Wir ſprachen kein lebendiges Wort, als ob’s todte gebe? nach der Weiſe von todten und lebendigen Sprachen? Wenn man lebendige Worte thaͤtige mit Handlungen ver - bundene nennen wolte; wuͤrden freylich auch todte Worte ſeyn. O dem Todten! Gott eh - re mir Leute, die Hand und Mund zugleich bewegen, pflegte mein Vater zu ſagen. Frey - lich deutete er dieſen Ausſpruch auf Guͤte des Herzens und Mildthaͤtigkeit; allein er ehrte auch das Symbol, und hatte die Gewohnheit, die Hand mitſprechen zu laßen —
Seufzer, halberdruͤckte Achs, nennt nicht todte Worte, ihr Wortkraͤmer! denn die gelten mir mehr, als eure Klagelieder und Condolenzen. Wenn es auf Achs kommt, laͤſt der Geiſt den verſtummten Leib ab, drengt ſich vor, vertritt ihn, und laͤßt ſich allein hoͤren. Es giebt unausſprechliche Achs! — Abba, mein Vater! — die Cartheuſerparole: bedenke das Ende! war gewoͤhnlich unſere ganze Unterhal -A 2tung6tung. Gretchen und ich hatten das meiſte ein - gebuͤßet; war es Wunder, daß unſer Schmerz zuweilen bis aufs memento mori die Sprache verlohr? daß der Geiſt das Wort nehmen mußte? In wenigen Tagen ſahen wir etwas Gruͤnes auf Minens Grabe das Haupt empor heben, und das war uns ſo willkommen, als wenn Minens Leib, dieſe Gottesſaat, ſchon aufgienge. Gretchen kuͤßte dies erſte Gruͤn und betaute es mit ihren Thraͤnen. Sie war neidiſch auf Thau und Regen, und wolte dieſe Erſtlinge durchaus nur mit Thraͤnen aufer - ziehn. — — Mich hatte die Empfindung beym Anblick dieſes erſten Gruͤns gelaͤhmt. Es war mir, als ſaͤh ich ein Stuͤck von Minen. Am Kopfende ſchoß dieſes erſte Gruͤn hervor. Den Noah konnte der Oehlzweig ſo nicht entzuͤcken, als uns dieſer Aufſchlag aus einem Gebeinhauſe. Entweder war der gute Prediger ſo voll von ſeiner Abhandlung, oder er legt’ es geflißent - lich dazu an, mich zu zerſtreuen; denn eh ichs mich verſah, lies ſich der Schriftſteller hoͤren. Ja wohl, er lies ſich hoͤren.
Vor dem Begraͤbnis war dem guten Pre - diger ſelbſt Minens Andenken, eben ſo wie uns, Ein und Alles. Nach der Beerdigung trat er zwar auch die meiſte Zeit unſern Empfin -dun -7dungen bey; indeſſen konnt er zuweilen nicht umhin, eine Stoͤhrung zu machen, wenn wir uns Minens lezte Lebenstage ins Herz hineinmahl - ten, einbildhauten. Da galt es denn den Stuhl, auf dem Mine am liebſten geſeſſen, jeden Ort, wo ſie an mich gedacht, wo ſie voll Hofnung mich zu ſprechen geweſen — wo ihr dieſe Hofnung den Dienſt aufgeſagt, wo ſie dieſe Schwaͤche empfunden, mit dem rechten Arm ih - ren Kopf geſtuͤtzt, und ſich Gott ergeben, wo —
Eben oͤfneten mir dieſe Erinnerungen Thuͤr und Thor. — Nur Ein Wort, nur ein Sterbenswort von Minen, fieng ich an, wie gluͤcklich haͤtt es mich gemacht! und der Prediger „ was den Druck betrift „ Er that, als ob es eine Antwort auf unſer Seelenringen waͤre „ was den Druck betrift; er ſey nicht koſtbar; allein rein, ſo wie jeder Anzug. Ei - ne gute Waͤſche iſt bei mir mehr, als Gold und Silberbeſatz. In dem Stuͤck bin ich ſehr fuͤr die Englaͤnder und Hollaͤnder. Faſt ſcheint es, ſaubre Waͤſche und gut Papier waͤren nicht ſo weit aus einander. Beyde Rationen, ſaubre Waͤſche und ſauber Papier. Iſt das Papier gut, iſt viel gut „
Dergleichen Eingriffe waren was gewoͤhn - liches, und damit meine Leſer den Hauptein -A 3grif8grif uͤberſtehen und einmal wißen, woran ſie ſind: Der Eingang des Werks war ein Suͤn - denverzeichnis von Saul und David. Dieſer raubte dem Urias das Leben, weil er eine ſchoͤ - ne Frau hatte; jener war gegen die Feinde Iſraels mehr ſchonend, als er ſollte. Heut zu Tage wuͤrde man ſagen, er war menſchli - cher — und Saul empfand den Bind - David den Loͤſeſchluͤſſel —
Meine Leſer werden den Uebergang zum Thema ohne meine Handleitung finden. Die Suͤnde in oder wider den heiligen Geiſt ward wie gewoͤhnlich in der Art behandelt, daß der erſte Theil die unrechten Begriffe ent - hielt, welche man ſich gewoͤhnlich von der Suͤn - de wider den heiligen Geiſt mache. Unter dieſen unrechten Begriffen kamen freylich ei - nige vor, auf die kein Menſch eher, als un - ſer guter Schriftſteller, gekommen. Er brachte darauf, weil er recht auf Irrwege ſtudirt hatte. Der zweyte Theil war der rechte Weg, oder eigentlich der, der ihm gefiel. Ueberall auf Weg’ und Abwegen eine Beleſenheit, die ſich nicht blos auf die ruſſigen Buͤcherſchraͤnke der Gegend erſtreckte, wie der gute Prediger ſagte — ſie gieng weiter — Ich wuͤrde zwar (Gott wend es aber in Gnaden ab) nicht die Suͤn -de9de quaͤſtionis, allein doch eine wuͤrkliche Suͤn - de begehen, wenn ich meinen Leſern von dieſem gewiß bewanderten Werke eine weitlaͤuftige Erzaͤhlung auslieferte. So viel iſt gewis, daß ich den guten Prediger mit ſeiner Aus - arbeitung ziemlich zweifelhaft machte, indem ich ihm, in beliebter Kuͤrze und Einfalt, mei - nes Vaters Meynung uͤber dieſen heiligen Ge - genſtand eroͤfnete, der die Suͤnde wider den heiligen Geiſt eine Bemuͤhung nannte, das ins Herz geſchriebene natuͤrliche Geſetz, die Regel, das goͤttliche Alphabet, auszuloͤſchen. Das Kind mit dem Bade ausgießen, ſagte der Pre - diger, und legte die drey Finger ſeiner rechten Hand an ſeine Stirn und ſodann ans Herz, als ob er an beyden Orten anklopfen wollte. Endlich ward ihm aufgethan. Ich wuͤrde, fing er an, meine citationseiſenſchwer beſchla - gene Abhandlung gern Ihrem Herrn Vater auf eine freundſchaftliche Bleyfeder uͤberſen - den; allein ich fuͤrchte, daß nach dieſen Grund - ſaͤtzen wenig von dieſem gelehrten Stuͤck zuruͤck kommen moͤchte. Ich verſicherte den guten Prediger, ohne, wie ich bemerkt, ihm ein Com - pliment zu machen, daß mein Vater keine Bleyfeder haͤtte.
A 4Sel -10Selten, pflegt er zu ſagen, iſt das beſtaͤn - dig, was durch ihre Vermittelung an Tages - licht kommt. Schwarze Waͤſch’ und Tafel - gedecke verzeichnete meine liebe Mutter mit der Bleyfeder, wie es ſich eignet und gebuͤh - ret. Wenn ſchwarze Waͤſche (meine Mutter nannte es ſchwarzes Zeug) und Tafelgedecke wieder durch Waßer und Luft gereiniget wa - ren, weg waren auch die Bleyfederworte. Das mit Bleyfeder beſchriebene Papier reibt ſich an allem, was ihm nahe kommt, ſagte meine Mut - ter, und ſehnt ſich recht geflißentlich, von einer ſolchen Unzierde befreyt zu werden, wie ein ſtol - zes Pferd, von einem ſchwachen Reiter. Nennt es Bleyſtift, und nicht Feder — Feder iſt zu ſcha - de, fuhr ſie fort. — Da alſo mein Vater, ſagt ich, keine Bleyfeder hat, und ſchwerlich eine von meiner Mutter leihen wird: ſo bin ich feſt uͤber - zeugt, daß er Ihre Schrift von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt ohne Bleyfeder leſen werde. Vortreflich, ſagte der gute Schrift - ſteller, wollte Gott! es waͤren keine Bleyfe - dern in der Welt, und unſere Kritikaſter be - daͤchten: wer die Bleyfeder nimmt, wird durch die Bleyfeder umkommen, richtet nicht, ſo werdet ihr nicht gerichtet. Kommt denn, fragte der Prediger, kommt denn alles beyIhrem11Ihrem lieben Vater ungeſchlagen davon, was er hoͤrt und lieſ’t? Seine Art iſt, erwiedert’ ich, ohne Bleyfederſtrich, ohne Beziehung auf es ſey gehoͤrtes oder geleſenes Wort, ein Wort zu ſeiner Zeit nicht ſchriftlich, auch nicht einſt muͤndlich, anzubringen, ſondern muͤndlich zu verlieren. Zuweilen ſcheint es, fuhr ich fort, daß das, was er ſagt, ſo paße, wie die Fauſt aufs Auge; indeſſen war mir oft ein ſolch verlohrnes Wort ein Wort des Lebens zum Leben. — Dem Prediger gab das verlohrne Wort Gelegenheit, von der verlohrnen Schild - wache zu reden, und da lies ich ihn ſobald nicht los. — Er war ein kleiner Politikus, las die Zeitungen, wußte alle preußiſche Re - gimenter namentlich und ihre Uniform; das war aber auch alles! An mir fand er einen andern Mann, ich ſprach vom großen und kleinen Dienſt, und hielt den Ehrenmann feſt. Was eine verlohrne Schildwache nicht machen kann! Hier fand mich der Prediger gewiegter, als bey ſeiner Abhandlung. Er wolte heim; ich war in meinem Element. Endlich jammerte mich ſein, ich loͤſete die Schildwache ab. —
Anlangend den Druck, fing der Prediger, ſobald er Luft hatte, an, und dankte demA 5Him -12Himmel, daß er aus den Haͤnden des Kriegs - knechts war, der ihm Werbegeld aufdringen wollen, anlangend den Druck, wiederholt’ er, ohne weiter eine Begierde zu aͤuſſern, die Bleyfeder meines Vaters auszufordern, ſo ſey er nicht koſtbar, allein rein. — Ein gutes Wort muß eine gute Staͤte finden. — Der gute Prediger, der ſich aus ſo manchem von mir verlohrnen Wort uͤberzeugt hatte, daß mein Vater mit ſeiner Abhandlung nicht zu - frieden ſeyn wuͤrde, gieng ganz betruͤbt von meinem Vater, wie der Juͤngling von Chriſto, der alles gehalten hatte von ſeiner Jugend an: denn wahrlich! der Prediger war ſo wenig entſchloſſen, ſeine Noten zu ſtreichen, und den gelehrten Wuſt, wie dieſer Juͤngling ſein Haab und Gut, zu verkaufen, und es den Armen Preis zu geben. So wirſt du einen Schatz im Himmel haben, ſagte Chriſtus zum Juͤng - ling. Wer opfert ihm aber eiſenſchwere Ge - lehrſamkeit, welche doch Motten und Roſt freſſen, darnach Diebe graben und ſie ſtehlen! —
Vom Kriegsdienſt iſt vor der Hand zwi - ſchen uns beyden, nach dieſem Ritt, keine Syl - be weiter vorgefallen.
Wir fingen nach einer geraumen Zeit ſehr regelmaͤßig, weil die Suͤnde wider den heili -gen13gen Geiſt uns darauf gebracht hatte, im Ge - ſpraͤch von der heiligen Regel an, die man in Ehren halten muͤßte, wenn gleich ſonſt alles uͤber und uͤber gienge.
Alles in der Natur ſucht ſich an etwas zu halten. Der Verſtand an der Regel, die er als Gottes Bild ehret, und wahrlich! ſie iſt Gottes Bild. Sie iſt nicht Buchſtab, ſie iſt Geiſt von Geiſt. Meine Mutter wuͤrde ſa - gen: Dieſe Regel ſtreichen, heißt: wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen handeln und wandeln. Wehe dem Menſchen! durch welchen Aerger - nis wider dieſen heiligen Geiſt kommt, es waͤ - re beſſer, daß ein Muͤhlſtein an ſeinen Hals gehenkt, und er erſaͤufet wuͤrd im Meer, wo es am tiefſten iſt. Dies iſt das eigentliche Ver - brechen der beleidigten goͤttlichen Majeſtaͤt, nicht aber das, was Stadt - Land - und Kay - ſerrecht ſo nennt.
Wolte Gott! ſetzt ich hinzu, Ihr Werk wuͤr - de dieſem Aergernis ſteuren und wehren! Man kann nicht wiſſen, antwortete der Prediger.
Was wuͤrd aus uns werden ohne Regel? Da wuͤrd all’ Augenblick einer ſeinen Zauber - ſtock aufheben, und das Volk wuͤrd ihm die - nen. Warum uͤberzeugen wir uns jetzt nicht von Zaubereyen? Weil wir der Regel denBo -14Boden ausſtoßen wuͤrden, da wuͤrde ſie denn liegen in ihren Ruinen. Regeln ſind das Salz der Erden, wenn aber das Salz dumm wird, womit will man ſalzen? Erzaͤhl’ ein Wunder von heut und geſtern oder ehegeſtern, wo findeſt du Glauben, und warum dieſer Unglau - be? Hat denn Treu und Glauben aufgehoͤrt auf Erden? Nicht alſo, wohlmeinender Zeter - rufer! Die Natur nahm ihren Anfang durch ein Wunder. Wunder genug! Jezt iſt alles ohne Sprung. Die Sphaͤrenmuſik iſt ein einfaches Lied und keine Ode. Es geht na - tuͤrlich zu, heißt: es verſteht ſich alles von ſelbſt: die allerortodoxeſten wundervollſten Geiſtli - chen ſelbſt, haben den Wundern Ziel und Maas ſetzen muͤßen. Bis dahin, und weiter nicht, ſollten die Ausnahmen von der Regel ſtatt fin - den und die Wundergaben im Schwange ge - hen. — Die alten Propheten ſind todt. Die neuern haben kein Creditiv vorzeigen koͤnnen; ob gleich meine Mutter jederzeit uͤber die we - nige Aufmunterung fuͤr die junge Propheten die Achſeln zog. Wenn wir keine junge Prophe - ten leiden, werden wir auch keine alten ziehen. Jung gewohnt, ſetzte ſie hinzu, alt gethan.
Sie verſtand indeſſen durch einen Prophe - ten, nur einen Superintendenten, der einpaar15paar Zoll hoͤher waͤre (im Kunſtwort mehr haͤtte) als der regierende Herr in Curland. —
Wie kommts aber, daß alles die Ohren ſpitzt, wenn vom Wunderbaren die Red iſt? Das kommt, weil der Verſtand ſteif und feſt auf ſeine Regel haͤlt, und den Feind kennen lernen will, der dieſe ſeine Veſte einzunehmen drohet. Das kommt, weil der Verſtand ſein Richteramt beweiſen und Urtel und Recht eroͤfnen will, wider den, der die Grenzen zu verletzen drohet. Das kommt auch, wuͤrde meine Mutter ſagen, „ durch Adams Fall und Miſſethat. „ Wahrlich! der Menſch iſt ſehr zum Fall geneigt, wer ſteht, mag wohl zuſehen, daß er nicht falle. Wir naͤhren all eine paradiſiſche Schlange im Buſen. Der Menſch hat zuweilen einen ſchrecklichen Hang zum Aufruhr. —
Alles dies, und noch mehr von der nemli - chen Manier, brachte den Prediger nicht wei - ter auf meines Vaters Bleyfeder, wiewohl er noch oͤfter als zuvor an reinen Druck und an weißes Papier dachte. Koſtbar ſey er nicht, nur rein. —
So viel weiß ich, daß ich meine Zeit in L ** nach den akademiſchen Wuͤnſchen gut angewendet habe. Gott ſegnete auch meineStu -16Studia, Theorie und Praxis! Ich habe viel! viel! an dem Grabe meiner Mine gelernt, wo am Kopfende Gruͤn hervorſchoß! Wir werden wiederkommen, rief ich zuweilen aus, und Gretchen faltete die Haͤnde, wir werden wiederkommen gen Zion mit Jauchzen, ewige Freude wird uͤber unſerm Haupte ſeyn, Freu - de und Wonne wird uns ergreifen, und Seuf - zen wird weg muͤßen! Gott wird uns wieder - gebohren werden laßen zu einem unvergaͤngli - chen unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das im Himmel iſt.
Das erſte Gruͤn war uns eine Hieroglyphe ihrer Auferſtehung. Es kam uns vor, als richtete Mine ſich auf, und nie iſt das erſte Gruͤn ſo bewillkommt worden, als dieſes! — Es kam von Minen! — Sie war handgreif - lich — ſo kam es uns vor. Wir hatten ih - re Grabeserde ſo gelockert und bearbeitet, daß ſie wie ein Gartenacker ausſah. Sie lebt, rief ich eben ſo entzuͤckt, als wie ich ſie feſt an mein Herz druͤckte, und ein warmer leben - diger Othem ſich aus ihren Lippen drengte. Sie lebt! rief ich, und Gretchen rief auch: Sie lebt! — Wahrlich lieben Leſer! dies alles war mehr, als arcadiſche Gaͤrtnerey. — Es lag ein Sinn in dieſer Hieroglyphe. — — —
Wenn17Wenn man ſich acht Tage ſo auf dem Dach iſt, als ich dem guten Prediger, hat man ſich weg. — Die Buͤcher ſind Lexica nach Be - ſchaffenheit der Umſtaͤnde, Real oder Verbal. Mehr kann ich ihnen nicht zuſtehen. Menſch lerne dich! Welch ein großes Wort, ſagten wir beyde, der Dekanus, der die vorige Nacht Grosvater geworden war, und ich, der ich nicht vielweniger, Student werden ſollte. Wahrlich! ein großes Wort! — allein welch ein ſchweres Wort zugleich! Der Vater lernt ſich erſt in ſeinem Sohn kennen. Niemand will in ſich hinein: auſſer ſich herumzuſchwei - fen, hat der Menſch eine ſo eingefleiſchte Luſt, daß er gern unſtaͤt und fluͤchtig iſt. Sein eig - nes Haus brennt dem Menſchen uͤbern Kopf, er fuͤrchtet, in ſich herein zu blicken, wie Kin - der, in einem Zimmer allein zu ſchlafen. Dar - um die Geſelligkeit. — Wenn ich an dieſe guͤldne Regel komme: Menſch lerne dich, bin ich in meiner Heimath. Die Theologen nennen das Selbſtverleugnung, was wuͤrk - lich ein großer Theil von Selbſtkenntnis iſt. Man muß ſich abſterben, um ſich aus den Todten hervorgehen zu ſehen, und ſolch ein Erſtandner, das biſt du Selbſtken - ner! —
BEs18Es kam zwar in unſern Lektionen der Herr Graf ſehr oft und viel vor; indeſſen dachten wir nicht anders an ihn, als exempli gratia (zum Beyſpiel.) Freylich haͤtten wir auch auf einen Beſuch, den wir ihm ſchuldig waren, fallen ſollen, und des Predigers Pflicht waͤr’ es vorzuͤglich geweſen, ſich und mich daran zu erinnern, da der Graf ein Stuͤck von ſei - nem Kirchenpatron und ſein Wohlthaͤter war. Auf einmal ein Brief mit Pleroͤſen vom Hoch - gebohrnen Nachbar. Eine Einladung auf morgen, ſagt ich, — das nicht, erwiederte der Paſtor und bemerkte zugleich, daß der Graf niemals Jemanden auf einen gewißen beſtimm - ten Tag zu ſich baͤte. Er lebt in dieſem Stuͤck, ſetzte der Prediger hinzu, wie man ſtirbt. Es muß ihm alles unvermuthet kommen. Wer kann, ſoll er ſagen, einen uͤber zwey, drey Tage, auch wohl mehr, zur Mahlzeit einladen? Dieſe Nacht kann man deinen Appetit von dir fordern! Sehet zu, wachet, denn ihr wi - ßet nicht, wann es Zeit iſt. Wer ſterben lernt, muß ſo und nicht anders leben, ſey des Gra - fen Loſung! — die er uͤbte, wo es ſich nur irgend uͤben ließe.
Wie geſagt, der Brief war nur eine Er - innerung an unſer Verſprechen. Wenn be -wir -19wirthen ſo viel heißt, den Gaſt zu dieſer Auf - nahme durch eine Einladung vorbereiten; ſo hat der Graf noch in ſeinem Leben keinen auf - genommen und bewirthet. Es ward beſchloſ - ſen, den folgenden Tag dem Grafen zu wid - men, und damit mir alles deſto unerwarteter ſeyn moͤchte, lies mich der Prediger in Abſicht der Einrichtung des graͤflichen Gebeinhauſes in wohlgemeynter Unwiſſenheit. — Die Pre - digerin wollte mit, es gefiel ihr dort unaus - ſprechlich, und gern haͤtte ſie es in ihrem Hauſe ins Kleine gebracht, was dort im Großen war. Der Prediger und Gretchen konnten nicht auf - hoͤren, zu ſteuren und zu wehren, damit die - ſes Miniaturſtuͤck unausgefuͤhrt bliebe. — Der Prediger ſchlug ſeiner Frauen eben darum auch ab, mitzufahren. Der Prediger und ich fuh - ren fruͤh aus, um zeitig in — — zu ſeyn. Gretchen blieb bey ihrer Mutter. — Wie ſehr freu ich mich, dieſen Grafen beſucht zu haben! — Der Prediger aus L — der ſchon im graͤf - lichen Hauſe bekannt war, fuͤhrte mich ſogleich in ein Zimmer, wo Saͤrger gearbeitet wur - den. Es war das Bedientenzimmer; denn Nie - mand als ein Sargtiſchler, wie der Graf mich ſelbſt nachhero verſicherte, wurde in ſeinem Dienſt auf - und angenommen. Es wurdenB 2be -20beſtaͤndig Saͤrger gearbeitet. Der Graf dien - te armen Leuten aus ſeiner Sargfabrike. Jetzt war kein Proviſionsſarg in Arbeit. Der Sargtiſchler hatte Thraͤnen in den Augen, wie der in Curland, den meine Mutter des[Todes Zimmermann] nannte, und der in ſeiner Gewerksſtube herzlich weinte, wenn er einen Sarg fuͤr einen Redlichen im Lande erbauete. Gott, ſagte der Weinende, und wandte ſich zu ſeinem Beichtvater, meinem Reiſegefehrten! Ach Gott! lieber Herr Pfarrer, der kuͤnftige Einwohner dieſes Hauſes hatt’ ein ſchoͤnes En - de! Das leztemal, daß ich fuͤr Jemand einen Sarg mache, den ich ſterben geſehen! Mag es thun wers kann — ich nicht — ich hoble mir das Herz ab.
Dieſer Ausdruck, der ihm, wie man deut - lich ſahe — entfuhr, ſchlug ihn nieder. Er verlohr Spannung und Kraft. Das Hand - werkzeug entfiel ihm. — Das ruͤhrendſte war immer, daß er ſein Geſicht in ein Stuͤck ſeiner Schuͤrze verhuͤllte. Dies iſt ein wohl - hergebrachtes Zeichen der Traurigkeit. Wir verhuͤllen uns, als ob wir der Welt entſagen und uns auf uns ſelbſt einſchraͤnken wollten, als ob der Fall zu ſchwer waͤre, um ihn faſ - ſen — ſelbſt um ihn ſehen zu koͤnnen. Wahr -lich21lich dieſer Vorgang hobelte nicht nur dem Sarg - tiſchler das Herz ab — ich war wie er, hin! Er ſchluchzte unter der Schuͤrze! — Freund! ſing der Prediger an, man ſieht und hoͤrt es ihm an, daß er beym Herrn Grafen das Sarg - handwerk noch nicht ausgelernt. — Es wird ſich geben — iſt er denn nicht auch ſterblich? — Seine Mitarbeiter, die ſich bis dahin nicht ei - nen Augenblick abhalten laßen, kamen itzt zuſammen, als kaͤmen ſie zur Kirche. Einer nahm ihn an die Hand, ein anderer ſtreichelt’ ihm den Arm, ein dritter legte ſeinen Kopf auf ſeine Schulter, als ob er ihm Troſt ins Ohr ſagen wollte, der vierte, der unempfind - lichſte, wolt’ ihm den Vorhang wegreißen. Unſer Betruͤbte hielte die Schuͤrze feſt vors Geſicht. Dieſer vierte ſchien es eben ſo gut zu meynen, wie die drey andern; allein wer den Menſchen kennt, wird es finden, was fuͤr eine grauſame Beſchaͤmung es fuͤr unſern Weinenden geweſen waͤre, wenn er uns alle ins Geſicht bekommen haͤtte. Der Menſch ſcheint ſich in dergleichen Faͤllen zu ſchaͤmen, daß ſo viele Leute gefaßt ſind, nur er nicht. — Ueberhaupt ſieht man ſelten den Troͤſter an, es waͤre denn, daß viele Troſtbeduͤrftige zu - ſammen ſind; dann uͤbertraͤgt einer den an -B 3dern22dern in Ruͤckſicht dieſer Beſchaͤmung. — Der vierte riß wuͤrklich endlich die Schuͤrze herab — wie konnte der Traurige lange widerſtehen? Schmerz macht ſchwach. — Unſer weinende machte indeßen die Augen ganz dicht zu, und da ſtand er jaͤmmerlich! Der erſte nahm dem vierten die Schuͤrze aus der Hand und gab ſie dem Weinenden wieder. — In dieſer Hand - lung traf uns der Graf, dem des Predigers und meine Ankunft gemeldet war! — Alles blieb, wie es da ſtand! Niemand kam dieſes Ueberfalls wegen aus ſeiner Stellung. Nie - mand ſchlich ſich an ſeine Werkſtaͤte, alles ſchien an Ort und Stelle, ſelbſt unſer Betruͤbte nicht ausgenommen, der Mittelpunkt dieſer Scene. Was da? fragte der Graf, nachdem er den Prediger und mich mit einem guten Morgen begruͤßt oder beherziget hatte. — Der Prediger nahm das Wort — Ferdinand hat den Einwohner des Hauſes ſterben geſehen, das er bauet! Nun, ſagte der Graf, Faßung, Ferdinand! Begrab’ ich denn nicht alle, die ich ſterben ſehe? Leim’ ich nicht hier und da ſelbſt ein Leiſtchen ans Sarg? Der junge Menſch, der hier einziehen ſoll, hatte ein frommes, gutes, edles, warmes Maͤdchen, das ihm ſtarb. Sie ſtarb und er — ihr nach. Gott!23Gott! in deine Haͤnde befehl ich meinen Geiſt, dacht’ ich tief im Herzen. Der junge Menſch hatte eine Mine, fuhr ich fort im Herzen zu denken, und war froh, daß Gram und Kummer wegen verungluͤckter Liebe ſo lang’ am Herzen nagten, bis es durch und durch iſt, bis man nachſtirbt. Mein Auge ſah gen Him - mel ſtarr! Ha, ſagte der Graf, der mich bey der Hand nahm, da haben wirs. Gelt! wenn ſie einen Sarg fuͤr dieſen Juͤngling machen ſolten? Gern, grif ich ein, ſehr gern, das glaub’ ich, erwiederte der Graf. Sie wuͤr - den nicht weinen und heulen. Nein, ſagt’ ich, ich wuͤrd es nicht — nicht einen einzigen Thraͤnentropfen, nicht einen — das glaub ich, erwiederte der Graf, der ſtirbt gern, ſehr gern, den dieſe Welt nicht entſchaͤdigen kann, es ſey in Wuͤrklichkeit, oder in Einbildung. So hab’ ich einen jungen Menſchen gekannt, der mit Freuden dem Tode entgegen gieng, weil er die Zierde ſeines Haupts, ſeine Haare, ver - lohr. Er hatte ſie ſo ſchoͤn, wie Abſalon! al - lein eben ſo leicht, wenn ers bedacht haͤtte, eben ſo leicht, wie Abſalon, haͤtt’ er an einer Eiche haͤngen bleiben koͤnnen. — Eine Krank - heit raubte ihm dieſe Zierde, gegen die ihm der Tod wie gar nichts ſchien. Er erholte ſich zu -B 4ſehens.24ſehens. Kein vernuͤnftiger Arzt entdeckt dem Patienten die erſte Erholungſpur. Dies wuͤr - de heißen, auf dem Richtplaz Pardon erthei - len. Alle Affekten ſind ſchon an ſich dem Men - ſchen ſchaͤdlich, Freude ſo gut als Leid. Ein Stuͤck von Fieber iſt immer dabey, und wer iſt wohl zu ſolchen ploͤzlichen Uebergaͤngen aufgelegt? Nun war unſer Abſalon ſo weit in der Beſſerung gediehen, daß er ſich nicht mehr auf dem Richtplatz befand, und nun kam der Arzt mit der frohen Nachricht, daß er und der Tod geſchiedene Leute waͤren. Leben iſt ein frohes Wort! ich ſetze ewig dazu, wenn ich mich freuen ſoll. Bey den meiſten Leuten iſt das Wort leben ſchon genug. —
Froh blickt’ unſer Kranke auf, und ſein Haupthaar war das erſte, mit dem er ſich be - freuen wolte. Er war mit ihm am mehrſten verwandt — allein es war dahin, und ſiehe da, er wollte nicht leben. Man hatte ihn zu voreilig verſichert, daß ſeine Haare entweder nie wieder, oder wenigſtens ſehr ſpaͤt, aufgehen wuͤrden, und wie konnt’ er leben? Er hatte, wie Simſon, ſeine Staͤrke in den Haaren. Man nannte ihm Voͤlker, alter und neuer Zeit, die ſich zur Zierde, der Haare entaͤußerten; allein nichts — er ward krank und ſtarb ſo ruhig,als25als wenn ihm im Tode die Haare wieder wachſen wuͤrden! — Du armer Abſalon! Biſt du denn in keinem Gebeinhaus geweſen? Haſt du denn keinen gebleichten Schaͤdel geſe - hen? Ich nenne ſo Etwas auf Gottes Blei - che liegen, ſagte der Graf im vertraulichen Lehrton, in den er oft fiel, und wahrlich! wir werden durch den Tod ausgewaſchen. Wenn ich einen alten Mann, ich ſage mit Fleiß alten Mann, mit einer Glatze, mit einem Todtenkopf ſehe, denk ich, der Mann iſt ſchon dem Himmel naͤher, als ich. — Wie gefaͤllt Ihnen die Ge - ſchichte von Abſalon, der wahrlich an den Haa - ren ſtarb. — O Freunde! Nicht wahr, von vie - len, von vielen Sterbenden kann man ſagen, ſie bleiben an einer Eiche hangen? Nicht wahr, Gevatter Prediger?
Bis dahin hoͤrt ich den Grafen mit Ver - gnuͤgen; da er aber zur Nutzanwendung uͤber - gieng, und mir ganz deutlich zu verſtehen gab, daß Minens Verluſt von der nehmlichen Art waͤre, ward ich uͤber dieſe Kaͤlte, uͤber dieſe Todeskaͤlte des Grafen, wegen meines unerſez - lichen Verluſts ungehalten. — Es ſchicken ſich wenig Leute, dacht’ ich, zur Nuzanwen - dung — ich wandte mich zu unſerm Wei - nenden und Heulenden, und verlangte denB 5Ue -26Uebergang von der Geſchichte des eben Ver - ſtorbenen zu dem Herzen des Sargtiſchlers. — Dieſer Weg, dacht’ ich, muß ſehr gerade ge - hen. Der junge Menſch, fiel der Graf ein, hat ein Maͤdchen, die ihm ſeine Eltern verwei - gern, weil ſie reich ſind. Ihre Eltern ſind reicher, als wir alle — — ſie ſind todt. — Er hat nicht noͤthig, in meiner Werkſtube zu ſeyn; allein er arbeitet fuͤr Protektion, er glaubt, mein Fuͤrwort koͤnnte hinreichend ſeyn, ſeine Eltern zu bequemen — und wenn das nicht, fuhr ich fort, ſo haben der Herr Graf Mittel und Wege, das arme Maͤdchen zu be - reichern, und hier gleich und gleich zu machen. Ha, dacht’ ich, das iſt fuͤr deine Kaͤlte, Hoch - gebohrner Herr. Anwendung fuͤr Anwen - dung. Schon recht, junger Mann, erwieder - te der Graf, allein wenn ich die Vorurtheile der Eltern befriedigen ſolte, haͤtt ich denn fuͤr die Einigkeit geſaͤet? Wahrlich ich haͤtt’ auf Fleiſch und nicht auf den Geiſt geſaͤet — und am Ende, wenn ich jedes Maͤdchen bereichern ſolte? — Ich aͤrgerte mich, und vorzuͤglich, weil der Mann bey ſeiner Todeskaͤlte wieder Recht hatte. So iſt, glaub’ ich, das Recht uͤberall. Man faßt Eis, man faßt den Tod an, nicht das rechte Recht iſt ſo kalt, ſonderndas27das Weltrecht, mit dem man ſo ſelten zufrie - den iſt, daß man faſt lieber Unrecht wuͤnſcht, um wenigſtens laut ſchelten zu koͤnnen. Das Weltrecht iſt aus dem Codice genommen, der todt an ihm ſelbſt iſt. Das rechte Recht aus dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt. — Ein haarkleiner Unterſchied aus der Ur - ſache, nicht aus der Wuͤrkung, wie aͤndert er die Sache! Caſus in terminis. Welch ein dummdreiſtes Kunſtwort! Iſt euch, ihr hoch - verordneten Rechtskauer, das Principium indiſcernibilium denn ganz und gar unbekannt, und, um euren Collegen ein lehrreiches Exempel darzuſtellen, einen wuͤrklichen caſum in termi - nis, thut der Arzt nicht wenigſtens, als ob er dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt, nach dem Leben, nach dem Puls faßt, ob gleich auch er nach dem Corpore Juris Hypocrateſiano ſein Urtel formt?
Der Graf ſetzte dieſe Unterredung, ohne daß ich es ihm nahe legte, fort, ich hoffe, ſagte er, die Eltern des Weinenden und Heulenden weichherzig zu machen, und denn hab ich alles aus der erſten Hand, wenn ich ſie ausſtatten ſolte, haͤtt’ ichs aus der zweyten, wo nicht gar dritten. Die erſte Hand iſt mir immer die beſte und ſicherſte. Ich liebe, fuhr der Graffort,28fort, Heyrathen zu ſtiften; denn wo wuͤrd’ ich ſonſt Gelegenheit zu Saͤrgern vorfinden? Dieſer Sonnenſchein, den der Graf auf un - ſern Weinenden (ein Heulender zu ſeyn, hatt’ er ohnedem ſchon aufgehoͤrt) ſchießen lies, trocknete ſeine Thraͤnen, er hobelte weiter, oh - ne ſeinem Herzen mit ſeiner Hobel zu nahe zu kommen, und ihm einen Gnadenſtoß bey - zubringen.
Der Graf bat naͤher zu treten, und ich weiß auf Ehre nicht, ob es meinen Leſern und Leſerinnen angenehm ſeyn werde, naͤher zu kommen. Sie kennen den Grafen ſo gut, wie ich, und wiſſen ſo gut, wie ich, daß ich ſie nicht nach Arkadien begleiten werde. Der Graf wuͤrde recht in Egypten zu der Zeit an Stell und Ort geweſen ſeyn, da in jedem Hauſe ein Todter war, und was noch mehr iſt, die Kernfriſche Erſtgeburt. — Der Graf ſchien in ſeinen Todes Hoͤr - und Sehſaͤlen ſehr tolerant. Es ſterben Chriſten und Gott - glaͤubige Deiſten bey mir, ſagt’ er. Wenn gleich ich mit Gotteshuͤlfe wie ein Chriſt zu ſterben der feſten Zuverſicht lebe; ſo will ich doch mein Haus zum Sterbhaus und nicht zur Moͤrdergrube machen, das heißt: ich will nicht Chriſten werben, und ehrlichen Heidenin29in meinem Obdach zum erbaulich chriſtlichen Ende Handgeld beybringen. Kein Jude hat mir noch das Vergnuͤgen gemacht, in meinem Hauſe zu ſterben. Mein Haus iſt ihm un - rein, obgleich er ſelbſt ſo unſauber iſt, daß ich ihn fuͤr einen Ciniker halten wuͤrde, wenn er nicht ein Jude waͤre. Ich habe zwar nach Anzahl der fuͤnf Buͤcher Moſis fuͤnf Juden ſterben geſehen; allein bis auf einen nur ſter - ben gehoͤrt, vier ſtarben hebraͤiſch, ſie hatten den Tod auswendig gelernt, und beteten ihn ſo her, wie die Nonne den Pſalter. Beym Amen, weg waren ſie. Den fuͤnften hab ich obſervirt, deßen Aeußeres zwar juͤdiſch ſchien, ſein Inwendiges aber war Gottglaͤubig dei - ſtiſch, und alſo gehoͤrt er eigentlich nicht in die Judenclaße. Barba non facit Philoſophum. Der Bart macht keinen Juden. —
Wir kamen einen Sabbatherweg von unſ - rer eigentlichen Straße ab, und ich hatte Ge - legenheit, von dem juͤdiſchen Volke die Mey - nung meines Vaters anzubringen. Hat der goͤttliche Judenbekehrer dies Volk nicht ein - lenken koͤnnen, mußte er ſeinen Stab ſanft zu den Heiden uͤberſetzen; warum wollen wir bey einem ſo ſchlechten Beyſpiel, das wir den Juden in den meiſten Chriſten darſtellen, mehrerwar -30erwarten? Des Herrn Reich wird kommen, der Tag, den Gott allein machen kann, ein - brechen, da trotz dem baͤrtigen und unbaͤrti - gen Gottesdienſte, Eine Heerde und Ein Hir - te ſeyn wird. — Der gute Prediger aus L — hatte viel uͤberhaupt, beſonders aber wegen der Suͤnde wider den heiligen Geiſt dagegen, welche ſich im eigentlichſten Originalverſtande das ſtockblinde juͤdiſche Volk, wie er verſicher - te, zu Schulden kommen laßen; indeßen mu - ſte er die Juden fuͤr Archivarii, fuͤr Siegelbe - wahrer der chriſtlichen Religion, anerkennen, und der Graf lenkte mit dem Umſtande ein, daß er die vier hebraͤiſch geſtorbenen umge - kehrt in das Buch der Sterbenslaͤufe einge - tragen. Der fuͤnfte ſtand in einer Reihe mit den Gottglaͤubigen. Ich habe, ſagte der Graf, alles nach Orts-Umſtaͤnden und Gele - genheit eingerichtet, und zwey Claſſen ge - macht. Hier zu meiner Rechten Chriſten, zu meiner Linken, Gottglaͤubige. Mahumeda - ner gehen dieſe Straße nicht, warum alſo? — Hier iſt noch ein Simultanſtuͤbchen, wo So - cinianer, Pelagianer, Semipelagianer, Ber - liner und Semiberliner (wie der Prediger — — in — — die neuſte Ketzerey nennet) blei - ben koͤnnen. Es ſind indeßen nur zwey So -cini -31cinianer hier unſanft entſchlafen; die meiſten haben ſich zu einer der groͤßten Claſſen ohne meine Mitwuͤrkung bekehret, und ſind auf Prima oder Secunda, oder zur Rechten oder Linken geſtorben. Ich ſelbſt bin ein Chriſt, mache mir eine Ehre draus, und alle recht - ſchaffene Primaner erkennen mich dafuͤr.
Ha, fieng der Graf, wie aus einer fri - ſchen Champagner Bouteille, an. Meine Mode iſt vielen ein Geruch des Todes zum Tode. Sie ſpotten mein, und belegen mich mit apocryphiſchen Schandnahmen. Es ſey alſo, ich achte alles fuͤr Schaden gegen dieſe uͤberſchwengliche Erkenntnis. Sterben iſt mein Gewinn, ich ſchaͤtze mich ſelbſt noch nicht, daß ichs ergriffen haͤtte. Eins aber ſag’ ich, ich vergeſſe was dahinten iſt, und ſtrecke mich zu dem, was da vornen iſt, und jage nach dem vorgeſteckten Ziel nach dem Kleinod. — Zwar leugne ich nicht, daß die Kranken - und Todeswaͤrter auch Traͤger, von je her, eben nicht in großen Anſehen geſtanden, und daß ſchwerlich ſo lange die Welt ſteht ein des heili - gen Roͤmiſchen Reichs-Graf und Herr ſich damit beſchaͤftiget haben duͤrfte, aber dafuͤr hab’ ich auch die Ehre, der Erſte in dieſer Art zu ſeyn. Es iſt wahrlich ein Stuͤck von Adamin32in ſeiner paradiſiſchen Pracht und Herrlich - keit, wenn man auf einem Wege der Erſte iſt! Es liegt Etwas Goͤttliches drinn. Zwar wenn vom Stammbaum die Rede waͤre, fing der Graf in einem hochgebohrnen Ton an; moͤcht ich ſehen, wer einen entferntern Erſten haͤtte, als unſer Haus? Ich nehm aber meinen Er - ſten im andern Sinn. Auch der Lezte iſt mir Ehrenwerth. Der Lezte zu ſeyn, iſt zwey Drittel weniger koͤſtlich; indeßen beßer als alle, die vor ſind, bis auf den hohen Erſten. — Adam und Eva wurden nicht gebohren, und die den juͤngſten Tag erleben, werden nicht ſterben. Ich moͤcht ihn ſchon nicht erleben, den juͤngſten Tag, denn ich habe Luſt abzu - ſcheiden. Ich habe die Ehre, den Tod zu ken - nen, und kann wohl ſagen, daß ich ihn lieb habe, ſo lieb wie mein Leben und mehr.
Der Graf ſprach dieſes nicht im Ausfor - derungston, ſondern ſo kalt, wie der Tod. Er hatte ſchon die Weiſe des Todes angenom - men. Ich hatt’ ihm ſeine obige Anwendung laͤngſt verziehen, und war froh, einen ſolchen Sterbensmann kennen zu lernen. Ich moͤch - te bey dem allem wißen, fieng der Graf vom friſchen an, wie es zugehe, daß Leute, welche alsdenn, wenn uns oft die beſten Freundeun -33untreu werden, uns zu Dienſten ſtehen, ſo wenig geachtet worden und noch werden. Die natuͤrlichſte Urſache, erwiedert’ ich, da der Graf wuͤrklich inne hielt, weil der Menſch ohne Seele nicht viel iſt. Es hinkt und ſtinkt mit ihm, pflegte meine Mutter zu ſagen. Da es nun endlich mit uns allzuſammen auch ein - mahl hinken und ſtinken wird; ſo ſcheint das Leichenbegaͤngnis, woran alles ohne Anſtoß, ohne Capitis Diminution, Theil nimt, einge - fuͤhrt zu ſeyn, welches bey allen geſitteten Perſonen von je her uͤblich geweſen. — Hie - durch wollen wir unſere Entfernung von der Leiche, unſere Verachtung ſelbſt gegen die, ſo ihr nahe blieben, rechtfertigen. Wir tre - ten der Leiche naͤher. Man nennet dies die lezte Ehre, den lezten Liebesdienſt, weil die Seele nicht mehr gegenwaͤrtig iſt, da der Er - denklos zum leztenmahl nach ſeinem in der Welt behaupteten Menſchenwerth und Rang behandelt wird. Ich will mich hier nicht an - fuͤhren; denn waͤr es moͤglich geweſen, mit Minen auch ohne lebendigen Othem zu leben und zu ſeyn — gern! — Der Graf, dem die - ſer Seufzer unangenehm ſchien, half mir wie - der in die Rede, wie folget.
CIch34Ich laͤngne es nicht, daß wir Menſchen vielleicht bey dieſer Gelegenheit eine Doſis Grosmuth raͤuchern wollen. Der Erbe zei - get, er habe, unerachtet der Erblaßer nicht mehr da iſt, noch Liebe fuͤr ihn, und mehr, als fuͤr den Nachlas. — Der Sohn will die Pflicht der Erkentlichkeit erfuͤllen gegen den, der ihm ſein Bild anhieng, das auch noch im Tode nicht ohne uͤbereinſtimmende Aehnlichkeit iſt. Die Tochter will beweiſen, daß ſie eine tugendhafte Mutter gehabt, daß heißt mit andern Worten, daß ſie ſelbſt tugendhaft ſey. Mine weinte bey dem Grabe ihrer Mutter meinet und ihrer Mutter wegen. Dem Gra - fen war dieſer Eingrif wieder nicht am rechten Orte; denn ich konnte den Namen Mine, der mir mehr als alle Namen iſt, nicht ausſpre - chen, ich kann es noch nicht, ohn’ aus dem Concept zu kommen. Diesmahl half der Graf mir ein. — Das alles leugn’ ich nicht; indeßen bin ich der lebendigen Zuverſicht, daß weil alle Nationen ſo ſtimmig in puncto puncti ſind, es ſey die Nachexiſtenz der Seele die Ur - ſache dieſes Hebens und Tragens, das man mit ihrer Huͤlle vornimmt. Man ehrt ſie im Koͤrper, ſo wie den Mann im Bilde, und will das, was ein Geiſt getragen hat, in einer Eh -ren -35renruͤſtkammer aufhaͤngen, ſo wie man Har - niſche in der Kirche aufhaͤngt, obgleich ſie nicht alle wider die Tuͤrken gebraucht worden. Man will das an andern thun, was man ſelbſt an ſich zu ſeiner Zeit gethan wißen will. Man fuͤrchtet ein ſchlechtes Compliment in der andern Welt, wenn man gegen den Ent - ſeelten dieſe Pflichten verſaͤumet hat. Wahr - lich es liegt ſehr was menſchliches in dem Begraͤbnis, und ich bin ihm ſehr gut — ſehr. Der Graf konnte nicht umhin, mich herzlich zu umarmen; mehr konnt er nicht.
Die Fluͤche, womit man in alten Zeiten diejenigen bedrohete, die Hand an die Tod - tenhaͤuſer legen wuͤrden, wie ſehr beweiſen ſie den Werth, den man auf Staub, Erd’ und Aſche legt! Wer dies Grabmahl ſtoͤhrt, ſoll die Seinigen all uͤberleben. Schreklicher Fluch! Er ruhet auf mir, ſagte der Graf! Ich lenkte ab, und ſagt’ einen Fluch anderer Art: den ſollen die Manes ſaur anſehen! — Iſt das nicht ſchrecklicher, als wenn es an den Wegen heißt: wer hier Toback raucht, ſoll ſechs Jahr in die Feſtung! denn dies heißt, mutatis mutandis, ſoll ihn ſechs Jahr in der Feſtung rauchen. Dies Wort zu ſeiner Zeit, oder zur Unzeit, munterte den GrafenC 2auf36auf, der wider Denken und Vermuthen eine Empfindung uͤber den Umſtand merken lies, daß er auf dem Staube aller Seinigen ſtuͤnde.
Man hatte zu aller Zeit Familienbegraͤb - niße, Familiengewoͤlbe, Hypogaea, wo jeder ſein Kaͤmmerlein beſaß, jeder Topf ſein Plaͤtz - chen und ſein Apotheker-Etiket! —
Recht, ſagte der Graf, die Urnen und Grabhaͤuſer der Alten verrathen indeßen viel Geſchmack. Man findet in dieſen galanten Zeiten Taſſen, fuͤgt’ er hinzu, Potspouries, was weis ich mehr, auf dieſe weiſe, und manches Weibsbild ſollte nur wißen, wor - aus es trinkt, woraus es Geruch ziehet, ſie wuͤrde —
Daß ich, fuhr der Graf fort, meine Taſ - ſen in der Art habe, iſt kein Wunder; da ich indeßen ein Chriſt bin, habe ich was chriſt - liches dabey angebracht, ein Kreuz. Ich bin kein Heide, ſehender oder blinder! Heide iſt Heide! Nicht wahr, Gevatter Prediger?
Der Gevatter Prediger, der des Grafen Toleranz kannte, obgleich er auch wußte, wie aͤchtchriſtlich der Graf ſey, gab kein Wort darauf, ſondern ließ ſich bey dieſer Gelegen - heit mit der Anmerkung hoͤren, daß Seefah - rer, wenn ſie in Lebensgefahr geweſen, ſichKoſt -37Koſtbarkeiten um den Leib gebunden, und ein Geſuch, ſie, wenn das Meer die Gnade ha - ben wuͤrde, ſie auszuſpeyen, zur Erde zu brin - gen; denn der Menſch iſt Erde und muß zur Erde werden, ſezt’ er hinzu. Hier ſagte der Graf: Recht! Gevatter Prediger.
Ich fuͤhrte meinen Cornelius Nepos an, wegen des Cimons, deßen Leib der Herr Sohn Miltiades ausloͤſen muſte. Es macht Men - ſchen Ehr’ und Schande, daß ſie einen menſch - lichen Leib fuͤr ein Unterpfand anſehen koͤnnen, ſagte der Graf, und ſetzte wieder hinzu: nicht wahr, Gevatter Prediger?
Wir konnten von der lezten Ehr’ und lez - ten Schande nicht abkommen, die wir den Verſtorbenen erwieſen. Die lezte Schande, ſagten wir einſtimmig, fienge von dem Au - genblick an, da alles ſagt: Kalt, und daure bis zur Collocation, bis zur Ausſtellung, hier fienge ſich die lezte Ehr’ an, und gehe bis ſich gleich und gleich geſellet hat, und Erde zu Erde gekommen. Bey uns zu Lande, bemerk - te Gevatter Prediger, heben Traͤger von eini - ger Bedeutung die Baare nicht auf, ſondern ſchlechte Leute. Sie ſetzen ſie auch nicht nie - der. Da wieder Schand’ und Ehre. Wer wird, fragte der Graf, der Albernheit dasC 3Wort38Wort nehmen, die ſich beym Anputz der Lei - che und bey dem Begraͤbniß-Luxus zu offen - baren pflegt? Da begraben die Todten die Todten! Wir fielen auf die Todten und Be - graͤbnislieder der Alten, die nicht ſo erbaulich waren, als: ich hab’ mein Sach Gott heim - geſtellt. Ich bin ja Herr in deiner Macht, und das neue Todtenlied vom Jahr des Orga - niſten in L —
Wir danken Gott fuͤr ſeine Gaben ꝛc.
Die Todtenlieder der Alten waren weinerliche Luſtgeſaͤnge, ſagte der Graf. Ernſt und Scherz, wie iſt es zu erklaͤren (das war das Wort, ſo der Graf ſuchte) wie iſts zu erklaͤ - ren, daß ſo kluge Voͤlker in dieſem Stuͤck ſo unklug ſeyn konnten? Dieſe Geſaͤnge, dieſe Naͤnien, die Hanswuͤrſte und Gaukler, dieſe Klagweiber, die ſo lachen konnten, daß alle Welt es fuͤr Weinen hielt, wie iſts in rerum natura, wie iſts erklaͤrbar? Wie Lachen und Weinen zuſammen!
Nach bild der Welt, ſagt ich, oder mein Vater.
Doch ich will blos den Inhalt eines lan - gen Geſpraͤchs geben; ſonſt wuͤrd’ ich zu weit - laͤuftig werden.
Dieſes Leben, fieng ich an, iſt Lachen und Weinen, in einem Sack, ſetzte der Grafhinzu.39hinzu. Warum der Anſtoß bey einem Uni - verſalwort, das faſt in allen Sprachen ein und daßelbe bedeutet? Sack, ſagt’ ich dem Grafen nach, Dramas, weinerliche Luſtſpiele, wuͤrden wahre natuͤrlich warme Lebensdarſtel - lung ſeyn, wenn das Ende nicht luſtig und der Anfang traurig waͤre. Links und rechts, bald ſo, bald anders, muͤſte es ſeyn, das waͤr’ ein Leben! — Luſt und Trauerſpiele waͤ - ren dann Kunſt, jene Naturſtuͤcke, nicht wahr? fragte der Graf den Gevatter Prediger; allein dieſer ſchuͤttelte blos mit dem Kopf, weil von Luſt und Trauerſpielen die Rede war, auf die ſich der Gevatter ſo wenig, als auf die wei - nerliche Luſtſpiele, kunſtgerecht verſtand. — Die Alten agirten beym Begraͤbnis das Le - ben, ſo wie ſie bey allem, was ihnen gros, erbaulich, goͤttlich war — agirten. Es lag vielleicht ein hoher Sinn in ihrer Begraͤbnis - methode, wo Luſt und Unluſt zuſammen wa - ren und wechſelten wunderlich. Sie laſen den wahren Lebenslauf des Verſtorbenen oh - ne Tropen und Figuren. Ihre Begraͤbniſſe waren Leichenpredigt, Leichengeſang, fuͤr die umher giengen. Seht da das Leben! ſeht! ſeht! faßt euch, wenn der Tod es fordert. Laßt Leben und Tod aus einem Stuͤck ſeyn,C 4und40und ſoll Leben und Tod als Etwas Verſchie - denes angeſehen werden, macht, daß der De - ckel zum Gefaͤß paße. Das beſt’ iſt, ſo ſter - ben, als man lebt. Der wuͤrklich Traurige, wenn ja ein Pickelhering ihn aus der Faßung bringt und ihm ein Lachen bereitet, welch ein bittrer Vorwurf folgt darauf! Die Freude der Welt wirket den Tod! — Das Leben iſt ſo Etwas niedrigcomiſches, daß es jedem klu - gen Mann ekelt zu leben. — Alle Todte ha - ben Ernſt in ihren Geſichtszuͤgen. In der andern Welt wird vielleicht das Lachen kein ſolch Hauptſtuͤck des Lebens ſeyn; da wird das Lachen werden theur! Dies und das koͤnnte vielleicht ein Theil von dem hohen Sinn ſeyn, der in den Begraͤbnißen der Alten ent - halten iſt. Wir laͤugneten, daß dieſer Sinn eben ſo hoch laͤge, indem jeder ziemlich leicht, und ohne auf Zehen, dazu kommen koͤnnte.
Wir ehren ſehr Leute, die ſich durch den Tod nicht aus dem Concept bringen laßen: freylich trift ein gewißes geſetztes Weſen, das dem Tod entgegen kommt, mehr das Herz, wir ſchaͤtzen auch Leute von dieſer wind - ſtillen Art im Leben am meiſten. Genau ge -nom -41nommen iſt nur der Umſtand verehrungs - werth, daß wir nicht ſtecken bleiben — daß es ſo ausſieht, als lebten wir in eins weg. — Des Thomas Morus lezte Worte ſahen wie Tiſchreden aus, und wahrlich, er ſtarb wie ein Mann. So bald, ſagte der Graf, ich ei - nen leichtſinnig ſterben ſehe, der ſo lebte — ſage man mir nichts uͤber den Leichtſinn; ich nehme dieſes Wort im guten Sinn. Man koͤnnte dieſen Sinn, um ihn zu verſtehen, auch Leichtſinn nennen. — Noch hab’ ich der - gleichen Sterbende nicht gefunden. Denn Witz und Sinne ſind in einem beſondern ge - heimen Einverſtaͤndnis. — Bevor die Fra - ge: wie wir ſtarben? beantwortet wird, ſagte Epaminondas, kann man nicht ſagen, wer von uns die meiſte Achtung ver - dient. — Niemand iſt vor ſeinem Tode gluͤcklich, Niemand bey ſeinem Leben gros. — Menſch bedenke das Ende! Aber! fieng der Graf an, und wandte ſich an mich, warum ſo viel Leid um unſere Todten? Sie gehen keinen Schritt vorwaͤrts und werden vom Schmerz angehalten, ſo bald der Name Mine vorkommt. Ich habe viel aͤuſſere Trauer an mir, als da ſind z. E. die Pleroͤſen an meinen Briefen — und mich haͤlt nichts an, und wasC 5eigent -42eigentlich hieher gehoͤrt, hat nichts ange - halten. Iſt denn der Todte nicht blos vor - ausgezogen? Er hat Extrapoſt genommen; wir gehen mit eignen Pferden. Werden wir denn nicht zu ihm kommen? Je ſtiller der Durchgang, je beßer! Ich fuͤr mein Theil liebe ſehr die Reiſen incognito, ohne Geraͤuſch. Warum wollen wir denn nicht die lieben Un - ſrigen incognito ſterben laſſen? Wir ſehen uns wieder. Iſt in der Welt eine Luͤcke durch unſern Freund, durch unſre Geliebte, worden? Fehlt denn ein anderer? Iſt Alexander ſelbſt in der Welt vermißt, der doch wohl unſtreitig ein Weltmann war? Haben Sie, mein Kind, in Curland gewußt, daß ich Frau und Kinder verlohren? Laßt uns doch nicht vergeſſen, daß wir in der Welt und nicht in der Familie ſind — das war ungefaͤhr, was der Graf und der Prediger mir ans Herz legten. Hier iſt der Extrakt meiner Exception.
Der Zeit kann und muß nichts vorgreifen; nicht Religion, nicht Weisheit. Sie leidet es nicht, und nur ſie kann den Schmerz, den al - lergerechteſten Schmerz, lindern. Zeit und Ewigkeit liegen nicht ſo voneinander, wie Koͤ - nigsberg von Paris, wo ich Extrapoſt und langſam fahren kann. Die Idee, den Freund,die43die Geliebte, ſiehſt du nicht mehr, ſo ganz er - denganz, wie ſie da waren; die Idee, der Leib, den du geliebt haſt, dem du ſo gut gewe - ſen biſt, iſt Aſche! iſt Staub! O liebſter Graf! das brennt wie[Neßeln] an die Seele. Wir betrauren nicht die Seele, ſondern den Leib, weil er Fleiſch von unſerm Fleiſch iſt. —
Wenn noch ja eine kuͤnſtliche Stoͤhrung im Schmerz angenehm waͤre, wuͤrd’ es die ſeyn, wenn man hohe Achtung fuͤr Jemand hat, und ſich gerade halten muß. Der Schmerz geht krumm und ſehr gebuͤckt. Durch dieſen Zwang kommt man zuweilen der Zeit vor; allein oft ruht ſie ſich. Es kom - men Recidive! — Sich Gott, das iſt, ſich der Zeit uͤberlaßen, das, hoff’ ich, wird meine Wunde heilen. — Es kann Linderung geben, wenn man aus Schmerz die Binde wegreißt; allein die Wunde wird gefaͤhrlicher durch die - ſen Aufris. Man laße der Natur ihren Lauf; ſonſt iſts Unnatur. Die Alten erzuͤrnten ſich zuweilen mit den Goͤttern uͤber einen Todes - fall. Sie ſchimpften, ſie warfen die Bilder der Hausgoͤtter auf die Straße, und wollten nicht mehr ſo unerkenntlichen Goͤttern ein Obdach verſtatten. Es iſt Schmerzensnatur ſo etwas auslaufen laßen! — und nichtsbringt44bringt ſo ſehr zu ſich, als dergleichen Exceß. Ein ganz ſtiller Schmerz iſt der gefaͤhrlichſte. Wenn er poltert, ſchlaͤgt und ſtoͤßt, legt ſich der Sturm und es wird bald ſtille. Stren - ge Herren regieren nicht lange! —
Der gute Prediger, der oft zuruͤckgeblie - ben, wollte bey dieſer Gelegenheit voraus und eilte uns mit der Anzeige nach, daß Alexan - der der Große, als ihm ſein Jonathan He - phaͤſtion ſtarb, ſo gar die Stadtmauren kurz und klein gemacht, um eben hiedurch Trauer zu tragen um ſeinen Todten. —
Daß man ſich die Haar abſchnitt, um ſei - ne Trauer an den Tag zu legen, find ich nicht unrecht, ſagte der Graf. Man will auch was von ſich verlieren, man will dem Verſtorbenen Etwas mitgeben — ich dacht’ an Minens Locke, die ich an meinem Buſen befeſtiget hat - te, und gern haͤtt ich jetzt eine von mir Minen ins Grab gegeben, wenn es nicht zu ſpaͤt ge - weſen. — Wie viel Sterbensart kann man von einem Mann, wie der Graf, lernen!
Ich komme wieder ins vorige Extrakts - geleiſe. — Die Haare ausraufen, iſt von je her als ein Zeichen der Traurigkeit angenom - men worden. Wer gen Himmel betruͤbt ſe - hen kann, fordert der nicht faſt Gott heraus,thut45thut der nicht mehr, als die Hausgoͤtter aus - fegen, und doch halt’ ich ihn fuͤr einen beßern Menſchen, als den, der dem lieben Gott was vorliebaͤugelt und im Herzen gallenbitter auf ihn iſt. Der Phariſaͤer! Ich glaube der liebe Gott ſiehts recht gern, daß wir Menſchen ſind, daß wir das Herz haben, es zu ſeyn! Es iſt ein lieber guter Gott!
Dem Grafen war es eine Beſondernheit, daß man zu alten und neuen Zeiten Menſchen zur Gruft von andern Menſchen tragen laßen und laͤßt, und daß auch hiebey, nach Bewand - nis der Leiche, bald viel bald wenig Traͤger genommen werden, obgleich dies mit zur lez - ten Ehre gereicht, von der oben gehandelt wor - den. Leitet man nicht den, der nicht gehen kann? ſagt’ ich, und um auf die lezte Ehre einzulenken: Traͤger ſind die Livrey-Bedienten des Todten. Sollte man nicht beym Begraͤb - nis Ewigkeit ſpielen, und dies Verwesliche nach dem Unverweslichen ſtimmen? erwieder - te der Graf, und der Hammer, fragt ich? Sollte, fuhr der Graf fort, und nun waren wir im Saale.
Was zeither vorfiel, war gehendes Fußes, war auf der Treppe. Man ſieht ihm dieStufen46Stufen an. — Erſchrecken, pflegte mein Va - ter zu ſagen, iſt die Goldwaage fuͤr Maͤnner. Wir koͤnnen erhaben und poͤbelhaft erſchrecken. Die Weiber erſchrecken bald, und, was noch mehr iſt, nach einer und zwar bekannten Me - lodie. — Sie erſchrecken ſchoͤn, wenn man will. — Um alles in der Welt wuͤnſcht’ ich mir keine Frau, die nicht leicht erſchroͤcke. Schaamroͤthe und Erſchrecken liegt bey ihnen in einem Bezirk. Eins borgt vom andern; beydes kleidet das ſchoͤne Geſchlecht. — Es iſt extra fein Poſtpapier, wo alles durch - ſchlaͤgt. —
Koͤnnt’ ich meine Leſer und Leſerinnen doch in den Saal ſelbſt und weiter einfuͤhren. Koͤnnt’ ichs doch! Todespracht uͤberall! Wahrlich Todespracht. — Mir wars oft, als hoͤrt’ ich einen dumpfen Ton: Menſch, du muſt ſterben! Waͤre mir dieſe Bothſchaft we - niger fremde in meiner damahligen Lage ge - weſen; ich waͤre mehr zuruͤckgefallen. — Ich weiß nicht, ob meinen Leſern die Geſchichte des Belſazars beywohnet, der eine Hand an der Wand ſchreiben ſahe. — Solch eine Hand an die Wand ſchreiben zu ſehen — —
Was ich erzaͤhlen kann und werde, o! wie gar nichts gegen das, was ich ſahe — nichts —
Den47Den Saal, fieng der Graf an, haben die Weltliche, ſo nenn ich die Gottglaͤubige, in Beziehung der Chriſten, die ich in dieſer ſchnur - geraden Linie Geiſtliche heiße. Verzeihung, Gevatter, ſagte der Graf, indem er zum Pre - diger ſich wandte, der tief in Gedanken dar - nieder lag, und unfehlbar mit dem Verleger wegen der zweyten Auflage im Streit war — Gerne, erwiederte der Prediger. Das Wort Gern war immer ſeine Antwort, wenn Ver - zeihung die Frage war, er mochte wachen oder traͤumen. Chriſten, fuhr der Graf fort, ſind allzumahl geiſtliche Prieſter! Ja wohl, er - wiederte der Prediger. Der Geiſtliche konnte den Verleger nicht los werden. Der Graf fuhr weiter fort —
Ob nun gleich Chriſtus, der Erzprieſter, kein Altarredner und Kanzelprediger war; ſondern ſtatt auf die Kanzel auf einen Berg ſtieg, wo er eine Predigt hielt, die er drucken laßen; — der Prediger wie aus der Piſtole: von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt. Ey, Freund! fiel’ der Graf ein: in der Bergpre - digt keine Sylbe von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt. Math. verſetzte der Prediger. Recht! endigte der Graf, der waͤhrend der Zeit das Ob nun gleich verlohren hatte; ſodaß48daß dieſer Period ungerundet blieb. Chri - ſten, hub er vom friſchen an, verwandelten ih - re Hoͤhlen in Capellen, bis Tempel daraus wurden, und warum nicht? Wohnt gleich Gott der Herr hier nicht ausſchlusweiſe; woh - net er doch auch hier. Chriſtus gieng in den Tempel und nannt’ ihn ein Bethaus, das man zur Moͤrdergrube gemacht haͤtte. — Chriſten in die Kirche — Gottglaͤubige in den Saal.
Wir billigten alle die Gewißenhaftigkeit, die Peinlichkeit des Grafen, der Chriſtenthum von Heidenthum, ſelbſt bis auf die Mobilien, trennte. Werden, fieng ich an, werden doch unſere chriſtliche Helden in roͤmiſchen Or - nat geſteckt, wenn man ſie aufhaͤngen, auf - ſtellen, und alſo der Ewigkeit zubringen, und, wenn ich ſo frey ſeyn darf, ſchon fuͤr die Ewig - keit uͤber die Taufe halten will. Scheint es gleich uͤberhaupt, daß der Kleiderſchnitt, den wir angenommen haben, nur ein Schlafrock waͤre, und daß, ſo bald wir zu Ehren gebeten werden, es roͤmiſch ſeyn muͤſte; ſo iſt es doch nicht recht und loͤblich!
Ich ſtelle, ſagte der Graf, alles an ſeinen Ort. Wahrlich denn wuͤrde wenig zu lehren und zu lernen ſeyn, wenn alles ſo geſtellt waͤre. Jezt iſt der Haufe blos darum ſo hoch,weil49weil alles groß und klein durcheinander ge - worfen iſt. — Wenn indeſſen, fing der Pre - diger in einem abzurundenden Period, der ge - wis nicht, wie des Grafen ſein: Ob es nun gleich in Stecken gerathen wird, an, wenn indeſſen der Chriſt allen allerley werden ſoll, und wenn Chriſtus, der Herr ſelbſt, ſich be - ſchneiden laſſen und das Oſterlamm gegeſſen; die Juͤnger auch, obgleich ſie Juden waren, am Sabbath Aehren zu leſen und Eſel aus dem Brunnen zu ziehen von ihrem Meiſter die Erlaubnis erhielten; ſo darf doch der Chriſt kein ſo großer Ceremonien Meiſter ſeyn. Ce - remonial Geſetz iſt bey allen, ſelbſt den geiſti - ſchen Dingen: indeſſen ſind wir in der chriſt - lichen Freyheit, wie es ſelbſt bey unſern chriſt - lichen Ceremonien am Tag iſt, denen ich in - deſſen von Herzen gut bin. Der Chriſt hat den Geiſt von allen Religionen, das unſterbli - che Weſen, ſo Chriſtus durchs Evangelium ans Licht bracht hat. Laßt uns alſo tolerant ſeyn, wie unſer theure Graf, der es iſt, wenn er gleich — Saal und Kirche unterſcheidet, und in allem, fuhr ich fort, dem Geiſt, dem We - ſen nachſpuͤren, bis Ein Hirt und Eine Heer - de wird. — Hoſianna, gelobet ſey dieſe Zeit, die da kommt im Namen des Herrn! Hoſian -Dna50na ihr in der Hoͤhe! Das Chriſtenthum, ſagt ich, iſt die einfachſte Religion auf Gottes wei - ten Erdboden, ſo wie der Geiſt einfach iſt. Sie kann Koͤrper annehmen, wie in der Schrift En - gel Koͤrper angenommen haben, und wie man von ſehr guten Menſchen, die gut wie Seelen ſind, ſagen koͤnnte: ſie haͤtten Koͤrper angenom - men. Freylich adoptirten Engel keinen andern, als menſchliche, als ſolche Koͤrper, die ſie im Griff hatten, die ihnen die naͤchſten waren. — Die chriſtliche Religion hat keinen Tempel, kein Haus, kein Obdach noͤthig, ſondern uͤberall, wo Luft und Sonn iſt, wo wir ſind und we - ben, iſt Gottes Stuhl, und die ihn anrufen, doͤrfen nicht das Geſicht drehen und wenden. Gott iſt uͤberall. Im Morgen und in Mitter - nacht. Wer recht thut, iſt ihm angenehm. Dies war (obgleich es hohe myſtiſche nur we - nigen verſtehliche Toleranz iſt) dem blos ge - woͤhnlichen und fuͤrs Haus toleranten Prediger ſo gefunden, daß er mit einer Dreiſtigkeit ſchloß, die dem Grafen ein wenig zu hart auffiel.
Ceremonien, ſagt’ er, ſind des Herzens Haͤrtigkeit wegen, und da, nach Orts Umſtaͤn - den, die erſten die beſten! —
Nicht alſo, lieber Gevatter, verſetzte der Graf, etwas untolerant. Ceremonien, lieberGe -51Gevatter, ſind Kleider der Sache. Kleiden denn alle Farben alle Geſichter? Es iſt ein Aufputz, das Colorit — das wahrlich ſeinen Meiſter erfordert. — Wenn es alſo recht waͤre, muͤßten Chriſten chriſtliche Ceremonien haben. Wie ſtimmet Chriſtus mit Belial, haͤtt’ [ich]bey einem Haar geſagt; allein Belial und ein Heide iſt zweyerley. Die Folge die - ſes Spruchs paßt beſſer. Was hat das Licht fuͤr Gemeinſchaft mit der Finſternis?
Ich geſteh es gern, daß mein Auge dem Ohr viel abgewonnen; indeſſen kam die Sa - che endlich ſo zu ſtehen:
Es giebt ein blindheidniſches, und ein Gott - verehrendes, ein ſehendes Heidenthum. Auch dieſe Sehende ſind von Chriſten unterſchieden, ſo wie Saal von Kirche. Findet man Anti - ken, wo man einen unbekannten Gott drinn ſiehet, einen Kuͤnſtler, der bey dieſer Arbeit nicht aufs Sichtbare, ſondern aufs Unſicht - bare ſahe; Heil dem Kuͤnſtler! Und findet man einen Samariter mit Oel und Wein — er ſey uns ehrenwerth — und findet man — Genug.
Zu beyden Seiten der großen Thuͤre ſtan - den zween Genien, deren jeder ſeine Fackel umgekehrt hatte, und ins Kreuz auf eine Ur -D 2ne52ne hielt. Zwey Sphinxen von beyden Seiten ſahen zu. —
In einem Felde waren zwey reißende Thie - re, die nach einen Schmetterling haſchten, der uͤber einer praͤchtigen Urne flog. Sie haſch - ten; allein er entfloh.
In einem andern die Artemiſia, mit einem Trank, koͤſtlicher als die Perle der Cleopatra! Mannsaſche. Zu einer Seite ein Kuͤnſtler mit dem Riß vom Mauſoleum in der Hand; zur andern ein Dichter, der mit den Augen ſang. Wie kann er anders auf der Wand? —
Sodann allerley Arten von Pyramiden, Mauſoleen, Grabmaͤhlern, Urnen, Thraͤnen - flaſchen. Ein Feld mit drey Parcen! Zu bey - den Seiten ſolch Feld.
Endlich Himmel und Hoͤlle, der Alten drey Furien, der Tantalus, der heidniſche reiche Mann, der mitten im Waſſer ſteht und doch Gefahr laͤuft zu verdurſten. Ein Rad, mit dem ein Verdammter ewig herumgetrie - ben wird. Das nenn’ ich raͤdern, ſagte der Graf! Leidenſchaft heißt dies Rad.
Ferner ein Leichenbrand, von Leuten ange - zuͤndet, die ihre Geſichter abgewandt hatten. Eine Gebeinleſe von Verwandten — und die Collecte: S. T. T. L. ſit tibi terra levis. Leichtſey53ſey dir die Erde — drey, vier, fuͤnfmahl an - geſchrieben. —
Sodann ein Feld. Elyſiſch. Fruͤhling. Paradies. Ein Koͤrper, dieſem Clima gleich — drey Grazien.
Endlich eine Art von Altar, oben ein Spie - gel. Um den Spiegel die Aufſchrift: dem un - bekannten Gott!
Dies, ſagte der Graf, iſt der Erbauungs - Saal derer, welche nur eine Offenbahrung durch die Vernunft kennen, nur ein Licht, das den Tag regiert, ohn’ an das Licht, das die Nacht regiert, und die Sternenflur, zu den - ken. Die Vernunft wird durch den Spiegel angedeutet, den man nur auf Zehen erreichen kann. Es muß ein Fluͤgelmann ſeyn, der ei - nen Blick hineinſtehlen ſoll, und was ſieht er? Ein klein Stuͤckchen Kopf! Er ſieht ſich, wenn er Gott ſehen will. Bey allem dem bin ich kein Feind dieſer Gottesverehrer, ich habe Kerls darunter ſterben geſehen, beſſer wie Sokrates, ohne Hahn, ohne Todesangſt. — Kein Wun - der, ſie hatten das neue Teſtament unſers Herrn geleſen. — Sie ſollen einige ſehen un - ter meinen Todtenkoͤpfen, wo ich Chriſt - und Gottverehrer zuſammen, wie es in allen Ge -D 3bein -54beinhaͤuſern Sitt’ iſt, geſtellt habe. — — Da iſt nicht mehr Tempel und Saal.
Paulus kann unmoͤglich bruͤnſtiger den unbekannten Gottesaltar angeſehen ha - ben, als ich den des Grafen, geweihet den Menſchen, die Gott nicht als Vater, ſondern als Herrn, als Alleinherrſcher, anſchauen. Iſt denn, dacht’ ich, Gott den Chriſten bekann - ter? Wohnet er nicht in einem Lichte, wozu niemand kommen kann? Iſt er nicht ein We - ſen, das Niemand geſehen hat, und ſehen kann? Der Gottverehrer indeſſen ſieht ſich ſelbſt im Spiegel, der Chriſt ſieht Chriſtum, wenn bey - de Gott ſehen wollen. Ihm, dem Vater aller Dinge, ſey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!
Wir giengen durch mancherley Zimmer zur Capelle, durch viel Truͤbſal, ſagte der Graf, zum Reiche Gottes. Es waren ihrer dreymal ſieben. Der Graf liebte dieſe Zahl ſehr, er nannte ſie eine Offenbahrungs Johannis Zahl, eine bibliſche Zahl, und hatte gewiß ein Paar Zimmer (da wolt’ ich drauf wetten) eingehen laſſen, oder mehr angebauet, um nur die Zahl ſieben herauszubringen! Man laß ihm doch die ſiebente Zahl! Meine Mutter pflegte zu ſagen, jeder habe ſeine Zahl, die ihm am Her -zen55zen liege. — Es war kein einziges unter allen ſieben mal ſieben Zimmern (ſo viel waren im Hauſe) in denen nicht Ende, Tod und Ver - weſung, angeſchrieben war! Alles mit groſ - ſen Buchſtaben. Er war ein heiliger Vater, der die Bilder die Schrift der Einfalt nannte. Sie ſind es; allein fuͤr den Klugen ſind ſie Poeſie. In dem Saal und ſechs andern Zim - mern gemeine Liebe, in den ſiebenmahl ſieben Zimmern weniger ſieben die Chriſtliche. Saͤr - ger in den chriſtlichen Zimmern ohn End’ und Zahl — Wenn ich bey jedem dieſer Saͤrger ei - ne chriſtliche Leichenpredigt halten und die To - deszimmer all zuſammen be - und umſchreiben ſolte, wuͤrd’ ich zu langweilig werden. Ein guter ſchneller Tod, iſt er nicht der beſte? Ich behalte mir vor, auf drey (auch eine heilige Zahl; eben ſo gut wie die ſieben, vielleicht eine, die mir nach dem Ausdruck meiner Mut - ter am Herzen liegt, ſo wie meinem Vater die Zahl neun) Zimmer einen Accent zu legen, und eile zur Capelle. — Es fuͤhrte ein fin - ſtrer Gang dahin, ſo wie oft ein ſchlechtes Gelaͤute zu einer ſchoͤn gebauten Kirche einla - det, ſagte der Graf. Es konnten nur zwey gehen, ſo eng war der Gang, um den ſchma - len Weg zu parodiren. Von beyden SeitenD 4kamen56kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten, oder brennen mußten; denn hier war es ewig Nacht. Die Aerme ſchienen (ſo beſonders waren ſie) ſchnell herauszuwachſen, um den Wanderern auf dem finſtern Wege zu leuch - ten! — Auf einer Seite waren ſechs Lichter, auf der andern fuͤnfe. Warum das? Dafuͤr konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei - lung der Spruchſtelle:
Dein Wort iſt meiner Fuͤße Leuchte, ſechs, und die andre: ein Licht auf meinem Wege, ganz richtig berechnet, fuͤnf und nicht weniger Woͤrter hatte. Ueber jedem Lichte ſtand ein Wort, ſchoͤn wie eine Dedication. Wuͤrd’ er dem Worte und auch einen Arm verehret haben; ſo waͤren beyde Seiten gleich geweſen. Das arme Woͤrtlein Und, ich haͤtt’ es nicht verſtoßen, wenn ich der Graf geweſen waͤre. Es iſt gemeinhin ein menſchliches, liebes, gut - herziges Wort, und iſt ſeinen Arm werth. Der Graf aber ſprach ihm die Goͤttlichkeit ab; wenn Gott ſpricht, iſts ohne und. In der Capelle ſelbſt hieng ein Crucifix, und der Schaͤcher, den Chriſtus ins Paradies mit - nahm. Der ſterbende Simeon, mit einer Friedensmiene im Geſicht, die entgegen rief:Herr,57Herr, nun laͤßt du deinen Diener in Friede fahren. Einige Apoſtel als Maͤrty - rer ſterbend. In ihren Geſichtern lagen die Worte: leben wir, ſo leben wir dem Herrn, ſterben wir, ſo ſterben wir dem Herrn, ob wir leben oder ſterben, ſind wir des Herrn. Hier ſtand auch in einem Behaͤltniß, von ei - nem eiſernen Gegitter eingeſchloſſen, des Gra - fen Sarg. Nuͤhrend war es mir anzuhoͤren, daß er alle Vierteljahr einmal drinn ſchlief. Ich habe mich mit meinem Hauſe, ſagt’ er, ſo bekannt gemacht, daß ich alles im Grif habe — Die erſte Zeit ſchwitzt’ ich, als haͤtt’ ich Bezoar-Pulver eingenommen; jetzt ſchlaf’ ich, ohne einen einzigen Schweistropfen, ru - hig und ſanft. Der Tod wird mir, das hof ich, nicht unbereitet kommen. Der Wapen - zierrath war mir bey dieſem Sarge unaus - ſtehlich. Es waren drey bemahlte Pfeiler in der Capelle, Weisheit, Staͤrke, Schoͤnheit, Glaube, Liebe, Hofnung! drey Grazien — drey Frauenzimmer, ſagte der Graf, und ich, „ die Tugend ſelbſt iſt ein Frauenzimmer, „ das Laſter iſt eine Mannsperſon. “ Ey! ſchrie der Graf, Ey! der Prediger. Ich hatte Muͤhe, die guten Herren zu uͤberzeugen, daß mein Vater wohl wuͤſte, was er ſpraͤche. ManD 5muß58muß nur alles nehmen, wie es von Gott und Rechts wegen zu nehmen iſt. Der Buchſtab’ iſt todt; allein der Sinn iſt lebendig. Ich blieb bey Wuͤrden und Ehren, und das Ey war vertilgt, bis auf den letzten Buchſtab, welches um ſo leichter geſchehen konnte, da es nur aus zweenen beſtehet. Sonſt verſteht jeder, was Glaube, Liebe, Hofnung ſey, oder eigentlicher, wie ſie gemahlt werden; indeſſen hatte der Graf ſeinen eigenen Glauben, ſeine eigene Liebe, ſeine eigene Hofnung.
Der Glaube war ein Maͤdchen, das mit der rechten Hand gen Himmel mit einem Cru - cifix den Weg wies, in der linken Hand einen Kelch hatte, woraus es trank, mit dem einen Auge lies es die Bitterkeit des Tranks merken, mit dem andern aber Himmel an, als ſaͤh’ es den himmliſchen Vater — auf dem Haupt’ eine Krone mit Lorbeeren durchflochten. Es lag auf den Knien, das gute Kind. Oben ſtanden die Worte: ich glaube, Herr! hilf meinem Unglauben! Glaube war groß ge - ſchrieben, und es war auch noͤthig, denn wer haͤtte ſonſt wohl wiſſen koͤnnen, daß dies der Glaube ſey? Es thut mir ordentlich leid, daß ich vergeſſen habe, mit welchem Auge der Glaube gen Himmel, und mit wel -chem59chem er in den Kelch der Bitterkeit ſahe, als wolt’ er die Tropfen auszaͤhlen. Kanſt du ſie zaͤhlen, hies es zu Abraham, da ihm die Milchſtraße am Himmel gewieſen und die Verſicherung in forma probante behaͤndigt ward: alſo ſoll auch dein Saame ſeyn —
Die Liebe war eine junge liebenswuͤrdige Mutter, (das ſchoͤnſte in der Natur) ein Kind an ihrer Bruſt, eins lag ihr auf der Schul - ter und kuͤſte ſie mit Inbrunſt. Noch war ein Kind, dem ſie drohend ihre rechte Hand reichte. O wie drohete ſie! Allerliebſt. Oben ſtand: Staͤrker, als der Tod!
Die Liebe iſt ſehr beſchaͤftigt, ſagte der Graf! Sie hat alle Haͤnde voll; die wird wohl jeder kennen! —
Die Hofnung war eine Geſegnete, eine der Entbindung nahe. Das Kind ſprang ihr im Leibe, wie der Eliſabeth, und doch ſah man ihr einigen Kummer an. Sie zaͤhlte die Monden. Sie hatte ſich auf einen Anker gelehnt. Sie lag faſt ganz darauf. — In der einen Hand hatte ſie ein poſtfliegendes Noataͤubchen. Den Kopf hielt ſie in die Hoͤhe, als ob ſie wiſſen wolte, wie weit von ihr zur Erfuͤllung waͤre, vom Ja zum Amen. Die60Die Augen, das merkte man, konnte ſie nicht in die Hoͤhe bringen, ſie wolte —
Es ſtanden die Worte herum: Hofnung laͤßt nicht zu Schanden werden! Hofnung groß!
Der Prediger war ein Muſikus, und da ihm der Graf das kleine Poſitivchen zuwies, zog er den Tremulanten, den Hauptzug an dieſem Werklein, und ſpielte: Was willſt du armes Leben?
Beym Herausgehen wurde mir ein Buch an die Hand gegeben, das die Aufſchrift fuͤhrte: Namen derer, die in dieſer Capelle geweſen, die, da ſie ſchrieben, wa - ren, und, eh ſich das Blat umkeh - ret, nicht mehr ſind. Ihre Namen moͤgen geſchrieben ſeyn ins Buch des Lebens! Amen. Herzlich freut’ ich mich, daß ich meinen Na - men beynahe am Ende ſchrieb, ſo daß das Blat bald umgekehrt werden muſte — bald! Es ergrif mich ein Schauer, und es war, als hoͤrt ich Minen ſaͤuſeln: bald!
Der Graf bewohnte ſieben Zimmer, wo er und ſein Bruder Feuer und Heerd hatten. Des Grafen Bette war ein foͤrmliches Ge -woͤlbe.61woͤlbe. Lazarus, unſer Freund, ſchlaͤft, ſagt’ er zu mir, da er es mir zeigte. Sein Bruder gab ihm nichts nach, nur daß auch hier das graͤfliche Wapen eine Scheidewand machte. Das liebe Wapen! Der Graf, der ſehr in die Urnenfaçons verliebt war, hatte in ſeinen ſieben Leibzimmern chriſtliche Urnen, wo er wuͤrklich chriſtliche Todtenknochen unter wohl - riechende Dinge gelegt und aufbewahrete.
Bey Gelegenheit, daß uns der Graf in ſeinen ſieben Leibzimmern herum fuͤhrte, war er nicht etwa ſtumm, ſondern ſo beredt, als nur irgend Jemand ſeyn kann. Wir ſetzten unſere Geſpraͤche, des Sehens unerachtet, ohne Zeitverluſt fort. Man ſieht noch ein - mal ſo gut, wenn man drein ſpricht; wenn man ſagt, was man ſieht. Das Hoͤren lei - det Abbruch, wenn man recht von Herzen ſieht. Wir ſprachen uͤber das, was wir ſa - hen — und uͤber vieles, was wir nicht ſahen. Meine Leſer werden keine Muͤhe haben zu wißen, was jedem aus unſerm Kleeblat, aus dieſem Spiritus — oder wie es ſonſt heißt, eignet, zugehoͤret und gebuͤhret. Die Grie - chen, ſagte der Graf, hatten die Gewohnheit, einen Zweig an die Thuͤre zu ſtecken, wo ein Todringer lag, wie ungefehr hier, wo Bierfeil62feil iſt. Ich behalte dieſe Gewohnheit auch bey. Ueber jede Thuͤr in meinem Sterbhauſe, wo geſtorben wird, iſt ein Reis als ein Sie - geszeichen angeſteckt; warum ich aber an Ei - nem Sterbenden nicht genug habe, geſchiehet nicht ſowohl meinet, als der Sterbenden we - gen. Man hat ſich gewaltiglich uͤber den Gebrauch der Alten gewundert, daß man bey der Leiche anderer viele Leichen machte, um dem Gott des Todes den Mund zu ſtopfen, und den Charon auf einen Tag in ſolchen Schweiß zu ſetzen, daß er faſt ſelbſt geſtorben waͤre. Man hat, duͤnkt mich, Urſache ſich zu wundern. So viel iſt aber gewis, daß es weit angenehmer iſt, in Geſellſchaft zu ſter - ben, als in Geſellſchaft zu leben. Der groͤßte Theil der Menſchen ſtirbt eben darum ſo ſchwer, weil er alles verlaßen muß, und weil ihn alles verlaͤſt, weil er ſo ſehr allein bleibt. Ein ſchweres Wort allein. Der Menſch iſt ein geſelliges Thier. Der Sterbende hat ſelbſt ſo oft und viel in ſeinem Leben, derer, die ſtarben, vergeßen, als daß er auf die Ehre eines laͤngern Andenkens rechnen ſollte. Wenn er aber mit dem Zirkel, in dem er leibte und lebte, in einem ſtirbt; wie troͤſtet dies? Auch wenn ihm die andre Welt und die Wie -derkunft63derkunft der Guten und Boͤſen ein unaufloͤß - liches Raͤthſel bleibt, giebt ihm dieſer Gedan - ke einige Ruhe — und welch eine Seelenruhe, wenn er mit ihnen, ſo wie er hier lebte, dort wieder lebt. Da denkt denn der Reiche, er werde unter ſeinen mit ihm zuſammen geſtor - benen Schuldnern noch immer der Glaͤubiger bleiben. Die Leute werden ſich doch ſchaͤmen, ihn auf einem andern Fuß zu nehmen, da ſie ihm die Zinſen ohnedem acht Tage nach der Verfallſtunde berichtiget, welches aufs Jahr ſchon etwas betraͤget. Da denkt der Herr, wenn er mit ſeinen Bedienten zuſammen ſtirbt, die Menſchen werden doch Lebensart verſte - hen. Ich, ſagte der Graf, ich ſelbſt moͤchte mich nicht gern von meinem Bruder trennen. Darum, fuhr er fort, ſind uns neue Freund - ſchaften ſo verhaßt, wenn wir in gewißen Jahren ſind, im Fall die Freundſchaftspar - theyen nicht jahregleich ſind. — Auf Ehre, liebe Sterbenscandidaten und Candidatinnen! wenn die Hohen und Reichen, die Augenlu - ſtigen und die vom hoffaͤrtigen Leben, wuͤſten, wie wohl es in dieſer Ruͤckſicht ſich im Ho - ſpital ſterben ließe, ſtuͤrben viel drinn, die ſich jezo wohlbedaͤchtig genuͤgen, Geld unter dieſe Armen auszuwerfen. Dieſe Armen beſitzen oftmehr,64mehr, als alle Schaͤtze der Welt; denn das Himmelreich iſt ihrer! Darum vorzuͤglich glaub ich, ſagte der Graf, durch gute Geſell - ſchaft meinen Sterbenden ihr Ende zu erleich - tern, und ihnen einen Dienſt dran zu thun. Sie koͤnnen jezt die Zeit nicht abwarten, ſie keichen recht nach dem vorgeſteckten Ziel, und oft hab’ ich gehoͤrt: Wilſt du mit? Ich bin bereit, ſo komm — ich geh — gern! So komm doch! Gern! Nun? hohl mich nach, ſo gern ich wollte, kann ich?
Wenn die grauſame Gewohnheit der Al - ten, Leichen bey Leichen zu machen, in dieſe Ideen zum Theil einſchluͤge, ſagten wir alle drey, und thaten ſo, als fruͤgen wirs? Wir machten es, wie die Redner und Schriftſteller, bey denen das Fragzeichen nicht ein Men - ſchenhaar mehr bedeutet, als gehorſamer Die - ner, unterthaͤniger Knecht, und dergleichen ſieben mal ſieben Sachen mehr.
Selbſt der Selbſtmord wuͤrde beym ofnen Grabe noch am erſten aus der Natur des Menſchen zu erklaͤren ſeyn, und es gehoͤrt ein eben ſo großer Grad Lebensliebe dazu, als der große Menſchentoͤpfer uns mit eingebla - ſen, um dieſen Grillen bey den ofnen Graͤbern der lieben Unſrigen zu entkommen. Manduͤnkt65duͤnkt ſich, ohne die Seinen, verwayſet in der weiten Welt, und iſt man es nicht an dieſem unempfindlichen großen Ort? Was waͤre das Leben, wenn man nicht noch den Zirkel der Seinen haͤtte, wo man noch das ſuͤße Echo ſeines Schmerzens ſeiner Freunde hoͤrt, und eine Theilnehmung ſieht, Liebe und Gegenliebe empfindet. — Wer ſich auf ei - nem andern Wege, als am ofnen Grabe, das Lebenslicht ausblaͤßt, bedenket nicht, von wannen er kommt und wohin er faͤhret. So ehrbar es Manchem laͤßt; er iſt doch mit ſei - nem Kopf uͤber Bord. Ey, wenn es der Menſch in einem entſetzlichen uͤbermenſchlichen Schmerz thaͤte? Giebts uͤbermenſchlichen? Exempel zwar, daß Menſchen ſich des Schmer - zens halber umgebracht, obs aber uͤbermenſch - licher Schmerz war, bleibt Frage. So viel iſt auffallend, daß der Leib, der, wenn er todt iſt, da liegt, wie ein Stuͤck abgehauenes Holz, unmoͤglich dem Schmerz ausgeſetzet ſeyn koͤn - ne, den er im Leben empfand, und wenn alſo ein Leidender ſeine Seele Gott befiehlet und ſeinem ihn plagenden Leibe einen Streich ſpielt, oder dem armen Schelm eine Wohlthat erwei - ſet; ſo ließe ſich daruͤber reden, mehr aber auch ſchwerlich: denn ein ſolcher Selbſtmoͤr -Eder66der kommt aus dem Text der Natur. — Wie ſelten find indeßen Exempel von Leuten, die aus Schmerz ſich ins Leben greifen, in ein zweyſchneidendes Schwert faßen: denn Leute, die dem Tode recht ehrlich trotzen koͤnnen, o! die trotzen auch dem Leben.
Ey, wenn der Menſch alles vollendet haͤt - te? Wenn ihm die Zeit mit Recht lang wuͤr - de? Alles vollendet, Lieber! alles! Wenn wir gethan haben, was wir zu thun ſchuldig waren, ſind wir denn mehr, als unnuͤtze Knechte? Wer hat aber alles vollbracht? Wem wird die Zeit auf eine weiſe Art zu lange?
Jener Freygelaßene der Agrippina, der ſich bey dem Scheiterhaufen ſeiner Goͤnnerin (um ihr Ehrenbette nicht zu beflecken) erſtach. Viel Erkenntlichkeit, wenn ſie ihm blos Schuz - goͤttin war! — Doch ſolche Erkenntlichkeit haben noch mehr bewieſen. Weiber, Freyge - wordene, ſelbſt Hunde und andere Thiere, die ſonſt nicht ſo treu befunden werden!
Sehen und Hoͤren, ich hab’ es, glaub ich, ſchon ſonſt wo geſagt, vertragen ſich mit ein - ander, wie Halbgeſchwiſter. Ich geſtehe es ſehr gern, viel, ſehr viel von dem Gerede des Grafen verlohren zu haben, und das iſt Scha -de!67de! Der Graf, der in andern Faͤchern eben keine große Kenntniße bewieß, war uner - ſchoͤpflich in den Sterbenswißenſchaften. Da hatte er gedacht und geleſen. Da konnt’ er mit dem Gelehrteſten ſchon eins anbinden. Ich wundre mich noch, daß er bis auf die Terminologien, die eben ſeine Sache nicht waren, den Tod in allen Zeiten, in allen Zun - gen und Sprachen, verſtand. So gar aus fremden Sprachen, die er nicht kannte, wuſte er gewiße Worte, den Tod betreffend. Der Prediger konnte ihm in dieſer Kunſt auf ſechs kaum das ſiebente antworten; indeßen exami - nirt’ er nicht, wie es denn auch Niemand thut, der dem andern ſehr uͤberlegen iſt. Wer wuͤrklich weniger weiß, als der Initiandus, iſt ein Inquiſitor im Examen. — Der Ueber - legene lehret nur, das heißt, er legt es alles zum Greifen nahe.
Ich erinnere mich meines Verſprechens, meine Leſer in drey Zimmer zu fuͤhren.
Das erſte Zimmer ſoll das ſeyn, wo der Graf ſeine verſtorbene naͤchſte Familie hatte.
Es wird meinen Leſern noch im friſchen Andenken ſeyn, daß ich bey dem ſeeligen EndeE 2des68des zweyten Theils der Lebenslaͤufe, da ich den beſondern Mann, den Herrn Grafen, am dritten Ort zu praͤſentiren die Ehre hatte, zu - gleich anbrachte, wie er ſehr traurige Schick - ſale uͤberlebt. Sieben Kinder, alle im Lenze des Lebens, waren ihm geſtorben. Dieſes Zimmer hies Familiencabinet, und war dem Schatten dieſer ſieben Seligen, dieſer ſieben Engel, die Gottes Angeſicht ſahen, gewidmet. Lange ſtand der Graf an, ob er dieſe heilige Seelenzahl verruͤcken, und ihnen noch die bey - den Braͤutigams der beyden als Braͤute ge - ſtorbenen Toͤchter, und die Braut des als Braͤutigam geſtorbenen Sohnes, zugeſellen ſollte? Endlich Ja, weil ſeine Gemahlin ſchon uͤber ſieben war. Die Zahl war alſo ſchon verdorben. Dies Familiencabinet ent - hielte dieſe liebe Todten, wie der Graf ſie nannte, von denen immer eins dem andern die Hand gab, und eins nach dem andern an den Reihen kam. Eines fordert das andere zum Todtentanz, zum Grabesgang, auf. Viel Einheit der Zeit, alles ſtarb in Zeit von drey Jahren. — Ich kann eben nicht ſagen, daß in dieſem Trauerſpiel griechiſcher Ge - ſchmack herrſchte; indeßen war viel Manns - und Vaͤterwaͤrme da, viel Empfindung. Eswaren69waren zwey Thuͤrſtuͤcke, das eine ſtellte Ge - neſin, das andere Apocalypſin vor. Ge - neſis war in Geſtalt eines Menſchen. Apo - calypſis wie ein Engel gekleidet. In jenem ſahe man die Worte: es ward — in dieſem das Offenbarungs Johannis Wort: Amen! —
Die Seeligen waren alle wie Geiſter ge - kleidet. Sie hatten weiße Kleider. Sie wa - ren mit Koͤrperchen umſchlagen mit einem leichten Gewande, mit dem Sterbhemde. Die Geſichter kenntlich; allein himmliſch. Wenn die junge Grafen und der Braͤutigam nicht Hutkraͤnze von weißen Federn auf ihren flie - genden Haaren gehabt, und ganz unvermerkt das graͤfliche Wapen nebſt der Perlencron an ihrer Seite hervorgeſchimmert haͤtte; ſo wuͤr - den die Geiſter mehr Geiſter geweſen ſeyn. Jezt waren es graͤfliche Geiſter. Andre Welt! wenn du Fuͤrſten, Grafen, Freyherren, Rit - ter, Buͤrger und Bauren haſt; ſind ſie auch nur durch ein Wapen unterſchieden; wie we - nig biſt du dann andre Welt! wie wenig! — Alles handelte in dieſem Familienſtuͤck. — O der unſeligen Wapen, und der weißen Feder - buͤſche! und der graͤflichen Krone! —
Die Graͤfin Mutter hatte ſieben Weinreben in der Hand, die alle ſieben weinten, ſo daßE 3die70die Thraͤnen zuſehens herabtraͤufelten; drun - ter giengen Vergiß mein nicht auf.
Zwey Soͤhne hatten Grabſchaufeln in der Rechten, ſtanden an einem aufgemachten Bette, wie der Graf es nannte, an einem fertigen Grabe, und beſahen die Erde und ſich, als wenn man ſein Portrait und ſich collationirt, um beyzuzeichnen: concordare cum ſuo origi - nali teſtor. Man ſahe, daß ſie ſich ſagten: Staub von unſerm Staub! Zwey Graͤfinnen, unſchuldig wie Engel, bis auf die verfluchten Wapen. Wozu doch die Wapen? Zwey Graͤfinnen, wuͤrkliche Engel, goßen jedes eine Schaale auf die aufgeworfene zur Saat Got - tes vorbereitete Erde.
Meine Mutter haͤtte das Taufwaſſer nicht feierlicher ausgieſſen koͤnnen, als dieſe Engel die Schaalen.
Die beyden Braͤute, mit herabhaͤngenden halbverwelkten Kraͤnzen, Hand in Hand. Der eine Braͤutigam den rechten Arm in der linken Hand — ſo aufgeſtuͤtzt ſieht er ſtarr auf ei - nen Fleck im bloßen Kopf, wie der Graf ſagte, das iſt, auf nackte Erde. Wohin der Blick nur reichen kann, iſt die Stelle kahl, ohne gruͤn und gelb. — Der andre neigte ſich ſanft zur Erde, die er kuͤßt. Die Bewegung jenesRoͤ -71Roͤmers, da er ſeinem Vaterlande einen Kuß gab, iſt nichts dagegen.
Der Sohn und ſeine Braut, oder Federn und Wapen, hielten eine mit Blumen durch - flochtene Schnur. Sie zogen jedes ſein Ende mit Macht, und ſiehe da, ſie reißt und beyde ſind im Sinken — zwo Tauben fliegen mit Oehlzweigen uͤber der ganzen Geſellſchaft. Und nun noch ein Engel ohne Sterbhemde, ohn Schlafrocksmaͤßig um den Geiſt haͤngen - des fliegendes Koͤrperchen, ein Engel in einer noch angemeßenern Uniform, in einem ſo Orignalengelgewande — alles engliſch an ihm, wie ſchoͤn er in die Hoͤhe ſieht! Wie ſchoͤn! Es war der juͤngſte, der Benjamin un - ter ſeinen Bruͤdern. Wenn ich doch dieſe Uni - form beſchreiben koͤnnte! — — Schade! er hat ein Ordensbaͤndchen, worauf das luthe - riſche Wort ſteht: Viuit. Freilich mehr, als pro gloria et patria.
Allein ein Ordensengel! O des Ordens, der Wapen! der Federbuͤſche!
Das zweite Zimmer mit dem Accent: ich geſteh’ es, ich haͤtt’ es fuͤr mein Leben gern. —
Lauter ſterbende Koͤpfe! Roch iſt Zeit zu - ruͤckzutreten, gnaͤdige Frau — allein die letzteE 4Zeit72Zeit war dieſe heilige Schwelle betreten — ich ſteh nicht fuͤr ihn. — Man ſieht es Ew. Gna - den an — ſie erliegen! ohne Umſtaͤnde ein polniſcher Abſchied, oder ein deutſcher! wie ſie befehlen!
Ha! das war ein Odemzug! Das Be - harren bis ans End’ iſt nicht Jedermanns Ding — Viel Vergnuͤgen auf der Redoute. — Da ſind freylich andere Geſichter! Narren - kappen wie man ſie will. Als Schaͤferinn alſo? — — — und dieſe Koͤpfe? O Freunde, wie werth, wie werth zu ſehen! Es ſind Ge - ſtorbene, die eben kalt geworden, eben. — Alle gantz puͤnktlich richtig nach dem Leben — nach dem Tode, wuͤrd’ ich ſagen, nach ihrem Sonnenuntergang! — ſeelig, ſeelig, ſeelig, ſagte der Graf, ſind die Todten, die im Herrn ſterben. Sie ruhen von ihrer Arbeit, ihre Werke folgen ihnen nach — Wir falteten alle drey die Haͤnde! Es war erwecklich anzuſe - hen. — Sie ſind, fieng der Graf Etwas zu geſucht an, dieſe Todten hier, ſind nach dem Ausgang der Seele durchs rothe Meer, wie dieſe ſchon Canaans Thurmſpitzen ſah, gemahlt. Wenn die Seele, fuhr er fort, von ihrem vieljaͤhrigen Freunde Abſchied nimmt, ver - ehrt ſie ihm noch ein klein Andenken. Einegoldne73goldne Tabatiere mit ihrem Bilde! Sie wirft noch Strahlen auf ihn, die ſo aus den Ge - ſichtszuͤgen des Geſtorbenen herausleuchten, wie das Antlitz des Moſes, obgleich er ſchon vom Donner und Blitzberge war. Der Menſch dort, ſo lange die Seele in ihm lebte, ſchwebte und war, ſich ſo oft hinter ihr ver - ſteckte, und vom Verſtande Feigenblaͤtter, Vorhaͤnge borgte, kaufte, wie es die Noth wolte, iſt da auf ein Haar zu ſehen. Als wenn er lebt! Als wenn die Seele nur uͤber Feld gegangen waͤre, um friſche Luft zu ſchoͤ - pfen, um ins Freye zu gehen, als wenn die Seele gleich wieder kommen wuͤrde. Ihr Hauptſeſſel iſt noch nicht kalt. — Spasvo - gel Diogenes, loͤſche deine Laterne aus! Hier ſind Menſchen, recht wie ſie ſind. — Da iſt das aufgegebene Raͤthſel und die Loͤſung, das Exempel und die Probe! Jeder fuͤrchtet ſich vor dem natuͤrlichen, vor dem Cammertode, vor dem kalten vernuͤnftigen Tode. Der Hel - dentodt, der Feldtodt, iſt nicht kalt, nicht ver - nuͤnftig. Es iſt ein kuͤnſtlicher Tod, man weiß nicht wo man bleibt, und ich, ſagte der Graf, ich, der ich dem Tode ſeine Kuͤnſte ab - laure, ich der ich ihm nachſchreibe, wolte in Faͤllen dieſer Art nicht Obſervationen anſtel -E 5len,74len, um alles nicht, in Faͤllen nehmlich, wo der Menſch ſo recht in ſeinen Suͤnden ohne Zeit und Raum, ſich in Ordnung zu legen, dahin ſtirbt, dahin — Zwar, fuhr der Graf fort, zwar hab’ ich ſelbſt zwey Bruͤder, die auf dieſem ſo genannten Bette der Ehren ge - blieben ſind, und ich hoffe ſie gewis in der ſee - ligen Ewigkeit zu treffen; indeſſen iſt nichts richtiger, als daß der Baum, wie er faͤlt, liegen bleibe. Da liegt der Grund von mei - nem Grundſatz. Warlich, lieber Leſer, das war das Motto zu dem Zimmer, in das ich euch ein — und die gnaͤdige Frau v. —, die eben jetzo ſchon ein engliſch Taͤnzchen macht, ausgefuͤhret habe, obgleich die gute Frau, unter uns geſagt, uͤber ein kleines auch ein Todtenkopf werden wird, und ins Ohr geſagt, ſchon jetzt halb einer iſt — und dieſe Koͤpfe? So hab’ ich ſchon einmal gefragt, und ſo werd’ ich noch oft fragen, und immer drauf antworten, o Freunde, wie werth zu ſehen, wie werth! Wer kann ſie aber ohne Verluſt beſchreiben? Wer? Ein Gemaͤhlde von andern Gemaͤhlden iſt Copie, iſt todt an ihm ſelbſt, iſt kalt von kalt — wie — der eine Kopf als fruͤg’ er: wo kam ich hin? ſo beſcheiden gefragt, daß es ihm gleich war,wohin75wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen, als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne alle Capitulation. Wer wird auch mit dem guten, mit dem lieben Gott, capituliren.
Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie - ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra - chen, und ward ein Mann. Seiner Offen - herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte, ward Juno aufgebracht; denn welche Dame, waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale, wiewohl in caſu oneroſum, wahr zu ſagen, zur Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa - bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un - ſer Verſtorbene — Er war ſo zufrieden, wie Tireſias. Das Schickſal wolt’ es, daß er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie. So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augenim76im Kopf hatten. Unſer Geſtorbene ſchien auch beym Verluſt ſeiner Augen eines andern Heils gewis zu ſeyn. Das war Ausſicht. Die Ruͤck - ſicht? Sich ſelbſt von Jugendſuͤnden zugezo - gener Sterbensſchmerz ſchien auf der Stirn zu runzeln: allein kein Bewuſtſeyn, ſeinen Naͤchſten um funfzig Procent gebracht zu ha - ben, kein Betrug, kein Bubenſtuͤck. Die Un - terlippe biß die obere ein, doch verwundete ſie ſolche nicht. — Paete, non dolet. Oberlippe, es thut nicht weh, ſchien die Unterlippe der Oberlippe aufbeißen zu wollen. Juſt dann ſchmerzt es aber, wenn man ſagt, es ſchmerzt nicht. Man beſpricht den Schmerz, wenn man ſpricht, indem es weh thut, wenigſtens glaubt man ihn zu beſprechen. —
Solten Sie denken, meine Herren, ſagte der Graf, es iſt ein bloßer Gottverehrer — der, wie er mir bekannt hat, den lieben Gott blos in ſeiner lieben guͤtigen Natur geſehen, ge - kannt und ſich drob gefreut hat. Denn Gott iſt nicht ferne von einem Jeglichen. Den feu - rigen Buſch der Religion hat er nicht geſehen. Er blieb ſeinem Naturglauben und Vernunfts - Catechismus, der nur einen Artikel hat, treu! Ich kann nicht, ſagt’ er, wenn ich gleich wolte; allein ich habe keinen in ſeinen drey Artikelngeſtoͤhrt,77geſtoͤhrt, keinem ſeinen Catechismus im Spiel abgenommen, keinem geſchwindes Witz - oder langſam wirkendes Verſtandsgift eingegeben, keinem in ſeinem Thun und Laßen einen Stein des Anſtoßes in Weg gelegt. Ich hielt viel fuͤr Gotteslaͤſterung, was andere fuͤr Gottes - verehrung hielten — ich — beſonders war es, bemerkte der Graf, das er das ich unend - lich oft und viel ausſprach, und mit ſeinem ich hinten und vorn war. Er blieb auch im ich. — Er ſties ſich das Herz daran ab. Mit dem lieben ich! — Die Herren Naturaliſten im guten Sinn, dabey bleib’ ich, fuhr der Graf fort, halten ſich ſelbſt fuͤr kein Kleines. Ihre Seele wenigſtens iſt ihnen ein Stuͤcklein lieber Gott, wie wir Chriſten denn auch drin nicht ganz in Abrede ſind, allein wie? — Man koͤnnte die Deiſten Seelenverehrer nen - nen, bald haͤtt’ ich Seelenabgoͤtter geſagt; allein ſeht nur die Miene des Geſtorbenen! Iſt da wohl Abgoͤtterey drinn — ich mag keinen Stein aufheben wider ihn, weder ei - nen großen, wie wider den Stephanus, noch einen kleinen, wie wider Goliath — ich nicht. Noch ein Deiſt mit mehr Stirn - unbeladenheit, allein mehr Lebensmuͤhſee - ligkeit uͤber den geſchloßenen Augen, dieer78er eigentlich nicht geſchloßen, ſondern zu - gedruckt hatte. Es ſchien ſo, als waͤr der Schluͤßel abgedreht. Eine Auferſtehung ge - hoͤrte dazu, um dieſe verſchloßenen Augenthuͤ - ren zu oͤfnen. Alles war dicht zu, auf beyden Wangen. Von der Mitte der Naſe an, bis ganz herunter lag ein Strick von Runzel, der ſich unten zuſammen gab. Er iſt ſehr verfolgt, der arme Schelm — ſagte der Graf. Sein Tod war ſanft, das ſah man — kein Ge - wiſſensbiß, auch nicht einſt in einer Lippe. Ruhe lag uͤber und uͤber und ſo viel Erge - bung, daß er, wenn Gott geſagt haͤtte: hoͤr auf, er erwiedert haben wuͤrde, dein Wille geſchehe! Wahrlich das koͤnnt’ ich nicht, be - merkte der Graf, ich wuͤrde dem lieben Gott wenn nicht mehr antworten, ſo doch: aber lieber Gott — Ich konnte nicht weg von dieſem Kopfe. Herr wie du wilſt, ſo hies er. Der Graf erzaͤhlte mir viel Verfolgungsſce - nen von Geiſtlichen, und beſonders von ei - nem gewiſſen Conſiſtorial-Praͤſidenten Cai - phas — der ſelbſt weder Gott noch Teufel glaubte, der aber von Amtswegen und aus leidigem Praͤſidentenſiolz orthodox ſchien bis zur Raſerey, die uͤberhaupt mit ihm ſehr nahe verwandt war. Gott laß dich ruhig haͤngen,ſagt’79ſagt’ ich, da ich ihn ſahe — Du ruhiger Menſch. Koͤnnte ſeine Seele wohl in der Hoͤlle und Qual ſeyn, und ſein beſtes Leib - ſtuͤck, ſein Kopf, ſo ausſehen? Es waͤr’ ihm, ſolt ich denken, auf dem Hoͤlle - und Quaal - Fall gewis etwas vom Durſt anzuſehen, den ſeine andre Helfte dort litte. Mein Vater pflegte zu ſagen: alles Paarweiſe, Seele Mann, Koͤrper Weib. W. Z. E. W. Meine Mutter wuͤrde geſagt haben, Leib Weib — ohne W. Z. E. W. Dies fiel mir ein, und ſchnell dacht ich, ein gutes Weib! Sollte wohl da oben uͤbern Augen Etwas Menſchenhaß liegen? und der Gerntodt eben daher ſein ſchoͤnes Feyerkleid her haben? und die Ent - ſchloſſenheit, auch ganz zur Erde zu werden, daher kommen, um nur mit Menſchen nicht mehr zuſammen zu ſeyn? — Seht ihn recht an, ich finde keine Schuld an ihm, und wenn etwas Bitterkeit wider Prieſter und Leviten, wie Unkraut unterm Waizen, ſtuͤnde: war nicht vielleicht Verfolgung wider dieſen Sa - mariter Schuld daran? Es liegt auf jedem Lebens ausgegangenen Geſicht Ruͤckſicht und Hinſicht, ſagte der Graf. Ich fand keines von beyden auf unſerm Ruhigen. Er neigte nicht ſein Haupt, das that auch ſein Bruder nicht,ſie80ſie hatten den Kopf ruͤckwaͤrts gebogen, und doch in die Hoͤhe! — Schlaf geſund, du Verfolgter, und genieße der ſtolzen Ruhe de - rer, die in Gottes Hand ſind, und von denen es heißt: keine Quaal (auch nicht einſt vom Con - ſiſtorial-Praͤſidenten Caiphas, dem Schwie - gerſohn des Hannas,) ruͤhret ſie an — Das waren die beyden Deiſten, denen der Graf hier ein Raͤumlein bey ſeinen Chriſtenkoͤpfen gegoͤnnet hatte, ſo daß dieſe Todtenkopfgal - lerie eben hiedurch ein Simultangewoͤlbe wor - den war.
Der Deiſt, da er wohl einſiehet, er komme nicht aus: er habe eine Rechnung ohne Wirth gemacht, nimmt ſich eine Handlung aus ſei - nem Leben heraus, ſtellet ſie auf und ſieht ſie ſo mit unverwandten ſtarren Augen an, daß er drauf lebt und ſtirbt, daß er ſich einbildet, der liebe Gott werde auch ſein ganzes Leben ſo vergeſſen, als er, bis auf das Proͤbchen, das er zur Schau aufgeſtelt. Moſes ward be - graben, ohne daß Jemand wußte wo? Doch! ich wolte vom Lycurgus reden. Dieſer große ſpartaniſche Geſetzgeber eroͤfnete dem Volke ſeine in Delphos confirmirte und goͤttlich er - klaͤrte Geſetze, und da Sparta unter ſeinen Geſetztafeln bluͤhete, wie ein Weidenbaum anden81den Waſſerbaͤchen, nahm er von ſeinen Buͤr - gern einen Eid, die Geſetze ſo lange in Ehren und Wuͤrden zu laßen, bis er heim kaͤme; denn er muͤſte wieder nach Delphos, und nun reiſete er nach Cirra, und beſtaͤtigte mit ſei - nem Tode ſeine Geſetze. — Eine Parentheſe. Iſt Lycurgus ein Selbſtmoͤrder, und jener Patriot, der fuͤr ſein Vaterland in ein war - mes Todesbad gieng? Nein, ſie ſind Maͤrty - rer, und haben den nemlichen Zug im Geſicht, als die, ſo aus Liebe zu einer Sache, damit ſie, die Sache, nicht ſtuͤrbe, geſtorben ſind. Ich komm’ ab. Ich wolte ſagen, Lycurgus habe ſo ausgeſehen, wie jeder Deiſt, der ſich ein Lebensbild aufſchlaͤgt, und dies ohne Auf - hoͤren anſieht. — Die Seele ſelbſt gewoͤhnt ihr Auge dran.
Ueber die Chriſtenkoͤpfe uͤberhaupt die An - merkung: die Augen alle nicht ganz zu: Sie wolten ſehen, wo ihre durch Chriſtum gehei - ligte Leichnamme blieben. Sie wolten lau - ſchen, (das thut man nur mit niedergeſchla - genen Augen) wohin die erloͤſte Seele citiret worden, und alſo die Augen etwas offen. Die Augen waren von andern zugedruckt; allein die Thuͤren wolten nicht zu halten, ſie waren eingetrocknet. Die Chriſten hatten alle dasFHaupt82Haupt geneigt. Sie hatten, das ſah man ihnen an, ſchon das Seelenteſtament deponirt: Vater, ich befehle meinen Geiſt in deine Haͤnde, nimm meinen Geiſt auf! und nach dieſem Teſtament neigten ſie ihr Haupt und verſchieden. Die Erde iſt des Herrn! Nimm, liebe Mutter, dieſen Leib, den du neu gebaͤh - ren ſolſt — ich fuͤrchte nicht deinen verſchloſ - ſenen Leib — ich weis, an welchen ich glaube, und bin gewis, daß er dieſe Beylage bewah - ren werde, bis zu meinem Geburtstage, bis an jenen Tag —
Der eine Mann da, ſolt’ ich mich irren, wenn ich behaupte, daß etwas Zweifel in ihm laͤge? Eine edle Unruhe — — bald haͤtt’ ich ſokratiſche geſagt; allein ſie war lange noch nicht ſokratiſch. — Es war eine chriſtliche. Baal, erhoͤre uns, haͤtte dieſer Mann nim - mer und in Ewigkeit gerufen! — Heute im Paradieſe — heute noch? wo liegt es? Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſehen? ein Geiſt den andern. Ewige Seeligkeit! ewige! in einem weg, ohne daß uns die Zeit, haͤtt ichbald83bald geſagt, ohne daß uns die Einigkeit (das, glaub’ ich, kann ich auch nicht ſagen) lang wird. — Auferſtehung des Todten, des in alle Welt zerſtreueten Leibes? Dergleichen Fragzeichen ſchien der Mann auf dem Geſicht zu haben, und auch ſein Nachbar, auch der hier, auch jener dort, o! der an der Thuͤr am deutlichſten: das ganze Geſicht ein Fragzei - chen! allein bey alle dem, mit einer