PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Zur Farbenlehre.
Zweyter Band.
Tuͤbingen,in derJ. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.1810.
[II][III]

Materialien zur Geſchichte der Farbenlehre.

Atqui perpendat philosophiae cultor, rerum abstrusarum investigationem non unius esse seculi; saepe veritas furtim quasi in conspectum veniens, negligentia philosophorum of - fensa subito se rursum subducit, non dignata homines sui conspectu mero, nisi officiosos et industrios.

Des Zweyten Bandes Erſter, hiſtoriſcher Theil.

[IV][V]

Einleitung.

Wird einer ſtrebenden Jugend die Geſchichte eher laͤſtig als erfreulich, weil ſie gern von ſich ſelbſt eine neue, ja wohl gar eine Urwelt-Epoche begin - nen moͤchte; ſo haben die in Bildung und Alter Fortſchreitenden gar oft mit lebhaftem Danke zu erkennen, wie mannigfaltiges Gute, Brauchbare und Huͤlfreiche ihnen von den Vorfahren hinterlaſ - ſen worden.

Nichts iſt ſtillſtehend. Bey allen ſcheinbaren Ruͤckſchritten muͤſſen Menſchheit und Wiſſenſchaft immer vorſchreiten, und wenn beyde ſich zuletzt auch wieder in ſich ſelbſt abſchließen ſollten. Vorzuͤgliche Geiſter haben ſich immer gefunden, die ſich mit - theilen mochten. Viel Schaͤtzenswerthes hievon iſt auf uns gekommen, woraus wir uns uͤberzeugen koͤnnen, daß es unſern Vorfahren an treffenden Anſichten der Natur nie gefehlt habe.

*VI

Der Kreis, den die Menſchheit auszulaufen hat, iſt beſtimmt genug, und ungeachtet des gro - ßen Stillſtandes, den die Barbarey machte, hat ſie ihre Laufbahn ſchon mehr als einmal zuruͤckge - legt. Will man ihr auch eine Spiralbewegung zu - ſchreiben, ſo kehrt ſie doch immer wieder in jene Gegend, wo ſie ſchon einmal durchgegangen. Auf dieſem Wege wiederholen ſich alle wahren Anſichten und alle Irrthuͤmer.

Um ſich von der Farbenlehre zu unterrichten, mußte man die ganze Geſchichte der Naturlehre we - nigſtens durchkreuzen, und die Geſchichte der Phi - loſophie nicht außer Acht laſſen. Eine gedraͤngte Darſtellung waͤre zu wuͤnſchen geweſen; aber ſie war unter den gegebenen Umſtaͤnden nicht zu leiſten. Wir mußten uns daher entſchließen nur Materia - lien zur Geſchichte der Farbenlehre zu liefern, und hiezu das, was ſich bey uns aufgehaͤuft hatte, ei - nigermaßen ſichten.

Was wir unter jenem Ausdrucke verſtehen, wird nicht ſchwer zu deuten ſeyn. Wer Materia - lien zu einem Gebaͤude liefert, bringt immer mehr und weniger als erforderlich iſt. Denn dem Her - beygeſchafften muß oͤfters ſoviel genommen werden,VII nur um ihm eine Form zu geben, und an dasje - nige, was eigentlich zur letzten beſten Zierde ge - reicht, daran pflegt man zu Anfang einer Bauan - ſtalt am wenigſten zu denken.

Wir haben Auszuͤge geliefert und fanden uns hiezu durch mehrere Urſachen bewogen. Die Buͤ - cher, welche hier zu Rathe gezogen werden mußten, ſind ſelten zu haben, wo nicht in großen Staͤdten und wohlausgeſtatteten Bibliotheken, doch gewiß an manchen mittlern und kleinen Orten, von deren theilnehmenden Bewohnern und Lehrern wir unſre Arbeit gepruͤft und genutzt wuͤnſchten. Deshalb ſollte dieſer Band eine Art Archiv werden, in wel - chem niedergelegt waͤre, was die vorzuͤglichſten Maͤnner, welche ſich mit der Farbenlehre befaßt, daruͤber ausgeſprochen.

Auch trat noch eine beſondre Betrachtung ein, welche ſowohl hier als in der Geſchichte der Wiſſen - ſchaften uͤberhaupt gilt. Es iſt aͤußerſt ſchwer, fremde Meynungen zu referiren, beſonders wenn ſie ſich nachbarlich annaͤhern, kreuzen und decken. Iſt der Referent umſtaͤndlich, ſo erregt er Unge - duld und lange Weile; will er ſich zuſammenfaſſen, ſo kommt er in Gefahr, ſeine Anſicht fuͤr dieVIII fremde zu geben; vermeidet er zu urtheilen, ſo weiß der Leſer nicht, woran er iſt; richtet er nach gewiſſen Maximen, ſo werden ſeine Darſtellungen einſeitig und erregen Widerſpruch, und die Ge - ſchichte macht ſelbſt wieder Geſchichten.

Ferner ſind die Geſinnungen und Meynungen eines bedeutenden Verfaſſers nicht ſo leicht auszu - ſprechen. Alle Lehren, denen man Originalitaͤt zu - ſchreiben kann, ſind nicht ſo leicht gefaßt, nicht ſo geſchwind epitomirt und ſyſtematiſirt. Der Schrift - ſteller neigt ſich zu dieſer oder jener Geſinnung; ſie wird aber durch ſeine Individualitaͤt, ja oft nur durch den Vortrag, durch die Eigenthuͤmlichkeit des Idioms, in welchem er ſpricht und ſchreibt, durch die Wendung der Zeit, durch mancherley Ruͤckſichten modificirt. Wie wunderbar verhaͤlt ſich nicht Gaſſendi zu Epicur!

Ein Mann, der laͤnger gelebt, iſt verſchiedene Epochen durchgegangen; er ſtimmt vielleicht nicht immer mit ſich ſelbſt uͤberein; er traͤgt manches vor, davon wir das eine fuͤr wahr, das andre fuͤr falſch anſprechen moͤchten: alles dieſes darzuſtellen, zu ſondern, zu bejahen, zu verneinen, iſt eine unend - liche Arbeit, die nur dem gelingen kann, der ſich ihr ganz widmet und ihr ſein Leben aufopfern mag.

IX

Durch ſolche Betrachtungen veranlaßt, durch ſolche Noͤthigungen gedraͤngt, laſſen wir meiſtens die Verfaſſer ſelbſt ſprechen; ja wir haͤtten die Ori - ginale lieber als die Ueberſetzung geliefert, wenn uns nicht eine gewiſſe Gleichfoͤrmigkeit und allge - meinere Brauchbarkeit zu dem Gegentheil bewogen haͤtte. Der einſichtsvolle Leſer wird ſich mit jedem beſonders unterhalten; wir haben geſucht ihm ſein Urtheil zu erleichtern, nicht ihm vorzugreifen. Die Belege ſind bey der Hand, und ein faͤhiger Geiſt wird ſie leicht zuſammenſchmelzen. Die Wie - derholung am Schluſſe wird hiezu behuͤlflich ſeyn.

Wollte man uns hier noch eine heitere Anmer - kung erlauben, ſo wuͤrden wir ſagen: daß durch dieſe Art, jeden Verfaſſer ſeinen Irrthum wie ſeine Wahrheit frey ausſprechen zu laſſen, auch fuͤr die Freunde des Unwahren und Falſchen geſorgt ſey, denen hierdurch die beſte Gelegenheit verſchafft wird, dem Seltſamſten und am wenigſten Haltbaren ihren Beyfall zuzuwenden.

Nach dieſem Erſten, welches eigentlich den Grund unſerer Bemuͤhung ausmacht, haben wir charakteriſtiſche Skizzen, einzelne biographiſche Zuͤge, manchen bedeutenden Mann betreffend, aphoriſtiſchX mitgetheilt. Sie ſind aus Notizen entſtanden, die wir zu kuͤnftigem unbeſtimmten Gebrauch, beym Durchleſen ihrer Schriften, bey Betrachtung ihres Lebensganges, aufgezeichnet. Sie machen keinen Anſpruch ausfuͤhrlich zu ſchildern, oder entſchie - den abzuurtheilen; wir geben ſie wie wir ſie fan - den: denn nicht immer waren wir in dem Falle, bey Redaction dieſer Papiere, alles einer nochmali - gen genauen Pruͤfung zu unterwerfen.

Moͤgen ſie nur daſtehen, um zu erinnern, wie hoͤchſt bedeutend es ſey, einen Autor als Menſchen zu betrachten; denn wenn man behauptet hat: ſchon der Styl eines Schriftſtellers ſey der ganze Mann, wie vielmehr ſollte nicht der ganze Menſch den gan - zen Schriftſteller enthalten. Ja eine Geſchichte der Wiſſenſchaften, inſofern dieſe durch Menſchen be - handelt worden, zeigt ein ganz anderes und hoͤchſt belehrendes Anſehen, als wenn bloß Entdeckungen und Meynungen an einander gereiht werden.

Vielleicht iſt auch noch auf eine andre Weiſe noͤthig, dasjenige zu entſchuldigen, was wir zu viel gethan. Wir gaben Nachricht von Autoren, die nichts oder wenig fuͤr die Farbenlehre geleiſtet, je - doch nur von ſolchen, die fuͤr die NaturforſchungXI uͤberhaupt bedeutend waren. Denn wie ſchwierig es ſey, die Farbenlehre, die ſich uͤberall gleichſam nur durchſchmiegt, von dem uͤbrigen Wiſſen eini - germaßen zu iſoliren und ſie dennoch wieder zuſam - men zu halten, wird jedem Einſichtigen fuͤhlbar ſeyn.

Und ſo haben wir, um eines durchgehenden Fadens nicht zu ermangeln, allgemeine Betrachtun - gen eingeſchaltet, den Gang der Wiſſenſchaften in verſchiedenen Epochen fluͤchtig bezeichnet, auch die Farbenlehre mit durchzufuͤhren und anzuknuͤpfen ge - ſucht. Daß hiebey mancher Zufall gewaltet, man - ches einer augenblicklichen Stimmung ſeinen Ur - ſprung verdankt, kann nicht gelaͤugnet werden. In - deſſen wird man einige Launen auch wohl einer ern - ſten Sammlung verzeihen, zu einer Zeit, in der ganze wetterwendiſche Buͤcher mit Vergnuͤgen und Beyfall aufgenommen werden.

Wie Manches nachzubringen ſey, wird erſt in der Folge recht klar werden, wenn die Aufmerkſam - keit mehrerer auf dieſen Gegenſtand ſich richtet. Verſchiedene Buͤcher ſind uns ungeachtet aller Be - muͤhungen nicht zu Handen gekommen; auch wird man finden, daß Memoiren der Academien, Jour - nale und andre dergleichen Sammlungen nicht ge -XII nugſam genutzt ſind. Moͤchten doch mehrere, ſelbſt diejenigen, die, um anderer Zwecke willen, alte und neue Werke durchgehen, gelegentlich notiren, was ihnen fuͤr unſer Fach bedeutend ſcheint und es ge - faͤllig mittheilen; wie wir denn ſchon bisher man - chen Freunden fuͤr eine ſolche Mittheilung den be - ſten Dank ſchuldig geworden.

[XIII]

Inhalt

  • Seite.
  • Zur Geſchichte der UrzeitXXIII
  • Erſte Abtheilung. Griechen1
  • Pythagoras1
  • Pythagoreer1 2
  • Empedocles2 4
  • Democritus4 5
  • Democritus und Epicurus6
  • Epicurus6
  • Zeno7
  • Chryſippus7
  • XIV
  • Seite.
  • Pyrrhonier8
  • Plato8 10
  • Ariſtoteles11 23
  • Theophraſt oder vielmehr Ariſtoteles von den Farben24 53
  • Farbenbenennungen der Griechen und Roͤmer54 59
  • Zweyte Abtheilung. Roͤmer60
  • Lucretius60 67
  • Plinius68
  • Hypothetiſche Geſchichte des Colorits69 106
  • Betrachtungen uͤber Farbenlehre und Farben - behandlung107 122
  • Nachtrag123 128
  • XV
  • Dritte Abtheilung.
  • Seite.
  • Zwiſchenzeit129
  • Luͤcke129
  • Ueberliefertes137 144
  • Autoritaͤt144 147
  • Roger Bacon148 164
  • Nachleſe164
  • Auguſtinus165
  • Themiſtius165
  • Luſt am Geheimniß166 168
  • Vierte Abtheilung. Sechzehntes Jahrhundert169
  • Antonii Thylesii de coloribus libellus173 193
  • Antonius Thyleſius194
  • Simon Portius197
  • Julius Caͤſar Scaliger200
  • Zwiſchenbetrachtung204
  • XVI
  • Seite.
  • Paracelſus205
  • Alchymiſten207
  • Zwiſchenbetrachtungen212
  • Bernhardinus Teleſius215
  • Hieronymus Cardanus217
  • Johann Baptiſt Porta220
  • Baco von Verulam226
  • Fuͤnfte Abtheilung. Siebzehntes Jahrhundert. 242
  • Allgemeine Betrachtungen243
  • Galileo Galilei245
  • Johan[n]Keppler247
  • Willebrord Snellius252
  • Antonius de Dominis255
  • Franciscus Aguilonius264
  • Intentionelle Farben267
  • Renatus Carteſius274
  • XVII
  • Seite.
  • Athanaſius Kircher279
  • Marcus Marci286
  • De la Chambre288
  • Iſaac Voſſius295
  • Franciscus Maria Grimaldi306
  • Robert Boyle311
  • Hook322
  • Nicolaus Mallebranche324
  • Johann Chriſtoph Sturm328
  • Funccius329
  • Lazarus Nuͤguet331
  • Nuͤguets Farbenſyſtem332
  • Betrachtungen uͤber vorſtehende Abhandlung343
  • Nachtrag kurzer Notizen346
  • Uebergang zur Geſchichte des Colorits349
  • Geſchichte des Colorits ſeit Wiederherſtellung der Kunſt350 377
  • XVIII
  • Sechſte Abtheilung.
  • Seite.
  • Achtzehntes Jahrhundert378
  • Erſte Epoche. Von Newton bis auf Dollond. Londoner Societaͤt378
  • Thomas Sprat379
  • Thomas Birch381
  • Philoſophiſche Transactionen382
  • Ungewiſſe Anfaͤnge der Societaͤt383
  • Naturwiſſenſchaften in England386
  • Aeußere Vortheile der Societaͤt389
  • Innere Maͤngel der Societaͤt390
  • Maͤngel die in der Umgebung und in der Zeit liegen398
  • Robert Hook399
  • Iſaak Newton401
  • Lectiones opticae404
  • Brief an den Secretaͤr der Londner Societaͤt404
  • XIX
  • Seite.
  • Die Optik405
  • Newtons Verhaͤltniß zur Societaͤt418
  • Erſte Gegner Newtons422
  • Mariotte442
  • Joh. Theoph. Desaguliers453
  • Desaguliers gegen Mariotte456
  • Joh. Rizzetti463
  • Desaguliers gegen Rizzetti468
  • Gauger473
  • Newtons Perſoͤnlichkeit474 484
  • Erſte Schuͤler und Bekenner Newtons484
  • Wilhelm Jacob s’Graveſand487
  • Peter von Muſchenbroek488
  • Franzoͤſiſche Akademiſten490
  • Mariotte492
  • De la Hire492
  • Joh. Mich. Conradi493
  • Mallebranche494
  • XX
  • Seite.
  • Fontenelle496
  • Fontenelle’s Lobrede auf Newton500
  • Mairan507
  • Cardinal Polignac511
  • Voltaire513
  • Beyſpiele von Voltairens Vorurtheil fuͤr Newton516
  • Algarotti517
  • Anglomanie520
  • Chemiker521
  • Duͤfay524
  • Louis Bertrand Caſtel527
  • Techniſche Malerey536
  • Le Blon537
  • Gautier538
  • Celeſtin Cominale549
  • Deutſche große und thaͤtige Welt551
  • Deutſche gelehrte Welt552
  • Akademie Goͤttingen565
  • XXI
  • Seite.
  • Nachleſe566
  • Tobias Mayer568
  • Joh. Heinr. Lambert574
  • Carl Scherffer575
  • Benjamin Franklin579
  • Achtzehntes Jahrhundert581
  • Zweyte Epoche. Von Dollond bis auf unſre Zeit. Achromaſie581
  • Joſeph Prieſtley588
  • Paolo Friſt589
  • Georg Simon Kluͤgel590
  • Uebergang592
  • Weſtfeld593
  • Guͤyot598
  • Mauclerc600
  • Marat601
  • XXII
  • Seite.
  • H. F. T. 606
  • Diogo de Carvalho e Sampayo614
  • Robert Waring Darwin623
  • Anton Raphael Mengs628
  • Jeremias Friedrich Guͤlich630
  • Eduard Huſſey Delaval633
  • Joh. Leonhard Hoffmann639
  • Robert Blair645
  • Confeſſion des Verfaſſers666
  • Entſchuldigung. Statt des ſupplementaren Theils693
  • Wirkung farbiger Beleuchtung703
[XXIII]

Zur Geſchichte der Urzeit.

Die Zuſtaͤnde ungebildeter Voͤlker, ſowohl der alten als der neuern Zeit, ſind ſich meiſtens aͤhnlich. Stark in die Sinne fallende Phaͤnomene werden leb - haft aufgefaßt.

In dem Kreiſe meteoriſcher Erſcheinungen mußte der ſeltnere, unter gleichen Bedingungen immer wie - derkehrende Regenbogen die Aufmerkſamkeit der Na - turmenſchen beſonders an ſich ziehen. Die Frage, woher irgend ein ſolches Ereigniß entſpringe, iſt dem kindlichen Geiſte wie dem ausgebildeten natuͤr - lich. Jener loͤſ’t das Raͤthſel bequem durch ein phantaſtiſches, hoͤchſtens poetiſches Symboliſiren; und ſo verwandelten die Griechen den Regenbogen in ein liebliches Maͤdchen, eine Tochter des Thau - mas (des Erſtaunens); beydes mit Recht: denn wir werden bey dieſem Anblick das Erhabene auf eine erfreuliche Weiſe gewahr. Und ſo ward ſie die - ſem Geſtalt liebenden Volke ein Individuum, Iris,XXIV ein Friedensbote, ein Goͤtterbote uͤberhaupt; an - dern, weniger Form beduͤrfenden Nationen, ein Friedenszeichen.

Die uͤbrigen atmoſphaͤriſchen Farbenerſcheinun - gen, allgemein, weit ausgebreitet, immer wiederkeh - rend, waren nicht gleich auffallend. Die Morgen - roͤthe nur noch erſchien geſtaltet.

Was wir uͤberall und immer um uns ſehen, das ſchauen und genießen wir wohl, aber wir beobachten es kaum, wir denken nicht daruͤber. Und wirklich entzog ſich die Farbe, die alles Sichtbare bekleidet, ſelbſt bey gebildeteren Voͤlkern gewiſſermaßen der Betrachtung. Deſtomehr Gebrauch ſuchte man von den Farben zu machen, indem ſich faͤrbende Stoffe uͤberall vorfanden. Das Erfreuliche des Farbigen, Bunten, wurde gleich gefuͤhlt; und da die Zierde des Menſchen erſtes Beduͤrfniß zu ſeyn ſcheint und ihm faſt uͤber das Nothwendige geht, ſo war die Anwendung der Farben auf den nackten Koͤrper und zu Gewaͤndern hald im Gebrauch.

Nirgends fehlte das Material zum Faͤrben. Die Fruchtſaͤfte, faſt jede Feuchtigkeit außer dem reinen Waſſer, das Blut der Thiere, alles iſt gefaͤrbt; ſoXXV auch die Metallkalke, beſonders des uͤberall vor - handnen Eiſens. Mehrere verfaulte Pflanzen ge - ben einen entſchiedenen Faͤrbeſtoff, dergeſtalt daß der Schlick an ſeichten Stellen großer Fluͤſſe als Farbematerial benutzt werden konnte.

Jedes Beflecken iſt eine Art von Faͤrben, und die augenblickliche Mittheilung konnte jeder bemer - ken, der eine rothe Beere zerdruͤckte. Die Dauer dieſer Mittheilung erfaͤhrt man gleichfalls bald. Auf dem Koͤrper bewirkte man ſie durch Tatuiren und Einreiben. Fuͤr die Gewaͤnder fanden ſich bald farbige Stoffe, welche auch die beizende Dauer mit ſich fuͤhren, vorzuͤglich der Eiſenroſt, gewiſſe Fruchtſchalen, durch welche ſich der Uebergang zu den Gallaͤpfeln mag gefunden haben.

Beſonders aber machte ſich der Saft der Pur - purſchnecke merkwuͤrdig, indem das damit Gefaͤrbte nicht allein ſchoͤn und dauerhaft war, ſondern auch zugleich mit der Dauer an Schoͤnheit wuchs.

Bey dieſer jedem Zufall freygegebenen Anfaͤr - bung, bey der Bequemlichkeit das Zufaͤllige vorſaͤtz - lich zu wiederholen und nachzuahmen, mußte auch die Aufforderung entſtehen, die Farbe zu entfernen. XXVIDurchſichtigkeit und Weiße haben an und fuͤr ſich ſchon etwas edles und wuͤnſchenswerthes. Alle er - ſten Glaͤſer waren farbig; ein farbloſes Glas mit Abſicht darzuſtellen gelang erſt ſpaͤtern Bemuͤhun - gen. Wenig Geſpinnſte, oder was ſonſt zu Ge - waͤndern benutzt werden kann, iſt von Anfang weiß; und ſo mußte man aufmerkſam werden auf die ent - faͤrbende Kraft des Lichtes, beſonders bey Vermitt - lung gewiſſer Feuchtigkeiten. Auch hat man gewiß bald genug den guͤnſtigen Bezug eines reinen weißen Grundes zu der darauf zu bringenden Farbe in fruͤheren Zeiten eingeſehen.

Die Faͤrberey konnte ſich leicht und bequem ver - vollkommnen. Das Miſchen, Sudlen und Manſchen iſt dem Menſchen angeboren. Schwankendes Taſten und Verſuchen iſt ſeine Luſt. Alle Arten von Infu - ſionen gehen in Gaͤhrung oder in Faͤulniß uͤber; beyde Eigenſchaften beguͤnſtigen die Farbe in einem entgegengeſetzten Sinne. Selbſt untereinander ge - miſcht und verbunden heben ſie die Farbe nicht auf, ſondern bedingen ſie nur. Das Saure und Alca - liſche in ſeinem rohſten empiriſchen Vorkommen, in ſeinen abſurdeſten Miſchungen wurde von jeher zur Faͤrberey gebraucht, und viele Faͤrberecepte bis auf den heutigen Tag ſind laͤcherlich und zweckwidrig.

XXVII

Doch konnte bey geringem Wachsthum der Cul - tur bald eine gewiſſe Abſonderung der Materialien ſo wie Reinlichkeit und Conſequenz ſtatt finden, und die Technik gewann durch Ueberlieferung un - endlich. Deswegen finden wir die Faͤrberey bey Voͤlkern von ſtationaͤren Sitten auf einem ſo hohen Grade der Vollkommenheit, bey Aegyptiern, In - diern, Chineſen.

Stationaͤre Voͤlker behandlen ihre Technik mit Religion. Ihre Vorarbeit und Vorbereitung der Stoffe iſt hoͤchſt reinlich und genau, die Bearbei - tung ſtufenweiſe ſehr umſtaͤndlich. Sie gehen mit einer Art von Naturlangſamkeit zu Werke; da - durch bringen ſie Fabricate hervor, welche bildungs - faͤhigern, ſchnell vorſchreitenden Nationen unnach - ahmlich ſind.

Nur die techniſch hoͤchſtgebildeten Voͤlker, wo die Maſchinen wieder zu verſtaͤndigen Organen wer - den, wo die groͤßte Genauigkeit ſich mit der groͤß - ten Schnelligkeit verbindet, ſolche reichen an jene hinan und uͤbertreffen ſie in vielem. Alles Mittlere iſt nur eine Art von Pfuſcherey, welche eine Con - currenz, ſobald ſie entſieht, nicht aushalten kann.

XXVIII

Stationaͤre Voͤlker verfertigen das Werk um ſein ſelbſt willen, aus einem frommen Begriff, un - bekuͤmmert um den Effect; gebildete Voͤlker aber muͤſſen auf ſchnelle augenblickliche Wirkung rechnen, um Beyfall und Geld zu gewinnen.

Der charakteriſtiſche Eindruck der verſchiedenen Farben wurde gar bald von den Voͤlkern bemerkt, und man kann die verſchiedene Anwendung in die - ſem Sinne bey der Faͤrberey und der damit verbun - denen Weberey, wenigſtens manchmal, als abſicht - lich und aus einer richtigen Empfindung entſprin - gend anſehen.

Und ſo iſt alles, was wir in der fruͤheren Zeit und bey ungebildeten Voͤlkern bemerken koͤnnen, praktiſch. Das Theoretiſche begegnet uns zuerſt, indem wir nunmehr zu den gebildeten Griechen uͤbergehen.

[1]

Erſte Abtheilung. Griechen.

Pythagoras

nach Diogenes Laertius.

Pythagoras ſagt von den Sinnen uͤberhaupt und insbeſondere vom Geſicht, es ſey: eine heiße Aus - duͤnſtung oder Dampf, vermittelſt deſſen wir ſowohl durch Luft als Waſſer ſehen: denn das Heiße werde von dem Kalten zuruͤckgeworfen. Waͤre nun die Aus - duͤnſtung in den Augen kalt, ſo wuͤrde ſie in die ihr aͤhnliche aͤußere Luft uͤbergehen. An einer andern Stelle nennt er die Augen Pforten der Sonne.

Pythagoreer

nach Plutarch.

Die Pythagoreer laſſen die katoptriſchen Erſchei - nungen entſtehen durch eine Zuruͤckwerfung der Opſis. II. 12Die Opſis erſtrecke ſich bis auf den Spiegel und von ſeiner Dichte und Glaͤtte getroffen, kehre ſie in ſich ſelbſt zuruͤck, indem ſie etwas aͤhnliches erleide mit der Hand, welche ausgeſtreckt und an die Schulter zu - ruͤckgezogen wird.

Die Pythagoreer nannten die Oberflaͤche der Koͤr - per χροιά, das heißt Farbe. Ferner gaben ſie als Farbgeſchlechter an, das Weiße, das Schwarze, das Rothe und das Gelbe. Die Unterſchiede der Farben ſuchten ſie in der verſchiedenen Miſchung der Elemente; die mannigfaltigen Farben der Thiere hingegen in der Verſchiedenheit der Nahrungsmittel und Himmelsſtriche.

Empedocles

nach Theophraſt.

Empedocles ſagt, das Innre des Auges ſey Feuer (und Waſſer), die aͤußre Umgebung Erde und Luft; durch welche das Feuer, als ein Zartes durchſchwitze, wie das Licht durch die Laterne .... Die Gaͤnge (πόροι) aber des Feuers und Waſſers laͤgen verſchraͤnkt; durch die Gaͤnge des Feuers erkenne man das Weiße, durch die des Waſſers das Schwarze: denn jedes von die - ſen beyden ſey dem andern von beyden angemeſſen oder damit uͤbereinſtimmend (nach dem Grundſatz: Aehnli -3 ches wird durch Aehnliches erkannt). Die Farben aber gelangten durch einen Abfluß zu dem Geſicht. Die Augen ſeyen aber nicht aus Gleichem zuſammenge - ſetzt, ſondern aus Entgegenſtehendem; auch haͤtten einige das Feuer in ſich, andre außer ſich. Daher ſaͤhen auch einige Thiere bey Tage, andre bey Nacht beſſer. Die nehmlich weniger Feuer haͤtten, bey Tage: das innre Licht werde durch das aͤußre ausgeglichen; die im Gegentheil, bey Nacht: denn ihnen werde das Fehlende erſetzt. In den entgegengeſetzt organiſirten verhalte es ſich umgekehrt; ſie ſaͤhen ſchlecht. Bey de - nen nehmlich das Feuer vorwalte, am Tage noch ver - mehrt (durch das aͤußre) uͤberwaͤltige und verſtopfe es die Gaͤnge des Waſſers; bey denen aber das Waſſer vorwalte, werde des Nachts das Feuer vom Waſſer uͤberwaͤltigt, ſo lange bis daß in dieſen das Waſſer vom aͤußern Licht, bey jenen das Feuer durch die Luft ausgeſchieden und abgeſondert werde. Denn immer das Entgegenſtehende ſey die Heilung des andern. Am beſten gemiſcht und am tauglichſten ſeyen die Augen, die aus beyden Beſtandtheilen gleichfoͤrmig gemiſcht waͤren.

Nach Stobaͤus.

Empedocles erklaͤrt die Farbe fuͤr etwas, das den Gaͤngen des Auges oder Geſichts angemeſſen und damit uͤbereinſtimmend ſey. Ihre Verſchiedenheit leitet er von der Mannigfaltigkeit der Nahrung ab. Gleich den Ele -1 *4menten nimmt er viere derſelben an: weiß, ſchwarz, roth, gelb.

Nach Plutarch.

Nach Empedocles geſchehen die Erſcheinungen im Spiegel durch Ausfluͤſſe von den Gegenſtaͤnden, welche ſich auf der Oberflaͤche des Spiegels verſammeln, und vollendet werden durch das aus dem Auge ſich aus - ſcheidende Feuerhafte, welches die umgebende Luft, in welche jene Ausfluͤſſe getrieben werden, mit in Bewe - gung ſetzt.

Democritus

nach Theophraſt.

Democritus laͤßt das Sehen entſtehn durch eine Emphaſis. Darunter verſteht er etwas beſonderes. Die Emphaſis geſchehe nicht geradenweges in der Pupille; ſondern die Luft zwiſchen dem Geſicht und dem Geſe - henen erhalte eine Form, indem ſie von dem Geſehenen und Sehenden zuſammengedruͤckt werde: denn von Allem geſchehe ein beſtaͤndiger Ausfluß. Die nunmehr harte und anders gefaͤrbte Luft ſpiegle ſich in den naſſen Au - gen. Das Dichte nun werde nicht aufgenommen, das Waͤſſrichte aber ſeihe durch. Darum waͤren auch die naſſen Augen tauglicher zum ſehen, als die harten, wo - fern die Hornhaut ſehr fein und dicht waͤre, das In -5 nere des Auges aber ſchwammig und leer an dickem und ſtarkem Fleiſche, ſo wie an dicker und fetter Feuch - tigkeit, die durch die Augen gehenden Adern aber in gerader Richtung und trocken, ſo wie von paßlicher Geſtalt fuͤr das Abgebildete: denn jedes erkenne am meiſten das ihm verwandte und aͤhnliche.

Nach Plutarch.

Democritus behauptet: τῷ νόμῳ χροιὴν εἶναι: die Farbe ſey nichts von Natur nothwendiges, ſondern ein durch Geſetz, Uebereinkunft, Gewoͤhnung Ange - nommenes und Feſtgeſtelltes.

Nach Stobaͤus.

Democritus ſagt, die Farbe ſey Nichts an ſich. Die Elemente, das Volle und das Leere haͤtten (zwar) Eigenſchaften; aber das aus ihnen Zuſammengeſetzte erhalte Farbe (erſt) durch Ordnung, Geſtalt und Lage oder Richtung: denn darnach fielen die Erſcheinungen aus. Dieſer Farbe ſeyen vier Veſchiedenheiten, weiß, ſchwarz, roth und gelb.

6

Democritus und Epicurus

nach Plutarch.

Democritus und Epicurus ſagen, das Sehen ge - ſchehe dadurch, daß Bilder von den Gegenſtaͤnden ſich abſondern und ins Auge kommen.

Die katoptriſchen Erſcheinungen geſchehen durch Zuruͤckwerfung von Bildern, welche von uns ausge - hen und ſich auf dem Spiegel vereinigen.

Epicurus

nach Plutarch.

Epicur im zweyten Buche gegen Theophraſt laͤug - net, daß Farben den Koͤrpern inwohnen, und behauptet vielmehr, ſie entſtaͤnden durch gewiſſe Stellungen und Lagen der Koͤrper gegen das Geſicht; und auf dieſe Weiſe koͤnne ein Koͤrper eben ſo wenig farblos ſeyn, als Farbe haben. Weiter vorn ſchreibt er alſo: Auch davon abgeſehen, weiß ich nicht, wie man ſagen koͤnne, daß Koͤrper in der Finſterniß auch Farbe haͤtten.

Nach Diogenes Laertius.

Die Farbe veraͤndre ſich nach der Lage der Atomen.

7

Zeno, der Stoiker,

nach Plutarch.

Die Farben ſeyen die erſten Schematismen der Materie.

Chryſippus

nach Plutarch.

Nach Chryſippus Meynung geſchieht das Sehen, indem die Luft zwiſchen dem Gegenſtande und uns ſich erſtreckt, getroffen von dem zum Sehen beſtimmten Pneuma, das von der Seele aus bis in die Pupille dringt, und nach der Beruͤhrung der aͤußern Luft ſich in Geſtalt eines Kegels hinerſtreckt. Es ergießen ſich aber aus dem Auge feurige Strahlen, nicht ſchwarze oder neblichte; daher wir die Finſterniß ſehen koͤnnen.

Nach Diogenes Laertius.

Das Sehen geſchieht, wenn das Licht, welches zwiſchen dem Geſicht und dem Gegenſtande iſt, ſich in koniſcher Geſtalt hinerſtreckt. Die Spitze des Luftke - gels entſteht am Auge und die Baſis an dem was ge - ſehen wird; und ſo, indem die Luft wie ein Stab ſich hinerſtreckt, kuͤndigt ſich das Geſehene an.

8

Pyrrhonier

nach Diogenes Laertius.

Nichts erſcheint rein und an ſich, ſondern mit Luft und Licht, mit Fluͤſſigem und Feſtem, mit Waͤrme und Kaͤlte, Bewegung, Verdunſtung und andern Ei - genſchaften. Der Purpur z. B. zeigt eine andre Farbe in der Sonne, eine andre bey Mond - und Lampenlicht. Unſre eigene Farbe iſt anders um Mittag, und ſo auch der Sonne. Durch Lage, Ort und Entfernung erſcheint Großes klein, Eckiges rund, Ebenes uneben; Gerades erſcheint gebrochen, das Bleiche anders gefaͤrbt. Berge erſcheinen von fern luftartig und glatt, in der Naͤhe rauh; der nehmliche Koͤrper im ſchattigen Hain anders als im Freyen; der Hals der Taube, je nachdem ſie ihn wendet.

Plato.

Uebrigens giebt es noch eine vierte Art Empfindbares, die wir abzuhandeln haben, welche aus vielen Man - nigfaltigkeiten beſteht. Dieſe werden von uns ſaͤmmt - lich Farben genannt, eine Flamme, die von jedem Koͤrper ausfließt und ſolche Theile hat, die ſich zum Sinn des Geſichts dergeſtalt verhalten, daß ſie von ihm empfunden werden koͤnnen.

Was das Geſicht betrifft, von deſſen Urſprung haben wir oben geredet, und nun ziemt es ſich auch die Farben kuͤrzlich abzuhandeln.

9

Was von jenen Theilen dergeſtalt herangebracht wird, daß es ins Geſicht faͤllt, iſt entweder kleiner oder groͤßer als die Theile des Geſichts, oder ihnen voͤllig gleich. Das Gleiche wird nicht empfunden, deßhalb wir es durchſichtig nennen. Durch das Kleine hingegen wird das Geſicht geſammelt, durch das Groͤßere entbun - den, und beyde ſind mit dem Warmen und Kalten das auf die Haut, mit dem Sauern das auf die Zunge wirkt, mit dem Hitzigen das wir auch bitter nennen, verſchwiſtert.

Durch Schwarz und Weiß entſtehen eben ſolche Wir - kungen, aber als Erſcheinungen fuͤr einen andern Sinn, jedoch aus denſelben Urſachen. Daher laͤßt ſich behaupten: durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch das Schwarze hingegen geſammelt.

Ein lebhafter Trieb aber und eine Art andern Feuers dringt von innen gegen die Augen und entbindet gleichfalls das Geſicht, und indem er die Gaͤnge der Augaͤpfel mit Gewalt durchdringt und ſchmelzt, wird ein feuriges Waſſer haͤufig vergoſſen, das wir Thraͤne heißen. Jener Trieb aber iſt ein Feuer das dem aͤußern begegnet.

Wenn nun das innere Feuer herausſtuͤrzt wie ein Blitzſtrahl, indem das aͤußre eindringt und in der Feuch - tigkeit verliſcht, werden wir durch die bey ſolcher gegen - ſeitigen Wirkung entſtandenen Farben geblendet, und dasjenige, wovon ſich die Wirkung herſchreibt, nennen wir leuchtend oder glaͤnzend.

Eine mittlere Art Feuer hingegen, die zu der Augen - feuchte gelangt und ſich damit verbindet, bringt zwar10 keinen Glanz hervor; weil jedoch die Feuchtigkeit ſich mit dem Leuchten des Feuers vereinigt, entſteht eine Blutfarbe, welche man Roth nennt.

Das Leuchtende ferner mit Roth und Weiß ver - miſcht erzeugt das Gelbe.

Nach welchem Maße aber ſolches entſtehe, wuͤrde Jemand, ſelbſt wenn er es verſtuͤnde, zu ſagen nicht unternehmen, weil er weder das Nothwendige noch das Wahrſcheinliche davon einigermaßen auszufuͤhren im Stande waͤre.

Roth mit Schwarz und Weiß vermiſcht giebt die Purpurfarbe.

Wenn dieſe Miſchung eine Verbrennung erleidet, ſo daß das Schwarze uͤberwiegend wird, entſteht das Orphnion (ein leuchtend feurig Schwarz).

Das Braunrothe entſteht, wenn Gelb und Grau, das Graue hingegen, wenn Weiß und Schwarz ge - miſcht werden.

Aus Weiß und Gelb entſteht das Balſſe (Gelb).

Wenn das Glaͤnzende mit dem Weißen zuſammen - tritt und auf reines Schwarz faͤllt, dann wird die blaue Farbe vollendet.

Blau mit Weiß macht Hellblau.

Braunroth und Schwarz Lauchfarbe.

Hieraus ſind denn auch die uͤbrigen gewiſſermaßen offenbar und durch was fuͤr aͤhnliche Miſchungen ſie hervorgebracht werden.

11

Ariſtoteles.

Anzunehmen, daß die blauen Augen feuerhaft ſind, wie Empedocles ſagt, die ſchwarzen aber mehr Waſſer als Feuer haben und dieſerwegen am Tage nicht ſcharf ſehen aus Mangel des Waſſers, die andern aber des Nachts aus Mangel des Feuers, iſt irrig; ſin - temal nicht des Feuers das Auge iſt, ſondern des Waſſers. Außerdem laͤßt ſich die Urſache der Farben noch auf eine andre Weiſe angeben.

Waͤre das Auge Feuer, wie Empedocles behauptet, und im Timaͤus geſchrieben ſteht, und geſchaͤhe das Sehen, indem das Licht, wie aus einer Laterne, (aus den Augen) herausgehe; warum in der Finſterniß ſieht nicht das Auge? Daß es ausgeloͤſcht werde im Fin - ſtern, wenn es herauskomme, wie der Timaͤus ſagt, iſt durchaus nichtig. Denn was heißt Ausloͤſchung des Lichtes? Geloͤſcht wird im Naſſen oder im Kalten das Warme (Heiße) und Trockne; dergleichen in dem Koh - lichten das Feuer zu ſeyn ſcheint und die Flamme. Keins von beyden aber ſcheint dem Augenlicht zu Grunde zu liegen. Laͤgen ſie aber auch, und nur, wegen der We - nigkeit, auf eine uns verborgne Weiſe; ſo muͤßte taͤg - lich auch vom Waſſer das Augenlicht ausgeloͤſcht werden, und im Froſt zumeiſt muͤßte Finſterniß entſtehen, wie wenigſtens mit der Flamme und brennenden Koͤr - pern geſchieht. Nun aber geſchieht nichts dergleichen. 12Empedocles nun ſcheint einmal zu behaupten, indem das Licht herausgehe, ſaͤhen wir, ein andermal wieder durch Aus - oder Abfluͤſſe von den geſehenen Gegenſtaͤnden.

Democritus hingegen, ſo fern er behauptet das Auge ſey Waſſer, hat Recht; ſo fern er aber meint, daß Sehen ſey eine Emphaſis (Spiegelung), hat er Unrecht. Denn dieß geſchieht, weil das Auge glatt iſt, und eine Emphaſis findet nicht ſtatt im Gegenſtande, ſondern im Sehenden: denn der Zuſtand iſt eine Zuruͤckwerfung. Doch uͤber die Emphaͤnomena und uͤber die Zuruͤckwer - fung hatte er, wie es ſcheint, keine deutlichen Begriffe. Sonderbar iſt es auch, daß ihm nicht die Frage aufſtieß: warum das Auge allein ſieht, die andern Dinge, worin die Bilder ſich ſpiegeln, aber nicht. Daß nun das Auge Waſſer ſey, darin hat er Recht. Das Sehen aber ge - ſchieht nicht, in ſo fern das Auge Waſſer iſt, ſondern in ſo fern das Waſſer durchſichtig iſt, welche Eigen - ſchaft es mit der Luft gemein hat.

Democritus aber und die meiſten Phyſiologen, die von der Wahrnehmung des Sinnes handeln, behaupten etwas ganz unſtatthaftes. Denn alles Empfindbare machen ſie zu etwas Fuͤhlbarem; da doch, wenn dem ſo waͤre, in die Augen faͤllt, daß auch alle uͤbrigen Empfindungen ein Fuͤhlen ſeyn muͤßten; welches, wie leicht einzuſehen, unmoͤglich. Ferner machen ſie, was allen Wahrnehmungen der Sinne gemeinſchaftlich iſt, zu einem Eigenthuͤmlichen. Denn Groͤße und Geſtalt, Rauhes und Glattes, Scharfes und Stumpfes an den13 Maſſen ſind etwas allen Sinneswahrnehmungen gemei - nes, oder wenn nicht allen, doch dem Geſichte und Gefuͤhl. Darum taͤuſchen dieſe beyden Sinne ſich zwar hieruͤber, nicht aber uͤber das jedem eigenthuͤmliche, z. E. das Geſicht nicht uͤber die Farbe, das Gehoͤr nicht uͤber den Schall. Jene Phyſiologen aber werfen das Eigenthuͤmliche mit dem Gemeinſchaftlichen zuſam - men, wie Democritus. Vom Weißen nehmlich und Schwarzen behauptet er, dieſes ſey rauh und jenes glatt. Auch die Geſchmaͤcke bringt er auf Geſtalten zu - ruͤck. Wiewohl es des Geſichtes mehr als jedes andern Sinnes Eigenſchaft iſt, das Gemeinſame zu erkennen. Sollte es nun mehr des Geſchmackes Sache ſeyn; ſo muͤßte, da das kleinſte in jeglicher Art zu unterſcheiden, dem ſchaͤrfſten Sinne angehoͤrt, der Geſchmack zumeiſt das uͤbrige gemeinſame empfinden und uͤber die Geſtalt der vollkommenſte Richter ſeyn. Ferner alles Empfind - bare hat Gegenſaͤtze, z. E. in der Farbe, iſt dem Schwarzen das Weiße, im Geſchmack, das Suͤße dem Bittern entgegen; Geſtalt aber ſcheint kein Gegenſatz von Geſtalt zu ſeyn. Denn welchem Eck ſteht der Zirkel entgegen? Ferner da die Geſtalten unendlich ſind, muͤß - ten auch die Geſchmaͤcke unendlich ſeyn: denn warum ſollte man von den ſchmeckbaren Dingen einige empfin - den, andre aber nicht?

Sichtbar iſt, weſſen allein das Geſicht iſt. Sicht - bar iſt aber die Farbe und etwas das ſich zwar be - ſchreiben laͤßt, aber keinen eigenen Nahmen hat. Was14 wir meynen, ſoll weiterhin klar werden. Das Sichtbare nun, von dem wir reden, iſt einmal die Farbe. Dieſe aber iſt das, was an dem an ſich Sichtbaren ſich befindet. An ſich ſichtbar iſt, was es nicht (τῷ λόγῳ) durch Be - zug auf ein anderes iſt, ſondern den Grund des Sicht - barſeyns in ſich hat. Alle Farbe aber iſt ein Erregendes des actu Durchſichtigen. Und dieß iſt ſeine Natur. Da - her iſt ohne Licht Farbe nicht ſichtbar, ſondern jede Farbe iſt durchaus nur im Lichte ſichtbar. Daher muͤſſen wir zuerſt ſagen, was das Licht iſt.

Es giebt ein Durchſichtiges (διαφανές). Durch - ſichtig nenn ich, was zwar ſichtbar iſt, aber nicht ſichtbar an ſich, ſondern durch eine andre Farbe. Von der Art iſt die Luft, das Waſſer und mehrere feſte Koͤrper. Denn nicht in ſo fern ſie Waſſer und in ſo fern ſie Luft, ſind ſie durchſichtig; ſondern weil eine ſolche Natur in ihnen iſt.

Licht nun iſt der actus dieſes Durchſichtigen, als Durchſichtigen. Worin es ſich nur potentia befindet, das kann auch Finſterniß ſeyn. Licht iſt aber gleichſam die Farbe des Durchſichtigen, wann es actu durchſich - tig iſt, es ſey durchs Feuer oder durch das hoͤchſte und letzte Element.

Was nun das Durchſichtige und was das Licht ſey, iſt geſagt, daß es nicht Feuer ſey, noch uͤberhaupt ein Koͤrper, noch der Ausfluß irgend eines Koͤrpers: denn auch ſo wuͤrde es ein Koͤrper ſeyn; ſondern Feuers oder eines Andern dergleichen Anweſen - heit in dem Durchſichtigen. Denn zwey Koͤrper koͤnnen nicht zugleich in Einem ſeyn. Das Licht ferner ſcheint15 der Gegenſatz von Finſterniß. Finſterniß ſcheint der Mangel einer dergleichen ἕξις in dem Durchſichtigen. Wie daraus erhellt, daß die Anweſenheit deſſelben das Licht iſt. Daher Empedocles, und wer ſonſt, nicht recht hat zu behaupten, das Licht verbreite ſich und komme zwiſchen die Erde und ihre Umgebung, ohne daß wir es merkten. Denn dieß iſt gegen alle Principien, und gegen die Erſcheinung. In einem kleinen Raume koͤnnte es unbemerkt bleiben; aber vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang iſt die Foderung zu groß.

Der Farbe nun empfaͤnglich iſt das Farbloſe, wie des Schalls das Schallloſe. Farblos iſt das Durch - ſichtige und Unſichtliche, oder das kaum Sichtbare, der - gleichen das Finſtere zu ſeyn ſcheint. Dergleichen alſo iſt das Durchſichtige, aber nicht wenn es actu durch - ſichtig iſt, ſondern, wenn es potentia. Denn das iſt ſeine Natur, daß es bald Licht bald Finſterniß iſt. Nicht alles aber iſt ſichtbar im Licht: ſondern nur eines jeden eigenthuͤmliche Farbe. Denn einiges wird nicht geſehen im Licht, aber in der Finſterniß giebt es Em - pfindung, z. E. das Feurige und Leuchtende. Dieſe Dinge laſſen ſich mit einem Worte nicht benennen, z. E. die Schnuppe am Licht, Horn, die Koͤpfe der Fiſche und Schuppen und Augen. An keinem von dieſen Dingen wird die eigenthuͤmliche Farbe geſchaut; wo - durch ſie aber nun ſichtbar werden, iſt eine andre Un - terſuchung.

Soviel iſt allbereits klar, daß das im Licht ge - ſehene, Farbe iſt; daher wird ſie nicht ohne Licht ge - ſehen. Denn das iſt das Weſen der Farbe, daß es16 das Erregende des actu Durchſichtigen iſt. Der actus des Durchſichtigen aber iſt das Licht. Ein offenbarer Beweis davon iſt: Wenn jemand etwas Farbiges auf das Auge ſelbſt legt, ſo ſieht er es nicht; ſondern die Farbe erregt das Durchſichtige, die Luft; von dieſer aber, die ein continuum iſt, wird das Geſichtsorgan erregt. Daher hat Democritus unrecht, zu glauben, wenn der Zwiſchenraum leer waͤre, ſo wuͤrde man auch eine Ameiſe am Himmel genau ſehen koͤnnen. Denn dieß iſt unmoͤglich. Denn nur dadurch, daß das Geſichts - organ etwas erleidet, geſchieht das Sehen. Von der geſehenen Farbe ſelbſt kann jenes nicht erfolgen; es bleibt alſo nur uͤbrig, daß es von dem, was zwiſchen iſt (dem Medium), geſchehe. Darum muß nothwendig etwas zwiſchen ſeyn. Waͤre der Zwiſchenraum leer, ſo wuͤrde die Ameiſe nicht nur nicht genau, ſondern ganz und gar nicht geſehen werden koͤnnen.

Warum nun die Farbe nothwendig im Licht geſe - hen werden muß, iſt geſagt. Das Feuer aber wird in beyden geſehen, im Licht und in der Finſterniß; und dieß nothwendiger Weiſe. Denn das Durchſichtige wird dadurch durchſichtig. Dieſelbe Bewandniß hat es mit dem Schall und mit dem Geruch.

Denn keins von beyden, wenn es unmittelbar das Organ beruͤhrt, bringt eine Empfindung hervor; ſondern von Geruch und Schall muß zuvor das Medium bewegt werden, und durch dieſes erſt das Organ fuͤr Beyde. Wenn Jemand unmittelbar an das Organ ein Schallendes oder Riechendes bringt; ſo entſteht durch - aus keine[Empfindung]. Auf gleiche Weiſe verhaͤlt es17 ſich mit dem Gefuͤhl (tactus) und Geſchmack, nur faͤllt es da nicht ſo in die Augen. Das Medium fuͤr den Schall, iſt die Luft, fuͤr das Riechende, etwas das keinen Nahmen hat. Denn ſo wie das Durchſich - tige fuͤr die Farbe eine gemeinſchaftliche Affection des Waſſers und der Luft iſt; ſo giebt es eine andre ge - meinſchaftliche Affection in beyden, dem Waſſer und der Luft, fuͤr das Riechende. Es ſcheinen nehmlich die im Waſſer lebenden Thiere eine Empfindung des Geruchs zu haben; aber der Menſch, und andre Land - thiere, welche athmen, koͤnnen nicht riechen ohne zu athmen.

Licht iſt des Durchſichtigen Farbe per accidens: denn die Gegenwart eines Feuerartigen im Durchſich - tigen iſt Licht, die Abweſenheit, Finſterniß.

Was wir durchſichtig nennen, iſt weder der Luft, noch dem Waſſer, noch einem der Elemente beſonders eigen; ſondern es iſt eine gemeinſame Natur und Ei - genſchaft, die abgeſondert zwar nicht iſt, aber in ihnen befindet ſie ſich und wohnt einem Koͤrper mehr, andern weniger bey. So wie nun der Koͤrper ein Aeußerſtes haben muß, ſo auch das Durchſichtige. Die Natur des Lichts iſt nun in einem unbegraͤnzten (ἀορίστῳ) Durchſichtigen. Daß nun das Durch - ſichtige in den Koͤrpern ein Aeußerſtes haben muß, iſt allen einleuchtend; daß dieſes aber die Farbe ſey, iſt aus den Vorderſaͤtzen ergeblich. Denn die Farbe iſt entweder in der Graͤnze, oder ſelbſt die Graͤnze. II. 218Daher nannten auch die Pythagoreer die Oberflaͤche Farbe. Nun iſt aber die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers und nicht ſelbſt die Graͤnze; ſondern dieſelbe faͤrbende Natur, die man außen annimmt, muß man auch innerhalb annehmen.

Luft und Waſſer erſcheinen gefaͤrbt: denn ihr Ausſehen (αὐγή) iſt ein ſolches. Aber weil dort die Farbe in einem Unbegraͤnzten iſt, zeigen beyde in der Naͤhe und in der Ferne nicht einerley Farbe. In (feſten) Koͤrpern aber iſt die Erſcheinung der Farbe eine beſtimmte, wenn nicht etwa das, was den Koͤr - per einſchließt, eine Veraͤnderung hervorbringt. Es iſt alſo klar, daß ein und daſſelbe der Farbe Em - pfaͤngliche, ſo wohl dort als hier ſtatt findet. Das Durchſichtige alſo, in ſo fern es den Koͤrpern in - wohnt, und das iſt mehr oder weniger der Fall, macht ſie alle der Farbe faͤhig oder theilhaft. Da nun die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers iſt, ſo iſt ſie auch in der Graͤnze des Durchſichtigen, ſo daß alſo Farbe die Graͤnze des Durchſichtigen an dem begraͤnzten Koͤrper waͤre. Den durchſichtigen Koͤrpern ſelbſt, als dem Waſſer und was ſonſt der Art iſt, und was eine eigene Farbe hat, dieſen allen wohnt ſie bey im Aeußerſten.

In dem Durchſichtigen nun iſt dasjenige, wodurch auch in der Luft das Licht hervorgebracht wird, bald wirklich vorhanden, bald nicht, ſondern entnommen. So wie nun dort bald Licht, bald Finſterniß ſtatt findet, ſo iſt auch in den Koͤrpern Weiß und Schwarz.

19

Von den andern Farben iſt nun zu handeln, auf wie vielerley Art ſie entſtehen. Einmal koͤnnen ſie ſo entſtehen, daß wenn Schwarz und Weiß neben ein - ander liegen, eins wie das andre aber wegen ihrer Kleinheit unſichtbar ſind, dennoch Etwas aus ihnen ent - ſpringe, welches ſichtbar wird. Dieſes kann nun we - der ſchwarz, noch auch weiß ſeyn; da es aber doch eine Farbe ſeyn muß, ſo muß ſie eine gemiſchte ſeyn und einen andern Anblick gewaͤhren.

Auf dieſe Weiſe koͤnnen nun ſehr viele Farben, außer dem Weißen und Schwarzen, entſtehen. Einige durch Verhaͤltniſſe, indem ſie wie drey zu zwey, drey zu viere und ſo fort in andern Portionen neben einan - der liegen. Andre hingegen nicht durch Zahlenverhaͤlt - niſſe, ſondern durch ein ineommenſurables Plus oder Minus. So koͤnnen ſie ſich verhalten z. E. wie die Conſonanzen in der Muſik, daß nehmlich die Farben von den leichteſten Zahlenverhaͤltniſſen, gerade wie die Conſonanzen, als die angenehmſten erſchienen, z. B. Violett und Roth, und einige andre dergleichen. Daher auch nur wenige Conſonanzen ſind. Andre ferner, die nicht in ſolchen Verhaͤltniſſen beſtehen, wuͤrden die uͤbri - gen Farben ausmachen. Oder auch, alle Farben, ſo - wohl die in einer Ordnung als die in keiner beſtehen, beruhten auf Zahlenverhaͤltniſſen, und ſelbſt dieſe, wenn ſie nicht rein ſind, weil ſie auf keinem Zahlenverhaͤlt - niß beruhen, muͤßten es dennoch werden.

Dieß iſt nun Eine Art der Farbenentſtehung. Eine andre Art iſt, wenn ſie durch einander erſcheinen; wie z. B. die Maler thun, daß ſie eine Farbe uͤber eine2 *20andre mehr energiſche herſtreichen, wenn ſie etwas als in Luft oder Waſſer befindlich vorſtellen wollen; oder wie die Sonne, die an ſich weiß erſcheint, durch Ne - bel und Rauch geſehen aber roth. Auf dieſe Weiſe koͤnnen viele Farben entſtehen, daß nehmlich eine gegen - ſeitige Bedingung der oben und der unten befindlichen Farbe ſtatt findet. Andre koͤnnen gaͤnzlich ohne die - ſelbe entſtehen.

Zu behaupten, wie die Alten ſagen, die Farben ſeyen Ausfluͤſſe und das Sehen geſchaͤhe aus dieſer Urſache, iſt ganz unſtatthaft. Denn alsdann muͤſſen ſie die Em - pfindung von allem andern durch Beruͤhren entſtehen laſſen. Viel beſſer iſt es daher zu ſagen, durch die Bewegung des Mediums zwiſchen dem Organ und dem Empfindbaren geſchehe die Empfindung, als durch Aus - fluͤſſe und Beruͤhren.

Bey Nebeneinanderliegendem muß man, wie man eine unſichtliche Groͤße annimmt, auch eine unmerkliche Zeit annehmen, damit wir die ankommenden Bewe - gungen nicht bemerken, und der Gegenſtand Eins ſcheine, weil er zugleich erſcheint. Aber bey der Farbe iſt das nicht nothwendig. Denn die uͤber einer andern liegende Farbe, ſie mag von der untern bewegt werden oder nicht, bringt doch keine gleichen Eindruͤcke hervor. Darum erſcheint ſie als eine andre Farbe und nicht weder als weiß noch als ſchwarz. Daher, wenn auch keine unſichtliche Groͤße, ſondern alles in einer gewiſſen Entfernung ſichtbar waͤre, wuͤrde auch ſo noch eine Miſchung der Farbe ſtatt finden, und nichts uns hin -21 dern, auch in der Entfernung eine gemeinſchaftliche Farbe wahrzunehmen.

Wenn nun eine Miſchung der Koͤrper ſtatt findet, ſo geſchieht es nicht blos auf die Weiſe, wie Einige ſich die Sache vorſtellen, daß nehmlich kleinſte Theile neben einander liegen, die uns unbemerklich ſind; ſon - dern auch ſo, daß die Miſchung uͤberall und durchweg ſey. Denn auf jene Weiſe miſcht ſich nur, was ſich in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, wie Menſchen, Pferde, Samenkoͤrner. Denn von einer Menge Men - ſchen iſt ein Menſch der kleinſte Theil, von Pferden, ein Pferd; ſo daß aus Zuſammenſtellung beyder die Menge beyder gemiſcht iſt. Von einem Menſchen und einem Pferde kann man nicht ſagen, daß ſie gemiſcht ſind. Was ſich nun nicht in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, bey dem findet keine Miſchung auf dieſe Art ſtatt; ſondern auf die Art, daß alles durchaus und aller Orten gemiſcht ſey, was ſich be - ſonders zu einer ſolchen Miſchung eignet.

Daß nun wie jenes ſich miſcht, auch die Farben ſich miſchen, iſt klar, und daß dieſes die Haupturſache der Verſchiedenheit der Farben ſey und nicht das Ueber - und Nebeneinanderliegen derſelben. Denn nicht etwa in der Ferne blos und in der Naͤhe nicht, zeigen ver - miſchte Dinge einerley Farbe, ſondern in jedem Standpunct.

Viele Farben werden ſich ergeben, weil viele Ver - haͤltniſſe moͤglich ſind, in denen das Gemiſchte ſich miſcht. Einige beruhen auf Zahlen, andere blos auf einem Uebermaaß; andere endlich auf derſelben Weiſe,22 wie bey uͤber - oder nebeneinander liegenden Farben geſchieht.

Wie die Farben aus der Miſchung des Weißen und Schwarzen entſtehen, ſo auch die Geſchmaͤcke aus der des Suͤßen und Bittern; und zwar nach Verhaͤlt - niß des Mehr oder Weniger, es ſey der Zahl nach, oder der Bewegung, oder unbeſtimmt. Die angeneh - men Geſchmaͤcke beruhen auf dem Zahlenverhaͤltniß. Der fette Geſchmack gehoͤrt zu dem ſuͤßen; der ſalzige und bittre ſind beynahe eins. Der beißende, herbe, zuſammenziehende und ſaure fallen dazwiſchen. Schier wie die Arten des Geſchmacks verhalten ſich auch die Species der Farben. Denn beyder ſind ſieben; wenn man, wie billig, das φαιὸν zum Schwarzen rechnet. Daraus folgt, daß das Gelbe zum Weißen gehoͤre, wie das Fette zum Suͤßen. Das Rothe, Violette, Gruͤne und Blaue liegt zwiſchen dem Weißen und Schwarzen. Die uͤbrigen ſind aus dieſen gemiſcht. Und wie das Schwarze eine Beraubung des Weißen im Durchſichti - gen; ſo iſt das Salzige und Bittre eine Beraubung des Suͤßen in dem naͤhrenden Feuchten. Darum iſt die Aſche aller verbrannten Koͤrper bitter: denn das Trinkbare iſt ihr entzogen.

Die empfindbaren Dinge geben uns durch einen jeglichen Sinn eine Empfindung, und dieſer durch die - ſelben in uns entſtehende Zuſtand dauert nicht blos ſo23 lange die Sinne eben thaͤtig ſind, ſondern auch wenn ſie aufhoͤren. Wenn wir anhaltend einer Sinnesem - pfindung uns hingeben, und nun den Sinn auf einen andern Gegenſtand uͤbertragen; ſo begleitet ihn der erſte Zuſtand mit hinuͤber, z. E. wenn man aus der Sonne ins Dunkle geht. Dann ſieht man nichts, we - gen des in den Augen fortdauernden Lichteindrucks. Auch wenn wir auf eine Farbe, weiß oder gruͤn, lange hingeſchaut haben, ſo erſcheint uns etwas der - gleichen, wohin wir auch den Blick wenden moͤgen. Auch ſobald wir in die Sonne, oder auf einen andern hellen Gegenſtand geſehen haben, und die Augen ſchließen, erſcheint, wenn wir in der geraden Rich - tung, worin wir ſehen, beobachten, zufoͤrderſt etwas dergleichen an Farbe: dann verwandelt es ſich in Roth, dann in Purpur, bis es zuletzt ins Schwarze uͤbergeht und verſchwindet.

24

Theophraſt oder vielmehr Ariſtoteles von den Farben.

I. Von den einfachen Farben 1 14. II. Von den mittlern oder gemiſchten 15 16. III. Von der Unbeſtimmbarkeit der Farben 27 37. IV. Von den kuͤnſtlichen Farben 38. V. Von der Veraͤnderung der Farben an den Pflan - zen durch organiſche Kochung 39 62. VI. Von den Farben der Haare, Federn und Haͤute 63 82.

I. Von den einfachen Farben, weiß, gelb und ſchwarz.

1.

Einfache Farben ſind diejenigen, welche die Ele - mente begleiten, das Feuer, die Luft, das Waſſer und die Erde. Die Luft und das Waſſer ſind ihrer Natur nach weiß, das Feuer und die Sonne aber gelb. Die Erde iſt urſpruͤnglich gleichfalls weiß, aber wegen der Tingirung erſcheint ſie vielfaͤrbig. Dieſes wird offen -25 bar an der Aſche; denn ſobald nur die Feuchtigkeit ausgebrannt iſt, welche die Tinctur verurſachte, ſo wird der Ueberreſt weiß, nicht aber voͤllig; denn etwas wird wieder von dem Rauch gefaͤrbt, welcher ſchwarz iſt. Deswegen wird auch die Lauge gelb, weil etwas Flammenartiges und Schwarzes das Waſſer faͤrbt.

2.

Die ſchwarze Farbe begleitet die Elemente, wenn ſie in einander uͤbergehen.

3.

Die uͤbrigen Farben aber entſtehen, wenn ſich jene einfachen vermiſchen und wechſelſeitig temperiren.

4.

Die Finſterniß entſteht, wenn das Licht mangelt.

5.

Schwarz erſcheint uns auf dreyerley Weiſe: denn, erſtens, was durchaus nicht geſehen wird, wenn man den umgebenden Raum ſieht, erſcheint uns als ſchwarz, ſo auch, zweytens, dasjenige, wovon gar kein Licht in das Auge kommt. Drittens nennen wir aber auch ſolche Koͤrper ſchwarz, von denen ein ſchwaches und ge - ringes Licht zuruͤckgeworfen wird.

6.

Deswegen halten wir auch die Schatten fuͤr ſchwarz.

26

7.

Ingleichen das Waſſer, wenn es rauh wird, wie das Meer im Sturm. Denn da von der rauhen Ober - flaͤche wenig Lichtſtrahlen zuruͤckgeworfen werden, viel - mehr das Licht ſich zerſtreut, ſo erſcheint das Schattige ſchwarz.

8.

Durchſichtige Koͤrper, wenn ſie ſehr dick ſind, z. B. die Wolken, laſſen kein Licht durch und erſchei - nen ſchwarz. Auch ſtrahlt, wenn ſie eine große Tiefe haben, aus Waſſer und Luft kein Licht zuruͤck, daher die mittlern Raͤume ſchwarz und finſter erſcheinen.

9.

Daß aber die Finſterniß keine Farbe ſey, ſondern eine Beraubung des Lichts, dieſes iſt nicht ſchwer aus verſchiedenen Umſtaͤnden einzuſehen; am meiſten aber daher: daß ſich nicht empfinden laͤßt, wie groß und von welcher Art das Gebilde derſelben ſey, wie es ſich doch bey andern ſichtbaren Dingen verhaͤlt.

10.

Daß aber das Licht zugleich die Farbe des Feuers ſey, iſt daraus deutlich, weil man an dieſem keine an - dere Farbe findet und weil es durch ſich allein ſichtbar iſt, ſo wie es alles uͤbrige ſichtbar macht.

11.

Das Gleiche gilt von einigem, was weder Feuer, noch feuerartig iſt, und doch Licht von ſich zu geben ſcheint.

27

12.

Die ſchwarze Farbe aber entſteht, wenn Luft und Waſſer vom Feuer verbrannt werden, deswegen alles angebrannte ſchwarz wird, wie z. B. Holz und Koh - len, nach ausgeloͤſchtem Feuer. Ja ſogar der Rauch, der aus dem Ziegel aufſteigt, iſt ſchwarz, indem die Feuchtigkeit, welche im Ziegel war, ſich abſondert und verbrennt.

13.

Deswegen auch der Rauch am ſchwaͤrzeſten iſt, der von Fett und harzigen Dingen aufſteigt, als von Oel, Pech und Kien; weil dieſe am heftigſten bren - nen und von gedraͤngter Natur ſind.

14.

Woran aber Waſſer herfließt, auch dieſes wird ſchwarz; denn hierdurch entſteht etwas moosartiges, deſ - ſen Feuchtigkeit ſodann austrocknet und einen ſchwaͤrz - lichen Ueberzug zuruͤck laͤßt, wie man am Bewurf der Waͤnde, nicht weniger an Steinen, welche im Bache liegen, ſehen kann.

Und ſo viel war von den einfachen Farben zu ſagen.

28

II. Von den mittlern oder gemiſchten Farben.

15.

Diejenigen Farben, welche aus der Miſchung (ϰρἀσις) der vorhergehenden, oder durch das Mehr und Weniger entſtehen, ſind viel und mannigfaltig. Durchs Mehr und Weniger erzeugen ſich die Stufen zwiſchen dem Scharlach und Purpur; durch die Mi - ſchung aber, z. B. des Schwarzen und Weißen, ent - ſteht das Grau.

16.

Auch wenn wir das Schwarze und Schattige mit dem Licht, welches von der Sonne oder dem Feuer her ſcheint, vermiſchen, ſo entſteht ein Gelbroth; in - gleichen wird das Schwarze, das ſich entzuͤndet, roth, z. B. rauchende Flamme und gluͤhende Kohlen.

17.

Eine lebhafte und glaͤnzende Purpurfarbe aber er - ſcheint, wenn, mit maͤßigem und ſchattigem Weiß, ſchwache Sonnenſtrahlen temperirt werden.

18.

Deswegen auch, um die Gegend des Aufgangs und Untergangs, wenn die Sonne dahin tritt, die Luft purpurfarb ausſieht; denn die ſchwachen Strahlen29 fallen alsdann meiſtentheils in die ſchattige Atmo - ſphaͤre.

19.

Auch das Meer erſcheint purpuraͤhnlich, wenn die erregten Wellen beym Niederbeugen beſchattet werden, indem die Sonnenſtrahlen nur ſchwach in die Biegung einfallen koͤnnen.

20.

Ein gleiches erblicken wir auch auf den Federn, denn wenn ſie in einem gewiſſen Sinne gegen das Licht ausgebreitet werden, ſo haben ſie eine Purpur - farbe, wenn aber weniger Licht einfaͤllt, eine dunkle, die man orphninos nennt.

21.

Wird aber das Licht, durch ein haͤufiges und rei - nes Schwarz, gemaͤßigt, ſo erſcheint ein Gelbroth, das, ſo wie es lebhaft wird und leuchtet, in Flam - menfarbe uͤbergeht.

22.

Dieſe Erſcheinungen koͤnnen wir daher als die wechſelſeitigen Wirkungen des gewiſſermaßen verkoͤr - perten Schwarzen und Weißen von der einen, und des Lichts von der andern Seite, recht wohl annehmen, ohne zu behaupten, daß gedachte Farben immer auf dieſelbe Weiſe entſtehen muͤſſen.

23.

Denn es iſt bey den Farben nicht allein das ein - fache Verhaͤltniß zu betrachten, ſondern es giebt auch30 zuſammengeſetzte, die ſich verhalten wie die einfachen; jedoch, da ihre Miſchungen einigen Spielraum haben, nicht eben eine entſchiedene, voraus zu ſagende Wir - kung hervorbringen.

24.

Wenn wir z. B. von der Entſtehung der blau - oder gelbrothen Farbe ſprechen, ſo muͤſſen wir auch die Erzeugung ſolcher Farben angeben, die aus dieſen ge - miſcht werden und eine ganz verſchiedene Erſcheinung verurſachen, und zwar ſollen wir immer aus den an - gezeigten Grundſaͤtzen folgern. So erzeugt ſich die Weinfarbe, wenn mit reinem und leuchtendem Schwarz ſich lichte Strahlen verbinden. Dies geſchieht auch koͤrperlich an den Weinbeeren; denn indem ſie reifen, ſind ſie von weinhafter Farbe, wenn ſie ſich aber ſchwaͤrzen, ſo geht das Gelbrothe ins Blaurothe hin - uͤber.

25.

Nun muß man aber auf die angezeigte Weiſe alle Verſchiedenheit der Farben betrachten, welche bey man - nigfaltiger Bewegung ſich doch ſelber aͤhnlich bleiben, je nachdem ihre Miſchung beſchaffen iſt; und ſo wer - den wir uns von den Urſachen der Erſcheinung, wel - che ſie ſowohl beym Entſtehen, als beym wechſelſeiti - gen Wirken hervorbringen, voͤllig uͤberzeugen. Allein man muß die Betrachtung hieruͤber nicht anſtellen, in - dem man die Farben vermiſcht, wie der Maler, ſon - dern indem man, wie vorgeſagt, die zuruͤckgeworfe - nen Strahlen auf einander wirken laͤßt, denn auf die -31 ſe Weiſe kann man am beſten die Verſchiedenheiten der Farben betrachten. Als Beweiſe aber muß man die einfacheren Faͤlle aufzuſuchen verſtehen, in welchen man den Urſprung der Farben deutlich erkennt; deshalb muß man beſonders das Licht der Sonne, Feuer, Luft und Waſſer vor Augen haben; denn, indem dieſe mehr oder weniger auf einander wirken, vollenden ſie, kann man ſagen, alle Farben. Ferner muß man nach der Aehn - lichkeit anderer, mehr koͤrperlichen, Farben ſehen, wel - che ſich mit leuchtenden Strahlen vermiſchen. So bringen z. B. Kohlen, Rauch, Roſt, Schwefel, Fe - dern, indem ſie theils von den Sonnenſtrahlen, theils von dem Glanze des Feuers temperirt werden, viele und mannigfaltige Farbenveraͤnderungen hervor.

26.

Auch iſt zu betrachten, was durch (organiſche) Ko - chung in Pflanzen, Fruͤchten, Haaren, Federn und dergleichen bewirkt wird.

III. Von der Unbeſtimmbarkeit der Farben.

27.

Es darf uns aber nicht verborgen bleiben, woher das Vielfaͤltige und Unbeſtimmbare der Farben entſtehe, indem wir finden, daß die Verbindung des Lichts und32 des Schattens ſich ungleich und unregelmaͤßig ereigne. Beyde ſind, durch das Mehr oder Weniger, gar ſehr von einander unterſchieden, daher ſie, ſowohl unter ſich, als wenn ſie mit den Farben vermiſcht werden, viele Farbenveraͤnderungen hervorbringen; theils weil das, was nun zuſammen wirkt, an Menge und an Kraͤften ſich nicht gleich iſt, theils weil ſie gegen ein - ander nicht dieſelben Beziehungen haben. Und ſo ha - ben denn auch die Farben in ſich viel Verſchiedenhei - ten, das Blaurothe, ſo wie das Gelbrothe, ingleichen das Weiße und ſo auch die uͤbrigen, ſowohl wegen des Mehr oder Weniger, als wegen wechſelſeitiger Mi - ſchung, oder Reinheit.

28.

Denn es macht einen Unterſchied, ob dasjenige, was zugemiſcht wird, leuchtend und glaͤnzend ſey, oder im Gegentheil ſchmutzig und glanzlos. Das Glaͤnzende aber iſt nichts anders als die Gedraͤngtheit und Dicht - heit des Lichtes. So entſteht die Goldfarbe, wenn das Gelbe und Sonnenhafte, verdichtet, ſtark leuchtet, deswegen auch die Haͤlſe der Tauben und die Waſſer - tropfen golden erſcheinen, wenn das Licht zuruͤckgewor - fen wird.

29.

Es giebt auch Koͤrper, welche, indem ſie durch Reiben oder ſonſt eine Gewalt glatt werden, eine Ver - aͤnderung verſchiedener Farben zeigen, wie abgeriebenes Silber, Gold, Erz und Eiſen.

33

30.

Auch bringen gewiſſe Steinarten mehrerley Farben hervor, z. B. (der Schiefer) der indem er ſchwarz iſt, weiße Linien zieht. Bey ſolchen Koͤrpern ſind die Ur - Theile klein, dicht und ſchwarz, das Gewebe des Steins aber ward, bey ſeiner Entſtehung, mit allen ſeinen Gaͤngen, beſonders gefaͤrbt, daher man auch aͤußerlich entweder dieſe oder jene Farbe ſieht. Das vom Koͤrper Abgeriebene aber erſcheint nicht mehr gold - oder kupferfarbig, noch auf irgend eine Weiſe gefaͤrbt, ſondern ganz ſchwarz, weil das anders gefaͤrbte Ge - webe zerriſſen iſt und nun die uranfaͤngliche Natur der kleinſten Theile geſehen wird.

Streicht man aber einen ſolchen Koͤrper an etwas Gleiches und Glattes, wie z. B. an einen Probier - ſtein, ſo kommt ſeine Urfarbe, die ſchwarze nehmlich, nicht zum Vorſchein, ſondern er zeigt die Farbe wo - mit ſein Gewebe bey deſſen erſter Schichtung und Ver - bindung tingirt ward.

31.

Unter den brennenden, im Feuer ſich aufloͤſenden und ſchmelzenden Koͤrpern zeigen ſolche, deren Rauch duͤnn und luftartig iſt, die verſchiedenſten Farben, wie der Schwefel und die roſtenden Kupfergefaͤße; auch Koͤrper, welche dicht und glatt ſind, wie das Silber.

32.

Auch andere Koͤrper, welche ſchattige Farben zei - gen, ſind gleichfalls glatt, wie z. B. das WaſſerII. 334und die Wolken und die Federn der Voͤgel; denn weil hier die Strahlen auf die Glaͤtte fallen, und bald ſo oder ſo temperirt werden, entſtehen verſchiedene Farben, wie auch durch die Finſterniß geſchieht.

33.

Keine Farbe ſehen wir aber rein, wie ſie iſt, ſon - dern entweder durch den Einfluß fremder Farben, oder durch Licht und Schatten veraͤndert; wir moͤgen daher einen Koͤrper in den Sonnenſtrahlen oder im Schat - ten ſehen, bey ſtarker oder ſchwacher Beleuchtung, bey der oder jener Neigung der Flaͤchen; immer wird die Farbe anders erſcheinen.

34.

Eben ſo geſchieht es bey Feuer -, Monden - oder Lampenlicht; denn ein jedes von dieſen hat eine eigene Farbe. Wenn ſie nun mit der Farbe des Koͤrpers durch einander ſpielt, ſo entſteht die gemiſchte Farbe, die wir ſehen.

35.

Wenn das Licht auf irgend einen Koͤrper faͤllt und dadurch z. B. einen purpurnen oder gruͤnen Schein an - nimmt, von da aber auf einen andern Koͤrper geworfen wird und von der Farbe deſſelben abermals eine Ver - aͤnderung erleidet; ſo geſchieht dieß zwar in der That, doch nicht fuͤr die Empfindung: denn das Licht kommt zum Auge von vielerley Farben getraͤnkt, aber nur die - jenige, welche vorzuͤglich wirkt, wird empfunden. So erſcheint im Waſſer alles waſſerhaft, im Spiegel nach35 der Farbe des Spiegels, und wir koͤnnen vermuthen, daß es in der Luft auch alſo geſchehe.

36.

Wir finden alſo, daß alle gemiſchte Farben aus drey Urſpruͤngen erzeugt werden, aus dem Licht, durch das Mittel, wodurch das Licht erſcheint, als Waſſer oder Luft, und ſodann von den untergelegten Farben, von denen das Licht zuruͤck geworfen wird.

37.

Das Weiße und Durchſcheinende, wenn es ſehr duͤnn iſt, erſcheint luftfaͤrbig, an allem Dichten aber erſcheint eine gewiſſe Truͤbe, z. B. am Waſſer, am Glas, an dunſtiger Luft; denn wegen der Dichte nehmen die Strahlen uͤberall ab, und wir koͤnnen das, was in die - ſen Mitteln iſt, nicht deutlich erkennen. Die Luft, wenn wir ſie nahe ſehen, ſcheint keine Farbe zu haben, denn ſie wird, weil ſie duͤnn iſt, von den Strahlen uͤberwunden und getheilt, indem dieſe maͤchtiger ſind und durch ſie hindurch ſcheinen. Wenn man aber die Luft in einiger Tiefe ſieht, ſo erſcheint ſie, wenn ſie noch duͤnn genug iſt, blau; denn wo das Licht abnimmt, wird die Luft von der Finſterniß aufgefaßt und erſcheint blau; verdichtet aber iſt ſie, wie das Waſſer, ganz weiß.

3 *36

IV. Von kuͤnſtlichen Farben.

38.

Uebrigens was gefaͤrbt wird (vorausgeſetzt daß es ganz weiß ſey), empfaͤngt ſeine Farbe von dem Faͤrbenden. So wird vieles durch Blumen, Wurzeln, Rinden, Hoͤl - zer, Blaͤtter und Fruͤchte gefaͤrbt, ſodann vieles mit Erde, Schaum und metalliſchen Tinten, auch mit thieri - ſchen Saͤften, wie das Blaurothe durch die Purpur - ſchnecke. Einiges wird mit Wein, einiges mit Rauch, mit Lauge, ja ſogar durch das Meer gefaͤrbt, wie die Haare der Seeleute, denn dieſe werden roth, und uͤberhaupt mit allen Koͤrpern, welche eigene Farben ent - halten.

Denn verbunden mit dem Feuchten und Warmen, dringen ſolche Farben in die Gaͤnge der Koͤrper ein, und wenn dieſe trocken ſind, ſo haben ſie die Farben ſich zu - geeignet, ja man kann oͤfters die Farbe auswaſchen, indem ſie aus den Poren wieder ausfließt.

Auch macht der Gebrauch zuſammenziehender In - gredienzien beym Faͤrben großen Unterſchied, ſowohl der Miſchung, als auch uͤberhaupt deſſen, was die Koͤrper dabey erleiden.

Man faͤrbt auch ſchwarze Felle; an dieſen wird aber die Farbe nicht ſonderlich ſcheinbar, indem ſich zwar, ſowohl die Farbe, als die innern Gaͤnge der37 Wolle einander wechſelsweiſe aufnehmen, aber das Ge - webe der Haare ſelbſt die Farbe nicht annimmt.

Das Weiße hat zu den Farben ein reines Ver - haͤltniß und bewirkt eine glaͤnzendere Erſcheinung der Bluͤthe; das Schwarze hingegen macht ſich dunkel, obgleich die Farbe, welche ſie Orphnios nennen, ſich bluͤhender auf Schwarz als auf Weiß ausnimmt, weil ihre Bluͤthe durch die Strahlen des Schwarzen geho - ben wird.

Die Zwiſchenraͤume der Gaͤnge ſieht man aber an ſich ſelbſt nicht, wegen ihrer Kleinheit, ſo wie man die Theile des Zinnes und des Kupfers nicht unterſchei - den kann, wenn beyde Metalle gemiſcht ſind.

Und ſo werden aus vorgemeldeten Urſachen die Farben der gefaͤrbten Dinge veraͤndert.

V. Von Veraͤnderung der Farben, an den Pflanzen, durch organiſche Kochung.

39.

Die Haare aber, die Federn, Blumen, Fruͤchte und alle Pflanzen nehmen durch Kochung alle Veraͤn - derung der Farben an, wie ſolches aus vielerley Faͤllen deutlich iſt. Was aber die einzelnen Dinge, die aus der Erde wachſen, fuͤr Anfaͤnge der Farben haben, was fuͤr Veraͤnderungen mit ihnen vorgehen und warum38 ſie ſolches leiden, daruͤber kann man, wenn auch einige Zweifel dieſe Betrachtungen begleiten ſollten, folgender - maßen denken:

40.

In allen Pflanzen iſt der Anfang der Farbe gruͤn, und die Knospen, die Blaͤtter und die Fruͤchte ſind im Anfange von dieſer Farbe.

41.

Man kann auch ebendaſſelbe am Regenwaſſer ſehen, denn wenn es eine Weile geſtanden hat und ſodann ver - trocknet, ſo erhaͤlt es eine gruͤne Farbe.

42.

Auf dieſe Weiſe geſchieht es, daß allem demjenigen, was aus der Erde waͤchſt, die gruͤne Farbe zuerſt ange - hoͤrt; denn altes Waſſer, worauf die Sonnenſtrahlen gewirkt haben, hat anfaͤnglich dieſe Farbe, hernach wird ſie allmaͤhlig ſchwarz; vermiſcht man ſie aber aufs neue mit dem Gelben, ſo erſcheint ſie wieder gruͤn. Denn das Feuchte, wie ſchon geſagt iſt, das in ſich ſelbſt ver - altet und austrocknet, wird ſchwarz, wie der Bewurf von den Waſſerbehaͤltern, ſo wie alles, was ſich immer unter dem Waſſer befindet; weil die der Luft aus - geſetzte Feuchtigkeit austrocknet. Schoͤpft man es aber und bringt es an die Sonne, ſo wird es gruͤn, weil ſich das Gelbe mit dem Schwarzen ver - bindet, wenn aber die Feuchtigkeit mehr ins Schwarze faͤllt, ſo giebt es ein ſehr geſaͤttigtes, lauchfarbes Gruͤn.

39

43.

Deswegen auch alle aͤltere Knospen ſchwaͤrzer ſind als die neuen; dieſe aber gelblicher, weil die Feuchtig - keit in ihnen ſich noch nicht voͤllig geſchwaͤrzt hat. Wenn nun aber, bey langſamerem Wachsthum, die Feuch - tigkeit lange in ihnen verweilt, ſo wird das der Luft ausgeſetzte Feuchte nach und nach ſchwarz und die Farbe lauchartig, indem ſie durch ein ganz reines Schwarz temperirt iſt.

44.

Diejenigen Theile der Pflanzen aber, in denen das Feuchte nicht mit den Sonnenſtrahlen gemiſcht wird, bleiben weiß, wenn ſie nicht etwa ſchon ver - altet und ausgetrocknet und daher ſchwarz geworden ſind.

45.

Deswegen auch an den Pflanzen alles, was uͤber der Erde ſteht, zuerſt gruͤn iſt, unter der Erde aber Sten - gel, Wurzeln und Keime die weiße Farbe haben. So wie man ſie aber von der Erde entbloͤßt, wird, wie geſagt iſt, alles gruͤn; weil die Feuchtigkeit, welche durch die Keime zu den uͤbrigen Theilen durchſeigt, die Natur dieſer Farbe hat und zu dem Wachsthum der Fruͤchte ſogleich verbraucht wird.

46.

Wenn die Fruͤchte aber nicht mehr zunehmen, weil die Waͤrme die zufließende Nahrung nicht mehr beherr - ſchen kann, ſondern die Feuchtigkeit nur von der Waͤrme40 aufgeloͤſt erhalten wird, ſo reifen alle Fruͤchte, und in - dem, theils von der Sonnenwaͤrme, theils von der Waͤrme der Luft, die Feuchtigkeit, die ſich in den Fruͤch - ten befindet, gar gekocht worden, nehmen ſie nun an - dere Farben an, welche den Pflanzen eigen ſind, wie wir ein Aehnliches beym Faͤrben (38) geſehen haben; und ſo faͤrben ſie ſich lang am; ſtark aber faͤrben ſich die Theile, welche gegen die Sonne und die Waͤrme ſtehen.

47.

Deswegen verwandeln die Fruͤchte ihre Farben mit den Jahrszeiten.

48.

Wie bekannt iſt. Denn was vorher gruͤn war, nimmt, wenn es reift, die Farbe an, die ſeiner Na - tur gemaͤß iſt.

49.

Denn ſie koͤnnen weiß, ſchwarz, braun, gelb, ſchwaͤrzlich, ſchattenfaͤrbig, gelbroth, wein - und ſafran - farbig werden und beynahe alle Farbenunterſchiede an - nehmen.

50.

Wenn nun aber uͤberhaupt die Mannigfaltigkeit der Farben daher entſteht, daß mehrere wechſelsweiſe Ein - fluß auf einander haben, ſo folgt auch, daß bey den Far - ben der Pflanzen derſelbe Fall ſey.

Die Feuchtigkeit, indem ſie die Pflanzengefaͤße durchſeihet und durchſpuͤlet, nimmt alle Farbenkraͤfte in ſich, und wenn ſie nun, beym Reifen der Fruͤchte, durch Sonnen - und Luftwaͤrme durchgekocht wird, treten41 die einzelnen Farben in ſich zuſammen und erſcheinen abgeſondert, einige ſchneller, andere langſamer.

Etwas Aehnliches begegnet beym Purpurfaͤrben. Denn wenn man die Schnecke zerſtoͤßt, ihre Feuchtig - keit auspreßt und im Keſſel kocht; ſo iſt in der Kuͤpe zuerſt keine beſtimmte Farbe zu ſehen, nach und nach aber trennen ſich die eingebornen Farben und miſchen ſich wieder, wodurch denn die Mannigfaltigkeit ent - ſteht, als Schwarz, Weiß, Schatten - und Luftfarbe. Zuletzt wird alles purpurfarbig, wenn die Farben ge - hoͤrig zuſammengekocht ſind, ſo daß wegen ihrer Mi - ſchung und Uebergang aus einer in die andere keine der einzelnen Farben an ſich mehr zu ſehen iſt.

51.

Dieſes begegnet auch an Fruͤchten. Denn bey vielen werden nicht alle Farben auf einmal gar ge - kocht, ſondern einige zeigen ſich fruͤher, andere ſpaͤter, und eine wird in die andere veraͤndert, wie man an den Trauben und Datteln ſieht. Denn dieſe letzten werden zuerſt roth; wenn aber das Schwarze in ihnen in ſich zuſammentritt, gehen ſie in die Weinfarbe uͤber. Zuletzt werden ſie blau, wenn das Rothe mit vielem und reinem Schwarz gemiſcht iſt.

52.

Denn die Farben, welche ſpaͤter entſtehen, ver - aͤndern, wenn ſie vorwalten, die erſten Farben, wel - ches beſonders bey ſchwarzen Fruͤchten deutlich iſt. Denn die meiſten, welche zuerſt gruͤn ausſehen, nei -42 gen ſich ein wenig ins Rothe und werden dann feuer - farb, aber bald veraͤndern ſie auch dieſe Farbe wieder, weil ein reines Schwarz ſich urſpruͤnglich in ihnen befindet.

53.

Es iſt offenbar, daß auch die Reiſer, die Haͤr - chen und die Blaͤtter dieſer Pflanzen einige Schwaͤrze zeigen, weil ſich eine ſolche Farbe haͤufig in ihnen befindet; daß aber die ſchwarzen Fruͤchte beyde Farben in ſich haben, zeigt der Saft, welcher weinhaft ausſieht.

54.

Bey der Entſtehung aber iſt die rothe Farbe ſpaͤter als die ſchwarze, wie man an dem Pflaſter unter den Dachtraufen ſieht und uͤberall, wo an ſchattigen Orten maͤßiges Waſſer fließt; alles verwandelt ſich da aus der gruͤnen in die rothe Farbe und das Pflaſter wird, als wenn beym Schlachten friſches Blut ausgegoſſen worden waͤre. Denn die gruͤne Farbe iſt hier weiter durchgekocht worden, zuletzt aber wirds auch hier ſehr ſchwarz und blau, wie es an den Fruͤchten geſchieht.

55.

Davon aber, daß die Farbe der Fruͤchte ſich ver - wandelt, wenn die erſten Farben durch die folgenden uͤberwaͤltigt werden, laſſen ſich Beyſpiele an der Frucht des Granatbaums und an den Roſenblaͤttern zeigen; denn beyde ſind anfaͤnglich weiß, zuletzt aber, wenn die Saͤfte aͤlter und durch Kochung gefaͤrbt werden, ſo verwandeln ſie ſich in Purpur und hochrothe Farbe.

43

56.

Manche Koͤrper haben mehrere Farben in ſich, wie der Saft des Mohns und die Neige des ausgepreßten Olivenoͤls; auch dieſe ſind anfangs weiß, wie der Granatapfel, ſodann gehen ſie ins Hochrothe uͤber, zu - letzt aber, wenn viel Schwarzes dazu kommt, wird die Farbe blau, deswegen auch die Blaͤtter des Mohns oberhalb roth ſind, weil die Kochung in ihnen ſehr ſchnell vorgeht, gegen den Anſatz aber ſchwarz, da be - reits dieſe Farbe in ihnen die Oberhand hat, wie auch bey der Frucht, die zuletzt ſchwarz wird.

57.

Bey ſolchen Pflanzen aber, in welchen nur Eine Farbe herrſcht, etwa die weiße, ſchwarze, hochrothe, oder violette, behalten auch die Fruͤchte diejenige Farbe, in welche ſie ſich einmal aus dem Gruͤnen veraͤn - dert haben.

58.

Auch findet man bey einigen, daß Bluͤthe und Frucht gleiche Farbe hat, wie z. B. am Granatapfel; denn hier iſt die Frucht ſo wie die Bluͤthe roth. Bey andern aber iſt die Farbe beyder ſehr verſchieden, wie beym Lorber und Epheu; denn an dieſen ſehen wir die Bluͤthe ganz gelb und die Frucht ſchwarz. Die Bluͤthe des Apfels neigt ſich aus dem Weißen ins Pur - purfarbne, die Frucht hingegen iſt gelb. Die Blume des Mohns iſt roth, aber die Frucht bald weiß, bald ſchwarz; weil die Kochung der einwohnenden Saͤfte zu verſchiedenen Zeiten geſchieht.

44

59.

Dieſes bewaͤhrt ſich aber auf vielerley Weiſe. Denn einige Fruͤchte veraͤndern, mit der fortſchreitenden Ko - chung, ſowohl Farbe als Geruch und Geſchmack. Auch iſt hierin zwiſchen Blume und Frucht oft ein großer Unterſchied.

Ja, an einer und derſelben Blume bemerkt man eine ſolche Mannigfaltigkeit, indem das eine Blatt ſchwarz, das andere roth, das eine weiß, das andere purpurfarb ſeyn kann, welches auffallend an der Iris geſehen wird; denn, wegen mannigfaltiger Kochung, hat dieſe Blume die verſchiedenſten Farben.

Ein gleiches geſchieht an den Trauben, wenn ſie reifen.

Auch werden die Enden der Blumenblaͤtter am meiſten ausgekocht, denn da, wo ſie am Stiel anſitzen, ſind ſie weniger gefaͤrbt.

60.

Faſt wird auch an einigen das Feuchte gleichſam aus - gebrannt, ehe es ſeine eigentliche Kochung erreicht; da - her behalten die Blumen ihre Farbe, die Fruͤchte aber bey fortſchreitender Kochung veraͤndern die ihrige. Denn die Blumenblaͤtter ſind, wegen der geringen Nah - rung, gleich durchgekocht; die Fruͤchte aber laſſen ſich, wegen der Menge Feuchtigkeit, die in ihnen wohnt, beym Auskochen, durch alle Farben durchfuͤhren, die ihrer Natur gemaͤß ſind.

Etwas Aehnliches geſchieht, wie ſchon vorher geſagt worden iſt, auch beym Faͤrben. Denn im Anfang,45 wenn die Purpurfaͤrber die Blutbruͤhe anſetzen, wird ſie dunkel, ſchwarz und luftfarbig; iſt aber die Maſſe genug durchgearbeitet, ſo wird die Purpurfarbe bluͤhend und glaͤnzend.

Daher muͤſſen auch die Blumen an Farbe von den Fruͤchten ſehr unterſchieden ſeyn; einige uͤberſteigen gleichſam das Ziel, das ihnen die Natur geſteckt hat, andre bleiben dahinter zuruͤck, die einen, weil ſie eine vollendete, die andern, weil ſie eine unvollendete Ko - chung erfahren.

Dieß ſind nun die Urſachen, warum Bluͤthen und Fruͤchte von einander unterſchiedene Farben zeigen.

61.

Die meiſten Blaͤtter mehrerer Baͤume aber werden zuletzt gelb, weil die Nahrung abnimmt und ſie eher welken, als ſie in die (hoͤchſte) Farbe, die ihrer Natur moͤglich iſt, uͤbergehen. Auch werden einige abfallende Fruͤchte gelb, weil ihnen die Nahrung vor der vollkom - menen Kochung ausgeht.

62.

Ferner wird ſowohl der Waizen, als alles, was unmittelbar aus der Erde waͤchſt, zuletzt gelb; denn in ſolchen Pflanzen wird das Feuchte nicht ſchwarz, ſon - dern, weil ſie ſchnell trocknen, geſchieht ein Ruͤckſchritt in der Farbe.

Denn das Schwarze, mit dem Gelbgruͤnen verbunden, wird, wie geſagt, grasgruͤn; wo aber das Schwarze immer ſchwaͤcher wird, geht die Farbe wieder ins Gelb - gruͤne und dann ins Gelbe.

46

Zwar werden die Blaͤtter des Apium und der An - drachne, auch einiger andern Pflanzen, wenn ſie voll - kommen durchgekocht ſind, hochroth; aber was an ihnen geſchwind trocknet, wird gelb, weil ihm die Nahrung vor der voͤlligen Kochung abgeht.

Daher kann man ſchließen, daß der Unterſchied der Pflanzen (- Farben) ſich aus den vorgeſagten Urſa - chen herſchreibt.

VI. Von den Farben der Haare, Federn und Haͤute.

63.

Auch die Haare, Federn und Haͤute der Pferde, Ochſen, Schafe und Menſchen, ſo wie aller andern Thiere, werden weiß, grau, roth oder ſchwarz, aus derſelben Urſache.

64.

Und zwar werden ſie weiß, wenn das Feuchte, indem es vertrocknet, ſeine eigne Farbe behaͤlt.

65.

Schwarz hingegen werden ſie, wenn das urſpruͤng - liche Feuchte haͤufig genug vorhanden iſt, ſo daß es langſam altern und zeitigen kann. Auf dieſe Weiſe werden Felle und Haͤute ſchwarz.

47

66.

Koͤrper hingegen, welche eine braune, rothe, gelbe, oder ſonſt eine Farbe haben, ſind ſolche, die fruͤher aus - trocknen, ehe das Feuchte vollkommen in die ſchwarze Farbe uͤbergeht.

67.

Wenn aber dieſes (Austrocknen) ungleich geſchieht, ſo werden auch die Farben verſchieden, wobey ſich die Farbe der Haare nach der Farbe der Haut richtet. So ſind die Haare roͤthlicher Menſchen hellroth, ſchwar - zer Menſchen aber ſchwarz. Bricht aber eine weiße Stelle hervor, ſo ſind die Haare ebenfalls auf der Stelle weiß, wie man auch bey ſcheckigen Thieren ſieht, und ſo richten ſich Haare und Federn nach der Haut, ent - weder zum Theil, oder im Ganzen.

68.

So verhaͤlt ſichs auch mit dem Hufe, den Klauen, dem Schnabel und den Hoͤrnern. An ſchwarzen Thieren werden ſie ſchwarz, an weißen aber weiß; weil auch bey dieſen Theilen die Nahrung, durch die Haut, nach der aͤußeren Bedeckung durchſeihet.

69.

Daß aber die angegebene Urſache die richtige ſey, laͤßt ſich an mancherley Faͤllen erkennen. Denn die Haͤupter aller Knaben ſind anfangs roth, wegen gerin - gerer Nahrung, eben deßhalb ſind die Haare ſchwach, duͤnn und kurz; bey fortſchreitendem Alter hingegen48 werden ſie ſchwarz, wenn die Kinder durch die Menge der zufließenden Nahrung mehr Farbe gewinnen.

70.

So iſt es auch mit den Milchhaaren und dem Barte beſchaffen. Wenn dieſe ſich zu zeigen anfangen, ſo werden ſie geſchwind roth, wegen der wenigen Feuch - tigkeit, die in ihnen austrocknet; wenn aber etwas mehr Nahrung zugefuͤhrt wird, ſo werden ſie gleichfalls ſchwarz.

71.

An dem Koͤrper alſo bleiben die Haare ſo lange roth, als ihnen die Nahrung fehlt; wenn ſie aber wachſen, ſo werden ſie auch ſchwarz, ſowohl am Bart, als auf der Scheitel.

Auch ſtreitet fuͤr unſere Meinung der Umſtand, daß bey ſolchen Geſchoͤpfen, welche lange Haare haben, in der Naͤhe des Koͤrpers die Haare ſchwaͤrzer, gegen die Spitzen aber gelber werden, wie man bey Scha - fen, Pferden und Menſchen ſieht; weil gegen die Enden weniger Nahrung hingefuͤhrt wird und ſie da - ſelbſt ſchneller vertrocknet.

72.

Auch die Federn ſchwarzer Voͤgel ſind in der Naͤhe des Leibes am ſchwaͤrzeſten, an den Enden aber gelber. So verhalten ſie ſich auch um den Hals und uͤberhaupt wo ſie geringere Nahrung empfangen.

Imgleichen gehen alle Haare nach der Vollendung zuruͤck und werden braunroth, weil die nun wieder ab - nehmende Nahrung ſchnell vertrocknet.

49

73.

Zuletzt aber werden ſie weiß, wenn die Nahrung in denſelben ausgekocht wird, ehe das Feuchte ſchwarz werden kann. Dieß iſt am ſichtbarſten bey Thieren, welche unter dem Joche gehen. An ſolcher Stelle wer - den die Haare durchaus weiß; denn es kann daſelbſt die Nahrung nicht gleichfoͤrmig angezogen werden, und bey einer ſchwachen Waͤrme vertrocknet die Feuchtigkeit zu geſchwind und wird weiß.

74.

Um die Schlaͤfe werden die Haare am fruͤheſten grau, ſo wie uͤberhaupt an ſchwachen und leidenden Stellen.

Vorzuͤglich aber gehen Geſchoͤpfe, wenn ſie ausar - ten, in dieſe Farbe hinuͤber. So gibt es weiße Haa - ſen, weiße Hirſche und Baͤren, auch kommen weiße Wachteln, Rebhuͤhner und Schwalben vor. Dieſes alles geſchieht bey einer ſchwachen Zeugung und wegen Mangel von naͤhrendem Stoff, der zu fruͤh austrocknet, und ſo werden ſie weiß.

75.

So ſind auch anfangs die Kopfhaare der Kinder weiß, die Augenbraunen und Wimpern. Nicht weniger erfaͤhrt auch jedermann im Alter, daß ſich die Haare bleichen, wegen Schwaͤche und Mangel an Nahrung.

76.

Deßhalb ſind auch meiſtentheils die weißen Thiere ſchwaͤcher als die ſchwarzen; denn ehe ihr Bau vollen -II. 450det werden kann, iſt ſchon ihre mangelhafte Nahrung durchgekocht, und ſo werden ſie weiß. Eben dieſes be - gegnet den Fruͤchten, welche kraͤnkeln, denn dieſe ſind auch wegen ihrer Schwaͤche bald durchgekocht.

77.

Die Thiere aber, welche weiß werden und von andern auf dieſe Art ſich unterſcheiden, als Pferde und Hunde, gehen aus ihrer natuͤrlichen Farbe in das Wei - ße hinuͤber wegen reichlicher Nahrung; denn das Feuch - te in ihnen veraltet nicht, ſondern wird zum Wachs - thum verbraucht und weiß. Die meiſten dieſer Ge - ſchoͤpfe ſind feucht und fruchtbar, wegen reichlicher Nahrung, daher auch die weiße Farbe in keine andere uͤbergeht, (weil ſie ſchon das Ende erreicht hat,) ſo wie dagegen ſchwarze Haare, ehe ſie grau werden, durch das Rothe durchgehen und zuletzt weiß werden.

78.

Uebrigens glauben einige alles werde ſchwarz, weil die Nahrung von der Waͤrme verbrannt werde, ſo wie beym Blut und manchem andern geſchieht, worinn ſie jedoch irren.

Denn einige Thiere werden gleich anfangs ſchwarz, als Hunde, Ziegen und Ochſen und uͤberhaupt alle diejenigen, deren Haͤute und Haare von Anfang genug - ſame Nahrung haben, bey fortſchreitenden Jahren aber weniger. Doch ſollten, (wenn jene Meynung wahr waͤre,) die Haare zu Anfang vielmehr weiß ſeyn und erſt, wenn das Thier auf dem Gipfel ſeiner Kraft51 ſteht, ſchwarz werden, als um welche Zeit auch ſeine Waͤrme den hoͤchſten Punkt erreicht hat. Denn zu An - fang der Organiſation iſt die Waͤrme viel ſchwaͤcher, als um die Zeit, wo (ſonſt) das Haar (wieder) weiß zu werden anfaͤngt.

79.

Die Unrichtigkeit jener Meynung ergibt ſich auch an den weißen Thieren. Einige ſind naͤmlich gleich anfaͤnglich von der weißeſten Farbe, denen gleich An - fangs die meiſte Nahrung zufließt, und in denen die Feuchtigkeit nicht vor der Zeit vertrocknet; hingegen bey fortſchreitendem Alter, wenn ihnen mindere Nah - rung zufließt, werden ſie gelb. Andere ſind von An - fang gelb und auf dem Gipfel ihres Wachsthums ſehr weiß. Wie denn auch die Farbe der Voͤgel ſich wie - der veraͤndert; wenn die Nahrung abnimmt, werden ſie alle gelb, beſonders um den Hals, und uͤberhaupt an allen den Stellen, welche bey abnehmender Feuchtigkeit Mangel an Nahrung haben. Denn ſo wie das Roͤth - liche ins Weiße ſich verwandelt, und das Schwarze ins Roͤthliche; ſo geht auch das Weiße ins Gelbe uͤber.

80.

Etwas Aehnliches begegnet auch mit den Pflanzen. Denn einige, wenn ſie ſchon durch Kochung in eine andere Farbe uͤbergegangen, kehren doch wieder zur er - ſten zuruͤck. Dieſes iſt am deutlichſten am Granat - apfel zu ſehen; denn im Anfange ſind die Kerne der4 *52Aepfel roth, ſo wie die Blaͤtter, weil nur geringe Nahrung ausgekocht wird, dann werden ſie gruͤn, wenn viel Saft zuſtroͤmt und die Kochung nicht mit gleicher Kraft vor ſich geht. Zuletzt aber, wenn die Kochung vollendet iſt, entſteht wieder die rothe Farbe.

81.

Ueberhaupt aber gilt von den Haaren und Federn, daß ſie ſich veraͤndern, theils, wenn ihnen die Nah - rung fehlt, theils, wenn ſie zu reichlich iſt. Deßhalb werden auf verſchiedenen Stufen des Alters die Haare ſehr weiß, ſo wie ſehr ſchwarz. Manchmal gehen ſo - gar die Rabenfedern in eine gelbe Farbe uͤber, wenn ihnen die Nahrung mangelt.

82.

Unter den Haaren gibt es aber keine ſcharlach - noch purpurrothe, ſo wenig als lauchgruͤne oder von ſonſt einer Farbe dieſer Art, weil dieſe Farben zu ih - rer Entſtehung die Beymiſchung der Sonnenſtrahlen beduͤrfen. Dieſe nehmen aber die feuchten Haare nicht an, ſondern ſie ſind an innere Veraͤnderungen gebun - den. Dagegen ſind die Federn zu Anfang nicht wie in der Folge gefaͤrbt. Denn auch die bunten Voͤgel haben anfangs faſt alle ſchwarze Federn, als der Pfau, die Taube und die Schwalbe. Nachher nehmen ſie aber große Mannigfaltigkeit an, indem die Kochung außerhalb des Koͤrpers vor ſich geht, ſowohl in den Kielen als in den Verzweigungen derſelben, wie bey den Pflanzen außerhalb der Erde; (daher koͤnnen die53 Lichtſtrahlen zu Entſtehung mannigfaltiger Farben mit - wirken.)

So haben auch die uͤbrigen Thiere, die ſchwim - menden, kriechenden und beſchaalten, alle Arten der Farben, weil bey ihnen auch eine vielfache Kochung vorgeht.

Und ſo moͤchte einer wohl die Theorie der Farben aus dem Geſagten einzuſehen im Stande ſeyn.

54

Farbenbenennungen der Griechen und Roͤmer.

Die Alten laſſen alle Farbe aus Weiß und Schwarz, aus Licht und Finſterniß entſtehen. Sie ſagen, alle Farben fallen zwiſchen Weiß und Schwarz und ſeyen aus dieſen gemiſcht. Man muß aber nicht waͤhnen, daß ſie hierunter eine blos atomiſtiſche Miſchung ver - ſtanden, ob ſie ſich gleich an ſchicklichen Orten des Wortes μίξις bedienen, dagegen ſie an den bedeuten - den Stellen, wo ſie eine Art Wechſelwirkung beyder Gegenſaͤtze ausdruͤcken wollen, das Wort κράσις, σύγ - κρισις gebrauchen; ſo wie ſie denn uͤberhaupt ſowohl Licht als Finſterniß, als die Farben untereinander ſich temperiren laſſen, wofuͤr das Wort κεράννυσϑαι vor - kommt; wie man ſich davon aus den bisher uͤberſetz - ten und mitgetheilten Stellen uͤberzeugen kann.

Sie geben die Farbengeſchlechter verſchieden, Ei - nige zu ſieben, Andre zu zwoͤlfen an, doch ohne ſie vollſtaͤndig aufzuzaͤhlen.

Aus der Betrachtung ihres Sprachgebrauchs, ſo - wohl des griechiſchen als roͤmiſchen, ergiebt ſich, daß ſie generelle Benennungen der Farben ſtatt der ſpeciellen und umgekehrt dieſe ſtatt jener ſetzen.

Ihre Farbenbenennungen ſind nicht fix und genau beſtimmt, ſondern beweglich und ſchwankend, indem55 ſie nach beyden Seiten auch von angraͤnzenden Farben gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt ſich einerſeits ins Rothe, andrerſeits ins Blaue; das Blaue theils ins Gruͤne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe bald ins Blaue; der Purpur ſchwebt auf der Graͤnze zwiſchen Roth und Blau und neigt ſich bald zum Schar - lach bald zum Violetten.

Indem die Alten auf dieſe Weiſe die Farbe als ein nicht nur an ſich bewegliches und fluͤchtiges anſe - hen; ſondern auch ein Vorgefuͤhl der Steigerung und des Ruͤckganges haben: ſo bedienen ſie ſich, wenn ſie von den Farben reden, auch ſolcher Ausdruͤcke, welche dieſe Anſchauung andeuten. Sie laſſen das Gelbe roͤtheln, weil es in ſeiner Steigerung zum Ro - then fuͤhrt; oder das Rothe gelbeln, indem es ſich oft zu dieſem ſeinen Urſprunge zuruͤck neigt.

Die ſo ſpecificirten Farben laſſen ſich nun wieder - um ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe kann, auf welchem Puncte man ſie feſthalten will, durch ein ſtaͤrkeres Licht diluirt, durch einen Schatten verfinſtert, ja in ſich ſelbſt vermehrt und zuſammenge - draͤngt werden. Fuͤr die dadurch entſtehenden Nuͤançen werden oft nur die Nahmen der Species, auch wohl nur das Genus uͤberhaupt, angewendet.

Die geſaͤttigten, in ſich gedraͤngten und noch dazu ſchattigen Farben werden zur Bezeichnung des Dunklen, Finſtern, Schwarzen uͤberhaupt gebraucht, ſo wie im Fall daß ſie ein gedraͤngtes Licht zuruͤckwerfen, fuͤr leuchtend, glaͤnzend, weiß oder hell.

56

Jede Farbe, welcher Art ſie ſey, kann von ſich ſelbſt eingenommen, in ſich ſelbſt vermehrt, uͤberdraͤngt, geſaͤttigt ſeyn und wird in dieſem Falle mehr oder we - niger dunkel erſcheinen. Die Alten nennen ſie alsdann suasum πεπεισμένον, in se consumptum, plenum, saturum κατακορές, meracum ἄκρατον, pressum βαρύ, adstrictum, triste, austerum αὐστηρόν, ama - rum πικρόν, nubilum ἀμαυρόν, profundum βαϑύ.

Sie kann ferner diluirt und in einer gewiſſen Blaͤſſe erſcheinen, in ſo fern nennt man ſie dilutum, liquidum, ὑδαρές, pallidum ἔκλευκον.

Bey aller Saͤttigung kann die Farbe dennoch von vielem Lichte ſtrahlen und daſſelbe zuruͤckwerfen; dann nennt man ſie clarum, λαμπρόν, candidum, acu - tum ὀξὐ, excitatum, laetum, hilare, vegetum, flo - ridum εὐανϑές, ἀνϑηρόν. Saͤmmtliche Benennungen geben die beſondern Anſchauungen durch andre ſymboli - ſche vermittelnd wieder.

Wir haben nunmehr noch die generellen Benen - nungen der Farbe, ſammt den ſpecifiſchen, die ihre Sphaͤre ausmachen, anzugeben.

Fangen wir von der unterſten Stufe an, wo das Licht ſo alterirt erſcheint, daß es die beſondre Empfin - dung deſſen, was wir Farbe nennen, erregt; ſo tref - fen wir daſelbſt zuerſt ὠχρόν, dann ξανϑόν, ferner πυῤῥόν, dann ἐρυϑρόν, ſodann φοινικοῦν, zuletzt πορφυροῦν an. Im gemeinen wie im poetiſchen Sprachgebrauch finden wir herauf und herabwaͤrts oͤfter ein Genus fuͤr das andre geſetzt. Das πορφυροῦν ſteigt abwaͤrts in das ἁλουργές, κυανοῦν coeruleum,57 γλαυκόν caesium, und ſchließt ſich durch dieſes an das πράσινον porraceum, ποῶδες herbidum, und zuletzt an das χλωρόν viride an, das ſowohl ein mit Blau vermiſchtes Gelb, d. i. ein Gruͤnes, als das reine Gelb anzeigt und ſo das Ende des Farbenkreiſes mit dem Anfange verbindet und zuſchließt.

Die Farbenbenennungen, welche die weiteſte Sphaͤre haben, ſind vorzuͤglich folgende:

Εανϑόν geht vom Strohgelben und Hellblonden durch das Goldgelbe, Braungelbe bis ins Rothgelbe, Gelbrothe, ſogar in den Scharlach.

Darunter gehoͤren als Species ὠχρόν, ϑάψινον, κιῤῥόν, κιτρινόν, κνηκόν, μήλινον, μήλοψ, σιτό - χρουν, ξοῦϑον, πυῤῥόν, χρυσοειδές, ἡλιώδες, φλο - γοειδές, οἰνῶδες, κροκοειδές etc. Im Lat. buxeum, melleum, cereum, flavum, fulvum, helvum, gal - binum, aureum, croceum, igneum, luteum, meli - num, gilvum, robeum, adustum, russum, rufum.

Ἐρυϑρόν, rufum, welches nach Gellius das Geſchlechtswort aller rothen Farbe iſt, begreift unter ſich, von ξανϑόν, πυῤῥόν an, alles was roth iſt und braun, welches zum Gelben oder Rothen neigt, bis zum Purpur. Im Lateiniſchen rufum, russum, rubrum, rutilum, rubicundum, spadix, badium, φοινικοῦν puniceum, (ponçeau, coqueticot, nacarat), coccine - um Scharlach, ὑσγινόν, welches nach Plinius zwi - ſchen purpureum und coccineum liegt und wahrſchein - lich cramoisi Carmeſin iſt; zuletzt purpureum πορ - φυροῦν, das vom Roſenrothen an durchs Blut - und58 Braunrothe bis ins Blaurothe ἁλουργές und Violette uͤbergeht.

Κυάνεον geht vom Himmelblauen bis ins Dunkel - und Schwarzblaue, Violette, und Violetpurpurne. Eben ſo coeruleum; das ſogar ins Dunkelgruͤne und Blaugruͤne γλαυκόν, wie in das caesium Katzengruͤne uͤbergeht.

Darunter fallen ἀερί〈…〉〈…〉 ον, ἀεροειδές aërium, coeli - num, οὐρανοειδές, ὑακίνϑινον, ferrugineum, οἰνω - πόν, ἀμεϑύστινον, thalassinum, vitreum, venetum, γλαυκόν, das aus dem Blaugruͤnen und Katzengruͤ - nen ins bloße Graue uͤbergeht und noch das χαροπόν und ravum unter ſich begreift.

Χλωρόν geht aus der einen Seite ins Gelbe, aus der andern ins Gruͤne. Eben ſo viride, das nicht nur ins Gelbe ſondern auch ins Blaue geht.

Darunter fallen ποῶδες herbidum, πράσινον porraceum, aerugineum ἰῶδες, σμαράγδινον, vitre - um ἰσατῶδες, venetum.

Aus der Miſchung von Schwarz und Weiß gehen, nach Ariſtoteles und Platon, hervor: das φαιόν, wel - ches auch μύϊνον erklaͤrt wird, alſo Grau.

Ferner πελλός, πέλιος, πόλιος, pullus ſowohl ſchwaͤrzlich als weißlich, je nachdem die Anfoderung an das Weiße oder an das Schwarze gemacht wird.

Ferner τεφρόν aſchfarben, und σπόδιον welches iſabelfarben erklaͤrt wird, wahrſcheinlich gris cendré; druͤckt aber auch Eſelsfarbe aus, welche an den Spi - tzen der Haare in ein πυῤῥόν, mehr oder weniger Gelbbraunes, auslaͤuft.

59

Aus verbranntem Purpur und Schwarz entſteht, nach eben dieſen Beyden, das ὄρφνινον, die Farbe des Rauchtopaſes; welches, wie im Lateiniſchen das verwandte furvum, oft nur in der allgemeinern Be - deutung des Schwarzen und Dunkeln gebraucht wird.

In dieſes, nach unſern theoretiſchen Einſichten nunmehr im Allgemeinen aufgeſtellte Schema laſſen ſich die uͤbrigen allenfalls noch vorzufindenden Ausdruͤcke leicht einordnen; wobey ſich mehr und mehr ergeben wird, wie klar und richtig die Alten das Außerihnen gewahr geworden, und wie ſehr, als naturgemaͤß, ihr Ausſprechen des Erfahrenen und ihre Behandlung des Gewußten zu ſchaͤtzen ſey.

[60]

Zweyte Abtheilung. Roͤmer.

Lucretius.

Auf, und vernehme du jetzt, was ſuͤßes Bemuͤhen
erforſcht hat,
Und ich dich lehre; daß nicht, was weiß dem Auge
ſich darſtellt,
Weiß erſcheine deßhalb, weil weiße Stoffe der Grund
ſind;
Oder was ſchwarz ausſieht, aus ſchwarzen Saamen er -
zeugt ſey;
Noch auch jegliches Ding, das irgend gefaͤrbt wir
erblicken,
Alſo ſich zeige, dieweil ſchon aͤhnliche Farbe von
dieſer
In der Materie ſelbſt, in den Urſprungsſtoffen vor -
handen.
61
Denn der Materie Stoff iſt gaͤnzlich beraubet der
Farbe,
Weder den Dingen gleich noch ungleich ihnen zu
nennen.
Sagſt du, der menſchliche Geiſt vermoͤge nicht Koͤr -
per zu faſſen
Solcherley Art, ſo irreſt du ſehr und taͤuſcheſt dich
gaͤnzlich.
Nimm dir den Blindgeborenen doch: die goͤttliche
Sonne
Hat er nimmer geſehn, doch kennet er, durch das
Gefuͤhl bloß,
Dinge, die nie im Leben mit Farbe verbunden ihm
waren.
Eben ſo laͤßt ſich verſtehn, wie die Seele Begriffe
von Koͤrpern
Machen ſich koͤnne, die nicht mit Farbe von außen
getuͤncht ſind.
Selbſt die Dinge, die wir bey Nacht und im Dunkel
betaſten,
Unterſcheiden ſich uns, obgleich wir die Farbe nicht
fuͤhlen.
Was die Erfahrung bezeugt, laß jetzt durch Gruͤn -
de mich darthun.
Jegliche Farbe verwandelt ſich leicht in jegliche
Farbe;
Aber das duͤrfen doch nie die Urelemente der
Dinge.
62
Stets muß etwas beſtehn, das unveraͤnderlich
bleibe;
Soll nicht alles in Nichts von Grund aus wieder ſich
kehren:
Denn was irgend verlaͤßt die Graͤnzen des eigenen
Daſeyns,
Stirbt als das, was es war, wird augenblicklich ein
andres.
Huͤte dich alſo, den Stoff mit wechſelnden Farben zu
tuͤnchen,
Soll ins voͤllige Nichts zuletzt nicht alles ver -
gehen.
Sind die Stoffe nun gleich nicht farbig ihrer Na -
tur nach;
Sind ſie dennoch begabt mit mannigfaltigen For -
men,
Wechſelnde Farben daraus von allerley Arten zu
ſchaffen.
Dann auch lieget noch viel an Miſchung und Lage der
Stoffe,
Wie ſie ſich unter ſich ſelbſt, und wie ſie zu andern
ſich halten,
Welche Bewegung ſie ſich ertheilen, und wieder em -
pfangen;
Alſo, daß leicht ſich hieraus ein rechenſchaftlicher
Grund giebt,
Wie, was kurz noch zuvor von Farbe dunkel und
ſchwarz war,
63
Koͤnn urploͤtzlich darauf in Marmorweiße ſich wan -
deln.
Eben ſo wird auch das Meer, von heftigen Winden
erreget,
Umgewandelt in Wogen von heller und glaͤnzender
Weiße.
Sagen ließe ſich dann, daß das, was oͤfters wir
ſchwarz ſehn,
Wann es die Stoffe durchmiſcht, die Ordnung der -
ſelben veraͤndert,
Einige ſich vermindern, und andre dagegen ver -
mehren;
Dieſes auf einmal alsdann ſich weiß und glaͤnzend uns
zeige.
Waͤren die Fluthen des Meeres jedoch ſchon dunkel im
Grundſtoff,
Dann ſo koͤnnten auf keinerley Art ins Weiße ſie wan -
deln;
Moͤchteſt du noch ſo ſehr in einander jagen die
Stoffe,
Nimmer wuͤrden ins Weiße ſie uͤbergehen, die
dunkeln.
Waͤren die Saamen jedoch, aus denen der einfache,
klare,
Meeresſchimmer beſteht, mit verſchiedenen Farben ge -
faͤrbet;
Wie man ein Viereck oft, und andre beſtimmte Fi -
guren,
Bildet aus anderen Formen und unterſchiednen Fi -
guren:
64
Muͤßte man auch, wie hier die verſchiedenen Formen
im Viereck,
So in der Flaͤche des Meers, und in jeder lauteren
Glanzflut,
Bunte, und weit von einander verſchiedene Farben
bemerken.
Uebrigens zeigt ſich die aͤußre Figur vollkommen
im Viereck,
Sind auch die Glieder, woraus es beſteht, verſchieden
an Bildung;
Aber an Dingen verſchiedene Farbe verhindert es
gaͤnzlich,
Daß dasſelbige Ding einfaͤrbig jemals er -
ſcheine.
Irgend ein Grund, der noch uns verfuͤhren koͤnn -
te, den Stoffen
Einzuraͤumen die Farbe, zerfaͤllt und verlieret ſich
gaͤnzlich;
Wenn man bedenkt, daß nicht aus weißen entſtuͤnde
das Weiße,
Noch was ſchwarz man benennt, aus ſchwarzen; viel -
mehr aus verſchiednen.
Weit natuͤrlicher iſt’s, daß Weißes aus Stoffen ent -
ſpringe
Ganz farbloſer Natur, als daß es aus ſchwarzen ſich
zeuge,
Oder aus jeglicher Farbe, mit welcher es gaͤnzlich im
Streit ſteht.
65
Ferner, da ohne Licht nicht Farben koͤnnen be -
ſtehen,
Aber hervor ans Licht urſpruͤngliche Koͤrper nicht
treten;
Folgt natuͤrlich hieraus, daß dieſe von Farben entbloͤßt
ſind.
Wie kann Farbe denn nur lichtloſem Dunkel gemein
ſeyn?
Sie, die ſich ſelbſt veraͤndert im Licht, und verſchieden
zuruͤckglaͤnzt,
Je nachdem ſie der Strahl ſchief oder gerade ge -
troffen.
An dem Gefieder der Tauben, das ihnen den Hals und
den Nacken
Rings umkraͤnzt, kannſt dieſes du ſehn im Strahle der
Sonne:
Anders gewandt erſcheinet es roth, im Glanz des
Pyropus,
Wieder anders, Laſur, in gruͤne Smaragden ge -
miſchet.
So auch des Pfauen Schweif; zur volleren Sonne ge -
wendet,
Wandelt auf aͤhnliche Art er die mannigfaltigen
Farben.
Da nun des Lichtes eigener Wurf die Wirkung hervor -
bringt,
Iſt es auch klar, daß ohne das Licht nicht ſolches ge -
ſchaͤhe.
Ferner noch, da die Pupille durch andere Stoͤße ge -
reizt wird,
II. 5
66
Wann ſie das Weiße fuͤhlt, durch andere wieder vom
Schwarzen,
Wieder auf andere Art von jeglicher anderen
Farbe;
Auch an der Farbe des Dinges, wofern du ſolches be -
ruͤhreſt,
Wenig lieget, vielmehr an der Form und der eigenen
Bildung:
Alſo erhellt, daß Stoffe durchaus nicht Farbe be -
duͤrfen,
Sondern verſchiedene Formen, verſchiedne Gefuͤhle zu
wecken.
Sollte gewiſſer Farben Natur beſtimmten Fi -
guren
Eigen nicht ſeyn, und koͤnnte daher mit jeglicher
Farbe
Jegliche Bildung der Stoffe beſtehn: wie koͤmmt es,
daß Dinge
Nicht auf aͤhnliche Art in jegliche Farbe ſich klei -
den?
Dann ſo traͤf es ſich wohl, daß zuweilen den fliegen -
den Raben
Weißer Schimmer entglaͤnzte, von weißem Gefieder und
Fluͤgel;
Schwarze Schwanen entſtuͤnden, aus ſchwarzen Saa -
men erzeuget,
Oder auch einfach und bunt, in jeder beliebigen
Faͤrbung.
67
Ja du bemerkeſt ſogar, je kleiner man Dinge zer -
theilet,
Deſto mehr ſich die Farbe verliert, die endlich ver -
ſchwindet;
So, wenn man Gold zerreibt zu feinem Staube, des
Purpurs
Glaͤnzendes Roth zerlegt in die allerzarteſten Faͤ -
den:
Welches dir klar erweiſt, daß, ehe zum Stoffe ſie
kehren,
Alle die Theilchen zuvor aushauchen jegliche
Farbe.
Endlich, indem du Ton und Geruch nicht jeglichem
Koͤrper
Zugeſteheſt, ſo raͤumeſt du ein, daß Koͤrper es
gebe
Ohne Ton und Geruch: auf aͤhnliche Weiſe begreift
ſich’s,
Daß, indem wir nicht alles mit Augen zu faſſen ver -
moͤgen,
Dennoch Koͤrper vorhanden, die ſo der Farbe beraubt
ſind,
Wie des Geruches und wie des toͤnenden Schalles die
andern:
Und es erkennt der forſchende Geiſt nicht minder die -
ſelben,
Als die in anderen Dingen auch anderer Zeichen ent -
behren.
5 *68

Plinius.

Da dieſer Autor in Jedermanns Haͤnden ſeyn kann, ſowohl im Original als in Ueberſetzungen, ſo waͤre ſeinen Text hier abdrucken zu laſſen uͤberfluͤßig und unnuͤtz, um ſo mehr als derjenige, der ihn im Einzelnen zu verſtehen und auszulegen ſucht, manche Schwierigkeiten findet, welche wir nicht zu uͤberwin - den hoffen. Wir ziehen daher vor, einen Aufſatz einzuruͤcken, in welchem ein Freund das, was Pli - nius von Farben und Colorit geſagt, zuſammenfaßt, und ſeine Meynung aͤußert, wie nach dem natuͤrlichen Vorſchritte der Malerkunſt das Einzelne moͤchte zu verſtehen und zurecht zu legen ſeyn.

Es mag dieſer Verſuch als ein Beyſpiel dienen, wie man eine bedeutende Weltbegebenheit aus ihrer eigenen Natur heraus entwickeln, darſtellen, und die hiezu uͤberlieferten Nachrichten nur inſofern benutzen kann, als ſie mit der Nothwendigkeit in Harmonie ſtehen. Die Hauptpuncte, worauf alles ankommt, tre - ten alsdann glaͤnzender hervor; Luͤcken werden ent - deckt und, wo nicht ausgefuͤllt, doch wenigſtens be - zeichnet; und auf dieſe Weiſe theils gegenwaͤrtig etwas Belehrendes und Aufregendes geleiſtet, theils der Zu - kunft vorgearbeitet.

69

Hypothetiſche Geſchichte des Colorits beſonders griechiſcher Maler vorzüglich nach dem Berichte des Plinius.

Der Verfaſſer nennt die gegenwaͤrtige Abhand - lung eine hypothetiſche Geſchichte, weil die Nachrich - ten, welche uns durch alte Schriftſteller uͤberliefert worden, in vielen Stuͤcken hoͤchſt undeutlich und luͤcken - haft ſind, und alſo durch Vermuthungen erſt aufge - klaͤrt und ergaͤnzt werden muͤſſen. Wenn indeſſen dasjenige, was wir vermuthen, auf eine ganz natuͤr - liche und keinesweges gezwungene Weiſe aus dem Ganzen der Nachrichten hervorgeht, oder durch den Gang der Sache ſelbſt als nothwendig gefordert wird; ſo verdient daſſelbe allerdings mehr Glaubwuͤrdigkeit als ein ſolches Ueberliefertes, das ſich mit dem We - ſen der Kunſt ſchwer oder gar nicht vertraͤgt. Der Verfaſſer behaͤlt ſich alſo die Freyheit vor, theils Ver - muthungen, deren Wahrſcheinlichkeit ihm nach dem nothwendigen Gange der Kunſt einleuchtend iſt, vor - zubringen, theils Nachrichten, welche ihm widerſpre - chend ſcheinen, wenn ſie ſich gleich auf die Autoritaͤt eines alten Schriftſtellers gruͤnden ſollten, zu ver - werfen.

70

Nach des Plinius Behauptung ſtimmten alle aͤlte - ren Ueberlieferungen darin uͤberein, daß die Malerey eigentlich vom Umriß eines menſchlichen Schattens be - gonnen habe; welches unter der Bedingung fuͤr wahr - ſcheinlich gelten kann, daß man ſich dabey nicht etwa wirkliche Schatten - oder Silhouettenfiguren denke; ſondern vielmehr die erſten Linearverſuche, eine Geſtalt auf eine Flaͤche aufzuzeichnen: denn dieſes iſt ja in der That das Elementare der Malerey.

Ardices und Telephancs, ſagt Plinius, hatten zuerſt dieſe Art von Kunſt geuͤbt, noch aber keiner Farben ſich bedient, ſondern nur innerhalb der Figu - ren hin und wieder Linien gezogen; wobey er hinzu - fuͤgt, es ſey in dieſer erſten Zeit uͤblich geweſen, je - desmal daneben zu ſchreiben, wen man abgemalt habe.

Hier zeigt ſich dieſelbe Bemuͤhung, Formen und Geſtalten darzuſtellen, wie wir noch an den Kindern gewahr werden, wenn ſie ſpielend ihre Popanze an die Waͤnde zeichnen.

Schelte indeſſen Niemand die alten Erfinder der Kunſt kindiſchen oder unreifen Geiſtes, wenn auch die Werke, die ſie verfertigten, ſich mit dem Beſtre - ben der Kinder vergleichen laſſen. Denn durch ſie iſt der erſte Anlaß zur Malerey, zur Darſtellung erho - bener runder Gegenſtaͤnde auf ebener Flaͤche, in die Welt gekommen, und jeder erſte Schritt kann als ein großer und wichtiger angeſehen werden.

71

Ferner ſehen wir auch unſere Kinder, welche ei - nen Begriff von Malerey ſich geſchwind bilden koͤn - nen, ſehr bald um etwas weiter gehen, und den Verſuch machen, wie ſie mit Ziegelmehl ihren Fratzen von Seiten der Farbe mehr Naturaͤhnlichkeit verſchaf - fen moͤchten: eben ſo, wie nach Plinius Bericht der Corinthier Cleophantus ſoll gethan haben. Und wir ſehen nicht, was ſich gegen die Wahrſcheinlichkeit die - ſer Nachricht von der erſten einfachſten Weiſe, wie ſich der Sinn fuͤrs Colorit ausgeſprochen, viel ein - wenden ließe. Denn ehe man den Boden nach Ocker - arten und Kreiden durchſucht und verſchiedene Haupt - farben zur Nachahmung der Carnation zu miſchen ge - wagt, moͤgen wohl die Scherben gebrannter irdener Gefaͤße oder Backſteine das naͤchſte und beſte Mittel dargeboten haben, den vorgeſetzten Zweck zu errei - chen.

Hierbey wird Jedermann leicht einfallen, daß die bemalten, ſogenannten hetruriſchen, Gefaͤße in ge - brannter Erde gewiſſermaßen als Symbole dieſer uran - faͤnglichen Malerey koͤnnen angeſehen werden. Die aͤlteſten derſelben mit ſchwarzen, im Detail oft noch unfoͤrmlichen Geſtalten, ſtellen uns die Linearzeichnun - gen des Telephanes und Ardices vor Augen; und wie Plinius von den Werken dieſer beyden Kuͤnſtler erzaͤhlt, ſo ſind auch auf den erwaͤhnten Vaſenzeich - nungen aͤlteſter Art, im Innern, zur Andeutung der Theile, einzelne Linien gezogen. Woraus klar erhellt, daß man dadurch keinesweges eigentliche Schattenriſſe72 bezweckte, ſondern wirklich allgemeine Zeichnung pla - ſtiſcher Geſtalten auf ebener Flaͤche, doch ohne Begriff von Colorit, noch weniger von Licht und Schatten; welcher letzteren Erkenntniß, wie wir in der Folge ſe - hen werden, erſt ſpaͤter aufgegangen iſt und die Voll - endung der Malerey bewirkt hat.

Die andere und vermuthlich ſpaͤtere Art der Va - ſenbilder, mit gelbrothen Figuren auf ſchwarzem Grun - de, kann den durch Kleophantus eingefuͤhrten erſten vorſchreitenden Verſuch, die anfaͤngliche Andeutung der Farbe, darſtellen. Denn wenn er mit zerſtoße - nen Scherben malte, ſo muß daraus eben dieſelbe Farbe entſtanden ſeyn, die der gebrannte Thon auf nicht glaſirten Gefaͤßen wirklich zeigt.

Wenn wir die ſogenannten hetruriſchen Gefaͤße als Darſtellung der uranfaͤnglichen Verſuche in der Male - rey anfuͤhrten, ſo wuͤrde man uns doch mißverſtehen, wenn man glauben wollte, daß wir die Zeichnungen auf dergleichen Gefaͤßen wirklich in ein ſo hohes Alter - thum hinaufruͤcken und ſie ſelbſt als Erſtlinge der Ma - lerey betrachten moͤchten. Wiewohl einige mit ſchwar - zen Figuren, uralter Schrift und unbeholfener noch roher Zeichnung, in der That ſehr alt ſind, und aus Zeiten herruͤhren koͤnnen, welche von der Erfindung der auf Flaͤchen zeichnenden Kunſt bey den Griechen nicht fern geweſen. Wir aber gedenken ihrer bloß als ſolcher Kunſtwerke, worauf die erſten urſpruͤnglichen Arten der Malerey noch beybehalten waren, und wo - durch wir uns dieſelben deſto beſſer vorſtellen koͤnnen.

73

Fruchtlos wuͤrde die Bemuͤhung ohne Zweifel aus - fallen, wenn Jemand unternehmen wollte, die Zeit beſtimmt auszumitteln, wann eigentlich bey den Grie - chen die erſten Anfaͤnge der Malerey ſtatt gehabt. Die Namen Philocles, Cleanthes, Ardices, Tele - phanes, welche Plinius den Erfindern beylegt, moͤ - gen wohl nur bloße Namen ſeyn, ſo wie alles, was er uͤber das Alter der bildenden Kunſt in Griechenland und Italien vorgebracht, aus ungewiſſen, widerſpre - chenden Nachrichten zuſammengetragen iſt.

Das Einzige laͤßt ſich mit Gewißheit behaupten, daß die erſten Verſuche der Malerey in ſehr entfernte Zeiten fallen. Und wenn man gleich anfaͤnglich ſchon einige Lebhaftigkeit des Kunſtbetriebs annehmen duͤrfte, ſo muͤßte die Plaſtik ſelbſt nicht betraͤchtlich aͤlter ſeyn. Doch iſt nicht zu laͤugnen, daß ihre Erfindung oder erſte Uebung dem Menſchen leichter als die der Ma - lerey fallen mochte, und daß man jene immer als die aͤltere, dieſe als die nachgeborne juͤngere Schweſter wird erkennen muͤſſen.

Wir ſchreiten in unſern Betrachtungen weiter fort und finden einen Eumarus, der den Ruhm erwarb, zuerſt in ſeinen Darſtellungen die maͤnnlichen von den weiblichen Figuren unterſchieden zu haben. Dieſes ſcheint mehr von Verbeſſerung und Berichtigung der Geſtalt oder der Zeichnung, als von Verfeinerung des Colorits auszulegen.

Dieſer, und Cimon von Cleone erweiterten die74 Kunſt, indem von ihnen die katagraphiſchen Darſtel - lungen erfunden wurden. Die Unbeſtimmtheit der Be - deutung dieſes Worts hat den Auslegern nicht allein zu ſchaffen gemacht, ſondern man kann ſogar behaup - ten, der eigentliche Sinn deſſelben ſey ihnen verbor - gen geblieben. Nach unſerm Dafuͤrhalten geht die Meynung des Plinius dahin, daß durch die Bemuͤ - hungen der genannten Kuͤnſtler die menſchlichen Geſtal - ten in der Malerey zuerſt mehrere Bewegung und Mannigfaltigkeit erhalten haben. Die Figuren wur - den zuruͤckſchauend, aufſchauend und niederſchauend dargeſtellt; Gelenke und Adern, wie auch an Ge - waͤndern die Falten angedeutet, mit einem Worte, die Kunſt hatte ſich der Natur genaͤhert und ſie nach - zuahmen begonnen.

Wenn alſo Plinius von der Erfindung katagra - phiſcher Darſtellungen redet, ſo will er dadurch das Vermoͤgen oder die Kunſt, im Umriß die Wendungen und Verkuͤrzungen anzudeuten, ausdruͤcken. Ein Um - ſtand, welcher allerdings von ſo großer Wichtigkeit in geſchichtlicher Ruͤckſicht iſt, als unſer Autor darauf zu legen ſcheint. Denn es war dadurch eine der großen Hauptſtufen erſtiegen, uͤber welche die Kunſt ſich zu ihrer Vollkommenheit emporarbeiten mußte.

Hierauf wird nun eine Luͤcke in den von Plinius uns uͤberlieferten Nachrichten bemerkt. Die Kunſt mag vielleicht durch eine geraume Zeit von verſchie - denen Kuͤnſtlern mancherley Verbeſſerungen erhalten ha -75 ben; doch ohne daß eine derſelben ſo auffallend gewe - ſen, um als ein wichtiger Vorfall in der alten Kunſt - geſchichte angezeigt zu werden. Unterdeſſen mag man zu mehrerer Fertigkeit gelangt, die Maler moͤgen nach dem damaligen Maß der gangbaren Kenntniſſe mehr Meiſter ihres Fachs geworden ſeyn.

Ohne Zweifel erhielt die Malerey große und be - deutende Verbeſſerungen durch den Polygnot von Tha - ſos. Die Bewunderung, welche das ganze Alterthum ſeinen Werken zollte, iſt ein ſicherer Buͤrge fuͤr ihre hohen Verdienſte. Und noch koͤnnen wir uͤber den ed - len Geiſt ſeiner Erfindungen urtheilen, indem uns Pauſanias den Inhalt von zweyen ſeiner Hauptge - maͤlde beſchrieben und uͤberliefert hat.

Polygnot mag als ein außerordentlicher Geiſt im Ganzen uͤber die Kunſt gewaltet und ſie ihrer Voll - kommenheit naͤher gebracht haben; aber unſere gegen - waͤrtigen Betrachtungen bezielen bloß dasjenige, was die Fortſchritte der Farbengebung angeht.

Er muß, den alten Nachrichten zufolge, um mehrere Mannigfaltigkeit der Farben bemuͤht geweſen ſeyn, ſie auf eine zwar einfache Weiſe, aber mit Sinn und nach Maßgabe des beabſichtigten Charakters, angewendet haben. Er kleidete zuerſt die weiblichen Fi - guren in helle Gewaͤnder, und gab dem Hauptſchmuck derſelben froͤhlich bunte Farben; wodurch alſo die Ge - maͤlde im allgemeinen anziehender und gefaͤlliger wur - den.

76

Man ſagt, Polygnot und ſein Zeitgenoſſe Mikon haͤtten ſich zuerſt des lichten Ockers zum Malen be - dient. Nimmt man dieſe Nachricht in dem Sinne, als haͤtten dieſe Kuͤnſtler die erwaͤhnte Farbe unver - miſcht zum Anſtrich von Gewaͤndern gebraucht, ſo er - hellt daraus eben das vorhin bemerkte ſorgfaͤltige Be - ſtreben nach Mannigfaltigkeit, Abwechſelung und Far - benreiz. Will man aber gar zugeben, ſie haͤtten, was nicht unwahrſcheinlich iſt, durch Vermiſchung dieſer Farbe mit Roth und Weiß, die genauere Nach - ahmung der Wahrheit in Darſtellung der nackten Theile ihrer Figuren, beſonders der weiblichen, erzwecken wollen; ſo war die Kunſt der Malerey bereits auf dem Wege, der ſie ihrer vollkommen Entwicklung zufuͤhren mußte. Es iſt vielleicht hier der ſchicklichſte Ort, beyzubringen, daß, ebenfalls einer Nachricht des Plinius zufolge, nicht lange vor dieſer Zeit auch die Farbe des Zinnobers erfunden wurde.

Von Panaͤnus, des Phidias Bruder, einem Zeit - und Kunſtgenoſſen des Polygnot, wiſſen wir aus Nachrichten des Plinius und Pauſanias, daß er in der Poekile zu Athen die Schlacht bey Marathon ge - malt, und zwar, wie aus eben dieſen Nach - richten zu vermuthen iſt, mit mancherley Farben. Auch ſollen die Figuren der Feldherren, ſowohl der Griechen als Perſer, wirkliche Bildniſſe dargeſtellt ha - ben. Man ſieht alſo offenbar das damalige lebhafte Bemuͤhen der Maler, ihren Werken Wahrheit zu ge - ben. Dieſes Bemuͤhen aber mußte vornehmlich Farbe77 und Farbenmiſchung betreffen: denn die Zeichnung war damals ſchon auf den Gipfel des Großen, Ed - len, Wuͤrdigen gelangt, wovon die plaſtiſchen Werke jener Zeit zu unverwerflichem Zeugniß dienen koͤnnen.

Um die neunzigſte Olympiade ſcheint ſich die Ma - lerey bis zur Selbſtaͤndigkeit emporgearbeitet zu haben. Offenbar ſetzt Plinius einen bedeutenden Lebenspunct, das Beginnen einer neuen Epoche der Malerey, in dieſe Zeit, hat aber zu bemerken unterlaſſen, worin die weſentliche, damals bewirkte Verbeſſerung eigent - lich beſtanden habe. Wir machen uns davon unge - faͤhr folgende Vorſtellung.

Bis auf dieſe Zeit waren die ſchnelleren Fortſchritte der malenden Kunſt noch immer gehindert, theils weil die Kuͤnſtler dieſes Fachs die nothwendige Fertig - keit und Bequemlichkeit der Behandlung noch nicht in ihrer Gewalt haben mochten, theils weil es ihnen an zweckmaͤßigen Werkzeugen gebrach. In der fruͤhſten Zeit bediente man ſich des Griffels; allein dieſer konnte doch wohl nur bloße Umriſſe zu ziehen gebraucht wer - den. Sobald aber die Abſicht, mehrere Farben an - zuwenden, entſtanden war, trat auch das nothwendige Beduͤrfniß eines die Auftragung derſelben erleichternden Werkzeuges ein. Wie aber und wann eigentlich zu ſolchem Behuf der Pinſel erdacht und nach und nach vervollkommnet worden, davon iſt keine ſichere Nach - richt vorhanden.

Im Beſitz zwar einfacher, aber doch fuͤr die78 Nachbildung aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde genugſam hin - reichender Farben, moͤgen die Kuͤnſtler dieſer Zeit ge - weſen ſeyn. Als beruͤhmte Maͤnner, die alſo wahr - ſcheinlich Steigerer und Erweiterer der Malerey gewe - ſen, nennt Plinius in der neunzigſten Olympiade den Aglaophon, vermuthlich einen andern als den Vater des Polygnot; ferner Cephiſſodorus und Evenor, deſſen Sohn und Schuͤler Parrhaſius war. Worin aber eigentlich ihre Verdienſte und die von ihnen be - wirkten Fortſchritte der Kunſt beſtanden haben, wird nicht gemeldet. Jedoch finden wir Urſache zu glau - ben, daß von ihnen, wo nicht die ganz erſten, doch wenigſtens die allmaͤhlig beſſer gelungenen Verſuche, Licht und Schatten anzudeuten, gemacht worden. Hierzu ſcheint uns die Erwaͤhnung verſchiedener Um - ſtaͤnde zu berechtigen.

Denn erſtlich iſt, nach vorhin geſchehenen Andeu - tungen, die Zeichnung ſchwerlich derjenige Theil ge - weſen, in welchem die erwaͤhnten Kuͤnſtler, die dem Polygnot unmittelbar folgten, eine hoͤhere Vollkom - menheit als dieſer große Meiſter erlangt haben. Alſo muͤſſen ſie, da mit ihnen eine neue Epoche der Ma - lerey anfangen ſoll, in irgend einem vorhin noch nicht, oder wenigſtens mit geringem Erfolg, bearbeiteten Theile ſtarke Vorſchritte gemacht haben.

Nun iſt, angezeigter Weiſe ſowohl als auch der innern Nothwendigkeit nach, die Malerey vom rei - nen Umriß zu Figuren, die ſich bloß durch eine ein -79 fache Localfarbe vom Grund, auf den ſie gearbeitet waren, unterſchieden, vorgeſchritten; dann wurden, als man ſich nach und nach im Beſitz von mehreren Farben ſah, dieſelben von großen Kuͤnſtlern zu ſinn - voller Bedeutung, aber wie wir zu glauben geneigt ſind, alle noch immer bloß als Localfarbe gebraucht, ohne durch Abſtufung von helleren und dunkleren Toͤnen die Wirkung des Lichts und Schattens nachahmen zu wollen.

Denn wenn uns die neuere Kunſtgeſchichte belehrt, daß erſt nach langen und ſchweren Bemuͤhungen das Helldunkel an natuͤrlichen Gegenſtaͤnden richtig wahrge - nommen werden konnte, obgleich die Tradition davon aus dem Alterthum einigermaßen noch uͤbrig war, wie ſehr viel groͤßere Schwierigkeiten hatten nicht die Alten zu beſiegen, da ſie ſich den Begriff ſelbſt neu erſchaf - fen mußten! Auch iſt kein einziger wahrſcheinlicher Grund und keine alte Nachricht vorhanden, nach wel - chen vermuthet werden duͤrfte, daß in Polygnots Ge - maͤlden bereits Licht und Schatten angegeben geweſen. Vielmehr laͤßt das Symboliſche ſeiner Darſtellungen, die vielen Figuren, die er auf Gemaͤlden angebracht und Reihenweiſe geordnet, ſchließen, daß die Angabe von Licht und Schatten von ihm noch nicht bezweckt worden. Hingegen iſt wohl nicht zu zweifeln, daß dieſes vom Apollodorus, einem Athenienſer, der ſich um die vierundneunzigſte Olympiade beruͤhmt gemacht, geſchehen ſey. Selbſt Plinius bemerkt, daß von den vor dieſem Meiſter verfertigten Gemaͤlden kein einzi -80 ges das Auge angezogen; wovon der Grund doch wohl nur in dem fruͤher noch gar nicht, oder doch nur unbeſtimmt, angedeuteten Licht und Schatten zu ſuchen iſt.

Auch hinſichtlich auf die Gegenſtaͤnde ſcheinen die vom Apollodorus gemalten Werke ſich von denen des Polygnot weſentlich unterſchieden, und meiſt nur ein - zelne oder doch eingeſchraͤnkte Figuren dargeſtellt zu ha - ben, welche vom Symboliſchen, als dem vornehmlich der Plaſtik gehoͤrigen Feld, abwichen und allmaͤhlig den fuͤr die Malerey beſſer geeigneten dramatiſchen Charakter annahmen.

Nach dem Ruhme zu urtheilen, welchen die Al - ten einſtimmig dem Xeuxis von Heraklea gegeben, muß derſelbe ſich außerordentliche Verdienſte um die Kunſt erworben haben. Und wenn wir ſeine Bemuͤhungen bloß aus dem beſchraͤnktern Geſichtspunct, den wir hier vorzuͤglich im Auge haben muͤſſen, anſehen; ſo ſcheint durch ihn ſowohl eine freyere maleriſche Be - handlung, als auch in Hinſicht auf das Colorit und den Gebrauch von Licht und Schatten mehr Freyheit eingefuͤhrt worden zu ſeyn.

Betrachten wir aber, was Xeuxis auch in andern Theilen geleiſtet, ſo ſcheint er als einer der großen Befoͤrderer der Kunſt im allgemeinen anzuſehen: denn ſeine Erfindungen waren von der edelſten, gehaltvollſten Art, die Formen nach dem Zeitgeſchmack von wuͤrdi -81 ger Großheit; aber ſein eigenthuͤmliches Beſtreben ging auf das Schoͤne. Und alſo mochten, nach unſerm Ermeſſen, die Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers wohl nicht fern von der hoͤchſten in der Kunſt erreichbaren Hoͤhe geſtanden haben. Im vierten Jahr der fuͤnf und neun - zigſten Olympiade wird aller Wahrſcheinlichkeit nach ei - nes der vorzuͤglichſten Werke von ihm verfertigt wor - den ſeyn, weil Plinius des Kuͤnſtlers hoͤchſten Ruhm von dieſem Jahre datirt hat.

Androcydes, Eupompus, Parrhaſius und Ti - manthes waren Nebenbuhler des Xeuxis, wahrſchein - lich aber auch etwas juͤnger als derſelbe. Von den beyden erſten wiſſen wir wenig mehr als die Namen; doch von den letztern ſind umſtaͤndlichere Nachrichten vorhanden, und es leidet durchaus keinen Zweifel, daß Parrhaſius die Malerey vorzuͤglich befoͤrdert und vervollkommnet habe. Hauptſaͤchlich moͤgen durch ihn die Umriſſe der Figuren weicher und ſchwindender, die Geſtalten wie mit Luft umgeben, gemalt worden ſeyn. Dieſes zeigt, daß die Beobachtung und Nach - ahmung von Licht und Schatten bereits auf einen ho - hen Grad von Feinheit und Genauigkeit getrieben war. Daß er auch in der Wahrheit des Colorits zu einer großen Hoͤhe gelangt ſey, lernen wir aus einer andern Nachricht des Plinius, wo unter den beruͤhmteſten Werken dieſes Kuͤnſtlers eines Wettlaͤufers gedacht wird, welcher zu ſchwitzen ſchien. Es kann alſo kein Raͤthſel fuͤr uns ſeyn, warum Parrhaſius dem Xeuxis fuͤr uͤberlegen geachtet wurde. Er war, nach unſererII. 682Anſicht der Dinge, kein beſſerer Kuͤnſtler als Xeuxis aber unſtreitig war er ein vollkommnerer Maler.

Das flache Maͤhrchen, welches Plinius von dem Wettſtreit der genannten beyden großen Kuͤnſtler erzaͤhlt, wo Xeuxis Trauben, Parrhaſius aber eine als mit dem Vorhang bedeckte Tafel dargeſtellt haben ſoll, moͤchten wir freylich ſeinem ganzen Umfange nach nicht in Schutz nehmen; allein es konnte unmoͤglich erfun - den und nacherzaͤhlt werden, ohne daß ſich beyde Kuͤnſtler um das Colorit beſonders verdient gemacht, ohne daß Parrhaſius die taͤuſchende Wahrheit der Nach - ahmung in ſeiner Gewalt gehabt, das heißt, daß ſeine Localtinten richtig und die Schattirung nach der Natur ſehr wohl beobachtet geweſen.

Timanthes ſoll in einem Wettſtreit ſelbſt uͤber den Parrhaſius geſiegt haben. Ob er aber auch in Hin - ſicht auf das Colorit beſonders vortrefflich geweſen, und durch Vorzuͤge dieſer Art den Sieg erlangt, geht aus den Nachrichten nicht hervor. Er wird uns vor - nehmlich als hoͤchſt ſinnreich in ſeinen Erfindungen be - ſchrieben; auch muͤſſen ſeine Gemaͤlde in Betreff des Ausdrucks der Leidenſchaft und Darſtellung des Charak - ters der Figuren hoͤchſt ſchaͤtzbar geweſen ſeyn. Jenes iſt aus ſeiner beruͤhmten Iphigenia wahrſcheinlich; die - ſes ſchließen wir aus der Nachricht von einem andern ſeiner Gemaͤlde, welches einen Helden dargeſtellt, und worin, wie Plinius anmerkt, die ganze Kunſt Maͤnner zu malen enthalten war.

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Demnach bleibt es allerdings raͤthſelhaft, worauf Parrhaſius eigentlich gezielt, welcher, als das Ge - maͤlde des Timanthes vom Streit des Ulyſſes und Ajax um Achills Waffen dem ſeinigen, wo derſelbe Gegenſtand abgebildet war, vorgezogen wurde, ſoll geſagt haben: es kraͤnke ihn, daß Ajax abermals von einem Unwuͤrdigen uͤberwunden werde.

Eben ſo ſchwer moͤchte auszumachen ſeyn, worin die Vorzuͤge des Eupompus, Stifters der Sycioni - ſchen Schule, beſtanden haben; weil durchaus keine umſtaͤndlichen Nachrichten uͤber ihn vorhanden ſind, wir auch uͤberhaupt noch nicht wiſſen, auf welche Weiſe ſich die griechiſchen Malerſchulen in Geſchmack, Styl und Behandlung von einander unterſchieden haben.

Euphranor vom Corinthiſchen Iſthmus, ein be - ruͤhmter Kuͤnſtler, der ſowohl gemalte als plaſtiſche Meiſterſtuͤcke verfertigt, und nach Plinius in der hun - dert und vierten Olympiade gebluͤht, wird ſonder Zweifel auch zur Vervollkommnung des Colorits beyge - tragen haben: denn es waren von ihm verfaßte Buͤ - cher uͤber die Farben vorhanden. Und weil er von einem gemalten Theſeus des oben erwaͤhnten Parrha - ſius zu urtheilen wagte: derſelbe ſey mit Roſen ge - naͤhrt, ein anderer aber, von ihm ſelbſt gemalter, mit Fleiſch; ſo iſt alſo durch ihn damals groͤßere Wahrheit, Abwechſelung und Charakteriſtik des Far - bentons erreicht worden.

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Wir nennen hier noch den Echion, Ariſtides und Pamphilus. Echion lebte in der hundert und ſieben - ten Olympiade, und man muß damals ſchon mit gro - ßer Kraft und Gegenſaͤtzen von Hell und Dunkel ge - malt haben, weil unter den beruͤhmteſten Gemaͤlden dieſes Kuͤnſtlers eines erwaͤhnt wird, worauf eine Neuvermaͤhlte dargeſtellt war, der eine alte Frau die Lampe vortrug. Alſo ein Nachtſtuͤck, und neben dem hoͤhern Verdienſt ungemein zarten Ausdrucks, von kraͤf - tiger Wirkung.

Pamphilus hatte den Ruhm, den groͤßten der griechiſchen Maler gezogen zu haben, und ſcheint von den Alten, beſonders wegen ſeiner theoretiſchen Kennt - niſſe, geſchaͤtzt worden zu ſeyn. Ob ihm die Kunſt auch von Seiten des Practiſchen und vorzuͤglich des Colorits, Erweiterungen zu danken habe, iſt uns nicht uͤberliefert worden.

Ariſtides, der Thebaner, mag etwas juͤnger als die eben genannten Meiſter und ein noch groͤßerer, ja dem Apelles ſelbſt gleichgeſchaͤtzter Kuͤnſtler geweſen ſeyn. Unterdeſſen wird von ihm ausdruͤcklich bemerkt, ſein Hauptverdienſt habe nicht in vorzuͤglicher Anmuth der Behandlung, oder in zartem Colorit, ſondern in bewundernswuͤrdigem Geiſt und Lebhaftigkeit des Aus - drucks ſeiner Figuren, und in gehaltreicher Erfindung beſtanden.

Dieſer Kuͤnſtler, ſo wie einige der vorhergenann - ten koͤnnten zwar hier als uͤberfluͤſſig angefuͤhrt betrach -85 tet werden, weil wir bloß die Abſicht angekuͤndigt, den Fortſchritten in der Malerey, hinſichtlich auf An - wendung der Farben, und was uͤberhaupt mit dem Colorit verwandt iſt, nachzuforſchen. Allein eben aus dem Umſtand, daß einige Kuͤnſtler ruͤhmlich bemerkt ſind, deren Kunſt ganz anderer Vorzuͤge als des Colo - rits wegen gelobt worden, und der gedachte ſo hoch geruͤhmte Ariſtides ſogar von dieſer Seite gelindem Tadel nicht entgangen, eben daraus ergiebt ſich klar, daß die Kunſt der Farbenbehandlung und der Nachah - mung natuͤrlicher Gegenſtaͤnde durch dieſelben, um ge - dachte Zeit ſchon ſehr weit getrieben geweſen, ſo daß an den Kuͤnſtler von dieſer Seite damals ſchon ſehr große Anforderungen gemacht werden konnten.

Die zufaͤllige Erfindung des gebrannten Bleywei - ßes, oder deſſen, was wir jetzt Neapel-Gelb nennen, und die Einfuͤhrung ſeines Gebrauchs in die Malerey, iſt ein Umſtand welchen wir nicht uͤbergehen duͤrfen. Nicias ſoll der erſte geweſen ſeyn, der dieſe Farbe an - gewendet. Dieſer Kuͤnſtler aber lebte zur Zeit des Praxiteles. Weibliche Figuren ſollen ihm vorzuͤglich gelungen ſeyn. Die Richtigkeit der Beleuchtung und das Vortretende in ſeinen Bildern wird geruͤhmt; wor - aus geſchloſſen werden kann, daß dieſer Meiſter kraͤftig und mit Effekt gemalt habe.

In Bezug hierauf kann man ebenfalls die Bemer - kung des Plinius anfuͤhren, der, wo er von der86 Uſta, dem gebrannten Bleyweiße ſpricht, hinzufuͤgt: daß ohne dieſe Farbe der Schatten nicht ausgedruͤckt werden koͤnne; welches genau mit den Grundſaͤtzen der neuern Maler, die mit kraͤftigem Colorit gearbei - tet, uͤbereinſtimmt.

Zu welcher Zeit und von welchem Kuͤnſtler das Syſtem der Maſſen von Licht und Schatten in der Malerey gegruͤndet worden, iſt nicht genau bekannt; aber wenn wir daſſelbe an den plaſtiſchen Werken, zur Zeit des ſchoͤnen Styls, um die Zeit des Praxiteles, angewandt ſehen, ſo iſt mit Grund zu vermuthen, daß in der Malerey ſchon etwas fruͤher davon Ge - brauch gemacht worden, und dieſe Maximen nachher auf die Plaſtik uͤbergegangen.

Durch den Apelles erreichte endlich die Malerey bey den Griechen ihr hoͤchſtes Ziel. Was den Adel der Erfindung, die Schoͤnheit der Geſtalten betrifft, ſcheint er allen ſeinen Kunſtgenoſſen wenigſtens gleich - gekommen zu ſeyn; in Betreff der Anmuth aber uͤber alle den Vorzug behauptet zu haben.

Aus der Menge Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers, von denen uns noch Nachricht uͤbrig geblieben, laͤßt ſich ſchließen, daß die Behandlung derſelben vollkommen meiſterhaft und leicht geweſen, ohne jedoch der Zart - heit der Ausfuͤhrung einigen Abbruch zu thun. Und ſo duͤrfen wir auch, theils aus dieſem, theils aus andern Gruͤnden, welche die erwaͤhnten Nachrichten uns dar -87 bieten, die beſte Meynung von der Vollkommenheit des Colorits in den Bildern des Apelles hegen.

Durch ihn ſoll die Zahl der Pigmente noch um eines, naͤmlich um das aus gebranntem Elfenbein ver - fertigte Schwarz, vermehrt worden ſeyn. Woraus zu vermuthen iſt, daß er damit eine vorher noch nicht erreichte Staͤrke und Wirkung beabſichtigt habe.

Allein eine noch weit wichtigere Erweiterung der maleriſch-techniſchen Mittel war die von ihm einge - fuͤhrte Lafirung, wodurch er den Bildern jenen kuͤnſtli - chen bezaubernden Schein, den Farben die gefaͤllige Milde, und die hoͤchſt zarte, auf keinem andern Wege in ſolcher Vollkommenheit erreichbare Abſtufung ertheilte. Die hieher gehoͤrige Stelle des Plinius iſt ungemein deutlich, ja ſie ſcheint ſogar keine andere Auslegung zu leiden.

Wenn ſeine Gemaͤlde vollendet waren, uͤberzog er ſie mit einer ſehr feinen Schwaͤrze, atramentum, die durch ihren Glanz die Schoͤnheit der Farben noch erhob, das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz ſchuͤtzte, und erſt bemerkt werden konnte, wenn man es naͤher betrachtete. Er verfuhr aber darin ſehr behutſam. Die Lebhaftigkeit der Farben ſollte das Auge nicht be - leidigen, und es ſollte ſie in der Entfernung wie durch einen Spiegelſtein erblicken. Eben dieſe Schwaͤrze ſollte auch den zu hellen Farben unvermerkt mehr Ernſt geben.

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Der Umſtand, daß es ein glaͤnzender Firniß war, durch welchen das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz geſchuͤtzt wurde, iſt nicht minder intereſſant, als die noch ferner hinzugefuͤgte Anmerkung, daß das Auge die Farben oder das Gemaͤlde wie durch Spiegelſtein erblicken ſollte. Es geht daraus hervor, daß Apelles auf oder uͤber ſeine Malereyen einen in hohem Grade dehnbaren, nach Willkuͤhr ſtaͤrker oder ſchwaͤcher aufzu - tragenden Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz die Eigenſchaft und Wirkung der in der Oelmalerey heut zu Tage angewendeten Laſurfarben, vorzuͤglich des Asphalts, hatte. Ob es ſogar dieſes Erdharz ſelbſt, mit irgend einer Art Oel oder Gummi ver - miſcht, geweſen ſey, laͤßt ſich zwar nicht unumſtoͤßlich darthun; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, da die beſchriebenen Wirkungen gerade diejenigen ſind, welche wir auf den vortrefflichſten Oelgemaͤlden der vorzuͤg - lichſten neuern Meiſter in dieſem Theile der Kunſt er - reicht ſehen.

Protogenes, des Apelles Zeitgenoſſe und Mitei - ferer um den hoͤchſten Ruhm in der Malerey, ſcheint ſeine Bilder mit auffallend groͤßerer Sorgfalt ausgear - beitet zu haben, woruͤber das ſo hoͤchſt erfreuliche Leichte, der Schein eines freyen froͤhlichen Spiels, zum Theil eingebuͤßt werden mochte; wie wir aus dem aufbewahrten Urtheil des Apelles vermuthen koͤn - nen, welcher geſtanden: daß Protogenes ihm ſelbſt in allem gleich komme, ja ihn wohl noch uͤbertreffe; nur wiſſe er nicht zur rechten Zeit aufzuhoͤren. Hierauf89 beſchraͤnkt ſich alles Weſentliche, was uͤber dieſen gro - ßen Kuͤnſtler bis auf uns gekommen.

Nun bleibt uns noch ein ſchwieriger Punct in den Nachrichten des Plinius zu unterſuchen uͤbrig; wobey aber wenig Hoffnung iſt, denſelben voͤllig ins Klare zu ſetzen. Mehrmals berichtet naͤmlich der angefuͤhrte Schriftſteller, die aͤlteren großen griechiſchen Meiſter haͤtten ihre unſterblichen Werke nur mit vier Farben gemalt. Er geht noch weiter und ſpecificirt ſogar dieſe vier Farben, deren ſich ſeiner Angabe nach Apelles, Echion, Melanthius und Nicomachus, mit Ausſchluß aller andern Pigmente, ſollen bedient haben.

Von den weißen Farben iſt es das Melinum al - lein, welches eine Kreide war: das Erethriſche hielt man fuͤr das beſte; von den ockerartigen, das Atticum, wahrſcheinlich ein ſchoͤner heller Ocker; von den rothen die pontiſche Sinopis, ohne Zweifel eine rothe Erde wie die Neapolitaniſche; und von den ſchwarzen das Atramentum. Unter der letzten Benennung wird, wie es ſcheint, von Plinius alle ſchwarze Farbe, oder Schwaͤrze uͤberhaupt, und oft eine beſondere Art Schwarz verſtanden; wie hier der Fall ſeyn mag: und folglich iſt es ungewiß, ob er das Erdpech, den Kien - ruß, Kohlſchwarz, oder die aus gebrannten Weinhefen und aus Weintreſtern verfertigte ſchwarze Farbe, oder gar das verkohlte Elfenbein, deſſen Erfindung er dem Apelles zuſchreibt, gemeynt habe.

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So beſtimmt auch Plinius im Ganzen an dieſer Stelle zu ſeyn ſcheint, ſo kann man doch unmoͤglich ſeinen Bericht buchſtaͤblich auslegen, weil offenbare Schwierigkeiten, ja Widerſpruͤche daraus entſtehen wuͤrden. Die angefuͤhrte Stelle kann demnach ſchwer - lich eine andere als die allgemeine Bedeutung haben: daß die großen Meiſter des Colorits in Griechenland denn ohne Zweifel ſind dieſe vorhingenannten in dieſer beſondern Ruͤckſicht aufgefuͤhrt worden ſich bloß einfacher Farbenmittel bedient, aber durch ver - ſtaͤndige kunſtreiche Anwendung derſelben nichts deſto weniger große Wirkungen erzielt und den aͤchten Kunſt - forderungen genug gethan; dahingegen die Maler zu Plinius Zeiten blendende Farben mancherley Art an - wendeten, aber das Weſentlichſte der Kunſt vernach - laͤſſigten.

Man duͤrfte ſich freylich ſehr wundern in Aufzaͤh - lung der einfachen Farben, deren ſich die groͤßten Maler bey den Griechen zu ihren Werken bedient, das Blau ganz vergeſſen zu ſehen. Und wenn es erweislich iſt, daß zur guten Wirkung eines Gemaͤldes unum - gaͤnglich die Totalitaͤt des ganzen Farbenkreiſes erfor - dert wird; ſo muͤßte die hohe Meynung vom Farben - ſpiel und von der Harmonie, welche die Verehrer des Alterthums ſonſt den Werken jener genannten großen Meiſter zuſchreiben mochten, allerdings vermindert wer - den, und ſie ſchwerlich, bey allen uͤbrigen Vorzuͤgen, vor dem Verdacht der Monotonie zu ſchuͤtzen ſeyn. Denn wenn ſie ſich keiner blauen Farbe ſollten bedient91 haben, ſo haͤtte nothwendig auch das friſche Gruͤn mangeln muͤſſen. Allein es iſt keinesweges wahrſchein - lich, daß die großen Meiſter die Vortheile nicht einge - ſehen haben ſollten, welche aus der Anwendung von Blau und Gruͤn fuͤr beſſere Harmonie und Mannig - faltigkeit des Farbenſpiels in Gemaͤlden entſpringen.

Unſres Beduͤnkens muß man daher, um die Stelle beym Plinius zu retten, auf die buchſtaͤbliche Ausle - gung derſelben verzichten, und unter den vier Farben bloß den Gebrauch einfacher Farben verſtehen: denn ſonſt wuͤrde der Autor mit ſich ſelbſt in Widerſpruch gerathen. Er berichtet ja, daß Minium, es ſey nun Zinnober oder Mennig darunter verſtanden, ſchon fruͤh erfunden worden. Er rechnet dem Polygnot als ein Verdienſt an, daß derſelbe ſeinen weiblichen Figuren buntes Kopfzeug gegeben habe, welches aus denen Farben, die er dem Nicias und Apelles ſelbſt nur laſſen will, nicht zu bewerkſtelligen war. Vom Ni - cias wird aber an einem andern Orte ausdruͤcklich ge - meldet, er habe ſich der Uſta, des gebrannten Bley - weißes, zuerſt bedient; und es wird ferner beygefuͤgt, ohne Uſta laſſe ſich der Schatten nicht ausdruͤcken. Folglich muͤßten alle die großen alten Meiſter den Schatten nur unzulaͤnglich dargeſtellt haben. Es geht aber aus den eigenen Anmerkungen, die Plinius uͤber ihre Werke eingeſchaltet hat, ganz das Gegentheil her - vor. Und waͤre es nicht alſo geweſen, haͤtte die Ma - lerey ſich in der That von dieſer Seite erſt ſpaͤter ver - vollkommnet, ſo waͤren ja die Vorwuͤrfe ungerecht,92 die Plinius eben den ſpaͤtern Kuͤnſtlern uͤber die An - wendung mehrerer Farben machen will. Apelles ſelbſt hat ſicherlich ſein Elfenbeinſchwarz um groͤßerer Kraft willen, und um allenfalls die uͤbrigen ſchwarzen Far - ben durch noch tiefere Schwaͤrze abſchattiren zu koͤn - nen, gebraucht, und nicht etwa darum, weil es zur Miſchung in den Fleiſchtinten am bequemſten war, wie ein jeder neuerer Maler wohl aus Erfahrung weiß.

Warum aber vom Plinius unter jenen vier Far - ben das Blau nicht erwaͤhnt wird, erklaͤrt ſich vielleicht durch die Stelle, wo derſelbe vom Atrament oder von ſchwarzen Farben ſpricht, am beſten. Er meldet naͤm - lich, die gebrannten Hefen von gutem Wein gaͤben nach der Behauptung einiger Maler eine Schwaͤrze, welche dem Indicum nahe kaͤme, und Indicum ſelbſt wird von ihm an die ſchwarzen Farben angeſchloſſen. Aus einer folgenden Stelle geht aber hervor, daß un - ter Indicum ſchwerlich etwas andres als der wirkliche Indigo, und alſo blaue Farbe, gemeynt ſeyn kann; die denn auch in Gouach - und Leimfarben noch immer gebraucht wird. Das Blau von Waid, Vitrum, war wenigſtens zur Zeit des Plinius ebenfalls bekannt. Man verfaͤlſchte damals das Indicum damit. Eben ſo ha - ben die Alten das Bergblau, und zu Alexanders Zeiten ſicherlich auch den Lapis Lazuli gekannt. Dieſes iſt es, was wir uͤber eine allerdings ſchwierige und vielfacher, nur nicht woͤrtlicher, Auslegung faͤhige Stelle anzu - merken fuͤr ſchicklich erachtet haben.

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Nachdem wir nun das erſte Entſprießen der grie - chiſchen Malerey, ihre Bluͤten und die herrlichen gol - denen Fruͤchte, die ſie zur Zeit ihres hoͤchſten Glanzes getragen, betrachtet haben, verfolgen wir dieſelbe auch waͤhrend ihres Sinkens bis zu ihrem endlichen Unter - gang. Gewiß, es koͤnnte demjenigen nicht an Gruͤnden fehlen, der eine Naturnothwendigkeit auch hier behaup - ten und ſagen wollte, kein moͤgliches Mittel ſey gewe - ſen, ihren Verfall zu verhindern, da ewige Geſetze ſo die Kunſt wie alle uͤbrigen Dinge einem Anf - und Niederſteigen, der Jugend und dem Alter, dem Er - ſcheinen und Vergehen unterworfen haͤtten. Allein die - ſes duͤrfte uns zu weit von unſerm vorgeſetzten Zwecke ableiten, der hier nicht iſt, Urſachen zu ergruͤnden, ſondern was wahrſcheinlich geſchehen iſt, darzulegen.

So geſchah es alſo, daß hinter dem Apelles und Protogenes, deren Werke man als die hoͤchſten Gipfel der Malerey anſehen kann, die Kunſt, durch immer verſuchte Neuerungen, an Gehalt, an Styl, an Rein - heit der Formen und des Geſchmacks immer mehr ab - nahm.

Aus den freylich ſehr mangelhaften Nachrichten, die uns davon noch uͤbrig ſind, laͤßt ſich ſchließen, daß Maler aufgeſtanden, welche vornehmlich die Wir - kung fuͤrs Auge bezweckten; andere, welche bey gemei - nen Gegenſtaͤnden durch das Gefaͤllige der Ausfuͤhrung; andere, die ſich durch Witz und Laune des Inhalts Beyfall zu erwerben geſucht. Noch von andern wird ausdruͤcklich gemeldet, ſie haͤtten ſich vorzuͤglich durch94 Geſchwindigkeit mit der ſie arbeiteten, hervorgethan. Dieſe waren alſo genoͤthigt, dem Weſentlichen, Ge - nauen, ſorgfaͤltig Ausſtudirten und Wohlgeendigten zu entſagen, und das bloß Scheinbare zu ſuchen. Und ſo werden ihre Arbeiten gegen die Werke des Apelles und Protogenes gehalten, ungefaͤhr eben das Verhaͤlt - niß, wie in neuerer Zeit die Gemaͤlde des Peter von Cortona und des Luca Giordano gegen die des Michel Angelo oder Raphael, gehabt haben.

Mit dieſen wenigen Betrachtungen ſind wir frey - lich genoͤthigt, einen Zeitraum von etwa dreyhundert Jahren, naͤmlich von Alexander dem Großen an bis zu den erſten roͤmiſchen Kaiſern, duͤrftig auszufuͤllen. Allein die ſpaͤrlichen Nachrichten erlauben kein groͤßeres Detail. Von hier an treten wir jedoch aus der Dun - kelheit einigermaßen heraus, und koͤnnen unſere Unter - ſuchungen auf feſterem Grunde fortſetzen. Wenn wir uns ſonſt begnuͤgen mußten zu ſagen: es ſcheint, wir meynen, wir vermuthen; ſo werden nunmehr That - ſachen angefuͤhrt werden koͤnnen, indem wirklich noch Monumente der alten Malerey aus der Zeit, da Pli - nius ſchrieb, wohl auch noch von etwas fruͤherem Datum, vorhanden ſind; desgleichen andere, welche uns uͤber den Zuſtand der Malerey in ſpaͤteren Zeiten belehren.

Bey weitem die groͤßte Zahl der noch jetzt vorhan - denen antiken Gemaͤlde wurde in den Gruͤften von Herculanum und Pompeji wieder gefunden. Nach95 Maßgabe des an ihnen wahrzunehmenden Geſchmackes und Styls gehoͤren ſie, ohne Ausnahme, den Zeiten nach Alexander dem Großen an, und reichen bis da - hin, als unter Titus die erwaͤhnten beyden Staͤdte vom Veſuv mit Lava und Aſche verſchuͤttet wurden. Es waͤre indeſſen moͤglich, daß einige der dort auf - gefundenen Bilder nur Erfindungen aͤlterer Kuͤnſtler, frey und fluͤchtig nachgeahmt, darſtellen. Allein keines zeigt jene einfache Groͤße und Ernſt des Geſchmacks, wodurch es ſich als Originalarbeit eines von den Mei - ſtern, welche vor Alexanders Zeiten gelebt haben, an - kuͤndigte. Vielmehr erſcheint uͤberall der Geiſt einer ſchon ausgebildeten uͤppigen Kunſt, der man ohne Muͤhe anſehen kann, daß ſie nicht im Auf - ſondern im Niederſteigen begriffen iſt. Durchgaͤngig, es moͤgen nun gute oder bloß handwerksmaͤßige Maler den Pinſel gefuͤhrt haben, wird eine ſehr große Leichtigkeit in der Behandlung wahrgenommen, ein herkoͤmmliches Verfah - ren nach uͤberlieferten Regeln. Ob ſchon es eben nicht wahrſcheinlich iſt, daß ſich unter den in Pompeji und Herculanum bis jetzt gefundenen antiken Gemaͤlden wirk - liche Arbeiten hochberuͤhmter Kuͤnſtler befinden, und wir alſo durch dieſe Entdeckungen noch immer keinen durchaus vollſtaͤndigen Begriff erlangen von dem was die Malerkunſt in der Zeit, aus welcher die beſagten Werke ſtammen, leiſten konnte; ſo haben gleichwohl diejenigen Kunſtrichter, welche alle ohne Ausnahme fuͤr mittelmaͤßig erklaͤren wollen, ſich ſehr voreiliger Urtheile ſchuldig gemacht, deren Widerlegung zwar nicht ſchwer fallen duͤrfte, doch uns gegenwaͤrtig zu96 weit von unſerm vorgeſetzten Zweck ableiten wuͤrde. Wir behaupten aber an unſerm Theil, kein unparteyi - ſcher Kenner der Kunſt koͤnne, mit billigen Gruͤn - den, den bekannten Taͤnzerinnen oder den Centauren erhebliche Fehler vorwerfen. In dieſen, ſo wie in noch einigen andern, offenbart ſich ein aͤußerſt zarter, eleganter Geſchmack der Formen. Durchgaͤngig ſind ſie leicht und lieblich gedacht, oft in hohem Grade ſinn - reich. An den Centauren erregt neben den uͤbrigen Verdienſten noch die vollendete Kunſt, mit welcher der Meiſter die Gruppen anordnete, gerechte Bewunderung. Nicht weniger muſterhaft iſt Schatten und Licht in große ununterbrochene Maſſen vertheilt. Die Taͤnze - rinnen, ſo wie verſchiedene andere der beſſeren Bilder, haben einen ganz ungemein froͤhlichen Farbenreiz. Dieſe letzte Eigenſchaft, welche uns hier vornehmlich inter - eſſirt, fuͤhrt auf allgemeinere Betrachtungen.

Saͤmmtliche noch uͤbrig gebliebenen antiken Male - reyen zeigen einen froͤhlichen heiteren Charakter der Far - ben, wodurch ſie ſich auffallend, und, man mag hin - zuſetzen, nicht weniger vortheilhaft von den Arbeiten der Neuern unterſcheiden, als durch die anerkannte Ueberlegenheit in Geſchmack und Styl der Formen. Die Urſache dieſer froͤhlicheren Farbenwirkung kann gro - ßentheils dem froͤhlicheren Geiſt der alten Kunſt zuge - ſchrieben werden, und uͤberdem hat ſelbſt die Malerey mit Waſſerfarben wahrſcheinlich dazu beygetragen; da - hingegen die neuern Maler ſchon durch die Natur der Oelmalerey, welche dem Duͤſtern guͤnſtig iſt, und97 durch den oft ſchwermuͤthigen Inhalt ihrer Bilder, auf einen ganz andren Weg gelenkt wurden.

In Betreff der Harmonie, oder mit andern Wor - ten, der kuͤnſtlichen Stellung und Vertheilung der Farben, ſind die Alten, wie wir uns in der Folge zu zeigen bemuͤhen werden, ſolchen Regeln gefolgt, die ihnen mehrere Mannigfaltigkeit und groͤßern Spiel - raum erlaubten, als die Neuern bey ihrer Weiſe zu denken und zu malen gehabt haben.

Die antiken Gemaͤlde, welche zu Rom in den Ruinen der Baͤder des Titus noch an Ort und Stelle uͤbrig ſind; andere beſſere, die vor etwa dreyßig Jah - ren in der Villa Negroni ausgegraben und ſeither nach England gebracht worden; ferner die beruͤhmte aldo - brandiniſche Hochzeit, welche ſchon im ſiebzehnten Jahr - hundert entdeckt und noch jetzt in Rom befindlich iſt, ſind ohne Zweifel ſaͤmmtlich zeitverwandt mit den Ma - lereyen aus Herculanum und Pompeji. Wenigſtens ent - ſprechen ihre Eigenſchaften und Vorzuͤge einander der - geſtalt, daß wenn wir hier noch einiges Naͤhere uͤber das Colorit, uͤber Anwendung und Austheilung der Farben, wie auch uͤber die Behandlung in der eben erwaͤhnten aldobrandiniſchen Hochzeit beybringen, ſol - ches als von allen den noch vorhandenen antiken Ge - malden beſſerer Art wird gelten koͤnnen.

Beabſichtigter Kuͤrze wegen muͤſſen wir annehmen, unſeren Leſern ſey die Darſtellung der aldobrandini - ſchen Hochzeit ſchon bekannt, und ſo unterlaſſen wirII. 798auch von der Kunſt der Erfindung, der Anordnung, der Zeichnung u. ſ. w. zu reden. Die folgenden Bemer - kungen bezielen demnach vornehmlich nur:

  • Colorit, Ton und Harmonie,
  • die vom Kuͤnſtler angewendeten Farben,
  • die Behandlung.

Obſchon die Arbeit im Ganzen nur fluͤchtig und ſkizzenhaft iſt, ſo war der Maler dennoch mit großer Sorgfalt um zweckmaͤßige Abwechſelung der Farbentoͤne, nach Maßgabe der verſchiedenen Charaktere ſeiner Fi - guren, bemuͤht und hat ſich darin beſonders tuͤchtig er - wieſen. Die zarte auf der Wange der Braut gluͤhende Schamroͤthe contraſtirt vortrefflich mit dem kraͤftigen Ton, in welchem der Braͤutigam gehalten iſt. Auch ſind alle uͤbrigen Figuren des Bildes mit feiner Kunſt ſo nuͤanzirt, wie die Bedeutung einer jeden es erfor - dert. Nicht geringere Fertigkeit und Kenntniſſe zeigte unſer alte Meiſter an den verſchiedenen Stellen, wo er das Durchſcheinende farbiger Gewaͤnder durch Weiß angegeben, wo benachbarte Farben ſich einander mit - theilen; und ferner in der Wahl und Vertheilung der den herrſchenden violetten Ton des Bildes beguͤnſtigen - den und von demſelben wieder gehobenen Farben, zum Zweck einer froͤhlich harmoniſchen Wirkung des Ganzen.

Den Ton eigens betreffend, moͤgen hier zu mehrerer Deutlichkeit noch folgende Bemerkungen Platz nehmen.

Wenn die, Neuern, vielleicht durch das Bequeme einiger Farben in der Oelmalerey veranlaßt, den Ton ihrer Bilder faſt immer gelb gewaͤhlt, oder auch zu -99 weilen die Uebereinſtimmung, wie durch daͤmmerndes Licht, mit dem farbeloſen Dunkel des Asphalts zu be - wirken geſucht; ſo iſt man hingegen durch den vorhin erwaͤhnten violetten Ton, welcher in der aldobrandini - ſchen Hochzeit erſcheint, ohne Zweifel berechtigt, der Malerey der Alten uͤberhaupt mehrere Mannigfaltigkeit und Ausbildung von dieſer Seite zuzuſchreiben, und beſagtes Bild, inſofern ſich naͤmlich fuͤr Erweiterung der Kunſt nutzbare Regeln aus demſelben ableiten oder wieder auffinden laſſen, den Kuͤnſtlern unſerer Zeit zur aufmerkſamen Beobachtung zu empfehlen. Ein bunter, als Einfaſſung, unten durch gezogener Streifen, bey - nahe auf die Art eines prismatiſchen Farbenbildes ab - ſchattirt, duͤrfte dem Betrachtenden, nach allem, wo - von wir bereits gehandelt haben, noch beſonders auf - fallen, vielleicht raͤthſelhaft, vielleicht auch nur zufaͤl - lig und ohne Bedeutung ſcheinen. Wir unſeres Orts waͤren der Vermuthung geneigt, der antike Maler habe dieſen Streifen ſo zu ſagen als Declaration der von ihm beabſichtigten Farbenharmonie und Tons unter ſein Werk geſetzt. Hierdurch ſoll nun einer wahrſcheinliche - ren und beſſern Erklaͤrung keinesweges vorgegriffen ſeyn; unterdeſſen iſt die Sache von ſolchem Belang, daß wir vorlaͤufig uns die Freyheit nehmen, die Freun - de der alten Kunſt, bey etwa vorkommenden Entde - ckungen antiker Malereyen, zur naͤheren Erforſchung derſelben aufzufordern.

Gegen die Angabe von der Mannigfaltigkeit des allgemeinen Farbentons in den Gemaͤlden der Alten duͤrſte vielleicht eingewendet werden: daß Plinius7 *100zwar von dem Kunſtbehelf des Tons uͤberhaupt als von einer Kuͤnſtlern und Kunſtrichtern wohlbekannten Sache ſpreche, daß aber eben aus ſeiner Beſchreibung des bewunderten, Farben maͤßigenden und vereinbaren - den Ueberzugs oder Firniſſes des Apelles weniger fuͤr als gegen eine damals uͤbliche Mannigfaltigkeit des Far - bentones zu ſchließen ſey; falls aber eine ſolche Man - nigfaltigkeit erſt in ſpaͤten Zeiten waͤre aufgebracht wor - den, ſo moͤchte Plinius, da er dieſer Erfindung nicht eigens gedacht hat, ſie wohl uͤberhaupt bloß nur unter die uͤberfluͤßigen, wahrer Kunſt nachtheiligen Kuͤnſte - leyen gerechnet haben.

Auf dergleichen Einwendungen wuͤrden wir etwa folgendermaßen antworten.

Iſt eine vorherrſchende Farbe, oder durchgehender Schein von einerley Farbe, den wir Ton nennen, ein wirklich nuͤtzlicher und noͤthiger Kunſtbehelf zur Erzwe - ckung harmoniſcher Anmut in der Malerey, dann gibt es keinen guͤltigen Grund, warum dieſer Behelf bloß auf eine einfoͤrmige und nicht lieber auf die moͤglichſt mannigfaltige Weiſe angewendet werden ſollte, da ſin - nige geſchickte Kuͤnſtler ſich groͤßerer Verſchiedenheit zum Behuf der Bedeutung ohne Zweifel nuͤtzlich zu bedienen wiſſen werden. Ueberdem ſchließt die Laſirung des Apelles, deren Plinius gedenkt, den verſchiedenfarbi - gen Ton in Gemaͤlden nicht unbedingt aus; jene La - ſirung, deren Apelles zur letzten Vollendung ſeiner Bilder ſich bediente, verurſachte nur uͤberhaupt einen milden Schein, eine groͤßere Uebereinſtimmung des Lichts und der Farben; das Werk mochte uͤbrigens ge -101 malt ſeyn aus was fuͤr einem Tone der Charakter und die Bedeutung des Gegenſtandes es forderten. So ſe - hen wir, um durch Beyſpiele das Geſagte deutlicher zu machen, etwa von Rembrand oder vom Ferdinand Bol, Bilder in ſehr gelbem Tone gemalt, wo aber doch wieder durch die letzten endenden Laſuren ein alle Farben, alle Lichter mildernder Schein, eine dem Auge ſchmeichelnde Daͤmmerung uͤber das Ganze ergoſſen iſt. Adrian von Oſtade, nebſt einigen andern Meiſtern, hat hingegen Bilder geliefert, woran kein entſchiedener Ton einer im Allgemeinen uͤbergreifenden Farbe wahr - genommen wird, deren ſtille Harmonie einzig durch den Ueberzug einer farbloſen bloß dunklen Laſirung bewirkt iſt, und man die Gegenſtaͤnde erblickt ungefaͤhr wie ſie im ſchwarz unterlegten Spiegel erſcheinen.

Wenn wir unſere Betrachtungen uͤber die aldo - brandiniſche Hochzeit nun weiter fortſetzen und theils die kunſtmaͤßige Vertheilung der Farben, theils die an - gewendeten Farbenſtoffe fuͤr ſich ſelbſt in Erwaͤgung zie - hen; ſo zeigt ſich das Weiße, Gelbe, Gruͤne und Vio - lette, zwar in verſchiedenen Nuͤanzen, uͤbrigens aber an Maſſe oder Quantitaͤt ohngefaͤhr gleichmaͤßig durch das ganze Bild vertheilt. Reines Blau iſt wenig und nur in heller Miſchung zur Luft und zum Untergewan - de der Braut gebraucht; hingegen deſto oͤfter eine hohe Purpur - oder Lackfarbe, die aber nirgends Maſſe macht, ſondern nur die Schatten bricht und erwaͤrmt, oder auch Changeant bewirkt, und ſo auf verſchiedene Weiſe zur allgemeinen Harmonie des Ganzen ſehr weſentlich beytraͤgt. Daß Zinnoberroth und Orangefarb ausge -102 ſchloſſen ſind, mag noch ferner die Einſichten und das zweckmaͤßige Verfahren des Kuͤnſtlers bewaͤhren. Denn dieſe Farben wuͤrden dem von ihm beabſichtigten froͤh - lichen und doch ſanften Farbenſpiel entgegen und un - vereinbar mit dem uͤberhaupt herrſchenden violetten Ton geweſen ſeyn.

Die weiße Farbe, deren ſich unſer Meiſter be - diente, ſcheint wenig Koͤrper zu haben, und iſt wahr - ſcheinlich eine Art Kreide, worunter man ſich alſo das Melinum, deſſen Plinius gedenkt, vorzuſtellen haͤtte; das Gelb eine ganz ausnehmend ſchoͤne goldgelbe Ocher - art, vermuthlich das attiſche Sil. Von dem Gruͤn, welches einen reinen friſchen Schein hat, getrauen wir uns nicht zu entſcheiden, ob es durch Miſchung her - vorgebracht oder in ſeinem natuͤrlichen Zuſtande ange - wendet worden, ſind aber doch aus verſchiedenen Gruͤn - den geneigt, das letztere zu glauben. Zum Roth dien - te außer der vorerwaͤhnten Purpurfarbe oder Lack eine ſchoͤne rothe Erde, welche wohl fuͤr die Synopis gel - ten koͤnnte, wenn man nicht etwa lieber annehmen will, die neapolitaniſche rothe Erde ſey zu Rom um die Zeit, da dieſes Gemaͤlde verfertigt wurde, bereits bekannt geweſen; woruͤber jedoch, ſo viel wir wiſſen, keine beſtimmten Nachrichten vorhanden ſind. Von dem Blau halten wir uns fuͤr uͤberzeugt, daß es aus Indigo beſteht, welcher gemiſcht mit der vorgedachten Purpurfarbe auch das Violett gegeben. In vertiefenden Miſchungen, beſonders im Schatten der Fleiſchpar - tieen, mag ferner noch ein brauner Ocher angewandt ſeyn, und in den dunkelſten Strichen laͤßt ſich die Ge -103 genwart einer ſchwarzbraunen Erde von der Art, wie die Caſſeler und Coͤllniſchen Erden ſind, wahrnehmen. Schwarz zeigt ſich im Grauen ſehr innig mit der wei - ßen Farbe vereint, woraus man alſo eher auf Ruß als auf Kohle ſchließen kann. Dieſes ſind die ſaͤmmtli - chen Farben, deren Spur wir in dieſem Gemaͤlde be - merkt zu haben glauben.

Die Behandlung oder das an demſelben beobach - tete techniſche Verfahren ſcheint ein etwas anderes und Vollkommneres, als das heut zu Tage uͤbliche mit Gouache oder Leimfarben. Ohne ſo verſchmolzen ſanft und weich zu ſeyn, als Malerey mit Oelfarben, ge - waͤhrte es doch im Ganzen faſt eben die Vortheile fuͤr allgemeine Wirkung und erhielt nebenbey die Eigen - ſchaften, durch welche ſich Waſſerfarben vorzuͤglich empfehlen, naͤmlich das Froͤhlichere, Heitere uͤberhaupt und die Wahrheit in den Toͤnen der beleuchteten Partien.

Wir gedenken mit dieſer Bemerkung keineswegs die Oelmalerey verdaͤchtig zu machen, ſind auch gar nicht des Glaubens derer, welche da meynen, man koͤnne mit Erneuerung des techniſchen Verfahrens der Alten auch den Geiſt ihrer Kunſt wieder aufrufen; eben ſo wenig moͤchten wir uns aber auch zu denen bekennen, die hingegen aus dem Gebrauche der Oelfar - ben eine Ueberlegenheit der neueren Malerey uͤber die alte zu zeigen gedachten. So viel ſcheint ſich aus un - ſern angeſtellten Unterſuchungen als wahr zu ergeben, daß die Alten ihre zwar einfachen Mittel ſehr zweck - maͤßig zu behandeln gewußt und damit jedem we -104 ſentlichen Kunſterforderniß hinlaͤnglich Genuͤge leiſten konnten.

Der Meiſter der aldobrandiniſchen Hochzeit malte auf weißen glatten Grund, welches auch bey mehreren andern antiken Malereyen der Fall iſt, wie aus Stel - len, wo die Farben ſich abgeloͤſet, klar wird. Ob Leim, Gummi, Eyer, Milch von Feigenſproͤßlingen, oder welches andre Bindungsmittel den Farben beyge - miſcht worden, laͤßt ſich vor der Hand nicht beſtimmt nachweiſen. Daß es Wachs geweſen, iſt wenigſtens in Hinſicht auf die aldobrandiniſche Hochzeit unwahr - ſcheinlich, weil ſich die laſirenden, der Aquarelle aͤhn - lichen Farben uͤber Wachs ſchwerlich haͤtten auftragen laſſen, und fruͤher, als der Ueberzug mit Wachs ge - ſchehen war, ebenfalls nicht anders als aͤußerſt unbe - quem, indem ihre Feuchtigkeit zu ſchnell in die unter - liegenden trocknen Farben wuͤrde eingedrungen ſeyn. Uebrigens laͤßt eben der Umſtand, daß die erwaͤhnten laſirenden Farben viel und mit Bequemlichkeit ange - wendet ſind, auf ein feſtes, den geſammten Farben beygemiſchtes Bindemittel ſchließen. Die erſte Anlage iſt voͤllig in der Art gemacht, wie noch jetzt in Leim - und Freseofarben zu geſchehen pflegt, naͤmlich in gro - ßen hellen und dunkeln Maſſen, beydes mittlere Tin - ten, wohinein denn, beſonders im Fleiſch, mit nicht ſehr regelmaͤßigen Schraffirungen, in den Gewaͤndern hingegen zuweilen mit freyen breitern Pinſelſtrichen, die weitern Vertiefungen gearbeitet ſind. Auf die an - gelegten hellen Partieen wurden die hoͤhern Lichttinten keck aufgeſetzt und endlich durch die mehrmals erwaͤhn -105 ten verduͤnnten, der Aquarelle vergleichbaren, bloß la - ſirenden Farben (vornehmlich Purpur und ſchwaͤrzlich Braun) das Werk vollendet, dem Ganzen mehr Ueber - einſtimmung, dem Schatten groͤßere Klarheit gegeben, und die Einwirkung einer jeden Farbe auf die benach - barte angedeutet. Vielleicht ſind ganz zuletzt noch eini - ge Striche des vorſtechendſten Lichts aufgeſetzt worden, mit einem Wort, man bemerkt durchgehends, wenn ſchon nicht die Hand eines großen Meiſters, doch die eines fertigen Malers und in den Kunſtregeln, nach welchen er verfahren, die herrliche Schule, worin er ſich gebildet. Verſchiedene, obwohl nicht eben vorzuͤg - lich bedeutende Reſte alter Malerey in den Ruinen der Villa des Hadrian bey Tivoli, die lebensgroße Figur der Roma im Pallaſt Barberini zu Rom, welche nach der Meynung einiger Alterthumsforſcher aus Conſtan - tins Zeit ſeyn ſoll, allein wie wir nach Maßgabe des darin herrſchenden Geſchmacks glauben, fruͤher entſtan - den iſt; ferner einige Bilder von geringem Umfang und nicht großen Verdienſten, im Pallaſt Rospiglioſi eben - falls zu Rom, zeigen alle dieſelbe heitere Anmut in den Farben und ſind, ſo viel ſich aus ihren beſchraͤnk - tern Darſtellungen wahrnehmen laͤßt, in eben der Ma - nier, oder wenn man lieber will, unter dem Einfluß aͤhnlicher Grundſaͤtze verfertigt, als wir kurz zuvor be - merkt haben und deutlicher aus einander zu ſetzen be - muͤht geweſen ſind.

Einige von den Herculaniſchen Bildern ausgenom - men, mochten alle uͤbrigen von uns bisher erwaͤhnten, noch vorhandenen, antiken Malereyen, die beſſern Mo -106 ſaiken mit eingerechnet, welche indeſſen ihrer Natur nach nur wenig Unterricht gewaͤhren, etwa aus dem Zeitraum von Auguſtus bis auf Conſtantin den Gro - ßen herruͤhren; nachher ging die verfallende Kunſt in geiſtloſe Manier uͤber, die Nachahmung der Natur wurde ſeltener und in eben dem Maße verſchwand auch der beſſre Geſchmack im Colorit, der Sinn fuͤr Harmo - nie der Farbe.

Werke der Malerey von einigermaßen betraͤchtli - chem Umfang aus dem fuͤnften, ſechſten, ſiebenten und vielleicht auch achten Jahrhundert der chriſtlichen Zeit - rechnung ſind uns aus eigener Anſchauung nicht be - kannt; allein an Madonnen - und Heiligen-Bildern, welche vermuthlich noch ſpaͤter in Conſtantinopel fabri - zirt worden, zeigt es ſich, daß der Begriff von natur - nachahmendem Colorit gaͤnzlich verloren gegangen war. Denn die Geſichter derſelben, ſo wie Haͤnde und Fuͤße, ſind nußbraun gefaͤrbt und mit weißgelblichen grellen Strichen regellos und unannehmlich aufgeblickt. So - gar der Glaube an die Moͤglichkeit, einem Bilde durch die Kunſt Werth zu ertheilen, ſcheint den Malern da - maliger Zeit ausgegangen geweſen zu ſeyn. Daher be - muͤhten ſie ſich bloß durch koͤſtliches Material ihren Arbeiten einige Achtung zu verſchaffen. Aus dieſem Grunde waren Moſaiken die geſchaͤtzteſten Malereyen; den uͤbrigen gab man durch ſtark vergoldeten Grund, durch Ultramarin und Purpurfarbe ſo viel moͤglich ein reiches Anſehen.

107

Betrachtungen uͤber Farbenlehre und Farbenbehandlung der Alten.

Wie irgend Jemand uͤber einen gewiſſen Fall denke, wird man nur erſt recht einſehen, wenn man weiß, wie er uͤberhaupt geſinnt iſt. Dieſes gilt, wenn wir die Meynungen uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde, es ſey nun einzelner Menſchen oder ganzer Schulen und Jahr - hunderte, recht eigentlich erkennen wollen. Daher iſt die Geſchichte der Wiſſenſchaften mit der Geſchichte der Philoſophie innigſt verbunden, aber eben ſo auch mit der Geſchichte des Lebens und des Charakters der In - dividuen, ſo wie der Voͤlker.

So begreift ſich die Geſchichte der Farbenlehre auch nur in Gefolg der Geſchichte aller Naturwiſſen - ſchaften. Denn zur Einſicht in den geringſten Theil iſt die Ueberſicht des Ganzen noͤthig. Auf eine ſolche Be - handlung koͤnnen wir freylich nur hindeuten; indeſſen wenn wir unter unſern Materialien manches mit ein - fuͤhren, was nicht unmittelbar zum Zwecke zu gehoͤren ſcheint; ſo iſt ihm doch eigentlich nur deßwegen der Platz gegoͤnnt, um an allgemeine Bezuͤge zu erinnern,108 welches in der Geſchichte der Farbenlehre um ſo noth - wendiger iſt, als ſie ihre eigenen Schickſale gehabt hat und auf dem Meere des Wiſſens bald nur fuͤr kurze Zeit auftaucht, bald wieder auf laͤngere niederſinkt und verſchwindet.

In wiefern bey der erſten Entwickelung nachſin - nender Menſchen myſtiſch-arithmetiſche Vorſtellungsar - ten wirklich ſtatt gefunden, iſt ſchwer zu beurtheilen, da die Documente meiſtens verdaͤchtig ſind. Manches andre, was man uns von jenen Anfaͤngen gern moͤchte glauben machen, iſt eben ſo unzuverlaͤſſig, und wenige werden uns daher verargen, wenn wir den Blick von der Wiege ſo mancher Nationen weg und dahin wen - den, wo uns eine erfreuliche Jugend entgegen kommt.

Die Griechen, welche zu ihren Naturbetrachtungen aus den Regionen der Poeſie heruͤberkamen, erhielten ſich dabey noch dichteriſche Eigenſchaften. Sie ſchauten die Gegenſtaͤnde tuͤchtig und lebendig und fuͤhlten ſich gedrungen, die Gegenwart lebendig auszuſprechen. Su - chen ſie ſich darauf von ihr durch Reſiexion loszuwin - den, ſo kommen ſie wie Jedermann in Verlegenheit, indem ſie die Phaͤnomene fuͤr den Verſtand zu bearbei - ten denken. Sinnliches wird aus Sinnlichem erklaͤrt, daſſelbe durch daſſelbe. Sie finden ſich in einer Art von Cirkel und jagen das Unerklaͤrliche immer vor ſich her im Kreiſe herum.

Der Bezug zu dem Aehnlichen iſt das erſte Huͤlfsmittel, wozu ſie greifen. Es iſt bequem und nuͤtzlich, indem109 dadurch Symbole entſtehen, und der Beobachter einen dritten Ort außerhalb des Gegenſtandes findet; aber es iſt auch ſchaͤdlich, indem das, was man ergreifen will, ſogleich wieder entwiſcht, und das, was man geſondert hat, wieder zuſammen fließt.

Bey ſolchen Bemuͤhungen fand man gar bald, daß man nothwendig ausſprechen muͤſſe, was im Subject vorgeht, was fuͤr ein Zuſtand in dem Betrachtenden und Beobachtenden erregt wird. Hierauf entſtand der Trieb, das Aeußere mit dem Innern in der Betrach - tung zu vereinen; welches freylich mitunter auf eine Weiſe geſchah, die uns wunderlich, abſtrus und unbe - greiflich vorkommen muß. Der Billige wird jedoch des - halb nicht uͤbler von ihnen denken, wenn er geſtehen muß, daß es uns, ihren ſpaͤten Nachkommen, oft ſelbſt nicht beſſer geht.

Aus dem, was uns von den Pythagoreern uͤberliefert wird, iſt wenig zu lernen. Daß ſie Farbe und Oberflaͤche mit Einem Worte bezeichnen, deutet auf ein ſinnlich gutes, aber doch nur gemeines Gewahr - werden, das uns von der tiefern Einſicht in das Pe - netrative der Farbe ablenkt. Wenn auch ſie das Blaue nicht nennen, ſo werden wir abermals erinnert, daß das Blaue mit dem Dunklen und Schattigen dergeſtalt innig verwandt iſt, daß man es lange Zeit dazu zaͤh - len konnte.

Die Geſinnungen und Meynungen Demokrits beziehen ſich auf Forderungen einer erhoͤhten geſchaͤrften110 Sinnlichkeit und neigen ſich zum Oberflaͤchlichen. Die Unſicherheit der Sinne wird anerkannt; man findet ſich genoͤthigt, nach einer Controlle umherzuſchauen, die aber nicht gefunden wird. Denn anſtatt bey der Ver - wandtſchaft der Sinne nach einem ideellen Sinn auf - zublicken, in dem ſich alle vereinigten; ſo wird das Geſehene in ein Getaſtetes verwandelt, der ſchaͤrfſte Sinn ſoll ſich in den ſtumpfſten aufloͤſen, uns durch ihn begreiflicher werden. Daher entſteht Ungewißheit anſtatt einer Gewißheit. Die Farbe iſt nicht, weil ſie nicht getaſtet werden kann, oder ſie iſt nur inſofern, als ſie allenfalls taſtbar werden koͤnnte. Daher die Symbole von dem Taſten hergenommen werden. Wie ſich die Oberflaͤchen glatt, rauh, ſcharf, eckig und ſpitz finden, ſo entſpringen auch die Farben aus dieſen ver - ſchiedenen Zuſtaͤnden. Auf welche Weiſe ſich aber hier - mit die Behauptung vereinigen laſſe, die Farbe ſey ganz conventionell, getrauen wir uns nicht aufzuloͤſen. Denn ſobald eine gewiſſe Eigenſchaft der Oberflaͤche eine gewiſſe Farbe mit ſich fuͤhrt, ſo kann es doch hier nicht ganz an einem beſtimmten Verhaͤltniß fehlen.

Betrachten wir nun Epikur und Lukrez, ſo gedenken wir einer allgemeinen Bemerkung, daß die originellen Lehrer immer noch das Unaufloͤsbare der Aufgabe empfinden, und ſich ihr auf eine naive ge - lenke Weiſe zu naͤhern ſuchen. Die Nachfolger werden ſchon didactiſch, und weiterhin ſteigt das Dogmatiſche bis zum Intoleranten.

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Auf dieſe Weiſe moͤchten ſich Demokrit, Epikur und Lukrez verhalten. Bey dem Letztern finden wir die Geſinnung der Erſtern, aber ſchon als Ueberzeu - gungsbekenntniß erſtarrt und leidenſchaftlich parteiiſch uͤberliefert.

Jene Ungewißheit dieſer Lehre, die wir ſchon oben bemerkt, verbunden mit ſolcher Lebhaftigkeit einer Lehr - uͤberlieferung, laͤßt uns den Uebergang zur Lehre der Pyrrhonier finden. Dieſen war alles ungewiß, wie es Jedem wird, der die zufaͤlligen Bezuͤge irdiſcher Dinge gegen einander zu ſeinem Hauptaugenmerk macht; und am wenigſten waͤre ihnen zu verargen, daß ſie die ſchwankende, ſchwebende, kaum zu erha - ſchende Farbe fuͤr ein unſicheres, nichtiges Meteor an - ſehen: allein auch in dieſem Puncte iſt nichts von ih - nen zu lernen, als was man meiden ſoll.

Dagegen nahen wir uns dem Empedokles mit Vertrauen und Zuverſicht. Er erkennt ein Aeuße - res an, die Materie; ein Inneres, die Organiſation. Er laͤßt die verſchiedenen Wirkungen der erſten, das mannigfaltig Verflochtene der andern, gelten. Seine πόροω machen uns nicht irre. Freylich entſpringen ſie aus der gemein-ſinnlichen Vorſtellungsart. Ein Fluͤſ - ſiges ſoll ſich beſtimmt bewegen; da muß es ja wohl eingeſchloſſen ſeyn, und ſo iſt der Canal ſchon fertig. Und doch laͤßt ſich bemerken, daß dieſer Alte gedachte Vorſtellung keinesweges ſo roh und koͤrperlich genommen habe, als manche Neuern; daß er vielmehr daran nur ein bequemes faßliches Symbol gefunden. Denn die112 Art, wie das Aeußere und Innere eins fuͤr das an - dre da iſt, eins mit dem andern uͤbereinſtimmt, zeigt ſogleich von einer hoͤhern Anſicht, die durch jenen all - gemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem er - kannt, noch geiſtiger erſcheint.

Daß Zeno, der Stoiker, auch irgendwo ſichern Fuß faſſen werde, laͤßt ſich denken. Jener Ausdruck: die Farben ſeyen die erſten Schematismen der Materie, iſt uns ſehr[willkommen]. Denn wenn dieſe Worte im antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hin - einlegen koͤnnten, ſo ſind ſie doch immer bedeutend ge - nug. Die Materie tritt in die Erſcheinung, ſie bildet, ſie geſtaltet ſich. Geſtalt bezieht ſich auf ein Geſetz und nun zeigt ſich in der Farbe, in ihrem Beſtehen und Wechſeln, ein Naturgeſetzliches fuͤrs Auge, von keinem andern Sinne leicht unterſcheidbar.

Noch willkommner tritt uns bey Plato jede vo - rige Denkweiſe, gereinigt und erhoͤht, entgegen. Er ſondert, was empfunden wird. Die Farbe iſt ſein viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das Innere, das dem Aeußern antwortet, wie beym Em - pedokles, nur geiſtiger und maͤchtiger; aber was vor allem ausdruͤcklich zu bemerken iſt, er kennt den Hauptpunct der ganzen Farben - und Lichtſchatten-Leh - re; denn er ſagt uns: durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch das Schwarze geſammelt.

Wir moͤgen anſtatt der griechiſchen Worte συγκρί - νειν und διακρίνειν in anderen Sprachen ſetzen was113 wir wollen: Zuſammenziehen, Ausdehnen, Sammlen, Entbinden, Feſſeln, Loͤſen, rétrécir und développer etc. ſo finden wir keinen ſo geiſtig-koͤrperlichen Aus - druck fuͤr das Pulſiren, in welchem ſich Leben und Empfinden ausſpricht. Ueberdieß ſind die griechiſchen Ausdruͤcke Kunſtworte, welche bey mehrern Gelegen - heiten vorkommen, wodurch ſich ihre Bedeutſamkeit jedesmal vermehrt.

So entzuͤckt uns denn auch in dieſem Fall, wie in den uͤbrigen, am Plato die heilige Scheu, womit er ſich der Natur naͤhert, die Vorſicht, womit er ſie gleichſam nur umtaſtet, und bey naͤherer Bekannt - ſchaft vor ihr ſogleich wieder zuruͤcktritt, jenes Er - ſtaunen, das, wie er ſelbſt ſagt, den Philoſophen ſo gut kleidet.

Den uͤbrigen Gehalt jener kurzen aus dem Ti - maͤus ausgezogenen Stelle bringen wir in dem Fol - genden nach, indem wir unter dem Namen des Ari - ſtoteles alles verſammeln koͤnnen, was den Alten uͤber dieſen Gegenſtand bekannt geweſen.

Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im Auge; ſie fuͤhlten ſodann als reine kraͤftige Menſchen die Selbſtthaͤtigkeit dieſes Organs und deſſen Gegen - wirken gegen das Aeußre ſichtbare; nur ſprachen ſie dieſes Gefuͤhl ſo wie des Faſſens, des Ergreifens der Gegenſtaͤnde mit dem Auge durch allzu krude Gleichniſſe aus. Die Einwirkung des Auges nicht aufs Auge allein, ſondern auch auf andre Gegenſtaͤnde erſchienII. 8114ihnen ſo maͤchtig wunderſam, daß ſie eine Art von Bann und Zauber gewahr zu werden glaubten.

Das Sammlen und Entbinden des Auges durch Licht und Finſterniß, die Dauer des Eindrucks war ihnen bekannt. Von einem farbigen Abklingen, von einer Art Gegenſatz finden ſich Spuren. Ariſtoteles kannte den Werth und die Wuͤrde der Beachtung der Gegenſaͤtze uͤberhaupt. Wie aber Einheit ſich in Zwey - heit ſelbſt auseinander lege, war den Alten verborgen. Sie kannten den Magnet, das Electron, bloß als Anziehen; Polaritaͤt war ihnen noch nicht deutlich ge - worden. Und hat man bis auf die neuſten Zeiten nicht auch nur immer der Anziehung die Aufmerkſam - keit geſchenkt, und das zugleich geforderte Abſtoßen nur als eine Nachwirkung der erſten ſchaffenden Kraft betrachtet?

In der Farbenlehre ſtellten die Alten Licht und Finſterniß, Weiß und Schwarz, einander entgegen. Sie bemerkten wohl, daß zwiſchen dieſen die Farben entſpringen; aber die Art und Weiſe ſprachen ſie nicht zart genug aus, obgleich Ariſtoteles ganz deutlich ſagt, daß hier von keiner gemeinen Miſchung die Rede ſey.

Derſelbe legt einen ſehr großen Werth auf die Er - kenntniß des Diaphanen, als des Mittels, und kennt ſo gut als Plato die Wirkung des truͤben Mittels zu Hervorbringung des Blauen. Bey allen ſeinen Schrit - ten aber wird er denn doch durch Schwarz und Weiß, das er bald materiell nimmt, bald ſymboliſch oder115 vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre ge - fuͤhrt.

Die Alten kannten das Gelbe, entſpringend aus gemaͤßigtem Licht; das Blaue bey Mitwirkung der Fin - ſterniß; das Rothe durch Verdichtung, Beſchattung, obgleich das Schwanken zwiſchen einer atomiſtiſchen und dynamiſchen Vorſtellungsart auch hier oft Undeut - lichkeit und Verwirrung erregt.

Sie waren ganz nahe zu der Eintheilung gelangt, die auch wir als die guͤnſtigſte angeſehen haben. Ei - nige Farben ſchrieben ſie dem bloßen Lichte zu, andere dem Licht und den Mitteln; andre den Koͤrpern als inwohnend, und bey dieſen letztern kannten ſie das Ober - flaͤchliche der Farbe ſowohl als ihr Penetratives und hatten in die Umwandlung der chemiſchen Farben gute Einſichten. Wenigſtens wurden die verſchiedenen Faͤlle wohl bemerkt und die organiſche Kochung wohl beachtet.

Und ſo kann man ſagen, ſie kannten alle die hauptſaͤchlichſten Puncte, worauf es ankommt; aber ſie gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen und zuſammen zu bringen. Und wie einem Schatz - graͤber, der durch die maͤchtigſten Formeln den mit Gold und Juwelen gefuͤllten blinkenden Keſſel ſchon bis an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein Einziges an der Beſchwoͤrung verſieht, das nah ge - hoffte Gluͤck unter Gepraſſel und Gepolter und daͤmo - niſchem Hohngelaͤchter wieder zuruͤckſinkt, um auf ſpaͤte Epochen hinaus abermals verſcharrt zu liegen; ſo8 *116iſt auch jede unvollendete Bemuͤhung fuͤr Jahrhunderte wieder verloren; woruͤber wir uns jedoch troͤſten muͤſ - ſen, da ſogar von mancher vollendeten Bemuͤhung kaum noch eine Spur uͤbrig bleibt.

Werfen wir nun einen Blick auf das allgemeine Theoretiſche, wodurch ſie das Gewahrgewordne ver - binden; ſo finden wir die Vorſtellung, daß die Ele - mente von den Farben begleitet werden. Die Ein - theilung der urſpruͤnglichen Naturkraͤfte in vier Ele - mente iſt fuͤr kindliche Sinnen faßlich und erfreulich, ob ſie gleich nur oberflaͤchlich gelten kann; aber die unmittelbare Begleitung der Elemente durch Farben iſt ein Gedanke, den wir nicht ſchelten duͤrfen, da wir ebenfalls in den Farben eine elementare uͤber alles aus - gegoſſene Erſcheinung anerkennen.

Ueberhaupt aber entſprang die Wiſſenſchaft fuͤr die Griechen aus dem Leben. Beſchaut man das Buͤchelchen uͤber die Farben genau, wie gehaltvoll fin - det man ſolches. Welch ein Aufmerken, welch ein Aufpaſſen auf jede Bedingung, unter welcher dieſe Er - ſcheinung zu beobachten iſt. Wie rein, wie ruhig gegen ſpaͤtre Zeiten, wo die Theorieen keinen andern Zweck zu haben ſchienen, als die Phaͤnomene bey Seite zu bringen, die Aufmerkſamkeit von ihnen ab - zulenken, ja ſie wo moͤglich aus der Natur zu ver - tilgen.

Das was man unter jenen Elementen verſtand, mit allen Zufaͤlligkeiten ihres Erſcheinens, ward be -117 obachtet: Feuer ſo gut als Rauch, Waſſer ſo gut als das daraus entſpringende Gruͤn, Luft und ihre Truͤbe, Erde rein und unrein gedacht. Die apparenten Far - ben wechſeln hin und her; mannigfaltig veraͤndert ſich das Organiſche; die Werkſtaͤtten der Faͤrber werden beſucht und das Unendliche Unbeſtimmbare des engen Kreiſes recht wohl eingeſehen.

Wir laͤugnen nicht, daß uns manchmal der Ge - danke gekommen, eben gedachtes Buͤchlein umzuſchreiben mit ſo wenig Abaͤnderungen als moͤglich, wie es ſich vielleicht bloß durch Veraͤnderung des Ausdrucks thun ließe. Eine ſolche Arbeit waͤre wohl fruchtbarer, als durch einen weitlaͤuftigen Commentar auseinander zu ſe - tzen, worin man mit dem Verfaſſer eins oder uneins waͤre. Jedes gute Buch, und beſonders die der Al - ten, verſteht und genießt Niemand, als wer ſie ſuppli - ren kann. Wer etwas weiß, findet unendlich mehr in ihnen, als derjenige, der erſt lernen will.

Sehen wir uns aber nach den eigentlichen Urſa - chen um, wodurch die Alten in ihren Vorſchritten ge - hindert worden; ſo finden wir ſie darin, daß ihnen die Kunſt fehlt, Verſuche anzuſtellen, ja ſogar der Sinn dazu. Die Verſuche ſind Vermittler zwiſchen Natur und Begriff, zwiſchen Natur und Idee, zwi - ſchen Begriff und Idee. Die zerſtreute Erfahrung zieht uns allzuſehr nieder und iſt ſogar hinderlich, auch nur zum Begriff zu gelangen. Jeder Verſuch aber iſt ſchon theoretiſirend; er entſpringt aus einem Be - griff oder ſtellt ihn ſogleich auf. Viele einzelne Faͤlle118 werden unter ein einzig Phaͤnomen ſubſummirt; die Erfahrung kommt ins Enge, man iſt im Stande wei - ter vorwaͤrts zu gehen.

Die Schwierigkeit, den Ariſtoteles zu verſtehen, ent - ſpringt aus der antiken Behandlungsart, die uns fremd iſt. Zerſtreute Faͤlle ſind aus der gemeinen Empirie aufgegriffen, mit gehoͤrigem und geiſtreichen Raͤſonne - ment begleitet, auch wohl ſchicklich genug zuſammen - geſtellt; aber nun tritt der Begriff ohne Vermittlung hinzu, das Raͤſonnement geht ins Subtile und Spitz - fuͤndige, das Begriffene wird wieder durch Begriffe bearbeitet, anſtatt daß man es nun deutlich auf ſich beruhen ließe, einzeln vermehrte, maſſenweiſe zuſam - menſtellte, und erwartete, ob eine Idee daraus entſprin - gen wolle, wenn ſie ſich nicht gleich von Anfang an dazu geſellte.

Hatten wir nun bey der wiſſenſchaftlichen Behand - lung, wie ſie von den Griechen unternommen worden, wie ſie ihnen gegluͤckt, manches zu erinnern; ſo tref - fen wir nunmehr, wenn wir ihre Kunſt betrachten, auf einen vollendeten Kreis, der, indem er ſich in ſich ſelbſt abſchließt, doch auch zugleich als Glied in jene Bemuͤhungen eingreift und, wo das Wiſſen nicht Genuͤge leiſtete, uns durch die That befriedigt.

Die Menſchen ſind uͤberhaupt der Kunſt mehr ge - wachſen als der Wiſſenſchaft. Jene gehoͤrt zur gro - ßen Haͤlfte ihnen ſelbſt, dieſe zur großen Haͤlfte der Welt an. Bey jener laͤßt ſich eine Entwickelung in reiner Folge, dieſe kaum ohne ein unendliches Zuſam -119 menhaͤufen denken. Was aber den Unterſchied vorzuͤg - lich beſtimmt: die Kunſt ſchließt ſich in ihren einzel - nen Werken ab; die Wiſſenſchaft erſcheint uns graͤn - zelnos.

Das Gluͤck der griechiſchen Ausbildung iſt ſchon oft und trefflich dargeſtellt worden. Gedenken wir nur ihrer bildenden Kunſt und des damit ſo nahe verwand - ten Theaters. An den Vorzuͤgen ihrer Plaſtik zwei - felt Niemand. Daß ihre Malerey, ihr Helldunkel, ihr Colorit eben ſo hoch geſtanden, koͤnnen wir in vollkommenen Beyſpielen nicht vor Augen ſtellen; wir muͤſſen das wenige Uebriggebliebene, die hiſtoriſchen Nachrichten, die Analogie, den Naturſchritt, das Moͤgliche zu Huͤlfe nehmen, wie es der Verfaſſer des obenſtehenden Aufſatzes gethan, und es wird uns kein Zweifel uͤbrig bleiben, daß ſie auch in dieſem Puncte alle ihre Nachfahren uͤbertroffen.

Zu dem geprieſenen Gluͤck der Griechen muß vor - zuͤglich gerechnet werden, daß ſie durch keine aͤußre Einwirkung irre gemacht worden: ein guͤnſtiges Ge - ſchick, das in der neuern Zeit den Individuen ſelten, den Nationen nie zu Theil wird; denn ſelbſt vollkom - mene Vorbilder machen irre, indem ſie uns veranlaſ - ſen, nothwendige Bildungsſtufen zu uͤberſpringen, wo - durch wir denn meiſtens am Ziel vorbey in einen graͤn - zenloſen Irrthum gefuͤhrt werden.

Kehren wir nun zur Vergleichung der Kunſt und Wiſſenſchaft zuruͤck; ſo begegnen wir folgender Betrach - tung: Da im Wiſſen ſowohl als in der Reflexion kein120 Ganzes zuſammengebracht werden kann, weil jenem das Innre, dieſer das Aeußere fehlt; ſo muͤſſen wir uns die Wiſſenſchaft nothwendig als Kunſt denken, wenn wir von ihr irgend eine Art von Ganzheit er - warten. Und zwar haben wir dieſe nicht im Allge - meinen im Ueberſchwaͤnglichen zu ſuchen, ſondern wie die Kunſt ſich immer ganz in jedem einzelnen Kunſtwerk darſtellt, ſo ſollte die Wiſſenſchaft ſich auch jedesmal ganz in jedem einzelnen Behandelten erweiſen.

Um aber einer ſolchen Forderung ſich zu naͤhern, ſo muͤßte man keine der menſchlichen Kraͤfte bey wiſſen - ſchaftlicher Thaͤtigkeit ausſchließen. Die Abgruͤnde der Ahndung, ein ſicheres Anſchauen der Gegenwart, ma - thematiſche Tiefe, phyſiſche Genauigkeit, Hoͤhe der Vernunft, Schaͤrfe des Verſtandes, bewegliche ſehn - ſuchtsvolle Phantaſie, liebevolle Freude am Sinnlichen, nichts kann entbehrt werden zum lebhaften fruchtbaren Ergreifen des Augenblicks, wodurch ganz allein ein Kunſtwerk, von welchem Gehalt es auch ſey, entſte - hen kann.

Wenn dieſe geforderten Elemente wo nicht wider - ſprechend, doch ſich dergeſtalt gegenuͤberſtehend erſchei - nen moͤchten, daß auch die vorzuͤglichſten Geiſter nicht hoffen duͤrften ſie zu vereinigen; ſo liegen ſie doch in der geſammten Menſchheit offenbar da, und koͤnnen jeden Augenblick hervortreten, wenn ſie nicht durch Vorurtheile, durch Eigenſinn einzelner Beſitzenden, und wie ſonſt alle die verkennenden, zuruͤckſchreckenden und toͤdtenden Verneinungen heißen moͤgen, in dem121 Augenblick, wo ſie allein wirkſam ſeyn koͤnnen, zu - ruͤckgedraͤngt werden und die Erſcheinung im Entſtehen vernichtet wird.

Vielleicht iſt es kuͤhn, aber wenigſtens in dieſer Zeit noͤthig zu ſagen: daß die Geſammtheit jener Ele - mente vielleicht vor keiner Nation ſo bereit liegt als vor der deutſchen. Denn ob wir gleich, was Wiſ - ſenſchaft und Kunſt betrifft, in der ſeltſamſten Anar - chie leben, die uns von jedem erwuͤnſchten Zweck im - mer mehr zu entfernen ſcheint; ſo iſt es doch eben dieſe Anarchie, die uns nach und nach aus der Weite ins Enge, aus der Zerſtreuung zur Vereinigung draͤn - gen muß.

Niemals haben ſich die Individuen vielleicht mehr vereinzelt und von einander abgeſondert als gegenwaͤr - tig. Jeder moͤchte das Univerſum vorſtellen und aus ſich darſtellen; aber indem er mit Leidenſchaft die Na - tur in ſich aufnimmt, ſo iſt er auch das Ueberlieferte, das was andre geleiſtet, in ſich aufzunehmen genoͤ - thigt. Thut er es nicht mit Bewußtſeyn, ſo wird es ihm unbewußt begegnen; empfaͤngt er es nicht offen - bar und gewiſſenhaft, ſo mag er es heimlich und ge - wiſſenlos ergreifen; mag er es nicht dankbar anerken - nen, ſo werden ihm Andere nachſpuͤren: genug, wenn er nur Eigenes und Fremdes, unmittelbar und mittel - bar aus den Haͤnden der Natur oder von Vorgaͤngern Empfangenes tuͤchtig zu bearbeiten und einer bedeuten - den Individualitaͤt anzueignen weiß; ſo wird jederzeit fuͤr alle ein großer Vortheil daraus entſtehen. Und122 wie dieß nun gleichzeitig ſchnell und heftig geſchieht, ſo muß eine Uebereinſtimmung daraus entſpringen, das was man in der Kunſt Stil zu nennen pflegt, wo - durch die Individualitaͤten im Rechten und Guten im - mer naͤher aneinander geruͤckt und eben dadurch mehr herausgehoben, mehr beguͤnſtigt werden, als wenn ſie ſich durch ſeltſame Eigenthuͤmlichkeiten carricaturmaͤ - ßig von einander zu entfernen ſtreben.

Wem die Bemuͤhungen der Deutſchen in dieſem Sinne ſeit mehrern Jahren vor Augen ſind, wird ſich Beyſpiele genug zu dem, was wir im Allgemeinen aus - ſprechen, vergegenwaͤrtigen koͤnnen, und wir ſagen getroſt in Gefolg unſerer Ueberzeugung: an Tiefe ſo wie an Fleiß hat es dem Deutſchen nie gefehlt. Naͤ - hert er ſich andern Nationen an Bequemlichkeit der Behandlung und uͤbertrifft ſie an Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit; ſo wird man ihm fruͤher oder ſpaͤter die erſte Stelle in Wiſſenſchaft und Kunſt nicht ſtreitig machen.

123

Nachtrag.

Ehe wir uns von dieſen gutmuͤthigen Hoffnungen zu jener traurigen Luͤcke wenden, die zwiſchen der Ge - ſchichte alter und neuer Zeit ſich nun bald vor uns aufthut, ſo haben wir noch einiges nachzubringen, das uns den Ueberblick des bisherigen erleichtert und uns zu weiterem Fortſchreiten anregt.

Wir gedenken hier des Lucius Annaͤus Se - neca nicht ſowohl inſofern er von Farben etwas er - waͤhnt, da es nur ſehr wenig iſt und bloß beylaͤufig geſchieht, als vielmehr wegen ſeines allgemeinen Ver - haͤltniſſes zur Naturforſchung.

Ungeachtet der ausgebreiteten Herrſchaft der Roͤ - mer uͤber die Welt ſtockten doch die Naturkenntniſſe eher bey ihnen, als daß ſie ſich verhaͤltnißmaͤßig erweitert haͤtten. Denn eigentlich intereſſirte ſie nur der Menſch, inſofern man ihm mit Gewalt oder durch Ueberredung etwas abgewinnen kann. Wegen des letztern waren alle ihre Studien auf redneriſche Zwecke berechnet. Uebri - gens benutzten ſie die Naturgegenſtaͤnde zu nothwen - digem und willkuͤhrlichem Gebrauch ſo gut und ſo wunderlich als es gehn wollte.

124

Seneca war, wie er ſelbſt bedauert, ſpaͤt zur Naturbetrachtung gelangt. Was die Fruͤheren in die - ſem Fache gewußt, was ſie daruͤber gedacht hatten, war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen Meynungen und Ueberzeugungen haben etwas Tuͤchti - ges. Eigentlich aber ſteht er gegen die Natur doch nur als ein ungebildeter Menſch: denn nicht ſie inter - eſſirt ihn, ſondern ihre Begebenheiten. Wir nennen aber Begebenheiten diejenigen zuſammengeſetzten auffal - lenden Ereigniſſe, die auch den roheſten Menſchen er - ſchuͤttern, ſeine Aufmerkſamkeit erregen, und wenn ſie voruͤber ſind, den Wunſch in ihm beleben, zu erfahren, woher ſo etwas denn doch wohl kommen moͤchte.

Im Ganzen fuͤhrt Seneca dergleichen Phaͤnomene, auf die er in ſeinem Lebensgange aufmerkſam geworden, nach der Ordnung der vier Clemente auf, laͤßt ſich aber doch, nach vorkommenden Umſtaͤnden, bald da bald dorthin ableiten.

Die meteoriſchen Feuerkugeln, Hoͤfe um Sonn und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Neben-Son - nen, Wetterleuchten, Sternſchnuppen, Cometen, be - ſchaͤftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der Luft ſind Blitz und Donner die Hauptveranlaſſungen ſeiner Betrachtungen. Spaͤter wendet er ſich zu den Winden, und da er das Erdbeben auch einem unter - irdiſchen Geiſte zuſchreibt, findet er zu dieſem den Uebergang.

Bey dem Waſſer ſind ihm, außer dem ſuͤßen, die Geſundbrunnen merkwuͤrdig, nicht weniger die perio -125 diſchen Quellen. Von den Heilkraͤften der Waſſer geht er zu ihrem Schaden uͤber, beſonders zu dem, den ſie durch Ueberſchwemmung anrichten. Nach den Quellen des Nils und der weiſen Benutzung dieſes Fluſſes beſchaͤftigen ihn Hagel, Schnee, Eis und Regen.

Er laͤßt keine Gelegenheit vorbeygehen, praͤchtige und, wenn man den rhetoriſchen Stil einmal zugeben will, wirklich koͤſtliche Beſchreibungen zu machen, wo - von die Art, wie er den Nil und was dieſen Fluß betrifft, behandelt, nicht weniger ſeine Beſchreibung der Ueberſchwemmungen und Erdbeben, ein Zeugniß ablegen mag. Seine Geſinnungen und Meynungen ſind tuͤchtig. So ſtreitet er z. B. lebhaft gegen die - jenigen, welche das Quellwaſſer vom Regen ableiten, welche behaupten, daß die Cometen eine voruͤberge - hende Erſcheinung ſeyen.

Worin er ſich aber vom wahren Phyſiker am mei - ſten unterſcheidet, ſind ſeine beſtaͤndigen, oft ſehr ge - zwungen herbeygefuͤhrten Nutzanwendungen und die Verknuͤpfung der hoͤchſten Naturphaͤnomene mit dem Be - duͤrfniß, dem Genuß, dem Wahn und dem Ueber - muth der Menſchen.

Zwar ſieht man wohl, daß er gegen Leichtglaͤubig - keit und Aberglauben im Kampfe ſteht, daß er den humanen Wunſch nicht unterdruͤcken kann, alles was die Natur uns reicht, moͤge dem Menſchen zum Be - ſten gedeihen; er will, man ſolle ſo viel als moͤglich in126 Maͤßigkeit genießen und zugleich den verderblichen und zerſtoͤrenden Naturwirkungen mit Ruhe und Ergebung entgegenſehen; in ſofern erſcheint er hoͤchſt ehrwuͤrdig, und da er einmal von der Redekunſt herkommt, auch nicht außer ſeinem Kreiſe.

Unleidlich wird er aber, ja laͤcherlich, wenn er oft, und gewoͤhnlich zur Unzeit, gegen den Luxus und die verderbten Sitten der Roͤmer loszieht. Man ſieht dieſen Stellen ganz deutlich an, daß die Redekunſt aus dem Leben ſich in die Schulen und Hoͤrſaͤle zuruͤck - gezogen hat: denn in ſolchen Faͤllen finden wir meiſt bey ihm wo nicht leere doch unnuͤtze Declamationen, die, wie man deutlich ſieht, bloß daher kommen, daß der Philoſoph ſich uͤber ſein Zeitalter nicht erheben kann. Doch iſt dieſes das Schickſal faſt ſeiner ganzen Nation.

Die Roͤmer waren aus einem engen, ſittlichen, bequemen, behaglichen, buͤrgerlichen Zuſtand zur gro - ßen Breite der Weltherrſchaft gelangt, ohne ihre Be - ſchraͤnktheit abzulegen; ſelbſt das, was man an ihnen als Freyheitsſinn ſchaͤtzt, iſt nur ein bornirtes Weſen. Sie waren Koͤnige geworden und wollten nach wie vor Hausvaͤter, Gatten, Freunde bleiben; und wie wenig ſelbſt die beſſeren begriffen, was Regieren heißt, ſieht man an der abgeſchmackteſten That, die jemals began - gen worden, an der Ermordung Caͤſars.

Aus eben dieſer Quelle laͤßt ſich ihr Luxus herlei - ten. Ungebildete Menſchen, die zu großem Vermoͤgen127 gelangen, werden ſich deſſen auf eine laͤcherliche Weiſe bedienen; ihre Wolluͤſte, ihre Pracht, ihre Verſchwen - dung werden ungereimt und uͤbertrieben ſeyn. Daher denn auch jene Luſt zum Seltſamen, Unzaͤhligen und Ungeheuern. Ihre Theater, die ſich mit den Zuſchau - ern drehen, das zweyte Volk von Statuen, womit die Stadt uͤberladen war, ſind wie der ſpaͤtere coloſſale Napf, in welchem der große Fiſch ganz geſotten wer - den ſollte, alle Eines Urſprungs; ſogar der Uebermuth und die Grauſamkeit ihrer Tyrannen laͤuft meiſtens aufs Alberne hinaus.

Bloß indem man dieſe Betrachtungen anſtellt, be - greift man, wie Seneca, der ein ſo bedeutendes Leben gefuͤhrt, dagegen zuͤrnen kann, daß man gute Mahl - zeiten liebt, ſein Getraͤnk dabey mit Schnee abkuͤhlt, daß man ſich des guͤnſtigen Windes bey Seeſchlachten bedient, und was dergleichen Dinge mehr ſeyn moͤgen. Solche Capuzinerpredigten thun keine Wirkung, hin - dern nicht die Aufloͤſung des Staates und koͤnnen ſich einer eindringenden Barbarey keinesweges entgegen - ſetzen.

Schließlich duͤrfen wir jedoch nicht verſchweigen, wie er hoͤchſt liebenswuͤrdig in ſeinem Vertrauen auf die Nachwelt erſcheint. Alle jene verflochtenen Natur - begebenheiten, auf die er vorzuͤglich ſeine Aufmerkſam - keit wendet, aͤngſtigen ihn als eben ſo viele unergruͤnd - liche Raͤthſel. Aufs Einfachere zu dringen, das Ein - fachſte durch eine Erfahrung, in einem Verſuch vor die Sinne zu ſtellen, die Natur durch Entwicklung zu ent -128 raͤthſeln, war noch nicht Sitte geworden. Nun bleibt ihm, bey dem großen Drange, den er in ſich fuͤhlt, nichts uͤbrig, als auf die Nachkommen zu hoffen, mit Vorfreude uͤberzeugt zu ſeyn, daß ſie mehr wiſſen, mehr einſehen werden als er, ja ihnen ſogar die Selbſt - gefaͤlligkeit zu goͤnnen, mit der ſie wahrſcheinlich auf ihre unwiſſenden Vorfahren herabſehen wuͤrden.

Das haben ſie denn auch redlich gethan und thun es noch. Freylich ſind ſie viel ſpaͤter dazu gelangt, als unſer Philoſoph ſich vorſtellen mochte. Das Ver - derbniß der Roͤmer ſchwebt ihm fuͤrchterlich vor; daß aber daraus nur allzubald das Verderben ſich entwi - ckeln, daß die vorhandene Welt voͤllig untergehen, die Menſchheit uͤber ein Jahrtauſend verworren und huͤlf - los irren und ſchwanken wuͤrde, ohne auf irgend einen Ausweg zu gerathen, das war ihm wohl unmoͤglich zu denken, ihm, der das Reich, deſſen Kaiſer von ihm er - zogen ward, in uͤbermaͤßiger Herrlichkeit vor ſich bluͤ - hen ſah.

[129]

Dritte Abtheilung. Zwiſchenzeit.

Luͤkke.

Jene fruͤheren Geographen, welche die Charte von Africa verfertigten, waren gewohnt, dahin, wo Berge, Fluͤſſe, Staͤdte fehlten, allenfalls einen Elefanten, Loͤ - wen oder ſonſt ein Ungeheuer der Wuͤſte zu zeichnen, ohne daß ſie deshalb waͤren getadelt worden. Man wird uns daher wohl auch nicht verargen, wenn wir in die große Luͤcke, wo uns die erfreuliche, lebendige, fortſchreitende Wiſſenſchaft verlaͤßt, einige Betrachtun - gen einſchieben, auf die wir uns kuͤnftig wieder bezie - hen koͤnnen.

Die Cultur des Wiſſens durch inneren Trieb um der Sache ſelbſt willen, das reine Intereſſe am Gegen - ſtand, ſind freylich immer das vorzuͤglichſte und nutz - barſte; und doch ſind von den fruͤhſten Zeiten an die Einſichten der Menſchen in natuͤrliche Dinge durch je -II. 9130nes weniger gefoͤrdert worden, als durch ein nahe lie - gendes Beduͤrfniß, durch einen Zufall, den die Auf - merkſamkeit nutzte, und durch mancherley Art von Aus - bildung zu entſchiedenen Zwecken.

Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig wiſſen, Zuſtaͤnde, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Sa - me unter der Erde zubringt, gehoͤrt vorzuͤglich mit zum Pflanzenleben.

Es gibt auffallende Zeiten, von denen uns weni - ges, aber hoͤchſt merkwuͤrdiges bekannt iſt. Hier treten außerordentliche Individuen hervor, es ereignen ſich ſeltſame Begebenheiten. Solche Epochen geben einen entſchiedenen Eindruck, ſie erregen große Bilder, die uns durch ihr Einfaches anziehen.

Die hiſtoriſchen Zeiten erſcheinen uns im vollen Tag. Man ſieht vor lauter Licht keinen Schatten, vor lauter Hellung keinen Koͤrper, den Wald nicht vor Baͤumen, die Menſchheit nicht vor Menſchen; aber es ſieht aus, als wenn Jedermann und Allem Recht geſchaͤhe und ſo iſt Jedermann zufrieden.

Die Exiſtenz irgend eines Weſens erſcheint uns ja nur, in ſofern wir uns deſſelben bewußt werden. Da - her ſind wir ungerecht gegen die ſtillen dunklen Zeiten, in denen der Menſch, unbekannt mit ſich ſelbſt, aus131 innerm ſtarken Antrieb thaͤtig war, trefflich vor ſich hin wirkte und kein anderes Document ſeines Daſeyns zuruͤckließ als eben die Wirkung, welche hoͤher zu ſchaͤ - tzen waͤre als alle Nachrichten.

Hoͤchſt reizend iſt fuͤr den Geſchichtsforſcher der Punct, wo Geſchichte und Sage zuſammengraͤnzen. Es iſt meiſtens der ſchoͤnſte der ganzen Ueberlieferung. Wenn wir uns aus dem bekannten Gewordenen das unbekannte Werden aufzubauen genoͤthigt finden, ſo erregt es eben die angenehme Empfindung, als wenn wir eine uns bisher unbekannte gebildete Perſon kennen lernen und die Geſchichte ihrer Bildung lieber heraus - ahnden als herausforſchen.

Nur muͤßte man nicht ſo grießgraͤmig, wie es wuͤrdige Hiſtoriker neuerer Zeit gethan haben, auf Dichter und Chronikenſchreiber herabſehen.

Betrachtet man die einzelne fruͤhere Ausbildung der Zeiten, Gegenden, Ortſchaften, ſo kommen uns aus der dunklen Vergangenheit uͤberall tuͤchtige und vortreffliche Menſchen, tapfere, ſchoͤne, gute in herrli - cher Geſtalt entgegen. Der Lobgeſang der Menſchheit, dem die Gottheit ſo gerne zuhoͤren mag, iſt niemals verſtummt, und wir ſelbſt fuͤhlen ein goͤttliches Gluͤck, wenn wir die durch alle Zeiten und Gegenden ver - theilten harmoniſchen Ausſtroͤmungen, bald in einzel - nen Stimmen, in einzelnen Choͤren, bald Fugenweiſe, bald in einem herrlichen Vollgeſang vernehmen.

9 *132

Freylich muͤßte man mit reinem friſchen Ohre hin - lauſchen, und jedem Vorurtheil ſelbſtſuͤchtiger Partey - lichkeit, mehr vielleicht als dem Menſchen moͤglich iſt, entſagen.

Es gibt zwey Momente der Weltgeſchichte, die bald auf einander folgen, bald gleichzeitig, theils ein - zeln und abgeſondert, theils hoͤchſt verſchraͤnkt, ſich an Individuen und Voͤlkern zeigen.

Der erſte iſt derjenige, in welchem ſich die Einzel - nen neben einander frey ausbilden; dieß iſt die Epoche des Werdens, des Friedens, des Naͤhrens, der Kuͤn - ſte, der Wiſſenſchaften, der Gemuͤthlichkeit, der Ver - nunft. Hier wirkt alles nach innen, und ſtrebt in den beſten Zeiten zu einem gluͤcklichen, haͤuslichen Auf - erbauen; doch loͤſ’t ſich dieſer Zuſtand zuletzt in Par - teyſucht und Anarchie auf.

Die zweyte Epoche iſt die des Benutzens, des Kriegens, des Verzehrens, der Technik, des Wiſſens, des Verſtandes. Die Wirkungen ſind nach außen ge - richtet; im ſchoͤnſten und hoͤchſten Sinne gewaͤhrt die - ſer Zeitpunct Dauer und Genuß unter gewiſſen Be - dingungen. Leicht artet jedoch ein ſolcher Zuſtand in Selbſtſucht und Tyranney aus, wo man ſich aber kei - nesweges den Tyrannen als eine einzelne Perſon zu denken noͤthig hat; es gibt eine Tyranney ganzer Maſ - ſen, die hoͤchſt gewaltſam und unwiderſtehlich iſt.

133

Man mag ſich die Bildung und Wirkung der Menſchen unter welchen Bedingungen man will denken, ſo ſchwanken beyde durch Zeiten und Laͤnder, durch Einzelnheiten und Maſſen, die proportionirlich und unproportionirlich auf einander wirken; und hier liegt das Inealculable, das Incommenſurable der Weltge - ſchichte. Geſetz und Zufall greifen in einander, der betrachtende Menſch aber kommt oft in den Fall beyde mit einander zu verwechſeln, wie ſich beſonders an parteyiſchen Hiſtorikern bemerken laͤßt, die zwar mei - ſtens unbewußt, aber doch kuͤnſtlich genug, ſich eben dieſer Unſicherheit zu ihrem Vortheil bedienen.

Der ſchwache Faden, der ſich aus dem manchmal ſo breiten Gewebe des Wiſſens und der Wiſſenſchaften durch alle Zeiten, ſelbſt die dunkelſten und verworren - ſten, ununterbrochen fortzieht, wird durch Individuen durchgefuͤhrt. Dieſe werden in einem Jahrhundert wie in dem andern von der beſten Art geboren und verhalten ſich immer auf dieſelbe Weiſe gegen jedes Jahrhundert, in welchem ſie vorkommen. Sie ſtehen naͤmlich mit der Menge im Gegenſatz, ja im Wider - ſtreit. Ausgebildete Zeiten haben hierin nichts vor - aus vor den barbariſchen: denn Tugenden ſind zu jeder Zeit ſelten, Maͤngel gemein. Und ſtellt ſich denn nicht ſogar im Individuum eine Menge von Fehlern der einzelnen Tuͤchtigkeit entgegen?

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Gewiſſe Tugenden gehoͤren der Zeit an, und ſo auch gewiſſe Maͤngel, die einen Bezug auf ſie haben.

Die neuere Zeit ſchaͤtzt ſich ſelbſt zu hoch, wegen der großen Maſſe Stoffes, den ſie umfaßt. Der Haupt - vorzug des Menſchen beruht aber nur darauf, in wie fern er den Stoff zu behandeln und zu beherrſchen weiß.

Es gibt zweyerley Erfahrungsarten, die Erfah - rung des Abweſenden und die des Gegenwaͤrtigen. Die Erfahrung des Abweſenden, wozu das Vergan - gene gehoͤrt, machen wir auf fremde Autoritaͤt, die des Gegenwaͤrtigen ſollten wir auf eigene Autoritaͤt machen. Beydes gehoͤrig zu thun, iſt die Natur des Individuums durchaus unzulaͤnglich.

Die in einander greifenden Menſchen - und Zeital - ter noͤthigen uns, eine mehr oder weniger unterſuchte Ueberlieferung gelten zu laſſen, um ſo mehr als auf der Moͤglichkeit dieſer Ueberlieferung die Vorzuͤge des menſchlichen Geſchlechts beruhen.

Ueberlieferung fremder Erfahrung, fremden Ur - theils ſind bey ſo großen Beduͤrfniſſen der eingeſchraͤnk - ten Menſchheit hoͤchſt willkommen, beſonders wenn135 von hohen Dingen, von allgemeinen Anſtalten die Rede iſt.

Ein ausgeſprochnes Wort tritt in den Kreis der uͤbrigen, nothwendig wirkenden Naturkraͤfte mit ein. Es wirkt um ſo lebhafter, als in dem engen Raume, in welchem die Menſchheit ſich ergeht, die naͤmlichen Beduͤrfniſſe, die naͤmlichen Forderungen immer wie - derkehren.

Und doch iſt jede Wortuͤberlieferung ſo bedenklich. Man ſoll ſich, heißt es, nicht an das Wort, ſon - dern an den Geiſt halten. Gewoͤhnlich aber vernich - tet der Geiſt das Wort, oder verwandelt es doch der - geſtalt, daß ihm von ſeiner fruͤhern Art und Bedeu - tung wenig uͤbrig bleibt.

Wir ſtehen mit der Ueberlieferung beſtaͤndig im Kampfe, und jene Forderung, daß wir die Erfahrung des Gegenwaͤrtigen auf eigene Autoritaͤt machen ſoll - ten, ruft uns gleichfalls zu einem bedenklichen Streit auf. Und doch fuͤhlt ein Menſch, dem eine originelle Wirkſamkeit zu Theil geworden, den Beruf, dieſen dop - pelten Kampf perſoͤnlich zu beſtehen, der durch den Fortſchritt der Wiſſenſchaften nicht erleichtert, ſondern erſchwert wird. Denn es iſt am Ende doch nur im -136 mer das Individuum, das einer breiteren Natur und breiteren Ueberlieferung Bruſt und Stirn bieten ſoll.

Der Conflict des Individuums mit der unmittel - baren Erfahrung und der mittelbaren Ueberlieferung, iſt eigentlich die Geſchichte der Wiſſenſchaften: denn was in und von ganzen Maſſen geſchieht, bezieht ſich doch nur zuletzt auf ein tuͤchtigeres Individuum, das alles ſammeln, ſondern, redigiren und vereinigen ſoll; wobey es wirklich ganz einerley iſt, ob die Zeitgenoſ - ſen ein ſolch Bemuͤhen beguͤnſtigen oder ihm widerſtre - ben. Denn was heißt beguͤnſtigen, als das Vor - handene vermehren und allgemein machen. Dadurch wird wohl genutzt, aber die Hauptſache nicht ge - foͤrdert.

Sowohl in Abſicht auf Ueberlieferung als eigene Erfahrung muß nach Natur der Individuen, Nati - onen und Zeiten ein ſonderbares Entgegenſtreben, Schwanken und Vermiſchen entſtehen.

Gehalt ohne Methode fuͤhrt zur Schwaͤrmerey; Methode ohne Gehalt zum leeren Kluͤgeln; Stoff ohne Form zum beſchwerlichen Wiſſen, Form ohne Stoff zu einem hohlen Waͤhnen.

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Leider beſteht der ganze Hintergrund der Geſchichte der Wiſſenſchaften bis auf den heutigen Tag aus lau - ter ſolchen beweglichen in einander fließenden und ſich doch nicht vereinigenden Geſpenſtern, die den Blick dergeſtalt verwirren, daß man die hervortretenden, wahrhaft wuͤrdigen Geſtalten kaum recht ſcharf ins Auge faſſen kann.

Ueberliefertes.

Nun koͤnnen wir nicht einen Schritt weiter gehen, ohne jenes Ehrwuͤrdige, wodurch das Entfernte ver - bunden, das Zerriſſene ergaͤnzt wird, ich meyne das Ueberlieferte, naͤher zu bezeichnen.

Weniges gelangt aus der Vorzeit heruͤber als voll - ſtaͤndiges Denkmal, vieles in Truͤmmern; manches als Technik, als praktiſcher Handgriff; einiges, weil es dem Menſchen nahe verwandt iſt, wie Mathematik; anderes, weil es immer wieder gefordert und angeregt wird, wie Himmel - und Erd-Kunde; einiges, weil man deſſen beduͤrftig bleibt, wie die Heilkunſt; ande - res zuletzt, weil es der Menſch, ohne zu wollen, im - mer wieder ſelbſt hervorbringt, wie Muſik und die uͤbrigen Kuͤnſte.

Doch von alle dieſem iſt im wiſſenſchaftlichen Fal - le nicht ſowohl die Rede als von ſchriftlicher Ueber -138 lieferung. Auch hier uͤbergehen wir vieles. Soll je - doch fuͤr uns ein Faden aus der alten Welt in die neue heruͤberreichen, ſo muͤſſen wir dreyer Hauptmaſ - ſen gedenken, welche die groͤßte, entſchiedenſte, ja oft eine ausſchließende Wirkung hervorgebracht haben, der Bibel, der Werke Plato’s und Ariſtoteles.

Jene große Verehrung, welche der Bibel von vie - len Voͤlkern und Ceſchlechtern der Erde gewidmet wor - den, verdankt ſie ihrem innern Werth. Sie iſt nicht etwa nur ein Volksbuch, ſondern das Buch der Voͤl - ker, weil ſie die Schickſale eines Volks zum Symbol aller uͤbrigen aufſtellt, die Geſchichte deſſelben an die Entſtehung der Welt anknuͤpft und durch eine Stufen - reihe irdiſcher und geiſtiger Entwickelungen, nothwen - diger und zufaͤlliger Ereigniſſe, bis in die entfernteſten Regionen der aͤußerſten Ewigkeiten hinausfuͤhrt.

Wer das menſchliche Herz, den Bildungsgang der Einzelnen kennt, wird nicht in Abrede ſeyn, daß man einen trefflichen Menſchen tuͤchtig heraufbilden koͤnnte, ohne dabey ein anderes Buch zu brauchen als etwa Tſchudi’s ſchweizeriſche, oder Aventins bayeriſche Chro - nik. Wie vielmehr muß alſo die Bibel zu dieſem Zwecke genuͤgen, da ſie das Muſterbuch zu jenen erſt - genannten geweſen, da das Volk, als deſſen Chronik ſie ſich darſtellt, auf die Weltbegebenheiten ſo großen Einfluß ausgeuͤbt hat und noch ausuͤbt.

Es iſt uns nicht erlaubt, hier ins Einzelne zu ge - hen; doch liegt einem Jeden vor Augen, wie in bey -139 den Abtheilungen dieſes wichtigen Werkes der geſchicht - liche Vortrag mit dem Lehrvortrage dergeſtalt innig verknuͤpft iſt, daß einer dem andern auf und nachhilft, wie vielleicht in keinem andern Buche. Und was den Inhalt betrifft, ſo waͤre nur wenig hinzuzufuͤgen, um ihn bis auf den heutigen Tag durchaus vollſtaͤndig zu machen. Wenn man dem alten Teſtamente einen Aus - zug aus Joſephus beyfuͤgte, um die juͤdiſche Geſchichte bis zur Zerſtoͤrung Jeruſalems fortzufuͤhren; wenn man, nach der Apoſtelgeſchichte, eine gedraͤngte Dar - ſtellung der Ausbreitung des Chriſtenthums und der Zerſtreuung des Judenthums durch die Welt, bis auf die letzten treuen Miſſionsbemuͤhungen Apoſtel-aͤhn - licher Maͤnner, bis auf den neuſten Schacher - und Wucherbetrieb der Nachkommen Abrahams, einſchal - tete; wenn man vor der Offenbarung Johannis die reine chriſtliche Lehre im Sinn des neuen Teſtamentes zuſammengefaßt auſſtellte, um die verworrene Lehrart der Epiſteln zu entwirren und aufzuhellen: ſo verdiente dieſes Werk gleich gegenwaͤrtig wieder in ſeinen alten Rang einzutreten, nicht nur als allgemeines Buch, ſondern auch als allgemeine Bibliothek der Voͤlker zu gelten, und es wuͤrde gewiß, je hoͤher die Jahr - hunderte an Bildung ſteigen, immer mehr zum Theil als Fundament, zum Theil als Werkzeug der Erzie - hung, freylich nicht von naſeweiſen, ſondern von wahr - haft weiſen Menſchen, genutzt werden koͤnnen.

Die Bibel an ſich ſelbſt, und dieß bedenken wir nicht genug, hat in der aͤltern Zeit faſt gar keine Wir -140 kung gehabt. Die Buͤcher des alten Teſtaments fan - den ſich kaum geſammelt, ſo war die Nation, aus der ſie entſprungen, voͤllig zerſtreut; nur der Buchſta - be war es, um den die Zerſtreuten ſich ſammelten und noch ſammlen. Kaum hatte man die Buͤcher des neuen Teſtaments vereinigt, als die Chriſtenheit ſich in unendliche Meynungen ſpaltete. Und ſo finden wir, daß ſich die Menſchen nicht ſowohl mit dem Werke als an dem Werke beſchaͤftigten, und ſich uͤber die ver - ſchiedenen Auslegungsarten entzweyten, die man auf den Text anwenden, die man dem Text unterſchieben, mit denen man ihn zudecken konnte.

Hier werden wir nun veranlaßt, jener beyden treff - lichen Maͤnner zu gedenken, die wir oben genannt. Es waͤre Verwegenheit, ihr Verdienſt an dieſer Stelle wuͤrdigen, ja nur ſchildern zu wollen; alſo nicht mehr denn das Nothwendigſte zu unſern Zwecken.

Plato verhaͤlt ſich zu der Welt, wie ein ſeliger Geiſt, dem es beliebt, einige Zeit auf ihr zu herbergen. Es iſt ihm nicht ſowohl darum zu thun, ſie kennen zu lernen, weil er ſie ſchon vorausſetzt, als ihr dasjenige, was er mitbringt und was ihr ſo noth thut, freund - lich mitzutheilen. Er dringt in die Tiefen, mehr um ſie mit ſeinem Weſen auszufuͤllen, als um ſie zu erfor - ſchen. Er bewegt ſich nach der Hoͤhe, mit Sehnſucht, ſeines Urſprungs wieder theilhaft zu werden. Alles was er aͤußert, bezieht ſich auf ein ewig Ganzes, Gu - tes, Wahres, Schoͤnes, deſſen Forderung er in jedem141 Buſen aufzuregen ſtrebt. Was er ſich im Einzelnen von irdiſchem Wiſſen zueignet, ſchmilzt, ja man kann ſagen, verdampft in ſeiner Methode, in ſeinem Vor - trag.

Ariſtoteles hingegen ſteht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeiſterlicher. Er iſt nun einmal hier und ſoll hier wirken und ſchaffen. Er erkundigt ſich nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunct der Erde iſt ihm das Uebrige gleichguͤltig. Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis fuͤr ſein Gebaͤude, ſchafft Materialien von allen Seiten her, ordnet ſie, ſchichtet ſie auf und ſteigt ſo in regelmaͤßiger Form pyramidenartig in die Hoͤhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer ſpitzen Flamme gleich, den Himmel ſucht.

Wenn ein Paar ſolcher Maͤnner, die ſich gewiſſer - maßen in die Menſchheit theilten, als getrennte Re - praͤſentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigen - ſchaften auftraten; wenn ſie das Gluͤck hatten, ſich voll - kommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete voll - kommen auszuſprechen, und nicht etwa in kurzen lako - niſchen Saͤtzen gleich Orakelſpruͤchen, ſondern in aus - fuͤhrlichen, ausgefuͤhrten, mannigfaltigen Werken; wenn dieſe Werke zum Beſten der Menſchheit uͤbrig blieben, und immerfort mehr oder weniger ſtudirt und betrachtet wurden: ſo folgt natuͤrlich, daß die Welt, inſofern ſie als empfindend und denkend anzuſehen iſt, genoͤthigt war, ſich Einem oder dem Andern hinzuge -142 ben, Einen oder den Andern, als Meiſter, Lehrer, Fuͤhrer anzuerkennen.

Dieſe Nothwendigkeit zeigte ſich am deutlichſten bey Auslegung der heiligen Schrift. Dieſe, bey der Selbſtſtaͤndigkeit, wunderbaren Originalitaͤt, Vielſeitig - keit, Totalitaͤt, ja Unermeßlichkeit ihres Inhalts, brachte keinen Maaßſtab mit, wonach ſie gemeſſen werden konnte; er mußte von außen geſucht und an ſie ange - legt werden, und das ganze Chor derer, die ſich des - halb verſammelten, Juden und Chriſten, Heiden und Heilige, Kirchenvaͤter und Ketzer, Concilien und Paͤbſte, Reformatoren und Widerſacher, ſaͤmmtlich, indem ſie auslegen und erklaͤren, verknuͤpfen oder ſuppliren, zu - rechtlegen oder anwenden wollten, thaten es auf Pla - toniſche oder Ariſtoteliſche Weiſe, bewußt oder unbe - wußt, wie uns, um nur der juͤdiſchen Schule zu er - waͤhnen, ſchon die talmudiſtiſche und cabbaliſtiſche Be - handlung der Bibel uͤberzeugt.

Wie bey Erklaͤrung und Benutzung der heiligen Schriften, ſo auch bey Erklaͤrung, Erweiterung und Benutzung des wiſſenſchaftlich Ueberlieferten, theilte ſich das Chor der Wiß - und Kenntnißbegierigen in zwey Parteyen. Betrachten wir die africaniſchen, beſonders aͤgyptiſchen, neuern Weiſen und Gelehrten, wie ſehr neigt ſich dort alles nach der Platoniſchen Vorſtellungs - art. Bemerken wir die Aſiaten, ſo finden wir mehr Neigung zur Ariſtoteliſchen Behandlungsweiſe, wie es ſpaͤter bey den Arabern beſonders auffaͤllt.

143

Ja wie die Voͤlker, ſo theilen ſich auch Jahrhun - derte in die Verehrung des Plato und Ariſtoteles, bald friedlich, bald in heftigem Widerſtreit; und es iſt als ein großer Vorzug des unſrigen anzuſehen, daß die Hochſchaͤtzung beyder ſich im Gleichgewichte haͤlt, wie ſchon Rafael, in der ſogenannten Schule von Athen, beyde Maͤnner gedacht und gegen einander uͤber geſtellt hat.

Wir fuͤhlen und wiſſen recht gut, was ſich gegen die von uns aphoriſtiſch entworfene Skizze einwenden laͤßt, beſonders wenn man von dem, was ihr mangelt, und von dem, was an ihr naͤher zu beſtimmen waͤre, reden wollte. Allein es war die Aufgabe, in moͤglich - ſter Kuͤrze hinzuzeichnen, was von Hauptwirkungen uͤber die durch Barbaren geriſſene Luͤcke in die mittlere und neuere Zeit vor allem andern bedeutend heruͤber - reicht, was in die Wiſſenſchaften uͤberhaupt, in die Naturwiſſenſchaften beſonders und in die Farbenlehre, die uns vorzuͤglich beſchaͤftigt, einen dauernden Einfluß ausuͤbte.

Denn andre koͤſtliche Maſſen des unſchaͤtzbar Ue - berlieferten, wie z. E. die Maſſe der griechiſchen Dich - ter, hat erſt ſpaͤt, ja ſehr ſpaͤt, wieder lebendig auf Bildung gewirkt, ſo wie die Denkweiſen anderer phi - loſophiſchen Schulen, der Epikureer, der Skeptiker, auch erſt ſpaͤt fuͤr uns einige Bedeutung gewinnen.

Wenn wir nun oben ſchon ausgeſprochen und be - hauptet, daß die Griechen mit allem bekannt geweſen,144 was wir als Hauptgrund der Farbenlehre anerkennen, was wir als die Hauptmomente derſelben verehren; ſo bleibt uns nun die Pflicht, dem Natur - und Ge - ſchichtsfreunde vor Augen zu legen, wie in der neuern Zeit die platoniſchen und ariſtoteliſchen Ueberzeugungen wieder emporgehoben, wie ſie verdraͤngt oder genutzt, wie ſie vervollſtaͤndigt oder verſtuͤmmelt werden moch - ten, und wie, durch ein ſeltſames Schwanken aͤlterer und neuerer Meynungsweiſen, die Sache von einer Seite zur andern geſchoben, und zuletzt am Anfang des vorigen Jahrhunderts voͤllig verſchoben worden.

Autoritaͤt.

Indem wir nun von Ueberlieferung ſprechen, ſind wir unmittelbar aufgefordert, zugleich von Autoritaͤt zu reden. Denn genau betrachtet, ſo iſt jede Autoritaͤt eine Art Ueberlieferung. Wir laſſen die Exiſtenz, die Wuͤrde, die Gewalt von irgend einem Dinge gelten, ohne daß wir ſeinen Urſprung, ſein Herkommen, ſeinen Werth deutlich einſehen und erkennen. So ſchaͤtzen und ehren wir z. B. die edlen Metalle beym Gebrauch des gemeinen Lebens; doch ihre großen phyſiſchen und chemiſchen Verdienſte ſind uns dabey ſelten gegenwaͤrtig. So hat die Vernunft und das ihr verwandte Gewiſſen eine ungeheure Autoritaͤt, weil ſie unergruͤndlich ſind; ingleichen das was wir mit dem Namen Genie be - zeichnen. Dagegen kann man dem Verſtand gar keine145 Autoritaͤt zuſchreiben: denn er bringt nur immer ſeines Gleichen hervor; ſo wie denn offenbar aller Verſtandes - Unterricht zur Anarchie fuͤhrt.

Gegen die Autoritaͤt verhaͤlt ſich der Menſch, ſo wie gegen vieles andere, beſtaͤndig ſchwankend. Er fuͤhlt in ſeiner Duͤrftigkeit, daß er, ohne ſich auf etwas Drittes ſtuͤtzen, mit ſeinen Kraͤften nicht auslangt. Dann aber, wenn das Gefuͤhl ſeiner Macht und Herrlichkeit in ihm aufgeht, ſtoͤßt er das Huͤlfreiche von ſich und glaubt fuͤr ſich ſelbſt und andre hinzu - reichen.

Das Kind bequemt ſich meiſt mit Ergebung unter die Autoritaͤt der Aeltern; der Knabe ſtraͤubt ſich dage - gen; der Juͤngling entflieht ihr, und der Mann laͤßt ſie wieder gelten, weil er ſich deren mehr oder weniger ſelbſt verſchafft, weil die Erfahrung ihn gelehrt hat, daß er ohne Mitwirkung anderer doch nur wenig aus - richte.

Eben ſo ſchwankt die Menſchheit im Ganzen. Bald ſehen wir um einen vorzuͤglichen Mann ſich Freunde, Schuͤler, Anhaͤnger, Begleiter, Mitlebende, Mitwohnende, Mitſtreitende verſammeln. Bald faͤllt eine ſolche Geſellſchaft, ein ſolches Reich wieder in vie - lerley Einzelnheiten auseinander. Bald werden Monu - mente aͤlterer Zeiten, Documente fruͤherer Geſinnungen, goͤttlich verehrt, buchſtaͤblich aufgenommen; Jedermann gibt ſeine Sinne, ſeinen Verſtand darunter gefangen;II. 10146alle Kraͤfte werden aufgewendet, das Schaͤtzbare ſolcher Ueberreſte darzuthun, ſie bekannt zu machen, zu com - mentiren, zu erlaͤutern, zu erklaͤren, zu verbreiten und fortzupflanzen. Bald tritt dagegen, wie jene bilderſtuͤr - mende, ſo hier eine ſchriftſtuͤrmende Wuth ein; es thaͤte Noth man vertilgte bis auf die letzte Spur das, was bisher ſo großen Werthes geachtet wurde. Kein ehmals ausgeſprochenes Wort ſoll gelten, alles was weiſe war, ſoll als naͤrriſch erkannt werden, was heilſam war, als ſchaͤdlich, was ſich lange Zeit als foͤrderlich zeigte, nun - mehr als eigentliches Hinderniß.

Die Epochen der Naturwiſſenſchaften im Allgemei - nen und der Farbenlehre insbeſondre, werden uns ein ſolches Schwanken auf mehr als eine Weiſe bemerklich machen. Wir werden ſehen, wie dem menſchlichen Geiſt das aufgehaͤufte Vergangene hoͤchſt laͤſtig wird zu einer Zeit, wo das Neue, das Gegenwaͤrtige gleich - falls gewaltſam einzudringen anfaͤngt; wie er die alten Reichthuͤmer aus Verlegenheit, Inſtinkt, ja aus Maxi - me wegwirft; wie er waͤhnt, man koͤnne das Neuzu - erfahrende durch bloße Erfahrung in ſeine Gewalt be - kommen: wie man aber bald wieder genoͤthigt wird, Raͤſonnement und Methode, Hypotheſe und Theorie zu Huͤlfe zu rufen; wie man dadurch abermals in Ver - wirrung, Controvers, Meynungenwechſel, und fruͤher oder ſpaͤter aus der eingebildeten Freyheit wieder un - ter den ehernen Scepter einer aufgedrungenen Autori - taͤt faͤllt.

147

Alles was wir an Materialien zur Geſchichte, was wir Geſchichtliches einzeln ausgearbeitet zugleich uͤber - liefern, wird nur der Commentar zu dem vorgeſagten ſeyn. Die Naturwiſſenſchaften haben ſich bewunderns - wuͤrdig erweitert, aber keinesweges in einem ſtaͤtigen Gange, auch nicht einmal ſtufenweiſe, ſondern durch Auf - und Abſteigen, durch Vor - und Ruͤckwaͤrts - wandeln in grader Linie oder in der Spirale; wo - bey ſich denn von ſelbſt verſteht, daß man in jeder Epoche uͤber ſeine Vorgaͤnger weit erhaben zu ſeyn glaubte. Doch wir duͤrfen kuͤnftigen Betrachtungen nicht vorgreifen. Da wir die Theilnehmenden durch einen labyrinthiſchen Garten zu fuͤhren haben, ſo muͤſ - ſen wir ihnen und uns das Vergnuͤgen mancher uͤber - raſchenden Ausſicht vorbehalten.

Wenn nun derjenige, wo nicht fuͤr den Vorzuͤg - lichſten, doch fuͤr den Begabteſten und Gluͤcklichſten zu halten waͤre, der Ausdauer, Luſt, Selbſtverlaͤug - nung genug haͤtte, ſich mit dem Ueberlieferten voͤllig bekannt zu machen, und dabey noch Kraft und Muth genug behielte, ſein originelles Weſen ſelbſtſtaͤndig aus - zubilden und das vielfach Aufgenommene nach ſeiner Weiſe zu bearbeiten und zu beleben: wie erfreulich muß es nicht ſeyn, wenn dergleichen Maͤnner in der Ge - ſchichte der Wiſſenſchaften uns, wiewohl ſelten ge - nug, wirklich begegnen. Ein ſolcher iſt derjenige, zu dem wir uns nun wenden, der uns vor vielen andern treff - lichen Maͤnnern aus einer zwar regſamen, aber doch im - mer noch truͤben Zeit, lebhaft und freudig entgegen tritt.

10 *148

Roger Bacon

von 1216 1294.

Die in Britannien durch Roͤmerherrſchaft gewirkte Cultur, diejenige, welche fruͤh genug durch das Chriſten - thum daſelbſt eingeleitet worden, verlor ſich nur gar zu bald, vernichtet durch den Zudrang wilder Inſel - Nachbarn und ſeeraͤuberiſcher Schaaren. Bey zuruͤck - kehrender obgleich oft geſtoͤrter Ruhe fand ſich auch die Religion wieder ein und wirkte auf eine vorzuͤgliche Weiſe zum Guten. Treffliche Maͤnner bildeten ſich aus zu Apoſteln ihres eigenen Vaterlandes, ja des Auslan - des. Kloͤſter wurden geſtiftet, Schulen eingerichtet und jede Art beſſerer Bildung ſchien ſich in dieſe abgeſon - derten Laͤnder zu fluͤchten, ſich daſelbſt zu bewahren und zu ſteigern.

Roger Bacon war in einer Epoche geboren, wel - che wir die des Werdens, der freyen Ausbildung der Einzelnen neben einander genannt haben, fuͤr einen Geiſt wie der ſeine, in der gluͤcklichſten. Sein eigent - liches Geburtsjahr iſt ungewiß, aber die magna Charta war bereits unterzeichnet (1215), als er zur Welt kam, jener große Freyheitsbrief, der durch die Zuſaͤtze nach - folgender Zeiten das wahre Fundament neuer engliſcher Nationalfreyheit geworden. So ſehr auch der Clerus und die Baronen fuͤr ihren Vortheil dabey mochten ge - ſorgt haben, ſo gewann doch der Buͤrgerſtand dadurch außerordentlich, daß freyer Handel geſtattet, beſon -149 ders der Verkehr mit Auswaͤrtigen voͤllig ungehindert ſeyn ſollte, daß die Gerichtsverfaſſung verbeſſert ward, daß der Gerichtshof nicht mehr dem Koͤnige folgen, ſondern ſtets an Einem Orte Sitz haben, daß kein freyer Mann ſollte gefangen gehalten, verbannt oder auf irgend eine Weiſe an Freyheit und Leben ange - griffen werden; es ſey denn, Seinesgleichen haͤtten uͤber ihn geſprochen, oder es geſchaͤhe nach dem Recht des Landes.

Was auch noch in der Verfaſſung zu wuͤnſchen uͤbrig blieb, was in der Ausfuͤhrung mangeln, was durch politiſche Stuͤrme erſchuͤttert werden mochte, die Nation war im Vorſchreiten, und Roger brachte ſein hoͤheres Alter unter der Regierung Koͤnigs Eduard des erſten zu, wo die Wiſſenſchaften aller Art einen be - traͤchtlichen Fortgang nahmen und großen Einfluß auf eine vollkommnere Juſtiz - und Polizeyverfaſſung hatten. Der dritte Stand wurde mehr und mehr beguͤnſtigt und einige Jahre nach Rogers Tode (1297) erhielt die magna Charta einen Zuſatz zu Gunſten der Volks - claſſe.

Obgleich Roger nur ein Moͤnch war und ſich in dem Bezirk ſeines Kloſters halten mochte, ſo dringt doch der Hauch ſolcher Umgebungen durch alle Mauern, und gewiß verdankt er gedachten nationellen Anlagen, daß ſein Geiſt ſich uͤber die truͤben Vorurtheile der Zeit erheben und der Zukunft voreilen konnte. Er war von der Natur mit einem geregelten Charakter begabt, mit150 einem ſolchen, der fuͤr ſich und andre Sicherheit will, ſucht und findet. Seine Schriften zeugen von großer Ruhe, Beſonnenheit und Klarheit. Er ſchaͤtzt die Au - toritaͤt, verkennt aber nicht das Verworrene und Schwankende der Ueberlieferung. Er iſt uͤberzeugt von der Moͤglichkeit einer Einſicht in Sinnliches und Ueber - ſinnliches, Weltliches und Goͤttliches.

Zuvoͤrderſt weiß er das Zeugniß der Sinne gehoͤ - rig anzuerkennen; doch bleibt ihm nicht unbewußt, daß die Natur dem bloß ſinnlichen Menſchen vieles verberge. Er wuͤnſcht daher tiefer einzudringen und wird gewahr, daß er die Kraͤfte und Mittel hiezu in ſeinem eigenen Geiſte ſuchen muß. Hier begegnet ſeinem kindlichen Sinne die Mathematik als ein einfaches, eingebornes, aus ihm ſelbſt hervorſpringendes Werkzeug, welches er um ſo mehr ergreift, als man ſchon ſo lange alles Ei - gene vernachlaͤſſigt, die Ueberlieferung auf eine ſeltſame Weiſe uͤbereinander gehaͤuft und ſie dadurch gewiſſer - maßen in ſich ſelbſt zerſtoͤrt hatte.

Er gebraucht nunmehr ſein Organ, um die Vor - gaͤnger zu beurtheilen, die Natur zu betaſten, und zu - frieden mit der Weiſe, nach der ihm manches gelingt, erklaͤrt er die Mathematik zu dem Hauptſchluͤſſel aller wiſſenſchaftlichen Verborgenheiten.

Je nachdem nun die Gegenſtaͤnde ſind, mit wel - chen er ſich beſchaͤftigt, danach iſt auch das Gelingen. In den einfachſten phyſiſchen Faͤllen loͤſt die Formel das151 Problem, in complicirteren iſt ſie wohl behuͤlflich, deu - tet auf den Weg, bringt uns naͤher; aber ſie dringt nicht mehr auf den Grund. In den hoͤheren Faͤllen und nun gar im Organiſchen und Moraliſchen bleibt ſie ein bloßes Symbol.

Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, ſehr gehaltvoll iſt, auch nichts fehlt, was den ſinnenden Menſchen intereſſiren kann, ob er ſich ſchon mit großer Ehrfurcht den erhabenen Gegenſtaͤnden des Univerſums naͤhert; ſo muß er doch den einzelnen Theilen des Wiß - baren und Ausfuͤhrbaren, einzelnen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten, Unrecht thun, um ſeine Theſe durchzuſetzen. Was in ihnen eigenthuͤmlich, fundamental und elemen - tar gewiß iſt, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die Seite, die ſie gegen die Mathematik bieten. So loͤſt er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Muſik auf, und erklaͤrt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer De - monſtrationen fuͤr die beſſere Logik.

Indem er nun zwar parteyiſch aber keinesweges Pedant iſt, ſo fuͤhlt er ſehr bald, wo ſeine Grundma - ximen (canones), mit denen er alles ausrichten will, nicht hinreichen, und es ſcheint ihm ſelbſt nicht recht Ernſt zu ſeyn, wenn er ſeinen mathematiſch-phyſiſchen Maßſtab geiſtigen und goͤttlichen Dingen anpaſſen und durch ein witziges Bilderſpiel das, was nicht ineinan - der greift, zuſammenhaͤngen will.

Bey alle dem laͤßt ihn ſein großes Sicherheitsbe - duͤrfniß durchaus feſte und entſchiedene Schritte thun. 152Was die Alten erfahren und gedacht, was er ſelbſt ge - funden und erſonnen, das alles bringt er nicht gerade ſtreng methodiſch, aber doch in einem ſehr faßlichen naiven Vortrag, uns vor Seel und Gemuͤth. Alles haͤngt zuſammen, alles hat die ſchoͤnſte Folge, und in - dem das Bekannte klar vor ihm liegt, ſo iſt ihm auch das Unbekannte ſelbſt nicht fremd; daher er denn vorausſieht, was noch kuͤnftig zu leiſten iſt und was erſt einige Jahrhunderte nachher, durch fortſchreitende Beobachtung der Natur und durch eine immer verfei - nerte Technik, wirklich geleiſtet worden.

Wir laſſen ihn ſeine allgemeinen Grundſaͤtze ſelbſt vortragen, ſowohl weil es intereſſant iſt, ſie an und fuͤr ſich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch Gelegenheit finden, unſere Ueberzeugungen in ſeinem Sinne auszuſprechen.

Es gibt mancherley, das wir geradehin und leicht erkennen; anderes aber, das fuͤr uns verborgen iſt, wel - ches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Der - gleichen ſind alle hoͤhere Weſen, Gott und die Engel, als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hin - reichen. Aber es findet ſich, daß wir auch einen Sinn haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was der Natur bekannt iſt, und dieſer iſt der mathematiſche: denn durch dieſen erkennen wir auch die hoͤheren We - ſen, als den Himmel und die Sterne, und gelangen auf dieſem Wege zur Erkenntniß der uͤbrigen erhabenen153 Naturen und zwar auch auf eine einfache und leichte Weiſe.

Alle natuͤrlichen Dinge werden zum Daſeyn ge - bracht durch ein Wirkſames und durch eine Materie, auf welche jenes ſeine Thaͤtigkeit ausuͤbt: denn dieſe beyden treffen zu allererſt zuſammen. Denn das Han - delnde durch ſeine Tugend bewegt und verwandelt die Materie, daß ſie eine Sache werde; aber die Wahrheit des Wirkſamen und der Materie koͤnnen wir nicht ein - ſehen, ohne große Gewalt der Mathematik, ja nicht einmal die hervorgebrachten Wirkungen. Dieſe drey ſind alſo zu beachten, das Wirkende, die Materie und das Gewirkte.

Alles Wirkſame handelt durch ſeine Tugend, die es in der untergelegten Materie zur Wirklichkeit bringt. Eine ſolche (abgeleitete) Tugend wird ein Gleichniß, ein Bild, ein Artiges genannt und ſonſt noch auf man - cherley Weiſe bezeichnet. Dieſes aber wird ſowohl durch die Weſenheit als durch das Zufaͤllige, durch das Geiſtige wie durch das Koͤrperliche hervorgebracht, durch die Weſenheit aber mehr, als durch das Zufaͤlli - ge, durch das Geiſtige mehr als durch das Koͤrperliche; und dieſes Gleichartige macht alle Wirkungen dieſer Welt: denn es wirkt auf den Sinn, auf den Geiſt und auf die ganze Materie der Welt durch Erzeugung der Dinge. Und ſo bringt ein natuͤrlich Wirkſames immer Ein - und daſſelbe hervor, es mag wirken, wor -154 auf es will; weil es hier nicht etwa uͤberlegen und waͤhlen kann, ſondern was ihm vorkommt macht es zu ſeines gleichen. Wirkt es auf Sinne und Verſtandes - kraͤfte, ſo entſteht das Bild, das Gleichartige, wie ein jeder weiß, aber auch in der Materie wird dieſes Gleichniß gewirkt. Und diejenigen wirkſamen Weſen, welche Vernunft und Verſtand haben, wenn ſie gleich vieles aus Ueberlegung und Wahl des Willens thun, ſo iſt doch dieſe Wirkung, die Erzeugung des Gleich - niſſes, ihnen ſo gut natuͤrlich als andern Weſen, und ſo vervielfaͤltigt die Weſenheit der Seele ihre Tugend im Koͤrper und außerhalb des Koͤrpers, und ein jeder Koͤrper ſchafft auch außer ſich ſeine Tugenden, und die Engel bewegen die Welt durch dergleichen Tu - genden.

Aber Gott ſchafft die Tugenden aus Nichts, die er alsdann in den Dingen vervielfaͤltigt. Die erſchaf - fenen wirkſamen Weſen vermoͤgen dieß nicht, ſondern leiſten das Ihre auf andre Weiſe, wobey wir uns ge - genwaͤrtig nicht aufhalten koͤnnen. Nur wiederhohlen wir, daß die Tugenden wirkſamer Weſen in dieſer Welt alles hervorbringen. Dabey iſt aber zweyerley zu bemerken: erſtlich die Vervielfaͤltigung des Gleichniſſes und der Tugend, von dem Urſprung ihrer Zeugung her; zweytens das mannigfaltige Wirken in dieſer Welt, wodurch Fortzeugung und Verderbniß entſteht. Das Zweyte laͤßt ſich nicht ohne das Erſte begreifen; des - halb wir uns zuerſt an die Vervielfaͤltigung wenden.

155

Wie er nun zu Werke geht, die Vervielfaͤltigung der urſpruͤnglichen Tugenden nach Linien, Winkeln, Fi - guren und ſo fort auf mathematiſche Weiſe zu bewir - ken, iſt hoͤchſt bedeutend und erfreulich. Beſonders ge - lingt es ihm, die fortſchreitende Wirkung phyſiſcher und mechaniſcher Kraͤfte, die wachſende Mittheilung erſter Anſtoͤße, vorzuͤglich auch die Ruͤckwirkungen, auf eine folgerechte und heitre Weiſe abzuleiten. So einfach ſeine Maximen ſind, ſo fruchtbar zeigen ſie ſich in der Anwendung, und man begreift wohl, wie ein reines freyes Gemuͤth ſehr zufrieden ſeyn konnte, auf ſolche Weiſe ſich von himmliſchen und irdiſchen Dingen Re - chenſchaft zu geben.

Von Farben ſpricht er nur gelegentlich. Auch er ſetzt ſie voraus und erwaͤhnt ihrer mehr beyſpielsweiſe und zu Erlaͤuterung anderer Erſcheinungen, als daß er ſie ſelbſt zu ergruͤnden ſuchte. Wir koͤnnten es alſo hier bey dem Geſagten bewenden laſſen. Damit aber doch etwas geſchehe, ſo verſetzen wir uns im Geiſt an ſeine Stelle, nehmen an, das Buͤchlein von Theophraſt ſey ihm bekannt geweſen, was die Griechen eingeſehen, ſey auch ihm zur Ueberzeugung geworden, ihm waͤre nicht entgangen, worauf es eigentlich bey der Sache ankom - me, und ſo haͤtte er nachſtehende kurze Farbenlehre, ſeinen Maximen gemaͤß, verfaſſen koͤnnen, die auch uns ganz willkommen ſeyn wuͤrde.

156

Das Licht iſt eine der urſpruͤnglichen, von Gott erſchaffenen Kraͤfte und Tugenden, welches ſein Gleich - niß in der Materie darzuſtellen ſich beſtrebt. Dieſes geſchieht auf mancherley Weiſe, fuͤr unſer Auge aber folgendermaßen.

Das reine Materielle, inſofern wir es mit Augen erblicken, iſt entweder Durchſichtig, oder Undurchſichtig, oder Halbdurchſichtig. Das letzte nennen wir Truͤbe. Wenn nun die Tugend des Lichts durch das Truͤbe hin - durchſtrebt, ſo daß ſeine urſpruͤngliche Kraft zwar im - mer aufgehalten wird, jedoch aber immer fortwirkt, ſo erſcheint ſein Gleichniß Gelb und Gelbroth; ſetzt aber ein Finſteres dem Truͤben Graͤnze, ſo daß des Lichts Tugend nicht fortzuſchreiten vermag, ſondern aus dem erhellten Truͤben als ein Abglanz zuruͤckkehrt, ſo iſt deſſen Gleichniß Blau und Blauroth.

Aehnliches begegnet bey durchſichtigen und un - durchſichtigen Koͤrpern, ja im Auge ſelbſt.

Dieſe Wirkungen ſind ſehr einfach und beſchraͤnkt. Die Unendlichkeit und Unzaͤhligkeit der Farben aber erzeugt ſich aus der Miſchung und daß die urſpruͤnglichen Farben abermals ihr Gleichniß in der Materie und ſonſt hervorbringen, welches denn, wie alles Abgeleitete, unreiner und ungewiſſer erſcheint; wobey wir jedoch zu bedenken haben, daß eben durch dieſes Abgeleitete, durch dieſes Bild vom Bilde, durch das Gleichniß vom Gleichniß, das meiſte geſchieht und eben dadurch das157 voͤllige Verſchwinden der erſten Tugend, Verderbniß und Untergang moͤglich wird.

Nachſtehendes kann zum Theil als Wiederholung, zum Theil als weitre Aus - und Fortbildung des oben Geſagten angeſehen werden; ſodann aber mag man entſchuldigen, daß hier abermals gelegentlich erregte Gedanken mit aufgefuͤhrt ſind.

Die Schriften Bacons zeugen von großer Ruhe und Beſonnenheit. Er fuͤhlte ſehr tief den Kampf, den er mit der Natur und mit der Ueberlieferung zu beſte - hen hat. Er wird gewahr, daß er die Kraͤfte und Mit - tel hiezu bey ſich ſelbſt ſuchen muß. Hier findet er die Mathematik als ein ſicheres, aus ſeinem Innern her - vorſpringendes Werkzeug. Er operirt mit demſelben ge - gen die Natur und gegen ſeine Vorgaͤnger, ſein Unter - nehmen gluͤckt ihm und er uͤberzeugt ſich, daß Mathe - matik den Grund zu allem Wiſſenſchaftlichen lege.

Hat ihm jedoch dieſes Organ bey allem Meßbaren gehoͤrige Dienſte geleiſtet, ſo findet er bald bey ſeinem zarten Gefuͤhle, daß es Regionen gebe, wo es nicht hinreicht. Er ſpricht ſehr deutlich aus, daß ſie in ſol - chen Faͤllen als eine Art von Symbolik zu brauchen ſey; aber in der Ausfuͤhrung ſelbſt vermiſcht er den reellen Dienſt, den ſie ihm leiſtet, mit dem ſymboliſchen; wenigſtens knuͤpft er beyde Arten ſo genau zuſammen,158 daß er beyden denſelben Grad von Ueberzeugung zu - ſchreibt, obgleich ſein Symboliſiren manchmal bloß auf ein Witzſpiel hinauslaͤuft. In dieſem Wenigen ſind alle ſeine Tugenden und alle ſeine Fehler begriffen.

Man halte dieſe Anſicht feſt und man wird ſich uͤberzeugen, daß es eine falſche Anwendung der reinen Mathematik und eben ſo eine falſche Anwendung der angewandten Mathematik gebe. Offenbar iſt die Aſtro - logie aus der Aſtronomie durch den eben geruͤgten Miß - griff entſtanden, indem man aus den Wirkungen be - kannter Kraͤfte auf die Wirkungen unbekannter ſchloß und beyde als gleichgeltende behandelte.

Man ſehe, wie Baco das Mathematiſche geiſtigen und geiſtlichen Dingen annaͤhern will durch ein an - muthiges, heiteres Zahlenſpiel.

Ein großer Theil deſſen, was man gewoͤhnlich Aberglauben nennt, iſt aus einer falſchen Anwendung der Mathematik entſtanden, deswegen ja auch der Na - me eines Mathematikers mit dem eines Wahnkuͤnſtlers und Aſtrologen gleich galt. Man erinnere ſich der Signatur der Dinge, der Chiromantie, der Punctirkunſt, ſelbſt des Hoͤllenzwangs; alle dieſes Unweſen nimmt ſei - nen wuͤſten Schein von der klarſten aller Wiſſenſchaften, ſeine Verworrenheit von der exacteſten. Man hat daher nichts fuͤr verderblicher zu halten, als daß man, wie in der neuern Zeit abermals geſchieht, die Mathematik aus der Vernunft - und Verſtandesregion, wo ihr Sitz159 iſt, in die Region der Phantaſie und Sinnlichkeit fre - ventlich heruͤberzieht.

Dunklen Zeiten ſind ſolche Mißgriffe nachzuſehen; ſie gehoͤren mit zum Charakter. Denn eigentlich er - greift der Aberglaube nur falſche Mittel, um ein wah - res Beduͤrfniß zu befriedigen, und iſt deswegen weder ſo ſcheltenswerth als er gehalten wird, noch ſo ſelten in den ſogenannten aufgeklaͤrten Jahrhunderten und bey aufgeklaͤrten Menſchen.

Denn wer kann ſagen, daß er ſeine unerlaͤßlichen Beduͤrfniſſe immer auf eine reine, richtige, wahre, un - tadelhafte und vollſtaͤndige Weiſe befriedige; daß er ſich nicht neben dem ernſteſten Thun und Leiſten, wie mit Glauben und Hoffnung, ſo auch mit Aberglauben und Wahn, Leichtſinn und Vorurtheil hinhalte.

Wie viel falſche Formeln zu Erklaͤrung wahrer und unlaͤugbarer Phaͤnomene finden ſich nicht durch alle Jahrhunderte bis zu uns herauf. Die Schriften Lu - thers enthalten, wenn man will, viel mehr Aberglau - ben, als die unſers engliſchen Moͤnchs. Wie bequem macht ſich’s nicht Luther durch ſeinen Teufel, den er uͤberall bey der Hand hat, die wichtigſten Phaͤnomene der allgemeinen und beſonders der menſchlichen Natur auf eine oberflaͤchliche und barbariſche Weiſe zu erklaͤ - ren und zu beſeitigen; und doch iſt und bleibt er, der er war, außerordentlich fuͤr ſeine und fuͤr kuͤnftige Zei - ten. Bey ihm kam es auf That an; er fuͤhlte den160 Conflict, in dem er ſich befand, nur allzu laͤſtig, und in - dem er ſich das ihm Widerſtrebende recht haͤßlich, mit Hoͤrnern, Schwanz und Klauen dachte, ſo wurde ſein heroiſches Gemuͤth nur deſto lebhafter aufgeregt, dem Feindſeligen zu begegnen und das Gehaßte zu ver - tilgen.

An jene Neigung Roger Bacons, das Unbekannte durch das Bekannte aufzuloͤſen, das Ferne durch das Nahe zu gewaͤltigen, wodurch ſich eben ſein vorzuͤgli - cher Geiſt legitimirt, ſchließt ſich eine Eigenheit an, welche genau beachtet zu werden verdient, weil ſie ſchon fruͤher hiſtoriſche Zweifel erregt hat. Aus ge - wiſſen Eigenſchaften der Koͤrper, die ihm bekannt ſind, aus gewiſſen Folgen, die ſich von ihrer Verbindung oder von einer gewiſſen beſtimmten Form hoffen laſſen, folgert er ſo richtig, daß er uͤber das, was zu ſeiner Zeit geleiſtet war, weit hinausgeht und von Dingen ſpricht, als wenn ſie ſchon geleiſtet waͤren. Das Schießpulver, beſonders aber die Fernroͤhre, behandelt er ſo genau, daß wir uns uͤberzeugt halten muͤſſen, er habe ſie vor ſich gehabt, zumal da er ja ſchon ge - ſchliffene Kugeln, Abſchnitte von Kugeln in Glas be - ſeſſen.

Allein wem bekannt iſt, wie der Menſchengeiſt voreilen kann, ehe ihm die Technik nachkommt, der wird auch hier nichts Unerhoͤrtes finden.

Und ſo wagen wir zu behaupten, daß es nur Fol - gerungen bey ihm geweſen. Auch hier bey der ange -161 wandten Mathematik geht es ihm, wie bey der reinen. Wie er jene anwendete, wo ſie nicht hingehoͤrte, ſo traut er dieſer zu, was ſie nicht leiſten kann.

Durch die von ihm beſchriebenen Glaͤſer ſoll man nicht allein die entfernteſten Gegenſtaͤnde ganz nah, die kleinſten ungeheuer groß im eignen Auge wahrnehmen; ſondern dieſe und andre Bilder ſollen auch hinaus in die Luft, in die Atmosphaͤre, geworfen einer Menge zur Erſcheinung kommen. Zwar iſt auch dieſes nicht ohne Grund. So mancherley Naturerſcheinungen, die auf Refraction und Reflexion beruhen, die viel ſpaͤ - ter erfundene Camera obscura, die Zauberlaterne, das Sonnenmikroſcop und ihre verſchiedenen Anwen - dungen haben ſein Vorausgeſagtes faſt buchſtaͤblich wahr gemacht, weil er alle dieſe Folgen vorausſah. Aber die Art, wie er ſich uͤber dieſe Dinge aͤußert, zeigt, daß ſein Apparat nur in ſeinem Geiſte gewirkt und daß daher manche imaginaͤre Reſultate entſprungen ſeyn moͤgen.

Zunaͤchſt bemerken wir, daß er, wie alle Erfinder, weit ſchauende und geiſtig lebhaft wirkende Menſchen, von ſeinen Zeitgenoſſen angegangen worden, auch un - mittelbar etwas zu ihrem Nutzen zu thun. Der Menſch iſt ſo ein Luſt - und Huͤlfsbeduͤrftiges Weſen, daß man ihm nicht verargen kann, wenn er ſich uͤberall umſieht, wo er im Gluͤck einigen Spaß und in der Bedraͤngtheit einigen Beyſtand finden kann.

II. 11162

Den Mathematikern ſind von jeher die Kriegshel - den auf der Spur geweſen, weil man ſeine Macht gern mechaniſch vermehren und jeder Uebermacht große Wirkungen mit geringen Kraͤften entgegenſetzen moͤchte. Daher findet ſich bey Baco die Wiederhohlung aͤlterer und die Zuſicherung neuer dergleichen Huͤlfsmittel. Brennſpiegel, um in der Ferne die Sonnenſtrahlen zu concentriren, Vervielfaͤltigungsſpiegel, wodurch dem Feinde wenige Truppen als eine große Anzahl erſchie - nen, und andre ſolche Dinge kommen bey ihm vor, die wunderbar genug ausſehen, und die dennoch bey erhoͤh - ter Technik, geuͤbteſter Taſchenſpielerkunſt, und auf andre Weiſe wenigſtens zum Theil moͤglich gemacht worden.

Daß man ihn der Irrlehre angeklagt, das Schick - ſal hat er mit allen denen gemein, die ihrer Zeit vor - laufen; daß man ihn der Zauberey bezuͤchtigt, war da - mals ganz natuͤrlich. Aber ſeine Zeit nicht allein be - ging dieſe Uebereilung, daß ſie das, was tiefen, unbe - kannten, feſtgegruͤndeten, conſequenten, ewigen Natur - kraͤften moͤglich iſt, als dem Willen und der Willkuͤhr unterworfen, als zufaͤllig herbeygerufen, im Widerſtreit mit Gott und der Natur gelten ließ.

Auch hieruͤber iſt der Menſch weder zu ſchelten noch zu bedauern: denn dieſe Art von Aberglauben wird er nicht los werden, ſo lange die Menſchheit exiſtirt. Ein ſolcher Aberglaube erſcheint immer wieder, nur unter einer andern Form. Der Menſch ſieht nur163 die Wirkungen, die Urſachen, ſelbſt die naͤchſten, ſind ihm unbekannt; nur ſehr wenige, tiefer dringende, er - fahrene, aufmerkende werden allenfalls gewahr, woher die Wirkung entſpringe.

Man hat oft geſagt und mit Recht, der Unglaube ſey ein umgekehrter Aberglaube, und an dem letzten moͤchte gerade unſere Zeit vorzuͤglich leiden. Eine edle That wird dem Eigennutz, eine heroiſche Handlung der Eitelkeit, das unlaͤugbare poetiſche Product einem fie - berhaften Zuſtande zugeſchrieben; ja was noch wun - derlicher iſt, das allervorzuͤglichſte was hervortritt, das allermerkwuͤrdigſte was begegnet, wird ſo lange als nur moͤglich iſt, verneint.

Dieſer Wahnſinn unſerer Zeit iſt auf alle Faͤlle ſchlimmer, als wenn man das Außerordentliche, weil es nun einmal geſchah, gezwungen zugab und es dem Teufel zuſchrieb. Der Aberglaube iſt ein Erbtheil ener - giſcher, großthaͤtiger, fortſchreitender Naturen; der Un - glaube das Eigenthum ſchwacher, kleingeſinnter, zu - ruͤckſchreitender, auf ſich ſelbſt beſchraͤnkter Menſchen. Jene lieben das Erſtaunen, weil das Gefuͤhl des Erha - benen dadurch in ihnen erregt wird, deſſen ihre Seele faͤhig iſt, und da dieß nicht ohne eine gewiſſe Apprehen - ſion geſchieht, ſo ſpiegelt ſich ihnen dabey leicht ein boͤ - ſes Princip vor. Eine ohnmaͤchtige Generation aber wird durchs Erhabene zerſtoͤrt, und da man Niemanden zumuthen kann, ſich willig zerſtoͤren zu laſſen; ſo haben ſie voͤllig das Recht, das Große und Uebergroße, wenn11 *164es neben ihnen wirkt, ſo lange zu laͤugnen, bis es hi - ſtoriſch wird, da es denn aus gehoͤriger Entfernung in gedaͤmpftem Glanze leidlicher anzuſchauen ſeyn mag.

Nachleſe.

Unter dieſer Rubrik mag das wenige Platz neh - men, was wir in unſern Collectaneen, den erſt be - ſprochenen Zeitpunct betreffend, vorgefunden haben.

Von den Arabern iſt mir nicht bekannt geworden, daß ſie eine theoretiſche Aufmerkſamkeit auf die Farbe geworfen haͤtten. Averroes und Avempazes moͤ - gen, wie aus einigen Citaten zu vermuthen iſt, bey Gelegenheit, daß ſie den Ariſtoteles commentirt, et - was beylaͤufig daruͤber geaͤußert haben. Das Buͤch - lein des Theophraſt ſcheint ihrer Aufmerkſamkeit ent - gangen zu ſeyn. Alhazen, von dem ein optiſcher Tractat auf uns gekommen, beſchaͤftigt ſich mit den Geſetzen des Sehens uͤberhaupt; doch war ihm der im Auge bleibende Eindruck eines angeſchauten Bildes be - kannt geworden.

Ueberhaupt war dieſes phyſiologiſche Phaͤnomen des bleibenden, ja des farbig abklingenden Lichteindruckes rein ſinnlichen Naturen jener Zeit nicht verborgen ge - blieben, weshalb wir eine Stelle des Auguſtinus und eine des Themiſtius als Zeugniß anfuͤhren.

165

Auguſtinus.

Wenn wir eine Zeitlang irgend ein Licht an - ſchauen, und ſodann die Augen ſchließen, ſo ſchweben vor unſerm Blick gewiſſe leuchtende Farben, die ſich verſchiedentlich veraͤndern und nach und nach weniger glaͤnzen, bis ſie zuletzt gaͤnzlich verſchwinden. Dieſe koͤnnen wir fuͤr das uͤberbleibende jener Form halten, welche in dem Sinn erregt ward, indem wir das leuchtende Bild erblickten.

Themiſtius.

Wenn Jemand den Blick von einem Gegenſtande, den er aufs ſchaͤrfſte betrachtet hat, wegwendet, ſo wird ihn doch die Geſtalt der Sache, die er anſchaute, begleiten, als wenn der fruͤhere Anſtoß die Augen be - ſtimmt und in Beſitz genommen haͤtte. Deshalb, wenn Jemand aus dem Sonnenſchein ſich ins Finſtere be - gibt, ſehen die vor großem Glanz irre gewordenen Au - gen nichts; auch wenn du etwas ſehr Glaͤnzendes oder Gruͤnes laͤnger angeſehen, ſo wird alles, was dir hernach in die Augen faͤllt, gleichfarbig erſcheinen. Nicht weniger, wenn du die Augen gegen die Sonne, oder ſonſt etwas glaͤnzendes richteſt, und ſodann zu - druͤckſt; ſo wirſt du eine Farbe ſehen, wie etwa Weiß oder Gruͤn, welche ſich alsdann in Hochroth verwan - delt, ſodann in Purpur, nachher in andre Farben, zu - letzt ins Schwarze, von da an aber abnimmt und ver ſchwindet. Gleichermaßen zerruͤttet auch das, was ſich166 ſchnell bewegt, unſere Augen, ſo daß, wenn du in einen reißenden Strom hinabſiehſt, eine Art von Schaͤu - men und Schwindel in dir entſteht, und auch das Stillſtehende ſich vor dir zu bewegen ſcheint.

Luſt am Geheimniß.

Das Ueberlieferte war ſchon zu einer großen Maſſe angewachſen, die Schriften aber, die es enthielten, nur im Beſitz von wenigen; jene Schaͤtze, die von Griechen, Roͤmern und Arabern uͤbrig geblieben waren, ſah man nur durch einen Flor; die vermittelnden Kenntniſſe mangelten; es fehlte voͤllig an Critik; apocryphiſche Schriften galten den aͤchten gleich, ja es fand ſich mehr Neigung zu jenen als zu dieſen.

Eben ſo draͤngten ſich die Beobachtungen einer erſt wieder neu und friſch erblickten Natur auf. Wer woll - te ſie ſondern, ordnen und nutzen? Was jeder Ein - zelne erfahren hatte, wollte er auch ſich zu Vortheil und Ehre gebrauchen; beydes wird mehr durch Vor - urtheile als durch Wahrhaftigkeit erlangt. Wie nun die fruͤheren, um die Gewandtheit ihrer dialectiſchen Formen zu zeigen, auf allen Cathedern ſich oͤffentlich hoͤren ließen; ſo fuͤhlte man ſpaͤter, daß man mit ei - nem gehaltreichen Beſitz Urſach hatte ſparſamer umzu - gehen. Man verbarg, was dem Verbergenden ſelbſt167 noch halb verborgen war, und weil es bey einem gro - ßen Ernſt an einer vollkommnen Einſicht in die Sache fehlte; ſo entſtand, was uns bey Betrachtung jener Bemuͤhungen irre macht und verwirrt, der ſeltſame Fall, daß man verwechſelte, was ſich zu eſoteriſcher und was ſich zu exoteriſcher Ueberlieferung qualificirt. Man verhehlte das Gemeine und ſprach das Ungemei - ne laut, wiederhohlt und dringend aus.

Wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen, die mancherley Arten dieſes Verſteckens naͤher zu be - trachten. Symbolik, Allegorie, Raͤthſel, Attrape, Chif - friren wurden in Uebung geſetzt. Aprehenſion gegen Kunſtverwandte, Marktſchreyerey, Duͤnkel, Witz und Geiſt hatten alle gleiches Intereſſe, ſich auf dieſe Weiſe zu uͤben und geltend zu machen, ſo daß der Gebrauch dieſer Verheimlichungskuͤnſte ſehr lebhaft bis in das ſiebzehnte Jahrhundert hinuͤbergeht, und ſich zum Theil noch in den Canzleyen der Diplomatiker erhaͤlt.

Aber auch bey dieſer Gelegenheit koͤnnen wir nicht umhin, unſern Roger Baco, von dem nicht genug Gu - tes zu ſagen iſt, hoͤchlich zu ruͤhmen, daß er ſich die - ſer falſchen und ſchiefen Ueberlieferungsweiſe gaͤnzlich enthalten, ſo ſehr, daß wir wohl behaupten koͤnnen, der Schluß ſeiner hoͤchſtſchaͤtzbaren Schrift de mirabili potestate artis et naturae gehoͤre nicht ihm, ſondern einem Verfaͤlſcher, der dadurch dieſen kleinen Tractat an eine Reihe alchymiſtiſcher Schriften anſchließen wollen.

168

An dieſer Stelle muͤſſen wir manches, was ſich in unſern Collectaneen vorfindet, bey Seite legen, weil es uns zu weit von dem vorgeſteckten Ziele ablenken wuͤrde. Vielleicht zeigt ſich eine andere Gelegenheit, die Luͤcke, die auch hier abermals entſteht, auf eine ſchickliche Weiſe auszufuͤllen.

[169]

Vierte Abtheilung. Sechszehntes Jahrhundert.

Eine geſchichtliche Darſtellung nach Jahrhunderten ein - zutheilen, hat ſeine Unbequemlichkeit. Mit keinem ſchneiden ſich die Begebenheiten rein ab; Menſchen - Leben und Handeln greift aus einem ins andre; aber alle Eintheilungsgruͤnde, wenn man ſie genau beſieht, ſind doch nur von irgend einem Ueberwiegenden her - genommen. Gewiſſe Wirkungen zeigen ſich entſchieden in einem gewiſſen Jahrhundert, ohne daß man die Vorbereitung verkennen, oder die Nachwirkung laͤug - nen moͤchte. Bey der Farbenlehre geben uns die drey nunmehr auf einander folgenden Jahrhunderte Gelegen - heit, das was wir vorzutragen haben, in gehoͤriger Abſonderung und Verknuͤpfung darzuſtellen.

Daß wir in der ſo genannten mittlern Zeit fuͤr Farbe und Farbenlehre wenig gewonnen, liegt in dem vorhergehenden nur allzu deutlich am Tage. Vielleicht170 gluͤckt es denjenigen, die ſich mit den Denkmalen jener Zeit genauer bekannt machen, noch einiges aufzufinden; vielleicht kann in der Geſchichte des Colorits und der Faͤrbekunſt noch manches beygebracht werden. Fuͤr uns ging die Farbenlehre mit dem Glanz der uͤbrigen Wiſ - ſenſchaften und Kuͤnſte ſcheidend unter, um erſt ſpaͤter wieder hervorzutreten. Wenn wir hier und da der Farbe erwaͤhnt finden, ſo iſt es nur gelegentlich; ſie wird vorausgeſetzt wie das Athemholen und Sprechen bey der Redekunſt. Niemand beſchaͤftigt ſich mit ih - ren Elementen und Verhaͤltniſſen, bis endlich dieſe er - freuliche Erſcheinung, die uns in der Natur ſo lebhaft umgibt, auch fuͤr das Bewußtſeyn mit den uͤbrigen Wiſſenſchaften aus der Ueberlieferung wieder hervor - tritt.

Je mehrere und vorzuͤglichere Menſchen ſich mit den koͤſtlichen uͤberlieferten Reſten des Alterthums be - ſchaͤftigen mochten, deſto energiſcher zeigte ſich jene Function des Verſtandes, die wir wohl die hoͤchſte nennen duͤrfen, die Critik naͤmlich, das Abſondern des Aechten vom Unaͤchten.

Dem Gefuͤhl, der Einbildungskraft iſt es ganz gleichguͤltig, wovon ſie angeregt werden, da ſie beyde ganz reine Selbſtthaͤtigkeiten ſind, die ſich ihre Ver - haͤltniſſe nach Belieben hervorbringen, nicht ſo dem Verſtande, der Vernunft. Beyde haben einen entſchie - denen Bezug auf die Welt; der Verſtand will ſich171 nichts Unaͤchtes aufbinden laſſen, und die Vernunft verabſcheuet es.

Dieſer natuͤrliche Abſcheu vor dem Unaͤchten und das Sonderungsvermoͤgen ſind nicht immer beyſam - men. Jener fuͤhlt wohl, was er will, aber vermag es nicht immer zu beweiſen; dieſes will eigentlich nichts, aber das Erkannte vermag es darzuthun. Es verwirft wohl ohne Abneigung und nimmt auf ohne Liebe. Viel - leicht entſteht dadurch eine der Abſicht gemaͤße Gerech - tigkeit. Wenn beydes jedoch, Abſcheu und Sonde - rungsgabe, zuſammentraͤfe, ſtuͤnde die Critik wohl auf der hoͤchſten Stufe.

Die Bibel, als ein heiliges unantaſtbares Buch, entfernte von ſich die Critik, ja eine uncritiſche Be - handlung ſchien ihr wohl angemeſſen. Den platoni - ſchen und ariſtoteliſchen Schriften erging es anfaͤng - lich auf aͤhnliche Weiſe. Erſt ſpaͤter ſah man ſich nach einem Pruͤfſtein um, der nicht ſo leicht zu finden war. Doch ward man zuletzt veranlaßt, den Buchſtaben die - ſer Werke naͤher zu unterſuchen; mehrere Abſchriften gaben zu Vergleichung Anlaß. Ein richtigeres Ver - ſtehen fuͤhrte zum beſſern Ueberſetzen. Dem geiſtreichen Manne mußten bey dieſer Gelegenheit Emendationen in die Hand fallen und der reine Wortverſtand immer be - deutender werden.

Die Farbenlehre verdankt auch dieſen Bemuͤhun - gen ihre neuen Anfaͤnge, obgleich das, was auf ſolche172 Weiſe geſchehen, fuͤr die Folge ohne ſonderliche Wir - kung blieb. Wir werden hier zuerſt das Buͤchlein des Antonius Thyleſius von den Farben in der Ur - ſchrift abdrucken laſſen, und ſodann unſre Leſer mit dieſem Manne etwas naͤher bekannt machen; ferner des Simon Portius gedenken, welcher die kleine ariſtoteliſche Schrift, deren Ueberſetzung wir fruͤher ein - geruͤckt, zuerſt uͤberſetzt und commentirt. Ihm folgt Julius Caͤſar Scaliger, der im aͤhnlichen Sinne fuͤr uns nicht ohne Verdienſt bleibt; ſo wie wir denn auch bey dieſer Gelegenheit den Aufſatz uͤber Farben - benennung, den wir auf der vier und funfzigſten Sei - te eingeſchaltet, wieder in Erinnerung zu bringen haben.

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Antonii Thylesii De Coloribus Libellus.

Dicam aliquid de coloribus in hoc libello, non quidem unde conficiantur aut quae sit eorum na - tura: neque enim pictoribus haec traduntur aut philosophis, sed tantum philologis, qui Latini ser - monis elegantiam studiose inquirunt. Scribam om - nia breviter et accurate, ac rerum ipsarum nomina, quo statim colores intelligantur, singulis appo - nam.

1. Coeruleus. Exordiar primum a coeru - leo: quo nisi natura ipsa maxime gauderet, nun - quam profecto deorum hoc domicilium Continuo circumplexu cuncta coerceus, Specie tam laeta universum exhilarasset. reliquos deinde contexam. Coeruleus igitur dictus quasi coeluleus, ut ex voce ipsa apparet, proprie color est coeli, sed sereni: id quod Ennius respiciens, Coeli inquit, coerula templa. atque inde ab omnibus ma - re appellatur coeruleum: refert enim illud eundem quem ab ipso superne accipit coeli nitorem. Quare ex antiquis nonnulli, ut alterum Homeri opus, propter caedes, de quibus illic poeta loquitur, co -174 lore exornabant sanguineo: sic Odysseam, ubi Ulyssis idem maritimos scribit errores, membrana contegebant coerulea. Sed quoniam coerulei quae - dam species est pene nigra, ut quod Indicum dici - tur, eoque olim vestitu Graecae mulieres amictae producebant corum funera, quorum in coelum ani - mas migrasse coeruleum existimabant: idcirco pro tristi nonnunquam capitur, ut apud Virgilium puppis coerulea Charontis, Imberque et Sol coeru - leus. Cucumis autem coeruleus, nam id quoque legitur, Melopeponem significat, qui inter cucume - res, multa enim sunt eorum genera, pulcherri - mus est. Nec tantum coerulei videtur particeps, sed ipsius quoque mundi gradus, introrsum ver - sus, attenuatos ostendit, ut hoc olim de eo lu - simus, Quis neget e coelo missum formamque, coloremque Atque gradus coeli Nectaris atque refert. Est enim sapore svavissimo. Sine ulla dubitatione, quod nos coeruleum, Graeci dicunt cyaneum, in quorum etiam commentariis lazurion invenio. Ad - scribitur huic generi, qui venetus olim nunc vulgo blavus nuncupatur color, ex factione Circensi valde nobilitatus. Fuerunt autem colores in Circo, prae - ter hunc venetum, roseus, albus et prasinus: qui - bus auratus postea, purpureus et luteus additi sunt. De iis loco dicemus.

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2. Caesius. Caesius vero si dictus esset, ut doctissimi viri monumentis olim tradiderunt, qua - si coelius a coelo, eadem foret in coelo et caesio diphthongus. Constat autem esse in iis vocibus diversam: nihil praeterea differret a coeruleo, quan - do id, ut ostendimus, a coelo deductum est: dif - fert autem sine dubio, vel ex ipsius M. Tullii au - ctoritate, cujus haec sunt verba in primo de na - tura deorum libro, Caesios oculos Minerva, coe - ruleos esse Neptuni. Ad haec non quemadmo - dum legimus coelum, mare, vestem, florem coe - ruleum: ita legimus coelum, mare, vestem, flo - rem caesium: sed oculos tantum caesios veteres dixerunt, quibus inest fulgor quidam visu horren - dus. Unde existimo, sicut Caesar et Caeso dicun - tur a caedendo: ita caesium a caede nominatum esse: ut qui caesius sit, caedem quodammodo ocu - lis minari videatur: qualis proelio gaudens et caede dicitur fuisse Minerva, ex quo illa ab antiquis vocata fuit, ut ego arbitror, caesia. Significat hoc M. Cicero, ubi de Catilina ait, Notat et designat oculis ad caedem unumquemque nostrum. Hic qui oculis ad caedem Senatores designabat, caesius erat. Cujus etiam oculos Sallustius, insignis histo - ricus, fuisse tradidit foedos, id est caesios. Cu - jusmodi memoriae proditum est Neronis quoque oculos fuisse: quod ipsum non leve fuit argumen - tum tyrannicae crudelitatis. Quin a Terentio cae - sii hominis facies dicitur cadaverosa, hoc est im - manis, et saevitiam arguens, qualem Sicarii prae176 se ferunt et carnifices: quamvis alii parum erudite cadaverosam pro sublivida exposuerint. Enimvero leonis oculos si quis inspexit, qualis sit hic color, intelligit. Micant illi, ut studiose ipsi prope con - sideravimus, velut ignis penitus flagrans. Dicitur color hic Graece ab omnibus glaucus, quod ver - bum longo jam usu Latini poetae suum fecerunt. Latius tamen patet glaucus: nam praeter oculos noctuinos, quos, ut avis ipsius Graecum nomen declarat, omnes glaucos esse confirmant: multa quoque dicuntur glauca, ut ulva palustris herba: ut salix, cujus quum frondes, tum multo magis cortex in ramis, praesertim anniculis, nitet hoc colore. Quem laudat Virgilius in equis eosque no - to carmine glaucos appellat, communi Italorum lingua baios nominatos. Nam spadices honesti ab eodem poeta ibidem vocati, illustriores sunt ali - quanto, baii et ipsi, sed clari vulgo nuncupati: atque ii duo aliorum omnium maxime probantur colores in equis. Ulva igitur et salix, quas idem Virgilius glaucas dixit, equi item species optima: castaneae etiam nucis tunica, aliaque multa, prac - ter leonis ac noctuae oculos, colorem glaucum ostendunt. Sed ut unde discessi, redeam: quando caesius color tantum est oculorum, videndum est, ne is sit potius quem Aristoteles charopon vocat. Sic enim ab illo dicitur leo ab oculorum saevitia, quem Catullus poeta doctissimus caesium appellat. Unde Hercules cognomento dictus fuit charops, quasi iracunde intuens. Nam chara Graece, ira177 quoque dicitur Latine: et ex eodem ut puto, hor - rore Charybdis nominata est, et Charon: de quo cum inquit Virgilius, Stant circum lumina flamma, Caesium voluit senem illum horribilem ac dirum significare. Quamvis non nesciam, charopon ab aliis aliter quoque exponi.

3. Ater. Horribilis etiam color est ater di - ctus, omnino velut anthrax, id est carbo: nam proprie est carbonis extincti. Quare scite, ut om - nia, Terentius, Tam excoctam, inquit, reddam atque atram, quam est carbo. Et inde a Virgilio cinis dictus est ater et favilla atra. Sanguis prae - terea caloris atque coloris ignei particeps, effusus ac frigefactus amisso rubore, tanquam in carbonem mutatus, ater ab omnibus vocatur. Dicitur et mors atra, quia cadaver extincto calore illo vitali, quo corpus alitur, atrum relinquitur, ut est carbo, quae mihi perquam elegans videtur similitudo. Quid quod dies atri eadem de causa dicti fuerunt! Qui enim luctum afferebant, carbonibus: ut con - tra dies laeti scrupis signabantur gypseis. ex quo Horatius ait: Creta, an carbone notandi. Differt in hoc a colore nigro, quod ut omnis ater est niger: sic non omnis niger est ater: horren - dus est hic, tristis, visu injucundus, lugentibus accommodatus, ille contra nonnunquam lepidus acII. 12178venustus: ut humani oculi sunt complures, quos nemo atros diceret, sed nigros, iisque tamen ni - hil majori cum voluptate spectamus. Vocabatur autem ater ab antiquis etiam anthracinus, idemque furvus: quibus longe minus sunt nigri, lividus et fuscus. Alter ex gravi corporis ictu proveniens de - formitatem habet. Unde invidi aliorum bonis, ve - lut verberibus laniati, et idcirco exsangues, lividi nuncupantur. Alter non insuavis, et in homine persaepe laudatur. Qui tamen, si modum excedit, ac maxime fuscus est, et quasi nigrescit, pressus dicitur: ut quae aliquamdiu sub prelo vestis pres - sa nimium coloratur. Legimus etiam equi colorem pressum. Secus vero fasciolae coloriscae dictae fue - runt, quae non saturatae, sed vix colore aliquo illitae e coronis dependebant. Est autem forma diminutiva, ut Lycisca, Syrisca. Aquilum veteres hunc fuscum a colore aquae vocarunt, qui inter nigrum est et album, id quod Plato etiam docet.

4. Albus. Est autem albus color purissimus, quocirca ad animum translatus pro sincero capi - tur: is nullibi quam in nive clarior est, quam ta - men atram esse Anaxagoras affirmabat. Sumitur pro pallido, unde timor albus legitur et metu exal - buit. Quam ob rem Romanae mulieres quondam funera sequebantur in veste alba, tanquam mortui quem efferebant, colorem referrent. Elucet candi - dus atque oculos delectat. At candens non hoc tan - tum est, sed pro ignito accipitur. Itaque Veneris179 humeros recte dixeris candidos, vel candentes. Ferrum quod a marito tunditur, non candidum est, sed candens. Ejusdem generis est canus, qui etsi ad alia transfertur, proprie tamen est capilli et barbae senilis. Nascitur equus nonnunquam ca - nus atque albineus, non idem qui et candidus aut albus, sed hujus non expers. Est et color albi ni - grique particeps, a Graecis inde leucophaeus, voce jam a nostris usurpata, vocatus. Genus est id co - loris nativi, non enim inficitur, sed ovis ipsa sic natura quasi pingitur. Hunc sibi secta sacerdotum sumpsit sanctissima, qui nulla tunica linea peni - tus induti, pro cingulo reste se vinciunt nodosa, ac ligneis tantum calciamentis usi, precario victum quaeritant.

5. Pullus. Qualis vero sit pullus, ostendit terrae ipsius color: major enim illius pars pulla est. Itaque quoniam ea mortuis injicitur, volue - runt veteres, ut qui lugerent, pullis pallis, terrae similibus, essent amicti. Dorsum etiam lepori - num proprie est pullum: quam ob rem naturae ipsius doctus magisterio, terram recentem ab aratro metu pavidus quaerit ille, ibique non - nunquam stratus, nullaque re abditus, venatores canesque ipsos praetereuntes, ac sagaciter prope omnia perquirentes, coloris tantum beneficio sae - pissime latet: et ut in quodam epigrammate de le - pore diximus,12 *180Quem fuga non rapit ore canum, non occulit umbra: Concolor immotum sub Jove terra tegit. Nulla arte aut impensa color hic paratur. Natura enim sic provenit, unde nativus quoque vocatus est, diversus ab eo de quo locuti sumus. Jamque nos Cosentini, apud quos multa antiquitatis vesti - gia apparent, siquidem et pracficae, ut quondam, mortuos laudant, et silicernium in usu est, ac nemo sine suorum osculo sepelitur, utriusque se xus vestimentum funebre, nativum dicimus: quam - vis atrum sit illud, et in mulieribus matrimonio junctis cyaneum, quo Graeci, ut dictum est, olim in funere utebantur. Idem quoque Hispanus voca - tus est et Baeticus, etiam Mutinensis. In iis enim locis id genus lanae videtur. Est autem pullus no - men, ut reor, diminutivum a puro, velut a rara vestimenti genere fit ralla, ab opere opella, a terra etiam tellus: ut lana pulla sit pura, nullo alio colore infecta, sed suo tantum et ingenuo conten - ta. Colorias hujusmodi vestes per se coloratas ali - qui dixerunt. Posuit hanc vocem Augustus in suo testamento, ubi haec verba legebantur Gausapes, lodices purpureas et colorias meas. Atque indidem, ut sentio, dicti sunt pulli equorum aliarumque pecudum, quasi puri, nulla adhuc libidine aut la - bore violati. Sunt huic pullo simillimi color im - pluviatus, dictus velut fumato stillicidio implutus: et suasus, qui insuasus quoque vocatus, lutum re -181 fert. Est autem suasus e stillicidio etiam factus fumoso in vestimento albo. Quare haud dubitan - ter non alius est quam impluviatus: quamvis aliqui tradiderint colorem omnem, qui fiat inficiendo, suasum dici, quod illi quodammodo sit persuasum, in alium quemvis colorem ex albo transire.

6. Ferrugineus. Ferrum longo situ rubi - ginosum, facile ostendit colorem ab ipso appella - tum ferrugineum: agit enim is, id est refert colo - rem ferri. Quin et filamenta, quibus saepe co - nopaeum, et multae praeterea vestes lineae circum - su untur, ferrugineum dicunt infectores. Tunica etiam nuclei pinei lanugine quadam pulverulenta ferruginea est. Erat is quoque lugentium color. Itaque capitur nonnunquam et ipse pro funesto, atque ea de causa hyacinthi dicti fuerunt a Virgi - lio ferruginei, quasi lugubres: quia puerum, ut est in fabulis, casu interfectum Apollo diu luxit: atque in ejus foliis velut epitaphium, in sui do - loris perpetuum monumentum inscripsit, non quia vere floris color sit ferrugineus: est enim is, in quem mutatum ferunt adulescentulum, purpureus. De Hyacintho in literatum flosculum transformato fecimus hoc, Nil opus elogio redimire aut flore sepulchrum: Ipse sibi flos est, elogiumque puer. Eodem modo coelum vocatur ferrugineum, hoc est nubilum et triste: atque apud eundem Virgi -182 lium, Sol caput suum nitidum in morte Caesaris texit ferrugine, quasi colorem se induit lugenti aptum: ut tanti viri caedem sol ipse lamentari vi - deretur. Nec alia ratione Charontis naviculam di - xit ferrugineam, quam quoniam ea una loco san - dapilae, mortuos omnes vespillo indefessus trans - vectat.

7. Rufus. Non eundem esse rufum atque rubrum, ex hoc intelligi potest, quod recte dici - tur sanguis ruber, rufus non recte. Rursus bar - bam et capillum Aenobarbi rubrum veteres non dixerunt: sed modo rufum, rutilum modo, qui idem est. Quin et canes immolabant Romani sa - cerdotes, nunquam rubras vocatas, sed quas nunc rufas, nunc rutilas appellabant, ad placandum ca - niculae sidus, frugibus inimicum. Ex quo mani - festum est rufum rutilumque eundem esse, id quod ex antiquis etiam aliqui docent. E canis igitur colore satis noto, atque e multorum barba et ca - pillo, cujusmodi sit color rufus apparet. Hunc rustici in armentis robum, gilvumque olim dixerunt, atque etiam helvum, ut vini genus est quoddam inter rufum albumque nulli non cognitum: quod quoniam cerasi colorem refert duracini, cerasolum aliqui dicunt Italiae populi. Sed et burrham iidem appellebant vitulam, quae rostro esset rufo. At homo burrhus est, qui pransus, cibo et potione rubet: hunc aliqui etiam rubidum vocant. Inve - nitur et rubeus, etsi aliqui non indocti vocem non183 esse Latinam monuerint: cum tamen apud aucto - res non malos ex uvis nigris fieri vinum forte le - gatur, e rubeis autem suave, nec non bos rubeus probetur. Verbum est omnino rusticum, nec pror - sus idem color est, qui et ruber, sed ad eum proxime accedit. Quid quod russeus etiam legitur? negat quidam e vetustis grammaticis dici posse, russum jubet, ex quo pannus est russatus. Vtrum - que certe Latinum est, sed aratoris magis quam oratoris: habent enim et sua verba qui ruri vi - vunt, urbanis nonnullis inaudita. Russeum equum dicunt illi, qui non plane russus est, sed aliquan - to minus ruboris habens, idem fere videtur. Hic autem, quoniam quasi cruentato similis est, hodie saginatus, quasi sanguinatus vulgo nominatur; quamvis hujus nominis nonnunquam equi albes - cant.

8. Ruber. Rubrum maxime indicat animan - tium sanguis, et quo lana inficitur, coccus: gra - num id a nostris vocatur, unde vestis est coccina, nullis ignota. Ostentat tamen hunc colorem prae caeteris rebus liquor purpurae, cujus adeo gratus est color, ut siquid paululum habeat ruboris, mo - do visu sit illud non injucundum, purpureum sae - pe dicatur, ut sunt violae, et varia florum genera: quin et candidus, is enim quoque oculos remora - tur, a poetis vocatur nonnunquam purpureus. Nam et olores purpureos dixit Horatius, et nivem ipsam purpuream Albinovanus. Invenitur et blat -184 teus positus pro purpureo. Non praetereundus est color viteis frondibus arefactis simillimus, et id - circo xerampelinus Graece dictus. Usurpant hanc vocem Latini: certum enim vitis genus adulto jam autumno pampinis rubet velut cruentatis, unde nomen colori inditum est. Atrabapticas vestes eo colore infectas, quoniam in eo purpura nigresce - ret, aliqui appellaverunt. De ea re fabellam ex - cogitatam his versiculis fui complexus, Caederet immeritae vitis dum crura, cecidit Ipse sua: et dira caede Lycurgus obit. Unde prius viridis, rubet hostis sparsa cruore Illaeso vitis stipite, et ulta nefas.

9. Roseus. Jucundissimus omnium est color roseus, atque humano corpori, si id formosum est quam simillimus. Itaque os, cervicem, papillas, digi - tos roseos poetae dicunt: id est candidos, rubore san - guinis penitus diffuso cum venustate: isque color proprie est, quem communis sermo incarnatum vo - cat. Refert enim maxime omnium pueri nitorem ac virginis: rosam non Milesiam intelligo quae ni - mis purpurea ardere quodammodo videtur, nec rursus albam: sed quae utrinque decorem accepit, et quia corpus hominis imitatur, quod lingua ver - nacula carnem appellat, eadem id genus rosarum incarnatum nominavit. Cicero colorem hunc sua - vem dixit.

185

10. Puniceus. A Phoenicibus color phoeni - ceus, puniceus quoque dictus flagrat, velut viola flammea: atque ita a multis olim purpura vocata fuit violacea, hodie pene nomen servat: nam Pao - nacius, quasi puniceus dicitur, etsi aliqui vocem hanc vernaculam a pavonis colore factam volunt. Phoeniceum vero alium ab hoc palma (quae phoe - nix Graece est) a se nominavit. Color hic in equo, ut jam diximus, maxime laudatur, qui modo spa - diceus, baius modo, badius etiam et balius, variis nominibus vocatus est. Termites enim palmarum cum fructu spadices, et baia Graeci dicunt: unde equus ab equisonibus appellatur baius.

11. Fulvus. Ex omnibus maxime lucet ful - vus, quem multa jactant, orichalcum in primis, aurum, ipsaeque etiam stellae: Quas non extinguunt venti, non nimbus aquosa Nube cadens: celsa semper sed luce coruscant. Quare Tibullus proprie sidera fulva appellavit. Est et aureolae species arenac, quam fulvam dixit Virgilius: et genus quoddam aquilae ab Aristotele maxime celebratum, colore etiam fulvo. Qui si obtusus quodammodo est, atque obscuratus, vo - catur ravus. Jamque sic Horatius lupam appella - vit, cujus colorem noto magis verbo plerique omnes fulvum dixerunt. Tradunt aliqui ravos oculos, quos in cane et ariete laudat M. Varro, inter caesios esse et flavos.

186

Ornat saepe color hic flavus virginum, ac puerorum capita: atque in maturis frugibus sem - per elucet, nec non pro pulchro frequenter posi - tum videmus.

At luteum nihil aeque ostentat, ac flos calthae et genistae, ovique etiam vitellus. Croceo est hic perquam similis, sed lucidior aliquanto: ab anti - quis flammeus quoque dictus, quoniam eo Flaminis uxor flaminica utebatur. Potest hoc loco pallidus poni, ac luridus: mortui color est hic horribilis, ipsiusque mortis, ut poetae dicunt, et Plutonis. Ille nonnunquam vel gratus in homine, atque ama - bilis.

12. Viridis. Cujusmodi sit color viridis, suppeditat exemplum herbarum multitudo, quarum tanta est varietas, ut cum earum vis sit infinita, nulla tamen aeque, atque ex iis aliqua prorsus vi - reat: sed omnes inter se discolores videantur, id quod in reliquis omnibus coloribus apparet. Quare si minus est hic albus aut niger, quam ille: non idcirco nomen albi amittit, aut nigri. Ex avibus autem insignis est hoc colore psittacus, avis inde a quibusdam viridis appellata, et qua nihil laetius est, smaragdus: maxime quoque lucet viriditas in genere quodam scarabei, cujus ipse meminit Ari - stoteles. Is quoniam dorsum habet, nota quadam aureola sic litum atque illustratum, ut lunae spe - oiem exiguae sustinere videatur, non invenuste a187 nobis Cosentinis equus lunae nuncupatur. Feci - mus hoc jam pridem de scarabeis jocosum epi - gramma:

Parvula Sisyphio gens condemnata labori,
Quas figula ipsa facit, fertque refertque pilas.
Pars nigra, ut Aethiopum manus usta coloribus horret,
Regia pars viridi picta colore nitet.
Parva micat cujus dorso nota, magna minutis
Si conferre licet, luna pusilla velut.
Dixit equum lunae hinc cognomine Brutia tellus.
Quodsi bellator sic nituisset equus,
Illo capta foret non una Semiramis, essent
Centauri et plures, quam genus est hominum.

Egregius est inter colores, qui virent, prasi - nus, multorum carminibus collaudatus, nunc viride porrum ab infectoribus vocatur.

Epilogus. Libet epilogum addere, varietatem proprie de coloribus dici, ex quo vestis varia, dis - color est, diversisque coloribus consuta. Divisam nunc omnes vocant, et equus varius non totus vel candidus vel niger, sed his aliisve caloribus distinctus: sic et coelum varium, cujus partes se - renae interlucent, partes nubilae tristantur. Atque alium saepe pro alio, si inter eos affinitas est, co - lorem usurpant poetae, ut lumen Minervae flavum dixit Virgilius pro glauco, quo venustatem quoque esse in oculis deae ostenderet: quemadmodum188 amictum Tiberis, cujus aquam alibi flavam appel - lavit, glaucum idem esse cecinit: est enim inter hos colores similitudo et quasi vicinitas. Sic ut jam dictum est, albus pro pallido, ac coeruleus pro subviridi poetice ponitur, proque etiam sub - nigro, multique praeterea invicem cedunt. Ex omnibus vero maxime contrarii sunt albus et ni - ger, quare nihil aeque apparet atque in alba papy - ro atramentum. Utebantur veteres, quod nunc etiam servatur, quum librorum titulos notarent, colore puniceo, in honorem memoriamque Phoe - nicum, quos literarum tradunt fuisse inventores. Sunt etiam e coloribus aliqui incerti, qui intuen - tium oculos fallunt, ut est coeli nitor, quod quum tenebrosum quidam autument, illustratum radiis solaribus cyaneum videtur, ut iris, ut quas suspi - cimus nubes nonnunquam ignescere, ut mare ipsum, quod praeter coeruleum, modo atrum horret, modo virescit, interdum etiam flavum, ravumque se ostendit, aut specie quadam pur - purascit violacea. Non idem quoque decor in collo cernitur columbae et pavonis, unde aves sae - pe dicuntur versicolores, quale est serici genus satis notum, quod e diversis partibus spectanti, non eundem offert coloris leporem.

Discolor autem non modo pro vario sumitur, sed si quid eundem colorem velut radios quosdam diffundit, ut, Discolor unde auri per ramos aura refulsit. At decoloris dicitur ex cujus ore color de -189 fluxit, et exsanguis relictus est, atque idcirco pro deformi capitur et nigro, ut decolor Indus: nam concolorem ejusdem esse coloris nemo ignorat. Ad haec colores bifariam dividuntur, nam austeri vo - cabantur reliqui omnes, praeter minium, purpu - rissum, einnabarim, armenium, chrysocollam, in - dicum, quos floridos dixerunt. Sed haec pictores videant, quibus olim in usu tantum erat melinus color, candidus. Silaceus, qui inter coeruleos no - minatur, Sinopis genus rubricae, et atramentum. Quidam etiam suaves dicti sunt, ut flavus, pur - pureus, candidus, in primis roseus: humanis au - tem ocalis nihil venusti hominis colore suavius vi - detur. Inesse vero coloribus suavitatem, praeter - quam quod sensus ipsi judicant, egregii Latinita - tis auctores ostendunt, M. Cicero et Virgilius Ma - ro, quorum alter suavem hominis colorem dixit, ab altero suave rubens hyacinthus vocatus est. Alii tristes sunt et lugubres, velut atrum esse dicimus, pullum, ferrugineum, et coerulei speciem. Quin ut videntur, sic sordidi etiam aliqui dicti sunt, ut de quibus locuti sumus, svasus et impluviatus: iis enim rei ut misericordiam apud judices captarent, se deturpabant. Talem quoque fuisse vestitum Charontis ostendit, cum inquit Virgilius, Sordidus ex humeris nodo pendebat amictus. Jam vero colores partim nominati sunt a locis, ut Puniceus, Tyrius, idemque Sarranus. Purpurei190 sunt hi, Indicum, Sinopis, Melinus, Hispanus, Baeticus, Mutinensis, de quibus dictum est. Co - lossinus a Colosso urbe in Troade, ubi lana infici - tur, florem referens cyclamini, quod tum rapum, tum terrae malum, ac tuber vocatur, a nobis Co - sentinis terrigena. Fulget flos ille inter candorem et purpuram. Partim a metallis nuncupati sunt, ut plumbeus, ferrugineus, argenteus, aureus. Sed a plantis nomen acceperunt complures, ut praeter phoeniceum, id est palmeum, ac xerampelinum, buxeus est qui pro pallido sumitur: pallet enim prae caeteris buxea materia. Roseus praeterea hya - cinthinus, in quo purpura lucet subnigra. Hys - ginus ab hysge herba: coccinus, et utrique similis sandycinus. Violaceus qui et ianthinus, ex quo tyrianthinus, e purpura ut nomen indicat, factus, et viola. Additur his croceus. Unde crocotula ve - stis genus, ut a calta caltula: a bysso lini genere tenuissimo byssina: erantque hae omnes luteae, sed byssina pene ut aurum fulgebat. Fuit in usu vestis a citri similitudine, citrosa dicta. Et quae - dam coloris candidi, papaverata a Lucilio Satyrico, cum eam, ut probrum, Torquato objecisset, no - minata. Invenitur quoque Galbia vestis alba a Gal - bano. A malvae item flosculo color est molochi - nus, ut a punicae etiam flore balaustinus. Virentis quoque porri folia nomen ex se, ut jam diximus, fecerunt prasinum. Multi praeterea ab animalibus vocati sunt, ut cervinus, murinus. Atque hi co - lores sunt in equo notissimi. Mustellinus, de quo191 Terentius. Ictericus, qui regio morbo laborat, a colore galguli, quam Graeci avem icteron dicunt. Luteus est hic admodum. Cygneus, idemque La - tine olorinus, id est candidus, ut contra cora - cinus, niger. Adscribuntur et his ostrinus, con - chyliatus, muriceus, purpureus, ab Hercule ut fabulantur, primum inventus. Feci paucos de ea re choriambos, quos visum est hic ponere.

Errat dum bibulis Herculeus littoribus canis,
Nantem forte videt spumifero gurgite purpuram:
Aggressusque ferox corripuit viscera mordicus.
Mox pastus rediit commaculans gramina sanguine.
Quem Tyro simul ac pulcra videt (namque erat haec
comes)
Prolutum roseis candida sic ora coloribus,
Alciden alloquitur; Non alio munere te sequar,
Quam si picta mihi palla rubens huic similis datur.
Quod nunc per spolium terrificae te rogo belluae,
Invictaeque manus robora, per tela sonantia,
Non ignota avibus nubila translata fugacibus,
Da ferre haec (poteris nam omnia) nec te tenuit
maris
Circumfusa palus, hesperidum quo minus aurea
Ferres munera. Sic brachiolis fata revinciens
Robusta implicuit nympha procax colla tenaciter
Paret victus amans blanditiis Amphitryonius:
Nactusque exanimem, quam exspuerat jam mare,
purpuram
Infecit tyrio primus ovem murice candidam.
192

A rebus denique diversis nonnulli colores dicti sunt, ut igneus, flammeus. Sic orbis nitorque solis ab Attio et Catullo appellatus est. Quare co - lor solis, et quia ita apparet, et ex illorum aucto - ritate flammeus proprie potest vocari. A coelo, ut jam principio dixi, coeruleus est. Marinus, et thalassinus a mari: ab unda cymatilis et cymatius: idemque est in iis omnibus color. Quin etiam ab arcu pluviarum nuntio, arquatus est nominatus. Hyalinus, qui et vitreus, niveus, marmoreus, la - cteus, eburneus, quo dictus fuit cognomento prop - ter candorem corporis Fabius quidam. Amethysti - nus praeterea, ex quo tyriamethystius in usu fuit olim. Sandaracinus, flammeus est is, quibus etiam impluviatus, sanguineus, atque herbidus ad - duntur. Cereus item, piceus, cinereus, ut car - dui genus esculenti a colore, Cinara vocatum. In hoc autem carduo esse etiam aliquod ipsius virtu - tis simulachrum, pauci, quos hic subjeci, decla - rant versiculi.

Ut vallatus acutis
Circum frondibus horret,
Intus sed tamen abdit
Dulcem carduus escam:
Coelo missa sereno
Sic virtus, puer, aspris
Ambit sentibus ipsam
Jucundam ambrosiam Diis.
193

A spumis quoque et maculis, spumeus est et maculosus: atque ii equorum sunt etiam colores, ut a guttis guttatus: cujusmodi praeter equos, ca - nes videntur nonnulli sagaces, quos a muscarum similitudine muscatos dicunt, velut equus scutu - latus a scutulis: quem ab exiguorum pomorum specie, pomulatum vocant equisones, et si orbes sunt latiusculi, rotatum. Videtur ad extremum na - tura amare coeruleum: eo enim, ut initio diximus, mare collustravit, ac coelum ipsum: quod nun - quam stellis fulgentibus ornasset, nisi eadem quo - que fulvo maxime delectaretur. Sed quia vicis - sim videmus terram, aut viriditate convestiri, aut eo ornatu spoliatam, pullam esse, aut etiam can - dore niveo contegi: viridem, pullum, atque al - bum naturae gratum esse nemo potest dubitare. Nigra insuper est nox: nigri sunt Indi, atque Aethiopes. Gaudet igitur rerum mater colore ni - gro: quam a rubro nihil abhorrere, hominum ac caeterarum animantium sanguis facile declarat.

II. 13194

Antonius Thyleſius.

Als uns in der Epoche der erneuerten Wiſſenſchaf - ten vorſtehendes kleines Buch freundlich begegnete, war es uns eine angenehme Erſcheinung, um ſo mehr, als es ſich jenem des Ariſtoteles an die Seite und in ge - wiſſem Sinne entgegen ſtellte. Wir gedachten es zu uͤberſetzen, fanden aber bald, daß man in einer Spra - che nicht die Etymologie der andern behandeln koͤnne, und ſo entſchloſſen wir uns, es in der Urſchrift wieder abdrucken zu laſſen. Es iſt zwar nicht ſelten, indem es oͤfter anderen groͤßeren und kleineren Schriften bey - gefuͤgt worden, jedoch einzeln nicht immer zur Hand, und ſo glaubten wir es um ſo mehr einſchalten zu duͤr - fen, als uns aus demſelben das Gefuͤhl einer freyen und heitern Zeit entgegenkommt, und die Tugenden des Verfaſſers wohl verdienen, daß ihre Wirkungen nochmals vervielfaͤltigt werden.

Antonius Thyleſius war zu Coſenza geboren, einer Stadt, die an der Cultur des untern Italien ſchon fruͤher Theil nahm. In dem erſten Viertel des ſechszehnten Jahrhunderts war er Profeſſor zu Mai - land. Er gehoͤrt unter diejenigen, welche man in der Literargeſchichte als Philologen, Redner und Poeten zugleich geruͤhmt findet. Ein gruͤndliches und doch li - berales Studium der Alten regte in ſolchen Maͤnnern die eigene Productivitaͤt auf, und wenn ſie auch ei -195 gentlich nicht zu Poeten geboren waren, ſo ſchaͤrfte ſich doch am Alterthum ihr Blick fuͤr die Natur und fuͤr die Darſtellung derſelben.

Ein Buͤchelchen de coronis gab er 1526 heraus. Die Anmuth des gewaͤhlten Gegenſtandes zeugt fuͤr die Anmuth ſeines Geiſtes. Er fuͤhrt in demſelben ſehr kurz und leicht alle Kraͤnze und Kronen vor, womit ſich Goͤtter und Heroen, Prieſter, Helden, Dichter, Schmauſende und Leidtragende zu ſchmuͤcken pflegten, und man begreift ſehr leicht, wie bey ſolcher Gelegen - heit ein geſunder Blick auf Farbe mußte aufmerkſam gemacht werden.

So finden wir denn auch in der kleinen Schrift uͤber die Farben einen Mann, dem es um das Ver - ſtaͤndniß der Alten zu thun iſt. Es entgeht ihm nicht, daß die Farbenbenennungen ſehr beweglich ſind und von mancherley Gegenſtaͤnden gebraucht werden. Er dringt daher auf den erſten Urſprung der Worte, und ob wir gleich ſeinem Etymologiſiren nicht immer bey - ſtimmen, ſo folgen wir ihm doch gern und belehren uns an und mit ihm.

Beyde oben benannte Aufſaͤtze wurden mit ſeinen uͤbrigen poetiſchen Schriften von Conrad Geßner 1545 zu Baſel herausgegeben, wobey ſich bemerken laͤßt, daß ihm ſeine Zeitgenoſſen eine gewiſſe Originalitaͤt zuge - ſtanden, indem ſie ihn andern entgegenſetzen, die nur durch Zuſammenſtellung von Worten und Phraſen der13 *196Alten ein neues Gedicht, eine neue Rede hervorzubrin - gen glaubten.

Eine Tragoͤdie, der goldene Regen, kleinere Ge - dichte, der Cyclop, Galathee, u. ſ. w. zeigen genug - ſam, daß wenn man ihn auch nicht eigentlich einen Poeten nennen darf, einen ſolchen, der einen Gegen - ſtand zu beleben, das Zerſtreute zur Einheit zwingen kann; ſo muͤſſen wir doch außer ſeiner antiquariſchen Bildung, einen aufmerkſamen Blick in die Welt, ein zartes Gemuͤth an ihm ruͤhmen. Er behandelt die Spinne, den Leuchtwurm, das Rohr, auf eine Weiſe, die uns uͤberzeugt, daß er in der Mittelgattung von Dichtkunſt, in der beſchreibenden, noch manches erfreu - liche haͤtte leiſten koͤnnen. Uns ſteht er als Repraͤſen - tant mancher ſeiner Zeitgenoſſen da, die das Wiſſen mit Anmuth behandelten, und der Anmuth etwas Ge - wußtes unterzulegen noͤthig fanden.

Mit welchem freyen, liebe - und ehrfurchtsvollen Blick er die Natur angeſehen, davon zeugen wenige Verſe, die wir zu ſeinem Angedenken hier einzuruͤcken uns nicht enthalten koͤnnen.

Omniparens natura, hominum rerumque creatrix,
Difficilis, facilis, similis tibi, dissimilisque,
Nulligena, indefessa, ferax, te pulchrior ipsa,
Solaque quae tecum certas, te et victa revincis.
Omnia me nimis afficiunt, quo lumina cunque
Verto libens, nihil est non mirum. Daedala quod tu
197
Effingis, rebusque animam simul omnibus afflas,
Unde vigent, quaecunque videntur, pabula, frondes,
Et genus aligerum, pecudesque et squamea turba.

Simon Portius.

Das Buͤchlein von den Farben, welches dem Theophraſt zugeſchrieben wird, ſcheint in der mittlern Zeit nicht viel gekannt geweſen zu ſeyn; wenigſtens haben wir es auf unſerm Wege nicht citirt gefunden. In der erſten Haͤlfte des ſechszehnten Jahrhunderts nimmt Simon Portius ſich deſſelben an, uͤberſetzt, commentirt es, und giebt ſtatt einer Vorrede eine klei - ne Abhandlung uͤber die Natur der Farben.

Aus der Zueignung an Cosmus den erſten, Groß - herzog von Florenz, lernen wir, daß er von demſel - ben als Gelehrter beguͤnſtigt und unter den ſeinen wohl - aufgenommen war. Er hielt uͤber die ariſtoteliſchen Schriften oͤffentliche Lehrſtunden, und hatte auch uͤber mehr gedachtes Buͤchlein in den Ferien geleſen. Spaͤ - ter ward Ueberſetzung und Commentar eine Villeggia - tur-Arbeit. So viel wir wiſſen, erſchien die erſte Aus - gabe zu Neapel 1537. Diejenige, deren wir uns be - dienen, iſt zu Paris 1549. gedruckt.

Sogleich wie ſich einige Bildungsluſt auf der Welt wieder zeigt, treten uns die ariſtoteliſchen Verdienſte198 friſch entgegen. Freylich ſtanden dieſe ſchriftlichen Ue - berlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und von einer andern auf einem zu hohen Puncte der gluͤck - lichſten Bildung, als daß die Auffinder ihnen haͤtten gewachſen ſeyn koͤnnen. Man verſtand ſie leider nicht genugſam, weder ihrer Abſicht nach, noch inſofern ſchon genug durch ſie geleiſtet war. Was alſo gegen - waͤrtig an ihnen geſchah, war eine zwar lobenswerthe, aber meiſt unfruchtbare Muͤhe.

Sowohl in der von Portius vorausgeſchickten Vor - rede, worin uns etwas uͤber die Natur der Farben verſprochen wird, als auch in den Anmerkungen ſelbſt, welche dem Text beygefuͤgt ſind, ſehen wir einen bele - ſenen und zugleich in der ariſtoteliſchen Schulmethode wohlgeuͤbten Mann, und koͤnnen ihm daher unſere Ach - tung, ſo wie unſern Dank fuͤr das, was wir von ihm lernen, nicht verſagen. Allein der Gewinn, den wir aus einem muͤhſamen Studium ſeiner Arbeit zie - hen, iſt doch nur hiſtoriſch. Wir erfahren, wie die Alten ſich uͤber dieſen Gegenſtand ausgedruͤckt, wir ver - nehmen ihre Meynungen und Gegenmeynungen; wir werden von mancherley Widerſtreit belehrt, den unſer Autor nach ſeiner Art weder zu vergleichen noch zu entſcheiden ſich im Stande befindet.

Von einer eigentlichen Naturanſchauung iſt hier gar die Rede nicht. Das ausgeſprochene Wort, die gebildete Phraſe, die mehr oder weniger zulaͤngliche Definition, werden zum Grund gelegt; das Original,199 die Ueberſetzung, eine Worterklaͤrung, eine Umſchrei - bung ergreifen ſich wechſelsweiſe; bald wird etwas Verwandtes herbeygehohlt, etwas Aehnliches oder Un - aͤhnliches citirt, Zweifel nicht verſchwiegen, Fragen be - antwortet, dem Widerſpruch begegnet und bald beyfaͤl - lig, bald abfaͤllig verfahren, wobey es nicht an Miß - verſtaͤndniſſen und Halbverſtaͤndniſſen fehlt; da denn durchaus eine ſorgfaͤltige und fleißige Behandlung an die Stelle einer gruͤndlichen tritt. Die Form des Vor - trags, Noten zu einem Text zu ſchreiben, noͤthigt zum Wiederhohlen, zum Zuruͤckweiſen, alles Geſagte wird aber und abermals durch und uͤber einander gearbeitet, ſo daß es dem Ganzen zwar an innerer Klarheit und Conſequenz nicht fehlt, wie irgend einem Karten - und Steinſpiel; hat man jedoch alles geleſen und wieder geleſen, ſo weiß man wohl etwas mehr als vorher, aber gerade das nicht, was man erwartete und wuͤnſchte.

Solche ſchaͤtzenswerthe und oft nur ſehr geringe Frucht tragende Arbeiten muß man kennen, wenn man in der Folge diejenigen Maͤnner rechtfertigen will, wel - che von einem lebhaften Trieb zur Sache beſeelt, dieſe Wortarbeiten als Hinderniſſe anſahen, die Ueberliefe - rung uͤberhaupt anfeindeten und ſich gerade zur Natur wendeten, oder gerade zu ihr hinwieſen.

Wir geben den Vorſatz auf, einige uͤberſetzte Stel - len mitzutheilen, indem ſie weder belehrend noch erfreu - lich ſeyn koͤnnten. Auch haben wir ſchon das Brauch - bare in unſerm Aufſatze, worin wir die Meynungen200 und Lehren der Griechen behandeln, aufgefuͤhrt, und werden kuͤnftig Gelegenheit haben, Eins und Anderes am ſchicklichen Orte zu wiederhohlen.

Julius Caͤſar Scaliger.

Von 1484 bis 1558.

Dieſer merkwuͤrdige Mann brachte ſeine Jugend am Hof, ſein Juͤnglingsalter im Militaͤrſtande zu, ſuchte ſpaͤter als Arzt ſeinen Lebensunterhalt und war wegen ſeiner ausgebreiteten Gelehrſamkeit vor vielen ſeiner Zeitgenoſſen beruͤhmt. Ein ſtarkes Gedaͤchtniß verhalf ihm zu vielem Wiſſen; doch thut man ihm wohl nicht Unrecht, wenn man ihm eigentlichen Ge - ſchmack und Wahrheitsſinn abſpricht. Dagegen war er, bey einem großen Vorgefuͤhl ſeiner ſelbſt, von dem Geiſte des Widerſpruchs und Streitluſt unablaͤſſig erregt.

Cardan, deſſen wir ſpaͤter gedenken werden, pu - blicirt eine ſeiner Arbeiten unter dem Titel: de sub - tilitate. Scaliger findet es gelegen, ſich daran zu uͤben und verfaßte ein großes Buch gegen ihn, worin er ihm zeigt, daß man mehr wiſſen, genauer bemer - ken, ſubtiler unterſcheiden und beſtimmter vortragen koͤnne. Dieſes Werk iſt ſeinem Inhalte nach ſchaͤtz -201 bar genug: denn es ſind eigentlich nur in Streitform zuſammengeſtellte Collectaneen, wodurch wir unterrich - tet werden, wie manches damals bekannt war, und wie vieles die Wißbegierigen ſchon intereſſirte.

Was Scaliger uͤber die Farben in der dreyhun - dert fuͤnf und zwanzigſten Exercitation vorzubringen weiß, laͤßt ſich in zwey Hauptabſchnitte theilen, in einen theoretiſchen und einen etymologiſchen. In dem erſten wiederhohlt er, was die Alten von den Farben geſagt, theils beyfaͤllig, theils mißfaͤllig; er haͤlt ſich auf der Seite des Ariſtoteles, die platoniſchen Vor - ſtellungsarten wollen ihm nicht einleuchten. Da er aber keinen eigentlichen Standpunct hat, ſo iſt es auch nur ein Hin - und Wiederreden, wodurch nichts ausgemacht wird.

Bey dieſer Gelegenheit laͤßt ſich jene Betrachtung anſtellen, die uns auch ſchon fruͤher entgegendrang: welch eine andre wiſſenſchaftliche Anſicht wuͤrde die Welt gewonnen haben, wenn die griechiſche Sprache lebendig geblieben waͤre und ſich anſtatt der Lateini - ſchen verbreitet haͤtte.

Die weniger ſorgfaͤltigen arabiſchen und lateini - ſchen Ueberſetzungen hatten ſchon fruͤher manches Un - heil angerichtet, aber auch die ſorgfaͤltigſte Ueberſetzung bringt immer etwas fremdes in die Sache, wegen Verſchiedenheit des Sprachgebrauchs.

202

Das Griechiſche iſt durchaus naiver, zu einem natuͤrlichen, heitern, geiſtreichen, aͤſthetiſchen Vortrag gluͤcklicher Naturanſichten viel geſchickter. Die Art, durch Verba, beſonders durch Infinitiven und Parti - cipien zu ſprechen, macht jeden Ausdruck laͤßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts beſtimmt, be - pfaͤhlt und feſtgeſetzt, es iſt nur eine Andeutung, um den Gegenſtand in der Einbildungskraft hervorzurufen.

Die lateiniſche Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der Subſtantiven entſcheidend und befehls - haberiſch. Der Begriff iſt im Wort fertig aufgeſtellt, im Worte erſtarrt, mit welchem nun als einem wirk - lichen Weſen verfahren wird. Wir werden ſpaͤter Urſache haben, an dieſe Betrachtungen wieder zu er - innern.

Was den zweyten etymologiſchen Theil betrifft, ſo iſt derſelbe ſchaͤtzenswerth, weil er uns mit vielen lateiniſchen Farbenbenennungen bekannt macht; wo - durch wir den Thyleſius und andre ſuppliren koͤnnen.

Wir fuͤgen hier eine Bemerkung bey, jedoch mit Vorſicht, weil ſie uns leicht zu weit fuͤhren koͤnnte. In unſerm kleinen Aufſatz uͤber die Farbenbenennun - gen der Griechen und Roͤmer, S. 54. des gegenwaͤr - tigen Bandes, haben wir auf die Beweglichkeit der Farbenbenennungen bey den Alten aufmerkſam ge - macht; doch iſt nicht zu vergeſſen, wie viele derſelben bey ihrem Urſprunge ſogleich fixirt worden: denn ge -203 rade durch dieſen Widerſtreit des Fixen und Beweglichen wird die Anwendung der Farbenbenennungen bis auf den heutigen Tag noch immer ſchwierig.

So einfach auch die Farben in ihrer erſten ele - mentaren Erſcheinung ſeyn moͤgen; ſo werden ſie doch unendlich mannigfaltig, wenn ſie aus ihrem reinen und gleichſam abſtracten Zuſtande ſich in der Wirklich - keit manifeſtiren, beſonders an Koͤrpern, wo ſie tau - ſend Zufaͤlligkeiten ausgeſetzt ſind. Dadurch entſpringt eine Individualiſirung bis ins Graͤnzenloſe, wohin keine Sprache, ja alle Sprachen der Welt zuſammen - genommen, nicht nachreichen.

Nun ſind aber die meiſten Farbenbenennungen da - von ausgegangen, daß man einen individuellen Fall als ein Beyſpiel ergriffen, um, nach ihm und an ihm, andre aͤhnliche zu bezeichnen. Wenn uns nun das Al - terthum dergleichen Worte ſchon genugſam uͤberliefert, ſo iſt in der Folge der Zeit, durch eine ausgebreitetere Kenntniß der Welt, natuͤrlicher Koͤrper, ja ſo vieler Kunſtproducte, bey jeder Nation ein neuer Zuwachs von Terminologie entſtanden, die immer aufs Neue wieder auf bekannte und unbekannte Gegenſtaͤnde ange - wendet, neue Bedenklichkeiten, neue Zweifel und Ir - rungen hervorbringt; wobey denn doch zuletzt nichts weiter uͤbrig bleibt, als den Gegenſtand, von dem die Rede iſt, recht genau zu kennen, und ihn wo moͤglich in der Einbildungskraft zu behalten.

204

Zwiſchenbetrachtung.

Da wir durch erſtgedachte drey Maͤnner in das Alterthum wieder zuruͤckgefuͤhrt worden, ſo erinnern wir uns billig deſſen, was fruͤher, die naturwiſſen - ſchaftlichen Einſichten der Alten betreffend, bemerkt ward. Sie wurden naͤmlich als tuͤchtige Menſchen von den Naturbegebenheiten aufgeregt, und betrachte - ten mit Verwunderung die verwickelten Phaͤnomene, die uns taͤglich und ſtuͤndlich umgeben, und wo - durch die Natur ihnen eher verſchleyert als aufgedeckt ward.

Wenn wir oben dem gluͤcklichen theoretiſchen Be - muͤhen mancher Maͤnner volle Gerechtigkeit widerfah - ren laſſen; ſo iſt doch nicht zu laͤugnen, daß man ihren Theorieen meiſtens einen empiriſchen Urſprung nur allzuſehr anſieht. Denn was war ihre Theilung natuͤrlicher Uranfaͤnge in vier Elemente anders, als eine nothduͤrftige Topik, nach welcher ſich die erſchei - nenden Erſcheinungen allenfalls ordnen und mit eini - ger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl, die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie, und die daraus entſpringende Bequemlichkeit machte eine ſolche Lehre zur Fortpflanzung geſchickt, und obgleich auf - merkſamere Beobachter mancherley Zweifel erregen, manche Frage aufwerfen mochten; ſo blieb doch Schule und Menge dieſer Vorſtellungs - und Eintheilungsart geneigt.

205

In der neuern Zeit brachte die Chemie eine Haupt - veraͤnderung hervor; ſie zerlegte die natuͤrlichen Koͤrper und ſetzte daraus kuͤnſtliche auf mancherley Weiſe wie - der zuſammen; ſie zerſtoͤrte eine wirkliche Welt, um eine neue, bisher unbekannte, kaum moͤglich geſchie - nene, nicht geahndete wieder hervor zu bauen. Nun ward man genoͤthigt, uͤber die wahrſcheinlichen Anfaͤnge der Dinge und uͤber das daraus Entſprungene immer mehr nachzudenken, ſo daß man ſich bis an unſre Zeit zu immer neuen und hoͤheren Vorſtellungsarten herauf - gehoben ſah, und das um ſo mehr, als der Chemiker mit dem Phyſiker einen unaufloͤslichen Bund ſchloß, um dasjenige, was bisher als einfach erſchienen war, wo nicht in Theile zu zerlegen, doch wenigſtens in den mannigfaltigſten Bezug zu ſetzen, und ihm eine bewundernswuͤrdige Vielſeitigkeit abzugewinnen. In dieſer Ruͤckſicht haben wir zu unſern Zwecken gegen - waͤrtig nur eines einzigen Mannes zu gedenken.

Paracelſus.

geb. 1493. geſt. 1543.

Man iſt gegen den Geiſt und die Talente dieſes außerordentlichen Mannes in der neuern Zeit mehr als in einer fruͤheren gerecht, daher man uns eine Schil - derung derſelben gern erlaſſen wird. Uns iſt er des - halb merkwuͤrdig, weil er den Reihen derjenigen an -206 fuͤhrt, welche auf den Grund der chemiſchen Farben - erſcheinung und Veraͤnderung zu dringen ſuchen.

Paracelſus ließ zwar noch vier Elemente gelten, jedes war aber wieder aus dreyen zuſammengeſetzt, aus Sal, Sulphur und Mercurius, wodurch ſie denn ſaͤmmtlich, ungeachtet ihrer Verſchiedenheit und Un - aͤhnlichkeit, wieder in einen gewiſſen Bezug unter ein - ander kamen.

Mit dieſen drey Uranfaͤngen ſcheint er dasjenige ausdruͤcken zu wollen, was man in der Folge alcali - ſche Grundlagen, ſaͤuernde Wirkſamkeiten, und begei - ſtende Vereinigungsmittel genannt hat. Den Urſprung der Farben ſchreibt Paracelſus dem Schwefel zu, wahr - ſcheinlich daher, weil ihm die Wirkung der Saͤuren auf Farbe und Farbenerſcheinung am bedeutendſten auffiel, und im gemeinen Schwefel ſich die Saͤure im hohen Grade manifeſtirt. Hat ſodann jedes Element ſeinen Antheil an dem hoͤher verſtandenen myſtiſchen Schwefel, ſo laͤßt ſich auch wohl ableiten, wie in den verſchiedenſten Faͤllen Farben entſtehen koͤnnen.

So viel fuͤr dießmal; in der Folge werden wir ſehen, wie ſeine Schuͤler und Nachkommen dieſe Lehre erweitert und ihr durch mancherley Deutungen zu hel - fen geſucht.

207

Alchymiſten.

Auf eben dieſem Wege gingen die Alchymiſten fort und mußten ſich, weil darunter wenig originelle Gei - ſter, hingegen viele Nachahmer ſich befanden, immer tiefer zur Geheimnißkraͤmerey ihre Zuflucht nehmen, de - ren Dunkelheiten aus dem vorigen Jahrhundert heruͤber gekommen waren. Daher die Monotonie aller dieſer Schriften.

Betrachtet man die Alchymie uͤberhaupt; ſo fin - det man an ihr dieſelbe Entſtehung, die wir oben bey anderer Art Aberglauben bemerkt haben. Es iſt der Misbrauch des Aechten und Wahren, ein Sprung von der Idee, vom Moͤglichen, zur Wirklichkeit, eine falſche Anwendung aͤchter Gefuͤhle, ein luͤgenhaftes Zuſagen, wodurch unſern liebſten Hoffnungen und Wuͤnſchen geſchmeichelt wird.

Hat man jene drey erhabenen unter einander im innigſten Bezug ſtehenden Ideen, Gott, Tugend und Unſterblichkeit, die hoͤchſten Forderungen der Vernunft genannt; ſo giebt es offenbar drey ihnen entſprechende Forderungen der hoͤheren Sinnlichkeit, Gold, Geſund - heit und langes Leben. Gold iſt ſo unbedingt maͤch - tig auf der Erde, wie wir uns Gott im Weltall den - ken. Geſundheit und Tauglichkeit fallen zuſammen. Wir wuͤnſchen einen geſunden Geiſt in einem geſunden Koͤrper. Und das lange Leben tritt an die Stelle der Unſterblichkeit. Wenn es nun edel iſt, jene drey208 hohen Ideen in ſich zu erregen und fuͤr die Ewigkeit zu cultiviren; ſo waͤre es doch auch gar zu wuͤnſchens - werth, ſich ihrer irdiſchen Repraͤſentanten fuͤr die Zeit zu bemaͤchtigen. Ja dieſe Wuͤnſche muͤſſen leiden - ſchaftlich in der menſchlichen Natur gleichſam wuͤthen und koͤnnen nur durch die hoͤchſte Bildung ins Gleich - gewicht gebracht werden. Was wir auf ſolche Weiſe wuͤnſchen, halten wir gern fuͤr moͤglich; wir ſuchen es auf alle Weiſe, und derjenige, der es uns zu lie - fern verſpricht, wird unbedingt beguͤnſtigt.

Daß ſich hierbey die Einbildungskraft ſogleich thaͤtig erzeige, laͤßt ſich erwarten. Jene drey oberſten Erforderniſſe zur hoͤchſten irdiſchen Gluͤckſeligkeit ſchei - nen ſo nahe verwandt, daß man ganz natuͤrlich fin - det, ſie auch durch ein einziges Mittel erreichen zu koͤnnen. Es fuͤhrt zu ſehr angenehmen Betrachtungen, wenn man den poetiſchen Theil der Alchymie, wie wir ihn wohl nennen duͤrfen, mit freyem Geiſte behandelt. Wir finden ein aus allgemeinen Begriffen entſpringen - des auf einen gehoͤrigen Naturgrund aufgebautes Maͤhr - chen.

Etwas Materielles muß es ſeyn, aber die erſte allgemeine Materie, eine jungfraͤuliche Erde. Wie die - ſe zu finden, wie ſie zu bearbeiten, dieſes iſt die ewige Ausfuͤhrung alchymiſcher Schriften, die mit einem un - ertraͤglichen Einerley, wie ein anhaltendes Glockenge - laͤute, mehr zum Wahnſinn als zur Andacht hin - draͤngen.

209

Eine Materie ſoll es ſeyn, ein Unorganiſirtes, das durch eine der organiſchen aͤhnliche Behandlung veredelt wird. Hier iſt ein Ey, ein Sperma, Mann und Weib, Vierzig Wochen, und ſo entſpringt zugleich der Stein der Weiſen, das Univerſal-Recipe und der allzeit fertige Caſſier.

Die Farbenerſcheinungen, welche dieſe Operation begleiten, und die uns eigentlich hier am meiſten inter - eſſiren muͤſſen, geben zu keiner bedeutenden Bemerkung Anlaß. Das Weiße, das Schwarze, das Rothe und das Bunte, das bey chemiſchen Verſuchen vorkommt, ſcheint vorzuͤglich die Aufmerkſamkeit gefeſſelt zu haben.

Sie legten jedoch in alle dieſe Beobachtungen kei - ne Folge, und die Lehre der chemiſchen Farben erhielt durch ſie keine Erweiterung, wie doch haͤtte geſchehen koͤnnen und ſollen. Denn da ihre Operationen ſaͤmmt - lich auf Uebergaͤnge, Metaſchematismen und Verwand - lungen hindeuteten, und man dabey eine jede, auch die geringſte, Veraͤnderung des bearbeiteten Koͤrpers zu beachten Urſache hatte; ſo waͤre z. B. jene hoͤchſt be - deutende Wirkung der Farbennatur, die Steigerung, am erſten zu bemerken und, wenn auch nur irrig, als Hoffnungsgrund der geheimnißvollen Arbeit anzuſehen geweſen. Wir erinnern uns jedoch nicht, etwas dar - auf bezuͤgliches gefunden zu haben.

Uebrigens mag ein Muſterſtuͤck, wie ſie ihr Ge - ſchaͤft uͤberhaupt, beſonders aber die Farbenerſcheinung behandelt, in der Ueberſetzung hier Platz finden.

II. 14210

Calid, ein fabelhafter Koͤnig von Aegypten, unter - haͤlt ſich mit einem palaͤſtiniſchen Einſiedler Morienus, um uͤber das große Werk des wunderbaren Steins be - lehrt zu werden. Der Koͤnig. Von der Natur und dem Weſen jenes großen Werkes haſt du mir genug eroͤffnet, nun wuͤrdige mich auch, mir deſſen Farbe zu offenbaren. Dabey moͤchte ich aber weder Allegorie noch Gleichniſſe hoͤren. Morienus. Es war die Art der Weiſen, daß ſie ihr Aſſos von dem Stein und mit dem Stein immer verfertigten. Dieſes aber ge - ſchah, ehe ſie damit etwas anders faͤrbten. Aſſos iſt ein arabiſcher Ausdruck und koͤnnte lateiniſch Alaun verdolmetſcht werden. O guter Koͤnig, Dir ſey genug, was ich hier vorbringe. Laß uns zu aͤltern Zeugniſſen zu - ruͤckkehren, und verlangſt Du ein Beyſpiel, ſo nimm die Worte Datin des Philoſophen wohl auf, denn er ſagt: Unſer Lato, ob er gleich zuerſt roth iſt, ſo iſt er doch unnuͤtz; wird er aber nach der Roͤthe ins Weiße verwandelt, ſo hat er großen Werth. Deswegen ſpricht Datin zum Euthices: O Euthices, dieſes wird alles feſt und wahrhaft bleiben; denn ſo haben die Weiſen davon geſprochen: Die Schwaͤrze haben wir weggenom - men, und nun mit dem Salz Anatron, d. i. Salpeter, und Almizadir, deſſen Eigenſchaft kalt und trocken iſt, halten wir die Weiße feſt. Deswegen geben wir ihm den Namen Borreza, welches arabiſch Tinkar heißt. Das Wort aber Datin des Philoſophen wird durch Hermes Wort beſtaͤtigt. Hermes aber ſagt: Zuerſt iſt die Schwaͤrze, nachher mit dem Salz Anatron folgt die Weiße. Zuerſt war es roth und zuletzt weiß, und211 ſo wird alle Schwaͤrze weggenommen und ſodann in ein helles leuchtendes Roth verwandelt. Maria ſagt gleichfalls: Wenn Laton mit Alzebric, d. h. mit Schwe - fel, verbrennt, und das Weichliche drauf gegoſſen wird, ſo daß deſſen Hitze aufgehoben werde, dann wird die Dunkelheit und Schwaͤrze davon weggenommen und derſelbe in das reinſte Gold verwandelt. Nicht weni - ger ſagt Datin der Philoſoph: Wenn du aber Laton mit Schwefel verbrennſt und das Weichliche wiederholt auf ihn gießeſt; ſo wird ſeine Natur aus dem Guten ins Beſſere mit Huͤlfe Gottes gewendet. Auch ein an - derer ſagt: Wenn der reine Laton ſo lange gekocht wird, bis er wie Fiſchaugen glaͤnzt, ſo iſt ſeine Nuͤtz - lichkeit zu erwarten. Dann ſollſt du wiſſen, daß er zu ſeiner Natur und zu ſeiner Farbe zuruͤckkehrt. Ein an - derer ſagt gleichfalls: Jemehr etwas gewaſchen wird, deſto klarer und beſſer erſcheint es. Wird er nicht ab - gewaſchen, ſo wird er nicht rein erſcheinen, noch zu ſei - ner Farbe zuruͤckkehren. Desgleichen ſagt Maria: Nichts iſt, was vom Lato die Dunkelheit noch die Farbe wegnehmen koͤnne, aber Azoc iſt gleichſam ſeine Decke, naͤmlich zuerſt, wenn er gekocht wird: denn er faͤrbt ihn und macht ihn weiß; dann aber beherrſcht Lato den Azoc, macht ihn zu Wein, d. i. roth.

Wie ſehr der Koͤnig Calid durch dieſe Unterhal - tung ſich erbaut und aufgeklaͤrt gefunden habe, uͤber - laſſen wir unſern Leſern ſelbſt zu beurtheilen.

14 *212

Zwiſchenbetrachtung.

Wir befinden uns nunmehr auf dem Puncte, wo die Scheidung der aͤltern und neuern Zeit immer be - deutender wird. Ein gewiſſer Bezug aufs Alterthum geht noch immer ununterbrochen und maͤchtig fort; doch finden wir von nun an mehrere Menſchen, die ſich auf ihre eigenen Kraͤfte verlaſſen.

Man ſagt von dem menſchlichen Herzen, es ſey ein trotzig und verzagtes Weſen. Von dem menſchli - chen Geiſte darf man wohl aͤhnliches praͤdiciren. Er iſt ungeduldig und anmaßlich und zugleich unſicher und zaghaft. Er ſtrebt nach Erfahrung und in ihr nach einer erweiterten reinern Thaͤtigkeit, und dann bebt er wieder davor zuruͤck, und zwar nicht mit Unrecht. Wie er vorſchreitet, fuͤhlt er immer mehr, wie er be - dingt ſey, daß er verlieren muͤſſe, indem er gewinnt: denn ans Wahre wie ans Falſche ſind nothwendige Bedingungen des Daſeyns gebunden.

Daher wehrt man ſich im Wiſſenſchaftlichen ſo lange als nur moͤglich fuͤr das Hergebrachte, und es entſtehen heftige, langwierige Streitigkeiten, theoretiſche ſowohl als practiſche Retardationen. Hievon geben uns das funfzehnte und ſechszehnte Jahrhundert die lebhafteſten Beyſpiele. Die Welt iſt kaum durch Ent - deckung neuer Laͤnder unmaͤßig in die Laͤnge ausgedehnt; ſo muß ſie ſich ſchon in ſich ſelbſt als rund abſchließen. 213Kaum deutet die Magnetnadel nach entſchiednen Welt - gegenden, ſo beobachtet man, daß ſie ſich eben ſo ent - ſchieden zur Erde nieder neigt.

Im Sittlichen gehen aͤhnliche große Wirkungen und Gegenwirkungen vor. Das Schießpulver iſt kaum erfunden, ſo verliert ſich die perſoͤnliche Tapferkeit aus der Welt, oder nimmt wenigſtens eine andre Richtung. Das tuͤchtige Vertrauen auf ſeine Fauſt und Gott loͤſ’t ſich auf in die blindeſte Ergebenheit unter ein unaus - weichlich beſtimmendes, unwiederruflich gebietendes Schickſal. Kaum wird durch Buchdruckerey Cultur all - gemeiner verbreitet, ſo macht ſich ſchon die Cenſur noͤ - thig, um dasjenige einzuengen, was bisher in einem natuͤrlich beſchraͤnkten Kreiſe frey geweſen war.

Doch unter allen Entdeckungen und Ueberzeugun - gen moͤchte nichts eine groͤßere Wirkung auf den menſch - lichen Geiſt hervorgebracht haben, als die Lehre des Co - pernikus. Kaum war die Welt als rund anerkannt und in ſich ſelbſt abgeſchloſſen, ſo ſollte ſie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht thun, der Mittelpunct des Weltalls zu ſeyn. Vielleicht iſt noch nie eine groͤßere Forderung an die Menſchheit geſchehen: denn was ging nicht alles durch dieſe Anerkennung in Dunſt und Rauch auf: ein zweytes Paradies, eine Welt der Un - ſchuld, Dichtkunſt und Froͤmmigkeit, das Zeugniß der Sinne, die Ueberzeugung eines poetiſch-religioͤſen Glau - bens; kein Wunder, daß man dieß alles nicht wollte fahren laſſen, daß man ſich auf alle Weiſe einer ſol -214 chen Lehre entgegenſetzte, die denjenigen, der ſie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahneten Denk - freyheit und Großheit der Geſinnungen berechtigte und aufforderte.

Wir fuͤgen noch zwey Bemerkungen hinzu, die uns in der Geſchichte der Wiſſenſchaften uͤberhaupt und der Farbenlehre beſonders, leitend und nuͤtzlich ſeyn koͤnnen.

In jedem Jahrhundert, ja in jedem Jahrzehend werden tuͤchtige Entdeckungen gemacht, geſchehen uner - wartete Begebenheiten, treten vorzuͤgliche Menſchen auf, welche neue Anſichten verbreiten. Weil aber ſolche Er - eigniſſe ſich gewoͤhnlich nur auf partielle Gegenſtaͤnde beziehen, ſo wird die ganze Maſſe der Menſchen und ihre Aufmerkſamkeit dahin geleitet. Dergleichen mehr oder weniger ausſchließliche Beſchaͤftigungen ziehen ein ſolches Zeitalter von allem Uebrigen ab, ſo daß man weder an das Wichtige denkt, was ſchon da geweſen, noch an das, was noch zu thun ſey, bis denn endlich das beguͤnſtigte Particulare genugſam durchgearbeitet in den allgemeinen Kreis des Bekannten mit eintritt und nunmehr ſtill fortwirkt, ohne ein beſonderes leb - haftes Intereſſe weiter zu erregen.

Alles iſt in der Natur aufs innigſte verknuͤpft und verbunden, und ſelbſt was in der Natur getrennt iſt, mag der215 Menſch gern zuſammenbringen und zuſammenhalten. Da - her kommt es, daß gewiſſe einzelne Naturerſcheinungen ſchwer vom Uebrigen abzuloͤſen ſind und nicht leicht durch Vorſatz didactiſch abgeloͤſt werden.

Mit der Farbenlehre war dieſes beſonders der Fall. Die Farbe iſt eine Zugabe zu allen Erſcheinungen, und obgleich immer eine weſentliche, doch oft ſcheinbar eine zufaͤllige. Deshalb konnte es kaum jemand beygehen, ſie an und fuͤr ſich zu betrachten, und beſonders zu behandeln. Auch geſchieht dieſes von uns beynahe zum erſtenmal, indem alle fruͤheren Bearbeitungen nur gelegent - lich geſchahen und von der Seite des Brauchbaren oder Widerwaͤrtigen, des einzelnen oder eminenten Vor - kommens, oder ſonſt, eingeleitet worden.

Dieſe beyden Umſtaͤnde werden wir alſo nicht aus dem Auge verlieren und bey den verſchiednen Epochen anzeigen, womit die Naturforſcher beſonders beſchaͤf - tigt geweſen, wie auch bey welchem eigenen Anlaß die Farbe wieder zur Sprache kommt.

Bernhardinus Teleſius.

geb. 1508. geſt. 1588.

Durch die Buchdruckerey wurden mehrere Schrif - ten der Alten verbreitet. Ariſtoteles und Plato feſſel - ten nicht allein die Aufmerkſamkeit; auch andere Mey - nungen und theoretiſche Geſinnungen wurden bekannt,216 und ein guter Kopf konnte ſich die eine oder die andre zur Nachfolge waͤhlen, je nachdem ſie ihm ſeiner Denk - weiſe gemaͤß ſchien. Dennoch hatte Autoritaͤt im All - gemeinen ſo großes Gewicht, daß man kaum etwas zu behaupten unternahm, was nicht fruͤher von einem Alten ſchon geaͤußert worden; wobey man jedoch zu bemerken nicht unterlaſſen kann, daß ſie den abgeſchloſ - ſenen Kreis menſchlicher Vorſtellungsarten voͤllig, wenn gleich oft nur fluͤchtig und genialiſch, durchlaufen hat - ten, ſo daß der Neuere, indem er ſie naͤher kennen lernt, ſeine geglaubte Originalitaͤt oft beſchaͤmt ſieht.

Daß die Elemente, wonach Ariſtoteles und die ſei - nigen die Anfaͤnge der Dinge darſtellen und eintheilen wollen, empiriſchen, und wenn man will, poetiſchen Urſprungs ſeyen, war einem frey aufblickenden Geiſte nicht ſchwer zu entdecken. Teleſius fuͤhlte, daß man, um zu Anfaͤngen zu gelangen, ins Einfachere gehen muͤſſe. Er ſetzt daher die Materie voraus und ſtellt ſie unter den Einfluß von zwey empfindbaren aber un - greiflichen Principien, der Waͤrme und der Kaͤlte. Was er hiebey fruͤhern Ueberlieferungen ſchuldig, laſſen wir unausgemacht.

Genug er faßte jene geheimnißvolle Syſtole und Diaſtole, aus der ſich alle Erſcheinungen entwickeln, gleichfalls unter einer empiriſchen Form auf, die aber doch, weil ſie ſehr allgemein iſt, und die Begriffe von Ausdehnung und Zuſammenziehung, von Solidescenz und Liquescenz hinter ſich hat, ſehr fruchtbar iſt und eine hoͤchſt mannigfaltige Anwendung leidet.

217

Wie Bernhardinus dieſes geleiſtet und wie er denn doch zuletzt empfunden, daß ſich nicht alle Erſcheinun - gen unter ſeiner Formel ausſprechen laſſen, ob ſie gleich uͤberall hindeutet, davon belehrt uns die Geſchichte der Philoſophie eines weitern. Was aber fuͤr uns hoͤchſt merkwuͤrdig iſt, er hat ein Buͤchelchen de colorum generatione geſchrieben, das 1570 zu Neapel in Quart herauskam. Wir haben es leider nie zu ſehen Gele - genheit gehabt und wiſſen nur ſo viel, daß er die Far - ben gleichfalls ſaͤmmtlich aus den Principien der Waͤr - me und Kaͤlte ableitet. Da auch unſre Ableitung der - ſelben auf einem Gegenſatz beruht, ſo wuͤrde es inter - eſſant ſeyn zu ſehen, wie er ſich benommen und in wiefern ſich ſchon eine Annaͤherung an das, was wir fuͤr wahr halten, bey ihm zeige. Wir wuͤnſchen dieſes um ſo mehr zu erfahren, als im achtzehnten Jahrhun - dert Weſtfeld mit dem Gedanken hervortritt, daß die Farbe, wenn ſie auch nicht der Waͤrme zuzuſchreiben ſey, doch wenigſtens mit derſelben und ihren Modifica - tionen in genauer Verwandtſchaft ſtehe.

Hieronymus Cardanus.

geb. 1501. geſt. 1576.

Cardan gehoͤrt unter diejenigen Menſchen, mit de - nen die Nachwelt nie fertig wird, uͤber die ſie ſich nicht leicht im Urtheil vereinigt. Bey großen angebornen Vorzuͤgen konnte er ſich doch nicht zu einer gleichmaͤ -218 ßigen Bildung erheben; es blieb immer etwas Wildes und Verworrenes in ſeinen Studien, ſeinem Charakter und ganzen Weſen zuruͤck. Man mag uͤbrigens an ihm noch ſo vieles Tadelnswerthe finden, ſo muß er doch des großen Lobes theilhaft werden, daß es ihm ſowohl um die aͤußern Dinge, als um ſich ſelbſt Ernſt und zwar recht bitterer Ernſt geweſen, weshalb denn auch ſeine Behandlung ſowohl der Gegenſtaͤnde als des Lebens bis an ſein Ende leidenſchaftlich und heftig war. Er kannte ſein eigenes Naturell bis auf einen gewiſſen Grad, doch konnte er bis ins hoͤchſte Alter nicht daruͤber Herr werden. Gar oft haben wir bey ihm, ſeiner Umgebung und ſeinem Beſtreben, an Cellini denken muͤſſen, um ſo mehr, als beyde gleichzeitig gelebt. Auch die Biographien oder Confeſſionen beyder, wie man ſie wohl nennen kann, treffen darin zuſammen, daß die Verfaſſer, ob - ſchon mit Misbilligung, doch auch zugleich mit eini - gem Behagen von ihren Fehlern ſprechen, und in ihre Reue ſich immer eine Art von Selbſtgefaͤlligkeit uͤber das Vollbrachte mit einmiſcht. Erinnern wir uns hie - bey noch eines juͤngern Zeitgenoſſen, des Michael Mon - taigne, der mit einer unſchaͤtzbar heitern Wendung ſei - ne perſoͤnlichen Eigenheiten, ſo wie die Wunderlichkeiten der Menſchen uͤberhaupt, zum Beſten gibt; ſo findet man die Bemerkung vielleicht nicht unbedeutend, daß dasjenige, was bisher nur im Beichtſtuhl als Geheim - niß dem Prieſter aͤngſtlich vertraut wurde, nun mit einer Art von kuͤhnem Zutrauen der ganzen Welt vor - gelegt ward. Eine Vergleichung der ſogenannten Con - feſſionen aller Zeiten wuͤrde in dieſem Sinne gewiß219 ſchoͤne Reſultate geben. So ſcheinen uns die Bekennt - niſſe, deren wir erwaͤhnten, gewiſſermaßen auf den Proteſtantismus hinzudeuten.

Wie Cardan die Farben behandelt, iſt nicht ohne Originalitaͤt. Man ſieht, er beobachtete ſie und die Bedingungen unter welchen ſie entſpringen. Doch that er es nur im Voruͤbergehen, ohne ſich ein eigenes Geſchaͤft daraus zu machen, deshalb er auch allzuwenig leiſtet und Scaligern Gelegenheit giebt, ſich uͤber Fluͤch - tigkeit und Uebereilung zu beklagen.

Erſt fuͤhrt er die Namen der vornehmſten und ge - woͤhnlichſten Farben auf und erklaͤrt ihre Bedeutung; dann wendet er ſich gegen das Theoretiſche, wobey man zwar eine gute Intention ſieht, ohne daß jedoch die Behandlung zulaͤnglich waͤre und dem Gegenſtand ge - nug thaͤte. Bey Eroͤrterung der Frage: auf wie man - cherley Weiſe die Farben entſpringen, gelangt er zu keiner gluͤcklichen Eintheilung. So hilft er ſich auch an einigen bedeutenden Puncten, die er gewahr wird, mehr vorbey als druͤber hinaus, und weil ſeine erſten Beſtimmungen nicht umfaſſend ſind, ſo wird er genoͤ - thigt Ausnahmen zu machen, ja das Geſagte wieder zuruͤckzunehmen.

Es waͤre leicht, die wenigen Spalten zu uͤberſe - tzen, die Cardan dieſer Materie widmet, aber ſchwer, ihre Maͤngel kuͤrzlich anzudeuten, und zu weitlaͤuftig, das Fehlende zu ſuppliren. Eigentlich Falſches findet220 ſich nichts darin; inwiefern er das Rechte geahndet, werden diejenigen, welche unſern Entwurf der Farben - lehre wohl inne haben, kuͤnftig, wenn es ſie intereſſirt, ohne große Muͤhe entwickeln.

Schließlich haben wir zu bemerken, daß bey Car - dan eine naivere Art, die Wiſſenſchaften zu behandeln, hervortritt. Er betrachtet ſie uͤberall in Verbindung mit ſich ſelbſt, ſeiner Perſoͤnlichkeit, ſeinem Lebensgan - ge, und ſo ſpricht aus ſeinen Werken eine Natuͤrlich - keit und Lebendigkeit, die uns anzieht, anregt, erfriſcht und in Thaͤtigkeit ſetzt. Es iſt nicht der Doctor im langen Kleide, der uns vom Catheder herab belehrt; es iſt der Menſch, der umherwandelt, aufmerkt, erſtaunt, von Freude und Schmerz ergriffen wird und uns da - von eine leidenſchaftliche Mittheilung aufdringt. Nennt man ihn vorzuͤglich unter den Erneuerern der Wiſſen - ſchaften, ſo hat ihm dieſer ſein angedeuteter Charakter ſo ſehr als ſeine Bemuͤhungen zu dieſer Ehrenſtelle ver - holfen.

Johann Baptiſt Porta.

Wenn gleich Porta fuͤr unſer Fach wenig geleiſtet, ſo koͤnnen wir ihn doch, wenn wir im Zuſammenhan - ge der Naturwiſſenſchaften einigermaßen bleiben wollen, nicht uͤbergehen. Wir haben vielmehr Urſache, uns laͤn - ger bey ihm aufzuhalten, weil er uns Gelegenheit gibt,221 einiges, was wir ſchon beruͤhrt, umſtaͤndlicher aus - zufuͤhren.

Er iſt hauptſaͤchlich bekannt durch ſein Buch von der natuͤrlichen Magie. Der Urſprung dieſer Art von halbgeheimer Wiſſenſchaft liegt in den aͤlteſten Zeiten. Ein ſolches Wiſſen, eine ſolche Kunſt war dem Aber - glauben, von dem wir ſchon fruͤher gehandelt, unent - behrlich. Es gibt ſo manches wuͤnſchenswerthe, moͤg - lich ſcheinende; durch eine kleine Verwechſelung machen wir es zu einem erreichbaren Wirklichen. Denn ob - gleich die Thaͤtigkeiten, in denen das Leben der Welt ſich aͤußert, begraͤnzt, und alle Specificationen hartnaͤ - ckig und zaͤh ſind; ſo laͤßt ſich doch die Graͤnze keiner Thaͤtigkeit genau beſtimmen, und die Specificationen finden wir auch biegſam und wandelbar.

Die natuͤrliche Magie hofft mit demjenigen, was wir fuͤr thaͤtig erkennen, weiter als billig iſt zu wirken, und mit dem, was ſpecificirt vor uns liegt, mehr als thunlich iſt zu ſchalten. Und warum ſollten wir nicht hoffen, daß ein ſolches Unternehmen gelingen koͤnne. Metaſchematismen und Metamorphoſen gehen vor unſern Augen vor, ohne daß ſie von uns begriffen werden; mehrere und andere laſſen ſich vermuthen und erwar - ten, wie ihrer denn auch taͤglich neue entdeckt und be - merkt werden. Es gibt ſo viele Bezuͤge der ſpecifi - cirten Weſen unter einander, die wahrhaft und doch wunderbar genug ſind, wie z. B. der Metalle beym Galvanism. Thun wir einen Blick auf die Bezuͤge222 der ſpecificirten organiſchen Weſen, ſo ſind dieſe von unendlicher Mannigfaltigkeit und oft erſtaunenswuͤrdig ſeltſam. Man erinnere ſich, im groͤberen Sinne, an Ausduͤnſtungen, Geruch; im zarteren, an Bezuͤge der koͤrperlichen Form, des Blickes, der Stimme. Man ge - denke der Gewalt des Wollens, der Intentionen, der Wuͤnſche, des Gebetes. Was fuͤr unendliche und un - erforſchliche[Sympathieen], Antipathieen, Idioſyncraſieen uͤberkreuzen ſich nicht! Wie manches wird Jahrelang als ein wunderſamer einzelner Fall bemerkt, was zu - letzt als ein allgemeiner durchgehendes Naturgeſetz er - ſcheint. Schon lange war es den Beſitzern alter Schloͤſ - ſer verdrießlich, daß die bleyernen und kupfernen Dach - rinnen, da wo ſie auf den eiſernen Haken auflagen, vom Roſt fruͤher aufgezehrt wurden, als an allen an - dern Stellen; jetzt wiſſen wir die Urſache und wie auf eine ganz natuͤrliche Weiſe zu helfen iſt. Haͤtte fruͤher Jemand bemerkt, daß ein zwiſchengeſchobenes Stuͤck - chen Holz die ganze Wirkung aufhebe; ſo haͤtte er viel - leicht dieſem beſondern Holze die Wirkung zugeſchrie - ben und als ein Hausmittel bekannt gemacht.

Wenn uns nun die fortſchreitende Naturbetrach - tung und Naturkenntniß, indem ſie uns etwas ver - borgenes entdecken, auf etwas noch verborgeneres auf - merkſam machen; wenn erhoͤhte Kunſt, verfeinerte Kuͤnſtlichkeit das Unmoͤgliche in etwas Gemeines ver - wandeln; wenn der Taſchenſpieler taͤglich mehr alles Glaub - wuͤrdige und Begreifliche vor unſern Augen zu Schan - den macht, werden wir dadurch nicht immerfort ſchwe -223 bend erhalten, ſo daß uns Erwartung, Hoffnung, Glau - be und Wahn immer natuͤrlicher, bequemer und be - haglicher bleiben muͤſſen, als Zweifelſucht, Unglaube und ſtarres hochmuͤthiges Ablaͤugnen.

Die Anlaͤſſe zur Magie uͤberhaupt finden wir bey allen Voͤlkern und in allen Zeiten. Je beſchraͤnkter der Erkenntnißkreis, je dringender das Beduͤrfniß, je hoͤher das Ahndungsvermoͤgen, je froher das poetiſche Talent, deſto mehr Elemente entſpringen dem Menſchen, jene wunderbare, unzuſammenhaͤngende, nur durch ein gei - ſtiges Band zu verknuͤpfende Kunſt wuͤnſchenswerth zu machen.

Betrachten wir die natuͤrliche Magie inſofern ſie ſie ſich abſondern laͤßt; ſo finden wir, daß ſchon die Alten viele ſolche einzelne Bemerkungen und Recepte aufbewahrt hatten. Die mittlere Zeit nahm ſie auf und erweiterte den Vorrath nach allen Seiten. Albert der Große, beſonders ſeine Schule, ſodann die Alchymiſten wirkten immer weiter fort. Roger Baco, zu ſeinen Ehren ſey es geſagt, iſt, bey allem Wunderbaren wo - mit er ſich beſchaͤftigt, bey allem Seltſamen das er verſpricht, faſt gaͤnzlich frey von Aberglauben; denn ſein Vorahnden zukuͤnftiger Moͤglichkeiten ruht auf einem ſichern Fundament, ſo wie ſein koͤſtliches Buͤchel - chen de mirabili poteſtate artis et naturae gegen das Wuͤſte, Abſurde des Wahnes ganz eigentlich gerichtet iſt, nicht mit jener negirenden erkaͤltenden Manier der Neuern, ſondern mit einem Glauben erregenden heite - ren Hinweiſen auf aͤchte Kunſt und Naturkraft.

224

So hatte ſich manches bis zu Porta’s Zeiten fort - gepflanzt; doch lagen die Kenntniſſe zerſtreut. Sie waren mehr im Gedaͤchtniſſe bewahrt als geſchrie - ben, und ſelbſt dauerte es eine Zeitlang bis die Buch - druckerkunſt durch alle Faͤcher des Wiſſens durchwirkte und das Wiſſenswerthe durchaus zur Sprache foͤrderte.

Porta gibt ſein Buch de magia naturali im Jahr 1560 heraus, eben als er das funfzehnte ſeines Alters erreicht hatte. Dieſes Buͤchelchen mit beſtaͤndiger Ruͤck - ſicht auf jene Zeit und auf einen ſo jugendlichen Ver - faſſer zu leſen, iſt hoͤchſt intereſſant. Man ſieht deſſen Bildung in der platoniſchen Schule, heitere mannig - faltige Kenntniſſe, doch die entſchiedene Neigung zum Wahn, zum Seltſamen und Unerreichbaren.

Er wendet nun ſein uͤbriges Leben an, dieſe Be - muͤhungen fortzuſetzen. Er verſaͤumt nicht zu ſtudiren, Verſuche anzuſtellen, Reiſen zu machen; einer gelehrten Geſellſchaft, die er in Neapel in ſeinem Hauſe errich - tet, verdankt er Beyhuͤlfe und Mitwirkung. Beſon - ders hat er ſich auch der Gunſt des Cardinals von Eſte zu ruͤhmen.

Nach fuͤnf und dreyßig Jahren gibt er das Buch zum zweytenmale heraus, da uns denn die Verglei - chung beyder Ausgaben einen ſchoͤnen Blick verſchafft, wie in dieſer Zeit das Jahrhundert und er ſelbſt zuge - nommen.

Zwar von den abenteuerlichen Forderungen, Vor - ſchlaͤgen und Recepten iſt noch immer mehr oder we -225 niger die Rede; doch ſieht man hie und da, wo das gar zu Abgeſchmackte uͤberliefert wird, den klugen Mann, der ſich eine Hinterthuͤre offen laͤßt.

Was die Farben betrifft, ſo werden ſie nur bey - laͤufig angefuͤhrt, wenn verſchieden-gefaͤrbte Blumen hervorgebracht, falſche Edelſteine verfertigt und die Tu - genden natuͤrlicher Edelſteine geruͤhmt werden ſollen.

Uebrigens bemerkt man wohl, daß in dieſen fuͤnf und dreyßig Jahren die chemiſchen Kenntniſſe ſehr ge - wachſen, und was die phyſiſchen betrifft, beſonders die Eigenſchaften des Magnets viel genauer bekannt gewor - den ſind.

Ungern verlaſſen wir einen Mann, von dem noch vieles zu ſagen waͤre: denn eine genauere Beachtung deſſen, womit er ſich beſchaͤftigt, wuͤrde der Geſchichte der Wiſſenſchaften hoͤchſt foͤrderlich ſeyn. Will man ihn auch nicht fuͤr einen ſolchen Geiſt erkennen, der faͤhig geweſen waͤre, die Wiſſenſchaften in irgend einem Sinne zur Einheit heran zu rufen; ſo muß man ihn doch als einen lebhaften, geiſtreichen Sammler gelten laſſen. Mit unermuͤdlicher unruhiger Thaͤtigkeit durch - forſcht er das Feld der Erfahrung; ſeine Aufmerkſam - keit reicht uͤberall hin, ſeine Sammlerluſt kommt nir - gends unbefriedigt zuruͤck. Naͤhme man ſeine ſaͤmmtli - chen Schriften zuſammen, das phyſiognomiſche Werk und die Verheimlichungskunſt, und was ſonſt noch von ihm uͤbrig iſt, ſo wuͤrden wir in ihm das ganze Jahr - hundert abgeſpiegelt erblicken.

II. 15226

Baco von Verulam.

Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge - ben wir gewoͤhnlich nur in ſofern Rechenſchaft, als ſie auf uns gewirkt, unſre Ausbildung entweder gefoͤrdert, oder auch ſich derſelben entgegengeſetzt haben. Nach ſolchen an uns ſelbſt gemachten Erfahrungen beurthei - len wir unſre Vorgaͤnger, und aus dieſem Geſichts - puncte moͤchte auch wohl dasjenige zu betrachten ſeyn, was wir, indem das ſechzehnte Jahrhundert ſich ſchließt und das ſiebzehnte anfaͤngt, uͤber einen bewundernswuͤr - digen Geiſt mitzutheilen uns erkuͤhnen.

Was Baco von Verulam uns hinterlaſſen, kann man in zwey Theile ſondern. Der erſte iſt der hiſtori - ſche, meiſtens misbilligende, die bisherigen Maͤngel auf - deckende, die Luͤcken anzeigende, das Verfahren der Vorgaͤnger ſcheltende Theil. Den zweyten wuͤrden wir den belehrenden nennen, den didaktiſch dogmatiſchen, zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver - heißenden Theil.

Beyde Theile haben fuͤr uns etwas erfreuliches und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen naͤher bezeichnen. Im hiſtoriſchen iſt erfreulich die Ein - ſicht in das, was ſchon da geweſen und vorgekommen, beſonders aber die große Klarheit, womit die wiſſen - ſchaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefuͤhrt ſind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche227 die Menſchen im Einzelnen und im Ganzen abhalten vorwaͤrts zu ſchreiten. Hoͤchſt unerfreulich dagegen die Unempfindlichkeit gegen Verdienſte der Vorgaͤnger, ge - gen die Wuͤrde des Alterthums. Denn wie kann man mit Gelaſſenheit anhoͤren, wenn er die Werke des Ariſtoteles und Plato leichten Tafeln vergleicht, die eben, weil ſie aus keiner tuͤchtigen gehaltvollen Maſſe beſtuͤn - den, auf der Zeitfluth gar wohl zu uns heruͤber ge - ſchwemmt werden koͤnnen. Im zweyten Theil ſind un - erfreulich ſeine Forderungen, die alle mir nach der Breite gehen, ſeine Methode, die nicht conſtructiv iſt, ſich nicht in ſich ſelbſt abſchließt, nicht einmal auf ein Ziel hinweiſt, ſondern zum Vereinzeln Anlaß gibt. Hoͤchſt erfreulich hingegen iſt ſein Aufregen, Aufmun - tern und Verheißen.

Aus dem Erfreulichen iſt ſein Ruf entſtanden: denn wer laͤßt ſich nicht gern die Maͤngel vergangener Zeiten vorerzaͤhlen? wer vertraut nicht auf ſich ſelbſt, wer hofft nicht auf die Nachwelt? Das Unerfreuliche dagegen wird zwar von Einſichtsvolleren bemerkt, aber wie billig geſchont und verziehen.

Aus dieſer Betrachtung getrauen wir uns das Raͤthſel aufzuloͤſen, daß Baco ſo viel von ſich reden machen konnte, ohne zu wirken, ja daß ſeine Wirkung mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich geweſen. Denn da ſeine Methode, in ſofern man ihm eine zuſchreiben kann, hoͤchſt peinlich iſt, ſo entſtand weder um ihn noch um ſeinen Nachlaß eine Schule. Es mußten und15 *228konnten alſo wieder vorzuͤgliche Menſchen auftreten, die ihr Zeitalter zu conſequenteren Naturanſichten em - porhoben und alle Wiſſens - und Faſſensluſtigen um ſich verſammelten.

Da er uͤbrigens die Menſchen an die Erfahrung hinwies, ſo geriethen die ſich ſelbſt uͤberlaſſenen ins Weite, in eine graͤnzenloſe Empirie; ſie empfanden da - bey eine ſolche Methodenſcheu, daß ſie Unordnung und Wuſt als das wahre Element anſahen, in welchem das Wiſſen einzig gedeihen koͤnne. Es ſey uns erlaubt, nach unſerer Art das Geſagte in einem Gleichniß zu wieder - hohlen.

Baco gleicht einem Manne, der die Unregelmaͤßig - keit, Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit eines alten Gebaͤu - des recht wohl einſieht, und ſolche den Bewohnern deutlich zu machen weiß. Er raͤth ihnen, es zu verlaſ - ſen, Grund und Boden, Materialien und alles Zubehoͤr zu verſchmaͤhen, einen andern Bauplatz zu ſuchen und ein neues Gebaͤude zu errichten. Er iſt ein trefflicher Redner und Ueberreder; er ruͤttelt an einigen Mauern, ſie fallen ein, und die Bewohner ſind genoͤthigt, theil - weiſe auszuziehen. Er deutet auf neue Plaͤtze; man faͤngt an zu ebnen, und doch iſt es uͤberall zu enge. Er legt neue Riſſe vor, ſie ſind nicht deutlich, nicht einladend. Hauptſaͤchlich aber ſpricht er von neuen un - bekannten Materialien, und nun iſt der Welt gedient. Die Menge zerſtreut ſich nach allen Himmelsgegenden und bringt unendlich Einzelnes zuruͤck, indeſſen zu229 Hauſe neue Plane, neue Thaͤtigkeiten, Anſiedelungen die Buͤrger beſchaͤftigen und die Aufmerkſamkeit ver - ſchlingen.

Mit allem dieſem und durch alles dieſes bleiben die Baconiſchen Schriften ein großer Schatz fuͤr die Nachwelt, beſonders wenn der Mann nicht mehr un - mittelbar, ſondern hiſtoriſch auf uns wirken wird; wel - ches nun bald moͤglich ſeyn ſollte, da ſich zwiſchen ihn und uns ſchon einige Jahrhunderte geſtellt haben.

Daß dieſe gegen Ueberlieferung und Autoritaͤt an - ſtuͤrmenden Geſinnungen Bacons ſchon zu ſeiner Zeit Widerſtand gefunden haben, laͤßt ſich denken. Auch iſt eine im Namen des Alterthums und der bisherigen Cultur eingelegte Proteſtation eines trefflichen gelehrten Mannes uͤbrig geblieben, die wir ſowohl wegen ihrer Maͤßigung als wegen ihrer Derbheit theilweiſe uͤber - ſetzen und einſchalten.

Der Ritter Bodley, der einen Theil ſeines Lebens an diplomatiſche Geſchaͤfte gewendet hatte, ſich ſodann zuruͤckzog, und indem er ſich den Wiſſenſchaften wid - mete, eine große Bibliothek zuſammenbrachte, die noch jetzt zu Oxford aufbewahrt wird, war ein Freund Ba - cons und erhielt von dieſem den Aufſatz cogitata et visa, der einem Gelehrten und Alterthumsforſcher kei - neswegs erfreulich ſeyn konnte. Ein Brief Bodleys,230 bey dieſer Gelegenheit geſchrieben, iſt uns uͤbrig, aus welchem folgende Stellen hier Platz finden moͤgen.

Soll ich aufrichtig ſeyn, ſo muß ich offen bezeu - gen, daß ich unter diejenigen gehoͤre, welche unſre Kuͤnſte und Wiſſenſchaften fuͤr feſter gegruͤndet halten, als Du gern zugeben moͤchteſt.

Wenn wir uns deinem Rathe folgſam bezeigen und die allgemeinen Begriffe, die dem Menſchen einge - boren ſind, ablegen, alles was wir geleiſtet ausloͤſchen, und im Handeln und Denken Kinder werden, damit wir ins Reich der Natur eingehen duͤrfen, wie wir unter gleichen Bedingungen, nach Bibliſcher Vorſchrift, ins Himmelreich gelangen ſollen; ſo iſt nach meiner Ueberzeugung nichts gewiſſer, als daß wir uns jaͤhlings in eine Barbarey verlieren, aus der wir nach vielen Jahrhunderten, um nichts an theoretiſchen Huͤlfsmit - teln reicher als jetzt, hervortauchen werden. Ja wohl wuͤrden wir eine zweyte Kindheit antreten, wenn wir zur tabula rasa geworden, und nach ausgetilgter Spur fruͤherer Grundſaͤtze, die Anfaͤnge einer neuen Welt wieder hervorzulocken unternaͤhmen. Und wenn wir aus dem was geſchieht, aus dem was uns die Sinne bringen, erſt wieder ſoviel zuſammen klauben ſollten, als im Verſtande zu einem allgemeinen Begriff hin - reichend waͤre, nach jenem Waidſpruch: im Verſtande231 ſey nichts was nicht vorher in den Sinnen geweſen; ſo iſt mir wenigſtens wahrſcheinlich, daß wenn man, nach Umwaͤlzung eines platoniſchen Jahres, die Wiſ - ſenſchaft unterſuchen wollte, ſie weit geringer erfunden werden moͤchte, als ſie gegenwaͤrtig beſteht.

Wenn Du uns eine herrlichere Lehre verſprichſt, als ſie jetzt unter uns bluͤhet, die wir von Erfahrungen[hernehmen] ſollen, indem wir die Verborgenheiten der Natur erforſchen und eroͤffnen, um im Einzelnen recht gewiß zu werden; ſo will das weiter nichts heißen, als daß du die Menſchen dazu anreizeſt, wozu ſie ihr innerer Trieb auch ohne aͤußre Anmahnung hinfuͤhrt. Denn es iſt natuͤrlich, daß unzaͤhlige Menſchen in allen Theilen der Welt ſich befinden, welche den Weg, auf den Du deuteſt, betreten, und zwar mit lebhaftem und dringendem Fleiß. Denn allen iſt das Verlangen zu wiſſen eingeboren, ſo daß man ihren Eifer gar nicht anzufachen noch zu reizen braucht; eben ſo wenig als man noͤthig hat, der Waſſerſucht nachzuhelfen, welche den Koͤrper ohnehin uͤbermaͤßig aufſchwellt.

Ich glaube nicht, daß ſich derjenige betruͤgt, welcher uͤberzeugt iſt, daß alle Wiſſenſchaften, wie ſie jetzt oͤffent - lich gelehrt werden, jederzeit vorhanden geweſen, nicht aber an allen Orten in gleichem Maaß, noch an ei - nem Orte in gleicher Zahl, ſondern nach dem Geiſte232 der Zeit, auf mancherley Weiſe veraͤndert, bald belebt und bluͤhend, bald unaufgeregt und auf eine finſtre und rohe Weiſe mitgetheilt.

Haben alſo durch alle Jahrhunderte in allen Kuͤn - ſten und Wiſſenſchaften die Menſchen ſich fleißig bear - beitet und geuͤbt, ſind ſie zu Erkenntniſſen gelangt, eben ſo wie zu unſrer Zeit, obgleich auf eine veraͤnder - liche und ſchwankende Weiſe, wie es Zeit, Ort und Gelegenheit erlauben mochten; wie koͤnnten wir nun Dir Beyfall geben, und unſre Wiſſenſchaft verwerfen als zweifelhaft und ungewiß? Sollten wir unſre Axiome Maximen und allgemeine Behauptungen abthun, die wir von unſern Vorfahren erhalten, und welche durch die ſcharfſinnigſten Menſchen aller Zeiten ſind gebilligt worden, und nun erſt erwarten, daß eine Art und Wei - ſe erſonnen werde, welche uns, die wir indeß wieder zu Abcſchuͤtzen geworden, durch die Umwegskruͤmmun - gen der beſondern Erfahrungen, zur Erkenntniß gruͤnd - lich aufgeſtellter allgemeiner Saͤtze hinfuͤhren, damit ſo - dann wieder neue Grundfeſten der Kuͤnſte und Wiſſen - ſchaften gelegt wuͤrden: was duͤrfte von allem dieſem das Ende ſeyn, als daß wir entbloͤßt von den Kennt - niſſen, die wir beſitzen, ermuͤdet durch die im Cir - kel wiederkehrenden Arbeiten, dahin gelangen, wo wir ausgegangen ſind, gluͤcklich genug, wenn wir nur in den vorigen Zuſtand wieder zuruͤckverſetzt werden. Mich daͤucht, ſo viele Bemuͤhungen voriger Jahrhun - derte koͤnnten uns gleich jetzt eines beſſern uͤberzeugen233 und uns wohl getroſt machen, als am Ziel ſtehend, endlich zu verharren.

Doch man glaube nicht, daß ich ſtolz das verwer - fe, was durch neue Erfindungen den Wiſſenſchaften fuͤr eine Vermehrung zuwaͤchſt: denn jenes Bemuͤhen iſt edel und mit großem Lob zu erkennen; auch bringt es jedesmal Frucht und Nutzen in der Gegenwart. Nie - mals hat der Welt ein großer Haufe ſolcher Menſchen gefehlt, welche ſich bemuͤhen Neues aufzufinden und auszudenken; aber unſere Begriffe und Grundſaͤtze ſind immer ſowohl von ſolchen, als von den hoͤchſten Ge - lehrten dankbar aufgenommen worden.

Nicht leicht koͤnnen ſich Meynungen ſo ſchnurſtracks entgegen ſtehen, als hier die Baconiſche und Bodleyi - ſche, und wir moͤchten uns zu keiner von beyden aus - ſchließlich bekennen. Fuͤhrt uns jene in eine unabſeh - bare Weite, ſo will uns dieſe zu ſehr beſchraͤnken. Denn wie von der einen Seite die Erfahrung graͤnzen - los iſt, weil immer noch ein Neues entdeckt werden kann, ſo ſind es die Maximen auch, indem ſie nicht erſtarren, die Faͤhigkeit nicht verlieren muͤſſen, ſich ſelbſt auszudehnen um mehreres zu umfaſſen, ja ſich in einer hoͤhern Anſicht aufzuzehren und zu verlieren.

Denn wahrſcheinlich verſteht hier Bodley nicht et - wa die ſubjectiven Axiome, welche durch eine fortſchrei - tende Zeit weniger Veraͤnderung erleiden, als ſolche,234 welche aus der Betrachtung der Natur entſpringen und ſich auf die Natur beziehen. Und da iſt es denn nicht zu laͤugnen, daß dergleichen Grundſaͤtze der aͤltern Schu - len, beſonders in Verbindung mit religioͤſen Ueberzeu - gungen, dem Fortſchritt wahrer Naturanſichten ſehr unbequem im Wege ſtanden. Auch iſt es intereſſant zu bemerken, was eigentlich einem Manne wie Baco, der ſelbſt wohl unterrichtet, gelehrt und nach aͤlterem Herkommen cultivirt war, beſonders hinderlich geſchie - nen, daß er ſich gedrungen gefuͤhlt, auf eine ſo zer - ſtoͤrende Weiſe zu verfahren, und wie man im Spruͤch - worte ſagt, das Kind mit dem Bade auszuſchuͤtten. Revolutionaͤre Geſinnungen werden bey einzelnen Men - ſchen mehr durch einzelne Anlaͤſſe als durch allgemeine Zuſtaͤnde erzeugt, und ſo ſind uns in Bacons Schrif - ten einige ſolcher Axiome begegnet, die er mit beſon - derm Verdruſſe immer wieder aufſucht und verfolgt; z. B. die Lehre von den Endurſachen die ihm hoͤchlich zuwider iſt.

In der Denkweiſe Bacons findet ſich uͤbrigens manches, was auf den Weltmann hindeutet. Eben die - ſe Forderung einer graͤnzenloſen Erfahrung, das Ver - kennen, ja Verneinen gegenwaͤrtiger Verdienſte, das Dringen auf Werkthaͤtigkeit hat er mit denjenigen ge - mein, die im Wirken auf eine große Maſſe und im Beherrſchen und Benutzen ihrer Gegenwirkung das Le - ben zubringen.

235

Wenn Baco ungerecht gegen die Vergangenheit war, ſo ließ ihm ſein immer vorſtrebender Geiſt auch eine ruhige Schaͤtzung der Mitwelt nicht zu. Wir wol - len hier nur Gilberts erwaͤhnen, deſſen Bemuͤhungen um den Magneten dem Canzler Bacon bekannt ſeyn konnten und waren: denn er erwaͤhnt Gilberts ſelbſt mit Lob in ſeinen Schriften. Aber wie wichtig die Gegenſtaͤnde, Magnetismus und Electricitaͤt ſeyen, ſchien Baco nicht zu faſſen, dem in der Breite der Erſchei - nung alles gleich war. Denn ob er ſchon ſelbſt immer darauf hindeutet, man ſolle die Particularien nur des - wegen ſammeln, damit man aus ihnen waͤhlen, ſie ordnen und endlich zu Univerſalien gelangen koͤnne; ſo behalten doch bey ihm die einzelnen Faͤlle zu viele Rech - te, und ehe man durch Induction, ſelbſt diejenige, die er anpreiſt, zur Vereinfachung und zum Abſchluß ge - langen kann, geht das Leben weg und die Kraͤfte verzehren ſich. Wer nicht gewahr werden kann, daß ein Fall oft Tauſende werth iſt, und ſie alle in ſich ſchließt, wer nicht das zu faſſen und zu ehren im Staͤnde iſt, was wir Urphaͤnomene genannt haben, der wird weder ſich noch andern jemals etwas zur Freude und zum Nutzen foͤrdern koͤnnen. Man ſehe die Fragen an, die Baco aufwirft und die Vorſchlaͤge zu Unterſuchun - gen im Einzelnen; man bedenke ſeinen Tractat von den Winden in dieſem Sinne, und frage ſich, ob man auf dieſem Wege an irgend ein Ziel zu gelangen hoffen koͤnne.

Auch halten wir es fuͤr einen großen Fehler Ba -236 cons, daß er die mechaniſchen Bemuͤhungen der Hand - werker und Fabricanten zu ſehr verachtete. Handwer - ker und Kuͤnſtler, die einen beſchraͤnkten Kreis zeitlebens durcharbeiten, deren Exiſtenz vom Gelingen irgend eines Vorſatzes abhaͤngt, ſolche werden weit eher vom Parti - cularen zum Univerſalen gelangen, als der Philoſoph auf Baconiſchem Wege. Sie werden vom Pfuſchen zum Verſuchen, vom Verſuch zur Vorſchrift, und was noch mehr iſt, zum gewiſſen Handgriff vorſchreiten, und nicht allein reden ſondern thun und durch das Thun das Moͤgliche darſtellen; ja ſie werden es darſtellen muͤſſen, wenn ſie es ſogar laͤugnen ſollten, wie der außeror - dentliche Fall ſich bey Entdeckung der achromatiſchen Fernroͤhre gefunden hat.

Techniſchen und artiſtiſchen abgeſchloſſenen Thaͤtig - keitskreiſen ſind die Wiſſenſchaften mehr ſchuldig als hervorgehoben wird, weil man auf jene treu fleißige Menſchen oft nur als auf werkzeugliche Thaͤtler hinab - ſieht. Haͤtte jemand zu Ende des ſechzehnten Jahr - hunderts ſich in die Werkſtaͤtten der Faͤrber und Ma - ler begeben und nur alles redlich und conſequent aufge - zeichnet, was er dort gefunden; ſo haͤtten wir einen weit vollſtaͤndigeren und methodiſcheren Beytrag zu un - ſerm gegenwaͤrtigen Zweck, als er uns durch Beant - wortung tauſend Baconiſcher Fragen nicht haͤtte werden koͤnnen.

Damit man aber nicht denke, daß dieſes nur ein frommer Wunſch oder eine Forderung ins Blaue ſey, ſo237 wollen wir unſers Laudsmannes Georg Agricola geden - ken, der ſchon in der erſten Haͤlfte des ſechzehnten Jahr - hunderts, in Abſicht auf das Bergweſen, dasjenige ge - leiſtet was wir fuͤr unſer Fach haͤtten wuͤnſchen moͤgen. Er hatte freylich das Gluͤck, in ein abgeſchloſſenes, ſchon ſeit geraumer Zeit behandeltes, in ſich hoͤchſt mannig - faltiges und doch immer auf einen Zweck hingeleitetes Natur - und Kunſtweſen einzutreten. Gebirge aufge - ſchloſſen durch Bergbau, bedeutende Naturproducte roh aufgeſucht, gewaͤltigt, behandelt, bearbeitet, geſondert, gereinigt und menſchlichen Zwecken unterworfen: dieſes war es, was ihn als einen Dritten, denn er lebte im Gebirg als Bergarzt, hoͤchlich intereſſirte, indem er ſelbſt eine tuͤchtige und wohl um ſich der ſchauende Na - tur war, dabey Kenner des Alterthums, gebildet durch die alten Sprachen, ſich bequem und anmuthig darin ausdruͤckend. So bewundern wir ihn noch jetzt in ſei - nen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und neuen Bergbaus, alter und neuer Erz - und Steinkunde umfaſſen und uns als ein koͤſtliches Geſchenk vorlie - gen. Er war 1494 geboren und ſtarb 1555, lebte alſo in der hoͤchſten und ſchoͤnſten Zeit der neu hervorbre - chenden, aber auch ſogleich ihren hoͤchſten Gipfel errei - chenden Kunſt und Literatur. Wir errinnern uns nicht, daß Baco des Agricola gedenke, auch nicht, daß er das, was wir an dieſem Manne ſo hoͤchlich ſchaͤtzen, an andern zu wuͤrdigen gewußt habe.

Ein Blick auf die Umſtaͤnde, unter welchen beyde Maͤnner gelebt, giebt zu einer heitern Vergleichung An -238 laß. Der mittellaͤndiſche Deutſche findet ſich eingela - den, in dem abgeſchloſſenen Kreiſe des Bergweſens zu verweilen, ſich zu concentriren und ein beſchraͤnktes Ganzes wiſſenſchaftlich auszubilden. Baco als ein meer - umgebener Inſulaner, Glied einer Nation, die ſich mit der ganzen Welt im Rapport ſah, wird durch die aͤu - ßern Umſtaͤnde bewogen, ins Breite und Unendliche zu gehen, und das unſicherſte aller Naturphaͤnomene, die Winde, als Hauptaugenmerk zu faſſen, weil Winde den Schifffahrern von ſo großer Bedeutung ſind.

Daß die Weltgeſchichte von Zeit zu Zeit umge - ſchrieben werden muͤſſe, daruͤber iſt in unſern Tagen wohl kein Zweifel uͤbrig geblieben. Eine ſolche Noth - wendigkeit entſteht aber nicht etwa daher, weil viel Geſchehenes nachentdeckt worden, ſondern weil neue Anſichten gegeben werden, weil der Genoſſe einer fort - ſchreitenden Zeit auf Standpuncte gefuͤhrt wird, von welchen ſich das Vergangene auf eine neue Weiſe uͤber - ſchauen und beurtheilen laͤßt. Eben ſo iſt es in den Wiſſenſchaften. Nicht allein die Entdeckung von bis - her unbekannten Naturverhaͤltniſſen und Gegenſtaͤnden, ſondern auch die abwechſelnden vorſchreitenden Geſin - nungen und Meynungen veraͤndern ſehr vieles und ſind werth von Zeit zu Zeit beachtet zu werden. Beſonders wuͤrde ſichs noͤthig machen, das vergangene achtzehnte Jahrhundert in dieſem Sinne zu controliren. Bey ſei - nen großen Verdienſten hegte und pflegte es manche Maͤngel und that den vorhergehenden Jahrhunderten,239 beſonders den weniger ausgebildeten, gar mannigfalti - ges Unrecht. Man kann es in dieſem Sinne wohl das ſelbſtkluge nennen, indem es ſich auf eine gewiſſe klare Verſtaͤndigkeit ſehr viel einbildete, und alles nach ei - nem einmal gegebenen Maßſtabe abzumeſſen ſich ge - woͤhnte. Zweifelſucht und entſcheidendes Abſprechen wechſelten mit einander ab, um eine und dieſelbe Wir - kung hervorzubringen: eine duͤnkelhafte Selbſtgenuͤg - ſamkeit, und ein Ablehnen alles deſſen, was ſich nicht ſogleich erreichen noch uͤberſchauen ließ.

Wo findet ſich Ehrfurcht fuͤr hohe unerreichbare Forderungen? Wo das Gefuͤhl fuͤr einen in unergruͤnd - liche Tiefe ſich ſenkenden Ernſt? Wie ſelten iſt die Nachſicht gegen kuͤhnes mislungenes Beſtreben! wie ſel - ten die Geduld gegen den langſam Werdenden! Ob hierin der lebhafte Franzoſe oder der trockne Deutſche mehr gefehlt, und in wiefern beyde wechſelſeitig zu die - ſem weit verbreiteten Tone beygetragen, iſt hier der Ort nicht zu unterſuchen. Man ſchlage diejenigen Wer - ke, Hefte, Blaͤtter nach, in welchen kuͤrzere oder laͤnge - re Notizen von dem Leben gelehrter Maͤnner, ihrem Charakter und Schriften gegeben ſind; man durchſuche Dictionnaire, Bibliotheken, Nekrologen, und ſelten wird ſich finden, daß eine problematiſche Natur mit Gruͤndlichkeit und Billigkeit dargeſtellt worden. Man kommt zwar den wackern Perſonen fruͤherer Zeiten dar - in zu Huͤlfe, daß man ſie vom Verdacht der Zaube - rey zu befreyen ſucht; aber nun thaͤte es gleich wieder Noth, daß man ſich auf eine andre Weiſe ihrer an -240 naͤhme und ſie aus den Haͤnden ſolcher Exorciſten aber - mals befreyte, welche, um die Geſpenſter zu vertreiben, ſichs zur heiligen Pflicht machen, den Geiſt ſelbſt zu verjagen.

Wir haben bey Gelegenheit, als von einigen ver - dienten Maͤnnern, Roger Baco, Cardan, Porta, als von Alchymie und Aberglauben die Rede war, auf un - ſere Ueberzeugungen hingedeutet, und dieß mit ſo mehr Zuverſicht, als das neunzehnte Jahrhundert auf dem Wege iſt, gedachten Fehler des vorangegangenen wie - der gut zu machen, wenn es nur nicht in den entge - gengeſetzten ſich zu verlieren das Schickſal hat.

Was von Wiederbelebung der Malerkunſt an, die großen Meiſter fuͤr das Colorit ſtufenweiſe geleiſtet, bringen wir zu Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts nach, da ſich denn der ganze Gang, den dieſer Theil der Kunſt genommen, auf einmal wird uͤberſchauen laſſen.

Und ſollten wir nun nochmals einen Blick auf das ſechzehnte Jahrhundert zuruͤckwerfen; ſo wuͤrden wir ſeine beyden Haͤlften von einander deutlich unter - ſchieden finden. In der erſten zeigt ſich eine hohe Bil - dung, die aus Gruͤndlichkeit, Gewiſſenhaftigkeit, Ge - bundenheit und Ernſt hervortritt. Sie ruht auf der zweyten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts. Was in dieſer geboren und erzogen ward, glaͤnzt nunmehr241 in ſeinem ganzen Werth, in ſeiner vollen Wuͤrde, und die Welt erlebt nicht leicht wieder eine ſolche Erſchei - nung. Hier zeigt ſich zwar ein Conflict zwiſchen Au - toritaͤt und Selbſtthaͤtigkeit, aber noch mit einem ge - wiſſen Maße. Beyde ſind noch nicht von einander ge - trennt, beyde wirken auf einander, tragen und erhe - ben ſich.

In der zweyten Haͤlfte wird das Streben der In - dividuen nach Freyheit ſchon viel ſtaͤrker. Schon iſt es Jedem bequem, ſich an dem Entſtandenen zu bilden, das Gewonnene zu genießen, die freygemachten Raͤume zu durchlaufen; die Abneigung vor Autoritaͤt wird im - mer ſtaͤrker, und wie einmal in der Religion proteſtirt worden, ſo wird durchaus und auch in den Wiſſen - ſchaften proteſtirt, ſo daß Baco von Verulam zuletzt wagen darf, mit dem Schwamm uͤber alles hinzufahren, was bisher auf die Tafel der Menſchheit verzeichnet worden war.

II. 16[242]

Fuͤnfte Abtheilung. Siebzehntes Jahrhundert.

Wir haben den Baco von Verulam am Ende des vorigen Jahrhunderts beſprochen, deſſen Leben noch in den vierten Theil des gegenwaͤrtigen heruͤberdauert, und deſſen eigentlich wiſſenſchaftliche Bemuͤhungen an das Ende ſeiner Laufbahn fallen. Doch hat ſich der in ſei - nen Schriften aufbewahrte, gegen die Autoritaͤt anſtre - bende, proteſtirende, revolutionaͤre Sinn im vorigen Jahrhundert bereits entwickelt und zeigt ſich nur bey Baco, bezuͤglich auf Naturwiſſenſchaften, in ſeiner hoͤch - ſten Energie.

Wie nun eben dieſe Wiſſenſchaften durch andre bedeutende Menſchen nunmehr eine entgegengeſetzte Rich - tung nehmen, iſt die Aufgabe zu zeigen, wenn wir ei - niges uns bey dieſer Gelegenheit Entgegentretende vor - her mitgetheilt haben.

243

Allgemeine Betrachtungen.

Wenn die Frage: welcher Zeit der Menſch eigent - lich angehoͤre? gewiſſermaßen wunderlich und muͤßig ſcheint, ſo regt ſie doch ganz eigene Betrachtungen auf, die uns intereſſiren und unterhalten koͤnnten.

Das Leben jedes bedeutenden Menſchen, das nicht durch einen fruͤhen Tod abgebrochen wird, laͤßt ſich in drey Epochen theilen, in die der erſten Bildung, in die des eigenthuͤmlichen Strebens, und in die des Ge - langens zum Ziele, zur Vollendung.

Meiſtens kann man nur von der erſten ſagen, daß die Zeit Ehre von ihr habe: denn erſtlich deutet der Werth eines Menſchen auf die Natur und Kraft der in ſeiner Geburts-Epoche Zeugenden; das Geſchlecht, aus dem er ſtammt, manifeſtirt ſich in ihm oͤfters mehr als durch ſich ſelbſt, und das Jahr der Geburt eines Jeden enthaͤlt in dieſem Sinne eigentlich das wahre Nativitaͤts-Prognoſticon mehr in dem Zuſammentreffen irdiſcher Dinge, als im Aufeinanderwirken himmliſcher Geſtirne.

Sodann wird das Kind gewoͤhnlich mit Freund - lichkeit aufgenommen, gepflegt und Jedermann erfreut ſich deſſen was es verſpricht. Jeder Vater, jeder Leh - rer ſucht die Anlagen nach ſeinen Einſichten und Faͤ - higkeiten beſtens zu entwickeln, und wenigſtens iſt es der gute Wille, der alle die Umgebungen des Knaben16 *244belebt. Sein Fleiß wird geprieſen, ſeine Fortſchritte werden belohnt, der groͤßte Eifer wird in ihm erregt, und ihm zugleich die thoͤrige Hoffnung vorgeſpiegelt, daß das immer ſtufenweiſe ſo fortgehn werde.

Allein er wird den Irrthum nur allzubald gewahr: denn ſobald die Welt den einzelnen Strebenden erblickt, ſobald erſchallt ein allgemeiner Aufruf, ſich ihm zu wi - derſetzen. Alle Vor - und Mitwerber ſind hoͤchlich be - muͤht, ihn mit Schranken und Graͤnzen zu umbauen, ihn auf jede Weiſe zu retardiren, ihn ungeduldig, ver - drießlich zu machen, und ihn nicht allein von außen, ſondern auch von innen zum Stocken zu bringen.

Dieſe Epoche iſt alſo gewoͤhnlich die des Conflicts, und man kann niemals ſagen, daß dieſe Zeit Ehre von einem Manne habe. Die Ehre gehoͤrt ihm ſelbſt an und zwar ihm allein und den wenigen, die ihn beguͤn - ſtigen und mit ihm halten.

Sind nun dieſe Widerſtaͤnde uͤberwunden, iſt die - ſes Streben gelungen, das Angefangene vollbracht, ſo laͤßt ſichs denn die Welt zuletzt wohl auch gefallen; aber auch dieſes gereicht ihr keineswegs zur Ehre. Die Vorwerber ſind abgetreten, den Mitwerbern iſt es nicht beſſer gegangen, und ſie haben vielleicht doch auch ihre Zwecke erreicht und ſind beruhigt; die Nachwerber ſind nun an ihrer Reihe der Lehre, des Raths, der Huͤlfe beduͤrftig, und ſo ſchließt ſich der Kreis, oder vielmehr ſo dreht ſich das Rad abermals, um ſeine immer er - neuerte wunderliche Linie zu beſchreiben.

245

Man ſieht hieraus, daß es ganz allein von dem Geſchichtſchreiber abhange, wie er einen Mann einord - nen, wann er ſeiner gedenken will. So viel iſt aber gewiß, wenn man bey biographiſchen Betrachtungen, bey Bearbeitung einzelner Lebensgeſchichten, ein ſolches Schema vor Augen hat, und die unendlichen Abwei - chungen von demſelben zu bemerken weiß; ſo wird man, wie an einem guten Leitfaden, ſich durch die labyrin - thiſchen Schickſale manches Menſchenlebens hindurch finden.

Galileo Galilei.

geb. 1564. geſt. 1642.

Wir nennen dieſen Namen mehr um unſere Blaͤt - ter damit zu zieren, als weil ſich der vorzuͤgliche Mann mit unſerm Fache beſchaͤftigt.

Schien durch die Verulamiſche Zerſtreuungsmethode die Naturwiſſenſchaft auf ewig zerſplittert, ſo ward ſie durch Galilei ſogleich wieder zur Sammlung gebracht; er fuͤhrte die Naturlehre wieder in den Menſchen zu - ruͤck und zeigte ſchon in fruͤher Jugend, daß dem Ge - nie Ein Fall fuͤr tauſend gelte, indem er ſich aus ſchwin - genden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des Falles der Koͤrper entwickelte. Alles kommt in der Wiſ - ſenſchaft auf das an, was man ein Aperç nennt, auf ein Gewahrwerden deſſen, was eigentlich den Erſchei -246 nungen zum Grunde liegt. Und ein ſolches Gewahr - werden iſt bis ins Unendliche fruchtbar.

Galilei bildete ſich unter guͤnſtigen Umſtaͤnden und genoß die erſte Zeit ſeines Lebens des wuͤnſchenswer - theſten Gluͤckes. Er kam wie ein tuͤchtiger Schnitter zur reichlichſten Erndte und ſaͤumte nicht bey ſeinem Tagewerk. Die Fernroͤhre hatten einen neuen Himmel aufgethan. Viele neue Eigenſchaften der Naturweſen, die uns mehr oder weniger ſichtbar und greiflich um - geben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konn - te der heitere maͤchtige Geiſt Eroberungen machen. Und ſo iſt der groͤßte Theil ſeines Lebens eine Reihe von herrlichen, glaͤnzenden Wirkungen.

Leider truͤbt ſich der Himmel fuͤr ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Menſch ſeine Ueberzeugungen andern mit - zutheilen gedraͤngt wird. Man pflegt zu ſagen, des Menſchen Wille ſey ſein Himmelreich; noch mehr fin - det er aber ſeine Seligkeit in ſeinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Copernicaniſchen Syſtems durchdrungen enthaͤlt ſich Ga - lilei nicht, dieſe von der Kirche, von der Schule ver - worfne Lehre, wenigſtens indirect, zu beſtaͤtigen und aus - zubreiten; und beſchließt ſein Leben in einem traurigen Halbmaͤrtyrerthum.

Was das Licht betrifft, ſo iſt er geneigt es als et - was gewiſſermaßen materielles mittheilbares anzuſehen:247 eine Vorſtellungsart, zu der ihm die an dem bononiſchen Stein gemachte Erfahrung Anlaß gibt. Sich uͤber die Farbe zu erklaͤren lehnt er ab, und es iſt nichts natuͤr - licher, als daß er, geſchaffen ſich in die Tiefen der Na - tur zu ſenken, er, deſſen angebornes eindringendes Ge - nie durch mathematiſche Cultur ins Unglaubliche geſchaͤrft worden war, zu der oberflaͤchlichen, wechſelnden, nicht zu haſchenden, leicht verſchwindenden Farbe wenig An - muthung haben konnte.

Johann Keppler.

geb. 1571. geſt. 1630.

Wenn man Kepplers Lebensgeſchichte mit demjeni - gen was er geworden und geleiſtet zuſammenhaͤlt, ſo geraͤth man in ein frohes Erſtaunen, indem man ſich uͤberzeugt, daß der wahre Genius alle Hinderniſſe uͤber - windet. Der Anfang und das Ende ſeines Lebens wer - den durch Familienverhaͤltniſſe verkuͤmmert, ſeine mitt - lere Zeit faͤllt in die unruhigſte Epoche, und doch dringt ſein gluͤckliches Naturell durch. Die ernſteſten Gegen - ſtaͤnde behandelt er mit Heiterkeit und ein verwickeltes muͤhſames Geſchaͤft mit Bequemlichkeit.

Gibt er ſchriftlich Rechenſchaft von ſeinem Thun, von ſeinen Einſichten, ſo iſt es als wenn es nur ge - legentlich, im Vorbeygehen geſchaͤhe, und doch findet er immer die Methode, die von Grund aus anſpricht. An -248 dern ſey es uͤberlaſſen ſeine Verdienſte anzuerkennen und zu ruͤhmen, welche außer unſerm Geſichtskreiſe lie - gen; aber uns ziemt es, ſein herrliches Gemuͤth zu be - merken, das uͤberall auf das freudigſte durchblickt. Wie verehrt er ſeinen Meiſter und Vorgeſetzten Tycho! Wie ſchaͤtzt er die Verdienſte dieſes Mannes, der ſich dem ganzen Himmel gewachſen fuͤhlte, inſofern er ſich durch die Sinne faſſen und durch Inſtrumente bezwin - gen ließ. Wie weiß er dieſen ſeinen Lehrer und Vor - gaͤnger auch nach dem Tode gegen unfreundliche An - griffe zu vertheidigen! Wie gruͤndlich und anmuthig beſchreibt er, was an dem aſtronomiſchen Baue ſchon geleiſtet, was gegruͤndet, was aufgefuͤhrt, was noch zu thun und zu ſchmuͤcken ſey! Und wie arbeitet er ſein ganzes Leben unverruͤckt an der Vollendung!

Indeß war Tycho bey allen ſeinen Verdienſten doch einer von den beſchraͤnkten Koͤpfen, die ſich mit der Natur gewiſſermaßen im Widerſpruch fuͤhlen und deswegen das complicirte Paradoxe mehr als das ein - fache Wahre lieben und ſich am Irrthum freuen, weil er ihnen Gelegenheit gibt ihren Scharfſinn zu zeigen; da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und die Natur, nicht aber ſich ſelbſt zu ehren ſcheint, und von dieſer letzten Art war Keppler. Jedes klare Ver - dienſt klaͤrt ihn ſelbſt auf; durch freye Beyſtimmung eilt er es ſich zuzueignen. Wie gern ſpricht er von Copernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig ſchoͤne Aperç, was uns die Geſchichte noch ganz allein er - freulich machen kann, daß die aͤchten Menſchen aller249 Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin - weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge - nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire!

Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen. Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob - ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der Camera obscura, fuͤr die dadurch auf einmal erwei - terte Einſicht in die Geſetze des Sehens.

Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu - druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all - gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke, entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und claſſiſchen Stellen.

Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat, ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe, die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm, dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um250 ihrer Natur einigermaßen beyzukommen, daß wir ſie nicht zu uͤberſetzen wagen, ſondern im Original hier einſchalten: Color est lux in potentia, lux sepulta in pellucidi materia si jam extra visionem consi - deretur; et diversi gradus in dispositione materiae, caussâ raritatis et densitatis, seu pellucidi et tene - brarum; diversi item gradus luculae, quae materiae est concreta, efficiunt discrimina colorum. Die Auslegung davon laͤßt ſich vielleicht eher in einer an - dern Sprache wiedergeben; ſie iſt folgende:

Denn da die Farben, welche man im Regenbo - gen ſieht, von derſelben Art ſind, wie die der Koͤrper, ſo muͤſſen ſie auch einen gleichen Urſprung haben; jene aber entſpringen nur aus den angefuͤhrten Urſachen. Denn wie das Auge ſeinen Platz verlaͤßt, ſo veraͤndert ſich auch die Farbe, und zwar entſpringen ſie alle an der Graͤnze des Lichts und des Schattens; woraus er - hellet, daß ſie aus einer Schwaͤchung des Lichtes und aus einem Ueberzug der waͤßrigen Materie entſtehen. Deswegen werden auch die Farben der Koͤrper auf gleiche Weiſe entſpringen und es wird nur der Unter - ſchied zwiſchen ihnen ſeyn, daß bey dem Regenbogen das Licht hinzutretend iſt, bey den Farben aber einge - boren, auf die Weiſe wie in den Theilen vieler Thiere ſich Lichter wirklich befinden. Wie nun die Moͤglich - keit der Waͤrme im Ingwer von der wirklichen Waͤrme im Feuer unterſchieden iſt, ſo ſcheint auch das Licht in der gefaͤrbten Materie vom Licht in der Sonne verſchieden zu ſeyn. Denn dasjenige iſt nur der Faͤhigkeit nach da,251 was ſich nicht mittheilt, ſondern innerhalb der Graͤnzen ſeines Gegenſtandes gehalten wird, wie das Licht, das in den Farben verborgen iſt, ſo lange ſie nicht von der Sonne erleuchtet werden. Doch kann man nicht wiſ - ſen, ob die Farben nicht in tiefer Nacht ihre Lichtlein umherſtreuen.

Freylich hat dieſer Gegenſtand die Koͤpfe der ſcharf - ſinnigſten Philoſophen auf mancherley Weiſe in Uebung geſetzt, und wir finden uns gegenwaͤrtig weder im Fal - le noch im Stande ſeine Dunkelheit zu enthuͤllen. Woll - teſt Du mir aber den Einwurf machen, die Finſterniß ſey eine Privation und koͤnne deshalb niemals etwas Poſitives, niemals eine active Eigenſchaft werden, wel - che naͤmlich zu ſtrahlen und ſich auf den Waͤnden ab - zubilden vermoͤchte; ſo erwaͤhne ich der Kaͤlte dagegen, welche auch eine reine Privation iſt und doch, bezuͤg - lich auf die Materie, als wirkſame Eigenſchaft er - ſcheint.

Das Uebrige werden diejenigen, welche bey der Sache intereſſirt ſind, bey ihm ſelbſt nachſehen; nur bemerken wir noch, daß ihm verſchiedene Hauptpuncte, die wir in der Rubrik von den phyſiologiſchen Farben behandelt haben, nicht unbekannt geweſen; daß naͤmlich helle und dunkle Bilder von gleichem Maß dem Auge als verſchieden groß erſcheinen, daß das Bild im Auge eine Dauer habe, daß lebhafte Lichteindruͤcke farbig ab - klingen. Erwaͤhnt er auch nur beylaͤufig dergleichen Er - ſcheinungen; ſo bemerkt man mit Vergnuͤgen, wie le -252 bendig alles mit ſeinem Hauptgeſchaͤft zuſammenhaͤngt, wie innig er alles was ihm begegnet auf ſich zu be - ziehen weiß.

Willebrord Snellius.

geb. 1591. geſt. 1626.

Nach Erfindung der Fernroͤhre draͤngte ſich alles, um an ihrer Verbeſſerung zu arbeiten. Die Geſetze der Refraction, die man vorher nur empiriſch und muͤhſam zu beſtimmen wußte, wurden immer genauer unterſucht; man kam immer mehr in Uebung, hoͤhere mathema - tiſche Formeln auf Naturerſcheinungen anzuwenden, und ſo naͤherte ſich Snellius dem gegenwaͤrtig allgemein bekannten Geſetze der Refraction, ob er es gleich noch nicht unter dem Verhaͤltniß der Sinus des Einfalls - und Brechungswinkels ausſprach.

Dieſes in allen Lehrbuͤchern vorgetragene Geſetz brauchen wir hier nicht umſtaͤndlicher auszufuͤhren; doch machen wir zwey Bemerkungen, die ſich naͤher auf die Gegenſtaͤnde unſerer Behandlung beziehen.

Snellius gruͤndete ſeine Meſſungen und Berech - nungen nicht auf den objectiven Verſuch, da man naͤm - lich das Licht durch das Mittel hindurchfallen laͤßt, wo - bey das was man Brechung nennt zum Vorſchein kommt; ſondern auf den ſubjectiven, deſſen Wirkung253 wir die Hebung genannt haben, weil ein durch das Mittel geſehener Gegenſtand uns entgegenzutreten ſcheint. Er ſchreibt daher ganz richtig dem perpendicularen Strahl (wenn es doch einmal Strahl ſeyn ſoll) die vollkommne Hebung zu, wie man denn bey jedem voll - kommen perpendicularen Aufſchauen auf einen glaͤſer - nen Cubus ganz bequem erfahren kann, daß die darun - terliegende Flaͤche dem Auge vollkommen entgegentritt.

Da man aber in der Folge ſich bloß an den ob - jectiven Verſuch hielt, als der das Phaͤnomen nur ein - ſeitig, das Verhaͤltniß der Sinus aber am beſten aus - druͤckt; ſo fing man an zu laͤugnen, daß der perpendi - culare Strahl veraͤndert werde, weil man dieſe Ver - aͤndrung unter der Form der Brechung nicht gewahr wird und kein Verhaͤltniß der Sinus dabey ſtatt ha - ben kann.

Schon Huygens, durch den die Entdeckung des Snellius eigentlich bekannt wurde, proteſtirt gegen die Veraͤnderung des perpendicularen Strahls und fuͤhrt ſeine ſaͤmmtlichen Nachfolger in Irrthum. Denn man kann ganz allein von der Wirkung der Mittel auf Licht und beleuchtete Gegenſtaͤnde ſich einen Begriff machen, wenn man beyde Faͤlle, den objectiven und ſubjectiven, den Fall des Brechens und Hebens, das wechſelſeitige Verhaͤltniß des dichten Mittels zum duͤnnen, des duͤn - nen zum dichten, zugleich faßt und eins durch das an - dere ergaͤnzt und erklaͤrt. Woruͤber wir an ſeinem Orte das nothwendigſte geſagt haben. (E. 187. 188)

254

Die andere Betrachtung, die wir hier nicht uͤber - gehen duͤrfen, iſt die, daß man die Geſetze der Bre - chung entdeckt, und der Farben, die doch eigentlich durch ſie manifeſtirt werden ſollen, gar nicht gedenkt; wel - ches ganz in der Ordnung war. Denn in parallelen Mitteln, welche man zu jenem Grundverſuch der Bre - chung und Hebung benutzt, laͤßt ſich die Farben-Er - ſcheinung zwar an der Graͤnze von Licht und Schatten deutlich ſehen, aber ſo unbedeutend, daß man uͤber ſie recht wohl hinausgehen konnte. Wir wiederholen hier was wir ſchon fruͤher urgirt: (E. 195. 196.) Gaͤbe es eine wirklich verſchiedene Brechbarkeit, ſo muͤßte ſie ſich bey Brechung jeder Art manifeſtiren. Aber dieſe Lehre iſt, wie wir bereits geſehen haben und noch kuͤnf - tig ſehen werden, nicht auf einen einfachen natuͤrli - chen Fall, ſondern auf einen kuͤnſtlich zuſammengeſetz - ten gebaut, und ſie kann daher nur demjenigen wahr vorkommen, der ſich in einer ſolchen gemachten Ver - wirrung gefallen mag; jedem hingegen muß ſie falſch erſcheinen, der aus dem Freyen kommt oder ins Freye gelangt.

Was ſonſt von Snellins und ſeiner Lehre zu ſa - gen iſt, findet ſich in allen Schriften, die von dieſer Materie handeln.

Vorſtehendes war geſchrieben, als uns zufaͤlliger Weiſe bekannt wurde, Iſaac Voſſius, von welchem255 ſpaͤterhin noch die Rede ſeyn wird, ſey gleichfalls der Ueberzeugung geweſen, daß dasjenige, was man Re - fraction zu nennen pflegt, auch im Perpendikel wirke. Er hatte die drey optiſchen Buͤcher des Willebrord Snellius im Manuſcripte geleſen und ſich deſſen An - ſichten zu eigen gemacht. Dabey erzaͤhlt er, daß er zu Bruͤſſel vor der Koͤniginn von Schweden dieſe ſeine Meynung vorgetragen, jedoch einen allgemeinen Wider - ſpruch gefunden; ja man habe ihm vorgeworfen, daß er gegen die erſten Grundſaͤtze ſuͤndige. Nachdem aber die Geſellſchaft durch den Augenſchein uͤberzeugt worden, ſo habe man die Sache in einen Wortſtreit geſpielt und geſagt: incidi quidem radium, non ta - men frangi. Er fuͤhrt darauf aus den Werken des Snellius eine Demonſtration des ſubjectiven Verſuchs an, wodurch die ſtufenweiſe Hebung ins Klare geſetzt wird.

Antonius De Dominis.

umgekommen 1624.

De radiis visus et lucis in vitris perspectivis et iride tractatus Marci Antonii de Dominis, per Joannem Bartolum in lucem editus Venetiis 1611.

Durch dieſes Werk von nicht großem Umfange iſt der Verfaſſer unter den Naturforſchern beruͤhmt gewor - den und zwar mit Recht: denn man erkennt hier die256 Arbeit eines unterrichteten, in mathematiſchen und phy - ſiſchen Dingen wohlgeuͤbten Mannes, und was mehr iſt, eines originellen Beobachters. Hier wird ein Aus - zug an der rechten Stelle ſeyn.

Das Werk enthaͤlt im erſten Capitel die erſte oͤffent - liche Bekanntmachung der Theorie der Fernglaͤſer. Nachdem ſodann der Verfaſſer verſchiedene allgemeine mathematiſche und phyſiſche Grundſaͤtze vorausgeſchickt, welche das Licht und das Sehen betreffen, kommt er zu Ende des dritten Capitels auf der neunten Seite zu den Farben, welche bey der Refraction erſcheinen, und aͤußert ſich daruͤber folgendermaßen.

Außer den eigenen Farben der Koͤrper, welche in den Koͤrpern ſelbſt verharren, ſie moͤgen nun aus welcher Urſache ſie wollen entſpringen und entſtehen, gibt es in der Natur einige wechſelbare und veraͤnder - liche Farben, welche man emphatiſche und erſcheinende nennt und welche ich die glaͤnzenden zu nennen pflege. Daß dieſe Farben aus dem Lichte entſpringen, daran habe ich keinen Zweifel, ja ſie ſind nichts anders als das Licht ſelbſt: denn wenn in einem Koͤrper reines Licht ſich befindet, wie in den Sternen und dem Feuer, und er verliert aus irgend einer Urſache ſein Funkeln; ſo wird uns ein ſolcher Koͤrper weiß. Miſcht man dem Licht irgend etwas Dunkles hinzu, wodurch jedoch das ganze Licht nicht verhindert oder ausgeloͤſcht wird, ſo entſtehen die Farben dazwiſchen. Denn deshalb wird unſer Feuer roth, weil es Rauch bey ſich fuͤhrt, der es257 verdunkelt. Deshalb auch roͤthen ſich Sonn und Ge - ſtirne nah am Horizont, weil die dazwiſchen tretenden Duͤnſte ſolche verdunkeln. Und ſolcher mittleren Farben koͤnnen wir eigentlich drey zaͤhlen. Die erſte Beymi - ſchung des Dunklen, welche das Weiße einigermaßen ver - dunkelt, macht das Licht roth: und die rothe Farbe iſt die leuchtendſte der Mittelfarben zwiſchen den beyden Enden, dem Weißen und Schwarzen, wie man es deut - lich in dem laͤnglichen dreykantigen Glaſe ſieht. Der Sonnenſtrahl naͤmlich, der das Glas bey dem Winkel durchdringt, wo die geringſte Dicke iſt und alſo auch die geringſte Dunkelheit, tritt hochroth heraus; zunaͤchſt folgt das Gruͤn bey zunehmender Dicke; endlich das Violette bey noch groͤßerer Dicke: und ſo nimmt nach Verhaͤltniß der Staͤrke des Glaſes auch die Verdunklung zu oder ab.

Eine etwas mehrere Dunkelheit bringt, wie geſagt, das Gruͤne hervor. Waͤchſt die Dunkelheit, ſo wird die Farbe blau oder violett, welche die dunkelſte iſt aus allen Mittelfarben. Waͤchſt nun die Dunkelheit noch mehr, ſo loͤſcht ſie das ganze Licht aus und die Schwaͤrze bleibt, obgleich die Schwaͤrze mehr eine Be - raubung des Lichts als eine wirkliche Farbe iſt; des - wegen auch das Auge die Finſterniß ſelbſt und ſehr ſchwarze Koͤrper fuͤr eins haͤlt. Die uͤbrigen Farben aber ſind aus dieſen zuſammengeſetzt.

Die Dunkelheit aber verwandelt das Licht in eine glaͤnzende Farbe, nicht allein wenn ſie ſich mit demII. 17258leuchtenden Koͤrper ſelbſt vermiſcht, wie es beym Feuer geſchieht, ſondern auch wenn ſie zwiſchen das Licht und das Auge gebracht wird, dergeſtalt, daß das Licht, wenn es durch einen etwas dunklen Koͤrper, deſſen Durchſichtigkeit nicht ganz aufgehoben iſt, durchgeht, nothwendig gefaͤrbt wird, und ſo gefaͤrbt, nicht allein vom Auge, ſondern auch oft von jedem andern Koͤrper, farbig aufgenommen wird. So erſcheint uns die Son - ne beym Auf - und Untergang roth, nicht weiß, wie im Mittage, und ſo wird das Licht, wenn es durch ein Glas von ungleicher Dicke, jedoch von bedeutender Maſſe, wie jene dreykantigen Prismen ſind, oder durch ein glaͤſernes mit Waſſer gefuͤlltes Gefaͤß, oder durch ein gefaͤrbtes Glas hindurch geht, gefaͤrbt. Daher werden auch die fernliegenden Berge unter einer blauen Farbe geſehen. Denn die große Ferne verdunkelt, we - gen der Menge des Mittels und durch das einigerma - ßen Koͤrperliche des Dunkeln, alle Lichter, die nicht ſo maͤchtig ſind als das der Sonne, verdunkelt auch die er - leuchteten Gegenſtaͤnde und macht ſie blau. So ſcheint uns gleichfalls der Ferne wegen das Licht des Him - mels blau. Was aber eine gar zu ſchwache Farbe hat, wird auch wohl ſchwarz.

Diejenigen unſrer Leſer, welche den Entwurf unſe - rer Farbenlehre wohl inne haben, werden ſelbſt beur - theilen, in wiefern der Verfaſſer ſich der Wahrheit ge - naͤhert, in wiefern noch manches Hinderniß einer rei - nen Einſicht in die Dinge ihm entgegen geſtanden. Merkwuͤrdig iſt, daß er im prismatiſchen Bild nur259 drey Farben geſehen, welches andeutet, daß er auch ein ſehr kleines Bild gehabt und es verhaͤltnißmaͤßig ſehr weit von dem Ausfallen aus dem Prisma aufgefangen, wie er denn auch das Weiße zwiſchen den beyden Raͤn - dern nicht bemerkt. Das Uebrige wiſſen wir nun aus der Lehre vom Truͤben weit beſſer zu entwickeln.

Hierauf traͤgt er im vierten Capitel noch verſchie - dene mathematiſche Propoſitionen vor, die ihm zu ſei - ner Deduction noͤthig ſcheinen. Endlich gelangt er zu einem runden durchſichtigen Koͤrper und zeigt, erſtlich, wie von demſelben das auffallende Licht zuruͤckgeworfen werde, und nun geht er ſeinem Ziele entgegen, indem er auf der dreyzehnten und vierzehnten Seite umſtaͤnd - lich anzeigt, was auf der innern hintern concaven Flaͤche des runden durchſichtigen Koͤrpers, welche wie ein Hohl - ſpiegel wirkt, vorgehe. Er fuͤgt eine Figur hinzu, wel - che, wenn man ſie recht verſteht, das Phaͤnomen in ſeinem Umfange und ſeiner Complication, wo nicht vollſtaͤndig darſtellt, jedoch ſich demſelben weit mehr naͤhert, als diejenigen einfacheren Figuren, welche Des - cartes theils aus ihm genommen, theils nach ihm ge - bildet. Uebrigens wird ſich in der Folge zeigen, daß eben dasjenige, was auf dem Grunde des durchſichti - gen Koͤrpers vorgeht, mit Linearzeichnung keinesweges dargeſtellt werden kann. Bey der Figur des De Domi - nis tritt uͤberdieß noch ein ſonderbarer Fall ein, daß gerade dieſe ſehr complicirte Hauptfigur, die wegen ih - rer Wichtigkeit viermal im Buche vorkommt, durch die Ungeſchicklichkeit des Holzſchneiders in ihren Haupt17 *260puncten undeutlich und wahrſcheinlich deshalb fuͤr die Nachfolger des Verfaſſers unbrauchbar geworden. Wir haben ſie nach ſeiner Beſchreibung wiederhergeſtellt und werden ſie unter unſern Tafeln beybringen, wie wir denn jetzt ſeine Erklaͤrung derſelben, worin das Verdienſtliche ſeiner Beobachtung und Entdeckung ruht, uͤberſetzt mittheilen.

Jener ſphaͤriſche durchſichtige Koͤrper, ſolid oder ausgefuͤllt, außerdem daß er von ſeiner erhoͤhten Ober - flaͤche die Strahlen gedachtermaßen zuruͤckwirft, bewirkt noch einen andern Widerſchein des Lichtes, der mit ei - niger Refraction verbunden iſt: denn der Lichtſtrahl aus dem Mittelpuncte des leuchtenden Koͤrpers b dringt ungebrochen gerade bis nach v durchs Centrum a, da er perpendicular iſt; die Strahlen aber bc und bd werden in c und d gebrochen, nach der Perpendicu - lare zu, und dringen gleichfalls nach dem Grunde g und weiter nach v; daſelbſt bringen ſie viel Licht zu - ſammen, vereint mit den inneren Strahlen br und bo, welche an den Puncten r und o gebrochen nach g ge - langen, auf dem Hohlgrunde der Kugel a; welches auch die uͤbrigen Strahlen thun, welche von b her auf die ganze erhoͤhte Flaͤche von c bis d fallen.

Aber indeſſen dringen nicht nur die gebrochnen und um den Grund g verſammelten Strahlen zum Theil hindurch und vereinigen ſich in v, wo ſie Feuer anzuͤnden koͤnnen; ſondern ſie werden auch großentheils, gleichfalls mit verſtaͤrktem Licht wegen ihrer Verſamm -261 lung, vom Grunde g zuruͤckgeworfen, welcher Grund g dieſes vervielfaͤltigte Licht, nach dem Geſetz der Wider - ſcheine aus einer Hohlkugel, auf mancherley Weiſe zu - ruͤckwirft. Wobey zu bedenken iſt, daß einige Abaͤnde - rung ſtatt findet, weil die Zuruͤckwerfung nach den eben erwaͤhnten Brechungen geſchieht und weil nicht allein die auf die Kugel a, aus dem Mittelpuncte des leuch - tenden Koͤrpers b, fallenden Strahlen, ſondern auch un - zaͤhlige andre von dem großen und leuchtenden Koͤrper wie die Sonne iſt, alle naͤmlich die aus t und p, in - gleichen von dem ganzen Umfange t. q. p hervortreten, zuruͤckgeworfen werden. Welche Abweichung aber hier mit Demonſtrationen zu beweiſen nicht die Muͤhe lohnte.

Genug daß ich durch die deutlichſten Verſuche ge - funden habe, ſowohl in Schalen, welche mit Waſſer gefuͤllt worden, als auch in Glaskugeln gleichfalls ge - fuͤllt, welche ich zu dieſem Endzwecke verfertigen laſ - ſen, daß aus dem Grunde g, welcher der Sonne ge - rade entgegenſtehet, außer der Refraction, welche nach v zu geſchieht, eine doppelte Reflexion geſchehe: einmal gleich gegen die Seite f und e im Cirkel; ſodann aber gegen die Sonne, naͤchſt gegen die Perpendiculare b a, nach dem vordern Theile h und i, gleichfalls im Cir - kel, und nicht durch eine einzige untheilbare Linie, ſon - dern durch mehrere nach allen Seiten hin mit einiger Breite, (wie in der erſten Reflexion gf. gn. gm; in der andern aber gi. gk. gl;) welche Breite theils ent - ſpringt aus den Brechungen, welche innerhalb der Kugel262 geſchehen, wodurch mehrere Strahlen verſammlet wer - den, zum Theil aus der großen Breite des leuchtenden Koͤrpers p. q. t, wie wir kurz vorher geſagt.

Da wir uns genoͤthigt ſehen, in der Folge dem Regenbogen einen beſondern Aufſatz zu widmen, um zu zeigen, daß bey dieſem Meteor nichts anderes vor - gehe, als das was wir in unſerm Entwurf von den Farben, welche bey Gelegenheit der Refraction entſte - hen, umſtaͤndlich ausgefuͤhrt haben; ſo muß das bis - her mitgetheilte als Material zu jenem Behuf ruhen und liegen bleiben; nur bemerken wir, daß dasjenige, was im Tropfen vorgeht, keinesweges durch eine Linear - zeichnung, welche nur Grundriſſe und Durchſchnitte geben kann, ſondern durch eine Perſpectiviſche darzu - ſtellen iſt, wie unſer De Dominis zuletzt ſelbſt andeu - tet in den Worten: und nicht durch eine einzige un - theilbare Linie, ſondern durch mehrere nach allen Sei - ten hin mit einiger Breite. Wir geben nunmehr von ſeinem weitern Verfahren Rechenſchaft.

Vom fuͤnften Capitel bis zum neunten einſchließ - lich handelt er von den Fernroͤhren und dem was ſich darauf bezieht. Im zehnten von den vorzuͤglichſten Meynungen uͤber den Regenbogen. Er traͤgt die Ge - ſinnungen des Albertus Magnus aus deſſen drittem Buch der Meteore und deſſen vierzehntem Capitel, die des Cardanus aus dem vierten Buch de subtilitate, des Ariſtoteles aus den Meteoren vor. Alle nehmen an, daß die Farben aus einer Schwaͤchung der Lichtſtrah -263 len entſtehen, welche nach jenen beyden, durch die Maſſe der Duͤnſte, nach letzterem, durch mehr oder minder ſtarke Reflexion der ſich vom Perpendikel mehr oder weniger entfernenden Strahlen bewirkt werde. Vitellio haͤlt ſich nahe an den Ariſtoteles, wie auch Piccoluomini.

Im elften Capitel werden die vorgemeldeten Mey - nungen uͤber die Farben bearbeitet und widerlegt. Im zwoͤlften ausgefuͤhrt, woher die runde Geſtalt des Re - genbogens komme. Im dreyzehnten der wahre Ur - ſprung des Regenbogens voͤllig erklaͤrt: es werden naͤmlich Tropfen erfordert und durch eine Figur gezeigt, wie das Sonnenlicht aus dem Grunde des Tropfens nach dem Auge reflectirt werde. Hierauf wendet er ſich zu den Farben und erklaͤrt ſie nach ſeiner ſechſten und ſiebenten Propoſition im dritten Capitel, die wir oben uͤberſetzt haben, wonach die Farben in ihrer Leb - haftigkeit vom Rothen durchs Gruͤne bis zum Blauen abnehmen ſollen. Hier wird ſodann die Hauptfigur wiederhohlt und daraus, daß der Strahl gf nach der Reflexion durch eine geringere Glasmaſſe durchgehe als die Strahlen gm und gn, die Farbenabſtufung derſel - ben dargethan. Zur Urſache der Breite des Regenbo - gens gibt er jene Breite der farbigen Reflexion an, die er ſchon oben nach der Erfahrung dargelegt.

Das vierzehnte Capitel beſchaͤftigt ſich mit dem aͤußern Regenbogen und mit Erzaͤhlung und Widerle - gung verſchiedener Meynungen daruͤber. Im funfzehn - ten Capitel jedoch ſucht er denſelben zu erklaͤren. Er264 gebraucht hiezu wieder die Hauptfigur, leitet den zwey - ten Regenbogen von den Strahlen gi gk gl ab und die verſchiedene Faͤrbung derſelben, von der mehr oder minder ſtarken Reflexion. Man ſieht alſo, daß er ſich hier dem Ariſtoteles naͤhert, wie bey Erklaͤrung der Farben des erſten Regenbogens dem Albertus Magnus und dem Cardan.

Das ſechzehnte Capitel ſammelt einige Corollarien aus dem ſchon Geſagten. Das ſiebzehnte traͤgt noch einige Fragen uͤber den Regenbogen vor und beantwor - tet ſie. Im achtzehnten wird abgehandelt, wie der Regenbogen mit den Hoͤfen, Wettergallen und Neben - ſonnen uͤbereintreffe und wie er von ihnen verſchieden ſey. In dieſen drey Capiteln, den letzten der Abhand - lung, ſteht noch manches Gute, das nachgeſehen und genutzt zu werden verdient.

Franciscus Aguilonius.

Geb. 1567. geſt. 1617.

Er war Jeſuit zu Bruͤſſel und gab 1613 ſeine Optik in Folio heraus zu Antwerpen. Ihr ſollten noch die Dioptrik und Catoptrik folgen, welches durch ſeinen Tod, der 1617, als er funfzig Jahr alt war, erfolgte, verhindert wurde.

Man ſieht ſeinem Werke die Ruhe des Kloſters an, die bey einer Arbeit bis ins Einzelnſte zu gehen265 erlaubt; man ſieht die Bedaͤchtlichkeit eines Lehrers, der nichts zuruͤcklaſſen will. Daher iſt das Werk ausfuͤhrlich, umſtaͤndlich, ja uͤberfluͤſſig durchgearbeitet. Betrachtet man es aber als einen Diskurs, als einen Vortrag, ſo iſt es, beſonders Stellenweiſe, angenehm und unterhaltend, und weil es uns mit Klarheit und Genauigkeit in fruͤhere Zeiten zuruͤckfuͤhrt, auf manche Weiſe belehrend.

Hier ſteht die Autoritaͤt noch in ihrer voͤlligen Wuͤrde: die griechiſchen Urvaͤter der Schulen, ihre Nachfolger und Commentatoren, die neueren Lichter und Forſcher, ihre Lehre, ihre Controverſen, bey wel - chen ein oder der andre Theil durch Gruͤnde beguͤn - ſtiget wird. Indeſſen kann man nicht laͤugnen, daß der Verfaſſer, indem er ſeinem Nachfolger nichts zu thun uͤbrig laſſen moͤchte, im Theoretiſchen ſich bis ins Kleinliche und im Practiſchen bis in die Kuͤnſte - ley verliert; wobey wir ihn jedoch immer als einen ernſten und tuͤchtigen Mann zu ſchaͤtzen haben.

Was die Farbe und das damit zunaͤchſt Ver - wandte betrifft, ſo iſt ihm das vom Plato ſich her - ſchreibende und von uns ſo oft urgirte Disgregiren und Colligiren des Auges, jenes erſte durch das Licht und das Weiße, dieſes letztere durch Finſterniß und das Schwarze, wohl bekannt und merkwuͤrdig, doch mehr im pathologiſchen Sinne, in ſo fern das Helle das Auge blendet, das Finſtere ihm auf eine negative Weiſe ſchadet. Der reine phyſiologiſche Sinn dieſer266 Erſcheinung mag ihm nicht aufgegangen ſeyn, wor - uͤber wir uns um ſo weniger wundern werden, als Hamberger ſolche der geſunden Natur gemaͤße, zum reinen Sehen unumgaͤnglich nothwendige Bedingungen gleichfalls fuͤr krankhaft und fuͤr vitia fugitiva er - klaͤrt hat.

Das Weiße und Schwarze nun ſetzt er an die beyden Enden, dazwiſchen in eine Reihe Gelb, Roth und Blau, und hat alſo fuͤnf Farben auf einer Linie, welches ein ganz huͤbſches Schema gibt, indem das Gelbe zunaͤchſt an dem Weißen, das Blaue an dem Schwarzen und das Rothe in der Mitte ſteht, welche ſaͤmmtlich mit einander durch Halbzirkel verbunden ſind, wodurch die Mittelfarben angedeutet werden.

Daß nach den verſchiedenen Erſcheinungsarten die Farben eingetheilt werden muͤſſen, kommt bey ihm auf eine entſchiedenere Weiſe als bisher zur Sprache. Er theilt ſie in wahre, apparente und intentionelle Farben. Da nun die intentionellen, wie wir nachher ſehen werden, keinen richtigen Eintheilungsgrund hinter ſich haben, die phyſiologiſchen aber fehlen; ſo quaͤlt er ſich ab, die verſchiedenen Erſcheinungsfaͤlle unter dieſe Rubriken zu bringen.

Die wahren Farben werden den Eigenſchaften der Koͤrper zugeſchrieben, die apparenten fuͤr unerklaͤr - lich, ja als ein goͤttliches Geheimniß angeſehen, und doch gewiſſermaßen wieder als zufaͤllig betrachtet. Er267 bedient ſich dabey eines ſehr artigen und unuͤberſetz - lichen Ausdrucks: penduli in medio diaphano ober - rant, ceu extemporaneae quaedam Lucis affectiones.

Die Hauptfragen, wie ſie Ariſtoteles ſchon beruͤhrt, kommen zur Sprache, und gegen Plato wird polemi - ſirt. Was uͤberhaupt hievon und ſonſt noch brauchbar iſt, haben wir am gehoͤrigen Orte eingeſchaltet. Daß jede Farbe ihre eigene Wirkung aufs Geſicht habe, wird behauptet und ausgefuͤhrt; doch gleichfalls mehr patho - logiſch als phyſiologiſch.

Intentionelle Farben.

Da wir der intentionellen Farben in unſerm Entwurf nicht beſonders gedacht haben, und dieſer Ausdruck in den Schriftſtellern, vorzuͤglich auch in dem gegenwaͤrtigen, vorkommt; ſo iſt unſre Pflicht, wenigſtens hiſtoriſch, dieſer Terminologie zu gedenken, und anzuzeigen, wie ſie mit den uͤbrigen Lehren und Geſinnungen jener Zeit zuſammenhaͤngt. Man ver - zeihe uns, wenn wir, der Deutlichkeit wegen, etwas weit auszuhohlen ſcheinen.

Die Poeſie hat in Abſicht auf Gleichnißreden und uneigentlichen Ausdruck ſehr große Vortheile vor allen uͤbrigen Sprachweiſen, denn ſie kann ſich eines jeden Bildes, eines jeden Verhaͤltniſſes nach ihrer Art und Bequemlichkeit bedienen. Sie vergleicht Geiſtiges mit268 Koͤrperlichem und umgekehrt; den Gedanken mit dem Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch wird das Wechſelleben der Weltgegenſtaͤnde am beſten ausgedruͤckt. Die Philoſophie auf ihren hoͤchſten Punc - ten bedarf auch uneigentlicher Ausdruͤcke und Gleichniß - reden, wie die von uns oft erwaͤhnte, getadelte und in Schutz genommene Symbolik bezeugt.

Nur leiden die philoſophiſchen Schulen, wie uns die Geſchichte belehrt, meiſtentheils daran, daß ſie, nach Art und Weiſe ihrer Stifter und Hauptlehrer, meiſt nur einſeitige Symbole brauchen, um das Gan - ze auszudruͤcken und zu beherrſchen, und beſonders die Einen durchaus das Koͤrperliche durch geiſtige Sym - bole, die Andern das Geiſtige durch koͤrperliche Sym - bole bezeichnen wollen. Auf dieſe Weiſe werden die Gegenſtaͤnde niemals durchdrungen; es entſteht viel - mehr eine Entzweyung in dem was vorgeſtellt und bezeichnet werden ſoll, und alſo auch eine Discrepanz in denen, die davon handeln, woraus alsbald ein Widerwille auf beyden Seiten entſpringt und ein Parteyfinn ſich befeſtigt.

Wenn man von intentionellen Farben ſpricht, ſo iſt es eigentlich eine Gleichnißrede, daß man den Far - ben wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine geiſtige Natur zuſchreibt, ihnen einen Willen, eine Abſicht un - terlegt.

Wer dieſes faſſen mag, der wird dieſe Vorſtel - lungsart anmuthig und geiſtreich finden, und ſich269 daran, wie etwa an einem poetiſchen Gleichniſſe, er - getzen. Doch wir muͤſſen dieſe Denkart, dieſen Ausdruck bis zu ihrer Quelle verfolgen.

Man erinnere ſich, was wir oben von der Lehre des Roger Baco mitgetheilt, die wir bey ihm auf - gegriffen haben, weil ſie uns da zunaͤchſt im Wege lag, ob ſie ſich gleich von weit fruͤheren Zeiten her - ſchreibt: daß ſich naͤmlich jede Tugend, jede Kraft, jede Tuͤchtigkeit, alles dem man ein Weſen, ein Da - ſeyn zuſchreiben kann, ins unendliche vervielfaͤltigt und zwar dadurch, daß immerfort Gleichbilder, Gleichniſſe, Abbildungen als zweyte Selbſtheiten von ihm ausgehen, dergeſtalt daß dieſe Abbilder ſich wieder darſtellen, wirkſam werden, und indem ſie immer fort und fort reflectiren, dieſe Welt der Erſcheinungen ausmachen. Nun liegt zwiſchen der wirkenden Tugend und zwiſchen dem gewirkten Abbild ein Drittes in der Mitte, das aus der Wirklichkeit des Erſten und aus der Moͤglich - keit des Zweyten zuſammengeſetzt ſcheint. Fuͤr dieſes Dritte, was zugleich iſt und nicht iſt, was zugleich wirkt und unwirkſam bleiben kann, was zugleich das allerhoͤchſte Schaffende und in demſelben Augenblicke ein vollkommenes Nichts iſt, hat man kein ſchick - licheres Gleichniß finden koͤnnen, als das menſchliche Wollen, welches alle jene Widerſpruͤche in ſich verei - nigt. Und ſo hat man auch den wirkſamen Naturgegen - ſtaͤnden, beſonders denjenigen, die uns als thaͤtige Bil - der zu erſcheinen pflegen, dem Lichte ſo wie dem Erleuch - teten, welche beyde nach allen Orten hin ſich zu aͤußern270 beſtimmt ſind, ein Wollen, eine Intention gegeben und daher das Abbild (species), in ſo fern es noch nicht zur Erſcheinung kommt, intentionell genannt, indem es, wie das menſchliche Wollen, eine Realitaͤt, eine Noth - wendigkeit, eine ungeheure Tugend und Wirkſamkeit mit ſich fuͤhrt, ohne daß man noch etwas davon ge - wahr wuͤrde. Vielleicht ſind ein Paar ſinnliche Bey - ſpiele nicht uͤberfluͤſſig.

Es befinde ſich eine Perſon in einem großen von rohen Mauern umgraͤnzten Saal, ihre Geſtalt hat die Intention, oder wie wir uns in unſerm Entwurfe mit einem gleichfalls ſittlichen Gleichniß ausgedruͤckt haben, das Recht ſich an allen Waͤnden abzuſpiegeln; allein die Bedingung der Glaͤtte fehlt. Denn das iſt der Unterſchied der urſpruͤnglichen Tugenden von den abgebildeten, daß jene unbedingt wirken, dieſe aber Bedingniſſen unterworfen ſind. Man gebe hier die Bedingung der Glaͤtte zu, man polire die Wand mit Gipsmoͤrtel oder behaͤnge ſie mit Spiegeln, und die Geſtalt der Perſoͤnlichkeit wird ins Tauſendfaͤltige ver - mehrt erſcheinen.

Man gebe nun dieſer Perſoͤnlichkeit etwa noch einen eitlen Sinn, ein leidenſchaftliches Verlangen ſich abgeſpiegelt zuruͤckkehren zu ſehen, ſo wuͤrde man mit einem heiteren Gleichniſſe die intentionellen Bilder auch eitle Bilder nennen koͤnnen.

Noch ein andres Beyſpiel gebe endlich der Sache voͤllig den Ausſchlag. Man mache ſich auf den Weg271 zu irgend einem Ziele, es ſtehe uns nun vor den Au - gen, oder bloß vor den Gedanken; ſo iſt zwiſchen dem Ziel und dem Vorſatz etwas das beyde enthaͤlt, naͤm - lich die That, das Fortſchreiten.

Dieſes Fortſchreiten iſt ſo gut als das Ziel: denn dieſes wird gewiß erreicht, wenn der Entſchluß feſt und die Bedingungen zulaͤnglich ſind; und doch kann man dieſes Fortſchreiten immer nur intentionell nen - nen, weil der Wanderer noch immer ſo gut vor dem letzten Schritt als vor dem erſten paralyſirt wer - den kann.

Intentionelle Farben, intentionelle Miſchungen derſelben ſind alſo ſolche, die innerhalb des Durch - ſichtigen der Bedingung ſich zu manifeſtiren entbehren. Die Bedingung aber, worunter jede Farbe nur er - ſcheinen kann, iſt eine doppelte: ſie muß entweder ein Helles vor ſich und ein Dunkles hinter ſich, oder ein Dunkles vor ſich und ein Helles hinter ſich haben, wie von uns anderwaͤrts umſtaͤndlich ausgefuͤhrt wor - den. Doch ſtehe hier noch ein Beyſpiel, um dem Ge - ſagten die moͤglichſte Deutlichkeit zu geben.

Das Sonnenlicht falle in ein reines Zimmer zu den offnen Fenſtern herein und man wird in der Luft, in dem Durchſichtigen, den Weg des Lichtes nicht bemerken; man errege Staub und ſogleich iſt der Weg, den es nimmt, bezeichnet. Daſſelbe gilt von den apparen - ten Farben, welche ein ſo gewaltſames Licht hinter ſich272 haben. Das prismatiſche Bild wird ſich auf ſeinem Wege vom Fenſter bis zur Tafel kaum auszeichnen; man errege Staub und beſonders von weißem Puder, ſo wird man es vom Austritt aus dem Prisma bis zur Tafel begleiten koͤnnen: denn die Intention ſich abzu - bilden wird jeden Augenblik erfuͤllt, eben ſo als wenn ich einer Colonne Soldaten entgegen und alsdann gerade durch ſie hindurch ginge, wo mit jedem Manne der Zweck, das Regiment zu erreichen, erfuͤllt und, wenn wir ſo ſagen duͤrfen, ricochetirt wird. Und ſo ſchließen wir mit einem ſinnlichen Gleichniß, nachdem wir etwas, das nicht in die Sinne fallen kann, durch eine uͤberſinnliche Gleichnißrede begreiflich zu machen geſucht haben.

Wie man nun zu ſagen pflegt, daß jedes Gleich - niß hinke, welches eigentlich nur ſoviel heißen will, daß es nicht identiſch mit dem Verglichenen zuſammen - falle; ſo muß eben dieſes ſogleich bemerkt werden, wenn man ein Gleichniß zu lange und zu umſtaͤndlich durchfuͤhrt, da die Unaͤhnlichkeiten, welche durch den Glanz des Witzes verborgen wurden, nach und nach in einer traurigen, ja ſogar abgeſchmackten Realitaͤt zum Vorſchein kommen. So ergeht es daher den Philoſophen oft auf dieſe Weiſe, die nicht bemerken, daß ſie mit einer Gleichnißrede anfangen und im Durch - und Ausfuͤhren derſelben immer mehr ins Hin - ken gerathen. So ging es auch mit den intentionellen Bildern (speciebus); anſtatt daß man zufrieden ge - weſen waͤre, durch ein geiſtiges Gleichniß dieſe un -273 faßlichen Weſen aus dem Reiche der Sinnlichkeit in ein geiſtigeres heruͤbergeſpielt zu haben, ſo wollte man ſie auf ihrem Wege haſchen, ſie ſollten ſeyn oder nicht ſeyn, je nachdem man ſich zu einer oder der andern Vorſtellung geneigt fuͤhlte, und der durch eine geiſt - reiche Terminologie ſchon geſchlichtete Streit ging wieder von vorn an. Diejenigen welche realer geſinnt waren, worunter auch Aguilonius gehoͤrt, behaupteten: die Farben der Koͤrper ſeyen ruhig, muͤßig, traͤge; das Licht rege ſie an, entreiße ſie dem Koͤrper, fuͤhre ſie mit ſich fort und ſtreue ſie umher, und ſo war man wieder bey der Erklaͤrungsart des Epicur, die Lukrez ſo anmuthig ausdruͤckt:

Haͤufig bemerket man das an den roͤthlichen, blauen,
und gelben
Teppichen, welche geſpannt hoch uͤber das weite Thea -
ter
Wogend ſchweben, allda verbreitet an Maſten und
Balken.
Denn der Verſammlung unteren Raum, den ſaͤmmtli -
chen Schauplatz,
Sitze der Vaͤter und Muͤtter, der Goͤtter erhabene
Bilder,
Tuͤnchen ſie an, ſie zwingend in ihrem Gefaͤrbe zu
ſchwanken.
Und ſind enger umher des Theaters Waͤnde verſchloſ -
ſen,
Dann lacht froͤhlicher noch vom ergoſſenen Reize der
Umfang,
II. 18
274
Wenn genauer zuſammengefaßt der Schimmer des Tags
iſt.
Laſſen die Tuͤcher demnach von der oberſten Flaͤche die
Schminke
Fahren; wie ſollte denn nicht ein zartes Gebilde der
Dinge
Jedes entlaſſen, da, aͤhnlicher Art, ſie jedes vom Rand
ſchießt?

Renatus Carteſius.

geb. 1596. geſt. 1560.

Das Leben dieſes vorzuͤglichen Mannes wie auch ſeine Lehre wird kaum begreiflich, wenn man ſich ihn nicht immer zugleich als franzoͤſiſchen Edelmann denkt. Die Vortheile ſeiner Geburt kommen ihm von Jugend auf zu ſtatten, ſelbſt in den Schulen, wo er den erſten guten Unterricht im Lateiniſchen, Griechiſchen und in der Mathematik erhaͤlt. Wie er ins Leben tritt, zeigt ſich die Facilitaͤt in mathematiſchen Combinationen bey ihm theoretiſch und wiſſenſchaftlich, wie ſie ſich bey an - dern im Spielgeiſt aͤußert.

Als Hof -, Welt - und Kriegsmann bildet er ſeinen geſelligen ſittlichen Charakter aufs Hoͤchſte aus. In Abſicht auf Betragen erinnere man ſich, daß er Zeit - genoſſe, Freund und Correſpondent des hyperboliſch - complimentoͤſen Balzac war, den er in Briefen und Antworten auf eine geiſtreiche Weiſe gleichſam parodirt. 275Außerordentlich zart behandelt er ſeine Mitlebenden, Freunde, Studiengenoſſen, ja ſogar ſeine Gegner. Reizbar und voll Ehrgefuͤhl entweicht er allen Gele - genheiten ſich zu compromittiren; er verharrt im her - gebrachten Schicklichen und weiß zugleich ſeine Eigen - thuͤmlichkeit auszubilden, zu erhalten und durchzufuͤhren. Daher ſeine Ergebenheit unter die Ausſpruͤche der Kir - che, ſein Zaudern als Schriftſteller hervorzutreten, ſeine Aengſtlichkeit bey den Schickſalen Galilei’s, ſein Suchen der Einſamkeit und zugleich ſeine ununter - brochne Geſelligkeit durch Briefe.

Seine Avantagen als Edelmann nutzt er in juͤn - gern und mittlern Jahren; er beſucht alle Hof -, Staats -, Kirchen - und Kriegsfeſte; eine Vermaͤhlung, eine Kroͤnung, ein Jubilaͤum, eine Belagerung kann ihn zu einer weiten Reiſe bewegen; er ſcheut weder Muͤhe, noch Aufwand, noch Gefahr, um nur alles mit Augen zu ſehen, um mit ſeines Gleichen, die ſich jedoch in ganz anderm Sinne in der Welt herumtummeln, an den merkwuͤrdigſten Ereigniſſen ſeiner Zeit ehrenvoll Theil zu nehmen.

Wie man nun dieſes Aufſuchen einer unendlichen Empirie an ihm verulamiſch nennen koͤnnte, ſo zeigt ſich an dem ſtets wiederhohlten Verſuch der Ruͤckkehr in ſich ſelbſt, in der Ausbildung ſeiner Originalitaͤt und Productionskraft ein gluͤckliches Gegengewicht. Er wird muͤde mathematiſche Probleme aufzugeben und aufzuloͤſen, weil er ſieht, daß dabey nichts her -18 *276auskommt; er wendet ſich gegen die Natur und gibt ſich im Einzelnen viele Muͤhe; doch mochte ihm als Naturforſcher manches entgegenſtehen. Er ſcheint nicht ruhig und liebevoll an den Gegenſtaͤnden zu verweilen, um ihnen etwas abzugewinnen; er greift ſie als auf - loͤsbare Probleme mit einiger Haſt an und kommt mei - ſtentheils von der Seite des complicirteſten Phaͤno - mens in die Sache.

Dann ſcheint es ihm auch an Einbildungskraft und an Erhebung zu fehlen. Er findet keine geiſtigen lebendigen Symbole, um ſich und andern ſchwer aus - zuſprechende Erſcheinungen anzunaͤhern. Er bedient ſich, um das Unfaßliche, ja das Unbegreifliche zu er - klaͤren, der crudeſten ſinnlichen Gleichniſſe. So ſind ſeine verſchiedenen Materien, ſeine Wirbel, ſeine Schrauben, Haken und Zacken, niederziehend fuͤr den Geiſt, und wenn dergleichen Vorſtellungsarten mit Beyfall aufgenommen wurden, ſo zeigt ſich daraus, daß eben das Roheſte, Ungeſchickteſte der Menge das Gemaͤßeſte bleibt.

In dieſer Art iſt denn auch ſeine Lehre von den Farben. Das Mittlere ſeiner Elemente beſteht aus Lichtkuͤgelchen, deren directe gemeſſene Bewegung nach einer gewiſſen Geſchwindigkeit wirkt. Bewegen ſich die Kuͤgelchen rotirend, aber nicht geſchwinder als die gradlinigen; ſo entſteht die Empfindung von Gelb. Eine ſchnellere Bewegung derſelben bringt Roth hervor, und eine langſamere als die der gradlinigen, Blau. 277Schon fruͤher hatte man der mehrern Staͤrke des Sto - ßes aufs Auge die Verſchiedenheit der Farben zuge - ſchrieben.

Carteſius Verdienſte um den Regenbogen ſind nicht zu laͤugnen. Aber auch hier, wie in andern Faͤllen, iſt er gegen ſeine Vorgaͤnger nicht dankbar. Er will nun ein fuͤr allemal ganz original ſeyn; er lehnt nicht allein die laͤſtige Autoritaͤt ab, ſondern auch die foͤrderliche. Solche Geiſter, ohne es beynahe ſelbſt gewahr zu werden, verlaͤugnen was ſie von ihren Vorgaͤngern gelernt und was ſie von ihren Mitlebenden genutzt. So verſchweigt er den Antonius De Dominis, der zuerſt die Glaskugel angewen - det, um die ganze Erſcheinung des Regenbogens inner - halb des Tropfens zu beſchraͤnken, auch den innern Regenbogen ſehr gut erklaͤrt hat.

Des Cartes hingegen hat ein bedeutendes Ver - dienſt um den aͤußern Regenbogen. Es gehoͤrte ſchon Aufmerkſamkeit dazu, die zweyte Reflexion zu bemer - ken, wodurch er hervorgebracht wird, ſo wie ſein ma - thematiſches Talent dazu noͤthig war, um die Winkel zu berichtigen, unter denen das Phaͤnomen ins Auge kommt.

Die Linearzeichnungen jedoch, welche er, um den Vorgang deutlich zu machen, ausſinnt, ſtellen keines - wegs die Sache dar, ſondern deuten ſie nur an. Dieſe Figuren ſind ein abſtractes compendioͤſes Sapienti278 sat, belehren aber nicht uͤber das Phaͤnomen, indem ſie die Erſcheinung auf einfache Strahlen zuruͤckfuͤhren, da doch eigentlich Sonnenbilder im Grunde des Trop - fens verengt, zuſammengefuͤhrt und uͤber einander ver - ſchraͤnkt werden. Und ſo konnten dieſe Carteſiſchen, einzelne Strahlen vorſtellenden Linien der Newtoniſchen Erklaͤrung des Regenbogens guͤnſtig zum Grunde liegen.

Der Regenbogen als anerkannter Refractionsfall fuͤhrt ihn zu den prismatiſchen einfacheren Verſuchen. Er hat ein Prisma von 30 bis 40 Graden, legt es auf ein durchloͤchert Holz und laͤßt die Sonne hin - durchſcheinen; das ganze colorirte Spectrum erblickt er bey kleiner Oeffnung: weil aber ſein Prisma von wenig Graden iſt, ſo kann er leicht, bey vergroͤßerter Oeffnung, den weißen Raum in der Mitte bemerken.

Hierdurch gelangt er zu der Haupteinſicht, daß eine Beſchraͤnkung noͤthig ſey, um die prismatiſchen Farben hervorzubringen. Zugleich ſieht er ein, daß weder die Ruͤnde der Kugel, noch die Reflexion, zur Hervorbringung der Farbenerſcheinung beytrage, weil beydes beym Prisma nicht ſtatt findet, und die Farbe doch maͤchtig erſcheint. Nun ſucht er auch im Regen - bogen jene noͤthige Beſchraͤnkung und glaubt ſie in der Graͤnze der Kugel, in dem dahinter ruhenden Dunkel anzutreffen, wo ſie denn freylich, wie wir kuͤnftig zei - gen werden, nicht zu ſuchen iſt.

279

Athanaſius Kircher.

geb. 1601. geſt. 1680.

Er gibt in dem Jahre 1646 ſein Werk Ars magna lucis et umbrae heraus. Der Titel ſo wie das Motto Sicut tenebrae ejus ita lumen ejus, ver - kuͤndigen die gluͤckliche Hauptmaxime des Buches. Zum erſtenmal wird deutlich und umſtaͤndlich ausge - fuͤhrt, daß Licht, Schatten und Farbe als die Elemen - te des Sehens zu betrachten; wie denn auch die Far - ben als Ausgeburten jener beyden erſten dargeſtellt ſind.

Nachdem er Licht und Schatten im Allgemeinen behandelt, gelangt er im dritten Theile des erſten Buches an die Farbe, deſſen Vorrede wir uͤberſetzt einſchalten.

Vorrede.

Es iſt gewiß, daß in dem Umfange unſeres Erdkreiſes kein dergeſtalt durchſichtiger Koͤrper ſich be - finde, der nicht einige Dunkelheit mit ſich fuͤhre. Daraus folgt, daß wenn kein dunkler Koͤrper in der Welt waͤre, weder eine Ruͤckſtrahlung des Lichtes, noch in den verſchiedenen Mitteln eine Brechung deſſel - ben, und auch keine Farbe ſichtbar ſeyn wuͤrde, als jene erſte, die zugleich im Lichte mit geſchaffen iſt. Hebt man aber die Farbe auf, ſo wird zugleich alles Sehen aufgehoben, da alles Sichtbare nur vermoͤge der gefaͤrbten Oberflaͤche geſehen wird; ja der leuch -280 tende Koͤrper der Sonne koͤnnte nicht einmal geſehen werden, wenn er nicht dunkel waͤre, dergeſtalt daß er unſerem Sehen widerſtuͤnde; woraus unwiderſprechlich folgt, daß kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht auf irgend eine Weiſe ſeyn koͤnne. Ja der ganze Schmuck der Welt iſt aus Licht und Schatten dergeſtalt bereitet, daß wenn man eins von beyden wegnaͤhme, die Welt nicht mehr cosmos heißen, noch die verwundernswuͤrdige Schoͤnheit der Natur auf irgend eine Weiſe dem Geſicht ſich darſtellen koͤnnte. Denn alles was ſichtlich in der Welt iſt, iſt es nur durch ein ſchattiges Licht, oder einen lichten Schatten. Da alſo die Farbe die Eigenſchaft eines dunklen Koͤr - pers iſt, oder wie einige ſagen, ein beſchattetes Licht, des Lichts und des Schattens aͤchte Ausgeburt; ſo haben wir hier davon zu handlen, auf daß die groͤßte Zierde der irdiſchen Welt und wie viel Wunderſames dadurch bewirkt werden kann, dem Leſer bekannt werde.

Erſtes Capitel. Unſer Verfaſſer moͤchte, um ſich ſogleich ein recht methodiſches Anſehn zu geben, eine Definition voraus ſchicken, und wird nicht gewahr, daß man eigentlich ein Werk ſchreiben muß, um zur Definition zu kommen. Auch iſt hier weiter nichts geleiſtet, als daß dasjenige angefuͤhrt und wiederhohlt wird, wie die Griechen ſich uͤber dieſen Gegenſtand auszudruͤcken pflegten.

Zweytes Capitel. Von der vielfachen Man - nigfaltigkeit der Farben. Er haͤlt ſich hiebey an das281 Schema des Aguilonius, das er mit einiger Ver - aͤnderung benutzt. Er behauptet, alle Farben ſeyen wahr, worin er in gewiſſem Sinne Recht hat, will von den andern Eintheilungen nichts wiſſen, worin er didactiſch Unrecht hat. Genug er gruͤndet ſich darauf, daß jede Farbe, ſie moͤge an Koͤrpern oder ſonſt erſcheinen, eine wahre entſchiedene Urſache hinter ſich habe.

Drittes Capitel. Chromatismus der Luft. Er handelt von den Farben des Himmels und des Mee - res und bringt verſchiedene aͤltere Meynungen uͤber die Blaͤue der Luft vor. Wir uͤberſetzen die Stelle, welche ſeine eigenen Gedanken enthaͤlt, um den Leſer urthei - len zu laſſen, wie nahe er an der aͤchten Erklaͤrungs - art geweſen. Denn er fuͤhlt die Bedeutſamkeit des nicht voͤllig Durchſichtigen, wodurch wir ja zunaͤchſt auf die Truͤbe hingeleitet werden.

Warum der Himmel blau erſcheint.

Zuvoͤrderſt muß man wiſſen, daß unſer Geſicht nichts ſehen koͤnne, als was eine Farbe hat. Weil aber das Geſicht nicht immer auf dunkle Koͤrper oder Koͤrper von gefaͤrbter Oberflaͤche gerichtet iſt, ſondern auch ſich in den unendlichen Luftraum und in die himmliſchen durchſichtigen Fernen, welche keine Duͤ - ſternheit haben, verliert, wie wenn wir den heiteren Himmel und entfernte hohe Gebirgsgipfel betrachten; ſo war, damit eine ſolche Handlung nicht ihres Zwe -282 ckes beraubt werde und ſich im Graͤnzenloſen verliere, die Natur ſchuldig, jenem durchſichtigen unendlichen Mittel eine gewiſſe Farbe zu verleihen, auf daß der Blick eine Graͤnze faͤnde, nicht aber in Finſterniß und Nichts ausliefe. Eine ſolche Farbe nun konnte weder Weiß, Gelb noch Roth ſeyn, indem die - ſe, als dem Licht benachbart und verwandt, einen unterliegenden Gegenſtand verlangen, um geſehen werden zu koͤnnen. Denn was nahe iſt, vergleicht ſich dem Lichte, und das Fernſte der Finſterniß. Deswegen auch helle Farben, wenn man ſie in einem beſtimmten Raum gewahr wird, deſtomehr zum Schatten und zur Finſterniß ſich neigen, jemehr ſie ſich vom Lichte oder der Sehkraft entfernen. Der Blick jedoch, der in jene unendliche aͤtheriſche Raͤume dringt, ſollte zuletzt begraͤnzt werden und war ſowohl wegen der unendlichen Ferne, als wegen der unendlichen Ver - mannigfaltigung der Luftſchichten nur durch Finſter - niß zu begraͤnzen, eine ſchwarze Farbe aber wollte ſich weder fuͤr die Augen, noch fuͤr die Welt ſchicken; deswegen berieth ſich die Natur aufs weiſeſte, und zwiſchen den lichten Farben, dem Weißen, Gelben und Rothen und dem eigentlich Finſtern fand ſich eine Mittelfarbe, naͤmlich die blaue, die aus einer unglei - chen Miſchung des Lichtes und der Finſterniß be - ſtand. Durch dieſe nun, wie durch einen hoͤchſt an - genehmen Schatten, ſollte der Blick begraͤnzt ſeyn, daß er vom Hellen nicht ſo ſehr zerſtreut, vom Finſtern nicht zu ſehr zuſammengezogen oder von dem Rothen entzuͤndet wuͤrde, und ſo ſtellte die Natur das Blaue283 dazwiſchen, zunaͤchſt an der Finſterniß, ſo daß das Auge, ohne verletzt zu werden, die erfreulichen Him - melsraͤume durch ihre Vorſehung mit Vergnuͤgen und Bewunderung betrachten kann.

Die Naivetaͤt, womit Kircher um die Sache her - umgeht, iſt merkwuͤrdig genug. Man koͤnnte ſie comiſch nennen, wenn man nicht dabey ein treues Beſtreben wahrnaͤhme. Und iſt er es doch nicht allein, ſind doch bis auf den heutigen Tag noch Menſchen, denen die Vorſtellungsart der Endurſachen gefaͤllt, weil ſie wirklich etwas geiſtiges hat und als eine Art von Anthropomorphism angeſehen werden kann. Dem Aufmerkſameren freylich wird nicht entgehen, daß man der Natur nichts abgewinnen kann, wenn man ihr, die bloß nothwendig handelt, einen Vorſatz unter - ſchiebt und ihren Reſultaten ein zweckmaͤßiges Anſehen verleihen moͤchte.

Viertes Capitel. Chromatismus der Bre - chung. Die Farben des Prismas erklaͤrt er wie An - tonius de Dominis dadurch, daß die hellſten Farben beym Durchgang durch die ſchwaͤchſte Seite des Gla - ſes, die dunkelſten beym Durchgang durch die ſtaͤrk - ſten Seiten des Glaſes entſtehen.

Die Erfahrung mit dem nephritiſchen Holze traͤgt er weitlaͤuftig vor.

Fuͤnftes Capitel. Chromatismus der Me -284 talle, Gefaͤrbtheit durchſichtiger Steine, der Salze, der Metallkalke.

Sechſtes Capitel. Chromatismus der Pflan - zen. Beſonders wird gefragt: wie man Pflanzen faͤrben koͤnne.

Siebentes Capitel. Chromatismus der Thiere. Er bringt zur Sprache warum Pferde nicht gruͤn und blau ſeyn koͤnnen; warum die vierfuͤßigen Thiere nicht goldfarben ausſehen, warum hingegen die Voͤgel und Inſekten alle Arten von Farben an - nehmen. Auf welche Fragen durchaus er, wie man wohl erwarten kann, keine befriedigende Antwort gibt. Von den Farben des Chamaͤleons werden eigene Er - fahrungen beygebracht.

Achtes Capitel. Vom Urtheil nach Farben, und zwar zuerſt von den Farben des Himmels, der Wolken; Beurtheilung der Steine, Pflanzen und Thiere nach den Farben. Hiezu werden Regeln ge - geben. Beurtheilung der Menſchen, ihre Complexion und ſonſtige Eigenſchaften betreffend, nach den ver - ſchiedenen Farben der Haut, der Augen, der Haare. Der Farben des Urins wird gedacht, wobey zu be - merken iſt, daß bey Gelegenheit des Urins die Farben ſchon fruͤher zur Sprache gekommen, und wenn wir nicht irren, ein Buͤchlein de Urinis der Abhandlung des Theophraſt uͤber die Farben bey einer fruͤheren Edition hinzugefuͤgt iſt.

285

Kircher hat bey dem Vielen, was er unternommen und geliefert, in der Geſchichte der Wiſſenſchaften doch einen ſehr zweydeutigen Ruf. Es iſt hier der Ort nicht, ſeine Apologie zu uͤbernehmen; aber ſoviel iſt gewiß: die Naturwiſſenſchaft kommt uns durch ihn froͤhlicher und heiterer entgegen, als bey keinem ſeiner Vorgaͤnger. Sie iſt aus der Studierſtube, vom Ca - theder in ein bequemes wohlausgeſtattetes Kloſter ge - bracht, unter Geiſtliche, die mit aller Welt in Ver - bindung ſtehen, auf alle Welt wirken, die Menſchen belehren aber auch unterhalten und ergetzen wollen.

Wenn Kircher auch wenig Probleme aufloͤſt, ſo bringt er ſie doch zur Sprache und betaſtet ſie auf ſeine Weiſe. Er hat eine leichte Faſſungskraft, Be - quemlichkeit und Heiterkeit in der Mittheilung, und wenn er ſich aus gewiſſen techniſchen Spaͤßen, Per - ſpectiv - und Sonnenuhr-Zeichnungen gar nicht los - winden kann, ſo ſteht die Bemerkung hier am Platze, daß, wie jenes im vorigen Jahrhundert bemerkliche hoͤhere Streben nachlaͤßt, wie man mit den Eigen - ſchaften der Natur bekannter wird, wie die Technik zunimmt, man nun das Ende von Spielereyen und Kuͤnſteleyen gar nicht finden, ſich durch Wiederhohlung und mannigfaltige Anwendung eben derſelben Er - ſcheinung, eben deſſelben Geſetzes, niemals erſaͤttigen kann; wodurch zwar die Kenntniß verbreitet, die Ausuͤbung erleichtert, Wiſſen und Thun aber zuletzt geiſtlos wird. Witz und Klugheit arbeiten indeſſen jenen Forderungen des Wunderbaren entgegen und machen die Taſchenſpielerey vollkommner.

286

Wir wollen hier noch zum Schluſſe des Pater Bonacurſius gedenken, der mit Kirchern auf die Dauer des Bildeindrucks im Auge aufmerkſam ward. Zu - faͤlligerweiſe war es das Fenſterkreuz, das ſie von jener merkwuͤrdigen phyſiologiſchen Erſcheinung belehrte, und es iſt ihnen als Geiſtlichen nicht zu verargen, daß ſie zuerſt der Heiligkeit dieſer mathematiſchen Figur eine ſolche Wunderwirkung zuſchrieben. Uebri - gens iſt dieß einer von den wenigen Faͤllen, wo eine Art von Aberglaube ſich zur Betrachtung der Far - benerſcheinung geſellt hat.

Marcus Marci.

geb. 1595. geſt. 1667.

Die großen Wirkungen, welche Keppler und Tycho de Brahe, in Verbindung mit Galilei, im ſuͤdlichen Deutſchland hervorgebracht, konnten nicht ohne Folge bleiben, und es laͤßt ſich bemerken, daß in den kaiſer - lichen Staaten, ſowohl bey einzelnen Menſchen als ganzen Geſellſchaften, dieſer erſte kraͤftige Anſtoß immer fortwirkt.

Marcus Marci, etliche und zwanzig Jahre juͤnger als Keppler, ob er ſich gleich vorzuͤglich auf Sprachen gelegt hatte, ſcheint auch durch jenen mathematiſch - aſtronomiſchen Geiſt angeregt worden zu ſeyn. Er war zu Landscron geboren und zuletzt Profeſſor in287 Prag. Bey allen ſeinen Verdienſten, die von ſeinen gleichzeitigen Landsleuten hoͤchlich geſchaͤtzt wurden, fehlte es ihm doch eigentlich, ſoviel wir ihn beurthei - len koͤnnen, an Klarheit und durchdringendem Sinn. Sein Werk, das uns hier beſonders angeht, Thauman - tias, Liber de arcu coelesti, deque Colorum ap - parentium natura, ortu et causis, zeugt von dem Ernſt, Fleiß und Beharrlichkeit des Verfaſſers; aber es hat im Ganzen etwas Truͤbſeliges. Er iſt mit den Alten noch im Streit, mit den Neuern nicht einig, und kann die Angelegenheit, mit der er ſich eigentlich beſchaͤftigt, nicht in die Enge bringen; welches freylich eine ſchwere Aufgabe iſt, da ſie nach allen Seiten hindeutet.

Einſicht in die Natur kann man ihm nicht ab - ſprechen; er kennt die prismatiſchen Verſuche ſehr ge - nau; die dabey vorkommende farbloſe Refraction, die Faͤrbung ſowohl in objectiven als ſubjectiven Faͤllen, hat er vollſtaͤndig durchgearbeitet: es mangelt ihm aber an Sonderungsgabe und Ordnungsgeiſt. Sein Vor - trag iſt unbequem, und wenn man auch begreift, wie er auf ſeinem Weg, zum Zweck zu gelangen glaubte; ſo iſt es doch aͤngſtlich, ihm zu folgen.

Bald ſtellt er fremde Saͤtze auf, mit denen er ſtreitet, bald ſeine eigenen, denen er gleichfalls op - ponirt, ſodann aber ſie wieder rechtfertigt, dergeſtalt daß nichts auseinander tritt, vielmehr eins uͤber das andre hingeſchoben wird.

288

Die prismatiſchen Farben entſtehen ihm aus einer Condenſation des Lichts; er ſtreitet gegen die, welche den Schatten zu einer nothwendigen Bedingung dieſer Erſcheinung machen, und muß doch bey ſubjectiven Verſuchen sepimenta und insterstitia umbrosa ver - langen und hinzufuͤgen: cujus ratio est, quod spe - cies lucis aut color se mediam infert inter umbro - sa intervalla. Auch iſt zu bemerken, daß wir bey ihm ſchon eine diverſe Refraction finden.

So wie in Methode und Vortrag, alſo auch in Sprache und Styl iſt er Kepplern entgegengeſetzt. Wenn man bey dieſem mit Luſt Materien abgehandelt ſieht, die man nicht kennt, und ihn zu verſtehen glaubt; ſo wird bey jenem dasjenige, was man ſehr gut ver - ſteht, wovon wir die genaueſte Kenntniß haben, durch eine duͤſtre Behandlung verworren, truͤb, ja man darf ſagen ausgeloͤſcht. Um ſich hiervon zu uͤberzeugen, leſe derjenige, dem die ſubjectiven prismatiſchen Ver - ſuche vollkommen bekannt ſind, die Art, wie der Verfaſſer das Phaͤnomen erklaͤrt S. 177.

De la Chambre.

geb. 1594. geſt. 1669.

La Lumiere, par le Sieur De la Chambre, Conseiller du Roy en Ses Conseils, et son Mede - cin ordinaire. Paris 1657.

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Kircher hatte ausgeſprochen, daß die Farben Kin - der des Lichts und des Schattens ſeyen; Carteſius hatte bemerkt, daß zum Erſcheinen der prismatiſchen Farben eine Beſchraͤnkung mitwirken muͤſſe: man war alſo von zwey Seiten her auf dem Wege, das Rechte zu treffen, indem man jenen dem Licht entgegengeſetzten Bedingungen ihren integrirenden und conſtituirenden Antheil an der Farbenerſcheinung zugeſtand.

Man warf ſich jedoch bald wieder auf die ent - gegengeſetzte Seite und ſuchte alles in das Licht hin - einzulegen, was man hernach wieder aus ihm heraus - demonſtriren wollte. Der einfache Titel des Buchs La Lumiere, im Gegenſatz mit dem Kircheriſchen, iſt recht charakteriſtiſch. Es iſt dabey darauf angeſehen, alles dem Lichte zuzuſchieben, ihm alles zuzuſchreiben, um nachher alles wieder von ihm zu fordern.

Dieſe Geſinnung nahm immer mehr uͤberhand, jemehr man ſich dem Ariſtoteles entgegenſtellte, der das Licht als ein Accidens, als etwas, das einer be - kannten oder verborgenen Subſtanz begegnen kann, an - geſehen hatte. Nun wurde man immer geneigter, das Licht wegen ſeiner ungeheuern Wirkungen nicht als etwas Abgeleitetes anzuſehen; man ſchrieb ihm viel - mehr eine Subſtanz zu, man ſah es als etwas Ur - ſpruͤngliches, fuͤr ſich Beſtehendes, Unabhaͤngiges, Unbe - dingtes an; doch mußte dieſe Subſtanz, um zu erſchei - nen, ſich materiiren, materiell werden, Materie wer - den, ſich koͤrperlich und endlich als Koͤrper darſtellen,II. 19290als gemeiner Koͤrper, der nun Theile aller Art[ent - halten], auf das verſchiedenſte und wunderlichſte ge - miſcht, und ungeachtet ſeiner anſcheinenden Einfalt als ein heterogenes Weſen angeſehen werden konnte. Dieß iſt der Gang, den von nun an die Theorie nimmt, und die wir in der Newtoniſchen Lehre auf ihrem hoͤchſten Puncte finden.

Jene fruͤhere Erklaͤrungsart aber, die wir durch Kirchern umſtaͤndlicher kennen gelernt, geht neben der neuern bis zu Ende des Jahrhunderts immer parallel fort, bildet ſich immer mehr und mehr aus und tritt noch einmal zuletzt ganz deutlich in Nuguet hervor, wird aber von der Newtoniſchen voͤllig verdraͤngt, nach - dem ſie vorher durch Boyle bey Seite geſchoben war.

De la Chambre ſelbſt erſcheint uns als ein Mann von ſehr ſchwachen Kraͤften: es iſt weder Tiefe in ſeinen Conceptionen, noch Scharfſinn in ſeinen Controverſen. Er nimmt vier Arten Licht in der Natur an; die erſte ſey das innere, radicale, gewiſſen Koͤrpern weſentliche, das Licht der Sonne, der Sterne, des Feuers; das andre ein aͤußeres, abgeleitetes, voruͤbergehendes, das Licht der von jenen Koͤrpern erleuchteten Gegenſtaͤnde. Nun gibt es, nach ſeiner Lehre, noch andre Lichter, die vermindert und geſchwaͤcht ſind und nur einige Theile jener Vollkommenheit beſitzen, das ſind die Farben. Man ſieht alſo, daß von einer Seite eine Bedingung zugegeben werden muß, die das Licht ſchwaͤcht, und daß man von der andern wieder dem Lichte eine Eigen -291 ſchaft zuſchreibt, gleichſam ohne Bedingung geſchwaͤch - ſeyn zu koͤnnen. Wir wollen uͤbrigens dem Verfaſſer in ſeiner Deduction folgen.

Erſter Artikel. Daß das aͤußre Licht von der - ſelben Art ſey wie das radicale. Nachdem er Wirkun und Urſache getrennt, welche in der Natur voͤllig zu - ſammen fallen, ſo muß er ſie hier wieder verknuͤpfen und alſo ſeine Eintheilung gewiſſermaßen wieder auf - heben.

Zweyter Artikel. Daß die apparenten Far - ben nichts anders als das Licht ſelbſt ſeyen. Auch hier muß er das Mittel, wodurch das Licht durchgeht, als Bedingung vorausſetzen; dieſe Bedingung ſoll aber nichts als eine Schwaͤchung hervorbringen.

Dritter Artikel. Das Licht vermiſche ſich nicht mit der Dunkelheit (obscurité). Es iſt ja aber auch nicht von der Dunkelheit die Rede, ſondern von dem Schatten, mit welchem das Licht ſich auf manche Weiſe verbinden, und der unter gewiſſen Umſtaͤnden zur Bedingung werden kann, daß Farben erſcheinen, ſo wie bey den Doppelbildern ſchattengleiche Halbbilder entſtehen, welche eben in den Fall kommen koͤnnen farbig zu ſeyn. Alles uͤbrige ſchon oft Geſagte wollen wir hier nicht wiederhohlen.

Vierter Artikel. Das Licht vermiſche ſich nicht mit dem Duͤſtern (opacité). Bey dem prisma -19 *292tiſchen Falle, wovon er ſpricht, mag er zwar in ge - wiſſem Sinne Recht haben: denn die Farben entſtehen nicht aus dem einigermaßen Duͤſtern des Prismas, ſondern an dem zugleich gewirkten Doppelbilde. Hat man aber die Lehre vom Truͤben recht inne; ſo ſieht man, wie das, was man allenfalls auch duͤſter nennen koͤnnte, naͤmlich das nicht vollkommen Durchſichtige, das Licht bedingen kann, farbig zu erſcheinen.

Fuͤnfter Artikel. Daß das Licht, indem es ſich in Farbe verwandelt, ſeine Natur nicht veraͤndere. Hier wiederhohlt er nur die Behauptung: die Farben ſeyen bloß geſchwaͤchte Lichter.

Sechſter Artikel. Welche Art von Schwaͤ - chung das Licht in Farbe verwandle. Durch ein Gleich - niß vom Ton hergenommen unterſcheidet er zwey Ar - ten der Schwaͤchung des Lichtes: die erſte vergleicht er einem Ton, der durch die Entfernung geſchwaͤcht wird, und das iſt nun ſeine dritte Art Licht; die zweyte ver - gleicht er einem Ton, der von der Tiefe zur Hoͤhe uͤbergeht und durch dieſe Veraͤnderung ſchwaͤcher wird, dieſes iſt nun ſeine vierte Art Licht, naͤmlich die Far - be. Die erſte Art moͤchte man eine quantitative und die zweyte eine qualitative nennen, und dem Verfaſſer eine Annaͤhrung an das Rechte nicht ablaͤngnen. Am Ende, nachdem er die Sache weitlaͤuftig auseinander geſetzt, zieht er den Schluß, daß die Farben nur ge - ſchwaͤchte Lichter ſeyn koͤnnen, weil ſie nicht mehr die Lebhaftigkeit haben, welche das Licht beſaß, woraus ſie293 entſpringen. Wir geben gern zu, daß die Farben als geſchwaͤchte Lichter angeſehen werden koͤnnen, die aber nicht aus dem Licht entſpringen, ſondern an dem Licht gewirkt werden.

Siebenter Artikel. Daß die apparenten und die fixen Farben beyde von einerley Art ſeyen. Daß die ſaͤmmtlichen Farben, die phyſiologiſchen apparenten und fixen, unter einander in der groͤßten Verwandtſchaft ſte - hen, waͤre Thorheit zu laͤugnen. Wir ſelbſt haben dieſe Verwandtſchaft in unſerm Entwurfe abzuleiten und, wo es nicht moͤglich war ſie ganz durchzufuͤhren, ſie we - nigſtens anzudeuten geſucht.

Achter Artikel. Daß die fixen Farben nicht vom Sonnenlichte herkommen. Er ſtreitet hier gegen diejenigen, welche die Oberflaͤche der Koͤrper aus ver - ſchieden geſtalteten Theilchen zuſammenſetzen und von dieſen das Licht verſchiedenfarbig zuruͤckſtrahlen laſſen. Da wir den fixen Farben einen chemiſchen Urſprung zugeſtehen und eine gleiche Realitaͤt wie andern chemi - ſchen Phaͤnomenen; ſo koͤnnen wir den Argumenten des Verfaſſers beytreten. Uns iſt Lacmus in der Fin - ſterniß ſo gut gelbroth als der zugemiſchte Eſſig ſauer, eben ſo gut blauroth als das dazugemiſchte Alcali fade. Man koͤnnte, um es hier im Vorbeygehen zu ſagen, die Farben der Finſterniß auch intentionell nen - nen: ſie haben die Intention eben ſo gut, zu erſcheinen und zu wirken, als ein Gefangner im Gefaͤngniß, frey zu ſeyn und umher zu gehen.

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Neunter Artikel. Daß die Farben keine Flammen ſeyen. Dieſes iſt gegen den Plato gerichtet, der indeſſen, wenn man ſeine Rede gleichnißweiſe neh - men will, der Sache nahe genug kommt: denn der Verfaſſer muß ja im

Zehnten Artikel behaupten: daß die fixen Farben innerliche Lichter der Koͤrper ſeyen. Was hier zur Sprache kommt, druͤckt ſich viel beſſer aus durch die ſpaͤter von De la Val hauptſaͤchlich urgirte nothwen - dige Bedingung zum Erſcheinen der fixen Farben, daß ſie naͤmlich einen hellen Grund hinter ſich haben muͤſ - ſen, bis zu dem das auffallende Licht hindurchdringt, durch die Farbe zum Auge zuruͤckkehrt, ſich mit ihr gleichſam tingirt und auf ſolche Weiſe ſpecifiſch fort - wirkt. Das Gleiche geſchieht beym Durchſcheinen eines urſpruͤnglich farbloſen Lichtes durch transparente farbige Koͤrper oder Flaͤchen Wie nun aber dieß zugehe, daß die den Koͤrpern angehoͤrigen Lichter durch das radicale Licht aufgeweckt werden, daruͤber verſpricht uns der Verfaſſer in ſeinem Capitel von der Wirkung des Lich - tes zu belehren, wohin wir ihm jedoch zu folgen nicht rathſam finden. Wir bemerken nur noch, daß er in ſeinem

Elften Artikel nun die vier verſchiedenen Lich - ter fertig hat, naͤmlich das Licht, das den leuchtenden Koͤrpern angehoͤrt, dasjenige was ſie von ſich abſchi - cken, das Licht das in den fixen Farben ſich befindet, und das was von dieſen als Wirkung, Gleichniß,295 Gleichartiges, Species, espèce abgeſendet wird. Da - durch erhaͤlt er alſo zwey vollkommene und voͤllig ra - dicale, den Koͤrpern eigene, ſo wie zwey geſchwaͤchte und verminderte aͤußerliche und voruͤbergehende Lichter.

Auf dieſem Wege glaubt er nun dem Licht oder den Lichtern, ihrem Weſen und Eigenſchaften naͤher zu dringen, und ſchreitet nun im zweyten Capitel des er - ſten Buchs zur eigentlichen Abhandlung. Da jedoch das was uns intereſſirt, naͤmlich ſeine Geſinnung uͤber Farbe, in dem erſten Capitel des erſten Buchs voͤllig ausgeſprochen iſt, ſo glauben wir ihm nicht weiter fol - gen zu muͤſſen, um ſo weniger, als wir ſchon den Ge - winn, den wir von der ganzen Abhandlung haben koͤnnten, nach dem bisher Geſagten, zu ſchaͤtzen im Stande ſind.

Iſaac Voſſius.

Geb. 1618. geſt. 1689.

Sohn und Bruder vorzuͤglicher Gelehrten und fuͤr die Wiſſenſchaften thaͤtiger Menſch. Fruͤhe wird er in alten Sprachen und den damit verbundenen Kenntniſ - ſen unterrichtet. In ihm entwickelt ſich eine leiden - ſchaftliche Liebhaberey zu Manuſcripten. Er beſtimmt ſich zum Herausgeber alter Autoren und beſchaͤftigt ſich vorzuͤglich mit geographiſchen und aſtronomiſchen Wer - ken. Hier mag er empfinden, wie nothwendig zu Be -296 arbeitung derſelben Sachkenntniſſe gefordert werden; und ſo naͤhert er ſich der Phyſik und Mathematik. Weite Reiſen befoͤrdern ſeine Naturanſchauung.

Wie hoch man ſeine eigenen Arbeiten in dieſem Fache anzuſchlagen habe, wollen wir nicht entſcheiden. Sie zeugen von einem hellen Verſtand und ernſten Wil - len. Man findet darin originelle Vorſtellungsarten, welche uns Freude machen, wenn ſie auch mit den unſrigen nicht uͤbereinſtimmen. Seine Zeitgenoſſen, meiſt Descartes Schuͤler, ſind uͤbel mit ihm zufrieden und laſſen ihn nicht gelten.

Uns intereſſirt hier vorzuͤglich ſein Werk de Lucis natura et proprietate. Amstelodami 1662; wozu er ſpaͤter einen polemiſchen Nachtrag herausgegeben. Wie er uͤber die Farben gedacht, laſſen wir ihn ſelbſt vor - tragen.

Im drey und zwanzigſten Kapitel. Alle einfachen Koͤrper ſeyen durchſichtig.

Opak, d. h. undurchſichtig, werden alle Koͤrper genannt, die gefaͤrbt ſind und das Licht nicht durchlaſ - ſen. Genau genommen iſt eigentlich nichts vollkommen durchſichtig, als der leere Raum, indem die meiſten Koͤrper, ob ſie gleich klar erſcheinen, eben weil ſie ge - ſehen werden, offenbar etwas von Undurchſichtigkeit an ſich haben.

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Vier und zwanzigſtes Kapitel. Die Farben ſeyen kein Licht, und woher ſie entſpringen.

Daß alſo einige Koͤrper durchſichtig, andre aber opak erſcheinen, dieſes ruͤhrt von nichts anderm als von der Beymiſchung der Farbe her. Wenn es keine Farben gaͤbe, ſo wuͤrde alles durchſichtig oder weiß ausſehen. Es gibt keinen Koͤrper, er ſey fluͤſſig oder feſt und dicht, der nicht ſogleich durchſichtig wuͤrde, ſobald man die Farbe von ihm trennt. Daher iſt die Meynung derer nicht richtig, welche die Farbe ein mo - dificirtes Licht nennen, da dem Lichte nichts ſo entge - gen iſt als die Farbe. Wenn die Farben Licht in ſich haͤtten, ſo wuͤrden ſie auch des Nachts leuchten, wel - ches doch nicht der Fall iſt.

Urſache und Urſprung der Farben daher kommt allein von dem Feuer oder der Waͤrme. Wir koͤnnen dieſes daran ſehen, daß in kalten Gegenden alles weiß iſt, ja ſelbſt die Thiere weiß werden, beſonders im Win - ter. Die Weiße aber iſt mehr der Anfang der Farben als Farbe ſelbſt.

An heißen Orten hingegen findet ſich die ganze Mannigfaltigkeit der Farben. Was auch die Sonne mit ihren guͤnſtigen Strahlen beſcheint, dieſes nimmt ſogleich eine angenehme und erfreuliche Faͤrbung an. Findet ſich auch in kalten Gegenden manchmal etwas gefaͤrbtes, ſo iſt es doch nur ſelten und ſchwach, und298 deutet mehr auf ein Beſtreben einer abnehmenden Na - tur, als ihre Macht und Gewalt an; wie denn ein einziges indiſches Voͤgelchen eine groͤßere Farbenman - nigfaltigkeit leiſtet, als das ſaͤmmtliche Voͤgelgeſchlecht, das norwegiſche und ſchwediſche Waͤlder bevoͤlkert. Eben ſo verhaͤlt ſichs mit den uͤbrigen Thieren, Pflanzen und Blumen; denn in jenen Gegenden findeſt du nicht einmal die Thaͤler mit leuchtenden und lebhaften Far - ben geſchmuͤckt, man muͤßte ſie denn durch Kunſt her - vorbringen, oder der Boden muͤßte von einer beſon - dern Beſchaffenheit ſeyn. Gelangt man weiter nach Norden, ſo begegnet einem nichts als Graues und Wei - ßes. Deswegen nehmen wir an: die Urſache der Far - ben ſey das Verbrennen der Koͤrper.

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel. Die Materie der Farben ruͤhre von der Eigenſchaft des Schwefels her.

Der Grundſtoff der Farben ſchreibt ſich nirgends anders her als von dem Schwefel, der einem jeden Koͤrper beygemiſcht iſt. Nach dem verſchiedenen Bren - nen dieſes Elements entſtehen auch die verſchiedenen Farben: denn der natuͤrliche Schwefel, ſo lange er weder Waͤrme noch Feuer erfahren hat, iſt durchſichtig; wird er aufgeloͤſt, dann nimmt er verſchiedene Farben an und verunreinigt die Koͤrper, denen er beygemiſcht iſt. Und zwar erſcheint er zuerſt gruͤn, dann gelb, ſodann roth, dann purpurfarb und zuletzt wird er ſchwarz. Iſt aller Schwefel erſchoͤpft und verzehrt, dann loͤſen ſich die Koͤrper auf, alle Farbe geht weg und nichts299 bleibt als eine weiße oder durchſichtige Aſche; und ſo iſt die Weiße der Anfang aller Farben, und das Schwarze das Ende. Das Weiße iſt am wenigſten Farbe; das Schwarze hingegen am meiſten. Und nun wollen wir die einzelnen Arten und Stufen der Farbe durchgehen.

Sechs und zwanzigſtes Kapitel. Die Ordnung der Farben.

Die erſte Farbe daher, wenn man es Farbe nen - nen kann, iſt das Weiße. Dieſes tritt zunaͤchſt an das Durchſichtige, und da alle Koͤrper von Natur durchſich - tig ſind, ſo kommt hier zuerſt das Duͤſtre (opacitas) hin - zu und der Koͤrper wird ſichtbar bey dem geringſten Lichte, auch wenn der Schwefel nicht ſchmilzt, den wir jedem Koͤrper zugeſchrieben haben. Denn jeder durch - ſichtige Koͤrper, wenn er zerrieben wird, ſo daß eine Verſchiedenheit der Oberflaͤchen entſteht, erſcheint ſo - gleich als weiß, und es iſt ganz einerley, ob die Ma - terie feſt oder fluͤſſig geweſen. Man verwandle Waſſer zu Schaum, oder Glas in Pulver, ſo wird ſich die Durchſichtigkeit ſogleich in das Weiße verwandeln. Und zwar iſt dieſes die erſte Art des Weißen, und wenn du ſie allein betrachteſt; ſo kann man die Weiße nur uneigentlich zu den Farben zaͤhlen. Denn wenn du die einzelnen Koͤrperchen und ihre kleinſten Oberflaͤchen be - ſonders anſiehſt, ſo bleibt ihnen die Durchſichtigkeit, und bloß die Stellung, die Lage der Koͤrper betriegt den Anblick.

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Aber eine andre Art des Weißen gibt es, wenn in einem durchſichtigen Koͤrper durch Einwirkung des Lichtes und der Waͤrme die zarteren Theile des Schwe - fels ſchmelzen und angezuͤndet werden: denn da auf dieſe Weiſe die Koͤrper austrocknen und duͤnner wer - den, ſo folgt daraus, daß auch verſchiedene neue Ober - flaͤchen entſtehen; und auf dieſe Art werden durchſich - tige Dinge, auch ehe die Tinctur des Schwefels hin - zutritt, weiß. Denn es iſt eine allgemeine Regel, daß jeder klein zerſtuͤckte Koͤrper weiß werde, und umge - kehrt, daß jeder weiße Koͤrper aus kleinen durchſichti - gen Theilen beſtehe.

Zunaͤchſt an der Weiße folgen zwey Farben, das blaͤſſere Gruͤn und das Gelbe. Iſt die Waͤrme ſchwach, die das, was ſchweflicht iſt, in den Koͤrpern aufloͤſen ſoll; ſo geht das Gruͤne voraus, welches roher und waͤßriger iſt als das Gelbe. Verurſacht aber die Waͤr - me eine maͤchtigere Kochung; ſo tritt ſogleich nach dem Weißen ein Gelbes hervor, das reifer iſt und feuriger. Folgt aber auf dieſe Art das Gelbe dem Weißen, ſo bleibt kein Platz mehr fuͤr das Gruͤne. Denn auch in den Pflanzen wie in andern Koͤrpern, wenn ſie gruͤn werden, geht das Gruͤne dem Gelben voraus.

In welcher Ordnung man auch die Farben zaͤhlt, ſo iſt die mittlere immer roth. Am maͤchtigſten iſt hier das flammende Roth, und dieſes entſteht nicht aus dem Weißen und Schwarzen, ſondern es iſt dem Schwefel ſeinen Urſprung ſchuldig. Und doch laſſen ſich aus dem301 Rothen, dem Weißen und dem Schwarzen alle Farben zuſammenſetzen.

Entſteht naͤmlich eine groͤßere Verbrennung der Koͤrper und des Schwefels, ſo erſcheint die Purpur - und blaue Farbe, deren Miſchung bekannt iſt. Die Graͤnze der Farbe jedoch, ſo wie die letzte Verbren - nung iſt die Schwaͤrze. Dieſes iſt die letzte Tinctur des Schwefels und ſeine letzte Wirkung. Hierauf folgt die Aufloͤſung der Koͤrper. Wenn aber der Schwefel erſchoͤpft und die Feuchtigkeit aufgezehrt iſt, ſo bleibt nichts als die weiße und durchſichtige Aſche. Gibſt du dieſer die Feuchtigkeit und den Halt wieder, ſo kehren die Koͤrper in ihren erſten Zuſtand zuruͤck.

In denjenigen Flammen, wie ſie taͤglich auf un - ſerm Heerde aufſteigen, iſt die entgegengeſetzte Ord - nung der Farben. Denn je dunkler die Tinctur des Schwefels in der Kohle iſt, deſto reiner und weißer ſteigt die Flamme auf. Jedoch iſt die Flamme, die zu - erſt aufſteigt, wegen beygemiſchten Unraths, dunkel und finſter; dann wird ſie purpurfarb, dann roͤthet ſie ſich und wird gelb. Faͤngt ſie an weiß zu werden, ſo iſt es ein Zeichen, daß Schwefel und brennbare Ma - terien zu Ende gehen.

Es gibt aber weder eine voͤllig ſchwarze, noch voͤllig weiße Flamme. Wird ſie zu ſehr verdunkelt, dann iſt es Rauch, nicht Flamme; wird ſie zu ſehr weiß, ſo kann ſie auch nicht laͤnger beſtehen, da ihr der Schwefel ausgeht.

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Und ſo glaub ich, iſt deutlich genug, warum verſchiedene Koͤrper, nach der verſchiedenen Tinctur des Schwefels, ſich auf eine verſchiedene Weiſe gefaͤrbt ſehen laſſen, und ich hoffe, hier werden mir die Chemi - ker nicht entgegen ſeyn, die, ob ſie gleich, wie uͤber - haupt, alſo auch von den Farben, ſehr verworren und raͤthſelhaft ſprechen, doch nicht viel von dem, was wir bisher ausgeſprochen, abzuweichen ſcheinen.

Sieben und zwanzigſtes Kapitel. Wie die apparenten Farben erzeugt werden.

Nun iſt aber eine andere Frage zu beantworten, welche verwickelter und ſchwerer iſt: woher naͤmlich die Farben kommen, welche von ihren Koͤrpern gewiſ - ſermaßen abgeſondert ſind, welche man die apparenten nennt, wie die Farben des Regenbogens, der Morgen - roͤthe und die, welche durch glaͤſerne Prismen ſich aus - breiten. Aus dem, was wir geſagt haben, erhellt, wie mich duͤnkt, genugſam, daß die Flamme jederzeit der Farbe des Schwefels folgt und alle Farben zulaͤßt, au - ßer dem Schwarzen und dem voͤllig Weißen. Denn der Schwefel enthaͤlt wohl die beyden Farben, aber eigentlich in der Flamme koͤnnen ſie nicht ſeyn. Weiß zwar erſcheinen zarte Flaͤmmchen; wenn ſie es aber vollkommen waͤren, und nicht noch etwas von anderer Farbe zugemiſcht haͤtten, ſo waͤren ſie durchſichtig und wuͤrden kein Licht oder ein ſehr ſchwaches verbreiten. Daß aber eine Flamme ſchwarz ſey, iſt gegen die Ver - nunft und gegen die Sinne.

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Dieſes feſtgeſetzt, fahr ich fort: wie die Farbe des Schwefels in der verbrennlichen Materie, ſo iſt auch die Farbe der Flammen; wie aber die Flamme, ſo iſt auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird; da aber die Flamme alle Farben enthaͤlt und begreift, ſo iſt nothwendig, daß das Licht dieſelbe Eigenſchaft habe. Deswegen ſind auch in dem Licht alle Farben, obgleich nicht immer ſichtbar. Denn wie eine maͤchtige Flamme weiß und einfaͤrbig erſcheint, wenn man ſie aber durch einen Nebel oder andern dichten Koͤrper ſieht, verſchiedene Farben annimmt, auf eben dieſe Weiſe bekleidet ſich das Licht, ob es gleich unſichtbar oder weiß iſt, wenn es durch ein glaͤſernes Prisma oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verſchiede - nen Farben.

Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben erſcheinen, ſo ſind ſie demungeachtet wahrhaft in dem Licht enthalten. Denn wie ein groͤßeres Licht einem geringeren ſchadet, ſo verhindert auch ein reines Licht, das verdunkelte Licht zu ſehen. Daß aber ein jedes Licht Farben mit ſich fuͤhre, kann man daraus folgern, daß, wenn man durch eine Glaslinſe oder auch nur durch eine Oeffnung Licht in eine dunkle Kammer fal - len laͤßt, ſich auf einer entferntern Mauer oder Lein - wand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den Kreuzungspuncten der Strahlen und an den Stellen, die der Linſe allzunah ſind, keine Farbe, ſondern das bloße Licht erſcheint.

Da nun aber das Licht Form und Bild des304 Feuers iſt, welche aus dem Feuer nach allen Seiten hinſtrahlen, ſo ſind auch die Farben, die das Licht mit - bringt, Formen und Bilder der Farben, welche wahrhaft und auf eine materielle Weiſe ſich in dem Feuer befinden, von dem das Licht umhergeſendet wird.

Wie aber Flamme und Feuer, je ſchwaͤcher ſie ſind, ein deſto ſchwaͤcheres Licht von ſich geben, ſo auch nach Geſetz und Verhaͤltniß der wahren und materiali - ſirten Farbe, die in der Flamme iſt, wachſen und neh - men ab die apparenten Farben im Lichte.

Und wie nun bey abnehmender Flamme auch das Licht geſchwaͤcht wird, ſo verſchwindet auch die apparente Farbe, wenn die wahre Farbe abnimmt. Deswegen wirft das glaͤſerne Prisma bey Nacht oder bey ſchwachem Lichte keine Farben umher, es gibt keine farbigen Phaͤnomene, die Mondſcheinregenbogen ſind blaß, nichts erſcheint irgend feurig oder von einer andern deutlichen Farbe tingirt.

So wie auch keine Flamme vollkommen ſchwarz oder weiß iſt, ſo ſind auch keine apparenten Farben weiß oder ſchwarz, ſondern ſo wie bey der Flamme ſo auch im Lichte ſind das Gelbe und Blaue die Graͤn - zen der Farbe.

Und hieraus, wenn ich nicht irre, ergibt ſich deutlich, was die wahre, permanente und fixe Far - be ſey, desgleichen die vergaͤngliche, unſtaͤte, die ſie305 auch apparent nennen. Denn die wahre Farbe iſt ein Grad, eine Art der Verbrennung in irgend einem Koͤr - per; die apparente Farbe aber iſt ein Bild einer wah - ren Farbe, das man außer ſeiner Stelle ſieht. Wie man aber auch die wahren Farben mit den apparenten zuſammenhalten und vergleichen will, ſo werden ſie ſich immer wie Urſache zu Urſache und wie Wirkung zu Wirkung verhalten, und was den fixen Farben be - gegnet, wird auch den Bildern, welche von denſelben erzeugt werden, geſchehen. Trifft dieſes manchmal nicht vollkommen ein, ſo ereignet ſichs wegen der Lage und Geſtalt der Koͤrper, wodurch die Bilder durchge - fuͤhrt und fortgepflanzt werden.

Hier ſehen wir alſo einige Jahre fruͤher als New - ton ſich mit dieſem Gegenſtande beſchaͤftigt, ſeine Lehre voͤllig ausgeſprochen. Wir ſtreiten hier nicht mit Iſaac Voſſius, ſondern fuͤhren ſeine Meynung nur hiſtoriſch an. Die Tendenz jener Zeit, den aͤußeren Bedingungen ihren integrirenden Antheil an der Farbenerſcheinung abzuſprechen und ihnen nur einen anregenden, entwick - lenden Anſtoß zuzuſchreiben, dagegen alles im Lichte ſchon im Voraus zu ſyntheſiren, zuſammenzufaſſen, zu verſtecken und zu verheimlichen, was man kuͤnftig aus ihm hervorhohlen und an den Tag bringen will, ſpricht ſich immer deutlicher aus, bis zuletzt Newton mit ſei - nen Ibilitaͤten hervortritt, den Reihen ſchließt und, obgleich nicht ohne Widerſpruch, dieſer Vorſtellungsart den Ausſchlag giebt. Wir werden in der Folge nochII. 20306Gelegenheit haben anzuzeigen, was noch alles voraus - gegangen, um Newtons Lehre den Weg zu bahnen; koͤnnen aber hier nicht unbemerkt laſſen, daß ſchon Matthaͤus Pankl, in ſeinem Compendium Inſti - tutionum physicarum, Posoniae 1793. unſern Iſaac Voſſius fuͤr einen Vorlaͤufer Newtons erklaͤrt, indem er ſagt: Den Alten war das Licht das einfachſte und gleichartigſte Weſen. Zuerſt hat Iſaac Voſſius vermu - thet, die Mannigfaltigkeit der Farben, die wir an den Koͤrpern wahrnehmen, komme nicht von den Koͤrpern, ſondern von Theilchen des Lichts her.

Franciscus Maria Grimaldi.

geb. 1613. geſt. 1663.

Er ſtammte aus einem alten beruͤhmten Ge - ſchlechte und zwar von dem Zweige deſſelben, der zu Bologna bluͤhte. Er ſcheint ſeine erſte Bildung in den Jeſuitenſchulen erhalten zu haben; beſonders be - fleißigte er ſich der Mathematik und der damals innigſt mit ihr verbundenen Naturlehre.

Nachdem er in den Orden getreten, ward er Pro - feſſor der Mathematik zu Bologna und zeigte ſich als einen in ſeinem Fache ſehr geuͤbten Mann, kenntniß - reich, ſcharfſinnig, fleißig, puͤnctlich, unermuͤdet. Als einen ſolchen ruͤhmt ihn Riccioli in der Dedication ſei - nes Almageſt und preiſt ihn als einen treuen Mitarbei -307 ter. Sein Werk, wodurch er uns bekannt, wodurch er uͤberhaupt beruͤhmt geworden, fuͤhrt den Titel; Physico-Mathesis de Lumine, Coloribus et Iride, Bo - noniae 1665. Man bemerke, daß auch hier nur des Lichts und nicht des Schattens erwaͤhnt iſt, und er - warte, daß Grimaldi ſich als ein ſolcher zeigen werde, der die Farbenerſcheinungen aus dem Licht entwickelt.

Hier haben wir nun das dritte Werk in unſerm Fache, das ſich von einem Jeſuitiſchen Ordensgeiſtlichen herſchreibt. Wenn Aguilonius ſorgfaͤltig und umſtaͤnd - lich, Kircher heiter und weitlaͤuftig iſt, ſo muß man den Verfaſſer des gegenwaͤrtigen Buchs hoͤchſt conſequent nennen. Es iſt reich in Abſicht auf Erfahrungen und Experimente, ausfuͤhrlich und methodiſch in ſeiner Be - handlung, und man ſieht wohl, daß der Verfaſſer in allen Subtilitaͤten der Dialectik ſehr geuͤbt iſt.

Vor allem aber iſt zu bemerken, daß Form und Darſtellung problematiſch, ja ironiſch ſind, welches einer ſo ernſten folgerechten Arbeit eine ganz wunderli - che Wendung gibt. Galilei hatte ſich ſchon einer aͤhnli - chen Wendung bedient, in den Dialogen, wegen wel - cher er von den Jeſuiten ſo heftig verfolgt wurde. Hier bedient ſich ein Jeſuit, nach etwa zwanzig Jah - ren, deſſelben Kunſtgriffs. Im erſten Buch, das 472 geſpaltene Quartſeiten ſtark iſt, thut er alles moͤgliche, um zu zeigen, daß das Licht eine Subſtanz ſey; im zweyten Buch, welches nur 63 geſpaltene Seiten ent - haͤlt, widerlegt er ſcheinbar ſeine vorige Meynung und20 *308verclauſulirt dieſe Widerlegung aufs neue dergeſtalt, daß er ſie voͤllig vernichtet. Auch darf man nur die Vorrede des Ganzen und den Schluß des erſten Theils leſen, ſo faͤllt ſeine Abſicht ſchon deutlich genug in die Augen. Bey allen dieſen Verwahrungen zaudert er, das Werk herauszugeben, das bey ſeinem Tode voͤllig fertig liegt, wie es denn auch drey Jahre nach dem - ſelben, und ſo viel ſich bemerken laͤßt, ohne Verſtuͤmm - lung erſcheint.

Indem er nun das Licht als Subſtanz behandelt, ſo finden wir ihn auf dem Wege, auf dem wir Carteſius, De la Chambre und Voſſius wandeln ſahen, nur betritt er denſelben mit mehr Ernſt und Sicherheit und zugleich mit mehr Vorſicht und Zartheit. Seine Naturkenntniß uͤberhaupt iſt hoͤchſt ſchaͤtzenswerth. Erfahrungen und Verſuche, dieſe Gegenſtaͤnde betreffend, ſind vor ihm von keinem ſo vollſtaͤndig zuſammengebracht worden. Freylich ſtellt er ſie alle zurecht, um ſeine Erklaͤrungs - art zu begruͤnden, doch kann man ihm nachſagen, daß er keine Erfahrung, keinen Verſuch entſtelle, um ihn ſeiner Meynung anzupaſſen.

Das Licht iſt ihm alſo eine Subſtanz, im phyſi - ſchen Sinne eine Fluͤſſigkeit, die er jedoch aufs aͤußer - ſte zu verfeinern ſucht. Durch Beyſpiele und Gleich - niſſe will er uns von der Zartheit eines ſo ſubtilen materiellen Weſens, das gleichſam nur wie ein geiſti - ger Aushauch wirkt, uͤberzeugen. Er fuͤhrt die Lehre vom Magneten zu dieſem Zwecke umſtaͤndlich durch,309 bringt die Faͤlle von unendlicher Theilbarkeit der Farbe, aͤußerſter Ductilitaͤt der Metalle und dergleichen vor, nimmt den Schall, und was er ſonſt noch brauchen kann, zu Huͤlfe, um unſre Kenntniſſe durch Erinne - rung auf einen Punct zu ſammeln und unſre Einbil - dungskraft anzuregen.

Man hatte bisher drey Arten, in welchen ſich das Licht verbreite, angenommen: die directe, refracte, reflexe, wozu er noch die inflexe hinzuſetzt, welche er ſogleich in Ruͤckſicht ſeiner hypothetiſchen Zwecke die diffracte nennt.

Jene verſchiednen Arten der Lichtfortpflanzung zu erklaͤren und andre dabey vorkommende Phaͤnomene auszulegen, gibt er ſeiner feinen Fluͤſſigkeit eine verſchie - dene innere Dispoſition. Und ſo wird denn dieſem wirkſamen Weſen ein Fließen (fluidatio), ein Wogen (undulatio, undatio), ein Regen und Bewegen (agitatio), ein Waͤlzen (volutatio) zugeſchrieben.

Durchſichtigen Koͤrpern wird eine continua poro - sitas zugeeignet, welches eigentlich eine contradictio in adjecto iſt, woran ſich erkennen laͤßt, wie leicht man mit Worten das Unmoͤgliche und Ungehoͤrige als ein Moͤg - liches, Verſtaͤndiges und Verſtaͤndliches mittheilen koͤnne. Die undurchſichtigen Koͤrper haben auch mannigfaltige wunderliche Oberflaͤchen, die das Licht verſchiedentlich zu - ruͤckwerfen; deshalb er ſich denn vertheidigen muß, daß ſeine Lehre mit der Lehre der Atomiſten nicht zuſammen - falle, welches ihm auch Ernſt zu ſeyn ſcheint.

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In jenen Poren und Irrgaͤngen, wunderlichen Aus - und Einwegen, Schlupfloͤchern und andern man - nigfaltigen Beſtimmungen, muͤdet ſich nun das Licht auf oben beſchriebene Weiſe gewaltig ab und erleidet eine Zerſtreuung (dissipatio), Zerbrechung (diffractio), Zerreißung (disscissio) und natuͤrlicher Weiſe auch eine Trennung (separatio); dabey denn auch gelegentlich eine Anhaͤufung (glomeratio) ſtatt findet.

Wir bemerken hier im Vorbeygehen, daß einer Zerſtreuung des Lichtes ſchon bey den Griechen erwaͤhnt wird. Dort iſt es aber nur ein empiriſcher naiver Ausdruck, der eine oft vorkommende Erſcheinung von hin und wiedergeworfenem, geſchwaͤchtem Lichte ſo gut er kann bezeichnen ſoll. Bey Grimaldi hingegen ſol - len die mannigfaltigen Verſuren des Lichtes, das In - nere dieſes zarten, unbegreiflichen Weſens aufſchließen und uns von ſeiner Natur dogmatiſch belehren.

Die Farben werden alſo, nach Grimaldi, bey Ge - legenheit der Refraction, Reflexion und Inflexion be - merkt; ſie ſind das Licht ſelbſt, das nur auf eine be - ſondre Weiſe fuͤr den Sinn des Geſichts fuͤhlbar wird. Doch geht der Verfaſſer auch wohl ſo weit, daß er im Licht beſtimmte Arten der Farbe annimmt und alſo die Newtoniſche Lehre unmittelbar vorbereitet.

Alle Farben ſind ihm wahr und entſpringen auf einerley Weiſe; doch laͤßt er, um ſie erklaͤren zu koͤn - nen, den Unterſchied zwiſchen dauernden und voruͤber -311 gehenden Farben einſtweilen zu, und um jene auch in voruͤbergehende zu verwandeln, benutzt er auf eine ſehr geſchickte Weiſe die Verſatilitaͤt der chemiſchen Farben.

Was uͤbrigens den Apparat betrifft, ſo bedient er ſich oͤfters der kleinen Oeffnung im Fenſterladen, die ſich eigentlich von der die aͤußern Gegenſtaͤnde innerlich abbildenden Camera obscura herſchreibt. Die prisma - tiſchen Phaͤnomene kennt er meiſtens, wie er denn auch auf die laͤngliche Geſtalt des Farbenbildes unſere Auf - merkſamkeit hinlenkt. Unter ſeiner theoretiſchen Termi - nologie finden wir auch ſchon Strahlenbuͤndel. Da ihm manche Erfahrungen und Verſuche, die erſt ſpaͤter bekannt geworden, in der Reihe ſeines Vortrags abge - hen; ſo zeigen ſich in demſelben Luͤcken und Spruͤnge und gar manches Unzulaͤngliche, das ihm aber nicht zu Schulden kommt. Den Regenbogen mit ſeinen Um - ſtaͤnden und Bedingungen fuͤhrt er ſorgfaͤltig aus; die Farben deſſelben weiß er nicht abzuleiten.

Robert Boyle.

geb. 1627. geſt. 1691.

Die Scheidung zwiſchen Geiſt und Koͤrper, Seele und Leib, Gott und Welt war zu Stande gekommen. Sittenlehre und Religion fanden ihren Vortheil dabey: denn indem der Menſch ſeine Freyheit behaupten will,312 muß er ſich der Natur entgegenſetzen; indem er ſich zu Gott zu erheben ſtrebt, muß er ſie hinter ſich laſſen, und in beyden Faͤllen kann man ihm nicht verdenken, wenn er ihr ſo wenig als moͤglich zuſchreibt, ja wenn er ſie als etwas Feindſeliges und Laͤſtiges anſieht. Ver - folgt wurden daher ſolche Maͤnner, die an eine Wiederver - einigung des Getrennten dachten. Als man die teleolo - giſche Erklaͤrungsart verbannte, nahm man der Natur den Verſtand; man hatte den Muth nicht ihr Vernunft zuzuſchreiben und ſie blieb zuletzt geiſtlos liegen. Was man von ihr verlangte, waren techniſche, mechaniſche Dienſte, und man fand ſie zuletzt auch nur in dieſem Sinne faßlich und begreiflich.

Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich einſehen, wie das zarte, fromme Gemuͤth eines Robert Boyle ſich fuͤr die Na - tur intereſſiren, ſich zeitlebens mit ihr beſchaͤftigen und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als daß ſie ein Weſen ſey, das ſich ausdehnen und zu - ſammenziehen, miſchen und ſondern laſſe, deſſen Theile, indem ſie durch Druck, Stoß gegen einander arbeiten und ſich in die verſchiedenſten Lagen begeben, auch ver - ſchiedene Wirkungen auf unſre Sinne hervorbringen.

In die Farbenlehre war er von der chemiſchen Seite hereingekommen. Er iſt der erſte ſeit Theo - phraſt, der Anſtalt macht, eine Sammlung der Phaͤ - nomene aufzuſtellen und eine Ueberſicht zu geben. Er betreibt das Geſchaͤft nur gelegentlich und zaudert ſeine Arbeit abzuſchließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrank -313 heit hinderlich iſt, ordnet er ſeine Erfahrungen, ſo gut es gehen will, zuſammen, in der Form als wenn er das Unvollſtaͤndige einem jungen Freunde zu weiterer Bearbeitung uͤbergaͤbe. Dabey moͤchte er zwar gern von einer Seite das Anſehen haben, als wenn er nur Erfahrungen zuſammenſtellte, ohne eben dadurch eine Hypotheſe begruͤnden zu wollen; allein er iſt von der andern Seite aufrichtig genug, zu geſtehen, daß er ſich zur corpuscularen mechaniſchen Erklaͤrungsart hinneige und mit dieſer am weiteſten auszulangen glaube. Er bearbeitet daher das Weiße und Schwarze am ausfuͤhrlichſten, weil freylich bey dieſem noch am erſten ein gewiſſer Mechanismus plauſibel werden duͤrfte. Was aber die eigentlich farbigen Phaͤnomene der Koͤrper, ſo wie was die apparenten Farben be - trifft, bey dieſen geht er weniger methodiſch zu Werke, ſtellt aber eine Menge Erfahrungen zuſammen, welche intereſſant genug ſind und nach ihm immer wieder zur Sprache gekommen. Auch haben wir ſie, in ſofern wir es fuͤr noͤthig erachtet, in unſerm Entwurfe, nach unſerer Weiſe und Ueberzeugung aufgefuͤhrt.

Der Titel dieſes Werkes in der lateiniſchen Aus - gabe, der wir gefolgt ſind, iſt: Experimenta et consi - derationes de coloribus seu initium historiae experimentalis de Coloribus a Roberto Boyle. Londini 1665.

Seine ganze Denkart, ſeine Vorſaͤtze, ſein Thun und Leiſten wird aus dem fuͤnften Capitel des erſten Thei -314 les am klaͤrſten und eigentlichſten erkannt, welches wir denn auch uͤberſetzt hier einſchalten.

Des erſten Theils Fuͤnftes Kapitel.

I. Es gibt, wie du weißt, mein Pyrophilus, außer jenen veralteten Meynungen von den Farben, die man ſchon laͤngſt verworfen hat, gar verſchiedene Theorieen, deren jede zu unſerer Zeit von bedeutenden Maͤnnern in Schutz genommen wird. 1) Denn die peripathetiſchen Schulen, ob ſie gleich wegen der be - ſonderen Farben unter ſich nicht ganz eins ſind, kom - men doch alle darin uͤberein: die Farben ſeyen ein - wohnende und wirkliche Eigenſchaften, welche das Licht nur offenbare, nicht aber ſie hervorzubringen etwas bey - trage. 2) Alsdann gibt es unter den Neueren einige, die mit geringer Veraͤnderung die Meynung Platons annehmen, und wie er die Farbe fuͤr eine Art Flamme haͤlt, die aus den kleinſten Koͤrperchen beſtehe, welche von dem Object gleichſam ins Auge geſchleudert worden und deren Figur mit den Poren des Auges ſich in Uebereinſtimmung befinde; ſo lehren ſie, die Farbe ſey ein innres Licht der helleren Theile des Gegenſtan - des, welches durch die verſchiedenen Miſchungen der weniger leuchtenden Theile verdunkelt und veraͤndert worden. 3) Nun gibt es andere, welche einigen der alten Atomiſten nachfolgen und die Farbe zwar nicht fuͤr eine leuchtende Emanation, aber doch fuͤr ei - nen koͤrperlichen Ausfluß halten, der aus dem315 gefaͤrbten Koͤrper hervortritt. Aber die gelehrteren unter ihnen haben neulich ihre Hypotheſe verbeſſert, indem ſie anerkannten und hinzufuͤgten: es ſey etwas aͤußeres Licht noͤthig, um dieſe Koͤrperchen der Farbe zu reizen und anzuregen und ſie zum Auge zu bringen. 4) Eine bedeutendere Meynung der neuern Philoſophen iſt ſodann: die Farben entſpringen aus einer Miſchung des Lichts und der Finſterniß oder vielmehr des Lichts und der Schatten, und dieſe Meynung ließe ſich denn wohl gewiſſermaßen mit der vorhergehenden vereinigen. 5) Was die Chemiker betrifft, ſo ſchreibt die Menge derſelben den Urſprung der Farben dem Princip des Schwefels in den Koͤrpern zu, ob ich gleich finde, daß einige ihrer Anfuͤhrer die Farben mehr vom Salz als vom Schwefel herleiten, ja andere ſogar von dem dritten Elementarprincip, dem Mercur. 6) Von des Carteſius Nachfolgern brauch ich dir nicht zu ſagen, daß ſie behaupten, die Empfindung des Lichtes werde von einem Anſtoß hervorgebracht, welcher auf die Organe des Sehens von ſehr kleinen und feſten Kuͤ - gelchen gewirkt wird, welche durch die Poren der Luft und andrer durchſichtiger Koͤrper durchdringen koͤnnen. Daraus verſuchen ſie denn auch die Verſchiedenheit der Farben zu erklaͤren, indem ſie die verſchiedenen Be - wegungen dieſer Kuͤgelchen und die Proportion der Be - wegung zu der Rotation um ihren Mittelpunct be - achten, wodurch ſie naͤmlich geſchickt werden ſollen, den optiſchen Nerven auf mancherley Weiſe zu treffen, ſo daß man dadurch verſchiedene Farben gewahr wer - den koͤnne.

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II. Außer dieſen ſechs vornehmſten Hypothe - ſen kann es noch andre geben, mein Pyrophilus, die, obſchon weniger bekannt, doch eben ſo gut als dieſe deine Betrachtung verdienen. Erwarte aber nicht, daß ich ſie gegenwaͤrtig umſtaͤndlich durcharbeite, da du den Zweck dieſer Blaͤtter und die mir vorgeſetzte Kuͤrze kenneſt. Deswegen will ich nur noch einiges im Allgemeinen bemerken, was ſich auf den Tractat, den du in Haͤnden haſt, beſonders bezieht.

III. Und zwar geſteh ich dir zuerſt, daß ich, obgleich die Anhaͤnger der gedachten verſchiedenen Hypotheſen durch eine jede beſonders und ausſchließlich die Farben erklaͤren und hiezu weiter keine Beyhuͤlfe annehmen wollen, was mich betrifft, zweifle: ob irgend eine dieſer Hypotheſen, wenn man alle andern ausſchließt, der Sache genug thue. Denn mir iſt wahrſcheinlich, daß man das Weiße und Schwarze durch die bloße Reflexion, ohne Refraction anzunehmen, erklaͤren koͤnne, wie ich es in nachſtehender Abhand - lung vom Urſprunge des Schwarzen und Weißen zu leiſten geſucht habe. Da ich aber nicht habe finden koͤnnen, daß durch irgend eine Miſchung des Weißen und wahrhaft Schwarzen (denn hier iſt nicht von einem Blauſchwarz die Rede, welches Viele fuͤr das aͤchte halten) daß, ſage ich, je daraus Blau, Gelb, Roth, geſchweige denn die uͤbrigen Farben koͤnn - ten erzeugt werden; da wir ferner ſehen, daß dieſe Farben durchs Prisma und andre durchſichtige Koͤrper hervorzubringen ſind mit Beyhuͤlfe der Brechung: ſo317 ſcheint es, man muͤſſe die Brechung auch zu Huͤlfe nehmen, um einige Farben zu erklaͤren, zu deren Ent - ſtehung ſie beytraͤgt, weil ſie auf eine oder die andre Weiſe den Schatten mit dem gebrochenen Lichte ver - bindet, oder auf eine Art, die wir gegenwaͤrtig nicht abhandeln koͤnnen. Scheint es nun einigen wahr - ſcheinlich, daß die Poren der Luft und anderer durch - ſichtiger Koͤrper durchaus mit ſolchen Kuͤgelchen ange - fuͤllt ſind, wie die Carteſianer vorausſetzen, und daß zugleich die verſchiedenen Bewegungsarten dieſer Kuͤ - gelchen in vielen Faͤllen von Bedeutung ſind, um das verſchiedene Gewahrwerden der Farbe bey uns zu be - wirken; ſo laͤßt ſich auch ohne dieſe Kuͤgelchen, die man nicht ſo leicht beweiſen kann, vorauszuſetzen, uͤberhaupt mit Wahrſcheinlichkeit annehmen: das Auge koͤnne mannigfaltig afficirt werden nicht allein von ganzen Lichtſtrahlen die darauf fallen, und zwar als ſolchen, ſondern auch von der Ordnung derſelben und dem Grade der Geſchwindigkeit, und daß ich mich kurz faſſe, nach der Art und Weiſe, wie die Theilchen woraus die einzelnen Strahlen beſtehen zu dem Sinn gelangen, dergeſtalt daß, welche Figur auch jene klei - nen Koͤrper haben aus denen die Lichtſtrahlen beſtehen, ſie nicht allein durch ihre Geſchwindigkeit oder Lang - ſamkeit der Entwicklung oder Rotation im Fort - ſchreiten, ſondern noch mehr durch ihre abſolute Schnelligkeit, ihre directe oder wogende Bewegung und andre Zufaͤlligkeiten, welche ihren Stoß aufs Auge begleiten koͤnnen, geſchickt ſind, verſchiedenartige Eindruͤcke zu erregen.

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IV. Zweytens muß ich dich, wegen dieſer und aͤhnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß du dieſe kleine Abhandlung anſeheſt, nicht als eine Diſſertation, die geſchrieben ſey, um eine der vorſtehen - den Hypotheſen ausſchließlich vor allen andern zu ver - theidigen, oder eine neue, welche mein waͤre, dafuͤr aufzuſtellen; ſondern als einen Anfang einer Geſchichte der Farben, worauf, wenn ſie erſt durch dich und deine geiſtreichen Freunde bereichert worden, eine gruͤndliche Theorie koͤnne aufgebaut werden. Weil aber dieſe Geſchichte nicht bloß als Catalog der darin uͤber - lieferten Sachen anzuſehen iſt, ſondern auch als ein Apparat zu einer gruͤndlichen und umfaſſenden Hy - potheſe; hielt ich es der Sache gemaͤß, ſo meine ganze Diſſertation zu ſtellen, daß ich ſie zu jenem Zweck ſo brauchbar machte, als es ſich wollte thun laſſen. Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich ſey geneigt geweſen, ſowohl dir die Arbeit zu erſparen, verſchiedene unzulaͤngliche Theorieen, die dich niemals zu deinem Zweck fuͤhren wuͤrden, ſelbſt zu erforſchen; als uͤberhaupt deine Unterſuchungen zu vereinfachen, weshalb ich mir zweyerley zum Augenmerk nahm, einmal daß ich gewiſſe Verſuche aufzeichnete, welche durch Huͤlfe begleitender Betrachtungen und Erinne - rungen dir dienen koͤnnten, die Schwaͤche und Unzu - laͤnglichkeit der gemeinen peripathetiſchen Lehre und der gegenwaͤrtig mit noch mehr Beyfall aufgenommenen Theorie der Chemiker von den Farben einzuſehen. Denn da dieſe beyden Lehren ſich feſtgeſetzt haben, und zwar die eine in den meiſten Schulen, die andre319 aber bey den meiſten Aerzten und andern gelehrten Maͤnnern, deren Leben und Berufsart nicht erlaubt, daß ſie die eigentlichſten erſten nnd einfachſten Natur - anfaͤnge gewiſſenhaft unterſuchten; ſo glaubt ich wenig nuͤtzliches zu leiſten, wenn ich nicht etwas thaͤte, die Unzulaͤnglichkeit dieſer Hypotheſen offenbar zu machen. Deswegen ich denn zweytens unter meine Verſuche diejenigen in groͤßerer Zahl aufgenommen, welche dir zeigen moͤgen, daß ich jener Meynung geneigt bin, welche behauptet, die Farbe ſey eine Modification des Lichtes; wodurch ich dich anlocken wollen, dieſe Hy - potheſe weiter auszubilden und dahin zu erheben, daß du vermittelſt derſelben die Erzeugung der beſon - dern Farben erklaͤren koͤnneſt, wie ich bemuͤht geweſen, ſie zur Erklaͤrung des Weißen und Schwarzen an - zuwenden.

V. Zum Dritten aber, mein Pyrophilus, ob dieſes zwar gegenwaͤrtig die Hypotheſe iſt, die ich vorziehe, ſo ſchlage ich ſie doch nur im allgemeinen Sinne vor, indem ich nur lehre: die Lichtſtrahlen wer - den von den Koͤrpern, woher ſie zuruͤckgeworfen oder gebrochen zum Auge kommen, modificirt und bringen ſo jene Empfindung hervor, welche wir Farbe zu nennen pflegen. Ob aber dieſe Modification des Lichts geſchehe, indem es mit den Schatten gemiſcht wird, oder durch ein verſchiedenes Verhaͤltniß der Bewegung und Rotation der Kuͤgelchen des Carteſins, oder auf irgend eine andre Weiſe, dieß unterſtehe ich mich nicht hier auszumachen. Vielweniger unterſtehe320 ich mich anzugeben, ja ich glaube nicht einmal alles Wiſſensnoͤthige zu wiſſen, um dir oder auch mir ſelbſt eine vollkommene Theorie des Sehens und der Farben zu uͤberliefern. Denn erſtlich, um dergleichen zu unter - nehmen, muͤßte ich zuvor einſehen, was das Licht ſey, und wenn es ein Koͤrper iſt, und das ſcheint es wohl oder doch die Bewegung eines Koͤrpers zu ſeyn, aus was fuͤr einer Art Koͤrperchen nach Groͤße und Figur es beſtehe, mit welcher Geſchwindigkeit ſie vorſchreiten und ſich um ihre Mittelpuncte bewegen; hernach moͤchte ich die Natur der Brechung erkennen, welche von den geheimſten iſt, wenn du ſie nicht ſcheinbar, ſondern gruͤndlich erklaͤren willſt, die ich nur in der Naturlehre gefunden habe. Dann moͤchte ich wiſſen, welche Art und welcher Grad der Vermiſchung der Finſterniß oder der Schatten bey Refractionen und Reflexionen oder durch beyde geſchehe, auf den ober - flaͤchlichen Theilen der Koͤrper, welche erleuchtet immer nur eine Farbe zeigen, die blaue, gelbe, rothe. Dann wuͤnſcht ich unterrichtet zu ſeyn, warum die Verbin - dung des Lichtes und Schattens, welche z. B. von dem Haͤutchen einer reifen Kirſche gewirkt wird, eine rothe Farbe zeige, nicht aber eine gruͤne, und das Blatt deſſelben Baums mehr eine gruͤne als eine rothe Farbe. Zuletzt auch, warum das Licht, das zu ſolchen Farben modificirt iſt, wenn es nur aus Koͤrperchen beſteht, welche gegen die Retina oder das Mark des optiſchen Nerven bewegt werden, nicht bloß ein Stechen, ſondern eine Farbe hervorbringe, da doch die Nadel, wenn ſie das Auge verwundet, keine Farbe, ſondern einen321 Schmerz hervorbringen wuͤrde. Dieß und anderes wuͤnſcht ich zu wiſſen, ehe ich glaubte die wahre und vollkommene Natur der Farben erkannt zu haben. Daher, ob ich gleich durch die Verſuche und Betrachtun - gen, die ich in dieſem Buͤchelchen uͤberliefre, einigermaßen meine Unwiſſenheit in dieſer Sache zu mindern geſucht habe und es fuͤr viel beſſer halte, etwas als gar nichts zu entdecken; ſo nehme ich mir doch nur vor, durch die Verſuche welche ich darlege, wahrſcheinlich zu ma - chen, daß ſich einige Farben ſehr wohl durch die hier uͤberlieferte Lehre im Allgemeinen erklaͤren laſſen. Denn ſo oft ich mich auf eine ins Einzelne gehende und ge - naue Erklaͤrung des Beſondern einlaſſen ſoll, empfinde ich die große Dunkelheit der Dinge, ſelbſt die nicht ausgenommen, die wir nicht anders zu Geſicht be - kommen als wenn ſie erleuchtet werden, und ich ſtimme Scaligern bey, wenn er von der Natur der Farbe handlend ſpricht: die Natur verbirgt dieſe ſo wie andre Erſcheinungen in die tiefſte Dunkelheit des menſchlichen Unwiſſens.

So unverkennbar auch aus dem Vortrage Boyle’s die Vorliebe, gewiſſe Farbenphaͤnomene mechaniſch zu erklaͤren, erhellt, ſo beſcheiden druͤckt er ſich doch gegen andere Theorieen und Hypotheſen aus, ſo ſehr empfin - det er, daß noch andre Arten von Erklaͤrungen, Ab - leitungen moͤglich und zulaͤſſig waͤren; er bekennt, daß noch lange nicht genug vorgearbeitet ſey und laͤßt uns zuletzt in einem ſchwankenden, zweifelhaften Zuſtande.

II. 21322

Wenn er nun von einer Seite, durch die vielfa - chen Erfahrungen die er geſammlet, ſich bey den Na - turforſchern Anſehen und Dank erwarb, ſo daß dasje - nige was er mitgetheilt und uͤberliefert, lange Zeit in der Naturlehre Werth und Guͤltigkeit behielt, in allen Lehrbuͤchern wiederhohlt und fortgepflanzt wurde; ſo war doch von der andern Seite ſeine Geſinnung viel zu zart, ſeine Aeußerungen zu ſchwankend, ſeine Forderun - gen zu breit, ſeine Zwecke zu unabſehlich, als daß er nicht haͤtte durch eine neu eintretende ausſchließende Theorie leicht verdraͤngt werden koͤnnen, da ein lern - begieriges Publicum am liebſten nach einer Lehre greift, woran es ſich feſthalten und wodurch es aller weitern Zweifel, alles weitern Nachdenkens bequem uͤberhoben wird.

Hook.

geb. 1635. geſt. 1703.

Er iſt mehr ein emſiger als ein fleißiger Beobach - ter und Experimentator zu nennen. Er blickt uͤberall um ſich her und ſeine unruhige Thaͤtigkeit verbreitet ſich uͤber die ganze Naturlehre. Man muß ihm zuge - ſtehen, daß er gute Entdeckungen gemacht, Entdecktes gluͤcklich bearbeitet habe; doch iſt er kein theoretiſcher Kopf, nicht einmal ein methodiſcher.

Die Lehre von Licht und Farben iſt ihm manches ſchuldig. Er beobachtet die brechende Kraft des Eiſes,323 bemerkt mit Grimaldi die Ablenkung des Lichtes und thut Vorſchlaͤge, wie man die Sonne anſchauen koͤnne, ohne geblendet zu werden; richtet eine tragbare Camera obscura zu bequemerer Abzeichnung ein und bemuͤht ſich ums reflectirende Telescop.

Seine Farbenlehre iſt freylich barok. Er nimmt nur zwey Farben an, Blau und Roth; dieſe ſollen durch ſchiefe oder ungleiche Erſchuͤtterung aufs Auge erregt werden. Seitdem Descartes die Lehre von dem Lichte materialiſirt und mechaniſirt hatte, ſo koͤnnen ſich die Denker nicht wieder aus dieſem Kreiſe heraus - finden: denn diejenigen welche Licht und Farben nicht materiell nehmen wollen, muͤſſen doch zur mechaniſchen Erklaͤrung greifen, und ſo ſchwankt die Lehre immer fort in einem unfruchtbaren Raume, ſie mag ſich nach der dynamiſchen oder atomiſtiſchen Seite neigen.

Das Capitel der Farben, die wir epoptiſche ge - nannt haben, iſt ihm mancherley ſchuldig. Er macht auf den Verſuch mit den Seifenblaſen aufmerkſam, auf die farbigen Kreiſe im ruſſiſchen Glaſe und zwiſchen den an einander gedruckten Glasplatten. Doch konnte er dieſe Erſcheinungen nicht zuſammenbringen noch ru - briciren.

Was von ihm als Secretaͤr der Londner Societaͤt und als Gegner Newtons zu ſagen iſt, wird kuͤnftig beygebracht werden.

21 *324

Nicolaus Malebranche.

geb. 1638. geſt. 1715.

Réflexions sur la lumière et les couleurs et la génération du feu par le Père Malebranche. Mémoi - res de l’Académie royale 1699.

Die Philoſophie hat das Joch der Autoritaͤt voͤl - lig abgeworfen und die groͤßten Philoſophen uͤberreden uns nur noch durch ihre Gruͤnde. So ſcharfſinnig auch das Syſtem uͤber das Licht von Herrn Descar - tes ſeyn mag, ſo hat es doch der Pater Malebranche verlaſſen, um ein andres aufzuſtellen, das nach dem Syſtem des Tones gebildet iſt, und dieſe Aehnlichkeit ſelbſt kann fuͤr die Wahrheit deſſelben zeugen bey ſol - chen, welchen bekannt iſt, wie ſehr die Natur, was die allgemeinen Principien betrifft, gleichfoͤrmig ſey.

Man iſt uͤberzeugt, daß der Ton hervorgebracht wird durch das Zittern oder Schwingen unmerklicher Theile des klingenden Koͤrpers. Groͤßere oder kleinere Schwingungen, d. h. ſolche, welche groͤßere oder kleinere Bogen deſſelben Kreiſes machen, begeben ſich fuͤr die Em - pfindung in gleichen Zeiten, und die Toͤne welche ſie hervorbringen, koͤnnen nicht unterſchieden ſeyn, als daß ſie ſtaͤrker oder ſchwaͤcher ſind. Die ſtaͤrkern werden durch die groͤßeren Schwingungen hervorgebracht, die ſchwachen durch die kleineren. Geſetzt aber, es entſtehe zu gleicher Zeit eine groͤßere Anzahl Schwingungen in325 einem Koͤrper als in einem andern, ſo werden diejeni - gen welche in groͤßerer Zahl entſtehen, weil ſie gedraͤng - ter und ſo zu ſagen lebhafter ſind, von einer verſchie - denen Art ſeyn als die andern. Die Klaͤnge alſo ſind auch der Art nach verſchieden, und das iſt, was man die Toͤne nennt. Die ſchnellſten Vibrationen bringen die hohen Toͤne hervor und die langſamſten die tiefen. Dieſe Grundſaͤtze, welche von allen Philoſophen ange - nommen werden, laſſen ſich leicht auf das Licht und die Farben anwenden. Alle die kleinſten Theile eines leuchtenden Koͤrpers ſind in einer ſehr ſchnellen Be - wegung, welche von Augenblick zu Augenblick durch ſehr lebhafte Erſchuͤtterungen die ganze aͤußerſt zarte, bis zum Auge reichende Materie, zuſammendruͤckt und in ihr, nach Pater Malebranche, Schwingungen des Drucks hervorbringt. Sind dieſe Schwingungen groͤ - ßer, ſo erſcheint der Koͤrper leuchtender oder mehr er - hellt; ſind ſie ſchneller oder langſamer, ſo iſt er von dieſer oder jener Farbe; und daher kommt, daß der Grad des Lichtes gewoͤhnlich nicht die Art der Farben veraͤndert, und daß ſie bey ſtaͤrkerer oder ſchwaͤcherer Beleuchtung immer als dieſelben erſcheinen, obgleich mehr oder weniger lebhaft. Koͤnnen nun dieſe Schwin - gungen, welche zu gleicher Zeit hervorgebracht werden, aber an Zahl verſchieden ſind, nach aller moͤglichen Art von Zahlenverhaͤltniſſen verſchieden ſeyn; ſo kann man deutlich erkennen, daß aus dieſer unendlichen Verſchie - denheit der Verhaͤltniſſe auch die Verſchiedenheit der Farben entſtehen muß, und daß die verſchiedenſten Far - ben auch aus den verſchiedenſten und am weitſten von326 der Gleichheit entfernten Verhaͤltniſſen entſpringen muͤſ - ſen; z. B. wenn ein gefaͤrbter Koͤrper vier Schwin - gungen des Drucks auf die zarte Materie hervorbringt, indeſſen ein andrer nur zwey; ſo wird er an Far - be davon verſchiedener ſeyn, als wenn er nur drey Schwingungen machte.

Man hat in der Muſik die Verhaͤltniſſe der Zah - len beſtimmt, welche die verſchiedenen Toͤne hervorbrin - gen; aber es laͤßt ſich nicht hoffen, daß dieſes auch bey den Farben gelinge.

Die Erfahrung belehrt uns, daß, wenn man ei - nige Zeit die Sonne oder einen andern ſehr erleuchte - ten Gegenſtand angeſehen und darauf das Auge ſchließt, man erſt Weiß ſieht, ſodann Geld, Roth, Blau, end - lich Schwarz; daher man denn folgerecht ſchließen kann, vorausgeſetzt, daß dieſe Ordnung immer dieſelbige ſey, daß die Farben welche zuerſt erſcheinen, durch ſchnellere Schwingungen hervorgebracht werden, weil die Bewe - gung welche auf der Netzhaut durch den leuchtenden Gegenſtand gewirkt wird, ſich immerfort vermindert.

Bey dieſer Gelegenheit erzaͤhlte Herr Homberg der Academie eine Erfahrung, die er uͤber die Ordnung und die Folge der verſchiedenen Farben gemacht hatte. Er nahm naͤmlich ein Glas, das von beyden Seiten rauh und deshalb wenig durchſichtig war. Er brachte es vor eine Oeffnung und ließ es vom Lichte beſchei - nen. Indem er nun durch das Glas hindurch ſah,327 konnte er draußen nur die weißen Gegenſtaͤnde bemer - ken, keinesweges aber die von einer andern Farbe. Nun polirte er ein wenig das Glas und ſah nun das Weiße beſſer, wobey ſich das Gelbe zu zeigen anfing. Je mehr er nun das Glas glaͤttete, wurden die uͤbri - gen Farben in folgender Ordnung ſichtbar: Gelb, Gruͤn, Roth, Blau und Schwarz.

Nach dem Syſtem des Herrn Descartes wird das Licht durch die Kuͤgelchen des zweyten Elements fortgepflanzt, welche die zarte Materie des leuchtenden Koͤrpers in grader Linie fortſtoͤßt. Was aber die Far - ben bildet, iſt der Umſtand, daß dieſe Kuͤgelchen, au - ßer der directen Bewegung, beſtimmt ſind ſich zu dre - hen, und daß aus der verſchiedenen Verbindung der directen und zirkelnden Bewegung die verſchiedenen Farben entſtehen. Da aber dieſe Kuͤgelchen nach gedach - tem Syſtem hart ſeyn muͤßten, wie kann nun daſſelbige Kuͤgelchen zu gleicher Zeit ſich auf verſchiedene Art herumwaͤlzen, welches doch noͤthig ſeyn muͤßte, wenn die verſchiedenen Strahlen, welche verſchiedene Farben nach dem Auge bringen, ſich in einem Puncte kreuzen ſollten, ohne ſich zu verwirren und zu zerſtoͤren, welches ſie doch nicht thun, wie uns die Erfahrung lehrt.

Deswegen hat der Pater Malebranche an die Stelle dieſer harten Kuͤgelchen kleine Wirbel von ſubti - ler Materie geſetzt, welche ſich leicht zuſammendruͤcken laſſen und an ihren verſchiedenen Seiten auf verſchie - dene Weiſe zuſammengedruͤckt werden koͤnnen: denn ſo328 klein man ſie ſich auch denkt, ſo haben ſie Theile, denn die Materie iſt ins Unendliche theilbar, und die klein - ſte Sphaͤre kann ſich auf allen Puncten mit der groͤß - ten, die man ſich denken mag, beruͤhren.

Johann Chriſtoph Sturm.

geb. 1685. geſt. 1703.

Physica electiva sive hypothetica. Norimbergae 1697.

Die Lehre von den Farben behandelt er wie die uͤbrigen Rubriken. Erſt bringt er ohne ſonderliche Ord - nung und Methode die Phaͤnomene vor, wie ſie ihm die Schriftſteller uͤberlieferten; dann die Meynungen der Alten und Neuern, jedoch keineswegs vollſtaͤndig; zuletzt waͤhlt er ſich aus alle dem bisher Geſagten und Theoretiſirten dasjenige, womit er ſich nothduͤrftig uͤber die Erſcheinungen hinaus zu helfen glaubt. Es iſt uͤberall nur Druck und Papier und nirgends Natur. Wie ſehr waͤre zu wuͤnſchen geweſen, daß ein geiſtrei - cher Mann dieſe Arbeit uͤbernommen und ſeinen Nach - folgern durchgreifender vorgearbeitet haͤtte.

329

Funccius.

De coloribus coeli. Ulmae 1716. Eine fruͤhere Ausgabe von 1705 iſt mir nicht zu Geſicht gekommen.

Daß etwas Schattiges zum Lichte oder zum Hel - len hinzutreten muͤſſe, damit Farben entſtehen koͤnnen, hatte Kircher ſehr umſtaͤndlich zur Sprache gebracht. Einer ſeiner Zeitgenoſſen, Honoratus Fabri, gleichfalls Jeſuit, iſt von derſelben Ueberzeugung durchdrungen. Er wendet ſich aber, um die Sache naͤher zu beſtimmen, und die verſchiedenen Farben entſtehen zu laſſen, zu ei - ner quantitativen Erklaͤrung, auf welche Ariſtoteles ſchon hingedeutet, und nimmt an, daß vom Weißen das reine gedraͤngte Licht zuruͤckſtrahle, daß Roth aus gleichen Theilen von Licht und Schatten beſtehe, Gelb aus zwey Theilen Licht und einem Theil Schatten, Blau aus zwey Theilen Schatten und einem Theile Licht.

Auf demſelben Wege geht Funccius, indem er von den atmoſphaͤriſchen Farben handelt. Unſere Leſer, denen bekannt iſt, wie ſich die meiſten farbigen Him - melserſcheinungen kuͤrzlich und bequem aus der Lehre von den truͤben Mitteln herleiten laſſen, moͤchten ſich wohl wundern, wie ein ganzes Buͤchlein daruͤber zu ſchreiben geweſen.

Der Verfaſſer geht freylich etwas umſtaͤndlich zu Werke. Erſt leitet er, wie ſeine Vorgaͤnger, die far -330 bigen Erſcheinungen von einer Verbindung des Hellen und Dunkeln, von einer Vermaͤhlung des Lichts mit dem Schatten, ſodann die atmoſphaͤriſchen von einer Wirkung der Sonne auf Nebel und Wolken her. Al - lein der nothwendige Gegenſatz, wodurch an der einen Seite das Gelbe, an der andern das Blaue nahe bis an den Purpur geſteigert werden, war ihm nicht deut - lich geworden. Er ſah wohl ein, daß vom Gelben bis zum Purpur und ruͤckwaͤrts eine Art von quantitati - vem Verhaͤltniß ſtatt finde; aber er wollte auf eben dieſem Wege uͤber den Purpur hinaus ins Blaue, um ſo mehr als wirklich die Sonne auf der hoͤchſten Stufe der Maͤßigung ihres Lichtes durch truͤbe Duͤnſte eine Art von blaͤulichem Schein anzunehmen genoͤthigt wer - den kann. Allein es gelang ihm die Ableitung der ſchoͤnen Himmelsblaͤue nicht, und ſein ganzes Werk wird dadurch unzulaͤnglich. Er polemiſirt mit ſich ſelbſt und andern, keineswegs zwecklos und ungeſchickt, aber weder ſtringent noch gluͤcklich.

Da er ſich von der quantitativen Steigerung uͤber - zeugt hat, ſo faͤngt er an die Farben mit Zahlen und Bruͤchen auszudruͤcken, wodurch denn der Vortrag nur krauſer wird, ohne daß fuͤr die Behandlung ſelbſt der mindeſte Gewinn entſpraͤnge.

331

Lazarus Nuͤguet.

Franzoͤſiſcher Prieſter, wahrſcheinlich Jeſuit, be - ſchaͤftigte ſich uͤberhaupt mit Phyſik und ließ in das ſo genannte Journal de Trevoux April 1705. p. 675. einen Aufſatz uͤber Farben einruͤcken, den wir uͤberſetzt und mit einigen Anmerkungen begleitet mittheilen. Das Wahre, was er enthaͤlt, iſt, wie ſo manches andere was in dieſem Journal Platz gefunden, bey Seite gedraͤngt worden, weil dieſe in vielen Stuͤcken parteyiſche Zeitſchrift ſich einer maͤchtigern Partey, der academiſchen, entgegenſetzte.

So wird im Journal des Savans, im Supplement zum July 1707, der Beſchreibung eines neuen Ther - mometers gedacht, welche Nuͤguet 1706 herausgegeben, worin er ſich uͤber die Erfindung vielleicht mit allzu großer Selbſtgefaͤlligkeit mochte geaͤußert haben. Man perſifflirt ſein Thermometer, und bey dieſer Gelegenheit auch ſein Farbenſyſtem, wobey man, um ſeine et - wanigen Verdienſte herabzuſetzen, ihm die Ehre der Erfindung abſpricht und bemerkt, daß Honoratus Fabri ſchon das aͤhnliche behauptet; als wenn es nicht verdienſtlich genug waͤre, ein richtiges Aperç aufzufaſſen, das andre ſchon gehabt, und das, was ſie bis auf einen gewiſſen Grad gefoͤrdert, weiter auszu - arbeiten und auf den rechten Punct hinzufuͤhren. Wir wollen ihn vor allen Dingen ſelbſt hoͤren.

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Nuͤguet’s Farbenſyſtem.

Um mich einmal gruͤndlich von der wahrhaften Urſache der Farben und von dem was ihren Unter - ſchied macht zu unterrichten, glaubte ich nichts beſſeres thun zu koͤnnen, als deshalb die Natur zu befragen, indem ich mit Sorgfalt die vorzuͤglichſten Veraͤnde - rungen bemerkte, die ſich zeigen, wenn Farben her - vortreten und wechſeln, damit ich nachher ein Syſtem feſtſtellen koͤnnte, das auf gruͤndlichen Unterſuchungen ruhte, welche klar und unzweydeutig die Wahrheit be - zeugten. Und ſo bemerkte ich

Erſtlich, daß alle Farben in der Finſterniß ver - ſchwanden. Daraus war ich berechtigt zu ſchließen, daß das Licht zu den Farben weſentlich erforder - lich ſey.

Zweytens, daß keine Farben entſtehen in einem voͤllig durchſichtigen Mittel, ſo ſehr es auch erleuchtet ſey, eben weil darin nichts zugegen iſt als Licht ohne Schatten. Daraus mußte ich ſchließen, daß der Schatten eben ſo weſentlich den Farben ſey als das Licht.

Drittens bemerkte ich, daß verſchiedene Farben entſtehen gerade in der Gegend, wo Licht und Schatten ſich verſchiedentlich vermiſchen, z. B. wenn die Licht - ſtrahlen auf irgend einen dunklen Koͤrper fielen oder333 durch das dreyſeitige Prisma durchgingen. Daher ſchloß ich ſogleich, daß die Farben einzig und allein aus der Vermiſchung des Lichtes und des Schattens, und ihre Verſchiedenheit aus der Verſchiedenheit dieſer beyden entſpraͤngen.

Ferner um zu beſtimmen, worin jede Farbe be - ſonders beſtehe, ſo ſtellte ich mancherley Verſuche an, aus denen man nicht allein erkennt, worin ganz ge - nau jede Urfarbe von allen andern unterſchieden iſt, ſondern die auch zugleich ganz unumſtoͤßlich beweiſen, daß die Farben nichts anders ſind als Schatten und Licht zuſammengemiſcht. Hier ſind nun die vorzuͤg - lichſten.

I. Wenn ich durch ein Brennglas mehrere Licht - ſtrahlen auf ein ſchwarzes Tuch verſammelte, ſo be - merkte ich, daß der Ort, wo die Strahlen ſich ver - einigten, merklich weiß erſchien; dagegen aber, wenn ich eine Flaſche voll Waſſer zwiſchen ein angezuͤndetes Licht und ein weiß Papier ſetzte, ſo erſchienen die Stellen des Papiers, wo nur wenig Strahlen zu - ſammenkamen, ſchwarz. Daraus zieh ich die Folge, daß das Weiße aus Lichtſtrahlen beſtand, die wenig oder gar keinen Schatten enthielten; das Schwarze dagegen aus reinem Schatten oder doch nur mit wenig Licht vermiſcht; ſodann uͤberzeugte ich mich, daß Schwarz und Weiß die erſte Materie aller Farben ſey, aber daß ſie, um eigentlich zu reden, ſelbſt nicht wirkliche Farben ſeyen.

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II. Wenn man ein Glas rothen Wein auf ein weiß Papier ſetzt und dann eine brennende Kerze der - geſtalt richtet, daß ihr Licht durch den Wein geht und ſich auf irgend einem Fleck des Papiers endigt, ſo wird man daſelbſt ein ſehr glaͤnzendes Roth ſe - hen; naͤhert man aber dieſem Roth ein andres brennendes Licht, ſo wird es merklich gelb. Eben ſo verwandelt ſich das Roth des prismatiſchen Far - benbildes, das glaͤnzend und tief an einem ſchat - tigen Orte iſt, ſogleich in Gelb, wenn man das Bild auf einen Fleck fallen laͤßt, auf den die Strahlen der Sonne unmittelbar auffallen. Daraus konnte ich ſchließen, daß das Roth mehr Schatten und weniger Licht enthalte denn das Gelbe.

III. Wenn man durch einen Brennſpiegel mehrere Sonnenſtrahlen zuſammenzieht und ſie auf ein pris - matiſches Farbenbild wirft, das man vorher in einem mittelmaͤßig erhellten Zimmer durch ein Prisma ſehr glaͤnzend farbig hervorgebracht; ſo verſchwinden dieſe Farben ſogleich; welches ganz deutlich beweiſ’t, daß die urſpruͤnglichen Farben nothwendigerweiſe einen gewiſſen Antheil Schatten mit ſich fuͤhren, der, wenn er durch die haͤufig auf dieſe Farbe verſammelten Strahlen zerſtreut und aufgehoben wird, ſie auch ſo - gleich verſchwinden laͤßt.

IV. Nimmt man fuͤnf Blaͤtter Papier von fuͤnf verſchiedenen Farben, naͤmlich ein violettes, blaues, rothes, gruͤnes und gelbes, und man ſtellt ſie uͤber335 einander in verſchiedenen Reihen an einen Ort, wo - hin man das prismatiſche Farbenbild bringen kann; ſo wird man deutlich ſehen, daß das Rothe dieſes Farbenbildes dunkler und tiefer iſt auf dem violetten Papier als auf dem blauen, auf dem blauen mehr als auf dem rothen, auf dem rothen mehr als auf dem gruͤnen, auf dem gruͤnen mehr als auf dem gelben. Dieſe Erfahrung, die ich ſehr oft mit demſelbigen Erfolg wiederhohlt habe, iſt ein uͤberzeugender Beweis, daß das Violette mehr Schatten als das Blaue, das Blaue mehr als das Rothe, das Rothe mehr als das Gruͤne, das Gruͤne mehr als das Gelbe in ſich enthalte. Denn eine Farbe verfinſtert ſich nur nach Maßgabe des Schattens, mit dem ſie ſich vermiſcht.

V. Hat man Acht auf die Art und Weiſe, wie die Lichtſtrahlen durchs Prisma hindurchgehen, auf die Brechungen, welche dieſe Strahlen erleiden, auf die Schatten, die eine natuͤrliche Folge dieſer Brechungen ſind; ſo bemerkt man, daß das Gelbe des prismatiſchen Farbenbildes mehr Licht und weniger Schatten als alle uͤbrigen Farben enthaͤlt, das Gruͤne mehr Licht und weniger Schatten als das Blaue, das Blaue mehr Licht und weniger Schatten als das Violette, das Violette mehr Schatten und weniger Licht als alle uͤbrigen Farben des Prismas. Denn die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß das Rothe und Violette von beyden Seiten durch Strahlen hervorgebracht wurde, die unmittelbar von Schatten umgeben waren, ver - urſacht durch Brechungen, welche dieſe Strahlen beym336 Durchgang durchs Prisma erlitten hatten; mit dem einzigen Unterſchied, daß diejenigen Strahlen welche das Violette verurſachten, durch die Brechung ſich dem Schatten naͤherten, an den ſie anſtießen, anſtatt daß diejenigen die das Rothe bildeten, ſich durch die Brechung vom Schatten entfernten, der ſie unmittelbar umgab. Daher ſchloß ich, a) daß die Strahlen welche das Violette hervorbringen, mehr Schatten enthalten als diejenigen die das Rothe bilden, weil dieſe ſich durch die Wirkung der Refraction vom Schatten ent - fernen, der ſie umgab, anſtatt daß ſich die andern dem Schatten annaͤherten, der ihnen unmittelbar nach der Brechung nahe lag. Ich folgerte, b) daß das Gelbe weniger Schatten enthalte als das Rothe, das Blaue weniger als das Violette; c) daß das Gruͤne, das nur ein Gemiſch des Gelben[und] Blauen iſt, weniger Schatten enthalte als das Blaue und mehr als das Gelbe; d) endlich, daß das Violette mehr Schatten enthalte als keine andre Farbe, weil es durch Strahlen gebildet war die ſich der Brechung gemaͤß gegen den Schatten bewegten, der ihnen un - mittelbar begegnete. Dieſe kurze und natuͤrliche Er - klaͤrung der prismatiſchen Farben iſt augenſcheinlich bekraͤftigt durch folgenden Verſuch, der ſo angenehm als leicht auszufuͤhren iſt.

VI. Um dieſen Verſuch zu machen, waͤhlte ich die Zeit, als die Sonne auf Haͤuſer traf die dem Fenſter einer ziemlich dunklen Kammer, wo ich mich damals befand, entgegenſtanden, dergeſtalt, daß die zuruͤckge -337 worfenen Sonnenſtrahlen die eine Seite des Fenſters bedeutender erhellten als die andre. Auf einen Tiſch, der nicht weit von der Oeffnung ſtand, legte ich ſo - dann ein weißes Papier, worauf das Licht der zwey Zuruͤckſtrahlungen fiel. Nachdem ich das Fenſter ge - ſchloſſen hatte, erhob ich meine Hand ein wenig uͤber das Papier, um auf beyden Seiten Schatten zu er - regen, und ſogleich bemerkte ich auf dem Papier vier deutliche Farben: Gelb, Blau, Gruͤn und Violett. Das Gelbe erſchien jedesmal an der Stelle, wo das ſtaͤrkſte Licht ſich mit dem ſchwaͤchſten Schatten verband, d. h. auf der Seite der ſtaͤrkſten Wiederſtrahlung; das Blau dagegen zeigte ſich nur an der Stelle, wo das ſchwaͤchſte Licht ſich mit dem ſtaͤrkſten Schatten ver - einigte, d. h. an der Seite der geringſten Wieder - ſtrahlung; das Violette zeigte ſich immer an der Stelle, wo die Schatten der zwey Wiederſtrahlungen zuſammenliefen; und das Gruͤne entſtand durch die Vermiſchung des Gelben und Blauen. Alle dieſe Far - ben entſtanden nur aus den verſchiedenen Vermi - ſchungen von Licht und Schatten, wie es offenbar iſt, und ſie verſchwanden ſogleich, nachdem die Sonne aufgehoͤrt hatte auf die Haͤuſer zu leuchten, die dem Zimmer, wo ich den Verſuch machte, entgegenſtunden, obgleich ſonſt der Tag noch ſehr hell war. Um nun aufs neue dieſelben Farben wieder darzuſtellen, ohne daß man Zuruͤckſtrahlungen der Sonne von ungleicher Kraft noͤthig haͤtte, nahm ich ein angezuͤndetes Licht und ein Buch in Quart, das mir Schatten auf das Papier gaͤbe, um verſchiedene Miſchungen des Tages -II. 22338lichts und ſeines Schattens mit dem Kerzenlicht und deſſen Schatten hervorzubringen: denn ich vermuthete, daß auch hier ſich Farben zeigen muͤßten; welches mir vollkommen gelang. Denn das Tageslicht und der Schatten des Kerzenlichtes bildeten Blau durch ihr Zuſammentreffen; der Schatten des Tageslichts und das Licht der Kerze brachten das Gelbe hervor, und wenn man ſodann das Gelbe mit dem Blauen ver - band, welches ſehr leicht war, ſo entſtand ein ſehr deutlich Gruͤn.

Dieſe drey letzten Verſuche beweiſen ganz klar: einmal, daß die Farben in nichts anderem beſtehen als in Miſchung von Licht und Schatten, und ihre Verſchiedenheit in der Verſchiedenheit der Miſchungen die man machen kann; ſodann, daß das Violette von den andern urſpruͤnglichen Farben ſich dadurch unter - ſcheidet, daß es mehr Schatten hat als die uͤbrigen; das Gelbe, daß es weniger Schatten hat als die andern; das Gruͤne, daß es mehr Schatten hat als das Gelbe und weniger als alle uͤbrigen; das Rothe, daß es mehr Schatten enthaͤlt als Gelb und Gruͤn, weniger als Blau und Violett; das Blaue zuletzt, daß es weniger Schatten enthaͤlt als das Violette und mehr als die uͤbrigen urſpruͤnglichen Farben. Und weil in dieſen drey Verſuchen dieſelbigen Farben immer entſprangen durch dieſelbigen Miſchungen von Schatten und Licht, und da ſie ſogleich verſchwanden, wenn jene beyden aufgehoben waren; ſo ſehen wir339 darin eine uͤberzeugende Probe von der Wahrheit des vorgeſchlagenen Syſtems.

Und da man in dieſem Syſtem eine ſichre Urſache der Natur der Farben uͤberhaupt und einer jeden ur - ſpruͤnglichen beſonders angeben kann, ſo iſt es unnoͤthig, zu unbekannten Urſachen ſeine Zuflucht zu nehmen, wie z. B. die ſtaͤrkeren oder ſchwaͤcheren Schwingungen ei - ner ſubtilen Materie oder die verſchiedenen Umdrehun - gen der kugelartigen Materie, welches bloße Fictionen des Geiſtes ſind, die keinen Grund in der Natur ha - ben, und deren Exiſtenz weder vom Pater Malebran - che, dem Erfinder der erſten, noch von Descartes, dem Erfinder der andern, iſt dargethan worden.

Aus allem vorhergeſagten folgt alſo, daß alle Farben aus Gelb und Blau zuſammengeſetzt ſind: denn das Gruͤne iſt nur eine Vermiſchung von Gelb und Blau, wie denn gelbes und blaues Glas aufeinander gelegt ein Gruͤnes hervorbringt; das Rothe iſt nur ein Gelb mit Schatten gemiſcht, wie es fruͤher bewie - ſen worden; das Violette iſt nur eine Miſchung von vielem Blau mit wenig Roth, wie man erfahren kann, wenn man mehrere blaue Glaͤſer und ein rothes zuſam - menlegt. Weil aber das Blau ſelbſt nur eine Miſchung von Schatten und wenigem Licht, das Gelbe eine Mi - ſchung von vielem Licht und wenigem Schatten iſt, wie wir oben gezeigt haben; ſo iſt offenbar, daß alle Far - ben urſpruͤnglich von dem Schwarzen und Weißen her - kommen, oder was einerley iſt, von Licht und Schatten.

22 *340

Weil man aber das Wort Farbe in verſchiede - nem Sinne nimmt, ſo betrachten wir, um alle Zwey - deutigkeit zu vermeiden, die Farben unter vier ver - ſchiedenen Bedingungen, naͤmlich im gefaͤrbten Gegen - ſtande, im durchſichtigen Mittel, im Sehorgan und in der Seele.

Die Farben in dem gefaͤrbten Gegenſtande ſind nach dem aufgeſtellten Syſtem alles dasjenige, was Ge - legenheit gibt, daß ſich auf erforderliche Weiſe Licht und Schatten zu Farben verbinden, es moͤgen nun die Koͤrper, welche zu ſolchen Vermiſchungen Gelegenheit geben, durchſichtig oder undurchſichtig ſeyn.

Die Farben betrachtet in dem Mittel wodurch ſie zu uns gelangen, beſtehen auch in Verbindung des Schattens und des Lichtes, oder welches daſſelbe iſt, in den verſchiedenen Entfernungen der Lichtſtrahlen be - zuͤglich untereinander.

Die Farben von der Seite des Organs ſind nichts anders als eine Erſchuͤtterung von mehr oder weniger Nervenfaſern, die ſich in der Proportion von einander entfernen, wie die Entfernung der Lichtſtrah - len untereinander war, welche die Retina erſchuͤtter - ten.

Endlich die Farben in Bezug auf die Seele be - ſtehen in verſchiedenen Perceptionen der Seele, wel - che verurſacht werden durch die Erſchuͤtterungen von mehr oder weniger Nervenfaſern des Auges.

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Dieſes vorausgeſetzt, ſo laͤßt ſich nach unſerm Syſtem gar leicht von einer Erfahrung Rechenſchaft geben, welche der Pater Malebranche vorbringt, um das ſeinige zu beſtaͤrken, das auf nichts als auf die Analogie der Farbe mit den Toͤnen gegruͤndet iſt. Dieſe Erfahrung beſteht darin, daß wenn Jemand, nachdem er in die Sonne geſehen und alſo der optiſche Nerve ſtark erſchuͤttert worden, ſodann die Augen ſchließt oder ſich an einen dunklen Ort begibt, ihm in einer Folge verſchiedene Farben erſcheinen, erſt Weiß, dann Gelb und ſo fort Roth, Blau und Schwarz. Denn die Erſchuͤtterungen welche auf verſchiedene Faſern des optiſchen Nerven erregt worden, endigen nach und nach, eine nach der andern, und ſo wird der optiſche Nerv immer in weniger Theilen erſchuͤttert ſeyn, je - mehr Zeit verfloſſen iſt als man die Augen zugedruͤckt hat; und darin beſteht die Folge und die Abwechſelung der Farben die man alsdann ſieht. Ich weiß nicht, wie der Pater Malebranche dieſes Beyſpiel anfuͤhren mochte, um die Verſchiedenheit der Farben durch Ana - logie mit den Toͤnen zu erklaͤren. Denn ein Ton bleibt immer derſelbe, auf derſelben Violinſaite, ob er gleich immer unmerklich ſchwaͤcher wird.

Zum Schluſſe will ich hier zu bemerken nicht unterlaſſen, daß die Erfahrung welche Boyle vom nephritiſchen Holze erzaͤhlt, und welche Herr Pourchot gleichfalls wiederhohlt, ſehr unſicher, dabey aber nicht ſo ſelten ſey als dieſe Philoſophen glauben.

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Die Erfahrung beſteht darin, daß man eine Nacht uͤber, eine gewiſſe Portion nephritiſchen Holzes, mit reinem Brunnenwaſſer uͤbergoſſen, ſtehen laͤßt und mit dieſem Aufguſſe ſodann ein rundes glaͤſernes Gefaͤß anfuͤllt. Dieſes Gefaͤß ſoll, nach dem Bericht obge - dachter beyder Beobachter, gelb erſcheinen, wenn es ſich zwiſchen dem Auge des Betrachters und dem aͤußern Lichte befindet; blau hingegen, wenn das Auge zwiſchen das Licht und die Flaſche gebracht wird. Ich habe dieſen Verſuch oͤfters und faſt auf alle moͤgliche Weiſe gemacht, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken, was dem Blauen ſich einigermaßen naͤherte. Wohl zeig - te ſich das Waſſer gelb, aber auch Stroh wuͤrde es gelb machen, wenn man davon eine Infufion bereitete. Herr Polinier, Doctor der Arzneykunſt, hat mich ver - ſichert, daß er dieſen Verſuch gleichfalls ohne den mindeſten Erfolg vorgenommen habe. Aber wenn er auch richtig waͤre, ſo waͤre es nichts außerordentliches: denn gewiſſe kleine glaͤſerne Geſchirre, deren man ſich bedient um Confituren hinein zu thun, haben alle je - ne Eigenſchaften, welche die Herren Boyle und Pour - chot ihrem nephritiſchen Holze zuſchreiben. Vielleicht kamen dieſe verſchiedenen Farben, die ſie in ihrem Aufguſſe wollen geſehen haben, bloß von der Flaſche, welche vielleicht ein Glas von der Art war wie ich eben erwaͤhnte; welches denn ein bedeutender Irrthum ſeyn wuͤrde.

343

Betrachtungen uͤber vorſtehende Abhandlung.

Wenn der denkende Geſchichtsforſcher mit Betruͤb - niß bemerken muß, daß Wahrheit ſo wenig als Gluͤck einen dauerhaften Sitz auf der Erde gewinnen koͤnnen, da dieſes mit manchem Unheil, jene mit manchem Irrthum beſtaͤndig abzuwechſeln hat; ſo iſt es ihm deſto erfreulicher, zu ſehen, wenn die Wahrheit auch in Zeiten wo ſie nicht durchdringen kann, nur gleich - ſam eine Proteſtation einlegt, um ihre Rechte, wo nicht zu behaupten, doch zu verwahren.

Mit dieſer vergnuͤglichen Empfindung leſen wir vorſtehende Schrift, die wir den Freunden der Wiſſen - ſchaft nicht genug empfehlen koͤnnen. Sie iſt verfaßt von einem unbebekannten, unbedeutenden franzoͤſiſchen Geiſtlichen, der zu derſelben Zeit den echten Funda - menten der Farbenlehre ganz nahe tritt und ſeine Ue - berzeugungen einfach und naiv ausſpricht, als eben Newton von allem Glanze des Ruhms umgeben ſeine Optik bekannt macht, um mit dem wunderlichſten al - ler Irrthuͤmer ein ganzes Jahrhundert zu ſtempeln.

Ein ſolcher Vorgang iſt keinesweges wunderbar: denn außerordentliche Menſchen uͤben eine ſolche Ge - walt aus, daß ſie ganz bequem ihre zufaͤlligen Irrthuͤ - mer fortpflanzen, indeß weniger begabte und begluͤckte keine Mittel finden, ihren wohleingeſehenen Wahrheiten Raum zu machen.

344

Da ſich Nuͤguet jedoch dem rein Wahren nur an - zunaͤhern vermag, da ihm eine vollkommene Einſicht abgeht, da er hie und da in Schwanken und Irren geraͤth; ſo bedarf man gegen ihn einer durchgehenden Nachſicht. Hier muß man einen Schritt weiter gehen, hier ihn ſuppliren, hier ihn rectificiren. Indem wir dieſe unterhaltende und uͤbende Bemuͤhung unſern Le - ſern uͤberlaſſen, machen wir nur auf einige Hauptmo - mente aufmerkſam.

In ſeinem fuͤnften Puncte bemerkt er ganz richtig, daß im prismatiſchen Bilde Gelb und Blau mehr dem Lichte, Roth und Violett mehr dem Schatten angehoͤ - ren; daß das Rothe ſich von dem Schatten entfernt, daß das Violette ſich gegen den Schatten bewegt, der ihm unmittelbar begegnet. Freylich entſteht, nach unſrer gegenwaͤrtigen Einſicht, das Rothe, weil ſich ein truͤbes Doppelbild uͤber das Licht, das Violette, weil ſich ein truͤbes Doppelbild uͤber das Dunkle be - wegt, und ſo ſprechen wir die naͤchſte Urſache dieſer Farbenerſcheinung aus; aber wir muͤſſen doch Nuͤguet zugeſtehen, daß ihm die nothwendige Bedingung der Erſcheinung vorgeſchwebt, daß er auf dasjenige was dabey vorgeht, beſſer als einer ſeiner Vorgaͤnger auf - gemerkt.

Sein ſechſter Punct enthaͤlt die ſaͤmmtlichen Ele - mente der farbigen Schatten. Hier iſt ihm nicht aufgegangen, was dabey phyſiologiſch iſt; auch hat er nicht einmal die zufaͤlligen Erſcheinungen, welche345 ihm durch die ſeiner Camera obſcura gegenuͤberſtehen - den Haͤuſer geboten worden, genugſam in wiederhohl - bare Verſuche verwandelt.

Wenn ihm ferner der Verſuch mit dem nephritiſchen Holze nicht gelingen wollen, ſo ſcheint uns die Urſach darin zu liegen, daß er kein echtes erhalten koͤnnen. Denn eben ſo iſt es uns auch ergangen, ob wir uns gleich aus vielen Apotheken ein ſogenanntes nephriti - ſches Holz angeſchafft haben. An dem Verſuche, den Kircher und nach ihm andre ſo deutlich beſchreiben, hat man keine Urſache zu zweifeln; allein darin hat Nuͤguet voͤllig Recht, daß er auf mehr als eine Art an feſten und fluͤſſigen Mitteln zu wiederhohlen iſt: man darf ihnen nur, auf eine oder die andre Weiſe, eine reine Truͤbe mittheilen, wie wir in unſerm Ent - wurfe umſtaͤndlich angezeigt haben.

Nachdem wir nun am Ende des ſiebzehnten Jahr - hunderts noch ganz unerwartet ein erfreuliches Wahre hervorblicken ſehen, bereiten wir uns zu einem ver - drießlichen Durchwandern jener Irrgaͤnge, aus welchen die Naturforſcher des achtzehnten Jahrhunderts ſich her - aus zu finden weder vermochten noch geneigt waren.

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Nachtrag kurzer Notizen.

Daniel Sennert. Epitome naturalis scientiae. Vitebergae 1633. Seite 567 definirt er die Farbe nach Ariſtoteles und iſt in dieſer Materie ſehr kurz und beſchraͤnkt.

Johann Sperling. Institutiones physicae. Vitebergae 1639. ſtreitet p. 562 gegen Zabarella, das Licht und die Farbe ſeyen nicht Eins.

Johann Amos Comenius. Physicae ad Lumen divinum reformatae synopsis. Amstel. 1643. Iſt mir unbekannt, ob etwas von Farben darin ſtehe.

Marin Merſenne. Cogitata physico-ma - thematica. Paris 1644. Er fertigt p. 485 die Far - ben auf anderthalb Seiten ab, gewiſſermaßen im ariſto - teliſchen Sinne.

Sebaſtian Baſſon. Philosophiae naturalis adversus Aristotelem Lib. XII. Amstel. 1649. p. 530. 554. 555. Visio fit per radiorum ocularium (da - durch werden vom Auge ausgehende Strahlen verſtan - den) qui corporei sunt, factam ab objecto reper - cussionem. Haec repercussio varia est, inde ge - nerantur varii colores. Dieß iſt die Summe ſeiner Abhandlung.

347

Pater Scheiner. In ſeinem Werke oculus Lib. III. Part. 2. c. 11. Deshalb erſcheint in con - vexen Glaͤſern am Rand ein gewiſſes Gedraͤnge von leuchtenden Ringen, Regenbogen und dgl. Dieſe raͤnd - liche Verwirrung ſchreibt ſich von den Seitenſtrahlen her, die ſich in die Hornhaut und in die Feuchtigkei - ten des Auges boͤsartig auf alle moͤgliche Weiſe ein - draͤngen.

Hamberger. Dissertatio de opticis oculorum vitiis. Diejenigen Erſcheinungen, die wir nunmehr als phyſiologiſche, geſetzmaͤßige erkennen, nennt er im Ge - genſatz der vitiorum stabilium, die er eigentlich be - handelt, vitia fugitiva, magis et citius transeuntia. Die Ordnung der abklingenden Farben gibt er folgen - dermaßen an: colore virescente, rubente, mox pur - pureo, tandem violaceo.

Barow. Er ſetzt die Farbenerſcheinung lect. 12, sub finem in constipata et rara seu segnius concitata luce.

Johannes Faber. In ſeinem Werke Panchy - micus Buch III. Cap. XII. p. 388. ſchreibt folgender - maßen: Mercurius, Schwefel und Salz ſind die inner - ſten Wurzelanfaͤnge der Dinge, welche durch mannig - faltige Kochung und Verarbeitung in verſchiedenen Un - terlagen gar beſondere Eigenſchaften annehmen. Des - wegen leitet der Schwefel, der die innere materielle und hervorbringende Urſache aller Farben iſt, durch348 ſeine einfache Kochung alle Farben ab. Wenn er roh und unvollkommen oder ſchwaͤchlich ſeine Kochung voll - bringt, ſo verſchafft er die gruͤne und weiße Farbe; kocht er aber vollkommen in vollkommen reinen An - faͤngen, ſo bringt er die rothe Farbe und die feurige zum Vorſchein; kocht er unvollkommen in reinen An - faͤngen, dann wird das Gelbe, Gruͤne, Weiße, nach den verſchiedenen Graden der unvollkommenen Kochung, hervorgefuͤhrt und ans Licht gebracht. Wirkt er aber ſehr unvollkommen in unreinen Anfaͤngen, ſo bringt er die ſchwarze Farbe hervor und andre, die man auf die Schwaͤrze beziehen kann.

Johann Baptiſta du Hamel. Philoso - phia vetus et nova, pag. 729. Wenn man Kupfer - feile mit Harngeiſt aufloͤſt, ſo wird die blaue Farbe der Tinctur ſogleich aufgehoben, wenn man Vitrioloͤl zugießet. Aber ſalzige und ſchwefelige Liquoren, wenn ſie die Theile die erſt zerſtreut waren, in eins zuſam - menbringen, erzeugen neue Farben; welches auch alle Niederſchlaͤge und tauſend Verſuche beweiſen.

Philipp Ludwig Boͤmer. Physica positiva. Helmstaedt 1704. p. 120. Color nihil aliud est quam radiorum modificatio vel diversus motus, quo corpus coloratum radios recipit et ad oculos remittit.

349

Uebergang zur Geſchichte des Colorits.

Nachdem wir uns bisher im Theoretiſchen wie auf Wogen von einer Seite zur andern geworfen geſehen, ſo laͤßt ſich erwarten, daß uns im Practiſchen gleich - falls keine vollkommene Sicherheit begegnen werde. Denn obgleich der Practiker vorzuͤglich vor dem The - oretiker als ganzer Menſch handelt und bey der That immer durch aͤußere Bedingungen mehr auf den rech - ten Weg genoͤthigt wird; ſo kommt doch dabey eben ſoviel Hinderliches als Foͤrderliches vor, und wenn auch irgend Jemand, durch Genie, Talent, Geſchmack, etwas Außerordentliches leiſtet; ſo kann der Grund hie - von, weder als Maxime, noch als Handgriff, ſo leicht uͤberliefert werden.

Maler und Faͤrber ſind zwar durchaus den Phi - loſophen und Naturforſchern in Abſicht auf Farbenlehre im achtzehnten Jahrhundert weit vorgeſchritten; doch konnten ſie ſich allein aus der Verworrenheit und In - conſequenz nicht helfen. Die Geſchichte des Colorits ſeit Wiederherſtellung der Kunſt, welche wir an dieſer Stelle einſchalten, wird hieruͤber das Beſondere an - ſchaulich machen. Um den Vortrag nicht zu unterbre - chen, findet ſich dieſe Geſchichte bis auf den heutigen Tag durchgefuͤhrt, wobey vorauszuſehen iſt, daß die herrſchende Theorie dem Kuͤnſtler keine Huͤlfe leiſten konnte, weil ſie die dem Maler zum Gegenſatze des Lichtes ſo noͤthigen Bedingungen, die Begraͤnzung und den Schatten, aus der Farbenlehre verbannt hatte.

[350]

Geſchichte des Colorits ſeit Wiederherſtellung der Kunſt.

Ob der Florentiner Eimabue oder Guido von Siena, ob der Piſaner Berlingheri oder irgend ein an - derer aus dem dreyzehnten Jahrhundert, der erſte gewe - ſen, der ſeine Augen wieder auf die Natur gewendet, dieſelbe nachzuahmen ſich bemuͤht und dadurch den in der Irre ſchlafenden Genius der Kunſt wieder geweckt und auf den rechten Weg gefuͤhrt, in dieſen Streit, der ſchon manche Feder abgenutzt, laſſen wir uns nicht ein; genug fuͤr unſern gegenwaͤrtigen Endzweck, daß Cima - bue in jener erſten Zeit der neuern Kunſt, wenn auch nicht vor allen andern die Bahn gebrochen, doch wenig - ſtens die bedeutendſten Fortſchritte gemacht. Vorzuͤg - lich iſt er uns merkwuͤrdig, weil ſein Colorit, oder beſſer zu ſagen, ſeine Farben, wiewohl noch im Licht weiß, in den Schatten braun und ſchmutzig, doch im Ganzen betrachtet unſtreitig etwas freundlicher ſind, heller und munterer, als wir ſie bey ſeinen uͤbrigen Zeit - genoſſen gewahr werden.

351

Durch Cimabue’s Schuͤler, den großen Giotto, erhielt die Kunſt wichtige Verbeſſerungen. Das Colo - rit in ſeinen beſten Werken unterſcheidet ſich von dem ſeines Meiſters vortheilhaft durch waͤrmere Fleiſchtin - ten. Die Schatten oder vielmehr die dunklen Partieen ſind zwar faſt eben ſo ſchwach, aber etwas weniger ſchmutzig und fallen zuweilen ins Grauliche.

Unter Simon Memmi, Thaddaͤus Gaddi und an - dern ſonſt beruͤhmten Schuͤlern des Giotto gewann das Colorit nichts, als daß es in einigen Arbeiten des er - waͤhnten Gaddi kraͤftiger mit beſſer auseinandergeſetzten Farben erſcheint. Giottino, der etwas ſpaͤter als die genannten auftrat, brachte mehr Uebereinſtimmung ins Ganze, bediente ſich bluͤhenderer Tinten und verſtand bereits dieſelben nach Erforderniß des Gegenſtandes ab - zuwechſeln. Vornehmlich ſind die Schattenpartieen durch ihn kraͤftiger geworden, haben auch etwas mehr Wahrheit erhalten als in den Werken der fruͤheren Meiſter der Fall iſt.

Durch den Lorenzo di Bicci erhielt das Colorit abermals Verbeſſerungen. Dieſer Kuͤnſtler liebte das Helle und Muntere der Farben und wußte die Maſſen der Localtinten rein aufzutragen und zart abzuwechſeln, ſo daß man in einigen noch uͤbrigen Arbeiten von ihm Gewaͤnder von derſelben Farbe wahrnimmt, welche mit vollkommen befriedigender Kunſt nur um eine zarte Nuͤançe von einander unterſchieden ſind, und nichts deſtoweniger deutlich ſich abheben, wodurch der Kuͤnſt -352 ler eben ſowohl Ruhe als eine harmoniſche Mannigfal - tigkeit in ſeine Werke gebracht hat. Er mag daher wohl unter die guten Coloriſten gerechnet werden und iſt unſtreitig der beſte ſeines Zeitalters. Er lebte wahr - ſcheinlich von 1350 bis 1427.

Maſſolino da Panicale, anfaͤnglich ein plaſtiſcher Kuͤnſtler, bereicherte die Malerey, wozu er uͤberging, durch beſſere Beobachtung von Licht und Schatten, wo - durch ihm denn zuerſt die richtige Darſtellung verkuͤrz - ter. Glieder gelang. Und da er ſich uͤberhaupt groͤßerer Schattenpartieen bediente, als vorher gebraͤuchlich war; ſo erhielt auch ſein Colorit im Ganzen dadurch mehr Saͤttigung. Nach wenigen Ueberbleibſeln ſeiner Werke zu urtheilen, ſcheinen die beleuchteten Stellen jedoch etwas zu weiß gerathen; die beſchatteten hingegen fal - len zu ſehr ins Rothbraune.

Bey Maſſolino’s Schuͤler, dem vortrefflichen Ma - ſaccio, ſind die Fleiſchtinten etwas wahrhafter, und er wußte das Colorit mit Meiſterſchaft zur Bedeutung, zur Verſtaͤrkung des Ausdrucks ſeiner Figuren anzu - wenden. Helle und dunkle Maſſen ſind ſehr wohl un - terſchieden, ruhig und breit gehalten, wodurch die Far - be uͤberhaupt angenehmer wird. Die Schatten aber fallen auch bey ihm zu ſehr ins Rothbraune.

Mit lieblichen zarten Tinten malte der ſelige Fra Giovanni da Fieſole ſeine frommen Bilder. Wir finden in denſelben zuerſt eine allgemeine, im Ganzen353 herrſchende Uebereinſtimmung. Sie ſcheint indeſſen nicht ſowohl aus Ueberlegung entſproſſen, oder mit Bewußt - ſeyn hervorgebracht, ſondern aus der Naturanlage, dem Hang dieſes liebenswuͤrdigen Malers zum Lieblichen, Sanften, herzuruͤhren.

Noch etwas bluͤhender und lebhafter ſind die Ge - maͤlde ſeines Schuͤlers Gentile da Fabriano, und ſchon mehr Kraft wußte Fra Filippo Lippi den ſeinigen mit - zutheilen. Doch hatten ſie alle drey die von Maſſo - lino und Maſaccio eingefuͤhrten roͤthlichen Schatten beybehalten. Beym Fra Giovanni da Fieſole trifft man dieſelben am ſtaͤtigſten an. Gentile da Fabriano iſt uͤberhaupt etwas gemaͤßigter darin. Fra Filippo Lippi hat ſie in vielen Bildern beynah uͤbertrieben roth gemacht. In andern, welche uͤberhaupt kraͤftiger und vielleicht ſpaͤtre Arbeiten ſind, iſt er zwar mehr grau aber auch etwas ſchmutzig in den Schattenpartieen.

Die Erfindung der Oelfarben, oder wenn man einem unfruchtbaren Streit ausweichen und lieber ſa - gen will, die beſſere Anwendung derſelben durch Jo - hann van Eyck, hat auf das Colorit ſehr bedeutenden Einfluß. Der Natur dieſer Farben und der Behand - lungsweiſe, welche ſie zulaſſen, gemaͤß wurde nun alles nach und nach weichlicher, mehr vertrieben, geſaͤttig - ter. Vornehmlich erhielten die Schattenpartieen mehr Kraft, Durchſichtigkeit, Anmuth und Leben. Die Folge hievon war, daß mehr Schatten in den Gemaͤlden an - gewendet wurden, woraus endlich der duͤſtre CharakterII. 23354entſprang, der bey einem großen Theile der Werke neue - rer Maler der vorherrſchende iſt.

Van Eyck mag bereits vor 1450 Gemaͤlde in Oel - farbe verfertigt haben. Was uns unter ſeinem Namen vor Augen kam, iſt mit Fleiß und Treue der Natur nachgeahmt, zeigt aber uͤbrigens keine Eigenſchaften, welche fuͤr eine weſentliche und unmittelbar durch den genannten Kuͤnſtler bewirkte Verbeſſerung der Kunſt zu coloriren gelten koͤnnten. Nicht anders iſt es auch mit den Arbeiten der damals beruͤhmten deutſchen Maler, des Martin Schoͤn und Michael Wohlgemuth, beſchaffen.

Haben wir bisher unter den vorzuͤglichen Befoͤrde - rern des Colorits keine andre als bloß toscaniſche Mei - ſter zu nennen gehabt, weil die neuere Malerey in Tos - cana und vornehmlich zu Florenz ihren fruͤhſten Sitz faßte; ſo treten nunmehr auch venezianiſche Kuͤnſtler in die Schranken. Dieſe oder die von ihnen geſtiftete Schule hat um ſo groͤßeren Einfluß auf unſere Ge - ſchichte, als ſie das Colorit zu ihrer Hauptangelegen - heit gemacht und unſtreitig die allervollkommenſten Mei - ſter dieſes Fachs aus ihr hervorgegangen ſind.

Daß einige der ſpaͤteren Arbeiten des Bartolomeo Vivarino in Oelfarben gemalt ſind, iſt zwar wahr - ſcheinlich, doch koͤnnen wir ſolches nicht mit vollkomm - ner Zuverlaͤſſigkeit behaupten. Verſchiedene vorzuͤgliche Bilder von ihm ſind zwiſchen 1470 und 1480 gemalt, und auf alle Faͤlle gehoͤrt er unter die beſten Meiſter355 im Colorit. Seine Tinten ſind von anmuthiger Klar - heit und man bemerkt im Allgemeinen ſchon die ſchoͤne Eigenthuͤmlichkeit der venezianiſchen Malerſchule in ih - rer erſten Entſtehung.

Giovanni Bellini that noch etwas mehr Bluͤthe und Kraft hinzu und war unter den Malern des ſtren - geren aͤlteren Styls unſtreitig der beſte Coloriſt.

Werfen wir nun abermals einen Blick auf die florentiniſche Malerſchule; ſo ſehen wir dort, vom An - drea Verocchio unterrichtet den Pietro Perugino her - vorgehen, der zwar ebenfalls dem alten ſtrengen Styl noch anhing, aber mit bluͤhenderen zarteren Farben malte als irgend einer ſeiner Vorgaͤnger. Wir duͤrfen ihn jedoch, da ſeine Schattenfarben in Oelgemaͤlden gruͤnlich grau und in Arbeiten al Fresco roͤthlich ſind, nur im beſchraͤnkten Sinne und bezuͤglich auf ſeine Schule, ſeine naͤchſte Umgebung, nicht aber im Allge - meinen, als einen Verbeſſerer des Colorits auffuͤhren, weil der erwaͤhnte Johann Bellini, ſein Zeitgenoſſe, ja wahrſcheinlich noch um einige Jahre aͤlter als er, ihm in der That uͤberlegen und naͤher zur Wahrheit ge - langt iſt.

Durch Leonardo da Vinci, der ebenfalls aus der Schule des Andrea Verocchio hervorging, erhielt das Colorit mittelbar eine hoͤchſt bedeutende Verbeſſerung. Dieſer große Kuͤnſtler beobachtete naͤmlich Licht und Schatten mit weit mehr Genauigkeit als zuvor geſche -23 *356hen war. Er malte zwar mit wenig freundlichem et - was hefenartigen Colorit; aber ſeine Werke zeigten nun durch zart angegebene Mitteltinten die Rundung der Theile, richtiges Vor - und Zuruͤcktreten derſelben und eine große noch nie geſehene Kraft in den Schatten.

Hieraus entſtand nun in naͤchſter Folge das maͤch - tige Colorit des Fra Bartolomeo di San Marco, und die venezianiſche Schule blieb nicht zuruͤck. Giorgio Barbarelli da Caſtel Franco, genannt Giorgione, ein Zoͤgling des Giovan Bellini, bediente ſich bey eben ſo kraͤftigen Schatten, noch gluͤhenderer Tinten, und hatte es ſo weit gebracht, daß fuͤr den gleich auf ihn fol - genden, von demſelben Lehrer unterrichteten Tiziano Ve - celli kaum noch ein kleiner Schritt zu thun uͤbrig blieb, um ſich zur hoͤchſten uns bekannten Vortrefflichkeit des Colorits zu erheben.

Obgleich Raffael von Urbino und Andrea del Sar - to bewundernswuͤrdige Werke geliefert, jener beſonders Namen und Ruhm des erſten aller neueren Maler mit Recht verdient, und alle beyde ein treffliches Colorit be - ſeſſen; ſo war doch dieſe Seite nicht die glaͤnzendſte ihrer Kunſt, und beyde ſind von ihren oben erwaͤhnten Zeitgenoſſen, Giorgione und Tizian, uͤbertroffen worden.

Ohngefaͤhr daſſelbe kann man auch von Albrecht Duͤrer, von Holbein und Lucas Kranach ſagen. Duͤ - rern gelangen zwar zuweilen die hellen Tinten des Fleiſches ſehr wohl; allein die Schatten ſind gewoͤhnlich357 ſchwach oder fallen ins Gruͤnliche, wenn er ſie kraͤftig machen wollte. Holbein ahmte die Farben der Natur - gegenſtaͤnde ſehr treu nach. Er iſt zarter in den Tin - ten als Duͤrer, weiß den Pinſel gewandter zu fuͤhren, und die Beſtimmtheit artet ſelten bey ihm in Haͤrte aus. Lucas Kranach war noch ein beſſerer und viel - leicht der beſte unter den ultramontanen Coloriſten. Einige ſeiner Arbeiten wuͤrden, die Beleuchtung abge - rechnet, auf welche er nicht Acht hatte, in Hinſicht auf Wahrheit und Bluͤte der Fleiſchtinten ſelbſt neben Tizian beſtehen. Es iſt aber auch wahrſcheinlich, daß Kranach Tizians Arbeiten ſtudirt, ja vielleicht mit dem Meiſter ſelbſt perſoͤnlichen Umgang gepflogen habe.

Eine Eigenſchaft desjenigen Theils der Malerey, deſſen Geſchichte wir hier zu bearbeiten uͤbernommen, iſt bisher noch nicht beruͤhrt worden, wir meynen die Harmonie der Farben. Zwar wird ſolche unter dem allgemeinen Begriff des Colorits gewoͤhnlich mit gefaßt, kann aber auch als abgeſondert von demſelben gedacht werden. Die Harmonie alſo, fuͤr ſich allein betrachtet, beſteht im ſchicklichen, zweckmaͤßigen, Nebeneinander - und Gegeneinanderſetzen der Farben; Colorit hingegen, im ſtrengen und eingeſchraͤnkten Sinne, bedeutet nur die kuͤnſtliche Miſchung derſelben und die treue Darſtel - lung der Natur.

Auf die Wahrheit ihrer Farbenmiſchung nun hat - ten die Meiſter der venezianiſchen Malerſchule ihr Hauptaugenmerk gerichtet, und darin angezeigtermaßen358 einen ſehr hohen Grad erreicht; ja Tizian iſt viel - leicht in dieſem Stuͤck fuͤr vollkommen und unuͤbertreff - lich zu halten. Mit der Harmonie der Farben fanden ſie ſich hingegen leicht ab, und wenn unſre dießfallſi - gen Beobachtungen gegruͤndet ſind, ſo beſtanden die Re - geln, welche ſie ſich daruͤber gemacht hatten, ohngefaͤhr aus folgendem.

Erfahrung lehrt, daß das Rothe als Farbe das Auge am maͤchtigſten reizt, daß vornehmlich der Lack oder Purpur, hoͤchſt geſaͤttigt, warm und milde, den Begriff von Pracht und Wuͤrdigkeit zu erregen, und zugleich die Fleiſchtinten hervorzuheben geſchickt iſt. Dieſe Farbe wurde alſo ihrer angefuͤhrten Eigenſchaf - ten wegen haͤufig, jedoch mit der Vorſicht gebraucht, daß ſie in der Mitte des Bildes erſcheint, oder huͤben und druͤben, oder auch, in weitlaͤuftigen Compoſitionen, dergeſtalt ausgetheilt, daß das Gleichgewicht erhalten wird.

Naͤchſt dem Purpurroth, welches faſt immer in voller Kraft und rein erſcheint, ſieht man die gelbe Farbe in allen Abſtufungen, vom hellſten Gelb bis zum Dunkelbraunen haͤufig gebraucht. Sie reizt zwar das Auge ungleich weniger als Roth, iſt aber warm und ſteht in Verwandtſchaft mit den Fleiſchtinten, ſo wie mit dem Purpur; dahingegen Gruͤn und Blau, als Gegenſaͤtze von Roth und Gelb betrachtet und daher nur ſparſam, der Mannigfaltigkeit wegen und zur Be - lebung der uͤbrigen, angewendet wurden.

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In allen Gemaͤlden der beſten Meiſter aus der venezianiſchen Schule glauben wir ein Uebergewicht der activen Farben wahrgenommen zu haben. Daher kommt das Warme und Ruhige im Ganzen. Das Auge wird zwar nicht durch buntes regelloſes Farben - gewirre unangenehm erſchuͤttert, aber auch nicht ver - mittelſt des harmoniſchen heitern Spiels des geſamm - ten Farbenkreiſes erfreulich beruͤhrt.

Die großen venezianiſchen Meiſter des Colorits haben faſt ohne Ausnahme die Regel beobachtet, ſich ungemiſchter ganzer Farben zu den Gewaͤndern zu be - dienen, damit die gemiſchten Tinten des Fleiſches beſ - ſer gehoben werden, jene hingegen als Maſſen von entſchiedener Farbe deutlicher in die Augen fallen ſoll - ten. Changeante Gewaͤnder findet man daher nie, oder nur als hoͤchſt ſeltene Ausnahmen. Sogar das Violette ſcheint als eine gemiſchte Farbe betrachtet und nicht eben beliebt geweſen zu ſeyn.

Tizian hat vor den Uebrigen oft weißes Gewand oder Leinenzeug angebracht und ſolches vorzuͤglich gut gemalt. In Hinſicht auf Harmonie der Farben war dabey ſein Zweck, die zarten Fleiſchtinten ſeiner nakten weiblichen Figuren vortheilhaft zu heben und bluͤhen - der erſcheinen zu laſſen. Ja er hatte ſich’s wie zum Geſetz gemacht, wo immer moͤglich zwiſchen lich - tes Fleiſch und farbiges Gewand etwas Weiß anzu - bringen.

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Aus dem Vorhergehenden hat ſich gezeigt, zu wel - chen Eigenſchaften das Colorit durch die Bemuͤhungen der groͤßten Meiſter aus der venezianiſchen Schule ge - langt war. In der Carnation ſind ſie nie uͤbertroffen, ja nicht einmal erreicht worden; aber der allgemeine Begriff von Colorit, ſo wie wir oben denſelben mit leichten Zuͤgen entworfen, wurde durch die Werke des Antonio Allegri von Correggio noch mehr erweitert.

Er malte zwar mit ausnehmend zarten, bluͤ - henden Tinten, konnte aber doch im Licht, weder die Wahrheit des Tizian, noch die Glut des Giorgione er - reichen. Sein hauptſaͤchlichſtes Studium ging auf die Beleuchtung, auf Darſtellen und zweckmaͤßiges Anwen - den derſelben zum gefaͤlligen Effect, zuweilen ſogar zur hohen Bedeutung in ſeinen Werken. Bey keinem Maler findet man daher ſo ſanfte Uebergaͤnge vom Licht zum Schatten, ſo reingehaltene Maſſen, ſo durchſichti - ge klare Schattenpartieen, keiner hat die Widerſcheine ſo genau beobachtet, und ferner ſcheint er uns der erſte geweſen zu ſeyn, welcher auf die Harmonie des Gan - zen durch kuͤnſtliches Nebeneinanderſtellen und Entgegen - ſetzen der Farben gedacht hat. Das Farbenſpiel iſt da - her in ſeinen Werken mannigfaltiger, lebhafter und froͤhlicher als in den tizianiſchen, und dieſes iſt die Erweiterung, welche das Colorit dem Correggio ſchuldig geworden. Er wird mit Recht fuͤr das Haupt, fuͤr den Stifter der lombardiſchen Malerſchule angeſe - hen, und dieſe Schule, indem ihre Kuͤnſtler alle mehr oder weniger den Correggio zum Muſter genommen,361 zeichnete ſich in dem groͤßten Theil ihrer Werke durch kraͤftige Schatten und Farben aus. Sie waren dunk - ler aber auch geſaͤttigter, mehr harmoniſch und von auf - ſallenderer Wirkung als die florentiniſchen; nicht ſo wahr und warm in ihren Fleiſchtinten wie die Ve - nezianer. Man bediente ſich der gelben und Purpur - farbe weniger, hingegen der blauen Farbe mehr zu Gewaͤndern, beſonders in den Figuren des vorderſten Grundes, wodurch die Bilder uͤberhaupt einen Charakter von Ernſt, das Colorit von großer Kraͤftigkeit erhal - ten. So ſind z. B. die Gemaͤlde des Parmeggianino, eines der vorzuͤglichſten Maler der lombardiſchen Schule und anfaͤnglichen Nachahmers des Correggio, beſchaffen.

Die heitere, angenehme Manier, deren ſich Frie - drich Barocci von Urbino bediente, iſt mehr fuͤr eine Abirrung als fuͤr eine Erweiterung der Kunſt in Ab - ſicht auf das Colorit zu betrachten. Dieſer Meiſter pflegt alle Farben in den Gewaͤndern gerne hoch, im reinſten glaͤnzendſten Zuſtand anzuwenden. Im Fleiſch ſind die Lichter gewoͤhnlich etwas zu gelb, die Mittel - tinten zu blau, das Roth ſcheint mehr Schminke als natuͤrliche Roͤthe; ſeine Schattenfarben ſind ſchoͤn klar, die Maſſen von Hell und Dunkel, einzeln genommen, zwar groß, deutlich, nicht unterbrochen; Licht und Schatten aber, beſonders in weitlaͤuftigen Compoſitio - nen, etwas zu ſehr zerſtuͤckelt, wodurch die Ruhe des Ganzen leidet. Manche Bilder von dieſem Meiſter ſind daher buntfleckig. In den beſten ſucht er ſich362 mit einem uͤber das Ganze verbreiteten, gelblichen Tone zu helfen, und wenn wir nicht irren, ſo iſt Barocci der erſte der dieſes Huͤlfsmittel angewendet hat, welches, wie wir im Verfolg ſehen werden, ſpaͤter oͤfters gebraucht worden, um die Harmonie der Far - ben zu erſetzen.

Jacopo Baſſano, Tintoret und Paul Veroneſe, Haͤupter der venezianiſchen Schule, folgten der von Giorgione und Tizian eingefuͤhrten Weiſe, zwar nicht als knechtiſche Nachahmer, doch unterſchied ſich ihr Colorit auch nicht als eigenthuͤmlich, ſondern es muß daſſelbe als Nuͤançirung des allgemeinen Charakters, wodurch die venezianiſche Schule ſich von den uͤbrigen unterſcheidet, angeſehen werden. Baſſano bediente ſich, beſonders in Gewaͤndern, haͤufiger der auflaſirten Far - ben. In den Gemaͤlden des Paul Veroneſe wird das heiterſte Farbenſpiel wahrgenommen, und Tintoret hat vor anderen ſeiner Landsleute kraͤftige Schatten ange - wandt.

Nachdem die florentiniſche Schule einige Zeit den ſogenannten manierierten Styl mit unnatuͤrlichen uͤber - triebenen Formen, mattem, vernachlaͤßigten, unange - nehmen Colorit geuͤbt hatte, ſo traten aus derſelben bald wieder verſchiedene Kuͤnſtler auf den Weg der Natur und bemuͤhten ſich, vornehmlich dem Colorit beſ - ſere Eigenſchaften zu erwerben. Jacopo Chimenti da Empoli malte ſeine beſten Bilder mit großer Kraft und ſehr warmer Farbe. Ludwig Cardi, genannt363 Cigoli, erhielt den Beynamen des florentiniſchen Cor - reggio, weil er in der That kraͤftig, mit klaren Schat - ten und uͤberhaupt gutem Ton des Colorits arbeitete. Doch die florentiniſche Schule verehrt den Chriſtofano Allori als ihren vorzuͤglichſten Coloriſten. Seine Bil - der ſind kraͤftig, ungemein bluͤhend und angenehm; wovon der halbnackte Juͤngling, im beruͤhmten Ge - maͤlde dieſes Kuͤnſtlers, das den heiligen Julianus vor - ſtellt, und ſonſt im Pallaſt Pitti und jetzt zu Paris be - findlich, ein Zeugniß geben mag. Denn man moͤchte von dieſem Koͤrper, wie von jenem griechiſchen ſagen: er ſey mit Roſen genaͤhrt.

Doch ungefaͤhr um eben dieſe Zeit ſchien die Ma - lerey ihren vornehmſten Sitz in Bologna nehmen zu wollen: denn es lebten daſelbſt die drey Carracci, Kuͤnſtler von ewig dauerndem Ruhm. Sie ſelbſt zwar haben von Seiten des Colorits die Kunſt weder erwei - tert, noch darin einen auffallend ſich unterſcheidenden Charakter behauptet; hingegen werden kuͤnftig ver - ſchiedene, aus ihrer beruͤhmten Schule hervorgegange - ne Kuͤnſtler genannt werden, welche denkwuͤrdige Neu - erungen eingefuͤhrt haben.

Michel-Angelo Merigi von Carravaggio unterwarf ſeine Kunſt unbedingt der Natur, und ſtellte edle und unedle Formen mit gleicher ſcheinbarer Treue dar, un - tereinander, ohne weitere Wahl, wie ſie ihm vorkamen. Den Farben gab er eine bisher noch nie geſehene Staͤrke. Seine meiſten Gemaͤlde haben mehr Schatten364 als Licht, indem er dieſes als ſehr hoch einfallend an - zunehmen pflegte, und als ob die Scene an einem dunklen, von einem einzigen Strahl erleuchteten Ort waͤre. Die gemeine Wahrheit dieſer Darſtellungen, die auffallende große Wirkung ihrer Beleuchtung und das gewaltige Colorit erwarben ſich lebhaften Beyfall und manche Nachahmer. Unter dieſen bemerken wir vor andern den Joſeph Ribera, genannt Spagnoletto, der mit eben ſo gewaltigen Schatten, mit nicht weniger Geiſt und Lebhaftigkeit und mit noch wahrhafteren Localtinten gemalt, deſſen Figuren aber ebenfalls meiſtentheils aus der gemeinen Natur aufgegriffen ſind, und obwohl in ſich ſelbſt charakteriſtiſch, doch gewoͤhnlich niedriger und gemeiner als es des Kuͤnſtlers Vorhaben und Zweck erfordert haͤtte.

Francesco Barbieri von Cento, Quercino genannt, wiewohl aus der Carracciſchen Schule, folgte doch der vom Carravaggio eingefuͤhrten Weiſe. Indeſſen ſind ſeine Geſtalten, ſeine Darſtellungen uͤberhaupt, ja wir duͤrfen ſagen ſeine Geſinnungen edler. Eine ruͤh - rende Naivetaͤt ziert nicht ſelten ſeine kraft - und effectvollen Werke. Das Colorit beſonders betreffend iſt Quercino uͤberhaupt, wenn nicht wahrhafter, doch zarter und gefaͤlliger als Carravaggio, und weil ſein Geſchmack gebildeter war, ſo erſcheinen ſeine beſten Werke farbenreicher und dem Auge angenehmer.

Auch der große Guido Reni bediente ſich in ſeinen fruͤhern Gemaͤlden hoͤchſt kraͤftiger großer Schattenpar -365 tieen und bekleidete ſolche im Licht mit noch zarteren und helleren Fleiſchtinten als Quercino. Daher kann man ſeine in dieſem kraͤftigen Geſchmack des Colorits behandelten Bilder als hoͤchſte Gipfel deſſelben betrach - ten. Als nun Guido in der Folge zu einer, jener dunklen kraͤftigen ganz entgegengeſetzten, hellen Art zu malen uͤberging, wo die Gegenſtaͤnde gleichſam im off - nen Raume und vollen Licht dargeſtellt ſind; ſo wurde durch ihn die Kunſt zu coloriren, wenn ſchon nicht im Weſentlichen verbeſſert, doch erweitert. Die herr - ſchenden ſilbergrauen Mitteltinten ſind zuerſt von dieſem Kuͤnſtler eingefuͤhrt worden. Francesco Albani, der Zeitgenoſſe des Guido, mit ihm aus einer Schule her - vorgegangen, malte eben ſo heiter in offnem Lichte, mit lieblicher bluͤhenden Tinten als ſonſt irgend ein anderer Kuͤnſtler der bologneſiſchen Malerſchule aufzu - weiſen hat.

Des Domenichino groͤßtes Verdienſt lag nicht auf der Seite des Colorits, und wir haben alſo ſeiner als eines der groͤßten Kuͤnſtler hier bloß im Vorbey - gehen zu gedenken. In Fresco malte er heiter, die Schattenfarben ſpielen etwas ins Gruͤnliche, bilden aber nicht ſo große vorwaltende Partieen wie bey Quercino und andern.

Hier iſt es Zeit, uns zur niederlaͤndiſchen Maler - ſchule zu wenden, welche in der erſten Haͤlfte des ſiebzehnten Jahrhunderts eben in ſchoͤner Bluͤthe ſtand, und das Colorit zu einem ihrer Hauptzwecke gemacht366 hatte. Rubens und van Dyk glaͤnzen unter den Co - loriſten der erſten Reihe; mit ihnen Rembrand, ein großer Meiſter im Colorit und noch groͤßerer im kuͤnſtlichen Gebrauch des Lichtes und des durch Wie - derſcheine unterbrochnen Schattens. David Tenier, Adrian von Oſtade, Gerard Douw, Mezuͤ, Terburg, und nebſt ihnen noch viele andre ſind als Coloriſten beruͤhmt.

Die Eigenſchaft aber, wodurch ſich die nieder - laͤndiſche Malerſchule hinſichtlich auf das Colorit von den andern im Allgemeinen unterſcheidet, oder viel - mehr worin ſie andern vorgegangen, iſt der Ton, nicht derjenige, den die Kunſtſprache Localton oder Ton der Tinten heißt: denn wiewohl viele nieder - laͤndiſche Kuͤnſtler auch in dieſem Puncte vortrefflich waren, ſind ihnen die Venezianer doch darin uͤberlegen geweſen; ſondern wir verſtehen hier die eine, im Ganzen eines Bildes vorherrſchende Farbe, eingemiſcht oder als Laſur uͤbergezogen, ſo daß die Darſtellung dem Auge wie durch das Medium eines gefaͤrbten Glaſes erſcheint.

Dieſer Art, eine gefaͤllige Uebereinſtimmung der Farben zu bewirken, ſcheint ſich, wie oben gedacht worden, Friedrich Barocci zuerſt bedient zu haben; aber ſie iſt bey den Niederlaͤndern nachher weiter ausgebildet und haͤufiger gebraucht worden.

Zu eben der Zeit war auch die franzoͤſiſche Schule im Zuſtand ihres hoͤchſten Flors; inzwiſchen gibt ſie367 fuͤr unſre gegenwaͤrtige Betrachtung nur geringe Aus - beute, weil kein Kuͤnſtler derſelben ſich im Colorit beſonders hervorgethan. Das Fach der Landſchaft verehrt zwar in Claude Lorrain ſeinen groͤßten Meiſter, und vorzuͤglich iſt das Colorit deſſelben im hoͤchſten Grade heiter, zart und wahrhaft; allein die Land - ſchaftsmalerey laͤßt dem Coloriſten, vermoͤge ihrer Natur, weniger Freyheit und Spielraum als im hiſtoriſchen Fache der Fall iſt.

Von ſpaniſchen Malern ſind dem Schreiber dieſer Nachrichten nur Velasquez und Morillo aus eigener Anſchauung einzelner Werke bekannt. Beyde ſcheinen in Hinſicht auf das Colorit unter die vorzuͤglichſten Meiſter ihrer Zeit zu gehoͤren. Vom Velasquez be - hauptete Mengs: derſelbe ſtehe, in Betreff des Scheins von Luft und Abloͤſung eines Gegenſtandes vom andern, ſelbſt dem Rembrand nicht nach. Wir aber haben nur Bildniſſe von ihm geſehen, welche ſich durch kuͤhnen Pinſel und wahre warme Fleiſchtin - ten vortheilhaft auszeichnen. Morillo malte, wie ſich aus verſchiedenen Bildern von ihm, welche ſich in deutſchen Galerien befinden, ergibt, Gegenſtaͤnde aus dem gemeinen Leben anmuthig, mit kraͤftigem, der Natur angemeſſenen Colorit; allein es finden ſich auch religioſe Darſtellungen, wo ſeine Farbe noch waͤrmer und den beſten venezianiſchen Malern nach - geahmt ſcheint.

Wir wenden uns nun wieder nach Italien, wo -368 ſelbſt Pietro Beretini von Cortona zu Rom, unter Pabſt Urban dem achten, und einigen folgenden Paͤbſten, viele große Werke in Oelfarben und al Fresco ausgefuͤhrt. Unerſchoͤpflich reich in Erfindungen be - handelte er ſeine Bilder mit einem zwar ſehr fluͤchtigen, aber angenehmen Pinſel und wußte das Colorit ſo - wohl als die Beleuchtung, nach Erforderniß des Gegenſtandes, bald heiter und froͤhlich, bald ernſt und ſehr kraͤftig zu halten. Warum er uns aber bey unſern gegenwaͤrtigen Betrachtungen vorzuͤglich merk - wuͤrdig ſeyn muß, iſt die Austheilung der Farben zum Behuf allgemeiner Harmonie; und wir getrauen uns zu behaupten, daß Beretini hierin der groͤßte Meiſter geweſen.

Schon oben bemerkten wir, wie die vornehmſten Maler der venezianiſchen Schule die Energie der rothen Farbe erkannt, ſolche in ungefaͤhr gleichen Maſſen durch ihre Bilder ausgetheilt und ihr verhaͤltnißmaͤßig viel Gelb zugeſellt, woraus eine harmoniſche, obgleich ſtreng genommen etwas monotone Wirkung entſprang. Correggio beſaß ein zartes und lebhaftes Gefuͤhl fuͤr die Harmonie der Farben; dieſes leitete ihn oft richtig, doch ſcheint er die Regeln, worauf Harmonie ſich gruͤndet, nicht erforſcht zu haben, deswegen er ſich zu - weilen durch Miſchungen zu helfen ſucht. Auch wurde durch ſchoͤne Beleuchtung, milde Uebergaͤnge, vortreff - liche Maͤßigung und Abſtufung des Lichtes, oder was man ſonſt Haltung zu nennen pflegt, jener Mangel gleichſam zugedeckt und unmerklich gemacht. Den369 Malern der niederlaͤndiſchen Schule iſt ſehr wahr - ſcheinlich eben ſo wenig Gruͤndliches vom Harmonie - ſpiel der Farben bekannt geweſen, und ſie ſetzten an deſſen Stelle, wie erwaͤhnt worden, den Ton. Daß ſie die Wirkung der Farben, das Maaß ihrer Energie, Freundſchaft und Abneigung, noch weniger als die Venezianer eingeſehen, erhellet faſt unwider - ſprechlich aus einem großen ſchoͤnen Gemaͤlde des van Dyk in der Tribune der florentiniſchen Galerie, wo derſelbe eine unzulaͤngliche Harmonie durch will - kuͤhrlichen Gebrauch von Licht und Schatten zu er - zwecken ſuchte, ſo naͤmlich, daß mehr oder weniger Hell und Dunkel an die Stellen geſetzt iſt, wo der be - abſichtigte Endzweck durch Anwendung ſchicklicher Farben beſſer und ſicherer erreicht worden waͤre.

Bey Pietro von Cortona hingegen nimmt man, da wo er es fuͤr zutraͤglich fand, ein froͤhliches mannigfaltiges Farbenſpiel wahr. Nach Erforderniß wußte er aber auch das Ganze gehoͤrig zu maͤßigen, niederzuhalten und gleichſam ins Duͤſtre oder Traurige herabzuſtimmen. Immer ſind indeſſen verwandte, be - freundete Farben, die ſich wechſelſeitig heben, neben - einander geſetzt, und widerwaͤrtige Contraſte finden ſich niemals in ſeinen Werken. Die ganze neuere Kunſt hat kein Gemaͤlde aufzuweiſen, worin die Aus - theilung der Farben eine ſo gefaͤllige Wirkung thaͤte, als dieſes Meiſters Altarbild bey den Capuzinern zu Rom, den Paulus darſtellend, der ſein Geſicht wieder empfaͤngt, oder das weitlaͤuftige DeckengemaͤldeII. 24370im barberiniſchen Pallaſt. Ob er auch uͤbrigens von dem Werth und der Wirkung einer jeden Farbe allein und im Verhaͤltniß zu den andern, von ihrer wechſel - ſeitigen Verwandtſchaft oder Abneigung, von den Regeln, nach welchen ſie durch Uebergang und Gegen - ſatz zu gebrauchen ſind, ob er von dieſem allen wiſſen - ſchaftlich unterrichtet geweſen und mit klarem Bewußt - ſeyn gehandelt, oder ſich bloß ſeinem richtigen Gefuͤhl uͤberlaſſen und durch praktiſche Ausbildung einer vorzuͤglich gluͤcklichen Naturanlage ſo viel zu leiſten vermocht, ſind wir nicht im Stande mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit zu entſcheiden. Am wahrſcheinlichſten iſt es, daß er zwar nach einigen Regeln gehandelt, die aber nicht uͤberall ausgereicht, und daß er als - dann das uͤbrige nach Gefuͤhl und Gutduͤnken hin - zugefuͤgt habe: denn ſein Verfahren in Abſicht der Vertheilung der Farben hat ſich nur auf eine ſehr un - vollkommene Weiſe auf die Schuͤler fortgepflanzt.

Der vorzuͤglichſte unter ihnen, Ciro Ferri, zeigt zwar im Allgemeinen ſeiner Manier Aehnlichkeit mit dem Geſchmack ſeines Meiſters; doch in beſonderer Hinſicht auf Harmonie der Farben verdient keines ſeiner Werke als Muſier angefuͤhrt zu werden.

Andrea Sacchi lebte ungefaͤhr zu gleicher Zeit mit Pietro von Cortona und ſeine Arbeiten werden ſogar wegen eines ſanften Scheins und wegen Ueber - einſtimmung geſchaͤtzt und gelobt. Dieſes Lob jedoch ſcheint uns weniger im wirklich Harmoniſchen der371 Farbenanwendung oder Austheilung als vielmehr in der Einfoͤrmigkeit und zuweilen in der Anwendung des Tons begruͤndet zu ſeyn, und uns gibt Sacchi zu keinen weitern Bemerkungen Anlaß.

Sacchi’s beruͤhmter Schuͤler Carlo Maratti hat in ſeinen Bildern zuweilen kraͤftige geſaͤttigte Farben ge - braucht, iſt aber alsdann gewoͤhnlich unruhig geworden. In andern, beſonders von ſeiner ſpaͤtern Zeit, brachte er hellere Miſchungen an, konnte aber dabey das Matte nicht vermeiden.

Der Reapolitaner Luca Giordano iſt in ſeinen beſſern Werken ein guter Coloriſt. Seine Fleiſchtinten ſind heiter und bluͤhend; wo indeſſen bey ihm das Ganze in harmoniſcher Uebereinſtimmung iſt, ruͤhrt ſolche vom Ton, nicht aber von kuͤnſtlicher Vertheilung der Farben her.

Zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hat auch ſelbſt in Italien ein verderbter Geſchmack ſich uͤber die Kunſt verbreitet. Piazzetta, Corrado und Solimena waren Maͤnner von guten Talenten, aber ſie wendeten ſie nur an, um von der gaffenden Menge Lob einzuaͤrnten, keineswegs aber zum Vergnuͤgen vernuͤnftiger gebildeter Menſchen. Ihre Werke ſind reich, mit kuͤhnem Pinſel behandelt, aber voll wilden Getuͤmmels. Solimena als der beruͤhmteſte iſt der am wenigſten erfreuliche; oft grau und kalt, oft von grellen unangenehmen Gegenſaͤtzen heller und dunkler24 *372Farben, und wenn er beynahe in allen Theilen der Kunſt Bloͤßen gegeben, ſo geſchah es doch vorzuͤglich im Colorit und der Harmonie der Farben, wo er Geſchmack und Regeln am frechſten beleidigte.

Romanelli, Cignani, Franceschini, Lutti und andre haben vielleicht weniger geirrt, doch finden wir unnoͤthig etwas weiter von ihnen zu ſagen, weil keiner derſelben ſich auf eine bedeutende Art aus - gezeichnet.

In Frankreich bluͤhte vornehmlich die Bildniß - malerey. Rigaud und Largilliere wurden als große Meiſter dieſes Faches angeſchen, indeſſen mußten ſie ſich nach den grellen rauſchenden Farben bequemen, welche die Mode ihrer Zeit erforderte; doch wuͤrden ſie auch, vermoͤge der allgemeinen Richtung des Ge - ſchmacks ihrer Schule, bey voͤlliger Freyheit, in Be - treff der Harmonie der Farben, wahrſcheinlich nur wenig geleiſtet haben: wie wir an Coypel, Wateau, Lancret, Reſtout und vielen andern wahrnehmen. Jouvenet, von Anlagen einer der achtungswertheſten Kuͤnſtler der franzoͤſiſchen Schule, hat in den Ge - maͤlden, welche wir von ihm geſehen, bloß die Ueber - einſtimmung, welche ein gelber Ton und ſein ſchmel - zender Pinſel gewaͤhren koͤnnen.

Die ſchoͤne Zeit der niederlaͤndiſchen Schule war bereits voruͤbergegangen. Sie bietet uns nichts be - merkenswerthes fuͤr dieſe unſre Betrachtungen.

373

In Deutſchland folgten die Bildnißmaler theils der Manier des Rigaud und Largilliere, theils ar - beiteten ſie, wie Kupezky und andre, mit dunklerer Beleuchtung und Farbe, und haben uͤberhaupt wenig Anmuth. Unter den Geſchichtsmalern waren Daniel Gran und Holzer die vorzuͤglichſten, von deren groͤßern wohlerhaltenen Werken Schreiber dieſer Nachrichten keine anſchauliche Kenntniß hat; allein er vermuthet ſie werden, was die Harmonie der Farben betrifft, ihren uͤbrigen Zeitgenoſſen wenig uͤberlegen ſeyn, zu - mal Gran, welcher unter Carl Maratti und Solimena ſtudirt hatte. Auf dieſe folgte nun C. W. E. Dietrich, geboren 1712, welcher eigentlich Misbrauch von bunten Farben gemacht, ausgenommen da, wo er die Manier niederlaͤndiſcher Maler nachgeahmt und vermittelſt des Tons Uebereinſtimmung erzielt hat.

Friedrich Oeſer, wenige Jahre ſpaͤter geboren als Dietrich, war allerdings ein Kuͤnſtler von großen Talenten und man kann ihm eine Neigung zum Ueber - einſtimmenden nicht ablaͤugnen; doch hat er ſolches nicht durch kunſtmaͤßige Vertheilung der Farben, ſon - dern durch Daͤmpfung ihres natuͤrlichen Glanzes zu erreichen geſucht, ſo daß die Harmonie ſeiner Bilder eigentlich aus dem ſchwachen Colorit derſelben ent - ſpringt.

Bald nach Oeſer trat ſodann Mengs auf und erwarb ſich unſterblichen Ruhm, indem durch ſein Bemuͤhen und Beyſpiel die Malerey uͤberhaupt zu374 groͤßerem Ernſt, einem ſtrengeren reineren Styl, beſon - ders in der Zeichnung, zuruͤckgefuͤhrt wurde. Sein Colorit, vorzuͤglich in Fresco-Gemaͤlden, iſt ſchoͤn und warm. Er bediente ſich uͤberhaupt gern der lebhaften, hohen, glaͤnzenden Farben; indeſſen haben wir weder am Parnaß in der Villa Albani, noch im Manu - ſcriptenzimmer der vaticaniſchen Bibliothek eine kunſt - maͤßige Vertheilung der Farben nach Regeln bemerken koͤnnen. Im Deckenſtuͤck der Kirche San Euſebio, dem fruͤhſten oͤffentlichen Werke des Kuͤnſtlers in Rom, hat er die gefaͤllige Uebereinſtimmung des Ganzen durch gelben Ton zu bewirken geſucht, der auch an dieſem Orte und Gegenſtand ſchicklich angebracht iſt.

Die Schuͤler und Nachahmer von Mengs, Knoller, Unterberger, der juͤngere Conca und andre, haben ſich ſaͤmmtlich heller Farben in ihren Werken befliſſen; aber keiner derſelben hat in dieſem Theil der Kunſt einige Vorſchritte gemacht, oder ſich um Erforſchung der wahren Regeln bemuͤht. Alle ſind, wo ſie ſich nicht durch gelben Ton halten, entweder bunt und unruhig, oder froſtig und unfreundlich geworden, wie ſolches beſonders dem Schwager von Mengs, Maron, in hiſtoriſchen Darſtellungen mit Oelfarben faſt immer begegnet iſt.

Angelica Kauffmann folgte, in Hinſicht auf das Colorit, ebenfalls der von Mengs eingefuͤhrten Weiſe und lie