PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Lebenslaͤufe nach Aufſteigender Linie
nebſt Beylagen A, B, C,
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Meines Lebenslaufs Erſter Theil.
Berlin,beyChriſtian Friedrich Voß,1778.
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Ich Halt! Ein Schlagbaum Gut wohl recht wohl Ein wachhabender Officier! wieder einer mit einem Achſelbande zu Pferde zu Fuß von der Leibgarde von der Garde der gelehrten Republick ich ehr ihre Uniform, meine Herren, und damit ich ſie der Muͤhe uͤberhebe mir die uͤblichen Fragſtuͤcke vorzule - gen; moͤgen Sie wiſſen, daß ich, wie der Paß oder Taufſchein es ausweiſet, ein Schrift - ſteller in aufſteigender Linie bin. In den folgenden zwei Baͤndchen welche ich wenn Gott Leben und Geſundheit und Luſt und Liebe zum Dinge verleihet, kuͤnftige Meſſe zu liefern willens bin, wird mein Lebenslauf bis zu einer ſaͤchſiſchen Friſt vor der Meſſe, fortgeſezet werden: Im vierten Baͤndchen werde ich den Lebenslauf meines Vaters, und im fuͤnften den Lebenslauf meines Grosva - ters erzaͤhlen auch alles nach Geſtalt und Gelegenheit der Umſtaͤnde mit unumſtoͤßlichen Urkunden belegen. Dieſer Plan ſoll darumA 2noch4noch mehr Eigenes haben, weil ich den Le - benslauf meines Vaters und Grosvaters Berg ab erzaͤhlen will, da wir jetzo nur Berg auf zu gehen gewohnt ſind. Ich wer - de von der Zeit da mein Vater Paſtor in Cur - land war anfangen und bei ſeiner Wiege aufhoͤren und ſo ſolls auch mit meinem Gros - vater werden, der in meiner Geſchichte eher ſterben als gebohren werden ſoll. Wurzeln, Zweige und Blaͤtter haben einerlei Struktur. Begrabe die Zweige in die Erde, und laß die Wurzel in die freie Luft gen Himmel ſehen: Es wird ein Baum!

Vor der Hand ſei es meinen Leſern gnug in Beziehung auf mich von dem vierten und fuͤnften Baͤndchen, wobei ich die Beilagen nicht ausſchließen will, zu wiſſen HVIC MONVMENTO USTRINVM APPLICARI NON. LICET. Ich rathe zu keiner Juſtinianiſchen Ueberſe - zung dieſer Stelle l. 2. §. 27. Cod. de vet. jur. enucl. κατά ποδα und da Vorrede dieNach -5Nachrede hindert moͤgen ſich meine Leſer wohlbedaͤchtig merken Ο῾ δυνάμενος ϑέλειν, δύναται ϰαι μὴ ϑέλειν. welche Stelle ſie nach Herzensluſt dolmet - ſchen koͤnnen.

Es iſt die hoͤchſte Zeit, daß ich wieder auf mich ſelbſt und auf den Daumen Zeiger und Mittelfinger dieſes Werks zuruͤck kehre. Giebt es nicht wie es am Tage iſt ſo gar der heiligen Schrift Spoͤtter? wie ſolt ich alſo wol nach Art jenes Phariſaͤers mit den Worten an den Altar treten Οὐδ᾽ ἄν Μῶμος (ἐφη) τόγε τοιοῦτον μέμψαιτο. Uebrigens geſtehe ich herzlich gerne denen Er - zaͤhlern ein vorzuͤglicheres Verdienſt ſowohl in Abſicht des Ellenmaaßes als der Wuͤrde zu, welche bei jedem merkwuͤrdigen Vorfall außerhalb ihren Grenzen einen Wegweiſer aufrichten und ihre Leſer zur Nuzanwendung auf Lehre und Troſt bringen. Ich werde mich ſo nehmen, wie ich mich finde. Wer auf eine Schuͤſſel mehr oder Sallat, Sardel - len, Caviar, Auſtern und andere Zuſaͤtze Leckerbiſſen und Noten luͤſtern iſt; laße ſich anrichten, was ihm gefaͤllig iſt und thue was er nicht laſſen kann. So lange meine LeſerA 3gehen6gehen koͤnnen; will ich ihnen keine Kruͤkke ge - ben, wenn ſie ſelbſt eine Doſe haben; warum ſoll ich ihnen mit meinem St. Omer an die Hand gehen (es braucht vielleicht mancher Eſpagniol, Tonka, Havana Rapee) und wenn ſie ſelbſt wiſſen daß ſie Menſchen ſind, wie ſolt ich ſie wol all Augenblick mit einem Stehe Wanderer oder Leſer pfaͤnden, und ihnen widerholen, daß ſie ſterben muͤſſen auf daß ſie klug werden. Mein Wahlſpruch iſt I licet: So wie aber die Grabmaͤler der Alten, wo man ſeit einiger Zeit (einige ſezten hiezu Gott! ſei gelobt, andere Gott! ſei’s geklagt) auch in Gott ruhet, nachdem man ſich vor dieſem ſcheute der ſeelige L. Annaeus Florus der wohlſeelige C. Plinius Caec. Sec. der hochſeelige M. Tullius Cicero und der hoͤchſt - ſeelige Marcus Aurelius Antoninus. Armenia - cus. Parthicus. Maximus zu ſagen.

So wie die Grabſtaͤten der Alten mit den allgemeinen Landſtraßen verbunden wa - ren, um den Reiſenden anzuhalten, ſo iſt es zwar Regel fuͤr mich den geneigten Leſer ſich ſelbſt zu uͤberlaſſen, coelo tegitur qui non habet urnam. Doch7Doch wo iſt Regel ohne Aber? Was ſich ein paar handelnde Perſonen auf dem Theater un - ter vier Augen ſagen, gehoͤrt ohnehin mit zur Handlung und mir ſtand es wol am wenig - ſten zu in einer wahren Geſchichte, Leuten das Wort aus dem Munde zu nehmen und ihnen ein Stillſchweigen aufzulegen.

Gott mit Ihnen meine Herren und auch mit meinem kleinen Leopold der mir eine Suͤndfluth mit dem Tintfaß gemacht hat

Die Mutter will dich
Laß mich hier lieber Vater
So laß das Tintfaß
Ich will auf deinen Schulter
Nur nicht ins Buch

Der kleine Junge haͤtte vielleicht Urſach, es uͤbel zu nehmen daß ich die erſte Stufe uͤber - ſchreite und nicht von ihm anhebe. Ich koͤnnte freylich bemerken, daß er kein Sangui - nolentus geweſen, ſondern faſt wie Clodius Albinus ganz ſauber und ſchoͤn zur Welt gekommen; wenn er ſich nicht eben jetzo mit Tinte beſudelt haͤtte. Wenigſtens biſt du lieber Junge

(Fall nicht, ich werd nicht ) beim Publicum nicht praͤ -A 4ſcri -8ſcribirt, ich habe dich einſchreiben laſſen und ein groͤßers Pflicht oder Kindertheil gebuͤhrte dir in dieſem Werke nicht. Der arme Junge! geſtern war er zwei Jahr und heute zwei Jahr und einen Tag, bisher war er geſund wie ein Fiſch und auch beinahe ein ſo großer Liebhaber von kaltem Waſſer wie ein Fiſch! heute!

Was ſchreibſt du daß du ungeduldig auf die Zaͤhne biſt die ſich melden laſſen und nicht kommen wollen!

Daß ihr nur, wenn ihr kommt, einem Pfirſiſchkern zu ſeiner Zeit zeigen koͤnnet wer ihr ſeid: und daß eine Kraft von achtzehn bis neunzehnhundert Pfund in euren Gren - zen wohne. Der Himmel helfe meinem Leo - pold und mir! und uns allen!

Ha! eine andere Art dienſtbarer Gei - ſter, ungebethner Gaͤſte, unlieblich anzu - ſehen zu dienen damit es die Her - ren Beſucher, und Verſucher, Thorſchreiber, Acciſeeinnehmer, Caßirer, Rendanten und uͤberhaupt alle Zoͤllner und Suͤndergeſellen nur auf einmal wiſſen, ich, und kein anderer hat dieſes Buch geſchrieben. Wer von denHer -9Herren ſich aufs Wuͤrdigen verſteht, wird es ſchwerlich auch ſelbſt auf den erſten Blick fuͤr Contreband und auswaͤrtiges Gut, ſondern fuͤr das, was es iſt, deutſche Fabrike hal - ten. Hieſige Wolle, ich bitte Hand ans Werk zu legen (den Puls dieſes Buchs an - zufuͤhlen kann ich nicht ſagen, ſo ſehr ich ihnen auch Quackſalberehre zu erzeigen Luſt habe) hieſiger Stuhl, hieſige Zeichnung, alles hieſig die Herren ſelbſt aber ſchei - nen nicht von hier zu ſeyn, und ſich auf Blick und Griff Auge und Hand nicht ver - laſſen zu koͤnnen Nun ſo verlaſſen ſie ſich auf mich und wenns wider ihre theure Amtspflicht iſt ſich auf ehrliche Leute zu verlaſſen; ſchreiben ſie in ihre Kladde in ihr Hauptbuch, Diarium und Exercitien - buch was die Feder will. Dieſe Worte werden wohl, wie ich glaube, an Ort und Stelle ſeyn. Vom Ariſtarch hat keiner einen Zug, wohl aber vom bankeroutirten Kauf - mann, Sprachmeiſter, Zeichendeuter, Alt - flicker u. ſ. w. Von αϛερισκοις und όβελισκοις hab ich alſo nicht reden koͤnnen, womit der Homer plombirt wurde: denn, da wett ich Homer iſt ihnen eben ſo unbekannt, als ſie’s, meine Inſonders Hochzuehrende Her -A 5ren,10ren, meiner Wenigkeit bis heute wird ſeyn der geweſen. Berge und Thaͤler kom - men nicht zuſammen, wir aber ſind leider! ſo nahe bei einander, daß wir uns mit der Hand reichen und eins verſetzen koͤnnen. Ich weiß ſie verſchonen nicht Saͤuglinge nicht Ungebohrne, wie ſollte alſo mein Leopold auf der Schulter ohne Kopf oder Magenſteuer (wie mans nennt) abkommen! wenns ein - mal Sitte in Deutſchland iſt ſo ſei’s. Du ſollſt dem O der da driſchet nicht das Maul verbinden. Item, ein Arbeiter iſt ſei - nes Lohnes werth ſchreibt D. Martin Luther in ſeiner Haustafel etlicher Spruͤche fuͤr al - lerlei heilige Orden und Staͤnde, dadurch dieſelben, als durch ihre eigene Lektion ihres Amts und Dienſts zu ermahnen. Die Rechnungsableger laſſen oft mit gutem Be - dacht Fehler ſtehen um den Abnehmern, zu Noten Zeit und Raum zu laſſen. Sonſt ſagen die klugen Haushalter fangen dieſe Noten - kuͤnſtler es bei der Perſon an, da ſie doch nur bei den Zahlen bleiben ſollten. Das hatte ich noch auf dem Herzen eh ich mich empfehlen konnte.

Plus cautionis in re eſt quam in perſona, heißt auf deutſch: beſchließen Sie was Siewol -11wollen uͤber mein Buch, meine Herren, nur meine Perſon laſſen Sie in Ruhe.

Sei mir tauſendmal willkommen ſuͤßes, oder beſſer angenehmes Wort. (man ſagt angenehme Ruhe.) Schlafen Sie wohl oder eigentlich geſund meine Herren. Claudatur Parentheſis wuͤrde ich ſagen, wenn ich nicht den wahren Antipoden von einer Parentheſe gebraucht und eben hiedurch ein neues epochenmachendes Interpunktionszeichen er - funden haͤtte.

Was meinet ihr Herren majorum gen - tium ſoll ich mit einem großen J anfan - gen oder mit einem kleinen?

Den Schlagbaum auf!

Ich bin in Curland auf dem Kirchdorfe *** gebohren, wo mein Vater Prediger oder nach der deutſchen Landesſprache Paſtor nach der curiſchen Basinzas Kungs oder Baſing - ckungs, wie die Letten der geliebten Kuͤrze we - gen ſprechen, war. Zu ſeinem Zeichen, wuͤrde ich hinzuſetzen, wenn dieſer Ausdruck nicht ſo viel Devallvation gelitten, daß ich meinem Vater dadurch keine ſonderliche Ehre einbrin - gen wuͤrde. Es war ſeine Kirche eine Kirch - ſpielskirche oder eine ſolche, wobei wegen des Compatronat-Rechts des Adels manche Pi -ſtole12ſtole wiewohl nur nach vaͤterlicher Weiſe in die freie Luft losgeſchoſſen worden, bis ſolches endlich unter einigen Daumſchrauben, dem Kirchſpielsadel (ich glaube von Herzog Friedrich Caſimir) zugeſtanden worden. Ich kann nicht ſagen, daß mein Vater eine vor - zuͤgliche Neigung gegen mein Vaterland hatte, und wenn ich einem Erdbeſchreiber hiedurch irgend einen Gefallen zu erzeigen wuͤßte; was koͤnnt ich nicht fuͤr ein breites und lan - ges uͤber die drei Namen Curland Lettland und Semgallen an ihn endoßiren? welches aber alles zu keiner Lobrede auf Curland die - nen wuͤrde. So viel iſt gewiß, daß mein Vater niemals zugeben wollte, daß Curland vom Fluſſe Chronus herkaͤme, wodurch die Memel angedeutet wuͤrde: obgleich ihm ſol - ches ſehr wahrſcheinlich vorbuchſtabirt wurde. Die Curlaͤnder, ſagte man, wohnten um den Chronus, ſie wollten ihr Land von Preuſ - ſen unterſcheiden und bearbeiteten und drech - ſelten ſo lange die Buchſtaben und Sylben, bis endlich ſo wie in der heiligen Schrift herauskam was zu ſuchen war. Es iſt viel von Gottes Wort zu ſagen ſagte mein Vater. Ein guter Freund von Curland und von meinem Vater ſpielte eine andere Karteaus13aus ſo ſtammt es von Cur oder Curſemme, welches ſo viel, als ein Land, das an der See lieget, andeutet allein er gewann ſein Spiel nicht. Nichts ſagte mein Va - ter. Der gute Freund fuhr fort vom kleinen Koͤnige Curo? von den Curaten oder von den Curiaten? oder Nichts, alles nichts Es wuͤrde nicht verlohnen dieſe Fibel uͤber den Namen von Curland weitlaͤuf - tiger zu machen, und ſie wegen Lettland und Semgallen uͤber welche Namen mein Va - ter eben ſo wenig nachgebend war mit An - hang und Zugabe zu verſtaͤrken. Mein Va - ter hatte nach dem Ausdruck eines Weiſen des Alterthums zwey Vaterlande, eines wo er gebohren war, und eines wo er lebte, eines der Natur und eines des Schickſals und man traf bey ihm, was man gewoͤhn - lich zu treffen pflegt; daß man das Vater - land der Geburt dem andern, oder die Mut - ter dem Vater vorziehet. Wenn der gute Freund am Ende zum Unwillen uͤbergieng; wurde mein Vater ein Philoſoph. Zum Curlaͤnder konnten ihn weder gute noch boͤſe Geruͤchte bringen.

So wollen Sie denn fieng der Freund an, nachdem mein Vater mit vieler Gelehr -ſamkeit14ſamkeit die Geburt und Abkunft der Namen Curland, Lettland und Semgallen beſtritten hatte, ſo wollen Sie denn, den Herzogthuͤ - mern Curland, und Semgallen die ehrlichen Namen abſprechen?

Lieber curiſcher Freund antwortete mein Vater unbiegſam wie der curiſche Kaͤſe, doch auch ſo dicht und feſt wie er. Nie - mand kommt aus ſeinem Vaterlande. Seit - dem die neue Welt entdeckt worden, iſt ſie ein Theil von unſerm Geburtsorte. Bin ich im Gefaͤngniſſe beim Gaſtmal am Hofe in der Stadt auf dem Lande in Mitau im Paſtorat ich bin beſtaͤndig zu Hauſe. Ein Thor ſagt, daß er vertrieben ſei, ein Weiſer hat nur eine Reiſe unternom - men, wenn er im Exilium iſt. Oft iſt man in ſeinem Vaterlande ein Sclave und im Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr als leben und ſterben man ſey in Rom oder in Tunis. Triſtia und Briefe aus Ponto ſind Raͤuſche eines Dichters. Ein Weiſer kann ſelbſt Ach nur halb ausſprechen wenn er leidet; obſchon das Wort nur dritthalb Buchſtaben, und wenn man ganz ehrlich ſeyn will, kaum eine ordentliche Sylbe im Ver - moͤgen hat. Wer ſich angewoͤhnet hat bloszu15zu eſſen was ſaͤtiget und blos zu trinken was den Durſt ſtillet, findet uͤberall eine offene Tafel. Wo mir wohl iſt, da iſt mein Vaterland und der Gerechte iſt auch im Tode getroſt. Wer aus Athen iſt weiß nicht von wannen er kommt, und wohin er faͤhret. Der Weiſe iſt aus der Welt

Auf die Frage: Was fuͤr ein Land - mann? antwortet Diogenes fuͤr mich: κοσ - μοπολιτης die Sonne Freund! iſt die Fahne der wir geſchworen haben. Die Erde iſt un - ſer aller Mutter. Saure Gruͤtze und Bier - kaͤſe ein paar curiſche Original Eſſen ſind wie Pfirſchen und Melonen, eine Gabe Got - tes. Wer’s mit Dankſagung empfaͤhet iſt ein Weiſer. Auch in Curland giebts Kno - chen, die Mark haben. Gott iſt uͤberall, er der nicht Luſt hat an Cavallerie oder Staͤrke des Roſſes, noch Wohlgefallen an Infanterie und jemandes Beinen, ſieht nur auf die, die ſeinen Namen fuͤrchten und auf ſeine Guͤte hoffen. Heute iſt ein Land frei und morgen liegts einem Tyrannen zu Fuͤßen der ſeine Hand ins warme Blut des Erſtgebohrnen, eines Vertheidigers ſeines freien Vaterlandes eintaucht um das ſchreckliche Jahr da die Freiheit unterging am ariſtocratiſchen AltarBam16am Rathstiſch anzuzeichnen. Freund! was meinen Sie wenn wir je ſolche Blutzahlen ſehen ſolten? Laſſen Sie alles ruhig im Va - terlande ſeyn; ein Prophet gilt doch nicht, wo er geboren iſt. Wie giengs dem Ariſti - des dem Epaminondas? In der Fremde ſeyn heißt in die Hand Gottes fallen: in ſeinem Vaterlande iſt man wenns hoch kommt in der Hand der Menſchen, gemein - hin in der Hand ſeiner Feinde. Und wie ſoll man ſich gegen ſein undankbares Vaterland fuͤhren? Wie gegen einen Vater, der meine Mutter ohne Urſach verſtoͤßt, wie gegen eine Mutter, die zum zweitenmale heirathet. Dieſe bleibt Mutter jener Vater Bei dieſen Spruͤchen wars dem Freunde ſo als waͤr er ſelbſt nicht mehr in Curland, als haͤtte er der Sonne geſchworen. Es ſchien ihm mein Vater haͤtte das Feld behalten; der kleine Koͤnig Curo aber und die Curaten oder Curiaten waͤren in die Flucht geſchla - gen. Mein Vater befeſtigte was er erobert hatte mit ein Paar griechiſchen Spruͤchen die ſeinen Feind um ſo mehr abhielten weil er kein Wort griechiſch verſtand. Ανδρὶ σοφῷ, fieng mein Vater an πάσα γῆ βατὴ, ψυχῆς γαρ ἀγαϑῆς πατρις ξύμπας κόσμος. Und17und gleich darauf ἐπεὶ τὶ δεῖ βροτοῖσι, πλὴν δυοῖν μόνον, δήμητρος ἀκτὴς, ποματός ϑ̕ ὑδρηχόν. ἁπερ πάρεϛι, καὶ πέφυχ̕ ἡμᾶς τρέφειν.

Es pflegte der gute ehrwuͤrdige Mann von Curland zuweilen als von einer Herberge zu reden, wo man ſich oft laͤnger als man wuͤnſcht, weil der Reiſewagen gebrochen iſt aufzuhalten gezwungen ſieht. Bei mir zu Hauſe eßen wir um dieſe Zeit Spargel, pflegte er zu ſagen; bei mir zu Hauſe raucht man um dieſe Jahreszeit eine Pfeife Toback in der freien Luft, bei mir zu Hauſe hat man Trau - ben und den Wein bei der Quelle. So ungern er alſo auch im Herzen in Curland zu ſeyn ſchien, und ſo oft er im Stillen durchs Fenſter geſehen haben mag: ob der Reiſewagen noch nicht in Ordnung waͤre; ſo hielt er dennoch mit ſeiner Abneigung zuruͤck. Der Freund mit dem ſich mein Vater auf der vorigen Seite duellirte und noch ein Secundant waren die Hauptſiegel-Bewahrer dieſes Geheimniſſes und auch die einzigen mit denen er griechiſch ſprach ohne daß die guten Leute es verſtanden. Wer ihn aber nach ſeiner Heimath fragte (ſein Weib und KindB 2und18und ſeine zwo griechiſchen Freunde nicht aus - genommen) ſetzte ihn und ſich ſelbſt einer großen Verlegenheit aus.

Bei mir zu Hauſe fing er wie gewoͤhn - lich, an und ich war noch im zarteſten Alter als ich ihn fragte lieber Vater wo iſt dein Haus! wir wollen hin, du, die Mut - ter und ich! Iſt es wohl ſo ſchoͤn als dieſes hier? Ich zeigte ihm meines von Blaͤttern. Nimm mich ja mit wenn du nach Hauſe geheſt oder laß mich wenn ich groͤßer werde allein Wo? Wo? rief er ganz aͤngſtlich. Meine Mutter welche eben ſeinen Kragen zurecht legte, lies dieſen hei - ligen Halsband fallen ſprang ſchnell auf und gieng davon, als ob ſie auf allen Antheil von meiner Frage und der kuͤnftigen Antwort Verzicht thaͤte. Sie war indeſſen wie ich es offenbar merkte nach der Weiberweiſe, nur blos dem Auge meines Vaters entgan - gen. Ob’s mein Vater gemerkt habe, zweifle ich denn er hatte ſich auf dem Wege nach ſeinem Hauſe ſo ſehr verirrt, daß er nicht aus noch ein wußte. Vielleicht ſagt er es dem unſchuldigen Kinde, dachte meine Mut - ter ohne Zweifel da ſie ſich in der beſten Ordnung zuruͤckzog, wovon er dir allemalein19ein Geheimnis gemacht hat. Lieber Sohn fieng mein Vater an, als ob er von einem Vorbeigehenden wegen ſeiner Reiſe eine Aus - kunft erhalten oder in eine Reiſekarte ge - ſehen haͤtte und meine Mutter machte die Cammerthuͤre, hinter welche ſie ſich weis - lich geſtellet hatte drey Zoll weiter auf, im Himmel iſt unſer wahres Vaterland hier unten ſind wir Fremdlinge und ſuchen das was droben iſt. Wir ſind in Hinſicht un - ſers Koͤrpers Gottes Pilger in Hinſicht un - ſrer Seele Gottes Buͤrger. Als die Pil - grimm! heißt es darum fuͤhret einen guten Wandel

Zu Hauſe nimmt man ſich vieles ſo uͤbel nicht. Man vernachlaͤßigt ſich; thun Sie doch als ob ſie zu Hauſe waͤren ſagt man. Auf der Reiſe ſind wir auf uns auf - merkſamer. Die Welt iſt fuͤr einen klugen Reiſenden hoͤchſtens eine Hauptſtadt. Er laͤßt ſich das Merkwuͤrdige zeigen: Fuͤr einen Gelehrten eine oͤffentliche Bibliotheck er ſieht die Tittel. Beide beſtellen Poſtpferde. Plus vltra.

Hiebey ſahe mein Vater ſo geruͤhrt aus, daß wenn ich nicht ſeinen Worten geglau - bet haͤtte, ich jedennoch jedem ehrwuͤrdigenB 3Zuge20Zuge ſeines Geſichts haͤtte beipflichten muͤßen, auch wenn ich noch einmal ſo alt geweſen waͤre, als ichs nicht war. Wie boͤſe meine Mutter uͤber den Himmel geworden weiß ich nicht, allein ich hoͤrte und mein Vater der nun weder an Ort und Stelle war, mußte es auch hoͤren daß ſie die Thuͤre zuzog, als ob ſie nicht die mindeſte Luſt zum Himmel haͤtte. Ohne Zweifel hat ſie dieſes unver - merkt thun wollen, um ihre Neugierde zu verbergen; indeſſen machte das plauderhafte Schloß ein unzeitiges Geraͤuſch und wurde davor den folgenden Tag, da mein Vater eine Beichtandacht beſorgte, ausgebeſſert. So viel iſt gewis, daß der liebe Mann durch dieſe Antwort, die zwar mich, nicht aber meine Mutter befriedigen konnte, mich wie - wol ohne daran Schuld zu ſeyn, auf den Gedanken brachte, daß man im Himmel fruͤ - her als in Curland Spargel aͤße gleich fruͤ - her in der freien Luft eine Pfeife rauche, Trauben haͤtte, und den Wein aus der Quelle ſchoͤpfen koͤnnte. Tauſend andere Dinge die er nachhero meiner Mutter erzaͤhlte, wie es bey ihm zu Hauſe waͤre, kamen alle bey mir auf die Rechnung des Himmels und ich war zuletzt dort eben ſo bekannt als auf un -ſerm21ſerm lieben Doͤrflein, wo ich uͤber jedes Huhn haͤtte urteln koͤnnen, wenn uͤber deſ - ſen Eigenthum ein Streit geweſen waͤre. Manches kam mir freilich ſehr bedenklich vor worunter zum Exempel war, daß man bey ihm zu Hauſe ohne Nacht oder Un - terhemde ginge und zu ſeiner Zeit lange Manſchetten (die meine Mutter Handblaͤtter nannte) getragen haͤtte. Eines Tages, da ein Litteratus (welches in Curland eben kei - nen Gelehrten ſondern ein unſeelig Mittel - ding von Edelmann und Bauer bedeutet) mit ungewoͤhnlich langen Manſchetten bey uns des Mittags ; mußte ich glauben, daß er ein Himmelsbuͤrger und Landsmann meines Vaters waͤre und wegen des ganz ungewoͤhnlichen Maaßes ſeiner Handblaͤtter ſchon etwas mehr als ein andrer im Him - mel gelten muͤßte. Kaum hatte er nach mei - ner Meinung das Jammerthal unſeres Paſtorats mit den ſeeligen Wohnungen der Gerechten verwechſelt, kaum ſag ich war er fort; ſo fragt ich meinen Vater was ihm der gute Freund fuͤr Nachrichten aus dem Himmel gebracht haͤtte, und mein Vater nahm Gelegenheit mir die wahren Begriffe von jener Welt beyzubringen, denen meinB 4Herz22Herz und Seele auf den halben Weg entge - gen kam oder beide Glaubenshaͤnde zureichte, ſo daß mithin dieſer Litteratus, der des Mit - tags bey uns einen vortreflichen Kalekutſchen Hahn verzehren geholfen, meinen falſchen Himmel zu reiten mitnahm.

Mein Vater war wenn ich ſo ſagen ſoll gebohren, von der andern Welt zu re - den. Seine Seele, man fuͤhlte es war im Buche des Lebens eingeſchrieben und einer Veraͤdlung durch den Tod ſo gewis, daß wenn er davon ſprach man glauben mußte: er wuͤrde verklaͤret. Drey Vier - theil war er dort und nur ein Viertheil hier. Gott ſchenke mir wenn mein Stuͤnd - lein vorhanden iſt, die Empfindungen die damals in meiner Seele hervorſchoſſen, als er mir den Himmel zeigte. Mir fielen die Worte aufs Herz: In meines Vaters Hauſe ſind viele Wohnungen Mein Vater ward ein Kind, um mit einem Kinde zu reden, und ich fand an mir erfuͤllet, was von den Kindern geſchrieben ſteht: ihrer iſt das Reich Gottes.

Aber wo muß denn das Haus meines Vaters ſeyn, dachte ich, allein ich unter - ſtund mir nicht darnach zu fragen, denn, ſojung23jung ich war; ſo merkt ich doch, daß er ſeine Urſachen haben muͤße es zu verſchweigen.

Meine Mutter wie ich ſowol dieſesmal als bey andrer Gelegenheit ſehen konnte, hatte mein Vater gleichfalls keinen Daumen - breit uͤber funfzig Meilen in die Laͤnge, und zehn-zwanzig bis dreißig in die Breite als ſo viel die Graͤnzen von Curland ausmachen mitgenommen, dahero ſie eben ſo wenig als ich den Ort ſeiner Geburth wußte. Die neue Welt pflegte ſie zu ſagen iſt entdeckt deines Vaters Vaterland wuͤrde dem Columbus mehr Schwierigkeiten gemacht haben.

Was bey dieſer vaͤterlichen Verſchwiegen - heit einem jeden beſonders vorkam, war die Gewohnheit meines Vaters alle Augen - blick zu erwehnen wie es bey ihm zu Hauſe ſey. Er kam daruͤber bey Leuten in Verle - genheit die er nicht wie mich mit dem Him - mel abfertigen konnte; allein ehe man ſichs verſahe war er nicht mehr in Curland.

Ich bemerkte auch, nachdem ich groͤßer war, daß die Leute uͤber dieſen Punkt mit dem guten Mann ein foͤrmliches Mittleiden zu haben ſchienen, ſo daß ſie dabei die Ach - ſeln in die Hoͤhe zogen, als uͤber einen Men - ſchen der ſo lange vernuͤnftig waͤre, bis erB 5auf24auf ſein Vaterland kaͤme, und alsdenn ſcheu wuͤrde. Es war dahero zum Sprichwort bey vielen geworden das iſt ſo unbekannt als des Paſtors Vaterland.

Oft traf es ſich daß die ganze Tiſchge - ſellſchaft ſtill ward, ſo bald er nur die An - fangsworte: bey mir ausſprach und dieſes iſt die natuͤrliche Folge wenn Jemand roth zu werden Urſach gefunden. Ein einziger hat nur die Elecktriſirſtange angefaßt, allein ſie fuͤhlen alle den Schlag. Es herrſcht eine feierliche Stille, jedes ſpielt mit Meſſer und Gabel oder dreht ſich Pillen von Brod. Nach einer Weile putzt der, welcher zu den wenig - ſten Empfindungen aufgelegt iſt, das Licht wenn es Abend iſt, oder huſtet wenn zu Mittage gegeſſen wird; iſts außer Tiſch ſo ſpricht er beſondere Witterung oder bittet um To - back der meinige ſetzt er hinzu iſt ſo duͤrr wie Sand dieſes alles that gewoͤhn - lich meine liebe Mutter wenn mein Vater einen Kreuzzug uͤber Land unternommen hatte, allein gewiß nicht weil ſie dabey unempfind - licher ſondern weil ſie’s gewohnter war wie alle uͤbrige, und weil ſie die beklommene Geſellſchaft gerne wieder ins Freie in die friſche Luft bringen wolte. Oft ſtand ichmit25mit dem Gedanken auf, und ſchlief mit dem Gedanken ein, warum ſagt er denn nicht wenigſtens ſeiner Familie wo man um dieſe Jahrszeit Spargel ißt, wo man um dieſe Zeit eine Pfeife in der freien Luft raucht, wo man Trauben hat, den Wein bey ſeiner Quelle genießt und (welches mich am meiſten intreßirte) lange Manſchetten traͤgt.

So geheim mein Vater mit ſeinem Va - terlande und ſeiner Familie war; ſo freigebig war meine Mutter ſo oft ſie von ihrer Fa - milie Etwas zu erzaͤhlen Gelegenheit hatte. Sie wußte ſich ſehr viel damit, daß ſie, wie ſie ſagte, aus dem Stamme Levi waͤre und zaͤhlte fuͤnf Prieſter oder (damit die in Cur - land herrſchende lutheriſche Kirche, kein Aer - gernis nehme) Prediger Ahnen, von Vater und vier von muͤtterlicher Seite. Einer ihrer Ahnherren war Superintendent, und zwei waren Praͤpoſiti geweſen. Sie rechnete ſich wiewol von der Seitenlinie zu den Verwand - ten des Superintendenten Paul Einhorn, deſſen Vater Alexander Einhorn der zweite curlaͤndiſche Superintendent geweſen war, und wenn ſie an den Eifer dachte mit welchem der Ehrn Paul Einhorn ſich der Annehmung des gregorianiſchen Calenders widerſezet; ſoſchien26ſchien es, daß ſie der nemliche einhornſche Eifer beſeelte. Es hat dieſer wuͤrdige Eife - rer ſich die Calendermaͤrtyrerkrone errungen indem er im Jahr nach Chriſti Geburt 1655 Dominica XI. poſt Trinitatis auf der Kanzel mitten in einer Calenderpredigt blieb und ſein ruhmvolles Leben mit den Worten verflucht ſei der Calend ſanft und ſeelig endigte. Mein Vater ſchien beſtaͤndig beſorgt zu ſeyn es wuͤrde meine Mutter eine Maͤrtyrerkrone in ihrem Blutraͤchereifer uͤberraſchen, wes - halb er ſie bei der Hand zu nehmen und zu ſagen pflegte faſſe dich, mein Kind, die Sache iſt beigelegt, wir ſchreiben heute den VI Meine Mutter hielte in - deſſen bis an ihren Tod den gregorianiſchen Calender fuͤr ein kezeriſches Buch und ließ ſich nie Ader, wenn im Calender das Zeichen zum Gutaderlaſſen ſtand. Es mußte kein Haar im Paſtorat verſchnitten werden wenn der Calender hiezu anrieth, und alles was ſie nur erreichen konnte mahnte ſie ab Holz zu faͤllen, Kinder zu entwoͤhnen, oder ſonſt eine Medicin zu brauchen wenn der Calender es gut fand. Es war ein Gluͤck fuͤr ſie daß dieſe ungeſtempelten Tage die meiſte Zeit fuͤr ſie und die lieben Ihrigen gut ausfielen; eswar27war aber ein Ungluͤck fuͤr den gregorianiſchen Calender, denn ſie nahm eben hiedurch einen Grund mehr dawider zu reden, und dem Herrn Superintendenten Einhorn zu pa - rentiren.

Ich wuͤrde mich um alles in der Welt nicht unterſtehen in Abſicht der Ahnen meiner Mutter ein Schriftſteller in aufſteigender Linie zu werden, und meine Leſer verlieren auch durch die Erzaͤhlung der ruͤhmlichen Thaten Schlachten und Siege nichts, wo - durch ſich meine Vorfahren muͤtterlicher Seits von der geraden und Seitenlinie um die Kirche verdient gemacht. Sie nannte ſie oft Kir - chenſteine um alles zuſammen zu faſſen. Die - ſer hatte lettiſche Lieder, wie ſie ſagte aus freier Fauſt geſungen, jener einige uͤberſezt, ein andrer hatte ſich dem Superintendenten Daniel Hofſtein, welcher den Exorcismus bei der Taufe der fuͤrſtlichen Kinder wegge - laſſen, mit Hand und Fuß (ich brauche ihre eigene Ausdruͤcke) widerſezt, und ihn dem Teufel uͤbergeben, der nach ſeiner wohlehr - wuͤrdigen Meinung die Komplimenten nicht erwiedern wuͤrde, die ihm der Herr Super - intendent machte, ein andrer hatte die Oe - ſtereyer in ſeiner Gemeine abgeſtellt welcheswie28wie meine Mutter behauptete ein aus andern Laͤndern nach Curland gebrachter nicht alge - mein im Schwange gehender unchriſtlicher Gebrauch waͤre und dieſer gute Mann war in Kupfer geſtochen. Ich weiß bis dieſen Augenblick nicht wie er zu dieſer Ehre gekom - men war. Meine Mutter hatte dieſen Ku - pferſtich lange verwahret, ohne davon einen andern Gebrauch zu machen als daß ſie, wie ſie ſagte, dieſes Bild alle heilige Abend vor Oſtern eine Stunde angeſehen. Sie be - hauptete, daß ich Etwas aͤnliches in der Ge - gend um die Augen von dieſem ſo ehrwuͤrdi - gen als beherzten Manne haͤtte; obgleich ich davon nicht die mindeſte Spur zu entdecken im Stande war.

Es ſei nun dieſes oder Etwas anderes die Urſache, genug meiner Mutter wandelte auf einmahl der Einfall an, dieſen Kupfer - ſtich unter Glas zu ſezen und unter den Spiegel zu haͤngen der im Prunkzimmer des Paſtorats gegen Morgen hing.

Mein Vater widerſprach dieſem Gedan - ken da ein Glaſer unſre Straße zog, und iſt alſo dieſer gute Mann, obgleich er die Oeſtereyen abgebracht, nicht der Ehre ge - wuͤrdiget worden im Prunkzimmer des Paſto -rats29rats gegen Morgen unter dem Spiegel zur Schau geſtellt zu werden. Sie war Etwas ungehalten uͤber meinen Vater, obgleich ſie ſich ſolches nicht weiter merken lies, indeſſen war es nicht das erſte mal daß ſie ſein Conto mit einer Schuld belaſtete. Sie faßte die - ſes und beinahe alles was ſie ſonſt noch auf ihrem Herzen und Gewiſſen hatte, die Noth des ganzen Paſtorats zuſammen, und ſchriebs flugs unter die Rubrick: nicht aus dem Stamme Levi. Ihrem Zorn brachte ſie ein Opfer, das ſie nachher ſehr bereute. Sie ſchickte eben ſo flugs den Rahmen abzuſagen, den ſie fuͤr den Kupferſtich beſtelt hatte, und war verbunden obgleich der Rahmen noch nicht zur Helfte fertig war (und dieſes gab zur neuen Aergernis Gelegenheit) ihn ganz zu bezahlen. Nachdem ſie ihre zu Paaren getriebene Ideen wieder zu Hauf gebracht hatte, entwarf ſie einen neuen Operations - plan der ihr auch gluͤcklich einſchlug: nem - lich dieſen verdienſtvollen Mann in der Spei - ſekammer aufzuhaͤngen. Hier ſagte ſie, kann er ſich ohne Rahmen behelfen und Niemand wird zu ihm ſagen Freund! wie biſt du her - einkommen und haſt doch kein hochzeitlich Kleid an.

Ich30

Ich kann es nicht ſchicklicher anbringen, daß meine Mutter bey aller Gelegenheit fei - erlich war. Es ward im Paſtorat mit nichts anders als mit Weyhrauch geraͤuchert: alles was meine Mutter vornahm ward beſungen. Dieſes iſt der cegentliche Ausdruck. Die Natur hatte ſie mit einer ſehr melodiſchen Stimme ausgeſtattet. Das Bewuſtſeyn die - ſer Mitgabe der Natur war indeſſen nicht die Urſache ihres treufleißigen Geſangs. Meine Mutter wird die Urſache hievon gele - gentlich ſelbſt angeben. Sie fing ſo bald ihr Etwas zu Herzen ging, einen Vers eines geiſtlichen Liedes in bekannter Melodie aus freier Fauſt (um ihren einhornſchen Ausdruck nicht zu verfaͤlſchen) zu ſingen an, den alles, was zu ihrem Departement gehoͤr - te mit anzuſtimmen verbunden war. Sie ſang mit Kind und Rind. Es war dahero natuͤrlich daß jedes ſo bey ihr in Dienſten war Probe ſingen mußte, weil außer dem Hausdienſt auch eine Art von Kuͤſterſtelle durch jedes Hausmaͤdchen vergeben wurde. Vor dieſem hatte meine Mutter, nach ihrer ſelbſt eigenen Relation die Gewohnheit ge - habt einen jeden herzlichen Vorfall mit einem ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater in -deſ -31deſſen, der anfaͤnglich bemuͤht geweſen dieſe Gewohnheit voͤllig abzuſchaffen; hatte ſie doch am Ende nachlaſſen muͤſſen. Sie ward aber von ihm bis auf einen Vers einge - ſchraͤnkt, den meine Mutter nicht um die Herzogthuͤmer Curland und Semgallen ge - laſſen haͤtte.

Ich hab es oft erfahren daß mein Vater zuweilen den zweiten Diskant extemporirte und meiner Mutter zum Munde ſang, ſo daß er mithin von ſeiner vorigen Meinung a po - ſteriori abgegangen war. Meine Mutter rechnete ihm dieſe Bekehrung im Conto ſehr hoch an und je lauter er mitgeſungen hatte, jemehr wurde ihm zu gut geſchrieben. Sie wußte ſogar den Zeitpunkt anzugeben wenn mein Vater der wie die Folge zeigen wird, keine Anlage zum Geiſtlichen beſaß, aufge - hoͤret haͤtte ein Liederſtuͤrmer zu ſeyn und die - ſen Zeitpunkt werden wir uͤbermorgen (ich rechne nach mir und bitte meine Leſer desfals um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter wußte den Ruͤckfall meines Vaters, den ſie des zweiten Diskants unerachtet, noch im - mer befuͤrchtete, ſo ſehr zu verhindern, daß ſie ſeine Lieblingslieder den ihrigen vorzog: obgleich ſie es auch mit ihren Lieblingen nichtCver -32verdarb, unter denen einige waren bei denen mein Vater unmoͤglich den andern Diskant ſingen konnte.

Das Lied Ich bin ein Gaſt auf Erden ſchien fuͤr meinen Vater gemacht zu ſeyn und faſt ward kein Glas gebrochen, ohne daß meine Mutter nicht anſtimmte

Die Herberg iſt zu boͤſe
der Truͤbſal iſt zu viel.
Ach komm mein Gott und loͤſe
mein Herz, wenn dein Herz will;
komm mach ein feelges Ende
mit meiner Wanderſchaft
und was mich kraͤnkt das wende
durch deinen Arm und Kraft.

Ich wette, wenn meine Mutter mit dieſem Liede meinen Vater gleich zu Anfange beſto - chen haͤtte, ſie wuͤrde nichts auf einen Vers begraͤnzt worden ſeyn. Kaum hatte einer der zwoen Streiter uͤber die Namen von Curland Lettland und Semgallen Abſchied genommen, und gleich ſang ihm meine Mut - ter nach

Wo ich bisher geſeſſen
iſt nicht mein rechtes Haus;
wenn mein Ziel ausgemeſſen
ſo tret ich frey heraus,
und
33
und was ich hier gebrauchet,
das leg ich alles ab,
und wenn ich ausgehauchet
ſo ſcharrt man mich ins Grab.

Gerne, das weiß ich, haͤtte ſie unter der Predigt: vom Vaterlande wie an hohen Feſten dieſen Vers angeſtimmt, wenn ſie geglaubt haͤtte meinem Vater hiemit einen Liebesdienſt zu erweiſen. Seine Singzeit indeſſen war noch nicht kommen, und außer - dem hatt er den Grundſatz die Andacht ge - hoͤr ins Kaͤmmerlein. Der Geſang blieb alſo blos unter den Hausgenoſſen.

Wer keine Einbildungskraft hat, ſagte mein Vater hat auch kein Gedaͤchtniß. Ein großes Gedaͤchtnis kann die Urtheilskraft ſchwaͤchen, allein auch ſtaͤrken. Wer ſich durch hundert Meinungen die er weiß nicht ſtoͤren laͤßt und noch eine fuͤr ſich beſitzet; hat viel Gedaͤchtnis und viel Urtheilskraft. Die beſten Koͤpfe klagen am meiſten uͤber Ge - daͤchtnis. Sie ſehen ein wie viel noch zu - ruͤck bleibt was ſie nicht wiſſen und wollen ſich auf eine Art, die ihnen am wenigſten zuſtehen kommt bey Ehren erhalten. Ein Mann von ſtarker Beurtheilungskraft machtC 2ſich34ſich nur Merkzeichen durch die Vernunft, die Imagination iſt bey ihm blos Koͤchin. Was ſolt ihn alſo zuruͤck halten, ohne roth zu wer - den uͤber ſchwaches Gedaͤchtnis zu klagen? Manche um auch fuͤr tiefe Denker gehalten zu werden machen es nach, obgleich die gu - ten Leute weit eher uͤber ſchlechten Verſtand klagen koͤnnten.

Zum recht guten Gedaͤchtnis gehoͤrt et - was ins Gedaͤchtnis faſſen, behalten und ſich wieder erinnern. Sieh! bey der Sache auf Urſach und Wirkung: Inoculir alles auf dein Lieblingsſtudium, und es iſt dir auch im ſpaͤtſten Alter als haͤtteſt du es vorm dreyßigſten Jahr, bis zu welcher Zeit beim Menſchen alles in der Bluͤte ſtehet, gelernt. Witzige Leute haben ſchreckliche Gedaͤchtniſſe. Ueberall finden ſie eine Aehnlichkeit weil dieſe aber oft zu ſchwach iſt, oder weil ſie mit einem Blick zehn Aehnlichkeiten finden vergeſſen ſie alles das Bewußtſeyn, faſſen zu koͤnnen was man will, thut bey einem Genie oft groͤßere Dinge, als wenn’s ſchon ein geruͤttelt, geſchuͤttelt und uͤberfluͤßiges Maaß im Kopf haͤtte. Ich habe noch keinen Dich - ter gekandt, der nicht ſchnell gefaßt haͤtte, was er geleſen: Beim muͤndlichen Vortragege -35gelingts nicht allen. Proſa behalten ſie leich - ter als Verſe. Bei andern Leuten iſt es um - gekehrt. Man wuͤrde behaupten koͤnnen ein Original muͤßte wenig Gedaͤchtniß haben, wenn es nicht Leute gaͤbe, die im Vergeſſen eben ſo ſtark als im Faßen ſind. Faßen und behalten wird im gemeinen Leben fuͤr eins ge - nommen; allein ganz unrichtig. Ein jeder Originalkopf muß ſchnell faßen und ſchnell vergeßen. Etwas bleibt zuruͤck und nur eben ſo viel als noͤtig iſt um nicht blos Abſchrei - ber, Copiſt zu ſeyn. Ein Grosmaul hat ein behaltendes, ein Kopf ein faßendes Ge - daͤchtnis. Wer viel plaudert kann auch viel behalten, ein guter Kopf kann nur viel erzaͤh - len, wenn er trunken oder verliebt iſt: Er darf ſich indeſſen beides nur einbilden, zu ſeyn. Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommt’s oft daher weil er ſehen und hoͤren kann und zwar mit Augen und Ohren des Genies und auch dieſer Umſtand traͤgt ſein Theil bei, daß er ſo leicht vergißt. Er kann nichts leſen und hoͤren, was er nicht ſo gleich mit dem Seinigen bereichert. Er verzinſet oft einen Gedanken mit funfzig Procent, oft mit mehr. Er weiß beſtaͤndig viel, nur nicht immer was andere wiſſen. Wer Jahrzah -C 3len36len und Geſchlechtsregiſter behalten kann, iſt kein Dichter

Lieber Vater hier macht die liebe Mut - ter eine Ausnahme. Anlange zur Hauspoeſie iſt ihr nicht abzuſprechen und wer ihr kein gutes maßives Gedaͤchtniß zugeſtehen wolte, dem vergaͤße ſie dieſe Beſchuldigung ſelbſt im Himmel nicht, und wenn’s auch nur blos darum waͤre um ihr Gedaͤchtniß zu bewei - ſen Was ſie behaͤlt iſt eiſern meine Mutter wußte nicht nur alle moͤgliche Lieder aus und inwendig; ſondern beſaß auch eine ſo genaue Lebensbeſchreibung von vielen Lie - derdichtern daß ſie beynahe den Schoͤpfungs - tag von jeder Strophe wußte. Es war ihr von vielen Jahr und Tag bekanndt und was das allermeiſte war ſie konnte ſagen was jede ihrer Herzensſtrophen bei dieſem oder jenem fuͤr eine Wundercur gemacht hatte.

Mein Vater, der von dergleichen Din - gen nicht das mindeſte wußte, hoͤrte ihr (ohne Zweifel von dem Zeitpunkt da er den zweiten Diskant zu ſingen anfing) andaͤchtig zu, und ſchien an ihrer Zufriedenheit uͤber dieſes ge - neigte Gehoͤr Theil zu nehmen.

Die ſingende chriſtliche Hausgemeine war noch an den Wortenund37

und was mich kraͤnkt das wende
durch deinen Arm und Kraft

und riſch fing meine Mutter an als wenn ſie feſten Fuß faſſen und occupiren wolte. Von Paul Gerhard War mein Vater nicht unter ihren Zuhoͤrern pflegte die Leichenpredigt laͤnger und erbauli - cher zu ſeyn und beſtaͤndig fand ſie alsdenn auf ihrem Wege Umſtaͤnde, die mit Umſtaͤn - den, ſo Leuten aus ihrer Familie begegnet waren, eine Aehnlichkeit hatten. Reiſete mein Vater mit, war der Weg wie auf der Diehle und nie ſprach ſie bei einem Anverwandten auf der Landſtraſſe an, es waͤre denn zuwei - len bei ihrem ſeelgen Herrn Vater oder Gros - vater um ihnen aus Kindespflicht die Haͤn - de zu kuͤſſen.

Paul Gerhard hatte Berlin wegen des Streits der Lutheraner mit den Reformirten verlaſſen nachdem er aus Luͤben (denkt an Liebau ſagte ſie, wenn euch der Name zu ſchwer faͤlt) nach Berlin gekommen und ihr ſeeliger Herr Vetter war, um allen allerlei zu werden vom Landpaſtorat nach Mitau als Stadtpaſtor gegangen und hatte in Mitau ein Bein gebrochen. Doch warum nicht ſie ſelbſt? Damit meinen Leſern die Zeit nicht zuC 4lang38lang werde, ſoll mein Vater ab und zu - gehen.

Es iſt ganz beſonders daß Herr Paul Gerhard (ſein Sohn Paul Friedrich Gerhard war Magiſter, auch gut! allein ſo viel ich weiß kein Liederdichter. Schade!) Es iſt ganz beſonders ſag ich daß Herr Paul Ger - hard welcher als Ober oder Primarpaſtor 1676 den ſiebenzehnten und nicht den ſie - ben und zwanzigſten May im ſiebenzigſten Jahre ſeines reifen Alters unter die himm - liſchen Saͤnger aufgenommen ward kein Lied gemacht hat das mit C anfaͤngt; ob - gleich wir ſonſt viele vortrefliche Lieder ha - ben die mit dieſem Buchſtaben anheben. Ich laß jeden Buchſtaben in ſeiner Ehr und Wuͤrde, allein unter den Conſonanten iſt C mein Liebling. Hat dein Vater je ſich des Unterdruͤckten des Nothleidenden (ſie wandte ſich zu mir) angenommen, ſo war’s indem er behauptete der Buchſtabe C ſei ſo gut deutſcher Buͤrger im A B C als irgend einer und indem er den Candidaten ohne C wiederlegte. Da die Letten ohne C ſind, koͤnnte man den Herrn Oberpaſtor Paul Gerhard einen curſchen einen lettſchen Saͤn - ger nennen wenn er anders damit zufrieden waͤre,39 waͤre, woran ich zweifle. Wer Gerhards Lebensgeſchichte mit leichter Muͤhe und ohne Kopfſchmerz zu behalten Luſt hat, merke ſich vier Sieben.

Im Jahr 16 ſechs und ſiebenzig den ſiebenzehnten May im ſiebenzigſten Jah - und in Hinſicht des Zweifels wegen ſeines Sterbtages ſieben und zwanzig. Dieſer Zweifel hat, wie mich duͤnkt einen Druck - fehler, eine Schwachheitsſuͤnde zum Grunde. Wer kann wiſſen muß jeder der ein Buch ſchreibt bekennen, wie oft er fehle

Da haſt du ganz recht liebe Mutter, und ich der ich zwei hundert Meilen vom Druck - orte entfernt bin, ſetze bey dieſer Gelegenheit mit einer Verbeugung an alle Recenſenten hinzu: Verzeihet die verborgene Fehler. (Meine Mutter faͤhrt fort)

Gott weiß, wie die Worte in der Aus - gabe des Herrn Feiſtking lauten. Es iſt dieſe Ausgabe fuͤr mich ein Licht unterm Scheffel. Das Manuſcript hat Herr Jo - hann Heinrich Feiſtking vom Herrn Magi - ſter Paul Friedrich Gerhard erhalten

Meine Mutter bedaurete daß ſie nicht ſelbſt der Herr Johann Heinrich Feiſtking bey dieſer Gelegenheit geweſen, und waͤr’sC 5auch40auch nur ſetzte ſie hinzu der gruͤnen rothen und blauen Grenzzeichen und Faͤnchen hal - ber. Dieſe Autorzeichen brachten ſie auf die Tintarten, welche ſie all ſo wie eine Mehl - und Milchſpeiſe oder Gruͤtze anrichten zu koͤn - nen vorgab. Mein ſeeliger Grosvater, ſagte ſie, konnte ohne alle dieſe Tinten kein Concept zur Predigt vollenden: Mein ſeeliger Vater brauchte nur die rothe und jetzt bin ich bis auf die ſchwarze und auch die (mein Vater war die ganze Zeit abweſend) wird wenig ge - braucht, außer Uebung.

Der hochſeelige Mann Paul Gerhard hat das feiſtkingſche Exemplar mit allem Fleiß revidirt. Sein letzter Federſtrich war in die - ſes Buch und eben ſchrieb ein Erzengel

ſeinen Namen aufs beſte
ins Buch des Lebens ein

Ich habe die Vorrede des Herrn Feiſt - king nicht geleſen ſondern nur in ein ander Buch eingebrockt gefunden; indeſſen gehoͤrt es eben nicht zum Stern und Kern dieſer Vorrede daß Paul Gerhard daſelbſt mit dem D. Martin Luther proclamiret und gepaaret worden und daß man ſo gar (unter uns ge - ſagt) den Wunſch aͤußert daß Gerhard dem D. Martin Luther beim Reformations Werkgehol -41geholfen haͤtte. Ich thue Einſpruch Herr Feiſtking nicht des Buchſtabens C ſondern des auserwaͤhlten Ruͤſtzeuges D. Luthers wegen der auch wußte was Klang und Sang war Hier eine Lobrede auf Lu - thern der darum wie meine Mutter ſagte zu Eisleben gebohren weil ihn Gott das Eis zu brechen erkohren. Wir! wir! (ſie ſang dieſe Worte in der Melodie: wirglaͤuben all an einen Gott) wir, ſetzte ſie ohne Sang fort, die wir aus Beſcheidenheit den Zunamen Lu - theraner angenommen; ſolten mit dem Vor - namen Reformatoren heißen: gewiße an - dere Leute aber, die nicht pauliſch und kefiſch ſeyn wollen; koͤnnen beym Namen Refor - mirte bleiben. Nach dem Luther (mein Va - ter kommt) muß ich geſtehen keinen beßern Liederdichter als Gerharden zu kennen. Er und Riſt und Dach ſind ein Kleeblatt das auserwaͤhlte Ruͤſtzeug Luther aber die Wurzel. Gerhard dichtete waͤrend dem Kirchenge - laͤute koͤnnte man ſagen. Ein gewißer Druck, eine gewiße Beklommenheit, eine Engbruͤ - ſtigkeit war ihm eigen. Er war ein Gaſt auf Erden und uͤberall in ſeinen hundert und zwanzig Liedern ich wuͤnſchte wol es waͤren ein hundert und ſiebenzig wegen der ſieben iſt42iſt Sonnenwende geſaͤet. Dieſe Blume dreht ſich beſtaͤndig nach der Sonne und Ger - hard nach der ſeeligen Ewigkeit. Schwer - muͤthig

Recht ſagte mein Vater allein weißt du auch warum?

Warum? meine Mutter weil er nach dem vorgeſteckten Kleinod blickte

Weil er ein boͤſes Weib hatte ſo bald ihn Gott von dieſer boͤſen Sieben erloͤſete, war keine Sonnenwende mehr in ſeinem poetiſchen Gaͤrtchen. Er ſang; allein, es ſang kein Gerhard mehr. Was die Xan - tippe dem Sokrates war

Dieſer Blitz traf das Wort auf der Zunge meiner Mutter, es bebte noch eine Minute auf der blaͤulichten Oberlippe, allein es war ſo matt, daß es in der Geburt ſeinen Geiſt aufgab. Meine Mutter die ſich ihres Ge - ſchlechts uͤberhaupt anzunehmen gewohnt war, mußte von meinem unlevitiſchen unpoetiſchen Vater, der zum zweiten Diſkant nur par bricol gekommen war erfahren, daß er die Aſche einer Oberpaſtorinn entheiligte und ein Sacrilegium begieng. Das war mehr als ſie tragen konnte! Sie verſtummte vorihrem43ihrem Scherer und nach einer guten Vier - telſtunde allererſt, nachdem das Herzgeſpann nachgelaſſen, ſang ſie ohne zu ſagen von wem das Lied gedichtet war

Wenn boͤſe Zungen ſtechen
mir Glimpf und Namen brechen
will ich bezaͤhmen mich,
das Unrecht will ich dulden
dem Naͤchſten

(meine Mutter ſang

dieſes Wort mit einem tiefen Seufzer)

ſeine Schulden
verzeihen gern und williglich.

Dieſes war auf heute genug am Gemaͤlde meiner Mutter. Daß ſie Gedaͤchtnis und wo nicht eine poetiſche Puls ſo doch Blut - ader wo nicht praßlendes Odenfeuer, ſo doch eine gluͤhende Kohle vom Altar gehabt, werden meine Leſer ſelbſt gefunden haben. Noch einen Zug um die Naſe herum, der ſich eben bey mir meldet, und es uͤbel nehmen koͤnnte; wenn ich ihn nicht ſo ſpaͤt es auch iſt, beherbergen ſolte. Meine Kreutzbare Mutter war eine ſo große Verehrerin der Reime, daß ſie ſogar ein Geluͤbde abgelegt hatte, gewiße Worte nie zu trennen. Kern und Stern, Rath und That, Kind und Rind, Hack und Pack, Dach und Fach,Knall44Knall und Fall u. ſ. w. waren nach ihrer Meinung Zwillinge, Doppelbruͤder. Außer dieſem behautete ſie, daß gewiſſe Reime fuͤr einander gebohren, im Himmel geſchloſſen waͤren, und durchaus ins Eheband treten muͤßten als da ſind Stank und Dank, Mund und Pfund, Glimpf und Schimpf, Noth und Tod, Kleider und Schneider, Student und Recenſent, Schelm und Helm Was Gott zuſammen fuͤgt pflegte ſie zu ſagen ſoll der Menſch nicht ſcheiden. Wer ſolche Reime trennt ſcheidet eine Ehe, und wer einen andern Reim in dieſe Stelle aufnimmt, heyrathet im verbotenen Grade Sie behauptete die Reime waͤren gleichſam die Riemen durch welche das Gedicht verbun - den wuͤrde, und muß ich ihr die Gerechtig - keit wiederfahren laſſen daß ſie bei ihrem poetiſchen Trichter oder dem in ſechs Stun - den einzugieſſenden Unterricht zur deut - ſchen Dicht und Reimkunſt(*)Nuͤrnberg Gedruckt bei Wolfgang Endter MDCL. die Regel gab, trachtet am erſten nach dem Reime der zweiten Reihe, der erſte wird euch zufallen, und es wird der Vers, wie gegoſſen ſeyn

Jezt45

Jezt in die Speiſekammer auf ein Ge - richt Eyer.

Der Himmel helfe uns ad mala. Es wird fuͤr meine Leſer und fuͤr mich, glaub ich, das beſte ſeyn. Solte indeſſen meinen Leſern das Schaͤlchen, das ich aus gutem Herzen nach nordiſcher Art zum Willkom - men herum reichen laſſe, Appetit machen und Promulſis (der erſte Gang) nicht miß - fallen; ſo hof ich caput cœnæ (die Haupt - ſchuͤßel) dieſes Theils wird auf ein gleiches Gluͤck Hofnung machen koͤnnen. Ein Tha - liarchus ein Credenzer, Diſponent, ein Glaͤ - ſerzaͤhler ein Tacktſchlaͤger iſt mir bei der Mahlzeit eine unausſtehliche Creatur.

Meine Mutter laͤßt zur Canoniſation laͤuten, die einen ihrer Vorfahren treffen ſoll. Die Reliquien dieſes Candidaten zur Standeserhoͤhung beſtehen in einem Kupfer - ſtich und obgleich wenn er nach den neueſten paͤbſtlichen Grundſaͤtzen behandelt werden ſolte, ihm rechtlich entgegen ſtuͤnde, daß er noch nicht hundert Jahre geſtorben; ſo wird doch bei dieſer proteſtantiſchen Ceremonie dieſer Einwand keine Bedenklichkeit abgeben.

Es war ein Sonnabend denn dieſes war ein Tag den meine Mutter unter denTagen46Tagen ſo wie die C. unter den Conſonanten (alles Widerſpruchs des Candidaten ohne C. ohnerachtet) ſchaͤtzte. Die C. um auf - richtig zu ſeyn weil die Letten dieſen Buch - ſtaben nicht haben; den Sonnabend den hei - ligen Abend, weil ſie ſelbſt, im Fall ich mich ſo ausdrucken darf, ein heiliger Abend wenn man nur hinzuſetzt, welches einem Sohne nicht zuſtehet; ſo haben ſie meine Leſer in einem Zuge ganz; alſo nur ein hei - liger Abend war. Meiner Mutter gebuͤhr - te allerdings eine Glorie; allein nur vom Mondſchein Wegen des Sonnabends muß ich noch bemerken, daß ſie von mei - nem Vater alsdenn wegen der Beichtveſper an wenigſten einen Einbruch zu befuͤrchten hatte, und daß der Sonnabend bei allen Prieſterweibern dies festus ein hervorragen - der Tag iſt.

Es war ein Sonnabend da mich meine Mutter mit dem erſten Vers des Liedes

Freu dich ſehr o meine Seele
und vergiß all Angſt und Quaal

aufſang, und nach deſſen Vollendung mich alſo anredete

Ich47

Ich weiß, daß dieſes Lied einem armen Suͤnder zugeſchrieben wird, der in Ham - burg wegen begangener Rothzuͤchtigung eines neunjaͤhrigen Maͤdchens enthauptet worden; allein außerdem, daß dieſer arme Suͤnder Docktor in der Medicin geweſen; ſo glaub ich auch die ganze armen Suͤnder Geſchichte nicht. Es iſt vielmehr dieſes Lied eine Meſ - ſerſpize von den geiſtlichen Liedern des Si - mon Graf die er unterm ſchoͤnen Titel Geiſt - liches edles Herzpulwer in drei Theilen her - ausgegeben hat(*)Leipzig 1632. und denn am Ende liebes Kind ſind wir alle arme Suͤnder allein wir haben nicht alle ein neunjaͤhriges Maͤd - chen genothzuͤchtiget ſind aber alle in Suͤn - den empfangen und geboren.

Was iſt Nothzucht liebe Mutter? Nothzucht mein Kind! ſagte meine Mutter, und ich war voll Erwartung der Dinge die kommen ſolten iſt Nothzucht. Leg dein Feyrkleid an, ſtreu Puder auf dein Haupt und wenn keiner verhanden iſt Wai - zenmehl und ſieh! heute wie man dem thut, den deine Mutter ehren will aus dem BucheEſtherD48Eſther im ſechſten Capitel und ſechſten Vers. Nach einer langen Deliberation wie die feier - liche Handlung vollzogen werden ſolte gieng dieſer Triumph oder Oration oder Leichen - conduckt an. Jo Triumphe! der Trium - phator, welchem dieſe Ehre in effigie erwie - ſen wurde, lag auf zwei Folianten, und auch dieſes kam von ohngefehr, ſonſt wuͤrde ſelbſt dieſe Spur vom Triumphwagen nicht geweſen ſeyn. Bei meiner Uebermeſſung, die mit einer Kurſchen Elle geſchahe, fand es ſich daß kein Stuhl hoch genug fuͤr mich war, den Kupferſtich dem Himmel nahe genug zu bringen, wie meine Mutter ſich ausdruͤckte, welches Ziel aber durch Beihuͤlfe dieſer Folianten erreichet werden konnte. Da die Folianten inzwiſchen einmal im Spiel waren legte ſie ſelbige Kreuzweis ſo, daß alſo nicht einer auf dem andern lag. Sie ſprei - tete endlich ein weißes Tuch uͤber ſie Man kann ſagte ſie auch dabey ſeine erbau - liche Gedanken haben. Noch gehoͤrten zu dieſem Ehrenwerk vier flimmernde Naͤgel - chen und vier Streifen ſchwarz Papier. Eine Leichenrede wurde deshalb entkleidet, die auf einen reformirten Geiſtlichen gefertigt war. Die Naͤgelchen und die vier Streifen legtemeine49meine Mutter wie Ehrenzeichen neben dem Kupferſtich. Auf dem Wege von dem Ort wo ihm der Platz unterm Spiegel gegen Morgen war abgeſchlagen worden, wurden Tannenreiſer bis in die Speiſekammer ge - ſtreuet. Unterwegens war meine Mutter wie man in der Affecktshize zu ſeyn pflegt, ſtill. Der Fall war zu groß um Klang und Sang zu verſtatten. Stille Begraͤbniſſe kommen uͤberhaupt der Natur am naͤchſten wenn anders der Verſtorbene keine lachende Erben nachlaͤßt. Meine Mutter trug die Fuͤße ich das Haupt und ſo kamen wir ins Delubrum ins Sacrum, ins Gewoͤlbe. Es kam mir unterweges beſonders wegen des weißen Tuches, welches bei meinen Leſern noch im friſchen Andenken flaggen wird ſo vor, als ob ich eine Leiche trug und meiner Mutter muß es eben ſo vorgekommen ſeyn denn ſie ſagte (dieſes war alles was geredet wurde) den Weg mein Sohn muͤßen wir alle, und konnte wol unmoͤglich die Speiſekam - mer darunter verſtehen. Ich merkte aus allem, daß meine Mutter eine Rede an mich halten wolte, und kann vielleicht dieſer Um - ſtand mit das Seinige zur Stille beigetragen haben wodurch dieſe Handlung geweiht wurde. D 2Er50 Er hat gelitten und hat geſiegt fing ſie an er iſt geſtorben und ſich! er lebt

Schaut die Sonne geht zur Ruh
Kommt doch morgen wieder

aus dem Liede: einen guten Kampf hab ich auf der Welt gekaͤmpfet Dieſe Cita - tion oder eine Wehmuth die uns beide an - wandelte lenkte ſie vom rechten Weg.

Dein Ebenbild ſagte ſie mein Sohn wie ein Ey dem andern ſey ihm an reiner Lehre und reinem Wandel gleich auch (hier fehlte ohne Zweifel viel) nimm dich vor harten Eyern in acht: ſie ſind ſchwer zu verdauen.

Erinnere dich an die Leiter Jacobs ſagte ſie, nachdem ſie ſich vom Steckflus erholet hatte und die Folianten wurden abgedeckt und das Leichlacken fein ſauberlich zuſam - mengelegt. Zu niedrig ſagte ſie indem ich die Hoͤhe erſtiegen hatte und zu haͤmmern anfing Es ſtockt in der Speiſekammer zu hoch gleich drauf denn ich kann wei - ter nichts als vier Sterne ſehen

Sterne dacht ich liebe Mntter Sechs fuͤr einen Vierding.

Endlich traf ich die rechte Stelle und nach - dem das Monument fertig war, welchesdieſem51dieſem Ehrenmann um ſo angemeſſener ſchien als gerad uͤber ein Eyerbehaͤltnis ſtand; ſtieg ich herab, und meine Mutter umfing und kuͤßte mich. Es war dieſes eine feier - liche Umhalſung eine Accolate und nun? meine Leſer werden es mir verzeihen, daß ich ſie ſo lange im Finſtern gelaſſen; Ohne zu bemerken daß meine Mutter vier Lichte auf dem Tiſch angezuͤndet hatte auf welches Ca - ſtrum Doloris der Wohlſeelige nachdem wir ihn von den Folianten abgehoben, eine ganz kurze Zeit zur Ausruhe hingeſtellt wurde. Drey von dieſen Lichtern loͤſchte meine Mut - ter ſo aus wie andre Leute ihre Lichte ausloͤ - ſchen. Das Vierte ein abgebrannter Stumpf war waͤrend dieſer Zeit dem Verloͤſchen nahe Komm! ſieh und lerne ſterben ſagte ſie mir. Ich ſah ein ausgehendes Licht und meine Mutter betete mit einer Innbrunſt die mir durch die Seele ging

Und wenn mir die Gedanken
vergehen wie ein Licht
das hin und her thut wanken
bis ihm die Flamm gebricht;
alsdenn fein ſanft und ſtille
laß mich Herr! ſchlafen ein
nach deinem Rath und Willen
wenn kommt mein Stuͤnde ein.

D 3ich52ich ſah, was meine Mutter ſagte und oft! oft! hab ich mein Licht ſo ausbrennen laßen, um dieſes Feſt zu wiederholen.

Meine Mutter legte die Haͤnde ſobald alles aus war auf mich, um mich prieſterlich zu ſeegnen. Wir weinten beide Nach einer Weile fing ſie an (ich glaub es ſind alles die - ſes Brodſamen die von ihrem reich beſetzten Tiſch fielen, Stuͤcke von der verungluͤckten Rede) die Lobwuͤrdigſte Fuͤrſtin Henriette Louiſe Marggraͤfin zu Brandenburg lies ſich dies Lied vorſingen, und obgleich alles um ſie herum weinte, ſtarb ſie doch ohne Ach und Weh ſanft und ſeelig zu Onolzbach im Jahr Chriſti 1650 ihres Alters ſieben und zwanzig Jahr. Gott! laß es nur ein Stuͤndlein und nicht eine ganze Stunde ſeyn, wenn wir heimfahren aus dieſem Elend! Wir brachten die Folianten zu Hauſe und meine Mutter ſang ohne zu be - ſtimmen obs auf Folianten oder aufs Kupfer - ſtich oder auf alle papierne Monumente und Denkzettel gezielt waͤre

Man traͤgt eins nach dem andern hin
wohl aus den Augen und aus dem Sinn
die Welt vergiſſet unſer bald
ſey jung oder alt
auch unſrer Ehren mannigfalt

Seyd53Seyd getroſt verdienſtvolle Maͤnner, (ich will meiner verſtummten Mutter aushelfen) Habt ihr nicht das Gluͤck am Spiegel zu haͤngen ſo iſt noch die Speiſekammer uͤbrig. Stockt es hier gleich, es ſchadet nicht das Bild kann hoch geſchlagen werden. Beſchert euch nur der Himmel Augen die vier kleine Naͤgel fuͤr Sterne[anſehen]; habt ihr gewon - nen Spiel.

Nach dieſer volbrachten Arbeit verlangte meine Mutter daß ich dieſen Tag in einem feinen guten Herzen behalten und ihn jeden heiligen Abend vor Oſtern durch eine Wall - fahrt in die Speiſekammer (wie ſie ſich aus - druckte) feyren und erneuren ſolte; dieſes iſt ſagte ſie die Ausſaat; vor Oſtern den heili - gen Abend ſolſt du erndten. Der Geber al - ler guten und vollkommenen Gaben verleihe dir gutes Wetter oder ein Herz nach ſeinem Herzen zur Erndte.

Daß aber der ausgeſaͤete Waizen nie zur Reife gekommen und aus dieſer Wallfahrt nie etwas geworden, iſt einer von uns bei - den Schuld, der fromme Schweppermann oder ich. Meine Mutter zog mich wegen eines Epitaphiums zu Rathe und mir mußte zum Ungluͤck einfallen

D 4Dem54
Dem Mann ein Ey
dem frommen Schweppermann zwey

weil Schweppermann nicht Superintendent in Curland ſondern

ein Ritter keck und feſt
der zu Gnadersdorf im Streit that das Beſt

geweſen; ſo bekam der Vorſchlag meiner Mutter eine andere Wendung. Der be - ſtimmte heilige Tag fiel aus, allein nicht zu meinem Nachtheil denn wenn ich nach der Zeit ein Stuͤck Geraͤuchertes zu erndten Luſt hatte; wallfahrte ich Hand in Hand mit meiner Mutter zum Mauſoleum (oder nach einer ehrlichen deutſchen Ueberſetzung) in die Speiſekammer. Es hing der Tag unſers Eyerheiligen von der Angabe meines Magens ab, und war ſo oft mir außer der Mahlzeit hungerte. Je nachdem ich Appetit hatte; ward auch die Feyerlichkeit zur Ehre eines Mannes zugeſchnitten, der nach der Bemer - kung meiner Mutter, die ſie mehr als ein - mal anbrachte, ſo wie die Speckſeiten und Wuͤrſte ſeine Nachbaren, gekommen waͤre aus der Rauchkammer dieſes Lebens

Zur Steuer der Wahrheit ſteh es hier wie eine Ehrenſaͤule, daß meine Mutter wi - der die Gewohnheit aller Weiber nicht geitzigwar55war. Sie wolte nicht die Eyer abſchaffen und Huͤner dafuͤr einfuͤhren; ſondern die Rechtglaͤubigkeit wie ſie ſagte lag ihr bloß hiebei am Herzen.

Mein Vater (damit ich ſobald als moͤg - lich die vacante Stelle beſetze) den meine Mut - ter durch dieſen an ſeinen Ort geſtelten Kupfer - ſtich ohne Zweifel auf den Gedanken brachte, daß im Prunkzimmer zur rechten Hand un - term Spiegel kein unruͤhmlicher Ort im Pa - ſtorat waͤre, vocirte den Kupferſtich des Eu - gen an dieſen ledigen Platz. Er ließ meine Mutter vor der Hand bei ihrer voreilig ge - faßten Meinung, daß dieſer Kupferſtich der Herzog Gotthard waͤre, welchen ſie vor den groͤßten Helden hielt der je in der Welt gelebt haͤtte, und dem allein ſie den Rang uͤber den Superintendenten geſtattete, obgleich ſich die Herzoge von Curland wir von Gottes Gna - den ſchrieben und Landeshoheit haben. Es war mein Vater ſich als ein Deutſcher dieſe Huldigung ſchuldig, und nie hat ers verfehlt dem Namen eines Deutſchen Ehre zu ma - chen. Das erſte Wort was er mich ausſpre - chen lehrte war, aller ſeiner Kentniß in frem - den Sprachen unerachtet, ein ſchweres Deut - ſches. Deutſch eben darum warum EugenD 5im56im Paſtorat zur rechten Hand unterm Spie - gel des Prunkzimmers hing, ſchwer, weil mein Vater in allen Dingen die Gewohnheit hatte mit dem Homer anzufangen.

Damit aber meine Leſer ja nicht Realin - jurien begehen und an den Gedanken graͤn - zen als ob mein Vater auch nur ſtillſchwei - gend eine Unwahrheit veruͤbt; ſo muß ich ihn bei dieſer maasgebenden Gelegenheit recht - fertigen und ihn uͤber jenen Heiden heraus - bringen, dem man zur Steu’r der Wahrheit nachſagt, daß er auch nicht im Scherze un - richtig geworden, welches in unſerer galan - ten Mundart ungefehr heißen wuͤrde daß er keine einzige Equivoke geſagt habe. Wer weiß es nicht daß eine ſtillſchweigende Luͤge eine himmelſchreiende ſtumme Suͤnde ſei, der feinſte Meuchelmord und eben darum der ge - woͤnlichſte. Was meinet ihr lieben Leſer! mißt mein Bater nicht einen Zoll und einen Strich mehr?

Gotthard ſagte meine Mutter der Held der Helden. Nicht alſo fiel mein Vater ein. Eugen! ein Deutſcher der in ſeiner Jugend Theologie ſtudirte und ſchon wirklich Candi - datus Theologiaͤ war, ein rundes Peruͤckchen trug und geprediget hatte, dies brachte meineMutter57Mutter zur Andacht, warum ſagte ſie ging er von der engen Straße die zum Leben fuͤh - ret? um der Religion beſſere Dienſte zu thun erwiederte mein Vater, um ſein Schwerd wieder die zu ziehen welche jetzo die Wache zum heiligen Grabe geben und das Schlaf - gemach unſers Herrn und Meiſters uſur - pireu. Eugen hieß der kleine Abt in Frank - reich und ward ein großer Mann in Deutſch - land. Die mittelmaͤßige Statur iſt die Ge - ſtalt der Helden Unſer Sohn wird Gott - lob! groß werden ſagte meine Mutter! Gott - lob! er wird es nicht werden erwiederte mein Vater. Die Tittel des Eugen ſind, fuhr er fort, Herzog von Savoyen und Piemont, Marggraf zu Saluzzo, Ritter des goldnen Vließes, der Roͤmiſch Kaiſerlichen und Koͤ - niglich Catholiſchen Majeſtaͤt wuͤrklicher Ge - heimter und Conferenz-Rath Hofkrieges Raths Praͤſident, General Lieutenant und des heil - gen roͤmiſchen Reichs Feldmarſchall General Vicarius der ſaͤmtlichen Italieniſchen Erbkoͤ - nigreiche und Landen.

Meine Mutter machte da mein Vater ſich bey jedem neuen Ehrenwort beugete eine Gegenverbeugung ohne daß man eigent - lich beſtimmen konnte ob’s meinem Vateroder58oder dem Eugen gallt, und da die Heldenge - ſchichte eben kein Studium fuͤr meine Mut - ter war; ſo kam manches vor was ſie zum erſtenmal hoͤrte. Bei meines Vaters Be - merkung Eugens Mutter waͤre des bekannten Cardinals Mazarini Nichte geweſen; konnte meine Mutter anfaͤnglich nicht begreifen wie ein Cardinal eine Nichte haben koͤnnte? Es fuͤhlte Eugen (fuhr mein Vater fort und ſahe meine Mutter lieblich an) im Gemuͤte und Gebluͤte vaͤterliche Regungen, und dieſes Ge - fuͤhl war unfehlbar die Haupturſache warum er das Brevier mit dem Degen vertauſchte. Ob nun gleich meine Mutter was den Punkt der heiligen Ehe betraf ſehr proteſtautiſch dachte; ſo ſchuͤttelte ſie dennoch wegen dieſes Tauſches das Haupt. Bei dem eingeweih - ten Degen den Pabſt Clemens der XI. dem Eu - gen ſchickte und bey dem Anfange ſeines An - ſchreibens

Unſern Gruß und apoſtoliſchen Seegen zuvor Geliebter Sohn, edler Mann! warf ſie die Frage auf wie doch wol der curiſche General Superintendent an den Eugen ge - ſchrieben haben wuͤrde?

Mein Vater ſchloß die Standrede uͤber Eugen um ſich meine Mutter die nicht ohneNeid59Neid den Eugen unterm Spiegel ſahe, zu verpflichten.

Daß dieſer unuͤberwundene Held den ein und zwanzigſten April zum ewigen Jubi - late eingegangen

So waren alſo die beiden Monumente fuͤr Eugen der nie geſchlagen worden und meiner Mutter Ahnherrn, der durch Abſchaf - fung der Oeſtereyer ſich unſterblich gemacht, errichtet! Der liebe Gott ſchenke beiden (dies ſagte meine Mutter da mein Vater den Ruͤ - cken gekehret hatte) in der Erde eine ſanfte Ruhe und am juͤngſten Tage eine froͤliche Auferſtehung wo es ſich ausweiſen wird ob Eugen oder der gute Paſtor eher verdient un - ter dem Spiegel gegen Morgen im Prunk - zimmer zu haͤngen wenn gleich auch unſer Anverwandter ſich uͤber ſein Plaͤtzchen in der Speiſekammer nicht beſchweren darf.

Ich habe zwar von meinem Vater da ich nicht Capitelfeſt bin, nur wenig und das im Beylauf geſagt; meine Leſer werden aber ſchon hieraus die verſchiedene Denkungsarten meines Vaters und meiner Mutter einſehen und ohne Note ſich vorſtellen, daß ihre Er - ziehungsart gleichmaͤßig nicht uͤbereinſtimmen konnte. Meine Mutter wolte mich zu einemGeiſt -60Geiſtlichen machen, und wenn man kein Edelmann und doch ein Menſch in Curland iſt, kann man keinen andern als dieſen Stand waͤhlen; einige weltliche Stellen ausgenom - men, deren aber zu wenig ſind, als daß viele darauf rechnen koͤnnten, und die, bis auf die Advocaten Stellen bei dem Land Oberge - richtshofe in Mitau, noch obenein adeliche Poſten ſind, und alſo als in Verfall gera - thene Familien angeſehen werden, welche ih - ren Adel mit leichter Muͤhe erneuren koͤnnen. Mein Vater ſchien mich zu Etwas andern be - ſtimmt zu haben. Meine Leſer moͤgen ra - then wozu? denn, in Wahrheit ich ſelbſt muß mich bei dieſem Umſtand mit Rathen behel - fen, obgleich ich es nicht leugne mehr Data als meine Leſer zur Aufloͤſung meines Raͤth - ſels in der Hand zu haben. Er ſahe es ſehr gerne wenn ich Ball ſchlug und erlegte ſelbſt mit mir Kegel. Ich hatte zu Anfange Muͤhe die Kugeln zu heben; indeſſen fand ſich mit der Zeit eine Staͤrke in meine Arme daß das Spiel zwiſchen meinem Vater und mir unge - wiß und eine Wette wurde, und wir abwech - ſelnd gewonnen und verlohren. Er hatte es gerne, daß ich mich herumbalgte, und hier - innen that ich mich mit dem Benjamin demSohn61Sohn des alten Herrn hervor. Sowol von Vater als Sohn wird ſogleich gehandelt wer - den. Meine Mutter ermahnete mich ſo oft ich gerungen hatte, und fuͤgete hinzu, daß jedes Haar auf meinem Haupte gezaͤhlet ſei.

Ich arbeitete beſtaͤndig; allein ich wußte es nicht, ich haͤtte eben ſo gut glauben koͤn - nen daß ich beſtaͤndig ſpielte. Mein Vater konnte ſich uͤber nichts ſo ſehr aͤrgern, als daß uͤber der Seele der Leib vergeſſen wuͤrde, und daß man das eine bei Hochwohlgebornen Kindern lernen und das andere ſpielen hieße. Es iſt alles Spiel oder alles Arbeit pflegt er zu ſagen. Die Unvermoͤgenheiten des Leibes hielt er alle fuͤr anſteckend in Abſicht der Seele. Cs iſt ein ſchlechter Wirth ſagt er der ſein Zimmer mit Seide ausſchlaͤgt und von oben einregnen laͤßt. Vom Kleide auf den Mann ſetzte er hinzu vom Hauſe auf den Herrn, vom Leibe auf die Seele ſchließen, iſt kein unrichtiger Schluß. Wenn man ſeinen Koͤr - per den man ſiehet vernachlaͤßiget, wie will man an ſeine Seele denken die man nicht ſiehet. Mark machts aus ſezte er, um ſich zu erklaͤren hinzu, nicht Laͤnge und Breite Dicke und Hoͤhe. Ein jeder Erfinder iſt we - nigſtens an dem Tage da er erfand ein Manngewe -62geweſen, und haͤtte eben ſo gut ein geſundes Kind in die Welt ſetzen als erfinden koͤnnen, und alles was in der gelehrten Welt Methu - ſalems Alter erreichen und noch aͤlter werden ſoll, alles was eigentlich auf die Nachwelt bleibt hat ein Geſunder gedacht und geſchrie - ben. Die Helden und Statsactionen des Hercules leiſteten meinem Vater auf dieſem Wege gute Dienſte, und er konnte ſich ſehr freuen, wenn ich Unwillen zeigte, daß ich nicht auch Gelegenheit gehabt zwoen Schlan - gen in der Wiege das Lebenslicht auszudruͤ - cken: die Geſchichte vom Antaeus dem Rie - ſen war mir ein Brand im Buſen; mein Vater goß Oel dazu und maaß mir ſeine Laͤnge vor. 〈…〉〈…〉ſtieg auf den Tiſch um ſie recht zu ſehen und ſo wie ich mich uͤber die Art des Antaeus freuete, ſich einen Loͤ - wen zum Braten zu fangen, ſo gratulirte ich dem Herkules daß er dieſen Loͤwenjaͤger todt zu druͤcken die Ehre gehabt. Mejne Mut - ter war ſo wenig mit der Geſchichte vom Rie - ſen Antaeus als mit der von der Schlange zufrieden. Bei der Schlange fiel ihr beſtaͤn - dig die im Paradieſe ein, wobei ſie es dem Noa Etwas uͤbel nahm, daß er fuͤr ſie eine recht hollaͤndiſche Toleranz in ſeinem Kaſtengehabt.63gehabt. Sie aͤußerte bei dieſer Gelegenheit die Meinung daß das Ausziſchen ſich aus dem Paradieſe herſchriebe, wo der Teufel unſren erſten Eltern auf dieſe Art uͤbel be - gegnet haͤtte nachdem die armen Betrogene den letzten Biſſen Apfel genoſſen. Was den todtgedruͤckten Rieſen betraf: fand ſie’s an - ſtoͤßig, daß er nicht Goliath hieße. Ich war ſehr fuͤrs Todtdruͤcken der Rieſen, aber mein Vater zeigte mir das Erhabene das Goͤttliche bei der Geſchichte des Davids und ich lernte neben her wie unrecht es ſei mehr Mittel und waͤrs auch nur ein Graͤnlein anzuwenden, als man Zweck hat.

Wenn meine liebe Mutter den Eifer be - merkte, der mir bei Erzaͤhlung vom Hercu - les unter die Arme griff, ſo daß ich vor ihren ſichtlichen Augen an Tiſch und Stuͤh - len ein Exempel ſtatuiren wolte; pflegte ſie mich zu ermahnen, meine Arme zum Kan - zelſchlage zu ſchonen und ſie nicht an unſchul - digen Stuͤhlen und Tiſchen zu entweihen.

Erziehen ſagte mein Vater heißt aufwe - cken vom Schlaf, mit Schnee reiben wo’s erfroren iſt, abkuͤhlen, wo’s brennt. Wer nie ein Kind unterrichtet hat wird nie uͤber das Mittelmaͤßige hervorragen. DocendoEdiſci -64diſcimus iſt ein großes und wahres Wort! In gewiſſer Art lernen wir mehr von den Kindern als die Kinder von uns. Wer ein Auge hat lernt hier den Menſchen. Wenn die Sonne aufgeht, kann ſie der Blick um - faſſen. Wer kann in ſie ſehen wenns hoch - mittag iſt?

Wenn ich auf Etwas durch aus und durch all beſtand uͤberlies mich mein Vater meinem Eigenſinn, und ich ſahe aus den natuͤrlichen Folgen wie thoͤricht ich gehandelt da ich ſeinen Fingerzeig aus der Obacht ge - laſſen. Er behauptete daß keine natuͤrliche Strafe gleich einer Todesſtrafe waͤre, und ſo lies er nach dieſer großen Fuͤrſchrift, auch mich nur durch Buße bekehren und leben. Ich verbrandt mich am Licht ich verdarb mir den Magen unterm Pflaumenbaum. Wie der himmliſche Vater es mit uns macht, pflegt er zu ſagen ſo ſolten es auch leibliche Vaͤter machen. Welch einen Einfluß dieſe Lehrart auf mich gehabt iſt unausſprechlich Ich lernte Natur die wir! leider bei dem allgemeinen Fall oder Vorfall der Menſchen lernen muͤßen. Ich lernte ſie im kleinen und im großen. Wenn ein Genie allein auf dem Lande geht pflegte mein Vater zu ſagen,bleibt65bleibt es nicht lang allein, die Natur geht ihm an die Hand. Sie faßt es an und es verſteht die Blume wenn ſie ſich neigt, und den liebevollen Hopfen der ſich hinaufrankelt. Es bewundert den Regenbogen, den Ordens - band, den Gott der Erde als ein Gnaden - zeichen umhing. Da ſehen dann Genies einen gewiſſen Zuſammenhang zwiſchen Gott und dem Menſchen und ſind Seher von Gott Angehauchte. Dies iſt unendlich mehr als ein Aotodidactos ein Selbſtgelehrter. Die - ſer lernt aus Buͤchern, ein Seher lernt von Gott und aus ſeiner fuͤr ihn aufgeſchlagenen Welt.

Mein Vater lies es nie zu Thaͤtlichkeiten bei ſeinen Strafgerichten kommen denn ich verurtheilte mich ſelbſt und er bewuͤrkte eben hiedurch eine große Abſicht: Er erzog nicht einen Sohn ſondern einen Menſchen.

Meine Mutter hielt einen Gnadenſtoß fuͤr nothwendig und wenn ſie mir mit ihrer theuren Rechten einen Ritterſchlag verſezte pflegte ſie zu ſagen: beſſer ſo als anders! eine freie Ueberſetzung von beſſer Ritter als Knecht, und denn ſagte ſie wieder. Wer ſeinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalb - fell In der Hauptſache ſtimmte ſie mitE 2mei -66meinem Vater, ſie zog nur durch einen an - dern Weg in eben daſſelbe Land. Regen der ihr kam, wenn ſie die große Waͤſche vor - hatte die mein Vater ſcherzweiſe Fegfeuer nanndte das war ihr Gottesſchlag und im - mer wußte ſie, mit welcher Suͤnde ſie dieſen Regen beim lieben Gott verſchuldet hatte.

Ich entſinne mich als waͤr’s heute daß ſie meinetwegen einen Stock ergrif feierlich wie einen an einer Kreuzfahne, allein ſie be - ſann ſich, wie Diogenes der einen armen Jungen mit der Hand Waſſer ſchoͤpfen ſah ſie murmelte wer das Schwerdt nimmt, wird durchs Schwerdt umkommen, und ich habe alſo nie unterm Gefreitenſtock geſtanden ſon - dern nach Prinzen Art, da doch Niemand ohne Schlaͤge groß wird, blos Weiber Haͤn - den dieſen Tribut bezahlt. Meine Mutter nanndte dieſe Zucht Licht und Recht und hatte eine ſehr feine Diſtinction zwiſchen dem Stabe Sanft und dem Stabe Wehe! wo - mit meinen Leſern aber wenig gedient ſeyn kann.

Die Sprachen rechnete mein Vater zum Departement des Leibes und der Seelen. Man muß pflegte er zu ſagen, nur Eine vollkommen beſizen, das iſt reden, ſchreibenund67und in ihr denken koͤnnen. Ein Gott, Eine Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geiſt, Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache

Es giebt ſagt er keine nackte Wahrheit. Worte finden heißt denken. Worte ſind was koͤrperliches was ſinnliches ſie ſind die Kleider der Gedanken Beiwoͤrter der Beſaz: Worte der eigentliche Anzug. Wer deutſch gedacht und lateiniſch geſchrieben hat iſt, wenn er gleich der beſte Lateiner waͤre, doch ein Deutſcher. Cieero wuͤrd ihn fuͤr keinen Landsmann halten. Um franzoͤſiſch zu ſchreiben muß man Franzoſe ſeyn, um eng - liſch, Englaͤnder. Wer fremde Sprachen zu Etwas mehr braucht als ſich andren Leu - ten, die nicht unſre Mutter kennen, ver - ſtaͤndlich zu machen; iſt allemal ein ſchwa - cher Kopf. Es fehlt ihm wo, es ſitze das Uebel wo es wolle.

Mein Vater war bei alle dem ſo wenig wieder viele Sprachen, daß er ſie vielmehr nach dem Thurm zu Babel ſo nothwendig, als vielerley Eſſen nach dem hoͤchſtbetruͤbten Suͤndenfall hielte. Viele Sprachen, bemerkt er, ſind viele Creditbriefe. Zeige ſie vor, du biſt uͤberall willkommen. Kein Tuͤrke ſchlaͤget einen Chriſten todt, wenn der ChriſtE 3tuͤrkiſch68tuͤrkiſch kann, und wenn es noch ſo viel Re - ligionsverdienſt waͤre. Die Sprache iſt eine Herzensſchlinge. Man iſt beſtrickt man weiß nicht wie. Doch! warum ſoll ich alles wie - derſagen, was mein Vater ſagte? Seine Behauptungen waren außer der Weiſe. Er glaubte es muͤßte zu kennen ſeyn was bey Licht oder am Tage, was des Morgens und was des Abends gedacht waͤre wenn’s nem - lich aufgeſchrieben worden. Morgengedan - ken waren bey ihm wie die Erſtgeburt heilig. Da ich mehr mit Credit als mit eigenem Ver - moͤgen in der Welt handeln ſolte fuͤhrte mich mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an, und ich mußte beinahe alle dieſe Sprachen zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat und Gramatick. Zum Schulmaͤßigen ge - woͤhnte er mich allererſt im vierzehnten Jahr, und konnt ich’s folglich als Proben anſehen, die man in der Rechenkunſt erfunden, um zu ſehen ob richtig gerechnet ſey. Mein Va - ter hielt viel auf woͤrtliche Ueberſezungen in Sprachen, die noch leben. Hieraus pflegte er zu ſagen lernt man eine Nation auf ein Haar kennen und die feinſte Politik und Welt - kenntniß iſt hier verborgen. Dies iſt der Chiffer zu den Geheimniſſen der Voͤlcker. Auch69Auch ſieht man aus der Sprache ob’s im Lande kalt oder warm neblicht oder klar ſey Er gieng hier noch weiter, ich befuͤrchte aber meine Leſer werden nicht weiter gehen wollen. Bey abgeſchiedenen Sprachen fuhr er fort, toͤdtet der Buchſtabe, der Geiſt aber machet lebendig. Die Griechen nanndte er Kirchen - vaͤter der Natur und ihre Sprache den Grundtext des Geſchmacks. Wenn man uns zugehoͤret haͤtte; wuͤrd man uns fuͤr ein paar Maurergeſellen vom Thurm zu Babel gehalten haben. Alles durcheinander und doch alles in einander. Mein Vater nahm, wenn er fremde Sprachen mit mir redete, auch fremde Arten an, und das war mir mehr als ein Lexicon, ich hatte fuͤr jede Spra - che ein ander Geſicht eine andere Zunge eine andere Hand, einen andren Fuß, und be - ſonders eine andre Naſe. Worte mußte ich lernen und er war nicht mit der Lehrart zu - frieden bei Worten das Gedaͤchtnis zu ſtuͤtzen und ſich Merkzeichen zu machen. Man hat ſagt er alsdenn Bild und Wort zu behalten. Ein Stammvater von Worten aber diente mir zum Leitfaden bei tauſend zum Nagel im Kleiderſchrank wo man zehnerlei aufhaͤngt. Ich lernte den Stammvater und wußte Sohn,E 4Enkel,70Enkel, Urenkel UrUrenkel und Ur Ur ſo viel man will.

Die lettiſche, curſche oder undeutſche Sprache lernte ich von meiner Mutter und dem Herrn Jachnis (Johann) dem Aufſeher uͤber die Paſtorats Bauren oder den Gottes Berat. Das Paſtoratshaus nanndte ihn Herr Jachnis und ſein Weib Frau Maſche (Margerethe) er aber meinen Vater, wenn er gleich deutſch mit ihm ſprach Zeenigs mach - zitajs (wohlgelahrter und hochzuehrender Leh - rer) und aus dieſen Namen, die er gab und die ihm gegeben wurden werden meine Leſer erſehen, daß man dieſen Menſchen halb let - tiſch halb deutſch nahm. Es hatte Herr Jachnis den ſemgalliſchen Dialeckt, der um Mitau herum reſidirt und außer dieſem ſem - galliſchen Dialeckt nach welchem die Bibel ins lettiſche gedollmetſchet worden, hatt er noch ein Flick von einem Bruſttuch, welches einer ſeiner Vorfahren aus der eigenen Hand des Herzog Gotthards erhalten, da er ihm das Evangelium am Sonntage Palmarum in undeutſcher Sprache aufſagen koͤnnen.

Mein Vater unterſtuͤtzte die hohe Idee die Herr Jachnis, der ſich auch wol von den Paſtoratsbauren Amtmann nennen ließvon71von dieſer Reliquie hatte. Er ließ es ſich zuweilen zeigen und ermahnete ihn, ſein geiſtliches Ordensband wol zu bewahren. Hiezu brauchte Herr Amtmann Jachnis keine Aufmunterung, denn er machte kein Geheim - nis draus, daß dieſes Ritterflick bis an den lieben juͤngſten Tag beim aͤlteſten in der Fa - milie bleiben ſolte.

Meine Mutter aͤrgerte ſich ſo offt davon ge - redet wurde, und verſicherte auf Ehre, Pflicht und Gewiſſen, daß dieſes Stuͤck Gewand, fuͤnf und mehr mal verwechſelt waͤre: und hierinn ſchien ſie auch um ſo mehr Recht zu haben als es noch ziemlich ungebraucht war. Sie legte es ihm zur Laſt daß ſeine Vorfah - ren nicht lieber ein Stuͤck von dem Pſalm - buch zuruͤckgelaſſen welches der gottſeelige Herzog Gotthard zum Druck befoͤrdert, allein gewiß blos darum, weil einer ihrer poeti - ſchen Vorfahren ſich darinn ein Gedaͤchtnis geſtiftet hatte. Mein Vater wiederlegte meine Mutter nicht; allein er klopfte dem Herrn Jachnis auf die Schulter, und ſagte gut iſt gut beſſer iſt beſſer. Dieſes legten beide meine Mutter und Herr Jachnis fuͤr ſich zum Vor - theil aus, ſo daß ſich beyde durch ein freundli - ches Laͤcheln bei meinem Vater bedankten.

E 5Es72

Es lebte meine Mutter uͤberhaupt mit dem Herrn Amtmann im beſtaͤndigen Strei - te; obſchon ſie im Grunde gute Freunde wa - ren. Sie gab ihm an Staͤrke in der un - deutſchen Sprache nicht einen kleinen Finger breit nach; allein ſie ſahe dieſe Sprache aus dem nemlichen Standpunkt, wie ein Deut - ſcher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch ein Deutſcher war ſprach er zuweilen von A. B. C. und gleich brachte ihn meine Mut - ter in eine ſolche Enge, daß er nicht aus noch ein wußte. Erzen Er pflegte ſie ihm nachzuſpotten (denn das H. fehlet der letti - ſchen Sprache, ſo wie das C.) ſagt a. b. d. ſonſt wuͤrd man euch wegen Dieberei in An - ſpruch nehmen

Die Letten haben einen unuͤberwindlichen Hang zur Poeſie, und ob ich gleich gewis glaube dieſer Umſtand habe den poetiſchen Samen in meine Mutter ausgeſtreuet, wel - che ſchon in ihren Vorfahren mit dieſem Vol - ke zuſammen Fruͤchte eines Feldes gegeſſen und Waſſer eines Flußes getrunken; war ſie doch in dieſem Stuͤck unerkenntlich. Sie beſtritt indeſſen nicht, daß die lettiſche Spra - che ſchon halb Poeſie waͤre. Sie klingt ſagte ſie wie ein Tiſchgloͤckchen; die Deutſche aberwie73wie eine Kirchenglocke: Sie konnte nicht leugnen, daß die gemeinſten Letten, wenn ſie froh ſind, weiſſagen oder in Verſen reden, und wenn ſie das Gegentheil haͤtte behaup - ten wollen, wuͤrd Herr Jachnis mit den lie - ben Paſtorats Angehoͤrigen den Gegenbeweis gefuͤhret haben. Herr Jachnis und ſeine Untergebene ließen keine Erndte, keine Hoch - zeit, keine Leichenwache voruͤber wo nicht geweißaget wurde. Bei allen Talcken oder Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweis ihres Angeſichts herrlich nach Lettiſcher Art bewirthet wurden, bewieſen ſie, daß ſie poe - tiſchen Geiſtes Kinder waͤren. Meine Mut - ter fand dem Herrn Jachnis zum Haus - kreuz, an dieſer poetiſchen Blumenleſe, die ihr zugeeignet wurde beſtaͤndig etwas zu ruͤ - gen und wenn’s auch nur das J. und U. ge - weſen waͤre welches die Nothhelfer der Let - ten ſind, ſo offt’s an einer Sylbe gebricht.

Es ſind viele, welche behaupten, die Let - ten haͤtten noch Spuren von Heldenliedern, allein dieſen vielen widerſpricht mein Vater das Genie der Sprache, das Genie der Nation iſt ein Schaͤfergenie. Wenn ſie gekroͤnt werden ſollen iſts ein Heu oder hoͤchſtens ein Kornkranz, der ihnen zuſte - het.74 het. Ich glaube Helden gehoͤren in Nor - den zu Hauſe, wo man haͤrter iſt und faſt taͤglich wider das Clima kaͤmpfen muß; die Letten koͤnnten alſo hiezu Anlage haben, wo iſt aber ein Zug davon? Wuͤrden ſie wol ſeyn und bleiben was ſie ſind, wenn nur wenigſtens Boden zur Freiheit und zum Ruhm in ihnen waͤre. In Curland iſt Freiheit und Sclaverei zu Hauſe.

Mein Vater war eben kein großer letti - ſcher Sprachkuͤnſtler; wer aber eine Sprache in ihrer ganzen Laͤnge und Breite verſtehet kann uͤber alle Recht ſprechen. Er verſicher - te nie Fußſtapfen von Heldenliedern aufge - funden zu haben, wol aber Beweiſe, daß ſchon ihre weiteſten Vorfahren geſungen haͤt - ten: und wo iſt ein Volk fragt er das nicht geſungen hat? Er hatte (wie ers nanndte) eine Garbe zaͤrtlicher Liedlein geſammlet, wovon ich ſeine Ueberſezung beſitze, die ich vielleicht mittheilen kann: und wodurch dem undeutſchen Gpitz des Herrn Paſtors Jo - hann Wiſchmann kein Abbruch geſchehen ſoll. Wenn ich nicht dieſe Garbe in Haͤnden haͤt - te; wuͤrd ich doch vom Urteil meines Va - ters, der kein Curlaͤnder war, die Apellation einzulegen, anrathen. In dieſen Liederchenherrſcht75herrſcht baͤuriſch zaͤrtliche Natur und Etwas dem Volk eigenes. Die Ueberſezung iſt noch meines Vaters Manier.

Weil wir bei den Sprachen ſind muß ich noch bemerken, daß mein Vater nur blut - wenig hebraͤiſch; arabiſch und chaldaͤiſch u. ſ. w. aber gar nicht wußte. Er hatte ſich wegen des Hebraͤiſchen im Anfange vie - len Nachreden ausgeſetzt; Da er ſo ehrlich geweſen die Graͤntzen dieſer ſeiner Kenntniſſe nicht zu verbergen. Nach der zehnten Hauptverfolgung die mein Vater dieſerhalb in Curland erlitten, zog ein ſehr geſchickter Converſus (juͤdiſcher Chriſt oder getaufter Jude) unſre Straße und dieſer brachte mei - nem Vater das Juͤdiſchdeutſche in wenig Stunden bei. Er hatte den Einfall auf dieſe Art an einen ſeiner Herren Amtsbruͤder der uͤber ihn den groͤßten Stock gebrochen hatte zu ſchreiben, und da es dem guten Mann unmoͤglich fiel dieſe Schrift aufzuloͤſen kam mein Vater in einen ſo großen Ruf wegen der Grundſprache daß dieſer boͤſe Herr Amts - bruder mit dem großen Stock, meinen Va - ter fuͤr einen getauften Rabiner gehalten ha - ben wuͤrde, wenn meinem Vater damit ge - dient geweſen waͤre. Ob nun gleich dieſerCon -76Converſus meinen Vater wie einen Brand aus dem Feuer zog und meine Mutter die Aufmerkſamkeit bemerken konnte, die mein Vater fuͤr dieſen ſeinen Retter faßte; war ſie doch anfaͤnglich ſehr wenig mit dieſem Hieronymo a ſancta fide zufrieden. Sie pro - birte ſeinen Glauben taͤglich mit Schwein - fleiſch und da mein Vater ihr dieſe Methode verwies, andere Gerichte anordnete, und den ehrlichen Sprachmeiſter von dieſer Tor - tur und chriſtlichen Daumenſtoͤcken befreiete; war ſie der Geſinnung jenes Koͤnigs von Spanien welcher geſagt hat: drey Waſſer ver - duͤrben: das ſuͤße Waſſer im ſalzigen Meer: das Waſſer im Wein: das Taufwaſſer auf dem juͤdiſchen Kopfe. Das Waſſer im Wein? ſagte mein Vater mit der Erlaubnis Sr. Catholiſchen Majeſtaͤt. Der Wein im Waſ - ſer. Meine Mutter gab nicht ſogleich die Alianz mit dem Koͤnige von Spanien auf: indeſſen wurde am Ende alles beigelegt, und die liebe Frau ging fuͤr ihren Gaſt einen ſehr vortheilhaften Frieden ein. Sie fand ſogar ein ruͤhrendes Vorbild in dieſer Einigkeit von der Bekehrung der Juden vor dem juͤngſten Tage, welche der Converſus ſteif und feſt nach ſeiner Verſicherung glaubte, und woruͤberman -77mancherlei und manches geredet wurde. Meine Mutter war ſehr fuͤr ſchriftliche Auf - ſaͤze, mein Vater wie alle Leute ſeiner Art fuͤr’s muͤndliche. Die gute Frau war ent - ſchloſſen dem Converſo eine ſchriftlich abge - faßte Inſtrucktion mitzugeben, da er froͤlich ſeine Straſſe zog, indeſſen blieb es doch bei einer muͤndlichen.

Wanken Sie weder zur Rechten noch zur Linken. Wer beharret bis ans Ende der wird ſeelig, die Beſtaͤndigkeit ſey um Sie wie ein Kleid, das Sie anhaben, und wie Guͤrtel womit Sie ſich guͤrten. Wie ein friſches Hemde am ſchwulen Tage ſey Ihnen der Troſt des chriſtlichen Gewiſſens. Vater und Mutter haben Sie verlaſſen, aber der Herr hat ſie angenommen Sie werden nicht blos ein Grasbuͤrger ein Einwohner der Vorſtaͤdte in der Stadt Gottes ſeyn, ſon - dern mit Ehren und Schmuck werden Sie in die Hauptſtadt eingehen: Ihr Kern und Stern bleibe das Lied:

Keinen hat Gott verlaſſen ſezte ſie hinzu Sie ſind ihm dieſe Dankbarkeit ſchuldig.

Der Converſus hatte ihr erzaͤhlt, daß dies Lied fuͤr ihn der Wecker zur chriſtlichen Religion geweſen und ohne Zweifel war dieſeEr -78Erzaͤhlung der Eckſtein zur Aufſage des gu - ten Vernehmens mit Sr. Catholiſchen Maje - ſtaͤt. Sie gab ihrem Freunde den Haupt - ſchluͤſſel zu allen Verſen dieſes Leibliedes, aus welchen, wie ſie ſagte ſumma ſummarum Ca - tharina heraus kaͤme. Das Wort Acro - ſtichon mußte ihr mein Vater vorſchuͤßen; ſie hatt es nicht im Vermoͤgen: und da ſie ſelbſt Catharine hieß; ſo wird man deſto leichter einſehen warum Sr. Katholiſchen Majeſtaͤt nunmehro keine Bundesgenoßin mehr an meiner Mutter hatten.

Mein Vater wuͤnſchte ſchlechthin eine gluͤckliche Reiſe und gab ſeinem Sprachmei - ſter ſtatt des Schatzkaͤſtleins von Stoßſpruͤ - chen, einen Zehrpfennig. Eigentlich war’s in Hinſicht des mit ihm getroffenen Contrakts, ein Gottespfennig: denn er bat nicht zu ver - geſſen was er mit einer Handlobung ver - ſprochen haͤtte. Unfehlbar hat dieſer Con - trakt darinn beſtanden, gewiſſen Geiſtlichen in Curland keine Lektion zu geben oder we - nigſtens die ihm gegebene zuverſchweigen.

Das eintraͤglichſte bei dieſer Sache war, daß die benachbarte Cleriſey ihre Verfolgun - gen einſtelten und da zuvor das dritte Wort beſtaͤndig eins aus der Grundſprache warver -79verſtummten von Stund des juͤdiſch deutſchen Briefes an, die Orackel. Mein Vater hatte andere Urſachen ſeinen Herren Amtsbruͤdern kein Rappier anzubieten oder ſie kaͤmpflich zu gruͤßen, und wußte ſich ſo vorkreflich ohne die geringſte Unrichtigkeit ſich zu Schul - den kommen zu laſſen, bey Ehren zu erhal - ten, daß, ſo oft er jrgend einen Confrater zum Zuhoͤrer hatte, er den Grundtext tapfer citirte und oft zwei bis drei Verſe aushob. Wenn es gleich auf Treue und Glauben eines andern, wo nicht dritten geſchahe; und ſein Grundzeignis beſtaͤndig von Hoͤrenſagen war; ſo hatte er doch ſeine Leute viel zu gut kennen gelernt, und war bei dieſer Procla - mation kein Einſpruch zu fuͤrchten, ſo daß er ſich zulezt ganz dreiſt ein Beholzungsrecht, oder die Befugnis in des andern Wald Holz zu faͤllen zueignete. Die griechiſche Sprache, wovon die Herrn Amtsbruͤder nicht vielmehr als die beiden griechiſchen Freunde wußten, war nicht hinreichend meinem Vater Ruhe zu ſchaffen. Sie hielten es mit dem alten Te - ſtament, bis zur Ankunft des Converſus und nun war jeder furchtſam in meines Vaters Gegenwart an die heilge Schrift zu denken, und jeder wunderte ſich warum er mit ſeinerFhebraͤi -80hebraͤiſchen Sprachkenntnis ſo lange hinter dem Berge geblieben.

Perſonen

  • Mein Vater
  • Meine Mutter
  • Der Ritter Jachnis
  • Converſus puzt Licht
  • Der alte Herr
  • Minchen ſeine Tochter
  • Benjamin ſein Sohn.

Ich habe geſtern Abend meinen Leſern den Auftritt des alten Herrn und ſeines Ben - jamins verſprochen. Den alten Herrn habe ich nie in meinem Leben unter einem andern Namen, als des alten Herrn ken - nen gelernt. Wer mich alſo nach ſeinem Vor und Zunamen fraͤgt, erhaͤlt eine abſchlaͤ - gige Antwort. Seine Lebensgeſchichte kann von keinem beſondern Belang ſeyn indem ſein ganzes Weſen allem was man Belang heißen kann gerade zu entgegen war. Er ſelbſt behauptete von ſich ſo oft man’s ihm ſo nahe legte, daß es ihm an den Fingern branndte: er ſey ein Literatus. Meine Mut - ter die ſich nicht ſtark genug duͤnkte ihm dieſe Ehre abwendig zu machen; lies ihn zwarLitera -81Literatus ſeyn; indeſſen pflegte ſie ihn in Ruͤckſicht dieſer Wuͤrde eine geſchwaͤchte eine zu Fall gekommene Perſon zu heißen. Es ging die Rede, daß er das Schneiderhand - werk gelernt haͤtte, wenigſtens uͤbt er dieſes Handwerk aus und alle meine Schlafroͤcke und taͤgliche Kleider ſind durch ſeine gelehrte Hand gegangen. Was die Feyrkleider be - traf; konnten ſie freilich keinem Literato an - vertrauet werden, der Umſtand indeſſen daß er Schneider Arbeit verrichtete ſchien nicht hinreichend, das Gerede daß er ein Schnei - der waͤre außer allen Zweifel zu ſezen, denn er war im Grunde genommen ein Tau - ſendkuͤnſtler.

Er hatte ſich bey einigen Hochwohlge - bohrnen Herren zum Hofnarren zum Cam - merherrn zum Forſt und Jaͤgermeiſter brau - chen laſſen und nachdem er am Ende ein - ſahe, daß es beſſer ſey ein Schneider als ein Hofnarr zu ſeyn; zog er ſich in der beſten Ordnung zuruͤck, nahm ſeine lezten Kraͤfte der Hofkunſt zuſammen und war ſo gluͤck - lich ſeine Herren Principalen dahin zu uͤber - ſchwatzen, daß ihm Zeit Lebens ein ſtandes - maͤßiger das heißt ein hoͤchſt nothduͤrftiger Unterhalt angewieſen wurde. Die AltenF 2ſtarben82ſtarben und die Juͤngere ließen ihn im Be - ſitz, ohne den Canon von Witz einzufordern, den ſich ihre Anteceſſoren jaͤhrlich hatten be - zahlen laſſen. Es legte ſich der alte Herr auf den Unterricht der Kinder, ſtand mit den Paſtoren der Gegend in gutem Verneh - men, und verrichtete ſo gar einige heilige Handlungen wobey die Herren Geiſtlichen ſubſtituiren koͤnnen, zuweilen ruͤhrt er das Poſitiv, welches in einer unſern benachbarten Kirche ſtand. Dieſes aber mußte wenig - ſtens vierzehn Tage zuvor beſtelt werden, und denn war es doch nur ein Gaſtpraͤludium.

Er behauptete, daß man ſich auf ein Praͤludium eben ſo ſehr, als auf eine Pre - digt vorbereiten muͤße und wie der Klang der Worte wenn er mit der auszudruͤckenden Sache wie ohngefehr der erſte und zweite Diſkant harmonire, die Originalſubſtanz der Sprache bewieſe, ſo verriethe es einen groſ - ſen Muſicus wenn man das Evangelium ſo zu ſagen ins Praͤludium ſetzen und es ſo deut - lich in Noten ausdruͤcken koͤnnte daß wer das Praͤludium hoͤrt, auch zugleich das Evange - lium wiſſen muͤßte.

Hieruͤber wurden dem alten Herrn von meiner Mutter verſchiedene Einwendungengemacht;83gemacht; allein er hehauptete er haͤtte nur neulich: das Vater Abraham erbarme dich mein ſo natuͤrlich auszudruͤcken gewußt daß der ganzen Gemeine daruͤber Furcht und Schrecken angekommen waͤre; und da ihm meine Mutter das Evangelium von der Be - ſchneidung von den vier tauſend Mann und vom ſteinigten Acker entgegen ſetzte, und ihn befragte, wie er Waizen und Kornland fuͤnf Gerſtenbrodte und ein wenig Fiſchlein, in der Muſik ausdruͤcken koͤnnte; wollte er zwar im Anfange behaupten, daß alles dies in die Muſik zu uͤberſetzen waͤre; nachhero aber ſchaͤmte er ſich uͤber ſich ſelbſt. Sie warf ihm ſehr offt den ſteinigten Acker, die vier tauſend Mann, die fuͤnf Gerſtenbrodte und ein wenig Fiſchlein vor; obgleich ſie an die Beſchneidung, ich weiß nicht warum, weiter nicht dachte. Bey dieſer Gelegenheit kann ich nicht umhin zu bemercken, daß meine Mutter ſich vor der ſatyriſchen Ader des alten Herrn gar nicht fuͤrchtete; ſo furcht - bar ihn auch in der ganzen Gegend ſeine Ein - faͤlle gemacht hatten.

Eine Schneidernadel pflegte ſie zu ſagen wenn er einen Einfall wider ſie hatte; und wenn ſie ihn recht aͤrgern wolte, nandteF 3ſie84ſie ihn Tonkuͤnſtler, welchen Ausdruck er we - niger als alles leiden konnte; indem er ſich hiedurch zu einem Toͤpfer erniedrigt zu ſeyn duͤnkte, und ſich hiebei um ſo mehr getroffen fand als er dieſes[Handwerk] in den langen Abenden wie er verſicherte blos ſeine Au - gen zu ſchonen, die freilich durch Noten und Faͤden gelitten haben koͤnnen, trieb. Er ver - ſtand auch Etwas vom Schumachen; allein nicht das Mindeſte von der Poeſie. Meine Mutter pflegte daher von ihm zu ſagen: er haͤtte den kalten Brand. Es war ihm zur Gewohnheit geworden wenn er Etwas ſuchte, auf den Tiſch zu klopfen, welche Mode die Schneider haben wenn ſie die Scheere ſuchen, auch wackelt er beſtaͤndig mit dem Fuß wel - ches den Toͤpfern eigen ſeyn ſoll. Vom Schuſter hatt er das weite Aushohlen mit den Haͤnden: vom Spielmann aber einen taktmaͤßigen Schritt. Da er fuͤr die poeti - ſche Gelehrſamkeit meiner Mutter Reſpect hatte, unterſtand er ſich nicht, aus ſeinem alten Kramladen ihr zum Nachtheil eine wi - tzige Antwort herauszuſuchen. Er ſaß viel - mehr wenn ſie ihn boͤſe gemacht, ganz ſtill und wie meine Mutter ſagte ſo gerade als wenn er ſich balbiren ließ. Obgleich er alsOrga -85Organiſt welches in Curland ein ſeltener Vo - gel iſt, oder als Schullehrer ankommen koͤn - nen, ſo hatt er jedennoch alles verbeten, in - dem er glaubte daß er ſich hiebey aus den Au - gen ſetzen und zugleich allen Univerſitaͤten einen Brandmark geben wuͤrde.

Die Kinder, ſo er erzog nahm er nicht anders als bittweiſe an. Zwar that er ſehr unzufrieden, wenn er ſeine Zahl nicht voll - ſtaͤndig und ſeinen Lehrſaal nicht ganz beſezt hatte, inzwiſchen ſchien er nicht darum boͤſe, weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht wurden, ſondern weil er nicht gebeten war, ſein taͤglich Brodt zu verdienen.

Er brachte freilich ſeinen ihm vertrauten Kindern nicht viel bey, da er indeſſen mit, fuͤr koͤrperliche Uebungen war, konnt ihn mein Vater leiden, obgleich er mich ſeinem Unterrichte ſo wenig als meine Fey’rkleider ſeiner Nadel anvertraute.

Da der alte Herr uͤbrigens podagriſche Zufaͤlle hatte, welche nach meiner Mutter Meinung nur ein Edelmann und Literatus haben koͤnnte; da ferner der ehrliche Nico - laus Herrmann vom Zipperlein geplaget ge - weſen, welches aus dem lezten Vers des LiedesF 4 Wenn86 Wenn mein Stuͤndlein vorhanden iſt erhellet.

Wer iſt der uns das Liedlein ſang?
iſt alt und wohl betaget
diesmahl kommt er nicht aus der ſtatt
das Zipperlein ihn plaget
offt ſeufzt er und hat Gott im Sinn
Herr hohl den kranken Herrmann hin
Wo jezt Elias lebet.

Da auch noch ferner der alte kranke Herr - mann viele gute Chorale gemacht und ein be - waͤhrter Tonkuͤnſtler und Kantor geweſen; ſo beehrte meine Mutter zuweilen den alten Herrn mit dem Namen Nicolaus Hermann, obgleich ihm die Haupteigenſchaft des Nico - laus Herrmann fehlte und der alte Herr den kalten Brand hatte: Offt ſang ſie ihm Wer iſt der uns das Liedlein ſang vor, und ſo wie ſie es dem wuͤrklichen Ni - colaus Herrmann uͤbel nahm daß ihm nicht fuͤr diesmal kommt er nicht aus der ſtatt die Schulbank eingefallen, und er geſungen diesmahl kommt er nicht von der Bank als wodurch ohnehin der Reim ſang ſein beſcheiden Theil erhalten haͤtte; ſo empfahlſie87ſie dem alten Herrn auch anſtatt der lezten Reihe

Herr hohl den alten Herrmann hin
dort wo es ewig taget

Die Verbeſſerungsfreiheit nahm ſie ſich in - deſſen ſehr ſelten heraus: denn ſie war keine Liebhaberinn von Lieder-Aenderungen, und mochte nicht wie ſie ſagte den Safft und Krafft des Alten waͤſſern und entkraͤften.

Die Zuſchrift ſo der ehrliche Herrmann ſeinen Liedern vorgeſezt, parodirte meine Mutter auf den alten Herrn. Ich muß ſie herſetzen. Sie verdients. Die herrmannſche Dedication iſt nur in zwei Reihen geaͤndert

Ihr allerliebſte Kinderlein
ſeht das Choralbuͤchlein,
ſoll eu’r und keines andern ſeyn
Es iſt fein alber und fein ſchlecht,
drum iſt es fuͤr euch Kinder recht
alt und g’lehrt Leut beduͤrfen’s nicht
und die zuvor ſind wohl bericht.
Gott will durch der Seuglingen Mund
gepreiſet werden alle Stund,
drum o ihr Chriſten Kinderien!
durch euch will Gott gelobet ſeyn
So g’woͤhnt euch nun mit allem Fleiß
daß ihr Gott ſingt Lob Ehr und Preiß
und hebt bald in der Jugend an
was ich euch dazu dienen kann
F 5 das
88
das will ich thun bis in mein Grab
und weil ich geh’n kann an ein’m Stab
Ob ich gleich wenig bring davon
und Kinder Arbeit giebt Kinderlohn
ſo wird’s doch alles machen gleich
der liebe Gott im Himmelreich
dem ſagt all’zeit Lob Ehr und Preis
Niclas Herrmann der alte Greis.

Der alte Herr war indeſſen nicht der Herr C. F. wie er in den lettiſchen Geſangbuͤchern bezeichnet iſt, welches Chriſtoph Fuͤrecker heißt denn dieſer der Gottesgelahrtheit Befliſ - ſener war ein unbezweifelter Literatus und Poet der aus Liebe zu den lettiſchen Declina - tionen und Conjugationen wie ich unlaͤngſt geleſen, ein Maͤrtyrer ward, und eine wie - wohl bemittelte und freie lettiſche Bauer - wittwe (huͤbſch wird ſie ohne Zweifel auch ge - weſen ſeyn) heirathete um recht unter das Lettiſche zu kommen. Ihm hat die lettiſche Gramatick den Eckſtein, die Kirche aber, ſehr ſchoͤne Geſaͤnge zu danken. Ehre dem Ehre gebuͤhret ſagte der alte Herr! und ſo wenig ich es zugeben wuͤrde daß dem alten Herrn was abgienge, eben ſo wenig will ich auch meine Leſer bey einem Irrthum laſſen, der ſich ſehr leicht bey ihnen haͤtte zur Miethe anbieten koͤnnen.

Ehe89

Ehe ich vom alten Herrn zum jungen uͤbergehe noch ein Wort an den herzlich ge - liebten Leſer den wider mein Verſchulden der Gedanke befallen, daß die Charaktere in die - ſer Geſchichte ſo ziemlich uͤbereinſtimmend waͤren:

Da mein Vater ſein Vaterland und der alte Herr ſeinen Namen verſchwiegen

Da meine Mutter ſich eben ſowohl uͤber den Ritter Jachnis als den Cantor und reſpective Schneider Toͤpfer und Schuſter Nicolaus Herrmann genanndt, aufhielte; da

Allein hierauf dienet dem geneigten Leſer zur dienſtlichen Antwort, daß ich die Sache erzaͤhle, wie ſie war und nicht wie man ſie wuͤnſchen koͤnnte. Wenn ich einen Roman ſchriebe; waͤre es was anders Haben nicht ſo gar Voͤlkerſchaften gewiſſe aͤhnliche Zuͤge? und jede Stadt und jedes Dorf durch die ganze Welt halten untereinander wieder ihr Abzeichen. Wuͤrd es mir zuzuſchreiben ſeyn wenn die Unergruͤndlichkeit wirklich der Hauptcharakter unſers Kirchſpiels geweſen waͤre? und waͤre dieſes nicht um ſo begreifli - cher da mein Vater hiezu den Ton angebenkoͤn -90koͤnnen? wo hab ichs indeſſen je geſagt, daß der alte Herr ſeines Namens wegen in An - fechtung geweſen? oder daß er ihn verſchwie - gen? Iſt denn alter Herr zu heißen nicht eben ſo gut als Caſpar und Melchior? und iſts einerley lettiſche Verſe machen, welches in Curland was allgemeines iſt, und ein Po - ſitiv ſchlagen, welches ſelten vorkommt? Wenn ich ganz aufrichtig ſeyn ſoll; haſt du dich gewaltig geirret lieber Leſer denn du ken - neſt den alten Herrmann nicht weiter, als wo er von meiner Mutter uͤberfluͤgelt war. Dieſer Uebergrif entſcheidet nichts und was iſt’s am Ende fuͤr Kunſt Phyſionomien zu beurtheilen, wo der eine eine Habichts, und der andere eine Mopsuaſe hat wo der eine ein Verſchwender und der andre ein Har - pagon iſt. Sieh aber leibliche Bruͤder, ſieh Natur und Staatsbruͤder findſt du noch Bedenklichkeiten; biſt du ein Recenſent und da verlohnts nicht zu ſtreiten, daß du nur nicht hingegeben im verkehrten Sinn, zn ſchreiben was nicht taugt, mir, um dein vor - geſchriebenes Recenſionsmaaß voll zu machen, ein gegebenes Acrgernis andichteſt Ich verfluche jedes Wort das der Religion und ihrer Mutter der Tugend nachtheilig ſeynkoͤnn -91koͤnnte: allein ich glaube die Religion in der Kirche verſchließen und ſie nicht ins gemeine Leben bringen, heißt alle Waͤrme alle Empfin - dung des Herzens aus der Welt verbannen, und Tugend an einen Ort verlegen, wo denen die nicht Geiſtliche ſind weiter keine Handlung uͤbrig bleibt, als oͤffentlich in den Seckel zu legen, und kein andrer Verdienſt, als ſtill zu ſitzen. Ich wette die mich auf dieſe Art zeihen, vergeſſen, daß wir nur aus der Kir - che eine gluͤhende Kohle vom Altar heimhoh - len ſollen, um im gemeinen Leben Gott Opfer der Gerechtigkeit und der Menſchlichkeit zu bringen, die allein ein ſuͤßer Geruch vor dem Herrn ſind und werth geachtet in ſeinen Au - gen. Auch ſeine Heiligen ſind nicht rein vor ihm, und warum ſoll ich alſo meine Mutter anders darſtellen, als? Ich bin zu be - wegt als daß ich heute mehr koͤnnte als die Sonne untergehen, und wenn ich ins Bett mich lege, nach meiner Mutter Weiſe ein Licht ausbrennen ſehen geſchrieben an einem ſchoͤnen Abend den 17

Benjamin gefiel mir unter allen Jungen unſers Kirchſpiels am beſten und da ich voll -kom -92kommen entſchloſſen war aus ihm den Da - rius (den kleinen oder letzten) zu machen; ſo muß ich geſtehen daß ich viel Muͤhe be - fuͤrchtete, durchzukommen. Zum Gluͤck fiel mir die Trohnerhoͤhung eines ſeiner Vorfah - ren ein. Wie kann Benjamin, Darius werden ſagte das Heer? Hier ſind acht Jun - gen die gerade Beine haben, und außer dem, daß dem Herrn Benjamin (ſo nandten ſie ihn ſchon weil er Candidat des Throns war) das Bein nicht an der rechten Stelle ſitzt; hat er den Fehler daß er link iſt. Nehmt ſie - ben ſagt ich, nach Anzahl der ſieben Fuͤrſten, welche den Koͤnig Smerdin mit ſeinem An - hange ausrotteten und der, deſſen Pferd, wenn ihr beim Spital angeritten kommt am erſten bey dem Aufgange der Sonnen wiehern wird, ſey Darius. Gut ſagten die ſieben Candidaten zur koͤniglichen Wuͤrde; allein ſie wußten nicht, daß der koͤnigliche Candidat es ſo einrichten lies, wie es Darius des Hyſta - ſpis Sohn oder vielmehr deſſen Stallmeiſter einrichtete, und wie man es noch bis auf den heutigen Tag bei allen Wahlen man waͤhle einen Koͤnig, einen Landesdeputirten, einen Prieſter, einen Kuͤſter einrichtet. Es wird uͤbrall gewiehert. Kurz Benjamins Pferdwie -93wieherte zuerſt, und die Krone war ſein, da - mit ich ſie ihm durch’s Recht der Waffen, welches das beſonderſte Recht von allen iſt, nehmen koͤnnte. Er nahm die Gluͤckwuͤnſche an, und da ich bey dergleichen Dingen er - ſchrecklich gelehrt war; brachte ich noch ſo viel Umſtaͤnde aus der Geſchichte bei, daß ich nunmehr wiewohl zu ſpaͤt aus der Bewun - derung des Bolks einſahe wie ich um eines Darius wegen, eben kein Pferd haͤtte wie - hern laſſen, ſondern blos meine Zunge tapfer brauchen doͤrfen. Einen Alexander durften wir nicht ſuchen denn die heilige Taufe hatte mir dazu ein Recht gegeben (Das Gluͤck iſt nicht viel auseinander einen Freund oder einen Feind zu haben, der uns Ehre macht, und wenn ich alſo den Benjamin zu meinem Feinde anzunehmen kein Bedenken trage, was wolten denn die Jungen? Faſt ſchaͤme ich mich, da ich meinen Leſern ſo ſpaͤt eroͤfne, daß ich Alexander heiße. Um indeſſen dieſe Verſpaͤtung gut zu machen, will ich dabey bemerken, daß meine Mutter mit dieſem Na - men den Alexander Einhorn zwoten Su - perintendenten in Curland; mein Vater aber den wuͤrklichen Alexander oder den Alexander Magnus den Alexander gegen den alle andereAlexan -94Alexanders es nicht ſind, zu verſtehen ſchie - nen. Meine Mutter hielte ſo gar das Wort Einhorn fuͤr eine freie Ueberſezung des Na - mens Alexander, und rief mich dahero ſehr oft Einhoͤrnchen obgleich mein Vater nicht ſonderlich damit zufrieden war. Sie haͤtte um alles in der Welt willen nicht Olympias ſeyn wollen. Es war ihr ſehr unangenehm daß wir heidniſche Hiſtorien aufuͤhrten, da - hero ſie ſo bald ſie Krieg und Kriegesgeſchrei im Dorfe hoͤrte uns die Hiſtorie vom Joſeph in Vorſchlag brachte wozu ſie unter andern den Grund hernahm, weil ich einen bunten Rock hatte. Indeſſen beſtaͤrkte mein Vater meinen Entſchluß Alexander zu werden, und war dabey ſo zufrieden, daß ich den guten Mann als Feldprobſt haͤtte mitnehmen koͤn - nen wenn Alexander einen Feldprobſt gehabt haͤtte.

Zum Ariſtander war mein Vater nicht als ein chriſtlicher Geiſtliche zu brauchen; eine ſo wichtige geiſtliche Rolle auch Ariſtander zu ſeiner Zeit in der Geſchichte Alexanders ſpielte. Gelegenheiten machen Diebe, Gele - genheiten machen Helden: und es iſt nicht zu leugnen daß auch Alexander Gelegenheit gefunden. Ariſtander indeſſen, das wett ich,hat95hat eben ſo viel gethan als Alexander, ob gleich der erſte eigentlich nur ein Gelegen - heitsmacher war. Von der Auslegung des Traums des Philippus an, welchem vorkam, daß er den Leib ſeiner koͤniglichen Gemahlin Olympias mit einem Waapen worauf ein Loͤwe gegraben war verſiegelt, als welchen Traum Ariſtander auf einen Sohn der ein Loͤwe ſeyn wuͤrde, auspunctirte; bahnte er durch alle ſeine Auslegungen unerhoͤrte Wege. Es ging wie beym Religionskriege zu. Ariſtander gab dem Alexander, ſeinem Generalfeldmarſchall Bucephalus, und der ganzen Armee den Sporn. Die Auslegung als man ihm meldete daß eine Bildſaͤule des Orpheus geſchwitzt haͤtte, gefiel ſeinem chriſt - lichen Herrn Collegen meinem Bater ſehr uͤbel. Es ſolte dieſes nach des Ariſtanders Deutung anzeigen wie die Poeten bey der Alexandriade ſchwitzen wuͤrden daß dich ſagte mein Vater Ariſtander hat bei dieſer Auslegung ſelbſt geſchwitzt Ich kann es jezo zwar meinen Leſern, nicht ohne Lachen erzaͤhlen durch den Umſtand ſehr aufgefor - dert zu ſeyn Daß in der Nacht da ich gebohren, ein Back - haus durch einen Brand zerſtoͤrt worden;Gin96indeſſen brauchte mein Vater dieſen Vorfall ſehr zu meinem Vortheil. Es war das Ge - ruͤſte, auf das ich ſtieg um gut dazuzukom - men, die Leiter, mich ſo jung und klein ich war doch kuͤnſtlich groß zu machen. Der Vorfall diente ihm meine Lebenscarte zu illuminiren und es half mir dieſe Fiction bey Sprachen und bey Schlachten. Wenn gleich ich mir nicht einbilden konnte, daß die Diana nicht Zeit gehabt, das Backhaus in Protec - tion zu nehmen, da ſie bey meiner Mutter Hebammendienſte verrichtete; ſchiens mir doch was denckwuͤrdiges. Das Feuer vom Backofen war mir eine Leuchte auf manchem ſauren Vocabulnwege und nimmermehr wuͤrd ich dieſes alles ſo herzlich erzaͤhlet haben; wenn nicht bey tauſend Merkwuͤrdigkeiten die in der Welt geſchehen ein abgebrantes Backhaus der Entſtehungsgrund waͤre. Eine Art von Bucephalus Geſchichte veranſtaltete mein Vater da er einem Pferde dieſen Na - men verehrte, das wie alle andere Pferde war: das ſeines Schattens wegen nicht in Unordnung kam: und das eben nicht werth war im beſondern Verſtande von der Sonne beſchienen zu werden. Meinem Tempel der Diana indeſſen war der Gaul ſehr ange -meſſen97meſſen. Ich ſahe verſchiedenes was man beym Bucephalus ſahe; allein ich konnt es nicht aͤndern daß ich auch nicht verſchiedent - lich Etwas anders ſahe. Mein lieber Va - ter ſahe alles mit.

Was der Herr von Voltaire in ſeiner Geſchichte Alexander Magnus vom Bucepha - lus unter andern im ſechſten Buch und fuͤnf - ten Capitel ſagt, daß nemlich Alexander den - ſelben non eodem quo cæteras pecudes ani - mo æſtimabat das traf bey mir aufs genauſte ein; allein wenn ich ihn abrichten wolte, daß wenn ich aufſtieg er die Knie beugen und empfinden ſolte, wer ihn zu beſteigen ihm die Ehre erwieſe, war er doch zum Kniebeugen nicht gelehrig, und wenn ich die aufrichtige Wahrheit ſagen ſoll viel zu ſteif: wie ich denn auch blind ſeyn muͤſſen fals ich behaupten ſollen, daß ers empfunden, wenn ich oben war; wen er truͤge: wie Herr von Voltaire in dem ſchon angezogenen Roman vom Bu - cephalus des Alexanders berichtet & regem quum vellet aſcendere ſponte ſua genus ſub - mittens excipiebat, credebaturque ſentire, quem veheret.

Ueberhaupt war es ein ſehr alltaͤgliches Paſtoratspferd und darf ich’s alſo nicht bemer -G 2cken,98ken, daß mit der Reiterey bey meinen Feld - zuͤgen es nur ſehr ſchlecht beſtelt geweſen. Dies iſt ein unverloͤſchlicher Beweis, daß ich zu keinem Roman wo beſtaͤndig ein merck - wuͤrdiges Pferd noͤthig iſt wohl aber zur Geſchichte wo man mehr zu Fuße iſt, (wie’s am Tage und an mir erfuͤlt wird) Stof ab - geben koͤnne. Vor Talente war mein Bu - cephalus nicht gekauft; mein Vater konnt auch nicht ſagen, da ich ihn zum erſten mal unter meine Fuͤße gebracht, daß ſein Paſto - rat zu klein fuͤr mich waͤre: indeſſen hatte ich das Ungluͤck dieſes Pferd wiewol Alters wegen waͤhrend dem Kriege zu verlieren. Es ſtarb nicht den ruͤhmlichen den ſchoͤnen Tod fuͤrs Vaterland: indeſſen heißt der Ort wo es mit andern ſeines gleichen welche aber nicht den großen Namen Bucephalus gefuͤh - ret begraben iſt Bucephala bis auf den heu - tigen Tag. Das iſt alles was ich mich un - terſtehe in einer wahren Geſchichte von einem Pferde zu erzaͤhlen.

Der Gordianiſche Knoten war fuͤr mich ein wahrer Knoten, denn außerdem, daß ich zuweilen meiner Mutter, wegen meiner klei - nen Haͤnde beym Stricken wenn Etwas ver - knuͤpft war, kindliche Dienſte geleiſtet, warmir99mir kein gordianiſcher Knoten vorgekommen obgleich ich mich ſchon in dieſer Erwartung im Knotenloͤſen ſo geuͤbt hatte, daß mir ſo leicht nichts zu ſehr verknuͤpfet war. Ich hatte den Stolz den Knoten nicht ſymboliſch nicht witzig ſondern kuͤnſtlich loͤſen zu wollen. Da ich indeſſen eine geraume Zeit vergebens auf einen gordianiſchen Knoten gewartet hatte fuͤhrte mich die Knotenſucht auf das Geiſtiſche. Ich legte dieſen Umſtand in der Geſchichte des Alexanders ſo aus, wie man vieles auszulegen gewohnt iſt. Ich deutet es auf ſchwere Stellen in den Autoren die man durchaus witzig loͤſen muß. Mein Kopf war hiebey ſo fertig als meine Hand beym Strickzeug: und wie Alexander nach dem Berichte des oberwehnten Romanenſtel - lers ſagte: nihil intereſt quomodo ſoluatur; ſo konnte man auch was loco citato hinzu - gefuͤget wird von meinen meiſten kritiſchen Erzaͤhlungen ſagen oraculi ſortem vel cluſit vel implevit.

Es wuͤrde ferner eine Unwahrheit ſeyn wenn ich meinen Leſern erzaͤhlen ſolte daß ich meinen Vater beneidet und mit Thraͤnen bedauret, daß er mir keine Suͤnder zu bekeh - ren uͤbrig ließe.

G 3Mein100

Mein Vater legt auch nicht an, einen Alexander den Großen aus mir zu ziehen, ich ſolte nur Alexander werden.

Unter dem Orden Groß, ſagt er liegt was ſeelenverderbendes, es trage dieſen Or - den ein Monarch unterm oder uͤberm Kleide, oder ein Privatmann am Knopfloche. Huͤte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat.

Regenten die ſich ſo peinlich wie Alexan - der der Große bemuͤhen Groß zu heißen, leben nicht der lieben Unſterblichkeit wegen. Sie tragen Feſſeln, die ihnen die Dichter und Redner anlegen. Wenn es gleich das Anſehen hat als ob die Dichtkunſt und Ge - ſchichtskunde auch den Huldigungseid abge - leiſtet haͤtte; wiſſen ſie doch daß einer von dieſen Zuͤnften ſie bey einer Lampe in einer Stunde um eines ganzen Lebens Ruhm brin - gen koͤnne. Sie zittren vor einem Jeden, der Reime commandiren oder es war ein mal ein Mann ꝛc. ſchreiben kann.

Wie Alexander des Homers Schriften verehret, weiß jeder welcher weiß daß Ho - mer und Alexander in der Welt geweſen. Homers Schriften waren ſein Geſangbuch, das er auf Reiſen mitnahm, und da er ein guͤldenes Kaͤſtchen erbeutet, antwortet erdenen101denen die ihn fragten wozu? den Homer herein zu legen. Das war mehr als ſilberne Clauſuren.

Den Nachkommen des Pindars lies er Salvegarden anſchlagen und beehrte auf dieſe Art das Haus dieſes Dichters, und damit der Mahler Apelles ſelbſt das Aeußere Eines Alexanders nicht verunſtalten moͤchte; ſchenk - te Alexander, wie man erzehlet, ihm eine ſeiner vorzuͤglichſten Inclinationen. Des Mahlers wegen that er’s nicht. Der gute Apelles ſolte dieſe Schoͤnheit nackt in Forma probante vidimiren und konnte nicht der Liebe wiederſtehen. Alexander merkte dieſe Nei - gung, und befriedigte ſie.

Die Gewalt die ſich die Großen des Nach - ruhms wegen anthun die ſie zu Knechten ihres ganzen Lebens macht, iſt von der Hof - manier ungefehr wie ein Taͤnzer vom Fechter unterſchieden. Alles iſt ſolch eines Großen wegen da, bis auf den lieben Gott den er aber auch nur der Curialien halber in Ehren haͤlt. Thut er was Gutes; plaudert es nicht nur ſeine Rechte der Linken aus, ſon - dern es wird ausgetrummelt, als wenn man in einer Gluͤcksbude oder Lotterie was ge - wonnen hat. Bey ihrem Guts thun ſiehtsG 4ſo102ſo wie beym ſtolzen Geiz aus, der aus Noth gedrungen iſt, ein Mahl auszurichten. Es ſoll was ſeyn! ſagen die Leute. Ein großer Privatmann iſt noch unertraͤglicher. Riegelt die Thuͤren eurer Herzen zu wenn er ſich mel - den laͤßt, und laßt ihn hoͤchſtens ein Viſi - tenbladt einreichen: ich wolte mit ihm nicht unter einem Dache wohnen, wenn gleich er mir den rechten Fluͤgel ſeines Schloſſes auf - raͤumen wuͤrde. Lieber will ich beym Lott auf dem Boden ſchlafen. Jonathan Wild iſt noch der Leidlichſte unter Großen dieſer Art.

Warum war ich denn Alexander? Re - ſpondetur eben darum weil Eugen unterm Spiegel hieng und weil man bey meinem Vater zu Hauſe eher als in Curland Spargel ißt, in der freien Lufft eine Pfeiffe raucht, Wein brauet und lange Manſchetten traͤgt. Ich ſolte zwar nicht groß werden, allein ich ſolte auch nicht klein bleiben. Hier hatt er eine feine Diſtinction, die ich mir nicht ge - traue widerhohlen zu koͤnnen. Sie wuͤrde mir untern Haͤnden bleiben.

Mein Vater war wie ich ſchon meinen Leſern bey einer andern Gelegenheit reinen Wein aus ſeinem Geburtsorte wo man ihn bey der Quelle trinkt eingeſchenkt, ſehr fuͤrmann -103mannhafte tapfere Leute, mithin lag ihm der Soldatenſtand nicht aus dem Wege. Alles war bey ihm nach Soldatenart. Er hatte zum Exempel die Gewohnheit alle Jahre ſei - nen Buͤchervorrath den er Armee oder ſeine Macht nandte auszuſtaͤuben. Dies hieß in ſeiner Sprache ſie muſtern und Revuͤe halten. Alle acht Tage (nach rußiſcher Art) zogen zehn Buͤcher auf die Wache. Es war ein beſondrer Ort, wo ſie aufgeſtellet wurden. Seine Abſicht war dieſe zehn zu durchlaufen. Meine Mutter fand hiebey viel anſtoͤßiges weil auch geiſtliche Buͤcher ſich dieſen Kriegs - dienſt gefallen laſſen mußten. Vielleicht liegt der Umſtand den ich noch anfuͤhren will, nicht ſehr aus dem Wege.

Mein Vater mochte gern wilde Thiere zaͤhmen. Er ſagte zwar wir ſind auf die Art Menſchen geworden Gott weiß was aus ihnen wird indeſſen warf er hiebey einen Seitenblick auf den monarchiſchen Staat und den Soldatenſtand, wofuͤr er im Grunde des Herzens war.

Das ſind die Data die ich meinen Le - ſern in Hinſicht ſeines Entwurfs zu meiner kuͤnftigen Beſtimmung, bis hieher mit demG 5Man -104Mantel der Liebe und mit dem Pelz der Ver - ſchwiegenheit bedeckt habe.

Warum aber, wenn ich zu mir ſelbſt komme, dieſe Huͤllen? Meine Leſer werden, das weiß ich, von meiner Ehrlichkeit keinen boͤſen Gebrauch machen; da ſie nunmehr wiſſen was ich weiß.

Fuͤr einen Mann aber wie du lieber Va - ter! ein unerwarteter Plan! daß ich aus dem Stahl und Stein deines Feuerzeuges keinen einzigen Funken mehr herausſchlagen kann.

Zwar weiß ich, daß die Buͤrger zu viel Zeit brauchen Zeitungen zu leſen, um ſelbſt zu Zeitungen Gelegenheit zu geben, daß ſie zu weichlich ſind um ſich das Aug und den Ruͤcken frey zu halten: indeſſen lieber Vater ſieh an die Thiere von denen wir durch die Kunſt verdorbene Menſchen, leider die Na - tur abſehen muͤſſen, haben ſie einen Obriſten? einen Hauptmann? einen Lieutnant? einen Faͤhnrich? und außer dem Zank unter ſich, und mit andern Thieren iſt der Menſch ohne - hin ihr Tuͤrke ihr Erbfeind. Ein jedes Thier wehrt ſich ſeiner Haut, und wenn wir uns zuſammenarmen wir! die wir durch Boden und Sonne vereinigt ſind, um das naͤm -liche105liche zu thun, wuͤrden wir denn nicht ver - nuͤnftige Thiere ſeyn? Ein jeder waͤre Sol - dat und Buͤrger, jeder haͤtte Leib und Seel. Der Gelehrte wuͤrde abgehaͤrteter, der Soldat vernuͤnftiger ſeyn und allen waͤre geholfen.

Meine Leſer werden, das ſeh ich im Geiſt, die Koͤpfe ſchuͤtteln wenn ſie den dritten Theil meiner Geſchichte mit dieſer Stelle in einem Gliede marſchiren ſehen werden. Sie koͤn - nen mir indeſſen nicht verargen daß ich ihnen den Schluͤſſel vom fuͤnften Akt verhalte, denn warum ſolten ſie ein Feu’rwerk des Mittags um zwoͤlf Uhr zuſehen, das erſt um zwoͤlf Uhr in der Nacht abgebranndt werden ſoll?

Die Kriege wurden griechiſch gefuͤhrt die Reden reſpective lateiniſch und wegen des Ekels des Benjamin gegen dieſe Sprache, lettiſch gehalten. Recht wurde nach Leon - hart Fronſpergers Kaiſerlichen Kriegsrech - ten gepfleget. Rechne lieber Leſer! alles dieſes zuſammen, ſchwerlich iſt Summa Summa - rum; Soldat, wenigſtens bleibt der Zweifel was fuͤr ein miles? (Soldat) togatus oder ſagatus ein Soldat mit dem Haarzopfe oder mit der alonſchen Peruͤcke. Die Behauptung meines Vaters daß man aus den roͤmiſchen Geſetzen und was ihnen anhaͤnget lateiniſchund106und aus den alten deutſchen Geſetzen und ihren Verwandten deutſch lernen koͤnnte, ſtuͤtzt den gegebenen Zweifel; allein meines Vaters Bibel wird den Ausſchlag geben.

Mein Vater hatte alle Schriftſtellen wo von Soldaten geredet wird, gezeichnet. Im zweiten Buch der Maccabaͤer im dreyzehnten Capitel und funfzehnten Vers ſagt er, wird die Parole ausgegeben Und er lagerte ſich bey Modin und gab dieſe Worte ihnen zur Loſung; Gott giebt Sieg. Jezt ſagt er hat ſich die Parole, recht als ob ſie ihm ſelbſt war gegeben worden, von dieſer Art ſehr geaͤndert, indeſſen koͤnnte dieſe Manier im Kriege mit Nutzen gebraucht werden, um das ſinkende Rohr aufzurichten und das flim - mende Tocht anzufriſchen Von Feldge - ſchrey wird im Buche der Richter im ſieben - den Capittel vom achtzehnten bis zwanzigſten Verſe geredet: hier lag ein großes Zeichen: Wenn ich die Poſaune blaſe, und alle die mit mir ſind; ſo ſolt ihr auch die Poſaunen blaſen: ums ganze Heer, und ſprechen: hie Herr und Gideon. Alſo kam Gideon und hundert Mann mit ihm an den Ort des Heers, an die erſten Waͤchter die da verordnet waren und weckten ſie auf und blie -107 blieſen mit Poſaunen und zerſchlugen die Kruͤge in ihren Haͤnden. Alſo blieſen alle drey Haufen mit Poſaunen, und zerbrachen die Kruͤge. Sie hielten aber die Fackeln in ihrer linken Hand, und die Poſaunen in ihrer rechten Hand, daß ſie blieſen und rie - fen: hie Schwerd des Herrn und Gideon.

Es fand mein Vater im zweiten Buch der Chronick im dreyzehnten Capitel im vier - zehnten Vers ein Bataillon quarré Da ſich nun Juda umwandte, ſiehe, da war vorn und hinten Streit. Da ſchrien ſie zum Herrn und die Prieſter trommeteten mit Trommeten wie er denn auch mit dieſer Spruchſtelle be - wies daß die Prieſter ehemals Hautboiſten - dienſte verrichtet: dieſen Spruch fuͤhrte er beſtaͤndig an, wenn er vom geiſtlichen Prie - ſterthum redete und legte ihn von dem Muth aus, den ein Chriſt dem andern bei den Feld - zuͤgen und Scharmuͤtzeln dieſes Lebens zuzu - blaſen verbunden waͤre um ihn wenigſtens zu betaͤuben. Ueber die Werbung Handgeld und Muſterung hatte er im zweiten Buch der Chronick im fuͤnf und zwanzigſten Capittel den fuͤnften und ſechſten Vers gezeichnet. und108 und Amazia brachte zu Hauſe Juda, und ſtellete ſie nach der Vaͤter Haͤuſern, nach den Oberſten uͤber tauſend und uͤber hundert unter ganz Juda und Benjamin, und zaͤhlete ſie von zwanzig Jahren und druͤber, und fand ihrer drei[hundert] tau - ſend auserleſen die ins Heer ziehen mochten und Spieße und Schilde fuͤhren konnten. Dazu nahm er aus Iſrael hundert tauſend ſtarke Kriegsleute um hundert Centner Silbers

Jethro, ſagt er hat die erſten Patente als Oberſter und Capitain gegeben, und von ihm ſchreiben ſich die Herren Staabs und andre Officiere her, im zweiten Buche Mo - ſis im achtzehnten Capittel vom neunzehnten bis zum ſieben und zwanzigſten Vers heißt es alſo:

Aber gehorche meiner Stimme, ich will dir rathen und Gott wird mit dir ſeyn. Pflege du des Volks vor Gott, und bringe die Geſchaͤfte vor Gott; und ſtelle ihnen Rechte und Geſetze, daß du ſie lehreſt den Weg darinn ſie wandlen, und die Werke die ſie thun ſollen. Siehe dich aber um unter allem Volk nach redlichen Leuten, die Gott fuͤrchten, wahrhaftig, und dem Geiz,109 Geiz feind ſind, die ſetze uͤber ſie etliche uͤber tauſend uͤber hundert uͤber funfzig, und uͤber zehn; daß ſie das Volk allezeit richten. Wo aber eine große Sache iſt, daß ſie dieſelbe an dich bringen, und ſie alle geringe Sachen richten, ſo wird dirs leichter worden nnd ſie mit dir tragen. Wirſt du das thun, ſo kannſt du ausrichten was dir Gott gebeut; und alle dies Volk kann mit Frieden an ſeinen Ort kommen. Moſe ge - horchte ſeines Schwaͤhers Worte und that alles was er ſagte. Und er waͤhlete redliche Leute aus ganz Iſrael und machte ſie zu Haͤuptern uͤber das Volk, etliche uͤber tau - ſend uͤber hundert, uͤber funfzig und uͤber zehn. Daß ſie das Volk allezeit richteten, was aber ſchwere Sachen waͤren zu Moſe braͤchten, und die kleinen Sachen ſie rich - teten. Alſo ließ Moſe ſeinen Schwaͤher in ſein Land ziehen

Das Exerciren bewies er aus dem an - dern Buch der Koͤnige im fuͤnf und zwanzig - ſten Capittel im neunzehnten Vers

Und einen Kaͤmmerer aus der Stadt, der geſetzet war uͤber die Krieges Maͤnner, und Fuͤnf Maͤnner die ſtets vor dem Koͤnige waren, die in der Stadt funden wurden und Sopher den110 den Feldhauptmann, der das Volk im Lan - de Kriegen lehrte, und ſechzig Mann vom Volk auf dem Lande die in der Stadt fun - den wurden

Gerne haͤtt ihm meine Mutter dieſe Zei - chen insgeſammt wie Spreu in die Luft zer - ſtreuet; allen ſie ſchien dieſe Schriftſtellen ſelbſt als bewafnet anzuſehen,

und nun ſollen ſie ſo lange wie Fahnen in der Kirche haͤngen. Da liegt ſie vor mir dieſe vaͤterliche Bibel wo Stunde Tag und Jahr meiner Geburth von meinem Vater eingeſchrieben iſt. Sey mir geſeegnet goͤtt - liches Buch!

Bey meinem Namen ſteht eine ſchwere Geburt! der Name des Herren ſey gelobt! Feierlich bete ich Amen dazu! Theure Bibel jedes Zeichen in dir obs gleich eine Menſchen - ſazung iſt, bleibt mir doch unſchaͤzbar. Es enthaͤlt fuͤr mich einen Zug vom Bilde mei - nes Vaters der uͤberwunden hat. Laßt mich einen Augenblick, damit ich meine Haͤn - de zu den Bergen hebe, von welchem uns Huͤlfe kommt. Unſre Huͤlfe, kommt im Namen des Herrn der Himmel und Erde ge - macht hat!

Ich111

Ich finde Oerter mit einer ſolchen papier - nen Schildwache verſehen wo

  • vom Schwerdte
  • von Pfeilen
  • Bogen
  • Lanzen
  • Panier
  • Trompeten,

geredet wird wo ein Faͤhnlein wehet ein Gezelt im Lager ſteht Sold ausgetheilt wird und wo das Wort ausziehen, welches nach ſeiner Erinnerung marſchiren und nicht lau - fen bedeutet, gebraucht iſt.

Ferner liegen Zeichen bey den Worten: Kriege, Kriegsknechte,[Streiter,] Streit - genoſſen oder Kriegescammeraden[.]

Bey Liſt, Hinterhalt, Schlagen, Fech - ten, Streiten, Wagenburg, Sturm und Beute.

Beym Hauptmann zu Capernaum und bey drey Oberſten.

Ihr ſolt unverſehrt bleiben ihr! mir lie - ben Zeichen und ſo oft ich dich theure Epi - ſtel am ein und zwanzigſten Sonntage nachHTrini -112Trinitatis die erſchrecklich begriffen iſt im Haupt-Exemplar ſehe und ſonſt leſe und hoͤ - re, ſeh ich, und leſ und hoͤr ich meinen Vater.

Hierauf wollen meine chriſtlichen Leſer mit theilnehmender Herzensandacht verleſen hoͤren: die Epiſtel am ein und zwanzigſten Sonntage nach Trinitatis wie ſie beſchrie - ben ſtehet in der Epiſtel an die Epheſer im ſechſten Capittel und zehnten Vers und wie ſie in unſer Deutſchen Ueberſetzung lautet:

Zuletzt meine Bruͤder, ſeyd ſtark in dem Herrn, und in der Macht ſeiner Staͤr - ke. Ziehet an den Harniſch Gottes, daß ihr beſtehen koͤnnet gegen die liſtigen An - laͤufe des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleiſch und Blut zu kaͤmpfen ſondern mit Fuͤrſten und Gewaltigen, nehmlich mit den Herren der Welt, die in der Finſter - nis dieſer Welt herrſchen mit den boͤſen Gei - ſtern unter dem Himmel. Um des willen ſo ergreifet den Harniſch[Gottes], auf daß ihr, wenn das boͤſe Stuͤndlein kommt Wi - derſtand thun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten moͤget. So ſtehet nun umguͤrtet eure Lenden mit Wahrheit, und angezogen mit dem Krebs der Gerech - tig -113 tigkeit und an Beinen geſtiefelt als fertig zu treiben das Evangelium des Friedens damit ihr bereitet ſeyd. Vor allen Din - gen aber ergreifet den Schild des Glau - bens, mit welchem ihr ausloͤſchen koͤnnet alle feurige Pfeile des Boͤſewichts, und nehmet den Helm des Heils und das Schwerd des Geiſtes, welches iſt das Wort Gottes

Wenn ich mir die Seelenfreude vorſtelle mit welcher mein Vater uͤber dieſe Epiſtel predigte; empfind ich ein groß Stuͤck dieſer Seelenfreude. Meine Mutter ſagte zwar: heute geht er geſtiefelt und geſporet wie ein geiſtlicher Ritter auf die Kanzel Laß ihn liebe Mutter! den hochwuͤrdigen und ge - ſtrengen Herrn. Es iſt dein Mann! mein Va - ter! Wenn es gleich aus der heiligen Schrift ziemlich deutlich hervorgehet daß er fuͤr den Sol - datenſtand ſey, bin ich denn darum ſchon in Reih und Gliedern? Warte wenn ich bitten darf den dritten Theil meiner Geſchich - te ab und am Ende liebe Mutter! heißt es: Gebet dem Kayſer was des Kayſers und Gott was Gottes iſt? Sind wir nicht geiſt - liche Soldaten die ſich zum Himmel durch - ſchlagen muͤßen! die klugen Iſraeliten muß -H 2ten114ten mit dem Koͤnige vorn Willen nehmen, da die Pluralitaͤt einen begehrte. Gott gab allen einen Koͤnig. Sapienti ſat.

Clitus damit es meine Leſer nur ja wiſ - ſen iſt auch nicht in unſerm Kirchdorfe erſto - chen, vielmehr iſt er noch jetzo am Leben und ſitzt auf dem vaͤterlichen Acker, Er hat mir nicht das Leben gerettet auch iſt ſeine Schwe - ſter nicht meine Amme geweſen. Dies Trauerſpiel ward alſo als ein Luſtſpiel vor - geſtelt wie man es mit den meiſten Trauer - ſpielen machen kann. I nunc ad Philippum & Parmenionem & Attalum wurde nichtern geſagt und blieben daher die Bußtage aus, vielmehr wurd ein algemeines Gelaͤchter weil Clitus ſo friſch und geſund ſeiner Wege ging wie unſere Schauſpieler wenn ſie erſtochen erſchoſſen und mit Gift vergeben ſind. Se - neka, das faͤlt mir eben ein, haͤtte ſich die Todesart waͤhlen ſollen im Trauerſpiel am fuͤnften Ackt zu ſterben. Es waͤre ſeinem Leben und ſeinen Schriften angemeßner ge - weſen, und leichter muß es auch ſeyn, als wenn man ſich alle Adern oͤfnen laͤßt.

Die ſchoͤnen Redeuͤbungen doch nur von Alexanders Seite womit der beredte Curtius ſeine Leute ausſtafiret, konnt ich auf einHaar115Haar. Benjamin hielt alles was er hielt aus oben angezeigten wichtigen Gruͤnden in curſcher Sprache ich habe dem Q Curtius Rufus oben den chriſtlichen Namen Voltaire beigelegt, um dieſem lezten mit Ehren grau gewordenen Dichter und Geſchichtſchrei - ber Comoͤdien und Tragoͤdienſteller, den ich von Perſon kenne, vorzuͤglich wegen ſeiner Geſchichte bey dieſer Gelegenheit ein Com - pliment zu machen.

Dieſer große Mann traͤgts auch am Knopfloche und wenn er als Geſchichtſchrei - ber auftiſchen laͤßt fehlts an geſundem unver - faͤlſchten Wein. Gebacknis die Menge. Da heut eben ſein Geburtstag iſt hoffe ich von ihm wegen dieſes kleinen Andenkens Toleranz und von meinen Leſern Verzeihung!

Es iſt ſchon geſagt daß die Nuͤchternheit bey unſerm Alexanderſpiel beobachtet wurde, indeſſen tranken wir Waſſer aus dem Hut, wenns in der Rolle vorkam daß getruncken werden ſolte und der Hut ſtellte des Herku - les Becher ſehr gut vor. Ich konnte alſo nicht durch das Gift des Weins ums Leben kommen, ſondern lebte den Curtius einige - mal durch und durch.

H 3Ich116

Ich zog mit wenigen Jungen oder Pfef - ferkoͤrnern dem Benjamin Darius und ſei - nen Mohnſamen auf den Hals.

Wir lieferten alle Schlachten die Alexan - der geliefert hat.

Bey Ißus in Cilicien welches uͤber Feld lag verlohr Benjamin Darius eine Menge Volks und ich bekam ſeiner Frau Mutter Ma - jeſtaͤt ſeiner Frau Gemahlin Majeſtaͤt und ſeine Kinder Koͤnigliche Hoheiten zu Kriegs - gefangenen. Die Koͤnigliche Frau Mutter ſtelte auf Befehl meines Vaters unſere alte Koͤchin vor und meine Mutter ſagte kann ſie nicht lieber die Potiphar machen? Ben - jamins Schweſter war die aͤlteſte Princeßin Tochter und des Ritter Jachnis Frau und Toch - ter ſtelten die Koͤnigliche Frau Gemahlin und Tochter vor. Wegen des Prinzen waren wir nicht verlegen denn hiezu hatten wir viele Jun - gen im Dorf. Mit der Schlacht bey Arbola hatte die perſiſche Monarchie ein Ende.

Der Tod des Darius ward nicht vorge - ſtelt, weil Benjamin uͤber den Tod nicht ſpaßen wolte, und aus Todesangſt ſehr leicht untern Haͤnden bleiben koͤnnen. Es fehlte uns auch eine Kleinigkeit die guͤldene Ketten. Wenn wir alle Schlachten zum Ende warenfingen117fingen wir ſie von Anfang an, obgleich wenn wir an die Gefangennehmung der Koͤnigli - chen Familie kamen wegen der Koͤniglichen Frau Mutter der Verdruß unvermeidlich war. Meine Mutter beklagte ſich uͤber die Koͤchin, daß ſie wenigſtens drey Tage bey dieſer Koͤniglichen Gelegenheit den Gehor - ſam aufſagte und vorzuͤglich alles verſalze. Deſto beſſer ſagt ich, ſie macht ihrer Stelle Ehre. Die Frau Potiphar wuͤrde ſie beſſer machen antwortete ſie und ich brachte ihr das Salzfaß, gieng mit ihr in die Speiſe - kammer unterm Eyer Monument ein Stuͤck Schinken und die Koͤchin blieb die Koͤnigliche Frau Mutter

Die Jungen im Dorfe nannten dieſe fei - erliche Tage Talken allein ich brachte dieſen unheiligen Namen ab und pflanzte ſo viel griechiſch im ganzen Dorf daß derjenige welcher der lettiſchen Sprache die Ehre that ſie aus meiner Welt zu beurtheilen, die grie - chiſche Sprache fuͤr Mutter Schweſter, Toch - ter oder was weiß ich fuͤr was fuͤr eine nahe Blutsverwandtin von der lettiſchen halten mußte.

Die Koͤnigliche Gefangenen waren bey mir ſo gut als beym Alexander aufbewahret. H 4Ich118Ich war eben ſo wie Er juſtus hoſtis und miſericors victor. Die Koͤnigliche Frau Gemahlin wuͤrde auch ſchwerlich Jemanden wenn gleich er ſich nicht ſo gut als Alexan - der und ich beſeſſen in Verſuchung gefuͤhret haben da ſie bey den Blattern um ein koͤnig - liches Auge gekommen war.

Nach dieſer Anzeige darf ich auch nicht bemerken, daß die dreihundert ſechzig Pelli - ces (Kebsweiber) nicht angebracht werden konnten wie denn auch deshalb nicht zu be - haupten war Pellices CCC & LV. totidem quot Darii fuerant regiam implebant. Denn Benjamin wußte in dieſem Stuͤck eben ſo wenig wie ich was Gut oder Boͤſe ſey. Ich vermied mithin den Vorwurf des Lagers: daß ich mehr verlohren als gewonnen haͤtte, und daß obgleich ich den Darius uͤber - wunden, ich doch von ihm in dieſem Stuͤck waͤre uͤberwunden worden (ex Macedoniæ Impe - ratore Darii ſatrapem factum)

Bey dieſer Gelegenheit indeſſen und vor - zuͤglich weil Darius ſeine Gemahlin ſo ſehr, wie Hans ſeine Grete geliebt, ſahe ich ſeine und des Alexanders und des Koͤnigs Salomo Kebsweiber fuͤr Lexica an, die man um ein Wort nachzuſchlagen noͤthig hat.

Außer119

Außer den Soldat und Sprachabſichten hatte mein Vater auch eine moraliſche woran ihn ſein Prieſterkleid auch bey einer heidni - ſchen Geſchicht erinnerte. Es ward offt mit - ten in der Schlacht ein Porisma oder ein Comma gemacht womit ich aber meine Leſer nicht belaͤſtigen mir ſelbſt aber nicht in die Rede fallen will.

Die Geſchwindigkeit z. E. in der Aus - fuͤhrung iſt fuͤr jeden Alexander eine Haupt - eigenſchafft. Iſts moͤglich nimm Poſtpferde ſagt er wenn du thuſt allein denk erſt! Kannſt du Courirpferde haben deſto beſſer! Was geſchwind geſchieht vergeht geſchwinde, kann nur von Planen verſtanden werden, oder uͤber die ganze Regel wie uͤber viele ein Schwamm! Wer bald giebt, giebt doppelt, und wer ſchnell thut ahmt Gott nach, der ſprach und es ward.

Unter andern behauptet er auch daß Ariſtoteles durch den Alexander und Alexan - der durch den Ariſtoteles ſo groß geworden, als ſie’s wuͤrcklich waren. Mali corui malum ouum! Einer war ſtolz auf den andern: wie er denn auch der Meinung war, daß ſolche außerordentliche Leute wie Alexander, an dem nichts mittelmaͤßig als ſeine Geſtalt war,H 5und120und der unter den Großen der Fluͤgelmann iſt, nicht vierzig Jahr alt wuͤrden, und daß große Eigenſchaften auch große Laſter oder wenigſtens große Fehler zu ihren Waffen - traͤgern haͤtten.

Alexander ſagt er thaͤte alles der athe - nienſiſchen Aviſen wegen, allein er nehme mir nicht uͤbel daß ich ihm nicht beytreten kann. Er welcher die ganze Welt fuͤr eine Feſtung anſahe wo ihm nur verſtattet wor - den auf den Waͤllen herumzugehen ſolte des Wansbeckerboten wegen in Athen? Nein die ſpaͤtſte Nachwelt war ſein Ziel, un - ſer Dorf wo Er geſpielt wurde war ſeine Ausſicht, und warlich wir ſind nicht die er - ſten Kinder und werden auch nicht die letzten ſeyn, die den Alexander ſptelen. Dieſe Ge - ſchichte hat viel Unheil in der Welt angerich - tet vom Bruder Moͤrder Caracalla an bis auf den heutigen Tag, wird ſie ins Große und ins Kleine geſpielt: allein es geht leider! da - bey nicht ſo ruhig zu wie in und in un - ſerm Dorfe wo Gottlob! kein Blut vergoſ - ſen wird.

Und ich? warum vergieß ich Tint war - um ergreif ich die Feder? warum bin ich Alexander und Q. Curtius Rufus in einerPer -121Perſon? Das iſt ein gordianiſcher Knoten im ganz beſondern Sinn! Einer wird ſagen um in der gelobt oder, (wie ich vorlaut bin!) recenſirt zu werden, ein andrer um uͤber tauſend Jahr dem Jungen im Dorfe zum Marjonetten Spiel zu dienen, ein an - drer die Zeit wirds lehren.

Schon vor vierzehn Tagen ſagt ich uͤbermorgen! und legte alſo eine ſchriftliche Zuſage ab, an dieſem Uebermorgen meinen Leſern den Zeitpunkt zu beſtimmen, wenn mein Vater den zweiten Diskant ruͤhmlichſt mitzuſingen angefangen, um ſie in dieſem Stuͤck nicht laͤnger absque die et conſule zu laſſen. Ich haͤtte keine Stundung oder Ta - gung von noͤthen gehabt wenn nicht ein guter Freund der nach Gaſtrecht zu behandeln war dieſen Aufſchub veranlaſſet. Heut will ich meine Schuld abtragen wenn ich zuvor mei - nem guten Freunde eine gluͤckliche Reiſe ge - wuͤnſchet habe.

Damit ich alles ſignire wars in meinem vierzehnten Jahre da ich ohne Hofnung krank danieder lag. Mein Vater konnte nicht be - greifen wi’es zugieng. Bey einer ſolchen Bewegung an Leib und Seel ſagt er wo kommt das Uebel her?

Vom122

Vom betruͤbten Suͤndenfall half ihm meine Mutter aus, denn alles Boͤſe war bey ihr ahnenreich und vielſchildig.

Vom betruͤbten Suͤndenfall ſeufzte mein Vater und meine Mutter ſang aus vollen Seelen und Leibeskraͤften

Heut ſind wir friſch geſund und ſtark
ſieh morgen liegen wir im Sarg
heut bluͤh’n wir wie die Roſen roth
bald krank und todt,
iſt allenthalben Muͤh und Noth.

Mein Vater der dieſen Vers mit vieler An - dacht gehoͤret, doch aber noch nicht mitge - ſungen hatte verfolgte ſeine Zweifel. Seine Meinung um ſie zu filtriren, war, daß ein Menſch der der Natur getreu waͤre und ihrem Fingerzeig folge, denn es iſt Gottes Finger ſetzt er hinzu, daß ein ſolcher Menſch, der ſeiner Seele und ſeinem Koͤrper nicht zu viel nicht zu wenig thaͤte nicht krank werden und ehe er achtzig erreicht haͤtte und das Gewicht abgelaufen waͤre auch nicht ſterben koͤnne.

Allein die Thiere ſagte meine Mutter ſind krank ehe ihre Stunde ſchlaͤgt.

Thut alles nichts zur Sache, Haus - thiere ſind wie Menſchen am Hofe. Sie ſind verwoͤhnt. Wilde Thiere, das waͤre einEin -123Einwand, allein nur ein ſcheinbarer, denn der Menſch hat Verſtand.

Nur nicht in ſeiner Kindheit; ſelbſt wenn er aͤlter wird verdirbt er ſich den Magens

Dafuͤr hat ein Kind Vater und Mutter. Der Eltern Verſtand iſt der ſeinige. Iſt er erwachſen und uͤbertritt ſein beſcheiden Theil; triffts meine Regel nicht.

Aber wenn Vater und Mutter ſchon krank ſind ehe ſie ein Kind in dieſe Huͤtten Kedars ſetzen, ich ſag’s nicht, von uns beiden

Du haſt Recht. Gott lob! aber wir ſind friſch geſund und ſtark wie du geſungen haſt.

Indeſſen Etwas fehlt einem jeden und wenn er ein Geſicht wie ein Stettinerapfel haͤtte. Wir haben alle einen Schaden und der kommt von Adam her, du magſt ſagen was du willſt. Siehſt du wie ich durch die offene Thuͤr, beym betruͤbten Suͤnden - fall bin. Haſt du nicht ſelbſt geſagt, Thoren! ſie wollen das Fleiſcheſſen auf einmal abbringen! das Kind kommt ſchon mit Fleiſchhunger und Biſchofsdurſt auf die Welt. Allmaͤhlig und durch fuͤnf Ge - nera -124 nerationen (wars nicht ſo?) muß es erſt zur Natur reducirt werden Da ſiehſt du wie ich deine Proſe behalte. Ich hab noch in meinem Leben nicht ſo geiſtlich mit dir geſprochen wie jetzt. Gott Lob fuͤr die - ſen Tag!

Wenn du ſo den Fall Adams nimmſt haſt du Recht kann aber der liebe Junge nicht aufſtehen? Arbeit iſt die beſte Arzeney wider den Tod. Auch ein Kranker ſolte arbeiten wenns nur ſo viel iſt als er zu ſei - ner Bekoͤſtigung braucht. Das iſt wenig! die Natur hat ihm nicht mehr auferlegt als er ertragen kann. So allmaͤhlig als ein Kranker Appetit bekommt, faͤngt er auch an beſſer zu werden.

  • (Ich) Vater ich kann nicht mehr auf, kann auch nicht mehr eſſen (Mein Vater) Ar - mer Junge (geht ab)

ich wolte verſuchen aufzuſtehen.

(Meine Mutter) bleib bleib. Es iſt im - mer beſſer die Krankheit trift uns auf dem Bett als auf dem Felde. Davon weiß ich auch ein Lied zu ſingen! Gewiſſe Krank - heiten wollen wie vornehme Leute behandelt werden man muß ihnen entgegen ein Flußfieber nimmts ſo genau nicht.

Mein125

Mein Vater kam wider faßte mich an die Stirne und Haͤnde, und ich konnt an ſeinen Augen in Frackturſchrift leſen was er ſo bald er merkte, daß ich herein ſahe vor mir verbarg

So ſehr mein lieber Vater wieder die Aerzte war die er wie die Beichtvaͤter und Gewiſſensraͤthe fuͤr Etwas hielte was uns und unſern Gott und die Natur ſein Werk von einander ſchiede; ſo gab er doch dem Verlangen meiner Mutter nach, die ſich ihr Votum nicht nehmen ließ.

Offt hab ich ihn ſagen gehoͤrt ohne Arzt ſtirbt man leicht und ſchnell. Mit einem Arzt ſtirbt man taͤglich. Wer bis in ſeinen letzten Augenblick lebt, wer beharret bis ans Ende ſtirbt nicht er wird lebendig gen Himmel geholt und dies alles kann man nur ohne Arzt. Dies und noch mehr ſagt er ſehr oft, allein jezt blieben dieſe ſchoͤnen Spruͤ - che weg, er ſchrieb an den Docktor Saft, der ſechs Meilen von meinem Puls entfernt war, und macht ein Geſicht als ein Refe - rent, der von ſeiner Meinung durch die Mehrheit abgeſtimmt iſt.

Die Antwort des Docktor Saft traf ihm das Herz. Er war nicht mehr. Er beſtaͤ -tigte126tigte mit ſeinem Beiſpiel daß uns die Aerzte feig machen: indem ſie Gefahren aufdecken die vor uns verborgen ſind.

Meine Mutter hingegen war ſo ſanft wie ein Lied. Er nahm ſie an der Hand zeigte ihr den ſaftiſchen Brief, und ſie ohne Schrei ohne Ach ſtimmte an, ihre Augen gen Himmel.

Da wird uns der Tod nicht ſcheiden
der uns jezt geſchieden hat
Gott der Herr wird ſelbſt uns weiden
und erfreun in feiner Stadt
Ewig ewig fuͤr und fuͤr
Ewig ewig werden wir
mit einander jubiliren
und ein engliſch Leben fuͤhren

Noch ſang mein Vater nicht mit. Seine Seele war verſuncken in Schmerz. Meine Hofnung ſagt er, die der Herr bey meinem ſtummen Gram mir in einem fremden Lande aufgehn lies. Ein Nachtfroſt und ſiehe da

Er hat große Hitze ſagte meine Mutter

Guͤtiger Gott laß ihn mir laß ihn einem Ungluͤcklichen, der fuͤr ſich lange die Wuͤn - ſche aufgegeben zu dem Staube ſeiner Vaͤter verſammlet zu werden

Herr127

Herr Superintendent Alexander Ein - horn fiel meine Mutter ein liegt in Cur - land begraben O mein Sohn ſagte mein Vater und meine Mutter er hat die Kirchenord - nung im Jahr ein tauſend fuͤnf hundert und ſiebenzig verfertiget. O mein Sohn ſagte mein Vater und nach ihm blieb die Superintendenten Stelle vierzehn Jahre unbeſetzt

O mein Sohn beſchloß mein Vater der ſich in ſeinem Gebete nicht haͤtte ſtoͤren laſſen wenns eingeſchlagen haͤtte. O mein Sohn mein Sohn wolte Gott ich koͤnnte fuͤr dich ſterben Hierauf ſagte meine Mutter kein Wort

Ich ſahe bey dieſer Gelegenheit was ich offt geſehen daß das ſchlecht und rechte Chri - ſtenthum eine edle Gleichguͤltigkeit einen ge - wiſſen Liederton im Leben wuͤrckt, der uns bey allem in der Welt und waͤrs auch ein Alexander Verluſt, Ruhe ins Herz wehet. Sein Vater ſchlug wie Petrus mit dem Schwerdt drein. Seine Religion war ein hoͤheres Halleluja, welches aber fuͤr dieJVollen -128Vollendeten gehoͤrt, und das fuͤr die Zeitlich - keit nicht zu ſeyn ſcheint. Bald ſind wir zwar wenn wir uns in dieſem hoͤhern Chor befinden entzuͤckt bis in den dritten Himmel; bald aber ſchreien wir: Herr hilf uns, wir verderben.

Lange ſtand mein Vater mit gelaͤhmter Seele, allein meine Mutter brach dieſen Seelenſchlaf durch einen freundlichen guten Morgen.

Eins ſagte ſie lieber Mann bedaur ich

Ich mehr als eins ſagte mein Vater, und was iſt dieſes Eine mein Kind! fuhr er mit einer bedeutenden Miene fort.

Meine Mutter nahm ihn (ohn ihm zu antworten) bey der Hand und druͤckt ihm ein widerholtes liebliches Was denn? heraus. daß ich ihn nicht predigen gehoͤret Mein Vater ſeufzte laut ohne ein Wort zu ſagen

Nach ihrer Meinung haͤtte mir eine Pre - digt einen gewiſſen Rang im Himmel zuthei - len muͤßen. Ob ich nun gleich nicht die Kanzel beſtiegen, ſo verſicherte mich jeden - noch meine Mutter, da mein Vater mit gekreuzten Haͤnden heraus gegangen war,daß129daß ſie mir ebenfalls ein Monument in der Speiſekammer errichten wuͤrde. Der alte Herr ſagte ſie, ſoll deinen Namen in Mitau zum Druck befoͤrdern, und da du von deinem lieben Vetter eine ſchreckliche Aehnlichkeit haſt; iſt euch beiden geholfen.

Von den ſechs Naͤgeln vor einen Vier - ding ſind noch zwey uͤbrig. Verlaß dich auf deine Mutter!

Dieſer an ſich unbetraͤchtliche Umſtand von den zwey uͤbrig gebliebenen Naͤgeln fiel mir ſo auf, daß ich von dieſer Minute an, den letzten Reſt meiner Hofnungen einbuͤßte und meinen ungezweifelten Tod in den zwey Naͤgeln ſah. Waͤren wol zwey Naͤgel uͤbrig geblieben wenn es nicht darum geweſen waͤre deine Grabſchrift zu befeſtigen dacht ich, und warum wuͤrden wol ſechs Naͤgel fuͤr einen Vierding zu haben ſeyn, wenn ich nicht dies - mal ſterben ſolte? ich war kein Alexander mehr, und ich fuͤhlt es, daß die Medicin mit der Einbildungskraft ſtritte und dieſe lez - tere uͤberwand. Es ſchlug nichts an.

Wenn er nur ein einziges mal gepredi - get haͤtte wiederhohlte meine Mutter, und mein Vater der bey dergleichen Irrthuͤmern ſonſt ein ſehr heftiger Widerleger war thatJ 2nichts130nichts weiter als ſeufzen. Eine totale Son - nenfinſternis lag auf ſeiner Seele, ſein Herz konnte nicht ins Geleiſe gebracht werden. So vergiengen drey bis vier Tage. Werd ich ſterben fragt ich! Gott kann dir helfen ſagt er, und meine Mutter wie Gott will, und beide Amen.

Nach einer Weile zog ich meine Mutter feſt an mich ey die zweene Naͤgel? Sie glaͤnzten mir ſo ſchrecklich als die Cometen dem gemeinen Mann. Wie verſtelt die Ver - zagtheit die Mutter der Hypochondrie, die Geberden eines jeden Dings?

Meine Mutter ohne die Frage in ihrem Umfange zu denken antwortete. Sie ſol - len dein!

Ach! war meine Antwort und, hilft dir Gott fuhr ſie fort haͤng ich deine Lieblingswuͤrſte dran

Die ſagt ich, Liebe, die ich konnte ſie vor Freuden nicht beſtimmen

Eben die erwiederte ſie

Das war Medicin. Ich ſammelte mich. Die Cometen verlohren ihren Schein! Ich ſah anſtatt meines Namens im Druck zwo kleine Wuͤrſte. Ich bekam Appetit undhaͤtte131haͤtte gewiß alle beide aus freyer Fauſt aufge - geſſen, wenn nicht alsdenn die beiden Naͤgel wieder vacant geworden waͤren. Ich ſchlief die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch ganz verfinſtert geweſen waͤre, wuͤrd er aus meinen Augen eben ſo viel geleſen haben, als ich zuvor aus den Seinigen las.

Ehe noch das Fatale interponendæ und introducendæ abgelaufen und mein Leben oder Tod res judicata eine rechtskraͤftige Sache war, bekam mein Vater einen Brief fuͤr den er viel Poſtgeld bezahlen mußte, und dieſer Brief brachte ihm den zweiten Diſkant mit, den meine Leſer ihn ſogleich ſingen hoͤren werden.

Er las dieſen Brief, las ihn wieder und da er ihn zum dritten mal anfieng rief er mit wehmuͤthiger Stimme. Licht! Es iſt aus! Gott ſchrie ich: aus! und meine Mut - ter: aus!

Wenn er lieber auf die Wuͤrme curirt haͤtte? fragte meine Mutter meinen Vater, nicht wahr? lieber auf die Wuͤrme?

Es iſt aus, ſagte mein Vater. Der Staͤrkſte in ſeiner Kunſt iſt Saft nicht fuhr meine Mutter fort. Ich wett er iſt da Docktor worden wo der alte Herr Litteratus geweſen iſt. Gottes Wege ſind nicht unſreJ 3Wege!132Wege! ſagte mein Vater. Im fuͤnf und vierzigſten Jahre ſeines Alters im Herrn entſchlafen? wer fiel meine Mutter ein! Docktor Saft? iſt er todt, der geſchickte Mann! Curland verliert viel an ihm

  • Mein Vater. Die lezte Stuͤtze des Hauſes!
  • Meine Mutter. Er hat noch einen Bruder!
  • Mein Vater. Licht! Licht! Licht! Licht!
  • Meine Mutter. Wie todt! am Schlagflus
  • Mein Vater. Alles todt alles todt.
  • Meine Mutter. Mit Weib und Kind
  • Mein Vater. Licht! Licht!
  • Man brachte ein Licht

Noch eins! ſagt er und nachdem er bei - de Lichte (es war heller Tag) hingeſtellet hatte, nahm er eine handvoll Papier, die ſich mit dem neuen Briefe vor den er eben viel Poſt - geld bezahlet hatte begruͤßten, und nachdem er dieſe Papiere allzuſammen gen Himmel gehalten ſagt er, wie du willſt unbegreifli - cher Gott!

Er ſteckt an und noch hoͤr ich die weh - muͤthige Stimme! Wir ſind Staub und unſ - re Hofnungen Staub und alles Staub: hier verbrandt er ſich die Finger, indem er daseine133eine Papier nicht zeitig genug fallen laßen. Heilige Aſche dieſe Thraͤne ſey Weihwaſſer fuͤr dich. Mit dir geweiheter Staub! will ich den Sarg meines Sohnes begruͤßen. Du biſt Erde und ſolſt zur Erde werden.

Cleopatra die eine Perle auftrank ſagt er nach einer Weile, hat nicht mehr verzeh - ret, als ich heute, und kein Lucius Plaucius hat die andere Perle gerettet.

Die Naͤgel fingen wieder an zu blinken ich ſahe meinen Tod vor Augen, und em - pfand wie es einem jungen Menſchen von vierzehn Jahren zu Muth iſt wenn er ſter - ben ſoll.

Freilich haͤtte mir einfallen koͤnnen, daß ein Brief vom Docktor Saft und ſo viel Poſtgeld nicht im Verhaͤltnis waͤren, doch fiel es meiner Mutter ſo wenig wie mir ein.

Mein Vater zog mit dem Docktor Saft uͤber mein Leben ſchriftlich Schach! Mein Vater ſchrieb ihm ſeinen Zug der Docktor den ſeinen: und die Verwirrung die mein Vater durch das Wort aus welches ein ſchreckliches Wort iſt, und durch die zwei Lichte am hel - len Tage welche zum Wort aus eben ſo ſchrecklich abſtechen, erregt hatte; brachten meine Mutter und mich auf den Gedanken,J 4Docktor134Docktor Saft haͤtte Schach Matt geſagt. Das Feu’r iſt ein vernichtendes Element! Noch ſchaudert mir die Haut da ich dieſe Papiere brennen und in Aſche ohne Leben und Beſtand und Safft verwandeln ſehe: ſolch einen Eindruck machte dieſes Feu’r auf mich! Ich wuͤrde meinen Leib um alles nicht verbrennen laßen, und viele meine Leſer welche bedencken daß die Verweſung zugleich eine Geburt ſey, werden mir beytreten.

Die Art wie mein Vater anfaͤnglich die Sache betrieb, lies mich vermuthen Docktor Saft haͤtte unbedachtſam gezogen, und was mich noch freut iſt dies daß ich dem Docktor Saft nicht fluchte.

Gott verzeihe ihm ſagt ich und meine Mutter ſetzte hinzu aus Barmherzigkeit und nachdem wir beide meine Mutter und ich aus den abgebrochenen Reden einen an - dern Schluß zogen, Docktor Saft waͤre nemlich vorausgegangen, wuͤnſchten wir ihm beide aus gutem Herzen eine gluͤckliche Reiſe; ich will ihm abbitten ſagt ich wenn ich ihn im Himmel ſehe, daß ich ihn unrecht ver - dacht habe. Nach volbrachtem Opfer ſah ich eine Thraͤne nach der andern die Wangenmeines135meines Vaters herabfließen und die Papier - aſche die ſonſt verflogen waͤre anleimen.

Es ſey nun das weinende Auge meines Vaters oder das unrichtig vermuthete Schach - matt des Docktors oder ſein ſelbſt eigener toͤdtlicher Hintritt die Urſache die meine Mutter zum Singen brachte, ſie fing an:

Gott eilet mit den Seinen

und bey der zweiten Strophe fiel mein Vater im zweiten Diſkant ein, (zum erſtenmal hoͤ - ren ihn alſo meine Leſer mitſingen)

Laͤßt ſie nicht lange weinen
in dieſem Jammerthal

Wenn ich jetzo die Sache uͤberlege ſind ich, daß ich eigentlich damals nur einen Sterben - den vorſtelte! ich ſtarb ſchoͤn, ich ſtarb poetiſch. Denn mein Koͤrper hatte ſich von den zwey kleinen Wuͤrſten erhohlt. Mein Herz war aber aller der Vorgaͤnge wegen im fuͤnften Ackt des Trauerſpiels. Ich war be - wegt ich ſahe alles mit mir ſterben, bis auf die Lichtputzerin zu weinte alles (ich weiß nicht ob es die Koͤnigliche Frau Mutter oder ein andres Geſchoͤpf war)

Eine Bitte hab ich an Vater und Mut - ter fing ich nach einer langen Stille an.

J 5Meine136

Meine Mutter die ohnfehlbar ſich vor - ſtelte daß es wegen des Monuments in der Speiſekammer waͤre fragte leiſe an beide ? Ja liebe Mutter und gleich lieber Vater ſagt ich laut. Sprich ſagten ſie beide. Verlaſ - ſet hier weint ich zaͤrtlich Minchen des alten Herrn Tochter nicht. Gut ſagte mein Vater warum? fiel meine Mutter ein? weil ich ſterbe und mich ihrer in dieſer Welt nicht annehmen kann liebe Mutter. Schade daß ich es nicht kann! Wie ich Alexander und ſie die Tochter des Darius war dencke nicht mehr daran ſagte meine Mutter, wolte Gott du waͤreſt Joſeph und die alte Babbe (Barbara) Potiphars Weib geweſen hab ich gefunden daß ſie verdiente Koͤniginn zu ſeyn. Ich hab ihr nie geſagt daß ich ihret - wegen des Amtmanns Chriſtoph zwei Finger gelaͤhmt Gott ſtaͤrk ſie wenn es dem Chriſtoph nuͤtzlich und ſeelig iſt. Ich meine ſeine beide Finger. Chriſtoph behauptete Minchen ſey verwachſen das iſt ſie nicht ſagt ſelbſt liebe Eltern? Das iſt ſie nicht verſicher - ten beide und ich fuͤgte noch einmal hinzu das iſt ſie nicht. Nach meinem Tode fuhr ich fort entdeck ihr liebe Mutter meinen Streit mit Chriſtoph und daß ich ihr gut geweſen bis inden137den Tod, denn ich moͤchte gern daß ſie mich nicht vergaͤße und mir auch gut waͤre bis in den Tod. Meinen Benjamin gruͤßt von mir auch den Chriſtoph. Die Sonne gieng nicht unter waͤhrend unſerm Zorn. Gruͤßt das ganze Heer! Nicht wahr mein Vater jetzt kann kein andrer als Benjamin im Dorfe Alexander werden (Joſeph wilſt du ſa - gen ſagte meine Mutter und druͤckte mir die Hand)

Alexander erwiedert ich will ich ſagen. Meine Mutter ſahe meinen Vater an, mein Vater ſah auf die Erde. Benjamin fuhr ich fort hat zwar die rechte Hand nicht in ſeiner Gewalt, allein ſonſt iſt’s ein guter Junge. Ehrlich und treu wie der Wieder - hall. Das Bein verwaͤchſt ſich vortreflich, und fallen gleich die lateiniſche Reden weg; im Lettiſchen iſt er Alexander. Minchen, Benjamin und ich waren Caſtor Pollux und Helena. Ein Drittel dieſes Dreiblats welkt Gott ſegne die Zuruͤckgebliebenen mit dem Thau ſeiner Gnade. Wenn Minchen hei - rathet ich moͤcht es nicht gerne, wenn aber ſehet zu liebe Eltern, daß ſie einem ehrlichen Kerl ihre Hand giebt und nun und nun hier ſtockt ich lebt wohl meine theure liebe,guͤtige138guͤtige Eltern lebt wohl! lebt wohl! Hier nahm ich alle ihre Haͤnde zuſammen und kuͤßte ſie und ſagte: Gott vergelt euch alles Gute. Dir liebe Mutter das Geraͤucherte unterm Kupferſtich. Seyd Minchen und Benjamin gut liebe Eltern und wenn es ſeyn kann laßt mich hinter der Kirche an dem gro - ßen ſchwarzen Kreutze begraben wo mein lieb - ſtes Lager war. Lieber Vater du weißt den Platz ſo gut wie ich. Minchen wird, das weiß ich, ſich gern auch da begraben laſſen wenn anders ihr Mann es zugiebt, und auch ihr meine liebe Eltern wenn ihr ſo guͤtig ſeyn woltet ruhet zuſammen mit mir bis an den Morgen des juͤngſten Tages Dann geh ich mit Minchen wie ein Braͤutigam mit ſei - ner Braut aus der Schlafkammer. Eine lange Brautnacht Mein Herz bebt vor dem Wort lange zuruͤck! Gott ſchenck uns allen eine angenehme Ruhe Wir weinten alle. Die Thraͤnen meiner Mutter floſſen ſanft, ſo ſanft als ein warmer Mairegen. Mein Vater war heftig. Stirb ſagt er im Namen Gottes der Himmel und Erde ge - macht hat, und meine Mutter: Amen, und ich: Gott mit euch in alle Ewigkeit und wir alle drey zuſammen Amen! Amen!

Nach139

Nach einer kleinen Weile fragte mich mein Vater ob ich noch Minchen oder Ben - jamin, oder beyde zuſammen ſehen wolte Minchen? ſagt ich heiter Minchen! Nein Minchen nicht lieber Vater, ſie wuͤrde ſich zu ſehr graͤmen wenn ſie ihren Gemahl Alexan - der ſterben ſehen ſolte. Sie hat mich blos als Ueberwinder geſehen. Benjamin? auch nicht er wuͤrd’s ihr vorwimmern was er geſe - hen gehoͤrt und empfunden hat, Benjamin iſt ein guter Junge nicht wahr lieber Vater? Er muß Alexander werden? Lang genug iſt er Darius geweſen und in Wahrheit es iſt nicht viel Darius zu ſeyn. Er und ich waren gute Feinde zuſammen eine Seel in zween Leibern

Dieſes alles brachte mich auf ein Codicill. Ich aͤnderte mein Teſtament und bat meine El - tern Minchen nichts auch nichts vom Chriſtoph auch nichts vom großen Kreutz zu eroͤfnen, we - nigſtens die Publication des Teſtaments noch viele Jahre auszuſetzen. Meine Mutter die mit der Anfrage meines Vaters die zween Lieblinge meines Herzens noch in dieſer Welt zu gruͤßen unzufrieden geworden freute ſich, daß alles ſo vortreflich beigelegt und der vorige Druck - fehler verbeſſert war. Er iſt ſchon ein Engelſagte140ſagte ſie und es war voͤllig klar in ihrem Ge - ſichte! werden wird ers ſagte mein Vater. Bey ihm ſah es noch ſehr finſter aus. Der Platzregen hatte aufgehoͤrt allein eine Gewit - terwolke hielt ihn zuruͤck, und man hoͤrte von ferne ein Donnerwetter murmeln. Ich bin ruhig ſagt er, und das iſt immer der groͤßte Beweis, daß mann’s nicht iſt. Nichts iſt ſo leicht anzuſehen als Ruhe: Ein Hof - mann ſelbſt koͤnnte ſie nicht verbergen wenn er die Ruhe je zu kennen die Gnade gehabt! Im Grunde war er ſo ruhig als ein Mann dem Haus und Scheuren abgebrandt ſind und dem ein gutgeſinnter Nachbar ein Kaͤmmer - lein mit einer Klinke eingeraͤumet hat.

Mein Feierabend bricht heran, wilſt du nicht ſagt ich Licht bringen liebe Mutter! das hin und her thut wanken bis ihm die Flamm gebricht, als denn fein ſanft und ſtille, laß Herr mich ſchlafen ein!

Meine Mutter ſetzte hinzu nach ſei - nem Rath und Willen wenn koͤmmt dein Stuͤndelein;

Mein Vater wurde von dieſer letzten Oe - lung unterrichtet ohne daß man dabey des Eyerheiligen dachte und ſeine Seele war ge - ruͤhret. Es fielen große Tropfen.

Noch141

Noch nicht ſagte meine Mutter! zu mir dein Aug iſt noch zu hell. Dies ſoll das letzte ſeyn damit du die letzte Worte noch im Himmel ſingen kannſt.

Mein Vater ermannete ſich nach einer Weile um mich mit der Stadt Gottes be - kannt zu machen. Er hatt einen andern Himmel fuͤr ein Kind einen andern fuͤr meine Jahre. Wir ſprachen viel. Ich fragt ihn ſo als ob er ſchon da geweſen, und er ant - wortete mir ſo. Ich will nur etwas an - fuͤhren

Seine Meinung war, daß die Ver - wandlung eben ſo groß nicht ſeyn wuͤrde. Wir koͤnnen ſagt er nichts mehr durch ein Sehrohr ſehen was wir nicht ſchon durchs Auge geſehen haben.

In dieſer Welt ſehen wir in der Ferne eine Menge Menſchen wie Duͤnſte aus der Erde ſteigen, wie Geſtraͤuch im Himmel kommen wir dieſem Menſchenklumpen naͤher, wir kennen ſie, wir geben ihnen die Hand, indeſſen blieb uns wol auch in der Welt ein Haar auf ihrem Haupte verborgen? In der Welt iſt alles gezeichnet dort iſt’s ausge - mahlt. Was wir hier im Kleinen ſahen, geht uns dort im Großen auf. Was iſt inder142der Welt fuͤr eine Wiſſenſchaft die nicht ſchon in unſrer Seele laͤge? Nur Licht herein ge - bracht und alles iſt aufgedeckt der ge - meinſte Menſch begreift alles, noch mehr, er weiß alles was du ihm ſageſt. Gieb ihm den erſten Buchſtaben er giebt dir den zwei - ten. Wir lernen nichts was eigentliche Wiſ - ſenſchafft, bleibende Kenntnis himmliſche Wahrheit iſt. Die Seele iſt ein geſtimmtes Inſtrument das nur geſpielt werden darf, und wenn du die Kunſtwoͤrter von der Sache abnimmſt, dieſe Ruͤſtung die einem kleinen Koͤrper das Anſehen eines Rieſen giebt, findſt du nichts unerwartetes: wenn du die Treſ - ſen vom Kleide abſonderſt, iſt’s dem gemein - ſten Mann als haͤtt er ſein eigen Kleid an. Quantum eſt in rebus inane! Die Gelehrten bemuͤhen ſich weislich dieſes ihr Kunſtſtuͤck nicht zu verrathen, weil ſie damit auf die Maͤrkte ziehen und große bunte Zettel drucken laſſen um ſich vor Geld zu zeigen.

Iſts denn Wunder wenn der Gelehrte dem Ungelehrten in der andern Welt nichts nachgeben wird! O ihr Thoren die ihr glau - ben kontet ein Gelehrter wuͤrde dort ſchon eine hoͤhere Claſſe der himmliſchen Gluͤckſee - lichkeit betreten als ein Bauer. Der letztewird143wird in Wahrheit nur ein kleines noͤthig haben um dem Gelehrteſten gleich zu ſeyn. Der einzige Unterſchied zwiſche einem Gelehrten und Unge - lehrten in der andern Welt wird ſeyn, daß der erſtece mehr vergeſſen muß als der leztere um himmliſch zu wiſſen was er weiß: und was iſt ſchwerer? vergeſſen was man nicht halb nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym rechten Ende faſſen? Der Litteratus (welches in Curland gemeinhin ein gekaufter Tittel iſt) wenn ihm auch dieſes Diplom ſeiner Geſchicklichkeit wegen ohne Geld und gute Worte zugeſtanden werden kann, hat nicht Urſache ſtoltz zu ſeyn, denn der Unwiſſende unterſcheidet ſich vom Wiſſenden blos darinn daß dieſer Sagen Ausſprechen kann, was beide wiſſen, und das erſte Capittel von dem was ſie beide nicht wiſſen. Ein ſchoͤnes Buch das wircklich ſchoͤn iſt, das von Herzen kommt und zu Herzen geht, was meineſt du? haſt du das nicht alles gedacht was drein ſteht. Du haſt nur eine Kleinigkeit nicht das Buch ſelbſt geſchrieben. Du haſt nichts gelernt, ſondern nur mit dieſem Buch Feuer in deiner Seele angefacht.

Mein Vater nahm Gelegenheit dieſe Saͤtze auf Vernunft und Religion anzuwendenKAber144Aber die Sprachen ſagt ich lieber Vater?

Nur ein iſt da und keinem wird ein Wort fehlen. Sieh! wie fein und lieblich iſt’s, wenn Bruͤder eintraͤchtlich bey einander woh - nen wirds von Gedanken und von Worten heißen. Es werden Zwillinge ſeyn, wie Nach - bars Kinder werden ſie zuſammenhalten.

Hier fuhr er fort, lernen wir Spra - chen um mit der Natur umgehen zu koͤn - nen. Wir wollen uns ihr gerne bequemen und da ihre Hofſprache unbekannt iſt, halten wir viele Sprachen in Bereitſchaft, und kommen, da kein Menſch mehr als eine Spra - che recht wiſſen kann, mit einem Frachtwagen voll Grammaticken und Woͤrterbuͤchern um bey der Koͤnigin Natur mit Beyhuͤlfe dieſer Dolmetſcher Audienz zu haben!

Die Natur verſteht wie Gott der Herr, eben ſo gut deutſch als griechiſch und latei - niſch, auch ſie will nicht mit Worten ſondern im Geiſt und in der Wahrheit verehret ſeyn. Eine Sprache iſt der Hauptſtul das eigent - liche Capital, die andern ſind die Zinſen.

In dieſer Welt ſprachſt du mit Gott deutſch. Jachnis ſpricht lettiſch mit ihm. Wenn ein Deutſcher franzoͤſiſch betet laͤßt er ſich vom lieben Gott franzoͤſiſche Vocabelnuͤber -145uͤberhoͤren. Die letzten Worte ſind all in der Mutterſprache auch die lezten Seufzer ſo. Da kommt gemeinhin alles an Stell und Ort. Man ſagt ſogar daß ſich das ganze Geſicht im Sterben veraͤndere und der Hofman wie ein andrer Menſch ausſehe und der Cain ohne Zeichen da laͤge alles in Gottes Gewalt

Zu jeder Sprache das weißt du lieber Junge denn du haſt außer der commandiren - den Deutſchen mehr als eine; gehoͤrt eine andere Zunge und ein andrer Menſch. Von der, in der andern Welt laͤßt ſich glaub ich kein einzig Wort auch nicht einſt lieber Gott mit einer Menſchenzunge ausſprechen. Da fehlts am r, am h, am l, und an jedem Buchſtaben. Eine Engelzunge iſt uns von - noͤthen.

Meine Mutter ſang mitten unter dieſer Predigt da mein Vater Othem holte

Wie herrlich iſt die neue Welt
die Gott den Frommen vorbehaͤlt!
Kein Menſch kann ſie erwerben
doch iſt zu jener Herrlichkeit
auch ihm die Staͤdte zubereit
Herr! hilf ſie ihm ererben
einen
kleinen
Schall von jenen
Freuden toͤnen
ſchenk dem Schwachen
ihm den Abſchied leicht zu machen.
K 2Mein146

Mein Vater lehrte mich nachdruͤcklich das Irrdiſche, das Hinfaͤllige das Hecktiſche in dem groͤßten Theil der menſchlichen Kent - nis und da er nur ein wenig anhielt fieng meine Mutter wieder an

Herr! wir wollen ſaͤmmtlich dir
da der Leib uns haͤlt verſchloſſen,
Bruͤder Menſchen! was ſind wir?
Fremd und Reichsgenoſſen
unſers kurzen Wandelslauf
geht hinauf
da wir her entſproſſen.

Hiſtorie fuhr mein Vater fort iſt darum gut, damit ſich nicht die Kaufleute freuen wenn Kinder und Narren zu Markt kommen, und Erdbeſchreibungen und Reiſen zu Waſſer und zu Lande und Weltentdeckungen, damit wir uns ſelbſt entdecken und kennen lernen.

Ich leſe das weißt du ſehr gerne Reiſen um in mich ſelbſt zu kehren, ich freu mich uͤber jede neue Voͤlkerentdeckung, weil ich hiedurch den Schluͤßel zu mir ſelbſt und zu meinem Nachbaren finde. Von Anbeginn iſt’s ſo nicht geweſen wie es jezt in der Welt iſt.

Meine Mutter hatte vieles in dieſer Pre - digt gefunden was ihr zu proſaiſch war. IhrHimmel147Himmel beſtand aus einer Schaar heiliger Saͤnger und Saͤngerinnen. Da pflegte ſie ſonſt zu mir zu ſagen werden wir nicht reden, ſondern alles wird Muſik ſeyn. Lauter Duet - tos und Terzetten, Reeitativen und ſie wand indeſſen jetzo nur blos mit dem Kopfe ein, den ſie zuweilen von der Lincken zur Rechten, wie die meiſten Menſchen ihre Koͤpfe zu ſchuͤtteln gewohnt ſind, ſchuͤttelte.

Wenn mein Vater nur Etwas ſtill hielte, wolte ſie anſtimmen, indeſſen konnte ſie kei - nen Tackt zu Ende kommen mein Vater grif beſtaͤndig ploͤtzlich an.

Es iſt ein Gott! deine Seele iſt ſein Hauch, er iſt! er war! er wird ſeyn! Sein Bevolmaͤchtigter iſt das Gewiſſen. Du fuͤhlſt dieſen Machthaber wenn du ihn gleich nicht ſieheſt als einen gegenwaͤrtigen Zeugen, wenn du im Stillen Gutes oder Boͤſes thuſt. Er iſt mit dir er geleitet dich um dich dort als Buͤrger in der Stadt Gottes einſchreiben zu laſſen mit einem neuen Namen, der uͤber alle Namen in der Welt iſt.

Gottes Guͤte ſeine Gerechtigkeit iſt’s daß wir im Tode nicht gar aus ſind, ſeine Barm - herzigkeit hat kein Ende! Nun iſt ſie am Morgen der Ewigkeit! Welch eine SonneK 3die148die dann aufgeht! Welch ein Wort Ewigkeit! Etwas ohn Ufer und ohne Grund.

Dort haben wir nicht noͤthig uns um einander zu bekuͤmmern. Die Eltern brau - chen keine Pflege die Kinder keine Stuͤtze: das Ganze wird unſer Gegenſtand ſeyn.

Gott der in uns angefangen hat das gute Werck wirds vollenden in Ewigkeit. Wir werden ihn ſehen von Angeſicht zu Angeſicht, jetzt ſehen wir ihn im Spiegel, der ſeine Welt iſt den er uns vorhalten ließ, und da unſer Standort dunkel war, ſahen wir nur wenig, nur daß er war! Dort werden wir ſehen was er iſt!

Seelig ſind die Todten die im Herrn ſter - ben! Sie ſtaͤrcken ſich durch einen ſanften Schlaf zu himmliſchen Beſchaͤftigungen um zu erwachen nach Gottes Bilde. Muß der Menſch nicht hier immer im Streite leben? Seine Tage ſind wie eines Tageloͤhners. Man legt ihn in die Erde, und wenn man ihn morgen ſuchet, beſchaͤmt ihn der Stuhl wo er ſaß, das Buch das er eben geleſen hat, denn er iſt dahin, den Sucher ergreift ein Schauder. Heil dem der in der Jugend vollendet wird! Er kommt froh zum Grabe wie Garben mit Jauchzen eingefuͤhret werdenzu149zu ſeiner Zeit du wirſt liegen und ſchla - fen ganz mit Frieden denn allein der Herr hilft dir daß du ſicher wohneſt

Zu allem dieſem ſprach meine Mutter den Seegen. Empfange ſagte ſie mit geruͤhr - tem Herzen hierauf den Seegen des Herrn.

Der Herr laſſe leuchten ſein Angeſicht uͤber euch und ſey euch gnaͤdig und da kein Chor antwortete; ſetze ich, ſagte ſie ſelbſt hinzu

Der Herr erhebe ſein Antlitz auf uns und gebe uns ſeinen Frieden Amen.

Sie ſprach dieſe Worte mit einer ſo zu - verſichtlichen Seegensſtimme, daß meine Seele das Licht ſahe, das mir leuchten ſolte bey dem ſchrecklichen Todesgang: und die Huͤlfe empfand die mir helfen wuͤrde bey dem allerletzten letzten Todesſtoß.

Kaum hatte ſie ihn aber mit Herzen Augen Mund und Haͤnden ausgeſprochen, ihr Auge war gen Himmel gerichtet ihre Haͤnde hatt ſie auf mich gelegt kaum hatte ſie Amen geſagt; ſo ward ſie des See - gens wegen verfolgt weil der Candidat mit den langen Manſchetten der vor vieler Zeit wie meine Leſer ſich erinnern werden einen Kalecutſchen Hahn verzehren geholfen waͤh -K 4rend150rend des Seegensſpruchs ins Zimmer getre - ten war. Es war dieſer gute Mann in der Bauskeſchen Praͤpoſitur, welche ſo wie die Seelburgſche den dreygliedrigen Seegen ange - nommen hatte.

Der Herr Superintendent Alexander Graͤven unter deſſen Regierung wie meine Mutter zu ſagen pflegte, ich leider! das Licht der Welt erblickt, hatte im Jahr eintauſend ſieben hundert und achtzehn den dreygliedri - gen Seegen eingefuͤhret: indeſſen blieb meine Mutter ſo wie beym alten Calender, ſo auch beym alten Seegen, wenn er gleich ein Glied weniger hatte.

Meine Mutter die wie Brutus nicht mehr auf den Sohn ihres Leibes ſondern aufs Un - ſichtbare und allgemeine und was noch mehr war, die Ehre der Kirche und ihre Ord - nung ſahe, gerieth in Paul Einhornſchen Eifer, ſprach wider die Regierung nicht des Herzogs Ferdinands ſondern des Graͤvens, aͤrgerte ſich, daß ich und er Alexander hießen.

Er, weil ein wuͤrdiger Einhorn ſo geheißen

Ich, weil man außer vielen andern Be - dencklichkeiten die ſie hatte auf den wie ſie ſagte unſeligen Gedanken kommen koͤnnte, daß ichvon151von dieſem dreygliedrigen Alexander Graͤven den Namen empfangen haben koͤnnte.

Dem Herrn M. Adolph Grot Paſtor in Windau, der ſich des alten Gebrauchs an - genommen, ſetzte ſie eine Maͤrtyrer Krone auf und dem Herrn Paſtor Chriſtoph Sen - nert der des dreygliedrigen Seegens wegen Kreutzzuͤge thun mußte und in gewiſſer Art Faͤhnchenfuͤhrer war, hatte ſie keinen Seegen auf den Weg gewuͤnſcht, wenigſtens ſolten ſeine Gebeine nicht im Vaterlande verweſen, welches auch nur wie ſie ſagte zweygliedrig waͤre: Curland und Semgallen.

Ich will nicht hoffen daß eben wegen die - ſes Unſeegens (Flug war es nicht) dieſer Graͤvenſche Adjudant unſtaͤt und fluͤchtig ge - worden und auch wuͤrcklich in der preußiſchen Grenzſtadt Memel ſein unruhiges Leben wie - wol ſchluͤßlich wie Paul Einhorn ſanft und ruhig geendiget hat.

Es wuͤrde kein Seegen fuͤr meine Leſer ſeyn, wenn ich ihnen den Streit meiner Mut - ter und des Heern Candidaten aus einan - derſetzen ſolte.

So viel zur Nachricht, daß dieſer See - gensſtreit in Curland durch den landtaͤgli - chen Schluß vom ein und dreyßigſten JuliusK 5ein152ein tauſend ſieben hundert und drey und dreyßig und durch die Verordnung vom neunzehnten Auguſt ein tauſend ſieben hundert und drey und dreyßig in der Art beigeleget worden, daß meine Mutter zwar nach der Zeit einſahe, es ſolt in Curland nicht mehr zweygliedrig ge - ſeegnet werden, indeſſen was ſind Edicte und landtaͤgliche Schluͤße dem Gewiſſen? Sie lebt und ſtarb nach dem alten Calender und nach dem alten Seegen, und wenn ſie gleich oft und viel nicht wieder den Strom ſchwim - men konnte, hofte ſie doch es werde alles ein Ende gewinnen daß wirs koͤnnten ertragen

Denen Unglaͤubigen die vielleicht auf den Gedanken kommen koͤnnten, daß ich ein Maͤhrlein erzaͤhlet, zur Beſchaͤmung, will ich woͤrtlich die ſeegensreiche Verordnung unter die Augen ſetzen, welche den neunzehnten Auguſt ein tauſend ſieben hundert und drey und dreßig in der Reſidenz Mitau gegeben worden.

Von Gottes Gnaden wir Ferdinand, in Liefland zu Curland und Semgallen Herzog. Geben allen Einſaaßen dieſer Herzogthuͤmer zu vernehmen daß in dieſem letzten landtaͤgli - chen Schluß vom ein und dreyßigſten Juliusjetzt -153jetztlaufenden Jahres wolbedaͤchtig und alle bisherige Diſcrepance und angewachſene Streitſchriften unter den Geiſtlichen in dieſen Herzogthuͤmern einmal zu heben, den drey - fachen Seegen beyzubehalten und durch Pu - blicationes feſtzuſetzen, beſchloſſen worden. Dahero wir denn Kraft dieſes unſers Patents ſowohl dem wohlehrwuͤrdigen und hochgelahr - ten Herrn Alexander Graͤven, Superinten - denti und Paſtori primario zu Mitau als allen ehrwuͤrdigen und hochgelahrten Praͤpoſitis dieſer Herzogthuͤmer auch ſaͤmtlichen uͤbrigen wuͤrdigen und wohlgelahrten Paſtoribus in Gnaden befehlen, daß ſie ſolchen dreyfachen Seegen der in verſchiedenen Kirchen allhier bereits angenommen, ſo fort wo es noch noͤ - thig gleichfalls einfuͤhren und den zweyfachen kuͤnftighin nachlaſſen moͤgen. Gewaͤrtigen auch ein Gleiches von den Prieſtern der ade - lichen Kirchen, und wollen gnaͤdigſt daß zu aller Wiſſenſchaft dieſes Patent drey Sonn - tage nach einander in deutſch und undeut - ſcher Sprache von den Kanzeln verleſen auch nachgehends ad valuas templi affigiret wer - den ſoll. Uhrkundlich unter dem fuͤrſtlichen Innſiegel und unſerer Unterſchrift. Gege - ben in der Reſidenz Mitau den neunzehntenAuguſt154Auguſt ein tauſend ſieben hundert und drey und dreyßig.

Mein Vater der es beſtaͤndig mit dem weltlichen und nicht mit dem geiſtlichen Arm hielt, miſchte ſich gar nicht in dieſen See - gensſtreit des Herrn Candidaten und meiner Mutter; obſchon ich aus anderweitigen Aeuſ - ſerungen weiß, daß ers dem Herrn Supe - rintendenten nicht verzeihen konnte, daß der - ſelbe eigenmaͤchtige Veraͤnderungen zu ma - chen ſich unterfangen haͤtte. Er war ſo gleich - ſtimmig mit der Wohlgebohrnen Ritter und Landſchaft, daß man glauben ſollen er ſelbſt haͤtte den landtaͤglichen Schluß vom ein und dreyßigſten Julius ein tauſend ſieben hundert und drey und dreyßig entworfen, den ich meinen Leſern aber nicht fuͤr die Augen ſtel - len will.

Jetzt war mein Vater waͤhrend dem See - gensrauch gantz ſtill und blickte zuweilen auf mich ſeinen zweygliedrig eingeſegneten Sohn. Da es ſich zum Waffenſtillſtand anlies, der dem Herrn Candidaten um ſo rathſamer war, als er waͤhrend dem Streit fallen laſſen, daß er heiß hungrig ſey: indem inuita Minerva wohl ſchwerlich ein Kalekutſcher Hahn wieder ſein Theil geworden waͤre.

Da,155

Da, ſag ich, der Herr Candidat ins Winterquartier zog, nahm mein Vater das Praͤſidium bey dieſem Diſputations Actu und ſagt Etwas was weder den Opponenten noch Reſpondenten traf

Von Gott fieng er an kommt aller See - gen. Meine Mutter nahm dies Wort wolte Gott ſagte ſie Sie haͤtten Seegen fuͤr meinen Sohn mitgebracht.

Hier iſt ein Brief vom Doktor Saft und er ſelbſt wird auch noch heut hier ſeyn.

Er lebt? ſagte meine Mutter und ich zu gleicher Zeit er lebt indeſſen ſezt ich noch das Wort alſo hinzu. Wir haͤtten auch fragweiſe lebt er? die Sache nehmen koͤnnen, und ich haͤtte das alſo alsdenn viel - leicht geſpart, indeſſen, wolten wir ohn Zwei - fel den Accent auf Er legen, und es war ein Frag und Verwundrungs Zeichen bey den Worten er lebt an Ort und Stelle.

Der Candidat der nicht zu wiſſen ſchien ob von geiſtlichem oder leiblichem Leben die Rede waͤre; zog ſeine Handblaͤtter weiter her - aus, denn dieſe Frage war ihm in alle Wege ſo beſonders daß er die Antwort hervor zie - hen mußte.

Meine156

Meine Mutter kam ihm entgegen und ſetzte die Frage durch eine andere ins Licht.

Iſt er nicht todt? und nun waren die Mannſchetten heraus und die Antwort Ich hab ihn friſch und geſund gelaſſen und woher todt fragte mein Vater? Dieſe Frage befremdete meine Mutter noch mehr als ihre und meine Frage den Herrn Candi - daten. Sie wolt indeſſen meinen Vater keiner Luͤge beſchuldigen und ihn oͤffentlich be - ſchaͤmen.

Mein Vater las den Brief und ſagte mit einer Stimme außer Gefahr, daß es mir auf - fiel mein Leben ſey ihm nach den verbrand - ten Papieren gleichguͤltiger geworden. Es war ihm ſo als wenn ein Sterbender eine Penſion bekaͤme, auf die er zwanzig Jahr gehungert, oder wenn Jemand dem all ſein jetziges und kuͤnftiges Haab und Gut heut confiſciret iſt, morgen hundert tauſend Du - caten durch einen Rechtsſpruch gewinnt.

Ich hab es oft belebt, daß der beſte Freund wenn er ſeinen ſterbenden Jonathan beweint hat, im Anfang gleichguͤltig iſt, wenn er hoͤrt dein Freund Jonathan lebt. Er ſchließt nach ſeinem erlittenen, nach ſei - nem uͤberwundenen Schmerz, auf den derihm157ihm noch bevorſtehet. Bey meinem Vater wie oben

Welch eine Veraͤnderung bey ihm! welch eine bey mir! Meine Mutter blieb wie ſie war, ich fuͤhlte mich die Minute beſſer, da dieſe Worte ausgeſprochen wurden. Es war Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte mich ſchon vorhero verlaſſen, nur ich nicht die Krankheit. Ich getraut es mir nicht zu glauben, daß ich geſund waͤre. Lieber Herr Candidat, Sie haͤtten unter uns geſagt den Seegen zuletzt laſſen ſollen wie es Sitte in der Chriſtenheit iſt.

Warum ſoll ich’s leugnen, daß mir jetzo mein letzter Wille zuſammt dem Codicill in Abſicht Minchens herzlich leid zu thun an - fing, ich moͤchte wiſſen was die Urſache war? ich wurde mal auf mal im Bette blutroth, als wenn mir das Gewiſſen ins Geſicht ſaͤhe. Um alles in der Welt willen haͤtt ich das Teſtamentum nuncupatiuum zuruͤck gehabt.

So gerne meine Mutter es wiſſen mochte wie das ganze Brief Mißverſtaͤndnis entſtan - den waͤre unterfing ſi’es doch nicht die Auf - loͤſung in des Candidaten Gegenwart abzu - fragen. Die verfluchten Briefe! uͤberall woſie158ſie ſind, ſind Falten und Verwickelungen! Spi - tzet nicht eure Federn Kunſtrichter wenn ſie in Romanen und auf dem Theater große Rol - len ſpielen. Es iſt wahr ſie ſind der faule Knecht fuͤr unſere Theaterdichter, denn wo wuͤrden ſie ohne Briefe einen gordiſchen Kno - ten hernehmen? und wie wuͤrde ſie die Kno - ten ſo alexandriſch als durch eine Antwort auf dieſen Brief entzweyhauen? allein ſiehe da! wie die Natur ſpielt auch in einer wah - ren Geſchichte ein Brief! und gewiß nicht der letzte.

Die blanken Naͤgel waren mir nicht mehr im Wege ich bekam Appetit eine von den Wuͤrſten zu eſſen die meine Stelle vertre - ten ſolten.

Aus dem Bett ſagte mein Vater wenn du eſſen willſt! kein Menſch muß im Bette eſſen und trincken. Es iſt ſchon zuviel daß man darinn ſchlaͤft oder ſtirbt. Wer auf der Erde ſtirbt, ſtirbt auf dem Bette der Ehren. Er nimmts mit der Krankheit auf

Da ſtand ich wie mich Gott geſchaffen hat bis aufs Hemde

Obgleich meine Mutter es gern geſehen, wenn ich der Kranckheit ſtandeshalber das Ge - leite gegeben; uͤberſah ſie dennoch dieſe Suͤndewider159wider das Etiquette um vielleicht meinen Vater zur Erkenntlichkeit in Beſchlag zu neh - men, welche darinn beſtehen ſolte daß er ihr zu ſeiner Zeit das Geheimnis des Briefes und der Feuersbrunſt entdecken moͤchte. Ich glaub’s ſchwerlich liebe Mutter, wenn du nicht durch die Kuͤnſte der Palingeneſie

Der Docktor fand mich beym Geraͤucher - ten und das war meinem Vater gewonnen Spiel. So ſagt er ſolte der Docktor jeden treffen, gelt! wir wuͤrden weniger Patien - ten und mit Erlaubnis Herr Docktor weniger Docktores haben. Der ehrliche Saft ſchaͤmte ſich dem Puls die Hand zu geben. Nach einigem Bedencken, nahm er ſein ganzes Docktoranſehen zu Huͤlfe fuͤhlte wirklich Schande halber nach dem Puls, in - deſſen that er’s verſtohlen und ſo ungefehr als ein Hochwohlgebohrner Herr, wenn er eines ehrlichen Buͤrgers Tochter geheirathet, ſeinem Herrn Schwiegervater die Hand giebt Ich riß mir die Hand loß um das abgeſchnit - tene Stuͤck an ſeinen Ort zu ſtellen Der Herr Schwiegervater ſolt’s auch ſo machen.

Warum aber Geraͤuchertes fragte der Docktor weil ers gewolt (mein Vater und meine Mutter) Hierinn war meine MutterLmit160mit meinem Vater gleichlautend, denn ſie hatte Beyſpiele, daß viele Leute mit Sau’r - kraut von hitzigen Fiebern und kalten Fiebern und faulen Fiebern und Flußfiebern und Sei - tenſtechen und Entzuͤndung der Lunge, und Entzuͤndung der Leber und Entzuͤndung des Gekroͤſes und Frieſeln und Schlagfluͤßen und Herzgeſpann und vielen Suchten und Gich - ten curirt waͤren. Die Stimme des Magens war ihr eine heilige Stimme.

Der Docktor Saft und ſein Freund der Herr Candidat fanden fuͤr gut drey Tage bey uns zu bleiben. Ich will nicht hoffen Herr Candidat um auch hierinn dreygliedrig zu ſeyn! Meiner ſonſt gaſtfreyen Mutter waren ſie unausſtehlich, denn ſie ward wegen des Briefſtaubes durch ihre Gegenwart entſetzlich gemartert. Es zog der Docktor Saft waͤh - rend dieſer dreyen Tage mit andern Leuten in der Nachbarſchaft Schach und war froͤlich und guter Dinge als ob er immer gewoͤnne.

Schon ehe der Docktor angekommen war, hatte mein Vater den Staub der mich am allererſten als ſeines Gleichen bewillkommen ſollte, in weißes Papier eingeſarget; ich glaub es war ein großer Bogen Poſtpapier, weil wenn gleich die Thraͤnen nicht alles zu -ruͤckhal -161ruͤckhalten koͤnnen, und vieles in die Luft geſprengt war doch immer von einer hand - voll Papier ziemlich viel geweihte Aſche zu - ruͤckbleiben mußte.

Er ſchien mir indeſſen da ich zuſahe, daß mein Vater dieſe Aſche nur vor der Hand in ſein Nußbaum Schraͤnckchen beyſetzte weil das Paradeſarg noch nicht fertig war.

Kaum hatte der Docktor, der unvermu - thet nach drey Tagen zum Uhrwerk eines andern Pulſes zu reiſen nothwendig fand (ſonſt waͤr er laͤnger geblieben) mit ſeiner Hand meinem Vater und Mutter zum letzten mal einen Kuß zugeworfen und ſich tief heraus - gebogen. Kaum war er ihrem Auge ent - fahren (der Candidat ſein Freund war eine Stunde fruͤher ohne eine ſolche feyerliche Be - gleitung und ohne einen Kußwurf abgereiſet) fing meine Mutter an

Der Brief Um Verzeihung liebe Mutte! warum? Schach dem Koͤnige! warum gleich mit dem Hauptwort? Eine Hauptſchlacht iſt bey einer ſolchen Gelegenheit nicht immer das rathſamſte. Warum ſo ge - rade zu und nicht durch ein Stratagem? fuͤr Helden die in einem Jahre die GeographieL 2ſo162ſo unbrauchbar machen koͤnnen, wie den vorjaͤhrigen Calender iſt freilich kein Strata - gem: Eine liebe Frau Paſtorinn aber die keinen Beruf zur Amazonin hat, kann den Vogel im Neſte greifen

Was fuͤr ein Brief erwiederte mein Va - ter? Mich duͤnkt eine ſchlechte Deckung auf Schach dem Koͤnige. Meine Mutter war auf dieſe Frage unbereitet; indeſſen verlohr ſie noch nicht den Muth: ſie hatte Huͤlfs - voͤlker in Bereitſchafft.

Den du eingeaͤſchert haſt ſagte ſie und ſetzte in einem Tone mein Kind dazu, daß man wohl einſahe, wie ſie wenn es nicht anders waͤre auch zum edlen Frieden bereit ſey. Noch ſtreckte ſie indeſſen nicht das Ge - wehr. Ich hielte ihn ſagte ſie fuͤr einen Brief vom Herrn Docktor Saft (ſie nanndte ihn Herr welches ſie mit Abweſenden ſelten that es waͤre denn daß ſie vom Herrn Superin - tendenten geſprochen haͤtte; auch die Herren Praͤpoſiti hatten ſchon dieſen Vorzug, nur der Bauskeſche und Seelburgſche ausgenom - men, die Dichter hatten alle Herr)

Dieſer Brief hat uns alle in Unordnung und Verwirrung gebracht. Ich dachte Saft ſey todt.

Du163

Du haſt unrecht gedacht mein Kind

Aber der Brief ſagte meine Mutter. Sie war einmal in Unordnung und wie eine Uhr die unrichtig iſt ſo lang von eins bis zwoͤlf immer fort ſchlaͤgt bis das Gewicht abgelau - fen iſt war auch ſie mit ihrem: der Brief.

Glaube mir mein Kind erwiederte mein Vater es giebt nicht Aexzte, Wundaͤrzte giebts hier und da einen. Hier folgte ein langes Capittel fuͤr und wieder die Aerzte, wodurch meine Mutter in eine ſolche Enge gebracht wurde, daß ſie nicht aus noch ein wußte. Ehre den Arzt ſagte ſie in der Ver - wirrung, allein welch eine allgemeine Urſache erwiederte mein Vater denn der Herr hat ihn gemacht. Wenn dem Arzte keine an - dere Ehre zukommt ſo ſind ſie eben nicht hochgeehrt! Was thun ſie auch? Sie ſind unſre Peiniger. Sie ſuchen eine Ehre da - rinn, daß wir durch ihre und nicht durch die Hand der Natur ſterben. Sie ſind pri - vilegirte Giftmiſcher und ſubtile Todtſchlaͤger die ein Recht promoviret haben, toͤdten zu koͤnnen: und wenns ihnen gluͤckt, wenn ſie einen Menſchen auf ein halb Jahr befriſten iſts ein Menſch? eine Mißgeburt iſt’s, ein im Reich der Todten Angeworbener. WerL 3einen164einen Arzt annimmt hat vom Tode Hand - geld genommen. Aerzte ſind ſeine Werber! Mein Vater ſprach den Recepten Ehr und Redlichkeit ab. Haͤtte die Natur nicht ge - miſcht wenn die Miſchung noͤtig geweſen? Er wolte, daß man den Aerzten den Pro - viant abſchneiden und die Apothecken zerſtoͤ - ren ſolte. Den Arzeneien aus dem Pflan - zenreiche lies er Gerechtigkeit widerfahren. Wenn ein Arzt fuhr er fort kranck wird curirt er ſich nicht ſelbſt, ſondern erſucht ſeine Her - ren Collegen Standrecht uͤber ihn zu halten. Er ſelbſt weiß wol daß er nichts weiß; indeſ - ſen mit der Kunſt gehts ihm wie einem Luͤg - ner mit der Luͤge, die er oft und viel fuͤr Wahrheit ausgegeben wie einem Schwarz - kuͤnſtler Der Arzt haͤlt die Kunſt am Ende ſelbſt fuͤr Wahrheit, und denckt die Un - wiſſenheit hab an ihm gelegen. Ein krancker Arzt ſchickt alſo zu andern Aerzten und dieſe wenn gleich ſie den Krancken wegen ſeiner zeit - hero geleiſteten vielen Wundercuren wodurch er ſie bey weitem uͤbertroffen, von Herzen beneiden; denken doch heute mir! morgen dir; und wuͤrden dem Herrn Collegen gerne helfen wenn ſie nur koͤnnten. Wenn die Natur ſich ſelbſt nicht mehr helfen kann,ich195[165]ich moͤcht den Arzt ſehen der Naturſtelle ver - treten koͤnnte? Wie kann er den Weg wiſſen den die Natur will? Geht ſie zur Rech - ten; ſo will er zur Linken. Geht ſie zur Lin - ken will er zur Rechten, und am Ende da ſie ſieht man traue ihr nicht man haue ſich Brunnen wo kein Waſſer iſt, wird ſie der Neckerey uͤberdruͤßlich und dies iſt das Gericht der Verſtockung im leiblichen Sinn Am Ende weiß er was nicht alle wiſſen wol - len die Signa mortis obgleich auch ſelbſt hie - bey viele Ungewißheiten vorfallen.

Wie meiner Mutter bey allem dieſem zu Muthe geweſen kann ich mir ſehr klaͤrlich vorſtellen.

Sie wolt indeſſen noch einmal eine Schwenkung mit der Fahne verſuchen wer weiß dachte ſie, ob ſich die zerſtreuten Leute nicht ſammlen. Sie ſagte was ſie ſchon oft geſagt hatte, und was ich meinen Leſern nicht mehr ſagen mag. Weiter nichts als der Brief und mein Vater machte ihr ein Geſicht, das ich einem jeden Ehemann als ein probates Hausmittel empfehlen wuͤrde, wenn ſeine Frau zu oft der Brief ſagt und wie eine verdorbene Uhr in einem Zuge von eins bis zwoͤlf ſchlaͤgt, waͤr’s auch das beſteL 4Weib166Weib in der Welt und eine liebe Ein Geſicht dieſer Art, hat ſeinen guten Nutzen. Eigentlich ſolte ich nur ſagen das linke Auge denn uͤber das ganze Geſicht darf es ſich nicht verbreiten, auch das rechte Auge kann frey bleiben oder darf dieſe feindliche Einquartie - rung nicht einnehmen. Dies iſt das einzig - ſte was ich einem Manne von ſeiner Herr - ſchaft zugeſtehen kann. Es iſt dies Geſicht ſo ſehr vom Zorn entfernt, daß der Ehe - mann hiebey ſeiner Frauen die eine Wange kuͤſſen kann.

So oft mein Vater dieſes Geſicht mach - te; blieb meine Mutter ploͤtzlich ſtill und das geſchahe oft mitten im Wort ſo daß ſie zuweilen a anfing das ber indeſſen hatte das linke Auge meines Vaters getroffen. Arme Mutter! wenn du nur beſſer angefan - gen haͤtteſt. Warum eben der Brief!

Kurz meine Mutter erfuhr nicht wo der Brief herkaͤme und wie’s mir vorkam; konnte ſie auch nicht einmal auf Spuren kommen: So total war ſie aufs Haupt geſchlagen. Sie zog ohne Ehrenzeichen aus ihrer Feſtung ohn Unter - und Obergewehr ohne klingendes Spiel ohne fliegende Fahne brennende Lunten,Kugel167Kugel im Munde, und ohne zwoͤlf Schuͤſſe fuͤr ihr Gewehr großes und kleines

Ich aber war voͤllig bey mir uͤberzeugt, daß dieſer Brief daher kaͤme, wo man die Spargel fruͤher als in Curland ißt, gleich fruͤher in der freien Luft eine Pfeife rauchet, den Wein mit der Hand aus der Quelle trin - ket, und lange Manſchetten traͤgt

Wenn man die Augen zuhaͤlt kann man genauer und richtiger uͤberlegen. Zum Er - finden muß man ſehen zum Anordnen kann man blind ſeyn. Ein großer Kopf der ſehen und blind ſeyn koͤnnte wenns die Umſtaͤnde erfordern, muͤßte groͤßer als Homer werden.

Die Umſtaͤnde die mein Vater mit dem feyerlich verbrandten Briefe machte, und andere waͤhrend meiner Krankheit von ihm verſtreuten Worte, brachten mich auf den Gedanken, daß er von ſeiner Familie ſchlechte unerwartete Nachrichten erfahren haben muͤß - te. Mehr unbekandte Zahlen konnt ich aus den gegebenen nicht heraus bringen, und ge - wis, ich war weiter als meine arme Mutter, die noch nicht einen Finger breit naͤher vor - ruͤcken konnte als ſie ausgezogen. Meine Beſſerung indeſſen vergnuͤgte ſie ſo ſehr als ſie meinem Vater gleichguͤltig ſchien.

L 5Kaum168

Kaum war ich geſund geworden; ſo er - mahnete mich mein Vater daß ich mich auf die Theologie legen, und mehr Fleiß als zeit - hero darauf verwenden moͤchte. Ein Geiſt - licher, fieng er an, iſt der gluͤcklichſte Menſch in der Welt. In ſeiner Seele iſt beſtaͤndig Fruͤhling, wo es weder zu kalt noch zu warm iſt. Die Leidenſchaften kommen nie bey ihm in gewaltige Bewegung. Dinge der Zukunft ſind ſeine Beſchaͤftigung, und ein Menſch der nicht von Stande iſt, kann keine beßre Lebens - art als dieſe ergreiffen wobey er hoffen lernt. Er beklagte, daß er keine Gelegenheit gehabt die Grundſprache ex profeſſo wie er ſagte zu erlernen, ſeegnete das Andenken des Conver - ſus der ihn juͤdiſch deutſch gelehret hatte. Wenns auch nur waͤre weil der Herr und Meiſter unſrer Religion die hebraͤiſche Spra - che geredet haͤtte ſolten wirs thun (nemlich hebraͤiſch lernen) zu ſeinem Gedaͤchtnis.

Wie vergnuͤgt meine Mutter uͤber dieſe theologiſche Anſtalten war, kann man ſich ſehr leicht vorſtellen. Sie dachte nicht wei - ter an meines Vaters Vaterland noch an den eingeaͤſcherten Brief.

Lobt Gott mit Herz und Munde
ſang169

ſang ſie und mein Vater ſang den andern Diskant

Fuͤr das er euch geſchenkt
Das iſt ein ſeelge Stunde
darinn man ſein gedenckt
ſonſt verdirbt alle Zeit
die wir zubring’n auf Erden
wir ſollen ſeelig werden
und bleib’n in Ewigkeit.

Wie ſehr ſich alles im Paſtorat nach dieſem aͤnderte kann ich nicht beſchreiben. Gegen die vorige Zeit war kein Stein auf dem an - dern. Alexander und Darius ward nicht mehr geſpielt.

Mein Vater, der ſehr fuͤr die Quellen war, lehrte mich die chriſtliche Religion aus der Bibel, die wenigſten lernen ſie draus pflegt er zu ſagen. Das was dir abgeht fuhr er fort werden dir die Schrifftgelehrten beybringen. Er ſchien ſelbſt nichts mehr zu wiſſen als was die Fuͤlle ſeines Herzens und eine andaͤchtige Leſung der heiligen Schrifft in ihm gewuͤrkt hatte.

Von ſeinen vorigen Heldenthaten blieb ihm noch ein gewiſſer Ausdruck! Er nandte ihn adelich er war feyerlich dem Gedanckentreu170treu und nicht Jedermanns Ding. Dem Adel und dem weltlichen Arm blieb mein Vater getreu bis in den Tod.

Ich nahm taͤglich in Kenntnißen der Schrifft zu, wenigſtens war mein Herz ein Schrifftbefolger. Meiner Mutter zu gefal - len mußt ich meines Vaters Kragen anle - gen, und ein andermal ſeinen Mantel und denn wieder ein andres geiſtliches Kleidungs - ſtuͤck anpaſſen, damit ſie ſaͤhe wie es mir ließe. Eines Tages da mein Vater viel Beichtkinder hatte und ich meiner Mutter zu Ehren bis auf die neue Peruͤque meines Va - ters zum Geiſtlichen inveſtiret war; fieng der Gedanke der ſchon offt wie die Sonne auf und untergegangen war, hell zu ſchei - nen an! Iſt es denn nicht moͤglich, ſagte ſie, daß ich dich ehe du auf Univerſitaͤten zieheſt predigen hoͤren kann?

Die Brodtſtudien haben mit den Hand - werkern alles nur moͤgliche gemein, und meine Mutter hatte nicht ganz Unrecht, daß ſie auf ein Geſellenſtuͤck beſtand ehe ich losge - ſprochen werden ſolte. Es war ausgemacht, daß ich uͤber einige Zeit als Geſelle auf meine Kuͤnſte und Wiſſenſchaften reiſen, oder wie man es in Curland nennet ausreiſen unddas171das Haus meines Vaters verlaßen ſolte. Mein Vater war einen Sonntag gegen Abend recht vergnuͤgt, und uͤberhaupt pflegt er nach abgelegter Sonntagsarbeit, wie ein Tageloͤhner alle Abend iſt, zu ſeyn. Das ſagt er ſelbſt hat ein Tagloͤhner vor mir zum Voraus daß er ſo all Abend iſt; allein meine Freude iſt eine Sabbathsfreude.

Dieſer Sonntagsfreude bediente ſich mei - ne Mutter, die ihm um dieſe Zeit die Ge - ſichtsbewegungen ſeiner Zuhoͤrer zu erzaͤhlen pflegte, die ſie bey dieſer oder jener Stelle ſeiner Predigt bemerkt hatte.

Was denkſt du mein Lieber! fing ſie an, waͤr es nicht gut, daß unſer Sohn Alexan - der Einhorn (Alexander ſagte mein Vater) eh er uns verlaͤßt eine Predigt hielte? Eine Predigt? ſagte mein Vater, und ſchwieg ſtille nicht aber als ob er abbrechen wolte; ſon - dern weil er ſich nicht ſo geſchwinde auf eine Antwort beſinnen konnte. Da nun meine Mutter ſein Stillſchweigen eben ſo verſtand; klopfte ſie zum andernmal an, und balgte ſich mit allen Zweifeln meines Vaters die ohnedem alle ſehr leicht nachgaben, weil er ſelbſt keine Luſt zu zweifeln hatte. Der alte Herr beging hiebey einen tuͤckiſchen Streich,denn172denn da ihn meine Mutter uͤber dieſe Sache ebenfals zum Vertrauten gemacht hatte; ſchlug er ihr den fuͤnften Vers aus dem zehn - ten Capittel des zweyten Buchs Samuelis zum Text vor Ich wils vertragen Herr Cantor Herrmann ſagte ſie. Sie hielte Wort und da man nachſchlug fanden ſich die Worte bleibet zu Jericho bis euch der Bart gewachſen iſt ſo kommet dann wider das war gewis mehr als eine Schneidernadel! Dominica III. poſt Epiphanias ward beſchloſ - ſen daß ich Dominica Judica meine erſte Pre - dig in unſrer Dorfkirche ablegen oder wie es meine Mutter in der Sprache ihrer Ahnher - ren nandte mich hoͤren laſſen ſolte. Ich ent - warf die Predigt ſelbſt, mein Vater gab das Imprimatur nachdem er ſie befeilet hatte. Meine Mutter ſonderte mir die Lieder aus. Dieſes macht ihr viele Muͤhe. Ein Lied war um einen Vers zu lang, ein andres war wider um einen zu kurtz, bey manchem war die Melodie nicht der erſten Predigt ange - meßen, bey noch einem war noch was an - ders zu bedencken: Endlich getroffen. Ich habe den ſehr beſcheidenen Autorausdruck befeilen gebraucht, die Wahrheit aber zu ge - ſtehen that mein Vater mehr. Ich hatte denStyl173Styl ſo ſehr von den Feldreden beybehalten daß alles Trommel und Trompete war und zum Cammerton herabgeſtimmet werden mußte.

Bei der Nutzanwendung z. E. gab ich Canonenfeuer auf die Suͤnder ich verſicherte ſie, daß ſie im Pfuhl der mit Pech und Schwefel brennt o Solon Solon rufen wuͤr - den. Den Pech und Schwefel ſtrich mein Vater und ſetzte in den Flammen des Gewiſ - ſens. Den Solon Solon ließ er ſtehen

Die erſten vierzehn Tage erzaͤhlte meine Mutter mir vielerley Begebenheiten die ihren verſtorbenen Hochwohlehrwuͤrdigen Ahnher - ren begegnet! und durch die Tradition bis auf den heutigen Tag unverloſchen bey der Familie geblieben waͤren. Ein Litteratus haͤtte nehmlich ſehr pathetiſch ſeine heilige Rede angefangen; allein er waͤre gleich beym erſten Theile in die Irre gerathen. Mein ſeel’ger Aelter oder Großvater haͤtte ihm latei - niſch zugerufen ab initio (von vorn) und der Litteratus waͤre wieder nur bis auf dieſe un - gluͤckliche Stelle wo er ſchon einmal den Fa - den verlohren gekommen. Noch einmal hoͤrte der nun Troſtbange die Stimme ab initio und da er wieder dieſe ungluͤckliche Stelle beruͤhrte fiel (meine Mutter ſagte dies mit vielerTheil -174Theilnehmung) ihm das Amen zu rechter Zeit ein. Das Dorf welches das ab initio vor bravo! gehalten, hatte dem Herrn Can - didaten der aus Angſt gewaltig geſchwitzt, das Zeugnis beygelegt: lange keine ſo gute Predigt gehoͤrt zu haben.

Ein andrer Candidat haͤtte aus Angſt die Canzel verfehlt und anſtatt beym lezten Wir glaͤuben all auf die Canzel zu ſteigen, waͤr er gerade zu aus der Kirche gegangen. Mein lieber Herr Grosvater haͤtte alſo ex tempore ſeine Gemeine bewirthen muͤßen. Ein dritter haͤtte die vierte Bitte zweymal gebetet, woraus man geſchloſſen daß er zwey Magens haͤtte. Noch ein dritter haͤtte, und dies ſchien ihr die traurigſte Begebenheit zu ſeyn das Vater unſer nach der Predigt zu beten vergeſſen. Der arme Mann! Er hat keine Canzel weiter beſtiegen. Dein lieber ſeeliger Grosvater rieth ihm zu einer andern ehrlichen Handthierung, indem derjenige, der vergaͤße das Vater unſer auf der Can - zel zu beten, mit Zuverlaͤßigkeit es als ein Omen anſehen muͤßte, daß er nie mit Ruhm in den Prieſterorden aufgenommen werden koͤnnte.

Endlich175

Endlich waͤr es einem in der Predigt vorgekommen der Herr Paſtor, der mit ihm in die Kirche gekommen, ſey in ein Bildnis wie Loths Weib in eine Salzſaͤule verwan - delt. Die Geſchichte verdient geleſen zu wer - den obgleich ſie nicht in der Familie meiner Mutter ſich begeben hat. Der Herr Paſtor hatte ſich bey lebendigem Leibe in Lebensgroͤße mahlen laſſen, und dieſes Bild war ſo getrof - fen als die Trauben des Zeuxis welche die Voͤgel luͤſtern machten. Der Herr Paſtor war da mit Leib und Seel.

Damit ich meinen Leſern die Bemerckung meiner Mutter nicht verhalte; ſo kam die Ehre der Aenlichkeit nicht dem Kuͤnſtler ſon - dern dem Herrn Paſtor zu. Er hatte Et - was im Geſicht von Carl dem XII. und Martin Luther, die jeder Toͤpfer trift, wenn er ſie auf den Teller hinwirft und die der liebe Gott mit einem beſondern Geſicht aus - geruͤſtet hat. Ich, ſagte ſie, moͤchte ſie tref - fen obgleich ich nicht weis was ein i ſtrich in der Mahlerey iſt

Beym zweiten Theil faͤlt dieſes Bild dem armen Candidaten ins Aug. Wer eine Pre - digt im Kopfe hat, und zum erſten mal pro candidatura ſich hoͤren laͤßt, kann nicht alleMIdeen176Ideen in ihre rechte Faͤcher bringen. Ein Duodez Baͤndchen kommt denn wol zum Fo - lianten zu ſtehen. Dem armen Mann komt’s vor er ſaͤhe ein Geſicht er wird bleich und mit den Worten Herr Paſtor Herr Paſtor Herr Paſtor die immer ſchwaͤcher nach dem Grade der Ohnmacht werden, faͤlt er ruͤck - waͤrts von der Canzel. Doch Gottlob ſezte ſie hinzu ohne ſich weiter am Leibe Schaden zu thun.

Die Woche vor der letzten lies meine Mutter nach, ihre Geſpenſterhiſtoͤrchens zu erzaͤhlen.

Ich wußte die Predigt ganz fertig und war gezwungen aus kindlicher Liebe wiewol gegen ein ſchoͤnes Stuͤck geraͤucherten rohen Schinken pro honorario gerad unter dem ſchon genug geprieſenen Bildnis das ich mit Ehren dem Himmel zugebracht, Probe zu halten.

Dieſer Ort war Kebla fuͤr meine Mut - ter. Nach meiner Meinung war dieſes eine Goldprobe. Bin ich hier bewaͤhrt und komm ich in der Speiſekammer nicht aus dem Con - cept wo mich der Geruch auf allerlei Dinge fuͤhret; wird es in der Kirche noch beſſerzum177zum Amen kommen. Es gieng in der Spei - ſekammer alles bis in den dritten Theil gut. Da warf der Wagen um. Meine Mutter fiel nicht mit ab initio ein; allein nach gluͤck - lich erreichtem Ende ſagte ſie mir im Ver - trauen daß mein Vater weit beſſer gethan haben wuͤrde es bey drey Theilen bewenden zu laſſen. Er hat ja ſelbſt ſezte ſie hinzu im vorigen ganzen Kirchenjahre nur ein ein - ziges mal vier Schuͤßeln oder Theile aufge - tragen. Indeſſen war der vierte Theil ſo wenig Schuld daran als ich mein Schnupf - tuch zur Huͤlfe nehmen und huſten mußte, daß mich vielmehr der angenehme Rauchge - ruch aus der Faſſung brachte. Ich beſann mich bald wieder und meine Predigt kam in der Speiſekammer mit vielem Beifall zum Ende. Meine Mutter hatte herzlich geweint. Wie ich die Suͤnder anredete mußte ich das Geſicht gegen die weiße Erbſen wenden (ſie waren dieſes Jahr ſehr wurmſtichig) So bald ich aber von dieſen auf die Frommen kam, die ich in meiner Predigt meine Bruͤ - der nanndte mußt ich das Geſicht meiner Mutter zukehren welche anfaͤnglich durchaus verlangte ich ſolte auch meine Schweſtern dazu ſetzen bis ich ſie durch die heilige SchriftM 2ſelbſt178ſelbſt auf andere Gedancken brachte. Sie umarmete und ſeegnete mich wiewol wieder zweygliedrig mit beiden Haͤnden ſo daß jede Hand ein Seegensſtuͤck ſich zueignete. Die Zeit der Erndte iſt vorhanden! ſagte ſie, weißt du noch was ich dir hier an dieſer heiligen Staͤdte gewuͤnſcht habe? Meine Ermahnun - gen ſind auf ein gut Land gefallen

Ueber dieſe Zuruͤckerinnerungen bey die - ſem Erndtefeſt vergaß ich das Stuͤck rohen Schinken welches mir meine Mutter fuͤr dieſe Cabinetspredigt verſprochen hatte. Sie ſelbſt hatte bey der in der Speiſekammer genoſſe - nen Seelenſpeiſe den Leib ganz und gar ver - geſſen. Ich habe indeſſen dieſe Schuldpoſt mit Zinſen vsque ad vltimum ſolutionis mo - mentum zuruͤckerhalten. Die ganze lezte Woche vor der Predigt wurde von meiner lieben Mutter ſo wie der heilige Abend vor einem der drey hohen Feſte angeſehen. Sie feyerte Weynachten, Oſtern, Pfingſten meinetwegen auf einmal und alles gieng auf Zehen. Am Freytage fuͤhrte mich mein Va - ter zwiſchen zehn und eilf des Abends in die Kirche und ſetzte ſich mit meiner Mutter, die eine kleine Laterne in der Hand hielt in ſeinen Beichtſtuhl. Ich wurde durch dieſen Scheinder179der Lampe in ein ſo ſo heiliges Feuer geſetzt, daß ich meine Predigt mit einer ſolchen Ruͤh - rung ablegte, als ich bey der ordentlichen Ablegung nicht empfand, bey welcher ich nur auf die Geſichtszuͤge dieſes oder jenes merckte und insbeſondere nicht vergaß auf Nr. 5. zu ſehen, wo mein liebes Minchen ſaß.

Im Vorbeygehen will ich bemercken, daß wenn gleich Minchen aufgehoͤrt hatte die koͤnigliche Prinzeßin und ich Alexander zu ſeyn, dieſe alte Liebe wiewol unter anderm Namen fortgelodert habe.

Mein Vater war außerordentlich mit die - ſer Predigtprobe zufrieden. Predige ſo lange du lebſt mit einer ſolchen Ruͤhrung mit einem ſolchen Gott ergebenen Herzen ſagt er ſo wirſt du dir und denen nuͤtzlich werden, die dich hoͤren.

Dieſe Probe in der Kirche war inzwiſchen ſo ſpaͤt ſie auch anfing einem Paar Leuten aus unſerm Dorfe nicht entgangen. Die Laterne in der Hand meiner Mutter hatte einen ſolchen Widerſchein geworfen, daß in der ganzen Gemeine das Gerede ging, es wuͤrde ſich ein bedeutender Todesfall ereig - nen, welches auch nach einer geraumen Zeit durch das Ableben eines Cavaliers unſersM 3Kirch -180Kirchſpiels und der Frauen des alten Herrn in Erfuͤllung ging.

Am Sonnabende vor der erſten Predigt war im Paſtorat alles ſo feyerlich ſtill, als es noch nie geweſen: meine Mutter ſagte ſelbſt wie vor der Erſchaffung der Welt Meine Mutter hatte die Lieblings Schuͤſſeln auf den andern Tag fuͤr mich beſtelt und ent - deckte mir wolbedaͤchtig ſchon Sonnabends am Huͤner oder Polterabend womit ſie mich Sonntags erfreuen wuͤrde. Auch der liebe Gott ſetzte ſie hinzu erfreut ſeine Kinder in dieſer Welt mit leiblichen Gaben. Wer am erſten nach ſeinem Reiche trachtet, erhaͤlt dieſe Zugaben und empfaͤhet ſie mit Dankſa - gung und Wohlgefallen.

Bald haͤtte ich einen Zug vergeſſen, der mir ſehr ruͤhrend und eben ſo laͤcherlich vor - kam. Ungefehr um eilf Uhr in der Nacht auf den Sonntag da meine Mutter in der feſten Meinung war ich ſey ſchon eingeſchla - fen; kam ſie in meine Kammer, und nach - dem ſie das Concept zu meiner Predigt ſehr andaͤchtig aus der Bibel genommen legt ſie’s mir unter’s Kopfkuͤſſen, murmelte einige mir unverſtaͤndliche Worte und ging davon. Schon war ich im Grif nach der Hand die -ſer181ſer lieben Mutter, um ſie zu druͤcken und zu kuͤſſen. Ich konnte dieſe ich will ſie Brautnacht nennen nicht ſchlafen und war alſo ein Augenzeuge von dieſem Vorgange wenn ich gleich meine Augen bis auf ein klein Ritzchen verriegelt hatte.

Des Morgens erfuhr ich den Aufſchluß dieſer Ceremonie, die ſich von der Schweſter der Mutter meiner Mutter herſchrieb, welche behauptet hatte daß das Concept unterm Kuͤſ - ſen ſehr das Gedaͤchtnis ſtaͤrcke. Ich glaub’s nicht fuͤgte meine Mutter hinzu indeſſen iſt’s in der Familie beybehalten bis auf die vorige Nacht.

Ich hielte meine Predigt mit erwuͤnſch - tem Gluͤcke, allein ohne Ruͤhrung, indem wie ich ſchon bemerkt habe mein Auge herum wanckte und bey N. 5. ſich lagerte.

Ich ſahe ein was mein Vater oft zu be - haupten pflegte. Ein Geiſtlicher muß wie ein Vater zu ſeinen Kindern reden. Wenn er ſich’s aufſchreibt muß ers nicht der Ge - meine ſondern ſeines Gedaͤchtniſſes wegen thun. Auch ein Vater macht ſich wol ein Promemoria wenn er viel mit ſeinem Sohne zu ſprechen hat.

M 4Meine182

Meine Predigt nannt er eine Kirchen - chrie ein Exercitium und ſehr richtig

Wer, pflegt er zu ſagen, ſich ein Gebet auswendig lernt, ſpottet Gott den Herrn. Entweder muß man gar nicht auf der Can - zel beten oder man bete nach der goͤttlichen Vorſchrifft ihr ſolt nicht viel plappern Sonſt war mein Vater der Meinung daß junge Leute nicht eher die mindeſte Ausarbei - tung machen ſolten, als bis ſich ihre Seele entfalten koͤnne. In jedem Menſchen ſagt er liegen Zuruͤſtungen und Triebfedern zu al - len Karacktern. Die erſte Schrifft die ein junger Menſch entwirfft muß der Kupferſtich ſeiner Seele ſeyn. Notabene der Kupfer - ſtich Wer die Tropen und Figuren er - fand, erfand Masken fuͤr Diebe, Verraͤther, Moͤrder und Ehebrecher. Man ſchreibt ſich jetzo nicht aus wenn man ſchreibt ſondern man hat eine Vorſchrifft Auf die erſte Predigt iſt wenig von dem was ich geſagt ha - be zu deuten. Schwerlich wenn ſie auch ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr erhellen als ob der junge Menſch zum Geſetz oder zum Evangelienprediger gedeihen werde.

Meine Mutter haͤtte gern geſehen wenn ich ein Paar Verſe nach muͤtterlicher Weiſeein -183eingewirckt haͤtte, allein es ging ihre Mei - nung nicht durch. Warum predigt man denn nicht mitten im Liede fragte mein Va - ter? Meine Mutter konnte nichts dage - gen ſingen.

Alles was wuͤnſchen konnte, wuͤnſchte mir Gluͤck nur Minchen nicht dieſe ging aus N. 5. als ob ſie nichts gehoͤrt haͤtte. Ihr Scherflein, ein verſtohlner Blick galt aber mehr als alle uͤbrige klingende Muͤnze. Sie hatte mich nach dieſer Predigt noch lieber als ehemals, ohne daß ich einſehen konnte was eine Predigt auf die Liebe fuͤr einen Ein - fluß haben koͤnne.

Nach der Zeit erklaͤrt ich mir dieſes Raͤthſel. Das Frauenzimmer liebt Leute die oͤffentlich reden und Geſchaͤfte treiben: viel - leicht weil es Herzhaftigkeit verraͤth, viel - leicht weil die Ehre die auf den Verehrten faͤlt auf ſie zuruͤckprallt. Kurz ich gewann bey Minchen. Ich hatte ſie in der Predigt angeſehen ich hatte Gott in der Kirche (ſo kam es ihr vielleicht vor) hiedurch zum Zeu - gen unſrer Liebe angerufen. Wir waren nur eine Seele vor der Predigt, nach der Predigt war ich der Mann ihrer Seele und ſie das Weib der Meinigen. Im Kuͤſſen ka -M 5men184men wir uns nach dieſer Predigt oft auf dem halben Wege entgegen an mehr dachten wir beyde nicht

Der alte Herr wolte wieder mit einem Spruch bey meiner Mutter gut machen was er mit einem Spruch verdorben hatte. Man kann vom jungen Herrn verſichert er nicht ſagen was man vom Herrn Paſtor in ſagte der die Gemeine von ſeinem Herrn Va - ter erbte und mit ihr des Vaters Concepte Alles was der Vater hat iſt ſein, und von dem Seinen wird er’s nehmen, und euch verkuͤndigen.

Meine Mutter ſprach gleich nach einge - nommenem Mittagsmahl von Univerſitaͤten, allein mir ſchienen Univerſitaͤten ein ſehr unnoͤthig Ding zu ſeyn. Ich wiederhohlt ihr das was mein Vater druͤber verkuͤndi - get hatte.

Muͤſſen denn alle Baͤume die ihr Haupt empor heben ſollen ehe ſie an Stelle und Ort kommen in einer Baumſchule ihre Jahre ſtehen. Wo Gott und die Natur iſt, da iſt eine hohe Schule. Gott wohnet nicht in Tempeln mit Menſchenhaͤnden gemacht nicht in Jeruſalem, ſondern in ihm leben weben und ſind wir.

Wer185

Wer leugnet daß auf Univerſitaͤten ge - ſchickte Maͤnner ſind; allein ich glaube daß ein geſchickter Mann ſein Licht nicht blos auf der Univerſitaͤt leuchten laſſen, ſondern ſchrei - ben werde. Profeſſor Sokrates ſchrieb nicht; allein, es ſchrieben andre fuͤr ihn und ſo bald ein Profeſſor ſchreibt warum ſollen wir hin ihn zu ſehen? Warum ſoll ich einen Geiſtlichen bitten die Predigt zu halten, die gedruckt iſt? Iſt’s wo damit ich reden hoͤre, kann ich denn nicht laut leſen?

Da grif mich meine Mutter. Dein Va - ter und ſein Wort in Ehren, nur in dieſem Stuͤck hat er Grundſaͤtze, daß man beinahe glauben ſolte er waͤr auf keiner Univerſitaͤt geweſen.

Wolt Gott er waͤr’s nicht, denn in Wahrheit er verdient ſo ſehr Paſtor zu ſeyn, als die auf zehn geweſen ſind.

Alles gut, allein beim Hebraͤiſchen ſtehen die Ochſen am Berge.

Ein Converſus Sag mir nichts vom Converſus Gott leite den unſrigen auf meinen Inſtrucktionswe - gen! Beſſer waͤr’s fuͤr ihn geweſen wenn ich ihn ſchriftlich inſtruirt haͤtte. Was kann(um186(um auf deinen Vater zuruͤck zu kommen) was kann, im Grund genommen und aus der Tiefe geſchoͤpft, was kann ein Converſus? Muß man nicht in die Kirche obgleich Pre - digt Buͤcher feil ſind?

Doch nicht jeder?

nicht Jeder?

Nein

nicht?

Der Prediger Haͤtt ich meiner Mutter einen Augenblick Zeit bey dieſer Antwort gelaſſen, waͤr ich verloren geweſen, allein ich erklaͤrte mich daß ein Prediger nicht hoͤrte ſondern redete und mithin eigentlich nicht in der Kirche waͤre.

Dieſe Erklaͤrung oͤfnet ihr viele Gele - genheit mich zu uͤberzeugen daß er erſt ſich und ſodann andere zu bekehren zur Pflicht haͤtte wie er denn ſich auch ſelbſt hoͤrte im Fall er nemlich nicht taub waͤre. Ich oder eigentlich mein Vater fuhr fort

Es iſt unmoͤglich in drey Jahren alles zu lernen was funfzehn Profeſſores wiſſen Wer ſagt’s antwortete ſie du ſolſt nur erfah - ren wo du weiter nachſchlagen kannſt.

Das187

Das ſagt mir aber jedes Regiſter Das lieſt du in jedem Regiſter wilſt du ſagen und liebe Mutter! unſere junge Herren die von Univerſitaͤten kommen?

Alles Recht allein du ſolſt ein Vorbild werden der Heerde du haſt Talente die muͤſſen auf einer privilegirten Waage gewo - gen und das Gewicht durch ein beglaubtes Teſtimonium bezeichnet werden. Es wird in ſchoͤnem Latein gegeben

Die Talente brachten mich auf ein wei - tes Feld, ich ſagte zwar nichts, was nicht mein Vater ſchon oͤfters geſagt hatte; ich ſagt aber wovon ich uͤberzeugt war. Man klagt uͤberall uͤber Unterdruͤckung der Talente! und daß ſo viele Lichte unterm Scheffel blei - ben Glaub’s nicht pflegte der gute Mann zu ſagen. Wer ein recht Talent hat brennt ſich durch den Scheffel durch; deſſen Flamme ſo weit nicht reicht bleib unterm Scheffel oder bleib im Lande und naͤhre ſich redlich. Muß denn wer ein Talent hat gleich ein Buch ſchreiben? Kann man nicht ein Talent haben und den Pflug fuͤh - ren? Ein Talent iſt Hefen Er machtdaß188daß ſich der Teig hebt wenn er herein ge - legt wird

Protagoras der Tagloͤhner legt und band ſein Holz ſo kuͤnſtlich, daß er dem Democri - tus ins Auge fiel, der ihn die Wiſſenſchaf - ten ſo legen und binden lehrte und ſo findet jeder Protagoras ſeinen Democritus, ob - gleich noch die Frage bleibt, hat Democri - tus dem Protagoras eine Laſt abgenommen oder aufgelegt?

Niemand als Minchen machte mich ſo beredt und da endlich meine Mutter mir ent - gegenſetzte, daß wenn ich nicht auf Univer - ſitaͤten geweſen ich nicht Paſtor werden konn - te; kam ich auf andere Gedanken, und das (wie zuvor) auch Minchens wegen. Ich ſahe wie ein Erleuchteter auf einmal alle Gruͤnde meiner Mutter ein und hatte keinen Zweifel mehr als den: Muß denn jeder in der Frem - de als Geſell arbeiten und wandren eh er Paſtor wird? Dieſen Zweifel loͤſte mein Vater.

Was er wieder die Univerſitaͤten geſagt hatte war vorm Brande geſchehen. Jetzt war er zwar eben kein Apologiſt der hohen Schulen; denn ſo ſehr konnt er nicht ſeinenGrund -189Grundſaͤtzen untreu werden; allein er war der Meinung meiner Mutter, die ihn ſehr bat mir andere Gedancken einzuaͤugen, die aber ſchon wirklich ohne daß es meine Mutter gemerkt hatte bey mir in Bluͤthe ſtanden.

Kinder ſagte mein Vater ſolte man kei - nem Menſchen anvertrauen der nicht auch Kinder hat oder gehabt hat, ſo wie man keine Hebamme anzunehmen pflegt die nicht weiß wie es einer Geſeegneten zu Muthe ſey. Wenn ich ja einem Arzt ein Ohr zuneigen ſolte, ich ſage mit Fleiß ein Ohr obgleich ich Gottlob beide brauchen kann, muͤßt er ſelbſt die Krankheit haben die er curiren will. In dieſem Fall wird mir ein Hufſchmid und eine entzahnte Matrone eben ſo willkommen als ein rother Mantel ſeyn.

Seht da! warum ich dem alten Herrn der Schuſter, Schneider und Toͤpfer iſt, alle dieſe Handwercke auf Herz und Seele der ihm anvertrauten Jugend anzuwenden ge - ſtatte. Sein Sohn Benjamin und ſeine Tochter Wilhelmine haben ihn examiniret und tuͤchtig befunden. Es ſind gut gezoge - ne Kinder.

Bey dem Worte Willhelmine zog ich mein Schnupftuch aus der Taſche ohn ſonſtzu190zu wiſſen warum als des Namens Willhel - mine wegen.

Man muß alles von ſich anfangen. Selbſt wenn die Schulgelehrten die Exiſtenz Gottes beweiſen wollen Schand iſt’s zu ſagen daß ſie’s wollen fangen ſie von ſich an: ich bin ſagen ſie, alſo iſt auch Gott der Herr. Es ſind gewiſſe Geheimniſſe, wel - che die Natur obſchon der Kunſt viel verra - then worden doch fuͤr ſich behaͤlt, und dahin gehoͤrt die Kinderzucht. Man wird in die - ſes Geheimnis allein durch die Vaterſchaft initiiret. Ich glaub es ſteif und feſt, daß jeder Vater waͤr’s gleich ein Buͤrſtenbinder und jede Mutter waͤr’s gleich eine Buͤrſten - binderin, ihre Kinder erziehen koͤnnen und es alſo nicht noͤthig haben anderen Unterricht fuͤr die kleinen Buͤrſtenbinderchen in einem oͤffentlichen Laden zu kauffen. Wie ſolte wol die Natur ſo ungerecht ſeyn das groͤßere zu geben und das kleinere zu verſagen? Du weiſt Alexander, was dein Vetter der große Summus Alexander (an dieſe Vetterſchaft hatt er lang nicht gedacht) ſeinem Lehrer dem Summus Ariſtoteles fuͤr ein Compliment machte, im rechten Sinn ein Compliment: Er haͤtt ihm mehr als ſeinem Vater Philippzu191zu dancken. Sobald Alexanderbleiben wolte was ſein Vater war hatt er unrecht; wolt er aber die Grenzen ſeines Reichs erweitern und nicht Buͤrſtenbinder bleiben ſetzte meine Mutter hinzu hatt er recht. Da liegt der Grund von dem Lehn der Erziehung. Der Vater der aus ſeinem Sohn mehr machen will als er ſelbſt iſt muß freilich einen andern Weg einſchlagen: Indeſſen ſolte dieſer andre Weg keinem Vater verſtattet ſeyn, der nicht Alexanders zu Kindern und Ariſtoteles zu Leh - rern aufweiſen koͤnnte. In dieſem Fall muͤßte aller Beiſpiele vom Gegentheil uner - achtet, die Jugend, die Gnadenzeit, der Morgen, nicht verſaͤumet werden.

Der Staat braucht viel Haͤnde, aber wenig Koͤpfe. Ein politiſcher Kannengießer iſt ein ſchlechter Kannengießer und ein ſchlech - ter Buͤrgermeiſter; die Kenntniſſe des ge - meinen Mannes muͤſſen bey der Hand bleiben und nicht bis zum Kopf kommen. Wer dem Menſchen das Dencken nehmen will ſetzt ihn herab. Dencken kannſt du, du kannſt dencken, das Gruͤblen das weiter Hinausdenken als vier und zwanzig Stunden, zwoͤlf in die Laͤnge und zwoͤlf in die Breite, iſt dem Menſchen ſchaͤdlich und Tint und Feder Papier undNPreſſe192Preſſe ſind eben ſolche Verhehrer des menſch - lichen Geſchlechts als Bomben Kartetſchen und Pulver und Schrot und Buͤchſen und Saͤbel

Mein lieber Vater war uͤber dieſen Ge - genſtand ein Verſchwender er gab ohnge - zaͤhlt ich will bedachtſamer zu Wercke ſchreiten und mit geitziger Kuͤrze nur Etwas von ſeinen Grundſaͤtzen ausgeben. Der Himmel gaͤbe, daß es lauter ſeltene Schau - ſtuͤcke waͤren, ich wuͤrd ſie meinen Leſern herzlich goͤnnen.

Daß jeder Kinderlehrer geheyrathet ſeyn muͤße wiſſen wir ſchon. Man hat ſagt er lang auf Verbeſſerung der niedern Schulen gedacht und freilich muͤßen dieſe eher verbeſ - ſert werden als hohe wo du mein Sohn dein Heil verſuchen ſolſt: allein man ſolte noch eine Stuffe herunter treten und mit der Ver - beſſerung der Muͤtter dieſes gute Werck an - heben. Man ſolte Toͤchter ziehen ehe man noch an Soͤhne kommt. Jetzt iſt die Erzie - hung, wenn man an die Maͤnner appelliret gemeinhin ſchon in der erſten Inſtanz von unwiſſenden und ungeſchickten Sachwaltern verdorben und die Kur einer von der Mutter verfaͤlſchten Seele Was in ſo vielen Ge -nera -193nerationen verdorben iſt muß wieder allmaͤh - lig verbeßert und zu ſeinem anfaͤnglichen We - ſen gebracht werden. Deſperate Mittel ſind eben ſo viel gewiße Morde. Bliebe der Menſch blos Menſch er muͤßte ſehr alt werden und beinah unſterblich ſeyn. Jetzt aber da ihn die Vernunft verleitet von der Landſtraſſe bald zur Rechten bald zur Linken abzuweichen und theils ſeinem Leibe theils ſeiner Seele zu viel zu thun, faͤlt er eher wie ein wurmſtichiger Apfel ab: Er hat einen Wurm der ihn zehrt

Den rechten Weg abzuſtecken und auf deſſen Erhaltung zu ſehen waͤre die Pflicht der Gelehrten. Sie ſolten Wegcommiſſairs fuͤr das menſchliche Geſchlecht ſeyn. Wer einmal den rechten Weg verſchlaͤg kommt im - mer weiter vom Ziel.

Ein Vater kann mehr als ein Kind ha - ben und ein Lehrer mehr als einen Schuͤler; allein ſeht euch nur um. Der von zehn Jah - ren iſt eben ſo weit als der von fuͤnfen.

Man kann den Privatunterricht nicht verachten. Schulen haben ihr Gutes; der Privatunterricht der der Natur naͤher ver - wandt zu ſeyn ſcheint auch.

Elementarbuͤcher ſind ſehr gut, allein ein Elementarlehrer iſt noch beſſer. Fuͤr wenN 2ſollen194ſollen Elementarbuͤcher geſchrieben werden? fuͤr Genies oder fuͤr Mittelmaͤßige oder fuͤr Marode? Will man ſie fuͤr Mittelmaͤßige ſchreiben um die Mittelſtraße nicht zu ver - fehlen auf der viele wandein; leiden andere die den ſchmalen Weg anzutreten Herz haben und die enge Pforte nicht ſcheuen weil ſie zum Leben fuͤhrt. Die Bibel iſt das einzige Buch das fuͤr alle Menſchen paßt, ein goͤtt - liches Elementarbuch

Ein poetiſcher Kopf darf nur vieles durch bildern von allem nimmt er Zoll. In der ganzen Natur ſchreibt er Schatzung aus. Er befindet ſich in den Wiſſenſchaften auf Rei - ſen, wo ihn oft was aufhaͤlt worauf der Eingebohrne, das Landeskind, der Philo - ſoph, nicht kommt. Ein denkender Kopf weiß weniger allein ſeine Aecker kennt er auf ein Haar. Er thut wenn ich ſo ſagen darf, was der Dichter weiß. Ein großer Kopf iſt eine Miſchung von beyden. Seelig ſind die wiſſen! Seeliger die thun! und am ſee - ligſten die wiſſen und thun! So viel Koͤpfe ſo viel Sinnen ſo viel Alexanders ſo viel Wel - ten, ſo viel Planeten ſo viel Bahnen, ſo viel Genies ſo viel Methoden

Es195

Es iſt unerhoͤrt daß unſere Schulhalter lauter Geiſtliche ſind. Sehr klug fuͤr die Geiſtlichen beſonders in der monarchiſchen Kirche Unſere Knaben werden alle erzo - gen, als ob ſie Schulmaͤnner werden ſol - len, unſere Toͤchter wenns koͤſtlich geweſen als Mamſels (als franzoͤſiſche Hofmeiſte - rinnen.)

Jedes Mitglied des Staats muß ſein Votum haben, wenn eine algemeine Schul - anſtalt im Staat erbaut werden ſoll. Bey Toͤchtern duͤrfen nur drey ganz gewoͤhnliche Weiber votiren. Dieſe Weiber muͤßen ge - ſund ſeyn, jede einen Sohn und eine Toch - ter haben auch NB. jede nur einen Mann. Juͤnglinge haben viele Zwecke. Maͤdchen nur den: Weiber und Muͤtter zu werden. Ein gut Weib iſt auch immer eine gute Mutter.

Schul und Welt iſt jetzt zweyerley. Schulbegriffe ſind mit einem Worte ſolche denen die Erfahrung widerſpricht. In der Schule ſind Worte. Sachen, Nadel und Zwirn ſind ein Kleid, Mittel iſt der Endzweck.

Schullehrer! bleibt nicht auf der Banck mit euren Schuͤlern, ſondern zieht mit ihnen in die freye Luft der Natur, werdet Peripa -N 3teti -196teticker. Lehret ſie im Angeſichte Gottes oder laßt ſie nur herum gehen; die Natur ſelbſt wird ſie beſſer unterweiſen als ihr, wenn ihr Gottes Wetter nicht ertragen koͤnnet.

Die Gabe zu unterrichten (donum do - cendi) hat jeder Menſch. Wer durch die rechte Thuͤr gekommen iſt wird auch wieder durch die rechte Thuͤr heraus finden. Wer eine Treppe in die Hoͤhe ſteigen kann wird ſie auch herabſteigen. Berg ab iſt im - mer leichter. Wer eine Sache halb weiß kann nur ein Viertheil beybringen. Wer nur ein Viertheil weiß iſt ein Miethling Je laͤnger ich ſtudire je kuͤrzer iſt die Predigt. Bedenckt den Haufen Holz und Stein und Ziegel und Dachpfannen und Glaß und Kalck und tauſenderley, eh es ein Hauß wird. Steht das Hauß: alles hat ſechzig Fuß in die Laͤnge und dreyßig Fuß in die Breite, Raum.

Je ſchoͤner aber die Rede, deſto weniger behaͤlſt du. Das Gedaͤchtnis hat keine Zeit anzuhalten, keine Ruhe. So was ſchoͤnes kann nur die Kunſt machen wo kein Punkt kein Comma kein Semicolon iſt. In der Natur hat die Sonne ſelbſt Flecken. EinDich -197Dichter hat das kleinſte Donum docendi ſetze ihn auf einen Lehrſtuhl auf welchen du wilſt. Er wirft Strahlen allein die meiſte Zeit iſt er umwoͤlckt. Aratus hat ein beruͤhmtes Gedicht uͤber die Aſtronomie geſchrieben, ohne daß er ſie verſtand. Er wuͤrde kein Gedicht wenigſtens kein beruͤhmtes daruͤber geſchrie - ben haben wenn er ſie verſtanden haͤtte. So nachlaͤßig der Anzug eines Dichters iſt; ſo ſieht’s auch mit ſeinem Wiſſen aus. Da fehlt ein Hemdeknoͤpfchen da hat das Kleid einen Coffeeflecken und an den Beinkleidern fehlt vorzuͤglich bei jedem Dichter was. Bitt ihn ſein Stubenfenſter zu zumachen; er rie - gelt nichts zu, er zieht nur an. Es iſt kein gemeines ſondern ein heiliges Dunckel ſo den Dichter umgiebt. Eine ſchoͤne Daͤmmerung und nach Bewandnis der Umſtaͤnde Morgen oder Abend

Wer vielerley weiß iſt biegſam wer einer - ley weiß iſt ſtolz. Jener ſieht ein, wie viel ihm fehlt, dieſer iſt ein Hahn auf dem Miſte.

Haben wir mehr Wege zur Seele als Empfindung und Reflexion? Wer dies die hohe und jenes die untere Schule nennt hat ſich uͤbel erklaͤret.

N 4Das198

Das Wohlfeile das Schlechte dieſer Er - ziehungsanſtalten meines Vaters iſt, mich duͤnkt, ſehr auffallend: es ſind alles Haus - mittel, fimplicia.

Allein bey alle dem lieber Vater iſt dies nichts mehr als eine gute Unterlage. Noch biſt du nicht immatriculirt und meine Leſer haben von Mutterleibe ausgehen muͤßen um endlich[auf] die Boͤrſe der Gelehrſamkeit zu kommen wo der Cours ein . vls beſtimmet und Ducaten und harte Thaler nach der Zahl der Liebhaber gewuͤrdiget werden. Die Her - ren Geiſtlichen machen ſich in jeder Predigt eine kleine Bewegung vom Paradieſe aus und keichen dahero gemeinhin wenn ſie an die Her - zen ihrer lieben Gemeine anklopfen. Wenn mein Vater nur nicht keicht anſtatt, daß er von der Leber wegreden ſolte. Den Stand der Unſchuld, den Stand der Suͤnden, den Stand der Gnaden und den Stand der Herr - lichkeit wollen wir ihm verzeihen.

Die Academien mein Sohn (Gottlob Land!) ſind gut und nicht gut ſo wie alles in der Welt. Niemand iſt gut als der einige Gott.

Die Academie iſt das, was bey den Zuͤnf - ten und Handwerckern die Fremde iſt.

Ich199

Ich habe nie, das weißt du, der Aca - demie gejubelt und Lobopfer gebracht; allein auch nie hab ich mich wider ſie durch eine niedergelegte Ackte verwahret. Die Wahr - heit zugeſtehen wolt ich mit dir anfaͤnglich zum andern Thor hinaus. Es hat große Leute auf Academien gegeben obgleich Newton ein Muͤnzmeiſter, Copernikus ein Domherr, und Leibnitz ein Hofmann war

Mein Vater warf die Frage auf wer auf der Univerſitaͤt den kuͤrzern ziehet der Lehrling? oder der Lehrer? allein wenn er gleich uͤber den Lehrer laͤnger als uͤber den Schuͤler den Kopf ſchuͤttelte, ſo ſah er doch auf den Schuͤler in Seelen und in Leibesge - fahr. Profeſſores ſind damit ihn meine Le - ſer wieder ſelbſt hoͤren Sclaven die an Zei - chen, Zeiten, Tage und Jahre gebunden ſind. Es ſind Koͤrper in der gelehrten Welt die nicht ihr eigen Licht haben ſondern die viel - mehr ihr Licht gemeinhin von dem Vivat junger rohen Leute erhalten, Koͤrper die alle halbe Jahre ihren Lauf unſeelig vollenden, Uhren die in Oſtern und Michael ausgeſtaͤubt werden. Profeſſores ſind ſtehende Waͤſſer die faul werden. Ich will es wie ich ſchon oft gethan kuͤrzen, wenn auch der Zuſammen -N 5hang200hang dabey ein Paar Grane einbuͤßt. Ein academiſcher Lehrer muß, wenn er ſeine Kennt - niße gut verzinſen will, marcktſchreien, und durch eine Univerſalpille die Leute an ſeine Bude locken. Die meiſten haben ein Arca - num ein Myſterium das ſie empfiehlet wovon ſie zwey Drittheil alle halbe Jahr fuͤr ſechs bis acht Thaler ſchwer Geld verhandlen ein Drittheil behalten ſie noch zuruͤck. Man erfaͤhrt alſo das ganze nicht eher, als bis es im Druck erſcheinet und ſiehe da! kein Menſch findet das was der Profeſſor fand. Es iſt ein gewoͤhnliches Compendium.

Weiß ein Profeſſor nur einerley iſt er ein Pedant. Seine Wiſſenſchaft iſt der Deſpot der uͤber ihn herſcht. Weiß er, (und dies iſt gemeinhin der Fall, weil er mit ſeinen Herren Amtsbruͤdern oft eine Lanze brechen muß) mehr; iſts blos ſo ſo. Das wenigſte iſt Wiſſenſchaft, was wir haben, das meißt iſt Muthmaſſung, Weg, den man gehen muß um zur Wiſſenſchaft zu gelangen. Es geht mit den Wiſſenſchaften wie mit der Liebe: Die verſtohlne iſt die angenehmſte. Das Handwerk wird einem Jeden ſo gelaͤufig daß er auf keine Erfindung kommen kann. Per aſpera ad aſtra. Wuͤrden die Profeſſoresblos201blos von regierenden Herren bezahlt werden; ſo duͤrften die Wiſſenſchaften zwar gewinnen, allein die Lehrlinge wuͤrden alles verlieren. Wie die Nonne den Pſalter ſingt wuͤrd gele - ſen werden. Die Lehrer wuͤrden nur auf das dencken was gedruckt werden ſoll. Jezt aber die Metaphyſik fuͤr wenige Thaler kau - fen iſt unſchicklich. Ein Profeſſor der ein Autor iſt, und wer iſt nicht beides? haͤlt es nicht der Muͤhe werth junge Leute zu unter - richten. Die Welt iſt ſein Auditorium und da ſitzen Kayſer Koͤnige Fuͤrſten u. ſ. w. auf den Baͤncken. Ein Autor iſt ein ſo ſtolzes Ding daß er mit dem ganzen menſchlichen Geſchlechte ſpricht.

Ein Profeſſor ſpickt (lardirt) ſeinen Vor - trag. Er iſt oft gezwungen uͤber geſunde Speiſen ungeſunde und unſchmackhafte Bruͤ - hen zu guͤßen

und dem academiſchen Juͤngling! was legt ſich nicht in den Weg ihn zu ſtoͤren! da iſt ein Staͤndchen zu bringen! da kommt ein Landsmann! da hat er ſich zu ſchlagen, da dem Profeſſor der die Privilegien ſchmaͤhlern will die Fenſter einzuſchlagen Die Frei - heit iſt ihm der Weg zur Ungezogenheit. Seine Mitbruͤder erſticken bey ihm den Trieb ſichempor202empor zu arbeiten. Will er ein ehrlicher Landsmann ſeyn muß er wie der Haufen nichts lernen. Es ſind kleine Hoͤfe auf den deutſchen hohen Schulen errichtet der Prinz der Reichsgraf halten ſich Cammerherren Stallmeiſter Hofmarſchaͤlle u. ſ. w.

Auf Univerſitaͤten ſagt dir jeder Lehrer nicht was du zu wiſſen noͤthig haſt, ſondern was er weiß. Da lernſt du den Werth der Wiſſenſchaft nicht von dem der ſie vortraͤgt ſondern von ſeinem Nachbar einem andern Profeſſor der ſie verachtet.

Erinnerſt du dich was der Herr Candi - dat von einem benachbarten Koͤnige er - zaͤhlte der ſeinen Profeſſor der Moral, ſelbſt pruͤfte. Herr ſagt er moraliſir er mir was vor, damit ich ſeh ob er was weiß. Ich fand hier viel richtiges geſagt, und noch eins auf den Weg von einem Profeſſor der Mo - ral, der durch ſeinen Wandel ſeine Lehren mit Gift hinrichtete. Was hoͤr ich von ihm? ſagte der dirigirende Miniſter dieſer hohen Schule Verzeihen Ew. Excellenz ich bin nur extraordinarius

Dieſe Rede wiederrief nun zwar mein Vater nicht; indeſſen lenckt er jetzo alles zumBeſten,203Beſten, da er wie er ſich ausdruͤckte durch ein ander Thor mit mir hinaus wolte. Es muß ſagt er eine Zeit ſeyn wo man einſehen lernt was man nicht weiß, und kein beſſerer Ort dazu iſt als eine hohe Schule. Ein Profeſſor kann wenn er ſeine Wiſſenſchaft nicht bis zum Handwerck treibt und ſie zu - weilen ein Jahr ruhen laͤßt unendlich weit kommen. Dieſe Wiſſenſchaft iſt eine liebe Frau die man nach einem Jahre Entfernung wieder in ſeinen Arm ſchließt da iſt’s als wuͤrde man aufs neue copulirt. Ein Pro - feſſor ſiehet ob ſeine Saat gut ſey vor ſich er lernt eine Bewirthſchaftung guter Koͤpfe, und wird ein Finanzier in der Gelehrſamkeit. Wer hat mehr Gelegenheit Proben zu ma - chen als er? und ſeine Begriffe bis zum An - ſchauen deutlich; wer ſeine Wiſſenſchaft mehr unuͤberwindlich zu machen als er? Durch alle fuͤnf Species der Rechenkunſt rechnet er ſeine Wiſſenſchaft durch. Der Glaube kommt durch die Predigt. Steht er Profeſſor hoch im Cours ſo bringt er auch ſeine Wiſſenſchaft in den nemlichen Werth. Er erleuchtet eine ganze Provinz und macht daß man ſeinen Namen annimmt z. E. Wolfianer. Ein wuͤrdiger Profeſſor hoͤrt ſich in wohlgerathe -nen240[204]nen Schuͤlern von der Kanzel, lieſt ſich im Urtheil findet ſich am Krankenbette

Er iſt in einer beſtaͤndigen Waͤrme, wenn andere Gelehrte durch ihren Beruf ſich erkaͤl - ten und Muͤhe haben wieder in gelehrte Tran - ſpiration zu kommen

Auch die Alten hatten ihre Schulen und ſo wie Kirchen gut ſind obgleich Gott uͤberall iſt ſo ſind Academien nicht zu verwerfen. Wo habt ihrs denn her, daß ihr ſo gelehrt auf Academien ſchelten koͤnnt, wie ihrs thut? Beynahe koͤnnte man ſagen: die Deutſchen waͤren Univerſitaͤts oder academiſche Koͤpfe. Warum wolt ihr eure Mutter verachten weil ſie nicht ſo gut gekleidet gehet als eure junge[Frau]?

Iſt denn der Wetteifer nichts wozu man auf Academien Gelegenheit hat?

In der Schule locirt der Herr Praͤcep - tor auf der Academie locirt ihr euch ſelbſt.

Es giebt auf Univerſitaͤten Gelegenheit ohn ein beſchwerliches Lexicon in die Hand zu nehmen und den Buchſtaben und Zahl nachzuſchlagen, gleich zu lernen was man nicht weiß. Ein Wort das oft ein Lehrer im heiligen Enthuſiasm verlohr das heißt das er ſagte ohne es beynah zu wißen gewis205gewis aber ohn es zu behalten, ein ſolches Wort faͤlt nicht auf die Erde. Der Juͤng - ling faßt es: Aus dem Meeresſchaum wird eine Venus.

Eine Univerſitaͤt iſt ein gewiſſes ganzes der Gelehrſamkeit, eine Meſſe wo man nicht an den Stadtkraͤmer gebunden iſt, wiewol es auch hier offt heißt: wenn die Narren zu Marckt kommen freuen ſich die Kaufleute.

Freilich kann man Meiſter werden ohne gereiſet zu ſeyn allein wer achtet einen Mei - ſter der nicht Certificate von fremden Laͤn - dern aufweiſen kann. Die bekannte Avthen - tica habita Cod. ne filius pro patre welche ſich vom roͤmiſchen Kaͤiſer Friedrich herſchreibet ſaget ausdruͤcklich omnibus qui cauſsa ſtudio - rum peregrinantur Scholaribus & maxime diuinarum atque ſacrarum legum profeſſori - bus hoc noſtræ pietatis beneficium indulge - mus. Was iſt das? fragte meine Mutter auf Luthers Art, und mein Vater antwor - tete dies Privilegium kommt nur gelehrten Wandersburſchen zu. Gott gleite ſie ſagte meine Mutter und bringe ſie geſund zu den lieben Ihrigen.

Man hat dahero auch den gelehrten Zwei - fel aufgeworfen fuhr mein Vater fort ob die -jenige206jenige welche auf einer Univerſitaͤt gebohren werden ſich dieſes Privilegiums zu erfreuen haͤtten? und ob auch Lehrer hierunter zu begreifen die nicht diuinarum atque ſacrarum legum Profeſſores waͤren, allein man iſt der gelehrten Meinung ad eins geweſen, daß alsdenn die Reiſe aus Mutterleibe unter den Worten qui cauſsa ſtudiorum peregrinantur zu verſtehen ſey wenn man auf einer hohen Schule gebohren wuͤrde wie denn ein Pro - feſſor aller Facultaͤten wenn gleich er hauß - ſaͤßig iſt, jedennoch ſchon darum unter dem Privilegio Raum hat weil er mit ſeinen Ge - dancken in die kreutz und in die quer verrei - ſet und immer, er ſey auch Docktor aller Facultaͤten, ein Scholaris bleibt. Das Wort maxime entſcheidet ad zwey die gegebene aca - demiſche Frage ſo deutlich als moͤglich

Alles dieſes mein Kind ſind academiſche Gedanken und kann ich dir einen Commen - tarius Auctore Helfrico Vlrico HUNNIO doctore & in Jnclyta Academia Gieſsena Juris Profeſſore publico & ordinario in die Hand ſpielen woraus du dir eine Reiſekarte zu zeichnen im Stande ſeyn wirſt

Hier eine große Luͤcke. Meine Leſer werden die andere von ſelbſt bemerkt haben. So207So viel noch hinzu. Meine Mutter traute dem Panegyrikus meines Vaters auf den Univerſitaͤten in vſum Delphini nicht ganz. Sie merkt es ihm ab daß er ſeine Zweifel nicht voͤllig los werden konnte.

Plato hat wie erzaͤhlt wird die Schrif - ten des Comoͤdienſchreibers Ariſtophanes ge - liebt und da er geſtorben war fand man noch im Bette die Schriften dieſes gekroͤnten Co - moͤdienſchreibers, der ſich mit Sokrates wie ein Paar Profeſſors und ein Paar bekandte Hausthiere vertrugen. Dies iſt genug zur Bertheidigung meines Vaters bey ſeinen Seitenblicken

Academie (mein Vater laͤßt ſich verneh - men) hieß der Ort wo Plato ſeine Philoſophie lehrte, die ſo ſchoͤn war als der arcadiſche Garten dieſes Unſterblichen. Waͤr’s auch nur ſeinet und des alten Herkommens hal - ber, muͤßt man Univerſitaͤten beſuchen

Solte nicht, ſagte meine Mutter die mit dem alten Herkommen und dem Plato noch bey weitem nicht zufrieden war, ſolte nicht da Adam und Eva doch wuͤrklich rele - girt wurden, ſchon das Paradies die erſte Academie?

Ound208

und die Schlange und der Seraph mit dem bloßen Schwerdte? fragt ich liebe Mutter?

Wenigſtens verſetzte ſie war doch Eli Sa - muels Profeßor und Gamaliel des Paulus und die Prophetenkinder Studenten. Und Stephanus fiel mein Vater ein voll Glau - bens und Kraͤfte that Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Da ſtunden etli - che auf von der Schule die da heißet der Libertiner und der Cyrener und der Alexan - drier und derer die aus Cicilia und Aſia wa - ren und befragten ſich mit Stephand und ſie vermochten nicht bey dieſer Inauguraldiſpu - tation widerzuſtehen der Weisheit und dem Geiſte der da redete

Meine Mutter war außer ſich uͤber die - ſen Text nur die Alexandrier haͤtte ſie gern relegirt. Die gute Mutter! Sey ein Ste - phanier, ſagte ſie, lieber Sohn ein Ste - phanier

Mein Vater kettete ſeine Stammtafel der hohen Schulen von den Griechen und Roͤmern an, bis auf die gegenwaͤrtige Zeit zuſammen und ward dieſe academiſche Stunde von Seiten meiner Mutter mit der Bemer - kung beſchloſſen daß ihres Wiſſens kein Dock - tor Theologiaͤ curiſches Brod gegeſſen esmuͤßte209muͤßte denn einer von den Herren Einhorns dieſe Wuͤrde incognito gehabt und aus heili - ger Demuth ſie verſchwiegen gehalten haben. Mein Vater erklaͤrte beilaͤufig nach ſeiner Weiſe die adlichen Rechte die den Docktori - bus zuſtuͤnden; ſo wie den Literatis (meine Mutter verſtand ihren Caſum) ſagte meine Mutter in Cur - land. Sie behauptete es ſey gleichviel adlich behandelt werden und adlich ſeyn; allein ich ſag - te koͤniglich Eſſen liebe Mutter und Koͤnig ſeyn iſt zweyerley und mein Vater war zum Bedruck meiner Mutter unerſchoͤpflich uͤber die Ehre des Adels. Er erklaͤrte was vierſchildig ſey, und ließ ſo viel auf der Ritterbanck und an der Ehrenta - fel ſitzen und in den deutſchen, Marianiſchen, und Johannis und Maltheſerorden und in hoch und andre adliche Stifte aufnehmen und die Grandes vor dem Koͤnige von Spa - nien den Hut aufſetzen, bis meine Mutter zu Curlands Ehren behauptete, daß der Herzog beym Lehn ſich auch einige Augen - blicke bedecken koͤnnte wenn er wolte

Laß den Braunen ſatlen ſagte mein Va - ter um nach zu reiten. Es ſind zehn Jahre, daß ich den Herren v. G nicht geſprochen habe. Meine Schuld iſt es nichtO 2und210und die Seinige das hoff ich auch nicht. Die Zeit wird ans Licht bringen was noch im Finſtern verborgen iſt. Herr v. G will, daß du mit ſeinem Sohne der auch reiſefer - tig und Univerſitaͤtsreif iſt dieſe Reiſe unter - nehmen ſollſt. Der alte Herr iſt der Maͤck - ler in dieſer Sache geweſen.

In acht Tagen biſt du vielleicht nicht mehr in dieſer Huͤtte

Paſtorat ſagte meine Mutter: Deine Waͤſche iſt bereitet ſetzte ſie hinzu. Sechs Dutzend Oberhemde, ſechs Dutzend Unter - hemde zwey Dutzend fuͤr Sonntag ein halb Dutzend fuͤr hohe Feſte. Meine Mutter re - giſtrirte noch mancherley was fuͤr mich be - reitet waͤre; allein mein Vater blieb bey den Hemden ſtehen, auf die meine Mutter gleich - fals einen beſondern Accent legte. Sie dach - te ſich die weißen Kleider unter dieſer Hiero - gliphe, womit wir im Himmel angethan ſeyn wuͤrden. Was meinen Vater zum Still - ſtande vermochte war Etwas Irrdiſches. So viel Hemde ſagt er haben zwoͤlf Prinzen von Hauſe nicht. Je vornehmer der Mann je ſchlechter die Hemde fuhr er fort, im mo - narchiſchen Staate, wo man nur auf das was vor Augen iſt ſieht. In der Schweitz inHolland211Holland in England feine Waͤſche und je vor - nehmer der Mann je feiner. Wo ein Ty - rann, wo ein Deſpot herrſcht, will ich das Hemde nicht ſehen. Die Menſchen achten ihren Leib nicht, der ihnen nicht zugehoͤrt. Je naͤher auf den Leib im monarchiſchen Staate, je ſchlechter der Anzug. Fuͤr einen Deſpoten iſt ein grobes Iſabellenhemde gut genug.

Alſo Sonntags und Montags Hemde liebe Mutter und wie Gott will Sterbhemde und Prophetenkinderhemde nur eins (das wett ich) nicht ein Brauthemde

Da bin ich eben wo ich ſeyn muß um meinen Leſern den Schluͤßel zur academiſchen Ehrenpforte und zum Stall des Braunen getreulich einzuhaͤndigen. Ein Schluͤßel oͤf - net alles die Eltern eilen gemeinhin mit ihren Soͤhnen aus dem Hauſe ſo bald die Natur die Fabel vom Storch widerlegt. Ich will es nicht ausmitteln in wie weit es gut ſey Kinder der Natur in dieſem Stuͤck an - heim zu geben um die Frage unbeantwortet zur rechten Hand liegen zu laſſen ob es Kin - der ins Treibhaus bringen heiße wenn man ihnen im zarteſten Alter dies Storchgeheimnis erklaͤrt, und ſie ſo altklug macht, daß ſieO 3ſelbſt312[212]ſelbſt die Natur wenn ſie ſich zum Belehren meldet, belehren, und mit ihr diſputiren koͤn - nen. Vom Blattern inoculiren haben wir guten Erfolg: Hier muͤßte auch Erfahrung entſcheiden.

So viel dient nur hier zu Sache daß Eltern ſo bald ſie den Sohn vaterfaͤhig hal - ten ihm eine gluͤckliche Reiſe anwuͤnſchen recht als ob ſie ihm eine Befugnis zur beſon - dern Oekonomie in optima juris forma be - willigten. Sie beſorgen die Soͤhne wollen ſich an ihrem Hauſe einen Fluͤgel anbauen laßen, und ſehen es gerne wenn der Sohn reich heyrathet, dieſes letzte eben darum war - um viele Leute kein Teſtament machen. Hier iſt der Belag zu dieſem Eingange.

Meine Mutter war nach meiner Kranck - heit zuweilen die dritte Perſon, wenn ich mit Minchen allein zu ſeyn Luſt hatte. Die Lie - benden wenn ſie lieben, glauben insgemein, es wuͤßte Niemand, daß geliebt wuͤrde, und offt ſiehts alle Welt. Sie bilden ſich ein, ihre Liebe ſey die einzige in ihrer Art, da aber jeder die nehmliche Methode hat, und Adam ſelbſt mit den Augen die erſte Anwer - bung gethan; ſo ſchlaͤft der Verraͤther nicht Meine Mutter merckte, mein Vater merckte beide213beide ſagten mir aber kein Wort: Meine Mut - ter weil ſie es fuͤr unmoͤglich hielt daß die Liebe des Sohns eines Literatus des Anverwandten Paul Einhorns und Alexander Einhorns des zweyten curſchen Superintendenten Wurzel faſſen koͤnne wenn er die Tochter eines Toͤpfers der zugleich Schuſter und Schneider iſt, liebt. Mein Vater weil er wegzuſehen ſich ver - pflichtet hielt: Er verlangte von mir ein gaͤnzliches kindliches Vertrauen; Minchen nahm er aus. Wie richtig iſt Regel und Ausnahme! kann man nicht das Recht ler - nen ehe man Recht ſpricht. Lehrt Eltern eure Kinder waͤhlen, eh die Natur ſie lieben lehrt. Es iſt eine unuͤberdachte Behauptung, daß Soͤhne kein Geheimnis (die Liebe nicht ausgenommen) vor ihren Eltern haben ſol - len! Irrthum wer Liebe nicht ausnimmt giebt ſeinen Soͤhnen im Luͤgen Unterricht. Der Sohn der fuͤhlt er koͤnne Vater werden iſt von der Natur emancipirt, er hat in die - ſem Stuͤck keinen Vater mehr. Toͤchter be - halten Vater und Mutter bis ſie einem zu - Theil werden, dem ſie als ein heiliges De - pot uͤberliefert werden muͤßen.

Ich hatte die Gewohnheit zuweilen mit Minchen in ein benachbartes Waͤldchen ſpa -O 4ziren214ziren zu gehen und nichts war mir angeneh - mer als wenn ihre natuͤrlich ſchoͤne Stimme die Nachtigallen zum Concert aufforderte und wenn ſie von den Voͤgeln des Himmels accompagniret wurde. Haͤtte ſie bey einem Italiener Stunden genommen; keine Nach - tigall haͤtte ſich mit ihr eingelaſſen. Jetzt ſang die ganze Natur mit, weil ſich gleich und gleich geſellte und ihr Geſang Natur war. Ich hatte Minchen umgefaßt: Sie war mein. Mein Auge ſagte laut Ewig mein und das ihrige antwortete Ewig dein In dieſer Stellung und waͤhrend dieſem Au - gengeſpraͤch und dem Concert das die Natur dirigirte traf uns mein Vater wie ein Blitz. Ich hatt ihn ſonſt nie in dieſem Waͤldchen begegnet. Mich zu belauſchen hatt er nicht angelegt, das weiß ich. Da ſtunden wir und ſahen uns an. Lang hielt ich meinen Arm wie um ihren Hals. Sie zog ſich aus der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm noch immer in der Hoͤhe als ob er ihren Hals haͤtte, und ſie die der liebe Gott ſo him - melan gebildet hatte ſtand wie mich duͤnckt noch immer ſo von der Seite ſo uͤbergebogen ſo angeſchmiegt als ob ſie noch nicht auf freiem Fuß waͤre; oder als ob ſie ſich nachmir

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215mir geformt haͤtte Wie ich endlich mei - nen Arm fallen ließ war’s mir als wenn die Welt fiel, ſo angſt war mir. Wie ihr gewe - ſen da ſie wieder ins gerade Geleiſe kam, konnte ſie nie angeben. Wir armen Kinder der Natur! Ich ſehe ein wie’s dem Adam zu Muth geweſen da er zum erſtenmal inne worden, er ſey nackt. Wer nicht empfin - den kann was Minchen und ich empfunden, thue mir den Gefallen und leſe nicht weiter Ich glaub ich werde den Eindruck nie ver - lieren, und hab ich ihn gleich nach der Zeit nicht ſo ſtarck empfunden; war es mir doch ſo oft ich daran gedachte, als ſtaͤnd ich mit Minchen im Waͤldchen Ich empfands, die Nachtigallen ſchwiegen, und alles was eben wachſen wolte machte Stillſtand und ſah uns an Mein Vater war in der nemli - chen Verlegenheit und hielt mit uns voͤllig das Gleichgewicht. Entweder wolt er ſich heraushelfen oder er wußte nicht was er ſagte. Iſt der Herr Vater nicht hier? wendete er ſich zu Minchen und ſie Nein er iſt auch nicht hier geweſen kann was unſchuldigeres auf die Frage iſt der Herr Vater nicht hier? geantwortet werden? als nein er iſt auch nicht hier geweſen. Das war kein Feigen -O 5blatt216blad zur Schuͤrze! O Minchen! Minchen welche eine Suͤßigkeit iſt’s dich zu lieben! Fuͤr dein Nein er iſt auch nicht hier geweſen verdienteſt du ſchon den Lohn der Unſchuld und koͤnnt ich den Ton hinſchreiben in dem du dieſes ſagteſt du verdienteſt bis ans Ende der Welt gemahlt und gezeichnet zu werden mit der Umſchrift Nein er iſt auch nicht hier geweſen

Wenn ich dieſe Naturſcene ſo wie ſie rings herum empfunden worden getroffen haͤtte (Was kann aber der Vater dafuͤr wenn ihm ſein Kind nicht aͤhnlich iſt?) Cho - dowiecki! es waͤre dir mit Minchen gegan - gen wie Adam mit Eva. Adam ſah ſie Bein von ſeinem Bein, Fleiſch von ſeinem Fleiſch ſah ſie wieder kuͤßte ſie und Du haͤtteſt dieſe Seite durch und durch ge - huͤpft ſie geleſen und ihr Handgeld zur dop - pelten Unſterblichkeit gegeben.

Minchen wie ſie almaͤhlig gen Himmel waͤchſt nicht weil ſie Gewitterwolken ſa - he, weil ſie aus Furcht dem Himmel aus - wich, weil ſie Troſt bei der Erde ſuchte, die wenn der Vater im Himmel ſchilt wie eine wahre Unſer aller Mutter keinen Blick ver -ſchmaͤht217ſchmaͤht womit Schuld und Unſchuld ſich zu ihr wenden, nicht darum ſondern

Chodowiecki! Schweſter Sohn der Na - tur deutſcher Mann! Du weißt dies ſondern ſo gut als ich. Zeichne dieſe Scene eben um des ſondern willen das dir dein Herz in Aug und Hand dictiren wird und dann ließt man nicht Minchen blos, man ſieht Da ſieht ſie! und ich froh druͤber flieg uͤber Jahr - hunderte zu Jahrtauſenden! und jubele und ſage zu meinem Buche: fuͤrchte dich nicht vor denen die den Leib toͤdten und die Seele nicht toͤdten moͤgen Auch wenn der Leib Jahrhunderte lang zerſtreut und wenns hoch kommt in Anleitungen zur Dicht - und Rede - kunſt in wahre Gebeinhaͤuſer geſammlet wird, wo man nicht kennet den Gerechten und Un - gerechten; ich bin’s gewiß es kommt die Stunde in welcher eine Poſaune des Ge - ſchmacks die Barbarey wegſcheucht und dies Buch zur Auferſtehung und Leben aufhaucht, dann ſey dies Blatt um Minchens wegen das erſte das wider lebendig wird!

Wir gingen all zuſammen nach Hauſe; und unterweges erzaͤhlt uns der gute Mann wider ſeine Weiſe was er kuͤnftigen Sonntag geliebts Gott! ſeiner lieben Gemeine vorſe -tzen218tzen wuͤrde. Das Ende dieſer Geſchichte war den folgenden Tag die Predigt von den Uni - verſitaͤten und die Nutzanwendung Laß den Braunen ſatteln Ich ging zu Minchen der ich einen großen Theil von dem Werth der Univerſitaͤten vor - ſagte, um ſie zu meiner Abreiſe vorzuberei - ten. Ich erklaͤrt ihr die Authentica habita Cod. ne filius pro patre. Omnibus ſagt ich qui causſa ſtudiorum peregrinantur. Sie ſah ein was ſie ſchon zuvor eingeſehen hatte daß es gut ſey; daß ich hinginge: um Paſtor zu ſeyn, ziehſt du von hinnen ſagte ſie. Zieh hin in Frieden.

Ich weiß daß ſich Mancher den Kopf hart an dem Latein ſtoßen wird, daß ich Minchen vorſagte; allein um Verzeihung die - ſer Mancher verſteht nicht was Liebe iſt, und ich haͤtte nicht ein Wort latein von der Au - thentica habita Cod. ne filius pro patre auf dem Herzen behalten koͤnnen die Liebe ertraͤgt keinen Ruͤckhalt ſie will alles was man hat alles was man kann es ſei latei - niſch oder deutſch. Daß ich indeßen mit einer Ueberſetzung ſo treu als unſere Liebe, Minchen untern Arm gefaßt muß ich des Schwaͤchern willen anfuͤhren. Keine Man -che219che die geliebt hat wird ſich am Latein den Kopf ſtoßen oder das Aermchen ſtreifen

Der alte Herr! der mir ein tiefunterthaͤ - nigſtes Compliment an Sr. Hochwohlgebohr - nen mitgab that was Maͤckler thun wenn ſie den Kaͤufer und Verkaͤufer angefuͤhrt, er wuͤnſchte mir Gluͤck und Seegen, wobey er aber nicht blos meine Reiſe nach ſondern auch die auf Univerſitaͤten verſtand. Die Frau des alten Herrn ein gutes Weib! Zwar nicht aus dem Stamme Levi, doch aus dem Stamme der chriſtlichen Einfalt und Ehr - lichkeit gab mir die Hand, da ich wegging. Gott gleite Sie ſagte ſie, und ſeegne Sie und gleite Sie und ſeegne Sie immer dar jetzt und in alle Ewigkeit.

Da ich noch auf eine laͤngere Zeit nach reiſen werde; will ich mich in Ruͤckſicht meiner Leſer nicht lang in aufhalten ob - gleich ich drey Tage zu bleiben gezwungen war. Ich lernte den jungen Herrn mit Flinte Jagdtaſche und Hirſchfaͤnger kennen, ſein Vater ein rechter aͤchter heller klarer Mann. Wie hat der Mann zehn Jahr meinem Vater den Ruͤcken kehren koͤnnen? ſeine Ge - mahlin: eine gnaͤdige Frau

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Ich will nicht vorfaſſen

Die Frau v. G brachte mich auf den Wunſch wenn Minchen ſo ein gewiſſes Etwas haͤtte das man in der großen Welt in zwey Stunden lernet, wenn man in Purpur und koͤſtlicher Leinwand gehet, einen Goͤnner am Hofe und Geld auf Zinſen hat, und wozu man laͤngere Zeit braucht wenn eins von die - ſen Stuͤcken gebricht Eine Viertel Meile von der gnaͤdigen Frauen war ich von dieſem Etwas und meinem voreiligen Wunſch zuruͤck gebracht. Ich uͤberrechnete die Eigenſchaften, die bey Minchen hiedurch leiden koͤnnten und was dacht ich da ich das Schoͤne der Natur rings um mich ſah. Was iſt dieſe kuͤnſtliche Dreiſtigkeit gegen die der Natur! Was ein Garten gegen Wald und Feld. Ein Junge der ehemals unterm Phalanx gedient hatte und in Gnaden verabſchiedet war lies mich wegen der Nachricht daß Minchens Mut - ter geſtorben nicht ausdenken. Ploͤtzlich ſagt er, Niemand konnte ſichs vorſtellen. Eben iſt ſie kalt worden. Die Worte, Gott gleite Sie und ſeegne Sie und gleite Sie und ſee - gne Sie immerdar jetzt und in alle Ewig - keit fingen mir ſo lebhaft an zu werden, daß ich dieſe alte gute Mutter ſah undMin -221Minchen ſagt ich? Ihro Koͤnigliche Hoheit antwortet er befindet ſich wohl, außer daß ſie halb todt wegen des Todes der Alten iſt.

Mein ehrlicher Helm (er hieß eigentlich Willhelm ſeiner Tapferkeit wegen war ihm indeſſen die erſte Sylbe allergnaͤdigſt erlaſſen) ſagte dies mit ſo viel Subordination (dieſe und nicht Ehrfurcht verlangt ich von den Meinen) daß er in jedem Wort Tackt hielt. Er bemerkt unmaasgeblich daß dieſer Todes - fall vor einiger Zeit durch ein Licht in der Kirche zwiſchen eilf und zwoͤlf ſehr richtig vor - her verkuͤndiget waͤre, allein ich belehrt ihn daß dieſes Licht meiner Mutter Handlatern - chen geweſen, ich fuhr er fort hab dieſes An - und Vorzeichen nicht geglaubt. Deſto beſ - ſer erwidert ich. Unterthaͤnigſten Dank be - ſchloß Helm fuͤr die Parole Handlaternchen ich werd ſie weiter geben Gut! ſagt ich. Soll ich mit fragte Helm und zeigte Briefe die er wegſchnellen ſolte, ich winckt ihm ab, und mein Pferd als ob es den Helm verſtan - den haͤtte, hielt am Trauerhaus. Ich fand Minchen die Haͤnde ringen und laut! laut! wimmern meine Mutter meine Mutter meine liebe Mutter!

So222

So bald ich ins Zimmer trat artete ihr Schmerz in Kunſt aus. Sie veraͤdelte ihre erſte natuͤrlichen Aufwallungen; Sie ſchrie nicht aus: ſie ſeufzte nur ein ſanftes Ach! Sie weinte zwar; allein ſie ſchlugzte nicht, Sie goß nicht Thraͤnen ſie taute ſie nur, ſie rang nicht mehr die Haͤnde ſie faltete ſie. Sie bedaurete ihre Mutter, allein ſie war bemuͤht dabey auch ihrem Vielgetreuen zu gefallen. Im allererſten Affekt haͤtt ich die - ſes vielleicht nicht uͤber ſie erreicht, jetzt aber opferte ſie mir ihren Schmerz auf. Sie ver - ließ ihre Mutter um an mir zu hangen. Alle poetiſchen Uebel geben der Liebe Zuwachs. Ein Maͤdchen das einen Braͤutigam hat, kann unmoͤglich uͤber den Tod ihrer Mutter anders als dichteriſch betruͤbt ſeyn. Ihr Schmerz iſt ein ſchoͤner Schmerz. Sie uͤberſezt den Schmerz wenn ich ſo ſagen ſoll in wohlklin - gende Verſe: Alles was ſie that gehoͤrte der Seeligen und mir zur Helfte.

Haͤtten Sie ſie ſterben geſehen! Einen Gruß uͤber den andern an Sie. Sie ging ſo ſchoͤn wie die Sonne unter, ich haͤtt was drum gegeben, wenn ſie dieſe untergehende Sonne noch beſchienen haͤtte. Gewis haben Sie ihrem Geiſt begegnet

Ich223

Ich hab ihm begegnet, ich hab Sie geſe - hen, ich hab Sie gehoͤrt. Gott gleite Sie und ſeegne Sie und gleite Sie und ſeegne Sie jetzt und in Ewigkeit. Ich hoͤrs noch

Da ſah und hoͤrt mich mein Vater. Alexander! rief er, und ich war kein Sonn - tagskind mehr, ich kam von meiner Mondſucht zuruͤck. Mein Vater antwortet ich. Er hatte der Seele dieſer frommen Alten mit einem andaͤchtigen Zuſpruch das Geleite gege - ben, und ſelbſt ſo Etwas von Vollendung vom Himmel im Geſicht Er ſah ſelbſt ſeelig aus. Seine Erzaͤhlung war mir neu, ob er gleich erzaͤhlte, was ich wußte, was ich ſahe! Nach dieſer Entzuͤckung in den dritten Him - mel kamen wir aufs Irrdiſche, und ich er - zaͤhlt ihm daß ich erſt in fuͤnf Monaten aus - reiſen wuͤrde. Wilſt du ſagt er noch zu gu - ter letzt eine Leichenrede darf ich bitten ſagte der alte Herr Minchen bat mich nicht, ich entſchuldigte mich, und gewis haͤtt ich beym Sommergetreide eingebuͤßt, was ich beym Wintergetreide bey der Predigt, einge - nommen und eingeerndtet, wenn ich bey dem Grabe Minchens und meiner Mutter eine Leichenrede uͤbernommen. Dies war wol der groͤßte Beweis, daß mein Vater nicht wußtePwie224wie es mit Minchen und mir ſtuͤnde. Er hielts ohne Zweifel fuͤr Alexander und Darius Spiel. Mein Vater ging zu Hauſe, ich blieb noch einen Augenblick zuruͤck und ging mit Minchen aus Bett ihrer Mutter. Nie ſah ich die Aehnlichkeit, die dieſe Verklaͤrte mit Minchen hatte, als jetzt. Zwar ein Schat - tenriß, doch Minchen! und mir ſolte grauen? Ich nahm die muͤtterliche kalte Hand und rief ſie zum Zeugen uͤber mich, daß ich Minchen liebe und lieben wuͤrde Sie fahre uͤber mich ſagt Minchen, ſo kalt ſie da iſt, wenn ich einen andern liebe, und toͤdte mich, wenn ich nicht Minchen liebe, jetzt und bis vor Got - tes Tron ſetzt ich hinzu.

Wir ſchieden diesmal von einander als wenn wir Probe ſtuͤrben! So geruͤhrt! ſo

Mein Vater der gute Mann, der mich bey meiner Mutter angemeldet hatte, war ſo guͤtig geweſen, ihr zu verſchweigen, wo er mich und den Braunen getroffen. Sonſt war ſie von den fuͤnf Monaten und daß ich die Reduͤbung ausgeſchlagen, unterrichtet und uͤber beides erbauet. Die fuͤnf Monate ga - ben ihr noch zu einer Rubrick unter den mit zugebenden Hemden Gelegenheit, und meine abſchlaͤgige Antwort? ich erzaͤhl es un -gern

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225gern, daß meine Mutter hieraus meine Gleichguͤltigkeit gegen Minchen, wie aus ein - mal eins, eins heraus brachte. Liebe Mut - ter! die Liebe haͤlt keine Reden!

Die fromme Alte wurde in aller Stille beer - diget, und ihr Grabmal war das heilige Cabinet, wo Minchen und ich in Liebesangelegenheiten zuſammen kamen. Ein Engel mehr, ſagten wir, der uns hoͤret, ein uns ſo verwanter Engel

Um meine Leſer wegen der Rede ſchadlos zu halten, bin ich bereit, einem jeden der hoͤren will, eine von andrer Art vorzufechten. Liebe und Tod grentzen uͤberall zuſammen: Im Ro - man und in der Geſchichte.

Ich bin der feſten Meinung, daß jedes was ſchreiben kann, wenns liebt, auch Liebes - briefe ſchreibe, geſchrieben habe, auch ſchreiben werde. Die Liebe iſt eine voͤllige Opferung, eine Univerſalſocietaͤt. Man giebt alles was man hat, man thut alles was man kann. Man ſagt alles, was man weiß, Authen - tica habita Cod. ne filius pro patre nicht aus - genommen. Ein Bauer kritzelt den Namen ſeiner Grete in Sand. Die Harcke iſt ſeine beſte Feder. Schrammt er ihn in Kuͤrbis, ſchmeckt ihm dieſer am ſuͤßeſten. SchnitzeltP 2er226er ihn in eine Linde; ſchmatzt er den Saft aus, der aus den Buchſtaben quilt. Grete ſteht uͤberall, wenn ers bis zu fuͤnf Buchſtaben ge - bracht hat; wenn nicht, iſt der erſte Buch - ſtabe des Vornamens ſein. Er pfluͤgt ein G, er ſpringt ein G, er geht ein G, und Grete? nennt ihn zwar Hanns, allein ſie nehet den erſten Buchſtaben ſeines Zunamens, ins Tuch das ſie ihm ſchenckt. Hanns Ficht heißt ihr Adonis, und ſie ſtreut ihre Tannen ins F. und kommt ſie an die Blumen der Venus, von der ſie aber Gottlob! nichts weiß, an Ro - ſen und Myrthen, legt ſie ſie ins F. Selten weiß ſie mehr als den erſten Buchſtaben, al - lein den neht und ſtreut ſie wie gedruckt. Sie ſticht ihn mit Nadeln ins Eichenblat, in alle Blaͤtter. Die Rinde kommt dem Han - ſen zu; im Kuͤrbiscabinet aber, leben ſie in Gemeinſchaft der Guͤther. Hier ſteht F. und dort G. Das kleine gnaͤdige Junckerchen macht Greten fuͤr die erſte handvoll Kuhblu - men oder ein Eichhoͤrnchen, zur F. Die Vor - ſchrifft oder Sr. Wohlehrwuͤrden kleiner Ben - jamin, und dieſer letzte, gegen einen Maykaͤfer oder jungen Haͤnpfling

Wenn nur Eins ſchreiben; beide aber leſen koͤnnen, iſt das was blos lieſt, weit ver -liebter227liebter, wenns zum Klappen kommt, als das, was leſen und auch ſchreiben kann. Das Schreiben zeigt von Bedachtſamkeit und Be - ſtaͤndigkeit. Ein Philoſoph will immer ſchrei - ben, allein ſelten kommt er dazu. Ein Dichter kann ſich zur Noth, wo Gott fuͤr ſey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero kommts, daß offt große Dichter unrichtig buchſtabiren. Der groͤßte Philoſoph ſchaͤmt ſich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur - ſach, buchſtabiren zu koͤnnen. Er ſetzt die Worte, der Dichter wirft ſie hin

Man kann nur fuͤglich im Stehen oder Sitzen ſchreiben, und es ſetzt eine gewiße Be - dachtſamkeit zum Voraus, welche die Liebe ſehr bey der geliebten Perſon vergroͤßert, die nur geglaubt hatte, es waͤre ein Ueberfall. Die Natur ſchlaͤgt in der Liebe eine beliebte Kuͤrze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht an, reif, ißt ſie ſie vom Baum Die Kie Kunſt hat dieſen Weg erweitert, und bald haͤtt ich geſagt, verſchoͤnert: es kommt auf den Geſchmack an. Die ſchoͤnſten Fruͤchte von der Spitze des Baums (welche die Hand nicht ohne Verlaͤngerungsſtange reichen konnte; der Mund kann gar nicht heran) die ſchoͤn -P 3ſten228ſten Fruͤchte werden ausgewaͤhlt: auf por - cellaine Teller gelegt: mit Blumen und Blaͤt - tern, die, wenn man lang am Tiſche ſitzt, vor unſern Augen den Geiſt aufgeben und welcken, geſchmuͤckt, und ſo auf eine mit Spiegelglas und Puppengezierte Tafel, ge - ſetzt Hier tanzt man, dort ging man. Die gnaͤdige Frau, die das Obſt aus der Hand des lieben Gottes nicht vertragen kann, ders Blaͤhungen macht, laͤßts verzuckern und can - diſiren, und Mumien im egyptiſchen Sinn da - raus ſieden. Pfefferkuchen iſt ihr beſſer als Honig. Da man indeſſen ſich heut zu Tage leider! fein ſauber waͤſcht, anſtatt daß man ſich baden ſolte; und wir unmoͤglich bis auf die erſte Natur zuruͤck geſtimmet werden koͤn - nen, wo wir tauſend und abermal tauſend Dinge vergeſſen muͤßten, die wir jetzo wiſſen; dient das Schreiben zur Verfeinerung. Fuͤhlt ihr alſo einen Eckel die Fruͤchte unterm Baum im Garten zu eſſen; ſchreibt Liebesbriefe, nur ſchreibt ſie nicht aus dem Talander, und wenn er auch nur ſeit vierzehn Tagen in Paris gedruckt waͤre; ſondern aus dem Hertzen Hier haben Sie den Schluͤßel zu den folgenden vier oder ſechs Seiten ich weiß nicht wie viel es, wenns gedruckt wird, betragen werde wenn229wenn Ihnen, Durchlauchtigſte Princeßin! gnaͤdigſte Graͤfin! dieſe Hausmannskoſt Blaͤhungen macht, es ſind glaub ich auch eingemachte Saͤchelchen da. Finden ſie nichts ich rathe zum Talander, es thut nichts zur Sache, obs franzoͤſiſch oder deutſch iſt, obs 1697 oder 1776 gedruckt iſt, was Ihnen das Herz verdirbt ihr aber meine Lieben! die ihr ſchmecket und ſehet, wie freund - lich Mutter Natur iſt, denckt von meinem Vorbericht, was ihr am Ende von allen Lie - besbriefen dencket, die man nicht ſelbſt ge - ſchrieben hat. Und hiemit fuͤnf Briefe von meiner Minchen, nach der Anzahl der Feyer - Hemde, die mir meine Mutter bereit’t hat, wenn ſie mir nicht jetzo, wegen der fuͤnf Mo - natfriſt, wider Vermuthen noch eins dazu legen ſolte.

Sie an Ihn

O du lieber lieber Junge! Was haſt du fuͤr eine gute Art zu ſchelten! Es iſt ſo was herzliches drin, daß ich es mit Fleiß auf ein Scheltwort von dir anlegen werde. Du biſt ein ganzer Junge! ein Gott und ſein Weib liebender Junge. Mein all, all,P 4all230all, alles bis du. Ich leſe deinen Brief und ſchreib an dich beinah alles zuſammen Was kann aber die Liebe nicht! du ſchiltſt, daß ich durch Naͤhen und Stricken mir den Finger wund gemacht. Soll ich denn die Haͤnd in Schooß legen? da wuͤrd eine Naͤrrin aus mir werden, obgleich ich jetzo dein Weib bin Was kluͤgeres kann kein Maͤdchen in der gan - tzen weit und breiten Welt ſeyn, als dein Weib. Der Finger iſt auch wohl behalten und heil, und ſieht aus wie neu haͤtt ich bald geſchrieben wie zuvor. Er hat kei - nen ſchwarzen Band mehr: Die Trauer iſt ſchon geſtern abgelegt. Was wilſt du mehr? Faſt wuͤnſcht ich du moͤcht’ſt noch mehr wollen, damit du ſchelten koͤnnteſt. Schilt doch lieber herzlicher Junge, ſchilt doch was rechts auf Die Muſik war bei der Fingertrauer nicht verboten. Soll ich meine Doris miſſen, kann ich dir ſo herzbrechend ſin - gen und ſpielen, du ſolſts hoͤren. Mein Va - ter wunderte ſich uͤber den ſchnellen Gang in der Muſik. Der gute Mann weiß nicht, daß ich eigentlich in der Schule der Liebe bin, und von ihr Clavier ſpielen lerne Gott im Himmel und dich in der Welt! Wie kann ich Gott lieben, den ich nicht ſehe, wenn ich dichnicht231nicht lieben ſolte, den ich ſehe. Ich liebe Gott in dir. Es iſt unausſprechlich wie ich dich liebe. Du biſt Gottesbote an mich. Gott gab mir dich. Meine Seel iſt dein und unſre beide Seelen ſind Gottes. Heut ſehn wir uns; allein nicht ganz, wir ſprechen uns allein ſchwerlich drey Viertheil. Du muͤßt es denn machen wie neulich. Deine Mutter braucht aber nicht alle Tage Pfefferkraut. Was iſt doch die Liebe fuͤr eine Lehrerin? Wir ſonderten uns vor aller Leute Augen ab, die mit uns giengen, und kein Menſch dacht Arges in ſeinem Herzen. Es fehlte nicht viel, deine Mutter ſelbſt haͤtte drum gebeten, und das beſte war, wir fanden gleich ſo viel Kraut daß wir Zeit genug hatten uns viel! viel! zu ſagen. Findſt du aber, daß es we - niger wird, was noch ruͤckſtaͤndig iſt, und was wir uns noch zu ſagen haben? ich nicht Wir zahlen nicht einmal alle Zin - ſen ab; dieſe werden noch Capital. Wenn wird uns Gott in Stand ſetzen, Capital und Zinſen richtig zu machen. Wenn du Paſtor biſt und ich, Paſtorinn. Dein Weib bin ich lang. Gott und alle ſeine heilige Engel wa - ren auf unſrer Hochzeit, und die ſind ſtaͤndig beinah ſichtbar um uns, wenn wir allein ſind. P 5Es232Es kann nur wenig, ſehr wenig dran fehlen, um ſie von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen Da kann man wohl mit Recht uͤber den be - truͤbten Suͤndenfall klagen. Iſts denn Suͤnde ſo zu lieben als wir? und liebt nicht Gott unſere Liebe? Seine heilige Engel ſind ja unſere gute Maͤnner geweſen, und wir ſind nicht ſo verbunden (ich wolte nicht ver - heirathet ſchreiben, allein ich aͤrgre mich uͤber den Anſtand den ich druͤber genommen, und ſchreibs zweymal hin) ſo verheirathet, wie die verkehrte Welt, ſondern wie Adam und Eva. Gott ſelbſt hat uns getraut, und ſag hat je ein boͤſer Gedancke dein Herz verfaͤlſcht? mir iſt keiner vorgekommen. Je froͤmmer ich bin, je innbruͤnſtiger denck ich an dich. In der Kirche hoͤr ich deine Stimme unter hundert, und ich ſinge ſchnell mit, damit wir beide zu - ſammen zu Gott kommen. Aus der ganzen Fuͤlle meines Herzens bin ich dir gut. Bin ich nicht dein Weib, dein treues Weib, du Ein - ziger du Evas Adam! Sag es mir tauſend - mal und wieder tauſendmal, daß du mein Mann, und ich dein Weib ſey. Das lernt man immer ſchoͤner ausſprechen, je oͤfterer man es ausſpricht. Wenn du es ſagſt iſts mir himmliſche Muſik, Kirchengeſang Jetzt233Jetzt ſind wir nur beym lieben Gott bekanndt. Ueber ein kleines oder uͤber ein großes mir iſts gleich, wird Gott uns auch unter die Leute helfen. Ich liebe deine Seele, und du die Meinige. Du biſt der Mann meiner Seele, und ich das Weib deiner Seele: ſonſt koͤnnten die Engel mit uns nichts mehr zu ſchaffen haben. Leb wohl Zu Mann und Weib hat uns der liebe Gott gemacht, zum Herrn Paſtor und zur Frau Paſtorinn, muͤßen es die Menſchen thun. Da iſt das ganze Raͤthſel

N. S. Zur rechten Hand. Das Pfef - ferkraut wuͤrd ich zum Kraut der Liebe ma - chen, ſo gut bin ich ihm.

N. S. Zur linken Hand. Warum haſt du deinen letzten Brief ſo weitlaͤuftig geſchrie - ben? Wenn du mir ſo gut nicht waͤrſt, als ich weiß daß du es biſt, wuͤrd ich mir Gedan - cken machen. Hab ich es nicht von dir je kaͤlter je weitlaͤuftiger, wenn man Briefe ſchreibt. Wer liebt laͤuft immer uͤber. Er kennt nicht Maas und Gewicht. Aber ſo biſt du! auf deine Finger ſiehſt du nicht, allein die Meinigen ſollen nicht trauern. Koͤnnt ich dann nicht dich und du mich lieben, wenn auch alle unſere zwanzig Finger im tiefenTrauer234Trauer waͤren. Ich komm wieder aufs vo - rige. Wer war es denn der ſagte, die Natur liebt eben die Finger nicht weiß. Rothe Wangen, ſtarcke Haͤnde, wo geſundes Blut durchſcheint, iſt Naturuniform, wer war es? Ich muß noch ein Stuͤck Papier mit der Na - del anheften Lieber Mann, ein Natur - menſch wie du, ſolt nicht auf weiße Finger ſehen. Das nenn ich! ich! ich! nenn das ſchelten! Gruͤße alle deine Finger von mir ſie ſind meine Finger. Du biſt ganz mein, ich ganz dein. Wir ſind eins, ich habe deine Briefe unter meine Bibel gelegt. Erſt Gott und denn mein Mann. So gehoͤrt und ge - buͤhrt es ſich Ihr Maͤnner, duͤnckt mich, ſeyd zum reden und zum ſchreiben. Wir Weibchen, zum thun, und wenns hoch kommt, zu leſen. Das wirſt du wohl finden ohne daß ichs noͤthig gehabt zu ſchreiben.

Sie an Ihn.

Wie du vom Alexander zum lieben Jun - gen erniedrigt, oder beßer, erhoͤhet biſt! Unſer Liebe hat ſehr gewonnen, jetzt da dein Vater den zweyten Diſkant ſingt, ich wett, er hat mit dir zuvor was Großes im Schilde gefuͤhrt. Gottlob! daß du jetzo Paſtor wirſt. So ſindwir235wir doch ſo ſehr nicht auseinander. Lieber lieber lieber Junge! was meineſt du. Die Re - genten muͤßen ſich doch auch zuweilen ſo nen - nen, wie wir, oder ſie wißen nicht was Liebe heißt, und denn ſind ſie aͤrmer als wir und aͤrmer, als alle Bettler in unſerm Dorfe. Ich weiß doch auch wie es einer Princeßin zu Muth iſt! allein ich tauſch nicht mit der Koͤ - nigin Eliſabeth, da ich dich hab und du nicht mit Alexander, da du mich haſt. Wir wuͤrden jetzt ſchlecht Alexanderchen ſpielen! die alte Babbe wuͤrd die koͤnigliche Frau Mut - ter beßer machen, als wir Alexander und Frau Alexander. Außer der Liebe, das fuͤhl ich, iſt alles Poſſen und Unweſen in der Welt. Du haſt recht, ganz recht die Liebe macht gleich - guͤltig gegen Ruhm und Glanz: allein gegen die Menſchlichkeit nicht. Sie ſchraͤnckt das Herz ein; allein ſie erweitert es auch. Eins liebt nur eins, wie Mann und Weib, alle Menſchen aber, wie Schweſter und Bruder. Einen Verliebten, glaub ich, kann jeder Mann betruͤgen, er haͤlt alles fuͤr ehrlich was ihm begegnet, die Liebe iſt ſtarck Getraͤnck fuͤr die Seele. Sie betrinckt ſich in ihr, und Verliebten gehts kein Haar beßer, als Leuten die ein Glaͤschen uͤbern Durſt getruncken haben236 haben. Es iſt ihnen aller beßer wie zuvor. Sie ſehen alles in den beſten Jahreszeiten, alles im Junius So weit du. Eine ſchoͤ - ne Antwort auf deinen Brief. Ich ſchreib ab, was du geſchrieben haſt. Mich duͤnckt aber das iſt die rechte Art fuͤr ein Weib. Es iſt eine Kopiſtin des Mannes, wenn es ſchreibt. Denn dies iſt ihr Fach nicht. Das war wieder eine Abſchrift von dir, und uͤber - haupt bin ich ganz nur eine Abſchrift von dir. Du haſt mir geſtern geſchrieben, daß ich deine Buchſtaben nach mache, und daß ſie mit der Zeit wie deine ſeyn wuͤrden. Lieber Junge! ich leg es nicht dazu an: ich mache ſie nicht nach. Es kommt von ſelbſt, ungebeten Ich leſe deine Briefe mir ins Herz und in die Hand. Wenn du morgen zu mir kom - men wilſt; komm um vier. Von vier bis ſieben ſind nur drey Stunden, ich habe dir viel von der Liebe zu ſagen, worauf mich dein Brief gebracht hat. So was muß man ſich ſagen. Schreibt man, iſts ſo als wenn man Schlagwaſſer aufs Schnupftuch gießt. Ich denck, die Liebe iſt noch das Einzige, was in der Welt von ihrem Stande der Unſchuld, und von der Zeit da ſie aus des lieben Gottes Hand kam, uͤbrig iſt. Und du lieber Gott! bey237bey dem allen glaub ich, daß nicht drey Paar in ganz Curland ſich lieben, wie man recht liebt, ſich lieben wie wir Du wirſt uͤber vieles lachen was ich mir im Kopf gezeichnet, uͤber vieles wirſt du mich aber kuͤßen Im Lande, ſchreibſt du, wo man ſich in der Landesſprache nicht auf gute Weiſe dutzen kann, liebt man nur ſo ſo recht! ganz recht lieber Junge, und wenn haͤtteſt du nicht bey mir Recht? Das Dutzen iſt ſo was zum Herzen, daß ichs nicht ſagen kann. Was das huͤbſch iſt, daß du deinen Vater und deine Mutter du zu nennen, das Herz haſt. Mei - nem Vater duͤrft ich ſo nicht kommen: der Mutter wohl darum liebſt du auch dei - nen Vater mehr, als ich den Meinigen. Unſre Muͤtter lieben wir, glaub ich gleich Denn kleinen Finger von der Liebe womit wir uns lieben auch der nicht! Ich habe ſchon gedacht, ihr Maͤnner koͤnnt nimmer ſo zaͤrtlich ſeyn, als wir: Hoͤrſt du? als wir. Wo ich alles hernehme was ich ſchreibe, mußt du beſ - ſer wiſſen als ich denn in Wahrheit, wenn ich mich ans Papier ſetze, weiß ich kein Wort. Morgen von vier bis ſieben; ich wuͤrde nicht eine Sylbe an dich ſchreiben, wenn du es nicht ſo wolteſt, aber du muͤßteſt ohn End undZiel238Ziel an mich ſchreiben, ſonſt wuͤſt ich nicht was ich anfinge. Ich find in keinem Buch das, was ich in deinen Briefen finde Was du aber in meinen findeſt, kann nicht viel ſeyn

N. S. Komm ja um vier; mich aͤrgert, daß ich alles ſo voll geſchrieben habe, ich moͤcht dich gern noch einmal, und noch einmal drum bitten, um vier.

Sie an Ihn

Sie an Ihn! dieſe Erfindung macht dir Ehre. Du und ich, ich und du. Mehr iſt fuͤr uns nichts in der Welt. Mir kommts we - nigſtens ſo vor! Es geht dir mit meinen Sachen wie mir mit den deinen. Ich koͤnnt nicht leben; wenn ich nicht was von dir bey mir truͤge. Ich ſeh dies als ein Pfand an, daß du mit einem Kuß ausloͤſen mußt. Den letzten Brief trag ich immer im Buſen, bis ihn der folgende abloͤſet. Dein Tuch aber, kann ich in der Hand halten und kuͤßen, und mich damit vor aller Welt Augen befreuen Mein Tuch und meine Feder, und mein Buch und das Band auf meinem Kopf, das du nicht beruͤhret haſt, iſt mir als ein ungetauf - ter Heide. Was du angefaßt haſt, iſt mireinge -239eingeſeegnet und geweiht. Die Stadtleute, die nicht wiſſen wie ſchoͤn es iſt, Blumen an der Wurzel zu ſehen geben ſich ein - ander Blumen. Ihr Blumengeſchenk, das hab ich von dir, iſt ein Bild ihrer Liebe, die auch bald dahin ſtirbt. Ich moͤchte nicht in der Stad wohnen um vieles! Die Leute glaub ich, haben da den lieben Gott nur in der Kir - che, wir, der Name des Herrn ſey gelobt! haben ihn uͤberall In Mitau werd ja nicht Paſtor. Werd es auf dem Lande. Da haſt du halb predigen, und wir leben doppelt. In der Stadt iſt man, wies in der Bibel ſteht, lebendig todt. Man lebt ſich da, wie du ſagſt, krank und todt. Daß du mir ja keine neue Feder mehr ſchickſt. Ich will keine, mit der du nicht ſchon geſchrieben und die du nicht ſchon im Gang gebracht haſt. Und was ich noch mehr will, haͤtt ich bey einem Haar vergeſſen Der alte Herr geht morgen aufs Land und bleibt drey Tage

N. S. Um acht des Morgens kommt der Wagen nach ihm, um neun iſt er gewiß nicht mehr.

Sie an Ihn

Geſtern, lieber Mann meiner Seele! Ein - ziger! hab ich den Geburtstag unſrer LiebeQgefey -240gefeyert. Im Buch der Lebenden, das vor dem Thron Gottes liegt, ſind wir gewis von Anbeginn in einer Reihe zuſammen geſchrie - ben. Ich zittre und freu mich. Es ſchau - dert mich und ich bin entzuͤckt, da ich an das zuruͤck dencke, was geſtern neu gebohren ward. Der erſte Kuß und mit ihm der Schwur, Ewig mein ich hab meinen Schutzengel ſehr gebeten, es dir einzufloͤßen, was ich geſtern empfunden habe, es iſt unausſchreiblich! denckſt du auch noch zuruͤck? Unſre Augen waren die erſten Bekandten, ſie waren im - mer zuſammen, wenn ſie ſich reichen konnten. Ehe man ſich liebt, iſt das Auge, wie du ſagſt, als eine Sonne mit Wolcken belagert. Die Liebe ſteckt das Auge an, zuvor iſt es eine un - angezuͤndete Kerze! Kaum brennts, ſo iſt auch der ganze Menſch helle Alles ſtuffenweiſe in der Liebe! Nach dem Blick eine Beruͤh - rung. Ich denck noch offt dran, wenn ſich un - ſere Finger beruͤhrten, da du mir was reich - teſt, oder ich dir die Funcken ſpruͤtzten mir bis in die Seele, ſo offt wir ſo Feuer anſchlu - gen, und da ich dein Glas wie aus Verſehen nahm, und du das Meinige, und da ich mit gutem Bedacht eben an der Seite tranck, wo du getruncken hatteſt. Himmel was tranckich241ich! ich tranck dich, ich war von dir betruncken, und mein ganzes Blut ward davon entzuͤndt. Endlich das hohe Feſt, deßen Jahrstag ge - ſtern war! Sprachen wir oder ſprachen wir nicht? Ich glaube: Nein. Sprache und Lie - be ſtehen nicht ſonderlich, das hab ich offt erfah - ren. Die Sprache iſt ein ungetreuer Dienſt - bote. Gott wie du mich kuͤßteſt, und drey Bluͤthen vom Baum herabfielen, um dieſen Ort zu heiligen, und die Nachtigall ſchlug, und wir dies alles nur halb ſahen, nur halb hoͤr - ten, bis wir uns von dieſem Kuß erhohlet hatten. O Mann, o lieber Mann! welch ein Feſt! Wie hab ich gebetet! Daß Gott mit unſrer Liebe ſey! Er, der die Liebe iſt, ſey mit unſrer Liebe! Er weiß das Ja, das wir ſtammlend vor ſeinem Angeſicht ableg - ten, die Sonne beſchien es, der Altar war mit Vergiß mein nicht bordirt und mit Blu - men geſchmuͤckt, die ſo ſchoͤn zuſammenſtan - den, als ob ſie auch unter einander vermaͤhlt und zuſammen getraut waͤren. An dieſem Tage, lieber Mann! muͤßen wir auch einmal, wenn Zeit und Stund iſt vor der Welt zu - ſammen gegeben werden. Dieſer unſer Welt - hochzeittag ſey uns ein untergeordnetes Feſt, und alſo am nemlichen Tage! Man mußQ 2Gott242Gott mehr lieben als die Menſchen ich hab ſehr ſehr fuͤr dich gebetet. Ich bin dei - netwegen beym lieben Gott Sturm gelaufen. Laut, laut ſchrie ich: Gott ſey mit ihm, mit ihm! Ich nenn dich immer zum lieben Gott Er. Gott weiß ja alle Dinge. Ein - mal, das muß ich dir ohrbeichten, kam mir der Alexander in den Mund, und ich ward ſo zu - ruͤckgeſetzt Ich ſchaͤmte mich ſo vorm lie - ben Gott, daß ich in zwey Tagen kein Wort hervorbeten konnte. Ich denck, es kommt da - her, weil wir Alexander geſpielt haben und weil der liebe Gott das Herz und kein Spiel haben will. Weißſt du woher anders, ſchreib’s mir. Es war doch nicht ein Schelmſtuͤck, daß du den Alexander machteſt, und mein Bruder Benjamin den Darius. Du heißt ja leider Alexander. Da bin ich wie deine Mutter! ich gaͤbe was drum, wenn du Johann oder Gottlieb hießeſt Ich vergeß nicht, was der Herr Candidat ſagte, der als Volon - tair nur einem Feldzuge zuſah, den dein Vater mitmachte Gut waͤrs, wenn uͤberhaupt Koͤnig nur geſpielt wuͤrde Dein Vater ſchuͤttelte Nein: warum nein? ich bin des Herren Volontairs Meinung.

Es243

Es hat doch bey unſern Schlachten kein Jung ein Bein gebrochen, und die Jungens ſind all ſo vollkommen ſo ſtarck. Benjamins Fuß iſt oben ein gerader geworden, was faͤllt aber nicht, wie man hoͤrt und ließt, im Kriege? Im Anfange glaubt ich, daß in der Ge - ſchichte die Zahlen verdruckt waͤren, ich fands aber offt gantz ausgedruckt. Die Leute ſol - tens nicht ſo deutlich machen, damit man we - nigſtens dencken koͤnnte: es waͤre eine Null zu viel. Da ſeh ich was ich zuſammen ge - ſchrieben habe. Wenn du oder ein andrer Alexander das, was ich geſchrieben, ſchreiben, oder beßer, zuſammen legen ſolten, waͤrs ordentlicher und kuͤrzer glaub ich, allein nicht herzlicher. Ich ſtreiche nichts Moͤgt ihr doch ſtreichen, wenn ihr nur nicht das Herz herausſtreicht, wie ich glaube, daß es die meiſten von euch thun. Da fiels mir neulich beim Pilatus ein was ich geſchrieben hab, hab ich geſchrieben Gott verzeih mirs. Ich dachte, das Weib! Er als Landpfleger haͤtte ja ſtreichen koͤnnen. Wie ich froh bin, lieber Junge, das wird dir dein Schutzgeiſt ſa - gen. Der Meinige hat ihn heute gewis mehr als einmal beſucht, und es ihm erzaͤhlt. Wenn wir ſie kennen lernen werden, das wirdQ 3eine244eine Luſt ſeyn. Mir iſts ſehr, ſehr angenehm, an den Tod zu dencken. Ey dir? Gott ſeegne dich und behuͤte dich in all all Ewig - keit Amen Amen.

An der einen Seite Heut gewiß einen Brief von dir. Es iſt Ge - burtstag. Die Briefe werden ſich begegnen. Iſt er noch nicht abgeſchickt, laß ihn den Mei - nigen kuͤßen; ich werds empfinden, und eh die Briefchen einmal, wenn wir zuſammen ſind, auch zuſammen kommen und ſich paaren, wirds noch eine Zeit dauren. An unſerm Welthochzeittage wollen wir ſie zuſammen legen. Eben denck ich dran, wie furchtſam unſer erſte Kuß war, um dir zugleich eine gute Lehre zu geben. Jezt iſts ſo, als wenn du mir das Aug austrincken wolteſt, wenn du es kuͤßeſt

Sie an Ihn

Ich habe zum erſtenmal einen Menſchen ſterben geſehen! und gleich zum erſtenmal eine Mutter. Nun wuͤrde folgen, ſelbſt zu ſterben, und das entſetzlichſte von deinem Tode zu hoͤren. Denn dich ſterben ſehen, waͤr unmoͤglich. Lieber Junge, alles auf ein - mal! Du wirſt weg meine Mutter iſtſchon245ſchon weg Du kommſt zwar wieder, al - lein meine Mutter nicht mehr. Du weißt, wie ich ſie geliebt habe, und wie ſehr ich Ur - ſach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Brief - traͤger einen Vertrauten noͤthig gehabt, waͤre Sie es geweſen. Du haſt mirs geſagt und geſchrieben. Ein Maͤdchen kann zur Ver - trauten in der Liebe Niemand anders als eine Mutter nehmen hoͤchſtens einen Bruder. Wie wirds jetzo werden, da du dem Benjamin unſre Liebe nicht entdecken wilſt du ſchreibſt, ein guter, ſehr guter Junge, nur er iſt das in die Flucht ſchlagen gewohnt. Wer Ge - heimniſſe bewahren will, muß das Siegen ge - wohnt ſeyn. Wir arme Leutchen, jetzt ſchrei - ben wir einander und tragen die Briefe ſelbſt an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht mehr dreyßig Schritte fuͤr Maͤnner, und ſech - zig Schritte fuͤr Weiber, und fuͤnfundvierzig Schritte, wenn wir beide zuſammen gehen, von mir entfernt ſeyn wirſt, wie werd ich dir meine Briefe im Buch reichen oder in die Hand druͤcken, oder auf dieſe oder jene Staͤte legen, welche der liebe Gott blos unſerer Briefe wegen ſo dick mit Gras bewachſen lies, um unſer Geheimnis zu decken. O Gott! wenn ich an deine Abreiſe dencke, iſtsQ 4mir246mir ſo, als wenn ich meine Mutter ſterben ſehe, und doch wirſt du wieder kommen und dein Weib bekennen vor den Menſchen. Gott helf uns dieſes Bekenntnis vor dem Altar ablegen, wo wir ehemals unſer Glau - bensbekenntnis gen Himmel ablegten. Du mußt auf eine Univerſitaͤt, das haſt du mir bewieſen, alſo geh hin Ich werd dir noch viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinn - ren kannſt! Du armer Junge! ich be - halte doch mehr zuruͤck. Dein Vater hat deine Finger, als wenn ich ſie ſehe. Wie werd ich darnach blicken, ſelbſt wenn er mir die Hand beym Beichtſtuhl auflegen wird, ſelbſt da werd ich an deine Hand dencken. Das iſt keine neue Suͤnde. Was behalt ich nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du giengſt, wo du kamſt. Wo Alexander ſiegte, wo ich deine Gefangene war, wo unſre Au - gen einen Bund machten. Den Altar, wo wir getraut wurden! Den Ort, wo wir Con - cert hielten! wo du offt, offt mich zuſammen - nahmſt und kuͤßteſt, und wo ich dir durch einen beſcheidnen Kuß fuͤr deinen heftigen danckte, wo wir uns freuten, daß es Fruͤh - ling war, und das erſte Veilchen, die erſte gelbe Blume, den erſten Schmetterling bewillkomm -ten247ten. Der Ort, wo dein Vater uns uͤberfiel, lieber Junge, ich glaub noch immer, du magſt mir ſo viel ſagen als du wilſt, der hat viel zu deiner Abreiſe beigetragen! Der Tod ſucht Urſach. Gott ſey Danck noch fuͤnf Monat Was wimre ich Thoͤrin, du gehſt hin um beſtaͤndig bey mir zu ſeyn, um Stroh zum Neſtlein fuͤr uns zu hohlen Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und denck, daß deine Sie auf dich wie eine von den klugen Jungfrauen wartet. Schick mir dann und wann eine Taube mit einem Oel - zweig. Wir muͤſſen noch verabreden, wie wirs mit den Briefen halten wollen! ich kann dir nicht ſagen wie mir iſt! So ſind wir Menſchen! wer ſtirbt gern, wenn er gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben kommen ſoll das letzte iſt gewis. Leute, die recht ſehr fromm ſind, muͤſten hier ſchon wie dort ſeyn. Sie ſtudiren die himmliſche Geographie, und ſind im Himmel ſo, wie ich in Gedancken auf all den Univerſitaͤten ſeyn werde, wo du wircklich ſeyn wirſt Wer ſtirbt aber gern? Wer? Warum ich eigent - lich an dich ſchreibe, hab ich dir noch nicht ge - ſagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht ſehen koͤnnen; ich will ſie unſre Mutter nen -Q 5nen,248nen, meinen Vater aber nie, nie unſern Va - ter. Der meinige iſt er, weils Gott hat ha - ben wollen, warum ſolſt du dich aber mit ihm beſchweren? Gott verzeihe mirs, wenn ich hiedurch dem vierten Gebot zu nahe trete du haſt mich als Mann druͤber losgeſprochen und die Grenzen abgemeßen Bis dahin und weiter nicht Als Paſtor mußt du dieſen Losſpruch noch beſtaͤtigen und vollfuͤhren Amen. Wieder von unſrer Mut - ter ab ich hab dir noch etwas ſchrifftliches von ihrem Abſchiede verſprochen, weil ichs dir muͤndlich nicht ſagen konnte

Wiße alſo, mein lieber Junge, daß ich ihr kurz eh ſie ſtarb, unſer Liebesgeheimniß entdeckt habe ich habe vor der Minute gezittert, da es hieße: Vollbracht nachdem ich ihr aber unſer Geheimnis geſagt hatte, zitterte ich auch fuͤr ihre Beßerung Iſts nicht gut, daß ichs ihr geſagt habe? Sie haͤts doch im Himmel erfahren, und denn haͤtt ſie Urſach gehabt, es mir zu verdencken, wenn dies Wort im Himmel nicht verboten iſt Was weiß ich ich dacht es waͤre unrecht, ſie ohn dies Geheimnis ſterben zu laſſen O lieber Junge, welchen Seegen hat ſie uͤber uns aus - geſprochen. Sie war ſchon lange wie todt,hatte249hatte lange ſprachlos gelegen, da ich ihr aber unſre Liebe erzaͤhlte, bekam ſie ihre Sprache wieder. Zacharias fiel mir ein mit ſeinem er ſoll Johannes heißen Sie nandte dich Sohn. Das haͤtte ſie in dieſer Welt nicht das Herz gehabt, wenn ich gleich wuͤrklich die Frau Paſtorin geweſen waͤre. Sie fuͤhlt aber wer ſie war! Sie fuͤhlt ihre Befoͤrde - rung zum Engel. Sohn! Sohn! Sohn! ſprach ſie, als ob ſie ſich dabey was zu gut thaͤte, und blieb im Seegnen Gewiß hat ſies mit himmliſchen Worten fortgeſetzet, was ſie mit irrdiſchen angefangen, und was ſie in Schwachheit begann, geendiget mit Kraft. Gott ſchenck ihr die himmliſche See - ligkeit, die ſanfte ewge Ruhe der Auserwaͤhl - ten! Auf ihrem Grabe will ich offt Rath holen wenn ich in deiner Abweſenheit Rath bedarf du mußt noch offt, offt ſo ſchwarz, ſo nackt, ſo unbegraßt, ſo unbebluͤmt es gleich da iſt (Wer wird ſich aber fuͤr Staub, fuͤr ſeines gleichen, fuͤrchten?) offt mußt du noch an ihr Grab mit mir wallfahrten. O Lie - ber! mir iſt ſo ſo rings ums Herz, als wenn ich meiner Mutter bald folgen werde und haͤtt ich dich nicht wie gern! wie gern! ich haͤtt dieſe letzte Zeilengerne250gerne weg! Aengſtige dich nicht. Du kennſt mich ſo gut wie ich mich ſelbſt kenne!

Du ſchreibſt mir Schone dich! ich weiß du biſt in dein Leben nicht verliebt Schone dich meinetwegen!

Junge! deinetwegen, deinetwegen, dei - netwegen will ich leben, leiden und ſterben

Da hab ich ihn mit einem Grif, deinen lieben Brief, den ich aufſuchen wolte.

O Mine, wenn doch unſere Vaͤter alle Naͤchte den Himmel obſerviren moͤchten Was war das fuͤr eine Nacht! Mine was fuͤr eine Nacht! Mine, was fuͤr eine Nacht! Wie feyerlich, zwiſchen elf und zwoͤlf auf dem Kirchhofe zu ſeyn! mit dir! mit dir allein auf dem Kirchhofe Ich ver - geſſe dieſes zwiſchen elf und zwoͤlf in mei - nem ganzen Leben nicht Die Alten ſa - hen auf der andern Seite des Kirchhofs nach den Sternen, und ich? ſahe dich dich dich doch warſt es du? Sag warſt du entzuͤckt oder warſt du wie ſonſt? Ein Mondſtrahl umleuchtete dich ich ſtand im Dunkeln und ſah ein Geſicht im prophetſchen Sinn Nie hab ich ſo was geſehen, du warſt verklaͤrt, und dein Geſicht war, wie eines Engels Angeſicht, ſo! ſo! wie ich251 ich dich nach der Auferſtehung der Todten ſehen werde, in alle Ewigkeit

Wozu dieſe Abſchrift? gleich lieber Junge

Geſtern ſtandſt du in der Sonne! Sie beſchien dein edles Angeſicht ſanft und zuruͤckhaltend war ihr Strahl, ſo als wenn Gott mit Menſchen ſpricht Die Sonne blitzte nicht, ſie hatt einen Augenſchirm vor, und ich! kurz, lieber Junge, wie es dir mit dem Monde ging, ging es mir mit der Son - ne, ich ſah dich, ich kannte dich, allein du warſt wie Moſes, indem er vom Berge kam und Gott geſprochen hatte, und ein Geſicht voll Sonnenglanz mitbrachte da dacht ich Sonn und Mond iſt Mann und Weib Da ſah ich uns beid im Himmel, dich in Sonn, mich im Mond gekleidet ich weiß nicht wie mir war! mir kam es ſo vor, daß ich bald ſtuͤrbe, und daß meine Mutter ein Mondgewand in der Hand hielt, mir das Sterbhemde auszog, und mich himmliſch ein - kleidete. Ich war in Wahrheit außer mir! das hab ich noch behalten, daß es ſeelig waͤre, ſeelig, ſeelig waͤre zu ſterben wenn du mit ſtuͤrbeſt Gottes heiliger Wille geſchehe

Oben252

Oben wo ſie angefangen hatte, (das an - dre iſt ſo voll geſchrieben, daß kein Wort Raum hat) Was haben wir nicht noch abzu - reden, ehe du geheſt. Fuͤnf Monate ſind zu kurz, wenn wir von vier Morgens anfingen und um neun aufhoͤrten. Wie kommts, daß wir nicht zum Wort kommen, wenn wir zuſammen ſind.

Dixi!

Und wenn gleich meine Mutter drey Hemde Rubricken mehr waͤhrend der Zeit erfunden haͤtte. Dixi!

Euch gute Seelen, die ihr den Haͤnpf - ling, den ein Bube aus dem Neſte ſtahl, um ihn mit aufgeweichten Brodt zum Sclaven zu futtern, verſteht, wenn er, ſeinem Kerker entflohn, auf dem benachbarten Kaſtanien - baum ſeinen Tyrannen Hohn ſingt;

Euch gute Herzen die ihr einer Pflanze die Wolluſt anſehen koͤnnt, wenn der Gaͤrt - ner ſie aus dem Blumentopf in die weite Erde bringt, oder einem Feigenbaum, wenn der Beſitzer in noͤrdlichen Gegenden ihn vom Fenſter in den ſchoͤnen ſanften Regen ſetzt;

Euch wenigen Edlen! die ihr, wenn die Bohne in eurem Garten eine ſchwere Ge - burt hat, ihr nachhelft und die Schlaubenabſtreift,253abſtreift, um ihr Luft zu machen, und die Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt, mit troͤſtender Hand aufrichtet, damit ſie ſo wie ihr ſelbſt gen Himmel ſaͤhe, Euch, die mein Vater Seher, von Gott Angehauchte! nennen wuͤrde; Euch! die ihr hoͤret und ſehet, was viele mit offnen Augen nicht ſehen, mit offnen Ohren nicht hoͤren, ſchreib ich dieſe Briefe zu. Schuͤtzt ſie wider Hof und Stadtleute, die Ach und Weh uͤber ſie krei - ſchen, wider die Schwaͤtzer und Trunkenbolde in der Liebe, die gewohnt an italieniſche Mu - ſik, kein Schaͤfchen bloͤcken, keine Nachtigall ſchlagen, keine Biene ſchwaͤrmen, keinen Kaͤfer brauſen hoͤren koͤnnen.

Es war einen Sonnabend wie haͤtt es wohl ein andrer Tag ſeyn koͤnnen? da mich meine Mutter bey der rechten Hand nahm, welche ſie die Auserwaͤhlte zu nennen pflegte, und ſich folgender Geſtalt verlauten ließ: Mein Sohn, heute Koͤnig, morgen todt. Es iſt leicht moͤglich, daß wenn deine Noviciats - jahre geendiget ſind, und du dich zu Able - gung der heiligen Geluͤbde nach Curland zu den Altaͤren deiner Vaͤter muͤtterlicher Seitseinfin -254einfindeſt (Mein Vater haͤtte geſagt, wenn du deine Jahre der Wanderſchaft zuruͤckgele - get haſt und ans Meiſterrecht denkſt) du mich nicht mehr in dieſer irrdiſchen Huͤtte ſieheſt Dort ſehen wir uns gewis und wahrhaftig, indeßen hab ich noch viel auf meinem Her - zen fuͤr dieſe Welt, das ich nicht gern wie ein Haufen Reiſer zuſammen raffeln, ſondern wie Zuckererbſen zur Saat leſen und ſondern, und dir ins Ohr ſaͤen, oder nach dem ein und vierzigſten Pſalm im achten Vers, raunen moͤchte.

Ich glaubte, daß dieſer aufgeſpannte Pfeil Minchens Geſchichte treffen wuͤrde; allein ich betrog mich am Ende, obgleich ich meine Mut - ter, um ein andres toͤdliches Gewehr anzu - fuͤhren, Pulver auf die Pfanne ſtreuen und zielen ſah, da ſie von den Vorzuͤgen eines guten ehrlichen Herkommens ſprach. Sie lenkte auf meinen Vater, ihren vielgeliebten Eheherrn, und legt es mir ſo nahe als moͤg - lich, daß ich ſie fragen moͤchte, was ſie wohl von ſeiner Abkunft daͤchte? Wir bogen beide zur Rechten, und kamen nicht zuſammen. Freilich haͤtt ich auch gern gewußt, was mei - ne liebe Mutter baß, als ich, von dieſer Sa - che wußte. Ich befuͤrchtete aber Auftraͤgezu255zu gewißen Fragen an meinen Vater, und wie haͤtt ich einen Mann foltern, oder wie meine Mutter ſprach, ſtoͤcken ſollen, der ſo vaͤterlich war, mir wegen Minchen keine Frage ans Hertz zu legen? Sie mußt alſo durch einen andern Weg in ihr Land. Ueber deinen Vater ſagte ſie, hab ich tauſend und abermal tauſend Thraͤnen vergoſſen. Sel - ten wird ein Frauenzimmer das Wort Thraͤ - nen trocken ausſprechen, und ohn es anſchau - end zu machen, was Thraͤnen ſind.

Ich weiß zwar nicht, wo er her iſt, und wer ſeine Eltern geweſen, bald haͤtt ich liebe Eltern geſagt; Gott weiß aber, ob ſie’s ver - dient haͤtten und obs nicht unſchlachtig Volk geweſen Ich vermuthe, daß ſie ihm eben keine Ehre machen koͤnnen, denn ſonſt wuͤß - te ich nicht, warum er ſo zuruͤckhaltend uͤber dieſen Punckt zu ſeyn Urſach haͤtte. Hier fing ſie ſo bitterlich an zu zeigen, was Thraͤ - nen ſind, daß ich ſie herzlich troͤſtete. Sie jammerte mich von ganzer Seele.

Was ich weiß, will ich dir ſagen; wolte Gott, daß es ohne die groͤßte Bewegung meines Herzens geſchehen koͤnnte.

Ich verbat ihre Erzaͤhlung, da ich ſahe, wie ſehr es ſie angrif.

RNein256

Nein, um des Himmels willen, nein, aber nein, rief ſie aus, und wenn mir druͤ - ber das Herz brechen, wenn ich gleich ſter - ben ſolte, mußt du alles erfahren, was ich ge - wis weiß, was ich hoffe, was ich glaube, was ich fuͤrchte, und noch manches was mehr.

Nichts war es ſpaͤt und fruͤhe

ſang ſie,

um alle meine Muͤhe;
mein Sorgen war umſonſt

Und nach Vollendung dieſer Herzſtaͤrckung fing ſie an: Du weißt, wie ſich die Lebens - laͤufe unſrer in Gott ruhenden Vorfahren an - fangen Was nun anlanget Ich kann die - ſen Anfang nie ohne Luſt aufgeloͤſet zu wer - den beten.

Was nun anlanget, die ehrliche Ge - burt, den Tauftag, den gefuͤhrten chriſt - lichen Lebenswandel, und die ſeelige Sterb - ſtunde unſrer in Gott ruhenden Glaubens - ſchweſter, der Weiland viel Ehr und tugend - ſamen Frauen, Frauen ſo iſt ſelbige von chriſtlichen Eltern gebohren. Ihr Herr Vater war der Weiland Wohl - ehrwuͤrdige, und ihre Mutter die Weiland leibliche Tochter des Weiland Wohl - ehrwuͤr -257 ehrwuͤrdigen ihr Herr Grosvater war der Weiland Wohlehrwuͤrdige ſo viel Weilands Wohlehrwuͤrden ohn End und Ziel Bey deinem lieben Vater iſt ehrliche Geburt und all Wohlehrwuͤrden in die Rap - puſe gegeben. Gott gebe, daß dieſer Gedancke ihm ſein Sterblager nicht ſchwer mache.

Es war im Jahr nach Chriſti Geburt 17 den da er zu deinem lieben ſeeligen Grosvater gegen Abend um ſieben Uhr ankam. Es ſchlug eben unſre Stuben - uhr, die ſo katerhaft brumte, eh ſie eins, zwey, drey, vier, fuͤnf, ſechs, ſieben, heraus - wuͤrgte, daß ich kein Wort von den Erſtlingen deines Vaters zu vernehmen im Stande war. Er ſchien mir mehr mit dem Ruͤcken als mit dem Munde zu ſprechen Es war der kaͤlteſte Winter, den ich erlebt habe. Ich ſeh noch, wie dein Vater that, als waͤſch er ſich die Haͤnde. Drey Aepfelbaͤume ruͤhrte der Froſt in unſerm Gaͤrtchen, und auch den letzten Zahn, wie es deine Grosmutter nand - te, oder den letzten Pflaumenbaum. Dein ſeeliger Großvater pflegt im Scherz zu ſa - gen, ſo viel waͤre wol außer Zweifel, daß das Paradies nicht in Curland geſtanden haͤtte. Im Scherz ſag ich, denn er war ſonſt,R 2wie258wie ſich’s eignet und gebuͤhret, mit Haut und Haar, mit Herzen, Mund und Haͤnden, Curlaͤnder.

Deine liebe Grosmutter, ſo gaſtfrey wie ich, bat abzulegen. Dein Vater thats nicht eher, als bis er die Anwerbung angebracht hatte nicht um mich, ſo weit ſind wir noch nicht, ſondern um die Informatorſtelle, die im Kirchſpiel offen war Hofmeiſter - ſtelle, ſagte dein Grosvater, und belehrte zu - gleich deinen Vater, daß ein Prediger Pa - ſtor hieße, und des bin ich herzinniglich froh, und verehre im Staube die wunder - bare Schickung Gottes in Curland: denn kein Tittel hat ſolche Verkuͤrzungen erlitten, als Paſtor auf deutſch. Erſt hieß es Pfarr - herr, mithin Herr von forne und Herr von hinten, wie’s billig iſt, Herr Pfarrherr. Nachher Pfarrer und jetzo Pfarr. Daß ſich Gott erbarme! wer nicht buchſtabiren kann, ſchreibt Farr, und das iſt ein einjaͤhri - ger Ochſe. In der Ausſprache iſt ſo kein Unterſchied, wenn man auch drey Ohren haͤt - te! Mein Vater war bey Sr. Hochwohlge - bohrnen, der fuͤr ſeinen Sohn einen Hofmei - ſter ſuchte, Hahnchen im Korbe. Sehr gern, ſagte mein Vater, wenn wir wenig werden Jezt259Jezt ſpannte dein Vater ſich aus, rauchte ſein Pfeifchen und that eine Mahlzeit, daß meine Mutter nachher zu mir (auch im Scher - ze, denn ſie hungerte vor Freuden, wenns ihrem Gaſt ſchmeckte) ſagte: waͤre der Can - didat unter den vier tauſend Mann geweſen, ſo viel Koͤrbe waͤren nicht uͤbrig geblieben

Dein Vater muß es ſelbſt gemerkt haben; denn er bewies ſehr gelehrt, daß man im Winter beſſern Appetit, als im Sommer haͤtte, ſo wie eine uͤbermaͤßige Kaͤlte auch ſchlaͤfrig mache. Das eine hatte er weidlich bewieſen, das andre war er im Begriff zu thun.

Mir ſtrahlte dein Vater, ich muß es frey geſtehen, gleich ins Herz, obgleich eine uͤbermaͤßige Kaͤlte, ſo wie eine uͤbermaͤßige Hitze, ſchlaͤfrig macht. Ich ſah nicht mehr gerad aus, ſondern ſehr oft von der Rechten zur Linken, und war dein Vater, der uns oft beſuchte, gegenwaͤrtig; ſo konnte mich das mindeſte roth machen. Ein geſtohlnes Schaaf machte mich uͤber und uͤber roth, wenn man den Dieb nicht wußte und die Frage aufwarf: wer kann es wohl geſtoh - len haben? Wenn mich dein Vater fragte: ob ich wohl geruhet haͤtte? war Feu’r imR 3Dach260Dach und ich konnt wol aus dem ſchoͤ - nen Liede:

Ich Erde was erkuͤhn ich mich

bey jeder Sylbe, die er ſprach, mit Recht ſin - gen: Sie ſang

ganz feurig wird mir mein Geſicht,
und das, was meine Zunge ſpricht,
kann kaum mein Ohr vernehmen!
ich bin voll Angſt und Schaͤmen

Ich weiß nicht, ob ich ſchon an und ausge - fuͤhret habe, daß dein lieber Vater Hofmei - ſter wurde. Man hatt es ihm ſehr nahe gelegt, ein Frauenzimmer, das der Frau vom Hauſe Geſellſchaft leiſtete, ſchoͤn zu finden; allein er fand weder ſie, noch irgend eine Dirne, alſo. Einige glaubten, daß er die ſel - tene Gabe der Enthaltſamkeit haͤtte, davon war ich durch ſein dringendes feuriges Auge eines beſſern belehrt. Er blieb nicht lange Hofmeiſter; ſondern im kurzen ſtarb ſein ſeeli - ger Anteceſſor, und er bekam das Paſtorat, wo er noch bis dieſe Stunde Gotteswort rein und lauter, (das muß man ihm laſſen) ver - kuͤndiget.

Kaum hatt er dieſe Stelle, kam er wieder einen Abend und wuſch ſich abermals die Haͤnde. Diesmal konnt es ſchwerlichaus261aus Froſt ſeyn; denn es war Sommertag, Die drey Aepfel - und der letzte Pflaumen - baum haben ſich nie wieder erhohlt, und den Kukuk nicht mehr ſchreyen gehoͤrt; denn der Garten war ohne Wintkenntnis angelegt, wie dein lieber Grosvater zu ſagen pflegte. Mei - ne Mutter hatte noch nicht gebeten abzule - gen, da er mit der Anwerbung um mich an - fing So viel Neigung als Dankbar - keit Gut, ſagte meine Mutter, Herr Pa - ſtor; allein, ehe man Ja ſagt, muß man ſich bedenken. Beym Nein kann man eher fer - tig werden. Sie ſehen wie ſehr ich zum Ja mich neige. Sie verlangte zu wiſſen, und das konnt ich ihr nicht verdenken, wo er her waͤre? wer ſeine Eltern waͤren? Ob ſie noch am Leben? Ob er Geſchwiſter haͤtte? und auf tauſend antwortete der Herr Braͤuti - gam nicht eins. Er liebte weder die ſelte - nen noch gemeinen Fragen meiner Mutter, und wollte nicht mit der Sprache heraus, und da die Sache weiter getrieben wurde, er - klaͤrt er mit Ja und Amen: eher ungluͤcklich zu ſeyn, und weder Theil noch Anfall auf mich zu haben, als dieſen Vorhang aufzuziehen.

Deine ſeelige Grosmutter war das im ganzen Hauſe, was ich in der Kuͤche bin,R 4und262und wolte dein ſeeliger Grosvater wohl oder uͤbel, er mußte den Kopf ſchuͤtteln. Zum deutlichen Nein konnte ſie es nicht bringen Das war ein Ferſenſtich fuͤr deinen Vater. Er war gekommen, einen Salz einen ewigen Bund zu machen, und nun zerriß er alles aufs ſchierſte. Starckes Laufs, ohne Schnauben oder Drehen, ohne den Staub von ſeinen Fuͤßen zu ſchuͤtteln, ohne das Waſſer glum zu machen, zu reden aus Ezechiel zwey - und dreyßig, Vers zwey, ging er verſtummt von ſeiner Schehrerin von dannen. Man ſah was er litte, und gern haͤtt ich ihm huͤlf - liche Hand geleiſtet. Der Abſchied war kalt und warm, ſaur ſuͤß, und weg war er.

Dein ſeliger Grosvater hielt groß von deinem Vater und liebte ihn zu ſehr, als daß er ſo ganz golaßen dabey bleiben ſollen. Es war dein Grosvater ein grundgelehrter Mann, der aber außer der Kirche nur blos in ſeinem Studirſtuͤbchen Potentat war, und es auch nur hier ſeyn wolte, obgleich deine ſeelige Grosmutter auch hier zuweilen ihr Licht leuchten lies, wowider er ſelbſt nichts hatte. Was ich von ſeltenen Fragen und Antworten weiß: iſt von ihr. Sie hatte hie - von ein Naturaliencabinet, das nicht gemeinwar.263war. Ich hab oft gedacht, ſie gaͤb ihrem Mann manche Nuß aufzubeißen: darum ihre gelehrte Fragen! ich im Druck! und darum mein Geſang! Sie wußte was fuͤr eine Farbe das Kleid gehabt, das der liebe Gott dem Adam gemacht, und behauptete, es waͤre gruͤn geweſen. Sie wußte die Apfel - art, die Adam und Eva gegeßen? wo das Paradies geſtanden? und empfahl die Bir - nen, als eine unſchuldigere Frucht, die auch allen Menſchen beßer thaͤte. Wenn ichs auf - richtig ſagen ſoll; ſo geberdete ſie ſich bey Aepfel und Birnen ſo, als ob dieſe ohne Erbſuͤnde, jene mit Erbſuͤnde behaftet waͤren ich find hiebey, wenn manns dazu anlegt, viel Erbauung Sie wußte, ob Rahel weiß oder braun geweſen? Was fuͤr Federn Ga - briel in ſeinen Fluͤgeln gehabt? Ob Adam mit einem Nabel verſehen geweſen? Ob Da - vid ein Adagio oder Allegro vor Saul geſpielt? Ob die Schrifftgelehrten Docktores in der Theologie oder der Rechte geweſen? und ob Pilatus ſich mit Seife gewaſchen? Wie viel - mal Sela in der heiligen Schrifft vorkaͤme?

Meinem Vater fehlt es weder an Seel noch Leib, um meine Mutter ſo zu umzaͤu - nen, als ich’s bin; allein, warum er nach -R 5gab264gab, war, um ſich ſelbſt ein Kreutz aufzule - gen. Er behauptet er haͤtte ſein Lebtag keine Niete gezogen, ſondern waͤr, alſtets gluͤcklich geweſen, und da man durch viel Truͤbſal zum Reich Gottes eingehen muͤßte; ſo litt er gern dieſe Ungemaͤchligkeit, beklagte ſich nur gegen mich, nachdem ich mein neun - zehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzi - gen guten Freund ohne Troſt anzuneh - men, wohl wißend, es wuͤrde ſeiner lieben Frauen jedes unnuͤze Wort noch vor Sonnen - untergang gereuen, was ſie geredet hatte. Dies geſchah auch anfaͤnglich; allein nach der Zeit weiß ich mich zu beſinnen, daß es in wichtigen Faͤllen bis zweymal vierundzwanzig Stunden waͤhrete, alsdenn aber war auch draußen ſchlecht Wetter, und die Sonne blieb im Bette, ohn einmal aufzuſtehen und zu ſehen, was fuͤr Wetter es ſei. Hier iſt der Schluͤßel zu deines Grosvaters Charakter.

Polycrates, Erbherr auf Samos, toͤdtete ſeinen juͤngſten Herrn Bruder, und den Bruder vor ihm ſchickt er nach Siberien um allein auf Samos zu wohnen. Polycrates war der aͤlteſte. Alles, was er wolte, ward.

Ich265

Ich verſicherte meine Mutter, die ſonſt Stationes liebte, daß ich dieſe Geſchichte zur Noth wuͤßte; allein ſie hatte, wie meine Leſer es ohne Fingerzeig, ſo gut wie ich, mercken werden, auf ihren Vortrag ſtudirt. Bring mich nicht aus der Melodie, antwortete ſie: dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins Bockshorn gejagt. Sonſt pflegten hahn und lahn und ſtahn meine Buſenwoͤrter zu ſeyn jetzt muß ich genau auf die Noten ſehen, um nicht aus der Weiſe zu kommen.

Sein guter Freund des Policrates nehmlich den das Gluͤck ſeines Freundes nicht eiferſichtig, ſondern beſorgt machte, bat ihn ſehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum Rehbraten eßen, und nur etwas weniges ſein Leben verbittern. Polycrates wirft ſei - nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen faͤhet ein Fiſcher einen ungewoͤhnlich gro - ßen Fiſch, verehrt ihn dem Hofe und der Koch findet den Ring. Der gute Freund, der ihm gerathen ſich ungluͤcklich zu machen, kuͤndigt ihm nach dieſem Vorfall ſeine Freund - ſchaft auf, weil er keinen ſo gluͤcklichen Freund haben wolte, indem er ein ſo großes Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht wuͤrde beyſtehen koͤnnen. So geſagt ſo ge -ſchehen.266ſchehen. Er faͤngt Krieg an. Seine Toch - ter warn’te ihn, weil ſie ſeinetwegen einen Traum gehabt. Es kam ihr nemlich vor, daß ihr Herr Vater vom Gott Jupiter geba - det, und von der Sonne geſalbet worden. Er verwarf dieſen Winck, und lachte uͤber den Finger ſeiner wahrſagenden Tochter; al - lein ſiehe! Er zog nach Magneſiam, wo er von den Einwohnern jaͤmmerlich getoͤdtet, und hernach ans Kreutz geſchlagen worden. So ward er, wenns regnete, gebadet, und wenn die Sonne ſchien, geſalbet Dieſe Geſchichte iſt uns zur Lehre geſchrieben, dachte dein ſeeli - ger Herr Grosvater. Er hatte in ſeinem Sinn die Huͤll und Fuͤll, und hielt ſich ſo gluͤcklich, wie Polycrates, obgleich er nie einen Ring ins Meer geworfen, und wenn das Jahr um war, keinen Dreyer uͤbrig hatte.

Ich fand, ſagt er, von je her die erſte Roſe, das erſte Veilchen, die erſte reife Pflaume, gieng ich zu Bett, ſchlief ich, ſtand ich auf, war ich munter. Die boͤſeſten Hunde kamen, mir die Haͤnde zu kuͤßen, um mir zu huldigen. Mein ſeeliger Vorfahr hat den Paſtoratsgarten blos angelegt, um dem Winde ein Spielwerck zu machen; doch glaub ich, wenn ich ihn ſo, wie er da iſt, bepflanzenſolte,267ſolte, die curſchen Stuͤrme wuͤrden ſich mit ihm vertragen: darum pflanze ich nicht wie - der was ausſtirbt. Einen neuen Garten leg ich nicht an, um dem Boden nicht, meiner gluͤcklichen Hand wegen, Frohndienſte aufzule - gen Was ich in meiner Jugend ſetzte, ging alles auf. Eine Bohne, wenn ſie gleich hecktiſch ausſahe, wuchs und trug geſunde Kinder. Schieß ich, tref ich; ſchießt ein andrer, weiß ich beinah mit Gewisheit am Schuß, ob Niete oder Gewinſt iſt. Komm ich nach Mitau, gruͤßt mich ein jeder, der mir begegnet, und jedes eher als ich. Bey allen meinen Examens ward ich uͤber das gefragt, was ich den Abend vorher gele - fen hatte. Ich ſchlag mit einer Klatſche wenigſtens zwo Fliegen. Offt bemuͤh ich mich recht geflißentlich, nur einer aufs Haupt zu ſchlagen, allein, indem ich den Streich vollfuͤhren will, kommen Freiwillige dazu; dies macht mich aufmerckſam. Erſt dreyßig fette Jahre, dreßig Jahre ohnunterbrochnes Gluͤck, und drey Jahr darauf, mager wie Pharaos Kuͤhe. Wer nimmt ſie? Dreyßig magere Jahre aber voraus, und drey fette hernach, doͤrfen nicht oͤffentlich licitirt wer - den; man nimmt mit beyden Haͤnden. Ichwolte268wolte nicht in der letzten Zeit meines Lebens ausſtreichen, was ich die vorige Jahre ge - ſchrieben, und wie ſolt ich meinem Gluͤck Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich bin geſund, hab Nahrung und Kleider, und was noch mehr iſt, hab ich mich von je her damit begnuͤgen laßen In Gottes Haͤnde konnt ich alſo nicht fallen; ich mocht’s machen wie ich’s wollte, was war zu thun? ich gab ſelbſt Gelegenheit, in Menſchen Haͤnde zu kommen. Meine Ehegenoßin muß ſchwei - gen in der Gemeine, und ich ſchweig in mei - nem Hauſe.

Es war alſo, lieber Leſer! mein Grosva - ter muͤtterlicher Seits, wie es ſcheint, ein chriſtlicher Sokrates, meine Grosmutter aber keine Xantippe, und uͤbrigens eine ſo aͤchte Paſtorinn, als meine Mutter; nur jede von andrer Art.

Ein Mann ſoll meine Tochter heirathen, der nicht Schuſter und Rademacher werden kann, ſagte deine Grosmutter; der aber, ſagte dein Vater (im ſanften Tone als wenn er auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete) der aber Paſtor iſt. Schlecht genug, ſchrie ſie aus, daß er durch deinen Vorſchuß es worden. Ich weiß ſehr wol, daß er keinenDreyer269Dreyer hebraͤiſch beſitzet. Hierinn hatte ſie recht. Ein Paſtor ohne die Sprache Gottes zu wißen! Da mein Vater wol aus dem Tone hoͤrte, daß es Zeit waͤre, entweder ſei - nes Leidens ein Ende zu machen, oder ſich zu - ruͤck zu ziehen; ging er gelaßen aus dem Zim - mer in ſein Studirſtuͤbchen, wo er auch drey Stunden eingeſchloßen blieb. Waͤhrend die - ſer Zeit fing meine Mutter Buͤrgerkriege mit mir an. Bald war mein Kopf ein Wetter - hahn, bald hatte ich laͤppiſche Angewohnhei - ten und andre ſieben Sachen mehr Der Zorn wider deinen Vater hatte ſich gelegt, und ſie ſchien es mir ſehr deutlich zu verſtehen zu geben, daß wenn ich nur den Kopf gerade gehalten, mein Braͤutigam wahl geſagt ha - ben wuͤrde, wer ſein Vater waͤre? Endlich ſprang ihr Zorn, ſo wie das Fieber, wenn’s nicht mehr ſo heftig iſt, das von deinem Va - ter auf deinen Grosvater, und von deinem Grosvater auf mich gekommen war, von mir auf die Kathrine. So fuhr der Satan, meiner Mutter nicht zu nahe geredet, in die Saͤue. Kathrine hatt ihr, ſtatt des Salz - faßes, Pfeffer gereicht, woran ſie freilich nicht gut reichte, denn meine Mutter ſchuͤt - tete ſo viel Pfeffer in die Fiſche, als ſie Salzgebraucht270gebraucht haben wuͤrde. Pratz! eine Ohr - feige; und nun war der Zorn geloͤſcht. Zwar ziſcht es noch, als wenn Waßer auf den gluͤ - henden Heerd gegoßen wird, indeßen ward es zulezt ganz, ganz mauſe ſtille.

Dies Pratz war eben keine Chriſten - pflicht: indeßen was denckſt du vom Pratz der Fr. v welche bey ganz kaltem Blute jedes neue Dienſtmaͤdchen, wenn es zum er - ſtenmal Hand ans Porcelain legt, mit einem Pratz bewillkommet? Warum gnaͤdige Frau? damit ihr ein Andencken habt, ſo oft ihr das Porcelain zur Hand nehmt

Meine Mutter mochte dieſer Blutreini - gung wegen gerne das alte Geſinde behal - ten, und ich bin ihrer Meinung Es muß doch wo einſchlagen, und erſticken wuͤrd ich! ich! Kreuztraͤgerinn! wenn ich mich nicht ausſchelten koͤnnte Babbe waͤre den andern Tag abgeſtelt, nachdem ſie die Koͤnig - liche Frau Mutter gemacht hatte, wenn man mit neuem Geſinde ſo herumſpringen koͤnnte, als mit altem Ich weiß nicht, gegen das gemeinſte Volck hab ich, bis ich bekant bin, ruͤckhaltende Achtung; ich glaub, das macht das Bild Gottes, das es traͤgt

Das271

Das Gebet vor Tiſche, welches dreymal ſo lang war, als leider! das unſrige iſt, betete meine Mutter ungewoͤhnlich laut mit, und das war ſchon immer ein gutes Zeichen, denn wenn ſie das ganze Haus beynahe in einander ge - worfen hatte; betete ſie am lautſten und inbruͤn - ſtigſten, als wenn ſie hiemit den Himmel ver - ſoͤhnen wolte, und alsdenn war es alles wie abgeſchnitten. Dieſer ihrer Gemuͤthsruhe be - diente ſich mein Vater, deinem Vater eine Lob - rede zu halten: Sie gab kein Wort darauf.

Auf einmal fing ſie von ſelbſt an: Er liebt zu ſehr, als daß er ſie verlaſſen ſolte, und man ſehe ſie, wer kann dreißig ſeyn, ohne ſtehen zu bleiben und ſie zu lieben (Gott hatte mich ſchoͤn gebildet, wie es noch am Tage iſt) Wie gerad ſie ſich haͤlt fuhr deine ſeelige Großmutter fort, welche feine Arten! er wird ſich beſin - nen und ſagen, von wannen er kommt? Es iſt ein ſehr geſchickter, feiner Mann. Man kann mit Wahrheit ſagen, das Hebraͤiſche ausgenommen, dein Geiſt, lieber Mann, ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Eliſa. Ich hatte dieſen Gedanken gleich, da du ihm deinen alten Mantel verkaufteſt.

Denck das nicht, mein Kind! ſagte dein ſeeliger Grosvater, der uͤbern Namen EliasSſich272ſich vergnuͤgte, ich habe wenig Ausſicht; denn er haͤtte gewiß, da er in die freye Luft kam, ein freundlich Wort fallen laſſen; allein meine Mutter blieb, der freyen Luft unbe - ſchadet, bey ihrer Hofnung, und that unwil - lig daß dein Großvater mir nicht deinen Vater goͤnnte, dem dieſer Unwillen hinrei - chend war, auch Hofnung zu faſſen.

Das Geſpraͤch wurde auf die hebraͤi - ſche Sprache gerichtet, von welcher dein lie - ber ſeeliger Großvater behauptete, daß ſie eben nicht ſo noͤthig zum Diener des goͤttli - chen Worts an einer chriſtliebenden Gemeine ſey, und daß er ſelbſt nicht einen Punkt zu verborgen, ſondern nur zur hoͤchſten Noth haͤtte. Dieſer letzte Umſtand beruhigte meine Mutter, und mich macht er noch betruͤbter als ich ſchon war: denn das Einzige, was mich bey dem Vorfall, wenn dein Vater mich verlaſſen, getroͤſtet haͤtte, war der Um - ſtand, daß er nicht Hebraͤiſch konnte, und alſo nicht alle geſunde Gliedmaßen als Geiſt - licher haͤtte

Hier hielt meine Mutter an, und nach - dem ſie mich befragt, ob ich wozu Appetit haͤtte, und ich fuͤr alles gedankt, wandte ſie ſich nach dieſer Vorbereitung ganz zaͤrtlichzu273zu mir, und bat mich dringend dieſer Um - ſtaͤnde unerachtet, alle nur moͤgliche Sorge auf die hebraͤiſche Sprache zu verwenden, welches ich ihr auch feierlich verſicherte. Es iſt alle Vermuthung, daß dies die Sprache der andern Welt iſt, und dann darf ich mei - nen Sprachmeiſter nicht weit ſuchen. Ich war jetzt neugierig geworden, ihre Helden Staats und Liebesgeſchichte zum Ende zu hoͤ - ren, und hatte nicht Urſach hierum zu bitten.

Wir gingen ein Jeglicher ſeinen Weg ins Bette; allein welche Vigilien fuͤr mich. So wie das Bild der Sonne im Auge fort - dauert, wenn man die Augen gleich zuſchließt; ſo ſah ich auch was ich, um zu ſchlafen nicht ſehen ſolte. Eine arme Suͤndernacht war dieſe Nacht

In welcher Nacht ich lag ſo hart,
mit Finſterniß umfangen;
von all’n meinen Suͤnden geplaget ward,
die ich mein Tag begangen.

Gottlob, dacht ich, die Sonne! allein ſie war mir nicht zum Gluͤck aufgegangen.

Noch muß ich dir bey dieſer erwuͤnſchten Gelegenheit vertrauen, daß eben dieſer Zeit - punkt der war, da ich die geiſtlichen Lieder als das probatſte Mittel, mein aufgewiegel -S 2tes274tes Herz zu beruhigen, kennen lernte. Be - ſiehl du deine Wege. Was Gott thut das iſt wohl gethan. Keinen hat Gott verlaſ - ſen, das loͤſchte meinen Durſt bey meiner Angſt. Wenn die Zunge an meinem Gau - men klebte, und ich zwiſchen der hebraͤiſchen Sprache, meiner Mutter, und deinem Vater getheilt war; fing ich an zu ſingen. Fuͤhlt ich gleich nicht die Wahrheit in ihrem gan - zen Umfange:

Wenn ich ein Lied von Herzen ſing,
ſo wird mein Herz recht guter Ding,

ſo ward ich doch Gott ergebener und wei - cher, und da mein ganzes uͤbriges Leben zwiſchen Thuͤr und Angel iſt, und ich nie aus dieſem Drang gekommen ſing ich weiter, bis ich kommen werde zum hohen Halleluja vor dem Trone Gottes:

da, da, (Sie ſangs)
da iſt Freude,
da iſt Weide,
da iſt Manna,
Halleluja! Hoſianna!

Den andern Morgen ein Brief!

Ein Brief, ſagte meine Mutter. Hab ichs nicht geſagt. Sie wog ihn das Geſchlechtregiſter liegt drinn Meine Mut -ter275ter irrte; es war ein Brief an meinen Vater, und einer an mich.

Auch gut, ſagte meine Mutter, laß hoͤren.

Der Brief an meinen Vater enthielt eine Dankſagung fuͤr alle Freundſchaft. Das Herz redete darin. Dem Wohlehrwuͤrdigen Mann floſſen Thraͤnen die Wange herab. Jede von dieſen ſanft abſchleichenden Zaͤh - ren verdiente in eine Perle verwandelt zu werden. Wenn er geſtorben waͤre, ſetzte dein Grosvater hinzu, wuͤrd ich nicht weinen; ich hab noch nie uͤber einen Todten geweint, denn er ruhet in Gottes Hand, allein ich wei - ne uͤber ihn, weil er nicht todt iſt.

Es iſt ein ſehr ruͤhrender Anblick, einen gluͤcklichen Mann weinen zu ſehen! Ich glaube, wenn er je gewuͤnſcht, ein Kreuztraͤ - ger andrer Art zu ſeyn; ſo war es jetzo. An deine Grosmutter hatte dein Vater einen koſtbaren Ring beygelegt, den er, wie er ſchrieb, fuͤr ſeine Braut beſtimmt gehabt, und den er jetzt nicht beſſer, als auf dieſe Art an - zuwenden wuͤßte. Mein Vater behauptete, dieſes waͤre das lezte Lebewohl, meine Mut - ter, es ſey ein friſcher Wurm zum Hamen. Mein Vater und meine Mutter behaupteten jedes ſeine Meinung, und ich aͤrgerte michS 3uͤbern276uͤbern Wurm, wie Jonas uͤber den, der ihm den Kuͤrbis ſtach.

Wuͤrde er wohl, ſagte meine Mutter mit entſcheidendem Tone, ſolchen Ring beyge - legt haben, wenn er nicht unter der Wildſchur ein ander Kleid haͤtte Ich weiß nicht, warum mir dieſer Grund gleichfals ſehr wahr - ſcheinlich auffiel; allein deſto heftiger war mein Entſetzen, da ich vernahm daß er den Paſtor L fleißig beſuchte, und daß er die juͤngſte von ſeinen Toͤchtern, welches ein ſehr luſtiges und huͤbſches Maͤdchen war, heirathen wuͤrde. Dieſe Zeitung blitzt und traf, ich fiel ſo lang ich war zu Boden, und ward herzlich, jawohl herzlich Krank. Die ganze Gegend wußt jetzo, daß dein Vater die Gabe der Enthaltſamkeit nicht hatte, deſto beſorgter war ich, denn ſo unangenehm es mir war, daß dein Vater nicht hebraͤiſch konnte, wovon leider! manches geredet ward, ſo ſehr lieb war es mir dagegen, daß man ihm die ſeltene Gabe der Enthaltſamkeit andichtete. Ich ſtand entſetzlich viel aus. Zu dem Geruͤchte wegen der juͤngſten Tochter des Paſtors L kam ein Traum, deſſen ich mich jetzo erinnerte, und den ich, von der Stunde der Erinnerung an, Tag und Nachtin277in eins weg traͤumte. Die Nacht auf den Abend, da dein Vater die erſte Mahlzeit bey uns aus allen Kraͤften that, und da er zu ſeiner Entſchuldigung behauptete, daß man im Winter beſſern Appetit haͤtte, als im Sommer, die Nacht auf dieſen Abend traͤumte mir, daß die juͤngſte Tochter des Paſtor L mir Gift eingaͤbe, und da es wuͤrkte, billigt ihr Vater dieſes Verfahren, und wollte mir noch eine vergiftete Pille von derſelben Art im Saͤftchen beybringen, um wie er ſich grosmuͤthig ausdruckte, mich nicht lange quaͤlen zu laſſen; allein ſeine Tochter ward des Landes verwieſen, und er ward Praͤpoſi - tus wie beſonders doch ein Traum iſt Er Praͤpoſitus! Sie des Landes verwieſen! Daß ich das Saͤftchen des Herrn Paſtor L verbat, weiß ich! allein ob ich von dem Gift ſeiner Tochter geſtorben, oder nicht? konnt ich mich nicht beſinnen. Ich hatte bis dahin keine andere, als bibliſche, oder ſol - che Traͤume gehabt, die in der heiligen Schrift vorkommen. Die ſieben fette und ſieben magere Kuͤhe des Pharao zum Exempel, und die Sonne, Mond und Sterne des Jo - ſephs, waren offt vorgefallen, und kein ehrli - ches Maͤdchen muß, ehe ſie Braut wird, an -S 4ders278ders als bibliſch traͤumen. Dieſer Gift - traum richtete mich voͤllig hin. Zwar er - zaͤhlte dein lieber Vater eben dieſen erſten Abend, daß er den Paſtor L und ſein Haus kenne, und haͤtte ſich freilich alles na - tuͤrlich erklaͤren laſſen; indeſſen iſt und bleibt dieſer Traum immer was beſonderes. Man ſage von den Cometen was man will; ſie ſind und bleiben doch Cometen. Mein Blut ſiedete auf Ich hoͤrt es kochen, wie das Waſſer in einer Theemaſchiene, allein deine Grosmutter hoͤrte nicht ſieden, nicht kochen. Sie nahm die ganze Sache auf die leichte Schulter, bis ſie zu ihrem Erſtaunen ſahe, daß mir daß Herz zu brechen anfing. Jetzt dachte ſie auf eine Cur, und dieſe glaubte ſie mit dem Ringe auszurichten; allein ſie goß Oel zum Feu’r. Ich lag in einer Unge - witterhitze. Es kam ihr vor, es haͤtte ſich Etwas abgekuͤhlt, und nun glaubte meine Mutter waͤr es Zeit, die Mediein einzuneh - men. Sie ſchenkte mir den Ring und ich mußt ihn anlegen, allein ſie goß Oel, ſie - dend Oel zum Feu’r. Von dem Spitzchen, wo der Ring ſeinen Lauf angetreten, gings durch alle Adern wellenſchlagend! und ich ſchien außer Hofnung. Man nahm mirden279den Ring ab, allein das Feu’r, das er ange - zuͤndet hatte, wuͤtete fort. Das Feuer iſt ein ſchreckliches Element! In der Hitze wolt ich durchaus hebraͤiſch lernen, und um mich zu beruhigen, mußte dein ſeelger Grosvater mich darinn unterrichten. Wenn ich zu mir ſelbſt kam, ſeufzete ich nicht uͤber meine Mut - ter, ſondern uͤber des Paſtor L juͤngſte Tochter. Der liebe Docktor Saft, deßen Sohn dir naͤchſt Gott geholfen, half mir. Sein Recept war dein lieber Vater, und eine Mixtur von ſeiner eigenen Erfindung. Er war in der Medicin, ſo wie in Liebesan - gelegenheiten, gleich ſtarck und brauchbar. Sein Herr Sohn iſt ihm in der letzten Kunſt nie gleich gekommen. Der alte Docktor Saft hat Wundercuren durch Heyrathen gethan.

Er verhieß es feyerlich, deinen lieben Va - ter zuruͤck an Ort und Stelle zu bringen. Ich ſahe zwar noch nicht; allein ich fuͤhlte die Farben wie Blinde Wie viel haͤtt ich drum gegeben, wenn meine Mutter den Docktor Saft ſogleich ſeine Straßen zie - hen laßen.

(Ich will meine Mutter, ihrer Lunge und der Geduld meiner Leſer halber, abloͤſen, und das in Kurzem ſagen, was ſie im Langen gab) S 5allein280allein meine Grosmutter und Dockter Saft gaben ſich noch ſchwere Fragen auf. Vom Kleide Adams und von ſeinem Nabel, vom Apfel, den er gegeßen, von der Geſichtsfarbe der Rahel, und uͤber den Punckt ob Pilatus ſich mit Seife gewaſchen? obgleich meiner Mutter in ihrer Verfaßung mit nichts weni - ger, als ſchweren Fragen gedient war.

Mein Vater kehrte um und erhielt Ja, von Mutter und Tochter, ohne daß er ſagen durf - te, von wannen er kaͤme. Wer am wenigſten damit zufrieden war, iſt keine critiſche Frage. Der D. Saft ſagt indem er fortging:

Waͤr dieſer Troſt nicht kommen,
ſo haͤtt es große Noth

Dieſe Spoͤtterey haͤtt ich ihm vergeben, verſicherte meine Mutter, wenn ſie blos mich, und nicht zugleich ein geiſtliches Lied betroffen haͤtte. Paſtor L war bitter boͤſe, obgleich ſeine Tochter ohne hitziges Fieber davon kam, und ihr Vater das Hebraͤiſche in der Fieber - hitze nicht proſtituiren durfte. Er hielt als Beichtvater die Traurede bey dem Myrthen - feſte meines Vaters, wobey er die Vorzuͤge der ehelichen Geburt abhandelte. Hiebey fie - len ſo viel Satyren auf meinen Vater, daß der arme Mann zum allgemeinen Gelaͤchterwurde.281wurde. Eine gewiße Frau v warf den erſten Stein, und nahm Gelegenheit, in oͤf - fentlichen Geſellſchaften zu behaupten, er ſey, wie ſie ſich ausdruckte, vom Ranapee und nicht aus dem Ehebette. Sie ſchadete ſich indeßen mit dieſem Steinwurf. Sie warf ihn ſo ungluͤcklich, daß er auf Ihro Gnaden zuruͤckfiel.

Denn es kam bey dieſer Stammgelegen - heit aus, daß Ihr Herr Vater ſeeliger nicht wirklich Vater geweſen, ſondern einer ſeiner Leute, den Hofmeiſter, Jaͤger, die Bedien - ten, Vorreuter ausgenommen, Vaterſtelle vertreten und ſo gings bey dieſer Gele - genheit ſehr vielen, an deren ehelichen Ab - kunft vorher Niemand gezweifelt hatte, in deren Auge, Naſe, Mund und andern Geſichts - ſtellen man aber jetzo einen andern Vater leſen wolte.

Ein Ausdruck des Paſtor L, war meinem Vater am gefaͤhrlichſten geworden. Nach der Weiſe Melchiſedech. Meine Mutter ſagt ihn mir ins Ohr. Mein Kind, ſetzte ſie hinzu, dieſer Name hat mir tauſend und abermal tauſend Thraͤnen gekoſtet, und unter uns geſagt: Waͤr es kein Vorbild, ich haͤtte gewuͤnſcht, es waͤr an Melchiſedechnicht282nicht in der heiligen Schrift gedacht. Mein Vater wußte, daß ihn die ganze Gegend mit dieſem Beinamen bezeichnete, und das ging ihm ſo nahe, daß er, wie meine Mutter ver - ſicherte, druͤber ſeines Lebens wuͤde ward.

(Hier muß ich wieder meiner Mutter den Lauf laßen)

Melchiſedech war ein Koͤnig zu Salem, ſagte ſie ganz leiſe und auf Zehen, ein Pri - ſter des Allerhoͤchſten, oder Herzog und Su - perintendent von Curland in einer Perſon. Da dein Vater kein Koͤnig iſt, paßt der Name von dieſer Seite nicht, allein ſonſt paßt viel: Kein Menſch weiß, wo Melchiſe - dech gebohren, wer ſein Vater geweſen, ſein Geſchlecht, ſein Tod, alles geheim als Abraham von der Verfolgung der vier vereinigten Koͤnige, welche die Koͤnige zu Sodom und Gomorra uͤberwunden, und den Loth, ſeinen Vetter mit ſich als Kriegsge - fangenen gefuͤhrt, heim kam, ging ihm Sr: Hochwuͤrdigſte Majeſtaͤt Melchiſedech bis ins Thal Sare entgegen, (dieſes Thal ward Koͤnigsthal benennt) lies den Abraham eine ſchoͤne Tafel decken, und ſprach folgenden Seegen uͤber ihn: Geſeegnet ſeyſt du, Abra - ham, dem hoͤchſten Gott, der Himmel undErde283Erde beſitzet, und gelobet ſey Gott der Hoͤchſte, der deine Feinde in deine Hand be - ſchloßen hat. Abraham gab dem Seegnen - den den zehnten von allem, und mehr wißen wir von Melchiſedechs Geſchichte nicht. Wol aber ſpricht der Pſalmiſt im ein hundert und zehnten Pſalm und deſſen vierten Vers: Du biſt ein Prieſter ewiglich, nach der Weiſe Melchiſedech. Im Briefe an die Hebraͤer im fuͤnften Capittel und deſſen ſechſten und zehnten Vers, und im ſechſten Capittel und zwanzigſten, im ſiebenden und deſſen erſten, zweyten, und dritten Vers entwickelt ſich dieſes naͤher, welches du, wenn dein Vater nicht dabey iſt, weiter nachleſen kannſt.

Ich fand die Bemerckung meiner Mutter ſehr bewaͤrt, daß mein Vater weder oͤffent - lich noch haͤußlich dieſen Namen ausge - ſprochen. Die Rachreden vom Kannapee, welche die Frau Schwiegermutter ihrem Herrn Schwiegerſohn getreulich, und oft wol mit bittern Salſen, wie meine Mut - ter ſagte, vorſetzte, haͤtten meinem Vater unfehlbar auf den Kirchhof gebracht, ſo, daß ſein Tod gewis kein Melchiſedechs Tod geweſen waͤre, wenn er ſich nicht mit einſt ermannet, und uͤber die Worte: Richtetnicht,284nicht, ſo werdet ihr auch nicht gerichtet, eine Predigt gehalten haͤtte. In dieſer Predigt, ſagte meine Mutter, war ſo viel Salz und Schmalz, daß alles wie Schne - cken, wenn ſich ein Blaͤdchen ruͤhrt, die Hoͤr - ner einzog. Sein bluͤtuͤbertragenes Herz bekam Luft, und er genas. Nach der Pre - digt ward das Lied: In dich hab ich gehoffet Herr, geſungen, welchem M. Jacob Daniel Ernſt, in der Hiſtoriſchen Confecttafel, die ruͤhrende Befreiung des Herrn Andreas Steinberg, wolverdienten Pfarren zu Bu - din in Boͤhmen, zuſchreibet, und wider wel - ches ich kein Wort habe, außer, daß mir der dritte Vers zu kriegeriſch vorkommt.

Mein Gott und Schirmer ſteh mir bey,
ſei meine Burg, darinn ich frey
und ritterlich mag ſtreiten

(Sie ſang die drei letzten Strophen, die ſich anfangen:)

Mir hat die Welt truͤglich gericht’t,
mit Luͤgen und mit falſchem Gedicht
viel Netz und heimlich Stricke;

Haͤtte es deinem lieben Vater gefallen, mich bey dieſer Liederwahl zu Rathe zu zie - hen; ſo wuͤrden die Lieder einen eben ſo algemeinen Beyfall gefunden haben, als diefanden,285fanden, welche ich bey deiner Predigt erkohr. Jedes ſprach von deines Vaters Predigt, Niemand aber dachte an die Lieder, und doch gehoͤrt zur Seelenmahlzeit Eßen und Trin - ken, Predigt und Geſang. Geſchehene Dinge waren nicht zu aͤndern. Ich konnte nichts mehr thun, als zu Hauſe, um feu - rige Kohlen auf deines Vaters Haupt zu ſammeln, einige treffendere Strophen ſingen. Ich ſang,

(Sie ſang auch jetzo)

Woher wolt ich den Aufenthalt
in dieſer Welt erlangen?
ich waͤre laͤngſt ſchon tod und kalt,
wo mich nicht Gott umfangen,
mit ſeinem Arm,
der alles warm
geſund und froͤlich machet;
was er nicht haͤlt,
das bricht und faͤllt;
was er erfreut, das lachet.

und gleich darauf ſtimmte ſie an:

Er weiß viel tauſend Weiſen,
zu retten aus der Noth.
Er naͤhret und giebt Speiſen,
zur Zeit der Hungersnoth,
macht ſchoͤne rothe Wangen,
oft bey geringem Mahl,
und die da ſind gefangen
entreiß’t er dieſer Quaal.
Das286

Das Lied: mein Dankopfer Herr! ich bringe, iſt wie auf dieſe Predigt gemacht.

Dies Lied ſang indeßen meine Mutter nicht; ſondern empfahl es mir zum Nachleſen. Was es heiße: fuhr ſie fort, er predigte ge - waltiglich, hab ich in dieſer Predigt gelernt. Dein Vater trieb ſeine Feinde zu Paaren, zu Einzeln trieb er ſie; ihre Staͤte war nicht mehr. Melchiſedech und Kannapee waren nun wieder Melchiſedech und Kannapee. Gott ſey dafuͤr gelobet und gebenedeyet! Meine Mutter verſicherte mich hiebey mit Thraͤnen, daß ſie in der kritiſchen Zeit kei - nen Menſchen aufs Kannapee zu noͤthigen das Herz gehabt; wie ſie denn auch auf die Rechnung Melchiſedechs ſchrieb, daß ich erſt im dritten Jahre, nach ihrer Verheiratung, das Licht der Welt erblickt, (in parentheſi, ich war die erſte und letzte Geburt.)

Es werden nicht viele ſeyn, welche die eheleibliche juͤngſte Jungfer Tochter des Herrn Paſtors L , die ein Comet in die - ſer Geſchicht iſt, weiter intreßirt, als daß ſie, ohne hitziges und hebraͤiſches Sprachfieber, abgekommen; indeßen um alle Gerechtigkeit zu erfuͤllen, mag der geneigte Leſer obſervi - ren, daß mein Vater ihretwegen auch nichtein287ein Wort beyher fallen laßen. Es war auch in dieſem Paſtorat erſchollen, daß mein Va - ter die Gabe der Enthaltſamkeit nicht haͤtte, und dies bewog den Paſtor L. und die Paſto - rin, (ob die Toͤchter dran Antheil gehabt, wußte meine Mutter nicht,) meinen Vater zum Gaſtmal einzuladen. Er kam, und be - gruͤßte die juͤngſte Tochter des Paſtor L. eher, als ihre aͤlteren Schweſtern, und auf dieſen Umſtand gaben ihre Eltern die Einwilligung. Sie gefiel nach der Zeit dem v und da ſich dieſer mit ſeinen Lippen ſchon offt und viel zu ihr genahet, obſchon ſein Herz ferne von der heiligen Ehe war, geſchah es, daß er ſich einſtmahls noch mehr naͤhern wol - te, und ſie gab ihm mit tugendhafter Hand eine Ohr Die Sache ward rucht - bar, und macht in Curland ein großes Auf - ſehen. Einige von den alten Haͤuſern votir - ten, daß der juͤngſten L die Hand ab - gehauen werden ſolte: andere Haͤuſer, wo eben die Soͤhne von Univerſitaͤten gekommen waren, (denen vieleicht dergleichen Ohrfeigen nichts ungewoͤhnliches waren) votirten, daß die Hand eines artigen Maͤdchen keinen Cavalier entehren koͤnnte. Die Stimmen waren ſehr getheilt. Die Sach indeßenTward288ward zum Vergleich ausgeſetzt, und ſchloß ſich, wie ſich die Comoͤdien alle ſchließen, mit der Heirath. Der Herr v heirathete, o! Wunder uͤber Wunder! die juͤngſte Toch - ter des Paſtors L So kann man auch zum Ehemann, und nicht blos zum Ritter geſchlagen werden! In Curl konnte aber dieſer Graͤuel von Seiten des v nicht von der Sonne beſchienen werden. Der Paſtor gab Geld und die Tochter, der Geſchlagene nichts als Ja weil er nichts weiter hatte, und ein Krippenritter war. Das Paar reiſete ab. Gluͤckliche Reiſe! Mein Gifttraum, ſagte meine Mutter, war wenigſtens von Seiten der juͤngſten Tochter des Paſtors L puͤnktlich erfuͤllet; ob - gleich der Paſtor L niemals Praͤpoſitus geworden iſt, und es auch ſchwerlich werden wird. Sein Saͤftchen war der Melchiſedech, welches du ohne Auslegung verſtehen wirſt. Meine Mutter nahm mich beym fuͤnften Weſtknopf, von oben gezaͤhlt, und hielt mir, wegen des Namens Alexander, eine ſehr lange Rede, die mir zugleich aufklaͤrte, warum ſie mich, wie es meine Leſer ſelbſt gehoͤrt, ſtatt Alexander Einhoͤrnchen genandt. Dieſe Aufklaͤrung bin ich meinen Leſern zu ihrergleich -289gleichmaͤßigen Aufklaͤrung ſchuldig. Meine Mutter war im Grunde auch nicht zufrieden, daß der Ehrn Einhorn Weiland, zweiter Superintendent in Curland, Alexander ge - heißen, vielmehr ſagte ſie, welches mich er - ſchrecklich befremdete, Herr Superintendent Einhorn haͤtte beßer gethan, wenn er bey der heiligen Schrifft geblieben waͤre. Ich kanns nicht bergen, fuhr ſie fort, daß ich dem Namen Habacuc vorzuͤglich zugethan bin, und wenn du ſo hießeſt, ich wuͤrde den ſilber - nen Becher mißen, der noch von meinem Gros - vater iſt. Wenn ichs aͤndern koͤnnte, Ha - bacuc ſolte mir gewiß nicht unter den klei - nen Propheten ſeyn. War aber der Na - me Habacuc Sr. Hochwuͤrden dem ſeelgen Herrn Superintendenten nicht genehm, wa - rum nicht einer von den großen Propheten, Jeſaias, Jeremias, Klaglieder Jeremiaͤ, Ezechiel oder Daniel? Warum denn Alexander, ein Name, der in der heiligen Schrifft nicht ſonderlich angeſchrieben iſt, und von dem es in der zweyten Epiſtel an den Timotheum, im vierten Capitel und vierzehnten Vers etwas mißlich heißt: Alexander der Schmid hat mir viel Boͤſes beweiſet, der Herr be - zahl ihm nach ſeinen Wercken, vor wel -T 2chem290chem huͤte du dich auch, denn er hat un - ſern Worten ſehr widerſtanden.

Ich ſahe deinen Namen nicht anders, als einen Hoͤcker an. Damit ich mich in - deſſen uͤber dieſen Auswuchs einigermaßen be - ruhigen moͤchte, nanndt ich dich Einhoͤrnchen, und dachte, geſchieht dies am gruͤnen Holz, am Ehrn Einhorn Weiland zweyten Supe - rintendenten in Curland, was will am duͤr - ren, deinem lieben Vater, werden, von dem man außer, daß er in ſeiner Jugend fruͤher Spargel gegeſſen als in Curland, nicht viel mehr weiß, was hieher gehoͤren koͤnnte.

Wie unzufrieden meine Mutter mit dem Alexanderſpiel, wobey ihre Koͤchin Babbe die koͤnigliche Frau Mutter vorſtelte, geweſen, hab ich nie ſo deutlich als jetzt erfahren. Sie bezeugt ihren Todhaß gegen den Hercu - les, den mir mein Vater, wie ſie ſagte, ſo ſuͤß vorgepfiffen, daß ichs bedauret, nicht auch Schlangen in der Wiege erdruckt zu haben. Hercules iſt am Ende, ſagte ſie, ein blinder Heide, und Alexander auch. Ich freue mich, daß dein lieber Vater ſelbſt in dieſem Stuͤcke ſeine Voreilung einſiehet, und dich nicht mehr Alexander, ſondern mein Sohn heißt. Du biſt, Gott ſey gedanckt, ſchier ein guter Pro -pheten -291phetenknabe zierlich, manierlich! allein noch beſſer wuͤrdeſt du ſeyn, und nicht ſo offt in Gedancken, Geberden, Worten und Wercken trommeln und querpfeifen, du wuͤrdeſt deine Meinung ohne Schaͤumchen aufgießen, wenn dein lieber Vater dich gleich mein Sohn, und nicht Alexander aufgerufen. So bald ich dir anrieth, Saͤrger zu ſchnitzeln, und Leichen zu begraben, lehrt er dich Spieße und Bogen machen, und noch ganz klein ſtelte er tuͤrkiſche Bohnen wie Soldaten, von denen du Gottlob! damals keinen Begrif hat - teſt. Wenn dich Leute kuͤßen wolten, ſtieß er ſie von dir. Brecht die Roſe nicht, damit ſie nicht welck werde. Er ſchien zu meinen, daß dir durch Kuͤße das Fett abgeſchoͤpft wuͤrde. Wenn er lieben wird, ſetzt er hin - zu, kann er kuͤßen. Ich gab dir die wolge - meinte Lehre, wenn eine große und kleine Pforte zu einem Wege fuͤhrt, gehe durch die Kleine, und hab auch hiebey erbauliche Ge - danken Dein Vater ſagte durch die Große

Ich, wenn du gaͤhnſt, ſchlag ein Kreutz und halt die Hand vor.

Dein Vater, ſchlag kein Kreutz und laß jedem deinen Mund ſehen, (in dieſem einzigenT 3Stuͤck292Stuͤck hab ich ihm nach der Zeit Recht ein - geraͤumt)

Ich, wenn dir Brod oder Bibel, Geſang - buch und Luthers Catechismus, aus den Haͤn - den faͤlt, kuͤß, Brod, Bibel, Geſangbuch und Luthers Catechismum.

Dein Vater, kuͤß weder Brod, Bibel, Geſangbuch noch Luthers Catechismus, heb auf was faͤlt und Aufhebens werth iſt, was Erd iſt laß zur Erde werden

Ich gratulir am erſten Advents Sonn - tag zum neuen Jahre; denn es iſt der erſte Tag im Kirchenjahre, und wuͤnſche nicht nur dieſes, ſondern noch viele neue Kirchenjahre in Seelen und Leibes Wolergehen anzufan - gen und zu beſchließen. Ihm iſt der erſte Advent, wie der erſte Sonntag nach Trini - tatis mir nichts dir nichts. Kaum daß er am Laien Neujahrstage, das iſt den er - ſten Januar, Gluͤck wuͤnſcht. Was ich eine Nickel, und unehrlich nenne, heißt er unehe - lich. Bey dem letzten Umſtande denck ich mehr, als ich ſagen kann.

Aus dem ſchnaubenden Saul ward ein frommer Apoſtel Paul, und auch du mein lieber! kann gleich aus keinem Alexander einHaba -293Habacuc werden; fleißige dich demnach bey Leibesleben Superintendent in Curland zu werden. Der Name ſelbſt wuͤrde, da ſchon zwey Alexanders Superintendenten gewor - den, wol Etwas von ſeiner Haͤrte verlieren, wie Senf durch Zucker Hier ſah man meiner Mutter eine gewiße Sohnsfreude an, die bey Muͤttern die einzige ihrer Art iſt. Wo iſt ein Mahler, der die Marien - freude ausgedruckt hat? Sie haͤtte keinen heiligen Schein noͤthig, wenn dies ein Mah - ler treffen koͤnnte! Man rechne ſo genau man will, ſagte meine Mutter ſchluͤßlich, ein kleiner Bruch bleibt bey einem jeden Men - ſchen uͤbrig Er aber, der in dir ange - fangen hat das gute Werck, woll es durch ſeinen heiligen Geiſt in dir beſtaͤtigen und vollfuͤhren, und dich kraͤftigen und gruͤn - den, ihm ſey Ehre und Lob und Preis. Amen, Amen.

Was mich betrift

Sie ſang:

ich bins gewis und ſterbe drauf,
in meines Gotteshaͤnden;
mein Kreutz und ganzer Lebenslauf
wird ſich noch froͤlich enden.
T 4und294

und nach dieſer Strophe:

Thu wie ein Kind und lege dich
in Gottes Vaterarme,
und laß nicht nach, bis daß er ſich
dein vaͤterlich erbarme;
ſo wird er dich durch ſeinen Geiſt,
auf Wegen, die du jetzt nicht weißt,
nach wohlgehaltnem Singen
aus allen Sorgen bringen.

Im Liede ſteht Ringen anſtatt ſingen. Wer wird indeßen meiner Mutter dieſe Aenderung verdencken? Lieber haͤtte ſie, das weiß ich, nach wohlgehaltenem Tackte geſungen, ſie mußt aber den Reim bedencken.

Sie ſchloß in Proſa mit wiederhohlent - lichem Amen, Amen.

Nach dieſer Erzaͤhlung und dieſen muͤt - terlichen Wuͤnſchen laß ſie mir einen Aufſatz vor, den zum groͤßten Theil ihr Vater fuͤr ihren Bruder aufgeſetzt hatte, welcher aber in der Kinderlehre geblieben, wie ſie ſich aus - druckte. Vieles, ſagte ſie, iſt deines Vaters, das meiſte gehoͤrt mir. Ich will es meinen Leſern zum Beſten von maͤchtiger zu maͤch - tiger Staͤte, von treuen zu treuen Haͤnden mittheilen.

Noch295

Noch nie war mir die Geſchichte meines Vaters ſo ſehr aufgefallen, als jetzo, wo mir die kleinſten Umſtaͤnde nicht Adiaphora mehr waren, obgleich ich Summa Summarum nicht viel mehr erfahren, als ich ſchon wußte. Zu dem Spargel und der Pfeife in der freyen Luft und den langen Manſchetten war nur ein Kannapee und der koͤnigliche Prieſter Melchiſedech gekommen. Ein Name, den ich noch nicht ohne Bangigkeit, man moͤcht ihn uͤbel deuten ausſpreche, und den ich meinen Leſern, ſo offt er vorgekommen, ins Ohr ge - ſchrieben habe.

Denckzettel an den, der unter meinem Herzen und an meiner Bruſt lag, welche Niemand außer ſeinem Vater (und der nur beilaͤufig) vor und nach ihm geſehen hat, der den 17 in einem kalten Winter meinen Leib oͤfnete und ſchlos, dem ich die Haͤnde falten und Gott aus - ſprechen lehrte, und den ich in dieſem Jammerthal, wo man auch bey fruͤhen Spargel nicht an Ort und Stelle iſt, nicht mehr ſehen werde, aber dort bey dem Herrn! allezeit.

Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heucheley ſey, nicht ein Kranz, der FirneT 5Wein296Wein anmeldet, wo doch nur Heerlingsſafft iſt, und ſuche nicht Ruhm bey Leuten durchs Weiße in deinem Auge, und durch ein Aus - ſehen, als wenn du den Tag zuvor Medicin genommen. Die ganze Natur iſt froͤlich und guter Dinge. Ehre Vater und Mutter mit der That, mit Worten und Geduld, auf daß ihr Seegen uͤber dich komme: denn des Va - ters Seegen baut den Kindern Haͤuſer, aber der Mutter Fluch reißet ſie nieder. Ihr Unwillen beſchaͤdigt das Dach, und es regnet ein ewiglich. Wie kann der Gott lieben, den himmliſchen Vater, der nicht die liebet, die das wohlgetrofendſte Bild vom Schoͤpfer und Erhalter an ſich tragen: ehre Vater und Mutter, damit dir’s wohlgehe und du lange lebeſt auf Erden. Sprich, wenn du Melchi - ſedech ſagen wilſt, der koͤnigliche Prieſter ſo wie man den David den koͤniglichen Prophet heißt, obgleich er auch in der Apoſtel Geſchich - te, im zweiten Capittel, im neun und zwan - zigſten Vers, Erzvater genanndt wird. Ge - dencke wenn du Spargel ißt, oder eine Pfeife in freier Luft raucheſt und lange Manſchet - ten ſiehſt, oder Wein an der Quelle trinckeſt, deinen Vater ehren iſt deine eigene Ehre, und deine Mutter verachten, heißt einen ſtinkendenOthem297Othem haben. Ein gutes Gewiſſen iſt beſ - ſer als zween Zeugen. Es verzehrt deinen Kummer, wie die Sonne das Eiß. Es iſt ein Brunnen, wenn dich durſtet, ein Stab, wenn du ſinckeſt, ein Schirm, ein rigaſcher Paſtorhut, wenn dich die Sonne ſticht, ein Kopfkuͤßen im Tode Der Herr unſer Gott iſt der Allerhoͤchſte, und er ſchuf Loͤwen und Froͤſche, Adler und Muͤcken, und alles was auf Erden kreucht. Kein Sperling faͤlt ohne ſeinen Willen, und in ihm leben, weben und ſind wir. Gleiche Bruͤder glei - che Kappen. Gleichheit ſagt dein Vater iſt das Winkelmaas der Menſchheit. Wer nicht uͤber andere wegſieht, und am Tiſch ſich oben anſetzet, und nach der Hechtleber langt, er - regt keinen Neid, und Niemand ſpricht zu ihm: weiche dieſem. Der groͤßte Huͤmpler die meiſten Spaͤhne. Keine Antwort iſt auch eine Antwort. So wie das Waſſer Feuer loͤſcht, ſo uͤberwaͤltiget die Beſcheiden - heit den Stolzen. Sie iſt der Ring, den man den Baͤren durch die Naſe zieht. Gut macht Blut, Blut macht Muth, Muth macht Uebermuth. Es iſt eine ſchwere Sa - che um die aͤchte Schaamroͤthe. Bey vielen iſt ſie Schmincke, und Pfui uͤber die viele. Wenn298Wenn ſie aber[auch] geſundes unverfaͤlſchtes Blut iſt, kann man ſich ſchaͤmen, daß man Suͤnde daran thut, und kann ſich ſchaͤmen daß man Gnade und Ehre daran hat, vor Gott und Menſchen. Wer A ſagt muß B ſagen. Aus Schaam ſterben heißt eben ſo viel, als aus Furcht ſterben. Die Schaam - roͤthe bleichet nach einer Weile aus, wie eine ſechsſtuͤndige Provinzroſe. Kirchenbuß iſt kein Staupenſchlag. Waſch mir den Peltz, und mach ihn nicht naß. Wer ein Tyger in ſeinem Hauſ iſt, pflegt ein Schaaf außer demſelben zu ſeyn. Sey langſam zu reden, ſchnell zu hoͤren und langſam zum Zorn, denn des Menſchen Zorn thut nicht was vor Gott recht iſt. Kaltes Blut hat mehr Unheil geſtiftet als der Zorn! Thue nichts Boͤſes, ſo wiederfaͤrth dir nichts Boͤſes. Halte dich vom Unrecht, ſo trift dich kein Ungluͤck. Was boͤſ iſt bleibt boͤſe, wenns gleich viele thun. Wie das Bett ſo der Schlaf. Ringe nicht nach Gewalt bey Fuͤrſten, denn ſie ſind Men - ſchen und koͤnnen nicht wenn ſie auch wolten. Sey froͤlich mit den Froͤhligen und weine mit denen, die zerſchlagenes Herzens ſind, denn Gott ſchuf uns all aus einem Erden - kloß, und blies uns einem lebendigen Othemin299in die Naſe, und da ward eine lebendige Seele. Verzweifle nicht, wenn die Glocken um deinen Freund gezogen werden, und wenn es von ihm heißt: er iſt verſammlet zu ſei - nen Vaͤtern. Freue dich nicht, wenn dein Feind ſtirbt, gedenke, daß wir alle ſterben werden,

muͤß’n all davon,
gelehrt, jung, reich, alt, oder ſchoͤn,

Wilſt du den Frevler kennen, ſieh ihn wenn ſein Feind den Arm bricht. Artet ſein Herz zum Jubel aus, und raucht ſein Haupt wie eine Flaſche alter Wein, wenn man die Propfe herausgezogen; ſo haſt du ihn auf ein Haar, wie dein Vetter getroffen iſt, im Kupfer - ſtich Wenn gleich der Gottloſe in einem Pallaſte wohnet, irre dich nicht. Sein Pal - laſt iſt wie das Hauß der Spinne und wan - ckender, wie ein Schauer, das der Waͤchter ſich gemacht hat Es kommt die Stunde, da Schrecken ihn treffen, wie Waßer! Ein Platzregen kommt uͤber ihn, wenn er ein ſeid - nes Kleid an hat. Ohne Ordnung faͤlt man uͤber ihn her, wie durch ein geſprengtes Thor; wie eine eingenommen Feſte wird man ihn umzingeln. Iſt nicht Tag und Nacht, Som - mer und Winter, kalt und warm? Es liegtalles300alles Fingerdick in der Welt, das Gute und das Boͤſe. Harre auf den Herrn, deine Seele hof - fe auf ihn, er wirds wohl machen. Gott zer - ſchmeißet und ſeine Hand heilet. Aus ſechs Truͤbſalen wird er dich erretten, und in der ſie - benten wird dich kein Uebel ruͤhren. Er wird deine laße Haͤnde ſtaͤrken, damit du zu deiner Predigt den Tackt ſchlagen koͤnneſt zur rechten Zeit, und wenn deiner Seele widert, den duncklen Weg zu gehen, den kein Vogel entdeckt, und keines Geiers Auge geſehen, wenn es ſtock finſter iſt, ſey Gottes Wort deine Leuchte und das Licht auf deinem We - ge. Er! der den Winden den Weg wies, fuͤhret ſeine Heiligen zwar wunderlich, doch ſeelig. Unſere Kraft iſt nicht ſteinern, unſer Fleiſch nicht ehern, das weiß, der uns ſchuf, und wird unſer Lager leichtern und dir einen D. Saft ſenden, wenn du kranck biſt, und einen Troͤſter, wenn deine Seele wimmert. Nichts kann uns mehr verſtimmen, als das Geſchrey kleiner Kinder! die leibliche Eltern finden es unertraͤglich, denn die Erbſuͤnde iſts, die aus dem Kinde ſchreyt, und ſein Weinen verraͤth Unverſtand und Eigenſinn. So iſt unſer Weinen und Heulen dem lieben Gott Kindergeſchrey!

Wer301

Wer am Wege baut, hat viele Meiſter. Leihe nicht einem Gewaltigern denn du biſt. Leiheſt du aber, ſo acht es geſtreut auf einem undanckbaren Acker. Brich den Hungrigen dein Brod, und ſo du einen nackt ſieheſt, glaube daß ein Loch in deinem Strumpfe ſey. Na - ckend biſt du von deiner Mutter Leibe gekom - men, und nackend wirſt du auch heimfahren aus dieſem Elend. Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen. Halleluja! Ein neuer Freund iſt ein neuer Wein, laß ihn alt werden, und denn koſte ihn und ſiehe da, ſolch ein Wein erfreuet des Menſchen Herz, daß er jung wird wie ein Adler. Wer Pech angreift beſudelt ſich, wer mit Leidenſchaft ſpielt, hat Luſt zu betruͤgen, und wer offt tantzt, will heyrathen. Sey zuͤchtig, wenn von Dingen die Red iſt, die die Natur ſelbſt mit Feigenblaͤttern verhangen hat. Gewoͤhne dich nicht zur Saͤngerinn, daß ſie dich nicht mit einem Triller in die Flucht ſchlage, und dich zum ſchimpflichen Gefangenen mache fuͤr und fuͤr. Hoͤre lieber eine Nachtigal, eine Lerche, oder ſo Etwas, und dein Gemuͤt wird geſund zu derſelben Stund. Mit Ringen zu ſpielen iſt nur dem Doge zu Venedig am Himmelfahrtstage erlaubt, wenn er ſich mitder302der adriatiſchen See verlobet. Ich halt ſelbſt dies Spiel fuͤr ſuͤndlich und anſtoͤßig, wenns gleich der heilige Dreyfuß oder Sorg - ſtuhl, auf dem dein Namens Vetter, Pabſt Alexander der dritte ſaß, im Jahr 1174 ver - ordnete. Man muß ſich nicht verloben, wenn man nicht heyrathen will. Man muß keiner adriatiſchen See einen Ring geben, die nicht unſere Frau werden kann. Du verſtehſt was du hoͤreſt und liefeſt mein Sohn! Merke wohl was ich ſage!

(Die adriatiſche See war ohne Zweifel Minchen)

Wehe dem Juͤngling, der einer Dirne verſpricht was er nicht erfuͤllet, der mit ihr handgemein wird, wenn er nicht herzgemein mit ihr zu werden in den Umſtaͤnden iſt. Leute dieſer Art meiden das Land wie die juͤngſte L an der mein Traum erfuͤllet iſt, und ihr Krippenritter, von dem mir nie Et - was getraͤumet hat. Falſche Juͤnglinge bauen ein Geruͤſte von Schmeicheleyen und wenn ihr Gebaͤude fertig iſt, zerſtoͤren ſie das Geruͤſte, und ſeine Staͤdte iſt nicht mehr. Du nicht alſo.

Wenn303
Wenn dich dee boͤſe Geiſt anficht
zur linken und zur rechten Hand,

empfehl ich dir das Tintfaß, nicht wie unſer Glaubensvater, ihm damit den Kopf zu blaͤuen, obgleich dieſe Tintflecken an der Wand die ſchoͤnſte Malerey ſind, die ein Chriſten - auge in der Welt ſehen kann. Der Teufel, da er ſchon an ſich tintſchwarz iſt, hatte kei - nen Flecken davon. Nicht des Wurfs wegen, ſondern um eine Predigt oder geiſtliche Be - trachtung draus abzufeuren. Tint ſey dein Pulver, die Feder Flinte, die Sandbuͤchſe Schrot. Vom Weirauch thut dem Teufel der Kopf weh. Es iſt nicht fein wenn ein Geiſtlicher mit Etwas anderm raͤuchert. Um die Tint gut zu kochen oder Teufelspulver zuzubereiten, werd ich dir ein Recept bey deine Waͤſche packen. Es hat Krancke gegeben, auf die der Anblick des Recepts die naͤmliche Wuͤrckung gemacht hat, als die Medicin, die drauf charackteriſiret war. Sie ſchwitzten ſie gingen zu Stuhl. Der Teufel muͤßte ſein Spiel haben wenn dies Recept in deine Waͤſche Tintflecken machen ſolte. Stecke die Manſchetten unter, wenn du ſchreibſt, denn es ſteht nur einem alten wohlerfahrnen Gelehrten an, mit Tintflecken zu prangen. ULeute304Leute, die die Suͤnde aus ihrem Fleiſche, wie den Staub aus ihren Kleidern herausklo - pfen und ſich caſteyen, kennen den inwendi - gen Menſchen nicht. Verſe zu machen, mein Kind! iſt ein probates Mittel wider die Erbſuͤnde und die boͤſe Fleiſchesluͤſte, die man blos durch Seelenmotion daͤmpfen kann. Es muͤßen die Verſe aber gereimt, im Schweis des Angeſichts erarbeitet oder erjagt ſeyn. Dein Vater ſagt, im Reimwoͤrterbuch nach - ſchlagen, heißt hezzen. Weg mit den Hunden; allein wo iſt ein Jaͤger ohne Hunde? Ein Menſch der die ſchmutzigſten Verſe ſchreibt, wenn ſie ihm wohlgerathen, laͤuft ihnen wie den unkeuſchen Dirnen nach, die er beſungen hat. Jammer und Schade um die Poeſie! Sonſt aber fuͤr jedes eine Reihe, fuͤr den Ver - ſtand eine, und fuͤr den Reim auch eine. Gib dem Verſtande, was des Verſtandes, und dem Reim, was des Reims iſt. Dichter probirt man wie Erdenzeug durchs Klingen. Kein großer Saͤnger ſingt, wenn er in Gedancken iſt: Wie es die meiſten thun, die nicht große Saͤnger und große Philoſophen ſind. Die letztern reden mit ſich ſelbſt, und machen mit der rechten Hand eine Bewegung. Dichter pfeifen. Dein Vater. Nationen, die ſingendreden,305reden, und deren Sprach ſo iſt, als wenn die Orgel geſtimmt wird, ſingen ſchlecht. Alles dein Vater. Auch hab ich von ihm die deutſche Sprache, ſey nicht alſo. Der ſee - lige Herr D. Martin Luther ſagt, der Teu - fel iſt ein Trauergeiſt und macht traurige Leute; daher flieht er die Muſica, und bleibt nicht, wenn man ſingt. Das Loblied Mo - ſes, der Prophetin Debora und Barac, als Sißera geſchlagen ward, der gottſeeligen Hanna, das Loblied Hiskia, als er wieder geſund geworden, und des Jonas, da er aus dem Wallfiſche angelandet war, beweiſen, daß nicht nur Maͤnner, ſondern auch Weiber, heilige Lieder geſungen, und im neuen Teſta - ment ſingt der Priſter Zachariaͤ und auch die hei - lige Jungfrau. Durch die Inſtrumentalmuſik ſpricht ein Stummer. Der Krancke geneſet, das Alter verjuͤnget ſich. Durch die Stimm - muſik zertheilen wir die Wolcken und dringen zum Herrn. Nur die Engelſtimmen gehen uͤber Menſchenſtimmen. Wenn Barbaren, die kein Wort teutſch koͤnnen, uns uͤberfielen! Singt! Wenn man eine Wagenburg ſchlaͤgt, und euch an allen Orten aͤngſtiget! ſingt, ſag ich, und abermal ſag ichs, ſingt! Geſang iſt ein niederſchlagendes Pulver, Cremor Tartari fuͤrU 2die306die Seele. Mein Sohn, wenn auch ein andrer uͤber dies Schatzkaͤſtlein kaͤme; er wuͤßte von jedem Worte, weſſen Geiſtes Kind es ſey, ob mein oder deines Vaters und deines Grosvater. Bey vielen hab ich geſagt dein Vater, bey vielen hab ichs gedacht. Dein Gros - vater und Vater haben gepflanzet, ich hab be - goßen, Gott gebe das Gedeihen!

Plato und Pythagoras waren zwar blin - de Heiden; indeſſen glaubten ſie, daß der Lauf der Sterne ein Concert ſpiele. Lobe den, der ſie in Melodie ſetzte. Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Dein Vater ſagt, wer dieſes Spaͤhrenconcert nicht hoͤrt, wenn er ein Loblied ſingt, iſt aͤrger denn ein Heide. Die Traurigkeit macht feig. Ein Lob - geſang macht luſtig. Durch den Geſang redet der Leib der Seele zu: Sey gutes Muths, kleine Naͤrrin! Siehe die Lilien auf dem Felde, ſie ſaͤen nicht, ſie ſpinnen nicht, Gott naͤhret ſie doch; ſind ſie denn mehr wie du! Ich ſing indem ich ſchreibe, und will, daß du ſingeſt, indem du lieſt.

Was den Odem hohlet,
jauchze, preiſe, ſinge!
blick herauf und blicke nieder!
Er iſt Gott,
Zebaoth!
Er
307
Er iſt hoch zu loben:
hier und ewig droben!

Wer Gott dancket, um ihn zu beſtechen, der dancket ſich ſelbſt. Mit dem Gebet kann man Gott nicht ſo ſchaͤnden, als mit Lobopfer. Bete wie ein klein Kind: Abba mein Vater! danck auch ſo. Ich gruͤße euch, ihr engliſchen Saͤn - ger in der Stadt Gottes, wo alles lieblich zuſammenſtimmt! ich ſeegne dich zweyglie - drig, du Pforte des Himmels! du haſt mir mein Herz genommen, himmliſches Jeruſa - lem, mit deiner Suͤßigkeit, und die Lieblich - keit der Stimme der Vollendeten hat mich gefangen. Ich habe Luſt zu ſingen ein Lied im hoͤhern Chor, und den andern Diſkant beym heilig, heilig, heilig, zu verſuchen! Boͤ - ſe Geſellſchaften verderben gute Sitten, und Buhlerblicke ſind Pfeile, die die Seele verwun - den, und da hilft nicht Kraut noch Pflaſter. Huͤte dich! die Buhlerin ſpielt dir dein Herz aus der Taſche. Hier ſieht ſie, dort liebaͤu - gelt ſie. Betrug iſt ihr Geſpinſt, und Ge - winnſucht ihr Zeitvertreib. Sieh nicht an eine Dirne, die betruͤbt iſt, und ihr Auge nie - dergeſchlagen hat. Wie die Gelehrten ihr Auge von der Sonn nicht wenden, wenn ſie verfinſtert iſt; ſo zieht auch eine verfinſterteU 3Schoͤn -308Schoͤnheit die Jugend an. Jugend hat keine Tugend, und gleich und gleich geſellt ſich gern. Das Werck lobet den Meiſter. Wie der Re - gent iſt, ſo ſind auch ſeine Amtleute; wie der Rath, ſo die Buͤrger. Ein wuͤſter Koͤnig verdirbt Land und Leute, wenn aber die Ge - waltigen klug ſind, gedeihet die Stadt. So wie unſer Herr und Meiſter mit Zoͤllnern und Suͤndergeſellen zu Tiſche ſaß, vermeide es auch nicht, mit Großen der Erde umzugehen. Ziele nach dieſen Leuten; ſonſt trift man ſie nicht, und fleißige dich, den rechten Fleck zu treffen. Buͤcke dich, allein zerbrich nicht das Bein, ſey hoͤflich, allein nicht beſchwerlich. Wende dich an die Frau, wenn du an den Mann ein Geſuch haſt. Krieche nicht; denn du haſt geſunde Fuͤße. Bete nicht an guͤl - dene Kaͤlber der Erde.

Du biſt ja ein Hauch aus Gott,
und aus ſeinem Geiſt gebohren;
darum liege nicht im Koth,
biſt du nicht zum Reich erkohren?

Sprichſt du mit einem Koͤnig, dencke, du biſt ein geiſtlicher Koͤnig, ſprichſt du mit einem großen Gelehrten, du biſt ein geiſt - licher Prophet, und mit dem Superintenden - ten in Curland; du biſt ein geiſtlicher Prie -ſter309ſter. Drenge dich nicht nach oben, oder zur Rechten: allein verrichte auch nicht Lackeien - dienſte. Huͤte dich, daß dein Fuß nicht einſchlaͤft, wenn du beym Vornehmen ſitzeſt, und zerbrich keinen Teller, wenn du ihn dem Nachbaren aufdringeſt. Hoͤre mein Kind auf eine Geſchichte, die ich nicht er - zaͤhlen kann, ohne daß Feuer in meinem Geſichte auskommt. Ein Litteratus wolte bey ſeinem Goͤnner um eine Stelle anklo - pfen. Da der Herr verzog, glaubte der gute Candidat, Zeit und Raum zu haben, ſeine Struͤmpfe zu ſpannen, die nachgelaſſen hatten, und ſiehe! eben nun kommt ſein Goͤnner, und erblickt das entbloͤßte Knie, und das Strumpf - band, das zum Ungluͤck ein Bindfaden war, in des Litteratus Rechten. Das Amt ging vor ihm voruͤber, als Wolcken vom Winde getrieben, und der Goͤnner ſprach, da er mit ſeinen Freunden zu Tiſche ſaß: in der Ju - gend eine Hure, im Alter eine Hexe. Aus einem Funcken wird ein groß Feuer, und ein Luͤgner und Moͤrder ſind Nachbars Kinder. keine Ruͤben, wenn du zu Sr. Exellenz geheſt, und lege deinem Magen ein Gebiß an den Mund, ſonſt ſieht es aus, als ob du zum Eſſen koͤmmſt. Ein alte Weſt und neuerU 4Rock,310Rock, ſind wie eine alte Treſſe und ein neues Kleid, zuſammengebrachte Kinder. Schlucke nicht, und wenns auch Waſſer waͤre, daß es ausſiehet, als wolteſt du den Jordan austrinken. Wilſt du einen beſtaͤndigen Goͤn - ner haben, mache, daß er dir eine Wohlthat erweiſet, die bekannt wird im Volcke. Dies bindet wie Kitt. Er laͤßt dich nicht, als ob er von ſeinem Vorſchuß Zinſen haben wolte. Leihe dem Armen ohne Zinſen, dann bezahlt’s Gott. Lern ein Glas leeren, nur mit maaſ - ſen, damit du dich nicht aufreibſt. Maͤnner, die an einer großen Tafel keinen Tropfen trin - cken koͤnnen; ſehen aus wie Verſchnittene am Hochzeitstage. Sich am Wein warm trincken, heißt menſchlich werden. Wenn ich mir zuweilen ein Schaͤlchen nehme, iſts mir, als ob ich Menſchenliebe getruncken haͤtte. Ein boͤſes Gewiſſen iſt ein Ofen, der immer raucht. Ein Gewitter ohne Regen. Es iſt Klaͤger, Richter, Hencker, in einer Perſon. Die Nachtigal ſingt dir, du biſt ein Dieb, die Lerche, du haſt geſtohlen. Eine Kraͤhe beißt der andern die Augen nicht aus, und wo der Buͤrgermeiſter ein Becker iſt, backt man das Brod klein. Wenn ich ſtreiten ſolte, es gaͤben im Stamme Levi keine zerbrocheneToͤpfe311Toͤpfe, die laufen laſſen, wuͤrd ich Krebs angeln. Was ſich in gruͤnem Kleide mit Gold ſchickt, ſchickt ſich nicht in der Re - verende, und auf der Kanzel muß man an - ders reden, als wenn man ſeine Fuͤße unter einem gedeckten Tiſche beherberget, und ſeiner Nachbarin eine Geſundheit zubringt, welches die Tiſchreden unſres Glaubensva - ters ſehr lebhaft beſtaͤtigen. Sey allen aller - ley, wie eine Citrone, die man von innen und außen brauchen kann. Leute, die ſich voͤllig vor der Welt verſchluͤßen, die nur mit ungefallenen und in der Wahrheit gebliebe - nen Geiſtern Umgang haben, ſehen offt wo andere nichts ſehen, und hoͤren noch oͤffter, wo andere nichts hoͤren: denn das Ohr iſt leichtglaͤubiger, als das Auge. Ein Paſtor dieſer Art hatte ſeiner Gemeine das Naſe - ſchneutzen und Huſten abgewoͤhnt. Ich er - zaͤhl dir dieſe Geſchichte mit den nemlichen Worten, wie mein ſeelger Vater ſie mir erzaͤhlt hat. Es war in der Kirche dieſes Paſtors eine beſondre Mannszucht, eine ſo heilige Stille, wie des Morgens bey ſchoͤnen Wetter um vier Uhr. Ehe er zur Nutzan - wendung uͤberging, war es, wie ein Comman - do: preſentirts Gewehr! Der Herr PaſtorU 5gab312gab mit ſeiner Naſe ein Zeichen, und alle Naſen folgten ihm, auch die, ſo es nicht noͤ - thig hatten, aus Proviſion, oder weils der Nachbar und der Herr Paſtor that. Es begab ſich, daß ein Fremder, der dieſe Straße zog und nichts von dem Uebergange zur Nutzanwendung wußte, und die Sitten und Naſeart dieſer chriſtlichen Gemeine nicht kannte, den natuͤrlichen Winck ſeiner Naſe be - folgte. Der Paſtor beſchlug die Contrabande mit den Worten: wer grunzet in der Ge - meine? allein der gute Paſtor mußte, weil der Gaſt von Adel war, dieſen Beſchlag ſehr theuer buͤßen, und ſchrifftlich verſichern, das Wort grunzen nicht im boͤſen Sinn genom - men, ſondern vielmehr ſelbſt gegrunzt zu ha - ben, und vors kuͤnftige ward der Herr Pa - ſtor angewieſen, ſeine Naſe in die Bibel zu ſtecken. Der Menſch iſt gut, die Welt boͤſe. Gehe fleißig in die Kirche und ſieh zu, Men - ſchen beerdigen. Gedencke, wie er geſtorben iſt, mußt du auch ſterben. Heute mir, mor - gen dir. Zeit liegt von Ewigkeit ein Sab - batherweg, eine Viertelmeile, die den Kran - cken im alten Bunde zu reiſen erlaubt war. Wenn du einen Kirchhof offen findeſt, gehe heruͤber, wenn du auch einige Schritte Um -weg313weg macheſt. Sieh die offne Thuͤr als eine Erinnerung an, daß auch du dem Kirchhofe, dem Zollhauſe der Ewigkeit geben wirſt, was ihm gebuͤhret. Wenn die Glocken gezogen werden, ſprich: Gott ſchencke mir eine ſeelige Stunde! Huſte nicht im Vorzimmer des Großen, um dich hoͤren zu laſſen. Der Wein iſt die Waage des Menſchen; lege deinen Freund drauf, und pruͤfe, wie viel loͤtig er iſt. Dencke an den Tod des Tycho Brahe, der leider! unter ſeinen Stand heirathete, und verdamme nicht die Natur: Sie leidts nicht. Plaudre nicht bey der Muſik, denn predigen und ſingen hat ſeine Zeit. Die behagliche Gnuͤgſamkeit iſt reich ohne Muͤhe. Den Edelſtein faſſe in Gold, und beym Wein ſinge. Gib froͤlich was du gibſt. Ein Ge - ber, der nachdenckt uͤber das, was er geben ſoll, gibts nicht von Herzen, ſondern vom Verſtand. Wenn du den Weg nicht kenneſt, nimm einen Wegweiſer. Ehre im Men - ſchen das Bild Gottes. Diene mit Rath und That. Ehrliche Einfalt iſt beßer als ſpizbuͤbſcher Witz. Man ſagt von Geiſtli - chen: Kinder und Buͤcher Dein Vater und ich haben einen Sohn, wie Abraham den Iſaac, und der ſey dem Herrn geopfert! Einjunger314junger Menſch muß ſich ſo in Geſellſchaft der Alten fuͤhren, als einer, dem Geld zugezaͤhlt wird. Gehe nicht um mit Uebermuͤthigen. Was ſoll dir der irdene Topf bey dem eher - nen? denn wo ſie aneinander ſtoſſen, zerbricht jener. Waͤchſet wohl Schilf, wo es nicht feucht iſt? und wer hat gegen einen Großen einen Zeugen? Ein Wolf und ein Schaf iſt wie der Reiche und der Arme. Ein Gott - loſer, wenn er arm iſt, redet viel boͤſes; ein Frommer hat immer Schaͤtze. Schicke kei - nen Hund nach Fleiſch, und verpfaͤnde nicht das Lamm beym Wolfe: der Menſch ver - ſchießt wie ein Kleid, und wenn man alt iſt, kann man nicht genießen, was man geſamm - let hat. Darum freue dich in dem Herrn, und abermal ſag ich dir, freue dich! Denck an den Armen, wenn du deinen Geburtstag feyreſt, und laß ihm ſeine Wunden von dei - nem Balbier verbinden. Sprich nicht zum Goldklumpen, mein Troſt, und zum ſechsloͤti - gen Silber, meine Huͤlfe. Ein Armer ge - nießt ſelbſt dieſes Leben mehr, als ein Rei - cher; denn ein Gluͤcklicher und ein Reicher lebt blos des Gedanckens wegen nicht: Menſch du mußt ſterben. Wer taͤglich ſtirbt, hat den Tod lieb gewonnen, wie man ein heßli -ches315ches Geſicht mit der Zeit gewohnt wird. Der Reiche ziehet ſeine Zinſen in dieſer Welt, und die meiſte Zeit mehr, als die landuͤbliche. Der Arme hebt in dieſem Leben ſeine Zinſen nicht, ſondern laͤßt ſie beym lieben Gott ſtehen, der ihm ſicher iſt, und der ihm ſeine Zinſen fein zum Capital ſchlaͤgt, fuͤr die an - dere Welt. Jeder Reiche fuͤhlt, daß der Arme, wenn er ſtirbt, reich wird, es ſtehen ihm die Haare hiebey zu Berge, und wenn es ſo anginge, wuͤrd er dem Armen wohl zehn tauſend Thaler Albertus leihen, um einen Wechſel auf ihn im Himmel zu haben. Allein bedencke Reicher! dein Tod iſt ein Ban - kerott Mein Sohn! Theil in dieſer Gna - denzeit den Leckerbiſſen mit dem Duͤrftigen. Das beſte Mittel, gut zu verdauen iſt, einen Armen eſſen ſehen! Wirf deine Magentro - pfen zum Fenſter hinaus, und brauche dieſes Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Un - gluͤck begegnet, greift die Seele nach einem Gelender, wie der Koͤrper nach einem Stab. Schilt im Podagra auf den Wein, beym uͤblen Wetter aufs ſchlechte Steinpflaſter, im Tode aufs Leben. Was iſt der Menſch, wenn er nicht unſterblich iſt Unſer Leben waͤhret ſiebenzig Jahr, wenns hoch kommt ſindsachtzig316achtzig Jahr, wenns koͤſtlich geweſen, iſts Muͤ - he und Arbeit geweſen; denn es faͤhret ſchnell dahin, als floͤgen wir davon. Wir bringen unſre Jahre zu, wie ein Geſchwaͤtz. Huͤte dich Hiobspoſten zu bringen, man haßt den Verraͤther, und liebt die Veraͤtherey. Wer heut ein Spiel gewinnet, verlieret morgen ſiebenfaͤltig, und mancher giebt mit einem Auge, und mit ſieben ſieht er, was er wie - der erhalte. Wenn das Gluͤck wohl will, den machts zum Narren. Die Narren ha - ben ihr Herz im Munde; aber die Weiſen ha - ben ihren Mund im Herzen. Wer mit einem Narren redet redet mit einem Mondſichti - gen. Huͤte dich vor dem, der ſich ſelbſt ge - zeichnet hat. Ueber einen Todten trauret man, denn er hat das Licht nicht mehr: aber uͤber einen Narren ſolte man trauren, weil ihm das Laͤmpchen im Verſtande, wie den fuͤnf thoͤrichten Jungfrauen, ausgegan - gen. Der Schweiß eines Außaͤtzigen iſt beſ - ſer, als der Ambra eines Narren. Ein Ge - lehrter Mann iſt in Geſellſchaft, wie der Mond, bald voll, bald halb, bald ein Vier - theil; in ſeinem Hauſe iſt er immer eine Sonne. Lerne ſelbſt, ehe du lehreſt, und ahme nicht die Aerzte nach, die wie Schnei -der317der den Schnitt am fremden Tuch lernen. Kuͤhle dein Muͤthlein nicht, wie deine liebe Grosmutter, an Vater, Tochter, oder Koͤ - chin; ſondern lerne von deiner Mutter, auch ohne Schlaͤge, dem Zorn ein Opfer bringen. Diene wieder deinem Knecht, der dir dienet. Die Biene iſt ein klein Voͤgelein, und giebt doch die allerſuͤßeſte Frucht. Wenn dirs wohl gehet, dencke, daß dirs uͤbel gehen koͤnne, und wenn dirs uͤbel geht, dencke, daß dirs wieder wohl gehen koͤnne.

Auf Regen folget klare Zeit;
auf Leid die frohe Ewigkeit.
Ich weiß, wen Gott will herrlich zieren,
und uͤber Sonn und Sterne fuͤhren,
den fuͤhret er zuvor herab.

Das Lied:

Warnm betruͤbſt du dich mein Herz,
bekuͤmmerſt dich und traͤgeſt Schmerz,

hat viele von uͤbler Laune, von der Unzufrie - denheit und der Schwermuth geheilet, und wenn dein Herz nicht verdorben iſt, wenn du kein boͤſes Gewiſſen haſt, wirſt du auch geheilet werden. Haſt du ein boͤſes Gewiſ - ſen, ſo ſchlaͤgt keine Seelenmedicin, kein Lied an. Beym ſiebenten Vers erinnere dich derLeiden,318Leiden, die deine Mutter des Namens Alex - ander wegen erduldet hat.

v. 7.

Des Daniels Gott nicht vergaß,
da er unter den Loͤwen ſas.
Seinen Engel ſandt er ihm,
und lies ihm Speiſe bringen gut,
durch ſeinen Diener Habacuc.

Der zwoͤlfte Vers aus dieſem Herzensliede iſt ein Univerſalmittel.

v. 12.

Alles was iſt auf dieſer Welt,
das Seel und Leib gefeſſelt haͤlt,
Reichthum und zeitlich Gut,
das waͤhrt nur eine kleine Zeit,
und hilft doch nichts zur Seeligkeit.

Traue deinem Feinde, wenn er ſich gleich mit dir verſoͤhnt, ſo wenig, als ein Leiter ſeinem Baͤren. Leide keine Schmeichler, wie der Cypreſſenbaum keine Wuͤrmer leidet. Ein frommes Kind iſt beßer, denn hundert, die den Herrn nicht fuͤrchten, und es iſt beßer ohne Kinder ſterben, als gottloſe Kinder haben. Wer ſatt iſt, wird wieder hungrig, wer des Morgens ausgeſchnarchet hat, geht des Abends wieder zu Bette. Ein Reicher kann arm werden. Des Ungerechten Soͤhne wur -zeln319zeln nicht, und ſeine Toͤchter ſind Feigenbaͤu - me ohne Frucht. Kinder ziehen heißt ge - rade oder ungerade ſpielen. Erziehen heißt ein Fundament legen, wo unter der Erde ge - arbeitet wird und nichts zu ſehen iſt. Ein gut gezognes Kind iſt eine Rechnung ohne Probe. Der Juͤngling muß beweiſen, wie die Zucht war. Lege deinen Allmoſen nicht beſonders, denn er ſeegnet dein andres Geld, daß es dir gedeihe fuͤr und fuͤr. Klei - ner Topf kleine Stuͤrze. Großer Vogel großes Reſt. Geſunder Leib iſt beſſer denn eine Tonne Goldes. Die Sonne geht auf mit Hitze und das Gras welcket, und die Blume faͤllt ab; ſo verwuͤſtet ein Reicher, wenn er verſchwendet, ſich, ſeinen armen Nachbaren und desgleichen. Sauſen und Brauſen macht ſiech, und was hilft ein guͤl - dener Galgen, wenn man hengen ſoll. Was iſt ein ſchoͤn Gericht fuͤr einen Krancken, dem ſchon der Geruch Blaͤhungen macht? Der Tod iſt beſſer als ein ſieches Leben. Ein froͤlich Herz iſt beſſer, als Magenelixir, und eine Mahlzeit mit Wohlgefallen iſt die ſicher - ſte Blutreinigung. So lang du ſelbſt Toͤpfe und Schuͤßeln haſt, untergib dich nicht dem Tiſche eines andern. Ziehe dich nicht eherXaus,320aus, als bis du zu Bett geheſt. Das Hem - de iſt dir naͤher, als der Rock. Eigener Heerd iſt Goldes werth. Rathen macht Schuld, und du ſtelleſt Wechſel aus, wenn du Rath gibſt. Die Naſeweisheit iſt, wenn man die Naſe hoͤher haͤlt, als ſie gewachſen. Nimm dieſes zu Ohren und Herzen; denn du haſt eine Naſe, die was gilt unter den Leuten. Die Naſe iſt der Text zum Men - ſchen, die Stirne der erſte Eingang, die Lip - pen das Thema, woruͤber in gegenwaͤrtiger Stunde ſoll geprediget werden. Wein und Weiber bethoͤren die Weiſen. Maͤnnerliſt iſt behend, Weiberliſt ohn End. Kleider, Scharrfuß, Lachen und Gang, melden den Menſchen an. Kluge Leute wiſſen ſchon, was am Juͤngling iſt, wenn ſie ihn ſehen die Naſe ſchneutzen. Ein Thor iſt ſchwerer als Bley. Krebs iſt kein Eſſen auf der Poſt. Hilf dir ſelber, ehe du andre arzeneyeſt. Was Niemand wiſſen ſoll, ſage keinem. Wer einen uͤblen Rauſch hat, verſcheuchet ſeine Freunde, wie ein Schuß die Voͤgel. Erſt Rauch, dann Feuer, ſo Scheltworte, dann Schlaͤge. Der Arzt iſt der Suͤnde Scharfrichter, ehre ihn denn der Herr hat ihn geſchaffen, und er traͤgt das Schwert nicht umſonſt. Huͤtedich321dich fuͤr boͤſer Nachrede, denn die Welt liegt im Argen. Wenn man des Morgens von da herausgehet, wo man des Abends herein gegangen, ſagen die Leute, man ſey die ganze Nacht da geweſen. Der Schlund der Welt iſt ein offenes Grab, mit der Zunge handlen ſie truͤglich. Ottergift iſt unter den Lippen, der Mund iſt voll Fluchens und Bitterkeit. Die Obrigkeit iſt des lieben Gottes Soldaten - ſtand, die Prieſter ſind ſein Civilſtand. Es iſt traun! ein Weib aus dem Stamme Levi eine helle Lampe auf dem heiligen Leuchter. Mein! heyrathe keine andre, denn ſie hat ein gut Muſter gehabt. Schone dein Auge fuͤr die hebraͤiſchen Punckte, und gaffe nicht nach Dirnen der Stadt. Denck nicht eher an eine Hausfrau, bis du ein Hauß haſt. Wo kein Zaun; ißt jeder das Obſt, eh es reif iſt; ſo auch bey einem Paſtor ohne Paſtorinn. Leib und Seele koͤnnen nicht zu gleicher Zeit eſſen und verdauen. Wer mit der Seele arbeitet, kann den Pflug nicht fuͤhren. Du ſolſt dem Ochſen, der da driſchet, nicht das Maul verbinden. Item ein Lehrer iſt ſeiner Calende werth. Wer ſaͤet, erndtet in zwoͤlf Monaten. Wer Gottes Wort verkuͤndiget, erndtet in Ewigkeit, Heil dir! du haſt beymX 2lieben306[322]lieben Gott offne Tafel, du wirſt einſt vom Altar leben, und hier gedeihen, wie’s am Tage iſt. Brodſamen beßer, als Leckerbiſ - ſen an den Tafeln der Abgoͤtter, deren Bauch ihr Gott iſt. Du bedarfſt keines Theils in Iſrael; der Herr iſt dein Theil und Erbe! Das Land Gottes traͤget mehr als du bedarfſt. Brich aber dem Hungrigen dein Brodt, ſo wird es dir gehen wie der Oelwitwe. Wer den Armen ſeegnet, ſpottet ſein, wenn er dieſen Seegen nicht ſelbſt in Erfuͤllung zu ſetzen anfaͤngt. Dieſer Unmenſch will Gott Lehren geben, erinnere dich, was man vor kurzem vom Herrn v erzaͤhlt, und erzaͤhl es deinen Kindeskindern, auf deinem Schoos, damit ſie ſeegnen lernen, wie Gott ſein Volck ſeegnet, der feine Fenſter oͤfnet, und Fruͤh - und Spatregen giebt, und in dem wir leben, weben und ſind wir. Es ſtrandte ein Hollaͤnder, (waͤre es nicht ein Hollaͤnder geweſen, wie viel mehr leid wuͤrd es mir gethan haben. Holland iſt der Strand von Europa) und der Herr v der das Recht der Seeſtraſſen - raͤuberey hat, nahm ihm alles, was er hatte, bis auf einen hollaͤndiſchen Kaͤſe. (Der Herr v hatt oft Steinſchmerzen) und lies den gepluͤnderten Hollaͤnder ziehen ſeine Straße,wie323wie Herr v ſich ausdruckte, froͤlich: denn er ſchrieb ihm folgendes Certificat, das er einen chriſtlichen offenen Wechſel nanndte: Da der Clas das Ungluͤck gehabt zu ſtranden, und alles werthe Seinige ein - zubuͤßen; ſo wird ihm nicht nur Gottesſee - gen zu ſeinem kuͤnftigen Fortkommen von mir herzlich gegoͤnnt, ſondern auch jeder dem dieſer offene Brief vorgezeiget wird, er - ſucht, ihm chriſtlich fortzuhelfen und ihm, ſo viel er kann, unter die Arme zu greifen, wohl bedenkend, daß, wer dem Armen hilft, dem Herrn leihe, der es ihm zu Waſſer oder Lande verdoppeln kann und wird, als welches ich dem armen Clas aus chriſt - licher Liebe anwuͤnſche Den Herrn v moͤcht ich fluchen hoͤren, ſagte Clas und ſah ſeinen Kaͤſe an. Der Hollaͤnder hatte keinen Steinſchmerz Wer ſich als abge - brandt und beraubt angiebt, um Leute warm - herzig zu machen, und ſie zum Mitleiden zu betruͤgen, iſt aͤrger, als ein Raͤuber und Brandſtifter! Wehe dem, der auf dieſe Art Brandſchatzung ausſchreibt. Er beſtiehlt nicht den Menſchen, ſondern die Menſchheit. Sorge nicht fuͤr den andern Morgen, es iſt genug, daß ein jeder Tag ſeine eigene PlageX 3habe.324habe. Mache des Geldes wegen auf der Kanzel keine Gans zum Schwan, keinen Heering zur Sardelle, und keinen Haſen zum Loͤwen; denn die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz, wie die Sonne immer und ewiglich. Gott ehrte Aaron, und gab ihm alle Erſtlinge. Seine Nachkommen aßen des Herrn Opfer, und wurden geſpei - ſet an ſeinem Tiſch. Gott war ihr Theil und Erbe, und darum hatten ſie kein Theil am Lande. Wenn Koffee aufs Kleid gegoſſen wird, iſts kein Koffe mehr, ſondern Schmutz. Es kommt viel auf Zeit, Ort, und Gelegenheit an. Wenn du einen Edelmann Heil wuͤn - ſcheſt, ſprich nicht, Gott, der den Wurm un - term Felſen erhaͤlt, ſondern der Allmaͤchtige, der die Welt aufrief; wenn er in Dien - ſten geweſen, und es bis zum Hauptmann gebracht, ſetze hinzu: und Helden in ſeinem Volcke erwecket.

Ein Menſch, der keine Stimme hat, muß nicht den Adler und den Loͤwen auf die Kan - zel bringen, er wird ſchon Thiere fuͤr ſein Stimmchen in der Bibel finden. Ich ſelbſt hab einen Diſkantiſten uͤber die Worte: Sieh es hat uͤberwunden der Loͤwe aus dem Stamme Juda, predigen gehoͤrt: Es giebtDiſkant325Diſkant - es giebt Baßpredigten. Ein Geiſt - licher muß Gedaͤchtnis haben. Wenn er ließt, ſieht’s aus, als ob er die Predigt auf drey Viertheilſtunden geliehen haͤtte. Auch Gras muß ein Paſtor wachſen hoͤren

Ein Geiſtlicher ſprach, da er zum zwey - ten Theil uͤbergieng, indem er die Kanzelſand - uhr, welche mehr als andre Sanduhren ein Sinnbild unſres Lebens iſt, umkehrte: Noch ein Glaͤschen meine Geliebten! und man nanndt ihn, wie einen faulen Kaͤſe: Bier - bruder.

Man kann zwar auch hiebey erbauliche Gedancken haben; indeſſen hatte Herr Paſtor L nicht Gras wachſen gehoͤrt, da er die Frau v auf ihrem Krieg und Siegbette beſuchte, und ihr die Worte Matthaͤi im ein und zwanzigſten Capittel, im zweyten Vers, ins Herz ſchob: loͤſe ſie auf und fuͤhre ſie zu mir. Noch groͤßer iſts Uebel, wenn der Geiſt - liche ſatyriſch auf der Canzel ſeyn will; er verliert alsdenn den Stachel, wie die Biene, wenn ſie ſticht.

Wenn du einen Umſtand lange ſuchen muͤßen, fang ihn an: Wem iſts nicht be - kandt; dadurch beſtrafſt du den Umſtand, daßX 4er326er ſich verſteckt hatte, und kein Menſch glaubt, daß du ſo lange geſucht haſt. Dein Vater wuͤrde ſagen: Windbeuteley, faul Holz ſtatt Licht; allein klimpern gehoͤrt zum Handwerk. Einem Geiſtlichen ſtehts am wenigſten an, zu ſagen, ich will dies und das thun. Er ſteht in Gottesdienſt. Sage alſo, zu reden aus Jacobi im vierten Capittel und funfzehn - ten Vers. So der Herr will und ich lebe, will ich dies oder jenes thun. Fliehe die vergaͤngliche Luſt der Welt; denn nur hiedurch wirſt du theilhaftig werden der goͤttlichen Natur. Um eines faulen Aſtes willen reiß nicht Stamm und Wurzel aus. Jeder Menſch hat was Gutes. Lege auf die Fin - gerſpitze, wo der verdorbene Saft aus der Hand ſich hingezogen, und wo er ſchwoͤrt, Kraut und Pflaſter; ſo behaͤltſt du die Hand. Brich hervor, wie ein Feu’r, und dein Wort brenne wie ein Kirchenlicht. (Ein Wachsſtock iſt nur eine Pfeife zu entzuͤnden) Troͤſte den Bußfertigen, und laß uͤber ihn aufgehen den Regenbogen mit ſeinen ſchoͤnen Farben. Wenn dich eine Kaͤlte im Ausdruck uͤberfaͤlt, waͤrme dich an ein Paar Pſalmen in der hei - ligen Schrift, und wenn boͤſe Buben auf die Bibel laͤſtern, denck dran, daß es Gottesſchul -buch327buch ſey, woraus gros und klein, arm und reich, vornehm und gering, alt und jung, un - terrichtet werden ſollen, und denn laß den Laͤſterer ein Buch nennen, das ſo wie dies zu dieſem Zweck eingerichtet, und fuͤr all zuſam - men und fuͤr jeden einzelnen iſt. Gott laß dich nie vor Narren zum Spott werden, noch deinen Ruͤcken zur Bruͤcke, woruͤber jeder geht. Wachſe wie ein Palmbaum am Waſ - ſer, und dein Geruch ſey ſuͤß vor dem Herrn, wie der Weyhrauch im Studierſtuͤbchen dei - nes Vaters. Er, der die Erde mit Schnee und Reif ſalzet, bereite dich zu ſeinem Knechte in ſeinem Weinberge; wenn aber das Salz dumm oder unkraͤftig wird, womit wird man ſalzen? Verrichte deine Andacht vor Gott und nicht vor Menſchen. Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menſchen. Himm - liſche Glorie umſtrahle dein Haupt, wenn du auf der Kanzel biſt, damit mans fuͤhle, daß du nicht von dir ſelber redeſt. Ein roh Ey (wenns angeht ein Kybitzey) hilft viel zur guten Predigt, wer wie ein Engel ſpraͤ - che und nicht verſtaͤndlich waͤre, fruchtet weniger, als ein ausgelernter Staar, oder das Getoͤſe der Glocken, das ich nie ohne Herzensſchlag und Erbauung hoͤren kann. X 5Ich328Ich wuͤnſchte wohl, die Glocken, wenn ich be - graben wuͤrde, hoͤren zu koͤnnen. Alte Kirchen haben dunckle Fenſter; indeßen weiß jeder ſeinen Stand. Ein Prediger, dem die Zaͤhne ausgefallen, muß ſich nicht von einer andern Gemeine vociren laßen. Man hat mir erzaͤhlt daß Demoſthenes und Cicero von Natur ſchlechte Stimmen gehabt; durch Kunſt haben ſie ſchoͤn reden gelernt. Ich haͤtte ſie nicht hoͤren wollen. Mancher Paſtor kann ſich hoͤren, mancher ſich leſen laßen. Es kann alſo auch Redner geben, die ſtumm ſind. Dein erſte Predigt ſchlurfteſt du bey der Probe in der Speiſekammer, als wenn du weiche Eyer aͤßeſt. In der Kirche gings beſſer. Lerne deine Gemeine ſo kennen, wie ein Gelehrter die Sprache, der bey jedem Worte das warum und darum weiß. Ein Paſtor, der ſeine Ge - meine nicht kennt, und ſich nicht wie der ge - meine Mann ausdruͤcken kann, iſt ein Mieth - ling. Brauen und Backen geraͤth nicht im - mer. Allemal kanns nicht was Neues vom Jahr ſeyn. Schneid an eine alte Predigt ein Zwiebelchen, lege Butter dazu, es iſt eine friſche Schuͤßel. Hunger iſt der beſte Koch. Ein Eyerkuchen macht Appetit allen die voruͤber gehen. Ein einzig faules Ey ver -dirbt329dirbt die ganze Paſtete. Wenn es mit dei - ner Predigt nicht fort will, und von drey bis in die Daͤmmerung gefiſchet und nichts gefangen iſt; laß Licht anzuͤnden, und es wird dir auch ein Licht aufgehen. Wenn du uͤbern Tod predigſt, mache deine Predigt nie am Tage, ſondern des Abends. Predigſt du vom Lobe Gottes; ſteh Morgens um vier auf. Wenn gleich das Andencken deiner Truͤb - ſaale verwaͤchſt, ſuche eine Narbe zu behalten, damit du an Gottes Huͤlfe dencken, und ihn in deinem Kaͤmmerlein, und in der Gemeine des Herrn, preiſen koͤnneſt. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienſt vor Gott dem Va - ter, iſt der, die Waͤyſen und Wittwen in ihrem Truͤbſal beſuchen, und ſich von der Welt unbefleckt behalten. In deinen Pre - digten lehre Himmel und Hoͤlle! ſey nicht blos Brenn ſondern auch Bauholz. Halte dir ſelbſt Wort mein Lieber! ſo wirſt du auch andern es halten. Narren ins Fegfeuer, Gottloſe in die Hoͤlle. Weide die Heerde und ſiehe wohl zu, nicht gezwungen, ſondern williglich, nicht um ſchaͤndlichen Gewinſtes willen, ſondern von Herzensgrund. Nicht, als die uͤber das Volck herrſchen, ſondern werd ein Vorbild der Heerde. So wirſtdu,330du, wenn erſcheinen wird der Erzhirte, die un - verwelckliche Krone der Ehren empfahen Siehe das uͤbrige Taufwaſſer nicht als blos gemeines Waſſer an, ſondern mache die Ver - fuͤgung, daß es auf einen beſondern oder heiligen Platz gegoßen werde. Du wirſt das Gras drauf ſehen! Im Paradieſe konnt es kaum gruͤner ſeyn! der Kirchthurm iſt ein Finger, der gen Himmel zeigt, denck ſo offt du einen ſiehſt an den Finger Gottes, ohne den nichts geſchieht was geſchieht, und durch den iſt, was iſt. Am Martinstage eine Gans; es iſt ein alter wohlhergebrachter Ge - brauch, und denck an den ungluͤcklichen Bi - ſchof Martin, der durch eine Gans verra - then ward. Der Hahn iſt der richtigſte Ka - lender, und was die Sonnenuhr im Zeigen iſt, das iſt ein Hahn im Schlagen: das rich - tigſte Zeitmaas Der Hahn, der zuerſt kraͤht, iſt Superintendent unter den Haͤhnen. Alles was kraͤhen kann, kraͤht ihm nach, ſo lahm und candidatenmaͤßig es auch zuletzt her - aus kommt. Ein Hahn hilft offt zu Thraͤnen. Dein ſeeliger Grosvater hat eine Hu auf dieſe Art zur Reue gebracht. Alle ſeine Er - mahnungen waren vergebens. Zum Gluͤck kraͤht ein Hahn. Dieſen Umſtand griff deinſeeli -331ſeeliger Grosvater, und ſie weinte bitterlich. Findeſt du muͤhlſteinerne Herzen, verzweifle nicht Gott kann dir aus Steinen Kin - der erwecken. Ruf getroſt! ſchone nicht! Lerne recht fuͤrchterlich: wer da? ſchreien, wenn der Teufel herumgehet wie ein bruͤllen - der Loͤwe, und ſuchet welch’n er verſchlinge. Wer boͤſen Leimmund macht vergeht am Ende wie das Unrecht.

Die Welt kann doch nichts geben,
was wahre Ruhe giebt;
wer hier und dort will leben,
iſt Vater! der dich liebt!

Wenn du im Conſiſtorio ſitzeſt, rede Niemand mehr nach deinen Worten; außer daß ge - ſagt werde: du habeſt wohl geſprochen. Die Alten muͤßen ſich freuen uͤber deine Weisheit, und die Jungen muͤßen auf dich warten, wie auf den Regen, und ihren Mund aufſperren, als auf den Abendregen. Sey des Blinden Au - ge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm. Wenn du einen Brief ſchreibeſt, vergiß nicht A und O auf griechiſch oben anzuſetzen, das iſt der geiſtliche Stempel. Aergere dich nur deiner Geſundheit wegen, und eben darum, warum man Gift in Arzeneien miſcht. Dein Va - ter lernt alle fuͤnf Jahr eine Sprache, umdem332dem Gedaͤchtnis eine Bewegung zu machen. Verſuch, obs deinem Gedaͤchtnis geſund iſt? Denck nicht zu ſcharf uͤber einen Namen, und ſpiel nicht blinde Kuh mit ihm. Ich hab ge - hoͤrt, daß Jemand druͤber den Verſtand ver - lohren, und ihn eher nicht wieder bekommen, als bis ein andrer dieſen Namen von ohnge - fehr ausgeſprochen. Es iſt die Frage ob ſich ein ſolcher Andere ſo leicht findet? Wenn du beteſt, falte die Haͤnde; denn dies hilft auch die Ge - dancken zuſammen halten. Biſt du betruͤbt, bete, biſt du vergnuͤgt, ſinge. Der Arbei - ter iſt ſeines Lohnes werth, und der Arbei - ter Lohn, die eu’r Land eingeerndtet haben, und von euch abgebrochen iſt, ſchreiet, und das Rufen der Erndter iſt kommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth. Richte nicht, ſo wirſt du nicht gerichtet, vergib, ſo wird dir vergeben. Gib, ſo wird dir gegeben. Alles was du wilſt, das dir die Leute thun ſollen, thu ihnen auch. Wer ſelbſt Fenſter hat, ſchlage ſie nicht dem Nachbar ein. Die Zunge iſt ein klein Glied und richtet große Dinge an. Sieh ein kleiner Funcken, welch einen Wald verwuͤſtet er! Die Zunge ſingt Gott Lob und Preiß, und die Zunge kann von der Hoͤlle entzuͤndet werden. Aus einemMun -333Munde blaſen wir kalt und warm. Aus einem Munde geht Loben und Fluchen. Wir loben Gott den Vater, und fluchen den Men - ſchen nach Gottes Bilde gemacht.

Kann auch ein Feigenbaum Oel oder ein Weinſtock Feigen tragen? Kluͤgle nicht uͤber deine Reverende, ſondern trage ſie, wie deine Vorfahren muͤtterlicher Seits ſie getragen haben. Die Baniſe in ſchwarz Corduan mit goldenem Schnitt ſieht wie ein Geſangbuch aus. Wer Poßen in geiſtlichen Melodien ſingt zieht dieſen eine Reverende an! Wehe dem, der dieſe Maske erfindet. Ein Geiſt - licher in ſeinem Geſchmeide kann von einem Engel ungefehr unterſchieden ſeyn, als ein Kuͤſter vom Prieſter. Der Kuͤſter muß aber entweder die Altarlichte anſtecken, oder ſie mit einem Loͤſchnapfe bedecken und ausloͤ - ſchen. Dinge, die offt im Munde am ange - nehmſten; ſind am ſchwerſten zu verdauen. Wenn du viel Auſtern gegeſſen, Kaͤſe drauf. Warum aber ſinnenarme Auſtern? Wenn du Etwas mit Umſchweif zu ſagen haſt, fangs an mit dem Worte: Kurz um, oder endlich, das befoͤrdert die Andacht. Wer nicht Toback ſchnaubt und raucht, iſt ein Re - publicaner, ein Curlaͤnder, ein freier Menſch. Wer334Wer kann den Hunger durchs Andenken an ein vorjaͤhriges Gaſtmal befriedigen? Dencke am kuͤrzſten und laͤngſten Tage im Jahr an Zeit und Ewigkeit. Sey mauſeſtill, wenn dich Jungens mit Koth bewerfen. Wer eine Ehrenſtelle erhaͤlt, hat ein neu Kleid angezo - gen, und uͤberall iſt ſteife Leinwand. Zieh nie des Sonntags ein neu Kleid an, denn dieſer Tag iſt verlohren. Halt dir aber dein Alltags und dein Feyerkleid. Ein Menſch, der Sonntags nicht ein ander Kleid anlegt, iſt auf dem Wege ein Freydencker zu werden. Gott wird alle Wercke vor Gericht bringen, auch die im Verborgenen geſchehen ſind, und den geheimſten Rath des Herzens offenbaren, denn wird einem jeglichen von Gott! Lob widerfahren. Die Huͤner - oder Aelſteraugen ſchneide aus, doch ſo, daß du dabey vorſich - tig zu Werck geheſt. Es ſiehet ſonſt ſo aus, als waͤre man gichtbrichtig, und ſo ſehr gut die Gicht einen alten Mann kleidet; ſo heß - lich iſt’s, wenn ein Juͤngling gichtbruͤchtig wandelt. Geitzige Leute erhencken ſich, um das Pulver zu ſparen, und den Strick an - dern guten Freunden, und vor allen Dingen ihren lieben Erben, zuruͤck zu laſſen. Ein Geitzhals iſt leicht zur Buͤrgſchaft zu bringen. Er335Er will gutes thun, ohne daß es ihn einen Heller koſtet; allein der Geitz iſt auch hier die Wurzel alles Uebels. Verbuͤrge dich nicht, bezahl lieber fuͤr den Duͤrftigen; ſo haſt du einen freyen Kopf und ein freyes Herz. Schreib deinen Vornamen nicht aus, damit die Leute das A fuͤr Adam, Abraham, und andere bibliſche Namen halten. Streue nicht auf fremden Acker, wenn du wilſt ernd - ten ſiebenfaͤltig. Ich habe noch nie geſehen den Gerechten verlaſſen und ſeine Kinder nach Brod gehen. Wenn du Obſt gegeſſen, nimm ein wenig Brodt, ehe du trinkeſt. Man ſagt, es ſey Wahn, allein es hilft. Wenn du des Nachts reiteſt, nimm einen Schimmel; er dient dir zur Laterne. Neckereien machen gewitzt, Erfahrungen klug, Noth lehrt beten. Sieh nicht aufs Handgeld, ſondern auf den Herrn. Der Teufel giebt Silberlinge, allein das Ende iſt Verzweiflung. Huͤte dich vor Proceße in Curland, Gott weiß! wie es anders wo iſt, denn am Ende heißts, Eſaias im acht und zwanzigſten Capittel im zehnten Vers: ge - beut hin, gebeut her, gebeut hin, gebeut her, harre hie, harre da, harre hie, harre da, hie ein wenig, da ein wenig. Wer Ge - walt uͤbet bey Gericht, ſchaͤndet ſein Muͤndel,Ydas336das er bewahren ſoll. Die Sachwalter ma - chens wie die Fiſcher; ſie truͤben das Waßer, eh ſie angeln; bey hell und klarem Wetter iſt nichts zu fangen. Sey gerecht gegen Jeder - mann, gib auch, wenn du geſchwinde ſchreibſt, der u ihren Strich, dem i ſeinen Punkt. Ich habe keine u ums Ihrige betrogen, und mich aͤrgert, wenn man gewiſſen Worten den großen Buchſtaben nehmen will, als, bey Stuben Uhr ſchreib ich S. und U. mit großen Buchſtaben. Ehre dem Ehre gebuͤhret. Uebe dich auch muͤndlich abzuſchlagen, was du nicht leiſten kannſt: ſchriftlich kanns jeder Narr. Biſt du unentſchloſſen, ich ſetze zum voraus, daß dies oder jenes nichts boͤſes iſt, woruͤber du getheilt biſt; zerbrich dir nicht den Kopf, recipe zwey Looſe: in eins ſchreib flugs Ja, ins andere flugs Nein. Mache ſie ſich einander gleich, greif eins, und thue was du gegriffen haſt, dies iſt eben ſo gut, als wenn du lange gedacht, und Ja und Nein auf einer Goldwaage abgewogen haͤtteſt. Es iſt eine Art von goͤttlichem Regiment von Theokratie. Heiſt es nicht ſo? Auch der Weiſeſte greift in einen Gluͤckstopf. Gluͤck und Glas wie bald bricht das. In der De - muth ſtolz ſeyn, heißt falſch ſpielen. Wenndie337die Menſchen Methuſalems Alter erreichen koͤnnten; wuͤrde man mit Gewißheit ſehr fruͤhe behaupten koͤnnen, wer gewis haͤngen wuͤrde. Kluge Leute leſen ihre Briefe von hinten. Singe an deinem Geburtstage Neu - jahrslieder; ſie haben was troͤſtliches in ſich. So wie der Geitz ſeinen eigenen Haͤnden nicht trauet, ſo trauet auch der Kluge ſeiner Ver - nunft nicht. Ein Bettler gab einem andern die Lehre: ſprich keinen an, der allein gehet. Gehen zwey, geben beyde. Waͤre Jeder allein gegangen, haͤtte keiner gegeben. Die unge - faͤrbte Menſchenliebe iſt erkaͤltet, und Stolz fuͤhrt bey der Gabe die Hand. Der Weg zum Himmel iſt mit lauter gutem Willen ge - pflaſtert. Guter Wille gilt bey Gott und al - len ehrlichen Leuten ſo viel als die That. Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das heißt, aus einem guten ein ſchlechter Menſch werden wollen. Gib mit der Rechten ohne, daß es die Linke weiß, und ſieh nicht wie man’s nimmt. Es iſt ſchwer, gut zu geben, noch ſchwerer aber, gut zu nehmen. Tauſche gegen einen Pfeifenkopf nichts was Leben und Othem hat. Thiere, ſagt dein Vater, ſind unſre Grenznachbaren. Der Gerechte erbarmet ſich auch ſeines Viehes. PflanzeY 2kei -338keinen Baum, wo er ausgehen muß. Hei - rathe keine Mondſichtige, wenn ſie auch Su - perintendentens Tochter waͤre. Schneide keine Blume ab, wie kaͤmſt du zum Kopfen? und die Blume, gekoͤpft zu werden? ſondern pfluͤ - cke ſie, wenns nicht anders ſeyn kann, ſonſt aber, laß ſie ihren reifen Saamen ausſtreuen, und den Tod der Guten ſterben, die ihr Ziel nicht verruͤcken, und ihr Leben durch Unmaͤſ - ſigkeit verkuͤrzen. Ein Fleiſcher iſt immer grauſam; Blut iſt ihm am Ende Blut. Ge - wiſſe Haare werden nie grau, und Alter ſchuͤtzt fuͤr Thorheit nicht, decke aber die Schande des Alten. Ueber ein Wort muß man ſich nicht den Hals brechen. Wort um Wort, Zahn um Zahn, Hals um Hals. Ein Arzt, der ſein Latein falſch ſpricht, curirt auch falſch, warum ſagt er nicht lieber, ich weiß es nicht, und ein Geiſtlicher, der nicht die Grundſprachen verſteht (daß ſich Gott erbarm!) Einfaͤltig heißt von einer Falte: So ſey dein Herz gegen Gott und gegen deinen Naͤchſten. Nicht wie ein Faͤcher, der vielfaͤltig iſt, und nicht wie eine Reiſekarte, die man in ein Beinkleiderta - ſchenformat legt, und wenn ſie ausgekramt iſt, deckt ſie einen Tiſch auf vier Perſonen. Edle339Edle Einfalt war beym Anfang der Welt, und wird, wie ich nach der Liebe hoffe, bey der Welt Ende ſeyn. Eine Heerde und Ein Hirte. Lobe nicht Leute, die nicht lobens - wuͤrdig ſind. Ein Thor denckt nie beym un - verdienten Lobe: weißt du nicht, daß dich Gottes Guͤte zur Buße leite Falſche Freunde ſind Schwalben, die nur des Sommers da ſind. Sonnenuhren, die nur brauchbar ſind, ſo lang die Sonne ſcheint. Der Menſch geht in dieſer Welt in die Schule beym lie - ben Gott. Der Tod befoͤrdert ihn zur Aka - demie. So wie du gewartet haſt, ehe dir das Licht angezuͤndet ward; ſo wart auch, biß es ausbrennt, oder ausgeloͤſcht wird, und denck an die Sonne der Gerechtigkeit, die nach der Zeit uͤber deinem Haupt aufge - het, ohne unterzugehen in Ewigkeit. Der Herr wird uns erloͤſen von allem Uebel, und aushelfen zu ſeinem ewigen himmliſchen Reich, denn ſein iſt das Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen. Wir ſterben lieber in jeder Stunde, als daß wir die Hofnung aufgeben ſolten: wir halten taͤglich mehr aus, als den Tod, um der Hofnung willen noch laͤnger zu leben, und muͤßen doch einmal recht aus dem Grun -Y 3de340de ſterben. Nimm dir recht vor zu ſterben, ſo ſtirbſt du am wenigſten und haͤltſt beinahe die Stunde. Stirb als haͤtteſt du deinen Tod auswendig gelernt, und ſieh nicht ins Concept, ſtirb von ganzem Herzen; ſo ſtirbſt du den Tod der Gerechten, und deine Seele iſt in Gottes Hand, und keine Quaal ruͤhret ſie an. Wer ſo ſtirbt, der ſtirbt wohl! Sieh die du liebſt zuweilen ſchlafen, damit du nicht traureſt um deinen Todten. Dencke dir deinen aͤrgſten Feind im Himmel, damit du ihm verzeiheſt. Wem es ſo und nicht anders iſt, ob ſein Freund ſtirbt, und ob ſeine Pfeife ausgehet, iſt nicht werth, einen Freund, wohl aber eine Pfeife zu haben. Dieſe Welt iſt nicht ein Clima fuͤr den Frommen. Gehts ihm gut, ſo hoͤrt ers auf zu ſeyn; gehts ihm uͤbel, ſo ringt er ſich die Haͤnde wund. Iſts denn nichts.

Aller Engel Schaar,
und die lieben Seinen,
ſprechen immerdar,
nirgend uͤber Weinen,
ohn Gefahr und Pein,
und im Himmel ſeyn.

Dein Vater ſagt: Stirb, als wenn du den Tod obſerviren wolteſt; ſo ſtirbſt du nicht,ſon -341ſondern machſt Obſervationen ich nicht al - ſo. Sey getreu bis in den Tod; ſo wird dir die Krone des Lebens gegeben, und es wird heißen: Ey du frommer und getreuer Knecht, du biſt uͤber wenig treu geweſen, ich will dich uͤber viel ſetzen, gehe ein zu deines Herrn Freude! Waͤhle nie ein Amt, das groͤßer iſt als du, damit du hervorrageſt, und kannſt du in eine Stelle kommen, die vor dir ein unbedeutenderes Maͤnchen, als du bekleidet; haſt du gewonnen Spiel. Brauch griechiſche, hebraͤiſche, arabiſche, chaldaͤiſche, lateiniſche Worte in deiner Pre - digt, die vertragen ſich, um des Himmels willen aber kein einziges franzoͤſiſches, das iſt in einer deutſchen Predigt wie Katz und Hund. Die franzoͤſiſche Sprache iſt die zweite Erbſuͤnde. Der geringſte Uebelſtand auf der Kanzel, iſt ein Flecken auf deinem weißen Kragen. Es ſcheint uͤberhaupt die franzoͤſiſche Sprache nicht fuͤr den Himmel und den ſchmalen Weg eingerichtet zu ſeyn. Wol dem unter dieſem Volcke, der noch eine andere Sprache weiß! Diene deiner Gemei - ne mit allen fuͤnf Sinnen. Man meint der Geſchmack ſey ſo ein Geizhals, daß ein an - drer nichts davon hat; allein wer den andernY 4mit342mit Geſchmack eſſen ſieht, bekommt auch Luſt. Wilſt du deine Gemeine zu Abtra - gung der Calende bewegen, brauch Worte, dieſe ruͤhren ploͤzlich. Wilſt du ſie in den Himmel bringen, trag Sachen vor, dieſe wuͤrcken langſam, aber ſie bleiben. Eine gute Predigt muß nicht zu breite Treſſen haben, das Tuch muß zu ſehen ſeyn. Wer eine gute Predigt drucken laͤßt, die er gehalten hat, hat geſchaffen und erhalten. Beſtim - me was deine Kinder werden ſollen, und wenns ſeyn kann, die Erſtgeburt der Kirch! Eltern, die ihren Kindern die Wahl laßen zu beſtimmen, was ſie werden wollen, irren; du waͤrſt Alexander geworden, und jetzt gehſt du auf dem Wege zur Superintendatur. Was ſuͤße ſchmeckt, hat einen uͤblen Nachge - ſchmack, und ſchleimt oben ein. Was herb zu Anfang iſt, wird lieblich am Ende. Das gilt von der Tugend und vom Rheinwein. Pflanze nicht im Garten, eh dein Feld beſtelt iſt, und mach dir keinen Schatten, bis du ein zinsbares Capital haſt. Beſtaͤndige Ruhe - iſt keine Ruhe. Wenns geregnet hat, iſt’s in freyer Luft am ſchoͤnſten. Wenn der Regen gerad herunter faͤlt, iſt er am fruchtbarſten. Man koͤnnte ſagen, die Natur hab eine guteGeburt.343Geburt. So muͤßen auch deine Worte fal - len. Kreiſe nicht; ſprich aber gerade herun - ter. Ein junger Geiſtlicher muß ſeine Pre - digt bloͤd anfangen, und dreiſt vollenden, dann hat er alles, was ihm hoͤrt, wie eine Klette am Kleide. Der Geruch hat ſeine Moden, die ein Paſtor nicht mitmachen darf. Biſam und allerley wohlriechende Waſſer ſind nicht fuͤr ein ſchwarzes Kleid. Wilſt du wohl riechen, ſo ſeys nach Himmelſchluͤſ - ſeln, Roſen und Naͤgelchen (nicht Nelcken, wie Etliche waͤhnen). Dieſe Geruͤche bekommen wie taͤglich Brod allen Menſchen, und keine ſchwangere Frau wird druͤber ohnmaͤchtig am Beichtſtuhl werden. Sey ſtarck am inwen - digen Menſchen. Deine Seele ſey wacker, dein Herz ohne Falſch; ſo wird auch der aus - wendige Menſch bluͤhen und Fruͤcht anſetzen. Die Seele iſt der Gaͤrtner, der Leib iſt die Pflanze, die gezogen wird. Sprich zuweilen laut, ſonſt glauben die Leute nicht, daß es Ernſt iſt. Ich habe dir in deiner Jugend angerathen, das Skelett von den Butter - bluhmen auf einmal wegzuhauchen. Es ſtaͤrkt die Lunge. So wird Gott, der gerechte Rich - ter, die Welt weghauchen! Ein jeder Lehrer muß mehr ſagen, als im Concept iſt. WasY 5aus344aus dem Herzen kommt, geht wieder zu Her - zen. Was aus dem Munde kommt, geht wieder in den Mund. Was aus dem Con - cept kommt, geht ins Concept, und was aus dem Buche, ins Buch. Ende gut, alles gut! Ich werde dir nicht erſcheinen mein Kind! wenn ich heimgehe? es wuͤrde dir und mir beſchwerlich ſeyn: allein ich komme dir gewis entgegen. Der Herr ſey mit dir im Leben, und wenn du leideſt, und wenn du ſtirbſt. Gehts mit dir zum Ende, ſey es mit dem Schluß deines Lebens, wie mit dem Jahresſchluß, wo die Tage kurz ſind! Des Abends muß man einen ſchoͤnen Tag loben. Amen, das heißt: Ja, ja, es ſoll alſo geſchehn! Amen iſt des lieben Gottes großes Siegel, und der Frommen Zuverſicht. Ich beſchwoͤre dich beym Amen, daß du dieſe Regeln aufbehaͤltſt und ſie befolgeſt, und ſie alle Viertheil Jahr lieſeſt, und vor der Le - ſung ſingſt: O Gott, du frommer Gott. und nach der Leſung: Gros iſt Herr deine Guͤte. Amen! Dies war der Abſchied, den meine Mutter von mir ſchriftlich nahm, wie ſie ihn auch gernvom345vom Converſus genommen haͤtte, und den ſie eben ſo, wie den Tod, nicht auf die letzte Stunde ausgeſetzt. Von meiner Mutter hab ich, und auch meine Leſer, in dieſem Theil Abſchied genommen

Gute Nacht alſo liebes Weib! Lebe wohl, liebe theure Mutter. Deine heilige Harfe ſoll mein Herz in eine heilige Ruhe ſpielen, wenn es ein trotzig oder verzagt Ding ſeyn will, wenn es ſich baͤumt und wenns ſinckt. Ruhe der Religion der Vollendeten, du biſt die Diaͤt fuͤr Leib und Seele! Bin ich be - ſtimmt, ſechs Tage meines Lebens Laſt und Hitze zu tragen, laß mich wenigſtens am ſie - benten ruhen von dieſer Arbeit, und eine Seelen und Leibeserloͤſung koſten. An die - ſein Sabbath ſoll dein heiliges Bild, liebe Mutter! vor meinen Augen ſchweben! Ich will dich hoͤren, wie du den erſten der drey großen Feſte, als die Lerche den Fruͤhling mit dem:

Dir dir und deiner Guͤte,
dir dir mein Gott allein,
dir dir ſoll mein Gemuͤthe

begruͤßteſt

Wie du am heiligen Abend vor Wey - nachten die Hirten des ganzen Kirchſpiels vordas346das Paſtorat verſammelteſt, und Vom Himmel hoch da komm ich her ꝛc. anſtimmen ließ’ſt wie du dieſes arme Volk, das ſeiner Som - mergeſellſchaft am Ende aͤhnlich wird, zu chriſt - lichen Schaͤfern verſchoͤnerteſt, und in ihnen vor der ganzen Gemeine eine Licht anzuͤndeteſt, ſo, daß jedes, auch im Weynachten, Achtung fuͤr den Hirten hatte, da er, nach dem Laufe der Natur, am wenigſten gilt.

Deine Woͤrter hahn, ſtahn, lahn, ſollen mir beßer klingen, als die weichlichen Worte der ſchwelgenden Poeſie. Dein Tittel: Weib Lo - beſan, den du dir ſelbſt beygeleget haſt, iſt koͤſtlicher als alle Welttittel. Ich will weit eher in den Vorhoͤfen des Herrn in der Halle wohnen, wozu dir dein Schutzgeiſt den Schluͤßel fuͤr dich und deine Nachkommen gab, als in den Pallaͤſten der Gottloſen! Deine alten Worte: Wolgemut, fuͤrbas, und pflag, und traun! und ſchier! bezeichnen mir die Einfalt der Alten der guͤldenen Zeit, da die Menſchen Gottes Nachbaren vorſtel - ten, ihm uͤbern Zaun in ſeinen Himmel ſahen, vor ihm wandelten und fromm waren, und wie ſolt ich dieſen Kern gegen den Prunk die - ſes verſilbert blechernen Jahrhunderts vertau - ſchen? Am Ende, wenn mir die Gedan -cken347cken vergehen wie ein Licht, das hin und her thut wancken, bis ihm die Flamm gebricht, ſoll der Tod mir ein ſanfter Schlaf ſeyn! Amen, das heißt Ja, ja, es ſoll alſo geſchehen!

Dies war ungefaͤhr das Gefuͤhl, auf Worte herabgeſetzt, das in mir brandte, da dieſe Anrede von meiner Mutter zum erſten - mal verleſen ward. Beym eigentlichen Ab - ſchiede bezog ſie ſich auf dieſe ſchriftliche Haus - tafel, wie ſie’s nandte. Dieſe Hand, ſie gab mir ihre Rechte, reich ich dir nicht wieder, als in der Ewigkeit, nicht mehr beym Ab - ſchiede Dies iſt der Abſchied, mein Sohn, das eigentliche Begraͤbnis. Wenn du wuͤrck - lich von hinnen zieheſt, wird nur das Para - deſarg beygeſetzt

Von Minchen nahm ich Abſchied, wie der Sommer vom Fruͤhlinge; man merckt’s nicht. Zehnmal, dachten wir, es ſey das lezte Lebewohl; allein es kam noch ein Lebe - wohl und denn noch eins, bis eins, ohne daß wirs beide wußten, das allerletzte war. Wir hatten ſchon vorhero verabredet, daß nicht Sie an Ihn, ſondern Er an Sie, den erſten Brief ſchreiben ſolte. Dieſer erſte Brief ſolte an den guten Benjamin, um ausder348der Noth eine Tugend zu machen, zur Be - foͤrderung gerichtet werden, und der Brief an Benjamin ſolt ein Einlag eines Briefes an den Herrn Herrmann ſeyn. Wie ſehr wir uͤber dieſen Plan gedacht, kann ich nicht beſchreiben. Er iſt das Reſultat von vielen Stunden. In dieſem erſten Briefe ſolt ich meiner lieben Miene den Weg zeigen, an mich zu ſchreiben, denn da noch nicht ausgemacht war, welcher Univerſitaͤt wir anvertrauet werden ſolten; ſo konnte der Plan fuͤglich nicht anders eingerichtet werden.

Die ehrliche Jungens, die tapfern Griechen, hatten ſich bey meiner Abreiſe verſammlet, hielten ſich gerade, Helm ragte vor, und alle ſahen ihrem Koͤnige nach, der avanciren und Student werden ſolte.

Wir kamen gegen Abend in an, und fuͤr ein paar Leute, die ſich in zehen Jahren nicht beſuchet, wohl aber, ſo offt ſie ſich nur reichen koͤnnen, mit Gedancken, Ge - behrden, Worten und Werken (wiewohl alles in Ehren, und wie es ein Paar ſo klugen und ſo rechtſchaffenen Leuten anſtehet) gepfaͤn - det hatten, war der Empfang ſehr freund - ſchaftlich Wo bleiben Sie ſo lang, lie -ber349ber Herr Paſtor? ich hab ſchon zehn Jahre auf Sie gewartet, ſagte der Herr v. G und mein Vater wie aus der Piſtole: eben ſo lange, einen halben Tag, den ich zur Reiſe noͤthig hatte, abgerechnet, hab ich Ew. Hoch - wohlgebohrnen Briefe entgegen geſehen. Hier eine Umarmung, und von der Frau v. G ein tiefer Knicks, vom jungen Herrn ein rußiſcher, und von ſeinem Hofmeiſter ein fran - zoͤſiſcher Buͤckling und zwar ſo durchein - ander, daß Niemand wußte, wem eigentlich die Verbeugung oder Scharrfuß gelten ſolte. Nach dieſem Zeichen der Wiedergeburt einer ſeit zehn Jahren verfallenen Freundſchaft, haͤtte man glauben ſollen, es waͤre zwiſchen Sr. Hochwohlgebohrnen und Sr. Wohlehr - wuͤrden alles berichtiget; allein, es gieng dieſen beyden Leuten ſo wie Richtern, die ſich zwar geeinigt haben, wer von beyden Klaͤger oder Beklagter, gewinnen oder verlie - ren ſoll? nachhero aber uͤber die Entſchei - dungsgruͤnde und die Gegengruͤnde die Koͤpfe ſchuͤtteln, und zuweilen an einander ſtoßen, um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick war ein Knoten, den keiner von beyden loͤſen konnte, den aber auch keiner von beyden ſo geradezu ſpalten wolte. Ich muß geſtehen,daß350daß ich nicht viel von dem beherziget, was dieſe beyde ſtreitfuͤhrende Maͤchte mit einan - der ausgefochten. Ich weiß kein Wort wei - ter, als, daß wegen Hut und Trifft kein Wort weiter vorfallen ſolte, und daß eine Koppel - weide bruͤderlich verabredet wurde. Man gieng Hand in Hand zur Tafel. Der Vergleich war zugeſaͤet, wurde mit einem aͤchten Glaſe Wein aus einem Schaͤuer begoſſen, und trug noch den naͤmlichen Abend tauſendfaͤltige Fruͤchte. Morgen, denn heute ſeh ich alles uͤber Pauſch und Bogen, will ich meine Le - ſer mit den Karakteren dieſes Hochwohlge - bohrnen curſchen Hauſes und ſeiner Art be - kannter machen, oder wie es mir eben ein - faͤlt, ſie ſich ſelbſt bekannt machen laſſen. Ich will verſuchen, dieſen Tag nachzuſchrei - ben, wenn ich gleich nicht ein Verballexicon, einen Woͤrterkram, uͤber das, was damals ge - redet ward, beſitze; ſo hab ich doch ein ſehr richtiges Reallexicon, und hier darf ich nur klopfen, und es wird aufgethan. Hausrath iſt bald angeſchaft, wenn man liegende Gruͤn - de hat. Waͤre dieſer Lebenslauf kein Lebens - lauf, haͤtt ich von der Kanzeley des Sir Carl Grandiſon einen Kanzelliſten auf zwoͤlf Stunden zum Anlehn erbeten, allein einenLebens -351Lebenslaͤufer ſchlaͤgt ers ab. Wo haͤtt ich aber, wenn Sir Grandiſon fiat wie gebeten geſagt haͤtte, wo haͤtt ich dem Ehrenmann Ort und Stelle anweiſen ſollen? Im gan - zen Hauſe des Herrn v. G war zur Ehre des Hauſes keine ſpaniſche Wand und keine Vorhaͤnge, als vor den Fenſtern, auch die nur gegen Mittag. Die Geſpraͤche ſind ori - ginaliſirt. Wers[verſteht], was ein Eid de credulitate iſt, wird wiſſen, was ich ſagen will; wenn ich behaupte nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen meine Leſer behandelt zu ha - ben.

Der Schauplatz in unſerm Schlafzimmer.

Dieſes Zimmer ging gerade auf eine Wildnis, einen Haupttheil des Gartens, wo ſich ein Blumenbeet, welches wie ein verſchoͤnertes Wieſenſtuͤck ausſahe, an einer alten Eiche zu halten ſchien, um die kleinesZGe -352Geſtraͤuch rings herum ſtand, als wenns in die Schule ginge, und lernen wolte, auch ſo groß zu werden. Es war alles wie Wieſe und Wald, was man ſehen konnte, und doch wars nicht Wieſe und Wald. Die Bluh - men anders, und wenn ſie gleich nicht in Reih und Gliedern ſtanden, waren ſie doch in einer entzuͤckenden unordentlichen Ordnung. Baͤume hinderten das Auge nicht, den Wald zu ſehen, und es fiel von oben ein reines Waſſer, wie ein ſtarcker Regen, und ſchlen - ckerke durchs Bluhmenſtuͤck, und aus ihm heraus, wie ein Betrunckener
Perſonen. Vater. Ich.
Ich.

Guten Morgen, Vater.

Vater.

Danck Alexander. Wie im Edel - hofe geſchlafen?

Ich.

Nicht wie im Paſtorate. Blinde Kuh geſpielt. Zugegriffen, nichts erhaſcht. Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefan - gen Gewolt und nicht gekonnt.

Vater.

Die erſte Nacht am fremden Orte iſt immer eine Brautnacht. Niemand ſchlaͤft ſie aus.

Ich. 353
Ich.

Wie kommt das?

Vater.

Bette und Neſter muͤßen nicht kalt werden. Ein neuer Bezug koſtet mir zu Hauſe zwo ſchlafloſe Stunden, ein neues Bett anderthalb Naͤchte.

Ich.

Ich habe den neuen Bezug mit ei - ner halben Stunde bezahlt, vom neuen Bette weiß ich ſeit ſechs Stunden erſt mitzureden.

Vater.

Haͤtten wir keine Betten, wuͤr - den wir nicht dieſen Schlafzoll bezahlen. Es iſt viel davon zu ſagen. Wenn ja der Menſch nicht in ſich ſelbſt Waͤrme haͤtte, ſolt er nach der Vorſchrift der Natur auf Haarbet - ten ruhen.

Ich.

Ich will’s verſuchen

Vater.

Wenns nur nicht zu ſpaͤt iſt. Deine Mutter traͤgt die Schuld, daß dein Blut Federn kennet. Mich freuts, daß du dieſe Nacht ſo wenig mit dem Schlaf ge - zanckt Wir haben beyde gethan, als ſchliefen wir. Wer ſich mit dem Schlaf uͤber - wirft, zieht immer den kuͤrzern.

Ich.

Aber mit einmal Aufſtand machen, und dem Schlaf zeigen, daß man ſein Sclave nicht ſey. Was meinſt du, Vater?

Vater.

Recht! in allen Faͤllen, nur nicht, wenn ein neues Bett daran Schuld iſt. DerZ 2Schlaf354Schlaf kann nicht buͤßen, was unſre Weich - lichkeit verſchuldt hat Wer, wenn er ſchnell aufwacht, nicht gleich herausſpringt, verſteht nicht Wincke der Natur. Der zweyte Schlaf iſt ein Poſtſcript, das keinem Mann anſteht. Mittagsſchlaf iſt ein brennend Licht am Tage. Achtung, Alexander! Schlag an, Feur! biſt du heraus?

Ich.

Wie Blitz!

Vater.

Mercks dir ewig. Wer einen Fuß aus dem Bette ſetzt, und den andern nach - holt, arbeitet auch nur mit halben Kopf.

Ich.

Wie kanns anders? Ich haͤtte moͤ - gen den D. Luther hoͤren und ſehen das Walt ſprechen, und aus dem Bette fahren.

Vater.

Er fuhr gewiß mit ſechs.

Ich.

Aber das Kreutz, das er ſchlug, waͤre nicht noͤthig geweſen.

Vater.

Wers vertragen kann, des Morgens und Abends, kanns nicht ſcha - den. Deine Mutter hatte die Gewohnheit zu kreutzen, wenn ſie jaͤhnte und den Mund hielt. Dieſe Kreutzſchlaͤge hab ich ihr ſo aus dem Grunde abgewoͤhnt, daß ſies nach der Zeit fuͤr Suͤnde zu halten ſchien, und den Schlagbaum des Mundes, um die vorigen Kreutzer zu verbuͤßen, noch weiter aufriß,als355als es noͤthig war. Das Kreutz war die ge - meinſte Strafe, womit man bey den Syrern, Egyptern, Roͤmern und andern Voͤlkern, einen Miſſethaͤter von der Welt brachte. Aus Schande iſt Ehre worden. Deine Mut - ter nandte dies einen Triumph der chriſtlichen Religion. Ein Kreutz iſt ein Ritter - und Ehrenzeichen: es hat ſo was edles in und an ſich, als die liebe Sonne, die alles glaͤnzend macht, was ſie beſtrahlt. Haͤng es um ein ſchlecht Gewand; es uͤbertrift Purpur und koͤſtliche Leinwand. Die Wapenkunſt gehoͤ - ret zwar nicht zu Kanzelgaben; indeſſen rath ich dir dies Studium an, und da wirſt du ein Andreaskreutz, ein Schaͤcherkreutz, ein Anckerkreutz, ein Kleekreutz, ein Kruͤcken - kreutz, ein Lilienkreutz, ein Patriarchenkreutz, und noch viele Kreutzer kennen zu lernen die Ehre haben.

Eine Stille! wir ſahen beide zum Fenſter, und jeder ſtieß eins wie aufs Commando auf Noch eine Stille
Vater.

Haſt du gebetet?

Ich.

Zweymal angeſetzt, einmal vollen - det. Aber keinen Morgenſeegen, denn ich hab nicht geſchlafen. Ich kann dem lieben Gott fuͤr nichts dancken, was ich nicht auchZ 3em -356empfangen habe. Die ſagen koͤnnen: wir dan - cken Gott fuͤr ſeine Gaben, die wir von ihm empfangen haben, wenn ſie fuͤr Hun - ger ſterben moͤchten, ſind, denck ich, Schmeich - ler, Heuchler, Schrifftgelehrte und Phariſaͤer.

Vater.

Zum Danck hat der Menſch, wie zum Troſt, immer Gelegenheit. Auch das groͤßte Ungluͤck iſt noch ſo groß, daß man ſich nicht noch ein Stockwerck druͤber denken koͤnnte. Der Armbruch iſt nicht ſo arg, als der Halsbruch. Viele Leute aber glauben freylich, ſo mit dem lieben Gott umzuſprin - gen, als mit ihres gleichen. Herz, Ehrlich - keit, iſt das, was Gott angenehm iſt; ich denck, er verzeiht hundert Fluͤche eher, als ein Gebet und Lob von dieſer Weiſe. Er will eigentlich nur die freudige Empfindung uͤber das Gute, das wir gethan haben. Verſoͤh - ne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfre. Thu was gutes, und du beteſt die ganze Natur betet und ſingt, und die Raben ſelbſt nicht ausgenommen. Siehſt du einen ſchoͤnen Abend, einen ſchoͤnen Mor - gen, ſo fehlen nur Worte zum Gebete, und die ſind nicht noͤthig. Leute, die es auf bloße Worte anlegen, zaubern im eigentlichen Sinn, ſie betruͤgen die Umſtehenden, underwer -357erwerben ſich Almoſen, der nicht immer ein Stuͤck Brodt und ein Vierting iſt, ſondern auch ein Buͤckling ein Ehrenwort ſeyn kann das iſt ein frommer Mann. Es hat weiſe Heiden gegeben, die dafuͤr hielten, man ſolte laut beten, damit Gott nicht mit un - klugen Bitten belaͤſtiget wuͤrde; allein die Herren moͤgen es mir verzeihen. Gott iſt unſer Vater, und wir koͤnnen ihm alles ſa - gen. Wir bleiben gegen ihn bis ans Ende kleine Kinder. Wir ſollen Gott lieben! Liebe ohne Aufopferung von der geliebten Seite iſt ſchwer zu dencken. Gott opfert ſich, wenn er uns Gutes thut, nicht auf. Es koſtet ihm keine Muͤhe, wenn er Fruͤh - und Spaͤtregen, und fruchtbare Zeiten giebt, wenn er uns die Hand reicht. Es waͤr alſo nur Ehrfurcht, was wir gegen ihn haͤtten, wenn wir nicht beten doͤrften. Das Gebet hilft uns zu einer Liebe, die anders iſt, als alle Lieben in der Welt. Chriſtus hat die Lehre vom Gebet ſo vortrefflich abgehandelt Betet im Glauben, beſtimmt nicht: laßts Gott uͤber. Plappert nicht, betet im Kaͤmmerlein

Mein Vater betete das Vater unſer, und ſah zum Fenſter, und ich betete mit, wir beteten ſehr laut.
Z 4Ich. 358
Ich.

Das war gebetet.

Vater.

Amen.

Ich.

Viel Leute ſchaͤmen ſich, den lieben Gott auszuſprechen. Sie ſagen: der Himmel. Ich ſag ja nicht Mitau, wenn ich den Herzog meine. Einige ſagen: die Vorſicht, das ſind mir ſchon die rechten, nicht wahr, Vater?

Vater.

Nicht immer wahr. Da muß man ſehr duldend ſeyn. Ich ſage gern, herz - lich gern heraus: Gott, mein Gott, und freu mich, daß ichs nach meiner Religion darf. Andere Leute moͤgen andere Weiſen haben. Mann nennt offt nach der Hauptſtadt den Hoff, der Wienerhoff ich werd bey mei - ner Weiſe bleiben.

Ich.

Und ich auch in Ewigkeit.

Vater.

Eine Nacht gewacht macht mun - ter. Wir werden beid einen herrlichen Tag haben.

Ich.

Ich dacht es waͤre des erſten Aus - flugs wegen. Der erſte Ausflug aus dem Neſte muß Alten und Jungen was ange - nehmes ſeyn. Du verſtehſt mich nach dem lieben Gott biſt du mein Vater.

Vater.

Sey gut Alexander, und das wirſt du ſeyn, wenn du Gott von Herzen Vater nennſt.

Vater. 359
Vater, Tafeldecker, Ich.
Tafeldeck.

Wuͤnſch unterthaͤnigen Morgen.

Vater.

Guten Morgen, guter Freund.

Tafeldeck.

Gnaͤdiger Herr, und gnaͤdige Frau, und gnaͤdiger Juncker, bitten zum Thee.

Vater.

Gleich aber, lieber Freund, das Waßer hier iſt von geſtern. Nur Thee fehlt, ſo iſts Theewaßer. Koͤnnen wir nicht kaltes, friſches Waſſer

Ich.

Mit Eis, wenns angeht, ich hab vom Eiskeller gehoͤrt.

Tafeldeck.

Wird nicht gut thun.

Ich.

Ich bins gewohnt, Eis im Waſ - ſer, Speck im Kohl, Ehr im Leibe, Gewiſ - ſen im Herzen.

Tafeldeck.

Das ſind vier gute Schluͤßeln, wolt ich ſagen, ja, ich weiß nicht was? bin der Tafeldecker.

Ich.

Herr Tafeldecker, ich bin ſehr hitzig aufs Eiß.

Tafeldeck.

Sollen haben

(geht ab.)
Vater.

So offt ich taufe, aͤrgre ich mich, daß wir nicht untertauchen. Das waͤr was fuͤr Leib und Seele.

Z 5Ich. 360
Ich.

Wenn wir ſo mit dem Feu’r um - ſpringen koͤnnten, Vater! wenn wir ſo die Sonne, wie ein Caminfeu’r, anſehen, und waͤr ſie naͤher, heran treten koͤnnten, ohne von der Flamme ergriffen zu werden

Vater.

Die offenbare See

Ich.

Ich moͤcht mich doch da eher baden, als die Haͤnde dicht am Sonnencamin waͤr - men. Was auf der Erde iſt, gehoͤrt uns, haſt du mich gelehrt

Vater.

Das erſte Feu’r auf der Erde muß eine ſchreckliche Wirckung auf Menſch und Vieh gemacht haben. Ein Blitz ſchlug’s vielleicht an, und die Menſchen unterhielten ein heiliges Feu’r, des ſich jedes bediente, bis ſichs jedes ſelbſt anſchlagen lernte. Der Menſch hat ſich ohne Zweifel vorgeſtellt, die Sonne waͤre herabgekommen und wandele unter uns

Ich.

Eine große Vorſtellung!

Vater.

Ich vergeb den Heiden, daß ſie die Sonne angebetet. Sie iſt eins von den großen Lichtern, die im Saal Gottes bren - nen. Wir haben ſie noch ſo ziemlich aus der erſten Hand; in wenig Minuten iſt der Strahl auf der Erde.

Ich. 361
Ich.

Ich wuͤnſcht, ich haͤtt das erſte Feu’r auf Erden geſehen.

Vater.

Auch ich, ich denck das erſte Feuerlerm iſt die Urſach, warum wir noch immer ins Feuer ſehen, wo wirs finden. Wir feuren das Feſt des erſten Feu’rs. Ca - minfeuer verdirbt das Auge, ſagt man, und was thut denn der Rauch der Oefen? das unwuͤrdigſte, was je die Menſchen erdacht haben, hoͤchſtens fuͤr ſchwangere Weiber gut. Der Kreißſtuhl ſteht am Ofen. Ich bin kein Republikaner, allein ich bin ein Menſch. Kein Menſch, der ſich frey fuͤhlt, ſolte ein - heitzen, und ſich die Haare ſtecken, oder ſie kleben. Wer nicht mit der Hand in die Haare kann, und mit unverwandten Augen ins Feu’r ſieht, und ſich Feu’r zu machen ver - ſteht; iſt wenigſtens kein Englaͤnder. Ich bin fuͤr den monarchiſchen Staat, das weißt du; allein auch da giebts Freiheit. Du weißt die Fabel vom Prometheus?

Ich.

Dem Feu’rdieb, Ja!

Vater.

Man laͤßt es nicht, ins Feuer zu ſehen, und wenn man mit ſeinen Augen druͤber einen Bund macht; ſo ſieht man nicht, man ſchielt, man ſtiehlt die Thiere ſelbſt machen große Augen und ſtaunen das Feueran362an Wie ich mich freue, wenn ich Spuren der Natur finde, daß iſt unbeſchreiblich, ich denck immer Gottes Finger zu ſehen, wenn ich Natur ſehe

Ich.

Ich ſehe Gottes ganze Hand.

Vater.

Junge! Tauſendmal hab ich ge - dacht mein Ebenbild! nur etwas rauher duͤnckt mich. Schadt nichts, du biſt in Curland gebohren, und ich in einer beßern Gegend. Du jung, ich alt. Soͤhne, die der Mutter aͤhnlich ſind, bekommen ihre Faͤ - higkeiten und Neigungen; allein in hoͤherm Maaße. Sie ſind Birnaͤpfel: ich wuͤrd ſie all zu Geiſtlichen beſtimmen. Sie haben bis zum Pabſt Anlage; nur keinen Schuß ver - tragen ſie. Haͤtteſt du etwas, Alexander, von dieſen Wachsjungens, ich gaͤbe was drum

Ich.

Und warum Vater?

Vater.

Das eine Frage! du ſolſt nicht mit Feuer, ſondern mit Waſſer taufen.

Ich.

Gott braucht auch Luthers im Dienſt, nicht blos Melanchtons, Vater! Ich wett, Luther ſah ſeinem Vater aͤhnlich, wie ich dir, und Luther, das wett ich auch, waͤr ein ſo guter Generalfeldmarſchall geworden, als er jetzo Glaubensvater iſt, und haͤtt ſogut363gut Sieg erfochten, als einen Catechismus geſchrieben.

Vater.

Es wuͤrd manchmal gut ſeyn, wenn ſich ein Geiſtlicher mit einem Narren von Freygeiſt herumſchießen koͤnnte. Gewiß wuͤrd er mehr durchs Pulver, als durch Gruͤnde frommen, beſonders in Curland, wo alles nach Pulver riecht allein wer das Schwerd nimmt, wird durchs Schwerd umkommen

Ich.

Mit dreyen nehm ichs auf ich meyn mit Freygeiſtern, ſonſt weiß ich auch wer Herz hat.

Vater.

Feigheit faͤllt in alle fuͤnf Sinne: man ſieht ſie im Finſtern. Einen muthigen Mann kennt man nicht ſo leicht. Er traͤgt nicht Spieß und Lanze. Gemeinhin ſieht er bloͤde aus. Seine Miene iſt ſanft und edel: wenn er ſpricht, iſts als ſpraͤche man mit Frauenzimmer.

Ich.

Wer hat, darf nicht borgen

Vater.

Ein muthiger Mann iſt ein ver - moͤgender Mann, und darum braucht er kein Creditkleid, keinen Empfehlungsbrief. Er iſt uͤberzeugt, daß es ihm nicht fehlen koͤnne. Muth iſt ein edles Bewuſtſeyn, von dem einige Leute ſehr einfaͤltig ſagen, er ſey anzu -ſehn.364ſehn. Stolz iſt anzuſehn; allein kein edles Bewußtſeyn

Ich.

Wie kommts aber, Vater! daß auch den Herzhafteſten der Muth zuweilen verlaͤßt, und daß er nach einer Zeit wieder muthig wird?

Vater.

Weil er kranck war, und wieder geſund wurde! das iſt aber eine Kranckheit ohne Namen, etwas Kolick iſt immer da - bey Oft kommts, weil der Held mit einer Schlafmuͤtze ſein Haupt bedeckt hat, da er eben angegriffen wird. Er ſollte ſelbſt im Hut ſchlafen.

Ich.

Im Hut, oder im bloßen Kopf Vater, ich will dein Sohn nicht ſeyn, wenn ich je anders zu Bette gehe

Vater.

Du warſt Alexander! jetzt biſt du es nicht mehr! Kannſt es nicht mehr mehr ſeyn! mußt es nicht ſeyn! Ich dacht anders, und Gott dacht anders. Setze im - mer eine Schlafmuͤtze auf, und bekaͤmpfe dich ſelbſt, dann haſt du Muth, auch ohne den Degen in der Fauſt, und im Schlafrock und Pantoffeln. Muth braucht man, wie Saltz, zu allem, und beym Cammertod mehr, als auf dem Bette der Ehren, wo Wuth und Verweiflung offt die Herzhaftigkeit einfeuert. Dies365Dies iſt ein eingeheitzter Muth. Iſt der Ofen kalt, iſt alles kalt

Ich.

Ich weiß, Vater, wie ich das Loch hier am Kopf kriegte, was es heiße, auf dem Bette der Ehren ein Loch kriegen, und wie ich kranck war, was ein kalter Ofen heiße. Das Loch war mir weniger, als wenn ich mir das Hemde vorbey ins Fleiſch geſtochen. Ich wollt druͤber was ſchriftliches aufſetzen, ſo weiß ichs. Sich ſelbſt bekaͤmpfen, Va - ter! und eine Hopfenſtange ſeyn, iſt doch zweyerley.

Vater.

Sich im wagerechten Stand ſetzen, und immer im Gleichgewicht halten, iſt un - moͤglich. Wer nicht Leidenſchaften hat, iſt kein Menſch. Unſer Herr und Meiſter jagte Kaͤufer und Verkaͤufer aus Gottes Tempel. Wer im Sitzen ſchelten, und wenn er ſich ſtoͤßt, beten kann, iſt ein Menſch, mit dem ich nichts zu theilen haben will. Ich werd ge - wiß betrogen. Ich hab mich als Paſtor zu dem daß dich der Tauſend bequemen muͤßen, daß dich der Teufel ſagt man, ſoll geſunder ſeyn. Es ſoll wie ein Glas Waſſer abkuͤhlen. Die Natur kuͤhlt ſich auch durch Donner und Blitz. Um den Teufel nicht ſo viel Ehre anzuthun, ſollte man einander366ander Wort erfinden. Es kommt alles auf Begriffe an. Auguſtinus und Lactanz konn - ten ſich nicht uͤberreden, daß die Erde rund ſey, weil ſie die Schwere der Koͤrper nicht kannten, und

Ich.

Vater! was du mir ſagſt, iſt mir, Auguſtinus und Lanctanz ausgenommen, ſo bekannt, als ob ichs gewußt haͤtte, und doch lerne ichs erſt.

Vater.

Das iſt der groͤßte Beweiß der Wahrheit. Der Vers iſt gut, den man auf einmal behaͤlt, und eine Sache, die, wenn wir ſie gehoͤrt, uns ſo duͤnckt als haͤtten wir ſie ſchon zuvor gewußt, iſt gewiß wahr.

Ich.

Du biſt mir Philippus und Ari - ſtoteles in einer Perſon.

Vater.

Wenn man den Kindern auf alle ihre Fragen antwortet, curirt man ſie durch Aderlaßen. Man macht ſie ſchwach. Wenn du A frugſt, antwortete ich B, und hierdurch gewoͤhnt ich dir ab, zu fragen, und an, ſelbſt zu dencken. Wer immer in ſeiner Jugend gefragt hat, fraͤgt, auch wenn er alt wird. Haͤtt’ſt du noch einen Bruder ge - habt, haͤtt ich ihn negativiſch erzogen, und ihm nicht geſagt, hier geht der Weg, ſon - dern: hier geht er nicht Wenigſtens,Ale -367Alexander, haſt du einen muͤndigen Aus - druck. Du biſt ein Menſch, der bey der Natur in die Schule gegangen, ein Stuͤck vom Seher! Wer blos die Alten ließt, iſt ein Glaͤubiger, du kannſt ſie auch zur Noth leſen, dieſe erſte Verſion der Natur. Laß uns jetzt gehen der Thee iſt ſchon er - wuͤnſcht kalt.

Ich.

Vater, ich moͤcht noch zehn Stun - den hoͤren.

Vater.

Und ich bin lang nicht ſo ein Vielwißer geweſen, wie heut, und auch du umfaſſeſt alles, du ſprichſt ſo behend, und jedes Wort iſt Schach dem Koͤnige. Das machen die neuen Betten und die Nacht ohne Schlaf.

Ich.

Noch eins, Vater: ha Waßer!

Vater.

Stroͤme! deſto beßer fuͤr dich einen, und fuͤr mich auch einen

Ich.

Das Noch eins hab ich nicht er - ſaͤuft: die gnaͤdige Frau ruft mich Monſieur.

Vater.

Beſonders! daß Monſieur bey den Deutſchen zwey Pfund weniger, als Herr, und Mamſell zwey Pfund mehr wiegt, als Jungfer!

A aIch. 368
Ich.

Immerhin, Vater! Ein Franzoſe mag ein Monſieur ſeyn, aber nicht ich. Zwey Pfund weniger oder mehr, ich ehre das Wort Jungfer.

Vater.

Ich auch, Alexander, und auch darum mit, weil es ſich rein haͤlt, und mit keinem Reim in Gemeinſchaft tritt. Das ſind fuͤr mich koͤnigliche Woͤrter; ſie geben ſich nicht mit erſt was ab.

Ich.

Wer meine Schweſter

Vater.

Wenn du eine haͤtteſt!

Ich.

Mamſell hieße, der ſolte eine Ohr - feige mit dieſer Hand haben, oder ich will Monſieur ſeyn Und immer in der drit - ten Perſon ſpricht die gnaͤdige Frau. Wird Monſieur nicht haben wollen, will Monſieur nicht ein Glas Bier? Bin ich denn kein Du oder Sie werth! Kann ſie mir nicht ge - rad ins Geſicht ſehen, wenn ſie mir zuſpricht. Warum ſtoͤßt ſie denn nicht das Glas mit mir an. Sie ſchielt nur von der Seite her - ab. Gottlob! daß ſie nicht mit Er herum - wirft, ich wuͤßte nicht Vater! Wenn faͤngt man denn an Litteratus zu ſeyn?

Vater.

Es iſt nicht uͤberall gleich. Im Mitauſchen Kreiſe fruͤher, im Bauskeſchen Kreiſe ſpaͤter, im Seelburgſchen Kreiſe nochſpaͤter,369ſpaͤter, im Doblehnſchen Kreiſe fruͤher, als im Mitauſchen, und ſo weiter durch alle Kreiſe.

Ich.

Ihr Mann, Vater, haͤtte verdient den lincken Fluͤgel meines Phalanxs zu com - mandiren. Zum Parmenio, Vater, nicht wahr? Er weiß doch, was einem ſeeligen Alexander zuſtehet. Von ihr, duͤnkt mich, kanns heißen: ihe Wurm wird nicht ſterben, und von ihm! ſein Feu’r nicht verloͤſchen

Im Garten.

Die Frau v. G. die Vorigen. Herr v. G.
Frau v. G.

Sehr erfreut, Herr Paſtor Wol geruht? Ich bitte Platz zu nehmen. Herr v. G. hat einem Sperling das Leben abgeſprochen, und iſt unten, ihm das Wort zu halten. Monſieur, bitte zu ſitzen Ohne Umſtaͤnde. Gartenfreyheit! da ſind wir alle gleich

Ich.

Vom Paradieſe her.

(mein Vater buͤckte ſich bis aus Wort halten, ich von Monſieur an.)
Frau v. G.

Caffee?

A a 2Vater370
Vater und ich.

Unterthaͤnigen Danck.

Frau v. G.

Thee?

Vater und ich.

Gehorſamſt.

Frau v. G.

Niemals?

Vater.

Niemals, gnaͤdige Frau.

Frau v. G.

Und warum?

Vater.

Jedes Volck hat was es bedarf, gnaͤdige Frau, kann Original ſeyn, darf nicht Thee und Caffee trincken.

Frau v. G.

Aber Wein?

Vater.

Der iſt vom lieben Gott fuͤrs ganze menſchliche Geſchlecht eingeſetzt, und dann, gnaͤdige Frau! waͤchſt nicht Wein in Curland?

Frau v. G.

Vielleicht wuͤrde auch Thee und und Csffee wachſen

Vater.

Nimmer, und wenn es waͤre. Wie kann wol die Natur mit Bohnen und Strauch die Abſicht verbunden haben, die man jetzt damit verbindet?

Frau v. G.

Aber angenehm iſt wenigſtens Caffee im Gruͤnen?

Vater.

Warum nicht eine Mahlzeit aus natuͤrlichen geſunden Speiſen?

Frau v. G.

Es iſt zu warm

Vater.

Des Abends. In Curland gehts mit dem Fruͤhſtuͤck beynah wie in England,und371und das hat, ich muß geſtehen, ſehr viel verfuͤhreriſches. Alles kommt ungeputzt zu - ſammen, wie bey einer Brunnenkur, und mit einem ſo freyen unverfaͤlſchten Kopf, daß es eine Luſt iſt, gute Leute fruͤhſtuͤcken zu ſe - hen. Die Seel iſt ſo wie der Leib im Negli - ſchee, und wenns fruͤh iſt, iſt der Tag ſelbſt ſo. Sein Schleier iſt ein liebenswuͤrdiger wonnevoller Anzug Nicht immer aber, gnaͤdige Frau! koͤnnen wir in Pyrmont ſeyn, und den Brunnen trincken, und unſrer Seele und dem Tage bey der Toilette aufwarten. Wir haben Geſchaͤfte: die Morgenſtunde

Frau v. G.

Ich halt Caffee und Thee nicht fuͤr geſund

Vater.

Ich auch nicht

Frau v. G.

Die Aerzte ſind indeßen ge - theilt

Vater.

So wie in allem, was die Diaͤt betrifft, die ein jeder Arzt nach dem Schnitt ſeines Magens beurtheilt.

Ein Schuß! gehoͤrt und geſehen.
Frau v. G. Vater. Ich.

Der Sperling.

Herr v. G.
(Einen todten Sperling in der Hand.)

Ha, willkommen ins Gruͤne! Herr alter und Herr junger Paſtor.

A a 3Frau372
Frau v. G.

Gelt! Monſieur iſt erſchrocken.

Ich.

Ueber einen Schuß?

Herr v. G.

Er erſchrickt uͤber dich, und ich auch, gnaͤdige Frau. Fuͤr erſt bitt ich Herr ſtatt Monſieur! Wer nicht vor einen Schuß erſchrickt, iſt kein Monſieur. Sieh ihm ins Geſicht. Iſt er erſchrocken?

Frau v. G.
(Zu mir)

Sie haben gepredigt?

Herr v. G.

Das heißt ein Seelenſchuß. Ich habe Sie weit und breit ruͤhmen gehoͤrt.

Ich.

Ohne Verdienſt und Wuͤrdigkeit.

Vater.

Ew. Hochwohlgebohrnen

Herr v. G.

Herr Paſtor, laßen Sie mir den Hochwohlgebohrnen weg oder

Frau v. G.

Wenn der Herr Paſtor ſichs aber angewoͤhnt hat.

Herr v. G.

So muß ers ſich abgewoͤhnen.

Frau v. G.

Falls es ohne Muͤhe geſche - hen kann.

Herr v. G.

Wenns auch Muͤhe macht.

Frau v. G.

Das nenn ich Zwang.

Herr v. G.

Es haͤngt von Ew. Gnaden ab. Herr Paſtor! Sie wolten von der Pre - digt ſagen.

Vater.

Wenn Sie ſie gehoͤrt haͤtten, wuͤr - den Ew.

Herr373
Herr v. G.

Herr Paſtor, ich bitt ich nehms fuͤr ein heimliches Verſtaͤndnis mit meiner Frauen, wenn Sie nicht thun, was ich bitte, was ich will Wenn ich ſie ge - hoͤrt haͤtte, wuͤrd ich

Vater.

Eine gute Suppe, und einen guten Nachtiſch gefunden haben. Ein Paar ſchoͤne Lieder, die ſeine Mutter ausgeſucht hatte. Die Predigt war nur, um zu verſu - chen, ob Stimme und Anſtand nur des Leibes Nahrung und Nothdurft wegen, wenn ich ſo ſagen darf

Frau v. G.

Ich wuͤrde bitten, ſie im gruͤ - nen zu wiederhohlen

Herr v. G.

Warum nicht gar? Eine Pre - digt in die Kirche, eine Pfeife Toback im Gruͤnen.

Ich.

Ich glaub auch, ich wuͤrd im Gruͤ - nen von der Natur uͤberſchrien werden

Herr v. G.

Recht! ſchon warm Waſ - ſer getrunken?

Vater.

Wir haben gedanckt, wir trincken nur kalt Waſſer ohne Gewuͤrz, wie’s Gott beſchert.

Herr v. G.

Das iſt brav! ich auch ſo da ſiehſt du, Frau! was brave Kerls ſind.

A a 4(in -374
(indem er dem Sperling wegwirft.)

Ein Dieb weni - ger in der Welt

Vater.

Ein wahrer Dieb. Unſtet und fluͤchtig, wie das boͤſe Gewißen.

Herr v. G.

Indeßen kommt’s auf Erzie - hung an, und der Sperling ſingt, wie einer der ſchoͤnſten Saͤnger unter den Voͤgeln. Dieb wuͤrd er freylich auch bey einer Syre - nenſtimme bleiben. Ich ſelbſt habe Proben, und der Schluß iſt richtig. Kein Vogel hat eine eigenthuͤmliche ihm, von Gott verliehene Singſtimme, ſondern nur Floͤtraversanſatz, Faͤhigkeit zu allem voͤgelmoͤglichen Geſang. Es kommt auf den Cantor an: wie die Alten ſungen, ſo zwitſchern nach die Jungen! Wo iſt Fritz mit ſeinem halbehrwuͤrdigen Hofmeiſter geblieben?

Frau v. G.

Der Juncker

(der Accent auf Juncker)

kleidet ſich an. Der Hofmeiſter leiſtet ihm Geſellſchaft. Sie haben ſich das Laͤngſte

Herr v. G.

Der Jung iſt gut, nur nicht viel Herz, und das haſt du Schuld

Frau v. G.

Beßer kein Herz, als keinen Verſtand

Herr v. G.

Nichts geredt. Verſtand iſt des Herzens Spuͤrhund. Ich kenne noch keinen beherzten Mann, der nicht mindſtensfuͤrs375fuͤrs Haus Verſtand haͤtte: aber verſtaͤndige kluge Schurcken kenn ich dir ſo gut, als meine Kugel, Schrot, Wind, Buͤrſchbuͤchſen. Ge - wehr auf ein Haar. Ich weiß den Unter - ſchied zwiſchen beherzt und gutherzig; allein Herz iſt hohl mich Herz. Es kommt alles auf eins. Du wirſt dein Lebtag nicht einen beherzten Mann kennen, der nicht mitleidig, großmuͤthig, gutthaͤtig iſt, und ſein Paar Tropfen weinen kann. Verſtand! Sieh doch! was ihr Weiber dies Wort in den kleinen Mund nehmt. Dies Wort iſt mit Ew. Gna - den Erlaubniß generis maſculini, oder wenn du es im Deutſchen haben wilſt: Es hat Haar um den Bart

Frau v. G.

Wird aber oft kahl geſchoren.

Herr v. G.

Einfall! Euretwegen aber waͤchſt wieder. Ha, gnaͤdige Frau, wie ge - faͤllt Ihnen meine Predigt in der freyen Luft? Die Anwendung werden Sie ſelbſt machen.

Frau v. G.

Sie iſt gemacht

Herr v. G.

Darf ich wißen?

Frau v. G.

Mich duͤnckt, es zeigt wenig Verſtand, Boͤſes von ſeinen Kindern zu ſpre - chen. Monſieur der Herr wolt ich ſagen, wird ſich einen ſchoͤnen Begriff vom Juncker machen.

A a 5Herr376
Herr v. G.

Boͤſes? ſagt ich nicht gu - ter Jung

Frau v. G.

Jung! Schon dies Wort in gewißer Leute Gegenwart

(auf die Bedienten wei - ſend)

ich denck doch, er hieße ſo gut Herr v als Ew. Hochwohlgebohrnen?

Herr v. G.

Es ſcheint Ew. Gnaden wol - len mein Schiff entern. Gehorſamer Diener, ſo nah ſind wir noch nicht. Weißt du was entern iſt? frag’s nach in Libau!

Frau v. G.

Entern hier, entern da, es ſchickt ſich wenig

Herr v. G.

Albern! es muß ſich ſchicken. Er iſt Edelmann, weil ich einer bin, dabey iſt wenig auf ſeiner Seite.

Frau v. G.

Der Adler iſt darum Adler, weil ſein Herr Vater einer war?

Frau v. G.

Warum Adler? warum nicht Gans; ſo bleibſt du in der Landsmann - ſchaft Adler! ha! ha! ha! Engel haben keinen Zunamen. Teufel auch nicht. Wenn nicht Zunamen waͤren, wuͤrden mehr Men - ſchen ſeyn. Weiſt du wol, wie lang es iſt, daß Zunamen ſind? Der Teufel hohl den Schlingel, der ſie zuerſt aufbrachte. Man thut darum ſelbſt nichts, und ſieht vor oder hinter ſich. Hat doch dieſer und wird dochjener377jener In Curland beſonders, in Cur - land iſt ein Edelmann ein Erdſchollen, glebæ adſcriptus, nicht wahr Herr Paſtor?

Vater.

Ich habs offt geſagt, da iſt aber nicht der Edelmann: Curland und Semgal - len ſind Schuld. In dieſem Fall hat ein Litteratus den Vorzug, daß er, wie die Apoſtel, in alle Welt geht. Befaͤllt ihn ja das Heimweh; er ſtirbt wenigſtens nicht auf der Stelle, wo er gebohren iſt. Mit ihm iſts Comma, Colon, Semicolon, mit dem Adel Punktum.

Herr v. G.

Recht, Punktum, ein groß Punktum, man kann es einen Kleck nennen, da wo ich gebohren bin und ſterben werde, ſind ſchon ſieben gebohren und geſtorben, und mein Jung wird den Punkt nicht verruͤcken.

Frau v. G.

Warum denn nicht?

Herr v. G.

Weil er nicht kann, und kein Curlaͤnder es kann Fuͤr ihr Vaterland Korn und Waitzen ſaͤen, das iſt alles was in ihrer Macht iſt. Darum Punktum! Punktum! Punktum!

Frau v. G.

Der Himmel gebe du machteſt, Punktum, und wir fingen was anders an.

Herr v. G.

Mit dir, wenns Ew. Gna - den gefaͤlt. Aber Herr Paſtor wie kommts,daß378daß es mit gelehrten Leuten in gewiſſer Art nicht beßer geht?

Die gnaͤdige Frau gieng beym Wort: gelehrten Leuten, ſehr freundlich ab. Ihr Compliment fuͤr mich, zeigte daß ich Herr und nicht mehr Monſieur in ihren Gedanken war
Vater.

Sie haben Recht. Ein Gelehr - ter hat ſelten einen Sohn, der ſeinem Bilde aͤhnlich iſt. Mit ihm faͤngts an, mit ihm hoͤrts auf; allein dies gilt nur von Gelehrten majorum gentium, von halb Engeln, ganz En - gel gilts nicht unter Menſchen, die Fleiſch und Bein haben, Copernikus, Newton, Kepler, Leibnitz

Herr v. G.

Das waren Kerls! dem Co - pernikus bin ich am gutſten, Gott weiß war - um. Seinetwegen wuͤnſcht ich ein Preuße zu ſeyn

Vater.

Es iſt wahr, Copernikus ſchloß den Himmel auf. Es war ein Petrus, zu dem Gottes Stimme erſcholl: ich will dir des Himmelreichs Schluͤßel geben New - ton aber war chargé d’affaires des menſchli - chen Geſchlechts, im Himmel und auf Erden, und unter der Erden. Licht war ſein Blick, und was er machte, das gerieth wohl. Kep - ler, ein Haushalter uͤber Gottes Geheimniſſe,Siegel -379Siegelbewahrer der Natur, und Leibnitz, ein Cammerherr unter ihnen. Ein Mann, der allen allerley war, der erfinden konnte, ohne Bleifeder und Schreibtafel in der Hand zu haben, der, wie man vom Newton erzaͤhlt, keinen Damen-Finger, ſo viel ich weiß, ver - brandt hat

Herr v. G.

Kein Menſch weiß von dieſer Leute Kinder, und doch iſt Nachruhm ent - weder gar nichts, oder Erbgut. Wer keine Kinder hat, thut thoͤricht, ſich von fremden Leuten nachruͤhmen zu laßen: Er hatte Verſtand, er hatte Geld

Vater.

Geld wirft keinen Nachruhm ab. Es traͤgt nur Zinſen, ſo lang man lebt. Ein Reicher iſt, ſo lang er lebt, Souverain in die - ſem Jammerthale. Er kann ſich alles kau - fen, vielleicht gar ruhiges Gewißen und Ge - ſundheit. Iſt er geitzig, und wo iſt ein Rei - cher, der es nicht waͤre? wird er wenigſtens ſeltener kranck, wie ein andrer Kein epiſcher Dichter hat ſolch eine Einbildungs - kraft, wie er. Er genießt alles in der Einbil - dung. Kein Wunder, daß er ſich nie den Magen verdirbt. Er ſieht ſeinen Geldkaſten an, und da ſieht er Wagen und Pferde, da ſieht er ſeinen Tiſch mit allem Neuen vomJahr380Jahr beſetzt Leckerbißen und feine Weine! Das ſieht man in keinem optiſchen Kaſten, was der Geitzhals alles ſieht. Hier iſt der Hals uͤbel gepaaret, der Geitzige muͤßte denn am fremden Orte ſeyn, wo es ihm nichts koſtet. Geld ſolte das Mittel ſeyn, um zu genießen; allein der Reiche hat gemeinhin Mittel, um ſich neue Mittel zu erwerben, und am Ende Mittel uͤber Mittel; allein keinen Zweck Im Tod heißts: Sohn du haſt dein Gutes empfangen in deinem Leben es thut nichts, ob in Proſa oder im Gedicht, ob wircklich oder in Einbildung. Das Geld bleibt zuruͤck, und wenn man ja an den ſeelgen Herrn denckt, ſo heißts der Geck! ſo ſchoͤnes Geld! und ein ſo ſchlechter Keller! Mit dem Nachruhm des Gelehrten iſt’s eine andre Sache. Ver - ſtand traͤgt Zinſen bis an der Welt Ende. Newton hat keine Kinder noͤthig. Jeden Gelehrten hat er uͤber die Taufe gehalten, iſt’s ein Jude, hat er ihn beſchnitten. Jeder ſeiner Schuͤler iſt ſein Sohn Ein Ge - lehrter dieſer Art hat das Gluͤck, lauter wohl - gerathene Kinder zu haben, es ſind Seelen - erben, die er mit Geiſt und Wahrheit naͤhrt Er darf weder Gaſtwirth, noch Schwerdt -feger,381feger, noch Fechtmeiſter, noch Waͤſcherin fuͤr ſie bezahlen.

Herr v. G.

Alles gut, lieber Paſtor, was hat aber Newton und alle von ſeinem Gelich - ter davon?

Vater.

Ein doppeltes ewiges Leben in jener Welt eins, in dieſer Welt eins. Ein Gelehrter, der ſich ſeiner Unſterblichkeit be - wußt iſt,[] hat einen Beweis mehr in ſich, daß er nicht aufhoͤren werde. Dieſe Unſterblich - keit, und jene Unſterblichkeit, ſind verwand und rechnen Sie dies Bewuſtſeyn fuͤr nichts, ehe ſolch ein doppelt Unſterblicher den Weg geht, den alle gehen? Er lebt doppelt ſchmeckt ſterbend doppelte Kraͤfte der kuͤnfti - gen Welt

Herr v. G.

Paſtor, es iſt mir nicht an - ders, als wenn ich losdruͤcken will, und der Vogel fliegt davon ich bin ſo nah an der Ueberzeugung; allein weg iſt der Vogel

Vater.

Ich bitte, laßen Sie ihn nicht fliegen

Ich.

Ich hab ihn im Fluge getroffen, Vater!

Vater.

Die Sache iſt geiſtiſch, und will geiſtiſch gerichtet ſeyn

Herr382
Herr v. G.

Bey gelehrten Familien laß ich den Nachruhm gelten.

Vater.

Allein, in Wahrheit, er iſt nicht andenckenswerth. Die Hiſtorie wird mit der Zeit ein Familienſtuͤck werden, und es wird heißen: dort linker Hand wohnt die Hiſtorie in ſechs Haͤuſern die gelehrte Familien aber auf den Fuß, wie wir ſie bis jetzt kennen vielleicht viel Vorruhm; allein deſto weniger Nachruhm. Die meiſten Menſchen halten den Nachruhm fuͤr Nachhall; allein gefehlt! ſehr gefehlt! Aufrichtig, ich kenn bis jetzo keinen ſtiftsfaͤhigen Familiengelehrten. Der Sohn lernt beym Vater das Handwerck aus, und hat Vorzuͤge beym Meiſterwerden. Der Sohn behaͤlt des Vaters Leiſten, und alles iſt nach vaͤterlicher Weiſe Man nennt dies Wißen: Familiengelehrſamkeit.

Herr v. G.

Gelt! die iſt nicht viel uͤber eine Elle beßer, als Familienwitz.

Vater.

In die Laͤnge oder Breite.

Herr v. G.

Wie iſt das?

Vater.

Gelehrſamkeit halt ich breit, Witz lang

Herr v. G.

Danck fuͤr gute Nachricht

Vater.

Witz erfindet, Urtheilskraft be - handelt. Wer Witz hat, kauft den Acker. Wer383Wer Urtheilskraft beſitzet, theilt die Felder ein, ſaͤet und umzaͤunet. Der Witzige ver - gleicht, der philoſophiſche Richter verknuͤpft oder trennt. Der Witzige macht allem, was ſchoͤn iſt, die Aufwartung. Der Philoſoph iſt fuͤr Verlobung und Beylager, und was er zuſammengefuͤgt hat, ſoll der Witz nicht ſchei - den. Der Menſch iſt ſtumpf, heißt: er hat nicht Witz. Der Menſch iſt dumm, heißt: er hat nicht Urtheil.

Herr v. G.

Setzt man nicht Kopf dazu, Dummkopf, Stumpfkopf?

Vater.

Ja! allein ſehr unrichtig. Man entweiht den Namen Kopf, denn er deutet Scharfſinn an. Das iſt ein Kopf, heißt: er iſt ſcharfſinnig. Es iſt kein Kopf, heißt: er iſt es nicht.

Ich.

Aber, Vater! wenn man von ei - nem Kinde ſagt: es hat einen Kopf?

Vater.

Ein Kopf ſeyn, und einen Kopf haben, iſt zweyerley. Beym Kopf ſeyn, fin - girt man ſich, der Mann ſey lauter Kopf, a potiori fit denominatio. Einen Kopf hat jeder

Ich.

Aber, Vater! in welchem Jahr ſtellt ſich denn der Scharfſinn ein, und wenn kannB bman384man von einem, der einen Kopf hat, ſagen: er ſey ein Kopf?

Vater.

Nicht an der Mutter Bruſt; allein oft fruͤh, oft ſpaͤter.

Ich.

Alſo, Gottlob! kann auch Kind und Juͤngling Kopf ſeyn?

Vater.

Allerdings! in Hofnung! man ſteht was die junge Seele werden wird, ſo wie im Fruͤhling die Erndte, des Morgens den Tag! Die meiſten Knoſpen haben den Ge - ſchmack der kuͤnftigen Frucht

Hier machten wir uns alle drey Complimente, und ſtießen die Koͤpfe im Guten an einander; der ge - neigte Leſer wird mir dieſe Stoͤße gern erlaßen. Es wuͤrde auch unartig geweſen ſeyn, wenn ei - ner dem andern den Kopf abgeſprochen haͤtte.
Vater.

Gedaͤchtnis, Schaͤrfe der Sin - nen, ſind beym Witz und Urtheilskraft Ge - ſellſchaftscavaliere, Sekretairs, Haushof - meiſters u. ſ. w. Verſtand hat das Votum deciſiuum.

Herr v. G.

Gott ehr mir den Witz, weil er zu lachen macht; das Kluͤgſte was die Menſchen koͤnnen.

Vater.

Ueber Witz lacht man. Die Ur - theilskraft aber macht ſeelenfroh. Die Seelenfreude iſt eine ganz beſondere Freude. Man385Man kann hiebey, auf ſeine eigene Hand, wie ein Koͤnig, vergnuͤgt ſeyn. Dies iſt der einzige Fall, da man ſich auch ganz allein einen geiſtigen Rauſch antrinken kann. Der Witz liebt Geſellſchaft. Bey der Urtheils - kraft erfreut man ſich uͤber die zuruͤckgelegten Schwierigkeiten, wenn wuͤrcklich die Sach uns ſchwer geweſen. War ſie uns leicht, ſo freut man ſich der Leichtigkeit wegen, und macht ſich ſelbſt ein Compliment

Herr v. G.

Beym Witz muß alles wie von ohngefaͤhr kommen.

Ich.

Alles ex tempore und pro tempore aus dem Ermel. Es blitzt, ohne daß man vorher Wolcken ſieht.

Herr v. G.

Wenn ich vier Koͤche und Jun - gens ohne Zahl mit weißen Schuͤrzen her - umlaufen ſeh, ehe die Fluͤgelthuͤren zur Tafel geoͤfnet werden; ſag ich ſchon vor Tiſch: pro - ſit. Mir ſchmeckt es nicht. Auf Hochzeiten ich am wenigſten. Ich koͤnnt immer Me - dicin einnehmen, eh ich zur Hochzeit fuͤhre. Ich denck, Herr Paſtor! Witz und Vergnuͤ - gen iſt wie Vater und Sohn, und Vergnuͤ - gen, wenns gleich noch ſo viel koſtet, muß ſo ausſehen, als wenn es Geſchenck waͤre.

B b 2Vater. 386
Vater.

Jeder Einfall hat die Natur, daß er uns in der Erwartung betruͤgt; im gemei - nen Leben gehoͤrt ein Geſicht dazu, Einfaͤlle zu ſagen. Es giebt Witz, der im Anfang nicht auffaͤlt, allein in der Folge wird man uͤberraſcht, und das iſt der regelmaͤßigſte, der beſte. Er gefaͤllt im Nachgeſchmack; wir wußten nicht wohin man uns fuͤhrte; allein auf einmal ein ſchoͤner Platz. Mancher Witz kommt von vorn, mancher von hinten, dieſer iſt engliſch, jener franzoͤſiſch. Wie die Seidenzeuge in England und Franckreich; ſo auch engliſcher und franzoͤſiſcher Witz. Der Englaͤnder hat Baß -, der Franzoſe Diſ - cantſaͤyten. Aus einem engliſchen Gedancken macht der Franzos ein halbdutzend.

Herr v. G.

Und der deutſche Witz?

Vater.

Noch iſt nicht viel von ihm zu ſagen. Er ſoll aber, wenn uns Gott leben und geſund laͤßt, die Tenorſtimme haben, halb franzoͤſiſch, halb engliſch. Witz muͤßte des Deutſchen Erhohlungsſtunde werden; Gruͤndlichkeit, Ordnung, ſein eigentliches Kopfwerck. Zwiſchen Einfall und Einſicht iſt ein ſo großer Unterſchied, als zwiſchen nachthun und nachmachen, zwiſchen Form und Materie, zwiſchen Urſache und Folgen. Ein387Ein Genie ſtoͤßt mich fort, ein Philoſoph leitet mich. Unſere Kinder werden ſehen und hoͤren, was wir in Teutſchland noch nicht ſahen, noch nicht hoͤrten

Ich.

Der liebe Gott verleih uns Aug und Ohr an Leib und Seele.

Herr v. G.

Und beſcher uns auch was zu hoͤren und zu ſehen, mit Leib und Seele.

Vater.

Wuͤßt ich, daß meine Erwar - tungen mich nicht truͤgen, ich wuͤrde wie Simeon ſagen: Herr, nun laͤßeſt du deinen Diener in Frieden fahren!

Herr v. G.

Ich auch, obgleich ich eigent - lich kein Diener Gottes, ſondern des lieben Gottes Froͤhner bin Wißen Sie, Paſtor, was ich mir fuͤr Begriffe von Vernunft und Verſtand mache? Vernunft iſt major, Ver - ſtand iſt minor, bey der Concluſio gehn Ver - ſtand und Vernunft paarweiſe.

Vater.

Ich hab nichts dawider. Ver - ſtand urtheilt, Vernunft ſchließt. Vernunft iſt Urtheil a priori, Verſtand a poſteriori.

Ich.

Auf die Art iſt Vernunft grob Geld, Verſtand klein Geld.

Herr v. G.

Was iſt das aber fuͤr ein Ding, wodurch man heilige und unheilige Scriben - ten auslegt? kann mans Witz nennen?

B b 3Vater. 388
Vater.

Witz, Herr v. , allerdings Witz; allein Witz, den man, im Schlafrock ſitzend, ein Knie uͤbers andre gelegt, haben muß. Eine Federmuͤtze kann nichts dabey verderben. Witz, bey dem man ſo langſam geht, als wenn man einer Leiche folgt, und in Wahrheit man folgt einer Leiche.

Herr v. G.

Laßen Sie uns aufraͤumen, Paſtor, Sie ſind ein Mann, der zum Men - ſchen menſchlich redet. Viele der Herren Philoſophen haben da erſt ſo einen Woͤrter - kram, daß mir der Kopf druͤber bricht, und was ſollt ich mir den Kopf uͤber Worte bre - chen! Ueber Sachen mit Freuden. Man muß erſt drey Jahr ſchweigen, eh man ein Wort mitreden kann. Sie ſind immer bis an die Zaͤhne verſchanzt. Sie ſind die Prie - ſter, die lateiniſch zu Werck gehen. Wir ar - men Laien wißen nur Amen und Gospodipo - mila. Sollt denn nicht alles, was gelehrt ausgedruckt wird, auch in der gemeinen Sprache Raum haben? Es kommt nur, duͤnckt mich, darauf an, daß die Herren Philoſophen ſich den Kopf zerbrechen, anſtatt daß ſie ihn uns brechen laßen. Was ich ſa - gen wollte, betrift ein paar Worte: Naif und Laune, meine Frau und mich. Siebraucht389braucht das Wort Naif, ich Laune; allein was beydes eigentlich ſagen will, wißen wir, hohl mich der beyde nicht; ob wir es gleich gewiß ſo wißen, wie man das meiſte weiß. So viel aber glaub ich, daß man nur von einer Frauen ſagen kann, ſie waͤre naif; von unſer einen aber, wir haͤtten Laune.

Vater.

Um Sie beym Wort zu halten, wenn man etwas philoſophiſches, etwas richtiges in der gemeinen Sprache ſagt, iſt man, duͤnckt mich, naif. In Einfalt rich - tig dencken und thun, heißt, naif ſeyn. Philoſophie ohne Kunſtwoͤrter, wuͤrd ich eine naife Philoſophie nennen. Launig iſt man, wenn man, ohne auf ſich acht zu haben, oder wenigſtens dieſe Achtſamkeit merken zu laßen, ſpricht und handelt. Man kann auch, durch ſeinen Anzug, durch die Farbe im Kleid, Laune verrathen. Man koͤnnte ſagen, man waͤre launig, wenn ſich die Seele ohne Spie - gel angezogen hat.

Herr v. G.

Von der Laune auf die be - ſte Welt. Wenn man dem Worte das Menſchliche nimmt; koͤnnte man ſagen: Gott habe die Welt bey Laune gemacht. Was will man aber eigentlich mit der beſten Welt? B b 4Leib -390Leibnitz hat keiner Dame den Finger ver - brant, ſagten Sie, und ich ſage, er ſelbſt hat ſich auch nicht die Finger verbrannt. Ich wuͤnſchte von Herzensgrund, die Welt waͤre die beſte! Zu ſehen iſts nicht,

Vater.

Mit dem ſterblichen Auge nicht, wohl aber mit dem unſterblichen. Leibnitz hat mit dieſem Gedanken kein Licht anzuͤnden wollen; er hat nur ein ſchon brennendes ge - ſchneutzt, oder hoͤchſtens ihm den Raͤuber genommen. Es brannte dieſes Licht im Au - ditorio, wo vom Urſprunge des Boͤſen diſ - putirt wurde, und dies Zimmer wollte er helle machen. Mit dieſem Schuß mußt er das Ziel erreichen. Die Sache alſo war da, er wandte ſie nur an. Das Kleid war fer - tig, er ſetzte nur Knoͤpfe drauf, und zwar Knoͤpfe mit Gold beſponnen.

Herr v. G.

Aber konnte Gott nicht ma - chen, was er wollte?

Vater.

Warum ſollt er aber wollen, das Schlechtere dem Beßern vorziehen? So will kein lieber Gott. Es iſt gewiß, daß der liebe Gott in ſeinem Verſtande ſich Riße von allen moͤglichen Welten machen koͤnne: denn ſonſt wuͤrd man ſeine Erkaͤnntniß verſchraͤn - cken.

Herr v. G. 391
Herr v. G.

Concedo.

Vater.

Ergebenſter Diener.

Herr v. G.

Ich kann ja uͤber jedes einzel - ne Ding poetiſch oder ſchoͤn dencken, ich mein es, von der Spreu reinigen, es ſichten wie den Weitzen, und das muß auch in der Summe angehen. Ich kann mir vorſtellen, wenn der liebe Gott dem Blitz und Donner keine Macht und Gewalt beygelegt, und Blitz und Donner blos Gottes Feuerwerck waͤre, daß ichs mit Wonne ſehen wuͤrde, uͤber die nichts iſt. Ich liebe Blitz und Knall.

Vater.

Ergebenſter Diener. Alſo kann Welt uͤber Welt gedacht werden.

Herr v. G.

Aber gelt! Ein Gedancke wie aus der Piſtole. Koͤnnen nicht zwey gleich gut ſeyn? So waͤre nicht die beſte, nur eine gleich gute da. Koͤnnen ſie nicht Alpari ſeyn, wie die Kaufleute reden?

Vater.

Das will ſagen, eine ſo vollkom - men als die andere.

Herr v. G.

Vollkommen! der Hencker, Herr Paſtor, nein! das will was anders ſa - gen, wenn ich nicht irre. Ich bin nicht ſo roh, als mir das Haar auf die Stirn ge - wachſen, ich habs gehegt, was ſoll mir eineB b 5hoͤhe -392hoͤhere Stirn, als der liebe Gott wollte? Ich denck aber, vollkommen iſt, wenn alles auf eins herauslaͤuft, wenn viele Mannigfaltig - keiten unter Eine Regel ſich wenden, dieſe mag ſeyn welche ſie will, Peter oder Paul. Es iſt mir ſo als ein monarchiſcher Staat: daß ſich Gott erbarm! alles zu Einem. Ein Dieb iſt mit der Herren Philoſophen Erlaub - niß vollkommen, ein Betrug iſt mit der Her - ren Philoſophen Bewilligung vollkommen. Es hat mir nie, unter uns geſagt, von den guten Herren gefallen, daß ſie ſo was voll - kommen heißen, indeßen iſt dem nicht alſo, Herr Paſtor?

Vater.

Im reſpecktiven, nicht aber im abſoluten Verſtande. In dieſem letzten Sinn ſtimmen die Philoſophen mit Ihnen. Sie nennen Etwas nur vollkommen, in ſo fern das Mannigfaltige den Grund einer Realitaͤt in ſich enthaͤlt. Je groͤßer dieſe, je groͤßer die Vollkommenheit. Wie wollen Sie aber Realitaͤt von Realitaͤt als Realitaͤt unter - ſcheiden?

Herr v. G.

Wie ich alles unterſcheide, durch zehn Dinge, die in jener nicht ſind, und in dieſer ſind.

Vater. 393
Vater.

Schon Ein Ding wuͤrde den Un - terſchied machen.

Herr v. G.

Ganz recht.

Vater.

In einer Realitaͤt ſetzen Sie Etwas.

Herr v. G.

Eine Realitaͤt iſt eine Eins, das Gegentheil eine Nulle.

Vater.

Wenn Sie alſo zwey Welten von einander unterſcheiden wollten, muͤßten Sie in einer etwas annehmen, was in der an - dern nicht waͤre. In dieſer waͤr eine Null, eine Verneinung. In jener eine Eins. Rea - litaͤten unterſcheidet man durch den Grad der - ſelben, durch Groͤße und Schrancken.

Herr v. G.

Koͤnnen denn nicht zwo Rari - taͤten, oder Realitaͤten ich wuͤnſchte ich koͤnnte bey der Eins bleiben allein es laͤßt ſich nicht koͤnnen nicht zwo Realitaͤten von gleichem Grade in ihrer Beſchaffenheit ſich von einander unterſcheiden?

Vater.

Nein! denn eben hiedurch wuͤrd in einer etwas ſeyn, was in der andern nicht iſt; hier eine Eins, dort eine Nulle. Da haben Sie den Mangel, den Zaun, die Verneinung, und die Probe des Unterſchie - des von Seiten des Grades

Herr394
Herr v. G.

Ich verſtehe ſo halb und halb, um es ganz und gar, durch und durch, oder das Netto provenu zu verſtehen, wuͤrd ich ohne Kopfſchmerz nicht abkommen. In der beſten Welt, der beſten Welt wegen Kopf - weh, das wuͤrd ich der beſten Welt, und die beſte Welt es mir uͤbel nehmen, ich koͤnnte ſchon was druͤber reden: ſchreiben aber nicht das iſt in meiner Sprache, zwar losſchießen, nicht aber gut treffen. Nach meiner Art denck ich, und mich duͤnckt, ich faße die Sache wie den Stock, das iſt, beym Knopf. Gott iſt das guͤtigſte, das weiſeſte Weſen, und kann alſo nicht werden heißen, was dieſen Eigenſchaften nicht aͤhn - lich iſt. Ueber die Moͤglichkeit und Unmoͤg - lichkeit, denck ich, iſt keine Frage, denn die Welt iſt da ich ſehe Sonne, Mond und Sterne, Fiſch im Meer, Voͤgel in der Luft, und den Menſchen.

Vater.

Recht! gantz recht! Sie faßen die Sache beym rechten Ende, und ich ich weiß ſelbſt nicht wo. Sie reden von der Leber, und ich plaudre aus der Schule. Wi - der Sie iſt kein Zweifel, wider mich aber noch ein Berg. Ein Philoſoph des Alter - thums meinte, ehe die Leiber waren, exiſtir -ten395ten die Seelen. Gott lies die Seelen loſen, und was kann er dafuͤr, wenn dieſes oder jenes eine Niete zog. Indeßen das Ende vom Liede. Wenn ich unter Irrthum waͤhlen ſoll; will ich lieber eine guͤtige Noth - wendigkeit, als eine Freiheit, die das Beſte verwirft.

Herr v. G.

Herr Paſtor, nur nicht auf den monarchiſchen Staat angeſpielt! Da ha - ben wir geſtern halt gemacht, und ich moͤchte nicht gern meiner Liebe zur Freiheit durch einen monarchiſchen Thron zu nahe kommen laßen. Noch etwas Philoſophiſches, Herr Paſtor! Wir wollen aber engliſch Dame zie - hen, und hin und zuruͤckſchlagen ich will mich ſchon anſtrengen. Auf Ehre, man - ches Wort von Ihnen, lieber Paſtor, iſt mir eine Nominaldefinition. Heiſt es nicht ſo?

Vater.

Gehorſamer Diener Herr v

Herr v. G.

Aber, Paſtor! ſagen Sie, ſind wir nicht ein paar Verneinungen, ein paar Nullen, ein paar Narren geweſen, daß wir uns und ſo manchen Realitaͤten ſieben Jah - re, wenns nicht mehr iſt, den Ruͤcken ge - kehrt? Ich glaub, wir haͤtten ſchon ein neu Syſtem, einen neuen Calender in der gelehr - ten Welt, waͤhrend dieſer Nullenzeit einge -fuͤhrt.396fuͤhrt. Ein immerwaͤhrender iſt unter euch, Hochgelahrten Herren, nicht moͤglich. Laßen Sie uns einmal von uns ſelbſt eins plaudern. Wir verdienen, daß wir uns eins verſetzen; wir wollen aber das ganze Geſchlecht zur Geſellſchaft mitnehmen. Ich hab es, glaub ich, von Ihnen, wer gen Him - mel fahren will, muß erſt Hoͤllenfahrt halten. Wer Gott erkennen will, erkenne ſich erſt ſelbſt. Noſce te ipſum. Das iſt die Lehre von Buße und Glauben.

Vater.

Das Woͤrtchen ich iſt ein Ge - maͤhlde der Seelen! es will mehr ſagen, als Singularis. Es iſt der Singularis im Su - perlativo. Ich iſt natuͤrlicher Werth, du, er, wir, ihr, ſie, nur in ſo weit ich voraus - ſteht. So lang es heißt ich iſts recht, ſagt man aber ich ſelbſt; ſo iſt man kranck, und recipe: den Menſchen von ſich ſelbſt abzu - ziehen. Bey der Noth meines Nachbars denck ich an meine Sicherheit, wenn man den Nachbar wegen ſeines Eheproceßes be - klagt, denckt man an ſeine Frau. Dem Rei - chen immer den erſten Stuhl, man koͤnnte ihn, denckt man, doch wohl noͤthig haben. Die Gegend aus meinem Fenſter iſt die ſchoͤn - ſte, das Landgut meines Freundes das ſchat -ten -397tenreichſte. Ein Gereißter lobt in ſeinem Vaterlande die Fremde, in der Fremde ſein Vaterland. Die Faulheit iſt oft der Sporn des Fleißes: die kuͤnftige Gemaͤchlichkeit, nicht das Edle der Arbeit, treibt. Kein Sohn laͤßt den Vater begraben, ohne vorher die Nachlaßbalance zu ziehen, und die Buͤcher zu ſchließen, und wenn auch der Verſtand zu - weilen Recht ſprechen will, das Selbſt ver - tritt ihm den Weg Rechtens. Je mehr man dieſes ich verſteckt, je mehr Welt hat man. Die Selbſtſchaͤtzung beſteht nur darinn, daß uns andere nicht gering ſchaͤtzen. So gar wenn man in Geſellſchaften ſich ſelbſt tadelt, iſts verdrießlich, man will lieber mit einem Tubus nach Sternen ſehen, und aus einem indifferenten Standpunckt die Welt betrach - ten, als andere Leute ich ausſprechen hoͤren. Man glaubt dieſes ich ſpotte uns nach, und mache uns Maͤnnchen. Der Menſch iſt zum Tauſch gebohren, er moͤchte ſeinen Stand, ſeine Seele, ſeinen Leih, nur nicht ſein ich vertauſchen. Wenn man ein Buch ſchreibt, kann man ich brauchen, ohne daß es ſo uͤbel genommen wird, denn die groͤßten Dinge ſind durch Selbſtbilligung entſtanden. Dieſe wirft ein Licht auf alle Gegenſtaͤnde,die398die uns beſchaͤftigen. Wir haben einen hei - tern guten Tag durch dieſes Licht. Es iſt Schade, daß die deutſche Sprache drey Buchſta - ben beym ich hat. Man kann aber, wie meine Frau zu ſagen pflegt, bey allem erbauliche Betrachtungen haben. Beym Schmerz lei - det das ch, iſt man betruͤbt, leidet das i.

Herr v. G.

Herr Paſtor, ich hab noch nie vom ich ſo viel ſprechen gehoͤrt, ohne daß man ſich meint, als Sie. Ihr ich iſt blos Bild aller Menſchen; das Selbſt iſt das Ziel wornach wir alle ſchießen, mancher trift ins Schwarze, mancher dicht bey, mancher weit davon. Aber daruͤber eine Erklaͤrung: warum gehoͤrt zur Beobachtung ſein Selbſt, Anleitung? Warum Kunſt, ſein eigener Zu - ſchauer zu ſeyn? obgleich man ſich vor der Naſe hat.

Vater.

Warum muß man die Alten leſen, um zur Natur zu kommen? Warum brau - chen wir Dollmetſcher, da die Natur doch Deutſch verſteht?

Ich.

Warum ſtudiert man Medicin?

Herr v. G.

Um curiren zu koͤnnen.

Ich.

Und wenn wir nicht curiren wollen, ſollten wir Medicin ſtudieren, um dem Arzte zu ſagen, was uns fehlt

Herr399
Herr v. G.

Faſt daͤcht ich es waͤre noͤthig, und darum ſo viel Graͤber, weil ſich beyde nicht verſtehen. Der Docktor ſpricht aus dem Buch, der Krancke ſpricht aus dem Le - ben jener Latein, dieſer Deutſch.

Vater.

Die Aerzte muͤßen entweder Men - ſchen, oder alle Menſchen muͤßen Aerzte werden.

Ich.

Viele Menſchen, denck ich, Vater, beſehen ſich bloß, wie man ſagt, er hat die Welt geſehen oder beſehen.

Vater.

Sie ſind in einem Naturalienca - binet, in einer Bibliothek ohne Kenntniße. Sie laßen ſich alles zeigen; ſo bald ſie her - aus ſind, weiß kein Menſch ein lebendig Wort, hoͤchſtens todte, wie ein Reiſe-Jour - nal geſchrieben.

Herr v. G.

Ueberhaupt, denck ich, iſt das Reiſen nicht die Art, Menſchen zu kennen. Zu den meiſten Reiſenden koͤnnte man ſagen: dindet ihm Haͤnde und Fuͤße, und werft ihn in ſein Vaterland. Der Menſch verſteckt ſich ſo wie das Wild Kein Bild iſt ihm aͤhnli - cher, als das in der heiligen Schrift Adam verſteckte ſich unter die Baͤume im Garten machte ſich gruͤne Vorhaͤnge. Er ward aus einem Freunde Gottes ein Wilder.

C cVater. 400
Vater.

Ich glaube keinem Gereiſten, wenn er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter, den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie - ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem Wirthshauſe geht der Weg in die Welt; allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen, was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor - gekommen und vorgefallen, ohne Vor - und Nachklang; denn was thut man nicht, einem guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb - lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei - ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß nie lauten laßen.

Ich.

So waͤrs wol am beſten, daß Je - mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be - ſchriebe.

Vater.

Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder gedacht zu haben, wenn er kein Amt und doch zu leben hat, wenn und noch viele Wenns

Herr401
Herr v. G.

Aber, lieber Paſtor, um wieder an Ort und Stelle zu kommen. Sind denn nicht alle Menſchen Menſchen, und hat man nicht alle, wenn man ſich hat?

Vater.

Wahr, gewiſſe aͤußere Dinge, Verzierungen, Schnitzwerck, Ein - und Aus - gaͤnge ausgenommen.

Herr v. G.

Wer hat ſich aber?

Vater.

Jeder, der je die Menſchen ge - troffen, hat in ſeinen Buſen gegriffen.

Herr v. G.

Indeßen, denck ich, iſts gut, zuweilen zu phantaſiren, im muſikaliſchen Verſtande, und das liebe ich an den Nagel zu haͤngen. Es verſteht ſich, an einen feſten, der nicht reißt; bey ſich nicht Feuer zu ma - chen, ſondern beym Nachbar eßen zu gehen. Bete und arbeite, das heißt: lern dich und andere kennen.

Vater.

In einer ſehr freyen Ueberſetzung. Alle Merckzeichen, wodurch man an den Tag legt, man gaͤbe auf ſich ſelbſt acht, man ſey auf dem Obſervatorio, geben unſern Hand - lungen ein linckes, ſteifes, gebrechliches, puckliches Anſehen.

Herr v. G.

Und der vornehme Mann will ohne dies, daß man auf ihn, und nicht auf ſich ſelbſt, Acht geben ſoll. Da denck ich anC c 2das402das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute erzaͤhlen, es ließe ſich dabey eine Stimme hoͤren: hier her, hier her! und wenn man ſie befolgt, bums! liegt man im Sumpfe. Wie kommts, lieber Paſtor? wer mit Frauen - zimmern umgehen kann, verſteht es auch mit Fuͤrſten und Gewaltigen, und mit den Herren der Welt alle Welt ſagt von ihm: er hat Lebensart.

Vater.

Vornehme und Frauenzimmer haben ſehr viel aͤhnliches; ſie wollen geſchmei - chelt ſeyn, und wir thuns gerne, weil wir ſie uͤberſehen. Maͤnner ſehen auf das, was man von ihnen denckt; Weiber, was man von ihnen ſagt. Wir huldigen dem Geſchlecht, nicht der Dame; wir huldigen dem Amt, nicht Sr. Durchl. Lebensart iſt Geſchick, ſchwere Sachen leicht vorzutragen, durch treffende Beyſpiele ſie erleichtern, ſie faßlich machen, ein Buch, anſtatt es zu leſen, es zu durchbildern. Die Franzoſen ſind diejenigen unter Europens Nationen, welche Lebens - art haben. Ihre Schriftſteller haben in der Philoſophie nur die Bilder geſehen. Schoͤn - heit und Farben ſetzen eine Subſtanz vor - aus, worauf ſie angebracht werden ſollen. Schoͤne Wißenſchaften ohne Philoſophie iſtFarbe403Farbe ohne Leinwand und[Pinſel]. Der Ver - ſtand muß der Sinnlichkeit, und nicht dieſe jenem untergeordnet ſeyn. Er iſt der Com - paß, der die Weltgegend zeigt, das Schiff commandirt, und ihm die Richtung giebt. Weltkenntniß heißt Menſchenkenntniß, wie das Haus nach dem Herrn, und nicht nach Weib und Kind.

Herr v. G.

Was meinen Sie, Paſtor! Man fuͤhrt die Weiber bey der Rechten, um ſie obenan zu laßen. Unding! ich denck, Se. Durchl. zur Rechten; allein ein Weib muͤßt uns zur Lincken gehen, zum Beweis, daß ſie Schutz bedarf, und daß wir ſie begleiten oder beſchuͤtzen. Es iſt ein unnatuͤrliches Compliment, ſie an der rechten Hand zu fuͤh - ren. Bey der Trauung iſts, glaub ich, nicht ſo!

Ich.

Das Herz liegt ohne dies zur Lin - cken.

(ich dacht an Minchen.)
Herr v. G.

Zum ich, lieber Paſtor, ge - hoͤrt auch Lachen und Weinen, das eigent - liche Lachen, das Lachen mit Leib und Seele, iſt blos dem Menſchen eigen ich halte viel aufs Lachen, und finds fuͤrs beſte Di - geſtiv.

C c 3Vater. 404
Vater.

Jammer und Schade, daß wir gleicher Meinung ſind, denn ſonſt wuͤrd es doch noch was zu lachen geben. Ueber Wahrheiten muß man mit froͤlichem Munde, mit dem Munde der Wahrheit, ſtreiten. Alle Menſchen, wenn ſie ſich mahlen laßen, ſehen freundlich aus, zum Beweiſe, daß dies die beſte Miene ſey. Einem von Leidenſchaften gefeßelten Menſchen vorpredigen, heißt: einen Galeerenſclaven Gluͤck greifen laßen. Ich haße einen tapfern offenen Feind, ich verachte was an ſich keinen Werth hat. Die Art, Laſter verachtungswerth vorzuſtellen, iſt die beſte. Wer es haßenswerth macht, thut oft der Menſchheit Schaden, und zieht Menſchenfeinde. Der Menſch iſt durch Hang zum Scherz gebohren. Er hat viele, viele Thorheiten; allein die groͤßte iſt, wenn er ſie zu wichtigen Dingen macht.

Herr v. G.

Es ſtehet nicht geſchrieben, daß Chriſtus gelacht habe; allein er nannte den Herodes einen Fuchs, und das ſetzt ein Laͤcheln zum voraus. Die Schrifft ſpricht: der Herr lacht ihrer, ich glaube gar, Pa - ſtor! es waͤre nicht uͤbel, auf der Kanzel ſelbſtſo ein Fuchswoͤrtchen zu verlieren.

Vater. 405
Vater.

Dazu gehoͤrt mehr Geſchicklich - keit, als ich pracktiſch glaube.

Herr v. G.

Freilich muß es nicht der Herr Paſtor G ſeyn die verdammte Traurede!

Als Adam hackt und Eva ſpann,
Ei wo war da der Edelmann?

Meine Frau kann, ohne Lebensbalſam in der Hand, daran nicht dencken. Iſts alſo nicht auf der Kanzel, ſo doch wenn man her - unter kommt die ganze Natur lacht.

Vater.

Nur nicht laut.

Herr v. G.

Das kann doch aber zuweilen der Lehnsherr der Natur, um ſich hoͤren zu laßen

Vater.

Ich glaub es ſelbſt und gute Menſchen finden, daß, wenn ſie froͤhlich ſind, alles um ſie herum froh iſt. Der Menſch lacht, wenn andere lachen, und oft noch lauter, als der, ſo den Ton angab. Die Traurigkeit des andern ruͤhrt; allein mit Schluchzen und großen oder Platztraͤnen koͤnnen wir nicht dienen. Die Mitfreude, das Mitleid, beweißt, daß wir alle einen Gott und Vater haben, und alles was Au - gen hat, kann ſympathiſiren.

C c 4Herr406
Herr v. G.

Jeden Menſchen aber, lieber Paſtor! kleidet das Lachen nicht; ich glaub es gehoͤrt dazu, wie zu allem, Uniform, was ordentlich ſeyn ſoll. Einem kleinen dicken Mann ſtehts herrlich das ſolten ſich die Luſtſpieler mercken, und keinen langen groß gewachſenen Menſchen Poſſen reißen laſſen.

Vater.

Man freut ſich, daß der kleine dicke Mann eben wegen ſeines luſtigen We - ſens ſo dick und fett geworden. Ein groß gewachſener Mann iſt ſchon zum Beſchat - ten, zum Anlehnen gebohren; es iſt eine Stange, an die ſich der Feigenbaum und die Bohne ſchmiegt und rauckelt.

Herr v. G.

Vernuͤnftig lachen iſt ſchwer.

Vater.

Mich duͤnkt vernuͤnftig weinen noch ſchwerer. Vielleicht kann es jeder Menſch, wenn er gleich ſeine ſiebenzig erreicht, nur zweymal in ſeinem ganzen Leben: wenigſtens hat der fuͤrs menſchliche Geſchlecht ein groͤßer Verdienſt, der es zu lachen macht, als der Thraͤnen preßt; indeſſen iſt viel beym Lachen zu erinnern. Es entſteht aus einem Wider - ſpruch. Man lacht, wenn Jemand faͤllt, und ſich nicht Schaden thut, beſonders la - chen dann gemeine Leute, die nicht feinere Widerſpruͤche begreifen koͤnnen. Man lachtuͤber407uͤber Kleidung, wenn Eitelkeit und nicht Armſeeligkeit zu ſehen iſt. Wenn Jemand, der aufziehen will, wieder aufgezogen wird, und den Kuͤrzern zieht, ſo, daß ihm zum Nach - theil der Vorhang faͤllt, klatſchet alles in die Haͤnde. Iſts aber nicht Eitelkeit und arm - ſeeliger Stolz, uͤber Ungereimtheiten ſich er - goͤtzen? Solte man wol daruͤber lachen, weil man kluͤger als ein andrer iſt? Hier giebts ſo viel Feinheiten, daß ich gewiß glaube, das Lachen ſey die Probe vom Menſchen wie und wenn er lacht? zeigt, was er iſt, ob - ſchon das Geſicht das Protocoll vom Charak - ter, und die andern Theile das Protocoll vom Temperament ſind. Scheint es Ih - nen nicht auch, der menſchlichſte Menſch, der beſte Lacher, begeht einen Widerſpruch, wenn er uͤber einen Widerſpruch ſich freut, das iſt, wenn er lacht. Jemanden mit weinenden Augen lachen ſehen, iſt ein ſchoͤner Anblick Ein Regenbogen iſts Schriftſteller, die Thraͤnen mit dem Lachen kaͤmpfen laſſen, ſo, daß keines die Oberherrſchaft erhaͤlt, treffen das Leben eines Weiſen.

Herr v. G.

Citronenſaft mit Zucker. Ich fuͤr mein Theil liebe nichts ſauerſuͤßes. Es lebe das froͤhliche Herz. Iſt das Lachen gleichC c 5Wi -408Widerſpruch, auch da iſt das Leben getroffen, wenn gleich nicht das weiſe Leben. Was iſt in der Welt ohne Widerſpruch? Sind doch bey uns im Sommer oft kalte Tage, regnet es doch, wenn wir erndten wollen, und doch iſt dieſe Welt die beſte! Wer mir ſelbſt die hei - ligſten Sachen mit finſtrer Stirne ſagt, wird mein Herz nicht aufſchließen, und hats nie aufgeſchloſſen. Daher denck ich, mit Ew. Hochwohlehrwuͤrden Erlaubniß, richten die Herren Geiſtlichen ſo wenig aus. Der Pa - ter von Sanct Clara hat mehr Gutes ge - ſtiftet, als zehn Kopfhaͤnger.

Vater.

Er laͤchelte noch ſeinem Todesengel entgegen, der ihn zum Demokrit abholte.

Herr v. G.

Eine gluͤckliche, gluͤckliche Reiſe!

Vater.

Betruͤbniß kommt gemein hin aus dem hohen Begrif, den ſich der Menſch vom Leben macht. Beym Schmerz leidet der Leib, bey der Betruͤbniß die Seele, und wenn die Herrſchaft trauret, trauret der Bediente mit, nicht aber umgekehrt.

Herr v. G.

Ich denck die Traurigkeit oder Betruͤbniß, oder was weiß ich, wie es recht heißt, kommt aus der gar zu großen Ord - nung, die man ſich vorſchreibt.

Vater. 409
Vater.

Beyde recht! warum ſagt man aber ſein Geheimniß lieber einem unordentli - chen guten Jungen, als einem abgemeſſenern nach Maaß und Gewicht, oder nach Grund - ſaͤtzen gut Handlenden?

Herr v. G.

Weil jedes Geheimniß etwas unordentliches, etwas unregelmaͤßiges an ſich hat. Ich hab immer gedacht, Geheimniß und Wunder ſind mit einander verwandt.

Vatr.

Warum waͤhlt man den unor - dentlichen guten Jungen lieber zum Freunde?

Herr v. G.

Weil er ein Freund fuͤrs Ge - heimniß iſt

Vater.

Und warum eine Mutter juſt den wildeſten, aufgeweckteſten unter ihren Buben zum Liebling, der Vater den geſetzteſten?

Herr v. G.

Die Weiber brauchen Leute, die ſich balgen; die Maͤnner Leute, die ver - nuͤnftig eine Pfeife rauchen.

Vater.

Ich wolte fragen und antworten; allein meine Fragen haben ihren Mann ge - funden.

Herr v. G.

Nun geb ich Karten? was dencken Sie von dem monarchiſchen Staat? (daß dich! Wie komm ich auf den monar - chiſchen Staat) ich wollte ſagen vom Des - potismus der Empfindung?

Vater. 410
Vater.

Wir empfinden nichts, was nicht ſinnlich iſt wer es ſich gemaͤchlich, als Philoſoph machen will, nennt dunckle Vor - ſtellungen, Empfindungen, und anſtatt ſie zu entwickeln, thut er ſeine Augen nicht auf, ſondern ſchlaͤgt an ſeine Bruſt, und ſpricht: ich empfinde!

Ich.

Gott ſey dem Suͤnder gnaͤdig

Herr v. G.

Und barmherzig

Vater.

Amen!

Herr v. G.

Solch ein Empfinder kann doch nicht mit Recht behaupten, ich ſoll ihm nachempfinden

Vater.

Durch die Evidenz und oͤftere Wiederhohlung der Vernunftideen werden dieſe uns gelaͤufiger, ſo, daß ſie uns von ſelbſt anwandeln. Wir kennen ſie im Dunkeln. Dieſe Kette dunckler, hurtigfolgender Ideen, nennen wir Empfindungen.

Herr v. G.

Das laß ich gelten und Ordnung, lieber Paſtor?

Vater.

Ordnung iſt nur Mittel, an ſich hat ſie keinen Werth. Es iſt das Schweis - tuch, worinn man das vergraͤbt, was man erhalten hat. Es iſt ein Buͤcherſchranck mit Glasthuͤren. Weiber muͤßen ordentlich ſeyn. Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfer -nung411nung des fremdartigen, ſind ihre Faͤcher. Die Weiberordnung muß ausſehen, wie ge - ſucht, die Maͤnnerordnung, wie in der Lotte - rie gewonnen, von ſelbſt zugefallen. Ord - nung iſt uͤbrigens blos das Formale; daher kann man den groͤßten Theil der Wißenſchaf - ten, ich haͤtte bald geſagt, die ganze Philo - ſophie, das Formale nennen.

Herr v. G.

Wie kommts aber, daß die Menſchen die Formen hoͤher ſchaͤtzen, als die Materialien?

Vater.

Die Form giebt die Kunſt, das Geſchick; die Materialien die Natur. Je - des Kind ſchaͤtzt den Vater hoͤher, als die Mutter, und den, der regiert, hoͤher, als den, der ernaͤhret. Den Verſtand haͤlt man hoͤher, als die Sinnlichkeit, ohne die doch der Verſtand unthaͤtig waͤre.

Herr v. G.

Aber das Genie? wer ſchaͤtzt es nicht hoͤher als den Fleiß?

Vater.

Fleiß und Kunſt iſt zweyerley.

Herr v. G.

Zur Kunſt gehoͤrt Fleiß

Vater.

Und Genie. Ein Verſtand, der ſeine Erkenntniße ſinnlich zu machen weiß, iſt fuͤr mich vorzuͤglicher Verſtand; wenn er Sinnlichkeit den Verſtandsbegriffen ertheilt,macht412macht er ſie anſchauend, und ein ſolcher Ver - ſtand heißt ein geſunder Verſtand.

Herr v. G.

Und ſieht aus, wie alles, was friſch und geſund iſt. Nicht wahr, er kennt keine Terminologie!

Vater.

Er kocht freilich nicht aus der phi - loſophiſchen Speiſekammer, ſondern nimmts aus der Welt. Er giebt nichts Geraͤucher - tes, Fruͤchte, Gekuͤche traͤgt er auf.

Herr v. G.

Sinnen ſind die Bauren. Sie ſtehen zwar unter der Obrigkeit, indeßen wenn ſie nicht waͤren? Ich aͤrgere mich wenn man die Sinnen, wie das liebe Vieh nimmt und herabſetzt bald haͤtt ich mich verre - det und geſagt: ſie ſind ja auch Menſchen Sie verſtehen mich ſchon, Paſtor.

Paſtor.

Vollſtaͤndig!

Herr v. G.

Warum ſind wir unerkenntlich gegen die Sinne?

Paſtor.

Ich habe ſchon einen Grund an - gegeben; hiezu kommt, weil wir alles haſſen, was uns unſre Freiheit raubt, und ſie ein - ſchraͤnkt. Gelt! das iſt ein Grund fuͤr ei - nen Monarchenfeind. Beynahe eben darum wuͤrd ich allen Herren Moraliſten, wes Standes, Alters, und Ehren ſie ſeyn moͤ - gen, anraͤthig ſeyn, die Tugend nicht in ih -rer413rer erhabenen Hoheit, im hohen Lichte zu zeigen, ſondern liebenswuͤrdig. Nicht als einen Koͤnig im Diadem, ſondern als ein huͤbſches Maͤdchen; denn ſelbſt wofuͤr wir Reſpeckt zu haben verbunden, wird uns beſchwerlich. Lieber bey Freunden, als Goͤnnern.

Herr v. G.

Ich wenigſtens kann auch das Laſter nicht martern ſehen, aber wie wir erſt abvotirten in der Narrenkappe.

Paſtor.

Das iſt der wahre Standpunkt; denn der Menſch kann nichts weniger aus - ſtehen als Spott. So denckt jeder, der gut erzogen iſt, oder eigentlich, der ſich ſelbſt er - zogen hat. Wir ſind beynah wieder, wo wir ausgingen; froͤhlich zogen wir unſre Stra - ßen, froͤhlich ſind wir wieder zuruͤck.

Herr v. G.

Wo ich Vivat das Lachen Hoch! rief. Es lebe! Hoch! hoch! aber ſagen Sie mir die Luſtigkeit

Paſtor.

Die Luſtigkeit iſt die Fertigkeit im laut lachen. Das Ueberlautlachen

Ich.

Ein Vivat hoͤher, als hoch, das hoͤchſte.

Paſtor.

Sie iſt mehr als Zufriedenheit; allein wer mehr Mittel, als noͤthig ſind, zur Gluͤckſeeligkeit anwendet, iſt der gluͤcklicher? Ueber414Ueber ſeine Beduͤrfniße etwas haben, macht das reich? In der Sparſamkeit liegt ſo viel Stoff zur Gluͤckſeeligkeit, daß es unaus - ſprechlich iſt. Ein Verſchwender verzaͤhlt ſich alle Augenblick in ſeinem Vergnuͤgen; er wird in ſeiner Luſt betrogen. Die Sparſam - keit hat Vor und Nachgeſchmack und Genuß der Verſchwender hoͤchſtens Genuß, hoͤchſtens Wolluſt fuͤr einen gegenwaͤrtigen Augenblick. Die Luſtigkeit iſt was convulſiviſches, was erſchoͤpfendes. Ein Luſtigmacher iſt ein Menſch, der zu tauſend Gerichten ohne Hun - ger, und bey verdorbenem Magen verdammt iſt. Da will ich lieber bey Waſſer und Brodt ſitzen.

Herr v. G.

Ich denck aber, Paſtor! wir leiden darum einen Luſtigmacher nicht, weil wir ihn beneiden; wenn er ſich zum Narrn macht, ſtehen wir ihn aus, denn wir ver - langen nicht, uns mit ihm zu vertauſchen.

Ich.

Ich glaube, weil wir ihn veraͤchtlich finden, weil er unſer Bild veraͤchtlich macht, weil wir uns den Grad ſeiner Verzagtheit vorſtellen, wenn es ihm uͤbel gienge, weil ſeine Luſtigkeit keinen Wiederhall abgiebt. Schmerz und Freude ſind geſellig; allein wenn ſie das Mittelmaas uͤberſchreiten, wer -den415den ſie uns unnatuͤrlich. Wir wollen uns nicht betrincken, ſondern nur trincken

Herr v. G.

Aber, Paſtor, wie kommts, daß die liebe Jugend ſo ſehr auf Tragoͤdien haͤlt, das Alter auf Comoͤdien?

Paſtor.

Die Alten laßen der Jugend nicht die Maſchinen ſehen, durch welche die Oper der Welt geſpielt wird. Um ſich ſelbſt bey ihr im Anſehen zu erhalten, muͤßen ſie vieles bey Ehren laßen. Ein jedes Maͤdchen iſt dem jungen Menſchen eine verwuͤnſchte Prinzeßin, und er glaubt ſie vom feuerſpeyenden Drachen zu erloͤſen, ſie zu entzaubern, wenn er ſie heyrathet. Er ſieht Vorfaͤlle in der Welt; allein er ſieht ſie nicht in Verbindung.

Herr v. G.

Wie ich jung war, dacht ich, wie ſchwer muß es fallen, Herzog zu ſeyn; allein jetzt, man mache mich heute zum Kay - ſer und ich wette, ich will Kayſer ſeyn, wie irgend einer. Sie haben recht, Paſtor! Die Jugend fliegt, macht ſich tauſend Chimaͤren. Sie kennt die Menſchen zu wenig, drum ſetzt ſie alles in Feu’r und Flammen.

Paſtor.

Wer blos zuſieht, findet Gaucke - leyen unertraͤglich. Wer mit agirt, dem iſt der Hanswurſt ein allergnaͤdigſt privilegir - ter Witzling, eine bedeutende Staatsperſon,D dund416und wo iſt ein großes Hauß, wo ein Hof ohn ihn? Man ſchaft hie und da Tittel vom Hofnarren ab; allein die Hofwuͤrde bleibt, und ich verdenck es keinem großen und kleinen Herrn, der gut verdauen will, daß er ſich ein Lachen bereiten laͤßt. Lachen iſt das be - ſte Deſert. Am Ende kommt heraus, daß die Thraͤnen ein Beweis von unſrer einge - ſchraͤnckten Weltkenntnis ſind. Wo die Ju - gend Schickſaal ſieht, ſchimmert dem Alter eigene Schuld hervor

Herr v. G.

Aber machen wir dieſen Juͤng - ling

(auf mich zeigend)

nicht zu klug? Geben wir ihm nicht die Waffen wider uns in die Hand?

Paſtor.

Ich befuͤrchte nichts. Talent und Verdienſt des Verſtandes iſt ſo unter - ſchieden, wie wißen und thun. In ſo weit der Verſtand den algemeinen und verhaͤltniß - maͤßigen Werth der Dinge ſchaͤtzt, und hier - nach wandelt, heißts: Verſtand kommt nicht vor Jahren. So was muß Erfahrung lehren

Ich.

Oder beſtaͤtigen, Vater! Ich habe keinen Beruf zur Altklugheit. Ich denck, das heißt Klugheit ohne Erfahrung. Wie es mir vorkommt, muß man alt, wie ein Mann ſeyn, um einen Mann beurtheilen zu koͤn -nen417nen ich wolt auch nicht meine Jugend verkluͤgeln, um wie viel

Herr v. G.

Sie kommt freylich nicht wie - der

Paſtor.

Der Fruͤhling iſt das beſte Stuͤck im Jahr.

Herr v. G.

Und was iſts am Ende! Es iſt ein elend, jaͤmmerlich, kraͤncklich Ding mit aller Menſchen Leben, von Mutterleibe an, bis ſie in die Erde begraben werden. Das Alter und die Jugend ſind kranck. Das Alter iſt hecktiſch, die Jugend hat das hitzige Fieber Die Lunge hat keine Nerven

Paſtor.

Beſonders aber iſts, daß Leute, die vorzuͤglich im Trauerſpiel weinen koͤnnen, es ſelten bey Vorfaͤllen des gemeinen Lebens thun. Sie haben ſich verwoͤhnt. Sie ſehen im gemeinen Leben keinen Koͤnig, keinen Kayſer leiden, und wer leidet ſo ſchoͤn, als im Trauerſpiel, wer ſo großmuͤthig! In der Tragoͤdie ſieht man eine Sonne unter Wolken. Drey Ungewitter begruͤßen ſich um ſie herum, und machen Allianz und ver - ſchwoͤren ſich Die Sonne aber, ihrer Groͤße bewußt, ruht, und dann und wann blickt ſie auf, um die verwayſete, um ihre Koͤ - nigin bekuͤmmerte Erde zu troͤſten DaD d 2iſt418iſt ja ſchon ein Trauerſpiels Anfang Wer in der Comoͤdie lacht, lacht auch im gemei - nen Leben; denn wahrlich, wenn ſie gut iſt, trift ſie die Welt bis auf Coloritskleinigkeiten. Wenn man ſich ſehen laſſen will, zieht man ein Fey’rkleid an. Wer will aber das Kleid, und nicht den Mann?

Herr v. G.

Und endlich, Paſtor, da wir einmal im Schauſpielhaus ſind, hab ich ge - funden, daß eine Tragoͤdie im Leſen, eine Co - moͤdie in der Vorſtellung gewinne.

Paſtor.

Weil man zwar vor ſich tragiſch und betruͤbt, nicht aber anders comiſch ver - gnuͤgt ſeyn kann, als in Geſellſchaft. Ei - gentlich ſolt ein Luſtſpiel ein Spiel ſeyn, wo das Ende nach meinen Wuͤnſchen aus - faͤlt, und ſo wuͤrd auch manches Trauerſpiel ein Luſtſpiel werden.

Herr v. G.

Liebſter Paſtor, Danck fuͤr Ihren Unterricht. Nun was aus dem Ro - quelauraͤrmel.

Paſtor.

Mannigfaltigkeit iſt Reichthum

Herr v. G.

Ich glaub der liebe Gott hat manches, blos der Mannigfaltigkeit wegen, gemacht.

Paſtor.

Schwerlich, obgleich wir bey vielem keine andere Summe ziehen. Ichliebe419liebe die Abwechſelung, die Mannigfaltigkeit durch verſchiedene Zeiten. Wer im Bett im - mer auf einer Stelle liegt, ſchwitzt ohne Be - zoar-Pulver.

Herr v. G.

Wenn man immer auf einer - ley bleibt, wird man ſtehend Waſſer Das glaub ich ſind, mit Ehren zu melden, alle Einſiedler und Weltflieher geweſen, und ſind es noch.

Paſtor.

In der Welt, außerhalb der Welt ſeyn, das iſt Weisheit. Ein Diogenesfaß in der Vorſtadt und nicht in der Wuͤſte, ver - dient den Namen Auditorium. Ein ſtaͤndi - ger Hunger nach Neuem iſt eine Zeitungs - kranckheit, ein verdorbener verzaͤrtelter Ap - petit. Eine Kriegsliſt gilt nur einmal, eine Medaille bezeichnet einen Tag. Kann man aber nicht denſelben Gegenſtand von einer an - dern, und wieder von einer andern Seite, und von tauſend andern Seiten ſehen, ihn durch und durch ganz und gar ſehen, und zeigt dies nicht mehr Scharfſinn, als immer einen neuen haſchen. Ein Gedancke, der an ſich leicht und natuͤrlich iſt, den man endlich ſo oft ſagt, daß ihn der gemeine Mann gefaßt hat, verliert von ſeinem Anſehn Feine Irrthuͤmer ſind ein Reitz fuͤr die Eigenliebe,D d 3man420man will nicht offenbare Wahrheiten, weil ſie auf allen Straßen feil ſind, man will Er - kenntniße; ſind ſie gleich ungeſund, wenn ſie nur was koſten, und nicht gar zu gut Kauf ſind Darum von einem aufs andere.

Herr v. G.

Darum die Liebe zum Sel - tenen.

Paſtor.

Mit der Seltenheit iſts, wie mit dem Magnet, was mit ihm beſtrichen wird, zieht auch an. Ein Menſch, der viel Selten - heiten geſehen hat, wird auch fuͤr ſelten ge - halten.

Herr v. G.

Man ſieht ihn indeſſen blos wie Meerwunder an, man will nichts weiter als ihn ſehen

Paſtor.

Man glaubt, er ſey nur fuͤr Seltenheiten, und traut ihm nicht Noch mehr! Je mehr Bekandte man hat, je we - niger Freunde findet man. Leute, die ſich oͤffentlich zeigen, haben ſelten Buſenfreunde. Wer das Publicum zum Freunde hat, hat weniger oder keinen Privatfreund

Herr v. G.

Man glaubt, daß die Her - zensfluͤgelthuͤren eines ſolchen Menſchen ſchon zu oft auf - und zugemacht ſind, als daß ſie noch zuſammenhalten koͤnnten.

Paſtor. 421
Paſtor.

Bey Feyerlichkeiten gehen die Menſchen paarweiſe. Ich denck Ein Weib und Ein Freund das uͤbrige dienet nur zur Folie.

Herr v. G.

Ich glaub Paſtor, das weib - liche Auge, das einen jungen Menſchen zum erſtenmal electriſirt, iſt ſein Ideal der Schoͤn - heit, ſeine Venus, denn jeder hat ſeine Die Liebe kommt auf einmal, ſie wohnt par - terre. Die Freundſchaft ſteigt Treppen, und es gehoͤren Jahre dazu, eh ein Freund ein Freund wird. Ein Zorniger, und ein ra - ſend Verliebter ſind ſtumm, keiner kan er - zaͤhlen, was ihm fehlt. Sehen Sie, Pa - ſtor! ob ich nicht auch was weiß, uͤber Freund - ſchaft und Liebe koͤnnt ich ſchon zur Noth mitreden. Nun ſind wir fuͤr mich an Ort und Stelle. Ich bin Ehemann und Freund, beydes wie es ſich eignet und gebuͤhret.

Paſtor.

Die Liebe iſt Natur, die Freund - ſchaft Kunſt. Naſe und Augen ſind Natur, Stirn und Mund, und Hand und Fuß, ſind zu Kunſt worden. Gott hat den Menſchen aufrichtig gemacht; allein er ſucht viele Kuͤnſte. Wir ſehen einem Menſchen, den wir wollen, ins Geſicht, vorzuͤglich in die Augen. Seine Affeckten liegen auch im Naturtheil, und ringsD d 4herum.422herum. Wer ſich ſehr verſtellen kann, treibt ſie nach unten, und immer zugleich in Hand und Fuß. Fuß und Hand ſind wie Mann und Weib ein Leib; Fuß der Mann, Hand das Weib. Das Geſicht iſt das Bild und die Ueberſchrift der Seele. Um den Mund herum liegt die Mienenſprache, zu fordern und abzuſchlagen, um die Augen herum, zu beja - hen und zu verneinen. Dies iſt die vereh - rungswuͤrdigſte Sprache, die alle Welt ver - ſteht, die auch ein guter Theil Thiere faßt. Mein Gott! Warum lernt man ſie nicht mehr?

Herr v. G.

Sie wuͤrd uns das Herz ab - ſtoßen. Das A, B, C, was wir haben, iſt ſchon ſo herzbrechend

Paſtor.

Es wuͤrd aber viele Kunſt dazu gehoͤren, um dieſe Natur auszuſpaͤhen. Ihre Probe waͤre, daß ſie von aller Welt gleich verſtanden wuͤrde.

Herr v. G.

So hat ſie ja eine gleiche Probe mit dem Guten, nicht wahr? Da muß auch das Urtheil allgemein ſeyn? beym Schoͤ - nen nicht. Was die Sonne am Himmel, das iſt das Auge dem Menſchen, indeſſen hab ich gefunden, daß die Groͤße nicht immergleich423gleich iſt, ich ſelbſt hab’s bald groß bald klein oft Augenfinſternis

Paſtor.

Wenn die Augenlieder weiter aufgethan ſind, als gewoͤhnlich, iſt der Menſch heiter froh. Wenn er einen großen Ge - dancken faſt, ſind die Augen nur halb offen, zum Zeichen, daß dieſer Gedancke von innen komme, und daß man ihn da gern ſehen moͤchte, wenns moͤglich waͤre.

Herr v. G.

Aber wieder was von der Liebe, Paſtor, mir zur Ehre, denn da hab ich Sitz und Stimme. Was iſt huͤbſch?

Paſtor.

Was ohne Reitz gefaͤllt. Viele Maͤdchen haben Reitze, die nicht huͤbſch ſind