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Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt.
Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt.
Fünfte Sammlung.
Riga,1795.bei Johann Friedrich Hartknoch.

Nachricht an den Buchbinder.

Der Buchbinder beliebe die Bogen mit der eingeklammerten Signatur von (A) bis (K) gleich nach dem Titel und Inhalt zu binden, und dann die Bogen A, B, C, D, folgen zu laſſen, ſo daß der 58. Brief auf den 57. ſo - gleich folge.

Inhalt der fuͤnften Sammlung.

  • Br. 54. Ueber Muͤllers Bekenntniſſe merkwuͤrdiger Maͤnner von ſich ſelbſt. Leibnitz WeiſſagungS. 1
  • 55. Petrarca's Charakter und Ver - dienſte. Ideal ſeiner Laura. S. 11
  • 56. Uriel Akoſta. Von Religions - verfolgungen und Beſchimpfungen der Religion wegen. Verdienſt der Maͤnner, die dagegen gewir - ket. Von Verbreitung der Hu - manitaͤt durch Briefe. S. 22
  • 57. St. Pierre und Comenius. Verdienſte des letztern. Sein Auf - ruf zu Verbeſſerung der menſchli - chen Dinge. S. 31
  • Beilage. Haben wir noch das Pu - blicum und Vaterland der Alten. Eine Abhandlung. S. 52
  • Br. 58. Von den Meinungen der Voͤlker in den verſchiednen Zeitraͤumen ih - rer Geſchichte. Von Machiavells Fuͤrſten. S. 1
  • 59. Fortſetzung der Materie. Hugo Grotius und ſeine Nachfolger. S. 14
  • 60. Mehrere Gedanken von LeibnitzS. 20
  • 61. Fortſetzung dieſer Gedanken. Von Spielen. Leibnitz Charakter. S. 32
  • 62. Von der Art, wie Leibnitz in Deutſchland war. Seine Ver - dienſte. S. 42
[1]

54.

Der Wunſch unſres Freundes*)Briefe zur Befoͤrderung der Humanitaͤt. Samml. 1. Br. 5. faͤngt an in Erfuͤllung zu gehen; Bekenntniſſe merkwuͤrdiger Maͤnner von ſich ſelbſt ſind in zwei Baͤndchen erſchienen, die zu mehreren Hoffnung erwecken und Hoffnung geben**)Winterthur 1791. 1793. von J. G. Muͤller. Petrarca, Augu - ſtin, Uriel Acoſta, Franz Junius, Comenius, Holberg, Leibnitz ſpre - chen hier; alleſammt in der eignen Sprache ihres Herzens und Geiſtes. Von PetrarcaFuͤnfte Samml. (A)2ſind ſeine drei Geſpraͤche uͤber ſich ſelbſt, mein Geheimniß genannt, ganz uͤberſetzt; Auguſtins Bekenntniſſe im Auszuge. Acoſta's exemplar vitae hu - manae, wie es Limborch, Franz Ju - nius Lebensbeſchreibung, wie ſie Merula bekannt gemacht, Comenius Bekenntniß von ſich aus ſeinem Eins iſt Noth (unum necessarium) Holberg, Leibnitz aus ihren Briefen. Koͤnnen verſchiedene, alle - ſammt merkwuͤrdige Maͤnner in einem enge - ren Raum auftreten, und von ſich zeugen?

Ihrem eignen Zeugniſſe hat der Autor mit Erzaͤhlung ihrer Lebensumſtaͤnde fort - geholfen; wie, duͤnkt mich, nothwendig und recht iſt. Was weiß ein Sterblicher, wer oder wozu er da ſei? zu welchen Zwecken ihn die Vorſehung in ihrem großen Plan brauchen werde? Er ſchuͤttet ſein Herz aus, in Freude oder meiſtens in Leid, vor Gott,3 vor ſich ſelbſt oder vor Menſchen; ſein Auge blickt nieder zur Erde. Denn ſeiner Schwaͤchen, ſeiner muͤhſamen, oft eiteln Beſtrebungen, ſeines Kampfes mit ſich und mit andern demuͤthig bewußt, zaͤhlet er ſich kaum, und kann und darf nicht rech - nen, was ſeine Ziffer zum großen Nenner der Welt bedeute oder bedeuten werde? Hier darf der Autor, der den Bekennenden als Freund vorfuͤhrt, zumal wenn er Jahr - hunderte nach ihm lebet, wohl ein Wort uͤber ihn ſprechen, und auf der großen Ta - fel der Weltbegebenheiten zeigen, wo er ſtand? wo er kuͤnftig ſtehen moͤchte?

Petrarca war eine der zarteſten See - len, die in menſchlichen Koͤrpern erſchienen, Nicht ſeiner Sprache allein hat er jene Formen ſuͤßer Sonnette und Canzonen, und mit dieſen zugleich die erleſenſten Gedan - ken der Provenzalen, ja jenes Ideal einer(A) 24Liebe eingedruͤckt, die ſich mehr im Him - mel als auf der Erde fuͤhlet. Sondern fuͤr ganz Europa war er ein eifriger Er - wecker der Alten; fuͤr Italien, fuͤr Rom war er ein Patriot, deßgleichen es unter den Petrarchiſten keinen mehr gab, und was uͤber alles geht, ein ſtrenger Bearbei - ter ſeines Herzens und Geiſtes. Seine Briefe und andre lateiniſche Schriften ſind eine eigentliche Schule der Bildung ſein ſelbſt, voll maͤnnlicher Unterhaltung. Eine Seele dieſer Art, die allenthalben Ruhe ſuchte und ſie nirgend fand, in einſamen Selbſtgeſpraͤchen mit ihrem Schutzgeiſt ſpre - chen zu hoͤren, mag freilich eitele Leſer er - muͤden; Beobachter menſchlicher Sinnes - arten aber werden ihr angenehm lauſchen, und zarte Gemuͤther, wie Petrarca ſelbſt war, wird er tief in ihr Inneres fuͤhren. Dieſe Bekenntniſſe und die Nachrichten5 zu dem Leben des Petrarca*)Lemgo 1774 1778. muͤſſen Jedem, der fuͤrs ſtille Gemuͤth lieſet, eine liebe Unterhaltung ſeyn.

Auguſtin, (der zweite Mann, den un - ſer Autor in ſeinem Selbſtbekenntniſſe dar - ſtellt,) war ein Kirchenvater; er iſts auch in ſeinen Confeſſionen. Um die Seele eines Kirchenvaters kennen zu lernen, von der manche, die auf dieſen Namen ſchmaͤhen, faſt keinen Begrif haben, muß man ſie le - ſen. Die ganze Denkart, ja ich moͤchte ſagen, der Witz, die Phantaſie, ſelbſt die taͤuſchende Sophiſterei Auguſtins iſt in ihnen. Unſer Autor iſt uͤber ihn nur kurz geweſen: denn uͤber Auguſtin muͤßte man ein Buch ſchreiben.

Welche Kaͤmpfe hat der arme Acoſta ſich zugezogen! welche Verfolgungen der redliche Junius ſtandhaft ertragen! Auch6 bei Comenius ſiehet man ſeinen zwar nicht tiefdringenden, aber viel umfaſſenden Geiſt, ſeinen allenthalben aufs Nutzbare, auf Reform der Wiſſenſchaften und Schu - len geſtellten Sinn. Ueber ihn, der fuͤr ſein Zeitalter mehr als Baſedow war und noch mehr haͤtte ſeyn koͤnnen, wuͤnſchte ich, daß Jemand ausfuͤhrlicher ſpraͤche.

Holbergs Leben iſt aͤußerſt merkwuͤr - dig und unterhaltend, wie es auch der Mann ſelbſt war. In ſeiner Zeit und Lage, nach einer ſolchen Jugend, hat er ungemein viel geleiſtet; er riß ſich ſelbſt uͤber die Denkart ſeines Landes hervor, und ward, zwar in keiner Bemuͤhung ein Stern erſter Groͤße, allenthalben aber ein freundlicher Stern mitten im dichten Nebel. Manche ſei - ner Schriften ſind noch jetzt ſehr lesbar, zu - mal ſein Klimm und ſeine Briefe. Unter den Alten waren ihm Plutarch und Lu -7 cian, Terenz, Ovid, Juvenal, Pe - tron und Plinius, unter den Neuern nebſt einigen Geſchichtſchreibern Grotius, Bayle, le Clerc, Moliere die lieb - ſten; man ſiehet die Spuren davon in ſei - nen Schriften, in denen ſich nirgend ein tiefer, allenthalben aber ein heller, lebhaf - ter, vernuͤnftiger, moraliſcher Geiſt zeiget.

Leibnitz endlich hier konnte unſer Autor, der die bekannten Lebensumſtaͤnde nicht wiederholen wollte, wenig ſagen: denn die Geſchichte ſeines Geiſtes hat Leib - nitz uns nicht ſelbſt geſchrieben. Er lebt fuͤr uns in ſeinen Schriften, aus welchen hier einige Umſtaͤnde zuſammengeſtellt ſind. Hoͤren Sie von ihm eine Weißagung:

Ich finde, daß ſolche (leichtſinnige, ir - religioͤſe) Meinungen, indem ſie je mehr und mehr unter Leuten von der großen Welt, nach welchen ſich die uͤbrigen zu rich -8 ten pflegen, Liebhaber finden, und ſich in die Modebuͤcher einſchleichen, alles zu der General-Revolution, von welcher Europa bedrohet wird, zubereiten, und die Zerſtoͤrung alles deſſen vollenden helfen, was von den edlen Grundſaͤtzen der Grie - chen und Roͤmer, welche die Liebe des Va - terlandes, des gemeinen Weſens und die Sorge fuͤr die Nachwelt ihrem eignen Gluͤck, ja ſelbſt dem Leben vorzogen, bis jetzt noch uͤbrig geblieben iſt. Der Gemeingeiſt (public spirit) vermindert ſich außerordent - lich, kommt je mehr und mehr aus der Mode, und wird noch mehr abnehmen, wenn er aufhoͤrt, von einer guten Moral und der wahren Religion, wie ſelbſt die geſunde Vernunft ſie uns lehrt, unterſtuͤtzt zu werden. Sogar die Beſſern von der entgegengeſetzten Seite nehmen kein andres Principium mehr als die Ehre an. Bei9 ihnen aber heißt ein Mann von Ehre ſchon der, der nichts thut, was ſie fuͤr nie - dertraͤchtig halten. Und wenn ſogar einer aus Laune, oder um ſeine Ehrſucht zu be - friedigen, Stroͤme Blutes vergießen und alles uͤber einander werfen wuͤrde: ſo waͤre ihnen das Alles nichts und ſelbſt ein He - roſtrat wuͤrde ihnen ein Held ſeyn. Laut macht man ſich uͤber die Liebe des Va - terlandes luſtig; laut macht man die laͤcherlich, die fuͤr das allgemeine Beſte ſorgen; und zeigt jemand in der reinſten Abſicht die traurigen Ausſichten, die ſich uns fuͤr die Zukunft eroͤfnen, ſo iſt die Antwort: laß dieſe fuͤr ſich ſorgen. Leicht aber duͤrften ſolche Leute zuerſt das Ungluͤck erfahren, welches ſie blos fuͤr an - dre aufbewahrt glauben. Kommt man die - ſer epidemiſchen Krankheit, deren uͤble Wir - kungen bereits ſichtbar zu werden anfangen,10 noch in Zeiten vor: ſo laſſen ſich ihre Folgen vielleicht noch hemmen. Nimmt ſie aber uͤber - hand, ſo wird die Vorſicht die Men - ſchen gerade durch die Revolution, die daraus entſtehen muß, heilen, und was auch kommen mag, am Ende zum Wohl des Ganzen leiten; ob dies gleich ohne Zuͤchtigung Derer, die durch ihre boͤſen Handlungen wider ihren Willen zur Befoͤrderung des Guten beitru - gen, weder erreicht werden wird, noch er - reicht werden kann.

Soweit Leibnitz. Wuͤnſchen Sie nicht, daß unſerm Autor viele, auch ungedruckte Bekenntniſſe merkwuͤrdiger Maͤn - ner zukommen moͤgen? Wenn in unſerm Vaterlande der moraliſche Gemeingeiſt, uͤber deſſen Abgang Leibnitz klaget noch nicht ganz ausgeſtorben iſt, ſo ſollte dieſer ihm ſolche in ſein Sacrarium treuer Bekenntniſſe zufuͤhren.

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55.

Angenehm hat mich der Name Petrarca in Ihrem Briefe geweckt; er erinnerte mich an die Zeiten, da ich, nicht etwa nur ſeine Sonnette und Canzonen, ſondern die Nach - richten aus ſeinem Leben*)Memoires pour la Vie de Petrarque. Am - ſterd. 1764. 3. Quartbaͤnde. Ihre Ueber - ſetzung, Lemgo 1774. iſt ſehr gut und zweck - maͤßig. A. d. H. und die merkwuͤrdigſten ſeiner Schriften und Briefe ſelbſt las. Welch eine falſche Idee hat man gemeiniglich von Petrarca! wie falſch waͤre auch die, wenn man ſich aus dieſen12 Selbſtgeſpraͤchen etwa nur eine bußfertige Seele, oder einen mit ſich ſelbſt Unzufrie - denen abzoͤge! Ganz ein andrer Geiſt lebte in Petrarca.

Zuerſt trug er das große, unaustilg - bare Gepraͤge der Liebe des Alter - thums in ſeiner Seele; ein Gepraͤge, das mir allenthalben ehrwuͤrdig iſt, wo ichs gewahr werde, und das uns bei Ihm, zu ſeiner Zeit, unter ſeinen Umſtaͤnden, in der Anwendung, die Er davon machte, aͤußerſt wohlthut. Die Griechen kannte er wenig, und ſetzte ſie den Roͤmern nach; er ward mit ihrer Sprache zu ſpaͤt bekannt, und da er die Roͤmer als ſeine Landsleute anſah, deren Glanz in Italien er wiederzuſehen wuͤnſchte; ſo gab ihnen dieſes ſchon in ſei - ner Seele einen Vorrang vor allen Voͤl - kern der Erde. Nie haben ihre Redner, Dichter und Weiſen einen eifrigern Schuͤ -13 ler gehabt, als Ihn, der nicht etwa nur in der Sprache ihnen nachzubuhlen ſuchte, ſondern ihren großen Sinn, ihre hohe Gedankenweiſe zur Seinigen machte. Dies zeigen ſeine Schriften und Briefe, ſeine Sammlungen von Beiſpielen der Vor - welt, die Grundſaͤtze, an welche er ſich hielt, mit welchen er andre troͤſtete oder weckte, endlich ſeine lateiniſchen Geſpraͤche, Ge - dichte und andre Einkleidungen, in denen man bis zu ſeinen hoͤchſten Jahren hinauf den Schuͤler der Alten wahrnimmt. Hier klopft Petrarca jedem Juͤnglinge und Mann auf die Schulter: lieſeſt Du die Alten alſo? wendeſt Du ſie alſo an? Pe - trarca's lateiniſcher Styl mag unrein ſeyn; ſeine Denkart war es nicht. Ein Freund des Vaterlandes, wie Tullius und Cato, weiß er die ſtrengen Grundſaͤtze eines Se - neka durch die geſellſchaftliche Theilneh[-]14mung und Gefaͤlligkeit des Horaz anmu - thig zu mildern. Manche Briefe, in denen er ſeine Schwachheiten liebenswuͤrdig be - kennet und entſchuldigt, ja gleichſam mit ſeinem eignen Herzen ſpielet, ſind ganz in der Denkart Horaz geſchrieben; und eine ſittliche Urbanitaͤt iſt der Charakter aller ſeiner Schriften.

Dies Gefuͤhl alſo, nach welchem er ganz unter den Alten lebte, webte den Faden ſeiner Begebenheiten, und ward, wie man ſagt, der Schmid ſeines Gluͤcks. Auf eine niedrige Weiſe nach den Begriffen ſei - ner Zeit ein Gluͤck machen, konnte und wollte er nicht; er ſchlug dazu alle Gele - genheiten aus, die er auch nicht zu brau - chen gewußt haͤtte; dagegen erwarb er ſich eine Liebe und Anhaͤnglichkeit, ein Anſehen und einen Namen, uͤber welchen man froͤ - lich erſtaunet. Welche Briefe und Anre -15 den, die er an Kaiſer, Koͤnige, Paͤpſte, Car - dinaͤle, Biſchoͤfe und Fuͤrſten ſchrieb! und welche Art, in der ſie aufgenommen wur - den! Keine Veraͤnderung der paͤpſtlichen und buͤrgerlichen Welt, die einigermaaßen ſein Italien betraf, ging vor, ohne daß er den lebhafteſten Antheil daran genommen haͤtte; eben weil ſein Vaterland ſo ganz in ſeinem Herzen wohnte. Vergleicht man in dieſem Punkt, im Punkt der Achtung naͤmlich, die man dem hellen Verſtande, der reinen Wiſ - ſenſchaft Petrarca's erwies, ſeine Zeiten mit den unſrigen; welche ſoll man barbariſch nen - nen? Dort hatte man wenigſtens eine Ach - tung fuͤr den Verſtaͤndigen, der, obwohl blos ein Mann der Wiſſenſchaft und kein Staatsdiener, bei oͤffentlichen Anlaͤßen an - munterte, rieth, warnte, lehrte; jetzt wuͤrde dem Petrarca ſelbſt ſchon der poetiſche Lor - beerkranz auf ſeinem Schaͤdel allenthalben16 ein Stillſchweigen auflegen, wo er nicht zu loben vermoͤchte. Und doch war es eben und einzig dieſe Liebe und Achtung fuͤr Wiſſenſchaften, die den Zeiten aufhalf, ohne welche wir noch in der Barbarei laͤ - gen. Wer ſiehet nicht noch jetzt das Bild des Koͤniges Roberts von Neapel, der edlen Colonna's und ſo mancher andern ſeiner großen Freunde in Petrarca's Schriften mit Liebe und Bewunderung an? Wie in einem Traum lieſet man ihre freund - ſchaftlichen Briefe und hoͤrt Petrarca's Zeug - niſſe von ihnen; bis man durch Zeugniſſe von andern, die nicht ſo dachten, eben auch in denſelben Briefen unangenehm aus dem Traume geweckt wird.

Endlich iſt das Ideal von Liebe, das Petrarca mit ſich trug und in ſeinen Gedichten mit unglaublicher Kunſt und Sorgfalt ausbildete, gewiß die kleinfuͤgigeIdee17Idee nicht, die man gewoͤhnlich ſich an ihm denket. Laura moͤge in Perſon oder zum leibhaften Petrarca geweſen ſeyn, wer ſie wolle; dem geiſtigen Petrarca war ſie eine Idee, an die er auf Erden und im Himmel, wie an das Bild einer Ma - donna, allen Reichthum ſeiner Phantaſie, ſeines Herzens, ſeiner Erfahrungen, end - lich auch alle Schoͤnheiten der Provenzalen vor ihm, dergeſtalt verwandte, daß er ſie in ſeiner Sprache zum hoͤchſten, ewigen Bilde aller ſittlichen Weibesſchoͤn - heit zu machen ſtrebte. Auf griechiſche Weiſe konnte dies nicht geſchehen; eine nackte Grazie oder eine Venus Urania konnte und wollte Er nicht mahlen; er waͤhlte alſo die Zuͤge, die in ſeinem Zeit - geiſt, in der provenzaliſchen Poeſie, in den Begriffen ſeiner Religion und ihren Dar - ſtellungen als Stoff eines reinen weib -Fuͤnfte Samml. (B)18lichen Ideals ſittlicher Humanitaͤt zerſtreuet dalagen, und bildete ſeine Ma - donna daraus, die irrdiſche und himmli - ſche Laura. Dieſe zeigte er in Wirkung auf ſich, auf ſein eigen Herz, und zwar in mancherlei Umſtaͤnden, in Wirkung auf ſeine Schwachheiten ſowohl als auf die ed - lere Seite ſeines Gemuͤths; hiedurch allein ward ſie anziehend und belehrend. Denn eine Schoͤnheit, die keine Liebe erregt, eine Liebe, die nur Bewunderung iſt, und ohne Kampf mit ſich, ohne Fehler und Schwach - heiten ſeufzet, ſind ohne Reiz und Anwen - dung. Von allem Sittlich-Schoͤnen im weiblichen Charakter pfluͤckte Petrarca die Bluͤthe, und wand ſeiner irrdiſchen Freun - din, die er vielleicht nur hie und da in ſeiner Jugend geſehen haben mag, die ei - nes andern Mannes Weib und Mutter von Kindern war, die dieſe Gedichte viel -19 leicht nicht verſtand, die wenigſten ſah: (denn die ſchoͤnſten ſind nach ihrem Tode gedichtet) einen unſterblichen Kranz um ihre unſchuldige Schlaͤfe. Wer den Geſchmack der provenzaliſchen Poeſie, wer die Beatrice des Dante kennet, wird hieran nicht zwei - feln, und die Muͤhe bedauren, die der Le - bensbeſchreiber Petrarca's, ein Abkoͤmm - ling der angeblichen Laura, auf die An - wendung jedes Zuges, der ihre Perſon be - treffen ſoll, gewandt hat. Jeder Liebhaber kann und ſoll ſeine Laura in Petrarca's Gedichten finden; er ſoll ſein Herz mit al - len Schwachheiten auch darin finden und die Laͤuterung wahrnehmen, die ein reiner weiblicher Charakter im Gemuͤth ſowohl des Juͤnglinges als des Mannes bewirken ſoll und kann. Hiezu ſteht Laura da; und ich wuͤßte nicht, ob es einen ſchoͤnern Zweck der Poeſie der Liebe gebe? wenn ein -(B) 220mal dieſe Gattung Poeſie da ſeyn ſoll. Gegen die roͤmiſchen Dichter des Amors, Horaz, Tibull, Properz macht Pe - trarca, der Idee ſeiner verſi volgari nach, keinen kleineren Unterſchied, als den er der Sprache, den Nationen und Zeiten ſelbſt nach machen mußte. Von unſern erotiſchen Dichtern ſteht er in gleichem Maaße ge - ſondert. Da es indeſſen doch wohl Nie - manden zu verargen ſeyn wird, wenn er in ſeine Liebe Gemuͤth bringet, und ſie nicht blos als ein Werk des Beduͤrfniſſes und der Convenienz betreibet: ſo ſehe ich auch Petrarca's Laura als ein Ideal an, das keinen Juͤngling verfuͤhren, das jedem edelgeſchaffenen Juͤnglinge als ein Madon - nen-Bild alter Zeiten in einer ſo ſchoͤnen Sprache wohlthun wird. Die Empfindun - gen Petrarca's in Anſehung der Freund - ſchaft gegen Freunde waren dieſem Ideal21 nicht entgegen, und Italien, Rom, ſeine Sprache, die Menſchheit waren ſeines Ge - muͤths ewige Laura. Als ich in einer ſchoͤnen Morgenſtunde den letzten Aufent - halt ſeines irrdiſchen Daſeyns voruͤberfuhr, umfing mich eine ſo ſuͤße Erinnerung ſei - nes freundſchaftlichen Herzens und ganzen Lebens, daß ich nicht anders als die letz - ten Worte ſeines letzten Briefes ausrufen konnte: valete amici, valete epiſtolae. Er ſtarb im Jahr 1374; man weiß nicht recht, wie und wann? gnug, daß man den ru - higen Greis an ſeinem Pulte ſitzend todt fand. Valete amici.

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56.

So angenehm mir Petrarca war, ſo weh that mir Uriel Acoſta in ſeinem letzten Selbſt-Bekenntniß. Der arme Jude, von Zweifeln uͤber ſeine Religion ergriffen, gab alle Verhaͤltniſſe ſeiner edlen Geburt, ſeines Gluͤckes und Standes auf, ſuchte Ruhe hie und dort, fand an ſeinen naͤchſten Verwandten die aͤrgſten Feinde, und endigte damit, daß er als ein Neu - aufgenommener in der Synagoge ſeiner Glaubensgenoſſen, ſchimpflich-entbloͤßt, mit Fuͤßen getreten, gepeitſcht, verſpeiet, es23 nicht laͤnger ertragen zu duͤrfen glaubte und ſich ſelbſt den Tod gab. Die Aufſchrift ſeines Urlaubes aus dem Leben, exemplar humanae vitae ruͤhreten mich von jeher; und o moͤchte ein jeder, der von Menſchen aus der Welt gedraͤngt, zuletzt noch einige Worte fuͤr Menſchen zu ſchreiben, guten Willen und Kraft hat, ſein Exemplar des menſchlichen Lebens dem Exemplar des Acoſta hinzufuͤgen! Die Menſchheit erhielte damit eine Anzahl ſonderbarer Exemplare.

Von Kindheit auf iſt mir nichts ab - ſcheulicher geweſen, als Verfolgungen oder perſoͤnliche Beſchimpfungen eines Menſchen uͤber ſeine Religion. Wen gehet dieſe, als ihn ſelbſt und Gott an? ja, wer weiß nicht, was an dem Wort Religion, ſo - bald es innere Ueberzeugung und Gefuͤhl betrift, fuͤr tiefe Skrupel und Schwierig - keiten haften? Dem iſt Dieſes, einem24 andern Das aufs innigſte anſtoͤßig; zu dieſem Ausdruck kann er ſich nicht ge - woͤhnen, von jener fruͤh erfaßten Vorſtel - lungsart auf keine Weiſe ſondern. An ihr hangen ſeine moraliſchen Begriffe; an ihr vielleicht ſeine vornehmſte Triebfeder, ja ſein Ideal der Moralitaͤt ſelbſt. Dieſer findet Zweifel, wo keiner ſie findet; die ſchwarze, phantaſtiſche Fliege verfolgt ihn, ohne daß ein andrer als Er ſie ſiehet. Wie grauſam iſts alſo, wie unvernuͤnftig, nutzlos und unmenſchlich, wenn ſich ein Menſch, ein Gericht, eine Synagoge das Verdammungs - das Verfolgungs-Urtheil uͤber die Religion eines andern, waͤre er auch ein Neger und Indier, anmaaßt!

Mit Schauder lieſet man Acoſta's Er - zaͤhlung, Klagen und Seufzer, die er im tiefen Schmerz uͤber die ihm, einem Ruͤck - kehrenden, in einem Gotteshauſe zugefuͤgte25 peinliche Beſchimpfung ausſtoͤßt*)Muͤllers Bekenntniſſe merkwuͤrdiger Maͤn - ner, Bd. 2. S. 169. u. f., und die mit dem traurigen Gefuͤhl der voͤlligen Ver - laſſenheit und Ohnmacht enden: hier habt ihr die wahre Geſchichte meines Lebens, und welche Perſon ich auf dem eiteln Schau - platz dieſer Welt, in meinem unbeſtaͤndi - gen und ungluͤcklichen Leben geſpielt habe. Richtet nun[gerecht] und unpartheiiſch, ihr Soͤhne der Menſchen; richtet frei und nach der Wahrheit, wie es ſich Maͤnnern ge - ziemt. Findet ihr etwas, das euch zum Mitleiden hinreißt, ſo erkennt und beweint das traurige Loos der Menſchheit, das auch euch zu Theil geworden iſt.

Dank der Menſchheit ſey allen Denen, die ſo unertraͤgliche Laſten und Feſſeln, die jede unziemende Beſchimpfung, jede kraͤn -26 kende Verfolgung, die Menſchen Men - ſchen von goͤttlichen oder menſchlichen Rechts wegen, ungeſcheuet, ja pflichtmaͤßig und frohlockend anthaten, in ihr wahres Licht ſtellten. Grotius, John Locke, William Penn, Shaftesburi, Bayle, Leibnitz, auch Spinoza, Voltaire und mehrere nicht zu vergeſſen, was fuͤr Geſinnungen ſie uͤbrigens in an - dern Dingen haben mochten; in dieſem Punct ſind ſie Friedensengel im Namen al - ler Derer geworden, die, (um mich eines ſchauderhaften Bildes der Apokalypſe zu bedienen,) als Erwuͤrgte unter dem Altar um Rache rufen, und in ihrem Blut weiße Feierkleider begehren. Die Rache ſolcher Verfolgungen iſt nie ausgeblieben und blei - bet nie aus; es waͤre aber endlich Zeit, daß wir aus beſſern Gruͤnden, als aus der Furcht ſolcher Rache zum Gefuͤhl der Wahr -27 heit und Menſchlichkeit gelangten. Auch unſern Deutſchen Rechtslehrern, Thoma - ſius, Polykarp Leyſer, Hommel u. f., die uͤber die mit Blut geſchriebenen Carpzowſchen Geſetze hie und da die Fackel der Vernunft angezuͤndet, und mil - dere Grundſaͤtze in Gang gebracht haben, werde Dank. Sie thaten, was ſie thun konnten.

Vor andern, duͤnkt mich, ſind in Brie - fen Geſinnungen der Humanitaͤt wirkſam verbreitet worden, ſelbſt wo ſie das ſtrenge Rechts - Staats - und Kirchenſyſtem noch nicht aufnehmen durfte. In Briefen an Freunde ſchuͤttete mancher ſein Herz aus, wie er es in Schriften zu thun nicht wagte, und die Briefgeſtalt ſelbſt ward zur gluͤckli - chen Form, milde Geſinnungen uͤber einzelne Vorfaͤlle ſowohl, als uͤber Lehren und Per - ſonen Freunden oder dem Publicum ver -28 ſtaͤndlich zu machen und ans Herz zu le - gen. Holbergs Briefe gehoͤren auch in dieſe Zahl; in England und Frankreich iſt die Art eines humaniſirten Vortrages durch Briefe ſehr ausgebildet worden, und hat die nuͤtzlichſten Grundſaͤtze verbreitet. In England z. B. fanden Plinius Briefe eine gluͤckliche Aufnahme; die Erſten der Nation buhlten ihnen nach. Selbſt die erdichteten Briefe des Phalaris ſchaͤtzte der Ritter Temple uͤbermaͤßig hoch, ſo daß ſeit Addiſon ihre Wochenſchriften, ſeit Richardſon ihre Romane vorzuͤglich die Geſtalt der Briefe liebten. Die fran - zoͤſiſchen Briefeinkleidungen vom Tuͤrki - ſchen Spion an, bis zu den Perſi - ſchen und ſo viel andern Briefen ſind Jedermann bekannt; durch Einkleidungen ſolcher Art gewann nicht nur die Sprache, ſondern auch der denkende Geiſt Leichtig -29 keit und Freiheit. Ohne eine Abhandlung oder Deduction ſchreiben zu wollen, konnte man Gedanken, Empfindungen aͤußern, ſeinen Verſtand berichtigen, ſein Urtheil am Urtheile des Andern ſchaͤrfen und pruͤfen. In Deutſchland hat aus mehrern Urſachen dieſe Form meiſtens nur gelehrte Urtheile, Trivialitaͤten oder Romane betreffen koͤn - nen.

Ich wuͤnſchte eine Auswahl treffender Stellen aus den wahren Briefen merk - wuͤrdiger und großer Maͤnner; dem Sammler der Selbſtbekenntniſſe, einem Mann von reiner, fuͤrs wahre Wohl der Menſchheit geſtimmten Denkart, moͤchte ich ſie am liebſten empfehlen. Von Staats - maͤnnern, Kirchenvaͤtern, Reformatoren, Sektirern, von Gelehrten und Weiſen al - ler Art iſt eine ſo ungeheure Menge Briefe ans Licht gefoͤrdert worden, daß eine Aus -30 wahl ihrer eigenſten Meinungen und Ur - theile uͤber Begebenheiten, Schriften, fremde Meinungen und Handlungsarten die lehr - reichſte Unterhaltung ſeyn muͤßte. Wer kann, wer mag jetzt das große Epiſtelfach beruͤhm - ter und nicht beruͤhmter Maͤnner mit gehoͤri - gem Fleiße durchſtoͤren? und doch liegt ſo manches Merkwuͤrdige, Angenehme und Nuͤtzliche in ihm!

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57.

Sie wuͤnſchten, daß Jemand uͤber den menſchenfreundlichen Comenius ausfuͤhr - licher ſpraͤche. Der beſcheidene Mann ſpricht von ſich ſelbſt, (auch wo er es thun ſollte und konnte, in ſeiner Kirchenge - ſchichte der Boͤhmiſchen Bruͤder) ſehr wenig; das Einzige Nothwendige lag ihm zu ſehr am Herzen.

Wenn ich Einen Mann unſrer Nation, (denn warum ſollte man Boͤhmen und Maͤhren nicht zu Deutſchland rechnen?) mit dem guten St. Pierre vergleichen moͤchte: ſo waͤre es Comenius; und32 dies gewiß nicht zu ſeinem Nachtheil. St. Pierre hat durch ſeine Schriften, die, als ſie erſchienen, Wenige laſen, Meh - rere ungeleſen verlachten, Andre auf eine ſchale Art widerlegten, ja deren offenbarſte Wahrheit ihm ſogar Verdruß zuzog, in der Folge mehr Gutes gewirkt, als manche blendende Schriftſteller ſeines Zeitalters, die ihn aus der Akademie verwieſen. Seine Traͤume von einem ewigen Frieden, von einer beſſeren Verwaltung der Staaten, von einer groͤßeren Nutzbarkeit des geiſtli - chen Standes, von einer gewiſſenhaftern Pflege der Menſchheit, ſelbſt ſeine politiſchen Weiſſagungen, koͤnnen nicht immer Traͤu - me eines honetten Mannes bleiben, wie ſie damals ein duldender Miniſter nannte. Wenn St. Pierre wieder auf - ſtuͤnde, und gewahr wuͤrde, daß nicht blos, (wie d'Alembert meint,) das Wortbien -33bienfaiſance und gloriole von ihm in der Sprache ſeiner Nation geblieben, ſondern daß ſeine Grundſaͤtze, ſeine Wuͤnſche, ſei - ne Hoffnungen gewiſſermaaſſen der Geiſt aller Guten und Wuͤrdigen in Europa worden ſind; der kalte, trockene Mann wuͤrde dabei nicht gleichguͤltig bleiben. Wahrſcheinlich wuͤrde er gelaſſen ſagen: Die Zeit iſt ſchneller fortgeſchritten, als ich es ihr zutraute.

Unſer St. Pierre, Comentus, hat eine andere Geſtalt. Er wurde zwar auch in einem Labyrinth von Weiſſagun - gen irre gefuͤhrt; (welches ihm zuletzt ſehr leid that;) dieſe hatten auch eine viel ro - here Geſtalt, als der politiſche Calcul des St. Pierre, ſeiner Erziehung und ſei - nen Lebensumſtaͤnden nach, haben konn - te; in ihrem Ziel aber treffen beide zu - ſammen, und dieſes iſt das Wohl derFuͤnfte Samml. (C)34Menſchheit. Ihm weihten beide, ob - wohl auf den verſchiedenſten Wegen, alle ihre Gedanken und Beſtrebungen; beiden ſchien alles das entbehrliche Ueppigkeit oder haͤßliche Unſitte, was nicht dahin fuͤhrte. Beide haben eine ſchoͤne Klarheit des Geiſtes, eine beneidenswuͤrdige Ord - nung und Einfalt der Gedanken; ſie ſind von allem Leidenſchaftlichen ſo fern und los; es verdrießet ſie nicht, Eine Sache oft, meiſtens mit denſelben Worten zu ſa - gen, damit man ſie faſſen und ja nicht vergeſſen moͤge, daß auch in dieſen lie - benswuͤrdigen Fehlern ſie einander aͤhn - lich erſcheinen. Der letzte Zweck ihrer Be - muͤhungen iſt ganz derſelbe.

Comenius, wiſſen Sie, war der letz - te Biſchof der Boͤhmiſchen Kirche. Er lebte in den traurigen Zeiten des dreiſſig - jaͤhrigen Krieges, da mit ihm ſo viele,35 viele Familien auf die haͤrteſte Weiſe ver - trieben wurden; ſeit welcher Zeit dann dieſe bluͤhenden Gemeinen nie mehr zu ei - nigem, geſchweige zu ihrem alten Flor ge - langten. Wollen Sie Ihr Inneres ſanft und ſchrecklich erſchuͤttert fuͤhlen, ſo unter - richten Sie ſich uͤber den Zuſtand dieſer Gemeinen von ihrer Entſtehung an und endigen mit dieſer traurigen Verſtoßung. Keine Gemeine Deutſchlands iſt mir be - kannt, die mit ſo reinem Eifer fuͤr ihre Sprache, fuͤr Zucht und Ordnung bei ih - ren Gebraͤuchen ſowohl, als in ihrem haͤuslichen Leben, ja fuͤr Unterweiſung und Aufklaͤrung im Kreiſe ihres Nothwendi - gen und Nuͤtzlichen geſorgt, geſtritten, ge - litten haͤtte, als dieſe. Von ihr aus ent - ſprang jener Funke, der in den dunkelſten Zeiten des haͤrteſten geiſtlichen Deſpotis - mus Italien, Frankreich, England, die(C) 236Niederlande, Deutſchland wie ein Feuer durchlief, und jene vielnamigen Albigen - ſer, Waldenſer, Lollarden u. f. weckte. In ihr ward durch Huß und andre der Grund zu einer Reformation gelegt, die fuͤr ihre Sprache und Gegenden eine Na - tionalreform haͤtte werden koͤnnen, wie keine es in Deutſchland ward; bis auf Comenius ſtrebte dahin der Geiſt dieſer Slaviſchen Voͤlker. In ihr iſt eine Wirk - ſamkeit, eine Eintracht und Tapferkeit ge - zeigt worden, wie auſſer der Schweiz dieſ - ſeit der Alpen nirgend anders; und es iſt kaum zu zweifeln, daß wenn man ſich vom zehnten, vierzehnten Jahrhundert an dieſe Thaͤtigkeit nur einigermaaſſen unter - ſtuͤtzt gedenket, Boͤhmen, Maͤhren, ja uͤberhaupt die Slaviſchen Laͤnder an der Oſtſeite Deutſchlands, ein Volk worden waͤren, das ſeinen Nachbarn andern Nu -37 tzen gebracht haͤtte, als den es jetzt ſeinen Oberherren zu bringen vermag. Die Un - vernunft und Herrſchſucht der Menſchen wollte es anders. Eine Ilias beweinens - wuͤrdiger Umſtaͤnde tritt dem Geſchichtfor - ſcher vor Augen, uͤber die der Freund der Ordnung und des Fleißes ſeufzend erroͤ - thet. Comenius betrug ſich bei Allem mit der Wuͤrde eines apoſtoliſchen Lehrers.

Der Fluͤchtling nahm ſeine Jugendbe - ſchaͤftigung vor; er ward ein Lehrer der Jugend, aber in einer großen Ausſicht. Seine Grundſaͤtze: Kinder muͤßten mit Worten zugleich Sachen ler - nen; nicht das Gedaͤchtniß allein, ſondern auch der Verſtand und Wille, die Neigungen und Sitten der Menſchen muͤßten von Kind - heit auf gebeſſert werden; und hiezu ſei Klarheit, Ordnung der38 Begriffe, Herzlichkeit des Umgan - ges vor Allem noͤthig , dieſe Grund - ſaͤtze ſind ſo einleuchtend, daß Jeder ſie in Worten vorgiebt, ob er ſie gleich eben nicht in Comenius Geiſt und Sinne be - folget. Dieſer griff zur That; er gab ſei - ne Janua, er gab einen Orbis pictus her - aus, die zu ſeiner Zeit eine unglaubliche Aufnahme fanden, in wenigen Jahren in eilf Sprachen uͤberſetzt wurden, ſeitdem unzaͤhliche Auflagen erlebt haben und ei - gentlich noch nicht uͤbertroffen ſind: denn haben wir jetzt nach anderthalbhundert Jahren annoch ein Werk, das fuͤr unſre Zeit voͤllig das ſei, was jene unvollkom - menen Werke fuͤr ihre Zeit waren? Im ganzen Nord-Europa erregte Comenius Aufmerkſamkeit auf die Erziehung; der Reichstag in Schweden, das Parlament von England beachtete ſeine Vorſchlaͤge. 39Nach England ward er gerufen; von Schweden aus ſprach der große Canzler, Axel Oxenſtirn mit ihm; er ward zu Ausarbeitung derſelben unterſtuͤtzt; und ob - wohl, wie leicht zu erachten war, eine Hauptreform der Erziehung in Come - nius Sinn aus zehn Urſachen nicht zu Stande kommen konnte, zumal im dama - ligen Zeitalter hundert Ungluͤcksfaͤlle da - zwiſchen kamen, ſo hatte Comenius da - bei ſeine Muͤhe doch nicht ganz verloh - ren. Seine Vorſchlaͤge (obgleich die mei - ſten ſeiner Werke uns die Flamme geraubt hat,) ſind ans Licht geſtellt, ja ſie liegen groͤßtentheils, (ſo einfach ſind ſie,) in al - ler Menſchen Sinne; nur erfordern ſie Menſchen von Comenius Betriebſamkeit und Herzenseinfalt zur Ausfuͤhrung. Wenn er auflebte, und unſre neue Erziehung be - trachtete, was wuͤrde der fromme Biſchof zu mancher Marketenderei ſagen?

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Sein Plan ging indeß noch weiter. Er ſahe, daß keine Erziehungsreform ih - ren Zweck erreichte, wenn nicht die Ge - ſchaͤfte verbeſſert wuͤrden, zu denen Men - ſchen erzogen werden; hier griff er das Uebel in der Wurzel an. Er ſchrieb eine Panegerſie, einen allgemeinen Aufruf zu Verbeſſerung der menſchlichen Dinge, in welchem ihm St. Pierre an Ernſt, und (ich moͤchte ſagen) an hei - liger Einfalt ſelbſt nachſtehen moͤchte. Er ladet aufs menſchlichſte dazu ein; meint, es ſei ja Unſinn, Glieder heilen zu wol - len, ohne den ganzen kranken Leib zu hei - len; ein gemeinſchaftliches Gut ſei eine Gemein-Freude; gemeine Gefahr fodre auch gemeinſchaftliche Sorge, und ſchlaͤgt Mittel zur Berathſchlagung vor. Die menſchlichen Dinge, die er fuͤr ver - derbt haͤlt, ſeyn Wiſſenſchaften, Re -41 ligion und Staatseinrichtung. Ih - rer Natur nach bezeichneten ſie den Cha - rakter unſres Geſchlechts, (Humanitaͤt,) mithin die eigentliche Menſchheit, indem Wiſſenſchaft den Verſtand, Religion den Willen, die Regierung unſre Faͤhigkeit zu wirken, beſtimmen und beſſern ſollte. Aller Menſchen Beſtreben gehe dahin: denn jeder wolle wiſſen, herrſchen, und genießen; edlere Seelen ſeyn nach der edelſten Macht, der wahren Wiſ - ſenſchaft, und einer unzerſtoͤrlichen Gluͤckſeligkeit begierig; ſie zu befoͤrdern opferten ſie Kraͤfte, Muͤhe, ihr Leben ſelbſt auf. In uns liegen alſo ewige Wur - zeln zu einem Baume der Wiſſen - ſchaft, der Macht und des Gluͤcks; Philoſophie ſolle uns Weisheit, politi - ſche Einrichtung den Frieden, Religion innere Seligkeit geben; dieſe drei42 Dinge ſeyn nur Eins; ſie koͤnnten nie von einander, nie vom Menſchen geſondert werden, ohne daß er ein Menſch zu ſeyn aufhoͤre. Sie ziemten ihm allerwege und allenthalben.

Jetzt zeigt Comenius, wie und wo - durch alle drei verderbt ſeyn? Der Ver - ſtand werde von wenigen wenig ge - braucht; der Wille unterliege den Begier - den; man ſuche Reichthum, Ehre, Luſt, Eitelkeiten, Schatten der Dinge; man ſuche ſich außer - nicht in ſich ſelbſt. Man wiſſe nicht, was man wollen, thun, wiſſen ſolle; man theile ſich in phi - loſophiſche, politiſche Religionsſecten; man ſtreite, ohne einander zu uͤberzeugen, und doch ſei es das einzige Zeichen, daß man ſelbſt weiß, wenn man andre uͤberzeuget. Die Weisheit werde in Buͤcher gekerkert, nicht in der Bruſt getragen; unſre Buͤcher43 ſeyn alſo weiſe, nicht wir. Selten habe man bei der Wiſſenſchaft einen wahren Zweck; man lerne, um zu lernen, oder noch zu thoͤrichtern Abſichten. Das Band der Sprache ſei zerriſſen; und noch habe keine einzige Sprache ihre Vollkommenheit erreicht. Die Gebrechen, deren er die Religion zeihet, fuͤhrt er nur kurz und mit Bedauren an, da ſie zu offen am Ta - ge liegen. In der Politie meint er: nichts koͤnne regieren, als das Rechte, niemand andre regieren, als der ſich ſelbſt zu regieren weiß. Menſchen-Regierung ſei die Kunſt der Kuͤnſte; ihr Zweck ſei Friede. Mithin zeugen alle Kriege und Unordnungen der menſchlichen Geſellſchaft, daß dieſe Kunſt noch nicht daſei; weder zu regieren, noch regiert zu werden wuͤß - ten die Menſchen; von welchen Verderb - niſſen er ſowohl die Urſachen, als die44 Schaͤndlichkeit und den Schaden klar vorlegt.

Von jeher, faͤhret er fort, ſei das Be - ſtreben der Menſchen dahin gegangen, die - ſen Uebeln abzuhelfen; und zeigt mit groſ - ſem Verſtande, ſowohl was man bisher dazu gethan und auf welchen Wegen man's angegriffen habe, als auch weßhalb dieſe Mittel unhinreichend oder unwirkſam ge - blieben. Indeſſen ſei der Muth nicht auf - zugeben, ſondern zu verdoppeln. Manche Krankheiten tilge die Zeit; in der verdor - benen Menſchheit ſei der Trieb zu ihrer Verbeſſerung unaustilgbar, und auch in den wildeſten Abwegen wirkſam. Nur muͤſſe die Menſchheit ihr wahres Gute, ſo wie die Mittel dazu, ganz und rein kennen lernen; ſie muͤſſe von den Ketten boͤſer Gewohnheiten befreiet werden, und nicht eher nachlaſſen, bis ſie in einer All -45 gemeinheit zum Zweck gelange. Zu dieſer Harmonie wirke ſelbſt der Haß der Sekten, ihre bittre Verfolgungen und Kriege gegen einander in Wiſſenſchaften, Religion und Regierungsanſtalten; alles zeige, daß eine große Veraͤnderung der Dinge im Werk ſei. Ohne Uns koͤnne dieſe Veraͤnderung keine Verbeſſerung wer - den; wir muͤßten zu ihr und zwar auf bisher unverſuchten Wegen, auf dem We - ge der allgemeinen Einheit, Ein - falt und einer freien Entſchlieſ - ſung (Spontaneitaͤt) mitwirken. Der Zweck der Einheit und allgemeinen Verbindung liege in unſerm Geſchlecht; nur durch Einfalt koͤnne unſer Verſtand, Wille und Handlungsweiſe von ihren Ver - derbniſſen loskommen; dahin wieſe die ein - traͤchtige Norm unſrer gemeinen Begriffe, Faͤhigkeiten und Inſtincte; mittelſt dieſer,46 und dieſer allein kaͤme man ohne alle So - phiſterei zum reinen Gute der Wahrheit. Freiheit des Willens endlich ſei der Charakter des Goͤttlichen in uns; Gott zwinge nicht, und wolle nicht, daß Men - ſchen gezwungen, ſondern gelehrt, geleitet, unterſtuͤtzt werden. So weit wir vom Wege der Einigkeit, Einfalt und Sinnesfreiheit abgewichen ſeyn: ſo ſei eine Ruͤckkehr dahin moͤglich, ſobald wir uns nur vornaͤhmen, ohne Ausſchlieſ - ſung Alles, fuͤr Alle, auf alle Art und Weiſe zu verbeſſern. In dieſen drei Worten liege das ganze Geheimniß: (om - nia, omnibus omnimode esse emendanda) denn alle bisherige Vereitelung guter Be - muͤhungen ſei blos daher gekommen, daß man nicht Alles, nicht fuͤr Alle, nicht auf alle Weiſe habe verbeſſern wollen, ſondern zuruͤckbehalten, geſchont,47 geſchmeichelt und dadurch das Boͤſe oft aͤr - ger gemacht habe. Das Studium zu par - ticulariſiren ſei die ewige Grundlage der Verwirrung; jeder rathe, ſorge fuͤr ſich, fuͤr alle niemand. Man ſchaue ge - woͤhnlich auch nicht rings umher, ſondern dieſer auf dies, jener auf jenes; dafuͤr ſei er entbrannt, und vergeſſe, hindere, ver - achte alles andere. Am wenigſten habe man den ganzen Apparat von Kraͤften und Mitteln angewandt, deſſen die Menſchheit faͤhig iſt, ja den ſie wirklich im Beſitz hat. Sehr ernſtlich begegnet Comenius den Einwuͤrfen, daß eine allgemeine Verbeſſe - rung unmoͤglich ſei, und ein Unternehmen der Art zur Zerſtoͤrung aller bisherigen Einrichtungen gereichen wuͤrde. Moͤglich ſei ſie allerdings; das zeigte die Haushal - tung der Natur, der Begrif der Kunſt,48 die Identitaͤt der Menſchheit; auf dem Wege der Einfalt werde man die Moͤg - lichkeit einer ſolchen Verbeſſerung wohl finden: denn ſie liege allenthalben vor uns, und die Einfalt ſelbſt ſei das wirkſamſte Gegengift aller Verwirrung. Auch den freien Willen der Menſchen glaubt Co - menius auf ſeiner Seite zu haben, ſo - bald man ſie nur nicht taͤuſchte, ſondern in Allem fuͤr Alle rein ſorgte. Nichts als das Schlechte wuͤrde zerſtoͤrt; nur das Ueberfluͤßige wuͤrde hinweggethan; das Gute bliebe, mit unendlich vielem, neuen Guten vermehrt, verſtaͤrkt, verei - nigt. Hiezu ladet er nun in der einfaͤltig - ſten Herzensſprache die Menſchen ein; der Biſchof ſpricht zur geſammten Menſchheit, wie zu ſeiner Gemeine.

Glauben Sie nicht, daß dergleichen Utopiſche Traͤume, wie man ſie zu nennenpflegt,49pflegt, Nutzlos ſeyn: die Wahrheit, die in ihnen liegt, iſt nie Nutzlos. Dem Comenius konnte man ſagen, was der Cardinal Fleury dem St. Pierre ſag - te, da dieſer ihm ſein Project des ewigen Friedens und des Europaͤiſchen Reichsta - ges uͤberreichte: Ein weſentlicher Artikel iſt darinn vergeſſen, die Miſſionarien naͤm - lich, die das Herz der contrahirenden Fuͤr - ſten zu dieſem Frieden und zu dieſem Reichstage diſponiren; allein wie St. Pierre ſich bei ſeinem Projekt auf den großen Miſſionar, die allge - meine Vernunft, und ihre Die - nerin, die Zeit, oder allenfalls die Noth verließ; ſo wahrſcheinlich auch Comenius. Er ſchrieb eine Con - ſultation, (ich weiß nicht, ob er ſie umhergeſandt habe) die ſogar erſt dreiſſig Jahre nach ſeinem Tode gedrucktFuͤnfte Samml. (D)50ward. *)Comenii hiſt. fratrum Bohemorum: accedit Ej. Panegerſia, de rerum huma - nar. emendatione, edid. Buddeus Halae 1702. Rieger in ſeiner Geſchichte der Boͤh - miſchen Bruͤder fuͤhrt an, daß in der Wai - ſenhausbibliothek zu Halle noch mehrere Handſchriften von Comenius daſeyn ſollen; waͤren nicht einige davon fuͤr unſre politiſch - paͤdagogiſche Zeiten des Drucks werth? A. d. H.Da ſie wenige Bogen enthaͤlt, wuͤnſchte ich, daß ſie uͤberſetzt erſchiene, wenn auch nur zum Zeichen, wie anders man damals uͤber die Verbeſſerung der Dinge ſchrieb, als man jetzt zu ſchreiben gewohnt iſt. Fromme Wuͤnſche der Art fliegen nicht in den Mond; ſie bleiben auf der Erde, und werden zu ihrer Zeit in Thaten ſichtbar. Es ſchweben nach Ari - oſto's ſchoͤner Dichtung immerdar einige51 Schwaͤne uͤber dem Fluß der Vergeſſen - heit; einige wuͤrdige Namen erhaſchen ſie, ehe dieſe hineinſinken, und ſchwingen ſich mit ihnen zum Tempel des Andenkens empor.

Ich lege Ihnen einen Aufſatz bei, der mir Namenlos zukam; theilen Sie ihn unſern Freunden mit. Er iſt nicht mit Comeniſchem Geiſt geſchrieben; es laͤßt ſich aber Manches daruͤber ſagen.

(D) 252

Haben wir noch das Publicum und Vaterland der Alten?

1. Haben wir noch das Publicum der Alten?

Um eine vorgelegte Frage zu beantwor - ten, muß man ſie erſt verſtehen. Alſo:

Was iſt Publicum? Ein ſehr un - beſtimmter Begriff, der, wenn man alle Eigenheiten des einzelnen Gebrauchs und Mißbrauchs ſeiner Benennung abſondert, ein allgemeines Urtheil, wenigſtens eine Mehrheit der Stimmen in dem Kreiſe, in welchem man ſpricht,53 ſchreibet oder handelt, zu bezeichnen ſcheinet. Es giebt ein reales und idea - les Publicum; jenes, das gegenwaͤrtig um uns iſt, und uns ſeine Stimme wo nicht zukommen laͤßt, ſo doch zukommen laſſen kann; das ideale Publicum iſt zu - weilen ſo zerſtreut, ſo verbreitet, daß kein Luͤftchen uns aus der Entfernung oder aus der Nachwelt, den Laut ſeiner Ge - danken zufuͤhren mag. Bei jeder Gattung des Publicums aber denket man ſich ein verſtaͤndiges, moraliſches Weſen, das an unſern Gedanken, an unſerm Vortrage, an unſern Handlungen Theil nimmt, ihren Werth und Unwerth zu ſchaͤ - tzen vermag, das billiget oder mißbilliget, das wir alſo auch zu unterrichten, eines Beſſern zu belehren, in Anſehung ſeines Geſchmacks zu bilden und fortzubilden uns unterfangen duͤrfen. Wir muntern es auf,54 wir warnen; es iſt uns Freund und Kind, aber auch Lehrer, Zurechtweiſer, Zeuge, Klaͤger und Richter. Belohnung hoffen wir von ihm nicht anders als durch Bei - fall, in Empfindungen, Worten und Tha - ten.

Unter den Alten verſtehet man in Anſehung der Kunſt die Griechen, in An - ſehung der Literatur Griechen und Roͤ - mer, in Anſehung alles deſſen aber, wor - uͤber das Publicum gefragt oder belehrt werden kann, jede Nation, die in fruͤhe - ren Zeiten auf uns gewirkt hat, mit der wir uns hier oder dort in Anſehung ge - faͤllter Urtheile zu vergleichen, zu meſſen haben. Man ſiehet, daß in dieſem Ge - ſichtspunkt ſowohl die Hebraͤer, als die ſogenannten Barbaren des Mittelalters von unſern Alten nicht ausgeſchloſſen ſind: denn dieſe haben viele Meinungen55 unſres Publicums, und in Manchem ſei - nen ganzen Geſchmack conſtituiret.

Wer ſind nun die Wir, die ſich mit dieſen Alten vergleichen? Im Ganzen moͤchte man die jetzige Generation der Men - ſchen darunter verſtehen. Da dieſe doch aber in einen Geſichtskreis oder gleichſam in einen großen Saal beſchraͤnkt werden muß, um Zuſchauerin, Hoͤrerin, Urtheile - rin, Richterin zu werden: ſo wird dieſer Kreis bald ſehr weit, bald ſehr enge ge - nommen; ja vom weiteſten Kreiſe, den unſre Einbildung kaum faſſen mag, wird oft behauptet, was nur dem engeſten, ei - nem ſehr auserleſenen Kreiſe gebuͤhret. Aus Erfahrungen ſeiner Landes - und Stadtwelt ſpricht man gemeiniglich fuͤr die Chriſtenheit, fuͤr Europa, fuͤr Welt und Nachwelt, an denen man ſich immer eine myſtiſche Perſon oder Ver -56 ſammlung, eine aufgeklaͤrte oder auf - zuklaͤrende Gemeinheit denket. Um allen aus dieſer Verwirrung entſpringenden Mißverſtaͤndniſſen zu entweichen, wird's al - ſo noͤthig ſeyn, jedesmal den Geſichtskreis zu beſtimmen, und in Abſicht jeder Fra - ge, die an ein Publicum gelangt, Zeiten und Voͤlker zu unterſcheiden.

I. Vom Publicum der Ebraͤer.

Das Ebraͤiſche Volk ward von ſeinem Urſprunge an als ein genetiſches In - dividuum, als Ein Volk betrachtet. Der ſterbende Stammvater ſprach zu ſei - nen Soͤhnen fuͤr die ganze Reihe zukuͤnf - tiger Zeiten; ja ehe der Sohn des Stam - mes gebohren war, geſchah ſchon dem ganzen zukuͤnftigen Volk die Verheißung. Als es in vielen Tauſenden um den Berg Sinai gelagert daſtand, ſprach der Geſetz -57 geber im Namen ſeines Gottes zu ihm, als zu Einer Perſon, die dieſes Got - tes Knecht und gerettetes Kind ſei; und da er vor ſeinem Lebensende dies Ge - ſetz wiederholte, ließ er das Volk als Ei - nen Mann geloben. Er foderte von ihm Achtung und Liebe des Geſetzes als von Einem moraliſchen Weſen. So ſprachen alle Propheten, denen der Geſetz - geber ausdruͤcklich Raum zu dieſer Stim - me ans geſammte Volk, als an Ein Eigenthum Gottes gelaſſen hatte. So klein der Kreis ſeyn mochte, in dem mancher Prophet ſprach, oder zu ſeiner Zeit ſchrieb, ſo groß wird er dieſer ſeiner Idee nach. Der Bote ſeines Gottes ſpricht zum Sohne Jacob, zum Knecht Iſrael fuͤr alle Zeiten. Daher der hohe, weit - ſchallende Ton des Patriotismus in den Ebraͤiſchen Pſalmen und Propheten. Wo58 und in welcher Sprache ſein Nachhall er - toͤne: er ergreift das Herz; ein Publicum wird lebendig. Man findet ſich in einer Verſammlung, in der Einer fuͤr Alle ſteht, Alle fuͤr einen. Die Laſt der Gebote, Segen und Fluch traͤgt das ganze Volk auf ſeinen Schultern. Danklieder toͤnen von Allen empor; auch uͤber die kleinſten Begegniſſe des Individuum werden ſie an - genommen, weil dies Individuum zum ganzen Volk gehoͤret. So traͤgt in den Beſtrafungen der Propheten jeder Iſraelit die Schuld des Andern; der Troſt des An - dern kommt auch ihm zuſtatten; gemein - ſchaftliche Wuͤnſche, eine gemeinſchaftliche Ausſicht erhebt das Herz des freudigen und des gedraͤngten Volkes. Auch ſeit - dem Iſrael unter alle Nationen zerſtreut ward, iſt dieſer Prophetenton eines Na - tionalpublicum nicht verhallet. Alle59 ſeine Geſaͤnge und Gebete ſprechen noch zu Gott mit der Stimme eines verlohr - nen Kindes, eines gedemuͤthigten Knech - tes. Wenn ein Geiſt der Poeſie, der Leh - re, der Ermahnung in dieſem Volke wie - der aufleben ſollte, ſo kann er nicht anders als in ſolchem Ton zum Volk ſingen und reden.

Haben Wir dies Publicum der Ebraͤ - er? Mich duͤnkt, jedes Volk habe es durch ſeine Sprache. Dieſe iſt ein goͤttliches Organ der Belehrung, Strafe und Unter - weiſung fuͤr Jeden, der fuͤr ſie Sinn und Ohr hat. Das Band der Zunge und des Ohrs knuͤpft ein Publicum; auf dieſem Wege vernehmen wir Gedanken und Rath, wir faſſen Entſchlieſſungen, und theilen mit einander Belehrung, Leid und Freu - de. Wer in derſelben Sprache erzogen ward, wer ſein Herz in ſie ſchuͤtten, ſeine60 Seele in ihr ausdruͤcken lernte, der ge - hoͤrt zum Volk dieſer Sprache. Ich vernehme noch Ottfrieds Stimme; die Kern - und Biederſpruͤche mancher alten Deutſchen, die den Charakter meines Volks in ſich tragen, ſprechen zu mir; Kaiſer - berg, Luther predigt mir noch; und was auch von andern Nationen in meine Mundart meiſterhaft uͤberging, iſt die Stimme eines Publicums worden, zu dem auch ich gehoͤre. Meine Stimme, ſo ſchwach ſie ſei, bewegt auch Wellen dieſes aͤtheriſchen Weltmeers. Von den Millio - nen die Deutſch reden und leſen, werden auch mich einige verſtehen und hoͤren, waͤren es nur ſo viel als Perſius ſich anmaaßet, aut duo aut nemo; auch dieſe Zwei, lobend oder tadelnd, erregen ihre Wellen weiter. Im Publicum der Sprache hat ſogar der Niemand ein Ohr;61 er lernt von - oder an mir, und ſpricht weiter. Und dies Publicum breitet ſich fort, ſo lange die Sprache, ſelbſt mit Ver - aͤnderungen, dauret, bis ſie verſtaͤndlich zu ſeyn aufhoͤret. Kein Geſetz kann die - ſen Fortgang verbieten, keine Macht ihn aufheben, bis die Sprache vertilgt iſt; und ehe dieſe vertilgt wird, dazu gehoͤren allmaͤchtige Kraͤfte der Zeiten.

Nicht der Schriftſteller gehoͤret zu die - ſem Publicum allein, ſondern auch der muͤndliche Unterweiſer, der Geſetzgeber, der Feldherr, der Redner und Ordner. Mittelſt der Sprache wird eine Nation erzogen und gebildet; mittelſt der Sprache wird ſie Ordnung - und Ehrliebend, folg - ſam, geſittet, umgaͤnglich, beruͤhmt, fleißig und maͤchtig. Wer die Sprache ſeiner Nation verachtet, entehrt ihr edelſtes Pu - blicum; er wird ihres Geiſtes, ihres in -62 neren und aͤußeren Ruhms, ihrer Erfin - dungen, ihrer feineren Sittlichkeit und Betriebſamkeit gefaͤhrlichſter Moͤrder. Wer die Sprache eines Volks emporhebt, und ſie zum kraͤftigſten Ausdruck jeder Em - pfindung, jedes klaren und edlen Gedan - kens ausarbeitet, der hilft das weiteſte und ſchoͤnſte Publicum ausbreiten, oder in ſich vereinigen und feſter gruͤnden.

Daß unſer Deutſchland durch ſeine Sprache ſich dies Publicum in ſolchem Umfange, mit ſolcher Feſtigkeit gegruͤndet habe, wie es haͤtte geſchehen moͤgen, iſt ſehr zu zweifeln. Ganze Laͤnder ſind da - von abgeriſſen; Provinzen und Kreiſe ver - ſtehen einander kaum, nicht nur nicht in Reden, ſondern oft ſelbſt nicht in Schrif - ten. Was in manchen Gegenden fuͤr Witz gilt, wird in andern als niedriger Scherz verachtet; das Ganze hat ſo wenig einen63 gemeinſchaftlichen Schritt in der Kultur gehalten, daß ſchwerlich eine Vorſtellungs - art zu finden waͤre, die auf alle Theile deſſelben, als auf Ein gemeinſames Publicum, mit gleicher Macht wirkte. Nicht aber nur Provinzen und Kreiſe, ſelbſt Staͤnde haben ſich von einander ge - ſondert, indem ſeit einem Jahrhunderte die ſogenannten obern Staͤnde eine voͤllig fremde Sprache angenommen, eine frem - de Erziehung und Lebensweiſe beliebt ha - ben. In dieſer fremden Sprache ſind ſeit einem Jahrhunderte unter den genannten Staͤnden die Geſellſchaftsgeſpraͤche gefuͤhrt, Staats-Unterhandlungen und Liebeshaͤndel getrieben, oͤffentliche und vertraute Brie - fe gewechſelt worden, ſo daß wer einige Zeilen ſchreiben konnte, ſolche nothwendig vormals italieniſch, nachher franzoͤſiſch ſchreiben mußte. Mit wem man Deutſch64 ſprach, der war ein Knecht, ein Diener. Dadurch alſo hat die Deutſche Sprache nicht nur den wichtigſten Theil ihres Pu - blicums verlohren, ſondern die Staͤnde ſelbſt haben ſich dergeſtalt in ihrer Denk - art entzweiet, daß ihnen gleichſam ein zu - trauliches gemeinſchaftliches Or - gan ihrer innigſten Gefuͤhle fehlet. Beide ſind auf ihrem getrennten Wege nicht ſo weit fortgeſchritten, als ſie in Wirkung und Gegenwirkung auf einander haͤtten kommen moͤgen, indem der Eine Theil meiſtens an Phraſen, an Worten ohne Gegenſtand, leer von innerer Bil - dung hangen bleiben mußte; dem andern hingegen bei aller Muͤhe des Fortſtrebens ewig und immer eine Mauer entgegenge - ſtellt war, an welcher leere Schaͤlle zuruͤck - prallten. Ohne eine gemeinſchaftliche Lan - des - und Mutterſprache, in der alle Staͤn -de65de als Sproſſen Eines Baumes erzogen werden, giebt es kein wahres Ver - ſtaͤndniß der Gemuͤther, keine ge - meinſame patriotiſche Bildung, keine innige Mit - und Zuſammen - empfindung, kein vaterlaͤndiſches Publicum mehr. Entweder bequemt man ſich nach der fremden Denkart des Andern, und buhlt ohne Dank und Kraft um deſſen leere Vorſtellungsweiſe, wie um einen nichtigen Schatten; oder man ſpricht und ſchreibt nicht fuͤr ihn; er iſt ein tod - tes oder ein hinderndes, oft feindlich-wir - kendes Glied der Gemeine. Wenn die Stimme des Vaterlandes die Stimme Gottes iſt, ſo kann dieſe zu gemeinſchaft - lichen, allumfaſſenden, und aufs tiefſte greifenden Zwecken nur in der Sprache des Vaterlandes toͤnen; ſie muß von Jugend auf, durch alle Claſſen der Na -Fuͤnfte Samml. (E)66tion, an Herz und Geiſt erklungen ſeyn; ſo nur wird durch ſie ein Publicum, ver - ſtaͤndig und verſtanden, hoͤrend und hoͤr - bar. Jede fremde bleibt eine entzweiende Samariterſprache.

2. Publicum der Griechen.

Daß dem alſo ſei, wollen wir ſchoͤner an den Griechen lernen. Wahrſcheinlich war ihre Sprache Anfangs ſo ungebildet, als jede Volksſprache in rohen Zeiten; da ſtieg Calliope, da ſtiegen Goͤtter vom Himmel hernieder. Merkur erfand die Lyra; die Cither begleitete Apollo mit herzerweckendem Geſange; mehreren Soͤh - nen der Muſe folgte Baum und Fels, es horchten ihnen Stroͤme; kurz, (ohne Fabel zu reden,) Poeſie mit Muſik begleitet erſchuf und bildete ſich ein Griechiſches Publicum, in einer feinern Sprache,67 und einer feineren Gedankenweiſe. Die Fabelnamen Orpheus, Linus, Muſaͤ - us ſind in Abſicht der Wirkung, die ſie hinterlieſſen, keine Fabelnamen; die Form ihrer Goͤtter - und Menſchengeſtalten, die Melodie ihrer Weisheitſpruͤche und Lehren, der rhythmiſche Gang ihrer Empfindun - gen und Bilder ward dem Ohr, dem Ge - daͤchtniß der Hoͤrenden eingepraͤget, und ging von Munde zu Munde, endlich auch in Schriften und Gebraͤuchen auf die ſpaͤtere Nachwelt. Die Geſaͤnge, die Homer und andre Rhapſoden in kleineren Kreiſen ſan - gen, waren nicht verhallet; ſie kamen ge - ſammlet nach Athen, ſie erklangen am Pa - nathenaͤiſchen Feſte. Die Hymnen der Ho - meriden, Lieder und Chorgeſaͤnge der ver - ſchiedenſten Art, dichteriſche und muſikali - ſche Wettſtreite zierten und kraͤnzten jede Volksverſammlung, jedes oͤffentliche Spiel,(E) 268jede feierliche Religions - und Staats - handlung. So ward ein Publicum der Griechen fuͤr Poeſie; bald auch fuͤr Pro - ſe. Herodot las ſeine Geſchichte dem verſammleten Griechenlande, wie ſo viele Dichter vor ihm ihre Gedichte groͤßeren oder kleineren Kreiſen geſungen hatten: denn ſelbſt die Gaſtmahle der Griechen hatten eine Art froͤlicher Publicitaͤt, und waren nicht ohne Muſen. Auf dieſem Wege entſtand das Griechiſche Schau - ſpiel, das allen ſeinen Theilen nach ein Publicum vorausſetzte, und ein Publicum vergnuͤgte. Auf dieſem Wege gelangte die Griechiſche Kunſt zu ihrer Hoͤhe: die Mu - ſe, die dem Kuͤnſtler ſeine reinen, hohen Ideen eingab, hatte ſich auch Gelegenhei - ten, Oerter und Plaͤtze geheiligt, wo ſie ſolche mit Wuͤrde zeigen und einem dazu geſtimmten Volk ſichtbar machen konnte. 69Selbſt in die Berathſchlagungen und Zaͤn - kereien vor Gericht ging Redekunſt als ein Haupterforderniß uͤber. Indem Alles vorm Publicum verhandelt wurde, ſo ward dies Publicum durch Rede gefeſſelt, durch Kunſt der Rede gefuͤhrt und gelenket.

Haben Wir dies Publicum der Grie - chen? Nein; und in mehreren Stuͤcken iſts vielleicht gut, daß wir es nicht haben. Wo uͤber Krieg und Frieden, uͤber Leben und Tod der Beklagten, uͤber Verdienſt und Belohnung die Kunſt der Rede ge - bieten darf; wie vielen Verleitungen iſt und bleibt die Seele eines unerzogenen Volks ausgeſetzt, die mit ihrem ganzen Urtheil im Ohre wohnet! Die Geſchichte der Griechiſchen Republiken, inſonderheit Athens, zeigt uns davon eine große Gal - lerie fuͤrchterlich-ſchoͤn gemahlter Beiſpie - le, bei deren Ueberblick mancher Nordlaͤn -70 der oft mit frohem Schauder ſagen wird: o der leichtſinnigen Griechen! Wohl uns! dieſe Zeiten ſind voruͤber! Ein Gleiches wird er vielleicht von den Religions - und Staatsfeierlichkeiten, den oͤffentlichen Spie - len, Taͤnzen, Uebungen und Wettkaͤmpfen, vielleicht auch vom ganzen Theater in Athen ſagen. Und allerdings gehoͤrt Alles dorthin und in jene Zeiten.

Aber warum haͤtten wir denn ein The - ater, wenn wir kein Publicum fuͤrs Thea - ter haben moͤgen? Warum haͤtten wir Kunſt, wenn es nicht die Griechiſche ſeyn kann? Warum unterfingen wir uns, Ver - gnuͤgungen des Geſchmacks zu haben, wenn es kein Publicum des Geſchmacks geben ſoll? Warum endlich ſpielen wir mit Mu - ſik, Redekunſt, Poeſie und Sprache, wenn dieſe nicht zu Zwecken angewandt werden, zu denen ſie, allein und verbunden, ei -71 gentlich beſtimmt und geſchaffen ſind? Ihrer Natur nach erfordern ſie ein Publicum; ohne ſolches ſind ſie todt und begraben.

Ein Hymnus z. B. gehoͤrt ſeiner Natur nach fuͤr eine Verſammlung. Der Dichter, der dieſe nicht um ſich er - blicket, nimmt Himmel und Erde, Waͤl - der und Felſen zu ſeinen Zuhoͤrern und Zeugen. Die Stimme eines Lyriſchen Dichters rufet ein Publicum an und auf. Der Saͤnger, ja ſelbſt der Ge - ſchichtſchreiber großer Begeben - heiten fodert einen Kreis von Maͤnnern, Weibern, Juͤnglingen und Kindern um ſich her, denen ſeine Begebenheiten in Ohr und Seele toͤnen. Sie oͤfnen ihm nicht et - wa nur eine Buͤhne, auf der er in ihrem Beifall ſeinen ganzen Ruhm ernte, ſon - dern ihre Gemuͤther ſelbſt ſind ſeine Are -72 na, der Schauplatz, das Ziel, das Maas ſeiner Wirkung. Die Scene, die der Epiſche Dichter nicht alſo beſchreibt, daß ſie den Augen des Zuhoͤrers ſichtbar wird, alſo daß auch in der Seele der Han - delnden mit gehaltenem Intereſſe alles vor ſeinen Augen vorgehet, iſt keine Epiſche Scene; die Begebenheit, die der Ge - ſchichtſchreiber im Zuſammenhange ih - rer Folgen, wo moͤglich auch ihrer Urſa - chen, nicht alſo gegenwaͤrtig zu machen weiß, daß dem Zuhoͤrer ſein eignes klares Urtheil daruͤber reifet, iſt eine mangelhaft - erzaͤhlte Geſchichte. Der Lyriſche Dich - ter, der mit ſeiner Kunſt in der Seele des Hoͤrenden nicht den Grad von Theil - nehmung trift, auf den ſeine Kunſt als auf den Punkt ihrer Vollkommenheit rech - net, hat auf ein Nichts gearbeitet, und verfehlt ſeine Wirkung. Alle dieſe Pro -73 ductionen alſo wollen ein Publicum, aus welchem ſie gleichſam hervor - auf wel - ches ſie zuruͤckgehen, aus welchem ſie die Regel ihrer Kunſt nahmen.

Wo ſind nun in Deutſchland die Ode - en unſrer Geſchichtſchreiber, unſrer Lyri - ſchen und Epiſchen Dichter? Wo ſind die Schulen, in denen man die edelſten Ge - ſaͤnge den Juͤnglingen ans Herz legt, und ſie nebſt den ſchoͤnſten claſſiſchen Stellen der Alten nicht etwa blos declamirt, ſon - dern in die Seelen ſchreibet? Nur was ſelbſt Geſtalt hat, kann Geſtalt geben; nur Flamme kann Flamme verbreiten. Ein Athem aber kann auch aus Funken eine Flamme wecken und viele todte Koh - len entzuͤnden. An gluͤhenden Funken hat es Deutſchland nicht gefehlet; ſie ſind aber nie zur Flamme angefacht worden. Der ſogenannte Minnegeſang war Hofge -74 ſchmack; er ging voruͤber. Die Zeiten der Reformation brachten ſtehende Gefahr -, dankende Lobgeſaͤnge in den Mund vie - ler; ſie gingen mit der Gefahr voruͤber. Der dreiſſigjaͤhrige Krieg weckte Stimmen mancher Art fuͤr beide Partheien; die Feldherrn der Ligue wurden eben ſowohl, als die Feldherrn und Retter der Union geprieſen, und unter den letzten ſind die Namen eines Ernſt von Mansfeld, Chriſtian von Anhalt, Johann Ernſt und Bernhards von Wei - mar, Guſtav Adolphs, Georgs von Baden der deutſchen Muſe nicht fremde geblieben. Leider aber iſt dieſe keine Toch - ter Mnemoſynens, oder ſie iſt von ihr zwiſchen Schlaf und Wachen erzeuget. Nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden vergaß man aller Gefahr, und hat uͤber hundert Jahre, dann und wann unſanft aufgeruͤt -75 telt, ſanft geſchlafen. Alle weckende Stim - men, leiſe und lauter, ſind vergebens ge - weſen; unſre Dichter waren oder hieſſen Versmacher, Reimſchmiede; ſeit einem hal - ben Jahrhundert las man Voltaire, und ließ die Deutſche Geſchichte erroͤthen und ſchweigen. Sie ſchweigt noch, und darf an eine Geſchichte des Deut - ſchen Geſchmacks, der Deutſchen Cultur, der Deutſchen Feſtivitaͤ - ten und Luſtbarkeiten nicht ohne Be - ſchaͤmung denken.

Auf dem Theater wird ein Publicum oder ein Theil deſſelben einem andern Pu - blicum zur Schau vorgeſtellt; offenbar war dies die Idee der Griechen, im Trauer - ſpiel mit dem Chor, im Luſtſpiel mit dem einzeln - oder in Maſſe perſonificirten Vol - ke. Theater und Zuſchauer hingen alſo wie Bild und Abbild, wie Seele und Koͤr -76 per zuſammen; ſie wirkten an - und gegen einander; Eins wurde durch das andre gehoben und belebet. In Italien und Frankreich (England kenne ich nicht) iſt dies auf den beſten Buͤhnen auch alſo: daher der Theatergeſchmack in dieſen Laͤn - dern ſolang 'umherirrte, bis er einen Punkt der Vereinigung mit ſei - nem Publikum fand, und ſich entwe - der durch muſikaliſches oder durch drama - tiſches Spiel in eine Mitte des Gebens und Nehmens, des gegenſeitigen Genuſſes und Belehrens ſetzte. Ich zweifle, ob dies in Deutſchland, wenige Charaktere und Scenen ausgenommen, je der Fall ge - weſen. Daß man es wenigſtens auf die Vereinigung und gegenſeitige Ausbildung des Geſchmacks der Buͤhne und des Pu - blicums ſehr ſpaͤt und aͤußerſt ſelten an - geleget hat, iſt aus der Geſchichte des77 Deutſchen Theaters klar. Außer den alten Myſterien, Kloſteragenden oder Marionet - ten kam die Buͤhne als Hoffeierlich - keit nach Deutſchland; das Volk ward hinzugelaſſen, ſich an dieſen praͤchtig geklei - deten Hof - und Staatsrevolutionen, die hinter den Lichtern vorgingen, als Poͤbel zu erbauen. An manchen Orten Deutſch - lands hat die Buͤhne dieſe Hoftheater - Geſtalt und Verwaltung beibehalten, und ſtehet alſo ganz außer dem Gebiete der Kunſt, weil ſie zum Hof-Etiquet - te gehoͤret. In andern Provinzen ziehen Banden umher, (wie man die Schau - ſpieler mit dem alten deutſchen Helden - namen zuweilen noch jetzt nennet;) ſie ge - hen, wie es die Deutſchen von jeher gern thaten, aus Bande in Bande, und neh - men Dienſte, nachdem ſie bezahlt und ge - dungen werden; waͤre es nicht unvernuͤnf -78 tig und grauſam, von ihnen ein Ideal der Kunſt, ein correſpondirendes Publi - cum zu fordern? Einzelne Dichter und Schauſpieler haben ſich, ich moͤchte ſagen uͤber das Moͤgliche, hinaufgeſchwungen; ſie konnten aber keine neue Welt um und vor ſich ſchaffen; dieſe muͤſſen auffuͤhren, was jene geben, wie ſie es mit andern auffuͤhren koͤnnen, und wie am Ende ihr Publicum gebietet. Da ich hier keine Kritik des Theaters ſchreibe, ſo be - merke ich nur Eins, daß bei uns, wie mich duͤnkt, durchs Theater das Publicum gebildet werden muͤſſe, nicht aber durchs Publicum das Theater. Fuͤrs Theater haben wir noch kein richtendes Publicum, eben weil die theatraliſche Kunſt im Sin - ne der Griechen die Kunſt der Kuͤnſte iſt, von der ſelbſt nicht jeder Dichter, noch weniger jeder Liebhaber, am wenigſten end -79 lich der ſich beluſtigende Poͤbel Begriff hat. Schmeichelt man deſſen Gaum, und beluſtiget ſich an ſeinem Beifall; ſo iſt man am Rande; man verdirbt und ver - derbet. Welche Raͤume aber haben wir noch auszumeſſen, ehe nicht an ein gebil - detes Publicum, ſondern nur an die Bil - dung dieſes Publicum nach deutſcher Sit - te und Lage zu gedenken iſt! Und doch giebt es auſſer einem mit Sinn und Wohlgefallen belebten Schauſpiel kein Schauſpiel; es wird ein Haus voll Puppen oder wir ſind in ſchlechter Ge - ſellſchaft.

Soll eine Nation keine Einbildungs - kraft haben: ſo wolle man dieſe auch nicht wecken; ſie ſchlummere. Wecket man ſie, ſo bilde man ſie auch aus; man laſſe nur Stuͤcke, die fuͤr ſie ſind, und dieſe auf eine Weiſe auffuͤhren, daß man vom boͤ -80 ſen Geſchmack des Publicums nicht ab - hange, ſondern dieſen Geſchmack ausrotte, oder ihn zum Guten lenke. In Athen ent - ſtand das Theater zu Aeſchylus Zeit aus dem hohen Gefuͤhl der Freiheit und des Sieges uͤber den großen Koͤnig; dies Gefuͤhl ſtimmte die Seele zum Anblick an - drer großen Begebenheiten, die tragiſch vorgeſtellt wurden. In Frankreich und England iſt das Theater, (die Modifica - tionen der Zeit abgerechnet,) auf aͤhnliche Weiſe entſtanden: denn wenn man von großen Begebenheiten ſeiner Zeit hoͤrt oder lieſet, ſo will man dieſe auch, durch Kunſt bearbeitet, und von ihr vorgeſtellt, ſehen. Das Publicum der Welt wird ſodann von ſelbſt ein Publicum des Theaters. Gleicher - geſtalt fodert die Komoͤdie, die Charaktere und Sitten vorſtellt, eine anſchauende Kenntniß der Nation, eine leichte Exſi -ſtenz,81ſtenz, eine ſich ſelbſt beſtimmende morali - ſche Freiheit. Der duͤrftige Knechtesſinn iſt eine mephitiſche Luft, in der jede Flam - me erſtickt wird.

Die Philoſophie der Griechen hatte eigentlich kein Publicum, wie die Kuͤnſte; ihrer Natur nach hatte ſie deſſen auch nicht noͤthig.

Die aͤlteſten Weiſen der Griechen wa - ren Geſetzgeber; und wohl dem Volk, deſ - ſen Geſetzgeber Weiſe ſind. Sokrates er - ſchien in einer bedraͤngten Zeit: ſein Pu - blicum waren Privatgeſellſchaften oder einzelne Perſonen; ſeine Metho - de war auf die Entwickelung der Grund - ſaͤtze des Wahren, Guten und Schoͤnen in dieſen einzelnen Perſonen berech - net. Und dieſes duͤnkt mich ſei der Zweck der wahren Philoſophie, Selbſtbildung. Fuͤnfte Samml. (F)82Der Lehrer kann und will dabei nur eine Hebamme unſrer Gedanken, ein Mithel - fer unſrer eignen, arbeitenden Kraͤfte wer - den. Sokrates hatte ſeinen eignen Ge - nius, der nachher nicht oft, aber doch hie und da z. B. in Montaigne, Addi - ſon, Franklin u. a. wieder erſchienen iſt, und die eigne Bearbeitung des menſchlichen Geiſtes und Willens zum Zweck hatte. Von der Stimme des Publicums haͤngt dieſe nicht ab; vielmehr wird ſie oft durch ſolche behindert, daher Socrates mit den Sophiſten, die das[Pub - licum] ſtimmten und mißſtimmten, faſt im - mer im Streit lag.

Die Sokratiſche Philoſophie gedieh zu mehreren Schulen; in dieſen gabs exote - riſche und eſoteriſche Zuhoͤrer aber - mals ein Unterſchied, den die Natur der Sache billigt. Ein großes, unausgeſon -83 dertes Publicum, das Metaphyſik ſpricht und uͤber Metaphyſik entſcheidet, iſt ein Ungeheuer; und wenn man von einer Na - tion ſagen koͤnnte, ſie habe nie fuͤr etwas als fuͤr Metaphyſik Enthuſiasmus gezei - get, ſo ſagte man dieſer Nation nicht viel Gutes nach. Xenophon und Plato behandeln die Philoſophie ſehr vernuͤnftig; allenthalben locken ſie ſolche als eine Bluͤ - the des menſchlichen Geiſtes und menſchli - cher Geſchaͤfte hervor. Der Denker Ari - ſtoteles ſchrieb fuͤr kein anderes Publi - cum, als fuͤr ſeine Schule; daher die gan - ze Form ſeiner Schriften. Epikur und Zeno gingen mit veraͤnderten Grundſaͤz - zen auf gleichem Wege; jedem ihrer Schuͤ - ler blieb es frei, die Metaphyſik ihrer Secte an Stelle und Ort zu laſſen, da - gegen aber die wahre, die praktiſche Phi - loſophie fuͤr Leben und Publicum deſto(F) 284kraͤftiger anzuwenden. Dies iſt der wah - re Sokratismus.

Wenn eine Philoſophiſche Schule als ſolche aufs Publicum wirken wollte, und auch hie und da maͤchtig gewirkt hat, wars der Pythagoraͤismus; wir wiſ - ſen aber, wie es ihm erging. Und was damals in kleinen zubereiteten Kreiſen nicht geſchah, wenn wird es erfolgen? Ein philoſophiſches Publicum iſt ein hoͤch - ſtes Bild, zu welchem man ſtreben kann, das man aber ja nirgend ganz und realiſirt zu erblicken glaube.

Wo alſo die Griechen ſtanden, ſtehen wir in Anſehung des Publicums mehr und minder mit der Philoſophie noch jetzt; jeder, der es ſeyn kann und werden will, muß ſich ſelbſt zum Philoſophen bilden. Der Lehrer haͤlt ihm die Wahrheit vor, damit er ſich ſolche[autonomiſch] zueig -85 ne: denn Weisheit laͤßt ſich ſo wenig, als Tugend und Genie von andern lernen.

Die Schulen der Philoſophie indeſſen, blos als Handleiterinnen betrachtet, mit welcher erſtaunlichen Macht koͤnnen ſie aufs Publicum wirken! Ein Lehrer der Phi - loſophie, wie er ſeyn ſoll, hat ein Reich uͤber menſchliche Seelen, in welchem er maͤchtiger als ein Koͤnig gebietet. Er pflanzt Grundſaͤtze, er giebt Ideen, er ſtellt Ideale feſt, die nachher auf tauſend Gedanken und Handlungen ſeiner Zuhoͤ - rer, ja aller derer, auf welche ſie wirken, erkannten und unerkannten Einfluß ha - ben. Unſaͤgliche Wirkungen z. B. hat die Stoiſche Philoſophie, der Epikureismus, Platonismus, Pythagoraͤismus in der Reihe der Dinge hervorgebracht und wird ſie hervorbringen, wenn auch unter neuen Namen, mit andern Modificationen und86 Formen. Solange es Vernunft und Wil - len im Menſchen giebt: ſo lange wird es ein verborgenes, ſtilles Publicum fuͤr Philoſophie geben; nur erwarte man dieſes nie ſichtbar auf einem Markt, oder in einer Schule.

Faſſen wir, was geſagt iſt, zuſammen: (denn vom politiſchen Publicum der Grie - chen wollen wir nicht reden,) ſo ergiebt ſich, daß in Anſehung der Sprache, der Kunſt und des Geſchmacks gegen die Grie - chen, wie wir ſie jetzt nehmen, wir ei - gentlich noch gar kein Publicum haben und gehabt haben. Mit Wohlgefallen ha - ben wir uns eine Cultur andichten laſſen, von der ganze Staͤnde und Provinzen durchaus nichts wiſſen; und ſchlummern auf dieſem ertraͤumten Ruhme. Ich fuͤrch - te und hoffe, daß uns die Zeit aus die - ſem Schlummer wecken werde. Unſere87 Nation kennet ſich ſchwerlich, bald iſt es Religions - bald politiſche Parthei, bald die unuͤberſteigliche Grenze eines Standes und Staͤndchens, was die Stimme, ja ſogar nur den Gedanken an ein theilneh - mendes Publicum, ſelbſt in Sachen des Geſchmacks und der Bildung, geſchweige des allgemeinen Intereſſe, theilet und auf - haͤlt. Welche Werke der Wiſſenſchaft, des Fleißes, der Vertheidigung Deutſchlands oder irgend eines allgemeinen Nutzens ſind zu Stande gekommen, zu denen der Bei - tritt eines anſehnlichern und reicheren Pu - blicums aus mehreren oder allen Provin - zen noͤthig war? Die reichern Staͤnde ſind dabei jederzeit am untheilnehmendſten ge - blieben; und jene alten Einrichtungen, die eigentlich doch fuͤr Wiſſenſchaften und Cul - tur der Nation beſtimmt ſind, Domka - pitel und Stifte, waren ſamt dem gan -88 zen Theile der Nation, der die Franzoͤſi - ſche Cultur liebte, fuͤr Deutſche Wiſſen - ſchaften gewoͤhnlich ganz todt; daher wir denn, Trotz alles Privatfleißes, Trotz man - cher kuͤhner Unternehmungen voll guten Zutrauens, das dafuͤr buͤßen mußte, an Dingen dieſer Art unſern Nachbarn, Brit - ten und Franzoſen, ja ſelbſt Daͤnen und Schweden weit nachſtehn. Die Deutſche Litteratur, eine ruͤſtige Arbeiterin und Die - nerin des Wiſſens, erſcheint in einem Bettlermantel von Maculatur; ſie richtete ſelten etwas mehr aus, als wohin Pri - vatfleiß, einzelnes Genie reichet. Die un - ſchaͤtzbaren Sammlungen der Kunſt, die in vorigen Jahrhunderten ein voruͤberge - gangner Hofgeſchmack zuſammengebracht hat, ſtehen oft unter harten Geſetzen der Clauſur, als Heiligenbilder da, anſchau - bar, nicht immer brauchbar, noch weni -89 ger weckend, am wenigſten begeiſternd. Ueber den Werth unſrer beſten Productio - nen haben ſich die Stimmen unſres Pu - blicums nach Jahren und Jahrhunder - ten noch ſo wenig vereiniget, daß wenn nicht Auslaͤnder den Ton angegeben und mit Gewalt feſtgeſetzt haͤtten, ſelbſt uͤber Leibnitz Verdienſt Deutſchland noch in der groͤßeſten Unſicherheit waͤre. Indeſſen geht der Weg der ſtillen Bildung fort. Was uns nicht genommen werden konnte, iſt Deutſche Sprache, Deutſcher Verſtand und guter Wille; dieſe werden, wenn und ſobald ſie es vermoͤ - gen, einmal ein deutſches Publicum bil - den. Die Vernunft geht auch ihres Weges fort und iſt in allen Zeiten und Erdraͤumen nur Eine. Der Geſchmack endlich iſt eine Nationalpflanze; wo ſie nicht gepflegt wird, oder des Bodens und Kli -90 ma wegen nicht anders als in ſchlechten Treibhaͤuſern aufkommen kann, da gehet ſie durch Unfreundlichkeit des Himmels unter. Have!

3. Publicum der Roͤmer.

Von dieſem werde ich nur wenig ſagen duͤrfen. Was in ihm Kunſt und Geſchmack war, ſtammte von den Griechen her, die meiſtens auch ſeine Mithelfer blieben. Als Ueberwinderin ſammlete Rom; ſie erfand aber nichts Neues. Auch die Sprache der Roͤmer bildete ſich nur durch die Griechen zu einer reinen und ewigen Sprache.

Das Publicum alſo, das fuͤr die claſ - ſiſche Denkart in Rom bluͤhete, war ein erbeutetes, kuͤnſtliches Publicum; die Einrichtung der Stadt ſelbſt war von ei - ner Art, daß vielleicht keine Reichsſtadt ſie ſich auf daurende Zeiten wuͤnſchen moͤch -91 te. Weder das Volk, noch der Senat verdienen, auſſer der Ruͤckſicht, daß ſie Herren der Welt werden wollten, und waren, abſolute Hochachtung; einen Po - pulus Romanus, der mit roͤmiſcher An - maaſſung fuͤr ſeine Stimme Brot und Cir - cenſiſche Spiele begehret, wuͤnſchten wir uns auch nicht. Eben ſo wenig Clienten und Candidaten nach Roͤmiſcher Weiſe. Alſo das Forum und den Senat an ſeine Orte geſtellt, blieb denen Roͤmern, die ein daurendes Publicum ſuchten, nichts als was auch Wir haben, der Beifall und die Stimme der erleſenſten edlen Roͤmer. Dieſe hoͤrten ihren Vor - trag oder kauften ihre Rolle; ſie billigten und mißbilligten, wie es ihnen gutduͤnkte. Daß aber in den beſſern Stellen ihrer Ge - dichte Lucrez und Catull, Horaz und Virgil, Ovid, Tibull, Properz u.92 a. ſo claſſiſch-ausgearbeitet, vollendet und ſchoͤn ſchrieben, zeigt, daß ſie ſich feinere Vorbilder, ſchaͤrfere Leſer und ein hoͤheres Publicum dachten, als viele unſrer Dich - ter und Schriftſteller zu denken gewohnt ſind. Ihre eigne Bildung, und die Hoͤ - he, auf welcher Rom ſtand, trug dazu bei. Der Geſchichtſchreiber Roms ſchrieb die Geſchichte der Weltmonarchin; ihre Dichter ſangen in der Roͤmiſchen Sprache; in dieſer ſtellten ihre Rechtsverſtaͤndigen Urtheile aus, als die Stimme ihrer groſ - ſen Redner dahin war; mit dem Allen koͤnnen wir uns nicht gleichen. Wenn aber unſre Sprache eine Schweſter der Griechiſchen iſt, da die Roͤmiſche nur die angenommene Tochter derſelben war: ſo haͤtten wir, ſobald wir uns zur Roͤmiſchen Denkart erheben koͤnnten, eine weitere Laufbahn vor uns als Jene. Ueberwinder93 der Welt wollen wir nicht werden; was aber in uns Roͤmiſchen oder (wenn dieſer einſt groͤßere Name noch einen Werth hat,) Deutſchen Charakter enthaͤlt, warum ſoll - ten wir das einer Sprache nicht geben koͤnnen, die einſt in viel roherem Zuſtan - de auch eine Herrinn der Welt war? Dichter und Geſchichtſchreiber, Rechtslehrer und Geſetzgeber, warum wurdet ihr zu ſolcher Zeit nicht auch wie Jene fuͤr ein fortdaurendes Publicum Herren der Erde?

4. Publicum des Chriſtenthums.

Als der Urheber des Chriſtenthums ſei - ne Stimme erhob, verbreitete er mit der - ſelben ein Publicum uͤber die Voͤl - ker. Er kuͤndigte ein ankommendes Reich an, zu dem alle Nationen gehoͤren, und das nicht in aͤuſſerlichen Cerimonien, ſon - dern in Uebungen des Geiſtes, in Voll -94 kommenheiten des Gemuͤths, in Reinheit des Herzens, in Beobachtung der ſtreng - ſten Billigkeit und einer verzeihenden Lie - be unter den Menſchen bluͤhe. Dahin zie - len ſeine Reden, dazu ruͤſtete er andre aus, und das Gebet, das er ſeine Schuͤ - ler lehrte, iſt daruͤber ein bittendes Be - kenntniß. Es ſoll ein Reich zu uns kom - men, in dem alles Ehrwuͤrdige geehrt, jede heilige Pflicht gethan, und der Wille Gottes auf Erden ſo willig und vollkom - men vollbracht werde, wie ihn die ſeligen Geiſter ausuͤben. Seine Stimme, die Stimme ſeiner Boten in Lehren und Schrif - ten erklang; es entſtand eine Gemeine, ein chriſtliches Publicum unter mehreren Nationen, das ſich zu dieſer Lehre, Pflicht und Hoffnung bekannte.

Haben wir noch dies Publicum? Al - lerdings; die kleinſte chriſtliche Verſamm -95 lung iſt ein Symbol der Einen allgemei - nen Kirche, die unter hundert Voͤlkern der Erde lebet. Dieſe war und iſt hie und da mit Misbraͤuchen bedeckt, mit Mißverſtaͤndniſſen umnebelt; der reine kla - re Sinn der Stiftung dieſer Geiſtesver - ſammlung, ihr auf alle Zeiten und zum Gebaͤude der geſammten Menſchheit wir - kender Zweck bleibt aber unverkennbar. Nicht in der Prachtgeſtalt eines druͤckenden ſtolzen Geſetzes; in der aufmunternden, ſanften Geſtalt einer troͤſtenden Friedens - botſchaft wirkt dies moraliſche Inſti - tut auch zu den ſtrengſten Pflichten. Wo zwei oder drei verſammlet ſind, lebt der Stifter dieſer Verſammlung; im Inhalt ſeiner Lehre ſelbſt liegt ihr Zweck, die Auferbauung eines moraliſchen Gebaͤudes, bis zum Ende der Zei - ten.

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Es iſt traurig, wenn dieſer Zweck, auf ein ſeiner Natur nach fortgehen - des ewiges Publicum zu wirken, hie und da verkannt wird, indem man entweder Particular-Meinungen, ſogar Speculationen ins Chriſtenthum miſchte, die dazu durchaus nicht gehoͤren, oder den todten Buchſtaben todtbuchſtaͤblich behan - delt. Jedem Denkenden bleibe ſeine Pri - vatmeinung uͤber Dies und Jenes; jeder ſpeculative Kopf ſchmuͤcke ſein Lehrgebaͤu - de mit ſeiner beſten Speculation aus; nur die Chriſtenheit, als Publicum be - trachtet, bleibe damit verſchonet. Die Lehre und der Zweck des Stifters ſei oder werde ein reiner Strom, der, was ihm von National - und Particularmeinungen, wie ein truͤber Bodenſatz anhing, mehr und mehr niederſchlaͤgt und abſetzt. So thaten es ſchon die erſten Boten des Chri -ſten -97ſtenthums mit ihren Juͤdiſchen Vorurthei - len, je mehr ſie in die Idee eines chriſtli - chen Publicums, eines Evangeliums fuͤr alle Voͤlker eintraten; und es kann nicht fehlen, daß dieſe Laͤuterung des Chriſten - thums durch ſanfte oder rauhe Mittel nicht mit den Jahrhunderten fortgehen ſollte. Es iſt ſehr lehrreich, die Folge zu bemerken, mit der ſich in der ſoge - nannten Kirchengeſchichte die harte Huͤlſe des Chriſtenthums gebildet, hie und da aufgeloͤſet und jedesmal einen reicheren Kern, einen feineren Samen der Fort - pflanzung gewaͤhrt hat; ſo wird das Werk, mit oder ohne Namen des Urhebers, fort - gehen bis ans Ende der Zeiten. Manche Formen ſind zerbrochen, andre werden ſich aufloͤſen; nicht durch aͤuſſere Gewalt, ſondern durch den innern treibenden Keim ſelbſt, den die Sonne ruft, dem die gan -Fuͤnfte Samml. (G)98ze Natur ihre Staͤrke zuhauchet. Gluͤck - lich, wenn man in ein Publicum tritt, an welches dieſe Stimme in reinem Klange toͤnet. Sie umfaßt alle Staͤnde, dringt durch alle Gewoͤlbe und trift den weſentlichen Punct der Menſchheit. Ueber augenblickliche, enge Verhaͤltniſſe, ſelbſt uͤber die Schranken der Faſſungskraft die - ſer einzelnen Verſammlung hinweggeruͤckt, ahnet man ein fortgehendes erleſenes Pu - blicum und athmet die Aura einer rein - moraliſchen Zukunft.

5. Publicum der Literatur.

Das Chriſtenthum hatte ein Band un - ter Voͤlkern geknuͤpft, wie es durch die Eroberungen Alexanders, der Roͤmer und Hunnen nie geknuͤpft worden; ſeinem Zweck nach ein Friedenſtiftendes Band, ſo oft es auch zu Streit und Haͤndeln Gele -99 genheit gab oder gemißbraucht wurde. In den Haͤnden der Vorſehung ward es zugleich ein Band der Cultur, einer ge - meinſchaftlichen Cultur der Voͤl - ker. Wechſelſeitige Rechte und Pflichten kamen dadurch zwar nicht in bleibenden Gebrauch, doch aber in ein anerkanntes Licht, in eine immer neu angefangene Ue - bung. Die Voͤlker Europens wurden ſich nicht nur bekannter, ſondern auch durch gegenſeitige Beduͤrfniſſe, bei gemeinſamen Zwecken und Beſtrebungen einander un - entbehrlich; ihre Tendenz ward immer mehr und mehr auf einen Punkt gerichtet. Erfindungen kamen hiezu, die bei die - ſen gemeinſchaftlichen Beduͤrfniſſen Ein Volk vom andern borgte, worinn Eins dem andern vorzueilen ſuchte; es entſtand in ihrer Vervollkommnung ein Wett - eifer unter den Nationen. Nun konnten(G) 2100nicht ſo leicht mehr Gedanken, Verſuche, Entdeckungen, Uebungen untergehen, wie in Zeitraͤumen der einſt von einander ge - trennten Voͤlker; das Samenkorn, das hier und jetzt keine Wurzel fand, trug ein guͤnſtiger Zephyr auf einen mildern Bo - den, wo es vielleicht unter neuem Namen gedeihete. Im Druck der Zeiten und des Klima ſchloſſen ſich Zuͤnfte zuſammen, die mit gemeinſamer, oft etwas roher Hand, dem Fleiß, der Thaͤtigkeit, allmaͤ - lich auch der Erfindung und dem Geiſt der Menſchen Schutz und Dauer verſchaff - ten, die alſo, wiewohl ſie durch Privat - leidenſchaften und druͤckende Verhaͤltniſſe das Werk der Vorſehung oft zu hindern ſchienen, zuletzt daſſelbe doch foͤrdern muß - ten. Durch alles Reiben der Voͤlker, der Geſellſchaften, Zuͤnfte und Glieder unter einander erwuchs immer ein groͤſſeres101 oder feineres Publicum, das in Streit und Friede, in Liebe und Leid an - einander Theil nahm. Auf dieſem Wege bekam die rohe Kunſt, der vom Beduͤrfniß erpreſſete Fleiß der Einwohner Europens nicht nur dieſen ganzen Welttheil, ſondern durch ihn auch alle Welttheile zum gemein - ſchaftlichen Boden. Was fuͤr den Krieg und Handel, fuͤr die Seefahrt und den Luxus erfunden und ausgeuͤbt ward, ver - breitete ſeine guten und ſchaͤdlichen Wir - kungen auf alle Welttheile unſrer bewohn - ten Menſchenerde; alle Voͤlker Europa's greifen hiebei in einander und halten un - ſern Erdball fuͤr das Publicum, worauf ſie zu wirken haben.

Von fruͤhen Zeiten her ſind Schulen und Univerſitaͤten ein Mittel geweſen, fuͤr Kenntniſſe und Wiſſenſchaften ein Pu - blicum zu verbreiten; ja ſie ſind es noch. 102Selbſt die Scharfſinnigen in mehreren geiſt - lichen Orden fluͤchteten ſich hinter ihre Schutzmauern, und breiteten von da aus ihre Meinungen weit umher. Was man nicht lehren durfte, daruͤber diſputirte man nach akademiſchen Geſetzen, und uͤbte die Denkkraft der Menſchen. Wiclef und Luther ſchuͤtzte die Univerſitaͤt; und auch Huß haͤtte ſie geſchuͤtzt, wenn er ſich nicht auf das treuloſe Wort eines Kaiſers ver - laſſen haͤtte. Mehr noch aber als Schutz gab die Univerſitaͤt den Meinungen ihrer Lehrer; auch Gewicht, Staͤrke, Ausbrei - tung. Tauſende junger Leute aus ver - ſchiedenen Laͤndern, in Jahren, da die Seele alles mit Liebe erfaßt, da Juͤnglin - ge den Lehrer nicht ohne Begeiſterung an - ſehen, hoͤrten ihre Stimme, und trugen ihr Wort, jeder in ſein Vaterland, zu ſei - nem Geſchaͤfte. Jahre nach Jahren wech -103 ſeln dieſe Zoͤglinge der Univerſitaͤten; als Schaaren von Zugvoͤgeln kommen ſie, rau - ben das Wort des Lehrers und fliegen da - mit in ihre Lande. Ein großes Ach - tungswuͤrdiges Publicum! das bildſamſte, Wirkungsreichſte, deſſen die Menſchheit in ihrem jetzigen Zuſtande faͤhig iſt, und welches noch lange, in immer verbeſſerter Geſtalt, dauren moͤ - ge. Die Jahre des Juͤnglinges auf der Akademie ſind ihm Zeitlebens die lieb - ſten Jahre; was er da mit Luſt zur Wiſſenſchaft, im erſten Feuer der Be - geiſterung, noch unbekannt mit Laſten und Hinderungen des Lebens, oder mit jugendlichem Muth dieſe verachtend, als Beute des Wiſſens, als Regel der Ue - bung annahm, das bleibt ihm lang 'oder immer ein froh erworbener Schatz, eine heilige Regel.

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Haben wir noch dies Publicum der Schulen und Univerſitaͤten? Wir habens noch, und es hat ſich (was man auch ſagen moͤge) nicht verſchlimmert, ſon - dern verbeſſert. Seltner treten jetzt die rohen Heere erwachſener Streiter auf die - ſes Feld des Wiſſens und Lernens; zartere Juͤnglinge ſind es, in denen das Wort des Lehrers auch zartere, deßhalb aber nicht unkraͤftigere Wurzeln ſchlaͤgt. Wenn ſie es nicht mit der Klinge behaupten, ſo hangen ſie ihm deſto gewiſſenhafter an; der Lehrer ſprach fuͤr ſie ſelbſt jugendlicher und weckte ihr eignes Nachdenken, ihre mit ihm wirkende Kraͤfte. Einſt lernte man und behauptete; Er cultivirt und beſſert. Statt des ehemaligen Sekten - und Raufgeiſtes nehmen mehrere Univer - ſitaͤten eine feinere Tendenz an, Geſell - ſchaften der Wiſſenſchaft, pytha -105 goriſche Schulen zu werden, in denen ſich die erleſenſten Juͤnglinge nicht zum Wiſſen der Dictaten, ſondern zur Wiſſen - ſchaft, zur Uebung und Kunſt ihres Le - bens oder Geſchaͤfts bilden. Ein ſchoͤnes Publicum, wenn der Lehrer den Werth ſeines Geſchaͤfts fuͤhlet. Glaube niemand, daß mit Wiclef, Huß, Luther dieſe große Wirkung der Univerſitaͤten voruͤber ſei; die Reformation auf ihnen in jeder Wiſſenſchaft, Facultaͤt und Lehre iſt noch nicht ſtillgeſtanden; ja ſie wird und kann nicht ſtillſtehen, ſo lange Univerſitaͤten da ſind. Mehrere Lehrer Einer Facultaͤt, mehrere Facultaͤten, mehrere Univerſitaͤten gegen einander ſind gemeiniglich in Wett - ſtreit; dieſer Wettſtreit muß mit den Jah - ren nicht abnehmen, ſondern wachſen. Je mehr die Handwerkshinderniſſe geſchwaͤcht werden (dies muͤſſen ſie nothwendig) je106 mehr das Werk der Akademien ein Werk des Geiſtes und einer freien Uebung wird, deſto mehr entzuͤndet ſich der Wetteifer mit reinerer Flamme. Univerſitaͤten ſind Wacht - und Leuchtthuͤrme der Wiſ - ſenſchaft; ſie ſpaͤhen aus, was in der Ferne und Fremde vorgeht, foͤrdern es weiter, und leuchten andern ſelbſt vor. Univerſitaͤten ſind Sammlungs - und Vereinigungsplaͤtze der Wiſſen - ſchaft; aus ihrer Zuſammenſtellung und gegenſeitigen Befehdung oder Befreundung entſpringen dort und dann neue Reſultate. Univerſitaͤten endlich ſollten die letzten Freiſtaͤten und eine Schutzwehr der Wiſſenſchaften ſeyn, wenn ſolche nirgend eine Freiſtatt faͤnden. Was al - lenthalben verkannt wuͤrde, was im Ge - ſchaͤft hie und da ſeine Stimme wehrlos erhuͤbe, ſollte hier einer unpartheiiſchen107 Aufmerkſamkeit und eines Beiſtandes ge - nieſſen, der von keinem Einfluß geſtoͤrt wuͤrde. Irre ich nicht, ſo iſt dies mehr - mals geſchehen; die Rathſchlaͤge der Leh - rer haben Verfolgungen aufgehalten, die die Rathſchlaͤge der Staatsweiſen nicht unterdruͤcken mochten; und ſo ſehe ich auch fuͤr die Zukunft Rathſchlaͤge der Lehrer auf Univerſitaͤten hervorgehen, denen die Rath - ſchlaͤge bloͤder Weiſen kaum beſtehen moͤ - gen. Bis alſo die Univerſitaͤten ſich ſelbſt unnoth machen, unterſtuͤtze man ihren Werth; ihr Publicum wird noch lange durch ein Beſſeres nicht erſetzt werden. Zunaͤchſt gilt dieſes von den Univerſitaͤten Deutſchlands; faſt ſind ſie die einzige Gat - tung Deutſcher Inſtitute, die jedes Ausland mit Recht ehret.

Ein noch groͤßeres Publicum hat uns die Buchdruckerei verſchaffet; es iſt108 ſehr gemiſcht und faſt unuͤberſehlich. Wel - che Muͤhe koſtete es in aͤltern Zeiten, Buͤ - cher zu haben, mehrere zu vergleichen und uͤber einen Inbegriff von Wiſſenſchaft zu urtheilen! Jetzt uͤberſchwemmen ſie uns; eine Fluth Buͤcher und Schriften, aus al - len fuͤr alle Nationen geſchrieben. Ihre Blaͤtter rauſchen ſo ſtark und leiſe um un - ſer Ohr, daß manches zarte Gehoͤr ſchon jugendlich uͤbertaͤubt wurde. In Buͤchern ſpricht Alles zu Allem; niemand weiß zu Wem? Oft wiſſen wir auch nicht, Wer ſpreche? denn die Anonymie iſt die groſ - ſe Goͤttinn des Marktes. Von einem ſol - chen Publicum wußte weder Rom, noch Griechenland; Guttenberg und ſeine Gehuͤlfen haben es fuͤr die ganze Welt geſtiftet.

Was iſt daruͤber zu ſagen? Dies, daß es, ohngeachtet aller und der ſchnoͤdeſten109 Misbraͤuche, ein großes Geſchenk, ein un - widerrufliches Privilegium fuͤr die menſch - liche Geſellſchaft, und ein ungeheures Mit - tel der Vorſehung ſei, deſſen Wirkungen und Folgen noch nicht vor unſerm Auge liegen. Was geſchehen iſt, koͤnnen wir nicht zuruͤcknehmen; die Buchdruckerei iſt da; nicht nur als Nahrungszweig fuͤr Han - del und Arbeit, ſondern als eine Tuba der Sprache, ſo weit dies oder jenes Product reichet. Alle Monarchen der Welt, wenn ſie mit vereinten Kraͤften fuͤr jede Druckerſtube traͤten, koͤnnten die ar - me Familie dieſes Letternkaſtens, das Aſyl und den Telegraph menſchlicher Gedanken nicht zerſtoͤren. Ja wer wollte es zerſtoͤ - ren, da es, nebſt einigem Boͤſem, ſo un - ſaͤglich viel Gutes geſtiftet hat, und ſei - ner unſchuldigen aber kraͤftigen Natur nach nothwendig noch ſtiften wird. Der110 Redner uͤbertaͤubt mich; der Schriftſteller ſpricht leiſe und ſanft; ich kann ihn be - daͤchtig leſen. Der Redner blendet mich mit ſeiner Geſtalt, mit ſeinem Gefolg und Anſehn; der Schriftſteller ſpricht unſicht - bar, und es iſt meine Schuld, wenn ich mich von ſeinem Wortprunk hintergehen, oder mir von ſeinem Geſchwaͤtz die Zeit rauben laſſe; ich ſoll ihn pruͤfen, ich darf ihn wegwerfen. Gegenſeits iſt auch frei - lich das Irrſal und die Verfuͤhrung des Redners voruͤbergehend und in einem Krei - ſe beſchloſſen; das Gift und Irrſal des Schriftſtellers, ſeine Ehre und Schande dauret. Er ſelbſt kann ſie nicht, als et - wa durch Beſſerung, durch Widerruf zu - ruͤckrufen; und auch dadurch wird, was geſchehen iſt, nicht ungeſchehen. Wer weiß, ob dies Blatt des Widerrufs oder der Widerlegung in die vorige Hand kommt,111 oder ob es dem Irrthum gleich wirket? Das Publicum der Schriftſteller iſt alſo von eigner Art; unſichtbar und allgegenwaͤrtig, oft taub, oft ſtumm, und nach Jahren, nach Jahrhunderten viel - leicht ſehr laut und regſam. Verloren und doch unverloren, ja unverlierbar iſt, was man in ſeinen Schoos ſchuͤttet. Man kann nie mit ihm abrechnen; ſein Buch iſt nie geſchloſſen, der Proceß vor und mit ihm wird nie beendet; es lernt immer, und kommt nie zum letzten Reſultat.

Man hat dieſem Ewig-Unmuͤndigen Vormuͤnder ſetzen wollen, die Cenſoren; aber, wie die Erfahrung gezeigt hat, mit fruchtloſer Muͤhe und meiſtens mit dem widrigſten Erfolg. Der Unmuͤndige koſtet am liebſten, was man ihm verſagte; er ſuchet auf, was man ihm hinterhalten wollte; das Verbot eines Vortrages an112 dies Publicum iſt gerade das Mittel, ſelbſt einem unnuͤtzen Wort Anſehen, Ge - wicht und Aufmerkſamkeit zu geben. Und welcher beſcheidne Mann wird ein Vor - mund des geſammten Menſchenverſtandes, des Publicums aller Zeiten und Laͤnder zu ſeyn wagen? Laß jeden Wei - ſen und Thoren ſchreiben nach ſeiner Wei - ſe, wenn er in zweifelhaften Faͤl - len nur ſich nennet, und niemand perſoͤnlich beleidiget.

Es ſei mir erlaubt, mich hieruͤber zu erklaͤren. Der weiſeſte Cenſor, wenn er auch die Stimme eines ganzen, ja des aufgeklaͤrteſten Staates vorſtellt, kann in Dem, was Lehre und Meinung betrifft, ſchwerlich die Stimme des Publicums, der ſich ein Schriftſteller freiwillig unter - wirſt, auf - oder uͤberwiegen wollen. Wenn ſein Urtheil auch die Weisheit Sa -lomo's113lomo's waͤre, wenn es die Klugheit aller vergangenen Jahrhunderte enthielte, und dem gepruͤften Verſtande einer großen Zu - kunft voreilte: ſo fehlt ihm doch Eins, die Legitimation hiezu: denn weder die Vor - noch Nachwelt hat ihn daruͤber beurkundet. Der Schriftſteller wird alſo gegen ihn immer die Einrede haben, daß er dem Urtheil der Welt vorgreife, daß er ſich unbefugt eine Entſcheidung anmaaſſe, die nur dem Publicum im weiteſten Sinne des Worts gebuͤhret; er wird von dieſem Papſt eines kleinen Staates an das all - gemeine Concilium appeliren, das allein und zwar nur in immer fortge - henden Stimmen ein Richter des Wah - ren und Falſchen ſeyn koͤnne. Wahr - ſcheinlich werden ihm viele Stimmen bei - treten; und bei dem groͤßeſten Recht wird der Cenſor, der Form nach und um derFuͤnfte Samml. (H)114Folgen willen, Unrecht behalten. Ich darf nicht wiederholen, was man, wo es Wahrheit gilt, uͤber Freiheit der Meinun - gen, die nur widerlegt, nicht aber unter - druͤckt werden duͤrfen, ſo oft und viel ge - ſagt hat.

Wenn man alſo dem Publicum keine, auch nicht die tolleſten Meinungen rauben darf, indem der Staat, wo ſie ihm falſch oder gefaͤhrlich ſcheinen, lieber ihre offne Widerlegung veranlaſſen mag, da - mit zum Vortheil der Welt die Finſterniß vom Lichte beſiegt werde: ſo darf bei die - ſer ungebundnen Freiheit, bei der Ach - tung, die der Staat ſelbſt dem Publicum erweiſet, da er ihm nichts vorenthaͤlt, was irgend ein Schriftſteller ihm darbringt, der Staat wohl auch fodern, daß jeder Schriftſteller ſich nenne, der dem Publicum etwas darzubringen115 gutfindet. Und zwar dies in allen Schriften, uͤber jeden Gegenſtand: Recen - ſionen fremder Buͤcher nicht ausgenom - men. Denn wie haͤtte ich ein Recht, Anonymie zu verlangen, wo ich mich vors Publicum draͤnge, und zu ihm meine Stimme erhebe? Einen freiwilligen Lehrer der Welt und Nachwelt muß man kennen; er muß ſich, wenn ihm Pflicht, Recht und Wahrheit lieb iſt, nicht verbergen. Ein Mann, der oͤffentlich ſpricht, ſtehet fuͤr ſein Wort; ſonſt nennet man ihn einen Feigen oder Luͤgner. Mit dieſem einzi - gen leichten, wie mich duͤnkt nicht unge - rechten Mittel, wie mancher Keckheit, wie mancher Verlaͤumdung wuͤrde vorgebeugt, die jetzt blos hinter der Anonymie Schutz ſucht. Wie vorſichtiger, uͤberdachter und gehoͤriger wuͤrde man zum Publicum ſpre - chen, wenn man wuͤßte, daß man nicht(H) 2116ohne eigne Ehre oder Schande zu ihm ſprechen koͤnnte! Und verdient das Publi - cum, der ehrwuͤrdigſte Name, der genannt werden kann, die Geſellſchaft aller Guten und Edlen, nicht dieſe Ach - tung? Jeder Schriftſteller wuͤrde veran - laßt, in der wuͤrdigſten Geſtalt vor ihm zu erſcheinen, ſeine Stimme vor dieſem großen Tribunal beſcheiden hoͤren zu laſ - ſen, dagegen aber auch, was er weiſe be - hauptet, ſtandhaft zu vertheidigen, ein ehrlicher Bekenner zu ſeyn der von ihm dem Publicum gemeldeten Wahr - heit. Jene Winkeltraͤgereien, aufgefan - gene Geruͤchte, erſtohlne Perſonalitaͤten verloͤren ſich von ſelbſt; kein Ehrliebender wollte mit ſolcher Waare oͤffentlich am Markt ſtehn, die ſchaͤndlich iſt und fuͤrs Publicum nicht gehoͤret. In Griechenland und Rom ſchaͤmte ſich kein Schriftſteller117 ſeiner Werke; auch unter uns darf ſich kein Stand einer Schrift, wenn ſie gut iſt, ſchaͤmen; dem hoͤchſten, wie dem nie - drigſten Stande ſollte Anonymie nicht er - laubt ſeyn, und uͤberhaupt dieſelbe fuͤr das was ſie iſt, fuͤr Hinterliſt, Schimpf, niedriges Gewerbe und Feigheit gelten. Wer zum Publicum ſpricht, ſpreche als ein Theil des Publi - cums, alſo oͤffentlich, mit ſeinem Namen.

Noch ein viel Mehrers waͤre uͤber das Verhaͤltniß des Schriftſtellers zum Publi - cum zu reden. Jede Gattung der Scri - benten ſchreibt fuͤr ihre Gattung Leſer, die ſie ihr Publicum, ihre Welt nennen. Aus froͤlichen oder traurigen Erfahrun - gen, welche Schriften am meiſten gele - ſen werden, kann man alſo auf den Ge - ſchmack, auf das Maas der Bildung des Publicums ſchlieſſen, dem dieſe Schrif -118 ten vor andern oder ausſchlieſſend wohl - thun. Die mittelmaͤßigen, die leichten, uͤppigen, luͤſternen finden natuͤrlich die mei - ſten Leſer; viele geruͤhmte Schriftſteller ha - ben nur durch Zeugniſſe anderer ihren Ruhm erlangt, und ſtehn auf guten Glauben, ungeleſen, in den Bibliothe - ken. Das Publicum hallet nur ihre Na - men wieder. Deßhalb aber wird kein gu - ter Kopf, wenn er es nicht des Bauchs wegen thun muß, ſich unwuͤrdig, (wie man ſagt,) zum Publicum herabſtim - men, oder ſeinem luͤſternen, falſchen Ge - ſchmack froͤhnen. Der Schriftſteller ſoll das Publicum, nicht dies den Schriftſteller bilden. Delila ſchnitt Simſon das Haar ab, und uͤbergab ihn Kraftlos den Phili - ſtern; ſie verſpotteten ihn und er mußte vor ihnen ſpielen.

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Nicht die Blaͤtter des Baums; die Keime, Bluͤthen und Fruͤchte ſind ſein edelſtes Erzeugniß. Nicht das zahlreichſte, ſondern das verſtaͤndigſte Publicum iſt mit ſeinem Beifall die Ehre des Schriftſtellers, ſein Zweck und Lohn. Das Urtheil die - ſer vielleicht wenigen Leſer dauert fort und wirkt weiter. Oft findet ein Schriftſteller dieſe Leſer nur nach ſeinem Tode; Minos und Aeakus ſinds, die unpartheiiſch uͤber ihn richten. Dem Homer ſchaffte Ly - kurg und die Piſiſtratiden ein groͤße - res, ein Attiſches Publicum; dem Mil - ton Addiſon, Garrik dem Shake - ſpear u. f. Nichts iſt angenehmer, als einem verdienten Todten Gerechtigkeit zu erweiſen, und uͤber ſeinem Grabe die Stimme eines beſſeren dankbaren Publi - cums zu werden. So hat Rouſſeau nach ſeinem Tode die Ehre mit Wucher120 genoſſen, die Voltaire bei ſeinen Lebzei - ten ſich zuzueignen wußte; und ſo giebts bei allen Nationen andre Autoren, die beruͤhmt ſind, andre die es zu ſeyn ver - dienen.

An Liebe und Achtung gegen ſeine be - ſten Schriftſteller, (wenige ausgenommen) ſtehet Deutſchland ſeinen cultivirten Nach - barn, Franzoſen, Englaͤndern, Italienern nicht vor, ſondern nach; der groͤßere Theil des Publicums kennet ſie nicht und traͤgt wenigſtens ſie nicht eben in Herz und Seele.

Haben wir alſo hierin (ich will nicht ſagen, das Publicum der Alten, ſondern nur) das Publicum der Franzoſen, Englaͤn - der, Italiener? Wer dieſe Laͤnder kennet, und Deutſchland kennet, antworte. An den Schriftſtellern liegt es ſchwerlich; ſie thaten was ſie konnten; manche vielleicht121 zu viel. An Charakter und an der Ver - faſſung der Nation liegt es; an der Un - kultur und Unkultivirbarkeit (wenn mir zu Bezeichniß eines Barbarismus ein bar - bariſches Wort erlaubt iſt) am falſchen Geſchmack und der genetiſchen Rohheit mancher Staͤnde und Lebensarten. Bei weitem iſt unſre Sprache noch nicht ſo gebildet, jedem Vortrage, jeder Art des Wiſſenswuͤrdigen ſo zugebildet, als die Sprachen unſrer Nachbarn; vielmehr ha - ben wir mit einer benachbarten Nation zu kaͤmpfen, daß ihre Sprache die unſere nicht ganz vertilge. Erwache alſo, du ſchlafender Gott, wenn du nicht etwa dichteſt oder uͤber Feld gegangen biſt; er - wache, Deutſches Publicum, und laß Dir dein Palladium nicht rauben. Aus dem traͤgen Schlummer, aus dem niedrigen Stolz, der das Beſte wegwerfend verach -122 tet, aus der Anmaaſſung, die dem Schlechtſten das Privilegium des Beſten ertheilen zu koͤnnen glaubt, aus der nie Theilnehmenden Kaͤlte, aus der voͤlligen Seelenentfremdung, glaube mir, wird nichts, und kann nichts werden. Die Zeit, da das Alles galt, iſt voruͤber. Un - ſanft aus dem Schlafe geruͤttelt, erwache und zeige, daß du kein Barbar biſt, da - mit man dir nicht als einem Barbaren begegne. Deine Sprache, die Schweſter der Griechiſchen, die Koͤniginn und Mut - ter vieler Voͤlker, fuͤr ganz Europa haſt du zu ſichern, auszubilden, zu be - wahren.

Sollten wir aber blos in Reden und Schriften, in Lehren und Hoͤren ein Pu - blicum haben? keins fuͤr unſre Handlun - gen? keins fuͤr unſer ganzes Daſeyn? Kein Publicum, das auf uns wirkte, wor -123 auf wir durch unſer Beiſpiel, durch unſer Vorbild ſchweigend wirken? Zweifle daran niemand, ja auch daran niemand: daß dieſe ſtille Wirkung in einem kleinen Krei - ſe von maͤchtiger Wirkung ſei. Sie iſt reell; in ihr iſt nichts Schein und Schmin - ke. Der Kreis, in dem du lebeſt und dein Geſchaͤft treibeſt, iſt dein Publicum; ſei dies klein oder groß, du praͤgſt in daſ - ſelbe das Bild deiner Exſiſtenz, deiner Denk - und Handlungsweiſe. Hiemit wirkſt du unvermerkt oder bemerket auf die Deinen, die nach deinem Muſter oder mit Einfluͤſſen von dir fortwirken, auf dei - ne Mitarbeiter, Untergebene oder Vorge - ſetzte. Leiſe oder ſtuͤrmiſch verbreiten ſich alſo Wellen und Wogen mit und ohne deinen Namen auf deine Zeitgenoſſen und die Nachwelt fort. So haben zu allen Zeiten die wuͤrdigſten Maͤnner auf ihr124 Publicum gewirket; ſie ſprachen mit der ſtarken Stimme ihres thaͤtigen Beiſpiels, und dachten nicht daran, daß im groͤßeren Publicum ihr Name genannt wuͤrde. Das ſchaͤrfſte und edelſte Publicum waren ſie ſich ſelbſt, der Aufmunterer, Zeuge und Richter ihrer Handlungen, ein Geſetz, das in ihnen lebte. Wohl uns, wenn wir uns dies Publicum ſind; wir haben ſodann die laute, oft ſehr unſichre und unreine Stimme der groͤßeren Welt nicht noͤthig.

II. Haben wir noch das Vaterland der Alten?

Griechen und Roͤmern war das Wort Vaterland ein Ehrwuͤrdig-ſuͤßer Name. Wem ſind nicht Stellen aus ihren Dich - tern und Rednern bekannt, in denen Soͤh - ne des Vaterlandes ihm als einer Mut -125 ter kindliche Liebe und Dankbarkeit, Lob - preiſungen, Wuͤnſche und Seufzer wei - hen? Der Entfernete ſehnet ſich darnach zuruͤck, hoffnungsvoll oder klagend ſchauet er zur Gegend deſſelben hin, empfaͤngt die Luͤfte, die daher wehen, als Boten ſeiner Geliebten. Wiedergegeben dem Vaterlan - de, umfaͤngt er es, und kuͤſſet ſeinen Bo - den mit Thraͤnen. Der in der Entfer - nung Sterbende vermacht ihm noch ſeine Aſche; auch nur ein leeres Grabmahl des Andenkens wuͤnſchet er ſich bei den Sei - nen. Fuͤrs Vaterland zu leben hieß ihnen der hoͤchſte Ruhm; fuͤrs Vaterland zu ſter - ben der ſuͤßeſte Tod. Wer mit Rath und That dem Vaterlande aufhalf, wer es ret - tete und mit Kraͤnzen des Ruhms ſchmuͤck - te, erwarb ſich einen Sitz unter den Goͤt - tern; Himmels - und Erden-Unſterblich - keit war ihm gewiß. Dagegen wer das126 Vaterland beleidigte, es durch ſeine Tha - ten entehrte, wer es verrieth oder bekrieg - te; in den Buſen ſeiner Mutter hatte der das Schwert geſtoßen, er war ein Vater - ein Kinder - ein Freundes - und Bruder - moͤrder. Cariorem decet eſſe patriam no - bis quam nosmet ipſos. Dulce et deco - rum eſt, pro patria mori. u. f. Haben auch wir dies Vaterland der Alten? Und welches ſind die geliebten Bande, die uns daran feſſeln?

Der Boden des Landes, auf dem wir gebohren ſind, kann fuͤr ſich allein dies Zauberband ſchwerlich knuͤpfen; vielmehr waͤre es die haͤrteſte aller Laſten, wenn der Menſch, als Baum, als Pflanze, als Vieh betrachtet, eigen und ewig, mit Seele, Leib und allen Kraͤften dem Bo - den zugehoͤren muͤßte, auf welchem er die Welt ſah. Harte Geſetze gnug hat127 es uͤber dergleichen Erbeigenthuͤm - lichkeit, Eigengehoͤrigkeit u. f. ge - geben, und giebt es noch; der ganze Gang der Vernunft, der Cultur, ja ſelbſt der Induſtrie, und der Nutzberechnung gehet dahin, dieſe gebohrne Sklaven eines Mut - terleibes oder der Mutter-Erde mit ſanf - tern Banden an ein Vaterland zu knuͤp - fen, und ſie von der harten Scholle, die ſie im Leben mit ihrem Schweiß, im To - de mit ihrer Aſche duͤngen ſollen, allmaͤ - lich zu entfeſſeln.

Als noch Nomadenvoͤlker in der Welt umherzogen, wuͤſte Plaͤtze Zeitenlang inne - hatten, und in dieſen ihre Vaͤter begru - ben: da gab der Boden des Landes, den dieſe Voͤlker beſaßen oder beſeſſen hatten, Anlaß zum Namen eines Landes der Vaͤter. An unſrer Vaͤter Graͤbern er - warten wir euch rief man den Feinden128 zu: auch ihre Aſche wollen wir ſchuͤtzen, und unſer Land ſichern. So iſt der hei - lige Name entſtanden, nicht als ob Men - ſchen aus dem Boden entſproſſen waͤren. Nur Kinder koͤnnen das Vaterland lieben, nicht Erdegebohrne Knechte oder wie Wild gefangene Sklaven.

Was uns im Vaterlande zuerſt er - quickt, iſt nicht die Erde, auf die wir ſin - ken, ſondern die Luft die wir athmen, die vaͤterlichen Haͤnde, die uns aufneh - men, die Mutterbruſt, die uns ſaͤuget, die Sonne, die wir ſehen, die Geſchwi - ſter, mit denen wir ſpielen, die freund - lichen Gemuͤther, die uns wohlthun. Un - ſer erſtes Vaterland iſt alſo das Vater - haus, eine Vaterflur, Familie. In dieſer kleinen Geſellſchaft leben die eigent - lichen und erſten Freuden des Vaterlan - des, wie in einem Idyllenkreiſe; in Idyl -len129len leibt und lebt das Land unſrer erſten[Jugend]. Sei der Boden, ſei das Klima, wie es wolle; die Seele ſehnt ſich dahin zuruͤck, und je weniger die kleine Geſell - ſchaft, in der wir erzogen wurden, ein Staat war, je weniger ſich Staͤnde und Menſchenclaſſen darinn trennten, um ſo weniger Hinderniſſe findet die Einbil - dungskraft, ſich in den Schoos dieſes Va - terlandes zuruͤckzuſehnen. Da hoͤrten und lernten wir ja die erſten Toͤne der Liebe; da ſchloſſen wir zuerſt den Bund der Freundſchaft, und empfanden die Keime zarter Neigung in beiden Geſchlechtern; wir ſahen die Sonne, den Mond, den Himmel, den Fruͤhling mit ſeinen Baͤu - men, Bluͤthen und damals uns ſo ſuͤße - ren Fruͤchten. Der Weltlauf ſpielte vor uns; wir ſahn die Jahreszeiten ſich waͤl - zen, kaͤmpften mit Gefahren, mit Leid undFünfte Samml. (I)130Freude wir ſommerten und winterten uns gleichſam in die Welt ein. Dieſe Ein - druͤcke, moraliſch und phyſiſch, bleiben der Einbildungskraft eingegraben; die zarte Rinde des Baums empfing ſie, und ohne gewaltſame Vertilgung werden ſie nur mit ihm ſterben. Wer hat nicht die Seufzer und Klagen geleſen, mit denen ſelbſt Groͤnlaͤnder ſich von ihrem Jugendlande entfernten, mit denen ſie aus der Cultur Europa's durch alle Gefahren dahin zu - ruͤckſtrebten? Wem toͤnen nicht noch die Seufzer der Afrikaner ins Ohr, die aus ihrem Vaterlande geraubt wurden? In einfachen kleinen Geſellſchaften leb - ten ſie da, in einem Idyllenlande der Jugend.

Die Staaten, oder vielmehr Staͤdte der Griechen, denen der Name des Va - terlandes ſo theuer und lieb war, ſchloſ -131 ſen ſich unmittelbar an dieſe kleinen Geſellſchaften an; die Geſetzgebung beguͤnſtigte dieſe, und leitete von ihnen urſpruͤnglich ihre ganze Energie her. Es war das Land der Vaͤter, das man beſchuͤtzte, es waren Jugendgenoſſen, Ge - ſchwiſter und Freunde, nach denen man ſich ſehnte; den Bund der Liebe, den Juͤnglinge ſchloſſen, billigte und nuͤtzte das Vaterland. Mit ſeinen Freunden wollte man begraben ſeyn, mit ihnen genießen, leben und ſterben. Und da die edlen Vor - fahren dieſer Staͤmme das Gemeinweſen, zu dem ſie gehoͤrten, unter dem Schutz der Goͤtter errichtet, mit ihrer Muͤhe und Arbeit bezeichnet, mit ihrem Blute beſie - gelt hatten: ſo ward den Nachkommen der Bund ſolcher Geſetze, als ein morali - ſches Vaterland heilig: denn hoͤher ſchaͤtzten die Griechen nichts, als das Ver -(I) 2132dienſt der buͤrgerlichen Einrichtung, dadurch ſie Griechen geworden, und uͤber alle Barbaren der Welt erhoͤhet waren. Die Goͤtter ihres Landes waren die ſchoͤnſten Goͤtter; ſeine Helden, Geſetzge - ber, Dichter und Weiſe waren in Einrich - tungen, Liedern, Denkmalen und Feſten unſterblich; hiemit prangten ihre oͤffentliche Plaͤtze und Tempel; der Sieg der Grie - chen uͤber die Perſer allein machte ihnen ihr Land, ihre Verfaſſung, ihre Cultur und Sprache zur Krone des Weltalls. Im Aether ſolcher Ideen ſchwammen die Griechen, wenn ſie den Namen des Va - terlandes oft edel gebrauchten, oft auch mißbrauchten. Mehrere Staͤdte theilten dieſen Ruhm, jede auf ihre Weiſe. Und was Rom ſich an ſeiner Weltbeherrſcherin, dem Sammelplatz alles Sieges und Ruhms dachte, davon zeigt die Roͤmiſche Geſchichte.

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In die Zeiten Griechenlands oder Roms ſich zuruͤckwuͤnſchen, waͤre thoͤricht; dieſe Jugend der Welt, ſo wie auch das eiſer - ne Alter der Zeiten unter Roms Herr - ſchaft iſt voruͤber; ſchwerlich duͤrften wir, wenn auch ein Tauſch moͤglich waͤre, in dem was wir eigentlich begehren, bei dem Tauſche gewinnen. Sparta's Vaterlands - eifer druͤckte nicht nur die Heloten, ſondern die Buͤrger ſelbſt und mit der Zeit andre Griechen. Athen fiel ſeinen Buͤrgern und Colonien oft hart; es wollte mit ſuͤßen Phantomen getaͤuſcht ſeyn. Die Roͤmiſche Vaterlandsliebe endlich ward nicht fuͤr Italien allein, ſondern fuͤr Rom ſelbſt und die geſammte Roͤmerwelt verderblich. Wir wollen alſo aufſuchen, was Wir am Vaterlande achten und lieben muͤſ - ſen, damit wir es wuͤrdig und rein lie - ben.

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I. Iſts, daß einſt Goͤtter vom Him - mel niederſtiegen, und unſern Vaͤtern dies Land anwieſen? Iſts, daß ſie uns eine Religion gegeben und unſre Verfaſſung ſelbſt eingerichtet haben? Ueberkam durch einen Wettkampf Minerva dieſe Stadt? Begeiſterte Egeria unſern Numa mit Traͤu - men? Eitler Ruhm: denn wir ſind nicht unſre Vaͤter. Sind auf Minerva's heiligem Boden der großen Goͤttinn wir unwerth, reimen ſich Numa's Traͤume nicht mehr mit unſern Zeiten: ſo ſteige Egeria wieder aus der Quelle, ſo laſſe Minerva zu neuen Begeiſterungen ſich vom Himmel hernieder.

Ohne Bilder zu reden, es iſt fuͤr ein Volk gut und ruͤhmlich, große Vorfah - ren, ein hohes Alter, beruͤhmte Goͤtter des Vaterlandes zu haben, ſo lange dieſe es zu edeln Thaten aufwecken, zu wuͤrdi -135 gen Geſinnungen begeiſtern, ſo lange die alte Zucht und Lehre dem Volke gerecht iſt. Wird ſie von dieſem ſelbſt verſpottet, hat ſie ſich uͤberlebet, oder wird gemißbraucht; was hilft dir, (ruft Horaz ſeinem Va - terlande zu,) ſtolzer Pontiſcher Maſt, was hilft dir deine vornehme Abkunft? was helfen dir die gemahlten Goͤtter an dei - nen Waͤnden? Ein muͤſſig-beſeſſener, von unſern Vorfahren traͤge-ererbter Ruhm macht uns bald eitel und unſrer Vorfahren unwerth. Wer ſich einbildet, von Hauſe aus tapfer, edel, bieder zu ſeyn, kann leicht vergeſſen, ſich als einen ſol - chen zu zeigen. Er verſaͤumt nach einem Kranze zu ringen, den er von ſeinen Ur - ahnen an ſchon zu beſitzen glaubet. In ſolchem Wahn von Vaterlands-Reli - gions-Geſchlechts-Ahnenſtolze ging Ju -136 daͤa, Griechenland, Rom, ja beinah jede alte maͤchtige oder heilige Staatsverfaſ - ſung unter. Nicht was das Vaterland einſt war, ſondern was es jetzt iſt, koͤn - nen wir an ihm achten und lieben.

2. Dies alſo kann, auſſer unſern Kin - dern, Verwandten und Freunden, nur ſeine Einrichtung, die gute Verfaſſung ſeyn, in welcher wir mit dem, was uns das Liebſte iſt, gern und am liebſten le - ben moͤgen. Phyſiſch preiſen wir die Lage eines Orts, der bei einer geſunden Luft unſerm Koͤrper und Gemuͤth wohlthut; moraliſch ſchaͤtzen wir uns in einem Staat gluͤcklich, in dem wir bei einer Geſetzmaͤ - ßigen Freiheit und Sicherheit vor uns ſelbſt nicht erroͤthen, unſre Muͤhe nicht verſchwenden, uns und die Unſrigen nicht verlaſſen ſehen, ſondern als wuͤrdige, thaͤ - tige Soͤhne des Vaterlandes jede unſrer137 Pflichten ausuͤben und ſolche vom Blicke der Mutter belohnt ſehen duͤrfen. Grie - chen und Roͤmer hatten Recht, daß uͤber das Verdienſt, einen ſolchen Bund geſtif - tet zu haben, oder ihn zu beveſtigen, zu erneuen, zu laͤutern, zu erhalten, kein andres menſchliches Verdienſt gehe. Fuͤr die gemeinſchaftliche Sache nicht der Un - ſern allein, ſondern der Nachkommenſchaft und des geſammten, ewigen Vaterlan - des der Menſchheit zu denken, zu arbei - ten und (großes Loos!) gluͤcklich zu wir - ken: was iſt hiegegen ein einzelnes Leben, ein Tagewerk weniger Minuten und Stun - den?

Jeder, der auf dem Schiff in den fluthenden Wellen des Meeres iſt, fuͤhlet ſich zum Beiſtande, zur Erhaltung und Rettung des Schiffs verbunden. Das Wort Vaterland hat das Schiff am138 Ufer flott gemacht; er kann, er darf nicht mehr, (es ſei denn, daß er ſich hinaus - ſtuͤrze und den wilden Wellen des Meers uͤberlaſſe) im Schiff, als waͤr 'er am Ufer, muͤſſig daſtehn und die Wellen zaͤhlen. Seine Pflicht ruft ihn, (denn alle ſeine Gefaͤhrten und Geliebten ſind mit ihm im Schiffe) daß, wenn ein Sturm ſich em - poͤrt, eine Gefahr droht, der Wind ſich aͤndert, oder ein Schiff hinanſchleudert, ſein Fahrzeug zu uͤberſegeln, ſeine Pflicht ruft ihn, daß Er helfe und rufe. Leiſe oder laut, nachdem ſein Stand iſt, dem Bootsknecht, Steuermann oder dem Schif - fer; ſeine Pflicht, die geſammte Wohl - fahrt des Schiffes ruft ihn. Er ſichert ſich nicht einzeln; er darf ſich nicht in den Kahn einer erleſenen Ufergeſellſchaft, der ihm hier nicht zu Gebot ſtehet, traͤumen; er legt Hand an das Werk, und wird139 wo nicht des Schiffes Retter, ſo doch ſein treuer Fahrgenoß und Waͤchter.

Woher kam es, daß manche einſt hoch verehrte Staͤnde allmaͤlich in Verachtung, in Schmach verſanken und noch verſin - ken? Weil keiner derſelben ſich der gemei - nen Sache annahm, weil jeder als ein be - guͤnſtigter Eigenthums - oder Ehrenſtand lebte; ſie ſchliefen im Ungewitter ruhig wie Jonas, und das Loos traf ſie wie Jonas. O daß die Menſchen bei ſehen - den Augen an keine Nemeſis glauben! An jeder verletzten oder vernachlaͤßigten Pflicht hangt nicht eben eine willkuͤhrliche, ſondern die nothwendige Strafe, die ſich von Geſchlecht zu Geſchlecht haͤufet. Iſt die Sache des Vaterlandes heilig und ewig; ſo buͤßet ſich ſeiner Natur nach je - des Verſaͤumniß derſelben, und haͤuft die Rache mit jedem verdorbneren Geſchaͤft140 oder Geſchlechte. Nicht zu gruͤbeln haſt du uͤber dein Vaterland: denn du wareſt nicht ſein Schoͤpfer; aber mithelfen mußt du ihm, wo und wie du kannſt, ermun - tern, retten, beſſern, und wenn du die Gans des Kapitoliums waͤreſt.

3. Sollte uns alſo nicht, eben im Sin - ne der Alten, die Stimme jedes Buͤrgers, geſetzt daß ſie auch gedruckt erſchiene, als eine Vaterlandsfreiheit, als ein heiliges Scherbengericht gelten? Der Arme konnte vielleicht nichts thun, als ſchreiben, ſonſt haͤtte er wahrſcheinlich etwas Beſſeres ge - than; wollet ihr dem Seufzenden ſeinen Athem, der ins wuͤſte Leere hinausgeht, rauben? Noch werther aber ſind dem Ver - ſtaͤndigen die Winke und Blicke Derer, die weiter ſehen. Sie muntern auf, wenn alles ſchlaͤft: ſie ſeufzen vielleicht, wenn Alles tanzet. Aber ſie ſeufzen nicht nur;141 in einfachern Gleichungen zeigen ſie, ver - moͤge einer unzweifelhaften Kunſt, hoͤhere Reſultate. Wollet ihr ſie zum Schweigen bringen, weil ihr blos nach der gemeinen Arithmetik rechnet? Sie ſchweigen leicht, und rechnen weiter; das Vaterland aber zaͤhlte auf dieſe ſtille Rechner. Ein Vor - ſchritt, den ſie gluͤcklich angaben, iſt mehr als zehentauſend Cerimonien und Lobſpruͤ - che werth.

Sollte unſer Vaterland dieſer Rechen - kunſt nicht beduͤrfen? Sey Deutſchland tapfer und ehrlich; tapfer und ehrlich ließ es ſich einſt nach Spanien und Afrika, nach Gallien und England, nach Italien, Sicilien, Creta, Griechenland, Palaͤſtina fuͤhren; unſre tapfren und ehrlichen Vor - fahren bluteten da, und ſind begra - ben. Tapfer und ehrlich lieſſen die Deut - ſchen innerhalb und auſſerhalb ihrem Va -142 terlande ſich, wie die Geſchichte zeigt, dingen gegen einander; der Freund ſtritt gegen den Freund, der Bruder gegen den Bruder; das Vaterland ward zerruͤttet und blieb verwaiſet. Sollte alſo auſſer der Tapfer - und Ehrlichkeit unſerm Vaterlan - de nicht noch etwas anders noth ſeyn? Licht, Aufklaͤrung, Gemeinſinn; edler Stolz, ſich nicht von andern einrichten zu laſſen, ſondern ſich ſelbſt einzurichten, wie andre Nationen es von jeher thaten; Deutſche zu ſeyn auf eignem wohlbe - ſchuͤtzten Grund 'und Boden.

4. Der Ruhm eines Vaterlandes kann zu unſrer Zeit ſchwerlich mehr jener wilde Eroberungsgeiſt ſeyn, der die Ge - ſchichte Roms und der Barbaren, ja man - cher ſtolzen Monarchieen wie ein boͤſer Daͤmon durchſtuͤrmte. Was waͤre es fuͤr eine Mutter, die (eine zweite aͤrgere Me -143 dea) ihre Kinder aufopferte, um fremde Kinder als Sklaven zu erbeuten, die ihren eignen Kindern uͤber kurtz oder lang zur Laſt werden? Ungluͤcklich waͤre das Kind des Va - terlandes, das, dahingegeben oder verkauft, ins Schwert laufen, verwuͤſten, morden muͤßte, um eine Eitelkeit zu befriedigen, die Niemanden Vortheil gebieret. Der Ruhm eines Vaterlandes kann zu unſrer Zeit und fuͤr die noch ſchaͤrfer richtende Nachwelt kein andrer ſeyn, als daß dieſe edle Mutter ihren Kindern Sicherheit, Thaͤtigkeit, An - laß zu jeder freien, wohlthaͤtigen Uebung, kurz die Erziehung verſchaffe, die ihr ſelbſt Schutz und Nutz, Wuͤrde und Ruhm iſt. Alle Voͤlker Europa's, (andre Welttheile nicht ausgeſchloſſen,) ſind jetzt im Wett - ſtreit, nicht der koͤrperlichen ſondern der Geiſtes - und Kunſtkraͤfte mit ein - ander. Wenn Eine oder zwei Nationen144 in weniger Zeit Vorſchritte thun, zu de - nen ſonſt Jahrhunderte gehoͤrten: ſo koͤn - nen, ſo duͤrfen andre Nationen ſich nicht Jahrhunderte zuruͤckſetzen wollen, ohne ſich ſelbſt dadurch empfindlich zu ſchaden. Sie muͤſſen mit jenen fort: in unſern Zeiten laͤßt ſichs nicht mehr Barbar ſeyn; man wird als Barbar hintergangen, untertre - ten, verachtet, mißhandelt. Die Weltepo - chen bilden eine ziehende Kette, der zuletzt kein einzelner Ring ſich widerſetzen mag, wenn er auch wollte.

Vaterlaͤndiſche Cultur gehoͤrt hiezu, und in dieſer auch Cultur der Sprache. Was ermunterte die Griechen zu ihren ruͤhmlichen und ſchwerſten Arbei - ten? Die Stimme der Pflicht und des Ruhmes. Wodurch duͤnkten ſie ſich vor - zuͤglicher, als alle Nationen der Erde? Durch ihre cultivirte Sprache und wasmit -145mittelſt derſelben unter ihnen gepflanzt war. Die imperatoriſche Sprache der Roͤmer gebot der Welt; eine Sprache des Geſetzes und der Thaten. Wodurch hat eine nachbarliche Nation ſeit mehr als ei - nem Jahrhunderte ſo viel Einfluß auf alle Voͤlker Europa's gewonnen? Nebſt andern Urſachen vorzuͤglich auch durch ihre im hoͤchſten Sinne des Worts gebildete Na - tionalſprache. Jeder der ſich an ih - ren Schriften ergoͤtzte, trat damit in ihr Reich ein und nahm Theil an ihnen. Sie bildeten und mißbildeten; ſie befahlen, ſie imponirten. Und die Sprache der Deut - ſchen, die unſre Vorfahren eine Stamm - Kern - und Heldenſprache nannten, ſollte wie eine Ueberwundene den Siegeswagen Andrer ziehn, und ſich dabei noch in ih - rem beſchwerlichen Reichs - und Hofſtyl bruͤſten? Wirf ihn weg, den druͤckendenFuͤnfte Samml. (K)146Schmuck, du wider deinen eigenen Wil - len eingezwaͤngte Matrone, und ſei, was du ſeyn kannſt und ehemals wareſt, eine Sprache der Vernunft, der Kraft und Wahrheit. Ihr Vaͤter des Vaterlandes, ehret ſie, ehret die Gaben, die ſie, unauf - gefordert und unbelohnt, und dennoch nicht unruͤhmlich darbrachte. Soll jede Kunſt und Thaͤtigkeit, durch welche man - cher dem Vaterlande gern zu Huͤlfe kom - men moͤchte, ſich erſt wie jener verlohrne Sohn auſſerhalb Landes vermiethen, und die Frucht ſeines Fleiſſes oder Geiſtes ei - ner fremden Hand anvertrauen, damit ihr ſolche von da aus zu empfangen die Ehre haben moͤget? Mich duͤnkt, ich ſehe eine Zeit kommen

Doch laſſet uns nicht prophezeien, ſon - dern hinter Allem nur bemerken, daß jedes Vaterland ſchon mit ſeinem ſuͤßen147 Namen eine moraliſche Tendenz ha - be. Von Vaͤtern ſtammet es her; es bringet uns mit dem Namen Vater, die Erinnerung an unſre Jugendzeiten und Jugendſpiele in den Sinn; es weckt das Andenken an alle Verdiente vor uns, an alle Wuͤrdige nach uns, denen Wir Vaͤter werden; es knuͤpft das Men - ſchengeſchlecht in eine Kette fortgehender Glieder, die gegen einander Bruͤder, Schweſtern, Verlobte, Freunde, Kinder, Eltern ſind. Sollten wir uns anders auf der Erde betrachten? Muͤßte ein Vater - land nothwendig gegen ein andres, ja ge - gen jedes andre Vaterland aufſtehn, das ja auch mit denſelben Banden ſeine Glie - der verknuͤpfet? hat die Erde nicht fuͤr uns alle Raum? liegt ein Land nicht ru - hig neben dem andern? Cabinette moͤgen einander betruͤgen; politiſche Maſchienen(K) 2148moͤgen gegen einander geruͤckt werden, bis Eine die andre zerſprengt. Nicht ſo ruͤcken Vaterlaͤnder gegen einander; ſie liegen ruhig neben einander, und ſte - hen ſich als Familien bei. Vaterlaͤn - der gegen Vaterlaͤnder im Blut - kampf iſt der aͤrgſte Barbarismus der menſchlichen Sprache.

58.[1]

58.

Leibnitz Weißagung iſt eine alte, be - waͤhrte Wahrheit*)Das Ende des 54ſten Briefes.. Eine Gemeinheit ohne Gemeingeiſt kranket und erſtirbt; ein Vaterland, ohne Einwohner die es lie - ben, wird zur Wuͤſte, und ein Haus, an Meeres Ufer, auf Sand gebauet, als ein Platzregen fiel und ein Gewaͤſ - ſer kam, und weheten die Winde und ſtießen an das Haus, da fiel es und thaͤt einen großen Fall, ſagt Chriſtus.

A2

Daß dieſe Gebrechlichkeit zu Leibnitz Zeiten nicht angefangen, ſondern ſich nur merklicher gemacht habe, bewaͤhrt die Deut - ſche, ja nach Verſchiedenheit der Voͤlker, Verfaſſungen und Laͤnder, alle Geſchichte. Leſen Sie, was Schmidt vom Zuſtande der Deutſchen Nation vorm Anfange des dreißigjaͤhrigen Krieges*)Schmidts neuere Geſchichte der Deutſchen B. 4. K. 9. u. ſagt, und mit Zeugniſſen beleget; nach dem Weſtphaͤli - ſchen Frieden ward die Sache gewiß nicht beſſer. In Sitten und Grundſaͤtzen, poli - tiſch und moraliſch, ging alles mehr und mehr nicht zu einer groͤßeren Conſiſtenz, ſondern zu einer Aufloͤſung hin, die auch von Moment zu Moment folgte. Daß aber durch dieſes ſchleichende Fieber eine neue Geſundheit, wenn gleich auf Ko -3 ſten leidender oder abgeſtorbener Glieder bereitet werde, dies iſt ein des großen Leibnitz wuͤrdiger Gedanke. Das menſch - liche Geſchlecht iſt ein Phoͤnix; auch in ſeinen Gliedern, ganzen Nationen, verjuͤn - get es ſich, und ſteht aus der Aſche wie - der auf.

Sehr uͤbel iſts, daß wir in der Ge - ſchichte die Meinungen und Grund - ſaͤtze der Voͤlker, die dort und dann herrſchten, ſo wenig bemerkt finden. Man ſieht Erfolge, oft ſpaͤte Erfolge, und muß die vielleicht laͤngſt im Verborgenen wirkende Triebfeder truͤglich errathen. Noch ſeltner werden in ihr dergleichen herrſchen - de Meinungen und Grundſaͤtze in ihrer Abſtammung und Fortpflanzung genealogiſch verfolgt; man ſieht ſie hie und da wie Stroͤme aus der Erde brechen und ſich, indeß ihr Lauf unter der ErdeA 24fortgeht, dem Auge verlieren. Am ſelten - ſten ſind Geſchichtſchreiber mit wirklich moraliſchem Blick uͤber Vorfaͤlle und Perſonen. So oft man von einem Aegyptiſchen Todtengericht uͤber vergangene Zeiten ſpricht, ſo ſelten uͤbt man es aus; weil vielen Beſchreibern die Biegſamkeit des Geiſtes, ſich in vergangene Zeiten zu ſetzen, andern die Waage des Urtheils, der moraliſche Sinn fehlet. Und feh - let dieſer, oder iſt er ſchief und verdorben: ſo wird die Geſchichte ſelbſt verderblich. Ihr Urheber ſiehet mit falſchem Blick, er waͤgt mit betruͤgeriſchen Gewichten.

Beiſpiele davon anzufuͤhren, erlaſſen Sie mir: uͤber Juden, Griechen und Roͤ - mer, uͤber Chriſten und Barbaren, uͤber unſre und fremde Nationen ſind derglei - chen in Menge vorhanden. Je taͤuſchen - der geſchrieben, deſto verderblicher; und o5 wer mag den unmoraliſchen und un - menſchlichen Stumpfſinn nennen, mit dem man Helden, Thaten, Begeben - heiten und Revolutionen unter Alten und Neuen ſo oft knechtiſch anſtaunte, Lob und Tadel wie ein gedungener Elender aus - theilte, und die unſchuldig-Verfolgten zu - weilen noch im Grabe verfolget. Eine Geſchichte der Meinungen, der praktiſchen Grundſaͤtze der Voͤlker wie ſie hie und da herrſchten, ſich vererb - ten und im Stillen die groͤßeſten Folgen erzeugten, dieſe Geſchichte mit hellem, moraliſchen Sinn, in gewiſſenhafter Pruͤfung der Thatſachen und Zeugen geſchrie - ben; waͤre eigentlich der Schluͤſſel zur Tha - tengeſchichte. Wegelin, ein denkender Geſchichtforſcher, hat dieſen Geſichtspunkt oft im Blick; weil er aber zu ſyſtematiſch denket, ſo verlieret er ſich auf der unge -6 heuren Bahn meiſtens in dunkeln zu all - gemeinen Maximen*)Wegelin iſt ſeitdem geſtorben. Er ruhe ſanft. Sein Geiſt hat viel gedacht, viel com - biniret. Ich wuͤnſchte nicht, daß ſeine hin - terlaſſenen Schriften untergingen; jeder ſei - ner Aufſaͤtze iſt eine Sammlung unverarbei - teter Gedanken, die wenigſtens immer eigne Gedanken veranlaſſen, oder verbeſſern und beſtaͤrken. Der große Koͤnig ſelbſt hat ſeine Schriften geleſen und geehrt. A. d. H..

Und doch haͤngt von dieſem ſcharfge - haltenen Augpunkt aller Nutzen der Ge - ſchichte ab; die Figuren des Gemaͤldes werden untreu, verworren und dunkel, wenn man ihnen dies Licht raubet. Wie viel z. B. iſt uͤber Machiavells Fuͤr - ſten geſagt worden, und doch zweifle ich, ob mit ausgemachtem Reſultate? indem einige dies Buch fuͤr eine Satyre, andre7 fuͤr ein verderbliches Lehrbuch, andre fuͤr ein wankendes, ſchwachkoͤpfiges Mittelding zwiſchen beiden halten. Und ein Schwach - kopf war wahrlich Machiavell nicht; er war ein Geſchicht - und Welterfahrner, da - bei ein redlicher Mann, ein feiner Beo - bachter, und ein warmer Freund ſeines Vaterlandes. Daß er den Werth und die Form von mancherlei Staaten gekannt ha - be, davon zeugen ſeine Dekaden uͤber den Livius, und daß er kein Verraͤther der Menſchheit werden wollte, beweiſet jede Zeile ſeiner andern Schriften, ſo wie bis zum Alter hinan ſein gefuͤhrtes Leben. Woher nun das Mißverſtaͤndniß dieſer Schrift eines Schriftſtellers, der ſo be - ſtimmt, rein und ſchoͤn zu ſchreiben wußte? Woher, daß dies Mißverſtaͤndniß ſich zwei Jahrhunderte erhalten, und den feinſten Koͤpfen mitgetheilt hat, ſo daß ihm ſelbſt8 der große Verfaſſer des Anti-Machia - vells nicht entkommen mochte? Und doch ging das Buch zwei und ſiebenzig Jahre umher, gebilligt und geleſen; niemand fand darinn Arges. Machiavell hatte es einem Fuͤrſten aus einem von ihm geliebten Hauſe, dem Neffen eines Papſtes zugeſchrie - ben, der ihn hochhielt, dem er damit ge - wiß keine Schande machen wollte. Mich duͤnkt, das ganze Mißverſtaͤndniß ruͤhre da - her, daß man den Punkt nicht bemerkt, auf welchem damals das Verhaͤlt - niß der Politik und Moral ſtand.

Beide hatten ſich ſichtbar und voͤllig ge - trennet. Die Zeiten Alexanders 6 und Caͤſar Borgia waren zwar voruͤber; aber auch Julius und Leo, Frank - reich und Spanien, Florenz und die kleinen Tyrannen von Italien, ja jenſeit der Alpen wollte Niemand als Regent9 und Politiker Moraliſt ſeyn. Man lachte die Tramontaner aus, die ins Regierungs - weſen ſo enge Begriffe brachten: denn von Erlangung oder Erhaltung der Macht, und von den Mitteln dazu, inſonderheit von Ver - ſchmitztheit und Klugheit ſei, glaubte man, hier die Rede; nicht aber von Guͤte und Weisheit. Die Religion, von der Moral ganz abgeſondert, war ſelbſt Politik, de - ren Hauptgeſetz uͤberhaupt die Staats - raiſon, (la ragione del ſtato) deren Haupt - maxime es war: Die Dinge, jedes zu ſei - ner Zeit, im Punkt ſeiner Reife nutzen zu koͤnnen; (conocer las coſas en ſa piato, en ſa ſazon, y ſaber las lograr.) Eine ſolche Politik brachte Karl 5 nach Deutſchland; daher er auch die Reformation nie anders anzuſehen vermochte; eine ſolche uͤbten Koͤ - nige, Fuͤrſten, Staatsminiſter. In allen politiſchen Schriften war ſie anerkannt;10 faſt jede Stadt Italiens war Jahrhunderte lang ihr Schauplatz geweſen, und war es noch. Hier ſchrieb Machiavell ſeinen Pren - cipe, ganz in den Begriffen ſeiner Zeit, ganz nach Vorfaͤllen, die damals jedermann in Andenken waren. Aus dieſen hatte er eben ſeine politiſchen Saͤtze abgezogen; und belegte jeden derſelben mit Beiſpielen began - gener Fehler. Wenn dies Euer Handwerk iſt, ſagt er gleichſam, ſo lernt es recht, damit Ihr nicht ſo unſelige Pfuſcher bleibet, als ich Euch zeige, daß Ihr ſeyd und wa - ret. Ihr habt keinen Begrif, als von Macht und Anſehn; wohl, ſo braucht wenigſtens die Klugheit, die Euch zur ſichern Macht, und Italien endlich einmal zur Ruhe leitet. Ich habe Euch Euer Werk nicht angewieſen; treibt Ihrs aber, ſo treibet es recht. Daß dies die Hal - tung der Gedanken in Machiavells gan -11 zem Buche ſey, wird jeder Unpartheiiſche fuͤhlen.

Damit wird es nun weder Satyre, noch ein moraliſches Lehrbuch, noch ein Mittelding beider; es iſt ein rein poli - tiſches Meiſterwerk fuͤr Italieni - ſche Fuͤrſten damaliger Zeit, in ih - rem Geſchmack, nach ihren Grund - ſaͤtzen, zu dem Zwecke geſchrieben, den Machiavell im letzten Capitel an - giebt, Italien von den Barbaren, (gewiß auch von den ungeſchickten Lehrlin - gen der Fuͤrſtenkunſt, den unruhigen Pla - gegeiſtern Italiens) zu befreien. Dies thut er ohne Liebe und Haß, ohne Anprei - ſung und Tadel. Wie er die ganze Ge - ſchichte als eine Erzaͤhlung von Natur - begebenheiten der Menſchheit an - ſah: ſo ſchildert er hier auch den Fuͤrſten als ein Geſchoͤpf ſeiner Gattung,12 nach den Neigungen, Trieben, und dem geſammten Habitus, der ihm beiwohnet. Nicht anders hatte er in ſeinen Dekaden jede andre Regierungsform beaͤuget; nicht anders hatte er ſeine ſechs Buͤcher von der Kriegskunſt, ſeinen goldnen Eſel, den Belphagor aus der Hoͤlle, der auf Erden ein Weib nahm, ſeine Clitia und Mandragola geſchrieben; er ließ jedes Ding in ſeiner Art ſeyn, was es war oder ſeyn wollte. Waͤren Sie hiemit noch nicht befriedigt, ſo ſoll meinen redlichen Staats - ſecretair ein Heiliger rechtfertigen, der das, was Jener mit einer feinen Reis - feder entwirft, mit einem Kirchenpinſel ausmalet. Alſo ſpricht der H. Thomas von Aquino: Doch ich mag meinen Text mit den barbariſch-kraͤftigen Worten des Kirchenvaters nicht entweihen. Leſen Sie ſolche in Naudé Conſiderations poli -13 tiques ſur les coups d'état, gleich im erſten Kapitel. Ich wollte, daß dieſe kleine Schrift des Naudé, die nach ſeiner Gewohnheit voll Gelehrſamkeit iſt, uͤberſetzt und mit dem zu ihr gehoͤrigen hiſtoriſchen Commen - tar, den eine ſpaͤtere Ausgabe ſchon be - ſitzt, begleitet erſchiene. Ohne ſarkaſtiſche Anmerkungen, mit dem ruhigen Blick, mit welchem Machiavell den Livius oder Barbeirac die Moral der Kirchen - vaͤter anſah, muͤßten auch Naudés Be - trachtungen uͤber die Staatsſtrei - che beaͤugt werden. Man blickte damit in welchen dunkeln Abgrund der Zeiten!

Fuͤnfte Samml. B14

59.

Nun aͤnderten ſich aber viele Dinge jen - ſeit und dieſſeit der Alpen. Die Refor - mation entſtand; ſie entlarvte den Unfug der kirchlichen Politik ſo ſchrecklich, daß immer auch einige, obgleich wenige Stra - len auf die Staatspolitik fallen mußten. Jeſuiten entſtanden, die ein feineres Ge - webe zu ſpinnen, und die Cabinette ſchlauer zu regieren wußten. Karl 5. machte in Italien Ordnung; es kryſtalliſirten ſich die kleineren Staaten, und nur den groͤße - ren, einer Katharina von Medicis, Heinrich 8., Karl 5., Philipp 2. ſtand es frei, in der alten großen Machia -15 velliſchen Manier zu verfahren. Da end - lich ſtand ein Jeſuit auf, klagte das Buch an, und es wurde verdammt, 72 Jahr nach ſeiner Erſcheinung. Machiavells Syſtem ward verdammt, weil es von den Staaten zu grob, von den Jeſuiten jetzt feiner ausgeuͤbt ward: man wollte den al - ten Meiſter nicht mehr anerkennen, der dieſe Grundſaͤtze zu klar exponirt hatte und war uͤberzeugt, der Juͤnger ſei jetzt uͤber den Meiſter. Nicht ohne; dieſe Politik aber ſtuͤrzte ſowohl den Juͤnger, als den Meiſter, und o waͤre ſie fuͤr unſer Menſchengeſchlecht endlich begraben! Was iſt ein Prencipe Machiavells ſeiner Natur und Gattung nach? Der koͤnigliche Juͤngling, der einen Anti-Machiavell ſchrieb, haͤtte einen Anti-Prencipe ſchreiben ſollen, wie er ihn auch nachher, (außer vielleicht in Faͤllen der dringenden Noth oder der Convention) fuͤrB 216Welt und Nachwelt ruͤhmlich gezeigt hat. Vivre et mourir en Roi, war ſein großes Wort der Pflicht und Ehre.

Zu deinem Grabe wallfahrtete ich einſt, mein Anti-Machiavell, Hugo Gro - tius. Du ſchriebſt kein Recht des Krieges und Friedens: denn du wareſt kein Prinz; du ſchriebſt vom Rechte des Krieges und Friedens. Und zwar ſammleteſt du dazu nur Collectaneen; nicht aus Ita - lien und deiner Zeit allein, ſondern vorzuͤg - lich aus den guten Alten, aus den Geſetzen der Vernunft und Billigkeit, aus der Reli - gion ſelbſt; woraus denn allmaͤlig ein Recht der Voͤlker erwuchs, wie man in den barbariſchen Zeiten es nicht hatte erkennen moͤgen. Laß dich das Ungemach nicht gereuen, heilige Seele, das du deiner guten Grundſaͤtze und Bemuͤhungen wegen hier erduldeteſt. Religionen haſt du nicht17 vereinigen koͤnnen, wie du es wollteſt; aber Grundſaͤtze der Menſchen haſt du vereiniget, und auch Voͤlker werden ſich einſt zu ihnen verbinden.

Bei Guſtav Adolph fand man, als er in einem Ausritt meuchelmoͤrderiſch ge - fallen war, Grotius Buch im Zelte auf ſeinem Tiſch aufgeſchlagen; die edelſten Maͤnner in Schweden, Frankreich, Holland, Deutſchland liebten und ehreten ihn; die ganze Europaͤiſche Nachwelt iſt ſeine Ver - buͤndete und Verbundne worden. Was ſeitdem uͤber Recht der Voͤlker, uͤber Natur - und Vernunftrecht geſchrie - ben worden, gehet auf Grotius Bahn.

Nach ſo ungeheuren Fortſchritten der Zeit konnte man freilich auch mit Inſti - tution der Prinzen nicht auf Machia - vells Wege bleiben. Er ſelbſt waͤre bei veraͤnderten Zeitumſtaͤnden nicht darauf ge -18 blieben; und o haͤtten wir von Machia - vell das Bild eines Fuͤrſten fuͤr unſre Tage! Außer den Jeſuiten, die eine Politica de Dios noch lange trieben, ſtanden andere Prinzenlehrer, la Motte le Vayer, Nicole, Boßuet, Fenelon auf; wie ihre Grundſaͤtze befolgt ſind, zeigt die Ge - ſchichte. Nach den ſtuͤrmiſchen Zeiten, in denen Languet, Milton, Hobbes ſchrieben, gaben Algernon Sidnei, Locke, Shaftesburi, Leibnitz mildere Grundſaͤtze an, bis in unſern Tagen Rou - ßeau's Contrat ſocial Wirkungen erregt hat, an die ſein Verfaſſer ſchwerlich dachte. Wie gern kehrt man aus dem Tumult die - ſer Zeiten zu den friedlichen Geiſtern Gro - tius, Locke, Leibnitz zuruͤck!

Heil den Predigern der Menſchen - rechte, ſagt ein neuerer Lehrer des Staats - rechts; aber verſaͤumen ſie ja nicht, vorher19 Menſchenpflichten zu lehren. Um jene in ihrem ganzen heiligen Umfange einzufuͤh - ren, muͤſſen wir erſt eine Majoritaͤt von Menſchen haben, die faͤhig ſind, dieſe in ih - rem ganzen Umfange auszuuͤben. Ich lege Ihnen das kleine Buch bei*)Schloͤzers allgemeines Staatsrecht. Goͤt - tingen 1793., aus dem dieſe Stelle genommen iſt; Sie werden in ihm noch weit mehrere dieſer Art finden. Sein Verfaſſer verſpricht uns noch drei Baͤndchen dieſer Art; wir wollen ihn bei ſei - nem Wort halten.

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60.

Auch Leibnitz unter den Propheten? *)Beziehet ſich auf das Ende des 54ſten Briefes.Was es mit den gewoͤhnlichen politiſchen Prophezeiungen fuͤr eine Bewandſchaft habe, wußte der ſcharfſinnige Mann beſſer als jemand. Auf Ausrechnungen fuͤr die Zu - kunft, ſagt er in einem Briefe**)Felleri Otium Hannov. p. 108. , gebe ich nichts. Jene Prophezeiungen, die man in alten Buͤchern gefunden haben will, ſind von denen geſchrieben, die die alten Kriege zwiſchen Frankreich und England21 im Sinne hatten; die Erfahrung aber lehrt, daß alle, die ſich an ſo Etwas gewagt ha - ben, getaͤuſcht wurden. Zuweilen koͤnnen dergleichen Prophezeiungen nuͤtzlich ſeyn, dem Poͤbel, wie man es nennt, durch einen frommen Betrug, Muth zu machen; bei Verſtaͤndigen aber haben ſie ſo wenigen Werth, daß ſie vielmehr dem Anſehen und dem guten Ruf des Propheten Nachtheil bringen, indem ſie keinen gruͤndlichen Be - weis zulaſſen, ohne welchen doch ein red - licher Mann, der ſeine Pflicht verſtehet, nicht ſo leicht etwas behauptet. Gewiſſer moͤchte ich, faͤhrt er fort, das vorausſagen, daß, wenn in Deutſchland die Dinge nicht beſſer gemacht werden, ** einen laͤngern Widerſtand leiſten werde, als wir uns einbil - den. Wir Deutſchen brauchen unſre Kraͤfte nicht gnug. Statt alſo uns mit ſchmeichelnden Prophezeiungen einzuſchlaͤ -22 fern, iſt guter Rath noͤthig, daß wir unſre Nerven anſpannen, und mit Beiſeitſetzung jeder Privatbehaglichkeit fuͤrs gemeine Beſte ſorgen.

An andern Orten indeß ſpricht er von den Vorausſagungen kluger Maͤnner an - ders. In meiner Jugend, ſagt er*)Epiſt. Leibnit. edit. Korthold. P. 1. p. 366. Feller. ot. Hannov. p. 217. , wollte ich eine Abhandlung davon ſchreiben, wobei er Seneka, Tacitus, Machia - vell, Conring, Lotichius, Dach, zum Beiſpiel anfuͤhret. Wir thun ihm alſo nicht Unrecht, wenn wir noch einige Blicke ſei - ner Ueberſicht uͤber die Dinge um ihn aus - zeichnen. Er blickte weithin, er ſahe ſcharf und ohne Galle: er war frohmuͤthig und redlich.

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So oft ich, ſagt er*)Feller. Ot. Hannov. p. 121. zu ſeinem Freunde Ludolf, den gefaͤhrlichen Zuſtand der Dinge um uns her, und dabei unſre Traͤg - heit, unſre verkehrten Rathſchlaͤge betrachte, ſo oft ſchaͤme ich mich unſer vor den Augen der Nachwelt. Offenbar geht es dahin aus, daß in Europa ſich alles druͤber und drunter kehre, und doch betraͤgt man ſich: als ob alles in hoͤchſter Sicherheit ſei, und als ob wir Gott ſelbſt zum Gewaͤhrsmann unſrer Ruhe haͤtten. Ueber Kleinigkeiten ſtreitet man; ums Große bekuͤmmert ſich niemand, ſo daß es Eckel und Ueberdruß macht, an die Geſchichte der gegenwaͤrtigen Zeit nur zu denken. So gar ſehr beſtaͤtigen wir Deut - ſchen die unguͤnſtigen Urtheile der Auslaͤnder von uns durch unſer Betragen.

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Im Felde der Wiſſenſchaften ſtecken wir noch in den erſten Wegen. Ein Schick - ſal verhindert uns, daß wir die Schaͤtze der Natur nicht ſorgfaͤltiger aufſpaͤhen und groͤßern Nutzen daraus ziehen. Ich bin der Meinung, daß die Menſchen faſt unglaubliche Dinge zu Stande bringen koͤnnten, wenn ſie mehreren Fleiß anwende - ten. Um ihre Augen aber iſt eine Binde ge - zogen, und man muß die Zeit erwarten, da alles reif ſei. *)Feller. p. 412.

Wie die Engliſche Societaͤt Natur - verſuche zuſammentraͤgt: ſo ſollte eine andre ſeyn, die Regeln des Lebens, nuͤtzliche Bemerkungen und ver - ſteckte Vorſchlaͤge, wie der Zuſtand der Menſchen zu verbeſſern ſei, zuſammentruͤge. **)Feller. 147.

25

Aus den Schriftſtellern ſollte man aus - ziehen, nicht nur was irgend nur Einmal, ſondern von wem es zuerſt geſagt ſei. Hier muß man von den aͤlteſten Zeiten anfangen, doch aber nicht Alles erzaͤhlen, ſondern was zum Unterricht des menſchlichen Ge - ſchlechts dienet, auswaͤhlen. Wenn die Welt noch tauſend Jahre ſteht, und ſo viel Buͤcher wie heut zu Tage fortgeſchrie - ben werden; ſo fuͤrchte ich, aus Bibliothe - ken werden ganze Staͤdte werden, deren viele dann durch mancherlei Zufaͤlle und ſchwere Zeitumſtaͤnde ihr Ende finden wer - den. Daher waͤre es noͤthig, aus einzelnen und zwar den Original-Schriftſtellern, die andre nicht ausſchrieben, Eklogen wie Photius zu machen, und ihr Merkwuͤrdi - ges mit den Worten des Schriftſtellers ſelbſt zu ſammeln. Was aber merkwuͤrdig ſei, kann, bei der großen Verſchiedenheit der26 Koͤpfe und der Wiſſenſchaften freilich nicht Jeder beurtheilen.

Ich glaube, daß es bei euch viele ge - ſchickte Maͤnner giebt. *)Feller. p. 27. an einen Englaͤnder.Indeſſen mache ich einen großen Unterſchied zwiſchen gruͤnd - lichen Kaͤnntniſſen, die den Schatz des menſchlichen Geſchlechts vermeh - ren, und zwiſchen der Notiz von Thatſa - chen, die man gemeiniglich Gelehrſamkeit nennet. Ich verachte dieſe Gelehrſamkeit nicht, deren Werth und Nutzen ich einſehe; dennoch aber wuͤnſchte ich, daß man ſich mehr an das Gruͤndliche hielte: denn es giebt allenthalben zu wenig Perſonen, die ſich mit dem Wichtigſten beſchaͤftigen. Nichts iſt ſo ſchoͤn und ſo befriedigend, als eine wahre Kaͤnntniß vom Syſtem der Natur zu haben. Wuͤrden viele dies27 Studium liebgewinnen, ſo wuͤrde man weit gelangen, nicht nur in Ruͤckſicht auf Be - quemlichkeit des Lebens und der Geſund - heit, ſondern in Ruͤckſicht auf Weisheit, Tugend und Gluͤck; ſtatt deſſen, daß man ſich jetzt mit Kleinigkeiten abgiebt, die uns ergoͤtzen, nicht aber vervollkommnen und veredeln. Unter Vollkommenheiten rechne ich nichts, als was uns auch nach dieſem Leben bleiben kann; die Kaͤnntniß von factis iſt wie die Kaͤnntniß der Straßen in London. Sie iſt gut, ſo lange man dort iſt.

Das goͤttliche Naturlicht in uns zu vermehren, hat man dreierlei zu thun noͤthig. *)Feller. p. 19. Zuerſt ſammle man eine Kaͤnntniß der vortreflichen Erfindungen, die ſchon gemacht ſind; ſodann erforſche man, was noch zu entdecken iſt; endlich bringe28 man Beides, das Erfundne und noch zu Er - findende in Lobgeſaͤnge an den Urheber der Natur, zu Erweckung der Liebe zu ihm und zu den Menſchen. Waͤren die Sterblichen ſo gluͤcklich, daß ein großer Monarch dieſe drei Dinge einmal fuͤr ſein Werk anſaͤhe; in zehn Jahren wuͤrde zur Ehre Gottes und zum Wohl des Menſchengeſchlechts mehr bewirkt werden, als wir ſonſt in vielen Jahrhunderten ausrichten moͤchten.

Ich hatte im Sinn, mancherlei Ge - danken, die das Wohl des Kaiſers und des Reichs betreffen, unter dem Namen: Deutſche Rathſchlaͤge ans Licht zu ſtellen; es iſt aber verdrießlich, Worte in den Wind zu verhauchen, und nach Art der Declamatoren, die in Schulen uͤber die beſte Form der Republik zu Athen oder Karthago reden, Dinge vorzutragen, die niemand anwendet. Die beſten Gedankenwerden29werden veraͤchtlich, wenn man ſie oͤffentlich hinſtellt; unſre Feinde werden dadurch mehr gewarnt, als gebaͤndigt. Indeſſen beſitze ich manches Ueberdachte, das auch großen Maͤnnern wichtig geſchienen hat, und in unſern Zeiten dem Ganzen ſehr nuͤtzlich ſeyn koͤnnte. Vor allem bin ich mir der Treue bewußt und der Liebe zum allgemei - nen Beſten. *)Feller. p. 4. 5.

Gewiß verzeihen Sie mir, daß ich von Leibnitz Weißagungen ſobald auf ſeine Vorſchlaͤge uͤbergegangen bin; eines klu - gen Mannes Weißagungen ſind Vorſchlaͤ - ge des Beſſern. Nicht auf Viſionen, ſondern auf Erfahrungen und auf jene dauerhafte Vernunftprinzipien ſind ſie ge - bauet, die auch in die fernſte Zukunft rei - chen. Da gluͤcklicher Weiſe die AkademieFuͤnfte Samml. C30der Wiſſenſchaften, deren Ruhmwuͤrdiger Stifter Leibnitz war, in Manchem ſchon zum erſten Plan deſſelben zuruͤckgekehrt iſt: ſo waͤre es vielleicht gut, daß ſie in Allem dahin zuruͤckkehrte, und aus Leibnitz Schriften und Briefen ſaͤmmtliche Vor - ſchlaͤge ſammlen ließe, die er zur Erwei - terung der Wiſſenſchaften und zum Wohl des menſchlichen Geſchlechts ſeinen Freun - den oder der Welt offenbahrte. Ungeheuer Vieles iſt ſeitdem noch nicht geſchehen, was er zu thun ſich vornahm oder von außen ausgefuͤhrt wuͤnſchte; er iſt uns in dieſem Allen der naͤhere Baco, der mit genauerer Kaͤnntniß der Sache, als der Englaͤnder beſaß, die Luͤcken der Wiſſen - ſchaften, die Maͤngel unſrer Erkenntniſſe und Bemuͤhungen anſah und ſeine Ent - wuͤrfe, mit Gruͤnden unterſtuͤtzt, zuweilen ſehr vollſtaͤndig detaillirt hat. Jungen31 Maͤnnern wuͤrde ich daher ſeine Briefe und Schriften nicht nur als eine reiche Fund - grube von Gedanken, ſondern auch als ein Directorium ihrer Bemuͤhungen an - preiſen: wohin ſie ſtreben ſollen, was al - lenthalben fuͤr die Menſchheit noch zu thun ſei. Gluͤcklich iſt, wer einen ſolchen Weg - weiſer fruͤhe gebrauchet.

C 232

61.

Oft habe ich zu unſern Zeiten gedacht: wenn Leibnitz lebte! Er lebt indeſſen in ſeinen Schriften, und wir koͤnnen aus ſeinen muntern Urtheilen, die ſich auf alles Merkwuͤrdige ſeiner Zeit erſtreckten, auch fuͤr jetzt viel Nutzen ziehen.

Sie wiſſen, mit welchem Eifer Leib - nitz ſich um die Vereinigung der Religion bewarb und verwandte. Fuͤr die damalige Zeit blieb ſeine Muͤhe fruchtlos; indeſſen ſelbſt das Fruchtloſe ſeiner Vorſchlaͤge, die allenthalben voll Verſtandes waren, iſt fuͤr uns lehrreich. Ein damaliger Regent33 wollte die Sache kuͤrzer angreifen, und eine Vereinigung der Secten, nicht in Lehren, ſondern in Gebraͤuchen, nicht mit gutem Willen beider Theile, ſondern durch Be - fehle, durch Zwang bewirken. Ein untuͤch - tiger Rathgeber ſchrieb zu Beſchoͤnigung dieſer Mittel ein Arcanum Regium in pietiſtiſcher Form. Leſen Sie, wie ſich die großen Friedensbefoͤrderer Leibnitz und Molanus daruͤber erklaͤren;*)Korthold. epiſt. Leibnit. T. i. p. 88. das Gut - achten endigt alſo: Der neuen Regel, daß ein Evangeliſcher Fuͤrſt Papſt in ſeinem Gebiet ſei, muß man nicht mißbrauchen. Bei den verſtaͤndigen Katholiſchen ſelbſt iſt ein allgemeines Concilium der Kirche, wo nicht uͤber, doch nicht unter dem Papſte.

Hoͤren Sie, was Leibnitz von Spie - len urtheilt: Ich wuͤnſchte, daß Jemand34 alle Arten von Spiel mathematiſch behan - delte und ſowohl die Gruͤnde ihrer Regeln und Geſetze, als ihre vornehmſten Kunſt - ſtuͤcke angaͤbe. Unſaͤglich viel zur Erfin - dungskunſt Brauchbares liegt in den Spie - len. Und dieſes daher, weil die Menſchen im Scherz ſinnreicher als im Ernſt zu ſeyn pflegen: denn uͤberhaupt geht uns beſſer von der Hand, was wir mit Luſt verrichten. *)Feller. Ot. Hannov. p. 165.

Es koͤnnte ein Spiel ausgedacht wer - den, das man das Spiel der Vorſorge oder der Zufaͤlle nennen koͤnnte: wenn Das geſchiehet, was koͤnnte ſich zu - tragen? Weil dieſe Zufaͤlle zum Theil allgemein und auf vieles anzuwenden ſind, muͤßte ein Geſetz ſeyn, ſolche bei einer neuen Frage nicht wieder zu gebrauchen, oder man koͤnnte die allgemeinen Zufaͤlle35 gar ausſchließen und das Geſetz machen, daß man nur Zufaͤlle anfuͤhre, die vermie - den werden koͤnnen, ohne daß die Hand - lung ſelbſt unterbleibe. Den moͤglichen Zu - fall koͤnnte der Eine, das Mittel dagegen ſein Nachbar ſagen u. f.

Man hatte vormals ein Fragſpiel: wozu iſt das Stroh gut? man koͤnnte es das Spiel der Effecte, oder cui bono? nennen. So koͤnnte ein Spiel der Urſa - chen oder Mittel eingefuͤhrt werden, z. B. womit kann dies oder das ge - than werden? Solche Spiele ſchaͤrfen den Verſtand und fuͤhren zu ernſthaft - Gutem, da andre Poſſen nur zu ernſthaft - Boͤſem fuͤhren.

Man hat ein Gedaͤchtnißſpiel, da man ſich uͤbt, etwas Auswendiggelerntes ſchwer-Auszuſprechendes mit wachſender Rede herzuſagen; dergleichen Spiele koͤnn -36 ten noch mehr erfunden werden, nicht zu Vermehrung der Seelenkraͤfte allein, ſon - dern auch zu Uebung der Tugenden. In manchen Spielen iſt Beſcheidenheit, Maͤßi - gung noͤthig, wie im Koͤnigsſpiel u. f. Ich wollte, daß Commenius daran ge - dacht haͤtte, da er ſein Buch: die Schule ein Spiel herausgab. *)Korthold. epiſt. Leibn. Vol. III. p. 278.

Bei unſern fuͤrchterlich-großen Zeit - und Menſchenſpielen ſind Ihnen dieſe Leib - nitziſche Gedanken nicht bisweilen eingefal - len? Wenn Das geſchieht, was koͤnn - te ſich zutragen? Wie kann es ver - mieden werden? und wenn es ſich zutraͤgt, was hilft dagegen? Ferner: wozu iſt das Stroh gut? cui bono Dies oder Jenes? Das ganze Leben der Menſchen iſt ein Spiel; wohl dem, der es froh und mit Verſtande ſpielet.

37

Von Spielen zur Philoſophie. Die Urtheile, die Leibnitz nicht nur uͤber die Alten, ſondern auch uͤber die Scholaſti - ker und die Reformatoren der Phi - loſophie, uͤber Jordanus Brunus, Campanella, Baco, Hobbes, uͤber Grotius, Locke, Cartes, Puffen - dorf, Shaftesburi u. f. faͤllet, ſind, obwohl immer in ſeinem eignen Geſichts - kreiſe, mit einer Unpartheilichkeit, einer Milde und ſo allgemeinen Theilnehmung entworfen, daß ich dieſes großen Gemuͤths wegen Leibnitz gern zum Schutzgeiſt der geſammten Philoſophie wuͤnſchte. Von hun - dert merkwuͤrdigen Aeußerungen hieruͤber hoͤren Sie Eine uͤber Cartes:

*)Korthold. epiſt. Leibn. Vol. III. p. 392.
*)

Ich wuͤnſchte, daß trefliche Maͤnner die leere Hoffnung, Oberherren im Reich38 der Philoſophie ſeyn zu koͤnnen, (arripien - dae tyrannidis in imperio philoſophico) aufgaͤben und den Ehrgeiz, eine Secte ſtif - ten zu wollen, fahren ließen: denn eben hieraus entſpringen jene ungeſchickte Par - theilichkeiten, jene leere und eitle Buͤcher - kriege, die der Wiſſenſchaft und dem Ge - brauch der koſtbaren Zeit ſo ſehr ſchaden. In der Geometrie kennt man keine Eukli - dianer, Archimedianer, Apollinianer; alle ſind von Einer Sekte, der Wahrheit zu folgen, woher ſie ſich anbieten moͤge. Auch wird niemand gebohren werden, der ſich das ganze Patrimonium der Gelehr - ſamkeit zueigne, der das ganze Menſchen - geſchlecht an Geiſt uͤbertreffe und alle Sterne um ſich her ausloͤſche wie die aͤtheriſche Sonne. Wir wollen den Des-Cartes loben, ja gar bewundern; deßhalb aber wollen wir Andre nicht vernachlaͤßigen, bei39 denen ſich viele und große Dinge finden, die Jener nicht bemerkt hat.

Nichts ſtehet dem Fortkommen der Wiſſenſchaft ſo ſehr entgegen, als jener Knechtsdienſt, in der Philoſophie eines An - dern Gedanken zu paraphraſiren; und eben dieſe Paraphraſir-Kunſt halte ich fuͤr die Urſache, warum von den blos-Carteſianern eben ſo wenig Neues und Ausnehmendes geleiſtet werde, als von den Ariſtotelikern geleiſtet worden, nicht aus Mangel des Genies, ſondern des Sektengeiſts, der Par - theiſucht halben. Wie naͤmlich unſre Ein - bildungskraft, wenn ihr Eine Melodie al - lein vorſchwebt, ſchwerlich und mit Muͤhe zu einer andern uͤbergeht, wie Der, der unablaͤßig einer geſchlagenen Straße folgt, keine neuen Wege entdecken wird: ſo ſind auch die, die Einem Autor ſich einverleiben, leibhafte Knechte dieſes Autors, die er40 durch Gewohnheit in Dienſt und Beſitz hat; zu etwas Neuem und Verſchiednem koͤnnen ſie ihr Gemuͤth nicht erheben. Und doch iſt bekannt, daß den Wiſſenſchaften nichts ſo ſehr fortgeholfen hat, als die Verſchie - denheit der Wege, auf denen man die Wahrheit geſucht hat.

Nichts verehre ich an Leibnitz mehr, als dieſe große, unpartheiiſche Jugend - ſeele, die bis ans Ende ſeiner Tage alles mit Freuden aufnahm, was irgend der Wiſſenſchaft diente. Keine Form wies er veraͤchtlich ab; in Allem ſuchte er das Beſte. Von ausſchließenden Leibnitzianern hatte er ſo wenig Begriff, daß vielmehr ſeine Schriften und Briefe darauf arbeiten, in Zukunft alle Secten zu vernichten, aus Alten und Neuen die Wahrheit zu lernen, und auch einer ſonſt ſchlechten Schrift den Beitrag nicht abzulaͤugnen, den ſie dem41 Gemeingute der Menſchheit liefert. Ich wuͤnſchte, daß ſeine Gedanken, ſeine Urtheile uͤber die verſchiedenſten Schriftſteller, in ihrer ganzen großen Unpartheilichkeit fuͤr Juͤnglinge ausgehoben, und als Leibnitz Geiſt, als die einzige, immer friſche und neuſtroͤmende Quelle der Wiſſenſchaft dar - geſtellt wuͤrde. Vor einigen Jahren er - ſchien, wie mich duͤnkt, eine Schrift, die der Geiſt des Herrn von Leibnitz hieß; wahrſcheinlich aber iſts nicht der rechte Geiſt geweſen, denn er iſt ohne Wirkung bald verſchwunden. Doch was ſage ich Wirkung? Hat Leibnitz auf die Deutſche Nation gewirkt? Sogar ſeine Schriften ſind von uns noch nicht geſammlet; und nachdem ein Auslaͤnder ſie fuͤr uns zu ſamm - len die Muͤhe nahm, haben wir ſie noch nicht einmal ergaͤnzet.

42

62.

Wollen Sie ſich uͤberzeugen, daß Leib - nitz auch bei ſeinen Lebenszeiten in Deutſch - land eine ziemlich fremde Pflanze geweſen, ſo leſen Sie das Leben, das ſein naͤchſter Bekannter, Eckardt, von ihm geſchrieben; ſeine Bekanntmachung haben wir dem ge - lehrten Murr zu danken. *)Murrs Journal zur Kunſtgeſchichte, Th. 7. S. 123.Die bluͤ - hende Aloe ſandte reiche Geruͤche um ſich her; allenthalben wollte ſie Wurzeln ſchla - gen, und neue Abſenker pflanzen. Es ge -43 lang ihr hie und da, ohngeachtet des ſtraͤu - bigen Erdbodens: und waͤre Leibnitz die Stiftung einer Akademie der Wiſſenſchaf - ten zu Wien und Dresden ſo gegluͤckt, wie ihm die Akademie zu Berlin gluͤckte, welche unnennbar gute Folgen haͤtten ſich ſeitdem verbreitet! Sein Geiſt lebte in ei - ner idealiſchen Welt, im Reich aller den - kenden, fuͤrs Wohl der Menſchheit wirken - den Geiſter. Fuͤr dieſen großen Staat ſchrieb er ſeine Aufſaͤtze, meiſtens auf Ver - anlaſſung fremder Aeußerungen und unter - hielt einen ſo ungeheuren Briefwechſel, daß man ihn einen Mitarbeiter und Praͤſi - denten der Geſammt-Akademie aller Euro - paͤiſcher Wiſſenſchaften nennen koͤnnte. In ſeinen naͤheren Verhaͤltniſſen aber war er hier Canzlei-Reviſions-Rath, dort Ge - ſchichtſchreiber des Fuͤrſtlichen Hauſes; hier ſchrieb er fuͤr einen Pfalzgrafen, der Koͤnig44 von Pohlen werden, dort fuͤr Deutſche Fuͤrſten, die Geſandte beim Friedensſchluß haben wollten, u. f. Er unterhielt die Fuͤr - ſten mit Curiosis, (wenn es auch nur ein wunderbargeſtalteter Rehbock ſeyn ſollte,) Fuͤrſtinnen mit ſinnreichen philoſophiſchen Gedanken, Neugierige, mit dem was ſich in andern Laͤndern zutrug; erfand fuͤr den Bergbau Werkzeuge, Maſchinen, Wind - muͤhlen, und that doch nicht zur Gnuͤge. Zwei Jahre vor ſeinem Tode ward dem alten Mann nachdruͤcklich befohlen, die Hi - ſtorie des Hauſes vor allen Dingen fertig zu machen und als er begraben ward, war das Einzige zu verwundern, (ſagt ſein getreuer Amanuenſis und College, Eckard) daß da der ganze Hof ihm zu Grabe zu folgen invitirt war, außer Mir kein Menſch erſchienen, ſo daß ich dem großen Mann die letzte Ehre einzig undallein45allein erwieſen. *)Zur Erlaͤuterung dieſes Umſtandes wird in den ſchaͤtzbaren Zuſaͤtzen zu Eckardts Lebens - beſchreibung folgendes angegeben: Der Koͤnig war damals nicht mehr in Hannover. Der Monarch ſtand eben nicht allzuwohl mit dem Wiener Hofe und es mißfiel ihm, daß Leib - nitz 1713 ohne Erlaubniß nach Wien gegan - gen, und uͤber anderthalb Jahre außen blieb, auch die Reichshofraths-Stelle angenommen hatte. Se. Majeſtaͤt ſagten daher einſtmals, da ein Huͤndchen, welches verlohren gegangen, zu Hannover ausgetrommelt wurde, halb im Scherz, halb im Ernſt: Ich muß wohl mei - nen Leibnitz auch austrommeln laſ - ſen, um zu erfahren, wo er jetzt ſtecken mag. Eine merkwuͤrdige Erlaͤuterung.Im Jahr 1695 ſchrieb er an Burnet: Unbequem iſt mirs, daß ich nicht in einer Stadt wie Paris oder London lebe, wo viele gelehrte Maͤnner ſind, deren Huͤlfe man ſich bedienen, von denen man lernen kann: denn viele DingeFuͤnfte Samml. D46ſind von der Art, daß Ein Menſch allein ſie nie zu Stande bringen mag. Hier findet man kaum jemand, mit dem zu ſprechen iſt, oder vielmehr, es iſt hier zu Lande nicht hofmaͤnniſch, ſich von gelehr - ten Dingen zu unterhalten. Noch das Jahr vor ſeinem Tode hatte er ſich vor - genommen, nach Paris zu reiſen und da ſein Leben zu beſchlieſſen.

Weil er nicht zum Abendmal ging, ſagt Eckardt, ſchalten die Prediger oft oͤffentlich auf ihn; er blieb aber bei ſeiner Weiſe. Gott weiß, was er vor Motiven dazu gehabt, die gemeinen Leute hieſſen ihn daher insgemein auf Platdeutſch Loͤ - venix, welches qui ne croit rien heißet. Aus ſeinen Schriften und Bemuͤhungen fuͤr die Vereinigung der Kirchen kennen wir ſeine reinen und aufgeklaͤrten Reli - gions-Grundſaͤtze gnugſam; gewiß kann47 man ihm nicht den Vorwurf machen, daß er zu wenig geglaubt habe.

Kurz vor ſeinem letzten Augenblick wollte er noch etwas aufſchreiben. Als ihm Papier, Tinte und Feder gereicht wurden, fing er an zu ſchreiben, das er aber nicht mehr leſen konnte, als er es bei dem Licht durchſehen wollte. Er zer - riß das Papier, warf es weg und legte ſich zu Bette. Er verſuchte nochmals zu ſchreiben, verhuͤllte ſich die Augen in ſeine Schlafmuͤtze, legte ſich auf die Seite und entſchlief ſanft, nachdem er ſein Ruhm - volles Alter auf 70 Jahre, 4 Monathe und 24 Tage gebracht hatte. Leſen Sie Eckardts Lebensbeſchreibung; das barba - rus hic ego ſum, wird Ihnen manche Seite ins Ohr fluͤſtern.

Fontenelle ſagt in ſeiner Lobſchrift gar artig: aus vielen Herkules habe dasD 248Alterthum nur Einen Herkules gemacht; Er ſehe keinen andern Rath, als den Ei - nen Leibnitz in viele Gelehrte zu decompo - niren: denn ſonſt wuͤrde bei dem beſtaͤn - digen Uebergange von Schriften des ver - ſchiedenſten Inhalts, alle zu Einer und derſelben Zeit geſchrieben, dieſe unaufhoͤr - liche Miſchung von Gegenſtaͤnden, die in Leibnitz Kopf ſeine Ideen nicht verwirrte, eine Verwirrung und ein embarras in ſein Eloge bringen. Und doch wuͤnſchte ich faſt, daß Leibnitzens Vaterland dieſen em - barras, dieſe paſſages brusques et fre - quens d'un ſujet a un autre tout oppo - ſé, qui ne l'embarraſſoient point, in Leib - nitzens Arbeiten nicht gebracht haͤtte; um den Einen Herkules in mehrere Herkules zu decomponiren. Wie anders konnte Newton in England ſeine Werke vol - lenden!

49

Sie wiſſen, daß Leibnitzens Verlaſſen - ſchaft in der Landesherrlichen Bibliothek zu Hannover aufbewahrt wird, und es iſt zu erwarten, daß die Regierung, die fuͤr alle und allerlei Wiſſenſchaften mehr als irgend eine andre in Deutſchland thut und gethan hat, einem dazu tuͤchtigen Manne, unter gegebner buͤrgerlichen Treue, die Bekanntmachung des Inhalts derſelben auftrage. Der Einzige Band, den Ra - ſpe mit Kaͤſtners Vorrede von daher ans Licht ſtellte, iſt vielleicht mehr werth, als Leibnitzens Theodicee ſelbſt; und wer unternaͤhme es, fuͤr den kleinſten Zettel Leibnitzens in Anſehung der Idee verant - wortlich zu werden, die er darauf nur hinwarf?

Dankbar erkenne ich jede Blume, die eine wuͤrdige Hand nicht auf Leibnitz ver - ſcharrte Aſche, ſondern dem ewigen Eh -50 renmahl ſtreuet, das er ſich ſelbſt errichtet hat. Die Wolfiſche Schule, ſo ungleich ſie ſeiner Denkart war, hat ihm gleichſam ein Kenotaphium gebauet; durch ſie iſt eine Klarheit der Begriffe und eine Praͤciſion des Ausdrucks in unſre Sprache gebracht worden, die ihr vorher unbekannt waren. Sollte, da ihre Periode voruͤber iſt, Jemand noch jetzt Bedenken tragen, Leibnitzens Briefwechſel mit Wolf herauszugeben, der, was er auch enthielte, dem Letztern nicht anders als zur Ehre gereichen koͤnnte?

Auch auſſer dieſer Schule, wie jugend - lich-lieb iſt mir Alles, was Leibnitz eh - ret und in ſein Licht ſtellt! Jede Zeile, die Kaͤſtner, in mancherlei Art und Form, zur Ehre und zum Verſtaͤndniß ſeines Landsmannes ſchrieb; von Cochius jede kleine Abhandlung in der Akademie der Wiſſenſchaften zu Berlin, (waͤren doch von51 ihm noch ungedruckte Abhandlungen vor - handen!) ſind mir ſchoͤne Reſte von Phi - loſophen der alten Zeit.

Hoͤren Sie was Leibnitz von ſeinem Cenſorgeiſt ſaget: Niemand hat weniger Cenſorgeiſt, als ich habe. Sonderbar iſts; aber mir gefaͤllt das Meiſte, was ich leſe. Da ich naͤmlich weiß, wie verſchieden die Sachen genommen werden, ſo faͤllt mir waͤh - rend dem Leſen meiſtens bei, womit man den Schriftſteller vertheidigen oder entſchuldi - gen koͤnnte. Sehr ſelten iſts, daß mir im Leſen etwas ganz misfaͤllt, obgleich frei - lich dem Einen Dies, dem Andern Das mehr gefallen moͤchte. Ich bin einmal ſo gebauet, daß ich allenthalben am lieb - ſten aufſuche und bemerke, was Lobens - werth iſt, nicht was Tadel verdienet. Koͤnnte der Geiſt der Philanthropie ſelbſt billiger und milder denken?

52

Und doch, warum erfuhren eben die friedliebenden, die billigſten Gemuͤther, Erasmus, Grotius, Comenius, Leibnitz ſo manchen uͤbeln Dank ihrer Zeitgenoſſen? Die Urſache iſt leicht zu fin - den: weil ſie Partheilos und jene mit Vor - urtheilen befangene ſtreitende Partheien waren. Dieſen gaben Unwiſſenheit, Ei - gennutz, blindes Herkommen, gekraͤnkter Stolz und zehn andre Furien das Streit - gewehr oder den Dolch der Verlaͤumdung in die Haͤnde; jene kaͤmpften friedlich hin - ter dem Schilde der Wahrheit und Guͤte. Der goldene Schild der Wahrheit und Guͤte bleibt; ihre Streiter koͤnnen perſoͤn - lich fallen, aber ihr Sieg iſt wachſend und unſterblich.

About this transcription

TextBriefe zu Beförderung der Humanität
Author Johann Gottfried von Herder
Extent215 images; 22442 tokens; 5855 types; 160592 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBriefe zu Beförderung der Humanität Fünfte Sammlung Johann Gottfried von Herder. . [4], 148, 52 S. HartknochRiga1795.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 301005-5/6 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=875066712

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; mts

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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