PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt.
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Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt.
Zehnte Sammlung.
Riga,1797.bei Johann Friedrich Hartknoch.
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114.

Aber warum muͤſſen Voͤlker auf Voͤlker wirken, um einander die Ruhe zu ſtoͤren? Man ſagt, der fortgehend-wachſenden Cul - tur wegen; wie gar etwas anders ſagt das Buch der Geſchichte!

Hatten jene Berg - und Steppen - voͤlker aus Nord-Aſien, die ewigen Be - unruhiger der Welt, es je zur Abſicht, oder waren ſie je im Stande, Cultur zu6 verbreiten? Machten die Chaldaͤer nicht einem großen Theil der alten Herrlichkeit des Vorder-Aſiens eben ein Ende? At - tila, ſo viele Voͤlker, die ihm vorgingen und nachfolgten, wollten ſie die Fortbil - dung des Menſchengeſchlechts befoͤrdern? Haben ſie ſie befoͤrdert?

Ja die Phoͤnicier, die Karthager mit ihren geruͤhmten Colonien, die Grie - chen ſelbſt mit ihren Pflanzſtaͤdten, die Roͤmer mit ihren Eroberungen, hatten ſie dieſen Zweck? Und wenn ſich durch das Reiben der Voͤlker an einander hier etwa dieſe Kunſt, dort jene Bequemlichkeit verbreitete; leiſten dieſe wohl Erſatz fuͤr die Uebel, die das Draͤngen der Nationen auf einander dem Siegenden und dem Be - ſiegten gaben? Wer vermag das Elend zu ſchildern, das die Griechiſchen und Roͤ - miſchen Eroberungen dem Erdkreiſe, den7 ſie umfaßten, mittelbar und unmittelbar brachten? *)Die franzoͤſiſche Schrift de la felicité pu - blique ou conſiderations ſur le ſort des hommes dans les differentes epoques de l'hiſtoire. Amſterd. 1772. behandelt ein Thema, dem nicht gnug Aufmerkſamkeit ge - widmet werden kann. Wozu die Geſchichte, wenn ſie uns nicht das Bild der gluͤcklichen oder ungluͤcklichen, der verfallenden oder ſich aufrichtenden Menſchheit zeiget?

Selbſt das Chriſtenthum, ſobald es als Staatsmaſchiene auf fremde Voͤlker wirkte, druͤckte ſie ſchrecklich; bei einigen verſtuͤmmelte es dergeſtalt ihren eigenthuͤm - lichen Charakter, daß keine anderthalb - tauſend Jahre ihn haben zurechtbringen moͤgen. Wuͤnſchten wir nicht, daß z. B. der Geiſt der nordiſchen Voͤlker, der Deut - ſchen, der Galen, Slaven u. f. un -8 geſtoͤrt und rein aus ſich ſelber haͤtte her - vorgehen moͤgen?

Und was nutzten die Kreuzzuͤge dem Orient? Welches Gluͤck haben ſie den Kuͤſten der Oſtſee gebracht? Die alten Preußen ſind vertilget; Liwen, Ehſten und Letten im aͤrmſten Zuſtande fluchen im Herzen noch jetzt ihren Unterjochern, den Deutſchen.

Was endlich iſt von der Cultur zu ſa - gen, die von Spaniern, Portugie - ſen, Englaͤndern und Hollaͤndern nach Oſt - und Weſtindien, unter die Ne - gern nach Afrika, in die friedlichen Inſeln der Suͤdwelt gebracht iſt? Schreien nicht alle dieſe Laͤnder, mehr oder weniger, um Rache? Um ſo mehr um Rache, da ſie auf eine unuͤberſehliche Zeit in ein fort - gehend-wachſendes Verderben geſtuͤrzt ſind. Alle dieſe Geſchichten liegen in Reiſebe -9 ſchreibungen zu Tage; ſie ſind bei Gele - genheit des Negerhandels zum Theil auch laut zur Sprache gekommen. Von den Spaniſchen Grauſamkeiten, vom Geiz der Englaͤnder, von der kalten Frechheit der Hollaͤnder, von denen man im Taumel des Eroberungswahnes Heldengedichte ſchrieb, ſind in unſrer Zeit Buͤcher geſchrieben, die ihnen ſo wenig Ehre bringen, daß viel - mehr, wenn ein Europaͤiſcher Geſammtgeiſt anderswo als in Buͤchern lebte, wir uns des Verbrechens beleidigter Menſch - heit faſt vor allen Voͤlkern der Erde ſchaͤ - men muͤßten. Nenne man das Land, wo - hin Europaͤer kamen, und ſich nicht durch Beeintraͤchtigungen, durch ungerechte Kriege, Geiz, Betrug, Unterdruͤckung, durch Krank - heiten und ſchaͤdliche Gaben an der unbe - wehrten, zutrauenden Menſchheit, vielleicht auf alle Aeonen hinab, verſuͤndigt haben! 10Nicht der weiſe, ſondern der anmaa - ßende, zudringliche, uͤbervor - theilende Theil der Erde muß unſer Welttheil heißen; er hat nicht cultivirt, ſondern die Keime eigner Cultur der Voͤlker, wo und wie er nur konnte, zer - ſtoͤret. *)S. unter hundert andern des menſchlichen le Vaillants neuere Reiſen ins Innere von Afrika, Berl. 1796. mit Reinhold Forſters Anmerkungen. Nicht nur am Vorgebuͤrge der guten Hoffnung, ſagt dieſer ſchaͤtzbare Gelehrte, (Th. 1. S. 69.) ſondern auch in Nordamerika, an der Hudſonsbay, in Senegal, am Gam - bia, in Indien, kurz allenthalben wohin Europaͤer kommen, betriegen ſie die armen Eingebohrnen im Handel. Beſonders macht England, das neue Karthago, den Namen

Was iſt uͤberhaupt eine aufgedrungene, fremde Cultur? eine Bildung, die nicht aus eignen Anlagen und Beduͤrfniſſen her -11 vorgeht? Sie unterdruͤckt und mißgeſtaltet, oder ſie ſtuͤrzt gerade in den Abgrund. Ihr armen Schlachtopfer, die ihr von den Suͤdſeeinſeln nach England gebracht wur - det, um Cultur zu empfangen, ihr ſeyd Sinnbilder des Guten, das die Europaͤer uͤberhaupt andern Voͤlkern mittheilen! *)Unpartheiiſche und unuͤbertriebene Bemer - kungen daruͤber findet man in Reinhold Forſters Anmerkungen wie zu mehreren ſo zu Hamiltons Reiſe um die Welt. Berlin 1794.Nicht anders alſo als gerecht und weiſe handelte der gute Kien-Long, da er dem fremden Vice-Koͤnig ſchnell und hoͤf -*)der Europaͤer in allen andern Welttheilen verabſcheuet. So Forſter. Und waͤre es mit dem Betriegen allein ausgerichtet! Der Hefen von Europa hat Gaͤhrungen ge - macht und erhaͤlt Gaͤhrungen in allen Welt - theilen. A. d. H.12 lich mit tauſend Freudenfeuern den Weg aus ſeinem Reich zeigen ließ. Moͤchte jede Nation klug und ſtark gnug geweſen ſeyn, den Europaͤern dieſen Weg zu zei - gen!

Wenn wir nun ſogar laͤſternd vorge - ben, daß durch dieſe Beeintraͤchtigungen der Welt der Zweck der Vorſehung erfuͤllt werde, die uns ja eben dazu Macht und Liſt und Werkzeuge gegeben habe, die Raͤu - ber, Stoͤrer, Aufwiegler und Verwuͤſter aller Welt zu werden, wer ſchauderte nicht vor dieſer Menſchenfeindlichen Frechheit? Freilich ſind wir, auch mit Thorheiten und Laſterthaten, Werkzeuge in den Haͤnden der Vorſehung; aber nicht zu unſerm Ver - dienſt, ſondern vielleicht eben dazu, daß wir durch eine Raſtloſe hoͤlliſche Thaͤtigkeit im groͤßeſten Reichthum arm, von Begier - den gefoltert, von uͤppiger Traͤgheit ent -13 nervt, am geraubten Gift eckel und lang - weilig ſterben.

Und wenn einige Neulinge mit An - maaßungen ſolcher Art alle Wiſſenſchaften beflecken, wenn ſie die geſammte Geſchichte der Menſchheit dahin abzweckend finden, daß auf keinem andern, als dieſem Wege den Nationen Heil und Troſt wiederfahren koͤnne; ſollte man da unſer ganzes Geſchlecht nicht aufs empfindlichſte be - dauren?

Ein Menſch, ſagt das Sprichwort, iſt dem andern ein Wolf, ein Gott, ein En - gel, ein Teufel; was ſind die auf einander wirkende Menſchenvoͤlker einander? Der Neger mahlt den Teufel weiß; und der Lette will nicht in den Himmel, ſobald Deutſche da ſind. Warum gießeſt du mir Waſſer auf den Kopf? ſagte jener ſter - bende Sklave zum Mißionar. Daß14 du in den Himmel kommeſt. Ich mag in keinen Himmel, wo Weiße ſind ſprach er, kehrte das Geſicht ab und ſtarb. Traurige Geſchichte der Menſchheit!

15

Neger-Idyllen.

Die Frucht am Baume.
Ich ging im ſchoͤnſten Cedernhain,
Und hoͤrete der Voͤgel Lied,
Bewundernd ihrer Farben Glanz,
Bewundernd ihrer Baͤume Pracht
Als ploͤtzlich aus der Hoͤhe mich
Ein Aechzen weckte. Welch Geſicht!
Ein Kaͤfig hing am hohen Baum,
Umlagert von Raubvoͤgeln, ſchwarz
Umwoͤlket von Inſekten.
Als
Die Kugel meines Rohres ſie
Verſcheucht, ſprach eine Stimme: Gib
Mir Waſſer, Menſch! Es duͤrſtet mich.
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Ich ſah den Menſchenwidrigſten
Anblick. Ein Neger, halb zerfleiſcht,
Zerbiſſen; ſchon Ein Auge war
Ihm ausgehackt. Ein Weſpenſchwarm
An offnen Wunden ſog aus ihm
Den letzten Saft. Ich ſchauderte.
Und ſah umher. Da ſtand ein Rohr
Mit einem Kuͤrbis, womit ihn
Barmherzig ſchon ſein Freund gelabt.
Ich fuͤllete den Kuͤrbis. Ach!
Rief jenes Aechzen wieder, Gift
Darein thun, Gift! du weißer Mann!
Ich kann nicht ſterben.
Zitternd reicht '
Ich ihm den Waſſertrank: Wie lang'
O Ungluͤckſelger, biſt du hier?
Zwei Tage; und nicht ſterben! Ach,
Die Voͤgel! Weſpen! Schmerz!
o Weh!
Ich eilte fort und fand das Haus
Des Herrn im Tanz, in heller Luft.
Und als ich nach dem Aechzenden
Behut -17
Behutſam fragte, hoͤret 'ich
Daß man dem Juͤnglinge die Braut
Verfuͤhren wollen; und wie Er
Das nicht ertragend, ſich geraͤcht.
Dafuͤr dann buͤße nun ſein Stolz
Die Keckheit und den Uebermuth.
Und der Verfuͤhrer? fragt ich.
Trinkt
Dort an der Tafel.
Schaudernd floh
Ich aus dem Saal zum Sterbenden.
Er war geſtorben. Hatte dich,
Ungluͤcklicher, mein Trank zum Tode
Geſtaͤrket, o ſo gab ich dir
Das reichſte ſuͤßeſte Geſchenk.
Zehnte Sammlung. B18
Die rechte Hand.
Ein edler Neger, ſeinem Lande frech -
Entraubet, blieb auch in der Sklaverei
Ein Koͤnigsſohn, that edel ſeinen Dienſt,
Und ward der Mitgefangnen Troſt und Rath.
Einſt als ſein Herr, der weiße Teufel,
wuͤtend
Im Zorn der Sklaven Einem ſchnellen Tod
Ausſprach, trat Fetu bittend vor ihn hin,
Und zeigte ſeine Unſchuld: Widerſprichſt
Du Mir? Du ſelbſt, Du ſollſt ſein Henker
ſeyn!
Sogleich! antwortet Fetu, nur noch
Einen,
Noch einen Augenblick! Er flog hinweg,
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Und kam zuruͤck, in ſeiner linken Hand
Die abgehau'ne Rechte haltend, die
Den Henkersdienſt vollfuͤhren ſollte. Tief
Gebuͤckt legt 'er ſie vor den Herren: Fodre,
Gebieter, von mir was du willſt; nur nichts
Unwuͤrdiges.
Er ſtarb an ſeiner Wunde,
Und ſeine Hand ward auf ſein Grab gepflanzt.
Wie manche Arme laͤgen! -- Nein doch,
nein!
Gar viele laͤgen nicht; die Willkuͤhr wird
Ohnmaͤchtig, wenn es ihr am Werkzeug fehlt.
Sprichſt du hingegen: wie der Herr
gebeut!
Und thu 'ichs nicht, ſo thuts ein Anderer;
Lieb iſt ja jedem ſeine rechte Hand!
B 220
So henken Sklaven, (das Gefuͤhl des Unrechts
In ihrem Herzen,) andre Sklaven frech
Und ſcheu und ſtolz, bis ſie ein Dritter henkt.
*)Mit Recht nennen die Franzoͤſiſchen Ge - ſchichtſchreiber die Namen derer, die 1572 zum Bartholomaͤusfeſt ihre Haͤnde nicht bie - ten wollten: la cour ordonna dans toutes les provinces les mêmes maſſacres qu'à Paris; mais pluſieurs commandans refuſe - rent d'obeir. Vn Sr Herem en Auvergne, vn la Guiche à Macon, vn vicomte d'Orte à Bayonne et pluſieurs autres ecrivirent à Charles IX. la ſubſtance de ces paroles: qu'ils periroient pour ſon ſervice, mais qu'ils n'aſſaſſineroient per - ſonne pour lui obeir. Was dieſe Maͤnner mit geſunder Hand ſchrieben, zeigte der Neger.
*)
21
Die Bruͤder.
Mit ſeinem Herren war ein Negerjuͤngling
Von Kindheit an erzogen; Eine Bruſt
Hatt 'ſie genaͤhrt. Aus ſeiner Mutter Bruſt
Hatt' Afrikan'ſche Bruderliebe Quaſſi
Zu ſeinem Herrn geſogen, huͤtete
Sein Haus und lebte, lebte nur in Ihm.
Der Neger glaubte ſich von ſeinem Herrn,
(Einſt ſeinem Spielgeſellen,) auch geliebt,
That was er konnte, lebend nur fuͤr Ihn.
Und bittre Taͤuſchung! einſt um ein
Vergeſſen,
Das auch dem Goͤtterſohn begegnen kann,
Ergrimmete ſein Herr und ſprach zu ihm
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Von Karrenſtaͤupe.
*)Die entehrendſte Negerſtrafe.
*)
Wie vom Blitz geruͤhrt,
Stand Quaſſi da, der treue Freund, der
Bruder,
Der liebende Anbeter ſeines Herrn.
Das Wort im Herzen, deckte ſchwarzer Gram
Die ganze Schoͤpfung ihm. Verſtummt entzog
Er ſich des Herren Anblick. Meinet Ihr,
Er floh? Mit nichten! Sicher hoffend noch,
Daß ihn ein Freund, daß die Erinnerung
Der Jugend ihn verſoͤhne, rettet er
Sich in der niedern Sklaven Huͤtte, die
Ihn hoch verehreten. Da wartet 'er
Ein nahes Feſt ab, das ſein Herr dem Neffen
Bereitet', und ein Tag der Freude war.
Dann, ſprach er bei ſich ſelbſt, wird ihm die
Zeit
Der Jugend wiederkehren. Billigkeit,
Und meine Unſchuld, meine Lieb 'und Treu
Wird fuͤr mich ſprechen. Er vergaß ſich; doch
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Er wird ſich wiederfinden.
Jetzt erſchien
Der Tag; das Feſt ging an; und Quaſſi
wagte
Sich auf den Hof.
Doch als ſein Herr ihn ſah,
Ergrimmet wie ein Leu, der Blut geleckt,
Sprang er auf ihn. Der Arme floh. Der
Tiger
Erjagt ihn; beide ſtuͤrzen; ſtampfend kniet
Sein Herr auf ihm, ihm jede Marter drohend.
Da hub mit aller ſeiner Negerkraft
Der Juͤngling ſich empor, und hielt ihn veſt
Danieder, zog ein Meſſer aus dem Gurt
Und ſprach: Von Kindheit an mit Euch er -
zogen,
In Knabenjahren Euer Spielgeſell,
Liebt 'ich Euch, wie mich ſelbſt und glaubte mich
Von Euch geliebet. Ich war Eure Hand,
Eur Auge. Euer kleinſter Vortheil war
Mein eifrigſter Gedanke Tag und Nacht:
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Denn das Vertraun auf Eure Liebe war
Mein groͤßter Schatz auf dieſer Welt. Ihr
wißt,
Ich bin unſchuldig; jene Kleinigkeit,
Die euch aufbrachte, iſt ein Nichts. Und Ihr,
Ihr drohtet mir mit Schaͤndung meiner
Haut.
Das Wort kann Quaſſi nicht ertragen: denn
Es zeigt mir Euer Herz.
Er zog das Meſſer
Und ſtieß es meint ihr in des Tigers Bruſt?
Nein! ſelbſt ſich in die Kehle. Blutend ſtuͤrzt
Er auf den Herren nieder, ihn umfaſſend,
Beſtroͤmend ihn mit warmem Bruderblut.
Wie manche Kugel in Europa fuhr
In des Beleidigten gekraͤnktes Hirn,
Die den Beleidiger fromm verſchonete!
Wie manches Ich der Koͤnig fraß das Herz
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Des Dieners auf mit langſam-ſchnellem
Gift.
*)C'eſt à ce même Cardinal Eſpinoſa que Philippe II. donna le coup de la mort par vn mot de reprimande: Car - dinal, lui dit-il, ſouvenés-vous que je ſuis le Preſident. Eſpinoſa en mourut de douleur quelques jours après. Dans vne ſyncope qui lui prit, on ſe preſſa tant de l'ouvrir pour l'embaumer, qu'il porta la main au raſoir du Chirurgien; et que ſon coeur palpita encore après l'ou - verture de l'eſtomac. La crainte qu'on avoit que ce Cardinal ne revint en ſanté, ſit hater ſa mort, pour contenter le Prince, les Grands etc. Memoir. hiſtoriques po - litiques par Amelot de la Houſſaye. T. I. p. 210.
*)
O wenn Gerechtigkeit vom Himmel ſieht;
Sie ſah den Neger auf dem Weißen ruhn.
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Zimeo.
Ein Lerm erſcholl; die weite Ebne ſtand
In Flammen; zwei - dreihundert Wirbelſaͤulen
Von rothem, gruͤnem, gelbem Feuer ſtiegen
Zum Himmel auf, und vom Gebuͤrge druͤckt
Ein langer ſchwarzer Rauch ſich ſchwer herab,
Durch den die Morgenſonne aͤngſtlich drang,
Kaum ſeinen Saum verguͤldend. Traurig
blickten
Der Berge Spitzen aus dem Rauch hervor,
Und fern am Horizont das helle Meer.
Die Heerdenvolle Ebne war voll Angſt -
Geſchrei der Fliehenden, verfolgt von Schwar -
zen,
Die unter bluͤhenden Pflanzungen Kaffee,
Cacao, Zuckerrohr und Indigo,
Und Ruku, in Pom'ranzen-Lauben ſie
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Erwuͤrgten. In der Voͤgel Lied ergoß
Sich Weh und Ach der Sterbenden.
Da trat
Ein Mann vor uns; mit Blute nicht befleckt
Und Guͤte ſprach in ſeinen Zuͤgen, die
Im[Augenblick] mit Zorn und Trauer, Wuth
Und Wehmuth wechſelten. Gebietend ſtand
Er wie ein Halbgott da, gebohren zu befehlen.
Und milde ſprach er: hoͤret, hoͤrt mich an,
Ihr Friedensmaͤnner, wendet eure Herzen
Zum ungluͤckſelgen Zimeo. Er iſt
Mit Blute nicht befleckt; zwar waͤr 'es nur
Gottloſer Blut: Denn meiner Bruͤder Quaal
Rief vom Gebuͤrge
*)In Jamaika iſt eine freie Neger-Repu - blik, deren Unabhaͤngigkeit im Jahr 1738 von den Englaͤndern anerkannt und beſtaͤtigt werden mußte.
*) mein Geſchlecht herab,
An Tigern ſie zu raͤchen. Aber ich
Begleitet 'ſie, ſie einzuhalten; wo
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Ich irgend Milde fand, verſchont' ich. Ich
Verſchmaͤhte, ſelbſt mit ſchuldger Weißen Blut
Mich zu beflecken. Sklaven, tretet her,
Wie lebt ihr hier? O wendet eure Herzen,
Ihr Friedensmaͤnner, nicht vom Zimeo.
Er rief die Sklaven unſres Hauſes, ſie
Befragend um ihr Schickſal. Alle traten
Mit Freude vor ihn hin, erzaͤhlend ihm
Ihr Leben. Komm, o Edler, ſprachen ſie,
Sieh unſre Kleider, unſre Wohnungen.
Sie zeigten ihm ihr Geld; die Freigelaßnen
Umringten uns und kuͤßten unſer Knie,
Und ſchwuren, nie uns zu verlaſſen.
Tief
Geruͤhrt ſtand Zimeo, die Augen jetzt
Auf uns, dann auf die Sklaven wendend, dann
Zum Himmel: Maͤchtiger Oriſſa, der
Die Schwarzen und die Weißen ſchuf, o ſieh,
Sieh auf die wahren Menſchen; dann beſtrafe
Die Frevler! Reicht mir eure Hand!
Von nun an
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Will ich zwei Weiße lieben.
Nieder warf er
Auf eine Matte ſich im Schatten. Hoͤrt
Den ungluͤckſelgen Zimeo! Er iſt
Nicht grauſam! Beim Oriſſa! nicht; nur tief
Ungluͤcklich. Laut aufſchluchzend hielt 'er
ein.
Da ſtuͤrzten zu ihm zwei von unſern
Sklaven:
Wir kennen dich, Sohn unſres Koͤniges,
Des maͤchtgen Damiels. Ich ſah dich oft
Zu Benin. Ich zu Onebo.
Sie traten
Zuruͤck. Er rief ſie freundlich zu ſich:
Bleibt,
Ihr meine Landesleute, bleibt mir nah!
Zum erſtenmale wird Jamaika's Luft
Mir angenehm, da ich mit Euch ſie athme.
Er faßte ſich und ſprach: Ihr Friedens -
maͤnner,
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Hoͤrt meine Quaal. Mein Vater ſandte mich,
Daß mich des Hofes Schmeicheleien nicht
Verderbeten, zum Dorfe Onebo.
Ein fleißig Dorf von Ackerleuten. Da
Erzog Matomba mich, der weiſeſte
Der Menſchen. Ach, verlohren iſt er mir,
Und ſeine Tochter, meine Elavo,
Wein Weib. Er weinete; dann fuhr er fort.
Ihr Weiße habt nur eine halbe Seele,
Die nicht zu lieben, nicht zu haſſen weiß.
Nur Gold iſt eure Leidenſchaft. Doch
hoͤret!
Als ich in Onebo (o ſchoͤnes Land
Voll ſuͤßeſter Erinnrung!) mit Matomba,
Ein Ackersmann, und froh und gluͤcklich war,
Mit meiner Elavo im erſten Traum
Der Liebe; ſieh, da kam ein ſchwarzes Schiff
Der Portugieſen an die Kuͤſte. O
Haͤtt 'ich es nie geſehn! Zu Benin werden
Verbrecher nur verkauft. Zu Onebo
War kein Verbrecher. Alſo luden uns
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Die Raͤuber auf ihr Schiff. Ein Feſt begann;
Muſik erklang: ein Tanz. Noch hoͤr' ich
ihn
Den fuͤrchterlichen Schuß der Abfahrt, mitten
In der Muſik. Man lichtete die Anker;
Die Kuͤſte floh, ſie floh. Da half kein Flehn,
Kein Bitten, Ruffen! Ach verſchone mich
Du Angedenken! Hartgefeſſelt lagen
In tiefem Gram, in ſchwarzer Trauer wir.
Drei Juͤnglinge von Benin nahmen ſich
Das Leben; ich nahm mir es nicht, um meiner
Geliebten Elavo, um meines guten
Matomba willen. Ihnen kannſt du doch
Vielleicht noch helfen, dacht 'ich; ſie verlaſſen,
Das kannſt du nicht. Ihr Anblick gab mir
Troſt.
So kamen wir nach vielen Leiden in
Den Hafen. Und, o bittrer Augenblick!
Da wurden wir getrennt. Vergebens warf
Mein Weib, ihr Vater ſich dem Ungeheur
Zu Fuͤßen; ich mit ihnen. Wilden Blicks
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Stuͤrzt 'Elavo auf mich; ich faßte ſie
Mit eiſerm Arm. Umſonſt! Man riß ſie los.
Noch hoͤr' ich ihr Geſchrei! ich ſeh ihr Bild!
Sie trug ein Kind von mir in ihrem Schooß.
Ich ſeh Matomba!
Ploͤtzlich ſtuͤrzte Franz
Mein guter Franz, den von den Spaniern
Aus Mitleid uͤber ſeine Quaalen ich
Mit ſeiner ſchoͤnen Tochter losgekauft
Und mit mir hergefuͤhrt; (er war bisher
Im Innerſten des Hauſes zur Bedeckung
Der Fraun geweſen) ploͤtzlich ſtuͤrzte Franz
Mit Mariannen hin auf Zimeo.
Matomba! Elavo! Mein Zi -
meo!
Sieh deinen Sohn! Um ſeinetwillen nur
Ertrugen wir das Leben, bis wir hier
Die Guten fanden. Zimeo! Dein Sohn!
Er nahm das Kind in ſeinen Arm. Er
ſoll
Kein Sklave eines Weißen werden, Er,
Der33
Der Sohn, den Elavo gebahr.
Ohn 'ihn
Haͤtt' ich die Welt ſchon laͤngſt verlaſſen, ſprach
Die Weinende, jetzt hab 'ich Dich und Ihn!
Wer ſpricht das Wiederſehn der Liebenden,
Die kaum einander mehr zu ſehen hofften,
Mit Worten aus? Des Vaters Auge, das
Vom Saͤugling 'auf die Mutter, auf Ma -
tomba,
Und dann zum Himmel flog, und wieder dann
Sanft auf dem Kinde ruhte. Herzensdank,
Wie nie ein Weißer ihn ausdruͤcken mag,
Wahnſinn des Dankes ſageten ſie uns,
Und ſchieden zum Gebuͤrg'. O fuͤhrete
Ein freundlich Schiff ſie bald zum Vater, der
Den Sohn beweinet, hin gen Onebo,
Den Ort der erſten Liebe, in die Luft
Des ſuͤßen Vaterlandes Benin!
Zehnte Sammlung. C34
Der Geburtstag.
Am Delaware feierte ein Freund,
*)Delaware, ein Fluß in Nordamerika. Die Quacker nennen ſich Freunde.
*)
Ein Quacker, Walter Miflin ſeinen Tag
Des Lebens ſo:
Wie alt biſt Du, mein Freund?
Faſt dreiſſig Jahre ſprach der Neger.
Nun,
So bin ich Dir neun Jahre ſchuldig: denn
Im ein und zwanzigſten ſpricht das Geſetz
Dich muͤndig. Menſchheit und Religion
Spricht Dich gleich allen weißen Menſchen frei.
In jenem Zimmer ſchreibet Dir mein Sohn
Den Freiheitbrief; und ich verguͤte Dir
Das Kapital, das in neun Jahren Du
Verdieneteſt, Landuͤblich, acht pro Cent.
Du biſt ſo frei als ich; nur unter Gott
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Und unter dem Geſetz. Sei fromm und fleißig!
Im Ungluͤck oder Armuth findeſt Du
An Walter Miflin immer Deinen
Freund.
Herr! lieber Herr! antwortet Jakob,
was
Soll ich mit meiner Freiheit thun? Ich bin
Bei Euch gebohren, ward von Euch erzogen,
Arbeitete mit Euch, und wie Ihr.
Mir mangelt nichts. In Krankheit pflegete
Mich Eure Frau als Mutter, troͤſtete
Mich liebreich. Wenn ich denn nun krank
bin
Jakob!
Du biſt ein freier Mann, arbeite jetzt
Um hoͤhern Lohn; dann kaufe Dir ein Land,
Nimm eine Negerinn, die Dir gefaͤllt,
Die fleißig und verſtaͤndig iſt wie Du,
Zur Frau, und lebe mit ihr gluͤcklich. Wie
Ich Dich erzogen, zieh 'auch Deine Kinder
Zum Guten auf, und ſtirb in Friede. Frei
C 236
Biſt Du und mußt es ſeyn. Die Freiheit iſt
Das hoͤchſte Gut. Gott iſt der Menſchen,
nicht
Allein der Weißen Vater. Gaͤb 'er doch
In aller meiner Bruͤder Sinn und Herz,
Nach Afrika zu handeln, nicht daraus
Euch zu entwenden, Euch zu kaufen und
Zu quaͤlen!
Guter Herr, ich kann Euch nicht
Verlaſſen: denn nie war ich Euer Sklav '.
Ihr fodertet nicht mehr von mir als andre
Fuͤr ſich arbeiten. Ich war gluͤcklicher
Und reicher als ſo viele Weiße. Laßt
Mich bei Euch, lieber Herr.
So bleibe dann
In meinem Dienſt, Du guter Jakob, doch
Als freier Mann. Du feierſt dieſe Woche
Dein Freiheitfeſt, und dann arbeiteſt Du,
So lange Dirs gefaͤllt, um guten Lohn
Bei mir, bis ich Dich treu verſorge. Sei
Mein Freund! Jakob.
Der Schwarze druͤckt die Hand
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Des guten Walter Miflins an ſein Herz:
So lange dieſes ſchlaͤget, ſchlaͤgts fuͤr Euch!
Nur heute feiren wir; und morgen friſch
Zur Arbeit. Freud 'und Fleiß iſt unſer Feſt.
Ging ſchoͤner je die Sonne nieder, als
Denſelben Tag am Delaware-Strom?
Jedoch ihr ſchoͤnſter Glanz war in der Bruſt
Des guten Mannes, der fuͤr kein Geſchenk,
Der nur fuͤr Pflicht hielt ſeine gute That.
38

115.

Allerdings eine gefaͤhrliche Gabe, Macht ohne Guͤte, Erfindungsreiche Schlauigkeit ohne Verſtand. Nur koͤnnen, haben, herrſchen, genie - ßen will der verdorben-cultivirte Menſch, ohne zu uͤberlegen, wozu er koͤnne? was er habe? und ob was er Genuß nenne, nicht zuletzt eine Ertoͤdtung alles Genuſſes werde. Welche Philoſophie wird die Na - tionen Europa's von dem Stein des39 Siſyphus, vom Rade Ixions erloͤſen, da - zu ſie eine luͤſterne Politik verdammt hat?

In Romanen beweinen wir den Schmet - terling, dem der Regen die Fluͤgel netzt; in Geſpraͤchen kochen wir von großen Ge - ſinnungen uͤber; und fuͤr jene moraliſche Verfallenheit unſres Geſchlechts, aus der alles Uebel entſpringt, haben wir kein Auge. Dem Geiz, dem Stolz, unſrer traͤgen Langenweile ſchlachten wir tauſend Opfer, die uns keine Thraͤne koſten. Man hoͤrt von dreiſſigtauſend um nichts auf dem Platz gebliebenen Menſchen, wie man von herabgeſchuͤttelten Maikaͤfern, von einem verhagelten Fruchtfelde hoͤrt, und wird den letzten Unfall vielleicht mehr als jene bedauren. Oder man tadelt, was in Peru, Iſmail, Warſchau geſchah, in - dem man, ſobald unſer Vorurtheil, unſre Habſucht dabei ins Spiel kommt, ein40 Gleiches und ein Aergeres, mit verbiſſe - nem Zorn wuͤnſchet.

So iſts freilich. Es iſt ein bekannter, und trauriger Spruch, daß das menſch - liche Geſchlecht nie weniger liebenswerth erſcheine, als wenn es Nationen-weiſe auf einander wirket.

Sind aber auch die Maſchienen, die ſo auf einander wirken, Nationen? oder mißbraucht man ihren Namen?

Die Natur geht von Familien aus. Familien ſchließen ſich an einander; ſie bilden einen Baum mit Zweigen, Stamm und Wurzeln. Jede Wurzel graͤbt ſich in den Boden und ſuchet ihre Nahrung in der Erde, wie jeder Zweig bis zum Gipfel ſie in der Luft ſucht. Sie laufen nicht aus einander; ſie ſtuͤrzen nicht uͤber ein - ander.

Die Natur hat Voͤlker durch Sprache,41 Sitten, Gebraͤuche, oft durch Berge, Meere, Stroͤme und Wuͤſten getrennt; ſie that gleichſam alles, damit ſie lange von ein - ander geſondert blieben, und in ſich ſelbſt bekleibten. Eben jenes Nimrods Weltvereinigendem Entwurf zuwider, wur - den, (wie die alte Sage ſagt) die Sprachen verwirrt; es trenneten ſich die Voͤlker. Die Verſchiedenheit der Sprachen, Sitten, Neigungen und Lebensweiſen ſollte ein Rie - gel gegen die anmaaſſende Verkettung der Voͤlker, ein Damm gegen fremde Ueber - ſchwemmungen werden: denn dem Haus - halter der Welt war daran gelegen, daß zur Sicherheit des Ganzen, jedes Volk und Geſchlecht ſein Gepraͤge, ſeinen Charakter erhielt. Voͤlker ſollten neben einander, nicht durch und uͤber einander druͤckend wohnen.

Keine Leidenſchaften wirken daher in42 allem Lebendigen ſo maͤchtig, als die auf Selbſtvertheidigung hinausgehn. Mit Lebensgefahr, mit vielfach-verdoppel - ten Kraͤften ſchuͤtzt eine Henne ihre Jun - gen gegen Geier und Habicht; ſie hat ſich ſelbſt, ſie hat ihre Schwaͤche vergeſſen und fuͤhlt ſich nur als Mutter ihres Geſchlechts, eines jungen Volkes. So alle Nationen, die man Wilde nennt; moͤgen ſie ſich ge - gen fremde Beſucher mit Liſt oder mit Gewalt vertheidigen. Armſelige Denkart, die ihnen dies veruͤbelt, ja gar die Voͤlker nach der Sanftmuth, mit der ſie ſich be - truͤgen und fangen laſſen, claſſificiret. *)Mich duͤnkt, der Brief ziele hier auf eine Stelle in Home's Geſchichte der Menſch - heit, der es bei großem Reichthum der Ma - terialien in mehreren Stuͤcken an veſten Grundſaͤtzen mangeln doͤrfte. In den meiſten Commerz - und Eroberungsreiſen wer - den die Voͤlker auf gleiche Weiſe geſchichtet. A. d. H.43Gehoͤrte ihnen nicht ihr Land? und iſts nicht die groͤßeſte Ehre, die ſie dem Euro - paͤer goͤnnen koͤnnen, wenn ſie ihn bei ih - rem Mahl verzehren? Um in Buͤſchings Geographie genauer aufgezeichnet zu ſtehn, um in geſtochenen Kupfern den muͤßigen Europaͤer zu ergoͤtzen und mit den Pro - ducten ihres Landes den Geiz einer Han - delsgeſellſchaft zu bereichern; ich weiß nicht, warum ſie ſich dazu ſollten geſchaffen glauben?

Leider iſts alſo wahr, daß eine Reihe Schriften, Engliſch, Franzoͤſiſch, Spaniſch und Deutſch, in dieſem anmaaſſenden, hab - ſuͤchtigen Eigenduͤnkel verfaſſet, zwar Euro - paͤiſch, aber gewiß nicht menſchlich ge - ſchrieben ſeyn; die Nation iſt bekannt, die ſich hierinn ganz Zweifellos aͤußert. Rule, Britannia, rule the waves ; mit dieſem Wahlſpruch, glaubt mancher, ſeyn ihnen44 die Kuͤſten, die Laͤnder, die Nationen und Reichthuͤmer der Welt gegeben. Der Captain und ſein Matroſe ſeyn die Haupt - raͤder der Schoͤpfung, durch welche die Vorſehung ihr ewiges Werk ausſchließend zur Ehre der Brittiſchen Nation, und zum Vortheil der Indiſchen Compagnie bewir - ket. Politiſch und fuͤrs Parlament moͤgen ſolche Berechnungen und Selbſtſchaͤtzungen gelten; dem Sinn und Gefuͤhl der Menſch - heit ſind ſie unertraͤglich. *)Als Dunbar, von dem einige Beitraͤge zur Geſchichte der Menſchheit auch unter uns bekannt ſind, des D. Tuckers, eines eifrigen Staatsſchriftſtellers true baſis of civil government las, ſagte er: when the benevolence of this writer is exalted into charity, when the ſpirit of his religion (er war ein Geiſtlicher, Dechant von Briſtol,)Vollends wenn wir arme, Schuldloſe Deutſche45 hierinn den Britten nachſprechen; Jammer und Elend!

Was ſoll uͤberhaupt eine Meſſung al - ler Voͤlker nach uns Europaͤern? wo iſt das Mittel der Vergleichung? Jene Nation, die ihr wild oder barbariſch nennt, iſt im Weſentlichen viel menſchlicher als ihr; und wo ſie unter dem Druck des Klima erlag, wo eine eigne Organiſation, oder beſondre Umſtaͤnde im Lauf ihrer Ge - ſchichte ihr die Sinne verruͤckten; da ſchlage ſich doch jeder an die Bruſt, und*)corrects the rancour of his philoſo - phy, he will aknowledge in the moſt intutored tribes ſome glim - merings of humanity, and ſome deciſive indications of a moral nature. Manchem Schriftſteller moͤchte man dieſen Geiſt der Anerkennung der Menſch - heit im Menſchen wuͤnſchen. A. d. [S].46 ſuche den Queerbalken ſeines eignen Ge - hirnes. Alle Schriften, die den an ſich ſchon unertraͤglichen Stolz der Europaͤer durch ſchiefe, unerwieſene oder offenbar unerweisbare Behauptungen naͤhren; verachtend wirft ſie der Genius der Menſch - heit zuruͤck und ſpricht: ein Unmenſch hat ſie geſchrieben!

Ihr edleren Menſchen, von welchem Volk ihr ſeyd, Las Caſas, Fenelon, ihr beiden guten St. Pierre, ſo mancher ehrliche Quacker, Montesquieu, Fi - langieri, deren Grundſaͤtze nicht auf Verachtung ſondern auf Schaͤtzung und Gluͤckſeligkeit aller Menſchen-Nationen hinausgehn; ihr Reiſenden, die ihr euch, wie Pages und andre, in die Sitten und Lebensart mehrerer, ja aller Nationen zu ſetzen wußtet, und es nicht unwerth fan - det, unſre Erde, wie eine Kugel zu be -47 trachten, auf der mit allen Klimaten und Erzeugniſſen der Klimate, auch mancherlei Voͤlker, in jedem Zuſtande, ſeyn muͤſſen, und ſeyn werden; Vertreter, und Schutz - engel der Menſchheit, wer aus Eurer Mitte, von Eurer heilbringenden Denkart, giebt uns eine Geſchichte derſelben, wie wir ſie beduͤrfen?

Nachſchrift des Herausgebers.

Da es verſchiedenen Leſern angenehm ſeyn moͤchte, etwas mehr von den eben - genannten Vorſprechern der Menſchheit zu wiſſen, als ihre Namen, ſo fuͤge ich zu Erlaͤuterung des Briefes dies Wenige bei.

De Las Caſas, (Fray Bartolomé) Biſchof von Chiapa, war der edle Mann, der nicht nur in ſeiner kurzen Erzaͤhlung48 von der Zerſtoͤrung von Indien, ſondern auch in Schriften an die hoͤchſten Gerichte und an den Koͤnig ſelbſt die Graͤuel ans Licht ſtellte, die ſeine Spanier gegen die Eingebohrnen Indiens veruͤbten. Man warf ihm Uebertreibung und eine gluͤhende Einbildungskraft vor; der Luͤge aber hat ihn niemand uͤberwieſen. Und warum ſollte das was man gluͤhende Einbildungs - kraft nennet, nicht lieber ein edles Feuer des Mitgefuͤhls mit den Ungluͤcklichen ge - weſen ſeyn, ohne welches er freilich nicht, auch nicht alſo geſchrieben haͤtte. Die Zeit hat ihn gerechtfertigt, und ſeinen Gegner Sepulveda mehr als ihn der Unwahrheit uͤberwieſen. Daß er mit ſei - nen Vorſtellungen nicht viel ausgerich - tet hat, vermindert ſein Verdienſt nicht; Friede ſei mit ſeiner Aſche!

Fene -49

Fenelons billige und liebreiche Denk - art iſt allbekannt. So eifrig er an ſeiner Kirche hing, und deßhalb uͤber die Prote - ſtanten hart urtheilte,*)Theils in ſeinen Paſtoralſchriften, Theils in den Aufſaͤtzen ſeines Zoͤglings, des Herzogs von Bourgogne iſt dieſes erſichtlich. weil er ſie nicht kannte: ſo ſehr verabſcheuete er, ſelbſt als Miſſionar zu Bekehrung derſelben, ihre Verfolgung. Vor allen Dingen, ſagt er zum Ritter St. Georg, zwingt eure Un - terthanen nie, ihre Weiſe des Gottesdienſtes zu aͤndern. Eine menſchliche Macht iſt nicht im Stande, die undurchdringliche Bruſtwehr, Freiheit des Herzens zu uͤber - waͤltigen. Sie macht nur Heuchler. Wenn Koͤnige, ſtatt ſie zu beſchuͤtzen, ſich in dieZehnte Sammlung. D50Gottesverehrung gebietend mengen: ſo brin - gen ſie dieſelbe in Knechtſchaft.

In ſeiner Anweiſung, das Ge - wiſſen eines Koͤniges zu leiten,*)Directions pour le Conſcience d'vn Roi nachgedruckt à la Haye 1747. giebt er Rathſchlaͤge, die, wenn ſie befolgt wuͤrden, jeder Revolution zuvorkaͤmen. Ich fuͤhre von ihnen nur einige an, blos wie ſie der vorſtehende Brief fodert.

Habt Ihr das wahre Beduͤrfniß eures Staats gruͤndlich unterſucht und mit dem Unangenehmen der Auflagen zuſammen - gehalten, ehe Ihr Euer Volk damit be - ſchwertet? Habt Ihr nicht Nothdurft des Staats genannt, was nur Eurer Ehrſucht zu ſchmeicheln diente? Staatsbeduͤrfniß, was blos eure perſoͤnliche Anmaaßung war? Perſoͤnliche Praͤtenſionen habt51 Ihr blos auf Eure Privatkoſten geltend zu machen und hoͤchſtens das zu erwarten, was die reine Liebe Eures Volks freiwil - lig dazu beitraͤgt. Als Karl 8. nach Nea - pel ging, um ſich die Succeſſion des Hau - ſes Anjou zu vindiciren, unternahm er den Krieg auf ſeine Koſten; der Staat glaubte ſich zu Unternehmung derſelben nicht verbunden.

Habt Ihr auswaͤrtigen Nationen kein Unrecht zugefuͤgt? Ein armer Ungluͤcklicher kommt an den Galgen, weil er in hoͤchſter Noth auf der Landſtraße einige Thaler raubte; und ein Eroberer, das iſt, ein Mann der ungerechter Weiſe dem Nachbar Laͤnder wegnimmt, wird als ein Held ge - prieſen. Eine Wieſe, oder einen Weinberg unbefugt zu nutzen, wird als eine uner - laͤßliche Suͤnde angeſehen, im Fall man den Schaden nicht erſetzt; Staͤdte undD 252Provinzen zu uſurpiren, rechnet man fuͤr nichts. Dem einzelnen Nachbar ein Feld wegnehmen, iſt ein Verbrechen; einer Na - tion ein Land wegnehmen, iſt eine unſchul - dige, Ruhmbringende Handlung. Wo iſt hier Gerechtigkeit? wird Gott ſo richten? Glaubſt Du, daß ich ſeyn werde, wie Du? Muß man nur im Kleinen, nicht im Großen gerecht ſeyn? Millionen Menſchen, die eine Nation ausmachen, ſind ſie weniger unſre Bruͤder, als Ein Menſch? Darf man Millionen ein Un - recht uͤber Provinzen thun, das man ei - nem Einzelnen uͤber eine Wieſe nicht thun doͤrfte? Zwingt Ihr, weil Ihr der Staͤr - kere ſeyd, einen Nachbar den von Euch vorgeſchriebenen Frieden zu unterzeichnen, damit er groͤßeren Uebeln aus dem Wege gehe, ſo unterzeichnet er, wie der Reiſende dem Straßenraͤuber den Beutel reicht,53 weil ihm das Piſtol vor der Bruſt ſtehet.

Friedensſchluͤſſe ſind nichtig, nicht nur wenn in ihnen die Uebermacht Ungerech - tigkeiten erpreßt hat, ſondern auch wenn ſie mit Hinterliſt zweideutig abgefaßt wer - den, um eine guͤnſtige Zweideutigkeit gele - gentlich geltend zu machen. Euer Feind iſt Euer Bruder; das koͤnnt Ihr nicht ver - geſſen, ohne auf die Menſchheit ſelbſt Ver - zicht zu thun. Bei Friedensſchluͤſſen iſt nicht mehr von Waffen und Krieg; ſon - dern von Friede, von Gerechtigkeit, Menſch - lichkeit, Treu und Glauben die Rede. Im Friedensſchluß ein nachbarliches Volk zu betruͤgen iſt Ehrloſer und ſtrafbarer, als im Contrakt eine Privatperſon zu hinter - gehen. Mit Zweideutigkeiten und ver - faͤnglichen Ausdruͤcken im Friedensſchluß bereitet man ſchon den Samen zu kuͤnfti -54 gen Kriegen; d. i. man bringt Pulverfaͤſ - ſer unter Haͤuſer, die man bewohnet.

Als die Frage vom Kriege war, habt Ihr unterſucht und unterſuchen laſſen, was Ihr fuͤr Recht dazu hattet; und dies zwar von den Verſtaͤndigſten, die Euch am we - nigſten ſchmeicheln. Oder hattet Ihr nicht Eure perſoͤnliche Ehre dabei im Auge, doch etwas unternommen zu haben, was Euch von andern Fuͤrſten unterſchiede. Als ob es Fuͤrſten eine Ehre waͤre, das Gluͤck der Voͤlker zu ſtoͤren, deren Vaͤter ſie ſeyn ſollen! Als ob ein Hausvater durch Handlungen, die ſeine Kinder un - gluͤcklich machen, ſich Achtung erwuͤrbe! Als ob ein Koͤnig anderswoher Ruhm zu hoffen haͤtte, als von der Tugend, d. i. von der Gerechtigkeit und von einer guten Regierung ſeines Volks!

Dies ſind einige der ſechs - und55 dreiſſig Artikel Fenelons, die allen Vaͤ - tern des Volks Morgen - und Abendlection ſeyn ſollten. Zu gleichem Zweck ſind ſeine Geſpraͤche, ſein Telemach, ja alle ſeine Schriften geſchrieben; der Genius der Menſchlichkeit ſpricht in ihnen ohne Kuͤnſtelei und Zierrath. Ich liebe meine Familie, ſagt der edle Mann, mehr als mich; mehr als meine Familie mein Va - terland; mehr als mein Vaterland die Menſchheit.

Der Abbt St. Pierre iſt ungerechter Weiſe faſt durch nichts als durch ſein Projekt zum ewigen Frieden bekannt; eine ſehr gutmuͤthige, ja edle Schwachheit, die doch ſo ganz Schwachheit nicht iſt, als man meinet. In dieſem Vorſchlage ſowohl als in manchen andern war er mit56 Fleiß etwas pedantiſch; er wiederholte ſich, damit, wie er ſagte, wenn man ihn zehn - mal uͤberhoͤrt haͤtte, man ihn das eilftemal anhoͤre; er ſchrieb trocken und wollte nicht vergnuͤgen. *)Ueberhaupt hielt er von bloßen Ergoͤtzungs - ſchriften nicht viel; bei unſern Urenkeln, glaubte er, wuͤrden ſie ganz außer Mode ſeyn. Als unter lautem Beifall ein derglei - chen Gedicht vorgeleſen ward, und man ihn fragte, was er von dieſem Kunſtwerk denke? Eh mais, cela eſt encore fort beau, ant - wortete er und meinte, dies encore werde nicht ewig dauren. S. Eloge de St. Pierre von d'Alembert.

Schwerlich giebts eine honettere Denkart, als die der Abbt St. Pierre in allen Schriften aͤußert. Allgemeine Vernunft und Gerechtigkeit, Tugend und Wohlthaͤtigkeit waren ihm die Regel, die Tendenz unſres Geſchlechts und deſ -57 ſen Wahlſpruch: donner et pardonner, Geben und Vergeben. Dazu las, da - zu ſah und hoͤrte er; ohne Anmaaßung. Eine Eintrittsrede in die Akademie, ſagte er, verdient hoͤchſtens zwei Stunden, die man darauf wendet; ich habe vier dar - auf gewandt, und denke, das ſei honnet gnug; unſre Zeit gehoͤrt dem Nutzen des Staates.

Ueber den koͤrperlichen Schmerz dachte er nicht wie ein Stoiker, ſondern hielt ihn fuͤr ein wahres, ja vielleicht fuͤr das ein - zige Uebel, das die Vernunft weder ab - wenden, noch ſchwaͤchen koͤnne; die mei - ſten andern Uebel, meinte er, ſeyn abwend - bar oder nur von einem eingebildeten Werthe. Seine Mitmenſchen des Schmer - zes zu uͤberheben, ſei die reichſte Wohl - that.

Man iſt nicht verbunden, andre zu58 amuſiren, wohl aber niemand zu be - truͤgen und ſo befliß er ſich aufs ſtrengſte der Wahrheit.

Einzig beſchaͤftigt, das hinwegzubringen, was dem gemeinen Wohl ſchadete, war er ein Feind der Kriege, des Kriegesruhms und jeder Bedruͤckung des Volkes; den - noch aber glaubte er, daß die Welt durch die ſchrecklichen Kriege der Roͤmer weniger gelitten habe, als durch die Tibere, die Neronen. Ich weiß nicht, ſagt er, ob Caligula, Domitian und ihres Glei - chen Goͤtter waren; das nur weiß ich, Menſchen waren ſie nicht. Ich glaube wohl, daß man ſie bei ihren Lebzeiten uͤber das Gute, das ſie ſtifteten, gnug mag ge - prieſen haben; einzig Schade nur, daß ihre Voͤlker von dieſem Guten nichts ge - wahr wurden. Er hatte oft die ſchoͤne Maxime Franz des erſten im Munde:59 Regenten gebieten den Voͤlkern; die Ge - ſetze den Regenten.

Da er nicht heirathen dorfte; ſo erzog er Kinder, ohne alle Eitelkeit, nur zum Nuͤtzlichen, zum Beſten. Er freuete ſich auf eine Zeit, da, von Vorurtheilen frei, der einfaͤltigſte Capuciner ſo viel wiſſen wuͤrde, als der geſchickteſte Jeſuit, und hielt dieſe Zeit, ſo lange man ſie auch verſpaͤtete, fuͤr unhintertreiblich. Traͤgheit und boͤſe Gewohnheiten der Menſchen, vorzuͤglich aber den Deſpotismus klagte er als muthwillige Urſachen dieſes Aufhaltens an: denn auch die Wiſſenſchaften, meinte er, liebe man nur unter der Bedingung, daß ſie dem Volk nicht zu gut kaͤmen. So ſagte jener Karthaͤuſer, als ein Frem - der ſeine Karthauſe, wie ſchoͤn ſie ſei, lobte: Fuͤr die Vorbeigehenden iſt ſie al - lerdings ſchoͤn.

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Eine andre Urſache der Verſpaͤtung des Guten in der Welt fand St. Pierre darinn, daß ſo wenig Menſchen wuͤßten, was ſie wollten, und unter dieſen noch weniger das Herz haͤtten, zu wiſſen, daß ſie es wiſſen, zu wollen, was ſie wollen. Selbſt uͤber die gleichguͤl - tigſten Dinge der Literatur folge man an - genommenen fremden Meinungen, und habe nicht das Herz zu ſagen, was man ſelbſt denket; hingegen, meint er, ſei nur Ein Mittel, daß jeder Mann von Wiſſenſchaft ein Teſtament mache, und ſich wenig - ſtens nach ſeinem Tode wahr zu ſeyn ge - traue.

Er ſchrieb eine Abhandlung, wie auch Predigten nuͤtzlich werden koͤnnten ; und war inſonderheit der Mahomedaniſchen Religion feind, weil ſie die Unwiſſenheit61 aus Grundſaͤtzen beguͤnſtigt und die Voͤl - ker thieriſch macht. (abrutiret.)

Chriſtliche Verfolger, meinte er, muͤſſe man als Narren aufs Theater bringen, wenn man ſie nicht als Unſinnige einſper - ren wollte.

Hinter ſeine Abhandlungen ſetzte er oft die Deviſe: Paradis aux Bienfaiſans! und gewiß genoß dieſer bis an ſeinen letz - ten Augenblick gleich - und wohldenkende Mann dieſes innern Paradieſes. Als man ihn in den letzten Zuͤgen fragte: ob er nicht noch etwas zu ſagen habe? ſagte er: ein Sterbender hat wenig zu ſagen, wenn er nicht aus Eitelkeit oder aus Schwaͤche redet. Lebend ſprach er nie aus die - ſen Gruͤnden; und o moͤchte einſt jeder Buchſtab von dem, das er damals in ei - nem engen Nationalgeſichtskreiſe ſchrieb, im weiteſten Umfange erfuͤllt werden! 62Nach ſeiner Ueberzeugung wird ers wer - den*)Oeuvres de Morale et de Politique de l'Abbé de St. Pierre (Charles Jrenée Caſtel) T. 1 - 16. Rotterd. 1741.

Sein Namensgenannter, Bernardin de St. Pierre, ein aͤchter Schuͤler Fenelons, hat jede ſeiner Schriften bis zur kleinſten Erzaͤhlung im Geiſt der Menſchenliebe und Einfalt des Herzens geſchrieben. Gern verbindet er die Natur mit der Geſchichte der Menſchen, deren Gutes er ſo froh, deren Boͤſes er allenthalben mit Milde er - zaͤhlet. Ich werde glauben, ſagt er,**)Reiſe nach den Inſeln Frankreich und Bour - bon, Altenb. 1774. Vorrede S. 3. dem menſchlichen Geſchlecht genutzt zu ha - ben, wenn das ſchwache Gemaͤhlde vom63 Zuſtande der ungluͤcklichen Schwarzen, ih - nen einen einzigen Peitſchenſchlag erſparen kann, und die Europaͤer, (ſie, die in Eu - ropa wider die Tyrannei eifern und ſo ſchoͤne moraliſche Abhandlungen ausarbei - ten,) aufhoͤren in Indien die grauſamſten Tyrannen zu ſeyn. In gleich edelm Sinn ſind ſein Paul und Virginie, das Caffeehaus von Surate, die Indi - ſche Strohhuͤtte und die Studien der Natur geſchrieben. *)Etudes de la Nature, Par. 1776. Man er - wartet jetzt von ihm ein Werk, Harmonie de la Nature pour ſervir aux elemens de la Morale, das nicht anders als in einem guten Geiſt abgefaßt ſeyn kann. Waͤhrend der Revolution hat er ſich weiſe betragen.Mit Seelen dieſer Art lebt man ſo gern, und freuet ſich, daß ihrer noch Einige da ſind.

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Die Quacker, an welche der Brief denkt, bringen von Penn an, eine Reihe der Verdienſtvolleſten Maͤnner in Erinne - rung, die zum Beſten unſres Geſchlechts mehr gethan haben, als tauſend Helden und pomphafte Weltverbeſſerer. Die thaͤ - tigſten Bemuͤhungen zu Abſchaffung des ſchaͤndlichen Negerhandels und Sklaven - dienſtes ſind ihr Werk; wobei indeß uͤber - haupt auch Methodiſten und Presbyteria - nern, jeder ſchwachen oder ſtarken Stimme jedes Landes ihr Verdienſt bleibt, wenn ſie taubſten Ohren und haͤrteſten Menſchen - herzen, geizigen Handelsleuten, hieruͤber etwas zurief. Eine Geſchichte des aufge - hobenen Negerhandels und der abgeſtelle - ten Sklaverei in allen Welttheilen wird einſt ein ſchoͤnes Denkmal im Vorhofedes65des Tempels allgemeiner Menſchlichkeit ſeyn, deſſen Bau kuͤnftigen Zeiten bevor - ſtehet; mehrere Quacker-Namen werden an den Pfeilern dieſes Vorhofes mit ſtil - lem Ruhm glaͤnzen. In unſerm Jahr - hundert ſcheints die erſte Pflicht zu ſeyn, den Geiſt der Frivolitaͤt zu verbannen, der alles wahrhaft Gute und Große ver - nichtet. Dies thaten die Quacker.

Montesquieu verdiente unter den Befoͤrderern des Wohls der Menſchen ge - nannt zu werden: denn ſeine Grundſaͤtze haben uͤber die Mode hinaus Gutes ver - breitet, geſetzt, daß er auch den ganzen Lobſpruch, den ihm Voltaire gab,*)Der Lobſpruch iſt bekannt: l'humanité avoit perdu ſes titres; Montesquieu les a re -Zehnte Sammlung. E66nicht haͤtte erreichen moͤgen. Am Willen des edeln Mannes lag es nicht; viele Ka - pitel ſeines Werks ſind, wie die Aufſchrift deſſelben ſagt, flores ſine ſemine nati, Blu - men, denen es an einem Boden und an echten Samenkoͤrnern gebrach; eine Menge derſelben aber ſind Heilbringende Blumen und Fruͤchte. Auch ſeinen Perſiſchen Briefen, ſeiner Schrift uͤber die Groͤ - ße und den Verfall der Roͤmer, ja ſeinen kleinſten Aufſaͤtzen fehlet es daran nicht; mehrere Kapitel ſeines Werks vom Geiſt der Geſetze ſind in Aller Gedaͤchtniß. *)trouvé. Voltaire'n ſelbſt iſt, was man auch dagegen ſage, die Menſchheit viel ſchuldig. Eine Reihe von Aufſaͤtzen zur Ge - ſchichte, zur Philoſophie und Geſetzgebung, zur Aufklaͤrung des Verſtandes u. f. bald in ſpottendem bald in lehrendem Ton ſind ihr geſchrieben. Seine Alzire, Zaire u. f. deßgleichen. A. d. [S].67Montesquieu hat viele und große Schuͤ - ler gehabt; auch der gute Filangieri iſt in der Zahl. *)Syſtem der Geſetzgebung, Anſpach 1784.

Da der vorſtehende Brief der Schot - ten und Englaͤnder, eines Bakon, Har - rington, Milton, Sidnei, Locke, Ferguſon, Smith, Millar und an - derer nicht erwaͤhnt, ohne Zweifel, weil er einen vielgeprieſenen Ruhm nicht wieder - holen wollte, dagegen aber einige Neapo - litaniſche Schriftſteller nennet, ſo ſei es er - laubt, das ziemlich vergeſſene Andenken eines Mannes zu erneuern, der zu einer Schule menſchlicher Wiſſenſchaft im echten Sinne des Worts an ſeinem Ort vor andern den Grund legte, Giam - battiſta Vico. Ein Kenner und Be - wunderer der Alten ging er ihren Fuß -E 268tapfen nach, indem er in der Phyſik, Mo - ral, im Recht, und im Recht der Voͤlker gemeinſchaftliche Grundſaͤtze ſuchte. Plato, Tacitus, unter den Neuen Bacon und Grotius waren, wie er ſelbſt ſagt, ſeine Lieblingsautoren; in ſeiner neuen Wiſ - ſenſchaft*)Principy di vna Sciencia nuova, zuerſt herausgegeben 1725. ſuchte er das Principium der Humanitaͤt der Voͤlker (dell 'umanità delle Nazioni) und fand dies in der Vorausſicht (provvedenza) und Weisheit. Alle Elemente der Wiſſen - ſchaft goͤttlicher und menſchlicher Dinge ſetzte er in Kennen, Wollen, Ver - moͤgen, (noſſe, velle, poſſe) deren einzi - ges Principium der Verſtand, deſſen Auge die Vernunft ſei, vom Lichte der ewigen Wahrheit erleuchtet. Er gruͤn -69 dete den Katheder dieſer Wiſſenſchaften in Neapel, den nachher Genoveſi, Ga - lanti betraten;*)Antonio Genoveſi politiſche Oekono - mie iſt im Deutſchen durch eine Ueberſetzung bekannt; Galanti Beſchreibung beider Sicilien desgleichen. Des erſten Storia del Commercio della gran Brettagna von Cary, und ſeine Lehrbuͤcher zeigen eben ſo viel Kaͤnntniſſe als philoſophiſchen und buͤrgerlichthaͤtigen Geiſt. Auch Montes - quieu hat er mit Anmerkungen herausge - geben. A. d. [S]. uͤber die Philoſophie der Menſchheit, uͤber die Haushaltung der Voͤlker haben wir trefliche Werke aus je - ner Gegend erhalten, da Freiheit im Den - ken vor allen Laͤndern in Italien die Kuͤſte von Neapel begluͤcket und werth haͤlt.

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116.

Sie wuͤnſchen eine Naturgeſchichte der Menſchheit in rein-menſchlichem Sinne geſchrieben; ich wuͤnſche ſie auch: denn daruͤber ſind wir einig, daß eine zu - ſammengeleſene Beſchreibung der Voͤlker nach ſogenannten Racen, Varietaͤten, Spiel - arten, Begattungsweiſen u. f. dieſen Na - men noch nicht verdiene. Laſſen Sie mich den Traum einer ſolchen Geſchichte ver - folgen.

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1. Vor allem ſei man unpartheiiſch wie der Genius der Menſchheit ſelbſt; man habe keinen Lieblingsſtamm, kein Favorit - volk auf der Erde. Leicht verfuͤhrt eine ſolche Vorliebe, daß man der beguͤnſtigten Nation zu viel Gutes, andern zu viel Boͤ - ſes zuſchreibe. Waͤre vollends das ge - liebte Volk blos ein collectiver Name, (Cel - ten, Semiten, Cuſchiten u. f.) der vielleicht nirgend exſiſtirt hat, deſſen Abſtammung und Fortpflanzung man nicht erweiſen kann: ſo haͤtte man ins Blaue des Him - mels geſchrieben.

2. Noch minder beleidige man verach - tend irgend eine Voͤlkerſchaft, die uns nie beleidigt hat. Wenn Schriftſteller auch nicht hoffen doͤrften, daß die guten Grund - ſaͤtze, die ſie verbreiten, uͤberall ſchnellen Eingang finden, ſo iſt die Hut, gefaͤhrliche72 Grundſaͤtze zu veranlaſſen, ihnen die groͤ - ßeſte Pflicht. Um ſchwarze Thaten, wilde Neigungen zu rechtfertigen ſtuͤtzt man ſich gern auf verachtende Urtheile uͤber andre Voͤlker. Pabſt Niklas der fuͤnfte hat, (es iſt ſchon lange) die unbekannte Welt verſchenkt; den weißen und edleren Men - ſchen hat er alle Unglaͤubige zu Sklaven zu machen, pontificaliſch erlaubet. Mit unſern Bullen kommen wir zu ſpaͤt. Der Kakiſtokratismus behauptet praktiſch ſeine Rechte, ohne daß wir ihn dazu theoretiſch bevollmaͤchtigen und deßhalb die Geſchichte der Menſchheit umkehren muͤßten. Aeußerte z. B. jemand die Meinung, daß wenn erwieſen werden kann, daß ohne Neger keine Kaffee - Zucker - Reis - und Tobacks - pflanzungen beſtehen koͤnnen, ſo ſei zu - gleich die Rechtmaͤßigkeit des Neger - handels bewieſen, indem dieſer Handel73 dem ganzen menſchlichen Geſchlecht, d. i. den weißen edleren Menſchen mehr zum Vortheil als zum Nachtheil gereichet: ſo zerſtoͤrte ein Grundſatz der Art ſofort die ganze Geſchichte der Menſchheit. Ad ma - iorem Dei gloriam privilegirte er die frech - ſten Anmaaßungen, die grauſamſten Uſur - pationen. Gebe man doch keinem Volk der Erde den Scepter uͤber andre Voͤlker wegen angebohrner Vornehmig - keit in die Haͤnde; vielweniger das Schwert und die Sklavenpeitſche.

3. Der Naturforſcher ſetzt keine Rangordnung unter den Geſchoͤpfen voraus, die er betrachtet; alle ſind ihm gleich lieb und werth. So auch der Na - turforſcher der Menſchheit. Der Neger hat ſo viel Recht, den Weißen fuͤr eine Abart, einen gebohrnen Kackerlacken zu74 halten, als wenn der Weiße ihn fuͤr eine Beſtie, fuͤr ein ſchwarzes Thier haͤlt. So der Amerikaner, ſo der Mungale. In je - ner Periode, da ſich Alles bildete, hat die Natur den Menſchen-Typus ſo viel - fach ausgebildet, als ihre Werkſtatt es er - forderte und zuließ. Nicht verſchiedene Keime,*)Hieruͤber hat der Verfaſſer dieſes Briefes eine beſondre Abhandlung entworfen, die aber hieher nicht gehoͤret. A. d. H. (ein leeres und der Menſchen - bildung widerſprechendes Wort,) aber ver - ſchiedne Kraͤfte hat ſie in verſchiedner Proportion ausgebildet, ſo viel deren in ihrem Typus lagen und die verſchiednen Klimate der Erde ausbilden konnten. Der Neger, der Amerikaner, der Mongol hat Gaben, Geſchicklichkeiten, praͤformirte An - lagen, die der Europaͤer nicht hat. Viel -75 leicht iſt die Summe gleich; nur in ver - ſchiednen Verhaͤltniſſen und Compenſatio - nen. Wir koͤnnen gewiß ſeyn, daß was ſich im Menſchen-Typus auf unſrer run - den Erde entwickeln konnte, entwickelt hat, oder entwickeln werde; denn wer koͤnnte es daran verhindern? Das Urbild, der Prototyp der Menſchheit liegt alſo nicht in Einer Nation Eines Erdſtriches; er iſt der abgezogne Begriff von allen Ex - emplaren der Menſchennatur in beiden He - miſphaͤren. Der Cherokeſe und Hus - wana, der Mungal und Gonaqua iſt ſo wohl ein Buchſtab im großen Wort unſres Geſchlechts, als der gebildetſte Eng - laͤnder und Franzoſe.

4. Jede Nation muß alſo einzig auf ihrer Stelle, mit allem was ſie iſt und hat, betrachtet werden; willkuͤhr -76 liche Sonderungen, Verwerfungen einzel - ner Zuͤge und Gebraͤuche durch einander geben keine Geſchichte. Bei ſolchen Samm - lungen tritt man in ein Beinhaus, in eine Geraͤth - und Kleiderkammer der Voͤlker; nicht aber in die lebendige Schoͤpfung, in jenen großen Garten, in dem Voͤlker, wie Gewaͤchſe erwuchſen, zu dem ſie gehoͤren, in dem Alles, Luft, Erde, Waſſer, Sonne, Licht, ſelbſt die Raupe, die auf ihnen kriecht und der Wurm, der ſie verzehrt, zu ihnen gehoͤret*)Daß Sammlungen von Beſonderheiten des Menſchengeſchlechts hie und da, hierin und darin, als Regiſter, als Repertorien zu ge - brauchen ſind, wollte der Verf. dieſes Brie - fes nicht laͤugnen; nur ſie ſind, als ſolche, noch keine Geſchichte. A. d. S.. Lebendige Haushaltung iſt der Begriff der Natur, wie bei allen Organiſationen, ſo bei der vielgeſtaltigen77 Menſchheit. Leid und Freude, Mangel und Habe, Unwiſſenheit und Bewußtſeyn, ſtehen im Buch der großen Haushaͤlterinn neben einander, und ſind gegen einander berechnet.

5. Am wenigſten kann alſo unſre Eu - ropaͤiſche Cultur das Maas allgemei - ner Menſchenguͤte und Menſchenwerthes ſeyn; ſie iſt kein oder ein falſcher Maas - ſtab. Europaͤiſche Cultur iſt ein abgezogener Begriff, ein Name. Wo exſiſtirt ſie ganz? bei welchem Volk? in welchen Zeiten? Ueberdem ſind mit ihr (wer darf es laͤug - nen?) ſo viele Maͤngel und Schwaͤchen, ſo viel Verzuckungen und Abſcheulichkeiten verbunden, daß nur ein unguͤltiges Weſen dieſe Veranlaſſungen hoͤherer Cultur zu ei - nem Geſammt-Zuſtande unſres ganzen Ge - ſchlechts machen koͤnnte. Die Cultur der78 Menſchheit iſt eine andre Sache; Ort - und Zeitmaͤßig ſprießt ſie allenthalben hervor, hier reicher und uͤppiger, dort aͤr - mer und kaͤrger. Der Genius der Men - ſchen-Naturgeſchichte lebt in und mit je - dem Volk, als ob dies das einzige auf Erden waͤre.

6. Und er lebt in ihm menſchlich. Alle Abſonderungen und Zergliederungen, durch die der Charakter unſres Geſchlechts zerſtoͤrt wird, geben halbe oder Wahnbe - griffe, Speculationen. Auch der Peſche - raͤh iſt ein Menſch; auch der Albinos. Lebensweiſe (habitus) iſts, was eine Gattung beſtimmt; in unſrer vielartigen Menſchheit iſt ſie aͤußerſt verſchieden. Und doch iſt zuletzt Alles an wenige Puncte ge - knuͤpfet; in der groͤßeſten Verſchiedenheit zeigt ſich die einfachſte Ordnung. Der79 Neger offenbahrt ſich in ſeinem Fußtritt, wie der Hindu in ſeiner Fingerſpitze; ſo beide in Liebe und Haß, im kleinſten und groͤßeſten Geſchaͤfte. Ein durchſchauendes Weſen, das jede moͤgliche Abaͤnderung des Menſchen-Typus nach Situationen unſres Erdballs genetiſch erkennete, wuͤrde aus wenig gegebnen Merkmahlen die Summe der ganzen Conformation und des ganzen Habitus eines Volks, ei - nes Stammes, eines Individuums leicht finden.

Zu dieſer Anerkennung der Menſchheit im Menſchen fuͤhren treue Reiſebeſchrei - bungen viel ſicherer als Syſteme. Mich freuete es, daß Ihr Brief*)Br. 115. unter denen, die ſich in die Sitten fremder Voͤlker - ſchaften innig verſetzt, auch Pages80 nannte. *)de Pages Voyage autour du monde, Berne 1783. Man leſe ſeine Gemaͤhlde vom Charakter mehrerer Nationen in Ame - rika,**)S. 17. 18-62. der Voͤlker auf den Philippi - nen,***)S. 137-148. 155-195. und was er vom Betragen der Europaͤer gegen ſie hie und da urtheilt; wie er ſich der Denkart der Hindu's, der Araber, der Druſen u. f. auch durch Theilnahme an ihrer Lebensweiſe gleichſam einzuverleiben ſuchte. †)T. II. Rei - ſebeſchreibungen ſolcher Art, deren wir (Dank ſei es der[Menſchheit]!) viele ha - ben,††)Unter vielen andern nenne ich G. For - ſters und le Vaillants, vom letzten in -ſon - erweitern den Geſichtskreis undver -81vervielfaͤltigen die Empfindung fuͤr jede Situation unſrer Bruͤder. Ohne daruͤber ein Wort zu verlieren, predigen ſie Mitge - fuͤhl, Duldung, Entſchuldigung, Lob, Be - dauren, vielſeitige Cultur des Gemuͤths, Zufriedenheit, Weisheit. Freilich ſucht auch in Reiſebeſchreibungen, wie auf Reiſen, Jeder das Seine. Der Niedrige ſucht ſchlechte Geſellſchaft, und da wird ſich ja††)ſonderheit ſeine neuere Reiſen. Die Grund - ſaͤtze, die in ihnen herrſchen, wie Menſchen und Thiere zu betrachten und zu behandeln ſind, geben eine Hodopaͤdie, die inſon - derheit den Englaͤndern zu mangeln ſcheinet. Ihre Urtheile uͤber fremde Nationen verra - then immer den diviſum toto orbe Bri - tannum, wo nicht gar den monarchiſchen Kaufmann; da ein Reiſebeſchreiber eigent - lich kein ausſchließendes Vaterland haben muͤßte. A. d. S.Zehnte Sammlung. F82unter hundert Nationen Eine finden, die ſein Vorurtheil beguͤnſtige, die ſeinen Wahn naͤhre. Der edle Menſch ſucht al - lenthalben das Beſſere, das Beſte, wie der Zeichner mahleriſche Gegenden aus - waͤhlt. Auch hinter dem Schleier boͤſer Gewohnheiten wird Jener urſpruͤnglich - gute, aber mißgebrauchte Grundſaͤtze be - merken, und auch aus dem Abgrunde des Meers nicht Schlamm ſondern Perlen ho - len. Eine Claſſification der Reiſebe - ſchreibungen, nicht etwa nur nach Merk - wuͤrdigkeiten der Naturgeſchichte, ſondern auch nach dem innern Gehalt der Rei - ſebeſchreiber ſelbſt, wiefern ſie ein rei - nes Auge und in ihrer Bruſt allgemei - nen Natur - und Menſchenſinn hat - ten ein ſolches Werk waͤre fuͤr die zerſtreuete Heerde von Leſern, die nicht83 wiſſen, was rechts und links iſt, ſehr nuͤtzlich. *)Wer koͤnnte es beſſer, als Reinhold For - ſter geben? auch nur, wenn er ein ſchon ge - drucktes Verzeichniß von Reiſebeſchreibungen mit ſeinen Urtheilen begleiten wollte. A. d. S.

F 284
Die Waldhuͤtte. Eine Mißions-Erzaͤhlung aus Paraquai.
Um Paraquaier-Thee und wilde Voͤlker
Fuͤr unſre Kolonieen aufzuſuchen
Durchgingen wir jenſeit des Empalado
Die tiefſten Waͤlder. Nirgend eine Spur
Von Menſchen! Alles, alles war geflohn,
Und aufgerieben von den Blattern.
Bis uns
Fußtapfen in ein armes Huͤttgen fuͤhrten.
Ein Muͤtterchen, ihr zwanzigjaͤhrger Sohn,
Und eine funfzehnjaͤhrge Tochter hatten
85
Hier lang 'und ſtill gewohnt. Der Vater war
Vom Tiger aufgefreſſen, als die Mutter
Mit ihrer Tochter ſchwanger ging. Der Sohn
Hatt' allenthalben ſich ein Weib geſucht
Und kein's gefunden. Außer ihrem Bruder
Hatt 'Arapotija, des Tages Bluͤthe,
*)So heißt bei den Paraquaiern die Mor - genroͤthe.
*)
(So hieß das Maͤdchen) keinen Mann geſehn.
Hier wohnten ſie am Monda-Miri Ufer
In einer Palmenhuͤtte. Waſſer war
Ihr Trank; Baumfruͤchte mancher Art,
Die Wurzel des Mandijo-Baums, Gefluͤgel,
Das Aba ſchoß, (ſo hieß der Juͤngling) Korn,
Das ſeine Schweſter ſaͤte, Ananas,
Und Honig, der aus Baͤumen reichlich floß,
Genoſſen ſie. Von Caraquata-Blaͤttern
War ihr Gewand gewebet und ihr Bett
Bereitet. Eine ſcharfe Muſchel war
Ihr Meſſer. Seine Pfeile ſchnitzte ſich
Der Juͤngling mit zerbrochnem Eiſen aus
86
Dem haͤrtſten Holz; er ſtellte Fallen auf
Den Elennthieren; reichlich naͤhrte er
Sein kleines Haus. Ihr Teller war ein Blatt,
Der Kuͤrbis ihre Flaſche. Feuer ſchafften
Sie ſich aus Baͤumen. Alſo lebten ſie
Zufrieden und geſund; ſie liebten ſich
Wie Mutter, Bruder, Schweſter, die einander
Die ganze Welt ſind. Unſchuld kleidete
Das Maͤdchen ohne Schaam. Sie wand das
Tuch,
Das wir ihr ſchenkten, zierend um ihr Haupt;
Ihr flatternd Baumgewand war ihr genug
Kein fremder Schmuck entſtellte ihr Geſicht;
Ein Papagei auf ihrer Schulter war
Ihr Freund, mit dem ſie ſcherzte, wenn ſie
Hecken
Und Hain wie eine Cynthia durchſtrich,
An Frohſinn und Geſtalt ihr aͤhnlich. Scher -
zend
Empfing ſie uns, und unbetroffen. So
Die Mutter, ſo der Sohn.
Ich ſprach zu ihnen
87
Quaraniſch, ob ſie mit uns ziehen wollten
Aus dieſer Wuͤſtenei, und ſchildert 'ihnen
Die gluͤcklichen, die frohen Tage, die
Sie mit uns leben wuͤrden.
Gerne, ſprach
Die Mutter, uns vertrauend, kaͤmen wir.
Auch fuͤrchten wir den Weg nicht; aber ſieh!
Dort hab 'ich drei Wildſchweinchen aufgezogen,
Seit ihre Mutter ſie gebahr. Die muͤßten
Umkommen, wenn wir ſie verlaſſen, oder
(Sie werden uns gewiß als Huͤndchen folgen)
Verſchmachten auf dem Wege, wenn ſie ſehn
Das ausgebrannte Feld, darauf die Glut
Der Sonne liegt.
Daruͤber fuͤrchte nichts,
Sprach ich, wir wollen uns im Schatten la -
gern,
An Baͤchen ſie erfriſchen. Kommet nur!
So kamen ſie mit uns. Wir duldeten
Viel auf dem langen Wege, watend jetzt
Durch wilde Stroͤme, jetzt in Ungewittern
88
Von Guͤſſen uͤberſtroͤmt. Es laureten
Auf uns die Tiger. Endlich kamen wir
In unſerm Flecken an. Dem Juͤngling war
Beſchwerlich unſre Kleidung; eingepreßt
Konnt 'er in ihr nicht ſchreiten, klettern nicht
Auf Baͤume, die hier fehlten. Er vermißte
Das ſchoͤne Gruͤn, den dunkeln kuͤhlen Wald.
Und ob wir dann und wann mitleidig auch
Sie in entlegne Schatten fuͤhrten; ach!
Es war nicht ihr geliebter Schatte. Brennend,
Verzehrend lag auf ihnen hier die Glut
Der Sonne. Fieber, Kopf - und Augenweh,
Und tiefe Schwermuth, Eckel aller Speiſen,
Kraftloſigkeit, Auszehrung folgeten.
Am erſten ſchwand die Mutter hin; ſie ward
Getauft und ſtarb mit chriſtlicher Ergebung.
Die Tochter, Arapotija, die Bluͤthe
Des Tages ſonſt, man kannte ſie nicht mehr.
Verbluͤhet war ſie und verdorrt; ſie folgte
Der Mutter bald ins Grab. Ihr folgeten
Viel Thraͤnen: denn ſie war die Unſchuld
ſelbſt.
89
Der tapfre Bruder uͤberſtand die Reihe
Der Uebel, uͤberſtand ſogar zuletzt
Der Uebel ſchrecklichſtes, die Blattern. Er
War folgſam, fleißig und gefaͤllig, fand
Sich ein zum Unterricht; doch immer ſtill.
Ich ahnte nichts. Da kam ein Indianer,
Und ſprach geheim: mein Pater, unſer
Waldmann
(Ich fuͤrcht 'es) iſt dem Wahnſinn nah. Er klagt
Zwar keine Schmerzen; aber jede Nacht,
Spricht er, erſcheint mir wachend meine
Mutter
Und meine Schweſter. Immer ſprechen ſie:
Ich bitte, laß dich taufen: denn wir holen
Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn,
O Bruder, in die gruͤnen Schatten. Alſo
Spricht taͤglich er; und kennt den Schlaf
nicht mehr.
Ich eilte zu ihm, ſprach ihm Muth zu.
Heiter
90
Erwiedert er: mir fehlt, o Vater, nichts.
Ich kenne keine Schmerzen; aber ſchlafen
Kann ich nicht mehr: denn alle Naͤchte ſind
Die Meinigen um mich und ſprechen flehend:
Ich bitte, laß dich taufen: denn wir holen
Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn,
O Bruder, in die gruͤnen Schatten.
Freund,
Die Deinigen ſind jetzt im Himmel, ſprach ich:
Jedoch die Taufe ſoll Dir werden.
Sehnlich
Erfreut 'er ſich; es ward der Tag beſtimmt,
Johannis Tag. Zehn Uhr am Morgen ward er
Getauft; er war ſo heiter, war ſo froh!
Am Abend, ohne Krankheit, ohne Schmerzen
War er entſchlafen.
So erzaͤhlt der Prieſter,
Und laͤſſet jeden denken, was er mag.
Ich denke: guter Vater, warum ließeſt
91
Du nicht die Blumen, wo ſie ſtanden? und
Erquickteſt ſie? Du hoͤrteſt, was die Mutter
Fuͤr ihre Thierchen fuͤrchtete: ſie werden
Verſchmachten in der Sonne Glut! O
laſſet
Doch jede Pflanze bluͤhen, wo ſie bluͤht!
Die Schattenblume zehrt der Mittag auf.
92

117.

Gewiß, es iſt nicht gleichguͤltig, nach welchen Grundſaͤtzen Voͤlker auf ein - ander wirken; und doch giebt es nicht eine Geſchichte der Voͤlker, der alle Grund - ſaͤtze uͤber das Verhalten der Nationen gegen einander fehlen? Giebt es nicht eine andre, in der die verderblichſten Grundſaͤtze als billige und Preiswuͤrdige Maasregeln aufgeſtellt ſind? Eben deß -93 halb wiſſen manche nicht, warum ſie nur das Betragen der Europaͤer gegen die Neger und die Wilden verdammen ſol - len, da ja aͤhnliche Grundſaͤtze in der ge - ſammten Voͤlkergeſchichte mit mehr oder minder Modificationen zu herrſchen ſcheinen.

Die meiſten Kriege und Eroberungen aller Welttheile, auf welchen Gruͤnden be - ruheten ſie? welche Grundſaͤtze haben ſie geleitet? Nicht etwa nur jene Streife - reien der Aſiatiſchen Horden, auch die meiſten Kriege der Griechen und Roͤmer, der Araber, der Barbaren. Vollends die Ketzer - und Kreuzzuͤge, das Verhalten der Europaͤer gegen Zauberer und Juden, ihre Unternehmungen in beiden Indien. Wie bedauret man in allem dieſem manchen großen Mann, der faſt uͤbermenſchliche Thaten als ein Betrogener, als ein Ver -94 ruͤckter that! Mit der edelſten Seele ward er ein Beſtuͤrmer und Raͤuber der Welt, der fuͤr ſeine Thaten von Hoͤfen, die ſo undankbar gegen ihn, als barbariſch ge - gen die Voͤlker waren, meiſtens auch boͤ - ſen Lohn erntete. Man erſtaunt uͤber die Gegenwart des Geiſtes, die Vaſko di Gama, Albuquerque, Cortes, Piz - zarro, und viele unter ihnen, in Umſtaͤn - den der groͤßeſten Gefahr zeigten; See - und Straſſenraͤuber zeigten oft ein Glei - ches. Wer aber, der kein Spanier und Portugieſe iſt, wird ſich getrauen, die Tha - ten dieſer Helden, Cortes, Pizarro's oder des großen Albuquerque vor Suez, Ormuz, Kalekut, Goa, Ma - lakka, zum Gegenſtande eines Helden - gedichts zu machen, und die damals geltenden Grundſaͤtze noch jetzt zu prei -95 ſen? *)Einer unſrer Dichter verſuchte es mit Cor - tes; er hoͤrte aber weislich auf.Die Lobredner der Bartholomaͤus - nacht, der Juden-Ermordungen ſind mit Schimpf und Schande bedeckt; zu hof - fen iſts, daß auch die Raͤuber und Moͤrder der Voͤlker, Trotz aller erwieſenen Heldenthaten, blos und allein den Grund - ſaͤtzen einer reinen Menſchengeſchichte nach, einſt damit bedeckt ſtehen werden.

Ein Gleiches gilt von den Grundſaͤtzen uͤber das, was man ſich im Kriege erlaubt haͤlt. Erkennt man Pluͤndern, Verſtuͤm - meln, Schaͤnden, Vergiften der Brunnen und der Waffen fuͤr ehrloſe Mittel des Krieges; ſind es inwaͤrtige Aufhetzungen der Unterthanen, die nicht zum Heer ge - hoͤren, Vendeekriege, Entwuͤrfe zur Aus -96 hungerung der Nationen, treuloſe Vor - ſpiegelungen nicht eben ſowohl? Jeder - mann verabſcheuet Albuquerque's Ent - wuͤrfe, der ganz Aegypten in eine Wuͤſte verwandeln wollte, indem man ihm den Nil naͤhme, der Mekka und Medina, Laͤnder, die in keinem Kriege mit den Por - tugieſen begriffen waren, pluͤndern wollte. Dergleichen Gewaltſamkeiten gegen fremde ruhige Voͤlker, Anſtiftungen von Treuloſig - keit im Herzen des Feindes u. f. ſtrafen am Ende ſich ſelbſt. Wer einen offenen und geheimen Krieg zugleich fuͤhrt, verlaͤßt ſich meiſtens auf die Wirkung ſeiner ge - heimen Mittel ſo ſehr, daß auch die offe - nen ihm mißrathen. Aufwiegelung und Verrath lohnten ſelten ihre Urheber an - ders als mit Verluſt und Schande. Wer Grundſaͤtze wegdraͤngt, auf denen einzig noch der Reſt von Ehre und gutemNamen97Namen der Voͤlker im Kriege beruhet, vergiftet die Quellen der Geſchichte und des Rechts der Voͤlker bis auf den letzten Tropfen.

Eine traurige Ueberſicht gaͤbe es, wenn man jede geſchriebene Geſchichte der Voͤlker in ihren Kriegen und Eroberungen, in ih - ren Unterhandlungen, in ihren Handels - entwuͤrfen nach den Grundſaͤtzen durchginge, in welchen gehandelt und ge - ſchrieben wurde. Wie ehrlicher waren unſre Vaͤter, die alten Barbaren, die bei ihren Zweikaͤmpfen nicht nur auf Gleich - heit der Waffen ſahen, ſondern Platz, Licht und Sonne unpartheiiſch theilten. Wie ehrlicher ſind die Wilden in ihren Unter - handlungen und Friedensſchluͤſſen, in ihrem Tauſch und Handel! Gewalt und Willkuͤhr moͤgen gebieten, woruͤber ſie Macht haben, nur nicht uͤber Grundſaͤtze des RechtsZehnte Sammlung. G98und Unrechts in der Menſchen - geſchichte. *)Von der Denkart der Roͤmer hieruͤber in ihren beſten Zeiten leſe man den Lipſius (doctrina politica mit ihrem Commentar, den Grotius (de jure belli et pacis), oder auch den guten Montague (B. 1. K. 5. 6.) Sie iſt fuͤr unſre Zeiten ſehr be - ſchaͤmend. A. d. H.

99
Der Hunnenfuͤrſt.
Ein Hunnenfuͤrſt ward von Raubgierigen
Tataren oft befehdet. Jetzo fodern
Sie zum Geſchenk von ihm ſein beſtes Pferd.
Die Feldherrn rufen: Krieg! Wie?
ſprach er, Krieg
Um eines Pferdes willen? Gebets hin!
Bald kamen wieder die Tataren, fodernd
Sein ſchoͤnſtes Weib. Die Feldherrn rufen:
Krieg!
Wie? ſprach er, Krieg um einer Sklavin
willen,
G 2100
Die mir gehoͤrt; um ein Vergnuͤgen, Krieg?
Gebt hin die Sklavin.
Und ſie kamen wieder
Land fodernd. Was ſie fodern, hat ſo viel
Nicht zu bedeuten, ſprach der Feldherrn Zelt.
Nein! ſprach der Fuͤrſt, ſo lang 'es mich
nur galt,
Mein Pferd, die Sklavin, gerne gab
ichs hin
Des Volkes Blut zu ſchonen; doch mein Land,
Des Staates Eigenthum muß ich als Fuͤrſt
Verwalten, nicht verſchenken. Auf! zur
Schlacht!
Sie ſtritten, ſiegten, ſchuͤtzeten ihr Land;
Und im Triumph zuruͤck kam Roß und Weib.
101
Das Kriegsgebet.
Zum Kriege zog ein Schach und ſein
Vezier,
Zum Kriege mit dem Bruder. Eben ging
Die Straße eines Heilgen Grab voruͤber;
Sie ſtiegen ab und beteten am Grabe.
Was beteteſt Du? ſprach der Koͤnig zum
Vezier.
Daß Gott Dir Sieg verleihe.
Ich,
Erwiederte der Koͤnig, betete,
Daß Gott ihn meinem Bruder gebe, wenn
Er ihn des Thrones werther haͤlt als mich.
102
Kahira.
Kahira, Koͤniginn der Berbern, ahnend
Des Reiches Untergang, verſammlete
Das Volk, und ſprach alſo:
Was ſollen uns die Schaͤtze?
Was ſoll uns Gold und Silber,
Das uns die gier'gen Raͤuber
Mit neuen Kraͤften anzieht?
Ich that was ich vermochte,
Ich handelte großmuͤthig,
Gab frei die Kriegsgefangnen,
Und ihrem tapfern Feldherrn,
Dem letztgefangnen, ſehet
Begegn 'ich noch als Schweſter.
Auf! meine guten Berbern,
Vielleicht verſchafft uns Armuth,
Was Großmuth nicht verſchaffte,
In edler Freiheit Ruh.
103
Laßt uns das Gold im Schutte
Der Wohnungen begraben;
Uns gnuͤget die Natur!
Sie ſprachs, und jedermann gehorchte.
Schnell
Verwandelte ſich die zerſtoͤrte Stadt
In eine frohe Zeltenwuͤſtenei.
Jedoch umſonſt. Die Raͤuber
Erſcheinen maͤchtger wieder:
Geh, ſprach ſie zu dem Feldherrn,
Geh zu dem Heer der Deinen,
Und wie ich Dir begegnet,
Begegne meinen Soͤhnen.
Ich kann ſie nicht beſchuͤtzen
Nun, Bruͤder, auf zur Schlacht!
Die Schlacht begann; Kahira ſtritt
voran,
Und ſank. Mit ihr erſank der Berbern Reich;
Nicht ihre Großmuth. Die der Koͤnigspflicht
104
Nicht Schaͤtze nur, nicht nur Bequemlichkeit
Aufopferte, die ſelbſt ihr Mutterherz
Dem Feind 'hingab; ſie gabs dem edeln Mann.
In ihren Soͤhnen ehrete der Feldherr
Kahira, die großmuͤthige Koͤniginn.
105
Das Kriegsrecht.
Mahmud beherrſchte Indien. Da trat
Ein armer Inder vor ihn: Herr, es kommt
Aus Eurem Heer ein Maͤchtiger zu mir,
Der fodert, daß ich ihm das Meinige,
Mein Haus und Weib abtrete. Ungeſtuͤm
Iſt ſeine Fodrung.
Wenn er wiederkommt,
So ſage mirs.
In dreien Tagen kam
Der Inder nicht zum Sultan. Endlich ſchlich
Er ſcheu heran, und Mahmud eilt 'ins Haus
Mit ſeiner Leibwach'. Es war Nacht. Hinweg
Die Lichter! rief er, toͤdtet ihn.
Geſagt, gethan.
Jetzt bringet Licht herbei!
Der Sultan ſah den Leichnam und fiel betend
Zur Erde nieder.
Gebt mir Speiſe jetzt!
106
Er hielt vergnuͤgt ein armes Mahl, und ſprach:
Hoͤrt, was ich that. In meinem Heere,
glaubt 'ich,
Kann niemand die Gerechtigkeit ſo frech
Verletzen, ſolche Foderung zu thun,
Als meiner Liebling' oder Soͤhne Einer.
Drum ward das Licht hinweggeſchafft, daß dies
Des Richters Auge nicht verblendete.
Ich ſah den Leichnam an mit Furcht; und
Allah
Sei Dank, es iſt nicht meiner Lieben Einer.
Ich kenne dieſen todten Frevler nicht.
Dafuͤr dann dankt 'ich Gott, und eſſe jetzt:
Denn ſeit ich auf den Ausgang wartete,
ich bekuͤmmert keinen Biſſen Brodt.
Des Brutus That war ſtrenge und
gerecht;
Des Sultans ſtrenge, menſchlich, fromm und
zart.
107
Das Seerecht.
Die See war wild, das Schiff dem Sin -
ken nah,
Und alles Schiffvolk ſah den Abgrund vor ſich,
Da wagt der edle Hauptmann in den Hafen
Des Feindes ſich: ich uͤbergebe Dir
Mich und mein Volk; ich rettete ihr Leben
Bei Gott! ſprach der Gebieter, keine
Schmach
Werd 'ich an Dir auf meinen Namen laden.
Auf freier See, haͤtt' ich Dich da ertappt,
So waͤrſt Du mein Gefangner, und Dein
Schiff,
Dein Schiffvolk waͤre mein; doch jetzo, da
Der Sturm Dich in den Hafen wirft, ſo ſeyd
Ihr mir nicht Feinde, ſeyd Ungluͤckliche,
Seyd Menſchen. Ladet aus, um euer Schiff
Zu beſſern; handelt in dem Hafen, frei
108
Wie wir. Dann ſegelt fort mit gutem Gluͤck.
Erſt, wenn ihr uͤber die Bermudas ſeyd
Auf hohem Meer, dann ſeyd ihr Feinde mir
Jetzt ſeyd ihr mir vom Ungluͤck und dem
Sturm
In meinen Schutz empfohlen. Ladet aus.
109
Der betrogne Unterhaͤndler.
Als Irokeſen und Franzoſen ſich
In Canada bekriegten, lud der Feldherr
Der Gallier die Irokeſen-Haͤupter
Zur Friedens-Unterredung. Ein beglaubter
Mißionar bewegte ſie dazu
In guter Meinung; doch der Feldherr fand
Es ruͤhmlicher, die Irokeſen-Haͤupter
In Ketten der Galere zuzuſenden.
Betaͤubet von der unerhoͤrten Schmach
Entflammete die Nation. Da ſchlich
Der Aelteſte der Wilden eilig zum
Mißionar: Wir haben Dir vertraut,
Und ſind mit unerhoͤrtem Schimpf betrogen.
Ich weiß, Du biſt nicht Schuld daran; Du
meinteſt
Es redlich; doch nicht jeder Juͤngling denkt
110
In unſrer Nation wie ich. Drum flieh!
Flieh, Fremder! Eher laß ich nicht von Dir,
Bis ich Dich ſicher weiß. Er ließ ihn
uͤber
Die Grenze hin geleiten. Edler Mann!
111

118.

Da jetzt im unſeligſten Kriege, in dem ein zeitiger Friede ſo ſchwer wird, von Entwuͤrfen zum ewigen Frieden viel geſprochen wird, ſo theile ich Ihnen einen zu dieſem Zweck gemachten wirklichen Ver - ſuch in den Worten deſſen mit, der ihn berichtet.

Zum ewigen Frieden.

Eine Irokeſiſche Anſtalt.

Die Delawaren wohnten ehedem in der Gegend von Philadelphia und weiterhin112 nach der See zu. Von da aus thaten ſie oftmals Einfaͤlle in die Doͤrfer der Chero - keſen, miſchten ſich unerkannt in ihre naͤchtlichen Taͤnze und ermordeten waͤhrend derſelben ploͤtzlich viele. Noch heftiger und aͤlter waren die Kriege der Delawaren mit den Irokeſen. Nach dem Vorgeben der Delawaren waren ſie den Irokeſen immer uͤberlegen, ſo daß dieſe endlich einſahen, daß bei laͤngerer Fortſetzung des Krieges ihr voͤlliger Untergang die unausbleibliche Folge ſeyn muͤßte.

Sie ſandten alſo Geſandte an die De - lawaren mit folgender Botſchaft: Es iſt nicht gut, daß alle Nationen Krieg fuͤhren; denn das wird endlich den Untergang der Indianer nach ſich ziehen. Darum haben wir auf ein Mittel gedacht, dieſem Uebel vorzubeugen; es ſoll naͤmlich Eine Nation die Frau ſeyn. Die wollen wir in dieMitte113Mitte nehmen; die andern Kriegfuͤhrenden Nationen aber ſollen die Maͤnner ſeyn und um die Frau herum wohnen. Nie - mand ſoll die Frau antaſten, noch ihr etwas zu Leide thun; und wenn es jemand thaͤte, ſo wollen wir ihn gleich anreden und zu ihm ſagen: warum ſchlaͤgſt du die Frau? Dann ſollen alle Maͤnner uͤber den herfallen, der die Frau geſchla - gen hat. Die Frau ſoll nicht in den Krieg ziehen, ſondern ſo viel moͤglich den Frieden zu erhalten ſuchen. Wenn alſo die Maͤnner um ſie herum ſich einmal mit einander ſchlagen, und der Krieg hef - tig werden will, ſo ſoll die Frau Macht haben, ſelbige anzureden und zu ihnen zu ſagen: Ihr Maͤnner, was macht ihr, daß ihr euch ſo herum ſchlagt? Bedenkt doch, daß eure Weiber und Kinder umkommen muͤſſen, wo ihr nicht aufhoͤrt. Wollt ihrZehnte Sammlung. H114euch denn ſelbſt vom Erdboden vertilgen? Und die Maͤnner ſollen alsdann auf die Frau hoͤren, und ihr gehorchen.

Die Delawaren ließen ſichs gefallen, die Frau zu werden. Nun ſtellten die Irokeſen eine große Feierlichkeit an, luden die Delawar-Nation dazu ein und hielten an die Bevollmaͤchtigten derſelben eine nachdruͤckliche Rede, die aus drei Haupt - ſaͤtzen beſtand. In dem erſten erklaͤrten ſie die Delawar-Nation fuͤr die Frau, welches ſie durch die Redensarten: wir ziehen euch einen langen Weiberrock an, der bis auf die Fuͤße reicht, und ſchmuͤcken euch mit Ohrgehaͤngen ausdruͤckten, und ihnen damit zu verſtehen gaben, daß ſie von nun an mit den Waffen ſich nicht weiter abgeben ſollten. Der zweite Satz war ſo gefaßt: wir haͤngen euch einen Kalabaſch mit Oel und mit Arznei an den115 Arm. Mit dem Oel ſollt ihr die Ohren der uͤbrigen Nationen reinigen, damit ſie aufs Gute und nicht aufs Boͤſe hoͤren; die Arznei aber ſollt ihr bei ſolchen Voͤl - kern brauchen, die ſchon auf thoͤrichte Wege gerathen ſind, damit ſie wieder zu ſich ſelbſt kommen und ihr Herz zum Frieden wen - den. Der dritte Satz, darinn ſie den Delawaren den Ackerbau zu ihrer kuͤnfti - gen Beſchaͤftigung anwieſen, war ſo aus - gedruͤckt: Wir geben euch hiemit einen Welſchkornſtengel und eine Hacke in die Hand. Jeder Satz wurde mit einem Belt of Wampon (Guͤrtel von Muſchel - ſchalen) bekraͤftigt. Dieſe Belte ſind bis daher ſorgfaͤltig aufgehoben und ihre Bedeutung von Zeit zu Zeit wiederholt worden.

Seit dieſem ſonderbaren Friedensſchluß ſind die Delawaren von den IrokeſenH 2116Schweſterkinder benannt worden; die drei Delawar-Staͤmme heißen einander Mitgeſpielinnen. Dieſe Titel aber werden nur in ihren Rathsverſammlungen, und wenn ſie einander etwas erhebliches zu ſagen haben, gebraucht. Von beſagter Zeit iſt die Delawar-Nation die Frie - densbewahrerinn geweſen, der der große Friedensbelt in Verwahrung gege - ben und die Kette der Freundſchaft anver - trauet iſt. Sie hat daruͤber zu wachen, daß dieſelbe unverletzt erhalten werde. Nach der Vorſtellung der Indianer liegt die Mitte der Kette auf ihrer Schulter und wird von ihr feſtgehalten; die uͤbrigen Indianernationen faſſen das Eine Ende, und die Europaͤer das andre an. *)Loskiels Mißionsgeſchichte in Nordame - rika. S. 160.

117

So die Irokeſen. Es waren Zeiten in Europa, da die Hierarchie die Stelle dieſer Frau vertreten ſollte. Auch ſie trug das lange Kleid; Oel und Arznei waren in ihrer Hand. Man giebt ihr Schuld, daß ſie, ſtatt ihr Friedens-Amt zu verwalten, oft ſelbſt Kriege zwiſchen den Maͤnnern erregt und angefacht habe; we - nigſtens hat ihr Oel die Ohren der Voͤl - ker noch nicht gereinigt, ihre Arznei die Kranken noch nicht geheilet.

Sollen wir ſtatt ihrer in der Mitte Europa's einer wirklichen Nation Weibskleider anziehen, und ihr das Frie - densrichteramt auftragen? Welcher?

Wie koͤnnte ſies aber verwalten, da oft uͤber einige Pelze an der Hudſonsbai, uͤber einige Flecken am Paraquaiſtrom, in deren Lage bisweilen die Kriegfuͤhrenden ſelbſt ſich geirrt haben, uͤber einen Hafen -118 platz im ſtillen Meer, uͤber Neckereien der Gouverneurs gegen einander Weltverwuͤ - ſtende Kriege gefuͤhrt werden? Ja wie oft entſprangen dieſe aus einer Grille des Monarchen, aus einer niedrigen Kabale des Miniſters! Eine Geſchichte vom wah - ren Urſprunge der Kriege in Europa ſeit den Kreuzzuͤgen waͤre ein ſiebenfacher Hu - dibras, das niedrigſte Spottgedicht, das geſchrieben werden koͤnnte. In einer Welt, in der dunkle Cabinette Kriege anſpinnen und fortleiten, waͤre alle Muͤhe der Frie - densfrau verlohren.

Leider auch bei den Wilden ſelbſt er - reichte dieſe Anſtalt ihren Zweck nicht lange. Als die Europaͤer naͤher drangen, ſollte auf Erfordern der Maͤnner ſelbſt die Frau an der Gegenwehr mit Antheil nehmen. Man wollte, wie man ſich aus - druͤckte, zuerſt ihr den Rock kuͤrzen, ſodann119 gar wegnehmen und ihr das Kriegsbeil in die Hand geben. Eine fremde unvor - hergeſehene Uebergewalt ſtoͤrte das ſchoͤne Projekt der Wilden zum Frieden unter ein - ander; und dies wird jedesmal der Fall ſeyn, ſolange der Baum des Friedens nicht mit veſten, unausreißbaren Wurzeln von In - nen heraus den Nationen bluͤhet.

Wie manche andre Mittel haben die Menſchen ſchon verſucht, Streitſuͤchtigen Nationen Einhalt zu thun und ihnen die Wege zu ſperren. Zwiſchen Gebuͤrgen wur - den ungeheure Mauern errichtet, Zwiſchen - laͤnder zur Wuͤſte gemacht, abſchreckende Fabeln erſonnen und in dieſe Wuͤſte ge - pflanzet. In Aſien ſollte ein heiliges Reich den Streifereien der Mogolen ein Ziel ſetzen; der große Lama ſollte die Friedensfrau ſeyn. In Afrika wurden Obelisken und Tempel die Freiſtaͤten120 des Handels, die Mutter von Geſetzgebun - gen und Colonieen. In Griechenland ſoll - ten Orakel, Amphiktyonen, das Panionium, Panaͤtelium, der Achaͤerbund u. f. wo nicht einen ewi - gen, ſo doch einen langen Frieden bewir - ken; mit welchem Erfolg hat die Zeit ge - lehret. Am beſten waͤre es, wenn, wie bei jenem Handel im innern Afrika, die Nationen einander ſelbſt gar nicht ſe - hen doͤrften. Sie legen die Waaren hin, und entfernen ſich, bieten und tau - ſchen. Einander erblickend, iſt Betrug und Zank unvermeidlich. Meine große Friedensfrau hat einen andern Na - men. Ihre Arznei wirket ſpaͤt, aber un - fehlbar; vergoͤnnen Sie mir dazu einen andern Brief.

121
Alhallil's Rede an ſeinen Schuh.
Mit Tauſenden von meinem Volke zog
Ich auch einher am Tage jenes Zorns,
Der alle Ebnen Ubeda's mit Blut
Und Rach 'erfuͤllte. Roſſe wieherten
Beim Schalle der Trommeten; Staub erhob
Zum Himmel ſich. Die Maͤchtgen jubelten;
Die Ketten klirrten, die vor Abend noch
Der Ueberwundnen Thraͤne netzen ſollte.
122
Einmuͤthig reichten Untergang und Tod
Die Haͤnde ſich, und ſchritten vor dem Heer.
Da ſchlug in mir das Herz noch eins ſo
ſtark:
O Ruͤſtung zum Verderben! ſprach ich, tief
Im Winkel meiner Bruſt. Allmaͤchtiger!
Wir koͤnnen keinen Floh erſchaffen, und
Wir toͤdten Menſchen. Blut vergießen wir,
Und loben Dich.
Mein Herz ſchlug ſtaͤrker; ich
Trat in den Sumpf. Vergeblich muͤhte ſich
Mein Fuß den Schuh hinauszuziehen. Veſt
War er. Die tapfern Heere ſchritten fort;
Die Lanzen blinkten; Schwerter funkelten;
Ein Feldgeſchrei, ein wuͤſtes Sauſen fuͤllte
Mein Ohr; ich ſtand betaͤubt und ſprach alſo
Zu meinem Schuh:
Wie? mein Begleiter, jetzt
Verlaͤſſeſt du mich, und erwarteſt lieber
Den Moder hier? Und ſoll ich dich denn auch
Verlaſſen, wie in dieſer Welt zuletzt
123
Sich alles flieht? Du Guter, gingeſt freilich
Nie mit mir boͤſe Wege; keinem Pfade
Der Frevler druͤcketeſt du je dich ein.
Die Augen, die von Blute ſtroͤmen, blieben
Uns fremd; dem Zuͤgelloſen Sieger eilteſt
Du nimmer nach. Wir gingen ſanfte Wege,
Jetzt, wenn die Sonn 'im Abendmeer erſank,
Jetzt in den Schatten der Friedſelgen Nacht,
Der Ruhegeberinn, der Reichen, die
Uns ihre Schaͤtz' am weiten Himmel zeigt,
Und nieden uns der Freuden ſchoͤnſte ſchenket.
Dann ſagte leiſe mir der Mond ins Ohr:
Sohn der Aëſcha, geh zu deiner Treuen,
Sie wartet deiner, lieblicher als ich.
Die Wege gingen wir; nicht jene, denen
Du ſtrenge jetzt unwillig dich entziehſt.
Ich folge deinem Rath. Gehabt euch wohl,
Ihr Helden jetzt durch Mord und Todſchlag!
Moͤgen
Die Loͤwen eure Siege bruͤllen! wetze
Der Tiger ſeine Klaun dazu; es ſingen
124
Erſchlagne Heere drein, und Drachen ziſchen
Aus Wuͤſtenein zerſtoͤrter Wohnungen.
Du ſtiller Mond, den ſie mit Mordgeſchrei
Erſchrecken, ſcheine nicht auf ſie; und nie
Umfange ſie mit deinem ſanften Arm,
Die ſie verſcheuchen, du Friedſelge Nacht.
125

119.

Meine große Friedensfrau hat nur Einen Namen: ſie heißt allgemeine Billigkeit, Menſchlichkeit, thaͤ - tige Vernunft.

Ich habe ein ſehr ſinnreiches Manu - ſcript geleſen, in dem der Menſchenge - ſchichte folgende Saͤtze zum Grunde lagen: 1. Menſchen ſterben um Menſchen Platz zu machen. 2. Und da ihrer weniger ſter - ben, als gebohren werden: ſo macht die126 Natur durch gewaltſame Mittel Raum. 3. Dahin gehoͤren nicht nur Peſt, Mis - wachs, Erdbeben, Erdrevolutionen; ſon - dern auch Voͤlkerrevolutionen, Verwuͤſtun - gen, Kriege. 4. Wie Eine Thierart die andre vermindert: ſo ſetzt das Menſchen - geſchlecht ſich ſelbſt in Proportion und wehrt der Ueberzahl. 5. Es giebt in ihm alſo erhaltende und zerſtoͤrende Charak - tere. Schreckliches Syſtem, das uns vor unſrem eignen Geſchlecht Schauder und Furcht einjagt, indem wir nach ihm Jedem ins Angeſicht, auf ſeinen Gang und auf ſeine Haͤnde ſehen muͤſſen, ob er ein Fleiſch - oder Grasfreſſendes Thier ſei? ob er einen erhaltenden oder zerſtoͤ - renden Charakter an ſich trage? Gewiß hat uns die Natur an Mitteln nicht ent - bloͤßt, uns vor dieſer zerſtoͤrenden Gat - tung unſeres eignen Geſchlechts zu ſichern;127 nur ſie gab uns dieſe Mittel als Waffen nicht in die Haͤnde, ſondern in Kopf und Herz. Die allgemeine Menſchen - vernunft und Billigkeit iſt die Ma - trone, die Oel und Arznei am Arm, die einen Fruchtſtengel in der Hand traͤgt, nicht etwa nur als Symbole, ſondern als die ſtillwirkenden Mittel wo nicht zu einem ewigen Frieden, ſo gewiß doch zu einer allmaͤlichen Verminderung der Kriege. Laſ - ſen Sie mich, da wir hier auf des ehrli - chen St. Pierre Wege gerathen, auch ſeiner Methode uns nicht ſchaͤmen und die große Friedensfrau (pax ſempiterna) mit veſten Grundſaͤtzen in ihr Amt weiſen. Sie iſt dazu da, ihrem Namen und ihrer Natur nach Friedens-Geſinnungen einzufloͤßen.

128

Erſte Geſinnung.

Abſcheu gegen den Krieg.

Der Krieg, wo er nicht erzwungene Selbſtvertheidigung, ſondern ein toller An - griff auf eine ruhige, benachbarte Nation iſt, iſt ein unmenſchliches, aͤrger als thie - riſches Beginnen, indem er nicht nur der Nation, die er angreift, unſchuldiger Weiſe Mord und Verwuͤſtung drohet, ſondern auch die Nation, die ihn fuͤhret, eben ſo unverdient als ſchrecklich hinopfert. Kann es einen abſcheulichern Anblick fuͤr ein hoͤ - heres Weſen geben, als zwei einander gegenuͤber ſtehende Menſchenheere, die un - beleidigt einander morden? Und das Ge - folge des Krieges, ſchrecklicher als er ſelbſt, ſind Krankheiten, Lazarethe, Hunger, Peſt, Raub, Gewaltthat, Veroͤdung der Laͤnder,Ver -129Verwilderung der Gemuͤther, Zerſtoͤrung der Familien, Verderb der Sitten auf lange Geſchlechter. Alle edle Menſchen ſollten dieſe Geſinnung mit warmem Men - ſchengefuͤhl ausbreiten, Vaͤter und Muͤtter ihre Erfahrungen daruͤber den Kindern einfloͤßen, damit das fuͤrchterliche Wort Krieg, das man ſo leicht ausſpricht, den Menſchen nicht nur verhaßt werde, ſon - dern daß man es mit gleichem Schauder als den St. Veitstanz, Peſt, Hungersnoth, Erdbeben, den ſchwarzen Tod zu nennen oder zu ſchreiben, kaum wage.

Zweite Geſinnung.

Verminderte Achtung gegen den Hel - denruhm.

Immer mehr muß ſich die Geſinnung verbreiten, daß der Laͤnder-erobernde Hel -Zehnte Sammlung. I130dengeiſt nicht nur ein Wuͤrgengel der Menſchheit ſei, ſondern auch in ſeinen Ta - lenten lange nicht die Achtung und den Ruhm verdiene, die man ihm aus Tradi - tion von Griechen, Roͤmern und Barbaren her zollet. So viel Gegenwart des Gei - ſtes, ſo viel zuſammenfaſſende Vorſicht und Vorausſicht und ſchnellen Blick er fodern moͤge: ſo wird der edelſte Held vor und nach der Schlacht nicht nur das Geſchaͤft beweinen, dem er ſeine Gaben aufopfert, ſondern auch gern geſtehen, daß um Va - ter eines Volks zu ſeyn, wenn nicht mehr, ſo doch edlere Gaben in fortge - hender Bemuͤhung und ein Charak - ter erfodert werde; ein Charakter, der ſeinen Kampfpreis weder Einem Tage zu verdanken hat, noch ihn mit dem Zufall oder dem blinden Gluͤck theilet. Alle Ver - ſtaͤndige ſollten ſich vereinigen, durch echte131 Kenntniß alter und neuer Zeiten den fal - ſchen Schimmer wegzublaſen, der um ei - nen Marius, Sulla, Attila, Gen - gischan, Tamerlan gaukelt, bis end - lich jeder gebildeten Seele Geſaͤnge auf ſie und auf Lips Tullian gleich heroiſch er - ſchienen.

Dritte Geſinnung.

Abſcheu der falſchen Staatskunſt.

Immer mehr muß ſich die falſche Staatskunſt entlarven, die den Ruhm eines Regenten und das Gluͤck ſeiner Re - gierung in Erweiterung der Grenzen, in Erjagung oder Erhaſchung fremder Pro - vinzen, in vermehrte Einkuͤnfte, ſchlaue Unterhandlungen, in willkuͤhrliche Macht,I 2132Liſt und Betrug ſetzt. Die Mazarins, Louvois, du Terrai und ihres glei - chen muͤſſen nicht nur im Angeſicht des ehrlichen Volks, ſondern der Weichlinge ſelbſt wie ſie ſind erſcheinen, ſo daß es wie das Einmal Eins klar wird, daß je - der Betrug einer falſchen Staatskunſt am Ende ſich ſelbſt betruͤge. Die allge - meine Stimme muß uͤber den Werth des bloßen Staats-Ranges und ſeiner Zeichen, ſelbſt uͤber die aufdringendſten Gaukeleien der Eitelkeit, ſelbſt uͤber fruͤh - eingeſogene Vorurtheile ſiegen. Mich duͤnkt, man ſei im Verachten einiger dieſer Dinge jetzt ſchon weit und vielleicht zu weit fort - geſchritten; es kommt darauf an, daß man das Schaͤtzenswerthe bei Allem was uns der Staat auflegt, auch redlich und um ſo hoͤher achte, je mehr es die Menſchheit der Menſchen foͤrdert.

133

Vierte Geſinnung.

Gelaͤuterter Patriotismus.

Der Patriotismus muß ſich noth - wendig immer mehr von Schlacken reini - gen und laͤutern. Jede Nation muß es fuͤhlen lernen, daß ſie nicht im Auge An - drer, nicht im Munde der Nachwelt, ſon - dern nur in ſich, in ſich ſelbſt groß, ſchoͤn, edel, reich, wohlgeordnet, thaͤtig und gluͤck - lich werde; und daß ſodann die fremde wie die ſpaͤte Achtung ihr wie der Schatte dem Koͤrper folge. Mit dieſem Gefuͤhl muß ſich nothwendig Abſcheu und Verach - tung gegen jedes leere Auslaufen der Ih - rigen in fremde Laͤnder, gegen das Nutz - loſe Einmiſchen in auslaͤndiſche Haͤndel, gegen jede leere Nachaͤffung und Theilneh - mung verbinden, die unſer Geſchaͤft, unſre134 Pflicht, unſre Ruhe und Wohlfahrt ſtoͤren. Laͤcherlich und veraͤchtlich muß es werden, wenn Einheimiſche ſich uͤber auslaͤndiſche Angelegenheiten, die ſie weder kennen noch verſtehen, in denen ſie nichts aͤndern koͤn - nen und die ſie gar nicht angehn, ſich entzweien, haſſen, verfolgen, verſchwaͤrzen und verlaͤumden. Wie fremde Banditen und Meuchelmoͤrder muͤſſen die erſcheinen, die aus toller Brunſt fuͤr oder gegen ein fremdes Volk die Ruhe ihrer Mitbruͤder untergraben. Man muß lernen, daß man nur auf dem Platz etwas ſeyn kann, auf dem man ſtehet, wo man etwas ſeyn ſoll.

Fuͤnfte Geſinnung.

Gefuͤhl der Billigkeit gegen andre Nationen.

Dagegen muß jede Nation allgemach es unangenehm empfinden, wenn eine andre135 Nation beſchimpft und beleidigt wird; es muß allmaͤlich ein gemeines Gefuͤhl erwachen, daß jede ſich an die Stelle je - der andern fuͤhle. Haſſen wird man den frechen Uebertreter fremder Rechte, den Zerſtoͤrer fremder Wohlfahrt, den kecken Beleidiger fremder Sitten und Meinun - gen, den pralenden Aufdringer ſeiner eig - nen Vorzuͤge an Voͤlker, die dieſe nicht be - gehren. Unter welchem Vorwande Jemand uͤber die Grenze tritt, dem Nachbar als einem Sklaven das Haar abzuſcheren, ihm ſeine Goͤtter aufzuzwingen, und ihm dafuͤr ſeine Nationalheiligthuͤmer in Religion, Kunſt, Vorſtellungsart und Lebensweiſe zu entwenden; im Herzen jeder Nation wird er einen Feind finden, der in ſeinen eig - nen Buſen blickt und ſagt: wie? wenn das mir geſchaͤhe? Waͤchſt dies Ge -136 fuͤhl, ſo wird unvermerkt eine Allianz aller gebildeten Nationen gegen jede einzelne anmaaßende Macht. Auf dieſen ſtillen Bund iſt gewiß fruͤher zu rechnen, als nach St. Pierre auf ein foͤrmliches Einverſtaͤndniß der Cabinette und Hoͤfe. Von dieſen darf man keine Vor - ſchritte erwarten; aber auch ſie muͤſſen endlich ohne Wiſſen und wider Willen der Stimme der Nationen folgen.

Sechſte Geſinnung.

Ueber Handelsanmaaßungen.

Laut empoͤrt ſich das menſchliche Ge - fuͤhl gegen freche Anmaaßungen im Han - del, ſobald ihm unſchuldige froͤhnende Na - tionen um einen Gewinn, der ihnen nicht137 einmal zu Theil wird, aufgeopfert werden. Handel ſoll, wenn auch nicht aus den edelſten Trieben, die Menſchen vereini - gen, nicht trennen; er ſoll ſie, wenn gleich nicht im edelſten Gewinn, ihr gemeinſchaft - liches und eigenes Intereſſe wenigſtens als Kinder kennen lehren. Dazu iſt das Welt - meer da; dazu wehen die Winde; dazu fließen die Stroͤme. Sobald Eine Nation allen andern das Meer verſchließen, den Wind nehmen will, ihrer ſtolzen Habſucht wegen; ſo muß, jemehr die Einſicht ins Verhaͤltniß der Voͤlker gegen ein - ander zunimmt, der Unmuth aller Na - tionen gegen eine Unterjocherinn des freie - ſten Elements, gegen die Raͤuberinn jedes hoͤchſten Gewinnes, die anmaaßende Be - ſitzerinn aller Schaͤtze und Fruͤchte der Erde erwachen. Ihrem Stolz, ihrer Hab - ſucht zu dienen wird kein fremder Bluts -138 tropfe willig fließen, je mehr der wahre Satz eines vortreflichen Mannes anerkannt wird, daß die Vortheile der han - delnden Maͤchte einander nicht durchkreuzen, und daß dieſe Maͤch - te von einem gegenſeitigen allge - meinen Wohlſtande, und von der Erhaltung eines ununterbroche - nen Friedens vielmehr den groͤße - ſten Nutzen haben wuͤrden. *)Pinto uͤber die Handelseiferſucht; uͤber - ſetzt in der Sammlung von Aufſaͤtzen, die groͤßtentheils wichtige Puncte der Staatswiſſenſchaft betreffen. Liegnitz, 1776. Der Verfaſſer erſtgenannter Abhandlung hat ihr folgende Stelle aus Buffou vorgeſetzt: Dieſe Zeiten, wo der Menſch ſein Erbtheil verliert, dieſe barbari - ſchen Jahrhunderte, wo alles umkommt, ha - ben jederzeit den Krieg zu ihrem Vorlaͤufer, und fangen mit Hungersnoth und Entvoͤlke -

139

Siebende Geſinnung.

Thaͤtigkeit.

Endlich der Kornſtengel in der Hand der Indiſchen Frau iſt ſelbſt eine Waffe gegen das Schwert. Je mehr die Menſchen Fruͤchte einer nuͤtzlichen Thaͤtig - keit kennen, und einſehen lernen, daß durchs Kriegsbeil nichts gewonnen, aber viel verheert wird; je mehr die ſchmaͤhen -*)rung an. Der Menſch, der nur durch die Menge etwas vermag, der blos in der Ver - einigung und Verbindung mit Seinesgleichen ſtark iſt, der nicht anders als durch den Frie - den gluͤcklich iſt, hat die Wuth, ſich zu ſei - nem Ungluͤck zu bewafnen, und zu ſeinem Untergange zu ſtreiten. Gereizt durch einen unerſaͤttlichen Geiz, verblendet durch eine noch unerſaͤttlichere Ehrſucht entſagt er den Empfindungen der Menſchlichkeit, wendet alle ſeine Kraͤfte gegen ſich ſelbſt an, bemuͤhet140 den Vorurtheile von einer mit goͤttlichem Beruf zum Kriege gebohrnen Caſte, in der von Vater Cain, Nimrod und Og zu Baſan an Heldenblut fließe, veraͤchtlich und laͤcherlich werden, deſto mehr Anſehen wird der Aehrenkranz, der Apfel - und Palmzweig, vor dem traurigen Lorbeer er - halten, der neben dunkeln Cypreſſen waͤchſt und ſammt Neſſeln und Dornen nur La - certen und Bubonen unter ſich liebet.

Die ſanfte Verbreitung dieſer Grund - ſaͤtze ſind das Oel und die Arznei der*)ſich einer den andern zu Grunde zu richten, und verurſacht endlich ſeinen wirklichen Un - tergang. Und nach dieſen Blut - und Mord - tagen, wenn der Nebel des Ruhms ver - ſchwunden iſt, ſo ſieht er mit einem trauri - gen Auge die Erde verwuͤſtet, die Kuͤnſte be - graben, die Nationen geſchwaͤcht, ſein eigen Gluͤck zu Grunde und ſeine wahre Macht vernichtet.141 großen Friedensgoͤttinn Vernunft, de - ren Sprache ſich endlich niemand entziehen kann. Unvermerkt wirkt die Arznei, ſanft fließt das Oel hinunter. Leiſe tritt ſie zu dieſem und jenem Volk und ſpricht in der Sprache der Indianer: Bruder, Enkel, Vater, hier bringe ich dir ein Bundes - zeichen, und Oel und Arznei. Damit will ich deine Augen reinigen, daß ſie ſcharf ſehen; ich will damit deine Ohren ſaͤubern, daß ſie recht hoͤren; ich will deinen Hals glaͤtten, daß meine Worte geſchmeidig hin - untergehen: denn ich komme nicht umſonſt; ich bringe Worte des Friedens.

Und der Angeredete wird antworten: Schweſter, dieſer String of Wam - pum ſoll dich willkommen heißen. Ich will die Dornen aus deinen Fuͤßen ziehen, die dir etwa moͤchten hineingefahren ſeyn. Ich will die Muͤdigkeit, die dich auf der142 Reiſe befallen hat, wegſchaffen, daß deine Kniee wieder ſtark und muthig werden. Das rothe Kriegsbeil und die Keule ſollen in die Erde verſcharret ſeyn, und uͤber ſie wollen wir einen Baum pflanzen, der bis in den Himmel wachſe. Solange Sonne und Mond ſcheinen und auf und nieder - gehen, ſolange die Sterne am Himmel ſte - hen und die Fluͤſſe mit Waſſer fließen, ſoll unſre Freundſchaft dauren. *)Lauter Ausdruͤcke der Amerikaner bei ihren Friedensſchluͤſſen und bei der Einweihung ih - rer Friedensfrau.

Wenn, wie ich faſt glaube, ein ewiger Friede foͤrmlich erſt am juͤngſten Tage geſchloſſen werden wird, ſo iſt dennoch kein Grundſatz, kein Tropfe Oel vergebens, der dazu auch nur in der weitſten Ferne vor - bereitet.

143

120.

Jede Aufmunterung zu guten Geſinnun - gen ohne auf die Foͤrmlichkeit ihrer Ausfuͤhrung aͤngſtliche Ruͤckſicht zu neh - men, iſt eine Troſtpredigt. Oft ſagt der Bloͤde: wenn wird, wenn kann dies ge - ſchehen? und thut daruͤber gar nichts. Oft haͤlt er ſich zu fruͤh und zu genau an die Beſtimmung der Foͤrmlichkeiten des Ausgangs, und vergißt daruͤber das We -144 ſentliche der Huͤlfsmittel, dieſen Ausgang zu foͤrdern. Viele Beiſpiele der Geſchichte legen dies klar an den Tag.

In den alten Schriften der Ebraͤiſchen Nation z. B. waren ſchoͤne Wuͤnſche und Entwuͤrfe fuͤr die Zukunft gepflanzet. Hoff - nungen eines großen Lichts, das allen Voͤl - kern aufgehen, eines Bandes der Freund - ſchaft, das alle Nationen umfaſſen ſollte, einer Religion, die ins Herz geſchrieben, eines goldnen Friedens, an dem Alles Theilnehmen wuͤrde, glaͤnzten wie eine Morgenroͤthe. Sobald man in dieſen Ent - wuͤrfen und Ahnungen den Geiſt des Weiſ - ſagenden, ſeinen Zweck und die herrſchende Geſinnung der Rede verkannte, als man ſich an den Buchſtaben hing, und die Er - fuͤllung foͤrmlich beſtimmte; da kamen Thorheiten ans Licht; Traͤumereien, mit deren Jeder man um ſo weiter vom Sinnder145der Weißagung abwich, je foͤrmlicher man beſtimmte.

Nicht anders wars im Chriſtenthum, als man auf die ſichtbare Ankunft des Herren hofte. In allen Schwaͤrmer - ſekten, die das tauſendjaͤhrige Reich zu Stande bringen wollten, wars nicht an - ders. Mit mancher neuen Philoſophie, fuͤrchte ich, iſts eben alſo. Wie nahe der Erfuͤllung hat man ſich bei manchen Sy - ſtemen geglaubt, und wie ſchrecklich ward man betrogen! Die glaͤnzende Hoͤhe, die man dicht vor ſich ſah, ruͤckte weiter und weiter. Da giebt der Getaͤuſchte dann alle Hoffnung auf und laͤßt die Haͤnde ſinken.

Verbreiter guter Geſinnungen, ſchadet ihnen, ſchadet euch ſelbſt nicht durch Be - zeichnung eines Aeußern, das blos von der Zeit und von Umſtaͤnden beſtimmt wer -Zehnte Sammlung. K146den kann! Pflanzt den Baum; er wird von ſelbſt wachſen; Erde, Luft, Sonne werden ihm Gedeihen geben. Sichert gute Grundſaͤtze; durch eigne Kraft werden ſie wirken nicht anders aber als mit Mo - dificationen, die Zeit und Ort ihnen allein geben koͤnnen und geben werden.

147
Der Fuͤrſt.
Zertheile dich, truͤbes Gewoͤlk!
Denn unter dir wandelt der Edle,
Auf deſſen Scheitel ein Strahl
Goͤttliches Glanzes traf.
Es leuchtet Segen durch Laͤnder und Reiche,
Die ſeinem Winke gehorchen,
Die an den Stuffen ſeines Throns
Suchen und finden ihr Gluͤck.
Lob dem Erbarmenden, der ihn zum Pfleger
Der Menſchheit ſetzte! Heil der Stunde, da
Sein großes Herz zum erſtenmale ſchlug!
Edler! ſiebenmal edler als Tages Licht,
K 2148
Was ſoll Dir Glanz des Goldes?
Was ſoll Dir Schimmer des Lobes?
Groͤße, die Du willſt, iſt Gluͤckſeligkeit der
Voͤlker.
Name, den Du ſuchſt, iſt der Name, Vater.
Fuͤhr 'ihn! denn Dein heilig Herz
Iſt Wohnung vaͤterlicher Huld;
Und jedes Blut der Deinen iſt das Deine,
Und jedes Leben Deiner Kinder Deins.
Der Fuͤrſten Feinde, das ſcheue Gevoͤgel der
Nacht,
Heuchler und Schmeichler ſcheuen das Licht,
Welches der Himmel Dir gab,
Die Demuth, womit Er Dich hoch belieh;
Sie nahen nicht dem Thron, worauf der
Herr der Welt
Dir gab zu ſitzen; fern 'ihm ſchwaͤrmen ſie.
Weisheit und Menſchenliebe treten,
Du winkeſt ſie herbei, vor Deinen Stuhl
149
Du hoͤreſt ihre Rede, die Dir ſagt:
Du biſt ein Menſch! Auch Du, o Fuͤrſt,
biſt Staub!
Sei Deines Thrones werth, ſei groß und gut.
Sei gut: dann biſt Du groß.
150
Ruhm und Verachtung.
Du Thal des Irrthums, dahinab nur
ſelten
Der Wahrheit Sonne ſcheinet, ſoll ich mich
Verwundern, wenn, erhitzt von Phantaſie,
Die dich bewohnen ſchneller noch erkalten,
Als gluͤhend Eiſen unter Schmiedes Hand?
Du mit dem Fluch von Taͤuſchereien ſchwer -
Beladne Erde, ſoll ich ſtaunen, wenn
Auf dir Bewundrung bald Verachtung wird?
Da Zufall, Gluͤck und Gunſt und eitler
Schimmer
Zu deiner Achtung gnug iſt.
Jenem, der,
Den Donner in der Hand auf Nationen
Verderben ſchleidert und der Voͤlker Gluͤck
Zerſchmettert, Jenem knieeſt du und rufſt:
151
Hier Arm der Gottheit!
Und wenn ihn das Gluͤck,
Die falſche Braut, verließ, wenn ihn der Sieg
Nicht ſeinen Liebling nennet, kehreſt du
Dein Antlitz von ihm weg.
Oft fuͤhret Wahn
Zum Altar eines Goͤtzen, den auch Wahn
Und Trug erſchuffen; Schwaͤrmerei und Wahn
Streun ihren Weihrauch ihm; da rufeſt du
Entzuͤckt: Hier iſt der Weisheit letzter
Spruch!
Weh ihm dem Goͤtzen! weh dem Altar!
Bald
Wird uͤber ihn die Maus hinlaufen, bald
Der Sperling auf ihm huͤpfen.
Tolles Ding
Um Ehr 'und Schand', um Ruhm und um
Verachtung
Des Menſchenvolks. Mit beiden Haͤnden theilt
Der Thor ſie Thoren aus.
152
Du fromm Geſchlecht!
O ſuche Ruhm und Achtung nur bei Dem,
Der nicht wie Menſchen nur Gebraͤuchen froͤhnt,
Bei dem der Werth des Guten ewig gilt.
Wer bei dem Ewigen den Wechſel ſucht,
Wer bei dem Hoͤchſten Ungerechtigkeit
Erwartet, der verlaͤugnet ihn.
Bewahre
Mich Herr! bewahre mein Geſchlecht fuͤr Ruhm
Bei Thoren; Schand 'und Spott iſt er vor Dir.
153
Al-Hallils Klagegeſang.
Laßt mich weinen! das Weinen bringt
nicht Schande.
Laßt mich klagen! denn klagen ſoll der Be -
truͤbte.
O Humane!
*)Al Hallil nennet ihn Houmana.
*) wie ſoll ich dich jetzt nennen?
Himmliſche Namen haſt du; wer kann ſie
ſprechen?
Schaut, o ſchauet den Schmerz in meiner
Seele,
Engel, die ihn ins Thal des Todes fuͤhrten.
Gottesboten, ihr fuͤhrtet ihn als Bruͤder,
Euren Bruder. Ich ſeh 'ihn freundlich laͤcheln
Mitten im Todesthal. Er warf die Huͤlle
Leicht von ſich und erſah den offnen Himmel.
154
Laßt uns folgen, ihr Bruͤder! Beider
Welten
Vater, wird uns auch dort die Huͤtte bauen.
O Humane, wie ſoll ich dich jetzt
nennen?
Himmliſche Namen haſt du; wer mag ſie
ſprechen?
Heil der keuſchen Mutter, die dich gebohren!
Denn ſie mehrte die Zahl der Engel mit dir.
Wie der Bach, der das Paradies durch -
ſchlaͤngelt,
War Dein Herz; wie der Morgenſtern Dein
Innres.
Sanft wohlthaͤtiges Licht der Sonne, freundlich
Wie die Sommernacht, wie der Silber -
mondſtral.
Auge warſt du dem Fuͤrſten, wie dem Armen;
Eins nur kannteſt du nicht, das Gift der
Schlangen.
Worte des Troſtes gabſt du uns, nicht
Wermuth,
155
Heuchelteſt nie uns Demuth, nie uns Freund -
ſchaft.
Ungeſehen auch warſt du edel, uͤbteſt
Im Verborgenen Guts, wie Gott, dein Vater.
Nie erwarteteſt du, was du nicht ſelber
Leiſten konnteſt, o du der Menſchheit Zierde.
Und gewelket ſo bald ſind deine Bluͤthen!
Deine Zweige, wie ſinken ſie zur Erde!
Klagt mit mir, Jungfrauen! o klagt, ihr
Knaben!
Seine ſchoͤne Geſtalt iſt uns entnommen!
Nie eroͤfnet ſich uns ſein holder Mund mehr.
156

121.

Wenn in Einem Felde der Wiſſenſchaft menſchliche Geſinnungen herrſchen ſollten, ſo iſts im Felde der Geſchichte: denn erzaͤhlt dieſe nicht menſchliche Hand - lungen? und entſcheiden dieſe nicht uͤber den Werth des Menſchen? bauen dieſe nicht unſres Geſchlechts Gluͤck und Un - gluͤck?

Man ſagt: die Geſchichte erzaͤhle Be - gebenheiten , und iſt beinah geneigt,157 dieſe fuͤr ſo unwillkuͤhrlich, ja fuͤr ſo uner - klaͤrbar anzuſehen, wie man in den dun - kelſten Jahrhunderten die Naturbegeben - heiten nicht anſah, ſondern anſtaunte. Ein erregter Krieg oder Aufruhr gilt der gemeinen Geſchichte wie ein Ungewitter, wie ein Erdbeben; die ihn erregten, wer - den als Geißel der Gottheit, als maͤchtige Zauberer betrachtet; und damit gnug!

Eine Geſchichte dieſer Art kann die kluͤgſte oder die ſtupideſte werden, nachdem der Sinn ihres Verfaſſers war.

Die ſtupideſte wird ſie, wenn ſie in einem ſogenannt - großen und goͤttlichen Mann alles bewundert, und keine ſeiner Unternehmungen an ein Richtmaas menſch - licher Vernunft zu bringen ſich erkuͤhnet. Manche morgenlaͤndiſche Geſchichte von Nadir-Schah, Timur-Long u. f. ſind ſo geſchrieben; wir leſen eine lob -158 jauchzende Epopee, mit einer duͤrren oder abſcheulichen Thatenreihe froͤlich durch - webet.

Europa hat an dieſem morgenlaͤndiſchen Geſchmack vielen Antheil genommen, nicht etwa nur in den Zeiten der Kreuzzuͤge, ſondern auch in den meiſten Lebensbeſchrei - bungen einzelner Helden, in der Geſchichte ganzer Sekten, Familien und Familien - kriege. Man ſtaunt, wenn man die Andacht und Anhaͤnglichkeit des Schrift - ſtellers an ſeinen verehrten Gegenſtand wahrnimmt, und kann nichts anders ſa - gen, als: er hat aus dem Becher der Betaͤubung getrunken; Wein der Daͤmo - nen hat ihm die Sinne benebelt.

Die kluͤgſte Geſchichte dieſer Art iſt die kaͤlteſte, etwa wie Machiavell ſie trieb und anſah. Auch ſie vergißt Recht und Unrecht, Laſter und Tugend, indem159 ſie, rein wie ein Geometer, den Erfolg ge - gebener Kraͤfte ausmißt und fortgehend einen Plan berechnet.

Daß aus dieſer Machiavelliſchen Geſchichte, wenn ſie ſcharf ſiehet und rich - tig rechnet, viel zu lernen ſei, iſt keine Frage. Beſchaͤftigt ſie ſich nicht mit dem verflochtenſten, wichtigſten Problem, das unſerm Geſchlechte vorliegt? Menſchen - kraͤfte im Verhaͤltniß ihrer Wir - kungen und Folgen.

Waͤre nur dies Problem auch rein auf - zuloͤſen! Auf dem Schauplatz der Erde, ſelbſt in ihren engeſten Winkeln laͤuft ſo Vieles durch einander; gegenſeitige Kraͤfte ſtoͤren einander, und in alles miſchen ſich Umſtaͤnde, Zeit, Gluͤck, der tauſendarmige Zufall. Der Kluͤgſte ward hintergangen; der Beſonnenſte verfehlte ſeinen Zweck. Alſo wird dieſe Schule des Unterrichts160 oft eine Romanſchule, da man dem gluͤcklichen Helden Klugheit leihet, die er nicht hatte, und von ſchimmernden Erfol - gen nach einem falſchen Calcul ruͤckwaͤrts rechnet; oder ſie wird, wenn die beſten Kraͤfte durch einen Zufall mißrathen, eine niederſchlagende Lection, eine Schule der Verzweiflung. Ueberhaupt aber macht dieſer Wetzſtein der Klugheit das Gemuͤth leicht zu ſcharf, zu ſchartig.

Wer kann Machiavells Prinzen ohne Schauder leſen? Wenn ihm auch alles gelaͤnge, waͤre er ein wuͤrdiger Fuͤrſt? waͤre er in ſeinem Buſen gluͤcklich? Ent - ſetzlich iſts, die Menſchheit nur als eine Linie zu betrachten, die man nach Ge - fallen zu ſeinem Zweck kruͤmmen, ſchnei - den, verlaͤngern und verkuͤrzen darf, da - mit ein Plan erreicht, damit die Aufgabe nur geloͤſet werde.

Alſo161

Alſo koͤnnen wir uns vom Menſchen - gefuͤhl nicht trennen, indem wir die Ge - ſchichte ſchreiben oder leſen; ihr hoͤchſtes Intereſſe, ihr Werth beruhet auf die - ſer Menſchenempfindung, der Regel des Rechts und Unrechts. Wer blos fuͤr Klugheit ſchreibt, geraͤth leicht in Duͤnkel; wer nur fuͤr die Neugierde ſchreibt, ſchreibt fuͤr Kinder.

Was beſtimmt aber dieſe Regel des Rechts? Auch hier giebts eine zu warme und zu kalte Geſchichte.

Die erhitzte will zur Ehre Gottes alles bewirken, und erlaubt ſich zu dieſem vermeinten Zweck Frevel und Unſinn. So unterjochte Timur eine halbe Welt, den Muhammedaniſchen Glauben auszubreiten, und wollte im hoͤchſten Alter noch das ru - hige China bekriegen. So zogen die Na - tionen Europa's zum heiligen Grabe: ſoZehnte Sammlung. L162wuͤrgten die Spanier in Amerika; ſo mar - terte und verfolgte die Inquiſition. Schreck - liche Leidenſchaften der Menſchen umhuͤlle - ten ſich mit dem Mantel Gottes und zer - ſtoͤrten und quaͤlten.

Die kalte Geſchichte rechnet unter der Regel eines angeblichen poſitiven Rechts nach Staatsplanen; und auch ſie wird in Befolgung dieſer oft ſehr warm. Wohl des Vaterlandes, Ehre der Nation wird in ihr das Feldgeſchrei und bei truͤglichen Unterhandlungen die Staats - loſung. Die Athener, die Roͤmer was rechneten ſie nicht zum Wohl ihres Va - terlandes, zu ihrem Ruhm, mithin zu ihrem Recht? Was erlaubten ſich der Papſt, die Cleriſei, die chriſtlichen Koͤ - nige nicht zum angeblichen Wohl ihrer Reiche? Erzaͤhlt die Geſchichte dies alles gleichguͤltig, oder gar zutrauend, glaubend:163 ſo geraͤth man mit ihr in ein Labyrinth der verflochtenſten, widrigſten Staatsin - tereſſe, perſoͤnlicher Anmaaßungen und Staatsliſten. Ein großer Theil der Bege - benheiten unſrer zwei letzten Jahrhunderte, die ſogenannten Denkwuͤrdigkeiten, (me - moires) Lebensbeſchreibungen, politiſche Teſtamente ſind in dieſem Sinn, dem Geiſt Richelieu's, Mazarin's, und fruͤ - her noch Carls 5., Philipp 2., Phi - lipps des ſchoͤnen, Ludwigs 11. 13. 14. kurz im Geiſt der Spaniſch-Fran - zoͤſiſchen Staatspolitik geſchrieben. Ein fuͤrchterlicher Geiſt, der ſich zum Wohl des Staats, d. i. zum Ruhm und zur groͤßeren Macht der Koͤnige, zur Sicher - heit und Groͤße ihrer Miniſter alles erlaubt hielt! In welcher Geſchichte er durch - blickt, ſchwaͤrzt er das Glaͤnzendſte mit dem Schatten der Eitelkeit, der Trugliſt,L 2164der Anmaaßung, der Verſchwendung. Ver - geſſen iſt in ihm die Menſchheit, die nach ihm blos fuͤr den Staat, d. i. fuͤr Koͤ - nige und Miniſter lebet.

Allgemach ſind wir auch dieſem Nebel entkommen; aber ein anderes Glanzphan - tom ſteigt in der Geſchichte auf; naͤmlich, die Berechnung der Unternehmun - gen zu einer kuͤnftigen beſſern Republik, zur beſten Form des Staats, ja aller Staaten. Dies Phantom taͤuſchet ungemein, indem es of - fenbar einen edleren Maasſtab des Ver - dienſtes in die Geſchichte bringt, als den jene willkuͤhrliche Staatsplane enthielten, ja gar mit den Namen Freiheit, Aufklaͤ - rung, hoͤchſte Gluͤckſeligkeit der Voͤlker blen - det. Wollte Gott, daß es nie taͤuſchte! Die Gluͤckſeligkeit Eines Volks laͤßt ſich dem andern und jedem andern165 nicht aufdringen, aufſchwaͤtzen, aufbuͤrden. Die Roſen zum Kranze der Freiheit muͤſſen von eignen Haͤnden gepfluͤckt wer - den, und aus eignen Beduͤrfniſſen, aus eigner Luſt und Liebe froh erwachſen. Die ſogenannt - beſte Regierungsform, die ungluͤcklicher Weiſe noch nicht gefun - den iſt, taugt gewiß nicht fuͤr alle Voͤlker, auf Einmal, in derſelben Weiſe; mit dem Joch auslaͤndiſcher, uͤbel eingefuͤhrter Frei - heit wuͤrde ein fremdes Volk aufs aͤrgſte belaͤſtigt. Eine Geſchichte alſo, die bei al - len Laͤndern auf dieſen utopiſchen Plan nach unbewieſenen Grundſaͤtzen alles berech - net, iſt die glaͤnzendſte Truggeſchichte. Ein fremder Firniß, der den Geſtalten unſrer und der vorigen Welt ihre wahre Haltung, ſelbſt ihre Umriſſe raubet. Viele Schriften unſrer Zeit wird man zwanzig Jahr ſpaͤter als wohl - oder uͤbelgemeinte166 Fieber-Phantaſieen leſen; reifere Gemuͤ - ther leſen ſie jetzt ſchon alſo.

Alſo bleibt der Geſchichte einzig und ewig nichts, als der Geiſt ihres aͤlteſten Schreibers, Herodots, der unan - geſtrengte milde Sinn der Menſchheit. Unbefangen ſieht dieſer alle Voͤlker und zeichnet jedes auf ſeiner Stelle, nach ſeinen Sitten und Gebraͤuchen. Unbe - fangen erzaͤhlt er die Begebenheiten, und bemerkt, wie allenthalben nur Maͤßi - gung die Voͤlker gluͤcklich mache und je - der Uebermuth ſeine Nemeſis hinter ſich habe. Dies Maas der Nemeſis, nach feineren oder groͤßeren Verhaͤltniſſen ange - wandt, iſt der einzige und ewige Maas - ſtab aller Menſchengeſchichte.

Was du nicht willſt, das dir geſchehe, das thue keinem andern; die Rache kommt, ja ſie iſt da, bei jeder Verirrung,167 bei jedem Frevel. Alle Misverhaͤltniſſe und Unbilligkeiten, jede ſtolze Anmaaßung, jede feindſelige Verhetzung, jede Treuloſig - keit hat ihre Strafe mit oder hinter ſich; je ſpaͤter, deſto ſchrecklicher und ernſter. Die Schuld der Vaͤter haͤuft ſich mit zer - ſchmetterndem Gewicht auf Kinder und Enkel. Gott hat den Menſchen nicht er - laubt, laſterhaft zu ſeyn als unter dem harten Geſetz der Strafe.

Wiederum belohnt ſich auch in der Ge - ſchichte das kleinſte Gute. Kein vernuͤnf - tiges Wort, was je ein Weiſer ſprach, kein gutes Beiſpiel, kein Stral auch in der dunkelſten Nacht war je verlohren. Unbemerkt wirkte es fort und that Gutes. Kein Blut des Unſchuldigen ward frucht - los vergoſſen; jeder Seufzer des Unter - druͤckten ſtieg gen Himmel und fand zu ſeiner Zeit einen Helfer. Auch Thraͤnen168 ſind in der Saat der Zeit Samenkoͤrner der gluͤcklichſten Ernte. Das Menſchen - geſchlecht iſt Ein Ganzes; wir arbeiten und dulden, ſaͤen und ernten fuͤr ein - ander.

Wie milde, wie ſanft aufmunternd; aber auch wie ernſt und zuſammenhaltend iſt dieſer Geiſt der Menſchengeſchichte! Er laͤßt jedes Volk an Stelle und Ort: denn jedes hat ſeine Regel des Rechts, ſein Maas der Gluͤckſeligkeit in ſich. Er ſcho - net alle und verzaͤrtelt keines. Suͤndigen die Voͤlker, ſo buͤßen ſie; und buͤßen ſo lange und ſchwer, bis ſie nicht mehr ſuͤn - digen. Wollen ſie nicht Kinder ſeyn, ſo erzieht die Natur ſie als Sklaven.

Keiner politiſchen Verfaſſung tritt die - ſer Geiſt der Geſchichte zerſtoͤrend in den Weg. Er wirft nicht das Haus dem Ru - higen uͤber den Kopf zuſammen, ehe ein169 anderes beſſeres da iſt; zeigt aber dem zu Sichern mit freundlicher Hand Fehler und Maͤngel des Hauſes, und fuͤhrt mit ſtillem Fleiß Materialien herbei zur Stuͤz - zung des alten, oder zum Bau eines beſſern.

Nationalvorurtheile taſtet er nicht an: denn in ihnen als Huͤlfen oder harten Schalen muß manche gute Geſinnung wachſen. Er laͤßt ſie wachſen. Wenn die Frucht reif iſt, verdorret die Huͤlſe, die Schale zerſpringt. Ihm iſts recht, wenn der Franzmann und der Englaͤnder ſich ihre humanité und humanity Engliſch und Franzoͤſiſch mahlen; deſto weniger wird der Auslaͤnder um ſie zu ſeinem Verderb buhlen. Aus ſeinem Herzen muß eine Geliebte hervorgehn, die fuͤr ihn gehoͤret.

Am heiligſten ſind dem Geiſt der Men - ſchengeſchichte gutmuͤthige Thoren und170 Schwaͤrmer; ſie ſind ihm unter der beſon - derſten goͤttlichen Obhut. Ohne Begeiſte - rung geſchah nichts Großes und Gutes auf der Erde; die man fuͤr Schwaͤrmer hielt, haben dem menſchlichen Geſchlecht die nuͤtzlichſten Dienſte geleiſtet. Trotz al - les Spottes, Trotz jeder Verfolgung und Verachtung drangen ſie durch; und wenn ſie nicht zum Ziel kamen, ſo kamen ſie doch weiter und brachten weiter. Le - bendige Winde waren ſie uͤber dem abge - ſtandenen Sumpf; oder ſie daͤmmeten ihn und machten ihn fruchtbar. Leeren Spott uͤber ſie erlaubt ſich nie der Geiſt der Ge - ſchichte; hoͤchſtens bedauren wird er ſie, nicht brandmalen.

Alle uͤberfeinen Eintheilungen der Men - ſchen nach Principien, aus denen ſie aus - ſchließend handeln ſollen, ſind dem Geiſt der Geſchichte ganz fremde. Er weiß, daß171 in der Menſchennatur das Principium der Sinnlichkeit, der Einbildungs - kraft, des Eigennutzes, der Ehre, des Mitgefuͤhls mit andern, der Gottſeligkeit, des moraliſchen Sinnes, des Glaubens u. f. nicht in abgetrennten Kammern wohnen, ſondern daß in einer lebendigen Organiſation, die von mehreren Seiten geregt wird, viele von ihnen, oft alle lebendig zuſammen - wirken. Jedem von ihnen laͤßt er ſeinen Werth, ſeinen Rang, ſeinen Ort, ſeine Zeit der Entwicklung; uͤberzeugt, daß alle, auch unbewußt, zu Einem Zweck, dem großen Principium der Menſchlichkeit wirken. Alle alſo laͤßt er zu ihrer Zeit an Stelle und Ort bluͤhn, Sinnlichkeit und die Kuͤnſte der Phantaſie, Verſtand und Sympathie, Ehre, morali - ſchen Sinn und heilige Andacht. 172Er zwingt ſo wenig den Magen zu den - ken, als den Kopf zu verdauen und quaͤlet niemand mit der Zergliederung, ob auch jeder Biſſen Brodt, den er in den Mund ſteckt, ein allgemeines moraliſches Grund - geſetz aller vernuͤnftigen Weſen im Kauen und Verdauen gebe? Kaue jeder wie er kann; die Geſchichte behandelt die Men - ſchen nicht als Wortfinder und Kritiker, ſondern als Thaͤter eines moraliſchen Na - turgeſetzes, das in ihnen allen ſpricht, das zuerſt linde warnet, dann haͤrter ſtraft, und jede gute Geſinnung durch ſich und ihre Folgen reich belohnet. Reizet Sie nicht dieſer Geiſt der Menſchenge - ſchichte?

173

122.

Sie ſcheinen zu glauben, daß eine Ge - ſchichte der Menſchheit nicht ſtatt habe, ſolange man den Ausgang der Dinge nicht weiß, oder wie man zu ſagen pflegt, den juͤngſten Tag noch nicht erlebt hat. Ich bin nicht dieſer Meinung. Moͤge ſich das Menſchengeſchlecht verbeſſern oder ver - ſchlimmern, moͤge es einſt zu Engeln oder Daͤmonen, zu Sylphen oder zu Gnomen werden; wir wiſſen, was wir zu thun174 haben. Nach veſten Grundſaͤtzen unſrer Ueberzeugung von Recht und Unrecht be - trachten wir die Geſchichte unſres Ge - ſchlechts, moͤge ſein letzter Act ausgehn, wie er wolle.

Monboddo z. B. ſiehet in ſeiner Ge - ſchichte und Philoſophie des Menſchen*)Antient Metaphyſics, Vol. III. Lond. 1784. Dieſer Theil des großen Werks waͤre wegen der geſammleten Thatſachen eines Deutſchen Auszuges gewiß werth. A. d. S. ihn als ein Syſtem lebendiger Kraͤfte an, in welchem ſich das Elementariſche, das Pflanzen - Thier - und Verſtandes-Leben unterſcheide. Das animaliſche Leben, meint er, ſei im beſten Zuſtande geweſen, da die Menſchen Thieraͤhnlich lebten. Er findet hievon noch Aehnlichkeit bei den Kindern. Die Alter, die der Menſch als Indivi - duum durchgehe, haͤlt er auch fuͤr die175 Laufbahn des ganzen Geſchlechtes. Dies fuͤhrt er alſo in ſeinen erſten nackten Zu - ſtand in freier Luft, in Regen, in Kaͤlte zuruͤck, und zeigt, was die Bekleidung, das Wohnen in Haͤuſern, der Gebrauch des Feuers, die Sprache auf das Menſchen - geſchoͤpf gewirkt haben. Er zeigt die Faͤ - higkeiten, die es hatte, zu ſchwimmen, auf - recht zu gehen, Uebungen anzuſtellen, und findet in dieſem Zuſtande den Grund jenes laͤngeren Lebens, jener groͤßeren Geſtalt und Staͤrke, von der uns die Sage der Urwelt erzaͤhlet. Aus Beiſpielen und Nach - richten erweiſet er, wie durch Veraͤnderung der Lebensweiſe, durchs Fleiſcheſſen und den Trank geiſtiger Getraͤnke, durch die ſitzende Lebensart bei Kuͤnſten, Gewerben, Spielen, durch feinere Nahrungsmittel, Wohlluͤſte und Zeitvertreibe der Koͤrper des Menſchen geſchwaͤcht, verkleinert, ſein176 Leben verkuͤrzt worden. Dagegen zeigt er, wie der Verſtand des Menſchen durch Geſellſchaft und Kuͤnſte zugenommen; wie die Sagacitaͤt eines Naturmenſchen von der Klugheit des civiliſirten Mannes ſich unterſcheide; wie alle Kuͤnſte aus Nachah - mung entſprungen und die Idee des Schoͤ - nen blos dem civiliſirten Zuſtande eigen ſei. In beiden Altern der Menſchheit fin - det er Nationen, Familien, Individuen unterſchieden, unſer Geſchlecht aber uͤber - haupt in Abnahme animaliſcher Kraͤfte, und hat hieruͤber Erinnerungen gegeben, die jeder anwende, wie er mag und kann.

Gehen wir in dies Alles ein, (wie denn Monboddo's Syſtem, einiger Eigenhei - ten des Verfaſſers wegen, gewiß nicht laͤ - cherlich gemacht zu werden verdienet,) neh - men wir an, was auch die Geſchichte leh -ret,177ret, daß faſt alle Voͤlker der Erde einmal in einem roheren Zuſtande gelebet, und nur von wenigen die Cultur auf andre gebracht ſei; was folget daraus?

1. Daß auf unſrer runden Erde noch alle Zeitalter der Menſchheit leben und weben. Da giebts Voͤlker - ſchaften im Kindes - Juͤnglings - Mannes - Alter, und wird deren wahrſcheinlich noch lange geben, ehe es den Seefahrenden Greiſen Europa's gelingt, durch gebrannte Waſſer, Krankheiten und Sklavenkuͤnſte ſie zum Greiſesalter zu befoͤrdern. Wie uns nun jede Pflicht der Menſchlichkeit gebeut, einem Kinde, einem Juͤnglinge ſein Lebensalter, das Syſtem ſeiner Kraͤfte und Vergnuͤgen nicht zu ſtoͤren; ſo gebie - tet ſie ſolches auch Nationen gegen Na - tionen. Sehr angenehm ſind mir in die - ſem Betracht mehrere Unterredungen derZehnte Sammlung. M178Europaͤer, inſonderheit der Miſſionare mit auslaͤndiſchen Voͤlkern, z. B. Indiern, Amerikanern; die naivſten Antworten voll guten Herzens und geſunden Verſtandes waren faſt immer auf Seite der Auslaͤn - der. Sie antworteten kindiſch-treffend und richtig; dagegen die Europaͤer mit Aufdringung ihrer Kuͤnſte, Sitten und Lehren meiſtens die Rolle abgelebter Alten ſpielten, die voͤllig vergeſſen hatten, was einem Kinde gehoͤrte.

2. Da die Unterſcheidung elementari - ſcher, animaliſcher, vegetativer und Ver - ſtandeskraͤfte nur ein Gedanke iſt, in dem jeder Menſch aus allen dieſen, wenn gleich in verſchiedenem Verhaͤltniß, beſtehet: ſo huͤte man ſich, dieſe und jene Na - tion ganz fuͤr animaliſch zu hal - ten, um ſie als Laſtthiere zu gebrauchen. Der reine Intellectus bedarf keines Laſt -179 thiers; und ſo wenig alſo der intellectuelſte Europaͤer der Pflanzen - und Thierkraͤfte in ſeinem Lebensſyſtem entbehren kann, ſo wenig ermangelt irgend eine Nation ganz des Verſtandes. Vielgeſtaltig iſt dieſer allerdings in Anſehung der ihn regenden Sinnlichkeit nach der verſchiedenen Orga - niſation der Voͤlker; indeſſen iſt und bleibt er in allen Menſchengeſtalten nur Ein und Derſelbe. Das Geſetz der Bil - ligkeit iſt keiner Nation fremd; die Uebertretung deſſelben haben Alle gebuͤßet, jede in ihrer Weiſe.

3. Wenn intellectuelle Kraͤfte in meh - rerer Ausbildung der Vorzug der Euro - paͤer ſind: ſo koͤnnen ſie dieſen Vor - zug nicht anders als durch Ver - ſtand und Guͤte, (beide ſind im Grunde nur Eins) beweiſen. Handeln ſie im - potent, in wuͤtenden Leidenſchaften, ausM 2180kaltem Geiz, in niedrig-vermeſſenem Stol - ze; ſo ſind ſie die Thiere, die Daͤmo - nen gegen ihre Mitmenſchen. Und wer leiſtet den Europaͤern Buͤrgſchaft, daß es ihnen nicht an mehreren Enden der Erde, wie in Abeſſinien, China, Japan ergehen koͤnne und ergehen werde? Je mehr ihre Kraͤfte und Staaten in Europa altern, je mehr ungluͤckliche Europaͤer einſt dieſen Welttheil verlaſſen, um dort und hier mit den Unterdruͤckten gemeinſchaftliche Sache zu machen; ſo koͤnnen intellectuelle und animaliſche Kraͤfte ſich in einer Weiſe ver - binden, die wir jetzt kaum vermuthen. Wer ſiehet in die vielleicht ſchon gepflanzte Saat der Zukunft? Cultivirte Staaten koͤnnen entſtehen, wo wir ſie kaum moͤg - lich glauben; cultivirte Staaten koͤnnen verdorren, die wir fuͤr unſterblich hielten.

4. Sollte in Europa auf Wegen, die181 wir zu beſtimmen nicht vermoͤgen, die Ver - nunft einmal ſo viel Werth gewinnen, daß ſie ſich mit Menſchenguͤte vereinigte: welch eine ſchoͤne Jahrszeit fuͤr die Glie - der der Geſellſchaft unſres gan - zen Geſchlechtes! Alle Nationen wuͤr - den daran Theil nehmen und ſich dieſes Herbſtes der Beſonnenheit freuen. Sobald im Handel und Wandel das Ge - ſetz der Billigkeit allenthalben auf Erden herrſchet, ſind alle Nationen Bruͤder; der juͤngere wird dem aͤlteren, das Kind dem verſtaͤndigen Greiſe mit dem was es hat und kann, willig dienen. *)Unter vielen andern erinnere ich hier aber - mals an le Vaillants neuere Reiſe. Der Unterſchied, den er zwiſchen Nationen, die von Europaͤern verderbt ſind oder mißhandelt

5. Und waͤre dieſe Zeit undenkbar? Mich duͤnkt, ſie muͤſſe ſelbſt auf dem182 Wege der Noth und des Calculs erſcheinen. Selbſt unſre Aus - ſchweifungen und Laſterthaten muͤſſen ſie foͤrdern. In Verhaͤltniſſen des Menſchengeſchlechts muͤßte keine Re - gel, in ſeiner Natur keine Natur herr - ſchen, wenn nicht durch innere Geſetze dieſes Geſchlechts ſelbſt und den Antagonismus ſeiner Kraͤfte dieſe Periode herbeigebracht wuͤrde. Gewiſſe Fieber und Thorheiten der Menſchheit muͤſſen mit Fortruͤckung der Jahrhun - derte und Lebensalter abbrauſen. Europa muß erſetzen was es verſchuldet, gut - machen was es verbrochen hat; nicht aus Belieben, ſondern nach der Natur der*)werden und zwiſchen autonomiſchen Voͤlkern bemerkt, iſt ſchneidend. Seine Grundſaͤtze, wie mit dieſen umzugehen ſei, ſind auf der ganzen Erde anwendbar.183 Dinge ſelbſt: denn uͤbel waͤre es mit der Vernunft beſtellt, wenn ſie nicht allenthal - ben Vernunft, und das Allgemeingute nicht auch das Allgemeinnuͤtzlichſte waͤre. Die Magnetnadel unſrer Beſtrebungen ſucht dieſen Pol; nach allen Irren und Schwankungen wird und muß ſie ihn fin - den.

6. Daß alſo niemand aus dem Ergrauen Europa's den Verfall und Tod unſres ganzen Ge - ſchlechts augurire! Was ſchadete es dieſem, wenn ein ausgearteter Theil von ihm unterginge? wenn einige verdorrete Zweige und Blaͤtter des Saftreichen Bau - mes abfielen? Andre treten in der Ver - dorreten Stelle und bluͤhen friſcher empor. Warum ſollte der weſtliche Winkel unſres Nord-Hemiſphaͤrs die Cultur allein be - ſitzen? und beſitzet er ſie allein?

184

7. Die groͤßeſten Revolutionen des Menſchengeſchlechts hingen bisher von Erfindungen, oder von Revolutionen der Erde ab; wer kennet dieſe in der unabſehlichen Folge der Zeiten? Climate koͤnnen ſich aͤndern; aus mehreren Urſachen kann manches be - wohnte Land unbewohnbar, manche Colo - nie zum Mutterlande werden. Wenige neue Erfindungen koͤnnen viele aͤltere auf - heben; und da uͤberhaupt die hoͤchſte An - ſtrengung, (unlaͤugbar der Charakter faſt aller Europaͤiſchen Staatskunſt) nothwendig nachlaſſen oder uͤberſtuͤrzen muß; wer ver - mag die Folgen hievon zu berechnen? Wahrſcheinlich iſt unſre Erde ein organi - ſches Weſen; wir kriechen auf dieſer Pom - meranze wie kleine, kaum merkbare Inſek - ten umher, quaͤlen einander und bauen uns hie und da an. Wenn der Himmel185 faͤllt, ſagt das Spruͤchwort, wo bleiben die Sperlinge? Wenn hier oder dort die Pom - meranze modert, tritt vielleicht eine andre Generation auf; ohne daß deßhalb die erſte eben am intellectuellen Theil ihres Syſtems, am Verſtande, untergegangen waͤre. Was ſie eher hinrichten konnte, war Aus - ſchweifung, Laſter, Misbrauch ihres Ver - ſtandes. Gewiß ſind die Perioden der Na - tur in Anſehung aller Geſchlechter auf einander calculiret, daß wenn die Erde Menſchen nicht mehr waͤrmen und naͤhren kann, Menſchen ihre Beſtimmung auf ihr auch erfuͤllt haben werden. Die Bluͤthe welket, ſobald ſie ausgebluͤhet hat; ſie laͤſſet aber auch Frucht nach. Waͤre alſo die hoͤchſte Aeußerung intellectueller Kraft unſre Beſtimmung, ſo foderte eben dieſe von uns, dem kuͤnftigen, uns unbekannten Aeon einen guten Saamen nachzulaſſen,186 damit wir nicht als weichliche Moͤrder ſterben.

Monboddo ſieht unſere Erde als eine Erziehungsanſtalt an, aus der unſre Seelen gerettet werden. Der einzelne Menſch kann und darf ſie nicht anders anſehen: denn er kommt und geht vor - uͤber. Auf der Stelle, auf welcher er ohne ſein Wollen erſcheinet, muß er ſich helfen, ſo gut er kann, und das Syſtem ſeiner elementar - und vegetativen, ſei - ner animaliſchen und intellectuellen Kraͤfte ordnen lernen. Allmaͤlich ſterben ſie ihm ab, bis der ausgebildete Geiſt verflieget. Auch hier iſt Monboddo's Syſtem conſequent, das ich, unvollendet wie es iſt, mancher andern kaufmaͤnniſch-po - litiſchen Geſchichte der Menſchheit vor - ziehe. Zu einer Geſchichte unſres Ge - ſchlechts gehoͤren kaufmaͤnniſch-politiſche187 Conſiderationen nur als ein Bruchſtuͤck; ihr Geiſt iſt ſenſus humanitatis, Sinn und Mitgefuͤhl fuͤr die geſammte Menſchheit.

188
Der Geiſt der Schoͤpfung.
Auch ich war Pilgrim in der Wuͤſtenei,
Und matt vom Wege ſprach ich: Herr der
Welt!
Ein Blick von dir verjuͤngt die Schoͤpfung.
Sieh!
Die Sonne brennt auf mich; im Sande gluͤht
Mein nackter Fuß, und meine Zunge lechzt.
Ich wanke. Herr, mein Licht erliſcht.
Da ſah
Ich vor mir einen ſchmalen Raſen, rings
Umflochten von Gebuͤſch. Ein Palmbaum ſtand
An einer Quelle, und auf Baum und Buͤſchen
Hing unter Bluͤthen manche ſchoͤne Frucht.
Ich koſtete, ich trank, ich dankte Gott,
Und legte mich zur Ruhe nieder. Sanft
189
Umhuͤllete der Schlaf mein Auge, bis
Ein Wundertraum mich ſchnell erweckete.
Der Geiſt der Schoͤpfung ſtand vor mir
und ſprach:
Steh auf, o Menſch! Du haſt genug geruht
Auf dieſem Beet von zehen tauſend Pflanzen
Und Kraͤutern meines Herrn. Du biſt geſtaͤrkt.
Die Hindinn dort will auch verſchmachten.
Scheu
Erwartet ſie, daß du aufſteheſt. Auf
Sprang ich und ſah die Hindinn mir zu Fuͤßen,
Die Mutter war. Sie blickte froh mich an,
Und ſprang zu ihrer Weide.
Guter Gott,
Rief ich, der du fuͤr Alles ſorgeſt. Wenn
Dein Wink dort Sonnen lenkt, ſo denkſt du
auch
Des Wandrers in der Wuͤſte, daß ſein Stab
Nicht breche, daß die Hindinn nicht verſchmachte.
190
Die Zeitenfolge.
Komm, Unzufriedner, naͤher! Tritt herzu,
An deſſen Herzen Misvergnuͤgen nagt.
Schuf Irgendwen der Allmacht Hand zur
Quaal?
Er, der nur Huld iſt, ſchuf 'er je zum Ungluͤck?
Es ſprach der Maͤchtige: (die Wahrheit
ſpricht,
In allen ſeinen Werken.) Euer Tagwerk
Sei Seligkeit. Mit dieſem Segen laß 'ich,
Geſchoͤpfe, euch aus meiner Hand.
Und ſieh!
Da ſtanden ſie, die Lebenden, unwiſſend
Was Leben war. Sie ſchoͤpften Othem, wie
Nach einem ſchweren Traum; ſie ſahn die
Welt!
191
Und Engel ließen ſich auf Wolken nieder
Bewundernd dieſer Schoͤpfung neuen Raum,
Die Wohnung ſuͤßer Freuden; ſahn im Geiſt
Gluͤckſelige zukuͤnftger Zeiten wallen,
Und riefen, voll von himmliſchem Gefuͤhl:
Du haſt hier reiche Saaten ausgeſtreut
Allguͤtiger! Wer kann die Ernte faſſen
In dieſen Segensgruͤnden? Trauen wird
Der Gute Dir! Gelingen wird ſein Werk.
So ſangen ſie. Hebt eure Augen auf,
Ihr Menſchen, ſehet eures Vaters Schoͤpfung,
Und hofft auf ihn. Auch in der Menſchheit
kann
Sein Werk nicht fehlen.
Du der Welten Vater!
Ich weiß es, Worte thun es nicht vor
Dir.
Beredſamkeit verſtummet. Wie ſich Kinder
Der Blumen freun, freun wir uns Deiner
Schoͤpfung.
192
Wie ihrer zeitlichen Verſorger ſie
Zutrauend harren, hoffen wir auf Dich,
Und uͤben froh Dein Werk. Die ſchoͤnſte
Gabe
Des Sterblichen iſt ein zufriednes Herz.
Das193
Das Gegengift.
Preis ſei dem Geber! jede ſeiner Gaben
Iſt Huld - und Weisheitvoll. Er theilte ſie,
Er wog ſie ab zur langen Dauer und
Vollkommenheit der Schoͤpfung.
Seine Erde
Gab er nicht Engeln; Menſchen gab er ſie.
Der Menſchen Beſter iſt, wer ſelten
ſtrauchelt,
Ihr Edelſter, wer bald vom Fall aufſteht.
Tief keimete das Laſter in der neu -
Geſchaffnen Erde; wild ſchoß es empor,
Gift ſeine Bluͤthe, ſeine Fruͤchte Tod.
Da ſchuf er ihm ein maͤchtig Gegengift,
Fuͤr Thorheit ein Verwahrungsmittel, Arbeit.
Zehnte Sammlung. N194
Sie macht 'er uns zum heiligſten Geſetz,
Den Fleiß zur Pflicht.
Arbeitſamkeit verriegelt
Die Thuͤr dem Laſter, das dem Muͤßigen
Zur Seite ſchleicht, und hinter ihm das
Ungluͤck.
Willſt du dem Feinde fluchen, wuͤnſch 'ihm
Muße;
Auf Muße folgt viel Boͤſes, und des Kummers
Gar viel.
Arbeitſam wirkt die Seele froh;
Langweilger Muͤßiggang beſchaͤftigt ſie
Zur Reue, zum Verderben. Thorheit leitet
Den Muͤßigen; Muthwill 'und Vorwitz fuͤhren
Ins Dunkel ihn, wo Gott nicht iſt.
Arbeitet,
Ihr Weiſen in dem Volk, befoͤrdert Euer
Und Vieler Gluͤck.
195
Wo wohnt Beruhigung?
Wo Segen der liebreichen Gottheit? Wo
Genuß der Tage? Wo das edelſte
Vergnuͤgen? Nur in Arbeit!
N 2196

123.

Von fruͤhen Jahren habe ich mich auch in die fremdeſten Hypotheſen zu ſetzen ge - ſucht, und ich kam faſt von allen mit dem Gewinn einer neuen Seite der Wahrheit, oder ihrer Beſtaͤrkung zuruͤck; darf ich aber bekennen, daß ich der Hypotheſe von einer radicalen boͤſen Grundkraft im menſchlichen Gemuͤth und Wil - len durchaus nichts Gutes abgewinnen197 kann. *)Von der ſogenannten Erbſuͤnde iſt hier nicht die Rede: denn dieſe iſt Krankheit. A. d. S.Ich laſſe ſie jedem Liebhaber; meinem Verſtande bringt ſie kein Licht, meinem Herzen keine freudige Regung.

Gewoͤhnlich leitet man die Hypotheſe von zweien einander feindſeligen Grundur - ſachen der Dinge von den Perſern her; ihre boͤſe Anwendung aber ſollte man nicht daher leiten. In der Phyſik wars offen - bar Kindheit der Wiſſenſchaft, wenn man die Nacht fuͤr boͤſe, den Tag fuͤr gut erklaͤrte; die Geſetze, die beide hervor - bringen, ſind gut und hoͤchſt einfach. In der Moral ſind ſie es eben ſo ſehr; und die Philoſophie der Perſer ging gerade darauf hin, dies auszufuͤhren. Die Fin - ſterniß, ſagte ſie, ſei Unform; das Licht,198 ſeiner Natur nach, bilde, leuchte und er - waͤrme. Trotz aller Widerſtrebungen ſei Ahriman ſchwach; Ormuzd werde und muͤſſe ihn uͤberwinden. Ihre Religion fo - derte alſo in Gedanken, Worten, Hand - lungen zu dieſem Siegeskampf als zum ei - gentlichen Geſchaͤft des menſchlichen Lebens auf. Licht zu ſchaffen und fortzubreiten, wirkſam zu ſeyn in jedem Guten, zu rei - nigen, zu erfreuen ſey unſer Geſchaͤft. Eben deshalb ſtehen wir zwiſchen Licht und Dunkel.

Das Chriſtenthum ging mit tiefer - greifenden Regungen auf dieſem Wege fort. Kein ſklaviſches Volk, das ſich ewig unter dem Joch kruͤmmt und an Ketten windet, ſollte nach ihm das Menſchenge - ſchlecht ſeyn, ſondern ein freies, froͤhliches Geſchlecht, das ohne Furcht eines Macht - habenden Henkergeiſtes, das Gute des199 Guten wegen, aus innrer Luſt, aus ange - bohrner Art und hoͤherer Natur thue, deſ - ſen Geſetz ein koͤnigliches Geſetz der Freiheit, ja dem eigentlich kein Geſetz gegeben ſei, weil die Gottesnatur in uns, die reine Menſchheit des Geſetzes nicht bedoͤrfe.

Unverkennbar iſt dies der Geiſt des Chriſtenthums, ſeine native Geſtalt und Art. Nur dunkle barbariſche Zeiten ha - ben den großen Lehnsherren des Boͤſen, deſſen angebohrnes Erbvolk wir ſeyn, von dem uns Gebraͤuche, Buͤßungen und Ge - ſchenke zwar nicht wirklich, aber Ge - wandsweiſe befreien koͤnnten, der Stu - piditaͤt und Brutalitaͤt antichriſtlich wieder - gegeben. Wer wollte in dieſe Miltonſche Hoͤlle greifbarer Nacht und ſolider Finſter - niß zuruͤckkehren?

Ueber der Erde ſehen wir von dieſer200 maſſiven Urhoͤlle nichts. Wo Boͤſes iſt, iſt die Urſache des Boͤſen Unart unſres Geſchlechts, nicht ſeine Natur und Art. Traͤgheit, Vermeſſenheit, Stolz, Irrthum, Hartſinn, Leichtſinn, Vorurtheile, boͤſe Er - ziehung, boͤſe Gewohnheit; lauter Uebel, die vermeidlich oder heilbar ſind, wenn neues Leben, Munterkeit zum Guten, Ver - nunft, Beſcheidenheit, Billigkeit, Wahr - heit, eine beßre Erziehung, beſſere Gewohn - heiten von Jugend auf, einzeln und allge - mein einkehren. Die Menſchheit ruft und ſeufzet, daß dieſes geſchehe, da offenbar jede Untugend und Untauglichkeit ſich ſelbſt ſtraft, indem ſie keinen wahren Genuß ge - waͤhret, und eine Menge Uebel auf ſich und auf andre haͤufet. Offenbar ſehen wir, daß wir dazu da ſind, dies Reich der Nacht zu zerſtoͤren, indem niemand es fuͤr uns thun kann und ſoll. Nicht nur tra201 gen wir die Laſt unſres Ungluͤcks; ſon - dern unſre Natur iſt zu dieſem und zu keinem andern Werk eingerichtet; es iſt Zweck unſres Geſchlechts, der End - punkt unſrer Beſtimmung, uns dieſer Un - art zu entladen. Das ganze Univerſum treibt, wenn uns die Fruͤchte des Werks nicht locken, mit Neſſeln und Dornen. Was ſoll alſo Verzweiflung als unter ei - nem nie abzuwerfenden Joch? wozu der Traum einer von der Wurzel aus unwi - derbringlichen Menſchheit?

Keine Hypotheſe kann uns werth ſeyn, die unſer Geſchlecht aus ſeinem Standort ruͤckt, die es bald an die Stelle der ge - fallenen Engel ſtellt, bald unter ihre Vor - mundſchaft und Oberherrſchaft erniedrigt. Die gefallenen Engel kennen wir nicht, aber uns kennen wir, und wiſſen, wenn202 und warum wir gefallen ſind? fallen und fallen werden?

Das Daſeyn jedes Menſchen iſt mit ſeinem ganzen Geſchlecht verwebet. Sind unſre Begriffe uͤber unſre Beſtimmung nicht rein; was ſoll dieſe und jene kleine Verbeſſerung? Sehet ihr nicht, daß die - ſer Kranke in verpeſteter Luft liegt? rettet ihn aus derſelben und er wird von ſelbſt geneſen. Beim Radicaluͤbel greift die Wurzeln an; ſie tragen den Baum mit Gipfel und Zweigen.

Das Werk iſt groß; es ſoll aber auch ſo lange fortgeſetzt werden, als die Menſch - heit dauret; es iſt das eigenſte und ein - zige, das belohnendſte und froͤhlichſte Ge - ſchaͤft unſres Geſchlechtes.

Und wie wird dies Geſchaͤft betrieben? Blos durch Erweiterung und Verfeinerung der Verſtandeskraͤfte? Intelligenz iſt203 des Menſchen edler Vorzug, das unent - behrliche Werkzeug ſeiner Beſtimmung. Wiſſenſchaft alles Wiſſenswuͤrdigen, Ver - ſtand alles Brauchbaren, Schoͤnen und Edeln iſt erleuchtender Sonnenglanz in der dunkeln Dunſtkugel der Erde; er darf und muß ſich ſoweit erſtrecken als er ſich er - ſtrecken kann; vom letzten Nebelſtern uͤber die geſammte Natur an die Grenzen der werdenden Schoͤpfung.

Verſtand iſt der Gemeinſchatz des menſch - lichen Geſchlechts; wir alle haben daraus empfangen, wir alle ſollen unſre beſten Ge - danken und Geſinnungen hineintragen. Wir rechnen mit Combinationen der Vorzeit; die Nachwelt ſoll mit unſern Combinatio - nen rechnen, und allerdings geht dieſer Calcul ins Große, Weite, Unendliche hin - aus. Wer unternimmts zu ſagen, wohin das Menſchengeſchlecht in ſeinen fortgeſetz -204 ten, auf einander gebaueten Bemuͤhungen gelangen koͤnne und vielleicht gelangen werde? Jede neuerlangte Potenz iſt die Wurzel zu einer Zahlloſen Reihe neuer Potenzen.

Verſtand indeſſen thuts nicht allein; auch den Daͤmonen ſchreiben wir einen daͤmoniſchen Verſtand zu; der unſre ſei menſchlich, von thaͤtiger Guͤte begleitet. Blicke umher. Wie viel wahre und echte Wiſſenſchaft iſt ungebraucht in der Welt! wie viel Verſtand liegt unterdruͤckt und begraben! wie viel andrer wird mißge - brauchet! Scheinwahrheit, ſtarres Vorur - theil, heuchelnde Luͤge, traͤge Luſt, Ver - nunftloſe Willkuͤhr verwirren unſer Ge - ſchlecht. Ein geſtaͤrkter großer und guter Wille alſo, Uebungen von Ju - gend auf, Kampfpreiſe und Gewoͤhnung, daß uns das Schwerſte zum Leichteſten205 werde, und vor allem jenes unerlaͤßliche Beſtreben nach dem Nothwendigen, was unſer Geſchlecht fodert, mit Vorbei - laſſung alles Entbehrlichen und Schlech - ten; ſie allein koͤnnen den Verſtand zum Guten geltend machen, ihm aufhelfen und das Werk foͤrdern. Wie lange haben wir uns mit dem Unnuͤtzen beſchaͤftigt? Zeigen uns nicht Jahrtauſende der Men - ſchengeſchichte unſern Unverſtand, unſre kindiſche Trivialitaͤt und Feigheit?

Einheit unſrer Kraͤfte alſo, Vereinigung der Kraͤfte mehrerer zu Befoͤrderung Eines Ganzen im Wohl Aller mich duͤnkt, dies iſt das Problem, das uns am Herzen liegen ſollte, weil Jedem es ſein innerſtes Bewußtſeyn wie ſein Beduͤrfniß ſtille und laut ſaget.

Geſetzgeber, Erzieher, Freunde der Menſchheit, ſagt ein edler Mann unſrer206 Nation,*)Eſſai ſur la Science, 1796. vom Herrn Coad - jutor von Dalberg. In dieſem Entwurf ſowohl, als in der Schrift vom Bewußt - ſeyn, als allgemeinem Grunde der Weltweisheit, (Erfurt 1793. in den Betrachtungen uͤber das Univer - ſum (Erfurt 1777.) und in jedem kleinſten Aufſatz iſt das Thema dieſer Schrift l'vnité compoſée, de l'inſini Inhalt und Sinnbild, und le caractère vrai, pur, energique et moral Charakter. laſſet uns unſre Kraͤfte verei - nigen, um dem Menſchen zu beweiſen, daß in den unendlich - verſchiedenen La - gen des Lebens er das innere Gluͤck nir - gend finde, als in der wirkſamen und thaͤtigen Einheit ſeines Charak - ters. Strebend nach eigner Vollkommen - heit, die Vorſchriften einer allgemeinen und wohlthaͤtigen Vernunft frei und ſtand - haft befolgend wird er Verirrungen, Ver -207 brechen, inneren Vorwuͤrfen entgehen. Als Menſch und Buͤrger wird er die Gluͤckſe - ligkeit im Zeugniß ſeines Gewiſſens finden. So bringt der Menſch die unendliche Verſchiedenheit ſeiner Empfin - dungen, Gedanken, Beſtrebungen zur Einheit eines wahren, reinen, wirkſamen moraliſchen Charak - ters.

Und, darf ich dies edle Bild weiter hinauspraͤgen: ſo liegt im Menſchenge - ſchlecht eine unendliche Verſchiedenheit von Empfindungen, Gedanken, Beſtrebungen zur Einheit eines wahren, wirkſamen, rein-moraliſchen Charakters, der dem ganzen Geſchlecht gehoͤret. Wie jede Claſſe von Naturgeſchoͤpfen ein eignes Reich ausmacht, auf andre Reiche bauend, in andre hineingreifend: ſo das Menſchen - geſchlecht mit dem beſondern und hoͤchſten208 Abzeichen, daß die Gluͤckſeligkeit Aller von den Beſtrebungen Aller abhaͤngt und in ihm bei der groͤßeſten Verſchiedenheit in dieſer ſehr erhabnen Einheit allein ſtatt finde. Wir koͤnnen nicht gluͤcklich oder ganz wuͤrdig und moraliſch-gut ſeyn, ſo lange z. B. Ein Sklave durch Schuld der Menſchen ungluͤcklich iſt: denn die Laſter und boͤſe Gewohnheiten, die ihn un - gluͤcklich machen, wirken auch auf uns oder kommen von uns her. Die Anmaaſ - ſung, der Geiz, die Weichlichkeit, die alle Welttheile betruͤgt und verwuͤſtet, haben ihren Sitz bei und in uns; es iſt die - ſelbe Herzloſigkeit, die Europa wie Ame - rika unter dem Joch haͤlt. Dagegen auch jede gute Empfindung und Uebung eines Menſchen auf alle Welttheile wirket. Die Tendenz der Menſchennatur faſſet ein Univerſum in ſich, deſſen Aufſchriftiſt:209iſt: Keiner fuͤr ſich allein, jeder fuͤr Alle; ſo ſeyd ihr alle euch einander werth und gluͤcklich. Eine unendliche Verſchiedenheit, zu einer Einheit ſtrebend, die in allen liegt, die alle foͤrdert. Sie heißt, (ich wills immer wiederholen,) Verſtand, Billigkeit, Guͤte, Gefuͤhl der Menſchheit.

Zehnte Sammlung. O210
Freude.
Freue dich, edles Herz, das hold der
Freude iſt!
Schuf nicht der Schoͤpfer der Welt
Alles zur Freude?
Wer ſich freuet, erfuͤllt der Schoͤpfung Zweck.
Suͤße Gabe des Gebers, gieße dich ganz
in mich!
Noch iſt mein Herz von Tuͤcke nicht befleckt.
So huͤpfe dann das vergaͤngliche Paradies
hindurch,
Du nicht mit druͤckenden Laſten beſchwertes
Herz.
211
Sei froh des Vergangenen!
Jeglicher Labung froh, die du dem muͤden Pilger
Darreichen konnteſt; danke dem Herrn der Welt,
Der Dir zu reichen ſie gab.
Haͤuſer, die deine Haͤnde geſtuͤtzt,
Huͤtten, die deine Haͤnde beveſtigten,
Siehe ſie froh! Beſuche des Greiſes Grab,
Der ſich an deinen Troſtſtab lehnete.
Komme der große Tag, an welchem der
Schoͤpfung Herr
Gericht haͤlt! wann die Schaaren um ihn ſtehn
Voll heiliger Erwartung. Sanfte Stille
Verbreitet ſich die ſieben Himmel hindurch.
Du trittſt, ein Juͤngling mit tauſendmal
tauſend hervor
Anzubeten. Der Spruch des Richters iſt:
Was ihr der Menſchheit thatet, thatet ihr
Mir ſelbſt. Geht ein zu eures Herren Freude.
O 2212

124.

Und warum verhelen wir eine Norm der Ausbreitung des moraliſchen Geſetzes der Menſchheit, die uns ſo nahe lieget? Das Chriſtenthum gebietet die reinſte Humanitaͤt auf dem reinſten We - ge. Menſchlich und fuͤr jedermann faß - lich; demuͤthig, nicht ſtolz-avtonomiſch; ſelbſt nicht als Geſetzſondern als Evan - gelium zur Gluͤckſeligkeit Aller gebietet und giebt es verzeihende Duldung, eine das213 Boͤſe mit Gutem uͤberwindende thaͤtige Liebe. Es gebietet ſolche nicht als einen Gegenſtand der Spekulation, ſondern giebt ſie als Licht und Leben der Menſchheit, durch Vorbild und liebende That, durch fortwirkende Gemeinſchaft. Es dienet allen Claſſen und Staͤnden der Menſch - heit, bis in jeder jedes Widrige zu ſeiner Zeit von ſelbſt verdorret und abfaͤllt. Der Misbrauch des Chriſtenthums hat Zahllo - ſes Boͤſe in der Welt verurſacht; ein Er - weis, was ſein rechter Gebrauch vermoͤge. Eben daß, wie es gediehen iſt, es ſo viel gutzumachen, zu erſetzen, zu entſchaͤdigen hat, zeigt nach der Regel, die in ihm liegt, daß es dies thun muͤſſe und thun werde. Der Labyrinth ſeiner Misbraͤuche und Irr - wege iſt nicht unendlich; auf ſeine reine Bahn zuruͤckgefuͤhrt kann es nicht anders als zu dem Ziel ſtreben, den ſein Stifter214 ſchon in dem von ihm gewaͤhlten Namen Menſchenſohn (d. i. Menſch) und im Gerichtsſpruch des letzten Tages aus - druͤckte. Wenn die ſchlechte Moral ſich an dem Satz begnuͤgt: Jeder fuͤr ſich, Niemand fuͤr alle! ſo iſt der Spruch: niemand fuͤr ſich allein, jeder fuͤr Alle! des Chriſtenthums Loſung.

215
Der Himmliſche.
Heil und Gebet dem Mann in Himmels -
glanz,
Zu deſſen Fuͤßen jetzt die Sterne wallen;
Wie Mond und Sonne glaͤnzt ſein Angeſicht.
Er denke unſer, wenn wir beten, wenn
Sich unſer Herz zum Armen freundlich neigt,
Und laſſe jeden Wandrer Schatten finden,
Und jedem Durſtenden zeig 'Er den Quell.
Er war es ſelber einſt, der Menſchlichkeit
Die Menſchen lehrte, der Erbarmen, Sanft -
muth,
Und Milde zur Religion uns gab.
216
Heil und Gebet dem Mann, der Menſch -
lichkeit
Die Menſchen lehrte, der Erbarmen, Sanft -
muth,
Und Milde zur Religion uns gab.

Inhalt.

  • Brief 114. Vom Wirken der Voͤlker auf ein - ander. Seite 5
  • Neger-Idyllen. Die Frucht am Baume. S. 15
  • Die rechte Hand. S. 18
  • Die Bruͤder. S. 21
  • Zimeo. S. 26
  • Der Geburtstag. S. 34
  • Br. 115. Selbſtvertheidigung die Bruſtwehr der Voͤlker. Falſche Geſichts - punkte und Maasſtaͤbe zu Schaͤ - tzung der Nationen. Edlere Menſchengeiſter. S. 38
  • Nachſchrift. Las Caſas. Fenelon. Die beiden St. Pierre. Quacker. Mon - tesquieu. Giambattiſta Vico. S. 47
  • Br. 116. Grundſaͤtze zu einer Naturgeſchichte der Menſchheit. De Pages, le Vaillants Reiſen. S. 70
  • Die Waldhuͤtte. Eine Mißionser - zaͤhlung aus Paraquay. S. 84
  • Br. 117. Verderbliche Grundſaͤtze der Voͤl - ker - und Kriegsgeſchichte. S. 92
  • Der Hunnenfuͤrſt. S. 99
  • Das Kriegsgebet. S. 101
  • Kahira. S. 102
  • Das Kriegsrecht. S. 105
  • Das Seerecht. S. 107
  • Der betrogne Unterhaͤndler. S. 109
  • Br. 118. Zum ewigen Frieden, eine Iroke - ſiſche Anſtalt. Andre Anſtalten zu demſelben Zweck. S. 111
  • Al-Hallils Rede an ſeinen Schuh. S. 121
  • Br. 119. Sieben Geſinnungen der großen Friedensfrau. S. 125
  • Br. 120. Ob zu Geſinnungen dieſer Art eine beſtimmte Foͤrmlichkeit ge - hoͤre? S. 143
  • Der Fuͤrſt. S. 147
  • Ruhm und Verachtung. S. 150
  • Al-Hallils Klagegeſang. S. 153
  • Br. 121. Vom Geiſt der Voͤlkergeſchichte. Geſchichte der Begebenheiten, klug oder ſtupid erzaͤhlet. Ma - chiavells Geiſt der Geſchichte. Geſchichte zur Ehre Gottes. Geſchichte nach Staatsplanen. Geſchichte zur kuͤnftigen beſten Form der Staaten. Vom ein - zigen wahren Geiſt der Ge - ſchichte. S. 156
  • Br. 122. Ob man zu einer Geſchichte der Menſchheit den Ausgang der Dinge wiſſen muͤſſe? Mon - boddo's Geſchichte der Menſchheit. Betrachtungen und Ausſichten. S. 173
  • Der Geiſt der Schoͤpfung. S. 188
  • Die Zeitenfolge. S. 190
  • Das Gegengift. S. 193
  • Br. 123. Vom radicalen Boͤſen in der Menſchheit. Syſtem der Per - ſer, des Chriſtenthums. Ob Verſtandeskraͤfte allein unſre Beſtimmung zu erreichen ver - moͤgen? Einheit der Kraͤfte und des Zwecks unſres ganzen Geſchlechtes. S. 196
  • Freude. S. 210
  • Br. 124. Tendenz des Chriſtenthums. S. 212
  • Der Himmliſche. S. 215

About this transcription

TextBriefe zu Beförderung der Humanität
Author Johann Gottfried von Herder
Extent230 images; 21071 tokens; 6217 types; 148974 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBriefe zu Beförderung der Humanität Zehnte Sammlung Johann Gottfried von Herder. . 216 S. HartknochRiga1797.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 301005-9/10 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=875068138

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; mts

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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