Aufgemuntert durch die nachſichtsvollen und zum Theil nicht unguͤnſtigen Urtheile des Publikums uͤber den erſten Theil dieſes Voͤlkerrechts, wuͤrde ich nicht angeſtanden haben, die uͤbrigen Theile nachfolgen zu laſſen, waͤre ich nicht durch mancherley Zufaͤlle von einer Zeit zur andern daran gehindert worden. Endlich ſehe ich mich im Stande, hier wenigſtens den zweiten Theil zu liefern, der aus mehr als einem Betracht gleicher Nachſicht bedarf. Meiner vor - maligen Abſicht nach ſolte derſelbe die noch uͤbrigen Grundſaͤtze des europaͤiſchen Voͤlkerrechts in Friedenszeiten in ſich faſſen und dieſe Materie beſchlieſſen; ich ſehe mich aber durch die Menge von Materialien genoͤthigt, noch einen dritten Theil hinzuzufuͤgen, welcher die Ausfuͤhrung der einzelnen Hoheits - rechte in Beziehung auf das Voͤlkerrecht enthalten ſoll. Ich beſorge allerdings, daß mir von einigen der Vorwurf einer zu groſſen Weitlaͤuftigkeit in Anfuͤhrung der Beiſpiele gemacht werden duͤrfte; ich war auch mehr als einmal entſchloſſen, mich weniger dabey aufzuhalten; allein die Betrachtung: daß bey dem ſogenanten poſitiven Voͤlkerrechte das meiſte auf Beiſpiele ankomme, und daß die Saͤtze deſſelben eigentlich durch das Anerkentnis aller oder doch der meiſten und vor - zuͤglichſten Nazionen Europens beſtaͤttigt werden ſolten, be - ſtimte mich, von der bisherigen Methode nicht abzugehn,* 2undVorerinnerung.und ich hoffe, daß viele mir es im Gegentheil Dank wiſſen werden, hier manches Beiſpiel anzutreffen, das ſonſt, be - noͤthigten Falls, muͤhſam aufgeſucht werden muͤſte, zumal da ich mich meiſt der eignen Worte der Vertraͤge und Staats - ſchriften bedient habe.
Einige Erinnerungen, die man bey dem vorigen Theile gemacht hat, habe ich beſtens zu benutzen geſucht. Dahin gehoͤrt, daß ich den wuͤrklich nicht ganz angemeſſenen Aus - druck: Halbſouverain ſowohl von Landen als von Regenten gaͤnzlich aufgegeben und mich der, wie ich glaube, ſchickli - chern Benennung von Landesherrn und landeshoheitlichen Staaten bedient habe. Gegen andere Einwuͤrfe lieſſe ſich manches ſagen, ich will mich aber bey deren Widerlegung nicht aufhalten. Verſichern kann ich indes, daß mir iede gegruͤndete und belehrende Anmerkung angenehm ſeyn wird.
Der dritte und letzte Theil ſoll baldmoͤglichſt nachfolgen. Alsdann wird es von dem Wunſche des Publikums und von meinen uͤbrigen Verhaͤltniſſen abhangen, ob die verſprochene Ausarbeitung der uͤbrigen Voͤlkerrechts-Materien erſcheinen ſoll und kann. Wenigſtens hoffe ich mit einem Auszuge und der Fortſetzung des Georgiſchen Urkundenverzeichniſſes in Abſicht des Voͤlkerrechts keine unnuͤtze Arbeit zu unternehmen.
Die eingeſchlichenen Druckfehler wird der Leſer groͤſtenteils zu bemerken und zu verbeſſern im Stande ſeyn, da ich durch Abweſenheit und andere Umſtaͤnde behindert worden, die Bogen behoͤrig durchzuſehn. Dresden, am 28. April 1792.
Die Natur ſelbſt hat zwar den Nationen eben ſo wenig, als einzelnen Menſchen einen beſtimmten Theil von den Guͤthern der Erde angewieſen; doch hat ſie ihnen in dem Geſetze der Erhaltung und Vervol - kommung [1. Buch. 6. K. 2 — 6 §. ] zugleich das Recht zugeſtanden, ſich aller zu Erreichung dieſes End - zwecks erforderlichen Dinge zu bemaͤchtigen, in ſofern den gleichen Rechten der andern dadurch kein Eintrag geſchieht. Das, was einzelne Menſchen und Fami - lien im natuͤrlichen Zuſtande, oder, nach EntſtehungGuͤnth. Voͤlk. 2. B. Ader2Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerder Staatsvereine, ganze Voͤlker auf dieſe Art an ſich bringen, wird ihr Eigenthum, das ſie, mit Aus - ſchlus aller uͤbrigen, nach ihrem Gefallen zu gebrauchen berechtigt ſind.
Alle Dinge waren urſpruͤnglich ohne einen beſtimm - ten Eigenthuͤmer, [res nullius] obſchon alle Menſchen das Recht hatten, ſich derſelben ohne Unterſchied zu ihrer Erhaltung und Vervolkommung zu bedienen. Es war iedem ſelbſt uͤberlaſſen, ſo viel als er hierzu noͤthig fand, an ſich zu nehmen. Wer eine Sache zuerſt zu ſeinem Gebrauch ergrif, dem gehoͤrte dieſelbe, ſo lange er ſich ihrer bediente, eigenthuͤmlich. Niemand war befugt, ihn an dieſer Ergreifung zu hindern, weil keiner ein mehreres Recht auf die Sache hatte. Es war den andern frey, von den noch uͤbrigen Guͤthern ſich ebenfalls das Noͤthige zu bemaͤchtigen. Dies war die erſte urſpruͤngliche Erwerbungsart [acquiſitio origi - naria.] Niemanden ſtand auch an der einmal zu eigen gemachten Sache nun ein Recht weiter zu, ſie muͤſte denn von dem erſten Eigenthuͤmer aufgegeben, und wieder herrnlos geworden ſeyn, oder dieſer ſeine Rechte einem andern foͤrmlich uͤberlaſſen haben [acqui - ſitio derivativa.] Jedem gebuͤhrte der wilkuͤhrliche und ausſchließliche Gebrauch, nicht nur der ſich eigenthuͤm - lich angemaaſten Hauptſache, ſondern auch aller derſel - ben anhangenden Nutzungen und kuͤnftigen Zuwuͤchſe [acceſſiones.]
*] Aus3und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.Jede Sache, woran niemand noch Eigenthum ge - habt hat [res nunquam occupata], oder die durch Ver - laſſung des erſten Eigenthuͤmers wieder in den natuͤrli - chen Zuſtand zuruͤckgegangen iſt, [res derelicta] kanndaher5und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.daher durch bloſſe Beſitzergreifung zu Eigenthum ge - macht werden. Dieſe Beſitznehmung erfodert nun zwar eben keine beſtaͤndige koͤrperliche Innehabung, a] ſie muß jedoch ſo beſchaffen ſeyn, daß der Wille, ſich eine Sache zuzueignen, und ſie ausſchlusweiſe zu ſeinen Ge - brauch zu behalten, daraus deutlich erhelle, und, daß dieſe dadurch den Anmaaſſungen anderer entzogen wer - de. Sie erfodert gewiſſe Thathandlungen, welche die - ſes beides zu bewirken im Stande ſind. Der bloſſe Wille und deſſen Erklaͤrung iſt eben ſo hinlaͤnglich, als die Beſitzergreifung ohne Abſicht der Zueignung. Daß die Sache, welche man ſich zueignen will, eines aus - ſchließlichen Beſitzes faͤhig ſeyn, und niemanden da - durch eine Beleidigung zugefuͤgt werden muͤſſe, bedarf keines weitern Beweiſes. b]
Das Eigenthum beſteht theils in beweglichen, theils in unbeweglichen Guͤtern, auch gewiſſermaaſſen in un - koͤrperlichen Dingen, naͤmlich in Gerechtſamen; wozu bei den Nazionen die Majeſtaͤtsrechte oder Regalien und deren ausſchließlicher Gebrauch gehoͤren. a] Das vorzuͤglichſte Eigenthum der Voͤlker, wovon die uͤbri -A 3gen6Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkergen Rechte groͤſtentheils abhangen, beſteht in den un - beweglichen Guͤthern derſelben, ihrem Territorium oder Gebiete: und davon ſoll in dieſem Buche gehandelt werden. Da dies wiederum theils aus feſtem Lande, theils aus Waſſer und was beiden anhaͤngig, zuſammen - geſetzt iſt, ſo will ich von dieſen verſchiedenen Gegen - ſtaͤnden nunmehro in beſondern Abſchnitten handeln.
Es laͤßt ſich nicht wohl ein Volk ohne den Beſitz ei - nes gewiſſen Erdſtriches denken, wenn er auch nur, wie bey den herumziehenden Nazionen, eine Zeit lang dauern ſolte. Die Voͤlker Europens haben laͤngſt ihre beſtimten Wohnplaͤtze. Es ſey nun, daß dieſe Laͤnder zuerſt von einzelnen Familien bewohnt worden, die nachher in einen Staat ſich verbunden, oder, daß be - reits ganze Voͤlker ſich derſelben bemaͤchtigt, und ſie un - ter die Buͤrger vertheilt haben; ſo ſteht dem Volke nicht nur das Eigenthum, ſowohl des ganzen Landes, als gewiſſermaaſſen der Beſitzungen einzelner Buͤrger, zu, ſondern es hat auch, was zum Weſen der Voͤl - ker gehoͤrt, zugleich die Oberherrſchaft [Souverainetaͤt] uͤber das ganze Land und uͤber alle in deſſen Umfange befindliche, angebaute und unangebaute Oerter, Plaͤtze, Waͤlder und andere Zwiſchenraͤume erlangt, dergeſtalt,daß7und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.daß keinem andern Volk erlaubt iſt, ſich eines Eigen - thums oder Herrſchaft uͤber irgend etwas darinn anzu - maaſſen.
Vermoͤge des natuͤrlichen Rechts der Erhaltung und Vervolkommung iſt es jedoch jeder Nazion er - laubt, neue unbebaute Laͤnder aufzuſuchen, und in je - ner Abſicht ſich mehreres Eigenthum, ohne Nachtheil anderer, zu verſchaffen. Als die Vergroͤſſerungsbegier - de der Voͤlker Europas in dieſem Welttheile keine hin - laͤngliche Befriedigung mehr fand, fingen ſie, mittelſt der immer mehr ausgebildeten Schiffahrt, an, auf Entdeckung neuer Laͤnder auſſer demſelben auszugehn. Portugal und Spanien waren bekantlich die erſten, welche zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts ein ſol - ches Unternehmen mit gluͤcklichem Erfolg ins Werk ſetzten. Sie bedurften hierzu weiter keiner Einwilli - gung oder Erlaubnis anderer Nazionen. Ganz uͤber - fluͤſſig und widerrechtlich, aber den Vorurtheilen dama - liger Zeiten angemeſſen, waren daher die Verguͤnſti - gungen, a] welche dieſe Maͤchte ſich uͤber ihre Entdeckun - gen und deren Beſitz von den Paͤbſten ertheilen lieſſen, und worinn zugleich andere Nazionen von aͤhnlichen Unternehmungen ausgeſchloſſen werden ſolten.
Wenn unangebaute und unbewohnte Gegenden, die nicht in dem Gebiete eines andern Volks liegen, keinen Eigenthuͤmer haben, ſo iſt kein Zweifel, daß ſich jede Nazion derſelben nach Gefallen bemaͤchtigen und zueig - nen koͤnne, und daß ſolche, da ſie alle gleiche Rechte darauf haben, derjenigen gehoͤren, die ſie zuerſt in Be - ſitz nimt, ohne daß eine andere ihr desfals Einhalt thun koͤnte.
Ganz anders verhaͤlt ſichs aber, nach den Grund - ſaͤtzen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts, mit den von Wil - den bewohnten Laͤndern. Ein Land, das einmal be - wohnt iſt, kann, weil es nicht mehr herrnlos [res nullius] iſt, von Rechts wegen, ohne Bewilligung der Bewohner, von keiner andern Nazion eigen gemacht, und ihrer Herrſchaft unterworfen werden, deſſen Be - wohner moͤgen auch noch ſo wild, roh und ohne Be - griffe von Religion und Gottesdienſt ſeyn. Indes ha - ben die europaͤiſchen Voͤlker hierinn allerdings ganz an - dere Grundſaͤtze angenommen, und ſich, beſonders un - ter dem Schein der Ausbreitung chriſtlicher Religion, fuͤr berechtigt gehalten, nicht nur die Lande der Wil -A 5den10Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerden in Amerika einzunehmen, ſondern auch ihre vorigen Beſitzer nicht ſelten ganz zu vertilgen.
Um das Eigenthum dergleichen Lande, es ſey auf welche Art es wolle, zu erlangen, iſt es nicht hin - laͤnglich, ſie entdeckt zu haben, oder blos die Abſicht der Bemaͤchtigung an den Tag zu legen. Sie muͤſſen auf vorerwaͤhnte Weiſe [§. 3.] wirklich in Beſitz genommen werden. Das beſitzergreifende Volk muß, z. B. auf der Inſel ꝛc. wirklich landen, gewiſſe Grenzen abſte - cken a] und ſie entweder gleich mit Mannſchaft beſetzen, oder wenigſtens ſolche Veranſtaltungen zuruͤcklaſſen, woraus andere, die nachher dahin kommen, ſogleich ab - nehmen koͤnnen, daß ſie einen Eigenthuͤmer habe, und nicht mehr herrnlos ſey. Die Anbauung muß nachher auch wirklich erfolgen; denn wenn dieſes nicht ge -ſchieht,12Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerſchieht, ſo ſind andere Nazionen nicht verbunden, blos durch das etwa aufgeſteckte Zeichen eines Kreuzes oder eines andern Merkmals, b] daß bereits jemand da ge - weſen, ſich von der wirklichen Beſitznehmung abhalten zu laſſen, c] weil es unerlaubt iſt, ein Land, das man ſelbſt nicht anbauen kann oder will, ſich zuzueignen, blos um andere von deſſen Benutzung auszuſchlieſſen. d]
Es entſtehen nicht nur in den vorerwaͤhnten Faͤllen daruͤber Streitigkeiten, daß zwey oder mehrere Nazio - nen ein und daſſelbe Land in Beſitz nehmen, und ſich zueignen wollen, ſondern verſchiedene europaͤiſche Maͤch - te haben auch ſchon verlangt, daß keine Nazion weiter ſich auf einer andern Gegend der naͤmlichen Kuͤſte ꝛc. die ſie beſitzen, niederlaſſen, oder gewiſſer Laͤnder, auf deren Beſitz ſie ſelbſt keine Anſpruͤche machen, ſich blos darum nicht anmaaſſen ſolle, weil ſie durch die Naͤhe dieſer Beſitzungen ihrem Handel ꝛc. leicht ſchaͤdlich werden koͤnten. a] Wie ungerecht aber dieſes Verlangen ſey, erhellet leicht aus dem Grundſatz, daß es keiner Na - zion erlaubt ſey, ein Land blos aus der Urſach in Beſitz zu nehmen, um andere von deſſen Nutzen auszuſchlieſ - ſen, wenn es ſelbſt nicht im Stande iſt, daſſelbe zu bebauen. b] Kein Volk hat ſeines eignen Nutzens wegen zu dieſer Ausſchlieſſung ein Recht, wenn andere nicht durch Vertraͤge ihrem natuͤrlichen Erwerbungsrechte freiwillig entſagt haben, oder das algemeine Wohlder17und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.der uͤbrigen Nazionen dergleichen nothwendig er - fodert. c]
Wenn bey dergleichen Streitigkeiten uͤber das Ei - genthum und den Beſitz zwiſchen mehreren Nazionen kein Theil dem andern ſolche uͤberlaſſen will, ſo bleibt nichts uͤbrig, als daß ſie das Land entweder in Ge - meinſchaft beſitzen, oder es fuͤr neutral erklaͤren, we - nigſtens ſo lange, bis das Eigenthumsrecht des einen unterſucht und entſchieden worden.
Das, was in dem Vorhergehenden feſtgeſetzt wor - den, findet auch nicht nur in Abſicht Teuſchlands, als eines ſouverainen Staats im Ganzen, ſondern auch bey den einzelnen teutſchen Landesherrn und andern blos mit Landeshoheit verſehenen Staaten Platz, wenn ſie durch ihre Lage oder andere Umſtaͤnde beguͤnſtigt wer - den, neue Entdeckungen zu unternehmen.
Da nach obigen Grundſaͤtzen das Volk, welches einen Strich Landes in Beſitz nimt, das Eigenthum und die Herſchaft uͤber alles erlangt, was in deſſengan -19und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.ganzem Umfange ſich befindet, ſo gehoͤren ihm ohne Zweifel auch die vom Lande eingeſchloſſenen Gewaͤſſer, groſſe und kleine, flieſſende oder ſtehende Landſeen, Stroͤme, Fluͤſſe, Baͤche, Teiche ꝛc. mit ihrem Bette, Ufern und Waſſer, ſamt deren Benutzung ausſchließ - lich, dergeſtalt, daß keine andere Nazion berechtigt iſt, ohne Erlaubnis ſich irgend etwas davon anzumaaſſen. Sie machen einen Theil des Gebiets aus, und ein Volk iſt leicht im Stande, ſich im Beſitz derſelben zu erhalten, damit ſie nicht wieder in natuͤrlichen Zuſtand zuruͤckfallen.
Ein Volk, welches ein noch unbewohntes Land in Beſitz nimt, kan allerdings auch den an der aͤuſſerſten Ausdehnung ſeines Gebiets etwa vorbeilaufenden Fluß ganz ſich zueignen, wenn jenſeits nicht ſchon ein ander Volk Rechte darauf erworben hat. Im Fall aber zwey Nazionen von beiden Seiten zugleich das Land in Be - ſitz nehmen, oder es wenigſtens von einem ſolchen zwey Staaten trennenden Gewaͤſſer nicht zu erweiſen iſt, daß der eine zuerſt den ganzen Fluß ſich zugeeignet habe, ſo gehoͤrt jedem, weil ſie beide gleiche Rechte darauf ha - ben, das Eigenthum deſſelben bis in die Mitte; wenn ſie durch Vertraͤge, das beſte Auskunftsmittel in dieſemB 2Stuͤcke,20Von dem Eigenthum und Gebiete der VoͤlkerStuͤcke, nicht ein anders feſtzuſetzen fuͤr gut finden. a] In den meiſten Voͤlkervertraͤgen wird aber auch ge - woͤhnlich die Halbſcheid angenommen, b] und nur ſel - ten dem einen Volke der ganze Fluß eingeraͤumt. c]
Aendert ein Fluß, wie es zuweilen geſchieht, ploͤtz - lich ſeinen Lauf, indem er ſich einen ganz andern Weg macht, ſo behalten die daran liegenden Voͤlker eben das Recht am Bette, welches ſie am Fluſſe hatten. Gehoͤrte er beiden zur Haͤlfte, ſo gehoͤrt ihnen auch das Bette bis in die Mitte; hatte einer das Eigenthum allein, ſo bleibt ihm auch das verlaſſene Bette, weil bey Scheidung des Eigenthums nicht ſowohl auf das voruͤberflieſſende Waſſer, als auf das feſtgegruͤndete Bette deſſelben Ruͤckſicht zu nehmen iſt. Anders ver - haͤlt es ſich bey unmerklichen An - und Abſpielungen auf der einen und der andern Seite, wovon in dem fol - genden Abſchnitte bey den natuͤrlichen Anwuͤchſen, und in dem Kapitel von den Grenzen des Gebietes noch et - was zu ſagen ſeyn wird.
Weit mehrern Schwierigkeiten iſt die Beſtimmung des Eigenthums und der Herſchaft der groͤſſern auf der Oberflaͤche der Erde befindlichen Waſſermaſſen, die man Meere und offene Seen nennt, unterworfen. Dieſe wichtige Materie hat von ieher, ſowohl unter den Schriftſtellern, als unter den Nazionen, mancher - ley Streit verurſacht. a] Einige haben die voͤllige Freiheit des Meeres uͤberhaupt von allem Eigenthum und Herſchaft und den iedermann offenſtehenden Ge -B 5brauch26Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerbrauch deſſelben behauptet. b] Andere ſuchten das Recht und die Moͤglichkeit von deſſen Beſitznehmung zu erweiſen, und ſchrieben dieſem und ienem Volke das Eigenthum und die Herſchaft des Meeres zu. c]
Die Gruͤnde der erſtern beſtehen darinnen: Sie ſagen 1] der Nutzen und Gebrauch des Meeres ſey unerſchoͤpflich, [inexhauſti vſus] es koͤnne ein ieder ſich deſſelben bedienen, ohne daß dem andern dadurch etwas entzogen oder er gehindert wuͤrde, auf dem Meere, z. B. ebenfals zu ſchiffen, zu fiſchen ꝛc. ꝛc. die Abſicht der ausſchließlichen Zueignung falle daher weg, und es ſey nicht erlaubt, eine Sache der Gemeinſchaft zu entziehn, die einen hinlaͤnglichen Nutzen und Gebrauch fuͤr alle gewaͤhre. 2] Das Meer laſſe keine Grenzbeſtimmung zu, welche doch Statt finden muͤſte, wenn mehrere ſich das Eigenthum deſſelben anmaaſſen wolten. 3] Keine Macht der Erde ſey, wegen des groſſen Umfangs der offenbaren See, hinlaͤnglich, den zum Eigenthum er - foderlichen Beſitz zu ergreifen, und mit Ausſchlus an - derer zu behaupten.
Die Gegner erwidern: 1] Jede Sache, die kei - nen Herrn habe, gehoͤre dem, der ſich derſelben zuerſt bemaͤchtige. Dieſer Grundſatz ſey auf das Meer ſo - wohl, als auf die Erde anwendbar. Dieſe ſey in ih - rem Gebrauche ebenfals unerſchoͤpflich und doch ein Ei - genthum einzelner Nazionen. 2] Das Meer koͤnne allerdings durch die Kuͤſten, Klippen, Seebaͤnke, In - ſeln, Vorgebuͤrge, durch den Kompas, durch die Gra - de der Meereslaͤnge und Breite, Aequinoctialzirkel und andere in der mathematiſchen Erdbeſchreibung angenom - mene und in der Schifskunſt bekante Beſtimmungen begrenzt werden. 3] Zum Eigenthum ſey eben nicht ein beſtaͤndiger koͤrperlicher Beſitz erfoderlich; man koͤn - ne auf einem Landesbezirke eben ſo wenig uͤberal ſeyn, und ieden Fremden abhalten; genug, daß man einRecht27und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.Recht habe, ihn abzuweiſen, wenn man ihn finde. Um dies auf dem Meere zu bewuͤrken, ſey die beſtaͤn - dige Unterhaltung einer Flotte hinlaͤnglich.
Noch andere ſchlagen einen Mittelweg ein und ge - ben zwar Eigenthum und Herſchaft des Meeres zu, aber unter gewiſſen Einſchraͤnkungen, wenn naͤmlich ein Volk ſolche durch Vertraͤge mit den uͤbrigen, ganz, oder nach gewiſſen Theilen erlangt hat. d]
Was das Meer im Algemeinen betrift, haben nach meinem Urtheile einzelne Nazionen weder Recht noch Macht, das Meer, mit Ausſchlus der uͤbrigen, ſich zu - zueignen. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß die Voͤlker, ſo wie Anfangs einzelne Menſchen und Familien, von Natur das Recht haben, durch Beſitzergreifung, die Guͤter der Welt an ſich zu bringen, ſo lange ſie noch herrnlos ſind. Sie haben an dem Meere ſo viel Recht, als an der Erde. Aber nur iſt das erſtere nicht blos als ein Anhang der letztern anzuſehn. e] Es ſind zwey, auch in Anſehung des Nutzens, den ſie gewaͤhren, ganz verſchiedene Hauptelemente, woraus unſere Weltkugel beſteht. So viel Recht nun ieder auf den Gebrauch der Erde hat, ſo viel Recht hat er auch auf das Meer: und ſo wenig ein oder etliche wenige Menſchen oder Voͤlker berechtigt ſind, ſich die ganze Erde ausſchließ - lich zuzueignen, f] ſo wenig duͤrfen ſie es auch bey dem Meere thun. Sie koͤnnen Erde und Meer ſich zueignen, aber von iedem Elemente nur ſo viel als ſie zu ihrer Erhaltung und Vervolkommung brauchen, und muͤſſen andern auch das Noͤthige laſſen. Gewoͤhnlich ſehn die - ienigen, welche einem oder einigen Voͤlkern das Eigen - thumsrecht des Meeres zuſchreiben, das Meer als einen unbetraͤchtlichen Theil der Erde an, der als Anhang zu dem bereits beſitzenden Landesbezirke geſchlagen wer - den koͤnne. Einige wenige Nazionen wuͤrden auch, wenn ſie den Einfall haben ſolten, ſich des MeeresEigen -28Von dem Eigenthum und Gebiete der VoͤlkerEigenthum allein anzumaaſſen, eben ſo wenig im Stan - de ſeyn, daſſelbe zu behaupten, als wenn bey Anfang der Erdbevoͤlkerung einige Familien oder Voͤlker ſich der ganzen Erde oder auch nur eines Welttheils allein haͤtten bemaͤchtigen wollen.
Wenn das Meer rechtmaͤſſig zu Eigenthum gemacht werden ſoll, ſo darf iede Nazion von dieſem mit der Erde gleich wichtigen Elemente, wie gedacht, nur ſo viel nehmen, als ſie noͤthig hat, und ihr ohne Nachtheil aller uͤbrigen, die eben das Recht daran haben, ge - buͤhrt. Da aber die hierzu erfoderliche Abtheilung und Beſitznehmung unendlichen Schwierigkeiten unterwor - fen, und kaum moͤglich iſt, ſo bleibt im Algemeinen der gemeinſchaftliche Gebrauch des Meeres allerdings beinah das einzige Mittel, denen bey der Eigenma - chung unvermeidlichen Streitigkeiten auszuweichen. Hierzu komt, daß der Gebrauch des Meeres keine wei - tere Bearbeitung, als die Zueignung der Nutzungen, die es gewaͤhrt, erfodert; daß folglich durch die Ge - meinſchaft niemanden die Fruͤchte ſeines beſondern Fleiſſes entzogen werden.
Das Hauptwerk hierbey komt darauf an, daß man die offene See, oder das groſſe Weltmeer von den einzelnen Theilen deſſelben, die an oder zwiſchen die Laͤnder der Nazionen gehen, unterſcheide; wovon in dem Folgenden gehandelt werden ſoll.
Einige ſind der Meinung, daß eine Nazion, wenn gleich nicht das Eigenthum oder den alleinigen Beſitz und Genus, doch wenigſtens die Herſchaft uͤber das Meer erlangen koͤnne. a] Dieſes waͤren zwey ganz verſchiedene Dinge, die beiſammen ſeyn, oder getrennt werden koͤnten, indem ſich auch eine Herſchaft uͤber an - derer Eigenthum oder uͤber Dinge, die noch in der ur - ſpruͤnglichen Gemeinſchaft ſind, erwerben laſſe. Zu dieſer Herſchaft des Meeres rechnen ſie das Recht das Segelſtreichen zu verlangen, Schifszoͤlle anzulegen, Schiffahrtsgeſetze zu geben, Verbrechen auf dem Meere zu beſtrafen u. d. gl. Da aber die Geſetze der Naturan33und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.an ſich keine Herſchaft erkennen, ſo raͤumen die Ver - theidiger dieſer Meinung auch ein, daß eine ausdruͤck - liche oder ſtilſchweigende Einwilligung derer hierzu er - foderlich ſey, uͤber welche die Herſchaft behauptet wer - den ſoll. Ich will hier nicht alle die Schwierigkeiten, welchen die Herſchaft uͤber eine in Niemandes Eigen - thum befindliche Sache unterworfen ſeyn muß, weit - laͤufig anfuͤhren; b] aber man wird leicht einſehn, daß zu Einraͤumung einer ſolchen Herſchaft nicht die Ein - willigung eines oder mehrerer, ſondern aller Theilhaber noͤthig ſey. Wenn alſo auch eine oder die andere Na - zion einer dritten iene Herſchaftsrechte zugeſteht, ſo iſt dies nicht ſowohl fuͤr eine Herſchaft uͤber das Meer, als fuͤr eine perſoͤnliche Unterwerfung anzuſehn; denn wenn das Meer nicht im Eigenthum einzelner Voͤlker, ſondern im gemeinſchaftlichen Beſitz aller iſt, wie kann die eine Herſchaft anerkennende Nazion den Theil be - ſtimmen, der ihr gehoͤrt, oder andern etwas vergeben, wenn ſie nicht eingewilligt haben? Die Herſchaft uͤber das Meer ohne Eigenthum iſt daher allenfals denkbar, aber deſto weniger ausfuͤhrbar, da die meiſten Voͤlker in Europa, deren Beiſtimmung darzu noͤthig waͤre, alle Herſchaft des Meeres zu bekaͤmpfen ſuchen.
So wenig das Meer einer wilkuͤhrlichen Begren - zung unterworfen iſt, ſo hat doch die Natur ſelbſt es in verſchiedene groͤſſere und kleinere Abtheilungen ge - bracht, ie nachdem es hier und da durch nahgelegene Lande beengt, oder wo dieſe fehlen, eine ungeheuere Strecke ausgedehnt iſt, die iedoch meiſt alle zuſam - menhangen. Die letztern heiſſen Ocean, offene See, Welt - und aͤuſſere Meere. [Oceanus, maria vni - uerſa, externa.] Die von Laͤndern umgebenen Meere werden, nach Beſchaffenheit ihres Umfangs und in wie - ferne ſie mehr oder weniger vom Lande eingeſchloſſen ſind, geſchloſſene, a] innere Meere [Maria particu - laria, clauſa, interna] genant. Das, was oben von dem Eigenthum des Meeres im Algemeinen geſagt worden iſt, leidet hauptſaͤchlich in Anſehung des Oce - ans, oder des groſſen Weltmeeres ſeine Anwendung. Die meiſten Gelehrten, ſelbſt viele von denen, welche im uͤbrigen das Eigenthum und die Herſchaft der Meere vertheidigen, ſind dahin einverſtanden, daß der Ocean voͤllig frey, und weder dem Eigenthum noch der Her - ſchaft, am wenigſten blos einer oder weniger Nazionen, unterworfen ſey. b] Der vorzuͤglichſte Grund wird von der Unmoͤglichkeit der Beſitznehmung und Erhaltung genommen, doch muß, wie ſchon gedacht, auch nochdie35und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.die Unrechtmaͤſſigkeit einer ausſchließlichen Anmaßung deſſelben in Erwaͤgung kommen. c]
Auſſer den ehemaligen Anſpruͤchen Portugals d] und nachher gewiſſermaaſſen Spaniens e] hat auch in neuern Zeiten kein Volk in Europa ausdruͤcklich ein ausſchließliches Recht auf das Weltmeer behauptet, obwohl einige Maͤchte der Krone Grosbritannien ein Beſtreben nach Herſchaft darauf beigemeſſen haben. f]
Ob nun gleich die Freiheit der offenen See, oder der groſſen aͤuſſern Weltmeere, von Eigenthum und Herſchaft von ieher faſt durchgaͤngig anerkant worden, ſo haben doch auch immer verſchiedene Nazionen ſich der in Lande eingeſchloſſenen Abtheilungen des Meeres, oder der, nach Verſchiedenheit der Laͤnder, mit beſon - dern Namen belegten Particular-Meere anzumaaſſen geſucht, und es hat ihnen wenigſtens nicht an Schrift - ſtellern zu Behauptung ihrer Rechte gefehlt. Wenn ſaͤmtliche Lande, welche einen ſolchen Theil des Meeres umgeben, einem Volke gehoͤren, oder wenn, wo meh - rere daran ſtoſſen, ſich erweiſen lieſſe, daß ein Volk zuerſt denſelben in Beſitz genommen, und der Eingang ſo beſchaffen waͤre, daß andere davon fuͤglich abgehal - ten werden koͤnten, wie z. B. das mittlaͤndiſche Meer ehemals unter der Roͤmer Herſchaft, ſo kan man die - ſem Volke das Recht nicht abſprechen, ſich einen ſol - chen Theil des Meeres zuzneignen: es wuͤrde auch leicht im Stande ſeyn, theils vom Lande aus, theils mittelſt einer Flotte ſich bey dem Beſitze zu erhalten und andere von deſſen Gebrauch auszuſchlieſſen. Den uͤbrigen ge - ſchieht dadurch kein Unrecht, weil ihnen noch Meer ge - nug zur Benutzung uͤbrig bleibt. Ich will die vor - zuͤglichſten Particularmeere kuͤrzlich durchgehn, und zei - gen, in wie ferne ein oder das andere europaͤiſche Volk ſich eines Eigenthums daruͤber angemaaſt habe, und dann bemerken, welche dermalen gemeiniglich fuͤr frey oder beherſcht gehalten werden.
*] Gro -39und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.Unter dem britanniſchen Meere verſteht man nicht nur, im engern Verſtande, einen Theil des atlanti - ſchen Meeres, den ſogenanten Kanal zwiſchen den gros - britanniſchen und franzoͤſiſchen Kuͤſten, von den In - ſeln Queſſant, bis an die Meerenge von Calais, ſon - dern auch, in einer weitlaͤuftigern Bedeutung, das ganze Meer, welches England, Schottland und Irr - land und die dazu gehoͤrigen Inſeln umfließt. Ueber beide hat Grosbritannien mehrmalen ein EigenthumC 4und40Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerund die Herſchaft behaupten wollen, iſt aber beſonders mit den vereinigten Niederlanden oͤfters daruͤber in Irrungen und Krieg gerathen. Es ſtuͤtzt ſich auf die gewoͤnlichen obangefuͤhrten Eigenthumsgruͤnde des Meeres uͤberhaupt, vornaͤmlich auf einen undenklichen Beſitz vor Julius Caͤſars Zeiten her: ia es will ſogar aus dem Namen, den es zum Zeichen des brittiſchen Eigenthums erhalten haben ſoll, ein Recht herleiten. Andere europaͤiſche Nazionen, beſonders Frankreich, haben dieſes Recht aber keinesweges anerkant, und ge - gen die letztere Behauptung erinnert, daß die Benen - nung nicht ſowohl von den Britten, als von der itzi - gen franzoͤſiſchen Landſchaft Bretagne herruͤhre, wie - wohl die vereinigten Niederlande der Krone Grosbri - tannien in verſchiedenen Vertraͤgen mancherley Vorzuͤ - ge in Abſicht auf das britanniſche Meer eingeraͤumt haben. a]
Das Eigenthum der Nordſee oder des teutſchen Meeres, [mare Germanicum] welches zwiſchen Gros - britannien, den vereinigten Niederlanden, Teutſchland und Daͤnemark hineingehet, und, mittelſt des Paſſes von Calais, ſich mit dem Kanal oder eigentlich ſoge - nanten britanniſchen Meere vereinigt, iſt von Gros - britannien, den vereinigten Niederlanden und Daͤne -C 5mark42Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkermark verlangt und beſtritten, aber keiner Nazion von andern zugeſtanden worden.
Die Oſtſee, oder das baltiſche Meer [mare Balti - cum] iſt eigentlich ein groſſer Meerbuſen zwiſchen Daͤ - nemark, Schweden, Rußland, Polen, Preuſſen und Teutſchland. Auf derſelben ſchreiben ſich Schweden und Daͤnemark vorzuͤgliche Rechte zu, a] und letztere Krone hat beſonders in aͤltern Zeiten beinah eine aus - ſchließliche Herſchaft daruͤber ſich angemaſt, dem aber Schweden, Polen und die uͤbrigen angrenzenden Na - zionen widerſprochen haben. Wenn auch Neyrons Vorgeben gegruͤndet waͤre, daß Schweden, Daͤnemark und Rußland, in einem Vertrage zwiſchen den letztern beiden Maͤchten, 1730. das baltiſche Meer unter ſich ge - theilt haͤtten, b] ſo koͤnte doch dieſes einſeitige Unter - nehmen den uͤbrigen Nazionen nicht nachtheilig ſeyn. c]
a] Beide43und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.Ueber das mitlaͤndiſche Meer, eines der groͤſten, welches die Lande verſchiedener europaͤiſcher Nazionen von Aſien und Afrika trennt, und, mittelſt der Meer - enge von Gibraltar, mit dem atlantiſchen Meere zu - ſammenhaͤngt, hat, ſeit dem die Herſchaft der Roͤmer, welche alle daran gelegenen Lande beſaſſen, ein Ende erreicht, a] im Ganzen eben kein Volk ein ausſchließli - ches Recht behauptet; auſſer was etwa einige Schrift - ſteller dieſem oder ienem zuzuſchreiben fuͤr gut gefunden haben. b] Indes iſt in neuern Zeiten daruͤber geſtrit - ten worden, ob es fuͤr ein geſchloſſenes Meer zu ach - ten. c] Auf einzelne Stuͤcke deſſelben hingegen, die ihren beſondern Namen fuͤhren, z. B. das adriatiſche, das liguſtiſche Meer, machen mehrere europaͤiſche Voͤl - ker Anſpruch.
Das Eigenthum und die Herſchaft uͤber das adria - tiſche Meer, [Mare Adriaticum, Golſo di Venezia] wel - ches aus einem groſſen Meerbuſen des mitlaͤndiſchen Meeres zwiſchen den Kuͤſten von Dalmatien, Iſtrien und Italien von Otranto und gegenuͤber Valona bis Venedig beſteht, hat beſonders zwiſchen der Republik Venedig und dem Hauſe Oeſterreich, als Beſitzern des Koͤnigreichs Dalmatien, dann auch den Koͤnigen von Neapolis und Sicilien, ingleichen dem Papſt heftige Streitigkeiten und blutige Kriege veranlaßt. Am leb - hafteſten verfolgt Venedig, an deren Gebiete dieſes Meer groſſentheils ſtoͤßt, ihre vermeintlichen Rechte, und ſucht die Herſchaft dadurch zu erhalten, daß der Doge, wie bekant, iaͤhrlich mit dieſem Meere, durch Hineinwerfung eines Ringes, ſich feierlich vermaͤhlt. a] Die Republik haͤlt ihre Occupation fuͤr ſo rechtmaͤſſi - ger, weil ihr paͤpſtliche Schenkungen und Verguͤnſti - gungen b] und dann ein vieliaͤhriger Beſitz zu Statten kaͤmen, indem iene Feierlichkeit allemal in Gegenwart von Geſandten der meiſten Voͤlker in Europa geſchaͤhe, noch keiner aber einen Widerſpruch dagegen vorgebracht habe. Allein oͤſterreichiſcher Seits erklaͤrt man alles fuͤr widerrechtliche Anmaaſſungen.
Ein anderes anſehnliches Stuͤck des mitlaͤndiſchen Meeres iſt das Liguſtiſche [mare Liguſticum] bei dem Gebiete der Republik Genua und der Inſel Corſica, deſſen Eigenthum die erſtere ſich zuſchreibt, und paͤpſt - liche ſowohl, als kaiſerliche Verguͤnſtigungen, inglei - chen einen langwierigen Beſitz fuͤr ſich anzieht; aber andere Nazionen, zumal die daran gelegenen, geſtehn ihr nichts zu.
An das mitlaͤndiſche Meer ſchlieſſen ſich noch das aͤgeiſche [mare Aegeum] oder der Archipelagus, wel - ches mittelſt des Helleſponts, mit dem Mar di Mar - mora [Propontis] zuſammenhaͤngt, durch den Bosporus Thracicus geht, und dann das ſchwarze Meer [Pon -tus48Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkertus Euxinus] formirt, von welchem das aſovſche [Pa - lus Moeotis] noch ein Anhang iſt. Da alle dieſe Mee - re im Gebiete der ottomanniſchen Pforte liegen, ſo be - hauptet dieſe auch das Eigenthum daruͤber.
Eben ſo iſt es mit den uͤbrigen kleinern Theilen des Meeres, Meerengen und Meerbuſen, ſie moͤgen Bayen oder Buchten ꝛc. ꝛc. ſeyn, beſchaffen. Wenn einem Volke die ſaͤmtlichen Kuͤſten oder Geſtade gehoͤren, wie z. B. Schweden an dem finniſchen Meerbuſen, oder der Pforte an dem Helleſpont und Bosphorus, oder wenn es ſich unter mehrern zuerſt in Beſitz geſetzt hat, und ſie ſo beſchaffen ſind, daß es andere davon abzuhalten vermag, ſo kan ihm das Eigenthum derſel - ben niemand ſtreitig machen.
Wenn aber die Kuͤſten eines mit Land umgebenen Theils des Meeres verſchiedenen Nazionen zugehoͤren, und keine davon dieſen Theil zuerſt in Beſitz genom - men hat, oder der Umfang deſſelben auch ſo beſchaffen iſt, daß ein Volk denſelben ausſchlusweiſe zu behaup - ten nicht im Stande iſt; ſo gehoͤrt iedem anſtoſſenden Volke ſo viel von dem Meere, als es von den Kuͤſtenaus49und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.aus ſich zuzueignen im Stande iſt: das uͤbrige bleibt blos den anliegenden Nazionen gemeinſchaftlich, wenn ſie andern den Eingang verwehren koͤnnen, oder, wo dieſes nicht ſtatt findet, iſt es auch allen andern er - laubt, ſich des nicht in Beſitz genommenen Theils frey zu bedienen. Ueberſchreitet der Theil des Meeres, z. B. eine Meerenge, welche zwiſchen den Landen zweier Na - zionen durchgeht, die Breite eines groſſen Fluſſes nicht, ſo hat, wie bey dieſen, iede ein Recht bis auf die Haͤlfte. a]
Auch von dem offenen Meere, das nicht ins Land hineingeht, iſt es iedem Volke erlaubt, ſich an den Kuͤſten, die ihm gehoͤren, ſo viel zuzueignen, als es be - haupten kan. b] Dieſe Zueignung iſt rechtmaͤſſig und moͤglich. Es war ieder Nazion von der Natur ver - ſtattet, von dem Meere, ſo wie von dem Lande, einen Theil in Beſitz zu nehmen, ſo viel naͤmlich ihre Erhal - tung und Vervolkommnung erfordert. Sie thut daher niemanden Unrecht, wenn ſie ſich des ihr zunaͤchſtgele - genen Meeres ausſchließlich bedienet, und nicht geſtat - tet, daß andere ihr den ſo nahen Nutzen entziehn. Die uͤbrigen Voͤlker koͤnnen ſich der offenen See bedienen. Die Sicherheit und das Wohl des Staats uͤberhaupt erfordern auch, fremde Schiffe in einiger Entfernung von den Kuͤſten zu halten, um ſich nicht einem unver - mutheten Ueberfall auszuſetzen, der hier, wo alles of - fen, unendlich eher zu befuͤrchten iſt, als bey Nazio - nen, die mit andern Landen graͤnzen. Die Behauptung, daß in allen dieſen zu eigen gemachten Theilen des Meeres, wenigſtens die Schiffahrt, des Handels ꝛc. wegen, frey bleiben muͤſſe, iſt nach den Grundſaͤtzen zu beurtheilen, welche weiter unten in Anſehung des Durchzugs und des Handels durch die Lande eines an - dern Volks uͤberhaupt vorgetragen werden ſollen.
Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. DMoͤg -50Von dem Eigenthum und Gebiete der VoͤlkerMoͤglich iſt die Beſitznehmung und Behauptung des an die Kuͤſten ſtoſſenden Meeres auch, weil theils durch Unterhaltung einer Flotte, theils durch Anſtalten von den Kuͤſten aus, die Schiffe anderer Nazionen von deſſen Gebrauche fuͤglich abgehalten werden koͤn - nen. c]
Wie weit von den Kuͤſten aus ins Meer hinein das Eigenthum ſich erſtrecke? war beſonders ehedem eine ſehr ſchwer zu beſtimmende Frage. Die Antwort: ſo weit man daſſelbe zu behaupten im Stande, war damals ein ſehr unzuverlaͤſſiger Maasſtaab zur Grenz - ſcheidung. Jtzt, nachdem das grobe Geſchuͤtz erfunden worden, hat man das Eigenthum faſt durchgaͤngig ſo weit angenommen, als das Meer von den Kuͤſten aus mit Kanonen beſtrichen werden kann. d]
Von den meiſten neuern Voͤlkerrechtslehrern, ſo wie von den heutigen europaͤiſchen Nazionen ſelbſt, wird beinah allein uͤber dieſen an die Kuͤſte ſtoſſenden Theil des Meeres ein Recht des Eigenthums zugeſtan - den. e]
Nach den heutigen Grundſaͤtzen der Voͤlker in Europa ſind von den vorgedachten Meeren einige ganz frey, andere beherſcht und uͤber noch andere wird geſtritten.
I] Im Eigenthum und beherſcht iſt 1) alles Meer an den Kuͤſten einer ieden Nazion, ſo weit es mit Kanonen beſtrichen werden kann. Von ganzen Meeren, Meerengen ꝛc. 2) das ſchwarze Meer. 3) Das aͤgeiſche Meer. 4) Das mar di Marmora nebſt den Meerengen. 5) Der Helleſpont, und 6) Bospo - rus thracicus, ſaͤmtlich von der ottomanniſchen Pforte. Die drey Meerengen zwiſchen Daͤnemark und Schwe - den naͤmlich 7) der Oreſund, 8) der groſſe und 9) der kleine Belt, welche aus der Nordſee in die Oſtſee fuͤh - ren, gehoͤren der Krone Daͤnemark a] 10) der bothni - ſche Meerbuſen von der Oſtſee, der Krone Schweden, 11) der Kanal St. George [mare hibernicum] eineD 3Meer -54Von dem Eigenthum und Gebiete der VoͤlkerMeerenge zwiſchen Schottland und Irrland, der Kro - ne Grosbritannien; den vereinigten Niederlanden 12) die Suͤderſee, ein Meerbuſen aus der Nordſee im Ge - biete der Republik; endlich dem Koͤnige von Neapolis 13) die Meerenge zwiſchen Sicilien und Calabrien [fre - tum ſiculum, auch il Fano di Meſſina.]
II] Frey ſind, ausgenommen den Theil an den Kuͤſten, 1) der Ocean oder das groſſe Weltmeer nach allen ſeinen Haupttheilen; vom atlantiſchen Meer, welches von den Laͤndern, an die es ſtoͤſt, verſchiedene Benennungen naͤmlich, 2) das luſitaniſche Meer b] bey Portugal [mare Luſitanicum] 3) das ſpaniſche und biscayiſche bey Spanien [mare hiſpanicum] 4) das aqvitaniſche an den Grenzen von Frankreich [mare gal - licum] erhaͤlt; 5) die Nordſee 6) das weiſſe Meer, ein groſſer Meerbuſen des Nordmeers, 7) das mitlaͤn - diſche Meer, und 8) die Meerenge oder ſogenannte Straſſe von Gibraltar.
III] Man beſtreitet 1) dem Koͤnige von Grosbri - tannien das Eigenthum des britanniſchen Meeres, be - ſonders des Kanals; 2) der Republik Venedig, das adriatiſche; 3) der Republik Genua, das liguſtiſche Meer: 4) auch das Eigenthum des baltiſchen Meeres iſt unter ſaͤmtlichen Theilhabern noch unentſchieden. c]
In vorigen Zeiten maaſten ſich die roͤmiſchteutſchen Kaiſer, vermoͤge ihrer eingebildeten Herſchaft uͤber die Welt, auch vorzuͤgliche Rechte nicht nur uͤber das an Teutſchland ſtoſſende Meer, ſondern auch uͤber andere Meere in Europa an. Daher lieſſen verſchiedene euro - paͤiſche Nazionen, als ſie noch in genauerer Verbin - dung mit dem teutſchen Reiche ſtanden, ſich von ihnen beſondere Verguͤnſtigungen uͤber das Meer ertheilen. a] Die meiſten der oben erzaͤhlten Eigenthumspraͤtenden - ten haben dergleichen fuͤr ſich aufzuweiſen. Nachdem man von ienem Irthum zuruͤckgekommen, maßt ſich der Kaiſer heutzutage keiner beſondern Oberher - ſchaft uͤber die Meere weiter an; iedoch ſtehen dem teutſchen Reiche alle dieienigen Rechte daruͤber zu, wel - che andere Voͤlker in Europa genieſſen. Dieſe Rechte aber werden, ſeit begruͤndeter Landeshoheit der Reichs - ſtaͤnde, nicht vom Kaiſer, ſondern von den einzelnen Landesherrn ausgeuͤbt, deren Gebiet am Meere liegt; und zwar nach allen obigen Grundſaͤtzen. b]
Dieſe finden auch zwiſchen den teutſchen Landesherrn untereinander, z. B. bey dem an den Grenzen von Teutſchland und der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft gelegenen, an das Gebiet verſchiedener Reichsſtaͤnde des ſchwaͤbiſchen Kraiſes ſtoſſenden Bodenſee [mare Sueuicum, Lacus Bodamicus] ſtatt. Zwar hat dasD 4Haus56Von dem Eigenthum und Gebiete der VoͤlkerHaus Oeſterreich ſich verſchiedene Vorrechte, ia ſelbſt eine Oberherſchaft uͤber dieſes ſogenante teutſche Meer anmaaſſen wollen; aber die uͤbrigen Mitſtaͤnde haben ſich iederzeit darwider geſetzt. Jeder Landesherr be - hauptet das Eigenthum und die Herſchaft uͤber den an ſein Land ſtoſſenden Theil des Sees, und zwar nach den dort hergebrachten Grundſaͤtzen, ſo weit vom Ufer in den See hinein, als man leicht Grund faßt, oder wie es dort heißt, auf den Gruͤnden und Haldinen. Der Schweb aber, oder die tiefe, weite und freye See, iſt gemeinſchaftlich. Da dieſe Gruͤnde nicht uͤberall gleich weit hineingehen, ſo erſtreckt ſich auch das Eigenthum des einen Landesherrn zuweilen weiter als des andern. Nur die Stadt Lindau eignet ſich, unter andern Vorrechten, dieſen See bis in die Mitte zu c].
Laͤnder, welche am Meere oder andern Gewaͤſſern liegen, ſind, durch die Gewalt des Waſſers, mancher - ley zufaͤlligen Veraͤnderungen der Abnahme und Ver - groͤſſerung unterworfen. Was dem einen entriſſen wird, waͤchſt gemeiniglich dem andern zu. Dieſer Zuwachs [acceſſio] iſt auf verſchiedene Art moͤglich. Wenn das Waſſer nach und nach von einem Lande das Erd - reich unvermerkt wegnimt, und anderswo anſetzt, ſo heißt es Anſpielung [alluvio]; ein Anwurf [appul - ſio, coalitio] hingegen, wenn auf einmal ein betraͤcht - liches Stuͤck [cruſta] getrennt, und einem andern Lande zugefuͤhrt wird. Zuweilen ſetzt das abgeſonderte Erdreich ſich nicht an ein anderes Land, ſondern es haͤuft ſich im Waſſer und macht, wenn es uͤber daſſelbe her - vorragt, eine Inſel. Ein abgeriſſenes Stuͤck Land, welches ſich noch nicht feſtgeſetzt hat, ſondern im Waſ - ſer, beſonders auf dem Meere herumſchwimmt, wird eine ſchwimmende Inſel genannt. Die Zueignung aller dieſer Anwuͤchſe rechnet man zu den urſpruͤnglichen Erwerbungsarten, weil ſie von der Natur ſelbſt dem Hauptlande zugefuͤhrt werden.
So wie ein Volk, welches durch zweckmaͤſſige Vor - kehrungen ſich dagegen nicht ſchuͤtzt oder ſchuͤtzen kan, es ſich gefallen laſſen muß, wenn durch natuͤrliche Zu - faͤlle das Waſſer von ſeinem Grund und Boden das Erdreich nach und nach wegſpielt, ſo gehoͤrt ihm dage - gen auch der Zuwachs eigenthuͤmlich, welcher anders - woher ſeinem Gebiete wieder zugefuͤhrt wird, oder ſonſt in den ihm gehoͤrigen Waͤſſern entſteht. Es iſt bey al - maͤligen Anſpielungen nicht zu beſtimmen und zu erwei - ſen, wem die nach und nach angeſetzten Theile zugehoͤrt haben; keine Nazion kann ſie daher zuruͤckfodern, oder ſonſt einigen Anſpruch darauf machen.
Wenn ein betraͤchtliches Stuͤck Erdreich durch irgend einen gewaltſamen Zufall von einem Gebiete abgeriſſen und dem andern zugefuͤhrt wird, ſo iſt der vorige Eigen -thuͤm -59und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.thuͤmer zwar eher in Erfahrung zu bringen; nach dem ſtrengen Rechte der Natur erwirbt aber demungeachtet dasjenige Volk, an deſſen Territorium es ſich anſetzt, das Eigenthum daran, indem es aus rechtmaͤſſiger Ueberzeugung [bona fide] ſich dieſes Zuwachſes bedient, da es nicht wiſſen kan, ob es wuͤrklich einen Eigenthuͤ - mer gehabt und ob dieſer nicht ſein Recht daran frei - willig aufgegeben habe. Das Wiederfoderungsrecht kan nach dem natuͤrlichen Rechte nur gegen einen un - rechtmaͤſſigen Erwerber eines andern Eigenthums, und welcher es mit dem Bewuſtſein der Unrechtmaͤſſigkeit innehat [malae fidei poſſeſſor] ſtattfinden, a) das Ei - genthum uͤberhaupt auch nicht laͤnger dauern als der Beſitz. Der erſte Beſitzer, der ſein Eigenthum durch einen ſolchen Zufall verliert, hat es, wenn er dem Los - reiſſen nicht zuvorzukommen, oder das Losgeriſſene ſo - gleich wieder an ſich zu bringen geſucht hat, entweder ſeiner Nachlaͤſſigkeit, oder dem Schickſale zuzuſchrei - ben. Er hat kein Recht des andern Waſſer oder Ge - biet zu betreten und das, was die Natur demſelben zu - fuͤhrte, wieder loszureiſſen.
Die roͤmiſchen Rechtslehrer haben dieſen Grundſatz des ſtrengen Naturrechts etwas zu mildern geſucht, und erlauben dem vorigen Eigenthuͤmer ſo lange das Wie - derfoderungsrecht, als die auf dem angeſetzten Stuͤck Erdreich etwa befindlichen Baͤume und Streicher ꝛc. nicht Wurzel gefaſt haben b]. Viele Natur - und Voͤl - kerrechtslehrer haben dieſe allerdings billigere und den geſelſchaftlichen Verbindungen angemeſſenere, aber blos wilkuͤhrliche Meinung als einen in der Natur gegruͤn - deten Satz vorgetragen c].
Einige glauben, daß zu Erlangung des Eigen - thums an dieſem natuͤrlichen Anwuchſe eine beſondere Beſitzergreifung noͤthig ſey; d] ſie ſcheint mir aber uͤber - fluͤſſig, weil ſolcher als ein mit dem Hauptlande ver -bun -60Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerbundener Theil anzuſehen iſt, und nach obigen Grund - ſaͤtzen niemand anders ſich irgend eines Theils des von einem Volke einmal beſitzenden Hauptlandes als unzu - geeignet [res nullius] anmaaſſen kan e].
Die Inſeln im offenen Meere oder ſonſt einem in Niemandes Eigenthum befindlichen Gewaͤſſer gehoͤren nach den im erſten Abſchnitt feſtgeſtelten Grundſaͤtzen dem erſten Beſitznehmer. Entſtehn dergleichen aber in einem ſchon eigengemachten Waſſer, ſo gehoͤrt die -ſer61und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.ſer Zuwachs dem Volke, deſſen Eigenthum das Waſ - ſer iſt. Geſchieht es in dem an den Kuͤſten beſitzenden Theile des Meeres oder in einem ihm allein zuſtehenden Fluſſe, ſo iſt die Inſel ihm allein eigen. Dies findet auch in dem Falle ſtatt, wenn der Fluß bis in die Mitte einer Nazion zugehoͤrt und an ihrer Seite derglei - chen anwaͤchſt. Von einer in der Mitte eines getheil - ten Gewaͤſſers entſtehenden Inſel gehoͤrt jeder ſoviel, als eine durch die Mitte des Fluſſes gezogene Linie ihr zutheilt. Iſt das Waſſer ganz gemeinſchaftlich, ſo wird auch die Inſel ein gemeinſchaftliches Eigenthum; es muͤſte denn in allen dieſen Faͤllen durch Vertraͤge et - was anders beliebt werden a].
Es bedarf auch hier keiner weitern Beſitzergreifung: doch muͤſſen ſchwimmende Inſeln, die von ſelbſt ſich nicht feſtſetzen, allerdings ergriffen und befeſtigt wer - den, wenn ein Volk das Eigenthum daran erwerben will; ſonſt gehoͤren ſie ihm nur ſo lange, als ſie in ſei - nen Gewaͤſſern ſich befinden.
Auf aͤhnliche Art iſt auch der Fall zu beurtheilen wenn zwiſchen zwey Nazionen ein See oder ander Waſ - ſer, welche der einen allein eigenthuͤmlich gehoͤren, ſich in das Gebiete der andern ausdehnen. Wird blos nach und nach unvermerkt von dem Erdreich derſelben etwas weggenommen und das Waſſer dadurch vergroͤſ - ſert, ſo komt dies freilich ienem Volke zu gute. Allein der Beſitzer des Waſſers kan keinen Anſpruch auf das Land des Nachbars machen, welches durch zeitige Ueber - ſchwemmung unter Waſſer geſetzt wird, a] oder die Buchten und Bayen ſich zueignen, welche bey ſolchen Gelegenheiten etwa in des andern Landen von ſeinem Gewaͤſſer entſtehen und mit demſelben zuſammenhaͤngen. Dieſe bleiben dem Eigenthuͤmer des Hauptlandes, wo der weniger veraͤnderliche Theil, das Bette, entſtan - den iſt. b].
Alle dieſe Grundſaͤtze ſind auch auf die teutſchen Lan - desherrn, ſowohl in Ruͤckſicht auswaͤrtiger Nazionen als unter ſich anwendbar, wenn ſie nicht ganz beſon - dere Verguͤnſtigungen vom Kaiſer oder andere rechtliche Titel vor ſich haben. Die algemeinen Belehnungen mit den Inſeln in einigen Gewaͤſſern ſind, wie beim Eigenthum der Fluͤſſe uͤberhaupt erinnert worden, der - malen blos nach den Grundſaͤtzen der Landeshoheit zu beurteilen a]. Mehrere Landesherrn eignen ſich zwar in verſchiedenen Fluͤſſen ꝛc. alle entſtehende Inſeln ꝛc. mit Ausſchlus der benachbarten zu, z. B. Pfalz im Rhein, Mainz im Mayn ꝛc. ꝛc. aber die uͤbrigen ſind gewoͤnlich damit nicht einverſtanden b]. Vertraͤge c] oder beſonderes Herkommen d] geben auch hier der Sa - che den Ausſchlag.
Wenn der Eigenthuͤmer den Beſitz eines Landes von ſelbſt aufgiebt und aufhoͤrt es weiter zu benutzen, ohne es iedoch auch einem andern zu uͤbertragen [derelictio praecedens] ſo wird daſſelbe wieder herrnlos [res nul - lius] und kan daher, nach allen obigen Grundſaͤtzen von iedem, der zuerſt ſich deſſen von neuem bemaͤchtigt, in Beſitz genommen und zu eigen gemacht werden a]. Nur iſt zuweilen ſchwer zu beſtimmen, ob etwas fuͤrauf -65und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.aufgegeben zu halten ſey? Komt eine ausdruͤckliche Erklaͤrung desfals hinzu, ſo iſt die Sache freilich auſſer Zweifel b]. Sobald indes eine Nazion freiwillig derge - ſtalt aufhoͤrt ein Land wuͤrklich zu beſitzen und zu benu - tzen, daß dadurch zugleich alle Merkmale eines fortdau - ernden Eigenthums verlohren gehen; c] ſo iſt dasjenige Volk, welches ſich deſſen anmaaſſet, allerdings fuͤr einen redlichen Beſitzer zu halten, von dem es der vori - ge Eigenthuͤmer nicht zuruͤckfodern kann d]. Denn ſo wie zu Erwerbung eines Eigenthums, auſſer der Beſitzer - greifung nicht eben die ausdruͤckliche Erklaͤrung der Zueignung erforderlich iſt, wenn dieſe Abſicht ſchon aus den auf die fortdauernde Benutzung abzweckenden Thathandlungen erhellet, [§. 3.] ſo iſt auch hier dieſe Erklaͤrung nicht unumgaͤnglich noͤthig. Der neue Be - ſitzer eines offenbar verlaſſenen Landes erlangt alsbald mit der Ergreifung das Eigenthum und bedarf der Ein - willigung des vorigen Eigenthuͤmers nicht: ſonſt wuͤrde eben ſo wenig irgend iemand ſeines Beſitzes gewis ſeyn koͤnnen, als wenn der erſte Beſitzergreifer auf die Ein - willigung aller uͤbrigen warten ſolte. Die Handlung ſelbſt legt ſchon den Willen genug am Tage. Dieſe Erwerbungsart gehoͤrt unter die urſpruͤnglichen, weil die aufgegebene Sache, vor Erlangung eines andern Eigenthuͤmers, wieder in ihren natuͤrlichen Zuſtand zu - ruͤckgeht.
Niemand kann in der Regel wider Willen gezwun - gen werden, ſein Eigenthum aufzugeben, und es iſt eine offenbare Beleidigung der Eigenthumsrechte, wenn ein Volk auf ſolche Art von dem Beſitz eines Landes verdraͤngt wird a]. Jedoch ſind verſchiedene Voͤlker - rechtslehrer der Meinung, daß wenigſtens ein nachher erfolgtes Aufgeben [derelictio ſuperveniens] zu ver - muthen ſey, wenn der vorige Eigenthuͤmer den unrecht - maͤſſigen Erwerber viele Jahre im ruhigen und ungeſtoͤr - ten Beſitz laͤßt b]. Sie nehmen eine ſolche vermuthliche Auflaſſung [derelictio praeſumta] des Eigenthums als den Grund der Erwerbung durch die ſogenannte Ver - iaͤhrung an c]. Da aber in dieſem Falle die, wenn auch nur ſtilſchweigende, Einwilligung des vorigen Be - ſitzers noͤthig iſt, wenn der neue ein rechtmaͤſſiges Ei - genthum erlangen ſoll, die urſpruͤnglichen Erwerbsar - ten hingegen weiter nichts, als die Beſitzergreifung er - fodern; ſo gehoͤrt der Erwerb durch langwierigen Be -ſitz71und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.ſitz und Veriaͤhrung, wenn er anders ſtattfindet, mehr zu den abgeleiteten Arten, wovon in dem folgenden Kapitel gehandelt werden ſoll d].
Es komt bey den vorerwaͤhnten Faͤllen hauptſaͤchlich auf Entſcheidung der ſo oft, beſonders zwiſchen Byn -E 4kershoeck72Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerkershoeck und Titius a] beſtrittenen Frage an: ob nach dem Naturrechte das Eigenthum mit Endigung des Beſitzes einer Sache verlohren gehe, und ob daher beide gewiſſermaſſen fuͤr gleich zu achten, oder ob das Eigenthum auch ohne Beſitz fortdauere? Ungeachtet die meiſten Rechtslehrer der letztern Meinung beitreten, b] ſo iſt mir die erſtere doch einleuchtender.
Das Eigenthum beſteht in dem ausſchließlichen Rechte an einer Sache, vermoͤge welchem man dieſelbe nach Gefallen gebrauchen oder auch einem andern wie - der uͤberlaſſen kan. Es gehoͤren zu deſſen Erwerbe zwey weſentliche Erforderniſſe: der Wille der Zueignung und die wuͤrkliche Beſitzergreifung. So lange beides, der Wille und der Beſitz fordauern, ſo lange waͤhrt auch das Eigenthum. Wenn aber eins, und beſonders das Hauptſaͤchlichſte, der Beſitz fehlt, ſo hoͤrt auch das Eigenthum auf: der Wille allein vermag nichts. Es iſt ſonderbar, daß die Gegner dieſer Meinung zum Verluſt des Eigenthums, ſo wie zu deſſen Erwerbe, beides, die Aufgebung des Beſitzes und des Willens fuͤr noͤthig halten, da doch iede Sache der ein weſent - liches Stuͤck mangelt, aufhoͤrt dieſelbe zu ſeyn. Wie will man auch etwas, das man nicht im Beſitz hat, mit Ausſchlus anderer gebrauchen, oder es andern uͤber - tragen? welches gleichwohl mit dem Begriffe des Ei - gemhums verbundene Folgen ſind. Das Eigenthum geht daher, meiner Meinung nach, mit dem Beſitze verlohren.
Dies iſt auf doppelte Art moͤglich. Der bisherige Eigenthuͤmer hoͤrt entweder von ſelbſt freywillig auf zu beſitzen — nicht blos koͤrperlich, ſondern, wie bey der Beſitzergreifung, durch Aufhebung der Merkmale und Unterlaſſung der Thathandlungen, welche eine Sache von den herrnloſen unterſcheiden, — ohne iedoch den Beſitz einem andern zu uͤbergeben, ſo hat auch dasEigen -73und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.Eigenthum ein Ende: ieder kann ſich durch neue Beſitz - ergreifung die wieder herrnlos gewordene Sache zueig - nen ohne ſtilſchweigende und vermuthliche Einwilligung des vorigen Eigenthuͤmers. Sein Beſitz iſt treulich und rechtlich und dieſer kan ſie auf keine Art wieder fodern. Wenn er den Beſitz einem andern ausdruͤcklich uͤbertraͤgt, iſt desfals noch weniger Zweifel vorhanden.
Wird der Eigenthuͤmer hingegen im zweiten Falle, wider ſeinen Willen, indem er naͤmlich die Sache noch beſitzt, ſeines Beſitzes beraubt, ſo geht das Eigenthum allerdings auch’verloren, denn er kan daruͤber nicht mehr nach Wilkuͤhr ſchalten; allein er hat ohnſtreitig das Recht Genugthuung deshalb von dem Beleidiger und unrechtmaͤſſigen Beſitzer zu fodern. Es iſt ihm auch erlaubt, dieſem die Sache, wo moͤglich, wieder abzunehmen. Auch der laͤngſte Beſitz kann ihn, wie in der Folge gezeigt werden ſoll, gegen dieſe Genug - thuungsfoderung nicht ſchuͤtzen. Nur iſt dies eben keine Folge eines dem erſtern Beſitzer annoch zuſtehenden Ei - genthums, ſondern der ihm zugefuͤgten Beleidigung. Wenn ein anderer die Sache von dem unrechtmaͤſſigen Beſitzer, ohne ſich des Unrechts auf irgend eine Art theilhaftig zu machen, rechtmaͤſſig erlangt, ſo kann der erſte Eigenthuͤmer, dem die Sache wider Willen entzogen worden, ſie eigentlich von dieſem letztern nicht wiederfodern, ſondern er muß blos an den Beleidiger ſich halten.
Nach dieſen Grundſaͤtzen bedarf es weder der ſo ſchwankenden und in den Rechtsbeſtimmungen gar nicht zulaͤſſigen vermeintlichen Dereliction, noch der ge - woͤnlich darauf gegruͤndeten Praͤſcription. Wer den Beſitz von ſelbſt ausdruͤcklich oder ſtilſchweigend auf - giebt verliert das Eigenthum auf eine rechtmaͤſſige Weiſe: wem der Beſitz wider Willen genommen wird verliehrt es unrechtmaͤſſig und kan die Sache von dem Beleidi -E 5ger74Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlkerger iederzeit zuruͤck - und Genugthuung fodern, wenn er ihm ſolche nicht nachher ausdruͤcklich oder ſtillſchwei - gend uͤberlaͤßt.
Die in unſerer heutigen Rechtswiſſenſchaft dagegen aufgenommenen Lehren ſcheinen mir blos wilkuͤhrliche Grundſaͤtze zu enthalten: und in denen Faͤllen, wo die Fortdauer eines Eigenthums ohne Beſitz ſich etwa ia noch annehmen lieſſe, liegen lediglich beſondere Ver - traͤge zum Grunde. Indes erhellet aus den oben hier und da vorgekommenen Behauptungen der europaͤiſchen Nazionen, daß ſie geneigter fuͤr dieſe Abweichungen ſind.
Alles was ein Volk an Land und Gewaͤſſer a] in einer zuſammenhangenden Strecke, oder in verſchiede - nen Weltgegenden eigenthuͤmlich beſitzt, und woruͤber es die Oberherrſchaft ausuͤbt, macht deſſen Territo - rium oder Gebiete aus b]. Dasienige wo es ſeinen eigentlichen und urſpruͤnglichen Wohnſitz hat, wird das Hauptland, die uͤbrigen auswaͤrtigen Beſitzungen aberwerden75und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.werden Nebenlaͤnder genannt. Was in Anſehung der erſtern Rechtens iſt, gilt in der Regel auch von den letztern: ob ſie gleich nicht beiſammen liegen, ſo hat es doch gleiche Bewandnis mit ihnen c]. Je nachdem eine Nazion ein blos in feſtem Lande beſtehendes Terri - torium beſitzt, oder auch einen Theil des Meeres unter ſein Gebiet rechnet, und durch ihre Lage zum Seehan - del ingleichen zu Unterhaltung einer Flotte, beſonders von Kriegsſchiffen, beguͤnſtigt wird d] giebt man ihr den Namen einer Land - oder Seemacht. In Europa werden hauptſaͤchlich Grosbritannien, die vereinigten Niederlande, Spanien, Portugal, Sicilien, Daͤne - mark, Schweden, die Pforte, Venedig und ſeit eini - ger Zeit auch Frankreich und Rußland, in einem noch vorzuͤglichern Sinne aber von ieher beſonders die beiden erſten, weil ihre groͤſte Staͤrke im Seeweſen beſteht, unter Benennung der Seemaͤchte verſtanden.
Die Rechte des Eigenthums erlauben dem rechtmaͤſ - ſigen Beſitzer einer Sache nicht nur ſich derſel - ben nach Gefallen zu ſeinem Nutzen zu bedienen, ſon - dern ſie auch, wenn er es gut oder noͤthig findet, einem andern eigenthuͤmlich wieder zu uͤberlaſſen. Da aus dieſem letztern Rechte fuͤr andere dieienigen Erwerbungs - arten entſpringen, welche man abgeleitete nennt, ſo - will ich, um die Materie von dem Eigenthumserwerbe im Zuſammenhange zu vollenden, zuerſt hiervon han - deln, und dann in der Folge die Benutzung des Eigen - thums vortragen.
Wenn ein Volk ſein erlangtes Eigenthum eines Landes — wovon hier hauptſaͤchlich die Rede iſt — einem andern uͤbertraͤgt, ſo heißt die Handlung des erſtern eine Veraͤuſſerung [alienatio] und dieſe Art zum Eigenthum zu gelangen ein abgeleiteter Erwerb [acquiſitio derivativa]. Bey dieſem Erwerbe von an - dern kommen daher zwey Stuͤck in Betrachtung: der Erwerbungsgrund [titulus] und die Uebertragung [modus] dahingegen bey dem urſpruͤnglichen beyde in der bloſſen Beſitzergreifung zuſammentreffen.
*] Dan. 77Von Erlangung des Eigenthums von andern ꝛc.Die Frage iſt nicht, ob und in wie ferne dem Re - genten eines Staats, nach Beſchaffenheit der Lande, die er erb - und eigenthuͤmlich [Patrimonialreiche] oder nicht beſitzt, das Recht der Veraͤuſſerung, vermoͤge der innern Verhaͤltniſſe, zuſtehe? Dies muß nach den Vor - ſchriften der verſchiedenen Staatsgrundgeſetze und Ver - faſſungen eines ieden Staats uͤberhaupt, auch allenfals nach den Grundſaͤtzen des algemeinen Staatsrechts be - urteilt und entſchieden werden; a] ſondern es komt hier darauf an: ob, wenn dieienigen, welchen es nach der innern Staatsverfaſſung zukomt, eine Landesveraͤuſſe - rung vornehmen wollen, andere Nazionen ſich derſelben widerſetzen koͤnnen? Da ieder mit ſeinem Eigenthum nach Gefallen alle moͤgliche Handlungen vornehmen kann und niemand befugt iſt, ſich in dieſelbe zu miſchen, wenn ihm kein Unrecht dadurch geſchieht, ſo iſt auch kein Zweifel, daß ein freies Volk wilkuͤhrlich uͤber ſeine eigenthuͤmlichen Lande ſchalten und ſie, nach Gutbefin - den, wie und an welche Nazion es will, veraͤuſſern koͤnne, es muͤſte denn durch Vertraͤge ſich ſeines natuͤr - lichen Rechts uͤberhaupt, b] oder auch nur in Abſicht gewiſſer Nazionen c] begeben, oder einem Volke ein beſonderes Vorrecht eingeraͤumt d] oder endlich andere Voͤlker ſonſt ein gegruͤndetes Recht zum Widerſpruch erlangt haben e].
Mit dem Rechte der Veraͤuſſerung ſteht auf der an - dern Seite das Recht der Erwerbung in der genauſten Beziehung: wenn dem einen verwehrt iſt zu veraͤuſſern, ſo kann der andere auch nicht erwerben. Doch geſchieht es auch, daß man zwar ienem die Veraͤuſſerung aber dieſem nicht die Erwerbung zugeſtehn wuͤrde. So wie an ſich iedes Volk die Freiheit hat, durch urſpruͤngliche Erwerbungen ſeinen Zuſtand zu vervolkomnen, ſo kann auch in der Regel keinem verwehrt werden, von andern mehrere Beſitzungen und Laͤnder auf rechtmaͤſſige Art zu erwerben, wenn nicht die im vorhergehenden Paragra - phen angefuͤhrten Hinderniſſe eintreten und ein Volk durch Vertraͤge ſich dieſes Rechts begeben hat a] oder andere Nazionen aus hinlaͤnglichen Urſachen befugt ſind, ſich einer ſolchen Erwerbung entgegen zu ſetzen b]. Um allen Widerſpruͤchen zuvorzukommen bedingt zuweilen ein Volk ſich von andern, von welchen es dergleichen beſorgt, die Freiheit ſowohl der Veraͤuſſerung als der Erwerbung c].
Zu dem abgeleiteten Erwerbe iſt die Einwilligung beider Theile noͤthig, desienigen der ſein Eigenthum veraͤuſſern, und desienigen der es erwerben will, folg - lich ein foͤrmlicher Vertrag a]. Eine blos einſeitige Bemaͤchtigung anderer Eigenthums kann nie als recht - maͤſſig angeſehen werden, wenn deren Genehmigung nicht dazukomt. Da dieſe Einwilligung, wie bey an -F 3dern86Von Erwerbung des Eigenthums von anderndern Vertraͤgen, entweder ausdruͤcklich oder ſtillſchwei - gend geſchehen kann, ſo flieſſen daraus auch, wie wir in der Folge ſehn werden, verſchiedene Gattungen des Erwerbes.
Die wuͤrkliche Einraͤumung des Beſitzes d. i. die Handlung, wodurch etwas von einem in die Gewahr - ſame und Gewalt eines andern gebracht wird [traditio] halten Grotius a] und verſchiedene Rechtslehrer nach den Geſetzen der Natur und alſo unter freien Voͤlkern zu Erlangung des Eigenthums von andern nicht fuͤr noth - wendig, ſondern glauben, daß die Uebereinkunft wegen Ablaſſung eines Eigenthums dem neuen Erwerber ſchon das Recht zum Beſitz, als eine weſentliche Folge des Eigenthums zugeſtehe, und den vorigen Eigenthuͤmer zu Einraͤumung des Beſitzes verbinde. Cocceji und an - dere b] hingegen ſehen die Uebergabe fuͤr noͤthig an, weil ienes Verſprechen zwar eine Verbindlichkeit zur Ueberlaſſung, aber noch nicht die Erwerbung des Eigen - thums ſelbſt bewuͤrke. So wie der urſpruͤngliche Er -werb87oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.werb des Eigenthums eine Beſitzergreifung erfordere, ſo gehoͤre auch die Beſitzeinraͤumung zu deſſen Uebertra - gung auf andere, da ohne ſie keine Benutzung moͤglich ſey. Puffendorf c] macht einen Unterſchied zwiſchen Eigenthum ohne Beſitz und mit demſelben, zu welchem letztern er blos die Uebergabe erfodert. Schrodt d] glaubt hierbey noch richtiger unter Eigenthumsrecht und deſſen Ausuͤbung unterſcheiden zu muͤſſen: das erſtere koͤnne man durch bloſſe Vertraͤge, die letztere erſt durch Beſitzeinraͤumung erlangen. Mir ſcheint die zweite Meinung die richtigſte und die Uebernahme des Beſitzes zu Erlangung des Eigenthums von andern in der Re - gel allerdings nothwendig zu ſeyn. Ohne Beſitz kann, wie die Gegner ſelbſt nicht in Abrede ſind, e] keine aus - ſchließliche Benutzung einer Sache, noch das Vermoͤ - gen daruͤber nach Wilkuͤhr zu ſchalten, folglich kein Eigenthum Statt finden. Waͤre die bloſſe beiderſeitige Einwilligung dazu hinlaͤnglich, ſo muͤſte auch bey der urſpruͤnglichen Erwerbung der alleinige Wille ein Eigen - thum verſchaffen; denn der Grund, welchen man an - fuͤhrt, daß die Uebergabe unnoͤthig ſey, wo der Wille der Ablaſſung zu Tage liegt, iſt darauf ebenfals an - wendbar. Das Verſprechen des bisherigen Eigenthuͤ - mers wegen Ueberlaſſung einer Sache giebt dem andern ohnſtreitig ein Recht auf das Eigenthum, daß er die Einraͤumung des Beſitzes fodern, oder ſich ſolchen al - lenfals ſelbſt verſchaffen kann, aber das volkomne Ei - genthum erlangt derſelbe nicht eher, als bis er ſich in deren Beſitz befindet f]. Die Zuſage der Regenten macht natuͤrlicherweiſe keine Ausnahme von dieſer Re - gel g]. Wahrſcheinlich haben die durch wilkuͤhrliche Uebereinkunft eingefuͤhrten Abweichungen von dem ur - ſpruͤnglichen Naturrechte bey den Lehns - Pfand - und aͤhnlichen Vertraͤgen, wo auch demienigen, welcher nicht im Beſitz iſt, dennoch gewiſſe EigenthumsrechteF 4zuge -88Von Erwerbung des Eigenthums von andernzugeſtanden werden, die gegenſeitigen Irthuͤmer und beſonders den von Puffendorf, Schrodt und andern angenommenen Unterſchied veranlaßt. Allein in dieſen beſondern Eigenthumsbeſtimmungen ſind, wie weiter unten gezeigt werden ſoll, entweder die Eigenthums - rechte nur geteilt, dergeſtalt, daß beide Theile zuſam - men erſt ein volkomnes Eigenthum ausmachen, und weder der Beſitzer allein, noch der, welcher nur gewiſſe Eigenthumsrechte hat, als volkomner Eigenthuͤmer an - geſehen werden kann, oder es wird in den Faͤllen, wo dem Beſitzer ganz kein Eigenthum zukomt, z. B. bey der Hinterlegung, Verpachtung ꝛc. der Beſitz, durch Vertrag blos im Namen des Eigenthuͤmers von einem andern fortgeſetzt. Die Voͤlker ſelbſt ſcheinen auch der Beſitzeinraͤumung allerdings einigen Werth beizulegen h].
Die Arten und Bewegurſachen der Veraͤuſſerungen und Erwerbungen koͤnnen mancherley ſeyn. Man uͤber - laͤßt einem etwas entweder ohne irgend eine andere Verguͤtung, oder gegen aͤhnliche und andere Dinge, oder auch gegen Erfuͤllung ſonſt eines Verlangens; es geſchieht theils im Leben, theils auf den Todesfall ꝛc. zuweilen freiwillig oft auch gezwungen ꝛc. daher giebt es verſchiedene Arten des abgeleiteten Eigenthumser - werbes, welche den Namen Schenkung, Tauſch, Kauf, Abtretung, Erbfolge u. d. g. fuͤhren. Ich will die vor - zuͤglichſten davon nunmehr durchgehen.
Die aͤlteſte Erwerbung eines Eigenthums von an - dern geſchah, in Ermangelung des Geldes, wohl durch Tauſch. Es iſt auch noch heutzutage unter den Nazio - nen ſehr gewoͤhnlich, daß eine der andern tauſchweiſe ein Stuͤck Landes gegen ein anderes uͤberlaͤßt, mehren - teils um die aus deren Lage herruͤhrenden Unbequemlich - keiten oder Irrungen zu heben. Dergleichen Austau - ſchungen, beſonders kleiner Portionen, kommen unter benachbarten Voͤlkern faſt in allen Grenzvertraͤgen ſo haͤufig vor, daß es hier wohl keines Beiſpiels bedarf. Sie werden in Friedensſchluͤſſen, bey Abtretung der Lande und in andern Vertraͤgen zuweilen ausdruͤcklich bedungen a]. Auch ſind ſchon ganze Reiche, wie mitSicilien93oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.Sicilien und Sardinien in der Quadrupelallianz, gegen einander ausgetauſcht worden.
Der Fall, daß eine Nazion fuͤr eine Summe Gel - des ganze Stuͤcke Landes an eine andere uͤberlaͤßt, ge - ſchieht, beſonders in neuern Zeiten, zwar ſeltener, doch finden ſich verſchiedene Beiſpiele davon in der Ge - ſchichte. So verkaufte die Koͤnigin Johanna von Neapolis 1358. das Gebiet von Avignon und die Grafſchaft Venaiſſin um 84000 Livres an den Papſt Klemens VI. ob ſie aber die Kaufſumme wuͤrklich erhal - ten habe zweifelt man a]. Ludewig XIV. Koͤnig von Frankreich kaufte 1662. von Koͤnig Karl III. in Eng - land die Stadt Duͤnkirchen, Mardyck ꝛc. um 5 Mil - lionen Livres b]. Kaiſer Karl VI. uͤberließ im Jahre 1713. das aus der ſpaniſchen Verlaſſenſchaft an ihn gekommene Marqviſat Finale kaͤuflich der Republick Genua fuͤr 1200000 Gulden c].
Zuweilen ſieht ein Volk oder deſſen Regent ſich ver - anlaßt aus ſonſtigen Ruͤckſichten und Beweggruͤnden einem andern ein Stuͤck Landes freywillig abzutreten, um dadurch gewiſſe Anſpruͤche oder Foderungen zu be - friedigen. Dergleichen Ceſſionen pflegen hauptſaͤchlich bey Friedensſchluͤſſen vorzukommen, wiewohl dieſe letz - tern mehr zu den unwilkuͤhrlichen Veraͤuſſerungen gehoͤ - ren. Doch findet man auch auſſerdem mehrere Bei - ſpiele davon. Portugal trat an Spanien 1777 in dem Neutralitaͤts - und Handelsvertrage vom 11. Maͤrz die Inſeln Annobon und Ferdinando del Po ab, um letzterer Krone den Negerhandel an den Africaniſchen Kuͤſten zu erleichtern a]. Im Jahre 1784. trat Frank - reich der Krone Schweden, wegen des ihm eingeraͤum - ten freien Gebrauchs des Hafens von Gothenburg und anderer Handelsvortheile die Inſel St. Barthelemy in Weſtindien ab b]. Der Ueberlaſſung von Landen als Heirathsgut wird weiter unten gedacht werden. Oftmals tritt eine Nazion der andern blos ihr Recht oder ihre Anſpruͤche an ein Land ab, und uͤberlaͤßt es dieſer, ſolche geltend zu machen c].
Schenkungen ganzer Lande waren in vorigen Zeiten ebenfals gewoͤhnlicher als dermalen. Beſonders waren die Paͤpſte ſehr freigebig in Austheilung ſolcher Laͤnder die ſie weder beſaſſen, noch ſonſt mit Recht in Anſpruch nehmen konten. Dies geſchah, aus dem damaligen Wahne einer vorgeblichen Weltherſchaft, vorzuͤglich unter dem Deckmantel der chriſtlichen Religionsausbrei - tung, mit den Landen der Wilden und anderer rohen Voͤlker. Die paͤpſtlichen Schenkungen an Portugal und Spanien, deren ich ſchon oben [1. Kap. §. 6. Anmerk. ] gedacht habe, gingen nicht nur auf die neuen amerikaniſchen Entdeckungen, ſondern auf alle Koͤnig - reiche und Laͤnder der Unglaͤubigen in Africa ꝛc. ꝛc. a], weshalb auch Ferdinand der Katholiſche von Arrago - nien verſchiedene Eroberungen daſelbſt vornahm. Die Inſel Sardinien wurde im Jahre 1004. von Papſt Johann XVIII. dem, der ſie den Arabern entreiſſen wuͤr - de geſchenkt, von Papſt Bonifaz VIII. aber 1297. nebſt Korſika dem Koͤnig Jakob II. von Arragonien ein - geraͤumt b]. Auf dieſe Art konten ſie die anſehnlichen Erwerbungen leicht vergelten welche ihnen, groſ - ſenteils durch eine gutmuͤthige Freigebigkeit zu Theil wurden. Die angeblichen Schenkungen der fraͤnkiſchen Koͤnige Pipin und Karls des Groſſen, die Schenkung und Erbſchaft der reichen Marggraͤfin Mathilde und unzaͤhlige andere kleine Schenkungen ſind theils zu be - kant, theils zu weitlaͤuftig, als daß ich ihnen hier einen Platz einraͤumen koͤnte.
Sonſt96Von Erwerbung des Eigenthums von andernSonſt ſchenkte noch die Koͤnigin Charlotte von Cy - pern dies Koͤnigreich 1485. an Herzog Karl I. von Savoyen, c] Kaiſer Karl V. die Inſel Maltha 1530 an den Johanniterorden d]. Durch Schenkung erwarb Frankreich 1349. Dauphiné ꝛc. ꝛc. e].
Die Wahl eines Regenten in bloſſen Wahlreichen, beſonders wo man ſich auch nicht einmal an eine gewiſſe Familie zu halten hat, iſt lediglich ein Perſonalwerk und an ſich weder fuͤr den waͤhlenden Staat, noch fuͤr das Volk, deſſen Regent zum Beherſcher eines ſolchen Wahlreichs gerufen wird, ein Land-Erwerbungsmittel;doch97oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.doch kann ſie Gelegenheit dazu geben, wenn die Nazion einen Regenten waͤhlt, welcher eigene Erblande beſitzt und ihn vermoͤgen kann, ſolche dem Wahlreiche einzu - verleiben, wie die Polen durch die Wahl des Herzogs Jagello 1386 die Verbindung Litthauens mit der Krone bewuͤrkten a].
Eine dergleichen Erwerbung durch Wahl kann auch noch in dem Fall geſchehen, wenn in Erbreichen, nach gaͤnzlichem Abgang des regierenden Hauſes, die Staͤnde ſich genoͤthigt ſehn ein neues Oberhaupt zu erkieſen. So waͤhlten in Daͤnemark, nach Abſterben des koͤnig - lichen Mannsſtamms mit Waldemar III. im Jahre 1375., die Staͤnde Glav IV., Waldemars Enkel von ſeiner Tochter Margarethe, welcher bald drauf von ſei - nem Vater das Koͤnigreich Notwegen nebſt den Anſpruͤ - chen auf Schweden erbte. Dieſe letztern wurden nach - her von der Koͤnigin Margarethe ausgefuͤhrt und als - dann dieſe drey Reiche durch die bekante kalmariſche Union vereinigt b]. Durch die in Portugal, nach Ab - gang des Mannsſtammes mit Koͤnig Heinrich 1580., von den Staͤnden unter den Praͤtendenten vorgenom - mene Wahl Koͤnig Philip II. von Spanien erfolgte gleichfals auf eine Zeitlang die Vereinigung dieſer bei - den Koͤnigreiche c].
Durch Heirath kann ein erblicher Regent auf ver - ſchiedene Art ſeinem Reiche neue Lande erwerben. Ehe -Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. Gdem98Von Erlangung des Eigenthums von anderndem geſchah es nicht ſelten, daß die Prinzeſſinnen ein Heirathsgut an Landen und Provinzen erhielten und ihren Gemalen zubrachten a]. Alphons III. Koͤnig von Portugal bekam mit der natuͤrlichen Tochter Koͤnig Al - phons X. von Kaſtilien, Beatrix das Koͤnigreich Al - garve zum Heirathsgut b]. Philip III. Koͤnig von Frankreich erwarb mit ſeiner Gemalin Iſabelle von Ar - ragonien die Grafſchaften Carcaſſonne und Bezier und erweiterte damit die franzoͤſiſchen Beſitzungen c].
Es iſt auch eine Erwerbung und Vereinigung meh - rerer Reiche moͤglich, wenn ein Regent eine Gemalin nimt, die ſelbſt Beherſcherin von Reichen und Landen iſt. Philip IV der Schoͤne von Frankreich hatte die Koͤnigin Johanna von Navarra zur Gemalin und brachte dadurch dies Koͤnigreich wenigſtens eine Zeitlang an Frankreich. Nachdem es in der Folge wieder eige - ne Koͤnige gehabt hatte, gelangte nach Karls III. des letzten Tode deſſen Tochter Blanka zur Regierung. Dieſe war an Koͤnig Johann II. von Arragonien ver - maͤlt, welcher daher 1425. das Koͤnigreich Navarra mit ſeiner Krone verband. Die beiden Koͤnige von Frankreich Karl VIII. und Ludwig XIII. hatten nach einander die Herzogin Anna von Bretagne zur Ehe, durch welche dieſes Herzogthum an Frankreich kam d].
Sind die Beſitzungen des Gemals geringer, ſo wer - den dieſe auch wohl dem groͤſſern Reiche der Gemalin einverleibt. So geſchah 1137. die Vereinigung der Grafſchaft Katalonien mit dem Koͤnigreich Arragonien da Koͤnig Ramiro II. von Arragonien ſeine Tochter Pe - tronella an den Grafen Raymund V. von Barcellona oder Katalonien verheirathete und ihr das Koͤnigreich zum Heirathsgut uͤberließ e].
Zuweilen haben Prinzeſſinnen ihren Gemalen blos gewiſſe Anſpruͤche und Rechte auf Laͤnder zugebracht und dadurch uͤber kurz oder lang dem andern Reiche einenZuwachs99oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.Zuwachs verſchaft. Koͤnig Franz I. von Frankreich verſprach im Frieden zu Noyon 1516. ſeine Tochter Lu - dovica dem Koͤnige Karl von Kaſtilien und zum Hei - rathsgut alle Rechte und Anſpruͤche die er an das Koͤ - nigreich Neapel hatte f].
Auch auf den Fall, wenn die verabredete Heirath durch Verſchulden des einen oder des andern Theils nicht volzogen wuͤrde hat man einander ſchon gewiſſe Lande zur Entſchaͤdigung verſprochen. Dies geſchah z. B. in den verſchiedenen Heirathsvertraͤgen zwiſchen den Koͤnigen von Frankreich und Spanien in Abſicht einer Vermaͤlung des ſpaniſchen Prinzen Karls, nach - maligen Kaiſers unter dem Namen Karls V., mit einer franzoͤſiſchen Prinzeſſin; wiewohl alles unerfuͤlt blieb g].
Am haͤufigſten aber wird noch heutzutage durch Ver - maͤlung den Regenten anderer Reiche ein Recht verſchaft, fuͤr die Zukunft, bey einem nach der Staatsverfaſſung ſich ereignenden Falle, durch Erbfolge, mehrere Laͤnder zu erwerben h], das ihnen mitunter in den Ehevertraͤ - gen ausdruͤcklich zugeſichert zu werden pflegt i].
Die bisher angefuͤhrten Erwerbungen der Voͤlker und ihrer Beherſcher durch freiwillige Veraͤuſſerung an - derer beziehen ſich auf die im Leben [inter vivos] ge - woͤnlich vorkommenden Veraͤnderungen: nun ſind noch dieienigen zu erwaͤhnen uͤbrig, welche auf den Todesfallzu101oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.zu geſchehen pflegen. Auf die Voͤlker ſelbſt laſſen ſich dieſe, wie Ickſtatt a] ganz richtig erinnert, eigentlich zwar wohl nicht anwenden, weil dergleichen moraliſche Perſonen erſt mit voͤlliger Aufloͤſung ihres ganzen geſel - ſchaftlichen Bandes ein Ende nehmen; da aber in mon - archiſchen Staaten die Regierung nur durch eine ein - zige Perſon beſorgt und die ganze Nazion durch den Regenten dargeſtelt wird, nach deſſen Tode, durch Wahl oder Erbfolge, iedesmal ein anderer eintreten muß, ſo kann dieſer Fall, wie ich ſchon bemerkt habe, oͤfter eine Gelegenheit zum Landeserwerb fuͤr andere Nazionen werden.
Es iſt freilich unter den Natur - und Voͤlkerrechts - lehrern eine annoch unentſchiedene Frage: ob die Natur ſelbſt gewiſſen Perſonen uͤberhaupt oder wenigſtens denen, welche der Verſtorbene ernannt hat, ein vor - zuͤgliches Recht auf deſſen hinterlaſſene Guͤter zugeſtehe? b] Mit dem Tode, ſagen viele, hoͤrt im Naturſtande das Eigenthum auf, die Guͤter des Verſtorbenen werden, weil ſie iedem nur zu Befriedigung ſeiner eignen Be - duͤrfniſſe von der Natur eingeraͤumt waren, wieder herrnlos, ſo daß ſie, ohne Auswahl, von dem erſten Beſitzergreifer wieder eigen gemacht werden koͤnnen. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, den man ſich ohne eheliche und alle andere geſelſchaftliche Verbindung folglich ohne Kinder, Verwandten ꝛc. denkt, c] hat dieſe Behauptung alsdenn allerdings ſeine Richtigkeit, wenn iemand ohne ſeinen Willen zu erklaͤren verſtirbt.
Grotius glaubt hingegen mit andern d] es ſey, was der Fall anlanget, da der Beſitzer ohne einen Nachfol - ger zu ernennen [ab inteſtato] verſtorben, nicht zu vermuthen, daß er ſeine Guͤter nach dem Tode habe Preis geben, ſondern wahrſcheinlicher, daß er ſie denen, welchen er die meiſte Liebe ſchuldig, z. B. ſeinen Kin - dern, Verwandten ꝛc. habe laſſen wollen; zumal daG 3aus102Von Erlangung des Eigenthums von andernaus einer iedermann erlaubten Beſitzergreifung eine Menge ſchaͤdlicher Unordnungen in Abſicht auf die To - desfaͤlle entſtehen wuͤrden e]. Allein aus einer ſolchen bloſſen Vermuthung iſt wohl kein beſtimtes Recht her - zuleiten: ich glaube vielmehr, daß es, nachdem auf unſern bewohnten Erdſtrichen alles bereits zu Eigen - thum gemacht iſt, Nothwendigkeit ſey, wenigſtens den Kindern und Nachkommen ſeine Guͤter zu hinterlaſſen, weil dieſe ſonſt, nach der Eltern Tode des nothduͤrf - tigen Unterhalts und Eigenthums groͤſtentheils wuͤrden entbehren muͤſſen f]. Die Erbfolge anderer Perſonen in Ermangelung der Kinder und Nachkommen hinge - gen beruht ohnſtreitig auf wilkuͤhrliche Beſtimmung theils des Sterbenden theils der Landesgeſetze.
Nach eingefuͤhrten Staatsverbindungen laͤßt ſich wenigſtens nicht mehr annehmen, daß die Guͤter der Verſtorbenen herrnlos wuͤrden. Hier pflegt die Erb - folge gewiſſer Perſonen durch Geſetze beſtimt zu ſeyn, im unbeerbten Fall aber das Obereigenthum des Staats einzutreten. Eben ſo wenig kann ein Volk, nach Ab - ſterben des Regenten in monarchiſchen Staaten als erledigt fuͤr ieden andern betrachtet werden, weil wenn die Regentenfolge nicht in voraus beſtimmt iſt, alle Gewalt auf das Volk ſelbſt zuruͤckfaͤlt.
Wenn nun eine Nazion die Oberherſchaft einem Regenten und ſeiner ganzen Familie aufgetragen hat, oder dieſer ſonſt ſogenante eigenthuͤmliche Lande beſitzt, uͤber die er wie uͤber Privateigenthum ſchalten kann, ſo dient vorzuͤglich entweder die in den Grundgeſetzen etwa vorgeſchriebene oder die ſonſt herkomliche Erbfolgs - art dabey zur Norm. Bey entſtehenden Zweifeln aber komt es, da die Natur auſſer der Nachfolge der Kin - der ꝛc. nichts beſtimt, im erſtern Falle hauptſaͤchlich auf die Entſcheidung des Volks, im letztern hingegen, wenn guͤtliche Vereinigung nicht Statt findet, nochmehr103oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.mehr auf den Ausſchlag der Waffen unter den Praͤten - denten an g].
Die verſchiedenen Gattungen der Erbfolge, die Theilnahme des weiblichen Geſchlechts daran und deren gewoͤhnliche Verzichtleiſtungen ſind hier kein Gegenſtand der Unterſuchung. Bey der Materie von der Regie - rungsfolge wird noch etwas davon zu ſagen ſeyn, das weitere gehoͤrt groͤſtenteils in das Staatsrecht. Uebri - gens iſt dieſe Erbfolge, ſowohl die ſogenante agnati - ſche, von Seiten der maͤnlichen Verwandten, als auch die cognatiſche, von weiblicher Seite, eine der gewoͤnlichſten Arten mehrere Laͤnder zu erwerben, aber auch die reichhaltigſte Quelle mannichfaltiger Streitig - keiten unter den Voͤlkern. Beiſpiele hiervon wuͤrden unnoͤthig ſeyn, da die Geſchichte faſt aller europaͤiſchen Staaten dergleichen in Menge darbietet, unter andern auch die weitlaͤuftigen Erbfolgsſtreitigkeiten wegen der ſpaniſchen und oͤſterreichiſchen Lande in dieſem Jahrhun - dert gewis iedem Leſer nicht unbekant ſind h].
Auch die natuͤrliche Guͤltigkeit des letzten Willens [teſtamentum] durch welchen der Erblaſſer allein, ohne Wiſſen und Einwilligung des Erben erklaͤrt, wer nach ſeinem Tode zum Beſitz der hinterlaſſenen Guͤter gelan - gen ſoll, ziehen viele in Zweifel, nicht nur aus den vorhin angefuͤhrten Gruͤnden, ſondern auch darum, weil aus einem einſeitigen Willen keine Verbindlichkeit entſtehe, zu der Zeit aber, wo die Einwilligung desErb -105oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.Erbfolgers hinzukomt, der Verſtorbene den Beſitz nicht mehr uͤbergeben koͤnne. Das Teſtament ſey alſo ein unvolkomnes Geſchaͤft, welches blos durch wilkuͤhr - liche buͤrgerliche Geſetze ſeine Kraft erhalten a]. Allein da der Eigenthuͤmer einmal das Recht hat nach Wil - kuͤhr mit ſeinen Guͤtern zu ſchalten und ſolche im Leben andern zu uͤberlaſſen, ſo verdient die Meinung derer wohl den Vorzug, welche behaupten, daß auch nach dem Rechte der Natur die Uebertragung ſeines Eigen - thums an andere durch einen ſogenanten letzten Willen gegruͤndet ſey b]. Ohne die Einwilligung des Erben kann es freilich nicht geſchehn; aber es iſt eben nicht noͤthig, daß dieſe beiden Willenserklaͤrungen zuſam - mentreffen. Zur Vollendung der Erwerbung gehoͤrt zwar auch die Erlangung des Beſitzes, dieſen kan der Erbe ſich iedoch fuͤglich ſelbſt verſchaffen.
Indes leidet der Gebrauch und die Guͤltigkeit der Teſtamente unter den Regenten freier Voͤlker, wenn ſie ſonſt die nach den Staatsgrundgeſetzen erfoderlichen Eigenſchaften haben, keinen Zweifel, wie die Beiſpiele mehrerer durch letzte Willen an andere Nazionen gekom - mener Laͤnder bezeugen. Auch hier verdient das Teſta - ment Koͤnig Karls II. von Spanien von 1700 woraus die vorerwaͤhnten Erbfolgsſtreitigkeiten groͤſtenteils ent - ſtanden, angefuͤhrt zu werden.
Am wenigſten laͤßt ſich gegen eine Erbfolge einwen - den, welche durch foͤrmliche Vertraͤge, die man Erb - folgsvertraͤge, Erbverbruͤderungen ꝛc. [pacta ſuc - ceſſoria, confraternitates etc.] nennt, zwiſchen den Regenten zweier Staaten, auf einen gewiſſen Todes - fall oder nach Erloͤſchung eines ganzen Hauſes, entwe - der wechſelſeitig oder einſeitig ausdruͤcklich bedungen wird: vorausgeſetzt, daß ſolche nicht zum Nachtheil anderer, welche ein gegruͤndetes Recht auf den Nach - las haben, eingegangen werden. Hier kann der Ver - ſtorbene auch nicht mehr den Beſitz ſelbſt einraͤumen, gleichwol ſpricht man dieſen Vertraͤgen deshalb die Guͤltigkeit nicht ab. Durch eine dergleichen Erbver - aͤnderung erhielt Koͤnig Ludwig I. von Ungarn 1370 das Koͤnigreich Polen a]. Merkwuͤrdig iſt unter andern auch der Vertrag zu Troyes 1420. zwiſchen Koͤnig Karl VI. von Frankreich, oder vielmehr ſeine Gemalin und dem Koͤnig Heinreich V. von England, vermoͤge welchem dieſer des erſtern Tochter zur Ehe erhielt und gleichſam an Sohnes ſtatt, zum Nachtheil des Dau - phins mit der Bedingung angenommen wurde, daß er die Krone Frankreich erben ſolte, welches auch geſcha -he;107oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.he; wiewohl dieſe Erbſchaft durch Kriege bald wieder verlohren ging b].
Hieher kan man auch rechnen, wenn in oͤffentlichen Vertraͤgen, Friedensſchluͤſſen ꝛc. einem Hauſe der An - fall gewiſſer Laͤnder zugeſtanden wird, wie z. B. 1713 im Utrechter Frieden zwiſchen Grosbritannien und Spa - nien Art. 14. und zwiſchen Spanien und Savoyen Art. 6. bedungen wurde, daß nach Abgang des Hauſes Savoyen das Koͤnigreich Sicilien an Spanien fallen ſolte. Darauf that Spanien zwar im Wiener Frieden 1725. Art. 5. u. 7. Verzicht, doch wurde ihm die Erbfolge in Sardinien vorbehalten.
Zu den Vertraͤgen wegen der Erbfolge gehoͤrt auch die Schenkung auf den Todesfall [donatio mortis cauſſa] weil hier der Erbfolger noch bey Lebzeiten des Erblaſſers ſeinen Willen erklaͤrt ob das voͤllige Eigen - thum gleich erſt nach deſſen Tode an ihn gelangt. Fuͤr eine ſolche Schenkung duͤrfte z. B., wenigſtens nach den Begriffen des natuͤrlichen Rechts, dieienige anzu - ſehen ſeyn, welche Herzog Karl III. von Lothringen mit den Herzogthuͤmern Lothringen und Bar an KoͤnigLudwig108Von Erlangung des Eigenthums von andernLudwig XIV. von Frankreich 1662 vornahm a] wiewohl dieſelbe nicht in Erfuͤllung ging.
Eine moͤgliche, obgleich ſeltene Erwerbungsart kann auch vorkommen, wenn ein Volk, das bisher einen eigenen Staat ausgemacht hat, ſich, weil es ſeine Freiheit nicht laͤnger behaupten kan, oder aus andern Gruͤnden, einen politiſchen Tod zufuͤgt, freiwillig, und mit Einverſtaͤndnis derer, die ein Recht dabey haben, die Souverainete aufgiebt und ſich vertragsweiſe einer andern Nazion als eine Provinz unterwirft a]. Dies war gewiſſermaſſen der Fall als 1396. die Re - publik Genua ſich der Oberherſchaft der Krone Frank - reich unterwarf: doch that es mehr blos die Guelfiſche Parthey, der Staat wurde auch nachher durch die Gi - bellinen wieder in Freiheit geſetzt b].
Da bey den Erwerbungen von andern ein beider - ſeitiges. Einverſtaͤndnis erfoderlich iſt [§. 4.] ſo kannwider109oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.wider Willen keine Nazion in der Regel gezwungen werden, ihr Eigenthum einer andern auf irgend eine Art zu uͤberlaſſen a]. Doch giebt es allerdings Aus - nahmen wo in Nothfaͤllen z. B. zu Beendigung eines Krieges, oder wenn das algemeine Wohl oder die Er - haltung eines Staats es ſonſt unumgaͤnglich erfodert, das andere Volk zur Einwilligung genoͤthigt werden kan. So lange aber dieſe noch fehlt kann die Erwer - bung als beſtaͤndig nicht angeſehn werden. Zuweilen muß ein Staat, durch beſondere Umſtaͤnde veranlaßt, ſich in voraus verbindlich machen, kuͤnftig eine ver - langende Veraͤuſſerung unter gewiſſen annehmlichen Bedingungen einzugehn b].
Hieraus folgt von ſelbſt, daß es andern Nazionen eben ſo wenig erlaubt ſey, uͤber die Lande eines drittenVolks110Von Erlangung des Eigenthums von andernVolks, ohne deſſen Wiſſen und Willen, Verabredun - gen zu nehmen und deren Abtretung und Vertheilung zu bedingen; es muͤſte denn gleichfals die aͤuſſerſte Noth und das Wohl des Ganzen es erfodern. Indes haben die europaͤiſchen Nazionen freilich ſchon mehrmalen aus minder wichtigen Urſachen eine ſolche Uebereinkunft fuͤr erlaubt angeſehen a]. So gingen unter andern im Jahre 1500 die Koͤnige Ferdinand von Spanien und Ludwig XII. von Frankreich, welche beide Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Neapel machten, einen Vertrag ein, wie ſie daſſelbe durch Krieg an ſich bringen und unter ſich theilen wolten b]. Koͤnig Karl II. von England errichtete mit Frankreich 1670. ein Buͤndnis gegen die Vereinigten Niederlande worinne man ſich wegen der kuͤnftigen Theilung ihrer Lande verglich c]. Hierher gehoͤren auch die bekanten Theilungstractaten wegen der ſpaniſchen Monarchie von 1698. und 1700 d]. In dem Wormſer Vertrage 1743. kamen Grosbritannien, Sardinien und Oeſterreich uͤberein, daß die Republik Genua das von Kaiſer Karl VI. 1713. erkaufte Mar - qviſat Finale gegen eine feſtzuſetzende Summe an Sar - dinien uͤberlaſſen ſolte, vermoͤge der Anſpruͤche, welche Oeſterreich darauf zu haben glaubte und welche es an Sardinien abtrat e]. Nicht weniger kann man hierher die zwiſchen Rußland, Preuſſen und Oeſterreich 1772. verglichene Theilung verſchiedener Lande der Krone Po - len, die ſie mit Vorlegung ihrer darauf machenden Anſpruͤche in Beſitz nahmen, rechnen.
Andern Maͤchten, welche etwa die Garantie ſolcher Lande uͤbernommen haben, oder wenn ſonſt das alge - meine Wohl es erfodert, ſteht allerdings das Recht zu, ſich dergleichen Maasregeln zu widerſetzen, zumal wenn ſie darum angeſprochen werden. Von Seiten der Krone Polen bot man zwar auch alles auf, dieſe Theilung zu hintertreiben; man proteſtirte dagegen,ſuchte111oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.ſuchte Huͤlfe bey andern Nazionen, beſonders den Ga - rants der Friedensſchluͤſſe zu Oliva, Wehlau und Kar - lowitz; aber es war alles ohne Erfolg, ſo, daß ſie am Ende ſich doch bequemen muſte f].
Eine der vorzuͤglichſten Gattungen dieſer abgenoͤ - thigten Erwerbsart ſind die Eroberungen im Kriege und darauf in den Friedensſchluͤſſen erfolgte Abtretungen, wogegen andere Nazionen eigentlich nichts zu ſagen haben, ſie muͤſten denn durch Vertraͤge oder andere hin - laͤngliche Urſachen, wozu auch die Erhaltung des Gleichgewichts gezaͤhlt wird, berechtigt ſeyn a]. Die umſtaͤndliche Eroͤrterung dieſes Gegenſtandes gehoͤrt iedoch zur Materie des Voͤlkerrechts in Kriegszeiten.
Es geſchieht aber auch wohl in Friedenszeiten, daß eine Nazion es fuͤr noͤthig oder zutraͤglich haͤlt, einerGuͤnth. Voͤlk. R. 2. B. Handern114Von Erlangung des Eigenthums von andernandern ein Stuͤck Landes wegzunehmen und ſich deſſen Beſitzes zu bemaͤchtigen. Sind die Urſachen dazu nicht ſehr triftig, ſo iſt dies eine offenbare Beleidigung der Eigenthumsrechte a]. Auſſer der bereits erwaͤhnten Theilung von Polen giebt die ruſſiſche Einnahme der Krim eins der neuſten Beiſpiele hiervon. Dieſe ſolte iedoch, dem Vorgeben nach, nicht aus Vergroͤſſerungs - ſucht, ſondern aus Nothwendigkeit die Grenzen des Landes zu ſichern, geſchehen ſeyn, weil ſolche von einer Rotte Raͤuber bewohnt wuͤrde, die wider alles Voͤlker - recht Raͤubereyen und Mordthaten in der Nachbarn Land zu treiben fuͤr Pflicht hielten b].
Eine Nazion kann auch ein Stuͤck Landes verlieren, wenn eine Provinz durch Empoͤrung ſich losreißt und entweder einen neuen Staat bildet, [wovon im erſten Kapitel des erſten Buchs §. 4. bereits gehandelt wor - den] oder ſich einem andern Volke und Regenten un - terwirft und dadurch deren Lande erweitert a]. So wenig eine dergleichen rebellirende Provinz, wenn ſie einen eignen abgeſonderten Staatskoͤrper bilden will, eher fuͤr ein freies Volk anzuſehn und zu behandeln iſt, als bis der vorige Oberherr ſie von dem ihm ſchuldigen Gehorſam losgezaͤhlt und als frey erkant hat, eben ſo wenig kann eine Erwerbung auf dieſe Art als recht - maͤſſig angeſehen werden, bevor die erſtere Nazion ihre Einwilligung dazu gegeben hat. Ob ſolche Trennun - gen wohl den uͤbrigen Maͤchten ſelten gleichguͤltig ſeynkoͤnnen b]115oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.koͤnnen b], ſo finden ſich doch in der Geſchichte meh - rere Beyſpiele von Abfaͤllen und Unterwerfungen, wo - bey eine und die andere Nazion kein Bedenken getragen hat, die Unterwerfung gut zu heiſſen, ſie wohl gar zu veranlaſſen c], oder doch zu beguͤnſtigen um dadurch auf laͤngere oder kuͤrzere Zeit ihre Lande zu erweitern. So befreite 1282. Sicilien ſich durch die ſicilianiſche Veſper von dem franzoͤſiſchen Druck und ergab ſich dem Koͤnig Peter von Arragonien d]. Preuſſen riß ſich 1454 von dem teutſchen Orden, weil er ihm nicht Schutz genug gegen ſeine Feinde gewaͤhren konte, los und unterwarf ſich der Krone Polen e], dagegen fielen von dieſer 1654 die Koſaken ab und begaben ſich theils unter ruſſiſche theils unter ottomanniſche Herſchaft f]. Die Provinzen Katalonien und Rouſſillon gingen 1641. von Koͤnig Philip IV. in Spanien an Frankreich uͤber g].
Die noͤthige Einwilligung bey dieſen abgeleiteten Erwerbarten kann, ſchon oben erinnertermaaſſen, wie bey andern Vertraͤgen, von beiden Seiten ohnſtreitig auch ſtilſchweigend durch Thathandlungen geſchehen. Wenn eine Nazion auf vorgedachte eigenmaͤchtige Weiſe der andern ein Stuͤck landes abnimt oder ſich den aus - ſchließlichen Beſitz eines Landes anmaaßt, das ſie fuͤr herrnlos und aufgegeben haͤlt, da es doch noch einen Eigenthuͤmer hatte, ſo iſt an deren Abſicht der Zueig - nung wohl nicht zu zweifeln. Sie erlangt nach den im vorigen Kapitel angefuͤhrten Grundſaͤtzen des natuͤr - lichen Rechts allerdings auch ein Eigenthum an dem - ſelben, allein es iſt in Ruͤckſicht des vorigen Beſitzers ein unrechtmaͤſſiges Eigenthum, zu deſſen Beſtande wenigſtens ebenfals eine ſtilſchweigende Einwilligung und Aufgabe ſeines vormaligen Eigenthumsrechts [de - relictio ſuperveniens] erfolgen muß. Fuͤr nichts an - ders kann man es aber fuͤglich anſehen, wenn der vo - rige Eigenthuͤmer, unterrichtet von der unrechtmaͤſſigen Innehabung, ſolche Handlungen, beſonders mit dem gegenwaͤrtigen Beſitzer ſelbſt vornimt, welche eine An - erkennung des Eigenthums nothwendig vorausſetzen a]; z. B. Vertraͤge mit ihm uͤber das Land eingeht, die von dem andern Volke deshalb angenommenen Titel undWappen117oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.Wapen anerkennt, oder wohl gar deſſen Garantie gegen einen dritten uͤbernimt, oder durch hinlaͤngliche Ver - wahrung, wenigſtens doch fortwaͤhrenden Gebrauch des Titels und Wapens ꝛc. b] die gegentheilige Abſicht we - gen Vorbehalt ſeiner Rechte an den Tag zu legen. Wo ſolche Merkmale der Einwilligung vorhanden ſind, bedarf es weiter keines Verlaufs von vielen oder wenig Jahren.
Eine der wichtigſten aber auch zugleich der beſtrit - tenſten Fragen im Voͤlkerrecht iſt die: ob durch ſoge - nante Veriaͤhrung [vſucapio, praeſcriptio a] irgend ein Recht oder auch der Beſitz und das Eigenthum eines Landes verloren und von dem andern erworben werden koͤnne? Die Hauptſchriftſteller des Natur - und Voͤl - kerrechts, Grotius, Puffendorf, Ickſtatt, Wolf, Vattel, Real und mehrere b] beiahen, andere hinge - gen als Vasqvius, du Puy, Aubery, Glafey,H 3Achen -118Von Erlangung des Eigenthums von andernAchenwall ꝛc. ꝛc. c] verneinen ſie und halten die Ver - iaͤhrung blos fuͤr eine Vorſchrift der Privatgeſetze. Das Dunkle und Widerſprechende, welches man bey ſehr vielen in den Grundſaͤtzen und dem Vortrage die - ſer Materie antrift, ruͤhrt groͤſtenteils von den unrich - tigen Begriffen her, die ſie ſich von der Voͤlkerveriaͤh - rung machen, indem ſie dieſelbe mit der ſtilſchweigen - den Einwilligung durch Handlungen und dem undenk - lichen Beſitz entweder fuͤr eins halten, oder wenigſtens vermiſchen d]. Unter der Veriaͤhrung wovon hier die Rede iſt verſtehe ich dieienige Erwerbungsart, welche blos durch langwierigen Beſitz aus der Vermu - thung entſpringt, daß der vorige Eigenthuͤmer durch bloſſes Stillſchweigen ſeine Rechte aufgegeben und eingewilliget habe e]. Auſſer einer zum Veriaͤhren taug - lichen Sache erfodern f] ihre Vertheidiger hierzu haupt - ſaͤchlich das Stilſchweigen des vorigen Eigenthuͤmers g] den vieliaͤhrigen, laͤngſtens Menſchengedenken uͤberſtei - genden Beſitz h) und, beſonders bey Veriaͤhrungen kuͤrzerer Zeit, auch eine rechtmaͤſſige Ueberzeugung von Seiten des Erwerbenden i]. Sie glauben daß eines Theils daraus die Vermuthung entſtehe, der vorige Beſitzer habe die Sache voͤllig aufgegeben, weil er ſie ſonſt wahrſcheinlich ſo lange nicht vernachlaͤſſigen und ſeine Rechte daran, bey vorgekommener Gelegenheit, bemerklich zu machen gewis nicht unterlaſſen wuͤrde, andern Theils ſey ein ſo nachlaͤſſiger Eigenthuͤmer, der das Seinige in den Haͤnden eines andern weiß, ſeines Rechts billig fuͤr verluſtig zu erklaͤren, weil die alge - meine Sicherheit und Ruhe eine Gewisheit des Eigen - thums verlange, welches aber auſſerdem ſtets zweifel - haft bleiben, und nach ſo langen Jahren ſchwerlich zu erweiſen ſeyn, folglich beſtaͤndige Zwiſtigkeiten und Kriege veranlaſſen, auch uͤberhaupt mit einer geringern Sorgfalt behandelt werden wuͤrde.
Bey119oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.Bey genauerer Unterſuchung iſt iedoch die Unzu - laͤnglichkeit dieſer Gruͤnde ſofort einleuchtend. Es iſt keine Urſach vorhanden, warum das gaͤnzliche Stil - ſchweigen mehr fuͤr ein Zeichen der Genehmigung als des Widerſpruchs angeſehen werden ſolte. Die Zeit an ſich bewuͤrkt eben ſo wenig und kann eine von An - fang unrechtmaͤſſige Handlung nicht rechtfertigen k]. Aus bloſſen Vermuthungen, die doch eben ſo ſtark und wohl noch ſtaͤrker fuͤr die Beibehaltung des Eigenthums ſind, laͤßt ſich kein kraͤftiger Beweis gegen ein gegruͤn - detes Recht hernehmen, welches durch den nachherigen Anſpruch dargethan werden kan l]. Bey der im natuͤr - lichen Zuſtande herſchenden Freiheit und Gleichheit un - ter den Menſchen und Voͤlkern fehlt es auch an der Verbindlichkeit, ihre Rechte gegen den dermaligen Be - ſitzer zu verwahren, zumal wenn Furcht der Uebermacht oder andere Umſtaͤnde ſie daran hindern m]: eben ſo wenig ſind andere befugt, die vermeintliche Nachlaͤſſig - keit durch Entziehung des Eigenthums zu beſtrafen n]. So wie die Natur Sicherung der oͤffentlichen Ruhe durch Gewisheit des Eigenthums verlangt, ſo will ſie auch nicht, daß iemanden das Seine von andern blos durch vieliaͤhrige Vorenthaltung entzogen werde o]. Der Nutzen allein ſchließt die Nothwendigkeit noch nicht in ſich. Solchergeſtalt laͤßt ſich die Veriaͤhrung nach dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nicht behaupten.
Grotius fuͤhlte ſelbſt die Schwaͤche der aus einer blos vermuthlichen Auflaſſung hergenommenen natuͤr - lichen Gruͤnde, und ſucht daher der Veriaͤhrung meh - rere Kraft beizulegen, daß er ſolche als zu dem frei - willigen Voͤlkerrecht gehoͤrig anſieht a]. Ueberdies werden von ihm und andern eine Menge Beiſpiele aus der iuͤdiſchen, griechiſchen, roͤmiſchen und andern aͤl - tern und neuern Geſchichten angefuͤhrt, welche, be - ſonders die erſtern, als von dem Volke Gottes herge - nommen, ein algemeines Anerkentnis der Veriaͤhrung durch wilkuͤhrliche Einwilligung der Nazionen beweiſen ſollen b].
Was die Guͤltigkeit der Veriaͤhrung nach dem frei - willigen Voͤlkerrechte anlanget, ſo laͤßt ſich wohl kaum mit Grunde behaupten, daß ſie zur geſelſchaftli - chen Verbindung der Voͤlker ſo weſentlich gehoͤrte, daß dieſe ohne ſolche Gefahr laufen wuͤrde. Die angefuͤhr - ten Beiſpiele zeigen zwar, daß einige beſonders aͤltere Nazionen dem langwierigen Beſitz einige Kraft beige - legt haben, ſie machen aber keinesweges eine algemeine auch noch dermalen unter den europaͤiſchen Nazionen verbindliche zu dem wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechte gehoͤrige Uebereinſtimmung aus.
Dieſe laͤßt ſich auch in Anſehung der letztern nicht erweiſen. Einige kleinere Maͤchte haben zwar darinn einige Zuflucht zu finden geglaubt und ſich zuweilen auf die Veriaͤhrung bezogen c]; auch wohl die groͤſſern, wenn es ihr Vortheil erfoderte d] und verſchiedene ha - ben ihre Rechte gegen alle Veriaͤhrung ausdruͤcklich ver - wahrt e], woraus iedoch noch nicht folgt, daß ſie die -ſelbe127oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.ſelbe fuͤr zulaͤſſig angeſehen, ſondern eben ſo gut, daß ſie ſich nur noch mehr, auch gegen dieſes Vorurtheil haben verwahren wollen. Von vielen iſt im Gegen - theil erweislich, daß ſie ſich gegen die Guͤltigkeit der Veriaͤhrung, zumal wenn der Beſitzer in keiner recht - maͤſſigen Ueberzeugung iſt, deutlich erklaͤrt haben f].
Von der Veriaͤhrung, welche nach richtigen Begriffen blos eine lange, hoͤchſtens Menſchengedenken uͤberſteigende Zeit erfodert, iſt der undenkliche Beſitz, d. i. ein ſol - cher, deſſen Unrechtmaͤſſigkeit, wenn er gleich ſeinem Urſprunge nach nicht alle erfoderliche Eigenſchaften ge - habt haben ſolte, ſich weder durch Zeugen noch Urkun - den erweiſen laͤßt, gar ſehr unterſchieden a]. Faͤlſch - lich erfodern verſchiedene Voͤlkerrechtslehrer einen ſol - chen Beſitz bey der Veriaͤhrung b]. Wo dieſer vorhan - den iſt bedarf es der Veriaͤhrung und vermeintlichen Aufgabe nicht: es komt auch dabey weder auf einen rechtmaͤſſigen Titel noch auf eine rechtliche Ueberzeugung an. Dieſe werden vorausgeſetzt, weil das Gegentheil ſich nicht erweiſen laͤßt. Ueberhaupt iſt der undenkliche Beſitz nicht ſowohl eine beſondere Erwerbungsart, als nur ein Beweis des Eigenthums, der gegen alle andere Anſpruͤche ſchuͤtzt, indem der Mangel an Nachrichten die Unmoͤglichkeit in ſich ſchließt, ein gegruͤndeteres Recht darzuthun.
Wenn man dieſe drey Erwerbsarten und Beſitz - ſtaͤnde, der ſtilſchweigenden Einwilligung, der Veriaͤhrung und des undenklichen Beſitzes gehoͤrig von einander unterſcheidet, ſo wird es, glaube ich, nicht ſchwer ſeyn, iede derſelben nach ihren vorange - fuͤhrten eignen Grundſaͤtzen zu beurteilen und deren Werth unter den Voͤlkern zu beſtimmen.
Zu wuͤnſchen waͤre es freilich, daß die Nazionen uͤber dieſen ſo wichtigen Gegenſtand eine RichtſchnurJ 2feſt -132Von Erlangung des Eigenthums von andernfeſtſetzen moͤchten, wodurch die aus den oft ſehr weit - hergeholten Anſpruͤchen entſtehenden Streitigkeiten und Kriege, zum Beſten der algemeinen Ruhe, um vieles vermindert werden wuͤrden. Aber dies wird wohl ein frommer Wunſch bleiben!
Noch verdient eine Erwerbsart angemerkt zu wer - den, wie Nazionen nicht von andern Voͤlkern, ſondern durch ihre eigene Unterthanen gewiſſermaaſſen den Be - ſitz ſouverainer Lande erlangen koͤnnen. Eine unab - haͤngige Privatperſon, die ihr Vaterland, gezwungen oder freiwillig, auf rechtmaͤſſige Weiſe verlaſſen hat, kan, wie Vattel lehrt a], ohnſtreitig auf Entdeckungen ausgehn und wenn es ihr gluͤckt, in einem herrnloſen Lande ein unabhaͤngiges Eigenthum und deſſen Ober - herſchaft erlangen, die niemand ihm zu entziehen befugt iſt. Ob aber wuͤrkliche Unterthanen eines Volks durch dergleichen auswaͤrtige Entdeckungen und Beſitznehmun - gen zugleich ein mit Oberherſchaft verbundenes Eigen - thum daran erwerben koͤnne, oder ob erſtere ihren Sou - verainen gebuͤhre? iſt eine Frage die nach den Grund -ſaͤtzen133oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.ſaͤtzen des Staatsrechts beurteilt werden muß. Hier bemerke ich nur ſo viel, daß ſeit den amerikaniſchen Entdeckungen einige europaͤiſche Nazionen ihren Unter - thanen, beſonders ganzen Geſelſchaften, zuweilen der - gleichen Beſitzungen mit einer Art von Oberherſchaft verſtattet oder nachgeſehen haben. Das von Spanien den Jeſuiten verſtattete Reich in Paraguay und die Be - ſitzungen der grosbritanniſchen oſtindiſchen Kompagnie ꝛc. koͤnnen zum Beiſpiel dienen b].
Wo nun ſolche Beſitzungen in den Haͤnden der Un - terthanen ſich befinden, kann der Staat ſie von ihnen entweder durch Vertraͤge, oder, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, durch Einziehung erwerben. Das Schickſal des ieſuitiſchen Reichs c], die ehemaligen Abſichten Grosbritanniens, die Beſitzungen der oſtin - diſchen Kompagnie zur Krone zu ziehen, weil ſolche in den Haͤnden einer Handelsgeſelſchaft ungebuͤhrlich und gefaͤhrlich waͤren ſind bekant d].
Daß dergleichen Lande, durch Abtretung oder Weg - nahme in die Gewalt anderer Nazionen gelangten, wer - den die Voͤlker, deren Glieder die Beſitzer ſind, ſchwer - lich zugeben.
Wenn beide Theile in den Bedingungen der Ver - aͤuſſerung und des Erwerbes einig ſind, ſo muß ſchon gedachtermaaſſen die veraͤuſſernde Nazion der andern, wenn ſie die eingegangenen Verbindlichkeiten erfuͤlt hat, vor allen Dingen den Beſitz einraͤumen, dieſelbe auch dabey ſchuͤtzen, wenn das Land von andern in Anſpruch genommen, und ſie ſchadlos halten, wenn es ihr wegen aͤlterer Rechte darauf, gar entzogen werden ſolte. Dieſe Gewaͤhrleiſtung [evictionis praeſtatio] fließt theils aus der Natur der desfals geſchloſſenen Vertraͤge, beſonders des Kaufs, Tauſches und dem aͤhnlicher Er - werbsarten, theils wird ſie auch ausdruͤcklich mit be - dungen a].
Die durch rechtmaͤſſige Vertraͤge volzogenen Veraͤuſ - ſerungen der Nazionen ſind in der Regel unwiderruf - lich und koͤnnen nicht durch die Ausflucht unkraͤftig ge - macht werden, daß die Grundgeſetze des Staats ſolche nicht erlaubten, weil die ſo nothwendige Zuverlaͤſſig - keit der Vertraͤge dadurch verletzt werden wuͤrde. Wenn die Nazion, aus Noth oder Vortheil bewogen, zur Veraͤuſſerung ſich entſchließt, ſo entſagt ſie, wie Vat - tel b] behauptet, ſogleich dieſem Grundgeſetze. Iſt aber der Regent allein, ohne Eiwilligung des Volkshierzu135oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.hierzu nicht berechtiget, ſo muß die erwerbende Nazion auch auf deren Herbeibringung Bedacht nehmen. In - des wird zuweilen beim Verkauf ausdruͤcklich der Wie - derkauf auf beſtimte oder unbeſtimte Friſt verabredet c] oder bey Abtretungen die Wiedererwerbung unter an - nehmlichen Bedingungen freigeſtelt d] oder endlich auf beſondere Eraͤugniſſe der Ruͤckfall feſtgeſetzt e].
Dieſe und alle andere den Vertraͤgen beigefuͤgte Be - dingungen ſind nach deren Vorſchrift lediglich zu beur - teilen und beide Theile zu deren Erfuͤllung verbunden.
Das erwerbende Volk wird, ſobald es den Beſitz erlangt hat, voͤlliger Eigenthuͤmer des Landes und kann damit, wie mit iedem andern Eigenthum, nach Gefal - len ſchalten und walten, in ſo fern die Vertraͤge, durch welche er es uͤberkommen, keine Einſchraͤnkung enthal -ten.137oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.ten. Was wegen Beobachtung der Landesfreiheiten, Bezahlung der auf den neuerworbenen Landen haften - den Schulden Rechtens iſt, wird weiter unten gelehrt werden. Hier iſt nur noch die Frage zu unterſuchen: ob das erwerbende Volk befugt ſey, die neuen Lande mit ſeinen bisherigen Beſitzungen zu vereinigen und nach Befinden ihnen voͤllig einzuverleiben, und als einen Theil derſelben zu behandeln? Es komt dabey hauptſaͤchlich auf die Bedingungen und Umſtaͤnde an, unter welchen der Erwerb geſchehen iſt. Wenn dieſer unbedingt erfolgt und die Verfaſſung des Landes es leidet a], ſo findet die Einverleibung allerdings Statt, zumal wenn, wie oben von Frankreich erwaͤhnt worden, die Staatsgrundgeſetze die Einverleibung aller Erwer - bungen zur Nothwendigkeit machen. Gemeiniglich pflegt ſolche bey der Ueberlaſſung entweder ausdruͤcklich verſtattet, oder verboten zu werden b].
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen ſind auch die Landes - veraͤuſſerungen und Erwerbungen der teutſchen und anderer bloſſen Landesherrn zu beurteilen, in ſo ferne die Grundgeſetze des Staats von dem ſie abhaͤngig ſind, ſo viel beſonders die zu demſelben gehoͤrigen Lande be - trift, nicht eigene Vorſchriften und mehrere Einſchraͤn - kungen enthalten.
In Teutſchland iſt das Veraͤuſſerungsrecht der Reichslande ſowohl von Seiten des Kaiſers, als der Staͤnde in vielen Stuͤcken eingeſchraͤnkt, iedoch ſind hier Tauſch, Kauf, Abtretung, Erbfolge ꝛc. und andere freiwillige, auch abgenoͤthigte Veraͤuſſerungen, ebenfals gewoͤnlich. Dabey komt hauptſaͤchlich die Eigenſchaft der Lande: ob ſie Lehen oder Erbe? und des Erwerbers: ob es eine auswaͤrtige Nazion, oder ein Mitſtand? in Betrachtung a].
Bey den Veraͤuſſerungen an auswaͤrtige Nazionen iſt wieder ein Unterſchied zu machen: ob ein Stuͤck Landes ganz von dem teutſchen Reiche getrennt, der Herſchaft eines andern Volks unterworfen und deſſen Landen einverleibt wird, oder ob es, mit Beibehaltung der Reichsverbindung und Hoheit, nur durch perſoͤn - liche Vereinigung an deſſen Regenten gelangt?
Wenn vorherige Vertraͤge, oder die im teutſchen Reiche uͤbliche Erbfolgsordnung hierunter nicht ſchon klare Maaſſe geben, ſo iſt in beiden Faͤllen eigentlich allerdings die Genehmigung des ganzen Reichs erfoder - lich b]; doch lehrt die Geſchichte, daß ſowohl mit als ohne dieſelbe manche Lande in Friedensſchluͤſſen und andern Vertraͤgen, zum Theil auch auf gewaltſameWeiſe,140Von Erlangung des Eigenthums von andernWeiſe, von Teutſchland ab - und an andere europaͤiſche Maͤchte gekommen ſind c].
Unter ſich haben die teutſchen Reichsſtaͤnde freiere Haͤnde, und wenn die unter ihnen vorkommenden Ver - aͤuſſerungen nicht den Reichsgrundgeſetzen, noch den Reichs - und Landesverfaſſungen zuwider ſind d], und bey den Lehnen die lehnsherrliche Einwilligung nicht ver - abſaͤumt wird, ſo kann ordentlicherweiſe weder Kaiſer und Reich, noch ein einzelner Reichsſtand, am aller - wenigſten eine auswaͤrtige Nazion e] etwas dagegen ein - wenden; es muͤſten denn beſondere Umſtaͤnde eintreten, welche einen oder den andern gleichwol zum Widerſpruch berechtigten f].
Genoͤthigt koͤnnen teutſche Landesherrn eben ſo wenig als freie Voͤlker werden, wider Willen, ihre Lande wegzugeben — die Faͤlle einer Reichsacht ausge - nommen —, indes iſt ſchon verſchiedenemal etwas der - gleichen verlangt und bedungen worden g].
Das Recht der Erwerbungen von auswaͤrtigen Nazionen iſt nirgends eingeſchraͤnkt. Die teutſchen Reichsſtaͤnde koͤnnen daher ſo viel unabhaͤngige Neben - lande erwerben und beſitzen, als ſie Gelegenheit haben zu erlangen, wenn ſonſt niemand gegruͤndete Urſach hat, ſich der Erwerbung entgegen zu ſetzen. Sie ſind in Ruͤckſicht dieſer ganz nach den Grundſaͤtzen des Voͤl - kerrechts zu beurteilen, und koͤnnen daher auch ihrer Wiederveraͤuſſerung halber nach Wilkuͤhr ſchalten. Es fehlt an Beiſpielen von dergleichen Erwerbungen nicht, und noch heutzutage beſitzen verſchiedene Reichsſtaͤnde als Kurbrandenburg, Kurhannover ꝛc. zugleich ſouve - raine Lande in Europa h].
Die Erwerbung der Reichslande ſteht mit der Veraͤuſſerung in genauem Bezug und kann, unter Be - obachtung des Erfoderlichen, in der Regel ebenfals keinem Reichsſtande verwehrt werden i].
Daß141oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.Daß die Veriaͤhrung bey den Erwerbungen der Reichsſtaͤnde unter ſich Statt finde leidet keinen Zwei - fel, da die unter denſelben guͤltigen Reichs - und andere angenommene Geſetze ſolche ausdruͤcklich anerkennen k].
Die Vereinigung mehrerer unerworbener Lande oder deren abgeſonderte Regierung haͤngt von der beſon - dern Verfaſſung der Reichslande und den Bedingun - gen des Erwerbes ab und kann, wenn ſie dieſen nicht entgegen iſt von andern Reichsſtaͤnden eigentlich nicht gehindert werden l]. Aber alle dieſe vielfaͤltigen Be - ſtimmungen hierunter gehoͤren mehr in die Lehre des teutſchen Staatsrechts, und wuͤrden unnoͤthigerweiſe hier zu viel Platz wegnehmen m].
In dem Begriffe des Eigenthums liegt zwar aller - dings das alleinige Beſitz - und Gebrauchsrecht [1. K. §. 39.] einer Sache, mit Ausſchlus aller andern Theil - haber, und wenn dieſe Erforderniſſe unzertrent beiſam - men ſind, und ohne Einſchraͤnkung ausgeuͤbt werden koͤnnen, ſo iſt es ein volkommenes, uneingeſchraͤnk - tes Eigenthum [dominium plenum, illimitatum]. Vermoͤge der dem Eigenthuͤmer zuſtehenden uneinge - ſchraͤnkten Gewalt, koͤnnen die Rechte des Eigenthums iedoch, durch das Einverſtaͤndnis mit andern, auf mancherley Art dergeſtalt beſtimt und verteilt werden, daß entweder mehrere Perſonen oder Nazionen gleiche Rechte, obſchon nach einem gewiſſen Maasſtabe, an dem Beſitze und an der Benutzung haben, oder daß einige Eigenthumsrechte dieſer, einige einer andern Perſon oder Nazion zugehoͤren, welche zuſammen erſt das voͤllige Eigenthum ausmachen [2. K. §. 5.]. Er - ſteres iſt ein gemeinſchaftliches, letzteres ein geteil - tes, unvolkommenes Eigenthum [dominium minus plenum]. Nach dieſem kann eine Art von Eigenthum ohne Beſitz und Benutzung, und ein Beſitz ohne Eigen - thum Statt finden a]. Geht der Eigenthuͤmer mitK 3andern150Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenenandern blos ſolche Bedingungen ein, wodurch die Frei - heit in Ausuͤbung der Eigenthumsrechte einigermaaſſen beſchraͤnkt wird, ſo entſteht ein eingeſchraͤnktes Ei - genthum [dominium limitatum, reſtrictum] b].
Ein ſolches Eigenthum kann blos durch wechſel - ſeitige Uebereinkunft und Vertraͤge entſtehen, folglich gehoͤrt deſſen Erwerb zu dem abgeleiteten. So wie iedem Eigenthuͤmer erlaubt iſt, ſein Eigenthum ganz zu veraͤuſſern und andern zu uͤberlaſſen, ſo ſteht dem - ſelben auch frey, ihnen nur gewiſſe Stuͤcke oder Rechte davon einzuraͤumen, das uͤbrige aber ſich ſelbſt vorzu - behalten. Erbſchaft und aͤhnliche Erwerbsarten geben auch oͤfters zu dergleichen gemeinſchaftlichem oder geteil - tem Eigenthum Anlas. Es iſt zwar moͤglich daß bey dem urſpruͤnglichen Erwerbe mehrere gemeinſchaftlichein151und eingeſchraͤnkten Eigenthum der Lande.ein Land entdecken und ſich zueignen; dies ſetzt aber auch ſchon einen Vertrag voraus, weil nach dem ur - ſpruͤnglichen Naturrechte auf den Fall, wenn mehrere zufaͤllig ein Land zugleich entdecken und in Beſitz neh - men, iedem nur ſo viel mit voͤlligem Eigenthum gehoͤrt, als er wuͤrklich in Beſitz genommen hat a].
Das Gemeineigenthum [condominium] welches in den gleichen ungeteilten Rechten zweier oder meh - rerer an einer Sache, wiewohl nach verſchiedenem Maasſtabe a] beſteht, kann, nach dem gleichen oder ungleichen Verhaͤltnis des letztern wiederum auf man - cherley Art beſtimt werden. Unter den europaͤiſchen Nazionen kommen indes dergleichen Gemeinſchaften ganzer Laͤnder ſelten, wohl aber bey einigen Orten vor. Zwiſchen Sardinien und Parma z. B. ſollen, nach Moſers Bericht b], in dem Grenzvergleiche vom 10. Maͤrz 1766. die beiden Orte Monſenico und Mon - caſacca gemeinſchaftlich geblieben ſeyn. Die Inſel St. Martin war ehemals Frankreich und den Vereinig - ten Niederlanden gemein, iedoch mehr nach gewiſſen beſtimten Theilen, die letztern wurden aber nachher daraus vertrieben c].
Zu dem geteilten Eigenthum gehoͤren hauptſaͤchlich die lehnbaren Lande [feuda] an welchen, nach den Grundſaͤtzen der Lehnsverbindung, dem einen Theile das ſogenante Obereigenthum [dominium directum] den andern aber das nutzbare [dominium vtile] unter dem Verſprechen einer beſondern Ergebenheit und mit Uebernehmung gewiſſer Verbindlichkeiten zu deren An - erkennung uͤberlaſſen iſt. Dieſe Theilung kann auf doppelte Art geſchehen, wenn entweder der volkomne Eigenthuͤmer einem andern das Obereigenthum mit Vorbehalt der Benutzung auftraͤgt [feudum oblatum] oder wenn einer dem andern blos das nutzbare Eigen - thum zugeſteht, ſich aber die uͤbrigen Eigenthumsrechte, oder das Obereigenthum ausbedingt [feudum datum]. Von dieſen in aͤltern Zeiten auch unter den Staaten in Europa ſehr haͤufigen Lehnsverbindungen, von wel - chen heutzutage vorzuͤglich noch die Lehnsabhaͤngigkeit des Koͤnigreichs Neapel von dem paͤbſtlichen Stuhle und der Inſel Malta von Sicilien bemerkt zu werden verdient, habe ich, in Beziehung auf deren Unſchaͤd - lichkeit gegen die Souverainetaͤt, ſchon oben [1. B. 1. K. §. 38. im 1. Th. S. 135. ff. ] gehandelt.
Dieſe Theilung des Eigenthums tritt auch bey der Verpfaͤndung [pignus] ein, wenn eine Nazion der andern zur Sicherheit und Entſchaͤdigung einer von ihr erhaltenen Geldſumme oder eines ihr gegebenen Ver - ſprechens a], bis zu deren Wiedererſtattung oder Er - fuͤllung, den Beſitz und gemeiniglich auch die voͤllige Benutzung eines Stuͤck Landes [cum pacto antichre - tico] einraͤumt. Es ſey nun daß man annehme, es werde hier, nach der angeblichen Eigenſchaft der ehe - maligen teutſchen Pfandſchaften, ein wenigſtens nutz - bares Eigenthum, bis zu Erfuͤllung der eingegangenen Verbindlichkeiten auf den andern uͤbertragen b], wel - ches den natuͤrlichen Begriffen des Eigenthums, wo - bey das Hauptwerk auf den Beſitz ankomt, keinesweges entgegen iſt; oder daß man dem Pfandsinnhaber blos einen im Namen des Schuldners fortfuͤhrenden Beſitz ohne alles Eigenthum, beilege, zumal wenn dieſer mehrere Eigenthumsrechte ſich ausdruͤcklich vorbehalten hat; ſo iſt doch auch das Eigenthum des letztern, wenn Beſitz und Benutzung ihm fehlen, fuͤr kein volſtaͤndi - ges anzuſehn, ſondern in beiden Faͤllen eine Theilung der Eigenthumsrechte vorhanden.
Dergleichen Verpfaͤndungen waren ehedem nicht ſelten unter den Nazionen. So wurden die Staͤdte und Schloͤſſer Vliſſingen, Rameken und Briel ꝛc. von den Vereinigten Niederlanden 1585. an England verpfaͤndet, unter Jakob I. aber wieder eingeloͤſt c]. Daͤnemark uͤberlies 1654. an Schweden die Provinz Halland mit ihren Zugehoͤrungen zu Sicherung des ge - ſchloſſenen Friedens auf dreiſſig Jahr zum Unterpfand d]. Im Jahr 1768 trat Genua die Inſel Corſica an Frank -K 5reich154Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenenreich pfandweiſe, aber wie einige wollen mehr zum Schein und wuͤrklich, eigenthuͤmlich ab e].
Der Vertrag, wodurch iemanden ein Unterpfands - recht an einer Sache zugeſtanden wird, ohne ſie ihm in Beſitz zu geben [hypotheca] iſt mehr, zum Vortheil der Privatverhaͤltniſſe, durch buͤrgerliche Geſetze einge - fuͤhrt, und hat bey den Geſchaͤften der Nazionen kei - nen ſonderlichen Nutzen; da ein Volk, im unterblei - benden Zahlungsfall, auch ohne beſondere Verſicherung auf ein gewiſſes Land, ſich an den ſaͤmtlichen Beſitzun - gen der ſchuldigen Nazion zu erholen berechtiget iſt f]. Am wenigſten weiß das Natur - und Voͤlkerrecht etwas von einer ſtilſchweigenden Hypothek, wie das roͤmiſche Recht ſie lehrt g]. Indes fehlt es nicht ganz an Bei - ſpielen von Hypotheken der erſtern Gattung unter den europaͤiſchen Nazionen; wie unter andern die Vereinig - ten Niederlande 1625. der Krone England in einer Verſchreibung ein bloſſes Unterpfandsrecht an allen ihren Provinzen, Staͤdten ꝛc. Vermoͤgen ꝛc. zuſicher - ten h]. Da hierdurch das Eigenthumsrecht des Schuldners an dem Lande, worauf eine ſolche Verſi - cherung haftet, allerdings dergeſtalt eingeſchraͤnkt wird, daß er eigentlich, ohne Zuthun des Glaͤubigers, nicht nur frey damit nicht ſchalten, ſondern dieſer auch, der Zahlung wegen, eines vorzuͤglichen Rechts an dem ver - hypothecirten Lande ſich anmaaſſen, und es, wie einige wollen, ſogar von dem dritten Beſitzer, an den es, ohne ſeine Einwilligung gelangt iſt, zuruͤckfodern kann; ſo laͤßt ſich dabey auch fuͤglich ein nicht blos einge - ſchraͤnktes, ſondern ein wuͤrklich unvolkomnes und ge - teiltes Eigenthum annehmen.
Es geſchieht zuweilen, daß ein Volk einige ihm eigenthuͤmlich zugehoͤrige oder in ſeiner Gewalt ſich be -findliche156Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenenfindliche Lande oder Orte einer andern Nazion auf eine Zeitlang in Beſitz und Gewahrſam giebt, ohne ihr iedoch ein weiteres Eigenthum daran zuzugeſtehn. Der Beſitzer uͤbt daher die ihm dabey etwa uͤberlaſſenen Rechte, ſo wie den Beſitz ſelbſt blos an der Stelle und im Namen des wuͤrklichen Eigenthuͤmers aus, und dieſer behaͤlt allerdings, auch ohne Beſitz noch Rechte des Eigenthums, weil hier ausdruͤcklich dem andern nichts als der bloſſe Beſitz ꝛc. eingeraͤumt worden. Es iſt aber immer ein ſehr unvolkomnes Eigenthum, weil daran eins der wichtigſten Erfoderniſſe, der Beſitz mangelt.
Die Urſachen und Abſichten einer ſolchen Beſitzein - raͤumung koͤnnen mancherley ſeyn. Im dreiſſigiaͤhrigen Kriege wurden der Krone Frankreich 1634. von Schwe - den und den evangeliſchen Reichsſtaͤnden in Teutſch - land die Feſtung Philipsburg und verſchiedene Staͤdte im Elſas zu ihrer und der Staͤnde Sicherheit in Ver - wahrung gegeben a]. Im Jahre 1757. gab die Kai - ſerin Koͤnigin die Haͤfen Oſtende und Nieu port dem Koͤnige in Frankreich in Verwahrung b]. Bey der unlaͤngſt errichteten bekanten Reichenbacher Convention zwiſchen Oeſterreich und der Pforte wurde ebenfals be - dungen, daß erſteres die Feſtung Choczim bis zum Frieden zwiſchen Rußland und der Pforte als ein De - poſitum behalten ſolte c].
Eine mit der vorigen verwandte Beſitzart ohne Ei - genthum iſt die Scqveſtration, wenn ein zwiſchen mehrern im Streite befangenes Land einem dritten bis zu Austrag der Sache, mit Einwilligung der Theil - haber a], in Beſitz gegeben wird. Auch hiervon kom - men Beiſpiele in der europaͤiſchen Staatengeſchichte vor. Als man in den Streitigkeiten zwiſchen Polen und Kurbrandenburg wegen Elbingen verlangte, daß vor Angehung der Tractaten, dieſe Stadt zufoͤrderſt reſti - tuirt werden ſolte, wolte Kurbrandenburg ſich dieſes nicht gefallen laſſen, ſondern allenfals die Stadt den Mediatorn als ein Seqveſtrum einſtweilen einraͤu - men b]. Dem Koͤnig von Preuſſen wurde 1713. von den nordiſchen Alliirten das von Schweden eroberte Stettin in Seqveſtration gegeben c].
Die Ausuͤbung des Eigenthums kann, wenn auch deſſen vorzuͤglichſte Rechte, der Beſitz und die Benu - tzung unzertrennt beiſammen ſind, doch durch Vertraͤge verſchiedentlich eingeſchraͤnkt werden, wenn der Eigen - thuͤmer ſich dadurch entweder ſeiner Freiheit in gewiſſen Stuͤcken, z. B. der wilkuͤhrlichen Veraͤuſſerung, zum Vortheil eines andern begiebt, oder ihm einigen An - theil an der Ausuͤbung dieſes oder ienes Rechts ein - raͤumt. Dergleichen Einſchraͤnkungen finden bey allen einzelnen Rechten des Eigenthums Statt, und ſchla - gen in die Materie der ſogenanten Voͤlkerdienſtbarkei - ten mit ein, wovon in der Folge mehrere Beiſpiele vor - kommen werden.
Daß die geſetzlichen Vorſchriften der Privat-Lehn und anderer buͤrgerlichen Rechte hier keine Anwendungleiden159und eingeſchraͤnkten Eigenthum der Lande.leiden darf ich kaum erinnern. Da alle dieſe beſondern Beſtimmungen des Eigenthums auf wilkuͤhrliche Ein - richtungen und Vertraͤge beruhen, ſo muͤſſen die Rechte der Theilhaber auch lediglich darnach, nach dem Her - kommen und allenfals aus der Abſicht und Natur dieſer Vertraͤge beurteilt werden.
In Anſehung der zwiſchen mehrern gemeinſchaft - lichen und geteilten Eigenthumsrechte, die zuſammen erſt ein volſtaͤndiges Ganzes ausmachen, ergiebt ſich im Algemeinen ſoviel, daß kein Theilhaber nach voͤlli - ger Wilkuͤhr mit dem ganzen Lande, und uͤber den ihm zuſtehenden Antheil nur in ſo weit ſchalten, denſelben veraͤuſſern oder ſonſt gebrauchen kann, als dem andern Theile kein Schaden dadurch zugefuͤgt wird.
Was die Lehen inſonderheit anlanget a] kann da - her der Vaſall ohne Einwilligung des Oberlehnsherrn [domini directi] das Lehn weder veraͤuſſern, verpfaͤn - den, demſelben eine bleibende Dienſtbarkeit auflegen, noch irgend einen dem Obereigenthum nachtheiligen Ge - brauch davon machen, wenn ihm nicht eins oder das andere ausdruͤcklich zugeſtanden iſt b] wohl aber hat er das Recht, alle Eigenthumsnutzungen ſelbſt oder durch andere daraus zu ziehn. Eine Afterverleihung [ſubinfeudatio] und Aufkuͤndigung des Lehns [refuta - tio feudi] findet nur dann Statt, wenn ſie ohne den mindeſten Nachtheil des Lehnsherrn geſchehen koͤnnen. Eben ſo wenig kann dieſer, zum Schaden des Vaſal - len das Obereigenthum wilkuͤhrlich veraͤuſſern, weil es bey der Lehnsverbindung zumal in aufgetragenen Lehen, mehr auf moraliſche Rechte und Pflichten, als auf phiſiſche Leiſtungen ankomt c]: er darf das nutzbare Ei - genthum nicht eher, als bis es, nach den Bedingungen des Lehnsvertrages, durch den Tod des Vaſallen, oder aller derer, welchen die Nachfolge zugeſtanden worden, oder durch Vergehn wider die Lehnsverbindlichkeit d] [Felonie]160Vom gemeinſch. u. geteilten, unvolkommenen[Felonie] eroͤfnet wird wieder an ſich ziehn; doch iſt ihm frey, auf den bevorſtehenden Anfall, andern in voraus eine Anwartſchaft [Expectanz] darauf zu er - theilen e]. Uebrigens iſt der Lehnsherr und der Vaſall zu Leiſtung alles deſſen verbunden, was die Lehnbriefe und andere Vertraͤge oder ein beſtaͤndiges Herkommen verlangen f]. Dieſe geben bey entſtehenden Irrungen auch lediglich den Ausſchlag g]. Die Aufhebung der Lehnsverbindung, wie iedes andern Vertrages, durch gemeinſames Einverſtaͤndnis, leidet keinen Zweifel, und haben wir davon Beiſpiele zwiſchen Polen und Preuſſen ꝛc.
Bey den Pfandſchaften h] kan der Schuldner die ihm vermoͤge des Vertrages auch ohne Beſitz uͤbrigge - bliebenen Eigenthumsrechte zwar andern uͤberlaſſen, das Pfand ſelbſt darf aber nicht eher wieder zuruͤck gefodert werden, als bis die Zahlung erfolgt oder die Verbind - lichkeit erfuͤlt iſt. Wenn dem Glaubiger nicht der Be - ſitz, ſondern nur eine vorzuͤgliche Verſicherung auf ein gewiſſes Land [Hypothek] zugeſtanden worden iſt, ſo darf der Eigenthuͤmer daſſelbe ohne ienes Einwilligung nicht veraͤuſſern. Der Pfandinnhaber iſt nicht befugt ſich eines voͤlligen Eigenthumsrechts an dem verpfaͤn - deten Lande anzumaaſſen und daſſelbe weiter zu veraͤuſ - ſern, es waͤre denn eine gewiſſe Zeit zur Einloͤſung beſtimt und nach deren Verlauf die Zueignung oder der Verkauf bedungen [lex commiſſoria]. Eine bloſſe Veriaͤhrung, wenn die Einloͤſung auſſerdem auch noch ſo lange nicht erfolgen ſolte, findet hier keinesweges Statt i]. Indes kann dem Glaͤubiger, wenn es noͤthig iſt, die fernere Verpfaͤndung nicht verwehrt werden: er iſt aber verbunden, ſobald die Wiederbezahlung er - folgt, das Pfand wieder auszuantworten und darf es einer andern Foderung halber nicht zuruͤckhalten, wenn die Umſtaͤnde ihn nicht veranlaſſen, ſich aus den Beſi -tzungen161und eingeſchraͤnkten Eigenthum der Lande.tzungen des ſchuldigen Volks uͤberhaupt bezahlt zu ma - chen k]. Wegen Gebrauch des verpfaͤndeten Landes waͤhrend der Innehabung komt es auf den Vertrag an: in wie ferne dieſelbe einem Volke uͤberlaſſen wor - den? ob die Oberherſchaft dabey mit begriffen? ob die Benutzung blos zur Verguͤtung der Zinſen oder zugleich zu Abtragung der Hauptſumme angeſchlagen? ob die Zeit hierzu beſtimt oder uͤberhaupt bis zur gaͤnzlichen Tilgung hinausgeſetzt? und in welcher Maaſſe, letztern Fals, die Ablegung einer Rechnung erfoderlich ſey l]? Jede Benutzung muß indes ſo eingerichtet werden, daß alles im vorigen Stande bleibe und kein Nachtheil fuͤr das Land daraus erfolge.
Das Depoſitum und die Seqveſtration haben ge - meiniglich beſondere Ruͤckſichten auf dieienigen zum Grunde, welchen ſie anvertraut werden, die Rechte der Aufbewahrung und Zuruͤckfoderung ſchraͤnken ſich daher lediglich auf die contrahirenden Theile ein und ſind genau nach der deshalb getroffenen Uebereinkunft abzumeſſen m].
Teutſchland ſowohl im Ganzen, als deſſen einzelne Landesherrn wie nicht weniger andere mit Landeshoheit begabte Regenten richten ſich auch in allen dieſen vor - erwaͤhnten Verhaͤltniſſen gegen unabhaͤngige Nazionen lediglich nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts, in ſo ferne ihre uͤbrige Verbindung und Abhaͤngigkeit von dem hoͤhern Staate nicht beſondere Einſchraͤnkungen verlangen a].
Unter ſich haben aber die teutſchen Reichsſtaͤnde, bey denen die Gemeinheiten, Lehen, Pfandſchaften, Seqveſtrationen ꝛc. haͤufig vorkommen, auſſer den Nor - men der deshalb vorhandenen Vertraͤge allerdings zu - foͤrderſt die Geſetze des Staatsrechts und der in Teutſch - land aufgenommenen Lehn und anderer Privatrechte, und nur erſt, wo dieſe nicht entſcheiden die Vorſchrif - ten des Natur - und Voͤlkerrechts zu beobachten b].
Der aͤuſſerſte durch gewiſſe Kenzeichen beſtimte Um - ris eines Landes von einem Ende zum andern macht deſſen Grenzen aus. Sie bezeichnen den Um - fang, welcher zum Eigenthum und zur Herſchaft eines ieden Volks gehoͤrt, und ſondern ihn von dem Terri - torium anderer Nazionen ab. So weit dieſe ſich aus - dehnen, ſo weit erſtrecken ſich in der Regel auch die Herſchaft und die Hoheitsgerechtſame des Volks. Wenn die letztern einer Nazion, durch ausdruͤckliche oder ſtilſchweigende Vertraͤge, uͤber die Grenzen ihres Eigenthums hinaus in andern Territorien zuſtehen; ſo werden deshalb beſondere Gerichts - Gleits - Forſt - Jagd - oder andere Grenzen errichtet. Grenzen, welche die Lande und Hoheit der Voͤlker von einander ſcheiden, werden oͤffentliche [fines publici] genant, im Gegen -ſatz171Von den Landesgrenzen.ſatz der Privatgrenzen [fines privati] wodurch das Eigenthum und die Gerechtſame einzelner Mitglieder des Staats bezeichnet werden b]. Ihre Beſtimmung iſt um ſo nothwendiger, ie bedenklichere Irrungen hierunter aus der Ungewisheit entſtehen koͤnnen c].
Die Grenzen des Landes ſind entweder ſolche, wo die Natur ſelbſt die Unterſcheidungszeichen an die Hand giebt, welche die Nazionen zur Richtſchnur annehmen, und heiſſen natuͤrliche [limites naturales, occupatorii] oder ſolche, welche durch Kunſt und menſchlichen Fleis aufgerichtet werden, kuͤnſtliche [artificiales]. Eine dritte Gattung, welche durch Beſtimmung abgemeſſe - ner Rechte in Vertraͤgen feſtgeſetzt werden, heiſſen po - litiſche Grenzen [politici, menſurati] a]. Dieienigen Territorien, welche natuͤrliche Grenzen haben, werden vom Grotius b] territoria arcifinia, die beiden andern hingegen limitata genant c].
Zu den natuͤrlichen Grenzen gehoͤren alle Arten Ge - waͤſſer, Meere, Fluͤſſe, Baͤche, Teiche ꝛc. Thaͤler, Waͤlder, wuͤſte Plaͤtze und dergleichen von der Natur hervorge - brachte nicht leicht aufzuhebende Kennzeichen; welche daher, wo es moͤglich, allen andern Grenzzeichen vor - gezogen zu werden pflegen. Es finden ſich haͤufige Bei - ſpiele faſt aller dieſer Gattungen unter den Voͤlkern in Europa.
Dahin ſind zu rechnen die durch menſchlichen Fleis gemachten Landgraben und Wehre, aufgeworfene Hau - fen, Steine, hoͤlzerne Saͤulen, gezeichnete Baͤume a] und dergleichen. Sie werden meiſtens nur in Erman - gelung der natuͤrlichen Grenzzeichen gewaͤhlt b] und ſind faſt in allen Grenzvertraͤgen anzutreffen c].
Alles, was innerhalb dieſer Grenzlinien ſich befin - det, iſt in der Regel als zum Eigenthum einer undeben -177Von den Landesgrenzen.ebenderſelben Nazion gehoͤrig und ihrer Herſchaft unter - worfen anzuſehn a]; wenn ein anderes Volk nicht er - weiſen kann, daß ihm irgend ein Stuͤck davon mit dem Rechte der Unabhaͤngigkeit zuſtehe b]. Iſt der ganze Inbegrif wuͤrklich nur einer Oberherſchaft unterworfen, ſo nent man es ein geſchloſſenes Territorium [terri - torium clauſum] c] befindet ſich aber innerhalb der Grenzen noch ein anderer unabhaͤngiger Landesbezirk, ſo iſt dieſer ein eingeſchloſſenes Territorium d]. Der Urſprung und Grund der letztern kann mannichfaltig ſeyn, ſetzt aber gemeiniglich abgeleitete Erwerbsarten voraus e]. Unter den Voͤlkern in Europa finden ſich einige ſolche eingeſchloſſene Lande f], noch haͤufiger aber ſind ſie unter den teutſchen Reichsſtaͤnden anzutreffen.
Wenn die Grenzlinien eines Landes nicht genau genug beſtimt und die Territorialſtuͤcke benachbarter Staaten ſehr unter einander gemiſcht ſind, ſo iſt die Eroͤrterung der Frage: was zu dieſem oder ienem Ter - ritorium eigentlich gehoͤre? oft nicht geringen Schwie -rigkeiten179Von den Landesgrenzen.rigkeiten und Weiterungen ausgeſetzt a]. Dieſer Unter - ſuchungsfall trift hauptſaͤchlich alsdann ein, wenn ein ſolches Land etwa an ein anderes Volk abgetreten wird; wovon wir in der europaͤiſchen Staatengeſchichte merk - wuͤrdige Beiſpiele haben. Dahin gehoͤren unter andern die Streitigkeiten zwiſchen Frankreich und Grosbritan - nien wegen des Landes Acadien b] und die franzoͤſiſchen Reunionskammern in Abſicht der von Teutſchland er - haltenen Provinzen c]. Es finden hier die naͤmlichen Beweiſe Statt, welche unten bey den Grenzſtreitigkei - ten uͤberhaupt vorkommen werden. Ein guͤtlicher Ver - gleich giebt am Ende die beſte Entſcheidung.
Sind aber auch die Grenzen durch Gewaͤſſer, Berge, Landſtraſſen ꝛc. an ſich hinlaͤnglich bezeichnet; ſo ent - ſteht doch zuweilen Zweifel: wem das Eigenthum daran zugehoͤre? Iſt daruͤber kein beſonderes Einver - ſtaͤndnis vorhanden; ſo gehoͤrt, wegen Gleichheit der Rechte, wie ſchon oben [1. Kap. 1. Abſchn. §. 14.] bemerkt worden, iedem Volke die Haͤlfte davon a]. In dieſer Maaſſe vergleicht man ſich auch in den mei - ſten Grenzvertraͤgen b]. Nur zuweilen wird hiervon eine Ausnahme gemacht, und das Eigenthum entwe - der einem Volke allein zugeſtanden c] oder die Grenz - linie gar neutral gelaſſen d], ſo daß keinem das Eigen - thum gehoͤrt. Bey neuabgetretenen Landen kan man ſich mitunter daruͤber nicht vereinigen: wem die im Vertrage genanten Grenzorte zugehoͤren ſollen? Dies kann aber, wenn der Buchſtabe des Vertrages nicht deutlich genug iſt, blos durch anderweite Uebereinkunft beſtimt werden e], und iſt die eigenmaͤchtige Weg - nahme der ſtreitigen Grenzorte keinesweges erlaubt f].
M 3a] Bey182Von den Landesgrenzen.Aus den Irrungen, welche die Unrichtigkeit und Unbeſtimtheit der Grenzen uͤberhaupt oder die Dunkel -heit185Von den Landesgrenzen.heit der daruͤber errichteten Vertraͤge nothwendig veran - laſſen muͤſſen, entſtehen oft die heftigſten Streitigkeiten unter den Nazionen, die, wenn ſie in Guͤte nicht ver - glichen werden koͤnnen, zuweilen in Thaͤtlichkeiten und wohl gar am Ende in Krieg ausſchlagen, wie dies 1555. wegen der Finniſchen Grenzen zwiſchen Rußland und Schweden, 1756. wegen der Grenzen Akadiens zwiſchen Grosbritannien und Frankreich und 1776. zwiſchen Spanien und Portugal wegen der Grenzirrun - gen in Braſilien der Fall war.
Die guͤtliche Beilegung der Grenzirrungen, ſie moͤgen bey alten Beſitzungen oder neuabgetretenen Lan - den ſich hervorthun, geſchieht gemeiniglich durch Er - nennung gewiſſer Perſonen von beiden Theilen, welche man Grenzcommiſſarien nennt a]. Dieſe pflegen ge - meinſchaftlich durch Beaugenſcheinigung an Ort und Stelle b] die erfoderlichen Unterſuchungen der ſtreitigen Gegend ſowohl, als der beiderſeitigen Gruͤnde vorzu - nehmen, auch wohl, bis auf hoͤhere Genehmigung ſich eines gewiſſen zu vergleichen, dem gemaͤs der Grenzzug und die Bezeichnung entweder ſogleich, oder in der Folge bewerkſtelliget wird c]. Es haͤngt von iedem Volks Wilkuͤhr ab, welcher Perſonen, wenn ſie nur ſachkundige Maͤnner ſind, er ſich hierzu bedienen will, wenn nicht daruͤber etwas bereits feſtgeſetzt iſt d].
Bey dieſen Unterſuchungen der ſtreitigen Grenzen geben aͤltere guͤltige Grenzvertraͤge und Beziehungen,auch190Von den Landesgrenzen.auch andere oͤffentliche Urkunden welche beſtimmte Nach - richten davon enthalten, den vorzuͤglichſten Beweis ab. Annoch ſichtliche mit den erforderlichen Merkma - len verſehene Grenzzeichen dienen ienen theils zur Er - laͤuterung und Beſtaͤtigung, theils vertreten ſie deren Stelle.
In Ermangelung der Urkunden verdient die Aus - ſage, beſonders alter und an den Grenzen wohnender Zeugen, die ſie entweder nach eigner Kentnis, oder nach einem von ieher herſchenden algemeinen oͤffentli - chen Gerichte ablegen, allen Glauben.
Was oben [2. Kap. §. 23. ff. ] von dem Erwerbe durch ſtillſchweigende Einwilligung, undenklichen Beſitz und Veriaͤhrung uͤberhaupt vorgetragen worden, leidet auch in Anſehung der Grenzen ſeine Anwendung. Hat ein Volk die Grenzen ſeines Gebiets zum Abbruch des benachbarten erweitert, dieſes aber es gewußt und dazu geſchwiegen, oder wohl gar durch Handlungen anerkant, ſo iſt dieſe Grenzſcheidung allerdings als rechtmaͤſſig anzuſehn. Eben ſo wenig kan dieienige in Zweifel gezogen werden, welche einen undenklichen Beſitz, davon das Gegentheil nicht zu erweiſen iſt, zum Grunde hat. Eine blos auf Verlauf gewiſſer Jahre beruhende Veriaͤhrung hingegen kann auch bey den Territorialgrenzen zwiſchen Nazionen nicht Statt finden.
Die Gruͤnde, welche man aus bloſſen Vermuthun - gen und Wahrſcheinlichkeiten, z. B. aus dem Eigen - thum allein, aus einzelnen Hoheitsrechten, als Erhe - bung der Gefaͤlle, aus dem Gleits - Jagd - oder andern Rechte, welche dieſem oder ienem Volke in einem ge - wiſſen Grenzorte zuſtehen, ſind minder zuverlaͤſſig, weil dieſes nur zu den Landen der andern Nazion gehoͤ - rige Privatguͤter ſeyn, dergleichen Rechte auch als Voͤlkerdienſtbarkeiten in eines andern Volks Territo -rium192Von den Landesgrenzen.rium ausgeuͤbt werden koͤnnen. Sie geben daher, wenn ſie nicht von andern Zeugniſſen unterſtuͤtzt wer - den, keinen volſtaͤndigen Beweis a].
Das Zeugnis der Privatſchriftſteller und Landchar - tenverfertiger kann hier allerdings allein keinen guͤltigen Beweis ausmachen, wenn ſie nicht mit andern zuver - laͤſſigern Nachrichten uͤbereinſtimmen, ob ſie dieſen gleich ein groͤſſer Gewicht beilegen. Die europaͤiſchen Nazionen haben ſich iedoch in ihren Grenzirrungen ſchon verſchiedentlich darauf bezogen.
Gegen alle dieſe Beweiſe bleiben dem Gegentheile iedoch ſo viele Einwendungen und Ausfluͤchte uͤbrig, daß, da unter freien Nazionen, wenn ſie ſich nicht freiwillig einem ſchiedsrichterlichen Ausſpruch unter - werfen, keine Entſcheidung Statt findet, am EndeN 2eine196Von den Landesgrenzen.eine guͤtliche Uebereinkunft der Sache den beſten Aus - ſchlag giebt. Dieſe pflegt denn von den dazu verord - neten Commiſſarien in gewiſſe Receſſe oder Grenzver - traͤge gebracht und von den Regenten der Staaten ge - nehmigt zu werden a]. Zuweilen geſchieht in Friedens - ſchluͤſſen eine vorlaͤufige algemeine Verabredung des - halb, wenn zumal dem einen Theile neue Lande abge - treten werden oder etwan die Grenzirrungen eine Ver - anlaſſung des Krieges mit geweſen ſind b].
Zu mehrerer Sicherheit und kuͤnftiger Nachricht wird oͤfters, beſonders wenn die Grenzen durch Be - ſchreibung und aufgerichtete Zeichen nicht hinlaͤnglichunter -197Von den Landesgrenzen.unterſchieden werden koͤnnen, oder ſonſt eine Zernich - tung der Grenzmaͤler leicht zu beſorgen iſt, die vergli - chene Grenzlinie auch durch gemeinſchaftliche dazu ver - cidigte ſachkundige Perſonen, in einen beſondern Riß oder Charte gebracht und ſolche dem Grenzvergleiche beigefuͤgt.
Die meiſten Grenzzeichen, ſie moͤgen natuͤrliche oder kuͤnſtliche ſeyn, ſind der Veraͤnderung unterwor -N 3fen,198Von den Landesgrenzen.fen, welche theils die Natur ſelbſt durch gewaltſame Zufaͤlle oder Laͤnge der Zeit, theils menſchliche Nachlaͤſ - ſigkeit oder wohl gar Bosheit ihnen zufuͤgt. Bey den natuͤrlichen Grenzen, beſonders den Fluͤſſen entſteht daher die Frage: ob ihr veraͤnderter Lauf auch eine Aen - derung in den Grenzen verurſache? Nach den bereits oben [1. Kap. 1. Abſchn. §. 15. u. 2. Abſchn. §. 32.] in Anſehung des Eigenthums angefuͤhrten Gruͤnden komt es hierbey darauf an: ob die Abweichung betraͤcht - lich ſey oder nicht und ob die an dem Waſſer liegende Territorien eine gemeſſene oder ungemeſſene Grenze haben? Iſt die Veraͤnderung unmerklich, oder die Grenze abgemeſſen a], ſo macht auch dies geringe An - und Abſpielen keinen weitern Unterſchied. Solte aber der Fluß ſeinen ganzen Lauf aͤndern, ſo vertritt alsdann deſſen bisheriges Bette die Stelle der Grenze b]. Bey einem Fluſſe, der oft ſeinen Lauf aͤndert, iſt es daher allerdings zutraͤglich, noch beſondere Grenzzeichen auf - zuſtellen und das Austreten durch dienſamen Bau zu hindern c], welches denn ohne Zweifel auf gemein - ſchaftliche Koſten geſchehen muß d]. Uebrigens werden die Grenzen bey den meiſten Nazionen fuͤr heilig und un - verletzlich gehalten, und die muthwilligen oder boshaften Veraͤnderungen und Zernichtungen der Grenzzeichen an den Unterthanen mit den haͤrteſten Strafen belegt c].
Um dergleichen Veraͤnderungen in Zeiten zu bemer - ken und den daher zu beſorgenden Irrungen vorzubeu - gen, pflegen gewiſſe von beiden Theilen verordnete Commiſſarien zu beſtimten Zeiten gemeinſchaftlich die feſtgeſetzten Grenzen, nach den Vertraͤgen und Charten zu unterſuchen, und die angetroffenen Unrichtigkeiten entweder ſogleich abzuſtellen, oder ſie ihren Hoͤfen zur Entſcheidung vorzulegen a]. Einſeitige Grenzbeſich - tigungen koͤnnen zwar auch nicht verwehrt werden b], doch darf den Angrenzenden kein Nachtheil daraus er - wachſen.
Dritte Nazionen, welche kein beſonderes Intereſſe bey den Landen haben, deren Grenzberichtigung in Frage iſt, oder von den ſtreitigen Theilen nicht etwa um Vermittelung erſucht werden a], haben kein Recht ſich in die Grenzirrungen anderer Voͤlker zu miſchen. Sie thun es gewoͤnlich auch eben ſo wenig, als andere ihnen Nachricht davon ertheilen b].
Die Begrenzung der Gewaͤſſer, wenn naͤmlich die Grenzlinien im Waſſer ſelbſt gezogen werden muͤſſen, wie bey Fluͤſſen, welche in der Mitte, oder ſonſt nacheinem203Von den Landesgrenzen.einem gewiſſen Maasſtabe die Grenzen zweier Gebiete machen, iſt zwar mancherley Schwierigkeiten unter - worfen, doch laſſen ſich ſolche in Waͤſſern von keinem betraͤchtlichen Umfange durch die nahen Ufer ꝛc. und dabey befindlichen Merkmale gar wohl bezeichnen a]. Weit groͤſſer aber ſind dieſe Schwierigkeiten bey dem Meere, ſo daß daher, wie ich ſchon oben [1. Kap. §. 16. ff. ] bemerkt habe, gewoͤnlich ein Haupteinwurf gegen das abgeleitete Eigenthum der Nazionen an dem offenen Meere genommen wird. Doch habe ich dabey ſchon erinnert, daß gleichwol auch hier, durch wil - kuͤhrliche Uebereinkunft, nach den Kuͤſten, Inſeln und andern Merkmalen, nicht weniger nach den in neuern Zeiten erfundenen Huͤlfsmitteln des Kompaſſes, der Abtheilung der Grade ꝛc. eine Art des Eigenthums und folglich der Grenzen angenommen werden koͤnnen b] und beſonders letztere wuͤrklich zuweilen in ſofern be - ſtimt werden, daß eine Nazion gegen andere ſich ver - bindet, uͤber gewiſſe Grenzen nicht zu ſchiffen, zu fiſchen ꝛc. c]; wie man denn auch, ſchon oben [1. K. §. 28.] gedachtermaaſſen, die Grenzen der am Meere gelegenen Laͤnder, drey Meilen [lieues] in daſſelbe hinein, oder ſo weit ein Kanonenſchus reichen kann, zu erſtrecken pflegt d].
Die Grenzen Teutſchlands, nach ſeiner geographi - ſchen und politiſchen Bedeutung a] ſind an vielen Orten noch ziemlich ungewis, und man ſtreitet uͤber verſchie - dene Lande ob ſie dazu gehoͤren, oder nicht? b] Die dahineinſchlagenden das Reich im Ganzen betreffenden Geſchaͤfte gegen Auswaͤrtige ſind nach allen obigen Grundſaͤtzen zu entſcheiden. Es duͤrfen aber, nach dem teutſchen Staatsrechte, weder der Kaiſer, noch die Staͤnde, einſeitig hierunter, ſondern mit gemein - ſchaftlicher Einwilligung verfahren c]. In ſo ferne nun die reichsſtaͤndiſchen Landesgrenzen zugleich die Grenzen des teutſchen Reichs d] ausmachen, ſind die Landesherrn in ihren mit auswaͤrtigen Nazionen zu er - richtenden Grenzvertraͤgen, ebenfals an die Genehmi - gung des Kaiſers und Reichs gebunden d].
Was die Landesgrenzen im innern des Reichs be - trift, darinn verfahren die Landesherrn unter ſich nach mehrerer Wilkuͤhr, und errichten die erfoderlichen Ver - traͤge daruͤber gemeiniglich ohne ſie dem Reiche vorzu - legen e]. Es findet auch dabey, beſonders was den Beweis der Grenzen, deren Feſtſetzung und Erhaltung anlanget, eben das Statt, was unter freien Voͤlkern gewoͤhnlich iſt f]: nur daß iene, wenn die deshalb ent - ſtehenden Streitigkeiten in Guͤte nicht beigelegt werden koͤnnen, nicht ſogleich zu Thaͤtlichkeiten ſchreiten duͤr - fen, [einige wenige Faͤlle ausgenommen, wo es ihnen zuweilen allenfals ſich ſelbſt Recht zu verſchaffen nach - gelaſſen iſt ꝛc. ] ſondern den Weg Rechtens, nach Ver - haͤltnis der Umſtaͤnde vor den Austraͤgen oder Reichs - gerichten, einſchlagen muͤſſen; wobey der Beſitz und die unvordenkliche Veriaͤhrung vorzuͤglich den Aus -ſchlag206Von den Landesgrenzen.ſchlag geben h]. Auswaͤrtige Nazionen oder dritte Lan - desherrn ſind auch hier keinesweges befugt, ſich in dieſe Grenzſtreitigkeiten zu miſchen, wenn nicht beſondere Rechte derſelben dabey eintreten i].
Der eingeſchloſſenen Territorien giebt es in Teutſch - land eine Menge, theils ſolche welche die teutſchen Reichsſtaͤnde in auswaͤrtigen Staaten, beſonders in Frankreich, theils welche die benachbarten Nazionen im teutſchen Reiche, theils welche die Reichsſtaͤnde in ihrer Mitſtaͤnde Landen beſitzen k]. Noch weniger fehlt es an Streitigkeiten uͤber die ſogenanten geſchloſſenen Territorien; wofuͤr verſchiedene Reichsſtaͤnde ihre Lande ausgeben, und daher alles, was von andern darin be - ſeſſen wird, fuͤr landſaͤſſig und ihrer Landeshoheit un - terworfen zu betrachten ſich berechtigt halten, wenn der, welcher eine Ausnahme behauptet, ſolche nicht zu erweiſen vermag l]; wiewohl, wenn es zur Unterſu - chung komt, nur wenige Lande dafuͤr anzunehmen ſeyn duͤrften, weil die meiſten nicht urſpruͤnglich nur einen Staat ausgemacht haben, ſondern aus mehrern kleinen unmittelbaren Provinzen zuſammengewachſen ſind, und vielmehr dem, welcher der Landeshoheit uͤber ein ſolch eingeſchloſſenes Territorium ſich anmaßt, der Beweis obliegt; wobey aber keinesweges die Ausuͤbung eines oder des andern Hoheitsrechts hinreichend iſt m].
Wegen Verruͤckung oder Verletzung der Grenzen giebt im teutſchen Reiche nicht nur das algemeine Kri - minalgeſetz Kaiſer Karls V. oder die Peinliche Hals - gerichtsordnung, deshalb Vorſchrift, ſondern es iſt auch in mehreren Landesgeſetzen die ſchaͤrfſte Strafe darauf geſetzt n].
Gleiche Bewandnis hat es groͤſtenteils mit andern bloſſen Landesherrn. Sie koͤnnen eben ſo wenig wil - kuͤhrlich einige Grenzveraͤnderungen mit andern Nazio - nen vornehmen, ſondern haben hierzu die Einwilligungdes207Von den Landesgrenzen.des hoͤhern Staats, von dem ſie abhangen, noͤthig, und muͤſſen uͤberhaupt hierunter deſſen geſetzliche Vor - ſchriften befolgen o].
Ein Volk kann von ſeinem Territorialeigenthum, d. i. von denienigen Landen und Gewaͤſſern, welche es als ein unter Oberherſchaft vereinigter Staatskoͤrper, durch urſpruͤnglichen oder abgeleiteten Erwerb, inne hat, nach den in den vorhergehenden Kapiteln feſtge - ſtelten Grundſaͤtzen, nach eigner Wilkuͤhr und mit Aus - ſchlus anderer, allen noͤthigen und moͤglichen Gebrauch machen, iedoch ohne andern Nazionen einen Schaden dadurch zuzufuͤgen. Sind gleich nur einige Guͤter des Territoriums zum Gebrauch des geſamten Staats oder ſeines Regenten ausgeſetzt, andere hingegen, als Pri - vateigenthum einzelnen Buͤrgern oder kleinern Geſel - ſchaften uͤberlaſſen, ſo erſtreckt ſich doch ienes Befug - nis, vermoͤge der Oberherſchaft a] verhaͤltnismaͤſſig uͤber alle dergleichen Beſitzungen b], weil dieſe auch fuͤr zweckmaͤſſigen Erwerb und Benutzung des Privateigen - thums zu ſorgen und iedermann im Staate bey dem ungeſtoͤrten Genuſſe des Seinigen zu erhalten verbun - den und im Nothfall berechtigt iſt, davon zum algemeinen Beſten, den erfoderlichen Gebrauch zu machen. Die - ſes Recht wird das Obereigenthum [dominium emi - nens] genannt c]. Es komt bey dem EigenthumeO 2haupt -212Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlkerhauptſaͤchlich auf das ausſchließliche Recht des Beſitzes, der Benutzung und der Veraͤuſſerung in Betrachtung. Von dem letztern habe ich bereits oben gehandelt, und will daher hier nur noch die beiden erſtern im Algemei - nen erwaͤgen.
Was den Beſitz anlanget, ſo iſt iedes Volk berech tigt, andere von ſeinem Territorium, vermoͤge der ihm uͤber den ganzen Umfang deſſelben zuſtehenden Eigen - thums - und Oberherſchaftsrechte [1. Kap. §. 5.] aus - zuſchlieſſen und nicht zu erlauben, daß ſie irgend etwas innerhalb der Grenzen deſſelben ſich anmaaſſen. Im Gegentheil ſind andere Nazionen auch verbunden, iede in dem ungeſtoͤrten Beſitz des Ihrigen zu laſſen. Sie koͤnnen folglich, wenn gleich noch wuͤſte und unbekante Plaͤtze in dem Territorium eines andern Volks zu be - finden, ſich derſelben durch Beſitzergreifung keinesweges bemaͤchtigen und ein neues Gebiete daſelbſt errichten, noch weniger wuͤrklich bebaute Landſtriche an ſichreiſſen,213in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.reiſſen, oder gar das Volk aus ſeinen Wohnſitzen vertreiben.
Wenn gleichwol ein Volk die Grenzen ſeines Ge - biets durch Schmaͤlerung eines andern Territoriums auf eine unrechtmaͤſſige Weiſe erweitert, und die Lande anderer Nazionen in Beſitz nimt, ſo hat das Volk deſſen Eigenthum ſie waren, das Recht, ſie wieder zu verlangen [ius vindicandi] und wenn ſie ihm gutwillig nicht zuruͤckgegeben werden, ſich durch gewaltſame Mittel deren Beſitz wiederzuverſchaffen a]. Dieſes Zuruͤckſoderungsrecht findet iedoch, wie ich ſchon oben [1. Kap. §. 39.] erinnert habe, nach dem natuͤrlichen Rechte, blos gegen den unredlichen Innhaber Statt, der es dem andern entweder ſelbſt entzogen, oder doch an ſich gebracht hat, da er wuſte, daß es einem andern auf unrechtmaͤſſige Art genommen war.
Iſt das einem andern entriſſene Territorium bereits in die Haͤnde eines redlichen Beſitzers gediehen, d. i. eines ſolchen, der, nicht unterrichtet von der wider - rechtlichen Entziehung, es von dem letzten Beſitzer auf gehoͤrige Art, in der Ueberzeugung, daß iener der wahre Eigenthuͤmer ſey, erworben hat, ſo kann der, dem es von einem andern entzogen worden, ihm das Land mit Gewalt nicht wieder abnehmen, ſondern muß die ihm dadurch zugefuͤgte Beleidigung blos an dem Beleidiger raͤchen, und durch dieſen wieder zu den Be - ſitz ſeines vormaligen Eigenthums zu gelangen ſuchen; denn der letzte redliche Beſitzer hat das Land durch recht -O 3maͤſſigen214Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlkermaͤſſigen Titel erworben und ſich eigen gemacht. Er hat den erſten Eigenthuͤmer weder ſelbſt beleidigt, noch Theil an den Ungerechtigkeiten des Beleidigers genom - men. Ihm liegt auch nicht ob, bey ieder Erwerbung erſt oͤffentlich anzufragen, ob einige Anſpruͤche darauf vorhanden. Doch wird unter Voͤlkern mit ganzen Laͤndern ſelten der Fall eintreten, daß ſie ohne Wiſſen dem wahren Eigenthuͤmer entzogen, und ohne einige Regung deſſelben, auf rechtsbeſtaͤndige Art, von einem andern mit redlicher Ueberzeugung erworben werden koͤnten a].
In Anſehung des, bey der Zuruͤckfoderung, von dem letzten Beſitzer gehabten Aufwandes und der ge - noſſenen Nutzungen macht man ebenfals einen Unter - ſchied unter den redlichen und unredlichen Beſitzer. Er - ſterer ſoll zwar die auf den Erwerb gewandten Koſten verlieren, von den Nutzungen aber nur die noch vor - handenen und die zu ſeiner Bereicherung angewandten herauszugeben verbunden aber auch die erweißlichen Verbeſſerungen in Gegenrechnung zu bringen berechtigt ſeyn, dahingegen dem unrechtmaͤſſigen Beſitzer alles, auſſer der unumgaͤnglich noͤthige Aufwand, abgeſpro - chen wird b].
Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die europaͤiſchen Nazionen bey dem Rechte der Zuruͤckfoderung mehr dieienigen wilkuͤhrlichen Grundſaͤtze angenommen zu haben ſcheinen, nach welchen dieſelbe wider ieden Be - ſitzer unternommen werden kann c].
So wie es von der politiſchen Verfaſſung eines ieden Staats abhaͤngt, ob den Unterthanen der Ankauf unbeweglicher Guͤter in fremden Landen erlaubt ſeyn ſoll a]; ſo ſteht es auch in dem Gutfinden eines ieden Volks, ob es die in ſeinem Territorium vorhandenen unangebauten Plaͤtze, als ein Privateigenthum, mit Vorbehalt der Oberherſchaft b] oder auch den Beſitz anderer Privatguͤter fremden Nazionen und deren ein - zelnen Mitgliedern oder Gemeinheiten geſtatten oder verſagen, und dem gemaͤs ſeinen Unterthanen der Ver - aͤuſſerung halber die erfoderlichen Geſetze geben will c]. Zuweilen bedingen iedoch die Voͤlker ſich wechſelſeitig die Freiheit dieſes Erwerbes fuͤr ihre Unterthanen d]. Es koͤnnen die Nazionen einander aber auch durch Ver - traͤge verſprechen, daß ſie dieſer oder iener den Eigen - thumserwerb in einem gewiſſen Territorium nicht erlau - ben wollen e]. Da keine Nazion irgend ein Recht an dem Territorialeigenthum der andern hat, ſo kann auch keine, auſſer in den durch Vertraͤge bedungenen Faͤllen, wider das Verbot oder die Verſtattung dergleichen Privatbeſitzungen etwas einwenden f]. Uebrigens blei - ben die von Auswaͤrtigen beſeſſenen Privatguͤter in allen Stuͤcken der Oberherſchaft des Volks, dem das Territorium gehoͤrt, unterworfen, und muͤſſen ledig - lich nach den Landesgeſetzen behandelt werden g].
Zu den ausſchließlichen Rechten des Territorial - eigenthums gehoͤrt das Befugnis der Nazionen, nach Wilkuͤhr, Fremden fuͤr ihre Perſonen und Sachen, den Eintritt in das Territorium zu erlauben oder zu verſagen a]. Sie koͤnnen ſolchen entweder gaͤnzlich, oder nur zu gewiſſen Zeiten b] und an beſtimten Or - ten c] oder beſondern Gattungen von Perſonen d] un - ter feſtgeſetzten Strafen verbieten, oder ihn nur unter gewiſſen Bedingungen e] und nach vorgaͤngiger Anſu - chung verſtatten. Auf ieden Fall ſind die Nazionen dabey fuͤr ihre Sicherheit zu ſorgen und zu dem Ende von dem Namen, Stande ꝛc. f] der ankommenden Fremden die noͤthige Erkundigung einzuziehn, glaub - wuͤrdige Paͤſſe g] von dem Orte der Herkunft zu ver - langen, und andere dienſame Vorkehrungen deshalb zu treffen berechtigt. Die Erlaubnis des Eintritts iſt auch nie anders zu verſtehn, als daß dem Lande kein Nachtheil und der Territorialhoheit kein Abbruch da - durch zugefuͤgt werde h]. Auswaͤrtige Nazionen koͤn - nen daher den Eintritt keinesweges als Recht fodern, und die Verweigerung als Beleidigung anſehn, auſſer wenn die Noth ſolchen erheiſcht; in welchem Falle ſie ihn auch wohl mit Gewalt nehmen duͤrfen i]. Unter den heutigen Voͤlkern in Europa pflegt in Friedenszei - ten einzelnen Fremden, ohne beſonderes Anſuchen, der Eintritt in das Territorium nicht leicht verſagt zu wer -den,220Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlkerden k], wenn ſie ſich den Geſetzen des Staats, wohin ſie kommen, gehoͤrig unterwerfen l].
Mit dem Aufenthalte fremder Unterthanen in einem andern Territorium hat es gleiche Bewandnis. Der - ſelbe kann iedoch nicht fuͤglich verweigert werden, wenn nothwendige Geſchaͤfte, Krankheit oder andere Um - ſtaͤnde ihn unumgaͤnglich erfodern a]. Zuweilen wird die wechſelſeitige Erlaubnis hierzu unter den Nazionen auch wohl ausdruͤcklich bedungen b]. Wo aber uͤble Abſichten bey dem Aufenthalte oder ſonſt unangenehme Folgen zu beſorgen, ſteht es iedem Volke allerdings frey, denſelben zu verbieten, [wenigſtens zu verkuͤrzen] oder andere zweckdienliche Maasregeln dabey zu er - greifen d].
Weniger kann der Durchzug durch das Territorium zu Lande und zu Waſſer einem andern Volke und deſſen Unterthanen in Friedenszeiten, ohne erhebliche Urſa - chen, wenn ſie deſſen noͤthig haben a], verweigert wer - den b]. Denn wenn auch eine Nazion ſelbſt mit der andern nichts zu ſchaffen haben wolte, ſo muß doch dieſer erlaubt ſeyn, das was ſie braucht anderswoher zu holen und zu dem Ende ſich des Durchzuges zu be - dienen, zumal wenn iener kein Nachtheil dadurch zu - gefuͤgt wird c]. Damit er unbeſchadet der Souverai - netaͤt geſchehe iſt uͤbrigens das Volk, durch deſſen Ter - ritorium der Durchzug begehrt wird, allerdings berech - tigt, gewiſſe Bedingungen dabey vorzuſchreiben d], denen die andere Nazion ſich unterwerfen muß.
In225in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.In wie ferne dieſes gegenſeitige Befugnis bey Durchmaͤrſchen der Truppen, Tranſito der Waaren, Durchfuͤhrung der Verbrecher und Verſtorbenen ꝛc. ſeine Anwendung leide und den Territorialeigenthuͤmer zu gewiſſen Entſchaͤdigungsfoderungen berechtige, ſoll bey den einzelnen Hoheitsrechten unterſucht werden e].
Hier merke ich nur noch an, daß die Erlaubnis des Durchzugs uͤberhaupt zuweilen ausdruͤcklich bedun - gen zu werden pflegt, und dann um ſo weniger verſagt werden darf f].
Durchreiſen einzelner Unterthanen in Geſchaͤften koͤnnen in der Regel ebenfals nicht verwehrt werden; bey Reiſen hingegen aus Neugier ꝛc. hat eine Nazion mehrere Freiheit, ſie zu erlauben oder zu verbieten g], kann es aber auch fuͤr keine Beleidigung anſehn, wenn andere ihren Unterthanen die Bereiſung fremder Lande unterſagen oder doch einſchraͤnken h].
Zu den hauptſaͤchlichſten Rechten des Eigenthums uͤberhaupt und alſo auch des Territorialeigenthums der Voͤlker gehoͤrt ferner der wilkuͤhrliche Gebrauch oder Misbrauch und die Benutzung deſſelben, ſo, wie ſie es ihrer Erhaltung und Vervolkomnung angemeſſen finden. Es ſteht ihnen daher frey, alles, was zu die - ſen Endzweck fuͤhrt zu thun oder zu laſſen und vermoͤge der Oberherſchaft in ihrem Gebiete anzuordnen, ohne daß andere Nazionen ihnen Einhalt thun duͤrften; es muͤſte dieſen denn eine Beleidigung dadurch zugefuͤgt werden, oder iene ihrer natuͤrlichen Freiheit zum Vor - theil eines andern Volks ſich ausdruͤcklich begeben haben a]. Zum Ueberflus und zu mehrerer Sicherheit bedingen indes die Nazionen zuweilen ſich noch die Ausuͤbung dieſes und ienes Rechts insbeſondere von andern b].
Kein Volk kann auch von Natur auf die Benu - tzung des Territoriums eines andern, oder auf die Aus -uͤbung229in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.uͤbung irgend eines dahineinſchlagenden Hoheitsrechts im eignen Namen, Anſpruch machen, noch iſt das an - dere Volk verbunden ihm dergleichen zuzugeſtehn a]. Das Befugnis hierzu muß durch ausdruͤckliche oder ſtilſchweigende Vertraͤge beſonders erworben werden, und es haͤngt von der Wilkuͤhr der Nazionen ab, ob und was fuͤr Rechte ſie andern in ihrem Territorium einraͤumen wollen. Was iedoch allen uͤbrigen fremden Nazionen in einem Lande erlaubt iſt, kann einer allein nicht fuͤglich abgeſchlagen werden, wenn ſie durch vor - herige Beleidigung ſich eine ſolche Behandlung nicht zugezogen hat, ob ſie gleich das, was nur einigen aus beſonderer Verguͤnſtigung zugeſtanden wird, nicht ver - langen koͤnnen b]. Durch dieſe Geſtattung einzelner zufaͤlliger Hoheitsrechte geſchieht indes der Souverai - netaͤt uͤberhaupt kein Abbruch c]. Uehrigens iſt alles das hieher zu wiederholen, was vormals [1. Th. 4. K.] von der Freiheit der Nazionen ihre Handlungen nach eignem Gefallen einzurichten, geſagt worden.
Die benachbarten Nazionen haben, der bloſſen Nachbarſchaft wegen, hierzu kein ſtaͤrkeres Recht, wenn auch das Territorium ganz mit den Landen eines andern Volks umſchloſſen ſeyn ſolte a]. Sie koͤnnen zwar ver - langen, daß der Nachbar ſein Territorium nicht zum offenbaren Schaden gebrauche b] ihm iedoch nicht ver - wehren, ſolche an ſich unſchaͤdliche Anſtalten zu treffen, die er ſeinen Vortheilen angemeſſen findet, wenn auch den benachbarten Nazionen dadurch ein gehofter Nutzen entgehen und ihm alſo mittelbar einiger Nachtheil zu - gefuͤgt werden ſolte c]. Denn mit eignem Schaden iſt niemand verbunden des andern Vortheil zu befoͤr - dern. Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die benach - barten, beſonders maͤchtigern Nazionen, unter dem Vorwand der Nachbarſchaftsrechte ſich nicht ſelten eins und das andere herausnehmen d] und die mindermaͤch - tigen oft etwas dulten, thun oder laſſen muͤſſen, wozu ſie den Rechten nach eben nicht verbunden waͤren: wie denn uͤberhaupt die Klugheit allerdings unter Nachbarn, wegen der beſtaͤndigen Verbindungen und mannichfal - tigen Verhaͤltniſſe, eine genauere Beobachtung der an ſich unvolkomnen und ſogenanten Liebespflichten fodert.
Der Hauptgrund aller in eines endern Volks Ge - biete auszuuͤbenden Gerechtſame beruht auf ausdruͤck - liche oder ſtilſchweigende Einwilligung des Territorial - eigenthuͤmers, d. i. auf Vertraͤge und Herkommen a]. Man giebt dieſen Rechten gewoͤnlich den Namen der Voͤlkerdienſtbarkeiten [auf lateiniſch in einer etwas uneigentlichen Bedeutung: Servitutes iuris publici oder vielmehr iuris gentium b], und theilt ſie in Activ - und Paſſiv-Dienſtbarkeiten. Erſtere ſind die, welche ein Volk in eines andern Territorium auszuuͤben, und letztere welche es von andern in ſeinen Landen zu dulten hat. Ueberdies finden bey denſelben noch mancherley Eintheilungen in verneinende [ſervitutes negativae] wenn eine Nazion ein gewiſſes Recht z. B. Feſtungen, Meſſen ꝛc. anzulegen, nicht ausuͤben darf, und beia - hende [affirmativae] wenn ſie die Ausuͤbung irgend eines Rechts von andern auf ihrem Territorium leiden muß, in geiſtliche und weltliche, bey Lehen und Erb - beſitzungen ꝛc. Statt c]. Auch auf dem Meere und Ge -P 4waͤſſern232Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlkerwaͤſſern die eigentlich unter keiner Herſchaft ſtehen, koͤnnen gewiſſe Arten von Voͤlkerdienſtbarkeiten einge - fuͤhrt werden, wenn ein Volk ſich zu Gunſten anderer, ſeiner natuͤrlichen Freiheit begiebt und verſpricht, in einer beſtimten Gegend nicht zu fiſchen, zu ſchiffen ꝛc. d]. Alle dieſe Vertraͤge ſind jedoch nicht weiter auszudeh - nen, als ihr ausdruͤcklicher Innhalt beſaget e].
Was bey dem Eintritt, Durchzuge und Aufenthalt in einem andern Territorium bereits erinnert worden, findet auch bey der Benutzung ſeine Anwendung, daß naͤmlich im Nothfall a], wo es die Erhaltung unum - gaͤnglich erfodert, einem Volke gar wohl erlaubt iſt, des andern Lande zu gebrauchen, iedoch dergeſtalt daß dieſem der dadurch verurſachte Schaden nachher wieder erſetzt werde b].
Wenn ein Volk die Grenzen ſeines Gebiets in das unſtreitige Territorium a] eines andern erſtrecket, ſich unbefugt Handlungen und Gerechtſame in demſelben anmaßt, oder andere an Ausuͤbung ihrer Rechte hin - dert, ſo begeht es eine Verletzung des Territoriums b] und fuͤgt der andern Nazion eine Beleidigung zu, welche dieſe verhaͤltnismaͤſſig zu ahnden c] gleiches mit gleichem zu vergelten d] oder, wenn alle guͤtliche und gelinde Mittel nichts fruchten, ſich Genugthuung e] mit Gewalt zu verſchaffen berechtigt iſt f]. Zwiſchen Nachbarn fallen dergleichen Verletzungen oͤfters vor. Da ſolche vielmals aus bloſſer Unwiſſenheit, Verſehn und Uebereilung g] der Unterthanen oder Beamten an den Grenzen geſchehen, ſo wird nicht ſelten in voraus feſtgeſetzt, wie man ſich in dergleichen Faͤllen, zu Ver - huͤtung groͤſſern Misverſtaͤndniſſes, zu verhalten habe h]. Dritte Nazionen nehmen ohne beſondere Veranlaſſung, an dieſen, ſo wie an andern Streitigkeiten gewoͤnlich keinen Theil i].
Ein Volk, welches ein Recht auf das Eigenthum oder den Beſitz eines Territoriums oder auf die Aus - uͤbung irgend eines Hoheitsrechts in demſelben hat, oder zu haben vorgiebt, welches von andern beſeſſen oder ausgeuͤbt wird, macht Anſpruͤche darauf. Wie dieſe durch guͤtliche oder gewaltſame Mittel zu verfolgen und die diesfalſigen Beſchwerden zu erledigen, davon wird kuͤnftig umſtaͤndlicher zu handeln ſeyn. Indes pflegen die Nazionen zu Sicherung gegen dergleichen beſonders ungegruͤndete Anſpruͤche ſich gemeiniglich von andernden240Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlkerden wechſelſeitigen Schutz bey ihren Beſitzungen und deren Benutzung, auch Beiſtand im Fall eines thaͤtli - chen Angrifs verſprechen zu laſſen. Dieſe letztern Ver - traͤge ſollen den Gegenſtand des folgenden Kapitels ausmachen.
Die teutſchen und andern Landesherrn genießen in ihren Landen gegen auswaͤrtige Nazionen in allen vor - beruͤhrten Gegenſtaͤnden mit dieſen gleiche Rechte, und ſind daher nicht verbunden, wider ihren Willen, einem fremden Volke die Ausuͤbung irgend eines Rechts auf ihren Territorien im eignen Namen einzuraͤumen, ſon - dern berechtigt, ſich gegen alle Beeintraͤchtigungen der - ſelben, auf alle ſonſt erlaubte Art zu ſchuͤtzen a]. Im aͤuſſerſten Falle koͤnnen Kaiſer und Reich, auf behoͤri - ges Anſuchen, oder von freien Stuͤcken, ſich nicht ent - brechen, die Staͤnde bey ihren Rechten zu handhaben und ihnen gegen auswaͤrtige Eingriffe den erfoderlichen Beiſtand angedeihen zu laſſen b]. Wenn hingegen ein teutſcher Landesherr ſich in dem Gebiete anderer Nazionen zu viel herausnimt, koͤnnen auch dieſe ent - weder ſelbſt ſich ſogleich Genugthuung verſchaffen, oder ihre Beſchwerden bey dem Reiche anbringen c]. In wie ferne uͤbrigens die teutſchen Landesherrn befugt ſind, auswaͤrtigen Nazionen durch Vertraͤge einige Ge - rechtſame und gewiſſe ſogenante Voͤlkerdienſtbarkeiten auf dem Reichsterritorium einzuraͤumen, muß nach den Grundſaͤtzen des teutſchen Staatsrechts, aus den Lehns - und andern Verbindungen, worinn ſie mit dem teut - ſchen Reiche ſtehen und welchen dadurch kein Nachtheil zugefuͤgt werden darf, beurteilt werden d]. Eben ſogehoͤrt241in Anſehung des Eigenthums ihrer Lande.gehoͤrt die Eroͤrterung derienigen Rechte, und ſogenan - ten Reſervaten, welche dem Kaiſer, als Oberhaupt von Teutſchland, in den Territorien der einzelnen Reichsſtaͤnde und Landesherrn theils als Ueberbleibſel ſeiner ehemaligen weitumfaſſenden Macht, theils ver - moͤge beſonderer Vertraͤge und Herkommen, zuſtehen, in die Lehre des teutſchen Staatsrechts e].
Die Landesherrn eines naͤmlichen Staats unter ein - ander muͤſſen in Abſicht auf die Erſtreckung ihrer Ho - heitsrechte in der Mitſtaͤnde Lande vor allen Dingen die in den Reichsgrundgeſetzen enthaltenen Vorſchriften befolgen, und koͤnnen nur dann nach dem Voͤlkerrechte handeln, wenn iene hierunter nichts beſtimmen und ihrer Freiheit uͤberhaupt keine Schranken ſetzen. In Teutſchland ſtehen den Landesherrn nach der Reichsver - faſſung, beſonders auch vermoͤge kaiſerlicher Privile - gien, mancherley Gerechtſame in den Territorien an - derer zu, die keinesweges nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts beurteilt werden koͤnnen, und mit Recht den Namen der Staatsrechtsdienſtbarkeiten verdie - nen f]. Es giebt aber auch noch Faͤlle genug, worinn die teutſchen Landesherrn nach freier Wilkuͤhr handeln und andern dieſes oder ienes Recht zugeſtehn oder ver - ſagen koͤnnen g]. Dieſe andern eingeraͤumte Ausuͤbung einzelner Hoheitsrechte ſchadet uͤbrigens der Landesho - heit eben ſo wenig, als der Souverainetaͤt unter unab - haͤngigen Nazionen h]. Beſchwerden uͤber die zu weite Ausdehnung ſolcher Gerechtſame und uͤber die Verle - tzung des Tetritoriums uͤberhaupt kommen auch unter den teutſchen Reichsſtaͤnden oͤfters vor i] und es finden dabey eben dieienigen Rechtsmittel Statt, welche oben bey den Grenzſtreitigkeiten bemerkt worden k].
Um in Beſitz und Benutzung der Lande, beſonders ſolcher die durch Krieg oder auf andere Art erſt neu erworben worden, gegen Anſpruͤche und Eingriffe deſto ſicherer und ungeſtoͤrter zu ſeyn, pflegen die Na - zionen in Friedensſchluͤſſen, Buͤndniſſen und andern Vertraͤgen a], auch wohl in beſondern Urkunden b] ein - ander zu verſprechen, ſich bey dem ruhigen Beſitz ihrer Lande gegen alle Beeintraͤchtigungen wechſelſeitig zu ſchuͤtzen c], welches man die Landesgarantie nennt.
Q 2a] In244Von Garantirung der Lande.In Abſicht auf die Dauer der Zeit, und auf den Umfang der Lande, welche ſie auf beiden Seiten zum Gegenſtand haben, finden bey dieſer Garantie ver - ſchiedene Eintheilungen in beſtaͤndige und zeitige, algemeine und eingeſchraͤnkte, gleiche und ungleiche Statt.
Die Dauer dieſer Garantieen beruht auf den Inn - halt der Vertraͤge und auf die uͤbrigen dabey eintreten - den Umſtaͤnde. Sind ſolche ausdruͤcklich fuͤr immer errichtet a] oder wenigſtens auf keine beſtimte Zeit ein - geſchraͤnkt, auch den Umſtaͤnden nach nicht ſo zu ver - ſtehen b], ſo dauert die Verbindlichkeit der Garantie beſtaͤndig fort. Iſt aber die Garantie, oder der Ver - trag, worinn dieſe mit bedungen worden, nur auf ge - wiſſe Jahre eingegangen c], wie dies bey den gewoͤhn - lichen Allianzen zu geſchehen pflegt d] oder die Umſtaͤnde werden gaͤnzlich veraͤndert, ſo hoͤrt mit ihnen zugleich die Garantie der Lande auf e].
Die Garantieen erſtrecken ſich entweder auf alle von den Theilhabenden Nazionen in und auſſerhalb Europa beſitzenden a] oder nur auf gewiſſe benante Lande b]. Zuweilen uͤbernimt auch wohl der eine Theil eine weit - umfaſſendere Garantie, als der andere dagegen ver - ſpricht c]. Es komt hierbey alles auf den Inhalt der desfals errichteten Vertraͤge an d].
Eigentlich gehen die Garantieen nur auf dieienigen Lande in deren ruhigem Beſitz eine Macht ſich bey Er - richtung des Garantievertrages befindet, wie dies oͤfters ausdruͤcklich bemerkt zu werden pflegt a]. Doch ge - ſchieht es auch wohl, daß eine Nazion die Garantie ſolcher Lande uͤbernimt, deren Eigenthumsrecht noch nicht entſchieden und der Beſitz daher ſtreitig iſt b] oder auch ſolcher, deren Beſitz die andere Nazion erſt kuͤnf - tig zu hoffen hat c]. Da es, bey entſtehenden Strei - tigkeiten, ſchwer zu beſtimmen iſt, welcher Theil das ſtaͤrkſte Recht an einem Lande habe, ſo haͤngt es von dem Gutbefinden eines ieden Volks ab, ob es ſich zur Garantie des einſtweiligen Beſitzes, nicht ſowohl gegen Recht, als nur gegen unerlaubte Gewalt verſtehen wolle; doch kann den gegruͤndetern Rechten eines drit - ten dadurch nie einiger Nachtheil zugefuͤgt werden d].
Keine Nazion iſt von Natur verbunden, andere bey dem ruhigen Beſitz ihrer Lande zu ſchuͤtzen, ob ſie gleich ſelbſt ſich aller Stoͤhrungen, ohne hinlaͤnglichen Grund enthalten muß. Eine ſolche Garantie kann da - her auch von andern nicht als Schuldigkeit verlangt, ſondern muß durch ihre Einwilligung erworben werden. In252Von Garantirung der Lande.In den diesfals errichteten Vertraͤgen, worauf es hier - bey hauptſaͤchlich ankomt, werden gemeiniglich die Be - dingungen feſtgeſetzt, unter welchen die Huͤlfsleiſtung gegen Beeintraͤchtigungen und Angriffe erfolgen ſoll, auch die Staͤrke der Huͤlfe und die Art der Leiſtung be - ſtimt. Bey eintretenden Umſtaͤnden komt es zwar auf die in Gefahr ſich befindende Nazion an, ob ſie den von andern ihr verſprochenen Beiſtand fodern will oder nicht. Dieſen ſteht aber, wenn der Vertrag nicht ganz allgemein abgefaſt iſt, allerdings auch frey zu un - terſuchen: ob der bedungene Fall der Huͤlfsleiſtung wuͤrklich vorhanden ſey? a] Dieſer Umſtand und an - dere hierunter moͤgliche Ausfluͤchte und Hinderniſſe b] ſind denn freilich ſehr oft Urſach, daß die erwartete Garantie, zumal wenn es bey dem andern Theile am guten Willen fehlt, entweder gar keine Wuͤrkung hat, oder doch nicht zum gehoͤrigen Zeitpunct c]. Wenn uͤbrigens ein Volk andern Lande zu garantiren ver - ſpricht, woran es vorher ſelbſt Anſpruͤche machte, oder zu haben glaubte, ſo laͤßt ſich daraus ohnſtreitig eine Verzichtleiſtung dieſer Anſpruͤche folgern, es muͤſte denn zur Zeit der uͤbernommenen Garantie noch keine Wiſſenſchaft davon gehabt und das Recht darauf erſt nachher erlangt, auch dabey ausdruͤcklich allen ſeinen bekanten und unbekanten Rechten nicht entſagt haben d]. Jedoch hindert die Garantie an ſich keinesweges, daß eine Nazion uͤber die ihr garantirten Lande nicht nach Wilkuͤhr ſchalten koͤnte, und ſelbſt der garantirenden nicht frey ſtehen ſolte, mit Einverſtaͤndnis der andern, etwas davon an ſich zu bringen e].
Teutſchland hat in Anſehung der Landesgarantieen unſtreitig das Recht iedes andern unabhaͤngigen Volks a]. Auch deſſen einzelnen Landesherrn ſtehet es, vermoͤge des ihnen zukommenden Kriegs. Friedens - und Buͤnd - nisrechts mit Auswaͤrtigen, frey, die Gatantie deren Lande zu uͤbernehmen b]. Gegen die von letztern ſich zu bedingende Garantie ihrer Reichslande ſcheint dar - um einiges Bedenken obzuwalten, weil die Entſchei - dung der uͤber den Beſitz entſtehenden Streitigkeiten der hoͤchſten Gerichtsbarkeit im teutſchen Reiche unter - worfen iſt c], wenigſtens kann die Garantie ſtreitiger Lande hier nicht Statt finden d]. Dies laͤßt ſich auch von den Landesherrn gegen einander behaupten.
a] Unter254Von Garantirung der Lande.Ein vorzuͤgliches Augenmerk verdienen nunmehro die Mitglieder der Nazion, welche ihren Willen und ihre Kraͤfte zum algemeinen Beſten unter eine Ober - herſchaft vereinigt haben, und uͤberhaupt alle Landes - bewohner, in ſofern ſie naͤmlich einen Gegenſtand wech - ſelſeitiger Rechte und Verbindlichkeiten unter den Na - zionen ausmachen. Unter den Landesbewohnern ver - ſtehe ich hier, im weitlaͤuftigen Sinne und im Gegen - ſatz der Auswaͤrtigen, alle dieienigen Perſonen und Familien, welche ſich in einem Lande entweder beſtaͤn - dig oder nur eine Zeitlang aufhalten, ſie moͤgen darinngebohren256V. d. verſchiedenen Gattungen d. Landesbew.gebohren oder anderswoher aufgenommen ſeyn. Dieſe Umſtaͤnde veraͤndern indes allerdings die Verhaͤltniſſe und beſtimmen die verſchiedenen Gerechtſame derſelben ſowohl in Abſicht der Nazion, deren Mitglieder ſie ſind, als der, wo ſie ſich aufhalten, oder anderer und deren einzelne Glieder. Um die letztern deſto beſſer beurteilen zu koͤnnen, iſt es noͤthig, zufoͤrderſt die aus den erſtern flieſſenden Begriffe feſtzuſetzen.
Die Landesbewohner beſtehen theils aus Einheimi - ſchen, theils aus Fremden. Einheimiſche ſind die - ienigen, welche ihre beſtaͤndige Heimath oder Wohnung [domicilium] in einem Lande haben a], Fremde, wel - che ſich nur einige obſchon lange Zeit darinn, gewiſſer Geſchaͤfte wegen, aufhalten und daſelbſt wohnen, ohne die Abſicht zu haben, ſich beſtaͤndig niederzulaſſen, und Mitglieder des Staats oder nur Einwohner zu werden b].
Die Einheimiſchen koͤnnen wieder entweder im Lande, oder auch auswaͤrts aber von Eltern, die ihrebeſtaͤndige257u. d. Gerechtſ. d. Voͤlker in Abſicht derſelben ꝛc.beſtaͤndige Wohnung in dem Lande haben, gebohren ſeyn a]; oder ſie haben ſich von andern Orten her da - ſelbſt niedergelaſſen. Die erſtern werden Einge - bohrne, die andern Auslaͤnder genannt. Das Land, in welchem die Eltern zur Zeit der Geburt ihren feſten Wohnſitz hatten, heißt ihr Vaterland, wiewohl man im weitlaͤuftigern Verſtande dafuͤr auch das Land an - nimmt, wo einer ſelbſt ein Mitglied des Staats iſt und ſeine Wohnung hat.
Alle Einheimiſche ſind zwar Mitglieder des Staats, ſie genieſſen aber nicht alle immer gleiche Rechte. Die - ienigen, welche an allen Vortheilen der Staatsverbin - dung Theil nehmen, und ſowohl in perſoͤnlicher Ruͤck - ſicht, als in Beſetzung der Aemter, des Guͤterbeſitzes und andern Stuͤcken ſich gewiſſer Vorzuͤge zu erfreuen haben, werden Buͤrger [cives] genennt. Die, denenzwar259u. d. Gerechtſ. d. Voͤlker in Abſicht derſelben ꝛc.zwar erlaubt iſt, ihre Wohnung in einem Lande auf - zuſchlagen, aber nicht alle, ſondern nur gewiſſe Vor - theile von geringerm Grade, nach Vorſchrift der Lan - desgeſetze, zugeſtanden werden, ſind bloſſe Einwoh - ner [incolae]. Welche Guͤter in einem Lande beſitzen, aber nicht daſelbſt wohnen, heiſſen Anſaͤſſige [forenſes] und koͤnnen eigentlich auf keine perſoͤnlichen, ſondern nur auf ſolche Vortheile Anſpruch machen, welche der Guͤterbeſitz gewaͤhrt. Gemeiniglich wiederfahren den Eingebohrnen beſonders iene Vorzuͤge. Ob und in wieferne iedoch zuweilen auch die bloſſe Wohnung oder die Anſaͤſſigkeit einen des Buͤrgerrechts theilhaftig mache, komt auf die beſondern Landesverfaſſungen an.
Dieienigen, welche nirgends einen beſtaͤndigen Wohnſitz haben, ſondern hie und da herumziehn und nur eine Zeitlang ſich aufhalten, heißt man Vaga - bonden, Landſtreicher, Landlaͤufer. Man ſieht indes gewoͤnlich die durch die Geburt von der Natur ihm angewieſene Heimath ſeiner Eltern auch ſo lange fuͤr die ſeinige an, als er ſie nicht in der Abſicht auf - gegeben hat, nirgends ſich haͤuslich niederzulaſſen. Dahin werden unter andern herumziehende Comoͤdian - ten und Gaukler, Marktſchreier, Zigeuner, Bettler ꝛc. gerechnet.
R 2*] Wolff260V. d. verſch. Gattungen d. LandesbewohnerWenn ein Mitglied des Staats ſich veranlaßt ſieht, ſeinen bisherigen Wohnſitz zu verlaſſen, ſo nennt man ihn einen Exulanten [Exul]. Geſchieht es aus recht - maͤſſigen Urſachen um anderswo ſich niederzulaſſen, ſo wird er mit dem Namen eines Emigranten belegt; wer ſich hingegen von einer Nazion wegen Verbrechen auf eine unerlaubte Art trennt, iſt ein Fluͤchtiger, Ausgetretener [fugitivus]. Beide Faͤlle ſind iedoch ein freiwilliges Exilium [exilium voluntarium]. Wird einer aber vom Staate genoͤthigt, das Land, wie - wohl ohne Verletzung ſeiner Ehre zu verlaſſen, ſo tritt ein unwilkuͤhrliches Exilium [invitum] ein, und er iſt ein Verwieſener oder Vertriebener. Iſt der Verluſt der Ehre damit verbunden, ſo heißt man es eine Verbannung.
Wer der Oberherrſchaft im Staate unterworfen iſt und derer Befehlen und Anordnungen gehorchen muß, wird Unterthan [ſubditus] genennt. Das Weſen der Staatsvereine erfodert, daß alle einzelne Landesbewohner, ſie moͤgen Einheimiſche oder Fremde ſeyn, ſo lange ſie Mitglieder des Staats ſind, oder im Lande ſich aufhalten [ſubditi temporarii] dieſe Oberherſchaft anerkennen, ſo wie ſie alle auf gleichen Schutz und Sicherheit Anſpruch zu machen berechtigt ſind; obgleich die letztern zu den Staatslaſten und per - ſoͤnlichen Beſchwerungen nicht gezogen werden koͤnnen, denen die wuͤrklichen Mitglieder des Staats unterwor - fen ſind. Den Fremden wird, wie ich ſchon oben er - innert habe, unter keiner andern Bedingung der Ein - tritt und Aufenthalt in dem Territorium verſtattet, als daß ſie ſich und ihre Handlungen, welche hier eine rechtliche Wuͤrkung haben koͤnnen und ſollen, den Vor - ſchriften und Einrichtungen unterwerfen, welche die oberſte Gewalt zum Beſten des Staats zu machen fuͤr gut angeſehen hat. Sie machen ſich daher durch den Eintritt ſtillſchweigend darzu verbindlich.
Eine Nazion hat, vermoͤge ihrer Freiheit und Un - abhaͤngigkeit das Recht, in ihrem Lande ſowohl in Ab - ſicht der Mitglieder und Unterthanen, als der Frem -R 3den262V. d. verſch. Gattungen d. Landesbewohnerden die in ihr Territorium kommen, alle diejenigen An - ſtalten zu machen, welche ihr zum Wohl des Staats gutduͤnken, ohne daß eine andere Nazion deshalb Ziel und Maas ſetzen koͤnte; obgleich ſolche den bey dieſer angenommenen Grundſaͤtzen entgegen ſind: denn es haͤngt von ihr ab, ob ſie ihren Unterthanen unter dieſen Verhaͤltniſſen den Aufenthalt daſelbſt verſtatten, und ob die letztern durch den Eintritt in das Territorium ſich den Vorſchriften unterwerfen wollen. Doch darf allerdings den etwa vorhandenen Vertraͤgen kein Nach - theil oder dem andern Volke und ſeinen Unterthanen keine offenbare Beleidigung dadurch zugefuͤgt werden.
Dadurch, daß ein Mitglied der Nazion, welches in ein fremdes Territorium, nicht in der Abſicht um daſelbſt beſtaͤndig zu wohnen, ſondern nur um Ge - ſchaͤfte willen, auf eine Zeitlang ſich begiebt, als zei - tiger Unterthan den Geſetzen dieſes Landes gehorchen muß, wird die vorige Verbindung zwiſchen dem Volke, deſſen Mitglied er iſt, nicht gaͤnzlich aufgehoben, ſon - dern es bleiben allerdings wechſelſeitige Rechte und Pflichten, die aber nur inſoweit wuͤrkſam ſeyn koͤnnen, als ſie den Geſetzen des Volks, wo der Fremde ſich aufhaͤlt, keinen Eintrag thun. Die uͤbrigen Rechte ienes Staats ruhen in dieſer Beziehung einſtweilen. Der263u. d. Gerechtſ. d. Voͤlker in Abſicht derſelben ꝛc.Der Fremde kann daher von Rechtswegen auf keinen der Vortheile in einem andern Territorium Anſpruch machen, die ihm, nach der Verfaſſung ſeines Landes zukommen. Was ihm hierunter, beſonders nach den heutigen Grundſaͤtzen der europaͤiſchen Nazionen, ein - geraͤumt wird, beruht auf eine herkoͤmliche Gefaͤlligkeit, welche den geſelſchaftlichen Verbindungen gemaͤs wech - ſelſeitig ausgeuͤbt wird. Ueber auswaͤrtige Unterthanen aber kann kein Volk, wenn ſie nicht in ſein Land kom - men, ſich irgend eines Rechts anmaaſſen, oder ſich in die dieſelben betreffende Einrichtungen und in die Ver - haͤltniſſe der Unterthanen zu ihrer Oberherrſchaft miſchen, wenn es nicht durch Vertraͤge, durch Anſuchen ein und des andern Theils oder durch ein gemeinſames Intereſſe dazu veranlaßt worden.
Dieſe Eintheilungen und Gerechtſame finden groͤ - ſtentheils auch in Teutſchland und unter den teutſchen Landesherrn Statt; nur kann man hier in noch meh - rerm Sinne als Fremder, Buͤrger ꝛc. betrachtet werden, theils in Ruͤckſicht des ganzen Reichs, theils einzelner Provinzen ꝛc. ; und dann hat, vermoͤge der Staats - verfaſſung, manche Einrichtung hierunter in den ge - ſamten Reichslanden eine geſetzliche Kraft, deren An - erkennung bey voͤllig unabhaͤngigen Nazionen auf bloſſe Wilkuͤhr beruhet.
R 4*] M.264Von d. Rechten der Nazionen gegen einanderAlle Mitglieder des Staats zuſammen als eins be - trachtet, machen den Koͤrper des geſamten Volks [populus] oder der Nazion im engern Sinne aus, deſſen Verhaͤltnis zur Oberherrſchaft durch gemeinſchaft - liche Vertraͤge oder ſogenante Reichsgrundgeſetze beſtimt zu werden pflegt. Wegen der Unbequemlichkeit ganzer Volksverſamlungen ſind heutzutage bey den Nazionen, wo die beſondere Einwilligung des Volks zu Ausuͤbung einzelner Hoheitsrechte noͤthig iſt, meiſtens nur gewiſſe Perſonen oder Gemeinheiten auserſehn, welche unter dem Namen der Reichs - oder Landſtaͤnde, erfoderlichen Falls, das geſamte Volk darſtellen, die Obſorge fuͤr die dieſem zuſtehenden Gerechtſame tragen und den An -theil265in Abſ. d. geſ. Volks u. der es darſtell. Staͤnde.theil beſorgen, der ihm, nach der Staatsverfaſſung, an der Regierung zugeſtanden iſt.
Die geſamte Volksmenge und ihre Repraͤſentanten ſind bey allen europaͤiſchen Nazionen einander gleich, ſo daß keine Rangordnung, wie bey ihren Souverai - nen, Statt findet, wenn ſie in Verhaͤltnis gegenein - ander dargeſtelt oder ihrer in Vertraͤgen gedacht werden ſoll a]. Sie beſtehn alle aus freien von einander un - abhaͤngigen Menſchen, und auch das Herkommen hat hier nicht wie bey ienen einen gewiſſen Vorrang einge - fuͤhrt. Nur in Anſehung Teutſchlands und ſeiner Staͤnde leidet dies einige Ausnahme, indem dieſe, ihrer anſehnlichen Vorrechte wegen b] dergleichen nicht nur verlangen, ſondern auch zum Theil hergebracht haben c]. Die Kurfuͤrſten, Fuͤrſten, Herzoge und an - dere teutſche Reichsſtaͤnde, welchen das Recht des Krieges, Friedens und der Buͤndniſſe, ſogar mit aus - waͤrtigen Nazionen, zuſteht, wollen den Reichsſtaͤnden in andern Reichen, wenn ſie ſonſt auch noch ſo ange - ſehn ſind und zum Theil gleiche Namen fuͤhren, keines - weges den Vorrang laſſen d] und es wird ihnen ſolcher auch ſonſt durchgaͤngig nicht ſtreitig gemacht. Uebri - gens iſt es ieder Nazion unverwehrt, der geſamten Volkſchaft eines Staats vor andern bey ſich gewiſſe Vorzuͤge einzuraͤumen.
Dieſe Gleichheit berechtigt das geſamte Volk iedoch nicht, eben die Rechte bey andern Nazionen zu ver - langen, welche dieſe einem oder dem andern Volke ein - geraͤumt haben, ſondern es haͤngt von der Wilkuͤhr der Nazionen ab, was fuͤr Rechte und Freiheiten ſie einem ieden Volke in ihren Staaten zugeſtehn wollen, und es kann ihnen nicht verwehrt werden, einem mehrere Gerechtſame in Handels - und dergleichen Angelegen - heiten zu goͤnnen. Da keine Nazion hierunter zu et - was weiter, als zu Beobachtung der algemeinen Pflich - ten, die freilich gegen alle gleich ſind, verbunden iſt, ſo muß eine mehrere Verbindlichkeit lediglich durch Vertraͤge erworben werden a].
Noch weniger koͤnnen Nazionen und ihre Mitglie - der, die in ein fremdes Territorium entweder nur eineZeit -268Von d. Rechten der Nazionen gegen einanderZeitlang, oder um daſelbſt beſtaͤndig zu wohnen kom - men, verlangen, daß ihnen die Rechte und Vortheile der Eingebohrnen, welche man unter dem Namen des Indigenats begreift, zugeſtanden werden ſollen. Zuweilen bringt es die Verfaſſung des Landes mit ſich, daß die bloſſe Aufnahme eines Fremden als Unterthan ihm iene Rechte gewaͤhrt a]. Gemeiniglich aber wird eine beſondere Verguͤnſtigung, welche Naturaliſation heißt, und einzelnen Perſonen oder Familien meiſt in eignen Urkunden oder ſogenannten Naturaliſations - briefen, ertheilt werden, hierzu erfodert. Dieſe Na - turaliſation begreift gewoͤnlich alle Rechte der Einge - bohrnen in ſich, doch giebt es bey einigen Nazionen gewiſſe Grade derſelben, die den Fremden bald mehrere bald mindere Gerechtſame beilegen b]. Dergleichen Naturaliſation wiederfaͤhrt entweder ganzen Nazionen, ſo daß alle Glieder derſelben als Eingebohrne anzuſehn ſind c]; oder allen Fremden, die ſich in einem Lande niederlaſſen, entweder nur von einer gewiſſen Gat - tung d] oder ohne Unterſchied e], oder es werden auch nur einzelne Perſonen und Familien mit dem Indigenat in einem Lande begnadigt f].
Was die Darſtellung des geſamten Volks durch ge - wiſſe Repraͤſentanten oder die Staͤnde anlanget, ſo hat auch hierinn keine auswaͤrtige Nazion etwas zu ſagen, wenn ſie nicht ſelbſt oder ihre Glieder, wegen des Beſitzes gewiſſer Guͤter oder aus einem andern recht - maͤſſigen Grunde, an der Standſchaft Theil zu neh - men befugt iſt. Bekantlich beſitzen verſchiedene aus - waͤrtige Souverains zugleich in Teutſchland ſolche Reichslande, auf welchen das Recht der Standſchaft mit Sitz und Stimme auf dem Reichstage haftet a]; auch giebt es Faͤlle, daß teutſche Reichsſtaͤnde zugleichals271in Abſ. d. geſ. Volks u. d. es darſtell. Staͤnde.als Staͤnde auswaͤrtiger Reiche aufgenommen wer - den b]. Wenn einem Auswaͤrtigen ein ſolches Sitz und Stimmfaͤhiges Land auf irgend eine geſetzmaͤſſige Art zufaͤlt, ſo kann ihm das Recht der Reichsſtand - ſchaft nicht verſagt werden, wenn er ſich deſſen nicht freiwillig begiebt c] oder beſondere Reichsgrundgeſetze deshalb vorhanden ſind d].
In wie ferne das geſamte Volk, als ein ſelbſtſtaͤn - diger Koͤrper betrachtet, durch ſeine Repraͤſentanten dieStaͤnde,272Von d. Rechten der Nazionen gegen einanderStaͤnde, befugt ſey, ohne Zuziehung des Reichsober - haupts, oder gemeinſchaftlich mit ihm, in Unterhand - lungen und Vertraͤge mit auswaͤrtigen Nazionen ſich einzulaſſen, und dieſe ſich alſo an iene wenden koͤnnen; ob daher das Unternehmen des Volks und der auswaͤr - tigen Nazion als erlaubt oder unerlaubt und fuͤr eine Beleidigung ienes Souverains anzuſehn ſey? komt auf die Grundvertraͤge des Staats an. Sind derglei - chen Verhandlungen dieſen nicht zuwider, ſo koͤnnen ſolche, wenn ſie nicht zum Nachtheil des Staats gerei - chen, der andern Nazion nicht fuͤglich als Beleidigung angerechnet werden a]. Im teutſchen Reiche, in Po - len ꝛc. komt dieſer Fall am haͤufigſten vor.
Was fuͤr Rechte und Freiheiten dem geſamten Volke und deſſen Staͤnden, im Verhaͤltnis zur Ober - herſchaft, in iedem Staate gebuͤhren, beruht ebenfals auf die unter ihnen errichteten Grundvertraͤge und wird in dem Staatsrechte gelehrt. Andere Nazionen haben weder in Anſehung deren Errichtung noch Beobachtung einige Rechte, wenn ſie nicht durch beſondere Vertraͤge oder eine uͤbernommene Garantie ſolcher Rechte und Freiheiten a] auf Erſuchen beider, oder eines und des andern Theils, oder auch des algemeinen Beſten hal - ber dazu veranlaßt werden b].
Es iſt aber keinesweges, zumal in Friedenszeiten, erlaubt, das Volk eines andern Staats durch gehaͤſ - ſige Inſinuationen, Beſtechungen und andere Vorſpie - gelungen zu Beſchwerden gegen die Oberherſchaft, oder gar zur Untreue und zum Aufruhr gegen dieſelbe zu verleiten a]. Indes fehlt es doch auch nicht an Beiſpielen hiervon in der Geſchichte b]. Gegen ein ſolches Benehmen ſind, wegen der uͤblen Folgen fuͤr die algemeine Ruhe, die ſchaͤrfſten Ahndungen erlaubt.
Wenn gleichwohl Aufruhr und Empoͤrung in einem Staate entſtehen, indem ein Theil des Volks der recht - maͤſſigen Oberherſchaft den ſchuldigen Gehorſam auf eine unrechtmaͤſſige Art zu entziehen ſucht, ihr auch wohl Gewalt entgegen ſetzt a]; ſo duͤrfen andere Nazio - nen ſich ebenfals darein nicht miſchen, noch weniger den Rebellen einigen Vorſchub an Gelde, Unterhalt, Kriegsbeduͤrfniſſen leiſten, ſie mit Rath und That un - terſtuͤtzen, oder ihnen auch nur Aufenthalt und Sicher - heit bey ſich verſtatten b]. Beſondere Vertraͤge und Garantieen c], das Anſuchen der ſtreitigen Theile d] und die Erhaltung der algemeinen Ruhe e] machen iedoch auch hier eine Ausnahme. So feſt dieſes auch ſchon in den Vorſchriften des natuͤrlichen Voͤlkerrechts ge - gruͤndet iſt, und von den meiſten Nazionen beobachtet wird f]; ſo werden doch auch in den Vertraͤgen der Nazionen haͤufig daruͤber noch ausdruͤckliche Verabre - dungen getroffen g], da die Erfahrung gelehrt hat, daß Nazionen zuweilen kein Bedenken tragen, ſich ſolcher Rebellen heimlich oder oͤffentlich anzunehmen und ſie zu unterſtuͤtzen h]. Bloſſe Interceſſionen fuͤr die Re - bellen in Anſehung ihrer Beſtrafung koͤnnen indes nicht fuͤglich als eine Theilnahme angeſehn werden i]. Ueb - rigens iſt es nicht ungewoͤnlich, daß eine Nazion der andern von den bey ihr entſtehenden Unruhen Nachricht ertheilt k].
Ein anderer Fall iſt es, wenn das geſamte Volk oder deſſen Repraͤſentanten, wegen unertraͤglicher Be - druͤckungen und tyranniſcher Behandlungen oder ande - rer offenbar grundgeſetzwidriger, dem Wohl des Staats entgegenlaufender Unternehmungen der Oberherſchaft, ſich berechtigt glauben, ihr den Gehorſam gaͤnzlich auf - zuſagen, ſich fuͤr unabhaͤngig zu erklaͤren oder einem andern Regenten zu unterwerfen oder wenigſtens dem vorigen, mit Umwerfung der ganzen bisherigen Ver - faſſung, neue und eingeſchraͤnktere Grundgeſetze vorzu - ſchreiben. Verſchiedene Rechtslehrer wollen auch hier, weil ſie zum Theil dem zu Gehorſam und Unterthaͤ - nigkeit verpflichteten Volke ſelbſt kein Recht der Beur - teilung, des Widerſtandes und der Beſtrafung uͤber den Regenten hierunter zugeſtehn, die Einmiſchung anderer Nazionen in dieſe blos die innere Verfaſſung betreffende Angelegenheit fuͤr unerlaubt anſehn a]. Gro - rius hingegen b] und andere machen einen Unterſchied, ob die Vergehungen der Oberherſchaft blos in harten Privatbeleidigungen beſtehen, oder ob ſie wuͤrklich of - fenbare Ungerechtigkeiten und Grauſamkeiten gegen den Staat ſich habe zu Schulden kommen laſſen und geſtat - ten im letztern Falle den auswaͤrtigen Nazionen mehr Recht als dem Volke. Ich will hier die in das Staats - recht gehoͤrige Frage: wie weit das Volk, ſowohl in einem uneingeſchraͤnkten Staate, als in einem ſolchen, wo die Regierung auf gewiſſe Grundgeſetze beruht, be - rechtigt ſey, der Oberherſchaft, wegen zweck - und ge - ſetzwidriger Unternehmungen, den Gehorſam aufzukuͤn - digen? nicht weitlaͤuftig unterſuchen. Die vorzuͤg - lichſten Staatsrechtslehrer ſind indes dahin einverſtan -den,287in Abſ. d. geſ. Volks u. der es darſtell. Staͤnde.den, daß der Staat eine zum gemeinſamen Wohl er - richtete Geſelſchaft ſey, wo zwar iedes einzelne Mit - glied, als Unterthan gehorchen muß, das geſamte Volk, als ein Ganzes aber gegen die Oberherſchaft in gleichen Verhaͤltniſſen ſteht, deren wechſelſeitige Rechte und Verbindlichkeiten entweder blos aus dem Weſen des Staats, der gemeinſchaftlichen Wohlfahrt, oder aus denen zwiſchen ihnen errichteten Grundvertraͤgen zu beurteilen ſind. Wenn nun ein Theil dem Weſen der Staatsverbindung oder den ausdruͤcklichen Grund - geſetzen gerade zuwider handelt, ſo iſt auch der andere berechtigt, ſich ſeiner Berbindlichkeiten zu entaͤuſſern. Hier laͤßt ſich nicht ſagen, daß der Untere uͤber ſeinen Obern urteile ꝛc. c]. Es kann daher allerdings Faͤlle geben, wo die Tyranney des Oberherrn das Volk zur Aufkuͤndigung des Gehorſams noͤthigt, zumal wenn in den Grundgeſetzen der Verluſt der Oberherſchaft auf deren Verletzung [lex commiſſoria] bedungen iſt d]. Ein Schritt der aber freilich viele Behutſamkeit erfo - dert und mit unendlichen Schwierigkeiten verknuͤpft iſt.
Nun gebe ich gern zu, daß keine fremde Nazion ſich in die innere Verfaſſung der andern miſchen duͤrfe; hat aber das geſamte Volk, oder deſſen Repraͤſentan - ten, nach allen vorher fruchtlos angewandten gelin - dern Mitteln, endlich ſich von der Nothwendigkeit uͤberzeugt, der Oberherſchaft den Gehorſam aufzukuͤn - digen, und ihn fuͤr ihren Feind erklaͤrt; ſo ſind die Bande, welche beide verknuͤpften, zerriſſen: ſie hoͤren auf einen Staat auszumachen und ieder Theil faͤllt in die natuͤrliche Freiheit zuruͤck; es finden daher keine in - nern Verhaͤltniſſe mehr Staat. Andere Nazionen ha - ben alſo, wenn ſie ſich nicht zu Beobachtung der Neu - tralitaͤt veranlaßt ſehn, die Freiheit, eine oder die andere Parthie zu ergreifen, ie nachdem ſie von den - ſelben um Huͤlfe und Beiſtand angeſprochen, oder ausUeber -288Von d. Rechten der Nazionen gegen einanderUeberzeugung des Unrechts, oder aus andern Gruͤn - den e] dazu bewogen werden; denn es kann auch das Volk zu weit gehn und die Unterſtuͤtzung der Oberher - ſchaft rathſamer ſeyn. Deshalb darf man die auswaͤr - tigen Nazionen noch nicht als Richter dieſer Irrungen anſehn, indem ſie die beiderſeitigen Gruͤnde an ihren Ort geſtelt ſeyn laſſen f]. Daß uͤbrigens die Anerken - nung der voͤlligen Unabhaͤngigkeit, wo es darauf abge - ſehn iſt, von Rechtswegen nicht eher erfolgen ſolle, als bis die vorige Oberherſchaft ſie genehmigt, habe ich ſchon im erſten Theile erinnert. Gegen die Uebernahme einer bloſſen Vermittelung laͤßt ſich noch weniger ein - wenden, zumal wenn ſie auf Erſuchen beider Theile geſchieht.
Die Meinungen der Voͤlkerrechtslehrer ſind uͤber die Frage; in wie ferne das geſamte Volk die Hand - lungen ſeines Regenten zu vertreten und fuͤr die einer andern Nazion von ihm zugefuͤgten Beleidigungen zu haften verbunden? nicht einſtimmig. Es kommt hier allerdings auf deren Einwilligung an. Einige erſtrecken daher die Verbindlichkeit des Volks auf alle Handlun - gen der Regierung, weil es ſeinen Willen, bey Errich - tung des Staatsvereins, uͤberhaupt dem Willen der Regierung unterworfen haͤtte a]. Andere verlangen eine iedesmalige beſondere Beiſtimmung des Volks, die entweder ſtilſchweigend durch Unterſtuͤtzung ihrer Unternehmungen mit Geld, Manſchaft ꝛc. oder aus - druͤcklich bey den daruͤber vorher angeſtelten Berath - ſchlagungen ertheilt werden koͤnte b]. Noch andere nehmen auf die verſchiedenen Handlungen des Regen - ten Ruͤckſicht, ob ſie naͤmlich aus den Quellen der Oberherſchaft oder aus einem tyranniſchen Eigenwillen flieſſen, und wollen zwar im erſtern Falle dem Volke eine algemeine Verbindlichkeit, im zweiten aber nur in ſo weit auferlegen, als es ſich der einen oder andern theilhaftig gemacht hat c]. Da aber der Regent, ver - moͤge der Staatsverbindung zu allem berechtigt iſt, was er dem algemeinen Beſten fuͤr zutraͤglich haͤlt, und, wenn die Verfaſſung es nicht erfodert, nicht alle - mal einer beſondern Einwilligung des Volks bedarf, dieſem auch an ſich kein Recht zuſteht uͤber iede Hand - lung der Regierung die ſie vermoͤge iener Verbindungunter -291in Abſ. d. geſ. Volks u. der es darſtell. Staͤnde.unternimt zu urteilen, oder nach der Meinung der Mo - narchomachen, ſich ihr zu widerſetzen; ſo iſt ohnſtreitig das Urteil des Schrodt d] das richtigſte, daß man einen Unterſchied machen muͤſſe unter den Handlungen der Regenten, die ſie vermoͤge des Staatsvertrages, als Repraͤſentanten der Nazion, und unter ſolchen, die ſie auſſer der Staatsverbindung, blos als Privat - perſonen vornehmen. Im erſtern Falle iſt das Volk im algemeinen verbunden die Handlungen zu vertreten, im letztern nur alsdann, wenn es ſich derſelben auf irgend eine Art theilhaftig gemacht hat. Ebenſo koͤn - nen auch die Handlungen der Unterthanen und ſelbſt des geſamten Volks welche ſie ohne Theilnahme der Regierung unternehmen, nicht der ganzen Nazion zu - gerechnet, ſondern als Privathandlungen angeſehn und beſtraft werden e].
So wie in andern Staaten das geſamte Volk in Beziehung auf den Regenten ein mit gewiſſen Rechten begabtes Ganze ausmacht, ſo iſt auch nicht zu laͤug - nen, daß die geſamten teutſchen Reichsſtaͤnde, im Ge -T 2genſatz292Von d. Rechten der Nazionen gegen einandergenſatz des Reichsoberhaupts als ein eignes Ganze an - zuſehn ſind. Aus dieſem Geſichtspuncte haben ſie auch ſelbſt von ſich verſchiedentlich den Ausdruck: Corpus Germanicum gebraucht, und es kann ihnen, zumal da ſogar iedem einzelnen Reichsſtande das Recht des Krie - ges, Friedens ꝛc. zukomt, das Befugnis nicht fuͤglich abgeſprochen werden, auch in dieſer Eigenſchaft, der - gleichen Rechte gegen auswaͤrtige Nazionen auszuuͤben, Geſandte abzuſchicken und anzunehmen ꝛc. und ſelbſt mit dem Kaiſer in Geſtalt eines beſondern Koͤrpers in Unterhandlungen zu treten. Indes hat der Kaiſer die - ſen Ausdruck ſchon als verfaſſungswidrig anſehn und deſſen Gebrauch nicht zugeben wollen a]. In Anſe - hung der Naturaliſation finden gegen auswaͤrtige Na - zionen die Grundſaͤtze des algemeinen europaͤiſchen Voͤlkerrechts Statt, unter den Mitſtaͤnden hingegen bedarf es derſelben eben nicht, da in Teutſchland ge - woͤnlich uͤberall ohnedies durch bloſſen Guͤterbeſitz ꝛc. das Buͤrgerrecht erworben wird b]. In wie ferne ein Auswaͤrtiger oder Reichsmitſtand, vermoͤge des Guͤ - terbeſitzes oder ſonſt, zugleich das Recht eines Land - ſtandes in eines andern Territorium genieſſe, haͤngt von ieder Landesverfaſſung ab c]. Zu Aufrechthaltung der reichsſtaͤndiſchen Rechte und Freiheiten duͤrfen fremde Nazionen ſich der teutſchen Reichsſtaͤnde eben ſo wenig annehmen, als dieſe ſich des in - und auslaͤn - diſchen Anhangs enthalten und fremde Huͤlfe nicht an - rufen ſollen d], es muͤſten denn beſondere Vertraͤge deshalb zu Grunde liegen e]. Dies gilt auch bey Strei - tigkeiten zwiſchen einzelnen Landesherrn und ihren Land - ſtaͤnden, wo die Mitſtaͤnde, auf Erſuchen zwar der Vermittelung ſich unterziehn, aber eigenmaͤchtig nichts unternehmen koͤnnen, weil dem Reichsoberhaupt der alleinige Schutz und rechtliche Beiſtand hierunter ge - buͤhrt f]. Sie muͤſſen allerſeits, zumal die Mitſtaͤndeſich293in Abſ. d. geſ. Volks u. d. es darſtell. Staͤnde.ſich der Aufwiegelung der Unterthanen enthalten g]. Bey auswaͤrts entſtehendem Aufruhr aber komt es auf das Gutbefinden der Reichsſtaͤnde an, ob ſie ſich, auf Erſuchen, in dieſe Haͤndel miſchen wollen h]. Die Landesherrn gegeneinander aber, und beſonders die be - nachbarten Kraisſtaͤnde, ſollen in dergleichen Faͤllen einander beiſtehn i] und die aufruͤhreriſchen Unterthanen des andern keinesweges in Schutz nehmen k]. Aus - waͤrtige Nazionen ſollen ſich derſelben nicht theilhaftig machen l].
Bey den Gerechtſamen der Voͤlker gegen einander in Abſicht auf die einzelnen Buͤrger und Unter - thanen kommen verſchiedene Verhaͤltniſſe in Erwaͤgung. Man kann ſie theils nach ihrer Anzahl, theils nach ihrem Stande, Range, ihren Pflichten, haͤuslichen Verfaſſung, Vermoͤgenszuſtand ꝛc. betrachten.
In den meiſten Staaten wird die Menge der Lan - desbewohner und Unterthanen als eine der vorzuͤglich -ſten297in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.ſten Grundlagen des Wohlſtandes angeſehn: es erfo - dert daher die Staatsklugheit alle Mittel anzuwenden, wodurch die Vermehrung derſelben befoͤrdert und die Verminderung verhuͤtet werden kann. Jede Nazion hat auch das unſtreitige Recht dazu, in ſofern andern keine Beleidigung zugefuͤgt wird. Es kann ihr daher von andern nicht verwehrt werden, neue Colonieen an - zulegen, d. i. entweder noch unbebaute Gegenden ihres Territoriums innerhalb Europa, oder auch neu ent - deckte Lande in andern Welttheilen mit Bewohnern zu beſetzen; ſie muͤſte denn durch Vertraͤge, dergleichen ich ſchon oben angefuͤhrt habe, ſich verbindlich gemacht haben, daß eine gewiſſe Gegend ganz unbebaut und neutral liegen bleiben, oder die Etablirung einer Hand - lung daſelbſt unterlaſſen werden ſolle a]. Daß eine Nazion zu dieſer Bevoͤlkerung ſich ſeiner eignen in ge - wiſſen Gegenden vielleicht im Ueberflus vorhandenen Bewohner ſich bediene und ſolche in die unbebauten Lande verſetze, kann andern Nazionen gleichguͤltig ſeyn, wenn ſie nicht durch Vertraͤge beſondere Rechte in Ab - ſicht der zu verſetzenden Unterthanen erlangt haben b].
Es ſteht ihnen aber auch frey, Fremde, welche freiwillig kommen und ſich daſelbſt niederlaſſen wollen, aufzunehmen, ohne daß die Nazionen deren Mitglie - der ſie ehemals waren, ſich daruͤber beſchweren koͤnten, ob ſie es gleich ungern ſehen a], wenn die andern Na - zionen nicht beſondere Vertragspflichten auf ſich haben; welches beſonders in Anſehung der Fluͤchtigen, die Verbrechen oder anderer Urſachen wegen ihr Vaterland heimlich verlaſſen, oͤfters bedungen zu werden pſlegt b]. So rathſam es indes iſt, fremde Ankoͤmlinge im Staate aufzunehmen, ſo kann eine Nazion doch, wenn ſie einiges Bedenken dabey findet, nicht genoͤthigt wer - den, beſonders die aus einem andern Lande Vertrie - benen aufzunehmen, ob ihnen gleich der Durchzug nicht wohl verweigert werden darf c].
a] Doch299in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.Eben ſo wenig kann den Nazionen verwehrt wer - den, durch oͤffentliche Bekantmachungen, fremden Un - terthanen, die ſich bey ihnen niederlaſſen wollen, ge - wiſſe Vortheile und Freiheiten zu verſprechen, um die, welche irgendwo auszuwandern veranlaßt ſind, zu be - wegen ſich eher zu ihnen als anderswohin zu begeben. Faſt alle europaͤiſche Nazionen haben ſich, nach Be - ſchaffenheit der Umſtaͤnde, dieſes Mittels bedient a] ohne ſich an die Einwendungen zu kehren, welche etwa hier und da deshalb geſchehen ſind b].
Ob ſich nun gleich gegen dieſe innerhalb der Gren - zen eingeſchraͤnkt bleibende Mittel nichts einwenden laͤßt, ſo iſt es doch keinesweges erlaubt, Leute oder ſogenante Emiſſarien in des andern Volks Lande zu ſchicken, um deſſen Unterthanen durch mancherley Ver - ſprechungen abwendig zu machen, oder ſie durch andere liſtige Mittel zum auswandern zu bewegen a]. Die andere Nazion kann ſich daruͤber mit Grunde beſchwe - ren b], deſſen Abſtellung, auch die Beſtrafung ſolcher Perſonen verlangen, ſie auch, im Betretungsfall, ſelbſt mit den haͤrteſten Strafen belegen c]. Oefters ver - wahren Nazionen ſich durch Vertraͤge gegen dergleichen hinterliſtige Abziehung der Unterthanen d]. Eben ſowenig304Von den Gerechtſamenwenig duͤrfen die nach auswaͤrtigen Gegenden beſtimten Emigranten, denen man den Durchzug verſtattet hat, waͤhrend ihres Aufenthalts im Lande verleitet werden e].
Eine nicht nur unerlaubte, ſondern auch als wahre Verletzung des Territoriums anzuſehende Handlung iſt es, wenn ſogar Unterthanen aus dem Gebiete einer andern Nazion, zu Bevoͤlkerung irgend einer Gegend mit Gewalt weggeholt werden. Sie giebt zu den ge - gruͤndeteſten Klagen Anlas, und kann, wenn die Zu - ruͤckgabe und andere Genugthuung nicht erfolgen, wie iede andere Beleidigung mit Recht geahndet werden a].
Die Unterſuchung uͤber das Befugnis der Untertha - nen, einzeln oder Schaarenweiſe, mit Aufhebung ihrerbis -307in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.bisherigen Staatsverbindung, aus dem Lande zu wan - dern und ſich anderswo niederzulaſſen, und das Recht des Regenten, die Auswanderung bey Strafe zu ver - bieten, gehoͤrt in das Staatsrecht und die Verfaſſung einzelner Lande a]. Ein ſolches Verbot koͤnnen andere Nazionen indes nicht als eine Beleidigung anſehn und ſich daruͤber beſchweren, da eine iede berechtigt iſt, in - nerhalb ihrem Gebiete dieienigen Anſtalten zu treffen, welche ihr eignes Wohl erfodert, und daher nicht zuzu - geben, daß der Staat durch nachtheilige Auswande - rungen von Einwohnern entbloͤßt werde. Ob auch gleich die meiſten Nazionen ſich der gewoͤnlichen Anlo - ckungsmittel zu Bevoͤlkerung ihrer Staaten bedienen; ſo treffen ſie doch dagegen bey ſich, die zweckmaͤſſigſten Vorkehrungen zu Verhuͤtung des Auswanderns b]. Ein anders iſt es, wenn durch Vertraͤge der Nazionen fuͤr die Unterthanen gewiſſer Lande die Erlaubnis der freien Auswanderung uͤberhaupt, oder nur unter beſon - dern Umſtaͤnden bedungen worden iſt c]; wie dies bey Abtretung einiger Provinzen in Friedensſchluͤſſen oder ſonſt zu geſchehen pflegt d].
Die Unterthanen eines Volks, welche in einem andern Lande ſich blos eine Zeitlang aufhalten, daſelbſt aber keinen feſten Sitz, mit Aufhebung ihrer vorigen Verbindung, aufgeſchlagen haben, koͤnnen ſich in der Regel, wenn ſie nicht Verbrechens, Schulden oder anderer Urſachen wegen, gehalten werden a] iederzeit ungehindert wieder weg und in ihre vorige Heimath be - geben. Zum Ueberflus wird dieſe Freiheit iedoch auchU 3in310Von den Gerechtſamenin Vertraͤgen zuweilen noch beſonders bedungen b]. Das andere Volk hat auch, zumal unter gewiſſen Ver - haͤltniſſen c] das Recht, ſeine in fremden Landen be - findlichen Unterthanen, welche nicht foͤrmlich entlaſſen worden ſind, abzuberufen und zuruͤckzufodern d]. Dieſe muͤſten denn, durch Naturaliſation ꝛc., bereits engere Verbindungen eingegangen ſeyn e], freiwillig daſelbſt bleiben wollen f], oder Verfolgungen halber ſich dort - hin gefluͤchtet haben g]. Die Anſchlagung der Avoca - torien in fremden Landen kann aber eben ſo wenig ver - langt werden h] als es erlaubt iſt, ſeine Unterthanen mit Gewalt daraus abzuholen i]. Da deren Vorent - haltung indes oͤfters Streitigkeiten veranlaßt k], ſo pflegen die Nazionen ſich wegen Zuruͤckgabe und Aus - lieferung, beſonders der Fluͤchtigen l], oder deren Un - ſtatthaftigkeit m] in voraus zu vergleichen.
Einer Nazion ſteht aber auch frey, fremde Unter - thanen, die ſich bey ihr aufhalten, wegen uͤbler oder verdaͤchtiger Auffuͤhrung, oder aus andern erheblichen Urſachen a] auch vermoͤge Repreſſalien, beſonders bey ausbrechenden Feindſeeligkeiten b] aus dem Lande fort - zuſchaffen c]. Es kann aber keine mit Recht verlangen, daß ihre, oder die Unterthanen einer dritten Macht, die ihr verdaͤchtig und gefaͤhrlich ſcheinen, von der an - dern fortgeſchaft werden ſollen, ob es wohl aus Gefaͤl - ligkeit zu geſchehen pflegt d].
Jede Nazion kann ihre Buͤrger und Unterthanen in gewiſſe Klaſſen und Staͤnde eintheilen, ihnen, nach Gefallen, Wuͤrden, Titel, Orden, Wapen ꝛc. beile - gen und einem vor dem andern gewiſſe Vorzuͤge und den Rang, iedoch ohne Nachtheil anderer Staaten a] einraͤumen. Sie kann aber freilich von andern Na - zionen nicht als Schuldigkeit verlangen, daß ſie alles dieſes ebenfals anerkenne und ihnen desfals gleiche Ehre erweiſen b]. Doch erfodert der eigne Vortheil allerdings, es zu thun c], wenn dergleichen Einrich -tungen316Von den Gerechtſamentungen den Grundgeſetzen und Verfaſſungen des eignen Staats nicht zuwider ſind d]; weil ſonſt von der an - dern Seite eine gleiche Verweigerung erfolgen wuͤrde. Unter den europaͤiſchen Nazionen iſt es auch Herkom - mens, daß der auswaͤrtige Stand, Titel, Bedienung ꝛc. in andern Landen gleichfals erkant werden e]; iedoch iſt, wenn Zweifel daruͤber entſteht, einige Legitimation noͤthig f]. Die Vorſtellung des Fremden durch den dort befindlichen Geſandten ſeines Hofes, oder eines andern angeſehenen Mannes iſt meiſt hinreichend hierzu. Der Fremde kann iedoch wegen ſeiner bekleidenden, dem Namen nach, etwa gleichen Wuͤrde, keinesweges gleiche Ehre mit den Einheimiſchen, welche eine aͤhn - liche fuͤhren g], oder wohl gar gewiſſe Vorzuͤge uͤber die Einheimiſchen verlangen, die in ſeinem Lande da - mit verbunden ſind h]; ſondern muß ſich, weil die Grundſaͤtze hierunter ſehr wilkuͤhrlich und an den mei - ſten Hoͤfen verſchieden ſind, in Anſehung Ranges, Ceremoniels ꝛc. nach ieden Orts Gebrauche richten, oder, wenn er ſich damit nicht begnuͤgen will, lieber die Gelegenheiten zu Streitigkeiten hierunter vermeiden, da freilich dergleichen Anordnungen an ſich fuͤr ihn nicht verbindlich ſind i]. Doch darf keinem, zumal bey Militaͤr-Chargen, die faſt uͤberall einander gleich ſind, und ihren beſtimten Rang haben k] dasienige verweigert werden, was ſeines Gleichen von andern Nazionen wiederfaͤhrt l]. Gegen blos durchreiſende oder nur kurze Zeit ſich aufhaltende Standesperſonen wird indes zuweilen eine Ausnahme gemacht und ihnen mehrere Ehre erwieſen m].
Den eigenen Unterthanen kann ein Souverain der - gleichen Gnadenbezeigungen ertheilen, auch wenn ſie ſich auſſerhalb Landes in anderer Nazionen Gebiete auf - halten a]. Auch werden gewoͤnlich keine Schwierig - keiten gemacht, den Adel ꝛc. derer zu erkennen die ſich von auswaͤrts in einem andern Lande niederlaſſen wol - len, wenn ſie den vorgeblichen Adel erweiſen koͤnnen b]. Es fragt ſich aber: ob ein Souverain befugt ſey, frem - den Unterthanen, die ſich bey ihm oder auswaͤrts auf - halten, dergleichen Standeserhoͤhungen ꝛc. angedeihen zu laſſen? Dies kann, wenn den Unterthanen deren Annahme uͤberhaupt nach den Grundgeſetzen ſeines Staats erlaubt iſt, nicht anders geſchehen, als ent - weder auf eignes Verlangen oder Veranlaſſen, oderdoch319in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.doch mit vorhergehendem Wiſſen und Willen, oder endlich wenigſtens mit nachheriger Genehmigung des Souverains, deſſen Unterthan er iſt; zumal wenn es Wuͤrden, Praͤdicate ꝛc. ſind, welche dieſer ſelbſt zu ertheilen das Recht hat c]. Der begnadigende Sou - verain pflegt dem andern auch ſelbſt davon Nachricht zu ertheilen. Gewoͤnlich macht man keine Schwierig - keiten, die Annahme zu geſtatten; wenn aber iene Er - foderniſſe mangeln, hat der andere Souverain aller - dings Urſach, ſich daruͤber zu beſchweren d] wenigſtens die Anerkennung der Standeserhoͤhung bey ſich zu ver - weigern e], und uͤberhaupt deren Gebrauch ſeinem Un - terthan auch auswaͤrts zu verbieten. Es fehlt indes an Beiſpielen nicht, daß Souverains fremden Unter - thanen, dergleichen Standeserhoͤhungen ertheilt oder ſie doch unter die Zahl des Adels in ihrem Lande auf - genommen haben f]. Doch iſt es auch in verſchiede - nen Staaten verboten, fremde Wuͤrden, Titel ꝛc. an - zunehmen, und ſich deren zu bedienen g]. Wenn uͤbri - gens die Annahme derſelben gleich verſtattet wird, ſo kann der begnadigte Unterthan doch auf keine Art einen der Verfaſſung ſeines Staats und deſſen Unterthanen nachtheiligen Gebrauch davon machen h].
Wenn im Gegentheil ein Unterthan in einem Lande gewiſſer Vergehungen halber, ſeiner Wuͤrden entſetzt und fuͤr ehrlos erklaͤrt worden iſt, ſo kann dieſe Ehr - loſigkeit auſſerhalb Landes von Rechtswegen ebenfals keine Wuͤrkung haben: die europaͤiſchen Nazionen pfle - gen hierinn auch gegen die Schuldigen, die ſich zu ihnen begeben, nachſichtiger zu ſeyn, und ſie, wenn das Verbrechen nicht zu gros, ſogar Militaͤrperſonen, ohne foͤrmliche Einſetzung in ihre vorige Ehre, fuͤr ehr - lich zu erkennen und ihnen wohl gar Dienſte und Wuͤr - den zu uͤbertragen, wie dies mehrere Beiſpiele, unter andern des Herzogs von Ormond ꝛc. beweiſen. Die andere Nazion findet ſich dadurch nicht leicht beleidigt, es muͤſte der Unterthan denn ſich eines ſehr groben Staatsverbrechens ꝛc. ſchuldig gemacht haben; ſie iſtiedoch,323in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.iedoch, bey vorkommenden Gelegenheiten, nicht ver - bunden, ſeine Reſtitution zu erkennen.
Was den Hausſtand der Unterthanen, die Ehen, die Geburt und Erziehung der Kinder und andere recht - liche Beſtimmungen die davon abhangen und auf aus - waͤrtige Lande eine Beziehung haben, anlanget, haͤngt es nicht weniger von dem Gutbefinden einer Nazion ab, ob und wie ferne ſie den Maͤnnern z. B. die Verheira - thung mit auswaͤrtigen Weibern und den Frauensper - ſonen das Heirathen auſſer Landes verſtatten wollen. Den Fremden ſteht zwar frey, um auswaͤrtige Weiber anzuhalten, die andere Nazion hat aber auch das Recht zu unterſuchen, ob ihr dergleichen Heirathen zutraͤglich ſeyn moͤchten a], und kann ſolche, wegen eignem Man - gel an Weibern, wegen beſorgender Verfuͤhrung zum Auswandern, wegen des Vermoͤgens und anderer truͤf - tigen Gruͤnde fuͤglich abſchlagen b], ohne daß iene Na - zion, deren Mitglieder ſie ſind, es fuͤr eine Beleidi - gung anſehn koͤnte, wenn es nicht aus offenbarer Ver - achtung und mit wuͤrklichem Schimpf geſchieht. Nur im aͤuſſerſten Nothfall wuͤrde eine Nazion zum gewalt - ſamen Raube und Entfuͤhrung der Frauensperſonen aus fremden Landen berechtigt ſeyn c]. In verſchiedenen europaͤiſchen Staaten ſind dem Frauenzimmer auch die Ehen ins Ausland verboten und gewiſſe Strafen, als der Verluſt des Buͤrgerrechts ꝛc. darauf geſetzt d], oderX 2auch324Von den Gerechtſamenauch den Maͤnnern die Verheirathung mit Fremden nur unter gewiſſen Bedingungen erlaubt e].
Bey Geburt der Kinder und deren Erziehung haben die Unterthanen mehrenteils volkomne Freiheit; wenn iedoch in den Landesgeſetzen, in Beziehung auf Aus - waͤrtige, deshalb etwas feſtgeſetzt iſt f], ſo muͤſſen iene ſolches allerdings befolgen, und dieſe haben kein Recht ſich daruͤber zu beſchweren.
Mit Legitimation der Unehelichen, Ertheilung der Voliaͤhrigkeit hat es die Bewandnis wie mit den Wuͤr - den. Der andere Staat hat zwar keine Verbindlich - keit dergleichen Handlungen anzuerkennen, es wird aber doch wegen Gleichheit auf der andern Seite nicht unterlaſſen; nur koͤnnen auch iene hier die Rechte nicht verlangen, welche ihnen nach ihrer Landesverfaſſung deshalb zukommen g].
Daß alle Fremden, welche in einem Lande ſich auf - halten, der Oberherſchaft des Staats, worinn ſie ſich befinden, unterworfen und als zeitige Unterthanen an - zuſehen ſind, habe ich ſchon oben erinnert a]. Sie ſindX 3dieſem326Von den Gerechtſamendieſem Staate aber weiter keine beſondere Treue und Unterwuͤrfigkeit anzugeloben verpflichtet b]. Mit den Naturaliſirten wird es verſchiedentlich gehalten. An einigen Orten muͤſſen ſie den Eid der Treue ſchwoͤren, an andern nicht c]. Gewoͤnlich geſchieht dies beim Ankauf von Guͤtern oder Anlegung anderer Etabliſſe - ments in auswaͤrtigen Landen d], wenn anders, obge - dachtermaaſſen, nach der Verfaſſung der beiderſeitigen Staaten, in dem einen den Fremden erlaubt iſt, der - gleichen Beſitzungen zu haben, und in dem andern den Buͤrgern und Unterthanen freiſteht, ſich anderswo an - zukaufen. Niemand darf ſich indes weiter, als es die Geſetze ſeines Landes verſtatten, gegen andere Nazio - nen verpflichten e]. Von dieſen allein haͤngt es auch ab, ob einer eine ſolche doppelte Verbindung als be - ſtaͤndiger Unterthan zweier Herrn aufhaben koͤnne f] oder unter gewiſſen Verhaͤltniſſen eine davon aufgeben muͤſſe g]. Zuweilen ſind die Unterthanen des einen Landes vermoͤge Vertraͤge verbunden, zugleich die Ober - herſchaft eines andern, aus beſondern Urſachen, die Huldigung zu leiſten, wenn ſie auch daſelbſt nicht an - ſaͤſſig ſind h]. In wie ferne Fremde durch den Guͤter - beſitz und die Huldigung, auſſer der Unterthanen Eigen - ſchaft auch das Buͤrgerrecht und alle damit verknuͤpfte Vortheile erlangen, beruht ebenfals auf die Verfaſſung eines ieden Landes i]. Wer uͤbrigens, durch rechtmaͤſ - ſige Entlaſſung, ſeiner bisherigen Unterthanenpflicht erledigt worden iſt, kann nachhero nicht weiter als Un - terthan angeſehn und behandelt werden k]. Auch die wegen des Beſitzes von Lehnguͤtern abzulegende Vaſal - lenpflicht, und der Umfang deren Verbindlichkeit be - ruht auf beſondere Landesverfaſſungen l].
So wie man gemeiniglich bey den in einem Lande vorfallenden Geſchaͤften und Arbeiten eher einheimiſche, als Fremde zu gebrauchen pflegt, auſſer wo etwa zu dieſer oder iener Verrichtung oder Handthierung Aus - waͤrtigen mehrere Kentnis und Geſchicklichkeit bei - wohnt; ſo ſteht es iedoch auch dem andern Volke frey, ſeinen Unterthanen, wenn er ſie entweder ſelbſt noͤthig hat, oder der andern Nazion dieſen Vortheil zuzuge - ſtehn ſonſt Bedenken traͤgt, ſo wie das Wegreiſen oder Wegziehn uͤberhaupt, alſo auch zu verbieten, daß ſie ſich in fremden Landen zu gewiſſen Arbeiten nicht ge - brauchen laſſen und auswaͤrts in keine Dienſte treten a] wenn die Freiheit hierzu ihnen durch Vertraͤge nicht ausdruͤcklich bedungen iſt b]. Was die Annahme fremder Staats-Kriegs - und anderer angeſehener Be - dienungen betrift, davon ſoll weiter unten noch einiges beigebracht werden.
Was die eigentliche Verfaſſung eines Landes in Religions - Kirchen - und andern geiſtlichen Sachen an - langet, davon ſoll kuͤnftig bey den einzelnen Hoheits - rechten ausfuͤhrlicher gehandelt werden. Hier will ich nur der Religion der Unterthanen in ſo ferne gedenken, als ihre Verſchiedenheit auf die Dultung, Aufnahme, Abhaltung, Vertreibung oder Verſtattung gewiſſer Gerechtſame derer, die ſich zu einer andern Religion als die herrſchende im Lande iſt, bekennen, einigen Einflus hat. Vermoͤge der Freiheit und Unabhaͤngig - keit der Nazionen beruht es allerdings, in Gemaͤsheit der bey ihnen errichteten Staatsgrundgeſetze, ganz auf ihrer Wilkuͤhr, ob ſie andere Religionsverwandten un - ter ihre Landesbewohner auf - und in Schutz nehmen, dulten a], und an den buͤrgerlichen und andern Rech - ten Theil nehmen laſſen b], oder ihnen den Aufenthalt abſchlagen, ihre Religionsuͤbung, iedoch ohne einigen Glaubens - und Gewiſſenszwang, einſchraͤnken oder ſie gar ausſchaffen will c]. Wenn ihnen iedoch, nach den Grundgeſetzen des Staats einmal gewiſſe Rechte zuge - ſtanden ſind, und ſie denen zuwider, in ihrer Religion zu ſehr gedruͤckt und gekraͤnkt werden; ſo iſt es weder den Unterthanen zu verargen d], wenn ſie bey andern Nazionen ihres Glaubens Huͤlfe und Beiſtand ſuchen, noch dieſen uͤbel auszulegen, wenn ſie ſich ihrer Glau - bensgenoſſen durch guͤtliche Vorſtellungen und andere dienſame Mittel annehmen, weil alle Verwandteneiner332Von den Gerechtſameneiner Kirche mit einander in Verbindung ſtehen und gewiſſermaaſſen ein Ganzes ausmachen, die Religions - angelegenheiten daher nicht blos als ein zur innern Ein - richtung eines ieden Staats gehoͤriger Gegenſtand be - trachtet werden koͤnnen e]. Wenigſtens pflegen die eu - ropaͤiſchen Nazionen einander dieſes Recht nicht ſtreitig zu machen f]. Hat eine Nazion uͤberdies die Garan - tie desfals uͤbernommen g], oder ſonſt ein weſentliches Intereſſe dabey h], ſo iſt ſie auch wohl noch zu ernſtli - chern Schritten berechtigt i]: das meiſte kommt hier auf Vertraͤge und beſondere Verfaſſungen und Verhaͤlt - niſſe der verſchiedenen Glaubensgenoſſen, ſowohl in einem Staate, als gegen andere Nazionen an k].
Bey den chriſtlichen Nazionen in Europa iſt der dem freigebohrnen Menſchen ganz zuwiderlaufende bar - bariſche Stand der Sklaverey, und die ehedem her - ſchende Gewonheit, die Kriegsgefangenen als Sklaven zu behandeln, zwar aufgehoben, obgleich in der hier und da noch uͤblichen Leibeigenſchaft einige Spuren da - von anzutreffen ſind a]; bey der Pforte hingegen ſind iene Grundſaͤtze noch groͤſtentheils im Schwange. Be - ſonders pflegen auch die Unterthanen derienigen Nazion, die mit ihr nicht in Buͤndnis und Freundſchaft ſteht, wenn ſie auf ihr Gebiet kommen, zu Sklaven gemacht und ihre Guͤter confiſcirt zu werden b]. Daher habenGuͤnth. Voͤlk. R. 2. B. Yver -338Von den Gerechtſamenverſchiedene europaͤiſche Nazionen in Vertraͤgen mit ihr, ſich deshalb zu verwahren geſucht c]. In Frank - reich iſt es im Gegentheil Herkommens, daß ein Sklave, ſobald er auf franzoͤſiſches Gebiet komt, ſeine Freiheit erlangt, ausgenommen die zu Bauung des Landes in die amerikaniſchen Colonieen beſtimten Ne - gern d]. Des in der Pfalz uͤblichen Gebrauchs, nach welchem freie Leute, durch den Aufenthalt daſelbſt, zu eine Art von Sklaven, welche man Wildfaͤnge nennt, gemacht werden, ſoll weiter unten mehrere Erwaͤhnung geſchehn.
Jeder Buͤrger und Unterthan im Staate hat in der Regel das mit dem Eigenthum verbundene Recht, uͤber ſein Vermoͤgen, es moͤgen Guͤter oder Barſchaften ꝛc. ſeyn, zu beſtimmen, und es, nach den Geſetzen des Landes, unter den Lebendigen und auf den Todesfall an andere zu bringen, wenn nicht beſondere Verbote hier - unter vorhanden ſind a]. Auch den Fremden kann, wenn ihnen einmal der eigenthuͤmliche Guͤterbeſitz in einem auswaͤrtigen Staate erlaubt iſt, dies Recht nicht fuͤglich verſagt werden b]. Die Erbfolge ohne Teſta - ment richtet ſich gemeiniglich in Anſehung der Guͤter nach den Landesgeſetzen wo ſie gelegen, im uͤbrigen aber nach den Vorſchriften des Staats, deſſen Mitglied iemand iſt. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Feierlich - keiten bey den deshalb zu errichtenden Teſtamenten. Das meiſte komt hierbey auf die beſondern Landesver - faſſungen an c]. Indes iſt bey einigen Nazionen den Fremden zwar bey Lebzeiten verſtattet, uͤber ihr Ver - moͤgen auf eine verbindliche Art zu diſponiren, ſie koͤn - nen es aber nach dem Tode weder durch Teſtament, noch auf ſonſt eine Weiſe an auswaͤrtige Verwandte oder uͤberhaupt in fremde Haͤnde bringen, ſondern der Staat maaßt ſich deſſelben an d]. Dieſe unter dem Namen des Albinagialrechts [ius albinagii] bekante Gewonheit, war vormals beſonders in Frankreich ein - gefuͤhrt e], und genoſſen nur wenige Gattungen von Perſonen eine Befreiung davon f]. Dies Recht iſt aber nach und nach durch Vertraͤge mit Frankreich ge - gen die mehreſten europaͤiſchen Nazionen ſowohl, als gegen die teutſchen Reichsſtaͤnde aufgehoben worden g];Y 2iedoch340Von den Gerechtſameniedoch erſtrecken dieſe Vertraͤge ſich nicht auf die ameri - kaniſchen Colonieen, wenn es nicht ausdruͤcklich bedun - gen worden iſt h]. Zum Ueberflus haben auch verſchie - dene andere Nazionen ſich in Vertraͤgen wechſelſeitig das freie Erbrecht fuͤr ihre in des andern Landen befind - lichen Unterthanen verſprochen i].
Eine andere billigere Gewonheit beſteht in dem Ab - zuge gewiſſer in den Geſetzen zuweilen beſtimter Sum - men, [fuͤnf auch zehen und mehr vom Hundert] welche unter dem Namen der Nachſteuer von dem Vermoͤ - gen derer die aus einem Lande in ein anderes wandern, oder als Abzugsrecht von den an Auswaͤrtige fallen - den Erbſchaften erhoben werden k]. Gegen dieienige Nazion, wo dergleichen hergebracht iſt, wird von an - dern gemeiniglich ein Gleiches beobachtet l]. Verſchie - dene Staaten haben iedoch auch wegen dieſer Abgaben beſondere Verabredungen mit einander getroffen, nach welchen dieſelben entweder ganz aufgehoben oder doch auf ſehr geringe Summen geſetzt ſind m].
Uebrigens ſind die Nazionen und deren einzelne Glieder verbunden, ihr Betragen gegen andere Nazio - nen und deren Mitglieder, ſie moͤgen ſich auſſer dem Lande oder bey ihnen als Fremde aufhalten, ſo einzu - richten, daß ſie dieſe in allen ihren ſowohl natuͤrlichen als erworbenen Rechten ungeſtoͤrt laſſen und ihnen keine Beleidigung zufuͤgen a]. Sie muͤſſen beſonders denen, welche in ihr Gebiet kommen, alle moͤgliche Sicherheit und Schutz gegen Beleidigungen und andere Gewalt - thaͤtigkeiten oder unrechtmaͤſſige Beſchwerungen ihrer Guͤter und Perſonen gewehren b], ihnen auch, wenn ſie von irgend iemand daſelbſt Unrecht erlitten haben ſolten, durch Beſtrafung der Beleidiger und ſonſt alle erfoderliche Genugthuung wiederfahren laſſen c]. Zu Huͤlfe und Beiſtand in Gefahr und zu Leiſtung anderer Liebespflichten, ſo wie zu einem dienſtfertigen und ge - faͤlligen Betragen uͤberhaupt, ſind ſie zwar durch keine aͤuſſere volkomne Verbindlichkeit verpflichtet, aber die Grundſaͤtze der Voͤlkermoral und Staatsklugheit erhei - ſchen ſolche allerdings von ihnen, beſonders gegen Nachbarn und andere freundſchaftliche Nazionen d]. Zuweilen werden ſie in Vertraͤgen ausdruͤcklich verſpro - chen und koͤnnen dann als Schuldigkeit verlangt werden e].
Dagegen duͤrfen aber auch die in einem Lande be - findlichen Fremden nichts unternehmen, wodurch die oͤffentliche Ruhe geſtoͤhrt oder den Landesbewohnern einige Beleidigung zugefuͤgt werden koͤnte. Widrigen - fals iſt die Landesregierung, welcher die Beſchuͤtzung der eignen Unterthanen in einem noch vorzuͤglichern Grade obliegt, befugt, den fremden Beleidiger zur Genugthuung und zum Erſatz des ienen etwa zugefuͤg - ten Schadens anzuhalten a]. Sie hat daher das Recht, alle nicht nur wuͤrklicher Vergehungen ſchuldige, ſon - dern auch blos verdaͤchtige Perſonen von andern Na - zionen in ihrem Lande in Verhaft nehmen und ſie nach Befinden beſtrafen zu laſſen b]. Doch erſtreckt ſich dies Befugnis nicht auf dieienigen, welche in andernLanden347in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.Landen etwas unerlaubtes begangen haben, wenn nicht beſondere Veranlaſſungen von der andern Seite des - halb vorhanden ſind c], ſondern ſie genieſſen hier ſo lange des Schutzes, als ſie ſich den Geſetzen des Staats gemaͤs betragen d].
Nicht alle Unternehmungen einzelner Unterthanen ſind indes als Handlungen der ganzen Nazion anzu - ſehn und ihr zur Laſt zu legen. Ob und in wie ferne ſolches geſchehen koͤnne, komt auf den Antheil an, den man dieſer dabey zuſchreiben kann. Wenn daher ein Mitglied derſelben gegen eine andere Nazion etwas vorgenommen, das Volk, oder deſſen Regent aber ihm ſolches weder geheiſſen oder Anleitung dazu gege - ben, noch nachher genehmigt oder auf irgend eine Art ſich deſſelben theilhaftig gemacht hat, ihnen auch keine Schuld oder Nachlaͤſſigkeit zum Vorwurf gereichet, daß ſie naͤmlich die Handlung, durch zweckmaͤſſige Vorkehrungen, haͤtten verhindern ſollen und koͤnnen; ſo findet auch keine Zurechnung gegen dieſelben Statt a]. Indes iſt die Nazion, deren Mitglied er iſt, wenn das rechtswidrige Unternehmen auſſer dem Territorium des andern Volks geſchehen, oder er ſich vor der Be - ſtrafung aus demſelben entfernt hat, allerdings ver - bunden, die gebuͤhrende Ahndung an ihm zu volſtrecken und den aus ſeinen Guͤtern moͤglichen Erſatz zu bewuͤr - ken b], oder denſelben der Nazion, welcher der Scha - den oder die Beleidigung zugefuͤgt worden, zur eignen Genugthuung auszuantworten c], weil die Verweige - rung der Strafe eine ſtilſchweigende Genehmigung des Vergehens in ſich ſchlieſſen wuͤrde. Die letztere iſt iedoch nicht befugt, ſich ienes Unterthanen durch eigene gewaltſame Wegnahme aus dem andern Territorium zu bemaͤchtigen d]. In Friedensſchluͤſſen und andern Ver - traͤgen wird uͤbrigens nicht ſelten ausdruͤcklich bedungen, daß dergleichen Vergehungen einzelner Unterthanennicht349in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.nicht der ganzen Nazion zur Laſt fallen, ſondern blos an dieſen gehoͤrig geahndet werden ſollen e].
Die Landesherrn haben in dieſen Stuͤcken groͤſten - teils gleiche Rechte, in ſo weit die Verfaſſung des Hauptſtaats nicht beſondere Vorſchriften deshalb ent - haͤlt. Den Reichsſtaͤnden in Teutſchland ſteht ſowohl in Beziehung gegen andere unabhaͤngige Staaten, als gegen ihre Mitſtaͤnde a] frey, fuͤr die moͤglichſte Be - voͤlkerung ihrer Staaten, auch, wenn ſie Gelegenheit dazu haben, fuͤr die Anlegung auswaͤrtiger Colonieen Sorge zu tragen. Sie koͤnnen ſich hierzu aller zweck - maͤſſigen Mittel, iedoch ohne den Gerechtſamen anderer zu nahe zu treten, bedienen. Es iſt ihnen erlaubt, durch oͤffentliche Bekantmachung, Fremden, die aus andern europaͤiſchen oder teutſchen Provinzen, ſich bey ihnen niederlaſſen wollen, mancherley Vortheile zuver -351in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.verheiſſen b], nur duͤrfen ſie nicht durch Gebrauch der Emiſſarien oder anderer liſtigen Mittel, ſelbſt in andern Landen die Unterthanen abwendig zu machen und an ſich zu locken ſuchen c]. Sie ſollen uͤberhaupt eigentlich keine Unterthanen, beſonders Leibeigene d] ihrer Mitſtaͤnde anders annehmen, als wenn ſie von dieſen rechtmaͤſſig entlaſſen worden ſind e]. Ohne aus - druͤckliche Vertraͤge ſind ſie aber eben ſo wenig ſchuldig, dieienigen, die ſich der Sicherheit und des Schutzes wegen zu ihnen gefluͤchtet haben, auszuliefern f], als ihnen verwehrt werden kann, die Vertriebenen aufzu - nehmen g].
Der Auswanderung ſind ſie auf alle Art Schranken zu ſetzen befugt h], wo die Reichsgrundgeſetze i] oder andere Vertraͤge k] nicht beſondere Erlaubnis hierzu verſtatten, ohne daß iemand ſich daruͤber beſchweren duͤrfte l]. Sie haben das Recht, ihre Unterthanen, welche ohne Erlaubnis das Land verlaſſen, zuruͤckzufo - dern m] und koͤnnen Fremde, die ſich ungebuͤhrlich auf - fuͤhren, ausſchaffen n].
Im Verhaͤltnis gegen Auswaͤrtige iſt bey den teut - ſchen Landesherrn wegen wechſelſeitiger Anerkennung des einheimiſchen Standes, der Wuͤrden, Titel beiderZ 2Unter -356Von den GerechtſamenUnterthanen in des andern Landen eben das Rechtens, was unter den europaͤiſchen Nazionen deshalb ange - nommen iſt a]. Dies findet auch in Anſehung der Wuͤrden, Titel ꝛc. unter den Reichsſtaͤnden ſelbſt Statt b]. Nur was die Standeserhoͤhungen und Wappenertheilungen anlanget, wird der Kaiſer bekant - lich hierinn als die einzige Quelle derſelben durch ganz Teutſchland angeſehn, wenn ein Reichsſtand nicht be - ſondere Privilegien deshalb beſitzt c]. Ob man dem Reichsoberhaupte nun gleich dieſes Recht nicht in Zweifel ziehen kann, ſo werden doch deſſen Begnadi - gungen hierunter in den meiſten Reichslanden nicht ganz unbedingt, auch gewoͤnlich nicht eher anerkant d], als bis derienige, welcher dergleichen erhalten zu haben vorgiebt, ſich durch Vorzeigung des daruͤber erhaltenen Diploms e] behoͤrig legitimirt, und nach deshalb an - geſtelter Unterſuchung, die Notification ins Land er - gangen iſt. Gemeiniglich geſchieht auch vom Kaiſer ſelbſt eine Anzeige davon an den Landesherrn, deſſen Unterthan der Begnadigte iſt. Daß uͤbrigens derglei - chen kaiſerliche Standeserhoͤhungen und Titulaturen den Landesherrn keinen Nachtheil zufuͤgen ſollen, wird ausdruͤcklich in der kaiſerlichen Wahlcapitulation ver - ſichert f]: und ſo verſteht es ſich auch, daß Untertha - nen die von Mitſtaͤnden erhaltenen Titel, Wuͤrden ꝛc. nicht zum Nachtheil ihrer Landesfuͤrſten gebrauchen duͤrfen g].
Bey der Ehrloserklaͤrung eines Unterthanen komt es auf das Gutbefinden der Mitſtaͤnde an, ob ſie ihm bey ſich der Ehre wieder theilhaft werden laſſen wollen; doch kann dieſes allerdings bey dem erſtern Staate keine Wuͤrkung haben h].
Hierinn koͤnnen die teutſchen Landesherrn ſowohl gegen auswaͤrtige Nazionen, als gegen ihre Mitſtaͤnde, die ihnen beliebigen Verordnungen treffen, z. B. die Verheirathung in - oder aus fremden Landen erlauben oder verbieten a]. Faſt durchgaͤngig iſt es aber den Geiſtlichen unterſagt, Perſonen, welche von auswaͤrts kommen, ohne die erfoderlichen Zeugniſſe und Erlaub - nis von der Obrigkeit ihres Landes, zu trauen b]. Die Legitimationen unehelicher Kinder hat zwar der Kaiſer das Recht durch ganz Teutſchland guͤltig zu ver - richten, iedoch werden ſie auch von den Landesherrn vorgenommen. Indes behaupten verſchiedene Rechts -Z 4lehrer360Von den Gerechtſamenlehrer, daß die letztern auſſer eines ieden Gebiete nicht guͤltig waͤren c]. Aber dies iſt wohl blos nach dem ſtrengen Rechte zu verſtehn, nach welchem dergleichen Handlungen auch unter ſouverainen Staaten auswaͤrts keine Wirkung haben, weil die Hoheitsrechte ſich nicht uͤber das Territorium hinaus erſtrecken. Nach einem faſt algemeinen Herkommen wird ihnen das Anerkent - nis in andern Landen nicht leicht verſagt werden. Ueb - rigens kann freilich kein Reichsſtand einen Unterthanen des andern legitimiren ꝛc. welches Recht nur dem Kai - ſer, nach den Reichsgeſetzen, gebuͤhrt, den kaiſerli - chen Pfalzgrafen hingegen werden auch in dieſem Stuͤcke hier und da Schwierigkeiten gemacht d].
In Teutſchland iſt es nicht ungewoͤnlich, daß ein Landesherr in des andern Landen Unterthanen habe, die im uͤbrigen unter der Landeshoheit der letztern ſtehn. So wie die meiſten der diesfalſigen beiderſeitigen Ge - rechtſame auf Vertraͤge und Herkommen beruht, ſo wird dem erſtern Landesherrn auch von den Untertha - nen in andern Landen, nach Befinden und den etwa habenden Beſitzungen die Huldigung geleiſtet oder nicht a]. Ja es leiſtet hier, vermoͤge Vertraͤge, wohl ein Landesherr dem andern eine Art von Huldigung b]. Noch gewoͤnlicher iſt in Teutſchland, ſchon obgedach -termaaſſen,361in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.termaaſſen, die Huldigung von eines andern Landes Unterthanen wegen Erbverbruͤderungen und anderer Staatsrechtsſervituten c]. In wie fern ein Fremder, der ſich in einem reichsſtaͤndiſchen Territorium nieder - laͤßt, zugleich das Buͤrgerrecht erwerbe, haͤngt von der Verfaſſung eines ieden Landes ab d].
Auch ſind im teutſchen Reiche viele Unterthanen andern Landesherrn mit Lehnspflicht zugethan, nicht nur in ſo fern ſie auswaͤrts Lehnguͤter beſitzen, ſondern es finden ſich haͤufig Guͤter im Lande, die von auswaͤr - tigen Landesherrn zu Lehn gehen e]. Dies ſind noch Ueberbleibſel des alten Feudalſyſtems; denn heutzutage wird, wegen der zu beſorgenden nachtheiligen Folgen, einem Unterthanen nicht leicht verſtattet, ſein Gut einem Auswaͤrtigen zu Lehn aufzutragen f].
Leibeigene haben, wenn ſie ohne entlaſſen zu ſeyn, an einem andern Orte wohnen, ebenfalls einen doppel - ten Landesherrn, da ſie in dieſem Falle, ihrem vorigen Herrn noch verpflichtet bleiben, bey ihm zur Huldigung erſcheinen, einen gewiſſen Zins erſtatten und andere hergebrachte Gerechtſame uͤber ſich erdulten muͤſſen g]. Ein beſonderes ſogenantes Wildfangsrecht hat hier - unter, vermoͤge alten Herkommens und der von Kaiſer Maximilian I. 1518. und nachher oͤfter beſtaͤttigten Privilegien, Kurpfalz in einem gewiſſen Diſtrict ſo - wohl in ſeinen als in verſchiedener benachbarten Lan - desherrn Territorien, daß alle auſſer einer rechtmaͤſſigen Ehe erzeugte Perſonen, und alle Fremde, die in Jahr und Tag keinen nachfolgenden Herrn haben, kurpfaͤl - ziſche Leibeigene oder Wildfaͤnge werden, uͤber welche Kurpfalz, auſſer der Huldigungs - und Dienſtpflicht, manche dem Landesherrn, unter dem ſie ſich befinden, beſchwerliche Gerechtſame ausuͤbt h], die ſchon zu vie - len Streitigkeiten Anlas gegeben haben, welche zum Theil durch den ſogenannten Heilbronner Schied vonZ 51667.362Von den Gerechtſamen1667. den Frankreich und Schweden, auf Anſuchen, zwiſchen Pfalz und den intereſſirten Reichsfuͤrſten, Trier, Koͤln, Speyer, Worms, Wuͤrzburg ꝛc. er - theilten, beigelegt und die pfaͤlziſchen Rechte naͤher beſtimt worden ſind i].
Auch die Landesherrn koͤnnen ihren Unterthanen, beſonders Kuͤnſtlern und Handwerkern verbieten, ſich ihrer Arbeit wegen auſſer Landes zu begeben a], und von den auswaͤrtigen oder benachbarten Staaten ſich brauchen zu laſſen; es ſey nun, daß das Land ſie ſelbſt noͤthig habe, oder daß man Auswaͤrtigen dadurch nicht gewiſſe Vortheile uͤberliefern wolle, oder aus andern Urſachen b]. Die Auswaͤrtigen haben kein Recht ſich daruͤber zu beſchweren.
In Abſicht der Religionseigenſchaft der teutſchen Unterthanen, ihrer Rechte und Freiheiten hierunter auch im Verhaͤltnis zu andern Landesherrn, ihres Rechts zu emigriren, geben die teutſchen Reichsgrund - geſetze, beſonders der Religions - und weſtphaͤliſche Friede groͤſtenteils hinlaͤngliche Beſtimmungen an die Hand, welche in den Lehrbuͤchern des teutſchen Staats -rechts365in Anſ. der einzeln. Buͤrger u. Unterthanen.rechts zu erſehen ſind. Da die Kronen Frankreich und Schweden, ſchon oben erinnertermaaßen, wegen der uͤbernommenen Garantie dieſes letztern Friedens, ſo wie die uͤbrigen contrahirenden Theile deſſelben, das Recht und die Verbindlichkeit haben, fuͤr deſſen Auf - rechthaltung auch in Anſehung der Religionsfreiheit der teutſchen Unterthanen zu ſorgen; ſo kann es dieſer bey erleidenden reichsgrundgeſetzwidrigen Bedruͤckungen nicht verwehrt werden, bey ienen und ihren Glaubens - verwandten Reichsſtaͤnden Huͤlfe zu ſuchen a]. Bloſſe freundſchaftliche Interceſſionen ſind wohl auch andern Staaten erlaubt. Eben ſo wenig kann einzelnen Lan - desherrn, oder auch den geſamten Staͤnden eines Re - ligionstheils das Recht ſtreitig gemacht werden, ſich ihrer Glaubensgenoſſen ſowohl bey Auswaͤrtigen, als bey ihren Mitſtaͤnden durch behufige Vorſtellungen und andere zweckdienliche Mittel anzunehmen b]. Die Auf - nahme und Dultung fremder von der herſchenden Re - ligion eines Landes abweichenden Glaubensgenoſſen ſind ebenfals nach obigen Grundgeſetzen und der Ver - faſſung eines ieden Staats zu beurteilen. Der Ju - denſchutz war ſonſt ein kaiſerliches Reſervat, das nur durch Privilegien einzelnen Staͤnden ertheilt wurde, wird aber itzt, vermoͤge der Landeshoheit faſt durchgaͤn - gig ausgeuͤbt c].
Das Nachſteuer - und Abzugsrecht wird von den teutſchen Landesherrn in Anſehung des Vermoͤgens, welches durch Auswanderung oder Erbſchaft in fremde Lande geht, eben ſo ausgeuͤbt, wie unter den europaͤi - ſchen Staaten, und kann durch Vertraͤge gemindert oder ganz aufgehoben werden a]. Das Albinagialrecht wird gewoͤnlich nur als Retorſion gegen Frankreich oder andere Staaten, wo es hergebracht iſt, ausgeuͤbt; doch iſt dieſes Recht, wie ich oben bereits angemerkt habe, in neuern Zeiten von Frankreich gegen die meh - reſten Reichsſtaͤnde aufgehoben worden b].
Die Grundſaͤtze des europaͤiſchen Voͤlkerrechts ſind hierinn auch bey den teutſchen Landesherrn, ſowohl ge - gen Auswaͤrtige, als gegen Mitſtaͤnde anwendbar. So lange des andern Unterthanen in fremden Landen ſich aller Beleidigungen und unerlaubten Handlungen enthalten, muͤſſen ſie auch allen Schutz daſelbſt genieſ - ſen; wenn dieſer aber auch auſſer Landes uͤber fremde Unterthanen ſich erſtrecken ſoll, muͤſſen beſondere Ver - traͤge zum Grunde liegen. Ohne Wiſſen und Willen des Landesherrn iſt indeſſen dergleichen und beſonders der auswaͤrtige Schutz teutſcher Unterthanen, welcher zu Abbruch der dem Kaiſer deshalb zuſtehenden algemei - nen Rechte gereichet, keinesweges erlaubt a]. Verge - hungen fremder Unterthanen koͤnnen, wenn dieſe im Lande anzutreffen ſind, ſofort geahndet, oder es muß, wenn ſie auſſerhalb ſich befinden, auf geſetzmaͤſſige Art Genugthuung gefodert werden, die auch ienen wieder - fahren muß, wenn ſie in fremden Landen beleidigt wor - den ſind.
Jeder unabhaͤngige Staat erfodert eine hoͤchſte Ge - walt, [Majeſtaͤt, Souverainetaͤt,] welche die zur gemeinſchaftlichen Gluͤckſeeligkeit vereinigten Willen und Kraͤfte der in eine Staatzgeſelſchaft ver - bundenen Mitglieder und Landesbewohner dieſer Abſicht gemaͤs regiere und anwende. Die Ernennung derieni - gen Perſonen, welche dieſe Gewalt und die dazu gehoͤ - rigen Rechte nach ihrem ganzen Umfange, oder wenig - ſtens die weſentlichſten derſelben, beſitzen, die Bedin - gungen, unter welchen ihnen ſolche anvertraut, und die Art, wie ſie ausgeuͤbt werden ſollen, geben demStaate369Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.Staate die Form, unter welcher er ſich als ein politi - ſcher Koͤrper darſtelt und beſtimmen die Regierungs - form oder die Conſtitution und Verfaſſung deſſelben. Die umſtaͤndlichere Ausfuͤhrung dieſer Materie gehoͤrt in das algemeine Staatsrecht, und indem ich die Kent - nis der daſelbſt angenommenen Grundbegriffe voraus - ſetze, will ich hier nur ſoviel davon beruͤhren, als zu dem gegenwaͤrtigen Zwecke[erforderlich] ſeyn duͤrfte.
Es ſind verſchiedene Beſtimmungen hierunter moͤg - lich. Die gewoͤhnlichſte Eintheilung wird iedoch daher genommen, ob die hoͤchſte Gewalt nur einer phyſiſchen Perſon, oder mehrern, die zuſammen eine moraliſche Perſon ausmachen, uͤbertragen iſt: die erſtern werden Monarchieen, und die Perſon, der Monarch oder Souverain, die andern Republiken genannt. Von den letztern giebt es wieder zwey Hauptgattungen, naͤmlich Ariſtocratieen und Democratieen, ie nachdem die mehrern Perſonen blos in einer Auswahl der Na - zion, oder in dem ganzen Volke beſtehen. Alle dieſe nennt man einfache Regierungsformen. Daraus, daß dieſe wieder verſchiedentlich zuſammengeſetzt wer - den koͤnnen, entſtehen die vermiſchten, welche iedoch darnach beurteilt zu werden pflegen, wo die meiſten und vorzuͤglichſten Majeſtaͤtsrechte ſich beiſammen fin - den a]. Hierzu komt noch das Staatenſyſtem, wenn mehrere unabhaͤngige Staaten, zu Befoͤrderung des gemeinſchaftlichen Wohls, in eine gleiche Geſelſchaft als ein politiſcher Staatskoͤrper zuſammentreten [Syſte - ma foederatorum civitatum].
Guͤnth. Voͤlk. R. 2. B. A aVon370Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.Von den heutigen ſouverainen Staaten in Europa gehoͤren bekantlich zu den Monarchieen, 1] Portu - gal, 2] Spanien, 3] Frankreich, 4] Teutſchland, 5] Grosbritannien, 6] der Kirchenſtaat, 7] Neapel und Sicilien, 8] Sardinien, 9] Malta, 10] Daͤne - mark, 11] Schweden, 12] Polen, 13] Preuſſen, 14] Ungarn, 15] Rußland und 16] die Pforte. Re - publiken ſind: 1] die vereinigten Niederlande, 2] die Schweitz, 3] Venedig, 4] Genua, 5] Lucca, 6] Ra - guſa und 7] San-Marino, wovon die vier vorletzten eine ariſtokratiſche, die letzte aber eine ariſto-demokra - tiſche Regierung haben. Die beiden erſtern hingegen machen Staatskoͤrper verbundener Voͤlker oder Staa - tenſyſteme aus, in deren verſchiedenen einzelnen Staͤd - ten und Cantons die demokratiſche Regierungsform eingefuͤhrt iſt b].
Vermoͤge der Freiheit und Unabhaͤngigkeit hat iedes Volk das Recht, lediglich nach eigner Wilkuͤhr ſich eine Regierungsform zu waͤhlen, welche es fuͤr die beſte, oder ſeinen Verhaͤltniſſen am zutraͤglichſten haͤlt. Dies pflegt durch gewiſſe Vertraͤge zwiſchen dem Volke und denen, welchen die Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt anvertraut wird, zu geſchehen. Man nennt ſolche Grundvertraͤge oder Grundgeſetze des Staats [pacta fundamentalia, leges fundamentales] und ſie geben die vorzuͤglichſte Norm, nach welcher der Re - gent die Regierung des Staats einzurichten verbunden iſt, und wornach die beiderſeitigen Verhaͤltniſſe und die Grenzen der Macht des Regenten zu beurteilen ſind. Das Wohl des Staats erfodert fuͤr deren Aufrechthal - tung die vorzuͤglichſte Sorgfalt zu tragen und ſolche gegen innere und aͤuſſere Verletzungen zu verwahren a]. Indes fehlt es auch hier an Beiſpielen nicht, daß der - gleichen Grundgeſetze mit Concurrenz fremder Nazionen errichtet worden b].
A a 2a] Vattel372Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.Wenn uͤber dieſe Grundgeſetze und uͤber die Regie - rungsverfaſſung uͤberhaupt Zweifel entſtehen, ſo iſt niemand als die Theilhaber befugt, ſich der Entſchei - dung anzumaaſſen, oder eine Erklaͤrung der zweifel - haften Grundgeſetze vorzunehmen a]. Keinesweges aber ſteht einer andern auswaͤrtigen Nazion einiges Recht hierunter zu b]; wiewohl beſonders dieienigen, welche etwa eine Garantie hierbey uͤbernommen haben, ſich nicht ſelten dergleichen anzumaaſſen pflegen.
Ueberhaupt darf keine Nazion ſich unterſtehn, etwas gegen die Regierungsverfaſſung einer andern zu unter - nehmen a], oder ſich in Gegenſtaͤnde, welche dieſelbe betreffen, ſo wenig als in die uͤbrigen innern Angele - genheiten b] zu miſchen und ſich irgend ein Recht hier - bey anzumaaſſen c]; ſie muͤſte denn, wie bey den Strei - tigkeiten zwiſchen der Oberherſchaft und dem Volke bereits erinnert worden, von der andern Nazion dar - um erſucht werden d] oder vermoͤge einer uͤbernomme -A a 3nen374Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.nen Garantie oder ſonſtigen Verbindlichkeit e], oder ihres eignen Wohls und Intereſſe wegen, wohin man auch die Nachbarſchaft und Bundsgenoſſenſchaft zu rech - nen pflegt, dazu berechtigt ſeyn f]. Das bloſſe Er - bieten einer freundſchaftlichen Vermittelung kann ihr indes nicht fuͤglich als Beleidigung angerechnet werden, ſondern wird eher zuweilen mit Dank angenommen g]. Selbſt dritte Nazionen wollen oͤfters nicht zugeben, daß Fremde ſich in die Conſtitution einer andern miſchen und deren Freiheit dadurch in Gefahr ſetzen h]. Dieienigen, welche einigen Grund zur Einmiſchung zu haben glauben, pflegen den uͤbrigen Nazionen von ihren Maasregeln Nachricht zu erteilen i].
Um einer Regierungsverfaſſung deſto mehr Dauer und Sicherheit gegen innere und aͤuſſere Erſchuͤtterun - gen zu geben, pflegen Nazionen oͤfters ſich ſolche von andern garantiren und verſprechen zu laſſen, ihnen bey vorfallenden gewaltſamen Angriffen auf dieſelbe Bei - ſtand zu leiſten. Dieſe Garantie erfolgt, auf Erſu - chen, gemeiniglich von denen, welche bey Feſtſetzung der Conſtitution mit gewuͤrkt haben. Dieienigen, welche dergleichen uͤbernommen haben, koͤnnen dann, bey eintretendem Falle, der andern Nazion, wenn ſie es verlangt, die verſprochene Huͤlfe nicht wohl verwei -gern.380Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.gern a]. Zuweilen errichten ſogar dritte Maͤchte unter ſich Vertraͤge uͤber die Garantie der Regierungsverfaſ - ſung einer andern Nazion, wenn ihnen an deren Auf - rechthaltung beſonders gelegen iſt b]. Auch iſt eine ehemals uͤbernommene Garantie ſchon wieder aufgekuͤn - digt und zuruͤckgenommen worden c]. Uebrigens ſind hier die bey den Garantieen uͤberhaupt guͤltigen Grund - ſaͤtze anwendbar.
So wie iede Nazion das Recht und die Freiheit hat, ihre urſpruͤngliche Regierungsform und Verfaſ - ſung nach Gutbefinden feſtzuſetzen, ſo muß es ihr, wenn es mit Einwilligung ſaͤmtlicher intereſſirten Theile geſchieht, auch erlaubt ſeyn, ſolche in der Folge, wenn es die Umſtaͤnde erfodern, zu verbeſſern und umzuaͤn - dern a]. Kein ander Volk iſt an ſich befugt, dies zu verhindern, es muͤſte denn durch beſondere Verbind - lichkeiten b] oder durch ein wegen Verletzung ſeiner eig - nen volkomnen Rechte dabey habendes Intereſſe, hier - zu berechtigt ſeyn c]. Ob aber eine blos im algemeinen uͤbernommene Garantie hinlaͤnglich ſey, ſich einer vor - zunehmenden Veraͤnderung der Regierungsform zu wi - derſetzen, leidet eben die Zweifel, welche ich ſchon oben [2. B. 2. Kap. §. 2. und 6. Kap. beſonders §. 6.] bey der Landesveraͤuſſerung wegen obwaltender Garan - tie bemerkt habe. Da die Garantie in der Regel mehr zum Nutzen derer, welche ſich die Aufrechthaltung ver - ſprechen laſſen abzweckt, damit keine gewaltſamen und widerrechtlichen Veraͤnderungen vorgehen, ſo kann die - ſes, wenn ſie mit Einverſtaͤndnis aller Theilhaber ge - ſchehen, die garantierende Nazion ſchwerlich zu einem Widerſpruche berechtigen, wenn ſie ſonſt kein weſent - licheres Intereſſe dabey hat d]. Eben ſo wenig duͤrfen andere Nazionen ein Volk zu Veraͤnderung ſeiner Con - ſtitution noͤthigen, oder ſich anderer unerlaubter Mittel hierzu bedienen e].
Wenn eine Nazion fuͤr gut gefunden hat, ihre Con - ſtitution zu verbeſſern oder umzuaͤndern, ſo pflegt ſie den uͤbrigen, beſonders denen, mit welchen ſie in freundſchaftlichen Verhaͤltniſſen ſteht, ſolches bekant zu machen a]; und dieſe koͤnnen mit Grunde die Aner - kennung der neuen Regierungsverfaſſung nicht verwei - gern, wenn die Veraͤnderung auf eine rechtmaͤſſige Art geſchehen und ihren etwa dabey habenden Rechten da - durch nicht zu nahe getreten worden iſt b].
Auch die landeshoheitlichen Staaten, und beſon - ders die der teutſchen Reichsſtaͤnde, werden nach ver - ſchiedenen Formen regiert. Allein dieſe haben, weil ſie nicht voͤllig unabhaͤngig ſind, und keinen ſelbſtſtaͤn - digen Staat ausmachen, ſondern als Theile eines an - dern Hauptſtaats gelten, allerdings in Anordnung ihrer Regierungsverfaſſung und deren Veraͤnderung nicht dieienige Freiheit, welche den unabhaͤngigen Nazionen hierunter zuſteht. Sie koͤnnen keine Veraͤnderung vor - nehmen, wenn ſie auch der Verfaſſung ihres Landes nicht zuwider waͤre, und mit Einwilligung ihrer Land - ſtaͤnde geſchaͤhe, weil das ganze Reich dabey intereſſirt iſt, und eine iede Haupaͤnderung auf das Reichsſyſtem einen Einflus haben wuͤrde; wogegen ihnen irgend et - was zu unternehmen nicht erlaubt iſt a]. Eben ſo we - nig kann das Reichsoberhaupt fuͤr ſich allein, weder in Anſehung der ganzen Reichsverfaſſung, noch in der Einrichtung einzelner Staaten ſich einer Aenderung an - maaſſen b]. Noch weniger haben auswaͤrtige Nazio - nen einiges Recht hierunter oder duͤrfen von den Lan - desherrn in ſolcher Abſicht gebraucht werden c]. Es gehoͤrt vielmehr zur Obliegenheit und zum Wohl des Reichsoberhaupts und ſaͤmtlicher Glieder fuͤr die Auf - rechthaltung der Reichsverfaſſung die moͤglichſte Sorg - falt zu tragen: wie denn ſelbſt Auswaͤrtigen ſolche nicht ganz gleichguͤltig zu ſeyn pflegt. Und ob wohl die Kla - gen uͤber Verletzung der Reichsverfaſſung von dieſerB b 2und388Von d. Feſtſ. einer gewiſſen Regierungsform.und iener Seite nicht ſelten ſind, ſo fehlt es doch auch an Beiſpielen nicht, daß der Kaiſer d] und die Lan - desherrn ſowohl unter ſich e] als mit fremden Nazio - nen f], oder auch wohl dieſe letztern allein g] ſich zu Erhaltung der Conſtitution des teutſchen Reichs nicht nur im Ganzen, ſondern auch deſſen einzelnen Staa - ten, durch Vertraͤge verbindlich gemacht haben.
Nach Beſtimmung der Perſonen, welchen man die hoͤchſte Gewalt im Staate anvertrauen will, in der Regierungsform, muß auch, beſonders in monarchiſchen Staaten, die Art feſtgeſetzt werden, wie dieſe Perſonen zur Ausuͤbung der Regierung gelan - gen ſollen, d. i. die Regierungsfolge. Wird das Recht hierzu einer Perſon iedesmal blos auf ihre Le - benszeit uͤbertragen, ſo, daß nach deren Abſterben ein neuer Regent gewaͤhlt werden muß, ſo iſt es ein Wahl - reich; wenn aber die Regierung und das Recht dazu zu gelangen einer ganzen Familie, oder einer Perſon fuͤr ſich und in voraus fuͤr ihre ſaͤmtlichen Nachkom - men, nach einer gewiſſen Ordnung, aufgetragen wird, ſo iſt es ein Erbreich a]. Aus der Verſchiedenheit dieſer Ordnung entſtehen mehrere Gattungen der Erb - reiche. Iſt die Regierungsfolge mit der gewoͤnlichen Privaterbfolge verbunden und durch Vertraͤge der regie - renden Familie oder anderer Souverains feſtgeſetzt; ſo nennt man es im eigentlichen Verſtande ein Erbreich [regnum hereditarium]; iſt hingegen die Ordnung der Erbfolge in der Regierung durch beſondere Grundge - ſetze der Nazion angeordnet, ſo heißt es ein Erbfol - gereich [regnum ſucceſſorium]. Eine dritte Gattung entſteht, wenn gar keine Grundgeſetze oder Familien -B b 4ver -392Von der Regierungsfolge.vertraͤge deshalb vorhanden ſind, ſondern theils der iedesmalige Regent aus ſeiner Familie, oder ſonſt, den Nachfolger, theils wenigſtens der letzte, eine neue Familie zur Regierungsfolge, mit Einſtimmung der Nazion, wilkuͤhrlich erwaͤhlen kann: dieſe werden Pa - trimonialreiche und gemiſchte Erbreiche [regnum patrimoniale und mixtae ſucceſſionis] genannt, weil ſie ſowohl von den Erb - als Wahlreichen etwas gemein haben b].
Wahlreiche ſind in Europa dermalen nur noch Teutſchland, der Kirchenſtaat und Malta, nachdem Polen durch die neuere Conſtitutionsaͤnderung bekant - lich nunmehr zum Erbreich erklaͤrt worden iſt.
Erbreiche hingegen, und zwar im eigentlichen Sinne: Spanien, Sicilien, Sardinien, Daͤnemark, Ungarn und Boͤhmen nebſt den uͤbrigen oͤſterreichiſchen Staaten, ingleichen Preuſſen; Erbfolgsreiche: Portugal, Frankreich, Grosbritannien und Schweden. Zu den Patrimonialreichen werden gewoͤnlich die Pforte und Rußland, ſeit Peter I. gerechnet c].
Die urſpruͤngliche Beſtimmung der Ordnung in der Regierungsfolge haͤngt, ſo wie die Regierungsform ſelbſt, lediglich von der Wilkuͤhr einer Nazion ab; es ſey nun, daß das Volk oder die Staͤnde ſolche wuͤrk - lich ſelbſt anordnen, oder daß ſie ſich die Vertraͤge der Familie, der ſie das Erbfolgsrecht uͤbertragen hat, oder auch andere Einrichtungen hierunter durch ſtillſchwei - gende Einwilligung gefallen laſſen a]. Sie kann auch gewiſſe Bedingungen hinzufuͤgen und verlangen, daß der iedesmalige Regent z. B. einer gewiſſen Religion zugethan ſeyn oder andere Erfoderniſſe haben ſolle b]. Wenn eine Veraͤnderung in der Regierungsfolge vor - zunehmen noͤthig oder gut iſt c], ſtehet ſolches der Na - zion, oder der regierenden Familie oder denen, die ſonſt ein gegruͤndetes Recht dazu erlangt haben, allerdings frey d], ſolche durch neue Vertraͤge, Teſtamente ꝛc. oder auf andere ihrer Verfaſſung nach, rechtsbeſtaͤndige Art zu beſtimmen e].
Andere Nazionen muͤſſen ſich dieſe zur innern Ver - faſſung eines ieden Volks gehoͤrige Einrichtungen ge - fallen laſſen und ſie anerkennen a]. Sie haben kein Recht, ſich darein zu miſchen, eine dahingehoͤrige Be - ſtimmung vorzuſchreiben, oder die rechtmaͤſſig feſtge - ſetzte Erbfolge zu verhindern, wenn ihnen keine Ge - rechtſame dadurch gekraͤnkt werden b] und, nach den heutigen Grundſaͤtzen der europaͤiſchen Nazionen, das Gleichgewicht dabey nicht in Gefahr komt c]. Zuwei - len laſſen Nazionen ſich dies ausdruͤcklich in Vertraͤgen verſprechen d]; es ſind iedoch, vorzuͤglich in neuern Zeiten, oͤfters Faͤlle vorgekommen, wo auswaͤrtige Maͤchte, unter allerhand Vorwand, wegen verletzter Gerechtſame ihrer Regenten, wegen des Gleichge - wichts, oder auch blos aus Freundſchaft und Nachbar - ſchaft, eine ſonſt rechtliche Erbfolge vernichtet und da - gegen nach wilkuͤhrlichen Grundſaͤtzen eine andere vor -geſchrieben396Von der Regierungsfolge.geſchrieben oder bey deren Feſtſetzung mit gewuͤrkt haben e].
Erbfolgsfaͤhig ſind an ſich alle dieienigen, die zur Familie, der die Regierung aufgetragen iſt, gehoͤren und auf welche die vorgeſchriebene Ordnung ſich er - ſtreckt a]; denn es ſteht denen, welche ein Recht die Erbfolge zu beſtimmen haben, ohnſtreitig bey Feſtſe - tzung derſelben frey, gewiſſe Perſonen der regierenden Familie z. B. die aus ungleicher Ehe erzeugten, legi - timirten Kinder, oder das weibliche Geſchlecht b] ent - weder ganz oder unter gewiſſen Bedingungen c] davon auszuſchlieſſen. Dieienigen, welche ein Recht dazu haben, koͤnnen auch ſelbſt ſich deſſen begeben d]. Wenn die Regierungsfolge aber einmal gehoͤrig angeordnet iſt, und die Ordnung eine Perſon trift, auf welche iene Ausſchlieſſung ſich nicht erſtreckt, ſo kann ihnen ſolche nicht, am wenigſten von fremden Nazionen ent -zogen398Von der Regierungsfolge.zogen werden e]. Doch fehlt es auch hier des Gleich - gewichts und anderer Staatsurſachen wegen, nicht an Beiſpielen vom Gegentheil f].
Wenn die Erbfolge ſo zweifelhaft iſt, daß daruͤber in der Nazion Streitigkeiten entſtehen, ſo komt es ent - weder lediglich auf die guͤtliche Vereinigung der Na - zion a], oder auf das Gluͤck der Waffen an b], wer fuͤr den rechtmaͤſſigen Erbfolger zu erklaͤren ſey. Auf keinen Fall ſteht andern Nazionen ein Recht der Beur - teilung und Entſcheidung zu. Sie haben ſich auch, wenn durch innere Unruhen eine Revolution in der Ebfolge bewuͤrkt wird, darein nicht zu miſchen c]. In - des ſteht es, wenn ſie ſich alles deſſen enthalten, gleich - wohl frey, die Parthey eines oder des andern Theils zu nehmen oder neutral zu bleiben d], wenn ſie ſich nicht durch Vertraͤge zu etwas anderm verbunden haben e].
Um mancherley Streitigkeiten bey der Erbfolge, und der Einmiſchung fremder Nazionen dabey vorzu - beugen, pflegen die Regenten ſich das Recht der Erb - folge von andern garantiren zu laſſen. Dies geſchieht entweder in Friedensſchluͤſſen oder in beſondern Ver - traͤgen, und zwar theils ausdruͤcklich, theils dadurch, daß einem Souverain alle ſeine Reiche, Beſitzungen ꝛc. verſichert werden a]. Mehrere europaͤiſche Nazionen haben ſich auf dieſe Art wegen ihrer Erbfolge vorzuſehn geſucht b]. Es komt ohnſtreitig auf ieder Nazion Gut - befinden an, wenn ſie um eine dergleichen Garantie angeſprochen wird, ob, in wie ferne, und unter wel - chen Bedingungen ſie ſolche uͤbernehmen will. Nur tritt, wie bey allen Garantieen, auch hier oft der Fall ein, daß ſie zur Zeit der Noth ohne Wuͤrkung bleiben c].
Nach Abgang oder Abſetzung der bisherigen regie - renden Familie iſt ſelbſt in Erbreichen die Wahl einesneuen405Von der Regierungsfolge.neuen Regenten und ſeiner Nachkommen erfoderlich. Sie findet auch in den ſogenanten Patrimonial - und vermiſchten Reichen, wo dem vorigen Regenten einiges Wahlrecht zuſteht, Statt. Hauptſaͤchlich aber komt die Wahlfolge in den eigentlichen Wahlreichen vor, wo iedesmal, nach Abſterben eines Regenten, ein neuer durch die Wahl zu ernennen iſt. Die Grundver - faſſung des Staats muß das Recht der Wahl in allen dieſen Faͤllen beſtimmen.
Das Wahlrecht kann denen, welchen es nach der Verfaſſung zukomt, auf keine Weiſe, zumal durch an - dere Nazionen entzogen oder ihnen die verfaſſungsmaͤſ - ſige Freiheit hierunter benommen werden a], wenn ſie nicht durch beſondere Vertraͤge ſich dieſer Freiheit bege - ben b] und etwa zu Gunſten einer Perſon bereits er - klaͤrt haben c]. In manchen Reichen ſind hieruͤber be - ſondere Vorſchriften und Wahlgeſetze vorhanden d], deren Errichtung zwar allein von der Nazion abhangt, die aber doch, auf Erſuchen, von andern Nazionen garantirt werden koͤnnen e].
Andere Nazionen duͤrfen ſich in die Wahlen eben ſo wenig als in die Erbfolge miſchen, die Wahl eines Kandidaten mit Gewalt durchſetzen wollen, oder ande - rer directer oder indirecter Mittel ſich bedienen, ihre Abſicht hierunter zu erreichen a]. Es werden daher in Wahlreichen mehrenteils die auswaͤrtigen Geſandten, und andere fremde Perſonen, denen man einigen Ein - flus zutrauen koͤnte, von dem Wahlorte abgehalten b]. Doch giebt es Beiſpiele genug, daß fremde Nazio - nen c], ſelbſt unter dem Scheine die Wahlfreiheit zu erhalten, die waͤhlende Nazion nach ihren AbſichtenC c 4gelenkt d],408Von der Regierungsfolge.gelenkt d], einem Prinzen die Wahl angetragen e] und ihm ſolche in Vertraͤgen verſprochen, auch die verlangte Wahl mit Gewalt durchgeſetzt haben f]. Ohne Erſu - chen des intereſſirten Staats ſind andere Nazionen eigentlich auch nicht befugt, unter ſich Vertraͤge uͤber die Aufrechthaltung der Wahlfreiheit eines dritten Reichs zu[errichten] g]. Ihre Einmiſchung pflegt ie - doch alsdenn zu erfolgen und entſchuldigt zu werden, wenn eine Auffoderung vorausgegangen iſt h], eine uͤbernommene Garantie, oder beſondere Vertraͤge i] deshalb vorhanden ſind, oder eine wuͤrkliche Gefahr des Gleichgewichts k], wie nicht weniger deren eigenes weſentliches Intereſſe und Erhaltung dabey obwaltet l]; wiewohl oͤfters auch bloſſe Nachbarſchaft, Conve - nienz ꝛc. als hinlaͤngliche Urſachen angeſehen werden wollen m].
Die Einmiſchung geſchieht hauptſaͤchlich in ſo ferne, als man entweder einen Wahlkandidaten vorzuͤglich unterſtuͤtzt, oder andere nicht anſtaͤndige von der Wahl ausſchlieſſen will. Die bloſſe Aeuſſerung: daß man es gern ſaͤhe, wenn dieſer oder iener gewaͤhlt wuͤrde, und eine Empfehlung ohne Aufdringen, und Anwendung anderer nachdruckſamer Mittel, kann mit der Wahl - freiheit gar wohl beſtehen a], und iſt bey den meiſten Wahlreichen von den benachbarten und andern intereſ - ſirten Nazionen uͤblich b]; wird auch von dem waͤhlen - den Volke ſelten als Beleidigung aufgenommen.
Aehnliche Bewandnis hat es mit der Ausſchlieſſung eines Wahlkandidaten, wider welchen andere Nazio - nen etwas einzuwenden haben. Sie koͤnnen allenfals ihre Bedenklichkeiten gegen denſelben dem waͤhlenden Volke zu erkennen geben, und anſuchen, daß er nicht gewaͤhlt werden moͤchte, deſſen Ausſchlieſſung aber nicht als Schuldigkeit verlangen; ſie muͤſten denn das Recht hierzu auf andere Art erlangt a], oder, nicht ſowohl wegen einer vermeintlichen Schuldigkeit des Candida - ten fuͤr das Wahlreich, als wegen der eignen daraus zu beſorgenden Gefahr, ein beſonderes Intereſſe bey der Wahl haben b]. Es iſt daher ſchon oͤfter geſchehen, daß andere Nazionen wider die Wahl dieſes oder ienes Prinzen proteſtirt und erklaͤrt haben, ihn nicht zu er - kennen c], woruͤber zuweilen heftige Streitigkeiten ent - ſtanden ſind d].
a] Wie416Von der Regierungsfolge.Die Entſcheidung ſtreitiger oder zwieſpaͤltiger Wahlen durch innere Unruhen und Factionen, kommtGuͤnth. Voͤlk. K. 2. B. D dlediglich418Von der Regierungsfolge.lediglich der Nazion zu, und muͤſſen die intereſſirten Theile ſich der Reichsverfaſſung gemaͤs deshalb verglei - chen oder die Sache ſonſt ausmachen a]. Auswaͤrtige Maͤchte haben darein nichts zu ſagen, auſſer wenn ſie, nicht wie bey der uͤbrigen Einmiſchung, durch beſondere Vertraͤge, den eignen aus dieſen Unruhen ihr zuwach - ſenden Schaden und Nachtheil dazu berechtigt oder ſonſt aufgefodert werden. Ehedem maßten ſich vor - zuͤglich die Paͤpſte ein Entſcheidungsrecht hierunter an, das ihnen aber beſonders in neuern Zeiten keinesweges mehr zugeſtanden wird b]. Deſto haͤufiger pflegen an - dere Nazionen, unter irgend einem Vorwand, in ſol - chen Faͤllen geſchaͤftig zu ſeyn c].
Die Garantie der in einem Reiche etwa vorhande - nen Wahlgeſetze, und daß oͤfters andere Nazionen, ohne Concurrenz des Wahlreichs, blos ihres eignen Vorteils wegen, zu Aufrechthaltung der Wahlfreiheit eines dritten Staats unter ſich Vertraͤge errichten, habe ich ſchon oben [§. 9.] beruͤhrt. Uebrigens ge - ſchieht die Garantie der Wahlen auch zuweilen auf Er - ſuchen oder mit Theilnahme des Wahlſtaats. Dieſe Garantie liegt entweder ſchon in der uͤbernommenen Garantie der Conſtitution a] oder wird noch beſonders verſprochen, und geht entweder die Wahlfreiheit uͤber - haupt an b] oder erſtreckt ſich auch nur auf einen einzel - nen gewaͤhlten Regenten, deſſen Wahl man aufrecht zu erhalten ſich verbindet c], oder man macht ſich auch wohl anheiſchig, die Garantie einer Wahl in voraus zu uͤbernehmen d].
Wenn in Erbreichen eine Perſon vorhanden iſt, welche aus einer Menge moͤglicher Urſachen, als wegenent -421Von der Regierungsfolge.entfernterer Verwandſchaft, wegen unehelicher, un - rechtmaͤſſiger und untergeſchobener Geburt ꝛc. von einer andern, die ein ſtaͤrkeres Recht zur Regierung hat, oder wenigſtens zu haben glaubt, ausgeſchloſſen wird, oder wenn in Wahlreichen, bey entſtehenden Unruhen und Spaltungen des Volks, von den verſchiedenen Partheien mehrere erwaͤhlt werden, wovon ieder die Rechtmaͤſſigkeit der Wahl behauptet und auf die Regie - rung Anſpruch macht, oder auch wenn Betruͤger ſich aufwerfen und fuͤr eine Perſon ausgeben, die allenfals wuͤrklich einiges Recht auf den Thron haben koͤn - ten, ſo nennt man dieſe, wenn ſie noch darum ſtreiten, Mitwerber, Competenten, Praͤtendenten hingegen die uͤbrigen wenn der eine ſich bereits im Beſitz befin - det a]. Dergleichen Praͤtendenten koͤnnen auch daher entſtehen, wenn ein Regent durch Krieg oder innere Factionen ſein Reich verliert b]. Die beiderſeitigen Rechte muͤſſen, wie von den uͤbrigen Wahlſtreitigkeiten ſchon erinnert worden, lediglich nach den Grundgeſetzen der Conſtitution, welche die Nazion in zweifelhaften Faͤllen gar wohl zu erklaͤren befugt iſt, entſchieden, oder, wenn dieſe nicht auslangen und in Anwendung zu bringen ſind, die Streitigkeiten durch die Praͤten - denten ſelbſt, entweder in guͤtlichen Vertraͤgen, durch compromiſſariſchen Ausſpruch oder auf andere Weiſe c] und endlich mit Gewalt der Waffen beendigt werden d]. Andern Nazionen ſteht, auſſer unter ienen mehrerwaͤhn - ten Umſtaͤnden, kein Entſcheidungsrecht dabey zu e]. Doch haͤngt es, ſo lange die Sache zweifelhaft iſt, von ihrem Gutbefinden ab, ob ſie die Parthen des einen oder andern ergreifen f], ihm Aufenthalt, Schutz und die einem Regenten gebuͤhrenden Ehrenbezeigungen gewaͤhren wollen g]. Wenn der eine aber bereits zum ruhigen Beſitz gelangt und von den meiſten uͤbrigen Nazionen anerkant iſt, ſo wird es allerdings als Be -D d 3leidigung422Von der Regierungsfolge.leidigung angeſehen, wenn dem andern Theile derglei - chen zugeſtanden oder ihm wohl gar Beiſtand gegen ienen geleiſtet wird h]. Um dergleichen Theilnahme zu verhindern, laſſen ſich die Nazionen daher von an - dern oͤfters verſprechen, daß ſie der Praͤtendenten ſich nicht annehmen, und ihnen in ihren Landen weder Auf - enthalt verſtatten, noch ſonſt eine Unterſtuͤtzung zu - kommen laſſen wollen i].
Ob und in wie ferne die Souverains einer Nazion einen Mitregenten annehmen koͤnnen, komt auf die Grundverfaſſung eines ieden Reichs an, und wenndieſe425Von der Regierungsfolge.dieſe es erlaubt, haben andere Nazionen eigentlich nichts dagegen zu ſagen, wenn nicht beſondere ihnen zuſtehen - de Rechte dadurch verletzt werden.
Bey den teutſchen Landesherrn trift man ebenfals verſchiedene Arten der Regierungsfolge, Erb - und Wahlſtaaten an. Zu den letztern gehoͤren die geiſtli - chen Erz - und Bisthuͤmer ꝛc. Es ſind mehrenteils ge - wiſſe Grundgeſetze, Erbvertraͤge, Erbverbruͤderun - gen ꝛc. deshalb vorhanden, welche in zweifelhaften Faͤllen zur Beurteilung und Entſcheidung dienen. Dieſe gehoͤrt aber allerdings vor das Reichsoberhaupt und die Reichsgerichte a]; daher auch die Landesherrn in Anſehung der Garantie und im uͤbrigen nicht ſo nach voͤlliger Wilkuͤhr verfahren koͤnnen, wie unabhaͤngige Nazionen b]. Die Einmiſchung anderer, beſonders auswaͤrtiger Staaten ſolte auch hier keinesweges Statt finden, doch fehlt es an Beiſpielen nicht, daß ſie ſich in die Regierungsfolge gemiſcht c], und ſolche durch ihre Einwuͤrkung regulirt haben d].
D d 5Bey426Von der Regierungsfolge.Bey den Wahlen der teutſchen geiſtlichen Landes - herrn haben die Kapitel zwar das freie Wahlrecht, doch ſteht dem Kaiſer e] ſowohl, als einigen Mitſtaͤnden f], vornaͤmlich den Schutzherrn, einige Concurrenz dabey zu; nicht zu gedenken, daß auch hier ſehr oft auswaͤr - tige Nazionen, nicht blos durch Empfehlungen, ſon - dern oͤfters durch nachdruͤcklichere Mittel ihren Einflus haben g].
Die Anſpruͤche eines Praͤtendenten gehoͤren ebenfals zur Entſcheidung des Reichsoberhaupts h].
In monarchiſchen Staaten, deren Oberhaupt mit der kaiſerlichen oder koͤniglichen Wuͤrde bekleidet iſt, pflegt nach einem Herkommen unter den Nazionen, der neue Regent, nachdem er durch die Erbfolge oder Wahl zur Regierung gelangt iſt, gleichſam zur Beſtaͤ - tigung und feierlichen Einweihung, gekroͤnt und geſalbt zu werden, und man nent ſie daher gekroͤnte Haͤup - ter a]. Die Nothwendigkeit und Feierlichkeiten der Kroͤnung beruhen auf die Verfaſſung und das Herkom - men ieden Reichs. Auswaͤrtige Nazionen haben da - bey nichts zu ſagen b], als daß ihre Souverains zu - weilen zu den Feierlichkeiten eingeladen werden und denſelben beiwohnen. Doch haben die Paͤpſte ſich be - kantlich in aͤltern Zeiten mancherley Rechte hierunter, beſonders in Abſicht der roͤmiſchen Kaiſerkroͤnung ange - maßt c]. Auch geſchieht es wohl, daß dieienigen, welche wider die Wahl oder Erbfolge des Regenten etwas einzuwenden haben, auch die Kroͤnung deſſelben zu verhindern und ihre Gerechtſame hierunter durch Proteſtationen zu verwahren ſuchen d].
Von dem erfolgten Regierungsantritt pflegen die Souverains den andern, beſonders freundſchaftlichen Nazionen a], in Schreiben, welche durch den gewoͤn - lichen oder einen auſſerordentlichen Geſandten b], oder durch Curirs ꝛc. wie es herkomlich, uͤberreicht werden, Nachricht zu ertheilen, und von dieſen dagegen Gluͤck - wuͤnſche zu erhalten c]. Dieſe Gewonheit beruht ſo - wohl uͤberhaupt, als in der Art, auf bloſſe Wilkuͤhr d], und kann nicht leicht als Schuldigkeit angeſehn wer - den. Nur der Papſt verlangt deren Beobachtung als eine ſolche von dem Kaiſer und den uͤbrigen catholiſchen Maͤchten e]. Doch pflegen uͤber die Notification und uͤber die Abſtattung der Gluͤckwuͤnſche zuweilen Ver - traͤge errichtet zu werden f], welche, ſo wie ein etwa vorhandenes verbindliches Herkommen, allerdings be - folgt werden muͤſſen; widrigenfals die andere Nazion die Unterlaſſung oder Abweichung auf irgend eine Weiſe als Beleidigung anſehn, und die Annahme verweigern kan g]. Die Notification wird iedoch gemeiniglich un - terlaſſen, wenn man weiß, daß die andere Nazion die Anerkennung eines Regenten verweigert h]. Zuweilen ſtelt der Hof, dem die Notification geſchieht, ſelbſt einige Feierlichkeiten deshalb an, wenigſtens aber wird den Unterthanen der Nazion, deſſen Regent die Regie - rung antritt, die ſich in andern Landen befinden, wenn ſie deshalb gewiſſe oͤffentliche Freudenbezeigungen an - ſtellen wollen, ſolches, mit Vorbewuſt der Obrigkeit nicht leicht verwehrt i].
Auf dieſe Notification ſind andere Nazionen, wenn die Gelangung auf den Thron durch Erbfolge oder Wahl gehoͤrig geſchehen iſt a] verbunden, den neuen Regenten, den die Nazion annimmt, auch zu erken - nen, welches gemeiniglich dadurch geſchieht, daß die Notification angenommen und beantwortet wird b]; denn wenn Streitigkeiten und Zweifel dabey obwalten, haͤngt es, ſchon obgedachtermaaſſen, von der Wilkuͤhr einer ieden ab c]. So lange aber eine oder die andere Nazion, aus vorerwaͤhnten Gruͤnden, Urſach zum Widerſpruch gegen die Thronbeſteigung eines Regenten zu haben glaubt, kann die Anerkennung freilich nicht verlangt werden. Es ſind daher ſchon oͤfter Faͤlle vor - gekommen, daß andere Nazionen, beſonders einen ge - waͤhlten Regenten, wegen zwieſpaltiger Wahl, wegen Unanſtaͤndigkeit der Perſon, wegen unrechtmaͤſſiger Entſetzung des vorigen Oberhaupts, wegen mangeln - der Theilnahme einiger Wahlglieder und ſonſt die An -erkennung433Von Antritt und Endigung der Regierung.erkennung verweigert haben d]; und daß dieſe erſt in der Folge zuweilen durch Krieg, in den darauf gefolg - ten Friedensſchluͤſſen bewuͤrkt werden muͤſſen e]. Wenn dieſe nicht erfolgen will, pflegt der andere Theil ſich aller dienſamen Mittel, als Anfangs Vorſtellungen, Negociationen, Drohungen und am Ende gar Gewalt zu bedienen f]. Auch haben ſchon dritte dabey inter - eſſirte Nazionen ſich bemuͤht, die Anerkennung zu er - halten g], oder von andern verlangt, daß ſie einen gewiſſen Regenten nicht erkennen moͤchten h].
Ob und in wie ferne einem Regenten erlaubt ſey, freiwillig die Regierung niederzulegen, muß aus den Grundgeſetzen eines ieden Staats beurteilt werden; andere Nazionen haben in der Regel nichts darein zu ſagen a]. Ein Souverain, welcher die Regierung ab - gedankt hat, pflegt iedoch ſowohl in ſeinem Staate, als auswaͤrts, die perſoͤnlichen Gerechtſame der Sou - verains zu genieſſen b]. Indes kann auch andern Nazionen, wenn ſie Nachtheil daraus zu befuͤrchten haben ſolten, nicht verargt werden, andere Maasre - geln hierunter zu ergreifen, und ihm z. B. ſogar den Aufenthalt bey ſich abzuſchlagen c].
Eben ſo verhaͤlt es ſich mit der wider Willen des Regenten abgenoͤthigten Entſagung oder Abſetzung eines Souverains, wenn die Nazion etwa, vermoͤge der ſogenannten commiſſoriſchen Clauſel a], oder wegen offenbarer Tyranney das Recht hat, ſich der Abſetzung anzumaſſen b], oder ſolche durch Unruhen und Factio - nen bewuͤrkt wird c]. Andere Nazionen aber koͤnnen von einem Volke die Entſetzung ſeines Regenten nicht verlangen, oder ſich ſelbſt derſelben unterfangen d], als allenfals im Kriege, wenn die Nothwendigkeit es er - fodert e]. Wenn ſie aber auf irgend eine Art geſchieht, ſo komt es auf die Umſtaͤnde, und einer ieden Nazion Wilkuͤhr und Gutbefinden an, ob ſie ſich deſſen anneh - men, wenn er das Gluͤck hat, ſich wieder auf den Thron zu ſchwingen, ihn anerkennen, ihm, wenn er Zuflucht zu ihnen nimt, wenigſtens Aufenthalt ver - ſtatten, und ihm andere Ehre erweiſen wollen f]. Nur ſteht ihnen kein Recht einer entſcheidenden Beurteilung zu g].
a] Wie437Von Antritt und Endigung der Regierung.Die Landesherrn pflegen einander, auch wohl aus - waͤrtigen Nazionen, ebenfals von ihrem Regierungs - antritt Nachricht zu erteilen, und erhalten Gluͤckwuͤn - ſche dagegen. Die Anerkennung unter ſich hat hier um ſo weniger Schwierigkeiten, weil bey entſtehenden Zweifeln in den meiſten Faͤllen die Entſcheidung des Reichsoberhaupts eintritt. In Anſehung auswaͤrtiger Nazionen iſt es ſchon oͤfter vorgekommen, daß dieſe einen teutſchen Landesherrn nicht haben erkennen wollen oder von letzterm nicht erkant worden ſind a]. In die Abdankung der Regierung, beſonders in den geiſtlichen Wahlſtaaten, haben, wenn ſie rechtmaͤſſig geſchieht, weder die Mitſtaͤnde noch andere Nazionen ſich zu mi - ſchen, ſo wenig als in die Entſetzung, welche iedoch, durch die Achtserklaͤrung, nach den Reichsgeſetzen b] nicht anders als mit Einwilligung der Reichsſtaͤnde geſchehen ſoll, und wobey in Anſehung der Geiſtlichen dem Papſt vermoͤge der Concordaten von 1448. zumal ehedem viele Gewalt zuſtand c].
a] So439Von d. Titeln, Wapen u. andern Ehrenzeich. ꝛc.Die Titel der Regenten ruͤhren entweder von ihren Wuͤrden, oder ihren Landen, oder von andern Ehrenbezeigungen und Veranlaſſungen her. So wie iede freie und unabhaͤngige Nazion befugt iſt, ſich ihre Regierungsform und die Art der Regierungsfolge ihrer Regenten zu erwaͤhlen, ſo hat ſie ohnſtreitig auch das Recht, nach Wilkuͤhr, ihrem Territorium eine Be - nennung zu geben, die Wuͤrde ihres Regenten zu be - ſtimmen und ihm andere Ehrenzeichen und Titel beizu - legen; oder der Regent kann mit Einſtimmung ſeines Volks ſelbſt dergleichen annehmen a]. Nach dem na - tuͤrlichen Rechte haben die Wuͤrden und Titel an ſichE e 4frei -440Von den Titeln, Wapenfreilich keinen Werth, und geben den Nazionen, die urſpruͤnglich alle einander gleich ſind, durch ihre Ver - ſchiedenheit keinen Vorzug b]. Man hat auch in neu - ern Zeiten dieſen Grundſatz mehr als ehemals zu befol - gen geſucht. Indes haben Vorurtheil und Herkom - men mit gewiſſen Namen eine hoͤhere Meinung verbun - den, welche, iener Gleichheit ungeachtet, doch auf die Verhaͤltniſſe der Nazionen, und die perſoͤnlichen Zu - ſtaͤndigkeiten der Regenten, die ſie fuͤhren, einen groſ - ſen Einflus haben. Dahin gehoͤren beſonders die Kai - ſer - und Koͤnigswuͤrde.
Die Kaiſerwuͤrde hielten in aͤltern Zeiten nicht nur die Regenten, die damit bekleidet waren, ſondern auch andere Nazionen fuͤr die hoͤchſte. Sie wurde vorzuͤg - lich a] von den Beherrſchern des Roͤmiſchteutſchen Reichs [naͤchſt den Regenten des orientaliſchen Kaiſer - thums zu Conſtantinopel, von welchen letztern die tuͤr - kiſchen Sultane, nach Zerſtoͤhrung dieſes Reichs, ſolche annahmen und dem roͤmiſchen Kaiſer ſelbſt ſtrei - tig machten, bis ſie 1606. ſich verglichen, beide dieſen Titel zu gebrauchen b];] und gewiſſermaaſſen ausſchlus - weiſe gefuͤhrt, indem ſie nicht zugeben wolten, daß ein anderer Regent ſich deſſen bediente c]. Die Czaare,oder441und andern Ehrenzeichen der Regenten.oder Koͤnige von Rußland hatten zwar laͤngſt den Titel: Autocrator, welcher im Griechiſchen eben ſo viel, als Imperator bedeutet, [wiewohl die roͤmiſchen Kaiſer dieſe Ueberſetzung nicht dulten wolten] gefuͤhrt, nah - men aber 1721. den Kaiſertitel foͤrmlich an d]. An - dere europaͤiſche Souverains als Spanien, Frankreich, Grosbritannien, legten ſich ehedem zwar zuweilen eben - fals den kaiſerlichen Titel bey und pflegen ſich deſſen noch, aber nicht gegen andere europaͤiſche Nazionen, ſondern nur in Verhandlungen mit einigen Aſiatiſchen und Africaniſchen Fuͤrſten zu bedienen, und erhalten ſolchen von ihnen wieder e].
Nach der kaiſerlichen folgt zunaͤchſt die koͤnigliche Wuͤrde, womit auch der Roͤmiſche Kaiſer zugleich alsKoͤnig443und andern Ehrenzeichen der Regenten.Koͤnig in Germanien bekleidet iſt. Sie begreift eben - fals verſchiedene Vorzuͤge vor den uͤbrigen Wuͤrden anderer Regenten in ſich, welche man mit dem Namen der Koͤniglichen Ehrenbezeigungen zu belegen pflegt. Das Land desienigen, der dieſe Wuͤrde fuͤhrt, iſt ge - woͤnlich ein Koͤnigreich, doch iſt ſie zuweilen auch blos perſoͤnlich, indem ſie ſolchen Prinzen zugeſtanden wird, die entweder gar keinen a] oder doch einen geringen Staat zu regieren haben. Die letztern fuͤhren indes nicht ſowohl den Titel: Koͤnig als Koͤnigliche Ho - heit, und erhalten ihn mehrenteils in Ruͤckſicht ihrer Abſtammung aus koͤniglichem Geſchlechte oder wegen Anſpruͤche auf ein Koͤnigreich b].
Die eigentlich mit der koͤniglichen Wuͤrde verbun - denen Vorzuͤge werden, theils vermoͤge Vertraͤge, theils wegen Herkommen, auch ſolchen Regenten zugeſtan - den, die nicht einmal den koͤniglichen Titel fuͤhren, ia ſelbſt Staaten, die keine monarchiſche Regierungs - form haben, und zwar in der Perſon der ſie darſtellen - den Geſandten, indem man dieſen dieienige Ehre er - weißt, welche eigentlich blos denen von gekroͤnten Haͤuptern gebuͤhren. Dahin gehoͤren, auſſer den Kur - fuͤrſten des teutſchen Reichs, die Republiken Venedig, die Vereinigten N. Lande und die Schweitz, ingleichen der Grosmeiſter zu Malta. Genua und andere Re - publiken machen auch Anſpruͤche darauf, ſie werden ihnen aber beſtritten.
In denen Zeiten, wo die Kaiſer und Paͤpſte noch als Oberherrn der ganzen Chriſtenheit angeſehn wur - den, maaßten ſich beide auch an, koͤnigliche und an - dere Wuͤrden zu ertheilen, und ſtritten ſich um das vor - zuͤglichere Recht dazu. Andere Nazionen trugen kein Bedenken, dieſe Standeserhoͤhungen anzuerkennen,wie445und andern Ehrenzeichen der Regenten.wie verſchiedene Beiſpiele von einem und dem andern lehren a]. Am meiſten nahmen ſich die Paͤpſte dabey heraus, die keine andere Erhebung fuͤr guͤltig anſehn wolten, als welche von ihnen geſchehen war. Aus dieſem Grunde erregten ſie auch bekantlich gegen die preuſſiſche Koͤnigswuͤrde, welche Friedrich I. ohne ihr Zuthun eigenmaͤchtig angenommen hatte, ehemals hef - tige Streitigkeiten b], iedoch haben ſie in neuern Zei - ten nachgegeben c]. Ueberhaupt aber raͤumt man heut - zutage keinem von beiden ein Recht weiter ein, andern Nazionen dergleichen Geſetze vorzuſchreiben d], auſſer daß der Kaiſer, unter andern Standeserhebungen, wie obgedacht, zuweilen noch den Titel: Koͤnigliche Ho - heit zu erteilen pflegt.
So wie die Nazion urſpruͤnglich das Recht hat, ihrem Souverain eine gewiſſe Wuͤrde beizulegen oder annehmen zu laſſen, ſo kann es, auch nach den heut -zutage447und andern Ehrenzeichen der Regenten.zutage unter den europaͤiſchen Nazionen angenommenen Grundſaͤtzen, ihr nicht verwehrt werden, ſich kuͤnftig einer hoͤheren Titulatur zu bedienen, als ſie bisher ge - fuͤhrt hat a], oder dem Lande eine andere Benennung zu geben ꝛc. b]. Jedoch duͤrfen ſie dabey den Rechten anderer nicht zu nahe treten und etwa mehrere Vorzuͤge verlangen. In neuern Zeiten haben wir zwey merk - wuͤrdige Beiſpiele hiervon bey den Regenten in Ruß - land c] und Preuſſen d], wovon der erſte den Kaiſer - dieſer aber den Koͤnigstitel annahmen.
Ob aber eine ſolche Erhoͤhung der Wuͤrde und Ver - aͤnderung der Titulatur gleich bey der Nazion ſelbſt an - erkant und dem Regenten gegeben werden muß; ſo koͤnnen doch andere Nazionen nicht genoͤthigt werden, aus Schuldigkeit ein Gleiches zu thun. Wenn ſie ſich auch gefallen laſſen, daß eine andere ſelbſt ſich ihrer bediene a], ſo iſt dennoch, damit ſie dieſelben auch von ihnen beigelegt erhalte, deren ausdruͤckliche oder ſtil -ſchwei -448Von den Titeln, Wapenſchweigende Einwilligung erfoderlich b]. Sie pflegen, nach den Pflichten der Geſelſchaft, auch die Anerken - nung der Wuͤrden und Titel, welche eine Nazion ſelbſt ihrem Souverain erteilt, nicht leicht zu verweigern, wenn dieſe die zu Behauptung einer ſolchen Wuͤrde er - foderlichen Eigenſchaften beſitzt, und die Titel nicht ungewoͤnlich und beſonders in Anſehung der daraus her - zuleitenden Anſpruͤche auf Vorzuͤge, Rechte ꝛc. nicht bedenklich ſind c]. In dieſem letztern Falle aber ſind die andern allerdings berechtigt, dieſelben nicht zu er - kennen und ſich dagegen zu verwahren d], die Sicher - ſtellung ihrer Gerechtſame hierunter zu verlangen, oder wenigſtens gewiſſe Einſchraͤnkungen und Bedingungen dabey feſtzuſetzen e]. Gewoͤnlich geben die Souve - rains, welche eine andere Wuͤrde oder Titulatur ange - nommen haben, dem andern Nachricht davon f] und dann pflegt die Anerkennung entweder ausdruͤcklich in foͤrmlichen Erklaͤrungen, Vertraͤgen ꝛc. g] oder durch ſtilſchweigende Genehmigung in Beilegung derſelben, durch Gluͤckwuͤnſche dazu ꝛc. h] zu erfolgen. Zuweilen wird, um deſto ſicherer zu gehn, die Anerkennung auch wohl im voraus vor der foͤrmlichen Annahme bedun - gen i]. Ehe dieſe Anerkennung nicht erfolgt iſt, kann die Verweigerung eines Titels nicht als Beleidigung angeſehn werden k], wenn auch mehrere Maͤchte ihn bereits erkant haben l]. Indes ſteht es der Nazion, deren Wuͤrde ꝛc. von einer andern nicht anerkant wer - den will, ohnſtreitig frey, mit dieſer die Verbindung und Gemeinſchaft aufzuheben m]. Auch von allen die - ſem geben die Ruſſiſchen und Preuſſiſchen Kaiſer - und Koͤnigswuͤrden die deutlichſten Beweiſe n]. Weniger Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten hat es, wenn die Annahme eines Titels nicht ganz neu iſt, ſondern z. B. nur ein Koͤnigreich, das vorher mit einem an - dern verbunden war, als ein beſonderes Reich an einanderes449und andern Ehrenzeichen der Regenten.anderes regierendes Haus komt, wie Sicilien und Sar - dinien im Utrechter Frieden o].
Auſſerdem giebt es noch verſchiedene Titel und Praͤ - dicate, welche theils allen Regenten gemein, theilseinigen453und andern Ehrenzeichen der Regenten.einigen, durch beſondere Verguͤnſtigungen, zugeteilt ſind. Die Regenten der republikaniſchen Staaten in Europa bedienen ſich keiner ihnen gemeinſamen Titu - latur, indem einige Hochmoͤgende, die andern Groß - moͤgende ꝛc. Herrn genant werden a]. Den monarchi - ſchen Regenten aber iſt der Titel: Majeſtaͤt b] ge - mein, den ietzt alle gekroͤnte Haͤupter, auſſer dem Papſte c], einander beizulegen, und ſolchen auch von den Republiken zu erhalten pflegen, ſo daß ſie, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, entweder Kaiſerliche oder Koͤnigliche oder Kaiſerlich-Koͤnigliche Maje - ſtaͤt genannt werden, da ſonſt nur der Titel: Koͤnig - liche Wuͤrde, Hoheit ꝛc. gewoͤnlich war d]. Die aͤltere Bedeutung und den wilkuͤhrlichen Gebrauch des Majeſtaͤtstitels nicht zu gedenken, eigneten ſich die roͤmiſchteutſchen Kaiſer beſonders ſeit Karl V. denſel - ben vorzuͤglich zu, und wolten ihn keinem andern Mon - archen verwilligen e]. Doch fingen dieſe nach und nach auch an ſich deſſen zu bedienen, legten ihn ein - ander bey, und erhielten ihn auch, ſeit dem weſtphaͤli - ſchen Frieden, von dem Kaiſer theils durch Vertraͤge, theils durch ſtilſchweigende Bewilligungen von Zeit zu Zeit zugeſtanden f]. Spanien und Frankreich machten den Anfang damit. Doch erſtreckte ſich dies nicht auf die in der Reichskanzley ausgefertigte Schreiben, und Preuſſen erhielt auch dieſes Vorrecht unter Karl VII. durch ein beſonderes Kaiſerliches Reſcript g]. Heut - zutage wird daher der Titel: Majeſtat als verbunden mit der koͤniglichen Wuͤrde betrachtet, obgleich Frank - reich und Spanien ſolchen Preuſſen im Utrechter Frie - den durch einen Separatartikel noch beſonders bewil - ligten h].
Verſchiedene Souverains der europaͤiſchen Staa - ten Roͤmiſchkatholiſcher Religion haben in aͤltern undneuern455und andern Ehrenzeichen der Regenten.neuern Zeiten von den Paͤpſten, mehrenteils wegen beſonderer Verdienſte um die Religion, gewiſſe Ehren - benennungen erhalten a], die ſie ſowohl ſelbſt gebrau - chen, als von ihren Glaubensgenoſſen und gewoͤnlich auch von den Evangeliſchen erhalten. Grosbritannien hat dergleichen Ehrennamen ſogar nach veraͤnderter Re - ligion beibehalten. Vermoͤge dieſer Praͤdicate heißt der Koͤnig von Frankreich: Chriſtianiſſimus, der Aller - chriſtlichſte ꝛc. Der Urſprung hiervon iſt ungewis. Auch wird ihm in den paͤpſtlichen Bullen und Breven der Titel des erſtgebohrnen Sobns der Kirche bei - gelegt. Spanien erhielt wahrſcheinlich vom Papſt Alexander VI. 1496. wegen ſeines in Bezwingung der Mauren bewieſenen Eifers und Einfuͤhrung der Inqui - ſit on den Titel Catholicus, der Catholiſche. In England wurde dem Koͤnig Heinrich VIII. 1521. vom Papſt Leo X. das Praͤdicat: Defenſor fidei, Beſchuͤ - tzer des Glaubens beigelegt, weil er ein Buch wider Luthern zu Vertheidigung der ſieben Sacramente ge - ſchrieben hatte: Papſt Klemens VII. beſtaͤtigte es. Papſt Alexander VII. legte auch dem Koͤnig in Polen Johann Caſimit den Titel: Rex Orthodoxus bey, weil er die Socinianer aus Polen vertrieben hatte, er iſt aber nicht gebraucht worden b].
Noch in neuern Zeiten erhielt Koͤnig Johann V. in Portugall von Papſt Benedict XIV. 1748. den Titel: Fideliſſimus, der Allergetreuſte c], und der Koͤnigin Maria Thereſia in Ungarn ꝛc. wurde 1758. vom Papſt Clemens XIII. der von einigen Koͤnigen in Ungarn ſchon ehedem gefuͤhrte Titel: Apoſtoliſche er - neuert d].
Da die katholiſchen Koͤnige einen beſondern Werth auf dieſe Ehrennamen zu ſetzen pflegen, ſo kann ihnen allerdings nicht verwehrt werden ſie zu fuͤhren; es komt aber, wie bey den uͤbrigen Titeln, auf die andern Na -F f 4zionen456Von den Titeln, Wapenzionen an, ob ſie ihnen ſolche beilegen wollen, weil der Papſt ihnen hierunter nichts vorzuſchreiben hat. Doch ſind die Catholiſchen desfals allerdings meiſtens wilfaͤh - rig, und die Evangeliſchen ſehen es auch als eine gleich - guͤltige ihnen weiter nicht nachtheilige Sache an, und nehmen keinen Anſtand iene Praͤdicate zu erkennen, und den Souverains beizulegen. Von Rußland be - merkt Moſer, daß zwar deſſen Miniſter, aber nicht die Beherſcher dieſes Reichs dergleichen Praͤdicate in ihren Schreiben zu geben pflegten.
Die von einer phyſiſchen oder moraliſchen Perſon des Oberhaupts hergenommene Benennung der Staa - ten als Reiche, Monarchieen oder Republiken ꝛc. habe ich ſchon oben angefuͤhrt. Was die Ehrenbe - nennungen einiger Staaten, nicht ſowohl in Abſicht auf die Titel des Regenten, als auf den Staat im Ganzen, zuweilen auch ohne Innbegrif des Oberhaupts, anlangen, ſo hat das teutſche Reich gewiſſermaaſſen hergebracht, daß ihm vorzugsweiſe auch vor dem ruſ - ſiſchen, die Benennungen: Sacrum und Imperium bei - gelegt werden, indem man nicht nur ſchon geahndet, wenn das Wort ſacrum ausgelaſſen worden, ſondern auch Bedenken getragen hat, in oͤffentlichen Verhand - lungen zu ſetzen: Sacrum Romanorum et Ruſſorum im - perium, und dafuͤr der Ausdruck: inter Sacrum Roma - norum Imperium et Majeſtatem Veſtram Imperatoriam angenommen worden, gleichſam zum Zeichen, daß man zwar der Ruſſiſchen Regenten perſoͤnliche Kaiſer - wuͤrde, aber das Reich ſelbſt fuͤr kein Kaiſerthum an - erkenne a]; wie man denn auch unter dem Worte: Imperium, ohne Beiſatz, gewoͤnlich das teutſche Reich verſteht. Indes bedient Rußland ſich allerdings dieſer Benennungen: es fehlt auch an Beiſpielen nicht, daß der Ausdruck: ſacrum von andern Reichen gebraucht worden. Den Republiken Polen, ohne den Koͤnig, Venedig und Genua wird gewoͤnlich der Titel: Sereniſ - fima Respublica, die Durchlauchtigſte Republik bei - gelegt c].
Daß ein Regent ſich des Titels von den Landen, die er, ohne Widerſpruch anderer, wuͤrklich beſitzt a], oder von neuem erwirbt, bedienen koͤnne, leidet keinen Zweifel, und ſie werden ihm ſodann auch von andern ohne Bedenken beigelegt b]. Bey Abtretung einiger Lande von andern Nazionen wird dies mehrenteils aus - druͤcklich mit bedungen. Wenn eine Nazion durch Krieg oder andere Revolutionen zu dem Beſitz eines Landes gelangt, und die Titulatur davon annimt, ſo pflegen andere gemeiniglich ſo lange anzuſtehn, ihr ſolche zu geben, bis dieſelbe durch Friedensſchluͤſſe oder andere Vertraͤge von dem vorigen Beſitzer foͤrmlich an - erkant worden iſt c], wenn ein anderes Volk nicht ſonſt noch beſondere Rechte dabey hat.
Oefters fuͤhren die Souverains aber auch Titel von Landen, auf die ſie nur ein kuͤnftiges Recht haben d], oder worauf ſie Anſpruͤche machen e], oder welche ſie blos ehemals beſeſſen haben f]. Dieienigen, welche ſich auf Anſpruͤche gruͤnden, werden von dem andern, der ſie beſitzt gewoͤnlich nicht anerkant, ſondern man widerſpricht ihnen bey vorkommenden Gelegenheiten g]. Um die Streitigkeiten, welche deshalb bey Vertraͤgen oder andern oͤffentlichen Verhandlungen vorzukommen pflegen, zu vermeiden, iſt es gewoͤnlich, daß man, unbeſchadet der beiderſeitigen Gerechtſame entweder bey Verleſung der Volmachten ꝛc. die Titulaturen ganz weglaͤßt, oder dabey bedingt, daß deren Gebrauch oder Nichtgebrauch keinem Theile ſchaͤdlich ſeyn ſoll h]. Auch in Anſehung der erſt zu hoffen habenden oder ehe - mals beſeſſenen Lande, kommt es auf die beſitzende Nazion an, ob ſie zugeben will, daß der andere ſichdes459und andern Ehrenzeichen der Regenten.des Titels davon bediene i]; wenigſtens pflegt alsdenn wegen der letztern bedungen zu werden, daß es dem Be - ſitzer nicht nachtheilig ſeyn, und daraus kein Anſpruch auf dieſe Lande hergenommen werden ſolle k]. Wenn die Streitigkeiten wegen Anſpruͤche beigelegt werden, begiebt ſich der eine Theil gemeiniglich des Gebrauchs der Titel von dem Lande l]. Wo man wegen des Ti - tels von einem Lande Widerſpruͤche zu beſorgen hat, muß durch Vertraͤge vorgebeugt werden m]. Sonſt wird die Annahme eines Titels, worauf eine Nazion kein Recht hat, allerdings als Beleidigung angeſehn n].
Uebrigens komt es auf die Wilkuͤhr des Regenten und einer ieden Nazion an, wie ſie ihre Titulatur in Anſehung der bekleidenden Wuͤrden, anderer ihnen er - theilter Praͤdicate, und der beſitzenden Lande einrichten, vermehren oder vermindern wollen. Andere Nazionen laſſen ſich, wenn ihren Gerechtſamen dadurch nicht zu nahe getreten wird, ſolches meiſtens gefallen a], und machen keine Schwierigkeiten, ſie ihnen in der Maaſſe zu geben, wenn ihnen, wie gewoͤnlich, von derglei - chen Veraͤnderungen Nachricht ertheilt wird b]. Zu - weilen werden einem Regenten gewiſſe Titel nur auf Lebenszeit zugeſtanden c], oder andere Verabredungen der Titulaturen halber genommen d], welche denn aller - dings befolgt werden muͤſſen. Uebrigens beruht bey dem Titulaturweſen ſehr viel auf bloſſe Wilkuͤhr und zum Theil unverbindliche Gebraͤuche, die zum Voͤlker - rechte nicht gehoͤren, ob man wohl auch hierunter von dem Herkommen nicht leicht abzuweichen pflegt.
Mit den Wapen hat es, wie aus den bereits ange - fuͤhrten Beiſpielen zu erſehen, gleiche Beſchaffenheit wie mit den Titeln a]: Es kan iede Nazion und ihr Souverain ſich dergleichen nach Gefallen waͤhlen und ſie beſonders von Landen annehmen, deren rechtmaͤſſi - ger Beſitz ihnen von niemand ſtreitig gemacht wird. Sie werden, wenn kein Bedenken dabey obwaltet, nicht leicht gemisbilligt, ob die Nazionen gleich eben ſo wenig ein verbindliches Recht, die Anerkennung alsSchul -465und andern Ehrenzeichen der Regenten.Schuldigkeit zu verlangen haben, als bey den Titeln. Das meiſte komt auch hier, beſonders bey entſtehenden Streitigkeiten, auf Vertraͤge an, wodurch der Ge - brauch entweder bedungen b], oder Verzicht darauf ge - leiſtet wird c].
Zu dem aͤuſſern Glanz der Hoͤfe gehoͤren vorzuͤglich die Orden, welche die Souverains und Republiken ihren und andern verdienten Unterthanen, als beſon - dere Gnadenzeichen, zu ertheilen pflegen. Es geſchieht auch oͤfters, daß ſolche von den Regenten ſelbſt einan - der, zuweilen auf vorherige Anfrage, zum Theil durch eigne Geſandſchaften, zugeſchickt und von dieſen ange - nommen werden a]. An ſich kann ieder unabhaͤngige Regent nach Wilkuͤhr hierunter verfahren und Orden errichten, welche er will, ohne daß ihm andere Nazio - nen Einhalt thun koͤnten b]. Es komt freilich darauf an, ob er Anſehn genug hat, um ſeinen Ehrenzeichen, hauptſaͤchlich bey Auswaͤrtigen, Achtung zu verſchaf - fen; indem es allerdings von deren Gurbefinden ab - haͤngt, ob ſie ſolche annehmen und ihren Unterthanen zu tragen erlauben wollen c]. Bey bedenklichen Faͤllen kann es ihnen nicht veruͤblet werden, wenn ſie derglei - chen Rittern bey ſich nicht den Zutritt verſtatten d].
In Anſehung des Ordens vom goldenen Vließ iſt wegen des Grosmeiſterthums und wegen des Rechts, dieſen Orden zu ertheilen, bekantlich ein langwieriger noch unentſchiedener Streit zwiſchen Spanien und dem Hauſe Oeſterreich. Doch bedienen beide ſich dieſes Rechts e]. Bey dieſer ganzen Materie iſt ebenfals viel Wilkuͤhrliches und in das Voͤlkerrecht nicht gehoͤrige anzutreffen.
Die Anordnung des Hofſtaats, die Aufſchlagung der Reſidenz, deren Einrichtung, Verzierung ꝛc. haͤn - gen lediglich von der Wilkuͤhr der Regenten ab, und ſind ſelten ein Gegenſtand des Voͤlkerrechts, wenn nicht beſondere Umſtaͤnde eine Verabredung zwiſchen mehrern Nazionen daruͤber veranlaſſen a]. Wer ſeinen Wohnſitz unter der Hoheit einer andern Nazion waͤhlt, muß, wenn Vertraͤge oder Herkommen keine naͤhere Beſtimmung der beiderſeitigen Gerechtſame an die Hand geben, allerdings deshalb die Verfuͤgungen der hoͤchſten Herſchaft anerkennen, unter deren Gebiete die Woh - nung liegt b].
Die bloſſen Landesherrn unter ſich haben hierinn, beſonders was die Annahme und Veraͤnderung derG g 3Wuͤr -470Von den Titeln, WapenWuͤrden, Titel und Wapen ꝛc. anlanget, mindere Freiheit, und beduͤrfen in den meiſten Stuͤcken der Einwilligung des Reichsoberhaupts, zum Theil auch, wenn es z. B. bey der neuern Wuͤrde mit auf Sitz und Stimme ankomt, ihrer Mitſtaͤnde a]. Gegen aus - waͤrrige Nazionen aber haben ſie weiter keine Verbind - lichkeiten, als andere freie Nazionen unter ſich. Wenn die Erhoͤhung der Wuͤrde ꝛc. daher mit Einwilligung der dabey intereſſirten Theile geſchieht, ſo kann ſie von den uͤbrigen Landesherrn nicht fuͤglich verweigert wer - den, und die Anerkennung findet gewoͤnlich keine Schwierigkeit, es muͤſten denn offenbare Rechte eines oder des andern dadurch gekraͤnkt werden b]. In Be - ziehung auf Auswaͤrtige haͤngt ſolche, wenn es nicht Titel ſind, die ſie in der Eigenſchaft zugleich beſitzender Reichslande, wie Grosbritannien, Daͤnemark, Schwe - den, Preuſſen ꝛc. erhalten, von der beiderſeitigen Wil - kuͤhr ab, und wird ebenfals am ſicherſten durch Ver - traͤge bewuͤrkt c]. Eigenmaͤchtige Anmaaſſungen in Titulaturen, beſonders von Landen, die ein anderer be - ſitzt, werden auch unter den Landesherrn widerſprochen und ſtreitige Titulaturen nicht anerkant d]. In Anſe - hung dieſer iſt es auch unter ihnen gewoͤnlich, ihre Ge - rechtſame wegen deren Gebrauch oder Nichtgebrauch in Vertraͤgen ꝛc. zu verwahren e]. Die Entſcheidung der - gleichen Streitigkeiten gehoͤrt hauptſaͤchlich vor das Reichsoberhaupt, oder ſie muͤſſen auf andere in den Reichsgeſetzen vorgeſchriebene Weiſe beigelegt werden f]. Den Kurfuͤrſten geſteht man die koͤniglichen Ehrenbezei - gungen auch auswaͤrts zu g]. Doch bekommen ſie eben ſo wenig als andere Reichsſtaͤnde den Titel: Majeſtaͤt, welchen auch der Kaiſer denienigen, welche zugleich auswaͤrtige Kronen beſitzen, entweder gar nicht, oder mit Einſchraͤnkung beilegt, wenn ſie lediglich in der Eigenſchaft der Reichsſtaͤnde handeln h]. Das meiſtehier -471und andern Ehrenzeichen der Regenten.hierunter beruht auf das Reichsherkommen, das auch Auswaͤrtige zu befolgen pflegen i].
Viele angeſehene Kur - und Fuͤrſten des Reichs haben Orden errichtet, die ſie auch einander mitthei - len k]. Doch iſt es nicht gewoͤnlich, daß auswaͤrtige Souverains von ihnen dergleichen erhielten, wohl aber geſchieht es oͤfter, daß iene von dieſen damit beehrt werden l].
Die Reſidenz und uͤbrige Hofſtaat iſt ihrer Wilkuͤhr uͤberlaſſen, doch darf deren Einrichtung den Mitſtaͤn - den ꝛc. nicht zum Nachtheil gereichen, beſonders wenn ſie, wie es im teutſchen Reiche zuweilen der Fall iſt, ihre Reſidenz in eines andern Standes Gebiete haben m].
Die perſoͤnlichen und Familienangelegenheiten der Souverains in Europa, welche durch Verwand - ſchaft und Vertraͤge faſt alle mit einander in Verbin - dung ſtehn, ſind, in ſoferne ſie blos ihre Privatver - haͤltniſſe betreffen, und zum Theil nur auf Grundſaͤtze des Wohlſtandes beruhen, ſelten ein Gegenſtand der Voͤlkerverhandlungen, und gehoͤren in dieſer Ruͤckſicht mehr zum Privatfuͤrſtenrecht und der Ceremonielwiſſen - ſchaft als zum Voͤlkerrecht. Ich will mich daher hier - bey nicht weitlaͤuftig aufhalten, ſondern nur eins und das andere bemerken, was auch auf die Rechte und Verhandlungen der Nazionen einigen Einflus zu haben pflegt.
Die Perſon des Regenten iſt, um des algemeinen Beſten willen, nach den Grundſaͤtzen des algemeinen Staatsrechts unverletzlich, und auch die Nazionen ge - gen einander befolgen ihn, ſo daß ſie bey vorkommen - den Anfaͤllen auf die Perſon eines Souverains in Ahn - dung des Verbrechers gewoͤnlich gemeinſchaftliche Sache machen a]; auch bey verſpuͤrten Anſchlaͤgen nicht unter - laſſen, einander zu warnen b]; am wenigſten aber, ſogar im Kriege, ſich dergleichen widrige Abſichten ge - gen dieſelben erlauben c].
Die Souverains der Nazionen muͤſſen ſich aller perſoͤnlichen Beleidigungen gegen einander in Handlun - gen und Schriften enthalten a], widrigenfals der andere allerdings berechtigt iſt, Genugthuung zu fodern b], und ſich ſolche, im Verweigerungsfall, ſelbſt mit Ge - walt der Waffen, zu nehmen c]. Sie duͤrfen auch nicht zugeben, daß ihre Unterthanen z. B. durch belei - digende Schriften d], Zeitungen e], Kupferſtiche ꝛc. ſich dergleichen erlauben, ſondern ſind verbunden, wenn ſie deren Beſtrafung auch nicht freiwillig vornehmen, doch wenigſtens auf Anſuchen des beleidigten Theils, dieſem, zwar, wie obgedacht, nicht durch Auslieferung des Verbrechers, aber doch ſonſt auf eine hinlaͤngliche Art Genugthuung zu verſchaffen f]. Indes fehlt es freilich nicht an Beiſpielen, daß ein Hof die Beleidi - ger wohl gar in Schutz genommen, oder wenigſtens die Beſtrafung derſelben, unter mancherley Vorwand abgelehnt hat g]. Ein incognito reiſender Souverain kann, wenn ihm, ſeiner Verborgenheit wegen, etwa einige Beleidigungen wiederfahren ſeyn ſolten, nicht allemal die ſtrengſte einem Regenten gebuͤhrende Ahn - dung verlangen, weil hier mehr ſeine angenommene Privatperſon in Betrachtung komt. Ueberhaupt iſt die Unterlaſſung eines nicht auf verbindliche Grundſaͤtze beruhenden Ceremoniels, nicht ſowohl fuͤr Beleidigung als fuͤr Unhoͤflichkeit zu achten h].
a] In476Von den perſoͤnlichen VerhaͤltniſſenSouverains, die oͤffentlich durch ein fremdes Ter - ritorium reiſen wollen, pflegen dem Regenten deſſelben, wegen Veranſtaltung der erfoderlichen Bequemlichkei - ten, davon Nachricht zu geben a], ſich auch wohl ein ſicheres Geleit zu erbitten, duͤrfen aber, ohne Erlaub - nis, kein militaͤriſches Gefolge mit ſich fuͤhren b]. Wenn dergleichen Reiſen haͤufiger oder gewoͤnlich vor - kommen, werden auch wohl in Vertraͤgen daruͤber Ab - reden genommen c]. Die Reiſenden muͤſſen ſich aller - dings den algemeinen Landesverfuͤgungen, auch in Ruͤck - ſicht contagioͤſer Zeiten desfals unterwerfen d], wie - wohl ihnen gewoͤnlich auch mancherley Freiheiten, unter andern die Religionsuͤbung fuͤr ſich und ihr Gefolge ꝛc. zugeſtanden werden e]. Das meiſte beruht auf das in iedem Lande eingefuͤhrte Herkommen. Wenigſtens muß man ihnen alle Sicherheit verſchaffen, verlangt aber dagegen von dieſen, daß ſie durch zweideutige Hand - lungen kein Mistrauen erwecken f].
Um Aufſehn und Schwierigkeiten im Ceremoniell zu vermeiden, geſchehen viele Reiſen der Souverains incognito, ſolche ſind indes auf der andern Seite be - denklicher, weil ſie ſich dabey andern unangenehmen Vorfaͤllen ausſetzen g].
Was in Anſehung des Einholens, Empfanges, der Bewirthung, militaͤriſchen Ehrenbezeigungen undder -479der Regenten gegen einander n. d. Voͤlkerrecht.dergleichen Gegenſtaͤnden zu beobachten iſt, gehoͤrt in das Ceremonielweſen, wobey wenig verbindliches Statt findet h]. Das Hauptwerk komt darauf an, ob ein Souverain oͤffentlich und unter ſeinem Namen, oder zwar oͤffentlich aber unter einem fremden Namen oder ganz unbekant reißt i]; in welchem letztern Falle er eigentlich gar kein Ceremoniel verlangen kann k].
Ein Souverain, der ſich in eines andern Landen aufhaͤlt iſt, nach dem ſtrengen Rechte, zwar der Ho -heit480Von den perſoͤnlichen Verhaͤltniſſenheit desienigen Staats, worinn er ſich befindet, unter - worfen a]; vermoͤge eines faſt algemein angenommenen Herkommens aber, verſtattet man ihm, in Ruͤckſicht der mit ſeiner Perſon verbundenen Souverainetaͤt, wenn auch nicht die Ausuͤbung aller Majeſtaͤtsrechte, doch wenigſtens die Befreiung von der Gerichtsbarkeit des andern Souverains fuͤr ſich und ſeine Familie b], ſelbſt wenn er unter einem angenommenen Namen, ie - doch nicht, wenn er ganz incognito als Privatmann reißt. Man geſtattet ihm auch gewoͤnlich die Civilge - richtsbarkeit uͤber ſein Gefolge, allein die Ausuͤbung der peinlichen findet mehrern Anſtand c]. Dies leidet iedoch allerdings eine Ausnahme, wenn eine dieſer Per - ſonen zugleich im Dienſte des Landes-Souverains ſteht d]. Solte der andere Regent indes unerlaubte und feindſeelige Handlungen unternehmen, ſo kann ohn - ſtreitig ſeine Entfernung verlangt, er auch nach Befin - den wohl gar als Feind behandelt werden e].
Dieſer groͤſtenteils auf bloſſe Wilkuͤhr beruhende Gegenſtand gehoͤrt nicht weiter hieher, als in ſoferne man zuweilen durch Vertraͤge a] oder Herkommen b] etwas verbindliches deshalb feſtgeſetzt hat, wie dies der Fall zwiſchen den roͤmiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſern und einigen andern europaͤiſchen Souverains iſt c]. Noch oͤfter aber kommen dergleichen Vertraͤge zwiſchen den letztern und den aſiatiſchen und africaniſchen Staa - ten vor. Die Unterlaſſung ſolcher bedungenen Hoͤflich - keitsbezeigungen kann allerdings geahndet, der uͤbrigen aber, blos als Mangel an Achtung angeſehn und allen - fals Beſchwerde daruͤber gefuͤhrt werden.
Auſſerdem koͤnnen die Souverains noch in verſchie - dene andere perſoͤnliche Verhaͤltniſſe gegen einander kommen, die aber blos von verſchiedenen Zufaͤllen ab - hangen und groͤſtenteils nicht in das Voͤlkerrecht gehoͤ - ren. So wurde z. B. Koͤnig Heinrich IV. in Frank - reich fuͤr ſich und ſeine Nachkommen von der Republik Venedig naturaliſirt a]. Ein nicht unwichtiger Punct iſt noch die Erbrechung ihrer Briefe und Nachſtechung der Sigille, wodurch der eine zuweilen hinter die Ge - heimniſſe des andern zu kommen ſucht. Nach Mo - ſers b] Meinung wird dieſes Unternehmen zwar oͤffent - lich gemisbilligt, pflegt aber doch haͤufig zu geſchehen.
Die perſoͤnlichen Freiheiten der Souverains in einem fremden Territorium erſtrecken ſich nicht auf die unbeweglichen Guͤter, welche er daſelbſt als Privat - perſon beſitzt a]. In Anſehung dieſer muß er ſich den Landesgeſetzen unterwerfen b]. Die beweglichen Guͤter aber, welche ein Souverain durch des andern Terri - torium ſchaffen laͤßt, ſind dem Herkommen nach, auf vorherige Anzeige, aller Abgaben frey. Die Schul - den der Regenten werden wie andere Anſpruͤche behan - delt, und es iſt etwas ſeltenes, daß einer fuͤr des an -dern483Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.dern Schulden Buͤrgſchaft leiſte c]. Mit den daruͤber entſtehenden Streitigkeiten hat es aͤhnliche Bewand - nis d].
Zu den vorzuͤglichſten Familienangelegenheiten gehoͤrt die Vermaͤlung der Regenten. In der Regel koͤn - nen ſie ſich eine Gemalin waͤhlen, welche ſie wollen, gleichen oder ungleichen Standes; und wenn die Ehe nach ihrer Reichsverfaſſung guͤltig, auch wegen der kuͤnftigen Erbfolge der daraus erzeigten Kinder kein Nachtheil fuͤr andere Nazionen zu beſorgen iſt, ſo pfle - gen dieſe nichts dagegen zu erinnern, ſondern die Ge - malin behoͤrig zu erkennen a]. Auch wenn eine regie - rende Monarchin eine Perſon heirathet, die kein Sou -H h 2verain484Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.verain iſt, ſo laſſen ſich die uͤbrigen gewoͤnlich die Ein - richtung gefallen, welche iene, ihrer Grundverfaſſung nach, deshalb zu machen fuͤr gut findet b]. Aus beſon - dern Staatsurſachen ſuchen iedoch andere Nazionen zu - weilen eine Heirath zu hintertreiben c], und laſſen ſich z. B. verſprechen, daß eine Prinzeſſin ꝛc. ſich nicht an - ders, als an ein gewiſſes Haus verheirathe d], oder gewiſſe Perſonen nicht zu Gemalen waͤhle e]. Auſſer - dem haben auch die Souverains Freiheit, ihre Prin - zeſſinnen zu verheirathen an wen ſie wollen, und koͤn - nen daher nicht gezwungen werden, ſie einem Prinzen zu geben, der ſie verlangt f], und eben ſo wenig kann derienige, dem ſie abgeſchlagen wird, ſolches als Be - leidigung oder Urſach zum Krieg anſehn g]. Die Zu - ruͤckſchickung einer Braut haͤlt man ebenfals fuͤr Belei - digung h]. Vormals maßten die Paͤpſte, unter dem Schein der Diſpenſation ꝛc. ſich mancherley Rechte in Eheſachen an, und hatten dadurch, wegen der Hin - derniſſe, die ſie in Weg ſetzten, zugleich einen betraͤcht - lichen Einflus in die Erbfolge i].
In Anſehung der Titulaturen, des Ranges und uͤbrigen Ceremoniels, genieſſen ſie groͤſtenteils gleiche Behandlung mit ihren Gemalen k]. Welche Gerecht - ſame und Vorzuͤge dem niedern Gemale einer regieren - den Monarchin zuſtehen ſollen, komt auf die Verfaſ - ſung an, und werden ihnen ſolche auch nicht leicht von andern Souverains verweigert l].
Hierbey komt wenig ins Voͤlkerrecht eigentlich Ge - hoͤrige zu bemerken vor. Von den durch die Geburt erlangten Erbfolgsrechten habe ich ſchon oben gehan - delt. Daß die Souverains einander bey der Geburt ihrer Kinder zu Gevattern zu bitten, und ſich alsdenn in den Curialen dieſes Titels gegen einander zu bedie - nen pflegen a], ob ſie gleich heutzutage ſelten mehr per - ſoͤnlich bey der Taufe erſcheinen b], iſt mehr eine wil - kuͤhrliche Ceremonielſache. Die erſtgebohrnen Soͤhneund487Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.und Erbprinzen in den meiſten europaͤiſchen Staaten fuͤhren einen beſondern Titel, den ihnen auch Auswaͤr - tige geben. So heißt er bekantlich in Frankreich der Dauphin; in Grosbritannien: Prinz von Wallis; in Portugal: Prinz von Braſilien; in Spanien: Prinz von Aſturien; in Sardinien: Prinz von Pie - mont; in Rußland: Grosfuͤrſt ꝛc. c]. Uebrigens haͤngen auch der Rang und die uͤbrigen Titel ꝛc. der Prinzen und Prinzeſſinnen ꝛc. von dem herkomlichen Ceremoniel eines ieden Hofes ab, welches andere ſich gewoͤnlich hierunter gefallen laſſen. Die natuͤrlichen und legitimirten Kinder der Souverains werden, ohne ihnen desfals einen Vorwurf zu machen, faſt uͤberall der hoͤchſten ſubalternen Wuͤrden faͤhig geachtet und ſieht man hierbey eben nicht ſo ſehr auf die Ahnen d]. Die auswaͤrtigen Nazionen richten ſich mehrenteils nach dem, was der Vater, mit Genehmigung der uͤb - rigen Glieder der Familie, ihrenthalben verordnet e]. Ihre Erbfaͤhigkeit iſt, wie ſchon gedacht, nach der Grundverfaſſung zu beurteilen, welches auch von den Vormundſchaften, Curatelen f], Emancipationen ꝛc. g] der Kinder uͤberhaupt gilt. Betruͤger, welche ſich fuͤr Anverwandte eines ſouverainen Hauſes ausgeben, pfle - gen auch auswaͤrts nicht gedultet, ſondern nach Befin - den beſtraft zu werden h].
In die Streitigkeiten der Souverains mit ihren Gemalinnen, Kindern und uͤbrigen Gliedern der Fa - milie haben andere Nazionen kein Recht ſich zu miſchen; ſie thun es auch ſelten weiter, als daß ſie, beſonders die Verwandte, ihre Vermittelung, iedoch mit Be - hutſamkeit, anwenden a]. Man ſieht es daher als Beleidigung an, wenn ein anderer Regent hierinn wei - ter geht, und z. B. den Kindern, welche iener als ungehorſame ꝛc. betrachtet, Aufenthalt und Unterſtuͤ - tzung gewaͤhrt b], und es wird auch wohl deren Aus - lieferung verlangt. Indes pflegen die Souverains doch von dergleichen Familienzwiſten, als einer erfolg - ten Eheſcheidung ꝛc. Nachricht zu geben c]. Jeder Sou - verain kann mit ſeiner Familie nach Wilkuͤhr Vertraͤge errichten, ohne daß Auswaͤrtige dagegen etwas zu ſagen haben, wenn ihren Rechten dadurch nicht zu nahe ge -treten489Von den Familienangelegenheiten d. Regenten.treten wird. Dieſe laſſen daher gemeiniglich das auch bey ſich gelten, was iene in ihren Familienangelegen - heiten feſtzuſetzen fuͤr gut finden d]. Werden andere um Uebernahme der Garantie dergleichen Vertraͤge er - ſucht, ſo finden dabey ebenfals die bey den Garantieen uͤberhaupt angenommenen Grundſaͤtze Statt.
Uebrigens iſt es gewoͤnlich, daß die Souverains, vorzuͤglich die, welche in Freundſchaft oder Bundsge - noſſenſchaft ſtehn, einander von allen vorfallenden an - genehmen und traurigen Begebenheiten, welche ſie und ihre Familie betreffen, Nachricht ertheilen, als von Geburten, Vermaͤhlungen, Todesfaͤllen ꝛc. a]. Dies geſchieht, wie von den Notificationen bey der Thron - beſteigung bereits erinnert worden, entweder durch Schreiben oder durch muͤndliche Eroͤfnung des gewoͤn - lichen oder eines auſſerordentlichen Geſandten, und wird auf aͤhnliche Art beantwortet, auch die Theilnahme durch Freudenbezeigungen, Feſte, oder Anlegung der Trauer, Anordnung von Exequien ꝛc. an den Tag ge - legt b]. Ehe die Notification erfolgt, nehmen andere Souverains meiſt keine Wiſſenſchaft von dergleichen Vorfaͤllen c].
Auch Beleidigungen, welche Perſonen die zur Fa - milie eines Souverains gehoͤren, zugefuͤgt werden, gehen nicht leicht ungeahndet hin. Wenigſtens pflegen die auswaͤrtigen verwandten Souverains ſich der Be - leidigten anzunehmen. Die in neuern Zeiten vorge - kommenen Faͤlle in Daͤnemark, den Vereinigten und oͤſterreichiſchen Niederlanden koͤnnen hier zum Beiſpiel dienen.
Die perſoͤnlichen und Familienangelegenheiten der teutſchen Landesherrn unter ſich gehoͤren groͤſtenteils in das teutſche Privat-Fuͤrſtenrecht und zum Theil insStaats -493Von den Familenangelegenheiten d. Regenten.Staatsrecht, und muͤſſen nach den vorhandenen kai - ſerlichen Privilegien, errichteten Haus - und Fami - lienvertraͤgen, den gemeinen Reichs - und andern einge - fuͤhrten Geſetzen und dem Herkommen ꝛc. beurteilt und entſchieden werden, welches hauptſaͤchlich dem Reichs - oberhaupte und den Reichsgerichten obliegt. Nur ſel - ten kann die Anwendung des Voͤlkerrechts dabey Statt finden a], wohl aber dient es zwiſchen ihnen und aus - waͤrtigen Nazionen hierbey lediglich zur Richtſchnur. In beiderley Beziehungen ſind die gegenſeitigen Belei - digungen zu unterlaſſen. Die Beſtimmung der Ge - nugthuung beruht iedoch im erſtern Verhaͤltniſſe auf das oberſtrichterliche Erkentnis b], im zweiten hingegen muß ſie auf die unter Voͤlkern uͤbliche Art geſchehen c]. Die Durchreiſe kann einem Landesherrn durch des an - dern Landen nicht verwehrt werden, ob und mit wel - chen Ehrenbezeigungen dieſer ienen aber aufnehmen wolle, komt auf Wilkuͤhr oder Herkommen an. We - gen der Gerichtsbarkeit, des Gleits, der Zollfreiheit ꝛc. geben zum Theil die Reichsgeſetze Vorſchriften, und muß im uͤbrigen der reiſende Landesherr ſich den Landes - anſtalten gemaͤs bezeigen d]. Auch die freiwilligen Hoͤflichkeitsbezeigungen und Theilnahme an den Fami - lienvorfallenheiten, ſind unter ihnen ſelbſt ſowohl als gegen auswaͤrtige Souverains, ſo wie ſie unter letztern uͤblich, groͤſtenteils hergebracht.
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