PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Lebenslaͤufe nach Aufſteigender Linie
nebſt Beylagen A, B, C.
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Meines Lebenslaufs Dritter Theil. Erſter Band.
Berlin1781,beyChriſtian Friedrich Voß und Sohn.
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Wir ſprachen kein lebendiges Wort, als ob’s todte gebe? nach der Weiſe von todten und lebendigen Sprachen? Wenn man lebendige Worte thaͤtige mit Handlungen ver - bundene nennen wolte; wuͤrden freylich auch todte Worte ſeyn. O dem Todten! Gott eh - re mir Leute, die Hand und Mund zugleich bewegen, pflegte mein Vater zu ſagen. Frey - lich deutete er dieſen Ausſpruch auf Guͤte des Herzens und Mildthaͤtigkeit; allein er ehrte auch das Symbol, und hatte die Gewohnheit, die Hand mitſprechen zu laßen

Seufzer, halberdruͤckte Achs, nennt nicht todte Worte, ihr Wortkraͤmer! denn die gelten mir mehr, als eure Klagelieder und Condolenzen. Wenn es auf Achs kommt, laͤſt der Geiſt den verſtummten Leib ab, drengt ſich vor, vertritt ihn, und laͤßt ſich allein hoͤren. Es giebt unausſprechliche Achs! Abba, mein Vater! die Cartheuſerparole: bedenke das Ende! war gewoͤhnlich unſere ganze Unterhal -A 2tung6tung. Gretchen und ich hatten das meiſte ein - gebuͤßet; war es Wunder, daß unſer Schmerz zuweilen bis aufs memento mori die Sprache verlohr? daß der Geiſt das Wort nehmen mußte? In wenigen Tagen ſahen wir etwas Gruͤnes auf Minens Grabe das Haupt empor heben, und das war uns ſo willkommen, als wenn Minens Leib, dieſe Gottesſaat, ſchon aufgienge. Gretchen kuͤßte dies erſte Gruͤn und betaute es mit ihren Thraͤnen. Sie war neidiſch auf Thau und Regen, und wolte dieſe Erſtlinge durchaus nur mit Thraͤnen aufer - ziehn. Mich hatte die Empfindung beym Anblick dieſes erſten Gruͤns gelaͤhmt. Es war mir, als ſaͤh ich ein Stuͤck von Minen. Am Kopfende ſchoß dieſes erſte Gruͤn hervor. Den Noah konnte der Oehlzweig ſo nicht entzuͤcken, als uns dieſer Aufſchlag aus einem Gebeinhauſe. Entweder war der gute Prediger ſo voll von ſeiner Abhandlung, oder er legt es geflißent - lich dazu an, mich zu zerſtreuen; denn eh ichs mich verſah, lies ſich der Schriftſteller hoͤren. Ja wohl, er lies ſich hoͤren.

Vor dem Begraͤbnis war dem guten Pre - diger ſelbſt Minens Andenken, eben ſo wie uns, Ein und Alles. Nach der Beerdigung trat er zwar auch die meiſte Zeit unſern Empfin -dun -7dungen bey; indeſſen konnt er zuweilen nicht umhin, eine Stoͤhrung zu machen, wenn wir uns Minens lezte Lebenstage ins Herz hineinmahl - ten, einbildhauten. Da galt es denn den Stuhl, auf dem Mine am liebſten geſeſſen, jeden Ort, wo ſie an mich gedacht, wo ſie voll Hofnung mich zu ſprechen geweſen wo ihr dieſe Hofnung den Dienſt aufgeſagt, wo ſie dieſe Schwaͤche empfunden, mit dem rechten Arm ih - ren Kopf geſtuͤtzt, und ſich Gott ergeben, wo

Eben oͤfneten mir dieſe Erinnerungen Thuͤr und Thor. Nur Ein Wort, nur ein Sterbenswort von Minen, fieng ich an, wie gluͤcklich haͤtt es mich gemacht! und der Prediger was den Druck betrift Er that, als ob es eine Antwort auf unſer Seelenringen waͤre was den Druck betrift; er ſey nicht koſtbar; allein rein, ſo wie jeder Anzug. Ei - ne gute Waͤſche iſt bei mir mehr, als Gold und Silberbeſatz. In dem Stuͤck bin ich ſehr fuͤr die Englaͤnder und Hollaͤnder. Faſt ſcheint es, ſaubre Waͤſche und gut Papier waͤren nicht ſo weit aus einander. Beyde Rationen, ſaubre Waͤſche und ſauber Papier. Iſt das Papier gut, iſt viel gut

Dergleichen Eingriffe waren was gewoͤhn - liches, und damit meine Leſer den Hauptein -A 3grif8grif uͤberſtehen und einmal wißen, woran ſie ſind: Der Eingang des Werks war ein Suͤn - denverzeichnis von Saul und David. Dieſer raubte dem Urias das Leben, weil er eine ſchoͤ - ne Frau hatte; jener war gegen die Feinde Iſraels mehr ſchonend, als er ſollte. Heut zu Tage wuͤrde man ſagen, er war menſchli - cher und Saul empfand den Bind - David den Loͤſeſchluͤſſel

Meine Leſer werden den Uebergang zum Thema ohne meine Handleitung finden. Die Suͤnde in oder wider den heiligen Geiſt ward wie gewoͤhnlich in der Art behandelt, daß der erſte Theil die unrechten Begriffe ent - hielt, welche man ſich gewoͤhnlich von der Suͤn - de wider den heiligen Geiſt mache. Unter dieſen unrechten Begriffen kamen freylich ei - nige vor, auf die kein Menſch eher, als un - ſer guter Schriftſteller, gekommen. Er brachte darauf, weil er recht auf Irrwege ſtudirt hatte. Der zweyte Theil war der rechte Weg, oder eigentlich der, der ihm gefiel. Ueberall auf Weg und Abwegen eine Beleſenheit, die ſich nicht blos auf die ruſſigen Buͤcherſchraͤnke der Gegend erſtreckte, wie der gute Prediger ſagte ſie gieng weiter Ich wuͤrde zwar (Gott wend es aber in Gnaden ab) nicht die Suͤn -de9de quaͤſtionis, allein doch eine wuͤrkliche Suͤn - de begehen, wenn ich meinen Leſern von dieſem gewiß bewanderten Werke eine weitlaͤuftige Erzaͤhlung auslieferte. So viel iſt gewis, daß ich den guten Prediger mit ſeiner Aus - arbeitung ziemlich zweifelhaft machte, indem ich ihm, in beliebter Kuͤrze und Einfalt, mei - nes Vaters Meynung uͤber dieſen heiligen Ge - genſtand eroͤfnete, der die Suͤnde wider den heiligen Geiſt eine Bemuͤhung nannte, das ins Herz geſchriebene natuͤrliche Geſetz, die Regel, das goͤttliche Alphabet, auszuloͤſchen. Das Kind mit dem Bade ausgießen, ſagte der Pre - diger, und legte die drey Finger ſeiner rechten Hand an ſeine Stirn und ſodann ans Herz, als ob er an beyden Orten anklopfen wollte. Endlich ward ihm aufgethan. Ich wuͤrde, fing er an, meine citationseiſenſchwer beſchla - gene Abhandlung gern Ihrem Herrn Vater auf eine freundſchaftliche Bleyfeder uͤberſen - den; allein ich fuͤrchte, daß nach dieſen Grund - ſaͤtzen wenig von dieſem gelehrten Stuͤck zuruͤck kommen moͤchte. Ich verſicherte den guten Prediger, ohne, wie ich bemerkt, ihm ein Com - pliment zu machen, daß mein Vater keine Bleyfeder haͤtte.

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Selten, pflegt er zu ſagen, iſt das beſtaͤn - dig, was durch ihre Vermittelung an Tages - licht kommt. Schwarze Waͤſch und Tafel - gedecke verzeichnete meine liebe Mutter mit der Bleyfeder, wie es ſich eignet und gebuͤh - ret. Wenn ſchwarze Waͤſche (meine Mutter nannte es ſchwarzes Zeug) und Tafelgedecke wieder durch Waßer und Luft gereiniget wa - ren, weg waren auch die Bleyfederworte. Das mit Bleyfeder beſchriebene Papier reibt ſich an allem, was ihm nahe kommt, ſagte meine Mut - ter, und ſehnt ſich recht geflißentlich, von einer ſolchen Unzierde befreyt zu werden, wie ein ſtol - zes Pferd, von einem ſchwachen Reiter. Nennt es Bleyſtift, und nicht Feder Feder iſt zu ſcha - de, fuhr ſie fort. Da alſo mein Vater, ſagt ich, keine Bleyfeder hat, und ſchwerlich eine von meiner Mutter leihen wird: ſo bin ich feſt uͤber - zeugt, daß er Ihre Schrift von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt ohne Bleyfeder leſen werde. Vortreflich, ſagte der gute Schrift - ſteller, wollte Gott! es waͤren keine Bleyfe - dern in der Welt, und unſere Kritikaſter be - daͤchten: wer die Bleyfeder nimmt, wird durch die Bleyfeder umkommen, richtet nicht, ſo werdet ihr nicht gerichtet. Kommt denn, fragte der Prediger, kommt denn alles beyIhrem11Ihrem lieben Vater ungeſchlagen davon, was er hoͤrt und lieſ’t? Seine Art iſt, erwiedert ich, ohne Bleyfederſtrich, ohne Beziehung auf es ſey gehoͤrtes oder geleſenes Wort, ein Wort zu ſeiner Zeit nicht ſchriftlich, auch nicht einſt muͤndlich, anzubringen, ſondern muͤndlich zu verlieren. Zuweilen ſcheint es, fuhr ich fort, daß das, was er ſagt, ſo paße, wie die Fauſt aufs Auge; indeſſen war mir oft ein ſolch verlohrnes Wort ein Wort des Lebens zum Leben. Dem Prediger gab das verlohrne Wort Gelegenheit, von der verlohrnen Schild - wache zu reden, und da lies ich ihn ſobald nicht los. Er war ein kleiner Politikus, las die Zeitungen, wußte alle preußiſche Re - gimenter namentlich und ihre Uniform; das war aber auch alles! An mir fand er einen andern Mann, ich ſprach vom großen und kleinen Dienſt, und hielt den Ehrenmann feſt. Was eine verlohrne Schildwache nicht machen kann! Hier fand mich der Prediger gewiegter, als bey ſeiner Abhandlung. Er wolte heim; ich war in meinem Element. Endlich jammerte mich ſein, ich loͤſete die Schildwache ab.

Anlangend den Druck, fing der Prediger, ſobald er Luft hatte, an, und dankte demA 5Him -12Himmel, daß er aus den Haͤnden des Kriegs - knechts war, der ihm Werbegeld aufdringen wollen, anlangend den Druck, wiederholt er, ohne weiter eine Begierde zu aͤuſſern, die Bleyfeder meines Vaters auszufordern, ſo ſey er nicht koſtbar, allein rein. Ein gutes Wort muß eine gute Staͤte finden. Der gute Prediger, der ſich aus ſo manchem von mir verlohrnen Wort uͤberzeugt hatte, daß mein Vater mit ſeiner Abhandlung nicht zu - frieden ſeyn wuͤrde, gieng ganz betruͤbt von meinem Vater, wie der Juͤngling von Chriſto, der alles gehalten hatte von ſeiner Jugend an: denn wahrlich! der Prediger war ſo wenig entſchloſſen, ſeine Noten zu ſtreichen, und den gelehrten Wuſt, wie dieſer Juͤngling ſein Haab und Gut, zu verkaufen, und es den Armen Preis zu geben. So wirſt du einen Schatz im Himmel haben, ſagte Chriſtus zum Juͤng - ling. Wer opfert ihm aber eiſenſchwere Ge - lehrſamkeit, welche doch Motten und Roſt freſſen, darnach Diebe graben und ſie ſtehlen!

Vom Kriegsdienſt iſt vor der Hand zwi - ſchen uns beyden, nach dieſem Ritt, keine Syl - be weiter vorgefallen.

Wir fingen nach einer geraumen Zeit ſehr regelmaͤßig, weil die Suͤnde wider den heili -gen13gen Geiſt uns darauf gebracht hatte, im Ge - ſpraͤch von der heiligen Regel an, die man in Ehren halten muͤßte, wenn gleich ſonſt alles uͤber und uͤber gienge.

Alles in der Natur ſucht ſich an etwas zu halten. Der Verſtand an der Regel, die er als Gottes Bild ehret, und wahrlich! ſie iſt Gottes Bild. Sie iſt nicht Buchſtab, ſie iſt Geiſt von Geiſt. Meine Mutter wuͤrde ſa - gen: Dieſe Regel ſtreichen, heißt: wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen handeln und wandeln. Wehe dem Menſchen! durch welchen Aerger - nis wider dieſen heiligen Geiſt kommt, es waͤ - re beſſer, daß ein Muͤhlſtein an ſeinen Hals gehenkt, und er erſaͤufet wuͤrd im Meer, wo es am tiefſten iſt. Dies iſt das eigentliche Ver - brechen der beleidigten goͤttlichen Majeſtaͤt, nicht aber das, was Stadt - Land - und Kay - ſerrecht ſo nennt.

Wolte Gott! ſetzt ich hinzu, Ihr Werk wuͤr - de dieſem Aergernis ſteuren und wehren! Man kann nicht wiſſen, antwortete der Prediger.

Was wuͤrd aus uns werden ohne Regel? Da wuͤrd all Augenblick einer ſeinen Zauber - ſtock aufheben, und das Volk wuͤrd ihm die - nen. Warum uͤberzeugen wir uns jetzt nicht von Zaubereyen? Weil wir der Regel denBo -14Boden ausſtoßen wuͤrden, da wuͤrde ſie denn liegen in ihren Ruinen. Regeln ſind das Salz der Erden, wenn aber das Salz dumm wird, womit will man ſalzen? Erzaͤhl ein Wunder von heut und geſtern oder ehegeſtern, wo findeſt du Glauben, und warum dieſer Unglau - be? Hat denn Treu und Glauben aufgehoͤrt auf Erden? Nicht alſo, wohlmeinender Zeter - rufer! Die Natur nahm ihren Anfang durch ein Wunder. Wunder genug! Jezt iſt alles ohne Sprung. Die Sphaͤrenmuſik iſt ein einfaches Lied und keine Ode. Es geht na - tuͤrlich zu, heißt: es verſteht ſich alles von ſelbſt: die allerortodoxeſten wundervollſten Geiſtli - chen ſelbſt, haben den Wundern Ziel und Maas ſetzen muͤßen. Bis dahin, und weiter nicht, ſollten die Ausnahmen von der Regel ſtatt fin - den und die Wundergaben im Schwange ge - hen. Die alten Propheten ſind todt. Die neuern haben kein Creditiv vorzeigen koͤnnen; ob gleich meine Mutter jederzeit uͤber die we - nige Aufmunterung fuͤr die junge Propheten die Achſeln zog. Wenn wir keine junge Prophe - ten leiden, werden wir auch keine alten ziehen. Jung gewohnt, ſetzte ſie hinzu, alt gethan.

Sie verſtand indeſſen durch einen Prophe - ten, nur einen Superintendenten, der einpaar15paar Zoll hoͤher waͤre (im Kunſtwort mehr haͤtte) als der regierende Herr in Curland.

Wie kommts aber, daß alles die Ohren ſpitzt, wenn vom Wunderbaren die Red iſt? Das kommt, weil der Verſtand ſteif und feſt auf ſeine Regel haͤlt, und den Feind kennen lernen will, der dieſe ſeine Veſte einzunehmen drohet. Das kommt, weil der Verſtand ſein Richteramt beweiſen und Urtel und Recht eroͤfnen will, wider den, der die Grenzen zu verletzen drohet. Das kommt auch, wuͤrde meine Mutter ſagen, durch Adams Fall und Miſſethat. Wahrlich! der Menſch iſt ſehr zum Fall geneigt, wer ſteht, mag wohl zuſehen, daß er nicht falle. Wir naͤhren all eine paradiſiſche Schlange im Buſen. Der Menſch hat zuweilen einen ſchrecklichen Hang zum Aufruhr.

Alles dies, und noch mehr von der nemli - chen Manier, brachte den Prediger nicht wei - ter auf meines Vaters Bleyfeder, wiewohl er noch oͤfter als zuvor an reinen Druck und an weißes Papier dachte. Koſtbar ſey er nicht, nur rein.

So viel weiß ich, daß ich meine Zeit in L ** nach den akademiſchen Wuͤnſchen gut angewendet habe. Gott ſegnete auch meineStu -16Studia, Theorie und Praxis! Ich habe viel! viel! an dem Grabe meiner Mine gelernt, wo am Kopfende Gruͤn hervorſchoß! Wir werden wiederkommen, rief ich zuweilen aus, und Gretchen faltete die Haͤnde, wir werden wiederkommen gen Zion mit Jauchzen, ewige Freude wird uͤber unſerm Haupte ſeyn, Freu - de und Wonne wird uns ergreifen, und Seuf - zen wird weg muͤßen! Gott wird uns wieder - gebohren werden laßen zu einem unvergaͤngli - chen unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das im Himmel iſt.

Das erſte Gruͤn war uns eine Hieroglyphe ihrer Auferſtehung. Es kam uns vor, als richtete Mine ſich auf, und nie iſt das erſte Gruͤn ſo bewillkommt worden, als dieſes! Es kam von Minen! Sie war handgreif - lich ſo kam es uns vor. Wir hatten ih - re Grabeserde ſo gelockert und bearbeitet, daß ſie wie ein Gartenacker ausſah. Sie lebt, rief ich eben ſo entzuͤckt, als wie ich ſie feſt an mein Herz druͤckte, und ein warmer leben - diger Othem ſich aus ihren Lippen drengte. Sie lebt! rief ich, und Gretchen rief auch: Sie lebt! Wahrlich lieben Leſer! dies alles war mehr, als arcadiſche Gaͤrtnerey. Es lag ein Sinn in dieſer Hieroglyphe.

Wenn17

Wenn man ſich acht Tage ſo auf dem Dach iſt, als ich dem guten Prediger, hat man ſich weg. Die Buͤcher ſind Lexica nach Be - ſchaffenheit der Umſtaͤnde, Real oder Verbal. Mehr kann ich ihnen nicht zuſtehen. Menſch lerne dich! Welch ein großes Wort, ſagten wir beyde, der Dekanus, der die vorige Nacht Grosvater geworden war, und ich, der ich nicht vielweniger, Student werden ſollte. Wahrlich! ein großes Wort! allein welch ein ſchweres Wort zugleich! Der Vater lernt ſich erſt in ſeinem Sohn kennen. Niemand will in ſich hinein: auſſer ſich herumzuſchwei - fen, hat der Menſch eine ſo eingefleiſchte Luſt, daß er gern unſtaͤt und fluͤchtig iſt. Sein eig - nes Haus brennt dem Menſchen uͤbern Kopf, er fuͤrchtet, in ſich herein zu blicken, wie Kin - der, in einem Zimmer allein zu ſchlafen. Dar - um die Geſelligkeit. Wenn ich an dieſe guͤldne Regel komme: Menſch lerne dich, bin ich in meiner Heimath. Die Theologen nennen das Selbſtverleugnung, was wuͤrk - lich ein großer Theil von Selbſtkenntnis iſt. Man muß ſich abſterben, um ſich aus den Todten hervorgehen zu ſehen, und ſolch ein Erſtandner, das biſt du Selbſtken - ner!

BEs18

Es kam zwar in unſern Lektionen der Herr Graf ſehr oft und viel vor; indeſſen dachten wir nicht anders an ihn, als exempli gratia (zum Beyſpiel.) Freylich haͤtten wir auch auf einen Beſuch, den wir ihm ſchuldig waren, fallen ſollen, und des Predigers Pflicht waͤr es vorzuͤglich geweſen, ſich und mich daran zu erinnern, da der Graf ein Stuͤck von ſei - nem Kirchenpatron und ſein Wohlthaͤter war. Auf einmal ein Brief mit Pleroͤſen vom Hoch - gebohrnen Nachbar. Eine Einladung auf morgen, ſagt ich, das nicht, erwiederte der Paſtor und bemerkte zugleich, daß der Graf niemals Jemanden auf einen gewißen beſtimm - ten Tag zu ſich baͤte. Er lebt in dieſem Stuͤck, ſetzte der Prediger hinzu, wie man ſtirbt. Es muß ihm alles unvermuthet kommen. Wer kann, ſoll er ſagen, einen uͤber zwey, drey Tage, auch wohl mehr, zur Mahlzeit einladen? Dieſe Nacht kann man deinen Appetit von dir fordern! Sehet zu, wachet, denn ihr wi - ßet nicht, wann es Zeit iſt. Wer ſterben lernt, muß ſo und nicht anders leben, ſey des Gra - fen Loſung! die er uͤbte, wo es ſich nur irgend uͤben ließe.

Wie geſagt, der Brief war nur eine Er - innerung an unſer Verſprechen. Wenn be -wir -19wirthen ſo viel heißt, den Gaſt zu dieſer Auf - nahme durch eine Einladung vorbereiten; ſo hat der Graf noch in ſeinem Leben keinen auf - genommen und bewirthet. Es ward beſchloſ - ſen, den folgenden Tag dem Grafen zu wid - men, und damit mir alles deſto unerwarteter ſeyn moͤchte, lies mich der Prediger in Abſicht der Einrichtung des graͤflichen Gebeinhauſes in wohlgemeynter Unwiſſenheit. Die Pre - digerin wollte mit, es gefiel ihr dort unaus - ſprechlich, und gern haͤtte ſie es in ihrem Hauſe ins Kleine gebracht, was dort im Großen war. Der Prediger und Gretchen konnten nicht auf - hoͤren, zu ſteuren und zu wehren, damit die - ſes Miniaturſtuͤck unausgefuͤhrt bliebe. Der Prediger ſchlug ſeiner Frauen eben darum auch ab, mitzufahren. Der Prediger und ich fuh - ren fruͤh aus, um zeitig in zu ſeyn. Gretchen blieb bey ihrer Mutter. Wie ſehr freu ich mich, dieſen Grafen beſucht zu haben! Der Prediger aus L der ſchon im graͤf - lichen Hauſe bekannt war, fuͤhrte mich ſogleich in ein Zimmer, wo Saͤrger gearbeitet wur - den. Es war das Bedientenzimmer; denn Nie - mand als ein Sargtiſchler, wie der Graf mich ſelbſt nachhero verſicherte, wurde in ſeinem Dienſt auf - und angenommen. Es wurdenB 2be -20beſtaͤndig Saͤrger gearbeitet. Der Graf dien - te armen Leuten aus ſeiner Sargfabrike. Jetzt war kein Proviſionsſarg in Arbeit. Der Sargtiſchler hatte Thraͤnen in den Augen, wie der in Curland, den meine Mutter des[Todes Zimmermann] nannte, und der in ſeiner Gewerksſtube herzlich weinte, wenn er einen Sarg fuͤr einen Redlichen im Lande erbauete. Gott, ſagte der Weinende, und wandte ſich zu ſeinem Beichtvater, meinem Reiſegefehrten! Ach Gott! lieber Herr Pfarrer, der kuͤnftige Einwohner dieſes Hauſes hatt ein ſchoͤnes En - de! Das leztemal, daß ich fuͤr Jemand einen Sarg mache, den ich ſterben geſehen! Mag es thun wers kann ich nicht ich hoble mir das Herz ab.

Dieſer Ausdruck, der ihm, wie man deut - lich ſahe entfuhr, ſchlug ihn nieder. Er verlohr Spannung und Kraft. Das Hand - werkzeug entfiel ihm. Das ruͤhrendſte war immer, daß er ſein Geſicht in ein Stuͤck ſeiner Schuͤrze verhuͤllte. Dies iſt ein wohl - hergebrachtes Zeichen der Traurigkeit. Wir verhuͤllen uns, als ob wir der Welt entſagen und uns auf uns ſelbſt einſchraͤnken wollten, als ob der Fall zu ſchwer waͤre, um ihn faſ - ſen ſelbſt um ihn ſehen zu koͤnnen. Wahr -lich21lich dieſer Vorgang hobelte nicht nur dem Sarg - tiſchler das Herz ab ich war wie er, hin! Er ſchluchzte unter der Schuͤrze! Freund! ſing der Prediger an, man ſieht und hoͤrt es ihm an, daß er beym Herrn Grafen das Sarg - handwerk noch nicht ausgelernt. Es wird ſich geben iſt er denn nicht auch ſterblich? Seine Mitarbeiter, die ſich bis dahin nicht ei - nen Augenblick abhalten laßen, kamen itzt zuſammen, als kaͤmen ſie zur Kirche. Einer nahm ihn an die Hand, ein anderer ſtreichelt ihm den Arm, ein dritter legte ſeinen Kopf auf ſeine Schulter, als ob er ihm Troſt ins Ohr ſagen wollte, der vierte, der unempfind - lichſte, wolt ihm den Vorhang wegreißen. Unſer Betruͤbte hielte die Schuͤrze feſt vors Geſicht. Dieſer vierte ſchien es eben ſo gut zu meynen, wie die drey andern; allein wer den Menſchen kennt, wird es finden, was fuͤr eine grauſame Beſchaͤmung es fuͤr unſern Weinenden geweſen waͤre, wenn er uns alle ins Geſicht bekommen haͤtte. Der Menſch ſcheint ſich in dergleichen Faͤllen zu ſchaͤmen, daß ſo viele Leute gefaßt ſind, nur er nicht. Ueberhaupt ſieht man ſelten den Troͤſter an, es waͤre denn, daß viele Troſtbeduͤrftige zu - ſammen ſind; dann uͤbertraͤgt einer den an -B 3dern22dern in Ruͤckſicht dieſer Beſchaͤmung. Der vierte riß wuͤrklich endlich die Schuͤrze herab wie konnte der Traurige lange widerſtehen? Schmerz macht ſchwach. Unſer weinende machte indeßen die Augen ganz dicht zu, und da ſtand er jaͤmmerlich! Der erſte nahm dem vierten die Schuͤrze aus der Hand und gab ſie dem Weinenden wieder. In dieſer Hand - lung traf uns der Graf, dem des Predigers und meine Ankunft gemeldet war! Alles blieb, wie es da ſtand! Niemand kam dieſes Ueberfalls wegen aus ſeiner Stellung. Nie - mand ſchlich ſich an ſeine Werkſtaͤte, alles ſchien an Ort und Stelle, ſelbſt unſer Betruͤbte nicht ausgenommen, der Mittelpunkt dieſer Scene. Was da? fragte der Graf, nachdem er den Prediger und mich mit einem guten Morgen begruͤßt oder beherziget hatte. Der Prediger nahm das Wort Ferdinand hat den Einwohner des Hauſes ſterben geſehen, das er bauet! Nun, ſagte der Graf, Faßung, Ferdinand! Begrab ich denn nicht alle, die ich ſterben ſehe? Leim ich nicht hier und da ſelbſt ein Leiſtchen ans Sarg? Der junge Menſch, der hier einziehen ſoll, hatte ein frommes, gutes, edles, warmes Maͤdchen, das ihm ſtarb. Sie ſtarb und er ihr nach. Gott!23Gott! in deine Haͤnde befehl ich meinen Geiſt, dacht ich tief im Herzen. Der junge Menſch hatte eine Mine, fuhr ich fort im Herzen zu denken, und war froh, daß Gram und Kummer wegen verungluͤckter Liebe ſo lang am Herzen nagten, bis es durch und durch iſt, bis man nachſtirbt. Mein Auge ſah gen Him - mel ſtarr! Ha, ſagte der Graf, der mich bey der Hand nahm, da haben wirs. Gelt! wenn ſie einen Sarg fuͤr dieſen Juͤngling machen ſolten? Gern, grif ich ein, ſehr gern, das glaub ich, erwiederte der Graf. Sie wuͤr - den nicht weinen und heulen. Nein, ſagt ich, ich wuͤrd es nicht nicht einen einzigen Thraͤnentropfen, nicht einen das glaub ich, erwiederte der Graf, der ſtirbt gern, ſehr gern, den dieſe Welt nicht entſchaͤdigen kann, es ſey in Wuͤrklichkeit, oder in Einbildung. So hab ich einen jungen Menſchen gekannt, der mit Freuden dem Tode entgegen gieng, weil er die Zierde ſeines Haupts, ſeine Haare, ver - lohr. Er hatte ſie ſo ſchoͤn, wie Abſalon! al - lein eben ſo leicht, wenn ers bedacht haͤtte, eben ſo leicht, wie Abſalon, haͤtt er an einer Eiche haͤngen bleiben koͤnnen. Eine Krank - heit raubte ihm dieſe Zierde, gegen die ihm der Tod wie gar nichts ſchien. Er erholte ſich zu -B 4ſehens.24ſehens. Kein vernuͤnftiger Arzt entdeckt dem Patienten die erſte Erholungſpur. Dies wuͤr - de heißen, auf dem Richtplaz Pardon erthei - len. Alle Affekten ſind ſchon an ſich dem Men - ſchen ſchaͤdlich, Freude ſo gut als Leid. Ein Stuͤck von Fieber iſt immer dabey, und wer iſt wohl zu ſolchen ploͤzlichen Uebergaͤngen aufgelegt? Nun war unſer Abſalon ſo weit in der Beſſerung gediehen, daß er ſich nicht mehr auf dem Richtplatz befand, und nun kam der Arzt mit der frohen Nachricht, daß er und der Tod geſchiedene Leute waͤren. Leben iſt ein frohes Wort! ich ſetze ewig dazu, wenn ich mich freuen ſoll. Bey den meiſten Leuten iſt das Wort leben ſchon genug.

Froh blickt unſer Kranke auf, und ſein Haupthaar war das erſte, mit dem er ſich be - freuen wolte. Er war mit ihm am mehrſten verwandt allein es war dahin, und ſiehe da, er wollte nicht leben. Man hatte ihn zu voreilig verſichert, daß ſeine Haare entweder nie wieder, oder wenigſtens ſehr ſpaͤt, aufgehen wuͤrden, und wie konnt er leben? Er hatte, wie Simſon, ſeine Staͤrke in den Haaren. Man nannte ihm Voͤlker, alter und neuer Zeit, die ſich zur Zierde, der Haare entaͤußerten; allein nichts er ward krank und ſtarb ſo ruhig,als25als wenn ihm im Tode die Haare wieder wachſen wuͤrden! Du armer Abſalon! Biſt du denn in keinem Gebeinhaus geweſen? Haſt du denn keinen gebleichten Schaͤdel geſe - hen? Ich nenne ſo Etwas auf Gottes Blei - che liegen, ſagte der Graf im vertraulichen Lehrton, in den er oft fiel, und wahrlich! wir werden durch den Tod ausgewaſchen. Wenn ich einen alten Mann, ich ſage mit Fleiß alten Mann, mit einer Glatze, mit einem Todtenkopf ſehe, denk ich, der Mann iſt ſchon dem Himmel naͤher, als ich. Wie gefaͤllt Ihnen die Ge - ſchichte von Abſalon, der wahrlich an den Haa - ren ſtarb. O Freunde! Nicht wahr, von vie - len, von vielen Sterbenden kann man ſagen, ſie bleiben an einer Eiche hangen? Nicht wahr, Gevatter Prediger?

Bis dahin hoͤrt ich den Grafen mit Ver - gnuͤgen; da er aber zur Nutzanwendung uͤber - gieng, und mir ganz deutlich zu verſtehen gab, daß Minens Verluſt von der nehmlichen Art waͤre, ward ich uͤber dieſe Kaͤlte, uͤber dieſe Todeskaͤlte des Grafen, wegen meines unerſez - lichen Verluſts ungehalten. Es ſchicken ſich wenig Leute, dacht ich, zur Nuzanwen - dung ich wandte mich zu unſerm Wei - nenden und Heulenden, und verlangte denB 5Ue -26Uebergang von der Geſchichte des eben Ver - ſtorbenen zu dem Herzen des Sargtiſchlers. Dieſer Weg, dacht ich, muß ſehr gerade ge - hen. Der junge Menſch, fiel der Graf ein, hat ein Maͤdchen, die ihm ſeine Eltern verwei - gern, weil ſie reich ſind. Ihre Eltern ſind reicher, als wir alle ſie ſind todt. Er hat nicht noͤthig, in meiner Werkſtube zu ſeyn; allein er arbeitet fuͤr Protektion, er glaubt, mein Fuͤrwort koͤnnte hinreichend ſeyn, ſeine Eltern zu bequemen und wenn das nicht, fuhr ich fort, ſo haben der Herr Graf Mittel und Wege, das arme Maͤdchen zu be - reichern, und hier gleich und gleich zu machen. Ha, dacht ich, das iſt fuͤr deine Kaͤlte, Hoch - gebohrner Herr. Anwendung fuͤr Anwen - dung. Schon recht, junger Mann, erwieder - te der Graf, allein wenn ich die Vorurtheile der Eltern befriedigen ſolte, haͤtt ich denn fuͤr die Einigkeit geſaͤet? Wahrlich ich haͤtt auf Fleiſch und nicht auf den Geiſt geſaͤet und am Ende, wenn ich jedes Maͤdchen bereichern ſolte? Ich aͤrgerte mich, und vorzuͤglich, weil der Mann bey ſeiner Todeskaͤlte wieder Recht hatte. So iſt, glaub ich, das Recht uͤberall. Man faßt Eis, man faßt den Tod an, nicht das rechte Recht iſt ſo kalt, ſonderndas27das Weltrecht, mit dem man ſo ſelten zufrie - den iſt, daß man faſt lieber Unrecht wuͤnſcht, um wenigſtens laut ſchelten zu koͤnnen. Das Weltrecht iſt aus dem Codice genommen, der todt an ihm ſelbſt iſt. Das rechte Recht aus dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt. Ein haarkleiner Unterſchied aus der Ur - ſache, nicht aus der Wuͤrkung, wie aͤndert er die Sache! Caſus in terminis. Welch ein dummdreiſtes Kunſtwort! Iſt euch, ihr hoch - verordneten Rechtskauer, das Principium indiſcernibilium denn ganz und gar unbekannt, und, um euren Collegen ein lehrreiches Exempel darzuſtellen, einen wuͤrklichen caſum in termi - nis, thut der Arzt nicht wenigſtens, als ob er dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt, nach dem Leben, nach dem Puls faßt, ob gleich auch er nach dem Corpore Juris Hypocrateſiano ſein Urtel formt?

Der Graf ſetzte dieſe Unterredung, ohne daß ich es ihm nahe legte, fort, ich hoffe, ſagte er, die Eltern des Weinenden und Heulenden weichherzig zu machen, und denn hab ich alles aus der erſten Hand, wenn ich ſie ausſtatten ſolte, haͤtt ichs aus der zweyten, wo nicht gar dritten. Die erſte Hand iſt mir immer die beſte und ſicherſte. Ich liebe, fuhr der Graffort,28fort, Heyrathen zu ſtiften; denn wo wuͤrd ich ſonſt Gelegenheit zu Saͤrgern vorfinden? Dieſer Sonnenſchein, den der Graf auf un - ſern Weinenden (ein Heulender zu ſeyn, hatt er ohnedem ſchon aufgehoͤrt) ſchießen lies, trocknete ſeine Thraͤnen, er hobelte weiter, oh - ne ſeinem Herzen mit ſeiner Hobel zu nahe zu kommen, und ihm einen Gnadenſtoß bey - zubringen.

Der Graf bat naͤher zu treten, und ich weiß auf Ehre nicht, ob es meinen Leſern und Leſerinnen angenehm ſeyn werde, naͤher zu kommen. Sie kennen den Grafen ſo gut, wie ich, und wiſſen ſo gut, wie ich, daß ich ſie nicht nach Arkadien begleiten werde. Der Graf wuͤrde recht in Egypten zu der Zeit an Stell und Ort geweſen ſeyn, da in jedem Hauſe ein Todter war, und was noch mehr iſt, die Kernfriſche Erſtgeburt. Der Graf ſchien in ſeinen Todes Hoͤr - und Sehſaͤlen ſehr tolerant. Es ſterben Chriſten und Gott - glaͤubige Deiſten bey mir, ſagt er. Wenn gleich ich mit Gotteshuͤlfe wie ein Chriſt zu ſterben der feſten Zuverſicht lebe; ſo will ich doch mein Haus zum Sterbhaus und nicht zur Moͤrdergrube machen, das heißt: ich will nicht Chriſten werben, und ehrlichen Heidenin29in meinem Obdach zum erbaulich chriſtlichen Ende Handgeld beybringen. Kein Jude hat mir noch das Vergnuͤgen gemacht, in meinem Hauſe zu ſterben. Mein Haus iſt ihm un - rein, obgleich er ſelbſt ſo unſauber iſt, daß ich ihn fuͤr einen Ciniker halten wuͤrde, wenn er nicht ein Jude waͤre. Ich habe zwar nach Anzahl der fuͤnf Buͤcher Moſis fuͤnf Juden ſterben geſehen; allein bis auf einen nur ſter - ben gehoͤrt, vier ſtarben hebraͤiſch, ſie hatten den Tod auswendig gelernt, und beteten ihn ſo her, wie die Nonne den Pſalter. Beym Amen, weg waren ſie. Den fuͤnften hab ich obſervirt, deßen Aeußeres zwar juͤdiſch ſchien, ſein Inwendiges aber war Gottglaͤubig dei - ſtiſch, und alſo gehoͤrt er eigentlich nicht in die Judenclaße. Barba non facit Philoſophum. Der Bart macht keinen Juden.

Wir kamen einen Sabbatherweg von unſ - rer eigentlichen Straße ab, und ich hatte Ge - legenheit, von dem juͤdiſchen Volke die Mey - nung meines Vaters anzubringen. Hat der goͤttliche Judenbekehrer dies Volk nicht ein - lenken koͤnnen, mußte er ſeinen Stab ſanft zu den Heiden uͤberſetzen; warum wollen wir bey einem ſo ſchlechten Beyſpiel, das wir den Juden in den meiſten Chriſten darſtellen, mehrerwar -30erwarten? Des Herrn Reich wird kommen, der Tag, den Gott allein machen kann, ein - brechen, da trotz dem baͤrtigen und unbaͤrti - gen Gottesdienſte, Eine Heerde und Ein Hir - te ſeyn wird. Der gute Prediger aus L hatte viel uͤberhaupt, beſonders aber wegen der Suͤnde wider den heiligen Geiſt dagegen, welche ſich im eigentlichſten Originalverſtande das ſtockblinde juͤdiſche Volk, wie er verſicher - te, zu Schulden kommen laßen; indeßen mu - ſte er die Juden fuͤr Archivarii, fuͤr Siegelbe - wahrer der chriſtlichen Religion, anerkennen, und der Graf lenkte mit dem Umſtande ein, daß er die vier hebraͤiſch geſtorbenen umge - kehrt in das Buch der Sterbenslaͤufe einge - tragen. Der fuͤnfte ſtand in einer Reihe mit den Gottglaͤubigen. Ich habe, ſagte der Graf, alles nach Orts-Umſtaͤnden und Gele - genheit eingerichtet, und zwey Claſſen ge - macht. Hier zu meiner Rechten Chriſten, zu meiner Linken, Gottglaͤubige. Mahumeda - ner gehen dieſe Straße nicht, warum alſo? Hier iſt noch ein Simultanſtuͤbchen, wo So - cinianer, Pelagianer, Semipelagianer, Ber - liner und Semiberliner (wie der Prediger in die neuſte Ketzerey nennet) blei - ben koͤnnen. Es ſind indeßen nur zwey So -cini -31cinianer hier unſanft entſchlafen; die meiſten haben ſich zu einer der groͤßten Claſſen ohne meine Mitwuͤrkung bekehret, und ſind auf Prima oder Secunda, oder zur Rechten oder Linken geſtorben. Ich ſelbſt bin ein Chriſt, mache mir eine Ehre draus, und alle recht - ſchaffene Primaner erkennen mich dafuͤr.

Ha, fieng der Graf, wie aus einer fri - ſchen Champagner Bouteille, an. Meine Mode iſt vielen ein Geruch des Todes zum Tode. Sie ſpotten mein, und belegen mich mit apocryphiſchen Schandnahmen. Es ſey alſo, ich achte alles fuͤr Schaden gegen dieſe uͤberſchwengliche Erkenntnis. Sterben iſt mein Gewinn, ich ſchaͤtze mich ſelbſt noch nicht, daß ichs ergriffen haͤtte. Eins aber ſag ich, ich vergeſſe was dahinten iſt, und ſtrecke mich zu dem, was da vornen iſt, und jage nach dem vorgeſteckten Ziel nach dem Kleinod. Zwar leugne ich nicht, daß die Kranken - und Todeswaͤrter auch Traͤger, von je her, eben nicht in großen Anſehen geſtanden, und daß ſchwerlich ſo lange die Welt ſteht ein des heili - gen Roͤmiſchen Reichs-Graf und Herr ſich damit beſchaͤftiget haben duͤrfte, aber dafuͤr hab ich auch die Ehre, der Erſte in dieſer Art zu ſeyn. Es iſt wahrlich ein Stuͤck von Adamin32in ſeiner paradiſiſchen Pracht und Herrlich - keit, wenn man auf einem Wege der Erſte iſt! Es liegt Etwas Goͤttliches drinn. Zwar wenn vom Stammbaum die Rede waͤre, fing der Graf in einem hochgebohrnen Ton an; moͤcht ich ſehen, wer einen entferntern Erſten haͤtte, als unſer Haus? Ich nehm aber meinen Er - ſten im andern Sinn. Auch der Lezte iſt mir Ehrenwerth. Der Lezte zu ſeyn, iſt zwey Drittel weniger koͤſtlich; indeßen beßer als alle, die vor ſind, bis auf den hohen Erſten. Adam und Eva wurden nicht gebohren, und die den juͤngſten Tag erleben, werden nicht ſterben. Ich moͤcht ihn ſchon nicht erleben, den juͤngſten Tag, denn ich habe Luſt abzu - ſcheiden. Ich habe die Ehre, den Tod zu ken - nen, und kann wohl ſagen, daß ich ihn lieb habe, ſo lieb wie mein Leben und mehr.

Der Graf ſprach dieſes nicht im Ausfor - derungston, ſondern ſo kalt, wie der Tod. Er hatte ſchon die Weiſe des Todes angenom - men. Ich hatt ihm ſeine obige Anwendung laͤngſt verziehen, und war froh, einen ſolchen Sterbensmann kennen zu lernen. Ich moͤch - te bey dem allem wißen, fieng der Graf vom friſchen an, wie es zugehe, daß Leute, welche alsdenn, wenn uns oft die beſten Freundeun -33untreu werden, uns zu Dienſten ſtehen, ſo wenig geachtet worden und noch werden. Die natuͤrlichſte Urſache, erwiedert ich, da der Graf wuͤrklich inne hielt, weil der Menſch ohne Seele nicht viel iſt. Es hinkt und ſtinkt mit ihm, pflegte meine Mutter zu ſagen. Da es nun endlich mit uns allzuſammen auch ein - mahl hinken und ſtinken wird; ſo ſcheint das Leichenbegaͤngnis, woran alles ohne Anſtoß, ohne Capitis Diminution, Theil nimt, einge - fuͤhrt zu ſeyn, welches bey allen geſitteten Perſonen von je her uͤblich geweſen. Hie - durch wollen wir unſere Entfernung von der Leiche, unſere Verachtung ſelbſt gegen die, ſo ihr nahe blieben, rechtfertigen. Wir tre - ten der Leiche naͤher. Man nennet dies die lezte Ehre, den lezten Liebesdienſt, weil die Seele nicht mehr gegenwaͤrtig iſt, da der Er - denklos zum leztenmahl nach ſeinem in der Welt behaupteten Menſchenwerth und Rang behandelt wird. Ich will mich hier nicht an - fuͤhren; denn waͤr es moͤglich geweſen, mit Minen auch ohne lebendigen Othem zu leben und zu ſeyn gern! Der Graf, dem die - ſer Seufzer unangenehm ſchien, half mir wie - der in die Rede, wie folget.

CIch34

Ich laͤngne es nicht, daß wir Menſchen vielleicht bey dieſer Gelegenheit eine Doſis Grosmuth raͤuchern wollen. Der Erbe zei - get, er habe, unerachtet der Erblaßer nicht mehr da iſt, noch Liebe fuͤr ihn, und mehr, als fuͤr den Nachlas. Der Sohn will die Pflicht der Erkentlichkeit erfuͤllen gegen den, der ihm ſein Bild anhieng, das auch noch im Tode nicht ohne uͤbereinſtimmende Aehnlichkeit iſt. Die Tochter will beweiſen, daß ſie eine tugendhafte Mutter gehabt, daß heißt mit andern Worten, daß ſie ſelbſt tugendhaft ſey. Mine weinte bey dem Grabe ihrer Mutter meinet und ihrer Mutter wegen. Dem Gra - fen war dieſer Eingrif wieder nicht am rechten Orte; denn ich konnte den Namen Mine, der mir mehr als alle Namen iſt, nicht ausſpre - chen, ich kann es noch nicht, ohn aus dem Concept zu kommen. Diesmahl half der Graf mir ein. Das alles leugn ich nicht; indeßen bin ich der lebendigen Zuverſicht, daß weil alle Nationen ſo ſtimmig in puncto puncti ſind, es ſey die Nachexiſtenz der Seele die Ur - ſache dieſes Hebens und Tragens, das man mit ihrer Huͤlle vornimmt. Man ehrt ſie im Koͤrper, ſo wie den Mann im Bilde, und will das, was ein Geiſt getragen hat, in einer Eh -ren -35renruͤſtkammer aufhaͤngen, ſo wie man Har - niſche in der Kirche aufhaͤngt, obgleich ſie nicht alle wider die Tuͤrken gebraucht worden. Man will das an andern thun, was man ſelbſt an ſich zu ſeiner Zeit gethan wißen will. Man fuͤrchtet ein ſchlechtes Compliment in der andern Welt, wenn man gegen den Ent - ſeelten dieſe Pflichten verſaͤumet hat. Wahr - lich es liegt ſehr was menſchliches in dem Begraͤbnis, und ich bin ihm ſehr gut ſehr. Der Graf konnte nicht umhin, mich herzlich zu umarmen; mehr konnt er nicht.

Die Fluͤche, womit man in alten Zeiten diejenigen bedrohete, die Hand an die Tod - tenhaͤuſer legen wuͤrden, wie ſehr beweiſen ſie den Werth, den man auf Staub, Erd und Aſche legt! Wer dies Grabmahl ſtoͤhrt, ſoll die Seinigen all uͤberleben. Schreklicher Fluch! Er ruhet auf mir, ſagte der Graf! Ich lenkte ab, und ſagt einen Fluch anderer Art: den ſollen die Manes ſaur anſehen! Iſt das nicht ſchrecklicher, als wenn es an den Wegen heißt: wer hier Toback raucht, ſoll ſechs Jahr in die Feſtung! denn dies heißt, mutatis mutandis, ſoll ihn ſechs Jahr in der Feſtung rauchen. Dies Wort zu ſeiner Zeit, oder zur Unzeit, munterte den GrafenC 2auf36auf, der wider Denken und Vermuthen eine Empfindung uͤber den Umſtand merken lies, daß er auf dem Staube aller Seinigen ſtuͤnde.

Man hatte zu aller Zeit Familienbegraͤb - niße, Familiengewoͤlbe, Hypogaea, wo jeder ſein Kaͤmmerlein beſaß, jeder Topf ſein Plaͤtz - chen und ſein Apotheker-Etiket!

Recht, ſagte der Graf, die Urnen und Grabhaͤuſer der Alten verrathen indeßen viel Geſchmack. Man findet in dieſen galanten Zeiten Taſſen, fuͤgt er hinzu, Potspouries, was weis ich mehr, auf dieſe weiſe, und manches Weibsbild ſollte nur wißen, wor - aus es trinkt, woraus es Geruch ziehet, ſie wuͤrde

Daß ich, fuhr der Graf fort, meine Taſ - ſen in der Art habe, iſt kein Wunder; da ich indeßen ein Chriſt bin, habe ich was chriſt - liches dabey angebracht, ein Kreuz. Ich bin kein Heide, ſehender oder blinder! Heide iſt Heide! Nicht wahr, Gevatter Prediger?

Der Gevatter Prediger, der des Grafen Toleranz kannte, obgleich er auch wußte, wie aͤchtchriſtlich der Graf ſey, gab kein Wort darauf, ſondern ließ ſich bey dieſer Gelegen - heit mit der Anmerkung hoͤren, daß Seefah - rer, wenn ſie in Lebensgefahr geweſen, ſichKoſt -37Koſtbarkeiten um den Leib gebunden, und ein Geſuch, ſie, wenn das Meer die Gnade ha - ben wuͤrde, ſie auszuſpeyen, zur Erde zu brin - gen; denn der Menſch iſt Erde und muß zur Erde werden, ſezt er hinzu. Hier ſagte der Graf: Recht! Gevatter Prediger.

Ich fuͤhrte meinen Cornelius Nepos an, wegen des Cimons, deßen Leib der Herr Sohn Miltiades ausloͤſen muſte. Es macht Men - ſchen Ehr und Schande, daß ſie einen menſch - lichen Leib fuͤr ein Unterpfand anſehen koͤnnen, ſagte der Graf, und ſetzte wieder hinzu: nicht wahr, Gevatter Prediger?

Wir konnten von der lezten Ehr und lez - ten Schande nicht abkommen, die wir den Verſtorbenen erwieſen. Die lezte Schande, ſagten wir einſtimmig, fienge von dem Au - genblick an, da alles ſagt: Kalt, und daure bis zur Collocation, bis zur Ausſtellung, hier fienge ſich die lezte Ehr an, und gehe bis ſich gleich und gleich geſellet hat, und Erde zu Erde gekommen. Bey uns zu Lande, bemerk - te Gevatter Prediger, heben Traͤger von eini - ger Bedeutung die Baare nicht auf, ſondern ſchlechte Leute. Sie ſetzen ſie auch nicht nie - der. Da wieder Schand und Ehre. Wer wird, fragte der Graf, der Albernheit dasC 3Wort38Wort nehmen, die ſich beym Anputz der Lei - che und bey dem Begraͤbniß-Luxus zu offen - baren pflegt? Da begraben die Todten die Todten! Wir fielen auf die Todten und Be - graͤbnislieder der Alten, die nicht ſo erbaulich waren, als: ich hab mein Sach Gott heim - geſtellt. Ich bin ja Herr in deiner Macht, und das neue Todtenlied vom Jahr des Orga - niſten in L

Wir danken Gott fuͤr ſeine Gaben ꝛc.

Die Todtenlieder der Alten waren weinerliche Luſtgeſaͤnge, ſagte der Graf. Ernſt und Scherz, wie iſt es zu erklaͤren (das war das Wort, ſo der Graf ſuchte) wie iſts zu erklaͤ - ren, daß ſo kluge Voͤlker in dieſem Stuͤck ſo unklug ſeyn konnten? Dieſe Geſaͤnge, dieſe Naͤnien, die Hanswuͤrſte und Gaukler, dieſe Klagweiber, die ſo lachen konnten, daß alle Welt es fuͤr Weinen hielt, wie iſts in rerum natura, wie iſts erklaͤrbar? Wie Lachen und Weinen zuſammen!

Nach bild der Welt, ſagt ich, oder mein Vater.

Doch ich will blos den Inhalt eines lan - gen Geſpraͤchs geben; ſonſt wuͤrd ich zu weit - laͤuftig werden.

Dieſes Leben, fieng ich an, iſt Lachen und Weinen, in einem Sack, ſetzte der Grafhinzu.39hinzu. Warum der Anſtoß bey einem Uni - verſalwort, das faſt in allen Sprachen ein und daßelbe bedeutet? Sack, ſagt ich dem Grafen nach, Dramas, weinerliche Luſtſpiele, wuͤrden wahre natuͤrlich warme Lebensdarſtel - lung ſeyn, wenn das Ende nicht luſtig und der Anfang traurig waͤre. Links und rechts, bald ſo, bald anders, muͤſte es ſeyn, das waͤr ein Leben! Luſt und Trauerſpiele waͤ - ren dann Kunſt, jene Naturſtuͤcke, nicht wahr? fragte der Graf den Gevatter Prediger; allein dieſer ſchuͤttelte blos mit dem Kopf, weil von Luſt und Trauerſpielen die Rede war, auf die ſich der Gevatter ſo wenig, als auf die wei - nerliche Luſtſpiele, kunſtgerecht verſtand. Die Alten agirten beym Begraͤbnis das Le - ben, ſo wie ſie bey allem, was ihnen gros, erbaulich, goͤttlich war agirten. Es lag vielleicht ein hoher Sinn in ihrer Begraͤbnis - methode, wo Luſt und Unluſt zuſammen wa - ren und wechſelten wunderlich. Sie laſen den wahren Lebenslauf des Verſtorbenen oh - ne Tropen und Figuren. Ihre Begraͤbniſſe waren Leichenpredigt, Leichengeſang, fuͤr die umher giengen. Seht da das Leben! ſeht! ſeht! faßt euch, wenn der Tod es fordert. Laßt Leben und Tod aus einem Stuͤck ſeyn,C 4und40und ſoll Leben und Tod als Etwas Verſchie - denes angeſehen werden, macht, daß der De - ckel zum Gefaͤß paße. Das beſt iſt, ſo ſter - ben, als man lebt. Der wuͤrklich Traurige, wenn ja ein Pickelhering ihn aus der Faßung bringt und ihm ein Lachen bereitet, welch ein bittrer Vorwurf folgt darauf! Die Freude der Welt wirket den Tod! Das Leben iſt ſo Etwas niedrigcomiſches, daß es jedem klu - gen Mann ekelt zu leben. Alle Todte ha - ben Ernſt in ihren Geſichtszuͤgen. In der andern Welt wird vielleicht das Lachen kein ſolch Hauptſtuͤck des Lebens ſeyn; da wird das Lachen werden theur! Dies und das koͤnnte vielleicht ein Theil von dem hohen Sinn ſeyn, der in den Begraͤbnißen der Alten ent - halten iſt. Wir laͤugneten, daß dieſer Sinn eben ſo hoch laͤge, indem jeder ziemlich leicht, und ohne auf Zehen, dazu kommen koͤnnte.

Wir ehren ſehr Leute, die ſich durch den Tod nicht aus dem Concept bringen laßen: freylich trift ein gewißes geſetztes Weſen, das dem Tod entgegen kommt, mehr das Herz, wir ſchaͤtzen auch Leute von dieſer wind - ſtillen Art im Leben am meiſten. Genau ge -nom -41nommen iſt nur der Umſtand verehrungs - werth, daß wir nicht ſtecken bleiben daß es ſo ausſieht, als lebten wir in eins weg. Des Thomas Morus lezte Worte ſahen wie Tiſchreden aus, und wahrlich, er ſtarb wie ein Mann. So bald, ſagte der Graf, ich ei - nen leichtſinnig ſterben ſehe, der ſo lebte ſage man mir nichts uͤber den Leichtſinn; ich nehme dieſes Wort im guten Sinn. Man koͤnnte dieſen Sinn, um ihn zu verſtehen, auch Leichtſinn nennen. Noch hab ich der - gleichen Sterbende nicht gefunden. Denn Witz und Sinne ſind in einem beſondern ge - heimen Einverſtaͤndnis. Bevor die Fra - ge: wie wir ſtarben? beantwortet wird, ſagte Epaminondas, kann man nicht ſagen, wer von uns die meiſte Achtung ver - dient. Niemand iſt vor ſeinem Tode gluͤcklich, Niemand bey ſeinem Leben gros. Menſch bedenke das Ende! Aber! fieng der Graf an, und wandte ſich an mich, warum ſo viel Leid um unſere Todten? Sie gehen keinen Schritt vorwaͤrts und werden vom Schmerz angehalten, ſo bald der Name Mine vorkommt. Ich habe viel aͤuſſere Trauer an mir, als da ſind z. E. die Pleroͤſen an meinen Briefen und mich haͤlt nichts an, und wasC 5eigent -42eigentlich hieher gehoͤrt, hat nichts ange - halten. Iſt denn der Todte nicht blos vor - ausgezogen? Er hat Extrapoſt genommen; wir gehen mit eignen Pferden. Werden wir denn nicht zu ihm kommen? Je ſtiller der Durchgang, je beßer! Ich fuͤr mein Theil liebe ſehr die Reiſen incognito, ohne Geraͤuſch. Warum wollen wir denn nicht die lieben Un - ſrigen incognito ſterben laſſen? Wir ſehen uns wieder. Iſt in der Welt eine Luͤcke durch unſern Freund, durch unſre Geliebte, worden? Fehlt denn ein anderer? Iſt Alexander ſelbſt in der Welt vermißt, der doch wohl unſtreitig ein Weltmann war? Haben Sie, mein Kind, in Curland gewußt, daß ich Frau und Kinder verlohren? Laßt uns doch nicht vergeſſen, daß wir in der Welt und nicht in der Familie ſind das war ungefaͤhr, was der Graf und der Prediger mir ans Herz legten. Hier iſt der Extrakt meiner Exception.

Der Zeit kann und muß nichts vorgreifen; nicht Religion, nicht Weisheit. Sie leidet es nicht, und nur ſie kann den Schmerz, den al - lergerechteſten Schmerz, lindern. Zeit und Ewigkeit liegen nicht ſo voneinander, wie Koͤ - nigsberg von Paris, wo ich Extrapoſt und langſam fahren kann. Die Idee, den Freund,die43die Geliebte, ſiehſt du nicht mehr, ſo ganz er - denganz, wie ſie da waren; die Idee, der Leib, den du geliebt haſt, dem du ſo gut gewe - ſen biſt, iſt Aſche! iſt Staub! O liebſter Graf! das brennt wie[Neßeln] an die Seele. Wir betrauren nicht die Seele, ſondern den Leib, weil er Fleiſch von unſerm Fleiſch iſt.

Wenn noch ja eine kuͤnſtliche Stoͤhrung im Schmerz angenehm waͤre, wuͤrd es die ſeyn, wenn man hohe Achtung fuͤr Jemand hat, und ſich gerade halten muß. Der Schmerz geht krumm und ſehr gebuͤckt. Durch dieſen Zwang kommt man zuweilen der Zeit vor; allein oft ruht ſie ſich. Es kom - men Recidive! Sich Gott, das iſt, ſich der Zeit uͤberlaßen, das, hoff ich, wird meine Wunde heilen. Es kann Linderung geben, wenn man aus Schmerz die Binde wegreißt; allein die Wunde wird gefaͤhrlicher durch die - ſen Aufris. Man laße der Natur ihren Lauf; ſonſt iſts Unnatur. Die Alten erzuͤrnten ſich zuweilen mit den Goͤttern uͤber einen Todes - fall. Sie ſchimpften, ſie warfen die Bilder der Hausgoͤtter auf die Straße, und wollten nicht mehr ſo unerkenntlichen Goͤttern ein Obdach verſtatten. Es iſt Schmerzensnatur ſo etwas auslaufen laßen! und nichtsbringt44bringt ſo ſehr zu ſich, als dergleichen Exceß. Ein ganz ſtiller Schmerz iſt der gefaͤhrlichſte. Wenn er poltert, ſchlaͤgt und ſtoͤßt, legt ſich der Sturm und es wird bald ſtille. Stren - ge Herren regieren nicht lange!

Der gute Prediger, der oft zuruͤckgeblie - ben, wollte bey dieſer Gelegenheit voraus und eilte uns mit der Anzeige nach, daß Alexan - der der Große, als ihm ſein Jonathan He - phaͤſtion ſtarb, ſo gar die Stadtmauren kurz und klein gemacht, um eben hiedurch Trauer zu tragen um ſeinen Todten.

Daß man ſich die Haar abſchnitt, um ſei - ne Trauer an den Tag zu legen, find ich nicht unrecht, ſagte der Graf. Man will auch was von ſich verlieren, man will dem Verſtorbenen Etwas mitgeben ich dacht an Minens Locke, die ich an meinem Buſen befeſtiget hat - te, und gern haͤtt ich jetzt eine von mir Minen ins Grab gegeben, wenn es nicht zu ſpaͤt ge - weſen. Wie viel Sterbensart kann man von einem Mann, wie der Graf, lernen!

Ich komme wieder ins vorige Extrakts - geleiſe. Die Haare ausraufen, iſt von je her als ein Zeichen der Traurigkeit angenom - men worden. Wer gen Himmel betruͤbt ſe - hen kann, fordert der nicht faſt Gott heraus,thut45thut der nicht mehr, als die Hausgoͤtter aus - fegen, und doch halt ich ihn fuͤr einen beßern Menſchen, als den, der dem lieben Gott was vorliebaͤugelt und im Herzen gallenbitter auf ihn iſt. Der Phariſaͤer! Ich glaube der liebe Gott ſiehts recht gern, daß wir Menſchen ſind, daß wir das Herz haben, es zu ſeyn! Es iſt ein lieber guter Gott!

Dem Grafen war es eine Beſondernheit, daß man zu alten und neuen Zeiten Menſchen zur Gruft von andern Menſchen tragen laßen und laͤßt, und daß auch hiebey, nach Bewand - nis der Leiche, bald viel bald wenig Traͤger genommen werden, obgleich dies mit zur lez - ten Ehre gereicht, von der oben gehandelt wor - den. Leitet man nicht den, der nicht gehen kann? ſagt ich, und um auf die lezte Ehre einzulenken: Traͤger ſind die Livrey-Bedienten des Todten. Sollte man nicht beym Begraͤb - nis Ewigkeit ſpielen, und dies Verwesliche nach dem Unverweslichen ſtimmen? erwieder - te der Graf, und der Hammer, fragt ich? Sollte, fuhr der Graf fort, und nun waren wir im Saale.

Was zeither vorfiel, war gehendes Fußes, war auf der Treppe. Man ſieht ihm dieStufen46Stufen an. Erſchrecken, pflegte mein Va - ter zu ſagen, iſt die Goldwaage fuͤr Maͤnner. Wir koͤnnen erhaben und poͤbelhaft erſchrecken. Die Weiber erſchrecken bald, und, was noch mehr iſt, nach einer und zwar bekannten Me - lodie. Sie erſchrecken ſchoͤn, wenn man will. Um alles in der Welt wuͤnſcht ich mir keine Frau, die nicht leicht erſchroͤcke. Schaamroͤthe und Erſchrecken liegt bey ihnen in einem Bezirk. Eins borgt vom andern; beydes kleidet das ſchoͤne Geſchlecht. Es iſt extra fein Poſtpapier, wo alles durch - ſchlaͤgt.

Koͤnnt ich meine Leſer und Leſerinnen doch in den Saal ſelbſt und weiter einfuͤhren. Koͤnnt ichs doch! Todespracht uͤberall! Wahrlich Todespracht. Mir wars oft, als hoͤrt ich einen dumpfen Ton: Menſch, du muſt ſterben! Waͤre mir dieſe Bothſchaft we - niger fremde in meiner damahligen Lage ge - weſen; ich waͤre mehr zuruͤckgefallen. Ich weiß nicht, ob meinen Leſern die Geſchichte des Belſazars beywohnet, der eine Hand an der Wand ſchreiben ſahe. Solch eine Hand an die Wand ſchreiben zu ſehen

Was ich erzaͤhlen kann und werde, o! wie gar nichts gegen das, was ich ſahe nichts

Den47

Den Saal, fieng der Graf an, haben die Weltliche, ſo nenn ich die Gottglaͤubige, in Beziehung der Chriſten, die ich in dieſer ſchnur - geraden Linie Geiſtliche heiße. Verzeihung, Gevatter, ſagte der Graf, indem er zum Pre - diger ſich wandte, der tief in Gedanken dar - nieder lag, und unfehlbar mit dem Verleger wegen der zweyten Auflage im Streit war Gerne, erwiederte der Prediger. Das Wort Gern war immer ſeine Antwort, wenn Ver - zeihung die Frage war, er mochte wachen oder traͤumen. Chriſten, fuhr der Graf fort, ſind allzumahl geiſtliche Prieſter! Ja wohl, er - wiederte der Prediger. Der Geiſtliche konnte den Verleger nicht los werden. Der Graf fuhr weiter fort

Ob nun gleich Chriſtus, der Erzprieſter, kein Altarredner und Kanzelprediger war; ſondern ſtatt auf die Kanzel auf einen Berg ſtieg, wo er eine Predigt hielt, die er drucken laßen; der Prediger wie aus der Piſtole: von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt. Ey, Freund! fiel der Graf ein: in der Bergpre - digt keine Sylbe von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt. Math. verſetzte der Prediger. Recht! endigte der Graf, der waͤhrend der Zeit das Ob nun gleich verlohren hatte; ſodaß48daß dieſer Period ungerundet blieb. Chri - ſten, hub er vom friſchen an, verwandelten ih - re Hoͤhlen in Capellen, bis Tempel daraus wurden, und warum nicht? Wohnt gleich Gott der Herr hier nicht ausſchlusweiſe; woh - net er doch auch hier. Chriſtus gieng in den Tempel und nannt ihn ein Bethaus, das man zur Moͤrdergrube gemacht haͤtte. Chriſten in die Kirche Gottglaͤubige in den Saal.

Wir billigten alle die Gewißenhaftigkeit, die Peinlichkeit des Grafen, der Chriſtenthum von Heidenthum, ſelbſt bis auf die Mobilien, trennte. Werden, fieng ich an, werden doch unſere chriſtliche Helden in roͤmiſchen Or - nat geſteckt, wenn man ſie aufhaͤngen, auf - ſtellen, und alſo der Ewigkeit zubringen, und, wenn ich ſo frey ſeyn darf, ſchon fuͤr die Ewig - keit uͤber die Taufe halten will. Scheint es gleich uͤberhaupt, daß der Kleiderſchnitt, den wir angenommen haben, nur ein Schlafrock waͤre, und daß, ſo bald wir zu Ehren gebeten werden, es roͤmiſch ſeyn muͤſte; ſo iſt es doch nicht recht und loͤblich!

Ich ſtelle, ſagte der Graf, alles an ſeinen Ort. Wahrlich denn wuͤrde wenig zu lehren und zu lernen ſeyn, wenn alles ſo geſtellt waͤre. Jezt iſt der Haufe blos darum ſo hoch,weil49weil alles groß und klein durcheinander ge - worfen iſt. Wenn indeſſen, fing der Pre - diger in einem abzurundenden Period, der ge - wis nicht, wie des Grafen ſein: Ob es nun gleich in Stecken gerathen wird, an, wenn indeſſen der Chriſt allen allerley werden ſoll, und wenn Chriſtus, der Herr ſelbſt, ſich be - ſchneiden laſſen und das Oſterlamm gegeſſen; die Juͤnger auch, obgleich ſie Juden waren, am Sabbath Aehren zu leſen und Eſel aus dem Brunnen zu ziehen von ihrem Meiſter die Erlaubnis erhielten; ſo darf doch der Chriſt kein ſo großer Ceremonien Meiſter ſeyn. Ce - remonial Geſetz iſt bey allen, ſelbſt den geiſti - ſchen Dingen: indeſſen ſind wir in der chriſt - lichen Freyheit, wie es ſelbſt bey unſern chriſt - lichen Ceremonien am Tag iſt, denen ich in - deſſen von Herzen gut bin. Der Chriſt hat den Geiſt von allen Religionen, das unſterbli - che Weſen, ſo Chriſtus durchs Evangelium ans Licht bracht hat. Laßt uns alſo tolerant ſeyn, wie unſer theure Graf, der es iſt, wenn er gleich Saal und Kirche unterſcheidet, und in allem, fuhr ich fort, dem Geiſt, dem We - ſen nachſpuͤren, bis Ein Hirt und Eine Heer - de wird. Hoſianna, gelobet ſey dieſe Zeit, die da kommt im Namen des Herrn! Hoſian -Dna50na ihr in der Hoͤhe! Das Chriſtenthum, ſagt ich, iſt die einfachſte Religion auf Gottes wei - ten Erdboden, ſo wie der Geiſt einfach iſt. Sie kann Koͤrper annehmen, wie in der Schrift En - gel Koͤrper angenommen haben, und wie man von ſehr guten Menſchen, die gut wie Seelen ſind, ſagen koͤnnte: ſie haͤtten Koͤrper angenom - men. Freylich adoptirten Engel keinen andern, als menſchliche, als ſolche Koͤrper, die ſie im Griff hatten, die ihnen die naͤchſten waren. Die chriſtliche Religion hat keinen Tempel, kein Haus, kein Obdach noͤthig, ſondern uͤberall, wo Luft und Sonn iſt, wo wir ſind und we - ben, iſt Gottes Stuhl, und die ihn anrufen, doͤrfen nicht das Geſicht drehen und wenden. Gott iſt uͤberall. Im Morgen und in Mitter - nacht. Wer recht thut, iſt ihm angenehm. Dies war (obgleich es hohe myſtiſche nur we - nigen verſtehliche Toleranz iſt) dem blos ge - woͤhnlichen und fuͤrs Haus toleranten Prediger ſo gefunden, daß er mit einer Dreiſtigkeit ſchloß, die dem Grafen ein wenig zu hart auffiel.

Ceremonien, ſagt er, ſind des Herzens Haͤrtigkeit wegen, und da, nach Orts Umſtaͤn - den, die erſten die beſten!

Nicht alſo, lieber Gevatter, verſetzte der Graf, etwas untolerant. Ceremonien, lieberGe -51Gevatter, ſind Kleider der Sache. Kleiden denn alle Farben alle Geſichter? Es iſt ein Aufputz, das Colorit das wahrlich ſeinen Meiſter erfordert. Wenn es alſo recht waͤre, muͤßten Chriſten chriſtliche Ceremonien haben. Wie ſtimmet Chriſtus mit Belial, haͤtt [ich]bey einem Haar geſagt; allein Belial und ein Heide iſt zweyerley. Die Folge die - ſes Spruchs paßt beſſer. Was hat das Licht fuͤr Gemeinſchaft mit der Finſternis?

Ich geſteh es gern, daß mein Auge dem Ohr viel abgewonnen; indeſſen kam die Sa - che endlich ſo zu ſtehen:

Es giebt ein blindheidniſches, und ein Gott - verehrendes, ein ſehendes Heidenthum. Auch dieſe Sehende ſind von Chriſten unterſchieden, ſo wie Saal von Kirche. Findet man Anti - ken, wo man einen unbekannten Gott drinn ſiehet, einen Kuͤnſtler, der bey dieſer Arbeit nicht aufs Sichtbare, ſondern aufs Unſicht - bare ſahe; Heil dem Kuͤnſtler! Und findet man einen Samariter mit Oel und Wein er ſey uns ehrenwerth und findet man Genug.

Zu beyden Seiten der großen Thuͤre ſtan - den zween Genien, deren jeder ſeine Fackel umgekehrt hatte, und ins Kreuz auf eine Ur -D 2ne52ne hielt. Zwey Sphinxen von beyden Seiten ſahen zu.

In einem Felde waren zwey reißende Thie - re, die nach einen Schmetterling haſchten, der uͤber einer praͤchtigen Urne flog. Sie haſch - ten; allein er entfloh.

In einem andern die Artemiſia, mit einem Trank, koͤſtlicher als die Perle der Cleopatra! Mannsaſche. Zu einer Seite ein Kuͤnſtler mit dem Riß vom Mauſoleum in der Hand; zur andern ein Dichter, der mit den Augen ſang. Wie kann er anders auf der Wand?

Sodann allerley Arten von Pyramiden, Mauſoleen, Grabmaͤhlern, Urnen, Thraͤnen - flaſchen. Ein Feld mit drey Parcen! Zu bey - den Seiten ſolch Feld.

Endlich Himmel und Hoͤlle, der Alten drey Furien, der Tantalus, der heidniſche reiche Mann, der mitten im Waſſer ſteht und doch Gefahr laͤuft zu verdurſten. Ein Rad, mit dem ein Verdammter ewig herumgetrie - ben wird. Das nenn ich raͤdern, ſagte der Graf! Leidenſchaft heißt dies Rad.

Ferner ein Leichenbrand, von Leuten ange - zuͤndet, die ihre Geſichter abgewandt hatten. Eine Gebeinleſe von Verwandten und die Collecte: S. T. T. L. ſit tibi terra levis. Leichtſey53ſey dir die Erde drey, vier, fuͤnfmahl an - geſchrieben.

Sodann ein Feld. Elyſiſch. Fruͤhling. Paradies. Ein Koͤrper, dieſem Clima gleich drey Grazien.

Endlich eine Art von Altar, oben ein Spie - gel. Um den Spiegel die Aufſchrift: dem un - bekannten Gott!

Dies, ſagte der Graf, iſt der Erbauungs - Saal derer, welche nur eine Offenbahrung durch die Vernunft kennen, nur ein Licht, das den Tag regiert, ohn an das Licht, das die Nacht regiert, und die Sternenflur, zu den - ken. Die Vernunft wird durch den Spiegel angedeutet, den man nur auf Zehen erreichen kann. Es muß ein Fluͤgelmann ſeyn, der ei - nen Blick hineinſtehlen ſoll, und was ſieht er? Ein klein Stuͤckchen Kopf! Er ſieht ſich, wenn er Gott ſehen will. Bey allem dem bin ich kein Feind dieſer Gottesverehrer, ich habe Kerls darunter ſterben geſehen, beſſer wie Sokrates, ohne Hahn, ohne Todesangſt. Kein Wun - der, ſie hatten das neue Teſtament unſers Herrn geleſen. Sie ſollen einige ſehen un - ter meinen Todtenkoͤpfen, wo ich Chriſt - und Gottverehrer zuſammen, wie es in allen Ge -D 3bein -54beinhaͤuſern Sitt iſt, geſtellt habe. Da iſt nicht mehr Tempel und Saal.

Paulus kann unmoͤglich bruͤnſtiger den unbekannten Gottesaltar angeſehen ha - ben, als ich den des Grafen, geweihet den Menſchen, die Gott nicht als Vater, ſondern als Herrn, als Alleinherrſcher, anſchauen. Iſt denn, dacht ich, Gott den Chriſten bekann - ter? Wohnet er nicht in einem Lichte, wozu niemand kommen kann? Iſt er nicht ein We - ſen, das Niemand geſehen hat, und ſehen kann? Der Gottverehrer indeſſen ſieht ſich ſelbſt im Spiegel, der Chriſt ſieht Chriſtum, wenn bey - de Gott ſehen wollen. Ihm, dem Vater aller Dinge, ſey Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!

Wir giengen durch mancherley Zimmer zur Capelle, durch viel Truͤbſal, ſagte der Graf, zum Reiche Gottes. Es waren ihrer dreymal ſieben. Der Graf liebte dieſe Zahl ſehr, er nannte ſie eine Offenbahrungs Johannis Zahl, eine bibliſche Zahl, und hatte gewiß ein Paar Zimmer (da wolt ich drauf wetten) eingehen laſſen, oder mehr angebauet, um nur die Zahl ſieben herauszubringen! Man laß ihm doch die ſiebente Zahl! Meine Mutter pflegte zu ſagen, jeder habe ſeine Zahl, die ihm am Her -zen55zen liege. Es war kein einziges unter allen ſieben mal ſieben Zimmern (ſo viel waren im Hauſe) in denen nicht Ende, Tod und Ver - weſung, angeſchrieben war! Alles mit groſ - ſen Buchſtaben. Er war ein heiliger Vater, der die Bilder die Schrift der Einfalt nannte. Sie ſind es; allein fuͤr den Klugen ſind ſie Poeſie. In dem Saal und ſechs andern Zim - mern gemeine Liebe, in den ſiebenmahl ſieben Zimmern weniger ſieben die Chriſtliche. Saͤr - ger in den chriſtlichen Zimmern ohn End und Zahl Wenn ich bey jedem dieſer Saͤrger ei - ne chriſtliche Leichenpredigt halten und die To - deszimmer all zuſammen be - und umſchreiben ſolte, wuͤrd ich zu langweilig werden. Ein guter ſchneller Tod, iſt er nicht der beſte? Ich behalte mir vor, auf drey (auch eine heilige Zahl; eben ſo gut wie die ſieben, vielleicht eine, die mir nach dem Ausdruck meiner Mut - ter am Herzen liegt, ſo wie meinem Vater die Zahl neun) Zimmer einen Accent zu legen, und eile zur Capelle. Es fuͤhrte ein fin - ſtrer Gang dahin, ſo wie oft ein ſchlechtes Gelaͤute zu einer ſchoͤn gebauten Kirche einla - det, ſagte der Graf. Es konnten nur zwey gehen, ſo eng war der Gang, um den ſchma - len Weg zu parodiren. Von beyden SeitenD 4kamen56kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten, oder brennen mußten; denn hier war es ewig Nacht. Die Aerme ſchienen (ſo beſonders waren ſie) ſchnell herauszuwachſen, um den Wanderern auf dem finſtern Wege zu leuch - ten! Auf einer Seite waren ſechs Lichter, auf der andern fuͤnfe. Warum das? Dafuͤr konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei - lung der Spruchſtelle:

Dein Wort iſt meiner Fuͤße Leuchte, ſechs, und die andre: ein Licht auf meinem Wege, ganz richtig berechnet, fuͤnf und nicht weniger Woͤrter hatte. Ueber jedem Lichte ſtand ein Wort, ſchoͤn wie eine Dedication. Wuͤrd er dem Worte und auch einen Arm verehret haben; ſo waͤren beyde Seiten gleich geweſen. Das arme Woͤrtlein Und, ich haͤtt es nicht verſtoßen, wenn ich der Graf geweſen waͤre. Es iſt gemeinhin ein menſchliches, liebes, gut - herziges Wort, und iſt ſeinen Arm werth. Der Graf aber ſprach ihm die Goͤttlichkeit ab; wenn Gott ſpricht, iſts ohne und. In der Capelle ſelbſt hieng ein Crucifix, und der Schaͤcher, den Chriſtus ins Paradies mit - nahm. Der ſterbende Simeon, mit einer Friedensmiene im Geſicht, die entgegen rief:Herr,57Herr, nun laͤßt du deinen Diener in Friede fahren. Einige Apoſtel als Maͤrty - rer ſterbend. In ihren Geſichtern lagen die Worte: leben wir, ſo leben wir dem Herrn, ſterben wir, ſo ſterben wir dem Herrn, ob wir leben oder ſterben, ſind wir des Herrn. Hier ſtand auch in einem Behaͤltniß, von ei - nem eiſernen Gegitter eingeſchloſſen, des Gra - fen Sarg. Nuͤhrend war es mir anzuhoͤren, daß er alle Vierteljahr einmal drinn ſchlief. Ich habe mich mit meinem Hauſe, ſagt er, ſo bekannt gemacht, daß ich alles im Grif habe Die erſte Zeit ſchwitzt ich, als haͤtt ich Bezoar-Pulver eingenommen; jetzt ſchlaf ich, ohne einen einzigen Schweistropfen, ru - hig und ſanft. Der Tod wird mir, das hof ich, nicht unbereitet kommen. Der Wapen - zierrath war mir bey dieſem Sarge unaus - ſtehlich. Es waren drey bemahlte Pfeiler in der Capelle, Weisheit, Staͤrke, Schoͤnheit, Glaube, Liebe, Hofnung! drey Grazien drey Frauenzimmer, ſagte der Graf, und ich, die Tugend ſelbſt iſt ein Frauenzimmer, das Laſter iſt eine Mannsperſon. Ey! ſchrie der Graf, Ey! der Prediger. Ich hatte Muͤhe, die guten Herren zu uͤberzeugen, daß mein Vater wohl wuͤſte, was er ſpraͤche. ManD 5muß58muß nur alles nehmen, wie es von Gott und Rechts wegen zu nehmen iſt. Der Buchſtab iſt todt; allein der Sinn iſt lebendig. Ich blieb bey Wuͤrden und Ehren, und das Ey war vertilgt, bis auf den letzten Buchſtab, welches um ſo leichter geſchehen konnte, da es nur aus zweenen beſtehet. Sonſt verſteht jeder, was Glaube, Liebe, Hofnung ſey, oder eigentlicher, wie ſie gemahlt werden; indeſſen hatte der Graf ſeinen eigenen Glauben, ſeine eigene Liebe, ſeine eigene Hofnung.

Der Glaube war ein Maͤdchen, das mit der rechten Hand gen Himmel mit einem Cru - cifix den Weg wies, in der linken Hand einen Kelch hatte, woraus es trank, mit dem einen Auge lies es die Bitterkeit des Tranks merken, mit dem andern aber Himmel an, als ſaͤh es den himmliſchen Vater auf dem Haupt eine Krone mit Lorbeeren durchflochten. Es lag auf den Knien, das gute Kind. Oben ſtanden die Worte: ich glaube, Herr! hilf meinem Unglauben! Glaube war groß ge - ſchrieben, und es war auch noͤthig, denn wer haͤtte ſonſt wohl wiſſen koͤnnen, daß dies der Glaube ſey? Es thut mir ordentlich leid, daß ich vergeſſen habe, mit welchem Auge der Glaube gen Himmel, und mit wel -chem59chem er in den Kelch der Bitterkeit ſahe, als wolt er die Tropfen auszaͤhlen. Kanſt du ſie zaͤhlen, hies es zu Abraham, da ihm die Milchſtraße am Himmel gewieſen und die Verſicherung in forma probante behaͤndigt ward: alſo ſoll auch dein Saame ſeyn

Die Liebe war eine junge liebenswuͤrdige Mutter, (das ſchoͤnſte in der Natur) ein Kind an ihrer Bruſt, eins lag ihr auf der Schul - ter und kuͤſte ſie mit Inbrunſt. Noch war ein Kind, dem ſie drohend ihre rechte Hand reichte. O wie drohete ſie! Allerliebſt. Oben ſtand: Staͤrker, als der Tod!

Die Liebe iſt ſehr beſchaͤftigt, ſagte der Graf! Sie hat alle Haͤnde voll; die wird wohl jeder kennen!

Die Hofnung war eine Geſegnete, eine der Entbindung nahe. Das Kind ſprang ihr im Leibe, wie der Eliſabeth, und doch ſah man ihr einigen Kummer an. Sie zaͤhlte die Monden. Sie hatte ſich auf einen Anker gelehnt. Sie lag faſt ganz darauf. In der einen Hand hatte ſie ein poſtfliegendes Noataͤubchen. Den Kopf hielt ſie in die Hoͤhe, als ob ſie wiſſen wolte, wie weit von ihr zur Erfuͤllung waͤre, vom Ja zum Amen. Die60Die Augen, das merkte man, konnte ſie nicht in die Hoͤhe bringen, ſie wolte

Es ſtanden die Worte herum: Hofnung laͤßt nicht zu Schanden werden! Hofnung groß!

Der Prediger war ein Muſikus, und da ihm der Graf das kleine Poſitivchen zuwies, zog er den Tremulanten, den Hauptzug an dieſem Werklein, und ſpielte: Was willſt du armes Leben?

Beym Herausgehen wurde mir ein Buch an die Hand gegeben, das die Aufſchrift fuͤhrte: Namen derer, die in dieſer Capelle geweſen, die, da ſie ſchrieben, wa - ren, und, eh ſich das Blat umkeh - ret, nicht mehr ſind. Ihre Namen moͤgen geſchrieben ſeyn ins Buch des Lebens! Amen. Herzlich freut ich mich, daß ich meinen Na - men beynahe am Ende ſchrieb, ſo daß das Blat bald umgekehrt werden muſte bald! Es ergrif mich ein Schauer, und es war, als hoͤrt ich Minen ſaͤuſeln: bald!

Der Graf bewohnte ſieben Zimmer, wo er und ſein Bruder Feuer und Heerd hatten. Des Grafen Bette war ein foͤrmliches Ge -woͤlbe.61woͤlbe. Lazarus, unſer Freund, ſchlaͤft, ſagt er zu mir, da er es mir zeigte. Sein Bruder gab ihm nichts nach, nur daß auch hier das graͤfliche Wapen eine Scheidewand machte. Das liebe Wapen! Der Graf, der ſehr in die Urnenfaçons verliebt war, hatte in ſeinen ſieben Leibzimmern chriſtliche Urnen, wo er wuͤrklich chriſtliche Todtenknochen unter wohl - riechende Dinge gelegt und aufbewahrete.

Bey Gelegenheit, daß uns der Graf in ſeinen ſieben Leibzimmern herum fuͤhrte, war er nicht etwa ſtumm, ſondern ſo beredt, als nur irgend Jemand ſeyn kann. Wir ſetzten unſere Geſpraͤche, des Sehens unerachtet, ohne Zeitverluſt fort. Man ſieht noch ein - mal ſo gut, wenn man drein ſpricht; wenn man ſagt, was man ſieht. Das Hoͤren lei - det Abbruch, wenn man recht von Herzen ſieht. Wir ſprachen uͤber das, was wir ſa - hen und uͤber vieles, was wir nicht ſahen. Meine Leſer werden keine Muͤhe haben zu wißen, was jedem aus unſerm Kleeblat, aus dieſem Spiritus oder wie es ſonſt heißt, eignet, zugehoͤret und gebuͤhret. Die Grie - chen, ſagte der Graf, hatten die Gewohnheit, einen Zweig an die Thuͤre zu ſtecken, wo ein Todringer lag, wie ungefehr hier, wo Bierfeil62feil iſt. Ich behalte dieſe Gewohnheit auch bey. Ueber jede Thuͤr in meinem Sterbhauſe, wo geſtorben wird, iſt ein Reis als ein Sie - geszeichen angeſteckt; warum ich aber an Ei - nem Sterbenden nicht genug habe, geſchiehet nicht ſowohl meinet, als der Sterbenden we - gen. Man hat ſich gewaltiglich uͤber den Gebrauch der Alten gewundert, daß man bey der Leiche anderer viele Leichen machte, um dem Gott des Todes den Mund zu ſtopfen, und den Charon auf einen Tag in ſolchen Schweiß zu ſetzen, daß er faſt ſelbſt geſtorben waͤre. Man hat, duͤnkt mich, Urſache ſich zu wundern. So viel iſt aber gewis, daß es weit angenehmer iſt, in Geſellſchaft zu ſter - ben, als in Geſellſchaft zu leben. Der groͤßte Theil der Menſchen ſtirbt eben darum ſo ſchwer, weil er alles verlaßen muß, und weil ihn alles verlaͤſt, weil er ſo ſehr allein bleibt. Ein ſchweres Wort allein. Der Menſch iſt ein geſelliges Thier. Der Sterbende hat ſelbſt ſo oft und viel in ſeinem Leben, derer, die ſtarben, vergeßen, als daß er auf die Ehre eines laͤngern Andenkens rechnen ſollte. Wenn er aber mit dem Zirkel, in dem er leibte und lebte, in einem ſtirbt; wie troͤſtet dies? Auch wenn ihm die andre Welt und die Wie -derkunft63derkunft der Guten und Boͤſen ein unaufloͤß - liches Raͤthſel bleibt, giebt ihm dieſer Gedan - ke einige Ruhe und welch eine Seelenruhe, wenn er mit ihnen, ſo wie er hier lebte, dort wieder lebt. Da denkt denn der Reiche, er werde unter ſeinen mit ihm zuſammen geſtor - benen Schuldnern noch immer der Glaͤubiger bleiben. Die Leute werden ſich doch ſchaͤmen, ihn auf einem andern Fuß zu nehmen, da ſie ihm die Zinſen ohnedem acht Tage nach der Verfallſtunde berichtiget, welches aufs Jahr ſchon etwas betraͤget. Da denkt der Herr, wenn er mit ſeinen Bedienten zuſammen ſtirbt, die Menſchen werden doch Lebensart verſte - hen. Ich, ſagte der Graf, ich ſelbſt moͤchte mich nicht gern von meinem Bruder trennen. Darum, fuhr er fort, ſind uns neue Freund - ſchaften ſo verhaßt, wenn wir in gewißen Jahren ſind, im Fall die Freundſchaftspar - theyen nicht jahregleich ſind. Auf Ehre, liebe Sterbenscandidaten und Candidatinnen! wenn die Hohen und Reichen, die Augenlu - ſtigen und die vom hoffaͤrtigen Leben, wuͤſten, wie wohl es in dieſer Ruͤckſicht ſich im Ho - ſpital ſterben ließe, ſtuͤrben viel drinn, die ſich jezo wohlbedaͤchtig genuͤgen, Geld unter dieſe Armen auszuwerfen. Dieſe Armen beſitzen oftmehr,64mehr, als alle Schaͤtze der Welt; denn das Himmelreich iſt ihrer! Darum vorzuͤglich glaub ich, ſagte der Graf, durch gute Geſell - ſchaft meinen Sterbenden ihr Ende zu erleich - tern, und ihnen einen Dienſt dran zu thun. Sie koͤnnen jezt die Zeit nicht abwarten, ſie keichen recht nach dem vorgeſteckten Ziel, und oft hab ich gehoͤrt: Wilſt du mit? Ich bin bereit, ſo komm ich geh gern! So komm doch! Gern! Nun? hohl mich nach, ſo gern ich wollte, kann ich?

Wenn die grauſame Gewohnheit der Al - ten, Leichen bey Leichen zu machen, in dieſe Ideen zum Theil einſchluͤge, ſagten wir alle drey, und thaten ſo, als fruͤgen wirs? Wir machten es, wie die Redner und Schriftſteller, bey denen das Fragzeichen nicht ein Men - ſchenhaar mehr bedeutet, als gehorſamer Die - ner, unterthaͤniger Knecht, und dergleichen ſieben mal ſieben Sachen mehr.

Selbſt der Selbſtmord wuͤrde beym ofnen Grabe noch am erſten aus der Natur des Menſchen zu erklaͤren ſeyn, und es gehoͤrt ein eben ſo großer Grad Lebensliebe dazu, als der große Menſchentoͤpfer uns mit eingebla - ſen, um dieſen Grillen bey den ofnen Graͤbern der lieben Unſrigen zu entkommen. Manduͤnkt65duͤnkt ſich, ohne die Seinen, verwayſet in der weiten Welt, und iſt man es nicht an dieſem unempfindlichen großen Ort? Was waͤre das Leben, wenn man nicht noch den Zirkel der Seinen haͤtte, wo man noch das ſuͤße Echo ſeines Schmerzens ſeiner Freunde hoͤrt, und eine Theilnehmung ſieht, Liebe und Gegenliebe empfindet. Wer ſich auf ei - nem andern Wege, als am ofnen Grabe, das Lebenslicht ausblaͤßt, bedenket nicht, von wannen er kommt und wohin er faͤhret. So ehrbar es Manchem laͤßt; er iſt doch mit ſei - nem Kopf uͤber Bord. Ey, wenn es der Menſch in einem entſetzlichen uͤbermenſchlichen Schmerz thaͤte? Giebts uͤbermenſchlichen? Exempel zwar, daß Menſchen ſich des Schmer - zens halber umgebracht, obs aber uͤbermenſch - licher Schmerz war, bleibt Frage. So viel iſt auffallend, daß der Leib, der, wenn er todt iſt, da liegt, wie ein Stuͤck abgehauenes Holz, unmoͤglich dem Schmerz ausgeſetzet ſeyn koͤn - ne, den er im Leben empfand, und wenn alſo ein Leidender ſeine Seele Gott befiehlet und ſeinem ihn plagenden Leibe einen Streich ſpielt, oder dem armen Schelm eine Wohlthat erwei - ſet; ſo ließe ſich daruͤber reden, mehr aber auch ſchwerlich: denn ein ſolcher Selbſtmoͤr -Eder66der kommt aus dem Text der Natur. Wie ſelten find indeßen Exempel von Leuten, die aus Schmerz ſich ins Leben greifen, in ein zweyſchneidendes Schwert faßen: denn Leute, die dem Tode recht ehrlich trotzen koͤnnen, o! die trotzen auch dem Leben.

Ey, wenn der Menſch alles vollendet haͤt - te? Wenn ihm die Zeit mit Recht lang wuͤr - de? Alles vollendet, Lieber! alles! Wenn wir gethan haben, was wir zu thun ſchuldig waren, ſind wir denn mehr, als unnuͤtze Knechte? Wer hat aber alles vollbracht? Wem wird die Zeit auf eine weiſe Art zu lange?

Jener Freygelaßene der Agrippina, der ſich bey dem Scheiterhaufen ſeiner Goͤnnerin (um ihr Ehrenbette nicht zu beflecken) erſtach. Viel Erkenntlichkeit, wenn ſie ihm blos Schuz - goͤttin war! Doch ſolche Erkenntlichkeit haben noch mehr bewieſen. Weiber, Freyge - wordene, ſelbſt Hunde und andere Thiere, die ſonſt nicht ſo treu befunden werden!

Sehen und Hoͤren, ich hab es, glaub ich, ſchon ſonſt wo geſagt, vertragen ſich mit ein - ander, wie Halbgeſchwiſter. Ich geſtehe es ſehr gern, viel, ſehr viel von dem Gerede des Grafen verlohren zu haben, und das iſt Scha -de!67de! Der Graf, der in andern Faͤchern eben keine große Kenntniße bewieß, war uner - ſchoͤpflich in den Sterbenswißenſchaften. Da hatte er gedacht und geleſen. Da konnt er mit dem Gelehrteſten ſchon eins anbinden. Ich wundre mich noch, daß er bis auf die Terminologien, die eben ſeine Sache nicht waren, den Tod in allen Zeiten, in allen Zun - gen und Sprachen, verſtand. So gar aus fremden Sprachen, die er nicht kannte, wuſte er gewiße Worte, den Tod betreffend. Der Prediger konnte ihm in dieſer Kunſt auf ſechs kaum das ſiebente antworten; indeßen exami - nirt er nicht, wie es denn auch Niemand thut, der dem andern ſehr uͤberlegen iſt. Wer wuͤrklich weniger weiß, als der Initiandus, iſt ein Inquiſitor im Examen. Der Ueber - legene lehret nur, das heißt, er legt es alles zum Greifen nahe.

Ich erinnere mich meines Verſprechens, meine Leſer in drey Zimmer zu fuͤhren.

Das erſte Zimmer ſoll das ſeyn, wo der Graf ſeine verſtorbene naͤchſte Familie hatte.

Es wird meinen Leſern noch im friſchen Andenken ſeyn, daß ich bey dem ſeeligen EndeE 2des68des zweyten Theils der Lebenslaͤufe, da ich den beſondern Mann, den Herrn Grafen, am dritten Ort zu praͤſentiren die Ehre hatte, zu - gleich anbrachte, wie er ſehr traurige Schick - ſale uͤberlebt. Sieben Kinder, alle im Lenze des Lebens, waren ihm geſtorben. Dieſes Zimmer hies Familiencabinet, und war dem Schatten dieſer ſieben Seligen, dieſer ſieben Engel, die Gottes Angeſicht ſahen, gewidmet. Lange ſtand der Graf an, ob er dieſe heilige Seelenzahl verruͤcken, und ihnen noch die bey - den Braͤutigams der beyden als Braͤute ge - ſtorbenen Toͤchter, und die Braut des als Braͤutigam geſtorbenen Sohnes, zugeſellen ſollte? Endlich Ja, weil ſeine Gemahlin ſchon uͤber ſieben war. Die Zahl war alſo ſchon verdorben. Dies Familiencabinet ent - hielte dieſe liebe Todten, wie der Graf ſie nannte, von denen immer eins dem andern die Hand gab, und eins nach dem andern an den Reihen kam. Eines fordert das andere zum Todtentanz, zum Grabesgang, auf. Viel Einheit der Zeit, alles ſtarb in Zeit von drey Jahren. Ich kann eben nicht ſagen, daß in dieſem Trauerſpiel griechiſcher Ge - ſchmack herrſchte; indeßen war viel Manns - und Vaͤterwaͤrme da, viel Empfindung. Eswaren69waren zwey Thuͤrſtuͤcke, das eine ſtellte Ge - neſin, das andere Apocalypſin vor. Ge - neſis war in Geſtalt eines Menſchen. Apo - calypſis wie ein Engel gekleidet. In jenem ſahe man die Worte: es ward in dieſem das Offenbarungs Johannis Wort: Amen!

Die Seeligen waren alle wie Geiſter ge - kleidet. Sie hatten weiße Kleider. Sie wa - ren mit Koͤrperchen umſchlagen mit einem leichten Gewande, mit dem Sterbhemde. Die Geſichter kenntlich; allein himmliſch. Wenn die junge Grafen und der Braͤutigam nicht Hutkraͤnze von weißen Federn auf ihren flie - genden Haaren gehabt, und ganz unvermerkt das graͤfliche Wapen nebſt der Perlencron an ihrer Seite hervorgeſchimmert haͤtte; ſo wuͤr - den die Geiſter mehr Geiſter geweſen ſeyn. Jezt waren es graͤfliche Geiſter. Andre Welt! wenn du Fuͤrſten, Grafen, Freyherren, Rit - ter, Buͤrger und Bauren haſt; ſind ſie auch nur durch ein Wapen unterſchieden; wie we - nig biſt du dann andre Welt! wie wenig! Alles handelte in dieſem Familienſtuͤck. O der unſeligen Wapen, und der weißen Feder - buͤſche! und der graͤflichen Krone!

Die Graͤfin Mutter hatte ſieben Weinreben in der Hand, die alle ſieben weinten, ſo daßE 3die70die Thraͤnen zuſehens herabtraͤufelten; drun - ter giengen Vergiß mein nicht auf.

Zwey Soͤhne hatten Grabſchaufeln in der Rechten, ſtanden an einem aufgemachten Bette, wie der Graf es nannte, an einem fertigen Grabe, und beſahen die Erde und ſich, als wenn man ſein Portrait und ſich collationirt, um beyzuzeichnen: concordare cum ſuo origi - nali teſtor. Man ſahe, daß ſie ſich ſagten: Staub von unſerm Staub! Zwey Graͤfinnen, unſchuldig wie Engel, bis auf die verfluchten Wapen. Wozu doch die Wapen? Zwey Graͤfinnen, wuͤrkliche Engel, goßen jedes eine Schaale auf die aufgeworfene zur Saat Got - tes vorbereitete Erde.

Meine Mutter haͤtte das Taufwaſſer nicht feierlicher ausgieſſen koͤnnen, als dieſe Engel die Schaalen.

Die beyden Braͤute, mit herabhaͤngenden halbverwelkten Kraͤnzen, Hand in Hand. Der eine Braͤutigam den rechten Arm in der linken Hand ſo aufgeſtuͤtzt ſieht er ſtarr auf ei - nen Fleck im bloßen Kopf, wie der Graf ſagte, das iſt, auf nackte Erde. Wohin der Blick nur reichen kann, iſt die Stelle kahl, ohne gruͤn und gelb. Der andre neigte ſich ſanft zur Erde, die er kuͤßt. Die Bewegung jenesRoͤ -71Roͤmers, da er ſeinem Vaterlande einen Kuß gab, iſt nichts dagegen.

Der Sohn und ſeine Braut, oder Federn und Wapen, hielten eine mit Blumen durch - flochtene Schnur. Sie zogen jedes ſein Ende mit Macht, und ſiehe da, ſie reißt und beyde ſind im Sinken zwo Tauben fliegen mit Oehlzweigen uͤber der ganzen Geſellſchaft. Und nun noch ein Engel ohne Sterbhemde, ohn Schlafrocksmaͤßig um den Geiſt haͤngen - des fliegendes Koͤrperchen, ein Engel in einer noch angemeßenern Uniform, in einem ſo Orignalengelgewande alles engliſch an ihm, wie ſchoͤn er in die Hoͤhe ſieht! Wie ſchoͤn! Es war der juͤngſte, der Benjamin un - ter ſeinen Bruͤdern. Wenn ich doch dieſe Uni - form beſchreiben koͤnnte! Schade! er hat ein Ordensbaͤndchen, worauf das luthe - riſche Wort ſteht: Viuit. Freilich mehr, als pro gloria et patria.

Allein ein Ordensengel! O des Ordens, der Wapen! der Federbuͤſche!

Das zweite Zimmer mit dem Accent: ich geſteh es, ich haͤtt es fuͤr mein Leben gern.

Lauter ſterbende Koͤpfe! Roch iſt Zeit zu - ruͤckzutreten, gnaͤdige Frau allein die letzteE 4Zeit72Zeit war dieſe heilige Schwelle betreten ich ſteh nicht fuͤr ihn. Man ſieht es Ew. Gna - den an ſie erliegen! ohne Umſtaͤnde ein polniſcher Abſchied, oder ein deutſcher! wie ſie befehlen!

Ha! das war ein Odemzug! Das Be - harren bis ans End iſt nicht Jedermanns Ding Viel Vergnuͤgen auf der Redoute. Da ſind freylich andere Geſichter! Narren - kappen wie man ſie will. Als Schaͤferinn alſo? und dieſe Koͤpfe? O Freunde, wie werth, wie werth zu ſehen! Es ſind Ge - ſtorbene, die eben kalt geworden, eben. Alle gantz puͤnktlich richtig nach dem Leben nach dem Tode, wuͤrd ich ſagen, nach ihrem Sonnenuntergang! ſeelig, ſeelig, ſeelig, ſagte der Graf, ſind die Todten, die im Herrn ſterben. Sie ruhen von ihrer Arbeit, ihre Werke folgen ihnen nach Wir falteten alle drey die Haͤnde! Es war erwecklich anzuſe - hen. Sie ſind, fieng der Graf Etwas zu geſucht an, dieſe Todten hier, ſind nach dem Ausgang der Seele durchs rothe Meer, wie dieſe ſchon Canaans Thurmſpitzen ſah, gemahlt. Wenn die Seele, fuhr er fort, von ihrem vieljaͤhrigen Freunde Abſchied nimmt, ver - ehrt ſie ihm noch ein klein Andenken. Einegoldne73goldne Tabatiere mit ihrem Bilde! Sie wirft noch Strahlen auf ihn, die ſo aus den Ge - ſichtszuͤgen des Geſtorbenen herausleuchten, wie das Antlitz des Moſes, obgleich er ſchon vom Donner und Blitzberge war. Der Menſch dort, ſo lange die Seele in ihm lebte, ſchwebte und war, ſich ſo oft hinter ihr ver - ſteckte, und vom Verſtande Feigenblaͤtter, Vorhaͤnge borgte, kaufte, wie es die Noth wolte, iſt da auf ein Haar zu ſehen. Als wenn er lebt! Als wenn die Seele nur uͤber Feld gegangen waͤre, um friſche Luft zu ſchoͤ - pfen, um ins Freye zu gehen, als wenn die Seele gleich wieder kommen wuͤrde. Ihr Hauptſeſſel iſt noch nicht kalt. Spasvo - gel Diogenes, loͤſche deine Laterne aus! Hier ſind Menſchen, recht wie ſie ſind. Da iſt das aufgegebene Raͤthſel und die Loͤſung, das Exempel und die Probe! Jeder fuͤrchtet ſich vor dem natuͤrlichen, vor dem Cammertode, vor dem kalten vernuͤnftigen Tode. Der Hel - dentodt, der Feldtodt, iſt nicht kalt, nicht ver - nuͤnftig. Es iſt ein kuͤnſtlicher Tod, man weiß nicht wo man bleibt, und ich, ſagte der Graf, ich, der ich dem Tode ſeine Kuͤnſte ab - laure, ich der ich ihm nachſchreibe, wolte in Faͤllen dieſer Art nicht Obſervationen anſtel -E 5len,74len, um alles nicht, in Faͤllen nehmlich, wo der Menſch ſo recht in ſeinen Suͤnden ohne Zeit und Raum, ſich in Ordnung zu legen, dahin ſtirbt, dahin Zwar, fuhr der Graf fort, zwar hab ich ſelbſt zwey Bruͤder, die auf dieſem ſo genannten Bette der Ehren ge - blieben ſind, und ich hoffe ſie gewis in der ſee - ligen Ewigkeit zu treffen; indeſſen iſt nichts richtiger, als daß der Baum, wie er faͤlt, liegen bleibe. Da liegt der Grund von mei - nem Grundſatz. Warlich, lieber Leſer, das war das Motto zu dem Zimmer, in das ich euch ein und die gnaͤdige Frau v. , die eben jetzo ſchon ein engliſch Taͤnzchen macht, ausgefuͤhret habe, obgleich die gute Frau, unter uns geſagt, uͤber ein kleines auch ein Todtenkopf werden wird, und ins Ohr geſagt, ſchon jetzt halb einer iſt und dieſe Koͤpfe? So hab ich ſchon einmal gefragt, und ſo werd ich noch oft fragen, und immer drauf antworten, o Freunde, wie werth zu ſehen, wie werth! Wer kann ſie aber ohne Verluſt beſchreiben? Wer? Ein Gemaͤhlde von andern Gemaͤhlden iſt Copie, iſt todt an ihm ſelbſt, iſt kalt von kalt wie der eine Kopf als fruͤg er: wo kam ich hin? ſo beſcheiden gefragt, daß es ihm gleich war,wohin75wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen, als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne alle Capitulation. Wer wird auch mit dem guten, mit dem lieben Gott, capituliren.

Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie - ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra - chen, und ward ein Mann. Seiner Offen - herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte, ward Juno aufgebracht; denn welche Dame, waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale, wiewohl in caſu oneroſum, wahr zu ſagen, zur Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa - bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un - ſer Verſtorbene Er war ſo zufrieden, wie Tireſias. Das Schickſal wolt es, daß er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie. So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augenim76im Kopf hatten. Unſer Geſtorbene ſchien auch beym Verluſt ſeiner Augen eines andern Heils gewis zu ſeyn. Das war Ausſicht. Die Ruͤck - ſicht? Sich ſelbſt von Jugendſuͤnden zugezo - gener Sterbensſchmerz ſchien auf der Stirn zu runzeln: allein kein Bewuſtſeyn, ſeinen Naͤchſten um funfzig Procent gebracht zu ha - ben, kein Betrug, kein Bubenſtuͤck. Die Un - terlippe biß die obere ein, doch verwundete ſie ſolche nicht. Paete, non dolet. Oberlippe, es thut nicht weh, ſchien die Unterlippe der Oberlippe aufbeißen zu wollen. Juſt dann ſchmerzt es aber, wenn man ſagt, es ſchmerzt nicht. Man beſpricht den Schmerz, wenn man ſpricht, indem es weh thut, wenigſtens glaubt man ihn zu beſprechen.

Solten Sie denken, meine Herren, ſagte der Graf, es iſt ein bloßer Gottverehrer der, wie er mir bekannt hat, den lieben Gott blos in ſeiner lieben guͤtigen Natur geſehen, ge - kannt und ſich drob gefreut hat. Denn Gott iſt nicht ferne von einem Jeglichen. Den feu - rigen Buſch der Religion hat er nicht geſehen. Er blieb ſeinem Naturglauben und Vernunfts - Catechismus, der nur einen Artikel hat, treu! Ich kann nicht, ſagt er, wenn ich gleich wolte; allein ich habe keinen in ſeinen drey Artikelngeſtoͤhrt,77geſtoͤhrt, keinem ſeinen Catechismus im Spiel abgenommen, keinem geſchwindes Witz - oder langſam wirkendes Verſtandsgift eingegeben, keinem in ſeinem Thun und Laßen einen Stein des Anſtoßes in Weg gelegt. Ich hielt viel fuͤr Gotteslaͤſterung, was andere fuͤr Gottes - verehrung hielten ich beſonders war es, bemerkte der Graf, das er das ich unend - lich oft und viel ausſprach, und mit ſeinem ich hinten und vorn war. Er blieb auch im ich. Er ſties ſich das Herz daran ab. Mit dem lieben ich! Die Herren Naturaliſten im guten Sinn, dabey bleib ich, fuhr der Graf fort, halten ſich ſelbſt fuͤr kein Kleines. Ihre Seele wenigſtens iſt ihnen ein Stuͤcklein lieber Gott, wie wir Chriſten denn auch drin nicht ganz in Abrede ſind, allein wie? Man koͤnnte die Deiſten Seelenverehrer nen - nen, bald haͤtt ich Seelenabgoͤtter geſagt; allein ſeht nur die Miene des Geſtorbenen! Iſt da wohl Abgoͤtterey drinn ich mag keinen Stein aufheben wider ihn, weder ei - nen großen, wie wider den Stephanus, noch einen kleinen, wie wider Goliath ich nicht. Noch ein Deiſt mit mehr Stirn - unbeladenheit, allein mehr Lebensmuͤhſee - ligkeit uͤber den geſchloßenen Augen, dieer78er eigentlich nicht geſchloßen, ſondern zu - gedruckt hatte. Es ſchien ſo, als waͤr der Schluͤßel abgedreht. Eine Auferſtehung ge - hoͤrte dazu, um dieſe verſchloßenen Augenthuͤ - ren zu oͤfnen. Alles war dicht zu, auf beyden Wangen. Von der Mitte der Naſe an, bis ganz herunter lag ein Strick von Runzel, der ſich unten zuſammen gab. Er iſt ſehr verfolgt, der arme Schelm ſagte der Graf. Sein Tod war ſanft, das ſah man kein Ge - wiſſensbiß, auch nicht einſt in einer Lippe. Ruhe lag uͤber und uͤber und ſo viel Erge - bung, daß er, wenn Gott geſagt haͤtte: hoͤr auf, er erwiedert haben wuͤrde, dein Wille geſchehe! Wahrlich das koͤnnt ich nicht, be - merkte der Graf, ich wuͤrde dem lieben Gott wenn nicht mehr antworten, ſo doch: aber lieber Gott Ich konnte nicht weg von dieſem Kopfe. Herr wie du wilſt, ſo hies er. Der Graf erzaͤhlte mir viel Verfolgungsſce - nen von Geiſtlichen, und beſonders von ei - nem gewiſſen Conſiſtorial-Praͤſidenten Cai - phas der ſelbſt weder Gott noch Teufel glaubte, der aber von Amtswegen und aus leidigem Praͤſidentenſiolz orthodox ſchien bis zur Raſerey, die uͤberhaupt mit ihm ſehr nahe verwandt war. Gott laß dich ruhig haͤngen,ſagt79ſagt ich, da ich ihn ſahe Du ruhiger Menſch. Koͤnnte ſeine Seele wohl in der Hoͤlle und Qual ſeyn, und ſein beſtes Leib - ſtuͤck, ſein Kopf, ſo ausſehen? Es waͤr ihm, ſolt ich denken, auf dem Hoͤlle - und Quaal - Fall gewis etwas vom Durſt anzuſehen, den ſeine andre Helfte dort litte. Mein Vater pflegte zu ſagen: alles Paarweiſe, Seele Mann, Koͤrper Weib. W. Z. E. W. Meine Mutter wuͤrde geſagt haben, Leib Weib ohne W. Z. E. W. Dies fiel mir ein, und ſchnell dacht ich, ein gutes Weib! Sollte wohl da oben uͤbern Augen Etwas Menſchenhaß liegen? und der Gerntodt eben daher ſein ſchoͤnes Feyerkleid her haben? und die Ent - ſchloſſenheit, auch ganz zur Erde zu werden, daher kommen, um nur mit Menſchen nicht mehr zuſammen zu ſeyn? Seht ihn recht an, ich finde keine Schuld an ihm, und wenn etwas Bitterkeit wider Prieſter und Leviten, wie Unkraut unterm Waizen, ſtuͤnde: war nicht vielleicht Verfolgung wider dieſen Sa - mariter Schuld daran? Es liegt auf jedem Lebens ausgegangenen Geſicht Ruͤckſicht und Hinſicht, ſagte der Graf. Ich fand keines von beyden auf unſerm Ruhigen. Er neigte nicht ſein Haupt, das that auch ſein Bruder nicht,ſie80ſie hatten den Kopf ruͤckwaͤrts gebogen, und doch in die Hoͤhe! Schlaf geſund, du Verfolgter, und genieße der ſtolzen Ruhe de - rer, die in Gottes Hand ſind, und von denen es heißt: keine Quaal (auch nicht einſt vom Con - ſiſtorial-Praͤſidenten Caiphas, dem Schwie - gerſohn des Hannas,) ruͤhret ſie an Das waren die beyden Deiſten, denen der Graf hier ein Raͤumlein bey ſeinen Chriſtenkoͤpfen gegoͤnnet hatte, ſo daß dieſe Todtenkopfgal - lerie eben hiedurch ein Simultangewoͤlbe wor - den war.

Der Deiſt, da er wohl einſiehet, er komme nicht aus: er habe eine Rechnung ohne Wirth gemacht, nimmt ſich eine Handlung aus ſei - nem Leben heraus, ſtellet ſie auf und ſieht ſie ſo mit unverwandten ſtarren Augen an, daß er drauf lebt und ſtirbt, daß er ſich einbildet, der liebe Gott werde auch ſein ganzes Leben ſo vergeſſen, als er, bis auf das Proͤbchen, das er zur Schau aufgeſtelt. Moſes ward be - graben, ohne daß Jemand wußte wo? Doch! ich wolte vom Lycurgus reden. Dieſer große ſpartaniſche Geſetzgeber eroͤfnete dem Volke ſeine in Delphos confirmirte und goͤttlich er - klaͤrte Geſetze, und da Sparta unter ſeinen Geſetztafeln bluͤhete, wie ein Weidenbaum anden81den Waſſerbaͤchen, nahm er von ſeinen Buͤr - gern einen Eid, die Geſetze ſo lange in Ehren und Wuͤrden zu laßen, bis er heim kaͤme; denn er muͤſte wieder nach Delphos, und nun reiſete er nach Cirra, und beſtaͤtigte mit ſei - nem Tode ſeine Geſetze. Eine Parentheſe. Iſt Lycurgus ein Selbſtmoͤrder, und jener Patriot, der fuͤr ſein Vaterland in ein war - mes Todesbad gieng? Nein, ſie ſind Maͤrty - rer, und haben den nemlichen Zug im Geſicht, als die, ſo aus Liebe zu einer Sache, damit ſie, die Sache, nicht ſtuͤrbe, geſtorben ſind. Ich komm ab. Ich wolte ſagen, Lycurgus habe ſo ausgeſehen, wie jeder Deiſt, der ſich ein Lebensbild aufſchlaͤgt, und dies ohne Auf - hoͤren anſieht. Die Seele ſelbſt gewoͤhnt ihr Auge dran.

Ueber die Chriſtenkoͤpfe uͤberhaupt die An - merkung: die Augen alle nicht ganz zu: Sie wolten ſehen, wo ihre durch Chriſtum gehei - ligte Leichnamme blieben. Sie wolten lau - ſchen, (das thut man nur mit niedergeſchla - genen Augen) wohin die erloͤſte Seele citiret worden, und alſo die Augen etwas offen. Die Augen waren von andern zugedruckt; allein die Thuͤren wolten nicht zu halten, ſie waren eingetrocknet. Die Chriſten hatten alle dasFHaupt82Haupt geneigt. Sie hatten, das ſah man ihnen an, ſchon das Seelenteſtament deponirt: Vater, ich befehle meinen Geiſt in deine Haͤnde, nimm meinen Geiſt auf! und nach dieſem Teſtament neigten ſie ihr Haupt und verſchieden. Die Erde iſt des Herrn! Nimm, liebe Mutter, dieſen Leib, den du neu gebaͤh - ren ſolſt ich fuͤrchte nicht deinen verſchloſ - ſenen Leib ich weis, an welchen ich glaube, und bin gewis, daß er dieſe Beylage bewah - ren werde, bis zu meinem Geburtstage, bis an jenen Tag

Der eine Mann da, ſolt ich mich irren, wenn ich behaupte, daß etwas Zweifel in ihm laͤge? Eine edle Unruhe bald haͤtt ich ſokratiſche geſagt; allein ſie war lange noch nicht ſokratiſch. Es war eine chriſtliche. Baal, erhoͤre uns, haͤtte dieſer Mann nim - mer und in Ewigkeit gerufen! Heute im Paradieſe heute noch? wo liegt es? Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſehen? ein Geiſt den andern. Ewige Seeligkeit! ewige! in einem weg, ohne daß uns die Zeit, haͤtt ichbald83bald geſagt, ohne daß uns die Einigkeit (das, glaub ich, kann ich auch nicht ſagen) lang wird. Auferſtehung des Todten, des in alle Welt zerſtreueten Leibes? Dergleichen Fragzeichen ſchien der Mann auf dem Geſicht zu haben, und auch ſein Nachbar, auch der hier, auch jener dort, o! der an der Thuͤr am deutlichſten: das ganze Geſicht ein Fragzei - chen! allein bey alle dem, mit einer Art von Vertraulichkeit gegen Gott. Nicht Dumdrei - ſtigkeit, nicht Chriſtenſtolz, wie die Feinde der chriſtlichen Religion es zu benennen belieben, ſondern kindliche Zudringlichkeit, hoͤchſtens Vorſchnelligkeit, hoͤchſtens Kinderfrage. Sind Kinderfragen Zweifel? Sind es Knoten? die der Deiſt heroiſch ſtatt zu loͤſen entzwey haut? Werdet wie die Kinder! Wer kann das genug lehren und lernen, und beym Capittel der Ruͤckſicht, o! mein Gott, welche richtige Rechnung! Wie ſtimmig die Balance! keine Schuld im Ruͤckſtande, nichts zum Uebertra - gen, alles thut wie oben. Alles rein ab - geſchloſſen! ohne Bruch, ohne

Der Kalte da! die wenigſten Zweifel! im linken Auge ein halbes Aber, kaum halb, das rechte glaubt beyde chriſtlich neugierig, iſt das Wunder? Aber wie ruhig wegen desF 2voll -84vollbrachten Lebens! Der Deiſt, wenn ers recht, wenn ers genau nimmt, bankeroutirt, und ſein Tod iſt ein Prangertodt, ein Spekta - keltodt, als Chriſt? Alles bezahlt! Solte denn der Chriſt ſtaͤrker in ſeinen Tugenden, feſter in ſeinen Geſinnungen ſeyn? Solte! Halt! gelehrter Frager, der Chriſt iſt uͤberall kindli - cher. Er thut nichts aus Stolz, oder eitler Ehre. Gott iſt Vater, er iſt ein kleines Kind, das wo einmal ins Licht greift und ſich ver - brennt, das

Wer, Freunde, iſt der Engelreine, der nichts auf ſeinem Herzen und Gewißen haͤtte? Solch ein Paar Gottes-Menſchen, als wir beym Grafen erblickt, finden ſich, glaub ich, nicht in vielen Jahren. Wir haben ſie aber ruͤhmlichſt abgehandelt; indeſſen haben auch ſie gewiß ein Proͤbchen ausgehangen. Der Menſch, wenn er alles gethan hat, hat er al - les gedacht? und bleibt er nicht ein unnuͤtzer Knecht? Und wer macht das Blutrothe ſchneeweis, und das Roſinfarbne wie Wolle? Ich glaube nicht, daß Gott der Herr unmit - telbar beleidiget werden koͤnne? Und die cri - mina læſæ majeſtatis diuinæ ſind, wie ſchon be - merkt worden, ſo was menſchlich geſagtes, als Gottes Hand, Gottes Fuß, Gottes Auge. Wer85Wer von Gottes Mund ſpricht, thut Etwas ſehr gewoͤnliches; wer aber nur die Helfte von Got - tes Naſe ſpraͤche, und von ſeiner Stirn, und von ſeinen Beinen, wuͤrde Gott danken koͤnnen, wenn man ihn nicht fuͤr eine Art von Gottes - laͤſterer hielte, warum das?

Gott, der nicht zu ſehen iſt, wird nur in unſern Bruͤdern beleidigt, die zu ſehen ſind, und in uns ſelbſt, die wir auch ſein Othem ſind. Hier indeßen, welch ein Feld zu Ver - brechen! Wir wollen annehmen, daß Selbſtſuͤnden auch Selbſtſtrafen nach ſich zoͤ - gen; (Suͤnde, den Tod) iſts aber darum gut gemacht? Waͤre dies, ſo waͤre jeder Selbſt - moͤrder ſeelig, ohne Streitſchrift, weil er das Leben eingebuͤßt hat, nicht alſo? Wer ſich zum Arbeiter im goͤttlichen Weinberge, zur Weltarbeit untauglich macht, wer nicht treu und fleißig mit den Gaben umgeht, die er empfangen hat, verdient nicht allein keinen Taglohn, und Armuth und Mangel; ſondern er hat auch mit ſeinen Suͤnden noch andere Strafen verdient. Und wer iſt ſo unſchul - dig, daß er ſeinen Bruder nicht mit Gedanken, Gebehrden, Worten und Werken, beleidiget haͤtte?

F 3Schoͤn,86

Schoͤn, Freunde! wenn ihr das Seine dem gebt, dem ihrs genommen, dem Nachbar ſein Waizenland, und der armen Prieſterwitt - we ihren Kohlgarten. Schoͤn, wenn ihr dem die landuͤbliche Zinſen wegen des entbehrten Niesbrauchs erſetzet, dem ihr den Niesbrauch ſeines Ackers entzogen; habt ihr aber auch die drey Lebensjahre erſtattet, welche ihr die - ſem Armen durch eure Kraͤnkungen entzoget? die Sonne, die auf dieſes Land ſahe? den Re - gen, der darauf fiel? Habt ihr dadurch ſchon den in integrum reſtituirt, den ihr fuͤr einen Weinſaͤufer, beißig, hartherzig ausgabt, wenn ihr uͤber viele Zeit, da er ſchon dieſes eures Todſchlages halber in die Verweſung uͤbergegangen, eine Palinodie ſanget und be - hauptetet, er ſey ein Waßermann, habe keine Zornzaͤhne, ſey warmherzig; und wie man - cher iſt gar nicht mehr mit euch auf dem We - ge, den ihr beleidiget habt! Wird der Mord, den ihr an der Mutter veruͤbtet, etwa nicht geſtrafet, wenn ihr ihrem Saͤuglinge eine Am - me gebt? oder wenn ihr den Altar bekleidet, oder dem Oberpaſtor einen Anthal vom beſten ſpendiret? Hat Chriſtus, der Mund der Wahrheit, etwa die Unwahrheit unter die Chriſtenleute gebracht: wenn er uͤber jedesun -87unnuͤtze Wort Rechenſchaft einfordert? Iſt was wahrer? was richtiger? Herr! wenn du wilſt Suͤnden zurechnen, wer kann beſtehen? So gut ich mein Buch gemeynt, koͤnnen nicht Stellen ſeyn, die nicht da ſeyn ſollten? und was alsdenn? So ruhig wie die zwey Got - tes Menſchen oben geſtorben! Wer es kann. Wer nach Orts-Ellen geſtempelt, durch den Land - und Stadtphiloſophen Gottes Eigen - ſchaften abmißt, und Gerechtigkeit und Barm - herzigkeit nach dem Ein mal eins berechnet; was meynt ihr, kann er wohl bey ganz geſun - den Nachdenken ſein Haupt ſo ruͤckwerfen, wie die beyden, die wir nahe bey geſehen ha - ben? Und ſeht ſie doch nur recht an. Recht! Iſt denn die Ruhe der beyden guten Leute die rechte Ruhe? Wer ſteht uns dafuͤr? Der Phlegmatiſche iſt ruhig, weil er phlegmatiſch iſt. Wenn aber ein Betriebſamer ſeine Ge - ſchaͤfte richtig durchkalkuliert, Debet und Cre - dit abzieht, und Summa Summarum Ruhe abzieht. Was meynt ihr? Iſt das nicht eine andre Ruhe? Eine Ruhe, ohne vorhe - rige Unruhe, was iſt ſie? Reue, die Niemand gereut, wirkt Leben, und wenn denn ein Deiſt traurig wird, was kann dieſe Traurigkeit der Welt anders wuͤrken, als den Tod? SehtF 4da88da den Chriſten, die Augen offen (im Leben heißt es, Naſ und Mund offen) wegen der Hinſicht; allein wie ruhig wegen der Ruͤck - ſicht! Seelig! ſeelig wer wie Mine ſtirbt! ſo kindlich gros! ſo ſchoͤn! So ſterben zu ſehen, iſt das nicht Wonne? Wer ſo ſtirbt, der ſtirbt wohl, wohl, wohl! und verdenkſt du, unberufner Kunſtrichter, dem Grafen, daß

Seht nun, wie ausdruͤcklich berechnet iſt die Ruhe der Chriſten auf ihren Geſichtern! Gilt es denn hier Etwa nur eine taube Nuß, oder gilt es eine Ewigkeit?

Nach dieſem Praͤludio, ich wuͤnſcht es waͤr in der Wirklichkeit ſo ſtark im Ausdruck, als das, des alten Herrn in der Einbildung! Seht euch mit mir um, lieben Leſer!

Auf den Chriſten Todtenkoͤpfen eine voll - ſtaͤndige Quittung, Brief und Siegel zum Losſpruch. Kein Zweifel-Glaube, ohne alle Einwendung in der Ruͤckſicht. Die Kinder - frag in der Hinſicht thut nichts zur Sache. Seht jenes Weibsbild! wie unbefleckt, wie froh ruhig! wie Zweifelsfrey! Nicht Hof - nung, ſondern der Himmel ſelbſt in hoher Perſon, haͤtt ich bald geſagt, liegt auf ihrem edlen Geſichte! ich kann hier ſelbſt keine Neu -gierde,89gierde, keine Kinderfrage finden. Solch ein Weib! wie ſchoͤn, ſelbſt im Tode! Alles iſt neues Teſtament, alles iſt Erfuͤllung in ihrem glaͤnzenden Angeſicht! Nichts Prophezey - hung, nichts Vorbild, nichts Verheißung. Jener alte Mannskopf ihr gleich! O Gott, waͤr ich doch einſt auch ſo todt, wie die bey - den! Da iſt auch nicht ein einziger Zug, der nicht wuͤnſchenswerth waͤre! Nicht einer! So ſchoͤne Koͤpfe wuͤrde man Muͤhe haben, im Le - ben zu finden. Der Graf erzaͤhlte uns beyder Sterbenslaͤufe. Sie waͤren gern, wie er ſagte, herzlich gern geſtorben, und haͤtten die Kraͤfte der zukuͤnftigen Welt ſo gewaltig gefuͤhlt, daß ſie mehr dort, als hier geweſen. Ueberdrus der Welt iſt Vortodt, bemerkte der Graf. Es iſt ein gut Hausmittel, die Bitter - keit des Todes zu vertreiben. Wer aber ſo gleich gerade zu ſtirbt, ſo einen klaren reinen Tod ohn alle Ingredienzien! O ſchoͤn! rief der Graf aus. Ein auszehrendes Fieber loͤſete die beyden Koͤpfe auf. Ihr Geiſt lag nicht an der Auszehrung, feyerlich, ſagte der Graf, ſo mit Verſtand und allen fuͤnf Sin - nen, giengen ſie aus der Welt, ſo daß nur ein Thor, wie der Graf ſich Etwas zu hart aus - druckte, ſagen koͤnnte: Sie waͤren geſtorben. F 5Freun -90Freunde! auf Ehre ſie zogen nur uͤber Land. Wer einfach, wer im Naturſtande, im Stan - de der Unſchuld lebt, ſtirbt der? Nein, er wird lebendig gen Himmel gehohlet, und ſol - cher Uebergaͤnger, ſolcher Himmelsfahrer giebts viel, obgleich das Paradies nicht mehr iſt. Es iſt mit der Unſchuld zuſammen ver - ſchwunden.

Wir ſprachen bey dieſer Gelegenheit ein hohes und tiefes uͤber den Einflus, den die Krankheit auf die Geſtorbenen behauptet; al - lein der Graf verſicherte, wenig oder gar nichts. Auf den agoniſirenden zwar; allein auf den eigentlich Sterbenden, auf den Ge - ſtorbenen nicht. So bald der Menſch todt iſt, fuhr der Graf belehrend fort, zieht ſich alles, wenn ich ſo ſagen ſoll, nach der Seele, die groͤßten eindruͤcklichſten Krankheiten ver - lieren ihre Spuren. Das Wort: komm oder geh, welches die Seele, die ihr voriges Leben dem Gewiſſen vorreferirt, ſchon in den letzten Augenblicken vor dem infalliblen un - appellabeln Richterſtuhl des Gewißens, vor dem Baum des Erkenntnißes Gutes und Boͤ - ſes, als eine rechtskraͤftige Sentenz erſchallen hoͤrt, geht in den ganzen Koͤrper uͤber, in die ewigen Elemente deßelben, wie ein Blitz oderSon -91Sonnenſtrahl, nach dem es komm oder geh heißt und bleibt.

Wenn ich, ſagte der Graf, deßen Einbil - dungskraft im Adlerfluge war, den Augen - blick hinmahlen laßen koͤnnte, wenn ein Menſch ſtirbt, was wuͤrd ich drum geben! Dieſen Augenblick zu obſerviren, koſtet Muͤhe und Erfahrung, und doch glaub ich am Ende, hab ich nur fuͤnf im eigentlichſten Sinn ſter - ben geſehen; ich hof’s zu ſieben zu bringen. Ein heftiger Ruck bey allen fuͤnfen; bey einem unter den fuͤnfen war der Tod ein wuͤrk - licher Einſchlaf. Dieſe fuͤnfe haͤngen hier, nicht wahr, etwas zu ſehr im Dunklen? ich liebe einen gewißen Schatten auf dieſen Ge - ſichtern, den ich zum Theil erkuͤnſteln muß. Die Fenſterladen auf! Da der, der iſts, von dem ich ſprach! Wahr! ich fand es, ich fand noch Seele, aber eben Abſchied - nehmend, und ſo lieblich, als ſagte ſie: Leb - wohl, lieber Junge Leib! Lebwohl! Ich wer - de dich noch oft auf dem Kirchhofe beſuchen, wo man dich hinbringt, wenn es angeht, will ich ſehen, wo du bleibſt, auch wenn ſich Staub von Staub losreißt. Sey gutes Muths! Gott vermag Alles! So lange du in ſeiner Welt biſt, ſind wir zuſammen! Wei -ne92ne doch nicht! Armer Junge! Koͤnnt ich dich doch troͤſten! Armer lieber geliebter Erden - klos, koͤnnt ich doch! O koͤnnt ich! Beten kann ich, will ich. Laß ihn, o du Seele al - ler Seelen, Geiſt aller Geiſter, laß ihn nicht verſinken in des Todes lezten Noth, erbarm dich ſein! Ein Theil Leben, wenn es gien - ge, wie gern gaͤb ich es hin, fuͤr dich, lieber Getreuer! und Ihr Elemente! ihr ewigen Stuͤcke am Koͤrpertheil des Menſchen, ihr Vorſteher des Koͤrpers, nehmt euch der uned - len Stuͤcke an, wenn gleich ſie nicht von Fa - milie ſind, ſchaͤmt euch ihrer nicht O der guten Abſchiednehmenden Seele!

Gott was fuͤr Schmerz auf zwey Geſich - tern!

Warum verſtelleſt du deine Gebehrde? koͤnnte man zu allen beyden ſagen. Der zur Lin - ken ſcheint ſich zu faſſen, oder faſſen zu wollen! Es iſt Alexander, da er krank war, und den Arzeneybecher vom General-Feldmedico Phi - lippus entgegen nahm. Eben ein Brief vom Parmenio. Er nahm den Becher und trank, und gab dem Doktor Philip den Brief, der ihn las! Faſt ſo, ſagte der Graf, nicht voͤl - lig, ſagt ich, denn ich kannte den Alexander auf ein Haar, und beſſer als unſer Hochge -bohr -93bohrner Herr, obgleich er Graf war. Aber da! mein Gott, welche Verzogenheit! Car - rikatur! als waͤrs kein Menſchenkopf! Der Graf erzaͤhlte mir zu meiner allergroͤſten Ver - wunderung, daß dies ein Ploͤtzlichgeſtorbener ſey. Mein Gott, rief ich aus, wie ſehnlich hab ich mir, bis ich dieſe Verzerrung ſahe, einen guten ſchnellen Tod gewuͤnſcht! Viel - leicht, fuhr ich fort, war dies ein boͤſer ſchnel - ler Tod, von dem es in unſrer Litaney heißt:

Fuͤr einen boͤſen ſchnellen Tod
Behuͤt uns lieber Herre Gott!

ich glaub es nicht, erwiederte der Graf, allein uͤber den ſchnellen Tod, mein Freund, wie viel zu ſagen! Ich habe Urſache zu den - ken, fuhr der Graf fort, daß jeder Menſch gleichviel Todesnoth ausſtehe. Todesangſt und Noth iſt zweyerley. Die Angſt iſt zufaͤl - lig; nachdem der Mann, nachdem die Angſt. Die Noth iſt weſentlich. Aber, wandt ich ein, ſolte Mine ſo wie dieſer geſtorben ſeyn, mit ſo viel Noth? ihre Mutter wahrlich iſt ſo nicht geſtorben! Recht, ſagte der Graf, ſie hat die Todesnoth mit einigen Stof Waſſer gemiſcht, getrunken. Dieſer auf einmahl! Aeſop nahm den groͤßten Korb zu tragen; al - lein es waren Lebensmittel drein, und ebenda -94dadurch war der Korb ihm am Ende am leich - ſten. Mein Gott, was giebts fuͤr ſchmerz - hafte Krankheiten und Vorfaͤlle in dieſer boͤs - geworden gefallenen Welt! Alles Tode, die Schrift nennt ſie Tod, und ſie ſind es im ei - gentlichen Sinn; wenn aber der Menſch, der nie geſtorben, auf einmahl recht und ei - gentlich ſtirbt, auf einmal weg ſoll, im Au - genblick, aus dem Lande der Lebendigen. Seel und Leib ſo bekannt mit einander. Er eben in der Ausfuͤhrung von vier Planen, wovon immer einer den andern deckt. O Freund! ſo was pflegt in einen Schrey auszuarten! und dieſer hier iſt eben im Schrey! ich hab ihn nicht obſervirt. Es iſt ein großes Praͤſent von einem Freunde, der mir aber auf Treu und Glauben dies Stuͤck gegeben hat, und mich duͤnkt, es ſey ein Stuͤck auf Treu und Glauben. Und dieſer verhangene Kopf? (Es war einer aus den Fuͤnfen) Freund, ſagte der Graf, der Mahler Timanth mahlte Iphigeniens, der Tochter Agamemnons, Aufopferung und theil - nehmende Perſonen, die jeden ruͤhrten, der ſie ſah. Timanth brachte alles zum Vor - ſchein, alles, alles vom Schmerz, was auf der Stirn, dem Trone des Schmerzens, imAug95Aug und im Geſichte, nur Raum hat, was man nur vom Schmerze weiß. Niemand konnt in die Hoͤhe ſehen, wer Iphigeniens Aufopferung von Timanth ſah, alles ſtand betruͤbt, gebeugt zur Erde; nur Iphigeniens Vater, und wie der? eine ſchwarze Trauer - decke um ſein Angeſicht. Warum alſo? dar - um alſo, weil es der Vater iſt. Hier, ſagte der Graf, hier unter dieſem entſetzlichen Lei - chentuche, iſt auch ein Schmerz groͤſſer, tie - fer, als jeder Ausdruck. Etwas iſt davon am Tuche zu ſehen, und nur eben ſo viel et - was, als hinreichend iſt, uns das Herz zu durchboren. Sehen Sie hier nicht mehr, als uͤberall! Und doch iſt hier nur ein Strich, ein Punct! Dies Stuͤck iſt auch der Vater!

Ich kann es nicht ausſprechen, was ich empfand! Ich unterlag.

Der Prediger machte dem Grafen bey Ge - legenheit der Todesangſt und Todesnoth einen Einwand. Es hat, ſagte der Prediger, Leute gegeben, die aus Freude geſtorben ſind. Was thuts, ſagte der Graf, viel! nichts? wo da die Todesnoth? Freund!96Freund! erwiederte der Graf, die heftige Freude kann eher, wie heftige Traurigkeit, toͤdten. Die heftige Freude hat ſehr was wi - derliches an ſich. Faſt wolt ich behaupten, es iſt noch Niemand aus Traurigkeit geſtor - ben, wohl aber aus Freude. Nicht, weil die Traurigkeit dem Menſchen eigener, als die Freude iſt, obgleich dieſer Umſtand uns eben nicht aus dem Wege liegen wuͤrde; ſondern weil der Menſch bey der Traurigkeit auf ſei - ner Hut iſt, die ganze Wache ins Gewehr ruft, alle Macht und Kraft aufbietet, und: macht Euch fertig! ſchreyt. Bey der Freude uͤberlaͤßt ſich der Menſch ſich ſelbſt, es geht mit ihm rips raps, holter polter, uͤber und uͤber, und dies Freuden-Wirrwarr, wie leicht kann es dem Menſchen eins verſetzen! Ein aus ſich verſetzter Menſch iſt todt. Große Luſtigkeit und tiefſter ſchmerzhafter Un - wille ſind ſich ſo nah, daß ſie ſich in die Fen - ſter ſehen koͤnnen. Faſt wollt ich ſagen, ein heftig Luſtiger ſey eben ſo gefaͤhrlich unwillig im Sinn, wie man gefaͤhrlich Kranke hat, die ſehr geſund ausſehen.

Diagoras freute ſich uͤber ſeine drey Soͤh - ne, weil ſie alle drey den Preis der Academie der Wißenſchaften erhalten, fieng ich an. Laßen97Laßen Sie den Diagoras, ſagte der Graf, er hat mehr ſeines Gleichen. Ein großes Gluͤck iſt eine Poſaune der Ewigkeit, und ſollte jeden Menſchen aufmerkſam machen. Wenn man ſchnell dick und fett wird, iſt dies eben kein Beweis der Geſundheit. Hat man Schmerz, Kummer und Gram, und der Koͤrper iſt nur aus geſunden Schrot und Korn, Freunde! das ſind Leute, die ihr Leben bis auf den Gi - pfel treiben, das ſind Leute aus dem vierten Gebot! Ein lachend Sterbender fuͤhlt Noth uͤber Noth. Er macht nur zum ſchlechten Spiel ein gut Geſicht, und gelt! das iſt ſchwer Ding! Stirbt er ſchnell, und lacht er uͤberlaut, iſts aͤrger, als der Schrey dieſes Mannes hier! Wer ſo lachen gehoͤrt haͤtte, wuͤrde nie mehr lachen. Stirbt man lang - ſam und laͤchelt; kann ein ſo freundlich Aus - ſehender auch ein leichtes Ende haben; denn er iſt ſchon lang zuvor geſtorben, eh er dies Ueberwinder-Laͤcheln aufſchlug. Ich halt es, beſchloß der Graf indeſſen mit Ernſt, im Sterben mit einer gewiſſen Faſſung, und die kennt weder Lachen noch Weinen. Eine ge - wiſſe Grazie liegt zwar in jedem ernſten Ge - ſicht, und ein gewiſſes Seelenlaͤcheln, wenn Ernſt edler, unangenommener, nachdruͤckli -Gcher98cher Ernſt Ein Ernſtſpieler, ein Ein - fallsernſt, o das kennt man auf ein Haar!

Noch ein Wort zu ſeiner Unzeit.

Meine Leſer werden es von ſelbſt gemerkt haben, daß dies alles nicht in wenigen Stun - den verhandelt ward. Wir aßen und tranken, wenn die Zeit und ihr Zeiger, die Sonn, es wolte; da war der Graf wie ein anderer Menſch. Und ich kann verſichern, daß es hier nicht heiſ - ſen konnte: der Tod in Toͤpfen; inzwiſchen war auch bey Tafel alles wie beym Leichen - eſſen. Eine unſichtbare Stimme rief, ſtatt des Benedicite und Gratias, nach Art des Philippus: Gedenke an den Tod! Bey Tafel ward geredet; und zwar viel. Wir waren nicht Papageien, die nur Memento mori bey ſchicklicher und unſchicklicher Gelegenheit anbrachten, doch war alles ſo als bey einer Leichenwache. Mein Vater liebte eine frohe Mahlzeit, eine mit Sonnenſchein. Beym Eſſen wird man nicht alt, ſagt er. Der Graf , wenn ich ſo ſagen ſoll, bey Mon - denlicht. Er ſchien beym Eſſen alt werden zu wollen. Die Zimmer waren all am Tage verfinſtert; der Schatten iſt bey mir die Probe vom Dinge, das ihn wirft, ſagte der Graf. Das Sonnenlicht war uͤberhauptnicht99nicht fuͤr ihn. Wie ehrwuͤrdig! wenn ſich das Sonnenlicht hier und da durchſchlaͤn - gelte! Der Graf ſagte, wer kann Gott und die Sonn in dieſer Welt ſichtbarlich vertra - gen! Gott wohnet in einem Lichte, wozu Nie - mand kommen kann. Nur durch den Tod zu ihm! durch Finſternis zum Licht! Wie ſchoͤn die Sonne da durchſtrahlt ich verhaͤnge mir die Welt und was in der Welt iſt. Wer kann mit der Welt in dulci jubilo leben, und auf die Sterbens-Aſtronomie ausgehen. Stel - latim, ſagte der Prediger, gehen, wie man zu meiner Zeit auf der Akademie ſprach.

Nun mit der Erlaubnis meiner Leſer in Das dritte Zimmer auf welchem ein langer Accent liegt.

Ehe ich ſie hinein fuͤhre, wieder ein Wort der Vorbereitung.

Bey den Sterbenden war der Graf mit Tubus und Fernglaͤſern auf dem Obſervato - rio. Ich ſterbe taͤglich, das war ſeine Lo - ſung. Das wiſſen wir ſchon; als etwas neues und beſonderes muß ich bemerken, daß der Graf faſt immer Zeit und Stunde wuſte, wenn es mit dem Patienten aus ſeyn wuͤrde; allein er ſagte es nie dem Sterbenden. Er? nie? obgleich er den Tod ſo hochſchaͤtzte, undG 2eigent -100eigentlich lebte, um zu ſterben, oder eigent - lich ſtarb, und nicht lebte. Der Graf hatte zu dieſem Ruͤckhalt ſehr große Urſachen. Man muß, ſagt er, keinem Menſchen das Ster - ben verderben. Der Arzt, der es durch die Signa Mortis vielleicht eben ſo gut weiß, als ich, (ich ſage vielleicht; denn er weiß es vom Koͤrper, ich von der Seele,) iſt mein Mann nicht mehr, ſo bald er es ſeinem Patienten ins Ohr raunt, oder Leuten entdeckt, die der Pa - tient an den Arzt abgeſandt. Eine ſchreckliche Geſandſchaft! Meine Aerzte muͤſſen ſich der - gleichen Kunſtverraͤthereyen nicht zu Schulden kommen laſſen. Mir koͤnnen ſie zunicken, was ſie hoffen was ſie fuͤrchten. Das erſte, fuhr der Graf fort, was die Patienten gefragt wird, iſt: ob ſie ſchon ihren letzten Willen entworfen? ihr Haus beſtellt? und ihren Geiſt in die Hand Gottes einſchreiben laßen? Dieſe peinliche Frage, dieſes Verhoͤr, enthaͤlt den groͤßten Theil des Lebenslaufs, den der Graf gern, herzlich gern, vorn Wil - len nahm, indeſſen ihn, wie er auf Ehre ver - ſicherte, nie erpreßt haͤtte. Viele Leute fuͤrch - ten den letzten Willen, blos des Worts letzt wegen, obgleich ſie Poſtſcripte, Codicille, und alles, ſo lange die Zunge nur lallen kann,auf -101aufzuheben und zuzugeben, von den Geſetzen berechtiget werden. Die Lehre von den Te - ſtamenten, wie gefaͤlt ſie Ihnen, fragte der Graf? Indeſſen kamen wir von dem letzten Willen an ſich, ab. Wer wird, rief der Graf aus, ſolch eine unverdiente Guͤte, als die Lehre von den Teſtamenten, nicht vorn Willen nehmen, und ſo etwas bis auf den letzten Abdruck ausſetzen? Iſt denn ſchon Je - mand am letzten Willen geſtorben? Hat ſich der Patient leiblich wohl bereitet, denn auch dies iſt eine feine aͤuſſere Zucht, ſo geht das Geiſtliche an, und der Patient wird einge - laͤutet, und ſodann Gott und meinen Anſtal - ten uͤberlaßen. Ich haͤtte gern, das leugn ich nicht, dies Gloͤcklein gehoͤrt, in - deſſen wards abgeſchlagen. Man hoͤrt es nie, als wenn eins zur geiſtlichen Vorberei - tung ſchritt und ins Sterbekloſter auf und angenommen ward. Iſt aber, da dies Gloͤck - chen nur bey Einlaͤuten eines Sterbenden zu hoͤren, dieſer Klang nicht ſchon die letzte Oeh - lung, iſt er nicht die Entdeckung, daß man ins Todesthal eintrete? ins Novitiat, Freund! verſetzte der Graf, wo man, wie bekannt, auch heraus kann, wenn Gott will. Viele ahnden die Sterbſtunde ſelbſt, und das iſt einG 3ander102ander Ding, ſagte der Graf, denen hat es Gott offenbaret. Wie viel ich fuͤr ſolche Leute Achtung habe, iſt unausſprechlich; ich denke immer, der liebe Gott habe mit ihnen geredet, und ſie waͤren getrieben vom heiligen Geiſt. Wer ſie nicht ahndet, ſterbe ohne Zeit und Stunde zu wiſſen, welche Gott ſeiner Macht vorbehalten hat. Daher auch alle Sterbens - zeichendeuter, ich ſelbſt nicht ausgenommen, oft irren und fehlen. Meine Aerzte haben aus dieſem Grunde ihre Inſtruktion in ihrer Cur, der lieben Natur zu folgen, ihr nicht in den Weg zu treten, ſondern ſie blos zu be - gleiten. Will ſie nicht mit ſolch einem elen - den Geſchoͤpf, als ein Doktor iſt, zuſammen gehen; ſo laße ſie der hochgelahrte Herr allein. Auch gut. Bey mir ſtirbt Niemand durch den Arzt, verſicherte der Graf, ſondern na - tuͤrlichen, nicht mediciniſchen Todes. Das Stundenſanduhrchen muß ſanft abnehmen, ohne daß ihm nachgeholfen wird; meine Mut - ter wuͤrde ſagen, ohne daß es geruͤttelt und geſchuͤttelt wird. Man hat ſo viel von der Abſtellung der Todesſtrafen in die Kreuz und Quere geredet und geſchrieben, daß wuͤrklich einige Staaten die C. C. C. wo ohn End und Ziel getoͤdtet wird, ins galante, ins ſeine ge -bracht:103bracht: ich wuͤrde, ſagte der Graf, die To - desſtrafen darum abſtellen, weil Niemand weis, ob er nicht durch die Hand des Arztes ſchmerzhafter, als durch die des Henkers, ſtirbt, und weil eine Seele, die noch Kern - friſch iſt, ſich auf tauſenderley Art, durch An - ſtrengung auf einen Punkt, des Todes Bitter - keit vertreiben kann. Das einzige, was einen Henkerstod ſchrecklicher, als einen Cam - mertod, macht, iſt die Gewisheit der Stunde, wer alſo die weiß, wenn er auf ſeinem Bett - lein dahin faͤhrt aus dieſem Elend, ſtirbt ganz und gar, wie ein Delinquent, wie ein armer Suͤnder ganz und gar.

Ich koͤnnte noch viel! viel! erzaͤhlen, wenn ich alle Bemerkungen wiederholen woll - te, die mir reichlich und taͤglich in Wurf kamen.

Ein Paar, und damit genug.

Das Haͤndefalten hielt der Graf fuͤr ein Schmerzlinderndes Mittel und ſprach ſehr von der guten Wuͤrkung, die er von dieſem Hausmittel erſichtlich erfochten.

Die Art, wie er kranke behandelte, war wuͤrklich Erfahrungs-Weiſe. Alles hatt er aus dem Leben, nichts, rein nichts, aus Buͤchern.

G 4Kurz,104

Kurz, eh es zum Sterben kam, trank er mit den Sterbenden Bruͤder und Schweſter - ſchaft. Eine ſolche Sterbensſchweſter konnte von ihrem Lager aufſtehen, und wenn es ihre Natur ſo wollte, geſund werden; allein ſie blieb was ſie einmal war Schweſter, ob - gleich ihr Vater Organiſt, Fabrikant, Nad - ler war.

Der Graf nannte dieſe Ceremonien: Be - cherreichung. Ich freue mich, ſagt er, ſchon hier in dieſer Welt, im Himmel zu ſeyn, wo wir alle, bis auf den lieben Gott, der der Hausvater iſt, Bruͤder und Schweſtern ſind. Solch ein Trank iſt wuͤrklicher Himmelstrank, wuͤrklicher Nektar, von dem viele Menſchen ſich keine Idee machen koͤnnen.

Der Prediger aus L hatte anfaͤnglich dieſer Becherreichung wegen viel zu erinnern gehabt; indeßen ward alles fein ordentlich und ehrlich beygelegt.

Es herrſchte im ganzen Hauſe des Grafen ein Krankentritt; langſam, und auf den Spitzen der Fuͤße, gieng alles. Kein Wun - der, ſagte der Graf, wenn hie und da Etwas ſteif in meinem Hauſ iſt, und nach dieſen Einrichtungen ausſieht. Wenns nur der Staat nicht iſt, fuhr er fort, der auf den Ze -hen105hen gehet. Im Privathauſe hats wenig oder nichts zu ſagen. Ich kenn einen Staat, der ſchon lang auf den Zehen gehet. (Meine Mutter wuͤrde geht und ſteht geſagt haben.) Der Himmel helf ihm auf die Beine, wenn es ihm nuͤzlich und ſeelig iſt! fuͤgte der Predi - ger hinzu. Ich liebe den Privattod wie mein Leben, fuhr der Graf fort, nur den publiken, den Nationtod nicht. Da ſtirbt nichts und alles. Der Graf konnte ſich nicht erholen, um die Krankenſprache zu reden, ſo voll war er uͤber den publiken Tod, und freylich iſts eine Todesart, die mit in ſein Fach einſchlaͤgt. So im Todtentritt kamen wir in eins der Sterbzellen. Der Graf nannte dieſen Zehen - gang den Todtentanz, und hatte wunderliche ſteifbenuzte Regeln daruͤber, und eine ganz peinliche Theorie. Ich konnt es in ſo kurzer Zeit freylich nicht weit in dieſer Kunſt brin - gen; wie ich denn uͤberhaupt kein großer Taͤn - zer in meinem Leben geweſen. Fuͤrs Haus, und ſo war ich auch ein Todtentaͤnzer.

Der aͤlteſte unter den Sterbenden hieß Pater, die aͤlteſte Mater. Dieſe Aelteſten veranſtalteten entweder eine Verſammlung in einem Zimmer zum Gebet und Geſang und Krankheitserzaͤhlung, oder es wurden, wennG 5es106es die Krankheit nicht zulies, alle Zellenthuͤ - ren geoͤfnet, und jedes ſang und betete auf feinem Sterbebettelein. Alle Zimmer waren in Gemeinſchaft. Jede Sterbzelle war auf zwey Perſonen eingerichtet. In Literra O, (alle Buchſtaben kommen nicht zu dieſer Be - zeichnungsehre; der Graf hatte einige, denen er dieſen Vorzug erwies) wo ich eben die Thuͤr zu oͤfnen mir die Erlaubnis nehmen werde, um einen Accent darauf zu legen, war kurz zuvor ein Sterbens-Candidatin geſund wor - den, und nun war nur die Curlaͤnderin in Littera O. Ich bitte, ſagte der Graf, und kaum hatt ers ausgeſagt, da ich eine Stim - me hoͤrte: der Paſtor aus Curland, der Paſtor aus Curland! Sein Sohn, erwiederte der Graf. Bey aller Le - benslaufs Neugierde und Verhoͤrsluſt, wo - von der Graf ſchon in L ein Proͤbchen zu - tuͤcklies, war er, wie wir ſchon wißen, nichts weniger, als zudringlich. Der Aufruf: der Paſtor aus Curland, den der Graf verbeßerte und ſtehendes Fußes ins Reine brachte, hatte meine Neugierde eben ſo, wie die des Grafen, in Bewegung gebracht. Die Curlaͤnderin hatte ſo was liebevolles im Auge,da107da ſie rief, daß ſie Strahlen aus ihren Au - gen warf. Die Augenbraunen giengen ſo ſchnell in die Hoͤhe, als wenn man Fenſter - vorhaͤnge durch Schnellfedern zieht. Ein Romanheld wuͤrde die Neugierde ſeiner Leſer und Leſerinnen noch wenigſtens ein paar Sei - ten erhitzen, und ihnen alsdenn einen Labe - trunk geben, ſo ungeſund es gleich iſt, in vol - ler Hitze zu trinken. Ich ſage gerade zu: die Krippenritterin, verſtoßen, verworfen von ihrem Ehemann, und im Begrif, irgendwo den Tod zu ſuchen, Gott - lob, ſetzte ſie hinzu, da ſie dieſen Umſtand er - zaͤhlte, daß der Tod mich ohne mein Verdienſt und Wuͤrdigkeit bey Ew. Hochgebohrnen in Empfang nehmen will. Ich bitte, fiel der Graf ein, Hochgebohrnen weg. Hier zu Lande ſind wir nur ſchriftlich Hochgebohr - ne. Ich dachte bey dieſer Gelegenheit an den Ordensengel und die Wapen und die Feder - buͤſche. Dieſer Eingrif ſetzte die Curlaͤnde - rin in eine kleine Unordnung. Nach einigem Stillſtande fuhr ſie fort. So ein ſchoͤnes rendez-vous war ich vom Tode nicht erwar - tend. Sie dankte dem Grafen mit einem Blick, daß ich voͤllig einſahe, wie viel ſie mit ihrem Auge vermochte.

Ich108

Ich will ihre Geſchichte in tertia perſona geben, ohne zu bemerken, ob ich die Umſtaͤn - de von ihr ſelbſt, oder vom Grafen empfan - gen. Ihre Schickſale waren hoͤchſt traurig. Der Ritter hatte wuͤrklich Neigung zur juͤng - ſten Tochter des Paſtors L Die Ohrfeige gab den Ausſchlag. Er hatte in Curland nichts zu verlieren, als menſam ambulatoriam, zu deutſch, Krippenritt, und da Paſtor L von je her ſeine Gebehrde ſo zu verſtellen wuß - te, daß man ihn reich hielt; koſtete es dem Krippenritter wenig Muͤhe, ſeinen Freunden Tiſch und Krippe aufzuſagen. Ihre Anzuͤg - lichkeiten gegen ihn, womit ſie ihm alles ver - ſalzten, was er genoß, nachdem er geſchlagen war, beſtimmten ihn voͤllig. Der Weinſtock ſeiner Goͤnner war ihm des Weinſtocks zu Sodom und von dem Acker Gomorra. Ihre Trauben waren ihm Galle, ſie hatten bittere Beeren. Ihr Wein war ihm Drachengift und wuͤtige Ottern Galle. Worte, uͤber wel - che der Caſuiſt Paſtor L ſeinem Schwie - gerſohn eine Abſchiedspredigt hielt, und ſich wegen zeither genoßener Hoͤflichkeiten im Na - men deßelben bey ſeinen Tiſchfreunden be - dankte; obgleich in Curland Weinſtock und Traube Etwas wildfremdes iſt. Zu leſen im5. B.1095. B. Moſis im 13. Capitel im 32. und 33. Vers, ſagte der Prediger aus L und freute ſich, daß er, ſo alt er waͤre, noch ſo gut tref - fen koͤnne.

Der alte Herr ſpielte im figuͤrlichen Ver - ſtande zu der Predigt des Caſuiſten. Er gab dem neuen Ehepaar durch einige Reimlein das Geleite. Die Curlaͤnderin brauchte den Aus - druck: er beſtreute dieſen Weg mit einem Pasquill, und da ſie alle Beilagen zu ihrem Lebenslauf aufgeblaͤttert hatte, fand ſie dieſe Beilage A. mit einem Grif, womit ich meine Leſer aber nicht belaͤſtigen will.

Ein Reimſchmidt war gewoͤhnlich die andre Hand des Herrmanns. Aus Hoͤflich - keit nannte er ihn ſeine rechte Hand. Selten war er ohne eine ſolche andre oder rechte Hand. Ein paar Strophen:

Was hat in dieſer lezten Zeit
ein Paſtor uͤber Fingerbreit?
den Beichtſtuhl, arme Suͤnder,
und, wenn zu Haus es wohl gedeyt,
ein ganzes Haͤuflein Kinder!
Wie
110
Wie aber Sie? halt! us hat e
achtbahrer Herr Praͤpoſite
zu Moſen und Propheten?
(*)Hies zu der Zeit in Curland Geld und Gut, oder, wie einige wollen, Gold und Silbergeld, oder im Provinzial-Ausdruck, grob und fein, gros und klein Geld, dies will ſagen, Alberts - Thaler und Vierdings.
(*)
und bey der Zeiten ach und weh
zu Pauken und Trompeten?
Ein Juͤngferchen wird gnaͤdge Frau;
Des Paſtors Trinchen kommt zum V.
auf ungebahntem Wege.
O Wunderworte! braun und blau,
Schlag uͤber alle Schlaͤge!
Iſt Ende gut, iſt alles gut!
Das neue Paar zieht wohlgemuth
mit Bibel und mit Degen.
Der Herr Gemahl hat adlich Blut,
und Sie des Vaters Seegen.

O des Herrmanns, und ſeiner andern Hand! Meine Mutter, wie wir alle wißen,war111war keine Freundin ihrer Nebenbuhlerin, und alle Reimlein fein waren ihr ein ſuͤßer Geruch. Was wuͤrde ſie indeßen zu dieſem Auswuchs geſagt haben? So wie Chri - ſtus der Herr unter Moͤrder kam, ſo auch oft die Dichtkunſt, dieſ edle Gabe Gottes. Die Sonne gehet auf uͤber Fromme und Gott - loſe, und der Regen faͤllt uͤber Gerechte und Ungerechte. Sie nannte ſonſt die Poeſie Etwas, was der liebe Gott ſeinen Lieblingen in die Hand ſtecke, ohne, daß es andere mer - ken. Was kann der Geber dafuͤr, ſetzte ſie aber hinzu, wenn der Schlingel in der naͤchſten Schenke ſeine Gabe verſaͤuft. Doch von allem dem iſt ſchon ſonſt geprediget worden.

Herrmann warum vor der Hand von ihm auch nur ein einzig Wort?

Der Ritter erhielt vom Paſtor L ſo viel als das Haus vermochte. Ein Schelm giebt mehr, als er hat. Der Paſtor L that ſich wehe ſeines Hochwohlgebohrnen Schwiegerſohns halber. Seine andere Toch - ter litte Noth dabey. Sie ſtarb im Hoſpital. Unſer Ritter hatte nie Gelegenheit gehabt, Debet und Credit in ſeiner eigenen Angelegen - heit abzuſchließen; indeßen verſtand er dochzu112zu uͤberſehen, daß die Mitgabe nicht Hochad - lich zugeſchnitten waͤre. Er entſchlos ſich al - ſo zum Incognito, wo es, wenn nur eine reiche Weſte hervorſticht, aufs Kleid nicht an - kommt. Der Ritter beſchonte ſeinen adlichen Namen, und legte ſich wohlbedaͤchtig einen unadlichen bey. Das junge Paar lebt alſo in buͤrgerlichen Ueberkleidern in einem preußiſchen Staͤdtchen, und verzehrte bey ei - ner friedlichen Ehe alles, was es hatte. Die Ritterin fand Urſache, ihren Gemahl fuͤr ein gut Spiel in der Hand zu halten, wobey es zwar noch immer auf den Spieler ankommt; da ſie indeßen des Dafuͤrhaltens war, daß ſie ſich ſchon in die Zeit zu ſchicken im Stande ſeyn wuͤrde; ſo lebte ſie ſorgenlos froh, das heißt, ſeeliglich. In dieſem gluͤcklichen Period hatte ſie keine Kinder. Die Anzeige, daß ihr Vorrath zum Ende gienge, bracht einen Nordwind zu Wege, der lange anhielt, wie die Nordwinde gewoͤhnlich zu thun pfle - gen. Was war zu thun? Unſer Ehepaar entſchloß ſich zur Hauptſtadt, und nach man - cherley Hin und Her und Ueberlegen, wollte der Ritter Franzoͤſiſcher Sprach - oder Tanz - oder Fechtmeiſter werden, obgleich er ſich ſchluͤßlich als Sprach - und Tanzmeiſter beyder113der Univerſitaͤt Koͤnigsberg fuͤr Geld und gute Wort eintragen lies. Es waren ihm Kleinig - keiten, daß er ſo wenig tanzen konnte, als parli - ren. Im Fechten war er zwar in naturalibus; indeſſen haͤtt er doch eher als Fechtmeiſter, als wie ein andrer Meiſter, die Zunft gewinnen koͤn - nen. Er war indeſſen wegen einer natuͤrlichen Herzloſigkeit, auf dieſe edle Kunſt gar nicht fundirt. Der Teufel, glaubt er, koͤnnte ſein Spiel haben, wie ers oft hat. Da unſer Krippenritter ein Mann war, der ſich in allem, ſelbſt bey einer Ohrfeige, wie uns bekannt iſt, zu finden wußte; ſo half er ſich aus, und brachte es dahin, daß er in beyden ſchoͤnen Wiſſenſchaften, denen er den Eyd der Treu abgelegt, das Gewoͤhnliche leiſtete. Vom Franzoͤſiſchen haben meine Leſer am Woͤrtchen Rendez-vous eine Probe, das er ſogar auf ſeine Frau fortgepflanzt hatte.

Unſer Meiſter zweier brodgebenden Kuͤnſte hatte ein Gedaͤchtnis, daß er auf curſche Ma - nier ein Pferdsgedaͤchtnis hies, und was brauchte er mehr, als ein Lexicon, wozu er in Kurzen Rath ſchafte. Nun war er fuͤrs Haus ausſtaffirt. Die Kunſt verraͤth den Meiſter nicht. Er hatte gelehrt und gelernt, den Acker cultivirt und ſogleich Samen aufHden114den Boden geſtreut. Doppelte Schnur reißt nicht. Dieſe Methode erforderte Fleiß und Haͤuslichkeit, und das iſt der Grund und Bo - den einer gluͤcklichen Ehe, woruͤber unſere Rit - terin, nachdem ſich der Nord gelegt hatte, nicht klagen konnte. Jetzt, da ich weniger Brod hatte, erhielt ich mehr Zaͤhne und mehr Magen. Ich ſchenkte meinem Manne einen Sohn und eine Tochter. Unſer Mei - ſter muſte bey ſeinem ſauren Wein der Sprach - und Tanzkunſt verſchiedene Kraͤnze aushaͤn - gen. Er zog die ſtudirende Jugend mit Rath und That an ſich. Die That beſtand in Cau - tionen, die er fuͤr ſeine Leute, vom Profeſſor an bis zur Waͤſcherin, einlegte. Man nahm ihn uͤberall, ſeiner Frau und Kinds halber, als Buͤrgen an. Der Hauptkranz, den er aus - hieng, war ſein Incognito. Er zeigte zuwei - len den Schimmer ſeiner Weſte, und bedeckte ſogleich wieder dieſen Sonnenglanz durch die Verfinſterung ſeines Buͤrgerrocks. Man wird ſelten einen Sprach - und Tanzmeiſter finden, der nicht Menſchenblut auf ſich ſitzen hat, und ſo hatte auch unſer Sprach - und Tanzmeiſter einen Gewiſſen im Duell erſtochen, um mit Blut ſeine Frau zu loͤſen. Fuͤr einen Mann, der Sprach - und Tanzmeiſter zuſammen ineiner115einer Perſon war, iſt es ſehr beſcheiden, daß er nur Einen, und nicht fuͤr jede Kunſt wenig - ſtens Einen, ums Leben gebracht; obgleich die - ſer Eine Gewiſſe ſich gottlob beſſer befand, wie er. Leute, die den Pfif verſtanden, ſchaͤtzten die Schonung des unſchuldigen Menſchen - bluts und die Beſcheidenheit unſeres Tanz - baͤren und Deutſch-Franzoſen. Die es aufs Wort glaubten, ſahen die mit koſtbarem Men - ſchenblute geloͤſete Krippenritterin ſo ſteif an, daß ſie roth werden muſte. Ich bin als Gaſt in ein Paar franzoͤſiſchen Stunden des Krip - penritters geweſen, und muß nach einem L. B. S. ihm ein Zeugnis mit Obgleich geben, ob er gleich durchs Lehren wuͤrklich gelernt hatte; ſo wolte mir doch verſchiedenes nicht in Augen und Ohren, Vernunft und alle Sinne.

Unſer Ritter fieng an warm zu werden; ich glaube das wird kein Deutſcher, wenn er nicht franzoͤſiſch kann. Er lies es ſeinem Weibe empfinden, daß ſie ihn bis zu Trebern erniedriget hatte, wie er ſich, weil ſie Paſtors Tochter war, bibliſch ausdruͤckte. Du haſt ja gottlob ein gutes Lexicon, erwiederte ſie in edler Unſchuld; allein der Krippenritter hatte aufgehoͤrt, Unſchuld zu fuͤhlen. Es war nichtH 2zu116zu leugnen, daß es nicht immer Fuͤchſe gab, die Fuͤchſe hatten; (ein Paar akademiſche Ausdruͤcke, die ich ſo frey, wie die Curlaͤnde - rin ſie brauchte, meinen Leſern abgebe. Fuͤchſe heiſſen Dukaten und einjaͤhrige Studenten,) allein dies war nicht der Hauptgrund ſeiner Ausgelaſſenheit. Es hatte ſich ein Liebeshan - del zwiſchen ihm und der Mutter und Tochter eines wohlachtbaren Mannes, auf dem Tanz - boden angeſponnen. Dies ſetzt ihn zuruͤck, und war die Haupturſache von allem. Unſer Ritter legt es ſeinem armen Weibe nahe, daß ſie den Weg des Fleiſches gehen ſolte, den er ritterlich gieng; es iſt, ſetzt er hinzu, der Weg alles Fleiſches. Nicht alſo, erwiederte die Curlaͤnderin. Alſo, alſo, rief er. Ein unmenſchliches Alſo! Der Tyrann entzog ſei - nem Weibe alles, was zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehoͤrt. Den letzten Biſſen Brod. Seine Kinder, die nach Speiſe jam - merten, ſtoͤrten ihn nicht in ſeinem Luftſchlos - bau, wo er mit ſeinen Prinzeßinnen in Ge - danken ſich weidete ich will heute, ſagte der Kleine eines Abends, aufbleiben, um dem Vater die Fuͤße zu kuͤſſen und ihn zu bitten. Was denn? fiel die Mutter ein. Das koͤnnt ihr wohl rathen. (Es war alles ihr und ihr) Die117Die Mutter weinte; denn ſie wuſte wohl, daß der arme Jacques gern noch eine Semmel gehabt haͤtte. Jackchen ſchlug ſich mit dem Schlaf, und hatt einen deſto ſchwerern Stand; denn ihn hungerte, weil er den Schlaf uͤberwunden hatte. Der Vater kam um Mitternacht, und, wie es aus ſeiner Art Gepolter den Anſchein hatte, froͤhlich und guter Dinge heim. Der liebe kleine Junge kroch im finſtern (zu Licht war kein Dreyer im Hauſe) zu ſeinen Fuͤßen. Was da fuͤr ein Hund, rief der Unvater? Dein Huͤnd - chen, lieber Vater, ſagte Jacquchen. Er, fort der Kleine: Gleich lieber Vater Warum laͤßt dich die Mutter herumkriechen? Auf dieſe Aufforderung gab das arme Weib, das ſich ſchon laͤngſt in ihr Schlafkaͤmmerlein zuruͤckgezogen hatte, keine Sylbe. Der liebe Junge erzaͤhlte mit einer himmliſchen Leich - tigkeit, daß er ſich des Schlafs erwehret, und daß er ſeinen Vater etwas zu bitten haͤtte, was ſeine Mutter nicht hoͤren duͤrfte. Viel - leicht wacht ſie noch, fuhr der Kleine fort. Hebt mich an Eu’r Ohr, oder neigt Euch zu mir. Der arme Junge bat den Vater ganz leiſe, ſeiner Mutter zwey Semmeln zuruͤckzu - laſſen. Wir beyde, ſetzt er hinzu, meineH 3Schwe -118Schweſter und ich, werden, wie ich hoffe, ſatt werden, wenn wir Mutterchen eſſen ſe - hen. Dieſe fußfaͤllige Bitte beantwortete der Vater mit einem Stoß und dem Aus - ſchrey: Comoͤdie! Vortreflich! Madam hat nicht einſt noͤthig zu ſoufliren, brumte er hin - ter drein. Das arme Weib verlohr uͤber dieſer Geſchichte den letzten warmen Tropfen Faſſung, und unſerm Jacquchen (ich will ihn lieber Jacob nennen) ſpielte der Schlaf den Streich, daß er kein Auge ſchlieſſen konnte. Die Mutter ſchluchzte, und der kleine Junge weinte ſo bitterlich, ſo, daß er bis Morgens um fuͤnfe daruͤber vergaß, daß er hungrig war! Die Curlaͤnderin lebte mit ihren Kindern von ihrer Haͤnde Arbeit. Das Maͤd - chen muſte ſpinnen und Jacobchen die Wolle auseinander ziehen. Sie wolte ehr ihren Iſmael und ſeine Schweſter Hungers ſterben ſehen, als auf unrechtem Wege Nahrung und Kleider ſuchen. Sie erfuhr in Wahrheit, daß der Menſch nicht vom Brod allein lebe, ſondern vom Worte aus dem Munde Gottes, vom Bewuſtſeyn recht und richtig zu wan - deln. Ich war nie boͤſe, ſagte ſie, allein mein trauriges Schickſal brachte mich weiter, ich ward fromm, gut, ſo wie es Menſchenſeyn119ſeyn koͤnnen. Ein geweſener Sprachſchuͤler hatte ſchon zur Zeit des genommenen Unter - richts ein Aug auf ſie geworfen, ohne daß ſie dieſes Aug auf ihren Wangen, geſchweige an ihrem Herzen empfunden. Jetzt glaubte der geweſene Sprachſchuͤler, beyde Augen auf ſie werfen zu koͤnnen. Um indeſſen deſto ſiche - rer zu gehen, (er kannte ihre Denkungsart) muſte ſeine Baaſe, die in der Familie kup - pelte, es mit der Ritterin freundſchaftlich an - binden. Dieſe Baaſe war in einen Engel des Lichts gekleidet, und wenn auch vielleicht zuweilen ein ſchwarzes Fleckchen hervorkam, wie haͤtte es wohl unſere Curlaͤnderin ſehen koͤnnen? Verliebte haben mit guten Seelen eine gewiſſe Denkungsart gemein. Jene lie - ben alles: dieſe halten alles fuͤr ihres Glei - chen. Die Geſchenke, womit die Baaſe der Nothleidenden auf eine ſo gute Art zuvor - kam, machten ſie blind, wie doch Geſchenke ſogar die Weiſen blind machen, und die Sa - chen der Gerechten verkehren. Der Knoten war geſchuͤrzt, und der Buhler fand ſich eines Tages bey Frau Baaſen ein, und von Stund an, ſo oft die Curlaͤnderin zur Baaſe gieng. In geraumer Zeit ſahe ſie das Netz nicht, das zu ihrem Fang ausgebreitet war. EinſtH 4aber120aber kuͤßte dieſer Buhler die Kinder der Cur - laͤnderin ſo verliebt, daß die Wangen der Mutter aus Schaam gluͤheten. Vielleicht waͤr es ihr weniger bedenklich vorgekommen, wenn er nicht noch oben ein, die Kinder dies - mahl, da er kuͤßte, ſo reichlich beſchenkt haͤtte, daß die Curlaͤnderin ganz deutlich ſahe, wor - auf es heraus gieng. Die Sache kam dem fuͤnften Akt immer naͤher, und Frau Baaſe dekte jetzt ſo wenig ihre ſchwarze Flecken, daß ſie uͤber und uͤber kohlſchwarz erſchien. Sie brachte, um recht ordentlich und bedaͤchtig zu Werke zu ſchreiten, ein Pakt in Vorſchlag. Die Curlaͤnderin, die ihr Herz ehemals in ihren Haͤnden getragen, ſchloß und verrie - gelt es jetzt, brach mit Frau Baaſen, ſandte die Geſchenke zuruͤck, welche die Kinder erhal - ten. Die mit buhleriſchen Kuͤßen befleckten Kinder wuſch die Mutter mit friſchem Waſſer aus dem Brunnen vor ihrem Fenſter. Die Kleinen weinten uͤber ihren Verluſt; allein ih - re Mutter troͤſtete ſie mit ſuͤßen Worten. Das arme Weib wußte nicht, was man vorhatte. Man drohte, da Bitte nicht helfen wollte. Es entraͤthſelte ſich, daß Frau Baaſe nur die Geſchenke ſpedirt haͤtte, die jezt zuruͤck gefor - dert wurden. In welcher Seelennoth ſaheſich121ſich die Curlaͤnderin. Sie rang die Haͤnde, entdeckte ſich ihrem Manne, der zum erſten - mal im Jahr (es war im November) lachte; allein er lachte ſo, daß noch nie ſo ſchrecklich gelacht iſt, ſeitdem der Teufel lachte, da Adam und Eva ſo dummkoͤpfig fielen. Der Satan war lichterloh in ihn gefahren. Sie ſprach Leute an, allein vergebens. Sie hat - te von einem reichen Manne gehoͤrt, von dem man ſagte, daß er zuweilen einen guten Augenblick haͤtte. Sie gieng, fand ihn be - ſchaͤftigt; er nahm ſich Zeit ſie anzuhoͤren. Sie mußte ihm ihre ganze Geſchichte erzaͤh - len. Da ſie am Ende war, fragte er ſie mit einer Gelaßenheit, die mit dem Lachen ihres Mannes ſehr nahe verwandt war, ob ſie hy - pothecariſche Sicherheit haͤtte? Nein, ant - wortete ſie. Nun, jede Noth findet ihren Troſt, fuhr der reiche Mann fort, ſo werden Sie einen Biedermann finden, der Buͤrg - ſchaft fuͤr Sie leiſtet. Die Curlaͤnderin bat ihn, dieſer Biedermann ſelbſt zu werden; allein er erklaͤrt ihr nach Rechtsgrundſaͤtzen, wie er bey ſich ſelbſt nicht Buͤrge ſeyn koͤnnte. Ich fuͤhrte die große Buͤrgſchaft an, ſagte die Curlaͤnderin, die Gott ſich ſelbſt geleiſtet hat - te allein er meynte, dieſe Sache waͤre zuH 5heilig,122heilig, um ſie auf irdiſch Geld und Gut zu deuten. Schluͤßlich gab er ihr das Geleite bis zur lezten Stufe und befahl ſie Gott. Eben dacht ich, fuhr die Curlaͤnderin fort, wenn Gott die Menſchen auch nach Hypothek fragen, wenn er mit ihnen verfahren ſollte, wie ſie unter ſich als ich ohnmaͤchtig hin - ſank, und noch jetzt nicht weiß, wie ich in ein Haus in der heilgen Geiſtſtraße gebracht worden. Sie fand ſich, da ſie erwachte, in den Haͤnden einer alten Frau und eines jun - gen Mannes. Dies brachte ſie zum Schrey, denn ſie ſtellte ſich die Baaſe und ihren Vetter vor; allein ſie erfuhr, daß es Schwiegermut - ter und Schwiegerſohn waren. Sie war in ihrer Erzehlung noch nicht bey der Hypothek; als dieſe Mutter und Sohn ſich anſahen, und den Blick ſchnell abbrachen. Ein Blick, ſag - te die Curlaͤnderin, der mir wie ein Sonnen - ſtrahl tief in die Seele ſchien. Die Toch - ter der Alten, die Guͤte ſelbſt! Die guten Leute ließen die Kinder der Curlaͤnderin hoh - len, und gaben ihnen zween Tage zu eſſen und zween Naͤchte Betten zu ſchlafen. Dieſer Schlaf war mir ein Vorſchmack des Todes - ſchlafs, ſo ſuͤß! ſagte die Curlaͤnderin. Nun kam ſie in ihr haͤusliches Elend; allein ſiefand123fand ihren Mann nicht mehr. Sein Auszug hatte keine Stunde erfordert. Ein jaͤmmer - liches Bette, mehr war nichts nehmens werth, und eben dies fehlende Bette zeigte ſeine Ent - fernung an. Sie warf ſich auf die wuͤſte Staͤte, wo ſein Bette geſtanden, nieder und wollte beten; da ihre Thuͤr aufgieng und eine weibliche Geſtalt erſchien. So trug der En - gel dem Eliſa Eſſen, wie dieſe Geſtalt ein in weißen Tuche verknuͤpftes Wer? Wie? Wo? Weg war die Traͤgerin. Die Beterin loͤſete auf, fand das Geld fuͤr den Boͤſewicht, und noch druͤber. Da blinkerte der Blick vor ihren Augen, der ihr in der heiligen Geiſt - ſtraße in die Seele ſtrahlte. Dieſen Abend dankte ſie Gott, den folgenden wollte ſie ih - ren Errettern in der heiligen Geiſtſtraße dan - ken; allein ſie fand Niemanden im Hauſe. Die Nachbaren verſicherten, daß die geweſe - nen Einwohner uͤber Land gezogen, wohin wuͤßten ſie nicht. Sie habens im Himmel zu gut, liebe Freundin. (Bald haͤtte der Graf Schweſter geſagt, das war ſie noch nicht.) Wehe der Stadt, die ſolche Leute verlaßen! Ich dachte an Lot und ſeine Familie, fuhr die Curlaͤnderin fort. Doch warum dieſe Weitlaͤuftigkeit in woͤrtlicher Nacherzaͤh -lung?124lung? Der Vetter und ſeine Baaſe wurden von Heller zu Pfennig befriedigt, das uͤbrige im Buͤndel war kein Oelkruͤglein; allein es war Spargeld in den Tagen der Krankheit, womit Gott unſere Curlaͤnderin heimſuchte. Ihr Toͤchterlein ſtarb an den Blattern, Jacob aber, ein ruͤſtiger Junge, der es ſelbſt mit dem Schlaf anzubinden ſich getraute und den Sieg erhielt, unterlag nicht der Krankheit, ſondern ſtarb im eigentlichen Sinn an der Geſundheit, die mehr als die Krankheit for - derte. Er uͤberſtand die Blattern; allein Mangel der Pflege war die Urſache ſeines ſee - ligen Todes. Er kam mit dem Tode, wie mit dem Schlaf, zurecht. Eine benachbarte Wittwe brach in dem groͤßten Elend mit un - ſerer Ungluͤcklichen das Brod. Sie hatte ei - nen Sohn, den ſie den Braͤutigam der kleinen Julie (ſo hieß die Tochter der Ritterin) nann - te. Da aber ihr Sohn mit der Tochter zu gleicher Zeit die Blattern bekam, und auch zu gleicher Zeit ein kurzes Leben endete, ward die Wittwe ſo bitter unwillig, daß ſie die Cur - laͤnderin mit einem Tropfen Waſſer vergeben haͤtte. Iſt das der Dank, ſchrie die Wittwe ohne Aufhoͤren, daß ſie mein Kind wuͤrgt! Sie begegnete der Curlaͤnderin als der Moͤr -derin125derin ihres Sohnes, und wollte nichts wei - ter von ihr ſehen noch hoͤren. Der Schmerz thut mehr, als dergleichen Dinge, und auch ſeltener als der Zorn, was recht iſt.

Noch eine Anekdote muß ich einhohlen, die mich ſehr bewegte. Zur Zeit, da ihr Unge - treuer ſein Bette noch nicht aufgehoben und ſie verlaßen hatte, war die Krippenritterin wegen Quartiermiethe ſehr verlegen. Oſtern und Michael war Zinstag und Jammertag, wie ſie ſagte. Nie konnte ſie Zeit und Stun - de einhalten. Habe Geduld mit mir, ich will dir alles bezahlen, war alle Jahr zweymal ihre Bitte. Der Vermiether hatte Geduld. Es war ein Leinweber. Einſtmals ward ihm die Zeit zu lange. Die Weynachten waren vor der Thuͤr, und mit dem Michaeliszins noch kein Anfang gemacht. Der Krippenrit - ter hatte den Leinweber, der ihn in Zuͤchten und Ehren mahnte, ziemlich deutſch abgefer - tiget, obgleich er franzoͤſiſcher Sprachmeiſter war. Mit einer Frau und einem Leinweber getraut er’s ſich ſchon anzubinden. Der Hausherr ward zornig. Sie kam, und ei - ne Spiegelblanke Thraͤne ſtund ihr im Auge. Der zornige Hausherr ſah ſich in dieſer Thraͤ - ne, und fand ſeine Gebehrden verſtellt; denner126er hatt es auch mit ihr zum Scheltwort an - gelegt. Ploͤzlich ward aus dem Saulus ein Paulus. Liebe gute Madam! ich bedaure Sie. Freylich Sie ſind unſchuldig, aber Er ein boͤſer Mann. Sie ſeufzte in die Hoͤhe. Die Thraͤne blinkerte. Nach ein paar Wor - ten fieng er an, laß gut ſeyn! So lang ich lebe, hoͤren Sie? ſo lang ich lebe, ſollen Sie in meinem Hauſe wohnen, und ſich Oſtern und Michael (ein paar ſchoͤne Feſte!) nicht mehr durch die Frage verderben, wo die Mie - the? frank und frey! Der Leinweber konnte die Worte frank und frey vor Bewegung nicht laut herausbringen. Er ſprach ſie gebrochen, das heiſt die meiſte Zeit: herzlich. Sie wuß - te nicht, wie ihr geſchahe. Die diesjaͤhrige Michaelismiethe, fuhr er fort, zum heiligen Chriſt fuͤr ihr juͤngſtes, das war Jacobchen. Gott! mehr konnte ſie nicht, Sie wollte den Geber anfaßen und ihm danken. Man faßt gern an, wenn man dankt; allein noch ehe ſie dazu kam, legte der Wohlthaͤter beyde Haͤnde auf den Tiſch, eine auf die andre, den Kopf langſam drauf und wer haͤtt es denken ſollen? ſtarb! O gluͤcklicher Leinweber! Dein Lebensfaden wie ſchoͤn iſt er zerrißen! Du biſt lebendig gen Himmelgeholt.127gehohlt. Solch ein Tod! Das nenn ich ſterben, ſagte der Graf! Der Todesangſt und Noth unerachtet, wovon ich unſern Seeligen nicht loszaͤhlen kann!

O du! der du die Menſchen laͤßeſt ſterben und ſprichſt: Kommt wieder Menſchenkinder! Ich bin zu geringe, wie jener Maͤrtyrer, den Himmel offen zu ſehen, las mich, las mich nur mit einer ſolchen That, wie dieſer, dahin ſcheiden! Konnte Gott dieſen großen Thaͤter mehr belohnen! Nicht wahr, der ſtarb in ei - ner ſeligen Stunde? Gott ſchenke ſie mir und allen, die ſolch eine Thraͤne verſtehen. Amen!

Hiemit waͤre dieſe Leinweber-Geſchichte fuͤr den Himmel zu Ende; allein fuͤr die Er - de bey weitem nicht. Die frohen Erben ver - ſtanden ſich ſo auf Thraͤnen nicht, als unſer Leinweber. Das Verſprechen: ſo lang ich lebe, war mit ſeinem Tode abgelaufen, das verſtand ſich von ſelbſt; allein der Michaelis - zins? Auch den mußte die Curlaͤnderin ein - buͤßen, oder ihr juͤngſtes

Denn es iſt mit nichts beſcheiniget, daß eine dergleichen Schenkung vorge - fallen, vielmehr ſind alle Umſtaͤnde da - wider. Defunktus hat zu verſchiedenenmahlen128mahlen den Zins im Guten und Boͤſen verlangt, und iſt nicht abzuſehen, warum er ſo ſchnell ſeine Geſinnungen aͤndern ſollen. Es iſt unter dem vorſchrifts - maͤßig ſchriftlich errichteten Miethscon - trakt dieſe Schenkung mit keiner Sylbe bemerkt; vielmehr findet ſich weder hin - ter dem Miethscontrakt, noch ſonſt wo, eine Quittung wegen des angeblich ver - ſchenkten Zinſes. Niemand hat die Schenkung entgegen genommen, und koͤnnen die vorgeſchuͤtzten Worte: die diesjaͤhrigen Michaeliszinſen zum heiligen Chriſt fuͤr ihr juͤngſtes wenn ſie wuͤrklich vorge - fallen, auf verſchiedene andre Weiſe ge - lenkt und ausgelegt werden: zu ge - ſchweigen, daß kein deutlicher Sinn her - auszubringen, und daß das Hauptwort Schenkung gaͤnzlich fehlt. Der ſo ploͤtz - lich darauf erfolgte Tod laͤßt vielmehr vermuthen, daß wenn Defunktus ſich ja wuͤrklich (welches doch an ſich zu be - zweifeln) dieſer Worte bedient, er ſchon ohne Bewuſtſeyn geweſen. Defunktus hat, wie es zugeſtanden iſt, ſich jeder - zeit und auch nur kurz vor ſeinem Able -ben129ben gegen den Mann bitter ausgelaßen, und wuͤrde es wohl der Ehegattin Ehre machen, wenn ſie ſich mit eben demſel - ben Mann ſo gut geſtanden? Auffallend iſts, daß ſie durch dieſe Schenkung ihre eigene Schande veroffenbaret. Derglei - chen Perſonen verſagen die Rechte allen Glauben. So wohl nach den gemeinen als den ſtatutariſchen Rechten.

Das war ungefehr der Innhalt zu einer Sentenz, die uns die Curlaͤnderin ſub B. in copia authentica vorzeigte. Ich mag nicht weiter abſchreiben: mir eckelt vor dieſer loſen Speiſe!

O der feinen ſpinnwebfeinen nadelſpitzen Gerechtigkeit, ſagte der Graf! Wie oft hab ich mich in meiner Jugend der heiligen Juſtiz angenommen und den Kopf geſchuͤttelt, wenn Prieſter und Kuͤſter, Praͤſident und Notarius, in oͤffentlichen Luſt - und Trauerſpielen dem Volke zum Spektakel aufgezaͤumet wurden; nach der Zeit ſah ich ein, und wer ſiehts nicht, daß man ihr nicht zu viel, ſondern zu wenig thue. Der Fehler iſt, man behandelt ſie bey ihrer Feinheit zu handgreiflich. Mit dem - ſelben Maaße, damit ſie miſſet! Doch weh, weh ihr, wenn der Richter aller WeltJſie130ſie meſſen wird! Die Curlaͤnderin behielt die Sentenz zum Sterbkuͤſſen, und wahrlich auf ſolch ein Urtel den Kopf gelegt, muß ſich leicht ſterben, faſt ſo leicht, wie der Leinweber auf ſeiner eigenen Hand. Wie aber, der ſolch eine Sentenz formte? Richtet nicht! Eine von des Leinwebers Erben war ein nied - liches Maͤdchen, das ein Rath aus dem Ober - Collegio nicht ſauer anſahe. Ich weiß nicht, ob und in wie weit dieſer Umſtand auf die ge - meine und ſtatutariſche Rechte einen Einfluß gehabt. O der waͤchſernen Naſe! rief der Prediger, und dachte das Promemoria des Juſtizraths. Der Graf beſchlos: wenn die Chriſten zur heiligen Chriſtzeit ſolche Senten - zen machen! Der Judenjunge und Benjamin fielen mir ein. Jener in Ketten, dieſer wie er dreymahl um den Tiſch hinkt.

Dieſes Sterbkopfkuͤſſen war nicht das einzige, das unſere Curlaͤnderin ſich unterzu - legen im Stande war. Sie konnte noch wei - cher liegen. Ihr Ehemann war entſchloſſen, die Tochter quaͤſtionis zu heyrathen. Die Mutter quaͤſtionis glaubte, blos ihret, der Mutter halber; Die Tochter bildete ſich ein, es beſſer zu wiſſen. Der Ritter gewann zuſe - hens bey dieſem Spiel, und lies die Mutterglau -131glauben, und die Tochter ſich einbilden, was jedes wolte. Er muſte, eh aus ihm und der Tochter ein Paar und, die Mutter zugerechnet, ein Dreyblatt werden konnte, von ſeiner vo - rigen Frau nach der Sitte im Lande geſchieden werden. Es iſt ein Greuel in Preuſſen, zwey Weiber zu gleicher Zeit haben; allein ich hab einen Mann gekannt, der zwey Frauen, von denen er geſchieden war, bey ſich hatte, die dritte ungerechnet, mit der er aber prieſter - lich verbunden war. Es kommt alles auf die Form an! Gott, der du Mann und Weib, Adam und Eva, ſchufſt!

Der Braͤutigam ſchrieb an ſeine Frau ei - nen ſchrecklichen Brief. Er beſchuldigte ſie der ſchwaͤrzeſten Laſter und trug es ihr als eine Grosmuth an, daß er ſich aller Beahn - dung in beſter Rechtsform begeben wolte, wenn ſie gutwillig unter dem Vorwande, daß eine Todtfeindſchaft ſich zwiſchen ſie ins Ehe - bette gelegt, in die Trennung willigen wuͤrde. Das arme Weib, die ſich ihrer Unſchuld be - wuſt war, antwortete ihm, wie ers mit ſei - nen Suͤnden verdient hatte, und nun der Weg Rechtens! Ein kleiner ſchielender Bube, der Rath des Ehegerichts, (ein Verwandter von dem Hauſe, mit dem der Ritter ehelich undJ 2unehe -132unehelich verbunden war, und werden ſolte) war Klaͤger, Richter, Henker. Er entwarf die Eingaben, referirte, erkannte und trieb ſein Werk, wie die feinſten Boͤſewichter, ſo oͤffentlich, daß er mit dem Ritter vor aller Welt Augen gieng und ſtand, und trank. Unſerer Beklagtin ward ein Anwald ex officio zugeordnet, dem ſie den Schaden Joſephs entdeckte: indeſſen that dies Maͤnnchen nichts weiter, als die Achſeln ziehen. Mit einem Steurmann des Collegii, eines Armen-Parths wegen, ein Speer brechen, verlohnte der Muͤhe nicht. Der Klaͤger nahm aus der Beilage ſub B. Gelegenheit, die Beklagtin eines ver - daͤchtigen Umgangs mit dem Leinweber zu be - ſchuldigen. Die Baaſe ward zur Zeugin lau - dirt, daß ſie Geſchenke von ihrem Vetter an - genommen, die ſie wieder zu erſtatten waͤre gezwungen worden. Ihr Lebenswandel, be - hauptete der Boͤſewicht, ſey ſchon vor der Ehe verdaͤchtig geweſen, und eben dieſes Ver - dachts halber haͤtte ſie mein Vater (wie un - ſchuldig man in Akten prangern kann) recu - ſirt. Die zwey Tage und Naͤchte, die ſie bey den Engeln in der heiligen Geiſtgaſſe gewohnt hatte, wurden als eine boͤsliche Verlaßung (malitioſa deſertio) ausgegeben. Sie wardals133als eine Verſchwenderin dargeſtelt, und wenn alle dieſe Stricke reiſſen ſolten, ward eins (ein Galgenſtrick) angebunden, das uͤber alles gieng. Die liebe Todtfeindſchaft! Wohlbe - daͤchtig verſchwieg der Herr Eheklaͤger die Ohr , die er vor der Ehe aus guter Hand erhalten; allein er erwehnte, wie oft er noth - gedrungen geweſen, Hand an ſein Weib zu legen, und ſie ſich von Leib und Seele zu hal - ten, wenn ſie als eine Furie Feuer geſpien. Er hatte wuͤrklich, ohnfehlbar dem Beyrath des Klaͤgers Richters und Henkers zur gehor - ſamſten Folge, ihr das erſte Liebesband, die Ohrfeige, mit vielen wucherlichen Zinſen er - ſtattet. Die Sentenz war in den beſten Haͤn - den. Der ſchielende Bube ſetzte ſich auf den Richtſtuhl an der Staͤte, die da heiſſet Hoch - pflaſter, ja wohl Hochpflaſter, auf hebraͤiſch aber Gabbatha. Sie wurden geſchieden, und da es keiner Auseinanderſetzung, ſo wohl we - gen Kinder, als Vermoͤgens, bedurfte, weil nichts von beyden da war; ſo wurden der Beklagtin in der Sentenz ihre Bosheiten und Herzenstuͤcken aufs nachdruͤcklichſte verwie - ſen, und ſie zwar vor dieſesmahl, und wie es hies, vorzuͤglich um den Namen ihres gewe - ſenen Mannes zu beſchonen, von einer oͤffent -J 3lichen134lichen Gefaͤngnisſtrafe befreyet, indeſſen fuͤrs kuͤnftige angewieſen, ſich eines chriſtlichen ein - gezogenen Lebenswandels zu befleißigen. O du ſanftes Kopfkuͤſſen im Sterben! Soll ich appelliren? Fragte der Advokat, und eine Thraͤne fiel ihm auf die Abſchrift, die er in Haͤnden hielt. (Er war nur im erſten Jahr in der Praxi). Nein, ſagte ſie, Sie nicht, ich werde appelliren, ich, und ſah gen Himmel! Wenn der arme Schelm vom Ad - vokaten doch ein ander Handwerk gewaͤhlt haͤtte. Ich habe nichts, ſagte die Curlaͤnde - rin, was ich Ihnen anbieten kann, als hier dieſe Bibel von meinem Vater (ſie hatte ſil - berne Clauſuren ). Waͤre ſie nicht in Sil - ber, wie willkommen ſolte ſie mir aus Ihren Haͤnden ſeyn, erwiderte der Advokat. Nun hatte die Curlaͤnderin nichts, was einen Ruͤck - blick nach Sodom veranlaßen koͤnnen, wenn ſie auch Madam Lot geweſen waͤre. Sie war ſicher, daß ſie keine Salzſaͤule werden wuͤrde. Der Weg nach der heiligen Geiſtgaſſe, den ſie dreymahl auf - und abgieng, war ihr letzter in Koͤnigsberg. Sie weinte bey dieſem Auf - und Abgang dankbare Thraͤnen! Die beſten, die man weinen kann, und nun? wohin Gott wolte! Mine gieng in ein Land, das Gottihr135ihr zeigen wuͤrde. Die Curlaͤnderin hatte, wie ſie ſagte, zum Gluͤck etwas aus dem gutthaͤtigen Woͤrterbuche gelernt, und wolte mit ihrer Wiſſenſchaft wuchern. Nicht auf die Saat, ſondern aufs Gedeyen, kommts an. Ich fuͤr mein Theil, ſagte der Graf, wuͤrde meine Kinder eher von Ihnen, als von einer Franzoͤſin, die nur eben gerades - weges von Paris kommt, im Franzoͤſiſchen unterrichten laßen, wenn ich Kinder haͤtte, fuͤgte er nach einer Weile hinzu, und das ſo geruͤhrt, daß Er ſelbſt weinte nicht. In - deſſen war der Geiſt bey unſerer Curlaͤnderin willig, das Fleiſch aber ſchwach. Sie er - reichte mit genauer Noth ein Wirthshaus, wo man ſich blos des Lagers wegen das letzte bischen Sachen zueignete, das ſie mittrug. Man nahm ſogar ein Buͤndel franzoͤſiſcher Vocabeln, die ſie ſich als ein Viaticum aus - geſchrieben hatte, weil ſie in Goldpapier ge - naͤht waren, in Zahlung. Die Sentenzen und andre Papiere ohne Goldpapier lies man ihr. O die Ungluͤckliche! Sie verlohr mit den Vocabeln auch die Herzhaftigkeit, in der Sprache Unterricht zu geben. Hand an ſich zu legen, wer kann das? Die Hungersnoth, dacht ich, wird ohne dein Zuthun dich erloͤ -J 4ſen,136ſen, und aͤrgerte mich, daß mich nicht hun - gerte. Solch ein Hungerswunſch iſt das ſchrecklichſte, was man ſich denken kann. Die Todesfurcht iſt natuͤrlich, und mich duͤnkt, man ſey immer uͤbler dran, wenn man den Tod wuͤnſcht, als wenn man ihn fuͤrchtet. Da traf ſie einen Menſchen, der nicht Oel, nicht Wein, in ihre Wunden goß, ſondern ſie zum Grafen brachte, und da der Graf auf eine Kleinigkeit zur Erkenntlichkeit es nicht an - ſahe, wenn die Todescandidaten, wie er ſich auszudruͤcken pflegte, des Sterbens werth wa - ren; ſo machte dieſer Prieſter und Levite (ein Samariter war er nicht) keine unrichtige Spe - culation. Nun ſind wir an Ort und Stelle.

Das war im Kurzen der Lebenslauf der Antagoniſtin meiner Mutter. Ich konnte dem Grafen noch verſchiedene Auskuͤnfte zu dieſen Erzaͤhlungen zureichen, und das war ihm ein Fund, den er zu ſchaͤtzen wußte. Die Curlaͤnderin bat mich, nach Curland zu ſchrei - ben, wenn ſie geſtorben ſeyn wuͤrde.

Gott kann Ihnen helfen, fiel ich ein.

Durch Tod oder Leben, fuhr der Graf fort, denn wenn er gleich keinem die Sterb - ſtunde anzeigte, ſo war er doch ſehr entfernt, bey ſeinen Patienten den Worten Tod undGrab137Grab auszuweichen. Man muß, wenn man friſch geſund und ſtark iſt, auf Tod und Le - ben gefaßt ſeyn, fuhr er fort, und wenn man krank danieder liegt, allein auf den Tod. Wenn die alten Hochadlichen Haͤuſer die ſchon geſtorbene, verſchiedene Hand der Cur - laͤnderin jezt geſehen, die ſie ihr zu einer Zeit rund abvotirten, obgleich andre mehr bewan - derte Hochadliche Herrſchaften ſie ihr gnaͤ - digſt ließen wahrlich, ſie haͤtten ihr Urtel revocirt! Mit den Urtheilen!

Die arme Ungluͤckliche konnt ihr Geſicht nicht von mir wenden. Gewis, ſagte der Graf zu mir, iſt ſie ihrem Vater, dem ſie ſehr aͤhnlich ſeyn muͤßen, guter geweſen, als er ihr. Auf dieſe Art ſcheinet wohl die juͤng - ſte Tochter des Paſtor L (der nicht Praͤpo - ſitus ward, obgleich er ſich auf den Kopf ſetzte) Theil am Gaſtmahl zu haben, wozu mein Vater eingeladen ward, nachdem im Paſtorat des verungluͤckten Praͤpoſitus L. in Curland erſcholl: mein Vater haͤtte die Gabe der Enthaltſamkeit nicht. Ob das Ave Maria, der Gruß, den mein Vater dieſer Ritterin eher als ihren aͤlteſten Schweſtern zuwandte, oder wuͤrklich allmaͤhlige Neigung die Urſache geweſen? und viele obs und viele oders mehr,J 5leg138leg ich bey Seite. Was konnte das arme Trinchen (dieſen Namen erſeh ich aus dem Herrmannſchen Pasquill) dafuͤr, daß ihr Vater nach der Weiſe Melchiſedech zum Spruͤchwort aufbrachte? was?

Um die Obſervationen uͤber dieſen Come - ten in der gegenwaͤrtigen Geſchichte zu ſchluͤßen; ſey mir erlaubt zu bemerken, daß dieſe Arme, nachdem ſie eingelaͤutet war, und nachdem ſie geohrbeichtet, ſich erholet. Der Graf hatte den groͤſten Theil dieſer Ohrbeich - te bis auf meine Anweſenheit geſpart. Nach der Zeit fiel ſie wieder ein, und ſtarb als Schweſter des Grafen und ſeines Jonathans, des alten Bedienten (denn wahrlich ſie hatte den Kelch der Todesnoth allmaͤhlig ausge - trunken) ſanft, willig und ſelig, ihres Alters fuͤnf und vierzig Jahr.

Meine Mutter, an die ich dieſen Vorfall, ſo bald der gute Prediger in L mir ihn meldete, weiter brachte, antwortete mir wie nach folget:

Herr, der du ſprichſt, es geſchieht, der du gebeutſt, es ſtehet da, der du Gehet und Kommet in deiner Gewalt haſt! Gelobet ſey dein Name! In Curland und in Preußen, fuͤr die Wege und Stege, die du mit dieſerGeen -139Geendeten und Vollendeten eingeſchlagen! Durch gute und boͤſe Geruͤchte, durch man - cherley Kummer und Leiden, iſt ſie zu deinen Freuden eingegangen. In Unfrieden gieng ſie aus ihrem Vaterland, in Frieden fuhr ſie zu deiner Herrlichkeit, wo ſie ihr franzoͤſiſches Buͤndel nicht mehr noͤthig hat, den Bettel - ſack. Sie hat mich vielleicht nur im Traum beleidigt, und haͤtte ſie es auch im Wachen gethan; haͤtt ich den Schlag bekommen, den ihr Ritter bekam, was nun mehr? Wir ſind hier nicht zu ſchlagen, ſondern geſchlagen zu werden. Verzeih mir, lieber Gott! wenn ich im Wachen den Traum ihr uͤbel nahm. Ihrer Seele ſey wohl, unter denen, die ge - kommen ſind aus großem Truͤbſal, und haben ihre Kleider gewaſchen und ſie helle gemacht. Heil ihr, wenn ſie im Namen des ſtarb, des, der unſchuldig lebte auf Erden und auch ein Fremdling war, und in Gottes Hand im Himmel ſeine Wohnung beſtellte! Nimm auch ihren Geiſt in deine Haͤnde, du allge - meiner Vater! Du Preußens und Curlands Vater! Ihrem Leibe Ruhe! Er bedarf ih - rer! Ein weiches ungeſtaͤrktes Sterbtuch fuͤr ihr thraͤnendes Aug! Ein ſtilles Grab! vollbracht Uns alle lehre beden -ken,140ken, wohl, daß auch wir des Bleibens nicht hahn, muͤßen alle davon, gelehrt, jung, reich, alt oder ſchoͤn! Du aber, mein Sohn, ſchone dich in Preußen, es ſcheinet eine Grube zu ſeyn, wo alles faͤllt, was aus Curland iſt.

Wenn es nicht mehr leben kann, liebe Mutter! Aus dieſer Stelle ſollte man nicht ſchluͤßen, daß meine Mutter ihren Caſum ſetzt und fromm iſt in dem Sinn, wo fromm ſeyn Etwas geiſtliche Aufgeblaſenheit, geiſtliche Staͤrke durch Kraftmehl iſt, die hart und anſehnlich macht. Vergib mir, Mut - ter, wenn ich dir im zweyten Theil zu viel that. Ich thats im Traum, wie Paſtors L Trinchen. Wenn ein einziges empfindliches Herz eine Thraͤne bey dieſem Grabe gemein - ſchaftlich mit mir weint, ſo hat die Arme! ein ſchoͤnes Leichenbegaͤngnis. Meine Thraͤ - ne hat eine ſchwere Geburt. Faſt nimmt ſie mir das Auge mit. Die Deinige, liebe Leſe - rin! falle ſanft auf dieſes Blatt, und diene deiner Tochter zum Zeichen, dieſe Stelle wie - der zu finden, wenn ſie ihr noͤthig iſt.

Alle dieſe Auftritte, welche uns andert - halb Tage beſchaͤftigten, hatten mich ſo mit - genommen, daß ich bey einem Haar zum zweytenmal in dieſem Buche krank gewordenwaͤre.141waͤre. Doch Krankheit kann ichs nicht nen - nen, was mich niederriß. Was es war, weiß ich nicht; der Paſtor in L meynte, daß dieſes Uebel gerades Weges vom inwen - digen Menſchen, von der Seele herkaͤme, welche kein Arzt toͤdten, allein auch nicht hei - len koͤnnte. Er rechnete dieſe Krankheit zu den Lindenkrankheiten, die oft gefaͤhrlicher, oft leichter, als die Leibesgebrechen ſind. Recepte, Schlagwaſſerdoͤschens meynt er, waͤren hiebey nicht anzuwenden. Hier iſt Gott allein der Arzt, und ſein heiliges Wort Medicin. Zur Bewegung waͤre am Fruͤh - lings Morgen eine ſanfte Flur vorzuſchlagen; der Waldgeruch ſey ſchon zu ſtark und greife ſolche einen Kopf an. Das, ſagte der Predi - ger, iſt die Art der Seelenkrankheiten. Unſere Aerzte curiren oft den Koͤrper, wenn die Seele leidet. Koͤrperkrankheiten pfle - gen nicht den Kopf vorbeyzugehen, ſondern ihm die Ehre zu thun, von ihm auszuziehen in den ganzen Koͤrper weit und breit.

Der gute Paſtor! Ich ſeh ihn noch wie bekuͤmmert er war! Es uͤberfiel mich mit ei - ner Ohnmacht. Der Graf ſchien froh zu ſeyn, daß es mich ſo uͤberfiel; natuͤrlich! um einen Sterbcandidaten mehr zu haben: ergab142gab dem Prediger nicht undeutlich zu verſte - hen, daß, wenn er ſich nicht laͤnger aufhal - ten koͤnne oder wolle, er ihm keine Bitte in den Weg legen wuͤrde. Jeder, ſetzte der Graf hinzu, hat ſein Paͤkchen

ich! ſagte der Prediger, und konnte nicht mehr

beim ich, Punctum? fragte der Graf.

Ich werde dieſen Juͤngling nicht ver - laßen

auch ich, ſagte der Graf, nicht verlaßen noch verſaͤumen.

Gott, wenn er ſtuͤrbe!

Nun, wenn er ſtuͤrbe?

Er kann nicht ſterben

wenn er unſterblich iſt.

Gott!

Gevatter! Entweder glaubt ihr Herren nicht, was ihr lehrt, oder was iſt das Sicht - bare gegen das Unſichtbare? Das Gegen - waͤrtige gegen das Zukuͤnftige? Zeit gegen Ewigkeit? Iſts denn nicht eine ſchoͤne Sa - che um die Hofnung? und der Genuß?

Freylich, der Himmel wird anders ge - noßen, als Dinge der Erde. Der Erdenge - nus gebiehret den Tod, den Ekel!

Der143

Der Himmel iſt Himmel, iſt Genuß ohne Ekel, ohne Tod. Tod und Ekel ſind gleich - bedeutende Woͤrter. Gleich und gleich geſellt ſich gern. Ein Juͤngling wie dieſer ſoll nicht gluͤcklich werden?

Ach! ich habe Kinder, er? Eltern, und die zeugten einen Sohn, der ihrem Bilde aͤhnlich war.

Warum mehr von den frommen Anzuͤg - lichkeiten, welche dieſe beyde Leute, der Graf und der Prediger, aus gleich gutem Herzen auswechſelten. Sie ſchlugen Ball. Der Prediger wollte nicht von meinem Stuhl und war fuͤr mich auf eine ſo ruͤhrende Art bekuͤmmert, daß er ſeine Abhandlung ganz und gar daruͤber vergeſſen zu haben ſchien. Die Bekuͤmmerniß gefaͤllt am meiſten, wenn ſie unzeitig, wenn ſie nicht an Stell und Ort iſt. Daher die Sorgfalt der Weiber, ſo kin - diſch ſie ausfaͤllt, wie ſchoͤn! Auch bey den Maͤnnern muß ſie weiblich ausfallen, ſonſt iſt ſie Furchtſamkeit. Der gute Vater Gretchens! Er erhielt auf vieles Bitten die Verſicherung vom Grafen, daß ich noch nicht eingelaͤutet werden ſollte. Auch (dies hab ich alles nach der Zeit vom Prediger) war dieſe Fuͤrbitte Schuld daran, daß ich nicht in dieTod -144Todtenliſte eingetragen ward, welche der Graf das Himmelsbuͤrgerbuch nannte. So kam ich wieder ums Gelaͤute, wornach ich doch ſo luͤſtern war.

Herr, laß ihn noch dieſe Nacht! dieſen Tag, noch drey Tage, ſagte der Prediger mit andern Worten zum Grafen, die ſich der Graf oft wiederhohlen lies, eh er dieſe Friſt be - willigte. Herr, laß ihn noch, war der Mor - gengruß des Predigers, denn ich hatte eine elende, lange, lange Nacht gehabt, und der Tag war, wie ſie.

Der Graf declamirte fuͤr, der Prediger wider den Tod. Jener mit erhabner Stim - me, dieſer mit leiſer Schmerztheilnehmender. Nie vergeß ich die graͤflichen Worte: Stirbt man denn an der Krankheit, Freund? Vom Leben ſtirbt man, und wenn unſer Liebling (ich lieb ihn wie Sie) wenn er geſund wird, entfloh er dem Tode? nein, nur der Krank - heit. Allen? Nein, dieſer. Eine große Sache!

Der Graf hielte drey Safts bey ſeinen Kranken, die Unterſafts, die Aderbinder und Pulsbeſchleicher ungerechnet. Der Arzt, der mich beſuchte, wußte, daß er dem Grafen mit einem heimlichen Kopfſchuͤtteln einen Gefallenerwies,145erwies, und ſchuͤttelte alſo, es mochte Gefahr ſeyn oder nicht. Bey einem Manne, wie der Graf, und bey Krankenlaͤgern, die von la - chenden Erben umgeben ſind, haben die Her - ren Safts immer gewonnen Spiel, es ſtehe oder falle.

Der Prediger aus L , der die Linden - krankheiten aus Erfahrungen kannte, hatte voͤllig recht, daß dieſen Ober - und Unterſafts meine Krankheit zu hoch waͤre. Freylich ſteckt eine kranke Seele den geſundeſten Leib an, alle Seelenkrankheiten ſind anſteckend; allein es war Lebensekel, Lebenskummer Ue - berdruß, was mich ergriffen hatte. All die Gebeinhaͤuſer, in die ich herumgeleitet wor - den, hatten meine Einbildungskraft ſo erhitzt, daß ich wuͤrklich nicht todtkrank war, nicht gefaͤhrlich krank aber beydes zu ſeyn herz - inniglich wuͤnſchte. O Gott! wie ſehnte ich mich nach einem ſelgen Ende! Wie nach Mi - nen! Sie war der Mittelpunkt von allem. Ich ſuchte meinen Tod uͤberall, auf allen und jeden Geſichtern, und wo ich ein Todeswort fand, wie ſehr druͤckt ichs ans Herz! Ich war eigentlich nicht krank; allein ich wuͤnſcht es zu werden. Eine der gefaͤhrlichſten Ge - muͤthskrankheiten, wenn es nicht im Apoſtel -Kſinn146ſinn heißt: ich habe Luſt abzuſcheiden. Gern wolt ich bey Minen ſeyn und ſolt ich nicht wollen? Nach des Grafen Meynung nicht. In dieſer Ausſicht ſterben heißt: ſich den Tod verderben, ihn mit allem Fleiß ver - unſtalten, ihm den geſunden natuͤrlichen Ge - ſchmack nehmen, Engliſch Gewuͤrz, Galgant, Pfeffer, Kreydnelken dran legen. Man muß ſterben, um zu ſterben. Der Graf hatte hieruͤber mit dem Prediger eine ſehr gelehrte Unterredung. Ich vernahm die Worte nicht; allein der Geiſt von allem wuͤrkte auf mich. Mein Vater pflegte dies Wuͤrken, Wanken zu heiſſen, wie man von Geſpenſtern ſagt: ſie wanken. Ich wankte. Es war mir, als hoͤrt ich in der Ferne laͤuten. Der Hauptin - halt der gelehrten Unterredung war: ob man nicht auch durch kuͤnſtliche Mittel berechtiget waͤre, ſich den Tod zu erleichtern? Der Graf behauptete Nein, und nannte dieſe Kunſt Be - trug, wenn ſie wollen, frommen Betrug. Ich will aber nicht fromm betrogen werden.

Es ſey nun aber wie ihm wolle. Mine war mein Schutzengel bey meinem Seelen - zufall. Sie ſtaͤrkte mich. Ich hohlte alles nach, was ich bey ihrem Grabe durch Betaͤu - bung uͤberſprungen hatte. O wie gern wolt ich147ich bey ihr ſeyn! Die vier Naͤgel, wovon meine Mutter ſechſe fuͤr einen Vierding kaufte, glaͤnzten mir ſchrecklich in meinem vierzehnten Jahre. Das Blad aber, wo ich in der Capelle eben am Ende meinen Namen verzeichnete, wie troſtreich fuͤr mich! Es war eine ſichere Verſchreibung, bald! bald! bald! bey Minen zu ſeyn. In meinem vierzehnten Jahre ließ ich ſie zuruͤck; hier ſah ich das vor - geſteckte Kleinod. Es war mir ein Licht auf - gegangen; ich empfand den ganzen heiligen Buſch einer Gottgefaͤlligen, Gottgeheiligten, Himmelklaren, Engelreinen Liebe ich hatte Luſt abzuſcheiden. Ein Paar Schauer, womit dieſer Leib und dies Gebein ſeine Rechte ſich vorbehaͤlt, abgerechnet. Iſts Wunder, dacht ich, eine ſo hochgeadelte Erde ſoll wie - der zuruͤckkommen, wovon ſie genommen iſt! Ein ſolch Gefaͤß zu Ehren zum Wurmge - hecke! Doch ſchnell gab ich meinem See - lengefehrten den Segen: gehe hin in Frieden, es ſoll dir alles wohl belohnet werden! Du ſolſt auferſtehen in Kraft, und Minens Leib, und ihr Gebein, und dieſer Leib, und dies Gebein Halleluja blieb mein Haupt - wort; in meinem vierzehnten Jahr war es das Amen fein, Amen, das ich meiner Mut -K 2ter148ter nachbetete. Freunde! Wohl dem! der Eine Mine im Himmel hat. Die fuͤhlloſen Sa - ducaͤer muͤſſen keine Minen gehabt haben. Mein Herz hieng an Minen, und ſolte dieſer Sitz des Lebens an Etwas wuͤrklich Todten, auf Ernſt Todten, hangen? Gott iſt nicht ein Gott der Todten, ſondern der Lebendigen, und meine Seele, ſein Aushauch, iſt hier ſein Ebenbild! Mine lebt, ich werd auch le - ben! Junge Leute ſterben leichter, ſagte der Graf, weil ſie keinen Anhang und Zugabe haben, weil eine lange Reihe weils ich glaube kurz und gut, weil ſie gewoͤhnlich nach der jetzigen Weltmanier ungluͤcklich lie - ben. Die Liebe hoffet alles, ſie duldet alles, ſie macht ein ruhiges Leben und einen ſanf - ten Tod.

Das erſtemal, wie ich ans zum Ende ge - hende Blatt dachte, wars ſo, als ein aus dem Feuer geriſſener Brand ins Herz. Das war ein Hauptreſervat des Leibes, eins in optima forma. Es iſt einem ſo warm auf ei - nem Fleck, und kommt dergleichen Brand dem, von der Schaamroͤthe ſo nahe, wie moͤglich. Beyde verbreiten ihre Flamme zum Angeſicht, die Stirne kalt. Der - gleichen Vorbehaͤlte, dergleichen Erdbebun -gen149gen, haͤtt ich bald geſagt, Erſchuͤtterungen wolt ich ſagen, das war alles, was ich von Todesangſt bey dieſer fuͤr den Grafen, wie es anſchien, ſo erwuͤnſchten Gelegenheit em - pfand. Es war indeſſen alles ſo, daß ichs konnte ertragen. Der Tod ſelbſt, ſagte der Graf, iſt das allerwenigſte. Da ſpringt das Band, das man ſo lange zog und riß und neckte, weg ſind wir. Tod als Tod hat we - niger ſchreckliches, als das Leben. Er hat nichts ſchreckliches. Ich fuͤrchte mich nicht vor Geſpenſtern, wohl aber vor Dieben und Moͤrdern. Wer wird ſich vor etwas fuͤrch - ten, was er nicht kennt, und wer kennt den Tod? Das Leben aber kennen wir. Wenn auf Regen die Sonne ſcheint, auf Muͤhe Lohn folget, wohl uns, daß wir ſterben, wohl, wenn wir todt ſind; wenn unſer Glaube an die Unſterblichkeit auch nur wie ein Senfkorn iſt. Der Tod giebt Troſt uͤber Troſt, Wonne uͤber Wonne, und ſolte der Gang zu dieſem Aufſchlus des Menſchenge - heimniſſes (wahrlich wir ſind ein Raͤthſel; der Tod iſt unſere Aufloͤſung,) ſchrecklich ſeyn? Ende gut, alles gut. Der Tod iſt das Ende vom Klagelied, von allem Elend. Canaan ins Kleine, in Miniatur, im Auge; wasK 3ſcha -150ſchadet ein Fuß in der Wuͤſte? In einer un - ſeligen Stunde ſterben, heißt in den Henker - haͤnden der Krankheit ſterben, das kann ſchrecklich ſeyn. Dem beſten Kaͤmpfer aber das Kleinod, dem ſtaͤrkſten Ringer der Preis! Wie wohl ruht es ſich nach der Ar - beit, wie wohl! Laßt uns nur des Ster - bens-Leidens, eh das letzte Stuͤndlein kommt, viel haben, wenn es Gottes Wille iſt; dann verdienen wir im Tode getroſt zu ſeyn, und wie der ſelge Leinweber gen Him - mel gehohlt zu werden. Wer wolte ſich aber das Sterben, aus Furcht des letzten Augen - blicks, ohne Noth bitter machen, wer das Leben dadurch verleiden? Es giebt Leute, die ſich das Leben auf dieſe Art verſterben, war - um das? Ich kann von mir ſagen, ich ſterbe taͤglich; allein dies will nicht viel mehr ſa - gen, als: ich ſehe taͤglich andere ſterben, obgleich es auch Stunden giebt, wo es mehr ſagen will. Der heilig geplagte Apoſtel ſtarb anders taͤglich, als ich. Paulus trank taͤg - lich einen Tropfen aus dem Todesbecher. Es war nicht Todesfurcht, die er trank. Solch ein Mann wuſte ſchon, was im Kelche war. Es war wuͤrklicher Tod; er ſtarb allmaͤhlig. Wer es hoͤret, der merke darauf. Sich ſeinganzes151ganzes Leben vor dem Tode fuͤrchten, heißt zwar, ein Knecht, ein egyptiſcher Sclave des Todes ſeyn; allein noch lange nicht, ſterben lernen, den Tod ſtudiren. Menſch, bey al - lem was du thuſt, gedenke ans Ende! ſo wirſt du nimmermehr uͤbel thun, das heißt: Menſch, lebe gut, um gut zu ſterben. Ich vor mein Theil (der Graf fiel in einen andern Ton) habe den Tod herzlich lieb, ſehr gern ſeh ich ſterben. Sterben allein, das iſt mein Leben. Jeder muß wiſſen, was ihm Leben iſt; ich habe nichts wider das Leben, wie der Herr Gevatter meynt. Da der Prediger ſich blos auf dies Wort buͤckte, brach der Graf ab, und verſicherte, der feſten Hofnung zu leben, daß er ſanft ſterben wuͤrde. Du weißt, Bruder! ſagt er zum Bedienten, ich hoffe zu ſterben, wie der Leinweber. War es nicht, lieber Gott, fragt er zuverſichtlich, inbruͤnſtig, war es nicht Todesangſt, Todesnoth, was ich aus dem Kelche trank, den du, mein Vater, mir gabſt? hab ich noch dieſen ganzen Kelch zu leeren? oder wird meine Zunge, wenn es ans letzte geht, nur noch die letzten wenigen Tro - pfen aufziehen? Dein Wille! nicht wie ich will, ſondern wie du wilſt.

K 4Der152

Der Graf haͤtte ſo ohn End und Ziel reden koͤnnen. Es war Zephir, den er mir zu - wehte. Wuͤrklicher Zephir, ſanfte Em - pfindung, womit er mich anfaͤchelte. Es giebt Stunden, wo wir keinen Sturm ertragen koͤnnen. Der Bruder des Grafen neigte ſich, als ſchien er ſagen zu wollen: ich werde eher ſterben, als du, graͤflicher Bruder; allein es ſchien auch gleich darauf, daß er ſich bedaͤchte, wie es ihm gebuͤhre zu folgen. Ehre, dem Ehre gebuͤhret, und Sie (fieng der Graf zu mir an) ausbluͤhender Juͤngling! Schnell hielt er ſich auf, als bedaͤchte er ſich bey dem Worte ausbluͤhender, Sie haben auch nach ihrer Art gelitten vielleicht ſind nur noch wenige Tropfen Todesangſt uͤbrig. Ich, fuhr er nach einer Weile fort, habe bey der bitter - ſten Arzeney nichts nachgetrunken, ich auch nicht, erwiedert ich: allein ich muß geſtehen, nur blutwenig Arzeney gegeſſen und getrun - ken zu haben, ſetzt ich hinzu. Bravo, ſchrie der Graf. Er wolte bemerkt haben, daß Leute, die ſanft einſchliefen, auch Anlage zum ſanften Tod haͤtten, und befragte mich, zum innerlichen Verdruß des Predigers, wie es mit meinem Einſchlafen waͤre. Bey Leuten, die ſchnarchen, fuhr er fort, hab ich bemerkt,daß153daß ſie zu ihrer Zeit roͤcheln, und die unru - hig ſchlafen, ſterben gemeinhin auch unruhig, wenn nehmlich der unruhige Schlaf keine Folge des vorigen Abends iſt.

Wie ich verſchlage! Deſto beſſer; ſo ſe - hen meine Leſer am deutlichſten, wie ich zu dieſer Friſt geſtimmt war.

Der Prediger muſte des Sonntags wegen, der vor der Thuͤre war und anklopfte, von dannen. Jeder hat ſein Paͤckchen. Das Wort ausbluͤhender Juͤngling, ſo dem Gra - fen ſelbſt auffiel, war dem Prediger aufs Herz gefallen, der gute theilnehmende Mann! Sagt ſelbſt, lieben Leſer, verdient nicht ſeine Ab - handlung von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt, blos darum deutlichen Druck, gutes Papier und ſo weiter? Meine Seelenkrank - heit kehrte das Blad den Abend noch, und kurz, ehe der Prediger aufbrach. Er nahm noch den erſten Beßrungsſtrahl mit. Mein Gruß an Gretchen, den er ſo gern in die Hand ſich drucken lies, heiterte mich ſichtbarlich auf. Gern haͤtte der Prediger dem Grafen wieder - hohlt: Laß ihn noch, durft er aber? Man widerraͤth den Schwermuͤthigen die Einſam - keit, und in vielen Faͤllen mit gutem Grunde; bey dem allen glaub ich, daß wenn ja einK 5Kraut154Kraut und Pflaſter ſie heilen koͤnne, es die Einſamkeit, die Selbſtgelaßenheit ſey, wenn dieſe Einſiedeley nur gleich beym Anfange gebraucht wird. Die Einſamkeit iſt dem Un - gewohnten wie ein kaltes Bad, das anfangs widerlich iſt; allein es ſtaͤrkt die Nerven! Geſellſchaft aͤngſtigt ſchwermuͤthige Perſonen, das heißt, ſie macht ſie kraͤnker. O ihr guͤti - gen Thraͤnen! was fuͤr ein ſichres Recept ſeyd ihr in dieſer Krankheit, und in Geſellſchaft weinen, welch ein Mann kann das? Der Graf wuͤnſchte mir Gluͤck zu meiner Gene - ſung. Jetzt ſah er ſelbſt ein, was fuͤr ein Zu - fall es geweſen. Das Phaͤnomenon bey die - ſer Sache war, daß ich, ſo froh ich war zu ſterben, ich es auch zufrieden war wieder zu leben. Nicht wahr! ein wahres Phaͤnomen. Ich, der ich meine Haͤnde nach dem Tode ausſtreckte, nach dem Freyswerber, den Mi - ne zu mir geſandt, ich, der ich mit dieſem Manne ziehen wollte, der ich nach der Zeit tauſend und abermahl tauſendmahl bey ihr zu ſeyn mich herzlich ſehnte. Der Graf verſi - cherte mich, daß er kein Sterbenszeichen um und an mir entdeckt. Saft hat alſo unzeitig ſein Haupt geſchuͤttelt: Dem Grafen zum Munde wuͤrde ich in Ruͤckſicht des Geſpraͤchsmit155mit dem Prediger in L ſagen. Wie kam es aber, daß der Graf Gluͤck wuͤnſchte? Und wie kam es, daß ich den Gluͤckwunſch als Gluͤckwunſch entgegen nahm? Wir Menſchen ſind wunderbare Geſchoͤpfe! Es war mir ſo, als ob ich Minens wegen ſchon wuͤrklich geſtorben geweſen, und nun, nachdem ich ihr mein Geluͤbde bezahlet, wieder auferſtehen koͤnnte. Ach! dieſe Seelenkrankheit, ſo hat ſie nicht mehr mich uͤbermannt; allein wie oft hieß es von mir: Siehe, um Troſt war mir bange! Wie oft bluͤheten die Linden fuͤr mich! Auch heute! da ich dieſes ſchreibe, war ich in meiner Kammer, hatte die Thuͤr nach mir zugeſchloßen und mich verborgen, um

Wenn ich wuͤſte, daß eins von meinen Le - ſern uͤber das, was Sitte beym Grafen war, ſeelenkrank werden koͤnnte, wie bey mir dieſer Fall eintrat, obgleich ſie nicht ſehen, ſondern nur leſen, ich wuͤrde hier ſchluͤßen, ohne ein einziges Wort weiter zu verlieren nicht wahr, verlieren? Kommen meine reſpektive Leſer und Leſerinnen aber mit einem einſamen Stuͤndchen mit einem kalten Badeſtuͤndchen ab was hats zu ſagen? wir haben doch all ein langes kaltes Bad im Grabe vor, undwahr -156wahrlich das wird eine rechte Nervenſtaͤr - kung ſeyn! Sieht noch oben ein unter mei - nen Leſern ein Alexander ſeine Mine, und un - ter meinen Leſerinnen eine Mine ihren Ale - xander in dieſer Geſchichte im Bilde, traͤgt Er oder Sie leide um ſeinen, um ihren leibli - chen oder geiſtlichen Todten, o dann iſts kein boͤſes, dann iſts ein gutes Stuͤndlein, das ich Euch beſcheret habe. Wo hatte er denn ſo viel Zeit? fragte ein kluger Mann, da er hoͤrte, daß ein Held im Felde an einer Krankheit geſtorben waͤre. Dieſe Frage wuͤrde bey unſerm Grafen, der nichts mehr in der Welt zu verſaͤumen hatte, der im Fegfeur ſich befand, ohne daß ihm, wie den drey Maͤnnern im Feurofen, ein Haar ge - kruͤmmet ward, die uͤberfluͤßigſte von allen ſeyn.

Zum Schlus ein paar Reden, die mir der Graf zu Ehren am Sonntage halten lies. Das Evangelium, wie es mir vorkam, war nicht ſo ganz nach ſeinem Sinn. Es war zu viel Leben drinn. Der Graf war wegen ſei - ner Sterbenden zum Hausgottesdienſt ge - woͤhnt, und hielt ſich wegen einiger Lebendi - gen Evangelien einige Reden, von einem Chriſten und bloßen Gottesverehrer bearbei -tet,157tet, uͤber ſeinen Lieblingstext. Das Gelaͤute zu dieſen Reden Hier iſts.

Ein Geſpraͤch zwiſchen dem Grafen und mir. Meine Leſer moͤgen es als eine capta - tionem benevolentiæ anſehen.

Alles, was keine Sprache befitzet, was ſo gar keinen Laut vermag, iſt todt an ihm ſelbſt. Alles, was nicht mit vernehmlichen Toͤnen von der Natur ausgeruͤſtet iſt, ringt faſt nach Gelegenheit, daß ihm die Zunge geloͤſet wer - de. Sprache, Ausdruck, iſt Leben. Die ſchwerſte Schrift wird biegſam, gefaͤlliger, ge - lenkiger, geſchliffener in unſerm Munde. Die Zunge iſt ein klein Stuͤcklein Fleiſch, und faſt koͤnnte man von ihr ſagen, ſie waͤre das Luſt - ſchloß der Seele! Der Menſch iſt der Gott alles Lebloſen. Wenn er ihm gleich nicht ei - nen lebendigen Odem einhauchen und es be - ſeelen kann, iſts doch faſt ſo, als ob alles ſpraͤche, wenn der Menſch ihm zuſpricht, als wenn es antwortet, wenn der Menſch es fraͤgt. Die Figur, daß man lebloſe Dinge anredet, wenn nur die Kunſt nicht zu merklich iſt, waͤ - re ſo unnatuͤrlich eben nicht, als ſie jezt auf - faͤlt. Es ſcheint, als mache der Menſch den Verſuch, ob es nicht angienge? Gott ſprach, und es ward. Der Menſch ſpricht, und esſcheint158ſcheint zu werden. Sprich, damit ich dich ſehe. In der Sprache liegt die Gewalt, wel - che der Menſch uͤber alles hat, was lebt, ſchwebt und iſt, der Bind - und Loͤſeſchluͤßel. Mein Vater pflegte zu ſagen, noch ſind jene Toͤne nicht cultivirt, wodurch wir vielleicht mit allem auf der Erde ſo umſpringen wuͤr - den, als der Hauptmann von Capernaum mit ſeinen Knechten: Komm, geh, thue das! Vielleicht waren dieſe Toͤne ſchon und giengen verlohren, wie viel verlohren gieng.

Mein Redner, fieng der Graf an.

Redner, erwiedert ich? Nicht anders, ſagte der Graf. Beleben die? Sich im Leben angreifen, ſich uͤberleben, zu viel leben, iſt Tod, uͤberall Tod, fuhr ich fort. Es giebt Redner, die nicht blos ſchlechthin beleben, ſondern beſeelen, begeiſtern; allein das ſind nicht ausgelernte Papagayen und Raben, die auch zuweilen zu rechter Zeit oleum & operam perdidi kraͤchzen, ſondern Leute mit feurigen Zungen, nach dem ihnen ihr Geiſt gab auszu - ſprechen. Aus dem Herzen aufs Papier. Schwarz auf weiß, vom Papier ins Gedaͤcht - nis, aus dem Gedaͤchtnis in Hand, Mund und Fuß. O der ermattenden Umwege! Und159Und wie ſelten gehts gerade aus dem Her - zen aus.

Der Graf fuͤhlte, was ich ſagen wollte, obgleich nur ein Funke auf meiner Zunge blinkerte. Feur war nicht drauf. Die Lin - denkrankheit hatte gedaͤmpft, geloͤſcht. Eine Rede, ſie ſey auch die beſte, iſt ein Gipsabguß der Gedanken. Gemeinhin verſchlingen hier die ſieben magere Kuͤhe die ſieben fetten, wie in Joſephs Traum; indeßen iſt nicht zu leugnen, daß eben dieſelbe Sonne, wie ein witziger Schriftſteller ſagt, die das Wachs ſchmilzt, die Erde verſteinert, und es giebt Leute, die gern reden, und andre, die auch nur durch Reden gewonnen werden. Leidet aber jeder, daß auf ihn Jagd gemacht, daß auf ihn angelegt wird? Und thut der Red - ner mehr, als ſeinen Bogen ſpannen, und auf die Herzen ſeiner Allerſeits nach Stand und Wuͤrden Hoͤchſt und Hochzuehrenden Zu - hoͤrer zielen? Freylich, erwiederte der Graf, wo Feuer iſt, da raucht es auch. Meine Pre - diger, fuhr er fort, hab ich ſo ziemlich ins Geleiſe bey Leichenpredigten gebracht; indeßen raucht es doch noch. Conferatur: Siehe, ich komme bald, behalte was du haſt, daß Niemand deine Krone nehme. Dawar160war noch viel zu ſagen, und doch war es aus dem Herzen. Wenn er aber empfaͤngt, wenn er concipirt, o! dann beißt der Rauch in die Augen! Wilſt du denn was beßres ſagen, als du kannſt? Das war eine weiſe Lehre ei - nes weiſen Mannes, die er einem Juͤnglinge gab, der ſich uͤber dem Eingang ſeiner Rede den Kopf brach. Ein Redner, ſagte mein Vater, iſt ein Mann, der mehr von einer Sache ſagen will, als er von ihr weiß. Ein Avantuͤrier, der ſich uͤber ſeinen Stand klei - det, ein Petitmaitre, der zum verſchimmelten Brod friſche Butter giebt. Er machte ei - nen Unterſchied zwiſchen Redner und Predi - ger. Mit Feyerlichkeit von einer Sache ſpre - chen, nannt er predigen, und in dieſem Sinn war er Prediger uͤberall. Aber die Redner! Sie machen einen großen Schuh auf einen kleinen Fuß. Schuſter nicht uͤbern Leiſten, ſagte der Mahler zum Recenſenten, der ſich wie gewoͤhnlich mehr herausnahm und her - auslies, als er verſtand. Dem Redner koͤnnte man zurufen: Redner, nicht uͤbern Fuß! Durch Reden ſind mehr Laͤnder er - obert, Feſtungen eingenommen, als durch Waffen; allein wie gewonnen, ſo zer - ronnen, wuͤrde meine Mutter ſagen.

Der161

Der Graf theilte mir ſein Syſtem uͤber die Leichenandachten, wie er ſie nannte, mit. Die Worte: Leichenpredigt und Leichenrede gefielen ihm nicht. Bey den Aegyptern konn - te man nicht alle Todten ohne Unterſchied lo - ben. Es muſte per judicata feſtſtehen, der Todten-Fiſcus trat auf, und ward gehoͤrt. Man erkannte auf Beweis ſalua reprobatione, und ehrlich Begraͤbnis und Leichenpredigt hieng von dieſem Urtel ab. Der Koͤnig hatte vor dem geringſten ſeiner Cammerlaquayen keinen Vorzug: im Leben ſah man ihn durch die Finger an, um den Staat zu ſchonen: nach ſeinem Tode! fiat Citatio. Er ſo gut Staub, Erd und Aſche, als ein andrer, und warum jetzt eine andre Procedur? Wie oft wuͤrd es jetzt von bepredigten und beredeten Leichen heiſ - ſen: laßt die Todten die Todten begraben!

Ich hoͤre gern Leichenpredigten, ſetzte der Graf hinzu; allein in meinem Sinn ſind es nicht Leichtepredigten, wenn es nemlich nicht Luͤgenpredigten ſeyn ſollen. (O! wenn meine Mutter doch dieſen letzten Gedanken von Luͤ - gen - und Leichtenpredigten gehoͤrt haͤtte!) Kupfern Geld, kupferne Seelmeſſen, fuhr der Graf fort. Weh uͤber dieſe Aergerniſſe! Da heißt es denn, er hatte nichts menſch -Lliches162liches an ſich, als daß er ſtarb, oder wie von jener Madam: ſie betruͤbte ihren Herrn nur ein einzigmahl, nemlich da ſie ſtarb! Wer iſt da mehr todt, fragte der Graf, die Leiche oder der Redner? Rauch uͤber Rauch! Etwas Rauch ſchadet nicht. Opferrauch, fiel ich ein! Blumenrauch, der gen Himmel ſteigt, wenn es huͤbſch warm iſt! Und das iſt eine inwendige Waͤrme, die alles Lebendige hat. Kaͤlte iſt Tod. Waͤrme, Le - ben! Innerliche Hitze iſt Krankheit, oder An - fang dazu. Wer anſtecken will, muß ſelbſt feurig ſeyn. Ein Redner will ſein Auditorium anſtecken, mithin muß er in Feur ſeyn. Ein Brand raucht zu ſehr; allein eine durch und durch gluͤhende Kohle, das iſt das Bild eines Redners! Da war es ausgelautet. Wir waren Feurempfaͤnglich, das heißt: warm. Noch einen Kloͤppelanſchlag! Vom Gott - glaͤubigen zum wahren Chriſten iſt es kaum ein Sabbatherweg weit, hab ich ſehr viele Leute (verſteht ſich chriſtliche,) ſa - gen gehoͤrt.

Plato wuͤrde zuverlaͤßig Superintendent geworden ſeyn, wenn er das Gluͤck gehabt, in chriſtlichen Zeiten gebohren zu werden, und Sokrates? Irgend wo Rektor an einer Domſchule.

Der163

Der Graf ſagte zu mir: Freund! von unten auf. Ein feiner Knabe. Oehl - zweige um ſein Haupt freye Stellung. Nichts, auch kein Paar Handſchuh in den Haͤnden; allein um ihn ein weißes weites Ge - wand, bald haͤtt ichs Chorhemde genannt, wenn ich hier ein chriſtlich Wort fliegen laßen koͤnnte.

Das Jahr hat Monate, der Monat Wo - chen, die Woche Tage, der Tag Tageszeiten. Morgen und Abend iſt uͤberall. Was An - fang hat, muß ſich auch enden. Der Menſch wird gebohren und ſtirbt, beydes wenn ſein Stuͤndlein vorhanden iſt. Er waͤchſt hin und zuruͤck. Er ſinkt, wird hinfaͤllig mit dem er - ſten Tage, da er zu wachſen aufhoͤrte. Seht die Tage, wie ſie ab - und zunehmen, ſo habt ihr euer Leben. Ein Jubeljahr, ein Hun - dertjaͤhriger, iſt auſſerhalb dem gemeinen, und am Ende was iſt der ganze Jubel? Weiber, ſchwaͤchliche Mannsperſonen, brin - gen es im Leben am laͤngſten, ſie lebten am langſamſten in die Hoͤhe und in die Breite, und ſterben alſo auch ſo langſam wieder ab Maͤßigkeit in Abſicht des Leibes, Maͤßigung in Abſicht der Begierden, koͤnnen uns zwarL 2zum164zum ruhigen Leben, zum ungeſtoͤrten Genuß deſſelben bringen, ob ſie aber das Leben ver - laͤngern, iſt noch die Frage. Der Menſch hat ſeine beſtimmte Zeit. Wenn es Ausnah - men giebt; ſo iſt die Lebens-Oekonomie wenigſtens nicht immer ſchuld daran. Waͤr es durchaus noͤthig geweſen, daß wir nicht mehr, nicht weniger, eſſen und trinken ſolten; haͤtte die Natur eine Thuͤr angebracht, die von ſelbſt zugefallen waͤre. Erreichten denn nur gute Lebens-Oekonomen, oder erreichten nicht gemeinhin auch Verſchwender dieſes ausgeruͤckte Ziel? Sie ſcheinen zu Ausſchwei - fern beſtimmt zu ſeyn, im Tod und Leben. Sie leben, wenn man ſo ſagen ſoll: auf Tod und Leben. Sie empfangen ihr Gutes in die - ſem Leben! Laßt ſie doch, laßt ſie doch leben! Ich wette drauf, es ſind wenige, die ſolch ein Leben nehmen vor halb Geld. Die meiſten Menſchen haben nur Jahre, nicht Leben, zu - ruͤckgelegt. Sie reden vom Leben, als von einer Sache, die man von Hoͤrenſagen kennt. Wie viel gehoͤrt zum Leben! Man nehme den Zufaͤllen des Lebens ihre Wichtigkeit, wer kann das? Man bedenke, daß nur das Wohl - verhalten den Werth des Menſchen und ſeines Seyns ausmache. Wer verſtehet dieſe Kunſt? Und165Und beſtehet die Gluͤckſeligkeit in etwas an - ders, als in der Befriedigung der Sinne? aller Neigungen? Beym Luſtigen tritt der Nervenſaft uͤber ſeine Ufer und dieſe Ueber - ſchwemmung, dieſe Suͤndfluth, richtet Unheil an. Das Leben iſt eine Laſt, und warum ſolten wir uns den Ruͤckgrad brechen, und drob froh ſeyn? An der Laͤnge liegts nicht, an der Wuͤrde liegts. Unſere Bruͤder aus zweyter Ehe haben von den Juden gelernt, daß langes Leben als Lohn fuͤr den kindlichen Gehorſam anzuſehen; allein auch ſie behaup - ten, daß Gott mit den Seinen eile! Und ſo wahr es iſt, daß Juͤnglinge, die das Alter ehren, ſich, alt zu werden, vor Menſchen be - rechtigen; ſo iſt doch dies Menſchenrecht nicht auch Gottes Recht! Dein Wille, Gott, dein Wille geſchehe! Das maͤnnliche Alter ſchuͤrzt den Knoten, der Tod loͤſet ihn. Wer Gott gelebt hat, und nicht ſich ſelbſt, wird auch Gott im Tode preiſen und den verherr - lichen, der das Waizenkorn, wenn es gleich dahin geſtorben, und in Faͤulnis uͤbergegangen, zum Aufleben bringen kann, den, der Seelen wegzuhauchen Macht hat. Alles wie er will! Was er will, das geſchieht, was er gebeut, das ſtehet da. Sein Blick iſt Sonne, ſeinL 3Wort166Wort Erdenball. Sein Wille, und es iſt nicht mehr, was es war. Wer ſich auf alle Faͤlle bereitet, iſt weiſe. Wer ſich einen einzigen Weg erzielet, wird oft durch eine Kleinigkeit ſo zuruͤckgeſetzt, daß er nicht aus noch ein weiß. Richtet ſich der Lauf der Welt nach uns, und iſt es darum ſchoͤn Wet - ter, weil wir nach Athen fahren wollen, oder weil es im Calender ſteht: Klarer Himmel, oder weil wir ein Weib nehmen, oder einem Freunde das Geleite geben, und eine Aus - fahrt machen wollen, um dicht am Fluß ein Gericht Fiſch zu eſſen?

Das Denken allein hat wenig Troſt in ſich; wer es aber verſteht, was fuͤr Kraft in der Rede liegt, wird auch wiſſen, ſich alles aus dem Sinn zu reden, was ihn niederſchlagen kann, und ſich ſelbſt Muth zuzureden, wie es unſere in Gott ruhenden Vorvaͤter gethan, die den nemlichen ungewiſſen Weg, ohne Wegweiſer, ohne Grenzenmal giengen, der vor uns liegt. Der Herr, der Herrſcher des Lebens, der ihnen an Stell und Ort geholfen, wird uns auch an ſeinen Ort ſtellen. Der Thor klaget uͤber das, ſo nicht zu aͤndern iſt, der Weiſe ſucht Bewe - gungsgruͤnde, es zu tragen. Das Ende liegt immer im Anfang, ſo wie der Anfang imEnde167Ende. Wir werden, das heißt: wir hoͤren auf zu ſeyn. Wir ſind, das heißt: wir ſterben. Wenn wir gegeſſen haben, ſtehen wir auf, und wenn wir gewacht haben, gehen wir, wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe. Die Sonne gehet auf und unter, und der Menſch ihr nach. Sich graͤmen, daß wir ſterben muͤſſen, heißt: ſich graͤmen, daß wir ſind. Durch Philoſophie, der man durch Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden iſt, kann man den Tod beſiegen. So kann man des Todes Bitterkeit vertreiben, und, wenn Noth am Mann iſt, ſelbſt fuͤr Ehre und Vaterland ſein Haupt hingeben, wie Johan - nes ſein Haupt zum Schaueſſen. Eine graͤs - liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen! Nicht, wer uͤberwindet, ſondern wer ſo viel thut, als er weiß und kann, iſt Held. Wohlan denn, laßt uns alle Kraͤfte zuſammenraffen und uns anſpannen, um dem Tode, dem Fuͤrſten der Finſternis, ſtattlichen Widerſtand zu thun, und das Feld zu behalten. Unſer Leben iſt ein Quodlibet von Abwechſelungen, ein Aprill - tag, und wenn Thoren es gleich fuͤr Mangel der Lebensart halten, an den Tod zu denken; ſo haben doch von je her kluge Leute Todes - betrachtungen, als richtige Proben eines gut -L 4gerech -168gerechneten Lebens, angeſehen. Menſch, weißt du, ob du dieſe nacht ſchlafen? ob du je ſchlafen? ob du Luſt zum Eſſen haben, froͤhlich und guter Dinge ſeyn, Soͤhne oder Toͤchter zeugen wirſt? daß du aber ſterben wirſt, daß dein Leben ein Ziel hat, und du davon muſt, weißt du gewis, oder kannſt es ſo wiſſen, als daß zweymahl zwey vier iſt. Aber ſelbſt der Schnee auf dem Haupt erin - nert den Greiß nicht an den Winter ſeines Lebens. Es iſt Hagel und Schloſſen denkt er, ſo was faͤllt auch mitten im Sommer. Der Himmel laße nur das Getreyde ohne Schaden! Die Menſchen denken vielleicht darum nicht an den Tod, weil er das einzige Gewiße iſt, und weil er ſich von ſelbſt ver - ſteht, das andere alles aber mit auf ihrer Sorgfalt beruhet. Nicht alſo Freund! Ein hitziges Fieber, ein ploͤtzlicher Tod, kann zwar deine Vorbereitung ſtoͤren, dein mit Fleiß beſaͤtes Feld in Unordnung bringen; al - lein auch beym Miswachs bleibt dir Grund und Boden. Du kannſt heute ſterben, alſo lern es heute. Ein Seefahrer, der dem Weltmeer entgieng, findet ſeinen Tod im Brun - nen, aus dem er ſich einen Labetrunk ſchoͤpfen will. Den Rieſen Goliath ſchleudert der Hir -tenknabe169tenknabe David zu Gottes Erdboden. Jenen roͤmiſchen Sieger trift auf dem Wege zum Capitol ein Dachziegel, und er ſtirbt. He - liogabalus wollte ſo ſterben, als er gegeßen hatte. Es ward ihm ein gewaltſamer Tod prophezeyt, und er lies ſich koͤſtliche Stricke bereiten, goldne Becher zum Gift, und einen praͤchtigen Thurm zum Herabſturz; allein ſtehe, ſeine Anſtalten zum Kayſerlichen Ende waren vergebens! Sein eigen Blut war ſein Leichentuch, und die Tyber ſein Grab.

Der Tod hat eine Sanduhr in der Hand, die er verdeckt haͤlt. Wir ſehen nur die Sen - ſe, die er in der andern fuͤhret. Wenn wir gefaßt ſind, warum einen Blick auf Sand in unſerer Lebensuhr? Es fallen uns tauſend zur rechten und zehntauſend zur linken. Laßt uns alſo bereit ſeyn, und eine Nachtlampe anzuͤn - den, wenn wir ſchlafen. Wir ſtehen auf Rechnung, laßt uns alſo in unſerm Wirth - ſchaftsbuch alles unſtraͤflich addiren, ſubtra - hiren, multipliciren und dividiren, damit, wenn der Herr kommt, wir Credit und Debet fein haushaͤlteriſch vorlegen, und auf das Te - ſtimonium von ihm Anſpruch machen koͤnnen: Ey, du frommer und getreuer Knecht! Wer mit Beſtaͤndigkeit und Geduld in gutenL 5Wer -170Werken trachtet nach dem ewigen Leben, hat vom Herrn ſelbſt ſterben gelernt, und beden - ket, daß es ein Ende mit ihm habe, und er davon muͤße, daß das Leben einem Faden gleich ſey, der in der Hand des Webers ſo leicht abgerißen wird. Seht euch um, Lilien knicken, Eichen ſtuͤrzen. Ein kleiner Wurm ſticht die ſchoͤnſte Blume, und manche wird, wie Caͤſar, mit drey und zwanzig Wunden erſtochen durch und durch. Ein Nebel faͤllt uns auf die Bruſt, und unſere Staͤte iſt nicht mehr. Wir muͤßen wirken, ehe die Nacht kommt. Wir muͤßen, wie alle Weiſen es thaten, ſterben, ehe wir ſterben, wir muͤßen uns abſondern und aus der Welt gehen, um unſere Seele zu retten, wir muͤßen uns ſelbſt aufloͤſen, ehe wir aufgeloͤſet werden, und ſo wenig den Koͤrper, Fleiſch und Blut, aufkom - men laßen, daß wir je mehr und mehr gei - ſtiſch werden. Laßt uns, Freunde, beym To - de uns nicht verwahrloſen. Wer bemuͤhet ſich nicht, ſein Kind geſund und unverwahr - loſet aus Mutterleibe zu ziehen? Wißt, un - ſere Seele wird gebohren, wenn wir ſterben. Der Tod iſt eine Niederkunft, eine Geburt, zum andern Leben, und es iſt gut, auch auf dieſe Geburtsſtunde und dieſe große Sechs -wochen171wochen zum voraus zu denken. Werden wir darum eher ſterben, weil wir den Tod in Er - wegung nehmen? Eher begraben werden, weil wir dieſe Gewichter, die uns zur Erde ziehen, abſchneiden? Willſt du den Redlichen, der nach Gott fraͤgt und nach ſich ſelbſt, von der Welt entfernen, gib ihm den Rath, ſich mit ihr zu verwickeln. Giebts eine groͤßere Aufforderung zum Memento mori-Orden, als eben dieſe? Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt iſt. Wer ſich ſelbſt ein Ver - gnuͤgen entziehet, gewinnt. Nur wenn an - dere es uns entziehen, verlieren wir. Der iſt der gluͤcklichſte, der am wenigſten zu verlieren hat. Beſitzen wir das, was wir uͤber ein Kleines zuruͤcklaßen muͤßen? Gott giebt al - les, und behaͤlt nichts. Seyd wie Gott Jedweder gehet den rechten Weg, der recht thut. Der Chriſt glaubt an Chriſtum, der goͤttlich auf Erden gewandelt hat; dergleichen Erſcheinungen glaubten auch unſere Vaͤter. Sind nicht noch der Erde die goͤttlichen Spu - ren anzuſehen von dieſem heiligen goͤttlichen Menſchen? Ueberall Gottes Fußſtapfen. Wenn Gott auf Erden kommt, was kann er anders, als Menſch ſeyn? Er begiebt ſich ins Fleiſch, in den Menſchen. Der Menſchiſt172iſt das beſte Stuͤck Zeug, wovon der Aller - hoͤchſte ſich ein Kleid machen laßen kann. Diogenes ſah einen Knaben mit der Hand Waßer ſchoͤpfen, und warf den Reſt ſeines Mobiliarvermoͤgens, ſeiner fahrenden Haab und Guͤther, ſeine Waſſerſchaale, dahin. Wer die Knie auf einander legt, kann ohne Tiſch ſchreiben. Der Chriſt glaubt an Chri - ſtum. Wir an Gott, der da iſt, und der da war, und der da ſeyn wird, in Zeit und in Ewigkeit. Sollte Gott nicht verzeihen, wo - fuͤr mein Fleiſch und Blut, das ich von mei - nem Vater ſeligen und meiner Mutter ſeliger geerbt habe, allein kann, und nicht ich? Wenn ich nur rechtſchafnes Wollen habe, das Voll - bringen, ſteht es wohl in meinen Kraͤften? Meine Seele kommt mit einer Bittſchrift ein, der Koͤrper, der ſich nun einmal, weil er in die Hoͤhe geſchoßen und grosmaͤchtig iſt, auf den Thron geſchwungen, ſchlaͤgt das Geſuch ab. Wenn ich das Suplicat nur recht von Herzensgrund eingerichtet, und weder am Formale, noch am Materiale, was verſehen, der Herr Koͤnig Leib aber, demunerachtet den Kopf ſchuͤttelt, was kann das arme Seelchen dafuͤr, was kann es wider Tyranney? Wenn ich wie ein Engel von der Toleranz ſpraͤche,und173und haͤtte der Liebe nicht, meinen chriſtlichen Bruder gehen und ſtehen zu laßen, wo und wie er Luſt hat, und ihm ſein Troſtkaͤmmer - lein nicht ungeſtoͤrt zu vergoͤnnen, waͤr ich nicht ein Moͤrder von Anfang, und wuͤrd ich wohl beſtanden ſeyn in der Wahrheit? Ich bin Demokrit, der Chriſt Heraklit. Koͤnige und Ketzermacher haben beyde lange Haͤnde; ſelten iſt mit dem Kopfe bey beyden zu prahlen. Uebers Grab weg, jenſeit des Grabes ins Schwarze (dunkel iſt zu wenig) reicht keiner mit einem Finger, auch nicht mit dem Mittel - finger, obgleich er der laͤngſte iſt.

Unſere Sache iſt leben und ſterben, was druͤber iſt, iſt vom Uebel, ſo wie alles, was uͤber Ja, Ja, Nein, Nein iſt. Die Chriſt - liche Religion, und unſere Religion, hat durch die heilige Schrift ein Herz und eine Seele. Wer leugnet, daß ohne Bibel wir, die wir all an einen Gott, Schoͤpfer Him - mels und der Erden, glauben, lange nicht ſo weit waͤren, als wir jezt ſind, wenn nicht Chriſti Lehre ſo mancherley in der Vernunfts - moral aufgeraͤumt haͤtte. Allein wer? Doch warum dieſer Maulaffe von verfaͤng - licher Frage? Goͤttlich iſt, was von Gott kommt und ewig bleibt. Menſchlich iſt, wasſo174ſo fingerlang, als das menſchliche Leben iſt. Eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind voruͤber faͤhrt, iſt der Menſch nicht da, und ſeine Staͤte kennet man kaum mehr. Worte haben dem Menſchengeſchlechte einen unerſetz - lichen Schaden gethan; am Ende ſind Kriege, wo Blut fließt, als waͤr es ſchlecht Waſſer, ſo gut Wortgezaͤnke, als die Diſpuͤte der Ge - lehrten, die ſich kein Comma vergeben, wie die Monarchen keine Provinz, und wenns auch nur der Name davon in ihrem Von Got - tes Gnaden Titel waͤre. O ſagt mir, Men - ſchen! ſagt mir, damit ich einlenke, warum ihr ſo zittert und zaget, wenns ans Sterben geht? Wenn man nur das Wort Tod aus - ſpricht? Warum ihr im eigentlichen Sinn am Worte: Tode ſterbet? Iſt es das Leben werth, daß ihr darum ſiebenzig, und, wenns hoch kommt, achtzig Jahre Leide tragt? Wahrlich, die meiſten Menſchen leben nicht, ſondern betrauren das Leben. Wenn wir todt ſind, leben wir nicht, warum ſollten wir alſo nicht bemuͤht ſeyn, wenn wir leben, den Tod zu entfernen? Wie braucht ihr das Le - ben, das euch ſo koͤſtlich duͤnkt? Lebt ihr denn wuͤrklich auch, wenn ihr das Trauerkleid abgelegt habt? Die meiſten Menſchen wa -chen,175chen, damit andere ſchlafen moͤgen; ihr lebt fuͤr andere, und ſo kurz und koſtbar euer Le - ben auch iſt; ſo verkauft ihr es doch gern fuͤr wenig Gran Gold und Silber, die Erſtgeburt fuͤr ein ſchnoͤdes Linſengericht. Warum alſo die Klage: kurz iſt die Zeit, kurz ſind die Jahre? Haͤttet ihr Oekonomie ſtudirt, ihr Lebensdurchbringer, ihr verlohrnen Soͤhne, wahrlich ihr wuͤrdet das Leben nicht zu kurz finden! Thiere werden aͤlter, als wir, Baͤu - me, die wir pflanzen, uͤberleben uns, und wir ſind im Stande, uns ein Grabmal auf - zurichten, das ſtumm, wie es da iſt, zu ſei - ner Zeit mehr von uns anzeigen kann, als wir ſelbſt. Wie lange waͤhrt es nicht, bis der Eichenbaum ſo dicht wird, daß kein Nah - rungsſaft mehr durchkann, daß die Feuchtig - keit keine Circulation mehr hat, die Adern zu Knochen werden, und die Lebensſaͤfte aus - trocknen! Beym Menſchen gehts geſchwin - der; geſchwinder werden ſeine Haͤute Knor - pel, ſeine Knorpel Knochen, ſeine Knochen Steine, wahrlich Leichenſteine. Ich leug - ne nicht, daß aller Menſchen Leben nur ein Tag ſey. Dieſer lebt einen Winter - jener ei - nen Sommertag, dieſer ein Aequinoctium, jener den laͤngſten Tag. Am Ende hat der,ſo176ſo in den Zeitungen ſteht, als habe er des Moſes Lebensſchlagbaum aufgemacht, und noch zehn Jahre druͤber gelebt, und das klein - ſte Kind, einen Tag gelebt. Methuſalem, da er ſtarb, kam nicht in die Zeitungen, darum ſteht er auch in der Bibel. Was wimmerſt du, Unvernuͤnftiger, lebt auch was, das nicht Vernunft hat? Du abbrevireſt dein Leben, wie Geſchwindſchreiber, und machſt es ſo un - leſerlich, ſo ungeſtalt, daß du uͤber ein Klei - nes ſelbſt nicht klug daraus werden kannſt. Die Natur iſt nicht karg geweſen; allein du biſt ein Praßer. Wer kann dir das Maul ſtopfen? Wer dich bereichern? Ein ſo großer Lebensdurchbringer, daß dich Gott mit ſeiner milden Rechten ſelbſt nicht reich machen kann! Du dienſt dem Publicum, und vernachlaͤßigſt dich ſelbſt. Du ſinnſt Tag und Nacht, um das Geld, das dein Nachbar hat, dir zuzuwenden, es ſey durch Handel und Wandel, oder Diebſtal, das heißt: durch grobes und ſubtiles Stehlen, und wenn du Meere durchgekreuzet, und gute und falſche Wechſel unter die Leute gebracht, und endlich alles in deine Scheuren gehaͤuft haſt; was iſt deine Sammlung? Leben iſts nicht. Das iſt nicht feil in der Welt; duallein177allein haſt es zu verkaufen. Bleibe im Lande. Faße in deinen eigenen Buſen. Naͤhre dich redlich. Sieh! deinem leiblichen Bruder wird die Zeit lang. Der Thor, ſagſt du, ohne zu bedenken, daß jener es in der Schlafmuͤtze und du in Reiſekleidern biſt. Die meiſten Menſchen ſehen ein, daß ſie ſich ums Leben betruͤgen; drum ſetzt ſich jeder ſein Ziel. Wenn ich dahin komme, will ich Halt ma - chen! Allein, du Kornjude, heute wird man deine Seele von dir fordern, und wer wird das Korn mahlen, das du aufgemeſſen haſt? Er iſt in der Lehre geblieben, ſagt man von einem Menſchen, der als Hauptmann ſtirbt, und Feldherr werden ſollte. Sind wir nicht alle nur Hauptleute, wenn gleich nicht von Capernaum? Wie kannſt du mit deinem Le - ben ſo ſchalten? Wie einen gelehnten Ring verſchenken? Dem Staate, das heißt, dem fuͤrſtlichen Schatz und deinem gruͤnen Netze von Beutel die Erſtlinge geben, und Spreu fuͤr dich behalten? Kann man denn, wenn man alt iſt, wieder in Mutterleib gehen und gebohren werden? Jeder Tag beym Menſchen koͤnnte ein Ganzes ſeyn, ein Leben in Com - pendio. Wer nie ſolche ganz ausgeſchlagne Tage, ſolche Lebenstage, gehabt, iſt einMelender178elender Menſch; wer wird ihn erloͤſen von dem Leibe dieſes Todes? Wir legen uns un - ter drey und vier Schloͤſſer. Die Perlen fuͤr die Saͤue, die Diamanten in ein Kaͤſtchen. Du lebſt kurz, Menſch; allein iſt ein kleiner Menſch nicht ein ganzer Menſch? Wer an die Weisheit kommt, hat ſeinen Lauf vollendet; wer tugendhaft iſt, iſt alt, ohne graue Haare. Unſer Leben waͤhret ſiebenzig Jahre; wenns hoch kommt ſinds achtzig Jahre. Der Tu - gendhafte lebt druͤber. Ein Tag iſt bey Gott tauſend Jahr und beym klugen Menſchen we - nigſtens ein Monat. Je kluͤger, je Zeit - ſparſamer! Zwiſchen Pflanzen, Thier und Menſchenleben, welch ein Unterſchied! Die - ſer hat ſein ganzes Leben verſpielt, jener hat zwoͤlf pro Cent in gutem gangbaren caſſen - maͤßigen und auf keinem Abſchlage ſtehenden Gelde gezogen; der hat den Homer geleſen, dieſer da weiß die Cometen auf Secunden zu berechnen, die Gottlob mit der Erde jetzt gute Freunde ſind, und ſo freundlich zu uns kom - men, als kaͤmen ſie zum Gevatterſtande. Nur wenige haben zu dieſer ihrer Zeit bedacht, was zu ihrem Frieden dienet, und ſich die Fragen woher? und wohin? aufgeworfen. Das Le - ben iſt eine Geſchichte, wobey man nicht nachder179der Laͤnge, ſondern nur fraͤgt: wie ſie ausge - fallen? Wie lange wir leben, ſteht nicht in unſern Kraͤften; wohl aber, ob wir gut le - ben. Menſch, klage nicht uͤber Lebenskuͤrze. Schicke dich in die Zeit. Mache Plane uͤber deine Tage, und wenn du dein Leben zu Ende gelebt haſt; wahrlich, ſo kannſt du ruhig ſter - ben, und warum wuͤnſcheſt du denn laͤnger zu leben? Sey weiſe, das heißt: halte deine Zeit feſt. Iſt ſie indeß mehr, als eine unge - treue Schoͤne? Sie druͤckt dir die Hand, und laͤchelt dem Nachbar zu. Der Tod nimmt von jeder Minute die Helfte, von jedwedem Athemzug ziehet er ſeinen Theil; wir werden jeden Augenblick ſchwaͤcher. Jede Minute geht ein Theil von dir. Dieſen Augenblick ſieh! wie das Leben in einem tiefen Seufzer davon geht. Greifſt du nach? Was iſts? Schatten, weiter nichts. Der groͤßte Le - bensſchoner kommt hier nicht ungeſchlagen davon. Der Genuß, wie ſchmeckt er? Haſt du ihn ſchon gekoſtet? Zum wahren innerli - chen Zeugen, daß es mit dieſem Leben nicht aus ſeyn koͤnne, iſt noch etwas da, das auf die Zunge beißt, das ſie kuͤtzelt, und das wuͤrklich Geſchmack hat; die Hofnung, und die ſolte zu Schanden werden laßen? Gluͤcks -M 2guͤter180guͤter ſind Zeitverluſt; je weniger wir beſitzen, je mehr Zeit haben wir. Jener Weiſe lachte, und jener Weiſe weinte. Das beſt iſt, we - der lachen, noch weinen, den Richtſteig hal - ten, und mit ernſter Heiterkeit wandeln. Gern leben und gern ſterben, heißt, Gott ge - fallen, denn unſer Leben und Tod iſt in ſeiner Hand. Wer nichts mehr zu hoffen hat, ſtirbt gern, und es kaͤm auf die Prob an, daß uns der Arzt allen Hoffnungsfaden abſchnitte. Vielleicht wuͤrden wir leichter ſterben, als jetzt, wo ſich alles unſrer Lebensart oder Le - bensgrille bequemet, und uns mit Hofnun - gen ſchmeichelt. Wer hat Luſt, die Probe auszuhalten? Die Aerzte machen feig. Wenn ſie nichts thaͤten, als Todesurtel publiciren: Du ſtirbſt, du, auch du, auch du; wir wuͤr - den Helden haben, in jedem Flecken mehr, als Tag im Jahr. Ein Blindgebohrner denkt noch ſehend zu werden, und welch ein Un - gluͤcklicher hoft nicht auf Gluͤck? Wir bringen eine richtige Summe heraus, der Fehler ſteckt nur in der Rubrik dieſes und jenes Lebens! So was allgemeines iſt von Gottes Finger in uns hinein geſchrieben. Wir verſtehen nur dieſe goͤttliche Schrift nicht recht zu leſen. Iſt es ein ſo groß Wunder uͤber Wunder, daßſich181ſich die andaͤchtigen Zuhoͤrer das Leben nah - men, da Hegeſias die Muͤhſeligkeiten dieſes Lebens beſchrieb. Die Freude des Lebens, iſt ſie mehr, als leidlicher Schmerz, als weiner - liche Luſt? Wir begruͤſten die Welt mit Thraͤ - nen und wahrlich: Lachen, du biſt toll! He - geſias, du hatteſt halbe Arbeit, deine Zuhoͤ - rer waren ſchon vor deiner Rede uͤberzeugt! Weit mehr iſts bedenklich, daß ſich eine le - bendige Seele uͤber ein Buch, das ein Chriſt von der andern Welt geſchrieben hatte, das Lebenslicht ausblies. War es Neugier? Die Neugier iſt, wenn ich nicht irre, von dieſer Welt. Die Vernunft zeigt den Tod als was wuͤnſchenswuͤrdiges; die Sinnlichkeit, als ei - nen Koͤnig der Schrecken. Nicht die viel den - ken, ſondern die viel thun, verpflichten ſich mit dem Leben. Der Menſch lebt, die meiſte Zeit, wie das liebe Vieh, und noch oͤfter ſtirbt er ſo. Warum? Die Vernunft iſt dem Men - ſchen gegeben, um Tod und Leben zu wuͤrzen, und jedem von beyden ſeinen Jahreszeitge - ſchmack beyzulegen. Sie beſitzt die einfachen Hausmittel, die uns im Leben und Sterben wo nicht froh, ſo doch getroſt zu ſeyn lehren. Die Roͤthe, ſo ſehr ſie einnimmt, was iſt ſie, Tod oder Leben? Wer, wenn er ſein UrtelM 3uͤber182uͤber das Leben abgeben ſoll, nicht hie und da eine ſchoͤne Stelle auswaͤhlt, ſondern uͤber das Ganze urtheilt, iſt weiſe. Was iſt aber alsdann das Leben? Wenn es koͤſtlich ge - weſen, iſts ein Lebensanfang. Der hat am ſchoͤnſten gelebt, der am meiſten gedacht, wie er leben wolte. Jener Weiſe, welcher be - hauptete, daß Tod und Leben eins und eben daſſelbe waͤren, war nicht in der Lage, da man ihm den Einwand machte: warum ſtirbſt du denn nicht auf der Stelle? Darum eben, erwiedert er, weil Leben und Sterben einerley iſt! Es ſtirbt ſich, wenn mans nur dazu anlegt, leichter, als es ſich lebt. Laßet uns ehrlich ſeyn, iſt die Zahl unſerer Freuden nicht auf augenblickliche Intervalle eingeſchraͤnkt? Der rechten Freuden, ſag ich. Daß wir ſo herzlich gern hoffen, bewei - ſet, daß an der groͤſten Luſt nicht viel ſeyn koͤnne. Die Menſchen wuͤnſchen ſich ohn End und Ziel, weil der Wunſch ein Keim der Hofnung iſt. Schon der Mechanismus troͤ - pfelt Thraͤnen in den Wein unſerer Freuden. Was iſt der Menſch? Nackt kommen wir auf die Welt. Seht! andere Thiere kommen ein - gekleidet, und bedoͤrfen des Schneiders nicht. Wir Koͤnige von Gottes Gnaden aber, muͤſ -ſen183ſen die Thiere beſtehlen, unſre Unterthanen mit Abgaben bedruͤcken, um Nothduͤrftigkei - ten zu beſtreiten, die ſchwer auf uns liegen. Vernunft! Wozu braucht ſie der Menſch? Dem Thiere das Fell uͤber die Ohren zu ziehen, und ſich zu bedecken, ſich ſelbſt und andern das Leben abzugewinnen. Das Ziel der Ver - nunft iſt, wenn ſie einſieht, daß ſie uns nicht gluͤcklich mache, daß wir uͤberall damit an - ſtoßen, wie ein junger Menſch, der in die große Welt eintritt. Je vernuͤnftiger der Menſch iſt, je mehr zweifelt er. Die Kinder - jahre ſind die ſchoͤnſten, weil wir mit der Ver - nunft in ihren Schranken bleiben. Gott! was iſt der Menſch!

Dieſe Welt iſt ein Gefaͤngnis, in das wir vielleicht wegen voriger Verbrechen verbannt ſind. Ein Exilium, ein wahres Sibirien. Der Tod hebt dieſe lebenswierige Feſtungs - ſtrafe auf, und laͤßt uns wieder auf freyen Fuß. Freuden, wenn ſie nah ſind, erſchoͤ - pfen ſie nicht mehr, als der Schmerz? Bey der Hektik kann man alt werden; ein dicker vollbluͤtiger Koͤrper, wie ſchnell dahin! Krank - heit und Schmerzen kommen unverdient, ſelbſt wenn wir ihnen recht muͤhſam auszuweichen geſucht. Wer ſein Leben lieb hat, verliertM 4es184es. Wer das Leben genoſſen hat, ſtirbt gern, das heißt: wer dies Leben kennt, kauft es nicht. Iſt der Tod ein Uebel; iſt er ein noth - wendiges Uebel? Iſt es nicht eben ſo thoͤricht, ſich zu graͤmen, daß man nur zween Augen und zehn Finger hat, als daß man ſterben muß? Was nicht in unſrer Gewalt iſt, ſolte dies uns wohl beunruhigen? Man kann es uns nicht leichter machen, als wenn uns gleich zu Anfang, ehe wir noch Hand ans Werk le - gen, geſagt wird: das iſt uͤber euch!

Der Tod iſt bitter? Vielleicht den Umſte - henden, dem Sterbenden nicht. Biſt du denn ſchon geſtorben, daß du die Bitterkeit des Todes auspunktirt haſt? Ich hab es an Sterbenden geſehen, ſagſt du, ich hab es von Scheidenden gehoͤrt. Von fremden Leuten deinen Tod? Und war es der Tod, von dem ſie dich unterrichten konnten? War es nicht das Leben, uͤber das ſie wehklagten? Man thut dem Tode unrecht, daß man ihn bitter beſchreibt. Wer hat die Ehre, ihn zu ken - nen? Ein Choleriſcher will ſchnell fort, ein Pflegmatiſcher will abſterben, und nicht ſter - ben: allein in allen Faͤllen hat nicht der Tod, ſondern das Leben, die Hektik, Schlag - fluß Kraͤmpfe, Gichte, Beklemmungen. Der185Der Tod hebt dieſe Uebel und ſchlaͤgt dieſe Le - bensfeinde in die Flucht. Der Held! Wenn dir keine boͤſe Handlung in der Bruſt ſticht, ſey unbekuͤmmert, warum willſt du fuͤrchten, was ſo und anders ſeyn kann? Die Brami - nen ſehen auf die Naſe, und weiſſagen. Wenn man lange auf einen Punkt ſieht, iſts einem ſo, als ſaͤhe man nichts. Seht auf das Un - recht, das man euch in der Welt thut, auf den Acker, den euch der reiche Nachbar ab - grenzte, auf eine Bathſeba, um die euch ein Wolluͤſtling betrog, auf die zwanzig, die euch ein Verſchwender von euren Hundert in ſei - nem Concurs darreichte. Braucht ihr mehr, um gern zu ſterben?

Suche, Freund, ein gut Gewiſſen zu be - halten, beydes gegen Gott und den Menſchen, und wahrlich ich ſage dir, du wirſt ſelig ſter - ben, auch ruhig, wenn dir das Leben es zu - laͤßt. Es wird wohl ſo gut ſeyn. Ein gut Gewiſſen iſt ein probates ſchlafbefoͤrderndes Mittel. Das Gegenwaͤrtige hat ſeinen un - leugbaren Reiz; denn es iſt Etwas gewiſſes. Da aber das unſichere Gegenwaͤrtige kaum der Rede werth iſt, was thut denn die Gewis - heit dazu? Die Alten brauchten den Tod zur Aufmunterung. Es ſollte noch auf allenM 5Grab -186Grabmaͤhlern ſtehen: ſey getroſt, Wanderer, genies das Leben, denn es iſt kurz! Wer den Tod zuerſt als ein heßliches Gerippe vorſtellte, war gewis ein junger Mahler, der ſeine Ge - liebte verlohren hatte. Die Griechen mahlten ihn als einen Engel, und wahrlich er iſt ein Engel, ein Bote Gottes zur Abloͤſung. Der Tod iſt die groͤſte Gabe des Hoͤchſten. Den Seinen ſchenkt er den Tod. Jene fromme Mutter, die ihre beyden Soͤhne, vor einem Wagen geſpannt, in den Tempel zogen, bat die Goͤtter, dieſe fromme Handlung mit der beſten Gabe zu lohnen. Den Morgen fand man beide im Bette in den Tod eingeſchlafen. Tod und Schlaf ſind Kinder von zween Vaͤ - tern und einer guten Mutter. Iſt es nicht gut, daß die Feßeln ſich abnutzen, und wir endlich aufhoͤren Ruderſclaven zu ſeyn? Der Tod iſt der lezte Auftrit in der Reihe von Stuffen. Wir ſind ſchon bis auf den lezten Tritt todt, eh wir ſterben.

Die Liebe duldet alles; allein ſie hoft auch alles. Wie wohl wird uns ſeyn, wenn wir, unter dem Lindenſchatten, des Tages Laſt und Hitze vergeßen, und uns von der Arbeit er - hohlen werden! Wie wohl, wenn wir von den Ungerechtigkeiten der Welt, noch ansThal187Thal Joſaphat die Appellation einlegen und ſie geltend machen! Was der Tod dir raͤth, iſt wohl gerathen. Der Leichenſtein iſt der wahre Stein des Weiſen. Auch die Sehn - ſucht nach ewig Leben wird befriediget werden. Unſer Heißhunger nach Exiſtenz iſt Gottes Hauch. Seyd getroſt. Ja wenn die Ur - ſachen keine Wuͤrkungen und die Wuͤrkungen keine Folgen haͤtten! ja wenn! Ja, wenn das Leben dir nicht ſo viel Vorderſaͤtze dar - reichte, aus denen du den unlaͤugbaren Schluß zu ziehen im Stande waͤreſt von einem un - ſterblichen Leben, das dort dein ſeyn wird! Ja wenn!

Wir werden leben, wir werden wieder kommen und zum Tode ſagen: Tod, wo iſt dein Stachel? Das Principium des Lebens, iſt es nicht die Seele? Der Koͤrper, die Ma - terie, iſt todt, und ſollte dies Lebens-Princi - pium nicht ohne die Materie beßer, gemaͤch - licher, als mit ihr ſeyn und leben koͤnnen? Was iſt Gott, was ſeine Welt, was ſind wir, was das Gewißen in uns, wenn die Zeit Summa Summarum unſeres Seyns iſt? Wer will nicht mehr, als er kann? Wer wuͤnſcht nicht? Wer hoft nicht? Die Eſſenz des Lebens iſt Wunſch und Hofnung. Wirehren188ehren jeden Mann, der ſo wenig Beduͤrſniße hat, und halten den Genuß, die ganze Sinn - lichkeit, fuͤr Etwas, das unſchicklich iſt. Un - ſere Talente ſelbſt, was laͤßt ſich nicht von ihnen erwarten? Was iſt nicht ſchon erfun - den, und das Reich der Moͤglichkeit, wer kennt ſeine Graͤnzen? Ich erſtaune, wenn ich die Geſchichte mir uͤber tauſend Jahre denke. Sollte uns Gott geſchaffen haben, um unſerer zu ſpotten? Monarchen, und auch Salomons unter ihnen, brauchen luſtige Raͤthe. Wie? Das hoͤchſte Weſen ſollte Menſchen zu ſolch einer Abſicht oder im Zorn ſollte Gott den Menſchen gemacht ha - ben, wie einige Gottſchaͤnder gewaͤhnt? Und was iſt ſelbſt leichter zu denken, daß wir blei - ben, oder daß wir aufhoͤren werden? Wer iſt, der ſich nicht nach Unſterblichkeit ſehnet? Und dieſe Sehnſucht ſollte wie Spreu zer - ſtreut werden? Die meiſten unſerer Bruͤder ſterben gemeinhin in Fragzeichen, einige in Verwunderungszeichen, viele in Comma. Wer ſtirbt im Punktum? Und ſollte der Menſch ſeinem Oberherrn trotzen koͤnnen? Sollte er, wenn es ihn gut duͤnkt, in der Welt Brand ſtiften, alle Kinder, die jaͤhrig und drunter ſind, in Bethlehem morden laßen,und189und ſodann fluͤchtigen Fuß ſetzen koͤnnen, ohne daß ihm Steckbriefe nachgeſandt werden koͤn - nen, ohne daß er einzuhohlen und zu beſtra - fen iſt? Iſt Tugend und Laſter ein und daßelbe Ding, und ſoll die That im ſtillen, die Gott nachahmt, unerkannt und unbelohnt bleiben? Wo denn die Bewegungsgruͤnde zu dieſen goͤttlichen Thaten? Und wenn wuͤrd ich aufhoͤren zu fragen, wenn der Tod ewiger Tod, ewige Verdammnis zur Vernichtung waͤre? Zwar wenn wir erwaͤgen, wie der Menſch auf die Welt kommt? Sieht es doch faſt ſo aus, als ob man Menſchen ſaͤen koͤnne. Wie der Hausvater ſich Federvieh ſchaft, ſo der Monarch Unterthanen. Jener legt Eyer unter die Henne; dieſer ſchließt ſeine Wolken auf, und laͤßt Freyheit und Ueberfluß in ſeinen Staaten regnen! Und ſiehe da, es wird! Iſt aber dieſer Gang der Natur, ſo unbedeu - tend er anſcheinet, nicht eben darum goͤttlich? Der Menſch kann alles, und kann nichts. Die Natur faͤngt ins Kleine an; allein wie weit ins Große geht ſie! Sie ſpringt nicht, ſie geht mit bedaͤchtigem Schritte. Was ſind wir, wenn wir auf die Welt kommen? Und was, wenn wir herausgehen? Und zu was ſind wir denn nicht aufgelegt? Wir ſind ge -pruͤft,190pruͤft, gelaͤutert und bewaͤhrt. Es giebt Tu - genden, die nicht anders, als in einem niedri - gen ſchattigen Thal auf duͤrrem Boden wach - ſen koͤnnen. Darum die Welt, und darum auch die andere! Es kann alles aus uns werden, was Gott will. Zwar wißen wir’s nicht, wir glauben es nur. Die Vorſicht hat weiſe, große Abſichten in dieſen Schleyer der Ungewisheit gehuͤllet; allein brauchen wir mehr als Wahrſcheinlichkeit? Wir ſollen nicht in der Welt die Haͤnde in den Schoos legen. Welch eine andre Wendung wuͤrde die Welt gewinnen, wenn wir auf einmal wuͤſten, was wir hoffen? Wuͤrden wir noch einen freyen Willen behalten, und wuͤrden wir nicht nur blos ſo fromm und gut ſeyn, als wir jezt uns gerade halten? Die Chri - ſten wißen es gewis, wie ſie ſagen, daß ſie bleiben werden; allein leben ſie wohl ſo, als wuͤſten ſie mehr davon, als wir? So Etwas muß das Leben ausweiſen. Wenn die Lehrer des Volks ſelbſt Erſcheinungsgeſchichten, die ſich nicht aus den Wochenſtuben herſchreiben, hoͤren, wie fahren ſie in einander, wie erſchre - cken ſie! Ich will den ehrlichen Kerls unter ihnen keinen Vorwurf machen, wenn ſie es aber ſo gewiß wuͤſten, als ihre ſelbſt hieſigeExi -191Exiſtenz, wuͤrden ſie nicht anders leben, we - ben und ſeyn? Wuͤrde man aus dieſem Le - ben wohl ſo viel auf den Kanzeln machen? Wer unterſteht ſich, an heiliger Staͤte einem Fuͤrſten, einem Kirchenpatron, etwas anders, als aus dem alten Teſtament und der vierten Bitte, zu wuͤnſchen! Arme Leute werden in der Nutzanwendung mit dem Himmel getroͤ - ſtet. Ueberhaupt iſt die andre Welt, auch bey unſern herzlich geliebten chriſtlichen Bruͤdern, blos Troſt. Dieſes Leben aber o was iſt es nicht alles? Zuweilen kann man ſich nicht entbrechen, an die himmliſche Freudenkrone zu denken; allein man ſetzt wohlbedaͤchtig hin - zu, nach ſpaͤten urſpaͤten Jahren.

Hoͤren wir auf, was haben wir zu fuͤrch - ten? Zwar auch nichts zu hoffen; allein we - nigſtens doch kein Klaglied. Wo warſt du, ehe dir zum Menſchen die Vocation ins Haus geſchickt ward? Ein nicht Gebohrner und Geſtorbner ſind die weit auseinander? Wie viel Gruͤnde aber zur Wiederkunft! Das Laſter allein fuͤrchtet. Die Tugend ſitzt der Hofnung im Schoos.

Das Grab, Freunde, iſt eine heilige Werk - ſtaͤte der Natur! Ein Formzimmer; Tod und Leben wohnen hier beyſammen, wie Mannund192und Weib. Ein Leib ſind ſie. Eins ſind ſie. Gott hat ſie zuſammen gefuͤgt, und was Gott zuſammenfuͤgt, ſoll der Menſch nicht ſcheiden. Eine Handvoll Erde iſt eine Handvoll Welt. Schaudre nicht vor der Verweſung. Das Waizenkorn fault, und wird ein hundertfaͤlti - ger Halm. Alles muß ſterben, was zum Licht und Leben herausbrechen ſoll. Dies Erdenall, dieſer Erdenball, hat alles, was ſchoͤn und gut iſt, erzeugt und ernaͤhrt. Er iſt das Herz, unter dem jedes gelegen, die Bruſt, die jedes geſogen! Die Erde iſt des Herrn. Faſt ſollte man glauben, daß es des lieben Gottes Luſtſchlos, ſein Sansſouci, ſey, ſo gut iſts auf ihr, oder ſo gut koͤnnt es auf ihr ſeyn. Nimm doch dieſen Staub in die Hand, vor dem du bebſt. Es iſt Bein von deinem Bein. Aus Erde ſind unſre Windeln und unſer Leichentuch. Wir werden, was wir waren. Die Goldkoͤrner, die lezten Koͤr - pertheilchen, das eigentliche Saatgetreyde, iſt aufgeſpeichert, und wird zu ſeiner Zeit ſchon vom lieben Gott wieder ausgeſtreuet werden, auf einen ſchoͤnen Acker. Die Natur iſt das perpetuum mobile, ſie ſteht nicht ſtill. Sie wuͤrkt Leben im Tode, Tod im Leben ſchoͤn durch einander, daß es eine Luſt iſt anzuſehen,dem,193dem, der ein Auge dazu hat. Der Geiſt iſt in Gott, in dem er lebt, webt und iſt. Das ſchlechtere vom Koͤrper, das ſich die Wuͤrmer ſo gierig zueignen, Menſch! traure nicht, es wird nur abgezogen, vom Felde in den Garten verpflanzt, wo es ſo lange ver - pflanzt und gepflanzt wird, bis

Es iſt noch nicht erſchienen, was wir ſeyn werden! Du, mein Geiſt, der du dein bewußt biſt, du, der du dich ſelbſt anredeſt, du Funke Gottes, in dieſer ſtockfinſtern Erde, du Funke, an dem ſich jeder das Licht anzuͤndete, das in ſeinem Hauſe brennt, was warſt du, eh dir dieſes Kleid zugeſchnitten, eh es dir umge - hangen ward, und was wirſt du ſeyn, wenn du dieſes Regenkleid, dieſen Schlafrock, wenns koͤſtlich geweſen, auszieheſt, oder wenn er, aus Alter unbrauchbar, wie ein zerriſſenes Gewand abgeſchuͤttelt wird? Von wannen kommſt du? Wohin faͤhrſt du? Woher? Wo - hin? Finſter vor und hinter dir. O ihr Entkleideten! Ihr nackten Geiſter! die ihr vielleicht dies Selbſt - dies Seelengeſpraͤch an - gehoͤret, redet drein! ſagt, wo ſeyd ihr? wißt ihr, daß ihr ſeyd, daß ihr wart, daß ihr ſeyn werdet und ſeyn ſo, oder anders in Ewigkeit? Seyd ihr es, die in uns wirken, wenn unsNein194ein heiliger Schauer durchblitzt? Nicht von Hautſchauder, ſondern von Seelenſchauder red ich. Wollet ihr etwa den Geiſt warnen, wenn ihr der Seele, des Geiſtes Buſenfreunde, winket, da ihr an ſeinen Koͤrper anpochet. Nur herein, ihr guten Geiſter! herein! Naͤ - her! Weg ſeyd ihr. Dieſe Ebbe und Fluth des Bluts, was will ſie? Solch ein Seelen - ſchauer, Todesvorſchmack, wozu? Es iſt wahr, er gehet durch aus und durchall; al - lein ich, hoff ich, werds vollenden! Was iſt der Tod? Selige Geiſter unſerer Vorfahren, die ihr vor uns wart, und mit eben der Neu - gierde, wie wir, euch nach Nachrichten aus der andern Welt ſehntet, ſagt uns, gebt uns ein Zeichen: was iſt der Tod? Hebt eur In - cognito. Bittet Gott um dieſe Erlaubnis! Wir haben nicht Moſen und die Propheten, die wir hoͤren koͤnnen, wir wuͤnſchten, wenn einer von den Todten aufſtuͤnde. O du, mein eben entſchlafener Freund! Wache auf, der du ſchlaͤfſt, ſtehe auf von den Todten, ent - decke mir, wie dir war, wie dir iſt? Womit du dich beſchaͤftigeſt? Der Chriſt iſt muſica - liſch in der andern Welt. Der Muſelmann wolluͤſtig luͤſtern, wir ſind druͤber ſo einfaͤl - tig, als man nur einfaͤltig ſeyn kann. Wie? frag195frag ich, nicht ob? iſt meine Frage. Doch! auch dieſe Frage und alle meine heiligen Frag - ſtuͤcke ſind wilde Reben der Wißbegierde, ſind vorſchnelle Sproͤslinge meiner Einbildungs - kraft, welche die Vernunft, wo nicht gaͤnz - lich wegzuſchneiden, ſo doch zu verkuͤrzen ver - bunden iſt. Freunde, laßt uns in die Haͤnde Gottes fallen! Warum ſorget ihr fuͤr euer kuͤnftiges Schickſal? Gott, euer himmliſcher Vater, weiß, was ihr beduͤrfet. Ob Leben oder Tod, ob Tag oder Nacht. Sorget nicht! Iſt es nicht genug, daß ein jeder Tag ſeine eigene Plage habe? Es wird alles gut wer - den. Leben iſt eure Sache. Sterben gleich - fals. Was druͤber iſt, bleibt uͤber euch, Freunde! Was euch nicht angeht, davon laßt euren Fuͤrwitz. Trachtet am erſten nach dem Reiche Gottes, und nach ſeiner Gerech - tigkeit. Das iſt das Grundgeſetz in Gottes Staat, und das andere wird euch von ſelbſt zufallen. Laßt alles gehen, wie Gott will! Laßt die vier Winde uͤber euren Staub ſich in Anſpruch nehmen, laßt die vier Gegenden drum ſtreiten! Laßt den eichnen Sarg eur Fleiſch an Dauer uͤbertreffen! Was kuͤmmern euch ſolche Kleinigkeiten? Wir, die wir nicht in die Sonne ſehen koͤnnen, wollen Gott ſe -N 2hen;196hen; wir, die wir den Mond nicht beſpannen koͤnnen, wollen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit behuͤgeln und begrenzen; wir, die wir die Fixſterne nicht zu zaͤhlen verſtehen, (Menſch, kannſt du ſie zaͤhlen?) wollen die Ewigkeit meſſen, und eine Schlaguhr fuͤr ſie meiſtern!

Wer kennt den morgenden Tag, und doch will man einen Calender uͤber Ewigkeiten ſchreiben? Der Anfang und das Ende dieſer Welt ſind uns Geheimniſſe; und wir glauben, einen Maasſtab fuͤr die Himmel der Himmel zu beſitzen! Hat der Chriſt einen naͤhern Weg, als wir? Gut fuͤr ihn! Unſere Bahn iſt die Landſtraße; dieſe Bahn iſt plan und natuͤr - lich. Im Glauben kommen wir mit dem Chriſten uͤberein, als wenn wir unter einem Mutterherzen gelegen haͤtten, nur ſein Glaube hat ein ander Feld, als der werthe unſrige. Wir wollen ſo leben, als koͤnnten wir eine andre Welt ſinnlich machen, ſo fingerſinnlich, als daß zweymahl zwey vier iſt! Als waͤren wir, wie die Chriſten, bis in den Himmel entzuͤckt geweſen. Denn fragt euch ſelbſt, Freunde! wenn euer Mund auch an der an - dern Welt zweifelt, um eure Kunſt in Zwei - feln zu zeigen; als obs Kunſt zu zweifelnwaͤre?197waͤre? Was ſagt euch euer Herz? Will ich denn, daß ihr einen Riß von der Stadt Gottes, vom himmliſchen Jeruſalem, entwer - fen ſolt? Es iſt mir genug, wenn ihr nur alle menſchmoͤgliche Wahrſcheinlichkeit fuͤr die andre Welt findet.

So gut leben, daß, wenn eine andre Welt, ſchoͤn wie Sonne, aufgeht, unſer Buͤrgerrecht in derſelben gewiſſer, wie Brief und Siegel iſt, das heißt mit andern Wor - ten: der andern Welt wuͤrdig ſeyn! Je beſſer der Acker, je mehr Unkraut! Vor - witz iſt unaͤchtes Kind des menſchlichen Ver - ſtandes, eine Anlage zur Vorſchnelligkeit, eine Krankheit des Scharfſinns, ein helles Gloͤckchen in der Thorheitskappe. Wir wol - len uns entſchlieſſen, wie einer unſerer Vor - fahren, zu bekennen, daß wir nichts wiſ - ſen, daß wir hie und da Wahrſcheinlichkeiten haben; allein im Thun komm uns niemand zuvor. Weder Waghaͤlſe noch Wagkoͤpfe tau - gen viel.

Der Ansdruck: ſeine Seel in Haͤnden tragen, heißt, wenn ihn Philoſophen brau - chen, ſo viel, als gute Geſtus machen. Wir wollen uns weniger um das fuͤr und wider, dieſe oder jene Meynung, bekuͤmmern, alsN 3bereit198bereit ſeyn, es komme was nur wolle, daß Oehl in unſerer Lampe ſey. Gott wird uns richten, nicht nach unſerm Wißen, ſondern nach unſerm Thun. Je nachdem wir die Winke befolgt, die uns zum Guten aufforder - ten, je nachdem wir die Keime gepflegt, die er in uns gepflanzt hat, je nachdem wir nicht, wider unſer Gewißen, die Leute mit allerley Schwindeley der Lehre hinter das Licht ge - fuͤhrt. Weg mit Sophiſterey, weg aber auch mit dem Dichterlaub, das hoͤchſtens vor dem brennenden Sonnenſtrahl und einem Regen - ſchauer ſichert. Ein ſtarkzweigigter Stamm ſoll aus uns werden, der dem auswurzelnden Orkan ſtattlichen Widerſtand leiſtet, deßen zur Erde ſich neigende Aeſte Wurzel faßen, und der ein Abraham, ein Stammvater eines ganzen heiligen Hains, wird! Wißen macht ſchwach, thun! ſtaͤrket, feſtiget und gruͤndet. Thaͤtige Menſchenliebe iſt eine Sil - houette von Gott dem Herrn! Der Anblick des Gluͤcklichen macht froh, das Bewuſtſeyn, einen gluͤcklich gemacht zu haben, macht felig. That iſt das Maas der Zeit. Tod und Suͤn - de iſt Eins. Die perſonifieirte Bosheitsſuͤn - de iſt der Tod. Das, was wir gemeinhin Tod nennen, iſt nicht der Tod. Ich bin der feſtenHof -199Hofnung, es ſey Geburtsſchmerz, was wir Tod nennen, und gebaͤhren nicht die ſchwaͤch - lichſten Werkzeuge unter den Menſchen?

Gutes thun, heißt Leben. Auch der nie - drigſte hat ſeinen Geburtsbrief (ſeinen Tauf - ſchein wuͤrd ein Chriſt ſagen) von Gott! Laßt uns die Mutterhand der Natur kuͤſſen, wel - che uns einige unſerer Bruͤder und Schwe - ſtern, ſo voll Zutrauens, zur Aufſicht und Pflege uͤberlaͤßt, die uns die ihr zuſtehende natuͤrliche Vormundſchaft abtritt, laßt uns dieſer ſo guͤtigen Mutter nachahmen, Gutes thun nicht muͤde werden, und durch ſo unzaͤhlige mittlere Zwecke hindurch zu einem einzigen, lezten, großen Endzweck arbeiten, das heißt: die hoͤchſte nur moͤgliche Wohlfarth des ganzen menſchlichen Geſchlechts befoͤr - dern. Vorwaͤrts iſt Bahn! Geſetzt! wir erreichten nicht das Ziel. Ihm nahe kommen, heißt: es erreichen. Das aͤrgſte, was wir zu fuͤrchten haben, iſt, daß wir im Thun bleiben! Das iſt beßer, als in der Lehre. Man ſollte allen Subtilitaͤtenkraͤmern das Handwerk legen. Es ſind die aͤrgſten Zeitverderber in der Welt. Sie gewinnen uns die Zeit ab, wie die falſchen Spieler das Geld.

N 4Strebt200

Strebt der Sonne entgegen, Freunde, damit das Heil des menſchlichen Geſchlechts bald reif werde! Was wollen die hindern - den Blaͤtter? was die Aeſte? Schlagt euch durch zur Sonne, und ermuͤdet ihr! auch gut! deſto beßer laͤßt ſich ſchlafen!

Eine wohlgeſetzte Red iſt nie zum Behal - ten eingerichtet. Man will ſie ganz, und hat nichts. Es iſt ein regelmaͤßiger Garten, wo es recht huͤbſch und fein ausſieht; allein was kannſt du heimfuͤhren? Blumen? Blumen in der Hand, von der Wurzel gerißen, was ſollen die? Nimm den ganzen Garten mit, was haſt du? Ein ganz richtig gerechnetes Exempel zuſammt der Probe. Wildnis, Berg und Thal, aus dem Vollen gehauene Gaͤnge, Parke, die machen Eindruck und laßen ihn auch. So vortreflich unordentlich war dieſe Rede. Es war kein Kunſt - ſondern ein Naturſtuͤck, und was iſt, pflegte mein Va - ter zu ſagen, was iſt es denn, das die kuͤnſt - lich gezogene Wortſchleuße und die daher rau - ſchende Fluten des Redners, die all an ſeinen Text ſchlagen, erzeugen? Schaum, und wenn auch eine Venus daraus wuͤrde, nicht jedem iſt mit dieſer Schaumgoͤttin gedient. Was ich meinen Leſern von der Wildnis-Rede gege -ben,201ben, ſollte eine Nachfolge des Originals ſeyn, ich wollte nicht den Hauch der Natur von der Pflaume wegwiſchen, ſondern ſo, wie ſie da iſt, mit dieſem Naturathem, der mir wie ein Heiligenſchein vorkommt, wolt ich ſie da iſt die rothbackigte Birne ohngeſcheelt, die Baumwolle auf der Pfirſich, der Sammet auf der Apricoſe. Blatt und Stengel oben ein. Was meynt ihr, Freunde! haͤtt ich beßer gethan, alles in Ordnung zu ſtellen, und zu nehmen und zu geben, mit Allerſeits anzuheben, mit Dixi zu ſchluͤßen ich mag nicht, ſagte mein Vater, freie Gedanken in die Feſtung bringen, obgleich er ein Koͤnig - ſcher ein Monarchenfreund war. Doch! ich bin außer dieſer Rede noch eine reine Leh - re ſchuldig. Und freylich haͤtt ich dieſen Pfirſichen-Apricoſen - und rothbackigten Bir - nen-Nachtiſch weit fuͤglicher bis ans Ende verſparen, und da erſt zum beſten geben koͤn - nen und ſollen. Wer kann ſich aber helfen? Dafuͤr werd ich auch nichts nach dieſem chriſt - lichen Exercitio exploratorio abkanzeln, noch ei - ne Kinderlehre fuͤr die Kunſtrichter anſtellen.

Es trat ein Maͤdchen auf. Allerliebſt! Nicht mit fliegendem Haar, als ſtuͤnden ſie ihr zu Berge, nicht mit einem Gewande, alsN 5waͤr202waͤr es vor dem Winde nicht ſicher, nicht mit einer hin und her fahrenden vorſpiegelnden Hand, mit Augen, als wollte ſie einfaͤdeln, um uns nur etwas aufzuheften ſondern mit einem feſt an den Leib gegoßenen weißen Kleide, einem ſchwarzen Kranze vor der Bruſt Ihr Haupt mit einem Schleier bedeckt, zwar auch feſt, doch lies er zuweilen nach. Das Auge ſchweifte nicht aus; allein es blick - te inbruͤnſtig gen Himmel, und zufrieden auf Gottes Erde. Die Haͤnde, die meiſte Zeit ge - falten, oft ans Herz gelegt, das aus Empfin - dung in die Hoͤhe kam, und ſich zu Gott woͤlbte.

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Das203

Das Ende kroͤnet das Werk, und zeigt den Unterſchied des, der Chriſtum angezogen hat, und des, der im bloßen geblieben, und hoͤchſtens einen Regenſchirm vor allerley Wind und Wetter in ſeine Rechte genommen, welcher aber zur Zeit der Truͤbſale gemeinhin die Fluͤgel ſinken laͤßt und abe faͤllt. Nur Chriſtus hat Leben und unſterbliches Weſen ans Licht bracht, die Dunkelheiten der Wei - ſen zerſtreut, und ſelbſt die finſtere Nacht des Grabes ins helle Licht des Evangeliums ge - ſetzt. In ihm war das Leben und das Licht der Menſchen. Der Tod iſt, fuͤr den chriſt - lichen David, der Rieſe Goliath; er geht ihm nicht mit Schwert, Spies und Stange, mit weltweiſem Panzer und blank geputzter glaͤn - zender Ruͤſtung, mit ſpitzigen Sentenzen und Kriegsliſtigen Fragen, ſondern mit kleinen Steinen entgegen, und, wenn er ihn gluͤcklich erſchleudert hat, nimmt er ſein Haupt gefan - gen, und es heißt von ihm: wenn Sokrates tauſend geſchlagen, der Chriſt habe zehntau - ſend uͤberwunden und das Feld behalten. Halleluja! Tod, wo dein Stachel? Hoͤlle, wo dein Sieg? Gott aber ſey Dank, der uns den Sieg gegeben hat, durch unſern Herrn Jeſum Chriſtum! Wer vor Gott wandelt,wer204ſeine Seele und ſeinen Leib unbefleckt bewah - ret, nach dem vorgeſtrecktem Ziele laͤuft, wer heilig lebt, weil Gott heilig iſt, der ſtirbt ſe - lig. Wer dem Herrn lebt, ſtirbt ihm auch.

Die erſten Chriſten verſammleten ſich, aus Furcht vor den Verfolgern, auf Graͤbern, zum Gottesdienſte; und wie ſchoͤn klingen Todesglocken dem, der zu ſterben verſteht. Kein Deiſt hoͤrt gern Lauten. Zwar hat der liebe grundguͤtige Gott fuͤr alle Menſchen ge - ſorgt, fuͤr Chriſten ſowohl, als fuͤr Nicht - chriſten. Die Unchriſten und Antichriſten ſollten, wenn ſie Gelegenheit haben, ſich dem Chriſtenthume einzuverleiben und einzuver - ſeelen, die Einladungen nicht verwerfen, ſon - dern ſich den Kopf waſchen laßen, wodurch das Herz mit rein wird. Was hilft die reine Vernunft, wenn das Herz nicht rein iſt? Nur die, ſo reines Herzens ſind, werden Gott ſchauen! Menſch und Chriſt ſterben; allein der Chriſt iſt eigentlich der Lehnstraͤ - ger, der Gutserbe, der eigentliche Sterbliche. Man kann nur von ihm ſagen, daß er geboh - ren werde, und daß er ſterbe. Der Unchriſt iſt ein Menſch, als wollt er Menſch ſeyn. Der Chriſt iſt alles wuͤrklich, was er iſt.

Sanct205

Sanct Paulus ſpricht zu den Epheſern, im vierten Capitel, im ſiebenzehnten und acht - zehnten Verſe: ſo ſage ich nun, und zeuge in dem Herrn, daß ihr nicht mehr wandelt, wie die andern Heiden wandeln, in der Eitelkeit ihres Sinnes: welcher Verſtand verfinſtert iſt, und ſind entfremdet von dem Leben, das aus Gott iſt, durch die Unwißenheit, die in ihnen iſt, und durch die Blindheit ihres Her - zens. Der Koͤrper war da, noch ehe Chri - ſtus kam, das heißt: es fehlte nicht an praͤch - tigen Worten; allein der Geiſt fehlte. Da blies uns Chriſtus an, und ſprach: Nehmet hin, den heiligen Geiſt! Der Chriſt iſt das Geſchoͤpf, das Gott, wenn ich ſo ſagen ſoll, am ſechsten Tage ſchuf, um die Lehren der Heiden und Juden und alle Schriften, ge - ſchrieben von auserwaͤhlten Menſchen, zu be - nutzen, und den todten Buchſtab zu beleben, und aus einem Gebeinhaus eine Himmels - wohnſtube zu machen. Der Chriſt hat den Schluͤßcl zu den fuͤnf erſten Tagen, und iſt ein Herr des unvernuͤnftigen Viehes, das auf dem Bauche, oder auf vieren geht, oder fliegt, oder Der Heiden Tugenden ſind, nach dem Ausſpruch des heiligen Auguſtinus, glaͤnzende Suͤnden, und ihr Tod iſt ein armer Suͤnder -ende,206ende, wo immer viel geredet wird. Chriſtus hielt keine Reden, wie Sokrates, da er ſtarb. Ihm ſchrieb kein Plato die Predigt nach. Der Herr der Natur ſtarb natuͤrlich. Alles zu - ſammen, mit ſammt dem Teſtamente, be - ſtand in ſieben Worten. Eine ſchoͤne Zahl! Laßt uns die Sache beym rechten Ende faſſen. Der Menſch mag es machen, wie er will, es finden ſich Lebensſtellen, wo er offenbar zu kurz kommt. Er kommt nicht aus, und macht einen Concurs, wo Gott, er und ſein Mitmenſch, claßificiret werden, wo es uͤber - all heißt: Soll haben, hat nicht. Soll bezahlen, kann nicht. Wir koͤnnen uns zwar vor den Blicken der Welt verbergen; allein der Furcht, verrathen und verkauft zu werden, wer kann der auf Fluͤgeln der Mor - genroͤthe entfliehen? Und wenn wir der Welt entkommen, ſind wir uns ſelbſt entflohn? Der Hauszeuge iſt in den Gerichtshoͤfen ver - daͤchtig; allein das Gewiſſen iſt unbeſtechbar, und ſo erhaben, daß man ihm auch nichts einſt anzubieten wagt. Verſchließ dich, wie du willſt, das Gewiſſen begleitet dich. Es ſchlaͤft und ſchlummert nicht, es geht nicht uͤber Feld, und was das aͤrgſte iſt es hat ein goͤttliches Gedaͤchtnis. Das Gewiſſen iſtGottes207Gottes Unterrichter, es eroͤfnet dir in jeder dir ſelbſt gelaßenen Stunde: du ſeyſt ein un - gerechter Haushalter. Du haͤtteſt mehr thun ſollen, weil du mehr thun koͤnnen. Du haͤtteſt geſuͤndigt, im Himmel und vor ihm, und waͤreſt nicht werth der goͤttlichen Natur, nicht werth, ein Menſch zu ſeyn. Schaͤme dich, ſagt es dann, und ſammelt feurige Kohlen auf dein Haupt. Wohl dem, der dieſe Kohlen zum Fegfeuer anfacht! Wohl dem, der zu dieſer ſeiner Zeit bedenket, was zu ſeinem Frieden dient, und daß er in eine Gegend gehe, wo er nicht mehr mit ſeinem Bruder auf dem Wege iſt, und wo es angeſchrieben ſteht: Du kannſt hinfort nicht mehr Haushalter ſeyn! Was nun?

Die meiſten Handlungen, Freunde, ſind darum gut, weil man ſie ſich viel boͤſer den - ken kann. So wird das Spiel als eine er - laubte Sache geprieſen, weil es beſſer als Schmaͤhſucht und Zungentodſchlag iſt. Prie - ſter und Leviten der Vernunftreligion ſtehen mit Lebensbalſam, mit Gewiſſenskuͤhlungen, mit Herzſtaͤrkungen aus; allein wenns zum Sterben geht, hilft kein Seelenkraut und Pfla - ſter, das Wort Gottes allein heilet. Jeder unrichtige Gedanke, jedes unnuͤtze Wort iſtver -208verantwortlich. Wie ſchrecklich wahr iſt dies Geſetz der ſich ſelbſt gelaßenen Vernunft! Wo fliehet ſie hin in dieſen Seelennoͤthen?

Wohl mir, daß ich ein Chriſt bin! Wenn ich alles gethan habe, was ich zu thun ſchul - dig war, und was ich nur thun konnte, bin ich zwar noch immer ein unnuͤtzer Knecht, dem noch viel fehlt; allein welch ein Troſt fuͤr mich, im Leben und Sterben, daß Chriſtus lebte und ſtarb! Er hat Gott, dem Schoͤp - fer der Menſchen, im Leben und im Sterben den ganzen Werth der Menſchheit in hoher Perſon gezeigt, er hat ihn uns dargeſtellt, und wenn, nach dem aͤußerſten Beſtreben, zu werden, wie Jeſus Chriſtus auch war, Un - vollkommenheiten vorfallen; bitten wir Gott, daß er nicht uns, ſondern die Eſſenz der Menſchheit, das Ideal menſchlicher Tugen - den, anſchaue, und in ihm, in dieſem großen Muſter, uns ſuͤndige Geſchoͤpfe, und daß er uns gnaͤdig ſey und barmherzig und von großer Guͤte und Treue!

Der Menſch iſt goͤttlichen Herkommens, goͤttlichen Geſchlechts! Aller dieſer Verwand - ſchaft, wie unwuͤrdig ſind wir ihr, im Fleiſch durch Suͤnde! Heil uns, daß unſere Natur einen Repraͤſentanten hat, in welchem Gottuns,209uns, und wir Gott ſehen. Chriſtus iſt der erſte in der Menſchenfamilie, der Chef des menſchlichen Geſchlechts, der zweyte Adam, der uns den Weg wies, eine verlohrne Fe - ſtung einzunehmen, und wieder ins Paradies zu kommen, wo keine Schildwache mehr ſteht. Er iſt der Erſtgebohrne; denn Adam aus dem Paradieſe war nicht gebohren, ſondern auf - gehaucht. Außer dieſem Verdienſtlichen, welch ein Muſter im Tod, iſt ſein Tod? Sein Leben ſey mein Leben; ſein Tod der meinige. Wer ſtarb ſo, als dieſer Fuͤrſt des Lebens? Daß Muß des Weiſen iſt ſo wenig troſthal - tig, daß er ſich vielmehr wieder fraͤgt: war - um muß ich? Wenn ich den Schmerz ver - beiße, leid ich nicht? Ich ſtoße zuruͤck, was heraus will! und da der Nichtchriſt un - gewiß iſt, ob ſein Lebensziel nicht auch ſo - gleich ſein ganzes Ziel ſey; wie ſehr iſt er ein Knecht ſeines ganzen Lebens, ein Knecht von der Stunde des Todes. All Pulsſchlag ſchlaͤgt ſich der Gedanke auf: nicht etwa dieſe Nacht, ſondern dieſe Stunde, dieſen Augen - blick, kann man, nicht etwa blos deine Seele, ſondern dich ganz von dir fordern, und was wird ſeyn, das du geſammlet haſt? Elender Nachruhm! Du UnſterblichkeitsanalogonOdes210des Nichtchriſten! Du wirſt die zitternde Ner - ven nicht halten, und dem Herzen nicht Luft zuwehen.

Zwar auch Chriſtus war von Gott ver - laßen; allein mit Ehren und Schmuck ward er gekroͤnet, ſelbſt da er noch am Kreuze hieng. Sein goͤttlicher Tod loͤſete dem Hauptmann die Zunge zu der Stunde. Wahrlich, es iſt ein frommer Menſch und Gottes Sohn ge - weſen. Der Chriſt, wenn er im boͤſen Stuͤndlein auf den Gedanken faͤllt, ſein Geiſt - faden wird mitreißen, wenn der Lebensfaden reißt, Gott ſey von ſeinem Geiſt gewichen, und dieſer ſein Geiſt werde verrauchen, ſo wie ſein Fleiſchtheil aufgeloͤſet wird; dann erſcheinet ein Engel und ſtaͤrket ihn. Wenn das, was gedichtet wird, keine Moͤglichkeit in ſich enthaͤlt, iſts Hirngeſpinſt. Je mehr Wahrſcheinlichkeit aber, je vollkommner das Gedicht. Wenn der Nichtchriſt uns vorwirft, wir ſtuͤrben poetiſch! ſo laß er uns dieſe heilige Poeſie, dieſen Schwung. Trift die - ſer Schwung nicht naͤher, als ein geſchliffe - nes Kunſtſyſtem von Hofnung? Iſt die gan - ze Hofnung mehr, oder weniger, als Dicht - kunſt?

Der Chriſt, entzuͤckt in den Himmel, hoͤrtunaus -211unausſprechliche Worte! Wenn haben wir nicht unausſprechliche Selbſtlaute gehoͤrt, wenn uns eine ſchoͤne Fruͤhlings Morgenroͤ - the ins Freye einlud, und wir einſam der Sonne entgegen giengen! Und das Gefuͤhl der Kraͤfte der zukuͤnftigen Welt, welche Be - geiſterung im Sterben!

Die Offenbahrung iſt eine erhoͤhete Ver - nunft, die Vernunft in heiliger Poeſie. Ein Vernunft-Koͤrper! Sie ſtellt dar! Sie macht anſchaulich. Es iſt ein Hoͤchſtes der Ver - nunft, ein vernuͤnftiges Ideal, und doch eine ſolche lautre Milch, daß ſie ein Kind faßen kann. Wo die Vernunft Zahlen hat, beſi - tzet der Chriſt lebendiges Weſen. Der Weiſe denkt, der Chriſt ſieht. Wie ſehr weg ſetzt ihn dieſe Faßung uͤber alles, was in der Welt iſt! Er ißt Aehren am Sonntage, wenn ihn hungert, und wenn ſelbſt der Hoheprieſter, auf deßen Bruſt Licht und Recht ſtrahlen ſoll - te, dieſen goͤttlichen Orden verkennet, und den Poͤbel zum kreuzige ihn auffordert, und ſein Muͤthgen an ihm kuͤhlet. Wenn der Saducaͤismus und der Phariſaͤismus es mit ihm anbinden will. Wenn die Welt ihn aus - pfeift, uͤberwindet er weit. Chriſtus hat am meiſten von Gelehrten gelitten. SehtO 2die212die Suͤnde! wie ſie wolt und nicht konnte! Wo iſt ihr Sieg? Und wenn der Zweifel - kopf der Vernunft, und wenn das eigene Herz ſchuͤttelt, und ſpricht lauter Nein! Er weiß! Zwar ehrt er den Namen Got - tes unter dem Patent, das die Vernunft vor - zeiget, er laͤßt ihr ein freyes Votum; allein er verlangt auch eins. Was weiß die Ver - nunft von der Zuſammennehmung dieſes und jenes Lebens, dem erſten und zweyten Theil des Menſchen: von unſern Schickſalen, vom er - ſten Menſchen? Von der Sprache, dem goͤttlichen Unterricht, bis auf die Kleider zu?

Nicht ſo, nicht ſo iſt die Vernunft im Le - ben und im Tode? Der Chriſt weiß, ſein Tod ſey nur Verwandlung, Verklaͤrung, me - lior compoſitio ohne grammaticaliſche Fehler, ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas. Alles ſchoͤn gegeben, vortreflich ausgedruckt. Die zweyte Auflage, und auch die, ſo mit ihm aus einem Geſangbuch ſangen, in einer Bi - bel laſen, auch die, wie er. Was traurſt du, arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein Meiſter ſpricht: weine nicht! Zwar er - weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn auch die Erweckten ſind wieder geſtorben, oderwas213was ſind ſie? Wahrlich, doppelter Tod waͤr eine Ungerechtigkeit. Wittwe! warum die tiefen Thraͤnen? Zwar wird er nicht zu dir kommen, aber du zu ihm. Weine nicht, ruft dir der Herr zu, deßen Herz auf den Grund bewegt war, und auch vor Schmerz, vor Mitleid uͤbergieng. So koͤnnen nur trau - ren, die keine Hofnungen haben. Iſts nicht gut, daß ein Weltknoten nach dem andern ge - loͤſet wird, und daß ihr Bekannte in der Stadt Gottes habt, welches euch gut, und wahrlich beßer, als ein Freund am Hofe iſt. Die Zeit troͤſtet den Weiſen, beweiſe, chriſtliches Weib, daß du auf die Zeit nicht warten darfſt, und auf die Stunde, wenn es ihr ge - legen iſt. Die Ewigkeit ſey dein Troſt: die auf der Stelle lindert, verbindet, heilet! Es giebt ein allgemeines Ziel, ſpricht Sirach, hundert Jahr; allein dies iſt ein apocryphi - ſches Ziel. Moſes verkuͤndiget fein cano - niſch: unſer Leben waͤhret ſiebenzig Jahr, wenns hoch kommt, ſinds achtzig, wenn es koͤſtlich geweſen, iſts Muͤhe und Arbeit gewe - ſen; denn es faͤhret ſchnell dahin, als floͤgen wir davon! Der Chriſt ſucht dieſes Ziel nicht zu verruͤcken, er welzt den Grabes Grenzſtein nicht weiter, uͤbt ſich, indem er den LuͤſtenO 3und214und Begierden abſtirbt, im Sterben, und was kann ihn ſcheiden von der Liebe Gottes?

Was braucht aber der Chriſt von den goͤttlichen Abſichten zu erkluͤgeln? Er weiß, daß der Herr alles wohl mache! Und das iſt genug.

Wenn andre leben, um nach dem Tode einen Leichenſtein zu verdienen, auf dem Le - ben und Thaten eingeaͤtzet ſind, welchen ein gedungener Haufe Leichenbegleiter fuͤr Geld und gute Worte mit feilen Thraͤnen taufte; hat der Chriſt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt iſt. Sein Name und Wapen, wenn er ſie aushauen laͤßt, ſollen nur blos, auch nach ſeinem Tode, ein gutes Beyſpiel ſtiften.

(Bey dieſer Stelle ſagte mir der Graf ins Ohr: wenn ich meine Krone im Wapen ſehe, denk ich an die himmliſche, und an die Perlen, deren auch in der hohen Offenbarung gedacht wird.) Der Menſch iſt ein Hyroglyph der ganzen Natur; wer es zu erklaͤren und auf - zuloͤſen verſteht, hat den Schluͤßel zur Natur. Der Leib gehoͤrt hiezu eben ſo, wie die Seele. Glaubt mir, Freunde! Er muß was zu ver - beißen haben, wenn die Seel im Flug iſt,und215und wenn es uns recht gut bekommen ſoll, muß unſere Mahlzeit geiſtiſch gewuͤrzet ſeyn. Den Menſchen ganz zu erklaͤren, dazu gehoͤrt mehr, als wir dießeits des Grabes vermoͤ - gen! Der Chriſt kommt bey dieſer Ausle - gung noch am naͤheſten. Er verſteht das Menſchen-Hyroglyph, ſo wie die Kinder ein Buch aus den Bildern. Das Grab hat nur auf die Schlacken Anſpruch. Das feine des Koͤrpers wird auferſtehen. Das iſt eine Wahrheit zum Waͤrmen, wenn alles an uns kalt wird. Gottes Weisheit handelt uͤberall im Verborgenen; in Graͤbern nur wird ſie ge - rechtfertiget. In dies Auge, das im Tode verloͤſcht, wird wieder Licht geſchlagen wer - den! Heilig! ſelig iſt der elektriſche Funke, der in dieſe Finſternis geſpruͤhet werden wird. Dies Leben, ohne den Herrn, iſt ein Fiſchzug Petri, der die ganze Nacht arbeitete und nichts fieng, und nur, wie er auf ſeines Mei - ſters Befehl das Netz auswarf, mehr zog, als das Netz halten konnte. Wenn auch beym Chriſten zuweilen das Netz reißt, was iſts ge - gen den Segen, der von Fiſchen gezogen wird? Heil dem Chriſten! Sein Leib iſt im Dienſt der Seele, die Seele im Dienſt des Geiſtes, der Geiſt im Dienſt Gottes.

O 4Heil216

Heil dem Chriſten, denn er hat uͤber ſich einen gnaͤdigen Gott, in ſich ein ſtilles Ge - wiſſen, unter ſich einen ihn befriedigenden Erdboden; wenn gleich die Apfelbaͤume nicht ſo gut, wie im Paradieſe, fortgehen. Hinter ſich eine gluͤcklich zuruͤck gelegte Bahn, den Troſtſpruch: Sohn, Tochter! dir ſind deine Suͤnden vergeben, ſtehe auf und wandle!

Vor ſich, einen ſeligen Tod, und eine froͤh - liche Auferſtehung! Einen Richter, der wohl weiß, wie es einem Menſchen zu Muth iſt! Der auch lebte, und ſtarb!

Das verlohnte alſo wohl, daß Engel der Erde gratulirten: Ehre ſey Gott in der Hoͤhe, Friede auf Erden und den Menſchen ein Wohlgefallen!

Wolt ihr mehr? o ihr Kleinglaͤubigen. Wohlan! Ich will euch die Furcht des Herrn lehren, den eigentlichen Anfang der Weisheit. Laßt uns von den lezten Dingen anheben. Lezt und Erſt iſt nur, nachdem man es nimmt.

Was du ſaͤeſt, Freund, wird nicht leben - dig, es ſterbe dann. Iſt dein Leib nicht ein bloßes Saatkorn, das ausgeſaͤet iſt? Iſt der Menſch hier mehr, als Fayance, und ſoll er dort nicht ſeyn ein Gefaͤß zu Ehren. Gott217Gott weckt alle Fruͤhjahre Todte auf, und je - der Augenblick iſt eine Auferſtehung. In je - dem Felde ſind Schaaren Evangeliſten, die uns die Lehre der Wiedergeburt, des Wieder - lebens alles Fleiſches, das wie Heu iſt, ver - kuͤndigen. Wir ziehen aus dieſem Leibe, um in eine andre himmliſche Wohnung einzuzie - hen, wie aus der Pacht ins Eigenthum. So verwandeln ſich vor unſern Augen unzaͤhlige Dinge. Der Geiſt iſt der eigentliche Menſch, dieſer Juͤnger Chriſti ſtirbet nicht. Der Pfeil des Todes trift nur den Leib. So bald es zum Sterben geht, beruhet alles auf der Einbildung derer, ſo nicht ſterben und ſterben ſehen. Seht ihr denn den Geiſt, ihr Haͤnderinger? Er iſt in Gottes Hand und keine Quaal ruͤhret ihn an, und warum ſollte der Geiſt um dieſen Leib und dies Gebein zittern und zagen? Warum ſolt er beym Leichenbegaͤngnis im erſten Paar, wie ein leidtragender Wittwer, gehen? Wie viel mahl ſoll ich den Troſt des Chriſten wieder - hohlen? Auch ſein Leib wird nicht unterge - hen. Pflanze und Thier fordern das zuruͤck, was ihnen zugehoͤrt, und was iſt denn, was wir ihnen zuruͤckgeben? Iſt es nicht Etwas, das uns oft ſo laͤſtig war? In der NaturO 5iſt218iſt ein immerwaͤhrender Wechſel; allein eine Allwißenheit regiert ihn! Und kommt denn Etwas aus unſerm eigenthuͤmlichen Hauſe? Iſt die Erde nicht unſer Haus? Ob dieſes oder jenes Stuͤck von unſerm beweglichen Haab und Gut in dieſem oder jenem Zimmer ſteht? Ob unterm Spiegel, oder am Camin? Ob im Saal, oder im Nebenzimmer? Und warum ſolt ich nicht Etwas abgetragenes ge - gen Etwas neues hingeben? Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond. Es wird geſaͤet verweslich, und wird auferſtehen unverweslich. Es wird geſaͤet in Unehre, und wird auferſtehen in Herrlichkeit. Es wird geſaͤet in Schwach - heit, und wird auferſtehen in Kraft. Es wird geſaͤet ein natuͤrlicher Leib, und wird auferſtehen ein geiſtlicher Leib.

Iſt es nun begreiflicher, daß auch der Leib nicht untergehe? Alles was ſtirbt, ſteht auf. Nennen wir nicht vielleicht oͤfters todt, was wir in ſeiner Entwickelung nicht uͤberſe - hen? Jene tauſend mahl tauſend Vollende - te ſehen vielleicht unſerer Geburt, unſerm Durchdrang durch Tod zum Leben zu, und freuen ſich die Taufzeugen bey dem neuen Namen zu ſeyn, der dem Ueberwinder, demGe -219Gepruͤften, des heiligſten wuͤrdig befundenen, beygeleget wird!

Geſchoͤpfe, die Gott erkennen, in denen Chriſtus wohnet, koͤnnen unmoͤglich auf der erſten Stuffe bleiben, auf der Stuffe der Kindheit. Dieſes Leben iſt ein Kinderſtand. Dieſe Leiber ſind Windeln. Aus Kindern werden Leute. Unſere Seele iſt in dieſer Welt ein Licht unterm Scheffel. Wir ſteigen die Stuffen, die Jacob im Traume ſah, wo die Engel hoch und niedrig ſtanden, und wenn ich gleich nach meinem Abſchiede aus dieſer Welt ein Engel werde, kann es denn nicht auch hier Claſſen der Seeligkeit geben? Der Thuͤr - huͤterpoſten iſt hier aber ſchon eine uͤber alle Maaßen wichtige Herrlichkeit, weil weder Neid noch Eigenduͤnkel mehr iſt. In Gottes Hauſe ſind viele Wohnungen. Unſer Haus iſt die Erde. Gottes Haus iſt die Welt. Das feſte prophetiſche Wort zeiget uns die andere Welt in Kupferſtichen hier und da illuminirt! Wie kann ein vernuͤnftiger Lehrer anders mit Kindern verfahren? Gaſtmahl! Para - dies! himmliſches Jeruſalem, eine ſchoͤne Erbſchaft, eine Ehrenkrone, ein Siegerkranz, ein Ruheſitz Gottes! Eine Feſtfeyr! So wird uns die andre Welt vorgeſtellt, und wennwir220wir annehmen, daß wir Gott in ſeinen Wer - ken naͤher ſchauen, daß wir tugendhafter, und alſo auch gluͤcklicher, ſeyn werden, was wollen wir denn mehr? Der chriſtliche Him - mel beſtehet in reiner Wahrheit und voll - kommner Tugend. Sehen wir gleich hier nur durch einen Spiegel in einen dunklen Ort; ſo iſt es doch genug zu wiſſen, daß, wenn gleich unſer aͤuſſerlicher Menſch verwe - ſet, der innerliche jedoch von Tage zu Tage erneuert und ſtaͤrker wird. Iſt denn das nicht Gewehrleiſtung fuͤr die andre Welt? Ein aͤch - ter Chriſt iſt hier ſchon im Himmel! Er ſieht ſich ab und zunehmen, das Sichtbare, das Zeitliche faͤllt, das Unſichtbare, das Ewige, hebt ſich! Er hat das andere Leben in der Hand! Es iſt ihm ſo nahe, als der Leib der Seele! Warum ſollten wir uns be - muͤhen, zu beſtimmen, ob aus Steinen Pflan - zen, aus Pflanzen Thiere, aus Thiere Men - ſchen, aus Menſchen Engel werden? Ob wir in eine Sonne, oder in einen Planeten, ob wir in ein Winter - oder Sommerzimmer un - ſers lieben Gottes dereinſt einziehen? Ob wir in unſer Sonnenſyſtem, oder wo anders hin - kommen? Beydes, Leben und Tod, iſt dem, der alles recht bedenkt, wuͤnſchenswerth. Gott221Gott hat uns in dieſer Welt den Weg ge - bahnt, zu werden, was wir geworden, und in jener wird er, der Herr und Vater uͤber alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden, uns nicht verlaßen!

Dies iſt die Zuverſicht, die ich durch den habe, der dem Tode die Macht genommen, und das Leben und ein unvergaͤngliches We - ſen ans Licht bracht, durchs Evangelium. Wir beſitzen des Himmelreichs Schluͤſſel, zu binden und zu loͤſen, wo der Philoſoph Luͤcken findet, und nicht aus, nicht ein weiß. Ueber - haupt weiß er nichts. Einer iſt unter ihnen wider den andern. Der iſt ein Plato, der ein Ariſtoteles, der ein Redner, der ein So - phiſt. Sophiſten ſind Taſchenſpieler, und Redner ſind Schmeichler. Wahre Weisheit wohnt nicht in geſchmuͤckten Gaͤrten von Kunſtworten, ſondern in dem friedlichen Thal der kindlichen Aufrichtigkeit. Darum ſchilt ein Weiſer den andern. Sie haben un - ter ſich Katoliken, Proteſtanten, Muſelmaͤn - ner und Gott weiß, was mehr! Je, nachdem jedem der Kopf ſteht, je, nachdem will er es auch vom Auditorio. Dieſer ſpricht von der Mutter Gottes, der Jungfrau Maria, der grundguͤtigen Natur, und von guten Wer -ken,222ken, predigt viel Geſetz; allein kein Evange - lium. Jener iſt der Meynung, der Menſch koͤnne ſich nicht beſſer machen, als er iſt. Seine Neigungen ſind nicht Vorſchriften, die er ſich ſelbſt gegeben, ſondern ſteinerne Ge - ſetztafeln, die man zwar zerbrechen kann: wer aber, fragen dieſe gute Herren, wer kann ein Gebot der Neigung ausradieren? Es iſt ja ein Stein. Dieſer iſt ſinnlich, jener geiſtlich. Dieſer ein Kopfhaͤnger, jener froͤhlich und guter Dinge. Der zweifelt uͤber alles, auch ſelbſt, daß er zweifelt, dieſer thut ſo grundgelehrt auf ſeine Worte, daß man wuͤrklich glauben ſollte, er wuͤßte Etwas. Ein Einfall, ſagt er, iſt ein einziger Fall, den auch ein bloßer Witzling haben kann. Mir ſtehen Principien, das heißt, eine Sammlung aller Faͤlle zu! Gut! aber wo ſind denn deine Principien, in ſo weit ſie wuͤrklich weiſe und ſelig machen? Die Philoſophen ſind Raͤthſelaufgeber; ſie lehren Raͤthſel, und leh - ren ſie raͤthſelhaft. Eine Volksphiloſophie muͤſte ſo kurz ausfallen, wie Luthers kleiner Catechismus. Iſt denn die Wahrheit nicht nackt, und wenn einige der Alten fuͤr Dunkel - heiten waren, muſten ſie es nicht wegen der Unvernunft des Volks ſeyn? Jezt aber, ihrWei -223Weiſen! da ihr ſelbſt nicht leugnen koͤnnet, Weisheit aus dem Volk und aus dem Volks - buch, aus der Bibel, geſchoͤpft zu haben, warum gebt ihr nicht verſtaͤndlich wieder, was ihr verſtaͤndlich empfienget, und was iſts denn, was euch ſelbſt zuſtehet? Der Chriſt weiß, an wen er glaubet. Von dieſem Glau - ben des Chriſten hat der Nichtchriſt keine Vorſtellung. Es iſt ein lebendiger, ein wiſ - ſender Glaube. Gott ſandte uns nicht ein Buch herab, voll Worte und Meynungen, fein ſauber geſchrieben. Unſere Vorfahren waren Geiſterſeher; allein wir? wir ſahen Chriſtum, den Anfaͤnger und Vollender un - ſers Glaubens. Hier iſt Sache, That, Be - gebenheit, Wahrheit. Er war zwar Menſch; allein Gottmenſch. Man ſah ihn, und wir ſehen ihn noch in Begebenheiten mancherley Art. Sein Geiſt blieb bey uns! Chri - ſtus lies ſich nicht mahlen; denn da haͤtte man nur eine Stellung von ihm gehabt; ſon - dern er ward gebohren, lebte, lehrte, ſtarb! Er lehrte durch Thaten, er lebte durch Leh - ren! Was von ſeinem Leben geſchrieben worden, iſt auch Leben. Einfalt iſt die Art, womit alles behandelt wird; allein Einfalt iſt die aͤchte Tochter alles Guten, alles Wahren,alles224alles Vollkommnen! Wo ich goͤttlichen Finger ſehe, warum will ich denn da noch meine Hand auch in die Naͤgelmahle legen, um ſagen zu koͤnnen: mein Herr und mein Gott! Empfindeſt du nicht in jedem deiner Schickſale, (o Menſch, gieb auf dich acht!) Gottes Wege? Fuͤhleſt du nicht, daß, ſo wie Gott Einer iſt, er dich auch ſo leite und fuͤhre, als ob du der Einzige waͤreſt, den er zu lei - ten und zu fuͤhren haͤtte, und warum willſt du denn ein Zeichen am Himmel, um zum Dank, zum Lob! Lob ſey Gott! ohn Ende aufgefordert zu werden? Laßt uns Hand ans Werk legen, und wir werden finden, ob die chriſtliche Lehre von Gott ſey, oder ob die Bibel ſo von ihr ſelbſt rede? Von dem Welt - weiſen heißt es, wie vom reichen Mann: er ſtarb und ward begraben. Die Herren Re - cenſenten hielten ihm Reden und Predigten, die Dichter ſangen, und doch ward er begra - ben. Vom Chriſten kann man, wie vom La - zarus, ſagen: er ſtarb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoos!

Was habt ihr denn fuͤr einen Beweis, ru - fen uns die Weiſen zu? Verzeiht, ihr Her - ren: Gott allein iſt weiſe! Was aber unſern Beweis betrift; ſo fuͤhren wir ihn menſchlich. Unſer225Unſer Beweis iſt vernuͤnftige, lautere Milch und Erfahrung!

Wie iſt der Menſch auf Gott, Geiſt, und Ewigkeit gekommen, wenn ſie nicht waͤren? Der Menſch iſt gros und klein. Er zaͤhmt Loͤwen, verkauft Wallfiſche, und wird von ei - ner Schlange getoͤdtet!

Zweifler! ich ſoll beweiſen, daß ein Gott ſey? Beweiſe mir erſt, daß er nicht iſt. Wie kann man Thatſachen beweiſen? Wie kann ein Sohn beweiſen, daß dieſer oder jener ſein Vater iſt?

Es geht in der Welt uͤber und uͤber, und wie koͤnnte das, wenn Gott, der Herr derſelben, Koͤnig waͤre? Ey, lieber! Wenn Gott ſein Bild den Menſchen anhieng; wenn er ihm Verſtand und Willen gab: wer hat Schuld an dieſer Unordnung?

Jeder Menſch hat ſo Etwas bey ſich, was Ja oder Nein bey allen Dingen ſaget, ſie moͤgen Wiſſen, oder Thun, Rath oder That, betreffen. Es giebt ſo gut ein Verſtands-als ein Willens-Gewiſſen. Iſt euch das zu hoch? Euch! zu hoch? die ihr den Gang Gottes in der Natur, das Kommen einer jeden Pflanze in ihrem ſanften Tritt beſchleicht? Ihr ſoltet Eur eignes Erdreich nicht kennen?

PEs226

Es giebt baare Kenntniſſe, und Kennt - niſſe auf Verfalltage. Das Chriſtenthum hat von beyden ſein Theil. Die wichtigſten Arti - kel koͤnnen durchs Leben bewieſen werden! Ich lebe, ſagt Chriſtus, und ihr ſolt auch leben.

Ich weiß eure Einwendungen, ihr Wei - ſen der Welt.

Das Chriſtenthum, ſagt ihr, habe den Muth gehemmt, froh zu leben und froh zu ſterben. Es lehre, daß nur wenig Auser - waͤhlte ſeyn werden! Allein was iſt beſſer, ſeine Seligkeit ſchaffen mit Furcht und Zittern, oder wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen han - deln? Es iſt ein Aufwaſchen, bringt ihr Leicht - ſinnige bey; allein ſeyd ihr ſchon von eurem Gewiſſen je in Anſpruch genommen? Seyd ihr ſchon in der Tinte geweſen? Glaubt ihr denn, daß das Auge, welches ſeinem Naͤch - ſten nach Leib und Leben ſtand, mit einer Thraͤne der Reue abgewaſchen werden koͤnne?

Wenn die reine Vernunft lehret, ſich ſo zu fuͤhren, daß, wenn ein Gott und eine Ewigkeit waͤre, wir ſeine Kinder und die Er - ben des Himmels zu ſeyn das Recht haͤtten; ſo lehret ſie uns etwas uͤbermenſchliches! So bald wir zweifeln, Freunde, ſo bricht dieSinn -227Sinnlichkeit Thuͤr und Thor, ſchlaͤgt alle Schloͤſſer auf, und findet im Zweifel ſo viel Unterſtuͤtzung, daß alles uͤber und uͤber geht. Ja, wenn der Menſch funfzig Jahr alt, und des Tages Laſt und Hitze der Sinnlichkeit getragen hat, dann, Freunde, koͤnnte dieſe Lehre weniger[gefaͤhrlich] ſeyn!

Und doch iſt ſie gerade zuwider der lautern Milch Chriſti, des Herrn, der ein herzliches Zutrauen von ſeinen Nachfolgern will! Zweifel, Freunde, iſt das ſchrecklichſte, was man ſich denken kann! Wo Zweifel iſt, wie kann da Zutrauen ſeyn? Man will ſich im Schatten legen, eh noch die Baͤume ausge - ſchlagen ſind. Man brennt ſein Haus aus eitler Bauluſt ab. Man iſt nicht kalt, nicht warm. Man hinket auf beyden Seiten. Ge - lehrte Zweifler! guten Freunde! ihr dringt aufs Thun, und wenn ich Euch ſage: ihr koͤnnet, ohne zu wiſſen, ohne den Glauben, ohne die Lehre Chriſti, nichts thun. Eine Gottehrende Menſchenliebe iſt unſere Tugend. Wir leihen dem Herrn, wenn wir den Armen geben. Wir geben nicht mit dem Munde, ſondern mit dem Herzen, im Geiſt und in der Wahrheit. Wir entaͤuſſern uns unſer ſelbſt wenn wir Gutes thun.

P 2Eur228

Eur ganzes Syſtem beruht auf Furcht, die aber nicht die Furcht des Herrn iſt. Lebt ſo, als wenn wuͤrklich ein Gott, wenn wuͤrk - lich eine Unſterblichkeit waͤre. Schoͤn geſagt, aber auch gethan? Liebe, Liebe, Liebe, iſt die Quelle alles Guten! Der Brunn des Le - bens! Die Liebe treibt die Furcht aus.

Niemand hat Gott je geſehen, Niemand beſitzt eine Demonſtration von ſeiner Exiſtenz; allein brauchts einer Demonſtration, das ihr ſeyd!

Du glaubſt, Freund, daß ſich die Welt ſelbſt erhalte? daß, wer erhalten koͤnne, auch zu ſchaffen vermoͤgend ſey, daß, wer B zu ſagen verſtuͤnde, auch A zu ſagen im Stande ſey? Ich weiß, daß ein Haus ſich nicht ſelbſt bauen koͤnne, weil es ein Kunſtſtuͤck iſt, daß aber die Natur taͤglich, ſtuͤndlich, augenblick - lich, baue und niederreiſſe, beßere und foͤr - dere! Allein, lieber, was iſt die Natur? Laß mich mit deinen Woͤrterchikanen; die Wahr - heit hat, wie die Sonne, ihr eigen Licht.

Vorwitz iſt freylich Untugend; allein kind - liches Zutrauen und Zudringlichkeit, wie ſehr unterſchieden!

Ich weiß, was ich glaube, heißt das viel - weniger, als ich weiß?

Guten,229

Guten, lieben Freunde, wenn eure Lehre unter den Haufen kaͤme, was wuͤrde da aus der Welt werden? Gott ſchlaͤgt euch mit Wortsblindheit, ſonſt muͤſten wir unſere Kirchen brechen, und Gefaͤngniße draus ma - chen! und doch, lieben Leute, glaubt ihr die Wohlfarth des ganzen menſchlichen Ge - ſchlechts durch eure Lehre zu befoͤrdern! Ihr! durch ſolche Lehren, die nichts denn Menſchen - gebot ſind? Freunde, das laßt dem Chri - ſtenthum uͤber, oder der ganze Plan iſt plato - niſch. Uns ſolt es gleich ſeyn, wie das Reich Gottes kaͤme, wenn es nur kaͤme! Nur eure Fahne ſcheint es nicht dazu anzulegen, das Verirrte zu ſammlen! Damit eine Heer - de und ein Hirte werde! Doch! warum ſollten wir mit euch rechten? Richtet nicht, ſagt unſer Herr und Meiſter, und es wird die Zeit kommen, da wir alle werden gerichtet werden! Wohl uns! wenn wir beſtehen in der Wahrheit! Als gute Streiter im Reiche der Vorurtheile, nicht, die ſuchten das Ihre, ſondern das, was der Wahrheit und Tugend iſt, nicht, die uͤber die Menſchen herrſchen, ſondern die ſie gluͤcklich machen wollten. Wie oft kann es hier heißen: große Schulden er - halten bey Credit. Kleine ſchwaͤchen ihn. P 3Der230Der Chriſt will keinen verfuͤhren. Er giebt jedem die Bibel in die Hand, und da ließt ſich jeder heraus, was ſeinem Verſtande ge - maͤß iſt. Es finden ſich Spruͤche fuͤr Gelehr - te und Ungelehrte, Reiche und Arme. Hier iſt harte Koſt, hier iſt Milch, ſtarker Wein und Labetraͤnke! Die Bibel iſt allen allerley. Sie iſt fuͤr Leben und Tod! Sie lehrt uns Ciſternen auszuſetzen, um himmliſches Waßer aufzufangen. Der Geiſt der heiligen Schrift iſt ſo kurz, als das Vater unſer. Glaubt, liebe Nichtchriſten, im Sterben ſieht man Gott, ſich, und die Welt aus einem andern Geſichtspunkte, als im Leben!

Laßt mich an Ort und Stelle, laßt mich zuruͤck, wo ich ausgieng!

Was Johannes ſagt, iſt jeden Augenblick wahr: Kinder, es iſt die lezte Stunde! Wohl uns allen, wenn wir bereit ſind zu ſtehen, vor des Menſchen Sohn! Wenn wir ihm unter Augen treten und ſagen koͤnnen: wie du gewandelt haſt, haben auch wir ge - wandelt; ſo ehrlich wie du gelehrt haſt, ha - ben auch wir gelehrt! Geſtern haben wir uͤberwunden! Heute laß uns mit dir im Paradieſe ſeyn!

Komm231

Komm, Tod! heute! morgen! Mein Freund iſt mein! ich bin ſein! Ich habe Luſt abzuſcheiden und bey ihm zu ſeyn, welches auch beßer waͤre! Amen, ich komme bald, Amen! Ja komm, Amen! Vater, in deine Haͤnde befehl ich meinen Geiſt!

Lieber Graf, bis zum Wiederſehen, hier oder dort!

Von einem Manne, wie der Graf, wer kann Abſchied nehmen? oder beßer, den Ab - ſchied mittheilen? Ich nicht.

Der Prediger aus L kam, und war ſo inniglich froh, mich wieder beßer zu finden, daß er bey einem Haar mit dem Grafen wie - der freundſchaftlich zerfallen waͤre. Der gu - te Prediger! Er hatte fuͤr mich, unter dem Namen eines Leidenden, aus einer andern Gemeine, auf der Kanzel gebetet, und eignete den groͤßten Theil meiner Beßerung dieſer ernſtlichen Fuͤrbitte zu. Die ganze Gemeine, fuͤgt er hinzu, wuſte beym erſten Wort, daß Sie der Leidende aus einer andern Gemeine waren. Der junge Ehemann, ſagten ſie un - tereinander! deßen Frau wir juͤngſt begru - ben!

P 4Ich232

Ich bin ſonſt ſehr fuͤrs Abſchied nehmen, wovon ich in dieſem Buch manches Proͤbchen gegeben; allein hier, kann ich?

Das ganze Leben des Grafen war eigent - lich ein feyerliches Abſchiednehmen, nicht be - ſtehend in: Leben Sie wohl, Dank fuͤr alle erzeigte Guͤte! wuͤnſche ſo gluͤcklich zu ſeyn, vom Wohlbefinden die beſten Nachrichten ein - zuziehen! Solch elend jaͤmmerlich Zeug hat das Abſchiednehmen, ſo wie das Geſundheit - trinken buͤrgerlich gemacht! und doch liegt in einem Leben, im andern Sterben. Ich trinke Geſundheit, und nehme Abſchied.

Wahrlich, ich kann es nicht beſchreiben, mit welcher Bewegung ich dieſen Hochgebohr - nen Todtengraͤber verlies. Auf meinen wohl - ehrwuͤrdigen Reiſegefehrten konnten dieſe Dinge natuͤrlicher weiſe keinen ſo ſtarken Ein - druck machen. Der Prediger kannte das Erdreich auf dieſem Gottesacker, und hatte hier zuweilen ſelbſt die Hand an den Pflug legen muͤßen. Anfang, Mitte und Ende mei - nes Aufenthalts auf dem graͤflichen Gute lag auf meiner Seele; allein ſanft war mir dieſes Joch, leicht dieſe Laſt. Hier oder dort! Ich dachte nicht das Hier. Hier galt bey mirwenig,233wenig, das dort verſchlang es bey mir! Nicht hier, dort! bald! dort! dort! wo Mi - ne iſt, wo ſie ewig ſeyn wird, dort! dort! dort! Ich komme bald, Amen! hies es beym Schluß der chriſtlichen Rede. Ja komm! Amen!

Der gute Prediger ſties mich mit der Frag an, wie mir die Reden gefallen, von denen er gehoͤrt, daß ſie gehalten worden? Herz - brechend, ſagt ich. Dort, lieber Herr Pre - diger! dort ſehen wir uns wieder! Der gute Prediger faßte mich bey der Hand, und druͤk - te ſie, und ſagte mir ſo ſanft: Gretchen laͤßt Sie gruͤßen, daß mir ward, ich weis nicht wie? Jungen Leuten iſt Leben und Ster - ben, wie Wachen und Schlafen; alles an einem Roſenkraͤnzchen. Auch hier iſt gut ſeyn, ſagte der Prediger, nur nicht zum Huͤtten - bauen, verſezt ich, wenn man eine Mine ver - lohren hat. Auch die Erde iſt des Herrn, fuhr der Prediger fort, ſo wie es der Him - mel iſt.

Der Prediger fand viel Eigenes in Abſicht des Styls in den Reden, es iſt, ſagt er, ſo was beaͤngſtigendes, ſo was von Todesnoth darinn! Eben das, ſagt ich, hat mich ent - zuͤckt bis zur Halle des Himmels. Dies inP 5der234der Rede zu treffen, zu copieren, war unmoͤg - lich ich liebe, fuhr der Prediger fort, eine genaue Bindung der Perioden, eine gewiße Baukunſt im Vortrage, und ſo viel Fenſter wie moͤglich in jedem Stock. Zwar halte ich es fuͤr keine Suͤnde wider den heiligen Geiſt.

Da waren wir wieder, wo mich der gute Prediger hin haben wollte. Er wiederholte mir Plan und Ausfuͤhrung, Geiſt und Aus - druck, verſicherte alles Eckigte in den Perio - den, was nicht ſchon gerundet und abgeſchlif - fen waͤre, noch runden und abſchleifen zu wollen. Was meynen Sie, fragt er mich, ob ich das Regiſter laße? und zur Nutzan - wendung noch ein ob? noch die critiſche Fra - ge: ob ſein Bruder, der Koͤnigliche Rath, ſich nicht uͤber die Zuſchrift kreuzen und ſeg - nen wuͤrde? Ohne Vorrede, ſagte der Pa - ſtor, laß ichs nicht. Es iſt nicht gut, daß das Buch allein ſey. Die Vorrede, ſagte mein Vater, iſt der erſte Eingang, wo Bitte, Gebet, Fuͤrbitte und Dankſagung vorkommt, damit der Autor ein geruhiges und ſtilles Le - ben fuͤhren moͤge, in aller Gottſeligkeit und Ehrbarkeit.

Zur235

Zur Erkenntlichkeit verſah mich der Pre - diger mit einigen Zuͤgen vom Grafen aus ſeiner Vorrathskammer, womit ich meine Le - ſer verſehen will. Die lezte Hand

Der Graf rechnete mit ſeinen Paͤchtern und Verwaltern jedesmahl die Woche vom neunten bis zehnten Sonntag nach Trinita - tis. Am neunten Sonntage nach Trinitatis wird von dem ungerechten Haushalter gepre - digt, am zehnten von Jeruſalems Zerſtoͤ - rung. Der Graf iſt nie von ſeinen Haus - haltern betrogen.

Wenn er in die Kirche kommt, wird er mit Gelaͤute eingehohlet. So wirds klingen, ſagt der Graf, wenn ſie mich werden heim - fuͤhren aus dieſem Elend, Kyrie eleyſon.

Zu ſeinen Kirchenabgaben, wozu auch das Predigtamt gehoͤrt, haͤlt er ſeine beſondre Sonn - und Feſttage. Er berichtigte ſie dop - pelt, nur nicht, wenn Quatember roth im Calender ſteht, ſondern Z. E. am ſechszehnten Sonntage nach Trinitatis, wo man der Witt - we Sohn aus Nain traͤgt, am erſten Sonn - tage nach Trinitatis, wo vom reichen Mann und armen Lazarus geprediget wird. Solche Evangelien muß man eindruͤcklich machen, ſagte der Graf.

Am236

Am ſieben und zwanzigſten Sonntage nach Trinitatis, wo, wie er ſagt, die chriſtliche Illumination vorkommt, (das Evangelium handelt von den fuͤnf klugen und fuͤnf thoͤ - richten Jungfrauen) ſchenkt der Graf zehn Kirchenlichter, die bey der Communion (nach der Gewohnheit in Preußen) brennen.

An ſeinem Geburtstage legt er ſich zwey Stunden in ſeinen Sarg, welches, wie mei - nen geneigten Leſern bekannt iſt, in der Haus - rapelle ſteht, und zwar im Sterbhemde.

Geduld, Standhaftigkeit, ſagt er einſt - mals zum Prediger, der von der Standhaf - tigkeit und Geduld geprediget hatte, das ſind die eintraͤglichſten Tugenden, und worinn be - ſtehen ſie? In der Fertigkeit, ſich auf einen Punkt einzuſchraͤnken, den man mit unver - wandter Seele anſieht. In der Geſchicklich - keit, immer in dieſen ſchwarzen Fleck zu tref - fen. Mein Vater ſchlug Obſervationen vor; allein der Graf ſchien ſich auf einen einzigen Punkt anzuſtrengen. Wer hat recht?

Der Graf war ſehr gluͤcklich im Rathen. Er ſetzte ſich nicht auf den Dreyfuß, wenn er zum Voraus Dinge beſtimmte. Er ſchuͤt - telte dies aus dem Ermel. Er hielt ſehr auf Traͤume, und glaubte mit meiner Mutter,daß237daß andere Geiſter alsdenn die Thuͤre offen faͤnden, um ſich mit ihres Gleichen zu un - terhalten.

Die Welt, ſagte der Graf, iſt ein Gar - ten in Norden, wo nur wenig reif wird. Er gern Brunnenkreß und Raute.

Nichts konnt ihn mehr aͤrgern, als wenn ſich der Menſch den Schlaf aus Lebensgeiz entzog. Es iſt gleich viel, auf dem Ball, oder in der Studirſtube, uͤberm Leben den Tod vergeßen.

Der Graf ſah entweder gen Himmel, oder auf die Erde. Leute, die den Kopf von ei - ner Seite zur andern werfen, ſind nicht ſo, nicht ſo, ſind Zweifler, ſind aufgeſchosnes Rohr, das der Wind hin und her treibt. Herauf oder herab.

Pathengeſchenke gab er nicht eher, als bis der Pathe zum erſtenmal zur Communion gieng. Ein ſchwarzes Kleid war das geweih - te Geſchenk.

Seine Buͤcher waren ſchwarz eingebun - den. Silberne Griffe, ſagt er, das heißt: der Titel war mit verſilberten Buchſtaben eingeſtochen.

Wenn man faͤllt, beſieht man die Stelle, wo man gefallen iſt. Der Geiſt wird ſich ge -wis238wis von ſeinem Lebensreiſegefehrten nicht ſo - gleich trennen. Er wird ſehen, wo er gefal - len iſt. Wer mit den Seinigen noch laͤnger zuſammen zu bleiben Luſt und Liebe hat, gehe auf die Kirchhoͤfe, wo ſie hingelegt ſind. Ich habe den Einfluß der Meinigen lang in mei - ner Seele empfunden, und noch empfind ich ihn.

Wenn man erzaͤhlt: die und der iſt todt, fraͤgt der Hoͤrer: iſt ſie? iſt er todt? War - um fraͤgt der Hoͤrer alſo?

Wenn der Graf communicirte, hatt er einen rothen Mantel uͤber das ſchwarze Kleid. In ſeinen Tiſchtuͤchern, Servietten war Name und Wapen ſchwarz eingenaͤht.

Ich kann, ſagte der Graf, im dreyßigſten und vierzigſten Jahre mit vieler Zuverlaͤßig - keit wiſſen, ob man ſiebenzig oder achtzig Jahre werden ſoll? Ein Gluͤcks - oder Un - gluͤcksfall iſt Schuld daran, wenn man es nicht wird.

Melancholiſche Leute (dieſe Anmerkung machten wir beyde, der Prediger und ich,) ſind ſehr zur Dichtkunſt aufgelegt. Vielleicht beſteht die Melancholie im Dichten.

Am neuen Jahrstage wuͤrd es ſchwer an - gemeſſen zu predigen ſeyn, wenn nicht dieWorte239Worte drinn vorkaͤmen: da acht Tage um waren. Alſo von der Zeit O du liebe Zeit! exclamiren einige Leute im Spruͤchwort. In der Entfernung iſt ſonſt alles klein, nur die Zeit nicht.

Der Graf ſetzte einem ſeiner Pathen, der nur ſieben Wochen gelebt hatte, ſelbſt eigen - haͤndig die Grabſchrift: Aus einem Mutter - ſchoos in den andern.

Der Schlaf war ehe in der Welt, als der Tod. Das Vorbild eher, als die Erfuͤllung.

Auch du wirſt ſterben, das war des Gra - fen Condolenz, wenn man wuͤrklich traurte um einen Todten.

Gehſt du aus der Welt, wenn du ſtirbſt? Deine Seele entſchwebt nur den Duͤnſten die - ſer Erde! Ewiger Geiſt der Liebe webt im Athem der Natur, wo der webt, iſt Leben!

Was mir der Prediger vom Leichenanzuge im Namen des Grafen ſagte, gefiel mir nicht. Ich ſtimme mit ihm nicht ein. Warum be - kleiden wir denn einen nackten Koͤrper, ſelbſt im Grabe? Wollen wir etwa den Wuͤrmern etwas zu verbeiſſen geben, ehe ſie an uns kommen? Dem Menſchen gefaͤllt nichts, was ein Beduͤrfnis verraͤth. Wir ſind in Geſell - ſchaft gewohnt, unſere Beduͤrfniſſe zu ver -hehlen.240hehlen. Wir verehren Leute, die ſich mit wenigem behelfen, wenn nicht Geldgeitz die Waage haͤlt. Man glaubt, ſie ſind ſchon geſtorben und auferſtanden. Sie ſind ſchon Vollendete.

Wer in einer großen Stube ſchlaͤft, ſagte der Graf, bedenkt nicht, wie klein der Sarg iſt.

Von unſerm Koͤrper heißts im Tode: La - zarus, unſer Freund, ſchlaͤft, und es wird beſſer mit ihm!

Wer viel Leib hat, von dem koͤnnte man eben ſo gut entleiben ſagen, als nur von dem, der viel Seele hat, entſeelen geſagt werden ſolte.

Es gieng alles ſchwarz beym Grafen. Herr v. W wuͤrde mit ſeinen Freudenfe - ſten eben ſo wenig, als mit ſeinem drey Vier - tel, halb und Viertel-Trauer, bey ihm Gluͤck gemacht haben. Der Graf kam nicht aus der Verwunderung heraus, daß ich nur einen ſchwarzen Flor um den Arm trug.

Seine Bettdecken waren alle ſchwarz.

Es iſt ein falſches Mitleid, was die Men - ſchen von den Todtenbetten zuruͤckhaͤlt, ſagte der Graf. Boͤhmiſche Steine, anſtatt Dia - manten Glanzgold.

Der241

Der Graf liebte viel Lichter. Er ſchlief gerade auf dem Ruͤcken, nie lag er auf einer Seite. Im Sarge, ſagt er, liegt alles au f dem Ruͤcken.

Die Jugend iſt witzig wegen der Plane, die ſie ſich macht, um die Frage zu beantwor - ten: was werden wir eſſen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? Dem Alter ſchmeckt das Leben am beſten. Je weniger Wein im Keller, deſto beſſer ſchmeckt er.

Der Tod hat große Leute bey Buͤchern ge - troffen. Man wolte vielleicht des Todes Bit - terkeit mit papierner Unſterblichkeit verja - gen. Vielleicht liegt eine Faſſung drinn, ſich nicht in ſeinen Zirkeln ſtoͤren zu laßen ich, ſagte der Graf, halt es fuͤr Furcht - ſamkeit.

Oft dachte der Graf an einen ſeiner beſten Unterthanen, der beym Ungewitter unter ei - nen Baum geflohen, und hier erſchlagen worden. Auch der Baum war zu Boden ge - ſchlagen! Da iſt ja Michel ſchon eingeſar - get, ſagte der Graf, als er dieſen Fall hoͤrte, und ordnete an, daß dieſer Baum zum Sarge gebraucht werden ſollte.

QBis242

Bis zum letzten Seufzer, ſagt man. War - um nicht bis zum letzten Laͤcheln? Weil das Leben ein Jammerthal iſt, und doch kommt der letzte Augenblick, die letzte Stunde, ſehr oft, wie der Geiſt des Herrn im ſanften Winde. Da ſieht vielleicht die Seele den Engel, der ſie aus Sodom fuͤhren will. Stehe auf, hebe dein Bett auf, und gehe heim!

Ein boͤſer ſchneller Tod iſt ein guter Mann, und ein boͤſes Weib.

Der Tod iſt nicht Gottes peinliche Hals - gerichtsordnung. Gemeinhin ſprechen wir uns ſelbſt das Todesurtel. Die Art des To - des gruͤndet ſich auf die Art unſeres Lebens, wenn dieſe Todesart nicht ſchon eine Erbſuͤnde iſt. Der ſtirbt an Zangenriſſen, an Stichen; der wird verbrant, und ſtirbt am hitzigen Fie - ber. Der wird gehangen, und ſtirbt am Schlagfluß. Wir ſitzen alle auf den Tod.

Wo die Praxis nicht der Theorie vorgeht, da verdient ſie kaum den Namen.

Jeder Schwindſuͤchtige, der unter meiner Aufſicht geſtorben, hat den Wunſch geaͤuſ - ſert, ein hohes Sarg zu haben! So ſind die Menſchen!

Der243

Der Graf hielt Ahndungen fuͤr Warnun - gen guter uns verwandter Geiſter, fuͤr Oran - genbluͤthen, die wir noch aus dem Paradieſe gebracht.

Sein Troſt war der Tod! Ich, ſagt er, bin nicht fuͤr leidige Troͤſter. Gemeinhin iſt der Troſt ein beglaubtes Zeugnis, daß wir mit leiden. Wir wollen uns uͤberreden, der Troͤſter nehme einen Theil Leiden auf ſich. Wir wollen gewis ſeyn, daß Niemand froh und gluͤcklich in der Welt ſeyn koͤnne.

Kunſtrichter, die ihr dieſen Hochgebohr - nen Mann angreifen wolt, laßt ihn, wenn ich bitten darf und iſt es moͤglich; erlaubt mir die Frage: ob euch vindicta Lycurgi be - kannt ſey? Ein Studioſus, wie ihr, hatte dem Lycurgus ein Fenſter eingeſchlagen, oder, weil euch vielleicht die Lycurgiſche Geſchichte nicht beywohnen doͤrfte, es war das Auge ſelbſt, das er ihm ausſchlug. Das Crimi - nalgericht beſchlos in dieſem beſondern Ca - ſualvorfall, den Juͤngling dem Lycurgus zur Strafe zu uͤbergeben. Was eroͤfnete Lycur - gus fuͤr eine Sentenz? Schickt er ihn in die Feſtung, oder ins Irrhaus? Nein, die Hand, ſagt er zum Augenraͤuber! Studioſus gab ſie, wie natuͤrlich, Sr. Magnificenz mit Zit -Q 2tern244tern und mit Beben, und Lycurgus? gab ihm die ſeinige, und ſo giengen ſie Hand in Hand in Lycurgus Haus, wo er ihn un - terrichtete, nicht, wie arme Suͤnder, ehe ſie hingerichtet werden, den Schlachtcalekutſchen Haͤhnen gleich, mit Catechismuslehren ge - fuͤttert und gemaͤſtet werden, ſondern in Le - bensregeln, und da der junge Menſch Candi - dat worden war, ſtellte er ihn vor das Crimi - nalgericht und fragte dienſtlichſt an: ob ſie mit dieſem in Rechtskraft uͤbergegangenen Urtel zufrieden waͤren? Kunſtrichter, der Graf bietet dir auch die Hand dar, um dich ſterben zu lehren. Bedenke das Ende, ſo wirſt du dem Grafen kein Aug ausſchlagen.

Gretchen empfieng mich ſo froh, ſo gut - thaͤtig, daß wir uns beyde Haͤnde reichten. Zwar weiß ich es nicht mit vollſtaͤndiger Ge - wisheit; indeſſen kommt es mir ſo vor, daß wir uns auch herzlich gekuͤßt haben! Ein unſchuldiger Kuß! Waͤr er wiederhohlt wor - den, haͤtt ich ihn vielleicht nicht vergeſſen; alsdenn waͤr er aber auch ſchon vom verbot - nen Baume geweſen.

Auf Gretchens Geſicht lag noch viel Schmerz; indeſſen waren es bloß Narben,welche245welche nur bey Veraͤnderung des Wetters die vorige Wunde ins Gedaͤchtnis bringen.

Ich ſieng an, mein Haus in L zu be - ſtellen: ich hatte viel zu beſtellen! So gern ich gleich noch bey Minchens Grabe geblie - ben waͤre; ſo wollt und konnt ich doch nicht fuͤglich laͤnger weilen. Ein ganzes Tage - werk war, die Abhandlung von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt von Anfang bis ans ſelge Ende zu hoͤren; das Regiſter blos aus - geſchloſſen. Der Prediger hielt Comma, Co - lon, Semicolon, Ausrufungszeichen, (deren viel vorkamen,) Fragzeichen, und wie ſie wei - ter lauten, dieſe himmliſche Zeichen, wie meine Mutter ſie benahmte. Ich werde mir vorſtellen, fuhr der Prediger fort, als ob Sie mein Bruder waͤren, und nun brach er mit der Zueignungsſchrift los, und that woͤrtlich ſo, als ob ich der Koͤnigliche Rath waͤre. Ich wolt ihnen, ſagt er beym Anfang der Vor - leſung, keinen unbeſeelten Odem mitgeben; keinen todten Koͤrper, ſondern ihm vielmehr einen lebendigen Othem einblaſen und ſie Ih - nen emphatiſch vorleſen. Er hielte Wort. Ausdruck, nicht Eindruck, machte dieſe Ab - handlung. Man konnte druͤber ſprechen. Zum weiter nachdenken war ſie nicht einge -Q 3richtet.246richtet. Ein Unterſchied, der gewis weit her iſt. Das Schluswort-Regiſter war das Amen dieſer Taufhandlung. Der Vater uͤbergab mir dieſes ſein wohlbeſtaltes Kindlein ſo feyer - lichſt, wie man einem Pathen nur die Frucht ſeines Leibes uͤbergeben kann.

Mit der Abhandlung ſind wir alſo fertig. Noch mehr aber lag mir in L ob.

Meine Schuld druͤckte mich zu Boden. Der Prediger in L war nicht in der beſten Vermoͤgensverfaßung. Er hatte (dies und jenes erfuhr ich von ungefehr) verſchiedene Auslagen bey Minens Begraͤbnis gehabt. Glocken, Erde, Traͤger und desgleichen. Dem Organiſten muſt ich auch eine geſegnete Mahlzeit wuͤnſchen: denn, wenn gleich eine Kraͤhe der andern nicht die Augen aushackt; ſo hat doch unſer Glaubensvater, D. Luther, in der vierten Bitte das Holz ausgelaßen, welches nicht geſchehen waͤre, fals D. Luther Organiſt in L geweſen, und wenn gleich der gute Organiſt ſchon den Abend beym Pre - diger ſichs wohl ſchmecken lies; ſo koſtet es doch viel und mancherley, einen Sohn auf der Univerſitaͤt zu haben, der kuͤnftige Pfing - ſten predigen und zeigen ſoll, ob er wuͤſte, wo er zu Hauſe gehoͤre? Oft hatt ich ſchon diesalles247alles uͤberdacht; allein meine Verlegenheit war bis jetzt noch nicht herrſchend worden. Das Ende trug die Laſt. Wie ich ſtand und gieng trat ich meine Reiſe nach L an, und wenn ich auch mehr Zeit gehabt, oder mir mehr Zeit genommen, was haͤtt ich mitneh - men koͤnnen? Eben erwartet ich mein Aus - geding von Hauſe. Wo Brod in der Wuͤſte? Ohn einer Bedenklichkeit Red oder nur Ge - danken zu ſtehen, gieng ich hin, brach und las.

Weißt du was ανέχου και απέχου ſagen will? Dein griechiſch haſt du nicht ver - geßen, das weiß ich. Sollte der Geiſt die - ſer Worte von dir gewichen ſeyn? Das wolle Gott nicht! und die deutſche Note ne - ben her: In der groͤßten Noth! Iſt ſie dir entfallen? Pruͤfe dich, ehe du weiter brichſt. Es giebt nicht blos Geldnoth, ſon - dern auch viele von anderer Art, z. E. Mel - chiſedechs-Noth! ανέχου και απέχου in der groͤßten Noth!

Ich fand in dem Zimmer meines Amulets, das ich erbrochen hatte, Schauſtuͤcke, ich zaͤhlte ſie nicht, ſondern nahm ihrer drey; zwey fuͤr den Prediger, eins fuͤr den Organi - ſien. Dem letzten ſchickt ich eins hin. HerrQ 4Predi -248Prediger, ſagt ich dem erſten, wegen der ge - habten Auslagen. Ich zog den beyden Gold - ſtuͤcken kein weißes Hemd an; denn eben da - durch wuͤrd es ein Geſchenk, eine Verehrung, geworden ſeyn, und ſchenken, welch ein graͤß - liches Wort iſt es, unter Leuten, die empfin - den koͤnnen! Der Prediger kam mir mit ei - nem gleich kalten: Wofuͤr? entgegen, und nach einem kleinen Wortwechſel bliebs dabey, daß ich ihm die baaren Auslagen erſetzen ſoll - te; als Unterpfand, fuhr ich zwar eben ſo kalt und ehrlich, allein lange nicht ſo treffend und anſtaͤndig, fort; ich habe kein ander Geld. Ich brauche kein Unterpfand, erwiederte der Prediger, und um der Sache ein Ende zu machen, geben ſie die Auslagen, die ſich auf 2 Rthlr. betragen, meinem Bruder; dem, das wußte der Prediger, durft ich mit einem Schauſtuͤck gewis nicht ankommen.

Daß man doch nicht umſonſt ſterben kann, ſagte der Prediger, wir ſollen nicht ſorgen fuͤr den andern Morgen; unſer Arme muß wei - ter hinaus, und fuͤr ſein Begraͤbnis ſorgen wie der Mann mit dem einen Handſchu.

Der Organiſt erlies ein großes Dankſa - gungsſchreiben an mich, und bat hoͤchlich ſichs dagegen aus, die Stellen in ſeiner Abdan -kung249kung zu ſtreichen, worinn er mir zu nahe ge - kommen, oder gar zu viel gethan. Ich wuͤr - de kein Geld um alles in der Welt willen nehmen, ſezte er muͤndlich hinzu: allein ein ander Ding Geld, ein ander Ding ſolch Schaueſſen. doch David von den Schau - brodten, rief er mahl uͤber mahl aus. Noch drang er mir eine ausgearbeitetere Ab - dankung auf, die ich aber nicht als Beylage C. ausſtatten werde, eben weil ſie ausgear - beitet war. Leute, die blos Mutter Natur, und nicht Vater Kunſt, haben, muͤßen werfen, nicht legen, Gluͤck greifen, nicht ſortiren.

Freylich haͤtt ich bedaͤchtiger mit meinem Amulet zu Werke gehen, und, wie meine Mutter, Ja und Nein in zwey Zettelchen ſchreiben, und eins von beyden ziehen koͤn - nen indeßen

Was meynt ihr Herren Kunſtrichter, wenn ich die uͤbrigen Goldſtuͤcke (es waren ihrer zwanzig) unter Euch vertheilen ſollte, wie es wohl Sitte in Deutſchland war, und noch iſt, wenn der Verfaſſer ſich einen Titel, oder Amt, oder des Etwas, an den Hals ſchrei - ben will?

Noch war ich mit meinen lezten Dingen nicht fertig. Ich lies mir die Taxe von denQ 5Sachen250Sachen meiner Mine methodiſch extradiren, gab Gretchen eine Abſchrift des lezten Wil - lens meines ſeligen Weibes, weil Gretchen mich darum bat. Grethe erhielt dies Anden - ken auf Minens Grabe. Wir weinten beyde bey dieſer Gelegenheit. Freunde, wenn alle Contrakte, alle Verabredungen auf Graͤbern, an dieſem Altar der Natur, geſchloßen wuͤr - den, was meynt ihr? Ich liebte Gretchen nicht; allein ich liebte ihren Schmerz um Minen, und fand, daß es tief in unſerer Na - tur laͤge, wenn man was liebes verlohren, ſich ſogleich mit was Lieben zu verehelichen. Einer Wittwe, einem Wittwer, iſt vielleicht die zweyte Ehe, in den erſten ſechs Wochen noch am erſten zu vergeben. Gretchens Mut - ter wolte, das ſah man, daß Gretchen meine Mine wuͤrde. Gretchen ſelbſt verlangte feyer - lichſt von mir, daß ich wenigſtens (auf dies wenigſtens der Ton) noch einmahl (auf noch einmahl wieder) nach L kommen moͤchte, ehe ich von hinnen zoͤge. Des Grabes wegen, ſetzte ſie mit einem Seufzer hinzu, der mir durch die Seele gieng. Der Prediger dachte an weiter nichts, als an ſeine Abhandlung von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt.

Lieben251

Lieben Leſer! Kann ich dafuͤr, daß ich ſo oft dran denken muß? Die Autorſchaft koͤnnte wuͤrklich ſolch ein Punkt, ſolch ein ſchwarzer Fleck ſeyn, auf den man im Leben und im Sterben ſtarr hinſieht, um alles andere weit zu uͤberwinden. Oft iſt ſie’s wuͤrklich! Gretchen ſagte mir gerade heraus, daß ſie einen gefaͤhrlichen Eindruck befuͤrchtete, den meine Abreiſe auf ihre ungluͤckliche Mutter machen wuͤrde. Sie iſt Ihnen gut, ſetzte ſie hinzu (und ward roth, nachdem die Worte weg waren) als waͤren Sie Ihr Sohn.

Wenn ſie nur nicht glaubt, ſagte Gret - chen: es ſey eine Linde ausgegangen, wenn Sie abreiſen.

Dieſe Befuͤrchtungen machten eine all - maͤhlige Entfernung von ihr vor meiner Ab - reiſe nothwendig. Vergeſſen Sie uns all und Gretchen nicht ſagte die Lindenkran - ke, da ich Abſchied von ihr nahm. Gretchen kuͤßt ich nicht; allein beyde Haͤnde reichten wir uns. Ein paar Stunden vor meiner Ab - reiſe lies ſich der Juſtizrath Nathanael an - melden. Wenn ich nicht mehr da waͤre, lies er ſagen, um meinen Schmerz nicht aufzu - bringen, nicht zu erneuern. Ich bat Gret -chen,252chen, ihn zu gruͤſſen. Mich? fragte ſie. Sagen Sie ihm, ich wendete mich zum Pre - diger, daß Mine ihm von Herzen vergeben habe. Gretchen hat das Teſtament.

Und ſo kam ich mit dem kuͤnſtlich gewin - delten mir auf die Seel gebundenen Werk - lein von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt nach Koͤnigsberg. Mein Gefehrter ſprang mir um den Hals, da er mich ſahe, und herz - te und kuͤßte mich. Zu Hauſe? fieng ich an. Seit ehegeſtern, erwiederte er, hauſe ich, ich hab es der Blonden in einem ſchwachen Stuͤnd - lein verſprochen, weil eben heut ein Lauten - concert, dem Vater zu Ehren, aufgefuͤhret wird. Geſtern war die Probe. Es ward bey der Probe alles durchs Fenſter geſpielt. Heut bin ich in beſter Form gebeten aber du kommſt mit, wenn nicht, ſo ſoll auch heu - te die wuͤrkliche Auffuͤhrung durchs Fenſter geſchehen. Aber? fieng ich an, ohn aufs Mitkommen ein Wort zu geben, und ſahe ei - nen Stoß Buͤcher und Schriften. Beym Scherz muß Ernſt ſeyn, beym Zeitvertreib Arbeit, dic, cur hic! Schoͤn, dacht ich, und v. G. (er hies Gotthard mit dem Vornamen) fuhr fort, da hab ich mir einige Buͤcher uͤber Jagdgerechtigkeit und Jagdungerechtigkeit,uͤber253uͤber fas und nefas in dieſer freyen Kunſt, nicht minder die cunterbunte preußiſche Jagd - verordnungen geben laßen, Bruder, ein Stu - dium, um den Tod zu haben! freylich mehr, als Jagdterminologie, wodurch man fuͤr Fund Zeitlebens ſicher iſt, und noch dazu Fund andern zuwenden kann. Indeßen ſag mir, du biſt doch ein kluger Kerl, wie kom - men die regierende Herren dazu, die Jagden zu Herrlichkeiten und Geſtrengigkeiten zu rechnen, und ſich druͤber ſolche Rechte anzu - maßen, als ob ihnen das liebe Wild naͤher waͤre, als Schaafe, Ochſen allzumal? Da hab ich ſchon gedacht, daß ſie ihre allerunter - thaͤnigſt treugehorſamſte Sclaven nicht zu ge - nau mit dem Wilde bekannt machen wollen, um ſie nicht auf Wildgroße Gedanken zu brin - gen, aus dem Schaafſtall ins Freye.

v. G brachte mich durch einige Be - trachtungen, die nicht aus dem Stall waren, zum Aufruf. Bruder, exclamirt ich, du entzuͤckſt mich, du biſt ohne die Concertprobe - Zeit abzurechnen, die du am Fenſter verhoͤrt haſt, noch nicht vier und zwanzig Stunden zu Hauſe, und ſprichſt ſo wahr! Und wenn ich immer zu Hauſe bliebe, fiel er mir jagd - eifrig ein, gelt! dann waͤr ich Sclave uͤberSclave.254Sclave. Nicht alſo, ſagt ich, wenn je die Freyheit noch einſt in ihrer edlen einfaͤltigen Geſtalt auf Erden erſcheinen ſoll, wenn je ſo kann ſie jezt nur aus der Studierſtube aus - ziehen. Der Heerfuͤhrer Moſes war unter - richtet in aller egyptiſchen Weisheit.

Da kam eben ein Bothe, der mich mit zum Concert einlud. Man hatte mich kom - men ſehen und hofte gewis

Ich war ſo wenig geſtimmt, eine ſolche Diſſonanz anzuhoͤren, daß ich gerade zu ab - ſchlug. Junker Gotthard, dem ein Men - ſchenſtimmhammer ohnedem nicht eigen war, und der keine meiner Herzensſaiten in Har - monie ziehen konnte, nahm indeßen das Wort, ſagte dem Bothen: ich werd ihn mitbringen. Dieſer gieng, und ich mochte wollen, oder nicht, ich muſte. Freylich, ſagte Junker Gotthard, wirſt du heute nur die Hochzeit ſe - hen, die Verlobung iſt vorbey, wie du zu ſa - gen pflegeſt. Wer kommt indes in der Welt immer zur Probe?

Herr v. G hatte nicht die mindeſte Neugierde, Geheimniſſe zu hezzen, oder zu ſchießen. Ich reiſete, ich kam, ohne daß er was, und wie, und wo wuſte. Mein Herz brach mir uͤber den guten wilden Jungen. Ich255Ich wuſte wohl, daß Theilnehmung ein Wun - der in ſeinen Augen ſey, und doch ſagt ich ihm alles. Ohngeſagt verſtand er nicht, das wuſt ich, einen Herzensbruch, die ſchreck - liche Ohnmacht eines beklemmten Herzens, den Worts-tod auf der Zunge, das Beben auf der Lippe, wo man ſonſt mit ſichtlichen Augen den Geiſt ſieht, der den allerfeinſten Koͤrper von Wort (waͤr es auch ein bloſſes Ach!) zu ſchwerfaͤllig fuͤr ſich findt. Ich ſagt ihm alles, und muſte mich wahrlich zwingen zu re - den; denn wer kann in ſolchen Herzensnoͤ - then, wer kann mehr, als abgebrochen ſeyn. Ich war diesmahl ſo gluͤcklich, ſolche Worte zu ertappen, daß ich den Junker Gotthard in Bewegung ſetzte. Bruder, ſagt er, du jam - merſt mich! Das war viel!

Nach einer Weile wenn ich das gewuſt haͤtte, ich haͤtte dich zu Hauſe gelaßen, und waͤre ſelbſt zu Hauſe geblieben. Hiebey ſtand er auf; denn er ſaß bey ſeinen Jagdſchriften. Haͤtte v. G dieſen Period nicht mit Wenn angefangen, was haͤtt ich mehr erwarten koͤnnen? was meine Leſer? Was fehlte denn zum thaͤtigſten Beweiß einer lebendigen leib - haftigen Theilnehmung? O waͤr es dabey geblieben! ſi tacuiſſes

Schon256

Schon war ich entſchloſſen, nach einem ſo guten Anfange meinem lieben v. G Em - pfindung beyzubringen, die Jagdwerke ohn - vermerkt zuzumachen, um ihn zur Abſage des Lautenconcerts zu bequemen, da er wieder, um ſeinen Ausdruck zu adoptiren, ins Zeug geſetzt war. Urploͤtzlich war er wieder da, mit Flinte und Taſche und dem Satanas.

Haͤtteſt du denn, fieng er von freyen Stuͤ - cken an, und ſetzte ſich wieder, haͤtteſt du denn nur eine ſchmucke Mine? Bruder, erwidert ich, und wollte was anders ſagen, Bruder, wir gehen aufs Concert.

Junker Gotthard wolte zwar ſeine Frage durch eine andere wieder gut machen, und ſchwor mir hoch und theuer, daß ich wie eine Waſſerſuppe ausſaͤhe, ſo verzweifelt wie ein gejagter Hirſch; allein unſere Empfin - dungsſtunde war vorbey. Ich ſchlos die Suͤnde wider den heiligen Geiſt in den nehm - lichen Kaſten, wo mein ανεχου και απίχου deſſen Vorhang bis zum Allerheiligſten, wie mich duͤnkt, gezogen war, an einen Ort, doch ſo, daß ſie nicht zuſammen kamen. Zwey - mahl ſchloß ich den Kaſten auf, und legte ſie jedesmahl noch mehr auseinander, recht, alsob257ob ich beſorgte, ſie koͤnnten ſich doch wohl zu nahe kommen und Schaden thun, und nun gieng es an eine ſtaͤtiſche Laͤuterung, die ich nicht noͤthig gehabt haͤtte, wenn Grete die Heldin, prima donna, dieſes Concerts ge - weſen.

Was ein ander Kleid, ein gewiſſes ſtaͤdti - ſches Weſen, eine gewiſſe Koͤrpertracht, aus der der Tanzmeiſter alles ſchlichte natuͤrlich gute Weſen heraus gegeigt und herausgebro - chen, machen kann, wird jeder wiſſen, der in Rom und auf dem Tuſkulan geweſen.

Ich gieng mit meinem guten v. G zum Concert, wo ich Lichter und Kleider von Gold und Silberſtuͤck uͤber alle Maaß und Gewicht fand.

Was mir ſeit einiger Zeit dergleichen Pracht und Herrlichkeit widerlich iſt! Ein wahres Theater! Da gieng ich leiſe hin und her, ohne, daß ich hoͤrte. Ein paar Toͤne kamen mir ſo vor, als haͤtten ſie was aͤhnli - ches von den Glocken aus L und denn ein paar Adagiosſtellen, als waͤren ſie aus dem Liede: Nun laßt uns den Leib begraben, und das ruͤhrte mich ſo, daß mir alles nicht etwa verkuͤmmert war, nein, ſondern ſo, als waͤr es gar nicht. Der Herr des Feſtes ſollteRdurch258durch dieſe Solennitaͤt uͤberraſcht werden, mithin haͤtt er thun muͤſſen, als wuͤßt er nicht, was Trumpf waͤre. Er wollt es auch, wie mich duͤnkt; indeſſen zeigte ſeine lichter - loh brennende goldne Weſte das Gegentheil. All ſein Tichten und Trachten fiel zuſehens dahin aus, daß ihm dieſe Feyerlichkeit, die im Finſtern geſchlichen, nicht unbekannt ge - blieben. Er ſahe leibhaftig wie das Ziel aus, nach dem geſchoſſen ward.

Ich merkte bey aller meiner Zerſtreuung, daß Amalia der ſchmucken Trine des guten Junker Gotthards Abbruch gethan, und ob - gleich er gewiß mehr, als eine, in dieſer Ge - gend (wieder ſein Ausdruck) auf dem Korn hatte; ſo ſchien doch Amalia das Schnupf - tuch empfangen zu haben. Jene mit ſchwar - zem Haar, wie Ebenholz, wobey eigentlich Junker Gotthard titulo inſtitutionis honora - bili zum Erben eingeſetzet war, hatt es we - gen der zehn tauſend Liebesgoͤtter auf dem Buſen, die bis auf zehn reducirt wurden, ver - dorben. Amalia hatte ſehr wohl bedaͤchtlich die - ſen Abend alles, was ihr nachtheilig ſeyn konn - te, entfernet; ſie allein wollte mit ihrer blonden Stirne ſiegen und mit ihrem wallenden herauf bebendem Buſen, und mit ihrem dahin flieſſen -den259den Ordensbande, und mit allem, was der Teſtator ſo puͤnktlich von ihr angegeben hatte.

Ich hoͤrte es Amalien in der Kopie an (das Original, die Probe, war wie bekannt, vorbey,) daß ſie von ganzem Herzen dem Junker Gotthard zuſpielte, daß ihr Herz alle ſeine Gedanken und Begierden der Laute an - vertraut hatte, die alles wieder raunte, was ſie wuſte! Nur Schade, daß es eine Laute war! Wenns ein Waldhorn geweſen waͤre, wuͤrde v. G es eher verſtanden haben. Den Lautenzug verſtand er nicht. Amaliens Auge, das wahrlich nicht ins Ohr ſprach, ſondern vernehmlich ſich auslies, dies redende Auge verſtand v. G , wies ſchien, ſtellenweiſe. Er war eine lebendige Seele worden.

Vater und Mutter, obgleich beyde auch bey dieſer Gelegenheit ſo thaten, als der Haus - vater beym heutigen Namenstage, konnten doch eine gewiſſe Freude von lichterloh bren - nender goldnen Weſte nicht bergen, welche ſie uͤber dieſe Augenvertraulichkeit (es war mehr als Augenumgang) verſpuͤrten.

Wenn ich den Junker Gotthard nicht, als einen ſo jagdgerechten Jaͤger und einen, der mehr als eine ſchmucke Trine und ſchmuckeR 2Amalia260Amalia zu lieben verſtuͤnde, gekannt, wuͤrd ich ihn ſtehendes Fußes gewarnt haben; allein jetzt, dacht ich, wird ſich alles geben.

Da fand ich ein Glas voll Roſen, zwar auſſerhalb der Jahreszeit, wie alles am Hof und in der Stadt iſt, doch anziehend. Vier Roſen waren aufgebluͤht, und eine Knoſpe. Gott verzeih mir meine ſchwere Suͤnden, daß mir in einem Muſikzimmer, bey ſo viel Glanz und Lichtern, nur Mine einfiel. Der graͤf - liche Todtengraͤber liebt auch viele Lichter, und man ſage, was man will, Lichter (die Menge thut nichts dagegen) haben etwas melancholiſches, etwas von Mondſchein bey ſich. Eine heilige! meine heilige! mein Schutzgeiſt wie in dieſem Saal der Eitel - keit? Wie ſtimmet Himmel und Erde, See - ligkeit und Weltfreude? Doch, war es nicht bey einer Roſenknoſpe, ihrem Ebenbild!

Da war dies Knoſpchen unter ihren auf - gebluͤhtern Schweſtern. Es ſchien gerungen zu haben, ſich heraus zu helfen: allein ver - gebens. Bleich, abgezehrt, begab es ſich in die liebe Geduld; es ſpuͤrte wohl, daß es nie zum Aufbruch kommen wuͤrde. Gott dacht ich, und ſah gen Himmel! Eine Platztraͤnefiel261fiel aus meinem zum Himmel andringenden Auge, das ich uͤber dieſen Roſenbuſch hielt. Dieſe Thraͤne! entblaͤtterte die Knoſpe. Ob ſo, oder anders. Die Blaͤtter fielen aus einander, und ich! Wer ſo ſtirbt, der ſtirbt wohl.

Ich gieng, oder lief, wie es kam, wie - der in die Stunden. Meine Abweſenheit war mir nicht nachtheilig ich half mir ſelbſt nach, und da ich mit den beſten meiner Bey - gaͤnger, oder Beylaͤufer, collationirte, fand ich hier und da eine andere Ader! Auch gut, dacht ich! Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menſchen. Man muß das Fund, das uns der Herr anvertraut hat, nicht ins Schweistuch vergraben, ſondern es anlegen, damit es Fruͤchte bringe, zu ſeiner Zeit.

Mein Vater pflegte zu ſagen: alle Philo - ſophie will den Menſchen ſtill machen. Er - innerſt du dich nicht an ſchoͤne Abende, wo ſich kein Blaͤdchen am Baum bewegt, wo die ganze Natur, wenn ich ſo ſagen ſoll, beym lieben Gott in der Kirch iſt und Ihn, nurR 3Ihn262Ihn, anhoͤrt; und die Sphaͤrenorgel; wo auch ein Lied: Freu dich ſehr, o meine Seele, und vergiß all Angſt und Quaal geſpielt wird; allein wahrlich von anderm Innhalt, und wahrlich auch in andrer Melo - die, als es deine Mutter ſingt. Wahrlich, die Philoſophie will uns in Stille bringen! Es ſoll ſich kein Blaͤdchen an uns bewegen, kein Vergnuͤgen, kein Schmerz, ſoll bis zu unſrer Seele eindringen, es ſey denn der Schmerz, der Seligkeit wirket, der Schmerz wegen verletzter Pflicht. Nicht jeder Schmerz iſt Traurigkeit; nur alsdenn wird ers, wenn er bis zum Gemuͤthe kommt. Nicht jede Ruh iſt Froͤhlichkeit; ſie wird es nur, wenn wir das Vermoͤgen beſitzen, alle Vorfaͤlle unſeres Lebens aus dem Geſichtspunkte zu betrachten, der uns auf irgend eine Art an dem unange - nehmen Vorfall ein Vergnuͤgen verſchaft, eine Sonnbeſchienene Stelle zeigt. Wir ſind leidend bey Affekten, ſchickt ſich das fuͤr uns? Schickt ſich, paßiv zu ſeyn, fuͤr Maͤnner? Man verachtet jeden Menſchen, wenn er im Affekt iſt, Weiber weniger; denn ſie ſind zum Leiden gemacht. Woher die Verachtung? Weil die Menſchheit herabgeſetzt iſt, und die Thierheit auf dem Throne ſitzt und tyranni -ſirt?263firt? Wohl, recht tyranniſirt. Beym Affekt tritt die dumme Figur ein: Pars pro toto. Der Theil iſt ſo groß, als das Ganze. Ein Theil der Beduͤrfniſſe uͤberwiegt Summa Summa - rum aller Beduͤrfniſſe. Eine Neigung uͤber - wiegt die Sammlung aller Neigungen. Es iſt ein Monſtrum, ein Mannskopf und Kind - fuß, oder umgekehrt. Neigung iſt ſchon Schwachheit; indeſſen behaͤlt ſie noch immer eine Klarheit; allein im Affekt, wo biſt du Sonne blieben? Der Tag iſt ſchier dahin.

Alle Thiere ſind des Vergnuͤgens und Schmerzens, nicht aber der Freude und Trau - rigkeit faͤhig; denn dieſe entſtehen nur als - denn, wenn wir von dem Huͤgel unſers jetzi - gen Zuſtandes unſern ganzen Zuſtand uͤber - ſchauen. So weit reicht das Auge des Thiers nicht; waͤr’s auch ein Elephant. Der Menſch iſt Thier; wenn er ergetzt wird, wenn er Schmerz empfindet, kann es ihm wohl ver - dacht werden? Nur auſſerordentlich freudig, auſſerordentlich traurig zu ſeyn, iſt ihm un - anſtaͤndig.

Der Eifer fuͤr des Herrn Haus, der edle Zorn fuͤr die Rechte der Weisheit, die Ent - zuͤckung uͤber das Gluͤck der Menſchheit, klei - den einen Menſchen; weil ſie den MenſchenR 4dahin264dahin leiten, wo kein Affekt mehr ſeyn wird. Dies Reich Gottes (mein Vater nannte Reich Gottes was zwar hinein gehoͤrt, allein es eben nicht iſt, Pars pro toto) wird ſchon in dieſer Welt kommen, kann kommen; allein dort iſts gewiß, drum ewige Ruhe! Die Suͤnde iſt der Menſchen Verderben, und das Verderben iſt die Quelle aller das Gleichge - wicht habenden Leidenſchaften, ſie moͤgen uͤbri - gens ſeyn, welche ſie wollen, angenehm oder unangenehm. Am Ende ſind ſie all un - angenehm, glaubt mir!

Dieſe Predigt, welche meinen Leſern kei - nen Dreyer in den Seckel gekoſtet hat, dieſe Wiederhohlung einer parenaͤtiſchen Stunde, wie wandt ich ſie an? So wie man gemein - hin alle Predigten ohn und mit dem Seckel anzuwenden pflegt. Faſt koͤnnt ich ſagen, daß ich dies alles angeſehen, wie die Henne ihre Ausbrut junger Enten, womit ſie die Hausmutter betrogen hat, wenn ſie ſchwim - men. Es iſt noch lange nicht alles geſagt in der Welt, was geſagt werden kann, weit we - niger iſt alles gethan. Was that ich aber? Was konnt ich thun? Da Mine lebte, ſah ich ſie uͤberall. Ich ſtudirt an ihrer Hand. Jezt, da ſie im Himmel iſt, ruhete ihr Geiſtauf265auf dem Meinigen. Ich konnte nicht ſo gluͤcklich ſeyn in L , wo ihre Gebeine ruhe - ten, koͤrperlich mit ihr zuſammen zu ſeyn, und eben dadurch, nach der Meynung des Gra - fen, laͤnger ſie zu haben, laͤnger ſie zu beſitzen. Es war mithin alles im Geiſt. Wahrlich, unſere Liebe war Geiſt zu Geiſt, war himm - liſch, war auserwaͤhlt ich wallfahrtete ſo oft ich konnte auf alle Kirchhoͤfe, chriſtliche und unchriſtliche, und las mir einen aus, wo ich Minens Andenken ſtiften wollte. Dieſen fand ich an einer Kirche, die man die Roß - gaͤrtſche nennt.

Der Tod, Freunde, iſt natuͤrlich fuͤrchter - lich! Der Denker, der ſein eigen Licht hat, und der gemeine Geiſt, der ſein Licht von der Sonne borgt, muͤßen gleicherweis ihre Zu - flucht zur Kunſt nehmen, um den Tod ſich leidlich vorzuſtellen, und da kommt es mit auf die Oerter an, wo man uns hinbringt.

Gewoͤlbe ſind das nicht Oerter, wo einem Angſt und bange wird. Der Moder, der Todtengeruch, womit wir unſere Kirchen ver - peſten, wie ſchrecklich zieht er dahin und da - her, wenn er eingemauert wird? Bringt den Todten in die freye Luft, er iſt leben -R 5dig.266dig. Schließt den Geſundeſten ein, er verweſet.

Meine Kirchhofsidee fand ich auf dem roßgaͤrtſchen Kirchhofe am gruͤndlichſten in ganz Koͤnigsberg ausgefuͤhrt.

Ein vortreflicher gruͤner Platz, mit Baͤu - men unordentlich beſetzt, zuweilen viere nicht weit von einander, und unter ihnen ein Grab, das ſie bedecken, zuweilen ganze Stellen, als ein Wald, und dann ein Monument, wie ver - lohren, nicht nach Regeln der Kunſt, ſondern ſchlechtweg gearbeitet. Ein lebendiger Zaun unterſcheidet einen kleinern Kirchhofstheil vom groͤſſern. So vortrefliches Grasgruͤn auf dieſem eingeſchloßnen Platz, daß man ſich das Auge dran ſtaͤrken kann. Vielleicht wird hier das Taufwaſſer ausgegoſſen. Die andre Seite dieſer Kirchhofs-Parentheſe gehet nach dem Waſſer. Dieſer Einſchluß, dieſer Kirch - hof im Kirchhof, dieſer Status in Statu, nimmt die Gebeine der verſtorbenen Herrnhuͤter an Kindesſtatt an, die, nach dem ſehr preciſen herrnhutſchen Kunſtwort, das auch dem Gra - fen v eigen war, nicht ſterben, ſondern heimgehen. Da ich nach meines Vaters Weiſe bey allen dergleichen Dingen durch die große Pforte zu gehen gewohnt war; ſo bliebich267ich auch mit meiner Mine auf dem unver - zaͤunten Hauptkirchhofe. O hier iſt gut ſeyn! Man kann ſich auf dieſem Kirchhofe kaum des Gedankens erwehren, daß die Abgeſchie - denen hier im Mondenſchein ſich regen und bewegen, wie meine Mutter ſich ausdruͤcken wuͤrde.

Der Todtengraͤber dieſes Sprengels woh - net ohnweit dem Kirchhofe; ſein Hauptfen - ſter gehet hinein. Da er mich unfehlbar mit Einem Geſichte, worauf Tod und Begraͤbnis deutlich zu leſen war, herumwanken und Stell und Ort ſuchen ſahe, kam er mit einer eiſer - nen Stange zum Vorſchein, und fragte mich, was mein Begehren ſey? Die eiſerne Stan - ge diente ihm beym Grabmachen, um zu ver - ſuchen, ob auch tief genug, ohne einem fri - ſchen Sarge zu nahe zu kommen, gegraben werden konnte. Ich kann den Kirchhof em - pfehlen, wenn es was zu begraben giebt, fieng er zu mir an. Wie ſehr uͤberraſchte mich der Todtengraͤber mit ſeiner Stange und ſei - ner Frage! Ich erwiedert ihm mit ſchwerem Herzen, daß ich ein Liebhaber von Kirchhoͤfen waͤre, und eben einen getroffen haͤtte, der mir ſehr gefiel. Sie ſind nicht der erſte, der die - ſen Kirchhof ſchoͤn findet. Der Graf v beſucht268beſucht ihn, ſo oft er nach Koͤnigsberg kam. Ich bin bey ihm einige Jahre in Dienſt ge - weſen, ſezt er hinzu. So, dacht ich, biſt du ein wuͤrklich ausgelernter zuͤnftiger Tod - tengraͤber, bey ſolch einem Meiſter!

Nach dieſen Umſtaͤnden fand ich es nicht laͤnger ſchwierig, dieſen ausgelernten Todten - graͤber in mein Herz tiefer hinein ſehen zu laſſen. Ich habe, ſagt ich, eine Schweſter verlohren, die ich ſehr liebte, und an die ich gern hier auf dieſem Kirchhofe denken will. Ich gehe darauf aus, mir einzubilden, daß ſie hier begraben ſey, um mich mit dem An - denken an ſie deſto feſter zu binden, das dau - ren ſoll, bis daß auch ich begraben werde. Sterb ich in Koͤnigsberg, verſteht ſich, iſt hier mein Grab. Der Todtengraͤber, dem mit dergleichen idealiſchen Graͤbern, bey denen er ſeine Stange nicht brauchen konnte, nicht im mindeſten gedient war, widerrieth mir, ob - gleich er einige Jahre beym Grafen v ge - dient, dieſe Imaginationen, die keinem Men - ſchen was einbraͤchten, wohl aber dem, der ſich mit ihnen in Vertraulichkeit einlaͤßt, an Leib und Seel ſchaden koͤnnten. Ich glaubte zu merken, worauf es bey dieſem Ehrenmann ankaͤme, und nachdem ich mich ſeiner Gebuͤh -ren269ren halber erkundiget, und ihm noch einmahl ſo viel in die Hand geſteckt hatte, als ein wuͤrkliches Grab galt, weil ich ein idealiſches Grab bey ihm beſtellte; ſo fand er weniger Bedenklichkeit bey meiner Sache, und lies es mir ſelbſt uͤber, ein Plaͤtzchen fuͤr meine Phan - taſie auszuſuchen. Er fragte mich zum Be - ſchluß, wie alt ich waͤre, und ſchuͤttelte, da ich ihm antwortete, den Kopf. Ich fragt ihn zur Wiedervergeltung, wie lange er beym Grafen v gedient haͤtte, und ſchuͤttelte, da er mir antwortete, ſieben Jahr, auch den Kopf.

Wir hatten, glaub ich, beyde gleiche Ur - ſache zum Schuͤtteln.

Ich ſuchte hin und her eine Stelle fuͤr mich zum Monument, und ſah endlich einen Baum, den ein andrer nicht blos angefaßt hatte. Er hatte ſich hinan gewunden. Der Todtengraͤ - ber, der ſeine Amtspflicht vollbracht hatte, und mit ſeiner Stange nach Hauſe zu gehen im Begrif war, ſahe ſich zum Gluͤck noch ein - mal um. Ich winkt ihm nicht; allein er ſa - he die Frag im Aug und kam.

  • ich. Dieſe Baͤume
  • er. von ſelbſt zuſammen
  • ich. ſelbſt?
er. 270
  • er. ohne Menſchenhaͤnde.
  • ich. und begraben?
  • er. ein junges Paar.
  • ich. Paar?
  • er. wie ich ſage. Schade, daß ihr Verluſt eine Schweſter iſt, ſonſt eine Stelle fuͤr Sie, wie gewonnen.
  • ich. Wer zuerſt?
  • er. ſie.
  • ich. Gott!
  • er. es war ein Maͤdchen, das Liebe hatte, bey jung und alt. Die Eltern, wies doch immer ſo geht, wollten ſie zwingen, und ſie wollte ſich nicht zwingen laßen. Sie liebt einen jungen Menſchen, deßen Vater das iſt, was ihr Vater iſt. Kein Finger - breit mehr, oder weniger. Die Eltern wollten hoͤher mit ihr heraus; endlich ſa - hen ſie, es gienge nicht, denn das Maͤd - chen graͤmte ſich zuſehens. In der Gemei - ne kenn ich meine Kundleute aufs Haar. Da ſollten wohl zehn eingeſchnuͤrte ver - heimlichte Schwangerſchaften der Hebam - me des Creyſes eher entgehen, als mir ei - nes, das an Grabes Bord iſt, obgleich ich auch mich auf die geſegneten Umſtaͤnde und Leibeserloͤſung, wiewohl nur nach Augen -maas,271maas, verſtehe. Ein Aug iſt bey unſer Einem die andre Hand. Diesmahl glaubt ich ſchon, mich zu irren. Ich irrte mich wuͤrklich; die Eltern ſagten endlich Ja zur Heyrath, und alles ſagte Ja. Das Maͤdchen erhohlte ſich zuſehens. Verlo - bungen kommen unſer Einem ſelten zu Oh - ren. Die Leute halten mich fuͤr ein Stuͤck vom Tode, fuͤr einen Verwandten des To - des, und wollen mit dem Tode bey der - gleichen Gelegenheit nichts zu thun haben; obgleich der Tod immer hinterm Stuhl ſteht, es ſey bey einer Verlobung, oder ſonſt. Es iſt, duͤnkt mich, zu ſehen, daß ich ſo gut lebendig bin, wie einer, und wenn der Tod bedenkt, daß unſer Einer ihm gewiß iſt, und daß er ihn aus der er - ſten Hand hat, ſo geht er lieber auf die Jagd, als daß er nach dem Haushahn greift.
  • ich. Das Maͤdchen, Freund, das Maͤdchen erholte ſich
  • er. Ja wohl, erhohlte es ſich. Iſt die Ver - lobung nicht vorgefallen; ſo haͤtte ſie doch vorfallen ſollen. Es war alles: Ja und Amen, und da ſtarb es, wie eine Knospe Roſenroth, und nun giengs ans Heulen und Zaͤhnklappen.
ich. 272
  • ich. und er? er?
  • er. er? weis Gott wies war, er iſt am Tode geſtorben. Es hat ihm ſo wenig gefehlt, wie Ihnen und mir. Sie ſtarben einan - der ſo nach, wie Blitz und Donner. So was hat man bey Menſchen Gedenken nicht erfahren! Die Nachbaren und desgleichen ſagten nun freylich wohl, daß der liebe Gott an ihnen ein Exempel ſtatuiret, weil ſie doch vom verbotenen Baum eſſen, und den lieben Eltern der Braut ungehorſam wer - den wollten. Sie meynten es gut mit ihr, und dachten hoͤher mit ihr heraus.
  • ich. Ach Freund! Sie iſt hoͤher heraus, wie wir alle!
  • er. Ja, wenn Sie’s ſo nehmen, hab ich nichts dawider. Sonſt pflegts zu heiſſen: wer den Eltern nicht folgt, der folgt dem Kalbfell. Hier gieng ſie einen andern Weg, und er folgte. (Das Spruͤchwort: wer den Eltern nicht folgt, folgt der Trummel, fiel mir ſo auf, daß ich aus der Weiſe kam; indeßen er - hohlt ich mich nach einer kleinen Weile, und lenkte das Geſpraͤch zuruͤck auf ihn und ſie.)
  • ich. Aber dieſe Baͤume?
er. 273
  • er. Ein lebendiger Leichenſtein, zum Zeichen der froͤhlichen Auferſtehung geſetzt. Ihr ſetzten ſeine Eltern dieſen lebendigen Lei - chenſtein, ihm die Mutter der Seligen, mit Zuziehung der Kirchhofs-Obrigkeit.
  • ich. Mit bebender Hand.
  • er. Kann nicht ſagen, was man ſetzt, muß mit Herz und Hand geſetzt werden, ſonſt gehts auch ſo fort. Ohne mich kann kein Grab gegraben und kein Baum gepflanzet werden. Auf dieſem Acker bin ich, ohne Ruhm zu melden, Gottes Gaͤrt - nierer, ſo wie der Herr Pfarrer ſein Diener iſt in der Kirche. Die Mutter der Se - ligen hatte den Glauben, daß dies Paar - chen dort Hochzeit machen wuͤrde; obgleich ichs ihr ohn End und Ziel ſagte, ſie werden dort weder freyen noch freyen laßen. Noch kann ſie Niemand von den Gedanken ab - wendig machen; ich wenigſtens gebe meine Kunſt auf: denn ſehen Sie die Baͤume wurden mit Herz und Hand ſo hingeſetzt, mir nichts, dir nichts. Wahrlich ein ſtark Stuͤck! Dieſer Baum da, auf Ehr und Redlichkeit, ſchlung ſich um den andern ſo herum, daß es nun freylich ſo ausſieht, als waͤren ſie um einander gewunden.
SWie274

Wie mich dieſe Zugabe des Todtengraͤ - bers geruͤhrt, mag jeder meiner Leſer ſelbſt empfinden, der ſich dies in einander geſchlun - gene Paar Baͤume ſo lebhaft vorſtellen kann, als ich! Da lag ich, und Mine im Geiſt in meinem Arm! Die Baͤume waren Linden.

Bis hieher hat der Herr geholfen, ſagte Samuel, da er einen Stein zum Altar hin - legte, und auch ich; ihr wißt es, ihr heiligen Graͤber und ihr Baͤume, die ihr mit ihnen ſo nahe verwandt ſeyd, ihr wißt es, wie ich bey dieſem Altar bewegt war, den ich naͤchſt Gott Minen ſetzte. Der Todtengraͤber war weg. Ich allein. Ein heiliger Schauder nach dem andern nahm mich, als wenn dieſe oder jene abgeſchiedene Seele auf und in mich wuͤrkte, und nun, da ich mir ſelbſt zu ſchwer war, fiel ich auf Gottes Gartenacker, von wo ich beyde Haͤnde offen gen Himmel hob, als wenn mir Gott einen ſanften ſeligen Tod hinein legen ſollte. O wahrlich! ich bettelte drum, ſiehe da fiel ein welkes Blatt auf meine Rechte; dies nahm ich und gieng geſegnet in mein Haus; noch liegt dies Blatt in der Bi - bel, die mir mein Vater auf den Weg gab. Wie mir dieſen Einweihungsabend war, ver - mag ich nicht auszudruͤcken. Oft hab ichihn275ihn wiederhohlt, den vortreflichen Abend! ohne daß mich der Todtengraͤber weiter mit ſeinem Spies ſtoͤhrete. So oft wir uns uͤberfielen, berichtigte ich ihm meinen Canon.

Einen ſchoͤnen Abend, da der Mond die Nacht regierte, gieng ich tief andaͤchtig zu meinem Altar, und ſiehe da, der Koͤnigliche Rath kam, ſtellte ſich vor ein Grab, ſahe in den Mond und aufs Grab, wies mir vorkam ſo lange, bis die Thraͤnen ihm nicht mehr er - laubten, in den Mond und aufs Grab zu ſehen. Ich glaube nicht, daß er mich be - merkt hat; allein ich habe ihn weinen geſe - hen, weinen, und das beym Mondenſchein. O! wie ſchoͤn die Thraͤnen da ausſehen! Er war mir von je her ſchaͤtzbar; ſeit dieſem Abend aber war er es mir unendlich mehr. Es kamen und giengen viele Leute dieſes We - ges, und dies war das Einzigſte, was mir auf dieſem Kirchhofe misfiel, und meine An - dacht unterbrach. Denn wahrlich die wenig - ſten ſahen, wie der Koͤnigliche Rath, in den Mond und auf ein Grab, bis die Thraͤnen es nicht mehr verſtatteten. Die wenigſten wall - fahrteten einer Mine wegen an dieſer heiligen Staͤte. Ich hab ihn auch nie mehr anS 2dieſem276dieſem Grabe weiter gefunden; allein nie bin ich ſeine Thraͤnenſtelle vorbeygegangen, ohne dran zu denken, daß dieſer in der Welt ſo ge - faßte Mann hier weinte.

Bey dieſer Gelegenheit freue ich mich, auf den Koͤniglichen Rath zu kommen, der, wie alle Obriſten im Volke, nur des Nachts, nur beym Mondſchein, weinen konnte.

Die Abhandlung uͤberlieferte ich ſogleich nach meiner Ankunft dem Verleger, ohne, nach der dem guten Prediger gegebenen Ver - heiſſung, ſeinem Bruder hievon einen Strahl leuchten zu laßen. Ich indeſſen ſtellte auf meine eigene Hand dies Werk und den koͤnig - lichen Rath zuſammen, und uͤberzeugte mich je laͤnger je mehr, daß ihm mit der Zuſchrift nicht ſonderlich gedient ſeyn wuͤrde. Ich er - zaͤhlte dem Koͤniglichen Rath meine Geſchichte mit aller Treue, und hatte Gelegenheit, zu bemerken, daß er auch ohne in den Mond zu ſehen, empfinden und Theil nehmen konnte. Es war hoch am Tage. Weinen nur konnt er ohne den Mond nicht. So lieb, als in meine Stunden, und waͤren ſie auch beym Profeſſor Grosvater gehalten, gieng ich in ſeine kleine Abendgeſellſchaften, wo ein Koͤnig - licher Rath, ſein College, ein Officier, einPre -277Prediger und ich, mit Leib und Seele waren. Selbſt, wenn er es nicht laͤnger auſſetzen konnte, und er ein Mittagsmahl gab, wo mehr gegeſſen und getrunken und weniger ge - ſprochen ward, und wo der Koͤnigliche Rath, ſein College, der Officier, der Prediger und ich, nichts mehr thaten als vorlegen, ſelbſt da, hielten mich manche Anmerkungen ſchad - los, die der Koͤnigliche Rath zuweilen zum Beſten gab. Es iſt viel, einen Mann von ſeinem Stande zu finden, der zu Gott, der Natur, und zu ſich ſelbſt zu kommen verſtand, wie ſein College Nicodemus zu Chriſto. Der College des Koͤniglichen Raths, mein Mit - gaſt, ein Mann von anderm Schrot und Korn, haͤtte nicht geweint, wenn ſich der Mond gleich ſeinetwegen alle Muͤhe gegeben. Man nannt ihn ein juriſtiſches Genie, das heißt, er fieng ſeine Sentenzen nicht mit All - dieweilen, ſondern mit Alldieweil an, ſchrieb nicht: Wie Recht iſt von Rechtswe - gen, ſondern von Rechtswegen, lies den Buchſtab h bey vielen Worten weg.

Das lezte mahl, da ich dieſen Altar be - ſuchte, lies ich es darauf nicht ankommen, ob ich dem ehemahligen ſiebenjaͤhrigen Bedienten des Grafen v und jetzigen wohlbeſtaltenS 3Tod -278Todtengraͤber des Rosgaͤrtſchen Kirchhofs, oder Gottes Gaͤrtnierer, in dem Sinn, wie der Prediger des Orts Gottes Diener iſt, be - gegnen wuͤrde. Ich war verbunden, ihm Minens Grabmal zuruͤck zu treuen Haͤnden zu liefern, und mich mit ihm, neben dem Dank fuͤr dieſes Begraͤbnis der Einbildung, auf eine wuͤrklich fuͤhlbare Art abzufinden, des Canons ungerechnet, den ich ihm, ſo oft ich ihm begegnet, abzutragen fuͤr Pflicht gehal - ten. Ich klopfte an ſein Fenſter. Gleich, war ſeine Antwort, und da ſtand er auch mit ſeinem Spies in der Hand, das er laͤchelnd anſahe, nachdem er mich gewahr ward. Er war es nicht gewohnt, daß ich ihn auf dieſe Art aufrief; Sich zu begegnen war einge - fuͤhrt. Hier, fieng ich an, lieber Freund, geb ich dies Grab frey von aller Einbildung, die bis jezt darauf haftete, zuruͤck. Die Gebeine des guten Paares, das in dieſer Welt, des Ja und Amens unerachtet, nicht zuſammen kommen konnte, das an der Liebe ſtarb moͤgen wohl ruhen! Ich ziehe mit meiner Todten von dannen, die dies Grab, ſo lange ich ſie hier beygeſetzt, nicht beunruhiget hat. Mein Begraͤbnis war geiſtiſch gerichtet. Da wolt ich wetten, ſagte der Todtengraͤber, undſtuͤtzte279ſtuͤtzte ſich auf ſein Spies, dieſem Paar wird es ein Vergnuͤgen geweſen ſeyn, ein ander Paar guter Freunde bey ſich zu ſehen! Die Geſellſchaft kann auch den Todten nicht unan - genehm ſeyn. Von je her ſind Kirchhoͤfe ge - weſen. Hier fiel mir die Sterbensmethode des Grafen ein, die auch auf Geſellſchaft hin - ausgieng. Von der Erde, womit der liebe Gott von Anfang, da er Himmel und Erde ſchuf, dieſe Kugel beſtreute, ſo wie meine Hausmutter alle Sonntage unſere Prunkſtu - be, wird wohl ſchwerlich viel mehr uͤbrig ſeyn. In dieſer Anfangserde war freylich kein pul - veriſirtes Gebein; allein unſere jetzige ſind wir ſelbſt, bis auf die Seele! Nach dieſen Betrachtungen, welche der Todtengraͤ - ber in beliebter Kuͤrze und Einfalt, auf ſein Spies gelehnt, nicht ohne Bewegung der Haͤnde, bald zur Rechten, bald zur Linken, hielt, und worinn ich ſeinen Hochgebohrnen Meiſter in Lebensgroͤße fand, berichtigte ich ihm meine Schuld, und er kam zur Nutzan - wendung ſeiner angefangenen heiligen Rede, die zwar ſeinem Text nicht angemeſſen war, die indeßen aus gutem Herzen quoll. Vor allen Dingen, fieng er an, ſchenke Ihnen der liebe Gott Gluͤck und Segen und ein langesS 4Leben!280Leben! Bey Ihnen verliert der Todtengraͤ - ber nichts bey lebendigem Leibe, wenn ich aber bitten darf, begraben Sie Ihre Einbil - dung auf dieſem ſchoͤnen Kirchhofe, wo es Ihnen gefallen hat. Jeder Platz ſoll Ihnen gehoͤren, den herrnhutſchen gruͤnen Einſchlus nicht ausgeſchloſſen. Es iſt keine Schweſter, der ſie hier im Geiſt ein Grabmahl errichtet! Ich weiß, was Schweſter ſagen will. Die begraͤbt man ohne Einbildung, und, wenn ichs ſelbſt nicht wuͤßte, mein Weib weiß mehr, als das. Da ſtirbt keins vom Koͤniglichen Hauſe, was ihr nicht voraus gemeldet wird. Wunderbar verkehrt ſie im Schlaf mit den Geiſtern. Das Paar, das unter den zuſam - mengewachſenen Baͤumen ſchlaͤft, iſt ihr mit dem Herzen zuſammengewachſen. Sie laͤßt auf dies Paar nichts kommen. Sie, mein Herr, haben eine Braut verlohren. Ja, ſagt ich, meine Mine! Den Namen wußt ich nicht, erwiedert er. Geiſter haben kei - nen. Minens Geiſt, Freund, heißt Mine, fiel ich ein. Einbildung, und dieſe Einbil - dung, wenn ich bitten darf, begraben Sie ſie. Es iſt Raum in der Herberge. Das Grab haben Sie reichlich bezahlt! Ich will es ei - genhaͤndig machen. Sie ſind jung, undwißen281wißen nicht, was ſolch eingebildetes Weſen fuͤr Folgen hat. Seit einiger Zeit war mein Vorſatz, Sie aufzuſuchen und Ihnen dieſe Lehre zu wiederhohlen, die ich Ihnen beym Miethscontrakt nicht verhielt. Konnt ich aber ſo grob ſeyn, und Sie aus der Miethe ſetzen, ehe Sie ſie mir ſelbſt aufzukuͤndigen genehm finden wuͤrden? Heute alles, wie gerufen. Der Todtengraͤber belegte ſeine Er - mahnung mit einer Geſchichte, die vor kur - zem ihre Endſchaft erreichet hatte. Es ver - droß mich, daß ſo etwas auf dem Rosgaͤrt - ſchen Kirchhofe geblieben, ohne daß ich in meinem Quartier der Stadt davon eine Tod - tenglocke gehoͤrt.

Was liegt nicht alles auf den Kirchhoͤfen begraben! In großen Staͤdten iſt Vergnuͤ - gen der Inhalt. Das Wort Tod iſt hier ſo contreband, als das unhalliſche Salz in Preußen. Hier iſt dieſe Geſchichte, womit ich dieſen Kirchhof ſchließe, ſo wie ich ihn mit einer Geſchichte meinen Leſern oͤfnete. Zuvor eine Todtengraͤber Bemerkung, die meinen Leſern nichts Neues iſt, daß mehr Leute an der Liebe ſterben, als an den Blattern. Die Schuld hievon gehoͤrt auf die Rechnung des Zwangs, den man den Menſchen auflegt. S 5Man282Man hat ſo viel uͤber die Kloͤſter geſchrieen; allein wahrlich jeder Staat macht recht ge - fliſſentlich ein großes Kloſter aus ſich!

Die Geſchichte.

Ein Eigenthuͤmer von einigen Hufen Acker, und einem kleinen artigen Haͤuschen, hatte ei - nen Sohn und eine Tochter. Eltern und Kinder lebten in ſo gluͤcklicher Ruhe, daß der Paſtor loci ſelbſt zu ſagen pflegte, es waͤre ein patriarchaliſches Leben, das ſie fuͤhrten. Der Sohn kam ins Jahr, in dem ſein Vater ge - heyrathet hatte. Dies fiel dem Alten an ſei - nes Sohnes Geburtstage ein, und er fordert ihn ſelbſt auf, an dies heilige Werk der Na - tur zu denken. Der Sohn hatte ſchon daran gedacht, und entdeckte dem Vater ſeine Ab - ſichten. Anwerbung, Verlobung und Hoch - zeit waren ſo nahe zuſammen, daß alles wie eins war. So ſolt es auch immer ſeyn. Gretchen, ſo will ich die Tochter des Hauſes nennen, (ohne Paſtors Gretchen in L im mindeſten zu nahe zu treten,) hatte das groͤſte Recht von der Welt zu erwarten, daß ihre Mutter ſie eben ſo auffordern wuͤrde, als es der Vater in Ruͤckſicht ihres Bruders nicht ermangeln laſſen. Sie war ein und zwanzig;ihre283ihre Mutter hatte im zwanzigſten geheirathet. Dieſe Aufforderung blieb aus. Boͤſe war es hiebey nicht gemeynt; die Muͤtter haben ge - meinhin die Ruͤckſichten nicht in dieſem Punkt fuͤr ihre Toͤchter, die die Vaͤter fuͤr ihre Soͤh - ne haben. Gretchen machte dieſe verfehlte Aufmerkſamkeit ihrer ſonſt lieben Mutter nicht die mindeſte Sorge. Sie fiel ihr nicht einſt ein. Wenn werden denn wir, ſagte Hans ihr Geliebter, es ſo machen, wie dein Bruder mit ſeinem Gretchen? Hans war nicht mit ſeiner Liebe in der Feſtung; allein voͤllig im Freyen war er auch nicht. Er war nicht blos auf die Waͤlle eingeſchraͤnkt, ſondern konnte Sonntags und Feſttags Gretchens El - tern beſuchen, Gretchen ſehen, ihr verſtohlen die Hand druͤcken, und beym Weggehen ihr gerades Wegs die Hand geben; bey welcher Gelegenheit ihm aber die Hand ſo zitterte und bebte, daß er ſie kaum hinlangen konnte. War niemand dabey, als Gretchen und Er, war ſie ihm feſt in allen Gelenken. Es war ein ſtarker Hans an Leib und Seel. Gedacht moͤgen die Eltern uͤber Hanſens Liebe viel ha - ben; allein geſagt hatten ſich Vater und Mut - ter kein Wort. Unſer Paar liebte ſich ſo in - bruͤnſtig, als man nur lieben kann, und dochſo284ſo unſchuldig, ſo rein Gretchen hatte ihrem Hanſen viel von dem ſchoͤnen Meyer - gute erzaͤhlt, das ihr Bruder mit bekaͤme, und Hauſen, obgleich er kein andres Eigen - thum, als eine unbefangene Seele, und ein Paar geſunde Haͤnde, beſaß, waͤr es nicht eingefallen, daß das Guͤtchen, worauf Gret - chens Eltern waren, ihm mit Gretchen zufal - len wuͤrde, wenn Gretchen ihn nicht ſelbſt darauf gebracht haͤtte. Der Sohn, der ſonſt das naͤchſte Recht gehabt, war jetzo wohl ver - ſorgt. Das liebe Eigenthum; es hat mehr Unheil, als dies, angerichtet. Hans machte ſich den Kopf ſo warm mit allerley Entwuͤr - fen, die er, wenn Gott will, auf dieſem Guͤt - chen ausfuͤhren wuͤrde, daß ſein Paar ge - ſunde Haͤnde am Werth verlohren. Gret - chen merkte, daß Hans mit etwas umgieng; indeſſen wußte ſie nicht, was es war. Einſt ſagte ſie ihm, du haſt da etwas im Kopf, und ſollſt doch nur etwas im Herzen haben. Hans indeſſen hatte Gretchen bey ſeinen Ent - wuͤrfen nicht vergeſſen. Alles macht er an ihrer Hand. Ein Stuͤck uncultivirtes Land wollt er erziehen, und es ſollte Gretchenfeld heiſſen. Dort ſollte ein Gang angelegt wer - den, und der ſollte Gretchenhall genannt wer -den.285den. Der arme Hans! Was ihm ſein Guͤt - chen, das er nur in Gedanken beſaß, ſchon fuͤr Gedanken machte. Gretchen hatte ihm ſo viel von der Anwerbung und Verlobung und Hochzeit ihres Bruders erzaͤhlt, daß nichts druͤber war, nur einen Umſtand hatte ſie verſchwiegen, daß nemlich ihre Schwaͤge - rin einen Bruder haͤtte. Die Meyerey, wel - che das neue Ehepaar bezogen, lag zwey Mei - len von dem Guͤtchen, das Hans in Gedan - ken, und ſein kuͤnftiger Schwiegervater wuͤrk - lich beſaß. Nach einiger Zeit kamen das neue Paar und die Seinigen, Gretchens Eltern zu beſuchen. Der erſte Stoß, den Hans ans Herz erhielt, war die Nachricht, daß Gret - chens Schwaͤgerin einen Bruder haͤtte. Auf dieſen Umſtand war Hans nicht gefaßt, und warum? fragt er ſich ſelbſt, warum hat ſie mir das gethan, und kein Wort daruͤber verlohren? Sich ſo in Acht nehmen, wer kann das ohne boͤſes Gewiſſen? Hans hatte nicht ſo ganz unrecht, ſo zu fragen; allein Grete war unſchuldig, wie die Sonn am Himmel. Es blieb nicht bey dieſer Un - ruhe. Hans ward zu den unſchuldigen ein - fachen Gaſtmaͤlern, welche in dem Hauſe ſei - ner Schwiegereltern angeſtellet wurden, nichtgebe -286gebeten. Zwar haͤtt er dieſe Tage fuͤr Feſt - tage anſehen, und von ſelbſt gehen ſollen; allein dieſer Entſchluß, wenn er gleich zuwei - len wollte, konnte nicht aufkommen. Gret - chens Bruder, der voll von ſeinem Weibe war, und der ſeinen leiblichen Bruder druͤber in den Tod vergeſſen haͤtte, beſuchte zwar Hanſen, ſeinen alten guten Freund; indeſſen war es nur ſo beylaͤufig. Hans, der ein - mahl ins Auslegen gekommen war, deutet alles zu ſeinem Nachtheil. Das ſchoͤne Wet - ter ſchien ihm als von Gretchen beſtellt, um mit ihrer Schwaͤgerin Bruder ſpazieren zu gehen, und auch der Regen gehoͤrte auf ihre Rechnung; damit ſie ungeſtoͤrter mit ihm lie - ben konnte, regnet es. Sieh! dacht er: auch ſelbſt von der Natur will ſich die Unge - treue und ihr Liebling nicht einſt ſtoͤren laſſen. In dieſen Vorſtellungen vergiengen einige Tage, die Hanſen in der Hoͤll und[Quaal] nicht haͤtten waͤrmer ſeyn koͤnnen. Nun ſehnte er ſich nach Gretchen, nicht, um von ihr dieſe Raͤthſel loͤſen zu laßen, ſondern ihr Vorwuͤrfe zu machen, und ihr das Guͤtchen wieder zuruͤck - zugeben, das er von ihr erhalten, und eben nun begegnete ihm Gretchens Vater, der ihn bey der Hand nahm und zum Abend einlud. Wo287Wo ſo lang geweſen, fragte der Alte? Hans antwortete nur blos durch eine Pantomime, indem er den Hut abzog, und wieder auf - ſetzte. Hans gieng mit dem Alten, und alles kam ihm veraͤndert vor. Es war ein Kaͤlber - braten aufgetiſcht, und Gretchens Mutter fieng an: da kommt ja Hans recht zum ver - lohrnen Sohnbraten. Das verlohrne fiel ihm ſehr auf. Gretchen war zwar freund - lich gegen Hanſen; allein eben, weil ſie freundlich war, fand er Nahrung fuͤr ſeinen Argwohn, und was weiß ich, was er aus ih - rer Unfreundlichkeit geſchloßen. Nach dem Abendeſſen gieng man in die Luft, und da Gretchen den Fremden in dem Guͤtchen her - umfuͤhrte, und ihn alles Schoͤne deſſelben mit Aug und Haͤnden greifen lies, kam es Han - ſen nicht anders, als eine Schlange vor, die in Geſtalt eines Junkers den Herrn Chriſtum auf der Zinne herum fuͤhrte, und ihm das al - les anbot, wenn er niederfallen und ihn an - beten wuͤrde. Der Fremde fand alles ſo al - lerliebſt, daß er mehr als einmahl den Wunſch fallen lies, wie ihm dies Guͤtchen viel beſſer als der vaͤterliche Meyerhoff gefiel, der ihm beſtimmt war. Nun war Hans bis zur letzten Stuffe der Verzweiflung gebracht. Gret -288Gretchen, die ſeine Unruhe merkte, wollte ſich mit ihm eine Luſt machen, und ſchien den Fremden aufzumuntern. Sie war froh und laͤchelte, weil ſie ſahe, daß Hans ſie ſo liebte, und Hans that froh und lachte auf eine recht ſchreckliche Art. Dies war der letzte Abend, den die Gaͤſte bey Gretchens Eltern zubrach - ten. Hans hoͤrte unaufhoͤrlich bitten, wenn es ihnen Allerſeits gefallen, doch bald wieder zu kommen. Auch Gretchen bat. Hanſen kam es vor, daß es blos ſeinen Nebenbuhler galt. Sah ſie ihn nicht an? fragt er ſich. Hans gieng voller Verzweiflung von hinnen. Er lachte, da er gieng. Den andern Mor - gen, als er alles zuſammen rechnete, (bis da - hin lag alles ungezaͤhlt, unberechnet) was er geſehen und gehoͤrt, war ſein Entſchluß ge - faßt, wozu Gretchen ihm die Hand bot. Es jammert ihr ſein. Sie wollte ihren Vielge - treuen beruhigen, und legt es recht gefliſſent - lich an, mit ihm ins Feld zu gehen. Er, gleich da, was iſt dir aber, fuhr Grete fort. Es wird ſich, erwiedert er, im Freyen geben, ſolt ich denken. Gretchen wolt es anfaͤng - lich heimlich machen, endlich entſchloß ſie ſich, von ihren Eltern die Erlaubnis zu dieſem Gange zu bitten. Dies kleine Opfer, dachteſie,289ſie, bin ich Hanſen wegen des Kummers ſchuldig, den ich ihm gemacht habe. Mit Hanſen ſagte der Vater? und laͤchelte. Die Mutter ſagte ſo? und laͤchelte desgleichen. Gretchen haͤtte zu keiner erwuͤnſchtern Stunde dieſe Erlaubnis bitten koͤnnen. Vater und Mutter hielten in Gegenwart Gretchens einen Rath uͤber ſie und das Ende war: Grete ſolte Hanſen zum ehelichen Gemahl haben. Ja doch, ſagte der Vater, ich muß Jemand ha - ben, der mir zur Hand geht; allein halt ichs nicht mehr aus. Ja doch, ſagte die Mutter, der es jetzt einfiel, was ihr laͤngſt haͤtte ein - fallen koͤnnen, daß ſie ſchon ein Jahr fruͤher geheyrathet haͤtte. Grete ſtand da, ſo froh, daß ſie ihren Eltern vor Freude nicht danken konnte. Das, duͤnkt mich, iſt der beſte Dank, fuͤr Erkenntlichkeit nicht zum Dank kommen koͤnnen. Dieſes Geſpraͤch hielte Grete uͤber die Zeit auf, die verabredet war. Hans war ſchon unruhig. So fand ſie ihn. Du wirſt ſchon ruhig werden, dachte ſie, hiebey zielte ſie auf den Rath, den ihre Eltern geflogen hatten; allein ſie lies ſich nichts merken. An - faͤnglich wollte ſie ihr Luſtſpiel fortſetzen. Hans war ihr aber zu ernſthaft. Sie beſann ſich bald, und zog ein ander Kleid an; dasTnatuͤr -290natuͤrlichſte, das beſte. Ihre Eltern hatten ſo gar ihr nicht verboten, Hanſen zu ſagen, was geſchehen war, und waͤr es ihr verboten geweſen, wie haͤtte ſie ſich helfen koͤnnen? Lieber Hans, fieng ſie an, und nahm ihn bey der Hand. Ha, dacht er, Mitleiden! Wie es mit ſolchem Mitleiden iſt, wiſſen wir alle. Solch Mitleiden iſt das empfindlichſte, was ich kenne. Nichts thut ſo weh, als dies. Mitleiden kann zuweilen der Liebe Anfang ſeyn, noch oͤfter aber iſt es das Ende der Liebe und ein ſchreckliches Ende! Du biſt boͤſe, daß ich ſo ſpaͤt gekommen, fieng Gretchen an. Betruͤgerin, dachte Hans, ohne mehr zu ſa - gen und zu thun, als ſich den Hut tiefer zu ſetzen. Jetzt waren ſie ſo weit, daß ſie von dem vaͤterlichen Guͤtchen voͤllig entfernt wa - ren. Nur zwey Stiere, die ſich von der Heerde verlaufen hatten, waren ihnen nach - gekommen, woruͤber ſich Gretchen wun - derte, Hans aber nicht. Eben wollte Gret - chen ihrem Hanſen erzaͤhlen, was vorgefal - len war, und wozu ſich ihre Eltern von freyen Stuͤcken entſchloſſen haͤtten, als Hans ſie faßte, ſein Mordmeſſer zog und ihr zehn Wunden beybrachte. Seine Hand zitterte und bebte nicht, als wie vorhin, wenn eraus291aus ihres Vaters Hauſe gieng, und Gret - chen oͤffentlich die Hand reichte. Gott! ſchrie ſie, Gott! nimm meinen Geiſt auf! Sie war uͤber und uͤber mit Blut bedeckt, und ſchwamm in ihrem Blut. Die Stiere bruͤllten auf eine ſo ſchreckliche Art, daß dem Moͤrder ihrent - wegen das erſte Grauſen ankam. Sie kamen hinzugelaufen, als ob ſie dieſe That verhin - dern wollten, ſie liefen davon, als ob ihnen der Anblick zu ſchwer wuͤrde. Nun fragte Hans laͤchelnd: (es war das letztemahl, daß er lachte) wen wilſt du jetzt lieben, Ungetreue? Dich, antwortete Grete, und Blut ſchoß aus ihrem Herzen. Dich, wiederhohlte ſie und druͤckte Hanſen auf eine Art die Hand, daß er ſeinen ganzen entſetzlichen Irthum einſahe. Jetzt hatte er der Stiere nicht mehr noͤthig; das Grauſen kam von ſelbſt. Er warf ſich auf die Erde, ſchrie nach Rettung, ſprang auf, eilte ſelbſt, Huͤlfe zu ſuchen, in ein be - nachbartes Staͤdtchen und fand den Wundarzt nicht an Ort und Stelle. Alles hatte er Gretchen zur Huͤlfe aufgeboten. Nun kam er, wie ein Verdammter, der um einen Tropfen Waſſer bettelt, und ihn nicht erhaͤlt, und fand den Wundarzt, den Gretchens El - tern aufgefunden, fand die Eltern ſelbſt, dieT 2ihm292ihm mit ofnen Armen entgegen kamen. Ei - nem Tochtermoͤrder! Grete hatte dieſe That auf einen andern ausgeſagt, der ſie uͤber - fallen, und hiebey hatte ſie Hanſens ſtarke Hand geprieſen, die ſie zu retten unermuͤdet geweſen. Gott, dieſe Unwahrheit, betete ſie im Herzen, vergib ſie mir! Die Eltern hatten ihr zugeſchworen, Hanſen das Guͤtchen zu laßen, und nun, voll des Danks und der Erkenntlichkeit, kamen ſie ihm entgegen, fie - len auf die Blutflecken, die ſie an ſeinem Kleide gewahr wurden, als ſo viel Beweiſe ſeines Edelmuths. Fuͤr jede Wunde, die Grete erhalten, umarmten ſie ihn! Es koſtete Hanſen kaum ſo viel Muͤhe, zu mor - den, als die Eltern zu uͤberreden, daß er Moͤrder ſey. Sie glaubten, er haͤtt aus zu großer Liebe den Verſtand verlohren. Je guͤ - tiger Gretchens Eltern gegen ihn thaten, je ſchrecklicher klagte Hans ſich an. Wenn er Gott, und alles, was heilig, zu Zeugen auf - gerufen: er ſey der Thaͤter; ſo ſahen ihn Gretchens Eltern ſo muͤhſeelig, ſo beladen an, als wollten ſie ſagen: der arme Junge, wie ihn Gretens Schickſal uͤbernommen hat! Und wenn er ihnen das Mordmeſſer zeigte, druͤckten ſie ihm die Haͤnde, weil ſie Gretchenſo293ſo maͤchtig beſchuͤtzet. Wenn er es gen Him - mel hielt und ſchwur, bogen ſie ſanft ſeine Haͤnde zur Erde. Niemand wuſte, woran es mit Hanſen war. Lieber Sohn, fiengen die Eltern an, du biſt mehr todt, als ſie! Endlich gieng allen ein Licht auf. Hans ward eingezogen. Er ſahe die Gerichtsdiener, die ihn feſſelten, als ſeine Wohlthaͤter an, die ihm den Tod, das einzige Verband fuͤr ſeinen Schmerz, mitbrachten! Der Abſchied war ruͤhrend. Er bat Gretchen um Vergebung; ſie verſicherte, daß ſie ihm nichts zu vergeben haͤtte, und da ſie endlich einſahe, daß alle ihre Bemuͤhungen, Hanſen zu retten, verge - bens waͤren, rang ſie die Haͤnde, und weinte ſo herzlich, daß ſelbſt die Gerichtsdiener zu weinen anfiengen. Hanſen ward der Proceß gemacht. Er konnte die Zeit nicht abwarten, ſein Todesurtel zu hoͤren. Wenn ich doch an einem Tage mit ihr ſterben koͤnnte, das war der einzigſte Wunſch, den er noch in dieſer Welt hatte. Eben an dem Tage, da ſich die Richter einigten, daß Hanſen, als einem Un - menſchen, der den Vorſatz gehabt, auf der Landſtraße zu morden, ſein Leben auf eine ſchreckliche Art, vor aller Welt Augen, ge - nommen werden ſollte, war es ausgemacht,T 3daß294daß Grete auſſer Gefahr ſey. Sie erhohlte ſich nach dieſem Tage zuſehens, und es war die Frage: ob es gut ſey, Gretchen Hanſens und Hanſen Gretchens Schickſal zu entdecken? Die Frage wurde noch bey Herzensguten Leu - ten problematiſch abgehandelt, da ſchon we - niger Herzensgute Menſchen der Beantwor - tung zuvor gekommen waren. Hans wuſte um Greten, und Grete um Hanſen. Im erſten Augenblick war es Hanſen anzuſehen, daß ihm uͤber Gretens Aufkommen der Kopf herum gieng. Da er ſich aber beſann, und noch dazu hoͤrte, daß Grete durchaus nicht leben wolte, ſchrieb er an ſie wie folget: Es iſt genug, du lebſt, und ich will froͤhlich ſterben! Dein Blut wird mir nicht vor den Augen flieſſen, wenn ich fuͤr meine That bluten werde. Nun darf ich an mei - ner Seeligkeit nicht verzweifeln, und an meinem ewigen Leben. Meine Hand iſt mir von den Ketten nicht ſo ſchwer, als vom Herzen. Vergib deinem Moͤrder, und bete fuͤr Hanſen. Dank dem, der mich ver - hoͤrt hat. Mit dem aͤdlen Mann hat Tod und Leben, Geſetz und Menſchlichkeit ge - kaͤmpft. Wuͤnſch ihm in meinem Namen ein langes gluͤckliches Leben, und geh nichther -295heraus, wenn ich ausgefuͤhret werde. Reiſe, wenn es deine Geſundheit erlaubt, dahin, wo ich dich erſchlug und ſchreye ein Vater unſer fuͤr mich.

Dieſer Brief, anſtatt daß er Kraut und Pflaſter zur Beruhigung fuͤr Greten ſeyn ſollte, naͤhrte ihren Gram. Er brachte ihr empfindlichere Wunden bey, als Hanſens Mordmeſſer. Niemand hatte Hanſens Tod erwartet. Hans nahm ſein Urtel als Got - tes Ausſpruch an. Grete war auſſer ſich. Sie wollte fuͤr ihn ſterben. Die Geiſtlichen loͤſe - ten die Wundaͤrzte ab, um ihr Ruhe zuzu - ſprechen; allein vergebens. Das Wollen, ſchrie ſie, nicht das Vollbringen. Wenn Gott ſtrafen ſollte, was wir wollen, wer koͤnnte vor ihm beſtehen? Sie ſprach wie alle Leute, die auſſer ſich ſind, ſo weiſe, ſo ver - nuͤnftig, daß ſich Jedes wunderte, wo ſie alles dieſes her hatte, was wuͤrklich uͤber ihr war. Es war klaͤglich anzuſehen, daß dieſe beyden Menſchen ohneinander nicht leben, nicht ſterben konnten. Grete trat, ohne daß Hans es wuſte, den Koͤnig an. Sie ſind ein Menſch, ſchrieb ſie, Monarch, und machen ſich eine Ehre draus, es zu ſeyn! Schenken Sie Hauſen das Leben, oder nehmen Sie esT 4mir,296mir, ſo und nicht anders iſt uns beyden ge - holfen. Der Koͤnig verwandelte die Todes - ſtrafe in eine einjaͤhrige Feſtungsſtrafe, und alle Welt ſagte, daß dieſes ein ſalomoniſches Urtheil waͤre. Um ſolch ein Urtel zu ſprechen, wer wuͤnſcht ſich nicht Koͤnig zu ſeyn! Hans waͤre gar nicht in der Feſtung geweſen, wenn nicht Grete ſeine Strafe mit ihm getheilt haͤtte. Dies war das einzige, was ihm ſchwer zu tragen war. Seine Ketten waren ihm nicht laͤſtig. Nach ſo viel Kummer und Noth, gieng endlich die Sonne uͤber dieſes treue Paar auf. An das Guͤtchen, in wel - chem Hans ſo viele Veranſtaltungen in Ge - danken getroffen, war nun nicht mehr zu denken. Sie wollten beyde weder Land noch Leute dieſer Gegend ſehen, und entſchloſſen ſich, um ſich recht zu verbergen, nach Koͤnigs - berg zu ziehen. Sie waren eben zum dritten - mal aufgeboten, da Hans in ein hitziges Fie - ber fiel und ſtarb. So entſcheidet Gott, der Herr, wenn gleich Koͤnige anders entſcheiden. Seine Wege ſind nicht unſere Wege, ſeine Gedanken ſind nicht unſere Gedanken. Grete fiel an Hanſens Begraͤbnistage in eine ſolche Schwermuth, daß ſie jetzt im Irhauſe, wie - wohl in einem beſſern, als den gewoͤhnlichenZim -297Zimmern, gehalten wird. Gott was hat Grete verbrochen, daß ſie gelacht hat? Sara lachte auch, und Gott ſegnete ſie mit dem Sohne Iſaac, und Grete? im Irrhauſe. Ihre zerruͤttete Einbildungskraft laͤßt ſie glauben, Hans ſey auf dem Richtplatz aus der Welt gegangen. Sie macht beſtaͤndig eine Bewegung mit der Hand, als koͤpfe ſie! Hans liegt auf dem Rosgaͤrtſchen Kirchhofe zur linken Hand, am kleinen Aus - gange, begraben.

Dieſe Geſchichte hab ich aus einem Auf - ſatz genommen, den ein armer Candidatus Theologiaͤ zu einem Jahrmarktsliede entwor - fen, zu ſingen von einem lahmen Bettler, auf die bekannte Melodie: Es iſt gewißlich an der Zeit. Der Todtengraͤber, der nur ſehr unvollſtaͤndig dieſe Geſchichte erzaͤhlte, behaͤndigte mir dieſen Entwurf, den ich aus - gezogen habe.

Wahrlich, Freund Todtengraͤber, wer ſeine Einbildungskraft begraben kann, hat ſich leicht gemacht! Wie koͤnnt ich aber Mi - nens Andenken zuruͤcklaſſen?

Schluͤßlich ſties ich auf drey ausgegan - gene Baͤume, und mein Lehrmeiſter ver - ſicherte mich, daß nachdem die Familie, dieT 5hier298hier ihr Erbbegraͤbnis gehabt, ausgeſtorben, ſie in einem Herbſt alle drey ausgegangen waͤren. Das iſt nichts neues, ſetzte der Tod - tengraͤber hinzu. Es haben ſich viel Hunde um ihren Herrn zu Tode gegraͤmt, und die Stiere, die in dieſer Geſchichte vorkommen, ſind ein neuer Beweis, daß die Baͤume ge - wuſt, wenn es Zeit zum Ausgehen war. Ich bat den Todtengraͤber, dieſe Mordgeſchichte dem Grafen zu uͤberſenden, welches er mir aber abſchlug, ich muß ſo etwas aufbewah - ren, um es ihm hier vorzuſetzen.

Ich ſchließe den Kirchhof, ehe das Stadt - thor fuͤr mich geſchloſſen wird. Wer mir aber dergleichen Vorgriffe uͤbel nimmt, kann mir mehr uͤbel nehmen, wenn es ihm ſo beliebt. So ſehr mir dieſe Geſchichte auffiel; ſo war ich doch nicht im Stande, Greten im Irhauſe zu beſuchen, um ihren ſchrecklichen Scharf - richter-Handgrif zu ſehen!

Wenn es ausgemacht iſt, (und nichts iſt gewiſſer, als dies,) daß die wahre Philoſo - phie eine Sterbkunſt ſey; ſo legt ich mich mehr auf die Philoſophie, als auf irgend et - was. Um reich zu ſeyn, braucht man nicht Geld nicht Gut, ſondern Maͤßigkeit. Gute Fuͤhrung beehrt uns, nicht Wuͤrde. Werlang299lang und gluͤcklich leben will, ſey ſein eigner Herr, im philoſophiſchen Sinn! Wer die Welt verachten will, hab eine Mine im Him - mel! Mine war der philoſophiſche Text, uͤber den ich ſtudirte. Ueberall war ſie. Je mehr ich ſtudirte, je mehr fand ich: geſunder Verſtand ſey taͤglich Brod. Woͤrterkram, Schnirkeley aber, Kopfverderbendes Geback - nes. Wenn mein Vater redete, (docirte, wenn man will, denn ich leugn es nicht, daß der Lehrton ihm wie eine Klett am Kleide hieng,) hatt er jederzeit was in der Hand, Meſſer, Scheere, ein Buch, einen dem Wachs - licht abgenommenen Bart, einen Zahnſtocher, kurz, ohne was koͤrperliches war er nicht. Er ſchwur immer einen koͤrperlichen Eyd, wenn ich mit Verzeihung der juriſtiſchen Ge - nies mich ſo erklaͤren darf. So was hilft die Sache ſinnlich machen. Er knetete die deutlich zu machende Sache durch, wuͤrd ein andrer geſagt haben; er nicht ich auch nicht Gott der Herr hatte ein Chaos, aus dem er die Welt allmaͤhlig herausrief, und wenn ichs recht bedenke, iſt was Koͤrperliches vielleicht darum in der Hand gut, um fuͤr den Gedanken ein Kleid, fuͤr den Geiſt einen Koͤr - per zu finden. Gott ehre mir Leute, dieHand300Hand und Mund zugleich bewegen, war, wie wir wiſſen, meines Vaters Loſung. Der Kirchhof in L , der roßgaͤrtſche Kirch - hof in Koͤnigsberg, das waren mein Meſſer, Buch, Scheere, Wachsbart, Zahnſtocher.

Die Alten brauchten den Tod, als ein Mittel der Aufmunterung. Ich ahmt ihnen nach, wiewohl auf andre Weiſe, die aber nichts zur Sache ſelbſt thut. Haͤtt ich, ein - ſam in mich verſchloſſen, der Welt das Rau - he zugekehrt: da waͤre freylich nichts Kluges herausgekommen. In Geſellſchaft gefaͤllt das Wunderſame; in der Einſamkeit ſcha - det es.

Ich habe ſchon meinen Leſern meinen Stu - dirplan ad unguem vorgeriſſen. Ich war darum auf der Akademie, um mich vor Ir - thuͤmern proteſtando zu verwahren. Mein Vater ſtand keinem Menſchen das Recht zu, ohne Rand zu ſchreiben, und auch, wie er ſich uneigentlich auszudruͤcken pflegte, ohne Rand zu ſprechen. Wir ſind Menſchen, ſetzte er hinzu. Man muß ſich mit keiner Schrift ſo einverſtehen, daß man es dabey laͤßt: Es ſtehet geſchrieben. Was muͤndlich vorfaͤlt, iſt Scheidemuͤnze. Was iſt Ihre Meynung, lieber Profeſſor Grosvater? Was? Iſts ge -nung,301nung, daß die erſte Erziehung negativ ſey? oder muß jeder Unterricht cum reſeruatione reſeruandorum negativ ſeyn? Ich denke ad Zwey, Ja. Willſt du ein collegium chari - tatiuum anordnen, willſt du cauſſa cognita rechtliches Erkenntnis eroͤfnen? In allen Stuͤcken will ich hoͤren! denn dazu bin ich, und du zum Leſen (Gott helf dir!) berufen. Wuͤrde mein vorgeſchlagener Weg gewandelt, wahrlich wir waͤren ſelbſt im ſpeculativen Fache ein wenig weiter, nicht eben in Ruͤck - ſicht von Sonne, Mond und Sternen, ſon - dern unſerer ſelbſt, der Welt in nuce, in compendio. Wahrlich, das ſind wir. Der Menſch hat einen innerlichen Sporn zur Thaͤtigkeit. Er will durchaus, daß die Leute ſelbſt mehr von ihm ſagen ſollen, als an ihm iſt. (Obgleich der Philoſoph durch ſich ſelbſt, und nicht durch ſein aͤußeres, ſich vom Haufen unterſcheidet, obgleich alle Affektation ein Mangel wahrer Vollkommenheit, ein Man - gel menſchlicher Vollſtaͤndigkeit iſt,) Woher dies? Der Menſch dringt durchaus zum Poſitiven. Glaube mir, hohe Schule! Wenn jeder poſitive Juͤngling, nach ruͤhm - lichſt zuruͤckgelegter academiſchen negativen Bahn, weiter gienge: was wuͤrde da nichtzum302zum Vorſchein kommen? Mehr, als in vie - len uͤberdachten Beantwortungen gleich uͤber - dachter Preisaufgaben! Wie ſelten iſt der Menſch, Menſch, wie ſelten kann, wie ſelten darf ers ſeyn! o! wenn ers doch immer waͤ - re! Tauſendmahl um Vergebung, ſagte Herr v. W und Herrmann tauſendmahl unterthaͤnigſt um Vergebung, wenn von Je - manden wo ein Schnack mit andern Umſtaͤn - den erzaͤhlt ward, als Herr v. W oder der ſchnackreiche alte Herr ihn zu wißen das Ver - gnuͤgen hatten. Es hat ehegeſtern gefroren, ſagt Herr v. G , tauſendmahl um Verge - bung, faͤllt Herr v. W ein, und der alte Herr nimmt ſich die Erlaubnis, tauſendmahl unterthaͤnigſt um Vergebung zu bitten. War - um tauſendmahl, erwiederte Herr v. G , ich ſags einmal, und warum um Vergebung? Hats nicht gefroren; ſo ſagen Ew. Hochwohl - gebohrnen und Hoch-Edlen: es hat nicht ge - froren. Hat es aber gefroren; ſo halt’t bey - de das Maul! Mit der Vergebung bleibt mir in alle Wege vom Leibe. Vergebt eurem Schuldiger, wie Gott euch vergeben ſoll. So der brave v. G . Mein Vater wuͤrde dieſen Auftritt auf philoſophiſche No - ten ſetzen, und ſich alſo verlauten laſſen: derMenſch303Menſch fuͤhlt ſich berufen zur Thaͤtigkeit, wenn ihm Jemand in die Quere kommt, ſchlaͤgt er aus, mit dem Munde nehmlich. Beym Ein - wurf wird er aufgehalten, dieſer Renner nach dem Preiſe, und das iſt freylich unangenehm. Daher: Pardonnez Verzeihung! Weg mit dieſem franzoͤſiſchen unphiloſophiſchen hoͤflichen Halt! Laßt den Herrn v. G den aͤltern erzaͤhlen, was ihn gut duͤnkt, laßt je - den ſeine Meynung ſagen. Wer hindert euch, dagegen gerades Weges und ohne Buͤck - ling einzuwenden. Jeder Menſch hat in der Welt gleiche Rechte. Das iſt ſo, und das iſt nicht alſo, kann jeder ſagen. Auf dieſe Art wuͤrde ſich, von wahr und nicht wahr alles fein abgezogen, der Ueberſchus ſchon finden, den dieſe Behauptung vor jener hat, und jene vor dieſer! So kaͤme das Poſitive, ohn unſer Gebet, allmaͤhlig zum Vorſchein, wenn wir erſt recht negativ geweſen. Nach langem Regen die Sonne. Und bliebe dann ſo manches, aller Muͤhe unerachtet, unent - ſchieden; Mir ſchon recht. Man wuͤſte denn doch, woran man mit ſolchen unzuentſchei - denden Dingen waͤre, die jezt ſo oft unge - buͤhrlich auf Wetten ausgeſetzet werden, ob - gleich hier nichts zu wetten iſt.

Was304

Was meynt ihr Herren Gelehrten, waͤ - ren Univerſitaͤten nicht die Plaͤtze, wo der - gleichen Streit gefuͤhrt werden koͤnnte? Es verſteht ſich, nicht uͤber den Umſtand, ob es ehegeſtern gefroren, oder nicht? Und uͤber dieſen und jenen Schnack, den Herr v. W anders, und Herrmann anders gehoͤrt haben.

Bey unſern jetzigen Verfaſſungen ſiehet man offenbar ein, wie nuͤtzlich und ſelig es ſey, gewißen Dingen ein Anſehn beyzulegen, ſie zu Wuͤrden und Ehren zu bringen, und ſie dabey zu erhalten. Eben ſo ſiehet man auch ein, wie wenig die Sache ſich von ſelbſt zur Strenge, zum Ernſt berechtige, und was iſt zu thun? Man wuͤrzet geſundes Eſſen, man haͤngt ſich einen langen ſchwarzſeidnen oder wollenen Mantel, eine Reverende, um die Schultern, man theilt Stock und Degen aus. Der Menſch iſt von ſeiner Unwichtig - keit, ſo bald er ſich ins rechte Licht ſtellt, voll - ſtaͤndig uͤberzeugt, und dies bringt ihn zum Luſtigen, obgleich es noch eine zum Streit auszuſetzende Frage waͤre: ob der Menſch zur Luſtigkeit gebohren ſey? Das Kluͤgſte, was ein unwichtiger Menſch anfangen kann, iſt, luſtig ſeyn. Das ſehen wir an unſern All -tags -305tags-Einfaͤlliſten. Die einzige Rolle, die der Mittelmaͤßigkeit angemeßen iſt, iſt froͤhlich und guter Dinge ſeyn. Seht euch um! Alle mittelmaͤßige Leute ſind es von Herzens Grund. Sie haben nicht umſonſt Verſtand. Wer kann nicht Voͤgel leiden, die luſtigſten Thierchen auf Gottes Erdboden? Der Pro - feſſor Grosvater erzaͤhlte, einen Tauben ge - kannt zu haben, der ſich Voͤgel gehalten, blos des Springens wegen! Meine Mutter wuͤrde freylich das Singen vom Springen nicht ſcheiden, da es die Natur zuſammenge - fuͤgt hat; was konnte aber der Taube dafuͤr, daß ſeine Ohren verſchloſſen waren?

Man laſſe die Menſchen bey ihrer Luſtig - keit, der erſten Thraͤnen unbeſchadet, womit wir alle das Taufwaſſer verſtaͤrkt haben, und des aͤlteſten bibliſchen Buchs unerachtet, wel - ches ein Trauerſpiel iſt. Ließen ſich doch die Stoiker ſelbſt zu oͤffentlichen Bedienun - gen brauchen; da giebts genug zu lachen. Und Epikur! war er nicht ein allerliebſter Weiſer? Warum ſollten wir den Menſchen nicht zugeſtehen zu huͤpfen, wenn ſie nur nicht Luftſpringen, und ihr grundgelehrte Herren ſelbſt, die ihr darauf bedacht ſeyd, alles tro - cken zu ſagen, allem ein Anſehen beyzulegen;Uein306ein gewiſſes Ceremoniel einzufuͤhren, wobey ſich jeder gerad halten, ein ſteifes Kleid an - legen, und im bloſſen Kopf gehen muß. Wenn ihr doch den Verſuch machen moͤchtet, auf alle dieſe ſteife Etikette Verzicht zu thun. Sagt eure Wahrheiten immerhin trocken, gebt uns kalte Kuͤche, nur ſchreibt uns die Bratencur nicht vor, wenn wir geſund ſind. Thut nicht ſo ernſthaft, wo zu lachen iſt. Haͤngt euch nicht eine Reverende von Worten um, wo es auf Sachen ankommt. Ich weiß, Kleider machen Leute; allein nicht unter Maͤn - nern, denen das Denken obliegt. Warum das ermuͤdende Ceremoniel, das, ſobald es aus eurem Tempel ins Freye gebracht wird, laͤcherlich iſt. Gehoͤrt denn dazu ſo viel Kunſt, zu ſagen: Wir wißen nichts, und das iſt doch das Ende aller eurer Kunſt. Wahrlich eine menſchliche Kunſt, die aber na - tuͤrlich vorgetragen werden muß, wenn ſie Frucht bringen ſoll in Geduld. Was iſt denn Poſitiv, ſo wie ihr es nehmt, Hochgelahrte Herren? Das Format des Poſitiven iſt Duodez. Warum doch alle die Formalien, wo es auf Ja und Nein ankommt? So ſey eure Rede! Was druͤber iſt, ſagt, iſt es nicht vom Uebel? Wir leben nicht mehr imalten307alten Bunde, ſondern in der chriſtlichen Frey - heit, wo das Ceremonialgeſetz, Gott ſey ge - dankt! abgeſtellt iſt, warum wolt ihr ſolch einen Kopfzwang, ſolche Daumenſchrauben, einfuͤhren? Geſtehet aufrichtig, legt ihr es nicht recht gefliſſentlich darauf an, das aller - leichteſte ſchwer zu machen, das lichte zu ver - finſtern, und euch vom Leben zu entfernen? Hat denn dieſe Welt nicht Muͤhſeligkeiten ge - nug, und ihr wolt ſie noch mit mehr Drang - ſalen belaͤſtigen? Seht! Ich vergelte nicht Boͤſes mit Boͤſem, nicht Kunſtwort mit Kunſtwort, ich begegne nicht trockenen Wahr - heiten mit trocknen Einfaͤllen, obgleich trock - ne Wahrheiten und trockne Einfaͤlle Gevat - tersleute ſind, und in canoniſcher Verbindung ſtehen. Wie kann ich Euch aber retten, wenn ſich dergleichen trockene Einfaͤlliſten wuͤrklich faͤnden, die euch uͤber kurz oder lang darſtell - ten, wie ihr ſeyd? Um des armen Men - ſchengeſchlechts willen bitt ich euch, laßt ab vom Ziegelſtreichen und von egyptiſcher Dienſt - barkeit, und vom Morde der geiſtvollen Knaͤb - lein, und wollt und koͤnnt ihr nicht? Es wird ein Moſes kommen, der uns nach Canaan fuͤhrt, wo Milch und Honig fleußt.

U 2Daß308

Daß das Studiren troͤſte, hab ich erfah - ren. Der einzige Troſt in der Welt, wenn ja die Welt Troſt hat, liegt in den Wiſſen - ſchaften. Selbſt die Unvollkommenheit un - ſeres Wiſſens iſt troͤſtlich; die edle Art, uns zu zerſtreuen, die den Wiſſenſchaften eigen iſt, hat weder die Welt, noch etwas, das in der Welt iſt! Die Wiſſenſchaften allein koͤn - nen zerſtreuen! In ihnen liegt Lehr - und Troſtamt eines guten, eines heiligen Geiſtes, den der Vater in unſern lezten Tagen geſen - det hat, denen zur Staͤrke, welche ob dem Jammer, ob dem Elend dieſer im Argen lie - genden Welt danieder liegen! Wir haben die Natur, die Freyheit, verlaßen, und uns ſelbſt in die Feſtung gebracht. Die Wiſſen - ſchaften ſind da, um uns wenigſtens in der Feſtung eine gute Ausſicht zu verſchaffen, um uns die Zeit zu vertreiben.

Studiren iſt eine Art von Geiſterſeherey, eine Empfindung hoͤherer Kraͤfte, ein Vor - ſchmack des Himmels! Die Alten, wel - che die Ideen der andern Welt nur fuͤr ſchoͤne Traͤume hielten, wußten nicht, wie dieſer Troſt eigentlich mit den Wiſſenſchaften ver - bunden war, wo er eigentlich zu Hauſe ge - hoͤre?

Uebri -309

Uebrigens haͤngt dies Leben an einem ſeid - nen Faden. Wir leben nur einmal, wir ha - ben nur eine Seele zu verlieren. Ein Menſch, der im Himmel, das heißt: uͤberall, nur im Planeten Erde nicht, zu Hauſe gehoͤrt, ſollte aus Paris, London, Rom, Athen ſeyn? Unſer Wandel iſt im Himmel. Wir wollen Herzhaftigkeit haben, aus Gottes Welt, aus uns ſelbſt zu ſeyn.

Den Menſchen kennen lernen, heißt: den beſten Theil der Wiſſenſchaften gewaͤhlt ha - ben. Das ſoll nicht von uns genommen wer - den! Wenn uns alles verlaͤßt, behalten wir uns doch!

Ich werde noch Gelegenheit haben, von meinem academiſchen Lebenslauf ein Woͤrt - chen zu geben. Will man dies Woͤrtchen in Ruͤckſicht, daß das Studiren eine Art von Geiſterſeherey iſt, ſo uͤberſetzen: ich werde ei - nen Geiſt erſcheinen laſſen! Auch gut! Ei - nen guten Geiſt, verſteht ſich. Alle gute Gei - ſter leben Gott den Herrn!

Ich verlies, wie es meinen Leſern nicht unbekannt ſeyn kann, Gretchen eben zu einerU 3Zeit,310Zeit, da ſich der Juſtitzrath Nathanael zwey Stunden zuvor in dem Widdem (Paſtorat) anmelden lies. Meine Leſer wiſſen, daß ich Gretchen bat, ihn zu gruͤſſen, und daß ſie da - gegen fragte: mich? Ich kuͤßte Gretchen nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da ich vom beſondren Grafen kam; wenigſtens glaub ich es ſo. Nichts war mehr zu ver - muthen, als daß ſich der Juſtitzrath ſeiner Anmeldung gemaͤß einfinden wuͤrde. Auf die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein Einſpruch geſchiehet, wenn nicht wo der Wa - gen bricht, oder andere Hinderniße ſich in den Weg legen. Nathanael kam wohl behalten in das Wirthshaus in L , aus welchem er zuvor Kundſchafter ſandte, ob ich auch wuͤrk - lich ſchon abgereiſet waͤre? Und da er Ja zuruͤck empfieng; kam er mit einer ganz friſch aufgepuderten Peruͤke, und ſo ſtattlich ausge - zieret, daß der Prediger ſehr um Verzeihung bat, daß er ihn ſo alltaͤglich faͤnde. Meine Leſer wiſſen zwar ſchon, daß er ſeinen Erlaß erhalten; allein dies war ein Wort aus gu - tem Herzen, das auch oft zur Unzeit faͤllt. Nathanael war jetzt, da er ſeine Aufwartung in L machte, auf das allerunterthaͤnigſte Geſuch um ſeinen Erlaß noch nicht beſchieden,und311und konnt auch noch nicht beſchieden ſeyn. Das erſt und lezte Wort des Nathanaels war Mine! Und dies ſchien die einzige Urſache, warum Gretchen auf alle ſeine Fragen ant - wortete. Er lies ſich das Grab zeigen, und weinte herzlich, wie Petrus, da er ſeinen Mei - ſter verrathen hatte. Da ihm Gretchen die Stelle in Minens Teſtament, auf die Erinne - rung des Predigers, (von ſelbſt that ſie es nicht) zeigte: Sag ihm, wenn du ihn in dieſer Welt ſprichſt, daß ich ihm von Herzen vergeben habe weint er ſo heftig, daß er die Haͤnde brach, und ſich an die Stirn ſchlug, ohne ſeine aufgepuderte Peruͤke und die ſtatt - liche Verzierung zu bedenken, womit er aus - geruͤſtet war. Der Prediger hatte ſein gan - zes Troſtamt noͤthig, um ihn wieder ins Ge - leiſe zu bringen. Mein Gruß, den ihm Gret - chen warm beſtellte, koſtete ihm neue Thraͤ - nen; allein er troͤſtet ihn auch. Die Predi - gerin ſelbſt, lief nicht mehr vor ihm. Seine Thraͤnen hatten ſie aus dem andern Zimmer herbeygelockt. Nathanael konnte nicht aus L kommen. Jezt bedauert er, daß er zwey Stunden vor meiner Abreiſe ſich mel - den laßen und nach vieren vor derſelben ge - kommen waͤre. Dies alles machte den Na -U 4tha -312thanael bey den Frauenzimmern ertraͤglich, ohne daß hiebey auf ſeine muͤhſame Dekora - tion geſehen ward, die der Schmerz, nach ſeiner Gewohnheit, ziemlich in Unordnung gebracht hatte. Man bat den Nathanael ſo gar, noch laͤnger zu weilen, um von Minen und mir erzaͤhlen zu koͤnnen. Nathanael blieb in Mitbetracht des Mondſcheins. Seine Bitte war die Erlaubnis, Minens Andenken in L oͤfters feyern zu doͤrfen, die ihm ſelbſt von der Predigerin bewilliget ward. Ohne Thraͤnen aber nicht, fuͤgte dieſe gute Han - na hinzu: Zu befehlen, beſchlos Nathanael, und fuhr ſeine Straße weinerlich. Der Prediger, Hanna und Gretchen, begleite - ten ihn bis an den Mond, haͤtt ich bald geſchrieben bis ins freye. Alle ſahen auf Minens Grab, und es kam jeden ſo vor, als wenn der Mond hier ganz beſonders ſich hin - gewandt und es beblitzet. Was meynſt du, Einzelner! es iſt doch gut, wenn man Freunde nachlaͤßt, die beym Mondſchein nach unſerm Grabe ſehen. Nathanael, der, ohne daß Gretchen es empfunden, ſo oft es die Thraͤnen nachgegeben, ſein Auge nicht von ihr gelaſſen, war ſo erbaut, von allen dieſen Vorgaͤngen, daß er weg war. Am Heckſang313ſang ein Bauermaͤdchen ein bekanntes Volks - lied in gleich bekannter Melodie, indem ſie das Heck oͤfnete:

Der Mond ſcheint hell,
Der Tod reit’t ſchnell!
Feins Liebchen, graut dir auch?

Das fehlte noch dem Nathanael, um von ganzer Seele ſeinen Abſchied zu wuͤnſchen, und einem Plan nachzuſpuͤren, in den Gret - chen mitgehoͤrte. Nathanael wiederholte ſei - nen Beſuch, ohne ſich weiter melden zu laßen. Gretchen blieb, wie ſie ſtand und gieng. Va - ter und Mutter bedachten die erneute Peruͤke des Nathanaels und ſein ſonſtiges Schnitz - werk, und halfen ſich nach. Gretchens Nachlaͤßigkeit machte Nathanael noch ver - liebter: Mine und ich blieben die Hauptma - terien. Nathanael kam auch der Ermahnung der Hanna, nie ohne Thraͤnen, nach; in - deſſen wußt er je laͤnger je mehr es ſo einzu - richten, daß er Gretchen einen begehrenden Blick zuwand, den Gretchen nie auffaßte. Sein Funke zuͤndete nicht. Jetzt war die Erlaſſung gekommen, die keinem in Preuſſen ſchwer wird, und waͤre Nathanael das A und O in Staatsſachen geweſen, da er es doch jetzt nur im Juſtitz-Collegio war. Der Koͤ -U 5nig314nig von Preußen haͤlt keinen Wenn der Tod ihn will, muß ich nicht auch wollen iſt ſein koͤniglicher Grundſatz. Ein Koͤnig muß ſich zu allem gewoͤhnen lernen, ſo wie ſich alles zu ihm gewoͤhnt.

Mit einer Freude, die ihres gleichen nicht hatte, kam Nathanael nach L , entdeckte dem Prediger, ſein Vermoͤgen zu einem klei - nen Guͤtchen ohnweit L angelegt zu haben, und hatte ohne Promemoria Herz genug, dem Prediger ſein Anliegen naͤher zu legen. Na - thanael war diesmahl noch geputzter, wie je, obgleich ihm ſchon zuvor nichts abgieng. Der Prediger erwiederte, dieſen Antrag in Erwaͤ - gung zu nehmen, und Nathanael trat ab, wie alle Partheyen, wenn die Richter in ih - ren Sachen erkennen wollen. Der Prediger trug Frau und Tochter mit einer kleinen An - rede die Sache vor, und kleidete alles in einer wohlgemeynten Rede uͤber die Worte ein: willſt du mit dieſem Manne ziehen? Da gieng Gretchen uͤber manchen unverſtaͤndlich gebliebenen Blick ein Licht auf. Hanna hatte tauſend Bedenklichkeiten, die aber alle tauſend in den Umſtand zuſammen kamen, daß ich Gretchen ward roth. Nun, ſagte der Prediger, wenn das iſt; deſto beſſer, ich binihm315ihm wegen meiner Suͤnde wider den hei - ligen Geiſt tauſend Verbindlichkeiten ſchul - dig. Er hatte ſchon laͤngſtens den Erfolg ſeines Auftrags in Haͤnden. Wenn er mit dir ſo umgeht, wie mit dieſer Abhand - lung; haſt du gewonnen Spiel. Fein Pa - pier. Der ſchoͤnſte Druck Die Recen - ſenten werden wider dieſe Verbindung kein Wort haben. Der Beſchluß war, dem Ju - ſtitzrath Nein zu ſchreiben, weil Gretchen mit mir eins waͤre. Nathanel hatte gebeten, ihm ſein Urtel ſchriftlich zuzuſenden, welches er als publicirt anſehen wuͤrde und war, voll Erwartung der Dinge, die kommen ſollten, heim gereiſet. Den andern Morgen fiel dem Prediger die Frage ein: ob ich denn wuͤrk - lich mit Gretchen eins waͤre? Und da man alles zuſammenhielt, fand man mich in wei - tem Felde im weiteſten. Es giebt nicht alle Tage Nathanaels, ſagte der Predi - ger, der dieſen ganzen Vorfall ſeinem Bru - der zu referiren, und die Sache ſeinem Schieds - ſpruch zu uͤberlaſſen antrug. Hanna trat bey, und bat nur, das Teſtament in dieſer Re - lation abſchriftlich beyzufuͤgen, als ein Docu - ment, woraus ganz deutlich hervorgienge, daß ich Gretchen heyrathen muͤſſe.

Der316

Der Haupteinwand, den Gretchen aber fuͤr ſich behielt, war, daß obgleich ſie mit zwey Accenten verlangt, daß ich wenigſtens noch einmahl nach L kommen ſollte, ich doch in ſo langer Zeit nicht gekommen Zwar hatt ich geſchrieben; allein, da war auch keine Spur, die dieſes Obgleich heben, oder nur mindern koͤnnen.

Ein Brief von mir an Gretchen, der meine Reiſe nach Goͤttingen eroͤfnete, gab allem eine andre Wendung. Der Prediger ſahe dieſen Brief als eine goͤttliche Schickung an. Die Predigerin ſelbſt war der Meynung, daß die Relation nicht abgehen doͤrfe. Er hat doch keinen Amtswachtmeiſter mehr, ſetzte Hanna hinzu, und Gretchen? Sie haͤtte freylich be - denken koͤnnen, daß ihre Eltern arm waͤren, und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank; allein dies war ihr wenigſter Kummer. Es iſt nicht die einzigſte und ſicherſte Art, Maͤd - chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man ſollte kaum glauben, was in einem unbefan - genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros - muth, die uͤber allen Ausdruck iſt. Ich ge - traue mir zu behaupten, daß man ein Maͤd - chen durch Beleidigungen eben ſo weit brin - gen kann, als durch Liebkoſungen. Wennnicht317nicht Curlaͤnder gerad uͤber gewohnt und ihr Herz durch buhleriſche Blicke verdorben ha - ben, was kann ſie nicht? Wißt ihr, Freunde, wer die groͤßten Menſchenfeinde ſind? Die, denen die Menſchen am meiſten gutes gethan. Dieſe Begluͤckten empfinden ihren Unwerth, ſie wiſſen am beſten, durch was fuͤr Wege ſie ſich dies und jenes erſchleichen, und eben dies macht ſie zu Menſchenfeinden. Ungluͤck, Freunde, das man duldet, leitet uns oft zur genaueſten Menſchenliebe. Daher Freud und Leid, Sarg und Hochzeitbette, ſo nah verwandt! Nichts iſt natuͤrlicher, als daß Gretchen Ja ſagte. Sie haͤtt es geſagt, wenn gleich Nathanael nicht ſo geweint, als er gethan, wenn er gleich den Abſchied nicht genommen. Gut iſt gut; allein beſſer iſt beſ - ſer. Einer der Buße thut, iſt beſſer, als neunzig, die der Buße nicht beduͤrfen. Ehe es ſich noch ſchickte die Bedenkzeit zu ſchluͤßen, wiewohl alles ſchon bedacht war, erſchienen Se Hochgebohrnen, der hohe Eingepfarrte, mit einer Anwerbung auch fuͤr Natha - nael. Das Nathanaelſche Guͤtchen ſtieß an eines des Grafen. Wer viel im Himmel ha - ben will, muß ſorgen, daß die Welt frucht - bar ſey und ſich mehre. Man gab, um allesfein318fein und ſchoͤn zu machen, dem Grafen die Einwilligung mit, und ſiehe da! Nathanael und Gretchen ein Paar! Eins haͤtte Gret - chen ſich gern ausgedungen, wenn es ſich ge - ſchickt haͤtte. Sie wuͤnſchte, daß Nathanael, der ſonſt eben nicht unleidlich war, ſeine Haare wachſen, oder ſie wenigſtens mit ſeiner Pe - ruͤke ſo verheyrathen moͤchte, daß man nicht wuͤſte, obs Natur oder Kunſt, eigen Haar oder Peruͤke waͤre. Die Natur traͤgt ihr ei - gen Haar. Solche Wuͤnſche heben in der Ehe ſich von ſelbſt. Das Weinen lies dem Nathanael, wie Hanna verſicherte, nicht uͤbel. Die erweinte Roͤthe, welche ſich von einer andern, ohngefehr wie das Taufwaſſer gruͤn von andern unterſcheidet, gefiel Greten ſelbſt. Ueber das Weinen lies ſich Hanna aus: Es kleidet wenigen Leuten, Lachen ſteht faſt allen gut; drum laßen ſich die Men - ſchen faſt alle im Laͤcheln mahlen. Wer war gluͤcklicher, als Nathanael? Daß du es doch immer ſeyſt, gutes Paar, ich wuͤnſch es von Herzen! Gretchen beſtand darauf, daß die Verlobung auf Minens Grabe geſchehe. Man bat mich ſchriftlich um dieſe Erlaubnis, und ich bewilligte ſie mit einem Seufzer, der aber blos Minen zugehoͤrte. Gretchen ſchrieb damit319 damit auch ein Engel des Herrn dieſer Verlobung beywohne! Der Graf fand dieſes ſo original, daß er ſehr bedaurte, nicht auch auf dieſen Fuß ſich verlobt zu haben. Der Prediger ſchenkte ſeinem Schwiegerſohne zwey Autorexemplare von der Abhandlung, die auf extrafein Papier gedruckt waren, und fragt ihn, was fuͤr Baͤnde in ſeiner Biblio - thek hervorſtaͤchen? Lieblingswerke bro - chuͤrt ohne Glaß und Rahmen am we - nigſten goldnen indeſſen ſchien der Pre - diger zu wuͤnſchen, daß er mit dieſem Werk - lein eine Ausnahme von der Regel machen, und ihm eine ſchwarzcorduane Uniform an - ziehen moͤge. Nathanael haͤtte das Werk auswendig gelernt, ſo lieb hatt er Gretchen. Ein ſchwarzcorduanes Kleid war das wenig - ſte, was er dran wenden konnte.

Nachdem alles von Seiten der Verlobten Ja, und von Seiten des Predigers und ſeiner Hanna Amen war, und man ſich, wie doch im Brautſtande gewoͤhnlich, das Herz aus - ſchuͤttete, erſchien auch ein Theil von der ge - heimen Abſchiedsgeſchichte des Juſtitzraths. Er entſchlos ſich freylich auf friſcher That, nicht mehr zu richten, damit er nicht auch ge - richtet wuͤrde; allein bey alledem wuͤrdewenig -320wenigſtens der Abſchied nicht ſo ſchnell geſucht und erfolgt ſeyn, wenn nicht noch ein Um - ſtand dazu gekommen waͤre.

Der Juſtitzrath fand wegen verſchiedener unrichtigen Beſchwerden, die man wider das Collegium hoͤheres Orts, das heißt, in Koͤ - nigsberg angebracht, bey ſeiner Ruͤckkunft einen Reviſor, bald haͤtt ich Sequeſter geſagt, das iſt, ein Maͤnnchen aus einem Collegio, das den Koͤniglichen Titel hat, wenn es bey - ſammen iſt, ein Maͤnnchen, das den Tag ſeine drey Reichsthaler aus dem Seckel der Juſtitz, aus der Sportelcaſſe, ſich zueignet und jedes einladet, ſeine Beſchwerden uͤber die Orts - obrigkeit anzubringen. Beſonders! daß der Koͤnig von Preuſſen den Militairperſonen, wenn gleich ſie excellent ſind (das iſt hier zu Lande der Feldherr vom Generallieutnant an,) ſein Bild nicht anhaͤngt und ihnen den Koͤnig - lichen Titel verleiht, dagegen im Civildienſt oft an einem Orte vier Stuͤck Koͤnige regieren, oder Collegia, die den Namen ihres Koͤnigs unnuͤtzlich fuͤhren. Ein Koͤnig uͤbern an - dern Ein Reviſor iſt ein einzelnes Mit - glied aus einem dergleichen mit dem koͤnig - lichen Namen begabten Collegio. Ein Po - ſtillion ohne Horn. Solch ein Poſtillioniſt321iſt indeſſen im Collegio zu ſehr gewohnt, all Augenblick ins Horn zu ſtoßen, und durch: Wir Friedrich von Gottes Gna - den ꝛc. ſich Platz zu machen, als daß er nicht auch ohne dieſen Ordensfaden ſich einbilden ſollte, er ſey Etwas. Muthwillige Knaben machen mit der Hand das Poſthorn ſo nach, daß man glauben ſollte, die Poſt kaͤme. Je - der Mann denkt ſich unter einem Richter, ei - nen Aelteſten im Volke, und es iſt nicht zu leugnen, daß es auf zehn Jahre, in oder außer dem Wege, ſehr viel beym Richter an - kommt. Von dem Geburtsbrief, vom Tauf - ſchein unſeres Reviſors, war der blanke Streuſand noch nicht abgerieben. Er konnte ungefehr drey und zwanzig Jahr haben, und war alſo ſehr zeitig zur Landesregierung ge - kommen. Dieſer Juͤngling hatte die juriſti - ſche Collegia durchlaufen, wie ungefehr ein Hofmann ein Puderſtuͤbchen, damit nur ein feiner Septemberreif kleben bleibe. So viel war dem Reviſor auch kleben geblieben. Stolz, feurig indeſſen in Gedanken, Gebehr - den, Worten und Werken! Er ruͤhmte ſich einen gluͤcklichen Aktenblick zu haben. Das hieß: Er laß die Akten nicht ganz, ſondern ſchweifte nur umher, huͤpfte ſie nur durch,Xund322und doch, ſagt er, find ich die rechten Stel - len, die verba probantia, den phyſiognomi - ſchen Fleck. Gott erbarm ſich deſſen, der ſein Wohl und Weh ſo aufs Spiel ſetzen muß! Ein Schurk anderer Art war er oben ein, nach der Weiſe des Ehegerichtsraths, der den Ritter und die Curlaͤnderin ſchied, und Klaͤ - ger, Richter, Henker in einer Perſon war. Er lies ſich ſo klar und offenbar beſtechen, daß kein Menſch es groͤber machen konnte, und eben dieſe Grobheit war Feinheit. Er borgte nehmlich von allen Menſchen Geld, und gab es nicht wieder, oder beßer, man fordert es nicht. Das nenn ich einen Bock zum Gaͤrt - ner ſetzen! Unſer juriſtiſches Genie war dem A und O im Collegio wie auf den Leib ge - bannt. An keinem kleinern, als ihm, wollte der Knabe zum Ritter werden.

Wo geweſen?

Auf Koͤniglicher Commißion.

Und die Akten?

Beym Prediger in L

Als Mitcommiſſarius?

Nein.

Warum denn?

Damit er der Regierung Bericht erſtatte

Deſto323

Deſto beſſer!

Nathanael erzaͤhlte dem Poſtillion ohne Horn ſehr gerade den Vorfall, und zeigt ihm das Promemoria, daß er allein zuruͤckbehal - ten. Der Reviſor beſtand darauf, daß er wieder zuruͤck nach L ſollte. Er ſelbſt wollte mit, um dieſe Sache zu ergruͤnden. Mine kam ihm, als die feinſte Betruͤgerin, vor. Sterbend hin, ſterbend her, ſagte der Reviſor! An dieſem Herodes, an dieſem Zaunkoͤnig, hatt es auch noch gefehlt! Einige dringende Beſchwerden derer, die von den Straſſen und Zaͤunen geladen waren, hielten dieſe Reiſe auf, und eben da er hin wollte, kam die Nachricht und der Bericht zur Unterſchrift, daß Mine im Herrn ent - ſchlafen ſey. Der Reviſor behauptete, Mine haͤtte Gift genommen, da er die unzu - laͤngliche Aktenſtuͤcke las. Solch einen tref - lichen Ueberblick hatt er! Zwar lies er auf die Vorſtellung des Nathanaels die Ob - duktion, die er anfaͤnglich durchaus veran - ſtalten wollte, nach; indeßen konnte Natha - nael es nicht hindern, daß der Reviſor auf zehn Bogen Papier dieſen Vorfall auseinan - der ſetzte, um denen, die ihn geſandt hatten, zu zeigen, was geſchehen waͤre, und was nichtX 2geſche -324geſchehen waͤre, und was geſchehen koͤnnen, und was geſchehen ſollen.

Da kam eine Wittwe, die ſich beſchwerte, man haͤtte zu viel Stempelgebuͤhren von ihr genommen. Akten! ſchrie der Reviſor, und ſetzte auseinander, was bey dieſer Sache verſehen waͤre. Nun fand er zwar, daß nach der Verordnung mehr Stempelgebuͤhr ge - nommen werden ſollen, die auch das arme Weib nachbezahlen muſte; allein neben her ſetzt er die Fehler ins Licht, welche bey dieſer Sache vorgefallen. Akten waren nicht ge - hoͤrig geheftet, nicht gebuͤhrend foliirt, das Rubrum war falſch und haͤtt auch groͤſſer ge - ſchrieben werden muͤßen. Lateinſche Worte, die man ſchon beßer, als die Deutſchen, ver - ſtand, verdeutſcht er, und das mit einer Randweiſung: in Zukunft, des gemeinen Manns wegen, ſich ſo viel als moͤglich der deutſchen Sprache zu bedienen. Wo er Ter - min fand, ſezt er Tagefarth, wo Concurs, Brodel u. ſ. w. Die tauſend Kleinigkeiten, ſo der Reviſor zu moniren fand, zeigten eben ſo, wie der blanke Streuſand auf dem Ge - burtsbrief, ziemlich deutlich, daß er nicht ſehr lange aus dem A. B. C. heraus waͤre.

Der325

Der Wittwe wurden alle dieſe Erinnerun - gen und Weiſungen, wiewohl ohne Stempel - papier, gegen Bezahlung der Copialien zuge - fertiget, und anſtatt, daß ſie heraus bekom - men ſollte, muſte ſie V. R. W. noch das zu wenig genommene Stempelpapier und die Co - pialien fuͤr den Reviſionsbeſcheid zuzahlen. Schwerlich wird ſie mehr klagen! Ich wollte, ſagte ſie, fuͤr meine Tochter, die eben heyra - thet, zu einem ſilbernen Speiſeloͤffel aus den Akten heraus haben, und muß in die Akten einen ſilbernen Vorlegeloͤffel dazu geben.

Das war fuͤrs Promemoria, dacht unſer gute Nathanael. Wen Gott lieb hat, den zuͤchtigt er auf friſcher That, wie jeder gute Vater ſeinen Sohn! Wenn ich meine Rieben pflanze, wie angenehm wird es mir ſeyn, ge - buͤſſet zu haben! und beym vermißten fruͤh oder Spatregen nicht denken zu doͤrfen; fuͤrs Promemoria! Wahrlich Nathanael war hiebey auf keinem unrichtigen Wege. Mein Vater pflegte zu ſagen: es muß jedem klugen Menſchen (und auch der kann ein Suͤnder ſeyn,) eben ſo angenehm ſeyn, zu buͤßen, als zu ſuͤndigen. Die bitterſten Erniedrigun - gen, in Gegenwart der andern Mitglieder des Collegii und der Subalternen, kraͤnkten denX 3Na -326Nathanael, des A und O, am meiſten. Sel - ten iſt ein Ungluͤck allein. Der Direktor des Juſtitzcollegii ſtarb, aus Furcht ohnfehlbar. Furcht iſt eine Krankheit, welche den groͤſten Theil der Menſchen, nach der Liebe, dahin - raft. Es iſt die Seelengicht. Unſer Reviſor hatte einen adlichen Referendarius, Auſculta - tor, was weiß ich, wie ſolch ein Zoͤgling recht heißt, mit. Man kann ſich vorſtellen, wie alt dieſer geweſen, da er an der Bruſt des Reviſors lag. Nach dem Vorſchlage, den der Reviſor denen, die ihn geſandt hatten, that, und der durchaus genehmigt ward, ſoll - te dieſer Saͤugling von unſerm Reviſor als Interimsdirektor eingefuͤhret werden. Na - thanael hatte wider dieſen Direktor den Spruch aus dem Munde der jungen Kinder und die Stelle Jeſaia drey, der zwoͤlfte Vers: Kinder ſind Treiber mei - nes Volks, und Weiber herrſchen uͤber ſie, gemisbrauchet. Die Folge war gruͤne Galle bey der Introductionsrede und außer ihr noch ein Anhang mehr, als Galle. Der Interimsjuſtitzdirector machte den Revi - ſor mit denen benachbarten von Adel bekannt. Das war ein Leckerbiſſen fuͤr ſeinen Stolz, ein Kitzel fuͤr ſeinen Gaumen; der Reviſorwar327war nicht von Adel. Jedem ſeiner adlichen Wirthe ſagte der Reviſor die Spoͤttereyen uͤber das Juſtitzcollegium vor, die er in ſei - ner Einfuͤhrungsrede angebracht, und zum Schlus, der adliche Wirth mochte lateiniſch verſtehen oder nicht, cognovit bos & aſinus, quod puer erat dominus. Der Juſtitzrath hatt ihn aus der Bibel be - leidigt; der Reviſor ſchlug ihn aus dem Ge - ſangbuch. Dieſe Strophe iſt aus dem Liede: Ein Kind gebohren zu Bethlehem: Puer na - rus in Bethlehem, und heißt nicht, wie wir ſingen, das Oechslein und das Eſelein, ſon - der der Ochſe und Eſel erkannten, daß der Knabe Herr war. Ob nun gleich Nathanael nicht wuſte, wie er und ſein College (aus zweyen Raͤthen beſtand das Juſtitzcollegium,) ſich dieſe beyde Praͤdicate vertheilen ſollten; ſo waren doch beyde Ehrentitel nicht viel aus - einander. Beyde Leute hoͤrten ganz laut die - ſen Zuſatz erzaͤhlen, obſchon der Reviſor ihn nur jederzeit ins Ohr geſagt hatte. Wieder ein Genieblick von unſerm Reviſor. Der Adel nimmt Recht beym Juſtitzcollegio.

Der Menſch beſteht aus Leib und Seel, aͤuſſerlichem und innerlichem Sinn, und be -X 4darf328darf alſo immer etwas von innen, und etwas von außen, wenn er zum Ziel kommen ſoll; ohne einen Schlag ans Herz, etwas ad ho - minem, bleibt die ſpeculativiſche Demonſtra - tion ein Luftſchlos. Faſt ſollte man glauben, daß die Sinnen, die anfangen, auch vollen - den, Allerſeits und Amen ſagen! Selbſt zu Entſchluͤſſen, wenn nichts ans Herz kommt, wie ſchwer die Geburt! Wen Gott lieb hat, dem giebt er, außer dem ſchweren Buche, noch ein Handbuch, außer der Bibel einen Cate - chismus, außer den hoͤhern geiſtiſchen Gruͤn - den, einen mit Fleiſch und Bein Außer tiefer Wiſſenſchaft Dichtkunſt.

So mit unſerm Juſtitzrath. Minens Geſchichte erregte den Entſchluß: du kannſt hinfort nicht mehr Haushalter ſeyn! Der Reviſor macht ihn lebendig!

Bey dieſen Umſtaͤnden verdachte der Pre - diger in L ſelbſt nicht dem Nathanael, daß er ſein Amt niedergelegt, und eine Zeit der Ruhe, der Heiligung, angefangen. Lieber Nathanael, wenden Sie Ihre Zeit gut an, und Gott ſegne Ihre Studia! Der Koͤnigliche Rath, dem ich gelegentlich dieſen Vorfall erzaͤhlte, war ſo wenig uͤber dieſen Vorgang außer ſich, daß er vielmehr, ob -gleich329gleich er ſelbſt ein Stuͤckle in Koͤnig war, nichts mehr that, als die Achſeln ziehen. Der Entſchluß des Nathanaels war ſo nach ſei - nem Sinn, daß auch er ſich, wie man deut - lich ſahe, nach dieſer Erloͤſung ſehnte.

Gretchens Hochzeit ward meinethalben zeitiger veranſtaltet, als es wohl ſonſt nach der Sitt im Lande haͤtte geſchehen koͤnnen, wo - fuͤr mir, glaub ich, Braut und Braͤutigam, wie wohl mit dem Unterſchiede verbunden waren, daß der Braͤutigam allein ſich dies Verbun - den ſeyn merken lies. Ich kam ein Paar Tage vor dem Hochzeitstage. Gretchen, ſo - bald ſie mich ſahe, kuͤßte mich ſo aus Her - zensgrund, und ich ſie wieder, daß Natha - nael auffuhr! Sie lies ihn, und kam zu mir. Dem Nathanael war hiebey eben ſo uͤbel, als bey der Reviſion, zu Muthe, und was das aͤrgſte war, ſo durfte er ſich dies nicht einſt merken laſſen. Jeder, das ſah er ein, wuͤrd ihn wegen ſeiner Eiferſucht aus - gelacht haben. An einen Abſchied war hier ohnedem nicht zu denken. Er liebte Gretchen unendlich. Anfaͤnglich affektirt er dabey ſo eine Heiterkeit, daß man gar nicht wuſte, wie ihm worden. Bald darauf ward er unruhig. Er ſchien nicht aus noch ein zu wiſſen. WennX 5ich330ich mit ihm allein war, fragt er mich ohn End und Ziel: wenn ich denn gedaͤchte Preuſ - ſen zu verlaßen? Und, ohne mich zu noͤthi - gen, auch nur einen Tag laͤnger zu bleiben, war wieder ein wenn da. So bald mir uͤber dieſe Eiferſucht, die ſich jezt in eine ungewoͤhn - liche Hoͤflichkeit gegen Gretchen aufloͤſete, nur das erſte Licht aufgieng; dacht ich auf Mit - tel, den armen Nathanael zu heilen. Iſts nicht eigen, daß man den Eiferſuͤchtigen allein durch Affektation beruhigen kann? Ich fieng an, gegen Gretchen mich zu zwingen, und da ſie ſich daruͤber beſchwerte, ſucht ich fuͤr den Juſtitzrath auf eine ſo gute Art alles zum Beſten zu kehren, daß er von Stund an, an - ders zu werden anfieng. Ganz kam er nicht ins Geleiſe; obgleich er nicht mehr wenn fragte.

Der Graf konnte ſo wenig, wie ſein an Bruder ſtatt angenommener Bedienter, auf die Hochzeit kommen. Etwas Sterbendes hielt ihn ab. Gern haͤtt ich ihn zu Cana in Galilaͤa geſehen und der Koͤnigliche Rath? Auch er nicht. Er hatte einen Reviſionsauf - trag erhalten. So viel weiß ich, daß er kei - ner Wittwe, auſſer dem eingebildeten Ge -winſt331winſt eines ſilbernen Eßloͤffels, einen Vor - legeloͤffel von der Seele revidirt haben wird.

Gretchen hatte von je her auf ein ſtilles kleines Hochzeitmahl beſtanden. Ihre Mut - ter war zu dieſen Wuͤnſchen eine Miturſache. Wir ſind in Trauer, ſagte ſie zum Juſtitzrath, und ſah mich an. Einige der Eingepfarrten indeſſen muſten geladen werden und hiezu war der 14 angeordnet. Den 13 des Morgens giengen wir all zuſammen ins nahe Waͤldchen, und kamen ſo heiter zuruͤck, daß wir, Gretchen, Nathanael und ich, auf den Gedanken fielen, heute ſtehendes Fußes den geſchuͤrzten Knoten zuzuziehen. Der Predi - ger hatte Bedenklichkeiten; unfehlbar war er mit der Hochzeitrede noch nicht fertig. Er gab indeſſen nach, da er unſere vereinigte Wuͤnſche merkte. Gretchen und ich giengen zur Mutter; was konnte die uns beyden ab - ſchlagen? Waͤhrend der Zeit, daß der Predi - ger ſich in ſeine Reverende ſetzte, und an ſeine Traurede dachte, ward nach dem Organi - ſten und ein Paar Dorfaͤlteſten geſandt, wozu noch ein Verwandter des Juſtitzraths, der ſchon den 12 angelangt war, ſties. Es war ein Koͤniglicher Amtmann, (Paͤchter ei - nes Domainen-Guts.) Gretchen fragte denNatha -332Nathanael: ob ſie ihren Brautſchmuck anle - gen ſollte? Den koͤnnen Sie nie ablegen, erwiderte der galante Braͤutigam. Wir ba - ten alle, Gretchen moͤchte bleiben, wie ſie waͤre, und dieſe Bitte machte uns wenig Muͤhe, weil ſie ſelbſt dazu geneigt war. Sie blieb, und die Natur ſelbſt haͤtte ſie nicht beſ - ſer putzen koͤnnen, als ſies war. Sehet die Lilien auf dem Felde! Und Salomo war nicht gekleidet, wie derſelben eine! Wahrlich Gretchen war eine ſchoͤne Feldblume! Wie ſchoͤn ſie da ſtand! Nathanael konnt es ohne Puder nicht laßen, ſonſt konnt er ſeiner Ga - lanterie keine Elle mehr zuſetzen; er war wie aus einem Putzkaͤſtchen gezogen. Der Amtmann war nicht im Stande, ſich ans ſeinem Erſtaunen heraus zu finden. Er hatte ſein Kleid mit den Goldbeſponnenen Knoͤpfen noch nicht herausgepackt, und nun war es zu ſpaͤt. Der Organiſt bat um Verzeihung, daß er kein hochzeitlich Kleid anhatte, und waͤhrend aller dieſer Dinge kamen die Beglei - ter zu Hauf. Gretchen bat mich um Blu - men, die ich ihr zitternd brachte; ich haͤtt ihr gewiß keine gepfluͤckt, wenn ſies nicht ſelbſt verlangt haͤtte. Sie nahm dieſe Blumen mit einem Blick entgegen, der mir durchs Herzgieng,333gieng, und ſteckte ſie ſich, warm von meiner Hand, an den Buſen. Nathanael war zu andaͤchtig, um daruͤber eiferſuͤchtig zu wer - den, und der Blumen halber zur Frage: wenn? Gelegenheit zu nehmen. Natha - nael gieng mit ſeiner Braut, ich mit der Pre - digerin, der Prediger mit dem Amtmann ohne die goldbeſponnenen Knoͤpfe. Dann Gretchens beyde Bruͤder, ein Paar Primaner. Die beyden Dorfaͤlteſten machten das letzte Paar. Der Organiſt war voraus gelaufen, um uns mit einigen ſeiner Schuͤler zu bewill - kommen. An Minens Grabe ſtanden wir einige Minuten ſtill, als wenn wir uns ausruheten. In der Kirche trafen wir eine ungebetene Ver - ſammlung, der man es anſahe, daß ſie mit dieſer Eilfertigkeit nicht voͤllig zufrieden war. Vielen ſah man an, daß ſie auf die erſte Nach - richt ſich zu putzen angefangen, und in dieſem gutgemeinten Beſtreben, zu Gretchens Ehren - tage etwas beyzutragen, geſtoͤret worden. Es war nicht halb, nicht ganz. Die Toͤchter der Dorfaͤlteſten ſtachen durch gruͤnen Band hervor; indeſſen waren auch ſelbſt ſie nicht fertig. Der goldgeſponnene Knopf fehlte ih - nen ſo gut, wie dem Amtmann. Die Toͤch - ter der Dorfgeſchwornen hielten einen Kranz,den334den ſie Gretchen, eben da ſie in die Kirche trat, aufſetzten. Der Organiſt, der entwe - der auf ein Praeludium nicht denken koͤnnen, oder der dem Geſang durchs Praeludium nicht zu nahe treten wollte, fieng bey unſerm Ein - tritt ſingend und ſpielend an:

Was Gott thut, das iſt wohlgethan,
Es bleibt gerecht ſein Wille.

Eben ſo begann Minens Begraͤbnis und dieſe Erinnerung, wie bewegte ſie mich!

Der Prediger war gerades Weges auf den Altar gegangen. Wir andern ſtan - den rund herum Nach den Worten:

Drum laß ich ihn nur walten, als den letzten des Geſanges, fieng er ſo zu reden an, als ob er ſich mit uns unterhalten wollte.

Haͤtten Sie ſichs wohl vorgeſtellt, lie - ber Freund! ſo ungefehr war ſein Anfang, daß Sie, was Gott thut, das iſt wohlge - than, in unſerm lieben L bey einer Hoch - zeit ſingen wuͤrden? Eben wollt ich ant - worten: nimmermehr, lieber Paſtor, da er feierlicher fortfuhr: und doch lag dieſes: Was Gott thut, das iſt wohlgethan, in je - nem: was Gott thut, das iſt wohlge - than.

Der335

Der gute Mann hatte ſich, das merkte man, vorgeſetzt, uͤber Minchens Leichentext: ſiehe ich komme bald, halt was du haſt, daß Niemand deine Krohne nehme, auch ſeine Hochzeitsrede zu halten; allein es fehlt ihm juſt ſo viel Zeit, um ſeiner Rede die gold - beſponnenen Knoͤpfe anzuſetzen. Sonſt war ſie fertig, in ſechs Stunden waͤr alles ange - heftet geweſen, und wir haͤtten geſehen, wie dieſer Text eben ſo gut fuͤr Minens Tod, als fuͤr Gretchens Hochzeit, in der Offenbarung Johannis des dritten Capitels eilften Vers ſtuͤnde.

So gut es indeſſen dem Amtmann und den beyden Toͤchtern der Dorfaͤlteſten lies, eben ſo gut ſtand es auch dem guten Paſtor. Was ihm an gerundeten Perioden abgieng, erſetzt er durchs Herz, und ich haͤtt um vie - les nicht dieſe Hochzeitrede mit der grundge - lehrten Abhandlung von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt vertauſcht, obgleich dieſe Ab - handlung befeilt und beſchliffen war und in zwey gleichlautenden und gleichgebundenen Exemplaren in der Bibliothek des Braͤuti - gams ſtand. Zehnmal ſchien es mir ſo, daß es der Prediger dazu anlegte, mit dieſem oder jenem unter uns ein Wort zu wechſeln. Eslief336lief indeſſen allemal ſo ab, wie mit mir beym Anfange. Zuletzt hatt er ſich zu tief in ſei - nen Spruch, ich komme bald, verwickelt, oder war es vaͤterliche Ruͤhrung? Kurz, ohne Uebergang nahm er ſeine Agende und las: Lieben Freunde in dem Herrn Gegenwaͤrtige beyde Perſonen wollen ſich in den Stand der Ehe begeben und ſo weiter.

Dies Formular, alt und wohlgemeynt, war mir darum ſo ruͤhrend, weil ich mich all Augenblick befragte: wenn du da ſo mit Mi - nen ſtuͤndeſt?

Der Prediger erzaͤhlt uns nach der Trau - ung, daß bey Hauscopulationen, die in Preuſſen ſehr haͤufig waͤren, gemeinhin das Formular verbeten wuͤrde, und zwar wegen des Fluchs und Segens des heiligen Eheſtan - des, der in dieſem Formular ſo ehrlich, als nur immer moͤglich, vorgetragen wird.

Iſts Wunder, daß Gott denen den Ehe - ſeegen entzieht, deren zu feine Ohren die Ehe - ſtandsbeſchwerden nicht einſt in der Kirchen - agende ertragen koͤnnen? Leute, denen die Bibel zu herb iſt, Gottes Wort, was fuͤr ei - nen ſchwachen Kopf und Herz muͤſſen die haben!

Und337
Und Gott der Herr ſprach: es iſt nicht
gut, daß der Menſch allein ſey.

Das iſt ein Wort in allem Verſtand anwend - bar. Es iſt nicht gut, daß der Menſch allein ſey. Selbſt im Sterben, wuͤrde der Graf wiederhohlen, iſts nicht gut, daß er allein ſey. Selbſt auf dem Kirchhofe, wuͤrde der Todtengraͤber hinzufuͤgen.

Der Prediger macht in ſeiner Rede die Anmerkung, daß die Copulation vor dem betruͤbten Suͤndenfall ganz anders geweſen waͤre und manche, ſetzt Er hinzu, die viel - leicht den betruͤbten Suͤndenfall am deutlich - ſten an ſich tragen, wollen durchaus eine pa - radiſiſche Copulation, und kein Wort aus dem dritten Capitel des erſten Buchs Moſe, ſon - dern alles huͤbſch und fein, alles aus dem zweyten Capitel, wie kann das aber? Freylich erſchrack das aus dem Paradieſe ge - triebene Paar uͤber das dritte Capitel ſo ſehr, daß, da Gott ihnen Kleider von Fellen machte, ſie ſolche in der Verwirrung nicht einſt anzu - ziehen verſtanden: er zog ſie ihnen an, heißt es. Die meiſten unſerer angehenden Ehe - leute haͤtten weniger Urſach, dieſem Capitel durch eine Hauscopulation und WeglaßungYder338der Agende auszuweichen, da ſie vom Stande der Unſchuld keinen Begrif haben.

Meine Leſer ſind in der Kirche zu L ſchon ſo bekannt, wie ich ſelbſt, und wiſſen, daß die Kirche nie anders als nach einem Lob - geſang geſchloſſen wird. Wie beym Begraͤb - nis ward nach der Copulation geſungen: Nun danket alle Gott!

Nach dieſem Geſang betet alles vorm Al - tar. Die Braut hatte, wie es wohl ſonſt etwas ungewoͤhnliches iſt, keine einzige Thraͤne geweint. Nach dem Gebet tra - ten die beyden Toͤchter der Dorfaͤlteſten hin - zu, und wuͤnſchten Gretchen alles aus dem zweyten Capitel. Die aͤdle Einfalt dieſer Wuͤnſchenden war ruͤhrend, ſo wie es alles aͤdeleinfaͤltige iſt. Gretchen und die Maͤd - chen waren Jahreskinder, Milchſchweſtern, zuſammen zur Kinderlehre gegangen und zu - ſammen confirmirt, oder, wie es in Preuſſen heißt: eingeſegnet. Gretchen wuͤnſchte, daß ſie auch bald Gelegenheit haben moͤge, ihnen beyden ſo Gluͤck zu wuͤnſchen. Die Maͤd - chen hatten Thraͤnen in den Augen, und man ſah es ihnen an, daß es Thraͤnen der Liebe waren. Gretchen kuͤßte ſie beyde, und nungien -339giengen ſie zum groͤſſern Haufen zuruͤck, der in der Entfernung geblieben war.

Es gieng alles wieder Paarweiſe ſo, wie es gekommen war. An Minens Grabe ſtreute Gretchen die von mir erhaltene Blumen hin. Sie warf ſich nieder, (ſchwerlich haͤtte ſie dies thun koͤnnen, wenn ſie in hoch - zeitlichen Schmuck geweſen waͤre) und weinte, als ob ſie bis hieher ihre Thraͤnen aufgeſpart haͤtte. Der ſchwerfaͤllige Juſtitzrath ſetzte ſich ich kniete. Der Prediger und ſeine Frau hatten ſich umfaͤßt. Die bey - den Dorfaͤlteſten ſtanden von ferne. Wir weinten alle. Das neue Paar weinte mit, aus dem dritten Capitel. Es war ruͤhrend! Ihr ſahe man die Wort an: ich will dir viel Schmerzen machen, wenn du ſchwan - ger wirſt, du ſolt mit Schmerzen Kinder gebaͤhren, und dein Wille ſoll deinem Manne unterworfen ſeyn, und er ſoll dein Herr ſeyn. Ihm, die folgende Verſe: dieweil du haſt gehorchet der Stimme deines Weibes und geſſen von dem Baum, davon ich dir gebot und ſprach: du ſolt nicht davon eſſen; verflucht ſey der Acker um deinetwillen, mit Kum - mer ſolt du dich darauf naͤhren deinY 2Leben -340Lebenlang. Dornen und Diſteln ſoll er dir tragen und ſollſt das Kraut auf dem Felde eſſen. Im Schweis deines Ange - ſichts ſollſt du dein Brod eſſen, bis daß du wieder zur Erde werdeſt, davon du genommen biſt: denn du biſt Erde und ſollſt zur Erde werden.

Mir war nur Minchen in Herz und Sinn.

Die ungebetene Verſammlung hatte noch das Poſtludium des Organiſten gehoͤrt, der ſich, weil wir nicht mehr drinn waren, mit Manual und Pedal hoͤren laßen. Jetzt kam der ganze Haufen und blieb ſtehen. Allen und jeden ſahe man auf den Geſich - tern: du biſt Erde und ſollſt zur Erde werden.

Genau genommen, lieben Freunde, iſts all Eins, taufen, ſterben, heyrathen. Menſch, du biſt Erd und ſollſt zur Erde werden! Nach dieſer Scene kamen wir in die Widdem. Das neue Paar fiel ſich in die Arme! Man ſahe, wie es ſich liebte. Von Stund an lies Gretchen nicht mehr ihren Nathanael. Sie nahm mich nicht weiter. Er war der Ih - rige. Pflicht, Freunde! iſt ſie nicht beſſer, als Neigung? Sicherer, ſtaͤrker, wahrlich! Sie341Sie uͤberwindet den Tod oft weit leichter als die Liebe: allein auch ſie wird von der Pflicht uͤberwunden. Der Juſtitzrath fragte ſo wenig wenn? daß er mich jetzt zu bitten anfieng, doch ja zur Heimfuͤhrung zu bleiben. Da Gretchen fortfuhr, ſich ihm ganz zu weihen, gab er in ſeiner Bitte immer mehr zu. Zuletzt bat er mich im ganzen Ernſt, gar nicht aus Preuſſen zu gehen. Haben Sie nicht hier Minens Grab? ſetzte er hinzu, und konnte keinen groͤſſern Bewegungsgrund an - fuͤhren. Doch warum vorgreifend? Wir ſetzten uns zu einem Mahl, ſo natuͤrlich ein - gerichtet, wie Gretchen gekleidet war. Wir alle, koͤnnt ich faſt ſagen, waren ſo ge - kleidet, bis auf den Juſtitzrath, der wie ein ſauber geſchriebenes Urtel in beweiſender Form ausſah. Der Prediger bringt mich auf dieſen Ausdruck. Er hatte den Einfall, daß wir alle, wie ein Concept, ein Entwurf, ausſaͤhen wie die Probe, ſagt ich, indem mir das Lautenconcert einfiel. Der Organiſt, obgleich er kein hochzeitlich Kleid anhatte, blieb zum Mahl; nur die Dorfgeſchwornen nicht, obgleich man ſie ſehr darum erſuchte. Ich erzaͤhlte dem Prediger und dem Juſtitzrath, was ich bey dem Gluͤck -Y 3wunſch342wunſch der beyden Kranztraͤgerinnen bemerkt hatte, und bat ſie beyderſeits, ſich der Her - zen dieſer guten Maͤdchens anzunehmen. Dies geſchah unverzuͤglich. Da kam es denn bald zum Vorſchein, daß der eine Vater ſeine Tochter einem kleinen dicken Paͤchter, und nicht dem raſchen Martin, der die Tochter liebte, beſtimmt hatte; der andere wollte ſie ſeiner Schweſterſohn, einem weit ſchoͤnern reichern Burſchen, als Caſpar war, zuwen - den. Das Maͤdchen aber wollte Caſparn oder keinen. Dergleichen Wahleigenſinn, ſollte man ihn wohl unter Leuten dieſer Art vermuthen? Kunſt iſt er. Von Anbeginn iſt es nicht ſo geweſen. Adam konnte nicht waͤh - len und doch hatt er ein allerliebſtes Weib. Caſpar war indeſſen ein guter Junge, der dem Maͤdchen mehr zur Hand gieng, als der Schweſterſohn, der ſeiner Sache ſich gewis glaubte. Nathanael und der Prediger brach - ten es in kurzer Zeit zum Vergleich. Martin und Caſpar waren an dem Tage, da Gretchen Hochzeit hielt, die gluͤcklichen Braͤutigams. Wir werden ſchon nacheilen, ſagten die ver - gnuͤgten Burſche, und Gretchen ward roth, was weiß ich warum? Nathanael ſah in den Spiegel. Ich glaube nicht, daß es eben ſoange -343angenehm ſey, in Geſellſchaft zu heyrathen, als zu ſterben, obgleich ich nicht vom Grafen zu dieſem Glauben aufgefordert bin. Ein verliebtes Paar iſt Adam und Eva in der gan - zen weiten Welt; ſie duͤnken ſich die einzigſten Menſchen in der Welt zu ſeyn und ſich ſelbſt genug.

Eine Geſellſchaft wie dieſe indeſſen, muß auch bey den Verliebteſten ein Beytrag des Vergnuͤgens ſeyn. Das Dorf kam unſerer Hochzeitfreude eben dadurch naͤher. Es war alles Paar und Paar. Die Dorfaͤlte - ſten hatten ſich ſchon laͤngſt vor der Hochzeit vorgeſetzet, dem Nathanael-Gretſchen Myr - tenfeſte zu Ehren eine Beyfreude zu bezeigen. Ein Reihentanz konnt es nicht ſeyn; denn ſie war aus dem Stamme Levi, und des See - lenhirten eheleibliche einzige Jungfer Tochter. Nach vielem Hin - und Herdenken waren ſie endlich auf einen laͤndlichen Geſang gefallen, den zwoͤlf der ſchoͤnſten Maͤdchen in weißen Kleidern kurz vor Schlafengehen abſingen ſollten. Ein junger Burſche hatte dieſen Ge - ſang entworfen, der Herr Organiſt aber, wie es hies, hatt ihn ſtiliſirt, oder die Natur verkuͤnſtelt. Die beyden Kranztraͤgerinnen hatten große Rollen bey dieſer ſingendenY 4Mit -344Mitfreude, wobey ſich alle zwoͤlf die Haͤnde geben und eine Freudenkette machen woll - ten. Haͤtten die Mitfreudigen und ſelbſt der Cenſor von den neun Muſen gewuſt, es waͤren nicht nach Zahl der Monate zwoͤlf ge - weſen! Ohnfehlbar aus denen mehr als zwan - zig jungen Maͤdchen, die in die Stelle der Lei - chenbegleiter traten, nachdem Minens Sarg vor dem Altar geſetzt war.

So ward es beſchloßen; jetzt aber kam alles in Unordnung. Die beyden Kranztraͤ - gerinnen, welche die groſſen Rollen hatten, waren aus Text und Melodie gekommen. Niemand wuſte, ob das Staͤndchen heut oder morgen gebracht werden ſollte, und doch woll - te jedermann es ſo gut als moͤglich machen. Kurz, das Dorf war in Unordnung. Dieſe Unordnung ſelbſt indeßen bot Hand zur Freu - de. Die Freude iſt die unordentlichſte von allen Leidenſchaften. Unſer Pfarrhaus war waͤhrend der Zeit das gluͤcklichſte Haus in der Welt. Gretchen ſo ganz und gar des Natha - naels, daß ſie auch nicht einſt einen Blick fuͤr mich uͤbrig hatte. Neigung iſt ſo puͤnktlich nicht. Pflicht aber iſt das puͤnklichſte, was ich weiß. Der gute Paſtor lies ſich an die - ſem Tage die Verlagsgeſchichte ſeiner Suͤndewider345wider den heiligen Geiſt erzaͤhlen, und war ſo froh, daß er ſein Seelenkind ſo gut, wie Gretchen, angebracht! Ein wahrer Natha - nael vom Verleger, ſagte der Prediger, und feyerte ein doppeltes Hochzeitfeſt. Gretchen und ihre Mutter nahmen wie gewoͤhnlich kei - nen Theil an dieſem Seelenkinde. Natha - nael indeſſen muſte wegen der in ſchwarz Cor - duan eingebundenen Exemplare ſein Ohr zu dieſer Unterredung neigen. Da er Gretchen hatte, war ihm ſchon vieles von dieſem Eh - renwerk entfallen, das er, als angehender Braͤutigam, faſt woͤrtlich wußte. Gretchens Mutter war ſelbſt ſo heiter, als waͤre ſie gar nicht lindenkrank, als waͤre der Lindenbaum, der ſo alt wie ſie war, und der in ihren lezten Wochen ausgieng, wieder zu Kraͤften gekom - men. Der Organiſt, ſo erkenntlich gegen mich, wegen des Schauſtuͤcks, daß ich nicht aus dem Buͤcken heraus kam, und ſo ehrer - bietig gegen den Hochedelgebohrnen Herrn Juſtitzrath, daß ich immer beſorgte, er wuͤrde wieder etwas aus dem Hute leſen, obſchon er nur auf Begraͤbnisreden fundirt war. Der Amtmann ſo ins Vergnuͤgen verſtrickt, daß er den goldbeſponnenen Knopf vergeßen hatte. Wahrlich, man kann auch ohne gold -Y 5beſpon -346beſponnenen Knopf vergnuͤgt ſeyn! Und Gretchens beyde Bruͤder, welche der Koͤnig - liche Rath als die Seinigen in Koͤnigsberg erzog, die in eine der beſten Schulen giengen, wo ſie gerades Wegs auf einen Superinten - denten losſtudirten. Die guten Primaner, hatten ein Gedicht zuſammengetragen, das ſie beym Braten uͤbergaben. Freylich haͤtten ſie bis zum Kuchen warten koͤnnen; indeſſen war es ihre erſte Autorſchaft, die ſelten den Kuchen abwartet. Der Vater critiſirte die armen Jungens ſehr ſcharf, und nannte ihr Maſ kopiewerklein ein Aehrengeleſenes Stuͤck! Guter Paſtor, haſt du denn ſchon aller kritiſchen Tage Abend belebt? Die bey - den Knaben thaten in alle Wege ſo altklug, daß man ihnen ihre Arons Beſtimmung ohne Fingerzeig anſah. Es gebrach bey dieſem Feſt nicht an Wein. Se. Hochgebohrnen hatten dem guten Prediger ein gutes Faͤßchen Rheinwein verehret, welches wir nicht feyer - licher begruͤſſen konnten. Wein haͤtte heut getrunken werden muͤſſen. Der Communion wegen wird an allen chriſtlichen Orten Wein gehalten. Da aber die Andacht keinen Ge - ſchmack am Koͤrperlichen hat; ſo iſt der Com - munionwein gemeinhin ſchlecht, ſagte derPredi -347Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie bey dieſer heiligen Handlung den Wein ge - ſchmeckt. Viele der Herren von Adel ſchicken den Tag zuvor ein Flaͤſchgen aus ihrem Kel - ler; unſer Graf nicht alſo, obgleich ſein Rheinwein ſich nicht gewaſchen hat. Wir faſſen laͤnger als gewoͤhnlich bey Tiſch. Heut, ſagte der Prediger, froͤhlich mit den Froͤhli - chen! Wir waren traurig mit den Trauri - gen; wir ſind es noch, ſagte Gretchen, und dachte ſo ruͤhrend an Minen, ohne ſie zu nen - nen, daß alles an ſie dachte. Der Prediger belebte dieſen Gedanken durch ein paar ruͤh - rende Worte. Wer ſeiner Todten nicht denkt, wenn er vergnuͤgt iſt, bedenkt nicht, daß auch ſie lebten, und daß auch er ſterben wird. Das war das Gerippe, das er auf gut aͤgyptiſch aufſtellte! Wahrlich es war nicht fuͤrchterlich. Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, ſagte Gretchen, und lies eine Thraͤne fallen. Ra - thanael kuͤßte ſie herzlich. Wer es weiß, wie ſchoͤn es ſey, ein Maͤdchen in ſolchen Thraͤnen zu kuͤſſen, denke ſich die Wonne dieſes Paa - res. Ohne Thraͤnen giebts keine Trunken - heit der Liebe. Dieſe Ehe, ſagte die Predi - gerin, hat der Tod gerathen; was er raͤth, iſt wohl gerathen. Die Dorfaͤlteſten ſchloſſendieſe348dieſe wahre hochzeitllche Scene, ſie kamen und fragten im Namen der jungen Dorfleute an, ob es wohl erlaubt waͤre, die vier Dorf - flinten dem Tage zu Ehren abzufeuren, wie es wohl ſonſt bey dergleichen Gelegenheiten geſchehen waͤre? Das waͤre ſo recht fuͤr Junker Gotthardten geweſen! Wir alle aber verbaten dies Feuerwerk. Die Anfrager mu - ſten ein Glas Wein dem Brautpaar zu Ehren leeren; das iſt beßer als ein Flintenſchus, ſagte der Amtmannn ohne goldbeſponnene Knoͤpfe, und dann noch Eins, und dann das Dritte. Aller guten Dinge ſind drey, ſagte der Prediger, und ich ſtimmt ihm, meiner heilgen Zahl wegen, herzlich bey. Im Para - dieſe was braucht Adam mehr als Eva, um froh zu ſeyn, ſagte Nathanael? Nach dem Fall haben wir auch Rheinwein noͤthig, um uns ins Paradies zu bringen. Man muß ſich herein trinken. Er fieng ſich aus lichterloher Galanterie zu wundern an, daß Adam nicht beym Blick ſeines Weibes aus Entzuͤcken, aus Uebermaas des Sehens, blind geworden! Der Prediger half ihm zurecht. Es war im Paradieſe, ſagt er, wo Adams Auge ſo gut, wie ſeine andere Gliedmaaßen, unſterblich waren. Der Organiſt, damit ich ſeinnicht349nicht vergeße, hatte den geſunden Gedanken, da ſich das Brautpaar kuͤßte: laßen Sie uns ihm mit den Glaͤſern nachkuͤſſen! Wir ſtieſ - ſen an, und zur Ehre dieſes Einfalls zwey - mahl. Der heiligen Zahl war er nicht werth. Wir ſtanden auf. Der Prediger ſchlug einen Spaziergang in das nemliche Waͤldchen vor, das uns zu dieſem Tage an - raͤthig geweſen, und beſchloſſen wir alſo, wie angefangen war. Wahrlich ein ſchoͤner Tag! Wir kamen in der Daͤmmerung heim, und eben wollten wir ins Paſtorat, da uns das Muſenchor uͤberfiel. Der Organiſt hatte ſich der Noth angenommen, und die Zahl zwoͤlf noch mit zwoͤlf andern vermehrt. Ein wah - rer Minnegeſang! Gretchen gieng nach vollendetem Staͤndchen unter dieſen ſchoͤnen Haufen, nannt alles Schweſter und dankte ſo ſchoͤn, daß jedes Maͤdchen glaubte, Gret - chen haͤtte nur ihm gedankt.

Der Prediger konnte ſich ohne Abendeſſen nicht behelfen. Nathanael declamirte wider das Abendeſſen, er ward aber uͤberſtimmt: den Alten, ſagt ich, waͤre das Abendeſſen frey - lich das vorzuͤglichſte, und den Chriſten, be - merkt er, ſollt es noch weit mehr ſeyn. Man ſetzte ſich an ein Milchmaal. Die Saͤngerin -nen350nen hatten uns muſikaliſch gemacht. Alles ſang, und ſprang, haͤtt ich beynah muͤt - terlich hinzugereimt. Es war aber wahrlich kein Springen, es war eine ſtille Freude, eine Milchfreude! O Gott, was liegt in der Un - ſchuld, in der lautern Milch der Unſchuld! Unter tauſend andern Dingen liegt auch Ver - nunft drinn. Es heißt vernuͤnftige lautre Milch und nichts iſt einpaſſender, als dieſe Beyworte, zur Unſchuld. Es liegt in ihr Ver - nunft, hoͤchſte oder tiefſte, wie ſoll ich ſie nennen?

Nun gieng das neue Paar ins Schlafge - mach. Es verſchwand, und das iſt das natuͤrlichſte Ceremoniel, wenn ein neues Paar zu Bette geht. Die Auskleidung der Braut iſt eben ſo unwuͤrdig, als eine laute Hochzeit. Geht in Frieden, lieben Leute! Es gleite euch der, welcher dem Menſchen ſein Schoͤpfer - bild anhieng, mit ſeinem himmliſchen Segen! Das iſt mein Hochzeitgeſchenk. Auch jedes der Hochzeitgaͤſte gieng in ſein Kaͤmmerlein; nur ich nicht. Ich ſchlich mich an Minens Grab, und hatt eine Scene uͤber alle Sce - nen. Eine himmliſche Hochzeit! Wer war gluͤcklicher, ich, oder Nathanael? Spaͤt kam ich in mein Kaͤmmerlein und fand, daßder351der Amtmann, mit dem ich gepaart war, auf mich gewartet. Ich konnte nichts ſprechen, nicht einſt ein Wort zum Dank. Auf ſolch einen Tag, wie ſchoͤn ſchlaͤft es ſich! Mein Schlaf war eine Entzuͤckung in den dritten Himmel. Es fiel keine Schaͤkerey den andern Morgen vor, keine Strohkranzrede. Die Frau Nathanael ſchlich ſich aus der Schlaf - kammer, und ich merkte, ſie ward roth auf ihre eigene Hand; ſie haͤtte nicht ſchleichen duͤrfen, auch nicht roth werden, das gute Gretchen! Nathanael und Gretchen waren jetzt ſo ganz eins. Ein Leib, eine Seele!

Wie ſich das Paar benachbarter Freunde kreuzt und ſegnete, das zur Hochzeit gebeten war, und wie der Prediger ſagte: poſt feſtum! (nach dem Feſt) kam, kann man ſich leicht vorſtellen. Haͤtte der Graf et Compagnie zuſagen laßen; dann haͤtten wir den Tag zu - vor dieſe Freude nicht haben koͤnnen. Mit dem Paar benachbarter Freunde hatt es nichts zu bedeuten. Dieſer Nachtag, dies Agio von Hochzeitfeſt, hatte drey Umſtaͤnde, die ich außer dem, daß dreymahl mehr Eßen und dreymahl weniger Vergnuͤgen herrſchte, der Bemerkung werth halte. Die erſte Denk - wuͤrdigkeit. Der Amtmann brachte ſein Kleidmir352mir den goldbeſponnenen Knoͤpfen nicht zum Vorſchein. Warum ſolt ich, ſagt er, Moͤ - ſtrich nach der Mahlzeit

So gern ich alſo auch meinen Leſern des Kleides Farbe, Form und naͤhere Nachricht von den Knoͤpfen und ihrer Zahl mittheilen moͤchte, kann ich?

Die zweyte Denkwuͤrdigkeit. Die poſt feſtum gekommene Freunde hießen die neuen Eheleute nicht anders, als Brautpaar, und wenn ſies ausgeſprochen hatten, ſchaͤmten ſie ſich dieſer Uebereilung, die ſie doch gleich dar - auf wieder begiengen, und dann noch ein - mahl. So feſt hatten ſie es ſich eingepraͤgt, es gienge zur Hochzeit.

Vielen wird dieſer Mittelumſtand nicht denkwuͤrdig ſcheinen. Mag’s doch.

Die Dritte. Der Graf kam ohne ſeinen Bruder nach Mittage. Alles voll Freude! Auch zu Ihnen komm ich, ſagt er, um Sie noch einmahl zu ſehen und noch einmahl zu ſagen hier oder dort. Was er ſich freute, daß die Hochzeit vor der Hochzeit ge - weſen! Das kommt aus dem Bitten heraus. Das Feine des Vergnuͤgens geht verlohren. Die Natur laͤßt ſich nicht melden, es waͤre denn bey Krankheiten. Wir muſtendem353dem Grafen den geſtrigen ganzen Tag referi - ren, und wahrlich unſere ganze Freude dieſes Tages war, daß wir den vorigen Tag froh geweſen.

Mit den lieben großen Hochzeiten, ſagte der Graf So was nenn ich nicht leben, wenigſtens will ich das Leben bey dieſer Gele - genheit ſo wenig obſerviren, als auf dem Chavott den Tod! Allzu viel iſt ungeſund. Zu Warnungs-Anzeigen findet ſich zwar in beyden Faͤllen Stof die Menge; nur zu Le - bens und Sterbens Obſervationen nicht.

Der Graf konnte nicht lange bleiben. Er hatte, wie er ſagt, einen rechten Segen Sterbender bey ſich. Obgleich, fuͤgt er hin - zu, ich wenig Heil in meiner Ehe belebt; iſts mir doch lieb, geheyrathet zu haben, um dort einſt ſagen zu koͤnnen: hier bin ich, und hier ſind, die du mir gegeben haſt! Kann das ein Eheloſer? So ruͤhrend mir dieſe Empfin - dung war, ſo ſchwaͤchte ſie doch die Erinne - rung an die Grafenkrone, an die weiße Fe - dern und den Orden. Fuͤllet die Erde heißt: fuͤllet den Himmel! Wenn Menſchen ſich nicht Leid klagen koͤnnten, wie ungluͤcklich wuͤrden ſie ſeyn? Die Ehe iſt ein Band, woZſich354ſich Mann und Weib auf Lebenslang verbin - den, ſich Leid zu klagen.

Der Organiſt, der auch dieſen Tag herr - lich und in Freuden beym Prediger lebte, hielt ſich waͤhrend der Zeit, da der Graf gegen - waͤrtig war, ſo demuͤthig, daß er nicht vom Ofen kam. Wie viel ſind dieſen Monat im Kirchſpiel geſtorben? fragt ihn der Graf, und er, ich habe nicht geglaubt, die Ehre zu haben Ew. Gnaden zu ſehen: zwey Reden hab ich gehalten, aus dieſem Dorf alſo zwey. Der Prediger muſte das Buch hohlen, und wir fanden abermahl, daß die Erinnerung des Todes keine Hochzeitfreude verderbe. Die Hochzeitgeſchenke, welche der Graf unver - merkt in die Brautkammer ſetzen laßen, wa - ren Sinnbilder vom Tod und Verweſung. Sie hatten einen ausgemachten Werth. Ei - ne Urne von Porcellain gefiel mir am beſten.

Ich blieb noch einen Tag in L und die - ſen einen Tag waren wir wieder ganz unter uns. Den Amtmann hatten wir unter uns aufgenommen. Es war ein recht guter bie - derer Mann! Wie lang er am Hochzeittage meinethalben ſeine Ruh abgebrochen! Mit - telmaͤßig war er in allem; allein warum ſagenwir:355wir: die Mittelſtraße die beſte, und wanken doch ſo gern. Warum?

Bey dem Mittelmaͤßigen faͤllt es mir ein, daß wir den dritten Tag viel von der Schoͤn - heit ſprachen. Nathanael that ſich bey dieſer Unterredung recht ſichtlich hervor. Er ſetzte die groͤſte Schoͤnheit in der Mitte zwiſchen Feiſtigkeit und Magerheit, obgleich er ſelbſt mehr fett, als mager war. Gretchen aber dient ihm zum Exempel, ſeine Regel zu be - weiſen, und außer ihr alle Statuͤen der Alten. Ich muß es doch wohl wißen, ſagte Natha - nael. Der Amtmann, der ſeinem Bauche nichts vergeben wollte, fand indeſſen dies lezte Argument unwiderlegbar, ſchlug ſich auf ſeine Bauchbuͤrde, ſah Gretchen an, und ſchwieg.

Nathanael lies nicht ab, mich zur Heim - fuͤhrung einzuladen; allein meine Stunde war kommen. Ans wenn? war gar nicht weiter beym Juſtitzrath zu denken. Dieſen Abend weihet ich noch Minens Grabe, nahm von Nathanael und Gretchen das feyerliche Ver - ſprechen, dieſes Grabes Beſchuͤtzer zu ſeyn, und nun wollt ich L (allem Vermuthen nach auf ewig) gute Nacht ſagen. Die Predigerin macht es mir zur Pflicht, daß ich, wenn ichZ 2bey356bey der Heimfuͤhrung nicht gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnte, wenigſtens bis zu Gretchens Abreiſe bleiben moͤchte. Der Prediger und ſeine Lin - denkranke Frau blieben auch zuruͤck. Der Amtmann allein und Gretchens beyde Bruͤ - der begleiteten das junge Ehepaar. Der Ab - ſchied? Bey Beſchreibungen der ganzen Na - tur kann man mahlen oder pinſeln, nach der Gabe, die jeder empfangen hat. Iſt von Menſchen die Rede; wer kann ohne laͤſtig zu werden Leidenſchaften in Worte ausbrechen laßen?

Gretchen war im Reiſekleide ausgegangen und kam mit verweinten Augen zuruͤck. Wo ſie geweſen? werden meine Leſer nicht fragen. An Minens Grabe. Ihre Mutter ſtand am Fenſter, ſah unverwandt den Reiſewagen an und hatte ſich betruͤbt aufgeſtuͤtzt. Gret - chen gieng zu ihr, faſte ſie zaͤrtlich an, und Hanna kuͤßte ſie herzlich. Gretchen fiel ihr zu Knien und bat um Segen! Sey geſegnet, ſagte Hanna, und legte beyde Haͤnde auf ſie, und ſey eine ſo gute Mutter, als du eine gute Tochter geweſen. Nie geh ein Lindenbaum vor deiner Thuͤr aus! Hier hemmten die Thraͤnen der Mutter und Tochter dieſe Se - genshandlung. Nach einer Weile ſetzte ſiehinzu,

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357hinzu, deine Toͤchter werden wie Mine und deine Soͤhne, wie Minens Mann. Gott be - wahre die Soͤhne, im Fall ſie Juſtitzraͤthe werden vor Treibern, vor Reviſoren, die Knaben ſind; und die Toͤchter vor Nachſtel - lern der Unſchuld, vor v. E s und nun legte der Prediger den Segen, womit Gott ſein Volk zu ſegnen befohlen, auf beyde: der Herr ſegne dich u. ſ. w. ohne daß er von et - nem Candidaten mit langen Manſchetten aus der Bauskeſchen Praͤpoſitur unterbrochen ward.

Die beyden Aelteſten der Gemeine kamen gemeinſchaftlich, das Aufgebott fuͤr ihre Toͤch - ter nachzuſuchen, welches den naͤchſtfolgenden Sonntag zum erſtenmahl geſchehen ſollte. Nebenher wollten ſie ſich erkundigen, wenn heimgefahren werden ſollte, und da ſie ſahen, daß es hier ſo raſch, als mit dem Hochzeit - tage gieng, ſetzten ſich einige junge Ehemaͤn - ner zu Pferde, um dem neuen Paar bis zur Grenze das Geleit zu geben. Einige junge Frauen, worunter drey geſegnet waren, be - gleiteten das Paar bis aus dem Dorfe. So weit gieng auch Vater, Mutter und ich. Der Genius des mir unvergeßlichen Kirch - dorfs gieng weiter mit Gretchen, mit ſeinemZ 3Lieb -358Liebling. Es gehe dir wohl, liebe Seele, vergiß Minen und ihr Grab nicht!

Ich reiſete denſelben Tag nach Koͤnigs - berg, und fand bey meiner Ankunft einen Brief nebſt hundert Piſtolen. Ich brach den Brief und fand weiter nichts, als folgende Deviſe: Fuͤr Minchens Verwandten in Mitau. Ein Zug, an dem ich den Grafen kannte, ob - gleich er incognito war und blieb. Aller Muͤhe, die ich mir gab, ohnerachtet, konnt ich ihn nicht herausbringen. Wahrlich dieſer Zug aͤhnelt ihm! Der Graf, dacht ich, der den Sargtiſchler nicht in Stand ſetzen wolte, ein Maͤdchen zu heyrathen, das keinen andern Fehler hatte, als den, daß es arm war, der Graf, der dieſen Juͤngling fuͤr Protektion ar - beiten und ſich das Herz abhobeln lies da fiel mir wieder ſeine ſtrenge Gerechtigkeit ein. Er war Patron der Kirche und des Ho - ſpitals, dem Minchens Anverwandter in L den Halbſcheid ſeines Vermoͤgens zugewendet hatte. Alſo gedankt haͤtt ich dem Gra - fen nicht, wenn gleich ich ſeines Namens ge - wiß geweſen waͤre. Gott dank ihm! Derdankt359dankt nicht mit Worten, ſondern mit That und Wahrheit. Zwar hatt ich meiner Mut - ter die Wort aus Minchens Teſtament beſtens empfohlen: Kanſt du meinen Verwandten in Mi - tau foͤrderlich und dienſtlich ſeyn; ſey es. Gott wird dich lohnen; indeſſen kam mir dies ανέχου και απίχου, dieſe Lotteriedeviſe mit einem Gewinſt, ſehr will - kommen. Willkommner kann es den Anver - wandten in Mitau nicht ſeyn! Schwer war es mir, zu dieſem allem nichts mehr als ein Franko beytragen zu koͤnnen ein Scherf - lein in den Gotteskaſten.

Das Schwere bey einem maͤßigen uns zu - gemeſſenen Auskommen iſt blos, daß wir nichts mehr, als hoͤchſtens die Gabe der Rei - chen frankiren koͤnnen! Darf ich wohl bemer - ken, daß ich gegen den Grafen kein Wort von Minchens armen Verwandten in Mitau ver - lohren? Es wird nicht jeder ſo neugierig ſeyn, zu fragen, ob die Poſt auch richtig das Haus der Armen gefunden, die in der Welt Angſt hatten. Um ihnen keine Minute zu entziehen, ſandt ich das Geld gerades Weges, und nicht durch meinen Vater, auch nicht einſt durchZ 4Wech -360Wechſel; allein ich bat meine Mutter, ſich nach der Aufnahme dieſes Geldes zu erkun - digen, da ich hieruͤber dem lieben Gott un - mittelbare Rechnung abzulegen haͤtte. Er! der ehrliche Alte, war ſchon ſeit drey Wochen zur Ruhe eingegangen in jene ſelge Wohnun - gen, wo ihn kein Pachtungluͤck und kein Con - trakt, der ohne den lieben Gott gemacht ward, und kein W. R. J. V. R. W. mehr druͤcken konnte. Seine Frau lebte noch, zaͤhlte bis zehn, noch mehr, ſagte ſie, als ob das Geld unter ihren Haͤnden ſich mehrte. Sie ſprach fuͤr den Geber Segen, gab das ungezaͤhlte Geld und die gezaͤhlten zehn, Einem ihrer Nachbaren zum Aufheben, und ſtarb. Der Tod war ihr lieber, als hundert Piſto - len. Der Sohn, der Amtsgeſchaͤfte halber ſeinem Vater nicht das letzte Geleite geben koͤnnen, kam zum muͤtterlichen Begraͤbnis. Solten ihn wohl die hundert Piſtolen dazu vermocht haben? Meine Mutter verſicherte mir, daß der Leidtragende Herr Sohn nicht aufhoͤren koͤnnen, Gottes wunderbare Fuͤh - rung zu verherrlichen! Das dacht ich wohl, und meine Leſer mit mir, daß er dieſe hundert Piſtolen nicht ohn ein Kirchengebet einſtreichen wuͤrde ich wuͤnſche wohl zubekom -361bekommen, lieber Herr Prediger an der Grenze.

Ein Wort zur Rettung der Ehre meiner Mutter, die ich vielleicht hier und da auf zu friſcher That beurtheilt haben kann. Darf ich bitten, lieber Freund! zu dieſem Ret - tungswort? Auch du urtheilteſt auf friſcher That, da ich dir meinen Lebenslauf aus freyer Fauſt erzaͤhlte, und an den Brief kam, den meine Mutter an Minen ſchrieb, ſich an - hebend: Es will verlauten Herrmann machte meine Mutter mit dem Ab - ſchiedsbriefe bekannt, den Mine ihrem Vater zuruͤcklies, als ſie aus ihrem Vaterlande, und aus ihres Vaters Hauſe, in ein Land gieng, das ihr der Herr zeigte.

Hier iſt die Antwort meiner Mutter und meines Vaters. Was jenes Weib vom Pe - trus am Camin ſagte, gilt auch von dieſen Briefen. Die Sprache verraͤth ſie.

Z 5 Faſſe362

Faſſe dich! bedenke das Ende; ſo wirſt du auch in deinem Schmerz nicht uͤbel thun. Gott iſt die Liebe! Das groͤßte Ueberbleibſel des goͤttlichen Ebenbildes iſt die Liebe. Liebe iſt der Funke, den Gott anſchlug, da er die Welt ſchuf. Du weißt das Sinnbild Feur, Liebe, Waſſer, Haß! Wo Feur iſt, iſt Licht wo Licht iſt, iſt Wahrheit. Das Licht der Vernunft iſt Liebe, die Luft der Geiſter iſt Liebe. Suche deinen Troſt in der Liebe! Du ſollſt Gott lieben, den du nicht geſehen haſt, und nicht ſieheſt. Sieh! ein Huͤlfs - ein Hausmittel, dich zu dieſer Gottes Liebe hinauf zu ſchwingen, da du Minen liebeſt, die du geſehen haſt, und nicht ſieheſt. Um dieſe Welt gleichguͤltiger zu finden, iſts gut, einem geliebten Gegenſtand in der andern Welt zu haben. Wahrlich! es warten noch Stunden auf dich, wo es dir in dieſer Welt nicht gefallen wird. Du liebſt Minen und wuͤnſcheſt ſie nicht gluͤcklicher, als du biſt? Iſt die Liebe nicht ſtaͤrker, als der Tod? Sind wir nicht am geneigteſten, allent - halben eine Aehnlichkeit von Menſchen zu ent - decken? Ein Baum in der Entfernung duͤnkt uns ein Menſch. Wir geben ihm alle Glied - maaßen, und alles duͤnkt uns ſo. An derWand,363Wand, im Dunkeln, uͤberall Menſchenge - ſtalten! Nichts iſt uns wichtiger, als der Menſch, nichts natuͤrlicher, als er, und dir ſollt es ſchwer werden, Minen darzuſtellen? Wer ſich ſelbſt nicht liebt, liebt auch andere nicht. In der Schule der Naͤchſtenliebe wird mit der Selbſtliebe der Anfang gemacht. Ein Verſchwender kann dem Duͤrftigen ſein Brod nicht brechen, weil er ſelbſt nichts zu beiſſen, nichts zu brechen hat.

Warum aber ſo Cabinetsverſchwiegen? waren wir denn Vater und Sohn? oder wa - ren wir du und du, und gute Freunde zuſam - men? ich find in dieſen Fragſtuͤcken Troſt; allein du wirſt ihn hier ſchwerlich finden. Auch fuͤr mich ſelbſt iſt hier Unkraut zwiſchen dem Waizen. Friede mit Minens Seele, Friede mit der Deinigen! Friede mit deiner Mutter, die unausſprechlich leidet. Faͤllt dir ein, daß ich es euch im Waͤldchen wohlfeilern Kaufs laßen koͤnnen; ſo wiſſe, daß dieſer Um - ſtand mich oft ergriffen, daß er mich noch er - greife, und mehr, als es Chriſten geziemet. Gott364Gott helf unſerer Schwachheit! Dieſer Brief wird mir ſaurer, als je ein Brief mir worden, obgleich mir jede Schrift ſchwer wird, und ich meinen Schreibtiſch, der aber kaum die - ſen Herrn-Namen verdient, die meiſte Zeit widerwillig anſehe. Troſt zuſprechen ſagt man: wer kann ihn ſchreiben? und wenn es viele koͤnnten; wuͤrde dieſe Kunſt doch nicht mein ſeyn! Denke! mein Sohn! das heißt: ſey mit Minen zuſammen. Du haſt nur Minens Form verlohren! Mine lebt! und wir werden auch leben! Be - ſorgt ſeyn und ſorgen, iſt zweyerley. Hier iſt ſo viel von der Predigt uͤber den Text: Wir haben hier keine bleibende Staͤte, als ich ſelbſt beſitze. Du kennſt meine Weiſe zu concipiren. Hie und da ein Wecker. Be - truͤgen mag ich nicht. So ſchick ihm doch das Concept, wie es ſteht und geht, ſagt deine Mutter. Da iſt es, wie es ſteht und geht.

Herzlich geliebter und nach dem Willen Gottes ſchmerzlich betruͤbter und nach kur - zer Freude viel Leidtragender einziger lieber Sohn!

Da365

Da ſitz ich und leſe dieſe Ueberſchrift zehn - mal: herzlich geliebter und nach dem Willen Gottes ſchmerzlich betruͤbter und nach kurzer Frende viel leidtragender einziger lieber Sohn, und kann keinen Anfang finden, ich, die ihr Lebtage nicht des Anfangshalber eine verlege - ne Minute gehabt, und auch noch hab ich den Anfang nicht, denn das iſt erſt der Anfang zum Anfang. Beym Ende, mein Kind, war ich oft verlegen. Dein Vater pflegte zu ſa - gen, ich koͤnnte das Ende nicht finden, ob - gleich mit ſeinen Anfaͤngen, wenn er was ſchreibet, wahrlich nicht zu prahlen iſt. Bis jezt hab ich, Gott ſey Dank, noch immer das Ende gefunden, freylich oft in Winkeln, wo es nicht jeder zu ſuchen gewohnt iſt. O mein Sohn, wenn du wuͤßteſt, wie ſchwer es mir wird, den Anfang dieſes Briefes zu finden, du wuͤrdeſt deine Mutter bedauren, und ſie in deinen Schmerz einſchließen, wie ich dich immer in mein Gebet eingeſchloßen habe, und jezt in mein Gebet einſchließe. Ich will Sie nur nennen ſo gern ich die - ſem Namen auswich. Mine da iſt der An - fang, Mine! o mein Sohn! wie wird mir, da ich dieſen Namen, dieſen ſeligen Namen, ſchreibe und ſpreche. Zacharias ſchrieb undſprach:366ſprach: er ſoll Johannes heiſſen, und war ein ſo gluͤcklicher Vater, als ich eine ungluͤck - liche Mutter bin, obgleich mein Johannes nicht dran Schuld iſt, ſondern ich ſelbſt, ich allein ſelbſt. Mine! Mine! Mine! Da iſt der Anfang. Ihr Name wird auch das En - de ſeyn! Meine Seele iſt betruͤbt bis in den Todt!

Wohl ihr, dem Kind der Treue!
ſie hat und traͤgt davon
mit Ruhm und Dankgeſchreye
den Sieg, die Ehrenkron!
Gott giebt ihr ſelbſt die Palmen
in ihre rechte Hand,
und ſie ſingt Freudenpſalmen
dem, der ihr Leid gewandt.

Aus dem Liede: Befiehl du deine Wege, woraus wie ein Ausgebaͤude die ſchoͤnen Worte: Befiehl dem Herrn deine Wege, und hoff auf ihn, er wirds wohl machen, her - ausſpringen. Dieſer Vers heißt Wohl! Der Spruch ſteht im ſieben und dreyßigſten Pſalm, der fuͤnfte Vers. Faſt kann ich ſa - gen, ich fiel zu Grunde, wie ein Stein. Nichts, nichts in dem ganzen Laufe meines Lebens, hat mich ſo gegriffen, als dieſer Fall. So wie den Egyptern giengs mir. Sie faſſenin367in der Nacht, waͤhrend, daß bey den Iſrae - liten Tag war. Das Licht war nicht bey mir. Zu Gott rief ich: die Angſt meines Herzens iſt gros, fuͤhre mich aus meinen Noͤ - then! Siehe an meinen Jammer und Elend, und vergib mir meine Suͤnde! Der Herr ſey gelobt! Ich habe Gnade funden in ſei - nen Augen, ſo wie den Anfang zu dieſem Briefe. Meine Bruſt ſchwoll ſo in die Hoͤhe, daß alle Bande zu reißen ſchienen. Jezt le - gen ſich dieſe Blutwogen obgleich ich noch lange nicht ſagen kann: es iſt ſtille. Viel - leicht wird es nie ganz ſtille. Du warſt kein Kind mehr, als du ſchwach und krank dani - der lageſt, und wieder geſund wurdeſt, ich weiß indeß nicht wie? Der D. Saft hat we - nig oder nichts dabey gethan, der, wenn gleich er ſeinem Vater ſeliger eben nicht in Wundercuren durch Heyrathen gleich kommt, jedoch in der Apotheke zu Hauſe gehoͤret und ſeine Kunſt verſteht, trotz Einem. Du weiſt, wie Gottergeben ich damals war. Waͤrſt du geſtorben, ich haͤtte keine Thraͤne, wie ich nach der Liebe hoffe, ſinken laßen. Seit der Mi - nute, da ich fuͤhlte, daß ich dich hatte, bis jezt, da du dich zum Dienſt des Herrn weiheſt und heiligeſt wußt ich, daß mein Sohnſterb -368ſterblich war. Sterblich von ſterblich, und waͤrſt du geſtorben! Wohl dir, du Kind der Treue!

Du ſaͤngeſt Freudenpſalmen

dem, der dein Leid gewandt. Aus der Strophe Wohl!

Du waͤreſt wohl verſorgt. Ein himm - liſcher Superintendent und Oberpaſtor! Das iſt mehr, als in Mitau, wohin dich der liebe guͤtige Gott, wenn es ſeinem heiligen und al - lezeit guten Willen nicht zuwider iſt, verhel - fen wolle zu ſeiner Zeit! Da iſt er wieder in Herz und Feder der Name: Mine! Mine! O, der namloſen Angſt bey dieſem Namen, den Gott in Gnaden von mir wende! Wenn der lezte Kampf anbricht, o wend ihn, wende am Lebensende das Schreckliche dieſes Na - mens, du, der du alles lenkeſt, wie Waſſer - baͤche.

Wie hies der Barbar, der zween roͤmiſche Rathkoͤpfe (nicht Glieder) jaͤmmerlich hinrich - ten lies, und, da ihm nach kurzer Zeit bey einem Abendmahl unter vielen andern Speiſen ein gekochter Fiſchkopf aufgetragen ward, ihn fuͤr das Haupt des einen Erwuͤrgten anſahe? Er ſprang auf; denn der Fiſchkopf drohete ihm, in ſeiner Einbildung. Er flohe, derFiſch -369Fiſchkopf verfolgt ihn, und unter dieſen Aengſten, da beyde Ermordete ihr Blut von ſeinen Haͤnden forderten, ſtarb er. Man kann leicht denken wie? Ich meines Orts behaupte Stein und Bein von dergleichen Leu - ten, daß ſie lebendig in die Hoͤlle gefahren! Da ſagen denn die Gewiſſensloſen: der Bar - bar hatte Hitze! freylich hatt er Hitze; al - lein Hoͤllenhitze! Er ſetzte ſich hin, um froͤh - lich und guter Dinge zu ſeyn, bis der Ermor - dete ihm erſchien. Der Fiſchkopf war ihm ein magiſcher Spiegel, und ſo iſts immerdar mit dem Gewiſſen. Einbildung? Recht. Allein das iſt des Gewiſſens Art und Weiſe. Es haͤlt uns immer einen Spiegel vor, dieſer ſey ein Fiſchkopf, oder was anders und am Ende will ich lieber wuͤrklich leiden, als einen ſolchen Fiſchkopf ſehen! Was mich mit Waſſer in meiner Minenhitze beſprengte, war der Umſtand, welcher andere vielleicht unmuthiger gemacht haben wuͤrde. Du haſt, dacht ich, meinen grauſamen Brief an Mi - nen! Du weiſt alles; das Bekaͤnntnis der Suͤnd iſt eine halbe Reue, eine halbe Beſſe - rung. Die Beichte koͤnnte eine ſehr vernuͤnf - tige Sache ſeyn; jezt freylich iſt ſie nichts we - niger, wie das. Sey mein Richter! EinA aSohn370Sohn zum Richter. O hier iſt mehr als ein Fiſchkopf! Es iſt immer eine und dieſelbe Saite, die in mir ſumſet. O ein ſchreck - licher Ton! Auch die Hoͤrner des Altars ſelbſt kann ich nicht ergreifen. So oft ich in Gottes Haus bin, ſeh ich hier Num. 5. und da Num. 5. An Num. 5. haͤngt mein Ge - wiſſensſpiegel. Da ſeh ich das ſtille gute Maͤdchen und fuͤhl es, daß ich ihr mit Unge - ſtuͤm begegnete, den lezten Sonntag, da ſchon ihre Seele alles eingepackt hatte. Sie gruͤßte mich, und ich! O Num. 5. Num. 5. O wenn dieſe Zahl nicht waͤre! Einfaͤltiger Wunſch, da eben fallen mir die fuͤnf Finger ein. Sie bleibe dieſe Zahl, und die Erinne - rung bleibe, daß ich Minen auf der Seele habe! Wie lebhaft ich mir alles zuruͤckerin - nere! Ich beſann mich, indem ich dankte, ob ich wohl danken ſollte, und ſolch ein Dank iſt aͤrger, als Undank. Jezt dank ich, ſo oft ich die Bank ſehe! und niemand iſt, der mir dieſen Dank abnimmt. O wenn doch Minchens Geiſt dieſe meine Buͤcklinge ſehen koͤnnte, und mich bedauerte! O wenn doch ihr Geiſt nur ein einzigmahl noch in unſre Kirche kaͤme! Wenn ich dieſen Fiſchkopf: Sonntag, zuruͤck haͤtte, was gaͤb ich drum! Nur371Nur den Vormittag, nur die Predigtſtunde. Ich ſah Minen deines Vaters Predigt hoͤren uͤber: wir haben hier keine bleibende Staͤte, ſondern die zukuͤnftige ſuchen wir, welche dir dein Vater auf mein Zudringen, wie ſie da geht und ſteht, ſenden wird! O Gott, wie hoͤrte Mine dieſe Predigt, und ich, wie ſah ich ſie hoͤren! Gleich dacht ich, ein Maͤd - chen, das ſo hoͤren kann, kann das boͤſe ſeyn? Es kann nicht. Ich ſah Minen manches Pre - digtwort befeuchten mit ihren Thraͤnen! Ein warmer fruchtbarer Regen zur Seligkeit! Ich ſah ſie Abſchied von N. 5. nehmen, einen ſanften ſeligen Abſchied! O moͤcht ich doch auch, wenn ich zum letztenmal in das Gottes - haus gehe, von Num. 1. ſo Abſchied nehmen, und wenn es auch zu mir heißt: wir haben hier keine bleibende Staͤte, ſondern die zu - kuͤnftige ſuchen wir, ſo von hinnen gehen, wie ſie aus Num. 5. O haͤtt ich doch nur einen Buchſtab von dieſem Abſchiede gemerkt, da Minchen ihn nahm, nur ein Uhuͤtchen, ein Ipuͤnktchen! Welch ein ſchreckliches Licht iſt mir jezt aufgegangen. Vorigen Sonnabend gieng ich allein ins Gotteshaus, und wollte verſuchen, ob ich mich vielleicht in der Stille mit Minens Bank verſoͤhnen koͤnnte? Lang -A a 2ſam372ſam gieng ich zu ihr, als zu meinem Richter - ſtuhl. Ohngefehr kam ich an die Stelle, der ſie die Hand gedruckt, und ſiehe! es waren feurige Kohlen, die da brannten. Noch jezt bin ich mit Num. 5. nicht in Ordnung. Gott ſey gelobt und gebenedeyt, daß ich Min - chen anders gruͤſte, da ſie heraus gieng. Gott! Gott! Groſſer Gott, ihre Thraͤnen! Ihr Ringen im Aug ehe die Thraͤnen floſſen, die bange Thraͤnen und die lezte, die Abſchieds - Thraͤne, die ſie weinte, da ſie gieng, die ihr mein lezter Grus erregte! O ſie komme zur Linderung uͤber mich, zum Erquickungs - tropfen in meiner brennenden Todeshitze! In meiner Todesnoth! Vater, vergib! Ich wuſte ſo wenig, als Nathanael, was ich that! Dieſer Wehrwolf

Doch warum klag ich andre an?
Ich habe alles ſelbſt gethan!

Der Stank fuͤr Dankbrief! O haͤtt ich nie ſchreiben gelernt! Die Zunge hat viel Un - heil angerichtet; allein es geht mit ihr, wie mit dem Brod beym Becker. Den andern Tag wird friſch gebacken. Nie, mein Sohn, das ſchwoͤr ich ſchriftlich vor Gott, der uͤber mir iſt, ich ſchwoͤre, nie werd ich Lebenslang einen Brief, ein Promemoria,einen373einen Waſchzettel ſchreiben, wo ich nicht an Minen ſchriftlich denke, und ihren Nahmen, waͤr es auch nur der erſt und lezte Buchſtab M. e. mit hinein ſchreibe, um meine ſchrift - liche Suͤnde, meinen Stank fuͤr Dank zu buͤſſen. Sey mit dieſer Buſſe zufrieden, lie - ber guͤtiger Gott, und ſieh mich ſo nicht an, wie ich Minen, vor der lezten Predigt in unſrer Kirche! Wie koͤnnt ich ſonſt vor dir beſtehen! Straf mich nicht nach meinen Suͤnden, vergilt mir nicht nach meinen Miſ - ſethaten! So du willſt, Herr, Suͤnde zurechnen hier, in der erſten Inſtanz, vor dem Gewiſſen, und dort in der lezten, wer kann beſtehen?

Gott du kennſt vorhin
alles, was mich kraͤnket,
und woran mein Sinn
Tag und Nacht gedenket.
Niemand weiß um mich,
als nur du, und ich!

Das! das! mein Sohn, iſt mein taͤglich, mein ſtuͤndlich Gebet zu Gott, das ich aus der Tiefe herauswinde, wie ein muͤder Wan - derer einen Labetrunk aus einem Brunnen, der dem Reiſebecher Tropfen auspreßt. Wie gern ich ſehe, wenn das Glas beſchlaͤgt, kannA a 3ich374ich dir nicht ſagen. Es iſt mir ſo, mein lie - ber Sohn, als erquicke ſich das Glas ſelbſt.

Du haſt mir, es iſt nicht zu leugnen, ei - nen ſtark gewuͤrzten Brief geſchrieben, Muſ - katennuß, Engliſchgewuͤrz, Pfeffer und Ing - ber war drinn. Zu ſehr indeſſen zeigt der Brief noch, daß du mein Sohn biſt, und ich deine Mutter. Zu ſehr, daß du unter mei - nem Herzen und an meiner Bruſt gelegen, die niemand, als dein Vater, und der nur beylaͤufig, geſehen hat. O warum, warum vergißt du denn dies nicht alles? Das konn - teſt du leider nicht. Warum denn nicht? Grif ich dir nicht ins Herz hinein? Riß ich dir nicht ein Aug aus? Sohn! zu guter Sohn! Wiſſe, daß ich mir ſelbſt, wie jener Geſetzgeber, deſſen Sohn ein Geſetz uͤbertrat, worauf zwey Augen ſtanden, auch ein Aug ausgeriſſen, und zwar das linke, das ich das Herzensauge nenne, ſo wie das rechte das Verſtandsaug iſt. Jezt, ich weiß ſelbſt nicht wies zugeht, da ich dies alles aus der Fuͤlle meines Herzens herausſchreibe, fuͤhl ich mich einigermaaſſen getroͤſtet. Mich ſoll verlan - gen, ob es von Beſtand ſeyn wird. Wundershalber brech ich auf einen Tag ab.

Gelobt375

Gelobt ſey der, deſſen Aufſehen unſern Odem bewacht! Ich bin zufriedener. Ich bitte dem lieben Gott wegen des Fluchs ab, den ich uͤbers Schreiben ausſprach! Es iſt grundfalſch, daß das Schreiben nicht auch ſein Gutes habe. Freylich haͤtt ich an Mi - nen nicht ſchreiben ſollen. Was kann aber das Waſſer dafuͤr, daß es nicht Taufwaſſer wird, welches ſo ſchoͤnes Gruͤn hervorbringt, daß das Auge fuͤhlbar geſtaͤrkt wird? Denke doch weiter uͤber das Schreiben, und ſchreibe mir mit naͤchſtem, was du gedacht haſt. Bey deinem Vater kann ich mich deshalb nicht Raths erhohlen. Das Schreiben kommt mir als ein vernuͤnftiger Monolog vor, die beſte Manier, wie man zu ſich ſelbſt kommen, und ſich ein Woͤrtchen ins Herz und Seele hinein bringen kann. Wenn man mit ſich ſelbſt ſpricht, laͤuft jeder fuͤr uns: und mit den lie - ben Gedanken wer zaͤunt ſie gern ein, und unverzaͤunt, wie ſelten halten ſie Stich? Ich weiß, an welchen ich glaube und bin gewiß, daß er mir meine Beylage bewah - ren werde bis an jenen Tag, daß der, ſo meinen Nelkenſamen geſtreuet, auch die Nel - ken ablegen, und in ein ander Beet verſetzen werde, daß der, ſo in mir angefangen dasA a 4gute376gute Werk ſeiner Verherrlichung, es auch durch ſeinen heiligen Geiſt beſtaͤtigen und voll - fuͤhren werde, bis an den lieben juͤngſten Tag. O wie es mich entzuͤckt hat, daß die Selige Moſen und die Propheten, Bibel und Ge - ſangbuch, zu ihrem Ein und Alles gemacht, und daß ſie beſonders in geiſtlichen und himm - liſchen Liedern ihre Wonne gefunden! O du mir ſonſt ſchon theur und werthes Lied: ich hab mein Sach Gott heimgeſtellt wie weit theurer und werther biſt du mir jetzo! Du Minens Reiſelied auf ihrer Wanderſchaft zur ſelgen Ewigkeit! Weißt du auch noch, mein Erſt - und Letztgebohrner! wie wir un - terwegs, da wir die Folianten, die uns kreutz - weiſe zur Verewigung des Vetterlichen Ku - pferſtichs dienten, zu Hauſe brachten: wie wir ſangen:

Man traͤgt eins nach dem andern hin,
Wohl aus den Augen und aus dem Sinn.

Behuͤte Gott, daß ich dich an dieſe preiß - wuͤrdige Stelle darum erinnern ſollte, damit auch die hingetragene Mine dir wohl aus den Augen und aus dem Sinn kommen moͤge! Nein, ewig ſollſt du an ſie denken, aber denk an ſie, als Chriſt! Sieh! die Natur giebt dir die Vorſchrift, deinen Schmerz nicht zu ver -ewi -377ewigen. Allmaͤhlig, wie Spiritus, duftet er aus. Man merkt wohl, es iſt Spiritus geweſen; allein die Hauptkraͤfte ſind in den Wind geſchlagen. Dein Vater pflegte zu ſagen, daß er jeder Hand anſehen koͤnnte, auch dann, wenn jetzt kein Ring daran hieng, daß einer dran geweſen. Ein gewiſſer Zwang, ein gewiſſer Stolz, bleibt drinn, und der kleine Finger will mit aller Gewalt der Daumen oder Mittelfinger ſeyn. Das kleine Naͤrr - chen! So nicht mit Chriſtenleuten. Sie ſind einen Zoll uͤber die Natur! groͤßer, ſtaͤrker, als ſie. Was die Natur nicht kann, ver - mag die Gnade, die maͤchtig macht! Dieſer Gnade befehl ich deinen Geiſt, Seel und Leib, alles muͤſſe unſtraͤflich behalten werden bis zum allgemeinen Concilio, wenn offenbar wird, der Gott dient, und der ihm nicht dient. Wenn du das ſchoͤne Werk: Ehre und Lehre der Augsburgiſchen Con - feßion von Johann Weidner, Ulm 732. habhaft werden kannſt, laß es nicht aus der Hand und dem Auge! Dein Vater hat es nicht! Ueber das Reiſelied: ich hab mein Sach Gott heimgeſtellt, hab ich nicht ohne die aͤuſſerſte Ruͤhrung meines Herzens nach - geſchlagen, daß ein ſieben und ſiebenzigjaͤh -A a 5riger378riger Greiß, da er ſich dieſen Kern - und Stern-Geſang vorſingen lies, und an die Worte kam:

Es wird nicht eins vom Leibe mein,
ſey gros oder klein,
umkommen, noch verlohren ſeyn

ſich ſo angegriffen, daß ſein erſtorbener Koͤr - per ſich verjuͤngte, wie ein junger Adler. Man ſah ihn ordentlich auferſtehen. Nicht eins, nicht eins, nicht eins, ſchrie er, vom Leibe mein, umkommen und verlohren ſeyn! und ſtarb ruhig und ſelig! Wuͤrdeſt du es wohl gern ſehen, wenn du von Minen in der andern Welt nur ein Gemaͤhlde, nur einen Kupferſtich ſehen ſolteſt? Nicht eins, nicht eins, hoͤr ich dich auffahrend rufen, wie den ſieben und ſiebenzigjaͤhrigen Greis. Nun, du ſollſt ſie wieder haben, ganz und gar! Es giebt Plaͤtze in unſern Liedern, wo man in der groͤßten Sonnenhitze vorm Sonnenſtich ſicher iſt, wo kein Sonnenfunke hineinblitzt, kein Strahl hineinſchleudert, und wo es einem ſo wohl iſt, ſo herzlich wohl! Ich weiß nicht, (mein Gedaͤchtnis faͤngt mir an ſo ſchlecht zu werden, und ich merke ſelbſt bey Liederſtellen, daß ſie mir wie die Zaͤhne ausfallen,) ich weiß nicht, wo ich es geleſen habe, daß ein braverMann379Mann ſich alle liebe Morgen, wenn er aus dem Bette gefahren, einen friſchen Erdenklos bringen laßen, daran er eine Weile gerochen. Er behauptete, daß er Geſundheit und Le - bensverlaͤngerung daraus roͤche! Mein Sohn! giebts einen originalern Menſchengeruch? Ein Erdenklos war noch vor dem Adam, und er ward aus ihm gemacht. Zwar iſt die Erde jetzt ſehr mit Todten verſetzt, denn wer weiß, ob ein Stellchen iſt, das nicht ein Kirchhof, eine Urne, waͤre? Und wer kann es leugnen, daß ſo ein Erdenklos, aus dem Gott der Herr den erſten Menſchen machte, ſich unge - fehr gegen unſere jetzige Erde verhalten ha - ben koͤnne, als gekochtes Gemuͤſe und rohes Obſt. Indeß erfriſchet auch das gekochte Gemuͤſe das Blut, und auch noch, glaub mir, auch noch muß man von der Erde was originales riechen koͤnnen, wenn man ſich nicht an ſo genanntem wohlriechenden Waſſer die Naſe von Grund aus bis auf die Wurzel verdorben hat, welches aber nicht, wie dir erinnerlich ſeyn wird, durch Himmelsſchluͤſ - ſelchen, wozu auch Krauſemuͤnze zu zaͤhlen, geſchiehet. Den Erdenklos, aus dem Adam ward, nicht wahr, den haͤtteſt du riechen moͤ - gen! Ich auch mein Sohn! Noch eineAnek -380Anekdote ſchwebt mir in Gedanken uͤber: ich hab mein Sach; allein ich kann ſie nicht zum Stehen bringen. So gehts, je aͤlter je kaͤlter! und bald wird mich der Papagay jenes ſpaniſchen Geſandten uͤbertreffen, welcher, wie ein bewaͤhrter Schriftſteller verſichert, die ganze Litaney ſingen koͤnnen. Das waͤr ein Caſus fuͤr mich! Was iſt Nachtigall und Lerche! und alle Finkarten gegen ſolch einen Litaney Papagay zum erſtenmahl merke ich, daß ſich Litaney und Papagay reimt! Schoͤn! Es giebt Laſten des Lebens, mein lieber Sohn, die auch dem Chriſten zu ſchwer zu heben ſind; allein er vermag alles durch den, der ihn maͤchtig macht. Er probirt und probirt ſo lange, bis er hebt und traͤgt. Es kommt viel drauf an, wie mans angreift, und ſich auflegt. Die Gelehrten laßen ſich gemeinhin mit einem Buch in der Hand mah - len, und druͤber wegſehend! Nicht alſo, mein Sohn, wie dieſe Verkehrten! Ins Buch, ſag ich, ins Buch das Auge! Glaubt, ihr Her - ren Gelehrte Verkehrte, etwa, daß das Auge dem, der euch ſieht, verloren gehe? Eben dieſer Blick ins Buch iſt das Aug eines Ge - lehrten, wenn er nicht ein Verkehrter ſeyn will, und nun, mein Sohn, laß dich nichtblos381blos ſo mahlen, ſondern ſieh wuͤrklich ins Buch des Lebens! Die Bibel iſt davon die erſte Ausgabe, die zweyte vermehrt wird dir in der andern Welt aufgethan!

Dein Grosvater ſeliger, der gluͤckliche, machte, wenn er nachſann, kleine Augen, recht als ob er keinem Gegenſtand mehr Platz laßen wollte; dein Vater macht ſie gros, wenn er nachdenkt, wenn er mit der Seele wohin ſieht, und da fallen denn Sonnenkoͤr - ner, kleine Sterne, wie die Sternſchnuppen, aus ſeinen Augen. Manche machen die Au - gen dicht zu, als ob ſie nicht ſehen auf das Sichtbare, ſondern auf das Unſichtbare; denn was ſichtbar iſt, das iſt zeitlich, was aber unſichtbar iſt, das iſt ewig.

Was ſteht in der erſten Ausgabe des Le - bensbuchs? Denen, die Gott lieben, muͤſſen alle Dinge zum Beſten dienen. Kann der Ton ſprechen zum Toͤpfer: warum machſt du mich alſo?

Der Menſch ſieht immer ſcheel uͤber den lieben Gott, weil er ſo guͤtig iſt, nicht nur in Abſicht ſeines Groſchens, ſondern anderer. Dies Evangelium vom Groſchen iſt vortref - lich. Es iſt nicht mit Gold zu bezahlen. Was kannſt du, Menſch, mehr als einen Groſchenver -382verlangen? Am Ende hat Niemand mehr. Nur daß es anſcheint, als haͤtte dieſer oder jener druͤber. Was willſt du mehr, Menſch! wenn du deinen Groſchen bekommſt? Was mehr? Du willſt die ganze Natur verſchlin - gen. Unthier! Wie viel Arten von Speiſen in einer Mahlzeit? Faſt alle ſechs Tagewerke werden aufgetragen. Dafuͤr muſt du aber auch leider! den D. Saft in Ehren haben. Selbſt das Sterben muß dir dafuͤr ſchwer werden. Du bringſt dich ſelbſt um, Iſrael! Wahrlich in allem Betracht dich ſelber! Das iſt ein theur werthes Wort, daß ſich der Menſch mit dem lieben Gott in Verbindung denkt, daß er weiß, wie ohne den Vater uͤber alles kein Sperling faͤllt, wenn gleich dieſer den Kirſchen nachſtellt. Kein Haar auf dei - nem Haupt iſt, das Gott der Herr nicht ge - zaͤhlet haͤtte. Alles iſt in Verbindung mit einander, und alles zu Gott. So drehen ſich große Weltcoͤrper um ihre Achſe und wandeln, ſagt dein Vater. Ich ſtelle die großen Welt - koͤrper an ihren Ort, gnuͤgſam mit der Be - merkung, daß goͤttliche Heimſuchungen, der - gleichen du jetzt erfahren, dergleichen ich auch oft erlebt, beſonders, da dein Vater mir lieblos den Ruͤcken kehrte, und ich im hitzigenFie -383Fieber hebraͤiſch lernte, da mir deine Gros - mutter den Ring aufdruͤckte, und da dein Vater dich Alexander hieß, und da er ſelbſt M l ch genannt ward, was wollt ich ſagen? Dergleichen Heimſuchungen ſind We - cker, ſind Haltrufer! Steh doch, Seele, ſteh doch ſtille! Gott ſucht den Menſchen heim, wenn es dem Menſchen wohlgeht. So ſieh dich doch um, wie ſchoͤn dein Feld ſteht, dein Weib fuͤrchtet den Herrn, und deine Kinder ſtehen, wie Palmen am Waſſer; du haſt was dein Herz wuͤnſcht und deinen Augen gefaͤllt. Gott ſucht den Menſchen heim, wenn er ihm mit unerwartetem Un - gluͤck in die Quere kommt. Gluͤck kommt in die Laͤnge. Gott kommt, ſo zu ſagen, bis ins Menſchen Haus, um ihm Gutes im Gluͤck und Ungluͤck zuzufuͤgen. Was liegt nicht alles in dem Worte heimſuchen! Gott ſucht den Menſchen heim zu ziehen, von der Welt ab, und in ſich ſelbſt, in ſeinen eigenen Buſen, um durch eben dieſe Selbſterkenntnis ihn dahin zu bringen, wo wir ewig ſeyn wer - den! Kreutz und Leiden, mein Kind, ſind der Zaum und Gebis, ſo der liebe Gott uns, ſeinen Roßen, ins Maul legt, wenn wir nicht zu ihm wollen; und wer iſt ohne Kreuz und Leiden? Willſt384Willſt du mit Gott rechten, du toll und thoͤ - richt Volk, das wahrlich nicht an ſeine Bruſt ſchlagen und ſagen kann: mein Gewiſſen beißt mich nicht, meines ganzen Lebens halber. Das Gewiſſen, wie du ſelbſt wiſſen wirſt, geht von unten, ungefehr um den Magen her - um, in die Hoͤhe. Oben haͤlt es ſein richter - liches Amt, unten iſt ſein Schlafſtuͤbchen. Wenn es aufwacht zum harten Criminalur - tel, wie brennend ſind ſeine Tritte! Wie gluͤ - hend Eiſen gehts in die Hoͤhe. Was ſchreyen wir denn? Daß wir nicht dies, und daß wir nicht jenes haben? Wenn wir auch das nicht haͤtten, was wir haben? Wenn du z. E. nicht Paſtors Sohn waͤrſt, und Mi - ne die Tochter eines Litterati, obgleich uͤber ſeine Litteratur noch ein Streit iſt. Waren wir nicht Ton, aus dem der Weltmeiſter ma - chen konnte, was er wollte? Warum ſollten wir der Erde noch mehr Dornen und Diſteln auf den Hals wuͤnſchen, und ihr fluchen? Glaub mir, am Ende hat der Generalſupe - rintendent und der Herzog, der Praͤpoſitus, der Paſtor, der Litteratus, ſchlecht und recht, faſt moͤcht ich ſagen der Wacker ſelbſt, nichts vor dem andern druͤber und drunter. Jeder hat ſeinen Groſchen. Staub iſt Staub, erſitze385ſitze im Sammetrok, oder im Kittel. Schmerz iſt ein Praͤludium zur Freude. Freude ein Praͤludium zum Schmerz. Es geht in der Welt alles aus Einem Ton, aus Bdur. Freylich leiden wir oft des Ganzen wegen, ſo wie der Gerechte durchs Geſetz, das eigent - lich nur dem Ungerechten gegeben iſt; allein leiden nicht auch viele fuͤr uns? Es geht immer mit einander auf. Wie viel Haͤnde ſind nicht unſertwegen, eben da ich dies ſchrei - be, in Bewegung. Die Menſchen haben ſchon einen angebohrnen Trieb zur Huͤlfſam - keit, ſich einander foͤrderlich und dienſtlich zu ſeyn. Du empfindeſt die Sonne, weiſt du aber ihre Natur und Weſen, weiſt du, ob drinn gegeſſen oder getrunken wird? Das ſey dir eine Warnung! Ueber Gott und ſeine Wege meiſtre nicht! Dein Standort iſt dir nicht recht; weiſt du aber auch, wo du ſteheſt, und wenn du es weiſt, ſiehe wohl zu, daß du nicht faͤllſt. Willſt du gerechter, guͤtiger ſeyn, als der Allguͤtige, der Allgerechte? Die Na - tur des Menſchen hilft ſich durch die Krank - heit; ſo wie die große Hauptnatur durch Don - ner und Blitz, Hagel und Stuͤrme. Wenn ſie ſich den Magen verdorben hat, muß es heraus. So lange dir der liebe Gott dieB bzwey386zwey Bruͤnnlein deiner Augen giebt, in denen Waſſer des Lebens, des Troſtes rinnen, und ſo lange der Menſch manche ſchwere Stunde verweinen kann, was will er denn? Zwar

Die Fromme ſtirbt, die recht und
richtig handelt,
Die Boͤſe lebt, die wider Gott mis -
handelt;

allein iſts nicht beſſer, daß eine Wohlvorbe - reitete unter die Engel kommt, als Eine, die es nicht iſt. Wuͤrden die Engel ſonſt nicht alle Liebe zu den Menſchenkindern verlieren, wuͤrden ſie ſich nicht des Menſchen ſchaͤmen, obgleich er, wie ſie, Gottes Geſchoͤpf iſt? Wenn der v. E mit ſeinen habſuͤchtigen Augen dahin geraft waͤre, wahrlich ganz Cur - land haͤtt im Himmel drob verlohren. Es waͤre Curland gegangen, wie es den Deut - ſchen dadurch geht, daß ſie lauter Gruͤtzkoͤpfe nach Paris geſchickt, das Land zu beſehen, woruͤber dein Vater nicht gnug ſeinen deut - ſchen Kopf ſchuͤtteln kann. Lies dir da Troſt - gruͤnd aus, wie wir Zuckererbſen zur Saat auszuleſen pflegen. Was wurmſtichig iſt, wirf davon. Nicht alle meine Troſtgruͤnde ſind Saat-Zuckererbſen. Du weißt doch, man muß ſie erſt aufweichen, wenn ſie aufgehenſollen.387ſollen. Weine, herzlich geliebter und nach dem Willen Gottes ſchmerzlich betruͤbter und leidtragender Sohn! und erweiche die Saat - erbſen von Troſtgruͤnden, durch deine Thraͤ - nen; dann wirſt du alles ganz anders finden. Weine fuͤr Freuden, daß wir weinen koͤnnen, und erhohle dich, wie die angebrannte Pflanze nach dem Abendtau. Verſtopfe die Quelle, aus der Leben abfließt, nicht durch bittere Haͤrte. Murre nicht wider Gott! Nicht alle koͤnnen alles. Nicht jeder kann einen Wald voll Waldgreiſer, alt und wohlbetagter Ei - chen, nicht jeder kann einſame Gegenden aus - halten, wo Schauer aus allen Winkeln zu - ſammen kommen, und den Ankoͤmmling aͤng - ſtigen, als kaͤm er in ein verfluchtes Schloß. Da wird er denn in die Enge getrieben, und kommt ſo im Kleinen zu ſtehen, daß er wie in ſich ſelbſt verkrochen iſt. Ich konnte den dick - ſten Wald aushalten, als ſaͤh ich Johannis - beerenſtrauch, und ſelbſt in der alten Rum - meley eines vernachlaͤßigten Waldes, in einer zerſtoͤrten Staͤte, wo ein Kaͤuzlein keinen Laut wagt, konnt ich froh ſeyn. Da fieng ich dann ein Morgen - oder Abendlied an, und freute mich, daß der Wiederhall ſo gut Me - lodie hielt. Da ſah ich dann manchen Baum,B b 2dem388dem die Erde an der Wurzel ungetreu worden. Sie wollte von ihm abfallen; allein er be - faßte ſie mit ſeiner Klaue und ſie blieb. Da war ich wie zu Hauſe, und fuͤhlt es tief in der Seele, daß im Stillen wirken, goͤtt - lich ſey. Die Natur (Gottesſprachzimmer) ſieh! wie ſtill ſie iſt! Eine Waldblume, obgleich ſie wie eine Eiche wird, bekommt et - was von der Staͤrke ihrer Cameraden. Sie ſteht laͤnger, als die, auf dem Felde; denn wenn ich gleich nur ein Lied bin, geht doch manche Ode auf meine Melodie ich hoͤrte den Donner nicht, als hoͤrt ich Gottes Schelt - wort. Schelten konnte nur meine ſelige Mutter uͤberall, und ich in der Kuͤche. Ich hab es ſelbſt geſehen und gehoͤrt, daß mitten im Geſange deine Grosmutter ſelige, war es Catharinen, oder einer andern, einen Schlag ans Ohr gab mitten drinn. Der - gleichen Taktſchlaͤge ſind mir nicht eigen. Wer ein gut Gewiſſen hat, haͤlt den Donner fuͤr eine Inſtrumentalmuſik der Natur. Thut Buße, toͤnt er dem Verbrecher, denn das Him - melreich iſt nahe herbey kommen und der Blitz? Gott verzeih mir meine Suͤnden, oft iſt es mir vorgekommen, als ſchluͤge ſich der liebe Gott Licht an, und auch im dickſtenWalde389Walde, wo ich denn wohl einſah, daß die ſtolze Eiche, die gern ein Woͤrtchen mitſpricht, und die, wenn der Wind daher faͤhrt, Schelt - wort auf Scheltwort giebt, ſtock ſtill war. Im Walde, wo der Blitz ſich ſo recht herum ſchlengeln kann, war mir ehemals nichts ſchrecklich! Wie ſtill es hier war, wie vor dem Wort: es werde Licht! Da bewegte ſich kein Blat. Mir war ehemals dieſe Stille erwecklich! himmliſch Nach Minens Tode, ich kann es nicht leugnen, iſt mir beym Don - ner und Blitz nicht mehr ſo zu Muthe! Jetzt iſt auch was von thut Buße drinn, und im Blitz: bedenke das Ende! Ich ſchaudre vor dicker Finſternis, und alles ſcheint Mine im Munde zu haben und wider mich aus - brechen zu wollen. Vor dieſem, ſelbſt wenn eins vom Blitz getroffen war, kam es mir vor, als waͤr es im feurigen Roß und Wa - gen gen Himmel gehohlt; vorzuͤglich dacht ich dies bey dem Blitztode des alten Peters, denn es war ein ſo guter frommer alter Mann, daß nichts wider ihn zu ſagen war. Man ſuchte nach ſeinem Tode; allein kein blauer Fleck an ihm! Es war kein Schmerz in ſeinen Falten; ſie ſchienen wie ausgeglet - tet. Im Leben hatte Peter auch keinen Fleck,B b 3auſſer390auſſer daß er zuweilen ein Glaͤschen uͤbern Durſt trank. Eins nur. Jetzt iſt alles mit mir gar anders! Das ganze Haupt iſt krank, das ganze Herz iſt matt, von den Fußſohlen an, bis zur Scheitel, iſt nichts geſundes, nichts feſtes, an mir.

Charlottens Laube ſelbſt, wie ſchrecklich ſie mir da iſt! Hier, wo ſo viel Thraͤnen ver - goſſen ſind, hab ich Muͤhe die meinigen in Gang zu bringen. Sieh mein Sohn! Du biſt zu Superintendenten Leiden und zu Su - perintendenten Freuden gebohren und erkoh - ren, zur hohen Wuͤrde, zur ſchweren Buͤrde. Zum hoͤhern Halleluja, zum tieferen Kyrie Eleiſon. Du biſt, das weiß ich, nicht un - behuͤlflich in dieſem Kummer. Der Gram iſt durſtig, wenn er aus verungluͤckter Liebe, aus Todesliebe, kommt, hungrig, wenn er Verachtung, Verſpottung zur Triebfeder hat. Trink ein wenig Weins, deines ſchwachen Magens halber, und wiſſe, daß deine Mine wohl verſorgt ſey: aber warum ſchein ich es ſelbſt nicht zu wiſſen?

Ach! wer doch einmal droben waͤr! Wenn du gelegentlich, mein Kind, ein Buch: Die große Diana der Epheſer, oder ein Traktaͤtchen von den Accidentien derPredi -391Prediger. Danzig 693. leſen kannſt, lies es und ſchreib mir den Inhalt. Selbſt leſen mag ich es nicht, wohl aber die Ehre und Lehre der Augſpurgiſchen Confeſſion von Johann Weidner, Ulm 732. Wenn es dir begegnet, kauf es. Mit Freuden erſetz ich Koſten und Porto. Glaub mir, mein hieſiger Aufenthalt wird nicht langwierig ſeyn, und ich freue mich drob, bald! bald! ausgeſpannt zu ſeyn, und auſſer dem Leibe zu wallen. Meine Seele, ein Strahl aus dem goͤttlichen Lichte, ſehnet ſich zuruͤckprallen zu koͤnnen, und mit dem lieben Gott ins naͤhere Verkehr zu kommen! Der Tod wahrlich iſt das wahre Univerſale wider alle Leiden dieſer Zeit. Wuͤrden wir wohl Luſt haben einzu - packen, wenn nicht heute hier, morgen da, ei - ner von unſern Lieblingen und Geſpielen das Zeitliche ſegnen und aus unſerm Kraͤnzchen wie eine Roſe, die am beſten riecht und am erſten bricht, ausfallen wuͤrde, und was hat ſie denn, die Welt, im Pallaſt, und in der Waͤchterhuͤtte? Was hat ſie denn ſo uns nicht naget und plaget? In der Natur iſt Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und Tod. Waͤre nicht Abend, waͤr auch kein Morgen, waͤre nichtB b 4der392der Tod, waͤre wohl Leben? Hier iſt der er - ſte Eingang bey den meiſten Menſchen bis ans Vaterunſer. Bey den andern das The - ma, die Partition, bey den meiſten ein Ge - rippe zur Ausfuͤhrung, die mein ſeelger Va - ter, wenn der Edelmann communicirte, vorn in die Bibel zu legen pflegte, um keine Divi - ſion und Subdiviſion zu verlieren.

Die rechte Ausfuͤhrung, vorzuͤglich die Application, iſt der Zukunft vorbehalten. Zum Amen kommt es bey keinem Menſchen. Gott allein iſt Amen. Alle Verheißungen ſind Ja in Ihm, und Amen in Ihm! Gott zu Lobe durch uns! Drum lieb ich auch dies Wort, das Amen fein, Amen, bis zum Herz - andruck, bis zum Kuͤßen. Gott der Herr iſt uͤberſchwenglich. Er thut mehr, als wir wißen oder verſtehen. Wir fragen zwar all Augenblick, wie Maria, wie ſoll das zuge - hen? und lachen wie Sara, weil ihr Herr alt war, und ihr nicht mehr nach der Weiber - weiſe gieng; allein Zeit bringt Roſen, und Hofnung laͤßt die nicht zu Schanden werden, die im Dienſt der Wahrheit und des Lebens ſtehen, und nicht auf das Wirrwarr dieſes Lebens, ſondern auf die Harmonie des Zu -kuͤnf -393[kuͤnftigen] ſehen; daher auch der Himmel mu - ſikaliſch vorgeſtellet wird.

In Parentheſi merk ich an, daß ich am Sterbtage deiner Mine faſte und faſten wer - de, bis mich nicht mehr hungert, noch dur - ſtet, und auf mich faͤllt irgend eine Hitze der Angſt aber wie faſt ich? Nicht, daß ich mich verſchloͤße; ſondern daß ich meine Lieb - lingsſchuͤßeln ſelbſt mit eigener Hand koche, und mit eigner Naſe rieche. Dann iſts keine Kunſt zu faſten, wenn uns Feur und Waſſer im Exilio verſagt werden. Sey getroſt, mein Sohn! Der Trieb des Lebens hoͤrt nicht auf, ſondern mehrt ſich mit den Jahren; nur durch die Religion wird er eingeſchraͤnkt und zur rechten Ader gelenkt. Ich kann es dir verſichern, daß meine Luſt zum Leben ſo ziem - lich verſiegt iſt. Wie ſollte das zugehen, wenn nicht noch was dahinter waͤre? Dar - auf verlaß dich! Es iſt noch was dahin - ter.

Deiner Guͤte will ich trauen,
bis ich froͤlich werde ſchauen

Weiter kann mein centnerſchwer beladenes Herz weder ſchreiben noch ſingen. Wieder ein Abſatz! Meine Lippen ſind gedoͤrrt, ſo, daß die Triller nicht aus der Stelle wollen, eben ſoB b 5wenig,394wenig, als die Feder. Ich will morgen wie - der eins verſuchen. Alte, mein Sohn, muͤſſen aufs Vergangene, Junge aufs Zu - kuͤnftige denken. Wer die Urſachen der ge - genwaͤrtigen Dinge, und ihre Verbindung mit den Zukuͤnftigen, uͤberſehen kann, das iſt ein weiſer, das iſt ein goͤttlicher Mann. Der hat Verſtand, dem etwas leicht wird, was andern Menſchen ſchwer iſt, der hat Verdienſt, der es ſeinen Nebenmenſchen leicht machen kann. Ich wuͤnſche dir wohl zu ruhen!

Mein Gott, nun iſt es wieder Morgen!
die Nacht vollendet ihren Lauf;
nun wachen alle meine Sorgen,
die mit mir ſchlafen giengen, auf!
Die Ruhe, wie der Schlaf, iſt hin
ich ſehe wieder, wo ich bin
ich bin noch immer auf der Erde,
wo jeder Tag ſein Elend hat,
hier, wo ich immer aͤlter werde,
und haͤufe Suͤnd und Miſſethat.
O Gott, von deßen Brod ich zehr,
wenn ich dir doch auch nuͤtze waͤr!
Dieſe395

Dieſe beyden Reihen hoͤrt ich einſt von einer Bettlerin ſingen, und dieſer Geſang iſt mir in der Erinnerung noch ſo ruͤhrend, daß ich keine Zeile mehr, weder abſchreiben noch ſingen kann.

Wie haſt denn du geſchlafen? wenn man auch nicht gut wacht, wenn man nur gut ſchlaͤft, ſo findet ſich auch das Wachen.

Der Candidat erzaͤhlte juͤngſt ein Vorfaͤll - chen, das kuͤrzer, als ſeine Manſchetten, al - lein recht artig iſt. Ein Bauer kommt nach Mitau, um den Brief an ſeinen Sohn ja recht gut anzubringen. Er giebt ihn ab, und wartet bis der Poſtillion blaͤſet, und nun bit - tet er ihn recht freundlich, doch ja den Brief gut zu beſtellen. Lieber Sohn! Wir Men - ſchen, denk ich, machen es eben ſo, und auch du biſt, mit deiner Erlaubnis, nichts mehr, nichts weniger, als dieſer Bauer mit dem Briefe. Wir alle bitten den Poſtillion, den Brief, den er zwey Meilen traͤgt, gut zu be - ſtellen. Wer erreicht ſeine Schickſale, nur uͤber eine Hand voll Jahre, das ſind fuͤnf nach der Zahl der Finger? Wer bis an Stell und Ort? Auch in Abſicht deiner Mine biſt du nach Mitau gereiſet, und haſt ſo lang ge - wartet, bis geblaſen ward, und haſt rechtfreund -396freundlich gebeten, doch ja den Brief zu be - ſtellen. Sag am Ende, um nur mit einem Blick, mit einem einzigen, auf die naͤchſtfol - gende Station zu kommen, haͤtte wohl Mine fuͤglich Superintendentin werden koͤnnen? Wenn ich ſchwach bin, bin ich ſtark, ſagt ein Apoſtel, der doch entzuͤckt ward bis in den dritten Himmel, ins Paradies, wo er unaus - ſprechliche Worte hoͤrte, die kein Menſch aus - druͤcken kann. In Parentheſi, mein Sohn! Betruͤge den Petrus und den Paulus nicht um ihr us. Scheer ihnen den Bart nicht, der ihnen ſo treflich ſteht. Recht Maaß, rechte Elle, recht Gewicht. Sey nicht ſolch ein Ehrenſchaͤnder, als ein junger Candidat, der vor acht Tagen bey uns war, welcherley es viel giebt unter den Deutſchgelehrten. Der heilige Paul, der heilige Peter! O du hoͤl - zerner Peter du! Peter und Paul ohn us iſt nicht Petrus und Paulus. Dein Vater ſelbſt, der in ſolchen Dingen, wie du weißt, kein Zelot iſt, und ſeinen Schlagbaum manchem oͤfnet, wobey ich halt rufe, aͤrgerte ſich die - ſes Candidaten mit hinten geſteckten Locken. Du in dich ſelbſt verliebter Narciß, der du der Kirche nicht einſt die Tonſur deiner Haare leiſteſt, und deine Haͤrlein mehr liebeſt, dennSitt397Sitt im Land iſt. Doch ich mag keine Delila ſeyn, die Simſons Haupt peruͤken - duͤrftig machte, ob gleich unſer Candidat ſo wenig Simſon iſt, als ich Delila. Was wollt ich aber von Paulus ſagen? Daß er im zweyten Brief an die Corinther ſich Ge - rechtigkeit wiederfahren laͤßt, und dies Woͤrtchen zu ſeiner Zeit, wer verdenkt es ihm? Ich bin nicht wider Selbſtgefuͤhl. Wer nicht im Geiſt und Wahrheit ſagen kann ich, wie kann der du, er, ihr, wir, ihr, ſie, ſagen? Jede Woche hat ihren Sonntag, und ſo hat auch der Herr unſer Gott Staͤnde eingerichtet. Wer wird dem Stolz das Wort reden; allein ich ſoll meinen Naͤchſten lieben, als mich ſelbſt. Ich bin alſo das Original, mein Naͤchſter die Kopie. Ich enterbe mei - nen Bruder nicht, gebe meinem Naͤchſten ſein Pflichttheil, behalt aber fuͤr mich, was Recht iſt. So auch Sanct Paulus zu den Corin - thern, der ſeine Lobrede anfaͤngt, wie ich nie eine angefangen. Ihr vertraget die Nar - ren, weil ihr klug ſeyd. Solch einen Ein - gang laß ich wohl bleiben. Meine Corinther ſind aber auch darnach.

Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schlaͤge erlitten, ich bin oͤfter gefangen, oft in398 in Todesnoth geweſt. Von den Juden hab ich fuͤnfmahl empfangen vierzig Streiche, weniger eins. Ich bin dreymahl geſtaͤupet, einmahl geſteiniget, dreymal hab ich Schif - bruch erlitten, Tag und Nacht hab ich zu - gebracht in der Tiefe des Meeres. Ich ha - be oft gereiſet, ich bin in Faͤhrlichkeit gewe - ſen zu Waſſer, in Faͤhrlichkeit unter den Moͤrdern, in Faͤhrlichkeit unter den Juͤden, in Faͤhrlichkeit unter den Heiden, in Faͤhr - lichkeit in Staͤdten, in Faͤhrlichkeit in der Wuͤſten, in Faͤhrlichkeit auf dem Meer, in Faͤhrlichkeit unter den falſchen Bruͤdern. In Muͤhe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durſt, in viel Faſten, in Froſt und Bloͤße. Ohne was ſich ſonſt zutraͤget, nemlich daß ich taͤglich werde angelaufen, und trage Sorge fuͤr alle Gemeinen.

O des vortreflichen Paulus! O des theu - ren auserwaͤhlten Ruͤſtzeuges, des Superin - tendenten unter den Apoſteln! Da bin ich eben, wo ich hin wollte. Kann ſich, lieber Sohn, Sankt Paulus ruͤhmen ſeiner Supe - rintendentur, warum ſollten wir vergeßen, daß wir aus dem Stamme Levi ſind, und daß ich fuͤnf Paſtorahnen von Vater - und vier von muͤtterlicher Seite zaͤhlen kann, daß einermeiner399meiner Ahnherrn Superintendent und zwey Praͤpoſiti geweſen, daß Ehren Paul Ein - horn mit uns von der Seitenlinie verwandt iſt? Iſts denn nichts, Menſchen vom Ir - thum und Thorheit bringen zu der Wahr - heit? Iſts denn nichts, Superintendent ſeyn? Der Herzog regiert uͤber den Leib, der Superintendent uͤber die Seele. Dein ſeli - ger Grosvater ſagte, wer ein kluges Buch ſchreibt, hat ein Edict ausgeſchrieben, das nicht ein ſpannlanges Laͤndchen, ſondern die Welt beobachtet. Er iſt mehr von Gottes Gnaden, was er iſt, als dieſe Durchlauchtige Haͤupter. Wenn ich die Wahl haͤtte, ſo wolt ich lieber Newton, als Czar Peter ſeyn, ſagt unſer Hauptcandidat. Dein Vater ſchuͤttelte den Kopf, was iſt aber da zu ſchuͤt - teln? Und wenn nicht ein Dichter, ein Hi - ſtoricus, dazu kommt, fuhr der Candidat fort, (Es iſt immer derſelbe mit den langen Manſchetten) was iſt denn des Helden groͤßte That? Ein Held, ein Monarch, braucht ei - nen Dichter, einen Redner; aber dieſe koͤnnen ſich ohn ihn behelfen. Dein Vater nahm den Candidaten bey der Hand, damit aber war die Sache nicht ausgemacht. Es iſt kein Kleines, Gottes Diener zu ſeyn. Was iſtder400der kaltbrandige alte Herr dagegen! Und doch iſt er Minens Vater. Sein Flick von Litteratur macht es nicht aus. Wie, ſage ſelbſt, wie haͤtte ſich Herrmann zum Schwie - gervater eines Ehrn Superintendenten ge - ſchickt, wenn auch Mine ſeine Tochter zur Superintendentin zu erkieſen geweſen? Wenn auch? O vergib mir dieſes wenn auch, und oben die Frage: Haͤtte wohl Mine fuͤg - lich Superintendentin werden koͤnnen? Ein boͤsartiges fuͤglich. Ja ſie haͤtte fuͤg - lich koͤnnen. Ja, ſie haͤtte koͤnnen!

Du weiſt wohl, wie dein Vater ſich zu aͤr - gern pflegte, wenn jemand Papier im Garten viertheilte, wenn Papierſtuͤcke auf der Erde lagen. Papier, pflegt er zu ſagen, ge - hoͤret ſo wenig in den Garten, daß es das Auge beleidigt, ſo was im Freyen zu ſehen. Weißt du was Kuͤnſtlichers, auſſer deinem Hemde, als Papier? Und doch muß erſt dein Hemde alt werden, wenn Papier draus werden ſoll. In der Studirſtube deines Vaters war freylich mehr zerriſſen, als ganz. Da liegt der Menſch, ſagt er! wenn ich ausfegen wollte, hieß es: laß ihn! Ich mei - nes Orts, das weiß Gott, habe kein Blaͤt - chen entzweyet, und oft, wenn ich gern wasvertilgt401vertilgt haͤtte, konnt ichs? Ich kam nicht zu ſehen des Knabens Sterben, hieß es von mir, wie von Hagar und Iſmael! Obgleich Iſmael ein Spoͤtter war; ich aber kein Wort geſchrie - ben habe, was iſmaeliſch waͤre. Die Frage: haͤtte Mine fuͤglich Superintendentin werden koͤnnen? und die Stelle: wenn auch Das waͤre ſo etwas, das ich Luſt zu vernich - ten haͤtte! Und der Brief an Sie iſt wahrlich des Feuers ſchuldig. Selten, mein Sohn, iſt ein Herz, das nicht mit dem Kopf uͤbern Fuß geſpannt waͤre, oft wenig, oft viel. Sel - ten iſts, daß Kopf und Herz ſich mit einander einverſtehen, und dann ſpotten ſie ſich nach. Da ſpielt denn das Herz den Kopf, und der Kopf das Herz, und die beyden Gecken ſehen ſich als ein Paar Affen an! Ja, ſie haͤtte! Mine haͤtte koͤnnen! Wenn ein Hechtkopf aufgetragen wird, ſuche des Kopfs habhaft zu werden. Zwar iſts auch ein Fiſchkopf, der jedem Tyrannen ſchrecklich ſeyn wuͤrde; dich aber wird er erbauen: da fehlt nicht ein Stuͤck von dem, was bey der Kreuzigung vorgefallen Speer, Kreutz. Wie ſtehts, wie gehts auf der Academie? Laß dich nicht durch Minens Tod von deinem Fleiß abwendig machen. Sie ſtudirt dort, du hier, beyde Theologiam! C cVer -402Vergiß nie, mein Sohn, daß du im Dienſte der Wahrheit und in keines Menſchen Dienſt ſteheſt. Die Wahrheit iſt Gottes. Profeſſor Grosvater, ſo gut ich ihm gleich bin, iſt doch ein Menſch. Von den Kopfhaͤngenden Pieti - ſten, dergleichen es in Koͤnigsberg an allen Ecken der Straßen geben ſoll, laß dich nicht verfuͤhren. Die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten. Ein Menſch, wie du, muß ſo ſeelenkrank in der Welt ſeyn! Iſt das nicht Jammer und Schade! Doch du wirſt alles gewohnt werden, und Gewohnheit iſt die andre Natur. Minchens Anverwandte in Mitau ſind Anverwandte meines Herzens durch Minens letzten Willen worden. So lang ich Brod habe, ſolls ihnen gebrochen werden. Die guten Alten! Warum ſolt ich ihnen ſogleich ſagen laßen, daß Minchen todt waͤre? Was die Minchen geſegnet haben! Sie braucht euren Segen nicht mehr. Jetzt wiſſen ſie ihren ſelgen Tod; denn die Wahr - heit zu ſagen, ich wollte mir dieſe Penſion von Seegen ſelbſt zuwenden; da hab ich einen Geitz, der ſeines Gleichen nicht hat. Sieh! das iſt ein Capitaͤlchen, das in der himmli - ſchen Bank ausſtehet, wo die Zinſen auf den Tag fallen. Eile mit Weile. Ein Arzt, der einen Schaden vorbeugt, iſt theurer und wer -ther,403ther, als einer, der ihn heilet. Ich weiß nicht, ob du Minens wegen ein Schwarzroͤck - ler werden wirſt? Ich vermuth es und bin drob froͤhlich, weil du dich ſchon zeitig an dieſe Farbe gewoͤhnſt, die deine einzige, deine Leib - farbe, werden wird; wenigſtens wuͤrd ich dir zu ſchwarzen Knopfloͤchern und Knoͤpfen nem - licher Farbe anraͤthig ſeyn. Was Gutes kann man nie zeitig genug anfangen. Schwarz kleidet jeden Menſchen. Hier wird Mi - nens Geſchichte ſehr geheim gehalten. Alles ſchleicht incognito. Du kannſt ſehr leicht ra - then, warum? Der Herr v. G kam juͤngſt, blos dieſer traurigen Geſchichte wegen, zu uns, und ſo was muß man ſehen, wie ſie ihm nahe gieng. Die Frau von G ſoll geſagt haben: Da ſieht man, was nicht adelich, nicht Wie wenig beneid ich ihr dieſen Adel! Und wie wenig hab ich es Urſache, wenn dich Gott zur Superintendentur aufge - hen laͤßt ich werd es freylich nicht erleben, in dieſem Jammerthal; allein ſolch eine Nachricht kommt ſehr ſchleunig und durch ei - nen himmliſchen Courier gen Himmel! und da werd ich mich freuen! wenn mir meine engliſchen Geſellſchafter oder Geſellſchafterin - nen (wie ſoll ich ſagen? es wird da, glaub C c 2ich,404ich, kein Maͤnnchen, kein Weibchen, ſondern alles wird Engel ſeyn,) Gluͤck wuͤnſchen wer - den. Habt Dank, ihr lieben guten Engelein, wegen eurer Gluͤckwuͤnſche! Schon, da ich mit ihm geſegnet gieng, ſchon in Mutterleibe, war er Superintendent, und ihr werdet hoͤ - ren und ſehen, in wieviel Abgewichenen er das glimmende Tocht anfachen, wie viel Fromme er befeſtigen, wie viel unſchuldige junge See - len er gruͤnden werde! Wir werden ſo ein Plus im Himmel haben, daß man druͤber erſtaunen wird, und kommſt du ſelbſt einmal, lieber Sohn, wenn dein Stuͤndlein vorhan - den iſt, zur ewigen Freud und Herrlichkeit, wie wonnereich wird es mir ſeyn, die Stim - me zu hoͤren: ey, du frommer und getreuer Erzknecht! Das iſt eine andre Ehre, als die Canoniſation, die wir einem unſerer Vorfah - ren erwieſen, der dir ſo aͤhnlich ſieht, wie ein Ey dem andern, als deßen Kupferſtich wir dem Himmel nahe brachten, indem wir es in der Speiſekammer aufhiengen! Du wirſt es nicht bey Oſtereyern bewenden laßen, lieber Sohn, welche dieſer unſer Vorfahr in ſeiner Gemeine ruͤhmlichſt abſtellte, ſondern mit of - fenbaren im Schwange gehenden Suͤnden ſo umſpringen, wie er mit den Oſtereyern. Mache405Mache mir, geliebteſter Sohn, die Freude, daß ich von dir im Himmel hoͤre und bey dem: gehe ein zu deines Herrn Freude! ich, als des Triumphators Mutter, mit tri - umphiren und jubiliren koͤnne in Ewigkeit. Gern werd ich dich dort in Pontificalibus ſe - hen, das heißt, nicht in Mantel und Kragen, ſondern als himmliſcher Superintendent. Ohne dir den Tod zu wuͤnſchen, wenn du hier zu leben Luſt haſt, ſtell dir vor, wie es dich ſelbſt ergetzen wird, wenn der und die kommt, dieſer und jene, und dir dankt, daß du das glimmende Tocht angefacht, daß du es befe - ſtiget, daß du es gegruͤndet haſt! Da wirſt du manche That empor geſchoßen finden, die du aus einem Wortkern gezogen haſt! O! der unnennbaren Wonne! Iſt dies ſchon ſo ſchoͤn in der Prophezeyung, was wird die Erfuͤllung ſeyn! Guter Oberhirte,

giebſt du ſchon ſo viel auf Erden;
ey was will im Himmel werden!

Du weißt, mein Lieber, wie ich zuweilen mich von Grund aus, recht von Herzen freuen kann in dem bibliſchen Sinn: freuet euch in dem Herrn, und abermahl ſag ich euch, freuet euch! Dein Vater pflegte zu ſagen: bey der rechten Freude ſind alle Fenſter beym Men -C c 3ſchen406ſchen offen, und da hat er ganz recht. Man fuͤhlt ſolch eine Freude durch alle Organe. Ich fliege zwar nicht an allen meinen Glie - dern, wiewohl dieſe Freudenfluͤgel bey einigen im Gebrauch ſind; allein alles iſt in Bewe - gung an mir. Wo iſt aber dieſe Freudenſon - ne blieben? Sie iſt hin ihre Staͤte iſt nicht mehr. Eben war es bey mir ſo ſchoͤn Maygruͤn an der Erde, und Mayweiß auf den Baͤumen, und ſiehe da die Bothſchaft: Mine iſt todt, zertrat jedes Gras, das ſein Haupt heben wollte, und zog den Baͤumen das weiße Hemd aus, ſo daß alles wuͤſt und leer ſteht! Alles ward ſo eilig in einem Nu, in einem einzigen, alles ſo kurz und klein, ſo verheert und zerſtoͤrt, alles ſo bettelarm entkleidet, daß es auch den Kaltherzigen jam - merte. Deinem Vater, das ſah ich, geh ich ſo nah, daß ich ihn drob liebe, als koͤnnt er hebraͤiſch, wie Waſſer. Der gute Mann ſeines Weibes, der gute Vater ſeines Soh - nes! Alles uͤbrige, was ein jeder Chriſt und jede Chriſtinn auf ſeinem und ihrem Herzen und Gewiſſen hat, die Noth der ganzen Chri - ſtenheit, beſonders das gegenwaͤrtige und zu - kuͤnftige Gewitter, faſſe ich zuſammen in die ſchoͤnen Worte: Leben wir, ſo leben wir demHerrn,407Herrn, ſterben wir, ſo ſterben wir dem Herrn; darum, wir leben oder ſterben, ſo ſind wir des Herrn! Sonſt, mein lieber Sohn, muß wohl das lichtere den kleinern Theil aus - machen. Rothe Weſte, blauer Rock. Wer kann die ſtets luſtigen Leute ausſtehen? Der kleinſte Theil des Lebens kann nur dem Ver - gnuͤgen gewidmet ſeyn! Dem allen un - erachtet, will ich dir doch wegen der noch bluͤ - henden Jahre das meiſte Licht erlauben, wenn nur das kleinſte, Knopf und Knopfloͤcher, ſchwarz ſind. Heller Futter, als die Far - be des Kleides, pflegt dein Vater zu ſagen; allein er verzeihe mir. Dies wuͤrde heißen: ſie glaͤnzen ſchoͤn von außen, oder der Hoch - wuͤrdige Herr weiß ſich nicht zu regieren und zu fuͤhren. Alſo laß dein Licht leuchten vor den Leuten, trag ein lichtes Oberkleid, und beweiſe, daß du auch mit Phariſaͤern und Oberſten im Volke zu Tiſche zu ſitzen ver - ſtehſt ohne deinem Innerlichen, dem in - wendigen Menſchen, dem ſchwarzen Unter - futter, zu nahe zu treten. Ich beharre deine treue Mutter und Fuͤrbitterin bey Gott!

Deines Vaters Brief, der ihm durchweg ſo viel Schweis gekoſtet, als mir der Anfang, leg ich dieſem Sendſchreiben bey!

C c 4Der408

Der Vater Amaliens und ich, nach mei - ner Zuruͤckkunft von dem Nathanael Gretenſchen Myrtentage.

  • Er. Wenn das Ehegeld in Curland nicht hoͤ - her iſt;
  • ich. ſchwerlich es giebt Faͤlle, ſie ſind aber ſelten.
  • er. So iſt die Sache richtig. Meine Frau, um mit der Thuͤr ins Haus zu fallen, wuͤnſcht den Herrn v. G zum Schwie - gerſohn. Er hat ihr ſein Ja ſo deutlich gemacht, nicht etwa zu verſtehen gegeben, ſo deutlich gemacht, daß es jedem Men - ſchen ſichtbar iſt. Nur hoͤrbar noch nicht. Die Ausſprache des Worts fehlt. Ange - ſchrieben ſtehts in ſeinen Augen, Mund, Haͤnden, Fuͤßen
  • ich. Sie ſagen mir da etwas
  • er. was Sie ſelbſt wißen.
  • ich. ich?
  • er. haͤtten Sie es denn nicht geleſen? Doch ſtand es ſo leſerlich, ſo fraktur gros.
  • ich. Von wem geſchrieben?
  • er. ich ſeh wohl, daß Sie in dergleichen Schrift nicht gelehrt ſind; das hab ich von je her ihretwegen behauptet. Gelt! ſie find ein Abſtemius, obgleich das Gered im409im Weiberzirkel ging, Sie haͤtten wuͤrklich ein Maͤdchen unter die Haube gebracht, das heißt bey uns: ſie waͤren verheyra - thet. Bald darauf gieng es: ſie waͤren Wittwer! So, oder anders, ich kann in Sachen meiner Tochter
  • ich. So, oder anders, ſind ſie mir lieb.
  • er. Hoͤren Sie nur, auf Betruͤgerey ſteht ein boͤſes Gewißen, auf Wind ſteht Verach - tung Warum der Streit zwiſchen Geiſt und Fleiſch, zwiſchen Fleiſch und Blut? Gerad aus iſt am naͤheſten. Sie kennen mich eines Theils, und haͤtten mich andern Theils noch naͤher kennen lernen koͤnnen, wenn Sie oͤfter bedacht, daß wir uns in die Fenſter ſehen koͤnnen, und ſo nahe Nach - baren ſind. Mit Ehren zu melden, bin ich ſo offenbar, wie mein Laden. Am Ende was waͤre denn, wenn meine Tochter Frau v. G wuͤrde?
  • ich. Frau v. G?
  • er. nicht anders.
  • ich. Soll ich, ohne ofnen Laden, ſo offen ſeyn, wie Sie? Herr v. G
  • er. ich bitte
  • ich. Herr v. G
  • er. zu dienen,
C c 5ich410
  • ich. iſt Studirens halber in Koͤnigsberg, und gewis nicht, um ſich eine Lebensgehuͤlfin zu ſuchen.
  • er. und wenn er was ungeſucht findt?
  • ich. iſt ein Edelmann.
  • er. Ha, da liegt der Hund begraben wohl recht, der Hund! Edelmann! Er Edelmann, ich Kaufmann. Mann iſt Mann. Herr v. G waͤre nicht der erſt und wird der lezte nicht ſeyn, der es ſo macht, ob es gleich freylich nicht Al Corſo, nach laufendem Preiß, iſt, ich finde nichts in den zehn Geboten
  • ich. Gott und Natur haben nichts dagegen; allein der Lauf der Welt
  • er. Laß die Welt einmahl gehen, und nicht laufen.
  • ich. Lauf, oder Gang
  • er. Wenn die Welt geht, und nicht laͤuft, und ſich nicht uͤbereilt, kann meine Tochter ſo gut Ja ſagen, als ein Fraͤulein
  • ich. und kommt ſo gut von Adam und Eva, als ein Fraͤulein
  • er. nicht anders.
  • ich. aber wir ſind nicht beſtanden in der Wahrheit, und eben darum Staͤnde, Koͤ - nigreiche, Fuͤrſtenthuͤmer, Grafen, Frey -herren,411herren, Herren und desgleichen. Ehe die Welt wieder ins Paradies kommt, und das moͤchte wohl eine Zeitlang dauren Noch iſt an dieſe Gleichheit der Staͤnde nicht zu denken. Meynen Sie wohl, daß wirs er - leben werden?
  • er. Curland iſt doch aber ein freyer Staat.
  • ich. Das heißt: der Edelmann geht in Stie - feln zur Cour, wenn es ihm ſo einfaͤllt.
  • er. So! das iſt alles?
  • ich. So ziemlich! Ein Cavalier wenigſtens heyrathet ein Fraͤulein, und ein Fraͤulein einen Cavalier, des freyen Staats uner - achtet.
  • er. und das iſt ein freyer Staat?
  • ich. wie es heißt!
  • er. Baſta! Das Weiberzeug! Ich hab es gleich gedacht, Herr v. G koͤnnte mein Kundmann nicht ſeyn; aber da wollen die Weiber immer hoch heraus. Der Henker mag wißen, was am Ende wird. Ein Schuſtermaͤdel will einen Kaufmann, eines Kaufmanns Tochter einen geheimen Rath, die Tochter des geheimen Raths, die we - nigſtens Emilia Philippina Polexina Ale - xandria heißt, uͤbrigens kein Hemde, we - nigſtens keins von hollaͤndiſcher Leinwandaufm412aufm Leib hat, will gar einen Faͤhndrich, ein Fraͤulein ſchlechtweg einen Grafen u. ſ. w. Das iſt ſchon Preis courant; aber da bleibt denn auch manches Maͤdel ein La - denhuͤter, wenn ſie nicht klein beygiebt.
  • ich. Sie ſind ein vernuͤnftiger Mann.
  • er. Decourtiren Sie immer etwas von die - ſem Lobe. Ich liebe meine Frau, und da paſſirt denn zuweilen unrichtig Maas, Ge - wicht und Elle
  • ich. Ihre Tochter ſelbſt
  • er. Sagen Sie nicht! Der Jaͤger hat ihr das Herz getroffen.
  • ich. Das bedaur ich!
  • er. Laͤndlich, ſittlich! Coſti, das heißt: hier auf dem Platz, iſt es ſo was ungewoͤhnli - ches nicht, daß ein Edelmann Hans und eine Buͤrgerliche Gret iſt.

Der ehrliche Nachbar bat mich dringend das Wort: ich liebe auszuloͤſchen, das auf dem Geſichte des Junker Gotthardts mit ſo blendenden, goldnen Buchſtaben angeſchrie - ben waͤre, und ich verſprach es dem Bieder - mann. Der Vater hatt einen Collegen, ei - nen Kraͤmer, bey der Hand, der den Junker Gotthard erſetzen ſollte. Das Maͤdchen wollt um aller Welt nicht. Sie hatte, wie es ſichvon413von ſelbſt verſieht, ihr gebranntes Herzeleid vom Vater; Ruͤckhalt aber von der Frau Mamma, die durchaus ihr Blut, wie ſie ſagte, ins Reine bringen wollte. Ihr Va - ter ſeliger war Sekretair, und hatte des Jahrs præter propter hundert Reichsthaler jaͤhrliche Einkuͤnfte gehabt, womit ihr Ehemann gewis kaum vierzehn Tage haushielt, aber des Bluts wegen

Eine Ermahnung an Herrn v. G der von der Jagd kam, und ſich noch ein Viertelſtuͤndchen vom Schlaf losbit - ten muſte.

Es koſtet ihm doch einige Muͤhe, die Frak - turbuchſtaben fuͤr die Blondine auszuſirei - chen, eigentlich auszukratzen. Die Reiſe kam ihm ſehr zu ſtatten. Waͤren wir laͤnger in Koͤnigsberg geblieben, wuͤrd er ſich vor - zuͤglich an die Brunette gewendet haben, die ihm der Teſtator eigentlich beſchied, und die, ſo ſtolz ſie war, mit keiner Sylbe an die hei - lige Ehe dachte. Sie wollte nur ſiegen, blos ſiegen; aus der Beute machte ſie nichts. Sie theilte ſie andern aus. Mit den lieben Blon - dinen, ſie wollen gleich heyrathen, ſagte Jun - ker Gotthard. Ich hab es ſchon irgend - wo bemerkt, daß Junker Gotthard beyde,die414die Brunette und Blondine, liebte. Die Blondine hatt indeſſen, wie das mitgetheilte Geſpraͤch es ausweiſet, nach der Zeit die Ober - hand erfochten unfehlbar, weil ſie mir legirt ward; (wer ißt nicht gern vom verbote - nen Baum) obgleich auch die zehntauſend Lie - besgoͤtter, die auf dem Buſen der Brunette tanzten, einen Beytrag zum Siege fuͤr Ama - lien das Ihrige geliefert haben koͤnnen. Das Nein, welches Amalia dem Collegen ih - res Vaters, dem Kraͤmer, halsſtarrig ſagte, ſo eine blonde ſanfte Stimme ſie auch ſonſt hatte, that mir Amaliens halber leid. Mich duͤnkt, ſie haͤtte Ja ſagen ſollen, wenigſtens kein ſo halsſtarriges Nein, welches keiner Blondine eignet und gebuͤhret.

Ich kann nicht ſagen, daß der Zeitpunkt des Herrn v. G gekommen waͤre, zu Hauſe zu bleiben. Stosweiſe kam es ihm ſo. Er war oft auf der Jagd, wozu ihn, auſſer den wohlfeilen ihm als plus licitanti zugeſchlage - nen Feldmarken, die Homerſche Hunde, Argos genannt, verleiteten, die ihm ganz vortreflich einſchlugen. Er wuſte durch den Ton, durch die Ausſprache des Namens, dieſe Argoſſe ſo von einander zu unterſcheiden, daß ich anfange zu glauben, man koͤnne ſechsSoͤhne415Soͤhne Johann taufen laßen, und der von ihnen gerufen wird, koͤnne wiſſen, das juſt er es ſey, der unter den ſechſen aufgefordert worden.

Laß uns, ſagt ich dem Junker Gotthard einen Abend, ſobald als moͤglich, von hinnen gehen. Amalia wird ſich bedenken, und dem Collegen ihres Vaters, dem Kraͤmer, nicht mehr halsſtarrig, ſondern blond begegnen, und dann geheſt du mit dem Gedanken aus Koͤnigsberg, Amalien in ihrem Lebenslauf keinen Stein der Aergernis, uͤber den ſie leicht fallen koͤnnen, in den Weg gewaͤlzt zu haben! Wehe dem Menſchen, durch welchen Aerger - nis kommt! Junker Gotthard ſtraͤubte ſich wegen der Abreiſe, und dies nahm ich als ei - nen Beweis ſeiner Liebe zu Amalien. Ich ſann auf Mittel und Wege, ihn abzubringen, bis es, eh ich mich verſah, heraus kam, daß die Feldmarken den eigentlichen Grund des Widerſtandes enthielten. Er hatte ſie auf vier Jahre ſich zuſchlagen laßen; wie wenig, ſagt er, hab ich ſie benutzet. All Augenblick Setzzeit! Eben dieſer Setzzeit halber komm, Bruder, ich bin fertig!

Unſer Lebwohl war kurz und gut. Ama - lia nahm auf eine Art vom Junker GotthardAb -416Abſchied, daß wenig Hofnung fuͤr den ehr - lichen Kraͤmer blieb. Er beklagte ſich gegen ſie wegen der entbehrten Jagdnutzung, daß es mir ſo ſchien, als wolt er die noch kuͤnftige Pachtzeit ihr zum Andenken uͤberlaßen. Ich miſchte mich in die Unterredung, und ſie ward beygelegt. Der Profeſſor Grosvater wuͤnſch - te mir ſo altklug Heil und Segen, daß, wenn ich ihn nicht ſchon ſo herzlich geliebt haͤtte, ich es jezt angefangen haben wuͤrde. Ich konnte nicht weg von ihm. Es iſt, wie mich duͤnkt, kein unangenehmer Anblick, wenn ein alter Mann und ein Juͤngling ſich ſo zuſammen paßen, wie der Profeſſor Grosvater und ich. Den Grosvaͤtern iſt eine ſolche Art eigen. Sie gewoͤhnen es ſich bey ihren Enkeln an! Die Grosmutter in Sterbensgroͤße ſchlug diesmahl kein Feuer aus ihrem rechten Auge. Sie lies ſich nicht ſehen. Mir kam es vor, daß ſie zu ihrer Tochter gegangen.

Freund, ſagte der Alte, ich halte nicht viel von Leuten, die Laͤnder, und keine Karte, ge - ſehen haben. Sie gehen, das weiß ich, von dem Ganzen auf die Theile, und das iſt der Weg zur Deutlichkeit. Eine Erkenntnis, die ohne einen uͤberdachten Zuſammenhang der - ſelben mit andern Erkenntnißen entſpringt,heißt417heißt bey mir ein Einfall. Wer hat nicht al - les Einfaͤlle! Schade, daß der gute Grosva - ter ſo wenig geſellig war! Ich glaube, ſeine Schlafmuͤtze war ſchuld daran. Ein großer Kopf iſt indeßen gewoͤhnlich ungeſellig. Ge - ſelligkeit hat nur was Gemeines, was Unvoll - ſtaͤndiges. Man iſt ſich nicht ſelbſt genug. Dieſe Groͤße hatt unſer Grosvater nicht. Man ſah es ihm an, daß Umgang ſein Be - duͤrfnis ſey. Er war froͤlich und guter Din - ge, wenn ſeine Hausmuͤtze ihm die Erlaubnis ertheilte, in Geſellſchaft zu gehen. Beim Koͤniglichen Rath haͤtte er in alle Wege ein ordentliches Mitglied werden ſollen. Das Schreyen, ſagt man, befreyt den Au - genblick vom Schreck. Es treibt das zu - ſammen gezogene Blut aus einander, und die Natur ſelbſt hat dieſes Hausmittel dem ſchoͤ - nen Geſchlechte verliehen. Das war ein Gluͤck, ſagte der Profeſſor Grosvater, daß ich ſchrie: nun iſts uͤber. Er hatte die Buͤſte des Homers auf einem ſeiner Repoſitorien, die herabſtuͤrzte, da er zu heftig aufſtand; ich fieng ſie auf, und duͤnkte mich gros, dieſen Kopf in meiner Hand zu haben. Schnell faßt ich ihn auch mit der andern an, und wahrlich ſolch ein Kopf verdient beyde Haͤnde. D dDer418Der Grosvater freute ſich uͤber meine Freu - de, und wir brachten den Kopf wieder dem Himmel naͤher, wohin er, der blinden Hei - denſchaft unerachtet, eher hin gehoͤrt, als der Kopf des Eyerheiligen, deßen Kupferſtich in der Speiſekammer haͤngt. Bey allem, was faͤllt, bemerkte der Grosvater, iſt uns ſo, als fiel es uns auf den Kopf. Wer glaubt nicht, jede Raquete ſteige gerad auf uns her - ab? Faſt ſchien es, daß wir das Examen bis auf den Homer, den ich aber diesmal nicht uͤberſetzte, ſondern der mir auf den Kopf fiel, wiederhohlten. Dem Kunſtrichter zu dienen noch die Gloſſe, daß die Buͤſte von Holz war. Ey, ſagte der Grosvater, ich habe gehoͤrt: ſie waͤren Wittwer worden. Beym Examen hies ich dieſen Seitenblick auf Minen Traufe, und wußt ich nicht, was ich geantwortet, nur das wußt ich, daß es nicht griechiſch, nicht lateiniſch, nicht deutſch war, und daß ich mich lieber noch einmahl examiniren, als dieſe Frage an mich ergehen laßen wollte. Jezt war ich gefaßt, und ſagte dem Grosva - ter, daß ich Minen verlohren. Schade, ſagt er. Der Todesfall wird Sie in ihrem Studienlauf geſtoͤrt haben. Nicht im min - deſten, antwortet ich. Er iſt mir ſo gar foͤr -derlich419derlich und dienſtlich geweſen. Wie das? Schoͤnheit gefaͤllt unmittelbar; die Wiſſen - ſchaften mittelbar ich hatte des Weges nichts zu beſtellen. Der Profeſſor merkt es mir ab und umarmte mich! Wir nahmen ſehr ruͤhrend Abſchied. Allem Vermuthen nach, ſagt er, werd ich ſo wenig einen neuen Beweis meiner Grosvaterſchaft erleben, als ihre Zuruͤckkunft. (Seine Tochter war heck - tiſch. ) Mir ſchon recht, ſetzt er hinzu, ich habe gelehrt, und will gern lernen, der Schat - ten des Todes enthaͤlt, wenn er ſich enthuͤllt, Klarheit des Lebens. Die groͤſte Unvoll - kommenheit der Natur, den Weg zum ewi - gen Leben. Der Profeſſor empfahl mir Auf - munterungen, weil es auch in Wuͤſten Ver - ſuchungen gebe, und nahm ſo Abſchied, als wenn er unter Minens Leichenbegleitern ge - weſen. Schluͤßlich bat der Grosvater, dem Junker Gotthard fuͤr die richtige Zah - lung zu danken, wenn er nicht die Ehre haben ſollte, dieſen Dank ſelbſt zu ſagen. Das ba - ten alle academiſche Lehrer, denen ich mich empfahl. Man bemerkte, daß ſelten ein Curlaͤnder ſo richtig Zahlungstermin gehal - ten, wie Junker Gotthard. Gern, das weiß ich, haͤtte Gotthard den Profeſſor GrosvaterD d 2ge -420geſprochen, und waͤr es nur geweſen, um ihm des Argos halber verbindlichſt zu danken, wenn er ſich nicht des Danks, wegen rich - tig bezahlter Collegiorum, geſchaͤmt haͤtte.

Der Creyßrichter wollt uns durchaus den Abend ein Mahl geben, welches wir aber aus - ſchlugen. Gotthard war in die Stelle eines Hausofficiers wuͤrklich geruͤckt, die ein andrer ihm uͤberlaßen, und ſah ſich alſo, dieſes Ver - haͤltnißes wegen, gedrungen, ſeinen Erlaß nachzuſuchen, den er mit vielen hoͤflichen Aus - druͤcken erhielt. Mit eins fieng der Creyß - richter an: Sie reiſen ab, eben da in ihrer Gegend ein luſtiger Sprung vorfaͤllt! Dies ſollte Amalia und der unerhoͤrte Kraͤmer ſeyn. Gotthard hatt Amalien in des Creyßrichters Haus eingefuͤhret. Junker Gotthard verſi - cherte, dieſe Neuigkeit waͤre kaum Reitergahr, und da er merkte, daß man ihm auf den Zahn zu fuͤhlen anlegte; ſo macht er ein Rechts um kehrt euch, und der Creyßrichter war ſo klug, als zuvor. Die alt und wohlbe - tagte Frau hatt ihr Gehoͤr, dieſen Sinn der Geſelligkeit, verlohren, und war eben dadurch argwoͤhniſch und verdruͤßlich worden. Ge - ſicht, pflegte mein Vater zu ſagen, iſt imDienſt421Dienſt des Verſtandes, Gehoͤr im Dienſt der Vernunft. Was dieſen Dienſt betraf; ſo hatte die gute Frau ihn wahrlich nicht uͤber - trieben. Wenn Gott ihr nicht hilft, ſagte der Creyßrichter, ſo geht meine Bruſt verloh - ren, die ich zu meinem Amte wahrlich noth - wendig habe. Dieſe Huͤlfe, das ſah man dem engbruͤſtigen Manne an, war, nach ſeiner Meynung, ein baldiger Tod, der nach menſch - lichen Berechnungen auch nicht lange mehr ausbleiben konnte. Sie lies, obgleich wir beyde keinen Lungenfehler hatten, uns nicht vor. Was meynſt du, ſagte Gotthard, da wir giengen, wenn er Wittwer wird, und wieder heyrathet, ob er die Hausofficiere be - haͤlt? oder die Stellen eingehen laͤßt?

Bey unſerm Koͤniglichen Rath mußten wir die lezte Mahlzeit halten. Junker Gott - hard hatte uͤberhaupt keine Collegia gehoͤrt, und war auch nur, wenn der Koͤnigliche Rath es nicht laͤnger ausſetzen konnte, und eine große Mahlzeit gab, unter dieſen Gaͤſten. Es gefiel Gotthardten dieſer Zirkel, beſtehend aus einem Officier, einem andern koͤniglichen Rath, einem Prediger, und Profeſſor, un - gemein, und wenn eben dieſer Profeſſor ihm nicht wegen richtiger Bezahlung ſeines Colle -D d 3giums422giums gedankt, und ihn dieſes Danks halber auf eine Viertelſtunde in Verlegenheit geſetzt haͤtte; Gotthard waͤre noch weit vergnuͤgter geweſen. Bruder, ſagt er, wie wir weg - giengen, Geſellſchaften ſolcher Art machen weit kluͤger, als Collegia. Das Erkenntniß aus Buͤchern iſt todt; das aus Geſellſchaften lebendig. Es hat eine oͤffentliche Probe aus - gehalten, es iſt abvotirt.

Nach Goͤttingen.

Berlin den 17

Den Koͤnig, den Koͤnig, nicht einen Koͤ - nig, den Koͤnig hab ich geſehen! Gern moͤcht ich ſagen, Koͤnig, wenns nicht undeutſch waͤre. Von Angeſicht zu Angeſicht, lieber Vater, ge - ſehen! Das nenn ich ſehen, wenn man ſo hoͤrt, wuͤrd ich ſagen: er predigt gewaltig - lich. Dich, mein Vater, hab ich ſo gehoͤrt, wie den Koͤnig geſehen! Solch ein Aug hat er Augen? Sterne hat er, Sonnen, die ihr eigen Licht haben und Strahlen werfen. Er iſt die Experimentalphyſick zu deinen Grund - ſaͤtzen uͤber den monarchiſchen Staat. Herr v. G. der aͤltere, das wett ich, wuͤrde huldi - gen, wo nicht mit den beyden Schwurfingern,ſo423ſo doch innerlich bis recht zum Herzen dringt, glaub ich keine Huldigung; ſie ge - ſchaͤhe dem Koͤnig, oder ſonſt wem. Mein Reiſegefehrter iſt in Beziehung der Monar - chie dem Bilde ſeines Vaters aͤhnlich. (Ich be - halte mit Fleiß deine Diſtinktion bey, nicht ihm ſondern ſeinem Bilde aͤhnlich nicht die andre Welt empfinden, heißt es, ſondern die Kraͤfte der andern Welt ). Der dem Bilde ſeines Vaters aͤhnliche Sohn, ſtand, ſah und war weg weg war er! Er haͤtte nicht angelegt, wenn das Wild ihm zu Fuß gefallen und gehuldigt haͤtte. Was wahr iſt, iſt wahr, ſagte der gute Wildfaͤnger zu Hauſe, nachdem er ſich von der Koͤnigli - chen lieben Sonnen Licht und Pracht im Schatten erhohlt hatte. Was wahr iſt, iſt wahr. Ein beſonder Ding, Koͤnig zu ſeyn! Was wahr iſt, iſt wahr! Dieſer da! Gros, ſehr gros, wie ein Loͤwe! (um beym Wild zu bleiben) und wenn er Liebhaber von der Jagd waͤre und wenn er aufhoͤren moͤchte, der Koͤnig zu ſeyn! Ob ich ihn recht beym Wort gefaßt, ob ich recht ein - gegriffen, ſtell ich deiner reifern Entſcheidung anheim. Vater! die Augen! die Augen! Die Naſe, Stirn, Hand, Gang, alles Koͤ -D d 4nig -424niglich. Wenn er ſie doch ſchonen moͤchte, die groſſen Koͤnigs-Augen, und ſie nicht ſo hin und herwerfen, oft auf Leute, die des Blicks nicht werth ſind wahrlich nicht. Nach allem Menſchmoͤglichen hab ich mich erkun - diget. Der kleinſte Zug hat einen Koͤnig. Man ißt bey ihm; er ißt bey keinem ſeiner Unterthanen. Keiner wuͤrd ihn, wenn der Legitimationspunkt zum Regiment je zur Frage kommen ſolte, ſeiner Vollmacht wegen in Anſpruch nehmen. Er traͤgt ſie unterſchrie - ben und beſiegelt in Gedanken, Gebehrden, Worten und Werken. So viel Siegel, daß der Lack ordentlich verſchwendet iſt. Feiner Lack, Vater! Gleich wie ich ihn ſahe, dacht ich, warum reiſen denn nicht Dichter, Mahler, Bildhauer nach dieſem Ideal eines Koͤniglichen Ausſehens, nach dieſem Bilde des Koͤniges. Er herrſcht und regiert. Re - genten giebts auch in der Schule. Mein Rector magnificus, den ich das letzte halbe Jahr hatte, regiert im rechten wahren Sinn; allein herrſchen kann nur Koͤnig Friedrich! Beym Regieren wirds ſchwer! Du haͤtteſt hoͤren ſollen, wie Se. Magnificenz Kron und Scepter niederlegten, als wenn Sie ſich ge - badet haͤtten, ſo leicht, ſo wie neugebohren. Herr -425Herrſchen ſieht immer leicht aus, ſo leicht, als einſchlafen. Eins, Vater, mit Sr. Ma - jeſtaͤt Erlaubnis, gefaͤllt mir nicht. Was ich mich geaͤrgert habe, daß Er die Floͤte ſpielt, das ſollt er dem Apoll uͤberlaßen, wenn er in der Schaͤfermaſke iſt. Sage, Vater, giebts ein Koͤnigliches Inſtrument? Ich kenne kei - nes. Die Floͤte? Freylich da der Koͤnig ſie blaͤßt, ſcheint es, es koͤnne was aus ihr wer - den. Einige glauben gar, ſie waͤre gekoͤ - niget, in den Koͤnigsſtand erhoben. O ihr Kleinglaͤubigen! Ich find es nicht. Blaſen? kann man denn nicht den Odem zum Worte ſparen, den Odem, den goͤttlichen Spiritus, den Geiſt, oder das Bild von ihm! Aber der Koͤnig laͤßt ſich nie hoͤren, er blaͤſt die Floͤte eben ſo, als er ſich im Schlafgewand, wenn man es ſo nennen ſoll, ſehen laͤßt. Eine Schlafmuͤtze hat er nie auf ſeinem Koͤniglichen Haupte gehabt. Sie ſticht uͤberhaupt ſchlecht mit der Kron ab. Sein Hut ſtehet ihm, als eine Krone! So traͤgt keiner ſeinen Hut. Der Hut iſt uͤberhaupt ein Hauptkleidungs - ſtuͤck am Koͤnige. Der Koͤnig von Pohlen mit einer Muͤtze, der Sultan mit einem Bund, machen keinen Einwand. Den Biſchoͤfen ihr Inful! Wenn der Koͤnig gruͤßt, du ſolltſt ſe -D d 5hen,426hen, Vater, wie er den Hut faßt! Seine Kleidung? nichts was neu anſchiene. Ein neues Kleid iſt nicht Koͤniglich! Am Hut, der gewiß nicht neu war, keine Verzierung! Va - ter, durchweg ein Koͤnig! Alles ſo natuͤr - lich. Thaͤten wir es, waͤr es die aͤuſſerſte Affektation.

Aber wieder von der Floͤte. Nur die ha - ben ſeine Triller, ſeine Laͤufe gehoͤrt, die ihn nicht als Koͤnig anſehen duͤrfen, Freunde! Fremde! Tonkuͤnſtler! Ein Koͤnig, Freun - de? Koͤnig Friedrich ſoll einen haben oder ein Paar, und das iſt viel! ich haͤtte nicht das Herz, es zu ſeyn, auch du, Vater! ſo ſehr du Monarchenfreund in abſtrakto biſt, haͤtteſt du wohl goͤttlichen Ruf, es in concreto zu ſeyn? Immer gerade, wer kann ſich hal - ten? nur die ſo geſchnuͤret ſind, und denn thun es nicht ſie, ſondern das Eiſen.

Die Verſe, die er macht? auch das koͤnnt er bleiben laſſen, und es dem Voltair anheim ſtellen. Franzoͤſiſche Notabene gereimte Verſe! haͤtteſt du das gedacht, Vater? Gott der Herr hat nie in Verſen geredet. Koͤnige tragen ſein Bild. Es ſind Goͤtter der Erden. Das ſchwerſte Stuͤck Arbeit eines Dich - ters iſt, wie mich duͤnkt, Gott den Herrn re -dend427dend einzufuͤhren. Wenn Gott zu Menſchen ſpricht, iſt es Proſa. Der Donner ſelbſt iſt wahre Proſe. Wir Menſchen, wenn wir zu Gott ſprechen, poetiſiren, und das iſt nicht ohne

Du pflegteſt zu ſagen, Vater! jeder große Mann hat einen Vers gemacht, es ſey im Wachen, oder im Schlaf Newton ſo gut, wie Rouſſeau, und ich glaub es dir aufs Wort, dir, dem einzigen, dem ich aufs Wort glaube, und als Sohn zu glauben von Gott und der Natur angewieſen bin, wofuͤr ich dem lieben Gott Dank ſage fuͤr und fuͤr. Da, duͤnkt mich, hab ich die ganze Pflicht des Sohnes zum Vater geſagt. Chriſtus ver - langt ſelbſt nichts mehr, da er uns zu Kindern Gottes berief, erleuchtete und heiligte.

Des Koͤnigs Poeſie(*)Ich mag nicht mehr druͤber abſchreiben, ſondern begnuͤge mich, eh ich weiter kom - me, die Anmerkung hinzuzufuͤgen, daß Se. Majeſtaͤt und ich einen und den nemlichen Verleger haben. Ein Compliment fuͤr uns alle drey! Das haͤtte noch mein Vater be - leben ſollen! Gern lieber Vater haͤtt ich mir den Koͤnig abmahlenlaſſen,428laſſen, allein da iſt er ſo eigen, wie Alexan - der, mein Vetter.

Du haſt mir oft und viel, lieber Vater, den Schluͤſſel zu deiner Monarchen Liebe be - haͤndiget, und wie viel hab ich nicht, wie ſehr viel, was ich noch weglege, weil du dieſes Depoſitum mit der Ermahnung zu uͤbergeben pflegteſt: Winterſaat kommt Zeit kommt Rath! Wenn ich gleich, wie du weißt, das erſte Siegel von ανέχου και απέχου gebrochen; dies Siegel ſoll mir heilig ſeyn. Es giebt Dinge, die durchaus Jahre erfordern. Leib - nitz war zwar im funfzehnten Jahre Magi - ſter; allein als Magiſter war er nicht Leibnitz, und da er ſchon Leibnitz war, wie oft fiel er in den Magiſter! Ich beſcheide mich von ſelbſt, daß ich gewiße Dinge, die du fuͤr mich eingepackt haſt, noch ſo anzuſehen verpflichtet bin, wie die meiſten Menſchen einen Folian - ten. Wenn ich gelegene Zeit habe , oder wenn ich volljaͤhrig bin; denn wahrlich ein Foliant in der Hand eines Knaben, iſt nicht gleich und gleich, das doch allein ſich geſellen,ſich429ſich paaren ſollte. Zwar hab ich oft in mei - nem Leben Folianten getragen, und Stellen - weiſe, durch deine Guͤte, aus Folianten, die einige Leute, ich weiß nicht warum, gerade - weg Quellen heißen, geſchoͤpft. [Quellen] im gemeinen Leben ſind im Verhaͤltnis mit andern Gewaͤßern nicht Folianten.

Verzeih, Vater, meine Altklugheit, die in dieſem Briefe hie und da hervorſticht. Der Koͤnig von Preußen, oder ſein Blick, gab mir Veniam ætatis. Iſt man doch heiter am heitern Tage. Ich muͤßte mich ſehr irren, wenn ich nicht des Dafuͤrhaltens ſeyn ſollte, du waͤreſt darum ein Monarchenfreund, weil du ein Menſchenfreund biſt. Der Monarchen wegen iſts nicht. Da dem Herrn Chriſto, deinem Herrn, eine Muͤnze vorgezeigt ward, was ſagt er? Gebet dem Kayſer, was des Kayſers iſt, und Gotte, was Gottes iſt. Die Monarchen ſind unſerer Herzens Haͤrtigkeit halber von Gott gegeben, und da nur ein Gott iſt; ſo iſt nach deiner Meynung die Monarchie die kluͤgſte, die natuͤrlichſte Staats - form. Sie iſt die Theokratie in hoͤchſt feh - lerhafter Ueberſetzung. O Gott, wenn ſie doch einmal D. Martin Luther uͤberſetzen wollte, ſo ins ehrliche deutſch! Monarchieiſt430iſt der Freyheit halber da, die dem menſchli - chen Geſchlecht ins Herz geſchrieben iſt. Der Monarch ſoll ſo lange gruͤnen und bluͤhen, und leben und hoch leben, bis die Untertha - nen zu ihm kommen und ihm ſagen: nun ſind wir alle ſo, daß, wenn uns Gott der Herr ins Paradies ſetzen wollte, wir nicht eſſen wuͤrden von der verbotnen Frucht. Jezt iſt kein Mein und kein Dein mehr zu verzaͤunen noͤthig, wir brauchen keine Beſaz und Hypo - thekenbuͤcher, und keinen rothbeſchlagenen Richterſtuhl weiter. Sey, lieber Herr Koͤ - nig, wie unſer Einer. Sey mit uns, wie Engel Gottes im Himmel, wie Adam vor dem Fall!

Hab ich dich nur von weitem verſtanden, ſo ſchreib mir ja, Vater, ſonſt hilf mir zurecht mit einer autentiſchen Intrepretation.

Die meiſten Menſchen reden wider den Staat, wider den Koͤnig. Dergleichen giebts in Preußen, ſo wie uͤberall; indeſſen hilft der Koͤnig ſich mit ſeinen Augen. Sein Aug iſt ſein Miniatuͤr. Wenn die Berliner, ſeine naͤchſte Nachbaren, politiſch Kannengießen ſieht er, und ſieht alles rings umher treu und hold, folgſam und gehorſam. Er hat ein Geſicht, das man ſehen muß, ſo oft es zu ſe -hen431hen iſt. Er komme, wenn er wolle, jedes laͤßt liegen, was es treibt, ſieht, oder will ſehen. Es iſt, als wenn heraus gerufen wuͤrde. Die Mut - ter hebt ihr Kleines in die Hoͤhe, und der Jun - ge bleibt ſtarr! Das Maͤdchen laͤchelt! Er iſt ſelten in Berlin. In Potsdam iſt er Koͤnig; in Sanſouci Menſch. Aber, Vater! warum redet alles wider die Obern? Es iſt die natuͤr - liche Freyheit, welche ſich vordrenget, wel - che das Wort nimmt, pflegteſt du zu ſagen, und Herr v. G iſt dein unumſtoͤslicher Be - lag. Ich hab indeſſen Misvergnuͤgte gefun - den, die es blos ſind, weil ſie den Tyrannen in Kopf und Herz haben. Sie ſelbſt wollen auf den Thron. O der Tyrannen! mit ih - rem Freyheitsgeplerr! O der Suͤnder wider den heiligen Geiſt! Einige der Misvergnuͤg - ten ſind es, weil ſie es ſind. Sie wiſſen nicht, was ſie thun. Das Wort Freyheit iſt ih - nen nicht ein Deckel der Bosheit, wohl aber ein Deckel des Unverſtandes.

In Curland, pflegteſt du zu ſagen, iſt Sclaverey und Freyheit zu Hauſe. Jeder Adelhof iſt ein Thron, jeder Thurm Sibirien, jeder Stock Scepter. Der Edelmann iſt Deſpot, Tyrann, ſeine Einwohner, bis aufden432den Paſtor loci und den Hofmeiſter, welche altioris indaginis ſind Sclaven!

Solch ein Koͤnig auch Koͤnig Friedrich iſt; getrau ich mir doch (und das iſt wieder ein Wunder in ſeinem Auge) zu ihm zu kommen, und ihm den Antrag zu thun, zu ſeyn, wie unſer Einer; es verſteht ſich, wenn dies Stuͤnd - lein vorhanden iſt. Das Menſchengeſchlecht ſucht alles auf dem unrechten Wege, und das kommt, weil es nicht zuſammenhaͤlt. Da es nicht Gott treu iſt, wie kann es Menſchen treu ſeyn? Gott hat alles dabey gethan, und den Menſchen den Trieb der Geſelligkeit ſo gar tief ins Herz gelegt; allein noch ſtoſſen ſie ſich von einander. Wie ſehr in weitent Felde liegt nicht alles, und wie nahe koͤnnt es liegen; wenn Gottes Wille geſchaͤhe!

Nimm, lieber Vater, mit dieſem ſpeci - mine academico vorn Willen, das ich dir loco teſtimonii ſchuldig bin. Ich habe die Koſten dabey geſpart, und bin bey einem Manne, wie du, eben ſo weit, wo nicht weiter.

Meine Leſer werden freylich aus dieſem Briefſtuͤck des mehrern erſehen, daß eine ge -wiſſe433wiſſe mir angebohrne Koͤnigsfreude mich be - geiſtert habe, und eben darum dieſes Er an Ihn verzeihen, dafuͤr ſind auch ſo viele Sie’s an Ihn (Briefe meiner Mutter an mich) weggefallen, und mit keinem einzigen ich an Sie, mit keinem einzigen von meinen Brie - fen an meine Mutter ſind meine Leſer be - laͤſtiget ich habe meinen Brief an meinen Vater ſo gelaßen, wie er war, war - um ſollt ichs nicht?

Im letzten Kriege, nicht in dem Proceß, die Succeßion von Bayern betreffend, ſon - dern im letzten Kriege, ſagte Madam Pom - padour, da ihr einer aus dem Volke vor - windbeutelte: man wuͤrde den Koͤnig gefan - gen nach Paris fuͤhren; da wird man doch einen Koͤnig zu ſehen bekommen! Dies, was freylich nur eine Maitreſſe ſagen konnte, ſo wie das erſte nur ein Franzoſe, iſt ſo ſchoͤn, als wahr, geſagt! Einem Kreutzzuge der Koͤnigin Saba zum Koͤnige Salomo ſieht es freylich nicht aͤhnlich, dafuͤr iſt auch Pompa - dour nicht Koͤnigin aus Saba, und Friedrich iſt er Salomo, der durch eine Lilie auf dem Felde in ſeiner Herrlichkeit beſchaͤmt ward? Koͤnig Friedrich laͤßt ſich mit keiner Feldlilie im Wettſtreit ein.

E eDer434

Der Koͤnig lacht nur mit ſeinen Freun - den; denn er iſt Koͤnig. Ernſt liegt in ihm, und wenns hoch kommt, Beyfall. Er ſtraft durch ſeine Collegia; den Lohn hat er ſich vorbehalten. Danken kann er nicht; durch Thaten dankt er. In ſeinem Danke liegt: ihr ſeyd ein unnuͤtzer Knecht, ihr habt gethan, was ihr zu thun ſchuldig waret! Das ſagt er, nicht in ſeinem, ſondern im Namen des Staats. Er wechſelt nicht mit Leuten, auf die er einen Koͤniglichen Accent gelegt; allein er hat auch keinen Liebling, ohne den es ihm ſchwer waͤre nicht zu ſeyn.

Bey ſeiner Liebe zu Hunden iſt mir ein - gefallen: er ſaͤhe ſelbſt als Koͤnig ein, daß, wenn der Menſch ſich dienen laßen ſollte, es durch Hunde geſchehen muͤßte. Sie ſcheinet die Natur dazu beſtimmt zu haben. Vielleicht wuͤrden die Hunde und noch andere Thiere beſſer, wenn ihre angebohrne Herren beſſer waͤren. Wenn ein Menſch, Menſch iſt, be - darf er wahrlich keine andre Bedienung, als im Fall der Noth einen Hund. Diogenes konnte ſich ohn ihn behelfen.

Der Koͤnig haͤlt viel von gluͤcklichen Menſchen. Der Menſch hat Gluͤck, ſagt er. Gluͤck435Gluͤck und Welt iſt in dieſem Koͤniglichen Sinn nicht viel auseinander, und ſo koͤnnte man auch ſagen, der Koͤnig habe Gluͤck!

Der Koͤnig lies in ſeinen Feldzuͤgen die Kugeln um ſich herum pfeifen und heulen; ſo wie Muͤcken ſah er ſie an, die um ſeinen Kopf ſich luſtig machten. Man ſollte faſt glauben, fuͤr einen unverwandten Blick auf einen Fleck, fuͤr einen feſten Gang zum Ziel, fuͤr ein Bewuſtſeyn: das iſt der rechte Weg! haben die Kugeln ſelbſt Reſpekt. Im Willen des Menſchen liegt eine menſchliche Allmacht. Alle beherzte Leute verlieren das Gleichgewicht, wenn ſie einen Unſinni - gen ſehen. Iſts Wunder, da die Beherzten die Mitleidigſten ſind? Feigheit allein iſt grauſam.

Was iſt der Menſch ohne Vernunft? ſo ſehen Thiere nicht aus, welchen es doch allen am beſten, an der Vernunft, fehlt als ein unſinniger Menſch. Er iſt weniger als ein Thier worden. Die menſchliche Geſtalt, ohne Vernunft, iſt das ſchrecklichſte, was man in der Natur ſehen kann. Kains Zei - chen iſt ein Gnadenkreutz dagegen. Der Koͤ - nig kann keinen Unſinnigen aushalten. ErE e 2ſieht,436ſieht, wie tief der Menſch ſinken koͤnne, ob - gleich er ſeines gleichen iſt. Ein προσκυνειν duͤnkt ihn daher wie ein Bruch der Ver - nunft. Er zieht ſich vor jedem zuruͤck, der vor ihm die Knie beugt. Alles aus einer und der nemlichen Quelle. Das Haupt regiert, und nicht die Fuͤße, ſagte der nem - liche Kayſer, da man ihm zu Fuße fiel, der, da man ihm ſein theures Leben landesvaͤter - lich vor dem Geſchuͤtze zu decken anrieth, er - wiederte: es iſt noch kein Kayſer erſchoſſen!

Gott der Herr iſt uͤberall. Der Himmel, heißt es zwar, iſt ſein Stuhl, und die Erde ſeiner Fuͤße Schemel; allein das iſt Poeſie, und ein Selbſtherrſcher, ein Monarch, der im eigentlichen Sinn Gottes Bild traͤgt, ſollte auch keinen beſtaͤndigen Aufenthalt haben. Er, der uͤberall ſeyn ſollte, muͤſte wenigſtens uͤberall zu Hauſe ſeyn. Das Hoflager, kann es denn nicht wandelbar ſeyn? um die Allge - genwart zu ſpielen. Die deutſchen Kayſer waren ehemals an keiner Stell und Ort zu Hauſe. Die Koͤnige von Pohlen zogen auch umher, und was iſt natuͤrlicher, als daß Re - ſidenzen, Koͤnigsſtaͤdte, durch den Vorzug, den ihnen das Schlafzimmer des regierendenHerrn437Herrn beyleget, das Haupt, die andern Pro - vinzen aber die Glieder werden! Wuͤrd es nicht gut ſeyn, wenn die hohen Collegia des Landes an den kleinſten unbedeutenſten Oer - tern waͤren? Gott regieret im Verborgenen. Der Koͤnig von Preußen viſitirt wenigſtens jaͤhrlich ſeine Provinzen. Er braucht keinen Wardein ſeiner Diener. Sein Aug iſt Schwert und Waage und da blickt er umher, und wenn er einen Ueberhang von Aeſten ei - nes Unterthans uͤber des andern Boden fin - det, der dieſen ſtoͤhret; heißts: haue ſie ab, was hindern ſie das Land. Er beſitzet ein moraliſches Menſtruum univerſale, alle ſeine Unterthanen aufzuſchlieſſen. Bey Freunden irrt er oͤfters. Er hat einmahl Berlin, und es verlohnts, daß er es hat. Wer es behauptet, daß die Reſidenz der Extrakt, das Extrafeine, die Punktation aller Provin - zen ſey, mag ſo unrecht nicht haben. Ich glaube faſt, daß man aus der Reſidenz den ganzen Staat in unſern Zeiten am ſicherſten uͤberſehen koͤnne; es kommt nur hier, wie uͤberall, auf den Standpunkt an.

Thiergarten, rief Junker Gotthard, und lief ſpornſtreichs hin. Glockenſpiel! E e 3ſchrie438ſchrie Gottfried, und vergaß daruͤber Dan - zig, wo Glockenſpiel und kein End iſt. Gott ehre mir, fuhr Junker Gotthard fort, meinen Thiergarten in der natuͤrlich iſt, ich will den Berlinern gern den kuͤnſtlichen laßen, und den Sand oben ein, der, wie er bemerk - te, der gruͤnen Farb am ſchaͤdlichſten iſt. Sieh nur, ſagt er, eine Blume, deren Laub vollgeſtaͤubt iſt! Darf man doch im Thier - garten nicht einmal eine Flinte losknallen! Auf die Parade zu gehen, haͤtt ich ihn um eine Obriſtenſtelle nicht uͤberreden koͤnnen. Man muß den Teufel nicht an die Wand mahlen, war ſeine Meynung. Ich war auf der Parade in meinem Element. Zuwei - len war mir das Commandowort ſo nahe, daß ichs mit Gewalt unterdruͤcken muſte. Der Alexander wollte durchaus zum Vor - ſchein. Wie viel Helms ſah ich da, tapfe - re Helms! Alles waͤre dem Junker Gott - hard ertraͤglicher geweſen, wenn nur die Fra - gen: woher? wohin? wer? wie? was? an den Thoren ihn nicht mit Vorurtheil ein - genommen haͤtten. Muß man ſich doch, ſagt er, hier durchdecliniren und durchconjugiren laſſen. Da hatt ichs ja beym Profeſſor Grosvater noch leichter, wo ich dich fuͤr michant -439antworten lies, und den Argos kennen lern - te, welches der beſte Hund in der ganzen Welt iſt. Einen ſeiner Koͤnigsbergſchen Ar - gos, von dem er glaubte, daß er vom Homer - ſchen abſtammen muͤſte, hatt er mit. Die andern wurden verſchenkt. Amalia hatt ei - nen, (dies erfuhr ich erſt unterweges.) Es war wahrlich kein Schooshund! Was thut die Liebe nicht! Gottfried ſagte, da auch er am Thor examinirt ward, muß man ſich doch hier an die Glocke ſchreiben. Da, wo der Koͤnig ſelbſt iſt, gilt kein Reviſor, wie der Nathanaelſche, kein Knabe, der mit der Hand das Poſthorn ſo nachmacht, daß man glau - ben ſollte, die Poſt kaͤme. Nathanael wuͤrde hier ſeinen Abſchied nicht genommen haben. Wo ſolche Reviſores, wie unſer Nathanael - ſche, den Koͤnig ſelbſt fuͤr Augen haben, koͤn - nen ſie unmoͤglich: Wir Friedrich, ohne Furcht der Ruthe, misbrauchen. Ich wuͤrde kein Kind zum Treiber des Volks machen. Wahrlich! Richterverſtand kommt nicht vor Jahren!

Einem feinen Englaͤnder lief ich in Berlin nach, und macht ihn mit vieler Muͤhe zu meinem Bekannten. Freund war er noch nicht. Ein Menſch von ausnehmendemE e 4Kopf440Kopf Seine Nation war in ihm getroffen, wie aus dem Auge geriſſen. Er kam von Ruß - land, und wollte noch weiter in die Welt. Hier, ſagt er, in eurem Staat (ich bin ein Curlaͤnder, mein Herr Englaͤnder,) uͤberall eine Saladiere zu wenig, ein Friedrichsd’or beſpart. In Rußland zehn Rubel, ein paar Schuͤſſeln zu viel. Immer Epakten, immer Ueberſchuß! Das, fuhr er fort, liegt im geheimſten Mark des Staats. In Peters - burg iſt zu viel, in Berlin zu wenig Platz, das ſeh ich an Gebaͤuden, die ſich ſehen laßen. Man weiß, wie die Englaͤnder ſind! Fuͤr den Koͤnig war er, wie ich. Ganz gewiß hat er an ſeinen Vater auch ſo geſchrieben, wie ich. Der Starrkopf! Die Franzoſen wa - ren ſeine Freunde nicht, wie gewoͤhnlich. Der Koͤnig von Preußen, ſagte mein Eng - laͤnder, liebt den franzoͤſiſchen Verſtand; aber nicht den franzoͤſiſchen Willen. Wir und ihr (Wir voraus, das hieß: Englaͤnder und Teutſchen) bleiben bey der Angel, wenn gleich in einigen Stunden kein Fiſch kommt. Der Franzoſe ſchießt waͤh - rend der Zeit einen Vogel. Er traͤgt Gold auf dem Hut; wir ein feines Hemde. Viele in Berlin, fuhr er fort, welche den Un -ter -441terſchied von Verſtand und Willen, nicht ſo gut, wie der Koͤnig, einſehen, ſind ganz und gar Franzoſen. Man koͤnnte dieſe, unter - brach ich meinen Englaͤnder, weit eher, als die Letten in Curland, Undeutſche nennen. Dies war ihm was Neues vom Jahr. Un - deutſch, wiederhohlt er, und laͤchelte. Das Frauenzimmer, bemerkt er, iſt in Berlin zum groͤſten Theil von Haupt bis zu Fuͤßen franzoͤſiſch. Zum groͤſten Theil, fiel ihm Junker Gotthard ein, und der kleinere Theil? iſt engliſch! Deutſch! wie Sie wollen, erwiederte der Englaͤnder. Ich daͤchte, beſchlos Junker Gotthard, das Frauenzimmer ſtamme durch die ganze Welt von den Franzoſen, oder die Franzoſen vom Frauenzimmer. Wir, der Englaͤnder und ich, vereinigten uns wider den Junker Gott - hard, und bewieſen ihm, daß es noch Frauen - zimmer teutſcher, oder engliſcher Art, gebe, und zeigten ihm davon etliche in Berlin! Ihr kennt ſie nur von Anſehen, fuhr Junker Gotthard fort. Darf man mehr, wenn vom Frauenzimmer die Red iſt? Da ich dem Jun - ker Gotthard die Gewiſſensfrage that, ob denn ſeine Trine von franzoͤſiſcher Abkunft ſey? war er verlegen. Ich richte meine FrageE e 5nicht442nicht auf Amalien, die einen Argos von dir zum Geſchenke zuruͤckbehielt, nicht auf die Brunette mit dem treflichen Buſen, wo ein Ball gegeben wird, und wo zehn tauſend Lie - besgoͤtter ſchweben! von Trinen frag ich? Gotthard trat uns bey.

Der gute Junker Gotthard hatt es von ſeinem Vater, und dieſer von dem Meinigen, daß man das Volk in der Sprache ſuchen muͤſte, und da er ſich viel darauf zu gut that, ein halber Landsmann von Grosbrittanien zu ſeyn, ſo neckt er ſich mit dem Englaͤnder, dem es ſichtbarlich Vergnuͤgen machte. Schade nur, daß Junker Gotthard nicht viel eng - liſch wuſte. Engliſch Mann, fieng er an, England! Curland, warum denn nicht: curſch Mann? und dann wieder: was ſolch ein Englich Mann vom Kopfe macht! Da haben wir doch, Gottlob! Stirne und Scheitel, und er Kopfkron und Vorkopf! Bruder! erwiedert ich, das Volk kann ein Wort vom Kopf mitreden, und denn immer ich ſelbſt, fuhr Gotthard fort, das Selbſt doch ja nicht zu vergeſſen! Sieh! ſagt ich ihm, Bruder! da iſt doch jeder was ſelbſt; im monarchiſchen Staat iſt man alles parBri -443Brikol. Dies vom Billard geliehene Kunſt - wort fiel ihm ſo auf, daß er als Curlaͤnder auch von ſelbſt zu ſagen ſich berechtiget glaubte obgleich ein Curlaͤnder mehr, als zween Herren, dient, und Niemand kann zween Herren dienen!

Das ſich die Engliſchmaͤnner auch in Ab - weſenheit beehren und dem Namen ein ehrer - bietiges Herr vorſetzen, wenn gleich der Herr nicht da iſt, und es auch ſo mit ihren Wei - bern halten, gehoͤrt auf das nemliche Con - to! In der Monarchie iſt man Augendie - ner, fieng ich an. Wenn man mit dem Herrn ſpricht, buͤckt man ſich dazu, und iſt er nicht da, heißt er ſchlechtweg Peter Paul Pompey. Heucheley iſt der Erbfehler der Monarchien. In Curland, wo doch Frey - heit herrſchen ſoll, fuhr ich fort, ſehen die Leute ein, wie wenig ſie bedeuten. Doch warum eine Donatſche Stunde! Ich will ſie mit dem Worte Koͤnigreich ſchließen, auf welches mein Vater aus dem engliſchen Vater unſer den Accent legte, und zwar nicht, wie man beym erſten Blick glauben ſoll - te, weil mein Vater ein Koͤnigſcher war; ſon - dern weil er den ſeligen Zeitpunkt wuͤnſchte,das444das Feſt aller Heiligen, wie ers zu nennen pflegte, da wir allzuſammen eine Heerde ſeyn werden, und Gott unſer Koͤnig, ein Koͤnig - licher Vater. Iſts Wunder, daß wir uns in einer Reſidenz, wo unſtreitig der erſte Koͤ - nig regiert, an dies Feſt aller Heiligen erin - nerten, wo eitel Guͤte und Wahrheit herr - ſchen wird, wo nicht ſteinerne Herzen und ſteinerne Geſetztafeln, ſondern fleiſcherne Her - zen ſeyn werden, und Leben fuͤr und fuͤr. Gott verhelf uns allen dahin, wo Freude die Fuͤlle und liebliches Weſen iſt immerdar! So lang aber dies goͤttlich vaͤterliche Koͤnig - reich nicht kommt; iſts wahrlich das beſte, einen Koͤnig zu haben, der es im Geiſt und in der Wahrheit iſt.

Der Koͤnig von Preuſſen hat viele Raͤthe; allein er ziehet keinen zu Rath.

Noch mehr vom Koͤnige. Gern! Sowohl der Englaͤnder, als ich, ſind zu mehr bereit. Junker Gotthard wird ſehen, wie es faͤllt.

Der Koͤnig ſchreibt, trotz aller Woͤrter - buͤcher, Federic, obgleich Friedrich Frederic heißt.

Ich445

Ich habe ſchon bemerkt, daß er ſich nur angekleidet ſehen laͤßt. Ein Held iſt wie eine Uhr; ſie muß aufgezogen ſeyn, wenn ſie gehen ſoll. Sollte man dies nicht auch von einem Koͤnige ſagen koͤnnen?

Der Englaͤnder ſagte, finden Sie es nicht auch, daß Preußen ſo lange gros bleiben werde, als es immer Schach bietet?

Alexander der Große fuͤrchtete ſich be - kanntlich vor dem athenienſiſchen Czar Peter, vor den Hollaͤndiſchen Zeitungen. Aretin machte ſich alle Europaͤiſche Hoͤfe zinsbar; Koͤnig Friedrich iſt druͤber weg. Man ſagt: er habe bey Gelegenheit, daß eine unſchickliche Schrift, die wider ihn gerichtet war, ſehr hoch hieng, blos verfuͤget, ſie ſollte Etwas tiefer geſchlagen wer - den.

Was ich gern Prinzen ſehe! ſagte mein Englaͤnder, ich ſeh in ihnen ein ganzes Land. Hundert tauſend in Einem.

Der Koͤnig ſiehet jeden an; allein er will nicht, daß man ihn wieder ſo dreiſt anſehe. Wer kann in die Sonne ſehen?

Man446

Man ſagt: der Koͤnig habe bloͤde Augen, und eben daher ſein Blick, ſein groſſes Auge! Kann ſeyn! Seinem Blick iſt es nicht anzu - ſehen. Er hat alles an ſich, was ein voll - guͤltiger Blick haben kann Koͤnig und ein Perſpektiv ſind faſt unzertrennlich.

Der Koͤnig haͤlt den Soldaten fuͤr ſeinen Freund, den Civiliſten fuͤr ſeinen Unterthan. Iſt das recht? fragte der Englaͤnder, Jun - ker Gotthard ſchrie: Nein! Der Englaͤnder gab ihm die Hand. Der Soldat, fieng ich an, iſt des Staats Wundarzt; der Civiliſt ſein Medicus! allein ich kam nicht wei - ter. Mit dem Civiliſten ſpricht der Koͤ - nig uͤber ſein beſchieden Theil; mit dem Sol - daten uͤber alles. Ob der Soldat antwor - ten kann, iſt des Koͤniges wenigſter Kum - mer! Alle Staaten, wenn ſie gros wer - den, ſind kriegeriſch. Sind ſie gros, und wollen ſies bleiben, beduͤrfen ſie Staats - maͤnner.

Der Koͤnig will einen gewiſſen Esprit de corps in ſein Heer einfuͤhren, welches das ganze Geheimnis des Phalanxs war, ſo imerſten447erſten Paragraph der phanlanxiſchen Krie - gesartikel ſtand. Das ganze preußiſche Heer ſoll ein Phalanx ſeyn. Was einem be - gegnet, ſoll allen begegnet ſeyn. So denkt jeder Edelmann in Curland, fiel Gotthard ein. Nicht wahr, Alexander? Ja doch, lieber Junker Gotthard, jeder Edelmann in Curland!

Wie kommts, fragte der Englaͤnder, daß beym Exerciren Niemand huſtet. Hat kein preußiſcher Soldat den Huſten? Er haͤlt ſich gerad erwiedert ich! das hilft fuͤr alle Krankheiten, ſelbſt des Todes Bitterkeit iſt damit zu vertreiben. Es iſt eine monarchiſche Cur, ſagte der Eng - laͤnder, und Gotthard trat bey. Ich weiß, daß viele Krankheiten hiedurch curirt ſind! Man verbeißt ſie!

Bey allem, was der Koͤnig oͤffentlich thut, iſt die Uhr aufgezogen. Thun die Menſchen, ſagte der Englaͤnder, denen der Koͤnig die Parole giebt, doch ſo, als wenn ſie den Koͤnig Salomo urteln gehoͤrt!

Der448

Der Koͤnig hat in gewiſſen Dingen keine Proportion. Da geb er doch den beyden Maͤdchen drey Friedrichsd’or Es ſind viere, Ew. Majeſtaͤt, die geſungen haben! So geb er drey hundert, das heißt, geb er ihnen eine Kammer, oder ein Schloß!

Der Koͤnig (wahrlich das iſt groß) wird ſo wenig im Krieg als im Frieden bewacht. Man ſieht offenbar ein, er ſey unbeſorgt, er ſey ruhig! Wenn das ein Koͤnig ſeyn kann; ſo hat ers weit gebracht!

Noch etwas, das dem Englaͤnder das Herz ſtahl! Alles iſt gleich weit vom Thro - ne. Der Bediente des Koͤnigs iſt ein Be - dienter.

Warum beſchreibt Er nur eine Seite? Und warum muß alles, was an ihn gebracht wird, auf eine Seite Platz haben?

Er liebt nicht Regiſtraturen und Canze - leyen. Herzog Friedrich der weiſe, Chur - fuͤrſt zu Sachſen, nannte die Canzeley der Fuͤrſten Herz! Wie ſie doch der Koͤnig nennen mag? Wir waren alle der Meinungdes449des Herzogs Friedrich des Weiſen, Churfuͤr - ſten zu Sachſen.

Alexander der Große aͤrgerte ſich, da Ari - ſtoteles eines ſeiner Werke drucken lies, haͤtt ich bald geſagt, und einen entſetzlichen Druckfehler begangen ausgab. Alexan - der wollte in allem beſonders ſeyn, und et - was blos fuͤr ſich haben, was jezt auch an - dere hatten. Wie muß er es doch gemeint haben, daß er lieber alles an Gelehrſamkeit als an Macht uͤbertreffen wollte?

Was iſt beſſer: wenn die Fuͤrſten philoſo - phiren und die Philoſophen regieren, oder wenn die Regenten blos thun, was die Wei - ſen lehren? Der Koͤnig von Preußen iſt ein ſchoͤner Geiſt

und mein Englaͤnder iſt ein Englaͤnder. Gern haͤtt ich mir dieſen lieben Jungen zum Freunde gemacht. Wer weiß aber, wie lang er den im Noviciat behaͤlt, der zum Freunde eingeweiht wird! Wir waren wuͤrklichF fſo450ſo nahe, als man es mit einem Englaͤnder ſeyn kann, der noch nicht Freund iſt. Sei - ne Ungeſelligkeit blieb mir kein Geheimnis, das iſt der einzige Umſtand, wo die Englaͤn - der ohne Ruͤckhalt ſind. Wir waren immer, wilt du zur Rechten, will ich zur Lin - ken, obgleich er den Teutſchen die Ehre that, ſich mit ihnen wider die Franzoſen in Buͤnd - niß einzulaßen. Ich lies es mir merken, (bitten haͤtt ich ihn um vieles nicht koͤnnen, kein Englaͤnder laͤßt ſich bitten) daß ich es gern ſehen wuͤrde, wenn er noch acht Tage bliebe, wie ich. Den andern Morgen war er weg, und, um ganz engliſch zu ſeyn, ohne Abſchied. Ohnfehlbar ſtand in ſeinem Reiſekalender Geh ich ab, und da haͤtt ihn keine Obſervation der Venus durch die Son - ne gehalten. Gott gleit ihn, den guten Jungen! Ich wuͤnſchte wohl, wenn er ſei - nen Lebenslauf ſchriebe, daß er an mich daͤch - te. In dieſer Welt glaub ich, werd ich ihn ſo wenig wiederſehen, als den Alten mit dem Einen Handſchuh, der auf ein ſanftes Ende mit dem Herrn v. G trank, und der nur hoͤchſtens noch acht Tage zu leben hatte, daer451er zum Herrn v. G. kam, und deßen Zeit edel war. O da werden wir ſo manche gute Seele finden, die wir in dieſem Buche ver - lohren haben! Junker Gotthard wuͤrde hin - zufuͤgen, auch ſo manchen Argos. Die Fortſetzung alſo von unſerm Englaͤnder folgt kuͤnftig.

Ich habe viel in Berlin verlohren, da mein Englaͤnder mit ſeinem zu viel und zu wenig nicht mehr da war. Junker Gott - hard munterte mich wahrlich nicht auf. Gottfried glaubt auch noch andere Oerter zu finden, wo Glockenſpiel waͤre.

Auch ohne Englaͤnder, wie vortreflich Berlin! Außer meinem Elemente, dem Paradeplatz, was fuͤr Nahrung fuͤr Geiſt und Herz! Berlin koͤnnte Deutſchlands Athen ſeyn, wenn der Koͤnig es wollte, und ſo mancher Undeutſche, der um ihn iſt!

Den Tag vor unſerer Abreiſe kam Jun - ker Gotthard ſo aus dem Athem nach Hauſe, daß ich befuͤrchtete, es waͤr ihm ein Ehren - handel aufgeſtoſſen. Was iſt dir, fieng ichF f 2an?452an? und ſiehe da! man hatte ſich uͤber ſein gruͤnes Kleid luſtig gemacht, und wußt er nicht, wie er damit dran war. Warum, fieng ich an, haſt du nicht was dran ſpendirt und dem Wizling, dem eine derbe Antwort noth that, Wehr und Harniſch genommen? Warum waghalſen? ſagt er, Bruder! Wir reiſen heute. Morgen, erwiedert ich. Damit ich mich raͤche, fiel er ein, heute! Ich hatte Muͤh ihm zu beweiſen, daß man ſich darum an einem Verraͤther der gruͤnen Farbe nicht raͤche, wenn man einen Tag fruͤ - her aus Berlin reiſet. Wir blieben die vol - len acht Tage.

About this transcription

TextLebensläufe nach Aufsteigender Linie
Author Theodor Gottlieb von Hippel
Extent463 images; 79892 tokens; 12228 types; 529896 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLebensläufe nach Aufsteigender Linie nebst Beylagen A, B, C Meines Lebenslaufs Dritter Theil. Erster Band. Theodor Gottlieb von Hippel. . S. [3]-452, [2] Bl., Titelvign. (Kupferst.), 2 Ill. (Kupferst.). VoßBerlin1781.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 337104-3,1 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=616317549

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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