PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Ardinghello und die gluͤckſeeligen Inſeln.
Eine Italiaͤniſche Geſchichte aus dem ſechszehnten Jahrhundert.
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Erſter Band.
Lemgo,im Verlage der Meyerſchen Buchhandlung1787.
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Es iſt eine Luſt, in den Italiaͤniſchen Bibliotheken herum zu wuͤhlen: man ſpuͤrt auch in den geringeren zuweilen unbekannte Handſchriften auf. Ob ich an dieſer, von welcher ich hier die getreue Ueberſetzung liefre, einen guten oder ſchlech -A 2ten4ten Fund gethan habe, mag jeder Leſer fuͤr ſich beſtimmen. Ich entdeckte ſie bey Cajeta in einer verfallnen Villa, die auf einer reizenden Anhoͤhe den zaubriſchen Meer - buſen beherrſcht, unter alten Buͤchern und Papieren; als ich mit einem jungen Roͤ - mer einen gluͤcklichen Herbſt dort zubrach - te, waͤhrend er die Verlaſſenſchaft ſeines Oheims in Beſitz nahm.

Sollte verſchiedenen, wegen Ferne des Landes und der Zeit, einiges dunkel oder zu gelehrt vorkommen: ſo koͤnnen ſie ſolches bequem uͤberſchlagen, und ſich blos an den Faden der Begebenheiten halten; in der Natur ſelbſt muͤſſen die Weiſeſten manches ſo vorbeigehn.

Viel -5

Vielleicht findet mein Freund noch anderswo das uͤbrige der Geſchichte; aus Familien-Nachrichten ſcheint Fiordimo - na, die man darin kennen lernen wird, ihre Tage beſchloſſen zu haben.

Der Verfaſſer ſetzt ſeiner Schrift fol - gende Fabel vor, um ſinnlich zu machen, daß auch das nuͤtzlichſte unſchuldiger Weiſe ſchaͤdlich ſeyn kan.

Ein waͤchſerner Hausgoͤtze, den man außer Acht gelaſſen hatte, ſtand neben einem Feuer, worin edle Cam - paniſche Gefaͤße gehaͤrtet wurden, und fing an zu ſchmelzen.

Er beklagte ſich bitterlich bey dem Elemente. Sieh, ſprach er, wie grau -A 3ſam6ſam du gegen mich verfaͤhrſt! jenen gibſt du Dauer, und mich zerſtoͤrſt du!

Das Feuer aber antwortete: Be - klage dich vielmehr uͤber deine Natur; denn ich, was mich betrift, bin uͤberall Feuer.

Geſchrieben im December 1785.

Erſter[7]

Erſter Theil.

A 4[8][9]
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Wir fuhren an einem Tuͤrkiſchen Schiffe vorbey, ſie brannten ihre Kanonen los: die Gondel wankte, worin ich aufgerichtet ſtand; ich verlor das Gleichgewicht, und ſtuͤrzte in die See, verwickelte mich in meinen Mantel, arbeitete vergebens, und ſank unter.

A 5Als10

Als ich wieder zu mir gekommen war, be - fand ich mich bey einem jungen Menſchen, wel - cher mich gerettet hatte; ſeine Kleider lagen von Naͤſſe an, und aus den Haaren troff das Waſ - ſer. Wir haben uns nur ein wenig abge -[kuͤhlt! ]ſprach er freundlich mir Muth ein; ich druͤckte ihm die Haͤnde.

Das Feſt war fuͤr uns verdorben. Meine vorigen Begleiter eilten nun von dannen. Wir ließen den Bucentoro zwiſchen tauſend Fahr - zeugen, unter dem Donner des Geſchuͤtzes von al - len Schiffen, aus den Haͤfen in die offne See ſte - chen, und den Dogen ſich mit dem Meere ver - maͤhlen; und er brachte mich mit ſeinem Fuͤh - rer nach meiner Wohnung.

Hier ſchied er von mir, ohne daß er mir weder ſein Quartier, noch ſeinen Namen ſagen wollte; blos aus der Mundart bemerkte ich, daß er ein Fremder war: jedoch verſprach er, mich bald zu beſuchen. Wir umarmten uns, und mirwallte11wallte das Herz, es regte ſich eine Gluth darin - nen. Seine Jugend ſtand eben in ſchoͤner Bluͤthe, und um Mund und Kinn flog ſtark der liebliche Bart an; ſeine friſchen Lippen bezauberten im Reden, und die Augen ſpruͤhten Licht und Feuer; groß und wohlgebildet am gan - zen Koͤrper, mit einer kuͤhnen Wildheit, erſchien er mir ein hoͤheres Weſen.

Sein Bild wich den ganzen Tag nicht aus meiner Seele; ich konnte weder eſſen noch trin - ken, und vor Ungeduld nicht bleiben.

Abends war Gondelrennen, das auf der See, was Wettlauf auf dem Lande; wodurch unſre Leute zu muthigen Schiffern ſich bilden: ein Spiel, wo Staͤrke, Gewandheit, und Fuͤhrung des Ruders den Preis davon traͤgt, und welchem nur ein Pindar fehlt, es wie die Olympiſchen zu verherrlichen. Der ganze große Kanal ſchaͤumte und war Getuͤmmel von ſchoͤnem Leben; die Fenſter der Pallaͤſte prangten mit ihren Tapeten,und12und die untergehende Sonne glaͤnzte daraus wie - der in unzaͤhlbaren frohlockenden Geſtalten.

Ich fuhr an den Markusplatz, und gieng darauf in Gedanken herum, bis die Nacht ein - ſank, und ihre Kuͤhle verbreitete; die Erleuchtung der Buden mit den Koſtbarkeiten der Meſſe gab eine neue Augenweide. Ich blickte in verſchie - dene Weinſchenken unter den Hallen; in einer duͤnkte mich, den jungen Mann geſehen zu haben, der mich ſo großmuͤthig der Gefahr entzog. Ich kehrte ſogleich um, und ging in meiner Maske hinein.

Es war der Verſammlungsort der Kuͤnſt - ler, und ich hatte recht geſehen. Sie ſchienen im Streite zu ſeyn. Paul von Verona fuͤhrte das Wort, und ſagte:

Wer uͤber ein Kunſtwerk am richtigſten urtheilen kan? Ich glaube, wer die Natur am beſten kennet, die vorgeſtellt iſt, und die Schran - ken der Kunſt weiß. Ich verachte die Elenden,die13die von einem Manne von Geiſt und Welt verlan - gen, daß er ein Schmierer, wie Sie, ſeyn ſoll, eh er uͤber ein Gemaͤhlde urtheilen will: das komiſche Approbatum ſogar, welches die teutſchen Roß - taͤuſcher an die Pferde vor der Markuskirche mit ihren Namen ſchrieben, gilt mir zum Exem - pel mehr hier, als jener ganzer Troß; in Stu - tereyen gebohren und erzogen, fuͤhlten ſie die herr - liche lebendige Pferdsnatur, und wie jeder von den vier jungen muthigen Hengſten ſeinen eigenen Charakter hat, die Vortreflichkeit ihrer Koͤpfe, und wie ſie ſchnauben und ungeduldig ſind, daß ſie im Zuͤgel gehalten werden, lernt man durch kein bloßes Gekritzel von Zeichnung. Selbſt der groͤßte Mahler, der immer auf feſtem Lande leb - te, kan uͤber kein Seeſtuͤck urtheilen; und der erſte beſte Sultan, der liebt, und noch Kraft in den Adern hat, darf eher ſprechen aus ſeinem Serail uͤber eine nackende Venus von unſerm Al - ten, als der fromme Fra Bartolommeo.

Wahr!14

Wahr! verſetzte ein andrer, der deutlichen hellen und volltoͤnigen Ausſprache nach, ein Roͤ - mer; aber der Geſchmack koͤmmt nicht von ſelbſt. Man muß erſt wiſſen, was Kunſt iſt, und den Vorrath der Kunſtwerke mit Naturerfahrnem Sinn gepruͤft haben: ſonſt geht der Prozeſſion mit der Madonna von Zimabur hinter drein, und bejubelt ſie als das non plus ultra. Die Leute glauben, es waͤre nicht moͤglich etwas beſſers zu machen, weil ſie nichts beſſers geſehen haben; und denken, wie ihnen zu Muthe waͤre, wenn ſie den Pinſel in die Hand nehmen ſollten. Daher alle die albernen Urtheile von ſonſt ſehr geſcheidten und gelehrten Maͤnnern uͤber die Kuͤnſtler der vo - rigen Zeit; ſie ſchwatzten gleich vom Zeuxis und Apel - les, weil ſie platterdings von dieſen Namen keinen ſinlichen Begriff hatten. Und ſo wirds bey den Auslaͤndern, wo die Kunſt anfaͤngt, und die Meiſterſtuͤcke nicht vorhanden ſind, mit euch und Titian und Raphael ergehen; ihr werdet eben ſo gemißbraucht werden .

Und15

Und dan[n]muß man gewiß mehr als ein Werk und viel von einem Meiſter geſehn haben, ehe man nur ihn recht kennen lernt. So gehts auch mit den Menſchen uͤberhaupt; die treflichen muß man ſtudiren. Es iſt nichts eitler und thoͤrichter, als die Reiſenden und Hofſchran - zen, die einen wichtigen Mann gleich beym er - ſten Beſuch und Geſpraͤch weg haben wollen.

Doch, um nicht auszuſchweiffen! Keiner kann einen Theil vollkommen verſtehen, ohne vorher einen Begriff vom Ganzen zu haben, und ſo wieder umgekehrt. Jedes einzelne Gemaͤhl - de zum Beyſpiel macht folglich einen Theil von der geſammten Mahlerey, ſo wie ſie gegenwaͤrtig in der Welt iſt; und man muß wenigſtens ihr Be - ſtes uͤberhaupt kennen, ehe man dem Einzelnen ſeinen Rang anweiſen will.

Mein Junger Mann erwiederte jetzt mit Feuer:

Ich16

Ich mag nicht beſtimmen, in wie ferne der Herr Recht hat. Das Geraͤuſch der Meſſe um uns erlaubt keine nuͤchterne Berathſchlagung; ich glaube, Meiſter Paul hat das Seinige geſagt, damit, daß ein befugter Richter noch die Gren - zen der Kunſt kennen muß.

Allein, ihr Lieben, jede Form iſt indi - viduell, und es gibt keine abſtrakte; eine bloß ideale Menſchengeſtalt laͤßt ſich weder von Mann noch Weib, und Kind und Greis denken. Eine junge Aspaſia, Phryne, laͤßt ſich bis zur Lie - besgoͤttin oder Pallas erheben, wenn man die ge - hoͤrigen Zuͤge mit voller Phantaſie in ihre Bildun - gen zaubert: aber ein abſtraktes bloß vollkommnes Weib, das von keinem Klima, keiner Volksſitte et - was an ſich haͤtte, iſt und bleibt meiner Meinung nach ein Hirngeſpinſt, aͤrger als die abentheurlichſte Romanheldin, die doch wenigſtens irgend eine Sprache reden muß, deren Worte man ver - ſteht.

Und17

Und ſolche unertraͤglich-leere Geſichter und Geſtalten nennen die armſeeligen Schelme, die weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipſen er - lernt haben und treiben, wahre hohe Kunſt; und wollen mit Verachtung auf die Kernmenſchen herunter ſchauen, die die Schoͤnheiten, welche in ihrem Jahrhundert aufbluͤhten, mit leben - digen Herzen in ſich erbeutet haben.

Dies iſt der wahre Weg, beſchloß der Roͤ - mer. Inzwiſchen kan man uͤber nichts urthei - len, wovon man kein Ideal hat; und dieß ent - wirft der Verſtand mit der Wahl aus Vielem.

Hier trennte ſich die Geſellſchaft; Paul ging weg, und nahm den Juͤngling in Arm. Ich folgte nach. Sie zogen den Platz ein paar - mal herum, und hoͤrten da und dort der Muſik und den Scherzen luſtiger Truppen zu. Beym Eingang in die Merceria verließ ihn endlich Paul; ich nahm meine Maske ab, und machte mich an ihn.

BEr18

Er erkannte mich gleich, und freuete ſich, daß mein Zufall keine ſchlimme Folgen gehabt haͤtte. Ich bezeugte ihm von neuen meine Dank - barkeit, und wuͤnſchte ihm irgend worin fuͤr ſeine edle That Dienſte leiſten zu koͤnnen.

Dieß ſetzte ihn in[Verlegenheit. Was] hab ich gethan, erwiederte er, das ich nicht bey jedem andern Erdenſohn gethan haͤtte? haͤtte thun muͤſſen? Wie mancher Bube hohlt ſo ein Stuͤck Geld vom Sand aus der Tiefe, und ſtuͤrzt ſich noch oben drein von Hoͤhen in die Fluht. Uerber - triebnes Lob fuͤr Schuldigkeit macht die Men - ſchen feig und eitel. Das iſt ein elendes Volk an Heldenmuht und Verſtand, wo bey jeder Kleinig - keit eine Ehrenſaͤule muß aufgerichtet werden. Was geſchehen iſt, ſey geſchehen!

Groß auf ihrer Seite, verfuͤgt ich; und gewiß iſt der Rettende ſchon in ſich der goͤttliche. Inzwiſchen glaub ich aber doch, daß die Dankbarkeit das feſteſte und ſanfteſte Band der Geſellſchaft ſey;und19und auch ein wenig Ausſchweifung darin eine Nazion immer liebenswuͤrdig, und den wackern Maͤnnern derſelben das Leben froher mache [.]

Er ſah mich hierbey mit einem neuen ſee - lenvollen Blick an, und wir faßten uns trauli - cher. Ich bat ihn inſtaͤndig, dieſen Abend bey mir zu bleiben; und wir ließen uns am Broglio uͤber den Kanal ſetzen.

Wir aßen und tranken, und das Tiſchge - ſpraͤch wurde immer lebendiger, ſo bald die Be - dienten uns verlaſſen hatten. Der erſte Vor - wurf war der heutige Tag. Er ruͤhmte die Klug - heit unſers Senats, daß ſie ſich aus dem bitter - boͤſen Kriege nach dem Buͤndniſſe bey Cambray, und jetzt aus dem Ueberfalle der ganzen Tuͤrki - ſchen Macht ſo glorreich gezogen haͤtten, und in der alten Wuͤrde noch mit dem Meere vermaͤhlen koͤnn - ten. Nur that es ihm leid, daß der Cyperwein in Italien nun ſeltener und theurer werden wuͤrde.

B 2 Wir20

Wir ſind unter vier Augen, erwiedert ich, um ihm das etwannige Mißtrauen gegen einen No - bile zu benehmen; denn ich fuͤhlte den Zug der Liebe unwiederſtehlich. Nach jenem ungluͤckſeli - gen Bunde war ein arger Staatsfehler nur ei - niger maßen wieder gut gemacht, den man vorher haͤtte vermeiden muͤſſen. Und auch jetzt wuͤrden wir das ſuͤße Koͤnigreich, die Inſul der Liebe, nicht eingebuͤßt haben, wenn man dem Sultan, als der Silen noch Statthalter in Cilicien gegen - uͤber war, einige Faͤſſer von ihrem Nektar wohl - feiler vergoͤnnte; und die chriſtlichen Freybeuter mit ſeinen weggekapperten ſchoͤnen Knaben und Sclavinnen nicht allzu ſicher zu Famauguſta in der Nachbarſchaft einliefen.

Unſre Braut ſcheint uns uͤbrigens nicht mehr ſo treu bleiben zu wollen, wenn man auf Vorbedeutungen gehen darf. Sie wiſſen, daß das Feſt ſchon vorgeſtern ſollte gehalten werden; aber die wilde Goͤttin weigerte ſich, war Auf -ruhr21ruhr und ſtuͤrmte, und warf ein Duzend ertrunk - ner Schiffbruͤchigen zum großen Kanal herein bis an den Pallaſt des alten Dogen. Pabſt Alexan - der der dritte, der noch Gewalt uͤber die muhtwilli - ge hatte, iſt leider laͤngſt geſtorben; und Ko - lumb, der Held, deſſen Genua nicht werth war, und andre welſche Piloten haben dem Portugie - ſiſchen Heinrich und den Kaſtilianiſchen Fuͤrſten die wahre Amphitrite ausgekundſchaftet, woge - gen unſre nur eine Nymphe iſt. Und uͤberhaupt gibt ſie ſich nur den Tapfern und Klugen preis, wie alle freye Schoͤnheit, und es hilft da keine Ceremonie. Wir haͤtten uns beſſer um unſre Braut bewerben ſollen, anſtatt uns um Stein - haufen viel zu plagen, nachdem ſie uns einmal guͤnſtig war.

Vielleicht iſt dieß Schickſal, antwortete er ſchalkhaft-bitter; ihr Doge vermaͤhlt ſich ver - muhtlich nicht umſonſt ſo oft, und traͤgt von jeher die Phrygiſche Muͤtze mit Hoͤrnern! undB 3dann22dann iſt ſo eine Ceremonie gut fuͤrs Volk, und macht ihm Muht; und was einmal ſo praͤchtige Gewohnheit iſt, laͤßt ſich ſo leicht nicht abſchaffen. Ihr Herren thut vielleicht bald wieder einen andern Fang im Archipelagus, und fiſcht ein neues Koͤnigreich. Es iſt genug, daß man eins hundert Jahre lang ruhig beſitzt. Dreymal hundertauſend Zecchinen kann man her - nach leicht fuͤr den Genuß bezahlen; drey tau - ſend Zecchinen fuͤrs Jahr war die Reſidenz der Venus ſelbſt wohl unter Bruͤdern wehrt. Dieß hat euch eine Venezianerin vermacht, als ihr Gemahl der Koͤnig ſtarb, und ſeine Kinder, eins nach dem andern, kurz darauf in eurer Stadt: nun iſt die Reihe an euch Juͤnglingen, eine Koͤnigin in Oſten zu heirathen*)Es wuͤrde allzuweitlaͤuftig ſeon, die hier beruͤhrten Punkte der Venezianiſchen Ge -ſchichte.

Die -23

Dieſer Stachel ſchnitt ein, und verwun - dete mein damals noch all zu pahrtheyiſch-vater - laͤndiſches Herz. Mir geſchah, als ob ich vor der Zeit vernuͤnftig geweſen waͤre; doch gefiel mir uͤberaus ſeine Freymuͤthigkeit gegen mich. Er be - merkte mit ſcharfem Blicke gleich das Unheimliche, und fuhr fort: aber wir ſind doch immer in Ve - nedig, und die[Mauern] haben da Ohren; ſprechen wir von etwas anderm!

Nach einer kleinen Stille fing er[an: ich] muß ihnen doch etwas von mir ſagen, damit ſie wiſſen, wer ich bin, und wie ich mit andern zuſammenhange.

Ich bin ein Mahler aus Florenz, und halte mich hier auf, um nach den Toskaniſchen Gerippen mich am Venezianiſchen Fleiſche zu wei -B 4den.*)ſchichte im Zuſammenhange zu erzehlen; wer ſie noch nicht wiſſen ſollte, kan leicht anders - wo davon Nachricht finden.24den. Tizian hat den weſen[t]lichen Theil von der Mahlerey, ohne welchen alles andre nicht beſte - hen kan. Es iſt freylich da, aber ungeſund und ſiech; ſeys noch ſo himmliſch und vortreflich, oder als Gaukelſpiel ohne Wahrheit. Wer nicht wie Tizian zu Werke ſchreitet, wird auch nie ein wahrhaftig großer Mahler werden. Die allge - meine Stimme entſcheidet hier, nicht die Kuͤnſt - ler. Tizian ergreift alle, die keine Mahler ſind; und dieſe ſelbſt im Hauptſtuͤcke der Mah - lerey, welches platterdings die Wahrheit der Farbe iſt, ſo wie die Zeichnung der weſentliche Theil der Zeichnung. Mahlen iſt Mahlen: und Zeichnen Zeichnen, Ohne Wahrheit der Farbe kann keine Mahlerey beſtehen; eher aber ohne Zeichnung.

Wenn ich als Laye bey euch ſtrengen Herren ein Wort reden darf, fiel ich ein, ſo mag ihnen das Venezianiſche Fleiſch nach den Knochen undSeh -25Sehnen des Michel Angelo deſto beſſer ſchmecken und bekommen.

Dieß iſt lauter Sophiſterey, antwortete er. Der Mahler gibt ſich mit der Oberflaͤche ab, und dieſe zeigt ſich blos durch Farbe; und er hat mit dem Weſentlichen der Dinge im eigentlichen Verſtande wenig zu ſchaffen. Wer ſich einmal in dieſe Grillen verliert, kann ſo leicht nicht wie - der herauskommen. Das Zeichnen iſt bloß ein nohtwendig Uebel, die Proporzionen leicht zu finden: die Farbe, das Ziel, Anfang und Ende der Kunſt. Es verſteht ſich, daß ich hier vom Materiellen ſpreche. Dem Geruͤſte den Rang uͤber das Gebaͤude geben zu wollen, iſt ja laͤcher - lich; dem Zeichen, welches menſchliche Schwach - heit erfand, vor der Sache ſelbſt, wenn ich ſo reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle und Helle, das Harte und Weiche, und Junge und Alte, wie kann man es anders herausbrin - gen, als durch Farbe? Form und Ausdruck kannB 5nicht26nicht ohne ſie beſtehen. Die ſchaͤrfſten und ſtrengſten Linien, ſelbſt eines Michel Angelo, ſind Traum und Schatten gegen das hohe Leben eines Tizianiſchen Kopfs. Profile kann jeder Stuͤmper abnehmen, da braucht ſich der andre nur vors Licht zu ſetzen, richtiger als ſie ein Ra - phael aus freyer Hand zeichnet; aber das Lebendige mit allen den feinen Tinten in ihrer Vermiſchung, und ſchwindenden Umriſſen, die keine bloße Linie faßt: da gehoͤrt Auge und Gefuͤhl dazu, das die Natur nur wenigen gab. Wer ſich einmal an das Leichte gewoͤhnt, der koͤmmt mit dem Schwe - ren gar ſelten fort *)Man ſtoße ſich nicht an dieſen jugendlichen Ausfaͤllen auf die Roͤmiſchen und Florenti - niſchen Schulen; in der Folge wird ſich al - les deutlicher entwickeln. Inzwiſchen liegt ſchon Wahres hier zum Grunde. Es gieng dem jungen Mann wie allen, die in zuſtren -.

Sie27

Sie moͤgen im Grunde Recht haben, ver - ſetzt ich darauf; nur verfaͤllt man bey ihrer Art leicht in den Fehler, daß man ſich allzu ſehr an das Materielle haͤlt, und das Geiſtige daruͤber au - ßer Acht laͤßt. Inzwiſchen moͤchte ihnen der Roͤ - mer, wahrſcheinlich war es einer dieſen Abend im Weinhauſe, was ſie ſagten, ſcharf beſtreiten. [ ]

Der Vorurtheile ſind noch mehr in der Kunſt, die eben ſo hartnaͤckig verfochten werden, ſprach er ferner. Was das Geiſtige betrift, das lernt ſich und verlernt ſich nicht; da gehoͤrt gu - ter Inſtinkt aus Mutterleibe dazu, und vollkom - mene Gegenſtaͤnde von außen herum. Deuten und hinfuͤhren kann man wohl; aber wo keinZug,*)ſtrenger Lehre ſtanden: ſo bald ſie in Frey - heit kommen, verabſcheuen ſie das Joch. Allein trefliche Naturen bequemen ſich nach und nach wieder zu dem Guten, was ſie mit ſich brachte.28Zug, keine innere Richtung iſt, koͤmmt lauter Ma - nier hervor, dem Menſchen, der ſeinen Durſt loͤſchen will, ſo viel als Nichts, und uͤberdrein vergebliche Muͤhe; denn er hat ſich an den leeren Schein hinbemuͤhen und unterſuchen muͤſſen.

Der Roͤmer hat viel Verſtand; nur mah - len ſoll er nicht: er haͤtt ein Schriftſteller wer - den ſollen; jetzt aber iſt er einmal im Geleiſe und ſchwatzt ſich durch. Dieſer ahmt eine Natur nach, welche nur noch in Steinen exiſtirt, eine Natur ohne Farbe mit Farbe: und will taͤuſchen! eine feſte ſtarre Bewegung von den Millionen Le - bendigen, die immer um uns herum entſtehen! weil es freylich jederman leichter, und dem ſchachmat - ten Stubenſitzer bequemer iſt, einen breternen Hirſch zu ſchießen, als einen, der durch die Waͤlder ſtreift und uͤber Buͤſche und Graͤben ſetzt; zumal da wir heutiges Tags meiſt verbotene Jagd haben.

Er hat ein langes und breites an der Hochzeit zu S. Giorgio Maggiore von un -ſerm29ſerm herrlichen Paul getadelt. Chriſtus mit ſeinen Apoſteln ſitzt freylich im Mittelgrund am Tiſche ziemlich unbedeutend; und ſie ſind bloß deßwegen da, weil ſie da ſeyn muͤſſen, weil wir andern Menſchenkinder uns keinen[ſinnli - chen] Begriff von den Geſtalten dieſer Wunder - maͤnner machen koͤnnen.

Die Hauptſache aber bleibt immer der Schmaus, das Feſt, und der Wein uͤber alle Weine; erſte erfreuliche Bekraͤftigung unſrer Re - ligion nach dem Johannes. Und in dieſer Ruͤck - ſicht iſt das Stuͤck voll Laune, und die Bege - benheit darin erzehlt, wie eine ſpaniſche Romanti - ſche Novelle. Die Hauptfiguren ſind ein Tiſch mit Spielleuten, die auf lieblichen Inſtru - menten Muſik machen. Paul ſelbſt ſpielt eine Geige der Liebe; Tizian den Regenten der Harmonie, den Baß; Baſſano, Tintorett ande - re Inſtrumente. Sie ſind meiſterhaft gemahlt, haben trefliche Geſtalten, paſſenden Ausdruck, und ſind ſchoͤn gekleidet. Am Tiſche der Brautiſt30iſt eine[Sammlung] der erſten Menſchen dieſer Zeit, alles voll Chronikwahrheit und Laune; ſie muͤſſen ihm das Drama auffuͤhren. Die Luft im Hintergrunde iſt gar leicht und heiter. Archi - tektur, Gefaͤße und Speiſen verzieren ſehr gut. Die Beleuchtung breitet das Ganze auseinan - der, und ſcheinet vollkommen natuͤrlich. Wer ſieht ſo etwas nicht gern, und weidet ſeine Au - gen daran!

Derſelbe hat groß Aergerniß genommen an der Verletzung des Koſtums in der Familie des Darius beym Alexander mit ſeinem Helden; und bejammert, daß ſo viel Herrlichkeit dadurch geſtoͤrt werde.

Sie kennen das Stuͤck zu gut, da es bey ihren Verwandten ſich befindet. Man kann es den Triumph der Farben nennen; mehr Harmonie, mehr Pracht, mehr Lieblichkeit iſt nicht moͤglich ſchier zu zeigen. Außerdem herrſcht noch Wahr - heit in allen Koͤpfen, die meiſtens Protraͤte ſind. Wenn man nicht an die alte Geſchichtedenkt,31denkt, und glaubt, es waͤre der Sieg eines Helden der neuern Zeiten: ſo iſt es ein wahrhaf - tes Meiſterſtuͤck durchaus. Die Architektur im Hintergrunde gibt den Ton zum Ganzen; und es gehoͤrte ſo tiefes Gefuͤhl im Auge von Farbe, Pracht und Harmonie derſelben dazu, wie Paul hatte, um auf einem ſolchen weißen Grunde die Geſichter und Stoffe ſo hervorgehen und leben zu laſſen. Die Gruppe der vier weiblichen Figu - ren, die der Alte in eine Pyramide bringt, iſt durchaus reizend, die Geſichter lebendig, und von wunderbarer Friſchheit. Alexander hat ei - nen ſchoͤnen Juͤnglingskopf, der freylich eher Weibern gefallen kann, als die Welt bezwingen. Daß er ganz bis auf die Fuͤße von oben herab in Purpur uͤberein gekleidet iſt, macht zwar einen großen rothen Fleck bey laͤngrer Betrachtung; doch hebt es ihn als Hauptfigur hervor. Sie ſehen, daß im Wein die Wahrheit liegt! aber Paul kann ſie vertragen. Parmenion hat einenherr -32herrlichen Kopf, und ein zauberiſches gelbes Ge - wand; die Princeſſinnen haben ſchoͤn geflochten blondes Haar. Und welche Menge Figuren, wie auf der Hochzeit, faſt alle in Lebensgroͤße! Man kann dies wohl das praͤchtigſte und zauberiſcheſte Gemaͤhlde nennen, was Farben betrift; mit jedem Blicke quillt neuer Genuß daraus fuͤrs Auge; naͤchſt dem noch goͤttlichern und reichern Hingang zum Tempel der Madonna als Kind in der Scuola della Carità von Tizian, dem Triumph aller Mahlerey. Sie werden lange unuͤbertrof - fen bleiben, und einzeln in der Welt daſeyn. [ ]

Die Vernachlaͤßigung des Koſtums iſt eigent - lich ein Fehler fuͤr die Antiquaren; denn der gro - ße Haufe weiß nichts davon und merkts nicht. Freylich waͤre es beſſer, die Kuͤnſtler waͤhlten kei - ne alte Geſchichten, wenn ſie Naturwahrheit und Farbenpracht in den Gewaͤndern zeigen woll - ten; griechiſche Geſtalt und leichte Kleidung iſt uns ganz entruͤckt. O wie verlangt mein Herz,jene33jene gluͤckſeligen Inſeln und das feſte Land auf beyden Seiten noch heut zu Tag zu ſehen, und wie das heitre milde Klima noch jetzt dort das Lebendige bildet! Ach, wir ſind ſo weit von der Natur abgewichen, und von der wahren Kunſt zuruͤck, daß wir faſt insgeſammt einen bekleide - ten Menſchen fuͤr ſchoͤner halten, als einen nackten! Das koſtbarſte, praͤchtigſte, feinſte und niedlichſte Gewand iſt fuͤr den aͤchten Philoſophen, und das Weſen, das nach klarem friſchen Genuß trach - tet, ein Flecken, eine Schale, die ihn hemmt und hindert.

Haͤtt ich ſie doch damals ſchon gekannt, ſagt ich ihm hierauf, als ich dieſen Zug begann: ſo waͤr ihr Wunſch erfuͤllt! So wie ſie mich hier ſehen, hab ich dieſes alles ſchon durchwan - dert; leider zu fruͤh. Mein Vater nahm mich mit ſich nach Griechenland, wohin er von der Republik abgeſchickt wurde; und ich blieb mit ihm daſelbſt drey Jahre; das beſte, was ich zu -Cruͤck -34ruͤckgebracht habe, iſt Kenntnis des Griechiſchen; ich leſe das alte ziemlich gelaͤufig, und ſchreibe und ſpreche das neue.

Hier ſprang er auf vor Freuden, ganz au - ßer ſich, ſo daß die Glaͤſer vom Tiſche flogen, und[rief: o] gluͤcklicher, ſeltner, wunderba - rer Zufall! ſo jung und ſchoͤn, und voll Verſtand und Erfahrung! wir muͤſſen ewig Freunde ſeyn, und nichts ſoll uns trennen; du biſt der Liebling mei - ner Seele.

So fiel er mir um den Hals. Uns ver - ging auf lange die Sprache, und wir waren zuſammengeſchmolzen durch Kuß und Blick und Umarmung.

Endlich nahm er wieder das Wort, und[ſag - te: hier] iſt nichts als wir! und alles andre in der Welt ſteht uns nur da zum Dienſt.

Ich war ganz erſchuͤttert, durchbrannt von ſeinem Feuer, ſeiner Heftigkeit. Es wurde uͤber -haupt35haupt wenig mehr geſprochen, außer unzuſam - menhangende Reden im lyriſchen Taumel, Ac - cente der Natur. Wir gluͤhten beyde von Wein und Leidenſchaft: er riß ſich los, ſchon ſpaͤt in der Nacht, mit den Worten: Morgen ſind wir wieder beyſammen .

Ich legte mich zu Bette. Herz und Seele und alles in mir war wie ein Bienenſchwarm, ſo ſummſend, ſtechend heiß, und ungeduldig; ſchlummerte wenig Stunden, und fuhr oft dazwi - ſchen auf.

Den andern Morgen kam er bey guter Zeit. Mich uͤberlief bey ſeinem Anblick ein leichter Schauder vor ſeinem geſtrigen Ungeſtuͤm; aber er erſchien mir von neuem ſo liebenswuͤrdig, daß ich hingeriſſen wurde, und dem unwiederſtehli - chen Zuge nachfolgte.

Ich hatte noch keinen Menſchen gekannt, mit welchem ich ſo zuſammenſtimmte, in der ArtC 2zu36zu empfinden und zu handeln; nur war er rei - cher und ſtaͤrker an Natur als ich, ſeine Seele voller, aber auch unbaͤndiger, und ſeine Geburt warf ihn in andre Umſtaͤnde, unter andre Men - ſchen, in eine andre Laufbahn. Wer einen Freund ohne Fehler finden will, der mache ſich aus dieſer Welt heraus, oder geh in ſich ſelbſt zuruͤck; die Vollkommenheit erſcheint hienieden mir in Augenblicken, und dieſe allein ſind unſer Genuß. Ein großer Geiſt, ein edel Herz wiegt manches Laſter auf, wohinein uns die Schlechtigkeit buͤrgerlicher Verfaſſungen ſtuͤrzt.

Wir ſchieden geſtern von einander wie im Rauſche; trat er ins Zimmer. Gluͤck iſt die groͤßte Gabe, die Sterblichen zu Theil werden kann, nur muß man es mit Verſtand brauchen.

Nachdem wir einigemal ſtillſchweigend auf - und abgegangen waren, fragte er[mich: habt] ihr nie etwas von Kunſt getrieben? Ich antwortete ihm, daß ich nach der hieſigen Erziehung zeich -nen37nen gelernt haͤtte, Augen, Maͤuler, Naſen, Ohren und Geſichter, und Haͤnde und Fuͤße nach Vorſchriften; im Grunde ſo viel als Nichts: denn bis zum eigentlichen Lebendigen waͤr ich nicht gekommen; welches mir herzlich Leid thue! mich reize ſie unendlich, und ich moͤcht es gern darin bis zu einer gewiſſen Fertigkeit fuͤr mein eigen Vergnuͤgen gebracht haben. Jetzt mach ich nur noch zuweilen die Hauptumriſſe ſchoͤner Gegenden, der Erinnerung wegen.

Da iſt noch nichts verloren, fuhr er fort; wir wollen einander helfen. Alle Kuͤnſte ſind verwandt; ſie zuſammen erhoͤhen und verſtaͤrken die Gluͤckſeligkeit des Menſchen, bilden ſein Ge - fuͤhl, mehr als alles, fuͤr die Schoͤnheiten der Natur, und ſetzen ihn uͤber das Thier. Wie fangen wir es am beſten an, damit ihr ſo ge - ſchwind als moͤglich euch dieſe Fertigkeit erwerbt? Ich denke, fuͤgt er ſcherzhaft hinzu, ihr braucht mich zum Modell, nach kurzen WiederhohlungenC 3von38von dem, was ihr ſchon wißt; ſo wie ich euch dann zuweilen bey meiner Arbeit[.]

Im Griechiſchen hab ich mich hauptſaͤchlich nur mit den Dichtern beſchaͤftigt, mit dem Ho - mer, Pindar, Sophokles, Euripides, weil mein Lehrmeiſter ſelbſt ein Dichter war; und dabey aus den Geſchichtſchreibern nur die Be - ſchreibungen der glaͤnzenden Siege uͤber die Perſer geleſen. Die Schaͤtze der Weisheit im Ariſtoteles, Plato, Xenophon kenn ich mei - ſtens nur aus Geſpraͤchen und vom Hoͤrenſagen, und habe wenig von den Quellen ſelbſt getrunken. Wir koͤnnten damit manchen folgenden ſchoͤnen Sommerabend uns himmliſch ergoͤtzen, wenn euch dazu Zeit uͤbrig bliebe.

Mein eifrigſtes Verlangen aber iſt, daß ihr mich in dem noch Lebendigen dieſer Goͤtterſprache, im Neugriechiſchen, unterrichten moͤchtet; damit ich bald mit Bequemlichkeit, und groͤßerm Nutzenund39und Vergnuͤgen eine Wallfahrt beginnen koͤnne nach dem aͤchten klaſſiſchen Boden.

Ihr habt genug am Zeichnen, wie einer, der ſelbſt kein Dichter werden, ſondern nur die Meiſterſtuͤcke der Alten und Neuen in ihrer ganzen Vollkommenheit faſſen will, an der Poe - tik des Ariſtoteles. Jede Kunſt, bis zum letz - ten Ziel erlangt, iſt etwas anders, und erfor - dert eines Menſchen ganzes Leben. Fuͤr euch ſolls nur Spiel ſeyn; ihr ſeyd zu Hoͤherm be - ſtimmt, und muͤßt glaͤnzen, wie der Morgen - ſtern in eurer Republick. Dieß wird immer neuen Reiz in unſre Freundſchaft bringen, und wir werden leben in der Natur, ſo viel uns mit Sinnen, Phantaſie und Verſtand vergoͤnnt iſt.

Du erfuͤllſt mich mit Hofnung und Freude, antwortet ich ihm. Mein Vater iſt jetzt in Dal - mazien, und ich bin mit meiner Mutter allein Sie zieht bald aufs Land, vielleicht noch dieſe Woche. Die Gegend iſt eine der angenehmſtenC 4der04[40]der ganzen Lombardey; das Gut, wohin wir wollen, liegt am Lago di Garda, wo Katull, vor welchem Caͤſar ſich neigte, zuweilen vom Roͤmiſchen Taumel ausruhte. Er ſang vor dem Ort: Peninſularum, Sirmio, inſularumque Ocelle, quascunque in liquentibus ſtagnis Marique vaſto fert uterque Neptunus*)Sirmio, Augapfel aller Halbinſeln und In - ſeln, die der Gott der Waſſerwelt in ſuͤ - ßen Seen und dem ungeheuren Meer um - faßt..

Willſt du mich begleiten: ſo werden wir nach dem Pindar in die Burg des Kronos gelan - gen, umweht von kuͤhlen Seeluͤften, wo in ſchattigen Gaͤrten Goldblumen funkeln, dieſe der Erd entſprießen, und anmuthigen Baͤumen, andre aber der klare Bach erzieht. Wir wollenmit41mit ihren Angehaͤngen und Kraͤnzen uns die Arme umflechten, und die Schlaͤfe umwinden.

Vorher aber muß ich dich meiner Mutter vorſtellen; jedoch du mußt huͤbſch geſcheidt ſeyn. Sie iſt eine gar gute Frau, die mich zaͤrtlich liebt. Sie weiß ſchon, daß ein junger Menſch mich aus dem Kanale gerettet hat, und es wird ihr gefallen, daß du es biſt. Sie hat große Freude an ſchoͤnen Madonnen; und wenn du ihr eine in ihre Kapelle mahlſt und fromm biſt: ſo haͤlt ſie dich wie ein Kind.

Es gieng hierbey eine ſonderbare Bewegung in ihm vor, die mir lange hernach erſt erklaͤrlich wurde; er ſah mich an, neugierig mit heißen Bli - cken, und fragte: alſo nicht weit vom Ausfluſſe des Mincio iſt euer Landſitz?

Wenig davon, verſetzt ich. Darauf gieng er nachdenkend einigemal mit mir auf und ab. Endlich ſprach er: gut; ich reiſe mit euch, undC 5mahle42mahle deiner Mutter eine Madonna, wenn ich ihr anſtehe. An Geſcheidtheit bey ihr ſolls hof - fentlich nicht ermangeln.

Es wurde beſchloſſen, ihn den Abend noch ihr vorzuſtellen, bey Tiſche wollt ich alles ein - lenken.

Hier ſchied er von mir. Ich brachte die Sache vor; und meine Mutter wars gleich zufrieden, ohne ihn noch geſehen zu haben, aus Willfaͤhrig - keit gegen mich.

Mit ſchwellte aber die neue Bekanntſchaft immer mehr das Herz; einen jungen Mahler der Art hatt ich noch nicht gekannt. Ich war uͤber - raſcht; es gieng alles ſo ſchnell fort, und ich konn - te keiner gehoͤrigen Ueberlegung Raum geben.

Beym erſten Blick und Geſpraͤch ſchon ge - fiel er meiner Mutter, wie ihr noch kein frem - der gefallen hatte. Hier erfuhr ich, daß er ſich Ardinghello nannte; ich hatte, voll von ihm, nichtdaran43daran gedacht, ihn von neuem um ſeinen Namen zu befragen. Er gab ſich hernach verſchiedne an - dre; doch dieſer ſoll ihm hinfuͤhro bleiben.

Den folgenden Morgen ſah ich einige ange - fangne Gemaͤhlde von ihm. Sein Lebendiges war friſch und meiſterhaft in der Arbeit, und kam dem Tizianiſchen ziemlich nahe; doch war es nicht Manier, ſondern ſein eigen, und verſchieden nach der Natur: wenig Gewand, das meiſte nach dem Nackenden; Studien von Maͤdchenkoͤ - pfen, voll Geiſt und Lieblichkeit, und Bruͤſten und Leibern, und Ruͤcken, und Schenkeln und Beinen, nackten Buben im Baden, Laufen und Balgen. Fuͤr Bezahlung, ſprach er, und nach andrer Belieben hat er noch nichts gemacht. Das weitre, fuͤgte er wie unbedeutend hinzu, will ich dir einmal erzaͤhlen, wenn wir mehr in Ruhe ſind.

Er beſuchte die Tage darauf den alten Greis Tizian noch einmal, und ſeine Freunde; und zuEnde44Ende der Woche reiſten wir ab. Meine Mut - ter fuhr mit ihren Leuten voraus, und wir hin - ter drein, weil wir zu Vicenza uns einen Tag wegen der Gebaͤude des Palladio aufzuhalten ge - dachten. Wegen des Griechiſchen nahm ich noch die Buͤcher mit, die nicht in der Bibliothek auf dem Gute ſich befanden; und er das noͤthige Geraͤht zum Mahlen und Zeichnen.

Als wir eine Strecke vom großen Kanal entfernt waren: ſetzte ſich Ardinghello aufs Ver - deck der Barke, und blickte tief geruͤhrt nach der Stadt mit unverwandten Augen; die Feuchtig - keit trat hinein und ſein Herz ward erweicht. Seine Seele ſchien zu ahnden, daß er ſie nie wieder ſehen ſollte. So walzen die Schickſale den Menſchen fort, wie die Fluhten des Meers einen ſchwachen Truͤmmer! die Sonne war eben aufgegangen, und die Thuͤrme, Kirchen, Pal - laͤſte und Inſeln lagen da im duͤnnen Nebel.

Mir45

Mir war wohl, daß ich heraus kam. Im Winter iſt Venedig angenehm, weil die Men - ſchen ſo enge beyſammen ſind, und alles zur Er - goͤtzlichkeit treibt, Lage und Regierung; aber im Sommer iſts ein ungeſunder und gefaͤhrlicher Ort. Ein Eingebohrner kann die Wahrheit beſ - ſer wiſſen, als ein Dichter aus Neapel. Es mag der Natur nach ein ganz andrer Unterſchied ſeyn zwiſchen Rom und Venedig; ob es gleich praͤch - tig klingt:

Illam homines dices, hanc poſuiſſe deos*)Du wirſt ſagen, daß jene Menſchen, dieſe Goͤt - ter erbaut haben..

Wenn einer die Geſchichte kennt und da ge - lebt hat, und es beym Ausfluſſe der Brenta vom Ufer betrachtet: ſo ſieht es richtiger aus, wie ein endlich ſichrer Zufluchtsort von dem Lande weg - gepruͤgelter und weggeſcheuchter furchtſamen Ha - ſen, die ſich hernach groß und zu gefluͤgelten Loͤ -wen46wen gemacht haben, als ihnen die Feinde uͤbers Waſſer nicht nach konnten, und ſie von fern ſicher ſehen mußten. Eine unuͤberwindliche Fe - ſtung iſts gewiß, weil durch die Suͤmpfe vom Land aus nichts anders als kleine Barken an - laͤnden koͤnnen,[und] man von der See her in die Haͤfen den Faden der Ariadne braucht; und eben weil es unuͤberwindlich und unzukommbar iſt, außer Verraͤtherey, traͤgt es, vom Meer um - geben, eine gewiſſe Majeſtaͤt an ſich. Goͤtter aber fluͤchten ſich nicht in Suͤmpfe. Inzwiſchen hat Sannazar der reizenden Dichtung wegen ſei - ne ſechs tauſend Ducaten doch verdient. Die Wahr - heit bezahlt man ſelten ſo theuer.

Der große Doge Peter Ziani hat ſie gar wohl erkannt, als er den kuͤhnen Entſchluß faßte, noch zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts eine neue Voͤlkerwanderung anzuſtellen. Kon - ſtantinopel iſt ohne Streit ein gluͤckſeliger Plaͤtz - chen auf dieſem[Erdboden]. Die Venezianer hat -ten47ten es damals mit den Franken eingenommen; und wir beſaßen mehr von Griechenland als jetzt. Er rieht mit ſtaͤrkern Gruͤnden, als je Demoſthe - nes, dieſe Lagunen zu verlaſſen, und dort uns anzupflanzen; und Dido und Aeneas waren dagegen Luftgeſtalten. Wenn der Mond mit ſeiner Ebbe und Fluht unſern Kanaͤlen das Waſ - ſer entzieht, ſprach er im großen Rahte, der Schlamm ſich zeigt, und ſeinen Geſtank ausduͤn - ſtet: welche gute Naſe kann da vor Ekel auf den Wegen bleiben? Sind nicht immer unſre Laza - rethe voll, und die Jahr aus Jahr ein nicht von dannen ſchiffen, wie gefangen? Ueberdieß haben wir Erdbeben, noch außerdem, daß das Meer oft herein ſtuͤrmt und unſre Ziſternen und Waa - renlager verderbt. Und welch ein Wohnſitz, um auszuhalten, wo nichts als ſchlechte Fiſche Nah - rung gibt, weder Korn, noch Wein und Oel waͤchſt, weder Baum hervorkoͤmmt, noch trinkbar Waſſer quillt, wo alle Elemente verdorben ſind,Waſ -48Waſſer, Luft, und Erd und Feuer? und von al - len Seiten Feindſchaft um uns her? Dort ſind wir gleich in unſern Beſizungen, und welche Ausſichten in die Zukunft!

Jedoch uͤberwand ihn der Procurator von S. Marco, der Greis Anzolo Falier unter fuͤnfhunderten mit einer Stimme, indem er nach dem Ariſtoteles behauptete: daß die Feſtigkeit, ohngeachtet aller Uebel bey einer Hauptſtadt, der gluͤcklichen Lage, ohne dieſelbe, vorzuziehen waͤre; und daß gerade die Unfruchtbarkeit ein Volk zur Tapferkeit zwaͤnge und uͤber andre erhoͤbe.

Darin beſtand unſre Unterhaltung bis nach Padua; und Ardinghello beſchloß mit folgenden Worten: Wo die Verſtaͤndigen nicht herrſchen, iſt keine Staatsverfaſſung gut; jedoch mit dem Un - terſchiede, daß zum Exempel bey einer Million Buͤrgern in einer Demokratie fuͤnfmalhundert tauſend und etliche Narren uͤber viermalhundert tauſend und neunhundert geſcheidte Leute den Aus -ſchlag49ſchlag geben: und in einer Monarchie ein Narr neunmalhundert tauſend neunhundert und neun und neunzig Philoſophen ins Verderben ſtuͤrzen koͤnnte, wenn ſie nach dem auf Schulen gelehrten Staatsrechte keine Rebellen ſeyn wollten.

Als wir von Vicenza weggereiſt waren, ſprachen wir viel uͤber die Gebaͤude zu Venedig und den Palladio. Ardinghello hielt Venedig fuͤr einen der merkwuͤrdigſten Oerter in der Bau - kunſt; und ſagte: hier waͤre nicht nur ein Styl, ſon - dern man ſaͤhe darin die Geſchichte derſelben der neuern Jahrhunderte; und erkenne immer, daß ein Senat von vielen Perſonen da herrſche, und nicht ein einzelner oft elender Menſch ohne Ta - lent und Geſchmack, weil man nichts ganz ſchlech - tes unter den oͤffentlichen Gebaͤuden faͤnde, wie in andern Reſidenzen.

Er liebte den Palladio vor allen neuern Baumeiſtern; nannt ihn eine heitre Seele voll des Vortreflichſten aus dem Alterthum; und daßDer50er davon mittheile, und aus ſich ſelbſt, ſo viel ſich fuͤr ſeine Zeitverwandten ſchicke.

In Vicenza wird leider von ihm nichts recht ausgebaut, und die Gebaͤude gleichen faſt nur angefangenen Modellen von ſeinen Ideen; aber welch ein Wunderwerk iſt der Pallaſt Cor - naro am Kanal! wie ſchoͤn die Kirchen zu S. Giorgio, und al redemtore in Venedig! und die Bruͤcke zu Vicenza uͤber den Bacchilion, ſo leicht und reizend und ſicher in ihrem Bogen, wie ein beherzter Amazonenſprung! Wie angenehm das durchbrochne Gelaͤnder, damit man das er - freuliche Waſſer dadurch wegſtroͤmen ſehe!

Jedoch gefiel Ardinghellon das Rahthaus nicht, obgleich es Palladio ſelbſt unter die ſchoͤn - ſten Werke neuerer Kunſt ſetzt. Die Faſſade, an und fuͤr ſich richtig und ſchoͤn, glich doch nur einer Schminke, die einer alten Matrone auf - getragen waͤre; die Bogen derſelben entſpraͤ - chen nicht denen des gothiſchen Gebaͤudes, dasuͤberall51uͤberall ſchief durchguckte. Julio Romano haͤt - te damals ſchon aͤlter und erfahrner mehr Ge - ſchmack gezeigt, als er eine meiſterhafte gothiſche dazu erfand. Es ſey etwas anders, einen Riß auf dem Papier anſchauen, und ein Gebaͤude aufgemaurt in der Luft; dieß haben die Raths - herrn, die des Palladio ſeinen waͤhlten, wie viele Große die bauen laſſen, nicht gewußt.

Unſer Geſpraͤch lenkte ſich endlich auf die Architektur uͤberhaupt; und er ſagte, ſo viel ich mich erinnere:

Von Schoͤnheit in der Baukunſt hab ich wenig Begriff, weil ſie mir ganz außer der leben - digen Natur zu ſeyn ſcheint; hoͤchſtens entſpringt ihr Reiz bloß aus der Metaphyſik davon, wenn ich das Wort hier brauchen darf, und nicht aus Wirklichkeit: deßwegen ihre Verſchiedenheit bey allen Voͤlkern, die ſich einander nicht nach - ahmen. Eine ſtrenge Theorie davon verliert ſich in das Dunkel der Schoͤpfung. Schoͤnheit iſtD 2was52was Vergnuͤgen wirkt; was bloß Schmerz ſtil - len und verhuͤten ſoll, braucht eigentlich keine Schoͤnheit an und fuͤr ſich zu haben. So gehts mit den Gebaͤuden; ſie halten bloß Ungemach ab. So bald das Wetter gut iſt, mag ich in keinem bleiben, und will ins freye Feld. Alles muß auf Ungemach, Krankheit, Feindſeeligkeit, und Beduͤrfniß von Zuſammenkuͤnften berechnet wer - den; dieß beſtimmt hernach ihre Vollkommenheit. Harmonie, Ebenmaaß, Uebereinſtimmung mit jedes Zweck macht deſſen Schoͤnheit, wenn man das, was nichts Lebendiges nachahmt, ſo nennen will*)In der Folge wird man den Begriff von Schoͤnheit allgemeiner und richtiger, und nicht mehr ſo jugendlich ſinnlich finden.; was ſollen uns alle die uͤberfluͤſſigen, unbedeutenden Zierrahten? Ein Gebaͤude iſt ein Kleid, das Menſchen und Thiere vor boͤſem Wet - ter ſchuͤtzt, und muß darnach beurtheilt werden.

Geht53

Geht man in die Wildheit zuruͤck: ſo fin - det man Grotten und Waldung, und durchge - rißne Felſen, um uͤber Abgruͤnde von Stroͤmen zu gelangen. Dieß hat zwar der ſittliche Menſch zuerſt nachgebildet, und noch jetzt ſind die Spu - ren da unter tauſend gemachten Beduͤrfniſſen; wir ahmen die urſpruͤnglichen Formen nach, von Fels und Baum in demſelben Gebaͤude durchaus von Stein. Dieſer iſt inzwiſchen ungelenk, und wer ihn allzuſehr zu leichtem Holze ſchnitzelt, beſon - ders am Boden, wo er gerade vor Augen liegt, wird abgeſchmackt und laͤcherlich. Holz hat ſeine natuͤrliche Form in Stamm und Zweigen: woher die Saͤulen und zum Theil die Gewoͤlbe. Je weniger man von der natuͤrlichen Form abnimmt: deſto reiner ihre Schoͤnheit; ſo uͤbertrift eine Saͤule immer einen Pilaſter. Das meiſte aber bezieht ſich auf Zweck, und hat mit Nachahmung der Natur wenig zu ſchaffen. Die Schoͤnheit der Maſſen muß aus einem gluͤcklichen geheimen Gefuͤhl hervorkommen, das ſich an der Harmo -D 3nie54nie der Theile des Menſchen, des Großen in der Natur, und uͤberhaupt alles Lebendigen lan - ge geweidet hat; und wieder mit einem ſolchen Sinn genoſſen werden. Hier laſſen ſich, was Erfindung betrift, keine beſtimmte Regeln ge - ben; ein ganz anders iſt, wenn man bloß nach - ahmt, was Griechen und Roͤmern gefiel.

Und dieß bleibt wohl immer das Zuverſicht - lichſte, fiel ich ein, da ſie ausgemacht die menſch - liche Natur mehr durchgearbeitet, und zur hoͤch - ſten Vollkommenheit gebildet haben, die wir ken - nen.

Wenn der Erdboden durchaus gleiches Kli - ma haͤtte, verſetzte er darauf, wie die Gegenden, welche ſie bewohnten; die Menſchen uͤberall die - ſelben Beduͤrfniſſe, dieſelben Sitten und Ge - braͤuche, die gleiche Idee von Gluͤckſeeligkeit, die - ſelben Feſte und Spiele! Und uͤberhaupt will der Menſch Neues; er hat ohne dieß zu viel vom Geſetz zu leiden, das er nicht abwerfen kann;warum55warum von freyen Stuͤcken ſich eins auf den Na - cken legen, das ihm nicht gefaͤllt?

Ein Umſtand allein veraͤndert oft das Gan - ze. Bey den Griechen und Roͤmern zum Bey - ſpiel war ein Tempel meiſtens nur fuͤr Einen ihrer vielen Goͤtter; eine unendliche Wohnung fuͤr denſelben abgepaßt gewiſſer maßen, wann er vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie ein Koͤnig aus ſeiner Reſidenz in ein Schloß einer ſeiner Provinzen.

Die Form deſſelben war alſo nicht groß, und die Saͤulengaͤnge behielten die Schoͤnheit menſchlicher Proporzion; welche verſchwindet, wenn ſie ins Ungeheure getrieben werden. Je - der Buͤrger opferte entweder einzeln; oder war allgemeines Feſt: ſo ging der Prieſter oder die Prieſterin hinein, und das Volk ſtand innen und außen herum. Gleiche Bewandniß hat es bey ihren Orakelſpruͤchen.

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Unſre Kirchen hingegen ſind große Ver - ſammlungsplaͤtze, wo oft die Einwohner einer ganzen Stadt Stunden lang ſich aufhalten ſollen. Ein feyerlicher gothiſcher Dom mit ſeinem freyen ungeheuren Raume, von vernuͤnftigen Barbaren entworfen, wo die Stimme des Prie - ſters Donner wird, und der Choral des Volks ein Meerſturm, der den Vater des Weltals preiſt und den kuͤhnſten Unglaͤubigen erſchuͤttert, indeß der Tyrann der Muſik, die Orgel, wie ein Orkan darein raſt und tiefe Fluhten waͤlzt: wird immer das kleinliche Gemaͤcht im Großen, ſeys nach dem niedlichſten Venustempel von dem geſchmackvollſten Athenienſer! bey einem Manne von unverfaͤlſchtem Sinn zu Schanden machen.

Wir haͤtten dafuͤr, daͤucht mich, eher ihre Theater zum Muſter nehmen ſollen, die natuͤr - lichſte Form fuͤr eine große Menge, worin jede Perſon ihren Poſten wie in einer Republik, einer Demokratie einzunehmen ſcheint, und ein herrli -ches57ches Ganzes bildet. Und ſind wir nicht gegen das Weſen der Weſen alle gleich? Koͤnig und Bettler, P[h]iloſoph und Baͤuerlein, arme blinde Wuͤrmer? die nichts wiſſen, die hieher geſetzt ſind wie verrahten und verkauft, in Nacht und Nebel, wo wir vergebens die Koͤpfe in die Hoͤhe ſtrecken?

Ich habe hier[und] da in Kloſtergaͤrten doch gefunden, wie ſich die liebe Natur auch in ihrer groͤßten Einfalt ſelbſt regt. Der Bruder Redner ſaß unten zwiſchen alten ſchattigen Baͤu - men, und vor ihm hatten ſie an einem Huͤgel in hohler Rundung Sitze mit Raſen nach einander in der Hoͤhe ruͤckwaͤrts angelegt; und ſo ſaßen ſie uͤbereinander, und hoͤrten zu; und oben an bey - den Seiten ſchloſſen das Andachtsoͤrtchen wieder Baͤume, wo der Wind die zarten Zweige be - wegte, und die Blaͤtter fluͤſterten, als ob Engel darinnen ſpielten, ſich ihrer Froͤmmigkeit freu - ten

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In unſern Kirchen mit langem gleichplat - ten Boden kann man nicht einmal das Meßamt gehoͤrig verwalten; die hinterſten ſehens nicht vor den vordern, was der Prieſter beginnt, und ſie ſtehen und liegen ohne Ordnung unter einander, im eigentlichſten Verſtande wie die Schaafe.

Uebrigens iſt die Quaal aller Baumeiſter, daß ſie fuͤr Sommer und Winter daſſelbe Gebaͤu - de machen muͤſſen, einen Rock fuͤr die groͤßte Hitze und die groͤßte Kaͤlte. Weil ſie nun in Suͤ - den ſich nach dem Sommer richten: ſo frieren ſie im Winter am meiſten; und in Norden nach dem Winter: ſo ſchwitzen ſie dort im Sommer am meiſten; obsgleich nach der Natur ganz um - gekehrt ſeyn ſollte.

Die Gegend von Vicenza hatte ihm unge - mein gefallen; beſonders aber der herrliche Spa - zierplatz des Campo Marzo mit der neu heraus - empfundenen Triumphpforte vom Palladio zum Eingang. In der That lagern ſich reizenddie59die ſchoͤn bewachſene Huͤgel darum her, und die Tyrolergebuͤrge machen in blauer Ferne ſuͤße Au - genweide.

Mehr aber gefiel ihm noch Verona wegen der Etſch, der Alpentochter, die Wellenſchla - gend aus den Felſen ſich mitten durch die Stadt in Schlangenkruͤmmungen reißt, woruͤber die Bruͤ - cke der Scaliger ſich in kuͤhnen Bogen hebt, weiter, heroiſcher und Kunſtgebildeter, als ſelbſt die Bruͤcke Rialto, das Wunder von Venedig, welche mit ihren ſechszig Stufen herauf und hin - unter mehr Treppe, als fortgeſetzter bequemer Weg iſt.

Wir machten den letzten Strich in unver - gleichlicher Nacht, wo der Mond, beynahe voll, immer mit uns ging, und uns durch die ſchoͤnen Ulmen begleitete, die ihre Kraͤnze von dichtbe - laubten Weinranken lieblich zuſammenpaarten; und Blitze von einem fernen Gewitter flammten heruͤber in die heitre Luft. Mond und Abend -ſtern60ſtern und Sirius und Orion ſchienen wie Schutz - geiſter unſrer Sphaͤre naͤher zu ſchweben. Ach, ihr Goͤtter, rief Ardinghello, warum ſo einen kleinen Punkt uns zum Genuß zu geben, und nach den unendlichen Welten uns ſchmachten zu laſſen! Wir ſind wie lebendig begraben.

Schon regte ſich ein leichter friſcher Mor - genwind und ſaͤuſelte durch die Blaͤtter; ein mil - der Lichtrauch ſtieg auf in Oſten, von einzelnen Strahlen durchſpielt, als wir bey unſerm Land - gut anlangten, wo der See ſich ausbreitete und ſeine Ufer von Wellen rauſchten. Sie brachen ſich ergoͤtzend uͤber einander und ſchaͤumten; und wir fanden die Beſchreibung Virgils: Flucti - bus & fremitu aſſurgens marino*) der wie ein Meer aufſteigt in rau - ſchenden Fluhten., ganz nach der Natur. Ich legte mich zu Bette, weil ich den vorigen Tag nicht geſchlafen hatte. Ar -ding -61dinghello aber wollte nicht, und machte Bekannt - ſchaft mit der Gegend.

Die Zimmer fuͤr uns waren ſchon zuberei - tet; den Nachmittag richteten wir uns voͤllig ein. Ardinghello bekam eins gegen Norden zum Mah - len, wo er Licht und freyen Himmel hatte, wie er wuͤnſchte; und uͤberdieß den Ausgang aufs Feld.

Wir beſchifften die erſten Tage die Kuͤſten, ſtiegen da und dort ans Land, und ſchweiften herum an den ſchoͤnen Huͤgeln bis nach Breszia. Ardinghello legte alsdenn gleich ſeine Madonna an fuͤr meine Mutter, damit er in den guten Stunden hernach daran arbeiten koͤnnte.

Im Griechiſchen waren wir ſchon einig we - gen Ton, oder Accent, und Ausſprache; wir richteten uns gaͤnzlich hierin nach den obgleich verwilderten Abkoͤmmlingen der Alten, zumal da wir doppelten Endzweck hatten. Wir gelan - gen zur Kenntniß todter Sprachen nicht alleindurch62durch Vernunftſchluͤſſe und Vergleichungen, ſon - dern noch durch Herkommen; und da hat doch das Volk, deſſen Sprache die aͤlteſte Tochter iſt von der abgeſtorbnen, oder vielmehr ſelbſt noch Mut - ter, nur durch die Zeit veraͤndert und ver - wandelt, das naͤchſte Recht zur Erklaͤrung. Kein auswaͤrtiger Buͤcherheld wird mit ſeinem bloßen Buchſtabieren auch je dem Runden und Lebendi - gen deſſelben bey Leſung der uͤbriggebliebnen Denk - male gleich kommen.

Vom Neugriechiſchen bracht ich Ardinghel - lon ſehr bald alles bey, was zum taͤglichen Leben gehoͤrt; ob es gleich von dem alten noch mehr abweicht, als das Italiaͤniſche von dem Lateini - ſchen. Die neuern Griechen haben fuͤr die ge - meinſten Sachen andre Woͤrter, als Brod, Wein, und ſo weiter. In einem Theil von Theſſalien iſt es faſt Wallachiſch, halb latein und tuͤrkiſch. Der Mundarten ſind vielleicht mehr als bey den Alten; und ſo gehts mit der Ausſprache. Diejetzi -63jetzigen Spartaner ſprechen zum Beyſpiel den Laut Ch aus, wie die Franzoſen. Die Evangelien und Epiſteln verſteht man ſo ziemlich noch uͤberall im Griechiſchen des neuen Teſtaments; aber vom Xenophon und Plato wenig. Die Kaufleute und Geiſtlichen haben ſich jedoch eine eigne Sprache gebildet, welche man die Schriftſprache nennen kann, und naͤhern ſie ſo viel moͤglich der alten. Dieſe ſpricht und ſchreibt man, und wird in gu - ter Geſellſchaft verſtanden; und richtet ſich uͤbri - gens nach der Gegend, wo man hinkoͤmmt. Die groͤßte Barbarey iſt eigentlich auf den In - ſeln, weil dieſe noch mehr als das feſte Land von den fremden uͤberſchwemmt wurden; auch weichen die Sitten hier mehr von den alten ab.

Ueberhaupt war die Ausſprache ſchon bey den Alten verſchieden nach Ort und Zeit, wie bey uns und uͤberall. Die erſten Pelasger ſprachen ver - muhtlich ihr Griechiſch anders aus, als die Athe - nienſer unter dem Perikles; und ſo Homer undſeine64ſeine Zeitverwandten. Plato beklagt ſich im Ge - ſpraͤche Kratylos, kurz nachher als die zwey langen Joniſchen Vokalen zu Athen, unter dem Archon Euklid, im zweyten Jahre der vier und neunzigſten Olympiade in allgemeinen Gebrauch gekommen waren, daß man das Wort, welches den Tag ausdruͤckt, nicht mehr Himera wie die Vorfahren ausſpreche: ſondern entweder He - mera, oder neuerdings ἡμέρα; und dabey den ſchoͤnen Urſprung nicht mehr fuͤhle, daß es von Himeros, das Verlangen herkomme; weil man nehmlich in der Nacht und Dunkelheit nach dem Licht und Aufgang der Sonne verlangt.

Aus dieſem Beyſpiele duͤrfte man vielleicht ſchließen, daß die neuern Griechen in manchem zur Ausſprache der Aeltern und ſelbſt Homers wie - der zuruͤckkehrten; und daß auch hier, wie ſonſt in der Welt, alles im Kreiſe herumgeht.

Am beſten iſt es, man richtet ſich nach der jedesmaligen lebendigen Ausſprache, und demgro -65großen Haufen; und man muß es, wenn man verſtaͤndlich ſeyn will*)Bey unſern teutſchen Ueberſetzungen iſt dieß jedoch der Fall nicht; und wir haben Recht, einzelne Namen z. B. ſo aͤcht altgriechiſch dem Laute nach zu uͤbertragen, als wir zu beſtimmen im Stande ſind. Der Laut η wird inzwiſchen immer ſchwer mit einem Zei - chen vollkommen richtig zu beſtimmen ſeyn, da ihn wahrſcheinlich ſchon die Alten ver - ſchieden ausſprachen; nehmlich nach dem die zwey Vokalen waren, die er ausdruͤckte. Die neuern Griechen machten es nach und nach damit, wie die Englaͤnder mit ihrem rr und ra, und ergriffen endlich noch eine feſtere Parthie. Auch iſt der Uebergang von rr und ra in i den Sprachorganen leichter und natuͤrlicher, als es auf dem Papiere ausſieht. Den Neugriechen klingt außerdem Hira oder Hiri; Aphroditi, und ſ. f. ſo zaͤrt -lich,.

VonE66

Von den Alten laſen wir die Abende bald ein Stuͤck aus dem Plato, bald aus dem Ariſtoteles, oder Xenophon; kehrten aber von ihrem Scharfſinn und Adel, der reinſten Em - pfindung und ihren hohen Fluͤgen oft zuruͤck unter das Athenienſiſche Volk zum Demoſthenes und Ariſtophanes.

Ardinghello hatte den letztern nur dem Na - men nach gekannt, und weidete ſeine Seele nun an ihm leibhaftig mit Entzuͤcken. Er bruͤtete ſo recht uͤber ſeinem Witze, ſeiner Laune, ſeinenkuͤh -*)lich, weiblich und lichtvoll, als uns Cidli, Silli und dergleichen. Auf aͤhnliche Weiſe aͤndern die Sizilianer das Toskaniſche um. Ueber Wohlklang eines Vokals vor dem an - dern laͤßt ſich im Allgemeinen nichts ent - ſcheiden; es koͤmmt auf jedes Wort ſelbſt, den Gebrauch, und das Ohr des Volks an. Was uns fremd lautet bey allen andern Nazionen, lautet ihnen nicht fremd.67kuͤhnen Erdichtungen; und hielt ſeine Poſſen - ſpiele fuͤr das allerhoͤchſte Denkmal menſchlicher Freyheit, welchem ſich keins unter den Millio - nen andrer Schriften von weitem naͤhere. Wer mit den Griechen wetteifern wolle, muͤſſe in beyden leben und weben. Hier erſcheine der Menſch wie er ſey, mit allen ſeinen natuͤrlichen Herrlichkeiten und Schlechtigkeiten. Hier ent - ſpraͤngen und raͤnnen die lauterſten Lebensbaͤche.

Mein Freund ſteckte mich mit ſeiner Meinung an, und Redner und Dichter wirkten maͤchtig auf uns: wir wurden ſelbſt freyer im Umgange, und unſre Sprachkenntniß wuchs wie eine uͤppi - ge Pflanze. Wir hielten uns ganz an Athen vom Themiſtokles an bis zum Tod Alexanders; drangen immer tiefer ein in deſſen Staatsverfaſ - ſung, Geſetze, Gerichte; ruhten im Schatten an den bemoosten Wurzeln des ſchoͤnen lebendi - gen Baums, der ſeine Zweige uͤber ganz Griechen -E 2land68land verbreitete; und gingen aus dieſem Kreiſe, und was ſich damit verband, ſelten heraus.

Dabey beſchrieb ich ihm den gegenwaͤrti - gen Zuſtand der Inſeln und des feſten Landes; Ge - ſellſchaften, Sitten und Gebraͤuche, Feſte und Spiele, Klima, Jahrszeiten, Wind und Wet - ter, Gewaͤchſe und Fruͤchte, und was von den Alten noch uͤbrig iſt.

Ohngeachtet ſeiner Luſt an dem Ariſtopha - nes, der glaͤnzenden Satyre der Wolken gegen den Daͤmon des Philoſophen, und des bit - tern Angriffs der Lehre deſſelben, daß kindliche Liebe und Verehrung der Eltern und Verwand - ten dem Verſtande nachſtehen muͤſſe: hielt er nichtsdeſtoweniger die Denkwuͤrdigkeiten des Sokrates fuͤr das gediegenſte Kleinod aller Weis - heit, und die Moral aller Moralen.

Uebrigens kamen wir darinn uͤberein, daß man die Wolken nach ihrer, und nicht nach un -ſerer69ſerer Zeit beurtheilen muͤſſe. Die Menſchen wa - ren damals gewohnt, einander nackend zu ſehen; und ſcherzten zur Ergoͤtzlichkeit fuͤr den Augen - blick uͤber ihre Maͤngel und Gebrechen, und ver - gaßen es hernach bald wieder. Ariſtophanes war ſo wenig Schuld an dem gewiß bis zum Vergeſ - ſen ſeines Muthwillens lang hernach erfolgten Tode des Sokrates, als an dem des Euripides; und beyde wurden im Grunde nicht minder hoch - geſchaͤtzt, trotz aller Laͤcherlichkeiten, die er auf ſie warf. Welche poßierliche Rolle laͤßt er nicht der Weiſen letztern im Feſte der Ceres und Pro - ſerpina ſpielen! Bey uns waͤre freylich ſo etwas wie Mord und Todtſchlag. Und außerdem war man es gewohnt, daß Philoſophen und Dichter, und von dieſen wieder die tragiſchen und komiſchen ſich zur Kurzweil des Volks einander zum beſten hatten. Wer weiß, wie hart Sokrates und Euripides vorher dem Ariſtophanes begegneten? Das beſte Zeugniß fuͤr das, was ich ſage, iſt,E 3daß70daß Plato nicht aufhoͤrte, den komiſchen Dich - ter hochzuſchaͤtzen.

Dieſer hohe Genius ſchien uns uͤberhaupt ei - nen viel weitern Geſichtskreis als Xenophon zu haben, und ſelbſt uͤber ſeinen Lehrmeiſter hinaus - zugehen. Wir meinten, nicht wenige ſeiner Ge - ſpraͤche muͤßten die Lieblingsſchriften fuͤr jeden gu - ten Kopf ſeyn, der ſie fertig in der bezaubernden Urſprache leſen kann; und dieß zwar haup[t]ſaͤch - lich deßwegen, weil er ſelten ſeine Materie er - ſchoͤpft, aber mit gewaltiger Hand in tiefe reiche Fundgruben hineinfuͤhrt. Wir bewunderten oft an ihm, dieſen Tag, die allergewandeſte Attiſche Feinheit, die ſo edel kein Schriftſteller, unſers Wiſſens, weder ſeiner noch vielweniger irgend einer andern Nazion je erreicht hat; und den folgenden wieder die erhabenſten Gedanken in der kuͤhnſten Sprache.

Demoſthenes iſt freylich gegen ihn, wie der noch junge zu ſtrenge Dionys von Halikarnaßwahr71wahr ſpricht, Held im Streite, wo es das Le - ben gilt, und jeder Hieb und Stoß, Wunde. Aber ein andres iſt Schlachtfeld, ein andres Akademie! wo unter kuͤhlen Lauben auch zuweilen bloß angenehmes Geſchwaͤtz ergoͤtzt; und lyri - ſche Verzuckungen ſuͤßer Trunkenheit bey ſternen - heller Nacht am ſeligſten machen.

Mitten unter dieſer Seelenweide legt ich mich eifrig auf die Zeichnung. Ich fing vom neuen damit an, allerley mathematiſche Figuren aus freyer Hand bis zur Vollkommenheit zu ent - werfen, um ſie zur Sicherheit im Zuge zu brin - gen. Alsdenn plagte mich Ardinghello nur kur - ze Zeit mit menſchlichen Gerippen, und ging gleich uͤber auf den Umriß der Theile, und ihre Verhaͤltniſſe zu einander; und endlich gelangt ich zum Lebendigen, wie aus einer trocknen Wuͤſte zu ſchattichten friſchen Quellen. Wir waren ſchon aus der ruhigen Schoͤnheit am Leidenſchaftlichen:E 4als72als eine ſchreckliche Begebenheit erfolgte, die uns auf lange trennte.

Ueber die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤrpers gingen wir, außer den Vorſchriften der beyden großen Florentiner, noch ein Werk durch von dem Teutſchen Albrecht Duͤrer. Er ſagte, wenige haͤtten die Theorie ihrer Kunſt wohl ſo inne gehabt unter allen neuern Mahlern und Bildhauern, als dieſer; man faͤnde bey ihm ein erſtaunliches Studium: aber zum Hohen und Schoͤnen derſelben ſey er nicht gelangt, weil Nie - mand aus ſeiner Nazion und ſeinem Zeitalter koͤnne. Dieß hange außer dem Innern noch gar zu viel von Gluͤck und Zufall ab. Wir koͤnnten das Lebendige nicht anders nachbilden, als bis wir es entweder ſelbſt gelebt, oder mit unſern Sinnen in ergreiffender Wirklichkeit empfunden haͤtten. Ohne Perikles und Asſpaſia, Alkibia - den, Phrynen und ihres gleichen alt und jung: kein Phidias, Praxiteles und Apelles. AlbrechtDuͤ -73Duͤrer habe den Nuͤrnberger Goldſchmidsjungen nie voͤllig aus ſich bringen koͤnnen; in ſeinen Ar - beiten ſey ein Fleiß bis zur Angſt, der ihm nie weiten Geſichtskreis und Erhabenheit habe gewin - nen laſſen; und bloß deßwegen haͤtte ihn Michel Angelo ſo ſehr gehaßt. Seine meiſten Kompoſi - zionen waͤren Paſſionsgeſchichten, und Hexen und Teufel. Er als verlorner Sohn am Troge bey Schweinen, die Trebern freſſen; Proſerpina, wie ſie Pluto auf einem Bocke hohlt; Diana, wie ſie eine Nymphe mit dem Knittel bey einem Satyr pruͤgelt: zeigten genug ſeine mißleitete Phantaſie. Sonſt ſey er ein wackrer Meiſter, habe Kraft und Staͤrke; und ein guter Kopf von richtigem Geſchmack koͤnne viel von ihm lernen.

Wir hatten bey unſerm Leben auf dem Lan - de uns zum Geſetz gemacht, daß keiner den an - dern in ſeinem Thun und Laſſen ſtoͤren ſollte; und alles Beyſammenſeyn war freyer Wille von beidenE 5Sei -74Seiten. Wenn alſo einer allein ſeyn wollte: ſo ſagte er es dem andern, oder ſchloß die Thuͤr ab. Zuweilen gingen wir mit einander, zuweilen zog einer allein aus: und Ardinghello kam manchen Tag und manche Nacht nicht nach Hauſe, ohne mir vorher zu ſagen, wenn er fortging, und ohne daß es mich befremdete. Die immer gruͤnen mit hohen Baͤumen eingefaßten Wieſen, und die vie - len klaren Fluͤſſe, von den Seen rein gewaſchen, erfreuten ihn unendlich in der Lombardey; ſolche Natur war dem Toskaner fremd. Er niſtete ſich in den ſchoͤnſten Doͤrfern uͤberall ein, und machte Bekanntſchaft mit den Landleuten.

Einigemal kam er Abends auf einem luſtigen Nachen mit Weinlaub und Epheu geſchmuͤckt, der Zithar am Arm im Dithyrambengeſang gleich einem jungen Bacchus wieder, oder in einem andern Aufzug: und es war immer ein allge - meiner Jubel; denn jederman wollte ihm wohl. Er ließ ſich mit jedem ein, und drang in deſſenInn -75Innres; half ihm fort, oder machte ihm das Le - ben froh und leichter. Er hatte eine von den ſelt - nen gefuͤhligen Stimmen, die das Herz anlocken; ihr Ton war feſt und voll; ſuͤß und gelind bey Liebe, und heftig eindringend wie ein Sturmwind in der Hoͤhe bey widrigen Leidenſchaften. Er ſpielte zwar auch treflich die Laute: aber die Zi - thar zog er allen Inſtrumenten zur Begleitung vor. Er ſang wenig andrer Dichter Worte, ſon - dern eigne Poeſie, wie ſie ſeinem Weſen entquoll! meiſtens ohne Reime; oder dieſe, wie ſie ſich ſchicken wollten. Es war bezaubernd, dem jun - gen Schwaͤrmer zuzuhoͤren, und wie in laͤcheln - der Kuͤhnheit das Feuer aus ihm wehte. Wie oft haben wir hernach in heitern Naͤchten uns in den See geſtuͤrzt! denn er hatte mir das Schwimmen bald beygebracht: und in der unermeßlichen ge - ſtirnten Natur frey herumgewallt wie die Goͤtter!

Noch hab ich ihm eine groͤſſere Geſchicklich - keit im Fechten zu verdanken, worin er ein gro -ßer76ßer Meiſter war; wie er denn ſeinen Koͤrper uͤberhaupt aͤußerſt gewandt und ausgebildet hatte.

So flog himmliſch leicht unſer Leben da - hin unter Spiel und Feſt und reizender Beſchaͤfti - gung.

Mit ſeiner Madonna war er im Auguſt ſchon fertig. Er hatte die Begebenheit der Flucht nach Aegypten gewaͤhlt. Sie ſaß mit dem Kind an der Bruſt unter einem Ahorn, der ſeine Zweige weit umher verbreitete, und Daͤmme - rung hernieder warf; in der Naͤhe und Ferne ſtanden Pignen und Cypreſſen anmuthig ver - maͤhlt und zerſtreut. Die Gegend war ein Gebirg, woheraus ein Fluß in Katarakten ſich ſtuͤrzte, in fernem Schaum und Dampf von Silberſtaub, dann eine kleine Ebne durchfloß, und in einem ſtillen See ruhig dahin wallte. Die bezaubernd - ſte Seite von der romantiſchen Wildniß unſers Lago war ganz treu hier zu ſehen; vom Glanz der untergehenden Sonne blitzten Fels und See,und77und ſchimmerte das Laub der Baͤume. Auͤßerſt kuͤhn gewagt!

Die Madonna war eine holde Jungfrau, die ihr erſtes Kind in Armen haͤlt, und der Ge - ſchichte davon in entzuͤckender Grazie nachdenkt; ein Kopf ganz aus der Natur, nur erhoͤht und ins Reine gebracht, von unausſprechlicher Wir - kung auf jeden fuͤhlenden Menſchen. Auch der Bube, ſo recht in Liebe erzeugt, trug die Spu - ren der vollen Wonne ſeines Werdens in der Ge - ſtalt; er hielt ſich mit dem einem Haͤndchen an der rechten halb entbloͤßten Bruſt unter dem roͤhtlichten Gewand an, und laͤchelte von der offnen ſtraff geſchwellten jugendlichen linken ab mit ſeinem blonden Koͤpfchen in die ſchoͤne Na - tur. Das braune Haar der Madonna war in ein roͤhtlicht geſtreiftes Netz gebunden, wovon noch einige Locken ins Geſicht und die Backen fie - len; der blaue Mantel zerfloſſen, und die Bei - ne und zarten Fuͤſſe ruhten in reizender Lage. Bey -78Beyder Augen, beſonders der Madonna blickten heiter ſchoͤn, in Empfindung ſchwimmend. In den Zweigen des Ahorns ſchweben Engel wie jun - ge Liebesgoͤtter; abwaͤrts weidet der Eſel, und Joſeph ſteht auf ſeinen Stab gelehnt, wie ein alter treuer Waͤrter, der ſein Anvertrautes gluͤcklich aus der Gefahr uͤber die Grenze gebracht hat.

Form und Ausdruck und Kolorit in allen Theilen des Lebendigen, Bekleidung und Beleuch - tung und Scene macht eine ſuͤße Harmonie zu - ſammen. Das Gemaͤhlde war groß, und die Fi - guren im Vordergrunde an die zwey Drittel in Lebensgroͤße; jedoch ging ihm die Arbeit geſchwind von ſtatten, weil er die Studien zur Madonna und dem kleinen mitgebracht hatte, und nur zum Joſeph und den Engeln einen Alten und Kinder aus der Nachbarſchaft gebraucht.

Meine Mutter konnte ſich daruͤber nicht ſatt freuen, und gewann ihn immer lieber.

In -79

Inzwiſchen bemerkt ich doch bey ſeinem froͤh - lichen und traulichen Weſen eine leidenſchaftliche Haſtigkeit an ihm, und etwas Verborgnes in ſeinen Geſichtszuͤgen; auch fiel mir endlich ſein Ausbleiben auf. Er ſagte zwar: ich bin ein Herumſchweifer, und kann nicht wohl an einer Stelle bleiben; aber er nahm mich doch zu ſel - ten mit ſich. Ich wollte wiſſen, was in ihm vorging; und dieß klaͤrte ſich denn auf einmal in einer ſtillen Mitternacht auf, wo alle Winde ſchwiegen, und kein Laut ſich regte.

Wir ſaßen am kuͤhlſten Platz unſers Gar - tens auf einer Anhoͤhe, in einer Laube von Lor - beer und Myrthengeſtraͤuch, von einem alten Hayn gruͤner Eichen umfaßt; und hatten oft die Glaͤſer ausgeleert, und geſungen und geſprochen; viel vom Menſchen und den Begebenheiten der Welt, jugendlich, erfahren und unerfahren. Mein Herz ſtand offen; und ich entdeckt ihm auf die letzt meine kleine Liebesgeſchichten, womitich80ich hier den Lauf nicht unterbrechen will; geſtand ihm aber, daß ich noch nicht alles faͤnde, was ich verlangte. Du wirſt mir guten Unterricht geben koͤnnen, fuͤgt ich hinzu; denn nach deinen Stu - dien in der Mahlerey, und Leibes und Seelen - tugenden mußt du ſchon ein Held unter Amors Fahne ſeyn.

Er antwortete hierauf: ich ſpreche nicht gern von dieſen Dingen; denn ſie machen alle Menſchen neidig, Freund und Feind. Aber weil du einmal angefangen haſt, ſo will ich auch dir be - kennen. Doch vorher den Todesbund ewiger Freundſchaft feyerlicher vom neuen; wir kennen uns nun vollkommen.

Hier zog er einen Dolch hervor, ſtreifte ſich den linken Arm auf, ſtach hinein, und ließ das Blut in den Becher rinnen; uͤberreichte mir den Dolch: und ich that, wie von einer furcht - baren Macht ergriffen, voll Gluth und Ruͤhrung daſſelbe. Wie unſer beyder Blut hier im Weinever -81vermiſcht iſt, rief er aus, und in unſer Leben ſich ergeußt: ſo ſollen unſre Herzen und Seelen auf dieſer Welt zuſammenhalten; dieß ſchwoͤren wir dir, Natur! und deiner Gottheit! Wer ſchei - det, fall in Elend und Verderben.

Wir tranken, umſchlangen uns feſter und inniger, ſtillten darauf die Wunden, und der eine verband mit laͤchelndem Ernſt den andern.

Dieß geſchehen, und aus dem Taumel uns wieder gefaßt und in Ordnung, fing er an: das herrliche Geſchoͤpf, das ich liebe, bekraͤnz als Prieſterin unſern Bund! Caͤcilia iſt ihr Na - me, von der Heiligen, der himmliſchen Muſik, entlehnt. O du dort oben walte uͤber uns! Auch unſer Feſt iſt Saitenſpiel und Geſang; und ſind wir nicht ſo fromm als du, wozu nur Auser - waͤhlte gelangen: ſo iſt doch unſre Liebe heilig; denn ſie iſt ganz Natur, und hat mit buͤrgerli - chem Weſen nichts zu ſchaffen. Dieſe Caͤcilia wohnt eine Stunde von hier; iſt einzige Tochter beyFzwey82zwey Bruͤdern, ihr Vater leider der große C ****, und ſoll ſich in kurzer Friſt mit dem reichen Mark Anton vermaͤhlen; welches du ſchon alles weißt. Ich blieb hierbey ſtumm vor Erſtaunen, und hoͤrte mit beyden Ohren.

Wir wurden durch einen bloßen Zufall naͤ - her bekannt, fuhr er fort; denn ſchon vorher hat - te ich ſie als den ſchoͤnſten weiblichen Kopf in Ve - nedig einigemal in Kirchen auf den Raub abge - zeichnet, und ein paarmal in Geſellſchaft geſehen. Nie aber wollt es mir gelingen, in ihrem Hauſe Zutritt zu erhalten, oder ſie allein zu ſprechen. Dieſes geſchah endlich beym Schluſſe des letzten Karnevals, auf dem Markusplatz, in einer Ecke an der[neuerbauten] Kirche S. Zeminiano, als es Nacht werden wollte. Ich trug ſchier eine Maske, wie einer ihrer Bruͤder: ſie ſah mich im Getuͤmmel fuͤr denſelben an, ging auf mich zu, faßte mich bey der Hand, und fluͤſterte mir et - was freudig ins Ohr. Ob ich ſie feſt hielt, undwie?83wie? kannſt du denken! ich hatte ſie ſchon auf den Platz herein kommen ſehen, auch war ihr lieblich Geſicht wenig verhuͤllt. Maͤnner und Weiber, die ſie begleiteten, mochten ebenfal[l]s im Irrthu - me wie ſie ſeyn; denn ſie ließen uns beyſammen, gaukelten auf dem bunten Welttheater, im Kleinen, ihre Mummereyen fort, und hatten keinen Arg - wohn. Ich gebrauchte die ſchnelle Gelegenheit, ſo gut mir moͤglich war. Sie mußte mich auch mit einem Blick erkennen koͤnnen: unſre Augen hat - ten ſich ſchon oft mit Seele begegnet. Ich verlang - te zu wiſſen, ob ich etwas uͤber ſie vermoͤchte; hob ein wenig meine Maske vom Geſicht: und ſie wollte ſich, erroͤthend von den ruͤndlichen Wangen bis an den ſchneeweißen Hals, zuruͤck - ziehen; allein ich hielt das warme Haͤndchen feſt.

Ich blickte raſch umher, und ſie deßgleichen: wir wurden in der Daͤmmerung nicht beobachtet, und ein Poſſenreiſſer hatte uͤberdieß aller Augen auf ſich gezogen; und ſagte ihr, aber wie kannF 2ich84ich genau die Worte wiederholen! daß ich ſie lieb - te, anbetete; daß ich verſchwiegen waͤre, wie ein Stein, eine Mauer, mich der geringſten Gunſt nie ruͤhmen wuͤrde; mich ihr in allem unter - werfen wollte, allen meinen Verſtand zu unſerm Vortheil anwenden wollte; wir ſeyen fuͤr einan - der geſchaffen, und das Verhaͤltniß mit andern Menſchen ſolle uns nicht trennen. Alles dieß und mehr ging aus meinem Munde wie ein Lauf - feur, leis, aber maͤchtig ihr ins Ohr. Sie trat fort und hielt ein, zuckte mit der Hand, und uͤberließ ſie wieder den heißen Wallungen meiner Liebespulſe. Endlich riß ſie ſich los, ſagte mir aber mit einer ſchuͤchternen gebrochnen Stimme die Honigworte, die wie eiskuͤhlend und bren - nendſuͤß erquickend Labſal durch Mark und Gebein rannen: Morgen fruͤh zu Santi Giovanni e Paolo.

Ich ſchwand von ihr weg wie der Blitz, zur erſten Probe meiner Auffuͤhrung: und ſchliefdie85die ganze Nacht nicht, war ſo wach und leben - dig, als ob ich nie geſchlafen haͤtte, und nie wie - der ſchlafen wuͤrde, durchaus Feuer und geiſtig Toben. Was hab ich da nicht fuͤr Plane ge - macht!

Ich hielt ſchon lange vor der Zeit Wacht um die Kirche; und wie ſie aufging, war ich der erſte drinnen. Ich wartete und wartete, und verging vor Ungeduld; ſo langweilig war mir das Meßleſen der Prieſter noch nicht vorgekommen. Wie es allzu - lange waͤhrte: ſo ließ ich mir den Vorhang von dem goͤttlichen Tizian wegziehen, wo Peter, der Maͤrtyrer, von einem Raͤuber erſchlagen wird, ſein Gefaͤhrte fluͤchtet, und ein Paar reizende Buben als Engel auf die Baͤume der herrlichen Landſchaft herabſchweben.

Welch ein Meiſterſtuͤck! die Scene ſchon aͤußerſt lebendig; welche Lokalfarben haben nicht die ſchlanken Staͤmme der hohen Kaſtanienbaͤu - me! wie verliert ſich das Land in ferne blaueF 2Fel -86Felſen! der Moͤrder voll raͤuberiſchem Weſen in Geſtalt und Stellung und jeder Gebehrde bis auf Kleidung und Kolorit! der Heilige hat ganz das Entſetzen eines Ueberfallnen, und eines gu - ten weichen Mannes, der ſein Leben banditenmaͤ - ßig verliert: auf ſeinem Geſichte iſt die Blaͤſſe der Todesangſt; und mit welcher Natur in der Lage iſt er niedergeworfen! der, welcher flieht, eben ſo taͤuſchend in allen Theilen. Die drey Fi - guren machen einen vortreflichen Kontraſt in Stellung, Charakter und Kolorit und den Ge - waͤndern von Moͤnchs und Raͤubertracht. Welch ein treflicher Ton im Ganzen, und wie ſchoͤn haͤlt es die Beleuchtung zuſammen!

Dieß half etwas, aber wenig, ich hatte kei - ne Ruhe. Endlich erſchien ſie doch, und armer Tizian, wie fielſt du weg! O alle Kunſt neige dich vor der Natur! Sie zog zur Pforte herein, den Kopf in eure Tracht verſteckt, wie im duͤn - nen Gewoͤlk aufgehende Sonne, vor ihremGlanz87Glanz verſchwand alles, oder bekam Anſehen, Weſen, lenkte ſich zu einem Ganzen.

Sie kam mit ihrer Mutter. Beyde knie - ten erſt vor dem Altare nieder, wo Meſſe geleſen werden ſollte; und ſetzten ſich hernach, ſie mit abgeworfner Huͤlle vom Haupte. Im Knieen blickte ſie einigemal gen Himmel und ſeufzte; ich bemerkte alles. Sie wurde mich hernach im Sitzen gleich gewahr, und maß mich mit einer Engelſchoͤnheit, ruhig dem Anſchein nach, vom Wirbel bis zur Zehe, in tiefem Nachdenken. Was fuͤr Seele aus ihrem weitgewoͤlbten ſchwar - zen Auge blickte, iſt nicht zu ſagen; und um ihre Lippen regten ſich bange Gefuͤhle, die jedoch in Laͤcheln uͤbergingen. Ach, daß ich nicht gleich mit ihr ſprechen durfte!

Ich ſaß nicht weit von ihr rechter Hand, ſchraͤg auf der Seite, und verwandte, ſo viel ich unbemerkt ſeyn konnte, kein Auge. Sie lasF 4her -88hernach in ihrem Buche, und nahm ein Zeichen heraus, und deutete mir mit einem Winke dar - auf.

Die Meſſe war vorbey, und man ging aus einander; ich folgte ihr auf dem Fuße. Bey der Kirchthuͤr hatt ich im Gedraͤnge, mit der fein - ſten Wendung, die Karte unvermerkt in der Hand. Ich konnte nicht geſchwind genug in einen Winkel kommen, und leſen. Zwey Stunden nach Mitternacht an der Thuͤr auf die Straße hinter dem Kanale. Weiter ſtand nichts dar - auf, und es war genug.

Nur dieß und Sie empfand und dacht ich den ganzen Tag. Gegen Abend ging ich ſchon dort einigemal auf und ab, und wußte alle Thuͤ - ren und Fenſter und Gelegenheiten auswendig. Ich verſah mich alsdenn auf allen Fall in meinem[Quartiere] mit Gewehr; meinen Gondelfahrer hatt ich ohne dieß ſchon vorher immer bey der Hand.

Nach89

Nach Mitternacht macht ich mich auf den Platz bey Maria Formoſa. Wie wurde mir die Zeit ſo lang! Die Hofnung hob mich vom Bo - den weg durch alle Himmel: die Natur hingegen wollte gar nicht fort; Orion, Adler, Schwan und Wagen ſchienen mich zum beſten zu haben, ich haͤtte ſie gern Himmelab aus Ungeduld mit den Haͤnden geruͤck[t], und ſprang oft naͤrriſch in die Hoͤhe, ſie zu erreichen.

Endlich ſchlug die letzte Viertelſtunde, und ich eilte an den beſtimmten Ort. Alles war ſtill auf den Wegen, und ich lief uͤber die Bruͤcken weg; und wartete in einer Ecke nahe bey der Thuͤr, in meinen Mantel eingehuͤllt, lauter Ohr und Auge.

Ich war kaum da: ſo ging ſie ſchon auf. Ich machte mich herbey, und vernahm die leiſen Worte: herein! ich ſchluͤpfte durch, und war im Dunkeln. Die Schuh aus! fluͤſterte ſie, mir die Treppe herauf nach! Und ſachte, ſachte,F 5Hand90Hand in entzuͤckend zarter, warmer, feſthaltender Hand tappten wir in ein Zimmer auf den Ka - nal; und wieder zugeſchoben mit dem Riegel wurde die Pforte des Himmels. Caͤcilia war in einem leichten Nachtgewande, den Kopf entbloͤßt und das lange Haar nur in einen Knoten gebun - den, das weich in den Seiten mir in die Finger fiel.

Ich hielt ſie umſchlungen, und raubte den erſten Kuß, der wie ein ſuͤßer Blitz mein Weſen durchfuhr; und ſie ſagte ſeufzend: O was wag ich nicht, euch naͤher kennen zu lernen! ich weiß, daß ihr ein Florentiner ſeyd, und hier die Mah - lerey treibt, aber daß dieß eure Beſtimmung nicht iſt, ſondern Nebenbeſchaͤftigung, und euer Ziel im Verborgnen hoͤher ſteckt. Eine Freundin eu - rer Tante und von mir, die euch als eine andre zaͤrtliche Mutter wohl will, und durch jene euch eure Wechſel auszahlt, hat es mir unter dem Siegel des Stillſchweigens anvertraut. Eureedle91edle ſchoͤne Geſtalt und Jugend, und, es muß nun von meinen Lippen! ein unwiderſtehlicher Zug im Innern, den ich noch bey keinem Sterb - lichen fuͤhlte, haben mich dazu verleitet.

Verlaßt euch in Geheimniſſen auf Wei - ber, dacht ich, wenigſtens, die ſie nicht ſelbſt be - treffen! und gerieht in ein Labyrinth.

Ein andermal von unſern Umſtaͤnden, erwiedert ich. O daß ich dich endlich habe, du Stolz von Venedig und Zierde der Welt! Laß uns jetzt ganz allein ſeyn, und die voruͤber - eilenden Augenblicke genießen in junger feuriger Liebe, o du Seele meiner Seele, Geiſt und Licht meines Lebens! Hier hob ich ſie mit Macht in meine Arme, und trug ſie unuͤberwindlich ſo auf einen Sopha, der in der Ecke am Fenſter ſtand.

Ungluͤcklicher, ſagte ſie, was willſt du be - ginnen? und ſtieß mir mit allen Kraͤften das Geſicht von ihrer Bruſt. Dieß iſt kein falſches Straͤuben! ein einziger Ruf von mir, den mei -ne92ne Bruͤder hoͤren: und du biſt des Todes, und ich im Hauſe auf immer elend! Dieß war in ei - nem ſo feſten ſichern Tone geſagt, wie ein Schwert - ſchlag die Schulter herein, daß ich nachlaſſen mußte; ich wurde wie von einander geriſſen, als das himmliſche warmlebendige Geſchoͤpf meinen Armen entwich.

Nicht ſo heftig, holder Verwegner! ſo war es nicht gemeint! fing ſie nach einer kleinen Pauſe an, und ſtreichelte mir die Backen, die Sirene.

Ganz außer mir ergriff ich ſie wieder mit Gewalt von neuen. Hier aber gerieht ſie in bittern Zorn, und riß mich mit den Haaren von ſich: glaube nicht, ſagte ſie, daß ich ein Kind bin, das nicht weiß, was es thut, und mit ſich anfangen laͤßt, was ein wuͤhtender Menſch will! Ich konnte nichts dagegen aufbringen, und Unmoͤglichkeit, Liebe und Bewunderung machten, daß ich meine Leidenſchaften baͤndigte.

Wir93

Wir ſetzten uns denn. Ich war auf dem ſtuͤrmiſchen Meere, herumgewuͤhlt von tauſend Wogen. Sonderbare Scene! Sie ſchlang her - nach ihren rechten Arm um meinen Nacken, und ich meinen linken um ihre Lenden, und die zwey andern Haͤnde ſchloſſen ſich in ihrem Schooße zu - ſammen; vor uns ſtand auf einem Tiſchchen ein Nachtlicht. Ach, wie ſie bluͤhte! ein voller Ro - ſenbuſch im May am friſchen Morgen im neuen Glanz des Himmels und den Choͤren der Nach - tigallen herum. Ihre jungen feſten Bruͤſte koch - ten und wallten; und im Netz ihrer verwirrten blonden Haare zappelte meine arme Seele wie ein gefangener Vogel.

Ich flog ihr mit flehendem Geſicht am Bu - ſen, und klagte ſchmachtend: Was haſt du mit mir vor, Zauberin?

Liebe! ſey ohne Sorge! antwortete ſie darauf; ſonſt wuͤrd ich nicht gethan haben, was ich that; ſuͤße Traulichkeit, wo ihrer zwey ſich dasLe -94Leben froh machen, die fuͤr einander geſchaffen ſind.

Uns verging die Sprache, und wir ſaßen lang, eine ſchmerzlich entzuͤckende Stille, in heißer Empfindung aneinander gegoſſen.

Mir rollten endlich unaufhaltbare Thraͤ - nen uͤbers Geſicht von dem wuͤthenden Kampf im Innern.

O ich ſehe, daß du liebſt, ſagte ſie: und hob mir das Geſicht in die Hoͤhe, das ich knieend wie ein Kind in ihrem Schooß verbarg, nach - dem ich ihr wenig Worte von meinen Schickſalen erzaͤhlt hatte, nahm mich auf, und kuͤßte mir zaͤrtlich, am ganzen Leibe zitternd, die Augen und das bloße Herz, wovon ſie das Hemde weg - riß. Nun geh fort, ſagte ſie; wir koͤnnen jetzt nicht reden, und nicht laͤnger bleiben. Verſprich, beſcheidner zu ſeyn; und komme heut uͤber acht Tage wieder fruͤh nach Santi Giovanni e Paolo;wenn95wenn ich dir ein Zeichen gebe: ſo ſind wir dieſelbe Stunde in der Nacht eben ſo beyſammen.

Mir war ſelbſt zu wohl und zu weh im Herzen, und ſie brachte mich unter brennenden Kuͤſſen und gluͤhenden Umarmungen leiſe wieder von ſich. Dieß war die erſte Zuſammenkunft. Morgen, Benedikt, das Uebrige, wenn wir wieder dazu geſtimmt ſind! ſagte hier Arding - hello.

Wir machten uns alsdenn berauſcht auf unſre Zimmer. O[Freundſchaft], und Liebe, rief er, nach dem Wunſche gut zu ſchlafen, was iſt ohne dich die Welt! ein Haufen Unſinn fuͤr alle Phi - loſophen.

Was Ardinghello geſagt hatte, und die Vorbereitung dazu, machte mich aͤußerſt unruhig; mein Geſichtskreis war zwar erweitert: verlor ſich aber in undurchdringlichen Nebel, und mich ſchreckte die Zukunft. Seine Leidenſchaften kuͤm - merten mich. Jedoch verließ ich mich wiederauf96auf ſeinen hellen Geiſt und ſein edel Herz; und ſchwur ihm vom neuen bey mir ewige Treue, und ihn uͤberall, wo Noht an Mann ging, zu unterſtuͤtzen. Er ſollte mir auf der Stelle fort - erzehlen, aber er wollte nicht, und ſagte: Wir haben ja dazu genug Zeit und Muße; mein Kopf iſt zu ſehr im Taumel.

Den Tag darauf bekamen wir Beſuch; und wer war es? es war der Braͤutigam der Caͤcilia mit ihren Bruͤdern, die ihm bis Verona entge - gen ritten, welcher ein kleines Geſchaͤft abmachen wollte. Sie ſelbſt war einigemal mit ihrer Mut - ter bey uns geweſen, und ich hatte nichts gemerkt: ſo ſehr konnte ſie ſich verſtellen. Er geſtand mir zwar damals ein, der Schalk, daß ſie die ſchoͤn - ſte weibliche Geſtalt waͤre, die er je geſehen haͤt - te, was Geſicht und Wuchs und Hand und Fuß betraͤfe; wenn das Verbergne dem aͤußerlichen gleich kaͤme: ſo wuͤßte er nicht, ob die griechi - ſche Venus zu Florenz noch das Wunder bliebe:und97und bedaurte, daß ſo etwas ungenutzt fuͤr die Kunſt vergehen ſollte. Allein eben am Verborg - nen habe Phryne ſo ſehr die andern Maͤdchen uͤbertroffen; vollkommne Bildung an dieſen Thei - len, der Reife nahe, ohne Ueberfluß und Ma - gerkeit, die zarten haͤufigen, und doch feſten Schwingungen des Lebens in den reinſten For - men mit aller reizenden Mannigfaltigkeit zur groͤßten harmoniſchen Einheit durch keine Klei - dung und Stubenluft verdorben, immer in gehoͤ - riger Munterkeit und Bewegung erhalten, von hohem und heiligem und wolluͤſtigem Geiſt beſeelt, ein wenig Ueberfuͤlle, wo ſie ſeyn muͤſſe, uͤppige ſanfte Woͤlbung und wieder ſtraffer Umriß ſey aͤußerſt ſelten, und ein Wunder in der Natur und man koͤnn es immer, wenn man es faͤnde, als das allergoͤttlichſte auf dieſem Erdenrund be - trachten. Es fiel mir nun freylich ein, daß ſie hoͤher gluͤhte, wenn er von fern im Schatten die Laute ſpielte, oder mit ſeiner verfuͤhreriſchenGStim -98Stimme zur Zithar ſang; und ſie ſelbſt war es, was er bey mir ſchilderte.

Ihr juͤngſter Bruder, ſie war das letzte Kind, konnt ihn gleich wohl leiden. Sie be - ſahen ſein Gemaͤhlde, und machten ihm daruͤber große Lobſpruͤche; nur der Braͤutigam, eine kalte Staatsperuͤcke von widrigem Geſichte, tadelte ihm einiges ohne rechten Verſtand, um nach dem gewoͤhnlichen Kniffe der Großen ſich damit ein Anſehen zu geben, welches Ardinghello je - doch gefaͤllig aufnahm, indem er ſich damit ent - ſchuldigte, daß die Mahlerey ſehr ſchwer, und ſelten einer in allen Theilen nur ertraͤglich waͤre; und ruͤhmte dabey ſeine große Einſicht. Dieß gefiel ihm denn; und er fragte ihn wie einen jungen Mahlergeſellen, ob er ihn und ſeine Braut ab - konterfeyen wolle? Ardinghello verbeugte ſich, und erwiederte, daß ihm dieß großen Ruhm zu - wegebringen wuͤrde, wenn es nach Wunſch ge - laͤnge. Jener beſchloß, ihn abrufen zu laſſen,ſo99ſo bald es ſich ſchickte. Darauf ritten ſie fort, nachdem ſie ohngefehr ein paar Stunden ange - halten hatten.

Den Abend blieben wir bey meiner Mutter. Sie freute ſich uͤber den Beyfall fuͤr ſein Gemaͤhl - de; und daß er durch dieſe Gelegenheit, beſon - ders wenn noch die Portraͤte gefielen, in dem neuen Pallaſte des Braͤutigams viel Arbeit be - kommen koͤnne. Geld ſey da genug; und dieß brauchten die Mahler. Die gute Frau war fern, etwas weiter zu muhtmaßen; aber Ardinghello ſtellte ſich auch ſo fromm an. Wir mußten bis ſpaͤt in die Nacht bey ihr aushalten, und er erzehl - te, um die Zeit auszufuͤllen, einige ruͤhrende Maͤhrchen.

Wir machten noch vor Schlafengehen aus, den andern Morgen auf dem See ins Gebirg hinein zu ſchiffen, und zum Mittagsmal das Ge - hoͤrige mitzunehmen; ich brannte vor Verlangen, mehr und alles vom ihm zu erfahren.

G 2Die100

Die Voͤgel begruͤßten vielſtimmend den neuen Tag. Die Sonne kam herauf im herrli - chen Lichtkreis am Ende der Bergſtrecke des Monte Baldo, und ſchritt kuͤhn uͤbers Gebirg bey Verona im gelben Feuer; die Stirn, womit ſie ſich empor warf, war Majeſtaͤt, die der Blick nicht aushielt; und je voller ſie herein trat: deſto oͤfter mußte ſich das geblendete Auge von dem goͤtt - lichen Glanze wegwenden, der doch ſo entzuͤckend nach der blinden Dunkelheit war, daß es immer durſtiger ſich in den koͤſtlichen Strahlen be - rauſchte.

Breit lag der See da im Morgenduft, und die Huͤgel im duͤnnen Nebel; ein leiſes Wehen in der Mitte kraͤuſelte die Wellen, und weckte ſeine Schoͤnheit wie auf, und machte ſie lebendig. Die Haͤuſerchen zwiſchen den Baͤumen am Ufer ſchienen allein zu ſchlummern mit ihrer Unbeweglichkeit, und weil die Menſchen noch nicht heraus waren.

Un -101

Unſer Nachen wallte leicht mit vollgeſchwell - tem Seegel uͤber die naſſen Pfade.

Es war ein heiter Wetter zu Anfang Oktobers, und einer meiner unvergeßlichen Tage. Sir - mio lag lieblich da in Strahlen und ſonnte ſich; und die unabſehliche Kette der Felſen dahinter, wie eine neue Welt, als ob ſie beſtimmt waͤre, lauter Titanen zu tragen. Suͤßer roͤhtlichter Dunſt bekleidete glaͤnzend den oͤſtlichen Himmel, und die wollichten Woͤlkchen ſchwebten ſtill um den lichten Raum des Aethers, worin entzuͤckt in hohen Fluͤgen die Alpenadler hingen.

Der See iſt wuͤrklich einer der ſchoͤnſten, die ich geſehen habe, ſo reizend ſind deſſen Ufer, und zugleich majeſtaͤtiſch und wild, mit ſo viel Abwechslung von Lokalfarben; und Licht und Schatten macht immer neue Scenen. Die Halbinſel Sirmio liegt in der That da, wie der Sitz einer Kalypſo, um von da aus das Land zuG 3be -102beherrſchen; und hat das praͤchtige Theater von ungeheuren Gebirgen vor ſich.

Wir kamen bey guter Zeit am beſtimmten Ort an; und machten uns noch in der Kuͤhle den Berg hinauf. Als wir die erſte Anhoͤhe erſtie - gen hatten: lagerten wir uns in dem Waͤld - chen von Kaſtanien unten an den Quell der mit Epheu bekleideten Felſenwand ins weiche Gras, von hohen dunkeln Eichen und Buͤchen hier um - ſchattet; nachdem wir erſt unſre Weinflaſchen an den friſcheſten Platz geſtellt, gerade wo der Sprung hervorſtrudelte. Dem Schiffer ſagten wir, er ſollte vor Sonnenuntergang uns wieder abholen; und ſo blieben wir allein.

Wir ruhten vom Aufſteigen aus, und ſtreck - ten uns die Laͤnge lang auf die bequemſten Fleck - chen; noch niedrig beym Aufgehen hatte ſchon die Sonne durch die Staͤmme den Thau wegge - kuͤßt, und es war nun alles trocken. Wir ge - noſſen vom neuen das Labſal des letzten Schlum -mers103mers, als wir ſo fruͤh aus den Betten mußten: und die einzelnen Lichtſtrahlen zitterten ſuͤß von oben ſchraͤg durch die bewegten Zweige auf unſre Au - genlieder, und ſchimmerten in die Daͤmmerung. O Sonn und Erde, rief endlich Ardinghello, wie gut macht ihrs euern Kindern, wenn ſie ſich ſelbſt das Leben nicht verbitterten! und ſprang auf. Auch ich raſtete nicht laͤnger: der friſche Duft der fortrieſelnden Quelle machte den gan - zen Koͤrper doppelt rege.

Ich nahm ihn in Arm, und ging mit ihm auf und nieder durch die Baͤume, und ſagte: das iſt doch nicht fein, da wir ſo lange beyſam - men ſind, und ich dich liebe, wie mein ander Ich, daß du mir noch nichts von deinen Lebensumſtaͤn - den bekannt gemacht haſt, und immer damit hin - ter dem Berge hielteſt! So oft die Rede auf dei - ne Familie kam, bogſt du davon aus, als ob du aus dem Kraute gewachſen waͤreſt; was CaͤcilienG 4be -104betrift, laß ichs noch angehen, und deine Ent - ſchuldigung waͤre bey jedem andern gut geweſen.

Lieber! verſetzte er darauf, mein Schutz - geiſt hat mich davon abgehalten. Ich glaube, daß jeder Menſch einen Daͤmon hat, der ihm ſagt, was er thun ſoll, und daß Sokrates nicht einen allein hatte; wenn wir nur deſſen Stim - me hoͤren, und uns nicht uͤbereilen wollten. In je - dem Menſchen wohnt ein Gott, und wer ſein inner Gefuͤhl gelaͤutert hat, vernimmt ohne Wort und Zeichen deſſen Orakelſpruͤche; er kennt ſeinen eignen hoͤhern Urſprung, ſein Gebiet uͤber die Natur, und iſt nichts unterthan.

Ich ſtamme aus einem der guten Haͤuſer von Florenz: mein Vater war Aſtorre Fresco - baldi, und meine Mutter, Maria, von der verfolgten Familie der Albizi! beyde ſind nicht mehr, und ich bin allein noch uͤbrig, ihr erſtes und letztes Kind. Mein Vater entbrannte in Leidenſchaft fuͤr Iſabellen, die dritte Tochterdes105des Cosmus, vermaͤhlt mit dem Roͤmer Paul Orſini: und ſie gab ihm leicht Gehoͤr; er war noch jung, wohl gebildet, und hatte tauſend Reize ſie zu feſſeln. Sie wurde gleichfals gegen ihn entzuͤndet; und in Abweſenheit ihres Man - nes, der von ihr wie geſchieden lebte und ſich meiſtens zu Rom aufhielt, hatten ſie erwuͤnſchte Gelegenheit, ihr Liebesſpiel zu treiben. So ge - bahr ſie denn zwey Toͤchter, von welchen wenig - ſtens die erſte meine natuͤrliche Schweſter iſt. Sie hat ſich hernach vielen Preis gegeben und mag wohl ſelbſt nicht wiſſen, mit wem ſie die uͤbrigen Kinder erzeugte; jung und ſchoͤn uͤber alle Weiber, voll Witz und Geiſt und Leben, und ſo durch Erziehung gebildet, daß ſie Spa - niſch, Franzoͤſiſch, und ſo gar Lateiniſch ſpricht, verſchiedne Inſtrumente ſpielt, wie eine Sirene ſingt, und Verſe macht, oft aus dem Stegreif, herrſchte ſie am Hofe, wie eine Goͤttin, und that, was ſie wollte. Noch jetzt uͤbt ſie Gewalt aus,G 5ob -106obgleich der Scepter ihres Vaters ihr nur ent - wandt iſt*)Fu amata dal Cosmo fuo padre, di maniera, che cra voce per la città, che egli aveſſe commercio carnale ſeco: ſagt eine Floren - tiniſche Handſchrift aus der damaligen Zeit hieruͤber.. Ihre Liebhaber verfolgten ſich ei - ner den andern, und wie Sonne ſtrahlte die Muhtwillige, ungeſtoͤrt vom Krieg der Elemente um ſie herum; immer mit neuen Vergnuͤgungen beſchaͤftigt, ließ ſie ihre Geliebteſten im Elend ver - derben, und machte ſich daruͤber keine Sorge. Ein goͤttlich ſchoͤnes Ding bloß fuͤr die Gegen - wart! ein Feuer, das alles aufzehrt, was ſich ihm naͤhert.

Mein Vater wurde das erſte Opfer; der Herzog ließ ihn gefangen ſetzen. Er machte ſich los, und fluͤchtete nach Venedig; und von dort in die Levante. Man zog ſeine Guͤter ein, un -ter107ter Vorwand von Verſchwoͤrung und Staatsver - brechen; meine Mutter ſtarb daruͤber fuͤr Gram. Mich nahm meine Tante Lukrezia zu ſich. O guter Freund, du weißt noch nicht, was ein kluger Tyrann thun kann! von fern ſieht die Ty - gertatze ſchoͤn aus, wegen ihrer Staͤrke und Be - hendigkeit. Wenn Cosmus ein zweyter Augu - ſtus iſt in Unterjochung der Freyheit und Wol - luſt gegen ſeine Landestoͤchter, und in ſeinen Julien: ſo iſt er noch viel grauſamer, als ſein Urbild.

Durch ein bloßes Ohngefehr hab ich die beſte Erziehung erhalten. Als Knabe folgt ich mei - ſtens meinem Hange, und wurde hernach bey dem geſtoͤrten Hausfrieden durch die Leidenſchaft meines Vaters gegen Iſabellen wenig mit vor - geſetzten Lehrmeiſtern geplagt. Ich ging mit Kindern von allerley Klaſſen um, und die faͤhig - ſten waren meine Spielgeſellen; ich ſuchte ſie zu uͤbertreffen im Laufen und Ringen und Schwim -men108men im Arno und in liſtigen Streichen. Ich habe freylich manche Beule im Balgen und Fal - len davon getragen, bin aber davon weder ein Kruͤppel geworden noch geſtorben. Mein Vater, ein muthiger tapfrer Mann, nahm mich im erſten zarten Alter einigemal mit zur See, wo er als Befehlshaber der Galeeren die Kuͤſten gegen die Korſaren beſtrich: und die reinen großen ewigen Gegenſtaͤnde erfuͤllten hier meine ganze Seele, und erregten maͤchtig alle Triebe zum Freyen und Edlen.

Wie ich zum Juͤngling heran wuchs, hatten die bildenden Kuͤnſte und hoͤhern Leibesuͤbungen den groͤßten Reiz fuͤr mich; und naͤchſt dieſen griechiſche und roͤmiſche Sprache und die Ge - ſchichte dieſer hohen Voͤlker; auch hierin wollt ich jeden uͤbertreffen, und Gluͤck und Geſtalt und Weſen fuͤhrte mich zu den beſten Meiſtern.

In der Zeichnung und Mahlerey kam ich auf die letzt unter die Haͤnde des Georg Vaſari,der109der zwar nie ein ſchoͤpferiſches Werk hervorge - bracht hat, aber voll Kenntniß und Geſchmack war, bey allen ſeinen Vorurtheilen. Der alte Schwaͤtzer blies wie ein Boreas mit vollen Ba - cken in meinen Enthuſia[s]mus. Mein Vater, deſ - ſen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach ſeiner Jovialitaͤt, und nach Georgens Verheißungen, daß ich ein Licht werden wuͤrde, alles zu verdun - keln, freyen Willen: doch bracht er mich noch kurz vor ſeiner Gefangenſchaft und Flucht zu verſchied - nen philoſophiſchen Koͤpfen, in deren Umgang ich nach und nach mich zu einer andern Richtung lenkte. Meine erſte Neigung behielt aber immer die Oberhand.

Ich glaube, die Hauptregel bey der Erzie - hung ſey, den Kindern Zeit zu laſſen, ſich ſelbſt zu bilden. Das beſte, was man thun kann, iſt, daß man die Triebe ſchaͤrft und reizt, ein Vor - treflicher Menſch zu werden, und ihnen die eigne Arbeit ſo viel wie moͤglich dabey erleichtert. AlleNa -110tur, wenn ſie groß und herrlich werden ſoll, muß freye Luft haben. Freylich muß der Stoff dazu in den Urkraͤften liegen; und ein guter Er - zieher ſollte doch einiger maßen die Vortreflichkeit der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geiſt wirft ſchon in der Kindheit, obgleich noch im Chaos und Nebel, helle Strahlen von ſich. Alkibiades legt ſich als ſpielender Knabe Wagen und Ochſen in den Weg, zwingt den Treiber zu halten; Scipio erkannte den kuͤnftigen Marius im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke, nur eine That, von ſcharfem tiefem Gefuͤhl oder vielfacher Ueberlegung entſproſſen, obgleich noch roh auf verſchiednen Seiten, iſt eine gluͤckliche Vor - bedeutung; und ſo Schnelligkeit zu faſſen und zu behalten: hingegen Allgehorſam und Frauba - ſengutartigkeit, ſo beliebt bey Pedanten, eine ungluͤckliche; denn da iſt kein Muht und keine Kraft. Alles, was in die jungen Seelen einge - trichtert wird, was ſie nicht aus eigner Luſt undLie -111Liebe halten, haftet nicht, und iſt vergebliche Schulmeiſterey. Was ein Kind nicht mit ſeinen Sinnen begreift, wovon es keinen Zweck ahndet, zu ſeinem eigenen Nutzen und Vergnuͤgen: das verfliegt wie Spreu im Winde. So iſt die Natur des Lebendigen vom Baum und Gras an; und der Menſch macht davon keine Ausnahme. Jeder geh in ſein Leben zuruͤck, und ſehe, ob etwas von allem dem Vorzeitigen geblieben iſt, wo nicht etwa bloß zum Verderb des Genuſſes. Viel Natur und wenig Buͤcher, mehr Erfah - rung als Gelerntes hat die wahren vortreflichen Menſchen in jedem Stand hervorgebracht.

Ein Kind muß erſt den Boden kennen ler - nen, worauf es gebohren iſt, Gewaͤchſe, Thiere und Menſchen, eh es etwas Auslaͤndiſches faſ - ſen kann: ſonſt koͤmmt ein Papagay heraus. Keine Schrift, ſagt Plato mit Recht, und waͤ - re ſie von dem aͤchteſten Trismegiſt, gibt mehr als Erinnerung der Dinge, die man ſchon kennt; und112und iſt fuͤr den, der ſie nicht kennt, eben ſo un - bedeutend, als die Hieroglyphen fuͤr die Roͤmer auf ihren praͤchtigen Oblisken. Von der ſinnli - chen Natur aber geht man hernach uͤber in die Geiſterwelt; und macht in Entzuͤcken Bekannt - ſchaft mit den großen Griechen und Roͤmern, und allen außerordentlichen Weſen, die dieſe Nacht erleuchten.

Als mein Vater einige Jahre weg war, fuhr er fort, bekam ich eine ſolche Sehnſucht nach ihm, daß ich nicht laͤnger bleiben konnte. Ich fuͤhlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen ſeiner buhleriſchen Tochter erſt recht lebendig; ſah meine eigne Gefahr, und machte mich ohn - geachtet der Vorſtellungen meiner Tante auf, und reiſte ihm nach, ohne zu wiſſen, wo er ſich eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Na - men nach Venedig, um dort, waͤhrend ich ihn auskundſchaftete, die Werke Tizians zu ſtudie - ren, und vom Paul Veroneſe und Tintorett zuler -113lernen; und meine Tante ſchickte mir von mei - nem Muͤtterlichen, ſo viel ich brauchte. Paul gewann mich bald lieb, ſo wie der Greis Tizian, den ich in ſeinen letzten Tagen oft mit Singen und Spielen ergoͤtzte; und ſie weyhten mich in verſchiedene von ihren Geheimniſſen ein, weil ſie Auge bey mir fanden. Es war mir nun lieb, daß ich außer meinem eignen Vergnuͤgen noch etwas gelernt hatte, womit ich mich auf allen Fall durch die Welt ſchlagen konnte.

Den Herbſt vor meiner Bekantſchaft mit dir erfuhr ich endlich, daß mein Vater zu Kan - dia als Hauptmann in Dienſten eurer Republik ſtuͤnde, unter dem General Malateſta, einem Florentiner; deſſen Sohn Cosmus in den Ar - men ſeines Vaters dort umbringen ließ, weil er mit ſeiner erſten Tochter Maria zu thun hatte, die er deßwegen ſelbſt, der kalte Barbar ohne Eingeweyde, mit Gift hinrichtete. Ich war ſchon zur Abreiſe fertig, und wartete nur aufHein114ein Schiff zur Abfahrt, als meine Tante mir die neue traurige Nachricht meldete, daß auch er durch Meuchelmoͤrder, eben wie der junge Ma - lateſta, laͤngſt, noch vor dem Kriege mit den Tuͤr - ken, das Leben eingebuͤßt habe. Dieß traf mich wie ein Wetterſchlag; ich ſchwur in meinem Her - zen hohe Rache, und kochte lauter Galle. Noch bis jetzt kann ich nichts ausrichten, wenn ich mein jun - ges Blut nicht fuͤr ein altes ausgemergeltes auf der Stelle hingeben will: aber das Verderben reift uͤber ihren Haͤuptern.

Dem Edlen ſtanden hier die Thraͤnen in den Augen, er warf ſich nieder an die Quelle, mit dem Geſicht auf dem Boden; ſein Inneres war beklommen; er ſchwieg, und knirſchte mit den Zaͤhnen.

Ich faßte ihn bey der Hand, und redt ihm zu: mich jammert dein Schikſal, und du haſt Recht zu zuͤrnen. Aber die Welt iſt voll von Un - gluͤcklichern! und du kannſt noch ſtolz ſeyn; woſind115ſind diejenigen, die ſo viel Leben in ihrem In - nern haben, wie du, um alles zu bekaͤmpfen? Freude und Leid umtanzt und umringt wechſelsweiſe je - den Menſchen, und hierin iſt kein Unterſchied zwiſchen Koͤnig und Knecht.

O ihr Venezianer, fuhr er auf, und ihr Genueſer habt gut reden! Euch hat kein Haus, wie uns das Mediceiſche, ſo niedertraͤchtig zu Grunde gerichtet, und ihr ſtrahlt frohlockend in Oſten und Weſten von Italien wie das Zwil - lingsgeſtirn am Himmel; Toskana, die alte Glorie von Welſchland, liegt da in Schmutz und Trauerkleidern, mit Ketten behangen von ſeinen eignen Soͤhnen.

Unſer Geſpraͤch ging dann auf die Geſchichte dieſer Staaten uͤber, das hier zu weitlaͤuftig waͤ - re, und außer meinem Kreiſe.

Es war ſchon gegen Mittag, und der Dunſt vom Sonnenbrand auf den Gegenden benahmH 2alle116alle Ausſicht; unten ſchien der See zu kochen, und eine ungeheure Feuerpfanne von geſchmolz - nem Silber; Eydexen, Kaͤfer, Muͤcken und un - zaͤhlbare Inſekten hielten in der Gluht ein allge - meines Feſt, und die Grillen betaͤubten mit ihrem Gezirp wie ein Meerbrauſen die Ohren: wir machten uns alſo an unſere Quelle in die gruͤne kuͤhle Nacht, wo die undurchdringlichen Eichen und Buchengewoͤlbe und Felſen maͤchtiglich vor der Hitze Dampf beſchirmten.

Wir ſtaͤrkten uns mit Speiſe; und der fri - ſche Purpurſaft der Traube weckte unbezwinglich die Freude wieder in jeder Nerve. Wie ein Paar junge Goͤtter lagen wir da im Schatten, und unſre Augen und Lippen laͤchelten vom vergangnen Kum - mer wie die Blumen des Fruͤhlings von ſuͤßem Abendthau. O Jugend, o gluͤckſelige Jugend; ach, warum verlaͤſſeſt du uns ſo bald!

Wir ſchwiegen, und uͤberließen uns der neuen Wonne; und plaͤtſcherten, denn wir hat -ten117ten Rock und Struͤmpfe ausgezogen, mit den Haͤnden und Fuͤßen in dem klaren Waſſer; das ungern in die Waͤrme hinaus rann, um uͤber Klippen zu ſchaͤumen. Jeder von uns ahndete ſo das Gefuͤhl ſeiner Laufbahn.

Nachdem wir lange in Genuß und Em - pfindung gelegen hatten, und mit den Wellen und Kieſeln geſpielt, und Kraͤutern und jungen Sproſſen, brach ich zuerſt das Stillſchweigen, und fragte leiſe: und Caͤcilia?

Ach, Caͤcilia, erwiedert er haſtig, iſt fuͤr mich verloren, ein ſchwarzer Unhold entfuͤhrt ſie mir. Selige Augenblicke, wo an mir al - les Irdiſche ſich bey ihr zu Geiſt erhoͤhte, ich vor mir ſelbſt verſchwand in einem Meer unterge - taucht von unſterblicher Reinheit und Klarheit! die Arme dauert mich; aber da iſt keine Rettung, wo ein Gott nicht hilft.

Das goldne Geſchoͤpf hat uͤber mich vermocht, was ich nie glaubte. Unſre naͤchtlichen Zuſam -H 3men -118menkuͤnfte in Venedig waren leider ſelten, und wir ſahen uns einander nur bey groͤßter Sicher - heit. Noch waͤhrend dieſer Zeit warb mancher um ſie, ſo wie ſchon viele vorher um ſie gewor - ben hatten; beſonders der junge Bartholommeo F ** mit einer voͤlligen verliebten Raſerey, uͤbrigens ein Mann, nicht ohne trefliche Eigen - ſchaften, wie du weißt, nur von geringem Ver - moͤgen: aber keine Parthie war ihren Eltern und Bruͤdern gut genug; und keiner von den Helden ergriff ihr Herz. Mir gab ſie nach und nach alles Preis, Seel und Leib, nur die letzte Gunſt ward mir vorbehalten; ihr Entſchluß hierin war ſtahlfeſt und unwankbar: weder Beredtſam - keit, noch Gewalt, und die feinſte Verſchlagen - heit konnt etwas ausrichten. Sie hat mir gute Proben abgelegt, daß ein Weib vor der Verfuͤh - rung ſicher ſeyn kann, wenn es nicht verfuͤhrt ſeyn will. Du magſt immer daruͤber laͤcheln; aber ſie hat es geleiſtet. Ich ſehe dich in Gedan -ken119ken fragen, was wir zuſammen thaten? Was Adam und Eva, lieber Freund, ehe ſie aus dem Pa - radieſe verſtoßen wurden: Wir lebten im Stan - de der Unſchuld nach und nach; freylich ging dieß auf einmal aus der buͤrgerlichen Welt nicht, wo alles ſeine ſuͤndliche Bloͤße doppelt und dreyfach bedeckt. Wir offenbarten uns ſo wie von Ange - ſicht zu Angeſicht unſer Innres. Du kanſt mich immer zu dieſer Zeit einen holden einfaͤltigen Schaͤferknaben nennen: aber ohne ſolche Vorberei - tung gelangſt du nie bis in den achten und neunten Himmel; nur hoͤchſtens auf die gruͤne Wieſe, wo, wie man ſagt, diejenigen hinkommen, die weder ſelig noch verdammt ſind. Wer alle Him - mel durchwandert hat, und in jedem genoſſen und gelitten zum Aufflug in den hoͤhern: darf von dem Reiche der Liebe reden. Glaube nicht, daß ich hier wie Petrarca ſchwaͤrme; dieſer war ein armer Suͤnder, und hing nur am Schein, nie an der Wirklichkeit; er hat mit ſeinem Geaͤchz und Jam -H 4mer120mer ſchier unſre ganze Poeſie zu Grunde gerich - tet. Die Thoren ſeufzten ihm Jahrhunderte lang nach, und mancher beſang bey einer feilen Dirne die Grauſamkeit der beruͤhmten Provenza - lin in unertraͤglichem Einerley, anſtatt die ver - ſchiednen Reize der Erdentoͤchter, in ihrer Man - nigfaltigkeit, wie die heitern Griechen aufzuem - pfinden. Er ſelbſt zwang die kluge Frau zur un - erbittlichen Strenge: ſie ſchwebte ja in augen - ſcheinlicher Gefahr, daß er bey der erſten Gunſt noch einen Band Sonette, und beruͤhmtere Oden auf etwas anders als ihre ſchoͤnen Augen machte.

An Planen von Entfuͤhrung und ewiger Verbindung wurde von uns im Anfange ſtark gearbeitet; aber weil wir keine Luftgeſtalten waren und Sinn hatten, und ſie auf keine Weiſe von ihrer Familie laſſen wollte, die ſie allzuzaͤrtlich liebte, und beſonders ihre Mutter todt zu kraͤnken befuͤrchtete: legten ſie ſich bey naͤherer Bekannt -ſchaft121ſchaft nach und nach. Wir ſahen die mißlichen Folgen bey den großen Hindernißen zu deutlich; und erkannten inzwiſchen innig, daß die Natur unter allem buͤrgerlichen Verhaͤltniß bey Men - ſchen von reiner Empfindung und klarem Begriff immer durchgeht, trotz allen Geſetzen. Sie rich - ten ſich zwar im Aeußerlichen nach der Ordnung des großen Haufens: betreiben aber im Geheim ihre eigne Art von Gluͤckſeligkeit, ohne welche kein Leben Werth hat. So verſtrichen denn die himm - liſchen Tage, und wir ließen die Goͤtter walten.

Eben im Fruͤhling nach geſchloßnem Frieden kam endlich Mark Anton G *** aus Grie - chenland daher geſtuͤrmt mit neuem Gold und Schaͤtzen. Sein Weib und ſeine zwey kleinen Kinder, Toͤchter, waren dort an der Peſt ge - ſtorben; und die heißen Strahlen, die Caͤciliens Schoͤnheit von ſich warf, ſchienen waͤhrend der erſten Beſuche bey ihren Eltern gerade den Reiz zu haben, zu andern Erben fuͤr ſein Vermoͤgen. H 5Gleich122Gleich einige Wochen nach ſeiner Ankunft hielt er um ſie an: und ſie ward ihm verſprochen, und mußte drein willigen; ob er gleich ſchon in die Vierzig, ſie erſt mannbar iſt, und ihn nicht leiden kann; aber er hat ſeine großen Beſitzun - gen bey ſeiner Statthalterſchaft in Kandia noch reichlich vermehrt mit Grauſamkeiten und Erpreſ - ſungen, und Unterſchleiffen in Verhandlungen mit den Tuͤrken, ſteht in großem Anſehn; und ihre Familie, obgleich bemittelt, bedarf doch wegen ihrer Bruͤder einer ſolchen Verwandſchaft. Unſer Liebesknoten ſchlang ſich dadurch nur feſter; jedoch drohte das nahe Hagelwetter in der Ferne, die Blumen aller unſrer Freuden zu zerſchlagen.

Mein Aufenthalt dieſen Sommer hier am Lago in kurzen Luſtreiſen von Venedig aus war ſchon beſchloſſen, eh ich mit dir bekannt wurde; und dein Antrag mit dir zu ziehen, ſetzte mich anfangs in Verlegenheit: allein ich wußte nun der Sache keinen beſſern Raht. Auch Caͤcilia,die123die aͤußerſt beſorgt iſt, wurde furchtſam daruͤber; doch iſt alles in ſo weit nach Wunſch abgelaufen.

Hier kamen wir weit oͤftrer zuſammen. Sie hat ihre Wohnung auf dem Gut in dem Garten, gerade vor einer Pflanzſchule von jungen Baͤu - men, nicht weit von einem Brunnen mit einem weiten Marmorbecken, von hohen Ahornen umgeben, wo man ſehr bequem uͤber die Mauer klettert. Sie kan von der Seite zu einer Thuͤr herein; und uͤber dieß iſt ein Fenſter in ihr Zim - mer wegen des Lattenwerks fuͤr die Reben daran leicht zu erſteigen; welches ich aber doch, aus Furcht geſehen zu werden, nur einigemal die letz - ten Naͤchte, wo es voͤllig Dunkel war, und weder Mond noch Stern leuchtete, um die Umſchweife zu erſparen, gewagt habe: und ich erſtieg immer damit alle neun Himmel; mit der Nachricht von der Ankunft des Braͤutigams zur Hochzeit er - obert ich endlich, ach, unter wie viel Schmeiche - leyen, beredten Bitten, heißen Wolluſtkuͤſſenund124und Gewaltthaͤtigkeiten! das heilige Palladium; umrungen von Glanz und Feuer, jede Fieber ſuͤße Wuht.

Ardinghello hatte ſich bey den letzten Reden von mir abgewandt, und hielt nun ſein Geſicht in den friſchen klaren Quell hinein, um die Gluht davon abzukuͤhlen.

Wir machten uns vom neuen uͤber die Fla - ſchen her, und ich gab ihm den Raht, weder ſie noch ihn zu mahlen, und lieber ſich zu rechter Zeit zu entfernen; die Sache kaͤme mir allzugefaͤhrlich vor.

Flieh du, antwortete er, wenn du keinen Willen haſt, und dir die Fuͤße gebunden ſind! ja, fliehen moͤcht ich, aber mit ihr; jedoch, wohin?

Schon ſenkte ſich der Tag, und der Abend ruͤckte naͤher; wir erſtiegen noch die Hoͤhen, und uͤberſahen weit die Lombardey und ihre Luſtreviere. Beym Heruntergehen nahmen wir einige Zeich -nun -125nungen von reizenden Winkeln und Ausſichten ab; fanden alsdenn unſern Steurmann auf uns warten, verließen Quell und Waͤldchen und den leichten erhebenden Aether: wandelten wieder in die Tiefe, und ſegelten unter dem lieblichen Zauberſpiel von Abendroͤthe nach Hauſe, zwiſchen den Geſaͤngen frohlockender Winzer uͤber den Seegen des Herbſtes.

Ardinghello wagte noch dieſelbe Nacht eine Zuſammenkunft mit Caͤcilien. Sie hielten Raht, und es wurde beſchloſſen, daß er die Portraͤte mahlen ſollte; indem es anſtoͤßig ſeyn wuͤrde, und ſogar Verdacht erregen koͤnnte, wenn er es nicht thaͤte. Uebrigens verließen ſie ſich auf ihre Gegenwart des Geiſtes und Verſtellungsgabe, und nahmen deßwegen die ſicherſten Maaßregeln.

Den dritten Tag darauf holt ihn auch ihr juͤngrer Bruder dazu ab, und er begleitete ihn mit allen Zugehoͤrigen; der Braͤutigam wolte ihr Ebenbild noch vom Stand ihrer Jungfraͤulichkeit.

Sie126

Sie haͤtte gar nicht noͤthig gehabt ihm zu ſitzen; aber er zauderte mit Fleiß, und ſchien auf Nichts acht zu geben, als die eigenſten und bedeutendſten Zuͤge von ihr recht zu faſſen. Er bat ſie, ſo ganz bloß als unbekannter Mahler, ſie moͤchte ſich nur voͤllig frey ihrem Weſen uͤberlaſſen, und thun wie ſonſt in der Geſellſchaft, oder als ob ſie al - lein waͤre; er muͤſſe von ſelbſt aus den mancher - ley Bewegungen ihrer Seele auf der Oberflaͤche des Koͤrpers ihren Charakter abnehmen, und ſei - ne Phantaſie das Ganze bilden. Ein gutes Portraͤt ſey platterdings keine bloße Abſchrift, und es gehoͤre dazu das tiefſte Studium des Men - ſchen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung waͤre; aber er wolle nach Ver - moͤgen das Seinige thun.

Ihre Mutter war immer dabey zugegen, und der Braͤutigam, und einige von ſeinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Caͤcilia war ſehr aufgeraͤumt, ſprach und ſcherzte, undhat -127hatte die Mahlerey zum Beſten; ſchien zwar dem holden Juͤngling in ſeiner Beſchaͤftigung gern zuzuſehen, warf ſo gar unverſtellte Blicke auf ihn, wie man auf Schoͤnheit wirft: aber alles wie fremd und zum erſtenmal; und ihre Worte hatten im - mer etwas von dem vornehmeren Ton gegen einen, den man fuͤr ſeine Arbeit bezahlt.

Die erſte Sitzung geſchah des Nachmittags gegen Abend. Nach wenig Umriß und Zeich - nung fing er ſogleich am Kopf an zu mahlen. Sie ſaß den andern Morgen beym Fruͤhſtuͤck noch einmal; und dann wollt er ſie nicht weiter plagen, außer bey der Vollendung, um hier und da nach - zuhelfen. Den Nachmittag und ganzen dritten Tag und vierten Morgen bracht er damit faſt allein zu: und ſiehe da! ſie kam heraus wie voͤl - lig lebendig. Alt und jung bewunderten die er - ſtaunliche Gleichheit. Er hatte ſie in einem leichten ſoͤmmerlichen Morgenanzuge vorgeſtellt, meiſt von gruͤner Seide, worunter die vollkomm -nen128nen Formen ihrer jugendlichen Glieder reizend aufwallten, und durchleuchteten. Sie ſtand in Lebensgroͤße, nachdenkend, wie geruͤhrt, in die Zukunft blickend, den Kopf in der linken auf einen Pult geſtuͤtzt, in einem Zimmer, wo durch ein ganz ofnes Fenſter die Ausſicht auf den See ging, an welchem Sirmio in der Naͤhe und ein wenig blaue Ferne von den Gebirgen wohl ange - bracht waren. Ardinghello hatte im Geſichte ſchoͤne Zuͤge von ihrem Charakter ausgeſpaͤhet, die ſich nachher erſt entwickelten.

Den fuͤnften Nachmittag gab er ſich an den Braͤutigam. Nach den erſten Umriſſen geſtand er ihm gleich, daß ihm ſein Kopf ſehr ſchwer vor - komme; und daß er noch keine rechte Idee von der urſpruͤnglichen Einheit ſeines Charakters in der Einbildung habe. Mit allen großen Maͤn - nern muͤſſ ein Kuͤnſtler lange leben, um nur eine von ihren bedeutendſten Auſſenſeiten in taͤu - ſchender Wahrheit feſt zu haſchen; und[uͤberhaupt]ſey129ſey es ſchier unmoͤglich, irgend Jemand ſicher darzuſtellen, den man nicht an Geiſt und Kraft gewiſſer maaßen uͤbertreffe.

Es ging hierbey im Mark Anton eine ge - waltige Veraͤnderung vor, und er erroͤthete, und wurde wieder blaß augenſcheinlich; ſo daß er aufſte - hen und ans Fenſter gehen und Ardinghello ein - halten mußte.

Dieſer faßte darauf all ſein Bewußtſeyn zuſammen; und jener kam nach einer langen Pauſe wieder und ſetzte ſich. Ardinghello zeichne - te vom neuen, und ihre Blicke begegneten ſich einander wunderbar: die des Ardinghello hell und durchdringend, doch von aufgewuͤhltem Her - zen, flamten in die ſeinigen, wie in eine duͤſtre Nacht voll Irrfeuer.

Mark Anton fragte ihn endlich, ob er ſich ſchon lange in Venedig und der Gegend aufhalte. Ardinghello antwortete mit Beſinnung: es iſt noch nicht lange; die Werke des Tizian, undJPaul130Paul von Verona, und Tintorett haben mich dahin gezogen; und auch am Johann Bellini iſt noch zu ſtudieren, und andern; beſonders aber an der herrlichen Menſchenart zum Kolorit.

Seyd ihr aus Florenz ſelbſt? verfolgte er ferner. Ja; war die Antwort. Und euer Vater? Mein Vater iſt todt, und meine Mut - ter iſt todt, ich ohne Geſchwiſter bin allein uͤbrig.

Wer war er, was trieb er? dieſe Frage machte Ardinghellon endlich ungeduldig, er ſchnickte den Pinſel aus, und antwortete: er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen.

Bey dieſen Worten trat Caͤcilia herein, und hemmte das Geſpraͤch; denn ſie waren vor - her ganz allein. Nun, gehts gut? fragte ſie laͤchelnd. Es wuͤrde beſſer gehen, antwortete Ardinghello, wenn ich das Gluͤck gehabt haͤtte, Ihro Excellenz laͤnger zu kennen. An mir iſt nicht ſo viel gelegen, erwiederte der Braͤutigam,wißt131wißt ihr was, laßt es fuͤr jetzt gut mit mir ſeyn, und macht die Signora vollends fertig. Wir werden naͤher bekannt werden, und kuͤnftigen Winter einmal iſts beſſere Zeit,

Wie ſie befehlen, verſetzte Ardinghello. und ruͤckte die Staffeley weg.

O nein, ſprach heftig Caͤcilia, im Winter gibts lauter Nebel und Regen, und keine gute Luft zum Mahlen!

Nun gut, ſagte der Braͤutigam, da kann es ja noch nach unſrer Vermaͤhlung hier geſchehen. Jetzt bin ich ohne dieß zu ſehr beſchaͤftigt; und kann nicht ſo ruhig ſeyn, wie Sie, mein Herz.

Sie nahm ihn bey der Hand, und ſah ihn zaͤrtlich an, und fuͤhrte ihn fort. Ardinghello gab ſeiner Zeichnung einen Naſenſtuͤber, brachte die Sachen in Ordnung, und ging darauf von ihrem Gut, und kam zu mir nach Hauſe.

Er erzehlte mir, was vorgegangen ſey: und mir wurde daruͤber warm im Kopfe. Ich konn -J 2te132te nicht anders glauben, als Mark Anton habe Lunte gerochen; und warnte und beſchwur ihn mit Bitten inſtaͤndig, aͤußerſt auf ſeiner Hut zu ſeyn, und fuͤr jetzt ſich ganz ſtille zu halten. Er aber meynte, ſeine Art roht und blaß zu wer - den muͤſſe von etwas anderm herruͤhren, als Eiferſucht; ſo viel er ſich ſelbſt fuͤhle und an an - dern beobachtet habe, offenbare ſich dieſelbe auf eine andre Weiſe. Jedoch ſey wahr, daß die Grundverſchiedenheit der Menſchen hierin ſon - derbare Abweichungen mache. Inzwiſchen haͤtt er ſich noch nirgend ſo betrogen, wenn dieß Eifer - ſucht ſeyn ſolle; auch reime ſich dieß nicht zu ſei - nem uͤbrigen Charakter, wie er ihn aus Hoͤrenſa - gen und den wenigen Augenblicken kenne. Daß er auf ſeiner Hut ſeyn wuͤrde, dafuͤr brauch ich nicht zu ſorgen; aber ein Feiger nur flieh alle Gefahr. Man muͤſſe Stand halten, mit uner - ſchrocknem Muht, ſo lange das Verderben nicht unuͤberwindlich einbraͤche; dieß allein rette und begluͤcke den Mann.

Sein133

Sein Verdacht auf etwas anders; und ein wahrſageriſcher Geiſt geb ihm ein, der Statthalter von Candia ſey bey Ermordung ſeines Vaters nicht ganz außer Spiele geweſen; und die Aehn - lichkeit ſeiner Geſtalt ihm aufgeſchoſſen.

Mir fiel heiß hierbey ein, daß Mark An - ton, vor ſeiner Statthalterſchaft von der Repu - blik abgeſchickt, einige Zeit zu Florenz geſtanden und mit dem Großherzog auf einem ſo guten Fuß umgegangen ſey, daß er ſeinen ſchwierigen Auf - trag gluͤcklich ausgefuͤhrt habe; ich ſchwieg jedoch hiervon ſtille, um nicht Oel ins Feuer zu gießen, und ſagte im Gegentheil: dieß kaͤme mir nicht wahrſcheinlich vor, er ſolle ſich deßwegen nichts in Kopf ſetzen.

Den folgenden Morgen bracht er das Bild dahin, daß es im Rahmen konnte aufgeſpannt werden; und bekam fuͤr ſeine Arbeit von CaͤcilienJ 2ſelbſt134ſelbſt einen ſchoͤnen goldnen Ring mit einem koſt - baren Rubin zum Geſchenk, der gerad an den Herzensfinger ſeiner linken Hand paßte. Dieß gefiel ihm denn; und er freute ſich, und lachte dar - uͤber, wie die Dinge dieſer Welt ſo ſonderbar un - ter einander laufen. Am dritten tag hierauf ſollte das Beylager gehalten werden, alle An - ſtalten dazu waren ſchon gemacht, und die Nach - barſchaft zu einem feſtlichen Ball eingeladen.

Ardinghello ging inzwiſchen tiefſinnig her - um, wenig und trank viel, und konnt es nicht laͤnger verbergen, daß er vom Stempel der Liebe maͤchtig gezeichnet war; er mied alle Geſellſchaft. Morgens, Abends und des Nachts kam er nie auf ſein Zimmer, und ſchlief nur des Mittags. Ich hatte mit dem Armen[Mitleiden]: aber da war nicht zu rahten; er hoͤrte wie ein Meerſturm. Die erſten Stunden der Nacht am Tage vor der Hochzeit trat er auf einmal ploͤtzlich haſtig auf mein Zimmer, blaß und fuͤrchterlich; ich ſchriebeben135eben an einem Briefe. Wie ich ihn aber ſo er - ſcheinen ſah: fiel mir die Feder aus der Hand, und ich ſprang auf: was gibts, was haſt du?

Mein Argwohn war nur zu gut gegruͤndet, hoͤre! ſprach er, und ging mit mir zum aͤußer - ſten Ende von der Thuͤr weg.

Du kennſt den ſchoͤnen einſamen Platz, wo die großen babyloniſchen Weiden vom hohen Felſengeſtad herunter nach dem See hangen, und das Ganze zu einer ſtillen melancholiſchen Ver - tiefung ſich einſchließt: dahin war die letzte Zeit immer mein liebſter Spaziergang; ſchon vorher ſind wir dort beyſammen geweſen. Auch dieſen Abend ging ich dahin, und nahm einmal ein In - ſtrument mit. Es fing an zu daͤmmern, als ich noch auf der entbloͤßten Wurzel der vorderſten Weide nach dem Thale zu ſaß, und meine Lei - den ſang. Der Inhalt von meinem Liede war: Ach, mein Vater todt, meine Mutter todt, mei - nes Lebens Luſt in fremder Gewalt! iſt dieß nichtJ 4ein136ein junges Herz zu brechen? Saitenſpiel klags mit mir! Und bey den Worten, nach dem Blick und der Empfindung: Fluͤſterſt du Luͤftchen in den Blaͤttern mir Troſt zu? kams uͤber mich, als ob ich meinen Vater vor mir und mir winken ſaͤ - he. Warum erſcheinſt du, was verlangſt du von mir? rief ich und ſprang auf. Zugleich er - blickt ich nicht weit von mir einen Kerl mit dem Meſſer in der Hand, welcher alsbald davonging mit dieſen Worten: flieh junger Menſch, du dauerſt mich, ich ſollte dich ermorden! Flieh ſo geſchwind du kannſt, ſo weit dich deine Beine tragen, und meide den Mark Anton. Schon wurde durch ihn dein Vater umgebracht. Mei - de das Gebiet des Großherzogs.

Mir wurde dabey das Herz im Leibe umgekehrt; aber ich beſann mich doch nicht lange, ſondern riß meine Piſtole hervor (er ging auf ſeinen Wegen nie ohne Gewehr aus) und jagte ihm von der Seite eine Kugel durch die Bruſt, daß erauf137auf der Stelle ſtuͤrzte. Stirb Elender, fuͤr dei - ne Schlechtigkeit in der Schlechtigkeit, und be - reite das Quartier deinem Patron in der Unter - welt! vernahm er noch die Antwort. Darauf gab ich ihm noch einen ſichern Stoß mit ſeinem eignen Meſſer, und waͤlzte den Koͤrper in die Dornen und das Geſtraͤuch hinein, den Felſen hinunter. Niemand war ſchon laͤngſt mehr auf dem Felde, und es ſchon finſter; und der Ort iſt uͤberhaupt, wie du weißt, voͤllig abgelegen. Den Kerl erkannt ich noch, wie ich ihn naͤher beſah; ich habe vor kurzem in einem Wirthshauſe zum Zeitvertreib mit ihm a la Mora geſpielt, und ihm nicht allein ſeinen Verluſt geſchenkt, ſondern die Zeche oben drein bezahlt.

Dieß entſetzte mich; ich ſah die graͤßlichen Folgen bey ſeiner kuͤhnen Entſchloſſenheit voraus, und wußte nichts zu antworten, als: es iſt un - geheuer!

J e Du138

Du ſollſt nichts dabey zu thun, und nichts dabey zu verantworten haben, fuhr er fort; nur beſchwoͤr ich dich beym Himmel und deinem letzten Tropfen Liebe zu mir, laß michs ausfuͤhren, ei - nen haͤßlichen politiſchen Meuchelmoͤrder mehr aus der Welt zu ſchaffen. O Vernunft breit al - len deinen heitern Aether in meinem Verſtand aus, daß ich kalt genug zu Werke ſchreite! wenn er morgen auf der Hochzeit mit dir von mir ſpre - chen ſollte: ſo ſage nur, du habeſt mich die letz - tern Tage nicht geſehen, ich ſtreiche ſo oft im Lan - de herum, und ſuche Schoͤnheit in Gegenden und unter Menſchen; und gieb im uͤbrigen auf alles Acht was vorgeht, beſonders auf dem Ball in der Nacht.

Ich war betruͤbt von allen dieſen Dingen, und wußte mir nicht zu helfen. Es war da kein Naht, als entweder ihn oder den andern aufzu - opfern; und vor dem erſten Gedanken ſchauder - te meine Seele, wie vor ihrem Nichtſeyn; denkoͤ -139koͤniglichen Juͤngling vom raͤcheriſchen Arm der Natur bewafnet, voll innerm Gehalt, der uͤber - all hervorſtrahlt: oder den mißgeſchaffnen Boshaf - ten, der das Vortreflichſte aus kleinlicher Leiden - ſchaft und elendem Intereſſe wegtilgt? es fand weder Wahl noch ein ander Mittel ſtatt.

Ich gab ihm nach der Ueberlegung zur Ant - wort: Du ſollſt mich als deinen Freund erken - nen; an deinem Muht und deiner Klugheit im uͤbrigen darf ich nicht zweifeln. Jedoch bedenke vorher, was du thuſt, und daß dein Leben ſelbſt dabey in aͤußerſter Gefahr iſt.

Was ſoll mir ein Leben, das Sklaverey duldet und Unrecht leidet? erwiederte er, ſchaͤnd - liches Unrecht! und das grauſamſte! O ich weiß, daß das ewig lebt, was in mir lebt; und daß dieß keine Gewalt zu Grunde richtet. Ich war, was ich bin, und werd es ſeyn: ein edler Geiſt, den ſein goͤttlich Urweſen durch alle Zeiten von der Drangſal niedriger Verbindungen immer bald erloͤſen wird. O waͤ -140O waͤren viele wie ich! der Tyranney unter unſerm Geſchlecht ſollte bald weniger ſeyn. Aber da fuͤrch - ten ſie ſich vor dem Woͤrtchen Tod, und glauben ſie waͤren das, was da kalt und bleich und ſtarr aus - geſtreckt auf dem Brete liegt, da es nur das Ge - ſpenſt der eigentlichen Unterwelt iſt, das ihre nie - drigre Gattung von Weſen nach ſeinen jaͤmmerli - chen Beduͤrfniſſen herumfoltert, und alle reine Seele mit Apoſtelſtimme den verachtet, der kei - nen Muht hat zu ſterben, und ſich von dem Elend frey zu machen.

Mich duͤnkte, einen Gott reden zu hoͤren: ſo ſtolz und groß ſtand der Menſch vor mir; ich mußte ihn an mein Herz druͤcken.

Allein der mißlichſte[Punkt] bey der Sache war Caͤcilia; dieß machte ihm am meiſten zu ſchaf - fen, und er uͤberlegte auf allen Seiten. Er glaub - te, daß es endlich auch hier gehen wuͤrde, und ſey der Gewalt ſicher, die er uͤber ihren Willen habe! ſie ſelbſt ins Spiel verflochten, und derau -141außerordentlichen Biegſamkeit ihres Geiſtes und ihren andern Faͤhigkeiten die Rolle nicht zu ſchwer. Er muͤſſe das aͤußerſte wagen, ſie dieſe Nacht noch zu ſprechen: es waͤre nohtwendig, daß ſie ſich vor - her darauf bereite.

Uebrigens ſahen wir immer klaͤrer in dem, was vorgegangen war. Mark Anton ſtieg nicht aus bloßer Hoͤflichkeit bey ſeiner letzten Ankunft an unſerm Haus ab, da er es bey den vorigen Beſuchen nicht that, die er bey ſeiner Braut ab - legte; der Großherzog mochte Wind bekommen haben, wie der junge Frescobaldi heranwaͤchſe, und daß kein bloßer Mahler in ihm ſtecke, weß - wegen ihn der Adel zu Florenz gewiſſermaßen ver - achtete; und wollte bey Zeiten der gefaͤhrlichen Brut den Nacken brechen. Der Moͤrder des Vaters hatte denſelben in Venedig ausgekundſchaf - tet, und ſein eigen boͤs Gewiſſen dazu angetrie - ben. Das andre ergab ſich von ſelbſt: er ließ ihn bey ſich mahlen, um ihn genauer kennen zu lernen, und[ob er] wirklich ge -faͤhr -142faͤhrlich waͤre; und Ardinghello beſchleunigte mit den ohne alles Arg geſagten Worten: er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen; die ihm vielleicht der Zorn des Himmels eingab, dem Verbrecher das Todesurtheil anzukuͤndigen, ſei - nen Untergang, wenn es nicht anders verhaͤngt geweſen waͤre.

Der Urſprung dieſer Begebenheiten war uns aber damals unbekannt, und Ardinghello erfuhr ihn erſt, als er wieder nach Florenz kam. Mark Anton verliebte ſich dort gleichfalls in Iſabellen, und bracht es ſo weit mit ſeinem Geld, und ſei - ner ihr neuen gefaͤlligen venezianiſchen Mundart, daß auch ihm, der Seltenheit wegen, eine Zu - ſammenkunft verſprochen wurde. Allein ſtatt des gehofften Vergnuͤgens fand er durch geheime Veranſtaltung des Vaters von Ardinghello in ihrem Zimmer eine alte magre Ziege angebun - den; und ſchlich wieder davon, als ob er nicht da geweſen waͤre. Laͤcherlich dadurch bey ihrgemacht,143gemacht, hatte die ganze Liebesgeſchicht ein Ende. Mark Anton nahm dies zwar nicht wie einen luſtigen Streich bey dergleichen Laufbahnen auf die leichte Achſel; doch konnt er ſich ſogleich nicht raͤchen, und lies die Sache lieber im Verborgnen. Der Großherzog, in der Folge davon benachrich - tiget, gebrauchte ihn hernach, als ein Mann, der ſeine Leute kannte, zu ſeinen Abſichten. Ardinghello, noch Knabe, bekuͤmmerte ſich nicht um ſolche Dinge. So entſtehen immer die wichtigſten Folgen aus Kleinigkeiten.

Ich gieng darauf zu meiner Mutter; und er ſchloß ſich auf ſein Zimmer. Um Mitternacht ſchlich er heraus, und ſtieg in Caͤciliens Garten. Sie hatten ſich gleich im Anfang ihrer Liebe Zei - chen fuͤr Augen und Ohren erfunden, die kein andrer Menſch verſtand und die ohne allen Ver - dacht waren. Sie vernahm ihn, und erſchrack: dieſe Zeit uͤber ſollte keine Zuſammenkunft mehr gehalten werden; und beſann ſich, ob ſie kom -men144men oder nicht kommen wollte. Als er aber darauf das Zeichen gab, wo alles mußte gewagt werden; denn auch dieß hatten ſie, im Fall, wo ſie ſich die hoͤchſte Gefahr entdecken mußten: ſo ging ſie zit - ternd nach der Thuͤr, und ihr ſanken die Kniee ein.

Caͤcilia, ſprach er zu ihr, wie ſie im verbor - genſten Buſchwerk an der Mauer beyſammen wa - ren, ich bin verloren, wenn ich deinem Braͤuti - gam nicht zuvorkomme; und erzehlte ihr die Begebenheit den Abend mit dem Banditen, und alles in wenig Worten, was ſie noch nicht wuß - te. Morgen Nachts, wo nur immer moͤglich, ſchaff ich ihn aus der Welt, und ich hoff, es ſoll bey dem feſtlichen Geraͤuſche nicht an Gelegenheit fehlen, wenn du nicht lieber mich willſt hinge - richtet ſehen.

Jedes Wort war ihr ein Donnerſchlag.

O welch ein Sturm waͤlzt ſich uͤber mich her! rief ſie aus, entſetzt, nach langer Betaͤubung;ſchon145ſchon tauml ich mitten in den erzuͤrnten Wogen von Abgruͤnden geworfen, und alle Winde raſen. Ach, waͤre ich mit dir aus dem Schiffbruch auf einer wuͤſten unbewohnten Inſel nur! Aber wir gehen unter in den wilden Fluhten.

Mir ſagts mein Herz, erwiedert er darauf, daß wir gluͤcklich der Gefahr entkommen. Habe Muht, himmliſch Weſen! der Wellen Ungeſtuͤm verletzt kein Geſtirn; es tritt deſto glaͤnzender bald wieder auf, und ſtrahlt in ewiger Klar - heit.

Niemand weiß von unſrer Liebe (der Edle wollte ſeinen Freund auf alle Weiſe außer Ge - fahr ſetzen). Niemand weiß von dem ſchaͤndlichen Vorhaben des Mark Anton gegen mich; ſein Spion und Moͤrder meines Vaters modert ſchon zwiſchen Klippen und Dornen: ſolche Dinge vertraut man nicht, außer gegen wen man muß. Der Großherzog iſt noch weit von hier, mich ſoll erKſo146ſo leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getuͤm - mels, und thu, als ob du von mir nichts wuͤß - teſt: und du biſt ſicher. Ueber mich waltet die Vorſicht: ſonſt waͤr ich dem Tod nicht entgangen, und ſie haͤtte mir meinen Pfad nicht gezeigt.

O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergeſſen? Wie kannſt du vergeſſen meine Seeligkeit und mein Leiden? fiel ſie ihm mit Thraͤnen an ſeine hochklopfende Bruſt; fuhr aber bald haſtig auf und ergriff ihn, zuruͤckſtoßend, klammernd bey der Hand: fort von hier, uͤber Berg und Thal, laß mich! O haͤtt ich dich nie geſehen, o ich Ungluͤckſelige! Ich beſchwoͤre dich bey aller unſrer Wonne, bey deiner und meiner Liebe, ſtuͤrzte ſie ſich ihm zu Fuͤßen, und umwand ſeine Knie: uͤberwaͤltige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verſchiebe wenig - ſtens die Rache! Mich feſſelt das grauſame Schik -ſal147ſal mit eiſernen Ketten an mein Elend, und ich kann ihm nicht entrinnen: du aber geh in ein an - der Land, ſey gluͤcklich bey allen deinen Vollkom - menheiten, und laß mich. O Gott, ſchluchzte ſie, wer weiß, wenn und wie und wo, und ob wir je uns wieder ſehen!

Ardinghello umwand ſie feſt mit ſeinen Ar - men, und traͤufelt ihr mit der Stimme des lebendig - ſten Gefuͤhls ins Ohr: welche ſklaviſche Furcht hat ſich deiner bemeiſtert! komme wieder zu dir, und rede mit Beſinnung Es ſiege die Liebe, die in der Natur allen andern vorging, und die Gerech - tigkeit! haſt du keinen Blick in die Tage der Zu - kunft? einem ſolchen boͤsartigen Ungeheuer wollteſt du an der Seite liegen, und deine glaͤn - zende Wohlgeſtalt von ihm ſchaͤnden laſſen, in lauter Gram und Ekel, da die edelſten Juͤnglin - ge voll Eifer und Feuer vor dir ſchmachten? hat dieß ſo maͤchtig wallende Herz in deinem Buſen ſo wenig eigne Kraft, daß es nichts fuͤr ſich thut:K 2ſon -148ſondern ſeine angebohrnſten Regungen nach an - drer Willen umlenkt? O Caͤcilia, erhabenes We - ſen, erkenne deinen Werth! zu deinem eignen Wohl, und weil ich dich kannte, vertraut ich dir das Geheimniß.

Soll ich den Schlechten verklagen, ihn zu einem Zweykampf herausfordern? wie albern! Warten in der aͤußerſten Gefahr? wie thoͤricht! ihn gehen laſſen, dulden, leiden, ſchweigen und mich davon machen? O ich waͤre nicht werth, dich an meine Seele zu faſſen, nicht werth auf dieſem Boden zu athmen, tief tief unter der Erde, der armſeeligſte halbzertretenſte Wurm muͤßt ich ſeyn.

Die Zeit iſt edel, wir haben keine Worte zu verlieren; ich ſage dir aus dem Buch des ewi - gen Verhaͤngniſſes: Mark Anton, der nieder - traͤchtige Meuchelmoͤrder muß ſterben von mei - ner raͤcheriſchen Hand fuͤr alle ſeine Bosheiten; oderdu149du mußt mich und dich dem Tod und der oͤffent - lichen Schmach Preis geben. Es findet hier kei - ne Wahl ſtatt, und ich kenne dazu genug dei - nen hellen Geiſt und deine hohen Gefuͤhle. Meinetwegen hab in jeder Ruͤckſicht keine Sor - ge: fuͤr dich wird dein ſcharfſichtiges Auge leicht den Ausweg finden, und deine Gewandtheit ohne Verletzung und Gefahr daruͤber, weg - gleiten.

Nun, ſo fuͤrchte denn alles, unerbittliches Felſenherz! verſetzte ſie ihm aufgebracht; und wenn du ſicher ſeyn willſt: ſo zuͤcke den Stahl zuerſt auf mich. O herbeygefuͤhrt durch die Luͤfte, ſteh ich an dem Keſſel eines Feuerſpeyenden Ge - buͤrgs, Verderben rund um mich, und mir ver - gehen die Sinnen. O koͤnnt ich mein unabſehli - ches Elend aller Unſchuld zur Schau aufſtellen, und ſie damit vor dem erſten Fehltritt warnen!

K 3Ar -150

Ardinghello konnt ihr nicht mehr antwor - ten, ſo ſchnell riß ſie ſich von ihm fort nach ihrem Zimmer; doch drehte ſie ſich unterwegs noch eini - gemal um, kam aber außer ſich, nicht wieder zu - ruͤck.

Er ſagte mir Anfangs von dieſer Unterredung nur ſo viel, daß ſie ohngefehr den von ihm er - warteten Ausſchlag genommen habe.

Den andern Morgen in aller Fruͤhe geſchah die Trauung. Cacilia erſchien am Nachmittage, wo das Gelag war, reizender als je; Schlaflo - ſigkeit, und die beſtaͤndige Ueberlegung deſſen was vorgehen ſollte, hatte ihre Lebensgeiſter er - hitzt, und uͤberzog ihr Geſicht mit der lieblichſten Schaamroͤthe.

Ardinghello bereitete ſich den Tag uͤber auf die That: machte ſich ſelbſt auf den Nohtfall eine Maske, kaͤmmte ſein Haar anders, veraͤnderte Hut und Kleidung, um einen Landman der Ge -gend151gend vorzuſtellen, und ſetzte ſich in gute Verfaſ - ſung zur Flucht auf jeden Fall. Meine Mutter und ich waren beym Feſte.

Eine zahlreiche Geſellſchaft hatte ſich ein - gefunden. Pracht und Ueberfluß, mit feiner Kunſt angeordnet, herrſchten an der Tafel, und in Saͤlen und Zimmern Glanz und Freude. Die Braut ſchien in neuen Empfindungen verloren, antwortete aber doch leicht jedem Schalk, und immer in jungfraulicher Beſcheidenheit; jeder - mann ſchien den Gluͤcklichen zu beneiden, deſſen Beute ſie ward, und den Wunſch im Herzen zu hegen, mit ſuͤßer Gier im Liebesbette, ſtatt ſei - ner, der zarten Schoͤnheit Blume zu pfluͤcken.

Gegen Abend erhob ſich der Ball. Als die Kerzen brannten, vermißte man bald Braut und Braͤutigam, und laͤchelte daruͤber. Der Braͤu - tigam kam nach langer Zeit zuerſt wieder, und ſeine Unenthal[t]ſamkeit und Enthaltſamkeit beklatſch -K 4te152te ohne Scheu der Muhtwill junger Maͤnner - Doch hoͤrte man zu ſeiner Entſchuldigung von einer Stimme den frechen Fescenniniſchen Scherz: der verſuchte Ritter wird den Morgen ſchon bey hartem Sturm die Fahne auf die Feſtung gepflanzt haben. Er lachte; jedoch duͤnkte michs nicht das Laͤcheln der Luſt nach gepflogner Liebe, und winkte mit der Hand nach dem Fenſter. Und ſieh! Racketen ſtiegen auf in der Luft und kreuzten ſich uͤber dem See; und zerknallten in ſchoͤnen Kreiſen ſinkend. Gleich hernach erſchien auch die Braut wieder, und wurde begluͤckwuͤnſcht von Muͤttern und Wei - bern, indeß ſie gluͤhte wie eine Roſe.

Man fuͤhrte ſie an den Erker zum be - ſten Platz, das Schauſpiel anzuſehen: und auf einmal rauſchte die Girandola gen Himmel wie ein ungeheurer brennender Palmbaum. Dar - auf folgten mancherley neue Feuerwerkskuͤnſte. Der Ort dazu war auf einem hohen felſichten Ufer desSees153Sees nicht weit vom Pallaſte; der Braͤutigam, welcher dergleichen verſtand und es angeordnet hatte, lief hernach ſelbſt hinunter, um die Leute, die es abbrannten, zum Eifer zu treiben, weil einigemal ſtarke Pauſen vorgingen: und gerad am Ende der Stiege wurd er vom Ardinghello an der Kehle feſt gepackt, und empfing den ſchaͤrf - ſten moͤrderlichſten Dolchſtich von unten auf ins Herz. Derſelbe ſagt ihm ſchleunig noch ins Ohr: bin der junge Frescobaldi! deine Braut war meine Geliebte, die Frucht unſrer Liebe wird dein Vermoͤgen erben ſtatt deſſen meines Vaters.

Er lag da und regte ſich nicht mehr: Ar - dinghello entwiſchte. Niemand bemerkte ihn, die Bedienten unten ſperrten alle, weit von dem Pallaſte, Augen und Maͤuler auf uͤber das Feu - erwerk, und jubelten und laͤrmten; und oben plauderte man gleichfals und betrachtete.

K 5Es154

Es lag da, ſo lange das Feuerwerk dauerte. Wie es vorbey war, und die Bedienten wieder hereinſprangen: erſcholl auf einmal ein Zeterge - ſchrey. Man draͤngte ſich zu den Thuͤren heraus: der Braͤutigam iſt ermordet! lief ploͤtzlich von einem Mund zum andern. Caͤcilia rennte mit Geheul hervor, und wie ſie deutlich vernahm, unten an der Stiege mit einem Stoß in die Bruſt ermordet! ſank ſie auf der Stelle nieder in Ohnmacht, und Arm und Beine welkten, ihr Antlitz entfaͤrbte ſich, und der Kopf hing im Nacken. Man hob ſie auf und brachte ſie auf Sitze, und beſprengte ſie mit ſtarken Waſſern; es war ein allgemeines Gewuͤhl und Laͤrmen.

Der Todte ward unten in ein Zimmer ge - bracht; man zog die Kleider weg und beſichtigte die Wunde: ſie ging nett ins Herz, und da war an keine Huͤlfe mehr zu denken. Caͤcilia kam wieder zu ſich, was iſt mir? wo bin ich? ſprach ſieſtoͤh -155ſtoͤhnend mit verirrten Blicken. Ach, todt, todt! Wer hat ihn umgebracht! o ich Ungluͤckſeli - ge! und ſo zerraufte ſie ſich die ſchoͤnen blonden Locken, und riß die Kleidung vom Leibe, und wuͤthete wie eine Bacchantin.

Ich darf ſagen, daß, bey Kummer und Sor - ge fuͤr Ardinghellon, mich doch dieß entzuͤckte. O ihr Weiber, welch ein Mann erreicht je eure Ver - ſtellung! Sie wollte mit Gewalt zu ihm, aber man hielt ſie ab. O Gott, welch ein Vermaͤhlungs - feſt! ſchluchzte ſie, und die Traͤhnen ſtuͤrzten ihr aus den Augen. Haͤtt ich aber alles gewußt: ſo wuͤrd ich tiefes Mitleiden mit ihr gehabt haben.

Die Verwandten des Mark Anton, worun - ter eine verheurathete Schweſter von ihm war, verſtummten und machten allerley Geſichter, und wußten nicht, wo ſie angreiffen ſollten: die Bruͤder und Eltern der Caͤcilia verloren aber den Kopf nicht;und156und der aͤlteſte, auch ſchon verheurathet, ergriff ſie bey der Hand, und ſagte zu ihr: faſſe dich, was geſchehen iſt, kann man nicht aͤndern, und ſey vernuͤnftig, fuͤr dich iſt jetzt ein kritiſcher Zeit - punkt! Sprich, und rede laut: hat Mark An - ton ſchon wirklich ſeinen Bund in der That mit dir vollzogen, oder nicht? das andre ſoll hernach, ſo viel menſchmoͤglich iſt, aufs ſchaͤrfſte unterſucht werden. Sie warf den Kopf in die Arme und bedeckte die Augen, und ſagte ſeufzend und wei - nend: ach, waͤr es nicht geſchehen, und ich noch, was ich war!

Die Schweſter antwortete hierauf: wir ſind hier auf einmal in ſonderbare Umſtaͤnde gerathen, und werden ſchwerlich ſo friedlich aus einander ge - hen koͤnnen, als wir zuſammen gekommen ſind.

Damit ſie erkennen, verſetzte der Vater der Caͤcilia, daß wir nichts unbilliges verlangen: ſoll meine Tochter gleich in ſichre Verwahrung ge -bracht157bracht werden, und einige von ihren Verwand - ten und meine Soͤhne moͤgen ſie begleiten. Der Fall iſt außerordentlich. Wir ergeben uns dann in den Ausſpruch des hohen Rahts. Inzwiſchen wollen wir alles aufs ſtrengſte ausfragen und un - terſuchen.

Die aͤlteſten und angeſehenſten von der Re - publick, die hier zugegen waren, verſammelten ſich gleich auf ein Zimmer allein, und machten einen Kreis; die Verwandten blieben in der Naͤhe, die uͤbrigen Gaͤſte im Tanzſaal, und un - ten wurden die Thuͤren geſperrt. Die Bedien - ten kamen erſt einzeln nach einander vor. Keiner wußt etwas, und man fand nirgendwo die ge - ringſte Spur. Der Gaͤſte waren viel und mancher - ley. Man hatte zwar auf ein Paar derſelben Argwohn, weil ſie vor dem Ermordeten um Caͤcilien warben, und gegen denſelben heimli - che Feindſchaft hegten: jedoch durfte man ſie ſo bloß darauf oͤffentlich nicht antaſten; man erkundig -te158te ſich nur ſehr ſcharf unter der Hand, wo ſie waͤh - rend der That ſich befunden haͤtten. Sichre Per - ſonen legten gut Zeugniß fuͤr ſie ab, daß ſie in ihrer Gegenwart geweſen waͤren.

In ſo weit war alſo die Unterſuchung ver - geblich. Man ſchickte darauf Leute in die Gegend aus, um jeden Verdaͤchtigen feſt zu halten, wel - ches man freylich eher haͤtte thun ſollen: allein im erſten Aufruhr dachte Niemand daran; und Ardinghello, einer der ſchnellſten Fuß - gaͤnger, befand ſich zu dieſer Zeit ſchon in Sicher - heit.

Was Caͤcilien betraf, konnte man nicht nach aller Strenge verfahren, da es der Wohlſtand und das Anſehen ihrer Eltern und Bruͤder nicht zuließ, welche beyde letztere bey dem Sieg uͤber die Tuͤrkiſche Flotte ſich den Namen großer Helden erworben hatten; alle waren au -ßer -159ßerdem dem reizenden Geſchoͤpf gewogen, und keiner von Herzen dem Braͤutigam. Mancher machte ſich in Ruͤckſicht ihrer Hofnung, entweder ſie ganz zu beſitzen, um eine der reich - ſten Parthieen von Venedig, noch unabgeweidet in friſcher Bluͤthe; oder doch auf irgend eine Ge - faͤlligkeit bey ſolcher Lage Rechnung. Wenn ein Menſch einmal todt iſt, hoͤrt bald alle Gunſt auf; und wer am Leben bleibt, hat immer das beſte Spiel. Dieß iſt in der Natur der Dinge; ei - nem Todten iſt doch nicht mehr zu helfen, denken ſie, und es koͤmmt dabey nichts heraus. So gings zu Venedig, wohin Caͤcilia ſich noch dieſelbe Nacht unter Begleitung ihrer Bruͤder und der Verwandten ihres Braͤutigams, mit etlichen Perſonen vom Raht, auf den Weg machen mußte, bis ihre Schwangerſchaft ſich voͤllig offenbahrte. Sie wurde zwar nach der Form gehoͤrig bewacht und be - fragt: allein da man gar keine Angaben, nicht den geringſten Verdacht, und ſie einen Bartolus undBal -160Baldus in derſelben Perſon zum Advokaten hat - te, endlich frey geſprochen; und ſie ſelbſt verſtand meiſterlich die Seelen zu feſſeln, und ſpielte durch - aus ihre Rolle vortreflich: in dem kurzen Um - gange mit Ardinghellon hatten ſich ihre ſeltne Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausge - bildet.

Zu Anfang des neunten Monats darauf wurde ſie, in Beyſeyn gerichtlicher Zeugen, von einem geſunden kraͤftigen Sohn entbunden, welcher in der Taufe die Namen S. Marco Giovanni e Paolo empfing; und Niemand wußte die gehei - me Bedeutung. Sie gelangte damit zum recht - lichen Beſitz aller Guͤter Mark Antons, dem ihre Bruͤder ein praͤchtiges Grabmal von dem beruͤhm - teſten Bildhauer mit einer ſinnreichen Inſchrift von dem beſten lateiniſchen Poeten beſorgten, und trauerte lange, und hielt ſich eingezogen von allen Luſtbarkeiten.

Arding -161

Ardinghello hatte ſich nach gluͤcklich vollbrach - ter That durch Umwege ſchnell auf ſein Zimmer gemacht, und geſchwind umgekleidet; er war ſicher, von Niemand bemerkt worden zu ſeyn, und wollt im Freyen unter der fremden Kleidung nicht laͤnger bleiben. In unſre Wohnung konnt er nach Belieben herein und heraus, weil er den Schluͤſſel zu der einen Außenthuͤr von ſeinem Fluͤgel hatte. Auch war ohne dieß alles aus dem Pallaſte nach einem guten Platz zum Feuerwerk gelaufen, dem zauberiſchen Schauſpiel uͤber dem See. Inzwiſchen machte er ſich doch behend auf jeden Fall gefaßt, und lauerte nahe bey[ſei - nem] Zimmer im Garten, bis ich mit meiner Mutter nach Hauſe kam, und ihm das gluͤckliche Zeichen gab; das Feſt war gaͤnzlich verſtoͤrt, und ich hielt nur ſo lange aus, als es ſich ſchickte, um nichts zu verſaͤumen.

Auf ihn fiel nicht der mindeſte Verdacht, weder hier noch in Venedig. Dort wurde beyLeini -162einigen jungen Herren ſtrenge Nachforſchung ge - halten, die mit heftiger Leidenſchaft vorher um Caͤcilien warben; aber es kam nichts heraus, und die Ermordung blieb ein Raͤhtſel:

Zweyter[163]

Zweyter Theil.

L 2[164]165

Ardinghello wollte nun nicht laͤnger in der Gegend bleiben: die Sonne war hinweg, die ihn an ſich zog, und um die er ſich herumbe - wegte; aber auch fuͤr jetzt nicht wieder nach Ve - nedig. Und wenn ſich dort die Sachen aufs gluͤcklichſte ſetzten; ſo ſah ſein Geiſt in der Zu - kunft Dinge, die ihn folterten. Suͤßigkeit voll - fuͤhrter Rache, Gram von Caͤcilien geſchieden zu ſeyn, Kummer ihretwegen, und Sorge fuͤr ſeine eigne Sicherheit wechſelten in ſeinem Herzen ploͤtzlich auf und ab, wie ein Aprillwetter. Sich laͤnger aufzuhalten war gefaͤhrlich; weil man unter den Papieren Mark Antons vielleicht Auftraͤge von Cosmus finden konnte: und ſich gleich aus dem Lande zu machen, ſchien verdaͤch - tig. Endlich entſchloß er ſich, nach UeberlegungL 3aller166aller Umſtaͤnde, noch einige Tage zu harren, und inzwiſchen ſcharf auf ſeiner Hut zu ſeyn. Es kam uns nicht wahrſcheinlich vor, daß der Großherzog ſeinen und ſeines Vaters Tod ſchriftlich ſollte verhandelt haben; und ein Vertrauter, wenn er auch noch da waͤre, wie nicht zu vermuhten, duͤrfte bey Schlechtigkeiten von ſo uͤblem Erfolg keinen Laͤrm machen, zumal da er doch nicht ſicher waͤre, und nur muhtmaßen koͤnnte.

Ardinghello ſtellte ſich aufgeraͤumter an, als je; und wenn in Geſellſchaft die Rede auf die Begebenheit kam; ſo ſchwieg er entweder, oder pries Mark Anton gluͤcklich, daß er ſo gerad in voller Freude ſtarb; und auch Caͤcilien, daß ſie ſo geſchwind als moͤglich von dem harten Joche der Ehe ſey ausgeſpannt worden.

Wir fiſchten dann auf dem See, gingen auf die Jagd, und laſen noch dabey zu guter letzt die ſchoͤnſten Oden im Pindar, der ſeine Seele vom neuen mit hohem Taumel ſchwellte, und in et -was167was ſeinen Sinn von der Gegenwart wegwand. Die Romanze aller Romanzen auf die Inſel Rho - dos beſonders entzuͤckte ihn ſo, daß er ſie bald aus - wendig konnte. Seine Phantaſie kam wieder ganz in das Goͤtterreich der Poeſie hinein, die Spiele griechiſcher Jugend riſſen ſein Herz dahin, ſuͤße Liebe und ſolche Thaten pries er allein ein wuͤrdig Fruͤh - lingsleben; alle ſeine Kraͤfte tobten und wurden ungeſtuͤm: er wollte fort in die Welt, in Be - wegung, auf eine neue Buͤhne, und war nicht mehr zu halten.

Keine volle zwey Wochen nach Caͤciliens Abreiſe brach er auf. Er ſchrieb vorher an ſeine Tante um einen Wechſel nach Genua; er gedachte von dort nach Frankreich zu ſchiffen, und dadurch nach Spanien zu wandern, bis an die letzten Kuͤſten von Portugall. Mir band er unterdeſſen Caͤcilien aufs Herz, und daß ich ihm von ihr bey jeder guter Gelegenheit Nachricht geben ſollte. So bald ſie frey waͤre, muͤßte vermittelt werden, daß wir alle drey zuſammen eine FreundſchaftL 4aus -168ausmachten. Fuͤr unſre Heimlichkeiten bildeten wir uns eine jedem andern unergruͤndliche Schrift, und wollten bey den Hauptpunkten das Neugrie - chiſche gebrauchen. Seine Wiederkunft wuͤrde alsdenn von den fernern Umſtaͤnden abhangen.

Seine Reiſe nach Genua nahm er ſich vor zu Fuße zu thun, und ſo ſollt es ſein Lebenlang durch alle ſchoͤne Gegenden geſchehen; er hielt es fuͤr Thorheit, ſie anders zu machen, wenn man ge - ſund und ſtark waͤre, und keine nohtwendige Eile haͤtte: die Natur von Land und Leuten koͤnne man auf keine andre Weiſe ſo gut kennen lernen; und was die Straßenraͤuber betraͤfe: ſo ſey man im Wagen der Gefahr weit eher ausgeſetzt; und die aͤrgſten wuͤrden von Billigkeit zuruͤck gehalten, gegen ein harmloſes Geſchoͤpf, das ohne buͤrgerli - chen Reichthum, wie ſie, bloß menſchlich einher - ſchreitet.

Er ließ mir alle ſeine Habſeeligkeiten zuruͤck; und nahm nichts mit ſich, als einen wohlgeſpick -ten169ten Beutel, und ein Hemd und ein Paar Struͤmpfe außer denen, die er an hatte.

An einem Abend beurlaubte er ſich von mei - ner Mutter, die weichmuͤhtig Thraͤnen vergoß, und ihn an ihre Bruſt druͤckte; er wurde von ihr geliebt, wie mein Zwillingsbruder. Sie gab ihm ihren reinſten Seegen, und bat zu Gott, daß er ſie erhoͤren moͤchte, da er nicht laͤnger blei - ben wollte; und ſagte ihm zuletzt, daß ſie ſich oft nach ſeinem Umgang ſehnen wuͤrde. Ihr mach - ten wir weiß, daß er wieder in ſeine Heimaht zoͤge.

Wir brachten die Nacht alsdenn beyſammen zu, ſo recht wie klare Quellen von Leben, wo alle Blicke durchgehen; ich wuͤnſche mir nie eine groͤß - re Seeligkeit. Aber ach! was iſt der Menſch? ein Punkt, zerfetzt und zerriſſen vom Schickſal auf allen Seiten, und unaufhaltbar fortgetragen in den wilden Fluhten der Dinge, wo er weder An - fang noch Ende ſieht.

L 5Ge -170

Gegen Morgen fuhr er auf, ſteckte die alte Handſchrift von den Denkwuͤrdigkeiten des So - krates in die Taſche, die ich ihm fein und wohl - geſchrieben mit auf den Weg gab, und die griechi - ſchen lyriſchen Dichter von Heinrich Stephan; warf ſeine Zithar uͤber die Schulter, daß ſie ſtuͤr - miſch erklang, druͤckte mich noch einmal an ſein Herz, und kuͤßte ſeine ganze Seele auf meine Lippen, und ſchoß von dannen. Ich[erbebte] wie von einem Todesſchauer und ſank wie ins Grab. O Elend und Jammer, hienieden ohne Freund zu ſeyn! und Stolz und Jubel und Kuͤhnheit, wo zwey ihr Weſen verdoppeln!

Meine Mutter und ich gingen darauf zu En - de Oktobers wieder nach Venedig, wo mein Va - ter aus Dalmazien ſchon angekommen war. Der Weg dahin erfuͤllte mich mit Traurigkeit. Gegend und Menſchen und Gebaͤude hatten den vorigen Reiz verloren, und ſtanden da wie Schatten. Ich171Ich erkannte innig, daß zu allem Genuß zwey Herzen nohtwendig ſind, die ſich lieben.

Die Zaͤrtlichkeit meines Vaters, meiner aͤltern Bruͤder und verwittibten Schweſter, die ihn begleitet hatten, linderten und verſuͤßten allein meinen Gram zu Hauſe. Caͤcilia ſaß noch in ſtrenger Verwahrung: doch war jederman fuͤr ſie, wegen ihrer ehemaligen klugen und beſcheidnen Auffuͤhrung bey aller ihrer Schoͤnheit. Auch ich that unter der Hand mein beſtes; das zaͤrtli - che Geſchoͤpf hatte ſich von dem Zuge der Natur uͤberwaͤltigen laſſen, und konnte hernach nicht anders handeln.

Verſchiedne junge Leute, alle von großem Talent und genaue Bekannten von Ardinghello, kamen zu mir, ſeinen gegenwaͤrtigen Aufenthalt zu erfahren; welchen ich ihnen aber nicht entdeckte, mit Vorſpiegelung, er habe in ſeine Heimaht ge - wollt.

Zu172

Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden Brief von meinem Freunde.

Genua, November.

Wie ich aus dem Fruchtbaren großen Thale der Lombardey, von hundert Fluͤſſen durchſtroͤmt, das ſeines gleichen in der Welt nicht hat, durch die wilden kahlen Felſenkruͤmmen des Apennin hinauf trat, und endlich aus der Bochetta her - vor, von heitern Luͤften umſpielt, daß die Locken um meine heißen Schlaͤfe flatterten, oben auf der Hoͤhe das tiefe breite Meer unter mir glaͤnzen ſah, von ſuͤßen Strahlengewoͤlk des Abends umla - gert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle Sinne! wie die Thetis Homers mit einem Sprung vom Olymp haͤtt ich mich in die ewige Lebensfuͤlle hineinſtuͤrzen, und wie ein Wallfiſch darin herumtaumeln und alle meine Leiden ab - kuͤhlen moͤgen.

Ich blieb hier die Nacht bey einem alten Schaͤfer, der Chronik der Gegend; und ſah dieSter -173Sterne auf und untergehen und das Weltlicht wieder erſcheinen, und thronte ſo uͤber Italien, dieß Paradies mit allen ſeinen Bewohnern von Anbeginn der Zeit, Menſchen und Thieren und Pflanzen und Baͤumen, und ich machten ein friedliches Eins; ſo rein und heilig zerfloſſen war meine Seele.

Den Morgen ſchritt ich hinab, und ſchlief des Nachmittags in einem reizenden Dorf an der Kuͤſte nicht weit von der Stadt. Gegen Mitternacht wacht ich wieder auf vom Saitenſpiel und einer Stimme, die lieblich mein Weſen durchdrang. Ich lauſchte und vernahm die Worte, und ſprang ans Fenſter: die Muſik. kam aus einem alten Ge - maͤuer an einen Huͤgel gebaut, der in hohen Pig - nen und Cypreſſen und niedern Fruchtbaͤumen ſich auf dem Meer hervorſtreckte; es waren Stanzen ei - nes Maͤhrchens vom Pulci, die ich gar wohl kannte. Als darauf noch eine weibliche Stimme zu der maͤnnlichen einfiel: ſo zog auch ich meineCi -174Citharra hervor, brachte ſie leis in Stimmung, und ſang, als ſie aufhoͤrten, nach einigen Grif - fen von ihrer traurigen Harmonie in eine froͤh - lichre hinuͤber; Wer ſeyd ihr ſuͤßen Saͤnger dort, die ihr mich ſo entzuͤckend aus dem Schlafe weckt? habt Dank, habt Dank, daß ihr den Menſchen ſo Freude macht, und ihr Herz ruͤhrt in der ſtillen Daͤmmerung.

Wir ſind Vater und Tochter, die ein hol - des Kind in Schlummer ſpielen, ſamt dem Gat - ten, den der heiße Tag abgemattet; ertoͤnte zur Antwort heruͤber, indem ein Alter mit langem Bart an den Bogen der Thuͤr ſich ſtellte.

O ihr Gluͤcklichen! verfolgt ich darauf, und ſang von Begeiſterung ergriffen, die Zeiten des Saturnus von Hesperien, wo alle ſo lebten; wo noch kein Phalaris die goldne Inſel der drey Vorgebirge folterte, und keine Caͤſarn mit Buͤr - gerblute die Felder duͤngten.

Und175

Und wer biſt du, edler Geiſt? fragt er mich dann.

Ein junger Pilgrim, der nach dem Vor - treflichen auf Erden wandert, und ſeine Seele nun hier an Honig labt.

Er ging herunter, ich ihm entgegen; wir bewillkommten uns, und fuͤllten die Becher. Es war ein herrlicher Mann, an die ſechszig, ein aͤchter dichter Kopf, viel vom Ideale des Homer, nur nicht blind: wie es der hohe Jonier auch nicht war, der nur nicht ſah, was gewoͤhn - liche Menſchen immer gegenwaͤrtig mit ihren lee - ren Koͤpfen ſehen, wovon er endlich den launig - ten Namen bekam, und der griechiſche Kuͤnſtler, der ſein Bild erfand, richtete ſich nach dem Volkswitz.

Wir machten geſchwind Bekanntſchaft. Es war ein Architekt geweſen, und weil er wenig zu bauen fand, ſeinem Hange zur Poeſie ge - folgt; und man hielt ihn nun fuͤr einen der beſtenRei -176Reimer aus dem Stegreife weit und breit, und er zog als ein ſolcher im Lande her - um und ergoͤtzte die Leute. Seine Frau war fruͤh geſtorben, und ſeine einzige Tochter gab er vor wenig Jahren einem wackern Landmann zur Ehe, der hier ein Gut gepachtet hatte, und bey dem er ſich meiſtens aufhielt. Die Wirthſchaft war wirklich aus der goldnen Zeit, wie ich her - nach mit Vergnuͤgen erfuhr.

Ich ſagte ihm, daß ich ſchier eben ſo die Mahlerey triebe, wie er ehemals die Baukunſt. Dieß freute ihn denn von Herzen; er faßte mei - nen jungen Kopf und ſtreckte ihn in ſeinen grauen Bart hinein, und kuͤßte mich uͤber und uͤber: ergriff alsdenn das Saitenſpiel, und ſang mit einer Schwaͤrmerey das Lob der Dichtkunſt, wie ein wahrer Prieſter des Apollo, daß ich mich vor Luſt nicht regte. Das halbe Dorf kam zuſam - men, und girrte vor den ofnen Thuͤren und Fen - ſtern leiſen Beyfall. Und als er endigte, ſchiendas177das Meer ſtaͤrker ans Geſtade zu brauſen, und alle riefen: es lebe Boccadoro! ſo nannte man ihn.

Zur[fernern] Kurzweil fing ich darauf ei - nen Gegengeſang an, und richtete Pindars Χρυσεα φορμιγξ Απολλονος nach Ort und Umſtaͤnden ein; und ſchilderte zum Beſchluſſe den Alten vor mir nach dem Leben, und erhob ſeinen Stand uͤber den eines Koͤnigs. Und mit einem Jubelgeſchrey: es lebe der ſchoͤne fremde Juͤng - ling und der goͤttliche Alte! zog man von dannen, als wir gegen Morgen ſchieden.

Ich machte, wie es Tag war, einen Spa - ziergang auf den Huͤgel, und beſah die Lage von Genua: ein reizendes Theater, das von jeher ſeine Bewohner angetrieben hat, das Meer zu beherrſchen; und woheraus immer die groͤßten Seehelden hervorgekommen ſind. Heiliger Co - lumbus, und du Andreas Doria, die ihr nun mit den Themiſtokleſſen und Scipionen in Ely -Mſium178ſium Paar und Paar herumwandelt, euch Halb - goͤtter unter den Menſchen bet ich im Staube an. Ach, daß auch mir kein ſolches Loos beſtimmt iſt! Ich ſah hinaus in die unermeßliche Sphaͤre von Gewaͤſſer, und die ungeheure Majeſtaͤt woll - te mir die Bruſt zerſprengen; mein Geiſt ſchweb - te weit uͤber der Mitte der Tiefen, und fuͤhlte ganz in unausſprechlicher Wonne ſeine Unend - lichkeit.

Nichts auf der Welt fuͤllt ſo ſtark und maͤch - tig die Seele; das Meer iſt doch das ſchoͤnſte, was wir hienieden haben. Sonn und Mond und Sterne ſind dagegen nur einzelne glaͤnzen - de Punkte, und ſammt dem blauen Mantel des Aethers daruͤber her nur Zierde der Wirklichkeit. Dieß iſt das wahre Leben: hierauf giebt ſich der Menſch Fluͤgel, die ihm die Natur verſagt; und verbindet in ſich die Vollkommenheiten aller an - dern Geſchoͤpfe. Wer das Meer nicht kennt, koͤmmt mir unter den Menſchen wie ein Vogelvor,179vor, der nicht fliegen kann; oder der ſeine Fluͤ - gel nicht braucht, wie die Straußen, Huͤner und Gaͤnſe. Hier iſt ewige Klarheit und Rein - heit; und alles Kleine, was ſich in den Winkeln der Staͤdte in uns niſtet, wird hier von den großen Maſſen weggeſcheucht. Wie dort die Seealpen aufſteigen! gleich Helden bey Aſpaſien und Phrynen; wie die zarte Linie am Horizont ſich ſo weich herumruͤndet! in den Ocean hinaus moͤcht ich; wie klopft mir das Herz!

Boccadoro wartete ſchon auf mich, als ich wieder ans Wirthshaus kam. Er ſagte, ich muͤßte ihn heute begleiten zu einem großen Feſte, das die ganze Woche fortdauerte.

Marcheſe S*** vermaͤhlte ſich mit einer jungen Fregoſa in allem erſinnlichen Pomp; der Braͤutigam ſey wohl jetzt einer der reichſten Privatedelleute von Europa. Dieſen Abend wuͤrde Wettrennen gehalten, darauf Schmaus und Ball; morgen Stierhetze, und ſo weiter fort, jeden TagM 2eine180eine andre Luſtbarkeit; Komoͤdie, Seiltaͤnzerey - en und allerley Kuͤnſte ſollten ſich auf dem Land und Waſſer zeigen. Er waͤre aufgefordert zwiſchen andrer Muſik bey der Tafel zu ſingen, und er baͤte inſtaͤndig, auch mich darauf vorzubereiten; wir koͤnnten unterwegs ein huͤbſches Thema zum Wechſelgeſang ausdenken. Der Pallaſt laͤge we - nige Miglien weit von der Stadt auf der andern Seite der See; ein Paar Knechte von ſeinem Schwiegerſohne wuͤrden uns mit ihm ſelbſt und ſeiner Tochter auf einer Barke dahin fahren. Doch er glaube, daß ich dieſes alles ſchon wiſſe; und vermuhtlich eben deßwegen hier eingetroffen ſey.

Ich verſicherte ihn, daß ich herunter ge - kommen waͤre, ohne das mindeſte von dieſer Hochzeitfeyer zu wiſſen. Aus dem Stegreife koͤnnt ich in ſo hoher Geſellſchaft nicht ſingen; und außerdem muͤßt ich immer erſt ein wenig die Art meiner Zuhoͤrer kennen, um leicht den Ein -gang181gang in ihr Herz und Phantaſie zu finden: ſonſt thue uͤberhaupt das vortreflichſte oft nicht ſeine Wir - kung. Doch woll ich ihn begleiten; ſein Epitha - lamium zu hoͤren ſchon allein reize mich. Er koͤn - ne mich als Stimmer ſeiner Zithar beym Schmau - ſe mit einfuͤhren.

Ich lernte nun ſeine Tochter kennen, eine erzgute frohe junge Hausmutter; und ihren Mann, einen muntern treflichen Wirthſchafter; und ei - nen kleinen Engel von Soͤhnchen: ſo daß ein ſchoͤnes Ganzes in lebendiger Ordnung war. Das alte mit Epheu bewachsne Gemaͤuer der klei - nen Landburg fand ich innen bequem eingerichtet. Ich nahm gegen Mittag bey ihnen ein geſundes koͤſtliches einfaches Mahl ein. Nach Tiſche ſchlummerten wir alle ein Paar Stunden; und dann fuhren wir ab, und mich ergoͤtzten unend - lich die Seewellen, ſo gruͤnlicht klar und weich und furchtbar lieblich ſchroff uͤber den Abgruͤnden, wo jede auch in ihrer Kleinheit ſich majeſtaͤtiſch als Tochter des unermeßlichen Ozeans zeigte.

M 3Wir182

Wir langten gerad auf den Rennplatz an, als die Pferde ſchon vorgefuͤhrt wurden. Die Si - tze waren lauter Licht und Glanz von ſchoͤnen und praͤchtig gekleideten Herren und Damen, mit einer Menge Volks uͤberall. Der Pferde wa - ren nur drey; aber alle drey muhtſchnaubende Koͤnigliche Thiere, ſo daß es ſchwer war, vor - aus zu beſtimmen, welches den Preis davon tragen wuͤrde. Man hatte deßwegen große Wetten angeſtellt; die mehrſten waren fuͤr einen goͤttlich ſchoͤnen Rappen, der ſich an den Schranken gar nicht wollte halten laſſen. Ein Falk ſtand dage - gen ſtill da: doch brach der Blick ſeines Augs in die Bahn wie ein Sonnenſtrahl, und ſein Fuß hob ſich leicht wie lauter volle Nerve. Wie das Seil fiel, that auch der Rapp einen Vorſchuß; in der Mitte der Bahn aber zog der Falk ſo aus und uͤberhohlte die andern, daß ſein Gang ſchneller war, als die Geſchwindigkeit eines Sturmwinds uͤber gelbe Saaten; er flog dahin, und ſeine Bewe - gung war das Entzuͤcken aller Augen, ſelbſt de -rer,183rer, die gegen ihn gewettet hatten. Kurz, er gewann den Preis, jedoch mit Noht; und ward hernach erſt unbaͤndig.

Nach dem Wettrennen war Komoͤdie, und nach der Komoͤdie der naͤchtliche Schmaus. Gegen Ende deſſelben, als Wein und Geſpraͤch die Le - bensgeiſter in ſtaͤrkre Wallung gebracht hatten: fing Boccadoro an ſein Saitenſpiel zu ruͤhren. Es entſtand eine allgemeine Stille: und die Toͤ - ne ſeiner Griffe waren wie ein leiſes Fluͤſtern am heißen Mittag in kuͤhlen Waͤldern von den See - luͤften. Sein Geiſt taumelte darauf durch die alten Zeiten der griechiſchen Heroen; und er ſang die Hochzeit des Peleus und der Thetis: ſchmuͤckte die Fabel aus mit lieblichen Worten, und ging davon auf die Gegenwart uͤber, ſchilderte den Braͤutigam als einen neuen Peleus, eben ſo von den Goͤttern begluͤckt, und ſeine Braut als die juͤngre Thetis.

M 4Auf184

Auf einmal wendete ſich dann der alte Schalk an mich, der ich hinter ihm unter den andern Spielleuten in der Ecke ſtand; und zog mich hervor, als einen andern Apollo, wenn ich ſeine Worte wiederhohlen darf, der ploͤtzlich den Apennin herabgekommen ſey, dieß Feſt noch zu verherrlichen; und uͤberreichte mir die Zithar.

Ich ward uͤberraſcht und gluͤhte vor Schaam auf in der fremden glaͤnzenden Geſellſchaft. Ein freudiges Murmeln lief durch den gan - zen Saal, und aller Blicke flogen auf mich. Es half hier keine Weigerung, wenn ich nicht woll - te zum Geſpoͤtt und zu Schanden werden. Ich entſchloß mich alſo kurz, die Sache ſo gut abzu - machen, als mir moͤglich war; und waͤhlte die mir leichteſte Versart, nach der Melodie, die den immer ſtaͤrker einſchlagenden Anapaͤſtiſchen Rythmus hat, und dich ſo oft ergoͤtzte.

Nach wenig einfachen Ackorden ſang ich ge - rade ſo, wie es war, meine[Ueberraſchung]und185und Ve[r]wirrung: und daß ich Boccadoren hieher folgte, die Pracht und Schoͤnheit des Feſtes zu ſehen, ganz fremd und unbekannt, ein bloßer Wandrer hier, ſeit wenig Stunden. Doch euer Ruhm, fuhr ich fort, geht uͤber Meer und Alpen; und wer iſt der kalte neidiſche Menſch, den eure gluͤckliche Liebe nicht begeiſtern ſollte? Nehmt ge - faͤllig die wenigen Blumen an, die ich mit geſchwin - dem Raub uͤber eure Tafel ſtreue.

Der Sohn der Thetis ſtrahlt nun durch alle Nachwelt, weil er einen Homer zum Saͤnger hatte: wie viel groͤßer aber waren Kolumb und Doria? und wie weit kann die Frucht eurer Liebe an edlern Thaten uͤber ihn hervorragen, als wegen eines verbluͤhten durchgegangnen Wei - bes von einem Manne, den die Natur zum Hahn - rey beſtimmte, und der weder in Bund noch Freundſchaft mit ihm ſtand, dreymal um die[Mauern] von Troja herum zu laufen, und als - denn den ermuͤdeten Feind in den Hals zu ſtechen! M 5Als186Alswegen eines abgewieſenen Pfaffen einen graͤu - lichen Laͤrm anzufangen, und dann ſeine Gelieb - te daruͤber geduldig hergeben, und ſich ans Meer ſetzen und weinen*)Man erinnere ſich hier, daß Poeſie in Italien ſo gemein war, und noch iſt, daß Hand - werksleute Homeriſche Fabel und Mytho - logie kennen.!

Verzeihe mir dieſe Laͤſterungen, beſter Freund; du weiſt, daß ich die Homeriſche Na - tur tiefer fuͤhle, als das vornehme Weltvolk auf der Oberflaͤche, die nicht zu ihren Moden paßt. Aber du kennſt das Sprichwort: unter den Woͤl - fen muß man mit heulen.

Ich beſchrieb darauf die Gegend von Ge - nua, und ihre Bewohner; pries dieſer Helden - muht von den fernſten Zeiten an; und daß es beſſer laͤge, als ſelbſt das alte Rom, die Inſeln des Thyrrheniſchen Meers und Kuͤſten von Afri -ka187ka zu beherrſchen. Erzog nun im Geſang den jungen Themiſtokles, die Seeligkeit der Mutter und des Vaters uͤber denſelben und die goldnen Zeiten ſeiner Buͤrger, und machte allen Gaͤſten nach den ſuͤßen Guͤtern das Maul waͤſſerig; jeder ſchien im Herzen zu ſchwoͤren, ſich dabey anders aufzufuͤhren, als ihre Vorfahren beym Kolumb, von deſſen hohem erfindriſchen Geiſt ſie mehr Schimpf und Verachtung als Ehre haben.

Ich wurde waͤhrend des Liedes bey einigen gluͤcklichen Stanzen von lautem Jubel unter - brochen, und erhielt, wie ich aufhoͤrte, großen Beyfall; der mir nur in ſofern wohlgefiel, weil ich mich aus der Verlegenheit gezogen hatte.

Man ſtand nun vom Tiſch auf, und es ging zum Ball. Als die Braut vor mir vorbey gefuͤhrt wurde: begruͤßte ſie mich mit einem feſten luͤſternen Blick und wolluͤſtigem Laͤcheln, und rief mir zu, Bravo! Sie hielt noch den Kopf zuruͤck, als ſie vorbey war, und Mienen und Gebehrdenge -188geſtatteten Kuß und Umarmung, wenn wir al - lein waͤren; ganz die Geſtalt einer Bacchantin in Gluth und Ueppigkeit, voll Koͤrperreiz mit frecher Seele: welche Weiber mir nur in gewiſ - ſen Momenten gefallen koͤnnen. Ich fuͤhlte we - nig Neigung, naͤhere Bekantſchaft mit ihr zu machen; wohl aber mit einem andern Frauen - zimmer, deſſen Mutter, was die Formen des Ge - ſichts betrift, ſich an dem Vatikaniſchen Apollo verſehen zu haben ſcheint, nur ohne Stolz und Zorn, vielmehr alles heilige Guͤte; ein wunder - bares Geſchoͤpf!

Ich erfuhr von Boccadoren, es ſey eine Freundin der Braut, und hielte ſich bey ihr auf. Die Eltern waͤren verungluͤckte Kaufleute aus Nizza in der Provence geweſen, und vor eini - gen Jahren geſtorben. Die Braut heißt Fulvia, und die Freundin Lucinde; ich verlangte die letztere tanzen zu ſehen, aber ſie tanzte nicht.

Et -189

Etwa zwey Stunden nach Mitternacht darauf, als der Ball am lebendigſten war, hoͤrte man einige Schuͤſſe fallen, und bey der ploͤtzli - chen Stille daruͤber ein aͤngſtlich Schreyen und wieder Schuͤſſe, und Getuͤmmel die Treppe herauf nach dem Saal. Und in einem Augenblick, ehe man eine Hand umwendet, brachen graͤßliche Maͤnner mit Saͤbeln und Gewehr in den Haͤnden zur vordern Thuͤr herein. Man ſtand wie ver - ſteinert, und wollte fliehen und konnte nicht, und wußte nicht wohin. Alles draͤngte ſich auf die Seiten nach den Fenſtern, und wo nur eine Oefnung war; und heulte und jammerte, und alle Geſichter faͤrbte die Todesblaͤſſe.

Wir wurden von Seeraͤubern uͤberfallen, nach den gelben Afrikaniſchen Geſtalten; und an Gegenwehr war wenig zu denken. Ein Theil von denſelben beſetzte die Thuͤr, wo ſie hereinka - men, andre faßten gleich die Braut und griffen zuerſt nach den Frauenzimmern und ſchleppten ſiefort.190for[t.]Ich ſtand zu Ende des Saals an den Fen - ſtern nach dem Garten; die erſten von Adel ſpran - gen mit Gefahr hinaus. Ich wurde faſt vom Getuͤmmel erdruͤckt; und konnte kaum eine Pi - ſtole losreißen, die ich ſogleich nach dem ſtaͤrkſten Kerl an der Thuͤr abbrannte. Die Kugel traf ſo gluͤcklich ihn zum linken Ohr hinein, daß er auf der Stelle ſtuͤrzte. Der Knall verſchafte mir einigen Raum, ſo daß ich die andre zog, und zugleich meinen Degen. Waͤhrend der Zeit hat - ten ſich noch andre Genueſer und Bedienten mit Gewehr verſehen und ſchlugen im Mangel deſ - ſelben mit Stuͤhlen drein. Die Raͤuber hieben mit ihren Saͤbeln um ſich, und ſpalteten etlichen die Koͤpfe und verwundeten diejenigen, welche voran waren. Doch brachten wir ſie endlich zur Thuͤr hinaus, die ſie aber von außen beſetzt hiel - ten, ſo lange bis ihre Gefaͤhrten mit der Beute bis ans Meer kamen, und ſie einſchifften. Als - denn wichen ſie, und wir hatten das Nachſe -hen,191hen, ohne ihnen viel Schaden zufuͤgen zu koͤnnen; weil ſie ihren Angriff zu gut angeordnet hatten.

Der Braͤutigam ſelbſt bekam eine ſtarke Wunde; und ein Paar von den vornehmſten Gaͤſten lagen ohne Huͤlfe niedergeſtreckt. Die wackerſten machten ſich mit dem Johann Andreas Doria, welcher, wie du weißt, die Tuͤrkiſche Flotte mit beſiegen half, von dem Geſchlecht des großen al - ten, gleich auf nach Genua, um den Raͤubern nachzuſetzen: und ich wollte mit dabey ſeyn. Es war eine Frechheit ſeit undenklichen Jahren ohne Beyſpiel.

Wir langten dort gegen Morgen an. Fuͤnf Dreyruderige wurden ausgeruͤſtet, und wir ſtachen eine Stunde am Tag in die See, als noch die Sonne mit einem eingefallnen Nebel kaͤmpfte; der Wind hatte ſich die Nacht geaͤndert, und ein Scirocco blies von Suͤdoſten! Wir wußten nicht, wohin unſre Fahrt zu halten, und machten uns auf die Hoͤhe zwiſchen beyde Kuͤſten. Endlichnach192nach und nach, obgleich langſam, erweiterte ſich der Geſichtskreis: und die Gebirge fingen an ſich zu zeigen unter der grauen Huͤlle; und erſt gegen Mittag lag die Waſſerwelt uns einigermaßen vor Augen, jedoch von allen Seiten ſo mit Dunſt umfangen, daß wir nichts entdecken konnten.

Doria beſchloß nun, zwey Schiffe abzuſon - dern, und dieſelben auf Sizilien zuſtreichen zu laſſen: er ſelbſt wollte mit den andern uͤber Cor - ſica hinaus in die Provenzaliſchen Gewaͤſſer. Noch, ehe wir ausliefen, wurden auf beyde Sei - ten Jagdboote ausgeſendet; keines aber war zu - ruͤck gekommen. Ich blieb auf dem Schiffe, wo er ſelbſt war. Es ging nun in vollem Zuge. Noch kannten wir die Staͤrke der Feinde nicht; bey Nacht und Nebel hatten wir die Anzahl ihrer Barken nicht unterſcheiden koͤnnen.

Am Abend kam das Jagdboot wieder, und verkuͤndigte, daß es den Feind bey Monaco im Geſicht erreicht haͤtte; die Raͤuber ſeyen viergroße193große Galeeren ſtark. Wir ruderten die ganze Nacht; und den andern Morgen, als ſich das Wetter aufheiterte, erblickten wir ihre Seegel. O wie klopfte mir das Herz, bald im Schlacht - getuͤmmel zu ſeyn! der Tod iſt dabey doch nichts anders, als eine freye Bahn auf die edelſte Art in die Geiſterwelt aus dieſem Chaos von Unwiſ - ſenheit.

Sie entdeckten uns gleichfals und verdop - pelten ihre Ruderſchlaͤge. So ſtrebten wir den ganzen Tag.

Eben als die Sonne, nach dem Steſicho - ros, aus den Luͤften in den goldnen Becher trat, und den Ozean hinab ſchwam zu den finſtern Tie - fen der heiligen Nacht, thaten wir die erſten Kanonenſchuͤſſe nach ihnen; wir hatten den Vor - theil des Windes uͤber ſie, und ſie machten dar - auf Halt, weil ſie nicht weiter fluͤchten konnten. Wir griffen ſie ſchier in gerader Linie an, und dehnten uns etwas aus, damit ſie uns nicht vonNden194den Seiten ankonnten. Wir brachten ihnen ei - nige herrliche Lagen bey, und waren weit beſſer als ſie mit grobem Geſchuͤtz verſehen. Nach man - cherley Wendungen kamen wir, als ſchon die[Daͤmmerung] ſich einſenkte, mit zwey Schiffen an einander zum Handgemenge, und unſer drit - tes ſuchte die zwey andern Galeeren abzuhalten, die es entern wollten.

Ich befand mich auf dem erſtern, und kaͤmpfte mit aller Gewalt und Beſonnenheit, de - ren ich faͤhig war. Noch hatt ich zum Gluͤck kei - ne Wunde, aber die Kugeln vom kleinen Ge - wehr und Saͤbelhiebe ſtreckten manchen an mir nieder. Endlich drangen wir ein in ihre groͤßte Galeere, und ich war unter den erſtern, mit einem ſtarken Dolch in der Linken, und in der Rechten den Degen, und im Gurt noch eine geladne Piſtole. Bevor ich uͤberſprang, ſtieß ich einen ihrer kekſten darnieder, der ſchon im Zuge war, dem Doria mit ſeinem ſichelfoͤrmigen Damas -ce -195cenerſaͤbel den Unterleib durchzuſchneiden, und ret - tete dieſem ſo das Leben. Mit einem andern auf der feindlichen Barke, der auf mich einhieb, wurd ich hernach bald fertig; doch konnt ich mit dem Dolch ſeinen Streich aus beyden Faͤuſten nicht ſo ganz abhalten, daß er mir nicht ein we - nig im Herunterſchellern den linken Arm ſtreif - te: ich traf ihm daruͤber gerade die Kehle, daß er die Zunge herausſtreckte.

Sie wichen und ergaben ſich; nur der, welcher der Anfuͤhrer ſchien, ſprang unters Ver - deck: und ich ihm nach. Und ſieh! hier ſteckte die Braut mit der andern Beute. Er holte mit dem Saͤbel weit nach ihr aus, um ihr den Kopf vom Rumpfe zu hauen: ich aber kam ihm zuvor, und ſtach ihm die Klinge mit ganzem Leibe unter dem aufgehobnen Arm ins Haarwachs, daß er auf die Seite ſtuͤrzte, zog ſie heraus, und gab ihm ihm dann vollends den Reſt.

N 2Die196

Die Hauptgalere war nun uͤbermannt, al - lein die andre wehrte ſich deſto fuͤrchterlicher. Ein junger Mann, noch ohne Bart, focht wie ein Ver - zweifelter, und hatte neben ſich viele Todten liegen; und er wuͤrde ſich frey gemacht haben, wenn wir andern nicht den Unſern zu Huͤlfe gekom - men waͤren. Auch dieſe mußte ſich dann er - geben. Inzwiſchen fluͤchteten die zwey andern, nachdem ſie unſer drittes Fahrzeug eroberten, mit dieſen. Wir ſetzten ihnen nach, verloren ſie aber in der Dunkelheit: und den Morgen dar - auf waren ſie uns aus dem Geſichte, und wir konnten ihren Weg nicht entdecken.

Doria kehrte aͤrgerlich nach Hauſe, daß die Sache nicht beſſer abgelaufen war. Vielleicht haͤtt er gar nicht angegriffen, wenn nicht einer ſeiner Verwandten aus dem Tanzſaal mit waͤre weggeſchleppt worden, den er nun doch wieder frey machte. Es ging hier Noth an Mann, und die aͤußerſte Gefahr war in der Saͤumniß. Die197Die zwey andern Schiffe haͤtt er freylich nicht nach Sicilien ausſchicken ſollen; aber wer kann alles vorherſehen? Wer wußte, daß die Raͤuber ſo ſtark waren? Nach geſchehener That iſt jeder Tropf kluͤger, als Hannibal und Caͤſar.

Ich hingegen war gluͤcklich wie ein Gott; mich duͤnkte, daß ich erſt das wahre Leben recht geſchmeckt haͤtte. Doria der ſtrenge machte bey allem ſeinem Verdruß mir große Lobſpruͤche, und ſagte oͤffentlich: du haſt einen ſchoͤnen Anfang gemacht, Junge; wenn du laͤnger lebſt, und ſo fortfaͤhrſt, wird ein beruͤhmter Held aus dir wer - den. Fulvia, deren Schutzengel ich geweſen war, dankte mir mit Thraͤnen voller Zaͤrtlich - keit. Aber mehr als alles, auch die ſchoͤne Pro - venzalin Lucinde befand ſich unter den Gerette - ten; die nur noch jaͤmmerlich an der Seekrank - heit litt, und bis aufs Blut von ſich gab. Ich hatte nicht die geringſte Anwandlung davon ge - ſpuͤrt; und es erquickt mich durch Mark und BeinN 3daß198daß ich dieſes Element und deſſen lebendige Be - wegung noch immer von meinem Knabenalter an ſo wohl vertrage.

Wir liefen gegen Abend in dem Hafen von Villafranca ein, nachdem wir den ganzen Tag vergebens herumgekreutzt hatten, um die Ver - wundeten zu pflegen, unſre Todten zu begraben (die gebliebnen Feinde warfen mir gleich uͤber Bord) und den abgehaͤrmten Frauenzimmern einige Ruhe genießen zu laſſen; nur ein Paar Ver - maͤhlte unter denſelben waren von Kanonenkugeln zerſchmettert worden, die uͤbrigen alle blie - ben unverſehrt. Wir fuͤhrten ſie den Berg hin - auf in das Staͤdtchen, das hinten im Keſſel unter dem gaͤhen Felſen mit wenigen Haͤuſern nur wie eine Einſiedeley liegt zwiſchen Oelbaͤumen. Ich nahm Lucinden in Arm, die auf dem feſten Bo - den gleich wieder zu ſich kam; und ſprach ihr Muth ein nach uͤberſtandner Gefahr. Ach, ant - wortete ſie ſeufzend, warum leb ich noch, umauf199auf immer ungluͤcklich zu ſeyn! Niemand weiß mein Leiden. O, waͤr ich nur dort oben bey den Auserwaͤhlten unter den Heiligen und Engeln! Und hier that ſie einen ſchmachtenden Blick aus ihren großen ſchwarzen Augen gen Him - mel, und zerſchmeltzte mir ganz mein Herz da - mit. So viel Schoͤnheit iſt nicht gemacht, verſetzt ich ihr, um hinieden ſich zu quaͤlen; wirf allen Kummer weg; und ſey ſelbſt ſo ſeelig, als du andere ſeelig machſt. Sie ſchwieg, und neig - te das Haupt wie eine welke Blume, und ging, ohne auf meine Reden Acht zu geben, mit mir voran; ihre traurige Miene, und blaſſe Farbe, ihr verwirrtes Haar, und losgegangnes Ge - wand vollendeten das Bild einer bezaubernden Heiligen. Wir quartierten ſie zuſammen in ein Haus ein, und ſie wurden gut verpflegt und ge - wartet. Ich ſelbſt blieb in dem Staͤdchen, und ruh - te die Nacht aus; meine Streifwunde hatte zwar nichts zu bedeuten.

N 4Den200

Den andern Morgen nach der Meſſe unter - hielt ich mich noch ein parmal auf den Raub we - nige Augenblicke allein mit Lucinden, die nun wieder zu Kraͤften gekommen war; und erfuhr, daß der Anfuͤhrer der Raͤubergaleeren, den ich niedergeſtoßen hatte, ein Liebhaber von Fulvia geweſen ſey, ein Genueſer, der gefangen ſeinen Glauben verlaͤugnete, und alsdenn unter dem beruͤhmten Ulazal diente, groͤßtem Seehelden unſrer Zeiten. In ſie entbrannt, ohne daß ſeine Leidenſchaft je ihr Ziel erreichte, unternahm er die That nach hinlaͤnglich eingezogner Nachricht von allen Umſtaͤnden der Hochzeit; und haͤtte ſie bald gluͤcklich ausgefuͤhrt. Er war Baſtard von einem Adorno, und man nannte ihn zu Genua Biondello. Jungfraͤulich verſicherte ſie mir, daß die Braut noch ihre Ehre bewahrt haͤtte mit heißen Bitten, und Beſchwoͤrungen, daß er ſie nur ſo lange verſchonen moͤchte, bis er ans Land kaͤme, bey ihrem uͤblen Befinden; und ſie ſeyrein201rein bis auf einige Kuͤſſe, die ſie dem Verdammten unterdeſſen habe geſtatten muͤſſen. Die andern waͤren meiſtens noch viel aͤrger als die Braut von der Seekrankheit befallen geweſen, ſo daß die Barbaren ſelbſt Mitleiden und Barmherzig - keit gegen ſie gehabt haͤtten, ohne ſie weiter noch zu martern. Außerdem habe die Noth in Sicher - heit zu kommen, die Raͤuber zu aͤußerſter Ge - ſchaͤftigkeit angetrieben, und die Menge die Begierden jedes einzelnen im Zaum gehalten; und ſo ſeyen ſie noch gluͤcklich der Schand ent - riſſen worden, und eine koͤnne fuͤr die andre zeugen. Biondello habe denn in der Verzweiflung Fulvien aus Eiferſucht niederſaͤbeln wollen, als ich ſie errettet haͤtte. Heilloſes Geſchenk der Schoͤnheit, rief ſie aus, in wie viele Drangſale ſtuͤrzeſt du uns! und wenn wir andre damit gluͤck - lich machen, ſo gerathen wir dadurch ſelbſt in das aͤußerſte Elend. Wie die Koͤnige, die alles ver - moͤgen, nur daß unſre Herrſchaft kurze Zeit dauert,N 5ha -202haben wir durch dich keinen Freund; und die vor - treflichſten Maͤnner, mit allen Vollkommenheiten ausgeruͤſtet, wie zum Exempel ihr ſeyd, legen uns haͤßliche Fallſtricke.

Dieſe Apoſtrophe ging mir wie eine Kugel vor den Kopf, und ich fiel in Staub vor der Himmliſchen nieder.

Nachmittags drehte ſich der Wind; und wir fuhren mit Rudern und Segeln wieder ab. Auf unſer Schiff war mit einigen andern Gefangnen der junge Held gebracht worden, der auf der zweyten eroberten Galeere ſo tapfer kaͤmpfte, ſo daß wir unſer drittes Fahrzeug daruͤber einbuͤßten. Ich hoͤrte ihn hernach im Neugriechiſchen mit einem ſeiner Gefaͤhrten ſprechen; und er ſtampfte noch mit dem Fuße vor Zorn, daß die zwey an - dern Galeeren ſie im Stiche gelaſſen hatten; je - doch mit Unrecht: denn jene wurden gleich im An - fang des Gefechts von unſerm Geſchuͤtz ſehr uͤbel zugerichtet. Er ſprach inzwiſchen ſo frey und oh -ne203ne Furcht in der Gefangenſchaft, und ſeine Ge - ſtalt war ſo ſchlank und edel in der wilden Farbe von Meer und Sonnenbrand, daß mein Herz gegen ihn von Zuneigung wallte. Ich beſchloß, alles moͤgliche anzuwenden, ihn von der Knecht - ſchaft los zu machen, welches mir denn auch gluͤckte; noch ehe wir zu Genua einliefen, ſchenkt ihn mir Doria zur Belohnung. Ich nahm ihn zu mir, wie wir von Bord traten; erklaͤrte ihm ſeine Freyheit, woruͤber er mir an die Bruſt flog, und ließ ihn wenig Tage darauf mit einem Venezianiſchen Schiffe nach Konſtantinopel ab - fahren. Er bat mich vorher um meine Zuſchrift; die ich ihm dann an dich gab.

Du ſollſt dich nicht in mir betrogen haben, ſprach er zu mir beym Abſchied: ſolche Menſchen, wie wir, muͤſſen einander ihr lebenlang helfen.

Die Maͤnner, die ihre ſchoͤnen jungen Wei - ber wieder bekamen, freuten ſich wenigſtens, daß ihnen Grund und Boden geblieben war;und204und die Vaͤter und Muͤtter hoften bey ihren Toͤchtern das beſte. Wegen der Braut wurden insgeheim von der Familie des noch verwun - det darnieder liegenden Braͤutigams verſchiedne Perſonen beſonders in Verhoͤr genommen; und als ihre Ausſagen uͤbereinſtimmten, und derſelben Unſchuld bekraͤftigten: ſo uͤberließ man ſich wieder ganz der Freude.

Der Himmel beſchere mir nur immer ſo fort ein Leben, und laſſe mich nie in Unthaͤtig - keit ſchmachten: von Caͤcilien und dir geſchieden zu ſeyn aber thut mir weh im Herzen. Wann wird einmal wieder die Zeit der Vereinigung kommen! Ach, wenn es ihr nur wohl geht! dieß iſt jetzt alles, was ich von ihr verlange.

Ardinghello.

Ich meldete Ardinghellon den Empfang ſei - nes Briefs; und daß die Sachen der Caͤcilia er - wuͤnſchten Ausſchlag naͤhmen, und man auf ihn gar keinen Verdacht haͤtte; und andre Dinge,die205die mich betrafen, und nicht zu dieſer Geſchichte gehoͤren; und erhielt von ihm im Dezember fol - gende weitere Nachricht.

Genua, Dezember.

Die See iſt hier doch etwas ganz anders, als in euren Brentaſuͤmpfen! die Stuͤrme ma - chen mir jeden Tag ein neues Schauſpiel; und ich begreife nun, wie Kolumben der Muth im Herzen erwuchs, ſich mit einer Bande Geſindel in den unwirthbaren Ozean hinaus zu wagen, gleich einem Gotte, der Waſſerfluthen und Or - kane kennt, und in ihr grauſames wildes Spiel ſich zu finden weiß, kuͤhner als Herkules und alle Helden der vorigen Zeitalter. Wann die Wogen ſo den Hafen hereinbrechen und ſich an ſeine hohe Mauer hinaufwaͤlzen, bis uͤber die Daͤcher der Haͤuſer, die da ſtehen, und Schaum und Meer wie ein Wolkenbruch wieder herab - ſtroͤmt, und mit dem neu herbeyrauſchenden Un - geſtuͤm ſich klatſchend zu Staub wirbelt: wie lebtdie206die Natur da in meinem Sinn und ergreift mit ihrer Muſik mein Weſen!

Ich habe angefangen, es mit Farben darzu - ſtellen, aber alles wieder weggeworfen: dahin reicht keine Kunſt; ſie bleibt hier zu ſehr bloß todter witziger Buchſtabe.

Dafuͤr geb ich mich deſto mehr mit den hie - ſigen Seeleuten ab; ſtudiere den Schiffbau; laſſe mir ihre Zuͤge durch das Mittellaͤndiſche Meer er - zehlen, ihre Gefechte, Gefangenſchaften, ihren Handel; bewirthe die beſten oft, und theile ihnen wieder von demjenigen mit, was ich weiß; und erkenn immer mehr, daß der Menſch eher ſo gut iſt, als er ſeyn kann, als daß er ſo boͤs waͤre, als er ſeyn koͤnnte, im Ganzen genommen.

Zufriedner bin ich mit ein Paar Skizzen, die ich aus den Begebenheiten gemacht habe, wel - che ich dir in meinem vorigen Brief erzehlte. Die eine ſtellt die Scene vor, wie die Raͤuber in den Tanzſaal fielen, und Braut und Frauen -zimmer207zimmer entfuͤhrten; doch wuͤrde mir die naͤchtliche Beleuchtung bey der Ausfuͤhrung im Großen ſchwer werden. Die andre iſt, wie ich den Biondello unter dem Verdeck niederſtieß. Wenn ich den Ausdruck der Wuth und Verzweiflung in ſeinem Kopf erreichen koͤnnte, und den hoͤchſten Schrecken, der an die Ohnmacht grenzt, in den ſchoͤnen Weibergeſtalten, die ich in ihren Gruppen und zerzaußten Kleidungen ganz nach der Natur genommen habe, ſamt den zwey niedergeſchmet - terten: ſo muͤßte dieſes Bild im Großen jeder - man ergreifen. Fulvia beſitzt ſie, und ſie mag ſich dieſelben einmal von einem andern ausmah - len laſſen. Ich bin mit ihr ſchon bekannter ge - worden, als ich anfangs wollte.

Ich ſtecke in einer Lage, die ich dir kaum mit Worten andeuten kann. Wenn Lucinde an Fulvias Stelle waͤre: ſo fuͤhrten wir ein Goͤtter - leben; ſo aber iſt Natur und buͤrgerlicher Stand einander ganz entgegen. Fulvia hat eine Phry -nenſele208nenſele; und dieſe ſollte Lucinde haben, um das gluͤckſeligſte Geſchoͤpf zu ſeyn. Ich habe Ge - ſpraͤche mit der letztern gehabt, mich auf ewig mit ihr zu feſſeln; wenn die Ehe nicht der Tod bey lebendigem Leibe fuͤr meinen freyen Sinn waͤre. Ach es geht bey ihr alles ſo ſchoͤn hinuͤber und heruͤber! was dieß weibliche Weſen fuͤr einen ſuͤßen Klang hat, iſt unausſprechlich. Und ihre Ahndungen und Gefuͤhle von unſichtbaren Wel - ten, ſo fremd und ſonderbar und kindlich zuwei - len ſie mir auch vorkommen, ergoͤtzten mich doch wie homeriſche und platoniſche Dichtungen.

Es iſt mancher von ihr angebrannt, und luͤ - ſtern bis zur Wuth nach ihrem Ambroſia und Nectar: aber wen ſie etwa moͤchte, der will oder darf ſie nicht heurathen; und ſo iſt der Engel melancholiſch und ungluͤcklich. Sie will mir wohl, das ſeh ich, und leidet Pein, und thut ſich die aͤußerſte Gewalt an. Warum muͤſſen wir ſo ge - bunden ſeyn, und jeden Tropfen Luſt mit Achund209und Weh erkaufen! Alles in der Natur iſt gluͤcklich, nur der Menſch nicht; das, was wir Vernunft nennen, ſteht ihm immer als ein ty - ranniſcher Zuchtmeiſter zur Seite; und diejeni - gen, welche man ihrer Vollkommenheit wegen be - wundert, ſind die armſeligſten unter allen.

Als ich mich einſt an einem Abend tiefer mit ihr im Geſpraͤch hieruͤber verlor, und ihr dieſes einleuchten machen, und ſie, wie mich duͤnkt, auf ihren rechten Lebenspfad fuͤhren woll - te: ſah ich auf einmal Fulvien neben uns, die ich im Eifer nicht bemerkt hatte; wir ſonderten uns vorher von der Geſellſchaft ab, und ſtanden an einem Fenſter im Saal mit der Ausſicht uͤbers Meer hin. Der Ernſt kehrte ſich dann in Kurz - weil; Fulvia foppte mich als einen bloͤden Schaͤ - fer, und in Ruͤckſicht auf ſie war der Spott nicht ungerecht: und Lucinden ſagte ſie einige unanſtaͤn - dige Dinge, welche deßwegen erroͤthend ausſchied.

OFol -210

Folgenden Nachmittag erhielt ich durch ein Weib, das Lucinden bediente, ein Zettelchen, worauf geſchrieben ſtand; ich muß Sie allein ſprechen, mich zwingt die Noht dazu; warten Sie eine Stunde nach Einbruch der Nacht un - ten am Pallaſte; die Ueberbringerin wird Sie an Ort und Stelle fuͤhren.

Ich wußte nicht, was ich denken ſollte, und von der Frau war weiter nichts herauszu - bringen; inzwiſchen verſprach ich gewiß zu kom - men.

Dieſelbe fuͤhrte mich auch die beſtimmte Zeit die Treppe hinauf, und oben durch den kleinen Garten. Es war finſter, und regnete, und der Wind ſauſte. Alsdenn machte ſie ein Zimmer auf, ſchloß mich hinein, und ich war voͤllig im Dunkeln. Sogleich wurd ich von einer warmen Hand feſt gefaßt, und auf ein Ruhebettchen ge - bracht; ſchuͤchtern erſt und endlich inbruͤnſtig um - armt und gekuͤßt unter heißen Seufzern, ohnewei -211weiter nur ein Wort zu hoͤren. Mein ganzes Blut gerieth in Wallung an den Liebe klopfenden Bruͤſten; ich glaubte, Lucinde ſey ploͤtzlich eine heitre Griechin geworden, und wollt ihr him - melſchoͤnes junges Leben genießen, und mit mir den Anfang machen. Mir wich das Gewand unter immer mehr verfuͤhreriſchem Straͤuben; und ich gelangte bey dem hoͤchſten Reize, den jun - ge zarte nackte vollkommne weibliche Formen in der Dunkelheit fuͤr unſern ſtaͤrkſten Sinn nur haben koͤnnen, zum entzuͤckendſten Ziel meiner ent - flammten Begierden.

Das Bacchantiſche Leben, das endlich alle Verſtellung vergaß, brachte mich hernach doch etwas aus meiner Unuͤberlegung, obgleich noch ganz im Rauſche. Lucinde, Lucinde, rief ich, welch eine gluͤckliche Verwandlung! laß mich dei - ne Stimme hoͤren.

O du mein Alles! hoͤrt ich nun Fulvien ſtatt ihrer, verzeyhe mir dieſen Betrug: was ichO 2bin212bin und habe, iſt dein Eigenthum, du biſt mein Herr und Meiſter! du haſt mir das Leben errettet, und ich kann nichts weniger thun, als dir wie Magd und Sklavin dienen, Engel, Gott! wo find ich einen Namen, der alles das ausdruͤckt, was ich in dir umfaſſe? Auch Lucinde ſoll dir zu Theil werden! Stolz und Eiferſucht ſamt der Perſon will ich deinem Vergnuͤgen aufopfern. Hier umrang ſie mich aufs heftigſte und biß mich wie raſend in die Bruſt.

Ich mußte mirs gefallen laſſen; ich war angefuͤhrt auf eine Weiſe, die mir hohe Luſt ge - waͤhrte. Wenn ich auch ein Joſeph haͤtte ſeyn wollen: ſo war die Flucht zu ſpaͤt. Ihr Gemahl erzeigt mir Freundſchaft: aber wer kann dafuͤr, daß er einfaͤltig iſt, und kein beſſer Schickſal ver - dient? Warum hat er ſo geheurathet? Dieß ſind natuͤrliche Folgen, die ſelten ausbleiben. Ful - via hat ein heißes Temperament, und er iſt ſchwach und kalt und traͤge: ſolch ein Paar thut kein gutzu -213zuſammen, wie mancher wegen des Kontraſtes ſich wohl einbilden moͤchte.

Ich verwunderte mich uͤber den Schritt, den ſie gethan haͤtte; freute mich ihrer Liebe, und pries ihre Reize: geſtand ihr aber aufrichtig, wie naͤrriſch der Menſch ſey, und daß mein Herz auch beym lebendigſten Genuß der Wonne noch nach Lucinden ſchmachte.

Und warum ſollen wir dich nicht als Freun - dinnen lieben koͤnnen? o du biſt ein ſo theuer Gut, daß wir beyde an dir uͤberfluͤßig genug haben; und ihrer mehrere, wenn du willſt. Du ſollſt als der edelſte Wein nur zum hoͤchſten Feſt aufgeſpart werden, der mit ſeinem Balſam allen koͤſtlichen Geſchmack uͤberfluͤgelt. Warum ſollen vernuͤnftige Schweſtern nicht friedlich mit einan - der an dir Theil nehmen! Warum ſollen wir uns von Gewohnheiten und Geſetzen im Zaum halten laſſen, die bloß fuͤr den Poͤbel ſind, ebenO 3weil214weil er Poͤbel iſt, der ſich nicht ſelbſt regieren kann?

Du ſiehſt hieraus, daß ich doch mit einem gutartigen Geſchoͤpfe noch zu thun habe. Ich mußte uͤber ihre Asſpaſienberedſamkeit und feinen Lobſpruͤche laͤcheln; band ihr aber aufs Gewiſſen, behutſam zu ſeyn; und ſo war der neue Liebeshan - del fertig.

Es laͤuft mir heiß uͤber den Leib, da ich mit dir von Caͤcilien ſprechen will, und ich erroͤthe, wie ein Unheiliger; ſie bleibt immer die Krone von Venedig. Moͤchte ſie und Lucinde nur ſo Schweſtern ſeyn, wie Fulvia ſagte! Aber ich bin ein Thor und unerſaͤttlich. Ach, die Arme wird verlangen Nachricht von mir zu hoͤren; und dieß iſt noch nicht einzulenken. Wie bin ich ſtrafbar, daß ich mich mit dem Schoͤnen zu ver - einigen ſuche, wo ichs finde! iſt dieß nicht der edelſte Trieb unſers Geiſtes? iſt der nicht ein Elender, ein von Gott Verworfner, der dieſenTrieb215Trieb nicht hat, nicht ausuͤbt? In was fuͤr ei - ner Welt bin ich, wo dieß Naturlaſter ſeyn ſoll? den Menſchen zerruͤttende bloße duͤrgerliehe Ord - nung iſt es. Komm, goͤttlicher Plato, und ſtuͤrz alle die barbariſche Geſetzgebung uͤber den Haufen, und fuͤhre deine Republik ein, wo wenigſtens Mann und Weib mit ihrer Liebe heilig und frey ſind.

Ardinghello.

Ich erhielt mit dieſem Briefe faſt zur ſel - ben Zeit ein Kaͤſtchen von Smyrna an Arding - hellon, und konnt es ihm ſogleich durch einen Veroneſer, einen alten Bekannten von unſerm Hauſe, welcher in Handlungsgeſchaͤften nach Genua abreiſte, uͤberſenden. Dabey meldete ich ihm die voͤllige Befreyung ſeiner Caͤcilia. Im Februar ſchrieb er mir wieder, wie folgt, mit dem von Verona bey deſſen Zuruͤckkunft.

O 4Genua216

Genua, Februar.

Sieh, theureſter Schatz meines Lebens, edles Herz, hoher Geiſt, gute Thaten bleiben nicht unbelohnt! Lies dieſes koſtbare Zettelchen: fuͤr dich hab ich kein Geheimniß.

Du haſt den Sohn des Kalabreſers Ulazal gerettet, ein Kind der Liebe, das er mit einer Griechin aus Rhodos erzeugte. Nimm hier einen kleinen Dank dafuͤr; und reiße dich los, und komm in meine Arme. Bey meiner Mut - ter Platane Stephani zu Smyrna kanſt du mich immer ausfinden; dahin richte auch deine Antwort. Ich verſichere dich, daß kein beſſer Leben iſt, als vom Archipelagus bis an die Saͤu - len des Herkules auf den klaren Waſſern in be - ſtaͤndiger Bewegung zu ſeyn, und durch ſeine Tapferkeit die Schoͤnheit aller der reizenden Kuͤ - ſten zu genießen. Koniglicher Juͤngling erquicke bald mit deinem muthigen Anblick meine Seele!

Diagoras Ulazal.

In217

In dem Kaͤſtchen ſind Edelſteine und Rin - ge und einige andre Orientaliſche Koſtbarkeiten von großem Werth.

Alle diejenigen, die wir ihm gefangen nah - men, hat er ſchon frey gemacht, und meiſtens mit andern Chriſtenſklaven ausgewechſelt. Er verſprach es ihnen, wenn ſie ihn nicht entdecken wuͤrden; und die auserleſene Schaar war ent - ſchloſſen genug dazu: ſolche Zuneigung hatte je - der fuͤr den jungen Helden.

Nun hoͤre meine andre Begebenheiten! den Antrag des Diagoras muͤſſen wir weiter uͤber - legen; ich kann mich noch nicht entſchließen, das ſchoͤne Italien zu verlaſſen, da ich noch ſo wenig davon geſehen habe.

Fulvia nahm uͤber ſich, Lucinden zu bekeh - ren; meine Leidenſchaft gegen dieſelbe ſchwoll immer mehr an, je haͤrter und unerbittlicher ſie wurde. Vor vierzehn Tagen ohngefehr ließ ſie endlich etwas von ihrer Strenge nach; da ſie vor -O 5her218her immer alle Geſellſchaft mied, wo ſie wußte, daß ich zugegen war. Eine gewiſſe Heiterkeit und Fruͤhlingsroſenroͤthe ging in ihrem himmli - ſchen Antlitz auf, das ſonſt ein innrer Gram mit einer melancholiſchen Lilienblaͤſſe uͤberzog, die mir ſo das Herz zuſammenklemmte, daß ich aus der Haut fahren mochte, um dem Engel zu helfen. Sie geſtattete ſo gar, daß ich auf einem vermummten Ball eine Menuet mit ihr tanzte. Gott! welcher hohe Reiz enthuͤllte ſich in jeder Be - wegung ihres ſchlanken Koͤrpers! wie heiß die Augen in mich ſonnten, und ſich doch ſo ſelbſt uͤberlaſſen! wie ſuͤß die zarten Lippen in ſo fri - ſcher feuchter Roͤthe laͤchelten, und die feſten glaͤnzenden Bruͤſte von der Ebbe und Fluht der Jugend wallten! Ich ward umflochten von einem unzerreißlichen Liebesnetz; und die Beruͤhrung ihrer Finger entflammte mich, als ob ich lauter Salpeter und Schwefel waͤre. Wo ich den Blick hinrichtete, entſtanden neue Zaubereyen;ſo219ſo hatten mich ihre behenden ſichren Fuͤße nie entzuͤckt, und nie ſo ihre braunen ſich hebenden Locken uͤber den ſchoͤnen weißen Hals, ſamt aller ihrer Kleidung. Wir ſchwebten um einander wie klare lichte Empfindung; ſie ſchien zu fuͤhlen was ich fuͤhlte, und zitterte auf die letzt vor Bangigkeit, ſo daß wir ploͤtzlich aufhoͤren muß - ten.

Noch dieſelbe Nacht ward eine Verraͤtherey gegen ſie ausgedacht und vollfuͤhrt. Ich ſtahl mich mit Fulvien vom Ball weg, und dieſe ver - barg mich in einen großen Schrank, der in Lucindens Schlafzimmer ſtand, worin einige alte Familienkoſtbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich allein, und kam unbemerkt wieder zuruͤck.

Lucinde machte ſich gleich darauf vom Tanz - ſaal; ich erbebte vor Schrecken und Luſt, wie ich ſie hereinrauſchen hoͤrte. Sie ſang alsdenn beym Auskleiden ein provenzaliſch Lied, mit einer Stimme, woraus die Toͤne ſo gefuͤhlig und reinwie220wie Perlen hervorkamen, die ich noch nie ver - nommen hatte: nur befremdete mich aͤußerſt deſ - ſen Inhalt. Es war der Seelenjubel einer Jung - frau, die ihren Geliebten wieder findet, frey von Noht und Drangſaal, worin er lang geſchmachtet hat, und ihn mit tauſend Kuͤſſen, Liebkoſungen und Zaͤrtlichkeiten empfaͤngt. Doch vielleicht, dacht ich, iſt es etwas auswendig gelerntes, und es faͤllt ihr eben ſo ein; aber es machte mir hef - tige Unruhe, als ſie beym Schluß in die Haͤnde klatſchte, und ausrief: o haͤtt ich dich ſchon, mein Florio! aber wie weit biſt du noch ent - fernt! doch Fluͤgel wieder meiner Hofnung, daß du noch lebſt. O du heilige Magdalena beſcheere mir den holden, die du auf deinem Felſen zu Marſeille ſchon oft uͤber ihn gewaltet haſt, und den Verwegnen aus den Fluhten des Meers und toͤdtlichen Gefahren nach meinen Bitten errettet! O du liebe heilige Magdalena, ich falle hier vor dir nieder, und fleh dich an, uͤberlaß, o Freun -din221din des Erloͤſers, mein Gemuͤht nicht immer dem bittern Kummer! mache mein Herz leicht, und wieder froh, und ſtehe bey meiner Liebe! Arding - hello, der Fluͤchtling, heurathet mich doch nicht. Was hilft mirs, wenn ich ſeine Quaal auch noch ſo hoch treibe: er machte mich endlich ungluͤcklich. Wohlwollen muß ich ihm, ach ja! er iſt ein ver - fuͤhreriſcher Bube. O[Florio] erſcheine bald! Hei - lige gib mir ihn!

Ich wurde faſt zum Narren, ſo griffen mich dieſe Reden der Unſchuld in meinem Schrank an; und mußte alle meine Kraͤfte zuſammenſpannen, um auszuhalten. Noch war ich unentſchloſſen, was ich thun wollte, Tumult und Aufruhr in al - len Nerven und Adern. Und ſo harrte ich, bis ſie ſich zu Bette legte, und harrte noch hernach uͤber eine Stunde; und lange und lange, bis ich endlich in der Verzweiflung, mit meinen Ge - danken und Gefuͤhlen ins Reine zu kommen, leiſe die Thuͤr eroͤfnete, und heraus trat.

Den222

Den Mantel hatte ich ſchon vorher abgewor - fen, und die Schuh ausgezogen; ich ging auf den Zehen und hielt mich mit den Haͤnden im Gleich - gewicht. Sie lag vom Schlaf aufgeloͤſt mit dem Kopf uͤber den rechten Arm, und den linken ſanft ausgeſtreckt, mit den Knien jungfraͤulich ein wenig zuſammengezogen, die Decke von ſich ge - worfen, und nur den Unterleib mit dem ſeinenen Tuche verhuͤllt; es war eben eine laue Nacht.

Ich heſah alsdenn ihr Zimmer. Vor einer Madonna mit dem Kinde, nach der reizenden von Raphael auf dem Stubl von einem ſeiner beſten Schuͤler kopirt, brannt eine Lampe; und eben ſo brannt eine andre vor einer Magdalena, gewiß von dem Wundermanne der Lombardey Antonio Allegri: ſolch eine unbeſchreibliche An - muht war in den Umriſſen ihres Geſichts, ſo lieblich die Farbe, und unuͤbertreflich das blende Haar gemahlt, uͤber die jungen Bruͤſte reizend wie von einem Luͤftchen verweht. Vor beydenſtanden223ſtanden Blumenſtoͤcke; vor der Magdalena auf - gebluͤhte Roſen und Knospen, vor der Madonna Lilien und Nelcken, die ſie ſich ſelbſt den Winter erzog. Auf dem Tiſche vor jener lagen die Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Fe - dern und Dinte und Papier und beſchriebne Blaͤt - ter. Ich las das eine, wo ausgeſtrichen und veraͤndert war: und fand das Lied im Provenza - liſchen, was ſie geſungen hatte. Das wußt ich auch noch nicht, daß ſie ihre Gefuͤhle in ſo ſchoͤne Form von Worten bringen konnte: mir wallte dabey eine Gluht nach der andern auf im Herzen. Petrarka war das gediegenſte, immer gerade das wenige Vortreflichſte, mit ausgetrockneten ver - ſchiednen Blumenblaͤttern belegt und bezeichnet; beſonders in den Reimen nach dem Tode der Laura. Neben der Madonna ſtand ihre Neh - arbeit in einem Rahmen; ſie hatte angefan - gen, die lebendigen Roſen und Lilien vor ſich da - hinein zu ſticken. Mich uͤberlief ein Schauder,als224als ob ich in den Tempel der Keuſchheit eingebro - chen waͤre, und laͤſterlichen Frewel ausuͤben woll - te. Ich blickte durch das Fenſter am Bette, und der volle Mond wich hinter die Seealpen, den Graͤuel nicht anzuſehen; unten rauſchte zuͤrnend das Meer auf. Ich ward erſchuͤttert, und es fehlte nicht viel, daß ich mich wieder in den Schrank verborgen haͤtte; doch kniet ich vor ſie hin, und ſtaͤmmte mich ſachte mit beyden Haͤnden auf ihr Lager; ihr ambroſiſcher Athem beruͤhrte mich wie Wonne des Himmels. So lag ich eine Weile in ihrem Anſchauen verſunken und verlo - ren, und meiner endlich nicht mehr maͤchtig. Ich warf die Kleider von mir, und naͤherte mich nach und nach leiſe mit ganzem Leibe dem Schoͤnſten, was die Welt hat. Ich ſchob alsdenn mit den aͤußerſten Fingern das Hemd auf beyde Seiten von den Bruͤſten, die mich mit ihren Knospen der Unſchuld anlaͤchelten, als ob ſie Ver - ſchonen ihrer Jungfraͤulichkeit baͤten; und ſobracht225bracht ich das Tuch von ihren reinen trocknen Fuͤßchen und den netten Beinen bis an die Mitte der wie Saͤulen runden uͤppig hinaufſchwellen - den Schenkel, worunter es feſt hing.

O all ihr Maͤchte des Himmels und der Erden, welche Vollkommenheiten habt ihr hier vereinbart! ich zerrann in nicht mehr zu hem - mendes Entzuͤcken, und riß das Tuch los: und ſie fuhr auf und that einen Schrey unter meinen Kuͤſſen.

Habe keine Furcht, ſtammelt ich ihr, ich bin Ardinghello, und werde dir kein Leid zufuͤ - gen. Sie hoͤrte nicht und rief: Boͤſewicht! Schaͤndlicher! Huͤlfe! und wand ſich los und bedeckte ſich und weinte in voller Verzweiflung: ich war wie von einem Wetterſtrahl durchſchlagen in allen Gebeinen.

Vergib, o Himmelskind, einem, von un - wiederſtehlicher Liebe ganz niedergeworfnen und uͤberwaͤltigten, dieſe Frechheit. Ich ſchwoͤre dixPbey226bey allen deinen und meinen Heiligen, ich werde dir kein Leid zufuͤgen! ſo faßt ich ſie mit Ge - walt bey ihrer Rechten, und hielt ſie an mein laut - ſchlagend Herz.

Weg von mir grauſamer Verderber! ſchluchzte ſie.

Komme wieder zu dir, Lucinde! ſprach ich ihr ein; ſieh! ich beruͤhre dich nicht mehr. Ich bin ſchon gluͤcklich, wenn ich dich nur ſehe;[und] wenn ich von dir bin, iſt alles vor mir in Leerheit. Deine Geſtalt allein, auch ohne Wort und Zuneigung, iſt mir mehr, als andrer feurige Liebe. Sende mich in Gefahren, worinn ich tau - ſendmal mein Leben wage: dein Wink wird mein Geſetz ſeyn. Du biſt meine beßre Seele, die al - le meine Faͤhigkeiten fuͤllt. Du herrſcheſt uͤber mich, wie mein ſtrengſter Verſtand; ſieh! das zeig ich dir; und alles kann ich fuͤr dich thun, außer was mir unmoͤglich iſt.

O227

O Ardinghello! Ardinghello! weinte ſie, verlaß mich! o verlaß mich!

Goͤttliche, und warum? Warum koͤnnen zwey Menſchen, wie wir ſind, nicht ohne Suͤnde ſo beyſammen ſeyn! Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und me - chaniſcher Geſellſchaft dazwiſchen! Bedenke, wie die Seeligen im Himmel ſind, und unſre erſte Eltern waren. Alles dieß dient nur, wenn man unter dem großen Haufen iſt.

Und was willſt du von mir? was kann ich fuͤr dich thun, ohne mich ungluͤcklich zu ma - chen? verſetzte ſie etwas ruhiger, ſich rundum einhuͤllend.

Sage mir, wen du liebſt? fuhr ich fort; denn daß du liebſt, das weiß ich, und weiß noch, daß du ungluͤcklich geliebt haſt.

Ach, antwortete ſie darauf, nach einigem Stillſchweigen, den Hauptmann einer Galeere! der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu NizzaP 2war,228war, ſchon aufbluͤhender großer Knabe, bey mei - nen Eltern leſen und ſchreiben lehrte. Hernach legte er ſich auf die Handlung, und fuͤhrte mit der Zeit Kauffahrtey Schiffe; und endlich wurd er Anfuͤhrer einer Spaniſchen Galeere. Als ſol - chen ſah ich ihn noch lange vor zwey Jahren in Genua wieder; wo wir uns einander verſprachen, und die Vermaͤhlung feyern wollten, wenn er wieder aus dem Tuͤrkenkriege kaͤme. Allein er kam nicht wieder; und ich hielt ihn fuͤr todt, bis ich vor wenig Tagen die zugleich frohe und traurige Bothſchaft hoͤrte, daß er zu Konſtantinopel in harter Sklaverey ſich befinde. Mir brachte ſie ein alter Schiffer aus Antibes, der von dort ab - fuhr, und uns beyde kennt. Nun hoff ich, daß man ihn erloͤſen, und ihm ſeinen ehemaligen Po - ſten wiedergeben, und wir endlich gluͤcklich ſeyn werden.

Zaͤrtliche, verfuͤgt ich darauf, deine Hof - nung ſteht auf ſchwachen Fuͤßen; Spanien iſtnoch -229noch im heftigen Kriege mit den Tuͤrken; und wenn dein Braͤutigam ein Held war, ſo werden ſie ihn ſo leicht nicht herausgeben. Hier verbarg ſie ihr Geſicht ins Kuͤſſen, und ſeufzte und weinte; und ich fuhr fort: doch wenn es von Spanien aus nicht geſchieht: ſo kann vielleicht ein andrer ihn frey machen; und was ſchenkſt du mir, engliſche, wenn ich es waͤre! druͤckt ich ihr mit der rechten in die Hand, und mit der linken ins Herz und ich will es dir faſt ſo gut als gewiß verſprechen; ich hab einen Freund am Tuͤrkiſchen Hofe ſelbſt, der alles kann. Sie verbarg ihr Geſicht noch tie - fer, und ſagte gebrochen unten hervor: ach, mein Beſtes! aber du biſt grauſam! Und die Verſicherung? redt ich außer mir ihr zu. Gieb dort mir her Feder, Papier und Dinte, und leuchte! dieß war nun mein Wille nicht, aber ich verlangte zu wiſſen, was das ſchwaͤr - mende Maͤdchen begaͤnne; und nahm die Lampe von der Magdalena, Feder, Dinte und Papier,P 3und230und den Petrarca zur Unterlage; und die from - me ſchrieb, und laͤchelte unter Thraͤnen:

Wenn Ardinghello mir meinen Braͤutigam Florio Branca aus der Sklaverey erloͤſt und frey wieder herſtellt, und zaͤrtlich liebt und ſchweigt: ſo ſoll er meine erſte hoͤchſte Gunſt ha - ben mit dieſen Zeilen, oder Madonna mich nie zu Gnaden annehmen; aber eher er auch nicht einen guͤtigen Blick verlangen.

Lucinde.

Darauf gab ſie mir das Zettelchen mit ei - nem ſtrengen Blick voll Bedachtſamkeit, und ſagte: nun gehorche, und verwahr es ſorgfaͤl - tiglich, wenn ich ſo viel uͤber dich vermag, als du ſprichſt. Und noch eins, wer hat dich hie - her gebracht? Hier mußte mir nun platterdings eine Luͤge aus der Noht helfen: ich ſagte; ich ſey ihr nachgegangen, und habe mich dort hinter den Schrank verſteckt, ohne von ihr bemerkt zuwer -231werden. Biſt du ſo ein Tauſendkuͤnſtler! ſag - te ſie ſpottend.

Der Morgen brach an; ich wollt ihr einen Kuß zum Abſchied geben, aber er ward mir nicht verſtattet. Ich kleidete mich geſchwind wieder zurecht, und verließ ſie; machte fuͤr Fulvien auf der Treppe das verabredete Zeichen, daß nichts geſchehen ſey und ſie ſchweigen ſollte; eroͤfnete ſachte die Thuͤr des Pallaſtes, und ſchlich in mei - ne Wohnung.

Den ganzen Morgen konnt ich kein Auge zuthun; und als ich des Nachmittags ein Paar Stunden geſchlummert hatte: duͤnkte mich al - les ein Traum.

Wie es dunkel wurde, ging ich zu Fulvien in Geſellſchaft: ſie und ihr Gemahl hatten mir ein fuͤr allemal Erlaubniß gegeben, zu kommen, wenn ich wollte. Es befanden ſich mehrere Per - ſonen vom geſtrigen Ball da; man ſprach dar - uͤber, und ſpielte hernach. Lucinde ſaß unter -P 4deſ -232deſſen fuͤr ſich am Fenſter, mit dem Kopf in der Hand, und blickte mich nicht an, und war in geheimer Betrachtung verloren. Ich machte mich alsdenn zu ihr; ſie ſchlug die großen ſchoͤnen feuchten Augen nieder und ſeufzte und erroͤthete uͤber und uͤber. Ich getraute mich kein Wort zu reden. Endlich legte ſie den andern Arm auch ins Fenſter, und betrachtete mich ſtill mit einer gewiſſen Wehmuth voll Empfindung; wir ſaßen allein, und ſie ſagte nun leiſe mit Engeltoͤnen zu mir: Was hab ich gethan! was haſt du ge - than die vorige Nacht! Inzwiſchen hohlt ich ei - nen Ring hervor mit dem groͤßten ſtrahlendſten Diamant unter denen vom Diagoras; und ſchob ihn ihr unbemerkt an den vorletzten Finger ihrer linken leichten Charitinnenhand, und antwortete Aug und Aug in ſuͤßem Liebesgenuß: Nimm hin du Braut meiner Seele! Sie erſchrack und war zwiſchen Weigern und Zaͤrtlichkeit, und blickte darauf, und um ſich; und verbargdann233dann die Hand im Schoß, und zitterte und gluͤhte.

Sag mir nur noch, mein Leben, fragt ich ſie fluͤſternd,[ob] der alte Schiffer aus Antibes hier iſt, und wie er heißt, damit ich ihn ausfra - gen kann, wo man den Florio in Konſtantino - pel findet.

Er heißt Gabriotto, verſetzte ſie haſtig, und liegt mit ſeinem Schiff im Hafen. Da - bey ſtand ſie behend auf, trat zu Fulvien an de - ren Spieltiſch, die eben einen feinen Streich machte, woruͤber gelacht wurde; und verlor ſich dann aus dem Saale, und kam nicht wieder zum Vorſchein.

Mit Fulvien hatt ich noch vor Mitternacht eine kurze Zuſammenkunft, die ſich den ganzen Tag bedachtſam auffuͤhrte, und nichts merken ließ; und erzehlte ihr, daß ich nicht uͤbers Herz habe brin - gen koͤnnen, Lucinden Gewalt anzuthun, und es auch vergebens geweſen ſeyn wuͤrde. MachteP 5ihr234ihr eine ganz andre Beſchreibung, wie ſie mit ihren Geliebten entdeckt haͤtte, der in der Skla - verey lebe; und mit einem Wort, daß ich das himmliſche Maͤdchen zu hoch ſchaͤtze, um es zu verfuͤhren und ungluͤcklich zu machen. Ich bat ſie ihrer ſelbſt wegen, von dieſem alle ſtille zu ſeyn.

Sie wars gar wohl zufrieden, und antwor - tete, daß ſie die Geſchichte wiſſe; ſie habe aber ge - glaubt, daß der Braͤutigam in der Schlacht ge - blieben und alles laͤngſt vorbey ſey. Auch ſie woll ihr moͤglichſtes beytragen, daß der Armen gehol - fen werde; ſie liebe ſie als ihre beſte Freundin und eine der vollkommenſten Perſonen ihres Ge - ſchlechts: nur koͤnne ſie ihre allzugroße Froͤmmig - keit, Eingezogenheit und Kaͤlte nicht vertragen; die Jugend unſers Lebens, beſonders beym Frauenzimmer, ſey zu kurz, um ſie ſo ungenoſſen wegſtreichen zu laſſen, und in dieſem Punkt Lu - cinde gewiß immer albern.

Dar -235

Darauf ging es an das Katulliſche da mihi baſia mille, wovon ich mich bald los machte. In ſolche neckende Handel gerahten wir Liebes - ritter! aber ich ſtelle mich auch auf keinen philo - ſophiſchen Lehrſtul, wo man zu ſeyn befiehlt, was der Menſch nie war.

Den andern Morgen ſucht ich den Ga - briotto auf, und traf ihn endlich gegen Mittag in einem Weinhauſe, nachdem ich ihn im Hafen nicht gefunden hatte. Es iſt ein herrlicher Alter, in ſeinem Leben von mancherley Schickſalen durch - gearbeitet. Dreymal war er in Sklaverey, in Aegypten, Mauritanien, und Griechenland; und ſah Mecca und das heilige Grab, zog mit ſeinen Patronen uͤber den Kaukaſus und Atlas, und kam jedesmal wunderbar wieder los; fuͤhr - te nun ein Kauffahrthey Schiff, und ließ ſichs wohl ſeyn in ſeinen letzten Tagen. Was iſt ei - nes Koͤnigs Leben, der ſeine Zeit durchgaͤhnt, gegen die Wanderungen und Gefuͤhle eines ſolchen Er -den -236denſohns? O guͤtiger Himmel, laß mich nur nie auf einer Stelle kleben bleiben!

Ich machte bald mit ihm Bekanntſchaft, er liebte die lehrbegierige Jugend: wir ſetzten uns in einen Winkel allein, und ich ſorgte dafuͤr, daß wir nicht Durſt litten.

Ich verſchwieg im Anfange mein Geſchaͤft; und wir kamen auf die aͤgyptiſchen Pyramiden zu ſprechen. Er machte die geſcheidte Bemer - kung dabey, daß die Leute damals entſetzlich un - ter der Zucht ihrer Koͤnige muͤßten geſtanden ha - ben, um ſo ungeheure Steinhaufen aus ferner Gegend her zuſammenzutragen; die am Ende doch nur eine Kleinigkeit gegen die vielen Felſen des Kaukaſus, Atlas und der Alpen waͤren, welche die Regen des Himmels binnen den Jahrtauſen - den zu eben ſolcher unzerſtoͤrbaren Form geſpuͤlt. Ich erzehlte ihm dabey zum Scherz aus dem Herodot das Maͤhrchen von der reizenden Koͤ - nigstochter, die bloß durch ihre Liebhaber ſich eineer -237erbaut habe, der ſie fuͤr jede Gunſt doch nur ei - nen Stein herbeyſchaffen durften; und daß folg - lich bey allen die Arbeit nicht gleich ſauer geweſen ſeyn moͤge. Wer den letzten lieferte, antwor - tete er lachend, und dem Werk die Krone auf - ſetzte, muß wenigſtens guten Muht gehabt haben.

Er machte mir alsdenn eine angenehme Beſchreibung von den Sitten mancher Laͤnder, die er durchſtrichen war. Zum Exempel von Georgien und Cirkaſſien, wo die ſchoͤnſten Men - ſchen leben, ſagt er, daß die Kinder da hervor - kaͤmen, wie die Blumen und Fruͤchte auf dem Felde, und man von keiner Eiferſucht wiſſe. Die Maͤnner hielten ſich bloß fuͤr das Mittel ihrer Entſtehung, und bildeten ſich nicht ein, als ob ſie dieſelben etwa ſelbſt verfertigten, wie ein Kunſtwerk, und waͤren dabey eitel auf ihren Verſtand oder ihre Geſchicklichkeit wie bey uns; und alle Welt lebte gluͤcklicher ohne die Ketten und Feſſeln.

Von238

Von der Schoͤnheit, beſonders der Weiber dort, gingen wir auf unſre Landestoͤchter uͤber; und von dieſen behauptete er doch, daß ſie mehr Geiſt und Form in ihrer Geſtalt haͤtten, obgleich nicht die Zartheit und die Bluͤthe des Fleiſches jener. Als hier in Genua, fuͤgte er hinzu, iſt ein jun - ges Frauenzimmer, Lucinde von Montefeltro, die ich allem Reiz vorziehe, den ich dort geſehen habe.

Dieſe Reden gingen mir, wie du leicht den - ken kannſt, gar ſuͤß vom Ohr zum Herzen durch all mein Weſen. Wir tranken dabey mit durſti - gern Zuͤgen. Der Zauberthau des Weinſtocks ſetzte ihn in meine Jugend zuruͤck, und durchgluͤh - te ſeine Adern wieder mit der erſten Lebenswaͤr - me. Ich fragte ihn darauf, ob er dieſe Lucinde von Montefeltro genau kenne.

Wie oft hab ich den Engel als Kind auf meinen Armen getragen, und ihr Leibchen rundum bepatſcht und geſtreichelt, was ich nochim -239immer thun moͤchte, ohn ihr mehr Schaden zu - zufuͤgen! fuhr er lieblich zu ſprechen fort. Ihr Vater war ein heruntergekommner Edelmann, der um ſich wieder zu erhohlen hernach Handlung trieb. Mit ſeiner erſten Frau zeugte er keine Kinder; alsdenn ſchon in die funfzig, vermaͤhlte er ſich mit einer armen, aber jungen und aͤußerſt ſchoͤnen Anverwandtin der Mutter der Fulvia, Fregoſa, die nun in das Haus S*** getreten iſt, bey welcher ſich Lucinde aufhaͤlt. Sie hieß Sophia, und lebte mit dem alten Montefeltro ſchier an die drey Jahr in Ehe, als ſie wider Verhoffen ſchwanger wurde, und mit Lucinden niederkam.

Jedoch unter den Roſen der Gaſtfreund - ſchaft! es hielt ſich damals zu Nizza wegen des milden Winterklimas unter fremdem Namen ein wunderſchoͤner und tapfrer portugieſiſcher Prinz auf, der eine Wunde im Krieg mit den Saraze - nen bekommen hatte, die in ſeinem Lande nicht rechthei -240heilen wollte. Dieſer miethete ſich einen Garten neben dem des Montefeltro auf dem Weg uͤber den Berg nach Villafranca; und wir alle haben nie anders gemeint, als er habe mit Fug und Recht gethan, was der alte nicht konnte. Und ſo ward ein ſuͤß verlaſſen Weib gluͤcklich gemacht, und es lebt ein himmliſch Geſchoͤpf auf der Welt mehr, aller Augen zu entzuͤcken.

Als Lucinde ohngefehr zehn Jahr alt war, ſtarb ihre Mutter, die ſie als ihr einzig Kind mit aller Zaͤrtlichkeit liebte; ihr Vater that ſie darauf zur Erziehung in ein adelich Nonnenklo - ſter. Nachher ward ich von einem ſchrecklichen Sturm verſchlagen, zum drittenmal gefangen, und diente bey einem reichen Kaufmann in Griechenland. Wie ich nach einigen Jahren wieder los kam, hatte ſich alles veraͤndert; dem Montefeltro waren etliche reiche Schiffe nach ein - ander theils weggenommen worden, theils zu Grunde gegangen, zu gleicher Zeit brachen einigeſtar -241ſtarke Bankerotte in Marſeille aus, wobey er ſo viel einbuͤßte, daß die Glaͤubiger ſich ſeines uͤbrigen Vermoͤgens bemaͤchtigten. Er fluͤchtete zuvor mit wenigen hieher, da der Reichthum der Kaufleute mehr in Forderungen als baarem Gelde beſteht, und gab binnen Kurzem vor Kum - mer ſeinen Geiſt auf; Lucinden nahmen aus dem Kloſter ihre muͤtterlichen Anverwandten zu ſich. Und ſo ſtrahlt ſie denn wie der Morgenſtern, der bey einer Nacht ohne Mond aus den ſtuͤrmiſchen Wellen der See aufgeht und Glanz von ſich traͤufelt, am Genueſiſchen Himmel.

Aber o waͤre ſie auch ſo gluͤcklich, als ſie ſchoͤn iſt, und alle weibliche Tugenden beſitzt! Sie koͤnnt es ſeyn, wenn das Schickſal ihr nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht haͤtte. Florio Branca liebte ſie, und ihn Lucinde; und ſie lebten ſchon in ſeeliger Ehe mit einander, wenn er nicht in Sklaverey gerahten waͤre. Er wuchs an den Ufern des Varo auf, kam in das Haus ihresQVa -242Vaters, ging alsdenn zur See, und bildete ſich zu einem Helden.

Im Dienſte von Spanien lief er mit einem Geſchwader nach der neuen Welt aus, und ſtreifte in Mexico und Peru herum. Kam wie - der zuruͤck mit Ruhm und Schaͤtzen, und ſah das edle Reis zu einem ſchoͤnen Baum emporgeſchoſ - ſen in ſuͤßer Bluͤhte ſtehen, und wollte ſich unter deſſen anmuhtigem Schatten letzen, als er unter dem Johann von Auſtria mit der Galeere, die er anfuͤhrte, gegen die Unglaͤubigen mußte. Die Flotte der Feinde von zweyhundert und ſechszig Schiffen wurde zwar geſchlagen, und von den Chriſten bey den Echinadiſchen Inſeln der groͤßte Sieg ſeit langen Zeiten erlangt, den ſie ſich nur jaͤmmerlich zu Nutze machten: allein Ulazal, der tapfre Corſar, entkam, mit dreißig Dreyrude - rigen, und fuhrte den Florio mit ſich nach Konſtan - tinopel gefangen; welcher unter dem Doria beym erſten Angriffe ſich befand, und nach vielen Wun -den243den nicht mehr im Stande war, von den Schaa - ren umzingelt, ſich durchzukaͤmpfen. Sie kennen ihn dort, wie die Reiger den ſchnellen gewand - ten Falken; und werden ihn nicht loslaſſen. Er dient als Sklave beym Großvezier ſelbſt; ich hab ihn geſprochen, und ein Briefchen von ihm ſeiner traurigen Geliebten hier uͤberbracht; wor - in er ſie beſchwoͤrt, ihn zu vergeſſen, und einen gluͤcklichern zu waͤhlen, wenn er noch ein Jahr lang ausbleibt.

Dieſe Nachricht wuͤhlte mir das Herz auf, und Florio dauerte mich; ich ſeufzte heftig be - wegt, und im Geſichte gluͤhend: armer Schelm!

Der Alte fuhr fort: wenn du ihn ſaͤheſt, mein Sohn, du wuͤrdeſt ihn lieben; er iſt ein gar guter junger Mann bey ſo viel rauher Ta - pferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jah - ren zuſammengeſeſſen, und einander erzehlt! Wenn ich ihm vom Kaukaſus und Atlas ſprach: ſo beſchrieb er mir, wie viel hoͤher die Gebirge vonQ 2Ame -244Amerika waͤren; und wir geriethen dann in ei - nen freundſchaftlichen Streit. Ich hatte die unendlich ſchoͤnern Weiber, Maͤnner und Thiere von weit edlerer Natur fuͤr mich: und er pries und ruͤhmte zum Scherz die reichen Gold - und Silberminen, womit man die ganze alte Welt erkaufen koͤnnte, wenn man alle Beute heraus - holte. Wir tranken alsdenn auf ſeine Geſund - heit und baldige Befreyung.

Ich fragte den Gabriotto noch, ob er viel - leicht den Ulazal von Perſon kenne? und er ſagte mir, daß er ihn einmal zu Rhodi geſehen habe, und ſchilderte mir ihn als einen andern Hanni - bal auf der See Er machte hierbey die Beob - achtung, wuͤrdig eines ſolchen Graubarts: Kolonna zog zu Rom im Triumph ein wegen ſeines Drittelſiegs; wenn einer aber die Thaten beyder in jenem Treffen genau abwiegen koͤnnte, in welchem Glanze wu de da noch der fluͤchtige Kalabreſer vor ihm erſcheinen! Ein ſolcher ſich -rer245rer Ruͤckzug eines einzelnen Mannes mit ſeinen Freunden, nachdem er Wunder des Ver[st]andes und der Tapferkeit fuͤr die Flotte der andern Admirale gethan hatte, aus der vollen Macht der Ueberwinder, bezeugt die groͤßte Unerſchro - ckenheit, Ueberſicht, und Erfahrung. Schade, und ewig Schade, daß er unſerm Glauben ab - truͤnnig geworden iſt.

Zumal, ſetzt ich hinzu, da ihn der heilige Vater Pius wieder zu Gnaden annehmen wollte, und Philippen beredete, alles anzuwenden, dem Helden Herrſchaften und Reichthuͤmer zu ſchenken, wo er ſie nur immer haben moͤchte, in Spanien, ſeinem Vaterlande, oder Sizilien, wenn er die Heyden verließe. Doch gefaͤllt mir nicht, daß man denſelben mit ſolchen Antraͤgen bey dem Sultan wenigſtens verdaͤchtig machen ſollte, damit er ihn ſelbſt aus der Welt ſchafte: weil man keine andre Mittel dazu vor ſich ſaͤhe. Ulazal aber war zu klug fuͤr ſolche Verſprechun -Q 3gen246gen; ſcheute uͤberdieß die kuͤnftige feige ſchaale Rolle, und trat folgenden Fruͤhling nun ſelbſt als Admiral auf, mit einer neuen Flotte.

Es iſt naͤrriſch, daß man von den Kalabre - ſern verlangt, ſie ſollen nicht zu den Tuͤrken uͤber - gehn. Die Tuͤrken pluͤndern ihre Gegenden, und fuͤhren ſie ſelbſt in Sklaverey; und ihre Fuͤrſten ſehen gelaſſen zu, ohne ſie zu verthei - digen, und ſaugen ſie noch obendrein mit allerley Auflagen aus. Sie werden alſo mit doppelten Ruthen gezuͤchtigt. Was hat ein Mann, der Kopf hat und Muth im Herzen, anders zu thun, da er allein ſich nicht wehren kann gegen beyde Feinde, die ihn berauben? er ſchlaͤgt ſich zur Parthey der Sieger.

Ich will doch lieber in dem Glauben leben und ſterben, worinn ich gebohren und erzogen bin, und ein wenig Unrecht leiden, erwiederte der Alte; das Dulden iſt auch ſuͤß, wenn mandas247das Vermoͤgen noch in ſich fuͤhlt, auszudauern, und große Belohnung dereinſt unter ſeinen Ge - liebten dafuͤr erwartet.

Ein guter Glaube uͤberwindet freylich alles, antwortet ich ihm darauf; und dachte im Her - zen, wer damit nur immer in der gluͤckſeeligen Dunkelheit herumtappen koͤnnte!

Noch denſelben Abend lief ein Franzoͤſiſches Schiff im Hafen ein, mit dem neuen Geſandten und Conſul fuͤr Konſtantinopel und Smyrna, das nur Waſſer einnahm, und mit dem erſten guten Wind wieder abſeegeln wollte. Ich bedien - te mich der Gelegenheit, eilte ſogleich nach Hau - ſe, und ſchrieb an den Diagoras, ſo rein und frey, wies in meinem Geiſte lebte, friſch von der Hand weg; und bat hernach den Edeln in - ſtaͤndig, den Florio Branca zu befreyen, wenn er koͤnnte; oder mir wenigſtens die Art zu mel - den, wie es moͤglich waͤre, ohn ihm jedoch etwasQ 4von248von mir zu ſagen; und dann nach Genua zu ſchicken.

Die Aufſchrift macht ich an ſeine Mutter, damit der Brief deſto ſichrer moͤchte abgegeben werden. Der Patron des Schiffs erhielt von mir ſchon zum voraus eine Belohnung; und ich verſprach ihm mehr, wenn er mir gute Antwort bringen wuͤrde, und ſagte ihm zugleich, was es betraͤfe. Er gelobte mir heilig an, ihn aufs beſte zu beſorgen.

Den andern Morgen gegen Mittag ging das Jagdboot auch wieder ab, und mir ſchwoll das Herz von verſchiednen Leidenſchaften, ſo wie der Wind die Seegel ſchwellte. Ich muß ſelbſt uͤber das Gleichniß laͤcheln, und doch iſts wahr, und gefaͤllt mir; ach, unſre Gedanken und Empfindungen ſind ſo zart und veraͤnder - lich, und heiter und wild und ſtuͤrmiſch wie die Luͤfte.

Ardinghello.

Hier -249

Hierauf gab ich dem Ardinghello keine Antwort; und erhielt im Merz wieder folgen - den Brief von ihm.

Genua, Merz.

Sie hat mich zum erſtenmal gekuͤßt, frey - willig; und meine Lippen ſchmachten in einem fort nach ihrem ſuͤßen Munde. Schuͤchtern, jungfraͤulich, und doch naturnohtwendig, wie der Magnet ſich zieht, flog unerwartet ploͤtzlich der himmliſche Kuß auf mich. Wie ſelbſt darin verwandelt ſchlief ich die Nacht, ein wolluͤſtig ſtehend Feuer; und bin nun erwacht wie ein ſee - liger Engel. O ein gluͤcklicher Tag der geſtrige! wie der neue Fruͤhling ging die Sonne auf und unter. Wir ſaßen gegen Abend oben allein im Garten, unten hatte Fulvia und ihr Gemahl Geſellſchaft; und die See ſpielte in kleinen Wel - len, um, wie zaͤrtliches Leben, ſich in die Luͤfte zu verbreiten.

Q 5Ich250

Ich zeigte Lucinden erſt einige Griffe auf der Laute, alsdenn ſangen wir zuſammen; und unſre Herzen ergoſſen ſich endlich in einander durch Geſpraͤch und Blicke. Ein Weib iſt doch das armſeeligſte Ding auf Erden! ſeufzte ſie auf die letzt wehmuͤthig, nach mancherley Reden uͤber Welt und Daſeyn und Beſtimmung, und kehrte die Augen von mir ab gen Himmel; gefeſſelt auf allen Seiten, duͤrfen wir keinen freyen Schritt thun, wo uns der Geiſt hinleitet, ohne Schmach und Schande. Nicht uͤber die Straße koͤnnen wir gehn allein und ſonder Mamma und Baſe, wenn man uns fuͤr wohlgebildet haͤlt, ohne daß die Laͤſterzungen auf uns ſtechen; Natur und Leben und Sitten und Gebraͤuche in andern Gegenden zu ſehen und zu hoͤren, iſt uns gaͤnz - lich verſagt: wir muͤſſen auf einer Stelle bleiben, wie die Plaggen, und glauben, was man uns vorluͤgt, ohne ſinnlichen Begriff; Wahn und Traum und Gehorſam unſer Eigenthum: kein Tro - pfen Wahrheit die Seele zu erquicken.

Wenn251

Wenn eine ſchoͤn iſt: ſo legt man ihr uͤberall Schlingen; und derjenige ſelbſt, welchem ſie in einer gewitterhaften Stunde gefaͤllig war, ver - laͤumdet ſie oft hernach am aͤrgſten, und tritt zum ſchimpfenden Poͤbel uͤber, wenn er einen andern vorgezogen glaubt; oder ſie wird von unvernuͤnftiger Eiferſucht noch feſter einge - kerkert.

Sind wir nicht ſchoͤn: ſo erwerben wir keine Liebe mit aller Weisheit und allen Kuͤnſten der Muſen und der Minerva; und außerdem heißts immer noch: ſie iſt doch nur ein Weib, und kann und darf nicht recht ſehen wie es iſt; Pe - danterey und Ziererey ohne Zweck und Nutzen! ein Weib hat weder Staͤrke, noch Ueberlegung, etwas großes in irgendwo zu erlangen und zu faſſen; die Guten und Verſtaͤndigen haben Mitleiden mit deſſen Schwaͤche, und die Boshaften verſpotten es, und ſuchen es mit ihrem Lobe vollends zurNaͤr -252Naͤrrin zu machen. So geht man mit uns um.

Am beſten waͤr es, nie gebohren worden zu ſeyn; denn was wir wollen und lieben, duͤrfen wir doch nicht haben! oder, ſo bald dieſe Neigun - gen in unſerm Herzen aufgehn, geſchwind von der Erde weggenommen zu werden. Unſer Loos iſt Traurigkeit und Leiden, und wenig heitre Augenblicke; ein vergnuͤgter ſichrer Zuſtand iſt uns nicht beſchieden: unſer Leben ein ſchwacher Kahn im ſtuͤrmiſchen Meer, oft von Wellen uͤber - ſchlagen.

Aber warum ſchrieb ich dir den todten Sinn und Buchſtaben von dem, was ſie ſo goͤttlich in bezaubernden Worten, Toͤnen und Gebehrden ſagte!

Ich hielt ihre Linke in meinen beyden Haͤn - den, und ſie uͤberließ die entzuͤckenden Wal - lungen ihrer innern Schoͤnheit ruhig meinem hei - ßen Gefuͤhl.

O253

O Lucinde, antwortet ich ihr darauf, du haſt viel Wahres geſagt, wir ſind ungerecht gegen euch! aber auch unſer Loos iſt hart. Uns liegt die Arbeit ob, und ihr wirkt ſtill wie die Sonne, und macht ſchon gluͤcklich, bloß durch eure Schoͤnheit. Wir muͤſſen alles erringen und er - kaͤmpfen; und ihr ſtrahlt nur um euch: ſo liegt man euch zu Fuͤßen.

Hohe Schoͤnheit iſt freylich aͤußerſt ſelten; aber auch eine Jungfrau, die ſie beſitzt und zu gebrauchen weiß, iſt, was bey uns Alexander und Caͤſar mit Heeren von Helden; es koͤmmt nur auf ſie an, was ſie erobern will! das ewige Schickſal hat ihr alle Herzen unterworfen.

Liebe und Geiſt iſt eins und daſſelbe unter verſchiednen Namen, nur daß man Ueberfluß von Geiſt Liebe nennt: hohe Schoͤnheit beherrſcht alle Geiſter. Sie vereinigt ſich deßwegen gern mit großer Gewalt, oder großem Verſtande, weil da die Liebe am maͤchtigſten iſt. Der Menſchfuͤr254fuͤr ſich allein, uͤberhaupt jedes Weſen, abgeſon - dert, iſt ungluͤcklich. Was kuͤmmert den Vor - treflichen im Grunde Wahn und buͤrgerliches Vor - urtheil? Das Geſetz iſt toll und thoͤricht, das ihm Eigenthum und freyen Gebrauch ſeiner Per - ſon abſpricht; und er tritt es mit Fuͤßen, ſo bald er kann.

Ich moͤchte lieber Ardinghello ſeyn, ver - ſetzte ſie ſchnell in leiſem Nachtigallenton, ganz auf mich geheftet, als Semiramis und Laura, ſo jung und ſchoͤn mit ſo viel Tapferkeit und Ta - lent! und hier neigte ſie ihre Lippen nach den meinigen, ich ward von einem ſuͤßen Blitz durch - ſchlaͤngelt, und meine Seele ſchwebte in der Herrlichkeit des Entzuͤckens wie aufgeloͤßt von al - len Banden. So hielten wir uns lang um - ſchlungen, bis unſre Blicke in Wolluſtthraͤnen ergingen, und ſie ausrief, roſenroth und lilien - blaß, und ſich losriß: o du, mein Abgott,was255was wird noch aus mir werden! ohne mir mehr zuzugeſtehen.

Fulvia kam bald darauf, als ich noch an einen Baum gelehnt ſtand, und mit den Armen die Augen zuhielt, um nichts irrdiſches zu be - trachten. Die Schlaue merkt alles, und erkennt die Momente, wie ein edles Raubthier.

So ſchiff ich denn zwiſchen einer Scylla und Charybdis im Wonnemeere der Liebe; und laſſe mich von ihren Strudeln herumwaͤlzen in Ge - fahren, damit mein Muht nicht muͤſſig liege. Doch erſchreck ich zuweilen vor Lucinden; ſie hat in manchen Punkten nicht die Biegſamkeit ihres Geſchlechts, und in ihrer Geſtalt entdeck ich Zuͤge von fuͤrchterlicher Heftigkeit; und eben dieſe ſind es, was mich ſo gewaltſam ergreift, und an ſie feſſelt. Ich fuͤhle durch und durch, was das himmliſche Geſchoͤpf verlangt, und dieß foltert mich, da es unmoͤglich geſchehen kann: und doch iſt der En - gel zu ſchoͤn fuͤr die Welt, die ihn mit ihren Sit -ten256ten angeſteckt hat, als daß ein Naturſohn ihr ihn ſo ungenoſſen ſein lebenlang uͤberlaſſen ſollte.

Uebrigens ſtudier ich hier immer mehr die Schiffahrt, und ſtreiche oͤfters an der Kuͤſte her - um. Zu Korſika bin ich auch ſchon geweſen, und das rauhe Volk gefaͤlt mir: es liegt Stoff darinn. Es koͤmmt kein Schiff an, und geht keins ab, das ich nicht ausforſche. Und ſo be - ſchaͤftigt ſich auch noch meine bildende Kunſt mit der See; ich habe die eine Skitze, wo ich den Biondello niederſtoße, im Großen angelegt.

Den Helden Doria beſuch ich fleißig, und lerne viel aus ſeinen Geſpraͤchen; er will mir wohl, das ſeh ich aus ſeinen Mienen und Ge - behrden und ſeiner Offenherzigkeit. Er weiß, wer ich bin, und Fulvia und ihr Gemahl wiſſen es mit Lucinden; ich bin gleich anfangs von ei - nem meiner Landesleute verrahten worden, der mich erkannte. In Venedig blieb ich eher ver - borgen, waͤhrend des Kriegs mit den Tuͤrken,und257und weil es dort viel Mahler giebt, worunter man ſich leicht verſtecken kann; hier ſind deren kaum ein Paar. Auch kam ich bey euch in kei - ne ſo vornehme oͤffentliche Geſellſchaften. In - zwiſchen hab ich keinen Schaden davon, ſondern Vortheile; man ſchaͤtzt mich deſto mehr, und ich habe, wo ich will, freyen Zutritt.

Vor dem Tyrannen von Toskana fuͤrcht ich mich nun wenig mehr; meine Tante meldet mir, daß es uͤbel mit ihm ausſieht. Er hat durch ſeine Ausſchweifungen ſchon laͤngſt ſeine Geſundheit zu Grunde gerichtet, und bey der Kamilla Martella die Neige ſeiner Kraͤfte vollends ſo abgezapft, daß ihm die Zunge ſteif geworden iſt und verdorrt, und er nicht mehr ſprechen kann. Alles dieß iſt buchſtaͤblich wahr, und ſo unklug wirthſchaftete kein Tiberius auf der Inſel Capri, und kein Nero in beyderley Geſtalt; die noch immer wußten, wenn ſie fuͤr ſich auf - hoͤren ſollten. Ein neuer Heppokrates von Maa -Rchi -258chiavell wird den jungen Tarquinen auch noch hier - in die Anfangsgruͤnde vorbuchſtabiren muͤſſen; denn von ſelbſt wird ſelten einer ſo geſcheidt ſeyn.

Der neue Herzog, ſein Sohn, fuͤhrt ſich auf wie ein Bloͤdſinniger, und eure beruͤhmte Bianca behandelt ihn auch ſo mit Fug und Recht.

O Caͤcilia, Aphrodite des Adriatiſchen Pa - phos, wie lebſt du, und unſre Liebe? du ſollſt gewiß noch dereinſt voll Zaͤrtlichkeit Lucinden, und auch Fulvien, als deine Geſpielinnen umar - men. Meine Seele ſchmachtet nach ihr und dir; ſey nicht ſo karg mit deinen Worten.

Ardinghello

Zu Ausgang des Merz ſchrieb ich ihm, da ich aus dem Schluß ſeines Briefes ſah, daß er ohn - geachtet ſeiner Leidenſchaft doch den Kopf noch nicht verlor, und immer den Edelmuth im Grun - de ſeines Herzens hatte.

Ve -259

Venedig, Merz.

Ich moͤchte mich lieber mit dir nur weni - ge Augenblicke muͤndlich unterhalten, als in dem laͤngſten triftigſten Buchſtabenwechſel.

Ich habe Caͤcilien ſchon zum zweytenmal geſprochen; das erſtemal in Geſellſchaft, und dar - auf vor wenig Tagen allein. Sie iſt hoch ſchwan - ger, geſund und bey Kraͤften; und Mutter und Bruͤder und Freunde und Geſpielinnen geben ſich alle Muͤhe, ihr neue Ergoͤtzlichkeiten zu verſchaf - fen. Es iſt eine wahre Augenweide, eine ſo junge reizende Frau am Ziel ihrer Beſtimmung zu ſehn, und einem Fremden, der nichts von ihr hoft und erwartet, muß ſie ſo ſelbſt ſchoͤner und vollkommner ſeyn, als ſie als Maͤdchen war; geſchweige dem gluͤcklichen Geliebten, der die ſuͤße Frucht ſeiner Liebe ſo heranreifen ſaͤhe. Ar - dinghello, du biſt ein Goͤtterſohn, zu hohem Wohl erkohren; nur verſcherze dein Heil nicht!

R 2Das260

Das erſtemal wagte ſie nicht, nach dir zu fragen; aber das Spiel ihrer Blicke um mich, deinetwegen, war mir ein Himmelreich. Sie erroͤthete, wurde blaß, ſeufzte, ſuchte ſich zu ver - bergen: doch die Natur triumphirte: ihr Buſen wallte ſtaͤrker, und ſie kam endlich zu mir, und ließ ſich mit mir in ein Geſpraͤch ein, lieblich und traulich. Ich faßte mich dabey ſo, als ob ich in dieſen Augenblicken deiner nicht gedaͤchte; und ſie ging froher von mir, ſie mochte nun arg - wohnen oder nicht argwohnen: denn ſie mußte fuͤhlen, daß ich ihr wohl wollte, und dieß ſchon vorher wiſſen.

Vor wenig Tagen ließ ich mich bey ihres Vaters Pallaſt anfahren, bey welchem ſie noch immer wohnt, bis nach ihrer Niederkunft, um ihren juͤngſten Bruder zu beſuchen, den ich nun naͤher kenne; und als er nicht zu Hauſe war, ging ich inzwiſchen zu ſeiner Mutter, und traf Caͤ - cilien gerade bey ihr. Die Mutter verließ unsdenn261denn eine Weile wegen Geſchaͤften, und wir blieben allein. Ihre ſchoͤnen großen Augen ruh - ten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen laͤchelten, wie wenn man einen zum reden zwingen will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an von dem Gemaͤhlde zu ſprechen, das eben vor uns hing; und kaum hatte ſie mir den Meiſter geſagt, ſo war die Frage darauf: wo iſt jetzt ihr Freund Ardinghello? ich hab ihn nicht wieder geſehen, ſeit dem er mich gemahlt hat; er wird alſo wohl nicht mehr in Venedig ſeyn.

Ich antwortete: den letzten Brief von ihm hab ich aus Genua; es geht ihm dort ſehr wohl. Du haͤtteſt ſehen ſollen, wie ſie darauf lebendig ward, und ſich alles an ihr regte; ein neuer Morgen ihr Geſicht mit heißen Sonnenblicken. Nicht mehr feſt halten konnt ihr Herz: es iſt ein treflicher Menſch, voll Verſtand und Talent und das geringſte iſt der Mahler an ihm, ſo weit ers auch ſchon in ſeiner Kunſt gebracht hat. R 3Hier262Hier gluͤhte ſie auf wie eine Roſe, und fuͤgte laͤchelnd hinzu, ſich fuͤhlend: ich glaube, daß ich in ihn verliebt geworden waͤre; es iſt gut, daß er weg iſt.

Mir waren hier die Daumenſchrauben auf - geſetzt: aber doch bekannt ich nicht wegen ihrer ſelbſt, und deiner und meiner; noch ſcheint es mir nicht Zeit zu ſeyn. Ich antwortete wie kalt und ſchier eiferſuͤchtig darauf: dieß wuͤrde den jungen Herrn bis ins kleinſte Gelenk kitzeln, wenn ich ihm ſo etwas berichtete; er war ganz be - zaubert von ihrer Schoͤnheit, wie er ſie mahlte; und beneidete muhtwillig ihren ungluͤcklichen Ge - mahl.

Dieß Wort kam wie eine finſtre Wolke vor ihrer Schoͤnheit Glanz, ſie entfaͤrbte ſich, und verſetzte: nun ſo arg und gefaͤhrlich iſt es nicht; ſie brauchen ihm auch nichts hiervon zu ſchreiben; doch gruͤßen ſie ihn von mir, und melden ihm, daß ich ſeine Kunſt bewundre, und große Dingevon263von ihm erwarte, und den eifrigſten Willen ha - be, ihm in Zukunft nuͤtzlich zu ſeyn. Hier - uͤber trat die Mamma wieder ins Zimmer, und ich verließ ſie bald darauf.

Du ſiehſt daraus, daß alle Verſtellung ein Ende hat gegen einen, der Perſon und Sache kennt: es iſt ein Gluͤck fuͤr euch, daß kein ſolcher unter ihren Richtern ſaß. Wer die Wege gut weiß, geht auch im Nebel ſicher; und ein Wolluͤſt - ling von Auge ſieht oft die Gegenſtaͤnde darin mit mehr Freude, als bey hellem Wetter. Inzwiſchen dauert ſie mich doch von Grund der Seele; denn ſie iſt ungluͤcklich.

Dein Umgang mit Lucinden gefaͤllt mir nicht. In Ruͤckſicht ihrer wenigſtens kann ich die Grund - ſaͤtze nicht billigen, die du ihr einfloͤßeſt; beſonders wenn Florio der Mann iſt, wie ihn der alte Schiffer ſchildert: ich befuͤrchte, daß es ſchlim - me Haͤndel abſetze. Ueberhaupt muß ſich jeder nach dem Staate richten, worin er lebt, wennR 4er264er ihn nicht gewiſſermaßen uͤberſieht, und her - aus kann, wenn er will: ſonſt trift am Ende das Sprichwort ein der Krug geht ſo lange zu Waſſer, bis er zerbricht. Wenn Lucinde deinen Geiſt haͤtte bey ihrer Jugend und Schoͤn - heit: o dann ſtuͤnden ihr Koͤnigreiche zu Gebot; ſo aber mußt du ſie erſt in das alte Korinth oder Athen bringen, wenn ſie nach dir gluͤcklich ſeyn ſoll. Und noch dazu ſcheint mir ihr Charakter ſich nie recht zu bequemen. Mit einem Worte: ſo bald ein Weib eines Mannes Frau wird, be - gibt es ſich im Punkt der Liebe ſeiner Freyheit, hernach eine andre Wahl zu treffen; und was opfert der Mann nicht dafuͤr auf, daß ihm daſſelbe treu ſeyn moͤge? Schoͤnheit und Keuſchheit bey - ſammen wird ewig eine hoͤhere Vollkommenheit ſeyn, als Lais und Phryne, ſetze ſie in einen[Staat], in welchen du willſt. Doch red ich, was Lucinden betrift, in der Ferne; und ein ein - ziger Blick auf ſie und wenig Worte von ihren Lippen koͤnnten vielleicht meine eigne Moral weg -ban -265bannen. Das Zettelchen, welches ſie dir im Bet - te ſchrieb, bleibt immer ein wunderbarer Flug, von dem andern Erdenvoͤlkchen weg, wozu eine ſtar - ke Leidenſchaft gehoͤrt, die alle Furcht von Vorur - theilen uͤberwaͤltigt.

Es ſchweben Gefahren uͤber ihr und dir; aber wer ſich ſelbſt nicht rathen kann, dem iſt nicht zu helfen. Jeder weiß am beſten, wie ihn die Umſtaͤnde umringen.

Fulvia geb ich dir gerne Preis, nimm mirs nicht uͤbel! aͤchte Genueſerin nach dem Sprichwort*)Mare ſenza peſce, donne ſenza vergogna, Uomini ſenza fede; hat vermuthlich ſeinen Urſprung aus Venedig, der natuͤrlichen Feindin von Genua.; ein Geſetz, von keiner Gewalt in Ausuͤbung gebracht, iſt kein Geſetz in Wirklich - keit. Wer ſeine Rechte nicht behauptet, der hat keine; ſo gehts allen Maͤnnern, die nicht aufR 5ih -266ihrer Hut ſind. Dieß ſahen die Spartaner wohl ein; und welcher Kopf nicht, der noch Vernunft hat!

Ich mag nicht daran denken, daß du mir vom Diagoras ſollſt entriſſen werden. Bleib in deinem Italien, und lies das andre in Ge - ſchichten und Reiſebeſchreibungen; der Menſch braucht zu ſeinem Gluͤcke nicht den ganzen Erdbo - den. Die See iſt weiter nichts, als ein unge - heurer leerer Weg ꝛc.

Erſt in der Mitte des May erhielt ich wieder einen Brief von ihm, und zwar aus Lucca, wel - ches mir ſonderbar auffiel. Er lautete, wie folgt.

Lucca, May.

Auch du biſt Schuld daran! Lucinde iſt von Sinnen gekommen.

Florio Branca kam, erloͤſt vom Diagoras, und oben drein mit Geſchenken[ausgeſtattet]; ein Held wie ein junger Diomed, nur im Geſicht voll Ehrennarben. Er wußte nicht, daß ich ſeinRet -267Retter war, und wir wurden bald Freunde. Er drang auf ſeine Vermaͤhlung: zu Meſſina, wo ein Theil der Spaniſchen Flotte liegt, war ihm von den oberſten Befelshabern nicht allein ſein vori - ger Poſten, ſondern eine weit anſehnlichre Stel - le zugeſichert worden. Ich befand mich eben nicht in Genua, wie er ſeine Braut uͤberraſchte; Fulvia erzehlte mir, ſie ſey in Ohnmacht gefal - len, als ſie ihn ſo unerwartet ploͤtzlich vor ſich ge - ſehen haͤtte. Man ſchrieb es der Freude zu. Sie faßte hernach alle ihre Kraͤfte zuſammen, alte Liebe und Verſtellungskuͤnſte: und Flor[o]hielt ſie in ſeinen Armen ſtumm vor Heftigkeit der Wonne nach ſo vielen Drangſalen.

Ich traf bey meiner Ankunft den Florio zu - erſt bey ihr und Fulvien und ihrem Gemahl in Geſellſchaft. Seine Geſtalt und ſein Weſen machte gleich auf mich großen Eindruck; ſtarker Gliederbau, ſcharfe Geſichtszuͤge, kleines blitzend verwegnes Auge, verbrannte Farbe, krauſes Haar und derbes Fleiſch und wenig Worte zeig -ten268ten mir ein Muſter von Seemann; und ſein Knebelbart und kurzer Saͤbel vollendeten das Bild. Ich wuͤnſchte beyden herzlich Gluͤck uͤber ihre Wiedervereinigung. Lucinde ſah mich ſtill an, und glich einem Gewitter von Empfin - dung.

Die Tage darauf macht ich naͤhere Bekannt - ſchaft mit dem Florio; und meine kalte Ver - nunft rang immer mehr, meine heißen Begierden zu bekaͤmpfen; der Tapfre war die edelſte der Blu - men ganz wehrt.

Ich ſprach Lucinden alsdenn allein im Gar - ten. Sie jammerte uͤber die Unruhen des See - lebens und die Kriegsgefahren. O wie mein Herz ihr entgegen ſchlug, als ich die Morgenroͤ - the von Kuͤſſen um ihre Lippen ſchweben ſah! Aber ich verwuͤſtete ſchaͤndlich alle Inbrunſt der Natur wie ein Gotteslaͤſtrer, und gab ihr das theure Zettelchen wieder, und ſtammelte die tol - len Sylben hervor: ich kann deine Gunſt nicht annehmen; Florio iſt deiner Liebe ungetheiltwerth:269werth: in mir iſt jede Fieber Wunde; aber ſeyd gluͤcklich mit einander, rein und ohne Flecken.

Sie blieb wie eine Saͤule ſtehen, las die Zei - len ihrer Hand, und zerpfluͤckte darauf langſam mit den Zaͤhnen das Blat Stuͤckchen vor Stuͤck - chen, indeß ich von ihr ging, und mir die Thraͤ - nen in die Augen tobten.

Dieß geſchah nach der Mittagsmahlzeit. Fulvia, die von dieſem allen jedoch nichts wußte, und auch nie erfahren ſoll, berichtete mir, daß ſie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeſchloſſen geweſen waͤre, und ſie Niemand weiter geſehen haͤt - te, bis ſpaͤt den andern Morgen, wo man mit einem andern Schluͤſſel daſſelbe aufgemacht, und ſie in ih - rer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Haͤnde ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und ſeuf - zend mit vor ſich niedergeſchlagnen unverwand - ten Augen. Weder Fulvia, noch der Braͤuti - gam, noch irgend Jemand hat nach der Zeit ein Wort von ihr herausbringen koͤnnen, ſo daß ſie voͤllig die Sprache verloren zu haben ſcheint. Sie270Sie laͤßt ſich geduldig hinfuͤhren, wohin man will, geht auch fuͤr ſich herum: ringt aber im - mer die Haͤnde und ſeufzt, verſteht platterdings nichts mehr, was man ſagt, und nimt an kei - nem Geſpraͤche mit Mienen und Gebehrden An - theil. Sie ißt und trinkt wenig; ſo bald ſie aber genug hat: ringt ſie wieder die Haͤnde und ſeufzt. Es ſind von den Aerzten verſchiedne Mittel ver - ſucht worden, aber alles vergeblich. Sie kennt Fulvien nicht mehr, ihren Braͤutigam nicht mehr, und mich nicht mehr; wie ſie dieſer kuͤſſen woll - te, hat ſie nach ihm ausgeſchlagen, und ihn ins Geſicht gekratzt. Auch von ihren Freundinnen leidet ſie dieß nicht: ſonſt iſt ſie in allem geduldig. Ich mochte mir immer mit einem Strick die Gurgel zuſammenziehn, wenn ſie mich ſo ſtarr anſah, und die Haͤnde rang und ſeufzte.

Jetzt ſteckt ſie nun in einem Nonnenkloſter zur Verpflegung. Florio war im Begriff, ſich eine Kugel vor den Kopf zu ſchießen, und iſt nun bey der Flotte, um in der Verzweiflung ge -gen271gen die Tuneſer ſein Ende zu finden; und ich ha - be mich ſo auf den Weg nach Florenz gemacht. O Natur, deine ſchoͤnſte Zierde iſt zerruͤttet und zu Grunde gerichtet! das arme Maͤdchen zur Luſt erſchaffen und aller Augen und Herzen zu entzuͤ - cken hat nie die hoͤchſte Suͤßigkeit des Daſeyns gekoſtet, und lebt nun ein unaufhoͤrlich Gefuͤhl von unausſprechlichem tiefen Leiden.

Du haſt ſo etwas nicht erfahren, und kannſt dies folglich auch nicht denken; ſo ſchoͤn, ſo rei - zend, ſo geliebt, ſo liebend, und ſo voll Geiſt: und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zuſam - menhang; daſſelbe nicht mehr daſſelbe, es iſt graͤß - lich! Wer ſie kennt, vergießt Thraͤnen uͤber ihr Schickſal; ganz Genua trauert. Weide dich, barbariſche Moral, Feindin des Lebendigen, mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!

Aber auch ich, o Gott, wo werden mich meine heftigen Leidenſchaften nicht noch hinrei - ßen! ach, ich habe ihren Zuͤgel nicht ſo am ſichern Griff, daß ſie auf, halsbrechenden Wegen nichtein -272einmal mit mir davon rennen, der Wagen uͤber - ſchlaͤgt, und Roß und Fuͤhrer in den Abgrund taumeln, wo man Blut und Gehirn noch lange dem Wandrer an Klippen zeigt, bis die Regen - guͤſſe des Himmels die Reſte des Verwegnen vom Felſen waſchen!

Ardinghello.

Ich konnt ihm hierauf nicht antworten, weil er mir keine Zuſchrift meldete. Die Be - gebenheit war entſetzlich, und ging ſelbſt durchs Herz. Je mehr ich daruͤber nachdachte: deſto natuͤrlicher aber kam ſie mir vor. Fulvia mochte wohl die groͤßte Schuld haben, und weit weni - ger Caͤcilia und ich; außer der eignen Großmuth von Ardinghello. Lucinde war mit allen Rei - zen bey ihrer Jungfraͤulichkeit zu beklagen: ein ſchwacher Feind in der Feſtung iſt fuͤrchterlicher, als der ſtaͤrkſte von außen.

Seine Reiſe nach Florenz ſchien mir immer gewagt, ob ich gleich ſchon laͤngſt wußte, daß Cosmus geſtorben war.

Dritter[273]

Dritter Theil.

S[274]275

Lucca, May.

Ich ſitze hier an den Hoͤhen des Thals von Lucca, wo uͤber mir der Wind durch die Buchen ſaͤuſelt, und unter mir die Quellen rieſeln, bewegt in der innerſten Seele, wie am Scheidewege meines Lebens. O wer die Zukunft aufhuͤllen koͤnnte! Aber dieſe kennt Niemand, als der, der alles weiß; wir ſind nur Funken, unſers Schickſals ungewiß, die in dem Unermeß - lichen herumſtaͤuben. Wohl dem, der wie ein Schmetterling ſich an den Blumen ergoͤtzt, die er vor ſich findet! hat der, welcher mit Gefah - ren kaͤmpfte und ſein Ziel errang, am End etwas beſſers? Genuß jedes Augenblickes, fern von Vergangenheit und Zukunft, verſetzt uns unter die Goͤtter. Was hat der Menſch und jedes We -S 2ſen276ſen mehr, als die Gegenwart? Traum ohne Wirklichkeit alles uͤbrige.

Doch weg mit dieſer Muͤckenweisheit! un - ſer Geiſt hat mehr Tiefe. Nur die Kraft iſt ſeelig, die Wiederſtand nach ihrem Maaß uͤber - waͤltigt, und ihn nach ihrem Seyn ordnet, ſeys auch unter Pein und Leiden. Dem Herkules, als er den Anteus bezwang, rannen die Schweiß - tropfen ſuͤßer hervor aus ſeiner Stirn, als ihm je die Umarmungen einer ſchwachen gefaͤlligen Dir - ne waren; und nur Omphale, die ihn die Spindel drehen machte, verdiente die Liebe des Helden.

Meine Tante ſchrieb mir nach dem Tode des Cosmus, daß wichtige Veraͤnderungen am Hofe vorgefallen waͤren, und unſre Feinde einen ſtarken Stoß erlitten haͤtten; ich ſollte mich auf den Weg in mein Vaterland machen: ſie ſey ver - ſichert, daß alles gut gehen, und ich meine vaͤ - terlichen Guͤter wieder erhalten wuͤrde; undnoch277noch außerdem woll ihr der Kardinal wohl, der alles vermoͤge.

Dieſe Nachricht kam mir nun gelegen und ungelegen, nach Lucindens Verwirrung; ich hatte ganz andre Dinge im Kopfe zur Ausfuͤhrung: aber Niemand kann ſich von ſeiner Wurzel los - reißen; und ſo bin ich auf der Grenze. Der junge Herzog iſt wenig Schritte von mir zu Piſa, und bey ihm Bianca; von welcher man ſagt, daß ſie ihm einen Zaubertrank eingegeben habe: ſo ſehr haͤlt ſie ihn an ſich gefeſſelt. Beyde gebrau - chen die Baͤder, weil ſie gern einen Erben von ihm bekommen moͤchte*)Bianca war die Tochter eines Veneziani - ſchen Edelmanns, Bartolomeo Capello. Deſſen Pallaſt gegen uͤber hatte das Haus Salviati zu Florenz eine Bank, und darin zum Kaſſierer dem Pietro Bonaventu - ri. Dieſer perliebte ſich in ihre aufbluͤhendeSchoͤn -.

S 3Es278

Es geht mir hart an, daß ich in dieſe Sphaͤ - re hinein ſoll; wenn ich hinein komme: ſo erlieg ich vielleicht unter den Truͤmmern.

Ardinghello.

Piſa,
*)Schoͤnheit, ſelbſt jung und wohlgebildet, und klug und kuͤhn, obgleich unter ihrem Stand und ohne Vermoͤgen. Sie glaubte, er ſelbſt habe Antheil an der Bank, und gab ſeiner Leidenſchaft unter Verſprechung der Ehe Gehoͤr; ſchlich ſich oft des Nachts zu ihm, und kehrte vor Anbruch des Morgens wieder zuruͤck. Einſt da ſie auch die Thuͤr von ihrem Hauſe angelehnt hatte, kam, wie damals in Venedig gewoͤhnlich, fruͤh der Becker an die Fenſter, um den Maͤgden zu ſagen, daß der Backofen fuͤr den Brod - teig geheitzt waͤre; und zog die Tuͤhr zu, in der Meinung, es ſey geſtern Nachts vernachlaͤßigt worden. Bianca war mit ihrem Geliebten einge - ſchlummert, und Beyde hatten ſich verſchla -fen,
*)279

Piſa, zu Ausgang des May.

Da ſieh mich nun ſchon am Hofe! Noch aber bin ich wie ein fremdes Thier hier, wie einS 4Sper -*)fen. Sie fand die Thuͤr verſchloſſen, ohne zu wiſſen, wie es zuging, und erſchrack. Eine alte Vertraute hoͤrte weder auf Pfei - fen von Bonaventuri noch Rufen. Sie trug die Frucht der Liebe ſchon un - ter ihrem Herzen; auf freye Einwilligung ihrer Eltern durfte ſie nicht hoffen: Bona - venturi mußte mit ihr ploͤtzlich ſogleich nach Florenz durchgehen; wo ſie zu Anfang ein kuͤmmerlich Leben fuͤhrte, und die niedrig - ſten Arbeiten beym Vater ihres Gatten ver - richtete; ſie hatten ſich nun vermaͤhlt. Hier wurde hernach der junge Herzog gegen ſie entzuͤndet, als er ihre Reize von ohngefehr auf einem Spazierritt am Fen - ſter erblickte; und ſein Hofmeiſter Mondra - gone, ein Spanier, und deſſen Frau mach - ten die Unterhaͤndler. Der280Sperber unter dem zahmen Federvieh, das mit aller Macht herbey gelaufen und geflattert koͤmmt,wenn*)Der neue Liebhaber ernannte den Bona - venturi zum Gardaroba maggiore, und ſchenkte ihm einen praͤchtigen Pallaſt in Via Maggio, wo er mit der Bianca in allem Ueberfluß lebte. Als dieſer aber ſich bald zu uͤbermuͤhtig betrug: ſo ließ ihn der Herzog bey Nacht auf der Straße ermorden, wo er ſich noch tapfer wehrte. Ihr einzig Kind, eine Tochter mit Bo - naventuri, wurde mit Ulyß Bentivoglio verheurathet und reich ausgeſtattet. Keine zwey Monate nach dem Tode der Johanne von Oeſterreich, ſeiner Gemahlin, (einige Jahre nach dem gegenwaͤrtigen Lauf dieſer Geſchichte) vermaͤhlte ſich der Herzog mit Bianken in Geheim; welches er ein Jahr darauf allen Hoͤfen bekannt machte. Nach Venedig ſandt er den Grafen Sforzavon281wenn man ihm Futter hinwirft; und ſeine Eyer legt.

Ich hoͤrte von einer neuen Art Olympiſchen Spielen, die in den Baͤdern ſollten gehalten werden, und ging den Tag, der zum Feſt an -S 5be -*)von Santa Fiore: und ſie laͤuteten alle Glo - cken der Stadt, brannten die Kanonen ab, und erklaͤrten die Bianca fuͤr vera e parti - colar figliola della Republica, e cio in con - ſiderazione di quelle preclariſſime e ſingo - lariſſime qualita, che degniſſima la fanno di ogni gran fortuna. Das iſt: erklaͤrten ſie fuͤr eigentliche und beſondre Tochter der Republick, und dieß in Betrachtung der glaͤnzenden und außerordentlichen Eigenſchaf - ten, die ſie vollkommen wuͤrdig jedes Thro - nes machten. Sie wurde darauf als Tochter von Sankt Markus noch einmal oͤffentlich ihm ange - traut. Aus einer gleichzeitigen Handſchrift.282beraumt war, bey guter Morgenzeit von Lucca durch das fruchtbare Thal uͤber den Berg.

Unentſchloſſen, wie von einem andern We - ſen geleitet, wandelt ich herunter, und langte bey den Haͤuſern an: mir wiederſtand die Luft, und ein geheimer Ekel hielt mich ſo ab, daß ich zuſammenſchauderte, und mir die Ohren brauſten: doch aber drang ich durch.

Ich hatte mich kaum im Wirthshauſe zu ei - nem Fruͤhſtuͤcke niedergeſetzt, als zwey von mei - nen ehemaligen Kameraden hereintraten, mich anſtaunten, und mir um den Hals fielen; wir waren wie in einer neuen Welt bey einander, und mein Blut ſtuͤrmte in Katarakten von meinem Herzen. Willkommen! willkommen Prospe - ro! riefen ſie; bleibſt du bey uns? o du mußt bey uns bleiben! es ſoll dir wohl gehen, du haſt uns immer gefehlt.

Mich freuten die natuͤrlichen Aufwallungen, ihre Blicke ſchienen nicht erlogen, und ichver -283vergaß gleich zum erſtenmahl das ἀπιςεῖν des Sizilianers*)Epicharmos; Traue nicht! ſagt er, dieß iſt alles Gelenk der Klugheit..

Ich antwortete ihnen bloß auf ihre Fragen, daß ich nach Rom reiſen wolle, und jetzt von Genua kaͤme; und ſo eben in Lucca von ihrem Feſte gehoͤrt haͤtte. Waͤhrend dem uͤberraſchten mich noch verſchiedne andre alte Bekannten, und ſie ließen nicht ab, bis ich verſprach, mit Antheil an ihren Spielen zu nehmen. Oeffentlich konn - te man mir nichts zu Leide thun; ich war we - der verbannt, noch hatt ich etwas geſuͤndigt.

Ein Theil von ihnen machte darauf mit mir einen Spaziergang; und ich ſuchte, durch einge - leitete Geſpraͤche mit dieſem und jenem, nach und nach geſchwind kennen zu lernen, was ſich ſeit mei - ner Abweſenheit veraͤndert hatte.

Zu284

Zu Mittage ſpeiſt ich in großer Geſellſchaft; und bemerkte bald ein paar Spuͤrhunde, die auf mich ausgeſandt waren; und fuͤhrte ihre Naſen auf allerley Abwege. Das Voͤlkchen war uͤber - aus luſtig, und witzelte und ſang und ſcherzte; aber uͤberall fehlte der edle Kern der Selbſtſtaͤn - digkeit, bis auf einen meiner alten Freunde Mazzuolo, der ſeinen Geiſt wunderbar geſtaͤrkt hatte: und wir theilten einander unſern Selen - jubel mit im Winkel durch Blick und Kuß und Haͤndedruck und kurze abgebrochne Reden.

Nach ein und zwanzig Uhr kam der Herzog an mit ſeinem Gefolge von Piſa in den zu dem Feſte beſonders aufgepflanzten Zelten; und gleich darauf wurden die Spiele mit Trompeten und Paukenſchall eroͤfnet. Das erſte war ein Piſto - lenſchießen, und der Preis ein herrlicher Spa - niſcher Hengſt aus ſeinem Marſtall. Der Mit - ſtreiter waren mit mir ſechszehn, lauter junge Leute aus den beſten Haͤuſern im Florentiniſchen,der285der aͤlteſte nicht uͤber dreißig Jahre, und der juͤngſte nicht unter ſiebzehnen.

Sie baten insgeſamt fuͤr mich um Erlaub - niß mitzuſtreiten, zumal da einer an der geraden Zahl fehle, der ploͤtzlich krank geworden war. Der Herzog ließ mich in meinen Reiſekleidern vor ſich, und ſagte, nachdem ich ihm einen Lobſpruch wie einem andern Herkules gemacht hatte: es gefall ihm, daß ich eben bey dieſer Gelegenheit von meiner langen Reiſe zuruͤckkomme. Bianca, die zugegen war, blickte mich an mit einer großen Neugierde, und tauſend Fragen ſchwebten auf ihren Lippen.

Du wirſt dich verwundern uͤber meine Kuͤhn - heit, und mich vielleicht fuͤr unbeſonnen halten: allein fuͤrs erſte reizten mich die Spiele ſelbſt, und mein ganzer Muht ſagte mir, daß ich wenig - ſtens in einem den Preis davon tragen wuͤrde, da ich meine Gegenſtreiter ſo vor mir ſah; und dann ſcheint es mir allemal zutraͤglicher, vonohn -286ohngefehr mit den Tyrannen der Welt Bekannt - ſchaft zu machen, als durch lange Vorbereitun - gen, wo die Caͤremonien alle Natur erſticken.

Ich will dich nicht lange mit der Erzehlung aufhalten. Wir ſchoſſen mit Piſtolen zu Fuß und zu Pferde; und ich traf allemal bey weitem das Ziel, vierzig Schritt entfernt, am beſten. Es war ausgemacht, daß im andern Falle die zwey erſten Schuͤtzen noch einmal um den Preis kaͤmpfen ſollten; dieß unterblieb alſo, und die Adriatiſche Zauberin uͤberreichte mir den Zuͤgel des ſtolzen jungen Roſſes mit dieſen Worten: ſeyd auch ſo treflich im Streite, wo es das Leben gilt, fuͤrs Wohl des Vaterlandes. Ich ſah ſie an mit einem kuͤhnen Blick, und wieder ſcham - haft, und beruͤhrte ihre ſchoͤne Hand wie in der Zerſtreuung zaͤrtlich mit den letzten Fingern der meinigen, und antwortete: o waͤre ſchon die Gelegenheit da, euch, o Wunderfrau, und dem - ſelben meinen Eifer zu zeigen!

Dar -287

Darauf wurde aus freyer Hand mit Buͤch - ſen nach der Scheibe geſchoſſen, zweyhundert Schritt weit, und Mazzuolo kam dem Mit - telpunkte vor mir naͤher; ich hatte hier mein ei - gen Gewehr nicht. Der Preis beſtand in ei - nem andern Neapolitaniſchen Hengſt und einem ſchoͤnen Jagdhunde.

Den andern Tag waren die Fechterſpiele. Erſt fochten acht Paar nach dem Loſe; einzeln jedes Paar. Die den Stoß beybrachten, mach - ten dann wieder vier Paar; dieſe vier alsdenn zwey, bis endlich eins und einer allein der Sieger blieb.

Die Herrchen fochten mit vieler Zierlichkeit, und ſagten ihre Lectionen her; ich aber gewann ihnen mit einem gegenwaͤrtigen Auge und faſt lauter geraden Stoͤßen, womit ich in ihre Gauke - leyen hineinfuhr, den Preis ab; dem letzten und geſchickteſten ſchlug ich zweymal mit ſtarken un - hoͤflichen Paraden das Rappier aus der Hand,und288ſetzte ihm alsdenn noch obendrein nach einer[Se - cundenfinte] eine Quart uͤber den Arm gerad auf den rechten Piez, ſo daß der ſchwarze Fleck eine vollkommne ſichtbare Finſterniß auf ſeiner Weſte machte.

Fuͤr dieſes Probſtuͤck gab mir Iſabella, die Geliebte meines Vaters, einen goldnen mit Stei - nen beſetzten Degen; und mir ſchwellte die Hand von Grimm, wie ich ihn am Griffe faßte: Tapf - rer, ſprach ſie leiſe zu mir mit blitzenden Augen und Honiglippen, ziehe ſtolz damit wieder in Flo - renz ein, und trag ihn mir zum Angedenken.

Den dritten Morgen, nachdem Bianca ſich gebadet hatte, war Wettlauf in ſandiger Bahn, und Abends Ringen, wovon Mazzuolo und ich ausſchieden, um weder aus Hoͤflichkeit uns uͤberwinden zu laſſen, noch den andern vielleicht auch dieſe Preiſe wegzunehmen, und ſo die allge - meine Freude zu ſtoͤren. Und damit es uns kein ſtolzes Anſehen gab, ſchieden noch mehrere davonaus.289aus. Zu Elis haͤtten wir dieſes nicht noͤthig ge - habt; aber man merkte noch außerdem, daß wir uns nicht in Griechenland befanden: der Oliven - kranz waͤre mir lieber geweſen, als Roß und Degen; ſie blieben immer eine kindiſche, tyranni - ſche und ſklaviſche Belohnung.

Mir uͤberlief die Galle, wie ich Abends zu Piſa einritt, und ſehen mußte, daß man mehr das Pferd und den Degen, als mich betrachtete; und warlich nicht etwa deßwegen, weil ich auf meine Perſon eitel waͤre, ſondern daß die Nazion ſeit weniger als[hundert] Jahren ſo den gro - ßen Sinn verlor, wodurch ſie ſich in den Zeiten der Freyheit auszeichnete.

Mit einem Wort: eine Weiberanſtalt. Bianca wollte dem Herzog eine Kurzweil machen, und zugleich den jungen Adel von Florenz ſich verbinden; an einen andern Zweck wurde wenig dabey gedacht, denn wenn man im Ernſte daran gedacht haͤtte: ſo waͤr alles unterblieben.

TSo290

So ſieht man oft bey einer Ausfuͤhrung ohne Gedanken, daß Fuͤrſtin und Fuͤrſt etwas Gutes in einem Buche mag geleſen haben.

Ardinghello.

Piſa, Junius.

Ich werde die Guͤter meines Vaters wieder er - halten, Bianca hat es mir verſprochen, mit welcher ich oft im Geſpraͤch bin; und dieß iſt mir ſichrer, als ob es mir der Herzog ſelbſt verſprochen haͤtte. Sie iſt wirklich ein reizendes Weib, voll Schlau - heit und Verſtellung, weiß das Leben zu genie - ßen, und fuͤhrt bey ihrem Honig einen ſcharfen Stachel. Sie macht Venedig, der hohen Schu - le der Weiber, gewißlich vor einer großen An - zahl Ehre; und es ergoͤtzt ſie, daß ich dieß ſo gut kenne. Das gefaͤllige Weſen, das ſie dabey hat, wie alle vorzuͤgliche Perſonen ihres Ge - ſchlechts, waͤrmt und erheitert mich ſehr ange - nehm. Sie weiß ſich wie die meiſten ein wenigviel291viel mit ihrem Spiegel; und dieß muß man benutzen.

Auch der Herzog will mir wohl, vermuth - lich durch Sie. Ich habe ſchon verſchiedne mahl mit ihm Schach ſpielen muͤſſen, worin er ſich ein - bildet ein großer Meiſter zu ſeyn. Ich verlor mit Fleiß das erſte Spiel, und gab ihm Gelegen - heit zu feinen Zuͤgen, die meine Stellung ſehr ſpannten; doch macht ich ihm ſeinen Sieg noch ſauer, welcher ihn dann hoͤchlich freute. Das zweyte Spiel dreht ich ſo lange, bis keiner mehr gewinnen konnte; und uͤberließ ihm wieder das dritte. Beym vierten und fuͤnften aber macht ich den Herrn Schachmatt in einer Reihe von Kettenzuͤgen, ruͤhmte ſeine Geſchicklichkeit, und entſchuldigte ihn mit kleinen Verſehen. Bis an den zehnten und zwoͤlften Zug und in die Mitte ſpielt er in der That vortreflich, hat puͤnktliche Erfah - rung, und man muß bey jeder Art von Spiel wohl auf ſeiner Hut ſeyn; aber bey den Aus -T 2gaͤn -292gaͤngen, was eigntlich nur Freude macht, und tief verwickelte Mannigfaltigkeit hat, haperts.

So weit ging es nun alles gut; aber Iſa - bella iſt in mich verliebt! mir ſagen es ihre wol - luͤſtigen Augen, und das Herneigen ihrer Seele, wenn ich in ihre Geſellſchaft komme. Sie haͤlt wie ein Laͤmmchen, und ſcheint zwi - ſchen Blutsfreundſchaft und andrer Liebe, gegen die Geſetze des Judenlykurgs, keinen Unterſchied zu machen; oder die erſtre duͤnkt ihr vielleicht ohne dieſe ein leerer Name, wobey Niemand vom Urſprung an einen ſinnlichen Begriff habe. Und ihr Vater und ihre drey Bruͤder lebten ſo mit ihr nach der allgemeinen Rede. Stammen ſie etwa wie Alexander der ſechſte und deſſen Soͤh - ne und Lukrezia von einer beſondern Menſchen - art? Es mag Fehler der Erziehung ſeyn, oder von dem Mord herruͤhren: mir koͤmmt es abſcheu - lich vor, und ich werde zuverlaͤſſig mit ihr keinen Baſtarden vom Magus zeugen.

Ich293

Ich finde hier eine gute Schule, den Men - ſchen zu ſtudieren, wo er in verſchiednen Punk - ten ſeine Vorurtheile abgelegt hat, und bloß nach ſeiner innern Natur lebt; ſchier wie unter den Imperatoren Claudius und Nero. So viel iſt wenigſtens richtig, man trift unter ein Dutzend Perſonen von beyderley Geſchlecht bey - ſammen, wie in wohlgeordneten Staaten, kaum drey oder vier an, die jederſeits Pein litten, wenn ſie ſich einander helfen koͤnnten. Sorgten nur die Geſetze fuͤr die Folgen, wie in Sparta!

Mit klopfender Sehnſucht hoff ich auf Nach - richt von euren Gewaͤſſern.

Prospero Frescobaldi.

Ardinghello ſchien mir ſchon von dem Wir - bel des Hofs ergriffen, und mir war bange vor den Gefahren, die ihn umgaben. Ich glaubte, daß, was ihm ſo ſchnell und heftig auf einander begegnete, ſein junges Gemuͤth in etwas aus ſeiner Grundverfaſſung geſetzt habe; und rief ihm zu alsT 3war -294warmer Freund von fern unter manchem andern:

Kein hoher Geiſt, der frey ſeyn kann, verpflichtet ſich an den Hof eines Despoten; er er - waͤhlt lieber Waſſer und Brod. Bey einem ſchlechten Fuͤrſten kann keiner ausdauern, ohne ſchlechte Streiche zu begehn: es iſt platterdings nichts anders zu thun fuͤr einen Edeln, der ſich retten will, als zu fliehen. So haͤtte Seneca unter dem ſchicklichſten Vorwand erſt Agrippinen, und dann den Nero verlaſſen, wenn er ein Stoi - ker, wie ſich gebuͤhrt, haͤtte bleiben wollen. Al - lein es gefiel dem Herren zu herrſchen: er blieb bey den Tygern, und duckte ſich unter ihre Klauen.

Ich erinnerte ihn an ſeine ehemaligen repu - blikaniſchen Geſinnungen, warnte ihn vor den Ausſchweifungen in der Liebe; und beſchloß mit der Nachricht, die ihm ſo freudenvoll ſeyn mußte, daß Caͤcilia ſchon vorigen Monat auf dem Land -gut295gut ihres Vaters am Lago di Garda von einem geſunden und ſtarken Knaͤblein ohne lange Mut - terwehen gluͤcklich entbunden worden ſey; und ich mich nun wieder in der Nachbarſchaft befinde, wo unſre Freundſchaft ſo friſch und maͤchtig aufgruͤn - te, und in unſern Herzen unzerſtoͤrliche Wur - zeln ſchlug. Er koͤnne nun alles einlenken, ſein Leben in Zukunft ſich aͤußerſt angenehm zu machen.

Florenz, Julius.

Deine zaͤrtliche Sorge fuͤr mein Heil ruͤhrt mich bis ins Innerſte, und die Nachrichten von Caͤcilien freuen mich herzlich: allein die Zeiten meiner Ruhe, des gluͤckſeeligen Maulwurflebens ſind noch nicht gekommen.

Ich verſtehe alles, was du ſagſt; nur moͤcht ich das Blaͤtchen umwenden, und behaupten; bey einem treflichen Fuͤrſten kann keiner aus - dauern, ohne ſchlechte Streiche zu begehen. Die Sokratiſche Philoſophie hat den Fehler, daß ſieT 4faſt296faſt alles auf den Nebenmenſchen und die Geſetze des Staats bezieht, und nichts an und fuͤr ſich betrachtet; welches natuͤrlicher Weiſe allemal vor - geht. Nach der Meinung des alten Patrioten, der doch den Schierlingsbecher zu ſeinem eignen Beſten ausleerte, waͤre nur der Loͤwe gut und ſchoͤn, der ſeinen Athenienſern Haſen fing. Nero, der zwar immer im Taumel lebte, und ſelten klar ſah und bey Ueberlegung, hat wenigſtens damit der wahren Politik ein Ziel geſteckt, daß er ſagte: keiner habe ſo wie er vor ihm verſtanden zu herrſchen. In der That zeigt die Geſchichte des Decemvir Appius mit der Virginia die Einfalt der damaligen Zeiten, und Sylla, Auguſtus und Tiberius ſind ſchon Virtuoſen dagegen im Despoti[s]mus.

Mit der Idee von einem vollkommnen Staate kann man leider geſchwinder fertig werden als der Wirklichkeit; da legen Grund und Bo - den, Urſprung und Geſchichte des Volks, gegen -waͤr -297waͤrtige Staͤrke an Leib und Seele, deſſen Glau - ben, Meinungen und Sitten und Nachbarn un - uͤberwindliche Schwierigkeiten in den Weg, und kommen lauter unbezwingliche borſtige Ungeheuer zum Vorſchein. Hier haſt du kurz mein Glaubens - bekenntniß; und ich will dir reinen Wein ein - ſchenken.

Man betrachtet eine Geſellſchaft von Men - ſchen, die man einen Staat nennt, am beſten als ein Thier, das von innen Kraͤfte, Proporzion aller Theile haben und geſund ſeyn muß, und volle Nahrung, um fuͤr ſich auf die Dauer zu exiſtiren, und gluͤcklich zu ſeyn: und von außen Staͤrke, Erfahrung und Klugheit, um ſich gegen die Feinde zu erhalten; denn alles von außen, wie Kindern bekannt, iſt Feind.

Das Wohl des Ganzen iſt das erſte Geſetz, wie bey jedem lebendigen Dinge; und jede Staatsverfaſſung, wo nur ein Theil ſichT 5wohl -298wohlbefindet, oder gar abgeſondert waͤre, iſt ein Ungeheuer, eine Mißgeburt.

Ein Despot alſo, das iſt, ein Menſch, der ohne Geſetze, die aus dem Wohl des Ganzen entſpringen, uͤber die andern herrſcht, bloß nach ſeinem Gutbefinden, iſt kein Kopf am Ganzen des Staats, ſondern ein Ungeziefer, ein Bendel - wurm im Leibe, eine Laus, Muͤcke, Wespe, das ſich nach Luſt an ſeinem Blute naͤhrt; oder will man lieber: ein Hirt, weil doch dieß das beliebte Gleichniß iſt, der ſeine Schaafe ſchiert und melkt, und die jungen Laͤmmer ſchlachtet und die fetten Alten, wahrlich nicht zu ihrem Beſten, ſondern zu ſeinem Beſten.

Der Staat iſt endlich ein Thier, das ſeine Geſetze hat, weder von Kuͤhen noch Schaafen, ſondern von der Natur des Menſchen, weil er aus Menſchen beſteht; und kein Menſch iſt ſo uͤber andre, wie ein Hirt uͤber ſeine Heerde. Ein vollkommner Staat muß ein Thier ſeyn, dasſich299ſich ſelbſt nach ſeiner Natur, ſeinen Beduͤrfniſſen und Erfahrungen regiert, wie ein Ulyßes fuͤr ſich nach den Umſtaͤnden und gegen andre.

Eine reine Ariſtokratie, wo mehrere be - ſtaͤndig herrſchen nach ihrem Gutbefinden, ohne Geſetze aus dem Wohle des Ganzen, nur mit Geſetzen fuͤr ihr Wohl, die ſie nach Belieben aͤndern, iſt eine vielkoͤpfige Hyder von Despotis - mus, viel Ungeziefer auf dem Leibe ſtatt eines.

Ein Staat von Menſchen, die des Namens wuͤrdig ſind, vollkommen fuͤr alle und jede, muß im Grund immer eine Demokratie ſeyn; oder mit andern Worten: das Wohl des Ganzen muß allem andern vorgehn, jeder Theil geſund leben, Vergnuͤgen empfinden, Nutzen von der Geſellſchaft und Freude haben; der allgemeine Verſtand der Geſellſchaft muß herrſchen, nie bloß der einzelne Menſch.

Dieſe Lage aber zu erhalten, dazu gehoͤrt ein durchgearbeitetes Volk, das ſich ſelbſt, ſeineKraͤf -300Kraͤfte und ſein Intreſſe kennt, und ſich in einen Punkt vereinigen kann; und ſelten iſt einer, der an der Spitze ſteht, aus Liebe oder Gewalt, im Stande, eine andre Verfaſſung in eine ſolche umzuaͤndern, geſchweig ein Philoſoph auf ſeinem Studierzimmer. Die urſpruͤngliche Ungleichheit der Menſchen und die daraus entſpringende aͤußer - liche Ungleichheit der Beſitzungen und der Gewalt und des Anſehens machen noch uͤberdieß den gordi - ſchen Knoten der durch keine Vernunft an und fuͤr ſich, ohne Ruͤckſicht auf die jedesmalige Verfaſſung, aufzuloͤſen iſt. Nur ein Dichter kann auf einmal Tauſende und Millionen von Menſchen wie uͤber - ein gedrechſelte Maſchinen in einen Raum, wo kein Grad der Breite von Europa, Afrika, Aſien, und Amerika iſt, hinſtellen und in beliebige Ord - nung bringen.

Was fuͤr Muͤhe koſtete es nicht dem Roͤmi - ſchen Volke, das in dieſer erſten Kunſt uͤber alle Nazionen hervorragt, ehe es ſich von der Gewaltder301der Koͤnige losmachte, und hernach durch ſeine Tribunen die Ariſtokraten baͤndigte? O es iſt dem Menſchen ſo ſuͤß, uͤber andre zu herrſchen, deren Knaben und Toͤchter und Weiber ſich auf - warten zu laſſen, ihren beſten Wein zu trinken, ihre beſten Fruͤchte, ihr beſtes Gemuͤß und Fleiſch zu ſchmauſen, ſie im Sonnenbrand arbeiten zu ſehen, und ſelbſt in kuͤhlen Schatten faullenzen, ſie unter den Schwertern und dem donnernden Geſchuͤtz der Feinde zu wiſſen, wenn junge zarte Dirnen ihm ſorgſam die Fliegen wegwedeln! Je - der will dazu Recht haben, und goͤttliches Recht haben, ſobald er im Beſitz iſt, und ließ eher den letzten Kopf von allen ſeinen Unterthanen, Vater und Sohn, Mutter, Bruder, Schweſter, Tochter uͤber die Klinge ſpringen, die es rebelliſch leugneten, und befaͤnde ſich lieber allein in einer Wuͤſte zwi - ſchen[der] Peſt der Hingerichteten, als daß er zum Exempel einem Rom geſtattete, außer ſeiner Unterjochung das erſte Volk der Welt zu ſeyn. Dieß iſt in der Natur; ſo elend iſt der Menſch;alle302alle unſre Moral iſt gemacht, und ſteht nur in Buͤchern: lehrt es nicht alle Geſchichte?

Daſſelbe thut man um Herrſchaft zu erlan - gen, und duͤngt die Felder mit Buͤrgerblute; du kennſt die Verſe des Euripides, die Caͤſar im Munde fuͤhrte.

Sie haben allerley Blendwerk von Beſchoͤ - nigung auserſonnen, worunter das taͤuſchendſte iſt, dem Staate Ruh und Ordnung zu verſchaf - fen, und behende Staͤrke zu geben; und ſie ſtellen ſich an, als ob ſie nur deſſen erſte Diener waͤren, und große Laſten auf ſich truͤgen. Wie iſt aber einer Bedienter, dem Niemand befiehlt, der kei - nen Herrn uͤber ſich erkennt! Wie iſt einer Be - dienter, der nach Gutbefinden Geſetze macht und giebt, und keins annimt? nach Willkuͤhr ohne Geſetze ſtraft? Geſetzt auch, Ruh und Ordnung; iſt dieß Gluͤckſeeligkeit? im Kerker iſt auch Ruh und Ordnung.

Be -303

Behende Staͤrke? Xerxes erfuhr ſie anders von den Themiſtokleſſen der Griechen; und die Dictatoren der Roͤmer, die Kamille ſind andre Leute, als vielleicht je einer unter ihnen war, und koſteten ſicherlich weniger zu unterhalten. Doch wenden wir unſre Ohren ab von dieſen Larifari, die Sache ſpringt von ſelbſt in die Augen. Kein Tyrann wird wohl je ſo ein Narr ſeyn, und ſein Sklavenreich einem freyen Rom, Athen oder Sparta vorziehen, ſtrahlende Namen durch alle Zeitalter; allein wenn er geſcheidt iſt, und mit einem Geſcheidten unter vier Augen ſpricht, ganz etwas anders behaupten; etwa folgendes:

Jedes Weſen darf von Natur um ſich greif - fen, ſo viel es Macht hat, es ſey unter ſeines Gleichen, oder andern Dingen. Du zuͤrnſt, daß du gehorchen mußt? gehorche nicht, wenn du kannſt! und du erhaͤltſt ein ander Recht. Daß ich, Sultan, zu Konſtantinopel herrſche, da es mir Millionen und Millionen Sklaven erlauben,wie304wie nimſt du das mir uͤbel? willſt du uͤber nichts herrſchen? iſt nicht jeder Menſch ein Sultan, wenn er kann, nicht jeder Stier und Hirſch? die Verſtaͤndigen werden freylich nie gehorchen, wenn ſie nicht muͤſſen. Gehorchet nicht, wenn ihr koͤnnt, ſo lange bis ihr alle Herren ſeyd! und euer Staat iſt die Vereinigung des reinſten Ganzen, eine Sonne, wo jeder Theil Licht hat und flammt und brennt, und einer den andern verſtaͤrkt und entzuͤckt, und alle insgeſammt dann fremde traͤge Erdenkoͤrper zum Leben erwecken, wie jetzt allein Ich.

Es lies ſich vielleicht hierauf auch immer antworten: daß der Loͤwe minder ſtarke Thiere zerreißt, und ihr Blut ausſaugt, iſt nun freylich einmal ſo in der Natur, und erhaͤlt ihn und macht ihn gluͤcklich. Daß du Sultan aber uͤber Millionen herſcheſt, iſt Stelzenwerk, und macht dich im Grunde ungluͤcklich; denn du lebſt nur im Traum und Nebel, ohne eigentlichen Genuß. Der305Der Zufall hat dich oben an geſchleudert, und nicht deine Kraft hingeſtellt. Du fuͤllſt deine Sphaͤre nicht aus, und biſt immer in einem ohnmaͤchti - gen Streben, Gefuͤhl von Schwaͤche; haſt den Anſchein von Held und Sieger, und das innre von einem niedergetretnen Ueberwundenen! und ſo weiter, wenn man ohngeachtet aller Traulich - keit Luſt haͤtte, auf der Stelle geſpießt zu wer - den.

Um zum Beſchluß hiervon nach der Schule noch zu reden: ſo theilt man die Staaten ein in Demokratien, Ariſtokratien, und Monarchien; und ſagt, jede Verfaſſung ſey ſchier gleich vor - treflich, wenn die Menſchen gut da waͤren, das iſt: wenn jeder, oder doch diejenigen, welche regieren, die andern lieben, wie ſich ſelbſt, und ihr Wohlſeyn nur in dem des Ganzen finden; und fuͤhrt zu Beyſpielen an Athen nach dem Piſiſtrat, Rom nach der V[e]rtreibung der Koͤnige,Uund306und den Theſeus und Cyrus und Romulus aus den dunkeln Zeiten der Fabel.

Weil aber ein boͤſes principium im Men - ſchen ſtecke, und der reine Geiſt nicht allein in ihm herrſche, welches alle die Schlechtigkeiten bewieſen, die ſonſt unerklaͤrlich blieben: ſo habe jede von dieſen gluͤckſeeligen Verfaſſungen nur aͤußerſt kurze Dauer, und arte bald entweder in Tyranney aus, denn faſt allemal folge auf einen raren weißen Raben Marc Antonin eine Men - ge Commoduſſe, oder in Oligarchie, wie nach den Scipionen und Gracchen in Rom unter dem Marius und Sylla, Pompejus und Caͤſar; oder Anarchie und zuͤgelloſe Frechheit. Und in Be - trachtung der Natur dieſer Dinge ſchmieden ſie denn einen Staat zuſammen, der aus allen drey - en Verfaſſungen zugleich beſteht, und erhalten ihn unſterblich und ewig vollkommen durch ihre Geſetze, als ob das Leben ſich feſt halten ließe beſſer als Metall und Holzwerk bey Maſchinen! In -307Inzwiſchen ſind ſolche Ideale der Vollkommen - heit von ſcharfſinnigen und erfahrnen Maͤnnern aͤußerſt erſprießlich und verdienen warmen Dank, und hohen Ruhm und Preis, ob ich mich gleich lieber an Rom und Sparta halte, den edelſten und vollkommenſten Greiſen unter allen Staaten, die wir kennen, und die vielleicht je gelebt haben. Jeder, der in der buͤrgerlichen Welt ſich her - umſchlaͤgt, und da und dort groß und herrlich und menſchenfreundlich wirken will, oder irgend - wo an der Spitze ſteht, les ihre Geſchichte, und denke ſie tief durch mit einer Seele voll Erfah - rung: und ſie wird ihm ganz ander Licht gewaͤh - ren, als auch die beſten Maaßregeln eines ein - zelnen Politikers.

Einem Tyrannen den Dolch ins Herz: aͤndert allein noch keinen Staat um, wenn er nicht reif zu einer beſſern Verfaſſung iſt, das goͤttliche Weſen, und wenn es ſich auch lauter und rein erkennt, als esU 2von308von ſeinem Urſprung gekommen iſt, muß ſich uͤberall nach der Materie bequemen, wohinein es vom unerbittlichen Schikſal getrieben fuhr. Einer, der aus beyden Brutuſſen zuſammengeſetzt waͤre, wuͤrde nun bey uns immer als Poͤbel herumgehen, wenn er ohne Hofnung ſich ſelbſt immer gram blei - ben koͤnnte.

Unſre Targuine hatten wir ſchon verjagt, allein ſie wurden uns von einer unendlich groͤſſern Macht, als der des Porſenna, wieder aufge - bunden, und unſre innerliche Einrichtung war bey weitem noch nicht ſo wie die Roͤmiſche zur Republik gediehen; und noch außerdem war der heidniſche toskaniſche Koͤnig gewiß ein beßrer Menſch, als der orthodoxe Karl der fuͤnfte. Dieſer voll Ehrgeiz und kalter Liſt und Schlau - heit ohne eigentlichen weitſehenden Verſtand kam zu fruͤh zur Regierung von großen Reichen, um ein Mann von natuͤrlichem Gefuͤhl bleiben zu koͤnnen. Er ging uͤbrigens noch auf dem Weltthea -ter309ter mit den Menſchen um, wie hernach in der Einſamkeit mit ſeinen Uhren; und es gehoͤrte ein Sturm von Leben wie beym Ruͤckzug von Algier dazu, und Untergang und Verderben mußten graͤß - lich vor Augen liegen und ſeine eigne Perſon er - greifen, bevor ſein Herz in waͤrmere Wallung ge - bracht und gegen fremde Noht empfindlich wur - de. Gebohren zu Anfang des Jahrhunderts hat er mit wunderbarem Gluͤck die ganze erſte Haͤlfte deſſelben durchgeherrſcht, und alles mußte gewiſ - ſermaßen ſich in ſeinen Ton ſtimmen. Unſre Freyheit und die Gluͤckſeeligkeit von Millionen kuͤnftiger Seelen vernichtete er ſo ganz ohne Ge - fuͤhl, wie ein Vogelſteller einem Gramsvogel im Garn die Bruſt eindruͤckt.

Es bleibt uns nun nichts anders uͤbrig, nach - dem der eiſerne Arm mit Gericht und Beil uͤber uns vereinzeltem buntem Haufen ſchwebt, der ſich nicht mehr vereinigen kann, als daß einer des andern innerliche Kraft im Vertrauen kluͤglichU 3an -310anrege, und wenigſtens den einen großen Grund - ſatz auf die ſinnlichſte Weiſe ausbreite, daß der Staat der beſte ſey, wo alle uͤberhaupt, und die Beſſern, und der ausbuͤndige Vortrefliche bey den Vorfallenheiten ihre Rechte genießen; und daß man dabey nicht allein auf gluͤcklichre Zeiten hoffe, ſondern dieſelben herbeyleite. Unter dem Cosmus hat der Despotismus ſchon zu tiefe Wurzeln gefaßt, und ſein Sohn mag ſo ſchwach ſeyn und immer mehr ſchwach werden als er will: ſo laͤßt er ſich ſogleich nicht ausrotten.

Ich fuͤr mein Theil darf mich jedoch wenig uͤber Franzen beklagen: er hat mir nun meine[vaͤter - lichen] Guͤter wieder gegeben, in beſſerm Stand als ſie waren, und, um mich ſich deſto mehr zu verbin - den, noch eine kleine Dichteriſche Villa dazu ge - ſchenkt, nahe bey Cortona, mit der reizenden Ausſicht uͤber das fruchtbare Thal der Chiana und den Thraſimeniſchen See; und mich zu - gleich zum Oberaufſeher aller ſeiner Kunſtſachen,Schloͤſ -311Schloͤſſer und Gebaͤude angeſtellt. Freylich wenn ich Iſabellen ſehe, flammen nichts deſtoweniger immer aufs neue raͤcheriſche Blitze von meinem Herzen.

Meine Tante, und der Kardinal Ferdi - nand*)Bruder des Großherzogs., der ein ganz andrer Mann iſt, ſchei - nen ſich das Leben ſehr froh zu machen; ſo wunder - barlich laufen die Begebenheiten in einander.

Wegen meiner Ausſchweifungen in der Lie - be brauchſt du nicht ſehr bange zu ſeyn: der hat gewiß ein verwahrloſtes Haupt, der nicht bey - zeiten erkennt, daß die Geſundheit der Grund und Boden aller unſrer Gluͤckſeeligkeit iſt, ohne welchen kein Vergnuͤgen beſtehen kann; und uͤber - haupt, daß volle Exiſtenz das hoͤchſte Gut in der Welt iſt, und alles andre dagegen nur Freude von kurzer Dauer.

U 4Ohn -312

Ohnerachtet dieſer Grundſaͤtze ſchweb ich vom neuen in Goͤtterwonne mehr als jemals. Ich war noch keine funfzehn Jahr, als ich mit einem kleinen Engel aus der Nachbarſchaft, noch unter meinem Alter, eine Tochter zeugte. Meine El - tern vermittelten, verbargen und bemaͤntelten die Sache mit der Schwiegermamma, der hin - terlaßnen Wittwe von einem Buchhaͤndler, ſo gut als es geſchehen konnte. Meine Geliebte ward in ein Kloſter gethan, und den Augen der Leute ſo entruͤckt, und die Frucht der Unſchuld mit laͤcheln - der Zaͤrtlichkeit erzogen.

Ich habe beyde wiedergefunden. In einem Garten voll Blumen aus einem Traubengelaͤnder flog Emilia auf mich, und hing an meinen Lip - pen, an meinem Herzen mit tauſend neuen Rei - zen; und fuͤhrte mir behende dann das ſuͤße Ge - ſchoͤpf zu, das[liebkoſend] mit ausgeſtreckten Ar - men nach mir aufſah und Vater! Vater! ent - zuͤckend mir durch Mark und Bein frohlockte.

So313

So bald ichs moͤglich machen kann, reiſ ich zu euch, ich muß Caͤcilien ſelbſt ſehen und ſpre - chen, mit Briefen iſts nicht gethan; und du be - gleiteſt mich dann hieher. Wir wollen wie in einem Paradieſe leben.

Frescobaldi.

Caͤcilia an Ardinghello.

Nur die Liebe zu dir hat mich erhalten. O, daß ich nicht bey dir bin! welch ein Ge - genſtuͤck zu unſrer bangen furchtbaren Trennung! Aber noch iſt mir die Sonne der Freude nicht ganz aufgegangen; doch weiden ſich meine Bli - cke an ihrer lieblichen Morgenroͤthe, und ſchon wall ich auf den purpurnen oͤſtlichen Fluhten ent - gegen ihrem blendenden erſten Feuer.

O du mein Alles, Licht und Leben und Hei - terkeit meiner Seele, wann werd ich mich wieder um dich winden? mich in dich verwandeln, nur voll von dir, nichts mehr, dein unausſprechliches entzuͤckendes Selbſt ſeyn?

U 5Wie314

Wie eine Rebe den Ulmbaum werd ich dich umflechten, und die ſuͤße Traube ſoll dich ſchmuͤ - cken.

Hand in Hand wollen wir nun die Geſtirne blinken und den Mond aufgehn ſehen, im kuͤhlen erquickenden Gefluͤſter der bewegten Zweige, ohne Furcht bey der Nacht; und uns laut kuͤſſen und unſre Wonne girren zwiſchen Roſen gelagert un - ter dem hohen Ahorn, worin die muntern Philo - melen ſeufzen und zwitſchern und ſchlagen.

Lange lebt ich eine Gefangne, mit ſchreck - lichen Phantaſien und Traͤumen: nur du, nur du, mein Abgott, und waͤr ich auch ein Vogel in den Luͤften, biſt in der weiten Welt meine Freyheit.

Fulvia an Ardinghello.

Groͤßter und ſtrahlendſter Diamant von allen jungen Rittern!

O waͤr ich ſo die ſchoͤnſte und groͤßte Perle! nur deinetwegen.

For -315

Fortuna und Victoria halten nun den Ro - ſen und Lorbeerkranz uͤber deinen Scheitel ver - ſchlungen hinten auf deinem Triumphwagen: aber ich war auch gluͤcklich! die gluͤcklichſte unter den Weibern. Jene Koͤnigin der Amazonen mußte den Ueberwinder von Aſien aufſuchen: und du kamſt zu mir, Genua zu verherrlichen; und den ſchwachen kraftloſen Stamm, womit ich vermaͤhlt bin.

Ich trage mit uͤppiger Hofnung die Frucht unter meinem Herzen, und ſie beginnt zu reifen. Die Parzen ſelbſt haben ihr kuͤnftig Leben aus deinem Munde geſungen. Die Korſaren und das Mißtrauen meiner Verſchwaͤgerten machten, daß ich noch unverdorben in deine Arme kam.

Dir fehlt zum Koͤnig aller Koͤnige nichts als ein Konſtantinopel, ein Iſpahan.

Florenz, September.

Man muß das Eiſen ſchmieden, weil es warm iſt. Wir, Beſter, haben es mit einanderab -316abgekartet, und den Miniſter geſtuͤrzt, eh er ſichs verſah. Es war mit dem alten Ziegenfuͤßler ohne Beſtechung nichts anzufangen, und er hat uns Tort und Drangſal genug angethan. Wir ſind jedoch ſaͤuberlich mit ihm verfahren, und er darf in Einſamkeit und Muße noch ſeine Beu - te uͤberzehlen. Die Kammerjungfer der Bian - ca, und der Kammerdiener des Großherzogs ſchlugen ihm fuͤr eine Summe Zecchinen das Bein unter; das iſt: ſie brachten ihm aus den Mor - genſtunden falſche, ganz entgegengeſetzte, und doch fein und wahrſcheinlich erdichtete Nachrich - ten von dem, was man gern ſaͤhe: und er plum - ſte hinein. Wir warfen bey der Gelegenheit noch einige Laͤcherlichkeiten auf ihn, und empho - len unvermerkt den, welchen wir an ſeine Stel - le wollten.

Ich haͤtte den Poſten vielleicht fuͤr mich er - obern koͤnnen; aber ich mocht ihn nicht. Auch bey einem wackern Fuͤrſten, dem ein ſchlaues Weibge -317geluͤſtet, koͤmmt der treflichſte Mann zu kurz; er haͤlt ihn mit ſeinen allerweiſeſten Rahtſchlaͤgen doch nur immer bey den Ohren: und die reizende Kreatur, mit geringerm Aufwande, weit ſtaͤrker anderswo in Nektarſuͤßen Banden. Ueberdieß mußt ich ſcheuen, bey erſter Gelegenheit ein Opfer der Eiferſucht zu werden.

Der neue laͤßt ſich gut an; er ſcheint ein Mann von Kopf, und hat Aufwallungen von Muht, doch merk ich Winkelzuͤge. Wir wollen ſehen, wie lang er aushaͤlt: noch iſt er dem Zau - berfelſen der Sirenen nicht vorbey, und keine[Scylla] und Charibdis durch, und an ſeiner Stelle werden die mehrſten bald uͤber einen Leiſten ge - ſchlagen. Jetzt gefaͤllt er ſehr der Bianca und dem Fuͤrſten. Es war eben kein beßrer da.

Ich hab ihn beredet, ſogleich in der Stadt und auf dem Land einige neue[Anordnungen] einzurichten, die erſprießliche Folgen haben duͤrf - ten.

Fuͤrs318

Fuͤrs erſte iſt die Anzahl der taͤglichen Lehrſtun - den in den oͤffentlichen Schulen vermindert, das bloß leere ſcholaſtiſche Geſchwaͤtz, ſo viel moͤglich, daraus verbannt; und es ſind andre wackre Mei - ſter in verſchiednen Faͤchern mit guten Beſoldun - gen angeſetzt worden.

Die Geſchichte von Florenz und deſſen buͤr - gerlicher Verfaſſung wird nun gelehrt, woran man nicht mehr dachte, nebſt der von Griechen - land und Rom, nach kurzen einfachen vorlaͤufi - gen Begriffen von menſchlicher Geſellſchaft uͤber - haupt.

Alsdenn die Naturgeſchichte des Landes; mit ſinnlicher Anzeige deſſen, was der Boden gut hervorbringt, am beſten zum Lebensunterhalt dient, und am beſten verkauft wird. Noch uͤber - dieß ſollen die Zoͤglinge waͤhrend der Ferien bey den Wallfahrten alles an Ort und Stelle in eig - nen Augenſchein nehmen.

Fer -319

Ferner haben wir den Feſten und Spielen der Jugend einen edlern Zweck zugeſellt; und man wird nun Schwert und Schießgewehr mit Leichtigkeit bey Beleidigungen gebrauchen ler - nen. Zugleich ſind ſie unvermerkt Gelegenheit, daß der Kern der Mannſchaft ſich geſchwind ver - einigen kann, wenn es die Noht erfordert. Alle Woche iſt in den Staͤdten und wichtigſten Flecken eine Fechtakademie und doppelte Ehrenpreiſe, weil die Verdorbnen die Belohnung doch gleich in der Hand haben muͤſſen; und in Stadt und auf dem Lande wird eben ſo nach dem Ziele geſchoſ - ſen.

Und endlich ſind nun fuͤr Knaben und Maͤd - chen oͤffentliche Muſickſchulen, und Tanz - und Zeichnungsſaͤle; was iſt Leben ohne Freude?

In das Seeweſen hab ich mich noch nicht einmiſchen koͤnnen. Mehr iſt nicht moͤglich, fuͤr jetzt zu thun: ſo iſt das Volk ſchon geſunken.

Un -320

Unſer junger Monarch iſt uͤbrigens leicht zu leiten; und er findet, obgleich nicht ohne gute natuͤrliche Anlagen und manche helle Blicke, doch dieß, aus einer ſonderbaren Schwachheit ſelbſt zu handeln, faſt immer das beſte, was der letzte Wohlredner ihm entſchloſſen vortraͤgt.

Außerſt ſelten thut er etwas aus ſich: Huͤlfe und Geſellſchaft muß er uͤberall haben.

Gewohnheit iſt eine ſchreckliche Tyrannin! die Quelle des Uebels liegt darin, daß die bequem - lich gewordnen Romuluſſe und Caͤſarn durch blo - ße Geburt von Kindheit an bey der geringſten Kleinigkeit bedient werden, und hernach Ma - ſchinen ſind, von einer Menge Leuten zuſam - mengeſetzt, nie ganz und unabhaͤngig, eher Schnecken und Schildkroͤten, als Adler in den Luͤften, die ſie doch ſeyn moͤchten. Bauer und Bettler haben mehr Gefuͤhl eigner Exiſtenz als ſie, und genießen groͤßre Gluͤckſeeligkeit.

Noch321

Noch ißt und trinkt er gern etwas gutes; und er hat ſeine Zunge im Geſchmack ſo ausge - bildet, wie ein großer Tonkuͤnſtler ſein Ohr, und ein Coreggio ſein Auge. Auch laͤßt er die beſten Reben kommen von Oſten und Weſten, und pflanzt ſie an in Toskana; und dieß verdient gewißlich allen Dank. Die Zunge iſt der Maßſtab ſeiner Ge - ſundheit; wenn ſie nehmlich gerade das Mittel haͤlt zwiſchen trocken und feucht, befindet er ſich am beſten. Suͤß und Bitter unterſcheidet er nach allen Graden, wie Licht und Finſterniß mit ihren Farben.

Frescobaldi.

Rom, Oktober.

Ich bin mit dem Kardinal hieher gereiſt, um Kunſtſachen zu kaufen, und in Ordnung zu bringen; und ſtreiche nun herum wie eine Flamme, ſo iſt alles bey mir in Bewegung.

Wer Rom in ſeinen Ruinen und ſeiner Ver - ſunkenheit ganz fuͤhlen wollte, muͤßt ein neuer und doppelt und dreyfach großer Marius auf denXzer -322zerſtoͤrten und zerfallnen Kaiſerpallaͤſten des Mon - te Palatino ſitzen. Kein Menſch auf dem heutigen Erdboden vermag dieß; alles iſt dagegen zu klein, was herkoͤmmt und was da iſt. Mei - ne Thraͤnen rinnen auf die heilige Aſche der Hel - den, und ich ſchaudre zuſammen in der Unwuͤr - digkeit, wozu mich das Schickſal verdammt hat. Welch ein Gluͤck, bey ſeiner Geburt in ein Rom zu den Zeiten der Scipionen auf die Welt gewor - fen zu werden! aber dieß kann Niemand mehr begegnen.

Wer ſich eine Idee von der Roͤmiſchen Ge - gend machen will, muß ſie an einem heitern Morgen oder Abend auf dem Thurme vom Kapi - tol ſehen. Weit, voll großer reiner Gegenſtaͤnde, ein entzuͤckend Stuͤck Welt, zu handeln und wie - der auszuruhn, iſt ſie; ſchoͤne Huͤgel, fruchtbare Flaͤchen, ferne Ketten, kuͤhl Gebirg, und das unermeßliche Meer in der Naͤhe zum leichten Ausflug in alle Nazionen. Und wie ſtolz und koͤniglich nun Rom in der Mitte liegt auf ſeinenfreund -323freundlichen mannigfaltigen Hoͤhen, an der Schlangenwindung des Tyberſtroms, als ſtark anziehender Vereinigungspunkt! Zeigt mir eine andre Stadt in der Welt, im herrlichen Europa, von wo aus man daſſelbe, und Afrika und Aſien ſo bequem beherrſchen koͤnne, gerad im mildeſten menſchlichſten Klima zwiſchen Hitze und Kaͤlte!

Es bleibt dabey: Luft und Land macht den Hauptunterſchied von Menſchen; alsdenn koͤmmt Zufall und die Kette der Begebenheiten, Neuheit und Ablebung; alles geht im Kreis und Taumel, und die Bewegung laͤuft immer fort. Es kann nicht fehlen, jede Gegend ſtimmt mit der Zeit die Seelen der Einwohner nach ſich. Rom iſt weit, glaͤnzend, und groß in praͤchtigen Fer - nen, ſchoͤn in der Naͤhe; ſtill auf ſeinen bekraͤnz - ten Huͤgeln, und einſam zum Genuß und Nach - denken: und ſo die Roͤmer von jeher, was die Form betrift, und ſie werdens bleiben. Jetzt geben ihnen ihre eignen Ruinen etwas zerſtoͤrendes,X 2das324das noch entferntere Gegenden als ehemals em - pfinden.

O daß du nicht hier biſt und mich begleiten kannſt! Doch iſt auch wieder Genuß und Ruͤhrung ſtaͤrker bey traurigen Gefuͤhlen, wenn der Menſch allein iſt.

Ich bin die erſten Tage in den Gebirgen herumgeritten zu Tivoli, Paleſtrina, Frascati und Albano; und hernach an der See herum zu Nettuno, Oſtia, Civitavecchia. Wie ein Hannibal ſuch ich es einzunehmen, das unbaͤndige Rom: aber es wird mir wie ihm nicht gelingen. Als - denn hab ich es wieder von ſeinen Hoͤhen betrachtet: und nun ſtuͤrz ich mich hinein in die Tiefe. Mei - ne Seele kann wegen der vorigen Stuͤrme noch keine rechte Ruhe finden, und dieß treibt mich oft nach kurzem Schlummer vom Lager auf; hier will ich dir denn, um mich zu zerſtreuen, und vielleicht zu deinem Vergnuͤgen etwas beyzu - tragen, zuweilen einige Worte uͤber mein gegen -waͤr -325waͤrtig Leben hinwerfen. Fuͤr Eingeweyhte iſt das willkuͤhrliche Zeichen immer ein guter Zauberſtab, die Gefuͤhle eines andern wieder hervorzurufen; zumal wenn ſie dereinſt dieſelben Gegenſtaͤnde vor ſich haben.

Geſtern fruͤh bin ich an dem Koliſaͤum herumgeklettert. Es liegt auf dem herrlichſten Platze, den man ſich denken kann; gerad in der Mitte des alten Roms, in dem Thale zwiſchen den drey Huͤgeln Palatino, Celio und Esquilino; und war der bequemſte Freudenort fuͤr alle Ein - wohner. Es iſt ruͤhrend und ſchrecklich zugleich, wie einige Zwergenkel der heroiſchen Urvaͤter und die Barbaren an den erhabnen, in ſchoͤner Form erbauten Maſſen genagt und zerſtoͤrt haben, und ſie doch nicht zu Grund richten konnten. Die eine Haͤlfte der aͤußern Einfaſſung iſt weggetra - gen, und aus den geraubten Truͤmmern ſind die ſtolzeſten Pallaͤſte der neuern Welt aufgefuͤhrt; die andre ſteht noch, ein weiter Kreis in hoherX 3grauer326grauer Majeſtaͤt mit lauter Quaderſtuͤcken von Felſen und dreyfachen feſten Saͤulen uͤber einan - der mit korinthiſchen kleinen Pilaſtern oben ge - kraͤnzt. Die Zuſammenfuͤgungen von Stein auf Stein hat das Maulwurfsgeſchlecht uͤberall durchloͤchert, um die metallnen Pfloͤcke heraus - zuhohlen; und die breiten Sitze von Backſtei - nen ſtehen auf Gewoͤlben noch zum Theil rund um in Truͤmmern, und zum Theil hat ſie die Zeit in Ruinen darnieder geſtuͤrzt, und ſie liegen unten im Schutte.

Gras und Kraut und Geſtraͤuch mir Lor - beerſtauden gruͤnt[und] bluͤht uͤberall, wie auf einem Anger von fruchtbarem Boden, und das Oval der Arena iſt eine vollkommne Wieſe.

Eine ſolche Geſtalt hat jetzt das ehemalige Wunder der Welt, das achtzichtauſend Zuſchauer faßte, welche alle binnen wenig Minuten wieder auf der Straße ſeyn konnten; und erſchuͤttert noch den kuͤhnſten der heutigen Erobrer. Herumtrau -327trauern der Esquilino und Palatino und Celio mit ihren zerfallnen Tempeln, Baͤdern, Waſ - ſerleitungen und niedern Gewoͤlben.

Der Plan zum Ganzen iſt aͤußerſt einfach. Die Rundung eyfoͤrmig; und der groͤßere Durch - meſſer theilt ſich in vier kleine, von denen zwey die Arena einnimmt, und einen auf jeder Seite der Gang vom Gebaͤude ſelbſt, die zuſammen etwas uͤber achthundert Palme ausmachen; die Peripherie hat deren drittehalb tauſend.

Die Hoͤhe beſteht aus vier Abſaͤtzen. Die drey untern ſind mit Saͤulen nach Doriſcher, Joniſcher und Korinthiſcher Ordnung in Bogen uͤber einander; der vierte iſt mit kleinen korinthi - ſchen Pilaſtern geziert, und ſchließt ohne Bogen mit einem praͤchtigen dreygeſtreiften Gebaͤlke. Die ganze Hoͤhe macht zweyhundert und zwey und dreyßig Palme.

Es muß viel Holz darinnen geweſen ſeyn, weil es verſchiednemal abbrannte; und zuweilen bloßX 4ein -328einfach, und zuweilen reich verziert und vergol - det war. Die innre Ausſicht ging in eine Ord - nung von einzel[n]en Saͤulen aus, die das Zelt feſt hielten, nach den Muͤnzen des Titus und Do - mizian.

Die Schoͤnheit der Saͤulen beſteht mehr im Verhaͤltniß der Theile als der Arbeit; ihre Form iſt rauh und einfach, wie es die ungeheure Groͤße und Feſtigkeit erheiſcht.

Das Amphitheater von Verona iſt kleinlich und provinzial dagegen.

Mir winkte oben auf durch Ruinen und Geſtraͤuch, ewig jung und unverſehrbar, die Pyra - mide des Ceſtius von fern in blauer Luft, und ich konnte nicht erwarten dahin zu gelangen; ſtrich an dem halb eingefallnen Septizonium des Se - verus vorbey durch die Niederlagen des Circus Maximus zwiſchen den Aventiniſchen und Palati - niſchen Bergen nach dem Tyberſtrom zu, und daran fort, bis ich der reinen ſchroffen Felſenſpitzeim -329immer naͤher kam. Ach, wie alle die Herrlichkeit ſo verwuͤſtet liegt! und doch ſind die Uberbleibſel der Verwuͤſtung nur klein gegen das, was ſtand: vom Circus Flaminius, Agonalis, Florealis, Vaticanus; von denen des Saluſt und Nero iſt keine Spur mehr zu finden. Und was waren die Gebaͤude ſelbſt in ihrer Vollkommenheit gegen das ungeheure Leben darin! Die Phantaſie des Menſchen mit ihrer Goͤtterkraft ſcheut ſich zu - ruͤck, wenn ſie ſich eine Vorſtellung machen ſoll, wie nach dem Siege des Metellus in Sizilien uͤber Karthago hundert und zwey und vierzig Elephanten auf einmal kaͤmpften und erlegt wurden; und von hundert Loͤwen unter dem Sylla es bis auf ſechshundert unter dem Pom - pejus kam. Unter den Kaiſern vollends folgte hierin eine Ausſchweifung auf die andre. Tra - jan gab nach dem daciſchen Kriege und dem Tode des Decebalus hundert und drey und zwanzig Tage lang dergleichen Schauſpiele, wo zuweilenX 5bis330bis auf zehntauſend zahme und wilde Thiere und unzaͤhlbare Gladiatoren kaͤmpften; und Kommodus brachte nach dem Lampridius hundert Elephanten mit eigner Hand um.

Es iſt klar genug, daß ein ſolches Volk, welches noch uͤberdieß wirkliche Koͤnige und Hel - den am Leben, wie Jugurtha, ihren letzten Tropfen Exiſtenz in ſeinen oͤffentlichen Gefaͤng - niſſen bis auf den aͤußerſten Hunger ausdauern ſah, der kleinern Athonienſiſchen Tragoͤdie nicht bedurfte, um das Herz nach dem Ariſtoteles von Furcht und Schrecken zu reinigen. Und was ſind wir, denen die Vorſtellungen des Sophokles und Euripides zu grauſam vorkommen?

Es iſt wohl wahr, der Menſch bezieht al - les auf ſich ſelbſt, und alſo auch die Werke der Kunſt; ſein Gefuͤhl iſt wie ſein Charakter. Ein Miltiades, Themiſtokles, ein Sylla und Caͤſar koͤnnen bey Gegenſtaͤnden Vergnuͤgen empfinden, die bey einem Schwachen Abſcheu erregen und ihnmar -331martern, weil er nicht die große ſtarke Selbſt - ſtaͤndigkeit hat, die Leiden andrer außer ſich zu fuͤhlen, ihre Natur und Eigenſchaften wie jene mit ihren Kraͤften zu ergruͤnden und zu erkennen, die Sphaͤre ſeines Geiſtes dabey zu erweitern, und zugleich uͤber alles dieß empor zu ragen, ohne ſich als Theil damit zu vermiſchen und ſelbſt zu leiden. Griechen und Roͤmer vergnuͤgte vieles, wovor wir fromme moraliſche Seelen Abſcheu haben. Der letztern Fechter waren meiſt zum Tode ver - dammte Sklaven; und die Tragoͤdien der erſtern zeigten ihnen, wie Menſchen untergehen, die nicht vollkommen genug ſind, und wie Held und Heldin bey Ausuͤbung hoher Tugenden leiden ſoll, oder ſich weiſe mit ganzem Bewußtſeyn unter das Geſetz der Nothwendigkeit, den ungefaͤhren Zu - ſammenſtoß der Begebenheiten, beugt. Dieß ergreift maͤnnliche Seelen, und ein ſolch ausgewaͤhlt Le - ben, von trivialen Lumpereyen fern, dringt in nichts deſtoweniger rein und ſcharf-fuͤhlende Herzen; esging332ging nach dem großen paradoxen, unſrer em - pfindelnden Welt unbegreiflichen Grundſatze der Stoiker: der Weiſe erbarmt ſich, hat aber kein Mitleiden.

Die Pyramide iſt ein gar herrlich Werk, hundert und etliche Fuß hoch. Sie ſteht ewig jung da, obgleich das Gruͤne von Geſtraͤuchen ſich hinein geniſtet hat, wie ein gediegner Feuer - wurf aus der Erde, ſo ſcharfflammend; grade gegen die vier Welttheile mitten zwiſchen den Ring - mauern, die Seite nach der Stadt gegen Nor - den. Ueppig feſt trotzt ſie der Luft, dem Him - mel und ſeinen Wolken. Eine dauerhaftere Form gibts nicht: alles was von oben herunter faͤllt und in der Erde anzieht, macht ſie ſtaͤrker, die maͤchtigſte Feindin der Zerſtoͤrung. Aber was hilfts? Der Geiſt und das Leben iſt doch weg aus dem Menſchen, der darunter begraben liegt; ſein Name bleibt indeſſen immer etwas. Wie das zarte Schwarz dem in - nen blendend weißen Marmor ſo lieblich laͤßt! ſie333ſie ſteigt hervor ſo natuͤrlich wie ein Gewaͤchs, und die aͤgyptiſche Nachahmung ſchlaͤgt alle Roͤmiſche Grabmaͤler, ſelbſt die der Metella, des Auguſt und Hadrian darnieder.

Da ich ſo nahe mich befand, wandelte ich noch zum Thore hinaus uͤber die alte Via Oſtia nach der Sankt Paulskirche, die Konſtantin der große angelegt haben ſoll. Welch ein Ein - druck von verſchiednen Empfindungen! Schoͤnheit und Pracht in ihrer groͤßten Herrlichkeit ent - zuͤckt Augen und Phantaſie: und die Armſeelig - keiten darum her ſetzen einem das Meſſer an die Kehle wie Diebsgeſindel. Man hat hier Roms ungeheure Macht und Ruin beyſammen.

Sie iſt von innen wie ins Kreuz gebaut, doch merkt mans kaum, und ſie bleibt ein Oblon - gum; nachher erſt hat man die Verehrung vom Kreuz ins Alberne getrieben. Die vierzig geſtreif - ten haushohen korinthiſchen Saͤulen, und die vierzig kleinen glatten unter dem Schiffe machen,mit334mit den uͤber doppelt breiten mittlern, fuͤnf Gaͤnge, die ihres Gleichen in der Welt nicht haben. Unter den geſtreiften ſind zwey Dutzend von pariſchem Marmor in hoͤchſter Schoͤnheit. Das Scheuren - dach und Obergebaͤude daruͤber mit den acht Fen - ſtern macht damit einen wunderbaren Kontraſt, der aber doch einfach iſt, und gewiſſermaßen dem untern entſpricht, und dieß gibt dem Ganzen eine furchtbare Groͤße; die entzuͤckendſte griechiſche Schoͤnheit muß, vom Schickſal unwiederſtehlich genoͤthigt, den wilden Barbaren dienen.

Der Boden iſt aus Marmortruͤmmern, worin hier und da noch Fetzen von Inſchriften ſich befinden. Im Kreuzgange, wenn ich ihn ſo nennen darf, ſind ſechs große und zwey kleine Altaͤre mit dreyßig Porphyrſaͤulen, alle, zwey oder drey etwa ausgenommen, aus einem Stuͤck, wie die achtzig weißen Marmorſaͤulen; und noch tragen da die Decke ſechs ungeheure von aͤgypti - ſchem Granit, und vier eben ſo große von Mar -mor.335mor. Der herrliche freye Raum thut einem un - gemein wohl zwiſchen den Saͤulen, ſamt der uneingeſchraͤnkten Hoͤhe.

Dieſe Kirche bleibt die hoͤchſte Pracht der Welt, und nichts uͤbertrift ſie. Man mag von den gefangnen ruͤhrenden Schoͤnheiten nicht weg - gehn, wie von lauter Iphigenien in Tauris, und die ganze Seele ſtimmt ſich daran rund und geſchmeidig.

Man ſagt, die Saͤulen waͤren vom Grab - male Hadrians, der jetzigen Engelsburg, genom - men, und es iſt ſehr wahrſcheinlich. Die Aſche des Kaiſers muß dort wie in Blumen gelegen ha - ben; ungluͤckliche Manen! Uebrigens iſt es den Roͤmern wieder ergangen, wie ſie es den Griechen machten; und derjenige, welcher dieſe Kirche baute, hat vielleicht, wie Mummius bey Fortſchaf - fung der gepluͤnderten Statuͤen von Korinth den Schiffern, eben ſo den Baumeiſtern gedroht,ſie336ſie ſollten andre Saͤulen machen laſſen, wenn ſie etwas daran verdaͤrben oder zerbraͤchen.

Mich uͤberfiel der Mittagsbrand, wie ich wieder in der freyen Sonne war, als ob ich aus einem kuͤhlen Bade kaͤme; und ich verdoppelte meine Schritte nach dem Thore, wo die zwey wilden Thuͤrme aus den mittlern Kriegszeiten und die mit Epheu dicht behangne alte Stadt - mauer neben der Pyramide mit ihrem Schatten mich erfreulich an ſich zogen. Mir ſchien der Weg zu weit bis auf den Spaniſchen Platz, und ich begab mich unter die Pignen, Cypreſſen, gruͤne Eichen und Maulberbaͤume, nach den friſchen Weinkellern des Monte Teſtaccio; lies mirs koͤſtlich bey einem alten Wirth, einem Sizilianer und Sohn des Aetua ſchmecken und legte mich nach wohlgehaltnem Mahl und angenehmen Ge - ſchwaͤtz in ein Zimmer gen Norden zur ſuͤßen Ruh nieder, und fiel in einen erquickenden Schlaf.

Gegen337

Gegen Abend erwacht ich wieder, und hoͤrte in einem Saale neben mir: Michel Angelo, Ra - phael, und Antiken; und unten Trommel und Geige. Ich ſprang auf; und ſah zwiſchen den Baͤumen Feſt und Tanz und Schoͤnheit, und trat in den Saal. Der Streit war ſo heftig, daß man mich nicht bemerkte. Michel Angelo, ſprach ein reizender junger Menſch, gehoͤrt gar nicht unter die Mahler, ſo wenig als einer, der bloß den Kontrapunkt verſteht, unter die großen Saͤnger und Geiger. Was hat er denn hervor - gebracht? Seine Capella Sixtina, und weiter nichts als ſeine Capella Sixtina. Iſt dieß ge - mahlt? Iſt dieß Natur? Wer kann ſich erinnern, irgend etwas in der Welt geſehen zu haben, das ſeinen Herrgoͤttern, Propheten und Sybillen, und vollends ſeinen Seligen und Verdammten gliche? Geſchoͤpfe einer ungeheuren Einbildungs - kraft, die zwar erſtaunlich viel fuͤr Studium den Kuͤnſtlern, aber wenig fuͤr Volksverſtand, und nichts fuͤr Auge und Herz ſagen.

Y Der338

Der elende Florentinerſchmeichler Vaſari hat mit dem Dampf von ſeinem Weyrauchkeſſel, den er dem alten Kunſtdespoten unter der Naſe herumſchwenkte, damit er durch deſſen Empfe - lung etwas zu mahlen bekaͤme, den Leuten das Gehirn benebelt. Und iſt dieß groß im Geiſte, wie er die guͤtige himmliſche Seele, den Raphael, verfolgt hat? Weil er ſelbſt ſein Unvermoͤgen in der Farbe erkennen mußte: ſo zeichnete er mit aller ſeiner Gelehrſamkeit die Umriſſe dem Venezianer Baſtian, und dieſer ſollte mit ſeinem Kolorit den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorſchein in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches ſeiner Einſicht warlich wenig Ehre macht, und der Goͤttliche blieb, wer er war. Raphael hin - gegen, der edle reine Juͤngling, der nur die Vollkommenheit der Kunſt im Auge hatte, ſon - der Neid, ſtrebt in Unſchuld, das zu dem Sei - nigen noch zu gewinnen, was der weit aͤltere, der Mann in Ruͤckſicht ſeiner, Vortrefliches be -ſaß;339ſaß; und wahrlich meiſtens aus kindlicher Gut - herzigkeit: denn die Antiken ſind doch auch hier - in ganz andre Muſter, und Michel Angelo iſt dagegen ein Wilder. Und endlich konnte Ra - phael wohl von Michel Angelo lernen, aber Michel Angelo nicht von ihm; denn was den Raphael zum erſten Mahler macht, lehrt und lernt ſich nicht.

Ein Landsmann von mir, der eigentlich mit dieſem im Klopfgefechte begriffen war, wurde dar - uͤber vor Aerger gruͤn und gelb, und die Naſe ſchwoll ihm zuſehends: doch konnt er vor Zorn nichts hervorbringen, ſo wortreich er auch ſonſt iſt, und haͤtte bald wie Markus Tullius Cicero vor dem ſchoͤnen Clodius, dem rebelliſchen Tribun, das Haſenpanier ergriffen, wenn ich nicht eini - germaßen ſeine Parthie aufnahm. Ich antwor - tete:

Die Herrgoͤtter von Michel Angelo koͤnnt ihr freylich nicht in der Welt geſehen haben: aberY 2gibts340gibts in der neuern Kunſt erhabnere Geſtalten? und entſprechen ſie nicht doch alle dem, was der gemeine Mann bey uns ſich als Zauberer vor - ſtellt? Eure Geſtalt ſelbſt, Freund, iſt zu edel und eure Blicke zu hochgeiſtig, fuhr ich fort, als daß der Gott, der die Sonne ſchaft, und der, welcher die Eva ſchaft, euch nicht ergriffen haben ſollten. Das Erhabne ſchlaͤgt ein wie ein Wetterſtrahl, und beruͤhrt am erſten die großen Seelen. Die Propheten und Sybillen ſind lauter maͤchtige Charakter im Feuer, Eifer und Begeiſterung. Und im juͤngſten Gericht ver - dammt Chriſtus ſtreng, droht die Suͤnder ma - jeſtaͤtiſch mit aufgehobner Rechten fort: indeß die zaͤrtliche Mutter mit angelegten Armen und Haͤnden an die Bruſt die Seeligen heraufwinkt; und es iſt ein Spiel der Phantaſie, wo der menſch - liche Koͤrper in allen moͤglichen Stellungen wun - derbar ſicher ausgezeichnet iſt.

Ich habe vor wenig Tagen, fuͤgt ich hin - zu, ein kleines Gemaͤhlde von ihm gekauft, wel -ches341ches vorſtellt Chriſtum am Kreuz, wo der Er - loͤſer geſagt hat: Weib, ſiehe, das iſt dein Sohn! und zu dem Juͤnger, den er lieb hatte: ſiehe, das iſt deine Mutter! Unten auf beyden Seiten mit der Mutter und dem Johannes, ſie rechts, dieſer links; und an den Armen des Gekreuzigten ſchweben zwey Engel in einem Ge - witterhimmel voll Dunkelheit und Feuergewoͤlk.

Chriſtus und die Madonna ſind die er - habenſten tragiſchen Geſtalten, die ich je in Mahlerey geſehen habe. Chriſtus iſt ein lei - dender Alexander, Hannibal, Caͤſar, und was man Großes und Erhabenes von Menſchheit kennt. Ein goͤttlicher Juͤngling voll Guͤte fuͤr den großen Haufen, welcher der Menge unterlag: ein Tiberius Gracchus, und die Mutter eine Kor - nelia, voll Geiſtesſtaͤrke und Groͤße.

O wie verſchwinden alle Madonnen, und wie iſt ſelbſt Raphael, den ich bewundre und liebe, wie den neuern Apelles, klein dagegenY 3und342und gewoͤhnlich! Stellung von ihr, Blick zu ihm, zu ſeinem ſchmerzenbaͤndigenden ſcharfen Aug und hohem Angeſicht; herabgehaltne Rechte, voll Kraft und Zorn angehaltner linker Arm, Daum und Zeigfinger nach dem Juͤnger hingerichtet; der Wurf des blauen Mantels uͤber das rothe Ge - wand: alles harmonirt und macht ein Gan - zes. Johannes ſinkt vor Schmerz zuſammen mit uͤbereinander geſchlagnen auf die Bruſt geleg - ten Haͤnden.

Welch Meiſterwerk von Zeichnung iſt der Koͤrper des Gekreuzigten! Wahrheit bis in die kleinſten Theile, und zugleich Leben und Leiden durchaus in Einheit.

Man fuͤhlt wirklich hier etwas von dem, was Vaſari im Allgemeinen ſagt, der zuweilen ſo golden beſchreibt, ob es gleich wahr iſt, daß ihm ſeine antike Vaterlandsliebe zu Ungerechtig - keiten gegen die drey großen Apoſtel der Kunſt, Raphael, Tizian und Cerregio, verleitet: es iſt,als343als ob ein himmliſcher Kraftvoller Genius her - untergekommen waͤre, und Mitleiden mit allen den Stuͤmpern gehabt und denſelben gezeigt haͤtte, wie ein Chriſtus am Kreuz, und eine Madonna und ein Johannes dabey vorzuſtellen ſey. Er iſt bis zur Taͤuſchung angenagelt, und bewegt ſich gerade dazu, wie es ſich ſchickt.

Die Mutter iſt ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schoͤnheit, ihres Adels bewußt, die uͤber die Grauſamkeit zuͤrnt, welche man an dem Sohn ausuͤbt, ſein ganzes Leiden fuͤhlt mit dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknir - ſchung noch ſolche Feſtigkeit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabey zu ſtehen und anzuſchauen.

Der junge Kuͤnſtler fuhr auf, druͤckte mir beyde Haͤnde, freudig und verſchaͤmt im Geſichte gluͤhend, und ſprach freundlich zu mir: Ich habe nur gelaͤſtert, um den dort zu ſchrauben; und uͤberhaupt erfaͤhrt man mit den bitterſten Wie -Y 4der -344derſpruͤchen am beſten die Wahrheit, die man ſonſt ſelten aus den verborgnen Tiefen eiferſuͤchtiger Virtuoſen hervorhohlt. Ich kenne das kleine Ge - maͤhlde von Michel Angelo wohl; wie vielmal iſt es nicht kopirt worden! nur wuͤnſcht ich, daß die Figuren in Lebensgroͤße waͤren. Ich kann das kleine nicht leiden, es geht mir wider den Sinn; und iſt ein Schlupfwinkel, wohinein ſich Mittelmaͤßigkeit und Schwaͤche verbirgt, und bey Weibern und Kindern und Unverſtaͤndigen groß thut.

Ich antwortete ihm, daß ich hierin gar ſehr ſeiner Meinung waͤre, daß aber doch am Ende alle Kunſt blos Zeichen ſey, und Verſtand und Geiſt am mehrſten von einem Menſchen entſchei - de; und daß, wer keinen Verſtand habe, nirgend - wo oben an ſtehen koͤnne. Michel Angelo haͤtte ſich uͤbrigens mit ſeinen Enakskindern, den Propheten und Sybillen genug gerechtfertigt. Unterdeſſen ſey wieder wahr, es koͤnn einer au -ßer -345ßerordentlich viel Verſtand und Erhabenheit in der Denkungsart haben, und doch ein ſchlechter Mahler ſeyn.

Hier that einer in der Ecke mit haͤmiſchem Blick und boshaftem Laͤcheln den Mund voll ge - rader weißer ſcharfer Zaͤhne aus einem praͤchti - gen ſchwarzen Bart auf, ſtreckte die rechte Hand hervor aus einem abgetragnen grauen Mantel, fuhr in meiner Rede fort, und ſagte:

Und einer Blut wenig Verſtand haben, und ein ſehr beruͤhmter, vielleicht auch guter Mahler ſeyn.

In dieſer Kunſt kann es einer ohne Schoͤ - pfungskraft, Erfindungsgeiſt, ohne eigentlichen Verſtand, oder wie ihr das heißt, was im Leben einen Menſchen uͤber den andern ſetzt, nach dem allgemeinen Urtheile weiter bringen, als in ir - gend einer andern, wenn er nur ein gutes Auge hat, ſich eine fertige Hand erwirbt im Schweiße ſeines Angeſichts, und uͤberdieß Achtung giebt,Y 5was346was denen gefaͤllt, die reich ſind und kaufen. Und je mehr er bloßer Kopiſt der Natur iſt, deſtomehr wird er gefallen. Und er muß behaupten, dieß ſey das Wahre, und alle Ueberfluͤge der Einbildungskraft, die nur hie und da einige Sonderlinge aufhielten, als leeres Zeug verachten, und fragen, was nennt ihr erhaben?

Ich wußte nicht, ob ich dieß fuͤr Muht - willen, Satyre oder Ernſt aufnehmen ſollte; doch hetzt es mich ſchnell auf, und ich antwortete gerade zu, wie es die Lage der Sachen erheiſchte.

Erhaben? verſetzt ich, iſt ein hoͤher We - ſen, das in uns eindringt mit Empfindungen, Ge - danken, Geſtalt, Gebehrde, Handlung; und man bedarf da keiner weitlaͤuftigen Schreiberey von Sophiſten. Wer nicht uͤber andre iſt, ſoll ſie nicht zu Paaren treiben und ihnen vorpredi - gen wollen, es ſey, worin es ſeyn mag. Pracht laͤßt ſich wohl damit vereinigen, aber Pracht iſt nicht Erhabenheit. Ueberall fuͤllt es die Seele mitEnt -347Entzuͤcken und Erſtaunen, daß ſie die Zeit vergißt, und verſetzt den Menſchen unter die Goͤtter.

Wir werden nie mit der Kritik nur eini - germaßen ins reine kommen, erwiederte er darauf kalt und trocken, wenn wir nicht die Gren - zen jeder Kunſt beſtimmen, und feſtſtellen, was ſie uͤberhaupt ſelbſt iſt. Und wir ſind jetzt da, uns zu freuen; und nicht, den Weg durch die - ſes Labyrinth auszuſpaͤhen. Laſſen wir es alſo bey dem Geſagten bewenden.

Nein, nein! riefen hier einſtimmig ver - ſchiedne, es iſt noch hoch am Tage, und die ſchoͤnſte Zeit dazu; ſetzten wir nur das angenehme Geſpraͤch weiter fort. Und ſo baten ſie ihn: und der ſo hef - tig gegen Michel Angelo ſprach, ſtreichelte ihn lieb - koſend am Barte, bis er folgendermaßen anfing:

Das erſte und[heftigſte] Verlangen der See - le, welches ſie nie verlaͤßt, iſt Neuheit und dann Durchſchauung, und endlich Vollkommenheit oder Zerſtoͤrung der Dinge. Dieß treibt die Unſterb -liche348liche durch alle Welten. Sie ſchaft und wirkt, ihre Schwingen ſind unermuͤdlich und verlieren ihre Kraft nie, und ſie kann nicht aufhoͤren ſich zu bewegen und bewegt zu werden; ſo beſcheiden gegen ſich, daß ſie von ſich ſelbſt nichts weiß: aber die Iliade zeugt uͤberall genug von Home - ren.

Nun iſt der Menſch ſelten in der Lage, daß ſeine Seele in der Wirklichkeit hienieden nach dieſen ihren Neigungen gluͤcklich ſeyn koͤnnte: ſie wirft ſich alſo aus Verzweiflung in die Kunſt, und treibt damit ihr Spiel. Wohl derjenigen, die lange in den ſeeligen Traͤumen hinſchwebt, ohne zu erwachen!

Alle Kunſt iſt Darſtellung eines Ganzen fuͤr die Einbildungskraft. Sie unterſcheidet ſich nach den Mitteln, die ſie dazu braucht; und dieſe ſind in jeder Art ihre nothwendigen Schranken, wohinein ſich ein Weiſer leicht bequemt, und woruͤber nur die Unklugen hinaus wollen.

Ari -349

Ariſtoteles, und wer ihm folgt, ſchraͤnkt die Poeſie auf Handlungen ein, als ob die Spra - che nichts anders ſinnlich vorſtellen koͤnnte: aber ſelbſt die griechiſchen Dichter haben ſich nie dieſem Geſetz unterworfen; und Virgils Georgica und die Natur der Dinge des Lukrez und man - che hohe Hymne bloßer Empfindung werden Mei - ſterſtuͤcke bleiben.

Die meiſten haben wunderliche Begriffe von Poeſie, und meinen, ſie koͤnne ohne Nebel und Wolken nicht beſtehen, und muͤſſe platter - dings ein Rauſch, eine Raſerey ſeyn, und ſcheue das Licht der Vernunft; und die albernſten Poͤ - belmaͤhrchen und Kinderfabeln waͤren ihr beſtes und weſentliches, und wuͤrdigen ſie ſo herab von ihrem Adel. Wenn ſie nur den Sophokles und Euripides wollten ſprechen hoͤren, die dieſe Kunſt zur Vollkommenheit gebracht: ſo koͤnnten ſie ſich leicht von ihrem Wahn befreyen.

Die350

Die Bildhauerey und Mahlerey ſtellt Ober - flaͤchen von Koͤrpern dar; die letztere, in ſo weit ſie ſich durch Farben zeigen.

Ein neues Ganzes, wie ſchon geſagt, oder ein altes neu auf die wahrſte und lebendigſte Weiſe den Menſchen in die Seele bringen, iſt Kunſt. Das ſchicklichſte fuͤr den Dichter ſind Handlungen, oder Bewegungen im Zeitraum, weil ſeine Zeichen, das ſind Worte, nur nach und nach koͤnnen gehoͤrt werden; aber doch kann er immer auch damit Dinge neben ein - ander oder Koͤrper darſtellen, und der Zuhoͤrer denkt ſie ſich zuſammen, wie er am Ende bey den Begebenheiten ſelbſt muß. Homer wuͤrde wohl gethan haben, wenn er die Gegend von Troja nicht fuͤr bekannt angenommen, und die Jahrs - zeit, worin alles geſchah, ſinnlicher gemacht haͤt - te. Wer denkt an Zeit, wenn ich einem mit Worten etwas beſchreibe, und dieſer getaͤuſcht daſſelbe dabey ſich vorſtellt? Bey jedem Genuſſeſind351ſind wir ewig, und ſcheinen die Zeit nicht mehr zu fuͤhlen.

Unſer Leben iſt kurz: wer uns ein Ganzes taͤuſchend am geſchwindeſten in die Seele bringt, erhaͤlt den Vorzug.

Wenn einer inzwiſchen gar zu große Be - gierde hat, ein neues Ganzes zu wiſſen: ſo be - hilft er ſich auch mit dem mangelhafteſten Mit - tel, bis er ein beſſers vorfindet.

Ein Dichter muß dem Mahler immer in Schilderung koͤrperlicher Gegenſtaͤnde unterliegen: und gerade ſo gehts dem Mahler im Gegentheil mit Handlungen. Nichts deſtoweniger ragt doch die Poeſie mit ihren willkuͤhrlichen Zeichen uͤber alle ihre Schweſtern hervor. Kein Mahler kann die Groͤße der Alpen, das unendliche Meer, den unendlichen[Himmel] ſchildern auf ſeinem Laͤpp - chen Leinwand; und kein Tonkuͤnſtler Kanonen - ſchall, Donner und Orkan, ob er gleich das ſee - lenergreiffendſte Mittel unter allen hat, da dasle -352lebendigſte, woraus wir beſtehen, ſelbſt Luft und Feuer iſt.

Die Muſik uͤberhaupt geht ganz aus der ſichtbaren Welt hinaus, und wirkt mit bloßen verſchiednen Arten von Bewegung, die von der Materie nur den Punkt zu ihrem Aufflug neh - men,[und] durch ihre Proporzionen Empfindun - gen erregen: und ich glaube ſchier nach dem Py - thagoras, daß das eigentliche Element, worin die Geiſter exiſtiren, reiner Klang und Ton iſt. '

Geſchichtmahler iſt ein wahrer Wiederſpruch, da ein Mahler nur einen Moment vorſtellen kann, und Geſchichte nohtwendig eine Reihe von Be - gebenheiten erheiſcht. Es verſuch es nur einer, und erzehle mir mit ſeiner Mahlerey Begebenhei - ten, die ich nicht ſchon weiß, von Menſchen, die ich noch nicht kenne! und geſetzt auch, einer ſtellte mir eine Geſchichte, z. B. vom aͤltern Scipio mit lauter[Portraͤten] dar, ſo wahr und vortreflich,als353als ob ſie alle Tizian gemacht haͤtte: was weiß ich dadurch mehr als den Moment? Weiß ich, was entweder vorher, oder nachher geſchehen iſt, da keiner auch von ſeinem bekannteſten Freunde zuverſichtlich mit einem momentanen Blicke weiß, was er vorher gethan hat, oder nachher thun wird? ſo tief im Verborgnen lebt der Urquell unſrer Wir - kungen. Und wo iſt der Zauberer, der mir aus einer That, oder aus tauſend Thaten das Ge - ſicht nur eines Mannes darſtellt, das er noch nicht ſah, mit allem ſeinem Eigenthuͤmlichen? Dazu gehoͤrt der Gott Platons, um den ſich das Weltall rollt, und kein Sterblicher. Alles, was der Mahler erfinden kann, iſt Ideal von Ge - ſtalt dieſer oder jener Klaſſe von Menſchen, oder Gattung von Geſchoͤpfen im Allgemeinen.

Jedes Werk der bildenden Kunſt mit dem Ausdruck von Leidenſchaft iſt alsdenn doch nur eine unaufgeloͤſte Diſſonanz. Das vollkommen - ſte hiſtoriſche Gemaͤhlde, das iſt, wo der inter -Zeſſan -354reſſanteſte Moment aus einer Begebenheit gewaͤhlt iſt, und man das Vorhergehende und Nachfolgende am beſten erkennen kann, bleibt alſo immer an und fuͤr ſich ſchon ein quaͤlendes Fragment, das weder Herz noch Geiſt befriedigt.

Um hieruͤber nicht zu ſtreiten, ſo bleibt ausgemacht: das Vortreflichſte derſelben iſt das ſchoͤne Nackende; mit dem Ausdruck gehts her - nach wie bey der Muſik: er iſt die Bluͤthe der Vollkommenheit, aber nicht eigentlich die Vollkommenheit ſelbſt. Jeder Sinn hat ſein eignes Element, worin der Ausdruck nur ſchwimmt. Die Poeſie arbeitet zwar fuͤr alle; aber doch iſt auch die Sprache und Harmonie derſelben fuͤr das Ohr ihr Grundſtoff. Die ſchlech - ten Kuͤnſtler meinen, ſie haͤtten genug gethan, wenn ſie nur eine ruͤhrende intereſſante Ge - ſchichte mit ihren Wechſelbaͤlgen ausſtaffieren, und ein ſchmachtend Auge hineinbringen: ihr Tho - ren! eine einzige vortrefliche griechiſche Statue ohne Kopf und allen Ausdruck von Leidenſchaftgeht355geht bey dem Kenner von Kunſtfertigem Sinn uͤber alle euer Fratzenweſen von unreifen Ge - ſichtszuͤgen, noch ſo affektirt geworfnen Gewaͤn - dern, und tauſenderley nachgeaͤfftem Koſtume. Aber auch im Gegentheil iſts nicht genug ge - than, wenn einer einen Haufen nackender Koͤr - per hervorheckt, die weiter nichts haben, als ihre gehoͤrige Anzahl von Rippen und Knochen, und Muskeln, und Augen, Maͤulern, Naſen, Ohren.

Mit einem Worte, die Schoͤnheit nacken - der Geſtalt iſt der Triumph bildender Kunſt; viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperlichen Men - ſchen, wenig fuͤr den innern. Sie allein er - greift das Unſterbliche nicht; dazu gehoͤrt etwas, was ſelbſt gleich wie unmittelbar von der Seele koͤmmt, und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft: Leben, Bewegung. Und dieß haben unter al - len Kuͤnſten allein Muſik und Poeſie: neigt euch ihr andern Schweſtern vor dieſen Muſen.

Z 2Ich356

Ich ſahe wohl, mit was fuͤr einem Feind ichs hier zu thun hatte; ein Federmeſſerſtich von ihm verwundete toͤdtlicher als der Schlag von einer Keule; doch wollt ich ihn erſt ganz herauslocken, und bat: er moͤchte die Grenzen jeder Kunſt naͤ - her beſtimmen, und insbeſondre von Bildhaue - rey, und Mahlerey: und alsdenn uns ſeine Begrif - fe von der Schoͤnheit entdecken. Und freute mich unausſprechlich, einen ſolchen Meiſter ſo unvermuthet ploͤtzlich anzutreffen. Er wollte abbrechen: allein wir ließen ihn nicht. Ich ſetz - te mich ihm gegenuͤber, und wir ſtutzten die Glaͤ - ſer an, die von dem beſten Monte Giove ſchaͤum - ten.

Die Bildhauerey iſt eigentlich fuͤr einzelne Figuren, fing er vom neuen an; die Mahlerey hat die Noht empor gebracht, mehrere vorzu - ſtellen. Sie hat dieß den Siegen der Griechen zu verdanken, beſonders nach der Schlacht bey Marathon. Der Bruder des Phidias, Pa -naͤos357naͤos mahlte dieſelbe, da dieſer ſelbſt ſie in Stein nicht vorſtellen konnte, weil kleine Figuren dar - in nicht wirken, und die Materie fuͤrs Weit - laͤuftige zu unbehuͤlflich iſt.

Es iſt wohl keine Frage, welche von beyden Kuͤnſten die Formen des Menſchen beſſer dar - ſtellen kann. Die Mahlerey iſt eine beſtaͤndige Luͤge, und ihre Erhobenheit und Tiefe erkuͤnſtelt. Wir laſſen uns taͤuſchen, weil voͤllige Wahrheit und Wirklichkeit wie bey Bildhauerey unmoͤglich iſt, und geben uns zu unſerm eignen Vergnuͤgen alle Muͤhe, die Koͤpfe und uͤberhaupt das Na - ckende z. B. vom Tizian rund und hervorgehend, und die Fernen und Mittelgruͤnde ſeiner Land - ſchaften im gehoͤrigen Abſtand zu ſehen. Ihre eigent - lichen Gegenſtaͤnde ſind, wo die Farbe, leichte Be - wegung und zarter Stoff einen vorzuͤglichen Theil ausmacht. Die Neuheit hauptſaͤchlich, und dann die uͤberwundne Schwierigkeit machten ſie unter dem Zeuxis und Apelles ſo reizend; undZ 3ge -358gewiß iſts, daß die Farbe viel zur Taͤuſchung, im Ganzen genommen, beytraͤgt. Auf den erſten Blick wirkt ein gemahltes Bild auch auf den Verſtaͤndigen mehr, als eine eben ſo vor - trefliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Beſinnung macht die Mahlerey dagegen ganz verſchwinden. Unter tauſend Geſichte[r]n findet man ferner in einem guten Klima nur aͤußerſt wenige fuͤr den Marmor, aber weit mehrere fuͤr die Farbe. Die Bildhauerkunſt iſt die aͤchte Probe ſchoͤner Form, und geht ins Weſentlichre, und das Erhabne: die Mahlerey giebt ſich mit allem ab, wo ſie nur ein wenig Reiz findet.

Die letztere muß ſich alſo vor allem huͤten, was ſchon die Bildhauerey vollkommen darſtel - len kann; und beyde muͤſſen ſich davor huͤten, das Reich der Poeſie zu beſchreiten: denn jede bleibt uͤberwunden, ſobald ſich nur ein gewoͤhnlich gu - ter Meiſter der andern Kunſt an den Kampf macht. Poeſie enthaͤlt ſich der Formen undFar -359Farben; Bildhauerey enthaͤlt ſich der Farben und Geſchichten von vielen Figuren; Mahlerey ent - haͤlt ſich alles deſſen, was ſich bloß durch Form zeigt, und ſo wie die Bildhauerey noch der Ge - ſchichten, wo man das Ganze nicht mit einem Blicke herausnehmen kann. Dienſte und Gefaͤl - ligkeiten moͤgen ſie ſich uͤbrigens gern erzeigen. Rom allein iſt voll von Beyſpielen, wie gute und wackre Meiſter verungluͤckt ſind, indem ſie uͤber dieſe Regeln hinaus wollten; und den ſchoͤn - ſten Theil ihres Lebens umſonſt dagegen kaͤmpf - ten.

Apelles nahm ſich wohl in Acht, kein bloßes Portraͤt vom Alexander zu machen; hierin mußt er allezeit dem Lyſipp wegen ſeiner Formen nach - ſtehen. Er bildete ihn alſo mit dem Blitz in der Hand; mit dem Kaſtor und Pollux und der Victoria; auf einem Tr[i]umphwagen mit dem Krieg hinter drein, dieſem die Haͤnde auf den Ruͤcken gebunden. Dieß mußte Lyſipp ſo natuͤr -Z 4lich360lich wohl bleiben laſſen. Aber Bildhauerey behaͤlt doch immer den Rang; denn ſie zeigt das edelſte der bildenden Kunſt, nehmlich die Form am vollkommenſten. Bey Weibern iſt es wahr, und bey Knaben iſt die Farbe auch ſehr reizend; allein ſie iſt doch bloß ein ſeichter Augengenuß, der nicht in den ganzen Menſchen ſo eindringt, wie die Form.

Das Klaſſiſche uͤberall iſt das gedraͤngt - volle, wenn einer alles weſentliche und bezeichnen - de von einem Gegenſtande herausfuͤhlt und nach - ahmt; und in dieſem Verſtande kann man gewiß ſchon aus einer Hand, oder irgend einem Theil am menſchlichen Koͤrper bey einem Kuͤnſtler den großen Mann erkennen, wie aus der Klaue den Loͤwen. Phantaſie, die aus Tauſenden zuſam - mentraͤgt, aber nicht das rechte, ſondern außer - weſentliche, iſt das Gegentheil und Bett - lerarmuth; Lumpen und[Lappen] und kein ganzStuͤck361Stuͤck. Ein Ding recht faſſen, zeigt den trefli - chen Menſchen und macht den Virtuoſen.

Der ſchoͤne Menſch im bloßen Gefuͤhl ſeiner Exiſtenz ohne Leidenſchaft in Ruhe iſt der eigent - lichſte Gegenſtand der Nachahmung des bildenden Kuͤnſtlers, und ſeine Nummer Eins; in dieſer Verfaſſung ohne alle Bekleidung liegt die reinſte Harmonie der Schoͤnheit, und ſie paßt am aller - beſten zu dem[gaͤnzlichen] Mangel an Bewegung ſeiner Werke. Alle Leidenſchaft, alle Handlung zieht, leitet unſre Betrachtung von ihren ſchoͤnen koͤrperlichen Formen ab. Zur Schoͤnheit ſelbſt gehoͤrt der Charakter, oder das, wodurch ſich eine Perſon von der andern unterſcheidet. Schoͤn - heit mit lebendigem Charakter iſt das ſchwerſte der Kunſt.

Bey Gruppen von Figuren ſind Spiele, Scherze die wenig bedeuten, die beſten Hand - lungen, weil ſie von der Schoͤnheit und den ange - nehmen Stellungen der Formen am wenigſtenZ 5ab -362abziehen. Die entzuͤckendſte Handlung fuͤr den Betrachtenden hierbey iſt freylich, wo gerad ein Koͤrper den andern genießt: Kuß, Umar - mung

Nach dieſen Grundſaͤtzen arbeiteten die Alten: nicht, wie einige Antiquaren ſagen, weil die Stille der eigentlichſte Zuſtand der Schoͤn - heit waͤre, wie bey der See; und die ſchoͤnſten Menſchen uͤberhaupt von geſittetem Weſen zu ſeyn pflegten. Das Meer iſt im Gegentheil natuͤrlich immer in Bewegung, und gewiß ſchoͤ - ner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades, und Phryne, und Thais, welche Perſopolis in Brand ſteckte, die ſchoͤnſten Menſchen unter den Griechen, ſind warlich nicht beruͤhmt wegen ih - res ſtillen geſitteten Weſens; und Clodius nicht, und die Fauſtinen, und die groͤßten Schoͤnheiten. Es ſind die Schranken der Kunſt! ſie kann das hohe Leben, ſchnelle Bewegung ſelten darſtellen; und es iſt wunderlich, dieß deßwegen mit Verach -tung363tung in der Wirklichkeit ſelbſt anſehen wol - len.

Wenn das Kunſtwerk eine Geſchichte dar - ſtellen ſoll: ſo muß der Ausdruck herrſchen; denn dieſer iſt alsdenn der Hauptzweck, und Schoͤn - heit in Stellung und Formen und Geſtalten muß hier der Wahrheit aufgeopfert werden. Al - lein Geſchichte, Scenen aus Dichtern bleiben immer die letzten Vorwuͤrfe der bildenden Kunſt; weil ſie dieſelben nie ganz, und nie ſo mit dem ergreiffenden Leben darſtellen kann, wie ein He - rodot und Homer. Der bildende Kuͤnſtler begiebt ſich außerdem von ſelbſt ſchon hierbey ganz unter den Geſchichtſchreiber und Dichter, und ſchaft als Gehuͤlfe zu deſſen Leben und Bewegung nur die Koͤrper alsdenn; augenſcheinlich hat dieſer das Ganze, und er nur den Theil.

Die alten Kuͤnſtler wagten es außerdem nicht, den Kern von manchen tragiſchen Geſchich - ten darzuſtellen, weil ſie bloß das Grauſame wuͤr -den364den dargeſtellt haben, und das andre nicht konn - ten, was die That mildert; z. B. Medeen im Morden ihrer Kinder: die vereinzelte Scene haͤtte durch ihre Gegenwart alle Geſchichte uͤber - blendet. Nur Ageſander, und Michel Angelo unter den Neuern ſind daruͤber hinaus gegangen: der eine der Kunſt, der andre der Religion we - gen. Aehnliche Bewandniß hat es bey wahrer Darſtellung einer alten Hekuba; man denkt ſich bey der gerunzelten Haut ihr ganzes Leben nicht, um davon geruͤhrt zu werden. Und eine junge oder noch ſchoͤne Hekuba iſt Wiederſpruch und Unſinn.

Kurz eine lebendige Geſtalt von einem Charakter ſich vorzuſtellen in aller Vollkommen - heit und Schoͤnheit, iſt das Meiſterſtuͤck des bildenden Kuͤnſtlers; welches wenige noch bis dato geleiſtet haben.

Schoͤnheit uͤberhaupt in allen Kuͤnſten iſt, wie mich duͤnkt, leichtfaßliche Vollkommenheitfuͤr365fuͤr Sinn und Einbi[l]dungskraft. Wer damit nicht zufrieden ſeyn will, kann ſich an die Er - klaͤrung des Erzbiſchoffs della Caſa halten, wel - cher das Weltberuͤhmte Kapitel uͤber den Backo - fen geſchrieben hat; dieſer ſagt: Schoͤnheit iſt Eins, ſo viel nur immer moͤglich; und Haͤßlich - keit im Gegentheil iſt Viel. Allein der Kuͤnſt - ler bedarf ſolcher tiefen Philoſophie nicht bey ſei - ner Arbeit. Vergebt uͤbrigens, lieben Bruͤder und Freunde, wenn ich an dem Ziele vorbeyge - ſchoſſen habe, und macht es beſſer.

Der Mann zog mich doch an ſich, trotz aller ſeiner haͤmiſchen Blicke auf bildende Kunſt, und beſonders Mahlerey, und ich verlangte genauere Bekanntſchaft mit ihm zu machen. Schade, rief ich aus, daß ich kein junges Lorbeerreis habe, euer weiſes Haupt zu bekraͤnzen! ob ich gleich in manchem nicht eurer Meinung ſeyn kann. Um Kopf und Schweif gleich zuſammen zu paaren: ſo glaub ich nicht, daß ein Kuͤnſtler etwas gutesher -366hervorbringen werde, der ohne deutlichen Be - griff, ohne klares Gefuͤhl von Schoͤnheit zu Wer - ke ſchreitet.

Nach Platons Erklaͤrung, den ihr mir wohl zu kennen ſcheint, iſt die Schoͤnheit die urſpruͤngliche Idee der Dinge in Gott. Und die Seelen, die ſein Anſchauen genoſſen und dieſe Ideen erkannten, ſchaudern, wenn ſie in die - ſem Leben die Bilder davon mit den Augen erblicken, erinnern ſich dunkel ihres vorigen Zuſtandes, erſchrecken und werden entzuͤckt. Ihre Schwin - gen regen ſich, gehen vom warmen Einfluß auf, der Federſtock keimt und ſ. w.

Es iſt gewiß eine erhabne Hymne auf die Liebe, und liegt tiefe Warheit zu Grunde.

Was ſich ſelbſt bewegt, iſt Seele, ewig, ohne Anfang: davon alles Werden, und alle Koͤrper, die ſich bewegen. Schoͤnheit iſt die vollkommenſte Harmonie der Bewegung, und die Seele erkennt darin ihren reinſten Zuſtand. Schoͤn -367Schoͤnheit giebt der Seele das lauterſte Gefuͤhl ihres Daſeyns. Schoͤnheit iſt die freyeſte Wohnung der Seele. Schoͤnheit erinnert die Seele an ihre Gottheit, an ihre Schoͤpfungskraft, und daß ſie uͤber alle die Koͤrperwelt, die ſie umgiebt, ewig erhaben iſt. Im Anfang macht ihr dieß Freude, aber endlich Pein; ſie ſieht ſich gefan - gen, und daß ſie nicht mehr iſt, was ſie war: und die Thraͤnen rinnen uͤber ihren nichtigen gegenwaͤr - tigen Zuſtand. Doch ſtaͤrkt ſie wieder ihre ewige Na - tur, und die ſuͤße himmliſche Hofnung regt ihre Fitti - ge, daß ſie doch bald aus dieſer Dunkelheit, aus dieſem Wahne von Irrgeſtalten ſich erheben werde in das Licht zu den Schaaren der ſeeligen Geiſter, wo we - der Froſt noch Hitze abwechſeln, und alles iſt in ſeiner mannigfaltigen Wahrheit und urſpruͤngli - chen Schoͤnheit.

Nicht gebohren werden, uͤbertrift alle irr - diſche Gluͤckſeeligkeit; und wenn du da ſeyn wirſt: ſo iſt, je geſchwinder, je beſſer, wieder dahinzu368zu kehren, wo du herkoͤmmſt. So bald die Ju - gend ſich einſtellt mit ihren tollen Streichen, wer windet ſich mit aller Arbeit daraus? wer ſteckt nicht in Plagen und Leiden? Morde, Par - theyen, Streitigkeiten, Gefechte und Neid. Auf die letzt uͤberſchleicht uns das unzufriedene, ſchwache, menſchenſcheue, verhaßte Alter, wo alle Uebel haufenweiß zuſammen wohnen.

So ſeufzte ſelbſt der bewunderte Sophokles am Ende ſeiner gluͤcklichen und glaͤnzenden Lauf - bahn.

Ihr ſagt: Schoͤnheit nackender Ge - ſtalt ſey viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperli - chen Menſchen, wenig fuͤr den innern? Sie al - lein ergriff das Unſterbliche nicht?

Wenn wahr iſt, was ihr ſelbſt behauptet, daß, wer ein Ganzes taͤuſchend am geſchwindeſten in die Seele bringt, den Vorzug erhalte: ſo ſteht wohl bildende Kunſt aller andern voran; die Seele genießt vor ihren Werken, der muͤhſeeligenZeit -369Zeitlichkeit entruͤckt. Ihre Zeichen, wodurch ſie darſtellt, ſcheinen die Sache ſelbſt zu ſeyn, ſo leicht verſchwinden ſie; ſie ſind die natuͤrlichſten und ſicherſten, und gelten uͤberall einerley ohne Mißverſtand. Ich habe hier volle Gewißheit, da ich bey Poeſie immer traͤumen muß, und nach Wirklichkeit haſche. Bey ihr hab ich alles zu - ſammen mit einem Blick, und dieß ergreift den niedrigſten bis zum hoͤchſten. Mit einem Wort: ihr iſt allein die Schoͤnheit im ſtrengſten Verſtand eigen; denn dieſe muß mit einem Blick aufgewogen werden koͤnnen.

Hier wurd er erbittert, und ſchuͤttete auf ein - mal das Kind mit ſamt dem Bad aus; und fiel in meine Rede.

Alle bildende Kunſt behauptete er ſtreng, iſt am Ende bloß Oberflaͤche. Und dieß iſt die Urſache, warum wahrhaftig große Menſchen unter den Kuͤnſtlern mit ihren Werken ſo ſelten zufrieden waren. Sie konnten nur wenig vonA adem370dem hineinbringen, was ſie fuͤhlten; und dieß nicht einmal ſo rein beſtimmt, daß es gerade daſſelbe Leben wieder erregte. Ein gen Him - mel gekehrtes Auge, nehmen wir das edelſte Glied, das am deutlichſten vom Innern ſpricht, was kann dieß zum Exempel nicht fuͤr vielerley ausdruͤcken? Ich brauch es nur obenhin; denn ich weiß wohl, daß alle Profeſſoren im Grunde der Natur keins nachmachen. Bey einem Volke von Stummen da moͤchten die bildenden Kuͤnſte in der That viel vermoͤgen; denn ſie haͤtten da mehr Natur fuͤr ſich nachzuahmen: bey uns andern Menſchen aber, die wir den groͤßten Theil un - ſrer Empfindungen und Gedanken mit der Spra - che ausdruͤcken, wo ſich beſonders bey den Vortreflichen am wenigſten die Gebehrden aͤndern, die, wie man ſo gar bey Gelegenheit des Laokoon bemerkt hat, auch bey den heftigſten Gefuͤh - len ſich ſelten von außen regen, laͤßt ſie ihnen vielleicht gerade das ſchlechteſte uͤbrig; und dergroͤß -371groͤßte Kuͤnſtler kann oft ſo wenig von einem So - krates, Lykurg und Epaminondas darſtellen, als von einem unvergleichlichen Saͤnger oder Gei - ger.

Nehmen wir vollends, wie ſauer, und ſelbſt nach dem Ausſpruch des alten Michel Angelo, kinder - und weibermaͤßig auch dieß ſchlechteſte muß nachgeahmt werden, und welch eine uner - traͤglich mechaniſche Uebung auch fuͤr Menſchen von der hoͤchſten Faͤhigkeit dazu gehoͤrt, ehe ſie es zur Vollkommenheit bringen; und daß das mei - ſte wirkliche der bildenden Kunſt in den Saͤlen der Großen jaͤmmerlicher Wuſt und Unſinn iſt: ſo gehoͤrt warlich ein ſtarker Entſchluß dazu, ſich in ihr Feld zu wagen. Ihre beſten Gegenſtaͤnde bleiben gewiß die andern Thiere und Pflanzen, Gras und Baͤume; dieſe koͤnnen ſie darſtellen, die Kuͤnſtler! den Menſchen ſollen ſie dem Dich - ter uͤberlaſſen. Die Landſchaftsmahlerey wird auch endlich alle andre verdraͤngen. Und alſoA a 2koͤn -372koͤnnen wir gewiſſermaßen die Griechen uͤbertref - fen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenſtaͤn - de machen, die ſie verfehlt haben.

Nichts wirkt recht auf den Menſchen, was ſtille ſteht; aller Stillſtand wird bald Tod.

Es bleibt gewiß eine Kleinigkeit, einen Caͤſar, einen Brutus von außen auch vortreflich zu mahlen, und zu bildhauen, gegen das her - auszuhohlen, was in ihnen ſteckt. Auf der Ober - flaͤche kann man den Menſchen leicht kennen ler - nen: aber im Innern, in der Tiefe? da ge - hoͤrt ganz andrer Gehalt und Stand dazu.

Wer behaupten wollte, daß die bildende Kunſt uͤber Poeſie, Beredtſamkeit und Philo - ſophie ginge, muͤßte behaupten: daß eine Sta - tue oder Bruſtbild vom Homer, Pindar, De - moſthenes, Ariſtoteles, oder nehmen wir neuere, daß ein vollkommen, wie moͤglich auch, getroff - nes Bild in Farbe oder Stein von Arioſt, Macchia - vell uͤber ihre Schriften ginge. Und gewißmoͤcht373moͤcht ein Gott mehr daran haben, wenn ſie mit Haut und Haar ſo waͤren, wie ſie ſelbſt; welches jedoch menſchlicher Hand unmoͤglich: aber ein Sterblicher muß eine gigantiſche Einbildung von ſeinem phyſiognomiſchen Sinn haben, um dieß zu wollen. Ein ſolcher verſuch es einmal, und erſetz uns aus dem uͤbriggebliebnen Kopfe des Sophokles ſeine hundert verlorne Trauerſpiele!

Man ſchaue einen Sokrates an, einen Plato, einen Euripides: wer wird ihre Mar - morbuͤſten fuͤr ihre lebendigen Reden und Ge - dichte nicht gleich weggeben? Wir koͤnnen an uns ſelbſt nicht im Spiegel wahrnehmen, auch in dem nehmlichen Moment, was wir denken und empfinden; und ſo gar verſchiedne Leiden - ſchaften zeigen ſich bis auf ihre hohen Grade im Geſicht uͤberein. Die ganze bildende Kunſt iſt ein vages unbeſtimmtes Weſen, das ſeinen Haupt - werth eigentlich von der Schoͤnheit der Formen und Umriſſe enthaͤlt; und dann außerweſentlichA a 3iſt374iſt ſie eine große Zierde der Poeſie und Geſchich - te, die aber ganz natuͤrlich ohne ſie beſtehen koͤn - nen. Poeſie iſt das innre Leben ſelbſt: Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer jenes nicht ſchon in ſich hat, kann bey dieſem we - nig fuͤhlen und erkennen.

Wo hat in aller Welt je ein Gemaͤhlde die Wirkung hervorgebracht, die die Oedipe und Iphigenien hervorbrachten? und wo wird es je moͤglich ſeyn, daß eins ſolche hervorbringen koͤnne, wenn man auch den Raphael, Correggio und Tizian in ein Wunderweſen zuſammenſchmelzte? Es ver - ſteht ſich warlich, daß hier nicht davon die Rede ſey, was paͤbſtliche Neffen, und Moͤnchs - und Non - nenkloͤſter theurer bezahlen.

Ich leugne uͤbrigens gar nicht, daß eine erſtaunliche Phantaſie und Fuͤlle von Leben dazu gehoͤrt, ſich einen Alkibiades, Perikles, oder die Asſpaſia ſo vorzuſtellen, und ihre Bilder durch die ſpaͤtere Kunſt lange Zeit nach ihnen ſo wirk -lich375lich zu machen, aus bloßen Geſchichtbuͤchern, wie ſie lebendig waren und handelten; denn in der That hat es auch keiner noch gethan. Allerley Geſtalten traͤumen mag man ſich wohl, und wer ſich an leerer Spreu ſatt ißt, mag dar - nach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, phy - ſiognomiſche mit Leib und Leben wie Wirklichkeit, ohne Miene und Gebehrde Punkt fuͤr Punkt von der Natur ſelbſt abzukonterfeyen, dieſe aus blo - ßen Erzaͤhlungen und ſelbſt eignen Reden der Menſchen zu erfinden; geht uͤber des Menſchen Kraͤfte; dazu haben wir noch keine Wiſſenſchaft, keine Gruͤnde und Regeln, weder Ja noch Nein. Unſer beſtes ſind noch die allgemeinen Zuͤge der Leidenſchaften und andern Empfindungen, die ſich in Bewegungen beſonders von außen zeigen, durch oͤftre Wiederhohlung bey wirklichen Men - ſchen ſich in die Geſtalt praͤgen, und nach und nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemei - nen wird man bald fertig und es entſteht endlich ein raſendes Einerley.

A a 4 Kurz,376

Kurz, ich habe von dem Menſchen, au - ßer der wirklichen Vermiſchung, hauptſaͤchlich Genuß durch ſeine Reden und Handlungen, durch Worte und Bewegungen; beydes kann mir die bildende Kunſt nicht geben. Man ſtelle ſich ſeinen Freund auch in dem intereſſanteſten Moment der Freundſchaft auf einmal wie zu einer Buͤſte verſteinert unveraͤnderlich mit ſeinen Mienen und Gebehrden vor! mit Erinnerung der Worte aller vor und nach dem Moment wird das Bild gewiß lieblich in die Seele leuchten, und anfangs einen Freudenſchauer erregen. Aber wie die Er - innerung ſich ſchwaͤcht, wird es nach und nach im - mer weniger bedeuten, und, bey den Gedanken an hundert andre Scenen, endlich leer, und ſo gar Spott werden: ſtatt daß nur ein herzlicher Brief von demſelben immer neu die Seele erquickt, ſo oft man ihn noͤthig hat, wieder durch zu leſen. Was ſoll nun ſo ein Bild auf andre fuͤr Wirkung machen, die ſich dabey platterdings nichts gewiſ - ſes vorſtellen koͤnnen? die die Perſon nicht ken -ken -377nen, nicht gekannt haben, nichts von ihr aus der Geſchichte wiſſen?

Geſchieht dieß bey wirklichen Menſchen: was wollt ihr mit euren Idealen, wovon ihr nicht eine Form als wahr beweiſen koͤnnt? die ſchoͤn - ſten Bilder ſind weiter nichts, als ein geiſtig Licht in die Seele, die ſie aufheitern, und aller - ley unbeſtimmte ſuͤße Gefuͤhle in ihr erregen, wie ein reiner vollkommner Akkord auf einem wohl - klingenden Inſtrumente. Und ſolche Schoͤnheit iſt das eigentliche Weſen der bildenden Kunſt, und keine Handlung, die die Poeſie weit wahrer und lebendiger vorſtellt. Die Handlung kann hoͤch - ſtens nur dienen, der Schoͤnheit den beſondern Charakter zu geben; das iſt, die Handlung iſt des Koͤrpers wegen, und der Koͤrper nicht der Handlung wegen da.

Es iſt wahr, die Schoͤnheit iſt ein mo - mental Gefuͤhl, und unterſcheidet ſich dadurch von bloßer Vollkommenheit, die fuͤr den Ver -A a 5ſtand,378ſtand, ſo wie jene fuͤr den Sinn, gehoͤrt. Wo ſie aber in der Zeit folgt, wie bey Tanz und Melodie und Gedicht, iſt ſie hauptſaͤchlich fuͤr die Seele, eigentliche Seelenſchoͤnheit, tiefe, leben - dige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge ſich wie ein Beyſammen auf einmal vorzuſtellen und zu denken. Daraus die Regel: daß ein ſol - ches Ganzes nicht zu verwickelt ſeyn muͤſſe, da - mit man wie in einem Athem alle deſſen Theile und ihre Verbindung im Geiſt uͤberſehe. Dieß er - regt dann, was man Begeiſtrung nennt. Ein ſchoͤnes Gedicht, eine ſchoͤne Muſik, ein ſchoͤner Tanz muß dieſe allezeit auf die letzt hervorbrin - gen: ſo wie der Dichter, Tonkuͤnſtler, Taͤnzer ſie vorher in der Seele haben muß, ehe er ſie in einen Strom dahin wallt; eine volle Seele, die ſich ausſchuͤttet, und eine andre wieder ſchwaͤn - gert.

Alle bloß bildende Kunſt macht auch den ſtaͤrkſten Liebhaber und Beſitzer uͤber kurz oderlang379lang zum Tantalus. Das ſchoͤnſte Bild, ſeys auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt ſich nicht, und verwandelt ſich nach und nach wieder in den todten Stein, oder Oel und Farbe, woraus es gemacht war; und fuͤr den lebendigſten Menſchen am geſchwindeſten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen laͤnger gedauert haͤt - ten, ſie endlich alle Statuen wuͤrden ins Meer ge - worfen haben, um des unertraͤglich Todten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und wir finden auch nicht, daß Themiſtokles, Plato und Euripides und die andern großen Griechen der erſten Zeiten ſich ſchon viel darum bekuͤm - mert haͤtten: die Bildſaͤulen gingen immer die Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades ſchlug ſo gar vor Ueberdruß einer Menge oͤffent - licher Hermen die Naſen entzwey; und hernach gehoͤrten ſie mit den Gemaͤhlden zum Luxus der Rei - chen, die vor ihrer gewoͤhnlichen Langenweilenicht380nicht wußten, was ſie anfangen ſollten. Plu - tarch fragt ehrlich in ſeinem Perikles: welcher gutartige Juͤngling wird Phidias oder Polyklet ſeyn wollen wegen des olympiſchen Jupiters oder der Juno zu Argos? und ſo ſetzt der verſtaͤndige Horaz eine Ode von Pindar uͤber hundert Sta - tuen; und die aufgeheitertſten Kaiſer zu Rom, Antonin und Mark Aurel, waren wirklich ſchon des ſteinernen Volkes ſatt: und ſo iſt das ſteinerne und gemahlte Volk bey den heutigen Roͤmern bloßer Prunk, und man ſieht es den beſten an, daß auch ſie deſſen von Herzen ſatt ſind. Die Natur uͤbt ihr Recht aus, und zeigt ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Traͤu - merey iſt.

Die beſte Kunſt iſt ein bloßes Denkmal ver - floßnen Genuſſes oder Leidens fuͤr den Kuͤnſtler ſelbſt, das ihm lediglich Anlaß giebt, ſich das Ganze wieder vorzuſtellen, und in ſein Gedaͤcht - niß zuruͤck zu rufen. Welch ein Abſtand vonPoe -381Poeſie und ihrer Gewalt uͤber die Herzen! Ue - berhaupt iſt die bildende Kunſt eine jugendliche Sache, wo der Menſch noch an der Huͤlle her - umſchwebt. Ein alter Mahler, ein armer Suͤn - der! Wenn einer innen iſt, kann er nicht mehr außen ſeyn. Es kaͤme darauf an, ob Raphael nicht den Pinſel wuͤrde weggeworfen haben, wenn er aͤl - ter geworden waͤre! wenigſtens ſind ſeine erſten Gemaͤhlde im Vatikan die beſten, und er trachtete nicht umſonſt nach dem Kardinalshut.

Sein Mund glich einem vollen Spring - brunnen, ſo goß er hervor. Mir riß endlich die Geduld, und ich ergrimmte. Biſt du noch nicht fertig, Barbar, Bilderſtuͤrmer? zuͤrnt ich ihm entgegen.

Was du wahr geſagt haſt, trift alle menſch - liche Kunſt. In der Natur haben wir freylich alles beyſammen, und die verſchiednen Kuͤnſte theilen ſich nur in ſie. Jede muß dagegen ihre Maͤngel, ihre Schranken erkennen. Die Mah -le -382lerey hat keine wirkliche Bewegung, nur den Schein davon, Zeichen; die Poeſie kann keine Geſtalt, keine Schoͤnheit fuͤr den Sinn darſtel - len, bleibt ewig ungluͤckſelig blind; und Muſik an und fuͤr ſich iſt ohne beſtimmten Ausdruck, und nur eine Magd der Muſen.

Der Dichter ahmt und ſtellt im Grunde nicht einmal etwas Wirkliches ſelbſt dar, ſondern nur Mittel, nehmlich die Reden der Menſchen; und wie weit liegt die erſte Natur der Sprache in den Abgruͤnden der Zeit verborgen? Fuͤr uns Schaumblaſen auf ihren Tiefen iſt ſie meiſtens bloß willkuͤrlicher Schall. Wir haben allen un - ſern Genuß durch Koͤrper, und von dieſen kann er nichts individuelles darſtellen; alles iſt bey ihm allgemein, bis auf die Namen ſchier Peter, Paul, und Lukas und Johannes, wenn ihm gute Schau - ſpieler nicht zu Huͤlfe kommen. Dafuͤr hat er freylich ein weitſchweifig Reich, und flattert uͤberall an, wo die Mahlerey und Bildhauerkunſtwe -383wegen enger Schranken ihrer unbeweglichen Mittel nicht hin kann.

Das hoͤchſte Leben iſt das ſchwerſte in al - len Kuͤnſten, ſo wohl in den bildenden, als Poeſie und Muſik: Sturm in der Natur, Mord zwiſchen Mann und Mann, Seelenverei - nigung zwiſchen Mann und Weib, und Tren - nung, Abgeſchiedenheit verliebter Seelen. Das Todte kann auch der bloße Fleiß darſtellen, aber das Leben nur der große Menſch. Wem beym Urſprung ſeiner Exiſtenz nicht die Fackel der Gott - heit entzuͤndet, der wird weder ein hohes Kunſt - werk, noch eine erhabne Handlung hervorbrin - gen. Schoͤnheit iſt Leben in Formen und jeder Regung, und nichts Todtes iſt ſchoͤn, außer in einem Verhaͤltniß von Leben.

Warum iſt der Torſo ſchoͤn, warum die Koloſſen auf dem Monte Cavallo, warum unſre Venus? Weil ſie in hoͤchſter Vollkommenheit menſchlicher Kraft im freudigen Genuß ihrer Exiſtenz ſich befinden. Warum Apollo, warumder384der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit ſeiner Kraft ſich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, Niobe? Weil auch ihr hoͤchſtes Leben einer ſtaͤrkern Macht unterliegt. Der Dichter deutets mit Worten an, der bildende Kuͤnſtler ſtellts mit deſſen Oberflaͤche ſelbſt dar.

Zu der Zeit, wo die Menſchen am mehr - ſten lebten und genoſſen, war die Kunſt am groͤß - ten: zu der Zeit, wo ſie am elendeſten waren, am ſchlechteſten; dieß iſt die Geſchichte derſelben in wenig Worten.

Wie bis zum bloßen Thier herabgeſunken, kalt und gefuͤhllos muß der Menſch ſeyn, den es nicht ergreift, deſſen Herz es nicht erhebt, wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden un - ſers Geſchlechts, die Weiſen, die Dichter von Phidiaſſen und Praxitelen aufgeſtellt wie lebendig athmen? der Armſeelige wird erſchrecken wie in einer Goͤtterverſammlung: der Edle ſchuͤchterne aber begeiſtert werden, die glorreiche Bahn zuver -385verfolgen; welche Kunſt kann ihr hohes Leben ſinnlicher in die Seele blitzen? Und eine From - me, die alle Morgen die ſchoͤnen himmliſchen Fi - guren an den Waͤnden im Tempel mit inniger Freude ſchaut, kann kein haͤßliches und boͤſes Kind gebaͤhren.

Die Griechen mußten dann doch mehr Le - ben in der Mahlerey finden, als Bildhauerkunſt; weil ſie dieſelbe, wo ſie am verſtaͤndigſten waren, mehr als dieſe belohnten, und befoͤrderten. Ein Bild in Stein war ihnen nur Zeichen einzelner Wahrheit, nehmlich der Form: die Mahlerey aber Zeichen aller Wahrheit und Wirklichkeit, und von ungleich groͤßerm Umfange; jenesgleich - ſam nur Daͤmmerung, Ding im Mondſchein: Gemaͤhlde von Apelles, Geſtalten wirklicher Welt in ihrem Tage; und Zeichen bleibt immer weiter nichts als Zeichen, ſeys von Stein oder Farbe. Und eben dieß iſt es, warum die Bild -B bhauerey386hauerey ſank, nachdem die Mahlerey empor ſtieg; und bey uns nun nie wird fortkommen koͤnnen, ſo lang es noch gleich gute Mahler als Bildhau - er giebt.

Welcher Bildhauer wollte zum Exempel die Waffenlaͤufer des Parrhaſius uͤbertreffen, wo der eine im Lauf zu ſchwitzen ſchien, der an - dre aber die Waffen ablegte und keuchte? Frey - lich kannte dieſer Wolluͤſtling den hoͤchſten Reiz des Eigenthuͤmlichen ſeiner Kunſt.

Fuͤr Geſtalt giebt es keine mathematiſche Wiſſenſchaft, wo man alles und jedes mit Zirkeln und Linien und Zahlen beweiſen koͤnnte; das ge - laͤuterte Gefuͤhl erfahrner hoher Menſchen ent - ſcheidet hier allein endlich, und hat zu aller Zeit jedem Kunſtwerk ſeinen Rang angewieſen. Deß - wegen aber beruht Ideal nicht auf bloßen Hirn - geſpinſten, ſondern die Natur ſelbſt iſt die ewige Regel: und ein Kuͤnſtler muß von ihren Quel -len387len ſchoͤpfen, wenn er neue Schoͤnheit und neuen unſterblichen Reiz hervorbringen will. Durch Uebung gewinnt man nach und nach doch auch ſichre wiſſenſchaftliche Fertigkeit.

Was bildet den lebendigen Koͤrper von in - nen hervor, vom erſten Stoff zum Daſeyn an ſo wie er iſt? die erſte regende Kraft; hernach ſein Leben in der Welt.

Kann ich von der aͤußern Bildung auf die Art des Geiſtes ſchließen?

Warum nicht? vom Werk auf den Mei - ſter; nur gehoͤrt Erfahrung und Verſtand genug dazu, und Adlerheit uͤber andre, es mit Gewiß - heit zu koͤnnen, und nicht eine Urſache fuͤr die andre zu halten. Jede Geſtalt zeigt Urſpruͤng - lichinnres, wenigſtens was jung in Thaͤtigkeit war, das Leben in der Welt, und die Begriffe und Einbildungen daruͤber. Und wer das InnreB b 2nicht388nicht kennt, kennt gewiß auch ſchlecht das Aeu - ßere.

Warum ſoll der Kuͤnſtler keine Handlun - gen darſtellen duͤrfen? Koͤrper und Handlungen machen hier eins aus, das iſt: Leben; und bey - des iſt dafuͤr da; hohes edles Leben; dieß iſt ſein letzter Endzweck. Bey einzelnen Figuren giebt dieß Schoͤnheit: bey mehrern zu Darſtellung einer Begebenheit kann und muß er zuweilen gar die Haͤßlichkeit abbilden, wie z. B. den Maxentius in einer Schlacht vom Konſtantin, einen Attila, einen Heliodor. Vollkommenheit zeigt ſich von außen durch Schoͤnheit: Unvollkommenheit durch Haͤß - lichkeit; und die mehrſten Begebenheiten in der Welt ſind ein Kampf zwiſchen Tugend und Laſter. Soll er das Laſter ſchoͤn darſtellen? und iſt er deßwegen ein Kothmahler, wenn er es haͤßlich dar - ſtellt? Haͤßlichkeit veraͤndert hier ſeinen Namen, und wird zu Schoͤnheit der Kunſt. Die Geſchich -te389te ſoll auch bey dem Mahler nicht bloß Augenwei - de ſeyn, ſondern tiefer dringen. Der Kunſt die - ſes nehmen wollen, heißt ſie zum ſchaalſten Zeitvertreib machen. Außerdem ſind immer dieſe dreyerley Gattungen getrieben worden, wie ſchon in Griechenland, wo, nach dem Ariſtote - les, Polygnot die Menſchen beſſer mahlte, als ſie waren, Pauſon ſchlechter, und Dionys nach der Wirklichkeit.

An Ausdruck und Bewegung von Leiden - ſchaften wird die Natur hoffentlich immer eben ſo unerſchoͤpflich bleiben, als an neuen Geſich - tern und Geſtalten.

Kurz, der Kuͤnſtler ſtellt wie ein Zaubrer fuͤr den Verſtaͤndigen mit einem Blick auf einmal die wirkliche That dar, wo der Augenſchein uͤber alle andre Vorſtellung hinreißt; und dar - uͤber macht der Geſchichtſchreiber und Dichter fuͤr die Unwiſſenden nur eine Bruͤhe darum her,B b 3gleichſam390gleichſam ſeines Evangeliums Ausleger und Doll - metſcher ſtellt die ſchoͤnſten Denkmale der Begebenheiten auf fuͤr Herrſcher, Philoſophen und Voͤlker dem erſten feinſten Sinn des Geiſtes, und ihm am naturnaͤchſten, dem Auge. Und es iſt nicht mehr als billig, daß Zaubrer nicht dar - ben.

Die Dichter, die einen Epaminondas auffuͤhren, wie er leibte und lebte, laßt ſie auch alles in der Geſchichte dazu nehmen, werden ſo rar ſeyn, wie die Mahler, die ſeine Geſtalt ſo treffend aus ihrem Kopf erfinden, daß ſie ſeinem Portraͤte gliche; und es erwaͤchſt dem Praxite - les und Apelles daraus wohl wenig Nachtheil, daß ihre Phryne den neuen Namen Venus aus der Mythologie, oder Helena oder Iphigenia aus den Dichtern, oder einen andern in ihren Kunſtwerken aus der Geſchichte habe: ſo wie dem Raphael, daß ſein Oheim Bramante in derdurch391durch alle Zeiten goͤttlichen Gruppe der Schule den Archimedes vorſtelle, wenn ſich auch einmal des letztern Bildniß finden ſollte.

Vortreflich! muthiger, tapfrer, edler Juͤngling, rief er mir hier zu; und nun genug. Wir haben den Kreis durchlaufen, und ſind un - vermerkt auf derſelben Seite wieder angekom - men, wovon wir ausgingen. Ich reich euch zum Frieden die Hand, ſchlagt ein; ich hoffe, daß wir gute Freunde ſeyn werden, ſo bald wir uns ein wenig beſſer im Innern kennen. Man behauptet in der Hitze des Streits oft Dinge, die man ſelbſt fuͤr falſch und uͤbertrieben haͤlt. Zuhoͤrer, die Verſtand haben, nehmen von ſelbſt das Wahre heraus; und die keine Unterſcheidungs - kraft beſitzen, muͤſſen uͤberall Schwaͤrmern, oder der großen Heerde wie die Kaͤlber folgen. Der Abend iſt zu ſchoͤn, als daß wir ihn hier im Zim - mer verplaudern ſollten; und die unten tanzenB b 4und392und ſich ergoͤtzen, haben uns ſchon laͤngſt geru - fen.

Wir umarmten uns denn beyde mit gluͤ - hendem Geſicht und klopfendem Herzen.

Unten erfuhr ich, daß mein Mann ein Grieche ſey aus der Inſel Scio, den die Giuſti - niani als Knaben mit ſich genommen hatten. Er hielt ſich nun fuͤr beſtaͤndig in Rom auf, und lebte frey von einer kleinen Penſion aus dieſem Hauſe; und erwarb ſich das uͤbrige damit, daß er griechiſche Handſchriften aus der Vatikaniſchen Bibliothek fuͤr auswaͤrtige Gelehrten theils ko - pierte, theils die verſchiednen Lesarten daraus ſammelte. Er heißt Demetri, und mag an die vierzig Jahr alt ſeyn. Sein Wuchs iſt groß und ſtaͤmmicht, und ſeine Geſtalt ſo kuͤhn und unabhaͤn - gig, und ſeine Sitte ſo gegen alles Vornehme, daß er wie Diogenes dem Dionyſios von Syra - kus zu Korinth haͤtte ſagen koͤnnen: er ſey desgluͤck -393gluͤcklichen Lebens nicht werth, das er nun fuͤhre. Wie mir dieß in meinen Eingeweiden herumging, kannſt du dir leicht vorſtellen.

Der bildſchoͤne Juͤngling, welcher den Streit erregte, heißt Tolomei, iſt ein weitlaͤuf - tiger Anverwandter von ihm, Sohn eines griechiſchen Kaufmanns zu Brindiſi, treibt hier die Mahlerey, und ſteht unter ſeiner Aufſicht.

Ich ſah ihn mit einer ſchlanken Roͤmerin tan - zen, und mußte laͤcheln, daß der holde Bube den alten ſtrengen Michel Angelo ſo hart ange - griffen hatte; das Raͤthſel ließ ſich nun leicht aufloͤſen. Das ſuͤße Paar wallte in jeder Bewe - gung neue entzuͤckende Schoͤnheit von ſich; der Knabe ſchien ein Maͤdchen, und die Jungfrau mit ihrem zuͤndenden Blick ein verkleideter Juͤng - ling. Die Menge ſtand umher, und kein Auge verwendete ſich von ihnen aus den erheiterten Ge - ſichtern.

B b 5Der394

Der Monat Oktober wird in Rom und auf dem Lande herum ganz der Freude gewidmet: jedes ſpart dafuͤr den Sommer auf.

Ich machte mich bald wieder an den Grie - chen; ich hatte noch manchen Punkt mit ihm ins Reine zu bringen, der kaum war beruͤhrt wor - den. Er erzeigte ſich gefaͤllig. Wir ſtiegen den Monte Toſtaccio hinauf, um die Gegend zu uͤberſchauen, und trafen oben Kuͤnſtler an, die nach der Natur zeichneten. Man hat hier rei - zende Ausſichten hin uͤberall, und verſchiedne Landſchaften jede ſo vollkommen fuͤr Gemaͤhlde, um ſie ſchier nur abzunehmen. Pyramide, die das Kleinod der Gegend bleibt: Sankt Paul und Tyber: Steffano rotondo, alte Waſſerlei - tungen, Koliſaͤum: Grabmal der Metella: Pietro Montorio: Porta Porteſe zeigen immer neue bezaubernde Seiten mit Pignen, roman - tiſchen Villen, Rebenhuͤgeln und den herrlichenFer -395Fernen der Gebirge von Frascati, Tivoli, und dem Sabinerlande. Wir ſetzten uns nieder, und jeder drehte ſich dahin und dorthin; die große Augenluſt machte uns eine Weile ſtumm, und alle die andern Sinnen verloſchen.

Wir fingen endlich an, von Rom zu ſpre - chen, dem alten und dem neuern; gingen uͤber auf Griechenland, und deſſen ehemaligen und gegen - waͤrtigen Zuſtand: und unſre Reden ſtimmten ſo ſchoͤn zur untergehenden Sonne an der unvollen - deten Peterskuppel des unſterblichen Michel An - gelo! Ach, allesgeht auf und unter, Voͤlker und wir, und die Werke der Menſchen! der Menſch iſt ein ſtolzes Geſchoͤpf, rief ich aus; er hat die Oberflaͤche der Erde gebildet, beherrſcht den Ad - ler und Loͤwen, und baͤndigt das ungeheure Meer mit ſeinen Schiffen: aber er weiß nicht von wan - nen er koͤmmt, noch wohin er faͤhret; erſcheint, veraͤndert ſich augenblicklich, unſicher, ob erein396ein eignes Weſen ausmacht, und verſchwindet. O ihr, die ihr um uns herumſchlummert, ihr Scipionen, Kamille, Lukrezien und Kornelien, was und wo ſeyd ihr? koͤnnt ihr nicht erwachen, und uns belehren?

Ein andermal hiervon, gab er zur Ant - wort, wenn wir mehr in Einſamkeit ſind, nicht umgeben von ſo viel zerſtreuender Herrlichkeit. Er hielt dieſe Kuppel ſelbſt fuͤr den kuͤhnſten koloſſaliſchen Gedanken eines Rieſengeiſtes, und glaubte, daß die alten Griechen und Roͤmer ihn bewundern wuͤrden.

Wir kamen alsdenn wieder auf unſer altes Thema, die bildende Kunſt, und deren Weſent - liches, den Menſchen, und die Vollkommenheit ſeiner Geſtalt; und unſer beyder Schluß war, daß der neuern hierin der Kern mangle. Man kann wohl ſagen, daß die Werke der alten grie -chiſchen397chiſchen Meiſter eine Frucht ihrer Gymnaſien waren; und daß, wo dieſe nicht ſind, ſie ſchwer - lich kann eingeaͤrndtet werden. Der erfahrne und geuͤbte Sinn des ganzen Volks am Nacken - den, dieß iſt die Hauptſache, die uns fehlt, nebſt dem der Arbeiter ſelbſt; das ſchoͤnſte Nackende der Kunſt wird endlich nur durch Erinnerung geſchaffen und genoſſen.

Man kann die Natur nicht abſchreiben; ſie muß empfunden werden, in den Verſtand uͤbergehen, und von dem ganzen Menſchen wie - der neu gebohren werden. Alsdenn kommen allein die bedeutenden Theile und lebendigen For - men und Geſtalten heraus, die das Herz ergreif - fen und die Sinnen entzuͤcken; die Regung in vollſtimmiger Einheit durch den ganzen Koͤrper des gegenwaͤrtigen Augenblicks bildet kein bloßer Fleiß nicht. Je groͤßer und erhabner der Kuͤnſt - ler: deſto edler und eingeſchraͤnkter die Auswahl. Im398Im Nackenden der bey uns gewoͤhnlich bekleideten Theile, alſo des ganzen Koͤrpers bis auf Kopf und Haͤnde und Fuͤße koͤnnen wir den Alten nicht gleich kommen, weil wir ihre Gymnaſien und Ther - men nicht haben. In Koͤpfen, Haͤnden und Beinen und Kindern halten wir ihnen vielleicht die Wage: in ſo weit wir noch Perikleſſe, Plato - nen, Alkibiadeſſe, und Aspaſien und Phrynen haben. Die hoͤchſte Vollkommenheit iſt uͤberall der letzte Endzweck der Kunſt, ſie mag Koͤrper oder Seele, oder beydes zugleich darſtellen; und nicht die bloße getroffene Aehnlichkeit der Sache, und das kalte Vergnuͤgen daruͤber. Der Meiſter ſucht ſich dann unter den Menſchen, die ihn umgeben, zu ſeiner Darſtellung das beſte Urbild aus, und erhebt deſſen individuellen Cha - rakter mit ſeiner Kunſt zum Ideal. Die Schoͤn - heit muß allgemein: der Charakter aber individuell ſeyn, ſonſt taͤuſcht er nicht, und thut keine Wir - kung; und das Individuelle kann der Menſchſo396[399]ſo wenig als das Gold erfinden Dieß iſt das Pro - blem, an deſſen Aufloͤſung ſo viele ſcheitern.

Der ganz außerordentlichen Menſchen ſind bey allen Nazionen aͤußerſt wenig geweſen; es gehoͤrt eine unendliche Menge von gluͤcklichen Um - ſtaͤnden dazu, ſolche alleredelſte Gewaͤchſe und Herrlichkeiten der Natur hervorzubringen. Neh - men wir den Griechen, der bey weitem geiſtreich - ſten Nazion unter allen, die wir in der Ge - ſchichte kennen, auf Erdboden, nur ein Dutzend dieſer hervorragenden Maͤnner: einen Lykurg, Themiſtokles, Pythagoras, Sokrates, Ariſto - teles, Homer, Soph[o]kles, Ariſtophanes, Pe - rikles, Demoſthenes, Phidias, Apelles: und wir werden ſehen, wie ihr Sonnenfeuer zu den Sternen andrer Voͤlker zuruͤckweicht, zumal wenn wir bedenken, daß ihre uͤbrige Vortrefli - chen großentheils nur von dieſen beſtrichne Mag - netnadeln waren.

Die400

Die Ehre des Volks und der Fuͤrſten be - ſteht darin, ſolche ſeltne Erſcheinungen bey ihrem Aufgang zu erkennen, und ſie zu pflegen und zu warten. Bey ihnen konnte kein Laͤrmmacher ſo leicht mit ſeinen ausgeſchickten Trabanten das erfahrne Ohr uͤbertaͤuben, das ſcharfe geuͤbte Auge benebeln; ſie kannten den nackenden Men - ſchen aus ihren Gymnaſien, und die hohen Geſtal - ten aus ihren gemeinen Verſammlungen. Die Verſtaͤndigen pruͤften, gaben Rath, verdammten, belohnten. Eins trieb und vervollkommte das andre.

Und ſo gings noch bey den Roͤmern. Au - guſt hat keinen Virgil und Horaz hervorgebracht; aber weil ſie einmal jung da waren, ſo hielt er ſie warm.

Außerdem hatten die alten mehrere Arten von Schoͤnheiten, und wir kennen die reizende Mannigfaltigkeit nicht von Ringern, Fauſtbal -gern,401gern, Wettlaͤufern, Wurfpfeilſchuͤtzen, Diskus - werfern, und dergleichen; und ſo machten ihre Goͤtter wieder verſchiedne allgemeine Kl[a]ſſen. Bey uns iſt alle Geſtalt in ein einzig doppelartig gabelfoͤrmig vollkommen Thier zuſammen - geſchrumpft.

Die Sonne war prachtvoll untergegangen, und das ſchoͤnſte Abendroht zog lieblich hinten nach. Wenn ich ein Landſchaftsmahler waͤre, rief Demetri, ich mahlte ein ganzes Jahr wei - ter nichts als Luͤfte, und beſonders Sonnenun - tergaͤnge. Welch ein Zauber, welche unendliche Melodien von Licht und Dunkel, und Wolken - formen und heiterm Blau! es iſt die Poeſie der Natur. Gebirge, Schloͤſſer, Pallaͤſte, Luſt - hayne, immer neue Feuerwerke von Lichtſtrah - len, Rieſen, Krieg und Streit, flammende Schweife wechſeln mit neuen Reizen ab, wann das Geſtirn des Tages in Brand und Gluhten unterſinkt. C cAber402Aber leider mit euerm Licht in der Mahlerey ſieht es uͤbel aus!

Und was man davon mahlen kann, fuhr ich fort, dauert nur wenig Momente; die gluͤck - lichſte Phantaſie und Empfindung gehoͤrt dazu, es aufzubewahren, nach Hauſe zu tragen; und wunderbare Kunſt, es taͤuſchend langſam hinzu - pinſeln.

Wir gingen wieder hinunter; es war leer geworden, und die uͤbrigen zogen auch noch von dannen. Endlich blieben ein halb Dutzend Maͤd - chen, und Demetri, und Tolomei, und ich. Wir machten uns zuſammen wieder auf den Saal, eine auserleſene Geſellſchaft. Die Maͤd - chen waren aͤchte Roͤmerinnen an Wuchs und Geſtalt, mit der erhabnen antiken noch republi - kaniſchen Geſichtsbildung, die auch auf fremde Fuͤrſten wie nur Barbaren herunter ſchaut. Siehaͤt -403haͤtten, wie die alten, dem hohen Senat mit berichten laſſen, wenn ſie das Verbot gegen eine gewiſſe Luſtbarkeit von ihnen nicht aufhuͤben, daß ſie nicht mehr gebaͤhren wollten.

Paar und Paar ſtanden im vertrauten Um - gang mit einander; die reizenden Geſchoͤpfe lie - ßen ſich von ihren Geliebten als Modelle brau - chen, und gaben ihre Schoͤnheiten deren Kunſt preis. Sie machten ſich ſelbſt Muſik, und tanzten lauter Nazionaltaͤnze, wo wenig gezogner, gedehnter, franzoͤſiſcher Schritt, ſon - dern immer neuer Freudenſprung iſt. Ich ließ dabey wacker auftiſchen, und einſchenken, und wurde ſelbſt von dem Wirbel ergriffen.

Nach Mitternacht ging es in ein aͤchtes Bacchanal aus; das erhitzte Leben blieb nicht mehr in den gewohnten Schranken, und jedes tobteC c 2nach404nach ſeinem Gefuͤhl und ſeiner Regung. De - metri machte ſeinen Einfall zu einem Sparta - niſchen Tanz laut, und dieſer wurde mit Jauch - zen ausgefuͤhrt. Doch machte man vorher den feyerlichen Vertrag, nichts ſchaͤndliches zu begin - nen, und die Leidenſchaften bis ans lange Ziel gleich Olympiſchen Siegern im Zuͤgel zu halten, wies braven Kuͤnſtlern gezieme.

Man entkleidete die Jungfrauen, die, Gluht in allen Adern, ſich nicht ſehr ſtraͤubten, zuerſt bis auf die Hemder, und ſchlitzte dieſe an beyden Seiten auf bis an die Huͤften; und die Haare wurden losgeflochten. Demetri ſchlug die Hand - trommel, und ich ſpielte die Zithar.

Sie ſchwebten in Kreiſen, druͤckten einzeln ihre Empfindungen aus, und jede enthuͤllte in den ſußeſten Bewegungen ihre Reize, bis Paar und Paar wieder ſich ſaßten und hoben, und wieSphaͤ -405Sphaͤren herumwaͤlzten. Es war gewiß ein Goͤtterfeſt, ſo viel mannichfaltige Schoͤnheit her - umwuͤhlen und herumtaumeln zu ſehen, und ich habe in meinem Leben noch kein vollkommner weiblich Schauſpiel genoſſen.

Man hohlte hernach aus der nahen Villa Sacchetti Epheu zu Kraͤnzen, und belaubte Wein - ranken mit Trauben zu Thyrſusſtaͤben; und je - der Juͤngling warf alle Kleidung von ſich. Es ging immer tiefer ins Leben, und das Feſt wurde heiliger; die Augen glaͤnzten von Freudenthraͤ - nen, die Lippen bebten, die Herzen wallten vor Wonne.

Wir fuͤhrten auf die letzt allerley Scenen auf, aus Fabel, komiſchen und tragiſchen Dich - tern und Geſchichte in himmliſchen Gruppen, wo eine wahrhaftige Phryne an Schoͤnheit dar - unter mit erroͤhtendem und laͤchelndem Stolze ſichC c 3endlich406endlich ganz nackend zeigte, in den verſchaͤmte - ſten, und muthwilligſten Stellungen.

Tolomei wetteiferte mit ihr; er hatte wirk - lich Schentel wie ein junger Gott, entzuͤckend Feuer ſchon der Hand; und die Sproſſen zum kuͤnftigen Strauchwerk waren an ſeinem Leib - chen eben angeflogen.

Demetri glich dem Zevs, und ihm fehlte dazu nur Donnerkeil und Adler.

Die Phryne riß alsdenn der andern ſchoͤn - ſten das Hemde weg, und beyde den uͤbrigen; und nun ward ich von ihr wie von einer wuͤhtenden Pentheſilea gefaßt, der hoͤchſte Bacchantiſche Sturm rauſchte durch den Saal, der alles Ge - fuͤhl unaufhaltbar ergriff, wie donnerbrauſende Katarakten, vom Senegal und Rhein, wo man von ſich ſelbſt nichts mehr weiß, und groß und allmaͤchtig in die ewige Herrlichkeit zuruͤckkehrt.

Gegen407

Gegen Morgen macht ich die Zeche richtig; und wir ſchwaͤrmten im Geiſterglanze des Voll - monds unter Chor und Rundgeſang an der Ty - ber vorbey, und hernach durch die hehren Ruinen und Triumphpforten uͤber den Tarpejiſchen Fel - ſen.

Ende des erſten Bandes.

Druckfehler und Verbeſſerungen zum erſten Theil des Ardinghello.

  • Seite 128 Zeile 10 ſteht ſchoͤne fuͤr ſchon
  • -- 133 -- 1 -- Verdacht -- Verdacht ging.
  • -- -- 2 -- geb ihm ein -- gab ihm ein.
  • -- 138 -- 16 -- betruͤbt -- betaͤubt.
  • -- 145 -- 2 -- von Abgruͤnden -- von Abgruͤn - den zu Abgruͤnden.
  • -- 170 -- 9 -- erlebte -- erbebte.
  • -- 223 -- 13 -- Petrarca -- Im Petrarca ꝛc.
  • -- 250 -- 18 -- Plaggen -- Pflanzen ꝛc.
  • -- 402 -- 12 ſteht Endlich blieben ein halb Dutzend Maͤdchen und Demetri fuͤr Endlich blieben ein halb Dutzend Maͤdchen, eben ſo viel Kuͤnſtler und Demetri ꝛc.

About this transcription

TextArdinghello und die glückseeligen Inseln
Author Wilhelm Heinse
Extent419 images; 54195 tokens; 9933 types; 366657 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationArdinghello und die glückseeligen Inseln Eine Italiänische Geschichte aus dem sechszehnten Jahrhundert Erster Band Wilhelm Heinse. . 407 S., [1] Bl. MeyerLemgo1787.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 9181-1<b> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=620896256

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:25Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 9181-1<b> R
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