PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ardinghello und die gluͤckſeeligen Inſeln.
Eine Italiaͤniſche Geſchichte aus dem ſechszehnten Jahrhundert.
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Zweyter Band.
Lemgo,im Verlage der Meyerſchen Buchhandlung1787.
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Vierter Theil.

Ardinghello 2ter B. A[2][3]
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Rom, Oktober.

Ich habe ſeit meiner letztern Begebenheit mit Lucinden gerungen und gekaͤmpft, in keine ſolche Thorheit wieder hinein zu gerathen; aber alles muß ſeiner Natur folgen. Ich zittre und knirſche mit den Zaͤhnen, daß es nicht an - ders iſt: der Menſch hat keine Freyheit. Sieh die Inſeln der Gluͤckſeeligkeit vor dir, mit vorA 2Ver -4Verlangen kochendem Herzen nach ihrer Luſt, von uͤppigem Muth alle Nerven geſchwellt: und widerſtehe mit kalter Ueberlegung der Gefahren, die vielleicht auf dich warten, indeß der guͤnſtig - ſte Wind uͤber dir in den Wipfeln hinſaͤuſelt! Was iſt das, daß der Menſch ſo nach Ruhe trachtet, und ſie hernach doch nicht leiden kann? Daß das Ziel keins mehr fuͤr ihn iſt, ſo bald er es erreicht hat, und er immer ein neues haben muß? Ach, unſer Weſen hat keinen Frieden, und Brand und Gluth in und uͤber alles iſt deſ - ſen erſte Urkraft!

Wo ich gehe und ſtehe, ſchwebt ſie mir vor Augen; ich ſtrecke meine Arme nach ihr aus, und meine Fuͤße bewegen ſich von ſelbſt nach dem Ort ihres Aufenthalts. In dieſen Kreis bin ich wie gebannt, und mir ſcheint kein ander Licht. O ſie iſt ſo ganz, was ich wuͤnſche! und alles andre, was ich ſchon genoſſen habe, duͤnkt mir nur ein Vorſchmack von der Fuͤlle ihrer Seeligkeit. Flo -5Fiordimona, o Fiordimona, mit dir moͤcht ich ewig leben, und unaufloͤslich mich mit dir ver - flechten! Du allein kannſt bey allen Reizen der Schoͤnheit meine Freundin ſeyn; einen ſo hohen kraͤftigen Geiſt hab ich bey deinem Geſchlechte noch nicht gefunden.

Glaub indeſſen nicht, Benedikt, daß ich mich aus Muße und Langerweile verliebe; ich beſchaͤftige mich gerade mit den erſten Werken der bildenden Kunſt, der alten und der neuern: allein das Leben ſelbſt triumphirt uͤber alles, und gewinnt im Gegentheil dadurch noch mehr Staͤrke.

Der Oktober iſt hier wie Wetter aus dem Paradieſe; jeder Tag heiter, und Feſt ſchon an und fuͤr ſich. Ich habe mich auf eine Woche in das Vatikan eingeſperrt, und genoͤſſe Goͤtterluſt, wenn mein Herz ruhiger waͤre. Ich wohne oben im Belvedere bey dem Manne, der die Antiken in ſeiner Verwahrung hat; und dieA 3Aus -6Ausſicht von meinem Zimmer iſt bezaubernd. Rom liegt ſtill da, wie ein friedlich Ueberbleibſel von der Herrſchaft der Welt; wie ein junger Sproß ſteigt es hervor aus dem uralten hohlen Stamme der ehemals erhabnen ungeheuern Eiche. Voran gruͤnt das fruchtbare lange und breite Thal, wodurch der Tyber ſtroͤmt, zwiſchen rei - zenden Huͤgeln, die ſchoͤne Villen bekraͤnzen; und in grauem Duft und blauer Ferne lagern ſich die Gebirge von Sabina, Tivoli und Frascati ma - jeſtaͤtiſch herum. Man ſieht ſo den Aufenthalt von ſuͤßen Geſchoͤpfen vor ſich, mit denen man auf allen Seiten, da und dort in die Hoͤhen, um allein zu ſeyn, hinaus fluͤchten koͤnnte.

Die Nachwelt hat die groͤßten Meiſterſtuͤcke der Mahlerey dem wilden und kuͤhnen Pabſt Julius zu verdanken; und es iſt ein ſeltnes Gluͤck, daß der Heftige einen ſo ſcharfen und ſichern Blick fuͤr das Weſentliche hatte, und ſich durch kein Gepraͤnge oder Hoͤflingsgeſchwaͤtz taͤu -ſchen7ſchen und irre fuͤhren ließ. Er erkannte das wahre Talent, und verachtete dagegen allen Mo - dekram. Die beruͤhmteſten Kuͤnſtler damaliger Zeit hatten ſchon in den Stanzen die Waͤnde mit allerley Larven bemahlt, woran vielleicht nach ihren Regeln nichts auszuſetzen war: als Bra - mante den Raphael von ſiebzehn Jahren her - beybrachte, daß auch er in einem Zimmer ſich verſuchen moͤchte. Die alten Meiſter laͤchelten hoͤhniſch, und ſpotteten unter ſich uͤber die Uner - fahrenheit des Knaben. Der hohe Juͤngling ließ ſich nicht ſtoͤren, und entwarf in ſeiner Phantaſie, dem Schauplatz angemeſſen, vier Bilder: von der Theologie, der Philoſophie, Poeſie und Gerechtigkeit, und legte gleich im erſten Feuer Hand an die Theologie.

Die Philoſophie war noch nicht ganz vol - lendet, als Julius von der Wahrheit und dem Reiz der Gemaͤhlde ſo entzuͤckt wurde, daß er auf der Stelle befahl, alles, was die andernA 4ge -8gemacht hatten, wieder herunter zu ſchlagen: dieſer junge Menſch ſollte die Zimmer allein aus - mahlen. Die alten Herrn ſchrien uͤber Tyran - ney und Unverſtand: aber Welt und Nachwelt hat dieſen harten Ausſpruch gerechtfertigt.

Ein ſolcher Schutz der Kunſt macht Ehre, und keine Millionen, die man an Stuͤmper und ein buntes Gemiſch von Kunſtſachen verſchwen - det; indes der eigentliche Mann bey ſeiner Be - ſcheidenheit entweder verborgen bleibt und darbt, oder doch nur als ein gewoͤhnlicher Tagloͤhner ſein Stuͤck Arbeit nebenher durch irgend eines Ver - nuͤnftigen Emphelung von ohngefehr bekoͤmmt.

Die Theologie iſt ein geiſtig Bild der Re - ligion; die vornehmſten Perſonen des alten und neuen Teſtaments ſind hier beyſammen, jede nach ihrem Charakter. Das Ganze ſtellt gleich - ſam die chriſtliche Kirche vor im Werden.

Gott der Vater ſchwebt oben an als Archi - tekt mit freundlichem Ernſt, daß alles ſo iſt, wieers9ers haben wollte. Chriſtus ruht ſeelig auf einem Wolkenthron in der Glorie der Ausfuͤhrung, die Mutter voll Zaͤrtlichkeit neben ihm. Patriar - chen, Juͤnger und Apoſtel umgeben ihn als ihren Mittelpunkt, auf Wolken von Engeln getragen. Und unten auf dem Erdboden handeln noch die erſten Kirchenlehrer und Chriſten in der Grund - lage des Gebaͤudes.

Die Hauptgeſtalten zeugen von der lebhaf - teſten jugendlichen Einbildungskraft, und haben wunderbare Beſtimmtheit in den Umriſſen. Die vier großen Kirchenlehrer gehen mit ihrer Kraft allen andern hervor. Wenn irgend ein Sterb - licher zum Mahler gebohren war, ſo iſt es gewiß Raphael. Seine Figuren ſind mit einer Quelle von Leben hervorgefuͤhlt, und von einander un - terſchieden bis auf eine eigne Art von Reiz im Ausdruck.

Die Schule von Athen iſt eben ſo ein geiſtig Bild der Philoſophen beyſammen. Py -A 5thago -10thagoras faͤngt an, Sokrates folgt, alsdenn koͤmmt Plato mit dem Ariſtoteles, und weiter Archimed. Die Gruppe des letztern mit den vier Juͤnglingen iſt wirklich unausſprechlich ſchoͤn und reizend, ein entzuͤckend Bild von einem Meiſter mit ſeinen Schuͤlern; die Aufmerkſam - keit zweyer, die Verwunderung und Begeiſte - rung des Auf blickenden beſonders goͤttlich hinge - zaubert, gerad im Momente, wo er die Erklaͤrung des ſchweren Problems findet. Geſicht mit ſamt dem Haar iſt von hoher Schoͤnheit und Wahrheit. Archimed ſelbſt voll Schaͤrfe des Verſtandes und Ueberlegung. Zeichnung und Mahlerey uͤberall ſpricht den großen Meiſter von heiterm Sinn. Der eine ſtudiert; der andre begr iſt; der dritte hats begriffen und verwun - dert ſich; und der vierte frohlockt, und moͤchte Jemand, ders auch lernte.

Fuͤr ein Gymnaſium von Philoſophen waͤre das Ganze ein wahrer Zauber, und wuͤrde je -derzeit11derzeit die Seele zur Empfaͤnglichkeit ſtimmen. In verſchiednen Koͤpfen von Raphael herrſcht eine Wirklichkeit, wobey man uͤber die friſche Kraft ſeiner Phantaſie erſtaunen muß. Sein heiliger Gregorius muß ein Theolog ſeyn, ſein Pythagoras ein Philoſoph, und keine andre Menſchen.

Der Parnaß iſt wieder ſo ein geiſtig Bild der Poeſie. Homer improviſiert von Begeiſte - rung hingeriſſen; Apollo iſt mit ſeinen ſchoͤnen Augen verzuͤckt in himmliſche Phantaſien; Mu - ſen, Laura, Sappho und die beſten Dichter, die theatraliſchen ausgenommen, ſind dabey zugegen.

Die Gerechtigkeit beſteht aus drey vor - treflichen allegoriſchen Figuren: Klugheit, Staͤr - ke zur Rechten, Maͤßigkeit zur Linken.

Dieſes Zimmer war ſeine erſte Arbeit zu Rom; es bleibt aber doch das vorzuͤglichſte we - gen Menge und Adel von Geſtalten. Seeleund12und Auge jedes verſtaͤndigen und in der Welt erfahrnen Menſchen muͤſſen ſich ſo recht daran wie an ſuͤßem Kern weiden. Ueberall blickt da und dort eine himmliſche Blume hervor, und je tiefer man ſich mit ſeinem Stachel hineingraͤbt, deſto nahrhafter Honig findet man. So hat mich ſpaͤt noch erfreut ſein Evangeliſt Johan - nes in der Theologie, neben dem David, wel - cher vor der Menge groͤßerer Figuren einem erſt nach und nach mit ſeinem ſuͤßen Laͤcheln und halbzugedruͤckten innigſeeligen Blick aus ſeiner Engelsſchoͤnheit ins Herz blitzt. Das blonde Haar wallt ihm reizend nieder auf die Schul - tern, und er ſcheint einen Liebesbrief zu ſchreiben.

Die Schule von Athen iſt mir das ange - nehmſte von allen ſeinen Werken: eine ſolche Fuͤlle von Heiterkeit und Ruhe koͤmmt mir dar - aus entgegen; ob das Ganze im Grunde gleich einen Streit vorſtellt, nehmlich den Sieg derAri -13Ariſtoteliſchen Philoſophie uͤber die Platoniſche, wie die triumphirenden und widerlegten Geſich - ter zeigen. Alles neben den beyden großen Hel - den ſcheint ſich darauf zu beziehen. Plato hat zur Seite den Sokrates mit dem Alkibiades, und den Pythagoras; Ariſtoteles den Kardinal Bembo*)Platonici artifices diſſerendi, non interpretes naturae aut doctores ſapientiae; war damals die Meinung. und Archimed. Wahrſcheinlich feh - len deßwegen Epikur und Zeno mit ihrem An - hange. Welche vollkommne Meiſterſtuͤcke ſind darin Pythagoras, Sokrates, Plato, Ariſto - teles, Archimed, oder Bramante mit dem jun - gen Herzoge von Mantua! Alles iſt hier ſo Na - tur, daß man die Kunſt vergißt und nicht an ſie denkt: ſo voll und verliebt darein und fertig war der Meiſter. Die Gruppen ſind ſchoͤn zuſam - mengehalten, und jede richtet ſich nach demPhi -14Philoſophen, der Unterricht ertheilt. In die antiken Gewaͤnder hat er ſich gut hineingedacht, und man merkt nichts gezwungnes.

Zuſammengedraͤngte Jahrhunderte machen in jedem von den drey Gemaͤhlden ein einzig Bild fuͤr die Phantaſie.

In dem Zimmer darauf thut der Genius Raphaels, wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf, pittoreskere Fluͤge; iſt aber nicht mehr ſo reich an hoher individueller Geſtalt.

Sein Heliodor iſt vielleicht die ſchoͤnſte Allegorie neuerer Zeiten. Das Ganze theilt ſich in drey Gruppen und thut große Wirkung. Die Gruppe der Engel mit dem niedergeworfnen Heliodor gehoͤrt unter Raphaels hoͤchſtes; ſie ſind durchaus Natur in Geſtalt, Gebehrde, und Bewegung; er hat ſie vermuthlich von feurigen Roͤmiſchen Buben in Zorn und Sprung abge - ſehn. Der Engel zu Pferde in der Kirche iſt etwas ungereimt; aber er macht ein herrlichBild15Bild von Schnelligkeit und unwiderſtehlicher Gewalt. Heliodor und ſeine Gefaͤhrten ſchreyen; und es gehoͤrt zur Schoͤnheit des Ganzen, ob ſie gleich gegen die Theorie einiger Antiquaren dazu den Mund aufthun muͤſſen.

Die Gruppe von Weibern neben dem Pab - ſte, der von Schweizern nach der Natur ko - pirt herein getragen wird, macht einen reizen - den Kontraſt; die Koͤpfe der beyden Frauen, die mit den Haͤnden zeigen, ſind die ſchoͤnſten, und der dritte daneben hat einen wunderbaren Aus - druck. Julius ſchaut voll Majeſtaͤt, als ob ſei - ne Befehle gut ausgefuͤhrt wuͤrden.

Der Hoheprieſter in der Mitte am Altar bittet in Zuverſicht und Ergebung. Der Bube, welcher auf den Saͤulenfuß ſteigt, um recht zu - zuſchauen, iſt ſehr pittoresk, wie uͤberhaupt alles ſamt der Beleuchtung.

Dieß Gemaͤhlde gehoͤrt gewiß zu dem Vor - treflichſten, was Raphael hervorgebracht hat:und16und zu der Zeit, wo ſo eben erſt die Franzoſen von Italien hinausgetrieben waren, muß es jederman innig ergoͤtzt haben. Man ſieht in - zwiſchen deutlich, daß ihn ſeine Schuͤler an den Nebenſachen halfen. Es iſt ein ungeheurer Un - terſchied, wenn man Raphaelen nach den mei - ſten gegenwaͤrtigen Mahlern ſieht; bey ihm lebt alles und bedeutet, und greift ein ins Ganze. Man koͤmmt bey ihm einmal wieder zu einem verſtaͤndigen Menſchen.

Damit du aber ſiehſt, daß ich doch nicht ſchwaͤr - me: ſo meld ich dir daneben, daß der bewun - derte Attila gegenuͤber auf mich wenig Wirkung macht. Ich finde darin kein recht zuſammen - haͤngend Ganzes in der wirklichen Mahlerey und den Charaktern, obgleich die Anlage treflich iſt, und zuviel Kompliment auf Leo den zehnten, deſſen Kopf ſich warlich zu keiner ſolchen Scene ſchickt. Attila ſieht viel zu guͤtig aus fuͤr einen Hunnenkoͤnig, ohnerachtet der ungefuͤhltenWorte17Worte von Griechenheit daruͤber; und Leo zu feiſt fuͤr einen Heiligen. Die Apoſtel ſind zu ſchwer, zu groß, und zu nah in der Luft fuͤr ſchwebende Figuren, haben wenig Geſtalt, bit - ten eher als daß ſie drohen ſollten, und halten ihre Schwerter wie die Weiber.

Nichts deſto weniger bleibt das Gemaͤhlde mit den Portraͤten, Pferden und verſchiednen Gewaͤndern eine reizende Wandverzierung fuͤr einen geiſtlichen Fuͤrſten; und es iſt darin immer mehr natuͤrliche Geſtalt fuͤr Verſtand und Auge, als vielleicht in hundert neuern.

Das Wunder bey der Meſſe ergoͤtzt be - ſonders wegen Einheit und Mannichfaltigkeit des Ausdrucks durch alle die verſchiednen Geſich - ter, die meiſtens Portraͤte ſind; und zeigt ſo recht Raphaels wunderbare Einbildungskraft. Es iſt der lebendige Glaube. Der uͤberfuͤhrte Prieſter, mit den Augen kaum blinzend und voll Beſchaͤmung und Erſtaunen in den Lippen, undArdinghello 2ter B. BJu -18Julius der Pabſt ſind hohe Meiſterſtuͤcke. Das Ganze iſt am beſten gemahlt unter allen.

Petrus befreyt aus dem Gefaͤngniſſe iſt ein angenehmes Spiel von Licht und Schatten, wozu jedoch kein Raphael gehoͤrte, und das Ganze gut entworfen; der erſchrockne Soldat auf der Treppe meiſterlich.

In dieſem Zimmer merkt man ſchon, daß Raphael ſeine Schuͤler bey ſeinen Arbeiten brauchte; aber noch weit mehr in dem dritten hinterſten, wo das meiſte von dieſen iſt.

Der Burgbrand iſt hier das vorzuͤglichſte. Viele Geſtalten ſind darin vortreflich; nur war die Scene ſelbſt eher ein Vorwurf fuͤr den Tizian oder Correggio. Ueberhaupt aber ſind Wunder eher fuͤr Poeſie, als bildende Kunſt; ſie taͤuſchen das Auge ſelten, weil man natuͤrlicher Weiſe nichts ſo geſehn hat.

Die Dirne mit dem Krug auf dem Kopfe iſt eine goͤttliche Figur, eine Amazone unter denmoder -19modernen Weibern, voll Leben und Friſchheit in ihren Formen, und reizend in dem vom Wind angewehten Gewande. Die knieenden Frauen ſind gleichfalls treflich, und die Gruppe des Sohns, des Aeneas, der ſeinen Vater rettet, mit dem Buben daneben Meiſterwerk. Der Tumult der Weiber und Kinder, weinend und ſchreyend, flehend und erſchrocken, ergreift die Phantaſie, und es gibt da ſchoͤne Geſtalten. Jedoch iſt er am Nackenden geſcheitert; dieß muß gut koloriert ſeyn, wenn es Wirkung her - vorbringen ſoll. Der nackende Kerl, welcher herab ſpringt, iſt ziegelfaͤrbig, und ſieht aus wie geſchunden.

Leo der vierte, welcher auf das Evan - gelium ſchwoͤrt. Die Hauptfigur iſt das beſte im Ganzen; man kann gutes Gewiſſen nicht treflicher ausdruͤcken im großen, kraͤftigen, freyen Charakter. Herrlicher Blick gen Himmel! Außerdem ſind noch einige meiſterhafte KoͤpfeB 2dar -20darin; ſcharfer Verſtand, Getroſtheit, und Verwunderung und Aufmerkſamkeit darum her, und die Menge mit verſchiednen Empfindungen. Es iſt reizend, uͤberall den tiefen Seelenklang zu finden. Er war in der That ein klares ſtilles tiefes Waſſer, worin ſich die beſte Natur rein abſpiegelte.

In der Schlacht bey Oſtia iſt das beſte der geharniſchte Soldat mit den gruͤnen Hoſen; ein chriſtlicher Held. Das uͤbrige in dieſem Stuͤcke iſt unbedeutend; der Pabſt ſelbſt hat eine fromme Schaafsgeſtalt.

In der Kroͤnung Karls des großen macht Karl ſelbſt eine einfaͤltige Figur, und paßt ſo gut zu dieſer Scene, die mit viel Empfindung und Feinheit ausgefuͤhrt iſt; er ſieht wie ein al - ter Schweizerkorporal aus, und kniet mit abge - ſtutztem Haare vor dem Pabſt.

Es ſind in dieſem Gemaͤhlde ganz vortrefli - che Koͤpfe, beſonders unter den Biſchoͤffen undgehar -21geharniſchten Schweizern. Die Geſcheideſten ſind am entfernteſten von ihm und um die Hand - lung her, und zum Theil mit ernſthaftem und heiterm Nachdenken. Die Biſchoffsmuͤtzen ſind ſehr fatal fuͤr die Mahlerey; und ihr Weiß in doppelter gerader Reihe beſonders im Vorder - grunde grell. Die Einheit des Ganzen verbrei - tet ſich bis auf die Saͤnger in der Ecke oben. Die Kerl, welche Geſchenke tragen, ſilbernen Tiſch und Gefaͤße, bringen Mannichfaltigkeit hinein. Es iſt viel zuſammengedraͤngte Pracht darin.

Im vierten und letzten Zimmer, beym Eingang das erſte und groͤßte, iſt alles bloß nach Raphaels Zeichnungen und Anlage, bis auf zwey Figuren, die er ſelbſt in Oel ganz ausge - mahlt hat: nehmlich die Gerechtigkeit und Guͤtigkeit; welche, obgleich nur allegoriſch und wenig bedeutend, doch mit ihrer Wahrheit und Wirklichkeit alles von Julio Romano und Fat -B 3tore22tore niederſchlagen. Es koͤmmt einem vor, als ob Raphaels warmes Leben kalt geworden waͤre; er iſts, und iſts nicht mehr. Er ſelbſt iſt ganz lebendig: hier ſinds nur ſeine Masken. Es fehlt die Beſtimmtheit in allen Theilen, fehlen die feinen entſcheidenden Zuͤge, die nur von der ſchoͤpferiſchen Phantaſie allein unmittelbar in die Hand quellen. Man muß ſich zwingen, die Perſonen wirklich zu ſehen; bey ihm kann man nicht anders.

Die Schlacht Konſtantins gehoͤrt mit der Verklaͤrung unter Raphaels groͤßte Kompo - ſizionen; ſie macht ein ſchoͤnes Ganzes und iſt vortreflich angeordnet. Die Hauptfiguren gehen gut hervor. Konſtantin druͤckt noch Zorn aus, und die Freude regt ſich bey ihm uͤber den Sieg; die Gruppe mit dem Reiter vor ſich, deſſen Pferd er verwundet, iſt wohl ausgedacht. Der Kopf des Maxentius ſtellt einen ſchlechten, grau - ſamen und elenden Tyrannen dar uͤberhaupt,wohl23wohl meiſtens von Julio erfunden, und jetzt in Verzweiflung und gaͤnzlicher Ohnmacht und der Gefahr uͤberall umzukommen. Sein Pferd, und wie er ſich beym Unterſinken im Waſſer daran haͤlt, der Strom und die darin ſchwim - men, in die Barke ſteigen wollen und ſie um - werfen, iſt treflich. Sonſt ſind die Haufen viel - leicht zu voll, der Feind zu fluͤchtig, ohne allen Widerſtand; es bleibt aber doch die erſte Schlacht wegen Wahrheit der Geſtalten. Die Gruppe, wo einer vom Pferde heruntergebohrt wird, und die des gefallnen Sohns mit der Fahne bey ſei - nem Vater thun große Wirkung.

Die drey uͤbrigen Gemaͤhlde in dieſem Saale kommen nach den andern wenig in Betrachtung. Die Anrede Konſtantins mit dem erſcheinenden Kreuz in der Luft iſt noch das beſte; ſie iſt nach den Anreden Trajans auf Konſtantins Triumph - bogen. Einige Portraͤte nur ziehen das Auge an ſich, als die zwey Juͤnglinge unter Konſtantin.

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In der Schenkung Konſtantins ſind im Vordergrunde auf beyden Seiten ein paar ſchoͤne Gruppen von Weibern, ſamt denen, die ſich durch die Saͤulen draͤngen.

Vor den Stanzen ſind die Logen, mit lauter kleinen Gemaͤhlden aus dem alten Teſta - mente, und am Ende mit einigen wenigen aus dem neuen verziert. Raphael ſelbſt hat nur ein paar Erker etwa ſelbſt fluͤchtig ausgemahlt, und hier und da Hand angelegt; alles andre iſt von ſeinen Schuͤlern nach ſeinen Zeichnungen. Und ſo die Arabesken. Alles voll ſchoͤner reizender Ideen. Ich betrachte dieſen Gang als die Schu - le Raphaels im eigentlichen Verſtande, den treflichen Meiſter unter ſeinen großen und kleinen Schuͤlern; und es freut mich zu ſehen, wie ſie die Schwingen verſuchen.

Man kann nicht wohl umhin, unter den großen Meiſtern der neuern Zeit den Michel Angelo und Raphael oben an zu ſtellen; jenenwegen25wegen Richtigkeit im Nackenden und Erhaben - heit ſeiner Denkungsart: doch hat er wenig Ge - fuͤhl fuͤr ſchoͤne Form gehabt, und ein elendes Auge fuͤr Farbe, und war arm an Geſtalt.

Raphael iſt lauter Herz und Empfindung, und eine Quelle von Leben und Schoͤnheit, wie je wenig Sterbliche. Edel und liebenswuͤrdig und bereit, von ſeiner Fuͤlle mitzutheilen fuͤr jederman, hat er die Gunſt und Bewunderung von dem Kerne der Menſchheit erhalten. Alles Nackende, was zu unſern Zeiten[am] Menſchen ſichtbar iſt, beſitzt er in ſeiner Gewalt. An Ge - ſtalt iſt keiner reicher als er, und darin fuͤhlt er einige Gattungen von Seelenſchoͤnheit aufs le - bendigſte. Die Farbe war ihm zu ſehr Oberflaͤ - che; im Nackenden hat er aber doch oft ihren Reiz gefuͤhlt, und beſonders bey Koͤpfen in hoͤch - ſter Vortreflichkeit uͤbergetragen. Die Zaube - reyen vom Helldunkel ſind ihm fremd. Sein Fehler iſt ſeine Gefaͤlligkeit uͤberall, auch wo ſieB 5nicht26nicht ſeyn ſoll. Es ſcheint, als ob er nie ein widerwaͤrtig Geſicht recht habe anſehen koͤnnen; in ſeinen Koͤpfen von Attila und Heliodor, und Moͤrdern ſchier, iſt Grazie und Gefaͤlligkeit. Heldencharakter, welche fuͤr ſich beſtehen, einen Apollo, Herkules, Jupiter, und dieſen aͤhnliche unter Menſchen hat er nie oder hoͤchſt ſelten durch bloße Kopie erreicht. Sein Nackendes in den Theilen, die man nach unſern Sitten nicht ſieht, iſt wie aller andern Neuern meiſt Abſchrift eines Modells, doch freut einen darin ſeine feſte Hand. Die Vollkommenheit unſrer beſten Antiken kannt er nicht; und ſein Vortref - lichſtes iſt warlich nicht das Wenige, worin er ſie nachgeahmt hat. Dieß Nackende, wenn er ſich auch noch ſo ſehr plagte, thut wenig Wirkung, es iſt nicht wieder andre Natur geworden, wie bey den Griechen; ausgenom - men Kinder, Arme, Beine, Bruͤſte, Haͤnde, Fuͤße.

Uebri -27

Uebrigens ſieht man recht im Vatikan, daß er mit den vorzuͤglichſten Perſonen ſeines Zeitalters umging; und ihre Geſtalten, Mienen und Gebehrden, Stellungen und Bewegungen, und den Reiz in den Gewaͤndern ſeiner Kunſt eigen machte. Welche Meiſterſtuͤcke Archimed, Ariſtoteles, Plato, Pythagoras! ſeine Theolo - gen und Kirchenlehrer! Um ſie ſo wohl zu faſ - ſen, dazu gehoͤrt gewiß ein verliebter Umgang mit großen Maͤnnern. Sappho, Laura, die drey Muſen neben dem Apollo im Parnaß, Pindar, Horaz, welche Geſtalten? Und wieder welch ein unſchuldiges unbehuͤlfliches und doch unbeſorgtes Weſen in ſeinen Kindern zum Bey - ſpiel im Burgbrande!

Die Schoͤnheit von Ausdruck und Empfin - dung hat er verſtanden, wie keiner. Auch dem gemeinſten hat er immer einen Anſtrich von Em - pfindung gegeben, ihn wie in Seele getunkt. Er konnte faſt nichts anders machen; und diegefuͤh -28gefuͤhligen Gebehrden von inniger Ruͤhrung ſind bey ihm zuweilen fuͤr den ſcharfen Denker bloße Manier, und finden ſich, wo ſie ſich nicht hin - ſchicken. Seine wahrhaftig ſchoͤne Seele hat ſich von Kindheit an dazu gewoͤhnt.

Gefuͤhlvolle Geſtalten, die nicht ſprechen, ſind aber auch der eigentlichſte Gegenſtand der Mahlerey; wo dieſe nicht das Hauptwerk in ei - ner hiſtoriſchen Kompoſizion ausmachen, ergreift das andre wenig.

Die vorige Woche war eine Seeligſpre - chung zu Sankt Johann im Lateran; und dabey wurden Raphaels Tapeten ausgehaͤngt, das Feſt zu ſchmuͤcken. Sie machen die andre große Reihe von Gemaͤhlden aus, wenn man ſie ſo nennen will, die ſich[von] ihm hier befinden; und belaufen ſich an die zwanzig Stuͤcke. Es ſind Bilder aus dem Leben Jeſu, und der Apo - ſtelgeſchichte. Raphael mahlte die Cartons da - zu, wenig Jahre vor ſeinem Tode, auf Verlan -gen29gen Leo des zehnten; und ſie wurden in Flan - dern unter Aufſicht zwey ſeiner guten dortigen Schuͤler gewirkt.

Man trift darunter Vorſtellungen an von hoher Vortreflichkeit und Schoͤnheit: bey eini - gen aber gab er ſich freylich nicht viel Muͤhe; doch erblickt man auch hierin einzelne Figuren, die entzuͤcken. Er mußte ſich darauf einſchraͤn - ken, was auf Tapeten Wirkung thut, und konnte nicht ins Feine gehen, in die zarten Zuͤ - ge, die oft ſo viel entſcheiden. Deßwegen hat man vermuthlich auch aus einer ſchaͤndlichen Nachlaͤſſigkeit die Originale zuruͤckgelaſſen; und der Himmel weiß, wo ſie in den Nebellaͤndern hingerathen ſind.

Der Kindermord, die Auferſtehung, die Austheilung der Schluͤſſel, wo man dem Pau - lus opfern will, derſelbe im Areopag, Petrus der einen Gichtbruchigen heilt, der blinde Zaubrer, der Fiſchzug gehoͤren unter die beſten. Es30Es iſt wunderbar, wie das Leben aus der groben Materie hervorbricht und die Herzen ergreift; und man wird ſelbſt zum gluͤcklichen ſeeligen Kinde, wann das Volk ſo daran vorbey zieht, da und dort ſtille ſteht, und ſich dieſes und jenes ſchoͤne zeigt, ſich dabey der Religion freut, und fromm und gut nach Hauſe geht.

Vor ſeinem Kindermorde muß jeder andre Kuͤnſtler die Seegel ſtreichen. Ich habe man - ches ſchoͤne Weib davor Thraͤnen vergießen ſehen, ſo ruͤhrend iſt die Mutterliebe und die Unſchuld der Kinder auf mancherley Art ausgedruͤckt. Die Mutter, welche mit ausgebreiteten Armen und flatternden Haaren im Schrecken flieht; welche ſitzt und uͤber ihr todtes Kind weint; welche den Moͤrder wuͤthend fortſtoͤßt, indeß das Kind ſich an ſie feſt klammert: ſind goͤttliche Geſtalten. Es iſt ein unendlicher Reiz von Leben, Bewe - gung und Schoͤnheit in dieſem Stuͤcke, das aus drey großen Tapeten beſteht.

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Wie Petrus den Gichtbruͤchigen heilt, iſt ein gleiches Meiſterſtuͤck, und hat die treflichſten Naturgeſtalten zur Begebenheit, und macht noch ein vollkommner Ganzes. Ein gleiches wo dem Paulus geopfert wird; und wo Petrus die Schluͤſſel empfaͤngt.

Wie Chriſtus auferſteht, iſt aͤußerſt ſinnlich erfunden. Die Wache erſchrickt und flieht da - von, wie vor einem Geſpenſte. Der Haupt - mann mit dem Spieße, der im Entſetzen noch tapfer aushalten will; und der Soldat, der ſich vor Furcht an ihn ſchmiegt, und ein andrer mit Schild und Armen uͤber dem Kopfe, und der, welcher ausreißt, ſind Meiſterwerk. Die drey Marien in der Ferne vollenden die Heiterkeit des Ganzen.

Es laͤßt ſich wenig daruͤber ſagen, wenn man nicht ſelbſt davor ſteht, und auf die Schoͤnheiten hindeuten kann. Auch muß man vieles aus einer naͤhern Bekanntſchaft mit Raphaelen nur ahnden.

Unter32

Unter allen ſeinen theologiſchen Werken be - haͤlt aber doch immer den Preis ſein letztes, die Verklaͤrung, weil es gewiſſermaßen die Quint - eſſenz aller ſeiner heiligen Gefuͤhle in ſich haͤlt, den Zuſchauer in den Mittelpunkt der chriſtlichen Religion zaubert, und die Vollkommenheit ſei - ner Kunſt iſt. Schade nur, daß das Gemaͤhlde die Haltung verloren hat, die Schatten alle ſchwarz geworden, die feinen Tinten verſchwun - den ſind, und die Luft keine gute Wirkung thut. Inzwiſchen muͤſſen die Geſtalten der hohen Menſchen, die hier verſammelt ſind, ſchon an und fuͤr ſich ergreiffen. Jeder von den untern Apoſteln moͤchte gern voll Gutherzigkeit helfen, aber kann nicht. Auch die Nothleidenden ſind edle Seelen; und die knieende Jungfrau mit dem koͤniglichen Profil erhebt beſonders die Scene. Der beſeßne Bube iſt ein gutes Kind; der Kopf hat in der That den Ausdruck, als ob ihm ein boͤſer Geiſt etwas angethan haͤtte, undſein33ſein Arm iſt ein Meiſterſtuͤck von Wuth der Quaal. Der Kopf des Weibes, welches ihn mit der Hand haͤlt, voll Angſt und blaſſer Me - lancholie, ruͤhrt bis zur Bangigkeit.

Oben auf dem Berge wird der goͤttliche Juͤngling, der das menſchliche Geſchlecht von ſeinem Elende befreyt, und auf welchen die un - tern Gefaͤhrten zeigen, in Verzuͤckung emporge - hoben vom Boden, und ihn umſchweben die groͤßten Geiſter der Vorwelt herab vom Him - mel. Die eingeſchlummerten Begleiter erwa - chen auf der Anhoͤhe von der Gluth der Begei - ſterung.

Jede Geſtalt iſt aͤußerſt rein und beſtimmt, individuell, voll Phyſiognomie und Schoͤnheit in großen Formen. Dabey ſind die Koͤpfe doch faſt alle Natur aus der Roͤmiſchen Welt, und taͤu - ſchen deßwegen ſo ſehr. Ein Fremder kann es nicht ſo genießen, wie einer, der dieſe kennt.

Ardinghello 2 B. CMan34

Mit einem Wort, es iſt, was es ſeyn ſoll: eine wahre Verherrlichung und Verklaͤrung; die Doppelſcene, ſo vereinigt, fuͤllt den Moment ſo maͤchtig, als die Mahlerey nur leiſten kann: und was leere Kritiker tadeln, entzuͤckte gerade den Meiſter bey der Erfindung, und macht den Triumph der Kunſt fuͤr den Menſchen von Ge - fuͤhl aus.

Man muß gewiß erſtaunen uͤber die große Anzahl ſeiner Werke bey ſo kurzem Leben, und ſeinem Hange zur Wolluſt; beſonders wenn man das meiſte ſo gefuͤhlt und ausempfunden ſieht. Bey bloßer Manier und Fabrik laͤßt ſich große Anzahl leicht begreiffen, wo arme Suͤnder denſelben Puppenkram, den kein Vernuͤnftiger mehr erblicken mag, nur in andre Stellungen verſetzen: aber alles Vollkommne, aus der Na - tur hergehohlt, will reine volle Seele, und koſtet Anſtrengung.

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Raphael hat ſich innig, von zarter Kindheit an, als einzig liebes Kuͤnſtlerſoͤhnchen voll friſcher Kraft ſelbſt zum Mahler in der Einſamkeit und beym Leben in der Welt gebildet, und fruͤh ſich angewoͤhnt, Geſtalten und Bewegungen derſel - ben ſich in der Phantaſie zu ſammeln und vorzu - ſtellen; und dieſe Uebung und Gewohnheit iſt nach und nach bey ihm zur ſtaͤrkſten Fertigkeit ge - worden. Seine Hand hat er gleichfalls geuͤbt, wie Auge und Phantaſie, und dabey ſeines Gei - ſtes Sphaͤre erweitert; und ſo iſt der goͤttliche Juͤngling zum Vorſchein gekommen. Die Hauptſache, worin er alle uͤbertrift, bleibt eben die vollkommne Fertigkeit, ſich Geſtalten vorzu - ſtellen, die Grund in der Natur haben, mit Zweck und Abſicht. Daher die wunderbare Menge ſeiner Gemaͤhlde. Das hoͤchſte in der Mahlerey, Geſtalt, wobey ſich andre, zuweilen die ſcharfſinnigſten Koͤpfe, vergebens abmartern, war ſein leichteſtes, ging von ihm aus wie[] Quelle. C 2Aber36Aber doch ſieht man bey ſeinen Kompoſizionen deutlich allemal die Figuren, wo er ſich ange - ſtrengt, und die wirkliche Natur nachgeahmt hat. Er beſaß einen gar guten Volksverſtand, und dachte und empfand bey jeder Geſchichte gleich das natuͤrlichſte; und ſeine Geſtaltenphan - taſie, und ſein kernhafter Styl, wo alles be - ſtimmt iſt, machte das Ganze gleich lebendig.

Nach dieſem allen ſey ich mich doch genoͤ - thigt, ein Gegenlied von dem Lob anzuſtimmen, was ich dem Pabſt Julius gab. Es war ein Gluͤck fuͤr Raphaelen, daß dieſer ſeiner Kunſt Arbeit verſchafte, und vielleicht auch keins und das Gegentheil; denn dadurch iſt er faſt zum bloßen Kirchenmahler geworden. Das einzige große Werk außer ſeinen theologiſchen Gemaͤhl - den und Portraͤten iſt die Geſchichte der Pſyche in der Farneſina; und dieſe gehoͤrt, einzelne vortrefliche Figuren ausgenommen, nicht unter ſein Beſtes. Die Goͤtter und Goͤttinnen darinmachen37machen einen großen Abſtand gegen die Antiken*)Vielleicht ſprach Pouſſin bey dieſer Gelegen - heit das folglich hoͤchſt einſeitige Urtheil aus, daß Raphael gegen die Antiken ein Eſel waͤ - re; denn was moͤchte er ſonſt ſelbſt ſeyn?. Jedoch muß man zu ſeiner Entſchuldigung ſagen, daß er das vom Apulejus ſo koſtbar erzehlte Maͤhrchen ſchier Lucianiſch behandelte; das Ganze iſt ein Mahlerſcherz, und ſtellt ein koket - tes Weib vor, welches keine reizende Schwieger - tochter haben will, und ſie endlich haben muß.

Er und ſeine Schuͤler ſcheinen uͤberdieß ſich auf Koſten des reichen Kaufmanns Chigi von Siena, der aus verſchwenderiſcher Pracht bey einer Mahlzeit fuͤr Kardinaͤle und Praͤlaten die ſilbernen Gefaͤße, ſo wie ſie abgetragen wurden, in den vorbeyfließenden Tyberſtrom werfen ließ, ſich mehr nur einen Zeitvertreib gemacht zu ha -C 3ben,38ben, als daß ihnen, von der Vatikaniſchen Strenge her, die Arbeit Ernſt geweſen waͤre; und der welſche Amſterdammer mußte ihm dabey noch ein Zimmer fuͤr ſeine Geliebte einraͤumen, damit er ſie allemal gleich bey der Hand haͤtte, ſo oft ihm die Luſt unter den wolluͤſtigen Zeich - nungen der nackenden weiblichen Geſtalten zu ihr ankaͤme.

Die[Allegorie] mit den Liebesgoͤttern iſt das ſinnreichſte; Venus und Pſyche uͤbrigens einigemal bezaubernd; Zevs und Amor beyſam - men griechiſch empfunden; Merkur, und die Grazie vom Ruͤcken Meiſterwerk. Und Johann von Udine hat bey ſeinen Blumen einen himm - liſchen Fruͤhling genoſſen.

In ſeiner Galate neben dieſem Saal iſt die Zaͤrtlichkeit und Empfindung der erſten Liebe ausgedruͤckt; ſie hat viel Unſchuld im Blick, aber noch etwas unreifes in der Geſtalt, und ihr Geſicht iſt noch nicht ſo klar und rein, wiezum39zum Exempel die Koͤpfe in der Verklaͤrung. Die drey fliegenden Buͤbchen ſchweben reizend in ſchoͤnen Umriſſen.

In den Stanzen ſind zwar einige Gemaͤhl - de, die nicht zur Kirchengeſchichte gehoͤren: al - lein er mußte die Perſonen darin doch dem Orte nach ſo fromm behandeln, daß ſogar Vaſari ſeinen Plato und Ariſtoteles in der Schule von Athen fuͤr die Apoſtel Petrus und Paulus an - ſah, und ein andrer Unwiſſender dieſelben mit dem heiligen Schein in Kupfer ſtach. Sein Parnaß wuͤrde vermuthlich in einem Saale von Arioſts Gartenhauſe ein ander und beſſer Werk geworden ſeyn.

Und wie ſind die Zimmer alle an und fuͤr ſich ſchon ſchlecht beleuchtet und angeordnet, mit Mahlerey uͤberladen! Man ſollte faſt denken, der Halbgott habe den groͤßten Theil ſeines Le - bens mit ſeinen Schuͤlern hier gefangen geſeſſen, und einem theologiſchen Tyrannen zu gefallenC 4alle40alle Waͤnde voll gepinſelt, um ihn zur Erloͤſung zu bewegen.

Raphael hat durch dieſen Druck aͤußerſt wenig und vielleicht nichts gemacht, wo ſein ganzes Weſen mit allen ſeinen Gefuͤhlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel ge - kommen waͤre, wo die Sonne ſeines himm - liſchen Genius ganz auf einen Brennpunkt ge - zuͤndet haͤtte.

Es iſt zwar wahr, aus der freyſten oder ſchluͤpfrigſten Scene der Welt kann der Kuͤnſt - ler eine Geſtalt in das froͤmmſte Gemaͤhlde uͤbertragen; allein es geſchieht doch allemal mit Zwang, der, anſtatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geſchichte oder Fabel die Phantaſie erhoͤbe und begeiſterte, die eigentlich lebendigen Zuͤge verwirrt und verunſtaltet, ſo daß ſie ihre beſte Kraft verlieren. Wie wuͤrden Raphaels Weiber, zum Exempel, dieſelben Geſtalten zu ſeinem Kindermorde, zu ſeinen vortreflichenSy -41Sybillen in der Kirche alla Pace, zu verſchied - nen ſeiner Madonnen noch andre[Wirkung] in den Vorſtellungen aus dem Leben einer Sopho - nisbe, Kleopatra, Kornelia, der Geſchichte des Koriolan hervorbringen?

Es bleibt ausgemacht: Das Element der großen Geiſter iſt die Freyheit; und wer ſie un - terſtuͤtzen will, muß dieſe ihnen erſt gewaͤhren. Aller Zwang hemmt und druͤckt die Natur, und ſie kann ihre Schoͤnheit nicht in vollem Reize zei - gen. Deßwegen die Athenienſer unter ihrer Demokratie und Anarchie der hoͤchſte Gipfel der Menſchheit.

C 5Rom,42

Rom, November.

Ich freue mich, daß du mit mir auf gleichen Lebenspfaden gehſt; und alſo leichter an meinen Schickſalen Theil nehmen kannſt: nur iſt deine Chiara von ganz andrer Art, als meine Fior - dimona; ſie hat mich nicht ſo lange ſchmachten laſſen, ihrer Macht und Herrlichkeit bewußt. Das hab ich noch nicht erfahren, in der Liebe ſo von einem Weibe uͤberflogen zu werden. Ich habe Nebenbuhler, und vielleicht gluͤckliche Ne - benbuhler: nur ſchein ich der gluͤcklichſte zu ſeyn; und dieß feſſelt mich an ihren Triumphwagen, worauf die ſtolze junge Roͤmerin einherzieht wie ein alter Sylla, nach den Siegen uͤber die groͤß - ten Koͤnige der Erden, und die erſten Helden ſei - nes Vaterlandes. Und ich fuͤhl es, ach ich fuͤhl es, daß ſie mich ſo ganz unausſprechlich liebt! Was das fuͤr eine Empfindung iſt, und wie es mein Weſen in vollen Schlaͤgen durchkreuzt,kann43kann Niemand faſſen, als wer ſelbſt in Feuer und Flammen unter einem ſolchen ſchrecklichen Gewitter geſtanden hat.

Das erſtemal, als wir unſre Seelen verei - nigten, geſchah in der Nacht auf den Raub, zwi - ſchen Gebuͤſch und Geſtraͤuch, unter den ewigen Lichtern des Himmels, auf dem Gipfel des Mon - te Mario. O Gott, wie war ich da in Reiz verſunken und verloren! Ach, wenn es ein Le - ben gibt, das ſo unaufhoͤrlich fortdauert, in wel - cher Tiefe von Elend winden wir uns herum! Sie riß ſich allzubald mit heißen Kuͤſſen los, da - mit ihre Abweſenheit vom Ball, den ein Prinz ihret wegen auf der Villa Melini gab, nicht be - merkt wuͤrde; und ich wandelte außer mir, nicht mehr derſelbe, noch lange zwiſchen den Baͤumen herum, that Freudenſpruͤnge wie ein Knabe, und jauchzte vor unfaßbarem Entzuͤcken hinab in die Thaͤler des Tyberſtroms, daß alle Huͤgel wiederhallten.

Du44

Du ſollteſt ſie ſehen! eine erhabne Geſtalt, die das Ausleſen hat; bey Luͤſternheit ſproͤdes Weſen. Ein froh und edel wolluͤſtiger Geſicht gibts nicht. Mit Adleraugen ſchaut ſie umher, und bezauberndem, doch nicht lockendem Munde. Das ſtolze Gewaͤchs ihres ſchlanken Leibes ſchwillt unterm Gewand ſo reizend hinab, daß man dieſes vor Wuth gleich wegreißen moͤchte; und die Bruͤſte draͤngen ſich heiß und uͤppig her - vor, wie aufgehende Fruͤhlingsſonnen. Wan - gen und Kinn ſind in friſcher Bluͤthe, und bil - den das entzuͤckendſte Oval, woraus das Licht der Liebe glaͤnzt. O wie die braunen Locken im Tanze bacchantiſch wallten, der himmliſche Blick nach der Muſik und Bewegung in Suͤßigkeit ſchwamm, die netten Beine in jugendlicher Kraft ſich hoben, wie ſchnelle Blitze verſchwan - den und wiederkamen! Doch warum beginn ich ein unmoͤgliches Unternehmen! Der genießt das hoͤchſte Loos des Daſeyns, den ihre zarten Armewie45wie Reben umflechten; mehr hat kein Koͤnig und kein Gott.

Ach, und ſie iſt mehr Wunder der Natur noch am Geiſte! eine Kreatur, woruͤber ich zum erſtenmal mit geheimen Ingrimm raſe, daß ſie ſo vortreflich iſt. O laß mich! ruf ich zuweilen fuͤr mich in Verzweiflung aus; doch muß ich dem unbaͤndigen Zuge folgen, und unterliegen. Ich habe nie geglaubt, daß eine Dirne der Art mich in Ketten und Banden legen wuͤrde, und tobe uͤber mich ſelbſt; aber Niemand weiß, was ihm bevorſteht.

Ich will dir gleich den falſchen Wahn be - nehmen, der bey dir aufſteigen wird. Sie iſt reich, beſitzt ein unmaͤßiges Vermoͤgen, und hat weder Vater, Mutter, noch Geſchwiſter. Ihr Vater war der Sohn eines paͤbſtlichen Neffen, und ſie iſt nun allein geblieben. Wie um ſie geworben wird, kannſt du dir leicht vor -ſtel -46ſtellen; aber ſie will ihre Freyheit behaupten und ſich platterdings nicht vermaͤhlen.

Kurz darauf bracht ich bequemer und freyer eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafge - mach, bis Morgenroth und Sonne die Blumen ihrer Schoͤnheit beſtrahlten, und ich ſo ganz in ungeſtoͤrtem Genuſſe mein Daſeyn mit allen Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! wel - che Gefuͤhle! wie ſchwand die Zeit dahin; wel - cher ſuͤße Scherz, was fuͤr Muthwill, was fuͤr Spiel, kindlich und himmliſch! Trunken und lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht hatte jener Weiſe: wenn man die Wolluſt dem Leben abzieht, ſo bleibt nichts als der Tod uͤbrig. Sie hat ſo ganz das, was Sappho bey Weibern allein Grazie nennt, das Liebreizende, was ſo oft den ſchoͤnſten und verſtaͤndigſten fehlt. Dieſe verſteht die Kunſt zu lieben, und kennt die Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannich - faltigkeiten; ſie iſt eine Virtuoſin darin, undandre47andre wiſſen dagegen kaum die Anfangsgruͤnde. Bey ihr koͤnnte Sokrates mit allem ſeinem un - endlichen Verſtande noch in die Schule gehen; Natur ſelbſt uͤberſteigt alle Einbildung. O wie ſie ſo bloß als erquickende Frucht an einem haͤngt, als volle ſuͤße Traube, woran man mit durſtigen Zuͤgen ſaugt: und dann wieder bezaubernde un - uͤberwindliche Tyrannin iſt des Herzens und des Geiſtes! Sicher bey ihrer Vollkommenheit be - darf ſie die Zierereyen der andern nicht. Die Grauſame begnuͤgt ſich, gleich der Spinne nicht an einer Seele, und verlangt nicht, wie ſie ſagt, gegen die Unmoͤglichkeit zu ſtreben; o ich moͤchte thoͤricht werden!

Laß uns aufrichtig ſeyn! ſprach ſie an einem andern Abend im Spazierengehen nach Saitenſpiel und Geſang bey meinen Liebkoſungen und Klagen der Eiferſucht.

Jedes muß ſich ſelbſt am beſten der Kraͤfte zu ſeiner Gluͤckſeeligkeit bedienen, womit es aufdieſe48dieſe Welt ausgeſteuert worden iſt, und der Lage und Sphaͤre, wohinein es bey ſeiner Geburt ge - ſetzt wurde. Dieß hebt den Menſchen uͤber Menſchen; und macht einen weit groͤßern Un - terſchied zwiſchen den Graden ihres Genuſſes, als zum Exempel zwiſchen den verſchiednen Wei - nen und ihrem Geſchmack iſt, wo man nicht glauben ſollte, daß ſie alle von derſelben Rebe herkaͤmen. So waͤren die Koͤnige Halbgoͤtter, und Loͤwen unter Rindern, wenn ſie ihre Stelle zu gebrauchen wuͤßten*)Hieron beym Xenophon ſpricht daruͤber anders aus Erfahrung..

Ein Frauenzimmer iſt unklug, das mit einer Geſtalt, die gefaͤllt, erwuchs, und Ver - moͤgen beſitzt, wenn es ſich das unaufloͤsliche Joch der Ehe aufbinden laͤßt. Eine Goͤttin bleibt es, unverheurathet, Herr von ſich ſelbſt, und hat die Wahl von jedem wackern Manne,auf49auf ſo lange ſie will. Es lebt in Geſellſchaft mit den verſtaͤndigſten, ſchoͤnſten, witzigſten, und ſinnreichſten; erzieht ſeine Kinder mit Luſt, als freywillige Kinder der Liebe; erhoͤht ſich zum Manne: da es hingegen im Eheſtande wie eine Sklavin weggefangen worden waͤre, nichts mehr vermoͤchte nach Geſetz und Gewohnheit, und ſich endlich von dem kleinen Sultan ſelbſt, wel - chem es ſich aufgeopfert haͤtte, verachtet ſehen muͤßte; ohn einem andern Vortreflichen ſeine Hochachtung wirklich auf eine ſeelenhafte Art, nicht bloß mit Tand und Worten, erkennen geben zu duͤrfen.

Ich werde dieß einem Prospero nicht weiter auseinander zu ſetzen brauchen; und fer - ner nicht, ob das Wohl des Staats oder Gan - zen dadurch gewinnt oder verliert. Die etwa - nige Suͤnde kann man ſich ja vergeben laſ - ſen! und eigentlich iſt es bey uns nicht ein - mal eine gegen das ſechſte Gebot: ſonſt wuͤr -Ardinghello 2ter B. Dden50den dieſe Lebensart fromme Regierungen nicht geſtatten.

Was die Eiferſucht betrift: ſo iſt ſie ge - wiß, wenigſtens auf eurer Seite, eine unnatuͤr - liche Leidenſchaft, und entſteht ganz allein aus armſeeliger Schwaͤche, Mangel, oder Vorur - theil; Bruͤder und Helden, jeder werth ein Mann zu ſeyn, ſollten ſich eine Freude daraus machen, ein ſchoͤnes Weib gemeinſchaftlich zu lieben. Der geringſte Genuß wird durch An - theilnehmung mehrerer verſtaͤrkt, und gewinnt dadurch erſt ſeinen vollen Gehalt: warum ſollt es nicht ſo ſeyn bey dem groͤßten? Und iſt eine junge Schoͤnheit nicht im Stande ihrer viele zu vergnuͤgen? Verliert der eine etwas, wenn der andre auch von der Quelle trinkt, woran er ſchon ſeinen Durſt geloͤſcht hat? In einer guten buͤrgerlichen Geſellſchaft ſollte platterdings auch geſellſchaftliche Liebe und Freundlichkeit ſeyn; allein wir koͤnnen uns von dem Krebsſchaden derVor -51Vorurtheile vieler Jahrtauſende noch nicht hei - len. Eins und eins iſt warlich nicht viel mehr als einſiedleriſch und gegen die Natur; ſie be - hauptet deßwegen auch immer ihre Rechte, wie jeder weiß, der nicht ganz blind iſt. Bey der großen Mannichfaltigkeit waͤr es Unſinn, jeder - zeit von bloßem Brod zu leben. Jeder Menſch exiſtirt fuͤr ſich, und in keinem andern; wenn dieß die Natur gewollt haͤtte: ſo waͤren wir zu - ſammengewachſen. Und gehts nicht ſo unter al - len andern Gattungen von Thieren, Gras und Kraut und Baͤumen? Jedes vereinigt ſich mit dem andern nach Gelegenheit. O ihr Armſeeli - gen, die ihr keinen Begriff von Leben und Frey - heit habt und Großheit des Charakters! Daß dieß die reine wahre Luſt iſt, mit ſeiner ganzen Perſon, ſo wie man iſt, wie ein Element goͤtt - lich einzig unzerſtoͤrbar, lauter Gefuͤhl und Geiſt, gleich einem Tropfen im Ocean durch das Meer der Weſen zu rollen, alles Vollkommne zu ge -D 2nie -52nießen, und von allem[Vollkommnen] genoſſen zu werden, ohne auf demſelben Flecke kleben zu bleiben. So bald etwas ganz genoſſen iſt, weg davon! Dieß iſt das allgemeinſte Geſetz der Natur, wodurch ſie ſich ewig lebendig und un - ſterblich erhaͤlt.

Ich erſchrack und erſtaunte uͤber dieſen Pin - dariſchen Schwung; ſo weit hatt ich meine Phi - loſophie noch nicht getrieben. Was lernt man nicht in Rom? es bleibt gewiß in jeder Ruͤckſicht die Hauptſtadt der Welt. Ich ſah ſie an, wie ein junges Arabiſches Roß, das nie Zuͤgel und Gebiß erfahren, mit flatternden Maͤhnen durch die Fluren ſchweift und mit uͤppiger Kraft uͤber alle Hecken und Graͤben ſetzt.

Sie laͤchelte uͤber meine Verwunderung, milderte ihren feurigen kuͤhnen Adlerblick, faßte mich zaͤrtlich bey der Hand, und fuhr fort:

Wenn man mit euch Weiſen ſpricht: ſo muß man wie Zeno und Plato reden, und ſichdem53dem Hoͤchſten naͤhern; ſonſt habt ihr nur Mit - leiden mit uns Schwachen. Glaube nicht, daß mein Herz aus mir ſprach; es waren nur Ab - ſtractionen kalter Vernunft, und leichte Fluͤge muthwilliger Phantaſie, dich zu necken und zu warnen. O du biſt mein Abgott, ich werde dich immer lieben, ſo lange du mir getreu bleibſt; und habe keine Furcht vor einem andern, ſo lan - ge du es ſeyn wirſt. Kennſt du etwa einen, der ſo viel uͤber mich vermoͤchte, als du? ſo viel uͤber mich vermocht haͤtte? Nur ſchweig und verbirg, und laß uns unſre Gluͤckſeeligkeit im Stillen genießen; denn du ſiehſt, ich bin von Feinden umringt, die mich und meine Guͤter zur Beute machen wollen.

Alles dieß iſt Schatten und nichts ſchier ge - gen das, was und wie ſie es geſagt hat, mit ei - ner Leichtfertigkeit, und einem Spiel von Mie - nen und Gebehrden, und Pauſen und Fragen und Antworten und Erroͤthungen und Wegwen -D 3dun -54dungen des Geſichts, und als ob ihr manches nur entſchluͤpfte, daß ich mich ſchaͤme, es hinge - ſchrieben zu haben. Doch mag der bloße Inhalt allein deiner Moral, wenn du noch die alte haſt, genug zu ſchaffen geben; ich wenigſtens bin mit meinem Latein am Ende, und denke keine Span - ne weiter mehr daruͤber hinaus von den Wonne - ſtrudeln des Paradieſiſchen Lebens bey meiner Zauberin ergriffen und feſtgehalten.

Nach dieſem ſonderbaren Liebesgeſpraͤch iſt noch ſonderbarer, daß ſie keiner Ausſchweiffun - gen beſchuldigt wird, und alle Abbati nichts wiſſen, die ſich an ihr blind ſchauen. Sie haͤlt ſich eingezogen in ihrem Pallaſt auf, wenn ſie ſich nicht auf ihren Landguͤtern befindet, und hat eine alte Baſe bey ſich; und ſo fuͤhrt ſie die Wirthſchaft mit ihren Kammerweibern und Be - dienten. Sie weiß ſich ſo von jedem Ehrerbie - tung und Gehorſam zu verſchaffen, daß ſie kei - nes Mannes dazu bedarf, und ihr alter Vor -mund,55mund, den ſie noch erbt, gute Muße hat. Ent - weder ihr Vater oder ihre Mutter muͤſſen außer - ordentliche Menſchen geweſen ſeyn: ſonſt kann ich es nicht begreiffen. Beyde ſind erſt vor we - nig Jahren nach einander geſtorben.

Etwas von dem Raͤthſel kann dir noch das erſte Geſpraͤch aufſchließen, wodurch ich mit ihr bekannt wurde, welches wir zuſammen in einer Geſellſchaft hielten, wohin ich kurz nach meiner Ankunft den Kardinal begleitete. Es betraf die drey großen Lichter der welſchen Litteratur, den Dante, Petrarca, und Boccaccio. Von dem letztern behauptete ſie, daß er am mehrſten Menſch und der kluͤgſte, und, gegen die gewoͤhn - liche Meinung, am mehrſten Dichter geweſen waͤre. Aus ſeinen Novellen allein leuchte un - endlich mehr Erfindungsgeiſt hervor, als in den Werken der beyden andern; und dieß beſtimme doch hauptſaͤchlich den Rang der Dichter. Vers und Reim ſey nur Verzierung, wie Licht undD 4Schat -56Schatten bey der Mahlerey, und nicht das We - ſentliche. Und auch in Charakter und Sprache duͤrfe man ihn den guten Klaſſikern an die Seite ſetzen.

Ich wand ihr dagegen verſchiednes ein, und ſcherzte uͤber ihre Vertheidigung dieſes gefaͤhrli - chen weiblichen Moraliſten. Sie zog ſich mit unbeſchreiblicher Anmuth und[leichtem] Witz aus der Schlinge; und beſchloß, er habe die Sit - ten ſeiner Zeit geſchildert, und es gehoͤre zur Vollkommenheit von Held und Heldin, alle Wege und Abwege eines Landes zu kennen; und es habe noch Niemand zum Vorwurf ge - reicht, durch andrer Schaden klug zu werden. Ich betrachte die Komoͤdie des Dante, fuͤgte ſie ernſthaft hinzu, eigentlich nur als eine Satyre uͤber ſeine Feinde. Uebrigens war er ein Mann wie ein Fels, welches auch ſeine Geſtalt zeigt, voll hohen Ehrgeitzes. Der letztere hat ihn ver - muthlich zu ſeiner unverſtaͤndlichen Theologieund57und Philoſophie verleitet; er wollte uͤber die be - ruͤhmteſten Perſonen ſeines Zeitalters hervorra - gen. Wenn er Kraft genug gehabt haͤtte, die Modemaͤnner zu verachten, und einen beſſern Plan zu ſeinem Gedichte waͤhlte, als ein ſo go - thiſches Gewirr: ſo waͤr er vielleicht eine neue Art Homer fuͤr uns. Er hat Staͤrke, Feuer, tiefes Gefuͤhl, Einbildung und maͤnnliche Wuͤrde. Die Schickſale nach ſeiner Verbannung ließen ihm nicht Ruhe und Heiterkeit genug.

Petrarca geht zu viel in der Luft; doch entzuͤckt nicht ſelten lauter und rein ſein himmli - ſcher Geiſt, in guter Geſellſchaft gebildet. Al - lein Boccaccio hat am mehrſten Natur, und war am mehrſten unter ſeinen Menſchen: und hat deßwegen auch am mehrſten gewirkt. Was an ihm zu tadeln iſt, muß man billig auf Rechnung ſeines Zeitalters ſetzen.

Ich wuͤrde einen Mann wegen dieſer Ur - theile nicht bewundert haben; aber ſie bezauber -D 5ten58ten mich von ſo ſchoͤnen[ Lippen,] aus zwey Perlenreihen Zaͤhnen hervor. Was fuͤr innrer Gehalt gehoͤrte nicht dazu, dieſelben in Beyſeyn eines Kardinals auszuſprechen!

Es iſt ein Gluͤck fuͤr mich, daß ich ſie ſo fand; mit ihr haͤtt ich die Thorheit begehen koͤn - nen zu heurathen, und alle meine brennenden Begierden und Hofnungen in ihrer Liebe daͤm - pfen zu wollen. Bey den Grundſaͤtzen, die ſie wenigſtens auszudenken im Stande war, wenn ſie dieſelben auch nicht ausuͤben ſollte, wuͤrde mir dieſes eine erſprießliche Ehe geworden ſeyn! Inzwiſchen iſt wieder wahr, mit Verſtand kann man alles anfangen; ſie wuͤrd es ſchon ſo ge - macht haben, daß auf beyden Seiten nichts boͤ - ſes erfolgt waͤre. Jedoch nur der fernſte Gedan - ke, in einen gewiſſen Orden hinein zu gerathen, treibt mich auf und von dannen.

Aber ich weiß ſelbſt nicht recht, woran ich bin, und die Heilloſe foppt mich. Noch einenHaupt -59Hauptpunkt hab ich vergeſſen, dir zu erzehlen: ſie macht und ſingt aus dem Stegreif vortrefliche Verſe, mit einer ſo tonvollen ſilbernen Stimme, daß ſie alle Augenblick eine Muſe auf dem Par - naß, oder eine Sirene in den Fluthen vorſtellen kann. Dieß bringt zwiſchen uns große Ergoͤtz - lichkeit hervor in Einſamkeit und Geſellſchaft; und ſie ſagt im Scherz, wir waͤren ſo fuͤr einan - der geſchaffen, um die erſte Ehe ſtiften zu koͤn - nen, wenn nicht ſchon ein ander Paar den Fluch aller Ungluͤcklichen, die an dieſem Joche ziehn, auf ſich geladen haͤtte.

Ach, wer weiß, wie dieß enden wird! Mir iſt ſo warm in der Bruſt, daß michs wie auf[einen] Punkt brennt, und dabey zuweilen bange. Eine Gluth ſcheint mein innerſtes Leben anzugreiffen und davon zu zehren; ich gehe her - um wie ein Thier, das an einem Schuſſe blutet. In Augenblicken fahr ich vor Schrecken zuſam - men, wie ein junges Rind, dem der Loͤwe bruͤllt. Ich60Ich habe meine Freyheit verloren, und kann mich nicht ermannen. Aber wenn ich meine Kraͤfte anſpanne, kann ich noch einen Strick zerreißen. Iſt ſie eine Semiramis, daß ich weit und breit vor ihr in Suͤden und Norden keine Freyſtatt finde! Gott im Himmel, daß ſie ſo allen Reiz haben muß, wornach mir je geluͤſtete! Sie hat einen Blitz in den Augen, womit ſie alles niederſchmettert.

Doch was raſe ich? bin ich nicht gluͤcklich, emporgehoben zu den Sternen?

Der Wahnſinn muß dir in deiner Lage gefallen.

Ich ſitze noch im Vatikan, weil ich hier am bequemſten zu ihr komme. Von der Villa Me - dicis iſt es zu weit, und ich befuͤrchte, man moͤchte uͤber mein Ausbleiben Verdacht ſchoͤpfen, und mich beobachten. Der Kardinal iſt ein Schalk; o ich merke, daß er ſeinen Bogen auch auf dieſes Ziel ſpannt, und ſeinen Pfeil dahin richtet.

Mein61

Mein Petrus iſt eine junge huͤbſche Mohrin vom Senegal, die noch wenig Italiaͤniſch verſteht. Fiordimona haͤlt ſie ſo in der Zucht, daß ſie bey der geringſten Untreue befuͤrchten muß, auf der Stelle niedergeſtoßen zu werden.

Die noch immer ſchoͤnen und heitern Mor - gen bring ich im Belvedere zu, laͤſterlich! bloß um mich zu zerſtreuen, und auf andre Gedanken zu kommen. Aber Apollonios und Ageſander verſtehen ihre Kunſt doch auch ſo, daß ſie mich allemal fruͤh oder ſpaͤt mit ihrer Schoͤnheit und Wahrheit an ſich locken und einnehmen. O wie erhebt dieß meinen Geiſt, daß er ſolche Bruͤder hat! Wir ſind ewig, unſterblich, bewegen uns ſelbſt, und ſchaffen; nichts kann uns Schran - ken ſetzen! Die Materie, die meinen freyen Vogelflug hemmt, werf ich ab, ſo bald ich will.

Ich bin fuͤr heut ins Schwaͤrmen hineinge - rathen; Morgen mehr.

Rom,62

Rom, Dezember.

Nach einigen Tagen Scirocco, der Regen in Wolkenbruͤchen ergoß, hat ſich heute wieder eine klare Tramontana eingeſtellt; Huͤgel und Thaͤ - ler und Gebirge ſchweben weit und breit in lau - ter erquickendem Himmel, und ein leichter Aether hebt von der Erd empor und von dan - nen. Dieß ſind meine letzten Stunden im Va - tikan; ich will, ich muß nun ſcheiden. Ach, ſcheiden von der Kunſt uͤberhaupt! ſie iſt meine Beſtimmung nicht; ich habe mich nur jugend - lich getaͤuſcht. Nach dem geheimen Gefuͤhl, daß der Endzweck aller Exiſtenz iſt, gut zu ſeyn, und Schoͤnheit zu genießen; und daß Gott ſelbſt keine andre Gluͤckſeeligkeit habe: waͤhnt ich, am erſten meine Beruhigung in der Mahlerey zu finden; und arbeitete mich herum mit Traum und Schatten. Mein Herz und Geiſt trachtet nach einer kraͤftigern Nahrung, und findet dieſeallein63allein in der lebendigen Natur und Geſellſchaft der Menſchen; in wirklichem Kampf und Krieg, und Liebe und Friede mit denſelben. Wir ſind die Quinteſſenz der Schoͤpfung fuͤr einander; allein unſre Freunde und Feinde, und einer des andern Beute; ſind fuͤr einander die hoͤchſte Sphaͤre zu handeln.

Aber ach, Scheiden iſt der eigentliche Tod, vor dem die Natur ſchaudert! mein Leben blutet, und ich kann mich noch nicht ganz los reißen. Waͤr ich Kuͤnſtler und Mitgenoß einer alten Re - publik: ſo koͤnnt ich vielleicht ausharren, bis mich der Schlangenſtrom der Ewigkeit wieder in ſeine klare Fluth aufnimmt; oder als neuen Schaum an ein ander Ufer im Weltall ſetzt. Goldne Zeiten von Athen, wo ſeyd ihr hin? werd ich keinen Schatten von euch auf dieſem Erdenrunde wieder finden?

Doch, was ſag ich, Mitgenoß einer alten Republik?

Haͤtt64

Haͤtt ich in dem glaͤnzenden Zeitalter gelebt, worin Sokrates aufwuchs: ſo haͤtt ich meine Mahlerey gewiß noch eher als er ſeine Bildhaue - rey verlaſſen, und ſie waͤre nicht einmal Spiel fuͤr mich geweſen. Plutarch lallte freylich kin - diſch, wie manches, nach, in ganz andern Um - ſtaͤnden: welcher gutartige Juͤngling wird Phidias oder Polyklet ſeyn wollen! Noch brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins Leben abdruͤckte.

Nach der Schlacht bey Plataia bis in den Peloponneſiſchen Krieg hinein war Athen ein halbes Jahrhundert das Rom von Griechen - land; jeder Buͤrger uͤber die Inſeln und Klein - aſien[ſchier] Fuͤrſt und Herr, und alle Kunſt ihm unanſtaͤndig, die nicht zum Helden und Staats - mann bildete.

Ueberhaupt aber hatte ſchon vorher Solon mit ſeinen Fuͤnfhundertſchefflern, Reitern, und Halbreitern, und ſ. f., obgleich von derLage65Lage der Sachen vielleicht dazu genoͤthigt, doch aͤrgerliches Maaß und Gewicht fuͤr das Verdienſt eingefuͤhrt: jeder war unedel, der nicht von ſei - nen Renten lebte, er mochte mit goͤttlicher Wiſ - ſenſchaft und Kunſt ſich ſeinen Unterhalt er - werben.

Die erhabnen Sieger uͤber den großen Koͤ - nig hatten Recht, ſich dieſen verwuͤnſchten Maaßſtab vom Halſe zu ſchaffen; waͤre hernach nur ihr Senat und Areopag bey ſeiner Wuͤrde geblieben. Doch ich will hiervon nichts weiter reden; Lukian hat es, mit dem treffendſten Wi - tze in ſeinem Meiſterſtuͤcke, dem Zevs Tragikos, genug laͤcherlich gemacht.

Der Lehrer des Weltbezwingers wies als - denn nach der reinen Vernunft den Kuͤnſten im Staat ihren Rang an; und ſagt: alle Kunſt iſt unedel, die Leib und Seele der Gewandtheit beraubt, ſich frey zu regen und zu bewe - gen; folglich jede, wobey man ſitzen, oderArdinghello 2ter B. Ein66in einer gezwungnen Stellung und Lage ſeyn muß.

Die bildenden Kuͤnſte moͤchten freylich nach dieſer Regel uͤbel wegkommen, beſonders die Mahlerey, wenn die Arbeit dabey, wie Michel Angelo behauptet, Kinder - und Weibermaͤßig iſt. Jedoch auch ſelbſt die Philoſophie: wenn man ſo viel leſen und ſchreiben muͤßte, als der Sta - girit geleſen und geſchrieben hat; und noch mehr, um ſo weit Freyheit der Seele die des Leibes uͤberſteigt, die ehrwuͤrdigſten Aemter. Mein Nachbar hier mit ſeiner dreyfachen Krone waͤre der Hauptſklav; gebunden wie ein Wickelkind, der alle Welt loͤſt!

Aber das beſte iſt, man weiß ſich bey die - ſem allen ſchon ſchadlos zu halten, und verſteht dieß nur auf wenige Tage und Stunden.

Uebrigens hatten die Griechen darin Recht, daß derjenige ſich zum Handwerker erniedrigt, welcher ſeine Kunſt des bloßen Gewinnſts wegeneines67eines andern beliebigen Befehlen unterwirft. Das Werk behaͤlt hingegen auch wieder immer ſeinen Rang; und eine Venus von Tizian bleibt auf alle Weiſe eine Venus von Tizian, und ge - raͤth nie an Werth von Erfindung und Arbeit unter die Hoſen und Stiefeln von Schuſtern und Schneidern. Selbſt die Geſetze der hohen Ehre ſollen die Kunſt nicht zu ſtreng und gewalt - ſam feſſeln; keiner iſt gleich am Ziele! jeder hilft ſich fort nach den Umſtaͤnden, bis er dahin gelangt, und einigermaßen herrſcht unter wenig aͤchtem Gefuͤhl und einem Haufen Wahn und Mode.

Fuͤr jetzt nur noch einige Zeilen als geringe Spuren[meines] gluͤcklichen Aufenthalts in dem wahrhaftigen Belvedere von innen und außen.

Wehmuͤthig muß man zwar das Haͤufchen Ruinen betrachten, wenn man an die unzaͤhlba - ren Schaͤtze des Alterthums denkt: an die hun - dert metallne Koloſſen der Inſel Rhodos allein,E 2oder68oder die manchen hundert Meiſterſtuͤcke von Ly - ſipp; geſchweige die Voͤlkerſchaften von Statuen zu Delphi und Elis, die Pracht und Herrlichkeit von Athen, Korinth, Gnid, Epheſos. Ein Grieche vor den Roͤmiſchen Raͤubereyen wuͤrde die heutigen Antiken insgeſamt gleichſam anſe - hen, wie ein Lucull, von der Tafel aufgeſtanden, ein paar verſchimmelte Brocken aus eines Bett - lers Sack. Und doch ſchlagen ſie allen unſern Stolz nieder, und zeigen uns deutlicher unſre Barbarey, als irgend etwas, was uͤbrig geblie - ben iſt.

Man begreift nicht wohl, wo die Alten die Koſten nur der Materie hernahmen, binnen ſo kurzer Zeit eine ſo große Menge von Kunſtwer - ken aufzuſtellen: da heut zu Tag nicht die groͤßte Monarchie zu leiſten im Stand iſt, was zum Beyſpiel in dem kleinen Sizilien nur das Sand - korn, das kaum bemerkbare Girgent, that. Die Verwunderung des Xenophon, in den bluͤhend -ſten69ſten Zeiten der Kunſt, und wo die Griechen ſchon ſelbſt von ihrer ſtrengen Lebensart ſehr ab - gewichen waren, uͤber die Schwelgerey der Per - ſer, daß ſie ihre Schlafzimmer mit Tapeten be - legten*)Kyropaͤdie 8 B. 8 K., damit der unnachgiebige Boden nicht zu hart gegen ihre weichlichen Fuͤße anſtrebte, kann uns einigermaßen den Schluͤſſel dazu ver - leyhen. Hohe Selbſtſtaͤndigkeit des Menſchen, Vergnuͤgen des Herzens, und Freude des Gei - ſtes an Wahrheit und Schoͤnheit ging aller leeren Pracht vor; die Staͤrke ſcheute den Kitzel erſchlaffter Sinnen. Und die kleinſte Re - publik, wo zu gemeinſchaftlicher Luſt jeder ſo denkt und fuͤr ſeine Perſon ſich abbricht, kann Berge verſetzen, und eine andre Natur ſchaffen.

So glaͤnzt jedoch, zur Ehre unſrer Reli - gion ſey es geſagt, die noch das einzige allgemei -E 3ne70ne Band iſt, ohne weitere Vergleichung mit den Alten, auch jetzt manches aͤrmliche Staͤdt - chen in Italien mit einem himmliſchen Bilde von Raphael oder Correggio wie ein Stern her - vor gegen ungeheure Reiche in Norden, naͤcht - liche Wuͤſten, wo keine Schoͤnheit erſcheint.

Lyſipp, der wie Apelles in ſeiner Art den hoͤchſten Gipfel der Kunſt erreichte, goß alle ſei - ne Bilder aus Erz: weil der Geſang der entzuͤ - ckendſte, wo die Muſik und die Poeſie die vollkommenſte iſt, wo man die Sprache nicht merkt; und ſo geht es[] in den bildenden Kuͤnſten mit der Arbeit und der Materie, dem Zeichen.

In den feyerlichen Werken des Phidias und Polyklet von Gold und Elphenbein erſcheint die Kunſt noch wie eine geſchmuͤckte unreife Jungfrau: in denen des Praxiteles und Lyſipp wie eine Phryne aus dem Bad hervor, alles fremde verdunkelnde abgeworfen, in lebendigerVoll -71Vollkommenheit. Sie wollten die Formen, das Wirkſame nur, gleichſam in die Seelen zau - bern, das Weſentliche, ſchier unſichtbar dabey wie die Goͤtter; und verbannten alle Pracht, die das Auge abzieht und den Geiſt daͤmpft.

So gebrauchten die großen Mahler dieſer Zeit nur die nothwendigſten Farben; und gleiche Bewandtniß hat es mit den Reden des Demo - ſthenes, der weit von dem nicht ſelten eitlen Wortſchwall des Cicero entfernt iſt. Und ſo findet man beym Sophokles und Euripides, die fruͤher zur reinen Schoͤnheit gelangten, aͤu - ßerſt wenig oder nichts von dem Spaniſchen Pomp.

Uns iſt von den Meiſtern, welche die Kunſt auf eine hoͤhere Stufe ſetzten, namentlich nichts uͤbrig. Das meiſte ſind Bilder und Kopien von Lehrlingen, die man auf die Gipfel der Tempel und Pallaͤſte zu Rom und von deſſen Landhaͤu - ſern ſtellte, welche mit der Zeit und in dem Ge -E 4tuͤm -72tuͤmmel des Kriegs und der Barbarey herunter - ſtuͤrzten, zerſchmettert und im Schutt der ver - wuͤſteten Gebaͤude begraben wurden. Nach lan - gen Jahrhunderten graͤßlicher Nacht, die in die - ſen Gegenden die Menſchheit benebelte, hat man, wie nach Gold - und Silberminen, die Wuͤnſchelruthe wieder auf ſie angelegt. Die Kleinodien aber ſind faſt alle gleich zu Anfange weggefuͤhrt worden, in Schiffbruͤchen und auf ihrem urſpruͤnglichen Boden in Griechenland ſelbſt in mancherley Zerſtoͤrungen verſchwunden. Und doch haben wir daran genug, um wenig - ſtens den Geſchmack zu bekommen; wie an etli - chen, obgleich nicht den beſten, Flaſchen Reſt Lacrima Chriſti und andrer koͤſtlichen Getraͤnke von in Erdbeben untergegangnen Weinla - gern.

Die Sache hat folgende Bewandtniß.

Die alte Kunſt theilte ſich in beſondre Klaſ - ſen von Schoͤnheiten, und die großen Meiſterbeei -73beeiferten ſich, das Ideal von jeder vollkommen darzuſtellen. Wenn nun einmal das Hoͤchſte da war: ſo blieb den andern nichts uͤbrig, als ein aͤhnliches nachzumachen, wenn ſie in dieſer Klaſ - ſe arbeiten ſollten. Man kann ſagen: Phidias hat das Problem vom Jupiter aufgeloͤſt; und ſein Bild davon genoß allgemeine Verehrung an dem beruͤhmteſten Schauplatz. So gieng es mit der Venus des Praxireles und Apelles, den be - ruͤhmten Apollen, Merkuren, Junonen, Mi - nerven, Amazonen; die andern mußten ihren Weg einſchlagen, oder wurden nicht verſtanden oder geachtet, wenn ſie dieſelben nicht uͤbertra - fen. Ein guter Kopf ſchaut auch durch ſchwache Nachahmungen der erſten erhabnen Maͤnner Gefuͤhl fuͤr Form und eigenthuͤmliche Schoͤn - heit jedes Ganzen.

Der Torſo, der Farneſiſche Herkules, der (borgheſiſche) Fechter ſind zum Beyſpiel gewiß hohe Meiſterſtuͤcke; doch finden wir die NamenE 5ihrer74ihrer ſich nennenden Arbeiter bey den Alten nicht aufgezeichnet. Warum? ſie waren bloß Nach - ahmer des ſchon erfundnen, und brachten nichts neues hervor, um beſondre Aufmerkſamkeit zu erregen. Und ſo koͤnnen wir noch in Rom den Geiſt des Phidias, Polyklet und Praxiteles ſchauen, ohne etwas von ihnen ſelbſt zu ha - ben. Freylich wuͤrde fuͤr den innigen Wolluſt - ſinn noch ein großer Unterſchied bey ihren Origi - nalen ſeyn.

Die vier Statuen vom erſten Range der alten Kunſt im Belvedere, und, nebſt wenigen andern auf dem ganzen Erdboden, ſind der Apollo, der Torſo, Laokoon, und ſo genannte Antinous; nachdem der letztern doch einmal der ehrenruͤhrige Name von blinden Antiquaren auf - gehaͤngt iſt. Man hat dieſelben in Verſen und Proſa bis zum Ekel beſchrieben, ihre Gipsab - guͤſſe wie Apoſtel zu Tuͤrken und Heiden ver - ſandt, jeder neue Ankoͤmmling traͤgt Anmerkun -gen75gen daruͤber in ſein Tagebuch ein: und bey allen Predigern auf den Daͤchern ſind wir ſchlimmer geworden; kein Leonhardt da Vinci, kein Mi - chel Angelo, kein Raphael iſt mehr aufgeſtan - den. Anſtatt das Licht zum Wegweiſer zu waͤh - len, hat man ſich die Augen daran verblendet.

Das groͤßte Aufſehen hat der Laokoon ge - macht; weil Plinius noch mitten unter allen den hoͤchſten Meiſterſtuͤcken der Kunſt davon meldet: er ſey ein Werk, allen andern der Mah - lerey und Bildhauerkunſt vorzuziehen; und man bey dem Alles-aus - und ab - und aufſchreiber glauben duͤrfte, dieß ſey nicht ſeine eigne Lieb - lingsmeinung, ſondern die Stimme des damali - gen Roͤmiſchen Publikums geweſen.

Einige voll von den Wundern des Phidias, Polyklet und Praxiteles gingen ſo weit, daß ſie muthmaßten, der Laokoon moͤchte aus dem Zeit - alter des Geſchichtſchreibers der Natur ſelbſt, und ſein Lob ein gewoͤhnliches Gelehrtenkomplimentſeyn;76ſeyn; allein der Augenſchein zeigt jedem Er - fahrnen, daß die Gruppe aus der ſchoͤnſten Bluͤ - the der Kunſt ſtammt.

Sonderlinge wollten ſie im Schwindel des Paradoxen, um vielleicht dem Vatikan wehe zu thun, jedoch gar zur bloßen Kopie machen, weil Plinius ferner ſagt: die allervortreflichſten Kuͤnſtler haͤtten nach gemeinſchaftlich gepflognem Rathe den Laokoon, Kinder und Drachen, alles aus einem Block Marmor verfertigt; und ſie beſtehen offenbar aus zwey Stuͤcken, und wenn Ageſander und ſeine Freunde nicht Zeit und Ar - beit vergebens verſchwenden wollten, aus meh - rern, da der Sohn zur linken Seite ſonſt um einer Taſchenſpielerey willen unſinnige Muͤhe wuͤrde gekoſtet haben. Plinius ſah vermuthlich die Gruppe aus einem niedrigen Standpunkt, und die Fugen waren verſteckt, wie ſie bey dem rechten Sohne noch ſind, wenn man nicht hin - ſteigt; und es war ſchon in den alten ZeitenMo -77Mode, daß die Aufſeher den Ankommenden Maͤhrchen wie Religion vorſchwatzten; und der Geſchichtſchreiber hat in der Eile viel unglaub - lichre Fabeln ſich aufbinden laſſen, wenn er bey ſeiner Lebensart noch nicht recht ausgeſchlafen hatte. Inzwiſchen will ich dem wackern Manne hier nicht zu Leibe gehn; er ſagt ſonſt Dinge mit goͤttlichem Verſtand, und zuweilen erhabne Poe - ſie. Sein Werk iſt wahrſcheinlich der erſte Zu - ſammenraff des ungeheuern Ganzen, und die Wolkenbruͤche von Feueraſche aus dem Veſuv erſtickten ihn, bevor er nur die zweyte Hand dar - an legte.

Es iſt wohl eine zu handgreifliche moraliſche Unmoͤglichkeit, daß ein Kuͤnſtler, der ſo haͤtte arbeiten koͤnnen, einige der kraͤftigſten Jahre ſei - nes Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern Zweck ſollte verſchwendet haben; und daß die Kopie, gerade wo das Original ſtand, durch ein Wunder vom Himmel gefallen, und das Origi -nal78nal dafuͤr verſchwunden waͤre: um ſich bey Eroͤr - terung dieſes ſylbenſtecheriſchen Verdachts laͤnger zu verweilen.

Man hat bis jetzt das Lob des Plinius ent - weder fuͤr bloß uͤbertrieben hingeſagt gehalten, und ſich unter den verlornen hoͤchſten Meiſterſtuͤ - cken der erſten Kuͤnſtler vom Phidias an bis zum Lyſipp ungleich vortreflichre Bilder vorgeſtellt, oder die Dichter haben nur den ſchoͤnen Ausdruck der Vaterliebe in der Gruppe angeprieſen, und der große Haufe hat mit ſeinen Augen uͤberhaupt keinen rechten Endzweck aus der Vorſtellung hohlen koͤnnen, und gedacht: es iſt ungluͤcklich genug fuͤr uns, daß Loͤwen und Schlangen in der Welt ſind, warum ſoll man einen guten Mann mit ſeinen Kindern noch damit in Mar - mor quaͤlen ſehen?

Es waͤr erfreulich, wenn man ſchon aus der Theorie der Kunſt, und den bloßen Nach - richten beweiſen koͤnnte, daß das Lob des Pliniusge -79gerecht ſey, auch ohne den Olympiſchen Jupiter vor ſich zu haben.

Und gewiß, wem zuerſt die Idee von der Grup - pe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in ſeinem Herzen, in ſeiner Hand Muth und Fertig - keit genug fuͤhlte, ſie auszufuͤhren: der war zum Bildhauer gebohren, wie Sophokles zum Dich - ter. Man darf kein großer Pſycholog ſeyn, um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem Weſen ſtammt, und daß die zwey andern Trium - virn allein ihre Geſchicklichkeit dazu herliehen.

Die ſchoͤnſten Formen aller Art an der Doppelgattung des menſchlichen Koͤrpers wa - ren von dem feinſten Gefuͤhl, dem heiterſten griechiſchen Sinn in den manchen tauſend Statuen ſchier erſchoͤpft, als die Goͤtterkraft un - ſers Geiſtes im Ageſander noch den kuͤhnſten Flug begann, und alles uͤberſchwebte.

Der hohe Meiſter fand den herrlichſten Vorwurf zu ſeinem Kunſtwerk in der griechiſchenReli -80Religion, und umgriff damit Himmel und Erde. Die Gruppe des Laokoon iſt von derſelben Gat - tung wie die der Niobe; nur athmet daraus mehr tragiſcher und bildender Geiſt. Leſen wir zuerſt, was von ſeiner Geſchichte aufgezeichnet ſteht im Hygin.

Laokoon, erzehlt dieſer, war ein Sohn des Akoͤtes, Bruders des Anchiſes, und Prie - ſter des Apollo. Da er wider deſſen Willen heurathete, und Kinder zeugte; und ihn alsdenn das Loos traf, daß er dem Neptun am Geſtade opfern ſollte: ſandte Apollo bey der Gelegenheit von Tenedos her durch die Fluthen des Meers zwey Drachen, damit ſie ſeine Soͤhne Anti - phas und Thymbraͤos umbraͤchten. Laokoon wollte denſelben Huͤlfe leiſten; wurde aber ſelbſt umflochten und getoͤdtet. Welches die Phry - gier deßwegen geſchehen zu ſeyn glaubten, weil er einen Spieß in das Trojaniſche Pferd warf.

Ser -81

Servius gibt jedoch die beſſere Erklaͤrung, und ſagt: es ſey deßwegen geſchehen, weil er ſeine Frau aus Unenthaltſamkeit im Tempel des Apollo beſchlafen habe.

Das Ganze vom Laokoon zeigt einen Men - ſchen, der geſtraft wird, und den endlich der Arm goͤttlicher Gerechtigkeit erreicht hat; er ſinkt in die Nacht des Todes unter dem ſchrecklichen Gerichte, und um ſeine Lippen herum liegt noch Erkenntniß ſeiner Suͤnden. Ueber dem rechten Auge und dem weggezuckten Blick aus beyden iſt der hoͤchſte Ausdruck des Schmerzens. Sein ganzer Koͤrper zittert und bebt und brennt ſchwel - lend unter dem folternden toͤdtenden Gifte, das wie ein Quell ſich verbreitet.

Seine Geſichtsbildung mit dem ſchoͤnen ge - kraͤuſelten Barte iſt voͤllig griechiſch, und aus dem taͤglichen Umgange von einem tiefſchauenden Menſchen weggefuͤhlt, und druͤckt einen geſcheid - ten Mann aus, der wenig ander Geſetz, alsArdingbello 2ter B. Fſei -82ſeinen Vortheil und ſein Vergnuͤgen achtet, und der dazu den beſten Stand in der buͤrgerlichen Geſellſchaft gewaͤhlt hat; voll Kraft und Staͤrke des Leibes und der Seele. Die zwey Buben werden mit umgebracht, als Sproſſen vom alten Stamme; das ganze Geſchlecht von ihm wird vertilgt.

Es leidet ein maͤchtiger Feind und Rebell der Geſellſchaft und der Goͤtter; und man ſchau - dert mit einem frohen Weh bey dem fuͤrchterli - chen Untergange des herrlichen Verbrechers. Die Schlangen vollziehen den Befehl des Obern feyerlich und naturgroß in ihrer Art, wie Erd - beben die Laͤnder verwuͤſten.

Das Fleiſch iſt wunderbar lebendig und ſchoͤn; alle Muskeln gehn aus dem Innern her - vor, wie Wogen im Meere bey einem Sturm. Er hat ausgeſchrien, und iſt im Begriffe, wie - der Athem zu hohlen. Der rechte Sohn iſt hin, der linke wird der Weile feſt gehalten, und dieDra -83Drachen werden bald hernach mit ihm vollends kurzen Prozeß machen.

Selbſt die Schaamtheile des Alten richten ſich empor von der allgemeinen Anſpannung, Hodenſack und Glied zuſammengezogen; und Hand und Fuß iſt im Krampfe. Die linke Seite mag wohl zum hoͤchſten gehoͤren, was die Kunſt je hervorgebracht hat.

Die Soͤhne haben gerade ſo viel Ausdruck, als ihnen gebuͤhrt. Der eine iſt im Sterben wie todt ſchon; und der andre leidet noch nicht an Gift und Wunde, und entſetzt ſich bloß. Der Vater zieht alle Aufmerkſamkeit auf ſich.

Der Gruppe fehlt ein Haupttheil, der rech - te Arm des Laokoon. Michel Angelo wollte den - ſelben anſetzen, hatte ſchon das Modell dazu ge - macht, und angefangen, ihn in Marmor aus - zuhauen; aber welcher andre will ſich in das le - bendige warme Fleiſch und die ganze Natur hin - einfuͤhlen? Er war ſo beſcheiden, und verwarfF 2ſeine84ſeine Arbeit. Es iſt Jammerſchade, daß der al - te Arm verloren gegangen iſt, wegen des Zugs der einen Schlange, und weil Laokoon damit ſeine ſtaͤrkſte Kraft muß geaͤußert haben.

Dieſe flog mit grimmigem Satz rechts her*)Die Seiten ſind hier und uͤberall immer nach dem Bilde genommen. von oben herein, umflocht den aufgehob - nen Arm, der ſie abhalten wollte, ſchwingt ſich geſchwollen um den Ruͤcken herum, an der Seite uͤber deſſen linken, und um den rechten Arm des aͤltern noch lebendigen Sohns beym Ellenbo - gen, windet ſich um den obern Arm, und ſchlingt ſich dann um den untern wieder, und macht einen ſchrecklichen Knoten darum her, ſchießt nach der linken Huͤfte des Vaters mit dem Kopfe, der ſie mit maͤchtiger Fauſt am Hal - ſe noch ergriff, und ſetzt moͤrderlich den Zahn ein. Alles Straͤuben, alle Rettung iſt verge -bens,85bens, und hoͤrt auf: es iſt geſchehen, die That vollzogen.

Die andre Schlange faͤhrt linker Seite her von unten auf durch die Beine, kuppelt ſie wie Raub und Beute zuſammen, umſchlingt dem Sohne rechts den linken Arm, und hinter dem Ruͤcken herum den andern, und ſetzt ihm den giftigen ſcharfen Zahn ein nach dem jungen Herzen.

Der Vater ſank auf den kleinen Altar zu - ruͤck, weil er ſich nicht mehr halten konnte; der aͤltere Sohn linker Hand ſteht auf dem rechten Beine, und der andre mit dem linken Fuß auf den Zehen, und die Schlange haͤlt ihn oben an den Altar gelehnt noch aufrecht. Alle warfen die Gewaͤnder ab, zu entfliehen.

Man mochte die Gruppe in den Zeiten, fuͤr welche ſie beſtimmt war, betrachten wie man woll - te: ſo mußte ſie die ſtaͤrkſte Wirkung hervorbrin - gen; entweder als Naturtrauerſpiel fuͤr das ganzeF 3menſch -86menſchliche Geſchlecht: ein Vater, der bey Ret - tung ſeiner Kinder umkoͤmmt; oder als Strafe der Goͤtter. Und als Kunſtwerk konnt ihr kein anders den Rang der erſten Klaſſe ſtreitig ma - chen. Fuͤr uns bleibt ſie Naturtrauerſpiel, und die Kreatur ſeufzt dabey im Innern uͤber die nothwendigen Leiden auch des Guten und Ge - rechten, und ſchaudert in ihr Unvermoͤgen, ihre Unwiſſenheit zuruͤck.

Wenn man die Vorſtellungen, wo der Koͤr - per leidet und das Leben vergeht, unter eine be - ſondre Klaſſe bringen wollte: ſo moͤchte das Lob, welches Plinius dieſer Gruppe ertheilt, wohl am wenigſten koͤnnen beſtritten werden, und ſie unter allen dieſer Art mit der Niobe oben anſte - hen. Der an ſeiner Wunde Sterbende des Kteſilas, woran man ſehen konnte, wie viel noch Seele uͤbrig war, gehoͤrte als einzelne Fi - gur dahin; ſo wie der Hinkende, vielleicht Phi - loklet, des Leontiniſchen Pythagoras, deſſenGe -87Geſchwuͤres Quaal die Betrachtenden zu empfin - den meinten; die verwundeten Amazonen, bis auf den beruͤhmten Hund des Lyſipp im Kapitol, der voll Schmerz und natuͤrlicher To - desſchrecken in abgeſetztem Lauf und Haſt ſeine Wunde leckte, und fuͤr welchen die Aufſeher mit ihrem Leben ſtehen mußten.

Der letzte Akt unſers Drama hienieden ſcheint vorzuͤglich ein Vorwurf der Mahlerey ge - weſen zu ſeyn: Apelles that ſich darin hervor; alle aber uͤbertraf der Landsmann Pindars Ari - ſtides. Koͤnig Attalus erkaufte einen Kran - ken von ihm mit hundert Talenten; und Alexan - der ließ das Gemaͤhlde, wo die an ihren Wun - den ſterbende Mutter das ſich anklammernde Kind von der Bruſt abhielt, damit es kein Blut ſaugte, nach ſeinem Geburtsort bringen. In oben dieſes Meiſters Schlacht mit den Perſern von hundert Figuren war ohne Zweifel manches vortrefliche dieſer Art. Die FarbeF 4macht88macht hier keine Kleinigkeit aus, und reißt, gut aus der Natur empfunden, mit Gewalt zur Taͤuſchung. Unter den neuern Werken mag Peter der Maͤrtyrer von Tizian wohl hierin oben anſtehen.

Fuͤr Sultane ſind dieß heilſame Bilder, um ſie zuweilen an ihre Menſchlichkeit zu erin - nern; und das groͤßte Meiſterſtuͤck davon ſtand in den Kaiſerlichen Baͤdern an ſeinem rechten Platz. Ich aber fuͤr mich muß aufrichtig geſte - hen, daß ich in meinem Bad oder Schlafzimmer ein Kunſtwerk erfreulichrer Art aufgeſtellt haben moͤchte; waͤr es auch der verſtuͤmmelte Herkules, an welchem meine Phantaſie noch oben drein immer zu ſchaffen haͤtte: denn fuͤr beſtaͤndig moͤcht ich die Gnidiſche Venus nicht.

Der Torſo iſt das hoͤchſte von einem Rin - gerkoͤrper; der Sohn der Wundernacht, aus deſſen Armen ſich der dreyfache Geryon nicht los - wand, ruht und ſitzt auf ſeinem Loͤwenfell. Man89Man findet nichts mehr uͤbrig von alter Kunſt, wo Kernſtaͤrke ſchoͤner und vollfleiſchiger, und alles in der lebendigſten Form mit dem feinſten Wahrheitsgefuͤhl ſo abgewogen waͤre. Er ſenkt die rechte Seite, und hatte den linken Arm in der Hoͤhe. Das maͤchtige Bruſtbein iſt ſo zart ge - halten und mit nerviger Fettigkeit uͤberzogen, daß man es kaum merkt. Bruſt und Schultern und Mark vom Ruͤcken herum ſitzen uͤber der ſchlanken Mitte ganz unuͤberwindlich und erdruͤ - ckend. Die Schenkel ſind lauter Kraft. Alles iſt an ihm in Fluß und Bewegung in den aller - gelindeſten Umriſſen. Man ſieht alle Theile, und ihre Macht und Gewalt, jede Fieber iſt in Regung: und doch tritt weder Muskel noch Knochen ſcharf hervor. Es iſt recht das hoͤch - ſte Vermoͤgen in hoͤchſter Beſcheidenheit und Schoͤnheit.

Vielleicht hat er ein ſuͤßes Geſchoͤpf der Luſt auf ſeinen Armen gewiegt; denn ſie trugen,F 5und90und die Zapfenloͤcher der Stuͤtzen ſind noch in den Schenkeln. Gluͤckſeeligſte Sphaͤre der Welt an dieſer Axe du von ihm Geliebte! du mußteſt ganz in Entzuͤcken ſchweben und hangen, und von aller andern Beruͤhrung frey und los ſeyn! Doch dieß zum Scherze; ſo wie ich beym Deme - tri behauptete: der fromme, zornige und ſchnell - fuͤßige Achill Homers komme gegen dieſen Helden nicht auf.

Der Farneſiſche Herkules hat den Cha - rakter von einem Fauſtbalger, ſo feiſt und breit und vollgenaͤhrt ſind die Formen gegen die Ceſtusſchlaͤge. Seine Staͤrke faͤllt zentnermaͤßig uͤber das Gefuͤhl eines heutigen ſchwachen Roͤ - mers; aber auch außerdem macht er alle Welt zu Hunden und Katzen gegen einen Loͤwen in ſei - ner vollſten Kraft.

Er hat im Farneſiſchen Hof einen zu niedri - gen Standpunkt; deßwegen ſchwillt die Bruſtzu91zu ſehr aus ihrer natuͤrlichen Großheit, und noch Huͤften und Seiten.

Sein Kopf iſt vollkommen Eiſen und Stahl unuͤberwindlichen Muthes, und unerbittſam im Zaͤhneinſchmeißen.

Der Kuͤnſtler, welcher ihn erfand, ſcheint ihn nach dem Ideale des Sophokles gebildet zu haben, wo der Held aller Helden ein ganzes Reich verheert, um Jolen in ſeine Gewalt zu bekommen; Vater und Bruͤder ermordet, weil ſie bey einem Beſuch ihren ſuͤßen Reiz ihm nicht zum heimlichen Beyſchlafe geben wollten; Doͤr - fer und Staͤdte verbrennt, und die Einwohner als Sklaven gefangen fuͤhrt: ſo tobte in ihm die Liebe.

Ich habe bey dieſer Gelegenheit zu guter letzt nicht unterlaſſen koͤnnen, noch eine Skitze nach dieſem, Sonnenmuth der Luſt von ſich ſtrahlenden, jetzt meinem Lieblingsſtuͤcke unter allen, des tragiſchen Dichters zu entwerfen, ummir92damit eine eigne Kopie von der heroiſchen Geſtalt und dem Farneſiſchen Stier aufzubewahren.

Dieſer iſt das groͤßte Meiſterſtuͤck in Mar - mor von allen Thieren aus der Zeit der Griechen. Man kann kein natuͤrlicher Ochſenfleiſch ſehen, und Myrons Kuh war vielleicht nicht beſſer. Nur die Beine daran ſind neu, ſonſt iſt an ihm ſelbſt alles wohl erhalten. Wahrhaftige wilde Stiernatur in Stellung, Bewegung durch den ganzen herrlichen Koͤrper! beſonders ſtrotzt die Kraft wunderbar vom Hintern uͤber den Koͤnigli - chen Ruͤcken. Schoͤnes Bild von Staͤrke, um Heerden zum Preiſe davon zu tragen!

Die Skitze ſtellt den goͤttlichen Chor vor, wo Herkules und der Fluß Acheloos als Rind, beyde von Kraft geſchwellt, um Dejaniren mit einander kaͤmpfen, welche in zarter Wohlgeſtalt am fernglaͤnzenden Ufer ſitzt, und den Gatten erwartet, ſchuͤchtern wie ein Kalb von der Mut - ter fern: ob es der Sohn des Zevs ſeyn werde,oder93oder das vierfuͤßige Thier; indeß der Loͤwenwuͤr - ger, nach langem Kriege, dieſem das gewaltige Horn ausreißt.

Der erfreulichſte Genuß dieſer Werke iſt fuͤr uns verſchwunden, weil wir keine Olympi - ſchen Kaͤmpfe und Siege mehr daran ſehen. Beyde Athenienſer verherrlichen mit dieſen ho - hen Muſtern noch hier ihre Vaterſtadt; doch moͤcht ich lieber der Apollonios des Torſo ſeyn, als der Glykon des Farneſiſchen Keulenſchwin - gers.

Der ſo genannte Antinous, welcher ei - nen jungen Helden, vielleicht den Meleager vor - ſtellt, wie man aus einem andern Bilde ſchließen kann, das in Figur und Stellung aͤhnlich iſt, wo unten zu den Fuͤßen der wilde Schweinskopf ſich befindet, hat fuͤr uns unter den vier Haupt - ſtatuen die mehrſte Wirklichkeit.

Eine aͤchte griechiſche jugendliche Schoͤnheit voll geiſtigen Reizes, und ſuͤßer lieblichen Hoheit. Er94Er blickt empfindend zur Erde, als ob er ſich be - ſaͤnne, zu welchem Maͤdchen er gehen wolle; und Lippen, Stirn und Wangen und Kinn ſe - hen recht kraͤftig, zartnervig und anhaltend im Genuß aus. Die Formen am Unterleibe ſind nicht klar hervor, und er muß im Ringen noch zuſammengeſchlungen und ſeine Natur geuͤbt werden. Die Bruſt, beſonders vom rechten Arm her, ſchwillt milchig; und ich kenne nichts verfuͤhreriſchers fuͤr ein Weib zur Umfaſſung. Mit einem Wort, es iſt der ſchoͤnſte junge Menſch unter allen alten Statuen. Der Bauch allein iſt ein wenig zu flach gehalten, vielleicht verhauen.

Will man auf eine andre Weiſe lieber: ſo ſinnt der junge Held, wie er einen Kampf mit dem beſten Verſtand abmachen ſoll. Der Zug des Denkens iſt uͤber dem rechten Auge, wodurch der Knochen ſchaͤrfer hervorkoͤmmt, als bey dem linken; und das heroiſche ſitzt in der kraͤftigenStirn,95Stirn, und dem gefaßten Blick, und den Lip - pen, wo ſich das Gefuͤhl ſeiner bewußten Staͤrke oͤfnet und hervorbluͤht. Wenn er ein Zeichen haͤtte: ſo koͤnnte man ſich noch den Sohn der Maja unter ihm vorſtellen, der ſeine Geſandt - ſchaft uͤberdenkt. Es iſt ein himmliſches Bild, und erregt auf jede Art entzuͤckende Gefuͤhle; deſſen Schoͤnheiten am leichteſten und ſicherſten in die neuere Kunſt uͤberzutragen ſind*)Pouſſin hat es auch oft genug kopiert..

So wie dieſer Juͤngling am mehrſten an die Menſchheit grenzt; ſo iſt hingegen Apollo ganz Gott, und es herrſcht eine Erhabenheit durchaus, beſonders aber im Kopfe, die nieder - blitzt; goͤttliche Schoͤnheit in allem von dem nachlaͤſſig ſanftgewundnen Haare bis zu den ſchlanken behenden Schenkeln und Beinen, ihre geiſtigſte Bluͤthe, nicht die irrdiſche Fuͤlle. Stand96Stand und Blick, und Lippen voll Verachtung geben ſeine Hoheit zu erkennen. Die Augen ſind ſeelig, leicht aufzuthun und zu ſchließen, in weiten Bogen. Sein kurzer ſchlank und zart geformter Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz beſondern Art von Weſen, und gibt ihm uͤbermenſchliches.

Ein erſtaunliches Werk von Erfindung und Phantaſie! Das Problem iſt aufgeloͤſt: da ſteht ein Gott, aus der Unſichtbarkeit hergehohlt, und in weichem Marmor feſtgehalten fuͤr die Melan - choliſchen, die ihr Leben lang nach einem ſolchen Blicke ſchmachteten. Es iſt der hoͤchſte Verſtand und die hoͤchſte Klugheit mit Zornfeuer und Ue - bermacht gegen veraͤchtliches; darauf zweckt alle Bildung. Was Apollo hat, iſt ihm ei - gen, und laͤßt ſich wenig durch Nachahmen uͤbertragen.

Auch deſſen Alterthum hat man angetaſtet, und ihn zwar fuͤr keine Kopie, doch fuͤr einWerk97Werk aus der Kaiſer Zeiten halten wollen; weil der Marmor Karrariſcher zu ſeyn ſchien, welcher kurz vor dem Plinius entdeckt wurde, und kein Pariſcher, woraus die Griechen ihre mehrſten Bildſaͤulen verfertigten.

Wenn man dieſes beweiſen koͤnnte: ſo waͤr es wohl ausgemacht wahr; allein daran fehlt viel. Der Pariſche iſt nicht durchaus gleich, und man hat ſichre neuere Proben kommen laſ - ſen, die von dem Marmor des Apollo im Korn nicht unterſchieden ſind. Und ferner gibt es ſo zarten Karrariſchen, daß er mit dem beſten Pa - riſchen uͤbereinkoͤmmt. Und wo iſt der uͤbergroße Marmorkenner, der von irgend einem Stuͤcke ſagen will, gerade woher es ſey, da dieſer Stein in jedem Klima zu finden iſt? Apollo hat nicht das gelbliche Alter des Laokoon, und andrer griechiſchen Bildſaͤulen; vielleicht weil er nicht der Witterung ſo ausgeſetzt war. Er iſt augen - ſcheinlich fuͤr einen beſtimmten Platz gemacht,Ardinghello 2ter B. Gund98und das Bild thut nur Wirkung, wenn man es von der linken Seite im gehoͤrigen Standpunkt betrachtet; von der rechten ſteht er da gerade wie ein Seiltaͤnzer, ſo geſpannt, und ſein Kopf ſitzt offenbar auf der rechten Schulter, viel zu weit von der Mitte. Wenn man denſelben von ſei - ner Richtung zurecht drehte: ſo waͤr es abſcheu - lich. Aber von der linken Seite betrachtet, wohin er ſchaut: iſt es Homeriſcher Apollogang; man ſieht ihn fortſchreiten, ſieht das Geſicht ganz, und der Kopf koͤmmt in die Mitte. Ein wahrer Gott des Lichts dann, und der Muſen! Man darf ſich ihm nicht viel naͤhern; er kann keinen Flecken leiden, und man muͤßte bey ihm immer haarſcharf geſcheidt ſeyn, und vernuͤnf - tig ſich auffuͤhren: ſo erhaben iſt er uͤber die Menſchheit.

Wenn man dieß einmal gefaßt und ſeine Schoͤnheit im Ganzen genoſſen hat: ſo mag man ſich hernach doch an ihm herumdrehen, wie manwill,99will, und er bleibt ein erſtaunlich Werk von Voll - kommenheit. Er iſt zwar lauter Ideal: nichts deſtoweniger hat der Kopf Natur, die man geſe - hen hat; welches der Ausdruck noch verſtaͤrkt. Ein außerordentlicher Juͤngling gab gewiß den Stoff dazu her, und der Kuͤnſtler brachte das hoͤchſte und aͤußerſte von lebendiger Einheit hinein.

Einige ſtolze Erdenſoͤhne koͤnnen dieß be - wunderte und ſchier noch angebetete Bild nicht ohne Verdruß und Widerwillen betrachten; und behaupten: ihr Gefuͤhl empoͤre ſich allezeit, ſo oft ſie ſich das Geſicht als griechiſch denken woll - ten. Der Kopf des Perikles, und auch des Alexander habe ſchon im bloßen Portraͤt viel goͤttlichre Art von Erhabenheit; Apollo ſey da - gegen eher hager und aͤrgerlich im Ganzen, und es wittre daraus etwas von einem Roͤmiſchen Kaiſerprinzen, etwas Neroniſches, das nicht auf eigner natuͤrlicher Kraft beruhte; und dießG 2waͤre100waͤre fuͤr ſie ein andrer Beweis, als der von Marmor.

So verſchieden ſind die Meinungen der Menſchen!

Gegen ſolche Atheiſten will ich nicht predi - gen; ihr eigen Mißvergnuͤgen ſey ihnen Strafe, und der Neid an andrer Freude.

Gewiß iſt, daß das Bild verliert, weil es kein vollkommen Ganzes ausmacht, und man nicht weiß, woruͤber der Gott zuͤrnt. Haͤtt er zu einer Gruppe der Niobe gehoͤrt, wie er denn in einer erhobnen Arbeit davon in Perſon auf der einen Seite und ſeine Schweſter Diana auf der andern ihre Pfeile abdruͤcken: ſo wuͤrden die Unzufriednen mit ihm deſto mehr Mitleiden mit der ungluͤcklichen reizenden Familie haben. Doch iſt eher wahrſcheinlich, daß dem Mei - ſter der Apollo des Leontiniſchen Pythagoras vorſchwebte, welcher den Pythiſchen Drachen erlegte. Und beyden war ohne Zweifel der Ho -meri -101meriſche, von den Gipfeln des Olymp herunter, das Urbild.

Genug von dieſen Heiligthuͤmern!

Das eigentliche Kernleben der Kunſt dauert vom Perikles bis zum Tod Alexanders; das uͤbrige ſind Nachahmungen und Treib - und Ge - waͤchshaͤuſer. Wenn man bedenkt, was die Griechen binnen dieſer kurzen Zeit gethan haben, ſo ſind wir ganz todt dagegen; welch eine Men - ge von Statuen und Gemaͤhlden und Gedichten nur fuͤr ſo ein kleines Volk! Welch eine Men - ge von Helden, Philoſophen und Rednern! ſo etwas kann nur in der heiterſten Gegend der Welt bey der beſten Regierung vor ſich gehen. Lyſipp allein hat mehr Bildſaͤulen verfertigt, als alle neuere Bildhauer zuſammen; und jede zeigte den Mann von hoher Schoͤpfungskraft.

Der Kuͤnſtler von gelaͤutertem Gefuͤhl, der nicht bloß nach Brod und eitler Ehre trachtet, ſondern ſich ſelbſt genug thun will, befindet ſichG 3heut102heut zu Tag in einem Zuſtande von immerwaͤh - render Verzweiflung; er ſieht die Vollkommen - heit vor ſich, und erkennt deutlich die Unmoͤg - lichkeit, ſie zu erreichen. Und dieſe Wermuth im Herzen mildert das allgemeinſte Lob nicht. Es iſt damit nicht genug gethan, ein Bildchen einzelner ſchoͤner Natur wegzufangen! Dieß bleibt jedem Fremden, wie alles bloße Portraͤt, unverſtaͤndlich, und er kann es nicht mit Saft und Kraft genießen; vielweniger damit, daß er ein Knie, einen Unterleib, eine Bruſt[den] Al - ten wegſtiehlt, und gleichſam mit etlichen Phra - ſen aus dem Demoſthenes oder Cicero ihre Spra - che ſprechen und den großen Redner machen will: die Vollkommenheit des Nackenden vom Menſchen, als des hoͤchſten Vorwurfs der Kunſt, und ſeiner mannichfaltigen Form und Bewegung iſt unſerm Sinn von Jugend auf in der Wirk - lichkeit verhuͤllt, oder zeigt ſich ganz und gar nicht mehr in unſrer Welt.

Laß103

Laß mich frey reden! Die Kunſt hat ſo lange gedauert, als die Gymnaſien dauerten, der Tanz Spartaniſcher, Chiiſcher Jungfrauen, ihr Ringen ſelbſt mit den Maͤnnern, oͤffentliche Sitte war, und die Prieſterinnen der Liebes - goͤttin zu Athen und Korinth Religion feyerten. In Venedig iſt von dem letztern noch ein Schat - ten; und der Kuͤnſtler hat Jahr aus Jahr ein immer eine Menge friſcher neuer Modelle, Au - gen und Phantaſie wie Zeuxis zu Girgent zu weiden. Deßwegen haben auch keine andre Mahler ſolch weiblich Fleiſch wie Tizian und Paul von Verona hervorgebracht; und der Mahlerneſtor lebt an der Grenze von hun - dert Jahren, da der goͤttliche Raphael auf eigne Koſten ſein junges Leben einbuͤßen mußte.

Bey einer gothiſchen Moral kann keine an - dre als gothiſche Kunſt ſtatt finden. So lange nicht ein Sokrates mit ſeiner Schule am hellenG 4Tag104Tag uͤber die Straße zu einer neuen reizenden Buhlerin ziehen darf, um ihre Schoͤnheit in Augenſchein zu nehmen: wird es nicht anders werden. Es iſt wohl klar jedem, der Welt und keine Welt hat, daß nicht die haͤßlichen dieſe Le - bensart erwaͤhlen.

Vielleicht red ich hier bey manchem bittrer gegen die Kunſt, als Demetri in ſeiner Laune; allein gibt es eine Wirkung ohne Mittel? Die ſchulgerechten Antiquaren ſprechen berauſcht von der Venus des Praxiteles und ſeinem Liebes - gott: und mit Abſcheu von Phrynen und Ba - thyllen; wie die Thoren, die nicht wiſſen, was ſie wollen. Freylich koͤmmt bey der geringſten Unterſuchung das geheuchelte konvenzionelle Ge - ſchwaͤtz zum Vorſchein, und die innre geheime Denkungsart, wo ſich Drachen mit Tauben paa - ren. Die heiligen Katharinen ſpazieren nicht vom Wirbel bis zum Fuß nackend mit losgebund - nen Haaren vor den Mahlern herum, und keineLu -105Lukrezia laͤßt ſich ſo in der reinſten Beleuchtung allein mit[allein] von einem Pinſel - und Palett - mann in beliebige Stellung legen; und kein Kuͤnſtler kann von ſo feſtem Gletſchereis ſeyn, daß er bey Blicken von Sommerſonnen nicht ſchmelzen ſollte. Und doch wollen die ehrwuͤrdi - gen Herrn bey dem allgemeinen Menſchenver - ſtand in keinen ſolchen Verdacht der Einfalt kommen, daß ſie ſich auf die Seite der zuͤchtigen Koer ſtellten, welche die bekleidete Venus vor - zogen und kauften, da ſie die Wahl der nackten Gnidiſchen hatten, und noch bis heut zu Tage als Troͤpfe verlacht werden.

Hiermit ſehen wir das Nackende, außer dem einzelnen von Geliebten am Menſchen je - doch nur entweder frech, oder in[unregſamer] Al - bernheit; und die ſtaͤrkſte Einbildungskraft kann es nicht ſo veredeln, daß es die freye gebildete Natur des Alten haͤtte, wozu die edelſten und weiſeſten und wohlgebildeſten des Volks von je -G 5dem106dem Alter auf den Ringplaͤtzen in unaufhoͤrlicher immer neuer Abwechslung die Modelle abgaben.

Wenn wir nicht durch einen wunderbaren Umlauf der Dinge irgendwo aus unſerm unmuͤn - digen kindiſchen Weſen wieder zur reifen Menſch - heit gelangen, und die Gymnaſien der Griechen, ihre Spiele und Sitten vom neuen aufkommen: ſo wird die ehemalige Kunſt auch verloren blei - ben. Und dennoch haͤtten wir damit ihre Reli - gion noch nicht, die fruchtbare Mutter der ſchoͤn - ſten Geſtalten.

Wenn wir wenigſtens nur noch die Beklei - dung der Alten haͤtten! Bey unſrer wirklichen ſieht man meiſtens bloß den Schneider, und we - nig oder nichts von der eignen Art des Menſchen zu handeln und ſich zu bewegen, und den For - men ſeines Gewaͤchſes; und alle Schoͤnheit er - liegt und verſinkt unter den Falten und Wuͤlſten: oder wird im Gegentheil ſteif gepreßt und ge - ſchnuͤrt und mit eckichten haͤßlichen Lappen ohneZweck107Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider, den Wurf der Maͤntel und Togen koͤnnen wir an den Bildſaͤulen der Alten noch weit weniger nachahmen, als die Form der Glieder; denn uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir ſuchen uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner mahleriſcher Tracht zu helfen: aber ſie bleibt faſt immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir - kung fuͤr den, welcher Natur und Wahrheit verlangt, und iſt aller Taͤuſchung zuwider.

Und obendrein noch ſind die Kuͤnſtler weit uͤbler dran, wenn ſie den Gang der Alten ein - ſchlagen wollen, als die Philoſophen, Redner, Dichter; dieſe haben immer das unermeßliche Reich der Natur und Sprache unter den Men - ſchen vor ſich, und Geſetz und Gewohnheit hemmt ſie weit minder. Wenn einer auch an Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet, Praxiteles, Lyſipp, Zeuxis und Apelles errei - chen koͤnnte: was hat er vom nackten Menſchenin108in der Geſchichte, der heutigen Fabel, unſrer Religion vorzuſtellen, das wahrſcheinlich und natuͤrlich, nicht erkuͤnſtelt und bloß erlernter fremder Kram waͤre? Das hoͤchſte iſt eine allge - meine, ewig einerleye idealiſche Geſtalt von Mann und Weib in jedem Alter ohne Zweck und Charakter.

Nehmen wir zum Beyſpiel unſern Heiland als den Hauptvorwurf zur Auszierung unſrer Tempel! Was hat der menſchliche Koͤrper mit dem Gott der Chriſten zu ſchaffen? Welche Schoͤnheiten von Apollo, Merkur, anderm griechiſchen himmliſchen Juͤngling oder wirkli - chem Erdenſohn ſoll man, techniſch zu reden, dem ganz außerordentlichen jungen Juden an - bilden, ohne auf irgend eine Weiſe in Wider - ſpruch zu gerathen? Jede griechiſche Gottheit war nur ein Ideal einer beſondern Klaſſe menſch - licher Vollkommenheit. Sein Bild iſt lediglich ein Werk uͤbernatuͤrlichen Ausdrucks im Geſichte,und109und neue Art uͤbriger Schoͤnheit findet hier nicht ſtatt. Der Kuͤnſtler macht vor den Leiden, und ans Kreuz und beym Herunternehmen davon ei - nen richtigen ordentlichen Leib, ſonſt hat die ei - gentliche Kunſt da kein weiter Feld, hoͤhere For - men aus der Natur zu ſchoͤpfen.

An gewiſſe Theile und ihre Beſtimmung darf man gar nicht denken, und wie ſie bey an - dern Menſchen nicht umſonſt ſind, und wirken: geſchweige ſie langſam mit dem Reiz der alten Kuͤnſtler bilden. Seine Geſtalt kann alſo nie ein vollkommen freyes Ganzes, ein Werk der erſten Klaſſe werden.

Wollen wir in die griechiſche Fabel und Geſchichte uͤbergehen, und unſre Vorſtellungen daraus hernehmen: ſo erhalten wir meiſtens nur einen verwirrten Nachklang; ein wahres Echo ohne Sinn, das nur einzelne Sylben wiederhohlt. Wer iſt außerdem ſo frech eitel, daß er ſich einbil - den kann, einen beſſern Apollo als den Vatikani -ſchen,110ſchen, einen beſſern Herkules als den Torſo und Farneſiſchen, eine ſchoͤnere Juno, Venus und ſo weiter zu erkuͤnſteln, als die Alten? Und wird es nicht ekelhaft, ſie oder auch nur einzelne For - men davon immer und ewig zu kopieren, mit den angewiesnen Plaͤtzen zu ſchaͤnden? ſteht nicht faſt allemal der hohe ſtrahlende Purpurlappen laͤcherlich und aͤrgerlich fuͤr den Erfahrnen in ei - nem Harlekinsgewande?

Und doch thut es ſo weh, uns in unſrer Ar - muth und Duͤrftigkeit einzuſchraͤnken! Wir bauen gleichſam noch in den bildenden Kuͤnſten, wie zu Konſtantins und den mittlern Zeiten: ſetzen aus den zertruͤmmerten Tempeln und Pallaͤſten der zuruͤckgewichnen Erdengoͤtter die Saͤulen aller Ordnungen neben einander, und fuͤhren ein neues Mauerwerk kindiſch, verzerrt und unfoͤrmlich, ohne klare und dunkle Idee, wie es werden will, darum her und daruͤber auf, im Schweiß und der Affenfreude unſers Angeſichts.

Rom,111

Rom, Dezember.

Nacht iſt doch die ſchoͤnſte Beruhigung von Ge - ſchaͤften; wo die Phantaſie die freyeſten Fluͤge thut, und der Menſch am mehrſten ſeiner ſelbſt genießt. So raſte ich jetzt hier oben auf der Villa Medicis in meinem Zimmer. Rom ſchlaͤft; der blaue unermeßliche Aether ſchwebt daruͤber wie eine Henne uͤber ihren Kuͤchlein, und blin - kend hell Geſtirn erleuchtet ſeelig die Gegenden. Alles iſt ſtill; nur plaͤtſchern angenehm die Springbrunnen: heilige Symbole des ewigen Lebens in der Natur.

Mit der Einbildung uͤberſchau ich unter mir den alten Campus Martius in der lieblichen Dunkelheit: und mir faͤngt das Herz ſtaͤrker an zu ſchlagen, und Feuer rinnt durch meine Adern. Hier balgt ſich die Roͤmiſche Jugend auf gruͤnem Raſen herum im Schatten hoher Platanuſſe, und treibt ihre kriegeriſchen Spiele; dort ſchwim -men112men ſie durch den ſchnellen tiefwirbelnden Tyber - ſtrom, die Ufer hieben und druͤben mit ſchoͤnem Geſtraͤuch bewachſen; und in der nahen Ferne lagern ſich die Huͤgel von Monte Mario bis zu Pietro Montorio in majeſtaͤtiſchem Kreiſe, wo der Edeln Gefuͤhl mit erhebenden Schauern die Geiſter von Brutuſſen, Kamillen und Scipio - nen gegenwaͤrtig erkennt. Hier ſteigt der Son - nenobelisk empor; dort die praͤchtigen Theater vom Pompejus und Balbus, die traulichen Hal - len, runden und hohen Mauſolaͤen, feyerlichen Tempel. Die Vaͤter des Volks gehen auf und ab in den kuͤhlen Haynen, und pflegen Rath uͤber den Erdboden. Neben an prangen die ſchoͤ - nen Gaͤrten.

Ich habe heute wieder einen ſchoͤnen Tag gehabt! Es iſt ein unaufhoͤrlich Vergnuͤgen in Rom zu ſeyn; man findet immer neues, was von der Gewalt und Herrlichkeit des alten Volks zeugt, und oft einen entzuͤckt oder erſchuͤttert. Es113Es iſt eine wahre Tiefe von Menſchheit: die andern Staͤdte ſind dagegen wie erſt angepflanzt. Beſonders reizen und ruͤhren vom Kapitol an die ungeheuern Ruinen, welche die neuen Villen mit ihren Pygnen, Lorbeern, Cypreſſen, und beſtaͤndig gruͤnen Eichen ausſchmuͤcken.

Den Vormittag zog ich hier herum, und ging dem erſten Urſprung dieſer heroiſchen Re - publik nach; und gelangte von den Roſtris und dem Tempel des Romulus am Monte Palatino, gleich daneben in einem Winkel, zur Quelle der Juturna, die kryſtall hell gerade beym Anfang der Cloaca maxima aufſprudelt, und ſich dahin - ein nun ferner ungebraucht ergießt. Ich ſchoͤpf - te mit der hohlen Hand daraus, und trank und ward erquickt, und konnte nicht muͤde werden, ſie rinnen zu ſehen. Ein heiliges Plaͤtzchen, rundum verbaut und eingemauert! Die Waͤnde ſind uͤberall mit breitblaͤtterigem Epheu uͤberzo - gen und kleinem Geſtraͤuch bewachſen. ManArdinghello 2ter B. Hkennt114kennt ſie nicht mehr vor den ſtolzen Waſſer - leitungen; und gewiß war ſie doch die Haupt - urſache, warum Romulus, oder vor ihm ein junger Ausflug Griechen hier ſich anniſtete, da in den jetzigen weiten Ringmauern ſich keine an - dre Quelle befindet.

In ſchwaͤrmeriſchen Betrachtungen verloren wand ich hernach in den Farneſiſchen Gaͤrten fuͤr ſie einen Myrthenkranz mit allerley Blumen; hohlte aus der Nachbarſchaft ein Gefaͤß mit Milch und Honig, goß es in ſie aus, bekraͤnzte ſie, und ſang ihr wehmuͤthig ein kurzes Trauer - lied bey dem Opfer, das ſie Jahrtauſende nicht genoß.

Ein Zuſammenklang von lauter ruͤhrenden Gefuͤhlen wandelt ich nach Hauſe durch die drey noch uͤbrigen Triumphpforten von den ehemali - gen ſechs und dreyßigen. Ein ſolcher Freuden - bogen, ausgeziert mit den ſchoͤnſten Lebensſcenen deſſen, den man empfaͤngt, iſt doch ein ſo rechtver -115verliebter Gedanke. Herzlicher und dauerhaf - ter kann ein Volk einem Helden keine Ehre anthun.

Die Kunſt bleibt ein ſonderbares Ding; ſie ſcheint ganz ihren Weg fuͤr ſich zu gehn. Wenn man von ihrer Vortreflichkeit auf die Vortref - lichkeit der Menſchen zu gleicher Zeit ſollte ſchlie - ßen koͤnnen, und umgekehrt: welche Popanzen muͤßten die Roͤmer zu Septimius und Konſtan - tins Zeiten geweſen ſeyn gegen die unter Tra - jans? Der Kontraſt iſt gar zu poſſierlich an des chriſtlichen Kaiſers Bogen, wo die Bildhauer unter ihm zu den Wechſelbaͤlgen ſeiner Geſchich - ten die Meiſterſtuͤcke von Figuren aus einem andern zum Ruhme des Siegers von Dazien hin - eingeflickt haben. Was konnte Alexander dafuͤr, daß er keinen Homer fand bey ſeinem Leben, uͤber - haupt keinen großen Dichter, der ihn beſang?

Ferner iſt ruͤckwaͤrts gewiß, daß die Kunſt bey gleich vortreflichen Menſchen nur nach undH 2nach116nach zur Hoͤhe wuchs; ſo ſchwer iſt es, alles Lebendige vollkommen zu bilden, und nichts, was noch ruͤhrt und reizt, auszulaſſen, und da - fuͤr bloß mathematiſche Linien und Placken hin - zuſtellen. Das Ganze wird nur nach und nach gewonnen; das Individuelle lebendige gei - ſtige bleibt aber immer das, was den großen Menſchen von dem andern unterſcheidet. Und ſo kann einer zwar ein ungleich groͤßrer Kuͤnſtler als ein andrer, aber ein weit kleinrer Menſch ſeyn. So war der Jupiter und die Minerva des Phidias wahrſcheinlich erhabner als manches andre Bild, das nachher ein weit natuͤrlicher Fleiſch und mehr lebendiges in der Materie hat - te. Und darauf koͤmmts doch an, die unter - ſcheidenden weſentlichen Zuͤge von jedem Dinge beſtimmt zu faſſen, und dem Empfinder und Denker gleich darzuſtellen. Das Hauptver - gnuͤgen an einem Kunſtwerke fuͤr einen weiſen Beobachter macht immer am Ende das Herz undder117der Geiſt des Kuͤnſtlers ſelbſt, und nicht die vorgeſtellten Sachen.

Den Nachmittag ging ich nach der Rotun - da; ich hatte den Mann mit den Schluͤſſeln da - hin beſtellen laſſen, um oben hinauf zu ſteigen. Sie iſt das einzige Werk von alter Architektur, was in Rom noch ganz iſt; das vollkommenſte in ſeinen Verhaͤltniſſen, und praͤchtigſte dabey wegen ſeiner Saͤulen auf dem Erdboden; die Paulskirche erſcheint dagegen doch nur als Flickwerk.

Wenn man in die Vorhalle tritt: ſo iſt es, als ob man in das ſchoͤnſte Plaͤtzchen eines Waldes von lauter hohen herrlichen Staͤmmen kaͤme, die ein Gott zu einer Zeit gepflanzt haͤtte.

Wie breit und maͤchtig einen dann das Innre ſelbſt umfaßt und bedeckt, iſt lauter Ma - jeſtaͤt; und feyerlich ſtehen unten die Saͤulen umher, und der daͤmmernde Raum dahinter,H 3wie118wie das allerheiligſte der Gottheiten. Was dieß fuͤr eine Ruh iſt! wie einen ſo nichts ſtoͤrt! wie die Rundung mit Liebesarmen empfaͤngt, wie ein leiſer Schatten einen umgibt, ſo daß man das Gebaͤude ſelbſt nicht merkt! Oben Heiterkeit und Freyheit, und unten Schoͤnheit. Ueberall iſt der Tempel ſchoͤn und harmoniſch, man mag ſich hinwenden, wo man will; uͤberall wie die ſchoͤne Welt in ihren Kreiſen von Sonn und Mond und Sternen. Endlich ſcheint alles le - bendig zu werden, und die Kuppel ſich zu bewe - gen, wenn man an dem reinen ſuͤßen Lichte des Himmels oben durch die weite Oefnung ſich eine Zeitlang weidet. So oft ich mich ſo ins Stille hinſetze und meinem Gefuͤhl uͤberlaſſe, werd ich da entzuͤckt, wie von einem Brunnquell unter kuͤhlen Baͤumen zur heißen Zeit. Es iſt das erhabenſte Gebaͤude, das ich kenne; ſelbſt Schoͤpfung und nicht bloß Nachahmung. Die Schoͤnheit voll Majeſtaͤt ſcheint alle Barba -ren119ren von der Verwuͤſtung zuruͤckgeſchreckt zu haben.

Freylich hat man, was daran zu pluͤndern war, ohne die Mauern niederzureißen und in Schutt zu ſtuͤrzen, doch daraus und davon weg - geraubt. Es ſtand hier eine Minerva aus Gold und Elphenbein von der Hand des Phidias; und eine beruͤhmte Venus, welche die halbe Perle zum Ohrgehenke hatte, von der die andre Haͤlfte Kleopatra trank, um den Antonius im Verſchwenden zu uͤbertreffen; und die man fuͤr ſich allein auf eine halbe Million Scudi ſchaͤtzte. Konſtantin der dritte ſchleppte auch dieſe Bil - der wahrſcheinlich mit den andern ſchoͤnſten Sta - tuen nach Syrakus, ſo wie er die Silberplatten ſamt dem Bronz - und Schmelzwerk herausſchla - gen ließ, womit das Gewoͤlbe oben verziert war.

Die urſpruͤnglichen Kapitaͤler von Erz nach dem Plinius an den innern Saͤulen ſind hernachH 4wie -120wieder abgenommen worden, und mit weißem Marmor gut ergaͤnzt, der dem Giallo antico des Schaftes lieblich laͤßt. Davon ſind noch die Baſen und das Geſims; das letztre mit Strei - fen von Porphyr. Die erhaltnen aͤußern aber von Granit, wie die koloſſaliſchen Saͤulen ſelbſt gehoͤren unter die ſchoͤnſten der korinthiſchen Ord - nung, die uͤbrig ſind; und machen mit den drey freyſtehenden Saͤulen auf dem Campo Vaccino und dem Bogen des Titus*)Nebſt einigen Ueberbleibſeln in Griechenland, die damals noch nicht bekannt waren. die Muſter hierin aller neuern Baukunſt. Wo an einem Gebaͤude keine Saͤulen ſind, fehlt gewiß die edelſte, ſtaͤrk - ſte und ſchoͤnſte Form. Die korinthiſchen haben, wenn die Blaͤtter rein gearbeitet ſind, am mehr - ſten Leben und den groͤßten Reiz; und die gefug - ten, welche die Rinde nachahmen, erhoͤhen noch Natur und Leichtigkeit.

Der121

Der Plan des Ganzen iſt zirkelrund; und der Durchmeſſer davon enthaͤlt mit der Dicke der Mauern zwey hundert und funfzig Palme, und der Umfang ſieben hundert und funf und achtzig. Die Mauern betragen acht und funfzig Palme. Die Hoͤhe hat gerade die Breite des Bodens. Der Bogen innen von der außen in der beſten Proporzion viereckten Thuͤr den fuͤnften Theil dieſes Maaßes; und der Bogen gegenuͤber, jetzt vom Hauptaltar, iſt etwas groͤßer, wodurch der Eingang unmerklicher erſcheint.

In der[Antike] trugen ohne Zweifel die Ka - ryatiden, wovon Plinius ſpricht; jetzt ſind an deren ſtatt kleine platte Saͤulen ohn einigen Vorſprung mit einem Geſims daruͤber, worauf die Kuppel ruht. Man glaubt wegen der Ar - beit, daß die Veraͤnderung unter den Antoninen und dem Kaiſer Pertinax geſchah. Es muß ein paradieſiſcher Zauber an dem Auge des Himmels geweſen ſeyn! Nun iſt das ehemalige junge bluͤ -H 5hende122hende Geſicht im reizenden Schmuck gewiſſerma - ßen zur Matrone im Trauerſchleyer geworden; doch dauert die erhabne Form noch und haͤlt die Moden und Sitten aller Zeiten aus, wie wahre Schoͤnheit.

Es iſt wohl klar und augenſcheinlich, daß die Rotunda anfangs einen Theil der Baͤder des Agrippa ausmachte, gleichſam die ſtrahlende Stirn derſelben; noch ſind die Ruinen davon angemauert, und erſtrecken ſich weit dahinter. Die praͤchtige Vorhalle wurde hernach hinzuge - fuͤgt, und das Innre ausgeſchmuͤckt; und der Tempel gehoͤrte alsdenn mit dem des Jupiter Maximus auf dem Kapitol, und dem des Frie - dens unter die erſten Wundergebaͤude Roms. Agrippa wurde in einem Triumphwagen auf den Giebel an dem Porticus geſtellt, aus Erz gear - beitet; mit den zwey Loͤwen von Granit zu bey - den Seiten, und der porphyrnen Urne mit ſei - ner Aſche dazwiſchen, die jetzt noch unten vorder123der Halle ſtehen. Er ſchenkte ſeine Baͤder und Gaͤrten dem Volke mit Einkuͤnften zur Unter - haltung.

Der ſogenannte Tempel der Minerva Me - dica, eine der pittoreskeſten Ruinen bey der Porta maggiore, war eben ein ſolcher Anfang von Baͤdern; und noch eben ſo jetzt, die Kir - che des heiligen Bernhardt von den Baͤdern Dioklezians. Sie kommen in der Hauptform mit der Rotunda voͤllig uͤberein. Bey der uͤber - ſchwenglichen Pracht durften die Goͤtter nicht vergeſſen werden, und man errichtete ihnen gleichſam dieſe Wachthaͤuſer voran als Beſchuͤ - tzern. Das Pantheon war dem raͤcheriſchen Jupiter, der Ceres, und allen Goͤttern ge - widmet.

Ihre breiten Gewoͤlbe in weiten Bogen leuchten gleich beym Eintritt Erhabenheit in die Seele, die die unermeßliche Peterskirche dage - gen mit ihrem ſchmalen und engen des mittlernSchiffs124Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg als einen Bogen vom freyen ſchoͤnen geſtirnten Himmel Gottes nachahmt; weßwegen die Leute ſich verwundern, daß ſie nicht erſtaunen.

Die Roͤmer liebkoſten den Sinn des Ge - fuͤhls mit Baden, wie wir ohngefehr unſre Na - ſen mit Duͤften, und unſre Zungen mit Bruͤhen und Weinen. Sie fingen vom heißen an, und gingen alsdenn alle Grade der Waͤrme durch theils im Waſſer, theils in lauer Luft bis zum kalten: Wolluſt, die alle verſchiedne Waͤrme der Exiſtenz nachahmt, vom heißeſten Herzensge - tuͤmmel der hohen Leidenſchaften bis zur friſchen Beſonnenheit; alle Grade des phyſiſchen Ge - fuͤhls, ohne das Seelenleben, das Geiſtige: welches ſie ſich doch in gewiſſer Ruͤckſicht auch vorphantaſieren konnten, indem ihre weiblichen Schoͤnheiten ſich unter den Kaiſern, wenigſtens zuverlaͤſſig vom Domizian an, oͤffentlich nackend mit den Maͤnnern badeten. Sie ahndeten et -was125was vom Paradieſe und dem Stande der Un - ſchuld, ohne die Buͤcher Moſis geleſen zu haben. Und uͤberdieß hatten ſie gleich daneben ihre Fech - terſpiele und Ringplaͤtze.

Die Thermen in Italien entſtanden aus den Gymnaſien der Griechen; nur waren bey dieſen die Leibesuͤbungen das vornehmſte, und bey den Roͤmern das Baden. Darnach mußten ſich die Architekten in der Anlage der Gebaͤude richten.

Die Baͤder waren eigentlich der Hauptge - nuß, den die ſtolzen Enkel des Romulus und ſeiner Raͤuberbande von den Siegen ihrer Vor - fahren uͤber die Welt hatten; und die Gebaͤude dazu das hoͤchſte der Architektur, was wir mit den aͤgyptiſchen Labyrinthen und einigen Tempeln der Griechen in der Geſchichte der Menſchheit kennen. Es war da alles, was das Leben freut und angenehm macht, beyſammen. Wir koͤn - nen uns, ohngeachtet der ungeheuern Ruinen,wenig126wenig davon vorſtellen, weil uns dieſe Gattung Genuß ganz entruͤckt iſt. Wenn wir ein halbes Saͤculum alter Roͤmer und Roͤmerinnen der er - ſten Jahrhunderte erwecken koͤnnten: ſo wuͤrden ſie ſich aus Ekel, langer Weile und Verzweif - lung uͤber das heutige Elend binnen wenig Tagen aufhenken.

Das Dachgewoͤlbe der Rotunda, mit ſtar - kem Bley gedeckt, iſt, wie ſchon geſagt, aͤußerſt flach gehalten; man ſteigt zur weiten Oefnung auf wenig großen Stufen; rundum aber laufen an die vierzig kleinere im Kreiſe. Wenn man hinein ſchaut, koͤmmt das Innre einem vor, wie ein runder hoher Thurm.

Als ich oben ſtand, mich umſah, und die verkleinerten Leute auf den Straßen betrachtete: wurd ich den Demetri gewahr, und rief ihm zu, herauf zu kommen; welches er auch gleich that.

Demetri iſt ein wackrer Mann, viel Kern mit wenig Schaale; der Menſch iſt bey ihmrecht127recht durchgearbeitet und ins Reine gebracht. Er herrſcht in Rom uͤber die Geiſter, mehr als irgend ein andrer; genießt hohe Gluͤckſeeligkeit, und iſt der Leithammel von einer Menge jungen Leuten. Unter dieſen hab ich nicht wenig gefun - den voll Lebensmuth und den groͤßten Faͤhigkei - ten, genaue Bekanntſchaft mit ihnen errichtet, und unbeſchreiblich Vergnuͤgen in ihrem Umgan - ge genoſſen. Wie jammerts mich, daß ſo viel herrliche Kraft wegen ſchlechter Regierungsver - faſſung ungenutzt verſauren ſoll!

Im Neugriechiſchen bin ich bey ihm noch ſehr gewachſen. Auch hat er mir manche dunkle Stelle der griechiſchen dramatiſchen Dichter, be - ſonders in den Choͤren, ins klarſte Licht geſetzt; und meiſterhaften Unterricht uͤber den unendli - chen Reiz ihrer Sylbenmaaße gegeben. Bey ſeinem Brodgeſchaͤfte mit alten Handſchriften ſind ihm eine Menge beßrer Lesarten aufgeſto - ßen; und er koͤnnte wie ein andrer Herkules dieAldi -128Aldiniſchen und Juntiſchen Ausgaben ausmiſten, wenn ihm der Sylbenkrieg am Herzen laͤge.

Ueberhaupt aber haͤlt er Ruhm fuͤr ein nothwendig Uebel, wobey man leicht ſelbſt zur Bildſaͤule auf dem Markte werden, und ſich end - lich faſt nicht mehr regen und bewegen koͤnne. Wirken, frey und maͤchtig handeln nach Art ſei - ner Natur! Dieß ſey die allererſte und urſpruͤng - lichſte Gluͤckſeeligkeit. Der Kernmenſch gebrau - che Ruhm als Huͤlfstruppen; und ſtoße den einen von ſich, wenn es ſeyn muͤßte, ſo bald er in eine andre Sphaͤre ſchreite.

Nur einen Fehler kenn ich an ihm; und die - ſer iſt, daß er in dem heilloſen Labyrinthe der Me - taphyſik herumkreuzt. Du ſollſt hier in der Un - terredung mit mir eine ſtarke Probe davon ſehen, obgleich ihn noch nicht in ſeinem ganzen Weſen; weil er ſich nach mir richten mußte, der ich hier - in bloß meiner eignen Vernunft folge, ohne mich mit[andrer] Hypotheſen viel zu plagen. Wenner129er muthwillig iſt, ſpricht er keinen Tag wie den andern. Mich trieb er vorzuͤglich nur in dem an - gegebnen Syſtem herum; und ſagte zuweilen ver - wirrte hochtrabende Dinge, um auszuweichen, oder vorzubereiten, und zu ſehen, was ich damit anfing. Wenig Auserwaͤhlten reicht er auf die letzt den Faden der Ariadne, den er andern, wegen der heiligen Inquiſizion, bedaͤchtlich zu verbergen weiß, die ihm die einzige eſoteriſche Philoſophie vielleicht der alten Kirche bald mit langſamer Gluth ausbraten wuͤrde; an deſſen Sicherheit er aber ſelbſt noch ſcheint zu zweifeln.

Vielleicht macht dir eine und die andre ko - miſch ernſthafte Behauptung gerade das mehrſte Vergnuͤgen; da du wohl weißt, daß man hier nur meinen kann, weil unſre Sinnen nicht bis dahin dringen.

Jetzt iſt wenig hier zu ſchauen, ſprach er, wie er zu mir kam; aber zu mancher andern Zeit moͤcht ich da geſtanden haben!

Ardinghello 2ter B. JWir130

Wir ſetzten und legten uns bald in die Sonne, die das Dach angenehm erwaͤrmt hatte; und ſagten erſt dieſes und jenes uͤber alte und neuere Architektur. Der Schluß war, daß der Zweck, der vom Plan und den großen Maſſen an, bis aufs geringſte Einzelne und die Verzie - rungen, aus allem rein hervorleuchte, die alten von den neuern Gebaͤuden unterſcheide; wo oft bloße nachgeahmte Kunſt und leere Schoͤn - heit ſey, auch bey den beſten, ſonder Abſicht und Nutzen. Uebrigens ließen wir doch dem Bra - mante, Antonio da San Gallo, Michel Angelo, Palladio, und den andern großen Mei - ſtern ihr gebuͤhrend Lob voͤllig angedeyhen; und waren der Meinung, daß kein alter Architekt vielleicht einen heroiſchern Pallaſt dem Caͤſar, als der Pallaſt Farneſe, und einen lieblichern glaͤnzendern der Kleopatra, als der Pallaſt von Cornaro zu Venedig wuͤrde haben erbauen koͤnnen.

Bey131

Bey unſern Kirchen, fuͤgte Demetri hin - zu, worauf wir das mehrſte wenden, haben wir die reizende Mannichfaltigkeit nicht der Alten; Tempel des Jupiter, Apollo, Mars, Bacchus: Tempel der Juno, Pallas, Diana, Venus. Jeder machte ein eigen Ganzes in Plan, Verzie - rung und Ausſchmuͤckung, und Gegend.

Die Meiſter ſollten ſich mehr nach den Hei - ligen richten, verſetzt ich, denen die Kirchen ge - weyht werden. Der Pabſt, welcher die Rotun - da hier allen Heiligen einweyhte, ſo wie ſie ehe - mals allen Goͤttern geweyht war, ſcheint ſo et - was im Sinne gehabt zu haben.

Es iſt doch ſonderbar, entfuhr mir hierbey, daß die Griechen, das aufgeheiterte Volk, ſich mit den Fabeln uͤber die Gottheit ſo ernſthaft, und zuweilen ſo aberglaͤubiſch grauſam beſchaͤf - tigen konnten; da ſie, der vielen andern Weiſen nicht zu gedenken, einen Anaxagoras hatten.

J 2 Grau -132

Grauſam, verſetzt er, ſind ſie in Verglei - chung mit uns zu ihren guten Zeiten nur wenige - mal geweſen. Und dann laſſen ſich Meinungen, wo nicht offenbare Widerſpruͤche ſind, und das Gewiſſe tief verborgen ſteckt, nicht ſo leicht weg - arbeiten. Es haͤlt bey den ausgemachteſten Dingen ſchwer, den großen Haufen unter einen Hut zu bringen, wenn er ſich mit eingewur - zelten Vorurtheilen dagegen ſtraͤubt; geſchweige bey ſpekulativen Saͤtzen die freyeſte Nazion.

Mit den griechiſchen Gottheiten ging es gewiſſermaßen wie mit vielen Woͤrtern in jeder Sprache; wir haben einen deutlichen oder dun - keln Sinn dabey, wiſſen aber ihren erſten Ur - ſprung nicht, und wo ſie herſtammen; und jene waren ſchon vor Moſen und den Propheten in der aͤgyptiſchen Zeittiefe, ehe noch ein Trismegiſt unter den Sterblichen die Buchſtaben erfand. Homer hat damit ſeine Iliade ausgeziert, wie mit Edelſteinen, Gold und Perlen; und zuwei -len133len lauter Schmuck gemacht, wie den Kampf des Skamander mit dem Vulkan.

Religion wurde, duͤnkt mich, in der buͤr - gerlichen Geſellſchaft zuerſt beſtimmt eingefuͤhrt, um den Streit uͤber verſchiedne Verehrung der Gottheit bey Familien zu verhuͤten*)Religion ſelbſt koͤmmt nach dem Cicero her von relegere, dem fleißigen Leſen deſſen, was uͤber den Goͤtterdienſt war feſtgeſetzt wor - den. Die dieß thaten, hießen religioſi. . Jeder Staat oder Geſetzgeber ergriff eine Parthey der Ordnung wegen; und ließ andern Republiken und Selbſtkoͤpfen natuͤrlicher Weiſe ihre Frey - heit, uͤber das Weltall zu denken, was ſie woll - ten, wenn ſie nicht mit Fackel und Schwert ſei - ne Verfaſſung ſtoͤrten.

Bey den Griechen mußt es einer ſehr arg machen, wenn Richter und Volk Meinungen dagegen ahnden ſollten. Was hat nur Ariſto -J 3pha -134phanes nicht fuͤr Witz uͤber die Goͤtter ausgegoſ - ſen? Wir im heiligen Rom erſchrecken noch nach Jahrtauſenden uͤber ſeinen Muthwillen, wenn wir uns einmal mit der Phantaſie in deſſen Zei - ten gedacht haben. Das Scherzen uͤber die Be - wohner des Olymp mochten die Griechen, ſcheint es, ſehr wohl leiden; nur durfte ſie einer nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollen, und als Schwaͤrmer deren Bildſaͤulen zerſchlagen; ohne ihnen dafuͤr andre Freuden, andern Zeit - vertreib zu gewaͤhren. Jeder begriff an ſich ſelbſt, daß ſich das Gefuͤhl der Wahrheit und Falſchheit nicht ſo ganz baͤndigen laͤßt, wenn man den Buͤrger nicht als bloßen Sklaven haben will. Buͤrgerliche Ordnung ſoll nur Gewaltthaͤtigkeit hemmen, und nicht den freyen Gebrauch der Seelenkraͤfte: ſonſt bleibt der Menſch nicht Menſch mehr, und wird zum Thier der Heerde; verliert ſeine eigenthuͤmliche Gluͤckſeeligkeit und allen Wetteifer, wie wir in den tyranniſchenStaa -135Staaten ſehen, wo die Natur auch ihre geiſtig - ſten Gaben am reichlichſten ausſpendet, in den Gefielden der Wahrheit und Schoͤnheit nach Luſt immer weiter zu ſchreiten, und hienieden die hoͤchſten Gipfel zu erſteigen, wo er Meer und Land uͤberſchaut.

Die mehrſten Streitigkeiten uͤber Gott kommen davon her, daß Layen ſelten wiſſen, was ſie wollen; und Philoſophen meiſtens fuͤr den eingefuͤhrten Glauben, ſeys unter Heiden, Juden, Chriſten, ſich von ihm ein Ideal bil - den, und ihn nicht annehmen und zu ergruͤnden ſuchen, wie er in Natur ſich befindet; als ob er ſich bey der Menge veraͤchtlich machte, wenn er waͤre, was er iſt.

Anaxagoras unter den Griechen gab mit ſeinem Verſtandweſen fuͤr die folgenden Zeiten hauptſaͤchlich dazu Anlaß. Das Syſtem des Lehrers des Perikles und Euripides hat durch ihr ſinnliches und gluͤckliches Zeitalter geherrſcht,J 4trotz136trotz den Schulwidrigen Behauptungen vielleicht groͤßrer Scheidekuͤnſtler, erhielt ſich bis in die chriſtlichen Jahrhunderte, und herrſcht gewiſſer - maßen truͤb und dunkel wieder jetzt, obgleich die erſte Quelle nun unbekannt geworden iſt. Er ſtattete eine Weltſeele, die alle Materie der Ele - mente durchdringt, und uͤber ſie Gewalt hat, in dem in der Erde ſteckendſten Wurm und himmel - hoͤchſten Adler dieſelbe*)Seine Lehre findet man kurz beyſammen in folgenden Worten des Plato:την των αλλων απαντων φυσιν, ου πιςευεις Αναξαγορᾳ, νουν και ψυχην ειναι την διακοσμουσαν και εχουσαν. (Kratylos. ).

Sokrates verwarf alles Syſtem, ahnde - te nur, und betete an in heiligem Stillſchweigen nach ſeinem tiefſten Forſchen; verehrte uͤbrigens die Gottheit nach den Landesgeſetzen unter man - cherley Namen, ohne ſie naͤher zu beſtimmen; und rieth ſeinen Freunden daſſelbe.

Dem137

Dem Plato, Ariſtoteles, und andern Denkern aber war damit wenig gedient, und ſie gingen ſo weit, als ſie nur vermochten. Jener ſprach uͤber den allgemeinen Verſtand in erhab - nen Dichtungen; und der kuͤhne Titan von Sta - gira belagerte regelmaͤßig endlich nach den fein - ſten Erfindungen der ſcharfſinnigſten Taktik; und ſeine Anhaͤnger behaupten, er ſey in die innerſte Feſtung eingedrungen. Darauf und daran muß der herrliche, der in ſo vielem andern an der Spitze der Menſchheit ſtand, gewiß geweſen ſeyn.

Plato ſchreibt noch am Ende ſeiner Tage den Geſtirnen den hoͤchſten Verſtand zu. An - fangs bedacht er ſich lang uͤber die Sonne; und konnte nur damit nicht ins Reine kommen, wie wir lebten, und ſo hell im Geiſte ſaͤhen, wann ſie unterginge und es Nacht waͤre*)Sieh eben ſeinen Kratylos.. DaßJ 5alles138alles Lebendige erfrieren, zu todten Klumpen er - ſtarren muͤßte, wenn nichts von ihren Strahlen zuruͤckbliebe, wird ihm wohl einmal im Winter die Bedenklichkeit gehoben haben. Vielleicht ſchloß er gar noch ferner, daß alles Licht und al - les Feuer und alle Waͤrme auf unſerm kleinen Erdboden bloß in Materie gefahrne Strahlen der goͤttlichen und der Geſtirne ſind, die jene, von nichts gehemmt, durchdringen, regen, rich - ten; woher alles einzelne Lebendige denn Bil - dung, Form, und ſein Recht hat; bis ſie wie - der von andern aufgenommen werden, oder ſich ſelbſt abſondern in Ruͤckerinnerung der alten uͤberſchwenglichen Wonne; und daß die Maſ - ſen und Koͤrper, die deren am mehrſten enthal - ten, die lebendigſten ſind. Wenigſtens iſt dieß der Grundſtoff zu ſeinem glaͤnzenden theologi - ſchen Syſtem, woruͤber Julian noch abtruͤn - nig wurde.

Ue -139

Ueberhaupt hielten die mehrſten alten Phi - loſophen das Feuer fuͤr das goͤttlichſte in der Natur.

Die großen Dichter dieſer hohen Zeiten fuͤr die Menſchheit, fiel ich ein, hatten um eine Stufe natuͤrlichre Metaphyſik, und nahmen das ſinnlichre und naͤhere. Sie meinten, wir ſchoͤpf - ten die bewegende Kraft mit dem Athem, und ſie ſey in der Luft befindlich, und nannten ſie Zevs, nach dem woͤrtlichen Sinne, wodurch ſie lebten; und einige Philoſophen ſchlugen ſich zu ihrer Parthey.

Sophokles ſagt: Zevs, der alles faßt, in alles dringt, uns naͤher verwandt iſt, als Vater, Mutter, Bruder, Schweſter. Und an ei - nem andern Orte: welcher Menſchen Uebermuth, o Zevs, hemmt deine Macht, die der uralte Schlaf nicht ergreift, und die unermuͤdlichen Monden! Unalternd durch der Jahre Wechſel nimſt du Herrſcher den ſtrahlenden Glanz vomOlymp140Olymp ein; dir iſt der Augenblick, die Zukunft, und Vergangenheit unterthan.

Und Euripides ſagt gerade zu: Siehſt du uͤber und um uns den unermeßlichen Ae - ther, der die Erde mit friſchen Armen rund um - pfaͤngt? Das iſt Gott!

Und Ariſtophanes, ſein Antagoniſt, ruft eben ſo aus: Unſer Vater Aether, heiligſter, aller Lebengeber!

Und Pindar ging ſchon vorher noch wei - ter, und ſingt ſtolz in lyriſcher Begeiſtrung: Eins das Geſchlecht der Menſchen! Eins das der Goͤtter! Alle beyde athmen von Einer Mutter.

Nach der aͤlteſten Meinung ſeines Volks glaubte Thales das Goͤttliche im Waſſer zu fin - den, weil alles Lebendige ſich davon naͤhrt, und aller Saame feucht iſt. Die Erde aber blieb im - mer nur Pflanzſtaͤtte, die das Himmliſche durch Wind und Regen empfaͤngt, und Thiere undderen141deren Nahrung damit gebiert; obgleich Mutter aller, ſelbſt ohne Geiſt und Leben. Manche hielten ſie nicht einmal fuͤr Element, ſondern wie Heſiodos nur erſten Koͤrper.

Alles kehrte zuruͤck, wo es herkam; was von der Erde entſproß, zur Erde: das Himmli - ſche wieder in die luſtſchwebenden aͤtheriſchen Zaͤrtlichkeiten.

Doch, geſtehen wir es nur, wir tappen damit noch in Nacht und Ungewißheit! wie die Alten ſelbſt; von denen nur einer mehr oder weniger als der andre dreuſt war mit ſeinen Be - hauptungen. Ein beſtimmtes deutliches Syſtem hieruͤber darf man bey keinem Sterblichen ſu - chen; die groͤßten Weiſen haben fuͤr ſich keins gehabt, und nicht klar geſehen, wie kein Menſch die ganze Welt klar durchſchauen kann. Sie nahmen gewiſſe Saͤtze an, und bauten darauf hin; und wurden immerwaͤhrend von der Natur wieder in Verwirrung geſetzt.

Ei -142

Eines jeden Gefuͤhl muß ihm ſagen, daß er etwas getrenntes von einem Ganzen iſt, und daß er ſucht, ſich wieder mit demſelben zu verei - nigen. Als Menſchen ſuchen wir dieß am erſten bey andern Menſchen zu bewerkſtelligen: die Natur leitet den Mann zum Weibe, und das Weib zum Manne. Beyde finden alsdenn doch noch nicht dieß in ſich allein, und ſuchen ihr Ganzes bey mehrern ihres Gleichen. Wo dieſer Trieb lauter wirkt: die gluͤckſeeligſte Republik. Aber auch hier wird der Menſch endlich ſeine freye Vollkommenheit, ſein Ganzes nicht finden. Es iſt alſo klar, daß uns entweder der Tod mit dieſem vereinigt, oder doch naͤhert; oder nach mancher - ley Durchwanderungen von Koͤrpern wieder da - hin bringen muß. Aus dieſem Gefuͤhl ſtirbt ei - ne Alkeſte fuͤr ihren Gatten, als der minder edle Theil des Ganzen; und uͤbergibt ſich ein Regu - lus freywillig Schmach und Leiden. Aus dieſem Grunde ſieht man mehrere Menſchen, jedenſchier143ſchier von demſelben Schlag und Gehalt, zuſam - men fuͤr verſtaͤndiger an, und ein ganzes Volk fuͤr die klare ausgemachte Weisheit; und wir koͤnnen oft mit der ſicherſten Gewißheit von dem Gegentheil und dem ſtaͤrkſten Vorſatz nicht auf gegen die Macht der Taͤuſchung.

O wie lieb ich das, rief Demetri mir mit lebendigern Augen froh laͤchelnd zu, wenn ſo ei - ner aus dem andern Funken ſchlaͤgt! O koͤnnten wir uns Licht machen, und einander einen Pha - ros anzuͤnden in dieſem naͤchtlichen Meere, wo Boreas und Suͤd und Oſt und Weſt verſchiedner Meinungen ſtuͤrmiſch ungeſtuͤme Wogen waͤl - zen! wenigſtens einer den andern wie ein noch ſcheues edles Roß vor den fuͤrchterlichen Ein - bildungen auf allen Seiten herumfuͤhren.

Welches der Koͤnig der Elemente iſt: Luft oder Feuer? waͤr alſo der Streit bey den griechiſchen Dichtern und Philoſophen. Um das Hoͤchſte und Edelſte zu ſeyn, muß er die Maſſenaller144aller andern durchdringen, Gewalt daruͤber ha - ben; ſie an ſich ketten, und nach ſeiner eignen Natur formen, und bewegen. Nach dieſem Grundſatze wuͤrden die Dichter wohl den Philo - ſophen nachgeben, und alle lebendige Weſen eine Art von Flamme ſeyn; Feuer ſo uͤber Luft, wie Bewegung des Lichts gegen Schall.

Auch war das Weſentliche zwey der aͤlte - ſten Religionen des menſchlichen Geſchlechts in der Mitte der zwey groͤßten Welttheile, Aſien und Amerika, Verehrung der Sonne und des Feuers; und ihre Frommen bemitleideten die ſo mit geiſtiger Blindheit geſchlagnen, daß ſie in Finſterniß nach Geſpenſtern herum - tappen, vom Lichte der Natur, durch alle Himmel daſſelbe, lieblich und freundlich und er - waͤrmend hell lebendig umſtrahlt. Selbſt in Rom, da edle Weisheit und Tapferkeit in ſeinem Senate noch den Erdboden regierte, bewahrten jungfraͤu - liche Haͤnde deſſen Gluth als das allerheiligſte.

Laſ -145

Laſſen wir aber auch noch einen Prieſter des Zevs mit ſeinem Pomp in dieſe Verſamm - lung treten, und die Religion ſeines Volks behaupten; weil wir einmal im erfreulichen Schwaͤrmen der Phantaſie daruͤber ſind.

Thoren ihr alle! ruft er aus; die Welt macht nur ein Ganzes, und ihr haltet euch an den Theil. Alle verſchiedne Urweſen in der Natur ſind goͤttlich, jedes ſo ewig als das andre, und keins kann von dem andern herkommen und geworden ſeyn.

Rein abgeſondert nennen wir ſie Ele - mente; unter einander vermengt, fuͤr uns oh - ne Ordnung und Schoͤnheit, nennen wir ſie Materie.

Wie alle dieſe Kraͤfte zuſammengekom - men ſind, ſich verbinden und ſcheiden, und al - lerley Erſcheinungen hervorbringen, hat noch kein menſchlicher Kopf fuͤr Sinn und Verſtand erklaͤrt.

Ardinghello 2ter B. K Thun146

Thun wir den aͤußerſten Flug menſchlicher Einbildungskraft, und nehmen Anfang an, wo es nur immer moͤglich iſt.

Stellt euch das Chaos vor, das alle Goͤt - ter, Menſchen, Thiere, Metalle und Steine gebahr, wie einen unermeßlichen heißen Nebel im unendlichen Raume, worin Sonnen und Planeten noch zerſtaͤubt ſchwimmen mit den Mee - ren, Erden und Luͤften!

Es begann die Zeit: Feuer und Luͤfte, und Waſſer und Erden ſchieden ſich, und ein gleichartiges Weſen geſellte ſich ſeiner ewigen Natur nach zu dem andern. Die jungen Son - nen waͤlzten ſich und wuchſen, bis jede ſich aus ihrer Sphaͤre, gleich ewigen blendenden Gewit - tern von lauter Blitzen und Wetterſtrahlen (wo - von wir an unſern Wolken zuweilen nur winzige dunkle Schatten ſehen) zuſammengeſammelt hat - te, und beſaͤeten die Himmel. Die groͤbern Maſſen ſanken unter, jede nach ihrem verſchied -nen147nen Grade; und machen nun die Planeten aus, die immer ſchwebend herumtanzen, ſich wieder mit dem holden Lichte zu vereinigen, aber wegen ihrer Schweere nicht zum Anflug gelangen.

Und die Liebe ward gebohren, der ſuͤße Genuß aller Naturen fuͤr einander, der ſchoͤnſte, aͤlteſte und juͤngſte der Goͤtter, von Uranien der glaͤnzenden Jungfrau, deren Zauberguͤrtel das Weltall in tobendem Entzuͤcken zuſammenhaͤlt. Und alle lebendigen Geſchoͤpfe erhaſchten in die - ſem Getuͤmmel ihren Anfang; und vermehren ſich nach alter Art immer wieder aus einem klei - nen neuen Chaos von Elementen, nach An - zahl, Maaß und Form der erſten Zuſammen - ſetzung.

Das Element, das alles fuͤllt, das ſich am freyeſten und ungebundeſten durch das Uner - meßliche breitet, ohne welches nichts beſtehen kann, was lebt, ſelbſt das Feuer nicht, iſt die Luft. Wir Trismegiſten und Orpheuſſe gabenK 2ihm148ihm den Namen Zevs; und ſtellten dieſen den Voͤlkern in Wolken auf einem Donnerwagen mit dem flammichten zackichten Keil voll furchtbarer Majeſtaͤt als deſſen Regenten vor; weil ſie nicht bis zu dem Unſichtbaren gelangen, und Geſtalt fuͤr den Sinn haben muͤſſen.

Sein erſtgebohrner Sohn, Licht und Feuer, iſt Apollo, der Sonnengott.

Der Beherrſcher der Waſſer, Zevs Bru - der, Neptun.

Den Erden, den Sammlungen unzehlba - rer andrer Elemente, ſetzten wir das Heer der uͤbrigen Goͤtter vor; und ertheilten dem dritten Bruder Pluto in den Unterwelten den hoͤchſten Scepter.

Eure Großvaͤter, die Pythagoraſſe und Homere, haben hernach unſre kuͤhnen großen Erfindungen angenehm und lieblich und erfreu - lich ausgearbeitet, und die Phidiaſſe und Poly - klete denſelben das Siegel aufgedruͤckt. Und ſowaren149waren die Urkraͤfte der Natur fuͤr die Phantaſie geordnet, und jeder von ihren Lieblingskindern, den Menſchen, ſchoͤne Tempel aufgeſtellt.

Verwundert euch nicht, Freund, fuhr De - metri fort, uͤber die Aſtronomiſchen Ketzereyen, die ich meinen Prieſter ſagen laſſe! Es wird eine Zeit kommen, und nach der Freyheit, womit die großen Geiſter ſchon anfangen, ihre Fluͤgel zu ſchwingen, kann ſie nicht mehr fern ſeyn, wo die Sonne und die Fixſterne auch bey den Menſchen ihren erhabnen Poſten behaupten werden, wie in der Natur, und unſre kleine Erde mit den andern Planeten um ihre Lebendigmacherinn herumrollen wird*)Das Syſtem des Preußen Kopernikus wurde am ſpaͤteſten im Kirchenſtaate ange - nommen; und Galilei war zu dieſer Zeit kaum gebohren. Man kann das folgende fuͤr eine Prophezeyhung auf ihn halten.; es wird die Zeit kommen,K 3wo150wo der kleinſte Nebelſtern Sonne ſeyn wird, und ein hellerer Morgen in unſern Kerker ein - brechen; bis wir uns endlich alle Bande ab - ſtreiffen, und des ewigen Daſeyns, unſers Ei - genthums, als aͤchte Kinder Gottes genießen, in unausſprechlicher Wonne, ſonder Grauſen vor den armſeeligen Schreckwoͤrtern Tod und Zerſtoͤrung.

Es war beſſer, daß Millionen Sonnen ſind, um nur Zahl zu nennen, als eine, die zu ungeheuer geweſen ſeyn wuͤrde! Die Billionen Planeten haͤtten ſich zu oft darum her einander verfinſtert, und die raſende Maſſe von Feuer ſie verzehrt.

Alles Weſen beſteht aus unergruͤndlich Klei - nem. Was unendlich klein iſt, kann nur we - nig Kraft und Bewegung haben. Um freyer und gewaltiger zu ſeyn, paart es ſich mit ſeines gleichen, und vermehrt ſich bis zu Sonnen und Planetenſphaͤren, die ſich durch die Himmelwaͤl -151waͤlzen, und ſchweben fuͤr uns in unbegreiflicher Fuͤlle von Wonne; paart ſich mit ſeines gleichem und anderm, was es wie zum Fuhrwerk, oder gleichſam Reitthier brauchen kann. Und dieß hats auch wieder gut, indem es an der Luſt des edlern Theil nimmt, und fuͤr ſeinen Dienſt reich - lich verſorgt wird.

Das Zuſammengeſetzte aber aus Verſchied - nem iſt in Betrachtung des Einfachen eine wahre Kleinigkeit. Was ſind alle Voͤgel, Thiere und Fiſche gegen die unermeßliche Luft, das blenden - de Gewimmel der Geſtirne, und gegen Meere und Erden in ihrer urſpruͤnglichen Reinheit? Zuſammengerottete winzige Sonderlinge! Die großen Maſſen allein leben und ſchweben in ewi - ger angeſtammter Wonne und Gluͤckſeeligkeit: nur wir Heterogenen leiden und ſind elend, und plagen uns mit unſrer Erhaltung; immer in der jaͤmmerlichen Furcht zu vergehen. Mitteldin - ger zwiſchen Seyn und Nichtſeyn! Zuſammen -K 4ge -152geballte Grenzen des Verſchiednen! Die ſich mit Traͤumen plagen, und ihre eigentliche Natur nicht finden koͤnnen; und auf das kranke Ge - winſel zerruͤtteter Kreaturen horchen, da uns das ewige Licht in die Augen blitzt, Meere in die Ohren rauſchen, und alles augenblicklich in uns ſtrebt, ſich mit dem großen Maͤchtigen wie - der zu vereinigen.

Die Thoren glauben, ſie kaͤmen einmal in eine ganz andre Welt, wo keine Sonne waͤre, weder Mond noch Sterne, noch Meer und Land, wie bey uns; und ſie haͤtten vielleicht dort doppelte goldne Huͤften, wie hier nur eine Py - thagoras hatte.

Unſre Philoſophen nehmen ſich ſehr in Acht, wenn ſie von Seele reden, auf Erde, Waſſer, Luft und Feuer zu kommen; vermuthlich, um ſich nichts zu vergeben. Nicht alſo die Griechen! Wir zucken die Achſeln deßwegen uͤber ſie? je er - habner der Mann, deſto eher der Kinder Spott!

Deme -153

Demetris Wangen wurden roͤther in dieſem lyriſchen[Taumel]; ich rief ihm zu: Maͤßigt eu - ren Schwung, wenn ich nachfolgen ſoll!

Etwas beſonders, Adler oder Menſch, und zum Beyſpiel Alexander zu ſeyn nach gewon - nenen Schlachten, fuͤgt ich leiſe hinzu, macht doch auch große Freude, und koͤmmt einem an - genehmer vor, als wenn man ſich zu unendlich kleinen Theilchen von Erde, Luft, und Waſſer und Feuer denkt. Jedes einzelne Weſen wird ſeine Exiſtenz bloß durch andre gewahr; je reiner es ſich damit vereinigt: deſto groͤßer wahrſchein - lich ſeine Gluͤckſeeligkeit. Alles in der Natur ſtrebt deßwegen, ſich in andres zu verbrei - ten.

Demetri. Bey ſolchem Einfachen gibts kein Theilchen; jedes, wenn man ſich es auch denkt, gehoͤrt ſo zum Ganzen, daß das Ganze zuſammengenommen nichts beſſers iſt. Das Theilchen iſt wie das Ganze, und das GanzeK 5wie154wie das Theilchen; eins wirkt und regt ſich wie das andre, jedes Gefuͤhl blitzt durch das ganze All. Was das eine angeht, das geht auch das andre an; es iſt eins ſo maͤchtig, ſo ungeheuer und unermeßlich groß, wenn man eine ſolche Groͤße[annehmen] will, wie das andre. Die Mee - re und Tiefen von urſpruͤnglichen Elementen ſind es, woraus wir immer neu ſtroͤmen und zuſam - menrollen; und unſre Urnatur iſt unendlich goͤttlicher und erhabner, als das augenblicklich zuſammengeballte Eins verſchiedner Kraͤfte; nach dem hohen Plato nur eine Stockung im unſterb - lichen Fluſſe der Gluͤckſeeligkeit.

Ardinghello. Aber daß etwas ſeyn muß, was das Weltall zuſammenhaͤlt, iſt wohl klar genug! eine unbekannte Urſache an und fuͤr ſich, doch bekannt in ihren Wirkungen; ein Weſen, das die andern Elemente zuſammenbaͤndigt von ihrem Schlafe zum Leben, zur Exiſtenz, zur Har - monie und Einheit.

Wenn155

Wenn ich meinen Koͤrper betrachte, und bedenke, daß ich ihn ſelbſt ſoll zuſammengearbei - tet und gebildet haben, und doch nichts davon weiß; oder welches einerley iſt, daß das erſte Menſchenpaar dieß ſoll gethan haben: ſo duͤnkt mir augenſcheinlich, daß ich nicht von mir ſelbſt abhange, und daß eine unbekannte Urſach im Spiel iſt. Anfang und Ende iſt fuͤr keines Menſchen Kopf; und eben ſo unbegreiflich, wie verſchiednes ein lebendiges Eins macht. Unſre offenbare Willkuͤhr, der vorher beſtimmte End - zweck aller unſrer Sinnen zum Beyſpiel, das Forterhalten der Gattungen, bleibt unerklaͤrlich, und uͤberſteigt die feinſte Philoſophie.

Demetri. Vielleicht wird ſich dieß noch aufhuͤllen.

Wir erkennen uns bloß als Zuſammenſe - tzung, als Wirkung und nicht als Urſache. Bey uns iſt ſie mit unſerm Verſtand eins, und es fin - det da kein Gezweytes ſtatt; bey andern Dingenlaͤßt156laͤßt ſie vielleicht den Sonnenſtrahl, ſo wie ihn unſer grobes Auge blickt, nicht in ihre Verbor - genheit. Rein, exiſtiert ſie bloß in ihrer ur - ſpruͤnglichen Vortreflichkeit, ſchwebt im Ge - nuß ihrer ſelbſt: und vermiſcht, erkennt ſie nur die Vermiſchung.

Liebe und Krieg iſt ewig auf den Grenzen verſchiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schoͤnheit, und wie die Namen alle lau - ten. Wie Kinder ſcheuen wir Tod und Verge - hen; wir wuͤrden bey beſtaͤndiger Dauer in im - mer einerley Zuſammenſetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unſrer kleinen Eingeſchraͤnktheit. Die Natur hat ſich aus eig - nen Grundtrieben dieß Spiel von Werden und Aufloͤſen ſo zubereitet, um immer in neuen Ge - fuͤhlen ſeelig fortzuſchweben; und unſer Beruf iſt, dieß zu erkennen, und gluͤckſeelig zu ſeyn. Pythagoras hatte Recht: die Welt iſt eine Mu - ſik! Wo die Gewalt der Konſonanzen und Diſ -ſonan -157ſonanzen am verflochtenſten iſt, da iſt ihr hoͤch - ſtes Leben; und der Troſt aller Ungluͤcklichen muß ſeyn, daß keine Diſſonanz in der Natur kann liegen bleiben. Die hoͤchſten Granitfelſen der Alpen und des Kaukaſus zermalmen endlich die Regen des Himmels, und die Katarakten der Eisdecken auf ihren Gipfeln; und unſre Jahr - tauſende ſind Momente der Ewigkeit. Kommen wir einmal zum Theil in den Mittelpunkt des Ozeans und der Erdkugel: ſo kommen wir auch in Sonnen und Geſtirne, und werden eins damit.

Jedes Element hat nach hoͤhern und min - dern Graden von Regſamkeit die Eigenſchaft zu leben, zu empfinden; und die mancherley Pro - porzion gibt jedem einzelnen Dinge ſeinen beſon - dern Urcharakter. Dem Affen ein wenig Licht und Luft mehr im Urton: und er ſtuͤnd auf der Leiter der Schoͤpfung uͤber den Homeren und Ze - nonen; freylich alsdenn auch in andrer Geſtalt. Unſer158Unſer Gehirn ſcheint der hohe Rath der Republik zu ſeyn, ſich augenblicklich zu bewegen, und die neuen Erſcheinungen und Gefuͤhle der Sinnen aufzunehmen, und darnach fuͤr das kleine Ganze zu ſorgen.

Wer hat die Elemente ſo unterſucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuſchreiben will? Warum ſollten nicht alle mehr oder min - der dazu faͤhig ſeyn, und die ganze Natur leben, denken, und empfinden?

Der Menſch macht ein Ganzes aus, und es iſt alte Pedanterey, denſelben nur in zwey ganz entgegengeſetzte verſchiedne Haͤlften zu thei - len, wie man hernach bey allen Thieren und der kleinſten Muͤcke thun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiſerne tyranniſche Herr - ſchaft, bis auf die ſich freywaͤhnendſten philoſo - phiſchen Haͤupter, die davon nichts traͤumen.

Ardinghello. Auf einen Hieb faͤllt kein Baum: geſchweige eine Zeder, die ſo viele Jahr -hun -159hunderte, durch alle bekannte Zeitalter ſteht, und mit ihrem immer gruͤnenden Gipfel jedem Sturm trotzt. Die Menſchen werden heut zu Tag ſchwerlich glauben, daß das Beſte von ihnen nur Sonne war, und die Planeten erleuchtete; ſie ſind zu ſtolz dazu geworden. Geſchweige, daß ihre Koͤrper nur eine gewiſſe Ordnung ſeyen, Wohnungen, Gaſthoͤfe der Elemente, die au - genblicklich durch ſie reiſten, ſich nur Momente aufhielten, ſie lebendig, vollkommner und be - quemer fuͤr die nachfolgenden machten.

Demetri. Und doch muß auch dem Duͤmm - ſten auffallen, daß er alle Woche wenigſtens an - der Fleiſch und Blut hat; daß ihn ſein Magen jeden Tag ein paarmal an neuen Erſatz erinnert; daß er ſtuͤndlich ſtirbt und wieder auferſteht; immer etwas anders iſt, immer iſt wie das Wetter, das er ſieht und einathmet. Und was wollt ihr mit allen bekannten Zeitaltern? habt ihr vielleicht den Ariſtoteles geleſen?

Ar -160

Ardinghello. Seine metaphyſiſchen Schrif - ten nur durchgeblaͤttert! theils, weil ſie mir zu weitlaͤuftig, und gleich anfangs mit Fleiß dunkel und raͤthſelhaft geſchrieben ſchienen; und theils, weil ich fuͤr wahr hielt, was Xenophon beym Eingange der Denkwuͤrdigkeiten vom Sokrates meldet; nehmlich: die Metaphyſiker waͤren ihm vorgekommen, wie Raſende, da die beruͤhmte - ſten derſelben ſchnurſtracks ſich entgegenſtehende Meinungen behaupten. Die ganze Wiſſenſchaft ſey zu nichts nuͤtze; und er haͤtte ſich verwundert, wie es ihnen nicht offenbar waͤre, daß unſer Verſtand daruͤber nichts gewiſſes erfinden koͤnnte. Die menſchlichen Dinge allein machten uns ge - nug zu ſchaffen.

Demetri. Auch beym Sokrates iſt nicht alles Gold! Dieß war zuverlaͤſſig in die Luft geſprochen, ohne hinlaͤngliche Ueberlegung. Das Allgemeine koͤnnen wir wiſſen, aber nicht das Beſondre. Ohne Arbeit und Muth wird demMen -161Menſchen nichts Großes verliehen. Wer weiß, wie viele Jahrhunderte noch dazu gehoͤren, ehe wir in Erkenntniß der Natur ſo weit gelangen, als unſer Verſtand reicht, und das hoͤchſte Ziel beruͤhren! Viele verzweifeln daran, nur et - was Wahres zu finden, und wollen immer im Finſtern herumtappen; aber es kommen Augen - blicke, wo ſie erſchrecken, ein bloßes Nichts zu ſeyn, ohne ſich mit der Natur zuſammen zu den - ken. Harmonie mit dem Weltall iſt das hoͤchſte Gut! und welcher gute Kopf will ſein Lebenlang zu dem Geſindel gehoͤren, das die Wetterfahne aller Meinungen iſt? Jeder muß hier endlich ſo weit, als er kann; und es hilft da kein Straͤu - ben. Unſre Beſtimmung, wenn wir eine haben ſollen, kann keine andre ſeyn, als die verſchied - nen Naturen des Weltalls in der Zuſammenſe - tzung zu faſſen, woraus wir beſtehen. Der Menſch ſelbſt iſt gleichſam eine herumwandelnde Metaphyſik; wer wollte ſich nicht damit beſchaͤf -Ardinghello 2ter B. Ltigen?162tigen? Sie iſt die erſte und hoͤchſte aller Wiſſen - ſchaften.

Wenn wahr iſt, wie es denn allen Schein der Wahrheit an ſich traͤgt, was Alkibiades vom Sokrates in Platons Gaſtmal erzehlt: ſo hat auch hierin der, den das Orakel (vielleicht hauptſaͤchlich deßwegen, was ihr eben aus den Denkwuͤrdigkeiten von ihm angefuͤhrt habt!) zum Weiſeſten erklaͤrte, doch auch hierin ſeine Schuldigkeit beobachtet. Er ſtand einſt im freyen Felde vom Morgen an, den ganzen Tag uͤber, und die Nacht durch, unbeweglich auf einem Flecke in dem allertiefſten Nachdenken verſunken und verloren: und betete die Sonne an, als ih - re reine volle Feuerſphaͤre uͤber die oͤſtlichen Gipfel Strahlen des Lebens wehte.

In den geringſten Wiſſenſchaften und Kuͤn - ſten herrſchen verſchiedne Meinungen; und es iſt natuͤrlich, daß in der hoͤchſten die mehrſten herrſchen, weil alle zum ſteilen Gipfel wollen,und163und nur aͤußerſt wenige dazu genug Athem in der Bruſt, Staͤrke in den Knochen, und ausdauern - den Muth und Verſtand gegen alle die Gefah - ren haben, die in den halsbrechenden Pfaden auf ſie lauern.

Nutzen? ſoll man denn alles des Mauls und Magens wegen thun? und macht Erkennt - niß der Wahrheit nicht ſchon an und fuͤr ſich gluͤckſeelig? iſt ſie nicht die hoͤchſte Gluͤckſeelig - keit? Gehoͤrt das Vergnuͤgen, die Freude nicht zu Nutzen?

Freylich muß jeder den Weg endlich ſelbſt machen. Es muß erſt einer wiſſen, wo der Aetna liegt, eh er hinauf will. Und dann iſt fuͤr uns die Reiſe durch die Scylla und Charyb - dis die kuͤrzeſte; und durchaus zu Pferd iſt nicht moͤglich. Oder: man muß ohngefehr ſo weit ſeyn, als ſie ſelbſt waren, ehe man die Syſteme großer Philoſophen vollkommen verſteht; und ferner ſie nicht auf den erſten Seiten vollkommenL 2be -164begreiffen wollen; man muß ſie erſt ganz kennen, ehe man nur etwas von ihnen in allem ſeinen Verhaͤltniß einſieht.

Das Syſtem des Ariſtoteles liegt, es iſt wahr, noch zum Theil da im Chaos; aber bin - nen zwey tauſend Jahren hat ſich kein beßrer Architekt gezeigt. Er trug allen philoſophiſchen Reichthum jener gluͤcklichen Zeiten zuſammen, und bruͤtete daruͤber wie ein Gott. Seine phy - ſiſchen und metaphyſiſchen Werke ſind ein lang - wieriges Studium, und es laͤßt ſich in einem Geſpraͤche davon kein Auszug machen. Ihr muͤßt ſie ſelbſt leſen; und es wird euch Luſt ſeyn, zu ſehen, wie er die Natur herumarbeitet, und bis auf ihre kleinſten Beſtandtheile zergliedert, wenn ihr auch nur den Tiefſinn des Menſchen an ihm bewundern ſolltet.

Fuͤr jetzt nur noch einige Rapſodien nach ihm und gegen ihn; und Launen und Einfaͤlle. Stellt euch das Univerſum wie eine Laute vor,worauf165worauf ich euch nach augenblicklicher Luſt und Liebe vorphantaſiere. O nichts iſt reizender und lockender dazu! es iſt der ſchoͤnſte Gegenſtand meiner Poeſie in der Einſamkeit. O es macht mich gluͤcklich, und mich uͤberlaͤuft wieder zuweilen ein menſch - licher Schauder, wenn ich bedenke, was ich vielleicht ſchon war, und ferner ſeyn werde! was ich jetzt bin, und den folgenden Morgen, die folgende Stunde ſchon, vom neuen anfange zu ſeyn. Uebrigens genieß ich jeden Moment der Spanne meines gegenwaͤrtigen Lebens ſo gut ich kann; und ergebe mich Kleinigkeit in die Umwaͤl - zungen der ungeheuern Maſſen.

Was Demetri darauf ferner ſagte, davon mehr nur den Inhalt, als ſeine Worte; in ſo weit ich denſelben gefaßt habe. Ich blieb bis jetzt noch immer der Meinung des Sokrates, daß auch die beſte Metaphyſik ein ſchoͤnes Ge - baͤude ſey, welches bloß in der Luft ſchwebt; und daß man ſich nur damit beſchaͤftigen muͤſſe,L 3um166um ſich nichts weiß machen zu laſſen, und ſei - nem Vergnuͤgen in dieſer Ruͤckſicht ungeſtoͤrt nachzuhaͤngen.

Die Sinnen allein zeigen uns, begann er vom neuen*)Ich habe dieſes jugendliche Geſpraͤch, eine Streiferey in die Metaphyſik damali - ger Zeit, wo Ariſtoteles noch auf dem Throne ſaß, des Zuſammenhanges wegen nicht ausgelaſſen. Wohl uns, wenn wir ein paar Jahrhunderte hoͤher ſtehen! Ein Barbar aus Pommern, einer von der Themſe haͤtte ſchon den tiefſinnigſten Grie - chen viel vergeblichen Kopfbrechens erſparen koͤnnen., daß etwas außer uns da iſt: Verſtand ſelbſt iſt die Wurzel der Sinne. Von Sinn und Verſtand alle unſre Erkenntniß; und was finden wir da?

In uns gekehrt, die wunderbare Sicher - heit, daß wir Wirkliches und kein Nichts ſind,und167und allen Grund zu denken und zu handeln. Außer uns, Sonne, Mond und Sterne im unermeßlichen Aether, und Luft und Meer und Land voll unzehlbarer lebendiger Dinge.

Doch ſolche Menge Verſchiedenheiten ent - deckt nur das Auge, unſer reichſter, aber auch flachſter Sinn; wir haben einen andern, der tiefer dringt und zu einfachern koͤmmt, das Ge - fuͤhl. Kein Thier kann ohne daſſelbe, aber ohne die andern Sinnen beſtehen.

Und dieſer Sinn erkennt?

Warm, und Kalt, und Feucht, und Trocken.

Nichts weiter! denn alles Uebrige faͤllt in Eins von dieſen; daraus beſteht die unendliche Mannichfaltigkeit des Weltalls.

Doch werden wir auch mit dieſem ſo maͤch - tig ergreiffenden Sinne nur Oberflaͤchen gewahr; allein tiefer in die Natur der Dinge koͤnnen wir nicht eindringen, wenn wir nicht ſie ſelbſt werden. L 4Und168Und dann hoͤrt aller Sinn auf; wir ſind es ſelbſt, und ſchweben im Genuß ohne alle wiſſent - liche Unterſcheidung.

Warm und trocken iſt das Feuer. Warm und feucht die Luft. Kalt und trocken die Erde. Kalt und feucht das Waſſer. Mit Flamme und Eis faͤngt Stockung und Zerſtoͤrung an, dar - aus keine Zeugung.

Wenn Feuer ſich in Luft verwandelt: braucht es nur die Feuchtigkeit anzunehmen; und ſo wenn Waſſer ſich in Erde: nur die Trockenheit. Waſſer wird Luft durch die Waͤrme; Luft wird Waſſer durch die Kaͤlte. Feuer verwandelt ſich in Erde durch die Kaͤlte; Erde in Feuer durch die Waͤrme. Leicht iſt dann der Uebergang einer Natur in die andre, und leicht Werden und Zeugen. Wenn aber Feuer Waſſer werden ſoll, und Waſſer Feuer; Luft Erde, und Erde Luft. Dann iſt ein doppelter Damm durch zu ſtuͤrmen; allein derSchleich -169Schleichweg iſt bald gefunden. Feuer wird erſt entweder Luft oder Erde; und ſo bleibt der Uebergang auch bey den andern immer leicht.

Daraus alle die ſonderbaren Erſcheinungen! und ſo veraͤndert ſich ewig in ſich die Welt, be - gattet ſich mit ſich ſelbſt, und bringt neue Ge - ſchoͤpfe hervor, und Blumen und Fruͤchte.

Dieß ſind die vier Elemente, die der ge - meine Menſchenverſtand durch alle Zeiten aner - kannt hat; und ſie ſind die Grundverſchiedenhei - ten nicht nur fuͤr das Gefuͤhl, ſondern auch fuͤr die uͤbrigen Sinne, die alle verſchiedene Abarten deſſelben ſind, und darauf beruhen.

Daß die Luft wieder ſo verſchieden ſeyn koͤn - ne, als wir die Erde erkennen, wer will dieß leugnen? und ſo das Waſſer, und vielleicht noch das Feuer; wer hat die Elemente ſo unterſucht? und wie wenig wiſſen wir noch von den Erden? Genug, daß der Uebergang eines Elements in das andre gefunden iſt.

L 5Doch,170

Doch, warum ſuchen wir Vervielfaͤltigung der Elemente! es hat Philoſophen gegeben, die behaupteten, daß das Weltall, welches wir zu - ſammen mit einem Namen Natur nennen, durchaus Eins und daſſelbe ſey; die alle Evidenz leugneten, um ihren Verſtand an einem Mut - terweſen zu weiden, das bloß reiner Stoff, und nichts von allem andern iſt, was wir kennen, ſondern alles zugleich in jedem Punkte; andern Menſchen ſchier eben ſo undenkbar, wie Alles aus Nichts, und Nichts aus Allem, das es auch bedeutet.

Die aͤlteſten der Art blieben jedoch noch bey einem Elemente. Heraklit meinte, das Feuer ſey der gemeinſchaftliche Quell aller Dinge: und Thales das Waſſer; beyde aus dem heitern Jonien, von den Griechen, ſonderbarlich! fuͤr die fruͤheſten aͤchten philoſophiſchen Koͤpfe aner - kannt; und der erſte als Stammvater aller ei - gentlichen Weisheit zum Sprichwort bey ihnendurch171durch alle Zeiten geworden. Das organiſche Waſſer, zum Beyſpiele der Menſch, erſauffe in dem einfachen Waſſer; und das organiſche Feuer verbrenne in dem Feuer, das die Luſt verliert, etwas anders zu ſeyn. Feuer, Luft, und Erde ſey Waſſer; und Waſſer ſey Erde, Luft und Feuer, und alles Eins und daſſelbe. Feuer ſey heiß und kalt; und Waſſer ſey naß und trocken.

Andre ſuchten in der Folge den Widerſpruch wenigſtens im Ausdrucke zu vermeiden; und ſetz - ten fuͤr irgend ein Element uͤberhaupt: Eins iſt Alles, und Alles Eins.

Nach dem Ariſtoteles war Xenophanes der erſte, der dem Weſen ſeine eigentliche Reinheit gab; aber auch nichts weiter daruͤber beſtimmte, ſondern nur mit erhabner Stirn in den unermeßlichen Aether hin ſchaute, und ſagte: Das Eins iſt Gott.

Par -172

Parmenides, ſein Schuͤler, bruͤtete nach ihm mehr daruͤber, und ſuchte zu beweiſen, daß Weſen der Vernunft nach nothwendig nur Eins ſeyn koͤnne; fuͤr die Sinnen aber muͤſſe man zwey Urſachen: Kalt, und Warm annehmen. Kalt ſey das Unweſen, und Warm das Weſen. Andre ſetzten dafuͤr das Dicke und Duͤnne; nehmlich das Weſen dehne ſich aus, und ziehe ſich ein; und daraus alles Werden und Zeugen, alle Erſcheinungen. Wenn es ſich verduͤnne, werd es Luft und Feuer; und verdickt ſey es Erde und Waſſer; aber alles im Grund Eins und daſſelbe.

Ardinghello. Wenn alſo die unendliche Ausdehnung, außer den einzeln Bewegungen, durchaus ſich einmal recht einzoͤge: ſo wuͤrden wir vielleicht alle zuſammen mit ihr den aller - groͤßten Stein ausmachen, und die Welt als ein Diamant im leeren Raume han - gen.

Deme -173

Demetri. (ein ander Geſicht annehmend.) Wer weiß, was geſchehen kann! Zeit hat ſie nun in der Ewigkeit genug dazu, zur Kurz - weil ſich in allerley Geſtalten zu verwandeln.

Dieſe Philoſophen gaben uͤbrigens keine Ur - ſache der Veraͤnderung an, und ließen noch Ruh und Bewegung uneroͤrtert.

Wer beweiſen will, daß aus Einem alles ſey, muß erſt darthun, daß aus Allem Eins werde; und ſo weit hat es noch keine Chemie gebracht.

Wenn bloß Eins iſt: ſo muß es in Ruhe ſeyn; denn ohne Reiz keine Bewegung, und das Gleichfoͤrmige reizt nicht.

In den Elementen liegen die Quellen der Bewegung. Sie iſt allen eigen, und keins hat ſie als einen beſondern Vorzug; nur ſcheint das Feuer einen weit hoͤhern Grad von Reizbarkeit dazu zu haben, als Erde, Luft, und Waſſer. Alles in der Natur regt ſich von ſelbſt und hat Frey -heit,174heit, Erkenntniß und Begierde. Jeder Theil, den wir von einem ihrer unvermiſchten Ganzen annehmen, hat alle innerliche Eigenſchaften des Ganzen; ihre Weſen ſind unendlich zart, ver - breiten und verlieren ſich in einander, unergruͤnd - lich allen unſern Sinnen. Je mehr das Kleine einerley Art beyſammen: deſto groͤßer ſeine Macht und Staͤrke; und ſo kann Erde, Luft, oder Waſſer das Feuer uͤberwaͤltigen; und ſo unterliegt beym Menſchen der ſo genannte Geiſt der Materie. Doch nur im Einzeln kann dieß geſchehen; denn im Weltall ſelbſt herrſcht Geiſt unermeßlich und ohne Schranken. Geiſt bringt die Welt in Ordnung und Schoͤnheit nach ſeiner Natur, und ſelbſt in uns fuhr er deßwegen; und dadurch hat der Menſch Gewalt uͤber den Erd - boden.

Bewegung iſt Wirkſamkeit der Kraft auf einen Gegenſtand. Wo Kraft und Gegenſtand iſt, iſt auch Bewegung. Wo doppelte Kraftauf175auf einander wirkt: Liebe oder Krieg, Neues - werden, oder Abprallung.

Gedanke iſt Anfang und Ziel der Bewe - gung; Anfang, und Mittel und Ende der Be - wegung zuſammen Handlung. Alles in der Na - tur hat das Vermoͤgen, zu denken und zu em - pfinden, und das Selbſtgefuͤhl iſt Grund und Boden; denn alles, was iſt, hat Kraft, wo - durch es iſt, was es iſt.

Und folglich hat das Syſtem des Anaxago - ras ſeinen guten Grund in der Natur. Ver - ſtand hat die Welt gebildet: nur in allem auf ſeine eigne Art. Verſtand iſt pruͤfende und un - terſcheidende Faſſung des Ganzen; Verſtand, in der Zuſammenſetzung, das Meer, wohin alle Empfindungen laufen, ſich begegnen, und ſich laͤutern; und beſteht ſelbſt nur aus empfinden - der Kraft. Er iſt der eigentliche Kern jedes ein - zelnen Lebendigen, jedes Ganzen; das ſchlech - terdings an und fuͤr ſich mit einer erſten Empfin -dung176dung beginnen, und ſich mit gleichartigen und andern Weſen paaren, und hernach zuſammen - ſchaffen und bilden mußte. Wenn nun Ver - ſtand urſpruͤngliche Empfindung iſt: ſo iſt er auch der Schoͤpfer von allem Individuellen.

Der erſte Trieb in jedem Lebendigen iſt das Vergnuͤgen, oder nicht allein und vereinzelt zu ſeyn. Der zweyte, weitere Erkenntniß und groͤßere Kraft zugleich: dadurch erhob ſich die vereinzelte Natur vom Wurm an bis zum erhab - nen, freyen, vielfaſſenden und verbindenden klaren Menſchen, der deßwegen die Sprache und alle Kuͤnſte erfand. Der dritte ungeheure, der alles ungluͤcklich macht, die ganze Welt zu erkennen, und ſie ſeyn zu wollen; und in der That tobt immer das dunkle Gefuͤhl in uns auf, ſie einmal geweſen zu ſeyn, und wieder zu werden.

Ardinghello. Ich erſtaune uͤber eure kuͤh -[n]en Behauptungen, und es wird mir vielesNach -177Nachdenken koſten, deren Wahrheit oder Falſch - heit zu finden.

Wenn Feuer ſich in Luft verwandelt: bleibt es Feuer oder nicht? und ferner; ſo wie nur ei - ne gewiſſe Materie iſt, die Licht hat, und eine, die Ton hat: ſo kann es ja auch eine geben, wenn man das Wort hierbey brauchen darf, die nur denkt und Verſtand hat, Urſache der Bewe - gung iſt, immer wirkt und nie leidet, bis das ganze Gebaͤude um ſie her zuſammenfaͤllt.

Demetri. Wenn Feuer ſich in Luft ver - wandelt: ſo entſteht eben ein neues Ganzes aus Luft und Feuer. Und ſo ſind wir ſelbſt ein Gan - zes aus verſchiednen Elementen, ſo rein und har - moniſch verſchmolzen, daß wir in uns bey geſun - dem Zuſtande durch das feinſte Bewußtſeyn nichts unterſcheiden.

Wenn nicht jede Art von Element ſich ſelbſt regte und bewegte: ſo wuͤrde jeder LeichnamArdinghello 2ter B. Mewi -178ewige Mumie ſeyn, und der Wind immer von Oſten her wehen.

Was den Verſtand betrift: ſo nimt Ariſto - teles ſelbſt, wie Plato, nach dem Anaxagoras, deſſen Meinung ich freylich nach meinem eignen Begriff erklaͤrte, eine eigne Materie fuͤr den Verſtand an, und unterſcheidet ſie von aller an - dern, und ſogar von der Seele, die, wie er ſagt, im ganzen Koͤrper ſich befindet. Die Seele des Auges iſt das Sehen; die Seele des Ohrs das Hoͤren; und ſo die des Gefuͤhls das Fuͤhlen. Die Seele des Baums iſt, daß er waͤchſt und ſeine Nahrung mit den Wurzeln einſaugt. Sie iſt in allem Lebendigen dieſelbe. Kraft in Ausuͤbung iſt ihm Seele, und kein Koͤrper, kein Element ohne Seele. Aber Verſtand hat ſeine eigne Na - tur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge kann verblendet, das Ohr betaͤubt werden; der Verſtand hingegen von dem tiefſten Denken un - befangen auf das leichteſte uͤbergehen. ([Viel] -leicht179leicht nur bey dem Fuͤrſten der Philoſophen! Andre muͤſſen wenigſtens ein Schachſpiel dazwi - ſchen ſetzen.) Und doch ſoll derſelbe ein beſonder eigen Theilchen, wie er ſich ausdruͤckt, nur der menſchlichen Seele ſeyn, und ſagt, diejenigen haͤtten Recht, die ihn darin den Ort der For - men nennten; Denken, Urtheilen waͤre Auf - nehmung, Schaffung von Formen. Die ſinnliche Kraft der Seele koͤnne nicht ohne Koͤr - per beſtehen; der Verſtand aber davon abgeſon - dert werden, er ſey ſich allein Materie. Nur ſey er leidend und vergaͤnglich, inſofern er etwas denke, und ſich an etwas erinnere; gleichſam wie der Sonnenſtrahl, wenn er an den Din - gen Farbe wird. Das Denken aber und Er - innern mache ſein Weſen nicht aus; an und fuͤr ſich ſelbſt denk er nichts, und ſo ſey er unſterblich.

Folglich iſt die Seele, als Verſtand be - trachtet, nur unſterblich, inſofern ſie nichts denkt.

M 2Dieß180

Dieß iſt wohl eine von den ſchwachen Sei - ten ſeines Syſtems, um den Vorrang des Men - ſchen vor andern Thieren zu erklaͤren; und hier - in weicht er ab vom Anaxagoras, der ſeinen Ver - ſtand allem Lebendigen zuſchreibt.

Wenn der Verſtand nur unſterblich iſt, inſofern er nichts denkt: ſo iſt alle andre Mate - rie auf eben die Weiſe unſterblich; nehmlich inſofern ſie außer der Zuſammenſetzung gedacht wird; und wenn ich den Verſtand auf eine an - dre Art erklaͤren kann: ſo brauch ich keinen Gott, den Knoten des Drama aufzuhauen. Kurz, es iſt ein Schlupfwinkel, worin wir nicht weiter kommen.

Der Beweis, womit Anaxagoras, Plato, und Ariſtoteles das Daſeyn des Verſtandes darthun, iſt: es muß ein Weſen geben, das unvermiſcht iſt, und alles durchdringen kann, damit es Gewalt daruͤber habe, und er - kenne.

Fuͤrs181

Fuͤrs erſte alſo iſt jedes Element in ſeiner Reinheit unvermiſcht; und ſo Haufen Elemente in ihrer Reinheit beyſammen.

Sind die Elemente an urſpruͤnglicher Fein - heit verſchieden: ſo iſt, nach aller Erfahrung, wahrſcheinlich das Feuer, oder Lichtelement das feinſte. Folglich haͤtte das Feuer alle Eigenſchaften, die ſie zu ihrem Verſtand er - heiſchen.

Iſt dieß Seele, was, nach dem allgemei - nen Begriff, andres durchdringt: ſo kann man auch mehrere Arten von Seelen annehmen. Feuer durchdringt die Luft; Luft und Feuer durchdringen das Waſſer; und Feuer, Waſſer und Luft durchdringen die Erde, und baͤndigen ſie nach ihrem Wohlgefallen, und bequemen ſich wieder als der Grundfeſte freundlich nach ihr. Und ſo uͤberhaupt eins nach dem andern. Herr - ſchen iſt Wohlthun; alle andre Gewalt Tyran - ney. Wer weiß, ob der Gegenſatz von FeuerM 3und182und Erde nicht zu ſtark iſt; ob Erde nicht zu grob und Feuer zu fein gegen einander ſind, um vollkommen auf einander zu wirken? Ob nicht Mittel dazwiſchen ſeyn muͤſſen? (wie zum Exem - pel in den mildern Erdſtrichen; in Griechenland, dem Klima der Schoͤnheit.)

Ueberhaupt ſagt uns alles, daß da die hoͤchſte Vollkommenheit und Gluͤckſeeligkeit iſt, wo die hoͤchſte Fuͤlle. Wenn die Zuſammenſe - tzung ſo harmoniſch, ſo proporzioniert iſt, daß jedes Element ſich regen kann nach ſeinen Kraͤf - ten: entſteht der hoͤchſte Verſtand; eins er - kennt das andre auf dieſe Weiſe am reinſten und vollkommenſten. Und dieß moͤchte wohl der Ariſtoteliſche Verſtand ſeyn, der durch alle die feinen Roͤhren des menſchlichen Gebaͤudes im Gehirne ſich abſondert; die reinſten Ver - ſchiedenheiten von Feuer, Luft, und Waſſer und Erde kommen hier lauter zuſammen, und machen ein goͤttliches Ganzes, wie in unendli -chen183chen Maſſen die Welt iſt*)Auch einige Alten hatten dieſe Idee; vom Licht kaͤme das Auge, von der Luft das Ohr her, vom Waſſer Geruch und Geſchmack, und von der Erde das Gefuͤhl.. Bey den andern Thieren ſondern ſie ſich nur nicht ſo rein und in der Fuͤlle und Proporzion ab; von Urbeginn durch den Druck der umgebenden Kraͤfte daran verhindert.

Ardinghello. Aber die erſten Geſchoͤpfe Paar und Paar, Thier und Menſch, und Gras und Baum, wo leitet ihr und Ariſtoteles dieſe her?

Demetri. Wie unſer Verſtand in der Zu - ſammenſetzung Wiſſenſchaften und Kuͤnſte aus verſchiednen Erfahrungen der Sinnen bildet, aus Empfindungen, die mit Bewegung und Sturm und Aufruhr in uns kommen, eine Ilia - de, einen Oedip: ſo kann er auch von AnbeginnM 4mit184mit Huͤlfe der ganzen Natur die Geſtalten der verſchiednen Gattungen gebildet haben. Man muß bey Zeugung und Untergang allezeit auf Elemente kommen, die unzerſtoͤrbar ſind, und aus welchen alles zuſammengeſetzte wird.

Unſer Erdboden hat ohne Zweifel, nach Vernunft und Naturgeſchichte, einmal in einer weit gluͤcklichern Lage zu Entſtehung der Geſchoͤ - pfe geſchwebt, als jetzt. Und wer weiß, ob nicht die edelſten nach Aufhoͤrung derſelben un - tergegangen ſind? Die Geſchoͤpfe ſind ihrer Na - tur nach nicht in einem Lande, und wahrſchein - lich nicht auf einmal entſtanden.

Ariſtoteles braucht gewoͤhnlich das Gleich - niß: Der Menſch und die Sonne erzeugt den Menſchen; doch erklaͤrt er ſich etwas deutlicher hieruͤber in ſeiner Lehre von Gott und der Zeu - gung. Und ſehen wir nicht, daß die Sonne noch jetzt Urſache des Fruͤhlings und der Begat - tung iſt? Warum ſollte ſie nicht auch im An -fange185fange bey den erſten Geſchoͤpfen Huͤlfe geweſen ſeyn? Jedes Geſchoͤpf waͤchſt aus ſeinen Ele - menten hervor, und die Sonne loͤſt mit ihrer Waͤrme deren Kraͤfte, daß ſie frey wirken koͤnnen.

Jedoch haben immer uͤber die Entſtehung des Einzeln die alten Weiſen die ſonderbarſten Meinungen behauptet. Einige nahmen fuͤr je - des Geſchoͤpf ein verſchieden Element an; und nicht allein fuͤr jedes Geſchoͤpf, ſondern fuͤr jedes Glied deſſelben. Da waren zum Beyſpiel ver - ſchiedne Elemente fuͤr den Menſchen, die ſich wieder fuͤr Kopf und Hand und Fuß abtheilten; und zerſtreut in der Natur lagen. Die Weiber ſammelten dieſelben bey der Begattung in ſich, wo ſie ſich alsdenn zu einem Ganzen vereinigten. Freylich die leichteſte Art das Raͤthſel aufzuloͤſen! wenn noch andre Schwierigkeiten dadurch geho - ben wuͤrden. Wie geht es zu, daß ein Weib immer ſo vollkommen alle Theile ſammelt, undM 5nicht186nicht bloß Kopftheile, oder Herztheile, oder Arm und Beintheile? Und ſo genau alle von derſelben Proporzion? Und wie halten ſich dieſe Theile in den Speiſen auf, wovon ſie ſich naͤh - ren? Das Herz eines Alexander in Tauben und Haſen, und Prokoli und Blumenkohl, und an - derm Fleiſch und Gemuͤße, wovon Olympia ihre Mahlzeiten hielt? Der Kopf Homers in Huͤ - nern und Gaͤnſen, und den Fiſchen des Joniſchen Meers? Offenbare Albernheiten!

Andre glaubten, der Saame jedes Indi - viduums waͤre von Ewigkeit im Weltall; und folglich nur eine gewiſſe Anzahl von Menſchen - kernen, Loͤwen - und Adlerkernen, die kommen und wiedergehen, und jedesmal ſich in die vor - handne Materie kleiden. Zum Beyſpiel: Alki - biades war einmal da zu Athen, und ſo ein an - dermal zu Rom, und Konſtantinopel, und Lappland, und Peru. Es gehoͤrte nur Gluͤck oder Ungluͤck dazu, daß er von dieſem oder jenemWin -187Winde da oder dorthin gefuͤhrt, und von einer Koͤnigin oder Magd aufgefangen und gebohren wurde; und ſeine Individualitaͤt aͤnderte ſich je - desmal nach den Umſtaͤnden.

Dieſe Meinung hat weniger Schwierigkei - ten. Aber aller Saame iſt zuſammen geſetzt: und wie erhaͤlt ſich die Zuſammenſetzung in der unaufhoͤrlichen Zermalmung deſſelben, die wir bey allem Einzelnen in der Natur ſehen? Und noch finden wir uͤberall, daß Saame wird, und nicht iſt.

Im Gegentheil iſt ſehr wahrſcheinlich, daß, wenn alles, was auf unſrer Erdkugel Menſch werden koͤnnte, auf einmal wirklich Menſchen, und unzehlbare Schaaren von Voͤlkern waͤre, und man ſie an einen neuen Ort, in andre Planeten verſetzte: daß, ſag ich, vielleicht wenig von der - ſelben uͤbrig bleiben, und wir alsdenn erkennen wuͤrden, daß ſie, ſamt allen Thieren, Pflanzen und Baͤumen nur ein runder Klumpen Kirchhofge -188geweſen ſey, wo die Lebendigen von den Todten aßen. Und iſts nicht augenſcheinlich, daß im - mer ein neu geſundes Paar aus den Fruͤchten von wenig Hufen Landes alle andre Zonen bevoͤlkern koͤnnte?

Kurz, jedes Einzelne iſt nur durch die zu - ſammengeſetzte Form das, was es iſt; jede Art von Weſen iſt ſich uͤbrigens gleich. Und die Form entſteht durch die innre Proporzion ver - ſchiednen Weſens mit Huͤlfe der aͤußern Dinge.

Ardinghello. Alſo koͤnnte die Erdkugel moͤglicher Weiſe zu eben ſo ungeheuern Schaaren Eſeln, Maulwuͤrfen, zu einem unendlichen Muͤ - ckenſchwarm werden, als zu unzehlbaren Voͤl - kern von Menſchen; und Mann und Weib ſind weiter nichts als Anlaß zu neuen Maͤnnern und Weibern, wozu ſich die Elemente von ſelbſt bil - den? Der Menſch zum Beyſpiel iſt alſo nur eine gewiſſe Proporzion verſchiedner Elemente? Ein Knabe von dreyßig Pfund[beſtuͤnd] ohngefehraus189aus ſechszehn Pfund Erden und Salzen, drey - zehn Pfund Waſſern, und einem Pfunde Luͤften und Feuern: und der einzige Unterſchied zwiſchen ihm und einem Kaͤlbchen waͤre, daß dieß etwa nur ein halbes Pfund Luͤfte und Feuer zu ſeinen Beſtandtheilen habe! Dieß allein ver - aͤnderte die Form, und machte Sokraten und Platone zu Kaͤlbern, und Kaͤlber zu Platonen und Sokraten?

Der Schluß daraus, iſt er nicht, daß alle Geſchoͤpfe die Gegenſtaͤnde nur nach ihrer Form empfinden und beurtheilen, und wir ſo vielerley Wahrheit von demſelben Dinge haben, als ver - ſchiedne Gattungen ſchon von Thieren ſind? Je - des handelte und daͤchte nach ſeiner Form, und haͤtte nach derſelben ſeine Begierden; und es gaͤ - be uͤberhaupt keine allgemeine Wahrheit, und die ganze Welt ſey ein Tollhaus?

Alſo waͤr es wohl keine Fabel mehr, daß Medea einen Greis in kleine Stuͤcke zerhackenund190und wieder jung machen koͤnnte, wenn ſie nur den gehoͤrigen Grad der Waͤrme traͤfe, wodurch ſie ſich wieder zu einem harmoniſchen Ganzen zu - ſammenzoͤgen?

Demetri. Richtig, mein Freund, wenn ſie den gehoͤrigen Grad der Waͤrme traͤfe; und wieder hinzubraͤchte alle Augenblicke, was vom gehoͤrigen Weſentlichen abduͤnſtete, wie im Mut - terleibe geſchieht, und die vorige Lebenszeit ſchon abgedunſtet waͤre.

Die zuſammengeſetzte Form iſt nur das Mittel: das Weſen ſelbſt erkennt, wie vom Ur - beginn, die Wahrheit. Alle Sinnen faſſen nur einſeitig: Verſtand das Ganze, und der reinſte am vollſtaͤndigſten. Die Thiere ſind nur da - durch verſchieden, wie der Menſch, daß ſie mehr oder weniger, vollkommen gelaͤutert oder min - der vollkommen, davon beſitzen. Und eben die - ſer iſt die erſte gegebne Proporzion ihrer ganzen Zuſammenſetzung.

Ar -191

Ardinghello. Aber wieder alle Gattun - gen von Thieren und Pflanzen, Paar und Paar von dem Grashaͤlmchen an bis zum Men - ſchen? Maͤnnchen und Weibchen, wie wollt ihr dieß erklaͤren?

Macht der Verſtand in den Elementen al - lein Mann und Weib: ſo muß einmal, nach dem komiſchen Einfall des Ariſtophanes beym Plato, Mann und Weib bey allen Gattungen zuſammen gewachſen geweſen ſeyn, und ein Gan - zes gebildet haben: ſonſt bleibts unerklaͤrlich, wie die Geſchoͤpfe ſich aus ſich ſelbſt ſo ver - ſchieden, und doch paarweiſe ſollten geformt haben.

Demetri. Man kann gewiß leichter uͤber dieſe Dinge ſchreiben, als ein Geſpraͤch fuͤhren! Dort laͤßt man ſolche Fragen aus, und ich habe noch bey keinem Weiſen hieruͤber eine Antwort aus bloßer Vernunft gefunden. Weil ich aber einmal, wie einſt der Platoniſche Sokrates, dieLoͤwen -192Loͤwenhaut umgeworfen habe, ſo will ich aus - halten.

Alles, was ich darauf ſagen kann (fuhr er laͤchelnd fort) iſt folgendes. Wenn ich keine Menſchen - und Eſelelemente, keine Naſen - und Lippen - und Lefzenelemente anzunehmen Urſach finde: ſo find ich es eher nothwendig, maͤnnliche und weibliche Elemente in der Natur anzuneh - men. Der Mann iſt der vollkommenſte, der ganz aus maͤnnlichen Elementen zuſammengeſetzt iſt: und das Weib vielleicht das vollkommenſte, welches nur gerade ſo viel weibliche Elemente hat, um Weib bleiben zu koͤnnen; ſo wie der Mann der ſchlechteſte iſt, der gerade nur ſo viel maͤnnliche Elemente hat, um Mann zu heißen.

Maͤnnliche und weibliche Elemente machten außerdem am begreiflichſten die Natur lebendig, und erklaͤrten die ewige unaufhoͤrliche Bewegung, und den wuͤthenden Trieb zur Begattung, welcheAri -193Ariſtoteles fuͤr die Beſtimmung jedes einzelnen Dinges haͤlt, am beſten. Liebe, Hochzeit, Ehe und Eheſcheidung: daraus beſtuͤnde die Welt. Ferner waͤre das Raͤthſel aufgeloͤſt, welches noch Niemand, ſo viel ich weiß, beruͤhrt hat, warum von jedem Geſchlechte, faſt durch alle Thiere. ohngefehr ſo viel von dem einen als andern ge - bohren wuͤrden.

Wem dieß nicht gefallen ſollte, der koͤnnte jedoch noch immer annehmen, daß zu einem Ganzen ein Paar gehoͤrt, und daß der Verſtand von Anfang an alles paarweiſe hervorgebracht hat; ohne daß eben das Zuſammengewaͤchs mehr als jetzt noͤthig war: in einer ſolchen bequemen Lage von Materialien zu Schaffung ſeines maͤch - tigern Ganzen befand er ſich.

Ardinghello. Ihr geht wie ein aͤchter Kretenſer, Zoͤgling des Minos, mit dem ſchoͤnen Geſchlecht um! ich glaube, daß ein Maͤdchen wie ein Mann immer ein unnatuͤrliches DingArdinghello 2ter B. Nſey,194ſey, und daß die tapferſte Amazone ſelbſt unter einer Phryne ſtehe. Ich will euch hieruͤber zu keiner neuen Hypotheſe treiben; wiederhohlen wir noch einmal euer Hauptſtuͤck.

So von allem wirklichen abgeſondert mag es wohl endlich leicht ſeyn zu denken, Verſtand des Menſchen hat den Menſchen hervorgebracht; und eben ſo, Verſtand jedes Dinges hat das Ding hervorgebracht, durch Huͤlfe einer Kraft, die allem Raum ſchaft, ſich nach Willkuͤhr oder Verlangen zu bewegen: allein ſich die Sache auch nur einigermaaßen ſinnlich vorzuſtellen, iſt ge - wiß ohne Vergleich ſchwerer.

Nehmen wir einmal, wie der Verſtand des ungebohrnen erſten Kindes ſich das Auge gebildet hat, nur eins fuͤrs erſte.

Wozu braucht er das Auge?

Zum Sehen.

Kann er nicht ſehen ohne daſſelbe?

Aller -195

Allerdings; da er alles durchdringt, beruͤhrt er an und fuͤr ſich auch gewiß die Sonnenſtrah - len, oder wird ihre Wirkung gewahr auf Ober - flaͤchen.

Was will er alſo damit?

In einen Koͤrper eingeſchloſſen ſich eine Oefnung fuͤr dieſelben machen.

Gut. Warum ſchließt er ſich aber in einen Koͤrper ein, da er ohne Auge ſehen kann? und demnach auch ohne Ohren hoͤren, ohne Zunge ſchmecken, ohne Naſe riechen, und ohne Finger und andre Glieder fuͤhlen?

Es ſcheint, er iſt des Herumvagierens muͤ - de, und will einmal einen ſtaͤten Punkt haben; oder eine Porzion Verſtand haßt die andre, wie ſich Spinnen, und verlangt abgeſondert ihr eigen Neſt; oder er will weder unendlich groß noch unendlich klein beyſammen bleiben, ſondern in bequemer Anzahl und ergoͤtzlichem Maaße, wie die feinen Wolluͤſtlinge unter Griechen und Roͤ -N 2mern196mern nur ſo und ſo viel Gaͤſte an ihren Tafeln verlangten; oder uͤberhaupt, er kann die Mate - rie in allen Arten von Zuſammenſetzungen nicht beſſer genießen, als wenn er ſich ſelbſt in ſie hin - einſteckt; oder endlich das Schickſal zwingt ihn dazu, ob dieß gleich fuͤr ein Weſen, das alles durchdringt, und folglich nicht gebunden werden kann, ungereimt iſt. Kurz, dem mag ſeyn, wie ihm will: er macht alles auf einmal zuſam - men, ſich in groͤßerm Umfang, und wie Pyg - malion, ſeine Geliebte. Nach euern Begriffen iſt freylich Verſtand ſelbſt ſo verſchiedner Gat - tung, als Elemente ſind; und nur einer iſt der Koͤnig. Alſo der menſchliche Verſtand ſelbſt macht einen Bund aus von verſchiednen Elementen; und jedes praͤſidiert darin im Namen der uͤbrigen ſeiner Gattung, und dringt auf beſondern und eignen Genuß dafuͤr.

Warum aber iſt der Verſtand des Kin - des, wenn es fertig, oder voͤllig ausgebildetiſt,197iſt, nicht mehr ſo geſcheidt, als er im An - fang war?

Demetri. Das iſt er, und bleibt es; durch alle Stufen des menſchlichen Alters derſel - be; alle Theile, die abgehen, erſetzt er wieder, und bedient ſich uͤberdieß ſeiner neuen Sinnen. In der Kompoſizion ſelbſt, deren Urſprung ich ſchon auf verſchiedne Weiſe beruͤhrte, muß er freylich erſt Erfahrung ſich erwerben. Verſtand koͤmmt von Stehen*)Im Griechiſchen, was hier im Original ge - braucht wird, von Schwimmen.; er muß alsdenn lange vor den Dingen einer Gattung geſtanden haben, ehe er ſie vollkommen mit ſeinen Sinnen durch - erkennt, und ſich davon ein Ideal bildet.

Einige Alten behaupteten auch, daß er ſchon lange ſtudiert habe, bevor er ein ſo herrli - ches Ganzes wie den Menſchen auskluͤgelte; es ließ ſich dieſes aus der auffallenden Aehnlichkeit,N 3groͤ -198groͤßern und mindern Vollkommenheit der Theile von Thieren ſchließen. Die Pythagoraͤer nah - men nach dem Ariſtoteles als einen Grundſatz an: Speiſe und Raub iſt eher geweſen, als was ſich davon naͤhrt; und wahrſcheinlich! je ausge - arbeiteter die Speiſe: deſto leichter der Ueber - gang zu hoͤherm Leben. Kein vernuͤnftiger Arzt wird daran zweifeln, daß der Menſch ſelbſt die beſte Koſt fuͤr den Menſchen waͤre. Wer weiß, ob die Welt jetzt ſo vollkommen iſt, als ſie ſeyn kann? Obgleich ewig, mag ſie doch Kind, Juͤngling und Mann, Jungfrau und Matrone zur Abwechslung werden; denn ſie iſt nicht ganz vollkommen, ſo lange noch Unvollkommenheit darinnen da iſt.

Ardinghello. Von Menſchenfreſſern alſo haͤtten wir die eigentliche Verklaͤrung zu erwar - ten, das tauſendjaͤhrige Reich? ein ſtarker Kon - traſt mit den Schulen der Weiſen!

De -199

Demetri. Aus dem ſcheuslichſten Duͤnger, wenn ich ein verkehrtes Gleichniß brauchen darf, wachſen die ſchoͤnſten Blumen und Fruͤchte. Wir ſchaͤtzen unſern Koͤrper viel zu wenig; und doch muß jeder fuͤhlen, daß ihn ein Haͤndedruck, Kuß und Umarmung von einer ſchoͤnen Perſon ganz anders ergreift, als der wohlſtyliſierteſte Cicero - nianiſche Brief von bloßem Geiſt, oder einer, die er nicht kennt.

Ardinghello. Wir ſchweiffen aus; wie - der zur Sache!

Warum wiſſen wir aber nicht, daß der Verſtand die Theile erſetzt, die er im Koͤrper nicht feſt halten kann, und die demſelben durch die Zeit abgehen?

Demetri. Wir wiſſen nur durch unſre aͤußern groͤbern Sinnen; und dahin dringt keiner.

Ardinghello. Erſtaunliche Richtigkeit, und ein Gefuͤhl von Maaß, das das der Gold -N 4wage200wage Centillionenmal uͤberſteigt, gehoͤrt gewiß dazu, ein Bein nicht kuͤrzer und laͤnger gleich im Anfang zu machen, als das andre, und ſo einen Arm wie den andern, und Auge wie Auge; und ſo die Zaͤhne und die Rippen in hoͤchſt ge - nauer Proporzion; und dann zu vergroͤßern und zu erhalten! und dieß ſind nur grobe Sachen ge - gen anders bey Inſekten.

Demetri. Er iſt auch nicht umſonſt ſo fein! und es gelingt nicht immer; die Alkibia - den und Phrynen ſind bey jeder Thierart ſelten.

Ardinghello. Auf einer andern Seite be - trachtet, iſts nun wieder gar nichts außerordent - liches und erhabnes; weil er wie ein Affe alles nur nachahmt, wie ers vor ſich findet, und gar nichts aͤndert: ſo recht im alten Schlendrian der lieben Gewohnheit verſunken und verloren. Er gibt ſich gar nicht mehr die Muͤhe, etwas Neues zu erdenken.

Deme -201

Demetri. Woher wißt ihr das? Und doch ſchon genug, wenn er ſich ſo wohl befindet! er kann nicht mehr, als die Materie aufs beſte verarbeiten, in die er koͤmmt. Die Natur geht aͤußerſt langſam und bedaͤchtig in ihren Fortſchrit - ten, ſie hat unendliche Jahrtauſende vor ſich; und wir nur einen Augenblick Lebensdauer in der Kompoſizion, ſie zu beobachten.

Ardinghello. [Mich] daͤucht, ihr haͤttet ſchon geſagt, im Anfange waͤr alles beſſer gewe - ſen. Vielleicht ſind wir doch von der Hoͤhe des Bogens herunter!

Aber Freund, warum kann der Verſtand den Koͤrper nicht umaͤndern, wenn er unge - ſtaltet, haͤßlich, oder krank iſt? warum nicht verjuͤngen?

Wolken, lieber Demetri, nichts als Wol - ken und metaphyſiſche Traͤume! Nehmen wir lieber doch noch die gewoͤhnliche Meinung an, die ihr kurz vorhin verwarft. Ich glaube, daß,N 5ſo202ſo wenig ſich der Menſch jetzt ſelbſt hervorbringt, er von Ewigkeit ſich nicht ſelbſt hervorgebracht hat. Er iſt! aber es muß allezeit ein maͤchtiger Weſen ihm den erſten Stoß und die Bequemlich - keit zum vollen Daſeyn verſchaffen.

Die vier Ariſtoteliſchen Elemente allein wer - den nie in allen moͤglichen Zuſammenſetzungen mehr als die vier Ariſtoteliſchen Elemente ſeyn; es gehoͤrt gewiß noch etwas anders zu meinem Ich und deinem Du.

Wenn wir etwas ohne fernern Grund an - nehmen, warum ſtraͤuben wir uns, alles, was wir nicht anders erklaͤren koͤnnen, ohne fernern Grund anzunehmen? Jedes Individuum iſt von Ewigkeit der Form nach da in der Na - tur, und von allem andern unterſchieden; und keine Urform laͤßt ſich weder ſchaffen, noch zerſtoͤren. Nur gehoͤrt ein hoͤher Weſen dazu, ſie in die Bequemlichkeit zu ſetzen, daß ſie ſich in ihre hoͤchſte Fuͤlle verbreite. Wie unendlichvieles203vieles wird bloß Bluͤthe, oder Frucht, ohne zum Baume zu gedeyhen?

Auch gibt Ariſtoteles ſelbſt nicht undeutlich zu verſtehen, daß er derſelben Meinung anhan - ge; die menſchliche Seele, oder uͤberhaupt der Menſch, deſſen Form ſie enthaͤlt, iſt ihm eine von Ewigkeit fertige Vollkommenheit. Und ſo war jedes lebendige Ding der Form nach, oder in ſeinem erſten Keime unzerſtoͤrbar von Ewig - keit da, und die Sonnenwaͤrme, oder ſein Gott, loͤſt es nur von den Banden, und ſetzt es in freye Wirkſamkeit, wo es ſo lange genießt und leidet, als es ſich mit ſeinem neuen Umkreis hal - ten kann, oder bis es die umgebenden Kraͤfte wieder in ſeinen unzerſtoͤrbaren Punkt zuruͤck - draͤngen. Deßwegen ſagt der Weiſe auch, es gibt nur wenig Menſchen, die goͤttlichen Ver - ſtand haben. Und gewiß, denen, in deren Ur - kraft er nicht liegt, kann[denſelben] keine Bildung und Erziehung geben. Wer fuͤhlt dieß nichtdurch204durch all ſein Weſen, wenn er einen[urſpruͤng - lichen] Laffen und Thoren vor ſich hat? er war von Ewigkeit Thor, und weder Sparta noch Rom wird ihn je zu einem Brutus oder Leoni - das umſchaffen. Theophraſt konnte ſich in ſei - nem neun und neunzigſten Jahre noch immer nicht genug verwundern, woher unter demſelben Himmelsſtriche, und bey derſelben Erziehung die Menge von verſchiednen Charaktern herkaͤme. So bald man dieß annimt, hoͤrt die Verwunde - rung auf; oder verliert ſich in die Unbegreiflich - keit alles Daſeyns, dem groͤßten aller Geheim - niſſe.

Wir ſind, was wir ſind; und werden nie etwas anders werden. Wohl dem, der edel und herrlich iſt! er bleibt es ewig.

Demetri. Erhaben; wenns nur wahr waͤre, und nicht dieſelben Schwierigkeiten ſtatt faͤnden! Anaxagoras haͤtte ſchon kluͤger deßwegen in der Verzweiflung alles: Knochen, Haare, Naͤgel,Klauen205Klauen fuͤr von Ewigkeit fertige Vollkommenhei - ten gehalten, wenn dem Stagiriten bey der See - le ſo etwas in Sinn gekommen waͤre, als ihr von ihm meint. Schwerlich kann ein Arabiſcher Hengſt je in Daͤnemark wieder gebohren werden; und ein Epaminondas in einem Großmogulſchen Serail! Inzwiſchen wird dieſer bezaubernde ſtolze Glaube an perſoͤnliche Unſterblichkeit, die man freylich alsdenn auch jedem Wurm wie Ale - xandern und Caͤſarn zuerkennen muß, noch lan - ge herrſchen.

Jedoch es iſt Zeit von dieſen Dunkelheiten auf den Ariſtoteliſchen Gott zu kommen, den Koͤnig der Elemente, der alles aufloͤſt, und aus ſeiner Traͤgheit in die Freyheit zu handeln ſetzt.

Eine Bewegung, ſagt der Weiſe, muß die erſte, oder muß ewig ſeyn, die durch keine andre hat koͤnnen hervorgebracht werden. Sie bedarf der Regung nicht von etwas anderm, ſon -dern206dern iſt ſelbſtſtaͤndig, immer in Wirklichkeit, und nie bloß in Moͤglichkeit: ſonſt wuͤrde aller Grund von Leben und andrer Bewegung fehlen. Sie iſt ſchlechterdings nothwendig, und man muß ſie an und fuͤr ſich annehmen.

Wir koͤnnen uns keine andre Bewegung in ſich ſelbſt ewig denken, als die kreisfoͤrmige; und kreisfoͤrmig iſt ſie der Vernunft und der That nach.

Sie bewegt, von nichts bewegt, fuͤr ſich das begehrliche und verſtaͤndliche.

In ihr ſchwebt der Himmel und die Na - tur. Ihr Leben iſt das beſte, ſo wie wir es nur kurze Zeit haben; denn ſie bleibt immer dieſelbe welches uns unmoͤglich iſt. Ihre Wirkſamkeit iſt Wolluſt; durch ſie iſt das Wachen, die Empfin - dung, das Denken das erfreulichſte. Hofnun - gen und Erinnerungen ſtammen davon.

Das Denken an und fuͤr ſich ſelbſt gehoͤrt zum Beſten an und fuͤr ſich ſelbſt; und das ab -gezo -207gezogenſte zum Vortreflichſten. Der Verſtand denkt ſich aber durch Annehmung von Verſtaͤnd - lichem; und verſtaͤndlich wird er beruͤhrend und denkend: ſo daß Verſtand und Verſtaͤndliches daſſelbe; denn das Faſſende des Verſtaͤndlichen und des Weſens iſt Verſtand. Er wirkt im Ha - ben; ſo daß jenes mehr als dieſes, was der Verſtand goͤttliches zu haben ſcheint, und die Betrachtung iſt das Erfreulichſte und das Beſte.

Wenn alſo Vollkommenheit iſt, wie wir zuweilen beſchaffen ſind: ſo iſt Gott immer ver - ehrungswuͤrdig; wenn hoͤheres: noch verehrungs - wuͤrdiger. Und ſo verhaͤlt es ſich.

Auch herrſcht wahrhaftig Leben in ihm; denn Wirkſamkeit des Verſtandes iſt Leben, und er iſt die Wirkſamkeit. Die Wirkſamkeit aber an und fuͤr ſich iſt ſein beſtes und immerwaͤhrend Leben. Und wir ſagen, daß Gott ein immer - waͤhrend beſtes lebendiges Weſen ſey; ſo daßGott208Gott Leben und beſtaͤndige immerwaͤhrende Dauer hat. Denn das iſt Gott.

Das Gute und Beſte iſt aller Natur Zweck. Sie gleicht einer Armee mit ihrem Feld - herrn, und das Wohl beſteht in der Ordnung. Voͤgel, Thiere, und Pflanzen, und was ſchwimmt, hat ſeine gewiſſe; keins aber ſcheint fuͤr ein - ander, ſondern es iſt Eins, wofuͤr alles geord - net iſt.

Alles in der Natur hat wieder etwas Boͤſes in ſich, inſofern es nicht das Eins iſt, auf welches ſich alles bezieht. Wir alle nehmen An - theil an Gott, und er macht das Ganze.

Kurz, es iſt eine allgemeine Bewegung, die alle Elemente zu ihrem Vergnuͤgen in Ord - nung erhaͤlt, und macht, daß ſie ſich ihrer Na - tur nach zu einzelnen Ganzen formen, und je - dem von ſich mittheilt, wie ein Hausvater ſeinen Kindern, Sklaven, und Thieren. Jedes iſt gluͤckſeelig nach Art ſeiner Beſtandtheile;und209und traͤgt ſo die Uebel ſeiner Zuſammenſetzung. Gott allein iſt ewig im Genuß ſeines reinen We - ſens, wie jedes nur die wenigen Momente ſeiner hoͤchſten Kraft und Einheit.

Darauf folgert er: es ſind ſo viel Goͤtter, als ſelbſtſtaͤndige kreisfoͤrmige Bewegungen; der Fixſternhimmel faßt ſie; und alle insgeſammt machen nur Einen.

Wenn Weſen verſchieden iſt: ſo muß wohl eine Art davon das beſte und maͤchtigſte ſeyn.

Die Sonne hatte ſich geneigt, und wir ſtiegen vom Gewoͤlbe der Rotunda wieder hinab.

Ich beſchloß auf der Treppe: jeder verſteht ſich ſelbſt am beſten; und ſo mag auch Ariſtote - les am beſten verſtanden haben, was wahres und ertraͤumtes in ſeiner geſtirnten Nacht von Worten liegt. Ueber Weſen, deſſen Begierde und Scheu, Ruhe und Bewegung, und Entſte -Ardinghello 2ter B. Ohen210hen des Einzelnen werden wir uns noch lange vergebens die Koͤpfe zerbrechen, und die erhaben - ſten Maͤnner Schwachheiten vorbringen. Wenn alles in der Welt ſo begreiflich waͤre, wie wir verlangen: ſo wuͤrden wir nicht halb ſo gluͤcklich leben, und vor langer Weile uͤber aller der Klar - heit und Deutlichkeit vergehen. Es muͤſſen Wunderdinge fuͤr uns ſeyn! Wir muͤſſen Raͤth - ſel haben, wie die Kinder, um das, was in uns denkt, damit zu beſchaͤftigen.

Wir traten wieder in das Pantheon. Und um dieſe Zeit muß man es ſehen, wann die ſtille Daͤmmerung ſich einſenkt! Da fuͤhlt man un - ausſprechlich die Schoͤnheit des Ganzen; die Maſſe wird noch einfacher fuͤr das Auge, und erquickt es lieblich und heilig. Dann iſt es ſo recht der weite hohe Schoͤnheitsvolle Zauber - kreis, worin man von dem Erdgetuͤmmel in die blauen heitern Luͤfte oben wegverzuͤckt wird, und ſchwebt, und in dem unermeßlichenUm -211Umfange des Himmels athmet, befreyt von al - len Banden.

Wir ſetzten uns in den ſuͤßeſten Punkt und genoſſen.

Nach langer Stille umſchlang mich Deme - tri zaͤrtlich, und ſagte einige Worte uͤber die ehe - malige Minerva des Phidias (Tochter aus dem Haupte des Zevs, Verſtand aus dem Weſen) und die griechiſche Venus hier (Luſt der Sinnen, Wonne des Daſeyns) und fuhr geruͤhrt dann weiter fort:

Gott iſt entweder die ganze Natur; oder ein Theil der Natur; oder die Natur beſteht fuͤr ſich aus ewiger nothwendiger Bindung und Loͤſung verſchiedner Weſen, und es iſt kein Gott, ſondern lauter Schickſal.

Daß Gott die ganze Natur ſelbſt ſey, iſt der aͤlteſte Glaube.

Daß er ein Theil der Natur ſey, der juͤn - gere; das edelſte beſte Leben darin, wie Ariſto -O 2teles212teles ſagt; ein Weſen, das ſich von ſelbſt in ſich, ſeinen Einheiten, wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf, immerfort bewegt, ganz aus Thaͤtigkeit beſteht. Deſſen Charakter gerad es iſt, nie ge - bunden zu werden, es ſey von was es wolle; das lieber das Boͤſe freywillig thaͤte, als das Gute gezwungen, wenn es ein Boͤſes fuͤr daſſelbe ge - ben koͤnnte. Das vermoͤge dieſes Charakters al - les andre loͤſt, was ſich ſeiner minder regſamen Natur nach bindet; kurz, eine unendliche Unru - he in der unendlichen Uhr der Zeit.

Anaxagoras fuͤhrte zuerſt dieſen Glauben ein; Plato verſchoͤnerte ihn mit Dichtungen; Ariſtoteles plagt ſich, denſelben in ein vernuͤnf - tig Syſtem zu bringen, ſcheint aber mit ſich ſelbſt daruͤber noch nicht einig.

Verſtand duͤnkt ihm das goͤttlichſte unter al - lem, was wir kennen; und dieß zwar wegen des Denkens, welches keine zufaͤllige Eigen - ſchaft, ſondern immer rege Wirkſamkeit, ſelbſt -ſtaͤndig213ſtaͤndig Leben ſey, indem es dem Verſtande ſonſt beſchwerlich werden muͤſſe.

Wenn aber der Verſtand das goͤttlichſte, und ſelbſtſtaͤndige Wirkſamkeit ſeyn ſolle: ſo koͤnn er, duͤnkt ihm ferner, nichts anders, als ſich ſelbſt denken; denn er wuͤrde, wenn er etwas anders daͤchte, zu einer bloß zufaͤlligen Eigen - ſchaft, und koͤnnte denken, und nicht denken, außer dem, daß er ſich erniedrigte.

Ich ſehe nicht ein, was uns ein ſolcher Gott hilft, auf was fuͤr Art er alles bewegt, wie er ſich den Geſchoͤpfen mittheilt. Und was iſt dann Materie, was ſind Elemente? wo kom - men ſie her? und wie ſind ſie mit ihm in Zu - ſammenhang, Ordnung und Schoͤnheit? Wenn die Natur ſelbſt lebt und wirkt und ihre noth - wendige Art zu ſeyn hat, und alles Einzelne aus ſich hervorgeht und ſich ſelbſt forthilft: wozu brauch ich einen Gott? und welch ein Graͤuel, im andern Fall, das hoͤchſte Lebendige, das ſichO 3mit214mit dem Tode gattet? Lauter Luͤcken und Maͤn - gel, die nach ſeinem Syſtem nicht auszufuͤllen ſind; und wobey wir wieder von vorn anfangen muͤſſen.

Hypotheſen? und Hypotheſen? aber es koͤmmt darauf an, welche die denkbarſte und vernuͤnftigſte iſt! einer, der keine Luſt hat, auch fuͤr ſich zu glauben, was man will; oder blinde Fenſter der bloßen Ordnung wegen an einem Gebaͤude vertraͤgt, wo gerade das beſte Licht her - einbrechen und die ſchoͤnſte Ausſicht ſeyn ſollte, kann nicht eher Ruhe finden.

Ardinghello (fuͤr ſich.) Die Muͤdigkeit wirds ihn ſchon endlich lehren!

Demetri. Daß alles ewig iſt, in ſich ſeyn wird, was es war: muͤſſen wir wohl ohne fer - nern Grund annehmen; denn es iſt die Grenze des Nichts.

Wie es aber verſchieden iſt? ſich bindet und ſcheidet? Was alles will, und nicht will? Dar -uͤber215uͤber hat mir das Syſtem noch keines Philoſo - phen Genuͤge geleiſtet.

Ruhe und Bewegung! Wer davon die ei - gentlichen Urſachen entdeckte, wuͤrde den Kapi - talſchluͤſſel zum Pallaſte der Wahrheit und ihrem innerſten Kabinette finden.

Bewegung iſt Streben nach Genuß, oder Flucht vor Leiden. Genuß iſt Beruͤhrung. Ru - he, deren moͤglichſte Fuͤlle; und Werden eines neuen Ganzen, das wieder nach Beruͤhrung trachtet. So fuͤhlt ſich das Weſen, und tau - melt von Zone zu Zone, durch alle Himmel des Weltalls.

Nehmen wir die einfachſte Subſtanz von Leben, die Einheit von irgend einem Element an; und denken ſie uns allein und abgeſondert weit außer der Welt in den leeren Raum hin.

Vorſtellen kann ſie ſich nichts, weil ſie nichts um ſich hat. Innerliches Leben, VerſtandO 4in216in Ausuͤbung, Gedaͤchtniß, Einbildung findet nicht ſtatt, weil ſie ganz ohne Theile iſt, und ſich nicht regen kann; ein Etwas wie das Nichts, und der letzte Begriff von Tod; ein Punkt von Sebſtbewußtſeyn mag in ihr[ſtecken].

Nun geſellen wir dieſer Subſtanz eine an - dre zu:

Erſter Urſprung von Gefuͤhl.

Nehmen wir nach dem Demokrit in bey - den Urform an, und denken ſie uns zum Exem - pel vollkommen rund.

Und ſie werden nicht ſatt werden, ſich um einander zu bewegen, und ſich zu beruͤhren.

Platt oder eckicht:

Und ſie werden an einander feſt hangen, weil ſie nicht herumkoͤnnen.

Eckicht und rund beyſammen:

Vermiſchte Empfindung, Freude und Leid.

Denken wir nun das Weltall als himmel - unendliche Menge ſolcher Subſtanzen mit ewi -gem217gem Streben nach neuem Genuß, an Stoff und Feinheit und Form Centillionenfach verſchieden und aͤhnlich und gleich; und daraus nothwendi - ger Weiſe von ſelbſt die beſte Ordnung zur aller - vollkommenſten und mannichfaltigſten Beruͤh - rung; und wir werden, glaub ich, uns der Er - klaͤrung des Raͤthſels naͤhern, und einigermaßen obenhin begreiffen lernen, warum die Geſtirne in Flammen ſich waͤlzen, die Winde raſen, die Meere toben, die Erden feſt halten, und daß der Strahl in einen Pulverthurm gluͤcklicher ſeyn kann, als Herkules bey allen ſeinen Liebes - haͤndeln.

Man koͤnnte auf dieſe Weiſe aber wohl doch noch die ſonderbare Meinung des Xeno - phanes, und ſeiner Schuͤler Parmenides und Meliſſos erklaͤren, daß Eins Alles, und Alles Eins ſey. Nehmlich, aller Grundſtoff iſt ſich gleich, nur die Form ſeines unendlichen Weſens verſchieden.

O 5Des218

Des Exempels wegen; denn was wiſſen wir beſtimmtes hieruͤber mit unſern groben Sin - nen? in den Sonnen rund, in der Luft rund und halbrund, im Meere platt und eckicht, in der Erde platt. Und Platt kaͤme unſerm Ge - fuͤhle kalt und trocken vor; und Rund in hefti - ger Bewegung heiß und trocken, und ſo weiter. Das Platte werde wieder platt und eckicht, Erde Meer. Waſſer durch Ausduͤnſtung zu Wolken und Regen. Und das Runde und Halbrunde endlich ganz rund, wie auf unſrer Erde im Gro - ßen ſich Berg und Thal und[Ebne] umaͤndert. Das Runde uͤbrigens herrſche wegen ſeiner leich - ten Bewegung. Und ſo mache ſich das We - ſen in moͤglichſter Luſt die Ewigkeit zu kurzer Zeit.

Gewiß bleibts allemal, daß Verſchiedenheit und Aenderung, die unſre Sinnen am Wirkli - chen empfinden, und wir Qualitaͤt, Organis - mos nennen, bloß in innrer Form beſteht; unddaß219daß man ohne Form alles nur einerley, Ein We - ſen denken muß.

Alle Form iſt ferner Wirkung, und kann ſeyn und nicht ſeyn; das Weſen allein iſt noth - wendig und ewig.

Wie dieß Eins aus ſeiner Formloſigkeit zu Form gekommen waͤre, und ſich in unendliche Geſtalten verwandelt? Wie geſagt, durch Stre - ben nach Genuß, um lebendig zu ſeyn, aus Ekel vor Tod, an ſonſt unendlicher langer Weile; durch Bewegung, Ausdehnung und Anziehung, bis ins innerſte uns freylich unbegreiflich, die wir jedoch durch die ganze Natur wahrnehmen, und Forſcher bis auf den Embryon verfolgen, wo ſie Sinn und Erfahrung verlaͤßt. Wenn wir Anfang von Zeit annehmen wollen: ſo ginge ſie hier aus der Ewigkeit hervor, und es haͤtte ſeine Richtigkeit: Gott ſchuf die Welt aus Nichts.

Das220

Das Problem waͤre aufgeloͤſt, wie die Welt Eins ſey, und doch verſchieden; und Ruhe und Bewegung in ihren erſten Lagerſtaͤtten ge - funden.

Alſo ſinnlich und jedermann faßlich ge - ſprochen!

Im Anfange war Alles Eins, das Weſen ſo zart zerfloſſen, fein und duͤnn, wie der Raum ſchier.

Und es regte ſich; da ward Form.

Aus der Unvollkommnen ging die Voll - kommnere hervor; und ſo entſtanden die Ele - mente: Waſſer, Luft, Erde, Feuer; Pflanzen, Thiere, und Mineralien.

Alles wechſelt mit einander ab, und geht wieder in das Eins zuruͤck. Vater Aether, al - ler Lebengeber!

Und ſo wird und vergeht ewig Alles, was iſt.

Das221

Das Holz zum Exempel brennt, und wird Feuer, Rauch und Erde. Feuer und Rauch wird Luft, und Luft wird Waſſer; und jedes kehrt wieder zuruͤck, wo es herkam. Erde, Waſſer, Luft und Feuer wird Pflanze; Pflanze Thier; Thier und Pflanze das Herz einer Victoria Colonna, der Kopf eines Macchia - vell. Form und Weſen, und Weſen und Form! das ſind die zwey Pole des Weltalls, um welche ſich alles herumdreht.

Die bildende Kraft liegt in dem Weſen, und iſt ein Streben nach Genuß.

Es bleibt wahr, was den Alten ohne Sinn ſo oft iſt nachgeſagt worden: Gott der groͤßte Geometer.

Wenn Weſen an Weſen ſich fuͤhlt, entſteht das reinſte Bewußtſeyn.

Wenn es ſich zu den erſten Formen bildet, entſteht das abgezogenſte Denken. Das Weſen beruͤhrt ſich, und wird verſtaͤndig, indem es ver -ſtaͤnd -222ſtaͤndliches zu ſich nimt; und kann nichts anders als ſich ſelbſt denken, wie Ariſtoteles tiefſinnig ſagt. Denken uͤberhaupt iſt Verwandlung des Weſens in Formen; und Weſen muß alles ſelbſt werden, was es denkt.

Wenn Weſen ſich zu Idealen formt, ent - ſteht Phantaſie.

Wenn es die Ideale in ſich, und die For - men außer ſich befeſtigt, Gedaͤchtniß. Sonnen, und Planeten und Kometen ſind nichts anders in der großen Welt; Formen in Bewegung, Denkmale von Leben.

Alle Gefuͤhle, alle Arten von Leidenſchaf - ten, Schmerzen und Vergnuͤgen ſind nur ver - ſchiedne Formen in dem Weſen.

Ohne dieſen fruchtbarſten aller Grundſaͤtze von reinem Weſen und Form, ohne Continuum, das alle moͤgliche Formen wird, ſcheint die ganze Welt, aller Zuſammenhang, Erhalten, Wach - ſen, Zeugen, Vergehen, der Menſch, ſeinDen -223Denken und Empfinden, ſein Dichten und Trachten, kurz, alle Art Verwandlung voͤllig unerklaͤrlich.

Die Vollkommenheit des Weltalls beſteht in allen moͤglichen Arten von Formen.

Alle Geſchoͤpfe ſind bloß Gedanken Gottes, und des hoͤchſten Vergnuͤgens in ihrem Maaße faͤhig.

Gott dachte: es werde Licht! und es ward Licht.

Daß Gott demnach als Griechen gegen ſich, die Trojaner, ſtreitet; als Paris ſich, die ſchoͤne Helena, verfuͤhrt; Stier, und Hund und Zwiefel, und das Veraͤchtlichſte, nach un - ſern Begriffen, wird, ſich ſelbſt ißt und verdaut, darf uns wenig kuͤmmern; denn dieſes folgt wohl aus den meiſten eingefuͤhrten Syſtemen. Die alten Aegyptier verehrten vielleicht Gott er - habner, als der heutigen Menſchen Verſtand reicht; und wir ſind gegen ſie, was unſre Haͤus -lein224lein gegen ihre Obelisken und Pyramiden. Gott iſt unendlich Eins, und in jedem Punkt Eins, und Eins in jedem angenommnen Maaße; das dann Verhaͤltniß in Bewegung und Verbin - dung nach ſeiner Realitaͤt und Form zu einan - der hat.

Wie er unendlich wirkt und iſt, allgegen - waͤrtig, erhaltend, und uͤber ſeine Schoͤpfung erhaben, was weiß der Menſch! das geht nicht in uns, wie er ein Ganzes ſey nichts au - ßer ihm; ſolche Gewalt und Schoͤnheit iſt der verſchwindenden Kleinheit allzu unermeßlich. Wir erliegen; und koͤnnen nur anbeten, bewun - dern und erſtaunen.

Aber den Grund und die Wahrheit von al - lem andern Lebendigen haben wir in uns, wo - von die Sinnen nur die Oberflaͤchen oder einzel - ne Aeußerungen empfinden; oder das Weſen hat die Regeln von allem in ſich, wie es verſchiednes wird und iſt.

Weſen,225

Weſen, als das erſte, ohne Form, und Form in Bewegung, gedacht, iſt weder Ver - ſtand noch Koͤrper, beyde koͤnnen nicht ohne Form beſtehen, handeln nicht, ſondern ſind Handlung, Weſen in Form; und Weſen an und fuͤr ſich in beyden gleich. Jedes kann die Folge von dem andern in dem Weſen ſeyn, wie ein Gedanke von dem andern; denn beydes, Gedanke und Koͤrper, ſamt deſſen Bewegung iſt von demſelben Weſen That. Weſen vollendet ein zuſammenge - ſetztes Ganzes in Folgen von Handlungen, eine Salaminiſche Schlacht, einen Olympiſchen Ju - piter, wie Geſchoͤpfe. Sein Bewußtſeyn, das auf einmal alle Folgen faßt, gibt die Ein - heit.

Daß Gott unendlichen Verſtand habe, und unendliche Welten ausmache, ſcheint ein Wider - ſpruch; denn alle Form iſt Schranke. Gewiß duͤnkt mir ſchon, daß ich, und ſo jeder andre Menſch, und jedes andre lebendige GeſchoͤpfArdinghello 2ter B. Pnicht226nicht immer lauter Weſen in Form ſey. Die Freyheit, etwas anzufangen, Urſache von einer Wirkung zu ſeyn und nicht zu ſeyn, ſich von der Stelle zu bewegen oder nicht zu bewegen, Form anzunehmen und nicht anzunehmen, welche nicht kann geleugnet werden, wenn nicht alles von einem grundloſen Schickſale gepeitſcht handeln ſoll, erfordert ein reines Weſen ohne Form, ei - nen Mittelpunkt der Sammlung.

Und dieß iſt das Heilige (welches einige Al - ten fuͤr Feuer, Urſprung der Lebenswaͤrme hiel - ten, weil Feuer waͤre, Weſen in ſeine groͤßte Freyheit verbreitet) wovon alles in jedem leben - digen Eins ausgeht, ſinnlich wird und erſcheint, und in deſſen Liebesſchooß ſich alles wieder ein - ſenkt; vor deſſen Seyn und wunderbarer All - macht, Despotismus und allertiefſten Gehor - ſam jede Philoſophie verſtummt, nur erkennt: es iſt; und ihm ſeine Art zu handeln ab - lauert.

Man -227

Manches in der erhabnen Beſchreibung des Ariſtoteles von Gott ſcheint hierauf zu paſſen.

Dieß iſt das unbegreiflich goͤttliche, was in allem lebendigen Einzeln verdaut, und Koͤrper wieder zu reinem Weſen aufloͤſt, ſich ſelbſt und dieſes wieder nach Form ſeines gegenwaͤrtigen Eins verwandelt, neue derſelben Art erzeugt, und auf deren immer groͤßere Vollkommenheit und mehrere Freuden denkt.

Wenn Eins Alles iſt: ſo iſt jede Form deſ - ſelben urſpruͤnglich freye Handlung; denn es laͤßt ſich kein Grund denken, als ſeine Luſt, war - um es aus ſich ſo mancherley wird. Und Allge - nuß ſeiner Kraft iſt die hoͤchſte Freyheit.

Das Weſen hat alſo die Welt nach ſeiner Luſt aus ſich erſchaffen, und in mannichfaltige, fuͤr uns unendliche Formen geordnet. Wie? und ob auf einmal, oder nach einander? koͤnnen wir nicht ergruͤnden. So viel wiſſen wir, daß ſich die Schoͤpfung durch immerwaͤhrende Erneue -P 2rung228rung immerfort erhaͤlt. Genug; die erſte Form muß einen Anfang gehabt haben, weil keine noth - wendig und ewig iſt. Unendliches laͤßt ſich nur von Einem Weſen denken; und der Verſtand kann nur in Einem ſeine Ruhe finden*)Ueber Pro und Contra in dieſen Dingen ſind wir jetzt durch gruͤndlich denkende Maͤnner, die es ſich zum Hauptgeſchaͤfte machten, beſ - ſer im Klaren. Demetri hat die Idee des Xenophanes (damals in Rom, wie es ſcheint, noch ziemlich unbekannt) die ſchon laͤngſt vor dieſem da war, und in den neuern Zeiten (nach dem Carteſianiſchen Beweiſe) in Europa, mit bewunderten Syſtemen daruͤ - ber, allgemein angenommen wird, auf ſeine Art behandelt. Ich wollte nichts daran um - aͤndern, und den erſten rohen Entwurf laſ - ſen; weil es immer wenigſtens ein kuͤnſtle - riſches Vergnuͤgen macht, auch des Gering - ſten eignen Gang wahrzunehmen..

Durch229

Durch Wirken und Gegenwirken iſt das All in ſchoͤnem Leben. Das Weſen aͤußert immer ſeine Kraft; ſo wie immer die Sterne leuchten, und um einander durch die Himmel ſchweben. Auch wann wir ſchlafen, bewegen wir unſern Erdball um ſeine Sonne. Wie vieles andre mag das Weſen in uns thun, ohne daß wir uns deſ - ſen bewußt ſind, und wofuͤr die Sinnen keine Sprache haben! Unſre innige Vereinigung mit dem Ganzen herrſcht immer fort, und wir ſind nur zum Schein ein Theil davon; jedes beſon - dre Ding ein Spiel, ein Muthwille des We - ſens, und kann keinen Augenblick ohne das Gan - ze beſtehen.

Das iſt eine ganz andre Hofnung, Sicher - heit von Unſterblichkeit, wann ich Stuͤrme durch die Athmoſphaͤre brauſen hoͤre, und in mir fuͤh - le: bald wirſt auch du die Wogen waͤlzen, und mit dem Meer im Kampf ſeyn! Wann ich den Adler in den Luͤften ſchweben ſehe, und denke:P 3bald230bald wirſt auch du in maͤchtigem Fluge ſo uͤber den Rund der Erde hangen! als Komet durch die Himmel ſchweiffen, Sonne Welten begluͤ - cken! und, ſtolzer Gedanke! wieder in das Meer des Weſens der Weſen einſtroͤmen!

Aber auch das Veraͤchtlichſte werden?

Wer weiß alles, woran das Weſen ſeine Freude hat? offenbar erſcheint es uns in unend - lichen Geſtalten. Und dann koͤnnten wir noch fuͤr ſo viel Genuß ein wenig leiden, fuͤr ſo lange Herrſchaft kurze Zeit dienen.

Eins zu ſeyn, und Alles zu werden, was uns in der Natur entzuͤckt, iſt doch etwas ganz anders, als das Schlaraffenleben, welches, ver - nuͤnftiger Weiſe und aller Erfahrung nach un - denkbar, bezauberte Phantaſien ſich vorſtellen.

Und warum ſollten wir nicht in der ewigen Natur noch verehren, was wir im - mer wirkſam, ſchoͤn und gewaltig darin empfinden? Die erſten Ausgeſandten, Die -ner231ner Gottes? uns ſinnlich vereinigen mit den hoͤhern Schweſtern und Bruͤdern? Nur Verſtand von Wenigen dringt durch all das praͤchtige Getuͤmmel durch bis zum Throne des Herrn! Warum wollen wir die Welt nicht nehmen, wie ſie iſt?

Aber wir alle ſind uͤber kurz oder lang mit der Gegenwart nicht zufrieden, und das Weſen trachtet immer nach Neuem.

So viel moͤgen wir wohl auch bey dem hart - naͤckigſten Zweifler herausgebracht haben, daß Etwas außer uns iſt, unermeßlich unſern Sin - nen; und da Anfang aus Nichts der Realitaͤt nach unmoͤglich iſt, nothwendig und ewig; und daß dieß Weſen, bis auf das alleraͤußerſte aufge - loͤſt, entweder durchaus einerley ſeyn muß, oder verſchieden.

Wenn verſchieden: ſo muß eine Art davon, wo nicht das hoͤchſte, beſte und maͤchtigſte, doch wenigſtens ſo gut ſeyn, als die Art Weſen, dieP 4in232in uns (und allem Lebendigen) denkt und Ver - ſtand hat. Und wo nicht verſchieden: ſo muß es wenigſtens wieder eben ſo gut ſeyn, da es alles iſt. Und da wir augenſcheinlich nur geringe Kleinigkeiten ſind gegen das Univerſalweſen entweder unſrer Art, oder das Weſen uͤber - haupt: ſo waͤr es arg, wenn wir es nicht als etwas hoͤheres verehren wollten.

Das letztere waͤre dann die allerreinſte Weltmonarchie.

Und darauf beruhte vielleicht (denn wer kann die Farbenwechſelnden Einbildungen der hohen Prieſter und Schriftgelehrten daruͤber be - ſtimmt anſagen?) das Juͤdiſche Syſtem, und das geheime Aegyptiſche, und noch das chriſtliche. Jeſus, der Stifter des letztern, waͤre mit ſeiner goͤttlichen Natur Symbol des unendlichen We - ſens in Formen*)Das Intelligibile, wie Leibnitz in ſeinerVer -; da das unendliche Weſenganz233ganz und vollkommen, ohne Widerſpruch, kein Menſch in Perſon ſeyn kann. Die alten Ae - gyptier mochten bey Verehrung verſchiedner Ge - ſchoͤpfe und Gewaͤchſe aͤhnliches denken. Und noch andre alte morgenlaͤndiſche Religionen ſchei - nen davon auszugehn.

Das erſtere waͤre entweder reine Weltari - ſtokratie, jedes Element nehmlich ſo goͤttlich als das andre; wo nach dem Homer Juno, Neptun, und Apollo den Zevs binden koͤnnten. Oder Ariſtokratiſche Weltmonarchie; ein Element unter den andern der Koͤnig. Oder Demokra - tiſch Ariſtokratiſche Weltmonarchie; Thiere und Pflanzen ſchon der Form nach von Ewigkeit da; wie ihr oben ſelbſt meintet.

P 5Aus

*)Vertheidigung der Dreyeinigkeit, per nova reperta logica, ſagt; ſo wie Gott der Vater das Intellectivum; und der heilige Geiſt, der von beyden ausgeht, die intellectio.

234

Aus dieſem haben die Griechen ihre reizen - den Dichtungen und ſchoͤnen Goͤttergeſtalten ge - ſchoͤpft; und die erhabenſten Philoſophen dieſer gefuͤhlvollen Nazion, wie ſelbſt Ariſtoteles und Plato, konnten ſich davon nicht losmachen. Wenn ein großer Haufe zuſammen glaubt, kann er leicht einen guten Mann uͤberwaͤltigen! Durch Leſung ihrer Meiſterſtuͤcke von Poeſie und Be - redtſamkeit, und bezaubernden ſinnlichen Vor - ſtellungen, wiſſen wir aus unſerm eignen Glau - ben nicht mehr recht klug zu werden. Wer ihren Nektar rein und unverfaͤlſcht von der athletiſch ſchoͤnen Urſprache gekoſtet hat, kann ſich ſchwer - lich in anderm Getraͤnke berauſchen. Die Namen ihrer Gottheiten ertoͤnen noch immer von den Lip - pen der Edlern des aufgeklaͤrten Europa, und er - heitern die Geſichter der Zuhoͤrenden, auch ver - hunzt und entſtellt.

Geſetzt noch das allerausſchweiffendſte und letzte, es gaͤbe gar kein Univerſalweſen, die Weltbe -235beſtuͤnde aus lauter untheilbaren Staͤubchen, keins dem andern gleich, die ſich gatten und ſcheiden: ſo muͤßten wir doch billig Hochachtung vor der wiewohl komiſchen und bunten ungeheu - ern Menge haben; obgleich dieſe Meinung bey keinem, der den Abgrund des Aethers anſchaut, und fuͤhlt und denkt, Ernſt ſeyn kann, ſondern ein grillenhaftes Nadelſpitzenſyſtem iſt.

Und dieß waͤre denn Weltdemokratie, oder das eigentliche Atheiſtiſche Syſtem; wel - chem nun wohl einige unentſchieden anhangen, in der Verzweiflung, ſich Gott als ein freywir - kendes Ganzes vorzuſtellen, da ſie alles in der Natur verſchieden und in nothwendiger Verbin - dung ſehen. Sie ſelbſt aber muͤſſen ſich folglich als ein erſtaunliches Raͤthſel vorkommen, und, auch noch ſo beſcheiden, mehr einbilden, als Sonne, Mond und Sterne.

Sich des Daſeyns freuen unter allen For - men und Geſtalten, dieſe dazu vervollkommnen,und236und ſie zernichten, ſo bald ſie nicht mehr dazu taugen, oder in Sklaverey taugen koͤnnen, und alle Traurigkeit fliehen, predigt die Natur. Und dann, nichts unnuͤtzes heiſchen und be - ginnen.

Alles Weſen iſt frey, ſo bald es frey ſeyn will; das iſt, es kann fuͤr ſich allein handeln, und reißt ſich los, ſo bald es kein Vergnuͤgen mehr in der Verbindung hat. Tyranney dauert hoͤchſtens uͤberall nur bis auf den Grad, wo die letzte Luſt wegfaͤllt. Unſer kleines Ganzes ver - liert ſich bald mit allen ſeinen Folgen im Unend - lichen; aber Weſen kann von keinem Gott ver - nichtet werden. Dieß iſt der Grundpfeiler des Adels und der Staͤrke bey tiefen Gefuͤhlen. Zer - truͤmmre mich tauſendmal mit Blitzen und Wet - terkeilen! ich ſtehe immer jung wieder auf. Aber du verlangſt nichts von mir, was ich dir verſa - gen koͤnnte; und ich kann dir nichts zuwider thun. Was ich thue, thu ich durch dich.

Ar -237

Ardinghello. Ihr ſeyd auf eine andre Weiſe zu der goͤttlichen Sicherheit und Furchtlo - ſigkeit gekommen, weßwegen die Lehre des Epi - kur ſo geſchwind um ſich griff; deſſen Atomen nach Zufall, und abwechſelnder Luſt und Unluſt alles hervorbringen und wieder zerſtoͤren, Men - ſchen, Muͤcken und Elephanten, Fiſche und Sterne; und womit er den beſchwerlichen Herrn und Aufſeher, der alles beobachtet, und von al - lem Rechenſchaft verlangt, aus der Natur ver - bannte; den alberne Philoſophen und Phyſiker, nach ſeinem Beduͤnken, zu Aufloͤſung ihrer Kno - ten[herbeyrufen], damit er niederſchlage, wenns anziehen, und aufhebe, wenns in die Hoͤhe ſtei - gen ſoll.

Das Beſte fuͤr den, der Zweifel hat, bleibt immer, ſich zur Parthey der edelſten Menſchen von allen Nazionen zu halten.

Ob dieſe aber den aͤltern oder juͤngern Glau - ben gehabt habe, und habe; oder zu welchemvon238von den drey Syſtemen ſich die Vernunft neige, werden wohl allezeit die mehrſten gegenwaͤrtigen Stimmen entſcheiden. Denn nothwendige ver - ſchiedne Natur, die das zuſammengeſetzte bildet, iſt nicht ſchwerer zu begreiffen, als Anfang deſ - ſelben von Einem Weſen.

Wie hat ſich euer Eins geregt? vermuthlich verſchieden! Vorher war es etwa in der Ariſto - teleſſiſchen Bewegung, da ſich Leben nicht wohl ohne Bewegung denken laͤßt. Und irgendwo! denn ganz konnt es nicht Form werden. Und welcher Theil Form und Koͤrper geworden waͤre, den muͤßte wahrſcheinlich das Loos getroffen ha - ben; denn Verſtand war noch nicht da, der kann nur werden, wenn ſchon mehr Formen da ſind, welche das Weſen in ſeinem Bewußtſeyn vereinigt.

An Grenzenloſes will ich gar nicht denken; denn unendliche Realitaͤt ſind ein paar Woͤrter, die man wohl zuſammenſprechen undſchrei -239ſchreiben, aber nicht denken kann. Und euer formloſes Weſen, fein wie Aether und Raum ſchier, muͤßte ſchon eine Luͤcke im Unendlichen machen, wenn es ſich nur in einen Zentner Gold zuſammenzoͤge; geſchweig in eine reiche Mine in ganz Peru, da ging gewiß ein Sonnenſyſtem Groͤße von Formloſigkeit zu Grunde. Und ich ſeh euern Beweis noch nicht ein, daß keine Form nothwendig und ewig waͤre, worauf le - diglich euer Eins beruht. Die Frage woher? bleibt ſo gut bey Einem Weſen, als bey meh - rern; und wie ich Eins nothwendig und ewig annehme, kann ich ihrer Centillionen annehmen. Und dann muͤßt es ſich verzweiffelt plagen, eh es die mancherley Qualitaͤten nur fuͤr unſre Sinnen herausbraͤchte; wer weiß, ob es nicht noch Geſchoͤpfe mit andern Sinnen gibt? Mit einem redneriſchen Exempel von Holz in Feuer, Rauch und Aſche; und, es laͤßt ſich nicht anders erklaͤren, mit taͤuſchender, ſelbſt wahrhafterSchil -240Schilderung von dem Regenten in uns iſts nicht genug gethan. Was den Verſtand, oder das Weſen betrift, das in uns denkt: ſo koͤnnte Ana - xagoras gar wohl Recht haben, und das feinſte Weſen ſich nach den andern richten muͤſſen (die, wie ihr ſelbſt bewieſen habt, nichts weniger als todt ſind) wenn es dieſelben brauchen will, ohne daß wir eben wiſſen, wie es zugeht. Man kann freylich das Liebesgeheimniß nicht bis ins Inner - ſte aufdecken, wie verſchiednes ein lebendiges Eins wird, und ſo fortdauert, und zuſammen - handelt; aber eben ſo ſchwer laͤßt ſich das We - ſen, welches Gedanke und Verſtand, und das, welches Koͤrper wird, als Eins erklaͤren. Qua - litaͤt iſt ſo etwas ſonderbares, daß es bloße ver - ſchiedne Art von Ausdehnung und Anziehung nicht uͤberall hervorbringen kann. Der Ver - ſtand bleibt dabey ein Blindgebohrner, trotz al - ler moͤglichen Anwendung von Figur und Dauer; und ſie iſt allein Gegenſtand der Empfindung. Jede241Jede voll Majeſtaͤt in urſpruͤnglicher Reinheit eigne Subſtanz und Vollkommenheit der Natur, welche Voͤlker von lebhaftem Sinn und ſcharfem Gefuͤhl, deren Vernunft Urſachen fuͤr Augen und Ohren mit Einbildungen nie ganz umtauſcht, immer als goͤttlich verehrten; denn Glaube oh - ne Empfindung iſt Grille. Ihr habt oben, um eure Geſinnung auch mir ſo wie andern zu ver - bergen, aus Scherz geſagt: Wer beweiſen will, daß aus Einem Alles ſey, muß erſt darthun, daß aus Allem Eins werde. Widerlegt euch nun im Ernſte.

Und dann behaupten die Spoͤtter, Vorſe - hung, Plan von Einer allmaͤchtigen Regierung in der Welt waͤre nicht ſo auffallend ſichtbar; und Propheten, Apoſtel und Geſchichte haͤtten uns mehr dawider, als dafuͤr hinterlaſſen. Es ſtuͤnde mit uns nicht beſſer, weil ſie da geweſen waͤren, und ſie ſelbſt moͤchten lieber in Athen zu den Zeiten des Perikles leben, und in demArdinghello 2ter B. Qalten242alten Rom, als in dem neuern, wo es auch am froͤmmſten da zuging.

Ihr ſagt, der Verſtand koͤnne nur in Ei - nem einzigen nothwendigen unendlichen Weſen, das alles iſt, ſeine Ruhe finden? und ich weiß nicht, wie es zugeht: mir klopft das Herz vor Angſt, und ſauſen die Ohren, je laͤnger ich dar - uͤber nachdenke. Es bleibt immer einerley, es mag werden, was es will (ein Herr ohne Unter - thanen, Widerſpruch! oder der ſelbſt ſich in ſei - nen Geſchoͤpfen lobpreiſt, oder ſelbſt beſtraft) und kann ſeinem Schickſal der graͤßlichen Einoͤde nicht entrinnen; iſt ſchlimmer daran, als die al - ten Feen in den Ritterbuͤchern, die ſich bey wi - drigen Begebenheiten die Augen zerweinen, daß ſie ſich nicht ermorden koͤnnen. Alle Luſt und Pracht und Herrlichkeit der Welt wird zum Gaukelſpiel, und ſchwindet zuruͤck, fuͤr uns in ein Unding.

Ariſtoteles ertrug nie ein ſolches Weſen, und ſtraͤubt ſich dagegen aus allen Kraͤften; und mich duͤnkt, der hohe, edle hatte Recht.

Es243

Es faͤllt uns ſchwer, bey Betrachtung des Weltalls Sinn und Verſtand in reiner und keu - ſcher Verbindung zu bewahren. Die einen laſ - ſen lediglich und allein nur Verſtand gelten, und ziehen, wo moͤglich, alle Natur aus: und die andern halten ſich zu ſehr an die ſinnlichen Vor - ſtellungen, und taumeln mit ihrer Einbildungs - kraft herum in Paradieſen und Hoͤllen. Hohe Schoͤnheit iſt ein Gewaͤchs auf ſeltnem Boden, und wird nur Gluͤcklichen zur Beute.

Und gluͤcklich die Geſellſchaft, die einen ſol - chen freudenreichen Glauben nach Klima und Verfaſſung fuͤr ihr Daſeyn auf dieſem Erdenrund bekommen hat, oder ſelbſt erwaͤhlt! Sey er auch, um alle zu befriedigen, eine myſtiſche Kompoſizion von Weltmonarchie, Ariſtokratie, und Demokratie. Ihr werden Maͤnner, die mit der Natur und dem Volke gelind umgehn, und ſie den Philoſophen hold ſeyn. Warum ſollten wir, wenn das vorige Zeitalter barbariſcheQ 2Be -244Begriffe hatte, uns auch damit ſchleppen? Der Menſch kann nichts goͤttlichers als Verſtand er - gruͤnden, muß man wohl der Schule des Ana - xagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sin - nen ſamt Vernunft die hoͤchſte Regel der Wahr - heit, und gegen ihre vereinigten Ausſpruͤche gilt weder Verjaͤhrung, Wunder, noch Zeugniß.

Je mehr man das Weltall und ſeine Ver - bindung damit kennt: deſto vortreflicher die Religion.

Und wer den reizbarſten, innigſten Sinn fuͤr die Schoͤnheiten der Natur hat, ihre ge - heimſten Regungen fuͤhlt, deren Maͤngel nicht vertragen kann, und denſelben abhilft nach ſeinen Kraͤften: der uͤbt aller Religionen Wahrſtes und Heiligſtes aus. Sein Tempel iſt das unendliche Gewoͤlbe des Himmels; ſein Feſt jede ſchoͤne Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und er bringt ſeine Opfer dar an Menſchen, an Thiere, die ihrer beduͤrfen, an alles Lebendige.

Me -245

Metaphyſik hat Gott allein, ſie iſt ſein Ehrenamt! ſagte derſelbe Dichter Simonides, welcher ſich ſo klug uͤber die Frage: was iſt Gott? beym weiſen Hieron auffuͤhrte. Ariſto - teles will dieß zwar nicht zugeben, und meint: Gott waͤre nicht ſo neidiſch; ſie ſey die Glorie des Menſchen, und es einem freyen Mann un - anſtaͤndig, ſie nicht zu erforſchen. Plato aber, ſonſt ſo ſtolz gegen die leichten gefluͤgelten heiligen Dinger, wie er die Dichter nennt, geſtand, obgleich bey einer andern Gelegenheit, demuͤthig: Simonides habe ſelten Unrecht; er ſey ein ver - ſtaͤndiger und goͤttlicher Mann geweſen.

In den Sonnenſyſtemen des Orion, der Milchſtraße ſteigen wir vielleicht zu einer hoͤhern Religion auf.

Demetri. Solch ein Angriff gefaͤllt mir! Das iſt eine Gymnaſtik des Verſtandes, und auf beyden Seiten Gewinn; entweder geuͤbte nack - tere gelenkere Wahrheit, oder Befreyung vonQ 3dem246dem ſchaͤdlichen Uebel der Falſchheit. Wer weiß, was Menſchen ſind, und was er ſelbſt iſt, der verwundert ſich weder uͤber Oſt noch Weſt, ſon - dern unterſucht ferner fort getroſt, woraus ſie beyde beſtehen.

Ardinghello. Aber die Saͤulen huͤllen ih - re jungfraͤuliche Schoͤnheit ſchon ins Dunkel, und oben iſt kaum noch Daͤmmerung. Der Pfoͤrt - ner wartet, die Thuͤr zu ſchließen. Wer Unrecht hat (druͤckt ich ihn zaͤrtlich und traulich bey der Hand) will immer das letzte Wort behalten.

Demetri. Nur die Hauptpunkte! das Uebrige ein andermal; welches uͤberdieß haupt - ſaͤchlich auf eines jeden Gefuͤhl beruht, und wo - mit hinuͤber und heruͤber Muthwille kann getrie - ben werden.

Wie ich merke, habt ihr von Belvedere noch nicht ganz Abſchied genommen! Inzwiſchen ſpielt ihr treflich die Rolle, die ich bey der Pyra - mide; nur daß ich ſchon da zu Hauſe war, wo ihr vielleicht erſt einkehrt.

Ohne247

Ohne Eins, das ſich in verſchiedne Formen verwandelt, bleibt alles voͤllig unerklaͤrlich; ich mag daruͤber nicht wiederhohlen, was ich ſchon geſagt habe. Und dann:

Gott iſt nicht Menſch, Anthropomorphit! und ihr ſelbſt muͤßt eure Menſchheit ablegen, wenn ihr[ ihn] denken wollt; und eure ſtolzen republi - kaniſchen und Spartaniſchen Geſinnungen.

Und doch koͤnnen wir ſchon in unſerm Puͤnkt - chen, Plaͤtzchen von Formen nach dem Ariſtote - les, Ideen groß und klein, alſo irgendwo darin, erdenken, umbilden, aufbewahren, und wieder neu beleben. Reines Weſen kann in bloßem Be - wußtſeyn harren, das iſt ſein Leben; aber auch Formen in ſich ſchaffen und ſammeln, das iſt ſein Geſchaͤft und ſeine Luſt.

Woher es iſt, unendlich? Wie es war wuͤſt und leer? wie der erſte Gedanke in ihm entſtand? und Koͤrper? hier iſts noch immer finſter auf der Tiefe; Abgrund, wir verſinken,Q 4und248und Abgrund! Ewigkeiten! Ewigkeiten! Kein Untertaucher, nicht die beruͤhmteſten der Schu - len von Syme*)Syme iſt das Vaterland der Untertaucher in der Levante, eine kleine Inſel mit einer Stadt bey Rhodi, dem großen Magazin der Tuͤrkiſchen Seemacht. Niemand erhaͤlt das Buͤrgerrecht, ohne vorher Beweiſe ſeiner Geſchicklichkeit im Untertauchen gegeben zu haben. Hernach werden ſie in die Haͤfen weit und breit herum verſchrieben, und un - tertauchen. Gleichſam Akademien und Hal - len von Metavhyſikern; nur daß ſie bey ih - rer auch gefaͤhrlichen Kunſt gluͤcklicher ſind, und oͤfter verlornes ergruͤnden und feſt - packen, als Plato und Leibnitz. vermochten zu entdecken.

Ariſtoteles hat nicht zu viel geſagt, wohl Simonides. Aber Freunde werden wir ſeyn, ſo lange wir leben; und ſeelige Stunden mit einander haben.

Fuͤnf -[249]

Fuͤnfter Theil.

Q 5[250]251

Terni, Jenner.

Neid und Eiferſucht ſind die Dornen im Roſengarten der Liebe.

Ich habe von Rom abreiſen muͤſſen, der Herzog ruft mich zu Geſchaͤften. Aber ich er - kenne wohl, der Kardinal wollte mich fort; er hatte ſchon laͤngſt ein Auge auf mich, und fand bey meinem Aufenthalte nicht ſeine Rech - nung.

Ich reiſe vorwaͤrts, und meine Phantaſie ruͤckwaͤrts; Herz und alle Freude iſt in Rom ge - blieben. Zaͤhren des tiefſten Gefuͤhls[rannen] unaufhaltbar hervor mit ihren letzten heißen Seelenblicken; wir ſchieden aus gluͤhenderUm -252Umarmung. O ſie liebt mich, groß und edel! erhabnes Weſen!

Ich befinde mich hier in einer Waſſerwelt; die Fluthen rauſchen, und Stroͤme ſtuͤrzen ſich mit donnerndem Gebruͤll von den Gebirgen: und doch iſt mein Sinn nur wie im Taumel ge - genwaͤrtig. Das Wetter iſt außerordentlich lau und warm fuͤr die Jahrszeit; aller Schnee auf dem Apennin ſchmilzt. Die Nera iſt maͤchtig angeſchwollen, und der koͤnigliche Velino reißt ſich wie eine Suͤndfluth aus ſeinem See ſchraͤg uͤbers Gebirg herab, ſetzt alle Gaͤrten und Felder der Terner in Ueberſchwemmung, und verheert ſie mit ſeinem Schutte.

Ruͤhrend iſt bey dem fuͤrchterlichen Schau - ſpiel, wie die huͤlfloſen Menſchen ſo gut und freundlich und geſellig gegen einander bey der all - gemeinen Noth werden, und jeder erkennt, wie wenig er fuͤr ſich ſelbſt vermag.

Im253

Im ſchmalen Thal, an der Nera, vor dem Einſchuſſe des Velino, liegt ein Doͤrfchen von wenig Haͤuſern, Torroſina, wie in einem kleinen Keſſel. Nachdem ich die ganze Lage be - ſehen hatte: ſo fand ich, daß die Terner weit weniger und faſt nichts leiden wuͤrden, wenn man oben auf dem Gebirge den Velino dahin fuͤhrte, daß er in die Felſenkluft, wo die Nera furchtſam hervorſchleicht, ſich mit ſeinem Tartar ſtuͤrzte. Außerdem gewaͤnnen ſie noch das ganze breite Bett des Fluſſes an die zwey Miglien lang fuͤr ihre Waldung; und der ſenkelrechte Sturz ſelbſt wuͤrde an Hoͤhe und Schoͤnheit ſeines gleichen nicht in Europa haben, da er jetzt nur gemach ſchraͤg herab rauſcht. Weil aber Grund und Boden den Torroſinern gehoͤrt: ſo muͤßten ſie denſelben ihnen abkaufen; welcher jedoch an und fuͤr ſich keinen Werth hat, da er lauter Felſen iſt, und den etwannigen zukuͤnfti - gen Schaden zu erſetzen verſprechen, der fuͤr ſieent -254entſtehen koͤnnte, wenn die Nera bey großen Waſſern vor der einbrechenden Gewalt des Ve - lino ſollte zuruͤckgehalten werden.

Ich ging darauf in die Rathsverſammlung von Terni, und machte mein Gutachten als ein Werksverſtaͤndiger bekannt. Alle, keiner ausgenommen, gaben dazu ihren Beyfall; und dieſer und jener ſagte, daß er dieß ſchon laͤngſt auch gedacht haͤtte. Und ſiehe da! man ſchick - te kluge Redner zu den Torroſinern ab, und der ganze Anſchlag wurde mit wenig Koſten genehmigt.

Aus Furcht, daß es dieſen gereuen moͤch - te, will man ſogleich Hand ans Werk legen, und oben das kurze neue Bett ausgraben; wel - ches ich dieſen Morgen half abſtecken.

Die Sache wegen Verlegung des Velino - ſturzes iſt alt, und wurde ſchon zu CicerosZeiten255Zeiten verhandelt. Es ſcheint, die Torroſiner ſind gutherziger geworden, daß ſie jetzt ſo bald nachgaben; oder der große Schaden und Jam - mer der Terner hat ſie mehr als jemals ergriffen und zum Mitleiden bewogen; da ihr zukuͤnftiger Verluſt gegen dieſer ihren doch nur aͤußerſt klein ſeyn kann, und verguͤtet werden wird.

Peru -256

Perugia, Jenner.

Ich ſtreiche durch alle die himmliſchen Ge - genden ohne rechten Genuß; und nur ergreift mich noch des Waſſerelements Sturm und Aufruhr, und die Luft mit ihren Gewittern und Wetterſtrahlen.

Der Ort enthaͤlt einen Schatz von Gemaͤhl - den; und ſie, und die praͤchtig gepflaſterten Straßen und ſchoͤnen Pallaͤſte und Tempel zei - gen allein noch den ehemaligen Wohlſtand der Freyheit.

Fuͤr jetzt fluͤchtige Anzeige einiger Raphaele auf meinem Wege.

[Fuligno] hat deren zwey, die allein werth ſind, in dieß Paradies zu reiſen. Im Nonnen - kloſter delle Contezze ein Altarblatt, welches die Madonna vorſtellt vom Himmel hernieder ſchwebend, wie ſie der heilige Franziskus, Hie - ronymus, Johannes der Taͤufer, und einKar -257Kardinal anbeten. Es iſt aus des Meiſters be - ſter Zeit. Welche Geſtalten, welche Charakter! Wie iſt alles ſo rein bis aufs Haar beſtimmt! aͤchte klaſſiſche Arbeit.

Der Kopf der Madonna iſt eine der ſchoͤn - ſten welſchen weiblichen Koͤpfe. Wie klar die Stirn, wie reizend das lichte Kaſtanienhaar nach den Ohren weggelegt, der braͤunliche Schley - er wie ſanft und lieblich, in den holden hernieder blickenden Augen welche Guͤte! wie ſchoͤn die großen Augenlieder, vollen jugendlichen Wan - gen mit Schaamroͤthe uͤberzogen, wie jung - fraͤulich wie ſuͤß der voͤllige Mund, das zarte Kinn, und die Naſe wie edel herein! welch ein ſchoͤnes Oval, und wie reizend auf der rechten Seite herum im Schatten gehalten! wie reizend ſchwellen die Bruͤſte unter dem rothen ſittſamen Gewand hervor!

Welch eine feurige, eifrige Froͤmmigkeit und Wahrheit im Kopfe des Heiligen von Aſſiſi,Ardingbello 2ter B. Rund258und welch ein ſchoͤner kniender Akt! Wie kraͤftig der Kopf des heiligen Hieronymus gemahlt, und in welchem feyerlichen Ernſte von Betrach - tung! Johannes iſt ein aͤchter wilder Eremit, der ſich nicht auf buͤrgerliche Hoͤflichkeiten ver - ſteht, und dreuſt ſagt, was er denkt. Der Kar - dinal bloß Portraͤt voll Bewunderung.

Der Engel unten mit dem Taͤfelchen iſt treflich gemahlt, nur weiß man nicht, was er ſoll, weil man vergeſſen hat, es darauf zu ſchreiben.

Das Kolorit in den Koͤpfen iſt taͤuſchend abgewechſelt, wie die Natur thut. Die Figu - ren ſind alle in Lebensgroͤße, und die Madonna noch daruͤber, um ſie zur erſten Perſon zu erhe - ben. Sie iſt am lebendigſten, und wirft Glanz um ſich, wie Sonne. Unten iſt freyes Feld und ein Flecken, wo die Heiligen ſich beyſammen befinden, ſie anrufen und anbeten, und in Be - trachtung verloren ſind.

Im259

Im Dom eben hier am Ende des linken Kreuzgangs ein Halbbogen, worin Madonna mit dem kleinen Chriſtus zur linken und dem kleinen Johannes zur rechten vor ſich; zwey holde nackte Buͤbchen in ſchoͤner Bewegung. Hinter ihr zur rechten der heilige Joſeph, und zur linken der heilige Antonius, und auf bey - den Seiten neben ihr zwey Jungfrauen. Alle ſind in knieender Stellung, außer den Kindern. Die drey Weiber haben trefliche Gewaͤnder; be - ſonders iſt das Maͤdchen zur linken, von wel - chem man den bloßen linken Fuß ſieht, ganz wolluſterregend und goͤttlich, ſo zeigt ſich das na - ckende, und die ſchoͤne Form des Unterleibs, der vollen Huͤften und Schenkel; das Gewand macht eine ungekuͤnſtelte Falte zwiſchen den Schenkeln, und zieht ſich im knien an; das luͤſterne Auge des Meiſters ſah dieſen Reiz der Natur ab. Die jungen Bruͤſtchen ſchwellen lockend uͤber dem Guͤrtel hervor. Die KleidungR 2von260von allen dreyen iſt roth, griechiſch, wie leichte Hemder.

Die Geſichter ſind voll Huld; und die Madonna hat beſonders etwas muͤtterlich ſuͤßes in Aug und Mund, und blickt in ſtiller Entzuͤ - ckung nieder.

Alle ſind vertieft in die Kinder, die auf einander kindlich zeigen, und ſich freuen. Der Kopf des heiligen Joſeph iſt zugleich gemahlt wie vom Tizian nebſt dem herrlichen Ausdruck. Der heilige Antonius allein weicht ſehr von den an - dern ab, und iſt mittelmaͤßig durchaus, als ob er ihn nur weggejagt haͤtte, um fertig zu werden. Alles andre iſt mit Liebe entworfen, und es herrſcht die ſtille Raphaeliſche Empfindung.

Nach Rom kann man Raphaelen zu Peru - gia am beſten kennen lernen. Das meiſte von ihm iſt hier in der Kirche des heiligen Franziskus. Ueberhaupt will ich dir in Perugia nur drey Stuͤcke von ihm vorzuͤglich emphelen, eins ausſei -261ſeinem Knabenalter, eins aus ſeiner Juͤngling - ſchaft, und eins, das er wenig Jahre vor ſei - nem Tode vollendete, in einem Nonnenkloſter vor der Stadt, welches zum Theil alles uͤber - trift, was er je aus ſich hervorgebracht hat; das uͤbrige wirſt du leicht einmal ſelbſt finden.

Die zwey erſtern ſind bey den Franziska - nern; das juͤngſte, in der Capella degli Oddi, ſtellt vor die Himmelfahrt der Madonna. In der Luft empfaͤngt ſie der Heiland, ihr Sohn, mit Engeln die Muſik machen, und kroͤnt ſie; unten ſtehen die zwoͤlf Apoſtel an ihrem offnen Sarge. In der Einfaſſung, die auf dem Altar ruht, ſind noch drey ganz kleine Gemaͤhldchen angebracht: der engliſche Gruß, die Anbetung der heiligen drey Koͤnige, und die Beſchneidung. Alles ein himmliſcher Inbegriff einer Menge ſchoͤ - ner Geſtalten, die in ſeiner Seele aufbluͤhten.

Der Kopf der Madonna iſt heilig und ſee - lig im neuen Schauen; in einigen Engelsge -R 3ſtal -262ſtalten ſuͤße Anmuth, beſonders der mit der Handtrommel eine wahre Volksluſt. Aber das wunderbarſte ſind die zwoͤlf Apoſtel; welche Cha - rakter ſchon Paulus, Petrus und Johannes! Paulus hat viel von ſeinem Ariſtoteles; Jo - hannes von dem aufblickenden Juͤngling beym Bramante.

In dem erſten Gemaͤhldchen unten erſcheint der Engel der Madonna in einem korinthiſchen Tempel. Sie betet, und blickt erhaben vor ſich hin, ohne ihn anzuſehen; in einem Landſchaͤft - chen davor zeigt ſich Gott der Vater, und der heilige Geiſt als Taube.

In der Anbetung der heiligen drey Koͤnige ſind eine Menge Figuren, worunter einige voll Ausdruck mit Erſtaunen. Die Huͤtte in zerfall - nen Ruinen, und das Landſchaͤftchen iſt kindlich angenehm und erfreulich.

Die Beſchneidung iſt das beſte unter den kleinen. Ein Joniſcher Tempel; die zweyPrie -263Prieſter mit treflichen Koͤpfen voll Charakter und Ausdruck, und die Seitenfiguren gefuͤhlt und gedacht.

Das Ganze iſt freylich aͤußerſt hart, und die Formen unausgebildet; alle Natur arbeitet bey ihm nur auf das erſte Beduͤrfniß: Geſtalt, los; aber das Weſentliche, wobey man das andre bey Anfaͤngern uͤberſehen ſoll.

Das zweyte iſt die Abnehmung vom Kreuze. Das Gemaͤhlde hat zehn Figuren, fuͤnf Maͤnner und fuͤnf Weiber, mit dem todten Chriſtus und der in Ohnmacht geſunknen Mut - ter; die viel groͤßer ſind als im vorigen, ohnge - fehr zwey Drittel Lebensgroͤße.

Es iſt in zwey Gruppen geordnet; die eine macht der von zweyen getragne Todte, und Jo - ſeph von Arimathias, und Magdalena, und hinten vermuthlich noch Johannes: und die andre die Mutter mit den Jungfrauen; der den Leichnam bey den Beinen haͤlt, verbindet ſie beyde.

R 4Die264

Die Hauptfiguren leuchten gleich hervor, der todte Juͤngling, die ſchoͤne Magdalena voll Schmerz, und die Mutter. Beſonders aber iſt die Gruppe der letztern das vortreflichſte. Alle Geſtalten ſind voll Seele, jede lebt, und em - pfindet dabey nach ihrem Charakter. Die Maͤd - chen, welche die Mutter faſſen, ſind wie die drey griechiſchen Grazien; vorzuͤglich hat das, welches den Kopf derſelben haͤlt, eine Geſtalt ſo tiefen großen Gefuͤhls und hoher Schoͤnheit durchaus in Formen und Bekleidung, daß man ſie gleich zu einer Euripidiſchen Polixena brau - chen koͤnnte.

Ueber die ganze Scene verbreitet ſich ein ſanftes Abendlicht.

Dieß war ſeine letzte Arbeit, bevor er nach Rom kam; und man ſieht darin, wie ſich ſeine Kunſt ſchon ihrer Vollkommenheit naͤhert. Sie iſt das hoͤchſte aus dieſer Zeit von ihm.

Ich265

Ich kann hier nicht unterlaſſen, ein Ge - maͤhlde von Correggio anzufuͤhren, welches dieſelbe Scene vorſtellt, und in der Johannis - kirche zu Parma in einer Seitenkapelle befindlich iſt. Nach meinem Gefuͤhl hat er alle uͤbertrof - fen, und erhaͤlt den Preis, wie ein Sophokles: ſo ſtreng und einfach und ruͤhrend, mit Ver - laͤugnung ſeiner ſonſtigen bluͤhenden Farben - pracht und laͤchelnden Manier behandelt er die Begebenheit.

Erblaßt und ausgeſtreckt liegt der goͤttliche Juͤngling da. Magdalena ſitzt an ſeiner Seite und vergießt fuͤr ſich in Wehmuth verſunken heiße Thraͤnen, wie eine untroͤſtlich Geliebte; und der Schmerz der zaͤrtlichen Mutter an ſeinem Haupte uͤber das entſetzliche Schickſal grenzt an des Todes Bitterkeit. Ein truͤbes Regenlicht um ſie her; alles in Lebensgroͤße.

Man ſoll nie bey Bewunderung des einen ſchuͤlerhaft gegen andre ungerecht ſeyn. RaphaelR 5ſelbſt266ſelbſt Maͤrtyrer fuͤr Amorn, hat ferner nie das Entzuͤcken der Liebe, den hoͤchſten Vorwurf viel - leicht fuͤr alle bildende Kunſt, mit ſo tiefem See - lenklang und heitrer Phantaſie zugleich, ausge - druͤckt, als der bey ſeinen Lebenstagen unberuͤhm - te hohe Lombard, Arioſts Nachbar, in ſeiner Jo; wenn ihm auch die antike kleine Leda, mit der im Stehen ſich Zevs als Schwan be - gattet (welche trefliche wolluͤſtige Gruppe ihr zum Zeichen eurer freyen Denkungsart oͤffentlich gerade vor dem Eingange der Markusbibliothek aufſtelltet) Anlaß zur erſten Idee davon gegeben haben ſollte.

Das dritte und Hauptgemaͤhlde von Ra - phael zu Perugia iſt in dem Nonnenkloſter zu Monte Luce, welches er drey Jahre vor ſeinem Tode vollendete. Ein Altarblatt, die Figur voͤl - lig in Lebensgroͤße.

Es ſtellt wie das erſte vor die Himmelfahrt und Kroͤnung der Mutter Gottes; aber alleSpur267Spur von ſeines Lehrmeiſters enger und ſchmaler Manier iſt hier verſchwunden. Die zwoͤlf Apo - ſtel ſtehen um den Sarg, ſtatt der Madonna mit Blumen, Roſen, Lilien, Nelken und Schaß - minen angefuͤllt, und blicken erſtaunt auf, wo ihr Sohn ſie von Wolken emporgetragen mit En - geln empfaͤngt und kroͤnt.

Die Mutter iſt eine der friſcheſten weibli - chen Geſtalten, noch bluͤhend wie eine Jung - frau, doch voll edlem Ernſt, wie eine Matrone, und heißer wunderbarer Empfindungen der See - ligkeit, im Taumel neuer Gefuͤhle, wie vom Erwachen, alles groß an ihr und herrlich ſchoͤn. Sie faltet die Haͤnde kreuzweis an die Bruͤſte und blickt durchaus geruͤhrt mit entzuͤcktem Aug auf ihren Sohn. Ihr Geſicht iſt nach ihm hin - gewandt, und man ſieht ganz die rechte Seite, und vom linken Auge nur den heißen Blick; große ſchwarze Augen mit einem zarten Bogen Augenbrane, und dunkelblondes Haar unterdem268dem langen gruͤnen Schleyer, der ſich hinter dem rechten Ohr hinabzieht.

Chriſtus iſt feurig im Geſicht, wie ein Sonnenverbrannter Kalabrier aus ſeinem ſtar - ken Bart um die Kinnbacken; und ſein ausge - ſtreckter rechter Arm voll Kraft und Nerve, wo - mit er ihr den Kranz aufſetzt. Der Engel mit Blumen in der rechten an ihm hat einen Kopf voll himmliſcher Schoͤnheit, ſonniglich entzuͤckt; es ſcheint ihm uͤberall Glanz aus ſeinem Geſicht hervorzubrechen.

Die Anordnung durchaus iſt reizend, und bildet das ſchoͤnſte Ganze. Madonna iſt oben in der Mitte, Chriſtus zu ihrer linken, an bey - den ein Juͤngling von Engel bekleidet; unter dieſen bey jedem ein zart nackend Buͤbchen; und uͤber allen der heilige Geiſt in einem dichten Duft von gelbem Himmelsglanz.

Die Auffahrt geſchieht ganz gemach auf ei - ner dunkeln dicken Wolke mit lichtem Saum,und269und hat nicht das leichte Schweben, wie in an - dern Gemaͤhlden davon; aber eben dadurch ge - winnt die Handlung Natur und Majeſtaͤt. Ra - phael hatte eine ſehr reine klare Empfindung, die ihn minder fehlen ließ, als andrer ſcharfer Verſtand.

Je laͤnger man den Chriſtus betrachtet, deſto mehr findet man etwas uͤbernatuͤrlich goͤtt - liches, das ſich nur guͤtig herablaͤßt; das demuͤ - thige der Madonna vor ihm ſtimmt einen nach und nach dazu. Es iſt etwas erſtaunlich maͤchti - ges und gebieteriſches in ſeinem Weſen, das mehr im Ausdruck liegt, als den Formen ſelbſt; wunderbare Strenge und Guͤte mit einander vereinbart. Ich habe noch wenig neuere Kunſt - werke geſehn, die den Eindruck in der Dauer immer tiefer und tiefer auf mich gemacht haͤtten. Je mehr man nachdenkt und fuͤhlt und Geſtalt nachgeht: deſto wahrer findet man dieſen Chri - ſtuskopf. Ich kann von dieſem Gemaͤhlde nichtweg -270wegkommen, und moͤchte Tage lang mit Wonne daran hangen. Hoher goͤttlicher Juͤngling der du warſt, Raphael! Unſterblicher, empfang hier meine heißeſte aufrichtigſte Bewunderung, und nimm guͤtig meinen zaͤrtlichen Dank auf. Es gehoͤrt unter das hoͤchſte, was die Mahlerey aufzuzeigen hat, dieſe Mutter und dieſer Sohn, und die vier Engel um ſie her; und ich kann mich nicht von der Herz und Sinn ergreiffenden Wahrheit und Hoheit wegwenden. Die zwey Hauptfiguren ſind ganz wunderbar groß gedacht, in der That pindariſche Grazie und des Theba - ners Schwung der Phantaſie bis in die Drap - perien, die maͤchtige Falten werfen. Welch ein Arm, Chriſtus aufgehabner rechter mit den wei - ten Aermeln! wie ganz vollkommen gezeichnet und gemahlt, und welche wetterſtrahlende Wir - kung thut er in der ganzen Gruppirung! und wie beſcheiden zeigt ſich daneben das Nackende der Mutter und fuͤllt leicht das blaue Obergewand! So271So kraͤftig hat er nichts anders gemahlt; und nirgend anderswo ſind ſeine Formen ſo vollkom - men reif, ſtark in der Art Schoͤnheit, die ihm ei - gen war.

Die Apoſtel unten ſind ſchwach und matt dagegen, und nur wie verwelkend ſterblich Fleiſch, des Kontraſts wegen; aber durchaus vortrefliche Maͤnnergeſtalten, beſonders Petrus und ein an - drer im Vordergrunde, in Bewegung und Leben.

Mit denen in der Verklaͤrung ſind in drey Gemaͤhlden allein ſechs und dreyßig Apoſtel; und in jedem ſehen ſie anders aus, und keiner wie der andre; und doch ſcheinen die meiſten treflich zu ſeyn und zu paſſen.

Die Mahlerey iſt wie die Muſik; zu den - ſelben Worten koͤnnen große Meiſter, kann einer allein ganz verſchiedne Melodien machen, die alle doch in der Natur ihren guten Grund haben: es koͤmmt nur darauf an, wie man ſich den Menſchen denkt, der ſie ſingt.

Neh -272

Nehmen wir zum Beyſpiel ein Lied der Liebe!

Bey denſelben Worten wuͤthet ein Neapo - litaner: und ein andrer im Gletſchereiſe der Al - pen bleibt ganz gelaſſen.

Außerdem lieben wenige immer uͤberein - ſtark ſchon bey derſelben Perſon; und es wird anders geliebt bey einer blonden und ſchwarzen, einer Sizilianerin von zwoͤlf Jahren und einer Nordiſchen Patriarchin. Und dieſe ſelbſt lieben wieder anders Knaben, Juͤnglinge, Maͤn - ner und Greiſe.

Dichter und Mahler und Tonkuͤnſtler neh - men von allem dieſen das Vollkommenſte, was am allgemeinſten wirkt; welches aber weder Rechenmeiſter noch Philoſoph zu keinem Zeit - alter beſtimmt feſtſetzen konnten. Und dieß hat die Natur ſehr weislich eingerichtet; ſonſt wuͤrde unſer Vergnuͤgen ſehr eingeſchraͤnkt ſeyn, oder bald ein Ende haben.

Die273

Die Kuppel des Correggio zu Parma in der Johanniskirche, welche Chriſtus Himmel - fahrt vorſtellt, gehoͤrt zu einer beſondern Gat - tung der Mahlertaktik, und macht ein eigen Kunſtwerk aus, das ſich mit dem des Raphael, was mahleriſche Wirkung betrift, nicht verglei - chen laͤßt, ohne dieſem Unrecht zu thun.

Man erſtaunt dort, wenn man in den Kreis tritt, und wurzelt am Boden feſt, wie bezaubert, und ſieht: einen wirklichen Juͤng - ling von uͤbernatuͤrlichen Gaben in ferne Hoͤ - hen ſteigen von dienſtbaren Sturmwinden em - porgetragen, die liebkoſend mit ſeinem weiten Purpurmantel ſpielen.

Selbſt Apelles und Zeuxis und die ganze griechiſche Zunft wuͤrden dem Goͤtterfluge mit ent - zuͤckender Bewundrung nachſchaun, und keiner das Herz haben, zu ſagen: anch io ſon pit - tore!

Ardinghello 2ter B. SFlo -274

Florenz, Jenner.

Ich habe mich unterwegs laͤnger aufgehalten, als ich wollte; und auf meinem Gute bey Cor - tona verſchiedne Anſtalten zu Pflanzungen, und beßrer Einrichtung der Gebaͤude gemacht. Die Kunſtſachen, die ich in Rom theils ankaufte, theils ſchon bey dem Kardinal vorraͤthig fand, waren vor mir angekommen.

Der Herzog empfing mich heiter und freund - ſchaftlich, und bezeugte alsdenn ſeine große Freu - de daruͤber; ſo wie Bianca, und die andern Da - men und Herrn vom Hofe.

Man ſtand hier noch im Handel uͤber eine nackende Venus vom Tizian, und wartete nur auf meine Entſcheidung. Sie iſt ungezweifelt ganz von ſeiner Hand; und der Kauf wurde gleich richtig gemacht.

Jetzt laß ich in der Gallerie, die mein alter Lehrmeiſter Vaſari erbaut hatte, ein Zimmer fuͤrdas275das ausgeſucht vollkommenſte zubereiten, das ſeines gleichen hernach wohl ſchwerlich in der Welt haben wird, Belvedere ausgenommen.

Von der griechiſchen Venus will ich den neuen untern linken Arm vom Ellenbogen an wieder abnehmen laſſen, weil er allzuſchlecht er - gaͤnzt iſt; der rechte von der Schulter an iſt zwar auch nicht zum beſten, doch will ich noch damit warten. Es iſt ein Wunder, daß dieß hohe Meiſterſtuͤck ſo gluͤcklich brach, daß die Thei - le nichts gelitten haben, und alle ſo gut in ein - ander paſſen. Die Figur der Goͤttin ſelbſt ging in dreyzehn Bruchſtuͤcke, und das Ganze in die dreyßig Truͤmmern.

Der Kopf iſt am Halſe angeſetzt, und et - was klein in Proporzion, wie aber bey andern griechiſchen weiblichen Bildſaͤulen; jedoch ganz von demſelben Marmor, derſelben Arbeit, der Zug des Halſes paßt ſo treflich, und alles har - moniert ſo bis auf die allerſchoͤnſten Fuͤßchen,S 2daß276daß an ſeiner Aechtheit zur Figur keinen Augen - blick zu zweifeln iſt. Ein Geſicht voll hohem Geiſt und Joniſcher Grazie! Die Naſe ſchießt nur ein klein wenig von der Stirn ab, nicht den dritten Theil wie ein Strahl im Waſſer. Der Leib iſt die friſcheſte, kernigſte, ausgebildete Wolluſt; Bruſt und Schenkel ſchwellen mar - kicht vorn und hinten. Sie hat durchaus den ſuͤßeſten uͤberſchwenglichen Reiz eines ſo eben reif gewordnen himmliſchen Geſchoͤpfes vor der erſten Liebesnacht; welches Vater Homer mit dem Wunderguͤrtel hat ausdruͤcken wollen.

Sie hat ein Gruͤbchen im Kinn: Zeichen von Fuͤlle und Kraft zugleich, und Reifheit der goͤttlichen Frucht; und nur halberoͤfnete, oder zugehaltne Augen, die das Innre nicht erkennen laſſen wollen, ſproͤdiglich.

Kurz, es iſt Erſcheinung eines uͤberirrdi - ſchen Weſens, von dem man nicht begreift, wo es her koͤmmt; denn es hat hienieden keine Lei -den277den ausgeſtanden, alles iſt zur Vollkommenheit ungeſtoͤrt an ihm geworden. Selbſt der ſchoͤnſte und edelſte Juͤngling unter den Sterblichen muß ſich vor ihm niederwerfen: und das hoͤchſte, was er verlangen kann, iſt ein Moment, nicht Huldigung auf ein ganzes Leben.

Schoͤnheit, zur Reife gediehen und gedey - hend, noch ungenoſſen. Das ſich regendſte Le - ben woͤlbt ſich ſanft hervor in unendlichen For - men, und macht eine entzuͤckende ganze. Adel, fuͤr ſich beſtehend, blickt aus den ſuͤßen luſtſeeligen Augen, ein ſonnenheißer Blick von Liebesfuͤlle; flammt die Stirn herab, ſchwebt auf dem Munde, wo Stolz und Zaͤrtlichkeit zuſammen - ſchmelzen.

Die Mitte des Oberleibs iſt kraͤftig, und gar nicht duͤnn; die Schultern ſind voͤllig ſo breit wie die Huͤften, und gehen noch daruͤber hinaus, ſanft vom Halſe herab geſenkt. Der Unterleib hat zwey zarte Einwoͤlbungen bis woS 3die278die Hoͤhen der Freuden ſich heben. Die Schen - kel ſteigen wie Saͤulen hernieder, und ver - bergen den Eingang der Luſt mit einem gelinden Druck.

Die Waden ſind ſtraff und voll bis an die Kniekehlen ohne auszuſchweiffen.

Sie erſcheint von den Seiten her ſchmal, und von dem Ruͤcken breit; alles Fleiſch lebt, und nichts iſt leer und muͤſſig.

Aus dem Ganzen ſpricht jungfraͤulicher Ernſt und Stolz, nichts lockendes; es iſt In - begriff hoͤchſter weiblicher Liebesſtaͤrke. Sie blickt auf, wie eine Jugendgoͤttin, von den edel - ſten angebetet.

Sie erhaͤlt den erſten Preis unter den weiblichen antiken Schoͤnheiten. Ihr Geſicht ſchon fuͤr ſich, das gluͤcklich ganz unverſehrt blieb, ergreift unausſprechlich reizend, mehr, als ir - gend ein andres; iſt gewiß urſpruͤnglich in der Natur ſelbſt voll Geiſt und hohem eigenthuͤmli -chen279chen Weſen aufgebluͤht, und ſtammt wahrſchein - lich von einer Lais oder Phryne. Bey der Niobe und ihrer ſchoͤnſten Tochter, bey der Juno, und einer koloſſaliſchen Muſe in Rom mag man mehr Erhabenheit finden: aber ſie haben den lautern Quell von Leben nicht, der den Durſt nach aller Art von Gluͤckſeeligkeit im Menſchen erquickend ſtillt. Hier iſt alles beyſammen, Koͤrperreiz und Seelenreiz, Feuer und Schnelligkeit der Empfin - dung, und heller ausgebildeter Verſtand bey je - dem Vorfall in der Welt.

Doch, was verſchwend ich Worte daruͤber; komm und ſieh! und fuͤhle! und traure herzinnig - lich, daß ſie nicht den Mantel von dir ſich um - wirft, dich zu begleiten.

Tizians Venus wird eine ſchlimme Nach - barin an ihr erhalten.

Dieſe iſt eine reizende junge Venezianerin von ſiebzehn bis achtzehn Jahren, mit ſchmach - tendem Blick, aufs weiße widerſtrebende Som -S 4mer -280merbett, im friſchen Morgenlichte, faſelnackend vor innrer Gluth von aller Decke und Huͤlle, bereit und kampfluͤſtern hingelagert, Wolluſt zu geben und zu nehmen; die, anſtatt die Hand vorzuhalten, ſchon damit die ſtechende und bren - nende Suͤßigkeit der Begierde wie abkuͤhlt, und mit den Fingerkoppen die regſamſten gefuͤhligſten Nerven ihres hoͤchſten Lebens beruͤhrt.

Bezaubernde Beyſchlaͤferin und nicht Grie - chenvenus; Wolluſt und nicht Liebe; Koͤrper bloß fuͤr augenblicklichen Genuß.

Ihre Formen machen einen ſtarken Kon - traſt mit der griechiſchen. Wie das Leben ſich an dieſer in allen Muskeln regt und ſanft hervor - quillt und hervortritt: und bey der Venezianerin der ganze Leib nur eine ausgedehnte Maſſe macht! Aber es iſt ſchier nicht moͤglich, ein ſchmeicheln - der, und ſich ergebender, und ſuͤß verlangender Geſicht zu ſehen.

Sie281

Sie neigt den Kopf auf die rechte Seite, ſonſt liegt ſie ganz auf dem Ruͤcken. Das linke Bein in ſchoͤner Form iſt reizend geſtreckt, und das erhobne rechte Knie laͤßt unten die ſuͤße Fuͤlle der Schenkel ſehen. Der Kopf hat die Geſtalt nach der Natur; iſt aber, hingelaſſen nachden - kend mit dem zerfloßnen Koͤrper, matt und we - nig gebildet gegen die Griechin.

Die Blumen in der rechten geben Hand und Arm durch den Wiederſchein bezaubernde Farbe, und druͤcken den Leib zuruͤck. Ihr Haar iſt kaſtanienbraͤunlich und lieblich verſtreut uͤber die rechte Schulter mit einem Streif auf den linken Arm. Der Schatten an der Schaam und die emporſchwellenden Schenkel davor im Lichte ſind aͤußerſt wolluͤſtig, ſo wie die jungen Bruͤſte. Die großen graͤulichtbraunen Augen mit den breiten Augenbranen blicken in Feuchtig - keit. Sie iſt lauter Huld es recht zu machen in reizender ſoͤmmerlicher Lage; und gibt ſich ganzS 5preis,282preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtſamlich auf den Kommenden. Man ſiehts ihr deutlich an, daß das Jungfraͤuliche ſchon einige Zeit gewichen iſt, und ſie ſcheint nur Be - ſorgniß vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eiferſucht.

Tizian wollte keine Venus mahlen, ſondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafuͤr, daß man dieſe hernach Goͤttin der Liebe taufte? Sein Fleiſch hat allen Farbenzauber, iſt mit wahrem jugendlichen Blut durchfloſſen; was er darſtellen wollte, hat er beſſer als irgend ein an - drer geleiſtet.

Unter den Antiken aber, die ich mitgebracht habe, iſt ein himmliſcher Bube, ein junger Apollo, welcher ſtark mit der Goͤttin wetteifern wird. Er lehnt ſich mit der linken an einen Stamm mit uͤber den Kopf geſchlagner rechten; die ganze Stellung iſt voll Reiz, beſonders der ſchlanke Zug der rechten Seite. Das Geſichtbluͤht283bluͤht wonniglich ſeelig und edel in ſeiner Gottheit auf. Das Leibchen iſt aͤußerſt zart gehalten, und doch regt und bildet ſich alles. Es iſt eine wah - re Wolluſt, Venus und ihn zugleich von hinten zu ſehen, das weibliche und uͤppig buͤbliche des Gewaͤchſes; Venus iſt ein Schwall von hinten, etwas ſpeckicht: Apollo lauter ſuͤßer Kern. Eben ſo kernfleiſchig ſpaltet ſich ſein Ruͤcken; die Schenkel ſind am vollſten und ſchier zirkelrund. Die zwey Haͤnde muß ich ergaͤnzen laſſen, und noch die Naſe.

Der Ausdruck iſt bezaubernd; er empfindet in ſich, und ſinnt in Stille. Erſte Ahndung von Verlangen in Ungewißheit; und doch mit dem entzuͤckendſten Blick der Liebe.

Zwey junge Ringer aus einem Block Marmor gehoͤren unter die gelehrteſten Arbeiten, die uns aus dem Alterthume uͤbrig ſind. Sie ſind im ſchoͤnſten Moment eines Ringſpiels ver - flochten, und es kann dazu keine auserleſenereStel -284Stellung geben. Die angeſtrengten Sehnen zei - gen ihre Kraft in hoͤchſter Staͤrke, und doch nicht ſchroff, und nichts erſcheint gekuͤnſtelt, wie unſre Meiſter ſchon bey Koͤrpern in Ruhe prahlen.

Noch hab ich Bruchſtuͤcke von einem Mer - kur, wo zum Ganzen nur die Haͤnde fehlen. Das Gewaͤchs iſt zart und ſchlank, der Kopf voll Schoͤnheit und Kraft; und ſtellt einen klugen ſinnreichen Juͤngling dar. Er traͤgt einen Helm, wie einen Teller, mit Fluͤgeln; die Haare waren abgeſchnitten, und es ſind kleine Loͤckchen wieder daraus geworden.

Von Gemaͤhlden, deren viel ſind, will ich dir nur ein Paar von Raphael anfuͤhren:

Pabſt Julius den zweyten. Man kann nichts Wahres von Geſtalt ſehen; und wie ge - mahlt! es haͤlt ſich neben dem beſten Tizian. Erhabenheit und Scharfſinn im Nachdenken bil - den ein Ideal von heiligem Vater. Welch einge -285gediegnes feſtes Feuer in der ganzen Arbeit! Der ſchoͤne herabfließende Bart wie herrlich auf - geſetzt! Haͤnde, Stellung im Stuhl mit beyden aufgeſtuͤtzt, alles vortreflich. Es iſt die Natur. Die Stirn iſt ſtark beleuchtet, und geht hervor, und ſo faͤllt noch Licht auf den Bart; ein Mei - ſterſtuͤck auch hierin.

Das zweyte iſt ganz klein, wenig uͤber ei - nen Fuß lang und breit, und von ihm die groͤßte Seltenheit; jedoch mit aller Liebe in ſeiner beſten Zeit vollendet.

Gott Vater ſitzt auf einem Adler in den Luͤften, von zwey Engeln, wovon beſonders der rechter Hand wunderſchoͤn iſt, an den Armen leicht gehalten; und unter ihm ſind die vier Evangeliſten mit ihren Thieren; dann Wolken, dann Erde mit Baͤumen. Um den Ewigen ver - geht eine Glorie andrer gefluͤgelter Buben im Glanze.

Der286

Der Kopf iſt lauter Erhabenheit, ganz der - ſelbe des Michel Angelo in der Capella Sixtina, welcher die Sonne ſchaft. Das Nackende der Bruſt bis auf die bekleideten Schenkel in ſeiner Kleinheit vollkommen wie eine ſchoͤne Antike. Er ſtuͤtzt die Fuͤße auf den gefluͤgelten Stier und Loͤwen, und ſieht jovialiſch gut und ſtark und maͤchtig in die Beſtien und Menſchen. Haar und Bart fliegen im Winde. Ein himmliſch Bildchen; reizende apokalyptiſche Laune!

Bianca freute ſich daruͤber kindlich; und ich hab ihr damit ein Geſchenk gemacht, weil ichs fuͤr mich erkaufte. Der Herzog nahm es uͤber - gnaͤdig auf, und ſie druͤckte mir eifrig die Hand dafuͤr.

Die Schlaue ſtellt ſich hoch ſchwanger. Jetzt will er ihr einen Pallaſt in eine unſrer ange - nehmſten Gegenden bauen laſſen; und ich wur - de gerufen, alles zu beſorgen.

Flo -287

Florenz, Februar.

Florenz gefaͤllt mir nicht mehr; ich gehoͤre nicht zu dem Haſengeſchlechte, das nirgends am lieb - ſten iſt, als wo es geheckt ward. Unſre großen Maͤnner haben wir gehabt; Tacitus ſagt mit Recht, daß nach der Schlacht bey Actium in Rom kein großer Mann mehr aufſtand. Wo der Buͤrger nichts mehr zu ſagen hat, da iſt es mit der Vaterlandsliebe eitel Ziererey.

Ein ſo großer Freund ich auch von Geſchaͤf - tigkeit bin: ſo ekelt mich doch die bloße Schuſter - und Schneider - und Tuchknappengeſchaͤftigkeit an. Romulus, der hohe Geiſt, verbot aus gu - tem Grunde jedem Mitgenoſſen ſeiner Republik die niedern Handwerke; und dieß wurde her - nach ſo zur Sitte, daß noch jetzt im dritten Jahrtauſend die Teutſchen und Spanier und Franzoſen dieſelben ſchier allein noch in den Rui - nen der alten Herrlichkeit treiben. Sokrateswollte288wollte den nicht zum Gefaͤhrten durchs Leben, der auf Geld und Gut erpicht zu nichts edlerm Muße haͤtte; und bey den ſtolzen Ottomanen kann der Ueberwundne und Sklave noch heut zu Tag alle Schuld deßwegen aufs Schickſal ſchieben.

Florenz macht einen ſtarken Kontraſt mit Rom, alles regt und bewegt ſich, und laͤuft und rennt und arbeitet; und das Volk koͤmmt einem trotzig und uͤbermuͤthig und ungefaͤllig vor gegen das Stille, Große und Schoͤne der Roͤmer. Der Roͤmer uͤberhaupt hat gewiß einen hoͤhern Charakter. Die Politiker moͤgen die menſchli - chen Ameiſenhaufen ruͤhmen und preiſen ſo ſehr ſie wollen, und dieſe ſelbſt auf ihre Arbeitſam - keit ſich noch ſo viel einbilden: Maul und Ma - gen, denn dieſerwegen geſchiehts doch, iſt war - lich nicht, was den Menſchen uͤber das Vieh ſetzt! Wo nicht gemeinſchaftliche Freyheit der Perſon und des Eigenthums, und Rang in menſch - licher Wuͤrde vor ſeinen Nachbarn, der erſte Triebund289und das Hauptband einer buͤrgerlichen Geſellſchaft iſt: veracht ich alles andre, und jedes Verdienſt koͤmmt in kurze Berechnung.

Der Boden traͤgt freylich auch viel hierzu bey; Rom hat das Mark von dem mittlern Italien, und Toskana die Knochen, nach dem alten Sprich - wort. Auch erhebt die Gegend nicht ſo, und Florenz fehlen die majeſtaͤtiſchen Roͤmiſchen Fernen.

An unſerm Hofe herrſcht eine unertraͤgliche Langeweile; alles muß ſich in den Ton des Monarchen ſtimmen.

Der Miniſter iſt geſchwind ſchon ein Kame - leon geworden, und nimt alle Modefarben an. Verſchiedne von meinen angegebnen Einrichtun - gen ſind wieder abgeaͤndert, und die andern wer - den nachlaͤſſig betrieben. Alle Heilungsmittel eines Hippokrates ſind vergeblich, wo die Natur ſich nicht ſelbſt hilft. Ich muß auf und davon, weil ich das Verderben nicht mehr mit Augen an - ſehen kann. Wenn man nichts beſſers weiß: ſoArdinghello 2ter B. Tmag290mag es ſich ertragen laſſen; o Griechenland und Rom, wie gluͤcklich macht ihr unſre Phantaſie, und elend unſer wirklich Leben! Aber wo ſoll ich hin in dem ganzen jetzigen Italien? da iſt keine Ausflucht, keine Sphaͤre fuͤr einen geſunden Kopf und Arm zu handeln. Muth und Geſchick ſchmachtet uͤberall ohne Gegenſtand und Ausuͤbung wie im Kerker.

Um noch einmal von dem leidigen Miniſter zu reden: ſo hat der Fuchs ein paar beſtialiſche Grundſaͤtze angenommen; von welchen der erſte iſt: man duͤrfe nie geſcheidter ſcheinen, als der Herr; und der zweyte: alle guten Koͤpfe, denn jeder iſt ihm ein Dorn im Auge, beſonders Ge - lehrten, in der Ferne halten.

Fuͤr einen, der gern im Truͤben fiſcht, haͤtte ſie kein Macchiavell beſſer ausdenken koͤnnen. Und bey den meiſten Hoͤfen erkennt man gleich daraus, daß da keine Philippe, Alexander, Caͤ - ſarn, und Markantonine herrſchen.

Es kann eben keiner hoͤher, als ihm die Fluͤ - gel gewachſen ſind.

Flo -291

Florenz, Februar.

Unſer Karneval iſt mit einer wirklichen unge - heuern Tragikomoͤdie beſchloſſen worden, die mir aber all mein Eingeweyde, Galle und Lunge und Leber und Herz empoͤrt hat, ſo daß ich hier keine bleibende Staͤtte mehr finde.

Bianca, wie ich dir ſchon geſchrieben habe, ſtellte ſich die ganze gehoͤrige Zeit vom Herzoge ſchwanger an, ſpielte ihre Rolle meiſterlich, und waͤhlte dieß feſtliche Geraͤuſch, weil zugleich die erkauften Weiber auf dem Lande die Mutter - wehen nahe fuͤhlten, niederzukommen. Eine Woche lang tragodierte ſie die Geburtsſchmerzen; und der gute Herr war zitternd und zagend fuͤr ihr Leben bange. Endlich trat gegen Mitter - nacht die alte abgeſaͤumte Kupplerin von Amme mit dem eben gebohrnen Knaͤblein, welchem der Mund mit Wachs verklebt und verbunden war, daß es nicht ſchreyen konnte, in einer SchachtelT 2un -292unter dem Mantel, wie mit Geraͤth, zur Thuͤr in einem Nebenzimmer herein, und winkte das verabredete Zeichen. Bianca rief alsdenn mit Hand und Mund zum Herzoge, der mit dem Kopf in Armen am Fenſter ſtand: geht, geht, o Theureſter! o weh! ich fuͤhle mich in der Entbindung.

Er ging freudig fort mit den eifrigſten Wuͤnſchen.

Der Komoͤdie wurde bald ein Ende gemacht. Die Alte that das Kind heraus, nachdem ſie das Uebrige der Scene taͤuſchend zubereitet und die Gebaͤhrerin laut genug geaͤchzt hatte, zog ihm das Wachs aus dem Munde, und dieß fing an zu ſchreyen. Sie eilte zum eingebildeten Pa - pa, und zeigte und frohlockte: Euch iſt ein Loͤ - we, ein Loͤwe gebohren, ganz euer Gepraͤge! O ſeh eure Hoheit das derbe gewundne Ge - maͤchtchen, wie es den Heldenſaamen ver - kuͤndigt!

Ich293

Ich beſchreib es dir Ariſtophaniſch, weil es ſich gerade ſo zugetragen hat. Ihm war es Goͤt - terwonne, etwas lebendiges von ſich zu erblicken, was er noch nie ſchaute; und er kraͤhte vor Jubel, gleichſam wie ein Hahn, ohne weiter ein Wort hervorbringen zu koͤnnen.

Dieß iſt eine Poſſe, welche jedoch große Folgen haben kann, die wir heiß durch die Kam - merjungfer erfuhren. Dieſe und die Alte moͤgen ſich vor der hochſtrebenden in Acht nehmen, wenn ſie nicht bald den Styx und Phlegeton wol - len ſieden und brauſen hoͤren.

Der andre Auftritt aber iſt graͤßlich.

Don Paolo, der Gemahl der Iſabella, kam vor wenig Tagen von Rom, und nahm ei - nen gewiſſen Scherz und Leichtſinn an uͤber ihre vorige Auffuͤhrung, bis er ſie taͤuſchte, und ſie froh ſich wieder mit ihm verſoͤhnt glaubte.

Gerade dieſelbe Nacht, wo Bianca ihre Farſe ſpielte, ſo wunderbar fuͤgen ſich die Bege -T 3ben -294benheiten! fuͤhrte er ſie nach ſeinem Schlafge - mach; ſie hatte zwar Anſtand, ihn zu begleiten, und hielt einigemal ein; ihr Geiſt mochte ihr Schickſal voraus ahnden! Doch folgte das ergie - bige Geſchoͤpf endlich ſeinem Haͤndedruck, und hielt die Racheheißen fuͤr Liebewaͤrme.

Im Zimmer umarmt er ſie, und kuͤßt ſie, und ſinkt wie unenthaltſam mit ihr aufs Bett. Als ſie auf der Breite deſſelben ſo hingeſtreckt liegt: wird ihr hinten ein Strick um den Hals geworfen von einem gedungnen Moͤrder, und ſie mit langer Marter erdroſſelt. O du Elender! warum nicht kurz mit Gift, mit einem Dolch - ſtich, wenn du ſie doch aus der Welt ſchaffen wollteſt?

Sie wurde die andre Nacht ſchon zu ihrer Familie in die Kirche S. Lorenzo begraben; und man ſprengte aus, ſie ſey ploͤtzlich an einem Steckfluß geſtorben. Allein ihr ſchwarzes Geſichtwar295war jedem, der ſie zu ſehen bekam, ein unver - werflicher Zeuge der That.

Ihre Verwandten ſchweigen: aber Florenz murrt laut, und bejammert das ſcheußliche Ende ihres noch ſo bluͤhenden Lebens*)Eine gleichzeitige handſchriftliche Chronik mel - det dabey, jeder habe geſagt: che biſogna - va aver rimediato prima, che il padre, e il Granduca Francesco, il Cardinale, & altri ſuoi fratelli ſi ſerviſſero del mezzo ſuo per cavarſi le lor voglie, e con le altre donne della cità menandola tutta notte fuori veſtita da Uo - mo; e voler poi, ch ella fuſſe ſtata ſanta ſenza il marito. Und macht den Beſchluß mit ihr, nachdem ſie von den andern ſchier ein gleiches erzehlt hat: e queſto fu il mi - ſero fine delle figliole del Duca Coſmo de Medici. .

T 4Merz,296

Merz, bey Cortona.

Der Herzog hat mir erlaubt, den kuͤnftigen Fruͤhling hier auf meinem Gute zu ſeyn; doch unter der Bedingung, daß ich zuweilen nach Florenz komme, und den ſchon angelegten Pal - laſt der Bianca beſorge. Uebrigens hab ich dort eine gute Parthey fuͤr mich zuruͤckgelaſſen, und in manchem Hauſe lebt die Hofnung, mich zum Gemahl und Schwiegerſohn zu erhalten.

Polyb und die Gegend iſt nun mein Ge - ſchaͤft; und zur Abwechslung bau und pflanz ich. Der deutliche Sinn mancher Woͤrter in der Tak - tik der alten Griechen und Roͤmer hat mir an - fangs bey ihm zu ſchaffen gemacht; doch bin ich bald durchgedrungen, und damit zu Rande ge - kommen. Dieß iſt ein Geſchichtſchreiber, wie ſie ſeyn ſollen; der das verſtand, woruͤber er ſchrieb, noch zur rechten Zeit lebte, und Men - ſchen und Oerter kannte.

Unter297

Unter allen Heldenzuͤgen ergreift mich kei - ner ſo, wie der des Hannibal durch Italien; und es geſchieht nicht bloß deßwegen, weil ich Land und Boden und die Geſchichte der kriegen - den Voͤlker beſſer kenne. Der des Alexander durch Perſien iſt romantiſcher und hat mehr bar - bariſches Getuͤmmel um ſich: aber der des Afri - kaners hat mehr Einheit, Nerve, und Kernathle - tengeiſt; und es iſt ein ganz ander großes Na - turſchauſpiel, zwey ſolche Republiken ſich in den Haaren liegen zu ſehn, als einen bloßen Darius und Sohn Philipps.

Von ſeinem Satz an uͤber den wilden ſchnellſtroͤmenden Rhodan unter Avignon, und kuͤhnem Marſch durch die reißenden Wetterbaͤche, uͤber den hundertjaͤhrigen Schnee und das ſchnei - dende Eis der graͤßlichen tiefen Thaͤler und him - melhohen Alpenklippen, duͤnkt mich in jeder Schlacht nur ein Olympiſches Fauſtbalgerſpiel zu ſehen. In der bey der Trebbia, am thraſy -T 5meni -298meniſchen See, beſonders am Aufidus, packt er uͤberall mit ſeinem tapfer gebildeten Haufen ſo gewandt ſeinen ſtarken ungelenken Gegner, und wirft ihn zu Boden, und ſchlaͤgt ihm Zahn und Naſe und Ohren und Backen in einen bluti - gen Brey zuſammen. Er verſtand die Kunſt zu ſiegen, wie keiner; behandelte Armeen von hun - derttauſenden vor und mitten und nach der Schlacht wie einen einzelnen Mann, an jedem Fleck, bey jeder Schwaͤche voll Vorſicht, Be - wegſamkeit, Muth und Schlauheit, und Ge - genwart der Seele: bis auf ſo einfache Grund - ſaͤtze hatte er das weitlaͤuftige Kriegshandwerk von der erſten Jugend an gebracht. Halbgoͤtter erkennt man erſt recht bey wichtigen Zeit - punkten.

Welche Reihe Thaten nach einander! Was ſind Millionen Menſchen gegen dieſen einen, die ihr Leben lang nicht eine einzige ſolche Stunde haben! Ein Heldengedicht moͤcht ich ſingen uͤberihn299ihn von den Pyrenaͤen an bis wo die Scylla um den Fuß des Apennin rauſcht.

Wie ein aͤchter unbezwinglicher raͤcheriſcher Loͤwe ſtreift er Italien durch, reißt Rinder und bloͤckende Heerden nieder; und das vom Homer ſchon verbrauchte Gleichniß iſt zum erſtenmal wahr geworden.

Das Roͤmiſche Volk, das ſeine Bildſaͤulen in die Straßen ſtellte, wo ſie am furchtbarſten geſehen wurden; und ſich hernach ſeinetwegen noch an den Mauerſteinen von Karthago erei - ferte: zeigt den Mann auch bey dem Feind, und anders als die ungerechten Horaze und Liviuſſe; und Virgil kruͤmmt dem Ueberwinder bey Kan - naͤ mit ſeiner Hofſpoͤtterey der Dido kein Haar.

Der Ausbund von Karthaginenſern ging dem Roͤmiſchen Staatskoͤrper auf das Herz los; und außerdem kannt er die Menſchen gut genug, um zu wiſſen, daß jeder ſeine groͤßten Feinde inder300der Naͤhe hat: und fand es ſo bey den welſchen Galliern.

Die Schlacht an meinem See ziert mir hier die Gegend ganz anders aus, als Konſtan - tins Schlacht vom Raphael das Vatikan. Die furchtbaren Woͤrter, die wunderbar davon noch immer uͤbrig geblieben ſind, als Ponte San - guinetto*)Blutbruͤcke, gleichſam wie Po und Tyber - bruͤcke., Oſſaja**)Knochenberg., Spelonca***)Das Mordloch., gehen mir immer wie eine Brandfackel in die Seele, wenn ich da herumreite; ſo daß ich zu - weilen vor Hitze und Ungeduld nicht auf dem Pferde bleiben kann, und herunter in ein Wirthshaus muß, um einen friſchen Zug zu thun von Roͤmergrimm, der hier ins Graß biß, und noch die Weinfelder duͤngt.

Treve,301

Treve, April.

Ich ſchreibe dir im Fluge, weil ich dich kuͤnfti - gen Sommer bey mir haben muß, um dir die Schoͤnheit und den Reiz auch meiner Gegenden zu zeigen, und ſie mit dir zu genießen; gluͤckli - cher noch, als ich mit dir die Lombardey an dei - nem Lago genoß. Mache dich bey Zeiten auf, und kehre bey meiner Tante zu Florenz ein, wo wir uns treffen werden.

Ich lag bey Paſſignano, nicht weit von meiner Wohnung, auf einer fruchtbaren Anhoͤ - he, wo man den See uͤberſchaut, unter hohen Ulmen und Eichen, zwiſchen alten Oelbaͤumen und Cypreſſen und bluͤhenden Wipfeln, den neuen Geſang der Nachtigallen um mich, noch fruͤh am Morgen; und that nichts, als hoͤren und betrachten in Freude, wie ein Kind ohne weitere Gedanken; doch ahndeten ſuͤße Regungen in meinem Herzen entzuͤckende Dinge.

Und302

Und ſieh!

auf einmal reitet aus dem Hohlwege, mit einem Bothen voran, ein junger Ritter her - vor auf einem kaſtanienfarben koͤniglichen Roſſe, dem auf einem andern ein Mohr folgt. Eine Engelsgeſtalt der Juͤngling, wie er naͤher kam in rundem Hut mit Federbuſch, kurzem ſpani - ſchen ſcharlachnen Mantel, Halbſtiefeln, die vollen Schenkel und den ſchlanken Leib in wei - ches Leder gekleidet, ein blitzend Schwert uͤber den Ruͤcken an ſeinen Lenden, und Piſtolen im Sattel.

Ich kannte das halbverſteckte Geſicht, und wußte mich nicht drein zu finden. Iſt ſie es, oder taͤuſch ich mich? fuhr ich ſchnell auf, wie der reizende Ritter bald bey mir war.

Er erblickte mich, hielt ein mit laͤchelnder Verwundrung, ſprang vom Pferde: und Fior - dimona und ich hielten uns umſchlungen mit Won - neglaͤnzenden Blicken, gierigen Seelenkuͤſſen.

Ich303

Ich ſchrieb ihr noch von Florenz aus; auch ſie begab ſich ohne weitere Nachricht auf eins ih - rer Guͤter in der Nachbarſchaft, wovon ſie mir nie etwas geſagt hatte; und kam nun mich zu uͤberraſchen und zu einer Luſtreiſe abzuhohlen. Zu Perugia, wo ſie den Tag zuvor eintraf, ſaß ſie gegen Morgen noch in der Dunkelheit auf, und war bey mir in wenig Stunden.

Sie blieb nur zwey Goͤttertage bey mir; alles was zu Cortona Liebe fuͤhlen kann, gerieth ſchon im Voruͤbergehen bey ihrer Annaͤherung in eine ſolche Feuersbrunſt, daß wir uns ploͤtzlich in der Stille davon machen mußten, damit mei - ne Wohnung nicht wie Loths Haus belagert wuͤrde.

Fiordimona veraͤnderte ihre Kleidung in etwas, und ich gab ihr andern Hut und Man - tel, um weniger bemerkt zu reiſen. Sie ſcherz - te ſelbſt uͤber ihren vorigen Putz, und daß die Weiber ihn nie vergeſſen koͤnnten; und ſo ver -kapp -304kappten wir noch ihre Mohrin. Ich nahm mei - nen jungen treuen Schweizer Haͤl, einen Gems - jaͤger aus Wallis von den Quellen des Rhodan mit mir; und Paar und Paar zogen wir in der Nacht ab. Vorher ſchrieb ich an den Herzog eine nothwendige Luͤge; und an meine Tante um ein paar ſtarke Wechſel.

Zu Perugia weideten wir uns inniglich, nach eingenommenem Fruͤhſtuͤck, an den Raphae - len, welcher ihr Liebling iſt, und den Werken ſeines Lehrmeiſters. Ritten dann die Hoͤhen herab nach den anmuthigen Thaͤlern, und uͤber die Johannisbruͤcke, worunter der Tyberſtrom reißend in rauſchenden wilden Fluthen wegſchießt; und hielten Mittagsraſt auf dem ſchoͤnen Huͤgel Aſſiſi im heiligen Kloſter.

Die Nacht blieben wir in Fuligno. Den Morgen darauf zogen wir durch das reizende Thal, das an mahleriſchen Schoͤnheiten und Fruchtbarkeit ſeines gleichen naͤchſt der Lombardeyviel -305vielleicht nur wenig auf dem ganzen Erdboden hat; und ſchieden uns bey Treve abgeredeter Maaßen.

Sie begab ſich wieder auf ihr Gut, welches nicht weit davon liegt; und wo wir zuſammen koͤnnen, wenn wir wollen.

Mein Luſtoͤrtchen hat die ſchoͤnſte Lage der ganzen Gegend, und iſt an einen runden nicht hohen Berg die Haͤlfte herum gebaut, der einen weiten Olivenwald ausmacht. Die Menſchen ſcheinen ſich wie Voͤgel in die Baͤume mit ihren Haͤuſern obenhin geniſtet zu haben. Man uͤber - ſieht von hier aus das ganze Thal von Spoleto bis Fuligno, Aſſiſi und Perugia; und der Fle - cken heißt mit Recht der Redeplatz (la Ringhiera) von Umbrien.

Fiordimona hat ihren Aufenthalt in uͤppi - gen Gaͤrten von Fruchtbarkeit und Lieblichkeit bey den Quellen des Clitumnus (le Vene), die am Fuß des hoͤchſten Bergs im ganzen Um -Ardinghello 2ter B. Ukreis,306kreis, Campello, aus einem Felſen kommen mit vielen uralten Feigenbaͤumen bewachſen in unzehlbaren Spruͤngen. Es iſt ein unausſprech - liches Vergnuͤgen, wie das klare, kryſtallhelle, friſche geſunde Naß aufquillt, von der Macht zu zarten Blaͤschen getrieben, unter dem erfreuli - chen Schatten; alles innerlich ſich regt und be - wegt, und die Fuͤlle von ſelbſt auf ebner Flaͤche fortrinnt. Nahe dabey wallen ſie in Baͤchen zu den Gaͤrten Fiordimonens hinein, und draͤngen ſich da in einen lebendigen Teich zuſammen, deſ - ſen Ufer hohe Ahornen, Pignen, Lorbeern, Reben und Haſelſtauden beſchatten; und aus dieſem ſtroͤmt der Clitunno ſchon ein anſehnlicher Fluß, voll ſchneller Forellen, ſo daß ich in Ita - lien keine ſo ſtarke Quellen kenne.

Etwa tauſend Schritte davon ſteht ein klei - ner Tempel mit korinthiſchen Saͤulen zierlich in der Ferne, obgleich aus ſpaͤtern Zeiten, dem Flußgott zu Ehren, der den Roͤmern ihr Viehſo307ſo weiß machte. Auch haben wirklich alle Rin - der dieſes Thals ein glaͤnzendes Silberweiß, und ſind außerordentlich gutartig mit ihren ungeheu - ern großen Hoͤrnern. Der Strom, denn dieſen Namen darf man ihm wohl geben, bleibt das ganze lange Thal durch kryſtallhell.

Ich gebe mich in meinem Wirthshauſe fuͤr einen Mahler aus; und warlich iſt da genug zu mahlen und zu zeichnen an Menſchen, Vieh, und den Bergen mit ihren herrlichen Formen und Tinten, wenn mir Zeit dazu uͤbrig bliebe. Die ganze Naͤchte ſteck ich bey Fiordimonen, und wir muͤſſen zuweilen unſern Brand bey der hei - ßen Witterung in dem lieblichen See des Cli - tunno abkuͤhlen, denn ſie ſchwimmt wie ein Fiſch, von zarter Kindheit dazu angelehrt; wo wir die Schwaͤne von ihrem Schlummer aufwe - cken, deren ſie eine Heerde darauf hat. Dieſer Koͤnig der Waſſervoͤgel iſt ihr Lieblingsvogel; und wo gibt es auch einen ſchoͤnern? und ein lo -U 2ckender308ckender lebendiger Bild der Luſt, wenn ſie ihre Haͤlſe umflechten, und Entzuͤcken leis kreiſchen und zuſammengirren, und mit ihren Fluͤgeln ſchlagen, daß der Geſang der Nachtigall davor verſchwindet, und zu geſchwaͤtzigem und unauf - hoͤrlichem Getoͤn wird. Die meiſten laͤßt ſie wild fliegen; ſie kennen das Plaͤtzchen, und kommen immer wieder.

Morgen geht die Woche ſchon zu Ende, ſeitdem wir hier ſind; Himmel wie ſchnell! wir wollten nur einen oder zwey Tage Halt machen, aber es war gar zu erfreulich. Sie laͤßt alles zuruͤck, und die Mohrin, und begleitet mich al - lein. Uebermorgen in der Nacht brechen wir heimlich auf, und ſtreichen weiter; im Hauſe glaubt man, daß ſie nach Rom reiſe.

Terni,309

Terni, May.

Ich bin im Himmelreiche! Wie ein paar kuͤh - ne Adler jagen wir durch die weiten Luſtreviere! Freyheit, Quellenjugend, und feurige Liebe und Zaͤrtlichkeit!

Geſtern Abend kamen wir durch den rauhen Wald und das wilde Gebirg von Spoleto hier an; und dieſen Morgen ſind wir gleich nach dem neuen Sturz des Velino in aller Fruͤhe ausgezogen. Wir wollten ihn zuerſt von oben betrachten.

Der Weg dahin iſt voll reizender Ausſich - ten; die Berge woͤlben ſich immer einer hoͤher als der andre weiter fort gen Himmel, um gleichſam dieſes Paradies ganz von der irrdiſchen Welt abzuſondern. Die Sonne ging eben auf, als wir nach der Hoͤhe zu ritten, gerade uͤber dem Gebirg den Felſenriß hinein, worin eineU 3herr -310herrliche See von befruchtendem Thaunebel in der Mitte ſchwamm.

Der Waſſerfall iſt nur eine entzuͤckende Vollkommenheit in ſeiner Art, und es mangelt nichts, ihn hoͤchſt reizend zu machen. Ein ſtar - ker Strom, der feindſeelig gegen ein unſchuldi - ges Voͤlkchen handelte, muß ſich gebaͤndigt durch einen tiefen Kanal ſtuͤrmend in wilden Wogen waͤlzen, mit allerley ſuͤßem lieblichen Geſtraͤuch umpflanzt, als hohen gruͤnen Eichen, Ahornen, Pappeln, Cypreſſen, Buchen, Eſchen, Ulmen, Seekirſchen; und in die graͤuliche Tiefe ſenkel - recht an die zweyhundert Fuß hinab ſtuͤrzen, daß der Waſſerſtaub davon noch hoͤher von unten herauf ſchlaͤgt. Alsdenn tobt er ſchaͤumend uͤber Felſen fort, breitet ſich aus, rauſcht zuͤrnend um gruͤne Bauminſeln, und haſtig ſchießt er in den Grund von dannen, zwiſchen zauberiſchen Gaͤr - ten von ſelbſtgewachsnen Pommeranzen, Zitro - nen, und andern Frucht - und Oelbaͤumen.

Sein311

Sein Fall dauert ſieben bis acht Sekunden, oder neun meiner gewoͤhnlichen Pulsſchlaͤge von der Hoͤhe zur Tiefe. Das Aufſchlagen in den zuruͤckſpringenden Waſſerſtaub macht einen he - roiſch ſuͤßen Ton, und erquickt mit nie gehoͤrter donnernder Muſik und Veraͤndrung von Klang und Bewegung die Ohren; und das Auge kann ſich nicht muͤde ſehen.

Fiordimona jauchzte vor Freude in das all - gewaltige Leben hinein, und rief außer ſich un - ter dem brauſenden Ungeſtuͤm: es iſt ein Kunſt - werk ſo vollkommen in ſeiner Art, als irgend eins vom Homer, Pindar, oder Sophokles, Praxiteles und Apelles, wozu Mutter Natur Stoff und Hand lieh.

Gewiß aber laͤßt es ſich mit keinem andern vergleichen, und iſt einzig in ſeiner Art; die große Natur der herrlichen Gebirge herum, der friſche Reiz und die liebliche Zierde der den Sturz vor dem Fall umfaſſenden Baͤume, das einfacheU 4Ganze,312Ganze, was das Auge ſo entzuͤckt, auf einmal ohne alle Zerſtreuung; ſo wolluͤſtig verziert, und doch ſo voͤllig wie kunſtlos, naͤhrt des Menſchen Geiſt wie lauter kraͤftiger Kern.

Wir ſaßen alsdenn wieder auf, und ritten dem Velino oben weiter entgegen, bis wir eine kleine Stunde vor dem Sturz an ſeinen See ka - men, worin er ſich klar waͤſcht. Die Mannich - faltigkeit des Stroms von hier aus, der bald langſamere bald ſchnellere Lauf, das mit ſchoͤner Waldung eingefaßte Bett uͤberall, der See in ſeiner Rundung von einem Amphitheater ſich nacheinander verlierender hoͤchſter Gebirge umla - gert; alles, das fruchtbare Thal der Scene, der ehemalige Streit der Nachbarn um ihn macht dieſen Waſſerfall immer wunderbarer und ergreiffender.

Man hat ihn ſchon abgemahlt und zeigte mir geſtern bey unſrer Ankunft die Kopie von dem Original. Aber gemahlt bleibt er immerein313ein armſeliges Fragment ohn alles Leben; weil kein Anſchauer des Gemaͤhldes, der die Natur nicht ſah, ſich auch mit der bluͤhendſten Phanta - ſie das hinzuzudenken vermag, was man nicht andeuten kann. Und uͤberhaupt iſt es Frech - heit von einem Kuͤnſtler, das vorſtellen zu wol - len, deſſen weſentliches bloß in Bewegung be - ſteht. Tizian zeigt kluͤglich allen Waſſerfall nur in Fernen an, wo die Bewegung ſich verliert und ſtille zu ſtehen ſcheint.

Terni ſelbſt, das Vaterland des erſten Ge - ſchichtſchreibers Tacitus, liegt aͤußerſt angenehm zwiſchen lauter Gaͤrten. An der Nordſeite er - hebt ſich noch ein Bogen von Huͤgeln mit luſtigen Landhaͤuſern, meiſtens zwiſchen Oelbaͤumen, die einen kleinen Wald ausmachen.

Aus der Nera, worin der Velino ſeinen Namen verliert, werden eine Menge Kanaͤle abgeleitet, die die Stadt und alles Land herum,U 5unter314unter immer lebendigem Rauſchen, zur hoͤchſten Fruchtbarkeit bewaͤſſern.

Tivoli hatte einen ſo großen Reiz fuͤr die alten Roͤmer, weil es nahe an Rom lag, und wegen der weiten Ausſicht in die Ebnen herum bis ans Meer. Es hat etwas feyerliches, was Terni nicht hat. Aber dieß hat im Grunde groͤ - ßere Natur um ſich her, und laͤßt an Fruchtbar - keit mit Tivoli gar keine Vergleichung zu; dieſes iſt duͤrres und oͤdes Land meiſtens, und Terni lauter Mark.

Die Roͤmer verſtunden zu leben! ſie genoſ - ſen den wahren Reiz von jedem, und wußten zu waͤhlen aus tauſenderley Erfahrungen. Scipio der juͤngere waͤhlte Terni, deſſen Landſitz man noch zeigt; der aͤltere Cajeta; und ſeine erhab - ne Tochter Kornelia das Miſeniſche Vorge - birg, welche letztern Oerter wegen des Meers freylich uͤber alles gehen; denn nichts iſt dochleben -315lebendiger als das Meer, und hat mehr Man - nichfaltigkeit und Bewegung. O wie freu ich mich, das alte gluͤckſeelige Bajaͤ bald zu finden!

Die Terner erweiſen uns alle Ehre, und dieß ſetzt Fiordimonen nicht wenig in Verlegen - heit; ſie befuͤrchtet erkannt zu werden; und au - ßerdem wollen ſich ihre muthwilligen Bruͤſte, ſtolz auf ihre junge Schoͤnheit, mit aller Kunſt nicht vollkommen verbergen laſſen. Dieß macht mich oft laͤcheln, und ſie erroͤthen. Wir bege - ben uns deßwegen platterdings in keine ſitzende Geſellſchaft, und ſind gegen Abend wieder nach dem Waſſerfall unten hin geritten; morgen eilen wir weiter.

Unten iſt man recht der Mutter Natur im Schooß, und genießt die Hoͤhen und Tiefen der Erde, ihr Schaffen und Wirken, und die Fuͤlle ihres Lebens. Ein enges Thal von neuen undaͤußerſt316aͤußerſt reizenden Kontraſten; welſche Milde und Schweizerrauheit vereinbart. Himmelan - ſtrebende Gebirge, donnernder Waſſerſturz, her - einbrauſende wilde Fluthen; und daneben: die zarten Pommeranzen - und Oelbaͤume, Lorbeern - gaͤnge, ſuͤße Reben und Feigen; und mitten drin im Felſen eine Kapelle der heiligen Roſalia, die Bildſaͤule der Heiligen, die auf einem weichen Lager ruht, mit Blumen bekraͤnzt, um ſie her leisſchwebende Engel.

Por -317

Portici, Junius.

Die Freude laͤuft mir durch alle Glieder, daß du mich beſuchen willſt; o ein Goͤtterjahr dieß Jahr in meinem Leben! Ich habe meiner Tan - te ſchon geſchrieben, Quartier fuͤr dich bereit zu halten; bey meiner Ankunft hoff ich dich zu Flo - renz zu treffen. Die naͤchſten Tage werden wir von hier abreiſen.

Von unſern Abentheuern haͤtt ich dir ſo viel zu erzehlen, daß ich jetzt nicht wuͤßte, wo ich anfangen ſollte; ich verſpar es bis wir Her - zen und Seelen muͤndlich gegen einander aus - ſchuͤtten. O welch ein Jubel, mit dir noch durch die bezaubernden Plaͤtze von Umbrien zu ſtrei - chen! Fiordimona und ich ſind nun voͤllig ein Weſen, ſo zuſammengeſchmolzen von tauſendfa - chem Entzuͤcken; alles hohe und ſchoͤne, kuͤhne und heroiſch erduldende der menſchlichen Natur iſt in ihr vereinbart. Endlich werden wir denndoch318doch noch das Band der Ehe der buͤrgerlichen Ordnung wegen tragen; aber warlich nicht deß - wegen, daß es uns zuſammen halten ſoll. O ſie iſt der gluͤckliche Hafen aller meiner ſtuͤr - miſchen Wuͤnſche! Wir kennen uns nun von innen und außen bis auf unſre geheimſten Re - gungen.

Unſre Reiſe war eine immerwaͤhrende Au - genluſt. Wir haben den Weg uͤber Monte Caſ - ſino genommen. Hier fuͤhlt man erſt recht die Schoͤnheit von Italien, und hat ſinnlich vor ſich, wie ſich der Apennin in ſeiner ganzen Ma - jeſtaͤt durch deſſen Mitte lagert, zur Erfriſchung mit ſeinen luftigen und waldichten Gipfeln fuͤr den Sommer und reizenden Thaͤlern und Ebnen an beyden Meeren fuͤr den Winter. In weiten Kreiſen thuͤrmt ſich immer ein Gebirg uͤber das andre, und das Farbenſpiel geht in unendlichen Hoͤhen und Tiefen durch alle Toͤne in ſuͤßen und furchtbaren Harmonien.

Der319

Der heilige Benedikt hat treflich fuͤr ſeine Schaar geſorgt, und die Moͤnche zu Monte Caſſino leben wie die Fuͤrſten. Jeder hat ſeine drey Bedienten, das Koſtbarſte vom Lande zu eſſen und zu trinken und ſchlaͤft in weichen Bet - ten auf Stahlfedern. Das Uebrige verſteht ſich von ſelbſt; aus Vorſorge bereitete ich meiner Fiordimona eine Krankheitsſchminke, und gab ſie fuͤr meinen Bruder, einen Saͤnger aus, der ſeiner Geſundheit wegen in die Baͤder von Bajaͤ zoͤge. Und kaum ſo ſind wir durchgekommen; denn die ſchelmiſchen Faune witterten doch die bluͤhende Geſundheit und das Fleiſch wie Man - delkern unter dem angeſtrichnen Gelb.

Ihr praͤchtiges Kloſter liegt auf einem ſtei - len Abſatze von einem der hoͤchſten Berge, von unten wie eine Burg des Zevs, nur daß umge - kehrt von oben das Wetter des Jahrs wenigſtens ein paarmal da einſchlaͤgt, und wird in kurzer Ferne von einem ſtolzen Amphitheater von Ge -birgen320birgen umgeben, wo die Sonne bey ihrem Un - tergang immer neue zauberiſche Schauſpiele her - vorbringt.

Wir haben uns nur einen Tag zu Neapel ſelbſt aufgehalten, und ſind gleich aufs Land hie - her gezogen, wenn man es Land nennen kann; denn Portici iſt gleichſam nur Vorſtadt: bewoh - nen den Garten einer jungen Wittwe, von Ta - rent gebuͤrtig, die mit Recht den lieblichen Na - men Candida Grazioſa fuͤhrt, im beſten Punkt, dieß wirkliche Paradieß zu beſchauen; denn von Neapel aus iſt das goͤttliche Meer zu einge - ſchloſſen.

Die Stadt ſelbſt ſieht man hier am wahr - ſten und beſten; ſie iſt ſo recht ein Sitz des Ver - gnuͤgens, voll Adel, voll der lebhafteſten Men - ſchen, rundum in Schoͤnheit und Fruchtbarkeit! zu ſtrenger und erhabner Weisheit iſts faſt nicht moͤglich, hier zu gelangen. Zur linken die rei - zende Kuͤſte von Sorrent; dann die Fahrt nachEly -321Elyſium Sizilien; dann die Inſel der Freuden des Tiberius, Capri; dann die unendlichen Gewaͤſſer breit und offen, wo ſich das Auge ver - liert; und daneben und daruͤber hin die alten Feuerauswuͤrfe der Inſel Iſchia, und Procida, und den entzuͤckenden Strich Huͤgel des Pauſi - lipp, und das Gebirg der Kamaldolenſer; wel - che bezaubernde Mannichfaltigkeit! darunter wie - der das Gemiſch von unzehlbaren Felſenhuͤtten von Neapel, wo eine halbe Million Menſchen ſich guͤtlich thun; und bey uns, hinter dem ſchuͤch - ternen Portici, in ſchrecklicher Majeſtaͤt Veſuv. Ein aͤchter Wonneſchaͤumender Becher rundum dieſer große Meerbuſen!

Hier ſchwimmt alles und ſchwebt in Luſt, im Waſſer, am Ufer, und auf den Straßen. Die Feuermaſſen ſcheinen dieß Land der Sonne naͤher zu ruͤcken; es ſieht ganz anders, als die uͤbrige Welt aus. Gewiß waren alle Planeten ehemals ſelbſt Sonnen, und ſind nun ausge -Ardinghello 2ter B. Xbrannt,322brannt, und Neapel iſt noch ein Reſt jener ſtol - zen Zeiten. Man glaubt in der Venus, im Merkur, einem hoͤhern Planeten zu wohnen. Immerwaͤhrender Fruͤhling, Schoͤnheit und Fruchtbarkeit von Meer und Land, und Geſund - heit von Waſſer und[Luft].

Gleich die erſte Woche haben wir uns mit der ganzen Gegend und der beſondern Art Men - ſchen bekannt gemacht; und den dritten Tag ſchon waren wir oben auf dem Vulkan, und ge - noſſen den Anblick der hoͤchſten Gewalt in ſeinem Krater, die man auf Erdboden ſchauen kann. Die Riſſe von unten heraus, trichterfoͤrmig, gehen uͤber alle Macht von Wetterſchlaͤgen, auf - fliegenden Pulverthuͤrmen und Einbruͤchen ſtuͤr - menden Meeres. Erdbeben, die Laͤnder bewe - gen, wie Winde Waſſerflaͤchen, ſind dagegen nur ſchwache Vorboten. Man glaubt in die Wohnung der Donnerkeile wie ein Schlangen - neſt hineinzuſehen, ſo blitzſchnell iſt alles ausuner -323unergruͤndlicher Tiefe geriſſen, von Metall be - ſpritzt und Schwefel beleckt: ein entzuͤckend ſchaue - rig Bild allerhoͤchſter Wuth.

Sein Gipfel beſteht aus lauter Schlacken; dieß gibt ihm von fern eine haarichte Rieſenge - ſtalt. Dann waͤchſt lauter Heyde; und dann in der Mitte fangen Gaͤrten und Baͤume an.

Der Veſuv iſt augenſcheinlich ein uralter Berg, deſſen Krater einſt zuſammenſtuͤrzte, wo - von die Riſſe noch an der Somma zu ſehen ſind. Alsdenn hat er ſich vom neuen durch viele Aus - bruͤche wieder aufgethuͤrmt. Vorher war es ein einziger Berg; jetzt mag er nicht ſo ſchoͤn mehr ſeyn, aber deſto furchtbarer.

Wir ſind mehr als einmal oben geweſen, ſo hat uns dieß Schauſpiel und die Ausſicht ergoͤtzt.

Unſer Aufenthalt im Garten der Candida hat uns großes Vergnuͤgen gewaͤhrt, aber auch viel von unſrer Freyheit benommen; und iſt Ur -X 2ſach,324ſach, daß wir fruͤher zuruͤckreiſen, als wir woll - ten. Neben an bewohnt einen andern die Ge - liebte des Sohns vom Vicekoͤnig, eine reizende Spanierin, kaum ſechszehn bis ſiebzehn Jahre alt, ſogenannte Graͤfin von Coimbra. Dieſe brennt vor Leidenſchaft gegen Fiordimonen; und Candida hat ſich mit weniger Geſchmack, aber beſſerm Inſtinkt in mich und meinen jungen Bart vergafft. Beyde ſind wir ſo belagert. Coimbra iſt eiferſuͤchtig auf mich, und Candida auf Fiordimonen, und der Sohn vom Vicekoͤnig ward es endlich auf uns beyde, und ſchoͤpfte Ver - dacht gegen alle. Die Komoͤdie fing ſich damit an.

Wir kauften gleich bey unſrer Ankunft in Neapel eine Laute und Zithar zum Zeitver - treib; und die erſte Nacht in Portici hielten wir einen Wechſelgeſang. Coimbra ward ent - zuͤckt ſchon von der Stimme Fiordimonens, die, moͤcht ich ſagen, wie ein Arm ſo ſtark aus ihrer Kehle ſtroͤmt mit aller Geſchmeidigkeit undMan -325Mannichfaltigkeit, vom leiſen Lispel bis zum Sturm, und in Laͤufen von erſtaunlichem Um - fang, jeder Ton perlenrein und herzig.

Den andern Abend hoͤrten wir ein Lied von unſrer Nachbarin, wozu ſie ſich auf einem Pſal - ter begleitete. Ihre Stimme iſt nur ſchwach, ein - fach, und von wenig vollen Toͤnen, aber ſilbern und ſuͤß von Empfindung; was ſie ſang, war ein Meiſterſtuͤck ſpaniſcher Poeſie, und wir haben davon nur die erſten Strophen behalten.

Quando contemplo el cielo
de innumerables luces adornado;
y miro hazia el ſuelo
de noche rodeado
en ſueño y en olvido ſepultado:
El amor y la pena
deſpiertan en mi pecho un anſia ardiente,
deſpide larga vena
los ojos hechos fuerte,
O[]loarte, y digo al fin con voz doli[e]nte:
X 3Mo -
326
Morada de grandeza
templo de claridad y hermoſura,
el alma, que a tua alteza
Naciò, que desventura
la tiene en eſta carcel baxa eſcura?
*)
Wenn ich den Himmel betrachte mit unzehl -
baren Sternen ausgeziert, und nieder auf
den Boden ſchaue von Nacht umgeben, in
Schlaf und Vergeſſenheit begraben:
So erwecken Kummer und Liebe in meiner
Bruſt eine heiße Bangigkeit, und die Au -
gen, zu Quellen geworden, vergießen einen
Bach von Thraͤnen, Oloarte, und ich ſag
endlich mit klagender Stimme:
Aufenthalt der Herrlichkeit, Tempel der
Klarheit und Schoͤnheit, welch ein boͤſes
Schickſal haͤlt die Seele, fuͤr deine Hoͤ -
hen gebohren, in dieſem tiefen dunklen
Kerker?
*)Der327

Der Juͤngling war vermuthlich bey ihr; denn wir hoͤrten hernach ſprechen und ſeufzen und Stille zu Kuß und Umarmung in der dich - ten Laube.

Ach, es war in der That ein ſchoͤner Abend! kuͤhlender Duft ſenkte ſich nieder, und huͤllte nach und nach das Gebirg ein, alles wurde ver - wiſcht und Form daͤmmerte nur unten, indeß oben die reinen vollkommnen Sterne blinkten. Wir meinten, wir muͤßten uns ſogleich mit dem Liede der holden Spanierin empor heben, und unſre Stelle verlaſſen. Es iſt unten doch alles ſo Nichts, wenn es nicht von dem klaren himm - liſchen Licht ſeine Geſtalt empfaͤngt!

Dann ging der ſtille Mond am wilden dam - pfenden Veſuv auf; dunkel lag das Meer noch in Schatten, und erwartete mit unendlichen leiſen plaͤtſchernden Schlaͤgen ſeine Ankunft. Die Men - ſchen kuͤhlen ſich ab in den Fluthen, machen Cho - rus, und ſcherzen und genießen weg ihr Daſeyn.

X 4Es328

Es iſt entzuͤckend, wie man die Erde mit ſich gen Oſten unaufhaltbar fortrollen ſieht, und die ganze Harmonie des Weltalls fuͤhlt!

Du biſt gluͤcklich Mond, ſeufzte Fiordi - mona; du laͤufſt deine Bahn ewig fort, dein Schickſal iſt entſchieden!

Ach Gott, wer wuͤßte, was das Licht waͤre, das ſo ſchoͤn leuchtet, und es erkennen koͤnnte! es iſt doch gewiß ein heilig Weſen; und todt iſt es nicht, weil es ſich ſo ſchnell fort - bewegt!

O wer in den großen Maſſen, Himmel und Meer und Mond und Sternen, Frescobal - di, an deinem liebevollen Herzen immer ſo ſchweben koͤnnte! Was dieß fuͤr eine Ruh und Seeligkeit iſt! man athmet ſo recht aus und ſchoͤpft mit jedem Zuge Luſt und Erquickung!

Denke noch zu ſolchen Wonnelauten, un - mittelbar von ihren Quellen, Kuß und Blick und Umarmung der Erhabnen!

Colm -329

Coimbra machte hernach mit uns Bekannt - ſchaft, und redt uns zuerſt an, als wir einander auf einem Spaziergange begegneten; ein durch - aus gefuͤhlig zartes Weſen, worin aber kuͤhne Blitze von Leidenſchaften herumkreuzen. Woͤrt - liche Liebeserklaͤrung erfolgte bald, wie Fiordi - mona ſich zu unerfahrner Juͤngling bey Haͤnde - druck und ſchmachtenden Seufzern und Blicken bezeugte. Fiordimona ſpielte ihre Rolle treflich, um ſich nicht erkennen geben zu duͤrfen, und Thaͤtlichkeiten bis zu unſrer Fortreiſe abzuhalten; und wir ſind waͤhrend der Zeit in der ganzen Ge - gend herumgeſtrichen, und wenig anders zu Hau - ſe geblieben, als zu ſchlafen. Von Quartier wollten wir nur im hoͤchſten Nothfall aͤndern, wegen Anlaß vielleicht zu gefaͤhrlichen Auftritten.

Am meiſten ſind wir zu Bajaͤ, am Pau - ſilipp, und einige Tage an der Kuͤſte von Sor - rento geweſen. Von allen dieſen Zaubereyen muͤndlich weitlaͤuftig.

X 5Zu330

Zu Bajaͤ iſt ein Wunder der Natur an dem andern; und in der alten Roͤmer Zeiten war noch dabey ein Wunder der Kunſt an dem an - dern, wovon die herrlichen Ruinen außer den Beſchreibungen der Dichter zeugen. Was der Archipelagus ſeyn muß, wo das immerwaͤhrende Leben ſo um unzehlbare Inſeln herumwallt, wie hier nur um drey oder vier? Gluͤckliche Griechen! wenigſtens zwey Drittel bewohnten und bewohnen noch ſchoͤne Seekuͤſten.

Das Grabmal Virgils, an deſſen Aecht - heit man keinen Grund zu zweifeln hat, iſt in der That ein ruͤhrender Winkel, der innerſte Punkt des alten Parthenope; der Mittelſitz der Ruhe von der See her, die Spitze des Winkels von der Bucht. Ich wuͤnſchte ſelbſt an einem ſolchen Ort meine Aſche; ohne Pomp, ſtill, ein kleines Gemaͤuer. Es liegt gerad am Pauſilipp in der Hoͤhe uͤber der vor Alters durchgehauenen Grotte nach Pozzuolo. Die Pignen ſchienenalle -331allemal voll Ehrfurcht ſich zu ſeinem Schatten zu neigen, und nur leis zu bewegen, um ſeinen Schlummer nicht zu ſtoͤren. Es iſt ſchoͤn, eine ſolche Stelle zu haben, wo ſich die Erinnerungen an einen großen Menſchen alle lieblich zuſammen - ſammeln!

Das Denkmal an der mit ſo warmer und heller Empfindung gewaͤhlten Staͤtte iſt mit mancherley Geſtraͤuch bekraͤnzt; Epheu, und wilde Weinranken ſchlingen ſich uͤberall herum; und auf der Decke ſelbſt, wo in den vielen Jahr - hunderten ſich eine Schicht Erdreich feſtgeſetzt hat, gruͤnt es am dichteſten. Ein Lorbeer ſteigt in der Mitte ſtolz hervor, der nur nicht lange dauern wird, weil alle Reiſenden, Dichter, Prinzen und Damen davon abbrechen, um An - theil an dem Ruhme des Unſterblichen zu haben.

Man genießt hier Neapel und den erfreuli - chen Meerbuſen in einem der ſchoͤnſten Geſichts - punkte.

Sor -332

Sorrent liegt von Bergen eingeſchloſſen in einem kleinen Thal, das die Form wie ein Hufeiſen hat. Es iſt das bezaubernſte Plaͤtz - chen des weiten Paradieſes der Gegend, wohin - ein das Meer noch eine beſondre kleine Bucht macht. Deſſen Ufer ſind hohe ſenkelrechte Fel - ſen, ſo daß es wie auf einer Buͤhne ſich zeigt. Man muß aus der See eine halbe Stunde lang auf einem Wege von Terraſſen hinanſteigen. Die niedlichen Haͤuſer und Pallaͤſtchen ſtecken in einem Gartenwald von Oel-Pommeranzen-Zi - tronen - und Fruchtbaͤumen; hier wachſen die koͤſtlichſten Melonen.

Der Veſuv iſt davon in ſeiner einfachſten, allergroͤßten, und furchtbarſten Geſtalt zu ſehen, ſo ſtolz und erhaben, daß die hoͤchſten Alpen da - vor verſchwinden. Er ſieht aus wie ein Weſen, das ſich ſelbſt gemacht hat, alles andre iſt wie Koth dagegen; und der Dampf aus ſeinem of - nen Rachen iſt im eigentlichſten Verſtand entſetz -lich333lich ſchoͤn. An keinem andern Orte moͤcht ich ſeine Feuerauswuͤrfe betrachten; es muß ein wahres Bild raſender Hoͤlle ſeyn. Unten am Fuß ſind die Menſchen mit ihren Wohnungen wie unſchuldige Laͤmmer, die er ſich zur Beute herſchleppte; und die alte Mutter die See zieht vergebens zaͤrtlich rauſchend heran, ſie zu retten.

Ein entzuͤckender Morgen, wie wir wieder Portici hinuͤber ſchifften! ein leichter Nebel deck - te daſſelbe wie eine zarte Bettdecke. Auf dem Gewaͤſſer waren tauſend Nachen, die unbeſorg - ten Fiſche zu fangen, welche aus ihren Tiefen ſich dem neuen Lichte naͤherten. Leiswallend, wie ein unermeßlicher Lebensquell, verlor ſich das Meer in ein Chaosdunkel, woraus Capri kaum ſichtbar in grauem Duft noch hervortrat. In blaſſem Purpur roͤthete ſich auf den Apenni - nen der Himmel, und der Vulkan athmete ſchrecklich der Sonn entgegen in majeſtaͤtiſcherRuhe334Ruhe ſeinen ſchweren Dampf aus, der ſich an den Seiten herabwaͤlzt. Und nun ſteigt ſie empor in Strahlengluth vollkommen und un - veraͤnderlich, der Geiſt ihrer Welt, die alles mit Liebe faßt, und in ihrem Glanze ſpielen die Wellen.

Was mir uͤbrigens an Neapel doch nicht ge - faͤllt, iſt, daß man weder Sonne noch Mond, und Morgen - und Abendſtern im Meer auf - und untergehen ſieht.

Nachſchrift.

Wir muͤſſen fort, noch heute. Coimbra brennt in lichterlohen Flammen, und drang ge - ſtern in einem herzbrechenden Briefe darauf, Fiordimona ſolle ſie entfuͤhren. Candida ſchlich ſich dieſe Nacht, aller feinen Wendungen uͤber - druͤſſig, in mein Zimmer ſchier nackend, unduͤber -335uͤberraſchte mich mit Fiordimonen, deren Ge - ſchlecht ſie erkannte. Und Haͤl, der ſo treue, daß er ſelbſt ſeinen Genuß bey dem Kammer - maͤdchen der Spanierin dran gibt, verkuͤndigt uns Mord und Tod, und die ausgeſtellten Wachten und Poſten des getaͤuſchten Lieb - habers.

Ardinghello 2ter B. YDie -336

Dieſen letztern Brief erhielt ich erſt zu Flo - renz von ſeiner Tante, einer jungen Wittwe ohne Kinder, voll Geiſt und Anmuth im Um - gang und mannichfaltigen Reizen. Ardinghello war noch nicht wieder gekommen bey meiner Ankunft daſelbſt; und ſie ertheilte mir anfangs uͤber ſein Ausbleiben zweifelhafte Nachrichten von fuͤrchterlichen Begebenheiten, die ſich her - nach nur zu gewiß beſtaͤtigten. Doch vorher et - was von mir, und meiner Reiſegeſellſchaft! ich habe aus ſeinen Briefen alles weggelaſſen, was meine Angelegenheiten betraf, um die Ge - ſchichte nicht zu verwickeln und weitlaͤuftig zu machen.

Auch ich ſtand auf dem Punkte, mich zu verheurathen, als meine Geliebte von der Seu - che weggerafft wurde, die von Trient nachVe -337Verona, und von da nach Venedig kam, und ſich hernach durch die Lombardey verbreitete. Ich folgte nun mit Begier der Einladung meines Freundes, um mich von den traurigen Gegenſtaͤn - den zu entfernen; und ſagte davon Caͤcilien.

Sie konnte gleich vor Ungeduld nicht blei - ben, die Reiſe mit zu machen. Noch hatt ich ihr immer nicht entdeckt, daß ich Alles von ihr und Ardinghellon wußte; ich ſcheute die Lage, in welche mich dieß verſetzen wuͤrde. Nur gab ich ihr zuweilen von ihm Nachricht, mit Ver - ſchweigung ſeiner Liebesgeſchichten; und ſie hatten ſich auch einander ſelbſt geſchrieben, welche Briefe mir aber nicht in die Haͤnde ge - kommen waren: ſo daß ich nicht wußte, was fuͤr Wendungen er bey ihr brauchte, und wie ſie zuſammen ſtanden. Ich mochte mich nicht mehr drein miſchen, und einem Tauben predigen; ließ aber nun doch, gewiſſermaßen dazu genoͤthigt, der Sache ihren baldigen Ausgang.

Y 2Caͤ -338

Caͤcilia beredete gleich ihren Vater und ihre Mutter zu einer Wallfahrt nach Loretto. Von ihren Bruͤdern war einer zu Corfu, und der andre blieb zu Hauſe. Und ſo brachen wir denn in der Geſchwindigkeit zuſammen auf. Sie nahm ihr Soͤhnchen mit, einen kleinen Engel. Wie ein Vogel, der dem neuen Fruͤhling zueilt, war alles an ihr.

O unſern Ardinghello muß ich doch auch gleich ſehen! hieß es zu Florenz. Das Ge - ruͤcht war ſchon in der Stadt, daß er einen jungen Anverwandten des Pabſts ermordet, und ſich darauf aus dem Staube gemacht habe. Ich ſagt es ihr gerade zu, damit ſie bey keinem andern durch ihre Leidenſchaft Verdacht erregte. O Gott! war ihr Wort; und blaß wie eine Lilie, und verſtummend begab ſie ſich bey Seite. Ihre Eltern befuͤrchteten darauf, ſie habe die Krankheit. Sie litt Todesqualen, als ſie fer - ner erfuhr: die That ſey um Mitternacht vordem339dem Pallaſte der Fiordimona geſchehen. Die ungluͤckliche liebte ihn wahrhaftig, und von Grund der Seele.

Sonderbarer Weiſe hielt ſich in demſelben Gaſthofe Fulvia mit ihrem Gemahl auf; ſie hatten Genua wegen der buͤrgerlichen Unruhen verlaſſen, worin ſchon verſchiedne Edle dort ihr Leben einbuͤßten. Ein allgemeines Strafgericht ſchien wirklich uͤber Italien nach dem Ausſpruch der Gottesgelehrten wegen ſeiner Suͤnden und Bosheiten verhaͤngt. Auch ſie fuͤhrte ihr Soͤhn - chen, das ſie aus voller muͤtterlichen Liebe ſelbſt ſaͤugte, bey ſich. Eine wahrhafte Bacchantin - figur, wie von einem griechiſchen Basrelief, oder einer alten Gemme weg ins wirkliche Leben gezaubert! Die Gluth ſchlug aus ihren ſchwarzen Augen, und ihre Lippen ſchienen berauſcht zu duͤrſten. Auch ſie mußte das Geruͤcht von Ar - dinghellon erfahren haben. Doch lief dabey noch ein andres herum: der Kardinal, Bruder desY 3Groß -340Großherzogs, habe den Anverwandten des Pabſts ermordet, und nicht Ardinghello. Die - ſer ſey entwichen vermuthlich, um nicht in Ver - haft genommen zu werden, und die Schuld fuͤr den maͤchtigen Kardinal zu buͤßen. So ſchweb - ten wir zwiſchen Furcht und Hofnung.

Fulvia machte ſich nach Rom auf, obgleich vor kurzem erſt aus dem Kindbette, und von der von Genua nach Florenz gemachten Reiſe ermuͤdet; und wir bald ihr nach, um an die Quelle zu gelangen. Ich ging gleich zu Deme - trin, welcher von nichts weiter etwas wiſſen wollte, als was jedermann ſagte; ob ich ihm gleich meine Freundſchaft mit Ardinghellon aus deutlichen Proben anzeigte. So ſchlau und ſicher betrug er ſich. Auch glaub ich, daß Ar - dinghellos Tante der ganzen Begebenheit kundig war; aber beyde liebten ihn ſchier wie ſich ſelbſt, und bey ſolchen Gefahren kann man nicht genug behutſam ſeyn.

In341

In Rom erfuhren wir noch, daß der Kar - dinal ſich dieſelbe Nacht, wo der Anverwandte des Pabſts ſey ermordet worden, die Haͤnde und Arme von zwey der geſchickteſten Chirurgen habe verbinden laſſen, die ihm mit ſtarken Wunden waͤren verhauen geweſen. Tags dar - auf hab er und Fiordimona Wache vor ihre Zimmer bekommen, ſeyen aber bald wieder davon befreyt worden; nur haͤtte der Pabſt ohne weitere Unterſuchung Fiordimonen von Rom verbannt, und auf ihre Guͤter verwieſen. Die Sache laͤge ſo vertuſcht, und man laure Ardinghellon doch als dem Thaͤter auf, und habe Kundſchafter aller Orten nach ihm aus - geſandt.

Gewiſſere Nachricht konnten wir nicht erhalten. Wir reiſten von Rom ab nach Lo - retto, und hielten uns Sommer und Herbſt in den Gebirgen des Apennin auf; Caͤcilia und ich mit tiefer Trauer in der Seele, daß derY 4Kar -342Kardinal unſern Liebling heimlich moͤchte aus dem Wege geraͤumt haben. Nach und nach wurden wir vertrauter uͤber dieſen Punkt, ſie geſtand mir endlich von ſelbſt ihre Leidenſchaft und faßte Muth auf meine tiefe Treue; weinte wie ein Kind uͤber ihre unſeeligen Schickſale, und daß ſie endlich hatte, wo ſie ihr angeſchwoll - nes Herz erleichtern konnte. So umſchlang uns beyde das Band einer vertrauten und inni - gen Freundſchaft.

Endlich im November erſt empfing ich ei - nen Brief von dieſem, der ſchon im Auguſt geſchrieben, aber von Demetri oder ſeiner Tante, denn von der letztern kam er zu mir, verſpaͤtet worden war. Mir duͤnkte, als ob ich von einem fuͤrchterlichen Traum er - wachte, und den Glanz der Morgenroͤthe ſchaute, als ich die Zuͤge ſeiner Hand er - blickte.

Brin -343

Brindiſi, Auguſt.

Meine widerwaͤrtigen Schickſale erheben mich mehr, als daß ſie mich niederſchlagen ſollten; je ſtaͤrker der Widerſtand: deſto gedrungner und geſchwellter regt ſich alles in mir. Ich glaubte ſchon in Genuß und Ruhe zu ſeyn, und jetzt erſt beginnen meine Arbeiten. Ich ſeh in ein neues Leben hin, und das hohe Getuͤmmel ergreift meine Sinnen. Gut, daß ich nicht wie ein Kind hinein komme! Das Leben des Juͤng - lings iſt Liebe: das Leben des Mannes Verſtand und That.

Ach, daß ich dich nicht noch einmal ſpre - chen durfte! Wir kamen bey Nacht zu Rom an; ich ſchickte Haͤlen mit meinen Pferden voraus, und wollte mit Fiordimonen auf ihr Gut alle Vene nachfahren, um uns dort zu vermaͤhlen. Sie hatte deßwegen in der Stadt verſchiednes zu beſorgen und mitzunehmen; aber es iſt allesY 5nun344nun zerſtoͤrt und zerriſſen. Ich verſteckte mich auf die drey oder vier Tage bey Demetrin, da - mit mich der Kardinal nicht wittern moͤchte; ſie hatte mir manches erzehlt, wie er ſie mit ſei - ner Liebe verfolgte, und daß ſie ihn nicht leiden koͤnnte.

Die zweyte Nacht kam ein fuͤrchterliches Donnerwetter ohne Regen uͤber Rom, und es ſchmetterte Schlag auf Schlag, als ob alles un - tergehen ſollte. Statt daß ich ſonſt große Freu - de an dieſen Naturbegebenheiten habe, und mich daran nicht ſatt hoͤren und ſehen kann, wurde mir dießmal ſelbſt bang im Herzen. Der Menſch iſt ein ſonderbares Weſen, und voller dunkeln Gefuͤhle, die kein Philoſoph aufklaͤrt; es war gewiß Ahndung deſſen, was mir bevor - ſtand. Ich warf meinen Mantel um mich, und nahm den bloßen Degen auf alle Gefahr unter den Arm, und ging fort, um Fiordimo - nen in der ſchrecklichen Nacht nicht allein zulaſ -345laſſen; in ihrem Pallaſte waren den Sommer uͤber nur ein paar alte Bedienten und Frauen zuruͤckgeblieben. Sie hatte mir den Schluͤſſel zu einer Seitenthuͤr gegeben. Ich eilte, und ging oft wieder langſam, und hielt im Schritt ein. Endlich kam ich in das kleine Gaͤschen an den Garten, wo ihr Schlafzimmer iſt, und wurde ploͤtzlich angefallen mit einem Dolchſtoß in die Seite. Ich ſprang zuruͤck, Blitze machten die Finſterniß hell und zum Tage; erblickte den Moͤrder, der mir nicht ausweichen konnte. Er rennte noch einmal auf mich zu, mich zu unter - laufen: und ich ſtieß ihn auf der Stelle nieder. Bey dieſem allen wurde kein Wort ausgeſprochen, indeß der Donner um uns bruͤllte, daß die Erde droͤhnte.

Kaum war dieß vorbey, und ich im Be - griff, den Leichnam wegzuſchleppen: ſo tritt eine andre verkappte Geſtalt auf, und ſetzt mit Ty - gerſpruͤngen auf mich ein, daß ich mit Noth denAu -346Augenblick erhaſche, mich zur Wehre zu ſtellen. Vermaledeyte Brut! hoͤrt ich die Stimme meines Kardinals, der in die vorgehaltne Klinge mit der Bruſt lief, die ich bepanzert fuͤhlte. Erſtaunt und erſchrocken uͤber alle die Folgen that ich nichts, als ihn von mir abhalten, ge - brauchte meine ganze Staͤrke, und war bald ſo gluͤcklich, daß ich ihm den Degen herausſchlug, hieb ihn auf die Haͤnde, womit er in Raſerey mein Gewehr faſſen wollte, ſchonte ſein Leben, und lief dann davon; und durch Nebenwege wieder zu Demetrin.

Dieſem erzehlt ich gleich, was geſchehen war, und vertraute ihm das hauptſaͤchlichſte mei - ner Geſchichte mit Fiordimonen; und ſein gro - ßer edler Charakter erhielt hier Gelegenheit, ſich zu zeigen. Er verbarg mich unerforſchlich, und half mir die folgende Nacht fort, nachdem wir erfuhren, daß der Ermordete, den wir zuerſt fuͤr einen Banditen hielten, ſelbſt Vetter desPabſts347Pabſts der juͤngere B **** ſey. Auch dieſer war wuͤthend in Fiordimonen verliebt, ob ſie mir gleich nie etwas von ihm geſagt hat. Meine Wunde ging nur geſtreift uͤber die Rippen weg; das Stichblatt vom Degen im Arm hielt den Stoß auf, und wir brauchten dazu keinen Chi - rurgen. Tolomei verkleidete ſich mit mir in ei - nen Franziskaner; und ſo ſind wir die Pontini - ſchen Suͤmpfe zu Fuß durch, und von Capua durch Kalabrien nach Brindiſi. Heroen, aͤchte wie Theſeus und Perithoos, wie Oreſtes und Pylades, Demetri und er. O der Menſch kann groß ſeyn in jedem Zeitalter, und das edle in ſeiner Natur bleibt immer irgendwo noch auf Erdboden!

Fiordimona dauert mich; was kann das Feuer dafuͤr, daß es brennt? Demetri hat kur - ze Nachricht vom fernern Erfolg an Tolomeien nach Brindiſi gegeben, unter andern Dingen, die er ihm meldete, dieß wie im Vorbeygehen,wenn348wenn ohngefehr der Brief ſollte aufgefangen werden: Sie und der Kardinal haben des Mor - des wegen Arreſt bekommen. Um alles noch zu thun, was ich kann, hab ich ſelbſt an den heili - gen Vater geſchrieben, und an den Großherzog, und noch an den Kardinal; und ihnen allen die Natuͤrlichkeit und Nothwendigkeit der Begeben - heit, und meine Unſchuld vorgeſtellt.

Und nun dann hinein in die Waſſerwelt; o wie klopft mir das Herz! O Vaterland, Va - terland, daß ich dich in Ketten und Banden ſe - hen muß und von dir ſcheiden! Lebe wohl, ſchoͤ - nes Italien, lebe wohl! lebe wohl, Venedig, Genua und Rom! O du warſt es werth, ſtolzes Land, vor allen andern einmal die Herrſchaft uͤber die Welt zu haben!

Umarm und kuͤſſe Caͤcilien ſtatt meiner; das himmliſche Geſchoͤpf wird an keines andern Bruſt beſſer aufgehoben und gluͤcklicher ſeyn, als der meines Freundes. Befuͤrchtet keine Suͤnde;der349der groͤßte der Halbgoͤtter gab Jolen mit der empfangnen Frucht ſeiner Liebe ſeinem eignen Sohne zur Gattin. Lucinde, du allein brennſt mich auf dem Herzen; aber ich will alle Verfol - gungen des erzuͤrnten Himmels dulden, wenn ichs buͤßen kann.

Lebt wohl ihr Hoͤhen des Apennin und ihr entzuͤckenden Thaͤler! Wohl du koͤniglicher Po, und du Tyber und Arno! ach, und ihr klaren Quellen des Clitumnus! Ein guͤnſtiger Wind ſchwellt die Seegel, und ich flieg Jonien entge - gen. Ich reiße mich von eurem Herzen, o all ihr Lieben, um eurer wuͤrdig zu ſeyn.

Ardinghello.

Fiordimona war leider an allem Schuld; ſie mochte nun erkennen, wohin ihr ſchoͤnes Syſtem fuͤhre. Sie hatte vermuthlich erſt demNef -350Neffen des Pabſts Gehoͤr gegeben, und hatte dann dem Kardinal Gehoͤr gegeben: und ſuchte beyde los zu werden, wie ſie Ardinghello mit ganz andrer Luſt und Freude, und Schoͤnheit und Inbrunſt an ſich feſſelte; und dieſer ließ ſich in jugendlichem Taumel von ihren uͤber - ſchwenglichen Reizen fangen. Die verwegne Reiſe nach Neapel machte ſie wahrſcheinlich deß - wegen, um die erſtern ganz von ſich abzubrin - gen, welche vielleicht auch den Weg zu den Quellen des Clitumnus wußten; und den Ar - dinghello in aller moͤglichen Luſt ungeſtoͤrt zu ge - nießen. Ein Weib kann ſeine Natur nicht ver - laͤugnen: ſie kam den folgenden Winter mit Zwillingen von beyderley Geſchlecht nieder; und fand es doch ihrem Stande gemaͤß, den Vater derſelben als Gemahl zu beſitzen.

Die Mohrin mußte unter den heftigſten Drohungen ohne Zweifel dem Kardinal ihre Reiſe mit Ardinghellon anzeigen, konnte abernicht351nicht ſagen, wohin. Und zu Rom und alle Vene wurde voll Rache auf ihre Zuruͤckkunft ge - lauert. In der Leidenſchaft hatte das zaͤrtliche Paar ſeine Maaßregeln nicht behutſam genug genommen.

Ardinghello wurde allgemein bedauert; und auch Fiordimonen tadelte man nicht ſehr: ſie machten mit einander das vollkommenſte Paar aus, das man weit und breit haͤtte finden koͤnnen. Das Verſtaͤndniß der letztern mit dem Neffen und dem Kardinal ließ ſich durch den Ausgang nur muthmaßen, und blieb außerdem im Verborgnen; ihre ſeltne Schoͤnheit, und hohe Naturgaben, und Reichthuͤmer ſprachen uͤbrigens fuͤr ſie, und das Geſchwaͤtz der Wei - ber hielt man fuͤr Neid und gewoͤhnliche Laͤſte - rung. Jeder Triumph hat ſeine Schmaͤhlieder vom Poͤbel hinter drein; dieß iſt in der Natur. Der Mann im Purpurhute ſchwieg hieruͤber weislich, und ſagte nicht mehr, als was erArdinghello 2ter B. Zſagen352ſagen mußte, ins Ohr dem Richter. Ich habe hernach in lauter neuem Vergnuͤgen vergeſſen, ſie hieruͤber auszuforſchen.

Von den Guͤtern des Ardinghello wurde nichts eingezogen, der Kardinal mußt es doch groß finden, daß er ſein Leben ſchonte, da er es in ſeiner Gewalt hatte; und ſeine Tante uͤber - nahm deren Verwaltung, als Schweſter ſeines Vaters. Sie verkaufte einen Theil davon und tilgte die Schulden; der edle hatte manchem Mann von Talent aus der Noth geholfen, und in eine bequemere Verfaſſung geſetzt, welches nun bekannt wurde.

Erſt den Fruͤhling darauf erhielt ich wieder kurze Nachricht von ihm; ein Brief war un - terdeſſen mit einem Venezianiſchen Schiffe ver - loren gegangen, das im Sturm bey Corfu ſchei - terte.

Im353

Im Hafen zu Scio. May.

All mein Weſen iſt Genuß und Wirkſamkeit; heiter der Kopf, immer voll heller Gedanken, reizender Bilder und bezaubernder Ausſich - ten, und das Herz ſchlaͤgt mir wie einer jun - gen Bachantin im erſten ganz freyen Liebes - taumel.

Diagoras durchſtreicht mit mir den Archi - pelagus, damit ich jeden gefaͤhrlichen Paß und alle Haͤfen kenne. Von Smyrna ſind wir aus - gelaufen, den langen Golfo durch, nach My - tyleni, Tenedos, an den Dardanellen her - um, nach Stalimene, den herrlichen Poſten Skyros, und von hier ferner in jeden guten Hafen der Cykladen. Jetzt ſind wir an den Kuͤſten von Aſien, und werden bis Rhodos, in den Golfo von Makri ſeegeln, und von dort nach Aegypten. Die Arbeit wird mir leicht; denn er hat von ſeinem Alten die treflich -Z 2ſten354ſten Karten, woran wir wenig verbeſſern koͤnnen.

Ueberall weiß mein edler Fuͤhrer, wo die neuern Helenen, Aspaſien und Phrynen ſte - cken, und hat mit mancher ſchon in Korſaren - ehe*)Iſt in den griechiſchen Haͤfen ſo im Gebrauch, wie bey den Englaͤndern die Soldatenehe. gelebt; Liebesgoͤtter umgaukeln uns, ſo oft wir einlaufen.

Demetri hat einen gluͤcklichen Geburts - ort gehabt. Scio iſt die ſchoͤnſte Stadt aller griechiſchen Inſeln; und die Rebenhuͤgel und Thaͤler und Gaͤrten zwiſchen den Gebirgen im Innern des Landes, mit ihren Pomeranzen, Zitronen und Granatenhaynen von klaren herab - ſtuͤrzenden Baͤchen erfriſcht und belebt, ſind ent - zuͤckend und bezaubernd.

Jedoch ſo ſchoͤn iſt alles, wie du laͤngſt weißt, unter dieſem ſeeligen Himmel; faſt im -mer -355merwaͤhrender Fruͤhling, und fuͤr die Sommer - hitze kuͤhle Naͤchte; dichte Schatten, ſpielende Seeluͤfte, Menge von Quellen, und Ueberfluß an geſunden und erquickenden Fruͤchten.

Paradies der Welt, Archipelagus, Morea, Karien und Jonien, o daß ich wuͤrdig werde, eurer ganz zu genießen!

Die Griechen ſind noch immer an Gehalt und Schoͤnheit die erſten Menſchen auf dem Erdboden; ihre Liebe zur Freyheit, und ihr Haß gegen alle Art von Unterdruͤckung noch eben ſo, wie bey den Alten. So bald ſie nur ein wenig Luft bekommen von der ungeheuern Maſſe des Schickſals, die ſie druͤckt, wie reg[t]ſich alles, und iſt Leben und Feuer! und wie halten ſie an, wie blitzſchnell durchdringt ihr Verſtand bey Gefahr, uͤberſieht das Ganze, und ſchlaͤgt den rechten Weg ein! Die Mai - notten auf den Gebirgen von Sparta ſind noch nie bezwungen worden, ſie und Montenegriner,Z 3Il -356Illyrier und Karier Helden, wie ihre Urvaͤter bey Plataia.

Kunſt und mildere Sitten ſind nur Ausbil - dung, und machen weder eigentlichen Kern noch Genuß aus.

Und der Hang zur Freude, zur Luſt, zu Geſang und Tanz, wie klopft er dennoch eben ſo in ihren Adern! und wie maͤchtig das Gefuͤhl fuͤr Schoͤnheit!

O du und Caͤcilia, ihr meine Geliebten, eilt hervor aus euern Suͤmpfen!

Ardinghello.

Im Herbſte ſchrieb er mir von Sizilien aus, in deſſen Gewaͤſſern er herumkreuzte und reiche Beute machte; am Fuß der Saͤule des Himmels des ſtuͤrmigen Aetna, aus deſſen hoh -len357len Eingeweyden die lauterſten Quellen uner - gruͤndlichen Feuers geworfen werden.

Mazal, der beruͤhmte Kalabreſer, das Schrecken der mittellaͤndiſchen See, welcher die tuͤrkiſche Flotte anfuͤhrte, und ſchon ver - ſchiedene mal die Spanier ſchlug, hatte ihn mit Freuden aufgenommen. Er that ſich bald hervor durch Verſtand und Tapferkeit; be - kam alsdenn eine Galeere unter ſeine Be - fehle, worin meiſtens Italiaͤniſche Rene - gaten und Griechen dienten; und es wurde durch Vermittelung des Diagoras, des Sohns vom Admiral, ſo unter der Decke getrieben, daß er nicht einmal ſeinen Glau - ben abſchwoͤren durfte, und man dieß fuͤr geſchehen annahm. Er und dieſer junge Held, ſein Todesbundesfreund, ſtreiften nun jeder mit einem kleinen Geſchwader als raubluͤſterne Adler an den Kuͤſten von Kalabrien, Sizilien, und Spanien herum.

Z 4Den358

Den Winter darauf machten ſie den An - fang mit Ausfuͤhrung eines der kuͤhnſten und feinſten Plane. Der alte Mazal, und beſon - ders ſein Sohn, galten alles bey dem jungen Sultan Amurath. Dieſe begehrten die In - ſeln Paros und Naxos, um eine Italiaͤniſche Kolonie hier anzulegen. Beyde waren durch Krieg ſchier unbewohnt geblieben. Die wenig uͤbrigen Griechen wollte man reichlich wegen ihrer Beſitzungen entſchaͤdigen, und an andre Oerter verpflanzen; und zwar deßwegen, weil die Abkoͤmmlinge ihre eigne Religion auszuuͤben verlangten, und damit weder ſtoͤren, noch dar - in geſtoͤrt ſeyn wollten. Es waͤren in dieſem Jahrhundert mancherley Sekten unter den Chriſten entſtanden, die ſich einander bis aufs Blut haßten und verfolgten; unter andern eine, die ſich Todeslaͤugner nennten, und glaubten, daß die Natur ein ewiger Quell von Leben, und der Trieb alles Daſeyns Freude ſey; derenMei -359Meinungen mit der Lehre Mahomeds in weſent - lichen Punkten uͤbereinkaͤmen. Zu dieſer hiel - ten ſich die edelſten und reichſten Juͤnglinge und Frauenzimmer; und hoften am erſten unter ſei - ner Herrſchaft Schutz.

Ein Held aus ihnen, einer von ihren An - fuͤhrern, habe fluͤchten muͤſſen, diene bey ihnen, und verrichte ſeinen Grundſaͤtzen gemaͤß die tapferſten Thaten. Eine Menge wuͤrde dieſem nachfolgen, wenn ſie Sicherheit fuͤr ihre Perſo - nen, und ihr Eigenthum wuͤßten. Der große Vortheil fuͤr ſein Reich dabey waͤre augenſchein - lich; außerdem duͤrften wohl wenige Muſelmaͤn - ner an Feuer im Gefecht gegen die ſogenannten Orthodoxen ihnen gleich kommen.

Amurath wollte den Ardinghello ſe - hen.

Dieſer trat auf in maͤnnlicher Jugend und Schoͤnheit, kuͤhn, als ob er ſelbſt ein SultanZ 5waͤre,360waͤre, und gefaͤllig, wie vor einer Semiramis. Sie ſprachen Neugriechiſch mit einander, und Amurath blieb von ihm bezaubert; ſie waren ſchier von gleichem Alter, und Ardinghello ſchmeichelte lieblich und maͤchtig ſeiner geheimſten Denkungsart.

Sie erhielten, was ſie wollten.

Ardinghello ſchrieb gleich an Demetrin, den er bey ſeiner Schwaͤche faßte. Jeder Menſch, auch der feſteſte Charakter, hat ſei - nen Grad von Schwaͤrmerey; die reinſte Ver - nunft, ſo wie die geringſte Inſektenſeele, ihre Ebbe und Fluth unter dem Mond. Und ſand - te geheime ſichre Werber aus nach Venedig, Genua, Florenz mit ſtarken Summen zu Reiſegeldern. Er kannte die vortreflichſte Ju - gend in allen dieſen Staͤdten; und ſein Name ſchon allein war genug Verfuͤhrung.

Den neuen Fruͤhling bewegte ſich alles in den luſtigen Inſeln. Sie befeſtigten zuerſt dieHaͤ -361Haͤfen von Paros, und machten beſonders den Hafen Nauſa, wo die groͤßten Flotten ſicher liegen, ganz unuͤberwindlich. Demetri kam bald mit zwey Schiffen voll jungen tapfern Roͤ - mern und bluͤhenden Roͤmerinnen in den zaube - riſchen Gegenden ſeiner Geburt an; und Kuͤnſt - lern: Architekten, Bildhauern, Mahlern, aͤu - ßerſt mißvergnuͤgt vorher uͤber ihren Lebenswan - del; und hatte ſeinen Abzug mit wunderbarer Klugheit bewerkſtelligt.

Sie brachen Marmor in den reichen Gaͤn - gen des Bergs Kapreſſo zu Tempeln, oͤffentli - chen Pallaͤſten, und Verſammlungshallen; das alte Athen unter dem Perikles ſchien wieder aufzuleben. Und es lebte wirklich und verklaͤrt auf. Nach Vertrag und Uebereinkunft mit dem Ardinghello und Diagoras predigte Demetri erſt insgeheim Auserwaͤhlten ſeine neue Religion; die mehrſten andern fielen hernach dieſen bald bey, und endlich alle. Tolomei that Wundermit362mit ſeiner Schoͤnheit und einſchmeichelnden Zunge. Wir waren meiſtens lauter unbefangne Jugend.

Ein neues Pantheon wurde der Natur aufgefuͤhrt; ein Tempel der Sonne und den Geſtirnen; ein Tempel der Erde; ein Tem - pel der Luft, und einer auf einem Vorge - birg in die See bin thronend dem Vater Neptun; und dann noch ein Labyrinth ange - legt von Zedern und Eichen zur kuͤnftigen ſchauervollen Nacht fuͤr Zweifler dem unbekann - ten Gotte. Der Tempel der Erde, der Tem - pel der Luft, und das Labyrinth kamen nach Naxos; der Tempel der Erde in ein entzuͤcken - des Thal.

Waͤhrend der Zeit hatte Fiordimona den groͤßten Theil ihrer Guͤter zu Gelde gemacht, und uͤberraſchte mit einem kleinen Kaſtor und einer kleinen Helena den gluͤcklichen Arding - hello; ſie ward von der Coimbra begleitet,die363die ſich mit Liſt und Gewalt zu Neapel mit ihr einſchiffte, und einer auserlesnen Schaar.

Ich konnte Caͤcilien nicht laͤnger widerſte - hen, ihrem Gram und Kummer. Sie ſchien dieſelbe nicht mehr, die ſie bey den großen Sce - nen ihres Lebens war; aber eben dieß machte ſie mir immer liebenswuͤrdiger. Nach dem Tode meiner Braut und unſrer Reiſe glaubte man in Venedig allgemein bey unſerm vertrau - ten Umgange, und ſelbſt ihre Bruͤder und El - tern, daß wir uns bald vermaͤhlen wuͤrden. Sie verkaufte unter allerley Vorwand ihre reich - ſten Guͤter; wir ſeegelten, wie zu einer Luſt - reiſe, aus der alten Reſidenz des heiligen Mar - kus nach Ankona; ſchifften uns dort ein nach Smyrna, und kamen auch an. Welch ein Auftritt, Ardinghello, Sie und ich! ſo hat die Freude ihren Nektarrauſch noch in wenig Herzen ergoſſen.

Alles364

Alles ging nach Wunſch; nur Fulvia war ungluͤcklich. Sie fluͤchtete auf einem Schiffe Genueſer, dem man nachſetzte. Es kam bey dem Golfo von Tarent zu einem moͤrderlichen Gefechte, wo ſie die volle Ladung eines Moͤrſers traf, und in Truͤmmern zerfleiſchte. Die jun - gen Helden ſchlugen ſich jedoch durch, und lang - ten an; und brachten zugleich die Nachricht: Lucinde ſey zu Liſſabon, vermaͤhlt mit dem Florio Branca, welchen der Koͤnig zum ober - ſten Admiral ſeiner ganzen Schiffahrt gemacht habe.

Gabriotto band dem Ardinghello nichts auf, als er ihm erzehlte, ein Portugieſiſcher Prinz ſey der wahre Vater von Lucinden. Dieſer war vor kurzem auf den Thron geſtiegen, und ließ nun die Provenzaliſche Frucht ſeiner Liebe aufſuchen, weil er mit ſeiner Gemahlin ohne Kinder blieb. Und Lucinde kam ſchon vor - her in der kloͤſterlichen Einſamkeit wieder zu ſichvon365von ihrer Leidenſchaft, wofuͤr ſie genug gebuͤßt hatte; und ließ ihren wohl groͤßtentheils verſtell - ten Wahnſinn. Sie ward wie im Triumph mit einem praͤchtigen Schiff unter Bedeckung von andern abgehohlt. Die Großen des Reichs lagen der himmliſchen Schoͤnheit bald zu Fuͤßen; aber das edle Herz waͤhlte[] ſeine erſte Liebe.

Ihre Ehe war aͤußerſt gluͤcklich; ſie zeug - ten viel Soͤhne und Toͤchter, von welchen jene der Vater zu Helden bildete, und dieſe die Mut - ter durch ihr unvergleichliches Beyſpiel zu trefli - chen Wirthſchafterinnen, und frommen, zaͤrtli - chen und keuſchen Frauen.

Ardinghellon war ein ander Loos beſchieden, eine andre Gluͤckſeeligkeit, von mancherley Stuͤr - men und Gefahren durchwuͤthet.

Mazzuolo brachte mit einem ſtarken Trupp Florentinern Emilien noch in ſeine Arme, under366er ſchien fuͤr jetzt Mahomed im Paradieſe bey lebendigem Leibe.

Demetri ward zum Hohenprieſter der Na - tur von allen einmuͤthig erwaͤhlt. Ardinghello zum Prieſter der Sonne und der Geſtirne; Diagoras zum Prieſter des Meers. Fiordimo - na zur Prieſterin der Erde; und Caͤcilia zur Prieſterin der Luft. Coimbra und ich pflegten und warteten das Labyrinth.

Demetri und Ardinghello und Fiordimona ſetzten Geſaͤnge auf aus dem Moſes, Hiob, den Pſalmen, dem Hohenlied, und dem goͤttlichen Prediger; und aus dem Homer, dem Pla - to, und den Choͤren der tragiſchen Dichter, und ihrer eignen Begeiſterung im Italiaͤniſchen fuͤr ſich und die andern Prieſter und Prieſterinnen, und die Gemeinde; und erfanden heilige Ge - waͤnder in aͤchter alter Joniſcher Grazie und Schoͤnheit. Und die Feyerlichkeiten ergriffen bey dem Reize fuͤr Aug und Ohr noch mit den ſtar -ken367ken Bildern aus wirklicher Natur den ganzen Menſchen, daß alle Nerven harmoniſch droͤhn - ten wie Saiten, von Meiſtern geſpielt, auf wohlklingenden Inſtrumenten. Alles leere Poͤ - belblendwerk ward verworfen, und wir wandel - ten in lauter Leben.

Darauf richteten wir unſre Staatsverfaſ - ſung ein nach Rom und Griechenland; und ſtudierten fleißig dabey die Republik des Lykurg, des Plato, die Politik des Ariſtoteles, und den Fuͤrſten vom Macchiavell, um uns vor dieſem zu bewahren. Platons doppelten Buͤrgerſtand, wo die eine Klaſſe die Ehrenſtellen haben, und die andre den Ackerbau treiben ſoll, vermieden wir weislich; behielten aber die Gemeinſchaft der Guͤter gegen den Ariſtoteles. Der Haufen Uebel, den wir dadurch verbannten, war allzu - groß; und der ſcharfſinnige Pruͤfer aller zu ſei - ner Zeit bekannten Republiken ſchien uns hierin die Vorurtheile der Erziehung nicht genug ab - gelegt zu haben. Inzwiſchen fand noch immer Eigenthum ſtatt, nehmlich oͤffentliche Belohnun - gen; und jedem blieb, was er mit ſich brachte, bis ans Ende ſeiner Tage.

Ferner waren die Weiber nach dem erhab - nen Schuͤler des Sokrates, jedoch auch nur gewiſſermaßen, gemeinſchaftlich, und ſo die Maͤnner; das iſt: jedes hatte voͤllige Freyheit ſeiner Perſon; und alle Gewaltthaͤtigkeit wurdeArdinghello 2ter B. A ahart368hart beſtraft. Fuͤr gute Ordnung war dabey wohl geſorgt; Maͤnner und Weiber wohnten von einander abgeſondert. Den Weibern und Kindern uͤberließen wir ganz Naxos, die ſchoͤn - ſte Perle aller Inſeln, von den Alten ſchon we - gen ihrer Fruchtbarkeit und Lieblichkeit das kleine Sizilien genannt. Ihr Wein, und ihre Fruͤchte haben an Koͤſtlichkeit ihres gleichen nicht auf dem weiten Erdboden. Schade nur, daß ſich jener nicht verfuͤhren, nicht einmal auf die See bringen laͤßt, ohne ſogleich zu verderben. Wahrer Nektar, dem Himmel unentwendbar! Alles ſchien fuͤr uns, von der Natur ſelbſt, ſchon vorherbereitet. Naxos hatte keinen Hafen fuͤr Schiffe, nur die Barken der Verliebten koͤnnen anlaͤnden: hingegen Paros deren fuͤnf, rundum einen immer ſchoͤner als den andern.

Fuͤr die Jugend, bevor ſie mannbar ward, hatte man noch andre Einrichtungen getrof - fen.

Auch die Weiber hatten Stimmen bey den allgemeinen Geſchaͤften, und wurden nicht als bloße Sklavinnen behandelt; doch nur zehn pro Cent in Vergleich mit den Maͤnnern. Fiordi - mona, die unbegreiflich allein, wer kann des Menſchen Charakter faſſen? dem Ardinghello treu blieb, hatte dieß durchgeſetzt; wie noch an - dres Amazonenhafte fuͤr ihr Geſchlecht, daß ſiezum369zum Beyſpiel auch Schiffe ausruͤſteten, und auf Streifereyen ausliefen. Sie waren Mitglieder vom Staate, obgleich die ſchwaͤchern; und ih - nen blieb das Recht, gut oder nicht gut zu hei - ßen, beſonders was ſie ſelbſt betraf. Uebrigens war immer der Hauptunterſchied, daß die Maͤn - ner erwarben, und ſie bewahrten.

So ſchwang die Liebe in allerhoͤchſter Frey - heit ihre Fluͤgel; jedes beeiferte ſich ſchoͤn und liebenswuͤrdig zu ſeyn, und konnte ſich weder auf Geld und Gut, noch Pflicht und Schuldig - keit verlaſſen. Was die Bevoͤlkerung betraf, wollten wir uns in der Folge nach dem Sparta - ner richten, von welchem die erſtaunte Prieſte - rin zu Delphi nicht wußte, ob ſie ihn als Sterb - lichen oder Gott begruͤßen ſollte; die Kinder ge - hoͤrten dem Staate, und der Tod duͤnkte uns bey weitem nicht das groͤßte Uebel.

Kurz, wir vermieden alle die Unbequemlich - keiten, die Ariſtoteles, und zum Theil ſchon Ari - ſtophanes in ſeiner weiblichen Volksverſammlung bey ſolchen Einrichtungen beruͤhren.

Um jeden Tempel, auf Bergen und Anhoͤ - hen, mit den Ausſichten auf die reizenden In - ſeln umher, war ein ſchoͤner Hayn gepflanzt. beſtimmt noch außer Feſten zur Erziehung der Jugend. Neben an fuͤhrte man nach und nach Gymnaſien auf. Wir hielten die Uebung des Koͤrpers fuͤr die Hauptſache, welcher alsdenn dieA a 2Bil -370Bildung des Geiſtes durch zweckvollen Unter - richt und im Umgange leicht nachfolgt. Alle Tugenden und Kuͤnſte muͤſſen ſich allemal nach dem gegenwaͤrtigen Staate richten, wenn ſie wirken und Nutzen bringen ſollen; oder uͤber - haupt, jede Tugend nach der Perſon.

Binnen wenig Jahren hatten wir ſchon alle Cykladen im Beſitz, und ſtarken Einfluß auf dem feſten Lande. Bey den Griechen, faſt durchgehends heitern Sinnes, rotteten wir in geſellſchaftlichen Geſpraͤchen bald den Aberglauben aus, und verſchaften ihren Geiſtlichen auf an - ſtaͤndigre Weiſe Unterhalt. Die Tuͤrken, die ſich um uns, mitten im Meer, wenig bekuͤm - merten, ließen wir in der Meinung, die ver - ſchiednen Tempel ſeyen nur fuͤr verſchiedne chriſtli - che Heiligen; als fuͤr den Heiligen des Feuers, der Waſſer, der Luͤfte. Ueberhaupt herrſchte uͤber dieſen Punkt, die Fortpflanzung, und andre bey uns unerhoͤrte Verſchwiegenheit; wir ſchie - nen durchaus ein Orden dieſer Tugend. Auf al - len Fall hielten wir uns des Schutzes vom Sul - tan fuͤr verſichert.

Wir machten uns die geſellſchaftlichen Buͤr - den ſo leicht wie moͤglich zu ertragen, und genoſ - ſen alle Wonne dieſes Lebens unter dem milden Himmelsſtrich bey den erſprießlichen und allge - mein beliebten Geſetzen; und das Ganze fuͤgte ſich immer lebendiger zuſammen, und wuchs zurrei -371reifen Schoͤnheit durch neue auserwaͤhlte An - koͤmmlinge, worunter ſich die ſchoͤnſte und hel - denmuͤthigſte griechiſche Jugend aus beyderley Geſchlecht befand, die wir mit Behutſamkeit in unſern Geheimniſſen einweyhten. Kriegeriſche Schiffahrt, und Handlung zwiſchen Kleinaſien, dem ſchwarzen Meer und den weſtlichen Laͤndern, und hoͤchſte Freyheit, ſuͤßes Ergoͤtzen, und frohe Geſchaͤftigkeit im Innern, darauf zweckte alles; durch jene erhielten wir Sicherheit, und verdienten Schutz; und durch beydes gewannen wir Skla - ven und Sklavinnen und Ueberfluß an allen Be - quemlichkeiten. Bey aller dieſer Seeligkeit glaub ich jedoch, daß auf dem ganzen Erdboden kein andrer Platz war, wo man ſich ſo wenig vor dem Tode ſcheute.

Jeden Fruͤhling war allgemeine Verſamm - lung, worin wir die noͤthigen neuen Einrichtun - gen oder Abaͤnderungen fuͤr das ganze Jahr tra - fen; ſie wurde mit feyerlichen Spielen und Luſt - barkeiten beſchloſſen.

Kurz, wir kamen bey einander, ſo ver - ſchieden auch mancher vorher dachte, in folgen - den Grundbegriffen uͤberein: Kraft zu genießen, oder welches einerley iſt, Beduͤrfniß, gibt jedem Dinge ſein Recht; und Staͤrke und Verſtand, Gluͤck und Schoͤnheit den Beſitz. Deßwegen iſt der Stand der Natur ein Stand des Krie - ges.

A a 3Das372

Das Intereſſe aller, die ſich in eine Ge - ſellſchaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, ſtiftet Geſetze, und innerlichen Frieden; alles richtet ſich dabey, wie bey jedem andern lebendi - gen Ganzen, immer nach den Umſtaͤnden.

Der beſte Staat iſt, wo alle vollkommne Menſchen und Buͤrger ſind; und dieſem folgt, wo die mehrſten es ſind. Hier wird kein Nero gedeyhen! Derjenige Menſch und Buͤrger iſt vollkommen, welcher ſeine und ſeines Staats Rechte kennt und ausuͤbt.

Jedes hat fuͤrs erſte das Beduͤrfniß zu eſ - ſen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung ſich zu ſchuͤtzen und zu ſichern, die Wahrheit von dem Nothwendigen einzuſehen, und wenn es mannbar iſt, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, ſich dieſes friedlich zu verſchaffen: ſo darf es dazu die aͤußerſten Mittel brauchen; denn ohne daſſelbe erhaͤlt es weder ſich, noch ſein Geſchlecht.

Auf gleiche Weiſe geht es hernach mit den Bequemlichkeiten und Freuden des Lebens. Ein armer ſchwacher Staat mag ſich an dem erſten rohen begnuͤgen; allein dieſes iſt zur Gluͤckſee - ligkeit nicht hinlaͤnglich. Der ſtarke und tapfre hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Beduͤrfniſſe hat. Das beſte Inſtrument gehoͤrt dem beſten Virtuoſen; das koͤniglichſte Roß dem muthigſten und geuͤbteſten Bereiter. Land fuͤrThe -373Themiſtokleſſe und Scipionen, fuͤr Praxite - leſſe und Horaze keinen Moͤnchen und Bar - baren.

Wirkliche (nicht bloß eingebildete und er - traͤumte) Gluͤckſeeligkeit beſteht allezeit in einem unzertrennlichen Drey: in Kraft zu genießen, Gegenſtand, und Genuß. Regierung und Er - ziehung ſoll jedes verſchaffen, verſtaͤrken und verſchoͤnern.

Der Krieg richtet graͤuliche Verwuͤſtungen an, es iſt wahr; bringt aber auch die wohlthaͤ - tigſten Fruͤchte hervor. Er gleicht dem Elemen - te des Feuers. Es iſt nichts, was den Men - ſchen ſo zur Vollkommenheit treibt, deren er faͤ - hig iſt. Das goldne Jahrhundert der Griechen kam nach den Schlachten gegen die Perſer. Das goldne Jahrhundert der Roͤmer war mitten unter ihren Buͤrgerkriegen, und ihr Geiſt fing an zu erſchlaffen bey dem langen Frieden unter Auguſten. Florenz ragt in den neuern Zeiten hervor bey innerlichem Tumult und Aufruhr.

Die hoͤchſte Weisheit der Schoͤpfung iſt vielleicht, daß alles in der Natur ſeine Feinde hat; dieß regt das Leben auf! Sterben, iſt nur ein ſcheinbares Aufhoͤren, und koͤmmt beym Ganzen wenig in Betrachtung. Alles, was athmet, und wenn es auch Neſtor wird, iſt oh - nedieß in einer kurzen Reihe von Tagen nicht mehr daſſelbe.

Ruh374

Ruh und Friede iſt ein herrlicher Stand zu genießen und ſich zu ſammeln; aber der Menſch, ohne gereizt zu werden, traͤge, verſinkt dabey in Unthaͤtigkeit. Beſſer, daß immer etwas da iſt, das ihn aus ſeinem Schlummer weckt. Wir ſol - len einander bekriegen, weil kein hoͤher Geſchoͤpf es kann.

Was das ganze menſchliche Geſchlecht be - trift, durch Meere und Gebirge und Klima, durch Sitten und Sprachen abgeſondert, wel - cher Kopf will es in Ordnung bringen? Die Natur ſcheint ewig wie ein Kind in das Man - nichfaltige verliebt, und will zu jeder Zeit deß - wegen rund um die Erdkugel Scythen, Perſer, Athen und Sparta.

Das beſondre Geheimniß unſrer Staatsver - faſſung, welches nur denen anvertraut ward, die ſich durch Heldenthaten und großen Verſtand ausgezeichnet hatten, beſtand darin: der ganzen Regierung der Tuͤrken in dieſem heitern Klima ein Ende zu machen, und die Menſchheit wieder zu ihrer Wuͤrde zu erheben. Doch vereitelte dieß nach ſeeligem Zeitraum das unerbittliche Schickſal.

Druckfehler im zweyten Bande.

  • S. 25 Z. 11 ſtatt an Menſchen leſe man am Menſchen.
  • 28 16 vor ihm leſe man von ihm.
  • 35 20 wie die Quelle l. m. wie Quelle.
  • 38 9 die Allegorien l. m. die Allegorie.
  • 41 2 Wirkungen l. m. Wirkung.
  • 52 1 vollkommen l. m. Vollkommnen.
  • 56 8 lichtem l. m. leichtem.
  • 58 1 ſchoͤnen aus l. m. ſchoͤnen Lippen, aus.
  • 59 15 einem l. m. einen.
  • 64 15 ſchien l. m. ſchier.
  • 67 15 eines l. m. meines.
  • 70 10 wo die Muſik l. m. wo man die Muſik.
  • 12 es oft in l. m. es in.
  • 102 11 der Alten l. m. den Alten.
  • [105] 2 allein mit allen l. m. allein mit allein.
  • 16 unwegſamer l. m. unregſamer.
  • 128 20 andren l. m. andrer.
  • 153 2 Tumult l. m. Taumel.
  • 154 6 machen l. m. annehmen.
  • 188 20 beſtund l. m. beſtuͤnd.
  • 203 19 derſelbe l. m. denſelben.
  • 218 12 Thal und Erde l. m. Thal und Ebne.
  • 237 13 herbeygerufen l. m. herbeyrufen.
  • 247 7 wenn ihr denken l. m. wenn ihr ihn denken.
  • 251 12 rennen l. m. rannen.
  • 256 14 Fulizno l. m. Fuligno.
  • 365 7 waͤhlte bald ſeine l. m. waͤhlte ſeine.

About this transcription

TextArdinghello und die glückseeligen Inseln
Author Wilhelm Heinse
Extent387 images; 48376 tokens; 9311 types; 333917 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationArdinghello und die glückseeligen Inseln Eine Italiänische Geschichte aus dem sechszehnten Jahrhundert Zweyter Band Wilhelm Heinse. . [1] Bl., 374, [1] S. MeyerLemgo1787.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yv 9181-2<b> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=620896418

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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