daß alle Far - ben urſpruͤnglich von dem Schwarzen und Weißen her - kommen, oder was einerley iſt, von Licht und Schatten. “
22 *340„ Weil man aber das Wort Farbe in verſchiede - nem Sinne nimmt, ſo betrachten wir, um alle Zwey - deutigkeit zu vermeiden, die Farben unter vier ver - ſchiedenen Bedingungen, naͤmlich im gefaͤrbten Gegen - ſtande, im durchſichtigen Mittel, im Sehorgan und in der Seele. “
„ Die Farben in dem gefaͤrbten Gegenſtande ſind nach dem aufgeſtellten Syſtem alles dasjenige, was Ge - legenheit gibt, daß ſich auf erforderliche Weiſe Licht und Schatten zu Farben verbinden, es moͤgen nun die Koͤrper, welche zu ſolchen Vermiſchungen Gelegenheit geben, durchſichtig oder undurchſichtig ſeyn. “
„ Die Farben betrachtet in dem Mittel wodurch ſie zu uns gelangen, beſtehen auch in Verbindung des Schattens und des Lichtes, oder welches daſſelbe iſt, in den verſchiedenen Entfernungen der Lichtſtrahlen be - zuͤglich untereinander. “
„ Die Farben von der Seite des Organs ſind nichts anders als eine Erſchuͤtterung von mehr oder weniger Nervenfaſern, die ſich in der Proportion von einander entfernen, wie die Entfernung der Lichtſtrah - len untereinander war, welche die Retina erſchuͤtter - ten. “
„ Endlich die Farben in Bezug auf die Seele be - ſtehen in verſchiedenen Perceptionen der Seele, wel - che verurſacht werden durch die Erſchuͤtterungen von mehr oder weniger Nervenfaſern des Auges. “
341„ Dieſes vorausgeſetzt, ſo laͤßt ſich nach unſerm Syſtem gar leicht von einer Erfahrung Rechenſchaft geben, welche der Pater Malebranche vorbringt, um das ſeinige zu beſtaͤrken, das auf nichts als auf die Analogie der Farbe mit den Toͤnen gegruͤndet iſt. Dieſe Erfahrung beſteht darin, daß wenn Jemand, nachdem er in die Sonne geſehen und alſo der optiſche Nerve ſtark erſchuͤttert worden, ſodann die Augen ſchließt oder ſich an einen dunklen Ort begibt, ihm in einer Folge verſchiedene Farben erſcheinen, erſt Weiß, dann Gelb und ſo fort Roth, Blau und Schwarz. Denn die Erſchuͤtterungen welche auf verſchiedene Faſern des optiſchen Nerven erregt worden, endigen nach und nach, eine nach der andern, und ſo wird der optiſche Nerv immer in weniger Theilen erſchuͤttert ſeyn, je - mehr Zeit verfloſſen iſt als man die Augen zugedruͤckt hat; und darin beſteht die Folge und die Abwechſelung der Farben die man alsdann ſieht. Ich weiß nicht, wie der Pater Malebranche dieſes Beyſpiel anfuͤhren mochte, um die Verſchiedenheit der Farben durch Ana - logie mit den Toͤnen zu erklaͤren. Denn ein Ton bleibt immer derſelbe, auf derſelben Violinſaite, ob er gleich immer unmerklich ſchwaͤcher wird. “
„ Zum Schluſſe will ich hier zu bemerken nicht unterlaſſen, daß die Erfahrung welche Boyle vom nephritiſchen Holze erzaͤhlt, und welche Herr Pourchot gleichfalls wiederhohlt, ſehr unſicher, dabey aber nicht ſo ſelten ſey als dieſe Philoſophen glauben. “
342„ Die Erfahrung beſteht darin, daß man eine Nacht uͤber, eine gewiſſe Portion nephritiſchen Holzes, mit reinem Brunnenwaſſer uͤbergoſſen, ſtehen laͤßt und mit dieſem Aufguſſe ſodann ein rundes glaͤſernes Gefaͤß anfuͤllt. Dieſes Gefaͤß ſoll, nach dem Bericht obge - dachter beyder Beobachter, gelb erſcheinen, wenn es ſich zwiſchen dem Auge des Betrachters und dem aͤußern Lichte befindet; blau hingegen, wenn das Auge zwiſchen das Licht und die Flaſche gebracht wird. Ich habe dieſen Verſuch oͤfters und faſt auf alle moͤgliche Weiſe gemacht, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken, was dem Blauen ſich einigermaßen naͤherte. Wohl zeig - te ſich das Waſſer gelb, aber auch Stroh wuͤrde es gelb machen, wenn man davon eine Infufion bereitete. Herr Polinier, Doctor der Arzneykunſt, hat mich ver - ſichert, daß er dieſen Verſuch gleichfalls ohne den mindeſten Erfolg vorgenommen habe. Aber wenn er auch richtig waͤre, ſo waͤre es nichts außerordentliches: denn gewiſſe kleine glaͤſerne Geſchirre, deren man ſich bedient um Confituren hinein zu thun, haben alle je - ne Eigenſchaften, welche die Herren Boyle und Pour - chot ihrem nephritiſchen Holze zuſchreiben. Vielleicht kamen dieſe verſchiedenen Farben, die ſie in ihrem Aufguſſe wollen geſehen haben, bloß von der Flaſche, welche vielleicht ein Glas von der Art war wie ich eben erwaͤhnte; welches denn ein bedeutender Irrthum ſeyn wuͤrde. “
Wenn der denkende Geſchichtsforſcher mit Betruͤb - niß bemerken muß, daß Wahrheit ſo wenig als Gluͤck einen dauerhaften Sitz auf der Erde gewinnen koͤnnen, da dieſes mit manchem Unheil, jene mit manchem Irrthum beſtaͤndig abzuwechſeln hat; ſo iſt es ihm deſto erfreulicher, zu ſehen, wenn die Wahrheit auch in Zeiten wo ſie nicht durchdringen kann, nur gleich - ſam eine Proteſtation einlegt, um ihre Rechte, wo nicht zu behaupten, doch zu verwahren.
Mit dieſer vergnuͤglichen Empfindung leſen wir vorſtehende Schrift, die wir den Freunden der Wiſſen - ſchaft nicht genug empfehlen koͤnnen. Sie iſt verfaßt von einem unbebekannten, unbedeutenden franzoͤſiſchen Geiſtlichen, der zu derſelben Zeit den echten Funda - menten der Farbenlehre ganz nahe tritt und ſeine Ue - berzeugungen einfach und naiv ausſpricht, als eben Newton von allem Glanze des Ruhms umgeben ſeine Optik bekannt macht, um mit dem wunderlichſten al - ler Irrthuͤmer ein ganzes Jahrhundert zu ſtempeln.
Ein ſolcher Vorgang iſt keinesweges wunderbar: denn außerordentliche Menſchen uͤben eine ſolche Ge - walt aus, daß ſie ganz bequem ihre zufaͤlligen Irrthuͤ - mer fortpflanzen, indeß weniger begabte und begluͤckte keine Mittel finden, ihren wohleingeſehenen Wahrheiten Raum zu machen.
344Da ſich Nuͤguet jedoch dem rein Wahren nur an - zunaͤhern vermag, da ihm eine vollkommene Einſicht abgeht, da er hie und da in Schwanken und Irren geraͤth; ſo bedarf man gegen ihn einer durchgehenden Nachſicht. Hier muß man einen Schritt weiter gehen, hier ihn ſuppliren, hier ihn rectificiren. Indem wir dieſe unterhaltende und uͤbende Bemuͤhung unſern Le - ſern uͤberlaſſen, machen wir nur auf einige Hauptmo - mente aufmerkſam.
In ſeinem fuͤnften Puncte bemerkt er ganz richtig, daß im prismatiſchen Bilde Gelb und Blau mehr dem Lichte, Roth und Violett mehr dem Schatten angehoͤ - ren; daß das Rothe ſich von dem Schatten entfernt, daß das Violette ſich gegen den Schatten bewegt, der ihm unmittelbar begegnet. Freylich entſteht, nach unſrer gegenwaͤrtigen Einſicht, das Rothe, weil ſich ein truͤbes Doppelbild uͤber das Licht, das Violette, weil ſich ein truͤbes Doppelbild uͤber das Dunkle be - wegt, und ſo ſprechen wir die naͤchſte Urſache dieſer Farbenerſcheinung aus; aber wir muͤſſen doch Nuͤguet zugeſtehen, daß ihm die nothwendige Bedingung der Erſcheinung vorgeſchwebt, daß er auf dasjenige was dabey vorgeht, beſſer als einer ſeiner Vorgaͤnger auf - gemerkt.
Sein ſechſter Punct enthaͤlt die ſaͤmmtlichen Ele - mente der farbigen Schatten. Hier iſt ihm nicht aufgegangen, was dabey phyſiologiſch iſt; auch hat er nicht einmal die zufaͤlligen Erſcheinungen, welche345 ihm durch die ſeiner Camera obſcura gegenuͤberſtehen - den Haͤuſer geboten worden, genugſam in wiederhohl - bare Verſuche verwandelt.
Wenn ihm ferner der Verſuch mit dem nephritiſchen Holze nicht gelingen wollen, ſo ſcheint uns die Urſach darin zu liegen, daß er kein echtes erhalten koͤnnen. Denn eben ſo iſt es uns auch ergangen, ob wir uns gleich aus vielen Apotheken ein ſogenanntes nephriti - ſches Holz angeſchafft haben. An dem Verſuche, den Kircher und nach ihm andre ſo deutlich beſchreiben, hat man keine Urſache zu zweifeln; allein darin hat Nuͤguet voͤllig Recht, daß er auf mehr als eine Art an feſten und fluͤſſigen Mitteln zu wiederhohlen iſt: man darf ihnen nur, auf eine oder die andre Weiſe, eine reine Truͤbe mittheilen, wie wir in unſerm Ent - wurfe umſtaͤndlich angezeigt haben.
Nachdem wir nun am Ende des ſiebzehnten Jahr - hunderts noch ganz unerwartet ein erfreuliches Wahre hervorblicken ſehen, bereiten wir uns zu einem ver - drießlichen Durchwandern jener Irrgaͤnge, aus welchen die Naturforſcher des achtzehnten Jahrhunderts ſich her - aus zu finden weder vermochten noch geneigt waren.
Daniel Sennert. Epitome naturalis scientiae. Vitebergae 1633. Seite 567 definirt er die Farbe nach Ariſtoteles und iſt in dieſer Materie ſehr kurz und beſchraͤnkt.
Johann Sperling. Institutiones physicae. Vitebergae 1639. ſtreitet p. 562 gegen Zabarella, das Licht und die Farbe ſeyen nicht Eins.
Johann Amos Comenius. Physicae ad Lumen divinum reformatae synopsis. Amstel. 1643. Iſt mir unbekannt, ob etwas von Farben darin ſtehe.
Marin Merſenne. Cogitata physico-ma - thematica. Paris 1644. Er fertigt p. 485 die Far - ben auf anderthalb Seiten ab, gewiſſermaßen im ariſto - teliſchen Sinne.
Sebaſtian Baſſon. Philosophiae naturalis adversus Aristotelem Lib. XII. Amstel. 1649. p. 530. 554. 555. Visio fit per radiorum ocularium (da - durch werden vom Auge ausgehende Strahlen verſtan - den) qui corporei sunt, factam ab objecto reper - cussionem. Haec repercussio varia est, inde ge - nerantur varii colores. Dieß iſt die Summe ſeiner Abhandlung.
347Pater Scheiner. In ſeinem Werke oculus Lib. III. Part. 2. c. 11. „ Deshalb erſcheint in con - vexen Glaͤſern am Rand ein gewiſſes Gedraͤnge von leuchtenden Ringen, Regenbogen und dgl. Dieſe raͤnd - liche Verwirrung ſchreibt ſich von den Seitenſtrahlen her, die ſich in die Hornhaut und in die Feuchtigkei - ten des Auges boͤsartig auf alle moͤgliche Weiſe ein - draͤngen. “
Hamberger. Dissertatio de opticis oculorum vitiis. Diejenigen Erſcheinungen, die wir nunmehr als phyſiologiſche, geſetzmaͤßige erkennen, nennt er im Ge - genſatz der vitiorum stabilium, die er eigentlich be - handelt, vitia fugitiva, magis et citius transeuntia. Die Ordnung der abklingenden Farben gibt er folgen - dermaßen an: colore virescente, rubente, mox pur - pureo, tandem violaceo.
Barow. Er ſetzt die Farbenerſcheinung lect. 12, sub finem in constipata et rara seu segnius concitata luce.
Johannes Faber. In ſeinem Werke Panchy - micus Buch III. Cap. XII. p. 388. ſchreibt folgender - maßen: „ Mercurius, Schwefel und Salz ſind die inner - ſten Wurzelanfaͤnge der Dinge, welche durch mannig - faltige Kochung und Verarbeitung in verſchiedenen Un - terlagen gar beſondere Eigenſchaften annehmen. Des - wegen leitet der Schwefel, der die innere materielle und hervorbringende Urſache aller Farben iſt, durch348 ſeine einfache Kochung alle Farben ab. Wenn er roh und unvollkommen oder ſchwaͤchlich ſeine Kochung voll - bringt, ſo verſchafft er die gruͤne und weiße Farbe; kocht er aber vollkommen in vollkommen reinen An - faͤngen, ſo bringt er die rothe Farbe und die feurige zum Vorſchein; kocht er unvollkommen in reinen An - faͤngen, dann wird das Gelbe, Gruͤne, Weiße, nach den verſchiedenen Graden der unvollkommenen Kochung, hervorgefuͤhrt und ans Licht gebracht. Wirkt er aber ſehr unvollkommen in unreinen Anfaͤngen, ſo bringt er die ſchwarze Farbe hervor und andre, die man auf die Schwaͤrze beziehen kann. “
Johann Baptiſta du Hamel. Philoso - phia vetus et nova, pag. 729. „ Wenn man Kupfer - feile mit Harngeiſt aufloͤſt, ſo wird die blaue Farbe der Tinctur ſogleich aufgehoben, wenn man Vitrioloͤl zugießet. Aber ſalzige und ſchwefelige Liquoren, wenn ſie die Theile die erſt zerſtreut waren, in eins zuſam - menbringen, erzeugen neue Farben; welches auch alle Niederſchlaͤge und tauſend Verſuche beweiſen. “
Philipp Ludwig Boͤmer. Physica positiva. Helmstaedt 1704. p. 120. „ Color nihil aliud est quam radiorum modificatio vel diversus motus, quo corpus coloratum radios recipit et ad oculos remittit. “
Nachdem wir uns bisher im Theoretiſchen wie auf Wogen von einer Seite zur andern geworfen geſehen, ſo laͤßt ſich erwarten, daß uns im Practiſchen gleich - falls keine vollkommene Sicherheit begegnen werde. Denn obgleich der Practiker vorzuͤglich vor dem The - oretiker als ganzer Menſch handelt und bey der That immer durch aͤußere Bedingungen mehr auf den rech - ten Weg genoͤthigt wird; ſo kommt doch dabey eben ſoviel Hinderliches als Foͤrderliches vor, und wenn auch irgend Jemand, durch Genie, Talent, Geſchmack, etwas Außerordentliches leiſtet; ſo kann der Grund hie - von, weder als Maxime, noch als Handgriff, ſo leicht uͤberliefert werden.
Maler und Faͤrber ſind zwar durchaus den Phi - loſophen und Naturforſchern in Abſicht auf Farbenlehre im achtzehnten Jahrhundert weit vorgeſchritten; doch konnten ſie ſich allein aus der Verworrenheit und In - conſequenz nicht helfen. Die Geſchichte des Colorits ſeit Wiederherſtellung der Kunſt, welche wir an dieſer Stelle einſchalten, wird hieruͤber das Beſondere an - ſchaulich machen. Um den Vortrag nicht zu unterbre - chen, findet ſich dieſe Geſchichte bis auf den heutigen Tag durchgefuͤhrt, wobey vorauszuſehen iſt, daß die herrſchende Theorie dem Kuͤnſtler keine Huͤlfe leiſten konnte, weil ſie die dem Maler zum Gegenſatze des Lichtes ſo noͤthigen Bedingungen, die Begraͤnzung und den Schatten, aus der Farbenlehre verbannt hatte.
Ob der Florentiner Eimabue oder Guido von Siena, ob der Piſaner Berlingheri oder irgend ein an - derer aus dem dreyzehnten Jahrhundert, der erſte gewe - ſen, der ſeine Augen wieder auf die Natur gewendet, dieſelbe nachzuahmen ſich bemuͤht und dadurch den in der Irre ſchlafenden Genius der Kunſt wieder geweckt und auf den rechten Weg gefuͤhrt, in dieſen Streit, der ſchon manche Feder abgenutzt, laſſen wir uns nicht ein; genug fuͤr unſern gegenwaͤrtigen Endzweck, daß Cima - bue in jener erſten Zeit der neuern Kunſt, wenn auch nicht vor allen andern die Bahn gebrochen, doch wenig - ſtens die bedeutendſten Fortſchritte gemacht. Vorzuͤg - lich iſt er uns merkwuͤrdig, weil ſein Colorit, oder beſſer zu ſagen, ſeine Farben, wiewohl noch im Licht weiß, in den Schatten braun und ſchmutzig, doch im Ganzen betrachtet unſtreitig etwas freundlicher ſind, heller und munterer, als wir ſie bey ſeinen uͤbrigen Zeit - genoſſen gewahr werden.
351Durch Cimabue’s Schuͤler, den großen Giotto, erhielt die Kunſt wichtige Verbeſſerungen. Das Colo - rit in ſeinen beſten Werken unterſcheidet ſich von dem ſeines Meiſters vortheilhaft durch waͤrmere Fleiſchtin - ten. Die Schatten oder vielmehr die dunklen Partieen ſind zwar faſt eben ſo ſchwach, aber etwas weniger ſchmutzig und fallen zuweilen ins Grauliche.
Unter Simon Memmi, Thaddaͤus Gaddi und an - dern ſonſt beruͤhmten Schuͤlern des Giotto gewann das Colorit nichts, als daß es in einigen Arbeiten des er - waͤhnten Gaddi kraͤftiger mit beſſer auseinandergeſetzten Farben erſcheint. Giottino, der etwas ſpaͤter als die genannten auftrat, brachte mehr Uebereinſtimmung ins Ganze, bediente ſich bluͤhenderer Tinten und verſtand bereits dieſelben nach Erforderniß des Gegenſtandes ab - zuwechſeln. Vornehmlich ſind die Schattenpartieen durch ihn kraͤftiger geworden, haben auch etwas mehr Wahrheit erhalten als in den Werken der fruͤheren Meiſter der Fall iſt.
Durch den Lorenzo di Bicci erhielt das Colorit abermals Verbeſſerungen. Dieſer Kuͤnſtler liebte das Helle und Muntere der Farben und wußte die Maſſen der Localtinten rein aufzutragen und zart abzuwechſeln, ſo daß man in einigen noch uͤbrigen Arbeiten von ihm Gewaͤnder von derſelben Farbe wahrnimmt, welche mit vollkommen befriedigender Kunſt nur um eine zarte Nuͤançe von einander unterſchieden ſind, und nichts deſtoweniger deutlich ſich abheben, wodurch der Kuͤnſt -352 ler eben ſowohl Ruhe als eine harmoniſche Mannigfal - tigkeit in ſeine Werke gebracht hat. Er mag daher wohl unter die guten Coloriſten gerechnet werden und iſt unſtreitig der beſte ſeines Zeitalters. Er lebte wahr - ſcheinlich von 1350 bis 1427.
Maſſolino da Panicale, anfaͤnglich ein plaſtiſcher Kuͤnſtler, bereicherte die Malerey, wozu er uͤberging, durch beſſere Beobachtung von Licht und Schatten, wo - durch ihm denn zuerſt die richtige Darſtellung verkuͤrz - ter. Glieder gelang. Und da er ſich uͤberhaupt groͤßerer Schattenpartieen bediente, als vorher gebraͤuchlich war; ſo erhielt auch ſein Colorit im Ganzen dadurch mehr Saͤttigung. Nach wenigen Ueberbleibſeln ſeiner Werke zu urtheilen, ſcheinen die beleuchteten Stellen jedoch etwas zu weiß gerathen; die beſchatteten hingegen fal - len zu ſehr ins Rothbraune.
Bey Maſſolino’s Schuͤler, dem vortrefflichen Ma - ſaccio, ſind die Fleiſchtinten etwas wahrhafter, und er wußte das Colorit mit Meiſterſchaft zur Bedeutung, zur Verſtaͤrkung des Ausdrucks ſeiner Figuren anzu - wenden. Helle und dunkle Maſſen ſind ſehr wohl un - terſchieden, ruhig und breit gehalten, wodurch die Far - be uͤberhaupt angenehmer wird. Die Schatten aber fallen auch bey ihm zu ſehr ins Rothbraune.
Mit lieblichen zarten Tinten malte der ſelige Fra Giovanni da Fieſole ſeine frommen Bilder. Wir finden in denſelben zuerſt eine allgemeine, im Ganzen353 herrſchende Uebereinſtimmung. Sie ſcheint indeſſen nicht ſowohl aus Ueberlegung entſproſſen, oder mit Bewußt - ſeyn hervorgebracht, ſondern aus der Naturanlage, dem Hang dieſes liebenswuͤrdigen Malers zum Lieblichen, Sanften, herzuruͤhren.
Noch etwas bluͤhender und lebhafter ſind die Ge - maͤlde ſeines Schuͤlers Gentile da Fabriano, und ſchon mehr Kraft wußte Fra Filippo Lippi den ſeinigen mit - zutheilen. Doch hatten ſie alle drey die von Maſſo - lino und Maſaccio eingefuͤhrten roͤthlichen Schatten beybehalten. Beym Fra Giovanni da Fieſole trifft man dieſelben am ſtaͤtigſten an. Gentile da Fabriano iſt uͤberhaupt etwas gemaͤßigter darin. Fra Filippo Lippi hat ſie in vielen Bildern beynah uͤbertrieben roth gemacht. In andern, welche uͤberhaupt kraͤftiger und vielleicht ſpaͤtre Arbeiten ſind, iſt er zwar mehr grau aber auch etwas ſchmutzig in den Schattenpartieen.
Die Erfindung der Oelfarben, oder wenn man einem unfruchtbaren Streit ausweichen und lieber ſa - gen will, die beſſere Anwendung derſelben durch Jo - hann van Eyck, hat auf das Colorit ſehr bedeutenden Einfluß. Der Natur dieſer Farben und der Behand - lungsweiſe, welche ſie zulaſſen, gemaͤß wurde nun alles nach und nach weichlicher, mehr vertrieben, geſaͤttig - ter. Vornehmlich erhielten die Schattenpartieen mehr Kraft, Durchſichtigkeit, Anmuth und Leben. Die Folge hievon war, daß mehr Schatten in den Gemaͤlden an - gewendet wurden, woraus endlich der duͤſtre CharakterII. 23354entſprang, der bey einem großen Theile der Werke neue - rer Maler der vorherrſchende iſt.
Van Eyck mag bereits vor 1450 Gemaͤlde in Oel - farbe verfertigt haben. Was uns unter ſeinem Namen vor Augen kam, iſt mit Fleiß und Treue der Natur nachgeahmt, zeigt aber uͤbrigens keine Eigenſchaften, welche fuͤr eine weſentliche und unmittelbar durch den genannten Kuͤnſtler bewirkte Verbeſſerung der Kunſt zu coloriren gelten koͤnnten. Nicht anders iſt es auch mit den Arbeiten der damals beruͤhmten deutſchen Maler, des Martin Schoͤn und Michael Wohlgemuth, beſchaffen.
Haben wir bisher unter den vorzuͤglichen Befoͤrde - rern des Colorits keine andre als bloß toscaniſche Mei - ſter zu nennen gehabt, weil die neuere Malerey in Tos - cana und vornehmlich zu Florenz ihren fruͤhſten Sitz faßte; ſo treten nunmehr auch venezianiſche Kuͤnſtler in die Schranken. Dieſe oder die von ihnen geſtiftete Schule hat um ſo groͤßeren Einfluß auf unſere Ge - ſchichte, als ſie das Colorit zu ihrer Hauptangelegen - heit gemacht und unſtreitig die allervollkommenſten Mei - ſter dieſes Fachs aus ihr hervorgegangen ſind.
Daß einige der ſpaͤteren Arbeiten des Bartolomeo Vivarino in Oelfarben gemalt ſind, iſt zwar wahr - ſcheinlich, doch koͤnnen wir ſolches nicht mit vollkomm - ner Zuverlaͤſſigkeit behaupten. Verſchiedene vorzuͤgliche Bilder von ihm ſind zwiſchen 1470 und 1480 gemalt, und auf alle Faͤlle gehoͤrt er unter die beſten Meiſter355 im Colorit. Seine Tinten ſind von anmuthiger Klar - heit und man bemerkt im Allgemeinen ſchon die ſchoͤne Eigenthuͤmlichkeit der venezianiſchen Malerſchule in ih - rer erſten Entſtehung.
Giovanni Bellini that noch etwas mehr Bluͤthe und Kraft hinzu und war unter den Malern des ſtren - geren aͤlteren Styls unſtreitig der beſte Coloriſt.
Werfen wir nun abermals einen Blick auf die florentiniſche Malerſchule; ſo ſehen wir dort, vom An - drea Verocchio unterrichtet den Pietro Perugino her - vorgehen, der zwar ebenfalls dem alten ſtrengen Styl noch anhing, aber mit bluͤhenderen zarteren Farben malte als irgend einer ſeiner Vorgaͤnger. Wir duͤrfen ihn jedoch, da ſeine Schattenfarben in Oelgemaͤlden gruͤnlich grau und in Arbeiten al Fresco roͤthlich ſind, nur im beſchraͤnkten Sinne und bezuͤglich auf ſeine Schule, ſeine naͤchſte Umgebung, nicht aber im Allge - meinen, als einen Verbeſſerer des Colorits auffuͤhren, weil der erwaͤhnte Johann Bellini, ſein Zeitgenoſſe, ja wahrſcheinlich noch um einige Jahre aͤlter als er, ihm in der That uͤberlegen und naͤher zur Wahrheit ge - langt iſt.
Durch Leonardo da Vinci, der ebenfalls aus der Schule des Andrea Verocchio hervorging, erhielt das Colorit mittelbar eine hoͤchſt bedeutende Verbeſſerung. Dieſer große Kuͤnſtler beobachtete naͤmlich Licht und Schatten mit weit mehr Genauigkeit als zuvor geſche -23 *356hen war. Er malte zwar mit wenig freundlichem et - was hefenartigen Colorit; aber ſeine Werke zeigten nun durch zart angegebene Mitteltinten die Rundung der Theile, richtiges Vor - und Zuruͤcktreten derſelben und eine große noch nie geſehene Kraft in den Schatten.
Hieraus entſtand nun in naͤchſter Folge das maͤch - tige Colorit des Fra Bartolomeo di San Marco, und die venezianiſche Schule blieb nicht zuruͤck. Giorgio Barbarelli da Caſtel Franco, genannt Giorgione, ein Zoͤgling des Giovan Bellini, bediente ſich bey eben ſo kraͤftigen Schatten, noch gluͤhenderer Tinten, und hatte es ſo weit gebracht, daß fuͤr den gleich auf ihn fol - genden, von demſelben Lehrer unterrichteten Tiziano Ve - celli kaum noch ein kleiner Schritt zu thun uͤbrig blieb, um ſich zur hoͤchſten uns bekannten Vortrefflichkeit des Colorits zu erheben.
Obgleich Raffael von Urbino und Andrea del Sar - to bewundernswuͤrdige Werke geliefert, jener beſonders Namen und Ruhm des erſten aller neueren Maler mit Recht verdient, und alle beyde ein treffliches Colorit be - ſeſſen; ſo war doch dieſe Seite nicht die glaͤnzendſte ihrer Kunſt, und beyde ſind von ihren oben erwaͤhnten Zeitgenoſſen, Giorgione und Tizian, uͤbertroffen worden.
Ohngefaͤhr daſſelbe kann man auch von Albrecht Duͤrer, von Holbein und Lucas Kranach ſagen. Duͤ - rern gelangen zwar zuweilen die hellen Tinten des Fleiſches ſehr wohl; allein die Schatten ſind gewoͤhnlich357 ſchwach oder fallen ins Gruͤnliche, wenn er ſie kraͤftig machen wollte. Holbein ahmte die Farben der Natur - gegenſtaͤnde ſehr treu nach. Er iſt zarter in den Tin - ten als Duͤrer, weiß den Pinſel gewandter zu fuͤhren, und die Beſtimmtheit artet ſelten bey ihm in Haͤrte aus. Lucas Kranach war noch ein beſſerer und viel - leicht der beſte unter den ultramontanen Coloriſten. Einige ſeiner Arbeiten wuͤrden, die Beleuchtung abge - rechnet, auf welche er nicht Acht hatte, in Hinſicht auf Wahrheit und Bluͤte der Fleiſchtinten ſelbſt neben Tizian beſtehen. Es iſt aber auch wahrſcheinlich, daß Kranach Tizians Arbeiten ſtudirt, ja vielleicht mit dem Meiſter ſelbſt perſoͤnlichen Umgang gepflogen habe.
Eine Eigenſchaft desjenigen Theils der Malerey, deſſen Geſchichte wir hier zu bearbeiten uͤbernommen, iſt bisher noch nicht beruͤhrt worden, wir meynen die Harmonie der Farben. Zwar wird ſolche unter dem allgemeinen Begriff des Colorits gewoͤhnlich mit gefaßt, kann aber auch als abgeſondert von demſelben gedacht werden. Die Harmonie alſo, fuͤr ſich allein betrachtet, beſteht im ſchicklichen, zweckmaͤßigen, Nebeneinander - und Gegeneinanderſetzen der Farben; Colorit hingegen, im ſtrengen und eingeſchraͤnkten Sinne, bedeutet nur die kuͤnſtliche Miſchung derſelben und die treue Darſtel - lung der Natur.
Auf die Wahrheit ihrer Farbenmiſchung nun hat - ten die Meiſter der venezianiſchen Malerſchule ihr Hauptaugenmerk gerichtet, und darin angezeigtermaßen358 einen ſehr hohen Grad erreicht; ja Tizian iſt viel - leicht in dieſem Stuͤck fuͤr vollkommen und unuͤbertreff - lich zu halten. Mit der Harmonie der Farben fanden ſie ſich hingegen leicht ab, und wenn unſre dießfallſi - gen Beobachtungen gegruͤndet ſind, ſo beſtanden die Re - geln, welche ſie ſich daruͤber gemacht hatten, ohngefaͤhr aus folgendem.
Erfahrung lehrt, daß das Rothe als Farbe das Auge am maͤchtigſten reizt, daß vornehmlich der Lack oder Purpur, hoͤchſt geſaͤttigt, warm und milde, den Begriff von Pracht und Wuͤrdigkeit zu erregen, und zugleich die Fleiſchtinten hervorzuheben geſchickt iſt. Dieſe Farbe wurde alſo ihrer angefuͤhrten Eigenſchaf - ten wegen haͤufig, jedoch mit der Vorſicht gebraucht, daß ſie in der Mitte des Bildes erſcheint, oder huͤben und druͤben, oder auch, in weitlaͤuftigen Compoſitionen, dergeſtalt ausgetheilt, daß das Gleichgewicht erhalten wird.
Naͤchſt dem Purpurroth, welches faſt immer in voller Kraft und rein erſcheint, ſieht man die gelbe Farbe in allen Abſtufungen, vom hellſten Gelb bis zum Dunkelbraunen haͤufig gebraucht. Sie reizt zwar das Auge ungleich weniger als Roth, iſt aber warm und ſteht in Verwandtſchaft mit den Fleiſchtinten, ſo wie mit dem Purpur; dahingegen Gruͤn und Blau, als Gegenſaͤtze von Roth und Gelb betrachtet und daher nur ſparſam, der Mannigfaltigkeit wegen und zur Be - lebung der uͤbrigen, angewendet wurden.
359In allen Gemaͤlden der beſten Meiſter aus der venezianiſchen Schule glauben wir ein Uebergewicht der activen Farben wahrgenommen zu haben. Daher kommt das Warme und Ruhige im Ganzen. Das Auge wird zwar nicht durch buntes regelloſes Farben - gewirre unangenehm erſchuͤttert, aber auch nicht ver - mittelſt des harmoniſchen heitern Spiels des geſamm - ten Farbenkreiſes erfreulich beruͤhrt.
Die großen venezianiſchen Meiſter des Colorits haben faſt ohne Ausnahme die Regel beobachtet, ſich ungemiſchter ganzer Farben zu den Gewaͤndern zu be - dienen, damit die gemiſchten Tinten des Fleiſches beſ - ſer gehoben werden, jene hingegen als Maſſen von entſchiedener Farbe deutlicher in die Augen fallen ſoll - ten. Changeante Gewaͤnder findet man daher nie, oder nur als hoͤchſt ſeltene Ausnahmen. Sogar das Violette ſcheint als eine gemiſchte Farbe betrachtet und nicht eben beliebt geweſen zu ſeyn.
Tizian hat vor den Uebrigen oft weißes Gewand oder Leinenzeug angebracht und ſolches vorzuͤglich gut gemalt. In Hinſicht auf Harmonie der Farben war dabey ſein Zweck, die zarten Fleiſchtinten ſeiner nakten weiblichen Figuren vortheilhaft zu heben und bluͤhen - der erſcheinen zu laſſen. Ja er hatte ſich’s wie zum Geſetz gemacht, wo immer moͤglich zwiſchen lich - tes Fleiſch und farbiges Gewand etwas Weiß anzu - bringen.
360Aus dem Vorhergehenden hat ſich gezeigt, zu wel - chen Eigenſchaften das Colorit durch die Bemuͤhungen der groͤßten Meiſter aus der venezianiſchen Schule ge - langt war. In der Carnation ſind ſie nie uͤbertroffen, ja nicht einmal erreicht worden; aber der allgemeine Begriff von Colorit, ſo wie wir oben denſelben mit leichten Zuͤgen entworfen, wurde durch die Werke des Antonio Allegri von Correggio noch mehr erweitert.
Er malte zwar mit ausnehmend zarten, bluͤ - henden Tinten, konnte aber doch im Licht, weder die Wahrheit des Tizian, noch die Glut des Giorgione er - reichen. Sein hauptſaͤchlichſtes Studium ging auf die Beleuchtung, auf Darſtellen und zweckmaͤßiges Anwen - den derſelben zum gefaͤlligen Effect, zuweilen ſogar zur hohen Bedeutung in ſeinen Werken. Bey keinem Maler findet man daher ſo ſanfte Uebergaͤnge vom Licht zum Schatten, ſo reingehaltene Maſſen, ſo durchſichti - ge klare Schattenpartieen, keiner hat die Widerſcheine ſo genau beobachtet, und ferner ſcheint er uns der erſte geweſen zu ſeyn, welcher auf die Harmonie des Gan - zen durch kuͤnſtliches Nebeneinanderſtellen und Entgegen - ſetzen der Farben gedacht hat. Das Farbenſpiel iſt da - her in ſeinen Werken mannigfaltiger, lebhafter und froͤhlicher als in den tizianiſchen, und dieſes iſt die Erweiterung, welche das Colorit dem Correggio ſchuldig geworden. Er wird mit Recht fuͤr das Haupt, fuͤr den Stifter der lombardiſchen Malerſchule angeſe - hen, und dieſe Schule, indem ihre Kuͤnſtler alle mehr oder weniger den Correggio zum Muſter genommen,361 zeichnete ſich in dem groͤßten Theil ihrer Werke durch kraͤftige Schatten und Farben aus. Sie waren dunk - ler aber auch geſaͤttigter, mehr harmoniſch und von auf - ſallenderer Wirkung als die florentiniſchen; nicht ſo wahr und warm in ihren Fleiſchtinten wie die Ve - nezianer. Man bediente ſich der gelben und Purpur - farbe weniger, hingegen der blauen Farbe mehr zu Gewaͤndern, beſonders in den Figuren des vorderſten Grundes, wodurch die Bilder uͤberhaupt einen Charakter von Ernſt, das Colorit von großer Kraͤftigkeit erhal - ten. So ſind z. B. die Gemaͤlde des Parmeggianino, eines der vorzuͤglichſten Maler der lombardiſchen Schule und anfaͤnglichen Nachahmers des Correggio, beſchaffen.
Die heitere, angenehme Manier, deren ſich Frie - drich Barocci von Urbino bediente, iſt mehr fuͤr eine Abirrung als fuͤr eine Erweiterung der Kunſt in Ab - ſicht auf das Colorit zu betrachten. Dieſer Meiſter pflegt alle Farben in den Gewaͤndern gerne hoch, im reinſten glaͤnzendſten Zuſtand anzuwenden. Im Fleiſch ſind die Lichter gewoͤhnlich etwas zu gelb, die Mittel - tinten zu blau, das Roth ſcheint mehr Schminke als natuͤrliche Roͤthe; ſeine Schattenfarben ſind ſchoͤn klar, die Maſſen von Hell und Dunkel, einzeln genommen, zwar groß, deutlich, nicht unterbrochen; Licht und Schatten aber, beſonders in weitlaͤuftigen Compoſitio - nen, etwas zu ſehr zerſtuͤckelt, wodurch die Ruhe des Ganzen leidet. Manche Bilder von dieſem Meiſter ſind daher buntfleckig. In den beſten ſucht er ſich362 mit einem uͤber das Ganze verbreiteten, gelblichen Tone zu helfen, und wenn wir nicht irren, ſo iſt Barocci der erſte der dieſes Huͤlfsmittel angewendet hat, welches, wie wir im Verfolg ſehen werden, ſpaͤter oͤfters gebraucht worden, um die Harmonie der Far - ben zu erſetzen.
Jacopo Baſſano, Tintoret und Paul Veroneſe, Haͤupter der venezianiſchen Schule, folgten der von Giorgione und Tizian eingefuͤhrten Weiſe, zwar nicht als knechtiſche Nachahmer, doch unterſchied ſich ihr Colorit auch nicht als eigenthuͤmlich, ſondern es muß daſſelbe als Nuͤançirung des allgemeinen Charakters, wodurch die venezianiſche Schule ſich von den uͤbrigen unterſcheidet, angeſehen werden. Baſſano bediente ſich, beſonders in Gewaͤndern, haͤufiger der auflaſirten Far - ben. In den Gemaͤlden des Paul Veroneſe wird das heiterſte Farbenſpiel wahrgenommen, und Tintoret hat vor anderen ſeiner Landsleute kraͤftige Schatten ange - wandt.
Nachdem die florentiniſche Schule einige Zeit den ſogenannten manierierten Styl mit unnatuͤrlichen uͤber - triebenen Formen, mattem, vernachlaͤßigten, unange - nehmen Colorit geuͤbt hatte, ſo traten aus derſelben bald wieder verſchiedene Kuͤnſtler auf den Weg der Natur und bemuͤhten ſich, vornehmlich dem Colorit beſ - ſere Eigenſchaften zu erwerben. Jacopo Chimenti da Empoli malte ſeine beſten Bilder mit großer Kraft und ſehr warmer Farbe. Ludwig Cardi, genannt363 Cigoli, erhielt den Beynamen des florentiniſchen Cor - reggio, weil er in der That kraͤftig, mit klaren Schat - ten und uͤberhaupt gutem Ton des Colorits arbeitete. Doch die florentiniſche Schule verehrt den Chriſtofano Allori als ihren vorzuͤglichſten Coloriſten. Seine Bil - der ſind kraͤftig, ungemein bluͤhend und angenehm; wovon der halbnackte Juͤngling, im beruͤhmten Ge - maͤlde dieſes Kuͤnſtlers, das den heiligen Julianus vor - ſtellt, und ſonſt im Pallaſt Pitti und jetzt zu Paris be - findlich, ein Zeugniß geben mag. Denn man moͤchte von dieſem Koͤrper, wie von jenem griechiſchen ſagen: er ſey mit Roſen genaͤhrt.
Doch ungefaͤhr um eben dieſe Zeit ſchien die Ma - lerey ihren vornehmſten Sitz in Bologna nehmen zu wollen: denn es lebten daſelbſt die drey Carracci, Kuͤnſtler von ewig dauerndem Ruhm. Sie ſelbſt zwar haben von Seiten des Colorits die Kunſt weder erwei - tert, noch darin einen auffallend ſich unterſcheidenden Charakter behauptet; hingegen werden kuͤnftig ver - ſchiedene, aus ihrer beruͤhmten Schule hervorgegange - ne Kuͤnſtler genannt werden, welche denkwuͤrdige Neu - erungen eingefuͤhrt haben.
Michel-Angelo Merigi von Carravaggio unterwarf ſeine Kunſt unbedingt der Natur, und ſtellte edle und unedle Formen mit gleicher ſcheinbarer Treue dar, un - tereinander, ohne weitere Wahl, wie ſie ihm vorkamen. Den Farben gab er eine bisher noch nie geſehene Staͤrke. Seine meiſten Gemaͤlde haben mehr Schatten364 als Licht, indem er dieſes als ſehr hoch einfallend an - zunehmen pflegte, und als ob die Scene an einem dunklen, von einem einzigen Strahl erleuchteten Ort waͤre. Die gemeine Wahrheit dieſer Darſtellungen, die auffallende große Wirkung ihrer Beleuchtung und das gewaltige Colorit erwarben ſich lebhaften Beyfall und manche Nachahmer. Unter dieſen bemerken wir vor andern den Joſeph Ribera, genannt Spagnoletto, der mit eben ſo gewaltigen Schatten, mit nicht weniger Geiſt und Lebhaftigkeit und mit noch wahrhafteren Localtinten gemalt, deſſen Figuren aber ebenfalls meiſtentheils aus der gemeinen Natur aufgegriffen ſind, und obwohl in ſich ſelbſt charakteriſtiſch, doch gewoͤhnlich niedriger und gemeiner als es des Kuͤnſtlers Vorhaben und Zweck erfordert haͤtte.
Francesco Barbieri von Cento, Quercino genannt, wiewohl aus der Carracciſchen Schule, folgte doch der vom Carravaggio eingefuͤhrten Weiſe. Indeſſen ſind ſeine Geſtalten, ſeine Darſtellungen uͤberhaupt, ja wir duͤrfen ſagen ſeine Geſinnungen edler. Eine ruͤh - rende Naivetaͤt ziert nicht ſelten ſeine kraft - und effectvollen Werke. Das Colorit beſonders betreffend iſt Quercino uͤberhaupt, wenn nicht wahrhafter, doch zarter und gefaͤlliger als Carravaggio, und weil ſein Geſchmack gebildeter war, ſo erſcheinen ſeine beſten Werke farbenreicher und dem Auge angenehmer.
Auch der große Guido Reni bediente ſich in ſeinen fruͤhern Gemaͤlden hoͤchſt kraͤftiger großer Schattenpar -365 tieen und bekleidete ſolche im Licht mit noch zarteren und helleren Fleiſchtinten als Quercino. Daher kann man ſeine in dieſem kraͤftigen Geſchmack des Colorits behandelten Bilder als hoͤchſte Gipfel deſſelben betrach - ten. Als nun Guido in der Folge zu einer, jener dunklen kraͤftigen ganz entgegengeſetzten, hellen Art zu malen uͤberging, wo die Gegenſtaͤnde gleichſam im off - nen Raume und vollen Licht dargeſtellt ſind; ſo wurde durch ihn die Kunſt zu coloriren, wenn ſchon nicht im Weſentlichen verbeſſert, doch erweitert. Die herr - ſchenden ſilbergrauen Mitteltinten ſind zuerſt von dieſem Kuͤnſtler eingefuͤhrt worden. Francesco Albani, der Zeitgenoſſe des Guido, mit ihm aus einer Schule her - vorgegangen, malte eben ſo heiter in offnem Lichte, mit lieblicher bluͤhenden Tinten als ſonſt irgend ein anderer Kuͤnſtler der bologneſiſchen Malerſchule aufzu - weiſen hat.
Des Domenichino groͤßtes Verdienſt lag nicht auf der Seite des Colorits, und wir haben alſo ſeiner als eines der groͤßten Kuͤnſtler hier bloß im Vorbey - gehen zu gedenken. In Fresco malte er heiter, die Schattenfarben ſpielen etwas ins Gruͤnliche, bilden aber nicht ſo große vorwaltende Partieen wie bey Quercino und andern.
Hier iſt es Zeit, uns zur niederlaͤndiſchen Maler - ſchule zu wenden, welche in der erſten Haͤlfte des ſiebzehnten Jahrhunderts eben in ſchoͤner Bluͤthe ſtand, und das Colorit zu einem ihrer Hauptzwecke gemacht366 hatte. Rubens und van Dyk glaͤnzen unter den Co - loriſten der erſten Reihe; mit ihnen Rembrand, ein großer Meiſter im Colorit und noch groͤßerer im kuͤnſtlichen Gebrauch des Lichtes und des durch Wie - derſcheine unterbrochnen Schattens. David Tenier, Adrian von Oſtade, Gerard Douw, Mezuͤ, Terburg, und nebſt ihnen noch viele andre ſind als Coloriſten beruͤhmt.
Die Eigenſchaft aber, wodurch ſich die nieder - laͤndiſche Malerſchule hinſichtlich auf das Colorit von den andern im Allgemeinen unterſcheidet, oder viel - mehr worin ſie andern vorgegangen, iſt der Ton, nicht derjenige, den die Kunſtſprache Localton oder Ton der Tinten heißt: denn wiewohl viele nieder - laͤndiſche Kuͤnſtler auch in dieſem Puncte vortrefflich waren, ſind ihnen die Venezianer doch darin uͤberlegen geweſen; ſondern wir verſtehen hier die eine, im Ganzen eines Bildes vorherrſchende Farbe, eingemiſcht oder als Laſur uͤbergezogen, ſo daß die Darſtellung dem Auge wie durch das Medium eines gefaͤrbten Glaſes erſcheint.
Dieſer Art, eine gefaͤllige Uebereinſtimmung der Farben zu bewirken, ſcheint ſich, wie oben gedacht worden, Friedrich Barocci zuerſt bedient zu haben; aber ſie iſt bey den Niederlaͤndern nachher weiter ausgebildet und haͤufiger gebraucht worden.
Zu eben der Zeit war auch die franzoͤſiſche Schule im Zuſtand ihres hoͤchſten Flors; inzwiſchen gibt ſie367 fuͤr unſre gegenwaͤrtige Betrachtung nur geringe Aus - beute, weil kein Kuͤnſtler derſelben ſich im Colorit beſonders hervorgethan. Das Fach der Landſchaft verehrt zwar in Claude Lorrain ſeinen groͤßten Meiſter, und vorzuͤglich iſt das Colorit deſſelben im hoͤchſten Grade heiter, zart und wahrhaft; allein die Land - ſchaftsmalerey laͤßt dem Coloriſten, vermoͤge ihrer Natur, weniger Freyheit und Spielraum als im hiſtoriſchen Fache der Fall iſt.
Von ſpaniſchen Malern ſind dem Schreiber dieſer Nachrichten nur Velasquez und Morillo aus eigener Anſchauung einzelner Werke bekannt. Beyde ſcheinen in Hinſicht auf das Colorit unter die vorzuͤglichſten Meiſter ihrer Zeit zu gehoͤren. Vom Velasquez be - hauptete Mengs: derſelbe ſtehe, in Betreff des Scheins von Luft und Abloͤſung eines Gegenſtandes vom andern, ſelbſt dem Rembrand nicht nach. Wir aber haben nur Bildniſſe von ihm geſehen, welche ſich durch kuͤhnen Pinſel und wahre warme Fleiſchtin - ten vortheilhaft auszeichnen. Morillo malte, wie ſich aus verſchiedenen Bildern von ihm, welche ſich in deutſchen Galerien befinden, ergibt, Gegenſtaͤnde aus dem gemeinen Leben anmuthig, mit kraͤftigem, der Natur angemeſſenen Colorit; allein es finden ſich auch religioſe Darſtellungen, wo ſeine Farbe noch waͤrmer und den beſten venezianiſchen Malern nach - geahmt ſcheint.
Wir wenden uns nun wieder nach Italien, wo -368 ſelbſt Pietro Beretini von Cortona zu Rom, unter Pabſt Urban dem achten, und einigen folgenden Paͤbſten, viele große Werke in Oelfarben und al Fresco ausgefuͤhrt. Unerſchoͤpflich reich in Erfindungen be - handelte er ſeine Bilder mit einem zwar ſehr fluͤchtigen, aber angenehmen Pinſel und wußte das Colorit ſo - wohl als die Beleuchtung, nach Erforderniß des Gegenſtandes, bald heiter und froͤhlich, bald ernſt und ſehr kraͤftig zu halten. Warum er uns aber bey unſern gegenwaͤrtigen Betrachtungen vorzuͤglich merk - wuͤrdig ſeyn muß, iſt die Austheilung der Farben zum Behuf allgemeiner Harmonie; und wir getrauen uns zu behaupten, daß Beretini hierin der groͤßte Meiſter geweſen.
Schon oben bemerkten wir, wie die vornehmſten Maler der venezianiſchen Schule die Energie der rothen Farbe erkannt, ſolche in ungefaͤhr gleichen Maſſen durch ihre Bilder ausgetheilt und ihr verhaͤltnißmaͤßig viel Gelb zugeſellt, woraus eine harmoniſche, obgleich ſtreng genommen etwas monotone Wirkung entſprang. Correggio beſaß ein zartes und lebhaftes Gefuͤhl fuͤr die Harmonie der Farben; dieſes leitete ihn oft richtig, doch ſcheint er die Regeln, worauf Harmonie ſich gruͤndet, nicht erforſcht zu haben, deswegen er ſich zu - weilen durch Miſchungen zu helfen ſucht. Auch wurde durch ſchoͤne Beleuchtung, milde Uebergaͤnge, vortreff - liche Maͤßigung und Abſtufung des Lichtes, oder was man ſonſt Haltung zu nennen pflegt, jener Mangel gleichſam zugedeckt und unmerklich gemacht. Den369 Malern der niederlaͤndiſchen Schule iſt ſehr wahr - ſcheinlich eben ſo wenig Gruͤndliches vom Harmonie - ſpiel der Farben bekannt geweſen, und ſie ſetzten an deſſen Stelle, wie erwaͤhnt worden, den Ton. Daß ſie die Wirkung der Farben, das Maaß ihrer Energie, Freundſchaft und Abneigung, noch weniger als die Venezianer eingeſehen, erhellet faſt unwider - ſprechlich aus einem großen ſchoͤnen Gemaͤlde des van Dyk in der Tribune der florentiniſchen Galerie, wo derſelbe eine unzulaͤngliche Harmonie durch will - kuͤhrlichen Gebrauch von Licht und Schatten zu er - zwecken ſuchte, ſo naͤmlich, daß mehr oder weniger Hell und Dunkel an die Stellen geſetzt iſt, wo der be - abſichtigte Endzweck durch Anwendung ſchicklicher Farben beſſer und ſicherer erreicht worden waͤre.
Bey Pietro von Cortona hingegen nimmt man, da wo er es fuͤr zutraͤglich fand, ein froͤhliches mannigfaltiges Farbenſpiel wahr. Nach Erforderniß wußte er aber auch das Ganze gehoͤrig zu maͤßigen, niederzuhalten und gleichſam ins Duͤſtre oder Traurige herabzuſtimmen. Immer ſind indeſſen verwandte, be - freundete Farben, die ſich wechſelſeitig heben, neben - einander geſetzt, und widerwaͤrtige Contraſte finden ſich niemals in ſeinen Werken. Die ganze neuere Kunſt hat kein Gemaͤlde aufzuweiſen, worin die Aus - theilung der Farben eine ſo gefaͤllige Wirkung thaͤte, als dieſes Meiſters Altarbild bey den Capuzinern zu Rom, den Paulus darſtellend, der ſein Geſicht wieder empfaͤngt, oder das weitlaͤuftige DeckengemaͤldeII. 24370im barberiniſchen Pallaſt. Ob er auch uͤbrigens von dem Werth und der Wirkung einer jeden Farbe allein und im Verhaͤltniß zu den andern, von ihrer wechſel - ſeitigen Verwandtſchaft oder Abneigung, von den Regeln, nach welchen ſie durch Uebergang und Gegen - ſatz zu gebrauchen ſind, ob er von dieſem allen wiſſen - ſchaftlich unterrichtet geweſen und mit klarem Bewußt - ſeyn gehandelt, oder ſich bloß ſeinem richtigen Gefuͤhl uͤberlaſſen und durch praktiſche Ausbildung einer vorzuͤglich gluͤcklichen Naturanlage ſo viel zu leiſten vermocht, ſind wir nicht im Stande mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit zu entſcheiden. Am wahrſcheinlichſten iſt es, daß er zwar nach einigen Regeln gehandelt, die aber nicht uͤberall ausgereicht, und daß er als - dann das uͤbrige nach Gefuͤhl und Gutduͤnken hin - zugefuͤgt habe: denn ſein Verfahren in Abſicht der Vertheilung der Farben hat ſich nur auf eine ſehr un - vollkommene Weiſe auf die Schuͤler fortgepflanzt.
Der vorzuͤglichſte unter ihnen, Ciro Ferri, zeigt zwar im Allgemeinen ſeiner Manier Aehnlichkeit mit dem Geſchmack ſeines Meiſters; doch in beſonderer Hinſicht auf Harmonie der Farben verdient keines ſeiner Werke als Muſier angefuͤhrt zu werden.
Andrea Sacchi lebte ungefaͤhr zu gleicher Zeit mit Pietro von Cortona und ſeine Arbeiten werden ſogar wegen eines ſanften Scheins und wegen Ueber - einſtimmung geſchaͤtzt und gelobt. Dieſes Lob jedoch ſcheint uns weniger im wirklich Harmoniſchen der371 Farbenanwendung oder Austheilung als vielmehr in der Einfoͤrmigkeit und zuweilen in der Anwendung des Tons begruͤndet zu ſeyn, und uns gibt Sacchi zu keinen weitern Bemerkungen Anlaß.
Sacchi’s beruͤhmter Schuͤler Carlo Maratti hat in ſeinen Bildern zuweilen kraͤftige geſaͤttigte Farben ge - braucht, iſt aber alsdann gewoͤhnlich unruhig geworden. In andern, beſonders von ſeiner ſpaͤtern Zeit, brachte er hellere Miſchungen an, konnte aber dabey das Matte nicht vermeiden.
Der Reapolitaner Luca Giordano iſt in ſeinen beſſern Werken ein guter Coloriſt. Seine Fleiſchtinten ſind heiter und bluͤhend; wo indeſſen bey ihm das Ganze in harmoniſcher Uebereinſtimmung iſt, ruͤhrt ſolche vom Ton, nicht aber von kuͤnſtlicher Vertheilung der Farben her.
Zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hat auch ſelbſt in Italien ein verderbter Geſchmack ſich uͤber die Kunſt verbreitet. Piazzetta, Corrado und Solimena waren Maͤnner von guten Talenten, aber ſie wendeten ſie nur an, um von der gaffenden Menge Lob einzuaͤrnten, keineswegs aber zum Vergnuͤgen vernuͤnftiger gebildeter Menſchen. Ihre Werke ſind reich, mit kuͤhnem Pinſel behandelt, aber voll wilden Getuͤmmels. Solimena als der beruͤhmteſte iſt der am wenigſten erfreuliche; oft grau und kalt, oft von grellen unangenehmen Gegenſaͤtzen heller und dunkler24 *372Farben, und wenn er beynahe in allen Theilen der Kunſt Bloͤßen gegeben, ſo geſchah es doch vorzuͤglich im Colorit und der Harmonie der Farben, wo er Geſchmack und Regeln am frechſten beleidigte.
Romanelli, Cignani, Franceschini, Lutti und andre haben vielleicht weniger geirrt, doch finden wir unnoͤthig etwas weiter von ihnen zu ſagen, weil keiner derſelben ſich auf eine bedeutende Art aus - gezeichnet.
In Frankreich bluͤhte vornehmlich die Bildniß - malerey. Rigaud und Largilliere wurden als große Meiſter dieſes Faches angeſchen, indeſſen mußten ſie ſich nach den grellen rauſchenden Farben bequemen, welche die Mode ihrer Zeit erforderte; doch wuͤrden ſie auch, vermoͤge der allgemeinen Richtung des Ge - ſchmacks ihrer Schule, bey voͤlliger Freyheit, in Be - treff der Harmonie der Farben, wahrſcheinlich nur wenig geleiſtet haben: wie wir an Coypel, Wateau, Lancret, Reſtout und vielen andern wahrnehmen. Jouvenet, von Anlagen einer der achtungswertheſten Kuͤnſtler der franzoͤſiſchen Schule, hat in den Ge - maͤlden, welche wir von ihm geſehen, bloß die Ueber - einſtimmung, welche ein gelber Ton und ſein ſchmel - zender Pinſel gewaͤhren koͤnnen.
Die ſchoͤne Zeit der niederlaͤndiſchen Schule war bereits voruͤbergegangen. Sie bietet uns nichts be - merkenswerthes fuͤr dieſe unſre Betrachtungen.
373In Deutſchland folgten die Bildnißmaler theils der Manier des Rigaud und Largilliere, theils ar - beiteten ſie, wie Kupezky und andre, mit dunklerer Beleuchtung und Farbe, und haben uͤberhaupt wenig Anmuth. Unter den Geſchichtsmalern waren Daniel Gran und Holzer die vorzuͤglichſten, von deren groͤßern wohlerhaltenen Werken Schreiber dieſer Nachrichten keine anſchauliche Kenntniß hat; allein er vermuthet ſie werden, was die Harmonie der Farben betrifft, ihren uͤbrigen Zeitgenoſſen wenig uͤberlegen ſeyn, zu - mal Gran, welcher unter Carl Maratti und Solimena ſtudirt hatte. Auf dieſe folgte nun C. W. E. Dietrich, geboren 1712, welcher eigentlich Misbrauch von bunten Farben gemacht, ausgenommen da, wo er die Manier niederlaͤndiſcher Maler nachgeahmt und vermittelſt des Tons Uebereinſtimmung erzielt hat.
Friedrich Oeſer, wenige Jahre ſpaͤter geboren als Dietrich, war allerdings ein Kuͤnſtler von großen Talenten und man kann ihm eine Neigung zum Ueber - einſtimmenden nicht ablaͤugnen; doch hat er ſolches nicht durch kunſtmaͤßige Vertheilung der Farben, ſon - dern durch Daͤmpfung ihres natuͤrlichen Glanzes zu erreichen geſucht, ſo daß die Harmonie ſeiner Bilder eigentlich aus dem ſchwachen Colorit derſelben ent - ſpringt.
Bald nach Oeſer trat ſodann Mengs auf und erwarb ſich unſterblichen Ruhm, indem durch ſein Bemuͤhen und Beyſpiel die Malerey uͤberhaupt zu374 groͤßerem Ernſt, einem ſtrengeren reineren Styl, beſon - ders in der Zeichnung, zuruͤckgefuͤhrt wurde. Sein Colorit, vorzuͤglich in Fresco-Gemaͤlden, iſt ſchoͤn und warm. Er bediente ſich uͤberhaupt gern der lebhaften, hohen, glaͤnzenden Farben; indeſſen haben wir weder am Parnaß in der Villa Albani, noch im Manu - ſcriptenzimmer der vaticaniſchen Bibliothek eine kunſt - maͤßige Vertheilung der Farben nach Regeln bemerken koͤnnen. Im Deckenſtuͤck der Kirche San Euſebio, dem fruͤhſten oͤffentlichen Werke des Kuͤnſtlers in Rom, hat er die gefaͤllige Uebereinſtimmung des Ganzen durch gelben Ton zu bewirken geſucht, der auch an dieſem Orte und Gegenſtand ſchicklich angebracht iſt.
Die Schuͤler und Nachahmer von Mengs, Knoller, Unterberger, der juͤngere Conca und andre, haben ſich ſaͤmmtlich heller Farben in ihren Werken befliſſen; aber keiner derſelben hat in dieſem Theil der Kunſt einige Vorſchritte gemacht, oder ſich um Erforſchung der wahren Regeln bemuͤht. Alle ſind, wo ſie ſich nicht durch gelben Ton halten, entweder bunt und unruhig, oder froſtig und unfreundlich geworden, wie ſolches beſonders dem Schwager von Mengs, Maron, in hiſtoriſchen Darſtellungen mit Oelfarben faſt immer begegnet iſt.
Angelica Kauffmann folgte, in Hinſicht auf das Colorit, ebenfalls der von Mengs eingefuͤhrten Weiſe und liebte neben friſchen Fleiſchtinten die Anwendung heller froͤhlicher Farben. Ihr ſchoͤnes Talent, ihre375 natuͤrliche Neigung zum Gefaͤlligen, Milden, Sanften hat ſie indeß vor allem Uebermaß behuͤtet; daher ſind ihre Bilder auch durchgaͤngig munter und erfreulich, wenn ſchon die Harmonie der Farben durch ſie nicht in voͤlliger Ausuͤbung erſchien, ſo daß wir ihr keine Muſterhaftigkeit in dieſem Stuͤck zugeſtehen koͤnnen.
Pompeo Battoni galt von der Mitte des ver - gangenen Jahrhunderts an bis zu ſeinem Tode, welcher um 1790 erfolgte, fuͤr den beſten italiaͤniſchen Maler und wurde ſo lange Mengs lebte als der Nebenbuhler deſſelben um den hoͤchſten Ruhm in der Kunſt betrach - tet. Er war noch dem ſogenannten academiſchen Styl, der ſich unter Sacchi und Maratti gebildet hatte, zugethan, und nach den Bedingungen deſſelben iſt z. B. ſein großes Gemaͤlde vom Fall Simons des Zauberers unſtreitig ein ſehr verdienſtliches Werk. Das Colorit iſt kraͤftig, ſehr lebhaft, aber in Hinſicht auf Harmonie der Farben kann weder dieſem noch einem andern von Battoni’s Werken einiger Werth beygelegt werden. Je figurenreicher ſie ſind, je weniger Befriedigung gewaͤhren ſie dem Auge. Das gedachte große Gemaͤlde zeigt bloß ein unruhiges Gewirre will - kuͤhrlich zuſammengeſtellter bunter Farben.
Hier haben wir wie billig auch der Maler aus England mit wenigem zu gedenken. Reinolds gehoͤrt allerdings zu den beſten Bildnißmalern des abgelaufenen Jahrhunderts, und Weſt hat im hiſtoriſchen Fach, nach Maßgabe des Zuſtandes der Kunſt im Allgemeinen,376 lobenswuͤrdige Werke geliefert. Aus einzelnen Werken von beſchraͤnktem Raum und Darſtellung dieſer beyden vorzuͤglichſten Kuͤnſtler ihrer Nation wiſſen wir, daß jener ein ſehr kraͤftiges Colorit beſaß und hauptſaͤchlich die Wirkung von Licht und Schatten zum Zweck hatte; dieſer malte im guten Ton des Colorits, aber uͤber - haupt ſchwaͤcher. Was beyde in Hinſicht harmoniſcher Farbenvertheilung geleiſtet haben, koͤnnen wir aus Mangel anſchaulicher Kenntniß der groͤßern Arbeiten dieſer Kuͤnſtler nicht ſagen.
Heinrich Fuͤesli, Schweizer von Geburt, der aber in England lebt und ſich fuͤr England gebildet hat, ein bekannter und beruͤhmter Maler von Schrecken - ſcenen, bedient ſich, dem Charakter ſeiner Darſtellung gemaͤß, eines kraͤftigen, oft ſogar duͤſtern Colorits und geſaͤttigter ernſter Farben. Unter die vorzuͤglichen Co - loriſten mag er zwar nicht gerechnet werden; doch pflegt er auch den Regeln des Colorits ſo wie der guten Harmonie nicht zuwider zu handeln.
Nachdem unter den franzoͤſiſchen Malern die ſuͤß - liche, luͤſterne, fade Manier des Boucher und die ſentimentale des Greuze voruͤbergegangen war, ſo wurden durch den noch lebenden David ernſtere Gegen - ſtaͤnde und nach Erforderniß derſelben auch edlere Formen eingefuͤhrt. In Anſehung Lichtes und Schat - tens war es ihm um große wirkſame Partieen, ſo wie im Colorit um Gegenſaͤtze der gewaltigſten Farben vornehmlich zu thun. Die ſtille Uebereinſtimmung377 froͤhlicher, verwandter und zum Theil gemaͤßigter Far - ben ſcheint uͤberhaupt nicht zu den Zwecken dieſes Kunſt - geſchmacks zu gehoͤren, der ſowohl in Frankreich in der neuern Zeit faſt allgemein angenommen iſt, als auch unter den beſſern Kuͤnſtlern in Italien ſich verbrei - tet, ſogar in Deutſchland Nachahmer gefunden und bis jetzt fortgedauert hat. Doch iſt vielleicht eben die Zeit gekommen, wo man ſich deſſen zu entwoͤhnen an - faͤngt. Es ſollen naͤmlich in Rom vor kurzem, durch einen emporſtrebenden jungen Maler, Bilder mit hei - tern Gruͤnden und gemaͤßigten, zarten, der Wahrheit aͤhnlichen Tinten des Fleiſches verfertigt worden ſeyn, welche, da ſie Aufſehen erregt, wohl nicht ohne Nach - ahmung bleiben werden. Und ſo ſteht zu hoffen, daß die Kuͤnſtler, wenn ſie zu einem Colorit zuruͤckkehren, welches nicht durch Gegenſaͤtze gewaltſam zu ruͤhren, ſondern die Anmuth ſchoͤner Formen, zarter Geſtalten, durch gefaͤlligen Reiz von ſeiner Seite zu erhoͤhen be - abſichtigt, auch bald das Beduͤrfniß harmoniſcher Ne - beneinanderſtellung der Farben fuͤhlen und ſich des Stu - diums dieſes Theiles der Kunſt gehoͤrigermaßen befleißi - gen werden.
Bisher beſchaͤftigten ſich die Glieder mehrerer Na - tionen mit der Farbenlehre: Italiaͤner, Franzoſen, Deutſche und Englaͤnder; jetzt haben wir unſern Blick vorzuͤglich auf die letztere Nation zu wenden, denn aus England verbreitet ſich eine ausſchließende Theorie uͤber die Welt.
Wenn wir den Zuſtand der Naturwiſſenſchaften in England waͤhrend der zweyten Haͤlfte des ſiebzehnten Jahrhunderts uns vergegenwaͤrtigen wollen, ſo iſt es fuͤr unſere Zwecke hinreichend, mit fluͤchtiger Feder Urſprung und Wachsthum der Londner Academie dar - zuſtellen. Hiezu geben uns hinlaͤngliche Huͤlfsmittel Sprat, Birch und die philoſophiſchen Transactionen. Nach dieſen liefern wir eine Skizze der Geſchichte der Societaͤt bis auf die koͤnigliche Confirmation, und den Umriß einer Geſchichte der Wiſſenſchaften in Eng - land, fruͤherer Zeit.
geb. 1634. geſt. 1713.
History of the royal Society of London. Die Ausgabe von 1702, deren wir uns bedienen, ſcheint nicht die erſte zu ſeyn. Das Buch war fuͤr den Au - genblick geſchrieben, und gewiß ſogleich gedruckt. Auch iſt die franzoͤſiſche Ueberſetzung ſchon 1669 zu Genf herausgekommen.
Thomas Sprat, nachmals Biſchoff, war ein fruͤh - zeitiger guter Kopf, ein talentvoller, munterer, leiden - ſchaftlicher Lebemann. Er hatte das Gluͤck als Juͤng - ling von vielen Hoffnungen den fruͤhern Verſammlun - gen der Geſellſchaft in Oxford beyzuwohnen, wodurch er alſo Urſprung und Wachsthum derſelben aus eigener Theilnahme kennen lernte. Als man ſpaͤterhin etwas uͤber die Societaͤt ins Publicum bringen wollte, ward er zum Sprecher gewaͤhlt und wahrſcheinlich von Ol - denburg, der das Amt eines Secretaͤrs bekleidete, mit Nachrichten und Argumenten verſehen. So ſchrieb er die Geſchichte derſelben bis zur koͤniglichen Confirma - tion und etwas weiter, mit vielem Geiſt, guter Laune und Lebhaftigkeit.
Als Schriftſteller betrachtet finden wir ihn mehr geeignet, die Angelegenheiten einer Partey in Broſchuͤ - ren muthig zu verfechten — wie er denn ſein Vater -380 land gegen die Zudringlichkeiten eines franzoͤſiſchen Reiſenden, Deſorbieres, in einem eigenen Baͤndchen mit großer Heftigkeit zu ſchuͤtzen ſuchte — als daß er ein Buch zu ſchreiben faͤhig geweſen waͤre, welches man fuͤr ein bedaͤchtiges Kunſtwerk anſprechen koͤnnte. Wer ſolche Forderungen an ihn macht, wird ihn un - billig beurtheilen, wie es von Montucla geſchehen. (Histoire des Mathématiques. Paris 1758. Part. IV. Liv. 8 p. 486. Note a.)
Doch iſt auf alle Faͤlle die erſte Haͤlfte des Buchs ſorgfaͤltiger geſchrieben und methodiſcher geordnet als die zweyte: denn leider wird ſeine Arbeit durch das doppelte große Ungluͤck der Seuche und des Brandes zu London unterbrochen. Von da an ſcheint das Buch mehr aus dem Stegereife geſchrieben und ſieht einer Compilation ſchon aͤhnlicher. Doch hat er ein großes Verdienſt um ſeine Zeit wie um die Nachwelt.
Denn alle Hinderniſſe, welche der Societaͤt im Wege ſtehen, ſucht er ins Klare zu bringen und zu beſeitigen; und gewiß hat er dazu beygetragen, daß manche Neigung erhoͤht und manches Vorurtheil aus - geloͤſcht worden. Was uns betrifft, ſo lernen wir den Gang der Geſellſchaft, ihre Lage, ihre Grundſaͤtze, ihren Geiſt und Sinn aus ihm recht wohl kennen. Ihre Handlungsweiſe nach innen, ihre Verhaͤltniſſe nach außen, die Vorſtellung, die ſich das Publicum von ihren Mitgliedern machte, was man ihr entge - genſetzte, was ſie fuͤr ſich anzufuͤhren hatte, das alles381 liegt in dem Werke theils klar und unbewunden aus - gedruͤckt, theils redneriſch kuͤnſtlich angedeutet und verſteckt.
Glaubt man auch manchmal eine ſachwalteriſche Declamation zu hoͤren, ſo muͤßten wir uns doch ſehr irren, wenn nicht auch oͤfters eine Ironie durchſchiene, daß er naͤmlich die Societaͤt wegen verſchiedener Tu - genden preiſt, nicht ſowohl weil ſie ſolche beſitzt, als weil ſie ſolche zu erwerben denken ſoll.
Der Verfaſſer zeigt durchaus einen heitern leb - haften Geiſt, ein vordringendes leidenſchaftliches Ge - muͤth. Er hat ſeine Materie recht wohl inne, ſchreibt aber nur mit laufender Feder, im Gefuͤhl, daß ihm ſein Vorhaben leidlich gelingen muͤſſe.
Eine beſſere Ueberſetzung als die Franzoͤſiſche iſt, haͤtte er auf alle Faͤlle verdient.
History of the royal Society of London. Vier Baͤnde in Quart, der erſte von 1666.
Dieſes Werk iſt eigentlich nur ein Abdruck der Protokolle der Societaͤtsſeſſionen bis 1687, und wenn382 wir den erſt genannten Sprat als einen Sachwalter anſehen und ſeine Arbeit nur mit einigem Mißtrauen nutzen; ſo finden wir dagegen hier die ſchaͤtzbarſten und untruͤglichſten Documente, welche, indem ſie alle Verhandlungen der Seſſionen unſchuldig und trocken anzeigen, uns uͤber das was geſchehen den beſten Aufſchluß geben. Aus ihnen iſt die zerſtuͤckelte Ma - nier zu erkennen, womit die Societaͤt nach ihrer Ue - berzeugung verfuhr und die Wiſſenſchaften verſpaͤtete, indem ſie fuͤr ihre Befoͤrderung bemuͤht war.
Dieſe ſind das Archiv deſſen was man bey ihr niederlegte. Hier findet man Nachrichten von den Unternehmungen, Studien und Arbeiten der Forſcher in manchen bedeutenden Weltgegenden. Dieſes allge - mein bekannte Werk hat nach und nach fuͤr die Freunde der Wiſſenſchaft einen unſchaͤtzbaren Werth erhalten. Denn obgleich jedes zufaͤllige und empiriſche Sammeln anfangs nur verwirrt und die eigentliche wahre Kennt - niß verhindert, ſo ſtellt ſich, wenn es nur immer fort - geſetzt wird, nach und nach die Methode von ſelbſt her, und das was ohne Ordnung aufbewahrt wor - den, gereicht dem der zu ordnen weiß, zum groͤßten Vortheile.
Der Urſprung wichtiger Begebenheiten und Er - zeugniſſe tritt ſehr oft in eine undurchdringliche my - thologiſche Nacht zuruͤck. Die Anfaͤnge ſind unſchein - bar und unbemerkt und bleiben dem kuͤnftigen For - ſcher verborgen.
Der patriotiſche Englaͤnder moͤchte den Urſprung der Societaͤt gern fruͤh feſtſetzen, aus Eiferſucht gegen gewiſſe Franzoſen, welche ſich gleichzeitig zu ſolchem Zwecke in Paris verſammlet. Der patriotiſche Londner goͤnnt der Univerſitaͤt Oxford die Ehre nicht, als Wiege eines ſo merkwuͤrdigen Inſtituts geruͤhmt zu werden.
Man ſetzt daher ihre fruͤhſten Anfaͤnge um das Jahr 1645 nach London, wo ſich namhafte Natur - freunde woͤchentlich einmal verſammelten, um mit Aus - ſchließung aller Staats - und Religionsfragen, welche in der ungluͤcklichen Zeit des buͤrgerlichen Kriegs die Nation leidenſchaftlich beſchaͤftigten, ſich uͤber natuͤr - liche Dinge zu unterhalten. Boyle ſoll dieſer Zuſam - menkuͤnfte, unter dem Namen des unſichtbaren oder philoſophiſchen Collegiums, in ſeinen Briefen gedenken.
384In den Jahren 1648 und 49 entſtand zu Ox - ford ein aͤhnlicher Kreis, den die von London dahin verſetzten Glieder jener erſten Geſellſchaft entweder ver - anlaßten oder erweiterten. Auch hier verſammelte man ſich, um durch Betrachtung der ewig geſetzmaͤßigen Natur ſich uͤber die geſetzloſen Bewegungen der Men - ſchen zu troͤſten oder zu erheben.
Die Univerſitaͤten zu Cambridge und Oxford hat - ten ſich, als Verwandte der biſchoͤflichen Kirche, treu zu dem Koͤnig gehalten und deshalb von Cronwell und der republicaniſchen Partey viel gelitten. Nach der Hinrichtung des Koͤnigs 1649 und dem vollkommenen Siege der Gegenpartey hatten die an beyden Akade - mieen verſammelten Gelehrten alle Urſache ſtill zu blei - ben. Sie hielten ſich an die unſchuldige Natur feſt, ver - bannten um ſo ernſtlicher aus ihren Zuſammenkuͤnften alle Streitigkeiten ſowohl uͤber politiſche als religioͤſe Gegenſtaͤnde, und hegten bey ihrer reinen Liebe zur Wahrheit ganz im Stillen jene Abneigung gegen Schwaͤr - merey, religioͤſe Phantaſterey, daraus entſpringende Weiſſagungen und andre Ungeheuer des Tages.
So lebten ſie zehn Jahre nebeneinander, kamen anfangs oͤfter, nachher aber ſeltner zuſammen, wobey ein Jeder das was ihn beſonders intereſſirte, das wor - auf er bey ſeinen Studien unmittelbar geſtoßen, treu - lich den Uebrigen mittheilte, ohne daß man deshalb an eine aͤußere Form oder an eine innere Ordnung gedacht haͤtte.
385Der groͤßte Theil der Mitglieder dieſer Oxforder Geſellſchaft ward 1659 nach London zuruͤck und in verſchiedene Stellen geſetzt. Sie hielten immerfort mit hergebrachter vertraulicher Gewohnheit aneinander, verſammelten ſich regelmaͤßig jeden Donnerstag in Gresham College, und es dauerte nicht lange, ſo traten manche Londner Naturforſcher hinzu, darunter ſich meh - rere aus dem hohen und niedern Adel befanden.
Beyde Claſſen des engliſchen Adels waren mit zeitlichen Guͤtern reichlich geſegnet. Der hohe Adel beſaß von Alters her große Guͤter und Bequemlichkei - ten, die er ſtets zu vermehren im Fall war. Der nie - dere Adel war ſeit langer Zeit genoͤthigt worden, gut hauszuhalten und ſeine Gluͤcksumſtaͤnde zu verbeſſern, indem ihn zwey Koͤnige, Jacob und Karl, auf ſeinen Guͤtern zu wohnen und Stadt - und Hofleben zu mei - den angehalten hatten. Viele unter ihnen waren zur Naturforſchung aufgeregt und konnten ſich mit Ehren an die neuverſammelten Gelehrten anſchließen.
Nur kurze Zeit wurde der Wachsthum, die Mit - theilung dieſer Geſellſchaft geſtoͤrt, indem bey den Un - ruhen, welche nach der Abdankung von Cromwel’s Sohn entſtanden, ihr Verſammlungsort in ein Sol - daten-Quartier verwandelt ward. Doch traten ſie 1660 gleich wieder zuſammen, und ihre Anzahl ver - mehrte ſich.
Den 18. November dieſes Jahrs bezeichnet die erſte dieſe große Anſtalt begruͤndende Sitzung. Unge -II. 25386faͤhr funfzehn Perſonen waren gegenwaͤrtig; ſie beſtimm - ten die Zeit ihrer Verſammlung, die Eintritts - und woͤchentlichen Zuſchußgelder, erwaͤhlten einen Praͤſiden - ten, Schatzmeiſter und Secretaͤr; zwanzig aufzuneh - mende Perſonen wurden vorgeſchlagen. Bald darauf ordneten ſie als Maͤnner, die Gelegenheit genug ge - habt hatten uͤber Conſtitutionen nachzudenken, die uͤbri - gen zur aͤußern Form gehoͤrigen Einrichtungen, vor - trefflich und zweckmaͤßig.
Kaum hatte Koͤnig Karl der II. vernommen, daß eine Verſammlung ſolcher ihm von jeher zugethaner Maͤnner ſich zu einer Geſellſchaft conſtituirt; ſo ließ er ihnen Beſtaͤtigung, Schutz und allen Vorſchub an - bieten, und bekraͤftigte 1662 auf die ehrenvollſte Weiſe die ſaͤmmtlichen Statuten.
Die Theilnahme des Koͤnigs an den natuͤrlichen Wiſſenſchaften kam eben zur rechten Zeit: denn wie bisher theils die Wiſſenſchaften uͤberhaupt, theils die na - tuͤrlichen verſpaͤtet worden, davon ſoll uns der Biſchof Sprat eine fluͤchtige Ueberſicht geben.
„ Bis zur Verbindung der beyden Haͤuſer York und Lancaſter wurden alle Kraͤfte unſeres Landes zu387 haͤuslichen Kriegen zwiſchen dem Koͤnig und dem Adel, oder zu wuͤthenden Kaͤmpfen zwiſchen jenen beyden ge - trennten Familien verwendet, wenn nicht irgend ein - mal ein muthiger Fuͤrſt ihre Kraͤfte zu fremden Er - oberungen zu gebrauchen wußte. Die zwey Roſen wa - ren in der Perſon des Koͤnigs Heinrich des VII. ver - einigt, deſſen Regierung, wie ſeine Gemuͤthsart, heim - lich, ſtreng, eiferſuͤchtig, geizig, aber dabey ſiegreich und weiſe war. Wie wenig aber dieſe Zeit ſich zu neuen Entdeckungen vorbereitet fand, ſieht man daraus, wie gering er das Anerbieten des Chriſtoph Columbus zu ſchaͤtzen wußte. Die Regierung Heinrichs des VIII. war kraͤftig, kuͤhn, praͤchtig, freygebig und gelehrt, aber die Veraͤnderung der Religion trat ein und dieß allein war genug den Geiſt der Menſchen zu beſchaͤftigen. “
„ Die Regierung Koͤnigs Eduard des VI. war un - ruhig wegen des Zwieſpalts derer die waͤhrend ſeiner Minderjaͤhrigkeit regierten, und die Kuͤrze ſeines Le - bens hat uns jener Fruͤchte beraubt, die man nach den bewundernswerthen Anfaͤngen dieſes Koͤnigs hoffen konnte. Die Regierung der Koͤniginn Maria war ſchwach, melancholiſch, blutduͤrſtig gegen die Prote - ſtanten, verdunkelt durch eine fremde Heirat und un - gluͤcklich durch den Verluſt von Calais. Dagegen war die Regierung der Koͤniginn Eliſabeth lang, triumphi - rend, friedlich nach innen, und nach außen glorreich. Da zeigte ſich, zu welcher Hoͤhe die Englaͤnder ſteigen koͤnnen, wenn ſie ein Fuͤrſt anfuͤhrt, der ihren Herzen ſo gut als ihren Haͤnden gebieten kann. In ihren25 *388Tagen ſetzte ſich die Reformation feſt; der Handel ward geregelt und die Schiffarth erweiterte ſich. Aber obgleich die Wiſſenſchaft ſchon etwas Großes hoffen ließ; ſo war doch die Zeit noch nicht gekommen, daß den Naturerfahrungen eine oͤffentliche Aufmunterung haͤtte zu Theil werden koͤnnen, indem die Schriften des Alterthums und die Streitigkeiten zwiſchen uns und der roͤmiſchen Kirche noch nicht voͤllig ſtudiert und beſeitigt waren. “
„ Die Regierung des Koͤnigs Jacob war gluͤcklich in allen Vortheilen des Friedens und reich an Per - ſonen von tiefer Literatur; aber nach dem Beyſpiele des Koͤnigs wendeten ſie vorzuͤglich ihre Aufmerkſam - keit auf die Verhandlungen der Religion und der Streitigkeiten, ſo daß ſelbſt Mylord Bacon, mit allem An - ſehn das er im Staate beſaß, ſein Collegium Salo - mons nur als eine Schilderung, als einen Roman zu Stande bringen konnte. Zwar ſing die Zeit Carls des I. an zu ſolchen Unternehmungen reifer zu werden, wegen des Ueberfluſſes und der gluͤcklichen Zuſtaͤnde ſeiner er - ſten Jahre, auch wegen der Faͤhigkeit des Koͤniges ſelbſt, der nicht nur ein unnachahmlicher Meiſter in Verſtand und Redekunſt war, ſondern der auch in ver - ſchiedenen practiſchen Kuͤnſten ſich uͤber die gewoͤhnliche Weiſe der Koͤnige, ja ſogar uͤber den Fleiß der beſten Kuͤnſtler erhob. Aber ach! er wurde von den Studien, von Ruhe und Frieden hinweg zu der gefaͤhrlichern und ruͤhmlichern Laufbahn des Maͤrtyrers berufen. “
389„ Die letzten Zeiten des buͤrgerlichen Kriegs und der Verwirrung haben, zum Erſatz jenes unendlichen Jammers, den Vortheil hervorgebracht, daß ſie die Geiſter der Menſchen aus einem langen Behagen, aus einer muͤßigen Ruhe herausriſſen und ſie thaͤtig, fleißig und neugierig machten. Und gegenwaͤrtig, ſeit der Ruͤckkehr des Koͤnigs, iſt die Verblendung vergangener Jahre mit dem Jammer der letzten verſchwunden. Die Menſchen uͤberhaupt ſind muͤde der Ueberbleibſel des Alterthums und geſaͤttigt von Religionsſtreitigkeiten. Ihre Augen ſind gegenwaͤrtig nicht allein offen und bereitet zur Arbeit; ſondern ihre Haͤnde ſind es auch. Man findet jetzo ein Verlangen, eine allgemeine Be - gierde nach einer Wiſſenſchaft, die friedlich, nuͤtzlich und naͤhrend ſey und nicht wie die der alten Secten, welche nur ſchwere und unverdauliche Argumente gaben, oder bittere Streitigkeiten ſtatt Nahrung, und die, wenn der Geiſt des Menſchen Brodt verlangte, ihm Steine reich - ten, Schlangen oder Gift. “
Der Theilnahme des Koͤnigs folgte ſogleich die der Prinzen und reichen Barone. Nicht allein Ge - lehrte und Forſcher, ſondern auch Praktiker und Tech -390 niker mußten ſich fuͤr eine ſolche Anſtalt bemuͤhen. Weit ausgebreitet war der Handel; die Gegenſtaͤnde deſſelben naͤher kennen zu lernen, neue Erzeugniſſe fremder Weltgegenden in Umlauf zu bringen, war der Vortheil ſaͤmmtlicher Kaufmannſchaft. Wißbegierigen Reiſenden gab man lange Regiſter von Fragen mit; eben dergleichen ſendete man an die engliſchen Reſi - denten in den fernſten Anſiedelungen.
Gar bald draͤngte ſich nunmehr von allen Seiten das Merkwuͤrdige herzu. Durch Beantwortung jener Fragen, durch Einſendung von Inſtrumenten, Buͤchern und andern Seltenheiten ward die Geſellſchaft jeden Tag reicher und ihre Einwirkung bedeutender.
Bey allen dieſen großen aͤußeren Vortheilen war auch manches das ihr widerſtand. Am meiſten ſcha - dete ihr die Furcht vor jeder Art von Autoritaͤt. Sie konnte daher zu keiner innern Form gelangen, zu keiner zweckmaͤßigen Behandlung desjenigen was ſie beſaß und was ſie ſich vorgenommen hatte.
391Durch Bacons Anlaß und Anſtoß war der Sinn der Zeit auf das Reale, das Wirkliche gerichtet wor - den. Dieſer außerordentliche Mann hatte das große Verdienſt, auf die ganze Breite der Naturforſchung auf - merkſam gemacht zu haben. Bey einzelnen Erfahrun - gen drang er auf genaue Beobachtung der Bedin - gungen, auf Erwaͤgung aller begleitenden Umſtaͤnde. Der Blick in die Unendlichkeit der Natur war geoͤffnet und zwar bey einer Nation, die ihn ſowohl nach innen als nach außen am lebhafteſten und weiteſten umher - wenden konnte. Sehr viele fanden eine leidenſchaft - liche Freude an ſolchen Verſuchen, welche die Erfah - rungen wiederholten, ſicherten und mannigfaltiger machten; andere ergetzten ſich hingegen an der naͤchſten Ausſicht auf Anwendung und Nutzen.
Wie aber in der wiſſenſchaftlichen Welt nicht leicht ohne Trennung gewirkt werden kann, ſo findet man auch hier eine entſchiedene Spaltung zwiſchen Theorie und Praxis. Man hatte noch in friſchem An - denken, wie die weichende Scholaſtik durch eine ſelt - ſame Philoſophie, durch den Cartheſianismus ſogleich wieder erſetzt worden. Hier ſah man aufs Neue ein Beyſpiel, was ein einziger trefflicher Kopf auf andere zu wirken, wie er ſie nach ſeinem Sinne zu bilden im Stande iſt. Wie entfernt man ſey die Geſinnun - gen eines Einzelnen gelten zu laſſen, druͤckte die So - cietaͤt unter ihrem Wappen durch den Wahlſpruch aus: Nullius in Verba; und damit man ja vor allem All - gemeinen, vor allem was eine Theorie nur von fern392 anzudeuten ſchien, ſicher waͤre; ſo ſprach man den Vorſatz beſtimmt aus, die Phaͤnomene ſo wie die Ex - perimente an und fuͤr ſich zu beobachten, neben ein - ander, ohne irgend eine kuͤnſtlich ſcheinende Verbin - dung, einzeln ſtehen zu laſſen.
Die Unmoͤglichkeit dieſen Vorſatz auszufuͤhren, ſahen ſo kluge Leute nicht ein. Man bemerkte nicht, daß ſehr bald nach den Urſachen gefragt wurde, daß der Koͤnig ſelbſt, indem er der Societaͤt natuͤrliche Koͤrper verehrte, nach dem Wie der Wirkungen ſich erkundigte. Man konnte nicht vermelden, ſich ſo gut und ſchlimm als es gehen wollte, einige Rechenſchaft zu geben; und nun entſtanden partielle Hypotheſen, die mechaniſche und machiniſtiſche Vorſtellungsart gewann die Ober - hand, und man glaubte noch immer, wenn man ein Gefolgertes ausgeſprochen hatte, daß man den Gegen - ſtand, die Erſcheinung ausſpreche.
Indem man aber mit Furcht und Abneigung ſich gegen jede theoretiſche Behandlung erklaͤrte, ſo behielt man ein großes Zutrauen zu der Mathematik, deren methodiſche Sicherheit in Behandlung koͤrperlicher Dinge ihr, ſelbſt in den Augen der groͤßten Zweifler, eine gewiſſe Realitaͤt zu geben ſchien. Man konnte nicht laͤugnen daß ſie, beſonders auf techniſche Probleme an - gewendet, vorzuͤglich nuͤtzlich war, und ſo ließ man ſie mit Ehrfurcht gelten, ohne zu ahnden daß, indem man ſich vor dem Ideellen zu huͤthen ſuchte, man das Ideelſte zugelaſſen und beybehalten hatte.
393So wie das was eigentlich Methode ſey, den Augen der Geſellen faſt gaͤnzlich verborgen war, ſo hatte man gleichfalls eine ſorgliche Abneigung vor ei - ner Methode zu der Erfahrung. Die Unterhaltung der Geſellſchaft in ihren erſten Zeiten war immer zu - faͤllig geweſen. Was die Einen als eigenes Studium beſchaͤftigte, was die Andern als Neuigkeit intereſſirte, brachte Jeder unaufgefordert und nach Belieben vor. Eben ſo blieb es nach der uͤbrigens ſehr foͤrmlich ein - gerichteten Conſtitution. Jeder theilt mit was gerade zufaͤllig bereit iſt. Erſcheinungen der Naturlehre, Koͤr - per der Naturgeſchichte, Operationen der Technik, alles zeigt ſich bunt durch einander. Manches Unbedeutende, anderes durch einen wunderbaren Schein Intereſſirende, anderes bloß Curioſe findet Platz und Aufnahme; ja ſogar werden Verſuche mitgetheilt aus deren naͤhern Umſtaͤnden man ein Geheimniß macht. Man ſieht eine Geſellſchaft ernſthafter wuͤrdiger Maͤnner, die nach allen Richtungen Streifzuͤge durch das Feld der Naturwiſſen - ſchaft vornehmen, und weil ſie das Unermeßliche deſſel - ben anerkennen, ohne Plan und Maßregel darin her - umſchweifen. Ihre Seſſionen ſind oͤfters Quodlibets, uͤber die man ſich des Laͤchelns, ja des Lachens nicht enthalten kann.
Die Angſt der Societaͤt vor irgend einer rationel - len Behandlung war ſo groß, daß ſich Niemand ge - traute auch nur eine empiriſche Abtheilung und Ord - nung in das Geſchaͤft zu bringen. Man durfte nur die verſchiedenen Klaſſen der Gegenſtaͤnde, man durfte394 Phyſik, Naturgeſchichte und Technik von einander tren - nen und in dieſen die nothwendigſten Unterabtheilun - gen machen, ſodann die Einrichtung treffen, daß in jeder Seſſion nur Ein Fach bearbeitet werden ſollte; ſo war der Sache ſchon ſehr geholfen.
Porta hatte ſchon hundert Jahre vorher die phy - ſicaliſchen Phaͤnomene in Rubriken vorgetragen. Man konnte dieſes Buch bequem zum Grunde legen, das alte Wunderbare nach und nach ſichten und ausloͤſchen, das in der Zwiſchenzeit Erfundene nachtragen, ſodann das jedesmal bey der Societaͤt Vorkommende aus den Protocollen an Ort und Stelle eintragen; ſo entging man wenigſtens der groͤßten Verwirrung und war ſicher, daß ſich nichts verſteckte oder verlor, wie es z. B. mit Mayow’s Erfahrungen ging, von welchen die So - cietaͤt Notiz hatte, ſie aber vernachlaͤſſigte und freylich das Genauere nicht erfuhr, weil ſie den von Hook zum Mitglied vorgeſchlagenen Mayow nicht aufnahm.
In ſeiner neuen Atlantis hatte Bacon fuͤr das naturforſchende Salomoniſche Collegium einen unge - heuern romantiſchen Pallaſt mit vielen Fluͤgeln und Pa - villons gebaut, worin ſich denn wohl auch mancher aͤußerſt phantaſtiſche Saal befand. Dieſe Andeutungen konnten freylich einer Geſellſchaft, die im wirklichen Leben entſprang, wenig Vortheil gewaͤhren; aber be - ſtimmt genug hatte er am Ende jener Dichtung die Nothwendigkeit ausgeſprochen, die verſchiedenen Func - tionen eines ſolchen Unternehmens unter mehrere Per -395 ſonen zu theilen, oder wenn man will, dieſe Functio - nen als von einander abgeſondert, aber doch immer in gleichem Werthe neben einander fortſchreitend zu be - trachten.
„ Wir haben zwoͤlf Geſellen, ſagte er, um uns Buͤcher, Materialien und Vorſchriften zu Experimen - ten anzuwerben. Drey haben wir, welche alle Ver - ſuche, die ſich in Buͤchern finden, zuſammenbringen; drey welche die Verſuche aller mechaniſchen Kuͤnſte, der freyen und praktiſchen Wiſſenſchaften, die noch nicht zu einer Einheit zuſammengefloſſen, ſammeln. Wir haben drey, die ſich zu neuen Verſuchen anſchicken, wie es ihnen nuͤtzlich zu ſeyn ſcheint; drey welche die Erfahrungen aller dieſer ſchon genannten in Rubriken und Tafeln aufſtellen, daß der Geiſt zu Beobachtungen und Schluͤſſen ſie deſto bequemer vor ſich finde. Drey haben wir, welche dieſe ſaͤmmtlichen Verſuche in dem Sinne anſehen, daß ſie daraus ſolche Erfindungen zie - hen, die zum Gebrauche des Lebens und zur Ausuͤbung dienen; dann aber drey, die nach vielen Zuſammen - kuͤnften und Rathſchluͤſſen der Geſellſchaft, worin das Vorhandene durchgearbeitet worden, Sorge tragen, daß nach dem was ſchon vor Augen liegt, neue, tiefer in die Natur dringende Verſuche eingeleitet und ange - ſtellt werden; dann drey, welche ſolche aufgegebene Experimente ausfuͤhren und von ihrem Erfolg Nachricht geben. Zuletzt haben wir drey, die jene Erfindungen und Offenbarungen der Natur durch Verſuche zu hoͤhe - ren Beobachtungen, Axiomen und Aphorismen erheben396 und befoͤrdern, welches nicht anders als mit Beyrath der ſaͤmmtlichen Geſellſchaft geſchieht. “
Von dieſer gluͤcklichen Sonderung und Zuſammen - ſtellung iſt keine Spur in dem Verfahren der Societaͤt, und eben ſo geht es auch mit ihren nach und nach ſich anhaͤufenden Beſitzungen. Wie ſie jeden Naturfreund ohne Unterſchied des Ranges und Standes fuͤr ſocie - taͤtsfaͤhig erklaͤrt hatte, eben ſo bekannt war es, daß ſie alles was ſich nur einigermaßen auf Natur bezog, annehmen und bey ſich aufbewahren wolle. Bey der allgemeinen Theilnahme die ſie erregte, fand ſich ein gro - ßer Zufluß ein, wie es bey allen empiriſchen Anhaͤufungen und Sammlungen zu geſchehen pflegt. Der Koͤnig, der Adel, Gelehrte, Oekonomen, Reiſende, Kaufleute, Handwerker, alles draͤngte ſich zu, mit Gaben und Merkwuͤrdigkeiten. Aber auch hier ſcheint man vor ir - gend einer Ordnung Scheu gehabt zu haben, wenig - ſtens ſieht man in der fruͤhern Zeit keine Anſtalt ihre Vorraͤthe zu rangiren, Catalogen daruͤber zu machen und dadurch auf Vollſtaͤndigkeit auch nur von ferne hinzudeuten. Will man ſie durch die Beſchraͤnktheit und Unſicherheit ihres Locals entſchuldigen, ſo laſſen wir dieſen Einwurf nur zum Theil gelten: denn durch einen wahren Ordnungsgeiſt waͤren dieſe Hinderniſſe wohl zu uͤberwinden geweſen.
Jede einſeitige Maxime muß, wenn ſie auch zu gewiſſen Zwecken tauglich gefunden wird, ſich zu an - dern unzulaͤnglich, ja ſchaͤdlich erzeigen. Sprat mag397 mit noch ſo vieler Beredtſamkeit den Vorſatz der Ge - ſellſchaft, nicht zu theoretiſiren, nicht zu methodiſiren, nicht zu ordnen, ruͤhmen und vertheidigen, hinter ſei - nen vielen Argumenten glaubt man nur ſein boͤſes Gewiſſen zu entdecken; und man darf nur den Gang des Societaͤtsgeſchaͤftes in den Protokollen einige Jahre verfolgen, ſo ſieht man, daß ſie die aus ihrer Maxime entſpringenden Maͤngel gar wohl nach und nach be - merkt und dagegen, jedoch leider unzulaͤngliche, An - ordnungen macht.
Die Experimente ſollen nicht aus dem Stegreife vorgelegt, ſondern in der vorhergehenden Seſſion an - gezeigt werden; man ordnet Verſuche in gewiſſen Fol - gen an, man ſetzt Committees nieder, welche, im Vor - beygehen ſey es geſagt, in politiſchen und praktiſchen Faͤllen gut ſeyn moͤgen, in wiſſenſchaftlichen Dingen aber gar nichts taugen. Neigung oder Abneigung, vorgefaßte Meynung der Commiſſarien ſind hier nicht ſo leicht wie dort zu controliren. Ferner verlangt man Gutachten und Ueberſichten; da aber nichts zuſammen - haͤngt, ſo wird eins uͤber das andere vergeſſen. Sel - ten geſchieht was man ſich vorgeſetzt hatte, und wenn es geſchieht, ſo iſt es meiſtentheils nicht auslangend noch hinreichend. Und nach welchem Maaßſtab ſoll es gemeſſen, von wem ſoll es beurtheilt werden?
Vielleicht iſt hieran auch der im Anfang monat - liche Praͤſidentenwechſel Schuld; ſo wie auch hier die Ungewißheit und Unzulaͤnglichkeit des Locals, der Man -398 gel eines Laboratoriums und was andere daraus ent - ſpringende Hinderniſſe ſind, zur Entſchuldigung ange - fuͤhrt werden koͤnnen.
Von manchem was ſich einem regelmaͤßigen und gluͤcklichen Fortſchritt der Societaͤt entgegenſetzte, haben wir freylich gegenwaͤrtig kaum eine Ahndung. Man hielt von Seiten der Menge, und zwar nicht eben ge - rade des Poͤbels, die Naturwiſſenſchaften und beſon - ders das Experimentiren auf mancherley Weiſe fuͤr ſchaͤdlich, ſchaͤdlich der Schullehre, der Erziehung, der Religion, dem praktiſchen Leben und was dergleichen Beſchraͤnktheiten mehr waren.
Ingleichen ſtellen wir uns nicht vor, wenn wir von jenen engliſchen Experimentalphiloſophen ſo vieles leſen, wie weit man uͤberhaupt zu Ende des ſiebzehn - ten Jahrhunderts noch im Experimentiren zuruͤckſtand. Von der alchymiſtiſchen Zeit her war noch die Luſt am Geheimniß geblieben, von welchem man bey zunehmen - der Technik, beym Eingreifen des Wiſſens ins Leben, nunmehr manche Vortheile hoffen konnte. Die Werk - zeuge mit denen man operirte, waren noch hoͤchſt un - vollkommen. Wer ſieht dergleichen Inſtrumente aus399 jener Zeit in alten phyſicaliſchen Ruͤſtkammern und ihre Unbehuͤlflichkeit nicht mit Verwunderung und Bedauern.
Das groͤßte Uebel aber entſprang aus einer ge - wiſſen Verfahrungsart ſelbſt. Man hatte kaum den Begriff, daß man ein Phaͤnomen, einen Verſuch auf ſeine Elemente reduciren koͤnne; daß man ihn zerglie - dern, vereinfachen und wieder vermannigfaltigen muͤſſe, um zu erfahren, wohin er eigentlich deute. Die flei - ßigſten Beobachter der damaligen Zeit geben Anlaß zu dieſer Reflexion, und Newtons Theorie haͤtte nicht ent - ſtehen koͤnnen, wenn er fuͤr dieſe Hauptmaxime, die den Experimentirenden leiten ſoll, irgend einen Sinn gehabt haͤtte. Man ergriff einen verwickelten Verſuch und eilte ſogleich zu einer Theorie die ihn unmittelbar erklaͤren ſollte; man that gerade das Gegentheil von dem was man in Mund und Wappen fuͤhrte.
Hook, der Experimentator und Sekretaͤr der So - cietaͤt, war in demſelben Falle, und ob ihm gleich die Geſellſchaft manches ſchuldig iſt, ſo hat ihr doch ſein Character viel Nachtheil gebracht. Er war ein lebhaf - ter, unruhig thaͤtiger Mann, von den ausgebreitetſten Kenntniſſen; aber er wollte auch nichts fuͤr neu oder bedeutend gelten laſſen, was irgend angebracht und400 mitgetheilt wurde. Er glaubte es entweder ſelbſt ſchon zu kennen, oder etwas anderes und beſſeres zu wiſſen.
So viel er auch that, ja im Einzelnen durchar - beitete, ſo war er doch durchaus unſtaͤt und wurde es noch mehr durch ſeine Lage, da die ganze Erfahrungs - maſſe auf ihn eindrang und er, um ihr gewachſen zu ſeyn, ſeine Kraͤfte bald dahin, bald dorthin wenden mußte. Dabey war er zerſtreut, nachlaͤſſig in ſeinem Amte, obgleich auf ſeinem eigenen Wege immer thaͤtig.
Viele Jahre muͤht ſich die Societaͤt vergebens mit ihm ab. Sehr ernſtlich wird ihm auferlegt: er ſoll regelmaͤßig Verſuche machen, ſie vorher anzeigen, in den folgenden Seſſionen wirklich darlegen; wobey die gute Societaͤt freylich nicht bedenkt, daß Seſſionen nicht dazu geeignet ſind, Verſuche anzuſtellen und ſich von den Erſcheinungen vollſtaͤndig zu uͤberzeugen. Wie ihnen denn auch einmal ein Vogel den Gefallen nicht thun will, unter der mayowſchen Glocke, ehe die Ver - ſammlung auseinander geht, zu ſterben.
Aehnliche Faͤlle benutzt Hook zu allerley Ausfluͤch - ten. Er gehorcht nicht, oder nur halb; man verkuͤm - mert ihm ſeine Penſion, er wird nicht gefuͤgſamer, und wie es in ſolchen Faͤllen geht, man ermuͤdet ſtreng zu ſeyn, man bezahlt ihm zuletzt aus Gunſt und Rach - ſicht ſeine Ruͤckſtaͤnde auf einmal. Er zeigt eine An - wandlung von Beſſerung, die nicht lange dauert, und die Sache ſchleppt ſich ihren alten Gang.
401So ſah es mit der innern Verfaſſung eines Gerichts - hofes aus, bey deſſen Entſcheidung uͤber eine bedeu - tende und weit eingreifende Theorie ſich die wiſſen - ſchaftliche Welt beruhigen ſollte.
geb. 1642. geſt. 1727.
Unter denen welche die Naturwiſſenſchaften bear - beiten, laſſen ſich vorzuͤglich zweyerley Arten von Men - ſchen bemerken.
Die erſten, genial, productiv und gewaltſam, brin - gen eine Welt aus ſich ſelbſt hervor, ohne viel zu fra - gen, ob ſie mit der wirklichen uͤbereinkommen werde. Gelingt es, daß dasjenige was ſich in ihnen entwi - ckelt, mit den Ideen des Weltgeiſtes zuſammentrifft, ſo werden Wahrheiten bekannt, wovor die Menſchen erſtaunen und wofuͤr ſie Jahrhunderte lang dankbar zu ſeyn Urſache haben. Entſpringt aber in ſo einer tuͤchtigen genialen Natur irgend ein Wahnbild, das in der allgemeinen Welt kein Gegenbild findet, ſo kann ein ſolcher Irrthum nicht minder gewaltſam um ſich greifen und die Menſchen Jahrhunderte durch hinreißen und uͤbervortheilen.
Die von der zweyten Art, geiſtreich, ſcharfſinnig,II. 26402behutſam, zeigen ſich als gute Beobachter, ſorgfaͤltige Experimentatoren, vorſichtige Sammler von Erfahrun - gen; aber die Wahrheiten welche ſie foͤrdern, wie die Irrthuͤmer welche ſie begehen, ſind gering. Ihr Wah - res fuͤgt ſich zu dem anerkannten Richtigen oft unbe - merkt, oder geht verloren; ihr Falſches wird nicht auf - genommen, oder wenn es auch geſchieht, verliſcht es leicht.
Zu der erſten dieſer Claſſen gehoͤrt Newton, zu der zweyten die beſſeren ſeiner Gegner. Er irrt und zwar auf eine entſchiedene Weiſe. Erſt findet er ſeine Theorie plauſibel, dann uͤberzeugt er ſich mit Ueberei - lung, ehe ihm deutlich wird, welcher muͤhſeligen Kunſt - griffe es beduͤrfen werde, die Anwendung ſeines hypo - thetiſchen Apercuͤs durch die Erfahrung durchzufuͤhren. Aber ſchon hat er ſie oͤffentlich ausgeſprochen, und nun verfehlt er nicht alle Gewandtheit ſeines Geiſtes aufzu - bieten, um ſeine Theſe durchzuſetzen; wobey er mit unglaublicher Kuͤhnheit das ganz Abſurde als ein aus - gemachtes Wahre der Welt ins Angeſicht behauptet.
Wir haben in der neuern Geſchichte der Wiſſen - ſchaften einen aͤhnlichen Fall an Tycho de Brahe. Die - ſer hatte ſich gleichfalls vergriffen, indem er das Ab - geleitete fuͤr das Urſpruͤngliche, das Untergeordnete fuͤr das Herrſchende in ſeinem Weltſyſtem geſtellt hatte. Auch er war zu geſchwind mit dieſer unhaltbaren Grille hervorgetreten; ſeine Freunde und gleichzeitigen Vereh - rer ſchreiben in ihren vertraulichen Briefen daruͤber403 ganz unbewunden und ſprechen deutlich aus, daß Tycho, wenn er nicht ſchon ſein Syſtem publicirt und eine Zeit lang behauptet haͤtte, das Copernikaniſche wahr - ſcheinlich annehmen und dadurch der Wiſſenſchaft gro - ßen Dienſt leiſten wuͤrde; dahingegen nunmehr zu fuͤrchten ſey, daß er den Himmel oͤfter nach ſeiner Lehre ziehen und biegen werde.
Schon die Zeitgenoſſen und Mitarbeiter Tycho’s befreyten ſich von ſeiner aͤngſtlichen verwirrenden Mey - nung. Aber Newton theilte ſeine Ueberzeugung, ſo wie ſeine Hartnaͤckigkeit, ſeinen Schuͤlern mit, und wer den Parteygeiſt kennt, wird ſich nicht verwundern, daß dieſe keine Augen und Ohren mehr haben, ſon - dern das alte Credo immerfort wiederholen, wie es ihnen der Meiſter eingelernt.
Der Character, die Faͤhigkeiten, das Benehmen, die Schickſale ſeiner Gegner, koͤnnen nur im Einzel - nen vorgetragen werden. Zum Theil begriffen ſie nicht worauf es ankam, zum Theil ſahen ſie den Irrthum wohl ein; hatten aber weder Kraft, noch Geſchick, noch Opportunitaͤt ihn zu zerſtoͤren.
Wir finden 1666 Newton als Studirenden zu Cambridge, mit Verbeſſerung der Teleſkope und mit prismatiſchen Verſuchen zu dieſem Zweck beſchaͤftigt, wobey er ſeine Farbentheorie bey ſich feſtſetzt. Von ihm ſelbſt haben wir hieruͤber drey Arbeiten, aus wel -26 *404chen wir ſeine Denkweiſe uͤberſehen, dem Gange den er genommen, folgen koͤnnen.
Nachdem er 1667 Magiſter, 1669 Profeſſor der Mathematik an Barrow’s Stelle geworden, haͤlt er in dieſem und den beyden folgenden Jahren der ſtudiren - den Jugend Vorleſungen, in welchen er das Phyſiſche der Farbenphaͤnomene durch mathematiſche Behandlung ſoviel als moͤglich an dasjenige heranzuziehen ſucht, was man von ihm in ſeiner Stelle erwartet. Er arbeitet dieſe Schrift nachher immer weiter aus, laͤßt ſie aber liegen, ſo daß ſie erſt nach ſeinem Tode 1729 gedruckt wird.
Im Jahre 1671 wird er Mitglied der Londner Societaͤt und legt ihr ſein neues katoptriſches Teleſkop vor und zugleich ſeine Farbentheorie, aus welcher ge -405 folgert wird, daß die dioptriſchen Fernroͤhre nicht zu verbeſſern ſeyen.
Dieſer Brief eigentlich beſchaͤftigt uns hier, weil Newton den Gang den er genommen ſich von ſeiner Theorie zu uͤberzeugen, darin ausfuͤhrlich erzaͤhlt, und weil er uͤberhaupt hinreichend waͤre, uns einen voll - kommenen Begriff von der Newtoniſchen Lehre zu geben.
An dieſen Brief ſchließen ſich auch die erſten Ein - wuͤrfe gegen die Newtoniſche Lehre, welche nebſt den Antworten des Verfaſſers bis 1676 reichen.
Seit gedachtem Jahre laͤßt ſich Newton in weiter keine Controvers ein, ſchreibt aber die Optik, welche 1705 herauskommt, da ſeine Autoritaͤt am hoͤchſten ge - ſtiegen und er zum Praͤſidenten der Societaͤt ernannt war. In dieſem Werke ſind die Erfahrungen und Ver - ſuche ſo geſtellt, daß ſie allen Einwendungen die Stirn bieten ſollen.
Um nunmehr dasjenige worauf es bey der Sache ankommt, hiſtoriſch deutlich zu machen, muͤſſen wir ei - niges aus der vergangenen Zeit nachholen.
406Die Wirkung der Refraction war von den aͤlte - ſten Zeiten her bekannt, ihre Verhaͤltniſſe aber, bis in das ſechzehnte Jahrhundert, nur empiriſch beſtimmt. Snellius entdeckte das Geſetzliche daran und bediente ſich zur Demonſtration des ſubjectiven Verſuchs, den wir mit dem Namen der Hebung bezeichnet haben. Andere waͤhlten zur Demonſtration den objectiven Ver - ſuch, und das Kunſtwort Brechung wird davon aus - ſchließlich gebraucht. Das Verhaͤltniß der beyden Sinus des Einfalls - und Brechungswinkels wird rein aus - geſprochen, als wenn kein Nebenumſtand dabey zu beobachten waͤre.
Die Refraction kam hauptſaͤchlich bey Gelegen - heit der Fernroͤhre zur Sprache. Diejenigen die ſich mit Teleſkopen und deren Verbeſſerung beſchaͤftigten, mußten bemerken, daß durch Objectivglaͤſer die aus Kugelſchnitten beſtehen, das Bild nicht rein in einen Punct zu bringen iſt, ſondern daß eine gewiſſe Ab - weichung ſtatt findet, wodurch das Bild undeutlich wird. Man ſchrieb ſie der Form der Glaͤſer zu und ſchlug deswegen hyperboliſche und elliptiſche Oberflaͤchen vor.
So oft von Refraction, beſonders ſeit Antonius de Dominis, die Rede iſt, wird auch immer der Far - benerſcheinung gedacht. Man ruft bey dieſer Gele - genheit die Prismen zu Huͤlfe, welche das Phaͤnomen ſo eminent darſtellen. Als Newton ſich mit Verbeſſe - rung der Teleſkope beſchaͤftigte und, um jene Aberra - tion von Seiten der Form wegzuſchaffen, hyperboliſche407 und elliptiſche Glaͤſer arbeitete, unterſuchte er auch die Farbenerſcheinung und uͤberzeugte ſich, daß dieſe gleich - falls eine Art von Abweichung ſey wie jene, doch von weit groͤßerer Bedeutung, dergeſtalt daß jene dagegen gar nicht zu achten ſey, dieſe aber, wegen ihrer Groͤße, Beſtaͤndigkeit und Untrennbarkeit von der Refraction, alle Verbeſſerung der dioptriſchen Teleſkope unmoͤglich mache.
Bey Betrachtung dieſer die Refraction immer be - gleitenden Farbenerſcheinung fiel hauptſaͤchlich auf, daß ein rundes Bild wohl ſeine Breite behielt, aber in der Laͤnge zunahm. Es wurde nunmehr eine Erklaͤrung gefordert, welche im ſiebzehnten Jahrhundert oft ver - ſucht worden, Niemanden aber gelungen war.
Newton ſcheint, indem er eine ſolche Erklaͤrung aufſuchte, ſich gleich die Frage gethan zu haben: ob die Urſache in einer innern Eigenſchaft des Lichts, oder in einer aͤußern Bedingtheit deſſelben zu ſuchen ſey? Auch laͤßt ſich aus ſeiner Behandlung der Sache, wie ſie uns bekannt worden, ſchließen, daß er ſich ſehr ſchnell fuͤr die erſtere Meynung entſchieden habe.
Das erſte was er alſo zu thun hatte, war, die Bedeutſamkeit aller aͤußern Bedingungen, die bey dem prismatiſchen Verſuche vorkamen, zu ſchwaͤchen, oder ganz zu beſeitigen. Ihm waren die Ueberzeugungen ſeiner Vorgaͤnger wohl bekannt, welche eben dieſen aͤußern Bedingungen einen großen Werth beygelegt. 408Er fuͤhrt ihrer ſechs auf, um eine nach der andern zu verneinen. Wir tragen ſie in der Ordnung vor wie er ſie ſelbſt auffuͤhrt, und als Fragen wie er ſie gleich - falls geſtellt hat.
Erſte Bedingung. Traͤgt die verſchiedene Dicke des Glaſes zur Farbenerſcheinung bey?
Dieſe hier nur im Allgemeinen und Unbeſtimmten aufgeſtellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt: Antonius de Dominis, Kircher und andere hatten ge - glaubt, indem ſie das Gelbe durch die Spitze des bre - chenden Winkels oder naͤher an ihm, das Blaue aber zu oberſt, wo das Prisma mehrere Maſſe hat, hervor - gebracht ſahen, es ſey die groͤßere oder geringere Staͤrke des Glaſes Urſache der Farbenverſchiedenheit. Sie haͤt - ten aber nur duͤrfen beym Gebrauch eines groͤßeren Prisma’s daſſelbe von unten hinauf, oder von oben her - unter, nach und nach zudecken, ſo wuͤrden ſie geſehen haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe ent - ſtehen kann. Und Newton hatte alſo ganz Recht, wenn er in dieſem Sinne die Frage mit Nein beant - wortet.
Doch haben weder Er noch ſeine Nachfolger auf den wichtigen Umſtand aufmerkſam gemacht, daß die Staͤrke oder die Schwaͤche des Mittels uͤberhaupt, zwar nicht zur Entſtehung der verſchiedenen Farben, aber doch zum Wachsthum oder zur Verminderung der Er - ſcheinung ſehr viel beytrage, wie wir am gehoͤrigen409 Orte umſtaͤndlich ausgefuͤhrt haben. (E. 209 — 217.) Dieſe Bedingung iſt alſo keineswegs als vollkommen beſeitigt anzuſehen, ſie bleibt vielmehr in einem Sinne, an den man freylich damals nicht gedacht, als hoͤchſt bedeutend beſtehen.
Zweyte Bedingung. In wiefern tragen groͤ - ßere oder kleinere Oeffnungen im Fenſterladen zur Ge - ſtalt der Erſcheinung, beſonders zum Verhaͤltniß ihrer Laͤnge zur Breite bey?
Newton will auch dieſe Bedingung unbedeutend gefunden haben, welches ſich auf keine Weiſe begreifen laͤßt, als daß man annimmt, er habe, indem er mit kleinen Prismen operirt, die Oeffnungen im Fenſterla - den nicht von ſehr verſchiedener Groͤße machen koͤnnen. Denn obgleich das Verhaͤltniß der Laͤnge zur Breite, im prismatiſchen Bilde, von mancherley Urſachen ab - haͤngt, ſo iſt doch die Groͤße der Oeffnung eine der hauptſaͤchlichſten: denn je groͤßer die Oeffnung wird, deſto geringer wird das Verhaͤltniß der Laͤnge zur Breite. Man ſehe was wir hieruͤber im polemiſchen Theil (92.) umſtaͤndlich und genau ausgefuͤhrt haben. Dieſe zweyte Frage wird alſo von uns auf das ent - ſchiedenſte mit Ja beantwortet.
Dritte Bedingung. Tragen die Graͤnzen des Hellen und Dunklen etwas zur Erſcheinung bey?
Das ganze Capitel unſeres Entwurfs, welches die410 Farben abhandelt, die bey Gelegenheit der Refraction entſtehen, iſt durchaus bemuͤht zu zeigen, daß eben die Graͤnzen ganz allein die Farbenerſcheinung her - vorbringen. Wir wiederholen hier nur das Haupt - moment.
Es entſpringt keine prismatiſche Farbenerſcheinung, als wenn ein Bild verruͤckt wird, und es kann kein Bild ohne Graͤnze ſeyn. Bey dem gewoͤhnlichen pris - matiſchen Verſuch geht durch die kleinſte Oeffnung das ganze Sonnenbild durch, das ganze Sonnenbild wird verruͤckt; bey geringer Brechung nur an den Raͤndern, bey ſtaͤrkerer aber voͤllig gefaͤrbt.
Durch welche Art von Unterſuchung jedoch New - ton ſich uͤberzeugt habe, daß der Graͤnze kein Einfluß auf die Farbenerſcheinung zuzuſchreiben ſey, muß jeden der nicht verwahrloſt iſt, zum Erſtaunen, ja zum Ent - ſetzen bewegen, und wir fordern alle guͤnſtige und un - guͤnſtige Leſer auf, dieſem Puncte die groͤßte Aufmerk - ſamkeit zu widmen.
Bey jenem bekannten Verſuche, bey welchem das Prisma innerhalb der dunklen Kammer ſich befindet, geht das Licht, oder vielmehr das Sonnenbild, zuerſt durch die Oeffnung und dann durch das Prisma, da denn auf der Tafel das farbige Spectrum erſcheint. Nun ſtellt der Experimentator, um gleichſam eine Probe auf ſeinen erſten Verſuch zu machen, das Prisma hin - aus vor die Oeffnung und findet in der dunklen Kam -411 mer, vor wie nach, ſein gefaͤrbtes verlaͤngertes Bild. Daraus ſchließt er, die Oeffnung habe keinen Einfluß auf die Faͤrbung deſſelben.
Wir fodern alle unſere gegenwaͤrtigen und kuͤnfti - gen Gegner auf dieſe Stelle. Hier wird von nun an um die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit des Newtoni - ſchen Syſtems gekaͤmpft, hier, gleich am Eingange des Labyrinths und nicht drinnen in den verworrenen Irr - gaͤngen, hier, wo uns Newton ſelbſt aufbewahrt hat, wie er zu ſeiner Ueberzeugung gelangt iſt.
Wir wiederholen daher was ſchon oft von uns didactiſch und polemiſch eingeſchaͤrft worden: Das ge - brochene Licht zeigt keine Farbe als bis es begraͤnzt iſt; das Licht nicht als Licht, ſondern inſofern es als ein Bild erſcheint, zeigt bey der Brechung eine Farbe, und es iſt ganz einerley, ob erſt ein Bild entſtehe das nachher gebrochen wird, oder ob eine Brechung vor - gehe, innerhalb welcher man ein Bild begraͤnzt.
Man gewoͤhne ſich mit dem großen Waſſerprisma zu operiren, welches uns ganz allein uͤber die Sache einen vollkommnen Aufſchluß geben kann, und man wird nicht aufhoͤren ſich zu wundern, durch welch ei - nen unglaublichen Fehlſchluß ſich ein ſo vorzuͤglicher Mann nicht allein zu Anfang getaͤuſcht, ſondern den Irrthum ſo bey ſich feſtwurzeln laſſen, daß er wider allen Augenſchein, ja wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen, in der Folge dabey verharrt und einen ungehoͤrigen412 Verſuch nach dem andern erſonnen, um ſeine erſte Un - aufmerkſamkeit vor unaufmerkſamen Schuͤlern zu ver - bergen. Man ſehe was von uns im polemiſchen Theile, beſonders zum zweyten Theil des erſten Buchs der Optik, umſtaͤndlicher ausgefuͤhrt worden, und erlanbe uns hier den Triumph der guten Sache zu feyern, den ihr die Schule, mit aller ihrer Halsſtarrigkeit, nicht lange mehr verkuͤmmern wird.
Jene drey nunmehr abgehandelten Fragepuncte be - ziehen ſich auf Aeußerungen aͤlterer Naturforſcher. Der erſte kam vorzuͤglich durch Antonius de Dominis, der zweyte und dritte durch Kircher und Descartes zur Sprache.
Außerdem waren noch andre Puncte zu beſeitigen, andere aͤußere Bedingungen zu laͤugnen, die wir nun der Ordnung nach vorfuͤhren, wie ſie Newton bey - bringt.
Vierte Bedingung. Sind vielleicht Ungleich - heiten und Fehler des Glaſes Schuld an der Erſchei - nung?
Noch in dem ſiebzehnten Jahrhunderte ſind uns mehrere Forſcher begegnet, welche die prismatiſchen Erſcheinungen bloß fuͤr zufaͤllig und regellos hielten. Newton beſtand zuerſt mit Macht darauf, daß ſie re - gelmaͤßig und beſtaͤndig ſeyen.
413Wenn Ungleichheiten und Fehler des Glaſes un - regelmaͤßig ſcheinende Farben hervorbringen, ſo entſte - hen ſie doch eben ſo gut dem allgemeinen Geſetze ge - maͤß, als die entſchiedenen des reinſten Glaſes: denn ſie ſind nur Wiederholungen im Kleinen von der groͤ - ßern Farbenerſcheinung an den Raͤndern des Prisma’s, indem jede Ungleichheit, jede undurchſichtige Faſer, je - der dunkle Punct als ein Bildchen anzuſehen iſt, um welches her die Farben entſtehen. Wenn alſo die Haupt - erſcheinung geſetzlich und conſtant iſt, ſo ſind es dieſe Nebenerſcheinungen auch; und wenn Newton voͤllig Recht hatte, auf dem Geſetzlichen des Phaͤnomens zu beſtehen, ſo beging er doch den großen Fehler, das ei - gentliche Fundament dieſes Geſetzlichen nicht anzu - erkennen.
Fuͤnfte Bedingung. Hat das verſchiedene Einfallen der Strahlen, welche von verſchiedenen Thei - len der Sonne herabkommen, Schuld an der farbigen Abweichung?
Es war freylich dieſes ein Punct, welcher eine genaue Unterſuchung verdiente. Denn kaum hatte man ſich an der durch Huygens bekannt gewordnen Ent - deckung des Snellius, wodurch dem Einfallswinkel zu dem gebrochnen Winkel ein beſtaͤndiges Verhaͤltniß zu - geſichert worden, kaum hatte man ſich daran erfreut und hierin ein großes Fundament zu kuͤnftigen Unter - ſuchungen und Ausuͤbungen erblickt, als nun Newton auf einmal die fruͤher kaum geachtete farbige Aberra -414 tion ſo ſehr bedeutend finden wollte. Die Geiſter hiel - ten feſt an jener Vorſtellung, daß Incidenz und Bre - chung in beſtimmtem Verhaͤltniſſe ſtehen muͤſſe, und die Frage war natuͤrlich: ob nicht etwa auch bey die - ſer ſcheinbar aus der Regel ſchreitenden Erſcheinung eine verſchiedene Incidenz im Spiele ſey?
Newton wendete alſo hier ganz zweckmaͤßig ſeine mathematiſche Genauigkeit an dieſen Punct und zeigte, ſoviel wir ihn beurtheilen koͤnnen, gruͤndlich, obgleich mit etwas zu viel Umſtaͤndlichkeit, daß die Farbener - ſcheinung keiner diverſen Incidenz zugeſchrieben werden koͤnne; worin er denn auch ganz Recht hat und wo - gegen nichts weiter zu ſagen iſt.
Sechſte Bedingung. Ob vielleicht die Strah - len nach der Refraction ſich in krummen Linien fort - pflanzen und alſo das ſo ſeltſam verlaͤngerte Bild her - vorbringen?
Durch Descartes und andre, welche zu mechani - ſchen Erklaͤrungsarten geneigt waren, kam beym Lichte, beym Schall und bey andern ſchwer zu verſinnlichen - den Bewegungen, das in mechaniſchen Faͤllen uͤbrigens ganz brauchbare Beyſpiel vom Ballſchlag zur Sprache. Weil nun der geſchlagene Ball ſich nicht in gerader Li - nie ſondern in einer krummen bewegt, ſo konnte man nach jener globularen Vorſtellungsart denken, das Licht erhalte bey der Refraction einen ſolchen Schub, daß es aus ſeiner geradlinigen Bewegung in eine krummli -415 nige uͤberzugehen veranlaßt werde. Gegen dieſe Vorſtel - lung argumentirt und experimentirt Newton und zwar mit Recht.
Da nunmehr Newton dieſe ſechs aͤußern Bedin - gungen voͤllig removirt zu haben glaubt, ſo ſchreitet er unmittelbar zu dem Schluſſe: es ſey die Farbe dem Licht nicht nur eingeboren, ſondern die Farben in ihren ſpecifiſchen Zuſtaͤnden ſeyen in dem Licht als urſpruͤng - liche Lichter enthalten, welche nur durch die Refraction und andre aͤußere Bedingungen manifeſtirt, aus dem Lichte hervorgebracht und in ihrer Uranfaͤnglichkeit und Unveraͤnderlichkeit nunmehr dargeſtellt wuͤrden.
Daß an dieſen dergeſtalt entwickelten und entdeck - ten Lichtern keine weitere Veraͤnderung vorgehe, davon ſucht er ſich und andere durch das Experimentum Crucis zu uͤberzeugen; worauf er denn in dreyzehn Propoſitionen ſeine Lehre mit allen Clauſeln und Cau - telen, wie ſie hernach voͤllig ſtehen geblieben, vortraͤgt, und da er die Farben zuerſt aus dem weißen Licht entwickelt, zuletzt ſich genoͤthigt ſieht, das weiße Licht wieder aus ihnen zuſammenzuſetzen.
Dieſes glaubt er vermittelſt der Linſe zu leiſten, die er ohne weitre Vorbereitung einfuͤhrt und ſich fuͤr vollkommen befriedigt haͤlt, wenn er das im Brennpunct aufgehobene farbige Bild fuͤr das wieder zuſammenge - brachte, vereinigte, gemiſchte ausgeben kann.
416Die Folgerung die er aus allem dieſem zieht, iſt ſodann, daß es unnuͤtz ſey, ſich mit Verbeſſerung der dioptriſchen Fernroͤhre abzugeben, daß man ſich viel - mehr bloß an die katoptriſchen halten muͤſſe, wozu er eine neue Vorrichtung ausgeſonnen.
Dieſe erſten Confeſſionen und Behauptungen New - tons wurden in jenem von uns angezeigten Briefe an die koͤnigliche Societaͤt der Wiſſenſchaften gebracht, und durch die Transactionen oͤffentlich bekannt. Sie ſind das erſte was von Newtons Lehre im Publicum er - ſcheint und uns in manchem Sinne merkwuͤrdig, be - ſonders auch deshalb, weil die erſten Einwendungen ſeiner Gegner vorzuͤglich gegen dieſen Brief gerich - tet ſind.
Nun haben wir geſehen, daß ſein Hauptfehler darin beſtanden, daß er jene Fragen, die ſich haupt - ſaͤchlich darauf beziehen: ob aͤußere Bedingungen bey der Farbenerſcheinung mitwirken? zu ſchnell und uͤber - eilt beſeitigt und verneint, ohne auf die naͤheren Um - ſtaͤnde genauer hinzuſehen. Deswegen haben wir ihm bey einigen Puncten voͤllig, bey andern zum Theil, und abermals bey andern nicht widerſprechen muͤſſen und koͤnnen; und wir haben deutlich zu machen ge - ſucht, welche Puncte, und in wiefern ſie haltbar ſind oder nicht. Widerſtrebt nun einer ſeiner erſten Geg - ner irrigerweiſe den haltbaren Puncten, ſo muß er bey der Controvers verlieren, und es entſteht ein gu - tes Vorurtheil fuͤr das Ganze; widerſtrebt ein Gegner417 den unhaltbaren Puncten, aber nicht kraͤftig genug und auf die unrechte Weiſe, ſo muß er wieder verlieren, und das Falſche erhaͤlt die Sanction des Wahren.
Schon in dieſem Briefe, wie in allen Beantwor - tungen die er gegen ſeine erſten Gegner richtet, findet ſich jene von uns in der Polemik angezeigte Behand - lungsart ſeines Gegenſtandes, die er auf ſeine Schuͤler fortgepflanzt hat. Es iſt ein fortdauerndes Setzen und Aufheben, ein unbedingtes Ausſprechen und au - genblickliches Limitiren, ſo daß zugleich alles und nichts wahr iſt.
Dieſe Art, welche eigentlich bloß dialectiſch iſt und einem Sophiſten ziemte, der die Leute zum beſten haben wollte, findet ſich, ſo viel mir bekannt gewor - den, ſeit der ſcholaſtiſchen Zeit wieder zuerſt bey Newton. Seine Vorgaͤnger, von den wiederauflebenden Wiſſenſchaften an, waren, wenn auch oft beſchraͤnkt, doch immer treulich-dogmatiſch, wenn auch unzulaͤng - lich, doch redlich didactiſch; Newtons Vortrag hin - gegen beſteht aus einem ewigen Hinterſtzuvoͤrderſt, aus den tollſten Transpoſitionen, Wiederholungen und Verſchraͤnkungen, aus dogmatiſirten und didactiſirten Widerſpruͤchen, die man vergeblich zu faſſen ſtrebt, aber doch zuletzt auswendig lernt und alſo etwas wirk - lich zu beſitzen glaubt.
Und bemerken wir nicht im Leben, in manchen andern Faͤllen: wenn wir ein falſches Aperçuͤ, ein ei -II. 27418genes oder fremdes, mit Lebhaftigkeit ergreifen, ſo kann es nach und nach zur fixen Idee werden, und zuletzt in einen voͤlligen partiellen Wahnſinn ausarten, der ſich hauptſaͤchlich dadurch manifeſtirt, daß man nicht allein alles einer ſolchen Vorſtellungsart Guͤnſtige mit Leidenſchaft feſthaͤlt, alles zart Widerſprechende ohne weiteres beſeitigt, ſondern auch das auffallend Entge - gengeſetzte zu ſeinen Gunſten auslegt.
Newtons Verdienſte, die ihm ſchon als Juͤngling eine bedeutende Lehrſtelle verſchafft, wurden durchaus hoͤchlich geachtet. Er hatte ſich im Stillen gebildet und lebte meiſt mit ſich ſelbſt und ſeinem Geiſte: eine Art zu ſeyn die er auch in ſpaͤtern Zeiten fortſetzte. Er hatte zu mehreren Gliedern der koͤniglichen Socie - taͤt, die mit ihm beynahe von gleichem Alter war, be - ſonders aber zu Oldenburg, ein ſehr gutes Ver - haͤltniß.
Oldenburg, aus Bremen gebuͤrtig, Bremiſcher Conſul in London, waͤhrend des langen Parlaments, verließ ſeine oͤffentliche Stelle und ward Hofmeiſter junger Edelleute. Bey ſeinem Aufenthalte in Oxford419 ward er mit den vorzuͤglichſten Maͤnnern bekannt und Freund, und als die Academie ſich bildete, Secretaͤr derſelben, eigentlich der auswaͤrtigen Angelegenheiten, wenn Hook die innern anvertraut waren.
Als Welt - und Geſchaͤftsmann herangekommen war ſeine Thaͤtigkeit und Ordnungsliebe voͤllig ausge - bildet. Er hatte ſehr ausgebreitete Verbindungen, cor - reſpondirte mit Aufmerkſamkeit und Anhaltſamkeit. Durch ein kluges folgerechtes Bemuͤhen befoͤrderte vor - zuͤglich er den Einfluß und Ruhm der koͤniglichen So - cietaͤt, beſonders im Auslande.
Die Geſellſchaft hatte kaum einige Zeit beſtanden, als Newton in ſeinem dreyßigſten Jahre darin aufge - nommen wurde. Wie er aber ſeine Theorie in einen Kreis eingefuͤhrt, der alle Theorieen entſchieden verab - ſcheute, dieſes zu unterſuchen iſt wohl des Geſchicht - forſchers werth.
Des Denkers einziges Beſitzthum ſind die Gedan - ken, die aus ihm ſelbſt entſpringen; und wie ein jedes Aperçuͤ was uns angehoͤrt, in unſerer Natur ein be - ſonderes Wohlbefinden verbreitet, ſo iſt auch der Wunſch ganz natuͤrlich, daß es andere als das Unſrige aner - kennen, indem wir dadurch erſt etwas zu werden ſchei - nen. Daher werden die Streitigkeiten uͤber die Priori - taͤt einer Entdeckung ſo lebhaft; recht genau beſehen ſind es Streitigkeiten um die Exiſtenz ſelbſt.
27 *420Schon in fruͤherer Zeit fuͤhlte jeder die Wichtig - keit dieſes Punctes. Man konnte die Wiſſenſchaften nicht bearbeiten, ohne ſich mehreren mitzutheilen, und doch waren die Mehreren ſelten groß genug, um das was ſie empfangen hatten, als ein Empfangenes an - zuerkennen. Sie eigneten ſich das Verdienſt ſelbſt zu, und man findet gar manchen Streit wegen ſolcher Praͤoccupationen. Galilei, um ſich zu verwahren, legte ſeine Entdeckungen in Anagrammen mit beygeſchriebenem Datum bey Freunden nieder, und ſicherte ſich ſo die Ehre des Beſitzes.
Sobald Academien und Societaͤten ſich bildeten, wurden ſie die eigentlichen Gerichtshoͤfe, die derglei - chen aufzunehmen und zu bewahren hatten. Man mel - dete ſeine Erfindung; ſie wurde zu Protokoll genom - men, in den Acten aufbewahrt, und man konnte ſeine Anſpruͤche darauf geltend machen. Hieraus ſind in Eng - land ſpaͤter die Patentdecrete entſtanden, wodurch man dem Erfinder nicht allein ſein geiſtiges Recht von Wiſ - ſenſchafts wegen, ſondern auch ſein oͤconomiſches von Staatswegen, zuſicherte.
Bey der koͤniglichen Societaͤt bringt Newton ei - gentlich nur ſein neuerfundenes katoptriſches Teleſkop zur Sprache. Er legt es ihr vor und bittet, ſeine Rechte darauf zu wahren. Seine Theorie bringt er nur neben her und in dem Sinne heran, daß er den Werth ſeiner teleſkopiſchen Erfindung dadurch noch mehr begruͤnden will, weil durch die Theorie die Un -421 moͤglichkeit, dioptriſche Fernroͤhre zu verbeſſern, außer allen Zweifel geſetzt werden ſoll.
Die falſche Maxime der Societaͤt, ſich mit nichts Theoretiſchem zu befaſſen, leidet hier ſogleich Gefahr. Man nimmt das Newtoniſche Eingeſendete mit Wohl - wollen und Achtung auf, ob man ſich gleich in keine naͤhere Unterſuchung einlaͤßt. Hook jedoch widerſpricht ſogleich, behauptet, man komme eben ſo gut, ja beſſer mit ſeiner Lehre von den Erſchuͤtterungen aus. Da - bey verſpricht er neue Phaͤnomene und andre bedeu - tende Dinge vorzubringen. Newtons Verſuche hinge - gen zu entwickeln faͤllt ihm nicht ein; auch laͤßt er die aufgefuͤhrten Erſcheinungen als Facta gelten, wodurch denn Newton im Stillen viel gewinnt, obgleich Hook zuletzt doch die Tuͤcke ausuͤbt und das erſte Spiegel - teleſkop, nach dem fruͤhern Vorſchlag des Gregory, ſorgfaͤltig zu Stande bringt, um den Werth der New - toniſchen Erfindung einigermaßen zu verringern.
Boyle, der nach ſeiner ſtillen, zarten Weiſe in der Societaͤt mitwirkt und bey dem monatlichen Praͤ - ſidentenwechſel auch wohl einmal den Stuhl einnimmt, ſcheint von der Newtoniſchen Farbenlehre nicht die min - deſte Notiz zu nehmen.
So ſieht es im Innern der koͤniglichen Societaͤt aus, indeſſen nun auch Fremde, durch jenen Brief Newtons von ſeiner Theorie unterrichtet und dadurch aufgeregt, ſowohl gegen die Verſuche als gegen die422 Meynung manches einzuwenden haben. Auch hiervon das Detail einzuſehen iſt hoͤchſt noͤthig, weil das Recht und Unrecht der Gegner auf ſehr zarten Puncten be - ruht, die man ſeit vielen Jahren nicht mehr beachtet, ſondern alles nur zu Gunſten der Newtoniſchen Lehre in Bauſch und Bogen genommen hat.
Wenn wir uns von vergangenen Dingen eine rechte Vorſtellung machen wollen, ſo haben wir die Zeit zu bedenken in welcher etwas geſchehen, und nicht etwa die unſrige, in der wir die Sache erfahren, an jene Stelle zu ſetzen. So natuͤrlich dieſe Forderung zu ſeyn ſcheint, ſo bleibt es doch eine groͤßere Schwierig - keit als man gewoͤhnlich glaubt, ſich die Umſtaͤnde zu vergegenwaͤrtigen, wovon entfernte Handlungen beglei - tet wurden. Deswegen iſt ein gerechtes hiſtoriſches Urtheil uͤber einzelnes perſoͤnliches Verdienſt und Un - verdienſt ſo ſelten. Ueber Reſultate ganzer Maſſenbe - wegungen laͤßt ſich eher ſprechen.
Den ſchlechten Zuſtand phyſicaliſcher Inſtrumente uͤberhaupt in der zweyten Haͤlfte des ſiebzehnten Jahr - hunderts haben wir ſchon erwaͤhnt, ſo wie die Unzu - laͤnglichkeit der Newtoniſchen Vorrichtungen. Er be -423 diente ſich keines uͤberdachten, ausgeſuchten, fixirten Apparats; deswegen er noch in der Optik faſt bey je - dem Verſuche von vorn anfangen muß, ſeine Einrich - tung umſtaͤndlich zu beſchreiben. Was ihm gerade zu - faͤllig zur Hand liegt, wird ſogleich mit gebraucht und angewendet; daher ſeine Verſuche voll unnuͤtzer Ne - benbedingungen, die das Hauptintereſſe nur verwirren. Im polemiſchen Theile finden ſich genugſame Belege zu dieſer Behauptung, und wenn Newton ſo verfuhr, wie mag es bey andern ausgeſehn haben!
Wenden wir uns vom Techniſchen zum Innern und Geiſtigen, ſo begegnen uns folgende Betrachtungen. Als man beym Wiederaufleben der Wiſſenſchaften ſich nach Erfahrungen umſah und ſie durch Verſuche zu wiederholen trachtete, bediente man ſich dieſer zu ganz verſchiedenen Zwecken.
Der ſchoͤnſte war und bleibt immer der, ein Na - turphaͤnomen das uns verſchiedene Seiten bietet, in ſeiner ganzen Totalitaͤt zu erkennen. Gilbert brachte auf dieſem Wege die Lehre vom Magneten weit genug, ſo wie man auch, um die Elaſticitaͤt der Luft und an - dere ihrer phyſiſchen Eigenſchaften kennen zu lernen, conſequent zu Werke ging. Manche Naturforſcher hingegen arbeiteten nicht in dieſem Sinne; ſie ſuchten Phaͤnomene aus den allgemeinſten Theorieen zu erklaͤ - ren, wie Descartes die Kuͤgelchen ſeiner Materie, und Boyle ſeine Koͤrperfaçetten zur Erklaͤrung der Farben anwendete. Andere wollten wieder durch Phaͤnomene424 einen allgemeinen Grundſatz beſtaͤtigen, wie Grimaldi durch unzaͤhlige Verſuche nur immer dahin deutete, daß das Licht wohl eine Subſtanz ſeyn moͤchte.
Newtons Verfahren hingegen war ganz eigen, ja unerhoͤrt. Eine tief verborgene Eigenſchaft der Natur an den Tag zu bringen, dazu bedient er ſich nicht mehr als dreyer Verſuche, durch welche keineswegs Urphaͤnomene, ſondern hoͤchſt abgeleitete dargeſtellt wur - den. Dieſe, dem Brief an die Societaͤt zum Grunde liegenden drey Verſuche, den mit dem Spectrum durch das einfache Prisma, den mit zwey Prismen, Experi - mentum Crucis, und den mit der Linſe, ausſchließlich zu empfehlen, alles andere aber abzuweiſen, darin beſteht ſein ganzes Monoͤvre gegen die erſten Gegner.
Wir bemerken hiebey, daß jener von uns oben aus - gezogene Brief an die Societaͤt eigentlich das erſte Do - cument war, wodurch die Welt Newtons Lehre kennen lernte. Wir koͤnnen uns, da ſeine Lectiones opticae, ſeine Optik nunmehr vor uns liegen, da die Sache ſo tauſendmal durchgeſprochen und durchgeſtritten worden, keinen Begriff machen, wie abrupt und abſtrus die Newtoniſche Vorſtellungsart in der wiſſenſchaftlichen Welt erſcheinen mußte.
Auch koͤnnen die Gelehrten ſich in die Sache nicht finden. Im Praktiſchen will es Niemanden in den Kopf, daß die dioptriſchen Fernroͤhre, denen man ſo viel verdankt, um die man ſich ſo viel Muͤhe gegeben,425 ganz verworfen werden ſollten. Im Theoretiſchen haͤngt man an allgemeinen Vorſtellungsarten, die man New - tonen entgegenſetzt; oder man macht beſondere Einwen - dungen. Mit ſeinen Verſuchen kann man entweder nicht zurecht kommen, oder man ſchlaͤgt andere vor, davon die wenigſten zum Ziel, zu irgend einer Entſchei - dung fuͤhren.
Was uns nun von Newtons Controvers mit ſei - nen erſten Gegnern uͤberliefert iſt, tragen wir kuͤrzlich auszugsweiſe vor, inſofern es uͤberhaupt bedeutend ſeyn kann; wobey wir alles fallen laſſen, was die Ausſicht nur verwirren und eine weit umſtaͤndlichere Abhandlung noͤthig machen wuͤrde. Die Actenſtuͤcke liegen aller Welt vor Augen; wir werden ſie unter Nummern und Buchſtaben ordnen, damit man was ſich auf die ver - ſchiedenen Gegner bezieht, beſſer uͤberſehen koͤnne; wobey wir doch jedesmal die Nummer angeben, wie ſie in Newtons kleinen Schriften, aus den philoſophiſchen Transactionen abgedruckt, bezeichnet ſind.
Jenes Hauptdocument, der angefuͤhrte Brief, macht den erſten Artikel aus. Bis zum neunten folgen Bemerkungen und Verhandlungen uͤber das katoptriſche Teleſkop, die uns hier weiter nicht beruͤhren; die fol - genden jedoch verdienen mehr oder weniger unſere Auf - merkſamkeit.
I. Ein Ungenannter. Kann eigentlich nicht als Widerſacher Newtons angeſehen werden.
426A. Artikel X. Denn er ſchlaͤgt noch einige Ver - ſuche vor, deren Abſicht man nicht geradezu begreift, die aber auf mehrere Bewaͤhrung der Newtoniſchen Lehre zu dringen ſcheinen.
B. Artikel XI. Newton erklaͤrt ſich ganz freundlich daruͤber, ſucht aber anzudeuten, daß er das hier Gefor - derte ſchon genugſam bey ſich bedacht habe.
II. Ignatius Gaſton Pardies, gebohren 1636, ge - ſtorben 1673.
C. Art. XII. Er will die Erſcheinung des verlaͤn - gerten Bildes aus der verſchiedenen Incidenz erklaͤren. Auch hat er gegen das Experimentum Crucis Einwen - dungen zu machen, wobey er gleichfalls die Incidenz zu Huͤlfe ruft. Zugleich gedenkt er des bekannten Hoo - kiſchen Verſuchs mit den zwey keilfoͤrmigen aneinander - geſchobenen farbigen Prismen.
D. Art. XIII. Newton removirt die beyden erſten Puncte und erklaͤrt das letztere Phaͤnomen zu ſeinen Gunſten. Dabey nimmt er es uͤbel, daß man ſeine Lehre eine Hypotheſe und nicht eine Theorie nennt.
E. Art. XIV. Newton unaufgefordert ſendet an den Herausgeber einen kleinen Aufſatz, welcher eigent - lich ſeine Theorie, in acht Fragen eingeſchloſſen, ent - haͤlt. Am Schluſſe verlangt er, daß man vor allen Dingen pruͤfen moͤge, ob ſeine Verſuche hinreichen,427 dieſe Fragen zu bejahen, und ob er ſich nicht etwa in ſeinen Schlußfolgen geirrt; ſodann auch, daß man Experimente, die ihm gerade entgegengeſetzt waͤren, auf - ſuchen ſolle. Hier faͤngt er ſchon an, ſeine Gegner auf ſeinen eigenen Weg zu noͤthigen.
F. Art. XV. Pater Pardies antwortet auf das Schreiben des XIIIten Artikels und giebt hoͤflich nach, ohne eigentlich uͤberzeugt zu ſcheinen.
G. Art. XVI. Newton erklaͤrt ſich umſtaͤndlich und verharrt bey ſeiner erſten Erklaͤrungsart.
H. Pater Pardies erklaͤrt ſich fuͤr befriedigt, tritt von dem polemiſchen Schauplatze und bald nachher auch von dem Schauplatze der Welt ab.
III. Ein Ungenannter, vielleicht gar Hook ſelbſt, macht verſchiedene Einwendungen gegen Newtons Un - ternehmung und Lehre. Der Aufſatz wird in den phi - loſophiſchen Transactionen nicht abgedruckt, weil, wie eine Note bemerkt, der Inhalt deſſelben aus Newtons Antwort genugſam hervorgehe. Doch fuͤr uns iſt der Verluſt deſſelben hoͤchlich zu bedauern, weil die ſonſt bequeme Einſicht in die Sache dadurch erſchwert wird.
I. Art. XVII. Newtons umſtaͤndliche Verantwor - tung gegen vorgemeldete Erinnerung. Wir referiren ſie Punctweiſe, nach der Ordnung der aufgefuͤhrten Num - mern.
4281) Newton vertheidigt ſich gegen den Vorwurf, daß er an der Verbeſſerung der dioptriſchen Fernroͤhre ohne genugſamen Bedacht verzweifelt habe.
2) Newton ſummirt was von ſeinem Gegner vor - gebracht worden, welches er im Folgenden einzeln durchgeht.
3) Newton laͤugnet behauptet zu haben, das Licht ſey ein Koͤrper. Hier wird die von uns ſchon oben bemerkte eigene Art ſeiner Behandlung auffallender. Sie beſteht naͤmlich darin, ſich ganz nahe an die Phaͤno - mene zu halten, und um dieſelben herum ſoviel zu argumentiren, daß man zuletzt glaubt das Argumen - tirte mit Augen zu ſehen. Die entfernteren Hypotheſen, ob das Licht ein Koͤrper, oder eine Energie ſey, laͤßt er uneroͤrtert, doch deutet er darauf, daß die Erſchei - nungen fuͤr die erſtere guͤnſtiger ſeyen.
4) Der Widerſacher hatte die Hypotheſe von den Schwingungen vorgebracht und ließ daher, auf dieſe oder jene Weiſe, eine Farbe anders als die andere ſchwingen. Newton faͤhrt nunmehr fort, zu zeigen, daß dieſe Hypotheſe auch noch leidlich genug zu ſeinen Erfah - rungen und Enunciaten paſſe: genug, die colorifiken Lichter ſteckten im Licht und wuͤrden durch Refraction, Reflexion ꝛc. herausgelockt.
5) Hier wird, wo nicht gezeigt, doch angedeutet,429 daß jene Schwingungstheorie, auf die Erfahrungen an - gewendet, manche Unbequemlichkeit nach ſich ziehe.
6) Es ſey uͤberhaupt keine Hypotheſe noͤthig, die Lehre Newtons zu beſtimmen oder zu erlaͤutern.
7) Des Gegners Einwendungen werden auf drey Fragen reducirt.
8) Die Strahlen werden nicht zufaͤllig getheilt oder auf ſonſt eine Weiſe ausgedehnt. Hier tritt New - ton mit mehreren Verſuchen hervor, die in den damals noch nicht gedruckten optiſchen Lectionen enthalten ſind.
9) Der urſpruͤnglichen Farben ſeyen mehr als zweye. Hier wird von der Zerlegbarkeit oder Nicht - zerlegbarkeit der Farben gehandelt.
10) Daß die weiße Farbe aus der Miſchung der uͤbrigen entſpringe. Weitlaͤuftig behauptet, auf die Weiſe die uns bey ihm und ſeiner Schule ſchon wider - lich genug geworden. Er verſpricht ewig Weiß und es wird nichts als Grau daraus.
11) Das Experimentum Crucis ſey ſtringent bewei - ſend und uͤber alle Einwuͤrfe erhoben.
12) Einige Schlußbemerkungen.
IV. Ein Ungenannter zu Paris.
430K. Art. XVIII. Nicht durchaus ungereimte, doch nur problematiſch vorgetragene Einwuͤrfe: Man koͤnne ſich mit Blau und Gelb als Grundfarben begnuͤgen; man koͤnne vielleicht aus einigen Farben, ohne ſie ge - rade alle zuſammen zu nehmen, Weiß machen. Wenn Newtons Lehre wahr waͤre, ſo muͤßten die Teleſcope lange nicht die Bilder ſo deutlich zeigen als ſie wirk - lich thaͤten.
Was das erſte betrifft, ſo kann man ihm, unter gewiſſen Bedingungen, Recht geben. Das zweyte iſt eine alberne nicht zu loͤſende Aufgabe, wie Jedem gleich in’s Geſicht faͤllt. Bey dem dritten aber hat er voll - kommen Recht.
L. Art. XIX. Newton zieht ſich, wegen des erſten Punctes, auf ſeine Lehre zuruͤck. Was den zweyten be - trifft, ſo wird es ihm nicht ſchwer ſich zu vertheidigen. Den dritten, ſagt er, habe er ſelbſt nicht uͤberſehen und ſchon fruͤher erwaͤhnt, daß er ſich verwundert habe, daß die Linſen noch ſo deutlich zeigten als ſie thun.
Man ſieht, wie ſehr ſich Newton ſchon gleich an - fangs verſtockt und in ſeinen magiſchen Kreis einge - ſchloſſen haben muͤſſe, daß ihn ſeine Verwunderung nicht ſelbſt zu neuen Unterſuchungen und aufs Rechte gefuͤhrt.
M. Art. XX. Der Ungenannte antwortet, aber431 freylich auf eine Weiſe, die nur zu neuen Weiterungen Anlaß giebt.
N. Art. XXI. Newton erklaͤrt ſich abermals, und um die Sache wieder ins Enge und in ſein Gebiet zu bringen, verfaͤhrt er nun mit Definitionen und Propo - ſitionen, wodurch er alles dasjenige was noch erſt ausge - macht werden ſoll, ſchon als entſchieden aufſtellt und ſodann ſich wieder darauf bezieht und Folgerungen dar - aus herleitet. In dieſen fuͤnf Definitionen und zehn Propoſitionen iſt wirklich abermals die ganze Newtoni - ſche Lehre verfaßt, und fuͤr diejenigen, welche die Be - ſchraͤnktheit dieſer Lehre uͤberſehen oder welche ein Glau - bensbekenntniß derſelben auswendig lernen wollen, gleich nuͤtzlich und hinreichend. Waͤre die Sache wahr gewe - ſen, ſo haͤtte es keiner weiteren Ausfuͤhrung bedurft.
V. Franciscus Linus, Jeſuit, geb. 1595 zu London, geſt. 1676 zu Luͤttich, wo er am engliſchen Collegium angeſtellt, hebraͤiſche Sprache und Mathematik gelehrt hatte. Die Schwaͤche ſeines theoretiſchen Vermoͤgens zeigt ſich ſchon in fruͤhern Controverſen mit Boyle; nunmehr als Greis von achtzig Jahren, der zwar fruͤ - her ſich mit optiſchen Dingen beſchaͤftigt und vor drey - ßig Jahren die prismatiſchen Experimente angeſtellt hat - te, ohne ihnen jedoch weiter etwas abzugewinnen, war er freylich nicht der Mann, die Newtoniſche Lehre zu pruͤfen. Auch beruht ſeine ganze Oppoſition auf einem Misverſtaͤndniß.
432O. Art. XXII. Schreiben deſſelben an Oldenburg. Er behauptet, das farbige Bild ſey nicht laͤnger als breit, wenn man das Experiment bey hellem Sonnen - ſchein anſtelle und das Prisma nahe an der Oeffnung ſtehe; hingegen koͤnne es wohl laͤnger als breit werden, wenn eine glaͤnzende Wolke ſich vor der Sonne befinde und das Prisma ſo weit von der Oeffnung abſtehe, daß das von der Wolke ſich herſchreibende Licht, in der Oeffnung ſich kreuzend, das ganze Prisma erleuchten koͤnne.
Dieſe ſalbaderiſche Einwendung kann man anfangs gar nicht begreifen, bis man endlich einſieht, daß er die Laͤnge des Bildes nicht vertikal auf dem Prisma ſtehend, ſondern parallel mit dem Prisma angenommen habe, da doch jenes und nicht dieſes Newtons Vor - richtung und Behauptung iſt.
P. Art. XXIII. Der Herausgeber verweiſt ihn auf die zweyte Antwort Newtons an Pardies.
Q. Art. XXIV. Linus beharrt auf ſeinen Einwen - dungen und kommt von ſeinem Irrthum nicht zuruͤck.
R. Art. XXV. Newton an Oldenburg. Die bey - den Schreiben des Linus ſind ſo ſtumpf und confus gefaßt, daß man Newtonen nicht verargen kann, wenn ihm das Misverſtaͤndniß nicht klar wird. Er begreift deswegen gar nicht, wie ſich Linus muͤſſe an - geſtellt haben, daß er bey hellem Sonnenſcheine das433 prismatiſche Bild nicht laͤnger als breit finden wolle. Newton giebt den Verſuch nochmals genau an und er - bietet ſich, einem von der Societaͤt, auf welchen Linus Vertrauen ſetze, das Experiment zu zeigen.
VI. Wilhelm Gascoigne. Wirkt in der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts. Er hatte ſich mit dioptri - ſchen Fernroͤhren abgegeben und es mochte ihm nicht angenehm ſeyn, daß Newton ſie ſo gar ſehr herunter - ſetzte. Hier tritt er auf als Schuͤler und Anhaͤnger des Linus, welcher indeſſen geſtorben war. Newton hatte zu verſtehen gegeben, der gute alte Mann moͤchte wohl die Verſuche vor alten Zeiten einmal gemacht haben, und hatte ihn erſucht ſie zu wiederholen.
S. Art. XXVI. Gascoigne, nach dem Tode des Linus, vermehrt die Conſuſion, indem er verſichert: Linus habe das Experiment vor kurzem angeſtellt und Jedermann ſehen laſſen. Die beyderſeitigen Experi - mente beſtuͤnden alſo, und er wiſſe kaum wie die Sache vermittelt werden ſolle.
T. Art. XXVII. Newton beruft ſich auf ſein vor - hergehendes Schreiben, und weil ihm das obwaltende Misverſtaͤndniß noch verborgen bleibt, ſo giebt er ſich abermals ſehr ernſtliche Muͤhe, den Gegnern zu zeigen, wie ſie ſich eigentlich benehmen muͤßten, um das Expe - riment zu Stande zu bringen.
U. Art. XXVIII. Noch umſtaͤndlicher wird New -II. 28434ton uͤber dieſe Sache, als er jenen Brief des Linus Art. XXIV in den Transactionen abgedruckt lieſt. Er geht denſelben nochmals auf das genauſte durch und laͤßt keinen Umſtand uneroͤrtert.
VII. Antonius Lucas zu Luͤttich, Schuͤler des Linus und Geſelle des Gascoigne, der erſte helle Kopf unter den Gegnern Newtons.
V. Art. XXIX. Er ſieht das Misverſtaͤndniß wel - ches obwaltet ein und ſpricht zum erſtenmal deutlich aus: Linus habe die Laͤnge des Bildes parallel mit der Laͤnge des Prismas und nicht vertical auf derſel - ben verſtanden. Da es nun Newton auf die letztere Weiſe anſehe, ſo habe er vollkommen Recht und ſey uͤber dieſe Sache nichts weiter zu ſagen. Nur habe er, Lucas, die Laͤnge dieſes verticalen Bildes niemals uͤber drey Theile zu ſeiner Breite bringen koͤnnen.
Sodann giebt er mehrere Verſuche an, welche er der newtoniſchen Lehre fuͤr ſchaͤdlich und verderblich haͤlt, wovon wir die bedeutendſten und klarſten aus - ziehn.
a) Er bringt zwey verſchiedenfarbige ſeidene Baͤn - der unter das Mikroſkop. Nach Newtons Lehre duͤrf - ten ſie nicht zugleich deutlich erſcheinen, ſondern das eine fruͤher, das andere ſpaͤter, je nachdem ſie zu den mehr oder weniger refrangiblen Farben gehoͤren. Er ſieht aber beyde zugleich eins ſo deutlich als das andere,435 und concludirt mit Recht gegen die Newtoniſche Lehre. Man erinnere ſich was wir umſtaͤndlich gegen das zweyte Experiment der Newtoniſchen Optik ausgefuͤhrt haben. Wahrſcheinlich iſt es durch dieſen Einwurf des Lucas veranlaßt worden: denn es findet ſich, wenn wir uns recht erinnern, noch nicht in den optiſchen Lectio - nen.
b) Bringt er ein ſehr geiſtreiches, der Newtoni - ſchen Lehre direct entgegenſtehendes Experiment vor, das wir folgendermaßen nachgeahmt haben:
Man verſchaffe ſich ein laͤngliches Blech, das mit den Farben in der Ordnung des prismatiſchen Bildes der Reihe nach angeſtrichen iſt. Man kann an den Enden Schwarz, Weiß und verſchiedenes Grau hinzu - fuͤgen. Dieſes Blech legten wir in einen viereckten blechnen Kaſten, und ſtellten uns ſo, daß es ganz von dem einen Rande deſſelben fuͤr das Auge zuge - deckt war. Wir ließen alsdann Waſſer hineingießen und die Reihe der ſaͤmmtlichen Farbenbilder ſtieg gleich - maͤßig uͤber den Rand dem Auge entgegen, da doch, wenn ſie divers refrangibel waͤren, die einen voraus - eilen und die andern zuruͤckbleiben muͤßten. Dieſes Expe - riment zerſtoͤrt die Newtoniſche Theorie von Grund aus, ſo wie ein anderes, das wir hier, weil es am Platze iſt, einſchalten.
Man verſchaffe ſich zwey, etwa ellenlange, runde Staͤbchen, von der Staͤrke eines kleinen Fingers. Das28 *436eine werde blau, das andere orange angeſtrichen; man befeſtige ſie aneinander und lege ſie ſo nebeneinander ins Waſſer. Waͤren dieſe Farben divers refrangibel, ſo muͤßte das eine mehr als das andere, nach dem Au - ge zu, gebogen erſcheinen, welches aber nicht geſchieht; ſo daß alſo an dieſem einfachſten aller Verſuche die Newtoniſche Lehre ſcheitert. Die ſehr leichte Vorrich - tung zu beyden darf kuͤnftig bey keinem phyſicaliſchen Apparat mehr fehlen.
c. Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, daß die prismatiſche Farbe eine Randerſcheinung ſey, die ſich umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunk - lerer Grund als es ſelbſt iſt, unterliegt. Man kann ihm alſo nicht ablaͤugnen, daß er das wahre Funda - ment aller prismatiſchen Erſcheinungen erkannt habe, und es muß uns unendlich freuen, der Wahrheit die ſich aus England fluͤchten muß, in Luͤttich zu begegnen. Nur bringt freylich Lucas die Sache nicht ins Enge, weil er immer noch mit Licht und Lichſtrahl zu operi - ren glaubt; doch iſt er dem Rechten ſo nahe, daß er es wagt, den kuͤhnen Gedanken zu aͤußern: wenn es moͤglich waͤre, daß hinter der Sonne ein hellerer Grund hervortraͤte, ſo muͤßte das prismatiſche Bild umgekehrt erſcheinen. Aus dieſem wahrhaft grandioſen Aperçuͤ iſt klar, daß Lucas fuͤr ſeine Perſon der Sache auf den Grund geſehen, und es iſt Schade, daß er nicht be - harrlicher geweſen und die Materie, ohne weiter zu controvertiren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen, daß er bey ſo ſchoͤnen Einſichten die Sache ruhen laſſen,437 und weder polemiſch noch didactiſch vorgetreten, iſt uns leider ein Geheimniß geblieben.
W. Artik. XXX. Eine Antwort Newtons auf vor - gedachten Brief, an Oldenburg gerichtet. Den groͤß - ten Theil nimmt der, in unſern Augen ganz gleichguͤl - tige, Nebenumſtand ein, wie ſich dem Maaße nach das prismatiſche Bild in ſeiner Laͤnge zur Breite ver - halte. Da wir im didactiſchen und polemiſchen Theil umſtaͤndlich gezeigt haben, daß dieſes Verhaͤltniß durch mancherley Bedingungen ſich abaͤndern kann, und ei - gentlich gar nicht der Rede werth iſt; ſo bedarf es hier keiner Wiederholung.
Bedeutender hingegen iſt die Art, wie ſich New - ton gegen die neuen Experimente benimmt. Denn hier iſt gleichſam der Text, welchen die Newtoniſche Schule, ein ganzes Jahrhundert durch, theils nachgebetet, theils amplificirt und paraphraſirt hat. Wir wollen den Meiſter ſelbſt reden laſſen.
„ Was des Herrn Lucas uͤbrige Experimente be - trifft, ſo weiß ich ihm vielen Dank fuͤr den großen An - theil den er an der Sache nimmt, und fuͤr die fleißigen Ueberlegungen derſelben, ja ich bin ihm um ſo mehr verpflichtet, als er der erſte iſt, der mir Ver - ſuche zuſendet, um die Wahrheit zu erforſchen; aber er wird ſich ſchneller und vollkommener genug thun, wenn er nur die Methode die er ſich vorſchrieb, ver - aͤndert und ſtatt vieler andern Dinge nur das Expe -438 rimentum Crucis verſucht: denn nicht die Zahl der Experimente ſondern ihr Gewicht muß man anſehen, und wenn man mit Einem ausreicht, was ſollen uns mehrere. “
„ Haͤtte ich mehrere fuͤr noͤthig gehalten, ſo haͤtte ich ſie beybringen koͤnnen: denn bevor ich meinen er - ſten Brief uͤber die Farben an Dich ſchrieb, hatte ich die Verſuche ſehr umſtaͤndlich bearbeitet, und ein Buch uͤber dieſen Gegenſtand geſchrieben, in welchem die vor - nehmſten von mir angeſtellten Experimente ausfuͤhrlich erzaͤhlt werden, und da trifft ſichs, daß unter ihnen ſich die vorzuͤglichſten, welche Lucas mir uͤberſendet hat, mitbefinden. Was aber die Verſuche betrifft, die ich in meinem erſten Briefe vortrage, ſo ſind es nur die, welche ich aus meinem groͤßern Aufſatz aus - zuwaͤhlen fuͤr gut befunden. “
„ Wenn aber auch in jenem an Dich gerichteten Briefe der ſaͤmmtliche Vorrath meiner Verſuche ent - halten waͤre, ſo wuͤrde doch Lucas nicht wohl thun zu behaupten, daß mir Experimente abgehen, bis er jene wenigen ſelbſt verſucht: denn wenn einige darunter eine voͤllige Beweiskraft haben, ſo brauchen ſie keine weiteren Helfershelfer, noch laſſen ſie Raum, uͤber dasjenige was ſie bewieſen haben, weiter zu ſtreiten. “
Dieſes waͤren denn die Verhandlungen, welche zwiſchen Newton und ſeinen erſten Widerſachern vor - gekommen und welcher die Schule ſtets mit großem439 Triumphe gedacht hat. Wie es ſich aber eigentlich da - mit verhalte, werden unſere Leſer nun wohl aus unſe - rer kurzen Erzaͤhlung uͤberſehen koͤnnen. Wir haben den Gang nur im Allgemeinen bezeichnet und uns auf die ſogenanten merita causae nicht eingelaſſen, weil dieſes in unſerm didactiſchen und polemiſchen Theil ge - nugſam geſchehen. Wen die Sache naͤher intereſſirt, der wird an dem von uns gezogenen Faden das Laby - rinth ſichrer und bequemer durchlaufen. Eine kurze Ruͤck - weiſung wird hiebey nicht uͤberfluͤßig ſeyn.
Unter den anonymen Gegnern zeichnet ſich keiner auf eine vorzuͤgliche Weiſe aus. Daß die dioptriſchen Fernroͤhre nicht ſo ganz zu verwerfen ſeyen, fuͤhlen und glauben ſie wohl alle; allein ſie treffen doch den Punct nicht, warum dieſe in ihrem damaligen Zuſtan - de doch weit mehr leiſten, als ſie nach Newtons Lehre leiſten duͤrften. Die uͤbrigen Einwendungen dieſer un - bekannten Maͤnner ſind zwar zum Theil nicht ohne Grund, doch keinesweges gruͤndlich vorgetragen und durchgefuͤhrt.
Pater Pardies und Linus, zwey alte Maͤnner, ohne Scharfſinn und ohne theoretiſches Vermoͤgen, ta - ſten nur an der Sache umher, ohne ſie anzufaſſen, und ihre ſaͤmmtlichen Einwuͤrfe verſchwinden, ſobald ihre Mißverſtaͤndniſſe ſich offenbaren. Gascoigne, der in die Maͤngel des Linus ſuccedirt, verdient kaum ei - ne Erwaͤhnung.
440Dagegen kann Lucas, von dem wir uͤbrigens wenig wiſſen, nicht hoch genug geprieſen werden. Seine Folgerung aus der Newtoniſchen Lehre, daß eine Reihe farbiger Bilder ſich nach der Refraction ungleich uͤber einen mit ihnen parallel ſtehenden Rand erheben muͤß - ten, zeigt von einem ſehr geiſtreichen Manne, ſo wie ſeine Gegenfolgerung, als das Experiment nicht erwar - tetermaßen ablaͤuft, die Newtoniſche Lehre ſey nicht halt - bar, ganz untadlig iſt. Seine Einſicht, daß die Sonne bloß als Bild wirke, ob er es gleich nicht ſo ausdruͤckt, iſt bewundernswerth, ſo wie der kuͤhne Ge - danke, ein helleres Licht hinter der Sonne hervortre - ten zu laſſen, um ſie zu einem halbdunklen Koͤrper zu machen, beneidenswerth. Das was er hier beabſich - tigt, haben wir in unſerm didactiſchen Theil durch graue Bilder auf ſchwarzem und weißem Grunde dar - zuthun geſucht.
Nun aber haben wir noch ſchließlich zu betrachten, wie ſich denn Newton gegen dieſe Widerſacher benom - men. Er bringt in dem erſten Briefe an die Socie - taͤt aus dem Vorrathe ſeiner Experimente, die in den optiſchen Lectionen enthalten ſind, nur drey vor, welche er ſeine Lehre zu begruͤnden fuͤr hinreichend haͤlt, und verlangt, daß die Gegner ſich nur mit dieſen be - ſchaͤftigen ſollen. Schweifen dieſe jedoch ab, ſo zeigt er noch eins und das andre von ſeinem heimlichen Vor - rath, kehrt aber immer zu ſeinem Verfahren zuruͤck, indem er ſeine Gegner auf die wenigen Verſuche be - ſchraͤnken will, von welchen freylich das Experimen -441 tum Crucis jeden der die Sache nicht von Grund aus durchgearbeitet hat, zum lauten oder ſchweigenden Bey - ſtimmen noͤthigt. Daher wiederholt Newton aber und abermals: man ſolle zeigen, daß dieſe wenigen Verſuche ſeine Lehre nicht beweiſen, oder ſoll andere Verſuche beybringen, die ihr unmittelbar entgegen - ſtehen.
Wie benimmt er ſich denn aber, als dieſes von Lucas wirklich geſchieht? Er dankt ihm fuͤr ſeine Be - muͤhung, verſichert, die vorzuͤglichſten von Lucas bey - gebrachten Verſuche befaͤnden ſich in den optiſchen Lec - tionen, welches keineswegs der Wahrheit gemaͤß iſt, beſeitigt ſie auf dieſe Weiſe, dringt immer wieder dar - auf, daß man nur den eingeleiteten Weg gehen, ſich auf demſelben vorgeſchriebnermaßen benehmen ſolle, und will jede andre Methode, jeden andern Weg der Wahr - heit ſich zu naͤhern, ausſchließen. Wenige Experi - mente ſollen beweiſen, alle uͤbrigen Bemuͤhungen un - noͤthig machen, und eine uͤber die ganze Welt ausge - breitete Naturerſcheinung ſoll aus dem Zauberkreiſe ei - niger Formeln und Figuren betrachtet und erklaͤrt werden.
Wir haben die wichtige Stelle, womit ſich dieſe Controvers ſchließt, uͤberſetzt. Newton erſcheint nicht wieder polemiſch, außer in ſofern die Optik polemi - ſcher Natur iſt. Aber ſeine Schuͤler und Nachfolger wiederholen dieſe Worte des Meiſters immerfort. Erſt ſetzen ſie sub - und obrepticie was der Lehre guͤnſtig442 iſt, feſt, und dann verfahren ſie ausſchließend gegen Natur, Sinne und Menſchenverſtand. Erſt laſſen ſich’s Einzelne, dann laͤßt ſich’s die Menge gefallen. New - tons uͤbrige große Verdienſte erregen ein guͤnſtiges Vor - urtheil auch fuͤr Farbentheorie. Sein Ruf, ſein Ein - fluß ſteigt immer hoͤher; er wird Praͤſident der Socie - taͤt. Er giebt ſeine kuͤnſtlich geſtellte Optik heraus; durch Clarke’s lateiniſche Ueberſetzung wird auch dieſe in der Welt verbreitet und nach und nach in die Schu - len eingefuͤhrt. Experimentirende Techniker ſchlagen ſich auf ſeine Seite, und ſo wird dieſe enggefaßte, in ſich ſelbſt erſtarrte Lehre eine Art von Arche des Herrn, deren Beruͤhrung ſogleich den Tod bringt.
So verfaͤhrt nun auch, theils bey Newtons Leben, theils bey ſeinem Tode, Desaguliers gegen alles was die Lehre anzufechten wagt; wie nunmehr aus der ge - ſchichtlichen Darſtellung, in der wir weiter fortſchreiten, ſich umſtaͤndlicher ergeben wird.
Geboren zu oder bey Dijon. Academiſt 1666, geſtorben 1684.
Traité de la nature des couleurs. Paris 1688. Schwerlich die erſte Ausgabe; doch iſt nach dieſer der443 Abdruck in ſeinen geſammelten Werken gemacht, welche zu Haag 1717 und 1740 veranſtaltet worden.
Wir haben wenig Nachrichten von ſeinem Leben. Seinen Arbeiten ſieht man die ungeſtoͤrteſte Ruhe an. Er iſt einer der erſten, welche die Experimental-Phy - ſik in Frankreich einfuͤhren, Mathematiker, Mechaniker, Phyſiker, wo nicht Philoſoph, doch redlicher Denker, guter Beobachter, fleißiger Sammler und Ordner von Beobachtungen, ſehr genauer und gewiſſenhafter Expe - rimentator, ja gewiſſenhaft bis ins Uebertriebene: denn ihm in ſein Detail zu folgen, waͤre vielleicht nicht un - moͤglich, doch moͤchte es in unſerer Zeit jedem hoͤchſt beſchwerlich und fruchtlos erſcheinen.
Durch Beobachten, Experimentiren, Meſſen und Berechnen gelangt er zu den allgemeinſten einfachſteu Erſcheinungen, die er Principien der Erfahrung nennt. Er laͤßt ſie empiriſch in ihrer reinſten Einfalt ſtehen und zeigt nur, wo er ſie in complicirten Faͤllen wie - derfindet. Dieß waͤre ſchoͤn und gut, wenn ſein Ver - fahren nicht andre Maͤngel haͤtte, die ſich uns nach und nach entdecken, wenn wir an ſein Werk ſelbſt ge - hen und davon einige Rechenſchaft zu geben ſuchen.
Er theilt die Farben in apparente und perma - nente. Unter den erſten verſteht er bloß diejenigen die bey der Refraction erſcheinen, unter den andern alle444 uͤbrigen. Man ſieht leicht, wie disproportionirt dieſe Haupteintheilung iſt, und wie unbequem, ja falſch die Unterabtheilungen werden muͤſſen.
Er hat Kenntniß von Newtons Arbeiten, wahr - ſcheinlich durch jenen Brief in den Transactionen. Er erwaͤhnt nicht nur deſſen Lehre, ſondern man glaubt durchaus zu bemerken, daß er hauptſaͤchlich durch ſie zu ſeiner Arbeit angeregt worden: denn er thut den Phaͤnomenen der Refraction viel zu viel Ehre an und arbeitet ſie allein hoͤchſt ſorgfaͤltig durch. Er kennt recht gut die objectiven und ſubjectiven Erſcheinungen, giebt Rechenſchaft von unzaͤhligen Verſuchen, die er anſtellt, um das Allgemeine dieſer Phaͤnomene zu fin - den; welches ihm denn auch bis auf einen gewiſſen Punct gelingt. Nur iſt ſein Allgemeines zu abſtract, zu kahl, die Art es auszudruͤcken nicht gluͤcklich; be - ſonders aber iſt es traurig, daß er ſich vom Strahl nicht losmachen kann. Er nimmt leider bey ſeinen Er - klaͤrungen und Demonſtrationen einen dichten Strahl an (rayon solide). Wie wenig damit zu thun ſey, iſt allen deutlich, welche ſich die Lehre von Verruckung des Bildes eigen gemacht haben. Außerdem bleibt er dadurch zu nahe an Newtons Lehre, welcher auch445 mit Strahlen operirt und die Strahlen durch Refrac - tion afficiren laͤßt.
Eine eigene Art dieſen dichten Strahl, wenn er refrangirt wird, anzuſehen, giebt den Grund zu Ma - riottens Terminologie. Man denke ſich einen Stab den man bricht, ein Rohr das man biegt, ſo wird an denſelben ein einſpringender und ausſpringender Win - kel, eine Concavitaͤt, eine Convexitaͤt zu ſehen ſeyn. Nach dieſer Anſicht ſpricht er in ſeinen Erfahrungs - ſaͤtzen die Erſcheinung folgendermaßen aus:
An der convexen Seite erſcheint immer Roth, an der concaven Violett. Zunaͤchſt am Rothen zeigt ſich Gelb, zunaͤchſt am Violetten Blau. Folgen mehrere Refractionen im gleichen Sinne, ſo gewinnen die Far - ben an Lebhaftigkeit und Schoͤnheit. Alle dieſe Farben erſcheinen in den Halbſchatten, bis an ſie hinan iſt keine Farbe im Lichte merklich. Bey ſtarken Refractionen erſcheint in der Mitte Gruͤn, durch Vermiſchung des Blauen und Gelben.
Er iſt alſo, wie man ſieht, in ſoweit auf dem rechten Wege, daß er zwey entgegengeſetzte Reihen als Randerſcheinungen anerkennt. Auch ge - lingt es ihm, mehrere objective und ſubjective Farben - erſcheinungen auf jene Principien zuruͤckzufuͤhren und zu zeigen, wie nach denſelben die Farben in jedem be - ſondern Falle entſtehen muͤſſen. Ein Gleiches thut er in Abſicht auf den Regenbogen, wobey man, ſoweit446 man ihm folgen kann und mag, ſeine Aufmerkſamkeit, Fleiß, Scharfſinn, Reinlichkeit und Genauigkeit der Behandlung bewundern muß.
Allein es wird einem doch dabey ſonderbar zu Muthe, wenn man ſieht, wie wenig mit ſo vielem Aufwande geleiſtet wird, und wie das Wahre, bey einer ſo treuen genauen Behandlung, ſo mager blei - ben, ja werden kann, daß es faſt null wird. Seine Principien der Erfahrung ſind natuͤrlich und wahr, und ſie ſcheinen deshalb ſo ſimpel ausgeſprochen, um die Newtoniſche Theorie, welche keineswegs, wie wir ſchon oft wiederholt, von den einfachen Erſcheinungen aus - gegangen, ſondern auf das zuſammengeſetzte abgelei - tete Geſpenſt gebaut iſt, verdaͤchtig zu machen, ja in den Augen desjenigen, der eines Aperçuͤs mit allen ſeinen Folgerungen faͤhig waͤre, ſogleich aufzuheben.
Das Aehnliche hatten wir in unſern Beytraͤgen zur Optik verſucht; es iſt aber uns ſo wenig als Ma - riotten gelungen, dadurch Senſation zu erregen.
Ausdruͤcklich von und gegen Newton ſpricht er wenig. Er gedenkt jener Lehre der diverſen Refrangi - bilitaͤt, zeigt gutmuͤthig genug, daß einige Phaͤnomene ſich dadurch erklaͤren laſſen, behauptet aber, daß an - dre nicht dadurch erklaͤrbar ſeyen, beſonders folgendes:
Wenn man weit genug von ſeinem Urſprung das ſogenannte prismatiſche Spectrum auffange, ſo daß es447 eine anſehnliche Laͤnge gegen ſeine Breite habe, und das Violette weit genug vom Rothen entfernt und durch andere Farben voͤllig von ihm getrennt ſey, ſo daß man es alſo fuͤr hinreichend abgeſchieden halten koͤnne; wenn man alsdann einen Theil dieſes violetten Scheines durch eine Oeffnung gehen und durch ein zweytes Prisma in derſelben Richtung refrangiren laſſe: ſo erſcheine unten abermals Roth (Gelbroth), welches doch nach der Theorie keineswegs ſtatt finden koͤnne; deswegen ſie nicht anzunehmen ſey.
Der gute Mariotte hatte hierin freylich vollkom - men Recht, und das ganze Raͤthſel loͤſt ſich dadurch, daß ein jedes Bild, es ſey von welcher Farbe es wolle, wenn es verruͤckt wird, geſaͤumt erſcheint. Das vio - lette Halblicht aber, das durch die kleine Oeffnung durchfaͤllt, iſt nur als ein violettes Bild anzuſehen, an welchem der gelbrothe Rand mit einem purpurnen Schein gar deutlich zu bemerken iſt; die uͤbrigen Rand - farben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes zuſammen, oder werden von derſelben verſchlungen.
Der gute natuͤrliche Mariotte kannte die Winkel - zuͤge Newtons und ſeiner Schule nicht. Denn nach dieſem laſſen ſich die Farben zwar ſondern, aber nicht voͤllig; Violett iſt zwar violett, allein es ſtecken die uͤbrigen Farben auch noch drinn, welche nun aus dem violetten Licht, bey der zweyten Refraction, wie die ſaͤmmtlichen Farben aus dem weißen Lichte, bey der erſten Refraction, geſchieden werden. Dabey iſt denn448 freylich das Merkwuͤrdige, daß das Violett aus dem man nun das Roth geſchieden, vollkommen ſo violett bleibt wie vorher; ſo wie auch an den uͤbrigen Far - ben keine Veraͤnderung vorgeht, die man in dieſen Fall bringt. Doch genug hievon. Mehr als obiges bedarf es nicht, um deutlich zu machen, in wiefern Mariotte als Newtons Gegner anzuſehen ſey.
In dieſer ſucht er alle uͤbrigen Farben, welche nicht durch Refraction hervorgebracht werden, aufzu - fuͤhren, zu ordnen, gegen einander zu halten, zu ver - gleichen, ſie auseinander abzuleiten und daraus Er - fahrungsſaͤtze abzuziehen, die er jedoch hier nicht Prin - cipien ſondern Regeln nennt. Die ſaͤmmtlichen Er - ſcheinungen traͤgt er in vier Discurſen vor.
Erſter Discurs. Von Farben, die an leuch - tenden Koͤrpern erſcheinen.
Verſchiedenfarbiges Licht der Sonne, der Sterne, der Flamn, des Gluͤhenden, des Erhitzten; wobey recht artige und brauchbare Verſuche vorkommen. Die Erfahrungsregel wozu er gelangt, iſt ein Idem per Idem, womit man gar nichts ausrichten kann.
449Zweyter Discurs. Von den changeanten Farben, die auf der Oberflaͤche der Koͤrper entſtehen.
Hier fuͤhrt er diejenigen Farben auf, welche wir die epoptiſchen nennen: aneinander gedruckte Glas - platten, angelaufenes Glas, Seifenblaſen. Er ſchreibt dieſe Phaͤnomene durchaus einer Art von Refrac - tion zu.
Dritter Discurs. Von fixen und permanen - ten Farben, deren Erſcheinungen er vorzuͤglich unter Regeln bringt.
Hier werden unſre chemiſchen Farben aufgefuͤhrt, und dabey etwas Allgemeines von Farben uͤberhaupt. Weiß und Schwarz, dazwiſchen Gelb, Roth und Blau. Er hat die Einſicht, daß jede Farbe etwas weniger hell als das Weiße und etwas mehr hell als das Schwarze ſeyn muͤſſe.
In den Erklaͤrungen verfaͤhrt er allzu realiſtiſch, wie er denn das Blau zur eigenen Farbe der Luft macht; dann aber wieder zu unbeſtimmt: denn die koͤrperli - chen Farben ſind ihm modificirtes Licht. Das Licht muß naͤmlich in den Koͤrper eindringen, dort zur be - ſondern Farbenwirkung modificirt in unſer Auge zuruͤck - kehren und darin die Wirkung hervorbringen.
Der chemiſche Gegenſatz von Acidum und Alcali iſt ihm ſehr bedeutend. Hier ſtehen wieder ſchoͤne undII. 29450brauchbare Erfahrungen, doch ohne Ordnung unter - einander, worauf denn ſchwache, nach Corpuscular - vorſtellungsart ſchmeckende Erklaͤrungen folgen. Ueber die Farben organiſcher Koͤrper macht er feine Bemer - kungen.
Vierter Discurs. Von Farbenerſcheinungen, die von innern Modificationen der Organe des Sehens entſpringen.
Hier wird aufgefuͤhrt was bey uns unter der Rubrik von phyſiologiſchen Farben vorkommt: Dauer des Eindrucks, farbiges Abklingen und dergleichen; zuletzt die Diakriſis des Auges durch Licht, die Synkri - ſis durch Finſterniß. Und ſomit hoͤrt er da auf, wo wir anfangen.
Die aus dem Kapitel von den chemiſchen Farben ausgezogenen ſechs Regeln uͤberſetzen wir, weil man daraus das vorſichtige Benehmen dieſes Mannes am beſten beurtheilen kann.
1) „ Die fixen Farben erſcheinen uns, wenn das Licht durch die Materie, welche dieſe Farben hervor - bringt, gedrungen, zu unſern Augen mit genugſamer Kraft zuruͤckkehrt. “
Dieſes bezieht ſich auf die wahre Bemerkung, daß451 jede chemiſch ſpecificirte Farbe ein Helles hinter ſich haben muß, um zu erſcheinen. Nur iſt dieſes noth - wendige Erforderniß von Mariotte nicht genug einge - ſehen, noch deutlich genug ausgedruͤckt.
2) „ Die Saͤfte von allen blauen und violetten Blumen werden gruͤn durch die Alcalien und ſchoͤn roth durch die Saͤuren. “
3) „ Die Abſude rother Hoͤlzer werden gelb durch die Saͤuren, violett durch die Alcalien; aber die Auf - guͤſſe gelber Pflanzen werden dunkel durch die Alca - lien, und verlieren faſt gaͤnzlich ihre Farbe durch die Saͤuren. “
4) „ Die Vegetationen die in freyer Luft vorgehen, ſind gruͤn; diejenigen an unterirdiſchen Oertern, oder in der Finſterniß, ſind weiß oder gelb. “
5) „ Es giebt viel gelbe oder dunkle Materien welche ſich bleichen, wenn man ſie wechſelsweiſe netzt und an der Sonne trocknet. Sind ſie ſodann weiß, und bleiben ſie lange unbeſeuchtet an der Luft, ſo wer - den ſie gelb. “
6) „ Irdiſche und ſchweflige Materien wer - den durch eine große Hitze roth und einige zuletzt ſchwarz. “
Hiezu fuͤgt der Verfaſſer eine Bemerkung, daß29 *452man ſehr viele Farbenerſcheinungen auf dieſe ſechs Re - geln zuruͤckfuͤhren und bey der Faͤrberey, ſo wie bey Verfertigung des farbigen Glaſes, manche Anwendung davon machen koͤnne. Unſre Leſer werden ſich erin - nern, wie das Bewaͤhrte von dieſen Regeln in un - ſerer Abtheilung von chemiſchen Farben beygebracht iſt.
Im Ganzen laͤßt ſich nicht ablaͤugnen, daß Ma - riotte eine Ahndung des Rechten gehabt und daß er auf dem Wege dahin geweſen. Er hat uns manches gute Beſondere aufbewahrt, fuͤrs Allgemeine aber zu wenig gethan. Seine Lehre iſt mager, ſeinem Unter - richt fehlt Ordnung, und bey aller Vorſichtigkeit ſpricht er doch wohl zuletzt, ſtatt einer Erfahrungsregel, et - was Hypothetiſches aus. Aus dem bisher Vorgetra - genen laͤßt ſich nunmehr beurtheilen, in wiefern Ma - riotte als ein Gegner von Newton anzuſehen ſey. Uns iſt nicht bekannt geworden, daß er das was er im Vorbeygehen gegen die neue Lehre geaͤußert, jemals wieder urgirt habe. Sein Aufſatz uͤber die Farben mag kurz vor ſeinem Tode herausgekommen ſeyn. Auf welche Weiſe jedoch die Newtoniſche Schule ihn ange - fochten und um ſeinen guten Ruf gebracht, wird ſich ſogleich des Naͤhern ergeben.
Geboren 1683.
Die Philoſophen des Alterthums, welche ſich mehr fuͤr den Menſchen als fuͤr die uͤbrige Natur intereſſir - ten, betrachteten dieſe nur nebenher und theoretiſirten nur gelegentlich uͤber dieſelbe. Die Erfahrungen nah - men zu, die Beobachtungen wurden genauer und die Theorie eingreifender; doch brachten ſie es nicht zur Wiederholung der Erfahrung, zum Verſuch.
Im ſechzehnten Jahrhundert, nach friſcher Wie - derbelebung der Wiſſenſchaften, erſchienen die bedeu - tenden Wirkungen der Natur noch unter der Geſtalt der Magie, mit vielem Aberglauben umhuͤllt, in wel - chen ſie ſich zur Zeit der Barbarey verſenkt hatten. Im ſiebzehnten Jahrhundert wollte man, wo nicht er - ſtaunen, doch ſich immer noch verwundern, und die angeſtellten Verſuche verloren ſich in ſeltſame Kuͤn - ſteleyen.
Doch war die Sache immer ernſthafter geworden. Wer uͤber die Natur dachte, wollte ſie auch ſchauen. Jeder Denker machte nunmehr Verſuche, aber auch noch nebenher. Gegen das Ende dieſer Zeit traten immer mehr Maͤnner auf, die ſich mit einzelnen Thei -454 len der Naturwiſſenſchaft beſchaͤftigten und vorzuͤglich dieſe durch Verſuche zu ergruͤnden ſuchten.
Durch dieſe lebhafte Verbindung des Experimen - tirens und Theoretiſirens entſtanden nun diejenigen Perſonen, welche man, beſonders in England, Natu - ral - und Experimental-Philoſophen nannte, ſo wie es denn auch eine Experimental-Philoſophie gab. Ein Jeder der die Naturgegenſtaͤnde nur nicht gerade aus der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte, wer nur einigermaßen conſequent aufmerkſam auf die Erſcheinungen war, der hatte ſchon ein gewiſſes Recht zu jenem Ehrennamen, den man freylich in dieſem Sinne vielen beylegen konnte. Jedes allgemeine Raͤ - ſonnement, das tief oder flach, zart oder crud, zuſam - menhaͤngend oder abgeriſſen, uͤber Naturgegenſtaͤnde vorgebracht wurde, hieß Philoſophie. Ohne dieſen Misbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreif - lich, wie die Londner Societaͤt den Titel Philoſophi - ſche Transactionen fuͤr die unphiloſophiſcheſte aller Sammlungen haͤtte waͤhlen koͤnnen.
Der Hauptmangel einer ſolchen unzulaͤnglichen Be - handlung blieb daher immer, daß die theoretiſchen An - ſichten ſo vieler Einzelnen vorwalteten, und dasjenige was man ſehen ſollte, nicht einem Jeden gleichmaͤßig erſchien. Uns iſt bekannt, wie ſich Boyle, Hook und Newton benommen.
Durch die Bemuͤhungen ſolcher Maͤnner, beſon -455 ders aber der Londner Societaͤt, ward inzwiſchen das Intereſſe immer allgemeiner. Das Publicum wollte nun auch ſehen und unterrichtet ſeyn. Die Verſuche ſollten zu jeder Zeit auf eines Jeden Erfordern wieder dargeſtellt werden, und man fand nun, daß Experi - mentiren ein Metier werden muͤſſe.
Dieß ward es zuerſt durch Hawksby. Er machte in London oͤffentliche Verſuche der Electricitaͤt, Hydro - ſtatik und Luftlehre, und enthielt ſich vielleicht am reinſten von allem Theoretiſchen. Keil ward ſein Schuͤ - ler und Nochfolger. Dieſer erklaͤrte ſich aber ſchon fuͤr Newtons Theorie. Haͤtte er die Farbenlehre behan - delt, wie Hawksby die Lehre von der Electricitaͤt; ſo wuͤrde alles ein anderes Anſehen gewonnen haben. Er wirkte in Oxford bis 1710.
Auf Keil folgte Desaguliers, der von ihm, ſei - nem Meiſter, die Fertigkeit Newtoniſche Experimente receptgemaͤß nachzubilden, ſo wie die Neigung zu die - ſer Theorie geerbt hatte, und deſſen Kunſtfertigkeit man anrief, wenn man Verſuche ſichten, durch Verſuche et - was beweiſen wollte.
Desaguliers ward beruͤhmt durch ſein Geſchick zu experimentiren. s’Graveſand ſagt von ihm: cujus peritia in instituendis experimentis nota est. Er hatte hinreichende mathematiſche Kenntniſſe, ſo wie auch genugſame Einſicht in das was man damals Natur - philoſophie nannte.
Die Acta eruditorum hatten 1706 S. 60. Nach - richt von der Optik Newtons gegeben, durch einen ge - draͤngten Auszug, ohne die mindeſte Spur von Beyfall oder Widerſpruch.
Im Jahre 1713 S. 447. erwaͤhnen ſie, bey Ge - legenheit von Rohaults Phyſik, jenes von Mariotte aus - geſprochenen Einwurfs, und aͤußern ſich daruͤber fol - gendermaßen: „ Wenn es wahr iſt, daß ein aus dem Spectrum abgeſondertes einzelnes farbiges Licht, bey einer zweyten Brechung, aufs Neue an ſeinen Theilen Farben zeigt; ſo periclitirt die Newtoniſche Lehre. Noch entſcheidender wuͤrde das Mariottiſche Experiment ſeyn, wenn das ganze blaue Licht in eine andere Farbe ver - wandelt worden waͤre. “
Man ſieht wohl, daß dieſer Zweifel ſich von einer Perſon herſchreibt, die mit der Sache zwar genugſam bekannt iſt, ſie aber nicht voͤllig durchdrungen hat. Denn jedes einfaͤrbige Bild kann ſo gut als ein ſchwar - zes, weißes oder graues, durch die verbreiterten Saͤu - me zugedeckt und ſeine Farbe dadurch aufgehoben, kei - neswegs aber in eine einzelne andere Farbe verwan - delt werden. Genug, ein Aufruf dieſer Art war von zu großer Bedeutung fuͤr Newton ſelbſt und ſeine457 Schule, als daß nicht dadurch haͤtten Bewegungen hervorgebracht werden ſollen. Dieſes geſchah auch, und Desaguliers ſtellte 1715 die Verſuche gegen Mariotte an. Das Verfahren iſt uns in den philoſophiſchen Transactionen Nr. 348 S. 433 aufbewahrt.
Wir muͤſſen uns Gewalt anthun, indem wir von dieſem Aufſatz Rechenſchaft geben, aus der hiſtoriſchen Darſtellung nicht wieder in die polemiſche Behandlung zu verfallen. Denn eigentlich ſollte man Desaguliers gleichfalls Schritt vor Schritt, Wort vor Wort folgen, um zu zeigen, daß er wie ſein Meiſter, ja noch ſchlim - mer als dieſer, ſich bey den Verſuchen benommen. Un - bedeutende, unnuͤtze Nebenumſtaͤnde werden hervorgeho - ben, die Hauptbedingungen des Phaͤnomens ſpaͤt und nur wie im Voruͤbergehen erwaͤhnt, es wird verſichert daß man dieſes und jenes leiſten wolle, geleiſtet habe und ſodann, als wenn es nichts waͤre, zum Schluſſe eingeſtanden, daß es nicht geſchehen ſey, daß eins und anderes noch beyher ſich zeige und gerade das wovon eben die Rede war, daß es ſich nicht zeigen duͤrfe.
Gegen Mariotte ſoll bewieſen werden, daß die Farben des Spectrums, wenn ſie recht geſondert ſeyen, keine weitere Veraͤnderung erleiden, aus ihnen keine andere Farben hervorgehen, an ihnen keine andere Far - be ſich zeige. Um nun die prismatiſchen Farben auf dieſen hohen Grad zu reinigen, wird der Newtoniſche elfte Verſuch des erſten Theils als genugthuend ange - fuͤhrt, die dort vorgeſchlagene umſtaͤndliche Vorrichtung458 zwar als beſchwerlich und verdrießlich (troublesome) angegeben und, wie auch Newton ſchon gethan, mit einer bequemern ausgetauſcht, und man glaubt nun es ſolle direct auf den Gegner losgehen, es werde dasje - nige was er behauptet, umgeſtoßen, dasjenige was er gelaͤugnet, bewieſen werden.
Allein Desaguliers verfaͤhrt voͤllig auf die Newtoni - ſche Manier und bringt ganz unſchuldig bey: er wolle auch noch einige begleitende Verſuche (concomitant) vorfuͤhren. Nun iſt aber an dieſem elften Experiment gar nichts zu begleiten: wenn es beſtehen koͤnnte, muͤßte es fuͤr ſich beſtehen. Desaguliers Abſicht aber iſt, wie man wohl einſieht, die ganze Newtoniſche Lehre von vorn herein feſtzuſetzen, damit das was am elften Verſuche fehlt, gegen die ſchon gegruͤndete Lehre unbedeutend ſcheinen moͤge: eine Wendung, deren ſich die Schule fortdauernd bedient hat. Er bringt daher nicht Einen ſondern neun Verſuche vor, welche ſaͤmmt - lich mit gewiſſen Verſu[ch]en der Optik correſpondiren, die wir deswegen nur kuͤrzlich anzeigen, und unſern Leſern dasjenige was wir bey jedem einzelnen im pole - miſchen Theile zur Sprache gebracht, zur Erinnerung empfehlen.
1) Verſuch mit einem rothen und blauen Bande nebeneinander, durchs Prisma angeſehn. Der erſte Verſuch des erſten Theils mit einigen Veraͤnderungen. Dieſer wegen ſeiner Scheinbarkeit Newtonen ſo wich - tige Verſuch, daß er ſeine Optik damit eroͤffnet, ſteht459 auch hier wieder an der Spitze. Der Experimentator haͤlt ſich bey ganz unnoͤthigen Bedingungen auf, verſichert der Verſuch des Auseinanderruͤckens der beyden Baͤn - der ſey vortrefflich gerathen, und ſagt erſt hinterdrein: wenn der Grund nicht ſchwarz iſt, ſo geraͤth der Ver - ſuch nicht ſo gut. Daß der Grund hinter den Baͤndern ſchwarz ſey, iſt die unerlaͤßliche Bedingung welche oben - an ſtehen muͤßte. Iſt der Grund heller als die Baͤnder, ſo geraͤth der Verſuch nicht etwa nur nicht ſo gut, ſon - dern er geraͤth gar nicht; es entſteht etwas Umgekehrtes, etwas ganz Anders. Man wird an dieſer ausfluͤchten - den Manier doch wohl ſogleich den echten Juͤnger Newtons erkennen.
2) Ein aͤhnliches Experiment mit den beyden Papierſtreifen durch die Farben des Spectrums gefaͤrbt, vergleicht ſich mit dem dreyzehnten Verſuche des erſten Theils.
3) Das Bild dieſer letzten, violetten und gelbro - then Streifen durch eine Linſe auf ein Papier gewor - fen, ſodann derſelbe Verſuch mit gefaͤrbten Papieren, kommt mit dem zweyten Verſuche des erſten Theils uͤberein.
4) Verſchiedene Laͤngen und Directionen des pris - matiſchen Bildes nach den verſchiedenen Einfallswin - keln des reinen Lichts aufs Prisma. Was hier aus - gefuͤhrt und dargeſtellt iſt, wuͤrde zum dritten Verſuch des erſten Theils gehoͤren.
4605) Das objective Spectrum wird durch das Pris - ma angeſehen, es ſcheint heruntergeruͤckt und weiß. Iſt der elfte Verſuch des zweyten Theils.
6) Das Spectrum geht durch die Linſe durch und erſcheint im Focus weiß. Iſt ein Glied des zehnten Verſuchs des zweyten Theils.
7) Das eigentliche Experimentum crucis, das ſechſte des erſten Theils. Hier geſteht er, was Mariotte behauptet hat, daß die zu einzelnen Bildchen ſeparir - ten prismatiſchen Farben, wenn man ſie mit dem Prisma anſieht, wieder Farbenraͤnder zeigen.
8) Nun ſchreitet er zu der complicirten Vorrich - tung des elften Experiments des erſten Theils, um ein Spectrum zu machen, das ſeiner Natur nach viel unſicherer und ſchwankender iſt als das erſte.
9) Mit dieſem macht er nun ein Experiment, wel - ches mit dem vierzehnten des erſten Theils zuſammen - faͤllt, um zu zeigen, daß nunmehr die farbigen Lichter ganz gereinigt, einfach, homogen, gefunden worden. Dieß ſagt er aber nur: denn wer ihm aufmerkſam nachverſucht, wird das Gegentheil finden.
Das was Desaguliers gethan, theilt ſich alſo in zwey Theile: die ſieben erſten Verſuche ſollen die diverſe Refrangibilitaͤt beweiſen und in dem Kopf des Schauen - den feſtſetzen; unter der ſiebenten und achten Nummer461 hingegen, welche erſt gegen Mariotte gerichtet ſind, ſoll das wirklich geleiſtet ſeyn, was verſprochen worden. Wie captios und unredlich auch er hier zu Werke gehe, kann man daraus ſehen, daß er wiederholt ſagt: mit dem Rothen gelang mirs ſehr gut, und ſo auch mit den uͤbrigen. Warum ſagt er denn nicht: es gelang mir mit allen Farben? oder warum faͤngt er nicht mit einer andern an? Alles dieſes iſt ſchon von uns bis zum Ueberdruß im polemiſchen Theile auseinandergeſetzt. Beſonders iſt es in der ſupplementaren Abhandlung uͤber die Verbindung der Prismen und Linſen bey Experimenten, ausfuͤhrlich geſchehen und zugleich das elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden.
Aber hier macht ſich eine allgemeine Betrachtung noͤthig. Das was Desaguliers gegen Mariotte und ſpaͤter gegen Rizzetti verſucht und vorgetragen, wird von der Newtoniſchen Schule ſeit hundert Jahren als ein Schlußverfahren angeſehn. Wie war es moͤglich, daß ein ſolcher Unſinn ſich in einer Erfahrungswiſſen - ſchaft einſchleichen konnte? Dieſes zu beantworten, muͤſſen wir darauf aufmerkſam machen, daß, wie ſich in die Wiſſenſchaften ethiſche Beweggruͤnde mehr als man glaubt, einſchlingen, eben ſo auch Staats - und Rechts-Motive und Maximen darin zur Ausuͤbung gebracht werden. Ein ſchließliches Aburtheln, ohne weitere Appellation zuzulaſſen, geziemt wohl einem Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Ver - brecher vor die Geſchworenen gebracht, von dieſen ſchuldig befunden, und ſodann aufgehangen worden;462 ſo faͤllt es uns nicht leicht ein, die Reviſion eines ſol - chen Proceſſes zu verlangen, ob es gleich Faͤlle genug gegeben hat, wo das Andenken eines ſchmaͤlich Hinge - richteten durch Recht und Urtheil rehabilitirt worden. Nun aber Verſuche, von einer Seite ſo bedeutend, von der andern ſo leicht und bequem anzuſtellen, ſollen, weil ſie vor hundert Jahren, in England, vor einer zwar anſehnlichen aber weder theoretiſirend noch experi - mentirend voͤllig tactfeſten Geſellſchaft angeſtellt worden, nunmehr als ein fuͤr allemal abgethan, abgemacht und fertig erklaͤrt, und die Wiederholung derſelben fuͤr unnuͤtz, thoͤricht, ja anmaßlich ausgeſchrieen werden! Iſt hierbey nur der mindeſte Sinn, was Erfahrungs - wiſſenſchaft ſey, worauf ſie beruhe, wie ſie wachſen koͤnne und muͤſſe, wie ſie ihr Falſches nach und nach von ſelbſt wegwerfe, wie durch neue Entdeckungen die alten ſich ergaͤnzen und wie durch das Ergaͤnzen die aͤlteren Vorſtellungsarten, ſelbſt ohne Polemik, in ſich zerfallen?
Auf die laͤcherlichſte und unertraͤglichſte Weiſe hat man von eben dieſen Desagulierſchen Experimenten ſpaͤter - hin einſichtige Naturforſcher weggeſchreckt, gerade wie die Kirche von Glaubensartikeln die naſeweiſen Ketzer zu entfernen ſucht. Betrachtet man dagegen, wie in der neuern Zeit Phyſiker und Chemiker die Lehre von den Luftarten, der Electricitaͤt, des Galvanism, mit unſaͤg - lichem Fleiß, mit Aufwand und mancherley Aufopferun - gen bearbeitet; ſo muß man ſich ſchaͤmen, im chroma - tiſchen Fach beynahe allein mit dem alten Inventarium463 von Traditionen, mit der alten Ruͤſtkammer ungeſchick - ter Vorrichtungen ſich in Glauben und Demuth begnuͤgt zu haben.
Ein Venetianer und aufmerkſamer Liebhaber der Dioptrik, faßte ein ganz richtiges Aperçu gegen New - ton und fuͤhlte, wie natuͤrlich, einen großen Reiz an - dern ſeine Entdeckung mitzutheilen und einleuchtend zu machen. Er verbreitete ſeine Meynung durch Briefe und reiſende Freunde, fand aber uͤberall Gegner. In Deutſchland wurden ſeine Argumente in die Acta Eru - ditorum eingeruͤckt. Profeſſor Georg Friedrich Richter in Leipzig ſetzte ſich dagegen; in England experimen - tirte und argumentirte Desaguliers gegen ihn; in Frank - reich Gauger; in Italien die Bologneſer Societaͤt.
Er gab zuerſt ein Diarium einer Reiſe durch Ita - lien vor dem Jahre 1724 mit Nachtraͤgen heraus, wo - von man einen Auszug in die Acta Eruditorum ſetzte. (Supplemente derſelben Tom. 8. p. 127.)
Bey Gelegenheit daß Rizzetti die Frage aufwirft, wie es moͤglich ſey, daß man die Gegenſtaͤnde mit blo - ßen Augen farblos ſaͤhe, wenn es mit der von New - ton bemerkten und erklaͤrten farbigen Aberration ſeine464 Richtigkeit habe, bringt er verſchiedene Einwendungen gegen die Newtoniſchen Experimente ſo wie auch gegen die Theorie vor. Richter ſchreibt dagegen (Tom. eod. p. 226.). Darauf laͤßt ſich Rizzetti wieder vernehmen und fuͤgt noch einen Anhang hinzu (p. 303. f.) Aus einer neu veraͤnderten Ausgabe des erſten Rizzettiſchen Auf - ſatzes findet ſich gleichfalls ein Auszug (p. 234.) und ein Auszug aus einem Briefe des Rizzetti an die Londner Societaͤt (p. 236.).
Richter vertheidigt ſich gegen Rizzetti (A. E. 1724, p. 27.) Dieſer giebt heraus: Specimen physico - ma - thematicum de Luminis affectionibus, Tarvisii et Venet. 1727. 8. Einzelne Theile daraus waren fruͤher erſchienen: De Luminis refractione, Auctore Rizzetto (Siehe A. E. 1726. Nr. 10.) De Luminis reflexione, Auctore Rizzetto (S. A. E. supl. Tom. IX, Sect. 2. Nr. 4.).
Gedachtes Werk darf keinem Freunde der Farben - lehre kuͤnftighin unbekannt bleiben. Wir machen zu unſern gegenwaͤrtigen hiſtoriſchen Zwecken daraus einen fluͤchtigen Auszug.
Er nimmt an, das Licht beſtehe aus Theilen, die ſich ungern von einander entfernen, aber doch durch Refraction von einander getrennt werden; dadurch ent - ſtehe die Diſperſion deſſelben, welche Grimaldi ſich ſchon ausgedacht hatte. Rizzetti nimmt leider auch noch Strahlen an, um mit denſelben zu operiren.
465Man ſieht, daß dieſe Vorſtellungsart viel zu nah an der Newtoniſchen liegt, um als Gegenſatz derſelben Gluͤck zu machen.
Rizzetti’s diſpergirtes Licht iſt nun ein Halblicht; es kommt in ein Verhaͤltniß zum Hellen oder Dunkeln, daraus entſteht die Farbe. Wir finden alſo, daß er auf dem rechten Wege war, indem er eben daſſelbe abzuleiten ſucht, was wir durch Doppelbild und Truͤbe ausgeſprochen haben.
Der mathematiſche Theil ſeines Werks, ſo wie das was er im Allgemeinen von Refraction, Reflexion und Diſperſion handelt, liegt außer unſerm Kreiſe. Das uͤbrige was uns naͤher angeht, kann man in den polemiſchen und den didactiſchen Theil eintheilen.
Die Maͤngel der Newtoniſchen Lehre, das Cap - tioſe und Unzulaͤngliche ihrer Experimente ſieht Rizzetti recht gut ein. Er fuͤhrt ſeine Controvers nach der Ordnung der Optik und iſt den Newtoniſchen Unrich - tigkeiten ziemlich auf der Spur; doch durchdringt er ſie nicht ganz und giebt z. B. gleich bey dem erſten Ver - ſuch ungeſchickter Weiſe zu, daß das blaue und rothe Bild auf dunklem Grunde wirklich ungleich verruͤckt werde, da ihm doch ſonſt die Erſcheinung der Saͤume nicht unbekannt iſt. Dann bringt er die beyden Papiere auf weißen Grund, wo denn freylich durch ganz andere Saͤume fuͤr den Unbefangenen die Unrichtigkeit, die ſichII. 30466auf ſchwarzem Grunde verſteckt, augenfaͤllig werden muß.
Aber ſein Widerſacher, Richter in Leipzig, erhaſcht ſogleich das Argument gegen ihn, daß die unter dieſen Bedingungen erſcheinenden Farben ſich vom weißen Grunde herſchreiben: eine ungeſchickte Behauptung, in welcher ſich jedoch die Newtonianer bis auf den heuti - gen Tag ſelig fuͤhlen, und welche auch mit großer Selbſtgenuͤgſamkeit gegen uns vorgebracht worden.
Seiner uͤbrigen Controvers folgen wir nicht: ſie trifft an vielen Orten mit der unſrigen uͤberein, und wir gedenken nicht zu laͤugnen, daß wir ihm manches ſchuldig geworden, ſo wie noch kuͤnftig manches aus ihm zu nutzen ſeyn wird.
In ſeinem didactiſchen Theile findet man ihn wei - ter vorgeruͤckt als alle Vorgaͤnger, und er haͤtte wohl verdient, daß wir ihn mit Theophraſt und Boyle unter den wenigen genannt, welche ſich bemuͤht, die Maſſe der zu ihrer Zeit bekannten Phaͤnomene zu ordnen.
In ſeiner Eintheilung der Farben ſind alle die Bedingungen beachtet, unter welchen uns die Farbe erſcheint. Er hat unſere phyſiologiſchen Farben unter der Rubrik der phantaſtiſchen oder imaginaͤren, unſere phyſiſchen unter der doppelten der variirenden, welche wir die dioptriſchen der erſten Claſſe, und der apparen - ten, welche wir die dioptriſchen der zweyten Claſſe ge -467 nannt, vorgetragen. Unſere chemiſchen Farben finden ſich bey ihm unter dem Titel der permanenten oder natuͤrlichen.
Zum Grunde von allen Farbenerſcheinungen legt er, wie ſchon oben bemerkt, dasjenige was wir unter der Lehre von truͤben Mitteln begreifen. Er nennt dieſe Farben die variirenden, weil ein truͤbes Mittel, je nachdem es Bezug auf eine helle oder dunkle Unter - lage hat, verſchiedene Farben zeigt. Auf dieſem Wege erklaͤrt er auch die Farben der Koͤrper, wie wir es auf eine aͤhnliche Weiſe gethan haben.
Die apparenten leitet er gleichfalls davon ab, und naͤhert ſich dabey unſerer Darſtellung vom Doppelbild; weil er aber das Doppelbild nicht als Factum ſtehen laͤßt, ſondern die Urſache deſſelben zugleich mit erklaͤren will: ſo muß er ſeine Diſperſion herbeybringen, wodurch donn die Sache ſehr muͤhſelig wird.
So ſind auch ſeine Figuren hoͤchſt unerfreulich und beſchwerlich zu entziffern; da hingegen die New - toniſchen, obgleich meiſtens falſch, den großen Vor - theil haben, bequem zu ſeyn und deshalb faßlich zu ſcheinen.
Bey den phyſiologiſchen, ſeinen imaginaͤren, be - merkt er recht gut den Unterſchied der abklingenden Farbenerſcheinung auf dunklem und hellem Grunde; weil ihm aber das wichtige, von Plato anerkannte30 *468Fundament von allem, die Synkriſis durchs Schwarze, die Diakriſis durchs Weiſe bewirkt, abgeht; weil er auch die Forderung der entgegengeſetzten Farben nicht kennt: ſo bringt er das Ganze nicht auf eine Art zu - ſammen die einigermaßen befriedigend waͤre.
Uebrigens rechnen wir es uns zur Ehre und Freude, ihn als denjenigen anzuerkennen, der zuerſt am ausfuͤhrlichſten und tuͤchtigſten das wovon auch wir in der Farbenlehre uͤberzeugt ſind, nach Beſchaf - fenheit der Erfahrung ſeiner Zeit, ausgeſprochen hat.
Als in den Leipziger Actis Eruditorum (Supplem. Tom. 8. §. 3. p. 130. 131. ) einiger Einwuͤrfe Rizzetti’s gegen Newton erwaͤhnt ward, wiederholt Desaguliers das Experiment wovon die Rede iſt, 1722 vor der Societaͤt zu London, und giebt davon in den Philo - ſophiſchen Transactionen Vol. 32, pag. 206 eine kurze Nachricht.
Es iſt das zweyte Experiment des erſten Buchs der Optik, bey welchem ein hellrothes und ein dunkel - blaues Papier, beyde mit ſchwarzen Faͤden umwunden, durch eine Linſe auf einer weißen Tafel abgebildet wer -469 den; da denn das rothe Bild, oder vielmehr das Bild der ſchwarzen Faͤden auf rothem Grunde, ſich ferner von der Linſe, und das blaue Bild, oder viel - mehr das Bild der ſchwarzen Faͤden auf blauem Grunde, ſich naͤher an der Linſe deutlich zeigen ſoll. Wie es damit ſtehe, haben wir im polemiſchen Theil umſtaͤndlich genug auseinandergeſetzt und hinlaͤnglich gezeigt, daß hier nicht die Farbe, ſondern das mehr oder weniger Abſtechende des Hellen und Dunkeln Ur - ſache iſt, daß zu dem einen Bilde der Abbildungs - punct ſchaͤrfer genommen werden muß, da bey dem andern ein laxerer ſchon hinreichend iſt.
Desaguliers, ob er gleich behauptet ſein Experi - ment ſey vortrefflich gelungen, muß doch zuletzt auf dasjenige worauf wir feſthalten, in einem Notabene hindeuten; wie er denn, nach Newtoniſcher Art, die Hauptſachen in Noten und Notabene nachbringt, und ſo ſagt er: Man muß Sorge tragen, daß die Farben ja recht tief ſind; denn indem ich zufaͤlliger Weiſe von dem Blauen abgeſtreift hatte, ſo war das Weiße der Charte unter dem Blauen Schuld, daß auch dieſes Bild weiter reichte, faſt ſo weit als das Rothe.
Ganz natuͤrlich! Denn nun ward das Blaue hel - ler und die ſchwarzen Faͤden ſtachen beſſer darauf ab, und wer ſieht nun nicht, warum Newton, bey Berei - tung einer gleichen Pappe zu ſeinen zwey erſten Experi - menten, einen ſchwarzen Grund unter die aufzuſtrei - chenden Farben verlangt?
470Dieſes Experiment, deſſen ganzen Werth man in einem Notabene zuruͤcknehmen kann, noch beſſer ken - nen zu lernen, erſuchen wir unſere Leſer beſonders das - jenige nachzuſehen, was wir im polemiſchen Theil zum ſechzehnten Verſuch, (312 — 315) angemerkt haben.
Rizzetti hatte 1727 ſein Werk herausgegeben, deſſen einzeine Theile ſchon fruͤher bekannt gemacht wor - den. Desaguliers experimentirt und argumentirt gegen ihn: man ſehe die Philoſophiſchen Transactionen Nr. 406. Monat December 1728.
Zuerſt beklagt ſich Desaguliers uͤber die arrogante Manier, womit Rizzetti dem groͤßten Philoſophen jetzi - ger und vergangener Zeit begegne; uͤber den triumphi - renden Ton, womit er die Irrthuͤmmer eines großen Mannes darzuſtellen glaube. Darauf zieht er ſolche Stellen aus die freylich nicht die hoͤflichſten ſind, und von einem Schuͤler Newtons als Gotteslaͤſterung ver - abſcheut werden mußten. Ferner tractirt er den Autor als some people (ſo ein Menſch), bringt noch meh - rere Stellen aus dem Werke vor, die er theils kurz abfertigt, theils auf ſich beruhen laͤßt, ohne jedoch im mindeſten eine Ueberſicht uͤber das Buch zu geben. Endlich wendet er ſich zu Experimenten, die ſich unter verſchiedene Rubriken begreifen laſſen.
a) Zum Beweiſe der diverſen Refrangibilitaͤt: 1) das zweyte Experiment aus Newtons Optik; 2) das erſte Experiment daher.
471b) Refraction und Reflexion an ſich betreffend, meiſtens ohne Bezug auf Farbe, 3) 4) 5) 6). Ferner wird die Beugung der Strahlen bey der Refraction, die Beugung der Strahlen bey der Reflexion nach Newtoniſchen Grundſaͤtzen entwickelt und dieſe Phaͤno - mene der Attraction zugeſchrieben. Die Darſtellung iſt klar und zweckmaͤßig, obgleich die Anwendung auf die divers refrangiblen Strahlen mißlich und peinlich er - ſcheint. In 7) und 8) wird die durch Beruͤhrung ei - ner Glasflaͤche mit dem Waſſer auf einmal aufgehobene Reflexion dargeſtellt, wobey die Bemerkung gemacht wird, daß die durch Refraction und Reflexion geſehe - nen Bilder deutlicher ſeyn ſollen als die durch bloße Reflexion geſehenen, zum Beweis, daß das Licht leich - ter durch dichte als durch duͤnne Mittel gehe.
c) Als Zugabe 9) der bekannte Newtoniſche Ver - ſuch, der ſechzehnte des zweyten Theils: wenn man unter freyem Himmel auf ein Prisma ſieht, da ſich denn ein blauer Bogen zeigt. Wir haben an ſeinem Orte dieſen Verſuch umſtaͤndlich erlaͤutert und ihn auf unſere Erfahrungsſaͤtze zuruͤckgefuͤhrt.
Dieſe Experimente wurden vorgenommen vor dem damaligen Praͤſidenten der Societaͤt Hans Sloane, vier Mitgliedern derſelben, Englaͤndern, und vier Ita - liaͤnern, welche ſaͤmmtlich den guten Erfolg der Expe - rimente bezeugten. Wie wenig aber hierdurch eigent - lich ausgemacht werden koͤnnen, beſonders in Abſicht auf Farbentheorie, laͤßt ſich gleich daraus ſehen, daß472 die Experimente 3 bis 8 inclus. ſich auf die Theorie der Refraction und Reflexion im Allgemeinen beziehen, und daß die ſaͤmmtlichen Herren von den drey uͤbrigen Verſuchen nichts weiter bezeugen konnten, als was wir alle Tage auch bezeugen koͤnnen: daß naͤmlich unter den gegebenen beſchraͤnkten Bedingungen die Phaͤno - mene ſo und nicht anders erſcheinen. Was ſie aber ausſprechen und ausſagen, das iſt ganz was anderes, und das kann kein Zuſchauer bezeugen, am wenigſten ſolche, denen man die Verſuche nicht in ihrer ganzen Fuͤlle und Breite vorgelegt hat.
Wir glauben alſo der Sache nunmehr uͤberfluͤßig genuggethan zu haben, und verlangen vor wie nach von einem Jeden, der ſich dafuͤr intereſſirt, daß er alle Experimente, ſo oft als es verlangt wird, dar - ſtellen koͤnne.
Was uͤbrigens Desaguliers betrifft, ſo iſt der vollſtaͤndige Titel des von ihm herausgegebenen Wer - kes: A Course of Experimental Philosophy by John Theophilus Desaguliers, L. L. D. F. R. S. Chaplain to his royal Highness Frederik Prince of Wales, formerly of Hart Hall (now Hertford College) in Oxford, London.
Die erſte Auflage des erſten Theils iſt von 1734 und die zweyte von 1745. Der zweyte Band kam 1744 heraus. In der Vorrede des zweyten Theils pag. VII iſt eine Stelle merkwuͤrdig, warum er die473 Optik und ſo auch die Licht - und Farbenlehre nicht behandelt.
Gehoͤrt auch unter die Gegner Rizzetti’s. Von ihm ſind uns bekannt
Lettres de Mr. Gauger sur la différente Re - frangibilité de la Lumière et l’immutabilité de leurs couleurs etc etc. Sie ſind beſonders abge - druckt, ſtehen aber auch in der Continuation des Mémoires de Littérature et d’Histoire Tom. V, p. 1. Paris 1728. und ein Auszug daraus in den Mémoires pour l’histoire des Sciences et des beaux arts. Trevoux. Juillet 1728.
Im Ganzen laͤßt ſich bemerken, wie ſehr es Rizzetti muß angelegen geweſen ſeyn, ſeine Meynung zu verbrei - ten und die Sache zur Sprache zu bringen. Was hinge - gen die Controvers betrifft, die Gauger mit ihm fuͤhrt, ſo muͤßten wir alles das wiederholen, was wir oben ſchon beygebracht, und wir erſparen daher uns und unſern Leſern dieſe Unbequemlichkeit.
Die Abſicht deſſen was wir unter dieſer Rubrik zu ſagen gedenken, iſt eigentlich die, jene Rolle eines Gegners und Widerſachers, die wir ſo lange behauptet und auch kuͤnftig noch annehmen muͤſſen, auf eine Zeit abzulegen, ſo billig als moͤglich zu ſeyn, zu unterſu - chen, wie ſo ſeltſam Widerſprechendes bey ihm zuſam - mengehangen und dadurch unſere mit unter gewiſſer - maßen heftige Polemik auszuſoͤhnen. Daß manche wiſ - ſenſchaftliche Raͤthſel nur durch eine ethiſche Aufloͤſung begreiflich werden koͤnnen, giebt man uns wohl zu, und wir wollen verſuchen was uns in dem gegenwaͤr - tigen Falle gelingen kann.
Von der engliſchen Nation und ihren Zuſtaͤnden iſt ſchon unter Roger Bacon und Baco von Verulam einiges erwaͤhnt worden, auch giebt uns Sprats fluͤch - tiger Aufſatz ein zuſammengedraͤngtes hiſtoriſches Bild. Ohne hier weiter einzugreifen, bemerken wir nur, daß bey den Englaͤndern vorzuͤglich bedeutend und ſchaͤtzens - werth iſt die Ausbildung ſo vieler derber tuͤchtiger Individuen, eines Jeden nach ſeiner Weiſe; und zu - gleich gegen das Oeffentliche, gegen das gemeine Weſen: ein Vorzug, den vielleicht keine andere Nation, wenig - ſtens nicht in dem Grade, mit ihr theilt.
475Die Zeit in welcher Newton geboren ward, iſt eine der praͤgnanteſten in der engliſchen, ja in der Weltgeſchichte uͤberhaupt. Er war vier Jahr alt, als Carl der I. enthauptet wurde, und erlebte die Thron - beſteigung Georgs des I. Ungeheure Conflicte bewegten Staat und Kirche, jedes fuͤr ſich und beyde gegen ein - ander, auf die mannigfaltigſte und abwechſelndſte Weiſe. Ein Koͤnig ward hingerichtet; entgegengeſetzte Volks - und Kriegsparteyen ſtuͤrmten wider einander; Regierungs - veraͤnderungen, Veraͤnderungen des Miniſteriums, der Parlamente, folgten ſich gedraͤngt; ein wiederhergeſtell - tes mit Glanz gefuͤhrtes Koͤnigthum ward abermals er - ſchuͤttert; ein Koͤnig vertrieben, der Thron von einem Fremden in Beſitz genommen, und abermals nicht ver - erbt, ſondern einem Fremden abgetreten.
Wie muß nicht durch eine ſolche Zeit ein Jeder ſich angeregt, ſich aufgefordert fuͤhlen! Was muß das aber fuͤr ein eigener Mann ſeyn, den ſeine Geburt, ſeine Faͤhigkeiten zu mancherley Anſpruch berechtigen, und der alles ablehnt und ruhig ſeinem von Natur ein - gepflanzten Forſcherberuf folgt!
Newton war ein wohlorganiſirter, geſunder, wohl - temperirter Mann, ohne Leidenſchaft, ohne Begierden. Sein Geiſt war conſtructiver Natur und zwar im ab - ſtracteſten Sinne; daher war die hoͤhere Mathematik ihm als das eigentliche Organ gegeben, durch das er ſeine innere Welt aufzubauen und die aͤußere zu ge - waͤltigen ſuchte. Wir maßen uns uͤber dieſes ſein Haupt -476 verdienſt kein Urtheil an, und geſtehen gern zu, daß ſein eigentliches Talent außer unſerm Geſichtskreiſe liegt; aber, wenn wir aus eigener Ueberzeugung ſagen koͤnnen: das von ſeinen Vorfahren Geleiſtete ergriff er mit Bequemlichkeit und fuͤhrte es bis zum Erſtaunen weiter; die mittleren Koͤpfe ſeiner Zeit ehrten und verehrten ihn, die beſten erkannten ihn fuͤr ihres Glei - chen, oder geriethen gar, wegen bedeutender Erfindun - gen und Entdeckungen, mit ihm in Conteſtation: ſo duͤrfen wir ihn wohl, ohne naͤheren Beweis, mit der uͤbrigen Welt fuͤr einen außerordentlichen Mann erklaͤren.
Von der praktiſchen, von der Erfahrungsſeite ruͤckt er uns dagegen ſchon naͤher. Hier tritt er in eine Welt ein, die wir auch kennen, in der wir ſeine Ver - fahrungsart und ſeinen Succeß zu beurtheilen vermoͤ - gen, um ſo mehr, als es uͤberhaupt eine unbeſtrittne Wahrheit iſt, daß ſo rein und ſicher die Mathematik in ſich ſelbſt behandelt werden kann, ſie doch auf dem Erfahrungsboden ſogleich bey jedem Schritte periclitirt und eben ſo gut, wie jede andere ausgeuͤbte Maxime, zum Irrthum verleiten, ja den Irrthum ungeheuer ma - chen und ſich kuͤnftige Beſchaͤmungen vorbereiten kann.
Wie Newton zu ſeiner Lehre gelangt, wie er ſich bey ihrer erſten Pruͤfung uͤbereilt, haben wir umſtaͤnd - lich oben auseinandergeſetzt. Er baut ſeine Theorie ſodann conſequent auf, ja er ſucht ſeine Erklaͤrungsart als ein Factum geltend zu machen; er entfernt alles477 was ihr ſchaͤdlich iſt und ignorirt dieſes, wenn er es nicht laͤugnen kann. Eigentlich controvertirt er nicht, ſondern wiederholt nur immer ſeinen Gegnern: greift die Sache an, wie ich; geht auf meinem Wege; rich - tet alles ein wie ich’s eingerichtet habe; ſeht wie ich, ſchließt wie ich, und ſo werdet ihr finden, was ich gefunden habe: alles andere iſt vom Uebel. Was ſollen hundert Experimente, wenn zwey oder drey meine Theorie auf das beſte begruͤnden?
Dieſer Behandlungsart, dieſem unbiegſamen Cha - racter iſt eigentlich die Lehre ihr ganzes Gluͤck ſchuldig. Da das Wort Character ausgeſprochen iſt, ſo werde einigen zudringenden Betrachtungen hier Platz ver - goͤnnt.
Jedes Weſen das ſich als eine Einheit fuͤhlt, will ſich in ſeinem eigenen Zuſtand ungetrennt und unver - ruͤckt erhalten. Dieß iſt eine ewige nothwendige Gabe der Natur, und ſo kann man ſagen, jedes Einzelne habe Character bis zum Wurm hinunter, der ſich kruͤmmt wenn er getreten wird. In dieſem Sinne duͤrfen wir dem Schwachen, ja dem Feigen ſelbſt Cha - racter zuſchreiben: denn er giebt auf, was andere Menſchen uͤber alles ſchaͤtzen, was aber nicht zu ſeiner Natur gehoͤrt: die Ehre, den Ruhm, nur damit er ſeine Perſoͤnlichkeit erhalte. Doch bedient man ſich des Wortes Character gewoͤhnlich in einem hoͤhern Sinne: wenn naͤmlich eine Perſoͤnlichkeit von bedeutenden Ei -478 genſchaften auf ihrer Weiſe verharret und ſich durch nichts davon abwendig machen laͤßt.
Einen ſtarken Character nennt man, wenn er ſich allen aͤußerlichen Hinderniſſen maͤchtig entgegenſetzt und ſeine Eigenthuͤmlichkeit, ſelbſt mit Gefahr ſeine Per - ſoͤnlichkeit zu verlieren, durchzuſetzen ſucht. Einen gro - ßen Character nennt man, wenn die Staͤrke deſſelben zugleich mit großen unuͤberſehlichen, unendlichen Eigen - ſchaften, Faͤhigkeiten, verbunden iſt und durch ihn ganz originelle unerwartete Abſichten, Plane und Tha - ten zum Vorſchein kommen.
Ob nun gleich Jeder wohl einſieht, daß hier ei - gentlich das Ueberſchwaͤngliche, wie uͤberhaupt, die Groͤße macht; ſo muß man ſich doch ja nicht irren, und etwa glauben, daß hier von einem Sittlichen die Rede ſey. Das Hauptfundament des Sittlichen iſt der gute Wille, der ſeiner Natur nach nur aufs Rechte gerichtet ſeyn kann; das Hauptfundament des Charac - ters iſt das entſchiedene Wollen, ohne Ruͤckſicht auf Recht und Unrecht, auf Gut und Boͤſe, auf Wahr - heit oder Irrthum: es iſt das was jede Partey an den ihrigen ſo hoͤchlich ſchaͤtzt. Der Wille gehoͤrt der Frey - heit, er bezieht ſich auf den innern Menſchen, auf den Zweck; das Wollen gehoͤrt der Natur und bezieht ſich auf die aͤußere Welt, auf die That: und weil das irdiſche Wollen nur immer ein beſchraͤnktes ſeyn kann, ſo laͤßt ſich beynahe vorausſetzen, daß in der Ausuͤbung479 das hoͤhere Rechte niemals oder nur durch Zufall ge - wollt werden kann.
Man hat, nach unſerer Ueberzeugung, noch lange nicht genug Beyworte aufgeſucht, um die Verſchieden - heit der Charactere auszudruͤcken. Zum Verſuch wol - len wir die Unterſchiede, die bey der phyſiſchen Lehre von der Cohaͤrenz ſtatt finden, gleichnißweiſe gebrau - chen; und ſo gaͤbe es ſtarke, feſte, dichte, elaſtiſche, bieg - ſame, geſchmeidige, dehnbare, ſtarre, zaͤhe fluͤſſige und wer weiß was ſonſt noch fuͤr Charactere. Newtons Character wuͤrden wir unter die ſtarren rechnen, ſo wie auch ſeine Farbentheorie als ein erſtarrtes Aperçuͤ anzuſehen iſt.
Was uns gegenwaͤrtig betrifft, ſo beruͤhren wir eigentlich nur den Bezug des Characters auf Wahr - heit und Irrthum. Der Character bleibt derſelbe, er mag ſich dem einen oder der andern ergeben; und ſo verringert es die große Hochachtung, die wir fuͤr Newton hegen, nicht im geringſten, wenn wir behaup - ten: er ſey als Menſch, als Beobachter in einen Irrthum gefallen und habe als Mann von Cha - racter, als Sectenhaupt, ſeine Beharrlichkeit eben da - durch am kraͤftigſten bethaͤtigt, daß er dieſen Irrthum, trotz allen aͤußern und innern Warnungen, bis an ſein Ende feſt behauptet, ja immer mehr gearbeitet und ſich bemuͤht ihn auszubreiten, ihn zu befeſtigen und gegen alle Angriffe zu ſchuͤtzen.
480Und hier tritt nun ein ethiſches Hauptraͤthſel ein, das aber demjenigen, der in die Abgruͤnde der menſch - lichen Natur zu blicken wagte, nicht unaufloͤsbar bleibt. Wir haben in der Heftigkeit des Polemiſirens New - tonen ſogar einige Unredlichkeit vorgeworfen; wir ſpre - chen gegenwaͤrtig wieder von nicht geachteten inneren Warnungen, und wie waͤre dieß mit der uͤbrigens an - erkannten Moralitaͤt eines ſolchen Mannes zu ver - binden?
Der Menſch iſt dem Irren unterworfen, und wie er in einer Folge, wie er anhaltend irrt, ſo wird er ſogleich falſch gegen ſich und gegen andere; dieſer Irrthum mag in Meynungen oder in Neigungen be - ſtehen. Von Neigungen wird es uns deutlicher, weil nicht leicht Jemand ſeyn wird, der eine ſolche Erfah - rung nicht an ſich gemacht haͤtte. Man widme einer Perſon mehr Liebe, mehr Achtung als ſie verdient, ſo - gleich muß man falſch gegen ſich und andre werden: man iſt genoͤthigt auffallende Maͤngel als Vorzuͤge zu betrachten und ſie bey ſich wie bey andern dafuͤr gel - ten zu machen.
Dagegen laſſen Vernunft und Gewiſſen ſich ihre Rechte nicht nehmen. Man kann ſie beluͤgen aber nicht taͤuſchen. Ja wir thun nicht zu viel, wenn wir ſagen: je moraliſcher, je vernuͤnftiger der Menſch iſt, deſto luͤgenhafter wird er, ſobald er irrt, deſto unge - heurer muß der Irrthum werden, ſobald er darin ver - harrt; und je ſchwaͤcher die Vernunft, je ſtumpfer das481 Gewiſſen, deſto mehr ziemt der Irrthum dem Menſchen, weil er nicht gewarnt iſt. Das Irren wird nur be - dauernswerth, ja es kann liebenswuͤrdig erſcheinen.
Aengſtlich aber iſt es anzuſehen, wenn ein ſtarker Character, um ſich ſelbſt getreu zu bleiben, treulos ge - gen die Welt wird, und um innerlich wahr zu ſeyn, das Wirkliche fuͤr eine Luͤge erklaͤrt und ſich dabey ganz gleichguͤltig erzeigt, ob man ihn fuͤr halsſtarrig, verſtockt, eigenſinnig, oder fuͤr laͤcherlich halte. Demun - geachtet bleibt der Character immer Character, er mag das Rechte oder das Unrechte, das Wahre oder das Falſche wollen und eifrig dafuͤr arbeiten.
Allein hiermit iſt noch nicht das ganze Raͤthſel aufgeloͤſt; noch ein Geheimnißvolleres liegt dahinter. Es kann ſich naͤmlich im Menſchen ein hoͤheres Be - wußtſeyn finden, ſo daß er uͤber die nothwendige ihm einwohnende Natur, an der er durch alle Freyheit nichts zu veraͤndern vermag, eine gewiſſe Ueberſicht erhaͤlt. Hieruͤber voͤllig ins Klare zu kommen iſt bey - nahe unmoͤglich; ſich in einzelnen Augenblicken zu ſchelten, geht wohl an, aber Niemanden iſt gegeben, ſich fortwaͤhrend zu tadeln. Greift man nicht zu dem gemeinen Mittel, ſeine Maͤngel auf die Umſtaͤnde, auf andere Menſchen zu ſchieben; ſo entſteht zuletzt aus dem Conflict eines vernuͤnftig richtenden Bewußtſeyns mit der zwar modificablen aber doch unveraͤnderlichen Natur eine Art von Ironie in und mit uns ſelbſt, ſo daß wir unſere Fehler und Irrthuͤmer, wie ungezogeneII. 31482Kinder, ſpielend behandeln, die uns vielleicht nicht ſo lieb ſeyn wuͤrden, wenn ſie nicht eben mit ſolchen Unarten behaftet waͤren.
Dieſe Ironie, dieſes Bewußtſeyn, womit man ſeinen Maͤngeln nachſieht, mit ſeinen Irrthuͤmern ſcherzt und ihnen deſtomehr Raum und Lauf laͤßt, weil man ſie doch am Ende zu beherrſchen glaubt oder hofft, kann von der klarſten Verruchtheit bis zur dumpfſten Ahndung ſich in mancherley Subjecten ſtufenweiſe fin - den, und wir getrauten uns eine ſolche Galerie von Characteren, nach lebendigen und abgeſchiedenen Mu - ſtern, wenn es nicht allzu verfaͤnglich waͤre, wohl auf - zuſtellen. Waͤre alsdann die Sache durch Beyſpiele voͤllig aufgeklaͤrt, ſo wuͤrde uns Niemand verargen, wenn er Newtonen auch in der Reihe faͤnde, der eine truͤbe Ahndung ſeines Unrechts gewiß gefuͤhlt hat.
Denn wie waͤre es einem der erſten Mathemati - ker moͤglich, ſich einer ſolchen Unmethode zu bedienen, daß er ſchon in den optiſchen Lectionen, indem er die diverſe Refrangibilitaͤt feſtſetzen will, den Verſuch mit parallelen Mitteln, der ganz an den Anfang gehoͤrt, weil die Farbenerſcheinung ſich da zuerſt entwickelt, ganz zuletzt bringt; wie konnte einer, dem es darum zu thun geweſen waͤre, ſeine Schuͤler mit den Phaͤno - menen im ganzen Umfang bekannt zu machen, um dar - auf eine haltbare Theorie zu bauen, wie konnte der die ſubjectiven Phaͤnomene gleichfalls erſt gegen das Ende und keineswegs in einem gewiſſen Parallelismus483 mit den objectiven abhandeln; wie konnte er ſie fuͤr unbequem erklaͤren, da ſie ganz ohne Frage die beque - meren ſind: wenn er nicht der Natur ausweichen und ſeine vorgefaßte Meynung vor ihr ſicher ſtellen wollte? Die Natur ſpricht nichts aus, was ihr ſelbſt unbequem waͤre; deſto ſchlimmer wenn ſie einem Theoretiker unbe - quem wird.
Nach allem dieſem wollen wir, weil ethiſche Proble - me auf gar mancherley Weiſe aufgeloͤſt werden koͤnnen, noch die Vermuthung anfuͤhren, das vielleicht New - ton an ſeiner Theorie ſoviel Gefallen gefunden, weil ſie ihm, bey jedem Erfahrungsſchritte, neue Schwie - rigkeiten darbot. So ſagt ein Mathematiker ſelber: C’ est la coutume des Géométres de s’élever de difficultés en difficultés, et même de s’en former sans cesse de nouvelles, pour avoir le plaisir de les surmonter.
Wollte man aber auch ſo den vortrefflichen Mann nicht genug entſchuldigt halten, ſo werfe man einen Blick auf die Naturforſchung ſeiner Zeiten, auf das Philoſophiren uͤber die Natur, wie es theils von Des - cartes her, theils durch andere vorzuͤgliche Maͤnner uͤblich geworden war, und man wird aus dieſen Um - gebungen ſich Newtons eigenen Geiſteszuſtand eher ver - gegenwaͤrtigen koͤnnen.
Auf dieſe und noch manche andere Weiſe moͤchten wir den Manen Newtons, in ſofern wir ſie beleidigt31 *484haben koͤnnten, eine hinlaͤngliche Ehrenerklaͤrung thun. Jeder Irrthum der aus dem Menſchen und aus den Bedingungen die ihn umgeben, unmittelbar entſpringt, iſt verzeihlich, oft ehrwuͤrdig; aber alle Nachfolger im Irrthum koͤnnen nicht ſo billig behandelt werden. Eine nachgeſprochene Wahrheit verliert ſchon ihre Grazie; ein nachgeſprochener Irrthum erſcheint abgeſchmackt und laͤcherlich. Sich von einem eigenen Irrthum loszu - machen, iſt ſchwer, oft unmoͤglich bey großem Geiſt und großen Talenten; wer aber einen fremden Irrthum aufnimmt und halsſtarrig dabey verbleibt, zeigt von gar geringem Vermoͤgen. Die Beharrlichkeit eines ori - ginal Irrenden kann uns erzuͤrnen; die Hartnaͤckigkeit der Irrthumscopiſten macht verdrießlich und aͤrgerlich. Und wenn wir in dem Streit gegen die Newtoniſche Lehre manchmal aus den Graͤnzen der Gelaſſenheit her - ausgeſchritten ſind, ſo ſchieben wir alle Schuld auf die Schule, deren Incompetenz und Duͤnkel, deren Faul - heit und Selbſtgenuͤgſamkeit, deren Ingrimm und Ver - folgungsgeluͤſt miteinander durchaus in Proportion und Gleichgewicht ſtehen.
Außer den ſchon erwaͤhnten Experimentatoren, Keil und Desaguliers, werden uns folgende Maͤnner merkwuͤrdig.
485Samuel Clarke geb. 1675 geſt. 1735 traͤgt zur Ausbreitung der Newtoniſchen Lehre unter allen am meiſten bey. Zum geiſtlichen Stande beſtimmt, zeigt er in der Jugend großes Talent zur Mathematik und Phyſik, penetrirt fruͤher als andere die Newtoniſchen Anſichten und uͤberzeugt ſich davon.
Er uͤberſetzt Rohault’s Phyſik, welche nach Carthe - ſianiſchen Grundſaͤtzen geſchrieben, in den Schulen ge - braucht wurde, ins Lateiniſche. In den Noten traͤgt der Ueberſetzer die Newtoniſche Lehre vor, von welcher denn, bey Gelegenheit der Farben, geſagt wird: Expe - rientia compertum est etc. Die erſte Ausgabe iſt von 1697. Auf dieſem Wege fuͤhrte man die Newtoniſche Lehre, neben der des Cartheſius, in den Unterricht ein und verdraͤngte jene nach und nach.
Der groͤßte Dienſt jedoch, den Clarke Newtonen erzeigte, war die Ueberſetzung der Optik ins Lateiniſche, welche 1706 heraus kam. Newton hatte ſie ſelbſt re - vidirt, und Englaͤnder ſagen, ſie ſey verſtaͤndlicher als das Original ſelbſt. Wir aber koͤnnen dieß keineswegs finden. Das Original iſt ſehr deutlich, naiv ernſt ge - ſchrieben; die Ueberſetzung muß, um des lateiniſchen Sprachgebrauchs willen, oft umſchreiben und Phraſen machen; aber vielleicht ſind es eben dieſe Phraſen, die den Herren, welche ſich nichts weiter dabey denken wollten, am beſten zu Ohre gingen.
Uebrigens ſtanden beyde Maͤnner in einem morali -486 ſchen, ja religioͤſen Verhaͤltniß zu einander, indem ſie beyde dem Arrianismus zugethan waren: einer maͤßigen Lehre, die vielen vernuͤnftigen Leuten der damaligen Zeit behagte und den Deismus der folgenden vorbereitete.
Wilhelm Molyneux, einer der erſten Newto - niſchen Bekenner. Er gab eine Dioptrica nova, Lon - don, 1692. heraus, woſelbſt er auf der vierten Seite ſagt: „ Aber Herr Newton in ſeinen Abhandlungen, Farben und Licht betreffend, die in den philoſophiſchen Transactionen publicirt worden, hat umſtaͤndlich darge - than, daß die Lichtſirahlen keineswegs homogen, oder von einerley Art ſind, vielmehr von unterſchiedenen Formen und Figuren, daß einige mehr gebrochen wer - den als die andern, ob ſie ſchon einen gleichen oder aͤhnlichen Neigungswinkel zum Glaſe haben “.
Niemanden wird entgehen, daß hier, bey allem Glauben an den Herrn und Meiſter, die Lehre ſchon ziemlich auf dem Wege iſt, verſchoben und entſtellt zu werden.
Regnault. Entretiens physiques Tom. 2. Entret. 23. p. 395. ff. und Entret. 22. p. 379. ff. traͤgt die Newtoniſche Lehre in der Kuͤrze vor.
Maclaurin. Expositions des découvertes philosophiques de Mr. Newton.
Pemberton. A view of Sir Isaac Newton’s philosophy. London 1728.
487Wilhelm Whiſton. Praelectiones mathema - ticae.
Dunch. Philosophia mathematica Newtoniana.
In wiefern dieſe letzteren ſich auch um die Farben - lehre bekuͤmmert und ſolche, mehr oder weniger dem Buchſtaben nach, vorgetragen, gedenken wir hier nicht zu unterſuchen; genug ſie gehoͤren unter diejenigen, welche als die erſten Anhaͤnger und Bekenner Newtons in der Geſchichte genannt werden.
Von auswaͤrtigen Anhaͤngern erwaͤhnen wir zu - naͤchſt s’Graveſand und Muſchenbroek.
geboren 1688.
Physices elementa mathematica, sive intro - ductio ad philosophiam Newtonianam. Lugd. Batav. 1721.
Im zweyten Bande p. 78. Cap. 18. traͤgt er die Lehre von der diverſen Refrangibilitaͤt nach Newton vor; in ſeinen Definitionen ſetzt er ſie voraus. Die ins Ovale gezogene Geſtalt des runden Sonnenbildes ſcheint ſie ihm ohne weiteres zu beweiſen.
Merkwuͤrdig iſt, daß Tab. XV. die erſte Figur488 ganz richtig gezeichnet iſt, und daß er §. 851. zur Entſchuldigung, daß im Vorhergehenden beym Vortrag der Refractions-Geſetze die weißen Strahlen als homo - gen behandelt worden, ſagt: satis est exigua diffe - rentia refrangibilitatis in radiis solarib〈…〉〈…〉 ut in pracedentibus negligi potuit.
Freylich, wenn die Verſuche mit parallelen Mitteln gemacht werden, ſind die farbigen Raͤnder unbedeutend, und man muß das Sonnenbild genug quaͤlen bis das Phaͤnomen ganz farbig erſcheint.
Uebrigens ſind die perſpectiviſch, mit Licht und Schatten vorgeſtellten Experimente gut und richtig, wie es ſcheint, nach dem wirklichen Apparat gezeichnet. Aber wozu der Aufwand, da die Farbenerſcheinung als die Hauptſache fehlt? Reine Linearzeichnungen, richtig illuminirt, beſtimmen und entſcheiden die ganze Sache, da hingegen durch jene umſtaͤndliche, bis auf einen gewiſſen Grad wahre und doch im Hauptpuncte man - gelhafte Darſtellung der Irrthum nur deſto ehrwuͤrdiger gemacht und fortgepflanzt wird.
geb. 1692. geſt. 1761.
Elementa physica 1734. Voͤllig von der New - toniſchen Lehre uͤberzeugt, faͤngt er ſeinen Vortrag mit489 der hypothetiſchen Figur an, wie ſie bey uns, Tafel VII, Figur 1. abgebildet iſt. Dann folgt: Si per exiguum foramen mit der bekannten Litaney.
Bey dieſer Gelegenheit erwaͤhnen wir der florenti - niſchen Akademie, deren Tentamina von Muſchen - broek uͤberſetzt und 1731 herausgegeben worden. Sie enthalten zwar nichts die Farbenlehre betreffend; doch iſt uns die Vorrede merkwuͤrdig, beſonders wegen ei - ner Stelle uͤber Newton, die als ein Zeugniß der da - maligen hoͤchſten Verehrung dieſes außerordentlichen Mannes mitgetheilt zu werden verdient. Indem naͤm - lich Muſchenbroek die mancherley Hinderniſſe und Be - ſchwerlichkeiten anzeigt, die er bey Ueberſetzung des Werks aus dem Italiaͤniſchen ins Lateiniſche gefunden, fuͤgt er folgendes hinzu: „ Weil nun auch mehr als ſechzig Jahre ſeit der erſten Ausgabe dieſes Werkes verfloſſen; ſo iſt die Philoſophie inzwiſchen mit nicht geringem Wachsthum vorgeſchritten, beſonders ſeitdem der allerreichſte und hoͤchſte Lenker und Vorſteher aller menſchlichen Dinge, mit unendlicher Liebe und unbe - greiflicher Wohlthaͤtigkeit die Sterblichen unſerer Zeit bedenkend, ihre Gemuͤther nicht laͤnger in dem Druck der alten Finſterniß laſſen wollte, ſondern ihnen als ein vom Himmel geſandtes Geſchenk jenes brittiſche Orakel, Iſaac Newton, gewaͤhrt; welcher eine erha - bene Matheſin auf die zarteſten Verſuche anwendend, und alles geometriſch beweiſend, gelehrt hat, wie man in die verborgenſten Geheimniſſe der Natur dringen und eine wahre befeſtigte Wiſſenſchaft erlangen koͤnne. 490Deswegen hat auch dieſer mit goͤttlichem Scharfſinn begabte Philoſoph mehr geleiſtet als alle die erfind - ſamſten Maͤnner von den erſten Anfaͤngen der Welt - weisheit her zuſammen. Verbannt ſind nun alle Hy - potheſen; nichts als was bewieſen iſt wird zugelaſſen; die Weltweisheit wird durch die gruͤndlichſte Lehre er - weitert, und auf den menſchlichen Nutzen uͤbergetra - gen, durch mehrere angeſehene, die wahre Methode befolgende gelehrte Maͤnner. “
Die erſte franzoͤſiſche Akademie, ſchon im Jahre 1634 eingerichtet, war der Sprache im allgemeinſten Sinne, der Grammatik, Rhetorik und Poeſie gewid - met. Eine Verſammlung von Naturforſchern aber hatte zuerſt in England ſtatt gefunden.
In einem Brief an die Londner Societaͤt preiſt von Montmort Deſorbieres die engliſche Nation gluͤck - lich, daß ſie einen reichen Adel und einen Koͤnig habe, der ſich fuͤr die Wiſſenſchaften intereſſire; welches in Frankreich nicht der Fall ſey. Doch fanden ſich auch in dieſem Lande ſchon ſo viel Freunde der Naturwiſſen - ſchaften in einzelnen Geſellſchaften zuſammen, daß man von Hof aus nicht ſaͤumen konnte, ſie naͤher zu ver -491 einigen. Man dachte ſich ein weit umfaſſendes Ganze und wollte jene erſte Akademie der Redekuͤnſte und die neu einzurichtende der Wiſſenſchaften mit einander vereinigen. Dieſer Verſuch gelang nicht; die Sprach - Akademiker ſchieden ſich gar bald, und die Akademie der Wiſſenſchaften blieb mehrere Jahre zwar unter koͤniglichem Schutz, doch ohne eigentliche Sanction und Conſtitution, in einem gewiſſen Mittelzuſtand, in welchem ſie ſich gleichwohl um die Wiſſenſchaften ge - nug verdient machte.
Mit ihren Leiſtungen bis 1696 macht uns Du Hamel in ſeiner Regiae Scientiarum academiae historia auf eine ſtille und ernſte Weiſe bekannt.
In dem Jahre 1699 wurde ſie reſtaurirt und voͤllig organiſirt, von welcher Zeit an ihre Arbeiten und Bemuͤhungen ununterbrochen bis zur Revolution fortgeſetzt wurden.
Die Geſellſchaft hielt ſich, ohne ſonderliche theore - tiſche Tendenz, nahe an der Natur und deren Beob - achtung, wobey ſich von ſelbſt verſteht, daß in Abſicht auf Aſtronomie, ſo wie auf alles was dieſer großen Wiſſenſchaft vorausgehen muß, nicht weniger bey Be - arbeitung der allgemeinen Naturlehre, die Mathemati - ker einen fleißigen und treuen Antheil bewieſen. Na - turgeſchichte, Thierbeſchreibung, Thieranatomie beſchaͤf - tigten manche Mitglieder und bereiteten vor, was ſpaͤ - ter von Buͤffon und Daubenton ausgefuͤhrt wurde.
492Im Ganzen ſind die Verhandlungen dieſer Ge - ſellſchaft eben ſo wenig methodiſch als die der engli - ſchen; aber es herrſcht doch eher eine Art von verſtaͤndi - ger Ordnung darin. Man iſt hier nicht ſo confus wie dort, aber auch nicht ſo reich. In Abſicht auf Far - benlehre verdanken wir derſelben folgendes:
Unter dem Jahre 1679 giebt uns die Geſchichte der Akademie eine gedraͤngte aber hinreichende Nach - richt von den Mariottiſchen Arbeiten. Sie bezeigt ihre Zufriedenheit uͤber die einfache Darſtellung der Phaͤnomene und aͤußert, daß es ſehr wohl gethan ſey, auf eine ſolche Weiſe zu verfahren, als ſich in die Aufſuchung entfernterer Urſachen zu verlieren.
Im Jahre 1678 hatte dieſer in einer kleinen Schrift, Accidents de la vue, den Urſprung des Blauen ganz richtig gefaßt, daß naͤmlich ein dunkler ſchwaͤrzlicher Grund, durch ein durchſcheinendes weiß - liches Mittel geſehen, die Empfindung von Blau gebe.
493Unter dem Jahre 1711 findet ſich in den Memoi - ren der Akademie ein kleiner Aufſatz, worin dieſe An - ſicht wiederholt und zugleich bemerkt wird, daß das Sonnenlicht durch ein angerauchtes Glas roth erſcheine. Er war, wie man ſieht, auf dem rechtem Wege, doch fehlte es ihm an Entwicklung des Phaͤnomens. Er drang nicht weit genug vor, um einzuſehen, daß das angerauchte Glas hier nur als ein Truͤbes wirke, in - dem daſſelbe, wenn es leicht angeraucht iſt, vor einen dunklen Grund gehalten, blaͤulich erſcheint. Eben ſo we - nig gelang es ihm das Rothe aufs Gelbe zuruͤck, und das Blaue aufs Violette vorwaͤrts zu fuͤhren. Seine Be - merkung und Einſicht blieb daher unfruchtbar liegen.
Wegen uͤbereinſtimmender Geſinnungen ſchalten wir an dieſer Stelle einen Deutſchen ein, den wir ſonſt nicht ſchicklicher unterzubringen wußten.
Anweiſung zur Optica. Coburg 1710 in 4.
Pag. 18. § 16. „ Wo das Auge nichts ſiehet, ſo meynet es, es ſehe etwas ſchwarzes; als wenn man des Nachts gen Himmel ſiehet, da iſt wirklich nichts, und man meynet die Sterne hingen an einem ſchwar - zen expanso. Wo aber eine durchſcheinende Weiße494 vor dieſer Schwaͤrze, oder dieſem Nichts ſtehet, ſo giebt es eine blaue Farbe; daher der Himmel des Ta - ges blau ſiehet, weil die Luft wegen der Duͤnſte weiß iſt. Dahero je reiner die Luft iſt, je hochblauer iſt der Himmel, als wo ein Gewitter voruͤber iſt, und die Luft von denen vielen Duͤnſten gereinigt; je duͤnſti - ger aber die Luft iſt, deſto weißlicher iſt dieſe blaue Farbe. Und daher ſcheinen auch die Waͤlder von weitem blau, weil vor dem ſchwarzen ſchattenvollen Gruͤn die weiße und illuminirte Luft ſich befindet.
Wir haben ſchon oben S. 324. den Entwurf ſei - ner Lehre eingeruͤckt. Er gehoͤrt unter diejenigen, wel - che Licht und Farbe zarter zu behandeln glaubten, wenn ſie ſich dieſe Phaͤnomene als Schwingungen er - klaͤrten. Und es iſt bekannt, daß dieſe Vorſtellungs - art durch das ganze achtzehnte Jahrhundert Gunſt gefunden.
Nun haben wir ſchon geaͤußert, daß nach unſerer Ueberzeugung damit gar nichts gewonnen iſt. Denn wenn uns der Ton deswegen begreiflicher zu ſeyn ſcheint als die Farbe, weil wir mit Augen ſehen und mit Haͤnden greifen koͤnnen, daß eine mechaniſche Impulſion Schwingungen an den Koͤrpern und in der495 Luft hervorbringt, deren verſchiedene Maßverhaͤltniſſe harmoniſche und disharmoniſche Toͤne bilden; ſo erfah - ren wir doch dadurch keinesweges was der Ton ſey, und wie es zugehe, daß dieſe Schwingungen und ihre Abgemeſſenheiten das was wir im Allgemeinen Muſik nennen, hervorbringen moͤgen. Wenn wir nun aber gar dieſen mechaniſchen Wirkungen, die wir fuͤr intelli - gibel halten, weil wir einen gewiſſermaßen groben An - ſtoß ſo zarter Erſcheinungen bemerken koͤnnen, zum Gleichniß brauchen, um das was Licht und Farbe lei - ſten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen; ſo iſt dadurch eigentlich gar nichts gethan. Statt der Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Aether zu ſupponiren, der durch die Anregung des Lichts auf eine aͤhnliche Weiſe vibrire, bringt das Geſchaͤft um nichts weiter: denn freylich iſt am Ende Alles Leben und Bewegung, und beyde koͤnnen wir doch nicht an - ders gewahr werden, als daß ſie ſich ſelbſt ruͤhren und durch Beruͤhrung das Naͤchſte zum Fortſchritt anreizen.
Wie unendlich viel ruhiger iſt die Wirkung des Lichts als die des Schalles. Eine Welt die ſo anhal - tend von Schall erfuͤllt waͤre, als ſie es von Licht iſt, wuͤrde ganz unertraͤglich ſeyn.
Durch dieſe oder eine aͤhnliche Betrachtung iſt wahr - ſcheinlich Mallebranche, der ein ſehr zart fuͤhlender Mann war, auf ſeine wunderlichen Vibrations de pression gefuͤhrt worden, da die Wirkung des Lichts durchaus mehr einem Druck als einem Stoß aͤhnlich496 iſt. Wovon diejenigen welche es intereſſirt, die Memoiren der Akademie von 1699 nachſehen werden.
geb. 1657. geſt. 1757.
Es war nicht moͤglich, daß die Franzoſen ſich lange mit den Wiſſenſchaften abgaben, ohne ſolche ins Leben, ja in die Societaͤt zu ziehen, und ſie, durch ei - ne gebildete Sprache, der Redekunſt, wo nicht gar der Dichtkunſt zu uͤberliefern. Schon laͤnger als ein hal - bes Jahrhundert war man gewohnt, uͤber Gedichte und proſaiſche Aufſaͤtze, uͤber Theaterſtuͤcke, Kanzelre - den, Memoiren, Lobreden und Biographien in Ge - ſellſchaften zu diſſertiren und ſeine Meynung, ſein Ur - theil gegenſeitig zu eroͤffnen. Im Briefwechſel ſuchten Maͤnner und Frauen der oberen Staͤnde ſich an Ein - ſicht in die Welthaͤndel und Charactere, an Leichtigkeit, Heiterkeit und Anmuth bey der moͤglichſten Beſtimmt - heit, zu uͤbertreffen; und nun trat die Naturwiſſen - ſchaft als eine ſpaͤtre Gabe hinzu. Die Forſcher ſo gut als andre Literatoren und Gelehrte lebten in der Welt und fuͤr die Welt; ſie mußten auch fuͤr ſich Inter - eſſe zu erregen ſuchen, und erregten es leicht und bald.
Aber ihr Hauptgeſchaͤft lag eigentlich von der497 Welt ab. Die Unterſuchung der Natur durch Experi - mente, die mathematiſche oder philoſophiſche Behand - lung des Erfahrenen, erforderte Ruhe und Stille, und weder die Breite noch die Tiefe der Erſcheinung ſind geeignet vor die Verſammlung gebracht zu werden, die man gewoͤhnlich Societaͤt nennt. Ja manches Ab - ſtracte, Abſtruſe laͤßt ſich in die gewoͤhnliche Sprache nicht uͤberſetzen. Aber dem lebhaften, geſelligen, mund - fertigen Franzoſen ſchien nichts zu ſchwer, und gedraͤngt durch die Noͤthigung einer großen gebildeten Maſſe unternahm er eben Himmel und Erde mit allen ihren Geheimniſſen zu vulgariſiren.
Ein Werk dieſer Art iſt Fontenelle’s Schrift uͤber die Mehrheit der Welten. Seitdem die Erde im Co - pernicaniſchen Syſtem auf einem ſubalternen Platz er - ſchien, ſo traten vor allen Dingen die uͤbrigen Plane - ten in gleiche Rechte. Die Erde war bewachſen und bewohnt, alle Climaten brachten nach ihren Bedin - gungen und Eigenheiten eigene Geſchoͤpfe hervor, und die Folgerung lag ganz nahe, daß die aͤhnlichen Ge - ſtirne, und vielleicht auch gar die unaͤhnlichen, ebenfalls mit Leben uͤberſaͤt und begluͤckt ſeyn muͤßten. Was die Erde an ihrem hohen Rang verloren, ward ihr gleich - ſam hier durch Geſellſchaft erſetzt, und fuͤr Menſchen die ſich gern mittheilen, war es ein angenehmer Ge - danke, fruͤher oder ſpaͤter einen Beſuch auf den umlie - genden Welten abzuſtatten. Fontenelle’s Werk fand großen Beyfall und wirkte viel, indem es außer dem Hauptgedanken noch manches andere, den Welt -II. 32498〈…〉〈…〉an und deſſen Einrichtung betreffend, populariſiren mußte.
Dem Redner kommt es auf den Werth, die Wuͤrde, die Vollſtaͤndigkeit, ja die Wahrheit ſeines Gegenſtandes nicht an; die Hauptfrage iſt, ob er in - tereſſant ſey, oder intereſſant gemacht werde. Die Wiſſenſchaft ſelbſt kann durch eine ſolche Behandlung wohl nicht gewinnen, wie wir auch in neuerer Zeit durch das Feminiſiren und Infantiſiren ſo mancher hoͤhe - ren und profunderen Materie geſehen haben. Dasje - nige wovon das Publicum hoͤrt, daß man ſich damit in den Werkſtaͤtten, in den Studirzimmern der Gelehr - ten beſchaͤftige, das will es auch naͤher kennen lernen, um nicht ganz albern zuzuſehen, wenn die Wiſſenden davon ſich laut unterhalten. Darum beſchaͤftigen ſich ſo viele Redigirende, Epitomiſirende, Ausziehende, Ur - theilende, Vorurtheilende; die launigen Schriftſteller verfehlen nicht, Seitenblicke dahin zu thun; der Co - moͤdienſchreiber ſcheut ſich nicht, das Ehrwuͤrdige auf dem Theater zu verſpotten, wobey die Menge immer am freyſten Athem holt, weil ſie fuͤhlt, daß ſie et - was Edles, etwas Bedeutendes los iſt, und daß ſie vor dem was andre fuͤr wichtig halten, keine Ehr - furcht zu haben braucht.
Zu Fontenelle’s Zeiten war dieſes Alles erſt im Werden. Es laͤßt ſich aber ſchon bemerken, daß Irr - thum und Wahrheit, ſo wie ſie im Gange waren, von guten Koͤpfen ausgebreitet, und eins wie das499 andre, wechſelsweiſe mit Gunſt oder Ungunſt, behan - delt wurden.
Dem großen Rufe Newtons, als derſelbe in einem hohen Alter mit Tode abging, war Niemand gewach - ſen. Die Wirkungen ſeiner Perſoͤnlichkeit erſchienen durch ihre Tiefe und Ausbreitung der Welt hoͤchſt ehr - wuͤrdig, und jeder Verdacht, daß ein ſolcher Mann geirrt haben koͤnnte, wurde weggewieſen. Das Unbe - dingte, an dem ſich die menſchliche Natur erfreut, er - ſcheint nicht maͤchtiger als im Beyfall und im Tadel, im Haß und der Neigung der Menge. Alles oder Nichts iſt von jeher die Deviſe des angeregten Demos.
Schon von jener erſten, der Sprache gewidmeten Akademie ward der loͤbliche Gebrauch eingefuͤhrt, bey dem Todtenamte, das einem verſtorbenen Mitgliede gehalten wurde, eine kurze Nachricht von des Abge - ſchiedenen Leben mitzutheilen. Peliſſon, der Geſchicht - ſchreiber jener Akademie, giebt uns ſolche Notizen von den zu ſeiner Zeit verſtorbenen Gliedern, auf ſeine reine, natuͤrliche, liebenswuͤrdige Weiſe. Jemehr nach - her dieſe Inſtitute ſelbſt ſich Anſehn geben und ver - ſchaffen, je mehr man Urſache hat, aus den Todten etwas zu machen, damit die Lebendigen als etwas erſcheinen, deſtomehr werden ſolche Perſonalien aufgeſchmuͤckt und treten in der Geſtalt von Elogien hervor.
32 *500Daß nach dem Tode Newtons, der ein Mitglied der franzoͤſiſchen Akademie war, eine bedeutende, all - gemein verſtaͤndliche, von den Anhaͤngern Newtons durchaus zu billigende Lobrede wuͤrde gehalten werden, ließ ſich erwarten. Fontenelle hielt ſie. Von ſeinem Leben und ſeiner Lehre, und alſo auch von ſeiner Far - bentheorie wurde mit Beyfall Rechenſchaft gegeben. Wir uͤberſetzen die hierauf bezuͤglichen Stellen, und begleiten ſie mit einigen Bemerkungen, welche durch den polemiſchen Theil unſrer Arbeit beſtaͤtigt und ge - rechtfertigt werden.
Ausgezogen und mit Bemerkungen begleitet.
„ Zu gleicher Zeit als Newton an ſeinem großen Werk der Principien arbeitete, hatte er noch ein an - deres unter Haͤnden, das eben ſo original und neu, weniger allgemein durch ſeinen Titel, aber durch die Manier, in welcher der Verfaſſer einen einzelnen Ge - genſtand zu behandeln ſich vornahm, eben ſo ausge - breitet werden ſollte. Es iſt die Optik, oder das Werk uͤber Licht und Farbe, welches zum erſtenmal 1704 erſchien. Er hatte in dem Lauf von dreyßig Jahren die Experimente angeſtellt, deren er bedurfte. “
In der Optik ſteht kein bedeutendes Experiment501 das ſich nicht ſchon in den optiſchen Lectionen faͤnde, ja in dieſen ſteht manches was in jener ausgelaſſen ward, weil es nicht in die kuͤnſtliche Darſtellung paßte, an welcher Newton dreyßig Jahre gearbeitet hat.
„ Die Kunſt Verſuche zu machen, in einem gewiſſen Grade, iſt keinesweges gemein. Das geringſte Factum, das ſich unſern Augen darbietet, iſt aus ſo viel an - dern Facten verwickelt, die es zuſammenſetzen oder be - dingen, daß man ohne eine außerordentliche Gewandt - heit nicht alles was darin begriffen iſt, entwickeln, noch ohne vorzuͤglichen Scharfſinn vermuthen kann, was alles darin begriffen ſeyn duͤrfte. Man muß das Factum wovon die Rede iſt, in ſoviel andre trennen, die abermals zuſammengeſetzt ſind, und manchmal, wenn man ſeinen Weg nicht gut gewaͤhlt haͤtte, wuͤrde man ſich in Irrgaͤnge einlaſſen, aus welchen man kei - nen Ausgang faͤnde. Die urſpruͤnglichen und elemen - taren Facta ſcheinen von der Natur mit ſo viel Sorg - falt wie die Urſachen verſteckt worden zu ſeyn; und gelangt man endlich dahin ſie zu ſehen, ſo iſt es ein ganz neues und uͤberraſchendes Schauſpiel. “
Dieſer Periode, der dem Sinne nach allen Bey - fall verdient, wenn gleich die Art des Ausdrucks viel - leicht eine naͤhere Beſtimmung erfoderte, paßt auf Newton nur dem Vorurtheil, keinesweges aber dem Verdienſt nach: denn eben hier liegt der von uns er - wieſene, von ihm begangene Hauptfehler, daß er das Phaͤnomen in ſeine einfachen Elemente nicht zerlegt502 hat; welches doch bis auf einen gewiſſen Grad leicht geweſen waͤre, da ihm die Erſcheinungen, aus denen ſein Spectrum zuſammengeſetzt wird, ſelbſt nicht unbe - kannt waren.
„ Der Gegenſtand dieſer Optik iſt durchaus die Anatomie des Lichts. Dieſer Ausdruck iſt nicht zu kuͤhn, es iſt die Sache ſelbſt. “
So weit war man nach und nach im Glauben gekommen! An die Stelle des Phaͤnomens ſetzte man eine Erklaͤrung; nun nannte man die Erklaͤrung ein Factum, und das Factum gar zuletzt eine Sache.
Bey dem Streite mit Newton, da er ihn noch ſelbſt fuͤhrte, findet man, daß die Gegner ſeine Er - klaͤrung als Hypotheſe behandelten; er aber glaubte, daß man ſie als eine Theorie ja wohl gar ein Factum nennen koͤnnte, und nun macht ſein Lobredner die Er - klaͤrung gar zur Sache!
„ Ein ſehr kleiner Lichtſtrahl, “
Hier iſt alſo der hypothetiſche Lichtſtrahl: denn bey dem Experiment bleibt es immer das ganze Son - nenbild.
„ den man in eine vollkommen dunkle Kammer her - einlaͤßt, “
503In jedem hellen Zimmer iſt der Effect eben der - ſelbe.
„ der aber niemals ſo klein ſeyn kann, daß er nicht noch eine unendliche Menge von Strahlen ent - hielte, wird getheilt, zerſchnitten, ſo daß man nun die Elementarſtrahlen hat, “
Man hat ſie! und wohl gar als Sache!
„ aus welchen er vorher zuſammengeſetzt war, die nun aber von einander getrennt ſind, jeder von einer andern Farbe gefaͤrbt, die nach dieſer Trennung nicht mehr veraͤndert werden koͤnnen. Das Weiße alſo war der geſammte Strahl vor ſeiner Trennung, und ent - ſtand aus dem Gemiſch aller dieſer beſondern Farben der primitiven Lichtſtrahlen. “
Wie es ſich mit dieſen Redensarten verhalte, iſt anderwaͤrts genugſam gezeigt.
„ Die Trennung dieſer Strahlen war ſo ſchwer, “
Hinter die Schwierigkeit der Verſuche ſteckt ſich die ganze Newtoniſche Schule. Das was an den Er - ſcheinungen wahr und natuͤrlich iſt, laͤßt ſich ſehr leicht darſtellen, was aber Newton zuſammengekuͤnſtelt hat, um ſeine falſche Theorie zu beſchoͤnigen, iſt nicht ſo wohl ſchwer, als beſchwerlich (troublesome) darzuſtel - len. Einiges, und gerade das Hauptſaͤchlichſte, iſt504 ſogar unmoͤglich. Die Trennung der farbigen Strahlen in ſieben runde, voͤllig von einander abſtehende Bilder iſt ein Maͤhrchen, das bloß als imaginaͤre Figur auf dem Papier ſteht, und in der Wirklichkeit gar nicht darzuſtellen iſt.
„ daß Herr Mariotte, als er auf das erſte Ge - ruͤcht von Herrn Newtons Erfahrungen dieſe Ver - ſuche unternahm, “
Ehe Mariotte ſeinen Tractat uͤber die Farben herausgab, konnte er den Aufſatz in den Transactionen recht gut geleſen haben.
„ ſie verfehlte, er der ſo viel Genie fuͤr die Er - fahrung hatte und dem es bey andern Gegenſtaͤnden ſo ſehr gegluͤckt iſt. “
Und ſo mußte der treffliche Mariotte, weil er das Hocuspocus, vor dem ſich die uͤbrigen Schulglaͤubigen beugten, als ein ehrlicher Mann der Augen hatte, nicht anerkennen wollte, ſeinen wohlhergebrachten Ruf, als guter Beobachter, vor ſeiner eigenen Nation ver - lieren, den wir ihm denn hiermit auf das vollkommen - ſte wiederherzuſtellen wuͤnſchen.
„ Noch ein anderer Nutzen dieſes Werks der Optik, ſo groß vielleicht als der, den man aus der großen Anzahl neuer Kenntniſſe nehmen kann, womit man es angefuͤllt findet, iſt, daß es ein vortreffliches Muſter505 liefert der Kunſt ſich in der Experimentalphiloſophie zu benehmen. “
Was man ſich unter Experimentalphiloſophie ge - dacht, iſt oben ſchon ausgefuͤhrt, ſo wie wir auch ge - hoͤrigen Orts dargethan haben, daß man nie verkehr - ter zu Werke gegangen iſt, um eine Theorie auf Ex - perimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experi - mente an eine Theorie anzuſchließen.
„ Will man die Natur durch Erfahrungen und Beobachtungen fragen, ſo muß man ſie fragen wie Herr Newton, auf eine ſo gewandte und dringende Weiſe. “
Die Ausdruͤcke gewandt und dringend ſind recht wohl angebracht, um die Newtoniſche kuͤnſtliche Behandlungsweiſe auszudruͤcken. Die engliſchen Lobred - ner ſprechen gar von nice Experiments, welches Bey - wort alles was genau und ſtreng, ſcharf, ja ſpitzfuͤn - dig, behutſam, vorſichtig, bedenklich, gewiſſenhaft und puͤnctlich bis zur Uebertreibung und Kleinlichkeit ein - ſchließt. Wir koͤnnen aber ganz kuͤhnlich ſagen: die Experimente ſind einſeitig, man laͤßt den Zuſchauer nicht alles ſehen, am wenigſten das, worauf es eigent - lich ankommt; ſie ſind unnoͤthig umſtaͤndlich, wodurch die Aufmerkſamkeit zerſtreut wird; ſie ſind complicirt, wodurch ſie ſich der Beurtheilung entziehen und alſo durchaus taſchenſpieleriſch.
506„ Sachen die ſich faſt der Unterſuchung entziehen, weil ſie zu ſubtil (déliées) ſind, “
Hier haben wir ſchon wieder Sachen, und zwar ſo ganz feine, fluͤchtige, der Unterſuchung entwiſchende Sachen!
„ verſteht er dem Calcul zu unterwerfen, der nicht allein das Wiſſen guter Geometer verlangt, ſondern was mehr iſt, eine beſondre Geſchicklichkeit. “
Nun ſo waͤre denn endlich die Unterſuchung in die Geheimniſſe der Mathematik gehuͤllt, damit doch ja Niemand ſo leicht wage ſich dieſem Heiligthum zu naͤhern.
„ Die Anwendung die er von ſeiner Geometrie macht, iſt ſo fein, als ſeine Geometrie erhaben iſt. “
Auf dieſen redneriſchen Schwung und Schwank brauchen wir nur ſoviel zu erwiedern, daß die Haupt - formeln dieſer ſublim feinen Geometrie, nach Ent - deckung der achromatiſchen Fernroͤhre, falſch befunden und dafuͤr allgemein anerkannt ſind. Jene famoſe Meſſung und Berechnung des Farbenbildes, wodurch ihnen eine Art von Tonleiter angedichtet wird, iſt von uns auch anderweit vernichtet worden, und es wird von ihr zum Ueberfluß noch im naͤchſten Artikel die Rede ſeyn.
geb. 1678. geſt. 1771.
Ein Mann gleichſam von der Natur beſtimmt mit Fontenellen zu wetteifern, unterrichtet, klar, ſcharf - ſinnig, fleißig, von einer ſocialen und hoͤchſtgefaͤlligen Natur. Er folgte Fontenellen im Secretariat bey der Akademie, ſchrieb einige Jahre die erforderlichen Lob - reden, erhielt ſich die Gunſt der vornehmen und ruͤhri - gen Welt bis in ſein Alter, das er beynahe ſo hoch als Fontenelle brachte. Uns geziemt nur desjenigen zu gedenken was er gethan, um die Farbenlehre zu foͤrdern.
Schon mochte bey den Phyſikern vergeſſen ſeyn, was Mariotte fuͤr dieſe Lehre geleiſtet; der Weg den er gegangen, den er eingeleitet, war vielleicht zum zweyten - mal von einem Franzoſen nicht zu betreten. Er hatte ſtill und einſam gelebt, ſo daß man beynahe nichts von ihm weiß, und wie waͤre es ſonſt auch moͤglich geweſen, den Erfahrungen mit ſolcher Schaͤrfe und Genauigkeit bis in ihre letzten nothwendigſten und einfachſten Bedingungen zu folgen. Von Nuͤguet und demjenigen was er im Journal von Trevoux geaͤußert, ſcheint Niemand die mindeſte Notiz genommen zu ha - ben. Eben ſo wenig von De la Hire’s richtigem Aperçuͤ wegen des Blauen und Rothen. Alles das war fuͤr508 die Franzoſen verloren, deren Blick durch die magiſche Gewalt des engliſchen Geſtirns fascinirt worden. New - ton war Praͤſident einer ſchon gegruͤndeten Societaͤt, als die franzoͤſiſche Akademie in ihrer erſten Bildungs - epoche begriffen war; ſie ſchaͤtzte ſich’s zur Ehre ihn zum Mitglied aufzunehmen, und von dieſem Augenblick an ſcheinen ſie auch ſeine Lehre, ſeine Geſinnungen adop - tirt zu haben.
Gelehrte Geſellſchaften, ſobald ſie vom Gouverne - ment beſtaͤtigt, einen Koͤrper ausmachen, befinden ſich in Abſicht der reinen Wahrheit in einer mißlichen Lage. Sie haben einen Rang und koͤnnen ihn mittheilen; ſie haben Rechte und koͤnnen ſie uͤbertragen; ſie ſtehen gegen ihre Glieder, ſie ſtehen gegen gleiche Corporationen, gegen die uͤbrigen Staatszweige, gegen die Nation, gegen die Welt in einer gewiſſen Beziehung. Im Ein - zelnen verdient nicht Jeder den ſie aufnehmen, ſeine Stelle; im Einzelnen kann nicht alles was ſie billigen recht, nicht alles was ſie tadeln, falſch ſeyn: denn wie ſollten ſie vor allen andern Menſchen und ihren Ver - ſammlungen das Privilegium haben, das Vergangene ohne hergebrachtes Urtheil, das Gegenwaͤrtige ohne leidenſchaftliches Vorurtheil, das Neuauftretende ohne mistrauiſche Geſinnung, und das Kuͤnftige ohne uͤber - triebene Hoffnung oder Apprehenſion, zu kennen, zu be - ſchauen, zu betrachten, und zu erwarten.
So wie bey einzelnen Menſchen, um ſo mehr bey ſolchen Geſellſchaften, kann nicht alles um der Wahr -509 heit willen geſchehen, welche eigentlich ein uͤberirdi - ſches Gut, ſelbſtſtaͤndig und uͤber alle menſchliche Huͤlfe erhaben iſt. Wer aber in dieſem irdiſchen Weſen Exiſtenz, Wuͤrde, Verhaͤltniſſe jeder Art erhalten will, bey dem kommt manches in Betracht, was vor einer hoͤheren Anſicht ſogleich verſchwinden muͤßte.
Als Glied eines ſolchen Koͤrpers, der ſich nun ſchon die Newtoniſche Lehre als integrirenden Theil ſeiner Organiſation angeeignet hatte, muͤſſen wir Mairan betrachten, wenn wir gegen ihn gerecht ſeyn wollen. Außerdem ging er von einem Grundſatze aus, der ſehr loͤblich iſt, wenn deſſen Anwendung nur nicht ſo ſchwer und gefaͤhrlich waͤre, von dem Grundſatze der Einfoͤrmigkeit der Natur, von der Ueberzeugung, es ſey moͤglich durch Betrachtung der Analogieen ihrem Geſetzlichen naͤher zu kommen. Bey ſeiner Vorliebe fuͤr die Schwingungslehre erfreute ihn deswegen die Vergleichung welche Newton zwiſchen dem Spectrum und dem Monochord anſtellte. Er beſchaͤftigte ſich damit mehrere Jahre: denn von 1720 finden ſich ſeine erſten Andeutungen, 1738 ſeine letzten Aus - arbeitungen.
Rizzetti iſt ihm bekannt, aber dieſer iſt ſchon durch Desaguliers aus den Schranken getrieben; Niemand denkt mehr an die wichtigen Fragen, welche der Ita - liaͤner zur Sprache gebracht; Niemand an die große Anzahl von bedeutenden Erfahrungen die er aufgeſtellt: alles iſt durch einen wunderlichen Zauber in das New -510 toniſche Spectrum verſenkt und an demſelben gefeſſelt, gerade ſo wie es Newton vorzuſtellen beliebt.
Wenn man bedenkt, daß Mairan ſich an die zwanzig Jahre mit dieſer Sache, wenigſtens von Zeit zu Zeit abgegeben, daß er das Phaͤnomen ſelbſt wie - der hervorgebracht, das Spectrum gemeſſen und die gefundenen Maße, auf eine ſehr geſchickte ja kuͤnſtli - chere Art als Newton ſelbſt, auf die Moll-Tonleiter angewendet; wenn man ſieht, daß er in Nichts weder an Aufmerkſamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß geſpart, wie wirklich ſeine Ausarbeitung zierlich und allerliebſt iſt: ſo darf man es ſich nicht verdrießen laſſen, daß alles dieſes umſonſt geſchehen, ſondern man muß es eben als ein Beyſpiel betrachten, daß falſche Annahmen ſo gut wie wahre, auf das genauſte durchgearbeitet werden koͤnnen.
Beynahe unbegreiflich jedoch bleibt es, daß Mairan, welcher das Spectrum wiederholt gemeſſen haben muß, nicht zufaͤllig ſeine Tafel naͤher oder weiter vom Pris - ma geſtellt hat, da er denn nothwendig haͤtte finden muͤſſen, daß in keinem von beyden Faͤllen die Newto - niſchen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten, daß er in der Dunkelheit ſeines Vorurtheils immer erſt die Tafel ſo geruͤckt, bis er die Maße nach der An - gabe richtig erfunden. So muß auch ſein Apparat hoͤchſt beſchraͤnkt geweſen ſeyn: denn er haͤtte bey je - der groͤßern Oeffnung im Fenſterladen und beybehalt - ner erſten Entfernung, abermals die Maße anders finden muͤſſen.
511Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo ſcheinet ſich durch dieſe, im Grunde redlichen, bewundernswuͤrdigen, und von der Akademie gebilligten Bemuͤhungen die Newtoniſche Lehre nur noch feſter geſetzt und den Ge - muͤthern noch tiefer eingepraͤgt zu haben. Doch iſt es ſonderbar, daß ſeit 1738, als unter welchem Jahre die gedachte Abhandlung ſich findet, der Artikel Farbe aus dem Regiſter der Akademie verſchwindet und kaum ſpaͤterhin wieder zum Vorſchein kommt.
geb. 1661. geſt. 1741.
Im Gefolg der Akademiker fuͤhren wir dieſen Mann auf, der als Welt - und Staatsmann und Negotiateur einen großen Ruf hinterlaſſen hat, deſſen weit umgreifender Geiſt aber ſich uͤber andere Gegen - ſtaͤnde, beſonders auch der Naturwiſſenſchaft, verbrei - tete. Der Descartiſchen Lehre, zu der er in fruͤher Jugend gebildet worden, blieb er treu, und war alſo gewiſſermaßen ein Gegner Newtons. Rizzetti dedicirte demſelben ſein Werk de Luminis affectionibus. Un - ſer Cardinal beſchaͤftigte ſich mit Pruͤfung der New - toniſchen Lehre. Gauger behauptet in ſeinen Briefen, p. 40: der Cardinal ſey durch das Experimentum Crucis uͤberzeugt worden. Eine Stelle aus den Anec - dotes littéraires Paris 1750. Tom 2, p. 430. laſſen512 wir im Original abdrucken, welche ſich auf dieſe Un - terſuchungen bezieht.
Les expériences de Newton avoient été tentées plusieurs fois en France, et toujours sans succès, d’où l’on commençoit à inférer, que le Système du docte Anglois ne pouvoit pas se soutenir. Le Cardinal de Polignac, qui n’a jamais été New - tonien, dit, qu’un fait avancé par Newton, ne de - voit pas être nié légèrement, et qu’il falloit recom - mencer les expériences jusqu’ à ce qu’on put s’as - surer de les avoir bien faites. Il fit venir des Pris - mes d’Angleterre. Les expériences furent faites en sa présence aux Cordeliers, et elles réussirent. Il ne put jamais cependant parvenir à faire du blanc, par la réunion des rayons, d’où il conclut que le blanc n’est pas le résultat de cette réunion, mais le produit des rayons directs, non rompus et non réfrangibles. Newton, qui s’étoit plaint du peu d’exactitude et même du peu de bonne foi des Physiciens Fran - çois, écrivit au Cardinal, pour le remercier d’un procédé si honnête et qui marquoit tant de droiture.
Wir geſtehen gern, daß wir mit den geſperrt ge - druckten Worten nichts anzufangen wiſſen. Wahr - ſcheinlich hat ſich der Cardinal muͤndlich uͤber dieſe Sache anders ausgedruͤckt, und man hat ihn unrecht verſtanden.
513Dem ſey nun wie ihm ſey, ſo haben wir nicht Urſache uns dabey aufzuhalten: denn es iſt außer Zweifel, daß der Cardinal die Newtoniſche diverſe Refrangibilitaͤt angenommen, wie aus einer Stelle ſeines Anti-Lucretius hervorgeht, wo er, im Begriff Newtonen in einigen Puncten zu widerſprechen, hiezu durch Lob und Beyfall ſich gleichſam die Erlaubniß zu nehmen ſucht.
Lib. II. v. 874.
geb. 1694. geſt. 1778.
In der beſten Zeit dieſes außerordentlichen Mannes war[es]zum hoͤchſten Beduͤrfniß geworden, Goͤttliches und Menſchliches, Himmliſches und Irdiſches vor das Publicum uͤberhaupt, beſonders vor die gute Geſellſchaft zu bringen, um ſie zu unterhalten, zu belehren, aufzu -II. 33514regen, zu erſchuͤttern. Gefuͤhle, Thaten, Gegenwaͤrti - ges, Vergangnes, Nahes und Entferntes, Erſcheinun - gen der ſittlichen und der phyſiſchen Welt, von allem mußte geſchoͤpft, alles, wenn es auch nicht zu erſchoͤp - fen war, oberflaͤchlich gekoſtet werden.
Voltairens großes Talent ſich auf alle Weiſe, ſich in jeder Form zu communiciren, machte ihn fuͤr eine gewiſſe Zeit zum unumſchraͤnkten geiſtigen Herrn ſeiner Nation. Was er ihr anbot mußte ſie aufnehmen; kein Widerſtreben half: mit aller Kraft und Kuͤnſtlich - keit wußte er ſeine Gegner bey Seite zu draͤngen, und was er dem Publicum nicht aufnoͤthigen konnte, das wußte er ihm aufzuſchmeicheln, durch Gewoͤhnung an - zueignen.
Als Fluͤchtling fand er in England die beſte Auf - nahme und jede Art von Unterſtuͤtzung. Von dorther zuruͤckgekehrt machte er ſich’s zur Pflicht, das Newto - niſche Evangelium, das ohnehin ſchon die allgemeine Gunſt erworben hatte, noch weiter auszubreiten, und vorzuͤglich die Farbenlehre den Gemuͤthern recht einzu - ſchaͤrfen. Zu dieſen phyſiſchen Studien ſcheint er beſon - ders durch ſeine Freundinn, die Marquiſe Du Chatelet, gefuͤhrt worden zu ſeyn; wobey jedoch merkwuͤrdig iſt, daß in ihren Institutions physiques, Amsterdam 1742. nichts von den Farben vorkommt. Es iſt moͤglich, daß ſie die Sache ſchon durch ihren Freund fuͤr voͤllig ab - gethan gehalten, deſſen Bemuͤhungen wir jedoch nicht umſtaͤndlich recenſiren, ſondern nur mit wenigem ei - nen Begriff davon zu geben ſuchen.
515Elémens de la philosophie de Newton mis à la portée de tout le monde. Amsterdam 1738.
In der Epiſtel an die Marquiſe Du Chatelet heißt es:
Der Vortrag ſelbſt iſt heiter, ja mitunter drollig: wie es ſich von Voltairen erwarten laͤßt, dagegen aber auch unglaublich ſeicht und ſchief. Eine naͤhere Entwickelung waͤre wohl der Muͤhe werth. Facta, Verſuche, mathematiſche Behandlung derſelben, Hy - potheſe, Theorie ſind ſo durcheinander geworfen, daß man nicht weiß was man denken und ſagen ſoll, und das heißt zuletzt triumphirende Wahrheit.
Die beygefuͤgten Figuren ſind aͤußerſt ſchlecht. Sie druͤcken als Linearzeichnungen allenfalls die Newtoniſchen Verſuche und Lehren aus; die Fenſterchen aber, wo - durch das Licht hereinfaͤllt, und die Puppen die zu ſehen, ſind ganz ſinn - und geſchmacklos.
„ Wenn man Herrn Algarotti den behauptenden Ton vorwirft, ſo hat man ihn nicht geleſen. Viel eher koͤnnte man ihm vorwerfen, nicht genug behaup - tet zu haben; ich meyne, nicht genug Sachen geſagt und zu viel geſprochen zu haben. Uebrigens, wenn das Buch nach Verdienſt uͤberſetzt iſt, ſo muß es Gluͤck machen. “
„ Was mein Buch betrifft (Elémens de la philo - sophie de Newton) ſo iſt es bis jetzt das erſte in Europa, das parvulos ad regnum coelorum berufen hat: denn regnum coelorum iſt Newton; die Franzoſen uͤber - haupt ſind parvuli genug. Mit Euch bin ich nicht einig, wenn Ihr ſagt, es ſeyen neue Meynungen in Newtons Werken. Erfahrungen ſind es und Berech - nungen, und zuletzt muß die ganze Welt ſich unterwer - fen. Die Renauds und Caſtels werden den Triumph der Vernunft auf die Laͤnge nicht verhindern. “
„ Der Pater Caſtel hat wenig Methode, ſein Geiſt iſt das Umgekehrte vom Geiſte des Jahrhunderts. Man koͤnnte nicht leicht einen Auszug verworrener und un - belehrender einrichten. “
„ Alſo habt Ihr den unnuͤtzen Plunder uͤber die Faͤr - berey geleſen, den Herr Pater Caſtel ſeine Optik nennt. Es iſt luſtig genug, daß er ſich beygehen laͤßt zu ſagen: Newton habe ſich betrogen, ohne es im mindeſten zu beweiſen, ohne den geringſten Verſuch uͤber die urſpruͤng - lichen Farben gemacht zu haben. Es ſcheint die Phy - ſik will nun drollig werden, ſeitdem es die Comoͤdie nicht mehr iſt. “
geb. 1712. geſt. 1774.
Stammend aus einem reichen venetianiſchen Kauf - mannshauſe, erhielt er bey ſehr ſchoͤnen Faͤhigkeiten ſeine erſte Bildung in Bologna, reiſte ſchon ſehr jung, und kam im zwanzigſten Jahre nach Paris. Dort er - griff auch er den Weg der Populariſation eines abſtruſen Gegenſtandes, um ſich bekannt und beliebt zu machen. Newton war der Abgott des Tages, und das ſiebenfar -518 bige Licht ein gar zu luſtiger Gegenſtand. Algarotti betrat die Pfade Fontenelle’s, aber nicht mit gleichem Geiſt, gleicher Anmuth und Gluͤck.
Fontenelle ſteht ſowohl in der Conception als in der Ausfuͤhrung ſehr viel hoͤher. Bey ihm geht ein Abbé mit einer ſchoͤnen Dame, die aber mit wenig Zuͤgen ſo geſchildert iſt, daß Einem kein Liebesverhaͤltniß einfallen kann, bey ſternhellem Himmel ſpazieren. Der Abbé wird uͤber dieſes Schauſpiel nachdenklich; ſie macht ihm Vorwuͤrfe, und er macht ihr dagegen die Wuͤrde dieſes Anblicks begreiflich. Und ſo knuͤpft ſich das Ge - ſpraͤch uͤber die Mehrheit der Welten an. Sie ſetzen es immer nur Abends fort und der herrlichſte Sternhim - mel wird jedesmal fuͤr die Einbildungskraft zuruͤckge - rufen.
Von einer ſolchen Vergegenwaͤrtigung iſt bey Alga - rotti keine Spur. Er befindet ſich zwar auch in der Geſellſchaft einer ſchoͤnen Marcheſina, an welche viel verbindliches zu richten waͤre, umgeben von der ſchoͤnſten italiaͤniſchen Gegend; allein Himmel und Erde mit al - len ihren bezaubernden Farben bieten ihm keinen An - laß dar, in die Materie hinein zu kommen; die Da - me muß zufaͤlliger Weiſe in irgend einem Sonett von dem ſiebenfachen Lichte geleſen haben, das ihr denn freylich etwas ſeltſam vorkommt. Um ihr nun dieſe Phraſe zu erklaͤren, holt der Geſellſchafter ſehr weit aus, indem er, als ein wohlunterrichteter Mann, von der Naturforſchung uͤberhaupt und uͤber die Lehre vom519 Licht beſonders, manches Hiſtoriſche und Dogmatiſche recht gut vorbringt. Allein zuletzt, da er auf die New - toniſche Lehre uͤbergehen will, geſchieht es durch einen Sprung, wie denn ja die Lehre ſelbſt durch einen Sprung in die Phyſik gekommen. Und wer ein Buch mit aufmerkſamer Theilnahme zu leſen gewohnt iſt, wird ſogleich das Unzuſammenhaͤngende des Vortrags empfin - den. Die Lehre kommt von nichts und geht zu nichts. Er muß ſie ſtarr und ſteif hinlegen, wie ſie der Mei - ſter uͤberliefert hat.
Auch zeigt er ſich nicht einmal ſo gewandt, die ſchoͤne Dame in eine dunkle Kammer zu fuͤhren, wohin er ja allenfalls, des Anſtands und ſelbſt des beſſern Dialogs wegen, eine Vertraute mitnehmen konnte. Bloß mit Worten fuͤhrt er ihr die Phaͤnomene vor, erklaͤrt ſie mit Worten, und die ſchoͤne Frau wird auf der Stelle ſo glaͤubig als hundert andre. Sie braucht auch uͤber die Sache nicht weiter nachzudenken; ſie iſt uͤber die Farben auf immer beruhigt. Denn Himmelblau und Morgenroth, Wieſengruͤn und Veil - chenblau, alles entſpringt aus Strahlen und noch ein - mal Strahlen, die ſo hoͤflich ſind ſich in Feuer, Waſſer, Luft und Erde, an allen lebendigen und lebloſen Ge - genſtaͤnden, auf jede Art und Weiſe, ſpalten, ver - ſchlucken, zuruͤckwerfen und bunt herumſtreuen zu laſſen. Und damit glaubt er ſie genugſam unterhalten zu ha - ben, und ſie iſt uͤberzeugt, genugſam unterrichtet zu ſeyn.
520Von jener Zeit an wird nun nicht leicht ein Dichter oder Redner, ein Verskuͤnſtler oder Proſaiſt gefunden, der nicht einmal oder mehreremal in ſeinem Leben dieſe farbige Spaltung des Lichts zum Gleichniß der Ent - wicklung des Ungleichartigen aus dem Gleichartigen ge - braucht haͤtte; und es iſt freylich Niemand zu verar - gen, wenn einmal ſo eine wunderliche Syntheſe zum Behuf einer ſo wunderlichen Analyſe gemacht worden, wenn der Glaube daran allgemein iſt, daß er ſie auch zu ſeinem Behuf, es ſey nun des Belehrens und Ueberzeugens, oder des Blendens und Ueberredens, als Inſtanz oder Gleichniß beybringe.
Die Englaͤnder ſind vielleicht vor vielen Nationen geeignet, Auswaͤrtigen zu imponiren. Ihre perſoͤnli - che Ruhe, Sicherheit, Thaͤtigkeit, Eigenſinn und Wohlhaͤbigkeit geben beynahe ein unerreichbares Muſter - bild von dem was alle Menſchen ſich wuͤnſchen. Ohne uns hier in ein Allgemeines einzulaſſen, bemerken wir nur, daß die Klage uͤber Anglomanie von fruͤherer Zeit bis zur neueſten in der franzoͤſiſchen Literatur vor - kommt. Dieſer Enthuſiasmus der franzoͤſiſchen Nation fuͤr die engliſche ſoll ſich beſonders gleich nach einem geſchloſſenen Frieden am lebhafteſten aͤußern: welches wohl daher kommen mag, weil alsdann nach wieder - hergeſtellter Communication beyder Nationen der Reich -521 thum und die Comforts der Englaͤnder dem, wenig - ſtens in fruͤherer Zeit, geldarmen und genuͤgſamen Franzoſen gar wuͤnſchenswerth in die Augen leuchten muͤſſen.
Dieſes Vorziehen einer fremden Voͤlkerſchaft, dieſes Hintanſetzen ſeiner eigenen kann doch wohl aber nicht hoͤher getrieben werden, als wir es oben bey Voltairen finden, der die Newtoniſche Lehre zum regnum coe - lorum und die Franzoſen zu den parvulis macht. Doch haͤtte er es gewiß nicht gethan, wenn das Vor - urtheil in ſeiner Nation nicht ſchon gaͤng und gaͤbe geweſen waͤre. Denn bey aller Kuͤhnheit huͤtet er ſich doch etwas vorzubringen, wogegen er die allgemeine Stimmung kennt, und wir haben ihn im Verdacht, daß er ſeinen Deismus uͤberall und ſo entſchieden aus - ſpricht, bloß damit er ſich vom Verdacht des Atheis - mus reinige: einer Denkweiſe, die jederzeit nur we - nigen Menſchen gemaͤß und den uͤbrigen zum Abſcheu ſeyn mußte.
Das Verhalten der Lakmustinktur gegen Saͤuren und Alcalien, ſo bekannt es war, blieb doch immer we - gen ſeiner Eminenz und ſeiner Brauchbarkeit den Chemi - kern merkwuͤrdig, ja das Phaͤnomen wurde gewiſſer - maßen fuͤr einzig gehalten. Die fruͤhern Bemerkungen522 des Paracelſus und ſeiner Schule, daß die Farben aus dem Schwefel und deſſen Verbindung mit den Salzen ſich herſchreiben moͤchten, waren auch noch in friſchem Andenken geblieben. Man gedachte mit In - tereſſe eines Verſuchs von Mariotte, der einen rothen franzoͤſiſchen Wein durch Alcalien gebraͤunt und ihm das Anſehn eines ſchlechten verdorbenen Weins gege - ben, nachher aber durch Schwefelgeiſt die erſte Farbe, und zwar noch ſchoͤner, hergeſtellt. Man erklaͤrte da - mals daraus das Vortheilhafte des Aus - und Aufbren - nens der Weinfaͤſſer durch Schwefel, und fand dieſe Erfahrung bedeutend.
Die Akademie intereſſirte ſich fuͤr die chemiſche Analyſe der Pflanzentheile, und als man die Reſul - tate bey den verſchiedenſten Pflanzen ziemlich einfoͤrmig und uͤbereinſtimmend fand; ſo beſchaͤftigten ſich andere wieder die Unterſchiede aufzuſuchen.
Geoffroy, der juͤngere, ſcheint zuerſt auf den Ge - danken gekommen zu ſeyn, die eſſentiellen Oele der Vegetabilien mit Saͤuren und Alcalien zu behandeln, und die dabey vorkommenden Farbenerſcheinungen zu beobachten.
Sein allgemeineres Theoretiſche gelingt ihm nicht ſonderlich. Er braucht koͤrperliche Configurationen, und dann wieder beſondere Feuertheile und was der - gleichen Dinge mehr ſind. Aber die Anwendung ſeiner chemiſchen Verſuche auf die Farben der Pflanzen ſelbſt,523 hat viel Gutes. Er geſteht zwar ſelbſt die Zartheit und Beweglichkeit der Criterien ein, gibt aber doch deswegen nicht alle Hoffnungen auf; wie wir denn von dem was er uns uͤberliefert, naͤhern Gebrauch zu machen gedenken, wenn wir auf dieſe Materie, die wir in unſerm Entwurfe nur beylaͤufig behandelt haben, dereinſt zuruͤckkehren.
In dem animaliſchen Reiche hatte Reaumuͤr den Saft einiger europaͤiſchen Purpurſchnecken und deſſen Faͤrbungseigenſchaften unterſucht. Man fand, daß Licht und Luft die Farbe gar herrlich erhoͤhten. An - dere waren auf die Farbe des Blutes aufmerkſam ge - worden, und beobachteten, daß das arterielle Blut ein hoͤheres, das venoͤſe ein tieferes Roth zeige. Man ſchrieb der Wirkung der Luft auf die Lungen jene Farbe zu; weil man es aber materiell und mechaniſch nahm, ſo kam man nicht weiter und erregte Widerſpruch.
Das Mineralreich bot dagegen bequeme und ſichere Verſuche dar. Lemery, der juͤngere, unterſuchte die Metalle nach ihren verſchiedenen Aufloͤſungen und Praͤ - cipitationen. Man ſchrieb dem Queckſilber die groͤßte Verſatilitaͤt in Abſicht der Farben zu, weil ſie ſich an demſelben am leichteſten offenbart. Wegen der uͤbrigen, glaubte man eine Specification eines jeden Metalls zu gewiſſen Farben annehmen zu muͤſſen, und blieb des - wegen in einer gewiſſen Beſchraͤnktheit, aus der wir uns noch nicht ganz haben herausreißen koͤnnen.
524Bey allen Verſuchen Lemery’s jedoch zeigt ſich deut - lich das von uns relevirte Schwanken der Farbe, das durch Saͤuren und Alcalien, oder wie man das was ihre Stelle vertritt, nennen mag, hervorgebracht wird. Wie denn auch die Sache ſo einfach iſt, daß, wenn man ſich nicht in die Nuͤancen, welche nur als Be - ſchmutzung anzuſehen ſind, einlaͤßt, man ſich ſehr wohl einen allgemeinen Begriff zu eigen machen kann.
Die Citate zu Vorſtehendem fuͤgen wir nicht bey, weil man ſolche gar leicht in dem zu der Histoire und den Mémoires de l’académie française gefertigten Re - giſtern auffinden kann.
Die franzoͤſiſche Regierung hatte unter Anleitung von Colbert, durch wohluͤberdachte Verordnungen, das Gutfaͤrben und Schoͤnfaͤrben getrennt, zum großen Vortheil aller denen, es ſey zu welchem Gebrauch, zu wiſſen noͤthig war, daß ſie mit haltbar gefaͤrbten Zeu - gen oder Geſpinnſten gewiſſenhaft verſorgt wuͤrden. Die Polizey fand nun die Aufſicht uͤber beyderley Ar - ten der Faͤrberey bequemer, indem dem Gutfaͤrber eben ſo wohl verboten war vergaͤngliche Materialien in der Werkſtatt zu haben, als dem Schoͤnfaͤrber dauerhafte. Und ſo konnte ſich auch jeder Handwerker in dem ihm angewieſenen Kreiſe immer mehr und mehr vervoll -525 kommnen. Fuͤr die Technik und den Gebrauch war geſorgt.
Allein es ließ ſich bald bemerken, daß die Wiſ - ſenſchaft, ja die Kunſt ſelbſt dabey leiden mußte. Die Behandlungsarten waren getrennt. Niemand blickte uͤber ſeinen Kreis hinaus, und Niemand gewann eine Ueberſicht des Ganzen. Eine einſichtige Regierung je - doch fuͤhlte dieſen Mangel bald, ſchenkte wiſſenſchaft - lich gebildeten Maͤnnern ihr Zutrauen und gab ihnen den Auftrag, das was durch die Geſetzgebung getrennt war, auf einem hoͤhern Standpuncte zu vereinigen. Dufay iſt einer von dieſen.
Die Beſchreibungen auch anderer Handwerker ſollten unternommen werden. Dufay bearbeitete die Faͤrberey. Ein kurzer Aufſatz in den Memoiren der Akademie 1737 iſt ſehr verſtaͤndig geſchrieben. Wir uͤbergehen was uns nicht nahe beruͤhrt, und bemerken nur fol - gendes:
Wer von der Faͤrberey in die Farbenlehre kommt, muß es hoͤchſt drollig finden, wenn er von ſieben, ja noch mehr Urfarben reden hoͤrt. Er wird bey der ge - ringſten Aufmerkſamkeit gewahr, daß ſich in der mine - raliſchen, vegetabiliſchen und animaliſchen Natur drey Farben iſoliren und ſpecificiren. Er kann ſich Gelb, Blau und Roth ganz rein verſchaffen; er kann ſie den Geweben mittheilen und durch verſchiedene, wirkende und gegenwirkende Behandlung, ſo wie durch Mi -526 ſchung die uͤbrigen Farben hervorbringen, die ihm alſo abgeleitet erſcheinen. Unmoͤglich waͤre es ihm, das Gruͤn zu einer Urfarbe zu machen. Weiß hervorzu - bringen, iſt ihm durch Faͤrbung nicht moͤglich; hin - gegen durch Entfaͤrbung leicht genug dargeſtellt, gibt es ihm den Begriff von voͤlliger Farbloſigkeit, und wird ihm die wuͤnſchenswertheſte Unterlage alles Zufaͤrbenden. Alle Farben zuſammengemiſcht geben ihm Schwarz.
So erblickt der ruhige Sinn, der geſunde Men - ſchenverſtand die Natur, und wenn er auch in ihre Tiefen nicht eindringt, ſo kann er ſich doch niemals auf einen falſchen Weg verlieren, und er kommt zum Beſitz deſſen was ihm zum verſtaͤndigen Gebrauch noth - wendig iſt. Jene drey Farben nennt daher Duͤfay ſei - ne Mutterfarben, ſeine urſpruͤnglichen Farben, und zwar als Faͤrber mit voͤlligem Recht. Der Newtoni - ſchen Lehre gedenkt er im Vorbeygehen, verſpricht et - was mehr daruͤber zu aͤußern; ob es aber geſchehen, iſt mir nicht bekannt.
geb. 1688. geſt. 1757.
Jeſuit und geiſtreicher Mann, der indem er auf dem Wege Fontenelle’s ging, die ſogenannten exacten Wiſſenſchaften durch einen lebendigen und angenehmen Vortrag in die Geſellſchaft einzufuͤhren, und ſich da - durch den beyden gleichſam vorzuͤglich cultivirten Na - tionen, der engliſchen und der franzoͤſiſchen, bekannt und beliebt zu machen ſuchte. Er hatte deshalb, wie alle die ſich damals auf dieſe Weiſe beſchaͤftigten, mit Newton und Descartes pro und contra zu thun; da er denn auch bald dieſen bald jenen nach ſeiner Ueber - zeugung beguͤnſtigte, oft aber auch ſeine eignen Vor - ſtellungsarten mitzutheilen und durchzuſetzen trachtete.
Wir haben hier nur das zu bedenken, was er in der Farbenlehre geleiſtet, weshalb er, wie wir oben geſehen, von Voltairen ſo uͤbel behandelt worden.
Eine Regierung darf nur auf einen vernuͤnftigen Weg deuten, ſo wird dieß ſogleich zur Aufforderung fuͤr viele, ihn zu wandeln und ſich darauf zu bemuͤ - hen. So ſcheint auch Pater Caſtel zu ſeiner Arbeit, nicht durch beſondern Auftrag der Obern, wie Duͤfay, ſondern durch Neigung und durch den Wunſch, dem Staate als Privatmann nuͤtzlich zu werden, in dieſes Fach getrieben zu ſeyn, das er um ſo mehr cultivirte,528 als er neben ſeinen Studien eine große Luſt zum Me - chaniſchen und Techniſchen empfand.
Auch auf ſeinem Gange werden ihm die Newto - niſchen ſieben Urfarben unertraͤglich; er fuͤhrt ſie auf drey zuruͤck. Das Clair-obscur, das Schwarze und Weiße, das Erhellen und Verdunkeln der Haupt - und abgeleiteten Farben beſchaͤftigen ihn um ſo mehr, als er auch dem Maler entgegen gehen will.
Man kann nicht laͤugnen, daß er die Probleme der Farbenlehre meiſt alle vorbringt, doch ohne ſie gerade aufzuloͤſen. Seinem Buche fehlt es nicht an einer gewiſſen Ordnung; aber durch Umſtaͤndlichkeit, Kleinigkeitskraͤmerey und Weitſchweifigkeit verdirbt er ſich das Spiel gegen den billigſten Leſer. Sein groͤßtes Ungluͤck iſt, daß er ebenfalls die Farbe mit dem Tone vergleichen will, zwar auf einem andern Wege als Newton und Mairan, aber auch nicht gluͤcklicher. Auch ihm hilft es nichts, daß er eine Art von Ahn - dung von der ſogenannten Sparſamkeit der Natur hat, von jener geheimnißvollen Urkraft, die mit wenigem viel, und mit dem Einfachſten das Mannigfaltigſte leiſtet. Er ſucht es noch, wie ſeine Vorgaͤnger, in dem was man Analogie heißt, wodurch aber nichts gewonnen werden kann, als daß man ein paar ſich aͤhnelnde empiriſche Erſcheinungen einander an die Seite ſetzt, und ſich verwundert, wenn ſie ſich vergleichen und zugleich nicht vergleichen laſſen.
529Sein Farben-Clavier, das auf eine ſolche Ueber - einſtimmung gebaut werden ſollte, und woran er ſein ganzes Leben hin und her verſuchte, konnte freylich nicht zu Stande kommen; und doch ward die Moͤglich - keit und Ausfuͤhrbarkeit eines ſolchen Farben-Claviers immer einmal wieder zur Sprache gebracht, und neue mißgluͤckte Unternehmungen ſind den alten gefolgt. Worin er ſich aber vollkommen einſichtig bewies, iſt ſeine lebhafte Controvers gegen die Newtoniſche falſche Darſtellung der prismatiſchen Erſcheinung. Mit mun - trer franzoͤſiſcher Eigenthuͤmlichkeit wagt er den Scherz: es ſey dem Newtoniſchen Spectrum eben ſo gefaͤhrlich, wenn man es ohne Gruͤn, als einer huͤbſchen Frau, wenn man ſie ohne Roth ertappe. Auch nennt er mit Recht die Newtoniſche Farbenlehre eine Remora aller geſunden Phyſik.
Seine Invectiven gegen die Newtoniſche Darſtel - lung des Spectrums uͤberſetzen wir um ſo lieber, als wir ſie ſaͤmmtlich unterſchreiben koͤnnen. Haͤtte Caſtels Widerſpruch damals gegriffen und auch nur einen Theil der gelehrten Welt uͤberzeugt, ſo waͤren wir einer ſehr beſchwerlichen Muͤhe uͤberhoben geweſen.
„ Da ich mich gar gern zu den Gegenſtaͤnden mei - ner Aufmerkſamkeit zuruͤckfinde; ſo war mein erſter oder zweyter Schritt in dieſer Laufbahn mit einem Ge - fuͤhl von Ueberraſchung und Erſtaunen begleitet, wo - von ich mich noch kaum erholen kann. Das Prisma, das Herr Newton und ganz Europa in Haͤnden gehabtII. 34530hatte, konnte und ſollte noch wirklich ein ganz neues Mittel zur Erfahrung und Beobachtung werden. Das Prisma auf alle moͤgliche Weiſe hin und wieder ge - dreht, aus allen Standpuncten angeſehen, ſollte das nicht durch ſo viel geſchickte Haͤnde erſchoͤpft worden ſeyn? Wer haͤtte vermuthen koͤnnen, daß alle dieſe Verſuche, von denen die Welt geblendet iſt, ſich auf einen oder zwey zuruͤckfuͤhren ließen, auf eine einzige Anſicht und zwar auf eine ganz gemeine, aus hundert andern Anſichten, wie man das Prisma faſſen kann, und aus tauſend Erfahrungen und Beobachtungen ſo tiefſinnig als man ſie vielleicht nicht machen ſollte. “
„ Niemals hatte Herr Newton einen andern Ge - genſtand als ſein farbiges Geſpenſt. Das Prisma zeigte es zuerſt auch ganz unphiloſophiſchen Augen. Die erſten welche das Prisma nach ihm handhabten, hand - habten es ihm nur nach. Sie ſetzten ihren ganzen Ruhm darein, den genauen Punct ſeiner Verſuche zu erhaſchen, und ſie mit einer aberglaͤubiſchen Treue zu copiren. Wie haͤtten ſie etwas anderes finden koͤnnen, als was er gefunden hatte? Sie ſuchten was er ge - ſucht hatte, und haͤtten ſie was anderes gefunden, ſo haͤtten ſie ſich deſſen nicht ruͤhmen duͤrfen; ſie wuͤrden ſich ſelbſt daruͤber geſchaͤmt, ſich daraus einen heimli - chen Vorwurf gemacht haben. So koſtete es dem be - ruͤhmten Herrn Mariotte ſeinen Ruf, der doch ein ge - ſchickter Mann war, weil er es wagte, weil er ver - ſtand den betretenen Weg zu verlaſſen. Gab es jemals531 eine Knechtſchaft, die Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ſchaͤd - licher geweſen waͤre? “
„ Und haͤtte Herr Newton das Wahre gefunden; das Wahre iſt unendlich und man kann ſich nicht dar - in beſchraͤnken. Ungluͤcklicher Weiſe that er nichts, als auf einen erſten Irrthum unzaͤhlige Irrthuͤmer haͤufen. Denn eben dadurch koͤnnen Geometrie und ſcharfe Fol - gerungen ſchaͤdlich werden, daß ſie einen Irrthum fruchtbar und ſyſtematiſch machen. Der Irrthum eines Ignoranten oder eines Thoren iſt nur ein Irrthum; auch gehoͤrt er ihm nicht einmal an, er adoptirt ihn nur. Ich werde mich huͤten Herrn Newton einer Un - redlichkeit zu beſchuldigen; andre wuͤrden ſagen, er hat ſich’s recht angelegen ſeyn laſſen, ſich zu betruͤgen und uns zu verfuͤhren. “
„ Zuerſt ſelbſt verfuͤhrt durch das Prismengeſpenſt ſucht er es nur auszuputzen, nachdem er ſich ihm ein - zig ergeben hat. Haͤtte er es doch als Geometer ge - meſſen, berechnet und combinirt, dagegen waͤre nichts zu ſagen; aber er hat daruͤber als Phyſiker entſcheiden, deſſen Natur beſtimmen, deſſen Urſprung bezeichnen wollen. Auch dieſes ſtand ihm frey. Das Prisma iſt freylich der Urſprung und die unmittelbare Urſache der Farben dieſes Geſpenſtes; aber man geht Stromauf - waͤrts, wenn man die Quelle ſucht. Doch Herr New - ton wendet dem Prisma ganz den Ruͤcken, und ſcheint nur beſorgt, das Geſpenſt in der groͤßten Entfernung aufzufaſſen; und nichts hat er ſeinen Schuͤlern mehr empfohlen. “
34 *532„ Das Geſpenſt iſt ſchoͤner, ſeine Farben haben mehr Einheit, mehr Glanz, mehr Entſchiedenheit, je - mehr ſie ſich von der Quelle entfernen. Sollte aber ein Philoſoph nur nach dem Spielwerk ſchoͤner Farben laufen? — Die vollkommenſten Phaͤnomene ſind im - mer am entfernteſten von ihren geheimen Urſachen, und die Natur glaͤnzt niemals mehr, als indem ſie ihre Kunſt mit der groͤßten Sorgfalt verbirgt. “—
„ Und doch wollte Herr Newton die Farben tren - nen, entwirren, zerſetzen. Sollte ihn hier die Geome - trie nicht betrogen haben? Eine Gleichung laͤßt ſich in mehrere Gleichungen aufloͤſen; jemehr Farben, der Zahl nach verſchieden, ihm das Geſpenſt zeigte, fuͤr deſto einfacher, fuͤr deſto zerſetzter hielt er ſie. Aber er dachte nicht daran, daß die Natur mannigfaltig und zahlreich in ihren Phaͤnomenen, in ihren Urſachen ſehr einfach, faſt unitariſch, hoͤchſtens und ſehr oft trinita - riſch zu ſeyn pflege. “
„ Und doch iſt das Prisma, wie ich geſtehe, die unmittelbare und unleugbare Urſache des Geſpenſtes; aber hier haͤtte Herr Newton aufmerken und ſehen ſol - len, daß die Farben nur erſt in gevierter Zahl aus dem Prisma hervortreten, ſich dann aber vermiſchen, um ſieben hervorzubringen, zwoͤlfe wenn man will, ja eine Unzahl. “
„ Aber zu warten bis die Farben recht verwickelt ſind, um ſie zu entwirren, mit Gefahr ſie noch mehr533 zu verwirren, iſt das eine Unredlichkeit des Herzens, die ein ſchlechtes Syſtem bemaͤntelt, oder eine Schief - heit des Geiſtes, die es aufzuſtutzen ſucht? “
„ Die Farben kommen faſt ganz getrennt aus dem Prisma in zwey Buͤndeln, durch einen breiten Streif weißen Lichtes getrennt, der ihnen nicht erlaubt ſich zuſammen zu begeben, ſich in eine einzige Erſcheinung zu vereinigen, als nach einer merklichen Entfernung, die man nach Belieben vergroͤßern kann. Hier iſt der wahre Standpunct, guͤnſtig fuͤr den, der die redliche Geſinnung hat, das zuſammengeſetzte Geſpenſt zu ent - wirren. Die Natur ſelbſt bietet einem Jeden dieſe An - ſicht, den das gefaͤhrliche Geſpenſt nicht zu ſehr bezau - bert hat. Wir klagen die Natur an, ſie ſey geheim - nißvoll; aber unſer Geiſt iſt es, der Spitzfindigkeiten und Geheimniſſe liebt.
Naturam expellas furca, tamen usque recurret. “
„ Herr Newton hat mit Kreuzesmarter und Gewalt hier die Natur zu beſeitigen geſucht; tauſendmal hat er dieſes primitive Phaͤnomen geſehen; die Farben ſind nicht ſo ſchoͤn, aber ſie ſind wahrer, ſie ſprechen uns natuͤrlicher an. Von dieſer Erſcheinung ſpricht der große Mann, aber im Vorbeygehen und gleichſam vorſaͤtzlich, daß nicht mehr davon die Rede ſey, daß die Nachfolger gewiſſermaßen verhindert werden, die Augen fuͤr die Wahrheit zu eroͤffnen. “
„ Er thut mehr. Auch wider Willen wuͤrde man534 das rechte Verhaͤltniß erkennen beym Gebrauch eines großen Prisma’s, wo das weiße Licht, das die zwey ur - ſpruͤnglichen Farbenſaͤume trennt, ſehr breit iſt. In einem kleinen Prisma ſind die beyden Saͤume naͤher beyſam - men. Sie erreichen einander viel geſchwinder und betruͤ - gen den unaufmerkſamen Beobachter. Herr Newton giebt kleinen Prismen den Vorzug; die beruͤhmteſten Prismen ſind die engliſchen, und gerade dieſe ſind auch die kleinſten. “
„ Ein geiſtreicher Gegner Newtons ſagte mit Ver - druß: dieſe Prismen ſind ſaͤmmtlich Betruͤger, alle zur Theatererſcheinung des magiſchen Geſpenſtes zugerichtet. Aber das Uebermaß Newtoniſcher — Unredlichkeit ſage ich nicht, ſondern wohl nur Newtoniſchen Irrthums zeigt ſich darin, daß man ſich nicht mit kleinen Pris - men begnuͤgt, ſondern uns uͤber alles anempfiehlt, ja nur den feinſten, leiſeſten Strahl hereinzulaſſen, ſo daß man uͤber die Kleinheit der Oeffnung, wodurch der Sonnenſtrahl in eine dunkle Kammer fallen ſoll, recht ſpitzfindig verhandelt und ausdruͤcklich verlangt, das Loch ſoll mit einem feinen Nadelſtich in einer bleiernen oder kupfernen Platte angebracht ſeyn. Ein großer Mann und ſeine Bewunderer behandeln dieſe Kleinig - keiten nicht als geringfuͤgig; und das iſt gewiß, haͤtte man uns Natur und Wahrheit vorſaͤtzlich verhuͤllen wollen, was ich nicht glaube, ſo haͤtte man es nicht mit mehr Gewandtheit anfangen koͤnnen. Ein ſo fei - ner Strahl kommt aus dem Prisma mit einem ſo ſchmalen weißen Licht, und ſeine beyden Saͤume ſind535 ſchon dergeſtalt genaͤhert zu Gunſten des Geſpenſtes und zu Ungunſten des Beſchauers. “
„ Wirklich zum Unheil deſſen, der ſich betruͤgen laͤßt. Das Publicum ſollte demjenigen hoͤchlich danken, der es warnt: denn die Verfuͤhrung kam dergeſtalt in Zug, daß es aͤußerſt verdienſtlich iſt, ihre Fortſchritte zu hemmen. Die Phyſik mit andern ihr verwandten Wiſſenſchaften und von ihr abhaͤngigen Kuͤnſten war ohne Rettung verloren durch dieſes Syſtem des Irr - thums und durch andere Lehren, denen die Autoritaͤt deſſelben ſtatt Beweiſes diente. Aber in dieſen wie in jenem wird man kuͤnftig das Schaͤdliche einſehen. “
„ Sein Geſpenſt iſt wahrhaft nur ein Geſpenſt, ein phantaſtiſcher Gegenſtand, der an nichts geheftet iſt, an keinen wirklichen Koͤrper; es bezieht ſich vielmehr auf das, wo die Dinge nicht mehr ſind, als auf ihr Weſen, ihre Subſtanz, ihre Ausdehnung. Da wo die Koͤrper endigen, da, ganz genau da, bildet es ſich; und welche Groͤße es auch durch Divergenz der Strahlen erhalte, ſo gehen dieſe Strahlen doch nur von Einem Puncte aus, von dieſem untheilbaren Puncte, der zwey angraͤnzende Koͤrper trennt, das Licht des einen von dem naheliegenden Schatten oder dem ſchwaͤcheren Licht des andern. “
Friede mit ſeiner Aſche! Uns aber verzeihe man, wenn wir mit einigem Behagen darauf hinſehen, daß536 wir einen ſolchen Mann, der zwar nicht unter die er - ſten Geiſter, aber doch unter die vorzuͤglichen ſeiner Nation gehoͤrt, gegen ſeine Landsleute in Schutz ge - nommen, und ſeinem Andenken die verdiente Achtung wieder hergeſtellt haben.
Die Nachahmung von braunen Zeichnungen durch mehrere Holzſtoͤcke, welche in Italien zu Ende des ſechzehnten Jahrhunderts von Andreas Andreani und andern verſucht wurde, iſt Liebhabern der Kunſt ge - nugſam bekannt. Spaͤter thut ſich die Nachahmung der Malerey oder bunter Zeichnungen durch mehrere Platten hervor. Laſtmann, Rembrands Lehrer, ſoll ſich damit beſchaͤftigt haben.
Ohne daß wir hieruͤber beſondere Nachforſchungen angeſtellt haͤtten, ſo ſcheint uns, daß die Erfindung der ſchwarzen Kunſt dem Abdruck bunter Bilder vor - ausgehen mußte. Sehr leicht fand ſich ſodann der Weg dahin. Durch Zufall, aus Scherz, mit Vorſatz konnte man eine ſchwarze Kunſtplatte mit einer andern Farbe abdrucken, und bey dem ewigen Streben der menſchlichen Natur von der Abſtraction, wie doch alle Monochromen angeſehen werden koͤnnen, zu der Wirklichkeit und alſo auch zu der farbigen Nachah - mung der Oberflaͤchen, war ein wiederholter theilwei -537 ſer Abdruck derſelben Platte, ein Druck mit mehreren Platten, ja das Malen auf die Platte, ſtufenweiſe ganz wohl zu denken.
Daß jedoch dieſe Art von Arbeit zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht bekannt und uͤblich war, laͤßt ſich daraus ſchließen, daß De la Hire in ſei - nem ſehr ſchoͤnen und unterrichtenden Tractat uͤber die praktiſche Malerey dieſer bunten Drucke nicht erwaͤhnt, ob er gleich ſonſt ſehr ausfuͤhrlich iſt, und auch eini - ger ganz nahe verwandten Kuͤnſte und Kuͤnſteleyen ge - denkt und uns mit dem Verfahren dabey bekannt macht.
Gegenwaͤrtig haben wir zu unſern Zwecken zwey Maͤnner anzufuͤhren, welche ſich beſonders in der Epoche, bey der wir verweilen, in dieſem Fache mit Eifer be - muͤht haben.
Gebuͤrtig von Frankfurt am Main, ſteht nicht bloß hier ſeines Namens wegen unter den Franzoſen, ſondern weil er ſich in Frankreich und England thaͤtig bewieſen.
Er verſuchte erſt, nach der Newtoniſchen Lehre, mit ſieben Platten zu drucken; allein er bringt bey gro - ßer Beſchwerlichkeit nur einen geringen Effect hervor. 538Er reducirt ſie deshalb auf drey und verharrt bey dieſer Methode, ohne daß ihm jedoch ſeine Arbeit, die er mehrere Jahre fortſetzt, ſonderlich Vortheil verſchafft. Er legt ſeinen Druckbildern kein Clair-obſcuͤr, etwa durch eine ſchwarze Platte, zum Grunde; ſondern ſeine Schwaͤrze, ſein Schatten, ſoll ihm da entſtehen, wo beym Abdruck die drey Farben zuſammentreffen. Man wirft ihm vor, daß ſeine Behandlung unvollkommen geweſen, und daß er deshalb viel retouchiren muͤſſen. Indeß ſcheint er der erſte zu ſeyn, der mit dieſer Ar - beit einiges Aufſehen erregt. Sein Programm, das er in London deshalb herausgegeben, iſt uns nicht zu Ge - ſicht gekommen; es ſoll dunkel und abſtrus geſchrieben ſeyn.
Ein thaͤtiger, raſcher, etwas wilder, zwar talent - voller, aber doch mehr als billig zudringlicher und Auf - ſehen liebender Mann. Er ſtudirte erſt die Malerey, dann die Kupferſtecherkunſt, und kommt gleichfalls auf den Gedanken, mit drey farbigen Platten zu drucken, wobey er eine vierte, die das Clair-obſcuͤr leiſten ſoll, zum Grunde legt. Er behauptet, ſeine Verfahrungsart ſey eine ganz andre und beſſere als die des Le Blond, mit welchem er uͤber die Prioritaͤt in Streit geraͤth. Seine Myologie kommt 1746, die Anatomie des Haup - tes und ein Theil der Nervenlehre 1748, in Paris539 heraus. Die Arbeit iſt ſehr verdienſtvoll; allein es iſt uͤberaus ſchwer uͤber das eigentliche Verfahren, wel - ches er beym Druck dieſer colorirten Tafeln angewen - det, etwas Befriedigendes zu ſagen. Dergleichen Dinge laſſen ſich nicht ganz mechaniſch behandeln; und ob es gleich ausgemacht iſt, daß er mit mehrern Platten ge - druckt, ſo ſcheint es doch, daß er weniger als viere angewendet, daß auf die Clairobſcuͤr-Platte ſtellenweiſe ſchon gemalt worden, und daß ſonſt auch durch eine zaͤrtere kuͤnſtleriſche Behandlung dieſe Abdruͤcke den Grad der Vollkommenheit erreicht haben, auf welchem wir ſie ſehen.
Indeſſen, da er auf dem praktiſchen und techni - ſchen Malerweg uͤber die Farben zu denken genoͤthigt iſt; ſo muß er freylich darauf kommen, daß man aus drey Farben alle die uͤbrigen hervorbringen kann. Er faßt daher, wie Caſtel und andere, ein richtiges Aper - çuͤ gegen Newton und verfolgt es, indem er die pris - matiſchen Verſuche durcharbeitet.
Im November des Jahres 1749 traͤgt er der Aka - demie ein umſtaͤndliches Memoire vor, worin er ſo - wohl gegen Newton polemiſirt, als auch das was er theoretiſch fuͤr wahr haͤlt, niederlegt. Dieſe gelehrte Geſellſchaft war nun ſchon ſo groß und maͤchtig, daß ſie der Wiſſenſchaft ſchaden konnte. Vorzuͤgliche Mit - glieder derſelben, wie Nollet und Buͤffon, hatten ſich der Newtoniſchen Lehre hingegeben. Gautier’s Zudring - lichkeit mag hoͤchſt unbequem geweſen ſeyn. Genug,540 ſein Aufſatz ward nicht in die Memoiren der Akademie aufgenommen, ja man erwaͤhnte deſſelben nicht einmal in der Geſchichte der Verhandlungen. Wir haͤtten auch nichts davon erfahren, waͤre uns nicht eine wunder - liche lateiniſche Ueberſetzung deſſelben zu Handen gekom - men, welche ein Pariſer Chirurgus, Carl Nicolaus Jenty, London 1750 herausgegeben, unter dem Titel: φωτωφυσις χροαγενεσις De optice Errores Isaaci Newtonis Aurati Equitis demonstrans. Dieſe, wie der Titel, fehlerhafte, ungrammatiſche, incorrecte, uͤber - haupt barbariſche Ueberſetzung konnte freylich kein Gluͤck machen, obgleich der Inhalt dieſes Werkchens ſehr ſchaͤtzenswerth, mit Einſicht und Scharfſinn concipirt, und mit Lebhaftigkeit und Ordnung vorgetragen iſt. Wir haben uns jedoch dabey nicht aufzuhalten, weil es eigentlich nur eine Art von Auszug aus dem groͤ - ßern Werke iſt, von dem wir umſtaͤndlicher handeln werden. Uebrigens wollen wir nicht laͤugnen, daß wir faſt durchgaͤngig mit ihm einig ſind, wenige Stellen ausgenommen, in welchen er uns verkuͤnſtelnd zu ver - fahren ſcheint.
Sein ausfuͤhrliches Werk fuͤhrt den Titel: Chroa - genesie ou Génération des Couleurs, contre le sy - stème de Newton. à Paris 1750. 51. II. Tomes in 8. Die Darſtellung ſeiner Farbentheorie, ſo wie die Con - trovers gegen die Newtoniſche, gehen erſt im zweyten Bande, Seite 49 an. Das Allgemeine von beyden fin - det ſich Seite 60 bis 68. Von da an folgen umſtaͤnd - liche antinewtoniſche Verſuche.
5411) Mit Pergamentblaͤttchen vor der Oeffnung in der dunkeln Kammer. Steigerung dadurch von Gelb auf Roth. (E. 170).
2) Er entdeckt, daß der untere blaue Theil der Flamme nur blau erſcheint, wenn ſich Dunkel, nicht aber wenn ein Helles ſich dahinter befindet. (E. 159.) Weil er aber das, was wir durch Truͤbe ausſprechen, noch durch Licht ausſpricht, ſo geht er von dieſer Er - fahrung nicht weiter; ſie thut ihm genug, ob es gleich nur ein einzelner Fall iſt.
3) Er haͤlt feſt darauf, daß bey prismatiſchen Verſuchen die Farben nicht erſcheinen als nur da, wo eine dunkle Flaͤche an eine helle graͤnzt; ferner daß dieſe durch Refraction gegen einander bewegt werden muͤſſen, und erklaͤrt daher ganz richtig, warum die per - pendicularen Graͤnzen nicht gefaͤrbt werden. (E. 197. ff.)
4) Weil er aber immer noch mit Strahlen zu thun hat, ſo kann er damit nicht fertig werden, war - um das Bild an der Wand und das im Auge, bey gleicher Lage des brechenden Winkels, umgekehrt ge - faͤrbt ſind. Er ſpricht von auf - und niederſteigenden Strahlen. Haͤtte er es unter der Formel des auf - und niedergeruͤckten Bildes ausgeſprochen, ſo war alles ab - gethan. Bey dieſer Gelegenheit entwickelt er ganz rich - tig den erſten Verſuch der Newtoniſchen Optik, auf die Weiſe, wie es auch von uns geſchehen. (P. 34. ff.)
5425) Ein Waſſerprisma theilt er in der Mitte durch eine Wand, fuͤllt die eine Haͤlfte mit einem ſchoͤnen rothen, die andere mit einem ſchoͤnen blauen Liquor, laͤßt durch jedes ein Sonnenbild durchfallen, und be - merkt dabey die Verruckung und Faͤrbung. Es iſt die - ſes ein ſehr guter Verſuch, der noch beſonders unter - richtend werden kann, wenn man durch eine etwas groͤßere Oeffnung die Lichtſcheibe halb auf die eine, halb auf die andere Seite fallen laͤßt; da ſich denn nach der Refraction das wahre Verhaͤltniß gar ſchoͤn ausſpricht. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß man ſuc - ceſſiv mehrere Farben neben einander bringen kann.
Bey dieſer Gelegenheit wird das zweyte Experi - ment Newtons critiſirt und auf die Weiſe, wie wir auch gethan haben, gezeigt, daß man nur Hellblau zu nehmen habe, um das wahre Verhaͤltniß der Sache einzuſehen. (P. 47. ff.)
6) Verſuch mit dem ſubjectiven Herunterruͤcken des objectiven Bildes, deſſen Entfaͤrbung und Umfaͤrbung.
7) Verſuch mit einem linſenfoͤrmigen Prisma, d. h. mit einem ſolchen deſſen eine Seite convex iſt. Wir ſind nie dazu gelangt, mit einer ſolchen Vorrichtung zu operiren, und laſſen daher dieſe Stelle auf ſich beruhen.
8) Verſuch gegen das ſogenannte Experimentum Crucis. Wir glauben die Sache kuͤrzer gefaßt zu ha - ben. (P. 114. ff.)
443[543]9) Dieſe Nummer iſt uͤberſprungen.
10) In Gefolg von Nummer 8. Bey der Ent - wicklung des Experimentum Crucis ſcheint uns der Verfaſſer die verſchiedene Incidenz allzuſehr zu urgiren. Zwar iſt etwas daran; aber die Eminenz des Phaͤno - mens wird dadurch nicht zum Vorſchein gebracht.
11) Verſuch gegen die Newtoniſche Behauptung gerichtet: die different refrangiblen Strahlen ſeyen auch different reflexibel. Der Gedanke, das Spectrum durch einen Planſpiegel aufzufaſſen, und es nach allerley Seiten hin zu werfen, unter ſolchen Winkeln und Be - dingungen, daß eine diverſe Reflexibilitaͤt ſich darthun muͤßte, wenn ſie exiſtirte, iſt lobenswerth. Man wende jedoch einen metallnen Spiegel an, damit keine Irrung durch die unter Flaͤche entſtehe, und man wird, wie Gautier, finden, daß die Farben des Spectrums nach ihrem Einfalls-Winkel zuruͤckgeworfen werden und kei - neswegs eine diverſe Reflexion erleiden. Bey dieſer Gelegenheit gedenkt er des neunten Newtoniſchen Ver - ſuchs, den wir aufs genaueſte analyſirt, (P. 196 — 203.) und ihm eine beſondre Tafel, die achte, gewidmet ha - ben. Der Verfaſſer ſieht denſelben an wie wir, ſo wie auch den zehnten.
12) Verſuch gegen das erſte Theorem des zweyten Theils des erſten Buchs der Optik, wo Newton be - hauptet: die Graͤnze des Lichtes und Schattens trage nichts zur Entſtehung der prismatiſchen Farbe bey. 544Gautier fuͤhrt mit Recht uͤber den mittleren weißen Theil der prismatiſchen Erſcheinung eines großen Pris - ma’s ſeinen Finger oder einen Stab, und zeigt dadurch die bloß an der Graͤnze entſtehenden Farben. Dabey erzaͤhlt er, daß die Newtonianer ſich gegen dieſes Phaͤ - nomen dadurch retten wollen, daß ſie behaupteten: erſt am Finger gehe die Brechung vor. Man ſieht, daß dieſer Secte ſchon vor ſechzig Jahren eben ſo unbedenk - lich war, Albernheiten zu ſagen, wie am heutigen Tag.
13) Er bringt zu Beſtaͤtigung ſeiner Erklaͤrung noch einen complicirten Verſuch vor, deſſen Werth wir andern zu pruͤfen uͤberlaſſen.
14) Er laͤßt das Spectrum auf eine durchloͤcherte Pappe fallen, ſo daß jede Farbe einzeln durchgeht. Hier, durch eine zweyte Begraͤnzung, ohne wiederholte Refraction, erſcheinen die Farbenbildchen nach dem er - ſten Geſetz aufs neue geſaͤumt, und widerlegen die Lehre von Unveraͤnderlichkeit der ſogenannten homogenen Lich - ter. Der Verfaſſer gedenkt mit Ehren Mariotte’s, der dieſes Phaͤnomen zuerſt vor ihm beobachtete.
15) Er wendet hier abermals das Prisma mit der convexen Seite an, die mit einer Art von fein durchloͤ - chertem ſiebartigen Deckel bedeckt iſt, und bringt da - durch mannigfaltige Abwechſelung der Erſcheinung her - vor, wodurch er ſeine Behauptungen beguͤnſtigt glaubt. Wir haben dieſen Verſuch nicht nachgebildet.
54516) Verbindung der Linſe und des Prisma’s, wo - durch die Farben des Spectrums zum Weißen vereinigt werden ſollen. Hiebey Verſuch mit einem T, der an ſeinem Ort zu entwickeln iſt.
Hiermit endigen ſich die antinewtoniſchen Ver - ſuche.
Ueber Newtons Erklaͤrung des Regenbogens.
Ueber die Nebenſonnen, wobey die paroptiſchen Farben zur Sprache kommen.
Ueber die bleibenden Farben der Koͤrper. Erſt gegen die Erklaͤrungsart Newtons; dann leitet der Ver - faſſer Weiß und Schwarz ohngefaͤhr wie Boyle ab. Das Blaue bringt er durch das Helle uͤber dem Dunk - len hervor; das Rothe umgekehrt, welches freylich nicht ganz ſo gluͤcklich iſt; das Gelbe auf eben die Weiſe und mit mehrerem Recht. Er beſchreibt manche Verſuche, um dieſe Lehre zu beſtaͤtigen. Der Kuͤrze halben beziehen wir uns auf unſere Darſtellung der Sache (E. 501. ff.)
Hierauf folgt die Erklaͤrung ſeiner Kupfertafeln und zugleich eine Zuruͤckweiſung auf die Stellen des Werks, zu welchen ſie eigentlich gehoͤren.
II. 35546Haͤtte er ſeiner Controvers, an welcher wir wenig auszuſetzen finden, eine etwas ausfuͤhrlichere Farben - lehre folgen laſſen, und ſich damit begnuͤgt, ohne die ganze uͤbrige Naturlehre umfaſſen zu wollen; ſo haͤtte er vielleicht mehr Wirkung hervorgebracht. Allein ſein Fehler, wie der ſeiner Vorgaͤnger, beſteht darin, daß Newton, weil ſeine Farbenlehre unhaltbar befunden wird, auch in gar Nichts recht haben ſoll, daß man alſo unternimmt, auch alles uͤbrige was er geleiſtet, zu critiſiren, ja was noch ſchlimmer iſt, ein eignes Sy - ſtem dagegen aufzubauen, und ſich etwas das viel uͤber ſeine Kraͤfte geht, anzumaßen.
In gedachtem Sinne hat leider Gautier ein zwey - tes Titelblatt ſeinem Buche vorgeſetzt: Nouveau sy - stème de l’Univers, sous le titre de Chroa-genesie ou Critique des prétendues découvertes de Newton. Und ſo enthaͤlt denn der erſte Theil nichts was ſich auf Farbe bezieht, ſondern behandelt die allgemein - ſten phyſiſchen und damit verwandten metaphyſiſchen Gegenſtaͤnde, denen Gautier, ob er ſich gleich hiſtoriſch genugſam mit ihnen bekannt gemacht, dennoch weder als Philoſoph, noch als Naturforſcher gewachſen ſeyn mochte.
Erſt am Schluſſe des erſten Theils findet man et - was uͤber die Geſchichte der Farbenlehre. Der Anfang des zweyten gibt einen kurzen Abriß der im erſten ver - handelten allgemeinen, phyſiſch-metaphyſiſchen Princi - pien, von denen der Verfaſſer zuletzt auf das Licht547 uͤbergeht, und um Newtonen auch in der Behandlung keinen Vorzug zu laſſen, mit Definitionen und Axio - men geruͤſtet auftritt, ſodann die Definitionen und Axiomen Newtons wiederholt; da denn erſt auf der neunundvierzigſten Seite des zweyten Theils die Haupt - ſache wirklich zur Sprache kommt, die wir oben aus - fuͤhrlich ausgezogen haben.
Hiernach mag man erkennen, warum dem Verfaſ - ſer nicht gegluͤckt iſt, Wirkung hervorzubringen. Seine Controvers, ſo wie ſeine theoretiſche Ueberzeugung haͤt - te ſich ganz iſolirt darſtellen laſſen. Beyde hatten mit Anziehen und Abſtoßen, mit Schwere und ſonſt dergleichen Allgemeinheiten gar nichts zu ſchaffen. Wollte er die Farbenlehre an die Phyſik uͤberhaupt an - ſchließen, ſo mußte er einen andern Weg einſchlagen.
Außerdem begeht er noch einen Haupt - und Grund - fehler, daß er mit Strahlen zu operiren glaubt, und alſo, wie ſeine Vorgaͤnger, den Gegner ganz im Vor - theil laͤßt. Auch ſind ſeine Figuren nicht gluͤcklich; es gilt von ihnen, was wir von den Rizzettiſchen geſagt haben. Newton hatte ſeine falſche Lehre ſymboliſch auszudruͤcken verſtanden; ſeine Gegner wiſſen fuͤr das Wahre keine entſchiedene Darſtellung zu finden.
Von dem mannigfaltigen Verdruß den er ausge - ſtanden, ſo wie von allerley Argumentationen die er gegen die Schule gefuͤhrt, gibt uns der leidenſchaft - liche Mann ſelbſt Nachricht, in einer Art von phyſika -35 *548liſchem Journal, das er aber nicht weit gefuͤhrt. Die drey Hefte, welche den erſten Band ausmachen und zu Paris 1752 herausgekommen, liegen vor uns und fuͤh - ren den Titel: Observations sur l’histoire naturelle, sur la physique et sur la peinture, avec des Planches imprimées en couleur. Sie enthalten ein wahres Quodlibet von Naturgeſchichte und Naturlehre, jedoch, wie man geſtehen muß, durchaus intereſſante Materien und Gegenſtaͤnde. Sie ſind auf bunte Tafeln gegruͤn - det, nach Art des großen anatomiſchen Werks.
In dieſen Heften fehlt es nicht an verſchiedenen Aufſaͤtzen, ſeine Controvers mit Newton und der New - toniſchen Schule betreffend. Er kann ſich freylich da - bey nur, wie wir auch gethan, immer wiederholen, ſich verwundern und aͤrgern, da die Sache im Grunde ſo ſimpel iſt, daß ſie jedes verſtaͤndige unbefangene Kind bald einſehen muͤßte. Wie aber die gelehrte und naturforſchende Welt damals durch das Newtoniſche Spectrum benebelt geweſen, ſo daß ſie ſich gar nichts anderes daneben denken koͤnnen, und wie ihnen die Natur dadurch zur Unnatur geworden, iſt auch aus dieſen Blaͤttern hoͤchſt merkwuͤrdig zu erſehen.
Nach allem dieſem bleibt uns nichts uͤbrig als nochmals zu bekennen und zu wiederholen, daß Gau - tier unter denen, die ſich mit der Sache beſchaͤftigt, nach Rizzetti am weiteſten gekommen, und daß wir ihm, in Abſicht auf eine freyere Ueberſicht der Contro -549 vers ſowohl als der an die Stelle zu ſetzenden naturge - maͤßen Lehre, gar manches ſchuldig geworden.
Zu der Zeit, als dieſen tuͤchtigen Mann die fran - zoͤſiſche Akademie unterdruͤckte, lag ich als ein Kind von einigen Monaten in der Wiege. Er, umgeben von ſo vielen Widerſachern, die er nicht uͤberwinden konnte, obgleich beguͤnſtigt und penſionirt vom Koͤnige, ſah ſich um eine gewuͤnſchte Wirkung und eben ſo wie treffliche Vorgaͤnger um ſeinen guten Ruf gebracht. Ich freue mich, ſein Andenken, obgleich ſpaͤt, zu rehabiliti - ren, ſeine Widerſacher als die meinigen zu verfolgen und den von ihm, da er nicht durchdringen konnte, oft geaͤußerten Wunſch zu realiſiren:
Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor.
Er war Profeſſor der Philoſophie bey dem koͤnig - lichen Gymnaſium zu Neapel. Von ſeinem Werke An - ti-Newtonianismus kam daſelbſt der erſte Theil 1754, der zweyte 1756 in Quart heraus. Es iſt eigentlich eine Bearbeitung des Gautierſchen Werkes, welche wohlge - rathen genannt werden kann.
Der Verfaſſer hat mehr Methode als ſein Vor - gaͤnger: denn er widmet den erſten Theil gleich ohne550 Umſchweife der Controvers gegen Newtons Farbenlehre, und den neu aufzuſtellenden theoretiſchen Anſichten. Er hat ſich vollkommen von den Ueberzeugungen ſeines Vorgaͤngers durchdrungen, und auch außerdem die Ma - terie, ſowohl theoretiſch als praktiſch, gut durchſtudirt, ſo daß er das Werk wohl ſein eigen nennen konnte. Der zweyte Theil behandelt die uͤbrigen phyſiſch-meta - phyſiſchen Gegenſtaͤnde, welche Gautier in ſeinem er - ſten Buche abgehandelt hatte. Die Tafeln, welche ſich alle auf den erſten Theil beziehen, ſtellen theils New - toniſche, theils Gautierſche, theils eigene Figuren vor. Im Ganzen iſt es merkwuͤrdig, daß Gautier, der un - ter ſeinen Landsleuten keine Wirkung hervorbringen konnte, aus der Ferne ſich eines ſo reinen Widerhal - les zu erfreuen hatte.
Vielleicht geben uns diejenigen, welche mit der italiaͤniſchen Literatur bekannt ſind, Nachricht von dem, was man uͤber Cominale damals in ſeinem Vaterlande geurtheilt. Seine Wirkung konnte jedoch ſich nicht weit erſtrecken: denn die Newtoniſche Lehre war ſchon in die Jeſuiten-Schulen aufgenommen. Le Suͤeur und Jacquier hatten die Newtoniſchen Schriften ſchon mit einem durchgehenden Commentar verſehen, und ſo war dem Anti-Newtonianism Rom ſo wie die uͤbrige ge - lehrte Welt verſchloſſen, und die Flamme der Wahr - heit, die ſich wieder hervorthun wollte, abermals mit Schulaſche zugedeckt.
Wir verlaſſen nunmehr Frankreich und das Aus - land und wenden den Blick gegen das Vaterland.
Wir ſetzen dieſe Rubrik hieher, nicht um ſie aus - zufuͤllen, ſondern nur anzudeuten, daß an dieſem Pla - tze eine ganz intereſſante Abhandlung ſtehen koͤnnte.
Die deutſchen Hoͤfe hatten ſchon zu Anfange des vorigen Jahrhunderts viele Verdienſte um die Wiſſen - ſchaften. Sowohl Fuͤrſten als Fuͤrſtinnen waren aufge - regt, beguͤnſtigten gelehrte Maͤnner, und ſuchten ſich ſelbſt zu unterrichten.
Johann Wilhelm, Churfuͤrſt von der Pfalz, nahm 1704 Hartſoekern in ſeine Dienſte. Dieſer hatte ſchon in ſeinem Essay de Dioptrique die diverſe Refrangibi - litaͤt anerkannt, doch auf ſeine Weiſe erklaͤrt, und ſie den verſchiedenen Geſchwindigkeiten der farbigen Strah - len zugeſchrieben.
Was der Caſſelſche Hof, was die Hoͤfe Nieder - deutſchlands gethan, und wie fern auch die Newtoni - ſche Lehre zur Sprache gekommen, und Gunſt erhalten, wird in der Folge zu unterſuchen ſeyn. Nur eins koͤn - nen wir anfuͤhren, daß Profeſſor Hamberger 1743 nach Gotha berufen wird, um die Newtoniſchen Ver - ſuche, welche die allgemeine Aufmerkſamkeit erregt, bey Hofe vorzuzeigen. Wahrſcheinlich hat man das Zimmer recht dunkel gemacht, durch das foramen exiguum im552 Fenſterladen erſt den ſogenannten Strahl hereingelaſſen, das fertige prismatiſche Bild an der Wand gezeigt, mit einem durchloͤcherten Bleche die einzelnen Farben dargeſtellt, und durch eine zweyte ungleiche Verruͤckung, durch das ſogenannte Experimentum Crucis, auf der Stelle die hoͤchſten Herrſchaften und den ſaͤmmtlichen Hof uͤberzeugt; ſo daß Hamberger triumphirend zur Akademie zuruͤckkehren konnte.
Um die Thaͤtigkeit derſelben und was ſie in dieſer Sache gewirkt, kennen zu lernen, haben wir uns vor - zuͤglich auf Akademieen umzuſehen. Was und wie es gelehrt worden, davon geben uns die Compendien am beſten und kuͤrzeſten Nachricht.
Jeder der ein Lehrbuch ſchreibt, das ſich auf eine Erfahrungswiſſenſchaft bezieht, iſt im Falle eben ſo oft Irrthuͤmer als Wahrheiten aufzuzeichnen: denn er kann viele Verſuche nicht ſelbſt machen, er muß ſich auf an - derer Treu und Glauben verlaſſen und oft das Wahr - ſcheinliche ſtatt des Wahren aufnehmen. Deswegen ſind die Compendien Monumente der Zeit, in welcher die Data geſammelt wurden. Deswegen muͤſſen ſie auch oft erneuert und umgeſchrieben werden. Aber in - dem ſie neue Entdeckungen geſchwind aufnehmen und553 einige Capitel dadurch verbeſſern, ſo erhalten ſie in an - dern falſche Verſuche und unrichtige Schlußfolgen deſto laͤnger.
Wenn nun der Compendienſchreiber gewoͤhnlich das benutzt, was er ſchon voͤllig fertig vor ſich findet, ſo war die Boyliſche Bemuͤhung viele Farben-Phaͤnomene zuſammenzuſtellen und gewiſſermaßen zu erklaͤren, ſol - chen Maͤnnern ſehr angenehm, und man findet auch noch bis uͤber das erſte Viertel des achtzehnten Jahr - hunderts dieſe Methode herrſchen, bis ſie endlich von der Newtoniſchen Lehre voͤllig verdraͤngt wird.
Wir wollen die Compendien, die uns bekannt ge - worden, beſonders die deutſchen, welche bey Mehrheit der Univerſitaͤten, zu einer groͤßern Anzahl als in an - dern Laͤndern anwuchſen, kuͤrzlich anzeigen und das hie - her gehoͤrige mit wenigem ausziehn.
Physica oder Naturwiſſenſchaft durch Scheuchzer, erſte Ausgabe 1703.
Ein wuͤrdiger, wohlgeſinnter, fleißiger und unter - richteter Mann bringt in dieſem Werke meiſtens die Geſchichte der Meynungen mit vor, und geht von der Metaphyſik ſeiner Zeit zur Phyſik uͤber. Die Farben - lehre uͤberliefert er nach Boyle, Hook und Descartes.
In der zweyten Ausgabe von 1711 fuͤgt er ein beſonderes Capitel bey, worin er die Newtoniſche Lehre nach Anleitung der Optik genau und umſtaͤndlich vor -554 traͤgt, ſo wie er auch die Kupfertafeln nachſtechen laͤßt. Die Newtoniſche Lehre ſteht, wie eine unverarbeitete Maſſe, gleichſam nur literariſch da; man ſieht nicht, daß er irgend ein Experiment mit Augen geſehen, oder uͤber die Sachen gedacht habe.
Hermann Friedrich Teichmeyer. Amoenitates, Jena 1712. Haͤlt ſich noch an Hook und Boyle. Man findet keine Newtoniſche Spur.
Deutſche Phyſik durch Theodor Hersfeld, 1714. Der wahre Name iſt Conrad Mel. Ein pedantiſches, philiſterhaftes Werk. Die Farbenerſcheinungen bringt er confus und ungeſchickt genug hervor. Er will die Farben der Koͤrper aus der verſchiedenen Art ihrer Theile herleiten, ſo wie aus den von ihnen wunderlich zuruͤckgeworfenen Lichtſtrahlen. Die Newtoniſche Lehre ſcheint er gar nicht zu kennen.
Martin Gotthelf Loͤſcher. Physica experimenta - lis, Wittenberg 1715. Scheint ein Schuͤler von Teich - meyern zu ſeyn, wenigſtens ſind die Phaͤnomene bey - nahe eben dieſelben, ſo wie auch die Erklaͤrung.
Bey ihm iſt color, tertia affectio specialis cor - porum naturalium, seu ea lucis in poris ac super - ficiebus corporum modificatio, quae eadem nobis sistit colorata et diverso colore praedita. Man er - kennt hier Boylen; Newtons wird nicht erwaͤhnt.
Johannes Wenceslaus Caſchubius. Elementa555 Physicae, Jena 1718. Hier faͤngt ſchon der Refrain an, den man kuͤnftig immer fort hoͤrt: si per foramen ro - tundum etc.
Er thut die apparenten und koͤrperlichen Farben in ein paar Paragraphen nach Newtoniſcher Art ab.
Vernuͤnftige Gedanken von den Wirkungen der Natur, von Chriſtian Wolff 1723. Der Verf. beweiſt die Lehre von der Heterogeneitaͤt des Lichtes a priori.
Julius Bernhard von Rohr. Phyſikaliſche Biblio - thek, Leipzig 1724. Seine Literatur iſt ſehr mager; mit Newton mag er nichts zu thun haben, weil er lie - ber kuͤnſtliche und mechaniſche Zuſammenſetzungen, als muͤhſame Ausrechnungen befoͤrdert wuͤnſcht.
Johann Matthaͤus Barth. Physica generalior, Regensburg 1724. Ein Geiſtlicher und wohldenkender Mann, der dem Aberglauben entgegen arbeitet, und ſich daher mit Naturlehre abgibt, doch nicht ſowohl ſelbſt verſucht, als das was andre geleiſtet, zuſammen - ſtellt. Im Paragraphen von den Farben folgt er Boylen, gedenkt der Lehre Newtons, laͤßt ſich aber nicht darauf ein, und hat folgende merkwuͤrdige Stelle: „ Es hat mich Herr Baier, Professor Theologiae zu Altorf, einſt im Discours verſichert, daß er in derglei - chen Verſuchen (den Newtoniſchen naͤmlich, von denen eben die Rede iſt) betruͤgliche Umſtaͤnde gefunden, wel - che er publicirt wuͤnſchte. “
556Dieſes iſt die erſte Spur die ich finde, daß ein Deutſcher gegen die Newtoniſche Lehre einigen Zweifel erregt. Ferner gedenkt Barth deſſen, was Mariotte derſelben entgegengeſetzt.
Johann Friedrich Wucherer. Institutiones phi - losophiae naturalis eclecticae. Jena 1725. Vom 238 §. an. Die Farbe ſey nichts Reelles. Das Reelle ſey, was exiſtire, wenn es auch Niemand daͤchte; aber es gebe keinen Schmerz, wenn ihn Niemand fuͤhlte. Darin kaͤmen alle neueren Phyſiker uͤberein. Wenn das Licht weggenommen iſt, ſieht man alles ſchwarz. Blinde koͤn - nen Farben fuͤhlen, z. B. Boylens Vermaaſen. Finch Tractatus de coloribus. Schmidii dissertatio caecus de colore judicans. Sturm fuͤhrt ein Exempel an, daß ein Blinder die verſchiedenen Farben riechen konnte. vid. illius physicam hypotheticam. Die Farben kom - men alſo von der Verſchiedenheit der Oberflaͤche der Koͤr - per her, et hinc pendente reflexione, refractione, in - fractione, collectione, dissipatione radiorum solarium. Gruͤnde die Boyle angibt. Bey veraͤndertem Licht ver - aͤndern ſich die Farben. So auch bey veraͤnderter Ober - flaͤche, wie auch durch veraͤnderte Lage. Hier bringt er nicht ſehr gluͤcklich die Regentropfen und das Pris - ma vor. Nachdem er ſeine Lehre auf die verſchiedenen Farben angewendet, faͤhrt er fort: Haec equidem non sine ratione dicuntur et ad colores supra dic - tos non sine specie veri accommodantur. At vero ad specialia ubi descendimus, difficultates omnino557 tales occurrunt, quibus solvendis spes ulla vix su - perest.
Er citirt Hamelius de corporum affectionibus, Weidlerus in Explicatione nova Experimentorum Newtonianorum. Er kennt Newtons Lehre, nimmt aber keine Notiz davon.
Hermann Friedrich Teichmeyer. Elementa Phi - losophiae naturalis, Jena 1733. Eine neue Auflage ſeines fruͤhern Compendiums. Sein Vortrag iſt noch immer der alte.
Georg Ehrhardt Hamberger. Elementa physi - ces, Jena 1735. Auf der 339. Seite beruft er ſich auf Wolff, daß dieſer die Heterogenitaͤt des Lichts a priori bewieſen habe und verweiſet auf ihn.
Er fuͤhrt einen gewiſſen Complex der Newtoniſchen Verſuche an, und beginnt mit dem bekannten Liede: sit igitur conclave tenebrosum et admittatur per exi - guum foramen radius lucis. Uebrigens ſind ſeine Figuren von den Newtoniſchen copirt und es findet ſich keine Spur, daß er uͤber die Sache nachgedacht, oder critiſch experimentirt habe.
Samuel Chriſt. Hollmann. Physica. Introdu - ctionis in universam Philosophiam Tom. II. Goͤttin - gen 1737. §. 147. Non id enim, quod rubicundum, flavum, caeruleum etc. appellamus, in rebus ipsis558 extra nos positis, sed in nostris solum perceptio - nibus, immo certa tantummodo perceptionum no - strarum modificatio est, a sola diversa lucis modi - ficatione in nobis solum oriunda.
Er verwirft daher die alte Eintheilung in reales und apparentes. Traͤgt die Newtoniſche Lehre buͤndig, doch mehr uͤberredend, als entſcheidend vor.
Die Note zum 150 §. enthaͤlt zur Geſchichte der Theorie ſehr brauchbare Allegate, woraus man ſieht, daß er die Entſtehung der Lehre, ſowohl als die Con - troverſen dagegen recht gut kennt, nicht weniger den Beyfall den ſie erhalten. Aus dem Tone des Vortrags im Texte bemerkt man, daß er ſein Urtheil in suspen - so halten will.
Johann Heinrich Winkler. Institutiones ma - thematico-physicae. 1738. §. 1112. erwaͤhnt er der Newtoniſchen Lehre im Vorbeygehen, bey Gelegenheit der undeutlichen Bilder durch die Linſen: praeterea Newtonus observavit, radium unum per refractio - nem in plures diversi coloris dispesci, qui cum ca - theto refractionis diversos angulos efficiunt.
Samuel Chriſt. Hollmann. Primae physicae ex - perimentalis lineae, Goͤttingen 1742. Die Newtoniſche Lehre laconiſch, jedoch noch mit videtur vorgetragen. In den Ausgaben von 1749, 1753, 1765 laconiſch und ganz entſchieden.
559Vernuͤnftige Gedanken von Chriſtian Wolff, fuͤnfte Ausgabe von 1746. Im erſten Theile, §. 129. erklaͤrt er die Farbenerſcheinung an den Koͤrpern ganz nach Newtoniſcher Manier und beruft ſich auf den zweyten Theil ſeiner Experimenta.
Johann Andreas Segner. Einleitung in die Naturlehre, erſte Auflage 1746, zweyte, Goͤttingen 1754, traͤgt die Newtoniſchen Verſuche ſo wie die Theorie kurz vor. Seine Figuren ſind nach Newton copirt. Es zeigt ſich keine Spur, daß er die Phaͤnomene ſelbſt geſehen.
Johann Wolfgang Kraft. Praelectiones in Physi - cam theoreticam, Tuͤbingen 1750. Er folgte, wie er ſelbſt ſagt, dem Muſchenbroek, laͤßt die Lehre von den Farben ganz aus, und verweiſt auf einen optiſchen Trac - tat, pag. 267.
Andreas Gordon. Physicae experimentalis ele - menta, Erfurt 1751. Ein Benedictiner im Schotten - kloſter zu Erfurt, ein ſehr fleißiger Mann voller Kennt - niſſe. Man ſieht, daß in katholiſchen Schulen man damals noch mit der Scholaſtik zu ſtreiten hatte.
Im 1220 §. ſind ihm die Farben auch Koͤrper, die ſich vom Licht herſchreiben. Sein Vortrag der New - toniſchen Lehre iſt ein wenig confus; ſeine Figuren ſind, wie die der ganzen Schule, falſch und maͤhrchenhaft.
Die chemiſchen Experimente traͤgt er zuletzt vor560 und ſchließt: quae omnia pulchra quidem, suis ta - men haud carent difficultatibus.
Johanne Charlotte Zieglerinn. Grundriß einer Naturlehre fuͤr Frauenzimmer, Halle 1751. P. 424. traͤgt ſie die hergebrachte Lehre vor und verweiſt ihre Leſerinnen auf Algarotti.
Johann Peter Eberhard. Erſte Gruͤnde der Na - turlehre, Halle 1753. Die Newtoniſche Theorie, doch mit einiger Modification, die er ſchon in einer kleinen Schrift angegeben. Im 387 §. faͤngt er den ganzen Vortrag mit dem bekannten Refrain an: Man laſſe durch eine kleine runde Oeffnung ꝛc. Seine Figuren ſind klein, ſchlecht und wie alle aus dieſer Schule, nicht nach dem Phaͤnomen, ſondern nach der Hypotheſe gebildet.
In ſeiner Sammlung der ausgemachten Wahrhei - ten der Naturlehre 1755 ſetzt er, wie natuͤrlich, die Newtoniſche Theorie auch unter die ausgemachten Wahr - heiten.
Man ſey daruͤber einig, daß die Sonnenſtrahlen nicht gleich ſtark gebrochen werden.
Er bringt etwas von der Geſchichte der Farbenleh - re bey und citirt wegen des Beyfalls den Newton faſt uͤberall gefunden, die Schriften mehrerer Naturfor - ſcher.
„ Es hat zwar der bekannte Pater Caſtel Einwuͤrfe561 dagegen gemacht, die aber auf ſolche Verſuche gegruͤn - det waren, bey welchen der gute Franzoſe keine ma - thematiſche Accurateſſe beweiſen. “
(Welche wunderlichen Redensarten! als wenn es keine andere Accurateſſe gaͤbe als die mathematiſche.)
„ Man ſieht aus den Miscell. curios. p. 115. daß man auch ſchon damals in Paris Newtons Theo - rie angegriffen, welches aber aus einem Mißverſtaͤnd - niß geſchehen. “
Florian Dalham. Institutiones physicae, Wien 1753. Ein Geiſtlicher, bringt etwas weniges von der Geſchichte der Farbenlehre vor; dann intonirt er: ra - dius solis per foramen A. Mit den Einwuͤrfen iſt er bald fertig, dann folgen einige chemiſche Experimente.
Emanuel Schwendeborg. Prodromus Prin - cipiorum rerum naturalium, Hildburghauſen 1754. p. 137. Wie er durch dieſe ganze Schrift die Koͤrper aus Kugeln verſchiedener Groͤße und Art, aus Kreiſen und Kraͤnzen und deren Interſtitien aufs wunderlichſte zuſammenſetzt, eben ſo macht er es mit der Transparenz, dem Weißen, Rothen und Gelben. Alles ſey trans, parent ſeinen kleinſten Theilen nach: Albedo; si an - guli reflexionis varie confundantur in particulis trans - parentibus, albedinem oriri. Rubedo; si superfi - cies particularum varii generis particulis variege - tur, oriri rubedinem. Flavedo; si albedo mixta sit cum rubedine, flavedinem oriri.
II. 36562Jacob Friedrich Malers Phyſik, Carlsruhe 1767. pag. 225. Kurz und ſchlechtweg Newtons Lehre.
Bernhard Krant. Praelectiones encyclopaedicae in physicam experimentalem, Erfurt 1770. p. 47. Newtons Lehre ſchlechtweg und kurz.
Johann Chriſtian Polycarp Erxleben. Anfangs - gruͤnde der Naturlehre, 1772. „ Wenn man durch ein kleines rundes Loch “ꝛc. Er traͤgt uͤbrigens die Newtoni - ſche und Eulerſche Lehre in der boͤſen, halb hiſtoriſchen, halb didaktiſchen Manier vor, die ſich nicht compromit - tiren mag und immer noch eine Hinterthuͤre findet, wenn die Lehre auch falſch befunden wuͤrde.
Schmalings Naturlehre fuͤr Schulen, Goͤttingen und Gotha 1774. pag. 8. Das gewoͤhnliche Stoß - gebet.
Johann Lorenz Beckmanns Noturlehre, Carls - ruhe 1775. p. 321. Das alte Lied: „ man laſſe durch eine mittelmaͤßige runde Oeffnung “ꝛc.
Matthias Gablers Naturlehre, drey Theile, Muͤn - chen 1778. p. 319. item: „ man laſſe einen Lichtſtrahl “ꝛc. P. 323. laͤßt er ſich in Controvers ein, glaubt aber wie die Schule uͤberhaupt viel zu geſchwind mit dem Gegner fertig zu werden. Einwand eines Anti-Newtonianers oder eigentlich Anti-Culerianers von den Trabanten des Jupiter hergenommen. Auch Herr Gabler fertigt Mariotten und Rizzetti’n leicht ab.
563Wenceslaus Johann Guſtav Karſten. Natur - lehre, 1781. Erſt wie gewoͤhnlich die Lehre von der Brechung fuͤr ſich: dann §. 390. „ mit der Strahlen - brechung iſt noch ein Erfolg verbunden “ꝛc. Mertwuͤr - dig iſt, daß der Verf. ſeine Ausdruͤcke behutſamer als hundert andre ſtellt, z. E. „ der Erfolg laͤßt ſich am beſten erklaͤren, wenn man mit Herrn Newton an - nimmt ꝛc. wenn es wahr iſt, daß rothes Licht am we - nigſten brechbar iſt “ꝛc.
C. G. Kratzenſtein. Vorleſungen uͤber die Experi - mentalphyſik, Kopenhagen 1782. p. 134. „ Das weiße Licht beſteht nach Newton aus ſieben Hauptfarben “ꝛc.
Johann Daniel Titius. Physicae experimentalis elementa, Lipsiae 1782. §. 111. Der Radius solaris. dann aber zwey Prismen, man weiß nicht warum: denn das Experimentum Crucis iſt es nicht. Auch dieſer macht einen Sprung: patet ex hoc experimento diver - sam radiorum solarium refrangibilitatem etc. Dann einige Folgerungen und etwas weniges Chemiſches.
W. J. G. Karſten. Anleitung zur gemeinnuͤtzlichen Kenntniß der Natur, Halle 1783. §. 1. und folgende, ohngefaͤhr in dem Sinne, wie in ſeiner Naturlehre.
Johann Philipp Hobert. Grundriß der Naturlehre, Berlin 1789. §. 221. Lichtſtrahl, enge Oeffnung, ver - finſtertes Zimmer ꝛc. wie ſo viele andre, hinter der ganzen Heerde drein.
36 *564Anton Bruchhauſen. Institutiones physicae, uͤberſetzt von Bergmann, Maynz 1790. Sonnenſtrahl, kleine Oeffnung und ſogar Lichtfaͤden.
Johann Baptiſta Horvat. Elementa physicae, Budae 1790. Die alte Leyer. Stamina lucis, colore immutabili praedita.
Matthaͤus Pankl. Compendium institutionum physicarum Pars I. Posoniae 1793. p. 160. cap. 3. de lucis heterogeneitate. Veteribus lumen simplicis - sima et homogenea substantia fuit. Newtonus he - terogeneam esse extra omnem dubitationem posuit.
A. W. Hauch. Anfangsgruͤnde der Experimental - phyſik, aus dem Daͤniſchen von Tobieſen. Schleswig 1795. 1. Theil §. 286. Das hergebrachte Lied wird abgeorgelt.
Wir ſind bey dieſer Anzeige der Compendien weit uͤber die Epoche hinausgegangen in der wir uns ge - genwaͤrtig befinden, und haben die Recenſion ſolcher Schriften bis gegen das Ende des achtzehnten vorigen Jahrhunderts fortgeſetzt, indem wir auf dieſe Wie - derhohlungen und Nachbetereyen nicht wieder zuruͤck - zukehren wuͤnſchten.
Es iſt intereſſant zu ſehen, durch welche Reihe von Perſonen auf einer beſuchten Akademie die Newto - niſche Lehre fortgepflanzt worden. Ein Goͤttinger Pro - feſſor hatte ohnehin, bey der nahen Verwandtſchaft mit England, keine Urſache, eine Meynung naͤher zu pruͤ - fen, welche ſchon durchgaͤngig angenommen war, und ſo wird ſie denn auch bis auf den heutigen Tag noch dort ſo gut als auf andern Akademien gelehrt.
Hollmann, 1736, lieſt Phyſik als einen Theil des philoſophiſchen Curſus. Seine Institutiones werden 1738 gedruckt. Er lieſt weitlaͤufige Experimentalphy - ſik, nachher dieſelbe zuſammengezogener. Faͤhrt damit nach Abgang Segners fort bis gegen 1775; ſtirbt 1788, nachdem er ſchon mehrere Jahre der Phyſik, und ſpaͤ - ter den uͤbrigen Vorleſungen ſich entzogen.
Segner, 1736, lieſt Phyſik uͤber Hamberger, Wolff, Muſchenbroek, nach Dictaten, von 1744 an; ſo - dann uͤber ſeine Anfangsgruͤnde, von 1746 bis zu ſeinem Abgang 1754.
Kaͤſtner, lieſt 1759 Phyſik nach Winkler, ſpaͤter nach Eberhards erſten Gruͤnden der Naturlehre. Er hat als Mathematiker den beſondern Tick, die Phyſiker anzufeinden.
566Meiſter lieſt Perſpective und Optik.
Erxleben, Professor extraordinarius ſeit 1770. Erſte Ausgabe ſeines Compendii 1772; ſtirbt 1777.
Lichtenberg, Professor extraordinarius ſeit 1770. Anfangs viel abweſend und mit mathematicis beſchaͤf - tigt, lieſt von 1778 an uͤber Erxleben und gibt ſieben vermehrte Auflagen heraus.
Mayer, nach Lichtenbergs Tod, ſtimmt in einem neuen Compendium das alte Lied an.
Smith und Martin, Englaͤnder, bringen die Lehre Newtons im Auszuge in ihre Lehrbuͤcher.
Le Suͤeur und Jaquier, geiſtliche Vaͤter zu Rom, commentiren Newtons Werke und verbreiten ſeine Lehre.
Encyclopaͤdiſten. Da ein Lexicon ſo wie ein Compendium einer Erfahrungswiſſenſchaft, eigentlich nur eine Sammlung des curſirenden Wahren und Fal - ſchen iſt; ſo wird man auch von dieſer Geſellſchaft nichts weiter erwarten. Man konnte ihr nicht zumu - then, daß ſie jede Wiſſenſchaft ſollte neu durcharbeiten567 laſſen. Und ſo haben ſie denn auch die alte Confeſſion mit Ernſt und Vollſtaͤndigkeit dergeſtalt abgelegt, daß ſie vor den ſaͤmmtlichen Glaubensgenoſſen mit Ehren beſtehen koͤnnen. Die Artikel, unter welchen ſolches aufzuſuchen, verſtehen ſich von ſelbſt.
Montucla. In der erſten Haͤlfte des achtzehn - ten Jahrhunderts hatten ſich, wie wir wiſſen, die For - meln und Redensarten voͤllig ausgebildet, welche man zu Gunſten Newtons und zu Ungunſten ſeiner Gegner wiederholte und einander nachſagte. In Montucla’s hi - stoire des mathématiques, Paris 1758. findet man auch nichts anders. Nicht allein Auswaͤrtige, wie Riz - zetti, behalten Unrecht, ſondern es geſchieht auch Fran - zoſen, Mariotten, Caſtel, Dufay, von dem Franzoſen Unrecht. Da ſich dieſe ſo ſehr auf Ehre haltende Na - tion gegen das einmal eingewurzelte Vorurtheil nicht wieder erholen konnte; ſo wird man ja wohl andern, nicht ſo lebhaften, und nicht ſo eigenwilligen Voͤlkern verzeihen, wenn ſie auch bey dem einmal Angenomme - nen ruhig verharrten.
De affinitate colorum commentatio, lecta in conventu publico, Goettingae 1758. in den kleinen, nach deſſen Tod, von Lichtenberg herausgegebenen Schriften.
Der Newtoniſche Wortkram wurde nunmehr von allen deutſchen Cathedern ausgeboten. Man freute ſich die Urfarben aus dem Licht hervorgelockt zu haben; es ſollten ihrer unzaͤhlige ſeyn. Dieſe erſten homogenen, einfachen Farben hatten aber die wunderliche Eigenſchaft, daß ein großer Theil derſelben von den zuſammengeſetz - ten nicht zu unterſcheiden war.
Betrachtete man jedoch das ſogenannte Spectrum genauer, ſo konnte nicht verborgen bleiben, daß theils der Natur der Sache nach, theils der Bequemlichkeit des Vortrags wegen, ſich dieſe unendlichen Farben auf eine geringere Zahl reduciren ließen. Man nahm ihrer fuͤnf an, oder ſieben. Weil aber das hoͤchſte, im voͤlligen Gleichgewicht ſtehende Roth dem prismatiſchen Farbenbild abging; ſo fehlte auch hier die ſechſte oder die achte Farbe; das Ganze blieb unvollſtaͤndig und die Sache confus.
Alle diejenigen, die von der Malerey und Faͤrbe - rey an die Farbenlehre herantraten, fanden dagegen, wie uns die Geſchichte umſtaͤndlich unterrichtet, natur -569 gemaͤß und bequem, nur drey Grundfarben anzuneh - men. Dieſes hatte ſchon Boyle im zwoͤlften Experi - ment des dritten Theils ſeines bekannten Werks kurz und buͤndig ausgeſprochen, und den Malern das Recht ertheilt, nur drey primaͤre Farben zu ſtatuiren: weil man denn doch wohl diejenigen ſo nennen duͤrfe, die aus keinen andern entſpringen, alle uͤbrigen aber er - zeugen.
In dieſem Sinne iſt denn auch Mayers Aufſatz geſchrieben. Es herrſcht darin der gerade geſunde Menſchenverſtand. Er operirt zwar mit Pigmenten, waͤhlt aber unter ihnen diejenigen aus, die er als Re - praͤſentanten jener durch den Begriff beſtimmten, einfa - chen Farben anſehen darf. Durch Combination und Berechnung will er nun die moͤglichen, unterſcheidbaren Zuſammenſetzungen ausmitteln.
Allein, weil er atomiſtiſch zu Werke geht, ſo iſt ſeine Behandlung keineswegs zulaͤnglich. Die einfachen, die Grundfarben, moͤgen dem Verſtande beſtimmbar ſeyn, aber wo ſollen ſie in der Erfahrung als Koͤrper aufgefunden werden? Jedes Pigment hat ſeine beſon - dern Eigenſchaften und verhaͤlt ſich, ſowohl faͤrbend als koͤrperlich, gegen die uͤbrigen, nicht als ein Allge - meines, ſondern als ein Specifiſches. Ferner entſteht die Frage: ſoll man die Pigmente nach Maaß, oder nach Gewicht zuſammenbringen? Beydes kann hier nicht frommen. Alle Miſchung der Pigmente zu male - riſchen Zwecken iſt empiriſch-aͤſthetiſch, und haͤngt von570 Kenntniß der unterliegenden Koͤrper und von dem zar - ten Gefuͤhle des Auges ab. Hier, wie in allen Kuͤn - ſten, gilt ein geiſtreiches, incalculables Eingreifen in die Erfahrung.
Noch manches waͤre hier beyzubringen, doch wird es demjenigen, der unſerm Vortrage bisher aufmerk - ſam gefolgt iſt, gewiß gegenwaͤrtig ſeyn. Wir geben daher, ohne weiteres, die Summe des Mayeriſchen Aufſatzes nach ſeiner Paragraphen-Zahl.
1) Es ſeyen nur drey einfache primitive Farben, aus denen durch Miſchung die uͤbrigen entſtehen.
2) Schwarz und Weiß ſey nicht unter die Farben zu rechnen, hingegen dem Licht und der Finſterniß zu vergleichen.
3) Die ſecundaͤren Farben ſeyen gemiſcht aus zwey oder drey einfachen.
4) Miſchung von Roth und Gelb.
5) Miſchung von Gelb und Blau.
6) Miſchung von Roth und Blau.
7) Weitere Ausfuͤhrung.
8) Miſchung der drey Farben in verſchiedenen Proportionen.
5719) Weiß und Schwarz zu den Farben gemiſcht, macht ſie nur heller und dunkler. Die drey Urfarben, in gehoͤrigem Maaße zuſammengemiſcht, machen Grau, ſo wie jene beyde.
10) Von chemiſchen Miſchungen iſt nicht die Rede. Die Verſuche zu dem gegenwaͤrtigen Zweck ſind mit trocknen Pulvern anzuſtellen, die auf einander nicht wei - ter einwirken.
11) Die Portion der einer andern zuzumiſchenden Farbe muß nicht zu klein ſeyn, ſonſt iſt das Reſultat nicht beſtimmbar.
12) Man kann zwoͤlf Theile einer jeden Farbe feſt - ſetzen, bezuͤglich auf Muſik und Architectur, welche auch nur ſo viel Theile fuͤr ſenſibel halten.
13) Bezeichnung mit Buchſtaben und Zahlen.
14) Durch gemeinſame Factoren multiplicirt oder dividirt, aͤndert ſich das Reſultat nicht.
15) Die einfachen Farben werden erſt zu zwey, dann zu drey, zwoͤlfmal combinirt.
16) Durch weitere Operation entſtehen ein und neunzig Veraͤnderungen,
17) die in einem Dreyeck aufgeſtellt werden koͤnnen.
57218) Die Felder dieſes Dreyecks ſollen nun nach ihren Zahlbezeichnungen colorirt werden. Dieß ſoll durch einen Maler geſchehen. Dadurch wird alſo das Fundament der Sache dem Auge, dem Gefuͤhl des Kuͤnſtlers uͤberlaſſen.
19) Ein Pigment ſtelle die Farbe nicht rein dar. Dieſes iſt freylich ganz natuͤrlich, weil ſie an irgend einem Koͤrper beſonders bedingt wird. Die reine Farbe iſt eine bloße Abſtraction, die wohl manchmal, aber ſelten zur Wirklichkeit kommt. So nimmt Mayer z. B. den Zinnober als ein vollkommenes Roth an, der doch durchaus einen gelben Schein mit ſich fuͤhrt.
20) Vier Pigmente werden angegeben mit ihren Buchſtaben und Ziffern des Dreyecks. Nun wird be - rechnet, welche Farbe aus dieſen Pigmenten entſtehen ſoll. Dieſe Pigmente muͤſſen alſo doch erſt mit den Feldern des Dreyecks verglichen werden, und wer ver - gleicht ſie, als ein geuͤbtes Auge? und wer wird die zuſammengeſetzte Farbe mit der durch das Zeichen des Reſultats der Berechnung angegebenen Farbe verglei - chen?
21) Die Aufgabe wird umgekehrt. Man verlangt eine gewiſſe Farbe: wie viel Theile der uͤbrigen ſollen dazu genommen werden?
22) Mehr als drey Pigmente duͤrfe man nicht an - nehmen, ſonſt werde die Aufgabe unbeſtimmt.
57323) Miſchung der vollkommenen, gehoͤrig beleuch - teten, mit Licht verſehenen Farben mit Weiß,
24) wodurch ſie heller werden, und zugleich un - kenntlicher, d. i. weniger unterſcheidbar. Des Weißen werden auch zwoͤlf Theile angenommen, und ſo entſte - hen dreyhundert vierundſechzig Farben. Dieſe Zahl deutet auf eine Pyramidal-Flaͤche, deren je eine Seite zwoͤlf enthaͤlt.
25) Dieſelbige Operation mit Schwarz.
26) Vollkommene Farben ſollen immer etwas Weiß oder Licht bey ſich haben.
27) Weitere Ausfuͤhrung.
28) Schwarz betrachtet als die Privation des Weißen.
29) Saͤmmtliche auf dieſem Wege hervorgebrachten Farben belaufen ſich auf achthundert neunzehn.
30) Schlußbetrachtung uͤber dieſe beſtimmte große Mannigfaltigkeit und uͤber die noch weit groͤßere der verſchiedenen Abſtufungen, die dazwiſchen liegen.
Mayer hatte, wie natuͤrlich war, ſeine Unzufrie - denheit mit der Newtoniſchen Terminologie zu erkennen gegeben. Dieſes zog ihm nicht den beſten Willen ſeiner Collegen und der gelehrten Welt uͤberhaupt zu. Schon574 in der Vorleſung ſelbſt machte Roͤderer eine unbedeu - tende und unrichtige Bemerkung, welche aber begierig aufgefaßt und durch Kaͤſtnern fortgepflanzt wurde. Was dieſer, und nachher Erxleben, Lichtenberg, Johann Tobias Mayer, Mollweide und andere, wenn die Sa - che zur Sprache kam, fuͤr Sandweben uͤber dieſen Ge - genſtand hingetrieben und ihn damit zugedeckt, waͤre allzu umſtaͤndlich aus einander zu ſetzen. Der beſſer Unterrichtete wird es kuͤnftig ſelbſt leiſten koͤnnen.
Beſchreibung einer mit dem Calauiſchen Wachſe ausgemalten Farbenpyramide. Berlin 1772. in 4.
Der Mah〈…〉〈…〉 iſchen Abhandlung war eine colorirte Tafel beygefuͤgt, welche die Farbenmiſchung und Ab - ſtufung in einem Dreyeck, freylich ſehr unzulaͤnglich, vorſtellt. Dieſer Darſtellung mehr Ausdehnung und Vielſeitigkeit zu geben, waͤhlte man ſpaͤter die koͤrper - liche Pyramide. Die Calauiſche Arbeit und die Lam - bertiſche Erklaͤrung iſt gegenwaͤrtig nicht vor uns; doch laͤßt ſich leicht denken, was dadurch geleiſtet worden. Ganz neuerlich hat Philipp Otto Runge, von deſſen ſchoͤnen Einſichten in die Farbenlehre, von der maleri - ſchen Seite her, wir ſchon fruͤher ein Zeugniß abgelegt, die Abſtufungen der Farben und ihr Abſchattiren gegen Hell und Dunkel auf einer Kugel dargeſtellt, und wie575 wir glauben, dieſe Art von Bemuͤhungen voͤllig abge - ſchloſſen.
Lamberts Photometrie beruͤhren wir hier nur in ſofern, als wir uns nicht erinnern, daß er, bey Mef - ſung der verſchiedenen Lichtſtaͤrken, jene Farbenerſchei - nungen gewahr geworden, welche doch bey dieſer Ge - legenheit ſo leicht entſpringen, wie vor ihm Bouguer und nach ihm Rumford wohl bemerkt. Sie ſind theils phyſiſch, indem ſie aus der Maͤßigung des Lichtes ent - ſpringen, theils phyſiologiſch, in ſofern ſie ſich an die farbigen Schatten anſchließen.
Abhandlung von den zufaͤlligen Farben. Wien 1765.
Bouguer und Buͤffon hatten bey Gelegenheit des abklingenden Bildes im Auge und der farbigen Schat - ten, dieſe, wie es ſchien, unweſentlichen Farben, de - nen wir jedoch unter der Rubrik der phyſiologiſchen den erſten Platz zugeſtanden, zur Sprache gebracht und ſie zufaͤllig genannt, weil es noch nicht gelungen war, ihre Geſetzmaͤßigkeit anzuerkennen.
Scherffer, ein Prieſter der Geſellſchaft Jeſu, be - ſchaͤftigte ſich mit dieſen Erſcheinungen und vermannig -576 faltigte die Verſuche, wobey er ſich als einen ſcharf - ſinnigen und redlichen Beobachter zeigt. Da er jedoch der Lehre Newtons zugethan iſt, ſo ſucht er die Phaͤ - nomene nach derſelben zu erklaͤren, oder vielmehr ſie ihr anzupaſſen. Die Umkehrung eines hellen Bildes im Auge in ein dunkles, eines dunklen in ein helles, nach verſchiedenen gegebenen Bedingungen, (E. 15. ff. ) erklaͤrte man, wie am angefuͤhrten Orte erſichtlich iſt. Nun ſchlug Pater Scherffer zu Erklaͤrung der farbig mit ein - ander abwechſelnden Erſcheinungen folgenden Weg ein.
Er legt jenen mangelhaften Newtoniſchen Farben - kreis (P. 592 — 94.) zum Grunde, deſſen Zuſammen - miſchung Weiß geben ſoll. Dann fragt er, was fuͤr eine Farbe z. B. entſtehen wuͤrde, wenn man aus die - ſem Kreiſe das Gruͤn hinwegnaͤhme? Nun faͤngt er an zu rechnen, zu operiren, Schwerpuncte zu ſuchen, und findet, daß ein Violett entſtehen muͤſſe, welches zwar, wie er ſelbſt ſagt, in der Erfahrung nicht entſteht, wohl aber ein Roth, das er dann eben auch gelten laͤßt.
Nun ſoll das Auge, wenn es von den gruͤnen Strahlen afficirt worden, der gruͤne Gegenſtand aber weggehoben wird, ſich in einer Art von Nothwendig - keit befinden, von dem Reſultat der ſaͤmmtlichen uͤbri - gen Strahlen afficirt zu werden.
Da nun aber dieſe Reſultate niemals rein zutref - fen — und wie waͤre es auch moͤglich, indem das voll -577 kommene Roth, welches eigentlich der Gegenſatz des Gruͤnen iſt, jenem Kreiſe fehlt! — ſo muß der gute Pater auch in die Hetmanns-Manier fallen, worin ihm denn freylich ſein Herr und Meiſter weidlich vor - gegangen, ſo daß er Ausfluͤchte, Ausnahmen, Ein - ſchraͤnkungen, uͤberall finden und nach ſeinem Sinne gebrauchen kann.
Darwin, der in der letzten Zeit dieſe Erſcheinun - gen ausfuͤhrlich vorgenommen, erklaͤrt ſie zwar auch nach der Newtoniſchen Lehre, haͤlt ſich aber weniger dabey auf, in wiefern dieſe zu den Erſcheinungen paſſe oder nicht.
Unſer einfacher, naturgemaͤßer Farbenkreis, Taf. I. Fig. 1. dient jedoch dazu, dieſe Gegenſaͤtze, indem man bloß die Diameter zieht, bequem aufzufinden.
Weil uͤbrigens jeder tuͤchtige Menſch, ſelbſt auf dem Wege des Irrthums, das Wahre ahndet, ſo hat auch Scherffer dasjenige was wir unter der Form der Totalitaͤt ausgeſprochen, zwar auf eine ſchwanken - de und unbeſtimmte, aber doch ſehr anmuthige Weiſe ausgedruͤckt, wie folgt:
„ Bey Erwaͤgung dieſer und mehr dergleichen Muth - maßungen glaub’ ich nicht, daß ich mich betruͤge, wenn ich dafuͤr halte, es habe mit dem Auge eine ſolche Be - ſchaffenheit, daß es nach einem empfindlichern Drucke des Lichtes, nicht allein durch die Ruhe, ſondern auchII. 37578durch den Unterſchied der Farben, wiederum muͤſſe gleichfalls erfriſcht werden. Jener Ekel, den wir durch das laͤngere Anſehen einer Farbe verſpuͤren, ruͤhre nicht ſo viel von dem uns angeborenen Wankelmuthe her, als von der Einrichtung des Auges ſelbſt, vermoͤge welcher auch die ſchoͤnſte Farbe durch den allzulang an - haltenden Eindruck ihre Annehmlichkeit verliert. Und vielleicht hat die vorſichtige Natur dieſes zum Abſehen gehabt, damit wir einen ſo edlen Sinn nicht immer mit einer Sache beſchaͤftigen, indem ſie unſerer Unter - ſuchung eine ſo große Menge darbietet, da ſie den Un - terſchied in Abwechſelung der Farben weit reizender machte, als alle Schoͤnheit einer jeden ins beſondre. “
Wir enthalten uns manche intereſſante Beobachtung und Betrachtung hier auszuziehen, um ſo mehr als dieſe Schrift in jedes wahren Liebhabers der Farben - lehre eigene Haͤnde zu gelangen verdient.
Kleine Schriften, herausgegeben von G. Schatz 1762. Zweyter Theil S. 324. f.
„ Der Eindruck, den ein leuchtender Gegenſtand auf die Sehnerven macht, dauert zwanzig bis dreyßig Sekunden. Sieht man an einem heitern Tage, wenn man im Zimmer ſitzt, eine Zeit lang in die Mitte eines Fenſters, und ſchließt ſodann die Augen, ſo bleibt die Geſtalt des Fenſters eine Zeit lang im Auge, und zwar ſo deutlich, daß man im Stande iſt, die einzelnen Faͤcher zu zaͤhlen. Merkwuͤrdig iſt bey dieſer Erfahrung der Umſtand, daß der Einoruck der Form ſich beſſer er - haͤlt, als der Eindruck der Farbe. Denn ſobald man die Augen ſchließt, ſcheinen die Glasfaͤcher, wenn man das Bild des Fenſters anfaͤngt wahrzunehmen, dunkel, die Querhoͤlzer der Kreuze aber, die Rahmen und die Wand umher weiß oder glaͤnzend. Vermehrt man je - doch die Dunkelheit der Augen dadurch, daß man die Haͤnde uͤber ſie haͤlt, ſo erfolgt ſogleich das Gegentheil. Die Faͤcher erſcheinen leuchtend und die Querhoͤlzer dun - kel. Zieht man die Hand weg, ſo erfolgt eine neue Veraͤnderung, die alles wieder in den erſten Stand ſetzt. Ein Phaͤnomen, das ich ſo wenig zu erklaͤren weiß, als folgendes. Hat man lange durch eine ge - meine, gruͤne, oder ſogenannte Conſervationsbrille ge - ſehn, und nimmt ſie nun ab, ſo ſteht das weiße Pa - pier eines Buchs roͤthlich aus, ſo wie es gruͤnlich aus -37 *580ſieht, wenn man lange durch rothe Brillen geſehen hat. Dieß ſcheint eine noch nicht erklaͤrte Verwandtſchaft der gruͤnen und rothen Farbe anzuzeigen. “
Noch manches was ſich hier anſchließt, iſt von Buͤffon, Mazeas, Beguelin, Melville beobachtet und uͤberliefert worden. Es findet ſich beyſammen in Prieſt - ley’s Geſchichte der Optik, Seite 327, woſelbſt es unſre Leſer aufzuſuchen belieben werden.
Die Geſchichte dieſer wichtigen Entdeckung iſt im Allgemeinen bekannt genug, indem ſie theils in beſon - dern Schriften, theils in Lehr - und Geſchichtsbuͤchern oͤfters wiederholt worden. Uns geziemt daher nur das Hauptſaͤchliche zu ſagen; vorzuͤglich aber, zu zeigen, wie dieſe bedeutende Aufklaͤrung einer ungeahndeten Natureigenſchaft auf das Praktiſche einen großen, auf das Theoretiſche gar keinen Einfluß gewinnen koͤnnen.
Von uralten Zeiten her war bekannt und außer Frage, daß Brechung auf mannigfaltige Weiſe, ohne Farbenerſcheinung, ſtatt finden koͤnne. Man ſah da - her dieſe, welche ſich doch manchmal dazu geſellte, lange Zeit als zufaͤllig an. Nachdem aber Newton ihre Urſache in der Brechung ſelbſt geſucht und die Be - ſtaͤndigkeit des Phaͤnomens dargethan; ſo wurden beyde fuͤr unzertrennlich gehalten.
582Demungeachtet konnte man ſich nicht laͤugnen, daß ja unſer Auge ſelbſt durch Brechung ſieht, daß alſo, da wir mit nacktem Auge nirgends Farbenſaͤume oder ſonſt eine apparente Faͤrbung der Art erblicken, Bre - chung und Farbenerſcheinung bey dieſer Gelegenheit von einander unabhaͤngig gedacht werden koͤnnen.
Rizzetti hatte das ſchon zur Sprache gebracht; weil aber ſeine Zeit in manchem noch zuruͤck war, weil er den naͤchſten Weg verfehlte und in ſeiner Lage verfeh - len mußte; ſo wurde auch dieſes Verhaͤltniſſes nicht weiter gedacht. Indeſſen war es anatomiſch und phy - ſiologiſch bekannt, daß unſer Auge aus verſchiedenen Mitteln beſtehe. Die Folgerung, daß durch verſchie - dene Mittel eine Compenſation moͤglich ſey, lag nahe, aber Niemand fand ſie.
Dem ſey wie ihm wolle, ſo ſtellte Newton ſelbſt den ſo oft beſprochenen Verſuch, den achten ſeines zweyten Theils, mit verſchiedenen Mitteln an, und wollte gefunden haben, daß wenn in dieſem Fall der ausgehende Strahl nur dahin gebracht wuͤrde, daß er parallel mit dem eingehenden ſich gerichtet befaͤnde, die Farbenerſcheinung alsdann aufgehoben ſey.
Zuerſt kann es auffallen, daß Newton, indem ihm, bey parallelen ſogenannten Strahlen, Brechung uͤbrig geblieben und die Farbenerſcheinung aufgehoben worden, nicht weiter gegangen, ſondern daß es ihm583 vielmehr beliebt, wunderliche Theoreme aufzuſtellen, die aus dieſer Erfahrung herfließen ſollten.
Ein Vertheidiger Newtons hat in der Folge die artige Vermuthung geaͤußert, daß in dem Waſſer, deſſen ſich Newton bedient, Bleyzucker aufgeloͤſt ge - weſen, den er auch in andern Faͤllen angewendet. Dadurch wird allerdings das Phaͤnomen moͤglich, zu - gleich aber die Betrachtung auffallend, daß dem vor - zuͤglichſten Menſchen etwas ganz deutlich vor Augen kommen kann, ohne von ihm bemerkt und aufgefaßt zu werden. Genug, Newton verharrte bey ſeiner theoretiſchen Ueberzeugung, ſo wie bey der praktiſchen Behauptung: die dioptriſchen Fernroͤhre ſeyen nicht zu verbeſſern. Es kam daher ein Stillſtand in die Sa - che, der nur erſt durch einen andern außerordentlichen Menſchen wieder konnte aufgehoben werden.
Euler, einer von denjenigen Maͤnnern, die be - ſtimmt ſind, wieder von vorn anzufangen, wenn ſie auch in eine noch ſo reiche Aernte ihrer Vorgaͤnger gerathen, ließ die Betrachtung des menſchlichen Au - ges, das fuͤr ſich keine apparenten Farben erblickt, ob es gleich die Gegenſtaͤnde durch bedeutende Brechung ſieht und gewahr wird, nicht aus dem Sinne und kam darauf, Menisken, mit verſchiedenen Feuchtig - keiten angefuͤllt, zu verbinden, und gelangte durch Verſuche und Berechnung dahin, daß er ſich zu be - haupten getraute: die Farbenerſcheinung laſſe ſich in584 ſolchen Faͤllen aufheben und es bleibe noch Brechung uͤbrig.
Die Newtoniſche Schule vernahm dieſes, wie billig, mit Entſetzen und Abſcheu; im Stillen aber, wir wiſſen nicht, ob auf Anlaß dieſer Euleriſchen Be - hauptung, oder aus eigenem Antriebe, ließ Cheſter - Morehall in England heimlich und geheimnißvoll achro - matiſche Fernroͤhre zuſammenſetzen, ſo daß 1754 ſchon dergleichen vorhanden, obgleich nicht oͤffentlich bekannt waren.
Dollond, ein beruͤhmter optiſcher Kuͤnſtler, wi - derſprach gleichfalls Eulern aus Newtoniſchen Grund - ſaͤtzen, und fing zugleich an praktiſch gegen ihn zu operiren; allein zu ſeinem eignen Erſtaunen entdeckt er das Gegentheil von dem was er behauptet; die Eigenſchaften des Flint - und Crownglaſes werden ge - funden, und die Achromaſie ſteht unwiderſprechlich da.
Bey alledem widerſtrebt die Schule noch eine Zeit lang; doch ein trefflicher Mann, Klingenſtierna, macht ſich um die theoretiſche Ausfuͤhrung verdient.
Niemanden konnte nunmehr verborgen bleiben, daß der Lehre eine toͤdtliche Wunde beygebracht ſey. Wie ſie aber eigentlich nur in Worten lebte, ſo war ſie auch durch ein Wort zu heilen. Man hatte die Ur - ſache der Farbenerſcheinung in der Brechung ſelbſt ge - ſucht; ſie war es, welche dieſe Ur-Theile aus dem585 Licht entwickelte, denen man zu dieſem Behuf eine verſchiedene Brechbarkeit zuſchrieb. Nun war aber bey gleicher Brechung dieſe Brechbarkeit ſehr verſchie - den, und nun faßte man ein Wort auf, den Aus - druck Zerſtreuung, und ſetzte hinter dieſe Bre - chung und Brechbarkeit noch eine von ihr unabhaͤn - gige Zerſtreuung und Zerſtreubarkeit, welche im Hin - terhalt auf Gelegenheit warten mußte, ſich zu manife - ſtiren; und ein ſolches Flickwerk wurde in der wiſſen - ſchaftlichen Welt, ſo viel mir bekannt geworden, ohne Widerſpruch aufgenommen.
Das Wort Zerſtreuung kommt ſchon in den aͤlteſten Zeiten, wenn vom Licht die Rede iſt, vor. Man kann es als einen Trivial-Ausdruck anſehen, wenn man dasjenige, was man als Kraft betrachten ſollte, materiell nimmt, und das was eine gehinderte, gemaͤßigte Kraft iſt, als eine zerſtuͤckelte, zermalmte, zerſplitterte anſieht.
Wenn ein blendendes Sonnenlicht gegen eine weiße Wand faͤllt; ſo wirkt es von dort nach allen entge - gengeſetzten Enden und Ecken zuruͤck, mit mehr oder weniger geſchwaͤchter Kraft. Fuͤhrt man aber mit ei - ner gewaltſamen Feuerſpritze eine Waſſermaſſe gegen dieſe Wand; ſo wirkt dieſe Maſſe gleichfalls zuruͤck, aber zerſtiebend und in Millionen Theile ſich zerſtreuend. Aus einer ſolchen Vorſtellungsart iſt der Ausdruck Zer - ſtreuung des Lichts entſtanden.
586Je mehr man das Licht als Materie, als Koͤrper anſah, fuͤr deſto paſſender hielt man dieſe Gleichniß - rede. Grimaldi wird gar nicht fertig das Licht zu zerſtreuen, zu zerbrechen und zu zerreißen. Bey Riz - zetti findet auch die Diſperſion der Strahlen mit denen er operirt, jedoch wider ihren Willen und zu ihrem hoͤchſten Verdruſſe, ſtatt. Newton, bey dem die Strahlen ja auch auseinander gebrochen werden, brauchte dieſen und aͤhnliche Ausdruͤcke, aber nur discurſiv, als erlaͤuternd, verſinnlichend; und auf dieſe Weiſe wird jenes Wort herangetragen, bis es endlich in dem neu eintretenden unerwarteten Noth - falle aufgeſchnappt und zum Kunſtworte geſtempelt wird.
Mir ſind nicht alle Documente dieſes wichtigen Ereigniſſes zu Handen gekommen, daher ich nicht ſa - gen kann, wer ſich zuerſt ſo ausgedruͤckt. Genug, dieſes Kunſtwort ward bald ohne Bedenken gebraucht, und wird es noch, ohne daß irgend Jemanden einfiele, wie durch jene große Entdeckung das Alte voͤllig ver - aͤndert und aufgehoben worden. Man hat mit dieſem Pflaſter den Schaden zugedeckt; und wer in der Kuͤrze einen eminenten Fall ſehen will, wie man mit der groͤßten Gemuͤthsruhe und Behaglichkeit einen neuen Lappen auf ein altes Kleid flickt, der leſe in den An - fangsgruͤnden der Naturlehre von Johann Tobias Mayer, die kurze Darſtellung von der Theorie der Farben, beſonders vergleiche man den 630 und 635 Paragraphen. Waͤre dieß ein alter Autor; ſo wuͤrden587 die Critiker ſich mit der groͤßten Sorgfalt nach andern Codicibus umſehen, um ſolche Stellen, die gar kei - nen Sinn haben, mit Bedacht und Vorſicht zu emen - diren.
Die Lehre mag ſich indeſſen ſtellen wie ſie will, das Leben geht ſeinen Gang fort. Achromatiſche Fern - roͤhre werden verfertigt, einzelne Maͤnner und ganze Nationen auf die Eigenſchaften der verſchiedenen Glasarten aufmerkſam. Clairault in Frankreich be - dient ſich der ſogenannten Pierres de Stras ſtatt des Flintglaſes, und die Entdeckung lag ganz nahe, daß der Bleykalk dem Glaſe jene Eigenſchaft, die Farben - ſaͤume disproportionirlich gegen die Brechung zu ver - breitern, mittheilen koͤnne. Zeiher in Petersburg machte ſich um die Sache verdient. Was Boskowitſch und Steiner gethan, um dieſe Angelegenheit theoretiſch und praktiſch zu foͤrdern, bleibt unvergeſſen.
Le Baude erhielt in Frankreich 1773 den Preis fuͤr eine Glasart, die dem Flint nahe kam. Duͤfou - gerais hat zu unſerer Zeit, in ſeiner Manufactur zu Mont-Cenis, ein Glas verfertigt, wovon ein Prisma zu zwey Graden mit einem Prisma von Crownglas zu achtzehn Graden zuſammengeſtellt, die Farbenerſchei - nung aufhebt.
Von dieſer Glasart liegt noch eine große Maſſe vorraͤthig, und es iſt zu wuͤnſchen, daß ein Theil derſelben von den franzoͤſiſchen Optikern zu Prismen588 von allen Winkeln genutzt, und zum Beſten der Wiſ - ſenſchaft in einen allgemeinen Handelsartikel verwan - delt werde.
Das Weitere und Naͤhere was dieſe wichtige Epo - che betrifft, iſt in Prieſtleys Geſchichte der Optik nach - zuſchlagen; wobey die Kluͤgelſchen Zuſaͤtze von großer Bedeutung ſind. Uebrigens iſt Prieſtley, hier wie durchaus, mit Vorſicht zu leſen. Er kann die Er - fahrung, er kann die großen, gegen Newton daraus entſpringenden Reſultate nicht laͤugnen, gibt aber ganz gewiſſenlos zu verſtehen: Euler ſey durch einen Wink Newtons angeregt worden; als wenn jemand auf et - was hinwinken koͤnnte, was er aufs hartnaͤckigſte laͤng - net, ja was noch ſchlimmer iſt, von deſſen Moͤglich - keit er gar keine Spur hat! Unſer, in dieſem Falle ſo wie in andern geradſinnige Kluͤgel laͤßt es ihm auch nicht durchgehen, ſondern macht in einer Note aufmerkſam auf dieſe Unredlichkeit.
The history and present state of discoveries relating to vision, light and colours, London 1772 in Quart.
Ohne dieſem Werk ſein Verdienſt verkuͤmmern, oder ihm denjenigen Nutzen ablaͤugnen zu wollen, den589 wir ſelbſt daraus gezogen haben, ſind wir doch genoͤ - thigt auszuſprechen, daß dadurch beſonders die anbruͤ - chige Newtoniſche Lehre wiederhergeſtellt worden. Der Verfaſſer braucht die eingefuͤhrten Phraſen wieder ruhig fort. Alles was im Alterthum und in der mittlern Zeit geſchehen, wird fuͤr nichts geachtet. Newtons Verſuche und Theorieen werden mit großem Bombaſt ausgekramt. Die achromatiſche Entdeckung wird ſo vorgetragen, als ſey jene Lehre dadurch nur ein wenig modificirt worden. Alles kommt wieder ins Gleiche, und der theoretiſche Schlendrian ſchleift ſich wieder ſo hin.
Da man dieſes Werk, genau betrachtet, gleichfalls mehr als Materialien denn als wirkliche Geſchichtser - erzaͤhlung anzuſehen hat; ſo verweiſen wir uͤbrigens unſere Leſer gern darauf, weil wir auf manches was dort ausfuͤhrlich behandelt worden, nur im Vorbeyge - hen hingedeutet haben.
Wir erwaͤhnen hier dieſes Mannes, ob er gleich erſt ſpaͤter, 1778, eine Lobſchrift auf Newton her - ausgegeben, um nur mit wenigem zu bemerken, daß immer noch die aͤltere Lehre, wie ſie Newton vorge - tragen, Desaguliers ſie vertheidigt, wie ſie in die Schulen aufgenommen worden, ihre unbedingten Lob -590 redner findet, ſelbſt in der neuern Epoche, die ihren Untergang entſchieden haͤtte herbeyfuͤhren muͤſſen, wenn die Menſchen, unter dem Druck einer beſchraͤnkten Ge - wohnheit hinlebend, zu einem neuen Aperçuͤ Augen und Geiſt entſchieden froh hinaufheben koͤnnten.
Wird uͤbrigens ein Muſter verlangt, wie ein echter Newtonianer gedacht und geſprochen, und ſich die Sache vorgeſtellt; ſo kann dieſe uͤbrigens ſehr gut geſchriebene und mit heiterm Enthuſiasmus vorge - tragene Lobſchrift zur Hand genommen und beherzigt werden.
Die Lehre von der Achromaſie war wie ein frucht - barer und unzerſtoͤrlicher Same uͤber das Feld der Wiſ - ſenſchaften ausgeſtreut. So manches davon auch un - ter die Schuldornen fiel, um daſelbſt zu erſticken, ſo manches davon auch von den immer geſchaͤftigen theo - retiſch-critiſchen Voͤgeln aufgepickt und verſchluckt wurde, ſo manches davon das Schickſal hatte, auf dem platten Wege der Gemeinheit zertreten zu werden: ſo konnte es doch nicht fehlen, daß in guten und trag - baren Boden ein Theil treulich aufgenommen ward, und wo nicht gleich Frucht trug, doch wenigſtens im Stillen keimte.
591So haben wir oft genug unſern redlichen Lands - mann Kluͤgel bewundert und gelobt, wenn wir ſein Verfahren bey Ueberſetzung und Supplirung der Prieſt - leyſchen Optik mit Ruhe beobachteten. Ueberall ver - nimmt man leiſe Warnungen, vielleicht zu leiſe, als daß ſie haͤtten koͤnnen gehoͤrt werden. Kluͤgel wieder - holt beſcheiden und oft, daß alle theoretiſche Enuncia - tionen nur Gleichnißreden ſeyen. Er deutet an, daß wir nur den Widerſchein und nicht das Weſen der Dinge ſehen. Er bemerkt, daß die Newtoniſche Theo - rie durch die achromatiſche Erfindung wohl gar aufge - hoben ſeyn koͤnnte.
Wenn es uns nicht ziemt, von ſeinem Hauptver - dienſte, das außer unſerm Geſichtskreiſe liegt, zu ſprechen; ſo geben wir um ſo lieber ihm das Zeugniß eines vielleicht noch ſeltenern Verdienſtes, daß ein Mann wie er, von ſo viel mathematiſcher Gewandt - heit, dem Wiſſenſchaft und Erfahrung in ſolcher Breite zu Gebote ſtanden, daß dieſer eine vorurtheilsfreye verſtaͤndige Ueberſicht dergeſtalt walten ließ, daß ſeine wiſſenſchaftlichen Behandlungen, ſicher ohne dogmatiſch, warnend ohne ſceptiſch zu ſeyn, uns mit dem Vergan - genen bekannt machen, das Gegenwaͤrtige wohl ein - praͤgen, ohne den Blick fuͤr die Zukunft zu verſchließen.
Die Newtoniſche Schule mochte ſich indeſſen ge - baͤrden, wie ſie wollte. Es war nun ſo oft von vie - len bedeutenden Maͤnnern, in ſo vielen Schriften, welche gleichſam jeden Tag wirkſam waren: denn die Sache wurde lebhaft betrieben; es war ausgeſprochen worden, daß Newton ſich in einem Hauptpunkte geirrt habe, und mehr als alle Worte ſprachen dieß die diop - triſchen Fernroͤhre auf Sternwarten und Maſtbaͤumen, in den Haͤnden der Forſcher und der Privatleute, im - mer lauter und unwiderſprechlicher aus.
Der Menſch, wir haben ſchon fruͤher darauf ap - puͤyirt, unterwirft ſich eben ſo gern der Autoritaͤt, als er ſich derſelben entzieht; es kommt bloß auf die Epo - chen an, die ihn zu dem einen oder dem andern ver - anlaſſen. In der gegenwaͤrtigen Epoche der Farben - lehre erhielten nunmehr juͤngere, geiſtreichere, ernſt und treu geſinnte Menſchen eine gewiſſe Halbfrey - heit, die weil ſie keinen Punct der Vereinigung vor ſich ſah, einen Jeden auf ſich ſelbſt zuruͤckwies, eines Jeden eigne Anſichten, Lieblingsmeynungen, Grillen hervorrief, und ſo zwar manchem Guten foͤrderlich war, dagegen aber auch eine Art von Anarchie weiſ - ſagte und vorbereitete, welche in unſern Tagen voͤllig erſchienen iſt.
593Was Einzelne gethan, die Natur der Farbe auf dieſe oder jene Weiſe mehr zu ergruͤnden und zu erklaͤ - ren, ohne auf die Newtoniſche Lehre beſonders Ruͤck - ſicht zu nehmen, iſt jetzt die Hauptaufgabe unſers fer - nern Vortrags. Wir nehmen mit, was wir ſonſt noch auf unſerm Wege finden, laſſen aber dazwiſchen manches Einzelne liegen, welches nicht frommt und foͤrdert.
Die Erzeugung der Farben, eine Hypotheſe. Goͤt - tingen 1767.
Dieſer einzelne Bogen verdiente wohl, wenn man eine Anzahl kleiner, auf die Farbenlehre bezuͤglicher, ſich verlierender Schriften ſammlen und der Vergeſſenheit entziehen wollte, mit abgedruckt zu werden.
Des Verfaſſers Vortrag iſt zwar nicht luminos, und weil er ſich gleich in Controvers verwickelt, kei - neswegs erfreulich; doch iſt ſeine Ueberzeugung guter Art. Erſt druͤckt er ſie im Allgemeinen folgendermaßen aus: „ Die Verſchiedenheit der Farben iſt nur eine Verſchiedenheit der Bewegung in den nervigen Faſern der Netzhaut “; dann aber tritt er der Sache naͤher und ſchreibt die Farbenwirkung aufs Auge einer mehr oder minder erregten Waͤrme auf der Netzhaut zu.
II. 38594Mit einer vergnuͤglichen Zufriedenheit ſehen wir dasjenige geahndet und vorbereitet, was ſpaͤter von Herſcheln entdeckt und zu unſerer Zeit weiter ausge - fuͤhrt worden. Wir wollen ihn ſelbſt hoͤren:
„ Das Licht iſt ein ausgedehntes Feuer, das man nur in einen engen Raum zuſammendraͤngen darf, um ſich von der Heftigkeit ſeiner Wirkungen zu uͤberfuͤhren, Die Netzhaut des Auges hat die natuͤrliche Waͤrme des Koͤrpers. Die Lichtſtrahlen, die auf ſie fallen, muͤſſen ihre natuͤrliche Waͤrme vermehren, und ihre Faſern deſto mehr ausdehnen, je dichter ſie ſind. Dieſe Ver - ſchiedenheit der Ausdehnung der nervigen Faſern muß eine verſchiedene Empfindung in der Seele hervorbrin - gen, und dieſe verſchiedenen Empfindungen nennen wir Farben. Mit den Empfindungen, wenn ſie zu heftig ſind, iſt bisweilen ein gewiſſes Gefuͤhl verbunden, das wir Schmerz heißen. Wenn die Lichtſtrahlen ſolche Empfindungen erregen, ſo haben ſie einen zu heftigen Grad der Ausdehnung hervorgebracht. Die Empfin - dungen, die wir Farben nennen, muͤſſen von einem ge - ringern Grade der Ausdehnung herruͤhren, und unter dieſen iſt die heftigſte Empfindung gelbe Farbe, weni - ger heftige die rothe, gruͤne, blaue Farbe. “
„ Ein einzelner Lichtſtrahl dehnt die Stelle der Netzhaut auf die er faͤllt, ſo aus, daß dadurch die Empfindung in der Seele entſteht, die wir gelbe Farbe nennen. Man zerlege dieſen Lichtſtrahl durch das Prisma in ſieben Theile, wovon einer immer dichter595 iſt als der andere, ſo werden dieſe ſieben Theile, nach Verhaͤltniß ihrer Dichtigkeit, verſchiedene Ausdehnun - gen erzeugen, wovon wir jede mit einem eigenen Na - men belegen. Schwarze Koͤrper ſaugen die meiſten Lichtſtrahlen ein; folglich bringen ſie auch die geringſte Ausdehnung auf der Netzhaut hervor; violette etwas mehr, und dieß ſteigt bis zu den gelben und weißen Koͤrpern, die weil ſie am dichteſten ſind, die meiſten Lichtſtrahlen zuruͤckwerfen, und dadurch die heftigſte Ausdehnung auf der Netzhaut erregen. “
„ Man merke es wohl, was wir vorhin geſagt haben, daß die natuͤrliche Waͤrme der Netzhaut ver - mehrt werden muß, wenn wir Farben ſehen, oder uͤberhaupt, wenn wir ſehen ſollen. So koͤnnen wir lange in einem warmen finſtern Zimmer ſeyn, worin - nen wir durch die Waͤrme nicht ſehen. Der ganze Koͤrper empfindet in dieſem Falle, und deswegen laſ - ſen ſich die Empfindungen an einzelnen Theilen nicht unterſcheiden. Wir ſehen im Winter bey einer hefti - gen Kaͤlte gefaͤrbte und ungefaͤrbte Koͤrper, weil ſie Lichtſtrahlen in unſer Auge werfen, und dadurch eine groͤßere Waͤrme oder groͤßere Ausdehnung erregen. “
„ Die Dichtigkeit der Lichtſtrahlen, die die gelbe oder weiße Farbe in uns erzeugt, kann ſehr verſchie - den ſeyn, ohne daß ſie eine andere Farbe hervorbringt. Das Licht, das in der Naͤhe gelb brennt, brennt auch noch in einer großen Entfernung ſo. Kreide ſieht in der Naͤhe und in der Ferne weiß aus. Ganz anders38 *596verhaͤlt es ſich mit den Farben, die von einer viel mindern Dichtigkeit der Lichtſtrahlen entſtehen: dieſe werden ſchon in einer kleinen Entfernung ſchwarz. “
„ Ich ſehe nicht, wie ein Newtonianer verantworten kann, daß Koͤrper von ſchwachen Farben in der Ent - fernung ſchwarz zu ſeyn ſcheinen. Wenn ſie z. B. nur die blauen Lichttheilchen zuruͤckwerfen, warum bleiben denn dieſe auf der entfernten Netzhaut nicht eben ſo wohl blaue Lichttheilchen als auf der nahen? Es iſt ja nicht, wie mit dem Geſchmacke eines Galzes, das man mit zu vielem Waſſer verduͤnnt hat. Die blauen Lichttheilchen werden auch in der Entfernung mit nichts vermiſcht, das ihre Wirkungen veraͤndern koͤnnte. Sie gehen zwar durch die Atmoſphaͤre, die voll fremder Koͤrper und anderer Farbetheilchen iſt, aber ſie leiden doch dadurch keine Veraͤnderung. “
„ Die ſcheinbaren Farben laſſen ſich aus dieſer Hy - potheſe noch leichter als aus den uͤbrigen erklaͤren. Wenn die Netzhaut, indem das Auge lange in das Licht ſah, oder einen andern gefaͤrbten Koͤrper einige Zeit betrach - tete, nach Verhaͤltniß der Dichtigkeit der empfangenen Lichtſtrahlen erwaͤrmt wurde; ſo konnte ſich dieſe Waͤrme nur nach und nach verlieren. So wird ein warmes Metall nicht auf einmal kalt. Mit der Fortdauer der Waͤrme dauerte die Ausdehnung fort, und folglich die Farben, die allmaͤlich ſo wie ſich die Waͤrme verlor, in andere Farben uͤbergingen. “
597„ Ich mag dieſe Hypotheſe jetzt nicht weitlaͤuftiger ausfuͤhren, und deswegen will ich nur noch das Wah - re derſelben, von dem Wahrſcheinlichen abgeſondert, herausſetzen. Wahr iſt es: „ daß die Lichtſtrahlen, ſo einfach ſie auch ſeyn moͤgen, Waͤrme und Ausdeh - nung auf der Netzhaut hervorbringen muͤſſen, “daß die Seele dieſe Ausdehnung empfinden muß. Denn man erklaͤre auch die Farben wie man will, ſo muß man mir doch allezeit zugeben, daß das, was z. B. die blaue Farbe erzeugt, nicht heftiger wirken kann, als die Waͤrme eines ſolchen blauen Lichttheilchens wirkt. “
Haͤtte Weſtfeld ſtatt des Mehr und Minder, wo - durch doch immer nur eine Abſtufung ausgedruͤckt wird, von der man nicht weiß wo ſie anfangen und wo ſie aufhoͤren ſoll, ſeine Meynung als Gegenſatz ausgeſprochen, und die Farbenwirkungen als erwaͤr - mend und erkaͤltend angenommen, ſo daß die von der einen Seite die natuͤrliche Waͤrme der Reting erhoͤhen, die von der andern ſie vermindern; ſo waͤre nach ihm dieſe Anſicht nicht viel mehr zu erweitern geweſen. Sie gehoͤrt in das Capitel von der Wirkung farbiger Beleuchtung, wo wir theils das Noͤthige ſchon ange - geben haben, theils werden wir das allenfalls Erfor - derliche kuͤnftig ſuppliren.
Nouvelles Récréations physiques et mathéma - tiques, à Paris, 1769-70. 4 Baͤnde in 8.
Man kann nicht oft genug wiederholen, daß eine Theorie ſich nicht beſſer bewaͤhrt, als wenn ſie dem Praktiker ſein Urtheil erleichtert und ſeine Anwendun - gen foͤrdert. Bey der Newtoniſchen iſt gerade das Gegentheil: ſie ſteht Jedem im Wege, der mit Far - ben irgend etwas beginnen will; und dieß iſt auch hier der Fall, bey einem Manne, der ſich unter an - dern phyſiſchen Erſcheinungen und Kraͤften auch der Farben zu mancherley Kunſtſtuͤcken und Erheiterungen bedienen will.
Er findet bald, daß er, um alle Farben hervor - zubringen, nur drey Hauptfarben bedarf, die er alſo auch wohl Ur - und Grundfarben nennen mag. Er bringt dieſe in helleren, ſich nach und nach verdun - kelnden Reihen auf durchſcheinendes, uͤber Quadrat - Rahmen geſpanntes Papier, bedient ſich dieſer erſt einzeln, nachher aber dergeſtalt mit einander verbun - den, daß die hellern und dunklern Streifen uͤbers Kreuz zu ſtehen kommen; und ſo entſpringen wirklich alle Farbenſchattirungen, ſowohl in Abſicht auf Mi - ſchung als auf Erhellung und Verdunkelung, zu wel - chem letztern Zwecke er jedoch noch eine beſondere Vor - richtung macht.
599Sich dieſer Rahmen zu bedienen, verfertigt er ein Kaͤſtchen worein ſie paſſen, wovon die eine Seite ganz offen und nach der Sonne gerichtet iſt, die an - dere aber mit einer hinreichenden Oeffnung verſehen, daß man die gefaͤrbten Flaͤchen uͤberſchauen koͤnne.
Bey dieſen Operationen, die ſo einfach ſind, und eben weil ſie ſo einfach ſind, ſteht ihm die Newtoni - ſche Theorie im Wege, woruͤber er ſich, zwar mit vorhergeſchickten Proteſtationen, daß er dem ſcharfſin - nigen und curioſen Syſtem keinesweges zu widerſpre - chen wage, folgendermaßen aͤußert:
„ Die Wirkung, welche von dieſen gefaͤrbten durchſcheinenden Papieren hervorgebracht wird, ſcheint nicht mit dem gegenwaͤrtigen Syſtem von der Bildung der Farben uͤbereinzuſtimmen. Denn das Papier wor - auf man z. B. die blaue Farbe angebracht hat, wirft die blauen Strahlen zuruͤck, wenn man es durch die große Oeffnung des Kaſtens betrachtet, indeß die an - dere geſchloſſen iſt. Schaut man aber durch die klei - nere, indeß die groͤßere gegen die Sonne gewendet iſt, ſo erblickt man durch das Papier hindurch eben dieſel - ben blauen Strahlen. Dieſes aber waͤre, dem Sy - ſtem nach, ein Widerſpruch, weil ja daſſelbe Papier dieſelben Strahlen zuruͤckwirft und durchlaͤßt. Man kann auch nicht ſagen, das Papier werfe nur einen Theil zuruͤck und laſſe den andern durchgehen: denn bey dieſer Vorausſetzung muͤßte das Papier, indem es nur einen Theil der blauen Strahlen durchließe, die600 Kraft haben alle uͤbrigen zu verſchlingen, da man doch, wenn man den gelben Rahmen hinter den blauen ſtellt, nichts ſicht als gruͤne Strahlen, welche vielmehr der blaue Rahmen verſchlingen ſollte. Ja man duͤrfte gar keine Farbe ſehen: denn die einzigen blauen Strahlen, welche durch den blauen Rahmen durchzugehen im Stande ſind, muͤßten ja durch den zweyten Rahmen verſchluckt werden, der nur die gelben durchlaͤßt. Die - ſelbe Betrachtung kann man bey allen uͤbrigen Farben machen, welche durch die verſchiedenen Stellungen dieſer farbigen Rahmen hervorgebracht werden. “
Und ſo hat auch dieſer verſtaͤndige, im Kleinen thaͤtige Mann, nach ſeiner Weiſe und auf ſeinem Wege, die Abſurditaͤt des Newtoniſchen Syſtems eingeſehen und ausgeſprochen: abermals ein Franzos, der gleich - falls die umſichtige Klugheit und Gewandtheit ſeiner Nation beurkundet.
Die Farbenkoͤrper haben gegen einander nicht glei - chen Gehalt, und das Gelbe ſey ausgiebiger als das Blaue, ſo daß, wenn man ihre Wirkung mit einan - der ins Gleichgewicht zu einem Gruͤn ſetzen wolle, man drey Theile Blau gegen zwey Theile Gelb nehmen601 muͤſſe. So ſey auch das hohe Roth ſtaͤrker als das Blaue, und man muͤſſe fuͤnf Theile Blau gegen vier Theile Roth nehmen, wenn das Gemiſch gerade in die Mitte von beyden fallen ſolle.
Ohne uns auf die große Anzahl Verſuche einzu - laſſen, worauf Marat ſeine Ueberzeugungen gruͤndet, kann es hier bloß unſere Abſicht ſeyn, den Gang den er genommen anzudeuten.
Die erſte Schrift liefert umſtaͤndliche Unterſuchun - gen uͤber das was er feuriges Fluidum, fluide igné, nennt. Er bringt naͤmlich brennende, gluͤhende, er - hitzte Koͤrper in das Sonnenlicht, und beobachtet den Schatten ihrer Ausfluͤſſe und was ſonſt bey dieſer Ge - legenheit ſichtbar wird.
602Da er ſich nun das Vorgehende noch deutlicher machen will, ſo bedient er ſich in einer dunklen Kam - mer des Objectivs von einem Sonnenmikroſcop, und bemerkt dadurch genauer die Schatten der Koͤrper, der Duͤnſte, die verſchiedenen Bewegungen und Abſtu - fungen.
Den Uebergang zu dem was uns eigentlich inter - eſſirt, werden wir hier gleich gewahr, und da er auch erkaltende, ja kalte Koͤrper auf dieſe Weiſe beob - achtet; ſo findet er, daß auch etwas eignes um ſie vorgeht. Er bemerkt Schatten und Lichtſtreifen, hel - lere und dunklere Linien, welche das Schattenbild des Koͤrpers begleiten.
War die feurige Fluͤßigkeit bey jenen erſten Ver - ſuchen aus dem Koͤrper herausdringend ſichtbar gewor - den; ſo wird ihm nunmehr eine Eigenſchaft des Lich - tes anſchaulich, welche darin beſtehen ſoll, daß es ſich von den Koͤrpern anziehen laͤßt, indem es an ihnen vorbeygeht. Er beobachtet die Phaͤnomene genau und will finden, daß dieſe Anziehung, woraus jene von Grimaldi fruͤher ſchon ſogenannte Beugung entſteht, nach der verſchiedenen Natur der Koͤrper, verſchieden ſey. Er beobachtet und mißt die Staͤrke dieſer Anzie - hungskraͤfte, und wie weit ſich die Atmoſphaͤre dieſer Anziehung erſtrecken moͤchte.
Bey dieſer Gelegenheit bemerkt er jene uns auch ſchon bekannten Farbenſaͤume. Er findet nur zwey603 Farben, die blaue und die gelbe, an welche beyden ſich die dritte, die rothe, nur anſchließend ſehen laͤßt.
Das Licht iſt nun einmal angezogen, es iſt von ſeinem Wege abgelenkt; dieß deutet ihm gleichfalls auf die Eigenſchaft eines Fluidums. Er verharrt auf dem alten Begriff der Decompoſition des Lichtes in farbige Lichttheile; aber dieſe ſind ihm weder fuͤnf, noch ſie - ben, noch unzaͤhlige, ſondern nur zwey, hoͤchſtens drey.
Da er nun bey dieſen Verſuchen, welche wir die paroptiſchen nannten, auch wie bey jenen, die feu - rige Fluͤßigkeit betreffenden, das Objectivglas eines Sonnen-Mikroſcops anwendet; ſo verbinden ſich ihm die dioptriſchen Erfahrungen der zweyten Claſſe, die Refractionsfaͤlle, ſogleich mit den paroptiſchen, deren Verwandtſchaft freylich nicht abzulaͤugnen iſt, und er widerſpricht alſo von dieſer Seite der Newtoniſchen Lehre, indem er ohngefaͤhr diejenigen Verſuche auf - fuͤhrt, die auch wir und andere vorgelegt haben. Er ſpricht entſchieden aus, daß die Farbenerſcheinung nur an den Raͤndern entſpringe, daß ſie nur in einem einfachen Gegenſatz entſtehe, daß man das Licht hin und wieder brechen koͤnne ſoviel man wolle, ohne daß eine Farbenerſcheinung ſtatt finde. Und wenn er auch zugeſteht, daß das Licht decomponirt werde, ſo be - hauptet er ſteif und feſt: es werde nur auf dem par - optiſchen Wege durch die ſogenannte Beugung decom -604 ponirt, und die Refraction wirke weiter nichts dabey, als daß ſie die Erſcheinung eminent mache.
Er operirt nunmehr mit Verſuchen und Argumen - ten gegen die diverſe Refrangibilitaͤt, um ſeiner diver - ſen Inflexibilitaͤt das erwuͤnſchte Anſehen zu verſchaffen; ſodann fuͤgt er noch einiges uͤber die gefaͤrbten Schat - ten hinzu, welches gleichfalls ſeine Aufmerkſamkeit und Sagacitaͤt verraͤth, und verſpricht, dieſe und ver - wandte Materien weiter durchzuarbeiten.
Wer unſerm Entwurf der Farbenlehre und dem hiſtoriſchen Faden unſerer Bemuͤhung gefolgt iſt, wird ſelbſt uͤberſehen, in welchem Verhaͤltniß gegen dieſen Forſcher wir uns befinden. Paroptiſche Farben ſind, nach unſerer eigenen Ueberzeugung, ganz nahe mit den bey der Refraction erſcheinenden verwandt (E. 415.). Ob man jedoch, wie wir glaubten, dieſe Phaͤnomene allein aus dem Doppelſchatten herleiten koͤnne, oder ob man zu geheimnißvolleren Wirkungen des Lich - tes und der Koͤrper ſeine Zuflucht nehmen muͤſſe, um dieſe Phaͤnomene zu erklaͤren, laſſen wir gern unent - ſchieden, da fuͤr uns und andere in dieſem Fache noch manches zu thun uͤbrig bleibt.
Wir bemerken nur noch, daß wir die paroptiſchen Faͤlle, mit den Refractionsfaͤllen zwar verwandt, aber nicht identiſch halten. Marat hingegen, der ſie voͤllig identificiren will, findet zwar bey den objectiven Ver - ſuchen, wenn das Sonnenbild durchs Prisma geht,605 ziemlich ſeine Rechnung; allein bey ſubjectiven Verſu - chen, wo ſich nicht denken laͤßt, daß das Licht an der Graͤnze eines, auf einer flachen Tafel aufgetrage - nen, Bildes hergehe, muß er ſich freylich wunderlich gebaͤrden, um auch hier eine Beugung zu erzwingen. Es iſt merkwuͤrdig genug, daß den Newtonianern bey ihrem Verfahren die ſubjectiven Verſuche gleichfalls im Wege ſind.
Wie wenig Gunſt die Maratiſchen Bemuͤhungen bey den Naturforſchern, beſonders bey der Akademie, fanden, laͤßt ſich denken, da er die hergebrachte Lehre, ob er gleich ihr letztes Reſultat, die Decompoſition des Lich - tes, zugab, auf dem Wege den ſie dahin genommen, ſo entſchieden angriff. Das Gutachten der Commiſſarien iſt als ein Muſter anzuſehen, wie grimaſſirend ein boͤ - ſer Wille ſich gebaͤrdet, um etwas das ſich nicht ganz verneinen laͤßt, wenigſtens zu beſeitigen.
Was uns betrifft, ſo halten wir dafuͤr, daß Ma - rat mit viel Scharfſinn und Beobachtungsgabe die Lehre der Farben, welche bey der Refraction und ſoge - nannten Inflection entſtehen, auf einen ſehr zarten Punct gefuͤhrt habe, der noch fernerer Unterſuchung werth iſt, und von deſſen Aufklaͤrung wir einen wahren Zuwachs der Farbenlehre zu hoffen haben.
Schließlich bemerken wir noch, daß die beyden letztern oben benannten Schriften, welche uns eigent - lich intereſſiren, gewiſſermaßen gleichlautend ſind, in -606 dem die zweyte nur als eine Redaction und Epitome der erſten angeſehen werden kann, welche von Chriſt. Ehrenfried Weigel ins Deutſche uͤberſetzt, und mit An - merkungen begleitet, Leipzig 1783, herausgekommen iſt.
Dieſer, uͤbrigens ſo viel wir wiſſen unbekannt gebliebene, Verfaſſer macht eine eigene und artige Er - ſcheinung in der Geſchichte der Wiſſenſchaft. Ohne mit der Naturlehre uͤberhaupt, oder auch nur mit dieſem beſondern Capitel des Lichts und der Farben bekannt zu ſeyn, fallen ihm die farbigen Schatten auf, die er denn, da er ſie einmal bemerkt hat, uͤberall gewahr wird. Mit ruhigem und geduldigen Antheil beobachtet er die mancherley Faͤlle, in welchen ſie er - ſcheinen, und ordnet zuletzt in dieſem Buche zwey und neunzig Erfahrungen, durch welche er der Natur die - ſer Erſcheinungen naͤher zu kommen denkt. Allein alle dieſe Erfahrungen und ſogenannten Expériences ſind immer nur beobachtete Faͤlle, durch deren Anhaͤufung die Beantwortung der Frage immer mehr ins Weite geſpielt wird. Der Verfaſſer hat keineswegs die Gabe mehreren Faͤllen ihr Gemeinſames abzulernen, ſie ins Enge zu bringen, und in bequeme Verſuche zuſam -607 menzufaſſen. Da dieſes letztere von uns geleiſtet iſt (E. 62-80. ); ſo laͤßt ſich nunmehr auch leichter uͤberſehen, was der Verfaſſer eigentlich mit Augen ge - ſchaut, und wie er ſich die Erſcheinungen ausgelegt hat.
Bey der Seltenheit des Buches halten wir es fuͤr wohlgethan, einen kurzen Auszug davon, nach den Ru - briken der Capitel, zu geben.
Einleitung. Hiſtoriſche Nachricht, was Leo - nardo da Vinci, Buͤffon, Millot und Nollet uͤber die farbigen Schatten hinterlaſſen.
Erſter Theil. Was noͤthig ſey um farbige Schatten hervorzubringen. Naͤmlich zwey Lichter, oder Licht von zwey Seiten; ſodann eine entſchiedene Pro - portion der beyderſeitigen Helligkeit.
Zweyter Theil. Von den verſchiedenen Mit - teln farbige Schatten hervorzubringen, und von der Verſchiedenheit ihrer Farben.
I. Von farbigen Schatten, welche durch das di - recte Licht der Sonne hervorgebracht werden. Hier werden ſowohl die Schatten bey Untergang der Sonne, als bey gemaͤßigtem Licht den Tag uͤber, beobachtet.
II. Farbige Schatten, durch den Widerſchein des Sonnenlichtes hervorgebracht. Hier werden Spie -608 gel, Mauern und andere Lichtzuruͤckwerfende Gegen - ſtaͤnde mit in die Erfahrung gezogen.
III. Farbige Schatten, durch das Licht der At - moſphaͤre hervorgebracht, und erleuchtet durch die Sonne. Es werden dieſe ſeltener geſehen, weil das Sonnenlicht ſehr ſchwach werden muß, um den von der Atmoſphaͤre hervorgebrachten Schatten nicht voͤllig aufzuheben. Sie kommen daher gewoͤhnlich nur dann vor, wenn die Sonne ſchon zum Theil unter den Ho - rizont geſunken iſt.
IV. Farbige Schatten, durch das Licht der At - moſphaͤre allein hervorgebracht. Es muß, wo nicht von zwey Seiten, doch wenigſtens uͤbers Kreuz fallen. Dieſe Verſuche ſind eigentlich nur in Zimmern anzu - ſtellen.
V. Farbige Schatten, hervorgebracht durch kuͤnſt - liche Lichter. Hier bedient ſich der Verfaſſer zweyer oder mehrerer Kerzen, die er ſodann mit dem Camin - feuer in Verhaͤltniß bringt.
VI. Farbige Schatten, hervorgebracht durch das atmoſphaͤriſche Licht und ein kuͤnſtliches. Dieſes ſind die bekannteſten Verſuche mit der Kerze und dem Ta - geslicht, unter den mannigfaltigſten empiriſchen Be - dingungen angeſtellt.
VII. Farbige Schatten, hervorgebracht durch den609 Mondenſchein und ein kuͤnſtliches Licht. Dieſes iſt ohne Frage die ſchoͤnſte und eminenteſte von allen Er - fahrungen.
Dritter Theil. Von der Urſache der ver - ſchiedenen Farben der Schatten. Nachdem er im Vor - hergehenden das obige Erforderniß eines Doppellichtes und ein gewiſſes Verhaͤltniß der beyderſeitigen Helligkeit nunmehr voͤllig außer Zweifel geſetzt zu haben glaubt; ſo ſcheint ihm beym weitern Fortſchritt beſonders be - denklich, warum daſſelbe Gegenlicht nicht immer die Schatten gleich faͤrbe.
I. Vom Licht und den Farben. Er haͤlt ſich vor allen Dingen an die Newtoniſche Lehre, kann je - doch ſeine farbigen Schatten nicht mit der Refraction verbinden. Er muß ſie in der Reflexion ſuchen, weiß aber doch nicht recht wie er ſich gebaͤrden ſoll.
Er kommt auf Gautier’s Syſtem, welches ihn mehr zu beguͤnſtigen ſcheint, weil hier die Farben aus Licht und Schatten zuſammengeſetzt werden. Er giebt auch einen ziemlich umſtaͤndlichen Auszug; aber auch dieſe Lehre will ihm ſo wenig als die Newtoniſche ge - nuͤgen, die farbigen Schatten zu erklaͤren.
II. Von verſchiedenen Arten der farbigen Schat - ten. Er bemerkt, daß dieſe Erſcheinungen ſich nicht gleich ſind, indem man den einen eine gewiſſe Wirk - lichkeit, den andern nur eine gewiſſe Apparenz zuſchrei -II. 39610ben koͤnne. Allein er kann ſich doch, weil ihm das Wort des Raͤthſels fehlt, aus der Sache nicht finden. Daß die rothen Schatten von der untergehenden Sonne und den ſie begleitenden Wolken herkommen, iſt auf - fallend; aber warum verwandelt ſich der entgegenge - ſetzte Schatten, bey dieſer Gelegenheit, aus dem Blauen ins Gruͤne? Daß dieſe Farben, wenn die Schatten auf einen wirklich gefaͤrbten Grund geworfen werden, ſich nach demſelben modificiren und miſchen, zeigt er umſtaͤndlich.
III. Ueber die Farbe der Luft. Enthaͤlt die confuſen und dunkeln Meynungen der Naturforſcher uͤber ein ſo leicht zu erklaͤrendes Phaͤnomen (E. 151).
IV. Bemerkungen uͤber die Hervorbringung der farbigen Schatten. Die Bedenklichkeiten und Schwie - rigkeiten, auf dieſem Wege die farbigen Schatten zu erklaͤren, vermehren ſich nur. Der Verfaſſer naͤhert ſich jedoch dem Rechten, indem er folgert: Die Far - ben dieſer Schatten ſey man ſowohl dem Lichte ſchuldig welches den Schatten verurſacht, als demjenigen das ihn erleuchtet.
Der Verfaſſer beobachtet ſo genau und wendet die Sache ſo oft hin und wieder, daß er immer ſogleich auf Widerſpruͤche ſtoͤßt, ſobald er einmal etwas feſtge - ſetzt hat. Er ſieht wohl, daß das fruͤher von ihm aufgeſtellte Erforderniß einer gewiſſen Proportion der Lichter gegen einander nicht hinreicht; er ſucht es nun611 in gewiſſen Eigenſchaften der leuchtenden Koͤrper, be - ſonders der Flammen, und beruͤhrt auch den Umſtand, daß verſchiedene Lichter nicht einerley gleiche Farben verbreiten.
V. Beobachtungen uͤber die Urſachen der ver - ſchiedenen Schattenfarben. Er vermannigfaltigt die Verſuche abermals, beſonders um zu erkennen, auf welchem Wege eine Schattenfarbe in die andere uͤber - geht, und ob dieſer Uebergang nach einer gewiſſen Ordnung geſchehe. Dabey beharrt er immer auf dem Begriff von der verſchiedenen Intenſitaͤt des Lichts, und ſucht ſich damit durchzuhelfen, ob es gleich nur kuͤmmerlich gelingt. Und weil er durchaus redlich zu Werke geht, begegnen ihm immer neue Widerſpruͤche, die er eingeſteht und dann wieder mit dem was er ſchon feſtgeſetzt zu vereinigen ſucht. Seine letzten Re - ſultate ſind folgende:
Farbige Schatten entſpringen:
Auf dieſe Weiſe beſchließt der Verfaſſer ſeine Ar - beit, die ich um ſo beſſer beurtheilen kann, als ich, ohne ſeine Bemuͤhungen zu kennen, fruͤher auf dem - ſelbigen Wege geweſen; aus welcher Zeit ich noch eine kleine in dieſem Sinne geſchriebene Abhandlung beſitze.
An Gewiſſenhaftigkeit und Genauigkeit fehlt es dieſem ruhig theilnehmenden Beobachter nicht. Die geringſten Umſtaͤnde zeigt er an: das Jahr, die Jah - reszeit, den Tag, die Stunde; die Hoͤhen der himm - liſchen, die Stellung der kuͤnſtlichen Lichter; die groͤßere oder geringere Klarheit der Atmoſphaͤre; Entfernung und alle Arten von Bezug: aber gerade die Hauptſa - che bleibt ihm verborgen, daß das eine Licht den wei - ßen Grund, worauf es faͤllt und den Schatten proji - cirt, einigermaßen faͤrben muͤſſe. So entgeht ihm, daß die ſinkende Sonne das Papier gelb und ſodann roth faͤrbt, wodurch im erſten Fall der blaue, ſodann der gruͤne Schatten entſteht. Ihm entgeht, daß bey613 einem von Mauern zuruͤckſtrahlenden Lichte leicht ein gelblicher Schein auf einen weißen Grund geworfen und daſelbſt ein violetter Schatten erzeugt wird; daß die dem Tageslicht entgegengeſetzte Kerze dem Papier gleich - falls einen gelblich rothen Schein mittheilt, wodurch der blaue Schatten gefordert wird. Er uͤberſieht, daß wenn er ein atmoſphaͤriſches Licht von zwey Seiten in ſein Zimmer fallen laͤßt, von einem benachbarten Hauſe abermals ein gelblicher Schein ſich hereinmiſchen kann. So darf, ſelbſt wenn bey Nachtzeit mit zwey Kerzen operirt wird, die eine nur naͤher als die andere an einer gelblichen Wand ſtehen. So iſt ein Kaminfeuer nicht ſowohl ſtaͤrker und maͤchtiger als eine Kerze, ſon - dern es bringt, beſonders wenn viele gluͤhende Kohlen ſich dabey befinden, ſogar einen rothen Schein hervor; deswegen, wie beym Untergang der Sonne, leicht gruͤne Schatten entſtehen. Das Mondlicht faͤrbt jede weiße Flaͤche mit einem entſchieden gelben Schein; und ſo entſpringen alle die Widerſpruͤche, die dem Verfaſſer begegnen, blos daher, daß er die Neben - umſtaͤnde aufs genaueſte beachtet, ohne daß ihm die Hauptbedingung deutlich geworden waͤre.
Daß indeſſen ſchwach wirkende Lichter ſelbſt ſchon als farbig und faͤrbend anzuſehen, darauf haben wir auch ſchon hingedeutet (E. 81. ff.). Daß ſich alſo, in einem gewiſſen Sinne, die mehr oder mindere In - tenſitaͤt des Lichts an die Erſcheinung der farbigen Schatten anſchließe, wollen wir nicht in Abrede ſeyn; nur wirkt ſie nicht als eine ſolche, ſondern als eine614 gefaͤrbte und faͤrbende. Wie man denn uͤberhaupt das Schattenhafte und Schattenverwandte der Farbe, unter welchen Bedingungen ſie auch erſcheinen mag, hier recht zu beherzigen abermals aufgefordert wird.
Der Verfaſſer, ein Maltheſer-Ritter, wird zu - faͤlliger Weiſe auf die Betrachtung farbiger Schatten geleitet. Nach wenigen Beobachtungen eilt er gleich zu einer Art Theorie, und ſucht ſich von derſelben durch mehrere Verſuche zu uͤberzeugen. Seine Erfah - rungen und Geſinnungen finden ſich in den vier erſten oben benannten Schriften aufgezeichnet und in der letz -615 ten epitomirt. Wir ziehen ſie noch mehr ins Enge zuſammen, um unſern Leſern einen Begriff von dieſen zwar redlichen, doch ſeltſamen und unzulaͤnglichen Be - muͤhungen zu geben.
„ Die Farben manifeſtiren und formiren ſich durchs Licht. Das Licht, welches von leuchtenden Koͤrpern ausfließt, oder das von dunklen Koͤrpern zuruͤckſtrahlt, enthaͤlt die naͤmlichen Farben und producirt eben die - ſelben Phaͤnomene. Die Lebhaftigkeit des Lichts iſt eben ſo zerſtoͤrend fuͤr die Farben, als die Tiefe des Schattens. Bey einem Mittellicht erſcheinen und bil - den ſich die Farben. “
„ Primitive Farben gibt es zwey: Roth und Gruͤn. Blau und Gelb ſind keine primitiven Farben. Schwarz iſt eine poſitive Farbe, ſie entſteht aus Roth und Gruͤn. Weiß iſt eine poſitive Farbe, und ent - ſteht durch die aͤußerſte Trennung der primitiven Far - ben, Roth und Gruͤn. “
„ Der Anlaß, Roth und Gruͤn als primitive Far - ben anzunehmen und zu ſehen, gab ſich mir durch ei - nen Zufall im December 1788, zu Lamego. Ich kam in ein Zimmer und ſah an der Wand gruͤne und rothe616 Reflexe. Als ich das Licht ſuchte, welches dieſelben her - vorbrachte, fand ich daß es von der Sonne kam, die durch das Fenſter drang und auf die entgegengeſetzte Wand und das gruͤne Tuch fiel, mit welchem ein Tiſch bedeckt war. Dazwiſchen ſtand ein Stuhl, mit deſſen Schatten die farbigen Reflexe von Roth und Gruͤn zuſammentrafen. “
„ Ich zog den Stuhl weg, daß kein Koͤrper da - zwiſchen ſtehen moͤchte, und ſogleich verſchwanden die Farben. Ich ſtellte mein ſpaniſches Rohr, das ich in der Hand hatte, dazwiſchen, und ſogleich bildeten ſich dieſelben Farben, und ich bemerkte, daß die rothe Farbe mit der Zuruͤckſtrahlung des gruͤnen Tuchs cor - reſpondirte, und die gruͤne mit dem Theile der Wand, auf welchen die Sonne fiel. “
„ Ich nahm das Tuch vom Tiſche, ſo daß die Sonne bloß auf die Wand fiel, und auch da ver - ſchwanden die Farben, und aus den dazwiſchen lie - genden Koͤrpern reſultirte nur ein dunkler Schatten. Ich machte daß die Sonne bloß auf das Tuch fiel, ohne auf die Wand zu fallen, und ebenfalls ver - ſchwanden die Farben, und aus den zwiſchenliegenden Koͤrpern reſultirte der dunkle Schatten, den das von der Wand reflectirenoe Licht hervorbrachte. “
„ Indem ich dieſe Experimente anſtellte, beobachtete ich daß die Farben lebhafter erſchienen, wenn das Zim - mer dunkel und die Reflexe ſtaͤrker waren als das na -617 tuͤrliche Licht; und daß ſie ſogar endlich verſchwanden, wenn das natuͤrliche Licht, welches man durch Fen - ſter oder Thuͤre eingehen ließ, die Reflexe an Staͤrke uͤbertraf. “
„ Bey der Wiederholung der Verſuche ſtellte ich mich ſo, daß ein Theil der Sonne auf die weiße Wand fiel und ein anderer auf einen Theil meiner ſcharlachrothen Maltheſer-Uniform, und indem ich die Reflexe der Wand beobachtete, ſah ich ſie nochmals roth und gruͤn, ſo daß die gruͤne Farbe mit dem rothen Reflex, und die rothe mit dem Lichte an der Wand correſpondirte. “
„ So oft ich dieſe Obſervationen machte, ſo oft ergaben ſich die naͤmlichen Reſultate. Es ergiebt ſich alſo, daß das Licht der Sonne eine achromatiſche Fluͤſſigkeit iſt, mit der Eigenſchaft wie das Waſſer, ſich mit allen Farben faͤrben zu koͤnnen, und daß in dieſer Fluͤſſigkeit einige farbige und ſehr feine Theil - chen ſchwimmen, welche das Licht verſchiedentlich faͤr - bend, durch Refraction, Reflexion und Inflexion alle diejenigen Farben bilden, die wir auf den natuͤrlichen Koͤrpern und in dem gefaͤrbten Lichte erblicken. “
„ Das Licht, als Element angeſehen, iſt kein ein - facher Koͤrper, ſondern aus unter ſich verſchiedenen Principien zuſammengeſetzt. Eine achromatiſche, hoͤchſt feine durchſichtige Fluͤſſigkeit bildet ſeine Baſis, und618 eine farbige, heterogene dunkle Materie ſchwimmt be - ſtaͤndig in dieſer Fluͤſſigkeit. “
„ Wenn nicht in dem Lichte eine achromatiſche Fluͤſſigkeit exiſtirte, ſo wuͤrde die Intenſitaͤt der Far - ben des Lichts in jeder ſeiner Arten immer dieſelbe ſeyn; z. B. das Rothe wuͤrde immer dieſelbe Staͤrke behalten, ohne ſich zum hellern diluiren, oder zum Dunklern concentriren zu koͤnnen. Nun aber zeigt die Erfahrung, daß die Farben des Lichts ſich concentri - ren und diluiren, ohne ihre Natur zu veraͤndern; alſo folgt, daß in demſelben Lichte eine achromatiſche Ma - terie exiſtiren muß, die dergleichen Modificationen hervorzubringen vermoͤgend iſt. “
„ So muß auch die farbige Materie des Lichts nicht homogen ſeyn: denn waͤre ſie bloß von Einer Natur, z. B. roth; ſo wuͤrde man in allen Koͤrpern nichts mehr ſehen als dieſe Farbe, hell oder dunkel, nach dem Grade der Intenſitaͤt oder der Verduͤnnung des Lichts. Nun aber ſieht man in den Koͤrpern eine erſtaunliche Mannigfaltigkeit verſchiedener Farben, nicht nur der Intenſitaͤt ſondern auch der Qualitaͤt nach; folglich iſt die farbige Materie, welche in der achro - matiſchen Fluͤſſigkeit ſchwimmt, nicht homogen, ſon - dern von verſchiedenen Beſchaffenheiten. “
„ Durch eine Reihe neuer und entſchiedener Expe - rimente, die von mir uͤber das Licht gemacht worden, iſt es hinlaͤnglich bewieſen, daß es eine farbige Ma -619 terie von zweyerley Art gebe: eine die vermoͤgend iſt, in uns ein Gefuͤhl der rothen Farbe zu erwecken, und eine andere, die ein Gefuͤhl der gruͤnen Farbe hervor - bringen kann. Alle die andern Farben die man im Lichte ſieht, ſind aus dieſen beyden zuſammengeſetzt, und ſind anzuſehen als bloße Reſultate ihrer wechſel - ſeitigen Verbindung mit der achromatiſchen Materie zu einem Zuſtand von groͤßerer oder kleinerer Dichtigkeit. Denn das Licht hat eine Kraft ſich zu concentriren, daß es einen Glanz und eine unertraͤgliche Staͤrke fuͤr das Geſichtsorgan erhaͤlt; und zugleich die Faͤhigkeit, ſich ſo ſehr zu verduͤnnen, daß es demſelben Organ nicht mehr merklich iſt, und die Gegenſtaͤnde nicht mehr ſichtbar macht. “
„ Endlich iſt die farbige Materie des Lichts von Natur dunkel, weil ſie, indem ſie ſich vermittelſt ſchicklicher Vorrichtungen verbindet, entweder den freyen Durchgang der achromatiſchen Strahlen verhin - dert, oder uns die Oberflaͤche der Gegenſtaͤnde ver - deckt, uͤber welche ſich dieſe farbige Materie ver - breitet. “
Seine Vorrichtung iſt nicht ungeſchickt farbige Schatten hervorzubringen. Er bereitet hohle Roͤhren, beſpannt das eine Ende mit leichten ſeidenen Zeugen, theils weißen theils von verſchiedenen Farben. Dieſe bringt er in dem Laden einer Camera obſcura derge -620 ſtalt an, daß er auf eine entgegengeſtellte Tafel, ent - weder ſein achromatiſches oder ſeine verſchieden gefaͤrb - ten Lichter hereinbringen kann. Dazwiſchen ſtellt er ir - gend einen Koͤrper, um einen einfachen oder Doppel - ſchatten hervorzubringen. Da er ſeine ſeidenen Ueber - zuͤge Objective nennt; ſo wollen wir der Kuͤrze we - gen dieſen Ausdruck beybehalten.
Soweit iſt alles in der Ordnung. Nun verbin - det er aber mit dem rothen und gruͤnen Objectiv noch ein weißes, und will dadurch auf mancherley Art621 Blau, Gelb, ſo wie Orange und Violett erhalten haben.
Nun faͤhrt er fort ein Objectiv von Orangefarbe und ein weißes zuſammen zu ſtellen. Er erhaͤlt ein ſchwaches Orange-Licht, ſodann orange und blaue Schatten. Ein weißes und blaues Objectiv geben ihm ein ſchwachblaues Licht und blaue und gelbe Schatten. (Soll wohl rothgelbe heißen.) Ein gelbes und weißes Objectiv geben ihm ein hellgelbes Licht und gelbe und violette Schatten. Ein violettes und weißes Objectiv zuſammen geben ihm nunmehr violette und gruͤnliche Schatten.
Dieſes Violett that hier, wie man ſieht, die Wirkung vom reinen Roth; der Verfaſſer glaubt aber hier wieder an dem Anfange zu ſeyn, wo er ausge - gangen iſt. Anſtatt jedoch die richtigen Erfahrungen, die ihm die Natur von dem Gegenſatz der Farben dar - bot, zu beachten und weiter zu verfolgen, hielt er die geforderten Scheinfarben fuͤr reale, wirklich aus dem Licht hervorgelockte Farben, und getaͤuſcht durch jenen mittleren Verſuch, bey welchem ein nicht beachteter Nebenumſtand, den wir jedoch zu entwickeln noch nicht Gelegenheit gehabt, eintreten mochte, beſtand er auf ſeinem erſten wunderlichen Aperçuͤ in Lamego, Roth und Gruͤn, vielleicht ſeiner Maltheſer-Uniform und dem Teppich zu Ehren, als die einzigen Urfarben an - zuſprechen.
622Seine Bemuͤhungen ſind redlich, ſeine Aufmerkſam - keit genau und anhaltend. Er wird die dunkle Eigen - ſchaft der Farbe gewahr, die Nothwendigkeit eines farb - loſen Lichts zur Erſcheinung der Farbe, und fuͤhrt die ſaͤmmtlichen Paare der ſich fordernden Farben ganz rich - tig durch; nur uͤbereilt er ſich im Urtheil, und kommt ſo wenig als H. F. T. auf das Aperçuͤ, daß die zweyte Farbe eine phyſiologiſche ſey.
Das letzte der oben benannten Werke, ſehr ſchoͤn auf 32 Seiten in klein Quart gedruckt, verdiente wohl ganz uͤberſetzt, und mit der ihm beygefuͤgten Kupfer - tafel begleitet zu werden, indem nur zweyhundert Ex - emplare davon exiſtiren, und alle aufrichtigen Verſu - che zu dem Wahren zu gelangen, ſchaͤtzbar und ſelbſt die Mißgriffe belehrend ſind.
On the Ocular Spectra of Light and Colours. Abgedruckt in den Philoſophiſchen Transactionen, Vo - lum. 76. pag. 313. datirt vom November 1785. Noch - mals abgedruckt in Erasmus Darwins Zoonomie.
Dieſer Aufſatz von den Augengeſpenſtern iſt ohne Zweifel der ausfuͤhrlichſte unter allen die erſchienen ſind, ob ihm gleich die oben angezeigte Schrift des Pater Scherffer an die Seite geſtellt werden duͤrfte. Nach der Inhaltsanzeige folgt eine kurze Einleitung, welche eine Eintheilung dieſer Geſpenſter und einige Literarno - tizen enthaͤlt. Die Ueberſchriften und Summarien ſei - ner Kapitel ſind folgende:
1) Thaͤtigkeit der Netzhaut beym Sehen.
2) Von Geſpenſtern aus Mangel von Empfindlich - keit.
Die Retina wird nicht ſo leicht durch geringere Reizung in Thaͤtigkeit geſetzt, wenn ſie kurz vorher eine ſtaͤrkere erlitten.
3) Von Geſpenſtern aus Uebermaß von Empfind - lichkeit.
624Die Retina wird leichter zur Thaͤtigkeit erregt durch einen groͤßern Reiz, wenn ſie kurz vorher einen ge - ringern erfahren.
4) Von directen Augengeſpenſtern.
Eine Reizung uͤber das natuͤrliche Maaß, erregt die Retina zu einer krampfhaften Thaͤtigkeit, welche in wenig Secunden aufhoͤrt.
5) Ein Reiz, ſtaͤrker als der letzterwaͤhnte, er - regt die Retina zu krampfhafter Thaͤtigkeit, welche wechſelsweiſe ſich verliert und wiederkehrt.
6) Von umgekehrten Augengeſpenſtern.
Die Netzhaut, nachdem ſie zur Thaͤtigkeit durch einen Reiz aufgeregt worden, welcher abermals etwas groͤßer iſt als der letzterwaͤhnte, faͤllt in eine entgegen - geſetzte krampfhafte Thaͤtigkeit.
7) Die Netzhaut, nachdem ſie zur Thaͤtigkeit durch einen Reiz erregt worden, welcher abermals groͤ - ßer iſt als der letzterwaͤhnte, faͤllt in verſchiedene auf - einander folgende krampfhafte Thaͤtigkeiten.
8) Die Netzhaut, nachdem ſie zur Thaͤtigkeit durch einen Reiz erregt worden, der einigermaßen groͤßer iſt als der letzterwaͤhnte, faͤllt in eine fixe krampfhafte Thaͤtigkeit, welche mehrere Tage anhaͤlt.
6259) Ein Reiz, groͤßer als der vorhergehende, bringt eine temporaͤre Paralyſe in dem Geſichtsorgan hervor.
10) Vermiſchte Bemerkungen. Hier bringt der Verfaſſer ſolche Beobachtungen an, welche aus einem ganz natuͤrlichen Grunde zu den vorhergehenden nicht paſſen.
a) Von directen und umgekehrten Geſpenſtern die zu gleicher Zeit exiſtiren. Von wechſelſeitigen directen Geſpenſtern. Von einer Verbindung directer und um - gekehrter Geſpenſter. Von einem geſpenſterhaften Hofe. Regeln die Farben der Geſpenſter voraus zu ſagen.
b) Veraͤnderlichkeit und Lebhaftigkeit der Geſpen - ſter, durch fremdes Licht bewirkt.
c) Veraͤnderlichkeit Geſpenſter in Abſicht auf Zahl, Geſtalt und Nachlaſſen.
d) Veraͤnderlichkeit der Geſpenſter in Abſicht auf Glanz. Die Sichtbarkeit der Circulation des Blutes im Auge.
e) Veraͤnderlichkeit der Geſpenſter Abſicht auf Deutlichkeit und Groͤße, mit einer neuen Art die Ge - genſtaͤnde zu vergroͤßern.
f) Schluß.
II. 40626Jedem der dieſe Summarien und Rubriken mit einiger Aufmerkſamkeit betrachtet, wird in die Augen fallen, was an dem Vortrag des Verfaſſers zu tadeln ſey. Waring Darwin, wie ſein Bluts - oder Na - mensvetter, Erasmus Darwin, begehen, bey allem Verdienſt einer heitern und ſorgfaͤltigen Beobachtung, den Fehler, daß ſie als Aerzte alle Erſcheinungen mehr pathologiſch als phyſiologiſch nehmen. Waring erkennt in ſeinem erſten Artikel, daß wohl alles Sehen von der Thaͤtigkeit der Netzhaut abhaͤngen moͤchte, und nimmt nun nicht etwa den naturgemaͤßen Weg, die Geſetze wornach ein ſolches geſundes Organ wirkt und gegenwirkt, auszumitteln und zu bezeichnen; ſondern er fuͤhrt ſie unter der kuͤnſtlichen, aͤrztlichen Form auf, wie ſie ſich gegen ſchwaͤchere und ſtaͤrkere Reize verhal - ten; welches in dieſem Falle von geringer Bedeutung, ja in der Erfahrung, wie man aus ſeinen Rubriken wohl ſehen kann, gar nicht zu beſtimmen iſt.
Wir haben den Gehalt dieſer Abhandlung, ſo wie der uͤbrigen uns bekannt gewordenen, geſondert und an der Natur ſelbſt, zum Nachtheil unſrer eigenen Au - gen, wiederholt gepruͤft, und in unſrer Abtheilung von phyſiologiſchen, nicht weniger in dem Anhang von pathologiſchen Farben, die allgemeinen Umriſſe zu ziehen geſucht, in welchen ſich alles einſchließt, die beſte Ordnung auszufinden getrachtet, nach welcher ſich die Phaͤnomene darſtellen und einſehen laſſen.
Anſtatt alſo den Darwiniſchen Aufſatz Artikel vor627 Artikel durchzugehen, anſtatt Beyfall und Mißfallen im Einzelnen zu bezeigen, erſuchen wir unſere Leſer, die es beſonders intereſſiren koͤnnte, dieſe Abhandlung mit unſerer erſtgemeldeten Abtheilung des Entwurfs zu - ſammenzuhalten und ſich durch eigene Anſicht von dem dort Geleiſteten zu uͤberzeugen.
Wir haben bey Recenſion des Darwiniſchen Aufſa - tzes den Ausdruck Augengeſpenſt mit Fleiß gewaͤhlt und beybehalten, theils weil man dasjenige was er - ſcheint ohne Koͤrperlichkeit zu haben, dem gewoͤhnlichen Sprachgebrauche nach, ein Geſpenſt nennt, theils weil dieſes Wort, durch Bezeichnung der prismatiſchen Erſcheinung, das Buͤrgerrecht in der Farbenlehre ſich hergebracht und erworben. Das Wort Augentaͤuſchun - gen, welches der ſonſt ſo verdienſtvolle Ueberſetzer der Darwiniſchen Zoonomie dafuͤr gebraucht hat, wuͤnſchten wir ein fuͤr allemal verbannt. Das Auge taͤuſcht ſich nicht; es handelt geſetzlich und macht dadurch dasje - nige zur Realitaͤt, was man zwar dem Worte aber nicht dem Weſen nach, ein Geſpenſt zu nennen be - rechtigt iſt.
Wir fuͤgen die obengemeldeten literariſchen Notizen hinzu, die wir theils dem Verfaſſer, theils dem Ue - berſetzer ſchuldig ſind.
Doctor Jurin in Smiths Optik, zu Ende. Aepi - nus in den Petersburger neuen Commentarien Vol. X. Beguelin in den Berliner Memoiren Vol. II., 1771. 40 *628D’Arcy, Geſchichte der Akademie der Wiſſenſchaften 1765. De la Hire, Buͤffon, Memoiren der franz. Akademie 1743. Chriſt. Ernſt Wuͤnſch Visus phae - nomena quaedam. Lips. 1776. 4. Joh. Eichel Experimenta circa sensum videndi, in Collectaneis societatis medicae Havniensis. Vol. I., 1774. 8.
Lezioni prattiche di pittura, in ſeinen Werken, herausgekommen zu Parma 1780 in Quart.
Den Grund der Harmonie, welche wir bey einem Gemaͤlde empfinden, ſetzte Mengs in das Helldunkel, ſo wie er denn auch dem allgemeinen Ton die vorzuͤg - lichſte Wirkung zuſchrieb. Die Farben waren ihm da - gegen nur einzelne Toͤne, womit man die Oberflaͤchen der Koͤrper ſpecificirte, welche ſich dem Helldunkel und dem allgemeinen Ton ſubordiniren ſollten, ohne eben gerade fuͤr ſich und unter ſich einen Anſpruch an Ue - bereinſtimmung und Ganzheit zu machen.
Er bemerkte jedoch, daß eine Farbe, wenn ſie in ihrer voͤlligen Lebhaftigkeit gebraucht werde, durch eine andere gewiſſermaßen aufgewogen werden muͤſſe, um ertraͤglich zu ſeyn. Und ſo fand ſein offner Sinn und guter Geſchmack die einfachen Geſetze der Farben -629 harmonie, ohne jedoch ihren phyſiologiſchen Grund einzuſehen.
„ Bey dem Gebrauch der Farben iſt es noͤthig ihr Gleichgewicht zu beobachten, wenn wir die Art und Weiſe finden wollen, ſie mit Anmuth anzuwenden, und gut zu begleiten. Eigentlich gibt es nur drey Farben, Gelb, Roth und Blau. Dieſe darf man nie an und fuͤr ſich in einem Werke gebrauchen; doch wenn man ja eine davon, und zwar rein anwenden wollte, ſo ſuche man die Art und Weiſe eine andere aus zweyen gemiſcht, an die Seite zu ſetzen: z. E. das reine Gelb begleite man mit Violett, weil dieſes aus Roth und Blau beſteht. Hat man ein reines Roth angewendet, ſo fuͤge man aus derſelben Urſache das Gruͤne hinzu, das ein Gemiſch von Blau und Gelb iſt. Beſonders iſt die Vereinigung des Gelben und Rothen, wodurch die dritte Miſchung entſteht, ſchwer mit Vortheil anzuwenden, weil dieſe Farbe zu lebhaft iſt, deswegen man das Blau zu ſeiner Begleitung hinzufuͤgen muß. “
Man ſehe was wir hieruͤber im naturgemaͤßen Zuſammenhange am gehoͤrigen Orte vorgetragen haben. (E. 803. ff.)
Vollſtaͤndiges Faͤrbe - und Bleichbuch ꝛc. ꝛc. Sechs Baͤnde. Ulm, 1779 bis 1793.
Dieſer Mann, welcher zu Sindelfingen bey Stutt - gart anſaͤßig und zuletzt im Baadeniſchen angeſtellt war, deſſen Lebensgang wohl mehr verdiente bekannt zu ſeyn, war in ſeinem Handwerk, in ſeiner Halbkunſt, wie man es nennen will, ſo viel wir ihn beurtheilen koͤn - nen, wohl zu Hauſe. Alle Erforderniſſe bey der Faͤr - berey, ſowohl in ſo fern ſie vorbereitend als ausfuͤh - rend und vollendend gedacht werden, lagen ihm zur Hand, ſo wie die verſchiedenſten Anwendungen, wel - che man von Farben techniſch auf alle Arten von Zeu - gen und Stoffen nach und nach erſonnen hat.
Bey der großen Breite, bey dem genauen Detail ſeiner Kenntniſſe ſah er ſich nach einem Leitfaden um, an welchem er ſich durch das Labyrinth der Natur - und Kunſterſcheinungen durchwinden koͤnnte. Da er aber weder gelehrte, noch philoſophiſche noch literariſche Bildung hatte, ſo wurde es ſeinem uͤbrigens tuͤchtigen Charakter ſehr ſchwer, wo nicht unmoͤglich, ſich uͤberall zurecht zu finden.
Er ſah wohl ein, daß bey allem Verfahren des Faͤrbers nur ſehr einfache Maximen zum Grunde lagen, die ſich aber unter einem Wuſt von einzelnen Recepten631 und zufaͤlligen Behandlungen verbargen und kaum ge - ſaßt werden konnten.
Daß mit einer klugen Anwendung von Saͤuren und Alcalien viel, ja beynah alles gethan ſey, ward ihm klar, und bey dem Drange zum Allgemeinen, den er in ſich fuͤhlte, wollte er dem Material ſeines Ge - ſchaͤfts und deſſen Anwendung nicht allein, ſondern zugleich der ganzen Natur, einen eben ſo einfachen Gegenſatz zum Grunde legen. Deshalb wurden ihm Feuer und Waſſer die zwey Haupt-Elemente. Jenem geſellte er die Saͤuren, dieſem die Alcalien zu. In jenem wollte er zugleich die hochrothe, in dieſem die blaue Farbe finden, und hiermit war ſeine Theorie abgeſchloſſen; das Uebrige ſollte ſich hieraus entwi - ckeln und ergeben.
Da die eminenteſten und beſtaͤndigſten Farben aus den Metallen hervorzubringen waren; ſo ſchenkte er auch dieſen vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit und eine beſondere Ehrfurcht. Dem Feuer, den Saͤuren, dem Hochrothen ſoll Gold und Eiſen, dem Waſſer, den Alcalien, dem Blauen ſoll vorzuͤglich Kupfer antworten und gemaͤß ſeyn; und uͤberall wo man dieſe Farben finde, ſoll etwas wo nicht gerade wirk - lich Metalliſches, doch dem Metalliſchen nahe Ver - wandtes und Analoges angetroffen werden.
Man ſieht leicht, daß dieſe Vorſtellungsart ſehr beſchraͤnkt iſt und bey der Anwendung oft genug unbe -63[632] quem werden muß. Weil jedoch ſeine Erfahrung ſehr ſicher und ſtaͤt, ſeine Kunſtbehandlung meiſterhaft iſt; ſo kommen bey dieſer ſeltſamen Terminologie Verhaͤlt - niſſe zur Sprache, an die man ſonſt nicht gedacht haͤtte, und er muß die Phaͤnomene ſelbſt recht deutlich machen, damit ſie vielſeitig werden, und er ihnen durch ſeine wunderliche Theorie etwas abgewinnen kann. Uns wenigſtens hat es geſchienen, daß eine Umarbei - tung dieſes Buchs, nach einer freyern theoretiſchen An - ſicht, von mannigfaltigem Nutzen ſeyn muͤßte.
Da, wie der Titel ſeines Buches ausweiſt, die erſte Sorge des Faͤrbers, die Farbloſigkeit und Reinig - keit der Stoffe auf welche er wirken will, ihm niemals aus den Augen gekommen; da er die Mittel ſorgfaͤltig angibt, wie ſolchen Stoffen alle Farbe und Unrei - nigkeit zu entziehen: ſo muß ihm freylich der Newto - niſche ſiebenfarbige Schmutz, ſo wie bey ſeiner einfa - chern Anſicht, die ſiebenfache Geſellſchaft der Grund - farben hoͤchſt zuwider ſeyn; deswegen er ſich auch ge - gen die Newtoniſche Lehre ſehr verdrießlich und un - freundlich gebaͤrdet.
Mit den Chemikern ſeiner Zeit, Meyer, Juſti und andern, vertraͤgt er ſich mehr oder weniger. Das acidum pingue des erſten iſt ihm nicht ganz zuwider; mit dem zweyten ſteht er in mancherley Differenz. So iſt er auch in dem was zu ſeiner Zeit uͤber die Faͤrbe - kunſt geſchrieben worden, und was man ſonſt uͤber die Farbenlehre geaͤußert, nicht unbekannt.
633So viel ſey genug, das Andenken eines Mannes aufzufriſchen, der ein laborioſes und ernſtes Leben ge - fuͤhrt, und dem es nicht allein darum zu thun war, fuͤr ſich und die Seinigen zu wirken und zu ſchaffen; ſondern der auch dasjenige was er erfahren, und wie er ſichs zurecht gelegt, andern zu Nutz und Bequem - lichkeit, emſig mittheilen wollte.
Verſuch und Bemerkungen uͤber die Urſache der dauerhaften Farben undurchſichtiger Koͤrper. Ueberſetzt und herausgegeben von Crell. Berlin und Stettin 1788. 8.
Der eigentliche Gehalt dieſer Schrift, ob er gleich in der Farbenlehre von großer Bedeutung iſt, laͤßt ſich doch mit wenigen Worten ausſprechen. Des Verfaſ - ſers Hauptaugenmerk ruht auf dem σκιερόν, auf der dunklen Eigenſchaft der Farbe, wohin wir auch wie - derholt gedeutet haben.
Er behandelt vorzuͤglich faͤrbende Stoffe aus dem Mineralreiche, ſodann auch aus dem vegetabiliſchen und animaliſchen; er zeigt, daß dieſe Stoffe in ihrem fein - ſten und concentrirteſten Zuſtande keine Farbe bey auf - fallendem Lichte ſehen laſſen, ſondern vielmehr ſchwarz erſcheinen.
634Auch in Feuchtigkeiten aufgeloͤſte reine Farbeſtoffe, ſo wie farbige Glaͤſer, zeigen, wenn ein dunkler Grund hinter ihnen liegt, keine Farbe, ſondern nur, wenn ein heller hinter ihnen befindlich iſt. Alsdann aber laſſen ſie ihre farbige Eigenſchaft eben ſo gut als bey durch - fallendem Lichte ſehen.
Was ſich auch vielleicht gegen des Verfaſſers Verfahrungsart bey ſeinen Verſuchen einwenden laͤßt; ſo bleibt doch das Reſultat derſelben fuͤr denjenigen, der ſie nachzuahmen und zu vermannigfaltigen weiß, unverruͤckt ſtehen, in welchem ſich das ganze Fundament der Faͤrberey und Malerey ausdruͤckt.
Des Verfaſſers Vortrag hingegen iſt keiner von den gluͤcklichſten. Seine Ueberzeugung trifft mit der Newtoniſchen nicht zuſammen, und doch kann er ſich von dieſer nicht losmachen, ſo wenig als von der Ter - minologie, wodurch ſie ſich ausſpricht. Man ſieht ferner durch ſeine Deduction wohl den Faden durch, an welchen er ſich haͤlt, allein er verſchlingt ihn ſelbſt und macht dadurch den Leſer verworren.
Da er vorzuͤglich in dem chemiſchen Felde arbei - tet, ſo ſteht ihm freylich die Vorſtellungsart ſeiner Zeit und die damalige Terminologie entgegen, wo das Phlogiſton ſo wunderbar Widerſprechendes wirken ſollte. Die Kenntniß der verſchiedenen Luftarten iſt auf dem Wege; aber der Verfaſſer entbehrt noch die großen Vorzuͤge der neuern franzoͤſiſchen Chemie und635 ihres Sprachgebrauchs, wodurch wir denn freylich ge - genwaͤrtig viel weiter reichen. Es gehoͤrt daher eine Ueberzeugung von ſeinem Hauptgrundſatze und ein gu - ter Wille dazu, um das Echte und Verdienſtliche ſei - ner Arbeit auszuziehen und anzuerkennen.
Wir haben ihn ſeit langen Jahren geſchaͤtzt und daher auch ſchon (E. 572 ff. ) ſeine Ueberzeugung, ver - bunden mit der unſern, aufgefuͤhrt.
Bey den Pflanzen geraͤth es ihm am beſten. Er entzieht ihnen das Faͤrbende und es bleibt eine weiße Structur uͤbrig. Dieſes ausgezogene Faͤrbende verfin - ſtert ſich immer mehr beym Verdichten, manifeſtirt ſei - ne ſchattenhafte Natur, naͤhert ſich dem Schwarzen, Ununterſcheidbaren, und kann wieder einer andern wei - ßen Flaͤche mitgetheilt und in ſeiner vorigen Specifica - tion und Herrlichkeit dargeſtellt werden. Im Thier - reich iſt es ſchon ſchwieriger. Im Mineralreiche fin - den ſich noch mehr Hinderniſſe, wenn man den Grund - ſatz durchfuͤhren will. Jedoch beharrt er feſt bey dem - ſelben und wendet ihn, wo er empiriſch anwendbar iſt, gluͤcklich an.
In der Vorrede ſind zwey kurze Aufſaͤtze, die je - doch dem Verfaſſer nicht beſonders guͤnſtig ſind, vom Herausgeber eingeſchaltet, der eine von Kluͤgel, der andere von Lichtenberg. In dem erſten finden wir einen gemuͤthlichen und redlichen, in dem zweyten einen geiſt - reichen und gewandten Skepticismus. Wir moͤgen636 hierbey eine Bemerkung aͤußern, welche wohl verdien - te geſperrt gedruckt zu werden; daß naͤmlich auf eine ſolche Weiſe, wie von beyden Maͤnnern hier geſche - hen, alle Erfahrungswiſſenſchaft vernichtet werden koͤn - ne: denn weil nichts was uns in der Erfahrung er - ſcheint, abſolut angeſprochen und ausgeſprochen werden kann, ſondern immer noch eine limitirende Bedingung mit ſich fuͤhrt, ſo daß wir Schwarz nicht Schwarz, Weiß nicht Weiß nennen duͤrften, in ſofern es in der Erfahrung vor uns ſteht: ſo hat auch jeder Verſuch, er ſey wie er wolle und zeige was er wolle, gleichſam einen heimlichen Feind bey ſich, der dasjenige was der Verſuch a potiori ausſpricht, begraͤnzt und un - ſicher macht. Dieß iſt die Urſache, warum man im Lehren, ja ſogar im Unterrichten, nicht weit kommt; bloß der Handelnde, der Kuͤnſtler entſcheidet, der das Rechte ergreift und fruchtbar zu machen weiß.
Der Delavaliſchen Ueberzeugung, die wir kennen, wird die Lehre von Newtons Lamellen an die Seite ge - ſetzt, und freylich ſind ſie ſehr verwandt. Bey New - ton kommt auch die Farbe nicht von der Oberflaͤche, ſon - dern das Licht muß durch eine Lamelle des Koͤrpers ein - dringen und decomponirt zuruͤckkehren. Bey Delaval iſt die Farbe dieſer Lamelle ſpecificirt und wird nicht anders geſehen, als wenn hinter ihr ein heller, wei - ßer Grund ſich befindet, von dem das Licht alsdann gleichfalls ſpecifiſch gefaͤrbt zuruͤckkehrt.
Merkwuͤrdig iſt beſonders in dem Lichtenbergiſchen637 Aufſatz, wie man der Newtoniſchen Lehre durch che - miſche Huͤlfstruppen in jener Zeit wieder beygeſtanden. Man hatte eine latente Waͤrme ausgemittelt, warum ſollte es nicht auch ein latentes Licht geben? und war - um ſollten die, nach der Theorie, dem Licht ange - hoͤrigen farbigen Lichter nicht auch der Reihe nach Ver - ſteckens ſpielen, und wenn es den gelben beliebte her - vorzugucken, warum ſollten die uͤbrigen nicht neckiſch im Hinterhalte lauſchen koͤnnen?
Zwey merkwuͤrdige, unſerer Ueberzeugung guͤnſtige Stellen aus gedachtem Aufſatz jedoch, wovon wir die eine ſchon fruͤher angefuͤhrt (E. 584.), moͤgen hier Platz nehmen:
„ Ich bemerke hier im Vorbeygehen, daß vielleicht die Lehre von den Farben eben deswegen bisher ſo viele Schwierigkeiten hatte, weil alles auf Einem Wege, z. B. Brechung, erklaͤrt werden ſollte. “
Wir haben oft genug wiederholt, daß alles auf den Weg ankommt, auf welchem man zu einer Wiſ - ſenſchaft gelangt. Newton gieng von einem Phaͤno - men der Brechung aus, von einem abgeleiteten Com - plicirten. Dadurch ward Brechung das Hauptaugen - merk, das Hauptkunſtwort, und was bey einem ein - zelnen Falle vorgieng, die Grundregel, das Grund - geſetz fuͤrs Allgemeine. Hatte man hier mehrere, ja unzaͤhlige Grundfarben angenommen; ſo bedurften die welche von der Malerey und Faͤrberey herkamen, nur638 drey Farben; noch mehr Aufpaſſende und Sondernde gar nur zwey, und ſo veraͤnderte ſich alles nach den verſchiedenen Anſichten.
Carvalho und der Franzoſe H. F. T. fanden die farbigen Schatten hoͤchſt bedeutend und legten den ganzen Grund der Farbenlehre dahin. Aber alle dieſe Phaͤnomene, ſie moͤgen Namen haben wie ſie wollen, haben ein gleiches Recht Grundphaͤnomene zu ſeyn. Die von uns aufgefuͤhrten phyſiologiſchen, phyſiſchen, chemiſchen Farben ſind alle gleich befugt die Aufmerk - ſamkeit der Beobachtenden und Theoretiſirenden anzu - ſprechen. Die Natur allein hat den wahren republica - niſchen Sinn, da der Menſch ſich gleich zur Ariſtokra - tie und Monarchie hinneigt, und dieſe ſeine Eigenheit uͤberall, beſonders auch theoretiſirend ſtatt finden laͤßt.
„ Auch ſcheint es mir aus andern Gruͤnden wahr - ſcheinlich, daß unſer Organ um eine Farbe zu empfin - den, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mit empfangen muͤſſe. “
Was hier Lichtenberg im Vorbeygehen aͤußert, iſt denn das etwas anderes als was Delaval behauptet? nur daß dieſer das Helle hinter das Dunkle bringt und die Specification des Dunklen dadurch erſcheinen macht, und daß jener das Helle unter das Dunkle miſcht; welches ja auch nichts weiter iſt, als daß eins mit und durch das andre erſcheint. Ob ich ein durchſichtiges Blau uͤber Gelb laſire, oder ob ich639 Gelb und Blau vermiſche, iſt in gewiſſem Sinne einer - ley: denn auf beyde Weiſe wird ein Gruͤn hervorge - bracht. Jene Behandlungsart aber ſteht viel hoͤher, wie wir wohl nicht weiter auszufuͤhren brauchen.
Uebrigens wird Delaval’s Vortrag, beſonders in - dem er auf die truͤben Mittel gelangt, unſicher und unſcheinbar. Er kehrt zu der Newtoniſchen Lehre zu - ruͤck, ohne ſie doch in ihrer ganzen Reinheit beyzube - halten; dadurch entſteht bey ihm, wie bey ſo vielen andern, ein ungluͤckliches eklektiſches Schwanken. Denn man muß ſich zu Newton ganz bekennen, oder ihm ganz entſagen.
Verſuch einer Geſchichte der maleriſchen Harmo - nie uͤberhaupt und der Farbenharmonie insbeſondere, mit Erlaͤuterungen aus der Tonkunſt, und vielen praktiſchen Anmerkungen, Halle 1786.
Dieſer Mann, deſſen Andenken faſt gaͤnzlich ver - ſchwunden iſt, lebte um gedachtes Jahr in Leipzig als privatiſirender Gelehrter, war als guter Phyſiker und rechtlicher Mann geſchaͤtzt, ohne ſich jedoch einer aͤrm - lichen Exiſtenz entwinden zu koͤnnen. Er nahm be - traͤchtlichen Antheil an phyſicaliſchen, technologiſchen, oͤkonomiſchen Journalen und anderen Schriften dieſes640 Inhalts. Mehr iſt uns von ihm nicht bekannt ge - worden.
Seine obgemeldete Schrift zeigt ihn uns als ei - nen durch Studien wohl gebildeten Mann. Kenntniß der Sprachen, des Alterthums, der Kunſtgeſchichte und recht treue Theilnahme an der Kunſt ſelbſt, iſt uͤberall ſichtbar. Ohne ſelbſt Kuͤnſtler zu ſeyn, ſcheint er ſich mit der Malerey, beſonders aber mit dem Ma - len, als ein guter Beobachter und Aufmerker beſchaͤf - tigt zu haben, indem er die Erforderniſſe der Kunſt und Technik recht wohl einſieht und penetrirt.
Da er jedoch in allem dem, was von dem Ma - ler verlangt wird und was er leiſtet, kein eigentliches Fundament finden kann; ſo ſucht er durch Verglei - chung mit der Tonkunſt eine theoretiſche Anſicht zu begruͤnden, und die maleriſchen und muſicaliſchen Phaͤnomene, ſo wie die Behandlungsweiſe der beyden Kuͤnſte, mit einander zu paralleliſiren.
Eine ſolche, von Ariſtoteles ſchon angeregte, durch die Natur der Erſcheinungen ſelbſt beguͤnſtigte, von mehreren verſuchte Vergleichung kann uns eigent - lich nur dadurch unterhalten, daß wir mit gewiſſen ſchwankenden Aehnlichkeiten ſpielen, und indem wir das Eine fallen laſſen, das Andere ergreifen und immer ſo fortfahren, uns geiſtreich hin und wieder ſchaukeln.
Auf dem empiriſchen Wege, wir wir ſchon fruͤher641 bemerkt (E. 748 ff. ) werden ſich beyde Kuͤnſte nie - mals vergleichen laſſen, ſo wenig als zwey Maßſtaͤbe von verſchiedenen Laͤngen und Eintheilungen neben einander gehalten. Wenn auch irgend wo einmal ein Einſchnitt paßt, ſo treffen die uͤbrigen nicht zuſam - men; ruͤckt man nach, um jene neben einander zu brin - gen, ſo verſchieben ſich die erſten wieder, und ſo wird man auf eine hoͤhere Berechnungsart nothwendig ge - trieben.
Wir koͤnnen dieß nicht anſchaulicher machen, als wenn wir diejenigen Erſcheinungen und Begriffe, die er paralleliſirt, neben einander ſtellen.
| Licht | Laut |
| Dunkelheit | Schweigen |
| Schatten | |
| Lichtſtrahlen | Schallſtrahlen |
| Farbe | Ton |
| Farbenkoͤrper | Inſtrument |
| Ganze Farben | Ganze Toͤne |
| Gemiſchte Farben | Halbe Toͤne |
| Gebrochene Farbe | Abweichung des Tons |
| Helle | Hoͤhe |
| Dunkel | Tiefe |
| Farbenreihe | Octave |
| Wiederholte Farbenreihe | Mehrere Octaven. |
| Helldunkel | Uniſono |
| Himmliſche Farben | Hohe Toͤne |
| Irdiſche (braune) Farben | Contra-Toͤne |
| Herrſchender Ton | Soloſtimme |
| Licht und Halbſchatten | Prime und Secundſtimme |
| Indig | Violoncell |
| Ultramarin | Viole und Violine |
| Gruͤn | Menſchenkehle |
| Gelb | Clarinette |
| Hochroth | Trompete |
| Roſenroth | Hoboe |
| Kermesroth | Querfloͤte |
| Purpur | Waldhorn |
| Violett | Fagott |
| Zurichtung der Palette | Stimmung der Inſtrumente |
| Tractement | Applicatur |
| Bunte lavierte Zeichnung | Clavier-Conzert |
| Impaſtirtes Gemaͤlde. | Symphonie. |
Bey dieſer Art von ſtrengem Nebeneinanderſetzen, welches im Buche theils wirklich ausgeſprochen, theils durch Context und Styl nur herbeygefuͤhrt und ein - geleitet iſt, ſieht Jedermann das Gezwungene, Will - kuͤhrliche und Unpaſſende zweyer großen in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Naturerſcheinungen, in ſofern ſie theil - weiſe mit einander verglichen werden ſollen.
Es iſt zu verwundern, daß der Verfaſſer, der ſich ſehr lebhaft gegen das Farbenclavier erklaͤrt und daſſelbe fuͤr unausfuͤhrbar und unnuͤtz haͤlt, ein ſolches Vergnuͤ - gen fand, ſich aus Verſchlingung der beyden Kuͤnſte643 gleichſam ſelbſt ein Labyrinth zu erſchaffen. Dieſes wird denn in ſeinen letzten Kapiteln recht kraus, in - dem er den motus rectus und contrarius, Intervalle, Conſonanzen und Diſſonanzen, den modus major und minor, Accord und Disharmonie, aneinander - gereihte Octaven und was noch alles ſonſt der Muſik eigen iſt, auch in der Farbenlehre und der ſie anwen - denden Malerkunſt finden will.
Er muß freylich, als ein im Grunde ſcharfſinniger Mann, ſich zuletzt daran ſtoßen, daß die Malerey eine ſimultane Harmonie, die Muſik eine ſucceſſive fordere. Er findet natuͤrlich die Intervalle der Farben nicht ſo beſtimm - und meßbar, wie die der Toͤne. Da er ſeine Farbenſcala nicht in ihr ſelbſt abſchließt, ſondern ſie, ſtatt in einem Cirkel, in einer Reihe vorſtellt, um ſie an eine hellere Octave wieder anſchließen zu koͤnnen; ſo weiß er nicht, welche er zur erſten und welche zur letzten machen, und wie er dieſes Anſchließen am natuͤrlichſten bewirken ſoll. Ihm ſteht entgegen daß er von einem gewiſſen Gelb auf geradem Wege durch Roth und Blau hindurch niemals zu einem helleren Gelb gelangen kann, und er muß fuͤhlen, daß es ein unendlicher Unterſchied iſt zwiſchen der Operation wo - durch man eine Farbe verduͤnnt, und zwiſchen der wodurch man zu einem hoͤheren Tone vorſchreitet.
Eben ſo traurig iſt es anzuſehen, wenn er glaubt, man koͤnne jede Farbe durch gewiſſe Modificationen in den Minor ſetzen, wie man es mit den Toͤnen vermag,41 *644weil die einzelnen Toͤne ſich gegen den ganzen muſica - liſchen Umfang viel gleichguͤltiger verhalten, als die einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem ſie aufgeſtellt ſind: denn die Farben machen in dieſem Kreiſe ſelbſt das majus und minus, ſie machen ſelbſt dieſen entſchiedenen Gegenſatz, welcher ſichtbar und empfindbar iſt und der nicht aufzuheben geht, ohne daß man das Ganze zerſtoͤrt.
Die Toͤne hingegen ſind, wie geſagt, gleichguͤltiger Natur, ſie ſtehen jedoch unter dem geheimen Geſetz eines gleichfalls entſchiedenen Gegenſatzes, der aber nicht an ſich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveraͤnder - lich empfindbar wird, ſondern, nach Belieben des Kuͤnſtlers, an einem jeden Tone und ſeiner von ihm herfließenden Folge hoͤrbar und empfindbar gemacht werden kann.
Es iſt uns angenehm, indem wir gegen das En - de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben, uns uͤber dieſen wichtigen Punct zu erklaͤren, auf wel - chen ſchon im Laufe unſeres Vortrags auf mehr als eine Weiſe hingedeutet worden.
Das Buͤchelchen ſelbſt verdient eine Stelle in der Sammlung eines jeden Natur - und Kunſtfreundes, ſo - wohl damit das Andenken eines braven, beynah voͤllig vergeſſenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig - keit, ja Unmoͤglichkeit einer ſolchen Unternehmung ei - nem jeden deutlicher gemacht werde. Geiſtreiche Per -645 ſonen werden an den kuͤnſtlichen, aber redlich gemeyn - ten, und ſo weit es nur gehen wollte, ernſtlich durch - gefuͤhrten Bemuͤhungen des Verfaſſers Unterhaltung und Vergnuͤgen finden.
Experiments and Observations on the unequal Refrangibility of Light, in den Transactionen der Koͤniglichen Societaͤt zu Edinburg, Vol. 3, 1794.
Das Phaͤnomen der Achromaſie war nun allge - mein bekannt und beſonders durch die einfachen prisma - tiſchen Verſuche außer allem Zweifel geſetzt worden; doch ſtand der Anwendung dieſes Naturgeſetzes auf Objectivglaͤſer manches im Wege, ſowohl von der chemiſchen als von der mechaniſchen Seite, indem es ſeine Schwierigkeiten hat, ein innerlich vollkommen rei - nes Flintglas zu bereiten und genau zuſammenpaſſende Glaͤſer zu ſchleifen. Beſonders aber ſtellten ſich manche Hinderniſſe ein, wenn man die Weite der Objectiv - glaͤſer uͤber einen gewiſſen Grad vermehren wollte.
Daß nicht allein feſte, ſondern auch allerley fluͤſſige Mittel die Farbenerſcheinung zu erhoͤhen im Stande ſeyen, war bekannt. Doctor Blair beſchaͤftigte ſich mit dieſen letzten, um ſo mehr als er wollte gefunden haben, daß bey der gewoͤhnlichen Art,646 durch Verbindung von Flint - und Crownglas, die Achromaſie nicht vollkommen werden koͤnne.
Er hatte dabey die Newtoniſche Vorſtellungsart auf ſeiner Seite: denn wenn man ſich das Spectrum als eine fertige, in allen ihren einzelnen Theilen un - gleich gebrochene Strahlenreihe denkt; ſo laͤßt ſich wohl hoffen, daß ein entgegengeſetztes Mittel allen - falls einen Theil derſelben, aber nicht alle aufheben und verbeſſern koͤnne. Dieſes war ſchon fruͤher zur Sprache gekommen und Dr. Blairs Verſuche, ſo wie die dar - aus gezogenen Folgerungen, wurden von den Newto - nianern mit Gunſt aufgenommen.
Wir wollen ihn erſt ſelbſt hoͤren und ſodann das - jenige, was wir dabey zu erinnern im Fall ſind, nach - bringen.
„ Verſchiedene Aufloͤſungen von Metallen und Halb - metallen in verſchied nen Geſtalten fanden ſich immer chromatiſcher als Crownglas. Die Aufloͤſungen einiger Salze in Waſſer, z. B. des rohen Ammoniakſalzes, vermehren die Erſcheinung ſehr. Die Salzſaͤure hat auch dieſe Kraft, und je concentrirter ſie iſt, deſto647 ſtaͤrker wirkt ſie. Ich fand daher, daß diejenigen Fluͤſſigkeiten die allerhoͤchſte chromatiſche Kraft haben, in welchen die Salzſaͤure und die Metalle verbunden ſind. Die chemiſche Praͤparation, genannt Causticum antimoniale oder Butyrum Antimonii, beſitzt in ih - rem concentrirteſten Zuſtande, wenn ſie eben genug Feuchtigkeit an ſich gezogen hat, um fluͤſſig zu ſeyn, dieſe Kraft in einem erſtaunlichen Grade, ſo daß drey Keile Crownglas noͤthig ſind, um die Farbe aufzuhe - ben, die durch einen entgegengeſetzten Keil von glei - chem Winkel hervorgebracht worden. Die große Men - ge des in dieſer Solution enthaltenen Halbmetalls, und der concentrirte Zuſtand der Salzſaͤure, ſcheinen die - ſen kaum glaublichen Effect hervorzubringen. “
„ Aetzendes ſublimirtes Queckſilber, mit einer Auf - loͤſung von rohem Ammoniakſalz in Waſſer, iſt an Staͤr - ke die naͤchſte Aufloͤſung. Man kann ſie ſo ſtark ma - chen, daß der Winkel eines Prisma’s von Crown - glas, welches ihre Farbenerſcheinung aufwiegen ſoll, doppelt ſo groß ſeyn muß. Hier ſind auch offenbar das Queckſilber und die Salzſaͤure an der Erſcheinung Urſache: denn weder das Waſſer, noch das fluͤchtige Laugenſalz, als die uͤbrigen Theile der Zuſammen - ſetzung, zeigen, wenn man ſie einzeln unterſucht, eine ſolche Wirkung. “
„ Die weſentlichen Oele folgen zunaͤchſt. Dieieni - gen welche man aus harzigen Mineralien erhaͤlt, wirken am ſtaͤrkſten: als aus natuͤrlichem Bergoͤl,648 Steinkohle und Ambra. Ihr Verhaͤltniß zu dem Crown - glas iſt ohngefaͤhr wie zwey zu drey. Das weſent - liche Oel des Saſſafraß wirkt nicht viel geringer. We - ſentliches Citronenoͤl, ganz aͤcht, verhaͤlt ſich wie drey zu vier, Terpentinoͤl wie ſechs zu ſieben, und im weſentlichen Rosmarinoͤl iſt die Kraft noch etwas geringer. “
„ Ausgepreßte Oele unterſcheiden ſich nicht ſonder - lich vom Crownglas, ſo auch rectificirte Geiſter, und der Aether des Salpeters und Vitriols. “
I. „ Die ungleiche Refrangibilitaͤt des Lichts, wie ſie Iſaak Newton entdeckt und umſtaͤndlich eroͤrtert hat, ſteht nur in ſofern unwiderſprochen gegruͤndet, als die Refraction an der Graͤnze irgend eines Mediums und eines leeren Raumes vorgeht. Alsdann ſind die Strah - len von verſchiedenen Farben ungleich gebrochen, die rothmachenden Strahlen ſind die am wenigſten, die violetimachenden die am meiſten brechbaren Strahlen. “
II. „ Die Entdeckung von demjenigen was man die verſchieden zerſtreuende Kraft in den verſchieden brechenden Medien nannte, zeigt, daß die Newtoni - ſchen Theoreme nicht allgemein ſind, wenn er ſchließt: daß der Unterſchied der Brechung zwiſchen den meiſt649 und geringſt brechbaren Strahlen immer in einem ge - gebenen Verhaͤltniſſe zu der Refraction der mittelſt re - frangiblen ſtehe. Man zweifelt nicht, daß dieſer Satz wahr ſey, bezuͤglich auf die Mittel, an welchen dieſe Erfahrungen gemacht ſind; aber es finden ſich man - che Ausnahmen deſſelben. “
III. „ Denn die Erfahrungen des Herrn Dollond beweiſen, daß der Unterſchied der Brechung zwiſchen den rothen und violetten Strahlen, im Verhaͤltniß zu der Refraction des ganzen Strahlenpinſels, groͤßer iſt in gewiſſen Glasarten als im Waſſer, und groͤßer im Flintglas als im Crownglas. “
IV. „ Die erſte Reihe der obenerwaͤhnten Verſuche zeigt, daß die Eigenſchaft, die farbigen Strahlen in einem hoͤheren Grade als Crownglas zu zerſtreuen, nicht auf wenige Mittel begraͤnzt iſt, ſondern einer großen Mannigfaltigkeit von Fluͤſſigkeiten angehoͤrt, und einigen derſelben in ganz außerordentlichem Grade. Metallaufloͤſungen, weſentliche Oele, mineraliſche Saͤuren, mit Ausnahme der vitrioliſchen, ſind in dieſem Betracht hoͤchſt merkwuͤrdig. “
V. „ Einige Folgerungen, die ſich aus Verbin - dung ſolcher Mittel, welche eine verſchiedene zerſtreuen - de Kraft haben, ergeben und bisher noch nicht genug beachtet worden, laſſen ſich auf dieſe Weiſe erklaͤren. Obgleich die groͤßere Refrangibilitaͤt der violetten vor den rothen Strahlen, wenn das Licht aus irgend ei -650 nem Mittel in einen leeren Raum geht, als ein Ge - ſetz der Natur betrachtet werden kann; ſo ſind es doch gewiſſe Eigenſchaften der Mittel, von denen es abhaͤngt, welche von dieſen Strahlen, beym Uebergang des Lichtes aus einem Mittel ins andere, die meiſt refrangiblen ſeyn ſollen, oder in wiefern irgend ein Unterſchied in ihrer Brechbarkeit ſtatt finde. “
VI. „ Die Anwendung von Huyghens Demonſtra - tionen auf die Verbeſſerung jener Abweichung, die ſich von der ſphaͤriſchen Figur der Linſen herſchreibt, ſie moͤgen feſt oder fluͤſſig ſeyn, kann als der naͤchſte Schritt, die Theorie der Fernglaͤſer zu verbeſſern, angeſehen werden. “
VII. „ Sodann bey Verſuchen, welche mit Ob - jectivglaͤſern von ſehr weiter Oeffnung gemacht, und in welchen beyde Abweichungen, in ſofern es die Grundſaͤtze erlauben, verbeſſert worden, findet ſich, daß die Farbenabweichung durch die gemeine Ver - bindung zweyer Mittel von verſchiedener Diſperſiv - kraft nicht vollkommen zu verbeſſern ſey. Die ho - mogenen gruͤnen Strahlen ſind alsdann die meiſt re - frangirten, zunaͤchſt bey dieſen Blau und Gelb verei - nigt, dann Indigo und Orange vereinig, dann Vio - lett und Roth vereinigt, welche am wenigſten re - frangirt ſind. “
VIII. „ Wenn dieſe Farbenhervorbringung beſtaͤndig, und die Laͤnge des ſecundaͤren Spectrums dieſelbe waͤre,651 in allen Verbindungen der Mittel wo die ganze Bre - chung des Pinſels gleich iſt; ſo wuͤrde die vollkommene Verbeſſerung jener Abweichung, die aus der Verſchie - denheit der Refrangibilitaͤt entſteht, unmoͤglich ſeyn und als ein unuͤberſteigliches Hinderniß der Verbeſſerung dioptriſcher Inſtrumente entgegenſtehen. “
IX. „ Der Zweck meiner Experimente war daher, zu unterſuchen, ob die Natur ſolche durchſichtige Mittel gewaͤhre, welche dem Grade nach, in welchem ſie die Strahlen des prismatiſchen Spectrums zerſtreuen, ver - ſchieden waͤren, zugleich aber die mancherley Reihen der Strahlen in derſelben Provortion aus einander hiel - ten. Denn wenn ſich ſolche Mittel faͤnden, ſo wuͤrde das obengemeldete ſecundaͤre Spectrum verſchwinden, und die Abweichung welche durch die verſchiedene Re - frangibilitaͤt entſteht, koͤnnte aufgehoben werden. Der Erfolg dieſer Unterſuchung war nicht gluͤcklich in Be - tracht ihres Hauptgegenſtandes. In jeder Verbindung die man verſuchte, bemerkte man dieſelbe Art von nicht beſeitigter Farbe, und man ſchloß daraus, daß es keine directe Methode gebe, die Aberration wegzuſchaffen. “
X. „ Aber es zeigte ſich in dem Verlauf der Ver - ſuche, daß die Breite des ſecundaͤren Spectrums ge - ringer war in einigen Verbindungen als in anderen, und da eroͤffnete ſich ein indirecter Weg, jene Verbeſ - ſerung zu finden, indem man naͤmlich eine zuſammen - geſetzte hohle Linſe von Materialien welche die meiſte Farbe hervorbringen, mit einer zuſammengeſetzten con -652 vexen Linſe von Materialien welche die wenigſte Farbe hervorbringen, verband und nun beobachtete, auf was Weiſe man dieß durch drey Mittel bewirken koͤnnte, ob es gleich ſchien, daß ihrer viere noͤthig waͤren. “
XI. „ Indem man ſich nun nach Mitteln umſah, welche zu jenem Zweck am geſchickteſten ſeyn moͤchten; ſo entdeckte man eine wunderbare und merkwuͤrdige Ei - genſchaft in der Salzſaͤure. In allen Mitteln, deren Zerſtreuungskraͤfte man bisher unterſucht hatte, waren die gruͤnen Strahlen, welche ſonſt die mittlern refran - giblen im Crownglas ſind, unter den weniger refrangi - blen, und daher verurſachten ſie jene nicht beſeitigte Farbe, welche vorher beſchrieben worden. In der Salz - ſaͤure hingegen machen dieſelben Strahlen einen Theil der mehr refrangiblen, und in Gefolg davon iſt die Ordnung der Farben in dem ſecundaͤren Spectrum, wel - ches durch eine Verbindung von Crownglas mit dieſer Fluͤſſigkeit hervorgebracht war, umgekehrt, indem das homogene Gruͤn das wenigſt refrangible und das verbun - dene Roth und Violett das meiſt refrangible war. “
XII. „ Dieſe merkwuͤrdige Eigenſchaft, die man in der Salzſaͤure gefunden, fuͤhrt zu dem vollkommen - ſten Erfolg, dem großen Mangel der optiſchen Inſtru - mente abzuhelfen, naͤmlich der Zerſtreuung oder Abwei - chung der Strahlen, welche ſich von ihrer ungleichen Refrangibilitaͤt herſchrieb, und wodurch es bisher un - moͤglich ward, ſie alle zuſammen auf einen Punct zu bringen, ſowohl bey einfachen als bey entgegengeſetzten653 Brechungen. Eine Fluͤſſigkeit, in welcher Theile der Salzſaͤure mit metalliſchen in gehoͤrigem Verhaͤltniß ſtehn, trennt die aͤußerſten Strahlen des Spectrums weit mehr als Crownglas, bricht aber alle Reihen der Strahlen genau in demſelben Verhaͤltniß, wie dieß Glas thut; und daher koͤnnen die Strahlen aller Farben, welche durch die Brechung des Glaſes divergent gewor - den, wieder parallel werden, entweder durch eine fol - gende Refraction auf der Graͤnze des Glaſes und ge - dachter Fluͤſſigkeit, oder indem die brechende Dichtigkeit derſelben geſchwaͤcht wird. Die Brechung, welche an der Graͤnze derſelben und des Glaſes ſtatt findet, kann ſo regelmaͤßig, als waͤre es Reflexion, gemacht werden, indeſſen die Maͤngel, welche von unvermeidlicher Un - vollkommenheit des Schleifens entſpringen muͤſſen, hier viel weniger anſtoͤßig ſind als bey der Reflexion, und die Maſſe Licht, welche durch gleiche Oeffnung der Te - leſcope durchfaͤllt, viel groͤßer iſt. “
XIII. „ Dieſes ſind die Vortheile, welche unſere Entdeckung anbietet. In der Ausfuͤhrung mußte man beym erſten Angreifen der Sache mancherley Schwierig - keiten erwarten und deren manche uͤberwinden, ehe die Erfahrungen vollſtaͤndig wirken konnten. Denn zur Ge - nauigkeit der Beobachtungen gehoͤrt, daß die Objectiv - glaͤſer ſehr ſorgfaͤltig gearbeitet werden, indem die Phaͤnomene viel auffallender ſind, wenn die vergroͤ - ßernden Kraͤfte wachſen. Die Mathematiker haben ſich viel Muͤhe zu geringem Zwecke gegeben, indem ſie die Radien der Sphaͤren ausrechneten, welche zu achro -654 matiſchen Teleſcopen noͤthig ſind: denn ſie bedachten nicht, daß Objectivglaͤſer viel zartere Pruͤfmittel ſind fuͤr die optiſchen Eigenſchaften brechender Medien als die groben Verſuche durch Prismen, und daß die Reſultate ihrer Demonſtrationen nicht uͤber die Genauig - keit der Beobachtungen hinausgehen, wohl aber dahin - ter zuruͤckbleiben koͤnnen .. “
XIV. „ Ich ſchließe dieſen Vortrag, der ſchon laͤnger geworden als ich mir vorſetzte, indem ich die verſchiedenen Faͤlle ungleicher Brechbarkeit des Lichts erzaͤhle, damit ihre Mannigfaltigkeit auf einmal deut - lich eingeſehen werde.
XV. „ Bey der Brechung, welche an der Graͤnze eines jeden bekannten Mittels und eines leeren Raums ſtatt findet, ſind die verſchiedenfarbigen Strahlen un - gleich brechbar, die rothmachenden am wenigſten, die violettmachenden am meiſten. Dieſer Unterſchied der Brechbarkeit der rothen und violetten Strahlen iſt jedoch nicht derſelbige in allen Mitteln. Solche Mittel, in welchen der Unterſchied am groͤßten iſt, und welche[da - her] die verſchiedenfarbigen Strahlen am meiſten trennen oder zerſtreuen, hat man durch den Ausdruck diſper - ſive unterſchieden, und diejenigen welche die Strah - len am wenigſten von einander trennen, ſind indiſper - ſive genannt worden. Dieſe Mittel ſind alſo dadurch von einander unterſchieden, und mehr noch durch einen andern hoͤchſt weſentlichen Umſtand. “
655XVI. „ Es zeigt ſich durch Verſuche, welche man auf indiſperſive Mittel gemacht hat, daß das mittlere refrangible Licht immer daſſelbe und zwar von gruͤner Farbe iſt. “
XVII. „ Hingegen in der weitlaͤuftigen Claſſe di - ſperſiver Mittel, wozu Flint-Glas, metalliſche Aufloͤ - ſungen und weſentliche Oele gehoͤren, macht das gruͤne Licht nicht die mittlere refrangible Reihe, ſondern bildet eine von den weniger refrangiblen Reihen, indem man ſolches im prismatiſchen Spectrum naͤher am tiefen Roth als an dem aͤußerſten Violett findet. “
XVIII. „ In einer andern Claſſe diſperſiver Mittel, welche die Salz - und Salpeterſaͤure enthaͤlt, wird daſ - ſelbe gruͤne Licht eines der mehr refrangiblen, indem es ſich naͤher am letzten Violett, als am tiefſten Roth zeigt. “
XIX. „ Dieſes find die Verſchiedenheiten in der Brechbarkeit des Lichtes, wenn die Refraction an der Graͤnze eines leeren Raumes ſtatt findet, und die Phaͤ - nomene werden nicht merklich unterſchieden ſeyn, wenn die Brechungen an der Graͤnze des dichten Mittels und der Luft geſchehen. Aber wenn Licht aus einem dichten Mittel ins andere uͤbergeht, ſind die Faͤlle der unglei - chen Refrangibilitaͤt viel verwickelter. “
XX. „ Bey Refractionen, welche auf der Graͤnze von Mitteln geſchehen, welche nur an Staͤrke und nicht656 an Eigenſchaft verſchieden ſind, als Waſſer und Crown - glas, oder an der Graͤnze von verſchieden diſperſiven Fluͤſſigkeiten, welche mehr oder weniger verduͤnnt ſind, wird der Unterſchied der Refrangibilitaͤt derſelbe ſeyn, der oben an der Graͤnze dichter Mittel und der Luft be - merkt worden, nur daß die Refraction geringer iſt. “
XXI. „ An der Graͤnze eines indiſperſiven und eines duͤnnern Mittels, das zu irgend einer Claſſe der di - ſperſiven gehoͤrt, koͤnnen die rothen und violetten Strah - len gleich refrangibel gemacht werden. Wenn die di - ſperſive Gewalt des duͤnneren Mittels ſich vermehrt, ſo werden die violetten Strahlen die wenigſt refrangi - blen, und die rothen die meiſt refrangiblen. Wenn die mittlere refractive Dichtigkeit zweyer Mittel gleich iſt, ſo werden die rothen und violetten Strahlen in entgegengeſetzten Richtungen gebrochen, die einen zu, die andern von dem Perpendikel. “
XXII. „ Dieſes begegnet den rothen und violetten Strahlen, welche Art von diſperſiven Mitteln man auch brauche; aber die Refrangibilitaͤt der mittleren Strahlenordnung und beſonders der gruͤnen Strahlen wird verſchieden ſeyn, wenn die Claſſe der diſperſiven Mittel veraͤndert wird. “
XXIII. „ So in dem erſten Fall, wenn rothe und violette Strahlen gleich refrangibel gemacht worden, werden die gruͤnen Strahlen als die meiſt refrangiblen heraustreten, ſobald man die erſte Claſſe der diſperſi -657 ven Mittel gebraucht, und als die wenigſt refrangiblen, ſobald die zweyte Claſſe angewendet wird. So in den zwey andern Faͤllen, wo das Violette das am we - nigſten und das Rothe das am meiſten refrangible wird, und wo dieſe beyden in entgegengeſetzten Directionen gebrochen werden; alsdann werden die gruͤnen Strah - len zu den rothen gelangen, wenn die erſte Claſſe der diſperſiven Mittel gebraucht wird, und werden ſich zu den violetten geſellen, wenn man die zweyte Claſſe braucht. “
XXIV. „ Nur noch ein anderer Fall ungleicher Re - fraction bleibt uͤbrig zu bemerken, und das iſt der, wenn Licht gebrochen wird an der Graͤnze von Mitteln, die zu den zwey verſchiedenen Claſſen diſperſiver Fluͤſ - ſigkeiten gehoͤren. Bey dem Uebergang z. B. von ei - nem weſentlichen Oel, oder einer metalliſchen Solution in die Salzſaͤuren, laͤßt ſich die refractive Dichtigkeit dieſer Fluͤſſigkeiten ſo zurichten, daß die rothen und violetten Strahlen keine Refraction erdulden, wenn ſie aus einer Fluͤſſigkeit in die andere gehen, wie ſchief auch ihre Incidenz ſeyn moͤge. Aber die gruͤnen Strah - len werden alsdann eine merkliche Brechung erleiden, und dieſe Brechung wird ſich vom Perpendikel wegbe - wegen, wenn das Licht aus der Salzſaͤure in das we - ſentliche Oel uͤbergeht, und gegen den Perpendikel, wenn es von dem weſentlichen Oel in die Salzſaͤure uͤbergeht. Die andern Reihen der Strahlen erleiden aͤhnliche Brechungen, welche am groͤßeſten ſind bey denen die dem Gruͤn am naͤchſten kommen, und abneh -II. 42658men, wie ſie ſich dem tiefen Rothen an der einen Seite, und dem letzten Violetten an der andern naͤhern, wo Refraction vollkommen aufhoͤrt. “
Wir koͤnnen vorausſetzen, daß unſere Leſer die Lehre von der Achromaſie uͤberhaupt, theils wie wir ſolche in unſerm Entwurf, theils im hiſtoriſchen Theile vorgetragen, genugſam gegenwaͤrtig haben. Was die Blairiſchen Bemuͤhungen betrifft, ſo findet ſich uͤber dieſelben ein Aufſatz in den Gilbertiſchen Annalen der Phyſik (ſechſter Band, S. 129 ff. ); auch kommen in dem Reichsanzeiger (1794, N. 152. und 1795, N. 4 und 14.) einige Notizen vor, welche zur Erlaͤuterung der Sache dienen. Wir haben den Autor ſelbſt reden laſ - ſen, und ſeine einzelnen Paragraphen numerirt, um einige Bemerkungen darauf beziehen zu koͤnnen.
Die Blairiſchen Verſuche ſind mit Prismen und Objectivglaͤſern gemacht, aber beyde Arten ſind nicht deutlich von einander abgeſondert, noch iſt die Be - ſchreibung ſo gefaßt, daß man wiſſen koͤnnte, wann die eine oder die andere Weiſe zu verſuchen eintritt. Er nennt die prismatiſchen Verſuche grob. Wir finden dieß eine des Naturforſchers unwuͤrdige Art ſich auszu - druͤcken. Sie ſind wie alle aͤhnlichen einfachen Verſu - che keineswegs grob, ſondern rein zu nennen. Die659 reine Mathematik iſt nicht grob, verglichen mit der an - gewandten, ja ſie iſt vielmehr zarter und zuverlaͤſſiger.
Das groͤßte Uebel jedoch, das den Blairiſchen Verſuchen beywohnt, iſt, daß ſie nach der Newtoni - ſchen Theorie beſchrieben ſind. Verſuche nach einer fal - ſchen Terminologie ausgeſprochen, ſind, wenn man ſie nicht wiederholen kann, ſehr ſchwer durch eine Conjec - tural-Critik auf den rechten Fuß zu ſtellen. Wir fanden uns nicht in dem Fall, die Blairiſchen Verſuche zu wiederholen; doch werden wir moͤglichſt ſuchen ihnen auf die Spur zu kommen.
Es ſollen Verſuche mit achromatiſchen Objectivglaͤ - ſern von ſehr weiter Oeffnung gemacht worden ſeyn; was fuͤr Verſuche aber, iſt nicht deutlich. Man kann durch ſolche Objectivglaͤſer das Sonnenlicht fallen laſſen, um zu ſehen, ob es bey ſeinem Zuſammenziehen oder Ausdehnen Farben zeige; man kann ſchwarze und wei - ße kleine Scheiben auf entgegengeſetzten Gruͤnden da - durch betrachten, ob ſich Raͤnder an ihnen zeigen oder nicht. Wir nehmen an, daß er den Verſuch auf die erſte Weiſe angeſtellt; nun ſagt er, in dieſen Objectiv - glaͤſern waͤren die beyden Abweichungen gewiſſermaßen verbeſſert geweſen. Dieß heißt doch wohl von Seiten der Form und von Seiten der Farbe. Iſt dieſes letz - tere auch nur einigermaßen geſchehen, wie koͤnnen denn die wunderlichen Farbenerſcheinungen noch uͤbrig blei - ben, von denen der Schluß des Paragraphen ſpricht?
42 *660Wir finden uns bey Betrachtung dieſer Stelle in nicht geringer Verlegenheit. Homogene gruͤne Strah - len, die wir nach unſrer Lehre gar nicht kennen, ſollen die meiſt refrangirten ſeyn. Das muͤßte alſo doch wohl heißen: ſie kommen zuerſt im Focus an. Hier waͤre alſo irgend etwas Gruͤnes geſehen worden. Wie ſoll man nun aber das folgende verſtehen? wo immer je zwey und zwey farbige Strahlen vereinigt ſeyn ſollen. Hat man ſie geſehen oder nicht geſehen? Im erſten Fall muͤßten ſie jedesmal an einander graͤnzen und doppelfarbige Kreiſe bilden. Oder hat man ſie nicht geſehen, und heißt das vereinigt hier, nach der ungluͤckſeligen Newtoniſchen Theorie, wieder zu Weiß verbunden, wie erkennt man denn, daß ſie da waren, und wie erfaͤhrt man, wo ſie geblieben ſind?
Wir dachten uns aus dieſer Verwirrung allenfalls durch eine doppelte Vermuthung zu helfen. Bey achro - matiſchen Fernroͤhren kommt manchmal der Fall vor, daß die Convex - und Concavlinſe ſo genau paſſen, daß ſie ſich unmittelbar beruͤhren und druͤcken, wodurch die lebhafteſten epoptiſchen Farben entſtehen. Trat viel - leicht bey jenem Objectiv dieſer Umſtand ein, und Blair ließ das Sonnenlicht hindurchfallen, ſo konn - ten ſolche Farbenkreiſe entſtehen, wie er ſie bezeichnet, aber von einer ganz andern Seite. Sie gehoͤren un - ter eine ganz andre Rubrik, als wohin er ſie zieht. Noch ein anderer Umſtand konnte ſtatt finden, daß naͤmlich das zu dieſem Objectiv angewandte Crownglas nicht vollkommen rein war, und ſich alſo mit Refrac -661 tion verbundene paroptiſche Farbenkreiſe zeigten; doch bleibt es uns unmoͤglich, etwas Gewiſſes hieruͤber feſt - zuſetzen.
Die Verſuche von denen hier die Rede iſt, muͤſ - ſen mit Prismen gemacht worden ſeyn. Er haͤlt ſich beſonders bey dem Gruͤnen des prismatiſchen Spec - trums auf, welches, wie bekannt, urſpruͤnglich darin gar nicht exiſtirt. Die Redensart, daß gruͤne Strahlen die mittleren brechbaren ſeyn ſollen, iſt grundfalſch. Wir haben es tauſendmal wiederholt: die Mitte des Geſpenſtes iſt zuerſt weiß.
Man nehme unſere fuͤnfte Tafel zur Hand. Wo Gelb und Blau ſich beruͤhren, entſteht das Gruͤn und erſcheint einen Augenblick ohngefaͤhr in der Mitte des Spectrums. Wie aber bey Anwendung eines jeden Mittels, es ſey von welcher Art es wolle, das Vio - lette waͤchſt, ſo gehoͤrt Gruͤn freylich mehr dem untern, als dem obern Theile zu.
Weil nun ſogenannte mehr diſperſive Mittel einen laͤngern violetten Schweif bilden, ſo bleibt das Gruͤn, obgleich immer an ſeiner Stelle, doch weiter unten, und nun rechnet es der Verfaſſer gar zu den minder re - frangiblen Strahlen. Es ſteckt aber eigentlich nur in der Enge des hellen Bildes, und der violette Saum geht weit daruͤber hinaus. Hiermit waͤren wir alſo im Rei - nen.
662Daß es aber ſtark diſperſe Mittel geben ſoll, durch welche das Gruͤn mehr nach oben geruͤckt wird, oder nach jener Terminologie zu den mehr refrangiblen Rei - hen gehoͤrt, ſcheint ganz unmoͤglich, weil die Saͤume ins helle Bild hinein ſtaͤrker wachſen muͤßten, als aus dem Hellen hinaus; welches ſich nicht denken laͤßt, da beyde Randerſcheinungen ſich jederzeit voͤllig auf gleiche Weiſe ausdehnen.
Was hingegen Dr. Blair geſehen haben mag, glauben wir indeß durch eine Vermuthung auslegen zu koͤnnen. Er bedient ſich zu dieſen Verſuchen ſeiner hoh - len Prismen. Dieſe ſind aus Meſſing und Glas zu - ſammengeſetzt. Wahrſcheinlich haben Salz - und Sal - peterſaͤure etwas von dem Meſſing aufgeloͤſt, und einen Gruͤnſpan in ſich aufgenommen. Durch dieſes nun - mehr gruͤn gefaͤrbte Mittel wurde das Gruͤn des Spec - trums erhoͤht, und der violette Theil deſſelben depri - mirt. Ja es iſt moͤglich, daß der aͤußerſte zarte Theil des Saums voͤllig aufgehoben worden. Auf dieſe Weiſe ruͤckt freylich das Gruͤn ſcheinbar weit genug hinauf, wie man ſich dieß Reſultat ſchon durch jedes gruͤne Glas vergegenwaͤrtigen kann.
Durch dieſe beyden Paragraphen wird jene Ver - muthung noch beſtaͤrkt: denn hier kommen Verſuche vor, durch welche, nach aufgehobenen Randſtrahlen, die gruͤnen mittleren Strahlen in ihrem Werth geblieben ſeyn ſollen. Was kann das anders heißen, als daß663 zuletzt ein gruͤnes Bild noch uͤbrig blieb? Aber wie kann dieſes entſtehen, wenn die Reihen der entgegengeſetzten Enden aufgehoben ſind, da es bloß aus dieſen zuſam - mengeſetzt iſt? Schwerlich kann es etwas anders ſeyn und heißen, als daß ein an ſeinen Raͤndern wirklich achromatiſirtes, durch ein gruͤnes Mittel aber gruͤn ge - faͤrbtes gebrochnes Bild noch uͤbrig geblieben.
Soviel von unſern Vermuthungen, denen wir noch manches hinzufuͤgen koͤnnten. Allein es iſt eine traurige Aufgabe mit Worten gegen Worte zu ſtreiten; und die Verſuche anzuſtellen, um der Sache genau auf die Spur zu kommen, mangelt uns gegenwaͤrtig Zeit und Gelegenheit. Sie verdient wegen Erweiterung der theoretiſchen Anſicht vielleicht kuͤnftig noch eine naͤhere Pruͤfung. Denn was das Praktiſche betrifft, ſo ſieht man leicht, daß dieſen aus Glas und ſaliniſchen Fluͤſ - ſigkeiten zuſammengeſetzten ſogenannten aplanatiſchen Glaͤſern in der Ausfuͤhrung noch mehr Hinderniſſe ent - gegenſtanden, als jenen aus zwey Glasarten verbunde - nen achromatiſchen. Auch ſcheint das Unternehmen nicht weiter gefuͤhrt worden zu ſeyn. Ob wir hieruͤber naͤ - here Nachricht erhalten koͤnnen, muß die Zeit lehren.
Uns ſey indeſſen vergoͤnnt, da wir uns dem Schluſſe unſerer Arbeit immer mehr naͤhern, eine allgemeine, bieher wohl paſſende Anmerkung beyzubringen.
In phyſiſchen ſowohl als andern Erfahrungswiſ -664 ſenſchaften kann der Menſch nicht unterlaſſen ins Mi - nutioſe zu gehen, theils weil es etwas Reizendes hat, ein Phaͤnomen ins unendlich Kleine zu verfolgen, theils weil wir im Praktiſchen, wenn einmal etwas geleiſtet iſt, das Vollkommnere zu ſuchen immer aufgefordert werden. Beydes kann ſeinen Nutzen haben; aber der daraus entſpringende Schaden iſt nicht weniger merk - lich. Durch jenes erſtgenannte Bemuͤhen wird ein un - endlicher Wiſſenswuſt aufgehaͤuft und das Wuͤrdige mit dem Unwuͤrdigen, das Werthe mit dem Unwerthen durcheinander geruͤttelt und eins mit dem andern der Aufmerkſamkeit entzogen.
Was die praktiſchen Forderungen betrifft, ſo moͤ - gen unnuͤtze Bemuͤhungen noch eher hingehen, denn es ſpringt zuletzt doch manchmal etwas Unerwartetes her - vor. Aber der, dem es Ernſt um die Sache iſt, be - denke doch ja, daß der Menſch in einen Mittelzuſtand geſetzt iſt, und daß ihm nur erlaubt iſt das Mittlere zu erkennen und zu ergreifen. Der Natur, um ganz zunaͤchſt bey der Materie zu bleiben, von der wir eben handeln, war es ſelbſt nicht moͤglich, das Auge ganz achroma - tiſch zu machen. Es iſt achromatiſch nur in ſofern als wir frey, gerade vor uns hin ſehen. Buͤcken wir den Kopf nieder, oder heben ihn in die Hoͤhe, und blicken in dieſer gezwungenen Stellung nach irgend einem ent - ſchiedenen hellen oder dunklen Bilde, nach einem zu dieſen Erfahrungen immer bereiten Fenſterkreuz; ſo wer - den wir mit bloßen Augen die prismatiſchen Saͤume ge - wahr. Wie ſollte es alſo der Kunſt gelingen, die Na -665 tur in einem ſolchen Grade zu meiſtern, da man ja nicht mit abſtracten ſondern mit concreten Kraͤften und und Koͤrpern zu thun hat, und es ſich mit dem Hoͤch - ſten, der Idee, eben ſo verhaͤlt, daß man ſie keines - wegs ins Enge noch ins Gleiche bringen kann.
Keinesweges werde jedoch, wie ſchon geſagt, der Forſcher und Techniker abgeſchreckt, ins Feinere und Genauere zu gehen; nur thue er es mit Bewußtſeyn, um nicht Zeit und Faͤhigkeiten zu vertaͤndeln und zu verſchwenden.
Da uns, wenn wir an irgend einem Geſchehenen Theil nehmen, nichts willkommener ſeyn kann, als daß Perſonen welche mitgewirkt, uns die beſondern Um - ſtaͤnde offenbaren moͤgen, wie dieſes oder jenes Ereig - niß ſeinen Urſprung genommen, und dieß ſowohl von der politiſchen als wiſſenſchaftlichen Geſchichte gilt; auch in beyden nichts ſo klein geachtet werden mag, das nicht irgend einem Nachkommenden einmal bedeu - tend ſeyn koͤnnte: ſo habe ich nicht unterlaſſen wollen, nachdem ich dem Lebensgange ſo mancher andern nach - geſpuͤrt, gleichfalls aufzuzeichnen, wie ich zu dieſen phy - ſiſchen und beſonders chromatiſchen Unterſuchungen ge - langt bin; welches um ſo mehr erwartet werden darf, weil eine ſolche Beſchaͤftigung ſchon Manchem als mei - nem uͤbrigen Lebensgange fremd erſchienen iſt.
Die Menge mag wohl Jemanden irgend ein Ta - lent zugeſtehen, worin er ſich thaͤtig bewieſen und wo - bey das Gluͤck ſich ihm nicht abhold gezeigt; will er aber in ein andres Fach uͤbergehen und ſeine Kuͤnſte vervielfaͤltigen, ſo ſcheint es als wenn er die Rechte verletze, die er einmal der oͤffentlichen Meynung uͤber ſich eingeraͤumt, und es werden daher ſeine Bemuͤhun - gen in einer neuen Region ſelten freundlich und gefaͤllig aufgenommen.
Hierin kann die Menge wohl einigermaßen Recht667 haben: denn es hat jedes einzelne Beginnen ſo viele Schwierigkeiten, daß es einen ganzen Menſchen, ja mehrere zuſammen braucht, um zu einem erwuͤnſch - ten Ziele zu gelangen. Allein dagegen hat man wieder zu bedenken, daß die Thaͤtigkeiten, in einem hoͤhern Sinne, nicht vereinzelt anzuſehen ſind, ſondern daß ſie einander wechſelsweiſe zu Huͤlfe kommen, und daß der Menſch, wie mit andern alſo auch mit ſich ſelbſt, oͤfters in ein Buͤndniß treten und daher ſich in meh - rere Tuͤchtigkeiten zu theilen und in mehreren Tu - genden zu uͤben hat.
Wie es mir hierin im Ganzen ergangen, wuͤrde nur durch eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung mitgetheilt wer - den koͤnnen, und ſo mag das Gegenwaͤrtige als ein einzelnes Capitel jenes groͤßern Bekenntniſſes angeſehen werden, welches abzulegen mir vielleicht noch Zeit und Muth uͤbrig bleibt.
Indem ſich meine Zeitgenoſſen gleich bey dem er - ſten Erſcheinen meiner dichteriſchen Verſuche freundlich genug gegen mich erwieſen, und mir, wenn ſie gleich ſonſt mancherley auszuſetzen fanden, wenigſtens ein poe - tiſches Talent mit Geneigtheit zuerkannten; ſo hatte ich ſelbſt gegen die Dichtkunſt ein eignes wunderſames Verhaͤltniß, das blos praktiſch war, indem ich einen Gegenſtand der mich ergriff, ein Muſter das mich auf - regte, einen Vorgaͤnger der mich anzog, ſo lange in meinem innern Sinn trug und hegte, bis daraus etwas entſtanden war, das als mein angeſehen werden mochte,668 und das ich, nachdem ich es Jahre lang im Stillen aus - gebildet, endlich auf einmal, gleichſam aus dem Steg - reife und gewiſſermaßen inſtinctartig, auf das Papier fixirte. Daher denn die Lebhaftigkeit und Wirkſamkeit meiner Productionen ſich ableiten mag.
Da mir aber, ſo wohl in Abſicht auf die Concep - tion eines wuͤrdigen Gegenſtandes als auf die Compo - ſition und Ausbildung der einzelnen Theile, ſo wie was die Technik des rhythmiſchen und proſaiſchen Styls be - traf, nichts Brauchbares, weder von den Lehrſtuͤhlen noch aus den Buͤchern entgegenkam, indem ich manches Falſche zwar zu verabſcheuen, das Rechte aber nicht zu erkennen wußte und deshalb ſelbſt wieder auf falſche Wege gerieth; ſo ſuchte ich mir außerhalb der Dichtkunſt eine Stelle, auf welcher ich zu irgend einer Verglei - chung gelangen, und dasjenige was mich in der Naͤhe verwirrte, aus einer gewiſſen Entfernung uͤberſehen und beurtheilen koͤnnte.
Dieſen Zweck zu erreichen, konnte ich mich nir - gends beſſer hinwenden als zur bildenden Kunſt. Ich hatte dazu mehrfachen Anlaß: denn ich hatte ſo oft von der Verwandtſchaft der Kuͤnſte gehoͤrt, welche man auch in einer gewiſſen Verbindung zu behandeln anfing. Ich war in einſamen Stunden fruͤherer Zeit auf die Natur aufmerkſam geworden, wie ſie ſich als Land - ſchaft zeigt, und hatte, da ich von Kindheit auf in den Werkſtaͤtten der Maler aus und einging, Verſuche ge - macht, das was mir in der Wirklichkeit erſchien, ſo669 gut es ſich ſchicken wollte, in ein Bild zu verwandlen; ja ich fuͤhlte hiezu, wozu ich eigentlich keine Anlage hatte, einen weit groͤßern Trieb als zu demjenigen was mir von Natur leicht und bequem war. So gewiß iſt es, daß die falſchen Tendenzen den Menſchen oͤfters mit groͤßerer Leidenſchaft entzuͤnden, als die wahrhaften, und daß er demjenigen weit eifriger nachſtrebt was ihm mißlingen muß, als was ihm gelingen koͤnnte.
Je weniger alſo mir eine natuͤrliche Anlage zur bildenden Kunſt geworden war, deſto mehr ſah ich mich nach Geſetzen und Regeln um; ja ich achtete weit mehr auf das Techniſche der Malerey, als auf das Techni - ſche der Dichtkunſt: wie man denn durch Verſtand und Einſicht dasjenige auszufuͤllen ſucht, was die Natur Luͤckenhaftes an uns gelaſſen hat.
Je mehr ich nun durch Anſchauung der Kunſtwerke, in ſofern ſie mir im noͤrdlichen Deutſchland vor die Augen kamen, durch Unterredung mit Kennern und Reiſenden, durch Leſen ſolcher Schriften, welche ein lange pedantiſch vergrabenes Alterthum einem geiſtigern Anſchaun entgegen zu heben verſprachen, an Einſicht gewiſſermaßen zunahm, deſtomehr fuͤhlte ich das Bo - denloſe meiner Kenntniſſe, und ſah immer mehr ein, daß nur von einer Reiſe nach Italien etwas Befriedi - gendes zu hoffen ſeyn moͤchte.
Als ich endlich nach manchem Zaudern uͤber die Alpen gelangt war, ſo empfand ich gar bald, bey dem670 Zudrang ſo vieler unendlichen Gegenſtaͤnde, daß ich nicht gekommen ſey, um Luͤcken auszufuͤllen und mich zu bereichern, ſondern daß ich von Grund aus anfan - gen muͤſſe alles bisher Gewaͤhnte wegzuwerfen und das Wahre in ſeinen einfachſten Elementen aufzuſuchen. Zum Gluͤck konnte ich mich an einigen von der Poeſie heruͤber gebrachten, mir durch inneres Gefuͤhl und lan - gen Gebrauch bewaͤhrten Maximen feſthalten, ſo daß es mir zwar ſchwer aber nicht unmoͤglich ward, durch ununterbrochnes Anſchauen der Natur und Kunſt, durch lebendiges wirkſames Geſpraͤch mit mehr oder weniger einſeitigen Kennern, durch ſtetes Leben mit mehr oder weniger praktiſchen oder denkenden Kuͤnſtlern, nach und nach mir die Kunſt uͤberhaupt einzutheilen, ohne ſie zu zerſtuͤckeln, und ihre verſchiedenen lebendig in einander greifenden Elemente gewahr zu werden.
Freylich nur gewahr zu werden und feſtzuhalten, ihre tauſendfaͤltigen Anwendungen und Ramificationen aber einer kuͤnftigen Lebenszeit aufzuſparen. Auch ging es mir, wie jedem der reiſend oder lebend mit Ernſt gehandelt, daß ich in dem Augenblicke des Scheidens erſt einigermaßen mich werth fuͤhlte, hereinzutreten. Mich troͤſteten die mannichfaltigen und unentwickelten Schaͤtze, die ich mir geſammlet; ich erfreute mich an der Art wie ich ſah, daß Poeſie und bildende Kunſt wechſelſeitig aufeinander einwirken koͤnnten. Manches war mir im Einzelnen deutlich, manches im ganzen Zu - ſammenhange klar. Von einem einzigen Puncte wußte671 ich mir nicht die mindeſte Rechenſchaft zu geben: es war das Colorit.
Mehrere Gemaͤlde waren in meiner Gegenwart er - funden, componirt, die Theile, der Stellung und Form nach, ſorgfaͤltig durchſtudirt worden, und uͤber alles dieſes konnten mir die Kuͤnſtler, konnte ich mir und ihnen Rechenſchaft, ja ſogar manchmal Rath er - theilen. Kam es aber an die Faͤrbung, ſo ſchien alles dem Zufall uͤberlaſſen zu ſeyn, dem Zufall der durch einen gewiſſen Geſchmack, einen Geſchmack der durch Gewohnheit, eine Gewohnheit die durch Vorurtheil, ein Vorurtheil das durch Eigenheiten des Kuͤnſtlers, des Kenners, des Liebhabers beſtimmt wurde. Bey den Lebendigen war kein Troſt, eben ſo wenig bey den Ab - geſchiedenen, keiner in den Lehrbuͤchern, keiner in den Kunſtwerken. Denn wie beſcheiden ſich uͤber dieſen Punct z. B. Laireſſe ausdruͤckt, kann Verwunderung erregen. Und wie wenig ſich irgend eine Maxime aus der Faͤrbung welche neuere Kuͤnſtler in ihren Gemaͤlden angebracht, abſtrahiren laſſe, zeigt die Geſchichte des Colorits, verfaßt von einem Freunde, der ſchon damals mit mir zu ſuchen und zu unterſuchen geneigt war, und bis jetzt dieſem gemeinſam eingeſchlagenen Weg auf die loͤblichſte Weiſe treu geblieben.
Je weniger mir nun bey allen Bemuͤhungen etwas erfreulich Belehrendes entgegenſchien, deſtomehr brachte ich dieſen mir ſo wichtigen Punct uͤberall wiederholt, lebhaft und dringend zur Sprache, dergeſtalt daß ich672 dadurch ſelbſt Wohlwollenden faſt laͤſtig und verdrießlich fiel. Aber ich konnte nur bemerken, daß die lebenden Kuͤnſtler bloß aus ſchwankenden Ueberliefecungen und einem gewiſſen Impuls handelten, daß Helldunkel, Co - lorit, Harmonie der Farben immer in einem wunderli - chen Kreiſe ſich durcheinander drehten. Keins entwi - ckelte ſich aus dem andern, keins griff nothwendig ein in das andere. Was man ausuͤbte, ſprach man als techniſchen Kunſtgriff, nicht als Grundſatz aus. Ich hoͤrte zwar von kalten und warmen Farben, von Far - ben die einander heben, und was dergleichen mehr war; allein bey jeder Ausfuͤhrung konnte ich bemerken, daß man in einem ſehr engen Kreiſe wandelte, ohne doch denſelben uͤberſchauen oder beherrſchen zu koͤnnen.
Das Sulzeriſche Woͤrterbuch wurde um Rath ge - fragt, aber auch da fand ſich wenig Heil. Ich dachte ſelbſt uͤber die Sache nach, und um das Geſpraͤch zu beleben, um eine oft durchgedroſchene Materie wieder bedeutend zu machen, unterhielt ich mich und die Freunde mit Paradoxen. Ich hatte die Ohnmacht des Blauen ſehr deutlich empfunden, und ſeine unmittel - bare Verwandtſchaft mit dem Schwarzen bemerkt; nun gefiel es mir zu behaupten: das Blaue ſey keine Farbe! und ich freute mich eines allgemeinen Widerſpruchs. Nur Angelika, deren Freundſchaft und Freundlichkeit mir ſchon oͤfters in ſolchen Faͤllen entgegen gekommen war — ſie hatte z. B. auf mein Erſuchen erſt ein Bild, nach Art aͤlterer Florentiner, Grau in Grau gemalt und es bey voͤllig entſchiedenem und fertigen Helldunkel673 mit durchſcheinender Farbe uͤberzogen, wodurch eine ſehr erfreuliche Wirkung hervorgebracht wurde, ob man es gleich von einem auf die gewoͤhnliche Weiſe gemalten Bilde nicht unterſcheiden konnte — Angelika gab mir Beyfall und verſprach eine kleine Landſchaft ohne Blau zu malen. Sie hielt Wort und es entſprang ein ſehr huͤbſches harmoniſches Bild, etwa in der Art wie ein Akyanobleps die Welt ſehen wuͤrde; wobey ich jedoch nicht laͤugnen will, daß ſie ein Schwarz anwendete, welches nach dem Blauen hinzog. Wahrſcheinlich fin - det ſich dieſes Bild in den Haͤnden irgend eines Liebha - bers, fuͤr den es durch dieſe Anekdote noch mehr Werth erhaͤlt.
Daß hierdurch nichts ausgemacht wurde, ja viel - mehr die Sache in einen geſelligen Scherz ablief, war ganz natuͤrlich. Indeſſen verſaͤumte ich nicht, die Herrlichkeit der atmoſphaͤriſchen Farben zu betrachten, wobey ſich die entſchiedenſte Stufenfolge der Luftper - ſpective, die Blaͤue der Ferne ſo wie naher Schatten, auffallend bemerken ließ. Beym Scirocco-Himmel, bey den purpurnen Sonnenuntergaͤngen waren die ſchoͤn - ſten meergruͤnen Schatten zu ſehen, denen ich um ſo mehr Aufmerkſamkeit ſchenkte, als ich ſchon in der erſten Jugend bey fruͤhem Studiren, wenn der Tag gegen das angezuͤndete Licht heranwuchs, dieſem Phaͤnomen meine Bewunderung nicht entziehen konnte. Doch wurden alle dieſe Beobachtungen nur gelegentlich ange - ſtellt, durch ſoviel andres mannigfaltiges Intereſſe zer - ſtreut und verdraͤngt, ſo daß ich meine Ruͤckreiſe unter -II. 43674nahm und zu Hauſe, bey manchem Zudrang fremdar - tiger Dinge, die Kunſt und alle Betrachtung derſelben faſt gaͤnzlich aus dem Auge verlor.
Sobald ich nach langer Unterbrechung endlich Mu - ße fand, den eingeſchlagenen Weg weiter zu verfolgen, trat mir in Abſicht auf Colorit dasjenige entgegen, was mir ſchon in Italien nicht verborgen bleiben konnte. Ich hatte naͤmlich zuletzt eingeſehen, daß man den Far - ben, als phyſiſchen Erſcheinungen, erſt von der Seite der Natur beykommen muͤſſe, wenn man in Abſicht auf Kunſt etwas uͤber ſie gewinnen wolle. Wie alle Welt war ich uͤberzeugt, daß die ſaͤmmtlichen Farben im Licht enthalten ſeyen; nie war es mir anders geſagt worden, und niemals hatte ich die geringſte Urſache gefunden, daran zu zweifeln, weil ich bey der Sache nicht weiter intereſſirt war. Auf der Akademie hatte ich mir Phy - ſik wie ein anderer vortragen und die Experimente vor - zeigen laſſen. Winkler in Leipzig, einer der erſten der ſich um Elektricitaͤt verdient machte, behandelte dieſe Abtheilung ſehr umſtaͤndlich und mit Liebe, ſo daß mir die ſaͤmmtlichen Verſuche mit ihren Bedingungen faſt noch jetzt durchaus gegenwaͤrtig ſind. Die Geſtelle waren ſaͤmmtlich blau angeſtrichen; man brauchte aus - ſchließlich blaue Seidenfaͤden zum Anknuͤpfen und Auf - haͤngen der Theile des Apparats: welches mir auch im - mer wieder, wenn ich uͤber blaue Farbe dachte, einfiel. Dagegen erinnere ich mich nicht, die Experimente, wo - durch die Newtoniſche Theorie bewieſen werden ſoll, je - mals geſehen zu haben; wie ſie denn gewoͤhnlich in der675 Experimental-Phyſik auf gelegentlichen Sonnenſchein verſchoben, und außer der Ordnung des laufenden Vortrags gezeigt werden.
Als ich mich nun von Seiten der Phyſik den Far - ben zu naͤhern gedachte, las ich in irgend einem Com - pendium das hergebrachte Kapitel, und weil ich aus der Lehre wie ſie daſtand, nichts fuͤr meinen Zweck ent - wickeln konnte; ſo nahm ich mir vor, die Phaͤnomene wenigſtens ſelbſt zu ſehen, zu welchen Hofrath Buͤtt - ner, der von Goͤttingen nach Jena gezogen war, den noͤthigen Apparat mitgebracht und mir ihn nach ſeiner freundlich mittheilenden Weiſe ſogleich angeboten hatte. Es fehlte nur alſo noch an einer dunklen Kammer, die durch einen wohlverſchloſſenen Fenſterladen bewirkt wer - den ſollte; es fehlte nur noch am Foramen exiguum, das ich mit aller Gewiſſenhaftigkeit, nach dem angege - benen Maß, in ein Blech einzubohren im Begriff ſtand. Die Hinderniſſe jedoch, wodurch ich abgehalten ward die Verſuche nach der Vorſchrift, nach der bisherigen Methode anzuſtellen, waren Urſache daß ich von ei - ner ganz andern Seite zu den Phaͤnomenen gelangte und dieſelben durch eine umgekehrte Methode ergriff, die ich noch umſtaͤndlich zu erzaͤhlen gedenke.
Eben zu dieſer Zeit kam ich in den Fall meine Wohnung zu veraͤndern. Auch dabey hatte ich meinen fruͤhern Vorſatz vor Augen. In meinem neuen Quar - tier traf ich ein langes ſchmales Zimmer mit einem Fen - ſter gegen Suͤdweſt; was haͤtte mir erwuͤnſchter ſeyn43 *676koͤnnen! Indeſſen fand ſich bey meiner neuen Einrich - tung ſo viel zu thun, ſo manche Hinderniſſe traten ein, und die dunkle Kammer kam nicht zu Stande. Die Prismen ſtanden eingepackt wie ſie gekommen waren in einem Kaſten unter dem Tiſche, und ohne die Ungeduld des Jenaiſchen Beſitzers haͤtten ſie noch lange da ſtehen koͤnnen.
Hofrath Buͤttner, der alles was er von Buͤchern und Inſtrumenten beſaß, gern mittheilte, verlangte je - doch, wie es einem vorſichtigen Eigenthuͤmer geziemt, daß man die geborgten Sachen nicht allzulange behalten, daß man ſie zeitig zuruͤckgeben und lieber einmal wieder aufs Neue borgen ſolle. Er war in ſolchen Dingen un - vergeſſen und ließ es, wenn eine gewiſſe Zeit verfloſſen war, an Erinnerungen nicht fehlen. Mit ſolchen wollte er mich zwar nicht unmittelbar angehen; allein durch einen Freund erhielt ich Nachricht von Jena: der gute Mann ſey ungeduldig, ja empfindlich, daß ihm der mitgetheilte Apparat nicht wieder zugeſendet werde. Ich ließ dringend um einige Friſt bitten, die ich auch er - hielt, aber auch nicht beſſer anwendete: denn ich war von ganz anderem Intereſſe feſtgehalten. Die Farbe, ſo wie die bildende Kunſt uͤberhaupt, hatte wenig Theil an meiner Aufmerkſamkeit, ob ich gleich ungefaͤhr in dieſer Epoche, bey Gelegenheit der Sauſſuͤriſchen Reiſen auf den Montblanc und des dabey gebrauchten Kyanometers, die Phaͤnomene der Himmelsblaͤue, der blauen Schatten u. ſ. w. zuſammenſchrieb, um mich und andre zu uͤberzeugen, daß das Blaue nur dem677 Grade nach von dem Schwarzen und dem Finſtern ver - ſchieden ſey.
So verſtrich abermals eine geraume Zeit, die leichte Vorrichtung des Fenſterladens und der kleinen Oeffnung ward vernachlaͤſſigt, als ich von meinem Jenaiſchen Freunde einen dringenden Brief erhielt, der mich aufs lebhafteſte bat, die Prismen zuruͤckzuſenden, und wenn es auch nur waͤre, daß der Beſitzer ſich von ihrem Da - ſeyn uͤberzeugte, daß er ſie einige Zeit wieder in Ver - wahrung haͤtte; ich ſollte ſie alsdann zu laͤngerm Ge - brauch wieder zuruͤck erhalten. Die Abſendung aber moͤchte ich ja mit dem zuruͤckkehrenden Boten bewerkſtel - ligen. Da ich mich mit dieſen Unterſuchungen ſobald nicht abzugeben hoffte, entſchloß ich mich das gerechte Verlangen ſogleich zu erfuͤllen. Schon hatte ich den Kaſten hervorgenommen, um ihn dem Boten zu uͤber - geben, als mir einfiel, ich wolle doch noch geſchwind durch ein Prisma ſehen, was ich ſeit meiner fruͤhſten Jugend nicht gethan hatte. Ich erinnerte mich wohl, daß alles bunt erſchien, auf welche Weiſe jedoch, war mir nicht mehr gegenwaͤrtig. Eben befand ich mich in einem voͤllig geweißten Zimmer; ich erwartete, als ich das Prisma vor die Augen nahm, eingedenk der Newtoniſchen Theorie, die ganze weiße Wand nach verſchiedenen Stufen gefaͤrbt, das von da ins Auge zuruͤckkehrende Licht in ſoviel farbige Lichter zerſplittert zu ſehen.
Aber wie verwundert war ich, als die durchs678 Prisma angeſchaute weiße Wand nach wie vor weiß blieb, daß nur da, wo ein Dunkles dran ſtieß, ſich eine mehr oder weniger entſchiedene Farbe zeigte, daß zuletzt die Fenſterſtaͤbe am allerlebhafteſten farbig erſchie - nen, indeſſen am lichtgrauen Himmel draußen keine Spur von Faͤrbung zu ſehen war. Es bedurfte keiner langen Ueberlegung, ſo erkannte ich, daß eine Graͤnze noth - wendig ſey, um Farben hervorzubringen, und ich ſprach wie durch einen Inſtinct ſogleich vor mich laut aus, daß die Newtoniſche Lehre falſch ſey. Nun war an keine Zuruͤckſendung der Prismen mehr zu denken. Durch mancherley Ueberredungen und Gefaͤlligkeiten ſuchte ich den Eigenthuͤmer zu beruhigen, welches mir auch gelang. Ich vereinfachte nunmehr die mir in Zimmern und im Freyen durchs Prisma vorkommen - den zufaͤlligen Phaͤnomene, und erhob ſie, indem ich mich bloß ſchwarzer und weißer Tafeln bediente, zu bequemen Verſuchen.
Die beyden ſich immer einander entgegengeſetzten Raͤnder, die Verbreiterung derſelben, das Uebereinan - dergreifen uͤber einen hellen Streif und das dadurch ent - ſtehende Gruͤn, wie die Entſtehung des Nothen beym Uebereinandergreifen uͤber einen dunklen Streif, alles entwickelte ſich vor mir nach und nach. Auf einen ſchwarzen Grund hatte ich eine weiße Scheibe gebracht, welche in einer gewiſſen Entfernung durchs Prisma an - geſehen, das bekannte Spectrum vorſtellte, und voll - kommen den Newtoniſchen Hauptverſuch in der Camera - obscura vertrat. Eine ſchwarze Scheibe auf hellem679 Grund machte aber auch ein farbiges und gewiſſermaßen noch praͤchtigeres Geſpenſt. Wenn ſich dort das Licht in ſo vielerley Farben aufloͤſt, ſagte ich zu mir ſelbſt: ſo muͤßte ja hier auch die Finſterniß als in Farben auf - geloͤſt angeſehen werden.
Der Apparat meiner Tafeln war ſorgfaͤltig und reinlich zuſammengeſchafft, vereinfacht ſoviel wie moͤg - lich und ſo eingerichtet, daß man die ſaͤmmtlichen Phaͤ - nomene in einer gewiſſen Ordnung dabey betrachten konnte. Ich wußte mir im Stillen nicht wenig mit meiner Entdeckung, denn ſie ſchien ſich an manches bis - her von mir Erfahrne und Geglaubte anzuſchließen. Der Gegenſatz von warmen und kalten Farben der Maler zeigte ſich hier in abgeſonderten blauen und gelben Raͤndern. Das Blaue erſchien gleichſam als Schleyer des Schwarzen, wie ſich das Gelbe als ein Schleyer des Weißen bewies. Ein Helles mußte uͤber das Dunkle, ein Dunkles uͤber das Helle gefuͤhrt wer - den, wenn die Erſcheinung eintreten ſollte: denn keine perpendiculare Graͤnze war gefaͤrbt. Das alles ſchloß ſich an dasjenige an, was ich in der Kunſt von Licht und Schatten, und in der Natur von apparenten Farben gehoͤrt und geſehen hatte. Doch ſtand alles dieſes mir ohne Zuſammenhang vor der Seele und keinesweges ſo entſchieden, wie ich es hier aus - ſpreche.
Da ich in ſolchen Dingen gar keine Erfahrung hatte und mir kein Weg bekannt war, auf dem ich680 haͤtte ſicher fortwandeln koͤnnen; ſo erſuchte ich einen benachbarten Phyſiker, die Reſultate dieſer Vorrichtungen zu pruͤfen. Ich hatte ihn vorher bemerken laſſen, daß ſie mir Zweifel in Abſicht auf die Newtoniſche Theo - rie erregt haͤtten, und hoffte ſicher, daß der erſte Blick auch in ihm die Ueberzeugung von der ich ergriffen war, aufregen wuͤrde. Allein wie verwundert war ich, als er zwar die Erſcheinungen in der Ordnung wie ſie ihm vorgefuͤhrt wurden, mit Gefaͤlligkeit und Beyfall aufnahm, aber zugleich verſicherte, daß dieſe Phaͤnomene bekannt und aus der Newtoniſchen Theo - rie vollkommen erklaͤrt ſeyen. Dieſe Farben gehoͤrten keinesweges der Graͤnze, ſondern dem Licht ganz allein an; die Graͤnze ſey nur Gelegenheit, daß in dem ei - nen Fall die weniger refrangiblen, im andern die mehr refrangiblen Strahlen zum Vorſchein kaͤmen. Das Weiße in der Mitte ſey aber noch ein zuſammen - geſetztes, durch Brechung nicht ſeparirtes Licht, das aus einer ganz eigenen Vereinigung farbiger, aber ſtufenweiſe uͤbereinandergeſchobener Lichter entſpringe; welches alles bey Newton ſelbſt und in den nach ſei - nem Sinn verfaßten Buͤchern umſtaͤndlich zu leſen ſey.
Ich mochte dagegen nun einwenden was ich wollte, daß naͤmlich das Violette nicht refrangibler ſey als das Gelbe, ſondern nur, wie dieſes in das Helle ſo jenes in das Dunkle hineinſtrahle; ich mochte anfuͤh - ren, daß bey wachſender Breite der Saͤume das Weiße ſo wenig als das Schwarze in Farben zerlegt, ſondern in dem einen Falle nur durch ein zuſammen -681 geſetztes Gruͤn, in dem andern durch ein zuſammen - geſetztes Roth zugedeckt werde; kurz ich mochte mich mit meinen Verſuchen und Ueberzeugungen gebaͤrden wie ich wollte: immer vernahm ich nur das erſte Credo, und mußte mir ſagen laſſen, daß die Ver - ſuche in der dunklen Kammer weit mehr geeignet ſeyen, die wahre Anſicht der Phaͤnomene zu ver - ſchaffen.
Ich war nunmehr auf mich ſelbſt zuruͤckgewieſen; doch konnte ich es nicht ganz laſſen und ſetzte noch einigemal an, aber mit eben ſo wenig Gluͤck, und ich wurde in nichts gefoͤrdert. Man ſah die Phaͤnomene gern; die Ununterrichteten amuͤſirten ſich damit, die Unterrichteten ſprachen von Brechung und Brechbarkeit, und glaubten ſich dadurch von aller weitern Pruͤfung loszuzaͤhlen. Nachdem ich nun dieſe, in der Folge von mir ſubjectiv genannten Verſuche ins Unendliche, ja Unnoͤthige vervielfaͤltigte, Weiß, Schwarz, Grau, Bunt in allen Verhaͤltniſſen an und uͤber einander auf Tafeln gebracht hatte, wobey immer nur das erſte ſimple Phaͤnomen, bloß anders bedingt, erſchien; ſo ſetzte ich nun auch die Prismen in die Sonne, und richtete die Camera obſcura mit ſchwarz ausgeſchlagenen Waͤn - den ſo genau und finſter als moͤglich ein. Das Foramen exiguum ſelbſt wurde ſorgfaͤltig angebracht. Allein dieſe beſchraͤnkten Taſchenſpieler-Bedingungen hatten keine Gewalt mehr uͤber mich. Alles was die ſubjectiven Verſuche mir leiſteten, wollte ich auch durch die objectiven darſtellen. Die Kleinheit der682 Prismen ſtand mir im Wege. Ich ließ ein groͤßeres aus Spiegelſcheiben zuſammenſetzen, durch welches ich nun, vermittelſt vorgeſchobener ausgeſchnittener Pappen, alles dasjenige hervorzubringen ſuchte, was auf meinen Tafeln geſehen wurde, wenn man ſie durchs Prisma betrachtete.
Die Sache lag mir am Herzen, ſie beſchaͤftigte mich; aber ich fand mich in einem neuen unabſehli - chen Felde, welches zu durchmeſſen ich mich nicht ge - eignet fuͤhlte. Ich ſah mich uͤberall nach Theilneh - mern um; ich haͤtte gern meinen Apparat, meine Be - merkungen, meine Vermuthungen, meine Ueberzeu - gungen einem Andern uͤbergeben, wenn ich nur irgend haͤtte hoffen koͤnnen, ſie fruchwar zu ſehen.
All mein dringendes Mittheilen war vergebens. Die Folgen der franzoͤſiſchen Revolution hatten alle Gemuͤther aufgeregt und in jedem Privatmann den Re - gierungsduͤnkel erweckt. Die Phyſiker, verbunden mit den Chemikern, waren mit den Gasarten und mit dem Galvanismus beſchaͤftigt. Ueberall fand ich Un - glauben an meinen Beruf zu dieſer Sache; uͤberall eine Art von Abneigung gegen meine Bemuͤhungen, die ſich, je gelehrter und kenntnißreicher die Maͤnner waren, immer mehr als unfreundlicher Widerwille zu aͤußern pflegte.
Hoͤchſt undankbar wuͤrde ich hingegen ſeyn, wenn ich hier nicht diejenigen nennen wollte, die mich durch683 Neigung und Zutrauen foͤrderten. Der Herzog von Weimar, dem ich von jeher alle Bedingungen eines thaͤtigen und frohen Lebens ſchuldig geworden, ver - goͤnnte mir auch dießmal den Raum, die Muße, die Bequemlichkeit zu dieſem neuen Vorhaben. Der Herzog Ernſt von Gotha eroͤffnete mir ſein phyſikaliſches Ca - binet, wodurch ich die Verſuche zu vermannigfaltigen und ins Groͤßere zu fuͤhren in Stand geſetzt wurde. Der Prinz Auguſt von Gotha verehrte mir aus Eng - land verſchriebene koͤſtliche, ſowohl einfache als zuſam - mengeſetzte, achromatiſche Prismen. Der Fuͤrſt Pri - mas, damals in Erfurt, ſchenkte meinen erſten und allen folgenden Verſuchen eine ununterbrochene Auf - merkſamkeit, ja er begnadigte einen umſtaͤndlichen Auf - ſatz mit durchgehenden Randbemerkungen von eigner Hand, den ich noch als eine hoͤchſt ſchaͤtzbare Erin - nerung unter meinen Papieren verwahre.
Unter den Gelehrten, die mir von ihrer Seite Beyſtand leiſteten, zaͤhle ich Anatomen, Chemiker, Lite - ratoren, Philoſophen, wie Loder, Soͤmmering, Goͤtt - ling, Wolf, Forſter, Schelling; hingegen keinen Phyſiker.
Mit Lichtenberg correſpondirte ich eine Zeit lang und ſendete ihm ein paar auf Geſtellen bewegliche Schir - me, woran die ſaͤmmtlichen ſubjectiven Erſcheinungen auf eine bequeme Weiſe dargeſtellt werden konnten, in - gleichen einige Aufſaͤtze, freylich noch roh und unge - ſchlacht genug. Eine Zeit lang antwortete er mir;684 als ich aber zuletzt dringender ward und das ekelhafte Newtoniſche Weiß mit Gewalt verfolgte, brach er ab uͤber dieſe Dinge zu ſchreiben und zu antworten; ja er hatte nicht einmal die Freundlichkeit, ungeachtet ei - nes ſo guten Verhaͤltniſſes, meiner Beytraͤge in der letz - ten Ausgabe ſeines Erxlebens zu erwaͤhnen. So war ich denn wieder auf meinen eigenen Weg gewieſen.
Ein entſchiedenes Aperçuͤ iſt wie eine inoculirte Krankheit anzuſehen: man wird ſie nicht los bis ſie durchgekaͤmpft iſt. Schon laͤngſt hatte ich angefan - gen uͤber die Sache nachzuleſen. Die Nachbeterey der Compendien war mir bald zuwider und ihre be - ſchraͤnkte Einfoͤrmigkeit gar zu auffallend. Ich ging nun an die Newtoniſche Optik, auf die ſich doch zu - letzt Jedermann bezog, und freute mich, das Captio - ſe, Falſche ſeines erſten Experiments mir ſchon durch meine Tafeln anſchaulich gemacht zu haben und mir das ganze Raͤthſel bequem aufloͤſen zu koͤnnen. Nach - dem ich dieſe Vorpoſten gluͤcklich uͤberwaͤltigt, drang ich tiefer in das Buch, wiederholte die Experimente, entwickelte und ordnete ſie, und fand ſehr bald, daß der ganze Fehler darauf beruhe, daß ein complicirtes Phaͤnomen zum Grunde gelegt und das Einfachere aus dem Zuſammengeſetzten erklaͤrt werden ſollte. Manche Zeit und manche Sorgfalt jedoch bedurfte es, um die Irrgaͤnge alle zu durchwandern, in welche Newton ſei - ne Nachfolger zu verwirren beliebt hat. Hierzu wa - ren mir die Lectiones opticae hoͤchſt behuͤlflich, indem dieſe einfacher, mit mehr Aufrichtigkeit und eigener Ue -685 berzeugung des Verfaſſers geſchrieben ſind. Die Re - ſultate dieſer Bemuͤhungen enthaͤlt mein polemiſcher Theil.
Wenn ich nun auf dieſe Weiſe das Grundloſe der Newtoniſchen Lehre, beſonders nach genauer Einſicht in das Phaͤnomen der Achromaſie, vollkommen er - kannte; ſo half mir zu einem neuen theoretiſchen Weg jenes erſte Gewahrwerden, daß ein entſchiedenes Aus - einandertreten, Gegenſetzen, Vertheilen, Differenzi - ren, oder wie man es nennen wollte, bey den pris - matiſchen Farbenerſcheinungen ſtatt habe, welches ich mir kurz und gut unter der Formel der Polaritaͤt zu - ſammenfaßte, von der ich uͤberzeugt war, daß ſie auch bey den uͤbrigen Farben-Phaͤnomenen durchgefuͤhrt werden koͤnne.
Was mir inzwiſchen als Privatmann nicht gelingen mochte, bey irgend Jemand Theilnahme zu erregen, der ſich zu meinen Unterſuchungen geſellt, meine Ue - berzeugungen aufgenommen und darnach fortgearbeitet haͤtte, das wollte ich nun als Autor verſuchen, ich wollte die Frage an das groͤßere Publicum bringen. Ich ſtellte daher die nothwendigſten Bilder zuſammen, die man bey den ſubjectiven Verſuchen zum Grunde legen mußte. Sie waren ſchwarz und weiß, damit ſie als Apparat dienen, damit ſie Jedermann ſogleich durchs Prisma beſchauen koͤnnte. Andere waren bunt, um zu zeigen, wie dieſe ſchwarzen und weißen Bilder durchs Prisma veraͤndert wuͤrden. Die Naͤhe einer686 Chartenfabrik veranlaßte mich das Format von Spiel - charten zu waͤhlen, und indem ich Verſuche beſchrieb und gleich die Gelegenheit ſie anzuſtellen gab, glaubte ich das Erforderliche gethan zu haben, um in irgend einem Geiſte das Aperçuͤ hervorzurufen, das in dem meinigen ſo lebendig gewirkt hatte.
Allein ich kannte damals, ob ich gleich alt genug war, die Beſchraͤnktheit der wiſſenſchaftlichen Gilden noch nicht, dieſen Handwerksſinn, der wohl etwas er - halten und fortpflanzen, aber nichts foͤrdern kann, und es waren drey Puncte die fuͤr mich ſchaͤdlich wirkten. Erſtlich hatte ich mein kleines Heft: Beytraͤge zur Op - tik, betitelt. Haͤtte ich Chromatik geſagt, ſo waͤre es unverfaͤnglicher geweſen; denn da die Optik zum groͤßten Theil mathematiſch iſt, ſo konnte und wollte Niemand begreifen, wie einer der keine An - ſpruͤche an Meßkunſt machte, in der Optik wirken koͤnne. Zweytens hatte ich, zwar nur ganz leiſe, an - gedeutet, daß ich die Newtoniſche Theorie nicht zu - laͤnglich hielte, die vorgetragenen Phaͤnomene zu er - klaͤren. Hierdurch regte ich die ganze Schule gegen mich auf und nun verwunderte man ſich erſt hoͤchlich, wie Jemand, ohne hoͤhere Einſicht in die Mathematik, wagen koͤnne, Newton zu widerſprechen. Denn daß eine Phyſik unabhaͤngig von der Mathematik exiſtire, davon ſchien man keinen Begriff mehr zu haben. Die uralte Wahrheit, daß der Mathematiker ſobald er in das Feld der Erfahrung tritt, ſo gut wie jeder andere dem Irrthum unterworfen ſey, wollte Niemand in die -687 ſem Falle anerkennen. In gelehrten Zeitungen, Journalen, Woͤrterbuͤchern und Compendien ſah man ſtolzmitleidig auf mich herab, und keiner von der Gilde trug Beden - ken, den Unſinn nochmals abdrucken zu laſſen, den man nun faſt hundert Jahre als Glaubensbekenntniß wie - derholte. Mit mehr oder weniger dunkelhafter Selbſt - gefaͤlligkeit betrugen ſich Green in Halle, die gothai - ſchen gelehrten Zeitungen, die allgemeine jenaiſche Li - teraturzeitung, Gehler und beſonders Fiſcher, in ihren phyſikaliſchen Woͤrterbuͤchern. Die goͤttingiſchen ge - lehrten Anzeigen, ihrer Aufſchrift getreu, zeigten meine Bemuͤhungen auf eine Weiſe an, um ſie ſogleich auf ewig vergeſſen zu machen.
Ich gab, ohne mich hierdurch weiter ruͤhren zu laſſen, das zweyte Stuͤck meiner Beytraͤge heraus, welches die ſubjectiven Verſuche mit bunten Papieren enthaͤlt, die mir um ſo wichtiger waren als dadurch fuͤr Jeden, der nur einigermaßen in die Sache haͤtte ſehen wollen, der erſte Verſuch der Newtoniſchen Op - tik vollkommen enthuͤllt und dem Baum die Axt an die Wurzel gelegt wurde. Ich fuͤgte die Abbildung des großen Waſſerprismas hinzu, die ich auch wieder unter die Tafeln des gegenwaͤrtigen Werkes aufgenom - men habe. Es geſchah damals, weil ich zu den ob - jectiven Verſuchen uͤbergehen und die Natur aus der dunklen Kammer und von den winzigen Prismen zu befreyen dachte.
Da ich in dem Wahn ſtand, denen die ſich mit688 Natur-Wiſſenſchaften abgeben, ſey es um die Phaͤno - mene zu thun, ſo geſellte ich wie zum erſten Stuͤcke meiner Beytraͤge ein Paket Charten, ſo zum zweyten eine Folio-Tafel, auf welcher alle Faͤlle von hellen, dunkeln und farbigen Flaͤchen und Bildern dergeſtalt angebracht waren, daß man ſie nur vor ſich hinſtellen, durch ein Prisma betrachten durfte, um alles wovon in dem Hefte die Rede war, ſogleich gewahr zu wer - den. Allein dieſe Vorſorge war gerade der Sache hin - derlich, und der dritte Fehler den ich beging. Denn dieſe Tafel, vielmehr noch als die Charten, war un - bequem zu packen und zu verſenden, ſo daß ſelbſt ei - nige aufmerkſam gewordne Liebhaber ſich beklagten, die Beytraͤge nebſt dem Apparat durch den Buchhandel nicht erhalten zu koͤnnen.
Ich ſelbſt war zu andern Lebensweiſen, Sorgen und Zerſtreuungen hingeriſſen. Feldzuͤge, Reiſen, Aufent - halt an fremden Orten, nahmen mir den groͤßten Theil mehrerer Jahre weg; dennoch hielten mich die einmal angefangenen Betrachtungen, das einmal uͤbernomme - ne Geſchaͤft, denn zum Geſchaͤft war dieſe Beſchaͤfti - gung geworden, auch ſelbſt in den bewegteſten und zerſtreuteſten Momenten feſt; ja ich fand Gelegenheit in der freyen Welt Phaͤnomene zu bemerken, die meine Einſicht vermehrten und meine Anſicht erweiterten.
Nachdem ich lange genug in der Breite der Phaͤ - nomene herumgetaſtet und mancherley Verſuche gemacht hatte, ſie zu ſchematiſiren und zu ordnen, fand ich689 mich am meiſten gefoͤrdert, als ich die Geſetzmaͤßigkeit der phyſiologiſchen Erſcheinungen, die Bedeutſamkeit der durch truͤbe Mittel hervorgebrachten, und endlich die verſatile Beſtaͤndigkeit der chemiſchen Wirkungen und Gegenwirkungen erkennen lernte. Hiernach beſtimmte ſich die Eintheilung, der ich, weil ich ſie als die be - ſte befunden, ſtets treu geblieben. Nun ließ ſich oh - ne Methode die Menge von Erfahrungen weder ſon - dern noch verbinden; es wurden daher theoretiſche Er - klaͤrungsarten rege, und ich machte meinen Weg durch manche hypothetiſche Irrthuͤmer und Einſeitigkeiten. Doch ließ ich den uͤberall ſich wieder zeigenden Gegen - ſatz, die einmal ausgeſprochne Polaritaͤt nicht fahren, und zwar um ſo weniger, als ich mich durch ſolche Grundſaͤtze im Stand fuͤhlte, die Farbenlehre an man - ches Benachbarte anzuſchließen und mit manchem Ent - fernten in Reihe zu ſtellen. Auf dieſe Weiſe iſt der gegenwaͤrtige Entwurf einer Farbenlehre entſtanden.
Nichts war natuͤrlicher, als daß ich aufſuchte was uns uͤber dieſe Materie in Schriften uͤberliefert worden, und es von den aͤlteſten Zeiten bis zu den unſrigen nach und nach auszog und ſammelte. Durch eigene Aufmerkſamkeit, durch guten Willen und Theil - nahme mancher Freunde kamen mir auch die ſeltnern Buͤcher in die Haͤnde; doch nirgends bin ich auf ein - mal ſoviel gefoͤrdert worden, als in Goͤttingen durch den mit großer Liberalitaͤt und thaͤtiger Beyhuͤlfe geſtat - teten Gebrauch der unſchaͤtzbaren Buͤcherſammlung. So haͤufte ſich allmaͤhlich eine große Maſſe von AbſchriftenII. 44690und Excerpten, aus denen die Materialien zur Geſchich - te der Farbenlehre redigirt worden und wovon noch manches zu weiterer Bearbeitung zuruͤckliegt.
Und ſo war ich, ohne es beynahe ſelbſt bemerkt zu haben, in ein fremdes Feld gelangt, indem ich von der Poeſie zur bildenden Kunſt, von dieſer zur Natur - forſchung uͤberging, und dasjenige was nur Huͤlfsmit - tel ſeyn ſollte, mich nunmehr als Zweck anreizte. Aber als ich lange genug in dieſen fremden Regionen ver - weilt hatte, fand ich den gluͤcklichen Ruͤckweg zur Kunſt durch die phyſiologiſchen Farben und durch die ſittliche und aͤſthetiſche Wirkung derſelben uͤberhaupt.
Ein Freund, Heinrich Meyer, dem ich ſchon fruͤher in Rom manche Belehrung ſchuldig geworden, unterließ nicht, nach ſeiner Ruͤckkehr, zu dem einmal vorgeſetzten Zweck, den er ſelbſt wohl ins Auge gefaßt hatte, mitzuwirken. Nach angeſtellten Erfahrungen, nach entwickelten Grundſaͤtzen machte er manchen Ver - ſuch gefaͤrbter Zeichnungen, um dasjenige mehr ins Licht zu ſetzen und wenigſtens fuͤr uns ſelbſt gewiſſer zu machen, was gegen das Ende meines Entwurfs uͤ - ber Farbengebung mitgetheilt wird. In den Propy - laͤen verſaͤumten wir nicht, auf manches hinzudeu - ten, und wer das dort Geſagte mit dem nunmehr umſtaͤndlicher Ausgefuͤhrten vergleichen will, dem wird der innige Zuſammenhang nicht entgehen.
Hoͤchſt bedeutend aber ward fuͤr das ganze Unter - nehmen die fortgeſetzte Bemuͤhung des gedachten Freun -691 des, der ſowohl bey wiederholter Reiſe nach Italien, als auch ſonſt bey anhaltender Betrachtung von Gemaͤl - den, die Geſchichte des Colorits zum vorzuͤglichen Au - genmerk behielt und dieſelbige entwarf, wie wir ſie in zwey Abtheilungen unſern Leſern vorgelegt haben: die aͤltere, welche hypothetiſch genannt wird, weil ſie, ohne genugſame Beyſpiele, mehr aus der Natur des Menſchen und der Kunſt, als aus der Erfahrung zu entwickeln war; die neuere, welche auf Documenten beruht, die noch von Jedermann betrachtet und beur - theilt werden koͤnnen.
Indem ich mich nun auf dieſe Weiſe dem Ende meines aufrichtigen Bekenntniſſes naͤhere; ſo werde ich durch einen Vorwurf angehalten, den ich mir mache, daß ich unter jenen vortrefflichen Maͤnnern, die mich geiſtig gefoͤrdert, meinen unerſetzlichen Schiller nicht genannt habe. Dort aber empfand ich eine Art von Scheu, dem beſonderen Denkmal, welches ich unſerer Freundſchaft ſchuldig bin, durch ein voreiliges Gedenken, Abbruch zu thun. Nun will ich aber doch in Betrach - tung menſchlicher Zufaͤlligkeiten, aufs kuͤrzeſte bekennen, wie er an meinem Beſtreben lebhaften Antheil genommen, ſich mit den Phaͤnomenen bekannt zu machen geſucht, ja ſogar mit einigen Vorrichtungen umgeben, um ſich an denſelben vergnuͤglich zu belehren. Durch die große Natuͤrlichkeit ſeines Genies ergriff er nicht nur ſchnell die Hauptpunkte worauf es ankam; ſondern wenn ich manchmal auf meinem beſchaulichen Wege zoͤgerte, noͤ - thigte er mich durch ſeine reflectirende Kraft vorwaͤrts44 *692zu eilen, und riß mich gleichſam an das Ziel wohin ich ſtrebte. Und ſo wuͤnſche ich nur, daß mir das Be - ſondere dieſer Verhaͤltniſſe, die mich noch in der Erin - nerung gluͤcklich machen, bald auszuſprechen vergoͤnnt ſeyn moͤge.
Aber alle dieſe Fortſchritte waͤren durch die unge - heuren Ereigniſſe dieſer letzten Jahre noch kurz vor dem Ziel aufgehalten und eine oͤffentliche Mittheilung un - moͤglich geworden, haͤtte nicht unſere verehrteſte Herzo - ginn, mitten unter dem Drang und Sturm gewaltſa - mer Umgebungen, auch mich in meinem Kreiſe nicht allein geſichert und beruhigt, ſondern zugleich aufs hoͤch - ſte aufgemuntert, indem ſie einer Experimental-Dar - ſtellung der ſaͤmmtlichen, ſich nach meiner Einſicht nun - mehr gluͤcklich aneinanderſchließenden Naturerſcheinun - gen beyzuwohnen und eine aufmerkſame Verſammlung durch ihre Gegenwart zu concentriren und zu beleben ge - ruhte. Hierdurch allein wurde ich in den Stand ge - ſetzt, alles Aeußere zu vergeſſen und mir dasjenige leb - haft zu vergegenwaͤrtigen, was bald einem groͤßern Pu - blicum mitgetheilt werden ſollte. Und ſo ſey denn auch hier am Schluſſe, wie ſchon am Anfange geſchehen, die durch Ihren Einfluß gluͤcklich vollbrachte Arbeit dieſer nicht genug zu verehrenden Fuͤrſtinn dankbar gewidmet.
Wir ſtammen unſer ſechs Geſchwiſter Von einem wunderſamen Paar, Die Mutter ewig ernſt und duͤſter, Der Vater froͤhlich immerdar; Von beyden erbten wir die Tugend, Von ihr die Milde, von ihm den Glanz: So drehn wir uns in ewiger Jugend Um Dich herum im Zirkeltanz. Gern meiden wir die ſchwarzen Hoͤhlen Und lieben uns den heitern Tag, Wir ſind es, die die Welt beſeelen Mit unſers Lebens Zauberſchlag. Wir ſind des Fruͤhlings luſt’ge Boten Und fuͤhren ſeinen muntern Reihn; Drum fliehen wir das Haus der Todten, Denn um uns her muß Leben ſeyn. Uns mag kein Gluͤcklicher entbehren, Wir ſind dabey, wo man ſich freut, Und laͤßt der Kaiſer ſich verehren, Wir leihen ihm die Herrlichkeit.(Schiller. )[695]
In der Vorrede des erſten Bandes haben wir zu den drey nunmehr beendigten Theilen unſres Werkes, dem didaktiſchen, polemiſchen, hiſtoriſchen, noch ei - nen vierten ſupplementaren verſprochen, welcher ſich bey einer ſolchen Unternehmung allerdings noͤthig macht; und es wird daher, in doppeltem Sinne, einer Ent - ſchuldigung beduͤrfen, daß derſelbe nicht gegenwaͤrtig mit den uͤbrigen zugleich erſcheint.
Ohne zu gedenken, wie lange dieſe Baͤnde, die man hier dem Publicum uͤbergibt, vorbereitet waren, duͤrfen wir wohl bemerken, daß ſchon vor vier Jahren der Druck derſelben angefangen und durch ſo manche oͤffentliche und haͤusliche, durch geiſtige und koͤrperli - che, wiſſenſchaftliche und techniſche Hinderniſſe verſpaͤ - tet worden.
Abermals naͤhert ſich mit dem Fruͤhjahr derjenige Termin, an welchem die ſtillen Fruͤchte gelehrten Flei - ßes durch den Buchhandel verbreitet werden, eben zu der Zeit als die drey erſten Theile unſerer chromatiſchen Ar - beit die Preſſe verlaſſen, und mit den dazu gehoͤrigen Ta -696 feln ausgeſtattet worden. Der dritte Theil iſt zur Staͤrke eines ganzen Bandes herangewachſen, deſſen groͤßere Haͤlfte er eigentlich nur ausmachen ſollte, und es ſcheint daher wohl raͤthlich, die Herausgabe des ſoweit Gedie - henen nicht aufzuſchieben, indem die vorliegende Maſ - ſe groß genug iſt, um als eine nicht ganz unwerthe Gabe der theilnehmenden Welt angeboten zu werden.
Was jedoch von einem ſupplementaren Theile zu er - warten ſtehe, wollen wir hier mit wenigem bemerken. Eine Reviſion des Didaktiſchen kann auf mancherley Weiſe ſtatt finden. Denn wir werden im Laufe einer ſolchen Arbeit mit Phaͤnomenen bekannt, die wenn auch nicht neu oder von ſolcher Bedeutung, daß ſie unerwartete Aufſchluͤſſe geben, doch mehr als andere ſich zu Repraͤſentanten von vielen Faͤllen qualificiren, und ſich daher gerade in ein Lehrbuch aufgenommen zu werden vorzuͤglich eignen, weil man das Didaktiſche von allen Einzelnheiten, allem Zweydeutigen und Schwankenden ſoviel als moͤglich zu reinigen hat, um daſſelbe immer ſicherer und bedeutender zu machen.
Hierdurch wird auch dasjenige was allein Metho - de zu nennen iſt, immer vollkommener. Denn jemehr die einzelnen Theile an innerem Werthe wachſen, deſto reiner und ſicherer ſchließen ſie an einander und das Ganze iſt leichter zu uͤberſehen, dergeſtalt daß zuletzt die hoͤhern theoretiſchen Einſichten von ſelbſt und uner - wartet hervor und dem Betrachter entgegentreten.
697Die Beſchreibung des Apparats waͤre ſodann das Nothwendigſte. Denn obgleich die Haupterforderniſſe bey den Verſuchen ſelbſt angegeben ſind, und eigent - lich nichts vorkommt was außerhalb der Einſicht eines geſchickten Mechanikers und Experimentators laͤge; ſo wuͤrde es doch gut ſeyn, auf wenigen Blaͤttern zu uͤ - berſehen, was man denn eigentlich beduͤrfe, um die ſaͤmmtlichen Phaͤnomene, auf welche es ankommt, be - quem hervorzubringen. Und freylich ſind hiezu Huͤlfs - mittel der verſchiedenſten Art noͤthig. Auch hat man die - ſen Apparat, wenn er ſich einmal beyſammen befindet, ſo gut als jeden andern, ja vielleicht noch mehr, in Ord - nung zu halten, damit man zu jeder Zeit die verlang - ten Verſuche anſtellen und vorlegen koͤnne. Denn es wird kuͤnftig nicht wie bisher die Ausrede gelten, daß durch gewiſſe Verſuche, vor hundert Jahren in Eng - land angeſtellt, alles hinlaͤnglich auch fuͤr uns bewieſen und abgethan ſey. Nicht weniger iſt zu bedenken, daß, ob wir gleich die Farbenlehre der freyen Natur wie - derzugeben ſo viel als moͤglich bemuͤht geweſen, doch ein geraͤumiges Zimmer, welches man nach Belieben erhellen und verfinſtern kann, noͤthig bleibt, damit man fuͤr ſich und andere, ſowohl die Lehre als die Contro - vers, befriedigend durch Verſuche und Beyſpiele belegen koͤnne. Dieſe ganz unerlaͤßliche Einrichtung iſt von der Art, daß ſie einem Privatmanne beſchwerlich werden muͤßte; deswegen darf man ſie wohl Univerſitaͤten und Akademieen der Wiſſenſchaften zur Pflicht machen, da - mit ſtatt des alten Wortkrams die Erſcheinungen ſelbſt698 und ihre wahren Verhaͤltniſſe dem Wißbegierigen an - ſchaulich werden.
Was den polemiſchen Theil betrifft; ſo iſt demſel - ben noch eine Abhandlung hinzuzufuͤgen uͤber dasjenige was vorgeht, wenn die ſo nahe verwandten Werkzeuge, Prismen und Linſen, vereinigt gebraucht werden. Es iſt zwar hoͤchſt einfach und waͤre von einem Jeden leicht einzuſehen, wenn nicht Newton und ſeine Schuͤ - ler auch hier einen voͤllig willkuͤhrlichen Gebrauch der Werkzeuge zu ganz entgegengeſetzten Zwecken einge - fuͤhrt haͤtten. Denn einmal ſollen auf dieſem Wege die farbigen Lichter voͤllig ſeparirt, ein andermal wie - der voͤllig vereinigt werden: welches denn beydes nicht geleiſtet wird noch werden kann.
An dieſe Betrachtungen ſchließt ſich unmittelbar eine andere. Es iſt naͤmlich die Frage, was in einer Glas - oder Waſſerkugel durch Refraction oder Reflexion gewirkt werde, damit wir das ſo merkwuͤrdige als ſchoͤne Phaͤnomen des Regenbogens erblicken. Auch mit dieſem hat man, wie mit ſo vielem andern, fertig und ins Reine zu ſeyn geglaubt. Wir hingegen ſind uͤberzeugt, daß man den Hauptpunct vernachlaͤſſigt, welchen Antonius de Dominis bey ſeiner Behandlung dieſes Gegenſtandes ſchon ſicher und entſchieden aus - geſprochen.
Zu dem hiſtoriſchen Theile ließen ſich auch man -699 cherley Supplemente geben. Zuerſt waͤren Citate nachzubringen, gar mancherley Verbeſſerungen in Na - men, Jahrzahlen und andern kleinen Angaben. Bey manchem Artikel koͤnnte ſogar eine neue Bearbeitung ſtatt finden, wie wir z. B. das uͤber Kepplern Geſagte gegenwaͤrtig bedeutender und zweckgemaͤßer auszufuͤhren uns getrauten.
Auch mit Rubriken und kurzen Inhaltsanzeigen kleinerer Schriften ließen ſich dieſe hiſtoriſch-literariſchen Materialien um vieles vermehren, von denen hier man - ches weggeblieben, was uns einen gewiſſen Bezug ver - ſteckt haͤtte, der aus einer Hintereinanderſtellung bedeu - tender Schriften Eines Zeitraums von ſich ſelbſt, ohne weiteres Raͤſonniren und Pragmatiſiren, hervorzugehen ſchien.
Soll jedoch dereinſt das Geſchichtliche einen un - mittelbaren Einfluß auf das Didaktiſche erlangen, ſo waͤre jenes einmal nach den Abtheilungen, Rubriken, Capiteln des Entwurfs gedraͤngt aufzufuͤhren, wodurch die Zeitenfolge zwar aufgehoben, die Folge und Ueber - einſtimmung des Sinnes hingegen ſich deſto deutlicher zeigen wuͤrde. Der liberal Geſinnte, nicht auf ſeiner Perſoͤnlichkeit und Eigenheit Verharrende wuͤrde mit Vergnuͤgen auch hier bemerken, daß nichts Neues unter der Sonne, daß das Wiſſen und die Wiſſenſchaft ewig ſey, daß das wahrhaft Bedeutende darin von unſern Vorfahren, wo nicht immer erkannt und ergriffen, doch700 wenigſtens geahndet, und das Ganze der Wiſſenſchaft ſo wie jeder Tuͤchtigkeit und Kunſt, von ihnen empfun - den, geſchaͤtzt und nach ihrer Weiſe geuͤbt worden.
Doch waͤre vielleicht vor allem andern noch das Ge - ſchichtliche der letzten zwanzig Jahre nachzubringen, ob - gleich keine ſonderliche Ausbeute davon zu hoffen ſteht. Das Bedeutende darunter, die Wirkung farbiger Be - leuchtung betreffend, welche Herſchel wieder zur Sprache gebracht, wird in einem Aufſatze, den wir Herrn Doctor Seebeck in Jena verdanken, hier zum Schluſſe mitge - theilt. Das ſeltſam Unerfreuliche, durch welches Wuͤnſch neue Verwirrung in der Farbenlehre angerichtet, iſt bey Erklaͤrung der Tafeln in ſeine erſten Elemente aufgeloͤſt und dabey das Noͤthige erinnert worden.
Der andern, minder wirkſamen Aeußerungen moͤchte ich uͤberhaupt gegenwaͤrtig nicht gerne, ſo we - nig als deſſen was ſich auf mich bezieht, gedenken. Theils hat man geſucht, durch ein mißwollendes Ver - ſchweigen, meine fruͤhern Bemuͤhungen gaͤnzlich aus - zuloͤſchen, welches um ſo mehr thunlich ſchien, als ich ſelbſt ſeit vielen Jahren nichts direct deshalb zur Sprache brachte. Theils hat man von meinen Anſich - ten, die ich ſeit eben ſo langer Zeit im Leben und Geſpraͤch gern mittheilte, in groͤßern und kleineren Schriften eine Art von Halbgebrauch gemacht, ohne mir die Ehre zu erzeigen, meiner dabey zu gedenken. Dieſes alles zu ruͤgen, deutlich zu machen, wie auf701 dieſe Weiſe die gute Sache retardirt und discreditirt worden, wuͤrde zu unfreundlichen Erklaͤrungen Anlaß geben, und ich koͤnnte denn doch, da ich mit meinen Vorfahren und mit mir ſelbſt ſtreng genug umgegan - gen, die Mitlebenden nicht wohl ſchonender behandeln.
Viel beſſer und auch wohl gelinder macht ſich dieß in der folgenden Zeit, wenn ſich erſt ergeben wird, ob dieſes Werk ſich Eingang verſchafft und was fuͤr Wir - kungen es hervorbringt. Die Farbenlehre ſcheint uͤber - haupt jetzt an die Tagesordnung zu kommen. Außer dem was Runge in Hamburg als Maler bereits gege - ben, verſpricht Klotz in Muͤnchen gleichfalls von der Kunſtſeite her einen anſehnlichen Beytrag. Placidus Heinrich zu Regensburg laͤßt ein ausfuͤhrliches Werk erwarten, und mit einem ſchoͤnen Aufſatz uͤber die Be - deutung der Farben in der Natur hat uns Steffens beſchenkt. Dieſem moͤchten wir vorzuͤglich die gute Sache empfehlen, da er in die Farbenwelt von der chemiſchen Seite hereintritt und alſo mit freyem un - befangenem Muth ſein Verdienſt hier bethaͤtigen kann. Nichts von allem ſoll uns unbeachtet bleiben: wir be - merken, was fuͤr und gegen uns, was mit und wider uns erſcheint, wer den antiquirten Irrthum zu wieder - holen trachtet, oder wer das alte und vorhandene Wahre erneut und belebt, und wohl gar unerwartete Anſichten durch Genie oder Zufall eroͤffnet, um eine Lehre zu foͤrdern, deren abgeſchloſſener Kreis ſich vielleicht vor vielen andern ausfuͤllen und vollenden laͤßt.
702Was dieſen frommen Wuͤnſchen und Hoffnungen entgegenſteht, iſt mir nicht unbekannt. Der Sache wuͤrde nicht dienlich ſeyn, es hier ausdruͤcklich aus - zuſprechen. Einige Jahre belehren uns hieruͤber am be - ſten, und man vergoͤnne mir nur Zeit, zu uͤberlegen, ob es vortheilhafter ſey, die theils nothwendigen, theils nutzbaren Supplemente zuſammen in einem Ban - de, oder Heftweiſe nach Gelegenheit herauszugeben.
703Ob wir uns ſchon aus oben erwaͤhnten Urſachen enthalten, desjenigen umſtaͤndlich zu gedenken, was ſeit den letzten zwanzig Jahren in unſerm Fache vorgekom - men; ſo duͤrfen wir doch den bedeutendſten Punkt nicht uͤbergehen, welchen Herſchel beſonders wieder in An - regung gebracht, wir meynen die Wirkung farbiger Beleuchtung auf Leuchtſteine, Metalloxyde und Pflan - zen; ein Kapitel, das in unſerm Entwurfe nur ſkizzirt, in der Chemie immer von groͤßerer Bedeutung werden muß. Wir koͤnnen unſre Pflicht hierin nicht beſſer erfuͤl - len, als wenn wir einen ausfuͤhrlichen Aufſatz von Herrn Doctor Seebeck zu Jena einruͤcken, der von dem ſcharfen und treuen Beobachtungsgeiſte des Verfaſſers ſo wie von deſſen unvergleichlicher Gabe zu experimenti - ren ein ſchoͤnes Zeugniß ablegt, und bey Freunden der Wiſſenſchaft den Wunſch erregen wird, der Verfaſſer moͤge ſich immer in dem Falle befinden, ſeinem natuͤrli - chen und beurkundeten Forſcher-Berufe zu folgen.
Zu dieſen Verſuchen bediente ich mich folgender kuͤnſtlicher Leuchtſteine oder Phosphoren.
1) Barytphosphoren, nach Marggrafs be - kannter Angabe bereitet. Die vollkommenſten von dieſen704 leuchteten, nachdem ſie dem Sonnen - oder auch bloß dem Tageslichte ausgeſetzt worden, gelbroth, wie ſchwach gluͤhende Kohlen.
2) Phosphoren aus kuͤnſtlichem ſchwefelſaurem Stron - tian, ganz auf dieſelbe Weiſe, wie die vorigen, mit Gummi Traganth im freyen Feuer des Windofens praͤ - parirt. Dieſe leuchteten meergruͤn, einige Stuͤcke ſchwach blaͤulich.
3) Nach Cantons Vorſchrift aus gebrannten Au - ſterſchalen zubereitete Kalkphosphoren, welche groͤßtentheils hellgelb leuchteten. Einige von dieſen gaben reines Roſenroth, andere ein blaſſes Vio - lett.
Der Glanz und die Lebhaftigkeit der Farbe der Phosphoren ſteht mit der Intenſitaͤt des excitirenden Lichtes in directem Verhaͤltniß; je ſchwaͤcher dieſes iſt, deſto ſchwaͤcher und blaͤſſer phosphoreſciren jene im Dun - keln, ja in ſehr ſchwachem Lichte, z. B. im Mondlichte, werden ſie faſt ganz farblos, weißlich leuchtend.
Dieſe Phosphoren wurden nach der Reihe den ver - ſchiedenen prismatiſchen Farben ausgeſetzt. Im Blau und Violett wurden alle ſogleich leuchtend, doch war ihr Licht auf keine Weiſe veraͤndert: die Barytphospho - ren erſchienen im Dunkeln gelbroth, die neuen Stron - tianphosphoren meergruͤn, u. ſ. w. vollkommen ſo, wie ſie dem reinen Sonnenlichte ausgeſetzt leuchteten. Im705 Blauen wurden ſie nur wenig ſchwaͤcher leuchtend als im Violett. Hart uͤber dem Violett, wo kaum eine Farbe zu erkennen iſt, nahmen ſie einen eben ſo lebhaf - ten Glanz an als im Violett. Im Gruͤn wurden ſie be - traͤchtlich ſchwaͤcher leuchtend als im Blau, im Gelben noch viel ſchwaͤcher, und im Roth am ſchwaͤchſten, und zwar wurden ſie hier mehrentheils nur weißlich leuch - tend. Auch unter dem Roth nahmen die Phosphoren haͤufig einen Glanz an.
So verhielten ſich die Leuchtſteine und auch noch andere leuchtende Koͤrper in den Farbengeſpenſtern einer betraͤchtlichen Anzahl Glasprismen, unter denen einige hoͤchſt vollkommen waren. Im Gelb und Roth derſel - ben wurden gute Leuchtſteine zwar leuchtend, (noch bey einer 5 bis 6 Linien breiten Oeffnung im Laden und in einem Abſtande von 9 bis 12 Fuß vom Prisma); doch immer ſehr viel ſchwaͤcher als im Blau und Violett. Wenn die Oeffnung im Laden noch kleiner war, etwa 2 Linien im Durchmeſſer betrug, ſo wurden mehrere Leuchtſteine in dem eben erwaͤhnten Abſtande im Roth nicht mehr leuchtend, im Blau und Violett aber wurden ſie es.
Ein dickes dunkelblaues Glas, durch welches nur hell erleuchtete Gegenſtaͤnde eben zu erkennen waren, wurde vor den von der Sonne beſchienenen Laden derII. 45706dunkeln Kammer befeſtigt, und ein Bononiſcher Leucht - ſtein in das einfallende Licht gehalten; er wurde im Au - genblick leuchtend, und zwar wie gewoͤhnlich gelbroth. Die uͤbrigen Leuchtſteine verhielten ſich eben ſo.
Nun wurde ein gelbrothes Glas, wodurch man vollkommen alle Gegenſtaͤnde erkennen konnte, in den Laden geſetzt, und die Leuchtſteine in dieß helle gelbrothe Licht gelegt; aber keiner von allen wurde leuchtend, wie lange ſie auch in dieſem Lichte blieben.
Ein Leuchtſtein wurde durch reines Sonnenlicht zum Phosphoreſciren gebracht, und die Zeit bemerkt, welche bis zu ſeinem voͤlligen Erloͤſchen verfloß. Dieß waͤhrte etwa 10 Minuten. Er wurde hierauf nochmals in der Sonne leuchtend gemacht, und dann ſogleich in das durch das gelbrothe Glas einfallende Licht gehalten. Er verloſch hier nicht nur voͤllig, ſondern auch in be - traͤchtlich kuͤrzerer Zeit, als fuͤr ſich im Dunkeln; ſchon nach 1 bis 2 Minuten konnte man keinen Schein mehr an dieſem Phosphor erkennen. Je lebhafter die Sonne ſchien, deſto ſchneller erfolgte das Erloͤſchen unter dem gelbrothen Glaſe.
Wenn ſchon aus dieſen Verſuchen die entgegenge - ſetzte Wirkung der gelbrothen und blauen Beleuchtung unwiderſprechlich hervorging, ſo wurde ſie noch glaͤn - zender durch folgende Vorrichtung beſtaͤtigt.
Ich ſtellte in das durch das gelbrothe Glas einfal - lende Sonnenlicht eine Linſe von 4 Zoll, und brachte707 in den Focus derſelben einen auf das lebhafteſte glaͤn - zenden Barytphosphor; er erloſch hier ſogleich, wie eine in Waſſer getauchte Kohle. Selbſt die empfindlich - ſten und dauerndſten Leuchtſteine, z. B. die gruͤnlichen Strontianphosphoren, wurden hier in wenigen Se - cunden lichtlos. Man braucht die Leuchtſteine nicht ein - mal voͤllig in den Focus zu bringen, auch außer demſel - ben erloͤſchen ſie ſchon nach einigen Secunden.
Statt des gelbrothen Glaſes wurde hierauf eine ſtaͤrkere blaue Scheibe, durch welche man noch alle Ge - genſtaͤnde erkennen konnte, in den Laden befeſtigt, die naͤmliche Linſe davor geſtellt, und in den Focus derſel - ben ein dunkler, nicht leuchtender Erdphosphor gehalten; er wurde hier ſogleich gluͤhend, und wohl ſo ſtark, als im helleſten Sonnenſchein.
Auch das prismatiſche Roth wirkt, wie ſchon Wil - ſon und ſpaͤter Davy und Ritter bemerkt hatten, lichtſchwaͤchend auf die Phosphoren. Nach meinen Erfab - rungen erloͤſchen ſie hier gemeinhin nicht voͤllig, ſondern kommen nur in etwas kuͤrzerer Zeit auf den ſchwachen Lichtzuſtand zuruͤck, den ſie an dieſer Stelle annehmen. Iſt die Oeffnung im Laden ſehr klein, ſo werden, wie ſchon oben angefuͤhrt, die Phosphoren, bey einer gewiſ - ſen Entfernung vom Prisma, in dem Roth deſſelben nicht mehr leuchtend, aber dann wirkt auch dieſe Beleuchtung uͤberhaupt nicht; die Phosphoren erloͤſchen hier nicht ſchneller, als fuͤr ſich im Dunkeln. Im Blau und Violett dagegen werden die Leuchtſteine in dem angegebenen Ab -45 *708ſtande noch leuchtend; hieraus folgt alſo, daß die de - primirende Kraft des Rothen und Gelben fruͤher ab - nimmt, als die excitirende des Blauen und Violetten. Doch auch dieſe hoͤrt in einer groͤßern Entfernung vom Prisma auf, und dort exiſtirt nur fuͤr das Auge noch ein wirk - ſames Farbenbild.
Wie das Licht der Sonne, ſo wirkt auch jedes an - dere Licht durch die genannten farbigen Glaͤſer auf die Leuchtſteine, wenn es nur uͤberhaupt Intenſitaͤt genug hat, ein Leuchten in den Steinen zu erregen. Es iſt bekannt, daß die Bononiſchen und Cantonſchen Phos - phoren durch den Funken der Leidner Flaſche leuchtend werden. Man laͤßt, um dieß zu bewirken, gemeiniglich den Schlag durch den Phosphor gehen. Dieß iſt je - doch nicht noͤthig; auch wenn er ſich in hermetiſch ver - ſchloſſenen Glasroͤhren befindet, und einen Zoll, ja noch tiefer unter den Kugeln des allgemeinen Ausladers liegt, ſo wird er waͤhrend der Exploſion der Flaſche leuchtend.
Zwey Leuchtſteine von gleicher Guͤte wurden, einer in gelbrother, der andere in dunkelblauer Glasroͤhre 1 Zoll unter die Kugeln des allgemeinen Ausladers ge legt, und eine Flaſche mittelſt deſſelben entladen. Als der Funke uͤberſchlug, wurde der Leuchtſtein in der dun - kelblauen Roͤhre ſogleich leuchtend, der in der gelbro - then Glasroͤhre dagegen blieb dunkel.
Dieſe Verſuche, welche ich oͤfters wiederholt habe, beweiſen zugleich, daß die Electricitaͤt, indem ſie die709 Phosphoren leuchtend macht, nur als Licht wirkt, da - her denn auch lichtloſe Electricitaͤt keinen Erdphosphor oder aͤhnlichen leuchtenden Koͤrper zum Phosphoresciren bringt. Hieruͤber, und uͤber das Leuchten als chemi - ſchen Prozeß, an einem andern Orte mehr.
Die genannten Phosphoren und uͤberhaupt alle Subſtanzen, welche im Dunkeln gluͤhend erſcheinen, nachdem ſie dem Licht der Sonne oder einer andern ſtar - ken Beleuchtung ausgeſetzt werden, leuchten ſchon in dieſem Lichte ſelbſt. Hiervon kann man ſich am beſten uͤberzeugen, wenn man Erdphosphoren, welche ein - zelne nichtleuchtende Stellen haben, dem durch ein recht dunkelblaues oder violettes Glas einfallenden Son - nenlichte entgegen haͤlt; die leuchtenden Stellen, be - ſonders die gelbroth leuchtenden der Bononiſchen Phos - phoren, ſieht man nun deutlich gluͤhen, in dem Au - genblicke wie ſie ins Licht kommen, (ja die empfind - lichern ſchon in einiger Entfernung von dem vollen Lichte,) die nichtleuchtenden Stellen dagegen haben die Farbe des Glaſes, ſehen blau oder violett aus. Vor dem gelbrothen Glaſe, wo ſie bekanntlich nicht leuch - tend werden, erſcheinen ſie ganz einfarbig. Das Leuch - ten im Dunkeln iſt alſo nur ein Beharren in dem Zu - ſtande, den der fremde leuchtende Koͤrper hervorrief, ein Nachklingen, Verklingen.
Vorſtehendes will Beccaria anders gefunden ha - ben; nach ihm wurde der Bologneſer Phosphor unter710 allen farbigen Glaͤſern leuchtend, und zwar glaͤnzte er im Dunkeln mit rothem Lichte, wenn er unter rothen Glaͤſern, und mit blauem Lichte, wenn er unter blauen Glaͤſern dem Sonnenlicht war ausgeſetzt worden. — Woher nun dieſe abweichenden, ja ganz entgegengeſetz - ten Reſultate? — Die beſte Aufklaͤrung hieruͤber gibt die Geſchichte dieſer Entdeckung, welche auch durch ih - ren Zuſammenhang mit dem Streit uͤber die Newtoni - ſche Lehre intereſſant iſt.
Zanotti ſtellte die erſten Verſuche uͤber die Wirkung des farbigen Lichtes auf den Bononiſchen Phosphor an, (1728). Erwartend daß er mit der Farbe des ihn treffenden Lichtes leuchten werde, hielt er ihn fuͤr vor - zuͤglich geſchickt, den Streit der Carteſianer und New - tonianer uͤber die Natur des Lichts zur Entſcheidung zu bringen. Algarotti, ein eifriger Anhaͤnger Newtons, wohnte dieſen Verſuchen bey. Sie ließen die prisma - tiſchen Farben auf ihre beſten Leuchtſteine fallen, allein ſie konnten, „ wie auch der Strahl gefaͤrbt war, “kei - nen Unterſchied wahrnehmen, der Stein leuchtete ſchwach, und „ nahm keinesweges die Farbe des Lichtes an, in welches er gehalten wor - den, “woraus Zanotti den Schluß zog, „ daß der Phosphor durch ſein eigenthuͤmliches Licht glaͤnze, und daß dieſes durch das von außen auffallende Licht nur belebt werde. “ Er fuͤgte hinzu, „ daß aus dieſen Ver - ſuchen ſich nichts beweiſen laſſe, und daß ſich beyde Hypotheſen damit vertruͤgen. “ (Zanotti’s Abhandlung ſteht in den Comment. Bonon. Vol. VI. p. 205.)
711Hiermit hatte man ſich beruhigt, bis 1770 Joh. Bapt. Beccaria in Turin mit neuen Verſuchen auf - trat. Er verfertigte, wie erzaͤhlt wird, kuͤnſtliche Leuchtſteine, welche den Stein von Bologna weit uͤber - trafen, ſetzte dieſe unter farbigen Glaͤſern dem Sonnen - lichte aus, und verſicherte, daß ſeine Phosphoren un - ter blauem Glaſe blau, unter rothem Glaſe roth ge - leuchtet haͤtten. (Philos. Transact. LXI. p. 112.) Dieſe Entdeckung machte großes Aufſehen, und wurde von den Newtonianern gut aufgenommen. Prieſtley (in ſeiner Geſchichte der Optik p. 267.) erklaͤrte: „ durch dieſe Verſuche ſey nun außer Streit geſetzt, daß der Phosphor eben daſſelbe Licht welches er empfaͤngt, und kein anderes von ſich gebe, und hierdurch ſey auch be - wieſen, daß das Licht aus koͤrperlichen Thei - len beſtehe, weil es eingeſogen, angehalten und wieder zuruͤckgegeben werden koͤnne. “ Mehrere Phyſi - ker wiederholten Beccarias Verſuche, doch keinem ge - langen ſie. Wilſon vor allen gab ſich viele Muͤhe. Magellan verſchaffte ihm von Beccaria eine ſehr genaue Beſchreibung der Verſuche mit allen Umſtaͤnden, beyde wiederholten die Verſuche nochmals, „ aber alle ihre Unternehmungen waren umſonſt, “nie ſahen ſie die Phosphoren mit der Farbe des Glaſes leuchten. (Von Wilſons intereſſanten Verſuchen findet man einen Auszug in Gehlers Sammlung zur Phyſik und Naturgeſchichte I. Band.) Euler miſchte ſich auch in den Streit; er fand Wilſons Verſuche ſeiner Lehre vom Licht guͤnſtig, und behauptete, die Newtoniſche Theorie der Farben werde hierdurch gaͤnz -712 lich uͤber den Haufen geworfen. Die Newtonianer er - wiederten: Euler habe keine Urſache zu triumphiren, Beccaria verdiene eben ſo viel Glauben als Wilſon, und dann waͤren ja auch unter Wilſons Verſuchen mehrere, die nach der Eulerſchen Theorie eben ſo wenig erklaͤrt werden koͤnnten. Es wurden indeſſen mehrere mißlungene Verſuche bekannt, und es blieb nun denen, die ſich mit Beccaria retten wollten, nichts uͤbrig, als zu behaupten, die Gegner haͤtten keine ſo guten Leuchtſteine oder Glaͤſer gehabt als je - ner, und dieß iſt bis auf den heutigen Tag auch oft genug geſchehen. Spaͤterhin trat Beccaria ſelbſt gegen ſich auf und erklaͤrte, daß er ſich geirrt habe; doch hierauf wurde wenig Ruͤckſicht genommen. Man hatte bereits neue Zeugen fuͤr ſeine fruͤheren Entdeckun - gen, und dieſe ſagten den mehrſten Newtonianern beſ - ſer zu. Allenthalben findet man von nun an einen Brief Magellans an Prieſtley citirt, der jene neue Beſtaͤtigung enthaͤlt; mit Stillſchweigen wird aber gemeiniglich der Widerruf Beccaria’s uͤbergangen, obwohl er in demſelben Briefe ausfuͤhrlich zu leſen iſt. Magellan erzaͤhlt in dieſem Briefe (ſ. Prieſtley’s Verſuche und Beobachtungen uͤber verſchiedene Gattun - gen der Luft III. Theil, Anhang p. 16.): „ er habe (1776) bey dem Prof. Allamand in Leiden ſehr ſchoͤne farbige Glaͤſer gefunden, und habe gegen dieſen geaͤu - ßert: „ wie ſehr es ihm aufgefallen ſey, daß er nie im Stande geweſen, Beccaria’s Verſuche mit Erfolg zu wiederholen, welches er dem Umſtand zuſchreibe, daß er nicht ſo gute Glaͤſer gehabt habe, als Becca -713 ria, und als er jetzt vor ſich ſehe. “ Allamand ant - wortete hierauf: „ es ſey einer von ſeinen Verſuchen beynahe einerley mit den Verſuchen Beccaria’s geweſen; denn ein Stuͤck des Bononiſchen Phos - phors habe die Farbe des durch ein Prisma ge - theilten Sonnenſtrahls gezeigt, dem er ihn ausgeſetzt hatte. “ Hemſterhuis, der bey den Verſuchen Al - lamands zugegen geweſen, ſoll noch hinzugefuͤgt ha - ben, „ daß nach einiger Zeit, wenn die deutlich an dem Phosphorus geſehene Farbe zu vergehen anfing, derſelbe gelblich worden ſey, als wenn der Phosphorus bloß dem Sonnenlichte, ohne Theilung der farbigen Strahlen deſſelben, waͤre ausgeſetzt worden. “ „ Ueber - dieß, “ſagt Magellan, „ beſitze ich das Original eines in Italien geſchriebenen Briefes, aus dem ſich ergibt, daß ein junger Herr vom erſten Range, mit zween Cavaliers, ſeinen Fuͤhrern, vor deren Augen die - ſer Verſuch von dem P. Beccaria wiederholt worden, eben dieſes Phaͤnomen geſehen habe, und daß die Far - ben des Phosphorus im dunkeln Zimmer deutlich genug geweſen ſind, um daraus, ohne vorhergegangene Nach - richt, die richtige Farbe des Glaſes errathen zu koͤnnen, durch welches die Sonne denſelben beſchienen hatte. “— „ Es iſt mir unangenehm, “faͤhrt hierauf Magellan fort, „ aus einem gedruckten Briefe des gedachten Prof. Beccaria geſehen zu haben, daß er faſt die ganze Sache wieder aufgibt, indem er ſich bey ſeinen Ver - ſuchen geirrt, und den Schatten oder die blaſſe Dun - kelheit des Phosphorus fuͤr eine beſtimmte Farbe genom - men habe. Er habe ſich dabey, ſagt er, nach dem714 Herrn Zanotti, Praͤſidenten der Akademie zu Bo - logna, gerichtet; denn er ſelbſt und andere waͤ - ren nie im Stande geweſen, daſſelbe Phaͤ - nomen zu ſehen. “
Und gegen dieß offene und entſcheidende Geſtaͤnd - niß Beccaria’s, gegen ſo viele und ſorgfaͤltig ange - ſtellte Verſuche erfahrner Phyſiker mochte man noch ein Zeugniß, wie das jener vornehmen Beobachter, und ein halbes, wie das von Allamand, auffuͤhren und geltend zu machen ſuchen! Waͤre dieß wohl geſchehen, wenn nicht vorgefaßte Meinung, und der Wunſch, einer beliebten Lehre den Sieg zu verſchaffen und die Gegner auf jede Weiſe aus dem Felde zu ſchlagen, ſich eingemengt haͤtte? — Die Ausſage von Hemſterhuis iſt zwar beſtimmter, als die von Allamand, doch iſt auch ſie von keinem Gewicht, da die Art, wie der Verſuch und das Material, womit er angeſtellt worden, nicht angegeben ſind. Denn auf die Beſchaffenheit des Leuchtſteins koͤmmt auch viel an; enthielt der Baryt - phosphor z. B. Strontian - oder flußſaure Kalkerde, ſo konnte wohl ein blaͤulicher Schein geſehen werden, wenn er ins blaue Licht gehalten wurde. An Leuchtſtei - nen, die aus einer Miſchung der genannten Erden be - ſtehen, laͤßt ſich wirklich etwas Aehnliches zeigen, doch nicht allein im blauen, ſondern auch im Tageslichte, weil jene Erden blaͤulich und gruͤnlich leuchtende Phos - phoren geben. An Phosphoren, die nur mit einer Farbe leuchten, wird man nie etwas der Art wahrneh - men.
715Wo der von Magellan angefuͤhrte gedruckte Brief Beccaria’s ſteht, habe ich nicht finden koͤnnen.
Einer Taͤuſchung habe ich noch zu erwaͤhnen, die bey den Verſuchen mit Prismen und farbigen Glaͤſern vorkommen kann. Die Phosphoren koͤnnen wirklich bis - weilen in einer ganz entgegengeſetzten, als ihrer ge - woͤhnlichen Farbe, leuchtend erſcheinen. Dieß iſt dann der Fall, wenn das Auge des Beobachtenden von ir - gend einer lebhaften Farbe afficirt war. So ſah ich Bononiſche Steine, welche im prismatiſchen Roth weiß - lich leuchtend werden, im Dunkeln mit gruͤnlichem Lichte glaͤnzen, wenn ich auch nur fluͤchtig vorher (ja ſelbſt eine Minute und laͤnger vorher) in das Roth geſehen hatte. Wenn ich dieß vermieden hatte, ſo erſchienen ſie weiß oder hoͤchſt blaßgelb. Eine aͤhnliche Veraͤnde - rung der Farbe bemerkte ich auch einmal an den roſen - rothen Kalkphosphoren, als ich dieſe vor ein violettes von der Sonne erhelltes Glas hielt; ſie leuchteten mir nun im Dunkeln rothgelb. Mein Gehuͤlfe dagegen, wel - cher ſich ganz im Dunkeln befunden hatte, verſicherte das ſchoͤnſte roſenrothe Licht zu ſehen. Als ſich meine Augen von dem vorigen Eindrucke erholt hatten, er - ſchienen auch mir dieſe Phosphoren im Dunkeln roſen - roth, ſo wie ſie nun meinem Gehuͤlfen, welcher in das violette Licht geſehen hatte, gelbroth ſchienen. Durch Violett wird, nach bekannten phyſiologiſchen Geſetzen (E. 47. ff.) Gelb im Auge hervorgerufen, ſo wie durch Roth Gruͤn, durch Orange Blau, und umgekehrt; und auf dieſe Weiſe entſteht im gegenwaͤrtigen Fall, wie716 in mehreren andern eine Taͤuſchung, vor der man ſich zu huͤten hat.
Es iſt eine der wichtigſten Entdeckungen der neuern Zeit, daß mit der aͤußerlichen laͤngſt bekannten Veraͤn - derung der Koͤrper im Sonnenlichte haͤufig auch eine innere, eine Aenderung in den chemiſchen Beſtandthei - len verbunden ſey. Scheele erwies zuerſt, in ſeiner Abhandlung von Luft und Feuer, daß die Metallkalke im Lichte „ phlogiſtiſirt, “oder wie wir uns jetzt aus - druͤcken, desoxydirt werden. Senebier, Prieſtley, Berthollet, Miß Fulham, Rumford, Rit - ter und andere beſtaͤtigten dieſe Entdeckung und ver - mehrten ſie mit mancher neuen.
Eine der empfindlichſten Subſtanzen gegen die Ac - tion des Sonnenlichtes iſt das ſalzſaure Silber, oder Hornſilber; es iſt bekanntlich friſch gefaͤllt weiß, und wird im Lichte ſehr bald grau und endlich ſchwarz, wo - bey es den groͤßten Theil, wo nicht alle ſeine Saͤure verliert. Schon Scheele bemerkte, daß die prisma - tiſchen Farben ungleich auf daſſelbe wirkten, „ daß die Schwaͤrzung im Violett ſchneller erfolge, als in den andern Farben. “(a. a. O. §. 66.) Senebier beſtaͤtigte dieſe Erfahrung, und fuͤhrt in ſeiner Abhandlung uͤber den Einfluß des Sonnenlichtes 3. Th. S. 97. an: „ daß717 das Hornſilber ſich im violetten Strahl in 15 Secunden, im blauen in 23 Sec., im gruͤnen in 35 Sec., im gel - ben in 5½ Minute, im pomeranzenfarbenen in 12 Minu - ten, und im rothen in 20 Minuten gefaͤrbt habe; “auch ſagt er, „ daß er nie vermoͤgend geweſen ſey, die Farbe in den drey letzten prismatiſchen Farben ſo ſtark zu ma - chen, als die vom violetten Strahl hervorgebrachte war. Ritter (ſ. Gilb. Annalen der Phyſik B. VII. S. 527. und B. XII. S. 409.) will auch noch außerhalb dem Violett „ ſogenannte unſichtbare Strahlen entdeckt ha - ben, welche das Hornſilber noch ſtaͤrker reducirten, als das violette Licht ſelbſt; “ferner, „ daß die Reduction an dem Orte des Maximums außer dem Violett, nach dem Blau hin abnehme, und mehr hinter dem Gruͤn aufhoͤre; und daß ſie im Orange und Roth in wahre Oxydation des bereits Reducirten uͤbergehe. “
Schon Senebier’s Verſuche zeigten deutlich eine Hemmung der Wirkung auf der Seite des Gelben und Rothen, ſowohl der Zeit als dem Grade nach; doch fand nach ihm hier noch eine Reduction ſtatt, wo Rit - ter eine Oxydation fand. Neue Verſuche waren alſo noͤthig. Hier ſind die Reſultate von den meinigen.
Als ich das Spectrum eines fehlerfreyen Prisma’s, welches die Lage hatte, in welcher der Einfallswinkel an der vordern Flaͤche dem Brechungswinkel an der hintern Flaͤche gleich iſt, bey einer Oeffnung von etwa 5 bis 6 Linien im Laden, in einem Abſtande, wo eben Gelb und Blau zuſammentreten, auf weißes noch718 feuchtes und auf Papier geſtrichenes Hornſilber fallen ließ, und 15 bis 20 Minuten, durch eine ſchickliche Vorrichtung, in unveraͤnderter Stellung erhielt; ſo fand ich das Hornſilber folgendermaßen veraͤndert. Im Violett war es roͤthlich braun (bald mehr violett, bald mehr blau) geworden, und auch noch uͤber die vorher be - zeichnete Graͤnze des Violett hinaus erſtreckte ſich dieſe Faͤrbung, doch war ſie nicht ſtaͤrker als im Violett; im Blauen des Spectrums war das Hornſilber rein blau ge - worden, und dieſe Farbe erſtreckte ſich abnehmend und hel - ler werdend bis ins Gruͤn; im Gelben fand ich das Horn - ſilber mehrentheils unveraͤndert, bisweilen kam es mir etwas gelblicher vor als vorher; im Roth dagegen, und mehrentheils noch etwas uͤber das Roth hinaus, hatte es meiſt roſenrothe oder hortenſienrothe Farbe angenom - men. Bey einigen Prismen fiel dieſe Roͤthung ganz außerhalb dem Roth des Spectrums, es waren dieß ſolche, bey welchen auch die ſtaͤrkſte Erwaͤrmung außer dem Roth ſtatt hatte.
Das prismatiſche Farbenbild hat jenſeits des Vio - lett und jenſeits des Roth noch einen mehr oder minder hellen farbloſen Schein; in dieſem veraͤnderte ſich das Hornſilber folgendermaßen: Ueber dem oben beſchriebe - nen braunen Streifen, — der im Violett und hart daruͤber entſtanden war, — hatte ſich das Hornſilber mehrere Zoll hinauf, allmaͤhlich heller werdend, blaͤulichgrau gefaͤrbt, jenſeits des rothen Streifen aber, der ſo eben beſchrie - ben worden, war es noch eine betraͤchtliche Strecke hin - ab ſchwach roͤthlich geworden.
719Wenn am Lichte grau gewordenes, noch feuchtes Hornſilber eben ſo lange der Einwirkung des prismati - ſchen Sonnenbildes ausgeſetzt wird, ſo veraͤndert es ſich im Violett und Blau, wie vorhin; im Rothen und Gelben dagegen wird man das Hornſilber heller finden, als es vorher war, zwar nur wenig heller, doch deut - lich und unverkennbar. Eine Roͤthung in, oder hart unter dem prismatiſchen Roth wird man auch hier ge - wahr werden.
Wurde das Spectrum in einem groͤßern Abſtande, etwa 12 bis 15 Fuß vom Prisma, aufgefangen, ſo blieb das weiße Hornſilber im Gelben und Rothen weiß, das ſchon graue blieb ſo grau als vorher, zumal wenn auch die Oeffnung im Laden etwas verengert wurde; im Blau und Violett dagegen ſchwaͤrzte es ſich, obwohl ſchwaͤcher als naͤher am Prisma. In einem noch be - traͤchtlichern Abſtande hoͤrt auch endlich die reducirende Kraft des blauen und violetten Lichtes auf. Eine glei - che Abnahme der Action der prismatiſchen Farben be - merkten wir bereits an den Leuchtſteinen, und zwar fruͤher am Gelb und Roth, als am Blau und Violett.
Laͤßt man Violett und Roth von zwey Prismen zu - ſammentreten, ſo erhaͤlt man bekanntlich ein Pfirſich - bluͤthroth. In dieſem wird das Hornſilber auch geroͤ - thet, und zwar wird es oft ſehr ſchoͤn carmeſinroth.
Wenn man das prismatiſche Spectrum ſo nahe am Prisma auffaͤngt, daß nur die Raͤnder gefaͤrbt, die720 Mitte aber weiß erſcheint, ſo bemerkt man hart unter dem Blau noch einen gelbroͤthlichen blaſſen Streifen; dieſer roͤthet zwar das Hornſilber nicht, aber er wirkt doch hemmend auf die vom Weißen herruͤhrende Reduc - tion oder Schwaͤrzung, wie Ritter ſchon vor mir be - merkt hat.
Noch kann man am Prisma ein Roth hervorbrin - gen, naͤmlich wenn man eine Leiſte mitten uͤber das Prisma befeſtigt; es erſcheint dann in dem nahe aufge - fangenen weißen Felde des Spectrums mitten Gelb, Pfirſichbluͤthroth und Blau; dieſe aber wirken auf das Hornſilber nicht, oder doch nur ſo ſchwach, daß es kaum zu bemerken iſt; ich konnte wenigſtens in verſchie - denen Abſtaͤnden vom Prisma keine recht deutliche Wir - kung von dieſen Farben erkennen.
Das ſalzſaure Silber wurde unter den violetten, blauen und blaugruͤnen Glaͤſern wie am Sonnen - oder Tageslichte grau, und zwar nach der Verſchiedenheit der Glaͤſer auch verſchieden nuͤancirt, bey der einen mehr ins Blaͤuliche, bey der andern mehr ins Roͤthliche ziehend, oft auch faſt ſchwarz. Unter gelben und gelbgruͤnen Glaͤſern dagegen veraͤnderte ſich das Hornſilber wenig; ſelbſt unter nur ſehr ſchwach gefaͤrbten Glaͤſern blieb es im Tageslicht lange weiß, nur die Wirkung des Son -721 nenlichtes konnten dieſe nicht aufheben, aber ſie ſchwaͤch - ten ſie doch bedeutend. Unter tiefern orangefarbigen Glaͤſern veraͤnderte ſich das Hornſilber noch weniger, und erſt nachdem es mehrere Wochen gehoͤrig benetzt, dem Sonnenlichte unter dieſen ausgeſetzt war, faͤrbte es ſich ſchwach und zwar roͤthlich. Hornſilber, welches ſo tief als moͤglich geſchwaͤrzt war, wurde unter dem gelb - rothen Glaſe im Sonnenlichte ſehr bald heller, nach 6 Stunden war ſeine Farbe ſchmutzig gelb oder roͤthlich.
Alle die Farben, welche wir das weiße ſalzſaure Sil - ber im prismatiſchen Spectrum haben annehmen ſehen, kommen auch an dem, welches dem gemeinen Tageslichte ausgeſetzt iſt, vor; in einem ſehr ſchwachen Lichte wird es gelblich, in einem lebhafteren laͤuft es blaßroth an, doch verfliegt dieſe Farbe ſehr ſchnell, das Hornſilber wird gleich darauf grau und braun in verſchiedenen Schattirungen, und endlich ſchwarz. In dieſem letz - ten Zuſtande iſt es faſt gaͤnzlich ſeiner Saͤure beraubt; die gelbe und rothe Farbe des Hornſilbers ſcheinen die niedrigſten, und Blau und Violett hoͤhere Stufen der Entſaͤurung deſſelben zu bezeichnen. Dieß zugegeben, ſo folgt aus den eben erzaͤhlten Beobachtungen, daß zwar im prismatiſchen Roth und noch uͤber daſſelbe hin - aus eine Entſaͤurung ſtatt findet, daß aber auch hier Gelb und Roth hemmend wirken, und daß die Entſaͤu - rung durch gelbrothe Beleuchtung auf eine niedrigere Stufe derſelben zuruͤckgefuͤhrt werden kann.
Von den verſchiedenen Verſuchen, welche ich mitII. 46722reinen Metalloxyden angeſtellt habe, will ich hier einen ausheben, welcher uͤber das was ihnen allen im Lichte begegnet, keinen Zweifel weiter uͤbrig laſſen wird.
Rothes Queckſilberoxyd wurde in drey verſchiedenen Glaͤſern, in einem dunkelblauen, einem gelbrothen und in einem weißen Glaſe, unter deſtillirtem Waſſer der Einwirkung der Sonne und des Tageslichts mehrere Monate hindurch ausgeſetzt. An dem Queckſilberoxyd im weißen Glaſe erfolgte unter beſtaͤndiger Gasentbin - dung eine vollkommene Desoxydation, es verwandelte ſich in graues unvollkommnes Oxyd, und ein Theil wurde ſelbſt zu reinem reguliniſchen Queckſilber herge - geſtellt, welches nach einiger Zeit zu einer nicht unbe - traͤchtlichen Kugel zuſammenlief. Das Oxyd im dunkel - blauen Glaſe hatte dieſelbe Veraͤnderung erlitten, es hatte ſich zum Theil reducirt, zum Theil war es unvoll - kommenes Oxyd geworden. Das Queckſilberoxyd im gelbrothen Glaſe dagegen war faſt unveraͤndert, nur ein wenig heller ſchien es mir nach 6 Monaten geworden zu ſeyn.
Die blaue Beleuchtung wirkt uͤberhaupt auf alle Subſtanzen, welche im Licht eine Veraͤnderung erleiden, wie das reine Sonnen - oder Tageslicht; die rothe Be - leuchtung dagegen verhaͤlt ſich immer entgegengeſetzt, haͤufig bloß wie gaͤnzliche Abweſenheit des Lichtes. So wird, um noch einige Beyſpiele anzufuͤhren, die farb - loſe Salpeterſaͤure unter blauen und violetten Glaͤſern gelb, wie im reinen Sonnenlichte, unter dem gelbro -723 then bleibt ſie weiß; Beſtuſchefs Nerventinktur wird im Sonnenlichte weiß, unter dem blauen Glaſe gleich - falls, unter dem gelbrothen aber bleibt ſie gelb u. ſ. w.
Wir haben oben bey den Verſuchen mit den Leuchtſteinen bemerkt, daß die Action, welche einmal durch das Licht hervorgerufen worden, auch im Dun - keln noch fortwaͤhrt; daſſelbe laͤßt ſich auch an den Subſtanzen nachweiſen, welche im Licht entſchieden eine chemiſche Veraͤnderung erleiden. Schon an jedem Hornſilberpraͤparat kann man es ſehen, doch noch voll - kommener am Goldſalze. Von einer Aufloͤſung des ſalzſauren Goldſalzes ſtreiche man etwas auf zwey Streifen Papier; das eine, A, werde ſogleich an einem ganz dunkeln Orte aufgehoben, das andere, B, aber einige Minuten ins Sonnen - oder Tageslicht gelegt, und bleibe darin nur ſo lange, bis ſich eine ſchwache Veraͤnderung der Farbe zeigt, bis es etwas grau wird, und nun werde es zu dem Praͤparat A gethan, und alles Licht ſo vollkommen als moͤglich abgehalten. Nach einer halben Stunde vergleiche man die Praͤparate; B wird betraͤchtlich tiefer gefaͤrbt ſeyn, als man es hineingelegt hatte, A dagegen findet man unveraͤndert. B faͤrbt ſich von Stunde zu Stunde tiefer, und wird endlich violett, wie Goldſalz das laͤngere Zeit im Lichte gelegen hatte, waͤhrend A noch unveraͤndert rein gold - gelb erſcheint.
Die wichtigſten Verſuche hieruͤber verdanken wir Senebier und Teſſier. Nach Senebier (ſ. deſſen Abhandlung uͤber den Einfluß des Sonnenlichtes 2. Thl. S. 29. 4. ) erreichten die Pflanzen unter gelber Be - leuchtung eine groͤßere Hoͤhe als unter der violetten; die Blaͤtter der Pflanzen unter dem gelben Glaſe kamen gruͤn zum Vorſchein und vergilbten hernach, die unter dem rothen blieben gruͤn, wie ſie hervorkamen; in der violetten Beleuchtung nahm die gruͤne Farbe der Blaͤt - ter mit dem Alter zu, ſie wurde dunkler.
Nach den Verſuchen von Teſſier (v. Mem. de l’Academ. des Sc. de Paris. 1783. p. 133.) blieben die Pflanzen unter dunkelblauem Glaſe am gruͤnſten, unter dunkelgelbem hingegen wurden ſie bleich.
Die blaue Beleuchtung wirkt alſo auf die Pflanzen vollkommen wie das reine Sonnenlicht, die dunkelgelbe Beleuchtung dagegen wie die Finſterniß; denn auch in dieſer werden die Pflanzen bleich, ſchießen ſtaͤrker; genug ſie zeigen ſich mehr oder weniger etiolirt.
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