Italien
1828
Hafis auch und Ulrich Hutten Mußten ganz beſtimmt ſich ruͤſten Wider braun 'und blaue Kutten, Meine gehn wie andre Chriſten.
Ein edles Gemuͤth kommt nie in Eure Rechnung; und daran ſcheitert heute Eure Weisheit. (Er oͤffnet ſeinen Schreibtiſch, nimmt zwey Piſtolen heraus, wovon er das eine auf den Tiſch legt und das andre ladet.)(Robert's Macht der Verhaͤltniſſe. )[5]
Ich bin der hoͤflichſte Menſch von der Welt. Ich thue mir was darauf zu gute, niemals grob geweſen zu ſeyn auf dieſer Erde, wo es ſo viele unertraͤgliche Schlingel giebt, die ſich zu einem hinſetzen und ihre Leiden erzaͤhlen oder gar ihre Verſe deklamiren; mit wahrhaft chriſt¬ licher Geduld habe ich immer ſolche Miſere ruhig angehoͤrt, ohne nur durch eine Miene zu ver¬ rathen, wie ſehr ſich meine Seele ennuirte. Gleich einem buͤßenden Braminen, der ſeinen Leib dem Ungeziefer Preis giebt, damit auch6 dieſe Gottesgeſchoͤpfe ſich ſaͤttigen, habe ich dem fatalſten Menſchengeſchmeiß oft tagelang Stand gehalten und ruhig zugehoͤrt,[und] meine inneren Seufzer vernahm nur Er, der die Tu¬ gend belohnt.
Aber auch die Lebensklugheit gebietet uns hoͤflich zu ſeyn, und nicht verdrießlich zu ſchwei¬ gen, oder gar Verdrießliches zu erwiedern, wenn irgend ein ſchwammiger Kommerzienrath oder duͤrrer Kaͤſekraͤmer ſich zu uns ſetzt, und ein allgemein europaͤiſches Geſpraͤch anfaͤngt mit den Worten: „ Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung. “ Man kann nicht wiſſen, wie man mit einem ſolchen Philiſter wieder zuſammentrifft, und er kann es uns dann bitter eintraͤnken, daß wir nicht hoͤflich geantwortet: „ Die Witterung iſt ſehr ſchoͤn. “ Es kann ſich ſogar fuͤgen, lieber Leſer, daß Du zu Caſſel an der Table d'Hôte neben beſagtem Philiſter zu ſitzen koͤmmſt, und7 zwar an ſeine linke Seite, und er iſt juſt der Mann, der die Schuͤſſel mit braunen Karpfen vor ſich ſtehen hat und luſtig austheilt; — hat er nun eine alte Pique auf Dich, dann reicht er die Teller immer rechts herum, ſo daß auch nicht das kleinſte Schwanzſtuͤckchen fuͤr Dich uͤbrig bleibt. Denn ach! du biſt juſt der Dreizehnte bei Tiſch, welches immer bedenklich iſt, wenn man links neben dem Trancheur ſitzt, und die Teller rechts herumgereicht werden. Und keine Karpfen bekommen, iſt ein großes Uebel; naͤchſt dem Verluſt der Nationalkokarde vielleicht das groͤßte. Der Philiſter, der Dir dieſes Uebel bereitet, verhoͤhnt Dich noch obendrein, und offerirt Dir die Lorbeeren, die in der braunen Sauce liegen geblieben; — ach! was helfen einem alle Lorbeeren, wenn keine Karpfen dabei ſind! — und der Philiſter blinzelt dann mit den Aeuglein, und kichert und liſpelt: Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung.
8Ach, liebe Seele, es kann ſich ſogar fuͤgen, daß Du auf irgend einem Kirchhofe neben dieſem ſelben Philiſter zu liegen koͤmmſt, und hoͤrſt Du dann am juͤngſten Tage die Poſaune erſchallen und ſagſt zu Deinem Nachbar: „ Guter Freund, reichen Sie mir gefaͤlligſt die Hand, damit ich aufſtehen kann, das linke Bein iſt mir einge¬ ſchlafen von dem verdammt langen Liegen! “dann bemerkſt Du ploͤtzlich das wohlbekannte Philiſterlaͤcheln, und hoͤrſt die hoͤhniſche Stimme: Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung.
9„ Es iſt heute eine ſcheene Witterung — “
Haͤtteſt Du, lieber Leſer, den Ton gehoͤrt, den unuͤbertrefflichen Fiſtelbaß, womit dieſe Worte geſprochen wurden, und ſaheſt Du gar den Sprecher ſelbſt, das erzproſaiſche Wittwenkaſſen¬ geſicht, die ſtockgeſcheuten Aeuglein, die aufge¬ ſtuͤlpt pfiffige Forſchungsnaſe: ſo erkannteſt Du gleich, dieſe Blume iſt keinem gewoͤhnlichen Sande entſproſſen, und dieſe Toͤne ſind die Sprache Charlottenburgs, wo man das Berliniſche noch beſſer ſpricht als in Berlin ſelbſt.
10Ich bin der hoͤflichſte Menſch von der Welt, und eſſe gern braune Karpfen, und glaube zu¬ weilen an Auferſtehung, und ich antwortete: In der That, die Witterung iſt ſehr ſcheene.
Als der Sohn der Spree dermaßen geen¬ tert, ging er erſt recht derb auf mich ein, und ich konnte mich nimmermehr losreißen von ſeinen Fragen und Selbſtbeantwortungen, und abſon¬ derlich von ſeinen Parallelen zwiſchen Berlin und Muͤnchen, dem neuen Athen, dem er kein gutes Haar ließ.
Ich aber nahm das neue Athen ſehr in Schutz, wie ich denn immer den Ort zu loben pflege, wo ich mich eben befinde. Daß ſolches diesmal auf Koſten Berlins geſchah, das wirſt Du mir gern verzeihen, lieber Leſer, wenn ich Dir unter der Hand geſtehe, dergleichen geſchieht zumeiſt aus purer Politik; denn ich weiß, ſobald11 ich anfange, meine guten Berliner zu loben, ſo hat mein Ruhm bey ihnen ein Ende, und ſie zucken die Achſel und fluͤſtern einander zu: Der Menſch wird ſehr ſeicht, uns ſogar lobt er. Keine Stadt hat nemlich weniger Lokalpatriotis¬ mus als Berlin. Tauſend miſerable Schrift¬ ſteller haben Berlin ſchon in Proſa und Verſen gefeyert,[und] es hat in Berlin kein Hahn da¬ nach gekraͤht, und kein Huhn iſt ihnen dafuͤr gekocht worden, und man hat ſie unter den Linden immer noch fuͤr miſerable Poeten gehal¬ ten, nach wie vor. Dagegen hat man eben ſo wenig Notiz davon genommen, wenn irgend ein After-Poet etwa in Parabaſen auf Berlin losſchalt. Wage es aber mal jemand gegen Polkwitz, Insbruck, Schilda, Poſen, Kraͤhwinkel und andre Hauptſtaͤdte etwas Anzuͤgliches zu ſchreiben! Wie wuͤrde ſich der reſpektive Patrio¬ tismus dort regen! Der Grund davon iſt: Berlin iſt gar keine Stadt, ſondern Berlin giebt12 bloß den Ort dazu her, wo ſich eine Menge Menſchen, und zwar darunter viele Menſchen von Geiſt, verſammeln, denen der Ort ganz gleichguͤltig iſt; dieſe bilden das geiſtige Berlin. Der durchreiſende Fremde ſieht nur die langge¬ ſtreckten, uniformen Haͤuſer, die langen breiten Straßen, die nach der Schnur und meiſtens nach dem Eigenwillen eines Einzelnen gebaut ſind, und keine Kunde geben von der Denkweiſe der Menge. Nur Sonntagskinder vermoͤgen etwas von der Privatgeſinnung der Einwohner zu errathen, wenn ſie die langen Haͤuſerreihen betrachten, die ſich, wie die Menſchen ſelbſt, von einander fern zu halten ſtreben, erſtarrend im gegenſeitigen Groll. Nur einmal, in einer Mondnacht, als ich etwas ſpaͤt von Luther und Wegener heim¬ kehrte, ſah ich wie jene harte Stimmung ſich in milde Wehmuth aufgeloͤſt hatte, wie die Haͤu¬ ſer, die einander ſo feindlich gegenuͤber geſtanden, ſich geruͤhrt baufaͤllig chriſtlich anblickten, und ſich13 verſoͤhnt in die Arme ſtuͤrzen wollten; ſo daß ich armer Menſch, der in der Mitte der Straße ging, zerquetſcht zu werden fuͤrchtete. Manche werden dieſe Furcht laͤcherlich finden, und auch ich laͤchelte daruͤber, als ich, nuͤchternen Blicks, den andern Morgen durch eben jene Straßen wanderte, und ſich die Haͤuſer wieder ſo proſaiſch entgegen gaͤhnten. Es ſind wahrlich mehrere Flaſchen Poeſie dazu noͤthig, wenn man in Ber¬ lin etwas anderes ſehen will als todte Haͤuſer und Berliner. Hier iſt es ſchwer, Geiſter zu ſehen. Die Stadt enthaͤlt ſo wenig Alter¬ thuͤmlichkeit, und iſt ſo neu; und doch iſt dieſes Neue ſchon ſo alt, ſo welk und abgeſtorben. Denn ſie iſt groͤſtentheils, wie geſagt, nicht aus der Geſinnung der Maſſe, ſon¬ dern Einzelner entſtanden. Der große Fritz iſt wohl unter dieſen wenigen der vorzuͤglichſte, was er vorfand, war nur feſte Unterlage, erſt von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen14 Charakter, und waͤre ſeit ſeinem Tode nichts mehr daran gebaut worden, ſo bliebe ein hiſto¬ riſches Denkmal von dem Geiſte jenes proſaiſch wunderſamen Helden, der die raffinirte Geſchmack¬ loſigkeit und bluͤhende Verſtandesfreyheit, das Seichte und das Tuͤchtige ſeiner Zeit, recht deutſch-tapfer in ſich ausgebildet hatte. Potsdam z. B. erſcheint uns als ein ſolches Denkmal, durch ſeine oͤden Straßen wandern wir wie durch die hinterlaſſenen Schriftwerke des Philo¬ ſophen von Sansſouci, es gehoͤrt zu deſſen oeuvres posthumes, und obgleich es jetzt nur ſteinernes Makulatur iſt und des Laͤcherlichen genug enthaͤlt, ſo betrachten wir es doch mit ernſtem Intereſſe, und unterdruͤcken hie und da eine aufſteigende Lachluſt, als fuͤrchteten wir ploͤtzlich einen Schlag auf den Ruͤcken zu be¬ kommen, wie von dem ſpaniſchen Roͤhrchen des großen Fritz. Solche Furcht aber befaͤllt uns nimmermehr in Berlin, da fuͤhlen wir, daß der15 alte Fritz und ſein ſpaniſches Roͤhrchen keine Macht mehr uͤben; denn ſonſt wuͤrde aus den alten, aufgeklaͤrten Fenſtern der geſunden Vernunft¬ ſtadt nicht ſo manch krankes Obſkurantengeſicht herausglotzen, und ſo manch dummes, aber¬ glaͤubiſches Gebaͤude wuͤrde ſich nicht unter die alten ſkeptiſch philoſophiſchen Haͤuſer eingeſiedelt haben. Ich will nicht mißverſtanden ſeyn, und bemerke ausdruͤcklich, ich ſtichle hier keinesweges auf die neue Werderſche Kirche, jenen gothi¬ ſchen Dom in verjuͤngtem Maßſtabe, der nur aus Ironie zwiſchen die modernen Gebaͤude hin¬ geſtellt iſt, um allegoriſch zu zeigen, wie laͤp¬ piſch und albern es erſcheinen wuͤrde, wenn man alte, laͤngſt untergegangene Inſtitutionen des Mittelalters wieder neu aufrichten wollte, unter den neuen Bildungen einer neuen Zeit.
Das oben Angedeutete gilt bloß von Ber¬ lins aͤußerlicher Erſcheinung, und wollte man16 in dieſer Beziehung Muͤnchen damit vergleichen, ſo koͤnnte man mit Recht behaupten: letzteres bilde ganz den Gegenſatz von Berlin. Muͤnchen nemlich iſt eine Stadt, gebaut von dem Volke ſelbſt, und zwar von auf einander folgenden Generazionen, deren Geiſt noch immer in ihren Bauwerken ſichtbar, ſo daß man dort, wie in der Hexenſcene des Makbeth, eine chronologiſche Geiſterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiſte des Mittelalters, der geharniſcht aus gothiſchen Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geiſt unſerer eignen Zeit, der uns einen Spiegel entgegenhaͤlt, worin jeder ſich ſelbſt mit Vergnuͤgen anſchaut. In dieſer Reihenfolge liegt eben das Verſoͤhnende; das Barbariſche empoͤrt uns nicht mehr und das Abgeſchmackte verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfaͤnge und nothwendige Uebergaͤnge betrachten. Wir ſind ernſt, aber nicht unmuthig bey dem Anblick jenes barbariſchen Doms, der ſich noch immer, in17[ſtie]ſelknechtlicher Geſtalt, uͤber die ganze Stadt[er]hebt und die Schatten und Geſpenſter des Mittelalters in ſeinem Schooße verbirgt. Mit eben ſo wenig Unmuth, ja ſogar mit ſpaßhaf¬ ter Ruͤhrung, betrachten wir die haarbeuteligen Schloͤſſer der ſpaͤtern Periode, die plump deut¬ ſchen Nachaͤffungen der glatt franzoͤſiſchen Un¬ natur, die Prachtgebaͤude der Abgeſchmacktheit, toll ſchnoͤrkelhaft von Außen, von Innen noch putziger dekorirt mit ſchreyend bunten Allegorien, vergoldeten Arabesken, Stukkaturen, und jenen Schildereyen, worauf die ſeligen hohen Herr¬ ſchaften abkonterfeyt ſind: die Cavaliere mit rothen, betrunken nuͤchternen Geſichtern, woruͤber die Alongeperuͤcken, wie gepuderte Loͤwenmaͤhnen, herabhaͤngen, die Damen mit ſteifem Toupet, ſtaͤhlernem Corſet, das ihr Herz zuſammenſchnuͤrte, und ungeheurem Reifrock, der ihnen deſto mehr pro¬ ſaiſche Ausdehnung gewaͤhrte. Wie geſagt, dieſer Anblick verſtimmt uns nicht, er traͤgt vielmehr218dazu bey, uns die Gegenwart und ihren lichten Werth recht lebhaft fuͤhlen zu laſſen, und wenn wir die neuen Werke betrachten, die ſich neben den alten erheben, ſo iſt's, als wuͤrde uns eine ſchwere Peruͤcke vom Haupte genommen und das Herz befreyt von ſtaͤhlerner Feſſel. Ich ſpreche hier von den heiteren Kunſttempeln und edlen Pallaͤſten, die in kuͤhner Fuͤlle hervor¬ bluͤhen aus dem Geiſte Klenze's, des großen Meiſters.
19Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen nennt, iſt, unter uns geſagt, etwas ridi¬ kuͤl, und es koſtet mich viele Muͤhe, wenn ich ſie in ſolcher Qualitaͤt vertreten ſoll. Dieſes empfand ich aufs Tiefſte in dem Zweygeſpraͤch mit dem Berliner Philiſter, der, obgleich er ſchon eine Weile mit mir geſprochen hatte, un¬ hoͤflich genug war, alles attiſche Salz im neuen Athen zu vermiſſen.
Des, rief er ziemlich laut, giebt es nur in Berlin. Da nur iſt Witz und Ironie. Hier2 *20giebt es gutes Weißbier, aber wahrhaftig keine Ironie.
Ironie haben wir nicht — rief Nannerl, die ſchlanke Kellnerin, die in dieſem Augenblick vorbeyſprang — aber jedes andre Bier koͤnnen Sie doch haben.
Daß Nannerl die Ironie fuͤr eine Sorte Bier gehalten, vielleicht fuͤr das beſte Stetti¬ ner, war mir ſehr leid, und damit ſie ſich in der Folge wenigſtens keine ſolche Bloͤße mehr gebe, begann ich folgendermaßen zu doziren: Schoͤnes Nannerl, die Ironie is ka Bier, ſondern eine Erfindung der Berliner, der kluͤg¬ ſten Leute von der Welt, die ſich ſehr aͤrgerten, daß ſie zu ſpaͤt auf die Welt gekommen ſind, um das Pulver erfinden zu koͤnnen, und die deßhalb eine Erfindung zu machen ſuchten, die eben ſo wichtig und eben denjenigen, die das Pulver21 nicht erfunden haben, ſehr nuͤtzlich iſt. Ehe¬ mals, liebes Kind, wenn jemand eine Dumm¬ heit beging, was war da zu thun? das Ge¬ ſchehene konnte nicht ungeſchehen gemacht wer¬ den, und die Leute ſagten: der Kerl war ein Rindvieh. Das war unangenehm. In Berlin, wo man am kluͤgſten iſt und die meiſten Dumm¬ heiten begeht, fuͤhlte man am tiefſten dieſe Un¬ annehmlichkeit. Das Miniſterium ſuchte dagegen ernſthafte Maßregeln zu ergreifen: bloß die groͤ¬ ßeren Dummheiten durften noch gedruckt wer¬ den, die kleineren erlaubte man nur in Geſpraͤ¬ chen, ſolche Erlaubniß erſtreckte ſich nur auf Profeſſoren und hohe Staatsbeamte, geringere Leute durften ihre Dummheiten bloß im Ver¬ borgenen laut werden laſſen; — aber alle dieſe Vorkehrungen halfen nichts, die unterdruͤckten Dummheiten traten bei auſſerordentlichen An¬ laͤſſen deſto gewaltiger hervor, ſie wurden ſogar heimlich von oben herab protegirt, ſie ſtiegen22 oͤffentlich von unten hinauf, die Noth war groß, bis endlich ein ruͤckwirkendes Mittel er¬ funden ward, wodurch man jede Dummheit gleichſam ungeſehen machen und ſogar in Weis¬ heit umgeſtalten kann. Dieſes Mittel iſt ganz einfach, und beſteht darin, daß man erklaͤrt, man habe jene Dummheit bloß aus Ironie begangen oder geſprochen. So, liebes Kind, avancirt alles in dieſer Welt, die Dummheit wird Ironie, verfehlte Speichelleckerey wird Satyre, natuͤrliche Plumpheit wird kunſtreiche Perſiflage, wirklicher Wahnſinn wird Humor, Unwiſſenheit wird brillanter Witz, und Du wirſt am Ende noch die Aspaſia des neuen Athens.
Ich haͤtte noch mehr geſagt, aber das ſchoͤne Nannerl, das ich unterdeſſen am Schuͤr¬ zenzipfel feſthielt, riß ſich gewaltſam los, als man von allen Seiten „ A Bier! A Bier! “23gar zu ſtuͤrmiſch forderte. Der Berliner aber ſah aus wie die Ironie ſelbſt, als er bemerkte, mit welchem Enthuſiasmus die hohen ſchaͤumenden Glaͤſer in Empfang genommen wurden; und indem er auf eine Gruppe Biertrinker hindeutete, die ſich den Hopfennektar von Herzen ſchmecken ließen, und uͤber deſſen Vortrefflichkeit disputirten, ſprach er laͤchelnd: das wollen Athenienſer ſind?
Die Bemerkungen, die der Mann bey dieſer Gelegenheit nachſchob, thaten mir ordentlich weh, da ich fuͤr unſer neues Athen keine geringe Vorliebe hege, und ich beſtrebte mich daher, dem raſchen Tadler zu bedeuten: daß wir erſt ſeit Kurzem auf den Gedanken gekommen ſind, uns als ein neues Athen aufzuthun, daß wir erſt junge Anfaͤnger ſind, und unſere großen Geiſter, ja unſer ganzes gebildetes Publikum noch nicht danach ein¬ gerichtet iſt, ſich in der Naͤhe ſehen zu laſſen. Es iſt alles noch im Entſtehen und wir ſind noch nicht24 komplet. Nur die unterſten Faͤcher, lieber Freund, fuͤgte ich hinzu, ſind erſt beſetzt, und es wird Ihnen nicht entgangen ſeyn, daß wir z. B. an Eulen, Sykophanten und Phrynen keinen Mangel haben. Es fehlt uns nur an dem hoͤhern Per¬ ſonal, und mancher muß mehrere Rollen zu gleicher Zeit ſpielen. Z. B. unſer Dichter, der die zarte griechiſche Knabenliebe beſingt, hat auch die ariſtophaniſche Grobheit uͤbernehmen muͤſſen; aber er kann alles machen, er hat alles was zu einem großen Dichter gehoͤrt, außer etwa Phantaſie und Witz, und wenn er viel Geld haͤtte, waͤre er ein reicher Mann. Was uns aber an Quantitaͤt fehlt, das erſetzen wir durch Qualitaͤt. Wir haben nur einen großen Bild¬ hauer, — aber es iſt ein “Loͤwe! „ Wir haben nur einen großen Redner, aber ich bin uͤberzeugt, daß Demoſthenes uͤber den Malz¬ aufſchlag in Attika nicht ſo gut donnern konnte. Wenn wir noch keinen Sokrates vergiftet haben,25 ſo war es wahrhaftig nicht das Gift, welches uns dazu fehlte. Und wenn wir noch keinen eigentlichen Demos, ein ganzes Demagogenvolk beſitzen, ſo koͤnnen wir doch mit einem Pracht¬ exemplare dieſer Gattung, mit einem Dema¬ gogen von Handwerk aufwarten, der ganz allein einen ganzen Demos, einen ganzen Haufen Großſchwaͤtzer, Maulaufſperrer, Poltrons und ſonſtigen Lumpengeſindels, aufwiegt — und hier ſehen Sie ihn ſelbſt.
Ich kann der Verſuchung nicht widerſtehen, die Figur, die ſich uns jetzt praͤſentirte, etwas genauer zu bezeichnen. Ob dieſe Figur mir Recht behauptet, daß ihr Kopf etwas Menſch¬ liches habe und ſie daher juriſtiſch befugt ſey, ſich fuͤr einen Menſchen auszugeben, das laſſe ich dahin geſtellt ſeyn. Ich wuͤrde dieſen Kopf vielmehr fuͤr den eines Affen halten; nur aus Courtoiſie will ich ihn fuͤr menſchlich paſſiren26 laſſen. Seine Bedeckung beſtand aus einer Tuchmuͤtze, in der Form aͤhnlich dem Helm des Mambrin, und ſteifſchwarze Haare hingen lang herab und waren vorn à l'enfant ge¬ ſcheitelt. Auf dieſe Vorderſeite des Kopfes, die ſich fuͤr ein Geſicht ausgab, hatte die Goͤttin der Gemeinheit ihren Stempel gedruͤckt, und zwar ſo ſtark, daß die dort befindliche Naſe faſt zerquetſcht worden; die niedergeſchlagenen Augen ſchienen dieſe Naſe vergebens zu ſuchen und deßhalb betruͤbt zu ſeyn; ein uͤbelriechendes Laͤcheln ſpielte um den Mund, der uͤberaus lieb¬ reizend war, und durch eine gewiſſe frappante Aehnlichkeit unſeren griechiſchen After-Dichter zu den zarteſten Gaſelen begeiſtern konnte. Die Be¬ kleidung war ein altdeutſcher Rock, zwar ſchon etwas modifizirt nach den dringendſten Anfor¬ derungen der neueuropaͤiſchen Civiliſazion, aber im Schnitt noch immer erinnernd an den, wel¬ chen Arminius im teutoburger Walde getragen,27 und deſſen Urform ſich unter einer patriotiſchen Schneidergeſellſchaft eben ſo geheimnißvoll traditio¬ nel erhalten hat, wie einſt die gothiſche Bau¬ kunſt unter einer myſtiſchen Maurergilde. Ein weißgewaſchener Lappen, der mit dem bloßen, altdeutſchen Halſe tiefbedeutſam kontraſtirte, be¬ deckte den Kragen dieſes famoſen Rockes, aus ſeinen langen Aermeln hingen lange ſchmutzige Haͤnde, zwiſchen dieſen zeigte ſich ein lang¬ weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige Beine ſchlotterten — die ganze Geſtalt war eine katzenjaͤmmerliche Parodie des Apoll von Belvedere.
Und des iſt der Demagog des neuen Athens? frug ſpottlaͤchelnd der Berliner. Du juter Jott, des iſt ja ein Landsmann von mich! Ich traue kaum meinen leiblichen Augen — des iſt ja derjenige welcher — Ne, des iſt die Moͤglichkeit!
28Ja, Ihr verblendeten Berliner — ſprach ich, nicht ohne Feuer — Ihr verkennt Eure heimiſchen Genies, und ſteinigt Eure Propheten. Wir aber koͤnnen Alles gebrauchen!
Und wozu braucht Ihr denn dieſe ungluͤck¬ liche Fliege?
Er iſt zu Allem zu gebrauchen wozu Sprin¬ gen, Kriechen, Gemuͤth, Freſſen, Froͤmmigkeit, viel Altdeutſch, wenig Latein und gar kein Griechiſch noͤthig iſt. Er ſpringt wirklich ſehr gut uͤber'n Stock; macht auch Tabellen von allen moͤglichen Spruͤngen und Verzeichniſſe von allen moͤglichen Lesarten altdeutſcher Gedichte. Dazu repraͤſentirt er die Vaterlandsliebe, ohne im mindeſten gefaͤhrlich zu ſeyn. Denn man weiß ſehr gut, daß er ſich von den altdeutſchen Demagogen, unter welchen er ſich mahl zufaͤllig befunden, zu rechter Zeit zuruͤckgezogen, als ihre29 Sache etwas gefaͤhrlich wurde, und daher mit den chriſtlichen Gefuͤhlen ſeines weichen Herzens nicht mehr uͤbereinſtimmte. Seitdem aber die Gefahr verſchwunden, die Maͤrtyrer fuͤr ihre Geſinnung gelitten, faſt alle ſie von ſelbſt auf¬ gegeben, und ſogar unſere feurigſten Barbiere ihre deutſchen Roͤcke ausgezogen haben, ſeitdem hat die Bluͤthezeit unſeres vorſichtigen Vater¬ landsretters erſt recht begonnen; er allein hat noch das Demagogenkoſtuͤm und die dazu gehoͤ¬ rigen Redensarten beybehalten; er preißt noch immer Arminius den Cherusker und Frau Thus¬ nelda, als ſey er ihr blonder Enkel; er bewahrt noch immer ſeinen germaniſch patriotiſchen Haß gegen welſches Babelthum, gegen die Erfindung der Seife, gegen Thierſch's heidniſch griechiſche Gram¬ matik, gegen Quinctilius Varus, gegen Handſchuh und gegen alle Menſchen die eine anſtaͤndige Naſe haben; — und ſo ſteht er da, als wandelndes Denkmal einer[untergegangenen] Zeit, und wie30 der letzte Mohikan iſt auch er allein uͤbrig ge¬ blieben von einer ganzen thatkraͤftigen Horde, er, der letzte Demagoge. Sie ſehen alſo, daß wir im neuen Athen, wo es noch ganz an Demagogen fehlt, dieſen Mann brauchen koͤn¬ nen, wir haben an ihm einen ſehr guten Dema¬ gogen, der zugleich ſo zahm iſt, daß er jeden Speichelnapf beleckt, und aus der Hand frißt, Haſelnuͤſſe, Kaſtanien, Kaͤſe, Wuͤrſtchen, kurz alles frißt was man ihm giebt; und da er jetzt einzig in ſeiner Art, ſo haben wir noch den beſonderen Vortheil, daß wir ſpaͤterhin, wenn er krepirt iſt, ihn ausſtopfen laſſen und als den letzten Demagogen, mit Haut und Haar, fuͤr die Nachwelt aufbewahren koͤnnen. Ich bitte Sie jedoch, ſagen Sie das nicht dem Pro¬ feſſor Lichtenſtein in Berlin, der ließe ihn ſonſt fuͤr das zoologiſche Muſeum reklamiren, welches Anlaß zu einem Kriege zwiſchen Preußen und Bayern geben koͤnnte, da wir ihn auf keinen31 Fall ausliefern werden. Schon haben die Eng¬ laͤnder ihn aufs Korn genommen und Zwei¬ tauſend ſiebenhundert ſieben und ſiebenzig Gui¬ neen fuͤr ihn geboten, ſchon haben die Oeſt¬ reicher ihn gegen die Giraffe eintauſchen wollen; aber unſer Miniſterium ſoll geaͤußert haben: der letzte Demagog iſt uns fuͤr keinen Preis feil, er wird einſt der Stolz unſeres Naturalienkabinets und die Zierde unſerer Stadt.
Der Berliner ſchien etwas zerſtreut zuzuhoͤren, ſchoͤnere Gegenſtaͤnde hatten ſeine Aufmerkſamkeit in Anſpruch genommen, und er fiel mir endlich in die Rede mit den Worten: Erlauben Sie gehorſamſt, daß ich Sie unterbreche, aber ſagen Sie mir doch, was iſt denn das fuͤr ein[Hund], der dort laͤuft?
Das iſt ein anderer Hund.
32Ach, ſie verſtehen mich nicht, ich meine jenen großen, weißzottigen Hund ohne Schwanz?
Mein lieber Herr, das iſt der Hund des neuen Alcibiades.
Aber, bemerkte der Berliner, ſagen Sie mir doch, wo iſt denn der neue Alcibiades ſelbſt?
Aufrichtig geſtanden, antwortete ich, dieſe Stelle iſt noch nicht beſetzt, und wir haben erſt den Hund.
33Der Ort, wo dieſes Geſpraͤch Statt fand, heißt Bogenhauſen, oder Neuburghauſen, oder Villa Hompeſch, oder Montgelasgarten, oder das Schloͤſſel, ja man braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von Muͤnchen dort hinfahren will, der Kutſcher verſteht uns ſchon an einem gewiſſen durſtigen Augenblinzeln, an einem ge¬ wiſſen vorſeligen Kopfnicken und aͤhnlichen Be¬ zeichnungsgrimaſſen. Tauſend Ausdruͤcke hat der Araber fuͤr ein Schwert, der Franzoſe fuͤr die Liebe, der Englaͤnder fuͤr das Haͤngen, der Deutſche fuͤr das Trinken, und der neuere Athener334ſogar fuͤr die Orte, wo er trinkt. Das Bier iſt an beſagtem Orte wirklich ſehr gut, ſelbſt im Prytaneum, vulgo Bockkeller, iſt es nicht beſſer, es ſchmeckt ganz vortrefflich, beſonders auf jener Treppenterraſſe, wo man die Tyroler Alpen vor Augen hat. Ich ſaß dort oft vorigen Winter und betrachtete die ſchneebedeckten Berge, die, glaͤnzend in der Sonnenbeleuchtung, aus eitel Silber gegoſſen zu ſeyn ſchienen.
Es war damals auch Winter in meiner Seele, Gedanken und Gefuͤhle waren wie eingeſchneit, es war mir ſo verdorrt und todt zu Muthe, dazu kam die leidige Politik, die Trauer um ein liebes geſtorbenes Kind, und ein alter Nachaͤrger und der Schnupfen. Außerdem trank ich viel Bier, weil man mich verſicherte, das gaͤbe leichtes Blut. Doch der beſte attiſche Breihahn wollte nicht fruchten bei mir, der ich mich in England ſchon an Porter gewoͤhnt hatte.
35Endlich kam der Tag, wo alles ganz anders wurde. Die Sonne brach hervor aus dem Himmel und traͤnkte die Erde, das alte Kind, mit ihrer Strahlenmilch, die Berge ſchauerten vor Luſt und ihre Schneethraͤnen floſſen gewal¬ tig, es krachten und brachen die Eisdecken der Seen, die Erde ſchlug die blauen Augen auf, aus ihrem Buſen quollen hervor die liebenden Blumen und die klingenden Waͤlder, die gruͤnen Pallaͤſte der Nachtigallen, die ganze Natur laͤchelte, und dieſes Laͤcheln hieß Fruͤhling. Da begann auch in mir ein neuer Fruͤhling, neue Blumen ſproßten aus dem Herzen, Freiheitsgefuͤhle, wie Roſen, ſchoſſen hervor, auch heimliches Sehnen, wie junge Veilchen, dazwiſchen freilich manch 'unnuͤtze Neſſel. Ueber die Graͤber meiner Wuͤnſche zog die Hoffnung wieder ihr heiteres Gruͤn, auch die Melodieen der Poeſie kamen wieder, wie Zug¬ voͤgel, die den Winter im warmen Suͤden ver¬ bracht und das verlaſſene Neſt im Norden wieder3*36aufſuchen, und das verlaſſene nordiſche Herz klang und bluͤhte wieder wie vormals — nur weiß ich nicht, wie das alles kam. Iſt es eine braune oder blonde Sonne geweſen, die den Fruͤhling in meinem Herzen auf's Neue geweckt, und all' die ſchlafenden Blumen in dieſem Her¬ zen wieder aufgekuͤßt und die Nachtigallen wieder hineingelaͤchelt? War es die wahlverwandte Natur ſelbſt, die in meiner Bruſt ihr Echo ſuchte und ſich gern darin beſpiegelte mit ihrem neuen Fruͤhlingsglanz? Ich weiß nicht, aber ich glaube, auf der Terraſſe zu Bogenhauſen, im Angeſicht der Tyroler Alpen, geſchah meinem Herzen ſolch neue Verzauberung. Wenn ich dort in Gedan¬ ken ſaß, war mir's oft, als ſehe ich ein wunder¬ ſchoͤnes Juͤnglingsantlitz uͤber jene Berge hervor¬ lauſchen, und ich wuͤnſchte mir Fluͤgel, um hin¬ zueilen nach ſeinem Reſidenzland Italien. Ich fuͤhlte mich auch oft angeweht von Zitronen - und Orangenduͤften, die von den Bergen heruͤber¬37 wogten, ſchmeichelnd und verheißend, um mich hinzulocken nach Italien. Einſt ſogar, in der goldenen Abenddaͤmmerung, ſah ich auf der Spitze einer Alpe ihn ganz und gar, lebensgroß, den jungen Fruͤhlingsgott, Blumen und Lorbeeren umkraͤnzten das freudige Haupt, und mit lachen¬ dem Auge und bluͤhendem Munde rief er: Ich liebe Dich, komm zu mir nach Italien!
38Mein Blick mochte daher wohl etwas ſehn¬ ſuͤchtig flimmern, als ich, in Verzweiflung uͤber das unabſehbare Philiſtergeſpraͤch, nach den ſchoͤ¬ nen Tyroler Bergen hinausſah und tief ſeufzte. Mein Berliner Philiſter nahm aber eben dieſen Blick und Seufzer als neue Geſpraͤchsfaͤden auf, und ſeufzte mit: „ Ach ja, ich moͤchte auch jetzt in Konſtantinopel ſeyn! Ach! Konſtantinopel zu ſehen, war immer der eenzige Wunſch meines Lebens, und jetzt ſind die Ruſſen gewiß ſchon eingezogen, ach, in Konſtantinopel! Haben Sie Petersburg geſehen? “ Ich verneinte dieſes und39 bat, mir davon zu erzaͤhlen. Aber nicht er ſelbſt, ſondern ſein Herr Schwager, der Kammer¬ gerichtsrath, war vorigen Sommer da geweſen, und es ſoll eine ganz eenzige Stadt ſeyn. — „ Haben Sie Kopenhagen geſehen? „ Da ich dieſe Frage ebenfalls verneinte und eine Schil¬ derung dieſer Stadt von ihm begehrte, laͤchelte er gar pfiffig und wiegte das Koͤpfchen recht vergnuͤgt hin und her, und verſicherte mir auf Ehre, ich koͤnne mir keine Vorſtellung davon machen, wenn ich nicht ſelbſt dort geweſen ſey. „ Dieſes „ erwiederte ich, „ wird vor der Hand noch nicht Statt finden, ich will jetzt eine andere Reiſe antreten, die ich ſchon dieſen Fruͤhling projektirt, ich reiſe naͤmlich nach Italien. „
Als der Mann dieſes Wort hoͤrte, ſprang er ploͤtzlich vom Stuhle auf, drehte ſich dreimal auf einem Fuße herum, und trillerte: Tirily! Tirily! Tirily!
40Das gab mir den letzten Sporn. Morgen reiſe ich, beſchloß ich auf der Stelle. Ich will nicht laͤnger zoͤgern, ich will ſo bald als moͤglich das Land ſehen, das den trockenſten Philiſter ſo ſehr in Extaſe bringen kann, daß er bei deſſen Erwaͤhnung ploͤtzlich wie eine Wachtel ſchlaͤgt. Waͤhrend ich zu Hauſe meinen Koffer packte, klang mir der Ton jenes Tirilys noch immer in den Ohren, und mein Bruder, Maximilian Heine, der mich den andern Tag bis Tyrol begleitete, konnte nicht begreifen, warum ich auf dem ganzen Wege kein vernuͤnftiges Wort ſprach und beſtaͤndig tirilirte.
41Tirily! Tirily! ich lebe! Ich fuͤhle den ſuͤßen Schmerz der Exiſtenz, ich fuͤhle alle Freuden und Qualen der Welt, ich leide fuͤr das Heil des ganzen Menſchengeſchlechts, ich buͤße deſſen Suͤn¬ den, aber ich genieße ſie auch.
Und nicht blos mit den Menſchen, auch mit den Pflanzen fuͤhle ich, ihre tauſend gruͤnen Zungen erzaͤhlen mir allerliebſte Geſchichten, ſie wiſſen, daß ich nicht menſchenſtolz bin, und mir den niedrigſten Wieſenbluͤmchen eben ſo gern ſpreche, wie mit den hoͤchſten Tannen. Ach, ich42 weiß ja, wie es mit ſolchen Tannen beſchaffen iſt! Aus der Tiefe des Thals ſchießen ſie himmel¬ hoch empor, uͤberragen faſt die kuͤhnſten Felſen¬ berge — Aber wie lange dauert dieſe Herrlichkeit? Hoͤchſtens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann krachen ſie altersmuͤd zuſammen und verfaulen auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die haͤmiſchen Kaͤutzlein aus ihren Felſenſpalten her¬ vorgehuſcht, und verhoͤhnen ſie noch obendrein: Seht, Ihr ſtarken Tannen, Ihr glaubtet Euch mit den Bergen meſſen zu koͤnnen, jetzt liegt Ihr gebrochen da unten, und die Berge ſtehen noch immer unerſchuͤttert.
Einem Adler, der auf ſeinem einſamen Lieb¬ lingsfelſen ſitzt, und ſolcher Verhoͤhnung zuhoͤrt, muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt dann an das eigene Schickſal. Auch er weiß nicht, wie tief er einſt gebettet wird. Aber die Sterne funkeln ſo beruhigend, die Waldwaſſer43 rauſchen ſo troſtvoll, und die eigene Seele uͤber¬ brauſt ſo ſtolz all' die kleinmuͤthigen Gedanken, daß er ſie bald wieder vergißt. Steigt gar die Sonne hervor, ſo fuͤhlt er ſich wieder wie ſonſt, und fliegt zu ihr hinauf, und wenn er hoch ge¬ nug iſt, ſingt er ihr entgegen ſeine Luſt und Qual. Seine Mitthiere, beſonders die Menſchen, glauben, der Adler koͤnne nicht ſingen, und ſie wiſſen nicht, daß er dann nur ſingt, wenn er aus ihrem Bereich iſt, und daß er aus Stolz nur von der Sonne gehoͤrt ſeyn will. Und er hat Recht; es koͤnnte irgend einem von der gefie¬ derten Sippſchaft da unten einfallen, ſeinen Ge¬ ſang zu rezenſiren. Ich habe ſelbſt erfahren, wie ſolche Kritiken lauten: das Huhn ſtellt ſich dann auf ein Bein und gluckt, der Saͤnger habe kein Gemuͤth; der Truthahn kullert, es fehle ihm der wahre Ernſt; die Taube girrt, er kenne nicht die wahre Liebe; die Gans ſchnattert, er ſey nicht wiſſenſchaftlich; der Kapaun kikert, er ſey44 nicht moraliſch; der Dompfaff zwitſchert, er habe leider keine Religion; der Sperling piepſt, er ſey nicht produktiv genug; Wiedehoͤpchen, Elſter¬ chen, Schuhuchen, Alles kraͤchzt und aͤchzt und ſchnarrt — Nur die Nachtigall ſtimmt nicht ein in dieſe Kritiken, unbekuͤmmert um die ganze Mitwelt, iſt nur die rothe Roſe ihr ein¬ ziger Gedanke und ihr einziges Lied, ſehnſuͤchtig umflattert ſie die rothe Roſe, und ſtuͤrzt ſich be¬ geiſtert in die geliebten Dornen, und blutet und ſingt.
45Es giebt einen Adler im deutſchen Vater¬ lande, deſſen Sonnenlied ſo gewaltig erklingt, daß es auch hier unten gehoͤrt wird, und ſogar die Nachtigallen aufhorchen, trotz all' ihren me¬ lodiſchen Schmerzen. Das biſt Du, Karl Immermann, und Deiner dacht ich gar oft in dem Lande, wovon Du ſo ſchoͤn geſungen. Wie konnte ich durch Tyrol reiſen, ohne an das „ Trauerſpiel “zu denken?
Nun freilich, ich habe die Dinge in anderer Faͤrbung geſehen; aber ich bewundere doch den46 Dichter, der aus der Fuͤlle des Gemuͤthes das¬ jenige, was er nie geſehen hat, der Wirklichkeit ſo aͤhnlich ſchafft. Am meiſten ergoͤtzte mich, daß “Das Trauerſpiel in Tyrol „ in Tyrol ver¬ boten iſt. Ich gedachte der Worte, die mir mein Freund Moſer ſchrieb, als er mir meldete daß der zweite Band der Reiſebilder verboten ſey: “Die Regierung haͤtte aber das Buch gar nicht zu verbieten brauchen, es waͤre dennoch geleſen worden. „
Zu Insbruck im goldenen Adler, wo An¬ dreas Hofer logirt hatte, und noch jede Ecke mit ſeinen Bildniſſen und Erinnerungen an ihn beklebt iſt, fragte ich den Wirth, Herrn Nieder¬ kirchner, ob er mir noch viel von dem Sandwirth erzaͤhlen koͤnne? Da war der alte Mann uͤber¬ fließend von Redſeligkeit, und vertraute mir mit klugen Augenzwinken, daß jetzt die Geſchichte auch ganz gedruckt heraus ſey, aber auch ganz47 geheim verboten; und als er mich nach einem dunkeln Stuͤbchen gefuͤhrt, wo er ſeine Reliquien aus dem Tyrolerkrieg aufbewahrt, wickelte er ein ſchmutzig blaues Papier von einem ſchon zerleſenen gruͤnen Buͤchlein, das ich zu meiner Verwunderung als Immermanns “Trauerſpiel in Tyrol „ erkannte. Ich ſagte ihm, nicht ohne er¬ roͤthenden Stolz, der Mann, der es geſchrieben, ſey mein Freund. Herr Niederkirchner wollte nun ſo viel als moͤglich von dem Manne wiſſen, und ich ſagte ihm, es ſey ein gedienter Mann, von feſter Statur, ſehr ehrlich und ſehr geſchickt in Schreibſachen, ſo daß er nur wenige ſeines Gleichen finde. Daß er aber ein Preuße ſey, wollte Herr Niederkirchner durchaus nicht glauben, und rief mit mitleidigem Laͤcheln: Warum nicht gar! Er ließ ſich nicht ausreden, daß der Immermann ein Tyroler ſey und den Tyroler Krieg mitgemacht habe, — „ wie koͤnnte er ſonſt alles wiſſen? „
48Seltſame Grille des Volkes! Es verlangt ſeine Geſchichte aus der Hand des Dichters und nicht aus der Hand des Hiſtorikers. Es ver¬ langt nicht den treuen Bericht nackter That¬ ſachen, ſondern jene Thatſachen wieder aufgeloͤſt in die urſpruͤngliche Poeſie, woraus ſie hervor¬ gegangen. Das wiſſen die Dichter, und nicht ohne geheime Schadenluſt modeln ſie willkuͤhrlich die Voͤlkererinnerungen, vielleicht zur Verhoͤh¬ nung ſtolztrockner Hiſtoriographen und perga¬ mentener Staatsarchivare. Nicht wenig ergoͤzte es mich, als ich in den Buden des letzten Jahr¬ markts die Geſchichte des Beliſars in grell kolo¬ rirten Bildern ausgehaͤngt ſah, und zwar nicht nach dem Procop, ſondern ganz treu nach Schenk's Tragoͤdie. „ So wird die Ge¬ ſchichte verfaͤlſcht „ — rief der gelahrte Freund, der mich begleitete, — „ ſie weiß nichts von jener Rache einer beleidigten Gattin, von jenem ge¬ fangenen Sohn, von jener liebenden Tochter,49 und dergleichen modernen Herzensgeburten! „ Iſt denn dies aber wirklich ein Fehler? ſoll man den Dichtern wegen dieſer Faͤlſchung gleich den Prozeß machen? nein, denn ich laͤugne die An¬ klage. Die Geſchichte wird nicht von den Dich¬ tern verfaͤlſcht. Sie geben den Sinn derſelben ganz treu, und ſey es auch durch ſelbſterfundene Geſtalten und Umſtaͤnde. Es giebt Voͤlker, denen nur auf dieſe Dichterart ihre Geſchichte uͤberliefert worden, z. B. die Indier. Dennoch geben Geſaͤnge wie der Maha Baratha den Sinn indiſcher Geſchichte viel richtiger als irgend ein Compendienſchreiber mit all' ſeinen Jahr¬ zahlen. In gleicher Hinſicht moͤchte ich behaupten, Walter Scotts Romane gaͤben zuweilen den Geiſt der engliſchen Geſchichte weit treuer als Hume; wenigſtens hat Sartorius ſehr Recht, wenn er in ſeinen Nachtraͤgen zu Spittler jene Ro¬ mane zu den Quellen der engliſchen Geſchichte rechnet.
450Es geht den Dichtern wie den Traͤumern, die im Schlafe dasjenige innere Gefuͤhl, welches ihre Seele durch wirkliche aͤußere Urſachen emp¬ findet, gleichſam maskiren, indem ſie an die Stelle dieſer letzteren ganz andere aͤußere Ur¬ ſachen ertraͤumen, die aber in ſo fern ganz adaͤquat ſind, als ſie daſſelbe Gefuͤhl hervorbringen. So ſind auch in Immermanns „ Trauerſpiel “manche Außendinge ziemlich willkuͤhrlich geſchaffen, aber der Held ſelbſt, der Gefuͤhlsmittelpunkt, iſt identiſch getraͤumt, und wenn dieſe Traumgeſtalt ſelbſt traͤumeriſch erſcheint, ſo iſt auch dieſes der Wahrheit gemaͤß. Der Baron Hormayr, der hierin der kompetenteſte Richter ſeyn kann, hat mich, als ich juͤngſt das Vergnuͤgen hatte ihn zu ſprechen, auf dieſen Umſtand aufmerkſam ge¬ macht. Das myſtiſche Gemuͤthsleben, die aber¬ glaͤubiſche Religioſitaͤt, das Epiſche des Mannes, hat Immermann ganz richtig angedeutet. Er gab ganz treu jene treue Taube, die, mit dem51 blanken Schwert im Schnabel, wie die kriege¬ riſche Liebe, uͤber den Bergen Tyrols ſo helden¬ muͤthig umherſchwebte, bis die Kugeln von Mantua ihr treues Herz durchbohrten.
Was aber dem Dichter am meiſten zur Ehre gereicht, iſt die eben ſo treue Schilderung des Gegners, aus welchem er keinen wuͤthenden Geßler gemacht, um ſeinen Hofer deſto mehr zu heben; wie dieſer eine Taube mit dem Schwerte, ſo iſt jener ein Adler mit dem Oelzweig.
4 *52In der Wirthshausſtube des Herrn Nieder¬ kirchner zu Insbruck haͤngen eintraͤchtig neben ein¬ ander die Bilder von Andreas Hofer, Napoleon Bonaparte und Ludwig von Bayern.
Insbruck ſelbſt iſt eine unwoͤhnliche, bloͤde Stadt. Vielleicht mag ſie im Winter etwas geiſtiger und behaglicher ausſehen, wenn die hohen Berge, wovon ſie eingeſchloſſen, mit Schnee bedeckt ſind, und die Lawinen droͤhnen und uͤberall das Eis kracht und blitzt.
53Ich fand die Haͤupter jener Berge mit Wol¬ ken, wie mit grauen Turbanen, umwickelt. Man ſieht dort die Martinswand, den Schauplatz der lieblichſten Kaiſerſage; wie denn uͤberhaupt die Erinnerung an den ritterlichen Max in Tyrol noch immer bluͤht und klingt.
In der Hofkirche ſtehen die oft beſprochenen Standbilder der Fuͤrſten und Fuͤrſtinnen aus dem Hauſe Oeſtreich und ihrer Ahnen, worunter mancher gerechnet worden, der gewiß bis auf den heutigen Tag nicht begreift, wie er zu dieſer Ehre gekommen. Sie ſtehen in gewaltiger Lebens¬ groͤße, aus Eiſen gegoſſen, um das Grabmahl des Maximilian. Da aber die Kirche klein und das Dach niedrig iſt, ſo kommts einem vor, als ſaͤhe man ſchwarze Wachsfiguren in einer Marktbude. Am Fußgeſtell der meiſten lieſt man auch den Namen derjenigen hohen Perſonen, die ſie vor¬ ſtellen. Als ich jene Statuen betrachtete, traten54 Englaͤnder in die Kirche; ein hagerer Mann mit aufgeſperrtem Geſichte, die Daumen eingehakt in die Armoͤffnungen der weißen Weſte, und im Maul einen ledernen guide des voyageurs; hinter ihm ſeine lange Lebensgefaͤhrtin, eine nicht mehr ganz junge, ſchon etwas abgeliebte, aber noch immer hinlaͤnglich ſchoͤne Dame; hinter dieſer ein rothes Portergeſicht mit puderweißen Aufſchlaͤgen, ſteif einhertretend in einem dito Rock, und die hoͤlzernen Haͤnde vollauf befrach¬ tet mit Myladys Handſchuhen, Alpenblumen und Mops.
Das Kleeblatt ſtieg ſchnurgerade nach dem obern Ende der Kirche, wo der Sohn Albions ſeiner Gemahlin die Statuen erklaͤrte, und zwar nach ſeinem Guide des voyageurs, in welchem ausfuͤhrlich zu leſen war: Die erſte Statue iſt der Koͤnig Clodevig von Frankreich, die andere iſt der Koͤnig Arthur von England, die dritte55 iſt Rudolph von Habsburg u. ſ. w. Da aber der arme Englaͤnder die Reihe von oben anfing, ſtatt von unten, wie es der Guide des voya¬ geurs vorausſetzte, ſo gerieth er in die ergoͤtz¬ lichſten Verwechſelungen, die noch komiſcher wur¬ den, wenn er an eine Frauenſtatue kam, die er fuͤr einen Mann hielt, und umgekehrt, ſo daß er nicht begriff, warum man Rudolph von Habs¬ burg in Weibskleidern dargeſtellt, dagegen die Koͤnigin Maria mit eiſernen Hoſen und einem allzulangen Barte. Ich, der ich gerne mit meinem Wiſſen nachhelfe, bemerkte beilaͤufig: dergleichen habe wahrſcheinlich das damalige Koſtuͤm erfordert, auch koͤnne es beſonderer Wille der hohen Perſonen geweſen ſeyn, ſo, und bei Leibe nicht anders, gegoſſen[zu] werden. So koͤnne es ja dem jetzigen Kaiſer einfallen, ſich in einem Reifrock oder gar in Windeln gießen zu laſſen; — wer wuͤrde was dagegen ein¬ wenden?
56Der Mops bellte kritiſch, der Lakay glotzte, ſein Herr putzte ſich die Naſe, und Mylady ſagte: a fine exhibition, very fine in¬ deed! —
57Brixen war die zweite, groͤßere Stadt Tyrols wo ich einkehrte. Sie liegt in einem Thal, und als ich ankam, war ſie mit Dampf und Abend¬ ſchatten uͤbergoſſen. Daͤmmernde Stille, melan¬ choliſches Glockengebimmel, die Schafe trippelten nach ihren Staͤllen, die Menſchen nach den Kirchen; uͤberall beklemmender Geruch von haͤ߬ lichen Heiligenbildern und getrocknetem Heu.
“Die Jeſuiten ſind in Brixen „ hatte ich kurz vorher im Hesperus geleſen. Ich ſah mich auf allen Straßen nach ihnen um; aber ich habe58 Niemanden geſehen, der einem Jeſuiten glich, es ſey denn jener dicke Mann mit geiſtlich drey¬ eckigem Hut und pfaͤffiſch geſchnittenem, ſchwar¬ zen Rock, der alt und abgetragen war, und mit den glaͤnzend neuen ſchwarzen Hoſen gar auf¬ fallend kontraſtirte.
Das kann auch kein Jeſuit ſeyn, ſprach ich endlich zu mir ſelber; denn ich habe mir immer die Jeſuiten etwas mager gedacht. Ob es wirk¬ lich noch Jeſuiten giebt? Manchmal will es mich beduͤnken, als ſey ihre Exiſtenz nur eine Chimaͤre, als ſpuke nur die Angſt vor ihnen noch in unſeren Koͤpfen, nachdem laͤngſt die Gefahr voruͤber, und alles Eifern gegen Jeſuiten mahnt mich dann an Leute, die, wenn es laͤngſt aufge¬ hoͤrt hat zu regnen, noch immer mit aufgeſpann¬ ten Regenſchirmen umhergehen. Ja, mich duͤnkt zuweilen, der Teufel, der Adel und die Jeſuiten exiſtiren nur ſo lange als man an ſie glaubt. 59Vom Teufel koͤnnten wir es wohl ganz beſtimmt behaupten; denn nur die Glaͤubigen haben ihn bisher geſehen. Auch in Betreff des Adels werden wir im Laufe einiger Zeit die Erfahrung machen, daß die bonne société aufhoͤren wird die bonne société zu ſeyn, ſobald der gute Buͤrgersmann nicht mehr die Guͤte hat, ſie fuͤr die bonne société zu halten. Aber die Jeſui¬ ten? Wenigſtens haben ſie doch nicht mehr die alten Hoſen an! Die alten Jeſuiten liegen im Grabe mit ihren alten Hoſen, Begierden, Welt¬ plaͤnen, Raͤnken, Diſtinctionen, Reſervazionen und Giften, und was wir jetzt in neuen, glaͤn¬ zenden Hoſen durch die Welt ſchleichen ſehen, iſt nicht ſowohl ihr Geiſt, als vielmehr ihr Ge¬ ſpenſt, ein albernes, bloͤdſinniges Geſpenſt, das uns taͤglich durch Wort und That zu beweiſen ſucht, wie wenig es furchtbar ſey; und wahrlich es mahnt uns an die Geſchichte von einem aͤhn¬ lichen Geſpenſte im Thuͤringer Walde, das einſt60 die Leute, ſo ſich vor ihm fuͤrchteten, von ihrer Furcht befreyte, indem es, vor Aller Augen, ſeinen Schaͤdel von den Schultern herabnahm, und jedem zeigte, daß er inwendig ganz hohl und leer ſey.
Ich kann nicht umhin nachtraͤglich zu erzaͤh¬ len, daß ich Gelegenheit fand, den dicken Mann mit den glaͤnzend neuen Hoſen genauer zu beob¬ achten, und mich zu uͤberzeugen, daß er kein Jeſuit war, ſondern ein ganz gewoͤhnliches Vieh Gottes. Ich traf ihn nemlich in der Gaſtſtube meines Wirthshauſes, wo er zu Nacht ſpeiſte, in Geſellſchaft eines langen, magern Excellenz ge¬ nannten Mannes, der jenem alten, hageſtolz¬ lichen Landjunker, den uns Shakespear geſchil¬ dert, ſo aͤhnlich war, daß es ſchien, als habe die Natur ein Plagiat begangen. Beide wuͤrzten ihr Mahl, indem ſie die Aufwaͤrterin mit Ca¬ reſſen bedraͤngten, die das liebe, bildſchoͤne Maͤd¬61 chen nicht wenig anzuekeln ſchienen, ſo daß ſie ſich mit Gewalt losriß, wenn der Eine ſie hinten klaͤtſchelte, oder der Andere ſie gar zu embraſſiren ſuchte. Dabey riſſen ſie ihre roheſten Zoten, die das Maͤdchen, wie ſie wußten, nicht umhin konnte anzuhoͤren, da ſie zur Aufwartung der Gaͤſte und auch um mir den Tiſch zu decken, im Zimmer bleiben mußte. Als jedoch die Un¬ gebuͤhr ganz unleidlich wurde, ließ die junge Perſon ploͤtzlich alles ſtehen und liegen, eilte zur Thuͤr hinaus, und kam erſt nach einigen Minu¬ ten ins Zimmer zuruͤck, mit einem kleinen Kinde auf dem Arm, das ſie die ganze Zeit auf dem Arm behielt, waͤhrend ſie im Gaſtzimmer ihre Geſchaͤfte beſorgte, obgleich ihr dieſe da¬ durch um ſo beſchwerlicher wurden. Die beiden Cumpane aber, der geiſtliche und der adlige Herr, wagten keine einzige Belaͤſtigung mehr gegen das Maͤdchen, das jetzt ohne Unfreundlichkeit, jedoch mit ſeltſamen Ernſt, ſie bediente; — das Geſpraͤch62 nahm eine andere Wendung, beide ſchwatzten jetzt das gewoͤhnliche Geſchwaͤtz von der großen Ver¬ ſchwoͤrung gegen Thron und Altar, ſie verſtaͤn¬ digten ſich uͤber die Nothwendigkeit ſtrenger Maaßregeln, und reichten ſich mehrmals die hei¬ ligen Allianzhaͤnde.
63Fuͤr die Geſchichte von Tyrol ſind die Werke des Joſeph von Hormayr unentbehrlich; fuͤr die neueſte Geſchichte iſt er ſelbſt die beſte, oft die einzige Quelle. Er iſt fuͤr Tyrol was Johannes von Muͤller fuͤr die Schweiz iſt; eine Parallele dieſer beiden Hiſtoriker draͤngt ſich uns von ſelbſt auf. Sie ſind gleichſam Wandnachbaren, beide in ihrer Jugend gleich begeiſtert fuͤr ihre Ge¬ burtsalpen, beide fleißig, forſchſam, von hiſtoriſcher Denkweiſe und Gefuͤhlsrichtung; Johannes von Muͤller, epiſcher geſtimmt, den Geiſt wiegend in den Geſchichten der Vergangenheit, Joſeph von64 Hormayr, haſtiger fuͤhlend, mehr in die Gegen¬ wart hineingeriſſen, uneigennuͤtzig das Leben wagend fuͤr das was ihm lieb war.
Bartholdys „ Krieg der Tyroler Landleute im Jahr 1809 “iſt ein geiſtreich und ſchoͤn ge¬ ſchriebenes Buch, und wenn Maͤngel darin ſind, ſo entſtanden ſie nothwendigerweiſe dadurch, weil der Verfaſſer, wie es edlen Gemuͤthern eigen iſt, fuͤr die unterdruͤckte Parthey eine ſichtbare Vor¬ liebe hegte, und weil noch Pulverdampf die Be¬ gebenheiten umhuͤllte, als er ſie beſchrieb.
Viele merkwuͤrdige Ereigniſſe jener Zeit ſind gar nicht aufgeſchrieben, und leben nur im Ge¬ daͤchtniſſe des Volkes, das jetzt nicht gern mehr davon ſpricht, da die Erinnerung mancher ge¬ taͤuſchten Hoffnung dabey auftaucht. Die armen Tyroler haben nemlich auch allerley Erfahrungen machen muͤſſen, und wenn man ſie jetzt fragt,65 ob ſie, zum Lohne ihrer Treue, Alles erlangt, was man ihnen in der Noth verſprochen, ſo zucken ſie gutmuͤthig die Achſel, und ſagen naiv: es war vielleicht ſo ernſt nicht gemeint, und der Kaiſer hat viel zu denken, und da geht ihm manches durch den Kopf.
Troͤſtet Euch, arme Schelme! Ihr ſeyd nicht die Einzigen, denen etwas verſprochen worden. Paſſirt es doch oft auf großen Sklavenſchiffen, daß man bey großen Stuͤrmen und wenn das Schiff in Gefahr geraͤth, zu den ſchwarzen Menſchen ſeine Zuflucht nimmt, die unten im dunkeln Schiffsraum zuſammengeſtaut liegen. Man bricht dann ihre eiſernen Ketten, und ver¬ ſpricht heilig und theuer, ihnen die Freyheit zu ſchenken, wenn durch ihre Thaͤtigkeit das Schiff gerettet werde. Die bloͤden Schwarzen jubeln nun hinauf ans Tageslicht, Hurrah! ſie eilen zu den Pumpen, ſtampfen aus Leibeskraͤften,566helfen, wo nur zu helfen iſt, klettern, ſpringen, kappen die Maſten, winden die Taue, kurz ar¬ beiten ſo lange bis die Gefahr voruͤber iſt. Als¬ dann werden ſie, wie ſich von ſelbſt verſteht, wieder nach dem Schiffsraum hinabgefuͤhrt, wie¬ der ganz bequem angefeſſelt, und in ihrem dunkeln Elend machen ſie demagogiſche Betrachtungen uͤber Verſprechungen von Seelenverkaͤufern, deren ganze Sorge, nach uͤberſtandener Gefahr, da¬ hin geht, noch einige Seelen mehr einzutauſchen.
O navis, referent in mare te novi Fluctus? etc.
Als mein alter Lehrer dieſe Ode des Horaz, worin der Staat mit einem Schiffe verglichen wird, explizirte, hatte er allerlei politiſche Be¬ trachtungen zu machen, die er bald einſtellte, als die Schlacht bei Leipzig geſchlagen worden, und die ganze Claſſe auseinander ging.
67Mein alter Lehrer hat alles voraus gewußt. Als wir die erſte Nachricht dieſer Schlacht er¬ hielten, ſchuͤttelte er das graue Haupt. Jetzt weiß ich was dieſes Schuͤtteln bedeutete. Bald kamen die genaueren Berichte, und heimlich zeigte man einander die Bilder, wo gar bunt und erbaulich abkonterfeit war: wie die hohen Heerfuͤhrer auf dem Schlachtfelde knieten und Gott dankten.
Ja, ſie konnten Gott danken — ſagte mein Lehrer und laͤchelte, wie er zu laͤcheln pflegte, wenn er den Saluſt explicirte — der Kaiſer Napoleon hat ſie ſo oft geklopft, daß ſie es ihm doch am Ende ablernen konnten.
Nun kamen die Allirten und die ſchlechten Befreyungsgedichte, Hermann und Thusnelda, Hurrah, und der Frauenverein und die Vater¬ landseicheln, und das ewige Pralen mit der5 *68Schlacht bey Leipzig, und wieder die Schlacht bey Leipzig, und kein Aufhoͤren davon.
Es geht dieſen Leuten, bemerkte mein Lehrer, wie den Thebanern, als ſie bei Leuktra endlich einmal jene unbeſiegbaren Spartaner geſchlagen, und beſtaͤndig mit dieſer Schlacht pralten, ſo daß Anthiſtenes von ihnen ſagte: ſie machen es wie die Knaben, die vor Freude ſich nicht zu laſſen wiſſen, wenn ſie einmal ihren Schulmeiſter aus¬ gepruͤgelt haben. Liebe Jungens, es waͤre beſſer geweſen, wir haͤtten ſelbſt die Pruͤgel bekommen.
Bald darauf iſt der alte Mann geſtorben. Auf ſeinem Grabe waͤchſt preußiſches Gras, und es weiden dort die adeligen Roſſe unſerer reno¬ virten Ritter.
69Die Tyroler ſind ſchoͤn, heiter, ehrlich, brav, und von unergruͤndlicher Geiſtesbeſchraͤnktheit. Sie ſind eine geſunde Menſchenraçe, vielleicht weil ſie zu dumm ſind, um krank ſeyn zu koͤnnen. Auch eine edle Raçe moͤchte ich ſie nennen, weil ſie ſich in ihren Nahrungsmitteln ſehr waͤhlig und in ihren Gewoͤhnungen ſehr reinlich zeigen; nur fehlt ihnen ganz und gar das Gefuͤhl von der Wuͤrde der Perſoͤnlichkeit. Der Tyroler hat eine Sorte von laͤchelndem humoriſtiſchen Ser¬ vilismus, der faſt eine ironiſche Faͤrbung traͤgt, aber doch grundehrlich gemeint iſt. Die Frauen¬70 zimmer in Tyrol begruͤßen Dich ſo zuvorkommend freundlich, die Manner druͤcken Dir ſo derb die Hand, und gebehrden ſich dabei ſo putzig herzlich, daß du faſt glauben ſollteſt, ſie behandelten Dich wie einen nahen Verwandten, wenigſtens wie ihres Gleichen; aber weit gefehlt, ſie verlieren dabei nie aus dem Gedaͤchtniß, daß ſie nur ge¬ meine Leute ſind, und daß Du ein vornehmer Herr biſt, der es gewiß gern ſieht, wenn gemeine Leute ohne Bloͤdigkeit ſich zu ihm herauflaſſen. Und darin haben ſie einen naturrichtigen In¬ ſtinkt; die ſtarrſten Ariſtokraten ſind froh, wenn ſie Gelegenheit finden zur Herablaſſung, denn dadurch eben fuͤhlen ſie, wie hoch ſie geſtellt ſind. Zu Hauſe uͤben die Tyroler dieſen Servi¬ lismus gratis, in der Fremde ſuchen ſie auch noch dadurch zu lukriren. Sie geben ihre Per¬ ſoͤnlichkeit preis, ihre Nationalitaͤt. Dieſe bun¬ ten Deckenverkaͤufer, dieſe muntern Tyroler Bua, die wir in ihrem Nationalkoſtuͤm herumwandern71 ſehen, laſſen gern ein Spaͤschen mit ſich treiben, aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene Geſchwiſter Rainer, die in England geweſen, haben es noch beſſer verſtanden, und ſie hatten noch obendrein einen guten Rathgeber, der den Geiſt der engliſchen Nobility gut kannte. Daher ihre gute Aufnahme im Foyer der europaͤiſchen Ariſtokratie, in the west end of the town. Als ich vorigen Sommer in den glaͤnzenden Konzertſaͤlen der Londoner faſhionablen Welt dieſe Tyroler Saͤnger, gekleidet in ihre heimath¬ liche Volkstracht, das Schaugeruͤſt betreten ſah, und von da herab jene Lieder hoͤrte, die in den Tyroler Alpen ſo naiv und fromm gejodelt werden, und uns auch ins norddeutſche Herz ſo lieblich hinabklingen — da verzerrte ſich Alles in meiner Seele zu bitterem Unmuth, das gefaͤllige Laͤcheln vornehmer Lippen ſtach mich wie Schlangen, es war mir, als ſaͤhe ich die Keuſchheit des deut¬ ſchen Wortes auf's Roheſte beleidigt, und die72 ſuͤßeſten Myſterien des deutſchen Gemuͤthlebens vor fremdem Poͤbel profanirt. Ich habe nicht mitklatſchen koͤnnen bei dieſer ſchamloſen Ver¬ ſchacherung des Verſchaͤmteſten, und ein Schwei¬ zer, der gleich fuͤhlend mit mir den Saal ver¬ ließ, bemerkte ganz richtig: wir Schwyzer geben auch viel fuͤr's Geld, unſere beſten Kaͤſe und unſer beſtes Blut, aber das Alphorn koͤnnen wir in der Fremde kaum blaſen hoͤren, vielweniger es ſelbſt blaſen fuͤr Geld.
73Tyrol iſt ſehr ſchoͤn, aber die ſchoͤnſten Land¬ ſchaften koͤnnen uns nicht entzuͤcken, bei truͤber Witterung und aͤhnlicher Gemuͤthsſtimmung. Dieſe iſt bei mir immer die Folge von jener, und da es draußen regnete, ſo war auch in mir ſchlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte ich den Kopf zum Wagen hinausſtrecken, und dann ſchaute ich himmelhohe Berge, die mich ernſthaft anſahen, und mir mit den ungeheuern Haͤuptern und langen Wolkenbaͤrten eine gluͤck¬ liche Reiſe zunickten. Hie und da bemerkte ich auch ein fernblaues Berglein, das ſich auf die74 Fußzehen zu ſtellen ſchien, und den anderen Bergen recht neugierig uͤber die Schultern blickte, wahrſcheinlich um mich zu ſehen. Dabei kreiſch¬ ten uͤberall die Waldbaͤche, die ſich wie toll von den Hoͤhen herabſtuͤrzten und in den dunkeln Thalſtrudeln verſammelten. Die Menſchen ſteckten in ihren niedlichen, netten Haͤuschen, die uͤber der Halde, an den ſchroffſten Abhaͤngen und bis auf die Bergſpitzen zerſtreut liegen; niedliche, nette Haͤuschen, gewoͤhnlich mit einer langen, balkonartigen Gallerie, und dieſe wieder mit Waͤſche, Heiligenbildchen, Blumentoͤpfen und Maͤdchengeſichtern ausgeſchmuͤckt. Auch huͤbſch bemalt ſind dieſe Haͤuschen, meiſtens weiß und gruͤn, als truͤgen ſie ebenfalls die Tyroler Landestracht, gruͤne Hoſentraͤger uͤber dem weißen Hemde. Wenn ich ſolch 'Haͤuschen im einſamen Regen liegen ſah, wollte mein Herz oft ausſtei¬ gen und zu den Menſchen gehen, die gewiß trocken und vergnuͤgt da drinnen ſaßen. Da75 drinnen, dacht' ich, muß ſich's recht lieb und innig leben laſſen, und die alte Großmutter er¬ zaͤhlt gewiß die heimlichſten Geſchichten. Waͤhrend der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, ſchaut 'ich noch oft zuruͤck, um die blaͤulichen Rauchſaͤulen aus den kleinen Schornſteinen ſteigen zu ſehen, und es regnete dann immer ſtaͤrker, außer mir und in mir, daß mir faſt die Tropfen aus den Augen herauskamen.
Oft hob ſich auch mein Herz, und trotz dem ſchlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig erfahren von dem, was hier unten geſchieht. Sie ſind deshalb um nichts minder fromm und gluͤcklich. Von der Politik wiſſen ſie nichts, als daß ſie einen Kaiſer haben, der einen weißen Rock und rothe Hoſen traͤgt; das hat ihnen der alte Ohm erzaͤhlt, der es ſelbſt in Insbruck ge¬76 hoͤrt von dem ſchwarzen Sepperl, der in Wien geweſen. Als nun die Patrioten zu ihnen hin¬ aufkletterten und ihnen beredtſam vorſtellten, daß ſie jetzt einen Fuͤrſten bekommen, der einen blauen Rock und weiße Hoſen trage, da griffen ſie zu ihren Buͤchſen, und kuͤßten Weib und Kind, und ſtiegen von den Bergen hinab, und ließen ſich todtſchlagen fuͤr den weißen Rock und die lieben alten rothen Hoſen.
Im Grunde iſt es auch daſſelbe, fuͤr was man ſtirbt, wenn nur fuͤr etwas Liebes geſtorben wird, und ſo ein warmer, treuer Tod iſt beſſer, als ein kaltes, treuloſes Leben. Schon allein die Lieder von einem ſolchen Tode, die ſuͤßen Reime und lichten Worte erwaͤrmen unſer Herz, wenn feuchte Nebelluft und zudringliche Sorgen es be¬ truͤben wollen.
Viel ſolcher Lieder klangen durch mein Herz, als ich uͤber die Berge Tyrols dahinfuhr. Die77 traulichen Tannenwaͤlder rauſchten mir ſo manch 'vergeſſenes Liebeswort ins Gedaͤchtniß zuruͤck. Beſonders wenn mich die großen blauen Berg¬ ſeen ſo unergruͤndlich ſehnſuͤchtig anſchauten, dann dachte ich wieder an die beiden Kinder, die ſich ſo lieb gehabt und zuſammen geſtorben ſind. Es iſt eine veraltete Geſchichte, die auch jetzt Niemand mehr glaubt, und die ich ſelbſt nur aus einigen Liederreimen kenne.
Dieſe Worte fingen von ſelbſt wieder an in mir zu klingen, als ich, bei einem von jenen blauen Seen, am jenſeitigen Ufer einen kleinen Knaben und am diesſeitigen ein kleines Maͤdchen ſtehen ſah, die beide in der bunten Volkstracht, mit bebaͤnderten, gruͤnen Spitzhuͤtchen auf dem78 Kopfe, gar wunderlieblich gekleidet waren, und ſich hinuͤber und heruͤber gruͤßten —
Im ſuͤdlichen Tyrol klaͤrte ſich das Wetter auf, die Sonne von Italien ließ ſchon ihre Naͤhe fuͤhlen, die Berge wurden waͤrmer und glaͤnzender, ich ſah ſchon Weinreben, die ſich daran hinaufrankten, und ich konnte mich ſchon oͤfter zum Wagen hinauslehnen. Wenn ich mich aber zum Wagen hinauslehne, ſo lehnt ſich mein Herz mit mir hinaus, und mit dem Herzen all' ſeine Liebe, ſeine Wehmuth und ſeine Thorheit. Es iſt mir oft geſchehen, daß das arme Herz dadurch von den Dornen zerriſſen wurde, wenn es ſich nach den Roſenbuͤſchen, die am Wege80 bluͤhten, hinauslehnte, und die Roſen Tyrols ſind nicht haͤßlich. Als ich durch Steinach fuhr und den Markt beſah, worauf Immermann den Sandwirth Hofer mit ſeinen Geſellen auftreten laͤßt, da fand ich, daß der Markt fuͤr eine In¬ ſurgenten-Verſammlung viel zu klein waͤre, aber noch immer groß genug iſt, um ſich darauf zu verlieben. Es ſind da nur ein Paar weiße Haͤuschen, und aus einem kleinen Fenſter guckte eine kleine Sandwirthin und zielte und ſchoß aus ihren großen Augen; — waͤre der Wagen nicht ſchnell voruͤbergerollt, und haͤtte ſie Zeit gehabt noch einmal zu laden, ſo waͤre ich gewiß geſchoſſen. Ich rief: Kutſcher, fahr 'zu, mit einer ſolchen Schoͤn-Elſy iſt nicht zu ſpaßen; die ſteckt einem das Haus uͤber dem Kopf in Brand. Als gruͤndlicher Reiſender muß ich auch anfuͤhren, daß die Frau Wirthin in Sterzing zwar ſelbſt eine alte Frau iſt, aber dafuͤr zwei junge Toͤch¬ terlein hat, die einem das Herz, wenn es aus¬81 geſtiegen iſt, durch ihren Anblick recht wohlthaͤtig erwaͤrmen. Aber Dich darf ich nicht vergeſſen, Du Schoͤnſte von allen, Du ſchoͤne Spinnerin an den Marken Italiens! O haͤtteſt Du mir, wie Ariadne dem Theſeus, den Faden Deines Geſpinnſtes gegeben, um mich zu leiten durch das Labyrinth dieſes Lebens, jetzt waͤre der Mino¬ taurus ſchon beſiegt, und ich wuͤrde Dich lieben und kuͤſſen und niemals verlaſſen!
Es iſt ein gutes Zeichen, wenn die Weiber laͤcheln, ſagt ein chineſiſcher Schriftſteller, und ein deutſcher Schriftſteller war eben dieſer Mei¬ nung, als er in Suͤdtyrol, wo Italien beginnt, einem Berge vorbeykam, an deſſen Fuße, auf einem nicht ſehr hohen Steindamm, eines von jenen Haͤuschen ſtand, die mit ihrer trau¬ lichen Gallerie und ihren naiven Malereien uns ſo lieblich anſehen. Auf der einen Seite ſtand ein großes hoͤlzernes Kruzifix, das einem jungen82 Weinſtock als Stuͤtze diente, ſo daß es faſt ſchaurig heiter ausſah, wie das Leben den Tod, die ſaftig gruͤnen Reben den blutigen Leib und die gekreuzigten Arme und Beine des Heilands umrankten. Auf der anderen Seite des Haͤus¬ chens ſtand ein runder Taubenkofen, deſſen gefie¬ dertes Voͤlkchen flog hin und her, und eine ganz beſonders anmuthig weiße Taube ſaß auf dem huͤbſchen Spitzdaͤchlein, das, wie die fromme Steinkrone einer Heiligenniſche, uͤber dem Haupte der ſchoͤnen Spinnerin hervorragte. Dieſe ſaß auf der kleinen Gallerie und ſpann, nicht nach der deutſchen Spinnradmethode, ſondern nach jener uralten Weiſe, wo ein flachsumzogener Wocken unter dem Arme gehalten wird, und der abgeſponnene Faden an der freihaͤngenden Spin¬ del hinunterlaͤuft. So ſpannen die Koͤnigstoͤchter in Griechenland, ſo ſpinnen noch jetzt die Parzen und alle Italienerinnen. Sie ſpann und laͤchelte, unbeweglich ſaß die Taube uͤber ihrem Haupte,83 und uͤber dem Hauſe ſelbſt ragten hinten die hohen Berge, deren Schneegipfel die Sonne beſchien, daß ſie ausſahen wie eine ernſte Schutz¬ wache von Rieſen mit blanken Helmen auf den Haͤuptern.
Sie ſpann und laͤchelte, und ich glaube, ſie hat mein Herz feſtgeſponnen, waͤhrend der Wagen etwas langſamer vorbeifuhr, wegen des breiten Stromes der Eiſach, die auf der andern Seite des Weg's dahinſchoß. Die lieben Zuͤge kamen mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedaͤchtniß, uͤberall ſah ich jenes holde Antlitz, das ein grie¬ chiſcher Bildhauer aus dem Dufte einer weißen Roſe geformt zu haben ſchien, ganz ſo hinge¬ haucht zart, ſo uͤberſelig edel, wie er es vielleicht einſt als Juͤngling getraͤumt in einer bluͤhenden Fruͤhlingsnacht. Die Augen freilich haͤtte kein Grieche ertraͤumen und noch weniger begreifen koͤnnen. Ich aber ſah ſie und begriff ſie, dieſe6 *84romantiſchen Sterne, die ſo zauberhaft die antike Herrlichkeit beleuchteten. Den ganzen Tag ſah ich dieſe Augen, und ich traͤumte davon in der folgenden Nacht. Da ſaß ſie wieder und laͤchelte, die Tauben flatterten hin und her wie Liebes¬ engel, auch die weiße Taube uͤber ihrem Haupte bewegte myſtiſch die Fluͤgel, hinter ihr hoben ſich immer gewaltiger die behelmten Waͤchter, vor ihr hin jagte der Bach, immer ſtuͤrmiſcher und wilder, die Weinreben umrankten mit aͤngſt¬ licher Haſt das gekreuzigte Holzbild, das ſich ſchmerzlich regte, und die leidenden Augen oͤffnete und aus den Wunden blutete — ſie aber ſpann und laͤchelte, und an dem Faden ihres Wockens, gleich einer tanzenden Spindel, hing mein eige¬ nes Herz.
85Waͤhrend die Sonne immer ſchoͤner und herr¬ licher aus dem Himmel hervorbluͤhte, und Berg und Burgen mit Goldſchleyern umkleidete, wurde es auch in meinem Herzen immer heißer und leuchtender, ich hatte wieder die ganze Bruſt voll Blumen, und dieſe ſproßten hervor und wuchſen mir gewaltig uͤber den Kopf, und durch die eignen Herzblumen hindurch laͤchelte wieder himmliſch die ſchoͤne Spinnerin. Befangen in ſolchen Traͤumen, ſelbſt ein Traum, kam ich nach Italien, und da ich waͤhrend der Reiſe ſchon ziemlich vergeſſen hatte, daß ich dorthin reiſte,86 ſo erſchrack ich faſt, als mich all die großen italie¬ niſchen Augen ploͤtzlich anſahen, und das bunt¬ verwirrte italieniſche Leben mir leibhaftig, heiß und ſummend, entgegenſtroͤmte.
Es geſchah dieſes aber in der Stadt Trient, wo ich an einem ſchoͤnen Sonntag des Nachmit¬ tags ankam, zur Zeit, wo die Hitze ſich legt und die Italiener aufſtehen und in den Straßen auf - und ab ſpatzieren. Dieſe Stadt liegt alt und gebrochen in einem weiten Kreiſe von bluͤhend gruͤnen Bergen, die, wie ewig junge Goͤtter, auf das morſche Menſchenwerk herabſehen. Ge¬ brochen und morſch liegt daneben auch die hohe Burg, die einſt die Stadt beherrſchte, ein aben¬ teuerlicher Bau aus abenteuerlicher Zeit, mit Spitzen, Vorſpruͤngen, Zinnen und mit einem breitrunden Thurm, worin nur noch Eulen und oͤſtreichiſche Invaliden hauſen. Auch die Stadt ſelbſt iſt abenteuerlich gebaut, und wunderſam87 wird einem zu Sinn bey'm erſten Anblick dieſer uralterthuͤmlichen Haͤuſer mit ihren verblichenen Freskos, mit ihren zerbroͤckelten Heiligenbildern, mit ihren Thuͤrmchen, Erkern, Gitterfenſterchen, und jenen hervorſtehenden Giebeln, die eſtraden¬ artig auf grauen alterſchwachen Pfeilern ruhen, welche ſelbſt einer Stuͤtze beduͤrften. Solcher Anblick waͤre allzu wehmuͤthig, wenn nicht die Natur dieſe abgeſtorbenen Steine mit neuem Leben erfriſchte, wenn nicht ſuͤße Weinreben jene gebrechlichen Pfeiler, wie die Jugend das Alter, innig und zaͤrtlich umrankten, und wenn nicht noch ſuͤßere Maͤdchengeſichter aus jenen truͤben Bogenfenſtern hervorguckten, und uͤber den deut¬ ſchen Fremdling laͤchelten, der, wie ein ſchlaf¬ wandelnder Traͤumer, durch die bluͤhenden Rui¬ nen einherſchwankt.
Ich war wirklich wie im Traum, wie in einem Traume, wo man ſich auf irgend etwas beſinnen88 will, was man ebenfalls einmal getraͤumt hat. Ich betrachtete abwechſelnd die Haͤuſer und die Menſchen, und ich meinte faſt, dieſe Haͤuſer haͤtte ich einſt in ihren beſſeren Tagen geſehen, als ihre huͤbſchen Malereien noch farbig glaͤnzten, als die goldenen Zierrathen an den Fenſterfrieſen noch nicht ſo geſchwaͤrzt waren, und als die marmorne Madonna, die das Kind auf dem Arme traͤgt, noch ihren wunderſchoͤnen Kopf auf¬ hatte, den jetzt die bilderſtuͤrmende Zeit ſo poͤbel¬ haft abgebrochen. Auch die Geſichter der alten Frauen ſchienen mir ſo bekannt, es kam mir vor, als waͤren ſie herausgeſchnitten aus jenen alt¬ italieniſchen Gemaͤlden, die ich einſt als Knabe in der Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen habe. Eben¬ falls die alten Maͤnner ſchienen mir ſo laͤngſt vergeſſen wohlbekannt, und ſie ſchauten mich an mit ernſten Augen, wie aus der Tiefe eines Jahr¬ tauſends. Sogar die kecken jungen Maͤdchen hatten ſo etwas jahrtauſendlich Verſtorbenes und89 doch wieder bluͤhend Aufgelebtes, daß mich faſt ein Grauen anwandelte, ein ſuͤßes Grauen, wie ich es einſt gefuͤhlt, als ich in der einſamen Mitternacht meine Lippen preßte auf die Lippen Marias, einer wunderſchoͤnen Frau, die damals gar keinen Fehler hatte, außer daß ſie todt war. Dann aber mußt 'ich wieder uͤber mich ſelbſt laͤcheln, und es wollte mich beduͤnken, als ſey die ganze Stadt nichts anderes als eine huͤbſche Novelle, die ich einſt einmal geleſen, ja, die ich ſelbſt gedichtet, und ich ſey jetzt in mein eigenes Gedicht hineingezaubert worden, und erſchraͤcke vor den Gebilden meiner eigenen Schoͤpfung. Vielleicht auch, dacht' ich, iſt das Ganze wirklich nur ein Traum, und ich haͤtte herzlich gern einen Thaler fuͤr eine einzige Ohrfeige gegeben, blos um dadurch zu erfahren, ob ich wachte oder ſchlief.
Wenig fehlte, und ich haͤtte dieſen Artikel noch wohlfeiler eingehandelt, als ich an der Ecke90 des Marktes uͤber die dicke Obſtfrau hinſtolperte. Sie begnuͤgte ſich aber damit, mir einige wirkliche Feigen an die Ohren zu werfen, und ich gewann dadurch die Ueberzeugung, daß ich mich in der wirklichſten Wirklichkeit befand, mitten auf dem Marktplatz von Trient, neben dem großen Brun¬ nen, aus deſſen kupfernen Tritonen und Delphi¬ nen die ſilberklaren Waſſer gar lieblich ermunternd emporſprangen. Links ſtand ein alter Pallazzo, deſſen Waͤnde mit buntallegoriſchen Figuren be¬ malt waren, und auf deſſen Terraſſe einige grau oͤſtreichiſche Soldaten zum Heldenthume abge¬ richtet wurden. Rechts ſtand ein gothiſch-lom¬ bardiſch kaprizioſes Haͤuslein, in deſſen Innerm eine ſuͤße, flatterhafte Maͤdchenſtimme ſo keck und luſtig trillerte, daß die verwitterten Mauern vor Vergnuͤgen oder Baufaͤlligkeit zitterten, waͤhrend oben aus dem Spitzfenſter eine ſchwarze, laby¬ rinthiſch gekraͤuſelte, komoͤdiantenhafte Friſur herausguckte, worunter ein ſcharfgezeichnetes,91 duͤnnes Geſicht hervortrat, das nur auf der linken Wange geſchminkt war, und daher aus¬ ſah wie ein Pfannkuchen, der erſt auf einer Seite gebacken iſt. Vor mir aber, in der Mitte, ſtand der uralte Dom, nicht groß, nicht duͤſter, ſondern wie ein heiterer Greis, recht bejahrt zutraulich und einladend.
92Als ich den gruͤnſeidenen Vorhang, der den Eingang des Doms bedeckte, zuruͤckſchob und eintrat in das Gotteshaus, wurde mir Leib und Herz angenehm erfriſcht von der lieblichen Luft, die dort wehte, und von dem beſaͤnftigend magi¬ ſchen Lichte, das durch die buntbemalten Fenſter auf die betende Verſammlung herabfloß. Es waren meiſtens Frauenzimmer, in lange Reihen hingeſtreckt auf den niedrigen Betbaͤnken. Sie beteten bloß mit leiſer Lippenbewegung, und faͤcherten ſich dabei beſtaͤndig mit großen gruͤnen Faͤchern, ſo daß man nichts hoͤrte als ein unauf¬93 hoͤrlich heimliches Wiſpern, und nichts ſah als Faͤcherſchlag und wehende Schleier. Der knar¬ rende Tritt meiner Stiefeln ſtoͤrte manche ſchoͤne Andacht, und große katholiſche Augen ſahen mich an, halb neugierig, halb liebwillig, und mochten mir wohl rathen, mich ebenfalls hinzuſtrecken und Seelenſieſte zu halten.
Wahrlich, ein ſolcher Dom mit ſeinem ge¬ daͤmpften Lichte und ſeiner wehenden Kuͤhle iſt ein angenehmer Aufenthalt, wenn draußen greller Sonnenſchein und druͤckende Hitze. Davon hat man gar keinen Begriff in unſerem prote¬ ſtantiſchen Norddeutſchland, wo die Kirchen nicht ſo komfortabel gebaut ſind, und das Licht ſo frech durch die unbemalten Vernunftſcheiben hin¬ einſchießt, und ſelbſt die kuͤhlen Predigten vor der Hitze nicht genug ſchuͤtzen. Man mag ſagen was man will, der Katholizismus iſt eine gute Sommerreligion. Es laͤßt ſich gut liegen auf den94 Baͤnken dieſer alten Dome, man genießt dort die kuͤhle Andacht, ein heiliges Dolce far niente, man betet und traͤumt und ſuͤndigt in Gedanken, die Madonnen nicken ſo verzeihend aus ihren Niſchen, weiblich geſinnt verzeihen ſie ſogar, wenn man ihre eignen holden Zuͤge in die ſuͤndigen Gedanken verflochten hat, und zum Ueberfluß ſteht noch in jeder Ecke ein brauner Nothſtuhl des Gewiſſens, wo man ſich ſeiner Suͤnden ent¬ ledigen kann.
In einem ſolchen Stuhle ſaß ein junger Moͤnch mit ernſter Miene; das Geſicht der Dame, die ihm ihre Suͤnden beichtete, war mir aber theils durch ihren weißen Schleyer, theils durch das Seitenbrett des Beichtſtuhls verborgen. Doch kam außerhalb deſſelben eine Hand zum Vor¬ ſchein, die mich gleichſam feſthielt. Ich konnte nicht aufhoͤren dieſe Hand zu betrachten; das blaͤuliche Geaͤder und der vornehme Glanz der95 weißen Finger war mir ſo befremdlich wohl¬ bekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele kam in Bewegung, um ein Geſicht zu bilden, das zu dieſer Hand gehoͤren konnte. Es war eine ſchoͤne Hand, und nicht wie man ſie bei jungen Maͤdchen findet, die halb Lamm, halb Roſe, nur gedankenloſe, vegetabil animaliſche Haͤnde haben, ſie hatte vielmehr ſo etwas Gei¬ ſtiges, ſo etwas geſchichtlich Reizendes, wie die Haͤnde von ſchoͤnen Menſchen, die ſehr gebildet ſind oder viel gelitten haben. Dieſe Hand hatte dabei auch ſo etwas ruͤhrend Unſchuldiges, daß es ſchien, als ob ſie nicht mitzubeichten brauche, und auch nicht hoͤren wolle was ihre Eigenthuͤmerin beichtete, und gleichſam draußen warte, bis dieſe fertig ſey. Das dauerte aber lange; die Dame mußte viele Suͤnden zu erzaͤhlen haben. Ich konnte nicht laͤnger warten, meine Seele druͤckte einen unſichtbaren Abſchiedskuß auf die ſchoͤne Hand, dieſe zuckte in demſelben Momente, und zwar ſo96 eigenthuͤmlich, wie die Hand der todten Maria zu zucken pflegte, wenn ich ſie beruͤhrte. Um Gotteswillen, dacht 'ich, was thut die todte Maria in Trient? — und ich eilte aus dem Dome.
97Als ich wieder uͤber den Marktplatz ging, gruͤßte mich an der Ecke die bereits erwaͤhnte Obſtfrau, recht freundlich und recht zutraulich, als waͤren wir alte Bekannte. Gleichviel, dacht 'ich, wie man eine Bekanntſchaft macht, wenn man nur mit einander bekannt wird. Ein Paar an die Ohren geworfene Feigen ſind zwar nicht immer die beſte Introduction; aber ich und die Obſtfrau ſahen uns jetzt doch ſo freundlich an, als haͤtten wir uns wechſelſeitig die beſten Empfeh¬ lungsſchreiben uͤberreicht. Die Frau hatte auch keineswegs ein uͤbles Ausſehn. Sie war freilich798ſchon etwas in jenem Alter, wo die Zeit unſere Dienſtjahre mit fatalen Chevets auf die Stirne anzeichnet, jedoch dafuͤr war ſie auch deſto kor¬ pulenter, und was ſie an Jugend eingebuͤßt, das hatte ſie an Gewicht gewonnen. Dazu trug ihr Geſicht noch immer die Spuren großer Schoͤn¬ heit, und wie auf alten Toͤpfen ſtand darauf geſchrieben: “lieben und geliebt zu werden, iſt das groͤßte Gluͤck auf Erden. „ Was ihr aber den koͤſtlichſten Reiz verlieh, das war die Friſur, die gekraͤuſelten Locken, kreideweiß gepudert, mit Pommade reichlich geduͤngt, und idylliſch mit weißen Glockenblumen durchſchlungen. Ich be¬ trachtete dieſe Frau mit derſelben Aufmerkſam¬ keit, wie irgend ein Antiquar ſeine ausgegrabenen Marmortorſos betrachtet, ich konnte an jener lebenden Menſchenruine noch viel mehr ſtudieren, ich konnte die Spuren aller Civiliſationen Ita¬ liens an ihr nachweiſen, der etruskiſchen, roͤmi¬ ſchen, gothiſchen, lombardiſchen, bis herab auf99 die gepudert moderne, und recht intereſſant war mir das civiliſirte Weſen dieſer Frau im Kontraſt mit Gewerb und leidenſchaftlicher Gewoͤhnung. Nicht minder intereſſant waren mir die Gegen¬ ſtaͤnde ihres Gewerbes, die friſchen Mandeln, die ich noch nie in ihrer urſpruͤnglich gruͤnen Schale geſehn, und die duftig friſchen Feigen, die hochaufgeſchuͤttet lagen, wie bei uns die Birnen. Auch die großen Koͤrbe mit friſchen Citronen und Orangen ergoͤtzten mich; und wun¬ derlieblicher Anblick! in einem leeren Korbe da¬ neben lag ein bildſchoͤner Knabe, der ein kleines Gloͤckchen in den Haͤnden hielt, und waͤhrend jetzt die große Domglocke laͤutete, zwiſchen jedem Schlag derſelben mit ſeinem kleinen Gloͤckchen klingelte, und dabei ſo weltvergeſſen ſelig in den blauen Himmel hineinlaͤchelte, daß mir ſelbſt wieder die drolligſte Kinderlaune im Gemuͤthe aufſtieg, und ich mich, wie ein Kind, vor die lachenden Koͤrbe hin¬ ſtellte und naſchte und mit der Obſtfrau diskurirte.
7 *100Wegen meines gebrochenen Italieniſchſprechens hielt ſie mich im Anfang fuͤr einen Englaͤnder; aber ich geſtand ihr, daß ich nur ein Deutſcher ſey. Sie machte ſogleich viele geographiſche, oͤkonomiſche, hortologiſche, klimatiſche Fragen uͤber Deutſchland, und wunderte ſich, als ich ihr ebenfalls geſtand, daß bei uns keine Citronen wachſen, daß wir die wenigen Citronen, die wir aus Italien bekommen, ſehr preſſen muͤſſen, wenn wir Punſch machen, und daß wir dann aus Verzweiflung deſto mehr Rum zugießen. Ach liebe Frau! ſagte ich ihr, in unſerem Lande iſt es ſehr froſtig und feucht, unſer Sommer iſt nur ein gruͤnangeſtrichener Winter, ſogar die Sonne muß bey uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn ſie ſich nicht erkaͤlten will; bei dieſem gelben Flanell¬ ſonnenſchein koͤnnen unſere Fruͤchte nimmermehr gedeihen, ſie ſehen verdrießlich und gruͤn aus, und unter uns geſagt, das einzige reife Obſt, das wir haben, ſind gebratene Aepfel. Was die101 Feigen betrifft, ſo muͤſſen wir ſie ebenfalls, wie die Citronen und Orangen, aus fremden Laͤndern beziehen, und durch das lange Reiſen werden ſie dumm und mehlig; nur die ſchlechteſte Sorte koͤnnen wir friſch aus der erſten Hand bekommen, und dieſe iſt ſo bitter, daß, wer ſie umſonſt be¬ kommt, noch obendrein eine Realinjurienklage anſtellt. Von den Mandeln haben wir blos die geſchwollenen. Kurz, uns fehlt alles edle Obſt, und wir haben nichts als Stachelbeeren, Birnen, Haſelnuͤſſe, Zwetſchen und dergleichen Poͤbel.
102Ich freute mich wirklich, ſchon gleich bei meiner Ankunft in Italien eine gute Bekannt¬ ſchaft gemacht zu haben, und haͤtten mich nicht wichtige Gefuͤhle nach Suͤden gezogen, ſo waͤre ich vor der Hand in Trient geblieben, bei der guten Obſtfrau, bei den guten Feigen und Man¬ deln, bei dem kleinen Gloͤckner, und ſoll ich die Wahrheit ſagen, bei den ſchoͤnen Maͤdchen, die rudelweiſe vorbeiſtroͤmten. Ich weiß nicht, ob andere Reiſende hier das Beiwort “ſchoͤn „ billigen werden; mir aber gefielen die Trienterin¬ nen ganz ausnehmend gut. Es war juſt die103 Sorte, die ich liebe: — und ich liebe dieſe blaſſen, elegiſchen Geſichter, wo die großen, ſchwarzen Augen ſo liebeskrank herausſtrahlen; ich liebe auch den dunkeln Teint jener ſtolzen Haͤlſe, die ſchon Phoͤbos geliebt und braun gekuͤßt hat; ich liebe ſogar jene uͤberreife Nacken, worin purpurne Puͤnktchen, als haͤtten luͤſterne Voͤgel daran ge¬ pickt; vor allem aber liebe ich jenen genialen Gang, jene ſtumme Muſik des Leibes, jene Glie¬ der, die ſich in den ſuͤßeſten Rhythmen bewegen, uͤppig, ſchmiegſam, goͤttlich liederlich, ſterbefaul, dann wieder aͤtheriſch erhaben, und immer hoch¬ poetiſch. Ich liebe dergleichen, wie ich die Poeſie ſelbſt liebe, und dieſe melodiſch bewegten Geſtal¬ ten, dieſes wunderbare Menſchenkonzert, das an mir voruͤberrauſchte, fand ſein Echo in meinem Herzen, und weckte darin die verwandten Toͤne.
Es war jetzt nicht mehr die Zaubermacht der erſten Ueberraſchung, die Maͤhrchenhaftigkeit der104 wildfremden Erſcheinung, es war ſchon der ruhige Geiſt, der, wie ein wahrer Kritiker ein Gedicht lieſt, jene Frauenbilder mit entzuͤckt beſonnenem Auge betrachtete. Und bei ſolcher Betrachtung entdeckt man viel, viel Truͤbes, den Reichthum der Vergangenheit, die Armuth der Gegenwart und den zuruͤckgebliebenen Stolz. Gern moͤchten die Toͤchter Trients ſich noch ſchmuͤcken wie zu den Zeiten des Konziliums, wo die Stadt bluͤhte in Sammt und Seide; aber das Konzilium hat wenig ausgerichtet, der Sammt iſt abgeſchabt, die Seide zerfetzt, und den armen Kindern blieb nichts als kuͤmmerlicher Flitterſtaat, den ſie in der Woche aͤngſtlich ſchonen, und womit ſie ſich nur noch des Sonntags putzen. Manche aber entbehren auch dieſer Reſte eines verſchollenen Luxus, und muͤſſen ſich mit allerlei ordinairen und wohlfeilen Fabrikaten unſers Zeitalters be¬ helfen. Da giebt es nun gar ruͤhrende Contraſte zwiſchen Leib und Kleid; der feingeſchnittene105 Mund ſcheint fuͤrſtlich gebieten zu duͤrfen, und wird hoͤhniſch uͤberſchattet von einem armſeligen Baſthut mit zerknitterten Papierblumen, der ſtolzeſte Buſen wogt in einer Krauſe von plump falſchen Garnſpitzen, und die geiſtreichſten Huͤften umſchließt der duͤmmſte Kattun. Wehmuth, dein Name iſt Kattun, und zwar braungeſtreifter Kattun! Denn ach! nie hat mich etwas weh¬ muͤthiger geſtimmt, als der Anblick einer Trien¬ terin, die an Geſtalt und Geſichtsfarbe einer marmornen Goͤttin glich, und auf dieſem antik edlen Leib ein Kleid von braungeſtreiftem Kattun trug, ſo daß es ausſah, als ſey die ſteinerne Niobe ploͤtzlich luſtig geworden, und habe ſich maskirt in unſere moderne Kleintracht, und ſchreite bettelſtolz und grandios unbeholfen durch die Straßen Trients.
106Als ich nach der Lokanda dell 'Grande Eu¬ ropa, zuruͤckkehrte, wo ich mir ein gutes Pranzo beſtellt hatte, war mir wirklich ſo wehmuͤthig zu Sinn daß ich nicht eſſen konnte, und das will viel ſagen. Ich ſetzte mich vor die Thuͤre der nachbarlichen Botega, erfriſchte mich mit Sorbet und ſprach in mich hinein:
Grillenhaftes Herz! jetzt biſt du ja in Ita¬ lien — warum tirilirſt du nicht? Sind vielleicht die alten deutſchen Schmerzen, die kleinen Schlangen, die ſich tief in dir verkrochen, jetzt107 mit nach Italien gekommen, und ſie freuen ſich jetzt, und eben ihr gemeinſchaftlicher Jubel erregt nun in der Bruſt jenes pitoreske Weh, das darin ſo ſeltſam ſticht und huͤpft und pfeift? Und warum ſollten ſich die alten Schmerzen nicht auch einmal freuen? Hier in Italien iſt es ja ſo ſchoͤn, das Leiden ſelbſt iſt hier ſo ſchoͤn, in dieſen gebrochenen Marmorpallazzos klingen die Seufzer viel romantiſcher, als in unſeren netten Ziegelhaͤuschen, unter jenen Lorbeerbaͤumen laͤßt ſich viel wolluͤſtiger weinen als unter unſeren muͤrriſch zackigen Tannen, und nach den idealiſchen Wol¬ kenbildern des himmelblauen Italiens laͤßt ſich viel ſuͤßer hinaufſchmachten als nach dem aſchgrau deutſchen Werkeltagshimmel, wo ſogar die Wol¬ ken nur ehrliche Spießbuͤrgerfratzen ſchneiden und langweilig herabgaͤhnen! Bleibt nur in meiner Bruſt, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬ gends ein beſſeres Unterkommen. Ihr ſeyd mir lieb und werth, und keiner weiß Euch beſſer zu108 hegen und zu pflegen als ich, und ich geſtehe Euch, Ihr macht mir Vergnuͤgen. Und uͤber¬ haupt, was iſt denn Vergnuͤgen? Vergnuͤgen iſt nichts als ein hoͤchſt angenehmer Schmerz.
Ich glaube, die Muſik, die, ohne daß ich darauf achtete, vor der Botega erklang, und einen Kreis von Zuſchauern ſchon um ſich gezogen, hatte melodramatiſch dieſen Monolog begleitet. Es war ein wunderliches Trio, beſtehend aus zwey Maͤnnern und einem jungen Maͤdchen, das die Harfe ſpielte. Der eine von jenen beiden, winterlich gekleidet in einen weißen Flausrock, war ein ſtaͤmmiger Mann, mit einem dickrothen Banditengeſicht, das aus den ſchwarzen Haupt - und Barthaaren, wie ein drohender Comet, her¬ vorbrannte, und zwiſchen den Beinen hielt er eine ungeheure Baßgeige, die er ſo wuͤthend ſtrich, als habe er in den Abruzzen einen armen Reiſenden, niedergeworfen und wolle ihm ge¬109 ſchwinde die Gurgel abfiedeln; der andre war ein langer, hagerer Greis, deſſen morſche Gebeine in einem abgelebt ſchwarzen Anzuge ſchlotterten, und deſſen ſchneeweiße Haare mit ſeinem Buffo¬ geſang und ſeinen naͤrriſchen Capriolen gar klaͤg¬ lich contraſtirten. Iſt es ſchon betruͤbend, wenn ein alter Mann die Ehrfurcht, die man ſeinen Jahren ſchuldig iſt, aus Noth verkaufen, und ſich zur Poſſenreißerey hergeben muß; wie viel truͤbſeliger iſt es noch, wenn er ſolches in Gegenwart oder gar in Geſellſchaft ſeines Kindes thut! und jenes Maͤdchen war die Tochter des alten Buffo, und ſie akkompagnirte mit der Harfe die unwuͤrdigſten Spaͤße des greiſen Vaters, oder ſtellte auch die Harfe bei Seite und ſang mit ihm ein komiſches Duett, wo er einen verliebten alten Gecken, und ſie ſeine junge neckiſche Amante vorſtellte. Oben¬ drein ſchien das Maͤdchen kaum aus den Kinder¬ jahren getreten zu ſeyn, ja es ſchien, als habe man das Kind, ehe es noch zur Jungfraͤulichkeit110 gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und zwar zu keinem zuͤchtigen Weibe. Daher das bleichſuͤchtige Welken und der zuckende Mißmuth des ſchoͤnen Geſichtes, deſſen ſtolzgeſchwungene Formen jedes ahnende Mitleid gleichſam verhoͤhn¬ ten; daher die verborgene Kuͤmmerlichkeit der Augen, die unter ihren ſchwarzen Triumphbogen ſo herausfordernd leuchteten; daher der tiefe Schmerzenston, der ſo unheimlich kontraſtirte mit den lachend ſchoͤnen Lippen, denen er ent¬ ſchluͤpfte; daher die Krankhaftigkeit der uͤber¬ zarten Glieder, die ein kurzes, aͤngſtlich violettes Seidenkleidchen ſo tief als moͤglich[umflatterte]. Dabei flaggten grellbunte Atlasbaͤnder auf dem verjaͤhrten Strohhut und die Bruſt zierte gar ſinnbildlich eine offne Roſenknoſpe, die mehr gewaltſam aufgeriſſen als in eige¬ ner Entfaltung aus der gruͤnen Huͤlle her¬ vorgebluͤht zu ſeyn ſchien. Indeſſen, uͤber dem ungluͤcklichen Maͤdchen, dieſem Fruͤhling,111 den der Tod ſchon verderblich angehaucht, lag eine unbeſchreibliche Anmuth, eine Grazie, die ſich in jeder Miene, in jeder Bewegung, in jedem Tone kund gab, und ſelbſt dann nicht ganz ſich verlaͤugnete, wenn ſie mit vorgeworfenem Leibchen und ironiſcher Luͤſternheit dem alten Vater ent¬ gegen taͤnzelte, der eben ſo unſittſam, mit vorge¬ ſtrecktem Bauchgerippe zu ihr heranwackelte. Je frecher ſie ſich gebehrdete, deſto tieferes Mit¬ leiden floͤßte ſie mir ein, und wenn ihr Geſang dann weich und wunderbar aus ihrer Bruſt hervorſtieg und gleichſam um Verzeihung bat, dann jauchzten in meiner Bruſt die kleinen Schlangen, und biſſen ſich vor Vergnuͤgen in den Schwanz. Auch die Roſe ſchien mich dann wie bittend anzuſehen, einmal ſah ich ſie ſogar zittern, erbleichen — aber in demſelben Augen¬ blick ſchlugen die Triller des Maͤdchens um ſo lachender in die Hoͤhe, der Alte meckerte noch verliebter, und das rothe Cometgeſicht marterte112 ſeine Bratſche ſo grimmig, daß ſie die ent¬ ſetzlich drolligſten Toͤne von ſich gab und die Zuhoͤrer noch toller jubelten.
113Es war ein aͤcht italieniſches Muſikſtuͤck, aus irgend einer beliebten Opera Buffa, jener wunderſamen Gattung, die dem Humor den freyeſten Spielraum gewaͤhrt, und worin er ſich all' ſeiner ſpringenden Luſt, ſeiner tollen Empfin¬ deley, ſeiner lachenden Wehmuth, und ſeiner lebensſuͤchtigen Todesbegeiſterung uͤberlaſſen kann. Es war ganz Roſſiniſche Weiſe, wie ſie ſich im Barbier von Sevilla am lieblichſten offenbart. Die Veraͤchter italieniſcher Muſik, die auch dieſer Gattung den Stab brechen, werden einſt in der Hoͤlle ihrer wohlverdienten Strafe nicht8114entgehen, und ſind vielleicht verdammt, die lange Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hoͤren, als Fugen von Sebaſtian Bach. Leid iſt es mir um ſo manchen meiner Collegen, z. B. um Rellſtab, der ebenfalls dieſer Verdammniß nicht entgehen wird, wenn er ſich nicht vor ſeinem Tode zu Roſſini bekehrt. Roſſini, divino Maestro, Helios von Italien, der du deine klingenden Stralen uͤber die Welt verbreiteſt! verzeih meinen armen Landsleuten, die dich laͤſtern auf Schreibpapier und auf Loͤſchpapier! Ich aber erfreue mich deiner goldenen Toͤne, deiner melodiſchen Lichter, deiner funkelnden Schmetterlingstraͤume, die mich ſo lieblich umgaukeln, und mir das Herz kuͤſſen, wie mit Lippen der Grazien! Divino Maestro, verzeih meinen armen Landsleuten, die deine Tiefe nicht ſehen, weil du ſie mit Roſen bedeckſt, und denen du nicht gedankenſchwer und gruͤndlich genug biſt, weil du ſo leicht flatterſt, ſo gottbe¬ fluͤgelt! — Freylich, um die heutige italieniſche115 Muſik zu lieben und durch die Liebe zu verſtehn, muß man das Volk ſelbſt vor Augen haben, ſeinen Himmel, ſeinen Charakter, ſeine Mienen, ſeine Leiden, ſeine Freuden, kurz ſeine ganze Geſchichte, von Romulus, der das heilige roͤmiſche Reich geſtiftet, bis auf die neueſte Zeit, wo es zu Grunde ging, unter Romulus Auguſtulus II. Dem armen geknechteten Italien iſt ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Muſik die Gefuͤhle ſeines Herzens kund geben. All ſein Groll gegen fremde Herrſchaft, ſeine Begeiſtrung fuͤr die Freyheit, ſein Wahnſinn uͤber das Gefuͤhl der Ohnmacht, ſeine Wehmuth bey der Erinne¬ rung an vergangene Herrlichkeit, dabey ſein leiſes Hoffen, ſein Lauſchen, ſein Lechzen nach Huͤlfe, alles dieſes verkappt ſich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegiſcher Weichheit herabgleiten, und in jene Pantominen, die von ſchmeichelnden Careſſen zu drohendem Ingrimm uͤberſchnappen.
8*116Das iſt der eſoteriſche Sinn der Opera Buffa. Die exoteriſche Schildwache, in deren Gegenwart ſie geſungen und dargeſtellt wird, ahnt nimmer¬ mehr die Bedeutung dieſer heiteren Liebesge¬ ſchichten, Liebesnoͤthen und Liebesneckereyen, wor¬ unter der Italiener ſeine toͤdlichſten Befreyungs¬ gedanken verbirgt, wie Harmodius und Ariſtogiton ihren Dolch verbargen in einem Kranze von Myrthen. Das iſt halt naͤrriſches Zeug, ſagt die exoteriſche Schildwache, und es iſt gut, daß ſie nichts merkt. Denn ſonſt wuͤrde der Im¬ preſſario, mitſammt der Prima Donna und dem Primo Uomo, bald jene Bretter betreten, die eine Feſtung bedeuten; es wuͤrde eine Unter¬ ſuchungskommiſſion niedergeſetzt werden, alle ſtaatsgefaͤhrliche Triller und revoluz〈…〉〈…〉 riſche Colloraturen kaͤmen zu Protokoll, man wuͤrde eine Menge Arlekine, die in weiteren Verzwei¬ gungen verbrecheriſcher Umtriebe verwickelt ſind, auch den Tartaglia, den Brighella, ſogar den alten117 bedaͤchtigen Pantalon arretiren, dem Dottore von Bologna wuͤrde man die Papiere verſiegeln, er ſelbſt wuͤrde ſich in noch groͤßeren Verdacht hinein¬ ſchnattern, und Columbine muͤßte ſich, uͤber dieſes Familienungluͤck, die Augen roth weinen. Ich denke aber, daß ſolches Ungluͤck noch nicht uͤber dieſe guten Leute hereinbrechen wird, indem die italieniſchen Demagogen pfiffiger ſind als die armen Deutſchen, die, Aehnliches beabſichtigend, ſich als ſchwarze Narren mit ſchwarzen Narren¬ kappen vermummt hatten, aber ſo auffallend truͤb¬ ſelig ausſahen und bey ihren gruͤndlichen Narren ſpruͤngen, die ſie Turnen nannten, ſich ſo ge¬ faͤhrlich anſtellten und ſo ernſthafte Geſichter ſchnitten, daß die Regierungen endlich aufmerkſam werden[und] ſie einſtecken mußten.
118Die kleine Harfeniſtin mußte wohl bemerkt haben, daß ich, waͤhrend ſie ſang und ſpielte, oft nach ihrer Buſenroſe hinblickte, und als ich nachher auf den zinnernen Teller, womit ſie ihr Honorar einſammelte, ein Geldſtuͤck warf, das nicht allzuklein war, da laͤchelte ſie ſchlau, und frug heimlich: ob ich ihre Roſe haben wolle?
Nun bin ich aber der hoͤflichſte Menſch von der Welt, und um die Welt! moͤchte ich nicht eine Roſe beleidigen, und ſey es auch eine Roſe, die ſich ſchon ein bischen verduftet hat. Und119 wenn ſie auch nicht mehr, ſo dacht 'ich, ganz friſch riecht, und nicht mehr im Geruͤche der Tugend iſt, wie etwa die Roſe von Saron, was kuͤmmert es mich, der ich ja doch den Stockſchnupfen habe! Und nur die Menſchen nehmens ſo genau. Der Schmetterling fragt nicht die Blume: hat ſchon ein Anderer dich gekuͤßt? Und dieſe fragt nicht: haſt du ſchon eine Andere umflattert? Dazu kam noch, daß die Nacht hereinbrach, und des Nachts, dacht' ich, ſind alle Blumen grau, die ſuͤndigſte Roſe eben ſo gut wie die tugend¬ hafteſte Peterſilie. Kurz und gut, ohne allzu langes Zoͤgern ſagte ich zu der kleinen Harfe¬ niſtin: Si Signora — — —
Denk nur nichts Boͤſes, lieber Leſer. Es war dunkel geworden, und die Sterne ſahen ſo klar und fromm herab in mein Herz. Im Her¬ zen ſelbſt aber zitterte die Erinnerung an die todte Maria. Ich dachte wieder an jene Nacht,120 als ich vor dem Bette ſtand, worauf der ſchoͤne, blaſſe Leib lag, mit ſanften ſtillen Lippen — Ich dachte wieder an den ſonderbaren Blick, den mir die alte Frau zuwarf, die bey der Leiche wachen ſollte und mir ihr Amt auf einige Stunden uͤberließ — Ich dachte wieder an die Nachtviole, die im Glaſe auf dem Tiſche ſtand und ſo ſeltſam duftete — Auch durchſchauerte mich wieder der Zweifel: ob es wirklich ein Windzug war, wovon die Lampe erloſch? Ob wirklich kein Dritter im Zimmer war?
121Ich ging bald zu Bette, ſchlief bald ein und verwickelte mich in naͤrriſche Traͤume. Ich traͤumte mich nemlich wieder einige Stunden zuruͤck, ich kam wieder an in Trient, ich ſtaunte wieder wie vorher, und jetzt um ſo mehr, da lauter Blu¬ men ſtatt Menſchen in den Straßen ſpatzieren gingen.
Da wandelten gluͤhende Nelken, die ſich wol¬ luͤſtig faͤcherten, kokettirende Balſaminen, Hya¬ zinthen mit huͤbſchen leeren Glockenkoͤpfchen, hinterher ein Troß von ſchnurrbaͤrtigen Narziſſen122 und toͤlpelhaften Ritterſporen. An der Ecke zankten ſich zwey Masliebchen. Aus dem Fen¬ ſter eines alten Hauſes von krankhaftem Aus¬ ſehen guckte eine geſprenkelte Levkoje, gar naͤrriſch buntgeputzt, und hinter ihr erklang eine niedlich duftende Veilchenſtimme. Auf dem Bal¬ kon des großen Palazzos am Markte war der ganze Adel[verſammelt], die hohe Nobleſſe, nemlich jene Liljen, die nicht arbeiten und nicht ſpinnen und ſich doch eben ſo praͤchtig duͤnken wie Koͤnig Salomon in all ſeiner Herrlichkeit. Auch die dicke Obſtfrau glaubte ich dort zu ſehen; doch als ich genauer hinblickte, war es nur eine verwinterte Ranunkel, die gleich auf mich los¬ keifte: „ Was wollen Sie unreife Blithe? Sie ſaure Jurke? Sie ordinaͤre Blume mit man eenen Stoobfaden? Ich will Ihnen ſchon be¬ gießen! “ Vor Angſt eilte ich in den Dom, und uͤberrannte faſt ein altes hinkendes Stiefmuͤtter¬ chen, das ſich von einem Gaͤnſebluͤmchen das123 Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war es wieder recht angenehm; in langen Reihen ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam. Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte, die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag.
Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬ nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe, die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus, aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche. Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬ dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe124 hervor und hielt eine lange Leichenpredigt, worin ſie viel ſchwatzte von den Tugenden der Hinge¬ ſchiedenen, von einem irdiſchen Katzenjammerthal, von einem beſſeren Seyn, von Liebe, Hoffnung und Glaube, Alles in einem naͤſelnd ſingenden Tone, eine breitgewaͤſſerte Rede, und ſo lang und langweilig, daß ich davon erwachte.
125Mein Vetturin hatte fruͤher denn Helios ſeine Gaͤule angeſchirrt, und ſchon um Mittags¬ zeit erreichten wir Ala. Hier pflegen die Vet¬ turine einige Stunden zu halten, um ihre Wagen zu wechſeln.
Ala iſt ſchon ein aͤcht italieniſches Neſt. Die Lage iſt pittoresk, an einem Berghang, ein Fluß rauſcht vorbey, heitergruͤne Weinreben um¬ ranken hie und da die uͤbereinanderſtolpernden, zuſammengeflickten Bettlerpallaͤſte. An der Ecke126 des windſchiefen Marktes, der ſo klein iſt wie ein Huͤnerhof, ſteht mit großmaͤchtigen, giganti¬ ſchen Buchſtaben: Piazza di San Marco. Auf dem ſteinernen Bruchſtuͤck eines großen, altadli¬ gen Wappenſchilds, ſaß dort ein kleiner Knabe und nothduͤrftelte. Die blanke Sonne beſchien ſeine naive Ruͤckſeite, und in den Haͤnden hielt er ein papiernes Heiligenbild, das er vorher in¬ bruͤnſtig kuͤßte. Ein kleines, bildſchoͤnes Maͤdchen ſtand betrachtungsvoll daneben, und blies zu¬ weilen akkompagnirend in eine hoͤlzerne Kinder¬ trompete.
Das Wirthshaus, wo ich einkehrte und zu Mittag ſpeiſte, war ebenfalls ſchon von aͤcht italieniſcher Art. Oben, auf dem erſten Stock¬ werk, eine freye Eſtrade mit der Ausſicht nach dem Hofe, wo zerſchlagene Wagen und ſehnſuͤchtige Miſthaufen lagen, Truthaͤhne mit naͤrriſch rothen Schnabellappen und bettelſtolze Pfauen einher¬127 ſpatzierten, und ein halb Dutzend zerlumpter, ſonnverbrannter 'Buben ſich nach der Bell - und Lankaſterſchen Methode lauſten. Auf jener Eſtrade, laͤngs dem gebrochenen Eiſengelaͤnder, gelangt man in ein weites hallendes Zimmer. Fußboden von Marmor, in der Mitte ein breites Bett, worauf die Floͤhe Hochzeit halten; uͤberall großartiger Schmutz. Der Wirth ſprang hin und her, um meine Wuͤnſche zu vernehmen. Er trug einen haſtig gruͤnen Leibrock und ein vielfaͤltig bewegtes Geſicht, worin eine lange hoͤckerige Naſe, mit einer haarigen rothen Warze, die mitten darauf ſaß, wie ein rothjaͤckiger Affe auf dem Ruͤcken eines Kameels. Er ſprang hin und her, und es war dann, als ob das rothe Aeffchen auf ſeiner Naſe ebenfalls hin und her ſpraͤnge. Es dauerte aber eine Stunde, ehe er das Mindeſte brachte, und wenn ich deshalb ſchalt, ſo be¬ theuerte er, daß ich ſchon ſehr gut Italieniſch ſpreche.
128Ich mußte mich lange mit dem lieblichen Bra¬ tenduft begnuͤgen, der mir entgegenwogte aus der thuͤrloſen Kuͤche gegenuͤber, wo Mutter und Tochter neben einander ſaßen und ſangen und Huͤhner rupf¬ ten. Erſtere war remarkabel korpulent; Bruͤſte, die ſich uͤberreichlich hervorbaͤumten, die jedoch noch immer klein waren im Vergleich mit dem koloſſalen Hintergeſtell, ſo daß jene erſt die In¬ ſtituzionen zu ſeyn ſchienen, dieſes aber ihre er¬ weiterte Ausfuͤhrung als Pandekten. Die Tochter, eine nicht ſehr große, aber ſtark geformte Perſon, ſchien ſich ebenfalls zur Korpulenz hinzuneigen; aber ihr bluͤhendes Fett war keineswegs mit dem alten Talg der Mutter zu vergleichen. Ihre Geſichtszuͤge waren nicht ſanft, nicht jugendlich liebreizend, jedoch ſchoͤn gemeſſen, edel, antik; Locken und Augen brennend ſchwarz. Die Mutter hingegen hatte flache, ſtumpfe Geſichtszuͤge, eine roſenrothe Naſe, blaue Augen, wie Veilchen in Milch gekocht, und liljenweiß gepuderte Haare. 129Dann und wann kam der Wirth, il Signor padre, herangeſprungen, und fragte nach irgend einem Geſchirr oder Geraͤthe, und im Rezitativ bekam er die ruhige Weiſung, es ſelbſt zu ſuchen. Dann ſchnalzte er mit der Zunge, kramte in den Schraͤnken, koſtete aus den kochenden Toͤpfen, verbrannte ſich das Maul und ſprang wieder fort, und mit ihm ſein Naſenkameel und das rothe Aeffchen. Hinter ihnen drein ſchlugen dann die luſtigſten Triller, wie liebreiche Ver¬ hoͤhnung und Familienneckerey.
Aber dieſe gemuͤthliche, faſt idylliſche Wirth¬ ſchaft unterbrach ploͤtzlich ein Donnerwetter; ein vierſchroͤtiger Kerl mit einem bruͤllenden Mordgeſicht ſtuͤrzte herein, und ſchrie etwas, das ich nicht verſtand. Als beide Frauenzimmer ver¬ neinend die Koͤpfe ſchuͤttelten, gerieth er in die tollſte Wuth und ſpie Feuer und Flamme, wie ein kleiner Veſuv, der ſich aͤrgert. Die Wirthin9130ſchien in Angſt zu gerathen, und fluͤſterte beguͤti¬ gende Worte, die aber eine entgegengeſetzte Wir¬ kung hervorbrachten, ſo daß der raſende Menſch eine eiſerne Schaufel ergriff, einige ungluͤckliche Teller und Flaſchen zerſchlug, und auch die arme Frau geſchlagen haben wuͤrde, haͤtte nicht die Tochter ein langes Kuͤchenmeſſer erfaßt und ihn niederzuſtechen gedroht, im Fall er nicht ſogleich abzoͤge.
Es war ein ſchoͤner Anblick, das Maͤdchen ſtand da blaßgelb und vor Zorn erſtarrend, wie ein Marmorbild, die Lippen ebenfalls bleich, die Augen tief und toͤdlich, eine blaugeſchwollene Ader quer uͤber der Stirn, die ſchwarzen Locken wie flatternde Schlangen, in den Haͤnden ihr blutiges Meſſer — Ich ſchauerte vor Luſt, denn leibhaftig ſah ich vor mir das Bild der Medea, wie ich es oft getraͤumt in meinen Jugendnaͤch¬ ten, wenn ich entſchlummert war an dem lieben Herzen Melpomene's, der finſter ſchoͤnen Goͤttin.
131Waͤhrend dieſer Scene kam der Signor Padre nicht im mindeſten aus dem Geleiſe, mit geſchaͤf¬ tiger Seelenruhe raffte er die Scherben vom Boden auf, ſuchte die Teller zuſammen, die noch am Leben geblieben, brachte mir darauf: Zuppa mit Parmeſankaͤſe, einen Braten derb und feſt wie deutſche Treue, Krebſe roth wie Liebe, gruͤnen Spinat wie Hoffnung mit Eyer, und zum Deſſert geſtovte Zwiebeln, die mir Thraͤnen der Ruͤhrung aus den Augen lockten. Das hat nichts zu be¬ deuten, das iſt nun mal Pietro's Methode, ſprach er, als ich verwundert nach der Kuͤche zeigte; und wirklich, nachdem der Urheber des Zanks ſich entfernt hatte, ſchien es, als ob dort gar nichts vorgefallen ſey, Mutter und Tochter ſaßen wieder ruhig nach wie vor, und ſangen und rupften Huͤhner.
Die Rechnung uͤberzeugte mich, daß auch der Signor Padre ſich aufs Rupfen verſtand,9 *132und als ich ihm dennoch, außer der Zahlung, etwas fuͤr die gute Hand gab, da nieſte er ſo vergnuͤgt ſtark, daß das Aeffchen beynah von ſeinem Sitze herabgefallen waͤre. Hierauf winkte ich freundlich hinuͤber nach der Kuͤche, freundlich war der Gegengruß, bald ſaß ich in dem einge¬ tauſchten Wagen, fuhr raſch hinab in die lom¬ bardiſche Ebene, und erreichte gegen Abend, die uralte, weltberuͤhmte Stadt Verona.
133Die bunte Gewalt der neuen Erſcheinungen bewegte mich in Trient nur daͤmmernd und ahn¬ dungsvoll, wie Maͤhrchenſchauer; in Verona aber erfaßte ſie mich wie ein maͤchtiger Fieber¬ traum voll heißer Farben, ſcharfbeſtimmter For¬ men, geſpenſtiſcher Trompetenklaͤnge und fernen Waffengeraͤuſches. Da war manch 'verwitterter Pallaſt, der mich ſo ſtier anſah, als wollte er nur ein altes Geheimniß anvertrauen, und er ſcheuete ſich nur vor dem Gewuͤhl der zudringlichen Tagesmenſchen, und baͤte mich zur Nachtzeit wieder zu kommen. Jedoch trotz dem Gelaͤrm134 des Volkes und trotz der wilden Sonne, die ihr rothes Licht hineingoß, hat doch hie und da ein alter dunkler Thurm mir ein bedeutendes Wort zugeworfen, hie und da vernahm ich das Ge¬ fluͤſter gebrochener Bildſaͤulen, und als ich gar uͤber eine kleine Treppe ging, die nach der Piazza de' Signori fuͤhrte, da erzaͤhlten mir die Steine eine furchtbar blutige Geſchichte, und ich las an der Ecke die Worte: Scala mazzati.
Verona, die uralte, weltberuͤhmte Stadt, gelegen auf beiden Seiten der Etſch, war immer gleichſam die erſte Stazion fuͤr die germaniſchen Wandervoͤlker, die ihre kaltnordiſchen Waͤlder verließen und uͤber die Alpen ſtiegen, um ſich im guͤldenen Sonnenſchein des lieblichen Italiens zu erluſtigen. Einige zogen weiter hinab, anderen gefiel es ſchon gut genug am Orte ſelbſt, und ſie machten es ſich heimathlich bequem, und zogen ſeidne Hausgewaͤnder an, und ergingen ſich fried¬135 lich unter Blumen und Zypreſſen, bis neue An¬ koͤmmlinge, die noch ihre friſchen Eiſenkleider anhatten, aus dem Norden kamen und ſie ver¬ draͤngten, — eine Geſchichte, die ſich oft wieder¬ holte, und von den Hiſtorikern die Voͤlkerwan¬ derung genannt wird. Wandelt man jetzt durch das Weichbild Verona's, ſo findet man uͤberall die abenteuerlichen Spuren jener Tage, ſo wie auch die Spuren der aͤlteren und der ſpaͤteren Zeiten. An die Roͤmer mahnt beſonders das Amphitheater und der Triumphbogen; an die Zeit des Theoderichs, des Ditrichs von Bern, von dem die Deutſchen noch ſingen und ſagen, erinnern die fabelhaften Reſte ſo mancher byzan¬ tiniſch vorgothiſchen Bauwerke; tolle Truͤmmer erinnern an Koͤnig Alboin und ſeine wuͤthenden Longobarden; ſagenreiche Denkmale mahnen an Carolum Magnum, deſſen Paladine an der Pforte des Doms eben ſo fraͤnkiſch roh gemeißelt ſind, wie ſie gewiß im Leben geweſen — es will136 uns beduͤnken, als ſey die Stadt eine große Voͤlkerherberge, und gleich wie man in Wirths¬ haͤuſern ſeinen Namen auf Wand und Fenſter zu ſchreiben pflegt, ſo habe dort jedes Volk die Spuren ſeiner Anweſenheit zuruͤckgelaſſen, freylich oft nicht in der leſerlichſten Schrift, da mancher deutſche Stamm noch nicht ſchreiben konnte, und ſich damit behelfen mußte, zum Andenken etwas zu zertruͤmmern, welches auch hinreichend war, da dieſe Truͤmmer noch deutlicher ſprechen, als zierliche Buchſtaben. Die Barbaren, welche jetzt die alte Herberge bezogen haben, werden nicht ermangeln, eben ſolche Denkmaͤler ihrer holden Gegenwart zu hinterlaſſen, da es ihnen an Bild¬ hauern und Dichtern fehlt, um ſich durch mildere Mittel im Andenken der Menſchen zu erhalten.
Ich blieb nur einen Tag in Verona, in be¬ ſtaͤndiger Verwunderung ob des nie Geſehenen, anſtarrend jetzt die alterthuͤmlichen Gebaͤude,137 dann die Menſchen, die in geheimnißvoller Haſt dazwiſchen wimmelten, und endlich wieder den gottblauen Himmel, der das ſeltſame Ganze wie ein koſtbarer Rahmen umſchloß, und dadurch gleichſam zu einem Gemaͤlde erhob. Es iſt aber eigen, wenn man in dem Gemaͤlde, das man eben betrachtet hat, ſelbſt ſteckt, und hie und da von den Figuren deſſelben angelaͤchelt wird, und gar von den weiblichen, wie's mir auf der Piazza delle Erbe ſo lieblich geſchah. Das iſt nemlich der Gemuͤſemarkt, und da gab es vollauf ergoͤtz¬ liche Geſtalten, Frauen und Maͤdchen, ſchmach¬ tend großaͤugige Geſichter, ſuͤße woͤhnliche Leiber, reizend gelb, naiv ſchmutzig, geſchaffen viel mehr fuͤr die Nacht als fuͤr den Tag. Der weiße oder ſchwarze Schleyer, den die Stadtfrauen auf dem Haupte tragen, war ſo liſtig um den Buſen geſchlagen, daß er die ſchoͤnen Formen mehr verrieth als verbarg. Die Maͤgde trugen Chignons, durchſtochen mit einem oder mehreren138 goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬ koͤpfigen Silberſtaͤbchen. Die Baͤurinnen hatten meiſt kleine, tellerartige Strohhuͤtchen mit koket¬ tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes gebunden. Die Tracht der Maͤnner war minder abweichend von der unſrigen, und nur die unge¬ heuern ſchwarzen Backenbaͤrte, die aus der Cra¬ vatte hervorbuſchten, waren mir hier, wo ich dieſe Mode zuerſt bemerkte, etwas auffallend.
Betrachtete man aber genauer dieſe Men¬ ſchen, die Maͤnner wie die Frauen, ſo ent¬ deckte man, in ihren Geſichtern und in ihrem ganzen Weſen, die Spuren einer Civiliſazion, die ſich von der unſrigen in ſofern unterſcheidet, daß ſie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬ vorgegangen, ſondern noch aus der Roͤmerzeit herruͤhrt, nie ganz vertilgt worden iſt, und ſich nur nach dem jedesmaligen Charakter der Landesherrſcher modifizirt hat. Die Civiliſazion139 hat bey dieſen Menſchen keine ſo auffallend neue Politur wie bey uns, wo die Eichenſtaͤmme erſt geſtern gehobelt worden ſind, und alles noch nach Firniß riecht. Es ſcheint uns, als habe dieſes Menſchengewuͤhl auf der Piazza delle Erbe im Laufe der Zeiten nur allmaͤhlig Roͤcke und Redens¬ arten gewechſelt, und der Geiſt der Geſittung habe ſich dort wenig veraͤndert. Die Gebaͤude aber, die dieſen Platz umgeben, moͤgen nicht ſo leicht im Stande geweſen ſeyn mit der Zeit fort¬ zuſchreiten; doch ſchauen ſie darum nicht minder anmuthig, und ihr Anblick bewegt wunderbar unſre Seele. Da ſtehen hohe Pallaͤſte im vene¬ zianiſch-lombardiſchen Styl, mit unzaͤhligen Bal¬ konen und lachenden Freskobildern; in der Mitte erhebt ſich eine einzelne Denkſaͤule, ein Spring¬ brunnen und eine ſteinerne Heilige; hier ſchaut man den launig roth - und weißgeſtreiften Podeſta, der hinter einem maͤchtigen Pfeilerthor emporragt; dort wieder erblickt man einen altviereckigen140[Kirchthurm], woran oben der Zeiger und das Zifferblatt der Uhr zur Haͤlfte zerſtoͤrt iſt, ſo daß es ausſieht, als wolle die Zeit ſich ſelber ver¬ nichten — uͤber dem ganzen Platz liegt derſelbe romantiſche Zauber, der uns ſo lieblich anweht aus den phantaſtiſchen Dichtungen des Ludovico Arioſto oder des Ludovico Tieck.
Nahe bey dieſem Platze ſteht ein Haus, das man, wegen eines Hutes, der uͤber dem inneren Thor in Stein gemeißelt iſt, fuͤr den Pallaſt der Capulets haͤlt. Es iſt jetzt eine ſchmutzige Kneipe fuͤr Fuhrleute und Kutſcher, und als Herberge¬ ſchild haͤngt davor ein rother, durchloͤcherter Blechhut. Unfern, in einer Kirche, zeigt man auch die Capelle, worin der Sage nach, das ungluͤckliche Liebespaar getraut worden. Ein Dich¬ ter beſucht gern ſolche Orte, wenn er auch ſelbſt laͤchelt uͤber die Leichtglaͤubigkeit ſeines Herzens. Ich fand in dieſer Capelle ein einſames Frauen¬141 zimmer, ein kuͤmmerlich verblichenes Weſen, das, nach langem Knieen und Beten, ſeufzend auf¬ ſtand, aus kranken, ſtillen Augen mich befremdet anſah, und endlich, wie mit gebrochenen Gliedern,