PRIMS Full-text transcription (HTML)
Reiſebilder
Dritter Theil.
Hamburg,bey Hoffmann und Campe. 1830.

Italien

1828

Hafis auch und Ulrich Hutten Mußten ganz beſtimmt ſich ruͤſten Wider braun 'und blaue Kutten, Meine gehn wie andre Chriſten.
Goethe.

I. Reiſe von Muͤnchen nach Genua.

1*
Ein edles Gemuͤth kommt nie in Eure Rechnung; und daran ſcheitert heute Eure Weisheit. (Er oͤffnet ſeinen Schreibtiſch, nimmt zwey Piſtolen heraus, wovon er das eine auf den Tiſch legt und das andre ladet.)
(Robert's Macht der Verhaͤltniſſe. )
[5]

Capitel I.

Ich bin der hoͤflichſte Menſch von der Welt. Ich thue mir was darauf zu gute, niemals grob geweſen zu ſeyn auf dieſer Erde, wo es ſo viele unertraͤgliche Schlingel giebt, die ſich zu einem hinſetzen und ihre Leiden erzaͤhlen oder gar ihre Verſe deklamiren; mit wahrhaft chriſt¬ licher Geduld habe ich immer ſolche Miſere ruhig angehoͤrt, ohne nur durch eine Miene zu ver¬ rathen, wie ſehr ſich meine Seele ennuirte. Gleich einem buͤßenden Braminen, der ſeinen Leib dem Ungeziefer Preis giebt, damit auch6 dieſe Gottesgeſchoͤpfe ſich ſaͤttigen, habe ich dem fatalſten Menſchengeſchmeiß oft tagelang Stand gehalten und ruhig zugehoͤrt,[und] meine inneren Seufzer vernahm nur Er, der die Tu¬ gend belohnt.

Aber auch die Lebensklugheit gebietet uns hoͤflich zu ſeyn, und nicht verdrießlich zu ſchwei¬ gen, oder gar Verdrießliches zu erwiedern, wenn irgend ein ſchwammiger Kommerzienrath oder duͤrrer Kaͤſekraͤmer ſich zu uns ſetzt, und ein allgemein europaͤiſches Geſpraͤch anfaͤngt mit den Worten: Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung. Man kann nicht wiſſen, wie man mit einem ſolchen Philiſter wieder zuſammentrifft, und er kann es uns dann bitter eintraͤnken, daß wir nicht hoͤflich geantwortet: Die Witterung iſt ſehr ſchoͤn. Es kann ſich ſogar fuͤgen, lieber Leſer, daß Du zu Caſſel an der Table d'Hôte neben beſagtem Philiſter zu ſitzen koͤmmſt, und7 zwar an ſeine linke Seite, und er iſt juſt der Mann, der die Schuͤſſel mit braunen Karpfen vor ſich ſtehen hat und luſtig austheilt; hat er nun eine alte Pique auf Dich, dann reicht er die Teller immer rechts herum, ſo daß auch nicht das kleinſte Schwanzſtuͤckchen fuͤr Dich uͤbrig bleibt. Denn ach! du biſt juſt der Dreizehnte bei Tiſch, welches immer bedenklich iſt, wenn man links neben dem Trancheur ſitzt, und die Teller rechts herumgereicht werden. Und keine Karpfen bekommen, iſt ein großes Uebel; naͤchſt dem Verluſt der Nationalkokarde vielleicht das groͤßte. Der Philiſter, der Dir dieſes Uebel bereitet, verhoͤhnt Dich noch obendrein, und offerirt Dir die Lorbeeren, die in der braunen Sauce liegen geblieben; ach! was helfen einem alle Lorbeeren, wenn keine Karpfen dabei ſind! und der Philiſter blinzelt dann mit den Aeuglein, und kichert und liſpelt: Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung.

8

Ach, liebe Seele, es kann ſich ſogar fuͤgen, daß Du auf irgend einem Kirchhofe neben dieſem ſelben Philiſter zu liegen koͤmmſt, und hoͤrſt Du dann am juͤngſten Tage die Poſaune erſchallen und ſagſt zu Deinem Nachbar: Guter Freund, reichen Sie mir gefaͤlligſt die Hand, damit ich aufſtehen kann, das linke Bein iſt mir einge¬ ſchlafen von dem verdammt langen Liegen! dann bemerkſt Du ploͤtzlich das wohlbekannte Philiſterlaͤcheln, und hoͤrſt die hoͤhniſche Stimme: Es iſt heute eine ſchoͤne Witterung.

9

Capitel II.

Es iſt heute eine ſcheene Witterung

Haͤtteſt Du, lieber Leſer, den Ton gehoͤrt, den unuͤbertrefflichen Fiſtelbaß, womit dieſe Worte geſprochen wurden, und ſaheſt Du gar den Sprecher ſelbſt, das erzproſaiſche Wittwenkaſſen¬ geſicht, die ſtockgeſcheuten Aeuglein, die aufge¬ ſtuͤlpt pfiffige Forſchungsnaſe: ſo erkannteſt Du gleich, dieſe Blume iſt keinem gewoͤhnlichen Sande entſproſſen, und dieſe Toͤne ſind die Sprache Charlottenburgs, wo man das Berliniſche noch beſſer ſpricht als in Berlin ſelbſt.

10

Ich bin der hoͤflichſte Menſch von der Welt, und eſſe gern braune Karpfen, und glaube zu¬ weilen an Auferſtehung, und ich antwortete: In der That, die Witterung iſt ſehr ſcheene.

Als der Sohn der Spree dermaßen geen¬ tert, ging er erſt recht derb auf mich ein, und ich konnte mich nimmermehr losreißen von ſeinen Fragen und Selbſtbeantwortungen, und abſon¬ derlich von ſeinen Parallelen zwiſchen Berlin und Muͤnchen, dem neuen Athen, dem er kein gutes Haar ließ.

Ich aber nahm das neue Athen ſehr in Schutz, wie ich denn immer den Ort zu loben pflege, wo ich mich eben befinde. Daß ſolches diesmal auf Koſten Berlins geſchah, das wirſt Du mir gern verzeihen, lieber Leſer, wenn ich Dir unter der Hand geſtehe, dergleichen geſchieht zumeiſt aus purer Politik; denn ich weiß, ſobald11 ich anfange, meine guten Berliner zu loben, ſo hat mein Ruhm bey ihnen ein Ende, und ſie zucken die Achſel und fluͤſtern einander zu: Der Menſch wird ſehr ſeicht, uns ſogar lobt er. Keine Stadt hat nemlich weniger Lokalpatriotis¬ mus als Berlin. Tauſend miſerable Schrift¬ ſteller haben Berlin ſchon in Proſa und Verſen gefeyert,[und] es hat in Berlin kein Hahn da¬ nach gekraͤht, und kein Huhn iſt ihnen dafuͤr gekocht worden, und man hat ſie unter den Linden immer noch fuͤr miſerable Poeten gehal¬ ten, nach wie vor. Dagegen hat man eben ſo wenig Notiz davon genommen, wenn irgend ein After-Poet etwa in Parabaſen auf Berlin losſchalt. Wage es aber mal jemand gegen Polkwitz, Insbruck, Schilda, Poſen, Kraͤhwinkel und andre Hauptſtaͤdte etwas Anzuͤgliches zu ſchreiben! Wie wuͤrde ſich der reſpektive Patrio¬ tismus dort regen! Der Grund davon iſt: Berlin iſt gar keine Stadt, ſondern Berlin giebt12 bloß den Ort dazu her, wo ſich eine Menge Menſchen, und zwar darunter viele Menſchen von Geiſt, verſammeln, denen der Ort ganz gleichguͤltig iſt; dieſe bilden das geiſtige Berlin. Der durchreiſende Fremde ſieht nur die langge¬ ſtreckten, uniformen Haͤuſer, die langen breiten Straßen, die nach der Schnur und meiſtens nach dem Eigenwillen eines Einzelnen gebaut ſind, und keine Kunde geben von der Denkweiſe der Menge. Nur Sonntagskinder vermoͤgen etwas von der Privatgeſinnung der Einwohner zu errathen, wenn ſie die langen Haͤuſerreihen betrachten, die ſich, wie die Menſchen ſelbſt, von einander fern zu halten ſtreben, erſtarrend im gegenſeitigen Groll. Nur einmal, in einer Mondnacht, als ich etwas ſpaͤt von Luther und Wegener heim¬ kehrte, ſah ich wie jene harte Stimmung ſich in milde Wehmuth aufgeloͤſt hatte, wie die Haͤu¬ ſer, die einander ſo feindlich gegenuͤber geſtanden, ſich geruͤhrt baufaͤllig chriſtlich anblickten, und ſich13 verſoͤhnt in die Arme ſtuͤrzen wollten; ſo daß ich armer Menſch, der in der Mitte der Straße ging, zerquetſcht zu werden fuͤrchtete. Manche werden dieſe Furcht laͤcherlich finden, und auch ich laͤchelte daruͤber, als ich, nuͤchternen Blicks, den andern Morgen durch eben jene Straßen wanderte, und ſich die Haͤuſer wieder ſo proſaiſch entgegen gaͤhnten. Es ſind wahrlich mehrere Flaſchen Poeſie dazu noͤthig, wenn man in Ber¬ lin etwas anderes ſehen will als todte Haͤuſer und Berliner. Hier iſt es ſchwer, Geiſter zu ſehen. Die Stadt enthaͤlt ſo wenig Alter¬ thuͤmlichkeit, und iſt ſo neu; und doch iſt dieſes Neue ſchon ſo alt, ſo welk und abgeſtorben. Denn ſie iſt groͤſtentheils, wie geſagt, nicht aus der Geſinnung der Maſſe, ſon¬ dern Einzelner entſtanden. Der große Fritz iſt wohl unter dieſen wenigen der vorzuͤglichſte, was er vorfand, war nur feſte Unterlage, erſt von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen14 Charakter, und waͤre ſeit ſeinem Tode nichts mehr daran gebaut worden, ſo bliebe ein hiſto¬ riſches Denkmal von dem Geiſte jenes proſaiſch wunderſamen Helden, der die raffinirte Geſchmack¬ loſigkeit und bluͤhende Verſtandesfreyheit, das Seichte und das Tuͤchtige ſeiner Zeit, recht deutſch-tapfer in ſich ausgebildet hatte. Potsdam z. B. erſcheint uns als ein ſolches Denkmal, durch ſeine oͤden Straßen wandern wir wie durch die hinterlaſſenen Schriftwerke des Philo¬ ſophen von Sansſouci, es gehoͤrt zu deſſen oeuvres posthumes, und obgleich es jetzt nur ſteinernes Makulatur iſt und des Laͤcherlichen genug enthaͤlt, ſo betrachten wir es doch mit ernſtem Intereſſe, und unterdruͤcken hie und da eine aufſteigende Lachluſt, als fuͤrchteten wir ploͤtzlich einen Schlag auf den Ruͤcken zu be¬ kommen, wie von dem ſpaniſchen Roͤhrchen des großen Fritz. Solche Furcht aber befaͤllt uns nimmermehr in Berlin, da fuͤhlen wir, daß der15 alte Fritz und ſein ſpaniſches Roͤhrchen keine Macht mehr uͤben; denn ſonſt wuͤrde aus den alten, aufgeklaͤrten Fenſtern der geſunden Vernunft¬ ſtadt nicht ſo manch krankes Obſkurantengeſicht herausglotzen, und ſo manch dummes, aber¬ glaͤubiſches Gebaͤude wuͤrde ſich nicht unter die alten ſkeptiſch philoſophiſchen Haͤuſer eingeſiedelt haben. Ich will nicht mißverſtanden ſeyn, und bemerke ausdruͤcklich, ich ſtichle hier keinesweges auf die neue Werderſche Kirche, jenen gothi¬ ſchen Dom in verjuͤngtem Maßſtabe, der nur aus Ironie zwiſchen die modernen Gebaͤude hin¬ geſtellt iſt, um allegoriſch zu zeigen, wie laͤp¬ piſch und albern es erſcheinen wuͤrde, wenn man alte, laͤngſt untergegangene Inſtitutionen des Mittelalters wieder neu aufrichten wollte, unter den neuen Bildungen einer neuen Zeit.

Das oben Angedeutete gilt bloß von Ber¬ lins aͤußerlicher Erſcheinung, und wollte man16 in dieſer Beziehung Muͤnchen damit vergleichen, ſo koͤnnte man mit Recht behaupten: letzteres bilde ganz den Gegenſatz von Berlin. Muͤnchen nemlich iſt eine Stadt, gebaut von dem Volke ſelbſt, und zwar von auf einander folgenden Generazionen, deren Geiſt noch immer in ihren Bauwerken ſichtbar, ſo daß man dort, wie in der Hexenſcene des Makbeth, eine chronologiſche Geiſterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiſte des Mittelalters, der geharniſcht aus gothiſchen Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geiſt unſerer eignen Zeit, der uns einen Spiegel entgegenhaͤlt, worin jeder ſich ſelbſt mit Vergnuͤgen anſchaut. In dieſer Reihenfolge liegt eben das Verſoͤhnende; das Barbariſche empoͤrt uns nicht mehr und das Abgeſchmackte verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als Anfaͤnge und nothwendige Uebergaͤnge betrachten. Wir ſind ernſt, aber nicht unmuthig bey dem Anblick jenes barbariſchen Doms, der ſich noch immer, in17[ſtie]ſelknechtlicher Geſtalt, uͤber die ganze Stadt[er]hebt und die Schatten und Geſpenſter des Mittelalters in ſeinem Schooße verbirgt. Mit eben ſo wenig Unmuth, ja ſogar mit ſpaßhaf¬ ter Ruͤhrung, betrachten wir die haarbeuteligen Schloͤſſer der ſpaͤtern Periode, die plump deut¬ ſchen Nachaͤffungen der glatt franzoͤſiſchen Un¬ natur, die Prachtgebaͤude der Abgeſchmacktheit, toll ſchnoͤrkelhaft von Außen, von Innen noch putziger dekorirt mit ſchreyend bunten Allegorien, vergoldeten Arabesken, Stukkaturen, und jenen Schildereyen, worauf die ſeligen hohen Herr¬ ſchaften abkonterfeyt ſind: die Cavaliere mit rothen, betrunken nuͤchternen Geſichtern, woruͤber die Alongeperuͤcken, wie gepuderte Loͤwenmaͤhnen, herabhaͤngen, die Damen mit ſteifem Toupet, ſtaͤhlernem Corſet, das ihr Herz zuſammenſchnuͤrte, und ungeheurem Reifrock, der ihnen deſto mehr pro¬ ſaiſche Ausdehnung gewaͤhrte. Wie geſagt, dieſer Anblick verſtimmt uns nicht, er traͤgt vielmehr218dazu bey, uns die Gegenwart und ihren lichten Werth recht lebhaft fuͤhlen zu laſſen, und wenn wir die neuen Werke betrachten, die ſich neben den alten erheben, ſo iſt's, als wuͤrde uns eine ſchwere Peruͤcke vom Haupte genommen und das Herz befreyt von ſtaͤhlerner Feſſel. Ich ſpreche hier von den heiteren Kunſttempeln und edlen Pallaͤſten, die in kuͤhner Fuͤlle hervor¬ bluͤhen aus dem Geiſte Klenze's, des großen Meiſters.

19

Capitel III.

Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen nennt, iſt, unter uns geſagt, etwas ridi¬ kuͤl, und es koſtet mich viele Muͤhe, wenn ich ſie in ſolcher Qualitaͤt vertreten ſoll. Dieſes empfand ich aufs Tiefſte in dem Zweygeſpraͤch mit dem Berliner Philiſter, der, obgleich er ſchon eine Weile mit mir geſprochen hatte, un¬ hoͤflich genug war, alles attiſche Salz im neuen Athen zu vermiſſen.

Des, rief er ziemlich laut, giebt es nur in Berlin. Da nur iſt Witz und Ironie. Hier2 *20giebt es gutes Weißbier, aber wahrhaftig keine Ironie.

Ironie haben wir nicht rief Nannerl, die ſchlanke Kellnerin, die in dieſem Augenblick vorbeyſprang aber jedes andre Bier koͤnnen Sie doch haben.

Daß Nannerl die Ironie fuͤr eine Sorte Bier gehalten, vielleicht fuͤr das beſte Stetti¬ ner, war mir ſehr leid, und damit ſie ſich in der Folge wenigſtens keine ſolche Bloͤße mehr gebe, begann ich folgendermaßen zu doziren: Schoͤnes Nannerl, die Ironie is ka Bier, ſondern eine Erfindung der Berliner, der kluͤg¬ ſten Leute von der Welt, die ſich ſehr aͤrgerten, daß ſie zu ſpaͤt auf die Welt gekommen ſind, um das Pulver erfinden zu koͤnnen, und die deßhalb eine Erfindung zu machen ſuchten, die eben ſo wichtig und eben denjenigen, die das Pulver21 nicht erfunden haben, ſehr nuͤtzlich iſt. Ehe¬ mals, liebes Kind, wenn jemand eine Dumm¬ heit beging, was war da zu thun? das Ge¬ ſchehene konnte nicht ungeſchehen gemacht wer¬ den, und die Leute ſagten: der Kerl war ein Rindvieh. Das war unangenehm. In Berlin, wo man am kluͤgſten iſt und die meiſten Dumm¬ heiten begeht, fuͤhlte man am tiefſten dieſe Un¬ annehmlichkeit. Das Miniſterium ſuchte dagegen ernſthafte Maßregeln zu ergreifen: bloß die groͤ¬ ßeren Dummheiten durften noch gedruckt wer¬ den, die kleineren erlaubte man nur in Geſpraͤ¬ chen, ſolche Erlaubniß erſtreckte ſich nur auf Profeſſoren und hohe Staatsbeamte, geringere Leute durften ihre Dummheiten bloß im Ver¬ borgenen laut werden laſſen; aber alle dieſe Vorkehrungen halfen nichts, die unterdruͤckten Dummheiten traten bei auſſerordentlichen An¬ laͤſſen deſto gewaltiger hervor, ſie wurden ſogar heimlich von oben herab protegirt, ſie ſtiegen22 oͤffentlich von unten hinauf, die Noth war groß, bis endlich ein ruͤckwirkendes Mittel er¬ funden ward, wodurch man jede Dummheit gleichſam ungeſehen machen und ſogar in Weis¬ heit umgeſtalten kann. Dieſes Mittel iſt ganz einfach, und beſteht darin, daß man erklaͤrt, man habe jene Dummheit bloß aus Ironie begangen oder geſprochen. So, liebes Kind, avancirt alles in dieſer Welt, die Dummheit wird Ironie, verfehlte Speichelleckerey wird Satyre, natuͤrliche Plumpheit wird kunſtreiche Perſiflage, wirklicher Wahnſinn wird Humor, Unwiſſenheit wird brillanter Witz, und Du wirſt am Ende noch die Aspaſia des neuen Athens.

Ich haͤtte noch mehr geſagt, aber das ſchoͤne Nannerl, das ich unterdeſſen am Schuͤr¬ zenzipfel feſthielt, riß ſich gewaltſam los, als man von allen Seiten A Bier! A Bier! 23gar zu ſtuͤrmiſch forderte. Der Berliner aber ſah aus wie die Ironie ſelbſt, als er bemerkte, mit welchem Enthuſiasmus die hohen ſchaͤumenden Glaͤſer in Empfang genommen wurden; und indem er auf eine Gruppe Biertrinker hindeutete, die ſich den Hopfennektar von Herzen ſchmecken ließen, und uͤber deſſen Vortrefflichkeit disputirten, ſprach er laͤchelnd: das wollen Athenienſer ſind?

Die Bemerkungen, die der Mann bey dieſer Gelegenheit nachſchob, thaten mir ordentlich weh, da ich fuͤr unſer neues Athen keine geringe Vorliebe hege, und ich beſtrebte mich daher, dem raſchen Tadler zu bedeuten: daß wir erſt ſeit Kurzem auf den Gedanken gekommen ſind, uns als ein neues Athen aufzuthun, daß wir erſt junge Anfaͤnger ſind, und unſere großen Geiſter, ja unſer ganzes gebildetes Publikum noch nicht danach ein¬ gerichtet iſt, ſich in der Naͤhe ſehen zu laſſen. Es iſt alles noch im Entſtehen und wir ſind noch nicht24 komplet. Nur die unterſten Faͤcher, lieber Freund, fuͤgte ich hinzu, ſind erſt beſetzt, und es wird Ihnen nicht entgangen ſeyn, daß wir z. B. an Eulen, Sykophanten und Phrynen keinen Mangel haben. Es fehlt uns nur an dem hoͤhern Per¬ ſonal, und mancher muß mehrere Rollen zu gleicher Zeit ſpielen. Z. B. unſer Dichter, der die zarte griechiſche Knabenliebe beſingt, hat auch die ariſtophaniſche Grobheit uͤbernehmen muͤſſen; aber er kann alles machen, er hat alles was zu einem großen Dichter gehoͤrt, außer etwa Phantaſie und Witz, und wenn er viel Geld haͤtte, waͤre er ein reicher Mann. Was uns aber an Quantitaͤt fehlt, das erſetzen wir durch Qualitaͤt. Wir haben nur einen großen Bild¬ hauer, aber es iſt ein Loͤwe! Wir haben nur einen großen Redner, aber ich bin uͤberzeugt, daß Demoſthenes uͤber den Malz¬ aufſchlag in Attika nicht ſo gut donnern konnte. Wenn wir noch keinen Sokrates vergiftet haben,25 ſo war es wahrhaftig nicht das Gift, welches uns dazu fehlte. Und wenn wir noch keinen eigentlichen Demos, ein ganzes Demagogenvolk beſitzen, ſo koͤnnen wir doch mit einem Pracht¬ exemplare dieſer Gattung, mit einem Dema¬ gogen von Handwerk aufwarten, der ganz allein einen ganzen Demos, einen ganzen Haufen Großſchwaͤtzer, Maulaufſperrer, Poltrons und ſonſtigen Lumpengeſindels, aufwiegt und hier ſehen Sie ihn ſelbſt.

Ich kann der Verſuchung nicht widerſtehen, die Figur, die ſich uns jetzt praͤſentirte, etwas genauer zu bezeichnen. Ob dieſe Figur mir Recht behauptet, daß ihr Kopf etwas Menſch¬ liches habe und ſie daher juriſtiſch befugt ſey, ſich fuͤr einen Menſchen auszugeben, das laſſe ich dahin geſtellt ſeyn. Ich wuͤrde dieſen Kopf vielmehr fuͤr den eines Affen halten; nur aus Courtoiſie will ich ihn fuͤr menſchlich paſſiren26 laſſen. Seine Bedeckung beſtand aus einer Tuchmuͤtze, in der Form aͤhnlich dem Helm des Mambrin, und ſteifſchwarze Haare hingen lang herab und waren vorn à l'enfant ge¬ ſcheitelt. Auf dieſe Vorderſeite des Kopfes, die ſich fuͤr ein Geſicht ausgab, hatte die Goͤttin der Gemeinheit ihren Stempel gedruͤckt, und zwar ſo ſtark, daß die dort befindliche Naſe faſt zerquetſcht worden; die niedergeſchlagenen Augen ſchienen dieſe Naſe vergebens zu ſuchen und deßhalb betruͤbt zu ſeyn; ein uͤbelriechendes Laͤcheln ſpielte um den Mund, der uͤberaus lieb¬ reizend war, und durch eine gewiſſe frappante Aehnlichkeit unſeren griechiſchen After-Dichter zu den zarteſten Gaſelen begeiſtern konnte. Die Be¬ kleidung war ein altdeutſcher Rock, zwar ſchon etwas modifizirt nach den dringendſten Anfor¬ derungen der neueuropaͤiſchen Civiliſazion, aber im Schnitt noch immer erinnernd an den, wel¬ chen Arminius im teutoburger Walde getragen,27 und deſſen Urform ſich unter einer patriotiſchen Schneidergeſellſchaft eben ſo geheimnißvoll traditio¬ nel erhalten hat, wie einſt die gothiſche Bau¬ kunſt unter einer myſtiſchen Maurergilde. Ein weißgewaſchener Lappen, der mit dem bloßen, altdeutſchen Halſe tiefbedeutſam kontraſtirte, be¬ deckte den Kragen dieſes famoſen Rockes, aus ſeinen langen Aermeln hingen lange ſchmutzige Haͤnde, zwiſchen dieſen zeigte ſich ein lang¬ weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige Beine ſchlotterten die ganze Geſtalt war eine katzenjaͤmmerliche Parodie des Apoll von Belvedere.

Und des iſt der Demagog des neuen Athens? frug ſpottlaͤchelnd der Berliner. Du juter Jott, des iſt ja ein Landsmann von mich! Ich traue kaum meinen leiblichen Augen des iſt ja derjenige welcher Ne, des iſt die Moͤglichkeit!

28

Ja, Ihr verblendeten Berliner ſprach ich, nicht ohne Feuer Ihr verkennt Eure heimiſchen Genies, und ſteinigt Eure Propheten. Wir aber koͤnnen Alles gebrauchen!

Und wozu braucht Ihr denn dieſe ungluͤck¬ liche Fliege?

Er iſt zu Allem zu gebrauchen wozu Sprin¬ gen, Kriechen, Gemuͤth, Freſſen, Froͤmmigkeit, viel Altdeutſch, wenig Latein und gar kein Griechiſch noͤthig iſt. Er ſpringt wirklich ſehr gut uͤber'n Stock; macht auch Tabellen von allen moͤglichen Spruͤngen und Verzeichniſſe von allen moͤglichen Lesarten altdeutſcher Gedichte. Dazu repraͤſentirt er die Vaterlandsliebe, ohne im mindeſten gefaͤhrlich zu ſeyn. Denn man weiß ſehr gut, daß er ſich von den altdeutſchen Demagogen, unter welchen er ſich mahl zufaͤllig befunden, zu rechter Zeit zuruͤckgezogen, als ihre29 Sache etwas gefaͤhrlich wurde, und daher mit den chriſtlichen Gefuͤhlen ſeines weichen Herzens nicht mehr uͤbereinſtimmte. Seitdem aber die Gefahr verſchwunden, die Maͤrtyrer fuͤr ihre Geſinnung gelitten, faſt alle ſie von ſelbſt auf¬ gegeben, und ſogar unſere feurigſten Barbiere ihre deutſchen Roͤcke ausgezogen haben, ſeitdem hat die Bluͤthezeit unſeres vorſichtigen Vater¬ landsretters erſt recht begonnen; er allein hat noch das Demagogenkoſtuͤm und die dazu gehoͤ¬ rigen Redensarten beybehalten; er preißt noch immer Arminius den Cherusker und Frau Thus¬ nelda, als ſey er ihr blonder Enkel; er bewahrt noch immer ſeinen germaniſch patriotiſchen Haß gegen welſches Babelthum, gegen die Erfindung der Seife, gegen Thierſch's heidniſch griechiſche Gram¬ matik, gegen Quinctilius Varus, gegen Handſchuh und gegen alle Menſchen die eine anſtaͤndige Naſe haben; und ſo ſteht er da, als wandelndes Denkmal einer[untergegangenen] Zeit, und wie30 der letzte Mohikan iſt auch er allein uͤbrig ge¬ blieben von einer ganzen thatkraͤftigen Horde, er, der letzte Demagoge. Sie ſehen alſo, daß wir im neuen Athen, wo es noch ganz an Demagogen fehlt, dieſen Mann brauchen koͤn¬ nen, wir haben an ihm einen ſehr guten Dema¬ gogen, der zugleich ſo zahm iſt, daß er jeden Speichelnapf beleckt, und aus der Hand frißt, Haſelnuͤſſe, Kaſtanien, Kaͤſe, Wuͤrſtchen, kurz alles frißt was man ihm giebt; und da er jetzt einzig in ſeiner Art, ſo haben wir noch den beſonderen Vortheil, daß wir ſpaͤterhin, wenn er krepirt iſt, ihn ausſtopfen laſſen und als den letzten Demagogen, mit Haut und Haar, fuͤr die Nachwelt aufbewahren koͤnnen. Ich bitte Sie jedoch, ſagen Sie das nicht dem Pro¬ feſſor Lichtenſtein in Berlin, der ließe ihn ſonſt fuͤr das zoologiſche Muſeum reklamiren, welches Anlaß zu einem Kriege zwiſchen Preußen und Bayern geben koͤnnte, da wir ihn auf keinen31 Fall ausliefern werden. Schon haben die Eng¬ laͤnder ihn aufs Korn genommen und Zwei¬ tauſend ſiebenhundert ſieben und ſiebenzig Gui¬ neen fuͤr ihn geboten, ſchon haben die Oeſt¬ reicher ihn gegen die Giraffe eintauſchen wollen; aber unſer Miniſterium ſoll geaͤußert haben: der letzte Demagog iſt uns fuͤr keinen Preis feil, er wird einſt der Stolz unſeres Naturalienkabinets und die Zierde unſerer Stadt.

Der Berliner ſchien etwas zerſtreut zuzuhoͤren, ſchoͤnere Gegenſtaͤnde hatten ſeine Aufmerkſamkeit in Anſpruch genommen, und er fiel mir endlich in die Rede mit den Worten: Erlauben Sie gehorſamſt, daß ich Sie unterbreche, aber ſagen Sie mir doch, was iſt denn das fuͤr ein[Hund], der dort laͤuft?

Das iſt ein anderer Hund.

32

Ach, ſie verſtehen mich nicht, ich meine jenen großen, weißzottigen Hund ohne Schwanz?

Mein lieber Herr, das iſt der Hund des neuen Alcibiades.

Aber, bemerkte der Berliner, ſagen Sie mir doch, wo iſt denn der neue Alcibiades ſelbſt?

Aufrichtig geſtanden, antwortete ich, dieſe Stelle iſt noch nicht beſetzt, und wir haben erſt den Hund.

33

Capitel IV.

Der Ort, wo dieſes Geſpraͤch Statt fand, heißt Bogenhauſen, oder Neuburghauſen, oder Villa Hompeſch, oder Montgelasgarten, oder das Schloͤſſel, ja man braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von Muͤnchen dort hinfahren will, der Kutſcher verſteht uns ſchon an einem gewiſſen durſtigen Augenblinzeln, an einem ge¬ wiſſen vorſeligen Kopfnicken und aͤhnlichen Be¬ zeichnungsgrimaſſen. Tauſend Ausdruͤcke hat der Araber fuͤr ein Schwert, der Franzoſe fuͤr die Liebe, der Englaͤnder fuͤr das Haͤngen, der Deutſche fuͤr das Trinken, und der neuere Athener334ſogar fuͤr die Orte, wo er trinkt. Das Bier iſt an beſagtem Orte wirklich ſehr gut, ſelbſt im Prytaneum, vulgo Bockkeller, iſt es nicht beſſer, es ſchmeckt ganz vortrefflich, beſonders auf jener Treppenterraſſe, wo man die Tyroler Alpen vor Augen hat. Ich ſaß dort oft vorigen Winter und betrachtete die ſchneebedeckten Berge, die, glaͤnzend in der Sonnenbeleuchtung, aus eitel Silber gegoſſen zu ſeyn ſchienen.

Es war damals auch Winter in meiner Seele, Gedanken und Gefuͤhle waren wie eingeſchneit, es war mir ſo verdorrt und todt zu Muthe, dazu kam die leidige Politik, die Trauer um ein liebes geſtorbenes Kind, und ein alter Nachaͤrger und der Schnupfen. Außerdem trank ich viel Bier, weil man mich verſicherte, das gaͤbe leichtes Blut. Doch der beſte attiſche Breihahn wollte nicht fruchten bei mir, der ich mich in England ſchon an Porter gewoͤhnt hatte.

35

Endlich kam der Tag, wo alles ganz anders wurde. Die Sonne brach hervor aus dem Himmel und traͤnkte die Erde, das alte Kind, mit ihrer Strahlenmilch, die Berge ſchauerten vor Luſt und ihre Schneethraͤnen floſſen gewal¬ tig, es krachten und brachen die Eisdecken der Seen, die Erde ſchlug die blauen Augen auf, aus ihrem Buſen quollen hervor die liebenden Blumen und die klingenden Waͤlder, die gruͤnen Pallaͤſte der Nachtigallen, die ganze Natur laͤchelte, und dieſes Laͤcheln hieß Fruͤhling. Da begann auch in mir ein neuer Fruͤhling, neue Blumen ſproßten aus dem Herzen, Freiheitsgefuͤhle, wie Roſen, ſchoſſen hervor, auch heimliches Sehnen, wie junge Veilchen, dazwiſchen freilich manch 'unnuͤtze Neſſel. Ueber die Graͤber meiner Wuͤnſche zog die Hoffnung wieder ihr heiteres Gruͤn, auch die Melodieen der Poeſie kamen wieder, wie Zug¬ voͤgel, die den Winter im warmen Suͤden ver¬ bracht und das verlaſſene Neſt im Norden wieder3*36aufſuchen, und das verlaſſene nordiſche Herz klang und bluͤhte wieder wie vormals nur weiß ich nicht, wie das alles kam. Iſt es eine braune oder blonde Sonne geweſen, die den Fruͤhling in meinem Herzen auf's Neue geweckt, und all' die ſchlafenden Blumen in dieſem Her¬ zen wieder aufgekuͤßt und die Nachtigallen wieder hineingelaͤchelt? War es die wahlverwandte Natur ſelbſt, die in meiner Bruſt ihr Echo ſuchte und ſich gern darin beſpiegelte mit ihrem neuen Fruͤhlingsglanz? Ich weiß nicht, aber ich glaube, auf der Terraſſe zu Bogenhauſen, im Angeſicht der Tyroler Alpen, geſchah meinem Herzen ſolch neue Verzauberung. Wenn ich dort in Gedan¬ ken ſaß, war mir's oft, als ſehe ich ein wunder¬ ſchoͤnes Juͤnglingsantlitz uͤber jene Berge hervor¬ lauſchen, und ich wuͤnſchte mir Fluͤgel, um hin¬ zueilen nach ſeinem Reſidenzland Italien. Ich fuͤhlte mich auch oft angeweht von Zitronen - und Orangenduͤften, die von den Bergen heruͤber¬37 wogten, ſchmeichelnd und verheißend, um mich hinzulocken nach Italien. Einſt ſogar, in der goldenen Abenddaͤmmerung, ſah ich auf der Spitze einer Alpe ihn ganz und gar, lebensgroß, den jungen Fruͤhlingsgott, Blumen und Lorbeeren umkraͤnzten das freudige Haupt, und mit lachen¬ dem Auge und bluͤhendem Munde rief er: Ich liebe Dich, komm zu mir nach Italien!

38

Capitel V.

Mein Blick mochte daher wohl etwas ſehn¬ ſuͤchtig flimmern, als ich, in Verzweiflung uͤber das unabſehbare Philiſtergeſpraͤch, nach den ſchoͤ¬ nen Tyroler Bergen hinausſah und tief ſeufzte. Mein Berliner Philiſter nahm aber eben dieſen Blick und Seufzer als neue Geſpraͤchsfaͤden auf, und ſeufzte mit: Ach ja, ich moͤchte auch jetzt in Konſtantinopel ſeyn! Ach! Konſtantinopel zu ſehen, war immer der eenzige Wunſch meines Lebens, und jetzt ſind die Ruſſen gewiß ſchon eingezogen, ach, in Konſtantinopel! Haben Sie Petersburg geſehen? Ich verneinte dieſes und39 bat, mir davon zu erzaͤhlen. Aber nicht er ſelbſt, ſondern ſein Herr Schwager, der Kammer¬ gerichtsrath, war vorigen Sommer da geweſen, und es ſoll eine ganz eenzige Stadt ſeyn. Haben Sie Kopenhagen geſehen? Da ich dieſe Frage ebenfalls verneinte und eine Schil¬ derung dieſer Stadt von ihm begehrte, laͤchelte er gar pfiffig und wiegte das Koͤpfchen recht vergnuͤgt hin und her, und verſicherte mir auf Ehre, ich koͤnne mir keine Vorſtellung davon machen, wenn ich nicht ſelbſt dort geweſen ſey. Dieſes erwiederte ich, wird vor der Hand noch nicht Statt finden, ich will jetzt eine andere Reiſe antreten, die ich ſchon dieſen Fruͤhling projektirt, ich reiſe naͤmlich nach Italien.

Als der Mann dieſes Wort hoͤrte, ſprang er ploͤtzlich vom Stuhle auf, drehte ſich dreimal auf einem Fuße herum, und trillerte: Tirily! Tirily! Tirily!

40

Das gab mir den letzten Sporn. Morgen reiſe ich, beſchloß ich auf der Stelle. Ich will nicht laͤnger zoͤgern, ich will ſo bald als moͤglich das Land ſehen, das den trockenſten Philiſter ſo ſehr in Extaſe bringen kann, daß er bei deſſen Erwaͤhnung ploͤtzlich wie eine Wachtel ſchlaͤgt. Waͤhrend ich zu Hauſe meinen Koffer packte, klang mir der Ton jenes Tirilys noch immer in den Ohren, und mein Bruder, Maximilian Heine, der mich den andern Tag bis Tyrol begleitete, konnte nicht begreifen, warum ich auf dem ganzen Wege kein vernuͤnftiges Wort ſprach und beſtaͤndig tirilirte.

41

Capitel VI.

Tirily! Tirily! ich lebe! Ich fuͤhle den ſuͤßen Schmerz der Exiſtenz, ich fuͤhle alle Freuden und Qualen der Welt, ich leide fuͤr das Heil des ganzen Menſchengeſchlechts, ich buͤße deſſen Suͤn¬ den, aber ich genieße ſie auch.

Und nicht blos mit den Menſchen, auch mit den Pflanzen fuͤhle ich, ihre tauſend gruͤnen Zungen erzaͤhlen mir allerliebſte Geſchichten, ſie wiſſen, daß ich nicht menſchenſtolz bin, und mir den niedrigſten Wieſenbluͤmchen eben ſo gern ſpreche, wie mit den hoͤchſten Tannen. Ach, ich42 weiß ja, wie es mit ſolchen Tannen beſchaffen iſt! Aus der Tiefe des Thals ſchießen ſie himmel¬ hoch empor, uͤberragen faſt die kuͤhnſten Felſen¬ berge Aber wie lange dauert dieſe Herrlichkeit? Hoͤchſtens ein paar lumpige Jahrhunderte, dann krachen ſie altersmuͤd zuſammen und verfaulen auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die haͤmiſchen Kaͤutzlein aus ihren Felſenſpalten her¬ vorgehuſcht, und verhoͤhnen ſie noch obendrein: Seht, Ihr ſtarken Tannen, Ihr glaubtet Euch mit den Bergen meſſen zu koͤnnen, jetzt liegt Ihr gebrochen da unten, und die Berge ſtehen noch immer unerſchuͤttert.

Einem Adler, der auf ſeinem einſamen Lieb¬ lingsfelſen ſitzt, und ſolcher Verhoͤhnung zuhoͤrt, muß recht mitleidig zu Muthe werden. Er denkt dann an das eigene Schickſal. Auch er weiß nicht, wie tief er einſt gebettet wird. Aber die Sterne funkeln ſo beruhigend, die Waldwaſſer43 rauſchen ſo troſtvoll, und die eigene Seele uͤber¬ brauſt ſo ſtolz all' die kleinmuͤthigen Gedanken, daß er ſie bald wieder vergißt. Steigt gar die Sonne hervor, ſo fuͤhlt er ſich wieder wie ſonſt, und fliegt zu ihr hinauf, und wenn er hoch ge¬ nug iſt, ſingt er ihr entgegen ſeine Luſt und Qual. Seine Mitthiere, beſonders die Menſchen, glauben, der Adler koͤnne nicht ſingen, und ſie wiſſen nicht, daß er dann nur ſingt, wenn er aus ihrem Bereich iſt, und daß er aus Stolz nur von der Sonne gehoͤrt ſeyn will. Und er hat Recht; es koͤnnte irgend einem von der gefie¬ derten Sippſchaft da unten einfallen, ſeinen Ge¬ ſang zu rezenſiren. Ich habe ſelbſt erfahren, wie ſolche Kritiken lauten: das Huhn ſtellt ſich dann auf ein Bein und gluckt, der Saͤnger habe kein Gemuͤth; der Truthahn kullert, es fehle ihm der wahre Ernſt; die Taube girrt, er kenne nicht die wahre Liebe; die Gans ſchnattert, er ſey nicht wiſſenſchaftlich; der Kapaun kikert, er ſey44 nicht moraliſch; der Dompfaff zwitſchert, er habe leider keine Religion; der Sperling piepſt, er ſey nicht produktiv genug; Wiedehoͤpchen, Elſter¬ chen, Schuhuchen, Alles kraͤchzt und aͤchzt und ſchnarrt Nur die Nachtigall ſtimmt nicht ein in dieſe Kritiken, unbekuͤmmert um die ganze Mitwelt, iſt nur die rothe Roſe ihr ein¬ ziger Gedanke und ihr einziges Lied, ſehnſuͤchtig umflattert ſie die rothe Roſe, und ſtuͤrzt ſich be¬ geiſtert in die geliebten Dornen, und blutet und ſingt.

45

Capitel VII.

Es giebt einen Adler im deutſchen Vater¬ lande, deſſen Sonnenlied ſo gewaltig erklingt, daß es auch hier unten gehoͤrt wird, und ſogar die Nachtigallen aufhorchen, trotz all' ihren me¬ lodiſchen Schmerzen. Das biſt Du, Karl Immermann, und Deiner dacht ich gar oft in dem Lande, wovon Du ſo ſchoͤn geſungen. Wie konnte ich durch Tyrol reiſen, ohne an das Trauerſpiel zu denken?

Nun freilich, ich habe die Dinge in anderer Faͤrbung geſehen; aber ich bewundere doch den46 Dichter, der aus der Fuͤlle des Gemuͤthes das¬ jenige, was er nie geſehen hat, der Wirklichkeit ſo aͤhnlich ſchafft. Am meiſten ergoͤtzte mich, daß Das Trauerſpiel in Tyrol in Tyrol ver¬ boten iſt. Ich gedachte der Worte, die mir mein Freund Moſer ſchrieb, als er mir meldete daß der zweite Band der Reiſebilder verboten ſey: Die Regierung haͤtte aber das Buch gar nicht zu verbieten brauchen, es waͤre dennoch geleſen worden.

Zu Insbruck im goldenen Adler, wo An¬ dreas Hofer logirt hatte, und noch jede Ecke mit ſeinen Bildniſſen und Erinnerungen an ihn beklebt iſt, fragte ich den Wirth, Herrn Nieder¬ kirchner, ob er mir noch viel von dem Sandwirth erzaͤhlen koͤnne? Da war der alte Mann uͤber¬ fließend von Redſeligkeit, und vertraute mir mit klugen Augenzwinken, daß jetzt die Geſchichte auch ganz gedruckt heraus ſey, aber auch ganz47 geheim verboten; und als er mich nach einem dunkeln Stuͤbchen gefuͤhrt, wo er ſeine Reliquien aus dem Tyrolerkrieg aufbewahrt, wickelte er ein ſchmutzig blaues Papier von einem ſchon zerleſenen gruͤnen Buͤchlein, das ich zu meiner Verwunderung als Immermanns Trauerſpiel in Tyrol erkannte. Ich ſagte ihm, nicht ohne er¬ roͤthenden Stolz, der Mann, der es geſchrieben, ſey mein Freund. Herr Niederkirchner wollte nun ſo viel als moͤglich von dem Manne wiſſen, und ich ſagte ihm, es ſey ein gedienter Mann, von feſter Statur, ſehr ehrlich und ſehr geſchickt in Schreibſachen, ſo daß er nur wenige ſeines Gleichen finde. Daß er aber ein Preuße ſey, wollte Herr Niederkirchner durchaus nicht glauben, und rief mit mitleidigem Laͤcheln: Warum nicht gar! Er ließ ſich nicht ausreden, daß der Immermann ein Tyroler ſey und den Tyroler Krieg mitgemacht habe, wie koͤnnte er ſonſt alles wiſſen?

48

Seltſame Grille des Volkes! Es verlangt ſeine Geſchichte aus der Hand des Dichters und nicht aus der Hand des Hiſtorikers. Es ver¬ langt nicht den treuen Bericht nackter That¬ ſachen, ſondern jene Thatſachen wieder aufgeloͤſt in die urſpruͤngliche Poeſie, woraus ſie hervor¬ gegangen. Das wiſſen die Dichter, und nicht ohne geheime Schadenluſt modeln ſie willkuͤhrlich die Voͤlkererinnerungen, vielleicht zur Verhoͤh¬ nung ſtolztrockner Hiſtoriographen und perga¬ mentener Staatsarchivare. Nicht wenig ergoͤzte es mich, als ich in den Buden des letzten Jahr¬ markts die Geſchichte des Beliſars in grell kolo¬ rirten Bildern ausgehaͤngt ſah, und zwar nicht nach dem Procop, ſondern ganz treu nach Schenk's Tragoͤdie. So wird die Ge¬ ſchichte verfaͤlſcht rief der gelahrte Freund, der mich begleitete, ſie weiß nichts von jener Rache einer beleidigten Gattin, von jenem ge¬ fangenen Sohn, von jener liebenden Tochter,49 und dergleichen modernen Herzensgeburten! Iſt denn dies aber wirklich ein Fehler? ſoll man den Dichtern wegen dieſer Faͤlſchung gleich den Prozeß machen? nein, denn ich laͤugne die An¬ klage. Die Geſchichte wird nicht von den Dich¬ tern verfaͤlſcht. Sie geben den Sinn derſelben ganz treu, und ſey es auch durch ſelbſterfundene Geſtalten und Umſtaͤnde. Es giebt Voͤlker, denen nur auf dieſe Dichterart ihre Geſchichte uͤberliefert worden, z. B. die Indier. Dennoch geben Geſaͤnge wie der Maha Baratha den Sinn indiſcher Geſchichte viel richtiger als irgend ein Compendienſchreiber mit all' ſeinen Jahr¬ zahlen. In gleicher Hinſicht moͤchte ich behaupten, Walter Scotts Romane gaͤben zuweilen den Geiſt der engliſchen Geſchichte weit treuer als Hume; wenigſtens hat Sartorius ſehr Recht, wenn er in ſeinen Nachtraͤgen zu Spittler jene Ro¬ mane zu den Quellen der engliſchen Geſchichte rechnet.

450

Es geht den Dichtern wie den Traͤumern, die im Schlafe dasjenige innere Gefuͤhl, welches ihre Seele durch wirkliche aͤußere Urſachen emp¬ findet, gleichſam maskiren, indem ſie an die Stelle dieſer letzteren ganz andere aͤußere Ur¬ ſachen ertraͤumen, die aber in ſo fern ganz adaͤquat ſind, als ſie daſſelbe Gefuͤhl hervorbringen. So ſind auch in Immermanns Trauerſpiel manche Außendinge ziemlich willkuͤhrlich geſchaffen, aber der Held ſelbſt, der Gefuͤhlsmittelpunkt, iſt identiſch getraͤumt, und wenn dieſe Traumgeſtalt ſelbſt traͤumeriſch erſcheint, ſo iſt auch dieſes der Wahrheit gemaͤß. Der Baron Hormayr, der hierin der kompetenteſte Richter ſeyn kann, hat mich, als ich juͤngſt das Vergnuͤgen hatte ihn zu ſprechen, auf dieſen Umſtand aufmerkſam ge¬ macht. Das myſtiſche Gemuͤthsleben, die aber¬ glaͤubiſche Religioſitaͤt, das Epiſche des Mannes, hat Immermann ganz richtig angedeutet. Er gab ganz treu jene treue Taube, die, mit dem51 blanken Schwert im Schnabel, wie die kriege¬ riſche Liebe, uͤber den Bergen Tyrols ſo helden¬ muͤthig umherſchwebte, bis die Kugeln von Mantua ihr treues Herz durchbohrten.

Was aber dem Dichter am meiſten zur Ehre gereicht, iſt die eben ſo treue Schilderung des Gegners, aus welchem er keinen wuͤthenden Geßler gemacht, um ſeinen Hofer deſto mehr zu heben; wie dieſer eine Taube mit dem Schwerte, ſo iſt jener ein Adler mit dem Oelzweig.

4 *52

Capitel VIII.

In der Wirthshausſtube des Herrn Nieder¬ kirchner zu Insbruck haͤngen eintraͤchtig neben ein¬ ander die Bilder von Andreas Hofer, Napoleon Bonaparte und Ludwig von Bayern.

Insbruck ſelbſt iſt eine unwoͤhnliche, bloͤde Stadt. Vielleicht mag ſie im Winter etwas geiſtiger und behaglicher ausſehen, wenn die hohen Berge, wovon ſie eingeſchloſſen, mit Schnee bedeckt ſind, und die Lawinen droͤhnen und uͤberall das Eis kracht und blitzt.

53

Ich fand die Haͤupter jener Berge mit Wol¬ ken, wie mit grauen Turbanen, umwickelt. Man ſieht dort die Martinswand, den Schauplatz der lieblichſten Kaiſerſage; wie denn uͤberhaupt die Erinnerung an den ritterlichen Max in Tyrol noch immer bluͤht und klingt.

In der Hofkirche ſtehen die oft beſprochenen Standbilder der Fuͤrſten und Fuͤrſtinnen aus dem Hauſe Oeſtreich und ihrer Ahnen, worunter mancher gerechnet worden, der gewiß bis auf den heutigen Tag nicht begreift, wie er zu dieſer Ehre gekommen. Sie ſtehen in gewaltiger Lebens¬ groͤße, aus Eiſen gegoſſen, um das Grabmahl des Maximilian. Da aber die Kirche klein und das Dach niedrig iſt, ſo kommts einem vor, als ſaͤhe man ſchwarze Wachsfiguren in einer Marktbude. Am Fußgeſtell der meiſten lieſt man auch den Namen derjenigen hohen Perſonen, die ſie vor¬ ſtellen. Als ich jene Statuen betrachtete, traten54 Englaͤnder in die Kirche; ein hagerer Mann mit aufgeſperrtem Geſichte, die Daumen eingehakt in die Armoͤffnungen der weißen Weſte, und im Maul einen ledernen guide des voyageurs; hinter ihm ſeine lange Lebensgefaͤhrtin, eine nicht mehr ganz junge, ſchon etwas abgeliebte, aber noch immer hinlaͤnglich ſchoͤne Dame; hinter dieſer ein rothes Portergeſicht mit puderweißen Aufſchlaͤgen, ſteif einhertretend in einem dito Rock, und die hoͤlzernen Haͤnde vollauf befrach¬ tet mit Myladys Handſchuhen, Alpenblumen und Mops.

Das Kleeblatt ſtieg ſchnurgerade nach dem obern Ende der Kirche, wo der Sohn Albions ſeiner Gemahlin die Statuen erklaͤrte, und zwar nach ſeinem Guide des voyageurs, in welchem ausfuͤhrlich zu leſen war: Die erſte Statue iſt der Koͤnig Clodevig von Frankreich, die andere iſt der Koͤnig Arthur von England, die dritte55 iſt Rudolph von Habsburg u. ſ. w. Da aber der arme Englaͤnder die Reihe von oben anfing, ſtatt von unten, wie es der Guide des voya¬ geurs vorausſetzte, ſo gerieth er in die ergoͤtz¬ lichſten Verwechſelungen, die noch komiſcher wur¬ den, wenn er an eine Frauenſtatue kam, die er fuͤr einen Mann hielt, und umgekehrt, ſo daß er nicht begriff, warum man Rudolph von Habs¬ burg in Weibskleidern dargeſtellt, dagegen die Koͤnigin Maria mit eiſernen Hoſen und einem allzulangen Barte. Ich, der ich gerne mit meinem Wiſſen nachhelfe, bemerkte beilaͤufig: dergleichen habe wahrſcheinlich das damalige Koſtuͤm erfordert, auch koͤnne es beſonderer Wille der hohen Perſonen geweſen ſeyn, ſo, und bei Leibe nicht anders, gegoſſen[zu] werden. So koͤnne es ja dem jetzigen Kaiſer einfallen, ſich in einem Reifrock oder gar in Windeln gießen zu laſſen; wer wuͤrde was dagegen ein¬ wenden?

56

Der Mops bellte kritiſch, der Lakay glotzte, ſein Herr putzte ſich die Naſe, und Mylady ſagte: a fine exhibition, very fine in¬ deed!

57

Capitel IX.

Brixen war die zweite, groͤßere Stadt Tyrols wo ich einkehrte. Sie liegt in einem Thal, und als ich ankam, war ſie mit Dampf und Abend¬ ſchatten uͤbergoſſen. Daͤmmernde Stille, melan¬ choliſches Glockengebimmel, die Schafe trippelten nach ihren Staͤllen, die Menſchen nach den Kirchen; uͤberall beklemmender Geruch von haͤ߬ lichen Heiligenbildern und getrocknetem Heu.

Die Jeſuiten ſind in Brixen hatte ich kurz vorher im Hesperus geleſen. Ich ſah mich auf allen Straßen nach ihnen um; aber ich habe58 Niemanden geſehen, der einem Jeſuiten glich, es ſey denn jener dicke Mann mit geiſtlich drey¬ eckigem Hut und pfaͤffiſch geſchnittenem, ſchwar¬ zen Rock, der alt und abgetragen war, und mit den glaͤnzend neuen ſchwarzen Hoſen gar auf¬ fallend kontraſtirte.

Das kann auch kein Jeſuit ſeyn, ſprach ich endlich zu mir ſelber; denn ich habe mir immer die Jeſuiten etwas mager gedacht. Ob es wirk¬ lich noch Jeſuiten giebt? Manchmal will es mich beduͤnken, als ſey ihre Exiſtenz nur eine Chimaͤre, als ſpuke nur die Angſt vor ihnen noch in unſeren Koͤpfen, nachdem laͤngſt die Gefahr voruͤber, und alles Eifern gegen Jeſuiten mahnt mich dann an Leute, die, wenn es laͤngſt aufge¬ hoͤrt hat zu regnen, noch immer mit aufgeſpann¬ ten Regenſchirmen umhergehen. Ja, mich duͤnkt zuweilen, der Teufel, der Adel und die Jeſuiten exiſtiren nur ſo lange als man an ſie glaubt. 59Vom Teufel koͤnnten wir es wohl ganz beſtimmt behaupten; denn nur die Glaͤubigen haben ihn bisher geſehen. Auch in Betreff des Adels werden wir im Laufe einiger Zeit die Erfahrung machen, daß die bonne société aufhoͤren wird die bonne société zu ſeyn, ſobald der gute Buͤrgersmann nicht mehr die Guͤte hat, ſie fuͤr die bonne société zu halten. Aber die Jeſui¬ ten? Wenigſtens haben ſie doch nicht mehr die alten Hoſen an! Die alten Jeſuiten liegen im Grabe mit ihren alten Hoſen, Begierden, Welt¬ plaͤnen, Raͤnken, Diſtinctionen, Reſervazionen und Giften, und was wir jetzt in neuen, glaͤn¬ zenden Hoſen durch die Welt ſchleichen ſehen, iſt nicht ſowohl ihr Geiſt, als vielmehr ihr Ge¬ ſpenſt, ein albernes, bloͤdſinniges Geſpenſt, das uns taͤglich durch Wort und That zu beweiſen ſucht, wie wenig es furchtbar ſey; und wahrlich es mahnt uns an die Geſchichte von einem aͤhn¬ lichen Geſpenſte im Thuͤringer Walde, das einſt60 die Leute, ſo ſich vor ihm fuͤrchteten, von ihrer Furcht befreyte, indem es, vor Aller Augen, ſeinen Schaͤdel von den Schultern herabnahm, und jedem zeigte, daß er inwendig ganz hohl und leer ſey.

Ich kann nicht umhin nachtraͤglich zu erzaͤh¬ len, daß ich Gelegenheit fand, den dicken Mann mit den glaͤnzend neuen Hoſen genauer zu beob¬ achten, und mich zu uͤberzeugen, daß er kein Jeſuit war, ſondern ein ganz gewoͤhnliches Vieh Gottes. Ich traf ihn nemlich in der Gaſtſtube meines Wirthshauſes, wo er zu Nacht ſpeiſte, in Geſellſchaft eines langen, magern Excellenz ge¬ nannten Mannes, der jenem alten, hageſtolz¬ lichen Landjunker, den uns Shakespear geſchil¬ dert, ſo aͤhnlich war, daß es ſchien, als habe die Natur ein Plagiat begangen. Beide wuͤrzten ihr Mahl, indem ſie die Aufwaͤrterin mit Ca¬ reſſen bedraͤngten, die das liebe, bildſchoͤne Maͤd¬61 chen nicht wenig anzuekeln ſchienen, ſo daß ſie ſich mit Gewalt losriß, wenn der Eine ſie hinten klaͤtſchelte, oder der Andere ſie gar zu embraſſiren ſuchte. Dabey riſſen ſie ihre roheſten Zoten, die das Maͤdchen, wie ſie wußten, nicht umhin konnte anzuhoͤren, da ſie zur Aufwartung der Gaͤſte und auch um mir den Tiſch zu decken, im Zimmer bleiben mußte. Als jedoch die Un¬ gebuͤhr ganz unleidlich wurde, ließ die junge Perſon ploͤtzlich alles ſtehen und liegen, eilte zur Thuͤr hinaus, und kam erſt nach einigen Minu¬ ten ins Zimmer zuruͤck, mit einem kleinen Kinde auf dem Arm, das ſie die ganze Zeit auf dem Arm behielt, waͤhrend ſie im Gaſtzimmer ihre Geſchaͤfte beſorgte, obgleich ihr dieſe da¬ durch um ſo beſchwerlicher wurden. Die beiden Cumpane aber, der geiſtliche und der adlige Herr, wagten keine einzige Belaͤſtigung mehr gegen das Maͤdchen, das jetzt ohne Unfreundlichkeit, jedoch mit ſeltſamen Ernſt, ſie bediente; das Geſpraͤch62 nahm eine andere Wendung, beide ſchwatzten jetzt das gewoͤhnliche Geſchwaͤtz von der großen Ver¬ ſchwoͤrung gegen Thron und Altar, ſie verſtaͤn¬ digten ſich uͤber die Nothwendigkeit ſtrenger Maaßregeln, und reichten ſich mehrmals die hei¬ ligen Allianzhaͤnde.

63

Capitel X.

Fuͤr die Geſchichte von Tyrol ſind die Werke des Joſeph von Hormayr unentbehrlich; fuͤr die neueſte Geſchichte iſt er ſelbſt die beſte, oft die einzige Quelle. Er iſt fuͤr Tyrol was Johannes von Muͤller fuͤr die Schweiz iſt; eine Parallele dieſer beiden Hiſtoriker draͤngt ſich uns von ſelbſt auf. Sie ſind gleichſam Wandnachbaren, beide in ihrer Jugend gleich begeiſtert fuͤr ihre Ge¬ burtsalpen, beide fleißig, forſchſam, von hiſtoriſcher Denkweiſe und Gefuͤhlsrichtung; Johannes von Muͤller, epiſcher geſtimmt, den Geiſt wiegend in den Geſchichten der Vergangenheit, Joſeph von64 Hormayr, haſtiger fuͤhlend, mehr in die Gegen¬ wart hineingeriſſen, uneigennuͤtzig das Leben wagend fuͤr das was ihm lieb war.

Bartholdys Krieg der Tyroler Landleute im Jahr 1809 iſt ein geiſtreich und ſchoͤn ge¬ ſchriebenes Buch, und wenn Maͤngel darin ſind, ſo entſtanden ſie nothwendigerweiſe dadurch, weil der Verfaſſer, wie es edlen Gemuͤthern eigen iſt, fuͤr die unterdruͤckte Parthey eine ſichtbare Vor¬ liebe hegte, und weil noch Pulverdampf die Be¬ gebenheiten umhuͤllte, als er ſie beſchrieb.

Viele merkwuͤrdige Ereigniſſe jener Zeit ſind gar nicht aufgeſchrieben, und leben nur im Ge¬ daͤchtniſſe des Volkes, das jetzt nicht gern mehr davon ſpricht, da die Erinnerung mancher ge¬ taͤuſchten Hoffnung dabey auftaucht. Die armen Tyroler haben nemlich auch allerley Erfahrungen machen muͤſſen, und wenn man ſie jetzt fragt,65 ob ſie, zum Lohne ihrer Treue, Alles erlangt, was man ihnen in der Noth verſprochen, ſo zucken ſie gutmuͤthig die Achſel, und ſagen naiv: es war vielleicht ſo ernſt nicht gemeint, und der Kaiſer hat viel zu denken, und da geht ihm manches durch den Kopf.

Troͤſtet Euch, arme Schelme! Ihr ſeyd nicht die Einzigen, denen etwas verſprochen worden. Paſſirt es doch oft auf großen Sklavenſchiffen, daß man bey großen Stuͤrmen und wenn das Schiff in Gefahr geraͤth, zu den ſchwarzen Menſchen ſeine Zuflucht nimmt, die unten im dunkeln Schiffsraum zuſammengeſtaut liegen. Man bricht dann ihre eiſernen Ketten, und ver¬ ſpricht heilig und theuer, ihnen die Freyheit zu ſchenken, wenn durch ihre Thaͤtigkeit das Schiff gerettet werde. Die bloͤden Schwarzen jubeln nun hinauf ans Tageslicht, Hurrah! ſie eilen zu den Pumpen, ſtampfen aus Leibeskraͤften,566helfen, wo nur zu helfen iſt, klettern, ſpringen, kappen die Maſten, winden die Taue, kurz ar¬ beiten ſo lange bis die Gefahr voruͤber iſt. Als¬ dann werden ſie, wie ſich von ſelbſt verſteht, wieder nach dem Schiffsraum hinabgefuͤhrt, wie¬ der ganz bequem angefeſſelt, und in ihrem dunkeln Elend machen ſie demagogiſche Betrachtungen uͤber Verſprechungen von Seelenverkaͤufern, deren ganze Sorge, nach uͤberſtandener Gefahr, da¬ hin geht, noch einige Seelen mehr einzutauſchen.

O navis, referent in mare te novi Fluctus? etc.

Als mein alter Lehrer dieſe Ode des Horaz, worin der Staat mit einem Schiffe verglichen wird, explizirte, hatte er allerlei politiſche Be¬ trachtungen zu machen, die er bald einſtellte, als die Schlacht bei Leipzig geſchlagen worden, und die ganze Claſſe auseinander ging.

67

Mein alter Lehrer hat alles voraus gewußt. Als wir die erſte Nachricht dieſer Schlacht er¬ hielten, ſchuͤttelte er das graue Haupt. Jetzt weiß ich was dieſes Schuͤtteln bedeutete. Bald kamen die genaueren Berichte, und heimlich zeigte man einander die Bilder, wo gar bunt und erbaulich abkonterfeit war: wie die hohen Heerfuͤhrer auf dem Schlachtfelde knieten und Gott dankten.

Ja, ſie konnten Gott danken ſagte mein Lehrer und laͤchelte, wie er zu laͤcheln pflegte, wenn er den Saluſt explicirte der Kaiſer Napoleon hat ſie ſo oft geklopft, daß ſie es ihm doch am Ende ablernen konnten.

Nun kamen die Allirten und die ſchlechten Befreyungsgedichte, Hermann und Thusnelda, Hurrah, und der Frauenverein und die Vater¬ landseicheln, und das ewige Pralen mit der5 *68Schlacht bey Leipzig, und wieder die Schlacht bey Leipzig, und kein Aufhoͤren davon.

Es geht dieſen Leuten, bemerkte mein Lehrer, wie den Thebanern, als ſie bei Leuktra endlich einmal jene unbeſiegbaren Spartaner geſchlagen, und beſtaͤndig mit dieſer Schlacht pralten, ſo daß Anthiſtenes von ihnen ſagte: ſie machen es wie die Knaben, die vor Freude ſich nicht zu laſſen wiſſen, wenn ſie einmal ihren Schulmeiſter aus¬ gepruͤgelt haben. Liebe Jungens, es waͤre beſſer geweſen, wir haͤtten ſelbſt die Pruͤgel bekommen.

Bald darauf iſt der alte Mann geſtorben. Auf ſeinem Grabe waͤchſt preußiſches Gras, und es weiden dort die adeligen Roſſe unſerer reno¬ virten Ritter.

69

Capitel IX.

Die Tyroler ſind ſchoͤn, heiter, ehrlich, brav, und von unergruͤndlicher Geiſtesbeſchraͤnktheit. Sie ſind eine geſunde Menſchenraçe, vielleicht weil ſie zu dumm ſind, um krank ſeyn zu koͤnnen. Auch eine edle Raçe moͤchte ich ſie nennen, weil ſie ſich in ihren Nahrungsmitteln ſehr waͤhlig und in ihren Gewoͤhnungen ſehr reinlich zeigen; nur fehlt ihnen ganz und gar das Gefuͤhl von der Wuͤrde der Perſoͤnlichkeit. Der Tyroler hat eine Sorte von laͤchelndem humoriſtiſchen Ser¬ vilismus, der faſt eine ironiſche Faͤrbung traͤgt, aber doch grundehrlich gemeint iſt. Die Frauen¬70 zimmer in Tyrol begruͤßen Dich ſo zuvorkommend freundlich, die Manner druͤcken Dir ſo derb die Hand, und gebehrden ſich dabei ſo putzig herzlich, daß du faſt glauben ſollteſt, ſie behandelten Dich wie einen nahen Verwandten, wenigſtens wie ihres Gleichen; aber weit gefehlt, ſie verlieren dabei nie aus dem Gedaͤchtniß, daß ſie nur ge¬ meine Leute ſind, und daß Du ein vornehmer Herr biſt, der es gewiß gern ſieht, wenn gemeine Leute ohne Bloͤdigkeit ſich zu ihm herauflaſſen. Und darin haben ſie einen naturrichtigen In¬ ſtinkt; die ſtarrſten Ariſtokraten ſind froh, wenn ſie Gelegenheit finden zur Herablaſſung, denn dadurch eben fuͤhlen ſie, wie hoch ſie geſtellt ſind. Zu Hauſe uͤben die Tyroler dieſen Servi¬ lismus gratis, in der Fremde ſuchen ſie auch noch dadurch zu lukriren. Sie geben ihre Per¬ ſoͤnlichkeit preis, ihre Nationalitaͤt. Dieſe bun¬ ten Deckenverkaͤufer, dieſe muntern Tyroler Bua, die wir in ihrem Nationalkoſtuͤm herumwandern71 ſehen, laſſen gern ein Spaͤschen mit ſich treiben, aber Du mußt ihnen auch etwas abkaufen. Jene Geſchwiſter Rainer, die in England geweſen, haben es noch beſſer verſtanden, und ſie hatten noch obendrein einen guten Rathgeber, der den Geiſt der engliſchen Nobility gut kannte. Daher ihre gute Aufnahme im Foyer der europaͤiſchen Ariſtokratie, in the west end of the town. Als ich vorigen Sommer in den glaͤnzenden Konzertſaͤlen der Londoner faſhionablen Welt dieſe Tyroler Saͤnger, gekleidet in ihre heimath¬ liche Volkstracht, das Schaugeruͤſt betreten ſah, und von da herab jene Lieder hoͤrte, die in den Tyroler Alpen ſo naiv und fromm gejodelt werden, und uns auch ins norddeutſche Herz ſo lieblich hinabklingen da verzerrte ſich Alles in meiner Seele zu bitterem Unmuth, das gefaͤllige Laͤcheln vornehmer Lippen ſtach mich wie Schlangen, es war mir, als ſaͤhe ich die Keuſchheit des deut¬ ſchen Wortes auf's Roheſte beleidigt, und die72 ſuͤßeſten Myſterien des deutſchen Gemuͤthlebens vor fremdem Poͤbel profanirt. Ich habe nicht mitklatſchen koͤnnen bei dieſer ſchamloſen Ver¬ ſchacherung des Verſchaͤmteſten, und ein Schwei¬ zer, der gleich fuͤhlend mit mir den Saal ver¬ ließ, bemerkte ganz richtig: wir Schwyzer geben auch viel fuͤr's Geld, unſere beſten Kaͤſe und unſer beſtes Blut, aber das Alphorn koͤnnen wir in der Fremde kaum blaſen hoͤren, vielweniger es ſelbſt blaſen fuͤr Geld.

73

Capitel XII.

Tyrol iſt ſehr ſchoͤn, aber die ſchoͤnſten Land¬ ſchaften koͤnnen uns nicht entzuͤcken, bei truͤber Witterung und aͤhnlicher Gemuͤthsſtimmung. Dieſe iſt bei mir immer die Folge von jener, und da es draußen regnete, ſo war auch in mir ſchlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte ich den Kopf zum Wagen hinausſtrecken, und dann ſchaute ich himmelhohe Berge, die mich ernſthaft anſahen, und mir mit den ungeheuern Haͤuptern und langen Wolkenbaͤrten eine gluͤck¬ liche Reiſe zunickten. Hie und da bemerkte ich auch ein fernblaues Berglein, das ſich auf die74 Fußzehen zu ſtellen ſchien, und den anderen Bergen recht neugierig uͤber die Schultern blickte, wahrſcheinlich um mich zu ſehen. Dabei kreiſch¬ ten uͤberall die Waldbaͤche, die ſich wie toll von den Hoͤhen herabſtuͤrzten und in den dunkeln Thalſtrudeln verſammelten. Die Menſchen ſteckten in ihren niedlichen, netten Haͤuschen, die uͤber der Halde, an den ſchroffſten Abhaͤngen und bis auf die Bergſpitzen zerſtreut liegen; niedliche, nette Haͤuschen, gewoͤhnlich mit einer langen, balkonartigen Gallerie, und dieſe wieder mit Waͤſche, Heiligenbildchen, Blumentoͤpfen und Maͤdchengeſichtern ausgeſchmuͤckt. Auch huͤbſch bemalt ſind dieſe Haͤuschen, meiſtens weiß und gruͤn, als truͤgen ſie ebenfalls die Tyroler Landestracht, gruͤne Hoſentraͤger uͤber dem weißen Hemde. Wenn ich ſolch 'Haͤuschen im einſamen Regen liegen ſah, wollte mein Herz oft ausſtei¬ gen und zu den Menſchen gehen, die gewiß trocken und vergnuͤgt da drinnen ſaßen. Da75 drinnen, dacht' ich, muß ſich's recht lieb und innig leben laſſen, und die alte Großmutter er¬ zaͤhlt gewiß die heimlichſten Geſchichten. Waͤhrend der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, ſchaut 'ich noch oft zuruͤck, um die blaͤulichen Rauchſaͤulen aus den kleinen Schornſteinen ſteigen zu ſehen, und es regnete dann immer ſtaͤrker, außer mir und in mir, daß mir faſt die Tropfen aus den Augen herauskamen.

Oft hob ſich auch mein Herz, und trotz dem ſchlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig erfahren von dem, was hier unten geſchieht. Sie ſind deshalb um nichts minder fromm und gluͤcklich. Von der Politik wiſſen ſie nichts, als daß ſie einen Kaiſer haben, der einen weißen Rock und rothe Hoſen traͤgt; das hat ihnen der alte Ohm erzaͤhlt, der es ſelbſt in Insbruck ge¬76 hoͤrt von dem ſchwarzen Sepperl, der in Wien geweſen. Als nun die Patrioten zu ihnen hin¬ aufkletterten und ihnen beredtſam vorſtellten, daß ſie jetzt einen Fuͤrſten bekommen, der einen blauen Rock und weiße Hoſen trage, da griffen ſie zu ihren Buͤchſen, und kuͤßten Weib und Kind, und ſtiegen von den Bergen hinab, und ließen ſich todtſchlagen fuͤr den weißen Rock und die lieben alten rothen Hoſen.

Im Grunde iſt es auch daſſelbe, fuͤr was man ſtirbt, wenn nur fuͤr etwas Liebes geſtorben wird, und ſo ein warmer, treuer Tod iſt beſſer, als ein kaltes, treuloſes Leben. Schon allein die Lieder von einem ſolchen Tode, die ſuͤßen Reime und lichten Worte erwaͤrmen unſer Herz, wenn feuchte Nebelluft und zudringliche Sorgen es be¬ truͤben wollen.

Viel ſolcher Lieder klangen durch mein Herz, als ich uͤber die Berge Tyrols dahinfuhr. Die77 traulichen Tannenwaͤlder rauſchten mir ſo manch 'vergeſſenes Liebeswort ins Gedaͤchtniß zuruͤck. Beſonders wenn mich die großen blauen Berg¬ ſeen ſo unergruͤndlich ſehnſuͤchtig anſchauten, dann dachte ich wieder an die beiden Kinder, die ſich ſo lieb gehabt und zuſammen geſtorben ſind. Es iſt eine veraltete Geſchichte, die auch jetzt Niemand mehr glaubt, und die ich ſelbſt nur aus einigen Liederreimen kenne.

Es waren zwey Koͤnigskinder,
Die hatten einander ſo lieb,
Sie konnten beiſammen nicht kommen,
Das Waſſer war viel zu tief

Dieſe Worte fingen von ſelbſt wieder an in mir zu klingen, als ich, bei einem von jenen blauen Seen, am jenſeitigen Ufer einen kleinen Knaben und am diesſeitigen ein kleines Maͤdchen ſtehen ſah, die beide in der bunten Volkstracht, mit bebaͤnderten, gruͤnen Spitzhuͤtchen auf dem78 Kopfe, gar wunderlieblich gekleidet waren, und ſich hinuͤber und heruͤber gruͤßten

Sie konnten beiſammen nicht kommen,
Das Waſſer war viel zu tief.
79

Capitel XIII.

Im ſuͤdlichen Tyrol klaͤrte ſich das Wetter auf, die Sonne von Italien ließ ſchon ihre Naͤhe fuͤhlen, die Berge wurden waͤrmer und glaͤnzender, ich ſah ſchon Weinreben, die ſich daran hinaufrankten, und ich konnte mich ſchon oͤfter zum Wagen hinauslehnen. Wenn ich mich aber zum Wagen hinauslehne, ſo lehnt ſich mein Herz mit mir hinaus, und mit dem Herzen all' ſeine Liebe, ſeine Wehmuth und ſeine Thorheit. Es iſt mir oft geſchehen, daß das arme Herz dadurch von den Dornen zerriſſen wurde, wenn es ſich nach den Roſenbuͤſchen, die am Wege80 bluͤhten, hinauslehnte, und die Roſen Tyrols ſind nicht haͤßlich. Als ich durch Steinach fuhr und den Markt beſah, worauf Immermann den Sandwirth Hofer mit ſeinen Geſellen auftreten laͤßt, da fand ich, daß der Markt fuͤr eine In¬ ſurgenten-Verſammlung viel zu klein waͤre, aber noch immer groß genug iſt, um ſich darauf zu verlieben. Es ſind da nur ein Paar weiße Haͤuschen, und aus einem kleinen Fenſter guckte eine kleine Sandwirthin und zielte und ſchoß aus ihren großen Augen; waͤre der Wagen nicht ſchnell voruͤbergerollt, und haͤtte ſie Zeit gehabt noch einmal zu laden, ſo waͤre ich gewiß geſchoſſen. Ich rief: Kutſcher, fahr 'zu, mit einer ſolchen Schoͤn-Elſy iſt nicht zu ſpaßen; die ſteckt einem das Haus uͤber dem Kopf in Brand. Als gruͤndlicher Reiſender muß ich auch anfuͤhren, daß die Frau Wirthin in Sterzing zwar ſelbſt eine alte Frau iſt, aber dafuͤr zwei junge Toͤch¬ terlein hat, die einem das Herz, wenn es aus¬81 geſtiegen iſt, durch ihren Anblick recht wohlthaͤtig erwaͤrmen. Aber Dich darf ich nicht vergeſſen, Du Schoͤnſte von allen, Du ſchoͤne Spinnerin an den Marken Italiens! O haͤtteſt Du mir, wie Ariadne dem Theſeus, den Faden Deines Geſpinnſtes gegeben, um mich zu leiten durch das Labyrinth dieſes Lebens, jetzt waͤre der Mino¬ taurus ſchon beſiegt, und ich wuͤrde Dich lieben und kuͤſſen und niemals verlaſſen!

Es iſt ein gutes Zeichen, wenn die Weiber laͤcheln, ſagt ein chineſiſcher Schriftſteller, und ein deutſcher Schriftſteller war eben dieſer Mei¬ nung, als er in Suͤdtyrol, wo Italien beginnt, einem Berge vorbeykam, an deſſen Fuße, auf einem nicht ſehr hohen Steindamm, eines von jenen Haͤuschen ſtand, die mit ihrer trau¬ lichen Gallerie und ihren naiven Malereien uns ſo lieblich anſehen. Auf der einen Seite ſtand ein großes hoͤlzernes Kruzifix, das einem jungen82 Weinſtock als Stuͤtze diente, ſo daß es faſt ſchaurig heiter ausſah, wie das Leben den Tod, die ſaftig gruͤnen Reben den blutigen Leib und die gekreuzigten Arme und Beine des Heilands umrankten. Auf der anderen Seite des Haͤus¬ chens ſtand ein runder Taubenkofen, deſſen gefie¬ dertes Voͤlkchen flog hin und her, und eine ganz beſonders anmuthig weiße Taube ſaß auf dem huͤbſchen Spitzdaͤchlein, das, wie die fromme Steinkrone einer Heiligenniſche, uͤber dem Haupte der ſchoͤnen Spinnerin hervorragte. Dieſe ſaß auf der kleinen Gallerie und ſpann, nicht nach der deutſchen Spinnradmethode, ſondern nach jener uralten Weiſe, wo ein flachsumzogener Wocken unter dem Arme gehalten wird, und der abgeſponnene Faden an der freihaͤngenden Spin¬ del hinunterlaͤuft. So ſpannen die Koͤnigstoͤchter in Griechenland, ſo ſpinnen noch jetzt die Parzen und alle Italienerinnen. Sie ſpann und laͤchelte, unbeweglich ſaß die Taube uͤber ihrem Haupte,83 und uͤber dem Hauſe ſelbſt ragten hinten die hohen Berge, deren Schneegipfel die Sonne beſchien, daß ſie ausſahen wie eine ernſte Schutz¬ wache von Rieſen mit blanken Helmen auf den Haͤuptern.

Sie ſpann und laͤchelte, und ich glaube, ſie hat mein Herz feſtgeſponnen, waͤhrend der Wagen etwas langſamer vorbeifuhr, wegen des breiten Stromes der Eiſach, die auf der andern Seite des Weg's dahinſchoß. Die lieben Zuͤge kamen mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedaͤchtniß, uͤberall ſah ich jenes holde Antlitz, das ein grie¬ chiſcher Bildhauer aus dem Dufte einer weißen Roſe geformt zu haben ſchien, ganz ſo hinge¬ haucht zart, ſo uͤberſelig edel, wie er es vielleicht einſt als Juͤngling getraͤumt in einer bluͤhenden Fruͤhlingsnacht. Die Augen freilich haͤtte kein Grieche ertraͤumen und noch weniger begreifen koͤnnen. Ich aber ſah ſie und begriff ſie, dieſe6 *84romantiſchen Sterne, die ſo zauberhaft die antike Herrlichkeit beleuchteten. Den ganzen Tag ſah ich dieſe Augen, und ich traͤumte davon in der folgenden Nacht. Da ſaß ſie wieder und laͤchelte, die Tauben flatterten hin und her wie Liebes¬ engel, auch die weiße Taube uͤber ihrem Haupte bewegte myſtiſch die Fluͤgel, hinter ihr hoben ſich immer gewaltiger die behelmten Waͤchter, vor ihr hin jagte der Bach, immer ſtuͤrmiſcher und wilder, die Weinreben umrankten mit aͤngſt¬ licher Haſt das gekreuzigte Holzbild, das ſich ſchmerzlich regte, und die leidenden Augen oͤffnete und aus den Wunden blutete ſie aber ſpann und laͤchelte, und an dem Faden ihres Wockens, gleich einer tanzenden Spindel, hing mein eige¬ nes Herz.

85

Capitel XIV.

Waͤhrend die Sonne immer ſchoͤner und herr¬ licher aus dem Himmel hervorbluͤhte, und Berg und Burgen mit Goldſchleyern umkleidete, wurde es auch in meinem Herzen immer heißer und leuchtender, ich hatte wieder die ganze Bruſt voll Blumen, und dieſe ſproßten hervor und wuchſen mir gewaltig uͤber den Kopf, und durch die eignen Herzblumen hindurch laͤchelte wieder himmliſch die ſchoͤne Spinnerin. Befangen in ſolchen Traͤumen, ſelbſt ein Traum, kam ich nach Italien, und da ich waͤhrend der Reiſe ſchon ziemlich vergeſſen hatte, daß ich dorthin reiſte,86 ſo erſchrack ich faſt, als mich all die großen italie¬ niſchen Augen ploͤtzlich anſahen, und das bunt¬ verwirrte italieniſche Leben mir leibhaftig, heiß und ſummend, entgegenſtroͤmte.

Es geſchah dieſes aber in der Stadt Trient, wo ich an einem ſchoͤnen Sonntag des Nachmit¬ tags ankam, zur Zeit, wo die Hitze ſich legt und die Italiener aufſtehen und in den Straßen auf - und ab ſpatzieren. Dieſe Stadt liegt alt und gebrochen in einem weiten Kreiſe von bluͤhend gruͤnen Bergen, die, wie ewig junge Goͤtter, auf das morſche Menſchenwerk herabſehen. Ge¬ brochen und morſch liegt daneben auch die hohe Burg, die einſt die Stadt beherrſchte, ein aben¬ teuerlicher Bau aus abenteuerlicher Zeit, mit Spitzen, Vorſpruͤngen, Zinnen und mit einem breitrunden Thurm, worin nur noch Eulen und oͤſtreichiſche Invaliden hauſen. Auch die Stadt ſelbſt iſt abenteuerlich gebaut, und wunderſam87 wird einem zu Sinn bey'm erſten Anblick dieſer uralterthuͤmlichen Haͤuſer mit ihren verblichenen Freskos, mit ihren zerbroͤckelten Heiligenbildern, mit ihren Thuͤrmchen, Erkern, Gitterfenſterchen, und jenen hervorſtehenden Giebeln, die eſtraden¬ artig auf grauen alterſchwachen Pfeilern ruhen, welche ſelbſt einer Stuͤtze beduͤrften. Solcher Anblick waͤre allzu wehmuͤthig, wenn nicht die Natur dieſe abgeſtorbenen Steine mit neuem Leben erfriſchte, wenn nicht ſuͤße Weinreben jene gebrechlichen Pfeiler, wie die Jugend das Alter, innig und zaͤrtlich umrankten, und wenn nicht noch ſuͤßere Maͤdchengeſichter aus jenen truͤben Bogenfenſtern hervorguckten, und uͤber den deut¬ ſchen Fremdling laͤchelten, der, wie ein ſchlaf¬ wandelnder Traͤumer, durch die bluͤhenden Rui¬ nen einherſchwankt.

Ich war wirklich wie im Traum, wie in einem Traume, wo man ſich auf irgend etwas beſinnen88 will, was man ebenfalls einmal getraͤumt hat. Ich betrachtete abwechſelnd die Haͤuſer und die Menſchen, und ich meinte faſt, dieſe Haͤuſer haͤtte ich einſt in ihren beſſeren Tagen geſehen, als ihre huͤbſchen Malereien noch farbig glaͤnzten, als die goldenen Zierrathen an den Fenſterfrieſen noch nicht ſo geſchwaͤrzt waren, und als die marmorne Madonna, die das Kind auf dem Arme traͤgt, noch ihren wunderſchoͤnen Kopf auf¬ hatte, den jetzt die bilderſtuͤrmende Zeit ſo poͤbel¬ haft abgebrochen. Auch die Geſichter der alten Frauen ſchienen mir ſo bekannt, es kam mir vor, als waͤren ſie herausgeſchnitten aus jenen alt¬ italieniſchen Gemaͤlden, die ich einſt als Knabe in der Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen habe. Eben¬ falls die alten Maͤnner ſchienen mir ſo laͤngſt vergeſſen wohlbekannt, und ſie ſchauten mich an mit ernſten Augen, wie aus der Tiefe eines Jahr¬ tauſends. Sogar die kecken jungen Maͤdchen hatten ſo etwas jahrtauſendlich Verſtorbenes und89 doch wieder bluͤhend Aufgelebtes, daß mich faſt ein Grauen anwandelte, ein ſuͤßes Grauen, wie ich es einſt gefuͤhlt, als ich in der einſamen Mitternacht meine Lippen preßte auf die Lippen Marias, einer wunderſchoͤnen Frau, die damals gar keinen Fehler hatte, außer daß ſie todt war. Dann aber mußt 'ich wieder uͤber mich ſelbſt laͤcheln, und es wollte mich beduͤnken, als ſey die ganze Stadt nichts anderes als eine huͤbſche Novelle, die ich einſt einmal geleſen, ja, die ich ſelbſt gedichtet, und ich ſey jetzt in mein eigenes Gedicht hineingezaubert worden, und erſchraͤcke vor den Gebilden meiner eigenen Schoͤpfung. Vielleicht auch, dacht' ich, iſt das Ganze wirklich nur ein Traum, und ich haͤtte herzlich gern einen Thaler fuͤr eine einzige Ohrfeige gegeben, blos um dadurch zu erfahren, ob ich wachte oder ſchlief.

Wenig fehlte, und ich haͤtte dieſen Artikel noch wohlfeiler eingehandelt, als ich an der Ecke90 des Marktes uͤber die dicke Obſtfrau hinſtolperte. Sie begnuͤgte ſich aber damit, mir einige wirkliche Feigen an die Ohren zu werfen, und ich gewann dadurch die Ueberzeugung, daß ich mich in der wirklichſten Wirklichkeit befand, mitten auf dem Marktplatz von Trient, neben dem großen Brun¬ nen, aus deſſen kupfernen Tritonen und Delphi¬ nen die ſilberklaren Waſſer gar lieblich ermunternd emporſprangen. Links ſtand ein alter Pallazzo, deſſen Waͤnde mit buntallegoriſchen Figuren be¬ malt waren, und auf deſſen Terraſſe einige grau oͤſtreichiſche Soldaten zum Heldenthume abge¬ richtet wurden. Rechts ſtand ein gothiſch-lom¬ bardiſch kaprizioſes Haͤuslein, in deſſen Innerm eine ſuͤße, flatterhafte Maͤdchenſtimme ſo keck und luſtig trillerte, daß die verwitterten Mauern vor Vergnuͤgen oder Baufaͤlligkeit zitterten, waͤhrend oben aus dem Spitzfenſter eine ſchwarze, laby¬ rinthiſch gekraͤuſelte, komoͤdiantenhafte Friſur herausguckte, worunter ein ſcharfgezeichnetes,91 duͤnnes Geſicht hervortrat, das nur auf der linken Wange geſchminkt war, und daher aus¬ ſah wie ein Pfannkuchen, der erſt auf einer Seite gebacken iſt. Vor mir aber, in der Mitte, ſtand der uralte Dom, nicht groß, nicht duͤſter, ſondern wie ein heiterer Greis, recht bejahrt zutraulich und einladend.

92

Capitel XV.

Als ich den gruͤnſeidenen Vorhang, der den Eingang des Doms bedeckte, zuruͤckſchob und eintrat in das Gotteshaus, wurde mir Leib und Herz angenehm erfriſcht von der lieblichen Luft, die dort wehte, und von dem beſaͤnftigend magi¬ ſchen Lichte, das durch die buntbemalten Fenſter auf die betende Verſammlung herabfloß. Es waren meiſtens Frauenzimmer, in lange Reihen hingeſtreckt auf den niedrigen Betbaͤnken. Sie beteten bloß mit leiſer Lippenbewegung, und faͤcherten ſich dabei beſtaͤndig mit großen gruͤnen Faͤchern, ſo daß man nichts hoͤrte als ein unauf¬93 hoͤrlich heimliches Wiſpern, und nichts ſah als Faͤcherſchlag und wehende Schleier. Der knar¬ rende Tritt meiner Stiefeln ſtoͤrte manche ſchoͤne Andacht, und große katholiſche Augen ſahen mich an, halb neugierig, halb liebwillig, und mochten mir wohl rathen, mich ebenfalls hinzuſtrecken und Seelenſieſte zu halten.

Wahrlich, ein ſolcher Dom mit ſeinem ge¬ daͤmpften Lichte und ſeiner wehenden Kuͤhle iſt ein angenehmer Aufenthalt, wenn draußen greller Sonnenſchein und druͤckende Hitze. Davon hat man gar keinen Begriff in unſerem prote¬ ſtantiſchen Norddeutſchland, wo die Kirchen nicht ſo komfortabel gebaut ſind, und das Licht ſo frech durch die unbemalten Vernunftſcheiben hin¬ einſchießt, und ſelbſt die kuͤhlen Predigten vor der Hitze nicht genug ſchuͤtzen. Man mag ſagen was man will, der Katholizismus iſt eine gute Sommerreligion. Es laͤßt ſich gut liegen auf den94 Baͤnken dieſer alten Dome, man genießt dort die kuͤhle Andacht, ein heiliges Dolce far niente, man betet und traͤumt und ſuͤndigt in Gedanken, die Madonnen nicken ſo verzeihend aus ihren Niſchen, weiblich geſinnt verzeihen ſie ſogar, wenn man ihre eignen holden Zuͤge in die ſuͤndigen Gedanken verflochten hat, und zum Ueberfluß ſteht noch in jeder Ecke ein brauner Nothſtuhl des Gewiſſens, wo man ſich ſeiner Suͤnden ent¬ ledigen kann.

In einem ſolchen Stuhle ſaß ein junger Moͤnch mit ernſter Miene; das Geſicht der Dame, die ihm ihre Suͤnden beichtete, war mir aber theils durch ihren weißen Schleyer, theils durch das Seitenbrett des Beichtſtuhls verborgen. Doch kam außerhalb deſſelben eine Hand zum Vor¬ ſchein, die mich gleichſam feſthielt. Ich konnte nicht aufhoͤren dieſe Hand zu betrachten; das blaͤuliche Geaͤder und der vornehme Glanz der95 weißen Finger war mir ſo befremdlich wohl¬ bekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele kam in Bewegung, um ein Geſicht zu bilden, das zu dieſer Hand gehoͤren konnte. Es war eine ſchoͤne Hand, und nicht wie man ſie bei jungen Maͤdchen findet, die halb Lamm, halb Roſe, nur gedankenloſe, vegetabil animaliſche Haͤnde haben, ſie hatte vielmehr ſo etwas Gei¬ ſtiges, ſo etwas geſchichtlich Reizendes, wie die Haͤnde von ſchoͤnen Menſchen, die ſehr gebildet ſind oder viel gelitten haben. Dieſe Hand hatte dabei auch ſo etwas ruͤhrend Unſchuldiges, daß es ſchien, als ob ſie nicht mitzubeichten brauche, und auch nicht hoͤren wolle was ihre Eigenthuͤmerin beichtete, und gleichſam draußen warte, bis dieſe fertig ſey. Das dauerte aber lange; die Dame mußte viele Suͤnden zu erzaͤhlen haben. Ich konnte nicht laͤnger warten, meine Seele druͤckte einen unſichtbaren Abſchiedskuß auf die ſchoͤne Hand, dieſe zuckte in demſelben Momente, und zwar ſo96 eigenthuͤmlich, wie die Hand der todten Maria zu zucken pflegte, wenn ich ſie beruͤhrte. Um Gotteswillen, dacht 'ich, was thut die todte Maria in Trient? und ich eilte aus dem Dome.

97

Capitel XVI.

Als ich wieder uͤber den Marktplatz ging, gruͤßte mich an der Ecke die bereits erwaͤhnte Obſtfrau, recht freundlich und recht zutraulich, als waͤren wir alte Bekannte. Gleichviel, dacht 'ich, wie man eine Bekanntſchaft macht, wenn man nur mit einander bekannt wird. Ein Paar an die Ohren geworfene Feigen ſind zwar nicht immer die beſte Introduction; aber ich und die Obſtfrau ſahen uns jetzt doch ſo freundlich an, als haͤtten wir uns wechſelſeitig die beſten Empfeh¬ lungsſchreiben uͤberreicht. Die Frau hatte auch keineswegs ein uͤbles Ausſehn. Sie war freilich798ſchon etwas in jenem Alter, wo die Zeit unſere Dienſtjahre mit fatalen Chevets auf die Stirne anzeichnet, jedoch dafuͤr war ſie auch deſto kor¬ pulenter, und was ſie an Jugend eingebuͤßt, das hatte ſie an Gewicht gewonnen. Dazu trug ihr Geſicht noch immer die Spuren großer Schoͤn¬ heit, und wie auf alten Toͤpfen ſtand darauf geſchrieben: lieben und geliebt zu werden, iſt das groͤßte Gluͤck auf Erden. Was ihr aber den koͤſtlichſten Reiz verlieh, das war die Friſur, die gekraͤuſelten Locken, kreideweiß gepudert, mit Pommade reichlich geduͤngt, und idylliſch mit weißen Glockenblumen durchſchlungen. Ich be¬ trachtete dieſe Frau mit derſelben Aufmerkſam¬ keit, wie irgend ein Antiquar ſeine ausgegrabenen Marmortorſos betrachtet, ich konnte an jener lebenden Menſchenruine noch viel mehr ſtudieren, ich konnte die Spuren aller Civiliſationen Ita¬ liens an ihr nachweiſen, der etruskiſchen, roͤmi¬ ſchen, gothiſchen, lombardiſchen, bis herab auf99 die gepudert moderne, und recht intereſſant war mir das civiliſirte Weſen dieſer Frau im Kontraſt mit Gewerb und leidenſchaftlicher Gewoͤhnung. Nicht minder intereſſant waren mir die Gegen¬ ſtaͤnde ihres Gewerbes, die friſchen Mandeln, die ich noch nie in ihrer urſpruͤnglich gruͤnen Schale geſehn, und die duftig friſchen Feigen, die hochaufgeſchuͤttet lagen, wie bei uns die Birnen. Auch die großen Koͤrbe mit friſchen Citronen und Orangen ergoͤtzten mich; und wun¬ derlieblicher Anblick! in einem leeren Korbe da¬ neben lag ein bildſchoͤner Knabe, der ein kleines Gloͤckchen in den Haͤnden hielt, und waͤhrend jetzt die große Domglocke laͤutete, zwiſchen jedem Schlag derſelben mit ſeinem kleinen Gloͤckchen klingelte, und dabei ſo weltvergeſſen ſelig in den blauen Himmel hineinlaͤchelte, daß mir ſelbſt wieder die drolligſte Kinderlaune im Gemuͤthe aufſtieg, und ich mich, wie ein Kind, vor die lachenden Koͤrbe hin¬ ſtellte und naſchte und mit der Obſtfrau diskurirte.

7 *100

Wegen meines gebrochenen Italieniſchſprechens hielt ſie mich im Anfang fuͤr einen Englaͤnder; aber ich geſtand ihr, daß ich nur ein Deutſcher ſey. Sie machte ſogleich viele geographiſche, oͤkonomiſche, hortologiſche, klimatiſche Fragen uͤber Deutſchland, und wunderte ſich, als ich ihr ebenfalls geſtand, daß bei uns keine Citronen wachſen, daß wir die wenigen Citronen, die wir aus Italien bekommen, ſehr preſſen muͤſſen, wenn wir Punſch machen, und daß wir dann aus Verzweiflung deſto mehr Rum zugießen. Ach liebe Frau! ſagte ich ihr, in unſerem Lande iſt es ſehr froſtig und feucht, unſer Sommer iſt nur ein gruͤnangeſtrichener Winter, ſogar die Sonne muß bey uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn ſie ſich nicht erkaͤlten will; bei dieſem gelben Flanell¬ ſonnenſchein koͤnnen unſere Fruͤchte nimmermehr gedeihen, ſie ſehen verdrießlich und gruͤn aus, und unter uns geſagt, das einzige reife Obſt, das wir haben, ſind gebratene Aepfel. Was die101 Feigen betrifft, ſo muͤſſen wir ſie ebenfalls, wie die Citronen und Orangen, aus fremden Laͤndern beziehen, und durch das lange Reiſen werden ſie dumm und mehlig; nur die ſchlechteſte Sorte koͤnnen wir friſch aus der erſten Hand bekommen, und dieſe iſt ſo bitter, daß, wer ſie umſonſt be¬ kommt, noch obendrein eine Realinjurienklage anſtellt. Von den Mandeln haben wir blos die geſchwollenen. Kurz, uns fehlt alles edle Obſt, und wir haben nichts als Stachelbeeren, Birnen, Haſelnuͤſſe, Zwetſchen und dergleichen Poͤbel.

102

Capitel XVII.

Ich freute mich wirklich, ſchon gleich bei meiner Ankunft in Italien eine gute Bekannt¬ ſchaft gemacht zu haben, und haͤtten mich nicht wichtige Gefuͤhle nach Suͤden gezogen, ſo waͤre ich vor der Hand in Trient geblieben, bei der guten Obſtfrau, bei den guten Feigen und Man¬ deln, bei dem kleinen Gloͤckner, und ſoll ich die Wahrheit ſagen, bei den ſchoͤnen Maͤdchen, die rudelweiſe vorbeiſtroͤmten. Ich weiß nicht, ob andere Reiſende hier das Beiwort ſchoͤn billigen werden; mir aber gefielen die Trienterin¬ nen ganz ausnehmend gut. Es war juſt die103 Sorte, die ich liebe: und ich liebe dieſe blaſſen, elegiſchen Geſichter, wo die großen, ſchwarzen Augen ſo liebeskrank herausſtrahlen; ich liebe auch den dunkeln Teint jener ſtolzen Haͤlſe, die ſchon Phoͤbos geliebt und braun gekuͤßt hat; ich liebe ſogar jene uͤberreife Nacken, worin purpurne Puͤnktchen, als haͤtten luͤſterne Voͤgel daran ge¬ pickt; vor allem aber liebe ich jenen genialen Gang, jene ſtumme Muſik des Leibes, jene Glie¬ der, die ſich in den ſuͤßeſten Rhythmen bewegen, uͤppig, ſchmiegſam, goͤttlich liederlich, ſterbefaul, dann wieder aͤtheriſch erhaben, und immer hoch¬ poetiſch. Ich liebe dergleichen, wie ich die Poeſie ſelbſt liebe, und dieſe melodiſch bewegten Geſtal¬ ten, dieſes wunderbare Menſchenkonzert, das an mir voruͤberrauſchte, fand ſein Echo in meinem Herzen, und weckte darin die verwandten Toͤne.

Es war jetzt nicht mehr die Zaubermacht der erſten Ueberraſchung, die Maͤhrchenhaftigkeit der104 wildfremden Erſcheinung, es war ſchon der ruhige Geiſt, der, wie ein wahrer Kritiker ein Gedicht lieſt, jene Frauenbilder mit entzuͤckt beſonnenem Auge betrachtete. Und bei ſolcher Betrachtung entdeckt man viel, viel Truͤbes, den Reichthum der Vergangenheit, die Armuth der Gegenwart und den zuruͤckgebliebenen Stolz. Gern moͤchten die Toͤchter Trients ſich noch ſchmuͤcken wie zu den Zeiten des Konziliums, wo die Stadt bluͤhte in Sammt und Seide; aber das Konzilium hat wenig ausgerichtet, der Sammt iſt abgeſchabt, die Seide zerfetzt, und den armen Kindern blieb nichts als kuͤmmerlicher Flitterſtaat, den ſie in der Woche aͤngſtlich ſchonen, und womit ſie ſich nur noch des Sonntags putzen. Manche aber entbehren auch dieſer Reſte eines verſchollenen Luxus, und muͤſſen ſich mit allerlei ordinairen und wohlfeilen Fabrikaten unſers Zeitalters be¬ helfen. Da giebt es nun gar ruͤhrende Contraſte zwiſchen Leib und Kleid; der feingeſchnittene105 Mund ſcheint fuͤrſtlich gebieten zu duͤrfen, und wird hoͤhniſch uͤberſchattet von einem armſeligen Baſthut mit zerknitterten Papierblumen, der ſtolzeſte Buſen wogt in einer Krauſe von plump falſchen Garnſpitzen, und die geiſtreichſten Huͤften umſchließt der duͤmmſte Kattun. Wehmuth, dein Name iſt Kattun, und zwar braungeſtreifter Kattun! Denn ach! nie hat mich etwas weh¬ muͤthiger geſtimmt, als der Anblick einer Trien¬ terin, die an Geſtalt und Geſichtsfarbe einer marmornen Goͤttin glich, und auf dieſem antik edlen Leib ein Kleid von braungeſtreiftem Kattun trug, ſo daß es ausſah, als ſey die ſteinerne Niobe ploͤtzlich luſtig geworden, und habe ſich maskirt in unſere moderne Kleintracht, und ſchreite bettelſtolz und grandios unbeholfen durch die Straßen Trients.

106

Capitel XVIII.

Als ich nach der Lokanda dell 'Grande Eu¬ ropa, zuruͤckkehrte, wo ich mir ein gutes Pranzo beſtellt hatte, war mir wirklich ſo wehmuͤthig zu Sinn daß ich nicht eſſen konnte, und das will viel ſagen. Ich ſetzte mich vor die Thuͤre der nachbarlichen Botega, erfriſchte mich mit Sorbet und ſprach in mich hinein:

Grillenhaftes Herz! jetzt biſt du ja in Ita¬ lien warum tirilirſt du nicht? Sind vielleicht die alten deutſchen Schmerzen, die kleinen Schlangen, die ſich tief in dir verkrochen, jetzt107 mit nach Italien gekommen, und ſie freuen ſich jetzt, und eben ihr gemeinſchaftlicher Jubel erregt nun in der Bruſt jenes pitoreske Weh, das darin ſo ſeltſam ſticht und huͤpft und pfeift? Und warum ſollten ſich die alten Schmerzen nicht auch einmal freuen? Hier in Italien iſt es ja ſo ſchoͤn, das Leiden ſelbſt iſt hier ſo ſchoͤn, in dieſen gebrochenen Marmorpallazzos klingen die Seufzer viel romantiſcher, als in unſeren netten Ziegelhaͤuschen, unter jenen Lorbeerbaͤumen laͤßt ſich viel wolluͤſtiger weinen als unter unſeren muͤrriſch zackigen Tannen, und nach den idealiſchen Wol¬ kenbildern des himmelblauen Italiens laͤßt ſich viel ſuͤßer hinaufſchmachten als nach dem aſchgrau deutſchen Werkeltagshimmel, wo ſogar die Wol¬ ken nur ehrliche Spießbuͤrgerfratzen ſchneiden und langweilig herabgaͤhnen! Bleibt nur in meiner Bruſt, Ihr Schmerzen! ihr findet nir¬ gends ein beſſeres Unterkommen. Ihr ſeyd mir lieb und werth, und keiner weiß Euch beſſer zu108 hegen und zu pflegen als ich, und ich geſtehe Euch, Ihr macht mir Vergnuͤgen. Und uͤber¬ haupt, was iſt denn Vergnuͤgen? Vergnuͤgen iſt nichts als ein hoͤchſt angenehmer Schmerz.

Ich glaube, die Muſik, die, ohne daß ich darauf achtete, vor der Botega erklang, und einen Kreis von Zuſchauern ſchon um ſich gezogen, hatte melodramatiſch dieſen Monolog begleitet. Es war ein wunderliches Trio, beſtehend aus zwey Maͤnnern und einem jungen Maͤdchen, das die Harfe ſpielte. Der eine von jenen beiden, winterlich gekleidet in einen weißen Flausrock, war ein ſtaͤmmiger Mann, mit einem dickrothen Banditengeſicht, das aus den ſchwarzen Haupt - und Barthaaren, wie ein drohender Comet, her¬ vorbrannte, und zwiſchen den Beinen hielt er eine ungeheure Baßgeige, die er ſo wuͤthend ſtrich, als habe er in den Abruzzen einen armen Reiſenden, niedergeworfen und wolle ihm ge¬109 ſchwinde die Gurgel abfiedeln; der andre war ein langer, hagerer Greis, deſſen morſche Gebeine in einem abgelebt ſchwarzen Anzuge ſchlotterten, und deſſen ſchneeweiße Haare mit ſeinem Buffo¬ geſang und ſeinen naͤrriſchen Capriolen gar klaͤg¬ lich contraſtirten. Iſt es ſchon betruͤbend, wenn ein alter Mann die Ehrfurcht, die man ſeinen Jahren ſchuldig iſt, aus Noth verkaufen, und ſich zur Poſſenreißerey hergeben muß; wie viel truͤbſeliger iſt es noch, wenn er ſolches in Gegenwart oder gar in Geſellſchaft ſeines Kindes thut! und jenes Maͤdchen war die Tochter des alten Buffo, und ſie akkompagnirte mit der Harfe die unwuͤrdigſten Spaͤße des greiſen Vaters, oder ſtellte auch die Harfe bei Seite und ſang mit ihm ein komiſches Duett, wo er einen verliebten alten Gecken, und ſie ſeine junge neckiſche Amante vorſtellte. Oben¬ drein ſchien das Maͤdchen kaum aus den Kinder¬ jahren getreten zu ſeyn, ja es ſchien, als habe man das Kind, ehe es noch zur Jungfraͤulichkeit110 gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und zwar zu keinem zuͤchtigen Weibe. Daher das bleichſuͤchtige Welken und der zuckende Mißmuth des ſchoͤnen Geſichtes, deſſen ſtolzgeſchwungene Formen jedes ahnende Mitleid gleichſam verhoͤhn¬ ten; daher die verborgene Kuͤmmerlichkeit der Augen, die unter ihren ſchwarzen Triumphbogen ſo herausfordernd leuchteten; daher der tiefe Schmerzenston, der ſo unheimlich kontraſtirte mit den lachend ſchoͤnen Lippen, denen er ent¬ ſchluͤpfte; daher die Krankhaftigkeit der uͤber¬ zarten Glieder, die ein kurzes, aͤngſtlich violettes Seidenkleidchen ſo tief als moͤglich[umflatterte]. Dabei flaggten grellbunte Atlasbaͤnder auf dem verjaͤhrten Strohhut und die Bruſt zierte gar ſinnbildlich eine offne Roſenknoſpe, die mehr gewaltſam aufgeriſſen als in eige¬ ner Entfaltung aus der gruͤnen Huͤlle her¬ vorgebluͤht zu ſeyn ſchien. Indeſſen, uͤber dem ungluͤcklichen Maͤdchen, dieſem Fruͤhling,111 den der Tod ſchon verderblich angehaucht, lag eine unbeſchreibliche Anmuth, eine Grazie, die ſich in jeder Miene, in jeder Bewegung, in jedem Tone kund gab, und ſelbſt dann nicht ganz ſich verlaͤugnete, wenn ſie mit vorgeworfenem Leibchen und ironiſcher Luͤſternheit dem alten Vater ent¬ gegen taͤnzelte, der eben ſo unſittſam, mit vorge¬ ſtrecktem Bauchgerippe zu ihr heranwackelte. Je frecher ſie ſich gebehrdete, deſto tieferes Mit¬ leiden floͤßte ſie mir ein, und wenn ihr Geſang dann weich und wunderbar aus ihrer Bruſt hervorſtieg und gleichſam um Verzeihung bat, dann jauchzten in meiner Bruſt die kleinen Schlangen, und biſſen ſich vor Vergnuͤgen in den Schwanz. Auch die Roſe ſchien mich dann wie bittend anzuſehen, einmal ſah ich ſie ſogar zittern, erbleichen aber in demſelben Augen¬ blick ſchlugen die Triller des Maͤdchens um ſo lachender in die Hoͤhe, der Alte meckerte noch verliebter, und das rothe Cometgeſicht marterte112 ſeine Bratſche ſo grimmig, daß ſie die ent¬ ſetzlich drolligſten Toͤne von ſich gab und die Zuhoͤrer noch toller jubelten.

113

Capitel XIX.

Es war ein aͤcht italieniſches Muſikſtuͤck, aus irgend einer beliebten Opera Buffa, jener wunderſamen Gattung, die dem Humor den freyeſten Spielraum gewaͤhrt, und worin er ſich all' ſeiner ſpringenden Luſt, ſeiner tollen Empfin¬ deley, ſeiner lachenden Wehmuth, und ſeiner lebensſuͤchtigen Todesbegeiſterung uͤberlaſſen kann. Es war ganz Roſſiniſche Weiſe, wie ſie ſich im Barbier von Sevilla am lieblichſten offenbart. Die Veraͤchter italieniſcher Muſik, die auch dieſer Gattung den Stab brechen, werden einſt in der Hoͤlle ihrer wohlverdienten Strafe nicht8114entgehen, und ſind vielleicht verdammt, die lange Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hoͤren, als Fugen von Sebaſtian Bach. Leid iſt es mir um ſo manchen meiner Collegen, z. B. um Rellſtab, der ebenfalls dieſer Verdammniß nicht entgehen wird, wenn er ſich nicht vor ſeinem Tode zu Roſſini bekehrt. Roſſini, divino Maestro, Helios von Italien, der du deine klingenden Stralen uͤber die Welt verbreiteſt! verzeih meinen armen Landsleuten, die dich laͤſtern auf Schreibpapier und auf Loͤſchpapier! Ich aber erfreue mich deiner goldenen Toͤne, deiner melodiſchen Lichter, deiner funkelnden Schmetterlingstraͤume, die mich ſo lieblich umgaukeln, und mir das Herz kuͤſſen, wie mit Lippen der Grazien! Divino Maestro, verzeih meinen armen Landsleuten, die deine Tiefe nicht ſehen, weil du ſie mit Roſen bedeckſt, und denen du nicht gedankenſchwer und gruͤndlich genug biſt, weil du ſo leicht flatterſt, ſo gottbe¬ fluͤgelt! Freylich, um die heutige italieniſche115 Muſik zu lieben und durch die Liebe zu verſtehn, muß man das Volk ſelbſt vor Augen haben, ſeinen Himmel, ſeinen Charakter, ſeine Mienen, ſeine Leiden, ſeine Freuden, kurz ſeine ganze Geſchichte, von Romulus, der das heilige roͤmiſche Reich geſtiftet, bis auf die neueſte Zeit, wo es zu Grunde ging, unter Romulus Auguſtulus II. Dem armen geknechteten Italien iſt ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Muſik die Gefuͤhle ſeines Herzens kund geben. All ſein Groll gegen fremde Herrſchaft, ſeine Begeiſtrung fuͤr die Freyheit, ſein Wahnſinn uͤber das Gefuͤhl der Ohnmacht, ſeine Wehmuth bey der Erinne¬ rung an vergangene Herrlichkeit, dabey ſein leiſes Hoffen, ſein Lauſchen, ſein Lechzen nach Huͤlfe, alles dieſes verkappt ſich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegiſcher Weichheit herabgleiten, und in jene Pantominen, die von ſchmeichelnden Careſſen zu drohendem Ingrimm uͤberſchnappen.

8*116

Das iſt der eſoteriſche Sinn der Opera Buffa. Die exoteriſche Schildwache, in deren Gegenwart ſie geſungen und dargeſtellt wird, ahnt nimmer¬ mehr die Bedeutung dieſer heiteren Liebesge¬ ſchichten, Liebesnoͤthen und Liebesneckereyen, wor¬ unter der Italiener ſeine toͤdlichſten Befreyungs¬ gedanken verbirgt, wie Harmodius und Ariſtogiton ihren Dolch verbargen in einem Kranze von Myrthen. Das iſt halt naͤrriſches Zeug, ſagt die exoteriſche Schildwache, und es iſt gut, daß ſie nichts merkt. Denn ſonſt wuͤrde der Im¬ preſſario, mitſammt der Prima Donna und dem Primo Uomo, bald jene Bretter betreten, die eine Feſtung bedeuten; es wuͤrde eine Unter¬ ſuchungskommiſſion niedergeſetzt werden, alle ſtaatsgefaͤhrliche Triller und revoluz〈…〉〈…〉 riſche Colloraturen kaͤmen zu Protokoll, man wuͤrde eine Menge Arlekine, die in weiteren Verzwei¬ gungen verbrecheriſcher Umtriebe verwickelt ſind, auch den Tartaglia, den Brighella, ſogar den alten117 bedaͤchtigen Pantalon arretiren, dem Dottore von Bologna wuͤrde man die Papiere verſiegeln, er ſelbſt wuͤrde ſich in noch groͤßeren Verdacht hinein¬ ſchnattern, und Columbine muͤßte ſich, uͤber dieſes Familienungluͤck, die Augen roth weinen. Ich denke aber, daß ſolches Ungluͤck noch nicht uͤber dieſe guten Leute hereinbrechen wird, indem die italieniſchen Demagogen pfiffiger ſind als die armen Deutſchen, die, Aehnliches beabſichtigend, ſich als ſchwarze Narren mit ſchwarzen Narren¬ kappen vermummt hatten, aber ſo auffallend truͤb¬ ſelig ausſahen und bey ihren gruͤndlichen Narren ſpruͤngen, die ſie Turnen nannten, ſich ſo ge¬ faͤhrlich anſtellten und ſo ernſthafte Geſichter ſchnitten, daß die Regierungen endlich aufmerkſam werden[und] ſie einſtecken mußten.

118

Capitel XX.

Die kleine Harfeniſtin mußte wohl bemerkt haben, daß ich, waͤhrend ſie ſang und ſpielte, oft nach ihrer Buſenroſe hinblickte, und als ich nachher auf den zinnernen Teller, womit ſie ihr Honorar einſammelte, ein Geldſtuͤck warf, das nicht allzuklein war, da laͤchelte ſie ſchlau, und frug heimlich: ob ich ihre Roſe haben wolle?

Nun bin ich aber der hoͤflichſte Menſch von der Welt, und um die Welt! moͤchte ich nicht eine Roſe beleidigen, und ſey es auch eine Roſe, die ſich ſchon ein bischen verduftet hat. Und119 wenn ſie auch nicht mehr, ſo dacht 'ich, ganz friſch riecht, und nicht mehr im Geruͤche der Tugend iſt, wie etwa die Roſe von Saron, was kuͤmmert es mich, der ich ja doch den Stockſchnupfen habe! Und nur die Menſchen nehmens ſo genau. Der Schmetterling fragt nicht die Blume: hat ſchon ein Anderer dich gekuͤßt? Und dieſe fragt nicht: haſt du ſchon eine Andere umflattert? Dazu kam noch, daß die Nacht hereinbrach, und des Nachts, dacht' ich, ſind alle Blumen grau, die ſuͤndigſte Roſe eben ſo gut wie die tugend¬ hafteſte Peterſilie. Kurz und gut, ohne allzu langes Zoͤgern ſagte ich zu der kleinen Harfe¬ niſtin: Si Signora

Denk nur nichts Boͤſes, lieber Leſer. Es war dunkel geworden, und die Sterne ſahen ſo klar und fromm herab in mein Herz. Im Her¬ zen ſelbſt aber zitterte die Erinnerung an die todte Maria. Ich dachte wieder an jene Nacht,120 als ich vor dem Bette ſtand, worauf der ſchoͤne, blaſſe Leib lag, mit ſanften ſtillen Lippen Ich dachte wieder an den ſonderbaren Blick, den mir die alte Frau zuwarf, die bey der Leiche wachen ſollte und mir ihr Amt auf einige Stunden uͤberließ Ich dachte wieder an die Nachtviole, die im Glaſe auf dem Tiſche ſtand und ſo ſeltſam duftete Auch durchſchauerte mich wieder der Zweifel: ob es wirklich ein Windzug war, wovon die Lampe erloſch? Ob wirklich kein Dritter im Zimmer war?

121

Capitel XXI.

Ich ging bald zu Bette, ſchlief bald ein und verwickelte mich in naͤrriſche Traͤume. Ich traͤumte mich nemlich wieder einige Stunden zuruͤck, ich kam wieder an in Trient, ich ſtaunte wieder wie vorher, und jetzt um ſo mehr, da lauter Blu¬ men ſtatt Menſchen in den Straßen ſpatzieren gingen.

Da wandelten gluͤhende Nelken, die ſich wol¬ luͤſtig faͤcherten, kokettirende Balſaminen, Hya¬ zinthen mit huͤbſchen leeren Glockenkoͤpfchen, hinterher ein Troß von ſchnurrbaͤrtigen Narziſſen122 und toͤlpelhaften Ritterſporen. An der Ecke zankten ſich zwey Masliebchen. Aus dem Fen¬ ſter eines alten Hauſes von krankhaftem Aus¬ ſehen guckte eine geſprenkelte Levkoje, gar naͤrriſch buntgeputzt, und hinter ihr erklang eine niedlich duftende Veilchenſtimme. Auf dem Bal¬ kon des großen Palazzos am Markte war der ganze Adel[verſammelt], die hohe Nobleſſe, nemlich jene Liljen, die nicht arbeiten und nicht ſpinnen und ſich doch eben ſo praͤchtig duͤnken wie Koͤnig Salomon in all ſeiner Herrlichkeit. Auch die dicke Obſtfrau glaubte ich dort zu ſehen; doch als ich genauer hinblickte, war es nur eine verwinterte Ranunkel, die gleich auf mich los¬ keifte: Was wollen Sie unreife Blithe? Sie ſaure Jurke? Sie ordinaͤre Blume mit man eenen Stoobfaden? Ich will Ihnen ſchon be¬ gießen! Vor Angſt eilte ich in den Dom, und uͤberrannte faſt ein altes hinkendes Stiefmuͤtter¬ chen, das ſich von einem Gaͤnſebluͤmchen das123 Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war es wieder recht angenehm; in langen Reihen ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam. Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte, die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag.

Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬ nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe, die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus, aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche. Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬ dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe124 hervor und hielt eine lange Leichenpredigt, worin ſie viel ſchwatzte von den Tugenden der Hinge¬ ſchiedenen, von einem irdiſchen Katzenjammerthal, von einem beſſeren Seyn, von Liebe, Hoffnung und Glaube, Alles in einem naͤſelnd ſingenden Tone, eine breitgewaͤſſerte Rede, und ſo lang und langweilig, daß ich davon erwachte.

125

Capitel XXII.

Mein Vetturin hatte fruͤher denn Helios ſeine Gaͤule angeſchirrt, und ſchon um Mittags¬ zeit erreichten wir Ala. Hier pflegen die Vet¬ turine einige Stunden zu halten, um ihre Wagen zu wechſeln.

Ala iſt ſchon ein aͤcht italieniſches Neſt. Die Lage iſt pittoresk, an einem Berghang, ein Fluß rauſcht vorbey, heitergruͤne Weinreben um¬ ranken hie und da die uͤbereinanderſtolpernden, zuſammengeflickten Bettlerpallaͤſte. An der Ecke126 des windſchiefen Marktes, der ſo klein iſt wie ein Huͤnerhof, ſteht mit großmaͤchtigen, giganti¬ ſchen Buchſtaben: Piazza di San Marco. Auf dem ſteinernen Bruchſtuͤck eines großen, altadli¬ gen Wappenſchilds, ſaß dort ein kleiner Knabe und nothduͤrftelte. Die blanke Sonne beſchien ſeine naive Ruͤckſeite, und in den Haͤnden hielt er ein papiernes Heiligenbild, das er vorher in¬ bruͤnſtig kuͤßte. Ein kleines, bildſchoͤnes Maͤdchen ſtand betrachtungsvoll daneben, und blies zu¬ weilen akkompagnirend in eine hoͤlzerne Kinder¬ trompete.

Das Wirthshaus, wo ich einkehrte und zu Mittag ſpeiſte, war ebenfalls ſchon von aͤcht italieniſcher Art. Oben, auf dem erſten Stock¬ werk, eine freye Eſtrade mit der Ausſicht nach dem Hofe, wo zerſchlagene Wagen und ſehnſuͤchtige Miſthaufen lagen, Truthaͤhne mit naͤrriſch rothen Schnabellappen und bettelſtolze Pfauen einher¬127 ſpatzierten, und ein halb Dutzend zerlumpter, ſonnverbrannter 'Buben ſich nach der Bell - und Lankaſterſchen Methode lauſten. Auf jener Eſtrade, laͤngs dem gebrochenen Eiſengelaͤnder, gelangt man in ein weites hallendes Zimmer. Fußboden von Marmor, in der Mitte ein breites Bett, worauf die Floͤhe Hochzeit halten; uͤberall großartiger Schmutz. Der Wirth ſprang hin und her, um meine Wuͤnſche zu vernehmen. Er trug einen haſtig gruͤnen Leibrock und ein vielfaͤltig bewegtes Geſicht, worin eine lange hoͤckerige Naſe, mit einer haarigen rothen Warze, die mitten darauf ſaß, wie ein rothjaͤckiger Affe auf dem Ruͤcken eines Kameels. Er ſprang hin und her, und es war dann, als ob das rothe Aeffchen auf ſeiner Naſe ebenfalls hin und her ſpraͤnge. Es dauerte aber eine Stunde, ehe er das Mindeſte brachte, und wenn ich deshalb ſchalt, ſo be¬ theuerte er, daß ich ſchon ſehr gut Italieniſch ſpreche.

128

Ich mußte mich lange mit dem lieblichen Bra¬ tenduft begnuͤgen, der mir entgegenwogte aus der thuͤrloſen Kuͤche gegenuͤber, wo Mutter und Tochter neben einander ſaßen und ſangen und Huͤhner rupf¬ ten. Erſtere war remarkabel korpulent; Bruͤſte, die ſich uͤberreichlich hervorbaͤumten, die jedoch noch immer klein waren im Vergleich mit dem koloſſalen Hintergeſtell, ſo daß jene erſt die In¬ ſtituzionen zu ſeyn ſchienen, dieſes aber ihre er¬ weiterte Ausfuͤhrung als Pandekten. Die Tochter, eine nicht ſehr große, aber ſtark geformte Perſon, ſchien ſich ebenfalls zur Korpulenz hinzuneigen; aber ihr bluͤhendes Fett war keineswegs mit dem alten Talg der Mutter zu vergleichen. Ihre Geſichtszuͤge waren nicht ſanft, nicht jugendlich liebreizend, jedoch ſchoͤn gemeſſen, edel, antik; Locken und Augen brennend ſchwarz. Die Mutter hingegen hatte flache, ſtumpfe Geſichtszuͤge, eine roſenrothe Naſe, blaue Augen, wie Veilchen in Milch gekocht, und liljenweiß gepuderte Haare. 129Dann und wann kam der Wirth, il Signor padre, herangeſprungen, und fragte nach irgend einem Geſchirr oder Geraͤthe, und im Rezitativ bekam er die ruhige Weiſung, es ſelbſt zu ſuchen. Dann ſchnalzte er mit der Zunge, kramte in den Schraͤnken, koſtete aus den kochenden Toͤpfen, verbrannte ſich das Maul und ſprang wieder fort, und mit ihm ſein Naſenkameel und das rothe Aeffchen. Hinter ihnen drein ſchlugen dann die luſtigſten Triller, wie liebreiche Ver¬ hoͤhnung und Familienneckerey.

Aber dieſe gemuͤthliche, faſt idylliſche Wirth¬ ſchaft unterbrach ploͤtzlich ein Donnerwetter; ein vierſchroͤtiger Kerl mit einem bruͤllenden Mordgeſicht ſtuͤrzte herein, und ſchrie etwas, das ich nicht verſtand. Als beide Frauenzimmer ver¬ neinend die Koͤpfe ſchuͤttelten, gerieth er in die tollſte Wuth und ſpie Feuer und Flamme, wie ein kleiner Veſuv, der ſich aͤrgert. Die Wirthin9130ſchien in Angſt zu gerathen, und fluͤſterte beguͤti¬ gende Worte, die aber eine entgegengeſetzte Wir¬ kung hervorbrachten, ſo daß der raſende Menſch eine eiſerne Schaufel ergriff, einige ungluͤckliche Teller und Flaſchen zerſchlug, und auch die arme Frau geſchlagen haben wuͤrde, haͤtte nicht die Tochter ein langes Kuͤchenmeſſer erfaßt und ihn niederzuſtechen gedroht, im Fall er nicht ſogleich abzoͤge.

Es war ein ſchoͤner Anblick, das Maͤdchen ſtand da blaßgelb und vor Zorn erſtarrend, wie ein Marmorbild, die Lippen ebenfalls bleich, die Augen tief und toͤdlich, eine blaugeſchwollene Ader quer uͤber der Stirn, die ſchwarzen Locken wie flatternde Schlangen, in den Haͤnden ihr blutiges Meſſer Ich ſchauerte vor Luſt, denn leibhaftig ſah ich vor mir das Bild der Medea, wie ich es oft getraͤumt in meinen Jugendnaͤch¬ ten, wenn ich entſchlummert war an dem lieben Herzen Melpomene's, der finſter ſchoͤnen Goͤttin.

131

Waͤhrend dieſer Scene kam der Signor Padre nicht im mindeſten aus dem Geleiſe, mit geſchaͤf¬ tiger Seelenruhe raffte er die Scherben vom Boden auf, ſuchte die Teller zuſammen, die noch am Leben geblieben, brachte mir darauf: Zuppa mit Parmeſankaͤſe, einen Braten derb und feſt wie deutſche Treue, Krebſe roth wie Liebe, gruͤnen Spinat wie Hoffnung mit Eyer, und zum Deſſert geſtovte Zwiebeln, die mir Thraͤnen der Ruͤhrung aus den Augen lockten. Das hat nichts zu be¬ deuten, das iſt nun mal Pietro's Methode, ſprach er, als ich verwundert nach der Kuͤche zeigte; und wirklich, nachdem der Urheber des Zanks ſich entfernt hatte, ſchien es, als ob dort gar nichts vorgefallen ſey, Mutter und Tochter ſaßen wieder ruhig nach wie vor, und ſangen und rupften Huͤhner.

Die Rechnung uͤberzeugte mich, daß auch der Signor Padre ſich aufs Rupfen verſtand,9 *132und als ich ihm dennoch, außer der Zahlung, etwas fuͤr die gute Hand gab, da nieſte er ſo vergnuͤgt ſtark, daß das Aeffchen beynah von ſeinem Sitze herabgefallen waͤre. Hierauf winkte ich freundlich hinuͤber nach der Kuͤche, freundlich war der Gegengruß, bald ſaß ich in dem einge¬ tauſchten Wagen, fuhr raſch hinab in die lom¬ bardiſche Ebene, und erreichte gegen Abend, die uralte, weltberuͤhmte Stadt Verona.

133

Capitel XXIII.

Die bunte Gewalt der neuen Erſcheinungen bewegte mich in Trient nur daͤmmernd und ahn¬ dungsvoll, wie Maͤhrchenſchauer; in Verona aber erfaßte ſie mich wie ein maͤchtiger Fieber¬ traum voll heißer Farben, ſcharfbeſtimmter For¬ men, geſpenſtiſcher Trompetenklaͤnge und fernen Waffengeraͤuſches. Da war manch 'verwitterter Pallaſt, der mich ſo ſtier anſah, als wollte er nur ein altes Geheimniß anvertrauen, und er ſcheuete ſich nur vor dem Gewuͤhl der zudringlichen Tagesmenſchen, und baͤte mich zur Nachtzeit wieder zu kommen. Jedoch trotz dem Gelaͤrm134 des Volkes und trotz der wilden Sonne, die ihr rothes Licht hineingoß, hat doch hie und da ein alter dunkler Thurm mir ein bedeutendes Wort zugeworfen, hie und da vernahm ich das Ge¬ fluͤſter gebrochener Bildſaͤulen, und als ich gar uͤber eine kleine Treppe ging, die nach der Piazza de' Signori fuͤhrte, da erzaͤhlten mir die Steine eine furchtbar blutige Geſchichte, und ich las an der Ecke die Worte: Scala mazzati.

Verona, die uralte, weltberuͤhmte Stadt, gelegen auf beiden Seiten der Etſch, war immer gleichſam die erſte Stazion fuͤr die germaniſchen Wandervoͤlker, die ihre kaltnordiſchen Waͤlder verließen und uͤber die Alpen ſtiegen, um ſich im guͤldenen Sonnenſchein des lieblichen Italiens zu erluſtigen. Einige zogen weiter hinab, anderen gefiel es ſchon gut genug am Orte ſelbſt, und ſie machten es ſich heimathlich bequem, und zogen ſeidne Hausgewaͤnder an, und ergingen ſich fried¬135 lich unter Blumen und Zypreſſen, bis neue An¬ koͤmmlinge, die noch ihre friſchen Eiſenkleider anhatten, aus dem Norden kamen und ſie ver¬ draͤngten, eine Geſchichte, die ſich oft wieder¬ holte, und von den Hiſtorikern die Voͤlkerwan¬ derung genannt wird. Wandelt man jetzt durch das Weichbild Verona's, ſo findet man uͤberall die abenteuerlichen Spuren jener Tage, ſo wie auch die Spuren der aͤlteren und der ſpaͤteren Zeiten. An die Roͤmer mahnt beſonders das Amphitheater und der Triumphbogen; an die Zeit des Theoderichs, des Ditrichs von Bern, von dem die Deutſchen noch ſingen und ſagen, erinnern die fabelhaften Reſte ſo mancher byzan¬ tiniſch vorgothiſchen Bauwerke; tolle Truͤmmer erinnern an Koͤnig Alboin und ſeine wuͤthenden Longobarden; ſagenreiche Denkmale mahnen an Carolum Magnum, deſſen Paladine an der Pforte des Doms eben ſo fraͤnkiſch roh gemeißelt ſind, wie ſie gewiß im Leben geweſen es will136 uns beduͤnken, als ſey die Stadt eine große Voͤlkerherberge, und gleich wie man in Wirths¬ haͤuſern ſeinen Namen auf Wand und Fenſter zu ſchreiben pflegt, ſo habe dort jedes Volk die Spuren ſeiner Anweſenheit zuruͤckgelaſſen, freylich oft nicht in der leſerlichſten Schrift, da mancher deutſche Stamm noch nicht ſchreiben konnte, und ſich damit behelfen mußte, zum Andenken etwas zu zertruͤmmern, welches auch hinreichend war, da dieſe Truͤmmer noch deutlicher ſprechen, als zierliche Buchſtaben. Die Barbaren, welche jetzt die alte Herberge bezogen haben, werden nicht ermangeln, eben ſolche Denkmaͤler ihrer holden Gegenwart zu hinterlaſſen, da es ihnen an Bild¬ hauern und Dichtern fehlt, um ſich durch mildere Mittel im Andenken der Menſchen zu erhalten.

Ich blieb nur einen Tag in Verona, in be¬ ſtaͤndiger Verwunderung ob des nie Geſehenen, anſtarrend jetzt die alterthuͤmlichen Gebaͤude,137 dann die Menſchen, die in geheimnißvoller Haſt dazwiſchen wimmelten, und endlich wieder den gottblauen Himmel, der das ſeltſame Ganze wie ein koſtbarer Rahmen umſchloß, und dadurch gleichſam zu einem Gemaͤlde erhob. Es iſt aber eigen, wenn man in dem Gemaͤlde, das man eben betrachtet hat, ſelbſt ſteckt, und hie und da von den Figuren deſſelben angelaͤchelt wird, und gar von den weiblichen, wie's mir auf der Piazza delle Erbe ſo lieblich geſchah. Das iſt nemlich der Gemuͤſemarkt, und da gab es vollauf ergoͤtz¬ liche Geſtalten, Frauen und Maͤdchen, ſchmach¬ tend großaͤugige Geſichter, ſuͤße woͤhnliche Leiber, reizend gelb, naiv ſchmutzig, geſchaffen viel mehr fuͤr die Nacht als fuͤr den Tag. Der weiße oder ſchwarze Schleyer, den die Stadtfrauen auf dem Haupte tragen, war ſo liſtig um den Buſen geſchlagen, daß er die ſchoͤnen Formen mehr verrieth als verbarg. Die Maͤgde trugen Chignons, durchſtochen mit einem oder mehreren138 goldnen Pfeilen, auch wohl mit einem eichel¬ koͤpfigen Silberſtaͤbchen. Die Baͤurinnen hatten meiſt kleine, tellerartige Strohhuͤtchen mit koket¬ tirenden Blumen an die eine Seite des Kopfes gebunden. Die Tracht der Maͤnner war minder abweichend von der unſrigen, und nur die unge¬ heuern ſchwarzen Backenbaͤrte, die aus der Cra¬ vatte hervorbuſchten, waren mir hier, wo ich dieſe Mode zuerſt bemerkte, etwas auffallend.

Betrachtete man aber genauer dieſe Men¬ ſchen, die Maͤnner wie die Frauen, ſo ent¬ deckte man, in ihren Geſichtern und in ihrem ganzen Weſen, die Spuren einer Civiliſazion, die ſich von der unſrigen in ſofern unterſcheidet, daß ſie nicht aus der Mittelalter-Barbarey her¬ vorgegangen, ſondern noch aus der Roͤmerzeit herruͤhrt, nie ganz vertilgt worden iſt, und ſich nur nach dem jedesmaligen Charakter der Landesherrſcher modifizirt hat. Die Civiliſazion139 hat bey dieſen Menſchen keine ſo auffallend neue Politur wie bey uns, wo die Eichenſtaͤmme erſt geſtern gehobelt worden ſind, und alles noch nach Firniß riecht. Es ſcheint uns, als habe dieſes Menſchengewuͤhl auf der Piazza delle Erbe im Laufe der Zeiten nur allmaͤhlig Roͤcke und Redens¬ arten gewechſelt, und der Geiſt der Geſittung habe ſich dort wenig veraͤndert. Die Gebaͤude aber, die dieſen Platz umgeben, moͤgen nicht ſo leicht im Stande geweſen ſeyn mit der Zeit fort¬ zuſchreiten; doch ſchauen ſie darum nicht minder anmuthig, und ihr Anblick bewegt wunderbar unſre Seele. Da ſtehen hohe Pallaͤſte im vene¬ zianiſch-lombardiſchen Styl, mit unzaͤhligen Bal¬ konen und lachenden Freskobildern; in der Mitte erhebt ſich eine einzelne Denkſaͤule, ein Spring¬ brunnen und eine ſteinerne Heilige; hier ſchaut man den launig roth - und weißgeſtreiften Podeſta, der hinter einem maͤchtigen Pfeilerthor emporragt; dort wieder erblickt man einen altviereckigen140[Kirchthurm], woran oben der Zeiger und das Zifferblatt der Uhr zur Haͤlfte zerſtoͤrt iſt, ſo daß es ausſieht, als wolle die Zeit ſich ſelber ver¬ nichten uͤber dem ganzen Platz liegt derſelbe romantiſche Zauber, der uns ſo lieblich anweht aus den phantaſtiſchen Dichtungen des Ludovico Arioſto oder des Ludovico Tieck.

Nahe bey dieſem Platze ſteht ein Haus, das man, wegen eines Hutes, der uͤber dem inneren Thor in Stein gemeißelt iſt, fuͤr den Pallaſt der Capulets haͤlt. Es iſt jetzt eine ſchmutzige Kneipe fuͤr Fuhrleute und Kutſcher, und als Herberge¬ ſchild haͤngt davor ein rother, durchloͤcherter Blechhut. Unfern, in einer Kirche, zeigt man auch die Capelle, worin der Sage nach, das ungluͤckliche Liebespaar getraut worden. Ein Dich¬ ter beſucht gern ſolche Orte, wenn er auch ſelbſt laͤchelt uͤber die Leichtglaͤubigkeit ſeines Herzens. Ich fand in dieſer Capelle ein einſames Frauen¬141 zimmer, ein kuͤmmerlich verblichenes Weſen, das, nach langem Knieen und Beten, ſeufzend auf¬ ſtand, aus kranken, ſtillen Augen mich befremdet anſah, und endlich, wie mit gebrochenen Gliedern, fortſchwankte.

Auch die Grabmaͤler der Scaliger ſind unfern der Piazza delle Erbe. Sie ſind ſo wunderſam praͤchtig wie dieſes ſtolze Geſchlecht ſelbſt, und es iſt Schade, daß ſie in einem engen Winkel ſtehen, wo ſie ſich gleichſam zuſammendraͤngen muͤſſen, um ſo wenig Raum als moͤglich einzu¬ nehmen, und wo auch dem Beſchauer nicht viel Platz bleibt, um ſie ordentlich zu betrachten. Es iſt, als ſaͤhen wir hier die geſchichtliche Erſcheinung dieſes Geſchlechtes vergleichnißt; dieſe fuͤllt eben¬ falls nur einen kleinen Winkel in der allgemeinen italieniſchen Geſchichte, aber dieſer Winkel iſt gedraͤngt voll von Thatenglanz, Geſinnungspracht und Uebermuthsherrlichkeit. Wie in der Geſchichte,142 ſo ſieht man ſie auch auf ihren Monumenten, ſtolze, eiſerne Ritter auf eiſernen Roſſen, vor allen herrlich Can Grande, der Oheim, und Maſtino, der Neffe.

143

Capitel XXIV.

Ueber das Amphitheater von Verona haben viele geſprochen; man hat dort Platz genug zu Betrachtungen, und es giebt keine Betrachtun¬ gen, die ſich nicht in den Kreis dieſes beruͤhm¬ ten Bauwerks einfangen ließen. Es iſt ganz in jenem ernſten, thatſaͤchlichen Styl gebaut, deſſen Schoͤnheit in der vollendeten Soliditaͤt beſteht und, wie alle oͤffentlichen Gebaͤude der Roͤmer, einen Geiſt ausſpricht, der nichts anders iſt als der Geiſt von Rom ſelbſt. Und Rom? Wer iſt ſo geſund unwiſſend, daß nicht heimlich bey dieſem Namen ſein Herz erbebte, und nicht144 wenigſtens eine tradizionelle Furcht ſeine Denk¬ kraft aufruͤttelte? Was mich betrifft, ſo geſtehe ich, daß mein Gefuͤhl mehr Angſt als Freude enthielt, wenn ich daran dachte, bald umherzu¬ wandeln auf dem Boden der alten Roma. Die alte Roma iſt ja jetzt todt, beſchwichtigte ich die zagende Seele, und du haſt die Freude, ihre ſchoͤne Leiche ganz ohne Gefahr zu betrachten. Aber dann ſtieg wieder das Falſtaffſche Bedenken in mir auf: wenn ſie aber doch nicht ganz todt waͤre, und ſich nur verſtellt haͤtte, und ſie ſtaͤnde ploͤtzlich wieder auf es waͤre entſetzlich!

Als ich das Amphitheater beſuchte, wurde juſt Comoͤdie darin geſpielt; eine kleine Holzbude war nemlich in der Mitte errichtet, darauf ward eine italieniſche Poſſe aufgefuͤhrt, und die Zuſchauer ſaßen unter freyem Himmel, theils auf kleinen Stuͤhlchen, theils auf den hohen Steinbaͤnken des alten Amphitheaters. Da ſaß ich nun und145 ſah Brighellas und Tartaglias Spiegelfechtereyen auf derſelben Stelle, wo der Roͤmer einſt ſaß und ſeinen Gladiatoren und Thierhetzen zuſah. Der Himmel uͤber mir, die blaue Kryſtallſchale, war noch derſelbe wie damals. Es dunkelte all¬ maͤhlig, die Sterne ſchimmerten hervor, Truffal¬ dino lachte, Smeraldina jammerte, endlich kam Pantalone und legte ihre Haͤnde in einander. Das Volk klatſchte Beyfall und zog jubelnd von dannen. Das ganze Spiel hatte keinen Tropfen Blut gekoſtet. Es war aber nur ein Spiel. Die Spiele der Roͤmer hingegen waren keine Spiele, dieſe Maͤnner konnten ſich nimmermehr am bloßen Schein ergoͤtzen, es fehlte ihnen dazu die kindliche Seelenheiterkeit, und ernſthaft wie ſie waren, zeigte ſich auch in ihren Spielen der baarſte, blutigſte Ernſt. Sie waren keine große Menſchen, aber durch ihre Stellung waren ſie groͤßer als andre Erdenkinder, denn ſie ſtanden auf Rom. So wie ſie von den ſieben Huͤgeln10146herabſtiegen, waren ſie klein. Daher die Klein¬ lichkeit, die wir da entdecken, wo ihr Privatleben ſich ausſpricht; und Herkulanum und Pompeji, jene Palimpſeſten der Natur, wo jetzt wieder der alte Steintext hervorgegraben wird, zeigen dem Reiſenden das roͤmiſche Privatleben in klei¬ nen Haͤuschen mit winzigen Stuͤbchen, welche ſo auffallend kontraſtiren gegen jene koloſſalen Bau¬ werke, die das oͤffentliche Leben ausſprachen, jene Theater, Waſſerleitungen, Brunnen, Landſtraßen, Bruͤcken, deren Ruinen noch jetzt unſer Stau¬ nen erregen. Aber das iſt es ja eben; wie der Grieche groß iſt durch die Idee der Kunſt, der Hebraͤer durch die Idee eines heiligſten Got¬ tes, ſo ſind die Roͤmer groß durch die Idee ihrer ewigen Roma, groß uͤberall wo ſie in der Be¬ geiſterung dieſer Idee gefochten, geſchrieben und gebaut haben. Je groͤßer Rom wurde, je mehr erweiterte ſich dieſe Idee, der Einzelne verlor ſich darin, die Großen, die noch hervorragen, ſind147 nur getragen von dieſer Idee, und ſie macht die Kleinheit der Kleinen noch bemerkbarer. Die Roͤmer ſind deßhalb zugleich die groͤßten Helden und die groͤßten Satyriker geweſen, Helden wenn ſie handelten, waͤhrend ſie an Rom dachten, Satyriker wenn ſie an Rom dachten, waͤhrend ſie die Handlungen ihrer Genoſſen beurtheilten. Ge¬ meſſen mit ſolchem ungeheuren Maßſtab, der Idee Rom, mußte ſelbſt die groͤßte Perſoͤnlichkeit zwerghaft erſcheinen und ſomit der Spottſucht anheim fallen. Tacitus iſt der grauſamſte Mei¬ ſter in dieſer Satyre, eben weil er die Groͤße Roms und die Kleinheit der Menſchen am tief¬ ſten fuͤhlte. Recht in ſeinem Elemente iſt er jedesmal wenn er berichten kann, was die mali¬ zioͤſen Zungen auf dem Forum uͤber irgend eine imperiale Schandthat raiſonnirten; recht ingrimmig gluͤcklich iſt er, wenn er irgend eine ſenatoriſche Blamage, etwa eine verfehlte Schmeicheley, zu erzaͤhlen hat.

10 *148

Ich ging noch lange umher ſpatzieren auf den hoͤheren Baͤnken des Amphitheaters, zuruͤckſinnend in die Vergangenheit. Wie alle Gebaͤude im Abendlichte ihren inwohnenden Geiſt am anſchau¬ lichſten offenbaren, ſo ſprachen auch dieſe Mauern zu mir, in ihrem fragmentariſchen Lapidarſtyl, tiefernſte Dinge; ſie ſprachen von den Maͤnnern des alten Roms, und mir war dabey, als ſaͤhe ich ſie ſelber umher wandeln, weiße Schatten unter mir im dunkeln Cirkus. Mir war, als ſaͤhe ich die Grachen, mit ihren begeiſterten Maͤrtyrer¬ augen. Tiberius Sempronius, rief ich hinab, ich werde mit dir ſtimmen fuͤr das Agrariſche Geſetz! Auch Caͤſar ſah ich, Arm in Arm wan¬ delte er mit Marcus Brutus Seyd Ihr wieder verſoͤhnt? rief ich. Wir glaubten Beide Recht zu haben lachte Caͤſar zu mir herauf ich wußte nicht, daß es noch einen Roͤmer gab, und hielt mich deßhalb fuͤr berechtigt, Rom in die Taſche zu ſtecken, und weil mein Sohn149 Marcus eben dieſer Roͤmer war, ſo glaubte er ſich berechtigt, mich deßhalb umzubringen. Hin¬ ter dieſen Beiden ſchlich Tiberius Nero, mit Nebelbeinen und unbeſtimmten Mienen. Auch Weiber ſah ich dort wandeln, darunter Agrippina, mit ihrem ſchoͤnen herrſchſuͤchtigen Geſichte, das wunderſam ruͤhrend anzuſehen war, wie ein altes Marmorbild, in deſſen Zuͤgen der Schmerz wie verſteinert erſcheint. Wen ſuchſt du, Tochter des Germanicus? Schon hoͤrte ich ſie klagen da ploͤtzlich erſcholl das dumpfſinnige Gelaͤute einer Betglocke und das fatale Getrommel des Zapfen¬ ſtreichs. Die ſtolzen roͤmiſchen Geiſter verſchwan¬ den, und ich war wieder ganz in der chriſtlich oͤſtreichiſchen Gegenwart.

150

Capitel XXV.

Auf dem Platze La Bra ſpatziert, ſobald es dunkel wird, die ſchoͤne Welt von Verona, oder ſitzt dort auf kleinen Stuͤhlchen vor den Caffeebuden, und ſchluͤrft Sorbet und Abendkuͤhle und Muſik. Da laͤßt ſich gut ſitzen, das traͤumende Herz wiegt ſich auf ſuͤßen Toͤnen und erklingt im Wiederhall. Manchmal, wie ſchlaftrunken, taumelt es auf wenn die Trompeten erſchallen und es ſtimmt ein mit vollem Orcheſter. Dann iſt der Geiſt wieder ſonnig ermuntert, großblumige Gefuͤhle und Erinnerungen mit tiefen ſchwarzen Augen151 bluͤhen hervor, und druͤber hin ziehen die Gedanken, wie Wolkenzuͤge, ſtolz und langſam und ewig.

Ich wandelte noch bis ſpaͤt nach Mitternacht durch die Straßen Veronas, die allmaͤhlich men¬ ſchenleer wurden und wunderbar wiederhallten. Im halben Mondlicht daͤmmerten die Gebaͤude und ihre Bildwerke, und bleich und ſchmerzhaft ſah mich an manch 'marmornes Geſicht. Ich eilte ſchnell den Grabmaͤlern der Scaliger vor¬ uͤber; denn mir ſchien, als wolle Can Grande, artig wie er immer gegen Dichter war, von ſeinem Roſſe herabſteigen und mich als Weg¬ weiſer begleiten. Bleib du nur ſitzen, rief ich ihm zu, ich bedarf deiner nicht, mein Herz iſt der beſte Cicerone und erzaͤhlt mir uͤberall die Geſchichten, die in den Haͤuſern paſſirt ſind, und bis auf Namen und Jahrzahl erzaͤhlt es ſie treu genug.

152

Als ich an den roͤmiſchen Triumphbogen kam, huſchte eben ein ſchwarzer Moͤnch hindurch, und fernher erſcholl ein deutſch brummendes Werda? Gut Freund! greinte ein vergnuͤgter Diſkant.

Welchem Weibe aber gehoͤrte die Stimme, die mir ſo ſuͤß unheimlich in die Seele drang, als ich uͤber die Scala Mazzati ſtieg? Es war Ge¬ ſang wie aus der Bruſt einer ſterbenden Nachti¬ gall, todtzaͤrtlich, und wie Huͤlferufend an den ſteinernen Haͤuſern wiederhallend. Auf dieſer Stelle hat Antonio della Scala ſeinen Bruder Bartholomeo umgebracht, als dieſer eben zur Geliebten gehen wollte. Mein Herz ſagte mir, ſie ſaͤße noch immer in ihrer Kammer, und er¬ warte den Geliebten, und ſaͤnge nur, um ihre ahnende Angſt zu uͤberſtimmen. Aber bald ſchienen mir Lied und Stimme ſo wohlbekannt, ich hatte dieſe ſeidnen, ſchaurigen, verblutenden Toͤne ſchon fruͤher gehoͤrt, ſie umſtrickten mich wie weiche flehende153 Erinnerungen, und O du dummes Herz, ſprach ich zu mir ſelber, kennſt du denn nicht mehr das Lied vom kranken Mohrenkoͤnig, das die todte Maria ſo oft geſungen? Und die Stimme ſelbſt kennſt du denn nicht mehr die Stimme der todten Maria?

Die langen Toͤne verfolgten mich durch alle Straßen, bis zum Gaſthof Due Torre, bis ins Schlafgemach, bis in den Traum Und da ſah ich wieder mein ſuͤßes geſtorbenes Leben ſchoͤn und regungslos liegen, die alte Wachfrau entfernte ſich wieder mit raͤthſelhaftem Seitenblick, die Nachtviole duftete, ich kuͤßte wieder die lieb¬ lichen Lippen, und die holde Leiche erhob ſich langſam um mir den Gegenkuß zu bieten.

Wuͤßte ich nur wer das Licht ausgeloͤſcht hat.

154

Capitel XXVI.

Kennſt Du das Land, wo die Zitronen bluͤhen?

Kennſt du das Lied? Ganz Italien iſt darin geſchildert, aber mit den ſeufzenden Farben der Sehnſucht. In der italieniſchen Reiſe hat es Goethe etwas ausfuͤhrlicher beſungen, und wo er malt, hat er das Original immer vor Augen und man kann ſich auf die Treue der Umriſſe und der Farbengebung ganz verlaſſen. Ich finde es daher bequem, hier ein fuͤr allemal auf Goe¬ thes italieniſche Reiſe hinzudeuten, um ſo mehr da er, bis Verona, dieſelbe Tour, durch Tyrol,155 gemacht hat. Ich habe ſchon fruͤherhin uͤber jenes Buch geſprochen, ehe ich den Stoff den es behandelt, gekannt habe, und ich finde jetzt mein ahnendes Urtheil vollauf beſtaͤtigt. Wir ſchauen nemlich darin uͤberall thatſaͤchliche Auffaſſung und die Ruhe der Natur. Goethe haͤlt ihr den Spiegel vor, oder, beſſer geſagt, er iſt ſelbſt der Spiegel der Natur. Die Natur wollte wiſſen, wie ſie ausſieht, und ſie erſchuf Goethe. Sogar die Gedanken, die Intenzionen der Natur ver¬ mag er uns wiederzuſpiegeln, und es iſt einem hitzigen Goethianer, zumahl in den Hundstagen, nicht zu verargen, wenn er uͤber die Identitaͤt der Spiegelbilder mit den Objekten ſelbſt ſo ſehr erſtaunt, daß er dem Spiegel ſogar Schoͤpfungs¬ kraft, die Kraft, aͤhnliche Objecte zu erſchaffen, zutraut. Ein Herr Eckermann hat mahl ein Buch uͤber Goethe geſchrieben, worin er ganz ernſthaft verſichert: haͤtte der liebe Gott bey Erſchaffung der Welt zu Goethe geſagt lieber156 Goethe, ich bin jetzt Gottlob fertig, ich habe jetzt Alles erſchaffen, bis auf die Voͤgel und die Baͤume, und du thaͤteſt mir eine Liebe, wenn du ſtatt meiner dieſe Bagatellen noch erſchaffen woll¬ teſt ſo wuͤrde Goethe, eben ſo gut wie der liebe Gott, dieſe Thiere und Gewaͤchſe ganz im Geiſte der uͤbrigen Schoͤpfung, nemlich die Voͤgel mit Federn, und die Baͤume gruͤn erſchaffen haben.

Es liegt Wahrheit in dieſen Worten, und ich bin ſogar der Meinung, daß Goethe manch¬ mal ſeine Sache noch beſſer gemacht haͤtte, als der liebe Gott ſelbſt, und daß er z. B. den Herrn Eckermann viel richtiger, ebenfalls mit Federn und gruͤn erſchaffen haͤtte. Es iſt wirk¬ lich ein Schoͤpfungsfehler, daß auf dem Kopfe des Herrn Eckermann keine gruͤne Federn wach¬ ſen, und Goethe hat dieſem Mangel wenigſtens dadurch abzuhelfen geſucht, daß er ihm einen Doktorhut aus Jena verſchrieben und eigenhaͤn¬ dig aufgeſetzt hat.

157

Naͤchſt Goethe's italieniſcher Reiſe, iſt Frau von Morgan's Italien und Frau von Staël's Corinna zu empfehlen. Was dieſen Frauen an Talent fehlt, um neben Goethe nicht unbe¬ deutend zu erſcheinen, das erſetzen ſie durch maͤnn¬ liche Geſinnungen, die jenem mangeln. Denn, Frau v. Morgan hat wie ein Mann geſprochen, ſie ſprach Scorpionen in die Herzen frecher Soͤldner, und muthig und ſuͤß waren die Triller dieſer flatternden Nachtigall der Freiheit. Eben ſo, wie maͤnniglich bekannt iſt, war Frau v. Staël eine liebenswuͤrdige Marketenderin im Heer der Liberalen, und lief muthig durch die Reihen der Kaͤmpfenden mit ihrem Enthuſias¬ musfaͤßchen, und ſtaͤrkte die Muͤden, und focht ſelber mit, beſſer als die Beſten.

Was uͤberhaupt italieniſche Reiſebeſchreibungen betrifft, ſo hat W. Muͤller vor geraumer Zeit im Hesperus eine Ueberſicht derſelben gegeben. Ihre158 Zahl iſt Legion. Unter den aͤltern deutſchen Schrift¬ ſtellern in dieſem Fache ſind, durch Geiſt oder Eigenthuͤmlichkeit, am ausgezeichnetſten: Moritz, Archenholz, Bartels, der brave Seume, Arndt, Meyer, Benkowitz und Rehfus. Die neueren kenne ich weniger, und nur wenige davon haben mir Vergnuͤgen und Belehrung gewaͤhrt. Un¬ ter dieſen nenne ich des allzufruͤh verſtorbenen W. Muͤller's Rom, Roͤmer und Roͤmerinnen ach, er war ein deutſcher Dichter! dann die Reiſe von Kephalides, die ein bischen trocken iſt, ferner Leßmanns cisalpiniſche Blaͤtter die etwas zu fluͤſſig ſind, und endlich die Reiſen in Italien ſeit 1822, von Friedrich Thierſch, Lud. Schorn, Eduard Gerhardt und Leo v. Klenze von dieſem Werke iſt erſt ein Theil erſchienen, und er enthaͤlt meiſtens Mittheilungen von mei¬ nem lieben, edlen Thierſch, deſſen humanes Auge aus jeder Zeile hervorblickt.

159

Capitel XXVII.

Kennſt Du das Land, wo die Zitronen bluͤhn?
Im dunkeln Laub die Goldorangen gluͤhn,
Ein ſanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte ſtill und hoch der Lorbeer ſteht,
Kennſt Du es wohl?
Dahin! dahin
Moͤcht 'ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn.

Aber reiſe nur nicht im Anfang Auguſt, wo man des Tags von der Sonne gebraten, und des Nachts von den Floͤhen verzehrt wird. 160Auch rathe ich dir, mein lieber Leſer, von Ve¬ rona nach Mayland nicht mit dem Poſtwagen zu fahren.

Ich fuhr, in Geſellſchaft von ſechs Banditen, in einer ſchwerfaͤlligen Carrozza, die, wegen des allzugewaltigen Staubes, von allen Seiten ſo ſorgfaͤltig verſchloſſen wurde, daß ich von der Schoͤnheit der Gegend wenig bemerken konnte. Nur zweymal, ehe wir Brescia erreichten, luͤf¬ tete mein Nachbar das Seitenleder, um hinaus zu ſpucken. Das eine mal ſah ich nichts als einige ſchwitzende Tannen, die in ihren gruͤnen Winterroͤcken von der ſchwuͤlen Sonnenhitze ſehr zu leiden ſchienen; das andere mal ſah ich ein Stuͤck von einem wunderklaren blauen See, worin die Sonne und ein magerer Grenadier ſich ſpiegelten. Letzterer, ein oͤſtreichiſcher Nar¬ ziß, bewunderte mit kindiſcher Freude, wie ſein Spiegelbild ihm alles getreu nachmachte, wenn161 er das Gewehr praͤſentirte oder ſchulterte, oder zum Schießen auslegte.

Von Brescia ſelbſt weiß ich ebenfalls wenig zu erzaͤhlen, indem ich die Zeit meines dortigen Aufenthalts dazu benutzte, ein gutes Pranzo einzunehmen. Man kann es einem armen Rei¬ ſenden nicht verdenken, wenn er den Hunger des Leibes fruͤher ſtillt als den des Geiſtes. Doch war ich gewiſſenhaft genug, ehe ich wieder in den Wagen ſtieg, einige Notizen uͤber Brescia vom Cameriere zu erfragen; und da erfuhr ich unter anderen: die Stadt habe 40,000 Ein¬ wohner, ein Rathhaus, 21 Kaffeehaͤuſer, 20 katho¬ liſche Kirchen, ein Tollhaus, eine Synagoge, eine Menagerie, ein Zuchthaus, ein Krankenhaus, ein eben ſo gutes Theater, und einen Galgen fuͤr Diebe, die unter 100,000 Thaler ſtehlen.

Um Mitternacht arrivirte ich in Mayland, und kehrte ein bey Herrn Reichman, einem11162Deutſchen, der ſein Hôtel ganz nach deutſcher Weiſe eingerichtet. Es ſey das beſte Wirths¬ haus in ganz Italien, ſagten mir einige Bekannte, die ich dort wiederfand, und die uͤber italieniſche Gaſtwirthe und Floͤhe ſehr ſchlecht zu ſprechen waren. Da hoͤrte ich nichts als aͤrgerliche Hiſtoͤr¬ chen von italieniſchen Prellereyen, und beſonders Sir William fluchte und verſicherte: wenn Eu¬ ropa der Kopf der Welt ſey, ſo ſey Italien das Diebesorgan dieſes Kopfes. Der arme Baronet hat in der Locanda Croce bianca zu Padua nicht weniger als zwoͤlf Francs fuͤr ein mageres Fruͤhſtuͤck bezahlen muͤſſen, und zu Vicenza hat ihm jemand ein Trinkgeld abgefordert, als er ihm einen Handſchuh aufhob, den er beim Ein¬ ſteigen in den Wagen fallen laſſen. Sein Vetter Tom ſagte: alle Italiener ſeyen Spitzbuben bis auf den einzigen Umſtand, daß ſie nicht ſtehlen. Haͤtte er liebenswuͤrdiger ausgeſehen, ſo wuͤrde er auch die Bemerkung gemacht haben, daß alle163 Italienerinnen Spitzbuͤbinnen ſind. Der Dritte im Bunde war ein Miſter Liver, den ich in Brighton als ein junges Kalb verlaſſen hatte, und jetzt in Mayland als einen boeuf à la mode wiederfand. Er war ganz als Dandy gekleidet, und ich habe nie einen Menſchen geſehen, der es beſſer verſtanden haͤtte, mit ſeiner Figur lauter Ecken hervorzubringen. Wenn er die Daumen in die Aermelausſchnitte der Weſte einkrempte, machte er auch mit der Handwurzel und mit jedem Finger einige Ecken; ja ſein Maul war ſogar viereckig aufgeſperrt. Dazu kommt ein eckiger Kopf, hinten ſchmal, oben ſpitz, mit kurzer Stirn und ſehr langem Kinn. Unter den engliſchen Bekannten, die ich in Mayland wiederſah, war auch Liver's dicke Tante; gleich einer Fettlawine war ſie von den Alpen herab¬ gekommen, in Geſellſchaft zweyer ſchneeweißen, ſchneekalten Schneegaͤnschen, Miß Polly und Miß Molly.

11 *164

Beſchuldige mich nicht der Anglomanie, lieber Leſer, wenn ich in dieſem Buche ſehr haͤufig von Englaͤndern ſpreche; ſie ſind jetzt in Italien zu zahlreich, um ſie uͤberſehen zu koͤnnen, ſie durch¬ ziehen dieſes Land in ganzen Schwaͤrmen, lagern in allen Wirthshaͤuſern, laufen uͤberall umher, um Alles zu ſehen, und man kann ſich keinen italieniſchen Zitronenbaum mehr denken, ohne eine Englaͤnderin, die daran riecht, und keine Galerie ohne ein Schock Englaͤnder, die, mit ihrem Guide in der Hand, darin umherrennen, und nachſehen, ob noch alles vorhanden, was in dem Buche als merkwuͤrdig erwaͤhnt iſt. Wenn man jenes blonde, rothbaͤckige Volk mit ſeinen blanken Kutſchen, bunten Lakayen, wiehernden Rennpferden, gruͤnverſchleierten Kammerjungfern und ſonſtig koſtbaren Geſchirren, neugierig und geputzt, uͤber die Alpen ziehen und Italien durch¬ wandern ſieht, glaubt man eine elegante Voͤlker¬ wanderung zu ſehen. Und in der That, der165 Sohn Albions, obgleich er weiße Waͤſche traͤgt und alles baar bezahlt, iſt doch ein civiliſirter Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener, der vielmehr eine in Barbarey uͤbergehende Civi¬ liſazion bekundet. Jener zeigt in ſeinen Sitten eine zuruͤckgehaltene Rohheit, dieſer eine ausge¬ laſſene Feinheit. Und gar die blaſſen italieniſchen Geſichter, in den Augen das leidende Weiß, die Lippen krankhaft zaͤrtlich, wie heimlich vornehm ſind ſie gegen die ſteif brittiſchen Geſichter, mit ihrer poͤbelhaft rothen Geſundheit! Das ganze italieniſche Volk iſt innerlich krank, und kranke Menſchen ſind immer wahrhaft vor¬ nehmer als Geſunde; denn nur der kranke Menſch iſt ein Menſch, ſeine Glieder haben eine Leidens¬ geſchichte, ſie ſind durchgeiſtet. Ich glaube ſo¬ gar, durch Leidenskaͤmpfe koͤnnten die Thiere zu Menſchen werden; ich habe mal einen ſterben¬ den Hund geſehen, der in ſeinen Todesqualen mich faſt menſchlich anſah.

166

Der leidende Geſichtsausdruck wird bei den Italienern am ſichtbarſten, wenn man mit ihnen vom Ungluͤck ihres Vaterlandes ſpricht, und dazu giebts in Mayland genug Gelegenheit. Das iſt die ſchmerzlichſte Wunde in der Bruſt der Italiener, und ſie zucken zuſammen, ſobald man dieſe nur leiſe beruͤhrt. Sie haben alsdann eine Bewegung der Achſel, die uns mit ſonderbarem Mitleid erfuͤllt. Einer meiner Britten hielt die Italiener fuͤr politiſch indifferent, weil ſie gleichguͤltig zuzu¬ hoͤren ſchienen, wenn wir Fremde uͤber die katho¬ liſche Emanzipazion und den Tuͤrkenkrieg politi¬ ſirten; und er war ungerecht genug, gegen einen blaſſen Italiener mit pechſchwarzem Barte ſich daruͤber ſpoͤttiſch zu aͤußern. Wir hatten den Abend vorher eine neue Oper in der Scala auf¬ fuͤhren ſehen, und den Mordſpecktakel gehoͤrt, der, wie gebraͤuchlich, bey ſolchen Anlaͤſſen ſtatt findet. Ihr Italiener, ſagte der Britte zu dem Blaſſen, ſcheint fuͤr alles abgeſtorben zu ſeyn,167 außer fuͤr Muſik, und nur noch dieſe vermag Euch zu begeiſtern. Sie thun uns Unrecht, ſagte der Blaſſe und bewegte die Achſel. Ach! ſeufzte er hinzu, Italien ſitzt elegiſch traͤumend auf ſeinen Ruinen, und wenn es dann manchmal bey der Melodie irgend eines Liedes ploͤtzlich er¬ wacht und ſtuͤrmiſch emporſpringt, ſo gilt dieſe Begeiſterung nicht dem Liede ſelbſt, ſondern viel¬ mehr den alten Erinnerungen und Gefuͤhlen, die das Lied ebenfalls geweckt hat, die Italien immer im Herzen trug, und die jetzt gewaltig hervorbrauſen, und das iſt die Bedeutung des tollen Laͤrms, den Sie in der Scala gehoͤrt haben.

Vielleicht gewaͤhrt dieſes Bekenntniß auch einigen Aufſchluß uͤber den Enthuſiasmus, den jenſeits der Alpen Roſſinis oder Mayerbeers Opern uͤberall hervorbringen. Habe ich jemals menſchliche Raſerey geſehen, ſo war es bey einer168 Auffuͤhrung des Crociato in Egitto, wenn die Muſik manchmal aus dem weichen, wehmuͤthigen Ton ploͤtzlich in jauchzenden Schmerz uͤberſprang. Jene Raſerey heißt in Italien: furore.

169

Capitel XXVIII.

Obgleich ich, lieber Leſer, jetzt ſchon Gelegen¬ heit haͤtte, bey Erwaͤhnung der Brera und Ambroſiana Dir meine Kunſturtheile aufzutiſchen, ſo will ich doch dieſen Kelch an Dir voruͤber gehen laſſen, und mich mit der Bemerkung be¬ gnuͤgen, daß ich das ſpitze Kinn, das den Bil¬ dern der lombardiſchen Schule einen Anſtrich von Sentimentalitaͤt giebt, auch auf den Straßen von Mayland bey mancher ſchoͤnen Lombardin geſehen habe. Es war mir immer außerordentlich belehrend, wenn ich mit den Werken einer Schule170 auch die Originale vergleichen konnte ', die ihr als Modelle gedient haben; der Character der Schule kam mir dann klarer zur Anſchauung. So iſt mir auf dem Jahrmarkt zu Rotterdam der Jan Steen in ſeiner goͤttlichſten Heiterkeit ploͤtzlich verſtaͤndlich geworden; ſo habe ich ſpaͤ¬ terhin am Long-Arno die Formenwahrheit und den tuͤchtigen Geiſt der Florentiner, und auf dem San Marco die Farbenwahrheit und die traͤumeriſche Oberflaͤchlichkeit der Venezianer be¬ greifen lernen. Geh' nach Rom, liebe Seele, und vielleicht ſchwingſt Du Dich dort hinauf zur Anſchauung der Idealitaͤt und zum Verſtaͤndniß des Raphael.

Indeſſen eine Merkwuͤrdigkeit Maylands, die in jeder Hinſicht die groͤßte iſt, kann ich nicht unerwaͤhnt laſſen Das iſt der Dom.

In der Ferne ſcheint es, als ſey er aus weißem Poſtpapier geſchnitzelt, und in der Naͤhe171 erſchrickt man, daß dieſes Schnitzwerk aus un¬ widerlegbarem Marmor beſteht. Die unzaͤhligen Heiligenbilder, die das ganze Gebaͤude bedecken, die uͤberall unter den gothiſchen Krondaͤchlein her¬ vorgucken, und oben auf allen Spitzen gepflanzt ſtehen, dieſes ſteinerne Volk verwirrt einem faſt die Sinne. Betrachtet man das ganze Werk etwas laͤnger, ſo findet man es doch recht huͤbſch, koloſſal niedlich, ein Spielzeug fuͤr Rieſenkinder. Im mitternaͤchtlichen Mondſchein gewaͤhrt es noch den beſten Anblick, dann kommen all die weißen Steinmenſchen aus ihrer wimmelnden Hoͤhe herabgeſtiegen, und gehen mit einem uͤber die Piazza, und fluͤſtern einem alte Geſchichten in's Ohr, putzig heilige, ganz geheime Geſchichten von Galeazzo Visconti, der den Dombau be¬ gonnen, und von Napoleon Buonaparte, der ihn ſpaͤterhin fortgeſetzt.

Siehſt du ſagte mir ein gar ſeltſamer Heiliger, der in der neueſten Zeit aus dem neue¬172 ſten Marmor verfertigt war, ſiehſt du, meine aͤlteren Kamaraden koͤnnen nicht begreifen, warum der Kaiſer Napoleon den Dombau ſo eifrig betrieben hat. Aber ich weiß es ſehr gut, er hat eingeſehen, daß dieſes große Steinhaus auf jeden Fall ein ſehr nuͤtzliches Gebaͤude ſeyn wuͤrde, und auch dann noch brauchbar, wenn einſt das Chriſtenthum voruͤber iſt.

Wenn einſt das Chriſtenthum voruͤber iſt Ich war ſchier erſchrocken, als ich hoͤrte, daß es Heilige in Italien giebt, die eine ſolche Sprache fuͤhren, und dazu auf einem Platze, wo oͤſtreichiſche Schildwachen, mit Baͤrenmuͤtzen und Torniſtern, auf und abgehen. Indeſſen der ſteinerne Kauz hat gewiſſermaßen Recht, das In¬ nere des Domes iſt huͤbſch kuͤhl im Sommer, und heiter und angenehm, und wuͤrde auch bey veraͤnderter Beſtimmung ſeinen Werth behalten.

173

Die Vollendung des Domes war einer von Napoleons Lieblingsgedanken, und er war nicht weit vom Ziele entfernt, als ſeine Herrſchaft gebrochen wurde. Die Oeſtreicher vollenden jetzt das Werk. Auch an dem beruͤhmten Triumph¬ bogen, der die Simplonſtraße beſchließen ſollte, wird weiter gebaut. Freylich, Napoleons Stand¬ bild wird nicht, wie fruͤher beſtimmt war, auf die Spitze jenes Bogens geſtellt werden. Immer¬ hin, der große Kaiſer hat ein Standbild hinter¬ laſſen, das viel beſſer iſt und dauerhafter als Marmor, und das kein Oeſtreicher unſeren Blicken entziehen kann. Wenn wir Anderen laͤngſt von der Senſe der Zeit niedergemaͤht und wie Spreu des Feldes verweht ſeyn werden, wird jenes Standbild noch unverſehrt daſtehen; neue Ge¬ ſchlechter werden aus der Erde hervorwachſen, werden ſchwindelnd an jenes Bild hinaufſehen, und ſich wieder in die Erde legen; und die Zeit, unfaͤhig ſolch Bild zu zerſtoͤren, wird es in174 ſagenhafte Nebel zu huͤllen ſuchen, und ſeine ungeheure Geſchichte wird endlich ein Mythos.

Vielleicht, nach Jahrtauſenden, wird ein ſpitzfindiger Schulmeiſter, in einer grundgelehrten Diſſertazion, unumſtoͤßlich beweiſen: daß der Na¬ poleon Bonaparte ganz identiſch ſey mit jenem andern Titane, der den Goͤttern das Licht raubte und fuͤr dieſes Vergehen auf einem einſamen Felſen, mitten im Meere, angeſchmiedet wurde, preißgegeben einem Geyer, der taͤglich ſein Herz zerfleiſchte.

175

Capitel XXIX.

Ich bitte Dich, lieber Leſer, halte mich nicht fuͤr einen unbedingten Bonapartiſten; meine Huldigung gilt nicht den Handlungen, ſondern nur dem Genius des Mannes. Unbedingt liebe ich ihn nur bis zum achtzehnten Brumaire da verrieth er die Freyheit. Und er that es nicht aus Nothwendigkeit, ſondern aus geheimer Vorliebe fuͤr Ariſtokratismus. Napoleon Bonaparte war ein Ariſtokrat, ein adeliger Feind der buͤrger¬ lichen Gleichheit, und es war ein koloſſales Mi߬ verſtaͤndniß, daß die europaͤiſche Ariſtokratie, repraͤ¬ ſentirt von England, ihn ſo todtfeindlich be¬176 kriegte; denn wenn er auch in dem Perſonal dieſer Ariſtokratie einige Veraͤnderungen vorzu¬ nehmen beabſichtigte, ſo haͤtte er doch den groͤ߬ ten Theil derſelben und ihr eigentliches Princip erhalten, er wuͤrde dieſe Ariſtokratie regenerirt haben, ſtatt daß ſie jetzt darnieder liegt durch Alterſchwaͤche, Blutverluſt und Ermuͤdung von ihrem letzten, gewiß allerletzten Sieg.

Lieber Leſer! wir wollen uns hier ein fuͤr allemal verſtaͤndigen. Ich preiſe nie die That, ſondern nur den menſchlichen Geiſt, die That iſt nur deſſen Gewand, und die Geſchichte iſt nichts anders als die alte Garderobe des menſchlichen Geiſtes. Doch die Liebe liebt zuweilen alte Roͤcke, und ſo liebe ich den Mantel von Marengo.

Wir ſind auf dem Schlachtfelde von Ma¬ rengo. Wie lachte mein Herz, als der Poſtillon dieſe Worte ſprach! Ich war in Geſellſchaft177 eines ſehr artigen Lieflaͤnders, der vielmehr den Ruſſen ſpielte, des Abends von Mayland abge¬ reiſt, und ſah des folgenden Morgens die Sonne aufgehn uͤber das beruͤhmte Schlachtfeld.

Hier that der General Buonaparte einen ſo ſtarken Zug aus dem Kelch des Ruhmes, daß er im Rauſche Conſul, Kaiſer, Welteroberer wurde, und ſich erſt zu St. Helena ernuͤchtern konnte. Es iſt uns ſelbſt nicht viel beſſer ergangen; wir waren mitberauſcht, wir haben alles mitgetraͤumt, ſind ebenfalls erwacht, und im Jammer der Nuͤchternheit machen wir allerley verſtaͤndige Re¬ flexionen. Es will uns da manchmal beduͤnken, als ſey der Kriegsruhm ein veraltetes Vergnuͤ¬ gen, die Kriege bekaͤmen eine edlere Bedeutung und Napoleon ſey vielleicht der letzte Eroberer.

Es hat wirklich den Anſchein, als ob jetzt mehr geiſtige Intereſſen verfochten wuͤrden als12178materielle, und als ob die Welthiſtorie nicht mehr eine Raͤubergeſchichte, ſondern eine Geiſtergeſchichte ſeyn ſolle. Der Haupthebel, den ehrgeizige und habſuͤchtige Fuͤrſten zu ihren Privatzwecken ſonſt ſo wirkſam in Bewegung zu ſetzen wußten, nem¬ lich die Nazionalitaͤt mit ihrer Eitelkeit und ihrem Haß, iſt jetzt morſch und abgenutzt; taͤg¬ lich verſchwinden mehr und mehr die thoͤrigten Nazionalvorurtheile, alle ſchroffen Beſonderheiten gehen unter in der Allgemeinheit der europaͤiſchen Civiliſation, es giebt jetzt in Europa keine Na¬ zionen mehr, ſondern nur Partheyen, und es iſt ein wunderſamer Anblick, wie dieſe, trotz der mannigfaltigſten Farben ſich ſehr gut erkennen, und trotz der vielen Sprachverſchiedenheiten ſich ſehr gut verſtehen. Wie es eine materielle Staatenpolitik giebt, ſo giebt es jetzt auch eine geiſtige Partheypolitik; und wie die Staaten¬ politik auch den kleinſten Krieg, der zwiſchen den zwey unbedeutendſten Maͤchten ausbraͤche, gleich179 zu einem allgemeinen europaͤiſchen Krieg machen wuͤrde, worin ſich alle Staaten, mit mehr oder minderem Eifer, auf jeden Fall mit Intereſſe, miſchen muͤßten: ſo kann jetzt in der Welt auch nicht der geringſte Kampf vorfallen, bey dem, durch jene Partheypolitik, die allgemein geiſtigen Bedeutungen nicht ſogleich erkannt, und die entfernteſten und heterogenſten Partheyen nicht gezwungen wuͤrden, pro oder contra Antheil zu nehmen. Vermoͤge dieſer Partheypolitik, die ich, weil ihre Intereſſen geiſtiger und ihre Ultimae Rationes nicht von Metall ſind, eine Geiſter¬ politik nenne, bilden ſich jetzt, eben ſo, wie vermittelſt der Staatenpolitik, zwey große Maſſen, die feindſelig einander gegenuͤber ſtehen und mit Reden und Blicken kaͤmpfen. Die Lo¬ ſungsworte und Repraͤſentanten dieſer zwey großen Partheymaſſen wechſeln taͤglich, es fehlt nicht an Verwirrung, oft entſtehen die groͤßten Mißverſtaͤndniſſe, dieſe werden durch die Diplo¬12 *180maten dieſer Geiſterpolitik, die Schriftſteller, eher vermehrt als vermindert; doch, wenn auch die Koͤpfe irren, ſo fuͤhlen die Gemuͤther nichts deſto weniger was ſie wollen, und die Zeit draͤngt mit ihrer großen Aufgabe.

Was iſt aber dieſe große Aufgabe unſerer Zeit?

Es iſt die Emanzipazion. Nicht bloß die der Irlaͤnder, Griechen, Frankfurter Juden, Weſtindiſchen Schwarzen und dergleichen gedruͤck¬ ten Volkes, ſondern es iſt die Emanzipazion der ganzen Welt, abſonderlich Europas, das muͤndig geworden iſt, und ſich jetzt losreißt von dem eiſernenGaͤngelbande der Bevorrechteten, der Ari¬ ſtokratie. Moͤgen immerhin einige philoſophiſche Renegaten der Freyheit die feinſten Kettenſchluͤſſe ſchmieden, um uns zu beweiſen, daß Millionen Menſchen geſchaffen ſind als Laſtthiere einiger181 tauſend privilegirter Ritter; ſie werden uns den¬ noch nicht davon uͤberzeugen koͤnnen, ſo lange ſie uns, wie Voltaire ſagt, nicht nachweiſen, daß jene mit Saͤtteln auf dem Ruͤcken und dieſe mit Sporen an den Fuͤßen zur Welt gekommen ſind.

Jede Zeit hat ihre Aufgabe und durch die Loͤſung derſelben ruͤckt die Menſchheit weiter. Die fruͤhere Ungleichheit, durch das Feudalſyſtem in Europa geſtiftet, war vielleicht nothwendig, oder nothwendige Bedingung zu den Fortſchritten der Civiliſation; jetzt aber hemmt ſie dieſe, em¬ poͤrt ſie die civiliſirten Herzen. Die Franzoſen, das Volk der Geſellſchaft, hat dieſe Ungleichheit, die mit dem Prinzip der Geſellſchaft am unleidlichſten collidirt, nothwendigerweiſe am tiefſten erbittert, ſie haben die Gleichheit zu erzwingen geſucht, in¬ dem ſie die Haͤupter derjenigen, die durchaus hervorragen wollten, gelinde abſchnitten, und die Revoluzion ward ein Signal fuͤr den Befrey¬ ungskrieg der Menſchheit.

182

Laßt uns die Franzoſen preiſen! ſie ſorgten fuͤr die zwey groͤßten Beduͤrfniſſe der menſchlichen Geſellſchaft, fuͤr gutes Eſſen und buͤrgerliche Gleichheit, in der Kochkunſt und in der Freyheit haben ſie die groͤßten Fortſchritte gemacht, und wenn wir einſt alle, als gleiche Gaͤſte, das große Verſoͤhnungsmahl halten, und guter Dinge ſind, denn was gaͤbe es Beſſeres als eine Geſell¬ ſchaft von Pairs an einem gutbeſetzten Tiſche? dann wollen wir den Franzoſen den erſten Toaſt darbringen. Es wird freylich noch einige Zeit dauern, bis dieſes Feſt gefeyert werden kann, bis die Emanzipazion durchgeſetzt ſeyn wird; aber ſie wird doch endlich kommen, dieſe Zeit, wir werden, verſoͤhnt und allgleich, um denſelben Tiſch ſitzen; wir ſind dann vereinigt, und kaͤmpfen vereinigt gegen andere Weltuͤbel, vielleicht am Ende gar gegen den Tod deſſen ernſtes Gleichheits¬ ſyſtem uns wenigſtens nicht ſo ſehr beleidigt, wie die lachende Ungleichheitslehre des Ariſtokratismus.

183

Laͤchle nicht, ſpaͤter Leſer. Jede Zeit glaubt, ihr Kampf ſey vor allen der wichtigſte, dieſes iſt der eigentliche Glaube der Zeit, in dieſem lebt ſie und ſtirbt ſie, und auch wir wollen leben und ſterben in dieſer Freyheitsreligion, die vielleicht mehr den Namen Religion verdient, als das hohle ausgeſtorbene Seelengeſpenſt, das wir noch ſo zu benennen pflegen unſer heiliger Kampf duͤnkt uns der wichtigſte, wofuͤr jemals auf dieſer Erde gekaͤmpft worden, obgleich hiſtoriſche Ahnung uns ſagt, daß einſt unſre Enkel auf dieſen Kampf herabſehen werden, vielleicht mit demſelben Gleich¬ guͤltigkeitsgefuͤhl, womit wir herabſehen auf den Kampf der erſten Menſchen, die gegen eben ſo gierige Ungethuͤme, Lindwuͤrmer und Raub¬ rieſen, zu kaͤmpfen hatten.

184

Capitel XXX.

Auf dem Schlachtfelde von Marengo kommen einem die Betrachtungen ſo ſchaarenweis ange¬ flogen, daß man glauben ſollte, es waͤren die¬ ſelben, die dort ſo mancher ploͤtzlich aufgeben mußte, und die nun, wie herrenloſe Hunde, um¬ herirren. Ich liebe Schlachtfelder, denn ſo furcht¬ bar auch der Krieg iſt, ſo bekundet er doch die geiſtige Groͤße des Menſchen, der ſeinem maͤchtig¬ ſten Erbfeinde, dem Tode, zu trotzen vermag. Und gar dieſes Schlachtfeld wo die Freyheit auf Blutroſen tanzte, den uͤppigen Brauttanz! Frank¬ reich war damals Braͤutigam, hatte die ganze185 Welt zur Hochzeit geladen, und, wie es im Liede heißt,

Heida! am Polterabend,
Zerſchlug man ſtatt der Toͤpfe
Ariſtokratenkoͤpfe.

Aber ach! jeder Zoll, den die Menſchheit weiter ruͤckt, koſtet Stroͤme Blutes; und iſt das nicht etwas zu theuer? Iſt das Leben des Individuums nicht vielleicht eben ſo viel werth wie das des ganzen Geſchlechtes? Denn jeder einzelne Menſch iſt ſchon eine Welt, die mit ihm geboren wird und mit ihm ſtirbt, unter jedem Grabſtein liegt eine Weltgeſchichte Still davon, ſo wuͤrden die Todten ſprechen, die hier gefallen ſind, wir aber leben und wollen weiter kaͤmpfen im heiligen Befreyungskriege der Menſchheit.

Wer denkt jetzt noch an Marengo! ſagte mein Reiſegefaͤhrte, der Lieflaͤndiſche Ruſſe, als186 wir uͤber das Brachfeld fuhren jetzt ſind alle Augen gerichtet nach dem Balkan, wo mein Landsmann Diebitſch den Tuͤrken die Turbane zurechtſetzt, und wir werden noch dieſes Jahr Conſtantinopel einnehmen. Sind Sie gut ruſſiſch?

Das war eine Frage, die ich uͤberall lieber beantwortet haͤtte als auf dem Schlachtfelde von Marengo Ich ſah im Morgennebel den Mann mit dem dreieckigen Huͤtchen und dem grauen Schlachtmantel, er jagte dahin wie ein Gedanke, geiſterſchnell, in der Ferne erſcholl es wie ein ſchaurig ſuͤßes allons enfans de la patrie Und dennoch antwortete ich: ja, ich bin gut ruſſiſch.

Und in der That, bey dem wunderlichen Wechſel der Loſungsworte und Repraͤſentanten in dem großen Kampfe, hat es ſich jetzt ſo gefuͤgt, daß187 der gluͤhendſte Freund der Revoluzion nur im Siege Rußlands das Heil der Welt ſieht, und den Kaiſer Nikolas als den Gonfaloniere der Freyheit betrachten muß. Seltſamer Wechſel! noch vor zwey Jahren bekleideten wir mit dieſem Amte einen engliſchen Miniſter, das Geheul des hochtoryſchen Haſſes gegen George Canning lei¬ tete damals unſre Wahl, in den adlig unedlen Kraͤnkungen, die er erlitt, ſahen wir die Ga¬ rantieen ſeiner Treue, und als er des Maͤrtyrer¬ todes ſtarb, da legten wir Trauer an, und der achte Auguſt wurde ein heiliger Tag im Kalender der Freyheit. Die Fahne aber nahmen wir wie¬ der fort von Downingſtreet, und pflanzten ſie auf die Petersburg, und waͤhlten zu ihrem Traͤ¬ ger den Kaiſer Nikolas, den Ritter von Europa, der die griechiſchen Wittwen und Waiſen ſchuͤtzte gegen aſiatiſche Barbaren, und in ſolchem guten Kampfe ſeine Sporen verdiente. Wieder hatten ſich die Feinde der Freyheit zu ſehr verrathen 188 und wir benutzten wieder den Scharfſinn ihres Haſſes, um unſer eignes Beſte zu erkennen. Wieder zeigte ſich diesmal die gewoͤhnliche Er¬ ſcheinung, daß wir unſre Repraͤſentanten vielmehr der Stimmenmehrheit unſerer Feinde als der eignen Wahl verdanken, und indem wir die wunderlich zuſammengeſetzte Gemeinde betrachte¬ ten, die fuͤr das Heil der Tuͤrkey und den Un¬ tergang Rußlands ihre frommen Wuͤnſche gen Himmel ſandte, ſo merkten wir bald, wer unſer Freund oder vielmehr das Schrecken unſerer Feinde iſt. Wie mußte der liebe Gott im Him¬ mel lachen, als er zu gleicher Zeit Wellington, den Großmufti, den Pabſt, Rothſchild I., Metternich, und einen ganzen Troß von Rit¬ terlingen, Stockjobbern, Pfaffen und Tuͤrken, fuͤr dieſelbe Sache, fuͤr das Heil des Halb¬ monds, beten hoͤrte!

Was die Alarmiſten bisher uͤber die Gefahr gefabelt, der wir durch die Uebergroͤße Rußlands189 ausgeſetzt ſind, iſt thoͤricht. Wenigſtens wir Deutſche haben nichts zu riskiren, etwas mehr oder weniger Knechtlichkeit, darauf darf es uns nicht ankommen, wo das Hoͤchſte, die Befreyung von den Reſten des Feudalismus und Clerikalis¬ mus, zu gewinnen iſt. Man droht uns mit der Herrſchaft der Knute, aber ich will gern etwas Knute aushalten, wenn ich ſicher weiß, daß unſre Feinde ſie mitbekommen. Ich wette aber, ſie werden, wie ſie immer gethan, der neuen Macht entgegen wedeln, und grazioͤſe laͤcheln, und zu den ſchandbarſten Dienſten ſich darbieten, und ſich dafuͤr, da doch einmal geknutet werden muß, das Privilegium einer Ehrenknute ausbedingen, ſo wie der Adlige in Siam, der, wenn er be¬ ſtraft werden ſoll, in einen ſeidenen Sack geſteckt und mit parfuͤmirten Stoͤcken gepruͤgelt wird, ſtatt daß der ſtraffaͤllige Buͤrgerliche nur einen leinenen Sack und keine ſo wohlriechende Pruͤgel bekoͤmmt. Nun, dieſes Privilegium, da es das190 einzige iſt, wollen wir ihnen goͤnnen, wenn ſie nur Pruͤgel bekommen, beſonders die engliſche Nobility. Mag man noch ſo eifrig erinnern, daß es eben dieſe Nobility ſey, die dem Despotismus die Magna Charta abgezwungen, und daß Eng¬ land, bey aller Aufrechthaltung der buͤrgerlichen Standesungleichheit doch die perſoͤnliche Freyheit geſichert, daß England der Zufluchtsort fuͤr freye Geiſter war, wenn der Despotismus den ganzen Continent unterdruͤckte; das ſind tempi passati! England mit ſeinen Ariſtokraten gehe jetzt immerhin zu Grunde, freye Geiſter haben jetzt im Nothfall einen noch beſſern Zufluchtsort, wuͤrde auch ganz Europa ein einziger Kerker, ſo gaͤbe es jetzt noch immer ein anderes Loch zum Entſchluͤpfen, das iſt Amerika, und Gott¬ lob! das Loch iſt noch groͤßer als der Kerker ſelbſt.

Aber das ſind alles laͤcherliche Grillen, ver¬ gleicht man in freyheitlicher Hinſicht England mit191 Rußland, ſo bleibt auch dem Beſorglichſten kein Zweifel uͤbrig, welche Parthey zu erfaſſen ſey. Die Freyheit iſt in England aus hiſtoriſchen Begebenheiten, in Rußland aus Prinzipien her¬ vorgegangen. Wie jene Begebenheiten ſelbſt, ſo tragen auch ihre geiſtigen Reſultate das Ge¬ praͤge des Mittelalters, ganz England iſt erſtarrt in unverjuͤngbaren, mittelalterlichen Inſtituzionen, wohinter ſich die Ariſtokratie verſchanzt und den Todeskampf erwartet. Jene Prinzipien aber, woraus die ruſſiſche Freyheit entſtanden iſt, oder vielmehr taͤglich ſich weiter entfaltet, ſind die liberalen Ideen unſerer neueſten Zeit; die ruſſiſche Regierung iſt durchdrungen von dieſen Ideen, ihr unumſchraͤnkter Abſolutismus iſt vielmehr Diktatur, um jene Ideen unmittelbar ins Leben treten zu laſſen; dieſe Regierung hat nicht ihre Wurzel im Feudalismus und Clerikalismus, ſie iſt der Adel - und Kirchengewalt direkt entgegen¬ ſtrebend; ſchon Catharina hat die Kirche einge¬192 ſchraͤnkt und der ruſſiſche Adel entſteht durch Staats¬ dienſte; Rußland iſt ein demokratiſcher Staat, ich moͤchte es ſogar einen chriſtlichen Staat nennen, wenn ich dieſes oft mißbrauchte Wort in ſeinem ſuͤßeſten, weltbuͤrgerlichſten Sinne anwen¬ den wollte: denn die Ruſſen werden ſchon durch den Umfang ihres Reichs von der Engherzigkeit eines heidniſchen Nazionalſinnes befreyt, ſie ſind Cosmopoliten, oder wenigſtens Sechstel-Cosmopo¬ liten, da Rußland faſt den ſechſten Theil der bewohnten Welt ausmacht

Und wahrlich, wenn irgend ein Deutſchruſſe, wie mein Lieflaͤndiſcher Reiſegefaͤhrte, praleriſch patriotiſch thut, und von unſerem Rußland und unſerem Diebitſch ſpricht, ſo iſt mir als hoͤrte ich einen Haͤring, der das Weltmeer fuͤr ſein Vaterland und den Wallfiſch fuͤr ſeinen Lands¬ mann ausgiebt.

193

Capitel XXXI.

Ich bin gut ruſſiſch ſagte ich auf dem Schlachtfelde von Marengo, und ſtieg fuͤr einige Minuten aus dem Wagen, um meine Morgen¬ andacht zu halten.

Wie unter einem Triumphbogen von koloſſalen Wolkenmaſſen zog die Sonne herauf, ſiegreich, heiter, ſicher, einen ſchoͤnen Tag verheißend. Mir aber war zu Muthe wie dem armen Monde, der verbleichend noch am Himmel ſtand. Er hatte ſeine einſame Laufbahn durchwandelt, in oͤder Nachtzeit, wo das Gluͤck ſchlief und nur13194Geſpenſter, Eulen und Suͤnder ihr Weſen trie¬ ben; und jetzt, wo der junge Tag hervorſtieg, mit jubelnden Strahlen und flatterndem Morgen¬ roth, jetzt mußte er von dannen noch ein wehmuͤthiger Blick nach dem großen Weltlicht, und er verſchwand wie duftiger Nebel.

Es wird ein ſchoͤner Tag werden! rief mein Reiſegefaͤhrte aus dem Wagen mir zu. Ja, es wird ein ſchoͤner Tag werden, wiederholte leiſe mein betendes Herz, und zitterte vor Wehmuth und Freude. Ja, es wird ein ſchoͤner Tag werden, die Freyheitsſonne wird die Erde gluͤck¬ licher waͤrmen, als die Ariſtokratie ſaͤmmtlicher Sterne; emporbluͤhen wird ein neues Geſchlecht, das erzeugt worden in freyer Wahlumarmung, nicht im Zwangsbette und unter der Controlle geiſtlicher Zoͤllner; mit der freyen Geburt werden auch in den Menſchen freye Gedanken und Ge¬ fuͤhle zur Welt kommen, wovon wir geborenen195 Knechte keine Ahnung haben O! ſie werden eben ſo wenig ahnen, wie entſetzlich die Nacht war, in deren Dunkel wir leben mußten, und wie grauenhaft wir zu kaͤmpfen hatten, mit haͤßlichen Geſpenſtern, dumpfen Eulen und ſcheinheiligen Suͤndern! O wir armen Kaͤmpfer! die wir unſre Lebenszeit in ſolchem Kampfe vergeuden mußten, und muͤde und bleich ſind, wenn der Siegestag hervorſtrahlt! Die Glut des Sonnen¬ aufgangs wird unſre Wangen nicht mehr roͤthen und unſre Herzen nicht mehr waͤrmen koͤnnen, wir ſterben dahin wie der ſcheidende Mond allzu kurz gemeſſen iſt des Menſchen Wanderbahn, an deren Ende das unerbittliche Grab.

Ich weiß wirklich nicht, ob ich es verdiene, daß man mir einſt mit einem Lorbeerkranze den Sarg verziere. Die Poeſie, wie ſehr ich ſie auch liebte, war mir immer nur heiliges Spiel¬ zeug, oder geweihtes Mittel fuͤr himmliſche13 *196Zwecke. Ich habe nie großen Werth gelegt auf Dichter-Ruhm, und ob man meine Lieder preiſet oder tadelt, es kuͤmmert mich wenig. Aber ein Schwert ſollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Be¬ freyungskriege der Menſchheit.

197

Capitel XXXII.

Waͤhrend der Mittagshitze ſuchten wir Ob¬ dach in einem Franziskanerkloſter, das auf einer bedeutenden Anhoͤhe lag, und mit ſeinen duͤſtern Zypreſſen und weißen Moͤnchen, wie ein Jagd¬ ſchloß des Glaubens, hinabſchaute in die heiter gruͤnen Thaͤler des Appenins. Es war ein ſchoͤ¬ ner Bau; wie ich denn, außer der Karthauſe zu Monza, die ich nur von außen ſah, noch ſehr merkwuͤrdigen Kloͤſtern und Kirchen vorbey ge¬ kommen bin. Ich wußte oft nicht, ſollte ich mehr die Schoͤnheit der Gegend bewundern, oder die Groͤße der alten Kirchen, oder die eben ſo198 große, ſteinfeſte Geſinnung ihrer Erbauer, die wohl vorausſehen konnten, daß erſt ſpaͤte Urenkel im Stande ſeyn wuͤrden, ſolch ein Bauwerk zu vollenden, und die deſſen ohngeachtet ganz ruhig den Grundſtein legten, und Stein auf Stein trugen, bis der Tod ſie von der Arbeit abrief, und andere Baumeiſter das Werk fortſetzten und ſich nachher ebenfalls zur Ruhe begaben alle im feſten Glauben an die Ewigkeit der katholi¬ ſchen Religion und im feſten Vertrauen auf die gleiche Denkweiſe der folgenden Geſchlechter, die weiter bauen wuͤrden wo die Vorfahren auf¬ gehoͤrt.

Es war der Glaube der Zeit, und die alten Baumeiſter lebten und entſchliefen in dieſem Glauben. Da liegen ſie nun vor den Thuͤren jener alten Kirchen, und es iſt zu wuͤnſchen, daß ihr Schlaf recht feſt ſey, und das Lachen der neuen Zeit ſie nicht erwecke. Abſonderlich fuͤr199 ſolche, die vor einem von den alten Domen lie¬ gen, die nicht fertig geworden ſind, fuͤr ſolche waͤre es ſehr ſchlimm, wenn ſie des Nachts ploͤtzlich erwachten, und im ſchmerzlichen Mond¬ ſchein ihr unvollendetes Tagewerk ſaͤhen, und bald merkten, daß die Zeit des Weiterbauens aufgehoͤrt hat und daß ihr ganzes Leben nutzlos war und dumm.

So ſpricht die jetzige neue Zeit, die eine andere Aufgabe hat, einen anderen Glauben.

Ich hoͤrte einſt in Coͤlln, wie ein kleiner Bube ſeine Mutter frug: warum man die hal¬ ben Dome nicht fertig baue? Es war ein ſchoͤner Bube, und ich kuͤßte ihm die klugen Augen, und da die Mutter ihm keine rechte Antwort geben konnte, ſo ſagte ich ihm: daß jetzt die Menſchen ganz etwas anderes zu thun haͤtten.

200

Unfern von Genua, auf der Spitze der Appeninen, ſieht man das Meer, zwiſchen den gruͤnen Gebirgsgipfeln kommt die blaue Fluth zum Vorſchein, und Schiffe, die man hie und da erblickt, ſcheinen mit vollen Segeln uͤber die Berge zu fahren. Hat man aber dieſen Anblick zur Zeit der Daͤmmerung, wo die letzten Son¬ nenlichter mit den erſten Abendſchatten ihr wun¬ derliches Spiel beginnen, und alle Farben und Formen ſich nebelhaft verweben: dann wird einem ordentlich maͤrchenhaft zu Muthe, der Wagen raſſelt bergab, die ſchlaͤfrig ſuͤßeſten Bil¬ der der Seele werden aufgeruͤttelt und nicken wieder ein, und es traͤumt einem endlich, man ſey in Genua.

201

Capitel XXXIII.

Dieſe Stadt iſt alt ohne Alterthuͤmlichkeit, eng ohne Traulichkeit, und haͤßlich uͤber alle Maßen. Sie iſt auf einem Felſen gebaut, am Fuße von amphitheatraliſchen Bergen, die den ſchoͤnſten Meerbuſen gleichſam umarmen. Die Genueſer erhielten daher von der Natur den beſten und ſicherſten Hafen. Da, wie geſagt, die ganze Stadt auf einem einzigen Felſen ſteht, ſo mußten, der Raum-Erſparniß wegen, die Haͤuſer ſehr hoch und die Straßen ſehr eng gebaut werden, ſo daß dieſe faſt alle dunkel ſind, und nur auf zweyen derſelben ein Wagen fahren kann. Aber die202 Haͤuſer dienen hier den Einwohnern, die meiſtens Kaufleute ſind, faſt nur zu Waarenlagern, und des Nachts zu Schlafſtellen; den ſchachernden Tag uͤber laufen ſie umher in der Stadt oder ſitzen vor ihrer Hausthuͤre, oder vielmehr in der Hausthuͤre, denn ſonſt wuͤrden ſich die Gegen¬ uͤberwohnenden einander mit den Knieen beruͤhren.

Von der Seeſeite, beſonders gegen Abend, gewaͤhrt die Stadt einen beſſern Anblick. Da liegt ſie am Meere, wie das gebleichte Skelett eines ausgeworfenen Rieſenthiers, dunkle Amei¬ ſen, die ſich Genueſer nennen, kriechen darin herum, die blauen Meereswellen beſpuͤlen es plaͤtſchernd wie ein Ammenlied, der Mond, das blaſſe Auge der Nacht, ſchaut mit Wehmuth darauf hinab.

Im Garten des Palazzo Doria ſteht der alte Seeheld als Neptun in einem großen Waſſer¬203 baſſin. Aber die Statue iſt verwittert und ver¬ ſtuͤmmelt, das Waſſer ausgetrocknet, und die Moͤven niſten in den ſchwarzen Zypreſſen. Wie ein Knabe, der immer ſeine Komoͤdien im Kopf hat, dachte ich bey dem Namen Doria gleich an Friedrich Schiller, den edelſten, wenn auch nicht groͤßten Dichter der Deutſchen.

Obgleich meiſtens im Verfall, ſind die Pallaͤſte der ehemaligen Machthaber von Genua, der Nobili, dennoch ſehr ſchoͤn, und mit Pracht uͤber¬ laden. Sie ſtehen meiſtens auf den zwey großen Straßen, genannt Strada nuova und Balbi. Der Pallaſt Durazzo iſt der merkwuͤrdigſte. Hier ſind gute Bilder und darunter Paul Veroneſe's Chriſtus, dem Magdalena die gewaſchenen Fuͤße abtrocknet. Dieſe iſt ſo ſchoͤn, daß man fuͤrchten ſollte, ſie werde gewiß noch einmal verfuͤhrt werden. Ich ſtand lange vor ihr ach, ſie ſchaute nicht auf! Chriſtus ſteht da wie ein Religionshamlet: go204 to a nunnery. Hier fand ich auch einige Hollaͤnder und vorzuͤgliche Bilder von Rubens; letztere ganz durchdrungen von der koloſſalen Heiterkeit dieſes niederlaͤndiſchen Titanen, deſſen Geiſtesfluͤgel ſo ſtark waren, daß er bis zur Sonne emporflog, obgleich hundert Centner hol¬ laͤndiſcher Kaͤſe an ſeinen Beinen hingen. Ich kann dem kleinſten Bilde dieſes großen Malers nicht voruͤbergehen ohne den Zoll meiner Bewun¬ drung zu entrichten. Um ſo mehr, da es jetzt Mode wird, ihn, ob ſeines Mangels an Ideali¬ taͤt, nur mit Achſelzucken zu betrachten. Die hiſtoriſche Schule zu Muͤnchen zeigt ſich beſonders groß in ſolcher Betrachtung. Man ſehe nur mit welcher vornehmen Geringſchaͤtzung der langhaarige Cornelianer durch den Rubensſaal wandelt! Viel¬ leicht aber iſt der Irrthum der Juͤnger erklaͤrlich, wenn man den großen Gegenſatz betrachtet, den Peter Cornelius zu Peter Paul Rubens bildet. Es laͤßt ſich faſt kein groͤßerer Gegenſatz erſin¬205 nen und nichts deſtoweniger iſt mir biswei¬ len zu Sinn, als haͤtten beide dennoch Aehn¬ lichkeiten, die ich mehr ahnen als anſchauen koͤnne. Vielleicht ſind landsmannſchaftliche Ei¬ genheiten in ihnen verborgen, die den dritten Landsmann, nemlich mich, wie leiſe heimiſche Laute anſprechen. Dieſe geheime Verwandtſchaft beſteht aber nimmermehr in der niederlaͤndiſchen Heiterkeit und Farbenluſt, die uns aus allen Bildern des Rubens entgegenlacht, ſo daß man meynen ſollte, er habe ſie im freudigen Rhein¬ weinrauſch gemalt, waͤhrend tanzende Kirmes¬ muſik um ihn her jubelte. Wahrlich die Bilder des Cornelius ſcheinen eher am Charfreytage ge¬ malt zu ſeyn, waͤhrend die ſchwermuͤthigen Leidens¬ lieder der Prozeſſion durch die Straßen zogen und im Atelier und Herzen des Malers wieder¬ hallten. In der Produktivitaͤt, in der Schoͤpfungs¬ kuͤhnheit, in der genialen Urſpruͤnglichkeit, ſind ſich beide aͤhnlicher, beide ſind geborne Maler,206 und gehoͤren zu dem Cyklus großer Meiſter, die groͤßtentheils zur Zeit des Raphael bluͤhten, einer Zeit, die auf Rubens noch ihren unmittelbaren Einfluß uͤben konnte, die aber von der unſrigen ſo abgeſchieden iſt, daß wir ob der Erſcheinung des Peter Cornelius faſt erſchrecken, daß er uns manchmal vorkommt, wie der Geiſt eines jener großen Maler aus raphaelſcher Zeit, der aus dem Grabe hervorſteige, um noch einige Bilder zu malen, ein todter Schoͤpfer, ſelbſtbeſchworen durch das mitbegrabene, inwohnende Lebens¬ wort. Betrachten wir ſeine Bilder, ſo ſehen ſie uns an, wie mit Augen des funfzehnten Jahr¬ hunderts, geſpenſtiſch ſind die Gewaͤnder, als rauſchten ſie uns vorbey um Mitternacht, zau¬ berkraͤftig ſind die Leiber, traumrichtig gezeichnet, gewaltſam wahr, nur das Blut fehlt ihnen, das[pulſirende] Leben, die Farbe. Ja, Cornelius iſt ein Schoͤpfer, doch betrachten wir ſeine Geſchoͤpfe, ſo will es uns beduͤnken, als koͤnnten ſie alle207 nicht lange leben, als ſeyen ſie alle eine Stunde vor ihrem Tode gemalt, als truͤgen ſie alle die wehmuͤthige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer Heiterkeit erregen die Geſtalten des Rubens ein aͤhnliches Gefuͤhl in unſerer Seele, dieſe ſcheinen ebenfalls den Todeskeim in ſich zu tragen, und es iſt uns, als muͤßten ſie eben durch ihre Lebens¬ uͤberfuͤlle, durch ihre rothe Vollbluͤtigkeit, ploͤtzlich vom Schlage geruͤhrt werden. Das iſt ſie viel¬ leicht, die geheime Verwandſchaft, die wir in der Vergleichung beider Meiſter ſo wunderſam ahnen. Die hoͤchſte Luſt in einigen Bildern des Rubens und der tiefſte Truͤbſinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht daſſelbe Ge¬ fuͤhl. Woher aber dieſer Truͤbſinn bey einem Niederlaͤnder? Es iſt vielleicht eben das ſchaurige Bewußtſeyn, daß er einer laͤngſt verklungenen Zeit angehoͤrt und ſein Leben eine myſtiſche Nach¬ ſendung iſt denn ach! er iſt nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt lebt, ſondern viel¬208 leicht auch der letzte, der auf dieſer Erde malen wird; vor ihm, bis zur Zeit der Caraccis, iſt ein langes Dunkel, und hinter ihm ſchlagen wieder die Schatten zuſammen, ſeine Hand iſt eine lichte, einſame Geiſterhand in der Nacht der Kunſt, und die Bilder, die ſie malt, tragen die unheimliche Trauer ſolcher ernſten, ſchroffen Ab¬ geſchiedenheit. Ich habe dieſe letzte Malerhand nie ohne geheimen Schauer betrachten koͤnnen, wenn ich den Mann ſelbſt ſah, den kleinen ſcharfen Mann mit den heißen Augen; und doch wieder erregte dieſe Hand in mir das Gefuͤhl der traulichſten Pietaͤt, da ich mich erinnerte, daß ſie mir einſt liebreich auf den kleinen Fingern lag, und mir einige Geſichtskonturen ziehen half, als ich, ein kleines Buͤbchen, auf der Akademie zu Duͤſſeldorf zeichnen lernte.

209

Capitel XXXIV.

Die Sammlung von Portraits ſchoͤner Ge¬ nueſerinnen, die im Pallaſt Durazzo gezeigt wird, darf ich nimmermehr unerwaͤhnt laſſen. Nichts auf der Welt kann unſre Seele trauriger ſtimmen, als ſolcher Anblick von Portraits ſchoͤner Frauen, die ſchon ſeit einigen Jahrhunder¬ ten todt ſind. Melancholiſch uͤberkriecht uns der Gedanke: daß von den Originalen jener Bilder, von all jenen Schoͤnen, die ſo lieblich, ſo kokett, ſo witzig, ſo ſchalkhaft und ſo ſchwaͤrmeriſch waren, von all jenen Maykoͤpfchen mit April¬ launen, von jenem ganzen Frauenfruͤhling nichts14210uͤbrig geblieben iſt, als dieſe bunten Schatten, die ein Maler, der gleich ihnen laͤngſt vermodert iſt, auf ein morſch Stuͤckchen Leinwand gepinſelt hat, das ebenfalls mit der Zeit in Staub zer¬ faͤllt und verweht. So geht alles Leben, das Schoͤne eben ſo wie das Haͤßliche, ſpurlos vor¬ uͤber, der Tod, der duͤrre Pedant, verſchont die Roſe eben ſo wenig wie die Diſtel, er vergißt auch nicht das einſame Haͤlmchen in der fernſten Wildniß, er zerſtoͤrt gruͤndlich und unaufhoͤrlich, uͤberall ſehen wir, wie er Pflanzen und Thiere, die Menſchen und ihre Werke, zu Staub zer¬ ſtampft, und ſelbſt jene egyptiſchen Pyramiden, die ſeiner Zerſtoͤrungswuth zu trotzen ſcheinen, ſie ſind nur Trophaͤen ſeiner Macht, Denkmaͤler der Vergaͤnglichkeit, uralte Koͤnigsgraͤber.

Aber noch ſchlimmer als dieſes Gefuͤhl eines ewigen Sterbens, einer oͤden gaͤhnenden Vernich¬ tung, ergreift uns der Gedanke, daß wir nicht211 einmal als Originale dahinſterben, ſondern als Copien von laͤngſtverſchollenen Menſchen, die geiſtig und koͤrperlich uns gleich waren, und daß nach uns wieder Menſchen geboren werden, die wieder ganz ausſehen und fuͤhlen und denken werden wie wir, und die der Tod ebenfalls wie¬ der vernichten wird ein troſtlos ewiges Wieder¬ holungsſpiel, wobey die zeugende Erde beſtaͤndig hervorbringen und mehr hervorbringen muß, als der Tod zu zerſtoͤren vermag, ſo daß ſie, in ſolcher Noth, mehr fuͤr die Erhaltung der Gattungen als fuͤr die Originalitaͤt der Individuen ſorgen kann.

Wunderbar erfaßten mich die myſtiſchen Schauer dieſes Gedankens, als ich im Pallaſt Durazzo die Portraits der ſchoͤnen Genueſerinnen ſah, und unter dieſen ein Bild, das in meiner Seele einen ſuͤßen Sturm erregte, wovon mir noch jetzt, wenn ich daran denke, die Augenwimpern zittern Es war das Bild der todten Maria.

14 *212

Der Aufſeher der Gallerie meinte zwar, das Bild ſtelle eine Herzogin von Genua vor, und im ciceroniſchen Tone ſetzte er hinzu: es iſt ge¬ malt von Giorgio Barbarelli da Caſtelfranco nel Trevigiano, genannt Giorgione, er war einer der groͤßten Maler der venezianiſchen Schule, wurde geboren im Jahr 1477[und] ſtarb im Jahr 1511.

Laſſen Sie das gut ſeyn, Signor Cusdode. Das Bild iſt gut getroffen, mag es immerhin ein Paar Jahrhunderte im voraus gemalt ſeyn, das iſt kein Fehler. Zeichnung richtig, Farbenge¬ bung vorzuͤglich, Faltenwurf des Bruſtgewandes[ganz] vortrefflich. Haben Sie doch die Guͤte, das Bild fuͤr einige Augenblicke von der Wand herabzu¬ nehmen, ich will nur den Staub von den Lippen abblaſen und auch die Spinne, die in der Ecke des[Rahmens] ſitzt, fortſcheuchen Maria hatte immer einen Abſcheu vor Spinnen.

Excellenza ſcheinen ein Kenner zu ſeyn.

213

Daß ich nicht wuͤßte, Signor Cusdode. Ich habe das Talent, bey manchen Bildern ſehr ge¬ ruͤhrt zu werden, und es wird mir dann etwas feucht in den Augen. Aber was ſehe ich! von wem iſt das Portrait des Mannes im ſchwarzen Mantel, das dort haͤngt?

Es iſt ebenfalls von Giorgione, ein Meiſterſtuͤck.

Ich bitte Sie, Signor, haben Sie doch die Guͤte, es ebenfalls von der Wand herabzunehmen und einen Augenblick hier neben dem Spiegel zu halten, damit ich vergleichen kann ob ich dem Bilde aͤhnlich ſehe.

Excellenza ſind nicht ſo blaß. Das Bild iſt ein Meiſterſtuͤck von Giorgione; er war Rival des Tiziano, wurde geboren im Jahr 1477 und ſtarb im Jahr 1511.

Lieber Leſer, der Giorgione iſt mir weit lieber als der Tiziano, und ich bin ihm beſonders Dank ſchuldig, daß er mir die Maria gemalt. Du wirſt gewiß eben ſo gut wie ich einſehen, daß Gior¬214 gione fuͤr mich das Bild gemalt hat, und nicht fuͤr irgend einen alten Genueſer. Und es iſt ſehr gut getroffen, todtſchweigend getroffen, es fehlt nicht einmal der Schmerz im Auge, ein Schmerz der mehr einem getraͤumten als einem erlebten Leide galt, und ſehr ſchwer zu malen war. Das ganze Bild iſt wie hingeſeufzt auf die Leinwand. Auch der Mann im ſchwarzen Mantel iſt gut gemalt, und die malizioͤs ſenti¬ mentalen Lippen ſind gut getroffen, ſprechend ge¬ troffen, als wollten ſie eben eine Geſchichte er¬ zaͤhlen Es iſt die Geſchichte von dem Ritter, der ſeine Geliebte aus dem Tode aufkuͤſſen wollte, und als das Licht erloſch

[215]

II. Die Baͤder von Lukka.

[216]
Ich bin wie Weib dem Manne
Graf Auguſt v. Platen Hallermuͤnde.
Will der Herr Graf ein Taͤnzchen wagen,
So mag ers ſagen,
Ich ſpiel ihm auf.
Figaro.
[217]

Karl Immermann, dem Dichter, widmet dieſe Blaͤtter, als ein Zeichen freudigſter Verehrung, der Verfaſſer.

[218][219]

Capitel I.

Als ich zu Mathilden ins Zimmer trat, hatte ſie den letzten Knopf des gruͤnen Reitkleides zugeknoͤpft, und wollte eben einen Hut mit weißen Federn aufſetzen. Sie warf ihn raſch von ſich, ſobald ſie mich erblickte, mit ihren wallend gol¬ nen Locken ſtuͤrzte ſie mir entgegen Doktor des Himmels und der Erde! rief ſie, und nach alter Gewohnheit ergriff ſie meine beiden Ohr¬ lappen und kuͤßte mich mit der drolligſten Herz¬ lichkeit.

Wie gehts, Wahnſinnigſter der Sterblichen! Wie gluͤcklich bin ich Sie wiederzuſehen! Denn220 ich werde nirgends auf dieſer weiten Welt einen verruͤckteren Menſchen finden. Narren und Dummkoͤpfe giebt es genug, und man erzeigt ihnen oft die Ehre, ſie fuͤr verruͤckt zu halten; aber die wahre Verruͤcktheit iſt ſo ſelten wie die wahre Weisheit, ſie iſt vielleicht gar nichts anderes als Weisheit, die ſich geaͤrgert hat, daß ſie alles weiß, alle Schaͤndlichkeiten dieſer Welt, und die deshalb den weiſen Entſchluß gefaßt hat, verruͤckt zu werden. Die Orientalen ſind ein geſcheutes Volk, ſie verehren einen Ver¬ ruͤckten wie einen Propheten, wir aber halten jeden Propheten fuͤr verruͤckt.

Aber, Mylady, warum haben Sie mir nicht geſchrieben?

Gewiß, Doktor, ich ſchrieb Ihnen einen lan¬ gen Brief, und bemerkte auf der Adreſſe: abzu¬ geben in Neu-Bedlam. Da Sie aber, gegen alle Vermuthung nicht dort waren, ſo ſchickte man den Brief nach St. Luze, und da ſie auch221 hier nicht waren, ſo ging er weiter nach einer aͤhnlichen Anſtalt, und ſo machte er die Ronde durch alle Tollhaͤuſer Englands, Schottlands und Irlands, bis man ihn mir zuruͤckſchickte mit der Bemerkung, daß der Gentleman, den die Adreſſe bezeichne, noch nicht eingefangen ſey. Und in der That, wie haben Sie es angefangen, daß Sie immer noch auf freyen Fuͤßen ſind?

Hab's pfiffig angefangen, Mylady. Ueberall, wohin ich kam, wußt 'ich mich um die Tollhaͤuſer herumzuſchleichen, und ich denke, es wird mir auch in Italien gelingen.

O, Freund, hier ſind Sie ganz ſicher; denn erſtens iſt gar kein Tollhaus in der Naͤhe, und zweitens haben wir hier die Oberhand.

Wir? Mylady! Sie zaͤhlen ſich alſo zu den Unſeren? Erlauben Sie, daß ich Ihnen den Bruderkuß auf die Stirne druͤcke.

Ach! ich meyne wir Badegaͤſte, worunter ich wahrlich noch die Vernuͤnftigſte bin Und nun222 machen Sie ſich leicht einen Begriff von der Verruͤckteſten, nemlich von Julie Maxfield, die beſtaͤndig behauptet, gruͤne Augen bedeuten den Fruͤhling der Seele; dann haben wir noch zwey junge Schoͤnheiten

Gewiß engliſche Schoͤnheiten, Mylady

Doktor, was bedeutet dieſer ſpoͤttiſche Ton? Die gelbfettigen Makaronigeſichter in Italien muͤſſen Ihnen ſo gut ſchmecken, daß Sie keinen Sinn mehr haben fuͤr brittiſche

Plumpuddings mit Roſinenaugen, Roſtbeef¬ buſen feſtonirt mit weißen Meerrettig-Streifen, ſtolze Paſteten

Es gab eine Zeit, Doktor, wo Sie jedes¬ mal in Verzuͤckung geriethen, wenn Sie eine ſchoͤne Englaͤnderin ſahen

Ja, das war damals! Ich bin noch immer nicht abgeneigt Ihren Landsmaͤnninnen zu huldi¬ gen; ſie ſind ſchoͤn wie Sonnen, aber Sonnen von Eis, ſie ſind weiß wie Marmor, aber auch223 marmorkalt auf ihren kalten Herzen erfrieren die armen

Oho! ich kenne einen der dort nicht erfroren iſt, und friſch und geſund uͤbers Meer geſprungen, und es war ein großer, deutſcher, impertinenter

Er hat ſich wenigſtens an den brittiſch froſti¬ gen Herzen ſo ſtark erkaͤltet, daß er noch jetzt davon den Schnupfen hat.

Mylady ſchien piquirt uͤber dieſe Antwort, ſie ergriff die Reitgerte, die zwiſchen den Blaͤttern eines Romans, als Leſezeichen, lag, ſchwang ſie um die Ohren ihres weißen Jagdhundes, der leiſe knurrte, hob haſtig ihren Hut von der Erde, ſetzte ihn keck aufs Lockenhaupt, ſah ein paar mal wohlgefaͤllig in den Spiegel, und ſprach ſtolz: Ich bin noch ſchoͤn! Aber ploͤtzlich, wie von einem dunkeln Schmerzgefuͤhl durchſchauert, blieb ſie ſinnend ſtehen, ſtreifte langſam ihren weißen Handſchuh von der Hand, reichte ſie mir,224 und meine Gedanken pfeilſchnell ertappend, ſprach ſie: Nicht wahr, dieſe Hand iſt nicht mehr ſo ſchoͤn, wie in Ramsgate? Mathilde hat unter¬ deſſen viel gelitten!

Lieber Leſer, man kann es den Glocken ſelten anſehen, wo ſie einen Riß haben, und nur an ihrem Tone merkt man ihn. Haͤtteſt du nun den Klang der Stimme gehoͤrt, womit obige Worte geſprochen wurden, ſo wuͤßteſt du gleich, Myladys Herz iſt eine Glocke vom beſten Metall, aber ein verborgener Riß daͤmpft wunderbar ihre heiterſten Toͤne, und umſchleiert ſie gleichſam mit heimlicher Trauer. Doch ich liebe ſolche Glocken, ſie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen Bruſt; und ich kuͤßte Myladys Hand faſt inniger als ehemals, obgleich ſie minder vollbluͤhend war und einige Adern, etwas allzublau hervortretend, mir ebenfalls zu ſagen ſchienen: Mathilde hat unterdeſſen viel gelitten.

225

Ihr Auge ſah mich an wie ein wehmuͤthig einſamer Stern am herbſtlichen Himmel, und weich und innig ſprach ſie: Sie ſcheinen mich wenig mehr zu lieben, Doktor! Denn nur mit¬ leidig fiel eben Ihre Thraͤne auf meine Hand, faſt wie ein Almoſen.

Wer heißt Sie die ſtumme Sprache meiner Thraͤnen ſo duͤrftig ausdeuten? Ich wette, der weiße Jagdhund, der ſich jetzt an Sie ſchmiegt, verſteht mich beſſer; er ſchaut mich an, und dann wieder Sie, und ſcheint ſich zu wundern, daß die Menſchen, die ſtolzen Herren der Schoͤpfung, innerlich ſo tief elend ſind. Ach, Mylady, nur der verwandte Schmerz entlockt uns die Thraͤne, und jeder weint eigentlich fuͤr ſich ſelbſt.

Genug, genug, Doktor. Es iſt wenigſtens gut, daß wir Zeitgenoſſen ſind und in demſelben Erdwinkel uns gefunden mit unſeren naͤrriſchen Thraͤnen. Ach des Ungluͤcks! wenn Sie vielleicht zweyhundert Jahre fruͤher gelebt haͤtten, wie es15226mir mit meinem Freunde Michael de Cervantes Savedra begegnet, oder gar wenn Sie hundert Jahre ſpaͤter auf die Welt gekommen waͤren als ich, wie ein anderer intimer Freund von mir, deſſen Namen ich nicht einmal weiß, eben weil er ihn erſt bey ſeiner Geburt, Anno 1900, er¬ halten wird! Aber, erzaͤhlen Sie doch, wie haben Sie gelebt ſeit wir uns nicht geſehen?

Ich trieb mein gewoͤhnliches Geſchaͤft, My¬ lady; ich rollte wieder den großen Stein. Wenn ich ihn bis zur Haͤlfte des Berges gebracht, dann rollte er ploͤtzlich hinunter, und ich mußte wieder ſuchen ihn hinaufzurollen, und dieſes Bergauf - und Bergabrollen wird ſich ſo lange wiederholen, bis ich ſelbſt unter dem großen Steine liegen bleibe, und Meiſter Steinmetz mit großen Buch¬ ſtaben darauf ſchreibt: Hier ruht in Gott

Bey Leibe, Doktor, Ich laſſe Ihnen noch keine Ruhe Seyn Sie nur nicht melan¬ choliſch! Lachen Sie, oder ich

227

Nein, kitzeln Sie nicht; ich will lieber von ſelbſt lachen.

So recht. Sie gefallen mir noch, eben ſo gut wie in Ramsgate, wo wir uns zuerſt nahe kamen

Und endlich noch naͤher als nah. Ja, ich will luſtig ſeyn. Es iſt gut, daß wir uns wieder¬ gefunden, und der große deutſche wird ſich wieder ein Vergnuͤgen daraus machen, ſein Leben bey Ihnen zu wagen.

Myladys Augen lachten wie Sonnenſchein nach leiſem Regenſchauer, und ihre gute Laune brach wieder leuchtend hervor, als John her¬ eintrat, und mit dem ſteifſten Lakayen-Pathos Seine Excellenz den Markeſe Chriſtophoro di Gumpelino anmeldete.

Er ſey willkommen! Und Sie, Doktor, wer¬ den einen Pair unſeres Narrenreichs kennen lernen. Stoßen Sie ſich nicht an ſein Aeußeres, beſonders nicht an ſeine Naſe. Der Mann be¬15 *228ſitzt vortreffliche Eigenſchaften, z. B. viel Geld, geſunden Verſtand, und die Sucht alle Narr¬ heiten der Zeit in ſich aufzunehmen; dazu iſt er in meine gruͤnaͤugige Freundin Julie Maxfield verliebt und nennt ſie ſeine Julia und ſich ihren Romeo, und deklamirt und ſeufzt und Lord Maxfield, der Schwager, dem die treue Julia von ihrem Manne anvertraut worden, iſt ein Ar¬ gus

Schon wollte ich bemerken, daß Argus eine Kuh bewachte, als die Thuͤre ſich weit oͤffnete und, zu meinem hoͤchſten Erſtaunen, mein alter Freund, der Banquier Chriſtian Gumpel, mit ſeinem wohlhabenden Laͤcheln und gottgefaͤlligem Bauche, hereinwatſchelte. Nachdem ſeine glaͤnzenden breiten Lippen ſich an Myladys Hand genugſam ge¬ ſcheuert und uͤbliche Geſundheitsfragen hervorge¬ brockt hatten, erkannte er auch mich und in die Arme ſanken ſich die Freunde.

229

Capitel II.

Mathildens Warnung, daß ich mich an die Naſe des Mannes nicht ſtoßen ſolle, war hinlaͤnglich gegruͤndet, und wenig fehlte, ſo haͤtte er mir wirklich ein Auge damit ausgeſtochen. Ich will nichts Schlimmes von dieſer Naſe ſagen; im Gegentheil, ſie war von der edelſten Form, und ſie eben berechtigte meinen Freund ſich wenigſtens einen Markeſe-Titel beyzulegen. Man konnte es ihm naͤmlich an der Naſe anſehen, daß er von gutem Adel war, daß er von einer uralten Welt¬ familie abſtammte, womit ſich ſogar einſt der liebe Gott, ohne Furcht vor Mesallianz, ver¬230 ſchwaͤgert hat. Seitdem iſt dieſe Familie freylich etwas heruntergekommen, ſo daß ſie ſeit Carl dem Großen, meiſtens durch den Handel mit alten Hoſen und hamburger Lotteriezetteln, ihre Sub¬ ſiſtenz erwerben mußte, ohne jedoch im mindeſten von ihrem Ahnenſtolze abzulaſſen oder jemals die Hoffnung aufzugeben, einſt wieder ihre alten Guͤter, oder wenigſtens hinreichende Emigranten¬ Entſchaͤdigung zu erhalten, wenn ihr alter legi¬ timer Souverain ſein Reſtaurationsverſprechen erfuͤllt, ein Verſprechen, womit er ſie ſchon zwey Jahrtauſende an der Naſe herumgefuͤhrt. Sind vielleicht ihre Naſen eben durch dieſes lange an der Naſe Herumgefuͤhrtwerden, ſo lang gewor¬ den? Oder ſind dieſe langen Naſen eine Art Uniform, woran der Gottkoͤnig Jehovah ſeine alten Leibgardiſten erkennt, ſelbſt wenn ſie deſertirt ſind? Der Markeſe Gumpelino war ein ſolcher Deſerteur, aber er trug noch immer ſeine Uniform, und ſie war ſehr brillant, beſaͤet231 mit Kreuzchen und Sternchen von Rubinen, einem rothen Adlerorden in Miniatur, und ande¬ ren Decorazionen.

Sehen Sie, ſagte Mylady, das iſt meine Lieblingsnaſe, und ich kenne keine ſchoͤnere Blume auf dieſer Erde.

Dieſe Blume, ſchmunzlaͤchelte Gumpelino, kann ich Ihnen nicht an den ſchoͤnen Buſen legen, ohne daß ich mein bluͤhendes Antlitz hinzulege, und dieſe Beylage wuͤrde Sie vielleicht in der heutigen Hitze etwas geniren. Aber ich bringe Ihnen eine nicht minder koͤſtliche Blume, die hier ſelten iſt

Bey dieſen Worten oͤffnete der Markeſe die fließpapierne Tuͤte, die er mitgebracht, und mit langſamer Sorgfalt zog er daraus hervor eine wunderſchoͤne Tulpe.

Kaum erblickte Mylady dieſe Blume, ſo ſchrie ſie aus vollem Halſe: Morden! morden! wollen232 Sie mich morden? Fort, fort mit dem ſchrecklichen Anblick! Dabey gebehrdete ſie ſich, als wolle man ſie umbringen, hielt ſich die Haͤnde vor die Augen, rannte unſinnig im Zimmer umher, verwuͤnſchte Gumpelinos Naſe und Tulpe, klin¬ gelte, ſtampfte den Boden, ſchlug den Hund mit der Reitgerte, daß er laut aufbellte, und als John hereintrat, rief ſie, wie Kean als Koͤnig Richard:

Ein Pferd! ein Pferd!
Ein Koͤnigthum fuͤr ein Pferd!

und ſtuͤrmte, wie ein Wirbelwind, von dannen.

Eine kurioſe Frau! ſprach Gumpelino, vor Erſtaunen bewegungslos und noch immer die Tulpe in der Hand haltend, ſo daß er einem jener Goͤtzenbilder glich, die mit Lotosblumen in den Haͤnden, auf altindiſchen Denkmaͤlern zu ſchauen ſind. Ich aber kannte die Dame und ihre Idio¬ ſynkraſie weit beſſer, mich ergoͤtzte dieſes Schau¬233 ſpiel uͤber alle Maßen, ich oͤffnete das Fenſter[und] rief: Mylady, was ſoll ich von Ihnen denken? Iſt das Vernunft, Sitte beſonders iſt das Liebe?

Da lachte herauf die wilde Antwort:

Wenn ich zu Pferd bin, ſo will ich ſchwoͤren
Ich liebe Dich unendlich.
234

Capitel III.

Eine kurioſe Frau! wiederholte Gumpelino, als wir uns auf den Weg machten ſeine beiden Freundinnen, Signora Laͤtizia und Signora Franſcheska, deren Bekanntſchaft er mir verſchaffen wollte, zu beſuchen. Da die Wohnung dieſer Damen auf einer etwas entfernten Anhoͤhe lag, ſo erkannte ich um ſo dankbarer die Guͤte meines wohlbeleibten Freundes, der das Bergſteigen etwas beſchwerlich fand, und auf jedem Huͤgel athemſchoͤpfend ſtehen blieb, und O Jeſu! ſeufzte.

Die Wohnungen in den Baͤdern von Lukka nemlich ſind entweder unten in einem Dorfe, das235 von hohen Bergen umſchloſſen iſt, oder ſie liegen auf einem dieſer Berge ſelbſt, unfern der Haupt¬ quelle, wo eine pittoreske Haͤuſergruppe in das reitzende Thal hinabſchaut. Einige liegen aber auch einzeln zerſtreut an den Bergesabhaͤngen, und man muß muͤhſam hinaufklimmen durch Weinreben, Myrtengeſtraͤuch, Geisblatt, Lorbeer¬ buͤſche, Oleander, Geranikum und andre vornehme Blumen und Pflanzen, ein wildes Paradies. Ich habe nie ein reizenderes Thal geſehen, be¬ ſonders wenn man von der Teraſſe des oberen Bades, wo die ernſtgruͤnen Zypreſſen ſtehen, ins Dorf hinabſchaut. Man ſieht dort die Bruͤcke, die uͤber ein Fluͤßchen fuͤhrt, welches Lima heißt, und das Dorf in zwey Theile durchſchneidend, an beiden Enden in maͤßigen Waſſerfaͤllen, uͤber Felſenſtuͤcke dahinſtuͤrzt, und ein Geraͤuſch her¬ vorbringt, als wolle es die angenehmſten Dinge ſagen und koͤnne vor dem allſeitig plaudernden Echo nicht zu Worten kommen.

236

Der Hauptzauber dieſes Thals liegt aber ge¬ wiß in dem Umſtand, daß es nicht zu groß iſt und nicht zu klein, daß die Seele des Beſchauers nicht gewaltſam erweitert wird, vielmehr ſich eben¬ maͤßig mit dem herrlichen Anblick fuͤllt, daß die Haͤupter der Berge ſelbſt, wie die Appeninen uͤberall, nicht abentheuerlich gothiſch erhaben mi߬ geſtaltet ſind, gleich den Bergkarikaturen, die wir eben ſowohl wie die Menſchenkarikaturen, in germaniſchen Laͤndern finden: ſondern, daß ihre edelgeruͤndeten, heiter gruͤnen Formen faſt eine Kunſtciviliſazion ausſprechen, und gar melodiſch mit dem blaßblauen Himmel zuſammenklingen.

O Jeſu! aͤchzte Gumpelino, als wir, muͤhſamen Steigens und von der Morgenſonne ſchon etwas ſtark gewaͤrmt, oberwaͤhnte Zypreſſenhoͤhe erreich¬ ten, und, ins Dorf hinabſchauend, unſere engliſche Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantiſches Maͤhrchenbild, uͤber die Bruͤcke jagen, und eben ſo traumſchnell wieder verſchwinden ſahen. O Jeſu!237 welch eine kurioſe Frau, wiederholte einigemal der Markeſe. In meinem gemeinen Leben iſt mir noch keine ſolche Frau vorgekommen. Nur in Comoͤdien findet man dergleichen, und ich glaube z. B. die Holzbecher wuͤrde die Rolle gut ſpielen. Sie hat etwas von einer Nixe. Was denken Sie?

Ich denke, Sie haben Recht, Gumpelino. Als ich mit ihr von London nach Rotterdam fuhr, ſagte der Schiffskapitain, ſie gliche einer mit Pfeffer beſtreuten Roſe. Zum Dank, fuͤr dieſe pikante Vergleichung, ſchuͤttete ſie eine ganze Pfefferbuͤchſe auf ſeinen Kopf aus, als ſie ihn einmal in der Kajuͤte eingeſchlummert fand, und man konnte ſich dem Manne nicht mehr naͤhern ohne zu nieſen.

Eine kurioſe Frau! ſprach wieder Gumpelino. So zart wie weiße Seide und eben ſo ſtark, und ſitzt zu Pferde eben ſo gut wie ich. Wenn ſie nur nicht ihre Geſundheit zu Grunde reitet. 238Sahen Sie nicht eben den langen, magern Eng¬ laͤnder, der auf ſeinem magern Gaul, hinter ihr herjagte, wie die galoppirende Schwindſucht? Das Volk reitet zu leidenſchaftlich, giebt alles Geld in der Welt fuͤr Pferde aus. Lady Max¬ fields Schimmel koſtet dreyhundert goldne, leben¬ dige Louisdore ach! und die Louisdore ſtehen ſo hoch und ſteigen noch taͤglich.

Ja, die Louisd'or werden noch ſo hoch ſtei¬ gen, daß ein armer Gelehrter, wie unſer einer, ſie gar nicht mehr wird erreichen koͤnnen.

Sie haben keinen Begriff davon, Herr Doktor, wie viel Geld ich ausgeben muß, und dabey be¬ helfe ich mich mit einem einzigen Bedienten, und nur wenn ich in Rom bin, halte ich mir einen Kapellan fuͤr meine Hauskapelle. Sehen Sie, da kommt mein Hyazinth.

Die kleine Geſtalt, die in dieſem Augenblick bey der[Windung] eines Huͤgels zum Vorſchein kam, haͤtte vielmehr den Namen einer Feuerlilje239 verdient. Es war ein ſchlotternd weiter Schar¬ lachrock, uͤberladen mit Goldtreſſen, die im Son¬ nenglanze ſtrahlten, und aus dieſer rothen Pracht ſchwitzte ein Koͤpfchen hervor, das mir ſehr wohl¬ bekannt zunickte. Und wirklich, als ich das blaͤßlich beſorgliche Geſichtchen und die geſchaͤftig zwinkenden Aeuglein naͤher betrachtete, erkannte ich jemanden, den ich eher auf dem Berg Sinai als auf den Appeninen erwartet haͤtte, und das war kein anderer als Herr Hirſch, Schutzbuͤrger in Hamburg, ein Mann, der nicht bloß immer ein ſehr ehrlicher Lotteriekollecteur geweſen, ſon¬ dern ſich auch auf Huͤhneraugen und Juwelen verſteht, dergeſtalt, daß er erſtere von letzteren nicht bloß zu unterſcheiden weiß, ſondern auch die Huͤhneraugen ganz geſchickt auszuſchneiden und die Juwelen ganz genau zu taxiren weiß.

Ich bin guter Hoffnung ſprach er, als er mir naͤher kam daß Sie mich noch kennen, ob¬ gleich ich nicht mehr Hirſch heiße. Ich heiße jetzt240 Hyazinth und bin der Kammerdiener des Herrn Gumpel.

Hyacinth! rief dieſer, in ſtaunender Aufwal¬ lung uͤber die Indiskrezion des Dieners.

Seyn Sie nur ruhig, Herr Gumpel, oder Herr Gumpelino, oder Herr Markeſe, oder Eure Excellenza, wir brauchen uns gar nicht vor die¬ ſem Herrn zu geniren, der kennt mich, hat manches Loos bey mir geſpielt, und ich moͤcht 'ſogar drauf ſchwoͤren, er iſt mir von der letzten Renovirung noch ſieben Mark neun Schilling ſchuldig Ich freue mich wirklich, Herr Doktor, Sie hier wieder zu ſehen. Haben Sie hier ebenfalls Vergnuͤgungs-Geſchaͤfte? Was ſollte man ſonſt hier thun, in dieſer Hitze, und wo man noch dazu Bergauf und Bergab ſteigen muß. Ich bin hier des Abends ſo muͤde, als waͤre ich zwanzig mal vom Altonaer Thore nach dem Steinthor gelaufen, ohne was dabey verdient zu haben.

241

O Jeſu! rief der Markeſe ſchweig, ſchweig! Ich ſchaffe mir einen andern Bedienten an.

Warum ſchweigen? verſetzte Hirſch Hya¬ zinthos Iſt es mir doch lieb, wenn ich mal wieder gutes Deutſch ſprechen kann mit einem Geſichte, das ich ſchon einmal in Hamburg geſehen, und denke ich an Hamburg

Hier, bey der Erinnerung an ſein kleines Stiefvaterlaͤndchen, wurden des Mannes Aeuglein flimmernd feucht, und ſeufzend ſprach er: Was iſt der Menſch! Man geht vergnuͤgt vor dem Altonaer Thore, auf dem Hamburger Berg, ſpatzieren, und beſieht dort die Merkwuͤrdigkeiten, die Loͤwen, die Gevoͤgel, die Papagoyim, die Affen, die ausgezeichneten Menſchen, und man laͤßt ſich Carouſſel fahren oder elektriſiren, und man denkt was wuͤrde ich erſt fuͤr Vergnuͤgen haben an einem Orte, der noch zweyhundert Meilen von Hamburg weiter entfernt iſt, in dem Lande wo242 die Zitronen und Orangen wachſen, in Italien! Was iſt der Menſch! Iſt er vor dem Altonaer Thore, ſo moͤchte er gern in Italien ſeyn, und iſt er in Italien, ſo moͤchte er wieder vor dem Altonaer Thore ſeyn! Ach ſtaͤnde ich dort wieder und ſaͤhe wieder den Michaelisthurm, und oben daran die Uhr mit den großen goldnen Zahlen auf dem Zifferblatt, die großen goldnen Zahlen, die ich ſo oft des Nachmittags betrachtete, wenn ſie ſo freundlich in der Sonne glaͤnzten ich haͤtte ſie oft kuͤſſen moͤgen. Ach, ich bin jetzt in Italien, wo die Zitronen und Orangen wachſen; wenn ich aber die Zitronen und Orangen wachſen ſehe, ſo denk 'ich an den Steinweg zu Hamburg, wo ſie, ganzer Karren voll, gemaͤchlich aufgeſtapelt liegen, und wo man ſie ruhig genießen kann, ohne daß man noͤthig hat ſo viele Gefahr-Berge zu be¬ ſteigen und ſo viel Hitzwaͤrme auszuſtehen. So wahr mir Gott helfe, Herr Markeſe, wenn ich es nicht der Ehre wegen gethan haͤtte und wegen243 der Bildung, ſo waͤre ich Ihnen nicht hierher gefolgt. Aber das muß man Ihnen nachſagen, man hat Ehre bey Ihnen und bildet ſich.

Hyazinth! ſprach jetzt Gumpelino, der durch dieſe Schmeicheley etwas beſaͤnftigt worden, Hyazinth geh jetzt zu

Ich weiß ſchon

Du weißt nicht, ſage ich dir, Hyacinth

Ich ſag 'Ihnen, Herr Gumpel, ich weiß. Ew. Excellenz ſchicken mich jetzt zu der Lady Maxfield Mir braucht man gar nichts zu ſagen. Ich weiß Ihre Gedanken, die Sie noch gar nicht gedacht, und vielleicht Ihr Lebtag gar nicht denken wer¬ den. Einen Bedienten wie mich, bekommen Sie nicht ſo leicht und ich thu es der Ehre wegen, und der Bildung wegen, und wirklich, man hat Ehre bei Ihnen und bildet ſich Bei dieſem Worte putzte er ſich die Naſe mit einem ſehr weißen Taſchentuche.

16 *244

Hyazinth, ſprach der Markeſe, du gehſt jetzt zu der Lady Julie Maxfield, zu meiner Julia, und bringſt ihr dieſe Tulpe nimm ſie in Acht, denn ſie koſtet fuͤnf Paoli und ſagſt ihr

Ich weiß ſchon

Du weißt nichts. Sag 'ihr: die Tulpe iſt unter den Blumen

Ich weiß ſchon. Sie wollen Ihr etwas durch die Blume ſagen. Ich habe fuͤr ſo manches Lotterieloos in meiner Collecte ſelbſt eine Deviſe gemacht

Ich ſage dir, Hyacinth, ich will kein Deviſe von dir. Bringe dieſe Blume an Lady Maxfield, und ſage ihr:

Die Tulpe iſt unter den Blumen
Was unter den Kaͤſen der Strachino;
Doch mehr als Blumen und Kaͤſe
Verehrt Dich Gumpelino!

So wahr mir Gott alles Gut's gebe, das iſt gut! rief Hyacinth Winken Sie mir245 nicht, Herr Markeſe, was Sie wiſſen, das weiß ich, und was ich weiß, das wiſſen Sie. Und Sie, Herr Doktor, leben Sie wohl! Um die Kleinigkeit mahne ich Sie nicht. Bey dieſen Worten ſtieg er den Huͤgel wieder hinab, und murmelte beſtaͤndig: Gumpelino Strachino Strachino Gumpelino

Es iſt ein treuer Menſch ſagte der Mar¬ keſe ſonſt haͤtte ich ihn laͤngſt abgeſchafft, wegen ſeines Mangels an Etikette. Vor Ihnen hat das nichts zu bedeuten. Sie verſtehen mich. Wie gefaͤllt Ihnen ſeine Livree? Es ſind noch fuͤr vierzig Thaler mehr Treſſen dran als an der Livree von Rothſchild's Bedienten. Ich habe innerlich mein Vergnuͤgen, wie ſich der Menſch bey mir perfekzionirt. Dann und wann gebe ich ihm ſelbſt Unterricht in der Bildung. Ich ſage ihm oft: Was iſt Geld? Geld iſt rund und rollt weg, aber Bildung bleibt. Ja, Herr Doktor, wenn ich, was Gott verhuͤte, mein Geld verliere,246 ſo bin ich doch noch immer ein großer Kunſtken¬ ner, ein Kenner von Malerey, Muſik und Poeſie. Sie ſollen mir die Augen zubinden und mich in der Gallerie zu Florenz herumfuͤhren, und bey jedem Gemaͤlde, vor welches Sie mich hinſtellen, will ich Ihnen den Maler nennen, der es ge¬ malt hat, oder wenigſtens die Schule, wozu dieſer Maler gehoͤrt. Muſik? Verſtopfen Sie mir die Ohren und ich hoͤre doch jede falſche Note. Poeſie? Ich kenne alle Schauſpielerinnen Deutſchlands und die Dichter weiß ich aus¬ wendig. Und gar Natur! Ich bin zwey hun¬ dert Meilen gereiſt, Tag und Nacht durch, um in Schottland einen einzigen Berg zu ſehen. Italien aber geht uͤber alles. Wie gefaͤllt Ihnen hier dieſe Naturgegend? Welche Schoͤpfung! Sehen Sie mal die Baͤume, die Berge, den Himmel, da unten das Waſſer iſt nicht alles wie gemalt? Haben Sie es je im Theater ſchoͤner geſehen? Man wird ſo zu ſagen ein Dichter! 247Verſe kommen einem in den Sinn und man weiß nicht woher:

Schweigend, in der Abenddaͤmmrung Schleyer
Ruht die Flur, das Lied der Haine ſtirbt;
Nur daß hier, im alternden Gemaͤuer
Melancholiſch noch ein Heimchen zirpt.

Dieſe erhabenen Worte deklamirte der Mar¬ keſe mit uͤbelſchwellender Ruͤhrung, indem er, wie verklaͤrt, in das lachende, morgenhelle Thal hin¬ abſchaute.

248

Capitel IV.

Als ich einſt an einem ſchoͤnen Fruͤhlingstage unter den Berliner Linden ſpatzieren ging, wan¬ delten vor mir zwey Frauenzimmer, die lange ſchwiegen, bis endlich die Eine ſchmachtend auf¬ ſeufzte: ach, die jrine Beeme! Worauf die Andre, ein junges Ding, mit naiver Verwundrung fragte: Mutter, was gehn Ihnen die jrine Beeme an?

Ich kann nicht umhin zu bemerken, daß beide Perſonen zwar nicht in Seide gekleidet gingen, jedoch keineswegs zum Poͤbel gehoͤrten, wie es denn uͤberhaupt in Berlin keinen Poͤbel giebt, außer etwa in den hoͤchſten Staͤnden. Was aber249 jene naive Frage ſelbſt betrifft, ſo kommt ſie mir nie aus dem Gedaͤchtniſſe. Ueberall, wo ich un¬ wahre Naturempfindung und dergleichen gruͤne Luͤgen ertappe, lacht ſie mir ergoͤtzlich durch den Sinn. Auch bey der Deklamazion des Markeſe wurde ſie in mir laut, und den Spott auf meinen Lippen errathend, rief er verdrießlich: Stoͤren Sie mich nicht Sie haben keinen Sinn fuͤr reine Natuͤrlichkeit Sie ſind ein zerriſſener Menſch, ein zerriſſenes Gemuͤth, ſo zu ſagen, ein Byron.

Lieber Leſer, gehoͤrſt Du vielleicht zu jenen frommen Voͤgeln, die da einſtimmen in das Lied von byroniſcher Zerriſſenheit, das mir ſchon ſeit zehn Jahren, in allen Weiſen, vorgepfiffen und vorgezwitſchert worden, und ſogar im Schaͤdel des Markeſe, wie Du oben gehoͤrt haſt, ſein Echo gefunden? Ach, theurer Leſer, wenn Du uͤber jene Zerriſſenheit klagen willſt, ſo beklage lieber, daß die Welt ſelbſt mitten entzwey ge¬250 riſſen iſt. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt iſt, ſo mußte es wohl in jetziger Zeit jaͤmmerlich zerriſſen werden. Wer von ſeinem Herzen ruͤhmt, es ſey ganz geblieben, der geſteht nur, daß er ein proſaiſches weitabge¬ legenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß ich, daß die großen Goͤtter mich vor vielen Anderen hochbegnadigt und des Dichtermaͤrtyrthums wuͤr¬ dig geachtet haben.

Einſt war die Welt ganz, im Alterthum und im Mittelalter, trotz der aͤußeren Kaͤmpfe gab's doch noch immer eine Welteinheit, und es gab ganze Dichter. Wir wollen dieſe Dichter ehren und uns an ihnen erfreuen; aber jede Nach¬ ahmung ihrer Ganzheit iſt eine Luͤge, eine Luͤge, die jedes geſunde Auge durchſchaut und die dem Hohne dann nicht entgeht. Juͤngſt, mit vieler Muͤhe, verſchaffte ich mir in Berlin die Gedichte eines jener Ganzheitdichter, der uͤber meine251 byroniſche Zerriſſenheit ſo ſehr geklagt, und bey den erlogenen Gruͤnlichkeiten, den zarten Natur¬ gefuͤhlen, die mir da, wie friſches Heu, ent¬ gegendufteten, waͤre mein armes Herz, das ſchon hinlaͤnglich zerriſſen iſt, faſt auch vor Lachen ge¬ borſten, und unwillkuͤrlich rief ich: Mein lieber Herr Intendanturrath Wilhelm Neumann, was gehn Ihnen die jrine Beeme an?

Sie ſind ein zerriſſener Menſch, ſo zu ſagen ein Byron wiederholte der Markeſe, ſah noch immer verklaͤrt hinab ins Thal, ſchnaltzte zuweilen mit der Zunge am Gaumen vor andaͤchtiger Be¬ wunderung Gott! Gott! Alles wie gemalt!

Armer Byron! ſolches ruhige Genießen war Dir verſagt! War dein Herz ſo verdorben, daß du die Natur nur ſehen, ja ſogar ſchildern, aber nicht von ihr beſeligt werden konnteſt? Oder hat Biſhy Shelley Recht, wenn er ſagt: du habeſt die Natur in ihrer keuſchen Nacktheit be¬252 lauſcht und wurdeſt deshalb, wie Aktaͤon, von ihren Hunden zerriſſen!

Genug davon; wir kommen zu einem beſſeren Gegenſtande, nemlich zu Signora Laetizia's und Franſcheska's Wohnung, einem kleinen weißen Gebaͤude, das gleichſam noch im Negligé zu ſeyn ſcheint, und vorn zwey große runde Fenſter hat, vor welchem die hochaufgezogenen Weinſtoͤcke ihre langen Ranken herabhaͤngen laſſen, daß es ausſieht als fielen gruͤne Haare, in lockiger Fuͤlle, uͤber die Augen des Hauſes. An der Thuͤre ſchon klingt es uns bunt entgegen, wirbelnde Triller, Guitarrentoͤne und Gelaͤchter.

253

Capitel V.

Signora Laetizia, eine funfzigjaͤhrige junge Roſe, lag im Bette und trillerte und ſchwatzte mit ihren beiden Galans, wovon der eine auf einem niedrigen Schemel vor ihr ſaß und der andre, in einem großen Seſſel lehnend, die Guitarre ſpielte. Im Nebenzimmer flatterten dann und wann ebenfalls die Fetzen eines ſuͤßen Liedes oder eines noch wunderſuͤßeren Lachens. Mit einer gewiſſen wohlfeilen Ironie, die den Markeſe zuweilen anwandelte, praͤſentirte er mich der Signora und den beiden Herren, und be¬ merkte dabey: ich ſey derſelbe Johann Heinrich254 Heine, Doktor Juris, der jetzt in der deutſchen juriſtiſchen Litteratur beruͤhmt ſey. Zum Ungluͤck war der eine Herr ein Profeſſor aus Bologna, und zwar ein Juriſt, obgleich ſein wohlgewoͤlb¬ ter, runder Bauch ihn eher zu einer Anſtellung bey der ſphaͤriſchen[Trigonometrie] zu qualifiziren ſchien. Einigermaßen in Verlegenheit geſetzt, be¬ merkte ich, daß ich nicht unter meinem eigenen Namen ſchriebe, ſondern unter dem Namen Jarke; und das ſagte ich aus Beſcheidenheit, indem mir zufaͤllig einer der wehmuͤthigſten In¬ ſektennamen unſerer juriſtiſchen Litteratur ins Gedaͤchtniß kam. Der Bologneſer beklagte zwar, dieſen beruͤhmten Namen noch nicht gehoͤrt zu haben welches auch bey dir, lieber Leſer, der Fall ſeyn wird doch zweifelte er nicht, daß er bald ſeinen Glanz uͤber die ganze Erde verbreiten werde. Dabey lehnte er ſich zuruͤck in ſeinem Seſſel, griff einige Akkorde auf der Guitarre und ſang aus Axur:

255
O maͤchtiger Brama!
Ach laß Dir das Lallen
Der Unſchuld gefallen,
Das Lallen, das Lallen

Wie ein lieblich neckendes Nachtigall-Echo ſchmetterte im Nebenzimmer eine aͤhnliche Me¬ lodie. Signora Laetizia aber trillerte dazwi¬ ſchen im feinſten Diskant:

Dir allein gluͤht dieſe Wange,
Dir nur klopfen dieſe Pulſe;
Voll von ſuͤßem Liebesdrange
Hebt mein Herz ſich dir allein!

Und mit der fettigſten Proſaſtimme ſetzte ſie hinzu: Bartolo, gieb mir den Spucknapf.

Von ſeinem niedern Baͤnkchen erhob ſich jetzt Bartolo mit ſeinen duͤrren hoͤlzernen Beinen, und praͤſentirte ehrerbietig einen etwas unreinlichen Napf von blauem Porzelan.

Dieſer zweite Galan, wie mir Gumpelino auf deutſch zufluͤſterte, war ein ſehr beruͤhmter256 Dichter, deſſen Lieder, obgleich er ſie ſchon vor zwanzig Jahren gedichtet, noch jetzt in ganz Italien klingen, und mit der ſuͤßen Liebesgluth, die in ihnen flammt, Alt und Jung berauſchen; derweilen er ſelbſt jetzt nur ein armer, veralteter Menſch iſt, mit blaſſen Augen im welken Ge¬ ſichte, duͤnnen weißen Haͤrchen auf dem ſchwan¬ kenden Kopfe, und kalter Armuth im kuͤmmer¬ lichen Herzen. So ein armer, alter Dichter mit ſeiner kahlen Hoͤlzernheit, gleicht den Weinſtoͤcken, die wir im Winter, auf den kalten Bergen ſtehen ſehen, duͤrr und laublos, im Winde zitternd und von Schnee bedeckt, waͤhrend der ſuͤße Mooſt, der ihnen einſt entquoll, in den fernſten Landen gar manches Zecherherz erwaͤrmt und zu ihrem Lobe berauſcht. Wer weiß, wenn einſt die Kelter der Gedanken, die Druckerpreſſe, auch mich ausge¬ preßt hat, und nur noch im Verlagskeller von Hoffmann und Campe der alte, abgezapfte Geiſt zu finden iſt, ſitze ich ſelbſt vielleicht eben ſo257 duͤnn und kuͤmmerlich, wie der arme Bartolo, auf dem Schemel neben dem Bette einer alten Inamorata, und reiche ihr auf Verlangen den Napf des Spuckes.

Signora Laetizia entſchuldigte ſich bey mir, daß ſie zu Bette liege und zwar baͤuchlings, in¬ dem ein Geſchwuͤr an der Legitimitaͤt, das ſie ſich durch vieles Feigen-Eſſen zugezogen, ſie jetzt hindere, wie es einer ordentlichen Frau zieme, auf dem Ruͤcken zu liegen. Sie lag wirklich ungefaͤhr wie eine Sphinx; ihr hochfriſirtes Haupt ſtaͤmmte ſie auf ihre beiden Arme, und zwiſchen dieſen wogte ihr Buſen wie ein rothes Meer.

Sie ſind ein Deutſcher? frug ſie mich.

Ich bin zu ehrlich, es zu laͤugnen, Sig¬ nora! entgegnete meine Wenigkeit.

Ach, ehrlich genug ſind die Deutſchen! ſeufzte ſie aber was hilft es, daß die Leute ehrlich ſind, die uns berauben! ſie richten Italien zu Grunde. 17258Meine beſten Freunde ſitzen eingekerkert in Mi¬ lano; nur Sklaverey

Nein, nein, rief der Markeſe, beklagen Sie ſich nicht uͤber die Deutſchen, wir ſind uͤberwun¬ dene Ueberwinder, beſiegte Sieger, ſobald wir nach Italien kommen; und Sie ſehen Signora, Sie ſehen und Ihnen zu Fuͤßen fallen, iſt das¬ ſelbe Und indem er ſein gelbſeidenes Taſchen¬ tuch ausbreitete und darauf niederkniete, ſetzte er hinzu: Hier kniee ich und huldige Ihnen im Namen von ganz Deutſchland.

Chriſtophoro di Gumpelino! ſeufzte Sig¬ nora tiefgeruͤhrt und ſchmachtend ſtehen Sie auf und umarmen Sie mich!

Damit aber der holde Schaͤfer nicht die Friſur und die Schminke ſeiner Geliebten verduͤrbe, kuͤßte Sie ihn nicht auf die gluͤhenden Lippen, ſondern auf die holde Stirne, ſo daß ſein Ge¬ ſicht tiefer hinabreichte, und das Steuer deſſelben, die Naſe, im rothen Meere herumruderte.

259

Signor Bartolo! rief ich, erlauben Sie mir, daß auch ich mich des Spucknapfes bediene.

Wehmuͤthig laͤchelte Signor Bartolo, ſprach aber kein einziges Wort, obgleich er, naͤchſt Mezzophante, fuͤr den beſten Sprachlehrer in Bo¬ logna gilt. Wir ſprechen nicht gern, wenn Sprechen unſre Profeſſion iſt. Er diente der Signora als ein ſtummer Ritter, und nur dann und wann mußte er das Gedicht rezitiren, das er ihr vor fuͤnf und zwanzig Jahren aufs Theater geworfen, als ſie zuerſt in Bologna, in der Rolle der Ariadne, auftrat. Er ſelbſt mag zu jener Zeit wohlbe¬ laubt und gluͤhend geweſen ſeyn, vielleicht aͤhnlich dem heiligen Dionyſos ſelbſt, und ſeine Laetizia¬ Ariadne ſtuͤrzte ihm gewiß bachantiſch in die bluͤhenden Arme Evoe Bacche! Er dichtete damals noch viele Liebesgedichte, die, wie ſchon erwaͤhnt, ſich in der italieniſchen Litteratur erhal¬ ten haben, nachdem der Dichter und die Geliebte ſelbſt ſchon laͤngſt zu Makulatur geworden.

17 *260

Fuͤnf und zwanzig Jahre hat ſich ſeine Treue bereits bewaͤhrt, und ich denke, er wird auch bis an ſein ſeliges Ende auf dem Schemel ſitzen, und auf Verlangen ſeine Verſe rezitiren oder den Spucknapf reichen. Der Profeſſor der Juris¬ prudenz ſchleppt ſich faſt eben ſo lange ſchon in den Liebesfeſſeln der Signora, er macht ihr noch immer ſo eifrig die Cour wie im Anfang dieſes Jahrhunderts, er muß noch immer ſeine aka¬ demiſchen Vorleſungen unbarmherzig vertagen, wenn ſie ſeine Begleitung nach irgend einem Orte verlangt, und er iſt noch immer belaſtet mit allen Servituten eines aͤchten Patito.

Die treue Ausdauer dieſer beiden Anbeter einer laͤngſt ruinirten Schoͤnheit, mag vielleicht Gewohnheit ſeyn, vielleicht Pietas gegen fruͤhere Gefuͤhle, vielleicht nur das Gefuͤhl ſelbſt, das ſich von der jetzigen Beſchaffenheit ſeines ehe¬ maligen Gegenſtandes ganz unabhaͤngig gemacht hat, und dieſen nur noch mit den Augen der261 Erinnerung betrachtet. So ſehen wir oft alte Leute an einer Straßenecke, in katholiſchen Staͤd¬ ten, vor einem Madonnenbilde knieen, das ſo verblaßt und verwittert iſt, daß nur noch wenige Spuren und Geſichtsumriſſe davon uͤbrig geblie¬ ben ſind, ja, daß man dort vielleicht nichts mehr ſieht als die Niſche, worin es gemalt ſtand, und die Lampe, die etwa noch daruͤber haͤngt; aber die alten Leute, die, mit dem Roſenkranz in den zitternden Haͤnden, dort ſo andaͤchtig knieen, haben ſchon ſeit ihren Jugendjahren dort gekniet, Ge¬ wohnheit treibt ſie immer, um dieſelbe Stunde, zu demſelben Fleck, ſie merkten nicht das Er¬ loͤſchen des geliebten Heiligenbildes, und am Ende macht das Alter ja doch ſo ſchwachſichtig und blind, daß es ganz gleichguͤltig ſeyn mag, ob der Gegenſtand unſerer Anbetung uͤberhaupt noch ſichtbar iſt oder nicht. Die da glauben ohne zu ſehen ſind auf jeden Fall gluͤcklicher als die Scharfaͤugigen, die jede hervorbluͤhende Runzel262 auf dem Antlitz ihrer Madonnen gleich bemerken. Nichts iſt ſchrecklicher als ſolche Bemerkungen! Einſt freylich, glaubte ich, die Treuloſigkeit der Frauen ſey das Schrecklichſte, und um dann das Schrecklichſte zu ſagen, nannte ich ſie Schlangen. Aber, ach! jetzt weiß ich, das Schrecklichſte iſt, daß ſie nicht ganz Schlangen ſind; denn die Schlan¬ gen koͤnnen jedes Jahr die alte Haut von ſich abſtreifen und neugehaͤutet ſich verjuͤngen.

Ob einer von den beiden antiken Seladons daruͤber eiferſuͤchtig war, daß der Markeſe, oder vielmehr deſſen Naſe, oberwaͤhntermaßen in Wonne ſchwamm, das konnte ich nicht bemerken. Bar¬ tolo ſaß gemuͤthsruhig auf ſeinem Baͤnkchen, die Beinſtoͤckchen uͤber einander geſchlagen,[und] ſpielte mit Signoras Schooßhuͤndchen, einem jener huͤb¬ ſchen Thierchen, die in Bologna zu Hauſe ſind und die man auch bey uns unter dem Namen Bologneſer kennt. Der Profeſſor ließ ſich durchaus nicht ſtoͤren in ſeinem Geſange, den263 zuweilen die kichernd ſuͤßen Toͤne im Nebenzim¬ mer parodiſtiſch uͤberjubelten; dann und wann unterbrach er auch ſelbſt ſeinen Singſang, um mich mit juriſtiſchen Fragen zu behelligen. Wenn wir in unſerem Urtheil nicht uͤbereinſtimmten, griff er haſtige Akkorde und klimperte Bewei߬ ſtellen. Ich aber unterſtuͤtzte meine Meinung immer durch die Autoritaͤt meines Lehrers, des großen Hugo, der in Bologna unter dem Namen Ugone, auch Ugolino, ſehr beruͤhmt iſt.

Ein großer Mann! rief der Profeſſor und klimperte dabey und ſang:

Seiner Stimme ſanfter Ruf
Toͤnt noch tief in deiner Bruſt,
Und die Qual, die ſie dir ſchuf,
Iſt Entzuͤcken, ſuͤße Luſt.

Auch Thibaut, den die Italiener Tibaldo nennen, wird in Bologna ſehr geehrt; doch kennt man dort nicht ſowohl die Schriften jener Maͤn¬ ner, als vielmehr ihre Hauptanſichten und deren264 Gegenſatz. Gans und Savigny fand ich eben¬ falls nur dem Namen nach bekannt. Letzteren hielt der Profeſſor fuͤr ein gelehrtes Frauen¬ zimmer.

So, ſo ſprach er, als ich ihn aus dieſem leichtverzeihlichen Irrthum zog wirklich kein Frauenzimmer. Man hat mir alſo falſch be¬ richtet. Man ſagte mir ſogar, der Signor Gans habe dieſes Frauenzimmer einſt, auf einem Balle, zum Tanze aufgefordert, habe einen Refuͤs be¬ kommen, und daraus ſey eine literaͤriſche Feind¬ ſchaft entſtanden.

Man hat Ihnen in der That falſch berichtet, der Signor Gans tanzt gar nicht, ſchon aus dem menſchenfreundlichen Grunde, damit nicht ein Erdbeben entſtehe. Jene Aufforderung zum Tanze iſt wahrſcheinlich eine mißverſtandene Allegorie. Die hiſtoriſche Schule und die philoſophiſche werden als Taͤnzer gedacht, und in ſolchem Sinne denkt man ſich vielleicht eine Quadrille von Ugone,265 Tibaldo, Gans und Savigny. Und vielleicht in ſolchem Sinne, ſagt man, daß Signor Ugone, obgleich er der Diable boiteux der Jurisprudenz iſt, doch ſo zierliche Pas tanze wie die Lemiere, und daß Signor Gans, in der neueſten Zeit, einige große Spruͤnge verſucht, die ihn zum Hoguet der philoſophiſchen Schule gemacht haben.

Der Signor Gans verbeſſerte ſich der Profeſſor tanzt alſo bloß allegoriſch, ſo zu ſagen metaphoriſch Doch ploͤtzlich, ſtatt weiter zu ſprechen, griff er wieder in die Saiten der Guitarre, und bey dem tollſten Geklimper ſang er wie toll:

Es iſt wahr, ſein theurer Name
Iſt die Wonne aller Herzen.
Stuͤrmen laut des Meeres Wogen,
Droht der Himmel ſchwarz umzogen,
Hoͤrt man ſtets Tarar nur rufen,
Gleich als beugten Erd 'und Himmel
Vor des Helden Namen ſich.
266

Von Herrn Goͤſchen wußte der Profeſſor nicht einmal, daß er exiſtire. Dies aber hatte ſeine natuͤrlichen Gruͤnde, indem der Ruhm des großen Goͤſchen noch nicht bis Bologna gedrungen iſt, ſondern erſt bis Poggio, welches noch vier deutſche Meilen davon entfernt iſt, und wo er ſich zum Vergnuͤgen noch einige Zeit aufhalten wird. Goͤttingen ſelbſt iſt in Bologna lange nicht ſo bekannt, wie man ſchon, der Dankbarkeit wegen, erwarten duͤrfte, indem es ſich das deutſche Bo¬ logna zu nennen pflegt. Ob dieſe Benennung treffend iſt, will ich nicht unterſuchen; auf jeden Fall aber unterſcheiden ſich beide Univerſitaͤten durch den einfachen Umſtand, daß in Bologna die kleinſten Hunde und die groͤßten Gelehrten, in Goͤttingen hingegen die kleinſten Gelehrten und die groͤßten Hunde zu finden ſind.

267

Capitel VI.

Als der Markeſe Chriſtophoro di Gumpelino ſeine Naſe hervorzog aus dem rothen Meere, wie weiland Koͤnig Pharao, da glaͤnzte ſein Ant¬ litz in ſchwitzender Selbſtwonne. Tief geruͤhrt gab er Signoren das Verſprechen, ſie, ſobald ſie wieder ſitzen koͤnne, in ſeinem eignen Wagen nach Bologna zu bringen. Nun wurde verab¬ redet, daß alsdann der Profeſſor vorausreiſen, Bartolo hingegen im Wagen des Markeſe mit¬ fahren ſolle, wo er ſehr gut auf dem Bock ſitzen und das Huͤndchen im Schooße halten koͤnne, und daß man endlich in vierzehn Tagen zu Flo¬ renz eintreffen wolle, wo Signora Franſcheska,268 die mit Milady nach Piſa reiſe, unterdeſſen eben¬ falls zuruͤckgekehrt ſeyn wuͤrde. Waͤhrend der Markeſe an den Fingern die Koſten berechnete, ſummte er vor ſich hin di tanti palpiti. Sig¬ nora ſchlug dazwiſchen die lauteſten Triller, und der Profeſſor ſtuͤrmte in die Saiten der Guitarre und ſang dabey ſo gluͤhende Worte, daß ihm die Schweißtropfen von der Stirne und die Thraͤnen aus den Augen liefen, und ſich auf ſeinem rothen Geſichte zu einem einzigen Strome vereinigten. Waͤhrend dieſes Singens und Klin¬ gens ward ploͤtzlich die Thuͤre des Nebenzimmers aufgeriſſen und herein ſprang ein Weſen

Euch, Ihr Muſen der alten und der neuen Welt, Euch ſogar Ihr noch unentdeckten Muſen, die erſt ein ſpaͤteres Geſchlecht verehren wird, und die ich ſchon laͤngſt geahnet habe, im Walde und auf dem Meere, Euch beſchwoͤr 'ich, gebt mir Farben, womit ich das Weſen male, das naͤchſt der Tugend das Herrlichſte iſt auf dieſer Welt. 269Die Tugend, das verſteht ſich von ſelbſt, iſt die erſte von allen Herrlichkeiten, der Weltſchoͤpfer ſchmuͤckte ſie mit ſo vielen Reizen, daß es ſchien, als ob er nichts eben ſo Herrliches mehr hervor¬ bringen koͤnne; da aber nahm er noch einmal alle ſeine Kraͤfte zuſammen, und in einer guten Stunde ſchuf er Signora Franſcheska, die ſchoͤne Taͤnzerin, das groͤßte Meiſterſtuͤck, das er nach Erſchaffung der Tugend hervorgebracht, und wo¬ bey er ſich nicht im mindeſten wiederholt hat, wie irdiſche Meiſter, bey deren ſpaͤteren Werken die Reize der fruͤheren wieder geborgterweiſe zum Vorſchein kommen Nein, Signora Fran¬ ſcheska iſt ganz Original, ſie hat nicht die min¬ deſte Aehnlichkeit mit der Tugend, und es giebt Kenner, die ſie fuͤr eben ſo herrlich halten, und der Tugend, die fruͤher erſchaffen worden, nur den Vorrang der Anciennitaͤt zuerkennen. Aber iſt das ein großer Mangel, wenn eine Taͤnzerin einige ſechstauſend Jahre zu jung iſt?

270

Ach, ich ſehe ſie wieder, wie ſie, aus der aufgeſtoßenen Thuͤre bis zur Mitte des Zimmers hervorſpringt, in demſelben Momente ſich unzaͤhlige Mal auf einem Fuße herumdreht, ſich dann der Laͤnge nach auf das Sopha hinwirft, ſich die Augen mit beiden Haͤnden verdeckt[haͤlt], und athemlos ausruft: ach, ich bin ſo muͤde vom Schlafen! Nun naht ſich der Markeſe und haͤlt eine lange Rede, in ſeiner ironiſch breit ehrerbietigen Ma¬ nier, die mit ſeinem kurzabbrechenden Weſen, bey praktiſchen Geſchaͤftserinnerungen, und mit ſeiner faden Zerfloſſenheit, bey ſentimentaler Anre¬ gung, gar raͤthſelhaft kontraſtirte. Dennoch war dieſe Manier nicht unnatuͤrlich, ſie hatte ſich viel¬ leicht dadurch natuͤrlich in ihm ausgebildet, daß es ihm an Kuͤhnheit fehlte, jene Obmacht, wozu er ſich durch Geld und Geiſt berechtigt glaubte, unumwun¬ den kund zu geben, weshalb er ſie feigerweiſe in die Worte der uͤbertriebenſten Demuth zu verkappen ſuchte. Sein breites Laͤcheln bey ſolchen Gelegenhei¬271 ten hatte etwas unangenehm Ergoͤtzliches, und man wußte nicht, ob man ihm Pruͤgel oder Beyfall zollen ſollte. In ſolcher Weiſe hielt er ſeine Morgenrede vor Signora Franſcheska, die, noch halb ſchlaͤfrig, ihn kaum anhoͤrte, und als er zum Schluß um die Erlaubniß bat, ihr die Fuͤße, wenigſtens den linken Fuß, kuͤſſen zu duͤrfen, und zu dieſem Geſchaͤfte, mit großer Sorgfalt, ſein gelbſeidnes Taſchentuch uͤber den Fußboden ausbreitete und darauf niederkniete: ſtreckte ſie ihm gleichguͤltig den linken Fuß entgegen, der in einem allerliebſten rothen Schuh ſteckte, im Ge¬ genſatz zu dem rechten Fuße, der einen blauen Schuh trug, eine drollige Coketterie, wodurch die zarte niedliche Form der Fuͤße noch bemerklicher werden ſollte. Als der Markeſe den kleinen Fuß ehrfurchtsvoll gekuͤßt, erhob er ſich mit einem aͤchzenden O Jeſu! und bat um die Erlaubniß, mich, ſeinen Freund, vorſtellen zu duͤrfen, welches ihm ebenfalls gaͤhnend gewaͤhrt wurde, und wo¬272 bey er es nicht an Lobſpruͤchen auf meine Vor¬ trefflichkeit fehlen ließ, und auf Cavalier-Parole betheuerte, daß ich die ungluͤckliche Liebe ganz vortrefflich beſungen habe.

Ich bat die Dame ebenfalls um die Ver¬ guͤnſtigung ihr den linken Fuß kuͤſſen zu duͤrfen, und in dem Momente, wo ich dieſer Ehre theilhaftig wurde, erwachte ſie wie aus einem daͤmmernden Traume, beugte ſich laͤchelnd zu mir herab, be¬ trachtete mich mit großen verwunderten Augen, ſprang freudig empor bis in die Mitte des Zim¬ mers, und drehte ſich wieder unzaͤhlige Mal auf einem Fuße herum. Ich fuͤhlte wunderbar, wie mein Herz ſich beſtaͤndig mitdrehte, bis es faſt ſchwindelig wurde. Der Profeſſor aber griff da¬ bey luſtig in die Saiten ſeiner Guitarre und ſang:

Eine Opern-Signora erwaͤhlte
Zum Gemahl mich, ward meine Vermaͤhlte,
Und geſchloſſen war bald unſre Eh '.
Wehe mir Armen! weh!
273
Bald befreiten von ihr mich Corſaren,
Ich verkaufte ſie an die Barbaren,
Ehe ſie ſich es konnte verſehn.
Bravo, Biskroma! ſchoͤn! ſchoͤn!

Noch einmal betrachtete mich Signora Fran¬ ſcheska ſcharf und muſternd, vom Kopf bis zum Fuße, und mit zufriedener Miene dankte ſie dann dem Markeſe, als ſey ich ein Geſchenk, das er ihr aus Artigkeit mitgebracht. Sie fand wenig daran auszuſetzen: nur waren ihr meine Haare zu hellbraun, ſie haͤtte ſie dunkler gewuͤnſcht, wie die Haare des Abbate Cecco, auch meine Augen fand ſie zu klein und mehr gruͤn als blau. Zur Vergeltung, lieber Leſer, ſollte ich jetzt Signora Franſcheska eben ſo maͤkelnd ſchildern; aber ich habe wahrhaftig an dieſer lieblichen, faſt leicht¬ ſinnig geformten Graziengeſtalt nichts auszuſetzen. Auch das Geſicht war ganz goͤttermaͤßig, wie man es bey griechiſchen Statuen findet, Stirne und Naſe gaben nur eine einzige ſenkrecht gerade Linie, einen ſuͤßen rechten Winkel bildete damit18274die untere Naſenlinie, die wunderſam kurz war, eben ſo ſchmal war die Entfernung von der Naſe zum Munde, deſſen Lippen an beiden Enden kaum ausreichten und von einem traͤumeriſchen Laͤcheln ergaͤnzt wurden; darunter woͤlbte ſich ein liebes volles Kinn, und der Hals Ach! frommer Leſer, ich komme zu weit, und außerdem habe ich bey dieſer Inauguralſchilderung noch kein Recht von den zwey ſchweigenden Blumen zu ſprechen, die wie weiße Poeſie hervorleuchteten, wenn Signora die ſilbernen Halsknoͤpfe ihres ſchwarz¬ ſeidnen Kleides enthaͤkelte Lieber Leſer! laß uns wieder emporſteigen zu der Schilderung des Ge¬ ſichtes, wovon ich nachtraͤglich noch zu berichten habe, daß es klar und blaßgelb wie Bernſtein war, daß es von den ſchwarzen Haaren, die in glaͤnzend glatten Ovalen die Schlaͤfe bedeckten, eine kindliche Ruͤndung empfing, und von zwey ſchwarzen ploͤtzlichen Augen, wie von Zauberlicht, beleuchtet wurde.

275

Du ſiehſt, lieber Leſer, daß ich dir gern eine gruͤndliche Lokalbeſchreibung meines Gluͤckes lie¬ fern moͤchte, und, wie andere Reiſende ihren Wer¬ ken noch beſondere Karten von hiſtoriſch wichtigen oder ſonſt merkwuͤrdigen Bezirken beyfuͤgen, ſo moͤchte ich Franſcheska in Kupfer ſtechen laſſen. Aber ach! was hilft die todte Copie der aͤußern Umriſſe bey Formen, deren goͤttlichſter Reiz in der lebendigen Bewegung beſteht. Selbſt der beſte Maler kann uns dieſen nicht zur Anſchauung bringen; denn die Malerey iſt doch nur eine platte Luͤge. Eher vermoͤchte es der Bildhauer; durch wechſelnde Beleuchtung koͤnnen wir bey Statuen uns einigermaßen eine Bewegung der Formen denken, und die Fackel, die ihnen nur aͤußeres Licht zuwirft, ſcheint ſie auch von innen zu beleben. Ja, es giebt eine Statue, die dir, lieber Leſer, einen marmornen Begriff von Franſcheska's Herrlichkeit zu geben vermoͤchte, und das iſt die Venus des großen Canova, die18 *276du in einem der letzten Saͤle des Pallazzo Pitti zu Florenz finden kannſt. Ich denke jetzt oft an dieſe Statue, zuweilen traͤumt mir, ſie laͤge in meinen Armen, und belebe ſich allmaͤhlig und fluͤſtere endlich mit der Stimme Fran¬ ſcheska's. Der Ton dieſer Stimme war es aber, der jedem ihrer Worte die lieblichſte, unendlichſte Bedeutung ertheilte, und wollte ich dir ihre Worte mittheilen, ſo gaͤbe es bloß ein trocknes Herbarium von Blumen, die nur durch ihren Duft den groͤßten Werth beſaßen. Auch ſprang ſie oft in die Hoͤhe, und tanzte waͤhrend ſie ſprach, und vielleicht war eben der Tanz ihre eigentliche Sprache. Mein Herz aber tanzte immer mit und exekutirte die ſchwierigſten Pas, und zeigte dabey ſo viel Tanztalent, wie ich ihm nie zugetraut haͤtte. In ſolcher Weiſe erzaͤhlte Franſcheska auch die Geſchichte von dem Abbate Cecco, einem jungen Burſchen, der in ſie verliebt war, als ſie noch im Arno-Thal Strohhuͤte ſtrickte,277 und ſie verſicherte, daß ich das Gluͤck haͤtte ihm aͤhnlich zu ſehen. Dabey machte ſie die zaͤrtlich¬ ſten Pantominen, druͤckte ein uͤber's andere Mal die Fingerſpitzen an's Herz, ſchien dann mit ge¬ hoͤhlter Hand die zaͤrtlichſten Gefuͤhle hervorzu¬ ſchoͤpfen, warf ſich endlich ſchwebend, mit voller Bruſt, aufs Sopha, barg das Geſicht in die Kiſſen, ſtreckte hinter ſich ihre Fuͤße in die Hoͤhe und ließ ſie wie hoͤlzerne Puppen agiren. Der blaue Fuß ſollte den Abbate Cecco und der rothe die arme Franſcheska vorſtellen, und indem ſie ihre eigene Geſchichte parodirte, ließ ſie die beiden verliebten Fuͤße von einander Abſchied nehmen, und es war ein ruͤhrend naͤrriſches Schauſpiel, wie ſich beide mit den Spitzen kuͤßten, und die zaͤrtlichſten Dinge ſagten und dabey weinte das tolle Maͤdchen ergoͤtzlich kichernde Thraͤnen, die aber dann und wann etwas unbewußt tiefer aus der Seele kamen, als die Rolle verlangte. Sie ließ auch, im drolligen Schmerzensuͤbermuth278 den Abbate Cecco eine lange Rede halten, worin er die Schoͤnheit der armen Franſcheska mit pe¬ dantiſchen Metaphern ruͤhmte, und die Art wie ſie auch, als arme Franſcheska, Antwort gab und ihre eigene Stimme, in der Sentimentalitaͤt einer fruͤheren Zeit, kopirte, hatte etwas Puppenſpiel¬ wehmuͤthiges, das mich wunderſam bewegte. Ade Cecco! Ade Franſcheska! war der beſtaͤndige Refrain, die verliebten Fuͤßchen wollten ſich nicht verlaſſen und ich war endlich froh, als ein unerbittliches Schickſal ſie von einander trennte, indem ſuͤße Ahnung mir zufluͤſterte, daß es fuͤr mich ein Mißgeſchick waͤre, wenn die beiden Lie¬ benden beſtaͤndig vereinigt blieben.

Der Profeſſor applaudirte mit poſſenhaft ſchwirrenden Guitarrentoͤnen, Signora trillerte, das Huͤndchen bellte, der Markeſe und ich klatſchten in die Haͤnde wie raſend, und Signora Franſcheska ſtand auf und verneigte ſich dankbar. Es iſt wirklich eine ſchoͤne Comoͤdie, ſprach ſie zu279 mir, aber es iſt ſchon lange her, ſeit ſie zuerſt aufgefuͤhrt worden, und ich ſelbſt bin ſchon ſo alt rathen Sie mahl wie alt?

Sie erwartete jedoch keineswegs meine Ant¬ wort, ſprach raſch: achtzehn Jahr und drehte ſich dabey wohl achtzehnmal auf einem Fuß herum. Und wie alt ſind Sie, Dottore?

Ich, Signora, bin in der Neujahrsnacht Achtzehnhundert geboren.

Ich habe Ihnen ja ſchon geſagt, bemerkte der Markeſe, es iſt einer der erſten Maͤnner unſeres Jahrhunderts.

Und wie alt halten Sie mich? rief ploͤtzlich Signora Laetizia, und ohne an ihr Eva-Koſtuͤm, das bis jetzt die Bettdecke verborgen hatte, zu denken, erhob ſie ſich bey dieſer Frage ſo leiden¬ ſchaftlich in die Hoͤhe, daß nicht nur das rothe Meer, ſondern auch ganz Arabien, Syrien und Meſopotamien zum Vorſchein kam.

280

Indem ich, ob dieſes graͤßlichen Anblicks, er¬ ſchrocken zuruͤckprallte, ſtammelte ich einige Redens¬ arten uͤber die Schwierigkeiten, eine ſolche Frage zu loͤſen, indem ich ja Signora erſt zur Haͤlfte ge¬ ſehen haͤtte; doch da ſie noch eifriger in mich drang, geſtand ich ihr die Wahrheit, nemlich daß ich das Verhaͤltniß der italieniſchen Jahre zu den deut¬ ſchen noch nicht zu berechnen wiſſe.

Iſt der Unterſchied groß? frug Signora Lae¬ tizia.

Das verſteht ſich, antwortete ich ihr, da die Hitze alle Koͤrper ausdehnt, ſo ſind die Jahre in dem warmen Italien viel laͤnger als in dem kalten Deutſchland.

Der Markeſe zog mich beſſer aus der Ver¬ legenheit, indem er galant behauptete, ihre Schoͤnheit habe ſich jetzt erſt in der uͤppigſten Reife entfaltet. Und Signora! ſetzte er hinzu, ſo wie die Pomeranze, je aͤlter ſie wird, auch deſto281 gelber wird, ſo wird auch Ihre Schoͤnheit mit jedem Jahre deſto reifer.

Die Dame ſchien mit dieſer Vergleichung zufrieden zu ſeyn, und geſtand ebenfalls, daß ſie ſich wirklich reifer fuͤhle als ſonſt, beſon¬ ders gegen damals, wo ſie noch ein duͤnnes Ding geweſen und zuerſt in Bologna auf¬ getreten ſey, und daß ſie noch jetzt nicht begreife, wie ſie in ſolcher Geſtalt ſo viel Furore habe machen koͤnnen. Und nun erzaͤhlte ſie ihr Debuͤt als Ariadne, worauf ſie, wie ich ſpaͤ¬ ter entdeckte, ſehr oft zuruͤckkam, bey welcher Gelegenheit auch Signor Bartolo das Gedicht deklamiren mußte, das er ihr damals aufs Theater geworfen. Es war ein gutes Gedicht, voll ruͤh¬ render Trauer uͤber Theſeus Treuloſigkeit, voll blinder Begeiſterung fuͤr Bachus und bluͤhender Ver¬ herrlichung Ariadne's. Bella coſa! rief Signora Laetizia bey jeder Strophe, und auch ich lobte281[282] die Bilder, den Versbau und die ganze Be¬ handlung jener Mythe.

Ja, ſie iſt ſehr ſchoͤn, ſagte der Profeſſor, und es liegt ihr gewiß eine hiſtoriſche Wahrheit zum Grunde, wie denn auch einige Autoren uns ausdruͤcklich erzaͤhlen, daß Oneus, ein Prieſter des Bachus, ſich mit der trauernden Ariadne vermaͤhlt habe, als er ſie verlaſſen auf Naxos angetroffen; und, wie oft geſchieht, iſt in der Sage, aus dem Prieſter des Gottes, der Gott ſelbſt gemacht worden.

Ich konnte dieſer Meinung nicht beyſtimmen, da ich mich in der Mythologie mehr zur hiſtoriſchen Ausdeutung hinneige, und ich entgegnete: In der ganzen Fabel, daß Ariadne, nachdem The¬ ſeus ſie auf Naxos ſitzen laſſen, ſich dem Bachus in die Arme geworfen, ſehe ich nichts anderes als die Allegorie, daß ſie ſich, in jenem verlaſſenen Zuſtande, dem Trunk ergeben hat, eine Hypotheſe, die noch mancher Gelehrte meines282[283] Vaterlandes mit mir theilt. Sie, Herr Markeſe, werden wahrſcheinlich wiſſen, daß der ſelige Banquier Bethmann, im Sinne dieſer Hypotheſe, ſeine Ariadne ſo zu beleuchten wußte, daß ſie eine rothe Naſe zu haben ſchien.

Ja, ja, Bethmann in Frankfurt war ein großer Mann! rief der Markeſe; jedoch im ſelben Augenblick ſchien ihm etwas Wichtiges durch den Kopf zu laufen, ſeufzend ſprach er vor ſich hin: Gott, Gott, ich habe vergeſſen nach Frankfurt an Rothſchild zu ſchreiben! Und mit ernſtem Geſchaͤftsgeſicht, woraus aller parodiſtiſche Scherz verſchwunden ſchien, empfahl er ſich kurzweg, ohne lange Ceromonien, und verſprach gegen Abend wiederzukommen.

Als er fort war und ich im Begriff ſtand, wie es in der Welt gebraͤuchlich iſt, meine Gloſſen uͤber eben den Mann zu machen, durch deſſen Guͤte ich die angenehmſte Bekanntſchaft gewon¬ nen, da fand ich zu meiner Verwunderung, daß284 alle ihn nicht genug zu ruͤhmen wußten, und daß alle beſonders ſeinen Enthuſiasmus fuͤr das Schoͤne, ſein adelig feines Betragen, und ſeine Uneigen¬ nuͤtzigkeit in den uͤbertriebenſten Ausdruͤcken prie¬ ſen. Auch Signora Franſcheska ſtimmte ein in dieſen Lobgeſang, doch geſtand ſie, ſeine Naſe ſey etwas beaͤngſtigend und erinnere ſie immer an den Thurm von Piſa.

Beim Abſchied bat ich ſie wieder um die Ver¬ guͤnſtigung, ihren linken Fuß kuͤſſen zu duͤrfen; worauf ſie, mit laͤchelndem Ernſt, den rothen Schuh auszog, ſo wie auch den Strumpf; und indem ich niederkniete, reichte ſie mir den[weißen], bluͤhenden Liljenfuß, den ich vielleicht glaͤubiger an die Lippen preßte, als ich es mit dem Fuß des Pab¬ ſtes gethan haben moͤchte. Wie ſich von ſelbſt ver¬ ſteht, machte ich auch die Kammerjungfer, und half den Strumpf und den Schuh wieder anziehen.

Ich bin mit Ihnen zufrieden, ſagte Sig¬ nora Franſcheska, nach verrichtetem Geſchaͤfte,285 wobey ich mich nicht zu ſehr uͤbereilte, obgleich ich alle zehn Finger in Thaͤtigkeit ſetzte, ich bin mit Ihnen zufrieden, Sie ſollen mir noch oͤfter die Struͤmpfe anziehen. Heute haben Sie den linken Fuß gekuͤßt, morgen ſoll Ihnen der rechte zu Gebot ſtehen. Uebermorgen duͤrfen Sie mir ſchon die linke Hand kuͤſſen, und einen Tag nachher auch die rechte. Fuͤhren Sie ſich gut auf, ſo reiche ich Ihnen ſpaͤterhin den Mund, u. ſ. w. Sie ſehen, ich will Sie gern avan¬ ziren laſſen, und da Sie jung ſind, koͤnnen Sie es in der Welt noch weit bringen.

Und ich habe es weit gebracht in dieſer Welt! Deß ſeyd mir Zeugen, toskaniſche Naͤchte, du hell¬ blauer Himmel mit großen ſilbernen Sternen, Ihr wilden Lorbeerbuͤſche und heimlichen Myrten, und Ihr, o Nympfen des Appennins, die Ihr mit braͤutlichen Taͤnzen uns umſchwebtet, und Euch zuruͤcktraͤumtet in jene beſſeren Goͤtterzeiten, wo es noch keine gothiſche Luͤge gab, die nur blinde,285[286] tappende Genuͤſſe im Verborgenen erlaubt und jedem freyen Gefuͤhl ihr heuchleriſches Feigen¬ blaͤttchen vorklebt.

Es beduͤrfte keiner beſonderen Feigenblaͤtter; denn ein ganzer Feigenbaum mit vollen ausge¬ breiteten Zweigen rauſchte uͤber den Haͤuptern der Gluͤcklichen.

287

Capitel VIl.

Was Pruͤgel ſind, das weiß man ſchon; was aber die Liebe iſt, das hat noch keiner her¬ ausgebracht. Einige Naturphiloſophen haben behauptet, es ſey eine Art Elektrizitaͤt. Das iſt moͤglich; denn im Momente des Verliebens iſt uns zu Muthe, als habe ein elektriſcher Strahl aus dem Auge der Geliebten ploͤtzlich in unſer Herz eingeſchlagen. Ach! dieſe Blitze ſind die verderblichſten, und wer gegen dieſe einen Ablei¬ ter erfindet, den will ich hoͤher achten als Frank¬ lin. Gaͤbe es doch kleine Blitzableiter, die man auf dem Herzen tragen koͤnnte, und woran eine288 Wetterſtange waͤre, die das ſchreckliche Feuer an¬ derswo hin zu leiten vermoͤchte. Ich fuͤrchte aber, dem kleinen Amor kann man ſeine Pfeile nicht ſo leicht rauben, wie dem Jupiter ſeinen Blitz und den Tyrannen ihr Zepter. Außerdem wirkt nicht jede Liebe blitzartig; manchmal lauert ſie, wie eine Schlange unter Roſen, und erſpaͤht die erſte Herzensluͤcke, um hineinzuſchluͤpfen; manchmal iſt es nur ein Wort, ein Blick, die Erzaͤhlung einer unſcheinbaren Handlung, was wie ein lichtes Samenkorn in unſer Herz faͤllt, eine ganze Winterzeit ruhig darin liegt, bis der Fruͤhling kommt, und das kleine Samenkorn auf¬ ſchießt zu einer flammenden Blume, deren Duft den Kopf betaͤubt. Dieſelbe Sonne, die im Nil¬ thal Egyptens Krokodilleneyer ausbruͤtet, kann zu¬ gleich zu Potsdam an der Havel die Liebesſaat in einem jungen Herzen zur Vollreife bringen dann giebt es Thraͤnen in Egypten und Pots¬ dam. Aber[Thraͤnen] ſind noch lange keine Erklaͤ¬289 rungen Was iſt die Liebe? Hat keiner ihr Weſen ergruͤndet? hat keiner das Raͤthſel geloͤſt? Vielleicht bringt ſolche Loͤſung groͤßere Qual als das Raͤthſel ſelbſt, und das Herz erſchrickt und erſtarrt darob, wie beim Anblick der Meduſa. Schlangen ringeln ſich um das ſchreckliche Wort, das dieſes Raͤthſel aufloͤſt O, ich will dieſes Aufloͤſungswort niemals wiſſen, das brennende Elend in meinem Herzen iſt mir immer noch lieber als kalte Erſtarrung. O, ſprecht es nicht aus, Ihr geſtorbenen Geſtalten, die Ihr ſchmerz¬ los wie Stein, aber auch gefuͤhllos wie Stein durch die Roſengaͤrten dieſer Welt wandelt, und mit bleichen Lippen auf den thoͤrigten Geſellen herablaͤchelt, der den Duft der Roſen preiſt und uͤber Dornen klagt.

Wenn ich dir aber, lieber Leſer, nicht zu ſagen vermag, was die Liebe eigentlich iſt, ſo koͤnnte ich dir doch ganz ausfuͤhrlich erzaͤhlen, wie man ſich gebehrdet und wie einem zu Muth18290iſt, wenn man ſich auf den Appeninen verliebt hat. Man gebehrdet ſich nemlich wie ein Narr, man tanzt uͤber Huͤgel und Felſen und glaubt, die ganze Welt tanze mit. Zu Muthe iſt einem dabey, als ſey die Welt erſt heute erſchaffen worden, und man ſey der erſte Menſch. Ach, wie ſchoͤn iſt das Alles! jauchzte ich, als ich Franſcheskas Wohnung verlaſſen hatte. Wie ſchoͤn und koſtbar iſt dieſe neue Welt! Es war mir, als muͤßte ich allen Pflanzen und Thieren einen Namen geben, und ich benannte Alles nach ſeiner innern Natur und nach meinem eignen Gefuͤhl, das mit den Außendingen ſo wunderbar verſchmolz. Meine Bruſt war eine Quelle von Offenbarung, und ich verſtand alle Formen und Geſtaltungen, den Duft der Pflanzen, den Ge¬ ſang der Voͤgel, das Pfeifen des Windes und das Rauſchen der Waſſerfaͤlle. Manchmal hoͤrte ich auch die goͤttliche Stimme: Adam, wo biſt du? Hier bin ich, Franſcheska, rief ich dann,291 ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du haſt Sonne, Mond und Sterne erſchaffen und die Erde mit allen ihren Creaturen! Dann kicherte es aus den Myrthenbuͤſchen, und heimlich ſeufzte ich in mich hinein: O ſuͤße Thorheit, ver¬ laß mich nicht!

Spaͤterhin, als die Daͤmmerungszeit herankam, begann erſt recht die verruͤckte Seligkeit der Liebe. Die Baͤume auf den Bergen tanzten nicht mehr einzeln, ſondern die Berge ſelbſt tanzten mit ſchweren Haͤuptern, die von der ſcheidenden Sonne ſo roth beſtrahlt wurden, als haͤtten ſie ſich mit ihren eignen Weintrauben berauſcht. Unten der Bach ſchoß haſtiger von dannen, und rauſchte angſtvoll, als fuͤrchte er, die entzuͤckt taumelnden Berge wuͤrden zu Boden ſtuͤrzen. Dabey wetterleuchtete es ſo lieblich, wie lichte Kuͤſſe. Ja, rief ich, der lachende Himmel kuͤßt die geliebte Erde O Franſcheska, ſchoͤner Himmel, laß mich deine Erde ſeyn! Ich bin ſo19 *292ganz irdiſch, und ſehne mich nach dir, mein Himmel! So rief ich und ſtreckte die Arme flehend empor, und rannte mit dem Kopfe gegen manchen Baum, den ich dann umarmte ſtatt zu ſchelten, und meine Seele jauchzte vor Liebes¬ trunkenheit, als ploͤtzlich ich eine glaͤnzende Scharlachgeſtalt erblickte, die mich aus allen meinen Traͤumen gewaltſam herausriß, und der kuͤhlſten Wirklichkeit zuruͤckgab.

293

Capitel VIll.

Auf einem Raſenvorſprung, unter einem brei¬ ten Lorbeerbaume, ſaß Hyazinthos, der Diener des Markeſe, und neben ihm Apollo, deſſen Hund. Letzterer ſtand vielmehr, indem er die Vorder¬ pfoten auf die Scharlachkniee des kleinen Mannes gelegt hatte, und neugierig zuſah, wie dieſer, eine Schreibtafel in den Haͤnden haltend, dann und wann etwas hineinſchrieb, wehmuͤthig vor ſich hinlaͤchelte, das Koͤpfchen ſchuͤttelte, tief ſeufzte und ſich dann vergnuͤgt die Naſe putzte.

Was Henker, rief ich ihm entgegen, Hirſch Hyazinthos! machſt du Gedichte? Nun, die Zeichen294 ſind guͤnſtig, Apollo ſteht dir zur Seite und der Lorbeer haͤngt ſchon uͤber deinem Haupte!

Aber ich that dem armen Schelme Unrecht. Liebreich antwortete er: Gedichte? Nein, ich bin ein Freund von Gedichten, aber ich ſchreibe doch keine. Was ſollte ich ſchreiben? Ich hatte eben nichts zu thun, und zu meinem Vergnuͤgen machte ich mir eine Liſte von den Namen der¬ jenigen Freunde, die einſt in meiner Collekte ge¬ ſpielt haben. Einige davon ſind mir ſogar noch etwas ſchuldig Glauben Sie nur nicht, Herr Doktor, ich wollte Sie mahnen das hat Zeit, Sie ſind mir gut. Haͤtten Sie nur zuletzt 1365 ſtatt 1364 geſpielt, ſo waͤren Sie jetzt ein Mann von Hundert tauſend Mark Banko, und brauchten nicht hier herumzulaufen, und koͤnnten ruhig in Hamburg ſitzen, ruhig und vergnuͤgt, und koͤnnten ſich auf dem Sopha erzaͤhlen laſſen, wie es in Italien ausſieht. So wahr mir Gott helfe! ich waͤre nicht hergereiſt, haͤtte ich es nicht295 Herrn Gumpel zu Liebe gethan. Ach, wie viel Hitz 'und Gefahr und Muͤdigkeit muß ich ausſtehen, und wo nur eine Ueberſpannung iſt oder eine Schwaͤrmerey, iſt auch Herr Gumpel dabey, und ich muß alles mitmachen. Ich waͤre ſchon laͤngſt von ihm gegangen, wenn er mich miſſen koͤnnte. Denn wer ſoll nachher zu Hauſe erzaͤhlen, wie viel Ehre und Bildung er in der Fremde genoſſen? Und ſoll ich die Wahrheit ſagen, ich ſelbſt fang' an, viel auf Bildung zu geben. In Hamburg hab 'ich ſie Gottlob nicht noͤthig; aber man kann nicht wiſſen, man kommt einmal nach einem ande¬ ren Ort. Es iſt eine ganz andere Welt jetzt. Und man hat Recht; ſo ein bischen Bildung ziert den ganzen Menſchen. Und welche Ehre hat man davon! Lady Maxfield zum Beyſpiel, wie hat ſie mich dieſen Morgen aufgenommen und honorirt! Ganz paralel wie ihres Gleichen. Und ſie gab mir einen Franceskoni Trinkgeld, obſchon die Blume nur fuͤnf Paoli gekoſtet hatte. Außer296 dem iſt es auch ein Vergnuͤgen, wenn man den kleinen, weißen Fuß von ſchoͤnen Damenperſonen in Haͤnden hat.

Ich war nicht wenig betreten uͤber dieſe letzte Bemerkung, und dachte gleich: iſt das Sticheley? Wie konnte aber der Lump ſchon Kenntniß haben von dem Gluͤcke, das mir erſt denſelben Tag be¬ gegnet, zu derſelben Zeit, als er auf der ent¬ gegengeſetzten Seite des Bergs war? Gab's dort etwa eine aͤhnliche Scene und offenbarte ſich darin die Ironie des großen Weltbuͤhnendichters da dro¬ ben, daß er vielleicht noch tauſend ſolcher Scenen, die gleichzeitig eine die andere parodiren, zum Vergnuͤgen der himmliſchen Heerſchaaren auffuͤh¬ ren ließ? Indeſſen beide Vermuthungen waren ungegruͤndet, denn nach langen wiederholten Fragen, und nachdem ich das Verſprechen ge¬ leiſtet, dem Markeſe nichts zu verrathen, geſtand mir der arme Menſch: Lady Maxfield habe noch zu Bette gelegen, als er ihr die Tulpe uͤber¬297 reicht, in dem Augenblick, wo er ſeine ſchoͤne Anrede halten wollen, ſey einer ihrer Fuͤße nackt zum Vorſchein gekommen, und da er Huͤhner¬ augen daran bemerkt, habe er gleich um die Er¬ laubniß gebeten, ſie ausſchneiden zu duͤrfen, wel¬ ches auch geſtattet und nachher, zugleich fuͤr die Ueberreichung der Tulpe, mit einem Franceskoni belohnt worden ſey.

Es iſt mir aber immer nur um die Ehre zu thun, ſetzte Hyacinth hinzu und das habe ich auch dem Baron Rothſchild geſagt, als ich die Ehre hatte, ihm die Huͤhneraugen zu ſchneiden. Es geſchah in ſeinem Kabinett; er ſaß dabey auf ſeinem gruͤnen Seſſel, wie auf einem Thron, ſprach wie ein Koͤnig, um ihn herum ſtanden ſeine Courtiers, und er gab ſeine Ordres, und ſchickte Stafetten an alle Koͤnige; und wie ich ihm waͤhrend deſſen die Huͤhneraugen ſchnitt, dacht 'ich im Herzen: du haſt jetzt in Haͤnden den Fuß des Mannes, der ſelbſt jetzt die ganze298 Welt in Haͤnden hat, du biſt jetzt ebenfalls ein wichtiger Menſch, ſchneideſt du ihn unten ein biſchen zu ſcharf, ſo wird er verdrießlich, und ſchneidet oben die groͤßten Koͤnige noch aͤrger Es war der gluͤcklichſte Moment meines Lebens!

Ich kann mir dieſes ſchoͤne Gefuͤhl vorſtellen, Herr Hyazinth. Welchen aber von der Roth¬ ſchildſchen Dynaſtie haben Sie ſolchermaßen am¬ putirt? War es etwa der hochherzige Britte, der Mann in Lombardſtreet, der ein Leihhaus fuͤr Kaiſer und Koͤnige errichtet hat?

Verſteht ſich, Herr Doktor, ich meyne den großen Rothſchild, den großen Nathan Roth¬ ſchild, Nathan den Weiſen, bey dem der Kaiſer von Braſilien ſeine diamantene Krone verſetzt hat. Aber ich habe auch die Ehre gehabt, den Baron Salomon Rothſchild in Frankfurt kennen zu lernen, und wenn ich mich auch nicht ſeines intimen Fußes zu erfreuen hatte, ſo wußte er mich doch zu ſchaͤtzen. Als299 der Herr Markeſe zu ihm ſagte, ich ſey einmal Lotteriekollekteur geweſen, ſagte der Baron ſehr witzig: ich bin ja ſelbſt ſo etwas, ich bin ja der Oberkollekteur der rothſchildſchen Looſe, und mein College darf bey Leibe nicht mit den Be¬ dienten eſſen, er ſoll neben mir bey Tiſche ſitzen Und ſo wahr wie mir Gott alles Guts geben ſoll, Herr Doktor, ich ſaß neben Salomon Rothſchild, und er behandelte mich ganz wie ſei¬ nes Gleichen, ganz famillionaͤr. Ich war auch bey ihm auf dem beruͤhmten Kinderball, der in der Zeitung geſtanden. So viel Pracht bekomme ich mein Lebtag nicht mehr zu ſehen. Ich bin doch auch in Hamburg auf einem Ball geweſen, der 1500 Mark und 8 Schilling koſtete, aber das war doch nur wie ein Huͤhnerdreckchen gegen einen Miſthaufen. Wie viel Gold und Silber und Dia¬ manten habe ich dort geſehen! Wie viel Sterne und Orden! Den Falkenorden, das goldne Vlies, den Loͤwenorden, den Adlerorden ſogar ein300 ganz klein Kind, ich ſage Ihnen, ein ganz klein Kind trug einen Elephantenorden. Die Kinder waren[gar] ſchoͤn maskirt und ſpielten Anleihe, und waren angezogen wie die Koͤnige, mit Kro¬ nen auf den Koͤpfen, ein großer Junge aber war angezogen praͤziſe wie der alte Nathan Roth¬ ſchild. Er machte ſeine Sache ſehr gut, hatte beide Haͤnde in der Hoſentaſche, klimperte mit Geld, ſchuͤttelte ſich verdrießlich, wenn einer von den kleinen Koͤnigen was geborgt haben wollte, und nur dem kleinen mit dem weißen Rock und den rothen Hoſen ſtreichelte er freundlich die Backen, und lobte ihn: du biſt mein Plaiſir, mein Liebling, mein 'Pracht, aber dein Vetter Michel ſoll mir vom Leib' bleiben, ich werde die¬ ſem Narrn nichts borgen, der taͤglich mehr Menſchen ausgiebt, als er jaͤhrlich zu verzehren hat, es kommt durch ihn noch ein Ungluͤck in die Welt, und mein Geſchaͤft wird darunter leiden. So wahr mir Gott alles Guts gebe, der Junge301 machte ſeine Sache ſehr gut, beſonders wenn er das dicke Kind, das in weißen Atlas mit aͤchten ſilbernen Liljen gewickelt war, im Gehen unter¬ ſtuͤtzte und bisweilen zu ihm ſagte: na, na, du, du, fuͤhr 'dich nur gut auf, ernaͤhr' dich redlich, ſorg 'daß du nicht wieder weggejagt wirſt, da¬ mit ich nicht mein Geld verliere. Ich ver¬ ſichere Sie, Herr Doktor, es war ein Vergnuͤgen, den Jungen zu hoͤren; und auch die anderen Kinder, lauter liebe Kinder, machten ihre Sache ſehr gut bis ihnen Kuchen gebracht wurde, und ſie ſich um das beſte Stuͤck ſtritten, und ſich die Kronen vom Kopf riſſen, und ſchrieen und weinten, und einige ſich ſogar

302

Capitel IX.

Es giebt nichts Langweiligeres auf dieſer Erde, als die Lektuͤre einer italieniſchen Reiſe¬ beſchreibung außer etwa das Schreiben derſel¬ ben und nur dadurch kann der Verfaſſer ſie einigermaßen ertraͤglich machen, daß er von Ita¬ lien ſelbſt ſo wenig als moͤglich darin redet. Trotz dem, daß ich dieſen Kunſtkniff vollauf anwende, kann ich dir, lieber Leſer, in den naͤchſten Capi¬ teln nicht viel Unterhaltung verſprechen. Wenn du dich bey dem ennuyanten Zeug, das darin vorkommen wird, langweilſt, ſo troͤſte dich mit mir, der all dieſes Zeug ſogar ſchreiben303 mußte. Ich rathe dir, uͤberſchlage dann und wann einige Seiten, dann koͤmmſt du mit dem Buche ſchneller zu Ende ach, ich wollt ', ich koͤnnt es eben ſo machen! Glaub' nur nicht, ich ſcherze; wenn ich dir ganz ernſthaft meine Her¬ zensmeinung uͤber dieſes[Buch] geſtehen ſoll, ſo rathe ich dir, es jetzt zuzuſchlagen, und gar nicht weiter darin zu leſen. Ich will dir naͤch¬ ſtens etwas Beſſeres ſchreiben, und wenn wir in einem folgenden Buche, in der Stadt Lukka, wieder mit Mathilden und Franſcheska zuſam¬ mentreffen, ſo ſollen dich die lieben Bilder viel anmuthiger ergoͤtzen, als gegenwaͤrtiges Capitel und gar die folgenden.

Gottlob, vor meinem Fenſter erklingt ein Leyerkaſten mit luſtigen Melodien! Mein truͤber Kopf bedarf ſolcher Aufheiterung, beſonders da ich jetzt meinen Beſuch bey Seiner Excellenz dem Markeſe Chriſtophoro di Gumpelino zu beſchrei¬ ben habe. Ich will dieſe ruͤhrende Geſchichte,304 ganz genau, woͤrtlich treu, in ihrer ſchmutzigſten Reinheit, mittheilen.

Es war ſchon ſpaͤt, als ich die Wohnung des Markeſe erreichte. Als ich in's Zimmer trat, ſtand Hyazinth allein und putzte die goldenen Sporen ſeines Herrn, welcher, wie ich durch die halbgeoͤffnete Thuͤre ſeines Schlafkabinets ſehen konnte, vor einer Madonna und einem großen Kruzifixe, auf den Knieen lag.

Du mußt nemlich wiſſen, lieber Leſer, daß der Markeſe, dieſer vornehme Mann, jetzt ein guter Katholik iſt, daß er die Ceremonien der alleinſeligmachenden Kirche ſtreng ausuͤbt, und ſich, wenn er in Rom iſt, ſogar einen eignen Capellan haͤlt, aus demſelben Grunde, weshalb er in England die beſten Wettrenner und in Paris die ſchoͤnſte Taͤnzerin unterhielt.

Herr Gumpel verrichtet jetzt ſein Gebet fluͤſterte Hyacinth mit einem wichtigen Laͤcheln, und indem er nach dem Cabinette ſeines Herrn305 deutete, fuͤgte er noch leiſer hinzu: ſo liegt er alle Abend zwey Stunden auf den Knieen vor der Prima Donna mit dem Jeſuskind. Es iſt ein praͤchtiges Kunſtbild, und es koſtet ihm ſechs¬ hundert Franceskonis.

Und Sie, Herr Hyazinth, warum knieen Sie nicht hinter ihm? Oder ſind Sie etwa kein Freund von der katholiſchen Religion?

Ich bin ein Freund davon, und bin auch wieder kein Freund davon, antwortete jener mit bedenklichem Kopfwiegen. Es iſt eine gute Reli¬ gion fuͤr einen vornehmen Baron, der den ganzen Tag muͤſſig gehen kann, und fuͤr einen Kunſt¬ kenner; aber es iſt keine Religion fuͤr einen Hamburger, fuͤr einen Mann, der ſein Geſchaͤft hat, und durchaus keine Religion fuͤr einenLot¬ teriekollekteur. Ich muß jede Nummer, die ge¬ zogen wird, ganz exakt aufſchreiben, und denke ich dann zufaͤllig an Bum! Bum! Bum! an eine katholiſche Glock ', oder ſchwebelt es mir19306vor den Augen, wie katholiſcher Weihrauch, und ich verſchreib mich, und ich ſchreibe eine unrechte Zahl, ſo kann das groͤßte Ungluͤck daraus ent¬ ſtehen. Ich habe oft zu Herren Gumpel geſagt: Ew. Ex. ſind ein reicher Mann und koͤnnen katholiſch ſeyn ſo viel Sie wollen, und koͤnnen ſich den Verſtand ganz katholiſch einraͤuchern laſſen, und koͤnnen ſo dumm werden, wie eine katholiſche Glock ', und Sie haben doch zu eſſen; ich aber bin ein Geſchaͤftsmann, und muß meine ſieben Sinne zuſammen halten, um was zu verdienen. Herr Gumpel meint freylich, es ſey noͤthig fuͤr die Bildung, und wenn ich nicht katholiſch wuͤrde, verſtaͤnde ich nicht die Bilder, die zur Bildung gehoͤ¬ ren, nicht den Johann v. Vieheſel, den Corretſchio, den Carratſchio, den Carravatſchio aber ich habe immer gedacht, der Corretſchio und Carratſchio und Caravatſchio koͤnnen mir alle nichts helfen, wenn niemand mehr bey mir ſpielt, und ich komme dann in die Patſchio. Dabey muß ich Ihnen auch307 geſtehen, Herr Doktor, daß mir die katholiſche Religion nicht einmal Vergnuͤgen macht, und als ein vernuͤnftiger Mann muͤſſen Sie mir Recht geben. Ich ſehe das Plaiſir nicht ein, es iſt eine Religion als wenn der liebe Gott, gottbe¬ wahre, eben geſtorben waͤre, und es riecht dabey nach Weihrauch, wie bey einem Leichenbegaͤngniß, und dabey brummt eine ſo traurige Begraͤbni߬ muſik, daß man die Melancholik bekoͤmmt ich ſage Ihnen, es iſt keine Religion fuͤr einen Hamburger.

Aber, Herr Hyacinth, wie gefaͤllt Ihnen denn die proteſtantiſche Religion?

Die iſt mir wieder zu vernuͤnftig, Herr Dok¬ tor, und gaͤbe es in der proteſtantiſchen Kirche keine Orgel, ſo waͤre ſie gar keine Religion. Unter uns geſagt, dieſe Religion ſchadet nichts und iſt ſo rein wie ein Glas Waſſer, aber, ſie hilft auch nichts. Ich habe ſie probirt und dieſe Probe koſtet mich vier Mark vierzehn Schilling

19 *308

Wie ſo, mein lieber Herr Hyacinth?

Sehen, Herr Doktor, ich habe gedacht: das iſt freylich eine ſehr aufgeklaͤrte Religion, und es fehlt ihr an Schwaͤrmerey und Wunder; indeſſen, ein bischen Schwaͤrmerey muß ſie doch haben, ein ganz klein Wunderchen muß ſie doch thun koͤnnen, wenn ſie ſich fuͤr eine honette Religion ausgeben will. Aber wer ſoll da Wunder thun, dacht 'ich, als ich mal in Hamburg eine proteſtan¬ tiſche Kirche beſah, die zu der ganz kahlen Sorte gehoͤrte, wo nichts als braune Baͤnke und weiße Waͤnde ſind, und an der Wand nichts als ein ſchwarz Taͤfelchen haͤngt, worauf ein halb Dutzend weiße Zahlen ſtehen. Du thuſt dieſer Religion vielleicht Unrecht, dacht' ich wieder, vielleicht koͤnnen dieſe Zahlen eben ſo gut ein Wunder thun wie ein Bild von der Mutter Gottes oder wie ein Knochen von ihrem Mann, dem heiligen Joſeph, und um der Sache auf den Grund zu kommen, ging ich gleich nach Altona, und beſetzte309 eben dieſe Zahlen in der Altonaer Lotterie, die Ambe beſetzte ich mit acht Schilling, die Terne mit ſechs, die Quaterne mit vier, und die Quin¬ terne mit zwey Schilling Aber, ich verſichere Sie auf meine Ehre, keine einzige von den pro¬ teſtantiſchen Nummern iſt herausgekommen. Jetzt wußte ich was ich zu denken hatte, jetzt dacht 'ich, bleibt mir weg mit einer Religion die gar nichts kann, bey der nicht einmal eine Ambe her¬ auskoͤmmt werde ich ſo ein Narr ſeyn, auf dieſe Religion, worauf ich ſchon vier Mark und vierzehn Schilling geſetzt und verloren habe, noch meine ganze Gluͤckſeligkeit zu ſetzen?

Die altjuͤdiſche Religion ſcheint Ihnen gewiß viel zweckmaͤßiger, mein Lieber?

Herr Doktor, bleiben Sie mir weg mit der altjuͤdiſchen Religion; die wuͤnſche ich nicht mei¬ nem aͤrgſten Feind. Man hat nichts als Schimpf und Schande davon. Ich ſage Ihnen, es iſt gar keine Religion, ſondern ein Ungluͤck. Ich310 vermeide alles, was mich daran erinnern koͤnnte, und weil Hirſch ein juͤdiſches Wort iſt und auf Deutſch Hyazinth heißt, ſo habe ich ſogar den alten Hirſch laufen laſſen, und unterſchreibe mich jetzt: Hyazinth, Collekteur, Operateur und Taxa¬ tor. Dazu habe ich noch den Vortheil, daß ſchon ein H. auf meinem Petſchaft ſteht und ich mir kein neues ſtechen zu laſſen brauche. Ich ver¬ ſichere Ihnen, es kommt auf dieſer Welt viel darauf an wie man heißt; der Name thut viel. Wenn ich mich unterſchreibe: Hyazinth, Collek¬ teur, Operateur und Taxator ſo klingt das ganz anders als ſchriebe ich Hirſch ſchlechtweg, und man kann mich dann nicht wie einen gewoͤhn¬ lichen Lump behandeln.

Mein lieber Herr Hyazinth! Wer koͤnnte Sie ſo behandeln! Sie ſcheinen ſchon ſo viel fuͤr Ihre Bildung gethan zu haben, daß man in Ihnen den gebildeten Mann ſchon erkennt, ehe Sie den Mund aufthun, um zu ſprechen.

311

Sie haben Recht, Herr Doktor, ich habe in der Bildung Fortſchritte gemacht wie eine Rieſin. Ich weiß wirklich nicht, wenn ich nach Hamburg zuruͤckkehre, mit wem ich dort umgehn ſoll; und was die Religion anbelangt, ſo weiß ich was ich thue. Vor der Hand aber kann ich mich mit dem neuen iſraelitiſchen Tempel noch behelfen; ich meine den reinen Moſaik-Gottesdienſt, mit orthographiſchen deutſchen Geſaͤngen und geruͤhr¬ ten Predigten, und einigen Schwaͤrmereychen, die eine Religion durchaus noͤthig hat. So wahr mir Gott alles Guts gebe, fuͤr mich verlange ich jetzt keine beſſere Religion, und ſie verdient, daß man ſie unterſtuͤtzt. Ich will das meinige thun, und bin ich wieder in Hamburg, ſo will ich alle Sonnabend, wenn kein Ziehungstag iſt, in den neuen Religion-Tempel gehen. Es giebt leider Menſchen, die dieſem neuen iſraelitiſchen Gottesdienſt einen ſchlechten Namen machen, und behaupten, er gaͤbe, mit Reſpekt zu ſagen, Ge¬312 legenheit zu einen Schisma aber ich kann Ihnen verſichern, es iſt eine gute reinliche Reli¬ gion, noch etwas zu gut fuͤr den gemeinen Mann, fuͤr den die altjuͤdiſche Religion vielleicht noch immer ſehr nuͤtzlich iſt. Der gemeine Mann muß eine Dummheit haben, worin er ſich gluͤcklich fuͤhlt, und er fuͤhlt ſich gluͤcklich in ſeiner Dumm¬ heit. So ein alter Jude mit einem langen Bart und zerriſſenem Rock, und der kein orthographiſch Wort ſprechen kann und ſogar ein bischen grin¬ dig iſt, fuͤhlt ſich vielleicht innerlich gluͤcklicher als ich mich mit all meiner Bildung. Da wohnt in Hamburg, im Baͤckerbreitengang, auf einem Sahl, ein Mann, der heißt Moſes Lump, man nennt ihn auch Moſes Luͤmpchen, oder kurzweg Luͤmp¬ chen; der laͤuft die ganze Woche herum, in Wind und Wetter, mit ſeinem Packen auf dem Ruͤcken, um ſeine paar Mark zu verdienen; wenn der nun Freytag Abends nach Hauſe koͤmmt, findet er die Lampe mit ſieben Lichtern angezuͤndet, den313 Tiſch weiß gedeckt, und er legt ſeinen Packen und ſeine Sorgen von ſich, und ſetzt ſich zu Tiſch mit ſeiner ſchiefen Frau und noch ſchieferen Tochter, ißt mit ihnen Fiſche, die gekocht ſind in angenehm weißer Knoblauchſauce, ſingt dabey die praͤchtigſten Lieder vom Koͤnig David, freut ſich von ganzem Herzen uͤber den Auszug der Kinder Iſrael aus Egypten, freut ſich auch, daß alle Boͤſewichter, die ihnen Boͤſes gethan, am Ende geſtorben ſind, daß Koͤnig Pharao, Nebukadnezar, Haman, Antiochus, Titus und all' ſolche Leute todt ſind, daß Luͤmpchen aber noch lebt und mit Frau und Kind Fiſch ißt Und ich ſage Ihnen, Herr Doktor, die Fiſche ſind delikat und der Mann iſt gluͤcklich, er braucht ſich mit keiner Bildung abzuquaͤlen, er ſitzt vergnuͤgt in ſeiner Religion und ſeinem gruͤnen Schlafrock, wie Diogenes in ſeiner Tonne, er betrachtet vergnuͤgt ſeine Lichter, die er nicht einmahl ſelbſt putzt Und ich ſage Ihnen, wenn die Lichter etwas matt314 brennen, und die Schabbesfrau, die ſie zu putzen hat, nicht bey der Hand iſt, und Rothſchild der Große kaͤme jetzt herein, mit all ſeinen Maklern, Diskonteuren, Spediteuren und Chefs de Comp¬ toir, womit er die Welt erobert, und er ſpraͤche: Moſes Lump, bitte dir eine Gnade aus, was du haben willſt, ſoll geſchehen Herr Doktor, ich bin uͤberzeugt, Moſes Lump wuͤrde ruhig antworten: putz 'mir die Lichter! und Roth¬ ſchild der Große wuͤrde mit Verwunderung ſagen: waͤr' ich nicht Rothſchild, ſo moͤchte ich ſo ein Luͤmpchen ſeyn!

Waͤhrend Hyazinth ſolchermaßen, epiſch breit, nach ſeiner Gewohnheit, ſeine Anſichten entwickelte, erhob ſich der Markeſe von ſeinem Betkiſſen, und trat zu uns, noch immer einige Paternoſter durch die Naſe ſchnurrend. Hyazinth zog jetzt den gruͤnen Flor uͤber das Madonnenbild, das oberhalb des Betpultes hing, loͤſchte die beiden Wachskerzen aus, die davor brannten, nahm315 das kupferne Cruzifix herab, kam damit zu uns zuruͤck, und putzte es mit demſelben Lappen und mit derſelben ſpuckenden Gewiſſenhaftigkeit, wo¬ mit er eben auch die Sporen ſeines Herrn geputzt hatte. Dieſer aber war wie aufgeloͤſt in Hitze und weicher Stimmung; ſtatt eines Oberklei¬ des trug er einen weiten, blauſeidenen Domino mit ſilbernen Frangen, und ſeine Naſe ſchimmerte wehmuͤthig, wie ein verliebter Louisd'or. O Jeſus! ſeufzte er, als er ſich in die Kiſſen des Sophas ſinken ließ finden Sie nicht, Herr Doktor, daß ich heute Abend ſehr ſchwaͤr¬ meriſch ausſehe? Ich bin ſehr bewegt, mein Gemuͤth iſt aufgeloͤſt, ich ahne eine hoͤhere Welt,

Das Auge ſieht den Himmel offen,
Es ſchwelgt das Herz in Seligkeit!

Herr Gumpel, Sie muͤſſen einnehmen un¬ terbrach Hyazinth die pathetiſche Deklamazion das Blut in Ihren Eingeweiden iſt wieder ſchwin¬ delig, ich weiß was Ihnen fehlt

316

Du weißt nicht ſeufzte der Herr.

Ich ſage Ihnen, ich weiß erwiederte der Diener, und nickte mit ſeinem gutmuͤthig bethaͤ¬ tigenden Geſichtchen ich kenne Sie ganz durch und durch, ich weiß. Sie ſind ganz das Gegen¬ theil von mir, wenn Sie Durſt haben, habe ich Hunger, wenn Sie Hunger haben, habe ich Durſt; Sie ſind zu korpulent und ich bin zu mager, Sie haben viel Einbildung und ich habe deſto mehr Geſchaͤftsſinn, ich bin ein Praktikus und Sie ſind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie ſind ganz mein Antipodex.

Ach Julia! ſeufzte Gumpelino waͤr 'ich der gelblederne Handſchuh doch auf deiner Hand und kuͤßte deine Wange! Haben Sie, Herr Doktor, jemals die Crelinger in Romeo und Julia geſehen?

Freylich, und meine ganze Seele iſt noch da¬ von entzuͤckt

317

Nun dann rief der Markeſe begeiſtert, und Feuer ſchoß aus ſeinen Augen und beleuch¬ tete die Naſe dann verſtehen Sie mich, dann wiſſen Sie was es heißt, wenn ich Ihnen ſage: ich liebe! Ich will mich Ihnen ganz decouvriren. Hyazinth, geh mal hinaus

Ich brauche gar nicht hinaus zu gehen ſprach dieſer verdrießlich Sie brauchen ſich vor mir nicht zu geniren, ich kenne auch die Liebe, und ich weiß ſchon

Du weiſt nicht! rief Gumpelino.

Zum Beweiſe, Herr Markeſe, daß ich weiß, brauche ich nur den Namen Julia Maxfield zu nennen. Beruhigen Sie ſich. Sie werden wie¬ der geliebt aber es kann Ihnen alles nichts helfen. Der Schwager Ihrer Geliebten laͤßt ſie nicht aus den Augen, und bewacht ſie Tag und Nacht wie einen Diamant.

O ich Ungluͤcklicher jammerte Gumpelino ich liebe und bin wieder geliebt, wir druͤcken uns318 heimlich die Haͤnde, wir treten uns unter'm Tiſch auf die Fuͤße, wir winken uns mit den Augen, und wir haben keine Gelegenheit! Wie oft ſtehe ich im Mondſchein auf dem Balkon, und bilde mir ein ich waͤre ſelbſt die Julia, und mein Romeo oder mein Gumpelino habe mir ein Ren¬ dezvous gegeben, und ich deklamire, ganz wie die Crelinger:

Komm Nacht! Komm Gumpelino, Tag in Nacht!
Denn du wirſt ruhn auf Fittigen der Nacht,
Wie friſcher Schnee auf eines Raben Ruͤcken.
Komm milde, liebevolle Nacht! Komm, gieb
Mir meinen Romeo, oder Gumpelino

Aber ach! Lord Maxfield bewacht uns beſtaͤndig, und wir ſterben beide vor Sehnſuchtsgefuͤhl! Ich werde den Tag nicht erleben, daß eine ſolche Nacht kommt, wo Jedes reiner Jugend Bluͤthe zum Pfande ſetzt, gewinnend zu verlieren! Ach! ſo eine Nacht waͤre mir lieber, als wenn ich das große Loos in der Hamburger Lotterie ge¬ woͤnne

319

Welche Schwaͤrmerey! rief Hyazinth das große Loos, 100,000 Mark!

Ja, lieber als das große Loos fuhr Gum¬ pelino fort waͤr 'mir ſo eine Nacht, und ach! ſie hat mir ſchon oft eine ſolche Nacht verſprochen, bey der erſten Gelegenheit, und ich hab' mir ſchon gedacht, daß ſie dann des Morgens dekla¬ miren wird, ganz wie die Crelinger:

Willſt du ſchon gehn? Der Tag iſt ja noch fern.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.
Sie ſingt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub, Lieber, mir, es war die Nachtigall.

Das große Loos fuͤr einzige Nacht! wie¬ derholte unterdeſſen mehrmals Hyazinth, und konnte ſich nicht zufrieden geben Ich habe eine große Meinung, Herr Markeſe, von Ihrer Bildung, aber daß Sie es in der Schwaͤrmerey ſo weit gebracht, hatte ich nicht geglaubt. Die Liebe ſollte einem lieber ſeyn als das große Loos! 320Wirklich, Herr Markeſe, ſeit ich mit Ihnen Um¬ gang habe, als Bedienter, habe ich mir ſchon viel Bildung angewoͤhnt; aber ſo viel weiß ich, nicht einmal ein Achtelchen vom großen Loos gaͤbe ich fuͤr die Liebe! Gott ſoll mich davor bewahren! Wenn ich auch rechne fuͤnfhundert Mark Abzugs¬ dekort, ſo bleiben doch noch immer zwoͤlftauſend Mark! Die Liebe! Wenn ich alles zuſammen¬ rechne was mich die Liebe gekoſtet hat, kommen nur zwoͤlf Mark und dreyzehn Schilling heraus. Die Liebe! Ich habe auch viel Umſonſtgluͤck in der Liebe gehabt, was mich gar nichts gekoſtet hat; nur dann und wann habe ich mal meiner Geliebten par Complaiſanz die Huͤhneraugen ge¬ ſchnitten. Ein wahres, gefuͤhlvoll leidenſchaftliches Attachement hatte ich nur ein einziges mal, und das war die dicke Gudel vom Dreckwall. Die Frau ſpielte bey mir, und wenn ich kam, ihr das Loos zu renoviren, druͤckte ſie mir immer ein Stuͤck Kuchen in die Hand, ein Stuͤck ſehr321 guten Kuchen; auch hat ſie mir manchmal etwas Eingemachtes gegeben, und ein Likoͤrchen dabey, und als ich ihr einmal klagte, daß ich mit Gemuͤthsbeſchwerden behaftet ſey, gab ſie mir das Rezept zu den Pulvern, die ihr eigner Mann braucht. Ich brauche die Pulver noch bis zur heutigen Stunde, ſie thun immer ihre Wirkung weitere Folgen hat unſere Liebe nicht gehabt. Ich daͤchte, Herr Markeſe, Sie brauchten mal eins von dieſen Pulvern. Es war mein Erſtes, als ich nach Italien kam, daß ich in Mayland nach der Apotheke ging, und mir die Pulver machen ließ, und ich trage ſie beſtaͤndig bey mir. Warten Sie nur, ich will ſie ſuchen, und wenn ich ſuche ſo finde ich ſie, und wenn ich ſie finde ſo muͤſſen ſie Ew. Excel¬ lenz einnehmen.

Es waͤre zu weitlaͤuftig, wenn ich den Com¬ mentar wiederholen wollte, womit der geſchaͤftige21322Sucher jedes Stuͤck begleitete, das er aus ſei¬ ner Taſche kramte. Da kam zum Vorſchein: ein halbes Wachslicht, ein ſilbernes Etui, worin die Inſtrumente zum Schneiden der Huͤh¬ neraugen, eine Zitrone, eine Piſtole, die obgleich nicht geladen, dennoch mit Papier umwickelt war, vielleicht damit ihr Anblick keine gefaͤhrliche Traͤume verurſache, eine gedruckte Liſte von der letzten Ziehung der großen Hamburger Lotte¬ rie, ein ſchwarzledernes Buͤchlein, worin die Pſalmen Davids und die ausſtehenden Schulden, ein duͤrres Weidenſtraͤußchen, wie zu einem Knoten verſchlungen, ein Paͤckchen, das mit verblichenem Roſataffet uͤberzogen war und die Quitung eines Lotterielooſes enthielt, das einſt funfzigtauſend Mark gewonnen, ein plattes Stuͤck Brod, wie weißgebackner Schiffszwieback, mit einem kleinen Loch in der Mitte, und endlich 10° die oben erwaͤhnten Pulver, die der kleine Mann mit einer gewiſſen Ruͤhrung und mit323 ſeinem verwundert wehmuͤthigen Kopfſchuͤtteln betrachtete.

Wenn ich bedenke ſeufzte er daß mir vor zehn Jahren die dicke Gudel dies Rezept gegeben, und daß ich jetzt in Italien bin und daſſelbe Rezept in Haͤnden habe, und wieder die Worte leſe: sal mirabile Glauberi, das heißt auf deutſch extra feines Glaubenſalz von der beſten Sorte ach, da iſt mir zu Muth, als haͤtte ich das Glaubenſalz ſelbſt ſchon eingenom¬ men und als fuͤhlte ich die Wirkung. Was iſt der Menſch! Ich bin in Italien und denke an die dicke Gudel vom Dreckwall! Wer haͤtte das gedacht! Ich kann mir vorſtellen, ſie iſt jetzt auf dem Lande, in ihrem Garten, wo der Mond ſcheint, und gewiß auch eine Nachtigall ſingt oder eine Lerche

Es iſt die Nachtigall und nicht die Lerche! ſeufzte Gumpelino dazwiſchen, und deklamirte vor ſich hin:

21 *324
Sie ſingt des Nachts auf dem Granatbaum dort;
Glaub, Lieber, mir, es war die Nachtigall.

Das iſt ganz einerley fuhr Hyacinth fort meinethalben ein Kanarienvogel, die Voͤgel die man im Garten haͤlt, koſten am we¬ nigſten. Die Hauptſache iſt das Treibhaus, und die Tapeten im Pavillon und die Staatsfiguren, die davor ſtehen, und da ſtehen, zum Beyſpiel, ein nackter General von den Goͤttern und die Venus Urinia, die beide drey hundert Mark koſten. Mitten im Garten hat ſich die Gudel auch eine Fontenelle anlegen laſſen Und da ſteht ſie vielleicht jetzt und puhlt ſich die Naſe, und macht ſich ein Schwaͤrmereyvergnuͤgen, und denkt an mich Ach!

Nach dieſem Seufzer erfolgte eine ſehnſuͤch¬ tige Stille, die der Markeſe endlich unterbrach, mit der ſchmachtenden Frage: Sage mir auf deine Ehre, Hyazinth, glaubſt du wirklich, daß dein Pulver wirken wird?

325

Es wird auf meine Ehre wirken, erwiederte jener. Warum ſoll es nicht wirken? Wirkt es doch bei mir! Und bin ich denn nicht ein leben¬ diger Menſch ſo gut wie Sie? Glaubenſalz macht alle Menſchen gleich; und wenn Rothſchild Glau¬ benſalz einnimmt, fuͤhlt er dieſelbe Wirkung wie das kleinſte Maklerchen. Ich will Ihnen alles vorausſagen: Ich ſchuͤtte das Pulver in ein Glas, gieße Waſſer dazu, ruͤhre es, und ſo wie Sie das hinuntergeſchluckt haben, ziehen Sie ein ſaures Geſicht und ſagen Prr! Prr! Hernach hoͤren Sie ſelbſt wie es in Ihnen herumkullert, und es iſt Ihnen etwas kurios zu Muth und Sie legen ſich zu Bett, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sie ſtehen wieder auf, und Sie legen ſich wieder, und ſtehen wieder auf, und ſo fort, und den andern Morgen fuͤhlen Sie ſich leicht wie ein Engel mit weißen Fluͤgeln, und Sie tanzen vor Geſundeswohlheit, nur ein bis¬ chen blaß ſehen Sie dann aus; aber ich326 weiß, Sie ſehen gern ſchmachtend blaß aus, und wenn Sie ſchmachtend blaß ausſehen, ſieht man Sie gern.

Obgleich Hyazinth ſolchermaßen zuredete, und ſchon das Pulver bereitete, haͤtte das doch wenig gefruchtet, wenn nicht dem Markeſe ploͤtzlich die Stelle, wo Julia den verhaͤngnißvollen Trank einnimmt, in den Sinn gekommen waͤre. Was halten Sie Doktor rief er von der Muͤller in Wien? Ich habe ſie als Julia geſehen, und Gott! Gott! wie ſpielt ſie! Ich bin doch der groͤßte Enthuſiaſt fuͤr die Crelinger, aber die Muͤller, als ſie den Becher austrank, hat mich hingeriſſen. Sehen Sie ſprach er, indem er mit tragiſcher Geberde das Glas, worin Hya¬ zinth das Pulver geſchuͤttet, zur Hand nahm ſehen Sie, ſo hielt ſie den Becher und ſchauderte, daß man Alles mitfuͤhlte wenn ſie ſagte:

Kalt rieſelt matter Schau'r durch meine Adern, Der faſt die Lebenswaͤrm 'erſtarren macht!

327

Und ſo ſtand ſie, wie ich jetzt ſtehe, und hielt den Becher an die Lippen, und bey den Worten:

Weile, Tybalt! Ich komme Romeo! Dies trink ich Dir.

Da leerte ſie den Becher

Wohl bekomme es Ihnen, Herr Gumpel! ſprach Hyazinth mit feyerlichem Tone; denn der Markeſe hatte in nachahmender Begeiſterung das Glas ausgetrunken, und ſich, erſchoͤpft von der Deklamazion, auf das Sopha hingeworfen.

Er verharrte jedoch nicht lange in dieſer Lage; denn es klopfte ploͤtzlich jemand an die Thuͤre, und herein trat Lady Maxfields kleiner Jokey, der dem Markeſe, mit laͤchelnder Verbeu¬ gung, ein Billet uͤberreichte und ſich gleich wieder empfahl. Haſtig erbrach jener das Billet; waͤh¬ rend er las, leuchteten Naſe und Augen vor Entzuͤcken, jedoch ploͤtzlich uͤberflog eine Geiſter¬ blaͤſſe ſein ganzes Geſicht, Beſtuͤrzung zuckte in jeder Muskel, mit Verzweiflungsgeberden ſprang328 er auf, lachte grimmig, rannte im Zimmer um¬ her,[und] ſchrie:

Weh mir, ich Narr des Gluͤcks!

Was iſt? Was iſt? frug Hyazinth mit zit¬ ternder Stimme, und indem er krampfhaft das Kruzifix, woran er wieder putzte, in zitternden Haͤnden hielt Werden wir dieſe Nacht uͤber¬ fallen?

Was iſt Ihnen, Herr Markeſe, frug ich, eben¬ falls nicht wenig erſtaunt.

Leſ't! leſ't! rief Gumpelino, indem er uns das empfangene Billet hinwarf, und immer noch verzweiflungsvoll im Zimmer umherrannte, wobey ſein blauer Domino ihn wie eine Sturm¬ wolke umflatterte Weh mir, ich Narr des Gluͤcks!

In dem Billete aber laſen wir folgende Worte:

Suͤßer Gumpelino! Sobald es tagt, muß ich nach England abreiſen. Mein Schwager329 iſt indeſſen ſchon vorangeeilt und erwartet mich in Florenz. Ich bin jetzt unbeobachtet, aber leider nur dieſe einzige Nacht Laß uns dieſe benutzen, laß uns den Nektarkelch, den uns die Liebe kredenzt, bis auf den letzten Tropfen leeren. Ich harre, ich zittere

Julia Maxfield.

Weh mir, ich Narr des Gluͤcks! jammerte Gumpelino die Liebe will mir ihren Nektar¬ kelch kredenzen, und ich, ach! ich Hansnarr des Gluͤcks, ich habe ſchon den Becher des Glauben¬ ſalzes geleert! Wer bringt mir den ſchrecklichen Trank wieder aus dem Magen? Huͤlfe! Huͤlfe!

Hier kann kein irdiſcher Lebensmenſch mehr helfen, ſeufzte Hyazinth.

Ich bedauere Sie von ganzem Herzen, kon¬ dolirte ich ebenfalls. Statt eines Kelchs mit Nektar ein Glas mit Glauberſalz zu genießen, das iſt bitter! Statt des Thrones der Liebe harrt Ihrer jetzt der Stuhl der Nacht!

330

O Jeſus! O Jeſus! ſchrie der Markeſe noch immer Ich fuͤhle, wie es durch alle meine Adern rinnt O wackerer Apotheker! dein Trank wirkt ſchnell aber ich laſſe mich doch nicht dadurch abhalten, ich will zu ihr eilen, zu ihren Fuͤßen will ich niederſinken, und da ver¬ bluten!

Von Blut iſt gar nicht die Rede beguͤtigte Hyazinth Sie haben ja keine Homeriden. Seyn Sie nur nicht leidenſchaftlich

Nein, nein! ich will zu ihr hin, in ihren Armen o Nacht! o Nacht

Ich ſage Ihnen fuhr Hyazinth fort mit philoſophiſcher Gelaſſenheit Sie werden in ihren Armen keine Ruhe haben, Sie werden zwanzig¬ mahl aufſtehen muͤſſen. Seyn Sie nur nicht leidenſchaftlich. Je mehr Sie im Zimmer auf - und abſpringen und je mehr ſie ſich alteriren, deſto ſchneller wirkt das Glaubenſalz. Ihr Ge¬ muͤth ſpielt der Natur in die Haͤnde. Sie331 muͤſſen wie ein Mann tragen, was das Schickſal uͤber Sie beſchloſſen hat. Daß es ſo gekommen iſt, iſt vielleicht gut, und es iſt vielleicht gut, daß es ſo gekommen iſt. Der Menſch iſt ein irdiſches Weſen und begreift nicht die Fuͤgung der Goͤtt¬ lichkeit. Der Menſch meint oft, er ginge ſeinem Gluͤck entgegen, und auf ſeinem Wege ſteht viel¬ leicht das Ungluͤck mit einem Stock, und wenn ein buͤrgerlicher Stock auf einen adeligen Ruͤcken kommt, ſo fuͤhlt's der Menſch, Herr Markeſe.

Weh mir, ich Narr des Gluͤcks! tobte noch immer Gumpelino, ſein Diener aber ſprach ruhig weiter:

Der Menſch erwartet oft einen Kelch mit Nektar, und er kriegt eine Pruͤgelſuppe, und iſt auch Nektar ſuͤß, ſo ſind doch Pruͤgel deſto bitterer; und es iſt noch ein wahres Gluͤck, daß der Menſch, der den Andern pruͤgelt, am Ende muͤde wird, ſonſt koͤnnte es der andere wahrhaftig nicht aushalten. Gefaͤhrlicher iſt aber noch, wenn332 das Ungluͤck mit Dolch und Gift, auf dem Wege der Liebe, dem Menſchen auflauert, ſo daß er ſeines Lebens nicht ſicher iſt. Vielleicht, Herr Markeſe, iſt es wirklich gut, daß es ſo gekommen iſt, denn vielleicht waͤren Sie in der Hitze der Liebe zu der Geliebten hingelaufen, und auf dem Wege waͤre ein kleiner Italiener mit einem Dolch, der ſechs Brabanter Ellen lang iſt, auf Sie los¬ gerannt, und haͤtte Sie ich will meinen Mund nicht zum Boͤſen aufthun blos in die Wade geſtochen. Denn hier kann man nicht, wie in Hamburg, gleich die Wache rufen, und in den Appeninen giebt es keine Nachtwaͤchter. Oder vielleicht gar fuhr der unerbittliche Troͤſter fort, ohne durch die Verzweiflung des Markeſe ſich im mindeſten ſtoͤren zu laſſen vielleicht gar, wenn Sie bey Lady Maxfield ganz wohl und warm ſaͤßen, kaͤme ploͤtzlich der Schwager von der Reiſe zuruͤck und ſetzte Ihnen die geladene Piſtole auf die Bruſt, und ließe Sie einen Wech¬333 ſel unterſchreiben von hundert tauſend Mark. Ich will meinen Mund nicht zum Boͤſen auf¬ thun, aber ich ſetze den Fall: Sie waͤren ein ſchoͤner Menſch, und Lady Maxfield waͤre in Verzweiflung, daß ſie den ſchoͤnen Menſchen ver¬ lieren ſoll, und eiferſuͤchtig, wie die Weiber ſind, wollte ſie nicht, daß eine Andre ſich nachher an Ihnen begluͤcke Was thut ſie? Sie nimmt eine Zitrone oder eine Orange, und ſchuͤttet ein klein weiß Puͤlverchen hinein, und ſagt: kuͤhle dich, Geliebter, du haſt dich heiß gelaufen und den andern Morgen ſind Sie wirklich ein kuͤhler Menſch. Da war ein Mann, der hieß Pieper und der hatte eine Leidenſchaftsliebe mit einer Maͤdchenperſon, die das Poſaunenengelhan¬ chen hieß, und die wohnte auf der Kaffemacherey und der Mann wohnte in der Fuhlentwiete

Ich wollte, Hirſch ſchrie wuͤthend der Markeſe, deſſen Unruhe den hoͤchſten Grad er¬ reicht hatte ich wollt ', dein Pieper von der334 Fuhlentwiete, und ſein Poſaunenengel von der Kaffemacherey, und du und die Gudel, Ihr haͤttet mein Glaubenſalz im Leibe!

Was wollen Sie von mir, Herr Gumpel? verſetzte Hyazinth, nicht ohne Anflug von Hitze Was kann ich dafuͤr, daß Lady Maxfield juſt heut Nacht abreiſen will und Sie juſt heute invitirt? Konnt 'ich das voraus wiſſen? Bin ich Ariſto¬ teles? Bin ich bey der Vorſehung angeſtellt? Ich habe blos verſprochen, daß das Pulver wirken ſoll, und es wirkt ſo ſicher, wie ich einſt ſelig werde, und wenn Sie ſo disparat und[leidenſchaftlich] mit ſolcher Raſerey hin und her laufen, ſo wird es noch ſchneller wirken

So will ich mich ruhig hinſetzen! aͤchzte Gum¬ pelino, ſtampfte den Boden, warf ſich ingrimmig auf's Sopha, unterdruͤckte gewaltſam ſeine Wuth und Herr und Diener ſahen ſich lange ſchweigend an, bis jener endlich nach einem tiefen Seufzer und faſt kleinlaut ihn anredete:

335

Aber Hirſch, was ſoll die Frau von mir denken, wenn ich nicht komme? Sie wartet jetzt auf mich, ſie harrt ſogar, ſie zittert, ſie gluͤht vor Liebe

Sie hat einen ſchoͤnen Fuß ſprach Hya¬ zinth in ſich hinein und ſchuͤttelte wehmuͤthig ſein Koͤpflein. In ſeiner Bruſt aber ſchien es ſich gewaltig zu bewegen, unter ſeinem rothen Rocke arbeitete ſichtbar ein kuͤhner Gedanke

Herr Gumpel ſprach es endlich aus ihm ihm hervor Schicken Sie mich!

Bey dieſen Worten zog eine hohe Roͤthe uͤber das blaͤßliche Geſchaͤftsgeſicht.

336

Capitel X.

Als Candide nach Eldorado kam, ſah er auf der Straße mehrere Buben, die mit großen Gold¬ klumpen ſtatt mit Steinen ſpielten. Dieſer Luxus machte ihn glauben, es ſeyen das Kinder des Koͤnigs, und er war nicht wenig verwundert, als er vernahm, daß in Eldorado die Goldklumpen eben ſo werthlos ſind, wie bey uns die Kieſel¬ ſteine, und daß die Schulknaben damit ſpielen. Einem meiner Freunde, einem Auslaͤnder, iſt etwas Aehnliches begegnet, als er nach[Deutſchland] kam und zuerſt deutſche Buͤcher las, und uͤber den Gedankenreichthum, welchen er darin fand, ſehr337 erſtaunte; bald aber merkte er, daß Gedanken in Deutſchland ſo haͤufig ſind, wie Goldklumpen in Eldorado, und daß jene Schriftſteller, die er fuͤr Geiſtesprinzen gehalten, nur gewoͤhnliche Schulknaben waren.

Dieſe Geſchichte kommt mir immer in den Sinn, wenn ich im Begriff ſtehe, die ſchoͤnſten Reflexionen uͤber Kunſt und Leben niederzuſchrei¬ ben, und dann lache ich, und behalte lieber meine Gedanken in der Feder, oder kritzele ſtatt dieſer irgend ein Bild oder Figuͤrchen auf das Papier, und uͤberrede mich, ſolche Tapeten ſeyen in Deutſchland, dem geiſtigen Eldorado, weit brauch¬ barer als die goldigſten Gedanken.

Auf der Tapete, die ich Dir jetzt zeige, lieber Leſer, ſiehſt Du wieder die wohlbekannten Ge¬ ſichter Gumpelino's und ſeines Hirſch-Hyazinthos, und wenn auch jener mit minder beſtimmten Zuͤgen dargeſtellt iſt, ſo hoffe ich doch, Du wirſt ſcharfſinnig genug ſeyn, einen Negazionscharakter22338ohne allzu poſitive Bezeichnungen zu begreifen. Letztere koͤnnten mir einen Injurienprozeß zu Wege bringen, oder gar noch bedenklichere Dinge. Denn der Markeſe iſt maͤchtig durch Geld und Verbindungen. Dabey iſt er der natuͤrliche Alliirte meiner Feinde, er unterſtuͤtzt ſie mit Subſidien, er iſt Ariſtokrat, Ultra-Papiſt, nur etwas fehlte ihm noch je nun, auch das wird er ſich ſchon anlehren laſſen er hat das Lehrbuch dazu in den Haͤnden, wie Du auf der Tapete ſehen wirſt.

Es iſt wieder Abend, auf dem Tiſche ſtehen zwey Armleuchter mit brennenden Wachskerzen, ihr Schimmer ſpielt uͤber die goldenen Rahmen der Heiligenbilder, die, an der Wand haͤngend, durch das flackernde Licht und die beweglichen Schatten zu leben ſcheinen. Draußen, vor dem Fenſter, ſtehen im ſilbernen Mondſchein, unheim¬ lich bewegungslos, die duͤſtern Zypreſſen, und in der Ferne ertoͤnt ein truͤbes Marienliedchen, in abgebrochenen Lauten und wie von einer kranken339 Kinderſtimme. Es herrſcht eine eigene Schwuͤle im Zimmer, der Markeſe Chriſtophoro di Gum¬ pelino ſitzt, oder vielmehr liegt wieder, nachlaͤßig vornehm, auf den Kiſſen des Sophas, der edle ſchwitzende Leib iſt wieder mit dem duͤnnen, blau¬ ſeidenen Domino bekleidet, in den Haͤnden haͤlt er ein Buch, das in rothes Saffianpapier mit Goldſchnitt gebunden iſt, und deklamirt daraus laut und ſchmachtend. Sein Auge hat da¬ bey einen gewiſſen klebrigten Luſtre, wie er verliebten Katern eigen zu ſeyn pflegt, und ſeine Wangen, ſogar die beiden Seitenfluͤgel der Naſe, ſind etwas leidend blaß. Jedoch, lieber Leſer, dieſe Blaͤſſe ließe ſich wohl philoſophiſch antropologiſch erklaͤren, wenn man bedenkt, daß der Markeſe den Abend vorher ein ganzes Glas Glauberſalz verſchluckt hat.

Hirſch-Hyazinthos aber kauert am Boden des Zimmers, und mit einem großen Stuͤck weißer Kreide zeichnet er auf das braune22 *340Eſtrich, in großem Maßſtabe ungefaͤhr folgende Charaktere:

Dieſes Geſchaͤft ſcheint dem kleinen Manne ziemlich ſauer zu werden; keuchend, bey dem jedesmaligen Buͤcken, murmelt er verdrießlich: Spondeus, Trochaͤus, Jambus, Antiſpaß, Ana¬ paͤſt und die Peſt! Dazu hat er, um der beque¬ meren Bewegung willen, den rothen Oberrock abgelegt, und zum Vorſchein kommen zwey kurze, demuͤthige Beinchen in engen Scharlachhoſen, und zwey etwas laͤngere abgemagerte Arme in weißen, ſchlotternden Hemdaͤrmeln.

Was ſind das fuͤr ſonderbare Figuren, frug ich ihn, als ich dieſem Treiben eine Weile zugeſehen.

341

Das ſind Fuͤße in Lebensgroͤße aͤchzte er zur Antwort und ich geplagter Mann muß dieſe Fuͤße im Kopf behalten, und meine Haͤnde thun mir ſchon weh von all den Fuͤßen, die ich jetzt aufſchreiben muß. Es ſind die wahren, aͤchten Fuͤße von der Poeſie. Wenn ich es nicht meiner Bildung wegen thaͤte, ſo ließe ich die Poeſie laufen mit allen ihren Fuͤßen. Ich habe jetzt bey dem Herrn Markeſe Privatunter¬ richt in der Poeſiekunſt. Der Herr Markeſe lieſt mir die Gedichte vor, und explizirt mir, aus wie viel Fuͤßen ſie beſtehen, und ich muß ſie no¬ tiren und dann nachrechnen, ob das Gedicht richtig iſt.

Sie treffen uns ſprach der Markeſe, didak¬ tiſch pathetiſchen Tones wirklich in einer poetiſchen Beſchaͤftigung. Ich weiß wohl, Dok¬ tor, Sie gehoͤren zu den Dichtern, die einen eigenſinnigen Kopf haben, und nicht einſehen, daß die Fuͤße in der Dichtkunſt die Hauptſache342 ſind. Ein gebildetes Gemuͤth wird aber nur durch die gebildete Form angeſprochen, dieſe koͤn¬ nen wir nur von den Griechen lernen und von neueren Dichtern, die griechiſch ſtreben, griechiſch denken, griechiſch fuͤhlen, und in ſolcher Weiſe ihre Gefuͤhle an den Mann bringen.

Verſteht ſich an den Mann, nicht an die Frau, wie ein unklaſſiſcher romantiſcher Dichter zu thun pflegt bemerkte meine Wenigkeit.

Herr Gumpel ſpricht zuweilen wie ein Buch, fluͤſterte mir Hyazinth von der Seite zu, preßte die ſchmalen Lippen zuſammen, blinzelte mit ſtolz vergnuͤgten Aeuglein, und ſchuͤttelte das wunder¬ ſtaunende Haͤuptlein. Ich ſage Ihnen ſetzte er etwas lauter hinzu wie ein Buch ſpricht er zuweilen, er iſt dann ſo zu ſagen kein Menſch mehr, ſondern ein hoͤheres Weſen, und ich werde dann wie dumm, je mehr ich ihn anhoͤre.

Und was haben Sie denn jetzt in den Haͤnden? frug ich den Markeſe.

343

Brillanten! antwortete er und uͤberreichte mir das Buch.

Bey dem Wort Brillanten ſprang Hya¬ zinth in die Hoͤhe; doch als er nur ein Buch ſah, laͤchelte er mitleidigen Blicks. Dieſes brillante Buch aber hatte auf dem Vorderblatte folgenden Titel:

Gedichte von Auguſt Grafen von Platen; Stuttgard und Tuͤbingen. Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1828.

Auf dem Hinterblatte ſtand zierlich geſchrieben: Geſchenk warmer bruͤderlicher Freundſchaft. Dabey roch das Buch nach jenem ſeltſamen Par¬ fum, der mit Eau de Cologne nicht die mindeſte Verwandſchaft hat, und vielleicht auch dem Um¬ ſtande beyzumeſſen war, daß der Markeſe die ganze Nacht darin geleſen hatte.

Ich habe die ganze Nacht kein Auge zuthun koͤnnen klagte er mir ich war ſo ſehr be¬ wegt, ich mußte eilf mal aus dem Bette ſteigen,344 und zum Gluͤck hatte ich dabey dieſe vortreffliche Lektuͤre, woraus ich nicht blos Belehrung fuͤr die Poeſie, ſondern auch Troſt fuͤr das Leben geſchoͤpft habe. Sie ſehen, wie ſehr ich das Buch geehrt, es fehlt kein einziges Blatt, und doch, wenn ich ſo ſaß wie ich ſaß, kam ich manchmal in Verſuchung

Das wird Mehreren paſſirt ſeyn, Herr Markeſe.

Ich ſchwoͤre Ihnen bei unſerer lieben Frau von Loretto und ſo wahr ich ein ehrlicher Mann bin fuhr jener fort dieſe Gedichte haben nicht ihres Gleichen. Ich war, wie Sie wiſſen, geſtern Abend in Verzweiflung, ſo zu ſagen, au Deſespoir, als das Fatum mir nicht vergoͤnnte, meine Julia zu beſitzen da las ich dieſe Ge¬ dichte, jedesmal ein Gedicht wenn ich aufſtehen mußte, und eine ſolche Gleichguͤltigkeit gegen die Weiber war die Folge, daß mir mein eigener Liebesſchmerz zuwider wurde. Das iſt eben das Schoͤne an dieſem Dichter, daß er nur fuͤr Maͤn¬345 ner gluͤht, in warmer Freundſchaft; er giebt uns den Vorzug vor dem weiblichen Geſchlechte, und ſchon fuͤr dieſe Ehre ſollten wir ihm dankbar ſeyn. Er iſt darin groͤßer als alle andern Dich¬ ter, er ſchmeichelt nicht dem gewoͤhnlichen Ge¬ ſchmack des großen Haufens, er heilt uns von unſerer Paſſion fuͤr die Weiber, die uns ſo viel Ungluͤck zuzieht O Weiber! Weiber! wer uns von Euren Feſſeln befreit, der iſt ein Wohl¬ thaͤter der Menſchheit. Es iſt ewig Schade, daß Shakespeare ſein eminentes theatraliſches Talent nicht dazu benutzt hat, denn er ſoll, wie ich hier zuerſt leſe, nicht minder großherzig gefuͤhlt haben als der große Graf Platen, der in ſeinen So¬ netten von Shakespeare ſagt:

Nicht Maͤdchenlaunen ſtoͤrten deinen Schlummer,
Doch ſtets um Freundſchaft ſehn wir warm dich ringen:
Dein Freund errettet dich aus Weiberſchlingen,
Und ſeine Schoͤnheit iſt dein Ruhm und Kummer.
346

Waͤhrend der Markeſe dieſe Worte mit war¬ mem Gefuͤhl deklamirte, und der glatte Miſt ihm gleichſam auf der Zunge ſchmolz, ſchnitt Hyazinth die widerſprechendſten Geſichter, zugleich verdrie߬ lich und beyfaͤllig, und endlich ſprach er:

Herr Markeſe, Sie ſprechen wie ein Buch, auch die Verſe gehen Ihnen wieder ſo leicht ab wie dieſe Nacht, aber ihr Inhalt will mir nicht gefallen. Als Mann fuͤhle ich mich geſchmeichelt, daß der Graf Platen uns den Vorzug giebt vor den Weibern, und als Freund von den Weibern bin ich wieder ein Gegner von ſolch einem Manne. So iſt der Menſch! Der Eine ißt gern Zwiebeln, der Andere hat mehr Gefuͤhl fuͤr warme Freundſchaft, und ich, als ehrlicher Mann, muß aufrichtig geſtehen, ich eſſe gern Zwiebeln, und eine ſchiefe Koͤchin iſt mir lieber als der ſchoͤnſte Schoͤnheitsfreund. Ja, ich muß geſtehen, ich ſehe nicht ſo viel Schoͤnes am maͤnnlichen Geſchlecht, daß man ſich darin verlieben ſollte.

347

Dieſe letzteren Worte ſprach Hyazinth, waͤh¬ rend er ſich muſternd im Spiegel betrachtete, der Markeſe aber ließ ſich nicht ſtoͤren und deklamirte weiter:

Der Hoffnung Schaumgebaͤude bricht zuſammen,
Wir muͤh'n uns, ach! und kommen nicht zuſammen:
Mein Name klingt aus deinem Mund melodiſch,
Doch reih'ſt du ſelten dies Gedicht zuſammen;
Wie Sonn 'und Mond uns ſtets getrennt zu halten,
Verſchworen Sitte ſich und Pflicht zuſammen,
Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen
Dein dunkles Haar, mein hell Geſicht zuſammen!
Doch ach! ich traͤume, denn du ziehſt von hinnen,
Eh' noch das Gluͤck uns brachte dicht zuſammen:
Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber,
O waͤren's Blumen, die man flicht zuſammen!

Eine komiſche Poeſie! rief Hyazinth, der die Reime nachmurmelte Sitte ſich und Pflicht zuſammen, Geſicht zuſammen, dicht zuſammen,348 flicht zuſammen! komiſche Poeſie! Mein Schwa¬ ger, wenn er Gedichte lieſt, macht oft den Spaß, daß er am Ende jeder Zeile die Worte von vorn und von hinten abwechſelnd hinzuſetzt; und ich habe nie gewußt, daß die Poeſiegedichte, die dadurch entſtehen, Gaſelen heißen. Ich muß einmal die Probe machen, ob das Gedicht, das der Herr Markeſe deklamirt hat, nicht noch ſchoͤ¬ ner wird, wenn man nach dem Wort zuſam¬ men jedesmal, mit Abwechslung von vorn und von hinten ſetzt; die Poeſie davon wird gewiß zwanzig Prozent ſtaͤrker.

Ohne auf dieſes Geſchwaͤtz zu achten, fuhr der Markeſe fort im Deklamiren von Gaſelen und Sonetten, worin der Liebende ſeinen Schoͤn¬ heitsfreund beſingt, ihn preiſt, ſich uͤber ihn be¬ klagt, ihn des Kaltſinns beſchuldigt, Plaͤne ſchmie¬ det, um zu ihm zu gelangen, mit ihm aͤugelt, eiferſuͤchtelt, ſchmaͤchtelt, eine ganze Scala von Zaͤrtlichkeiten durchliebelt, und zwar ſo warmſelig,349 betaſtungsſuͤchtig und anleckend, daß man glauben ſollte, der Verfaſſer ſey ein manntolles Maͤgdlein Nur muͤßte es dann einigermaßen befremden, daß dieſes Maͤgdlein beſtaͤndig jammert, ihre Liebe ſey gegen die Sitte daß ſie gegen dieſe trennende Sitte ſo bitter geſtimmt iſt, wie ein Taſchendieb gegen die Polizey, daß ſie liebend die Lende des Freundes umſchlingen moͤchte, daß ſie ſich uͤber Neider beklagt, die ſich ſchlau ver¬ einen, um uns zu hindern und getrennt zu hal¬ ten daß ſie uͤber verletzende Kraͤnkungen klagt von Seiten des Freundes, daß ſie ihm verſichert, ſie wolle ihn nur fluͤchtig erblicken, ihm betheuert Nicht eine Sylbe ſoll dein Ohr erſchrecken! und endlich geſteht:

Mein Wunſch bey Andern Widerſtreben,
Du haſt ihn nicht erhoͤrt, doch abgeſchlagen
Haſt du ihn auch nicht, o mein ſuͤßes Leben!

Ich muß dem Markeſe das Zeugniß ertheilen, daß er dieſe Gedichte gut vortrug, hinlaͤnglich350 dabey ſeufzte, aͤchzte und auf dem Sopha hin und herrutſchend gleichſam mit dem Geſaͤße ko¬ kettirte. Hyazinth verſaͤumte keineswegs, immer die Reime nachzuplappern, wenn er auch unge¬ hoͤrige Bemerkungen dazwiſchen ſchwaͤtzte. Den Oden ſchenkte er die meiſte Aufmerkſamkeit. Man kann bey dieſer Sorte, ſagte er, weit mehr ler¬ nen als bey Saunetten und Gaſelen; da bey den Oden die Fuͤße oben ganz beſonders abge¬ druckt ſind, kann man jedes Gedicht mit Be¬ quemlichkeit nachrechnen. Jeder Dichter ſollte, wie der Graf Platen, bey ſeinen ſchwierigſten Poeſiegedichten, die Fuͤße oben drucken und zu den Leuten ſagen: Seht ich bin ein ehrlicher Mann, ich will Euch nicht betruͤgen, dieſe krum¬ men und geraden Striche, die ich vor jedes Ge¬ dicht ſetze, ſind ſo zu ſagen ein Conto finto von jedem Gedicht, und Ihr koͤnnt nachrechnen, wie viel Muͤhe es mich gekoſtet, ſie ſind, ſo zu ſagen, das Ellenmaß von jedem Gedichte, und Ihr351 koͤnnt nachmeſſen, und fehlt daran eine einzige Sylbe, ſo ſollt Ihr mich einen Spitzbuben nen¬ nen, ſo wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Aber eben durch dieſe ehrliche Miene, kann das Pu¬ blikum betrogen werden. Eben wenn die Fuͤße vor dem Gedichte angegeben ſind, denkt man: ich will kein mißtrauiſcher Menſch ſeyn, wozu ſoll ich dem Manne nachzaͤhlen, er iſt gewiß ein ehr¬ licher Mann und man zaͤhlt nicht nach und wird betrogen. Und kann man immer nachrechnen? Wir ſind jetzt in Italien und da habe ich Zeit, die Fuͤße mit Kreide auf die Erde zu ſchreiben und jede Ode zu kollazioniren. Aber in Ham¬ burg, wo ich mein Geſchaͤft habe, fehlt mir die Zeit dazu, und ich muͤßte dem Grafen Platen un¬ gezaͤhlt trauen, wie man traut bey den Geld¬ beuteln von der Courantkaſſe, worauf geſchrieben ſteht, wie viel Hundert Thaler darin enthalten ſie gehen verſiegelt von Hand zu Hand, jeder traut dem Andern, daß ſo viel darin enthalten352 iſt, wie darauf ſteht, und es giebt doch Beyſpiele, daß ein Muͤſſiggaͤnger, der nicht viel zu thun hatte, ſo einen Beutel geoͤffnet und nachgezaͤhlt und ein paar Thaler zu wenig darin gefunden hat. So kann auch in der Poeſie viel Spitzbuͤberey vor¬ fallen. Beſonders wenn ich an Geldbeutel denke, werde ich mißtrauiſch. Denn mein Schwager hat mir erzaͤhlt: im Zuchthaus zu Odenſee ſitzt ein ge¬ wiſſer Jemand, der bey der Poſt angeſtellt war, und die Geldbeutel, die durch ſeine Haͤnde gingen, unehrlich geoͤffnet und unehrlich Geld herausge¬ nommen, und ſie wieder kuͤnſtlich zugenaͤht und weiter geſchickt hat. Hoͤrt man von ſolcher Ge¬ ſchicklichkeit, ſo verliert man das menſchliche Zu¬ trauen und wird ein mißtrauiſcher Menſch. Es giebt jetzt viel Spitzbuͤberey in der Welt, und es iſt gewiß in der Poeſie wie in jedem anderen Geſchaͤft.

Die[Ehrlichkeit] fuhr Hyacinth fort, waͤh¬ rend der Markeſe weiter deklamirte, ohne unſerer353 zu achten, ganz verſunken in Gefuͤhl die Ehr¬ lichkeit, Herr Doktor iſt die Hauptſache, und wer kein ehrlicher Mann iſt, den betrachte ich wie einen Spitzbuben, und wen ich wie einen Spitz¬ buben betrachte, von dem kaufe ich nichts, von dem leſe ich nichts, kurz ich mache kein Geſchaͤft mit ihm. Ich bin ein Mann, Herr Doktor, der ſich auf nichts etwas einbildet, wenn ich mir aber etwas einbilden wollte auf etwas, ſo wuͤrde ich mir etwas darauf einbilden, daß ich ein ehr¬ licher Mann bin. Ich will Ihnen einen edlen Zug von mir erzaͤhlen, und Sie werden ſtaunen ich ſag 'Ihnen, Sie werden ſtaunen, ſo wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Da wohnt ein Mann in Hamburg auf dem Speersort, und der iſt ein Krautkraͤmer, und heißt Kloͤtzchen, das heißt, ich heiße den Mann Kloͤtzchen, weil wir gute Freunde ſind, ſonſt heißt der Mann Herr Klotz. Auch ſeine Frau muß man Madam Klotz nennen, und ſie hat nie leiden koͤnnen, daß ihr Mann23354bey mir ſpielte, und wenn ihr Mann bey mir ſpielen wollte, ſo durfte ich mit dem Lotterieloos nicht zu ihm in's Haus kommen, und er ſagte mir immer auf der Straße: die und die Nummer will ich bey dir ſpielen und hier haſt du das Geld, Hirſch! Und ich ſagte dann: gut, Kloͤtz¬ chen! Und kam ich nach Hauſe, ſo legte ich die Nummer kouvertirt fuͤr ihn aparte, und ſchrieb auf das Kouvert mit deutſchen Buchſtaben: fuͤr Rechnung des Herrn Chriſtian Hinrich Klotz. Und nun hoͤren Sie und ſtaunen Sie: Es war ein ſchoͤner Fruͤhlingstag, und die Baͤume an der Boͤrſe waren gruͤn, und die Zephyrluͤfte waren angenehm, und die Sonne glaͤnzte am Himmel, und ich ſtand an der Hamburger Bank. Da kommt Kloͤtzchen, mein Kloͤtzchen, und hat am Arm ſeine dicke Madam Klotz, und gruͤßt mich zuerſt, und ſpricht von der Fruͤhlingspracht Got¬ tes, macht auch einige patriotiſche Bemerkungen uͤber das Buͤrgermilitair, und er fragt mich wie355 die Geſchaͤfte gehen, und ich erzaͤhle ihm, daß vor einigen Stunden wieder einer am Pranger ge¬ ſtanden, und ſo im Geſpraͤch ſagt er mir: geſtern Nacht habe ich getraͤumt, Nummero 1538 wird als das große Loos herauskommen und in demſelben Moment, waͤhrend Madame Klotz die Kaiſerſtatiſten vor dem Rathhaus betrachtet, druͤckt er mir dreyzehn vollwichtige Stuͤck Louisd'or in die Hand ich meyne ich fuͤhle ſie noch jetzt und ehe Madam Klotz ſich wieder herumdreht, ſag 'ich: gut, Kloͤtzchen! und gehe weg. Und ich gehe directement, ohne mich umzuſehen, nach der Hauptkollekte und hole mir Nummero 1538, und kouvertire ſie ſobald ich nach[Hauſe] komme, und ſchreibe auf das Kouvert: fuͤr Rechnung des Herrn Chriſtian Hinrich Klotz. Und was thut Gott? Vierzehn Tage nachher, um meine Ehr¬ lichkeit auf die Probe zu ſtellen, laͤßt er Num¬ mero 1538 herauskommen mit einem Gewinn von 50,000 Mark. Was thut aber Hirſch, der¬23 *356ſelbe Hirſch, der jetzt vor Ihnen ſteht? Dieſer Hirſch zieht ein reines weißes Oberhemdchen und ein reines weißes Halstuch an, und nimmt ſich eine Droſchke, und holt ſich bey der Hauptkollekte ſeine 50,000 Mark und faͤhrt damit nach dem Speersort Und wie mich Kloͤtzchen ſieht, fragt er: Hirſch warum biſt du heut 'ſo geputzt? Ich aber antworte kein Wort, und ſetze einen großen Ueberraſchungsbeutel mit Gold auf den Tiſch, und rede ganz feyerlich: Herr Chriſtian Hinrich Klotz! die Nummero 1538, die Sie ſo guͤtig waren bey mir zu beſtellen, hat das Gluͤck gehabt 50,000 Mark zu gewinnen, in dieſem Beutel habe ich die Ehre Ihnen das Geld zu praͤſentiren, und ich bin ſo frey mir eine Quitung auszu¬ bitten! Wie Kloͤtzchen das hoͤrt, faͤngt er an zu weinen, wie Madam Klotz die Geſchichte hoͤrt, faͤngt ſie an zu weinen, die rothe Magd weint, der krumme Ladendiener weint, die Kinder wei¬ nen, und ich? ein Ruͤhrungsmenſch, wie ich bin,357 konnte ich doch nicht weinen, und fiel erſt in Ohnmacht, und erſt nachher kamen mir die Thraͤ¬ nen aus den Augen wie ein Waſſerbach, und ich weinte drey Stunden.

Die Stimme des kleinen Menſchen bebte als er dieſes erzaͤhlte, und feyerlich zog er ein ſchon erwaͤhntes Paͤckchen aus der Taſche, wickelte da¬ von den ſchon verblichenen Roſataffet, und zeigte mir den Schein, worin Chriſtian Hinrich Klotz den richtigen Empfang der 50,000 Mark quitirte. Wenn ich ſterbe ſprach Hyazinth, eine Thraͤne im Auge ſoll man mir dieſe Quitung mit in's Grab legen, und wenn ich einſt dort oben, am Tage des Gerichts, Rechenſchaft geben muß von meinen Thaten, dann werde ich mit dieſer Quitung in der Hand vor den Stuhl der All¬ macht treten, und wenn mein boͤſer Engel die boͤſen Handlungen, die ich auf dieſer Welt began¬ gen habe, vorgeleſen, und mein guter Engel auch die Liſte von meinen guten Handlungen ableſen358 will, dann ſag ich ruhig: Schweig! ich will nur wiſſen, iſt dieſe Quitung richtig? iſt das die Handſchrift von Chriſtian Hinrich Klotz? Dann kommt ein ganz kleiner Engel herangeflogen, und ſagt, er kenne ganz genau Kloͤtzchens Handſchrift, und er erzaͤhlt zugleich die merkwuͤrdige Geſchichte von der Ehrlichkeit, die ich mahl begangen habe. Der Schoͤpfer der Ewigkeit aber, der Allwiſſende der Alles weiß, erinnert ſich an dieſe Geſchichte, und er lobt mich in Gegenwart von Sonne, Mond und Sternen, und berechnet gleich im Kopf, daß wenn meine boͤſen Handlungen von 50,000 Mark Ehrlichkeit abgezogen werden, mir noch ein Saldo zu Gut kommt, und er ſagt dann: Hirſch! ich ernenne dich zum Engel erſter Klaſſe, und du darfſt Fluͤgel tragen mit roth und weißen Federn.

359

Capitel XI.

Wer iſt denn der Graf Platen, den wir im vorigen Kapitel als Dichter und warmen Freund kennen lernten? Ach, lieber Leſer, dieſe Frage las ich ſchon lange auf deinem Geſichte, und nur zaudernd gehe ich an die Beantwortung. Das iſt ja eben das Mißgeſchick deutſcher Schriftſteller, daß ſie jeden guten oder boͤſen Narrn, den ſie auf's Tapet bringen, erſt durch trockne Charakter¬ ſchilderung und Perſonalbeſchreibung bekannt machen muͤſſen, damit man erſtens wiſſe daß er exiſtirt, und zweitens den Ort kenne, wo die Geißel ihn trifft, ob unten oder oben, vorn oder360 hinten. Anders war es bey den Alten, anders iſt es noch jetzt bey neueren Voͤlkern, z. B. den Englaͤndern und Franzoſen, die ein Volksleben, und daher public characters haben. Wir Deutſchen aber, wir haben zwar ein ganzes naͤr¬ riſches Volk, aber wenig ausgezeichnete Narren, die bekannt genug waͤren, um ſie als allgemein verſtaͤndliche Charaktere in Proſa oder Verſen gebrauchen zu koͤnnen. Die wenigen Maͤnner dieſer Art, die wir beſitzen, haben wirklich Recht, wenn ſie ſich wichtig machen. Sie ſind von un¬ ſchaͤtzbarem Werthe und zu den hoͤchſten An¬ ſpruͤchen berechtigt. So z. B. der Herr Geheimrath Schmalz, Profeſſor der Berliner Univerſitaͤt, iſt ein Mann, der nicht mit Geld zu bezahlen iſt; ein humoriſtiſcher Schriftſteller kann ihn nicht entbehren, und er ſelbſt fuͤhlt dieſe perſoͤnliche Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit in ſo hohem Grade, daß er jede Gelegenheit ergreift, um humoriſtiſchen Schriftſtellern Stoff zur Satyre361 zu geben, daß er Tag und Nacht gruͤbelt, wie er ſich als Staatsmann, Serviliſt, Dekan, Antihegelianer und Patriot laͤcherlich machen kann, und ſomit die Litteratur, fuͤr die er ſich gleichſam aufopfert, thatkraͤftig zu befoͤrdern. Den deut¬ ſchen Univerſitaͤten muß man uͤberhaupt nach¬ ruͤhmen, daß ſie den deutſchen Schriftſteller, mehr als jede andere Zunft, mit allerley Narren verſorgen, und beſonders Goͤttingen habe ich immer in dieſer Hinſicht zu ſchaͤtzen gewußt. Dies iſt auch der geheime Grund, weßhalb ich mich fuͤr die Erhaltung der Univerſitaͤten erklaͤre, obgleich ich ſtets Gewerbefreyheit und Vernich¬ tung des Zunftweſens gepredigt habe. Bey ſolchem fuͤhlbaren Mangel an ausgezeichneten Narren, kann man mir nicht genug danken, wenn ich neue aufs Tapet bringe und allgemein brauch¬ bar mache. Zum Beſten der Litteratur will ich daher jetzt vom Grafen Auguſt von Platen Hallermuͤnde etwas ausfuͤhrlicher reden. Ich362 will dazu beytragen, daß er zweckmaͤßig bekannt, und gewiſſermaßen beruͤhmt werde, ich will ihn litterariſch gleichſam herausfuͤttern, wie die Irokeſen thun mit den Gefangenen, die ſie bey ſpaͤteren Feſtmahlen verſpeiſen wollen. Ich werde ganz treu ehrlich verfahren und uͤberaus hoͤflich, wie es einem Buͤrgerlichen ziemt, ich werde das Materielle, das ſogenannt Perſoͤnliche, nur in ſo weit beruͤhren, als ſich geiſtige Er¬ ſcheinungen dadurch erklaͤren laſſen, und ich werde immer ganz genau den Standpunkt, von wo aus ich ihn ſah, und ſogar manchmal die Brille, wo¬ durch ich ihn ſah, angeben.

Der Standpunkt, von wo ich den Grafen Platen zuerſt gewahrte, war Muͤnchen, der Schauplatz ſeiner Beſtrebungen, wo er, bey allen die ihn kennen, ſehr beruͤhmt iſt, und wo er ge¬ wiß, ſo lange er lebt, unſterblich ſeyn wird. Die Brille, wodurch ich ihn ſah, gehoͤrte einigen Inſaſ¬ ſen Muͤnchens, die uͤber ſeine aͤußere Erſcheinung363 dann und wann, in heiteren Stunden, ein heite¬ res Wort hinwarfen. Ich habe ihn ſelbſt nie geſehen, und wenn ich mir ſeine Perſon denken will, erinnere ich mich immer an die drollige Wuth, womit einmal mein Freund der Doktor Lautenbacher uͤber Poetennarrheit im Allgemeinen loszog, und insbeſondere eines Grafen Platen erwaͤhnte, der mit einem Lorbeerkranze auf dem Kopfe, ſich auf der oͤffentlichen Promenade zu Erlangen den Spaziergaͤngern in den Weg ſtellte und, mit der bebrillten Naſe gen Himmel ſtar¬ rend, in poetiſcher Begeiſterung zu ſeyn vorgab. Andere haben beſſer von dem armen Grafen ge¬ ſprochen, und beklagten nur ſeine beſchraͤnkten Mittel, die ihn, bey ſeinem Ehrgeiz, ſich wenig¬ ſtens als ein Dichter auszuzeichnen, uͤber die Gebuͤhr zum Fleiße noͤthigten, und ſie lobten be¬ ſonders ſeine Zuvorkommenheit gegen Juͤngere, bey denen er die Beſcheidenheit ſelbſt geweſen ſey, indem er mit der liebreichſten Demuth ihre364 Erlaubniß erbeten, dann und wann zu ihnen aufs Zimmer kommen zu duͤrfen, und ſogar die Gut¬ muͤthigkeit ſo weit getrieben habe, immer wieder zu kommen, ſelbſt wenn man ihn die Laͤſtigkeit ſeiner Viſiten aufs deutlichſte merken laſſen. Der¬ gleichen Erzaͤhlungen haben mich gewiſſermaßen geruͤhrt, obgleich ich dieſen Mangel an Perſonal¬ beyfall ſehr natuͤrlich fand. Vergebens klagte oft der Graf:

Deine blonde Jugend, ſuͤßer Knabe,
Verſchmaͤht den melancholiſchen Genoſſen.
So will in Scherz ich mich ergehn, in Poſſen,
Anſtatt ich jetzt mich bloß an Thraͤnen labe,
Und um der Froͤhlichkeit mir fremde Gabe,
Hab 'ich den Himmel anzuflehn beſchloſſen.

Vergebens verſicherte der arme Graf, daß er einſt der beruͤhmteſte Dichter werde, daß ſchon der Schatten eines Lorbeerblattes auf ſeiner Stirne ſichtbar ſey, daß er ſeine ſuͤßen Knaben ebenfalls unſterblich machen koͤnne, durch unver¬ gaͤngliche Gedichte. Ach! eben dieſe Celebritaͤt365 war Keinem lieb, und in der That, ſie war keine beneidenswerthe. Ich erinnere mich noch, mit welchem unterdruͤckten Laͤcheln ein Candidat ſolcher Celebritaͤt von einigen luſtigen Freunden, unter den Arkaden zu Muͤnchen, betrachtet wurde. Ein ſcharfſichtiger Boͤſewicht meinte ſogar, er ſaͤhe zwiſchen den Rockſchoͤßen deſſelben den Schatten eines Lorbeerblattes. Was mich betrifft, lieber Leſer, ſo bin ich nicht ſo boshaft, wie du denkſt, ich bemitleide den armen Grafen, wenn ihn Andere verhoͤhnen, ich zweifle, daß er ſich an der verhaßten Sitte thaͤtlich geraͤcht habe, obgleich er in ſeinen Liedern ſchmachtet, ſich ſolcher Rache hinzugeben; ich glaube viel¬ mehr an die verletzenden Kraͤnkungen, beleidigen¬ den Zuruͤckſetzungen und Abweiſungen, wovon er ſelbſt ſo ruͤhrend ſingt. Ich bin uͤberzeugt, er betrug ſich gegen die Sitten uͤberhaupt weit loͤb¬ licher, als ihm ſelber lieb war, und er kann vielleicht, wie General Tilly, von ſich ruͤhmen:366 Ich war nie berauſcht, ich habe nie ein Weib beruͤhrt und habe nie eine Schlacht verloren. Deshalb gewiß ſagt von ihm der Dichter:

Du biſt ein nuͤchterner, modeſter Junge.

Der arme Junge, oder vielmehr der arme alte Junge denn er hatte ſchon einige Luſtren hinter ſich hockte damals, wenn ich nicht irre, auf der Bibliothek in Erlangen, wo man ihm einige Beſchaͤftigung angewieſen hatte; doch da dieſe ſeinem hochſtrebenden Geiſte nicht genuͤgte, da mit den Luſtren auch die Luͤſtern¬ heit nach illuͤſtrer Luſt ihn mehr und mehr ſtachelte, und der Graf von ſeiner kuͤnftigen Herrlichkeit taͤglich mehr und mehr begeiſtert wurde, gab er jenes Geſchaͤft auf, und beſchloß, von der Schrift¬ ſtellerei, von gelegentlichen Gaben von oben und einigen ſonſtigen Verdienſten zu leben. Die Graf¬ ſchaft des Grafen liegt nemlich im Monde, von wo er, wegen der ſchlechten Communikazion mit Bayern, nach Gruithuiſens Berechnung, erſt in367 20,000 Jahren, wenn der Mond dieſer Erde naͤher kommt, ſeine ungeheuern Revenuen bezie¬ hen kann.

Schon fruͤher hatte Don Platen de Collibra¬ dos Hallermuͤnde, bey Brockhaus in Leipzig, eine Gedichteſammlung mit einer Vorrede, betitelt: lyriſche Blaͤtter Nummer 1. herausgegeben, die freylich nicht bekannt wurde, obgleich, wie er uns verſichert, die ſieben Weiſen dem Verfaſſer ihr Lob geſpendet. Spaͤter gab er, nach Tieck¬ ſchem Muſter, einige dramatiſirte Maͤhrchen und Erzaͤhlungen heraus, die ebenfalls das Gluͤck hatten, daß ſie der unweiſen großen Menge un¬ bekannt blieben, und nur von den ſieben Weiſen geleſen wurden. Indeſſen um, außer den ſieben Weiſen, noch einige Leſer zu gewinnen, legte ſich der Graf auf Polemik und ſchrieb eine Satyre gegen beruͤhmte Schriftſteller, vornemlich gegen Muͤllner, der damals ſchon allgemein gehaßt und moraliſch vernichtet war, ſo daß der Graf eben368 zur rechten Zeit kam, um dem todten Hofrath Oerindur noch einen Hauptſtich, nicht ins Haupt, ſondern, nach Fallſtaffſcher Weiſe, in die Wade zu verſetzen. Der Widerwille gegen Muͤllner hatte jedes edle Herz erfuͤllt; der Menſch iſt uͤber¬ haupt ſchwach; die Polemik des Grafen mißfiel daher nicht, und die verhaͤngnißvolle Gabel fand hie und da eine bereitwillige Aufnahme, nicht beym großen Publikum, ſondern bey Litte¬ ratoren und bey den eigentlichen Schulleuten, bey letztern hauptſaͤchlich weil jene Satyre nicht mehr dem romantiſchen Tieck, ſondern dem klaſſi¬ ſchen Ariſtophanes nachgeahmt war.

Ich glaube, es war um dieſe Zeit, daß der Herr Graf nach Italien reiſ'te; er zweifelte nicht mehr, von ſeiner Poeſie leben zu koͤnnen, Cotta hatte die gewoͤhnliche proſaiſche Ehre, fuͤr Rech¬ nung der Poeſie das Geld herzugeben; denn die Poeſie, die Himmelstochter, die Hochgeborene, hat ſelbſt nie Geld und wendet ſich, bey ſolchem369 Beduͤrfniß, immer an Cotta. Der Graf verſifi¬ zirte jetzt Tag und Nacht, er blieb nicht bey dem Vorbilde Tiecks und des Ariſtophanes, ſon¬ dern er ahmte auch den Goethe nach im Liede, dann den Horaz in der Ode, dann den Petrarcha in Sonetten, dann den Dichter Hafis in perſi¬ ſchen Gaſelen kurz er gab uns ſolchermaßen eine Blumenleſe, der beſten Dichter und zugleich ſeine eigenen Lyriſchen Blaͤtter unter dem Titel: Gedichte des Grafen Platen ꝛc.

Niemand in Deutſchland iſt gegen poetiſche Erzeugniſſe billiger als ich, und ich goͤnne einem armen Menſchen, wie Platen, ſein Stuͤckchen Ruhm, das er im Schweiße ſeines Angeſichts ſo ſauer erwirbt, gewiß herzlich gern. Keiner iſt mehr geneigt, als ich, ſeine Beſtrebungen zu ruͤhmen, ſeinen Fleiß und ſeine Beleſenheit in der Poeſie zu loben, und ſeine ſylbenmaͤßigen Verdienſte anzuerkennen. Meine eignen Verſuche befaͤhigen mich, mehr als jeden Andern, die metri¬25370ſchen Verdienſte des Grafen zu wuͤrdigen. Die bittere Muͤhe, die unſaͤgliche Beharrlichkeit, das winternaͤchtliche Zaͤhneklappern, die ingrimmigen Anſtrengungen, womit er ſeine Verſe ausgearbei¬ tet, entdeckt unſer Einer weit eher als der ge¬ woͤhnliche Leſer, der die Glaͤtte, Zierlichkeit und Politur jener Verſe des Grafen fuͤr etwas Leich¬ tes haͤlt, und ſich an der glatten Wortſpielerey gedankenlos ergoͤtzt, wie man ſich bey Kunſtſprin¬ gern, die auf dem Seile balanciren, uͤber Eyer tanzen und ſich auf den Kopf ſtellen, ebenfalls einige Stunden amuͤſirt, ohne zu bedenken, daß jene armen Weſen, nur durch jahrelangen Zwang und grauſames Hungerleiden, ſolche Gelenkigkeitskuͤnſte, ſolche Metrik des Leibes erlernt haben. Ich, der ich mich in der Dichtkunſt nicht ſo ſehr ge¬ plagt, und ſie immer in Verbindung mit gutem Eſſen ausgeuͤbt habe, ich will den Grafen Platen, dem es ſaurer und nuͤchterner dabey ergangen, um ſo mehr preiſen, ich will von ihm ruͤhmen371 daß kein Seiltaͤnzer in Europa ſo gut wie er auf ſchlaffen Gaſelen balancirt, daß keiner den Eyertanz uͤber

u. ſ. w.

ſo gut executirt wie er, daß keiner ſich ſo gut wie er auf den Kopf ſtellt. Wenn ihm auch die Muſen nicht hold ſind, ſo hat er doch den Genius der Sprache in ſeiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt anzuthun; denn die freye Liebe dieſes Genius fehlt ihm, er muß auch dieſem Jungen beharrlich nachlaufen, und er weiß nur die aͤußeren Formen zu erfaſſen, die trotz ihrer ſchoͤnen Ruͤndung ſich nie edel ausſprechen. Nie ſind tiefe Naturlaute, wie wir ſie im Volks¬ liede, bey Kindern und anderen Dichtern finden, aus der Seele eines Platen hervorgebrochen oder offenbarungsmaͤßig hervorgebluͤht; den beaͤngſti¬ genden Zwang, den er ſich anthun muß, um etwas zu ſagen, nennt er eine große That25 *372in Worten ſo gaͤnzlich unbekannt mit dem Weſen der Poeſie, weiß er nicht einmal, daß das Wort nur bey dem Rhetor eine That iſt, bey dem wahren Dichter aber ein Ereigniß. Ungleich dem wahren Dichter, iſt die Sprache nie Meiſter geworden in ihm, er iſt dagegen Meiſter gewor¬ den in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache, wie ein Virtuoſe auf einem Inſtrumente. Je weiter er es ſolcherart im Techniſchen brachte, deſto groͤßere Meinung bekam er von ſeiner Vir¬ tuoſitaͤt; er wußte ja in allen Weiſen zu ſpielen, er verſifizirte ja die ſchwierigſten Paſſagen, er dichtete, ſo zu ſagen, manchmal nur auf der G-Saite, und aͤrgerte ſich, wenn das Publikum nicht klatſchte. Wie alle Virtuoſen, die ſolch ein¬ ſaitiges Talent ausgebildet, ſtrebte er nur nach Applaudiſſement, ſah er mit Ingrimm auf den Ruhm Anderer, beneidete er ſeine Collegen um ihren Gewinnſt, wie z. B. den Clauren, ſchrieb er gleich fuͤnfaktige Pasquille, wenn er nur eine373 einzige Xenie des Tadels auf ſich beziehen konnte, kontrollirte er alle Recenſionen, worin Andere gelobt wurden, und ſchrie er beſtaͤndig: ich werde nicht genug gelobt, nicht genug belohnt, denn Ich bin der Poet, der Poet der Poeten u. ſ. w. So hungerig und lechzend nach Lob und Spenden zeigte ſich nie ein wahrer Dichter, niemals Klop¬ ſtock, niemals Goethe, zu deren Drittem der Graf Platen ſich ſelbſt ernennt, obgleich jeder ein¬ ſieht, daß er nur mit Ramler und etwa A. W. v. Schlegel ein Triumvirat bildet. Der große Ram¬ ler, wie man ihn zu ſeiner Zeit hieß, als er, zwar ohne Lorbeerkranz auf dem Haupte, aber mit deſto groͤßerem Zopf und Haarbeutel, das Auge gen Himmel gehoben und den ſteifleinenen Regenſchirm unter'm Arm, im Berliner Thier¬ garten ſkandirend wandelte, hielt ſich damals fuͤr den Repraͤſentanten der Poeſie auf Erden. Seine Verſe waren die vollendeteſten in deutſcher Sprache, und ſeine Verehrer, worunter ſogar374 ein Leſſing ſich verirrte, meynten, weiter koͤnne man es in der Poeſie nicht bringen. Faſt daſſelbe war ſpaͤterhin der Fall bey A. W. v. Schlegel, deſſen poetiſche Unzulaͤnglichkeit aber ſichtbar wird, ſeitdem die Sprache weiter ausgebildet worden, ſo daß ſogar diejenigen, die einſt den Saͤnger des Arion fuͤr einen gleichfallſigen Arion gehalten, jetzt nur noch den verdienſtlichen Schul¬ lehrer in ihm ſehen. Ob aber der Graf Platen ſchon befugt iſt, uͤber den ſonſt ruͤhmenswerthen Schlegel zu lachen, wie dieſer einſt uͤber Ramler lachte, das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, in der Poeſie ſind alle drey ſich gleich, und wenn der Graf Platen noch ſo huͤbſch in den Gaſelen ſeine ſchaukelnden Balanzirkuͤnſte treibt, wenn er in ſeinen Oden noch ſo vortrefflich den Eyertanz exekutirt, ja, wenn er, in ſeinen Luſt¬ ſpielen, ſich auf den Kopf ſtellt ſo iſt er doch kein Dichter. Er iſt kein Dichter, ſagt ſogar die undankbare maͤnnliche Jugend, die er ſo zaͤrtlich375 beſingt. Er iſt kein Dichter, ſagen die Frauen, die vielleicht ich muß es zu ſeinem Beſten andeuten hier nicht ganz unpartheyiſch ſind, und vielleicht wegen der Hingebung, die ſie bey ihm entdecken, etwas Eiferſucht empfin¬ den, oder gar durch die Tendenz ſeiner Gedichte ihre bisherige vortheilhafte Stellung in der Ge¬ ſellſchaft gefaͤhrdet glauben. Strenge Kritiker, die mit ſcharfen Brillen verſehen ſind, ſtimmen ein in dieſes Urtheil, oder aͤußern ſich noch lako¬ niſch bedenklicher. Was finden Sie in den Ge¬ dichten des Grafen von Platen Hallermuͤnde? frug ich juͤngſt einen ſolchen Mann. Sitzfleiſch! war die Antwort. Sie meynen in Hinſicht der muͤh¬ ſamen, ausgearbeiteten Form? entgegnete ich. Nein, erwiederte jener, Sitzfleiſch auch in Betreff des Inhalts.

Was nun den Inhalt der Platenſchen Ge¬ dichte betrifft, ſo moͤchte ich den armen Grafen dafuͤr zwar nicht loben, aber ihn auch nicht376 unbedingt der Cenſoriſchen Wuth Preis geben, womit unſere Catonen davon ſprechen oder gar ſchweigen. Chacun a son goût, dem einen ge¬ faͤllt der Ochs, dem andren Waſiſchtas Kuh. Ich tadele ſogar den furchtbaren rhadamantiſchen Ernſt womit uͤber jenen Inhalt der Platenſchen Ge¬ dichte in den Berliner Jahrbuͤchern fuͤr wiſſen¬ ſchaftliche Kritik gerichtet worden. Aber ſo ſind die Menſchen, es wird ihnen ſehr leicht, in Eifer zu gerathen, wenn ſie uͤber Suͤnden ſprechen, die ihnen kein Vergnuͤgen machen wuͤrden. Im Morgen¬ blatte las ich kuͤrzlich einen Aufſatz, uͤberſchrieben Aus dem Journal eines Leſers worin der Graf Platen gegen ſolche ſtrenge Tadler ſeiner Freundſchaftsliebe, mit jener Beſcheidenheit ſich ausſpricht, die er nie zu verlaͤugnen weiß, und woran man ihn auch hier erkennt. Wenn er ſagt, daß das Hegelſche Wochenblatt ihn eines geheimen Laſters mit laͤcherlichem Pathos beſchuldige, ſo will er, wie leicht zu errathen iſt,377 nur der Ruͤge anderer Leute zuvorkommen, deren Geſinnung er durch dritte Hand erfor¬ ſchen laſſen. Indeſſen, man hat ihm ſchlecht berichtet, ich werde mir nie in dieſer Hinſicht einen Pathos zu Schulden kommen laſſen, der edle Graf iſt mir vielmehr eine ergoͤtzliche Er¬ ſcheinung, und in ſeiner erlauchten Liebhaberey ſehe ich nur etwas Unzeitgemaͤßes, nur die zag¬ haft verſchaͤmte Parodie eines antiken Uebermuths. Das iſt es ja eben, jene Liebhaberey war im Alterthum nicht in Widerſpruch mit den Sitten, und gab ſich kund mit heroiſcher Oeffentlichkeit. Als z. B. der Kaiſer Nero, auf Schiffen, die mit Gold und Elfenbein ausgelegt waren, ein Gaſtmahl hielt, das einige Millionen koſtete, ließ er ſich mit Einem aus dem Juͤnglingsſerail, Na¬ mens Pythagoras, feyerlich einſegnen, (cuncta denique spectata quae etiam in femina nox operit) und ſteckte nachher mit der Hochzeits¬ fackel die Stadt Rom in Brand, um bey den378 praſſelnden Flammen deſto beſſer den Untergang Trojas beſingen zu koͤnnen. Das war noch ein Gaſelendichter, uͤber den ich mit Pathos ſprechen koͤnnte; doch nur laͤcheln kann ich uͤber den neuen Pythagoraͤer, der im heutigen Rom, die Pfade der Freundſchaft duͤrftig und nuͤchtern und aͤngſt¬ lich dahinſchleicht, mit ſeinem hellen Geſichte von liebloſer Jugend abgewieſen wird, und nach¬ her bey kuͤmmerlichem Oehllaͤmpchen ſein Gaſelchen ausſeufzt. Intereſſant, in ſolcher Hinſicht, iſt die Vergleichung der Platenſchen Gedichtchen mit dem Petron. Bey dieſem iſt ſchroffe, antike, plaſtiſch heidniſche Offenheit: Graf Platen hingegen, trotz ſeinem Pochen auf Claſſizitaͤt, behandelt ſeinen Gegenſtand vielmehr romantiſch, verſchleyernd, ſehnſuͤchtig, pfaͤffiſch, ich muß hinzuſetzen: heuchleriſch. Denn der Graf vermummt ſich manchmal in fromme Gefuͤhle, er vermeidet die genaueren Geſchlechtsbezeichnungen; nur die Ein¬ geweihten ſollen klar ſehen; gegen den großen379 Haufen glaubt er ſich genugſam verſteckt zu haben, wenn er das Wort Freund manchmal auslaͤßt, und es geht ihm dann wie dem Vogel Strauß, der ſich hinlaͤnglich verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den Sand geſteckt, ſo daß nur der Steiß ſichtbar bleibt. Unſer erlauchter Vogel haͤtte beſſer gethan, wenn er den Steiß in den Sand verſteckt und uns den Kopf gezeigt haͤtte. In der That, er iſt mehr ein Mann von Steiß als ein Mann von Kopf, der Name Mann uͤber¬ haupt paßt nicht fuͤr ihn, ſeine Liebe hat einen paſſiv pythagoraͤiſchen Charakter, er iſt in ſeinen Gedichten ein Patikos, er iſt ein Weib, und zwar ein Weib, das ſich an gleich Weibiſchem ergoͤtzt, er iſt gleichſam eine maͤnnliche Tribade. Dieſe aͤngſtlich ſchmiegſame Natur duckt durch alle ſeine Liebesgedichte, er findet immer einen neuen Schoͤnheitsfreund, uͤberall in dieſen Gedichten ſehen wir Polyandrie, und wenn er auch ſenti¬ mentaliſirt:380

Du liebſt und ſchweigſt O haͤtt 'ich auch ge¬ ſchwiegen,
Und meine Blicke nur an dich verſchwendet!
O haͤtt' ich nie ein Wort dir zugewendet,
So muͤßt 'ich keinen Kraͤnkungen erliegen!
Doch dieſe Liebe moͤcht' ich nie beſiegen,
Und weh dem Tag, an dem ſie froſtig endet!
Sie ward aus jenen Raͤumen uns geſendet,
Wo ſelig Engel ſich an Engel ſchmiegen

ſo denken wir doch gleich an die Engel, die zu Loth, dem Sohne Harans, kamen und nur mit Noth und Muͤhe den zaͤrtlichſten Anſchmiegungen entgingen, wie wir leſen im Pentateuch, wo lei¬ der die Gaſelen und Sonette nicht mitgetheilt ſind, die damals vor Loths Thuͤre gedichtet wur¬ den. Ueberall in den Platenſchen Gedichten ſehen wir den Vogel Strauß, der nur den Kopf ver¬ birgt, den eiteln ohnmaͤchtigen Vogel, der das ſchoͤnſte Gefieder hat und doch nicht fliegen kann, und zaͤnkiſch humpelt uͤber die polemiſche Sand¬ wuͤſte der Litteratur. Mit ſeinen ſchoͤnen Federn ohne Schwungkraft, mit ſeinen ſchoͤnen Verſen381 ohne poetiſchen Flug, bildet er den Gegenſatz zu jenem Adler des Geſanges, der minder glaͤnzende Fluͤgel hat, aber ſich damit zur Sonne erhebt ich muß wieder auf den Refrain zuruͤckkommen: der Graf Platen iſt kein Dichter.

Von einem Dichter verlangt man zwey Dinge; in ſeinen lyriſchen Gedichten muͤſſen Naturlaute, in ſeinen epiſchen oder dramatiſchen Gedichten muͤſſen Geſtalten ſeyn. Kann er ſich in dieſer Hinſicht nicht legitimiren, ſo wird ihm der Dichtertitel abgeſpro¬ chen, ſelbſt wenn ſeine uͤbrigen Familienpapiere und Adelsdiplome in der groͤßten Ordnung ſind. Daß letzteres bey dem Grafen Platen der Fall ſeyn mag, daran zweifle ich nicht, und ich bin uͤber¬ zeugt, er wuͤrde mitleidig heiter laͤcheln, wenn man ſeinen Grafentitel verdaͤchtig machen wollte; aber wagt es nur, uͤber ſeinen Dichtertitel, mit einer einzigen Xenie, den geringſten Zweifel zu verrathen gleich wird er ſich ingrimmig nieder¬ ſetzen und fuͤnfaktige Satyren gegen Euch drucken. 382Denn die Menſchen halten um ſo eifriger auf einen Titel, je zweydeutiger und ungewiſſer der Titulus iſt, der ſie dazu berechtigt. Vielleicht aber wuͤrde der Graf Platen ein Dichter ſeyn, wenn er in einer anderen Zeit lebte, und wenn er außerdem auch ein anderer waͤre, als er jetzt iſt. Der Mangel an Naturlauten in den Ge¬ dichten des Grafen ruͤhrt vielleicht daher, daß er in einer Zeit lebt, wo er ſeine wahren Gefuͤhle nicht nennen darf, wo dieſelbe Sitte, die ſeiner Liebe immer feindlich entgegenſteht, ihm ſogar verbietet, ſeine Klage daruͤber unverhuͤllt auszu¬ ſprechen, wo er jede Empfindung aͤngſtlich ver¬ kappen muß, um ſo wenig das Ohr des Publi¬ kums, als das eines ſproͤden Schoͤnen durch eine einzige Silbe zu erſchrecken. Dieſe Angſt laͤßt bey ihm keine eignen Naturlaute aufkommen, ſie verdammt ihn, die Gefuͤhle anderer Dichter, gleichſam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff, metriſch zu bearbeiten, und noͤthigenfalls zur383 Vermummung ſeiner eigenen Gefuͤhle zu gebrau¬ chen. Unrecht geſchieht ihm vielleicht, wenn man, ſolche ungluͤckliche Lage verkennend, behauptet hat, daß Graf Platen auch in der Poeſie ſich als Graf zeigen und auf Adel halten wolle, und uns daher nur Gefuͤhle von bekannter Familie, Gefuͤhle die ſchon ihre 64 Ahnen haben, vor¬ fuͤhre. Lebte er in der Zeit des roͤmiſchen Pytha¬ goras, ſo wuͤrde er vielleicht ſeine eigenen Gefuͤhle freyer hervortreten laſſen und er wuͤrde vielleicht fuͤr einen Dichter gelten. Es wuͤrden dann we¬ nigſtens die Naturlaute in ſeinen lyriſchen Ge¬ dichten nicht vermißt werden doch der Mangel an Geſtalten in ſeinen Dramen wuͤrde noch immer bleiben, ſo lange ſich nicht auch ſeine ſinnliche Natur veraͤnderte, und er gleichſam ein Anderer wuͤrde. Die Geſtalten, die ich meyne, ſind nem¬ lich jene ſelbſtaͤndigen Geſchoͤpfe, die aus dem ſchaffenden Dichtergeiſte, wie Pallas Athene aus dem Haupte Kronions, vollendet und geruͤſtet her¬384 vortreten, lebendige Traumweſen, deren myſtiſche Geburt, mehr als man glaubt, in wunderſam bedingender Beziehung ſteht mit der ſinnlichen Natur des Dichters, ſo daß ſolches geiſtige Ge¬ baͤhren demjenigen verſagt iſt, der ſelbſt nur, als ein unfruchtbares Geſchoͤpf, ſich gaſelig hingiebt in windiger Weichheit.

Indeſſen, das ſind Privatmeinungen eines Dichters, und ihr Gewicht haͤngt davon ab, wie weit man an die Competenz deſſelben glauben will. Ich kann nicht umhin zu erwaͤh¬ nen, daß der Graf Platen, gar oft dem Publikum verſichert, daß er erſt ſpaͤterhin das Bedeutendſte dichten werde, wovon man jetzt noch keine Ahnung habe, ja, daß er Iliaden und Odyſſeen, Claſſizitaͤtstragoͤdien und ſonſtige Un¬ ſterblichkeitskoloſſalgedichte erſt dann ſchreiben werde, wenn er ſich nach ſo und ſo viel Luſtren gehoͤrig vorbereitet habe. Du haſt, lieber Leſer, dieſe Ergießungen des Selbſtbewußtſeyns, in muͤhſam385 gefeilten Verſen vielleicht ſelbſt geleſen, und das Verſprechen ſolcher ſchoͤnen Zukunft war dir viel¬ leicht um ſo erfreulicher, als der Graf zu gleicher Zeit alle Dichter Deutſchlands, außer dem ganz alten Goethe, wie einen Schwarm ſchlechter Sudler geſchildert, die ihm nur im Wege ſtehen, auf der Bahn des Ruhmes, und die ſo unverſchaͤmt ſeyen, jene Lorbeeren und Belohnungen zu pfluͤcken, die nur ihm gebuͤhrten.

Was ich in Muͤnchen daruͤber ſprechen hoͤrte, will ich uͤbergehen; aber, der Chronologie wegen, muß ich anfuͤhren, daß zu jener Zeit der Koͤnig von Bayern die Abſicht ausſprach, irgend einem deutſchen Dichter ein Jahrgehalt zu ertheilen, ohne damit ein Amt zu verbinden, welches unge¬ woͤhnliche Beyſpiel fuͤr die ganze deutſche Littera¬ tur von ſchoͤner Folge ſeyn konnte. Man ſagte mir

Doch ich will mein Thema nicht verlaſſen, ich ſprach von den Prahlereyen des Grafen Platen,25386der beſtaͤndig rief: ich bin der Poet, der Poet der Poeten! ich werde Iliaden[und] Odyſſeen dich¬ ten u. ſ. w. Ich weiß nicht was das Publi¬ kum von ſolchen Prahlereyen haͤlt, aber ganz genau weiß ich, was ein Dichter davon denkt, nemlich ein wahrer Dichter, der die verſchaͤmte Suͤßigkeit und die geheimen Schauer der Poeſie ſchon empfunden hat, und von der Seligkeit dieſer Empfindungen, wie ein gluͤcklicher Page, der die verborgene Gunſt einer Prinzeſſin genießt, gewiß nicht auf oͤffentlichem Markte prahlen wird.

Man hat ſchon oͤfter den Grafen Platen, wegen ſolcher Prahlhanſereyen, weidlich gehaͤnſelt und er wußte immer, wie Fallſtaff, ſich zu ent¬ ſchuldigen. Bey ſolchen Entſchuldigungen kommt ihm ein Talent zu ſtatten, das außerordentlich in ſeiner Art iſt und das eine beſondere Aner¬ kennung verdient. Der Graf Platen weiß nem¬ lich von jedem Flecken, der in ſeiner eignen Bruſt iſt, auch bey irgend einem großen Manne eine387 Spur, und ſey ſie noch ſo klein, zu entdecken, und ſich wegen ſolcher Wahlfleckenverwandſchaft mit ihm zu vergleichen. Z. B. von Shakespeares Sonetten weiß er, daß ſie an einen jungen Mann und nicht an ein Weib gerichtet ſind, und ob ſolcher verſtaͤndigen Wahl preiſt er Shakespeare, vergleicht ſich mit ihm und das iſt das einzige was er von ihm zu ſagen hat. Man koͤnnte negativ eine Apologie des Grafen Platen ſchrei¬ ben, und behaupten, daß er ſich die und die Ver¬ irrung noch nicht zu Schulden kommen laſſen, weil er ſich mit dem oder dem großen Manne, dem ſie nachgeredet worden, noch nicht verglichen habe. Am genialſten aber und bewunderungswuͤr¬ digſten zeigte er ſich in der Wahl des Mannes, in deſſen Leben er unbeſcheidene Reden entdeckt, und durch deſſen Beyſpiel er ſeine eigene Prahle¬ rey beſchoͤnigen will. Wahrlich, zu einem ſolchen Zwecke ſind die Worte dieſes Mannes noch nie zitirt worden denn es iſt kein Geringerer als25 *388Jeſus Chriſtus ſelbſt, der uns bisher immer fuͤr ein Muſter der Demuth und Beſcheidenheit ge¬ golten. Chriſtus haͤtte jemals geprahlt? der be¬ ſcheidenſte der Menſchen, um ſo beſcheidener als er der goͤttlichſte war? Ja, was bisher allen Theologen entgangen iſt, das entdeckte der Graf Platen, denn er inſinuirt uns: Chriſtus, als er vor Pilatus geſtanden, ſey ebenfalls nicht beſchei¬ den geweſen, und habe nicht beſcheiden geantwor¬ tet, ſondern als jener ihn frug, biſt du der Koͤnig der Juden? habe er geſprochen: du ſagſt es. Und ſo ſage auch Er, der Graf Platen: Ich bin es, ich bin der Poet! Was nie dem Haſſe eines Veraͤchters Chriſti gelungen iſt, das gelang der Exegeſe ſelbſtverliebter Eitelkeit.

Wie wir wiſſen, was wir davon zu halten, wenn Einer ſolchermaßen beſtaͤndig ſchreit: Ich bin der Poet! ſo wiſſen wir auch, was es fuͤr eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬389 lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬ hoͤrige Reife erlangt, noch dichten will, und die ſeine bisherigen Meiſterſtuͤcke an Bedeutung ſo unerhoͤrt uͤbertreffen ſollen. Wir wiſſen ganz ge¬ nau, daß die ſpaͤteren Werke des wahren Dichters keineswegs bedeutender ſind als die fruͤheren, eben ſo wenig wie ein Weib, je oͤfter ſie gebaͤhrt, deſto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein, das erſte Kind iſt ſchon eben ſo gut wie das zweite nur das Gebaͤhren wird leichter. Die Loͤwin wirft nicht erſt ein Kaninchen, dann ein Haͤschen, dann ein Huͤndchen und endlich einen Loͤwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬ gen Leu, und dieſer gab uns, im erſten Wurf, ſeinen Loͤwen von Berlichingen. Eben ſo warf auch Schiller gleich ſeine Raͤuber, an deren Tatze man ſchon die Loͤwenart erkannte. Spaͤter kam erſt die Politur, die Glaͤtte, die Feile, die natuͤr¬ liche Tochter und die Braut von Meſſina. Nicht ſo begab es ſich mit dem Grafen Platen, der390 mit der aͤngſtlichſten Kuͤnſteley anfing und von dem der Dichter ſingt:

Du, der du ſprangſt ſo fertig aus dem Nichts,
Geleckten und lackirten Angeſichts,
Gleichſt einer Spielerey, geſchnitzt aus Korke.

Indeſſen, wenn ich meine geheimſten Gedan¬ ken ausſprechen ſoll, ſo geſtehe ich, daß ich den Grafen Platen fuͤr keinen ſo großen Narrn halte, wie man wegen jener Prahlſucht und beſtaͤndigen Selbſtberaͤucherung glauben ſollte. Ein Bischen Narrheit, das verſteht ſich, gehoͤrt immer zur Poeſie; aber es waͤre entſetzlich, wenn die Natur eine ſo betraͤchtliche Porzion Narrheit, die fuͤr hundert große Dichter hinreichen wuͤrde, einem einzigen Menſchen aufgebuͤrdet, und von der Poeſie ſelbſt ihm nur eine ſo unbedeutend geringe Doſis gegeben haͤtte. Ich habe Gruͤnde zu ver¬ muthen, daß der Herr Graf an ſeine eigne Prah¬ lerey nicht glaubt, und daß er, duͤrftig im Leben wie in der Litteratur, vielmehr fuͤr das Beduͤrfniß391 des Augenblicks ſein eigner anpreiſender Ruffiano ſeyn mußte, in der Litteratur wie im Leben. Da¬ her in beiden die Erſcheinungen, von denen man ſagen konnte, daß ſie mehr ein pſychologiſches als aeſthetiſches Intereſſe gewaͤhrten, daher zu gleicher Zeit die weinerlichſte Seelenerſchlaffung und der erlogene Uebermuth, daher das klaͤgliche Duͤnne¬ thun mit baldigem Sterben, und das drohende Dickthun mit kuͤnftiger Unſterblichkeit, daher der auflodernde Bettelſtolz und die ſchmachtende Un¬ terthaͤnigkeit, daher das beſtaͤndige Klagen daß ihn Cotta verhungern laſſe und wiederum Kla¬ gen daß ihn Cotta verhungern laſſe daher die Anfaͤlle von Katholizismus u. ſ. w.

Ob's dem Grafen mit dem Katholizismus Ernſt iſt, daran zweifle ich. Ob er uͤberhaupt katholiſch geworden iſt, wie einige ſeiner Hochge¬ borenen Freunde, das weiß ich nicht. Daß er es werden wolle, erfuhr ich zuerſt aus oͤffent¬ lichen Blaͤttern, die ſogar hinzufuͤgten, der Graf392 Platen werde Moͤnch und ginge in's Kloſter. Boͤſe Zungen meinten, daß ihm das Geluͤbde der Armuth und die Enthaltung von Weibern nicht ſchwer fallen wuͤrde. Wie ſich von ſelbſt verſteht, in Muͤnchen klangen, bey ſolchen Nachrichten, die frommen Gloͤcklein in den Herzen ſeiner Freunde. Mit Kyrie Eleiſon und Hallelujah wurden ſeine Gedichte geprieſen in den Pfaffenblaͤttern; und in der That, die heiligen Maͤnner des Coͤlibats mußten erfreut ſeyn uͤber jene Gedichte, wodurch die Enthaltung vom weiblichen Geſchlechte befoͤr¬ dert wird. Leider haben meine Gedichte eine andere Tendenz, und daß Pfaffen und Knaben¬ ſaͤnger nicht davon angeſprochen werden, konnte mich zwar betruͤben, aber nicht befremden. Eben ſo wenig befremdete es mich, als ich den Tag vor meiner Abreiſe nach Italien, von meinem Freunde dem Doktor Kolb vernahm, daß der Graf Platen ſehr feindſelig gegen mich geſtimmt ſey, und mir mein Verderben ſchon bereitet habe393 in einem Luſtſpiele Namens Koͤnig Oedipus das bereits zu Augsburg, bey einigen Fuͤrſten und Grafen, deren Namen ich vergeſſen habe oder vergeſſen will, angelangt ſey. Auch Andere er¬ zaͤhlten mir, daß mich der Graf Platen haſſe und und ſich mir als Feind entgegenſtelle; und das war mir auf jeden Fall angenehmer, als haͤtte man mir nachgeſagt: daß mich der Graf Platen als Freund hinter meinem Ruͤcken liebe. Was die heiligen Maͤnner betrifft, deren fromme Wuth ſich zu gleicher Zeit gegen mich kund gab, und nicht bloß meiner anticoͤlibatiſchen Gedichte wegen, ſondern auch wegen der politiſchen Annalen, die ich damals herausgab, ſo konnte ich ebenfalls nur gewinnen, wenn man deutlich ſah, daß ich keiner der Ihrigen ſey. Wenn ich hiermit andeute, daß man nichts Gutes von ihnen ſagt, ſo ſage ich darum noch nichts Boͤſes von ihnen. Ich bin ſogar der Meinung, daß ſie, nur aus Liebe zum Guten, durch frommen Betrug und gottgefaͤllige394 Verlaͤumdung das Wort der Boͤſen entkraͤftigen moͤchten, und daß ſie dieſen, nur fuͤr einen ſolchen edlen Zweck, der jedes Mittel heiligt, nicht blos die geiſtigen Lebensquellen, ſondern auch die ma¬ teriellen zu verſchuͤtten ſuchen. Man hat jene guten Leute, die ſich in Muͤnchen ſogar oͤffentlich als Congregazion praͤſentirten, thoͤrigterweiſe mit den Namen Jeſuiten beehrt. Sie ſind wahrlich keine Jeſuiten, ſonſt haͤtten ſie eingeſehen, daß z. B. ich, einer von den Boͤſen, ſchlimmſten Falls die litterariſch alchimiſtiſche Kunſt verſtehe, aus meinen Feinden ſelbſt Dukaten zu ſchlagen, dergeſtalt daß ich dabey die Dukaten bekomme und meine Feinde die Schlaͤge; ſie haͤtten eingeſehen, daß ſolche Schlaͤge nichts von ihrem Gehalte verlieren, wenn man auch den Na¬ men des Schlagenden avilirt, wie der arme Suͤnder den Staupbeſen nicht minder ſtark fuͤhlt, obgleich der Scharfrichter, der ihn er¬ theilt, fuͤr unehrlich erklaͤrt wird; und, was395 die Hauptſache iſt, ſie haͤtten eingeſehen, daß etwas Vorliebe fuͤr den antiariſtokratiſchen Voß und einige argloſe Muttergotteswitze, weßhalb ſie mich zuerſt mit Koth und Dummheit angriffen, nicht aus proteſtantiſchem Eifer hervorgegangen. Wahr¬ lich, ſie ſind keine Jeſuiten, ſondern nur Miſch¬ linge von Koth und Dummheit, die ich, eben ſo wenig wie eine Miſtkarre und den Ochſen der ſie zieht, zu haſſen vermag, und die mit allen ihren Anſtrengungen nur das Gegentheil ihrer Abſicht erreichen, und mich nur dahin bringen koͤnnten: daß ich ihnen zeige wie ſehr ich Proteſtant bin, daß ich mein gutes proteſtantiſches Recht, in ſeiner weiteſten Ermaͤchtigung ausuͤbe, und die gute proteſtantiſche Streitaxt mit Her¬ zensluſt handhabe. Sie koͤnnten dann immerhin, um den Plebs zu gewinnen, die alten Weiber¬ legenden von meiner Unglaͤubigkeit durch ihren Leibpoeten in Verſe bringen laſſen an den wohlbekannten Schlaͤgen ſollten ſie ſchon den396 Glaubensgenoſſen eines Luthers, Leſſings und Voß erkennen. Freylich, ich wuͤrde nicht mit dem Ernſte dieſer Heroen die alte Axt ſchwingen denn der Anblick der Gegner bringt mich leicht zum Lachen, und ich bin ein Bischen Eulenſpie¬ geliger Natur und liebe eine Beymiſchung von Spaß aber ich wuͤrde jenen Miſtochſen nicht minder ſtark vor den Kopf ſchlagen, wenn ich auch vorher mit lachenden Blumen meine Axt umkraͤnzte.

Doch ich will mein Thema nicht zu weit ver¬ laſſen. Ich glaube, es war um jene Zeit, daß der Koͤnig von Bayern, in ſchon erwaͤhnter Ab¬ ſicht, dem Grafen Platen ein Jahrgehalt von ſechshundert Gulden gab, und zwar nicht aus der Staatskaſſe, ſondern aus der koͤniglichen Pri¬ vatkaſſe, wie es ſich der Graf als beſondere Gnade gewuͤnſcht hatte. Letzteren Umſtand, der die Caſte charakteriſirt, ſo geringfuͤgig er auch erſcheint, erwaͤhne ich nur als Notiz fuͤr den Naturforſcher,397 der vielleicht Beobachtungen uͤber den Adel macht. In der Wiſſenſchaft iſt alles wichtig. Wer mir vorwerfen moͤchte, daß ich den Grafen Platen zu wichtig nehme, der gehe nach Paris und ſehe, wie ſorgfaͤltig der feine, zierliche Cuvier, in ſeinen Vorleſungen, das unreinſte Inſekt, mit dem genaueſten Detail ſchildert. Es iſt mir des¬ halb auch ſogar Leid, daß ich das Datum jener 600 Gulden nicht genauer conſtatiren kann; ſo viel weiß ich aber, daß der Graf Platen den Koͤnig Oedipus fruͤher verfertigt hatte, und daß dieſer nicht ſo biſſig geworden waͤre, wenn der Verfaſſer mehr zu beißen gehabt haͤtte.

In Norddeutſchland, wohin mich ploͤtzlich der Tod meines Vaters zuruͤckrief, erhielt ich endlich das ungeheure Geſchoͤpf, das dem großen Ey, woruͤber unſer ſchoͤngefiederter Vogel Strauß ſo lange gebruͤtet, endlich entkrochen war, und das die Nachteulen der Congregazion mit from¬ mem Gekraͤchze und die adeligen Pfauen mit398 freudigem Radſchlagen ſchon lange im voraus begruͤßt hatten. Es ſollte nichts Minderes als ein verderblicher Baſilisk ſeyn. Kennſt du, lieber Leſer, die Sage von dem Baſilisk? Das Volk erzaͤhlt: wenn ein maͤnnlicher Vogel, wie ein Weib, ein Ey gelegt, ſo entſtaͤnde daraus ein giftiges Geſchoͤpf, deſſen Hauch die Luft verpeſte, und das man nur dadurch toͤdten koͤnne, daß man ihm einen Spiegel vorhalte, indem es alsdann uͤber den Anblick ſeiner eigenen Scheußlichkeit vor Schrecken ſterbe.

Heilige Schmerzen, die ich nicht entweihen wollte, erlaubten es mir erſt zwey Monat ſpaͤter, als ich auf der Inſel Helgoland badete, den Koͤnig Oedipus zu leſen, und dort, großgeſtimmt von dem beſtaͤndigen Anblick des großen, kuͤhnen Meers, mußte mir die kleinliche Geſinnung und die Altflickerey des hochgeborenen Verfaſſers recht anſchaulich werden. Jenes Meiſterwerk zeigte mir ihn endlich ganz wie er iſt, mit all ſeiner399 bluͤhenden Welkheit, ſeinem Ueberfluß an Geiſtes¬ mangel, ſeiner Einbildung ohne Einbildungskraft, ganz wie er er iſt, forcirt ohne Force, pikirt ohne pikant zu ſeyn, eine trockne Waſſerſeele, ein triſter Freudenjunge. Dieſer Troubadour des Jammers, geſchwaͤcht an Leib und Seele, ver¬ ſuchte es, den gewaltigſten, phantaſiereichſten und witzigſten Dichter der jugendlichen Griechenwelt nachzuahmen! Nichts iſt wahrlich widerwaͤrtiger als dieſe krampfhafte Ohnmacht, die ſich wie Kuͤhnheit aufblaſen moͤchte, dieſe muͤhſam zu¬ ſammengetragenen Invektiven, denen der Schim¬ mel des verjaͤhrten Grolls anklebt, und dieſer ſilbenſtecheriſch aͤngſtlich nachgeahmte Geiſtestau¬ mel. Wie ſich von ſelbſt verſteht, zeigt ſich in des Grafen Werk keine Spur von einer tiefen Welt¬ vernichtungsidee, die jedem ariſtophaniſchen Luſt¬ ſpiele zum Grunde liegt, und die darin, wie ein phantaſtiſch ironiſcher Zauberbaum, emporſchießt mit bluͤhendem Gedankenſchmuck, ſingenden Nachti¬400 gallneſtern und kletternden Affen. Eine ſolche Idee, mit dem Todesjubel und dem Zerſtoͤrungsfeuer¬ werk, das dazu gehoͤrt, durften wir freilich von dem armen Grafen nicht erwarten. Der Mittel¬ punkt, die erſte und letzte Idee, Grund und Zweck ſeines ſogenannten Luſtſpiels, beſteht, wie bey der verhaͤngnißvollen Gabel, wieder in geringfuͤgig litterariſchen Haͤndeln, der arme Graf konnte nur einige Aeußerlichkeiten des Ariſtophanes nachah¬ men, nemlich die feinen Verſe und die groben Worte. Ich ſage grobe Worte, weil ich keinen groͤbern Ausdruck brauchen will. Wie ein kei¬ fendes Weib, gießt er ganze Blumen-Toͤpfe von Schimpfreden auf die Haͤupter der deutſchen Dichter. Ich will dem Grafen herzlich gern ſeinen Groll verzeihen, aber er haͤtte doch einige Ruͤckſichten beobachten muͤſſen. Er haͤtte wenig¬ ſtens das Geſchlecht in uns ehren ſollen, da wir keine Weiber ſind, ſondern Maͤnner, und folglich zu einem Geſchlechte gehoͤren, das nach ſeiner401 Meinung das ſchoͤne Geſchlecht iſt, und das er ſo ſehr liebt. Es bleibt dieſes immer ein Man¬ gel an Delicateſſe, mancher Juͤngling wird des¬ halb an ſeinen Huldigungen zweifeln, da jeder fuͤhlt, daß der Wahrhaftliebende auch das ganze Geſchlecht verehrt. Der Saͤnger Frauenlob war gewiß nie grob gegen irgend ein Weib, und ein Platen ſollte daher mehr Achtung zeigen gegen Maͤnner. Aber der Undelikate! ohne Scheu er¬ zaͤhlt er dem Publikum: Wir Dichter in Nord¬ deutſchland haͤtten alle die Kraͤtze, wofuͤr wir leider eine Salbe brauchten, die als mephitiſch er vor vielen ſchaͤtze. Der Reim iſt gut. Am unzarteſten iſt er gegen Immermann. Schon im Anfang ſeines Gedichts, laͤßt er dieſen hinter einer ſpaniſchen Wand Dinge thun, die ich nicht nennen darf, und die dennoch nicht zu widerlegen ſind. Ich halte es ſogar fuͤr wahrſcheinlich, daß Immermann ſchon ſolche Dinge gethan hat. Es iſt aber charakteriſtiſch, daß die Phantaſie des Gra¬26402fen Platen ſogar ſeine Feinde a posteriori zu belauſchen weiß. Er ſchonte nicht einmal Houwald, dieſe gute Seele, ſanft wie ein Maͤdchen ach vielleicht eben dieſer holden Weiblichkeit wegen, haßt ihn ein Platen. Muͤllner, den er, wie er ſagt, ſchon laͤngſt durch wirklichen Witz urkraͤftig erlegt dieſer Todte wird wieder aus dem Grabe geſcharrt. Kind und Kindeskind bleiben nicht unangetaſtet. Raupach iſt ein Jude,

Das Juͤdchen Raupel
Das jetzt als Raupach traͤgt ſo hoch die Naſe

ſchmiert Tragoͤdien im Katzenjammer. Noch weit ſchlimmer ergeht es dem getauften Heine. Ja, ja, du irrſt dich nicht, lieber Leſer, das bin Ich, den er meint, und im Koͤnig Oedipus kannſt du leſen, wie ich ein wahrer Jude bin, wie ich, wenn ich einige Stunden Liebeslieder geſchrieben, gleich darauf mich niederſetze und Dukaten be¬ ſchneide, wie ich am Sabbath mit langbaͤrtigen Mauſcheln zuſammenhoke und den Talmud ſinge,

403wie ich in der Oſternacht einen unmuͤndigen Chriſten ſchlachte und aus Malize immer einen ungluͤcklichen Schriftſteller dazu waͤhle Nein, lieber Leſer, ich will dich nicht beluͤgen, ſolche gute ausgemalte Bilder ſtehen nicht im Koͤnig Oedipus, und daß ſie nicht darin ſtehen, das nur iſt der Fehler, den ich tadele. Der Graf Platen hat zuweilen die beſten Motive und weiß ſie nicht zu benutzen. Haͤtte er nur ein bischen mehr Phantaſie, ſo wuͤrde er mich wenigſtens als geheimen Pfaͤnderverleiher geſchildert haben; welche komiſche Scenen haͤtten ſich dargeboten! Es thut mir in der Seele weh, wenn ich ſehe, wie ſich der arme Graf jede Gelegenheit zu guten Witzen vorbeygehen laſſen! Wie koſtbar haͤtte er Raupach benutzen koͤnnen als Tragoͤdien - Rothſchild, bey dem die koͤniglichen Buͤhnen ihre Anleihen machen! Den Oedipus ſelbſt, die Haupt¬ perſon ſeines Luſtſpiels, haͤtte er, durch einige Modifikationen in der Fabel des Stuͤckes, eben¬26 *404falls beſſer benutzen koͤnnen. Statt daß er ihn den Vater Lajus toͤdten, und die Mutter Jokaſte heyrathen ließ, haͤtte er es im Gegentheil ſo ein¬ richten ſollen, daß Oedipus ſeine Mutter toͤdtet und feinen Vater heyrathet. Das dramatiſche[Draſtiſche] in einem ſolchen Gedichte haͤtte einem Platen meiſterhaft gelingen muͤſſen, ſeine eigene Gefuͤhlsrichtung waͤre ihm dabey zu Statten gekommen, er haͤtte manchmal, wie eine Nachti¬ gall, nur die Regungen der eignen Bruſt zu be¬ ſingen gebraucht, er haͤtte ein Stuͤck geliefert, das wenn der gaſelige

Iffland noch lebte, gewiß in Berlin gleich einſtudirt worden waͤre, und das man auch jetzt auf Privatbuͤhnen geben wuͤrde. Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als den Schauſpieler Wurm in der Rolle eines ſol¬ chen Oedipus. Er wuͤrde ſich ſelbſt uͤbertreffen. Dann finde ich es auch nicht politiſch vom Gra¬ fen, daß er in ſeinem Luſtſpiele verſichert, er habe wirklichen Witz. Oder arbeitet er viel¬405 leicht auf den Ueberraſchungs-Effect, auf den Theatercoup, daß dadurch das Publikum beſtaͤn¬ dig Witz erwarten, und dieſer am Ende doch nicht erſcheinen ſoll? Oder will er vielmehr das Publikum aufmuntern, den Wirkl. Geh. Witz im Stuͤcke zu ſuchen, und das Ganze waͤre nur ein Blindekuhſpiel, wo der Platenſche Witz ſo ſchlau iſt, ſich nie ertappen zu laſſen? Deshalb viel¬ leicht iſt auch das Publikum, das ſonſt bey Luſt¬ ſpielen zu lachen pflegt, bey der Lektuͤre des Platenſchen Stuͤcks ſo verdrießlich, es kann den verſteckten Witz nicht finden, vergebens piept der verſteckte Witz, und piept immer lauter: hier bin ich! hier bin ich wirklich! vergebens, das Publikum iſt dumm und macht ein ernſthaftes Geſicht. Ich aber, der ich weiß wo der Witz ſteckt, habe herzlich gelacht, als ich von dem graͤflichen, herrſchſuͤchtigen Dichter las, der ſich in einen ariſtokratiſchen Nimbus huͤllt, der von ſich ruͤhmt, daß jeder Hauch, der zwiſchen ſeine406 Zaͤhne komme, eine Zermalmung ſey und der zu allen deutſchen Dichtern ſagt:

Ja, gleichwie Nero, wuͤnſcht ich euch nur Ein Gehirn,
Durch einen einzigen Witzeshieb zu ſpalten es

Der Vers iſt ſchlecht. Der verſteckte Witz aber beſteht darin: daß der Graf eigentlich wuͤnſcht, wir waͤren alle lauter Neronen und er, im Gegen¬ theil, unſer einziger lieber Freund Pythagoras.

Vielleicht wuͤrde ich zum Beſten des Grafen noch manchen anderen verſteckten Witz hervorloben, doch da er mir in ſeinem Koͤnig Oedipus das Liebſte angegriffen denn was koͤnnte mir lieber ſeyn als mein Chriſtenthum? ſo iſt es mir nicht zu verdenken, wenn ich, menſchlich geſinnt, den Oedipus, dieſe große That in Worten minder ernſtlich als die fruͤheren Thaͤtigkeiten wuͤrdige.

Indeſſen, das wahre Verdienſt hat immer ſeinen Lohn gefunden, und dem Verfaſſer des407 Oedipus wird der ſeinige nicht entgehen, obgleich er ſich auch hier, wie immer, nur dem Einfluß ſeiner adeligen und geiſtlichen Hinterſaſſen hingab. Ja, es geht eine uralte Sage unter den Voͤlkern des Orients und Occidents, daß jede gute oder boͤſe That ihre naͤchſten Folgen hab fuͤr den Thaͤter. Und kommen wird der Tag, wo ſie kommen mach 'dich darauf gefaßt, lieber Leſer, daß ich jetzt etwas in Pathos gerathe und ſchauerlich werde kommen wird der Tag, wo ſie dem Tartaros entſteigen die furchtbaren Toͤchter der Themis, die Eumeniden. Bey'm Styx! bey dieſem Fluſſe ſchwoͤren wir Goͤtter nie¬ mals falſch kommen wird der Tag, wo ſie erſcheinen, die dunkeln, urgerechten Schwe¬ ſtern, ſie werden erſcheinen mit ſchlangen¬ gelockten, rotherzuͤrnten Geſichtern, mit denſelben Schlangengeißeln, womit ſie einſt den Oreſtes gegeißelt, den unnatuͤrlichen Suͤnder, der die Mutter gemordet, die tyndaridiſche Clytaͤmneſtra. 408Vielleicht hoͤrt der Graf ſchon jetzt die Schlan¬ gen ziſchen Ich bitte dich, lieber Leſer, denk' dir jetzt die Wolfsſchlucht und Samielmuſik Vielleicht erfaßt den Grafen ſchon jetzt das ge¬ heime Suͤndergrauen, der Himmel verduͤſtert ſich, Nachtgevoͤgel kreiſcht, ferne Donner rollen, es blitzt, es riecht nach Colophonium, Wehe! Wehe! die erlauchten Ahnen ſteigen aus den Graͤbern, ſie rufen noch drey bis vier mal Wehe! Wehe! uͤber den klaͤglichen Enkel, ſie beſchwoͤren ihn ihre alten Eiſenhoſen anzuziehen, um ſich zu ſchuͤtzen vor den entſetzlichen Ruthen denn die Eumeniden werden ihn damit zerfetzen, die Geißelſchlangen werden ſich ironiſch an ihm ver¬ gnuͤgen, und wie der buhleriſche Koͤnig Rodrigo, als man ihn in den Schlangenthurm geſperrt, wird auch der arme Graf am Ende wimmern und winſeln:

Ach! ſie freſſen, ach! ſie freſſen,
Womit meiſtens ich geſuͤndigt.
409

Entſetze dich nicht, lieber Leſer, es iſt ja alles nur Scherz. Dieſe furchtbaren Eumeniden ſind nichts als ein heiteres Luſtſpiel, das ich, nach eini¬ gen Luſtren, unter dieſem Titel ſchreiben werde, und die tragiſchen Verſe, die dich eben erſchreckt, ſte¬ hen in dem allerluſtigſten Buche von der Welt, im Don Quixote von la Mancha, wo eine alte, an¬ ſtaͤndige Hofdame ſie in Gegenwart des ganzen Hofes rezitirt. Ich ſehe, du laͤchelſt wieder. Laß uns heiter und lachend von einander Abſchied nehmen. Wenn dieſes letzte Capitel etwas langweilig war, ſo lag's nur an dem Ge¬ genſtande; auch ſchrieb ich es mehr zum Nutzen als zur Luſt, und wenn es mir gelungen iſt, einen neuen Narrn auch fuͤr die Litteratur brauchbar gemacht zu haben, wird mir das Vaterland Dank ſchuldig ſeyn. Ich habe das Feld urbar gemacht, worauf geiſtreichere Schriftſteller ſaͤen und ernd¬ ten werden. Das beſcheidene Bewußtſeyn dieſes Verdienſtes iſt mein ſchoͤnſter Lohn. Fuͤr etwaige410 Koͤnige, die mir dafuͤr noch extra eine Tabatiere ſchicken wollen, bemerke ich, daß die Buch¬ handlung Hoffmann und Campe in Ham¬ burg Ordre hat, dergleichen fuͤr mich in Em¬ pfang zu nehmen.

Geſchrieben im Spaͤtherbſt des Jahres 1829.

Errata.

S. 14 Zeile 2 von unten ſtatt großen lies alten.

"22" 4 "oben" ungeſehen lies ungeſchehen.

"68" 7 "" "Anthiſtenes lies Antiſthenes.

"134" 9 "" "mazzati lies mazzanti.

"152" 7 "" "mazzati lies mazzanti.

"148" 10 "unten" Grachen lies Gracchen.

"157" 1 "" "Hesperus lies Hermes.

"212" 7 "" "bang lies ganz.

"254" 6 "oben" Trionometrie l. Trigonometrie.

"270" 6 "" "haͤit lies haͤlt.

"282" 7 "unten" Ceromonien l. Ceremonien.

"288" 1 "" "Thaͤnen Thraͤnen. " 300 "3" oben "ger lies gar.

"339" 6 "unten" antropologiſch lies anthropo¬ logiſch.

"366" 8 "oben" Bibliothek lies Univerſitaͤt.

"366" 6 "unten" jenes lies jedes.

"379" 8 "" "Patikos lies Pathikos

"395" 5 "oben" proteſtantiſchen lies antika¬ tholiſchen.

"407" 9 "unten" Themis lies Nacht.

Gedruckt bei Conrad Muͤller Wwe.

About this transcription

TextReisebilder
Author Heinrich Heine
Extent423 images; 49899 tokens; 10966 types; 347513 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReisebilder Dritter Theil Heinrich Heine. . [1] Bl., 410 S., [1] Bl. Hoffmann und CampeHamburg1830.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 4637-3http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=615501885

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:21Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 19 ZZ 4637-3
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.