PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Die Elixiere des Teufels.
Nachgelaſſene Papiere des Bruders Medardus eines Capuziners.
Berlin,1815.Bei Duncker und Humblot.
[II][III]

Vorwort des Herausgebers.

Gern moͤchte ich Dich, guͤnſtiger Le¬ ſer! unter jene dunkle Platanen fuͤh¬ ren, wo ich die ſeltſame Geſchichte des Bruders Medardus zum erſtenmale las. Du wuͤrdeſt Dich mit mir auf dieſel¬ be, in duftige Stauden und bunt gluͤ¬ hende Blumen halb verſteckte, ſteinerne Bank ſetzen; Du wuͤrdeſt, ſo wie ich, recht ſehnſuͤchtig nach den blauen Ber¬ gen ſchauen, die ſich in wunderlichenIV Gebilden hinter dem ſonnigten Thal aufthuͤrmen, das am Ende des Laub¬ ganges ſich vor uns ausbreitet. Aber nun wendeſt Du Dich um, und er¬ blickeſt kaum zwanzig Schritte hinter uns ein gothiſches Gebaͤude, deſſen Portal reich mit Statuͤen verziert iſt. Durch die dunklen Zweige der Plata¬ nen ſchauen Dich Heiligenbilder recht mit klaren lebendigen Augen an; es ſind die friſchen Freskogemaͤhlde, die auf der breiten Mauer prangen. Die Sonne ſteht gluthroth auf dem Gebuͤrge, der Abendwind erhebt ſich, uͤberall Leben und Bewegung. Fluͤ¬ ſternd und rauſchend gehen wunderbare Stimmen durch Baum und Gebuͤſch:V als wuͤrden ſie ſteigend und ſteigend zu Geſang und Orgelklang, ſo toͤnt es von ferne heruͤber. Ernſte Maͤnner, in weit gefalteten Gewaͤndern, wandeln, den frommen Blick emporgerichtet, ſchwei¬ gend, durch die Laubgaͤnge des Gartens. Sind denn die Heiligenbilder leben¬ dig worden, und herabgeſtiegen von den hohen Simſen? Dich umwehen die geheimnißvollen Schauer der wunderba¬ ren Sagen und Legenden die dort ab¬ gebildet, Dir iſt, als geſchaͤhe Alles vor Deinen Augen, und willig magſt Du daran glauben. In dieſer Stim¬ mung lieſeſt Du die Geſchichte des Me¬ dardus, und wohl magſt Du auch dann die ſonderbaren Viſionen des MoͤnchsVI fuͤr mehr halten, als fuͤr das regelloſe Spiel der erhitzten Einbildungskraft.

Da Du, guͤnſtiger Leſer! ſo eben Heiligenbilder, ein Kloſter und Moͤnche geſchaut haſt, ſo darf ich kaum hinzu¬ fuͤgen, daß es der herrliche Garten des Capuzinerkloſters in B. war, in den ich Dich gefuͤhrt hatte.

Als ich mich einſt in dieſem Klo¬ ſter einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwuͤrdige Prior, die von dem Bruder Medardus nachgelaſſene, im Archiv auf¬ bewahrte Papiere, als eine Merkwuͤr¬ digkeit, und nur mit Muͤhe uͤberwand ich des Priors Bedenken, ſie mir mit¬ zutheilen. Eigentlich, meinte der Alte, haͤtten dieſe Papiere verbrannt werdenVII ſollen. Nicht ohne Furcht, Du wer¬ deſt des Priors Meinung ſeyn, gebe ich Dir, guͤnſtiger Leſer! nun das aus jenen Papieren geformte Buch in die Haͤnde. Entſchließeſt Du Dich aber, mit dem Medardus, als ſeyſt Du ſein treuer Gefaͤhrte, durch finſtre Kreuz¬ gaͤnge und Zellen durch die bunte bunteſte Welt zu ziehen, und mit ihm das Schauerliche, Entſetzliche, Tolle, Poſſenhafte ſeines Lebens zu ertragen, ſo wirſt Du Dich vielleicht an den man¬ nigfachen Bildern der Camera obſcura, die ſich Dir aufgethan, ergoͤtzen. Es kann auch kommen, daß das ge¬ ſtaltlosſcheinende, ſo wie Du ſchaͤrfer es ins Auge faſſeſt, ſich Dir bald deut¬VIII lich und rund darſtellt. Du erkennſt den verborgenen Keim, den ein dunk¬ les Verhaͤngniß gebahr, und der, zur uͤppigen Pflanze emporgeſchoſſen, fort und fort wuchert in tauſend Ranken, bis eine Bluͤthe, zur[Frucht] reifend, allen Lebensſaft an ſich zieht, und den Keim ſelbſt toͤdtet.

Nachdem ich die Papiere des Capu¬ ziners Medardus recht aͤmſig durchgele¬ ſen, welches mir ſchwer genug wurde, da der Seelige eine ſehr kleine, unle¬ ſerliche moͤnchiſche Handſchrift geſchrie¬ ben, war es mir auch, als koͤnne das, was wir insgemein Traum und Ein¬ bildung nennen, wohl die ſymboliſche Erkenntniß des geheimen Fadens ſeyn,IX der ſich durch unſer Leben zieht, es feſtknuͤpfend in allen ſeinen Bedingun¬ gen, als ſey der aber fuͤr verloren zu achten, der mit jener Erkenntniß die Kraft gewonnen glaubt, jenen Fa¬ den gewaltſam zu zerreiſſen, und es aufzunehmen, mit der dunklen Macht, die uͤber uns gebietet.

Vielleicht geht es Dir, guͤnſtiger Leſer! wie mir, und das wuͤnſchte ich denn, aus erheblichen Gruͤnden, recht herzlich.

[X]

Druckfehler.

  • Seite 15 Zeile 5. v. u. lies Purpurſchimmmer ſtatt Purpurhimmel.
  • 28 5 v. u. lies geiſtigen ſtatt geiſtlichen.
  • 141 10 v. o. lies feil ſtatt lieb.
  • 209 4 v. o. Zunge ſtatt Zusge.
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  • 259 Zeile 7 v. u. lies um nicht bald ſtatt um bald
  • 269 9 v. o. lies entſetzliche ſtatt entſetzende
  • 310 letzte Zeile lies nun ſtatt nur
  • 376 Z. 9 v. o. lies Vermaͤhlungsabende ſtatt Vernichtungsabende
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Die Elixiere des Teufels.

Erſter Band.

I. [1] [2][3]

Erſter Abſchnitt.

Die Jahre der Kindheit und das Kloſterleben.

Nie hat mir meine Mutter geſagt, in wel¬ chen Verhaͤltnißen mein Vater in der Welt lebte; rufe ich mir aber alles das in's Ge¬ daͤchtniß zuruͤck, was ſie mir ſchon in meiner fruͤheſten Jugend von ihm erzaͤhlte, ſo muß ich wohl glauben, daß es ein mit tiefen Kenntnißen begabter lebenskluger Mann war. Eben aus dieſen Erzaͤhlungen und einzelnen Aeußerungen meiner Mutter, uͤber ihr fruͤhe¬ res Leben, die mir erſt ſpaͤter verſtaͤndlich worden, weiß ich, daß meine Eltern von einem bequemen Leben, welches ſie im Be¬4 ſitz vieles Reichthums fuͤhrten, herab ſan¬ ken in die druͤckendſte bitterſte Armuth, und daß mein Vater, einſt durch den Satan ver¬ lockt zum verruchten Frevel, eine Todſuͤnde beging, die er, als ihn in ſpaͤten Jahren die Gnade Gottes erleuchtete, abbuͤßen wollte, auf einer Pilgerreiſe nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. Auf der beſchwerlichen Wanderung dahin, fuͤhlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erſtenmahl, daß dieſe nicht un¬ fruchtbar bleiben wuͤrde, wie mein Vater befuͤrchtet, und ſeiner Duͤrftigkeit unerachtet war er hoch erfreut, weil nun eine Viſion in Erfuͤllung gehen ſollte, in welcher ihm der heilige Bernardus Troſt und Vergebung der Suͤnde durch die Geburt eines Sohnes zugeſichert hatte. In der heiligen Linde er¬ krankte mein Vater, und je weniger er die vorgeſchriebenen beſchwerlichen Andachts¬ uͤbungen ſeiner Schwaͤche unerachtet aus¬ ſetzen wollte, deſto mehr nahm das Uebel5 uͤberhand; er ſtarb entſuͤndigt und getroͤſtet in demſelben Augenblick, als ich gebohren wurde. Mit dem erſten Bewuſtſeyn daͤm¬ mern in mir die lieblichen Bilder von dem Kloſter, und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde, auf. Mich umrauſcht noch der dunkle Wald mich umduften noch die uͤppig aufgekeimten Graͤſer, die bunten Blu¬ men, die meine Wiege waren. Kein gifti¬ ges Thier, kein ſchaͤdliches Inſekt niſtet in dem Heiligthum der Gebenedeyten; nicht das Sumſen einer Fliege, nicht das Zirpen des Heimchens unterbricht die heilige Stille, in der nur die frommen Geſaͤnge der Prieſter erhallen, die, mit den Pilgern goldne Rauch¬ faͤßer ſchwingend, aus denen der Duft des Weyhrauchopfers emporſteigt, in langen Zuͤ¬ gen daherziehen. Noch ſehe ich, mitten in der Kirche, den mit Silber uͤberzogenen Stamm der Linde, auf welche die Engel das wun¬ derthaͤtige Bild der heiligen Jungfrau nie¬ derſetzten. Noch laͤcheln mich die bunten Ge¬6 ſtalten der Engel der Heiligen von den Waͤnden, von der Decke der Kirche an! Die Erzaͤhlungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloſter, wo ihrem tiefſten Schmerz gnadenreicher Troſt zu Theil wur¬ de, ſind ſo in mein Innres gedrungen, daß ich Alles ſelbſt geſehen, ſelbſt erfahren zu haben glaube, unerachtet es unmoͤglich iſt, daß meine Erinnerung ſo weit hinausreicht, da meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Staͤtte verließ. So iſt es mir, als haͤtte ich ſelbſt einmahl in der oͤden Kir¬ che die wunderbare Geſtalt eines ernſten Mannes geſehen, und es ſey eben der fremde Mahler geweſen, der in uralter Zeit, als eben die Kirche gebaut, erſchien, deſſen Sprache niemand verſtehen konnte und der mit kunſtgeuͤbter Hand in gar kurzer Zeit, die Kirche auf das herrlichſte ausmahlte, dann aber, als er fertig worden, wieder ver¬ ſchwand. So gedenke ich ferner noch eines alten fremdartig gekleideten Pilgers mit lan¬7 gem grauen Barte, der mich oft auf den Armen umhertrug, im Walde allerley bunte Mooſe und Steine ſuchte, und mit mir ſpielte; unerachtet ich gewiß glaube, daß nur aus der Beſchreibung meiner Mutter ſich im In¬ nern ſein lebhaftes Bild erzeugt hat. Er brachte einmal einen fremden wunderſchoͤ¬ nen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war Uns herzend und kuͤßend ſaßen wir im Graſe, ich ſchenkte ihm alle meine bunten Steine und er wußte damit allerlei Figuren auf dem Erdboden zu ordnen, aber immer bildete ſich daraus zuletzt die Geſtalt des Kreuzes. Meine Mutter ſaß neben uns auf einer ſteinernen Bank, und der Alte ſchau¬ te hinter ihr ſtehend, mit mildem Ernſt unſern kindiſchen Spielen zu. Da traten einige Juͤnglinge aus dem Gebuͤſch, die, nach ihrer Kleidung und nach ihrem ganzen Weſen zu urtheilen, wohl nur aus Neugierde und Schauluſt nach der heiligen Linde gekommen waren. Einer von ihnen rief, indem er uns8 gewahr wurde, lachend: Sieh da! eine hei¬ lige Familie, das iſt etwas fuͤr meine Map¬ pe! Er zog wirklich Papier und Crayon hervor und ſchickte ſich an uns zu zeichnen, da erhob der alte Pilger ſein Haupt und rief zornig: Elender Spoͤtter, du willſt ein Kuͤnſtler ſeyn und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe; aber deine Werke werden todt und ſtarr blei¬ ben wie du ſelbſt, und du wirſt wie ein Verſtoßener in einſamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armſeelig¬ keit. Die Juͤnglinge eilten beſtuͤrzt von dannen. Der alte Pilger ſagte zu meiner Mutter: ich habe euch heute ein wunderba¬ res Kind gebracht, damit es in euerm Sohn den Funken der Liebe entzuͤnde, aber ich muß es wieder von euch nehmen und ihr werdet es wohl, ſo wie mich ſelbſt, nicht mehr ſchauen. Euer Sohn iſt mit vielen Ga¬ ben herrlich ausgeſtattet, aber die Suͤnde des Vaters kocht und gaͤhrt in ſeinem Blute,9 er kann jedoch ſich zum wackern Kaͤmpen fuͤr den Glauben aufſchwingen, laßet ihn geiſt¬ lich werden! Meine Mutter konnte nicht genug ſagen, welchen tiefen unausloͤſchlichen Eindruck die Worte des Pilgers auf ſie ge¬ macht hatten; ſie beſchloß aber demunerach¬ tet meiner Neigung durchaus keinen Zwang anzuthun, ſondern ruhig abzuwarten, was das Geſchick uͤber mich verhaͤngen und wozu es mich leiten wuͤrde, da ſie an irgend eine andere hoͤhere Erziehung, als die ſie ſelbſt mir zu geben im Stande war, nicht denken konnte. Meine Erinnerungen aus deutlicher ſelbſt gemachter Erfahrung, heben von dem Zeitpunkt an als meine Mutter, auf der Heimreiſe, in das Ciſterzienſer Nonnenklo¬ ſter gekommen war, deſſen gefuͤrſtete Aeb¬ tiſſin, die meinen Vater gekannt hatte, ſie freundlich aufnahm. Die Zeit von jener Be¬ gebenheit mit dem alten Pilger, welche ich in der That aus eigner Anſchauung weiß, ſo daß ſie meine Mutter nur Ruͤckſichts der Re¬10 den des Mahlers und des alten Pilgers er¬ gaͤnzt hat, bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erſtenmal zur Aebtiſſin brachte, macht eine voͤllige Luͤcke: nicht die leiſeſte Ahnung iſt mir davon uͤbrig geblie¬ ben. Ich finde mich erſt wieder, als die Mutter meinen Anzug, ſo viel es ihr nur moͤglich war, beſſerte und ordnete. Sie hat¬ te neue Baͤnder in der Stadt gekauft, ſie verſchnitt mein wildverwachſ'nes Haar, ſie putzte mich mit aller Muͤhe und ſchaͤrfte mir dabei ein, mich ja recht fromm und artig bei der Frau Aebtiſſin zu betragen. Endlich ſtieg ich, an der Hand meiner Mutter, die breiten ſteinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewoͤlbte, mit heiligen Bildern ausge¬ ſchmuͤckte Gemach, in dem wir die Fuͤrſtin fanden. Es war eine große majeſtaͤtiſche ſchoͤne Frau, der die Ordenstracht eine Ehr¬ furcht einfloͤßende Wuͤrde gab. Sie ſah mich mit einem ernſten bis ins Innerſte dringen¬ den Blick an, und frug: iſt das euer Sohn?11 Ihre Stimme, ihr ganzes Anſehn ſelbſt die fremde Umgebung, das hohe Gemach, die Bilder, alles wirkte ſo auf mich, daß ich, von dem Gefuͤhl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich zu weinen anfing. Da ſprach die Fuͤrſtin, indem ſie mich milder und guͤtiger anblickte: was iſt dir Kleiner, fuͤrchteſt du dich vor mir? Wie heißt euer Sohn, liebe Frau? Franz, erwiederte mei¬ ne Mutter, da rief die Fuͤrſtin mit der tief¬ ſten Wehmuth: Franziskus! Und hob mich auf und druͤckte mich heftig an ſich, aber in dem Augenblick preßte mir ein jaͤher Schmerz, den ich am Halſe fuͤhlte, einen ſtarken Schrei aus, ſo daß die Fuͤrſtin erſchrocken mich los ließ, und die durch mein Betragen ganz be¬ ſtuͤrzt gewordene Mutter auf mich zuſprang um nur gleich mich fortzufuͤhren. Die Fuͤr¬ ſtin ließ das nicht zu; es fand ſich, daß das diamantne Kreuz, welches die Fuͤrſtin auf der Bruſt trug, mich, indem ſie heftig mich an ſich druͤckte, am Halſe ſo ſtark beſchaͤdigt12 hatte, daß die Stelle ganz roth und mit Blut unterlaufen war. Armer Franz, ſprach die Fuͤrſtin, ich habe dir weh gethan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden. Eine Schweſter brachte Zuckerwerk und ſuͤßen Wein, ich ließ mich, jetzt ſchon dreiſter geworden, nicht lange noͤthigen, ſondern naſchte tapfer von den Suͤßigkeiten, die mir die holde Frau, welche ſich geſetzt und mich auf den Schooß genommen hatte, ſelbſt in den Mund ſteckte. Als ich einige Tropfen des ſuͤßen Getraͤnks, das mir bis jetzt ganz unbekannt geweſen, gekoſtet, kehrte mein munterer Sinn, die beſondere Lebendigkeit, die, nach meiner Mutter Zeugniß, von mei¬ ner fruͤhſten Jugend mir eigen war, zuruͤck. Ich lachte und ſchwazte zum groͤßten Ver¬ gnuͤgen der Aebtiſſin und der Schweſter, die im Zimmer geblieben. Noch iſt es mir un¬ erklaͤrlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fuͤrſtin von den ſchoͤ¬ nen herrlichen Dingen meines Geburtsortes13 zu erzaͤhlen, und ich, wie von einer hoͤheren Macht inſpirirt, ihr die ſchoͤnen Bilder des fremden unbekannten Mahlers ſo lebendig, als habe ich ſie im tiefſten Geiſte aufgefaßt, beſchreiben konnte. Dabei ging ich ganz ein in die herrlichen Geſchichten der Heiligen, als ſei ich mit allen Schriften der Kirche ſchon bekannt und vertraut geworden. Die Fuͤrſtin, ſelbſt meine Mutter, blickten mich voll Erſtaunen an, aber jemehr ich ſprach, deſto hoͤher ſtieg meine Begeiſterung und als mich endlich die Fuͤrſtin frug: Sage mir liebes Kind, woher weißt du denn das al¬ les? da antwortete ich, ohne mich einen Au¬ genblick zu beſinnen, daß der ſchoͤne wun¬ derbare Knabe, den einſt ein fremder Pil¬ gersmann mitgebracht haͤtte, mir alle Bil¬ der in der Kirche erklaͤrt, ja ſelbſt noch man¬ ches Bild mit bunten Steinen gemahlt und mir nicht allein den Sinn davon geloͤſet, ſondern auch noch viele andere heilige Ge¬ ſchichten erzaͤhlt haͤtte.

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Man laͤutete zur Veſper, die Schweſter hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Duͤte gepackt, die ſie mir gab und die ich voller Vergnuͤgen einſteckte. Die Aebtiſſin ſtand auf und ſagte zu meiner Mutter: ich ſehe euern Sohn als meinen Zoͤgling an, liebe Frau! Und will von nun an fuͤr ihn ſorgen. Meine Mutter konnte vor Wehmuth nicht ſprechen, ſie kuͤßte, heiße Thraͤnen vergie¬ ßend, die Haͤnde der Fuͤrſtin. Schon woll¬ ten wir zur Thuͤre hinaustreten, als die Fuͤr¬ ſtin uns nachkam, mich nochmals aufhob, ſorgfaͤltig das Kreuz bei Seite ſchiebend, mich an ſich druͤckte, und heftig weinend, ſo daß die heißen Tropfen auf meine Stirne fielen, ausrief: Franziskus! Bleibe fromm und gut! Ich war im Innerſten bewegt und mußte auch weinen, ohne eigentlich zu wiſſen warum.

Durch die Unterſtuͤtzung der Aebtiſſin ge¬ wann der kleine Haushalt meiner Mutter, die unfern dem Kloſter in einer kleinen Meie¬15 rei wohnte, bald ein beſſeres Anſehen. Die Noth hatte ein Ende, ich ging beſſer ge¬ kleidet und genoß den Unterricht des Pfar¬ rers, dem ich zugleich, wenn er in der Klo¬ ſterkirche das Amt hielt, als Chorknabe diente.

Wie umfaͤngt mich noch wie ein ſeeliger Traum die Erinnerung an jene gluͤckliche Jugendzeit! Ach wie ein fernes herrliches Land, wo die Freude wohnt, und die unge¬ truͤbte Heiterkeit des kindlichen unbefangenen Sinns, liegt die Heimat weit, weit hinter mir, aber wenn ich zuruͤckblicke, da gaͤhnt mir die Kluft entgegen, die mich auf ewig von ihr geſchieden. Von heißer Sehnſucht ergriffen, trachte ich immer mehr und mehr die Geliebten zu erkennen, die ich druͤben, wie im Purpurhimmel des Fruͤhroths wan¬ delnd, erblicke, ich waͤhne ihre holden Stim¬ men zu vernehmen. Ach! giebt es denn eine Kluft, uͤber die die Liebe mit ſtarkem Fittig ſich nicht hinwegſchwingen koͤnnte. 16Was iſt fuͤr die liebe der Raum, die Zeit! Lebt ſie nicht im Gedanken und kennt der denn ein Maaß? Aber finſtre Geſtalten ſteigen auf, und immer dichter und dichter ſich zuſammendraͤngend, immer enger und enger mich einſchließend, verſperren ſie die Ausſicht und befangen meinen Sinn mit den Drangſalen der Gegenwart, daß ſelbſt die Sehnſucht, welche mich mit namenloſem wonnevollem Schmerz erfuͤllte, nun zu toͤd¬ tender heilloſer Qual wird!

Der Pfarrer war die Guͤte ſelbſt, er wußte meinen lebhaften Geiſt zu feſſeln, er wußte ſeinen Unterricht ſo nach meiner Sin¬ nesart zu formen, daß ich Freude daran fand, und ſchnelle Fortſchritte machte. Meine Mutter liebte ich uͤber alles, aber die Fuͤrſtin verehrte ich wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag fuͤr mich, wenn ich ſie ſehen durfte. Jedesmal nahm ich mir vor, mit den neuerworbenen Kenntniſſen recht vor ihr zu leuchten, aber wenn ſiekam,17kam, wenn ſie freundlich mich anredete, da konnte ich kaum ein Wort herausbringen, ich mochte nur ſie anſchauen, nur ſie hoͤ¬ ren. Jedes ihrer Worte blieb tief in mei¬ ner Seele zuruͤck, noch den ganzen Tag uͤber, wenn ich ſie geſprochen, befand ich mich in wunderbarer feierlicher Stimmung und ihre Geſtalt begleitete mich auf den Spaziergaͤngen, die ich dann beſuchte. Welches namenloſe Gefuͤhl durchbebte mich, wenn ich, das Rauchfaß ſchwingend am Hoch¬ altare ſtand, und nun die Toͤne der Orgel von dem Chore herabſtroͤmten und, wie zur brau¬ ſenden Fluth anſchwellend, mich fortriſſen wenn ich dann in dem Hymnus ihre Stim¬ me erkannte, die, wie ein leuchtender Strahl zu mir herabdrang, und mein Inneres mit den Ahnungen des Hoͤchſten des Heilig¬ ſten erfuͤllte. Aber der herrlichſte Tag, auf den ich mich Wochenlang freute, ja, an den ich niemals ohne inneres Entzuͤcken den¬ ken konnte, war das Feſt des heiligen Ber¬I. [2] 18nardus, welches, da er der Heilige der Ci¬ ſterzienſer iſt, im Kloſter durch einen gro¬ ßen Ablaß auf das feierlichſte begangen wurde. Schon den Tag vorher ſtroͤmten aus der benachbarten Stadt, ſo wie aus der ganzen umliegenden Gegend, eine Menge Men¬ ſchen herbei und lagerten ſich auf der großen blumigten Wieſe, die ſich an das Kloſter ſchloß, ſo daß das frohe Getuͤmmel, Tag und Nacht nicht aufhoͤrte. Ich erinnere mich nicht, daß die Witterung in der guͤnſtigen Jahreszeit (der Bernardustag faͤllt in den Auguſt) dem Feſte jemahls unguͤnſtig gewe¬ ſen ſeyn ſollte. In bunter Miſchung ſah man hier andaͤchtige Pilger, Hymnen ſingend, daher wandeln, dort Bauerburſche ſich mit den geputzten Dirnen jubelnd umhertummeln Geiſtliche, die in frommer Betrachtung, die Haͤnde andaͤchtig gefaltet, in die Wolken ſchauen Buͤrgerfamilien im Graſe gelagert, die die hochgefuͤllten Speiſekoͤrbe auspacken und ihr Mahl verzehren. Luſtiger Geſang,19 fromme Lieder, die inbruͤnſtigen Seufzer der Buͤſſenden, das Gelaͤchter der Froͤhlichen, Klagen, Jauchzen, Jubel, Scherze, Ge¬ bet erfuͤllen wie in wunderbarem betaͤu¬ bendem Conzert die Luͤfte! Aber, ſo wie die Glocke des Kloſters anſchlaͤgt, verhallt das Getoͤſe ploͤtzlich ſo weit das Auge nur reicht, iſt alles in dichte Reihen gedraͤngt auf die Knie geſunken, und nur das dumpfe Murmeln des Gebets unterbricht die heilige Stille. Der letzte Schlag der Glocke toͤnt aus, die bunte Menge ſtroͤmt wieder durch einander, und aufs neue erſchallt der nur Minuten lang unterbrochene Jubel. Der Bi¬ ſchoff ſelbſt, welcher in der benachbarten Stadt reſidirt, hielt an dem Bernardustage in der Kirche des Kloſters, bedient von der untern Geiſtlichkeit des Hochſtifts, das fei¬ erliche Hochamt, und ſeine Kapelle fuͤhrte auf einer Tribune, die man zur Seite des Hochaltars errichtet, und mit reicher, ſel¬ tener Hauteliſſe behaͤngt hatte, die Muſik20 aus. Noch jetzt ſind die Empfindungen, die damals meine Bruſt durchbebten, nicht erſtorben, ſie leben auf, in jugendlicher Fri¬ ſche, wenn ich mein Gemuͤth ganz zuwende jener ſeeligen Zeit, die nur zu ſchnell ver¬ ſchwunden. Ich gedenke lebhaft eines Glo¬ ria, welches mehrmals ausgefuͤhrt wurde, da die Fuͤrſtin eben dieſe Compoſition vor allen andern liebte. Wenn der Biſchoff das Gloria intonirt hatte, und nun die maͤch¬ tigen Toͤne des Chors daher brauſ'ten: Glo¬ ria in exelsis deo! war es nicht, als oͤffne ſich die Wolken-Glorie uͤber dem Hoch¬ altar? ja, als ergluͤhten durch ein goͤtt¬ liches Wunder die gemalten Cherubim und Seraphim zum leben, und regten und be¬ wegten die ſtarken Fittige, und ſchwebten auf und nieder, Gott lobpreiſend mit Ge¬ ſang und wunderbarem Saitenſpiel? Ich verſank in das hinbruͤtende Staunen der be¬ geiſterten Andacht, die mich durch glaͤnzen¬ de Wolken in das ferne bekannte heimatliche21 Land trug, und in dem duftenden Walde er¬ toͤnten die holden Engelsſtimmen, und der wunderbare Knabe, trat wie aus hohen Li¬ lienbuͤſchen mir entgegen, und frug mich laͤ¬ chelnd: wo warſt du denn ſo lange, Francis¬ cus? ich habe viele ſchoͤne bunte Blu¬ men, die will ich dir alle ſchenken, wenn du bei mir bleibſt, und mich liebſt immer¬ dar.

Nach dem Hochamt hielten die Nonnen, unter dem Vortritt der Aebtiſſin, die mit der Inful geſchmuͤckt war, und den ſilber¬ nen Hirtenſtab trug, eine feierliche Prozeſ¬ ſion durch die Gaͤnge des Kloſters und durch die Kirche. Welche Heiligkeit, welche Wuͤr¬ de, welche uͤberirrdiſche Groͤße ſtrahlte aus jedem Blick der herrlichen Frau, leitete jede ihrer Bewegungen! Es war die triumphi¬ rende Kirche ſelbſt, die dem frommen glaͤu¬ bigen Volke Gnade und Seegen verhieß. Ich haͤtte mich vor ihr in den Staub wer¬ fen moͤgen, wenn ihr Blick zufaͤllig auf mich22 fiel. Nach beendigtem Gottesdienſt wur¬ de die Geiſtlichkeit, ſo wie die Kapelle des Biſchoffs, in einem großen Saal des Kloſters bewirthet. Mehrere Freunde des Kloſters, Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nah¬ men an dem Mahle Theil, und ich durfte, weil mich der Conzertmeiſter des Biſchoffs lieb gewonnen, und gern ſich mit mir zu ſchaffen machte, auch dabei ſeyn. Hatte ſich erſt mein Inneres, von heiliger Andacht durch¬ gluͤht, ganz dem Ueberirdiſchen zugewendet, ſo trat jetzt das frohe Leben auf mich ein, und umfieng mich mit ſeinen bunten Bildern. Allerlei luſtige Erzaͤhlungen, Spaͤße und Schwaͤnke wechſelten unter dem lauten Ge¬ laͤchter der Gaͤſte, wobei die Flaſchen fleißig geleert wurden, bis der Abend hereinbrach, und die Wagen zur Heimfahrt bereit ſtanden.

Sechszehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklaͤrte, daß ich nun vor¬ bereitet genug ſey, die hoͤheren theologiſchen Studien in dem Seminar der benachbarten23 Stadt zu beginnen: ich hatte mich nemlich ganz fuͤr den geiſtlichen Stand entſchieden, und dies erfuͤllte meine Mutter mit der in¬ nigſten Freude, da ſie hiedurch die geheim¬ nißvollen Andeutungen des Pilgers, die in gewiſſer Art mit der merkwuͤrdigen, mir un¬ bekannten Viſion meines Vaters in Verbin¬ dung ſtehen ſollten, erklaͤrt und erfuͤllt ſah. Durch meinen Entſchluß glaubte ſie erſt die Seele meines Vaters entſuͤhnt, und von der Quaal ewiger Verdammniß errettet. Auch die Fuͤrſtin, die ich jetzt nur im Sprachzimmer ſehen konnte, billigte hoͤchlich mein Vorha¬ ben, und wiederholte ihr Verſprechen, mich bis zur Erlangung einer geiſtlichen Wuͤrde mit allem Noͤthigen zu unterſtuͤtzen. Uner¬ achtet die Stadt ſo nahe lag, daß man von dem Kloſter aus, die Thuͤrme ſehen konnte, und nur irgend ruͤſtige Fußgaͤnger von dort her, die heitre anmuthige Gegend des Klo¬ ſters zu ihren Spaziergaͤngen waͤhlten, ſo wurde mir doch der Abſchied von meiner24 guten Mutter, von der herrlichen Frau, die ich ſo tief im Gemuͤthe verehrte, ſo wie von meinem guten Lehrer, recht ſchwer. Es iſt ja auch gewiß, daß dem Schmerz der Tren¬ nung jede Spanne außerhalb dem Kreiſe der Lieben, der weiteſten Entfernung gleich duͤnkt! Die Fuͤrſtin war auf beſondere Weiſe be¬ wegt, ihre Stimme zitterte vor Wehmuth, als ſie noch ſalbungsvolle Worte der Ermah¬ nung ſprach. Sie ſchenkte mir einen zierli¬ chen Roſenkranz, und ein kleines Gebetbuch mit ſauber illuminirten Bildern. Dann gab ſie mir noch ein Empfehlungsſchreiben an den Prior des Capuziner Kloſters in der Stadt, den ſie mir empfahl gleich aufzu¬ ſuchen, da er mir in allem mit Rath und That eifrigſt beiſtehen werde.

Gewiß giebt es nicht ſo leicht eine anmu¬ thigere Gegend, als diejenige iſt, in welcher das Capuziner Kloſter dicht vor der Stadt liegt. Der herrliche Kloſter-Garten mit der Ausſicht in die Gebuͤrge hinein, ſchien mir25 jedesmahl, wenn ich in den langen Alleen wandelte, und bald bei dieſer, bald bei je¬ ner uͤppigen Baumgruppe ſtehen blieb, in neuer Schoͤnheit zu erglaͤnzen. Gerade in dieſem Garten traf ich den Prior Leonar¬ dus, als ich zum erſtenmal das Kloſter be¬ ſuchte, um mein Empfehlungsſchreiben von der Aebtiſſin abzugeben. Die dem Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhoͤht, als er den Brief las, und er wußte ſo viel an¬ ziehendes von der herrlichen Frau, die er ſchon in fruͤhen Jahren in Rom kennen ge¬ lernt, zu ſagen, daß er ſchon dadurch im erſten Augenblick mich ganz an ſich zog. Er war von den Bruͤdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhaͤltniß des Priors mit den Moͤnchen, die ganze kloͤ¬ ſterliche Einrichtung und Lebensweiſe: die Ruhe und Heiterkeit des Geiſtes, welche ſich in dem Aeußerlichen des Priors deutlich aus¬ ſprach, verbreitete ſich uͤber alle Bruͤder. Man ſah nirgends eine Spur des Mißmuths26 oder jener feindlichen ins Innere zehrenden Verſchloſſenheit, die man ſonſt wohl auf den Geſichtern der Moͤnche wahrnimmt. Uner¬ achtet der ſtrengen Ordensregel, waren die Andachtsuͤbungen dem Prior Leonardus mehr Beduͤrfniß des dem himmliſchen zugewand¬ ten Geiſtes, als aszetiſche Buße fuͤr die der menſchlichen Natur anklebende Suͤnde, und er wußte dieſen Sinn der Andacht ſo in den Bruͤdern zu entzuͤnden, daß ſich uͤber Alles, was ſie thun mußten um der Regel zu ge¬ nuͤgen, eine Heiterkeit und Gemuͤthlichkeit er¬ goß, die in der That ein hoͤheres Seyn, in der irdiſchen Beengtheit erzeugte. Selbſt eine gewiſſe ſchickliche Verbindung mit der Welt, wußte der Prior Leonardus herzuſtel¬ len, die fuͤr die Bruͤder nicht anders als heilſam ſeyn konnte. Reichliche Spenden, die von allen Seiten dem allgemein hochge¬ achteten Kloſter dargebracht wurden, mach¬ ten es moͤglich, an gewiſſen Tagen die Freun¬ de und Beſchuͤtzer des Kloſters in dem Re¬27 fektorium zu bewirthen. Dann wurde in der Mitte des Speiſeſaals eine lange Tafel ge¬ deckt, an deren oberem Ende der Prior Leo¬ nardus bei den Gaͤſten ſaß. Die Bruͤder blieben an der ſchmalen, der Wand entlang ſtehenden Tafel, und bedienten ſich ihres einfachen Geſchirres, der Regel gemaͤß, waͤh¬ rend an der Gaſttafel alles ſauber und zier¬ lich mit Porzellan und Glas beſetzt war. Der Koch des Kloſters wußte vorzuͤglich auf eine leckere Art Faſtenſpeiſen zuzubereiten, die den Gaͤſten gar wohl ſchmeckten. Die Gaͤſte ſorgten fuͤr den Wein, und ſo waren die Male im Capuziner-Kloster ein freundli¬ ches gemuͤthliches Zuſammentreten des Pro¬ fanen mit dem Geiſtlichen, welches in wech¬ ſelſeitiger Ruͤckwirkung, fuͤr das Leben nicht ohne Nutzen ſeyn konnte. Denn, indem die im weltlichen Treiben Befangenen hinaustra¬ ten, und eingingen in die Mauern, wo al¬ les das ihrem Thun ſchnurſtracks entgegen¬ geſetzte Leben der Geiſtlichen verkuͤndet, mu߬28 ten ſie, von manchem Funken, der in ihre Seele fiel, aufgeregt, eingeſtehen, daß auch wohl auf andere Wege, als auf dem, den ſie eingeſchlagen, Ruhe und Gluͤck zu finden ſey, ja, daß vielleicht der Geiſt, je mehr er ſich uͤber das Irrdiſche erhebe, dem Men¬ ſchen ſchon hienieden ein hoͤheres Seyn be¬ reiten koͤnne. Dagegen gewannen die Moͤn¬ che an Lebens-Umſicht und Weisheit, da die Kunde, welche ſie von dem Thun und Trei¬ ben der bunten Welt außerhalb ihrer Mau¬ ern erhielten, in ihnen Betrachtungen man¬ cherlei Art erweckte. Ohne dem Irrdiſchen einen falſchen Werth zu verleihen, mußten ſie in der verſchiedenen, aus dem Innern beſtimmten Lebensweiſe der Menſchen, die Nothwendigkeit einer ſolchen Strahlenbre¬ chung des geiſtlichen Prinzips, ohne welche alles farb - und glanzlos geblieben waͤre, an¬ erkennen. Ueber Alle hocherhaben, Ruͤckſichts der geiſtigen und wiſſenſchaftlichen Ausbil¬ dung, ſtand von je her der Prior Leonardus. 29Außerdem, daß er allgemein fuͤr einen wa¬ ckern Gelehrten in der Theologie galt, ſo, daß er mit Leichtigkeit und Tiefe die ſchwie¬ rigſten Materien abzuhandeln wußte, und ſich die Profeſſoren des Seminars oft bei ihm Rath und Belehrung holten, war er auch mehr, als man es wohl einem Kloſtergeiſtli¬ chen zutrauen kann, fuͤr die Welt ausgebil¬ det. Er ſprach mit Fertigkeit und Eleganz das Italiaͤniſche und Franzoͤſiſche, und ſei¬ ner beſonderen Gewandheit wegen, hatte man ihn in fruͤherer Zeit zu wichtigen Miſ¬ ſionen gebraucht. Schon damals, als ich ihn kennen lernte, war er hochbejahrt, aber indem ſein weißes Haar von ſeinem Alter zeugte, blitzte aus den Augen noch jugendli¬ ches Feuer, und das anmuthige Laͤcheln, welches um ſeine Lippen ſchwebte, erhoͤhte den Ausdruck der innern Behaglichkeit und Gemuͤthsruhe. Dieſelbe Grazie, welche[ ſei¬ ne] Rede ſchmuͤckte, herrſchte in ſeinen Bewe¬ gungen, und ſelbſt die unbehuͤlfliche Or¬30 denstracht ſchmiegte ſich wunderſam den wohlgebauten Formen ſeines Koͤrpers an. Es befand ſich kein Einziger unter den Bruͤ¬ dern, den nicht eigne freie Wahl, den nicht ſogar das von der innern geiſtigen Stimmung erzeugte Beduͤrfniß in das Kloſter gebracht haͤtte; aber auch den Ungluͤcklichen, der im Kloſter den Port geſucht haͤtte, um der Ver¬ nichtung zu entgehen, haͤtte Leonardus bald getroͤſtet; ſeine Buße waͤre der kurze Ueber¬ gang zur Ruhe geworden, und, mit der Welt verſoͤhnt, ohne ihren Tand zu achten, haͤtte er, im Irrdiſchen lebend, doch ſich bald uͤber das Irrdiſche erhoben. Dieſe ungewoͤhnli¬ chen Tendenzen des Kloſterlebens, hatte Leo¬ nardus in Italien aufgefaßt, wo der Kultus, und mit ihm die ganze Anſicht des religioͤ¬ ſen Lebens heitrer iſt, als in dem Katholi¬ ſchen Deutſchland. So wie bei dem Bau der Kirchen, noch die antiken Formen ſich er¬ hielten, ſo ſcheint auch ein Stral aus je¬ ner heitern lebendigen Zeit des Alterthums31 in das myſtiſche Dunkel des Chriſtianism ge¬ drungen zu ſeyn, und es mit dem wunderba¬ ren Glanze erhellt zu haben, der ſonſt die Goͤtter und Helden umſtralte.

Leonardus gewann mich lieb, er unter¬ richtete mich im italiaͤniſchen und franzoͤſi¬ ſchen, vorzuͤglich waren es aber die mannig¬ fachen Buͤcher, welche er mir in die Haͤnde gab, ſo wie ſeine Geſpraͤche, die meinen Geiſt auf beſondere Weiſe ausbildeten. Bei¬ nahe die ganze Zeit, welche meine Studien im Seminar mir uͤbrig ließen, brachte ich im Capuziner-Kloſter zu, und ich ſpuͤrte, wie immer mehr meine Neigung zunahm, mich einkleiden zu laſſen. Ich eroͤffnete dem Prior meinen Wunſch; ohne mich indeſſen gerade davon abbringen zu wollen, rieth er mir, wenigſtens noch ein paar Jahre zu warten, und unter der Zeit mich mehr, als bisher in der Welt umzuſehen. So wenig es mir indeſſen an anderer Bekanntſchaft fehlte, die ich mir vorzuͤglich durch den bi¬32 ſchoͤflichen Conzertmeiſter, welcher mich in der Muſik unterrichtete, erworben, ſo fuͤhlte ich mich doch in jeder Geſellſchaft, und vor¬ zuͤglich wenn Frauenzimmer zugegen waren, auf unangenehme Weiſe befangen, und dies, ſo wie uͤberhaupt der Hang zum contempla¬ tiven Leben, ſchien meinen innern Beruf zum Kloſter zu entſcheiden.

Einſt hatte der Prior viel Merkwuͤrdiges mit mir geſprochen, uͤber das profane Leben; er war eingedrungen in die ſchluͤpfrigſten Materien, die er aber mit ſeiner gewoͤhnli¬ chen Leichtigkeit und Anmuth des Ausdrucks zu behandeln wußte, ſo daß er, alles nur im mindeſten Anſtoͤßige vermeidend, doch immer auf den rechten Fleck traf. Er nahm endlich meine Hand, ſah mir ſcharf ins Au¬ ge, und frug, ob ich noch unſchuldig ſey? Ich fuͤhlte mich ergluͤhen, denn indem Leo¬ nardus mich ſo verfaͤnglich frug, ſprang ein Bild in den lebendigſten Farben hervor, welches ſo lange ganz von mir gewichen. Der33Der Conzertmeiſter hatte eine Schweſter, welche gerade nicht ſchoͤn genannt zu wer¬ den verdiente, aber doch in der hoͤchſten Bluͤthe ſtehend, ein uͤberaus reizendes Maͤd¬ chen war. Vorzuͤglich zeichnete ſie ein im reinſten Ebenmaaß geformter Wuchs aus; ſie hatte die ſchoͤnſten Arme, den ſchoͤnſten Bu¬ ſen in Form und Colorit, den man nur ſe¬ hen kann. Eines Morgens als ich zum Conzertmeiſter gehen wollte, meines Unter¬ richts halber, uͤberraſchte ich die Schweſter im leichten Morgenanzuge, mit beinahe ganz entbloͤßter Bruſt; ſchnell warf ſie zwar das Tuch uͤber, aber doch ſchon zu viel hatten meine gierigen Blicke erhaſcht, ich konnte kein Wort ſprechen, nie gekannte Gefuͤhle regten ſich ſtuͤrmiſch in mir, und trieben das gluͤ¬ hende Blut durch die Adern, daß hoͤrbar meine Pulſe ſchlugen. Meine Bruſt war krampfhaft zuſammengepreßt, und wollte zer¬ ſpringen, ein leiſer Seufzer machte mir endlich Luft. Dadurch, daß das Maͤdchen,I. [3] 34ganz unbefangen auf mich zukam, mich bei der Hand faßte, und frug, was mir dann waͤre, wurde das Uebel wieder aͤrger, und es war ein Gluͤck, daß der Conzertmeiſter in die Stube trat, und mich von der Quaal er¬ loͤſ'te. Nie hatte ich indeſſen ſolche falſche Akkorde gegriffen, nie ſo im Geſange deto¬ nirt, als dasmal. Fromm genug war ich, um ſpaͤter das Ganze fuͤr eine boͤſe Anfech¬ tung des Teufels zu halten, und ich prieß mich nach kurzer Zeit recht gluͤcklich, den boͤ¬ ſen Feind durch die[asketiſchen] Uebungen, die ich unternahm, aus dem Felde geſchla¬ gen zu haben. Jetzt bei der verfaͤnglichen Frage des Priors, ſah ich des Conzertmei¬ ſters Schweſter mit entbloͤßtem Buſen vor mir ſtehen, ich fuͤhlte den warmen Hauch ihres Athems, den Druck ihrer Hand meine innere Angſt ſtieg mit jedem Momen¬ te. Leonardus ſah mich mit einem gewiſſen ironiſchen Laͤcheln an, vor dem ich erbebte. Ich konnte ſeinen Blick nicht ertragen, ich35 ſchlug die Augen nieder, da klopfte mich der Prior auf die gluͤhenden Wangen und ſprach: Ich ſehe mein Sohn, daß Sie mich gefaßt haben, und daß es noch gut mit Ihnen ſteht, der Herr bewahre Sie vor der Verfuͤhrung der Welt, die Genuͤſſe, die ſie Ihnen darbie¬ tet ſind von kurzer Dauer, und man kann wohl behaupten, daß ein Fluch darauf ruhe, da in dem unbeſchreiblichen Eckel, in der voll¬ kommenen Erſchlaffung, in der Stumpfheit fuͤr alles Hoͤhere, die ſie hervorbringen, das beſſere geiſtige Prinzip des Menſchen unter¬ geht. So ſehr ich mich muͤhte, die Frage des Priors, und das Bild, welches dadurch hervorgerufen wurde, zu vergeſſen, ſo woll¬ te es mir doch durchaus nicht gelingen, und war es mir erſt gegluͤckt, in Gegenwart je¬ nes Maͤdchens unbefangen zu ſeyn, ſo ſcheu¬ te ich doch wieder jetzt mehr als jemals ihren Anblick, da mich ſchon bei dem Ge¬ danken an ſie, eine Beklommenheit, eine in¬ nere Unruhe uͤberfiel, die mir um ſo gefaͤhr¬36 licher ſchien, als zugleich eine unbekannte wundervolle Sehnſucht, und mit ihr eine Luͤſternheit ſich regte, die wohl ſuͤndlich ſeyn mochte. Ein Abend ſollte dieſen zweifelhaf¬ ten Zuſtand entſcheiden. Der Conzertmeiſter hatte mich, wie er manchmal zu thun pfleg¬ te, zu einer muſikaliſchen Unterhaltung, die er mit einigen Freunden veranſtaltet, einge¬ laden. Außer ſeiner Schweſter, waren noch mehrere Frauenzimmer zugegen, und dieſes ſteigerte die Befangenheit, die mir ſchon bei der Schweſter allein den Athem verſetzte. Sie war ſehr reizend gekleidet, ſie kam mir ſchoͤner als je vor, es war, als zoͤge mich eine unſichtbare unwiderſtehliche Gewalt zu ihr hin, und ſo kam es denn, daß ich, ohne ſelbſt zu wiſſen wie, mich immer ihr nahe befand, jeden ihrer Blicke, jedes ihrer Wor¬ te begierig aufhaſchte, ja mich ſo an ſie draͤngte, daß wenigſtens ihr Kleid im Vor¬ beiſtreifen mich beruͤhren mußte, welches mich mit innerer, nie gefuͤhlter Luſt erfuͤllte. Sie37 ſchien es zu bemerken, und Wohlgefallen daran zu finden; zuweilen war es mir, als muͤßte ich ſie wie in toller Liebeswuth an mich reiſſen, und inbruͤnſtig an mich druͤ¬ cken! Sie hatte lange neben dem Fluͤgel geſeſſen, endlich ſtand ſie auf, und ließ auf dem Stuhl einen ihrer Handſchuhe liegen, den ergriff ich, und druͤckte ihn im Wahn¬ ſinn heftig an den Mund! Das ſah eins von den Frauenzimmern, die ging zu des Conzertmeiſters Schweſter, und fluͤſterte ihr etwas in's Ohr, nun ſchauten ſie beide auf mich, und kicherten und lachten hoͤhniſch! Ich war wie vernichtet, ein Eisſtrom goß ſich durch mein Inneres beſinnungslos ſtuͤrzte ich fort ins Collegium in meine Zelle. Ich warf mich, wie in toller Ver¬ zweiflung auf den Fußboden gluͤhende Thraͤnen quollen mir aus den Augen, ich verwuͤnſchte ich verfluchte das Maͤdchen mich ſelbſt dann betete ich wieder und lachte dazwiſchen, wie ein Wahnſinniger! 38Ueberall erklangen um mich Stimmen, die mich verſpotteten, verhoͤhnten; ich war im Begriff, mich durch das Fenſter zu ſtuͤrzen, zum Gluͤck verhinderten mich die Eiſenſtaͤbe daran, mein Zuſtand war in der That ent¬ ſetzlich. Erſt als der Morgen anbrach, wur¬ de ich ruhiger, aber feſt war ich entſchloſſen, ſie niemals mehr zu ſehen, und uͤberhaupt der Welt zu entſagen. Klarer als jemals ſtand der Beruf zum eingezogenen Klo¬ ſterleben, von dem mich keine Verſuchung mehr ablenken ſollte, vor meiner Seele. So wie ich nur von den gewoͤhnlichen Stu¬ dien loskommen konnte, eilte ich zu dem Prior in das Capuziner-Kloſter, und eroͤff¬ nete ihm, wie ich nun entſchloſſen ſey, mein Noviziat anzutreten, und auch ſchon meiner Mutter, ſo wie der Fuͤrſtin, Nachricht da¬ von gegeben habe. Leonardus ſchien uͤber meinen ploͤtzlichen Eifer verwundert, ohne in mich zu dringen, ſuchte er doch auf dieſe und jene Weiſe zu erforſchen, was mich wohl39 darauf gebracht haben koͤnne, nun mit ei¬ nem Mal auf meine Einweihung zum Klo¬ ſterleben zu beſtehen, denn er ahndete wohl, daß ein beſonderes Ereigniß mir den Impuls dazu gegeben haben muͤſſe. Eine innere Schaam, die ich nicht zu uͤberwinden ver¬ mochte, hielt mich zuruͤck, ihm die Wahrheit zu ſagen, dagegen erzaͤhlte ich ihm mit dem Feuer der Exaltation, das noch in mir gluͤhte, die wunderbaren Begebenheiten mei¬ ner Kinderjahre, welche alle auf meine Be¬ ſtimmung zum Kloſterleben hindeuteten. Leo¬ nardus hoͤrte mich ruhig an, und ohne ge¬ rade gegen meine Viſionen Zweifel vorzu¬ bringen, ſchien er doch, ſie nicht ſonderlich zu beachten, er aͤußerte vielmehr, wie das Alles noch ſehr wenig fuͤr die Aechtheit mei¬ nes Berufs ſpraͤche, da eben hie eine Il¬ luſion ſehr moͤglich ſey. Ueberhaupt pflegte Leonardus nicht gern von den Viſionen der Heiligen, ja ſelbſt von den Wundern der erſten Verkuͤndiger des Chriſtenthums zu40 ſprechen, und es gab Augenblicke, in denen ich in Verſuchung gerieth, ihn fuͤr einen heimlichen Zweifler zu halten. Einſt erdrei¬ ſtete ich mich, um ihn zu irgend einer[be¬ ſtimmten] Aeußerung zu noͤthigen, von den Veraͤchtern des katholiſchen Glaubens zu ſprechen, und vorzuͤglich auf diejenigen zu ſchmaͤhlen, die im kindiſchen Uebermuthe alles Ueberſinnliche mit dem heilloſen Schimpf¬ worte des Aberglaubens abfertigten. Leo¬ nardus ſprach ſanft laͤchelnd: Mein Sohn, der Unglaube iſt der aͤrgſte Aberglaube, und fing ein anderes Geſpraͤch von fremden gleich¬ guͤltigen Dingen an. Erſt ſpaͤter durfte ich eingehen in ſeine herrliche Gedanken uͤber den myſtiſchen Theil unſerer Religion, der die geheimnißvolle Verbindung unſers geiſtli¬ chen Prinzips, mit hoͤheren Weſen in ſich ſchließt, und mußte mir denn wohl geſtehen, daß Leonardus die Mittheilung alles des ſu¬ blimen, das aus ſeinem Innerſten ſich er¬41 goß, mit Recht nur fuͤr die hoͤchſte Weihe ſeiner Schuͤler aufſparte.

Meine Mutter ſchrieb mir, wie ſie es laͤngſt geahnet, daß der weltgeiſtliche Stand mir nicht genuͤgen, ſondern, daß ich das Klo¬ ſterleben erwaͤhlen werde. Am Medardusta¬ ge ſey ihr der alte Pilgersmann aus der hei¬ ligen Linde erſchienen, und habe mich im Ordenskleide der Capuziner an der Hand ge¬ fuͤhrt. Auch die Fuͤrſtin war mit meinem Vorhaben ganz einverſtanden. Beide ſah ich noch einmal vor meiner Einkleidung, welche, da mir meinem innigſten Wunſche gemaͤß, die Haͤlfte des Noviziats erlaſſen wurde, ſehr bald erfolgte. Ich nahm auf Veranlaſſung der Viſion meiner Mutter den Kloſternahmen Medardus an.

Das Verhaͤltniß der Bruͤder unter ein¬ ander, die innere Einrichtung Ruͤckſichts der Andachtsuͤbungen und der ganzen Lebensweiſe im Kloſter, bewaͤhrte ſich ganz in der Art, wie ſie mir bei dem erſten Blick erſchienen. 42Die gemuͤthliche Ruhe, die in Allem herrſch¬ te, goß den himmliſchen Frieden in meine Seele, wie er mich, gleich einem ſeeligen Traum aus der erſten Zeit meiner fruͤhſten Kinderjahre, im Kloſter der heiligen Linde umſchwebte. Waͤhrend des feierlichen Akts meiner Einkleidung, erblickte ich unter den Zuſchauern des Conzertmeiſters Schweſter; ſie ſah ganz ſchwermuͤthig aus, und ich glaub¬ te, Thraͤnen in ihren Augen zu erblicken, aber voruͤber war die Zeit der Verſuchung, und vielleicht war es frevelnder Stolz auf den ſo leicht erfochtenen Sieg, der mir Laͤ¬ cheln abnoͤthigte, welches der an meiner Seite wandelnde Bruder Cyrillus bemerkte. Woruͤber erfreueſt du dich ſo, mein Bru¬ der? frug Cyrillus. Soll ich denn nicht froh ſeyn, wenn ich der ſchnoͤden Welt und ihrem Tand entſage? antwortete ich, aber nicht zu laͤugnen iſt es, daß indem ich dieſe Worte ſprach, ein unheimliches Gefuͤhl, ploͤtz¬ lich das Innerſte durchbebend, mich Luͤgen43 ſtrafte. Doch dies war die letzte Anwand¬ lung irrdiſcher Selbſtſucht, nach der jene Ruhe des Geiſtes eintrat. Waͤre ſie nimmer von mir gewichen, aber die Macht des Fein¬ des iſt groß! Wer mag der Staͤrke ſei¬ ner Waffen, wer mag ſeiner Wachſamkeit vertrauen, wenn die unterirrdiſchen Maͤchte lauern.

Schon fuͤnf Jahre war ich im Kloſter, als nach der Verordnung des Priors mir der Bruder Cyrillus, der alt und ſchwach worden, die Aufſicht uͤber die reiche Reli¬ quienkammer des Kloſters uͤbergeben ſollte. Da befanden ſich allerlei Knochen von Hei¬ ligen, Spaͤne aus dem Kreuze des Erloͤſers und andere Heiligthuͤmer, die in ſaubern Glasſchraͤnken aufbewahrt, und an gewiſſen Tagen dem Volk zur Erbauung ausgeſtellt wurden. Der Bruder Cyrillus machte mich mit jedem Stuͤcke, ſo wie mit den Dokumen¬ ten, die uͤber ihre Aechtheit und uͤber die Wunder, welche ſie bewirkt, vorhanden, be¬44 kannt. Er ſtand, Ruͤckſichts der geiſtigen Aus¬ bildung unſerm Prior an der Seite, und um ſo weniger trug ich Bedenken, das zu aͤu¬ ßern, was ſich gewaltſam aus meinem Innern hervordraͤngte. Sollten denn, lieber Bruder Cyrillus, ſagte ich, alle dieſe Dinge gewiß und wahrhaftig das ſeyn, wofuͤr man ſie ausgiebt? Sollte auch hier nicht die be¬ truͤgeriſche Habſucht Manches untergeſchoben haben, was nun als wahre Reliquie dieſes oder jenes Heiligen gilt? So z. B. beſitzt irgend ein Kloſter das ganze Kreuz unſers Erloͤſers, und doch zeigt man uͤberall wieder ſo viel Spaͤne davon, daß, wie jemand von uns ſelbſt, freilich in frevelichem Spott, be¬ hauptete, unſer Kloſter ein ganzes Jahr hin¬ durch damit geheitzt werden koͤnnte. Es geziemt uns wohl eigentlich nicht, erwie¬ derte der Bruder Cyrillus, dieſe Dinge einer ſolchen Unterſuchung zu unterziehen, allein offenherzig geſtanden, bin ich der Meinung, daß, der daruͤber ſprechenden Dokumente un¬45 erachtet, wohl wenige dieſer Dinge das ſeyn duͤrften, wofuͤr man ſie ausgiebt. Allein es ſcheint mir auch gar nicht darauf anzukom¬ men. Merke wohl auf, lieber Bruder Me¬ dardus! wie ich und unſer Prior daruͤber denken, und du wirſt unſere Religion in neuer Glorie erblicken. Iſt es nicht herrlich, lieber Bruder Medardus, daß unſere Kirche darnach trachtet, jene geheimnißvollen Faͤ¬ den zu erfaſſen, die das Sinnliche mit dem Ueberſinnlichen verknuͤpfen, ja unſeren zum irrdiſchen Leben und Seyn gediehenen Orga¬ nism ſo anzuregen, daß ſein Urſprung aus dem hoͤhern geiſtigen Prinzip, ja ſeine in¬ nige Verwandſchaft mit dem wunderba¬ ren Weſen, deſſen Kraft wie ein gluͤhen¬ der Hauch die ganze Natur durchdringt, klar hervortritt, und uns die Ahndung eines hoͤheren Lebens, deſſen Keim wir in uns tragen, wie mit Seraphsfittigen umweht. Was iſt jenes Stuͤckchen Holz jenes Knoͤch¬ lein, jenes Laͤppchen man ſagt aus dem46 Kreuz Chriſti ſey es gehauen, dem Koͤrper dem Gewande eines Heiligen entnommen; aber den Glaͤubigen, der ohne zu gruͤbeln, ſein ganzes Gemuͤth darauf richtet, erfuͤllt bald jene uͤberirrdiſche Begeiſterung, die ihm das Reich der Seeligkeit erſchließt, das er hienieden nur geahnet; und ſo wird der geiſtige Einfluß des Heiligen, deſſen auch nur angebliche Reliquie den Impuls gab, erweckt, und der Menſch vermag Staͤrke und Kraft im Glauben von dem hoͤheren Geiſte zu em¬ pfangen, den er im Innerſten des Gemuͤths um Troſt und Beiſtand anrief. Ja, dieſe in ihm erweckte hoͤhere geiſtige Kraft wird ſelbſt Leiden des Koͤrpers zu uͤberwinden ver¬ moͤgen, und daher kommt es, daß dieſe Re¬ liquien jene Mirakel bewirken, die, da ſie ſo oft vor den Augen des verſammelten Volks geſchehen, wohl nicht gelaͤugnet werden koͤn¬ nen. Ich erinnerte mich augenblicklich ge¬ wiſſer Andeutungen des Priors, die ganz mit den Worten des Bruders Cyrillus uͤberein¬47 ſtimmten, und betrachtete nun die Reliquien, die mir ſonſt nur als religioͤſe Spielerei er¬ ſchienen, mit wahrer innerer Ehrfurcht und Andacht. Dem Bruder Cyrillus entging dieſe Wirkung ſeiner Rede nicht, und er fuhr nun fort, mit groͤßerem Eifer und mit recht zum Gemuͤthe ſprechender Innigkeit, mir die Sammlung Stuͤck vor Stuͤck zu erklaͤren. Endlich nahm er aus einem wohlverſchloſſe¬ nen Schranke ein Kiſtchen heraus und ſagte: hierinnen, lieber Bruder Medardus! iſt die geheimnißvollſte wunderbarſte Reliquie ent¬ halten, die unſer Kloſter beſitzt. So lange ich im Kloſter bin, hat dieſes Kiſtchen nie¬ mand in der Hand gehabt, als der Prior und ich; ſelbſt die andern Bruͤder, viel we¬ niger Fremde, wiſſen etwas von dem Daſeyn dieſer Reliquie. Ich kann die Kiſte nicht oh¬ ne inneren Schauer anruͤhren, es iſt als ſey darinn ein boͤſer Zauber verſchloſſen, der, gelaͤnge es ihm, den Bann der ihn umſchließt und wirkungslos macht, zu zerſprengen, Ver¬48 derben und heilloſen Untergang jedem berei¬ ten koͤnnte, den er ereilt. Das was darin¬ nen enthalten, ſtammt unmittelbar von dem Widerſacher her, aus jener Zeit, als er noch ſichtlich gegen das Heil der Menſchen zu kaͤmpfen vermochte. Ich ſah den Bruder Cyrillus im hoͤchſten Erſtaunen an; ohne mir Zeit zu laſſen, etwas zu erwiedern, fuhr er fort: Ich will mich lieber Bruder Medar¬ dus gaͤnzlich enthalten, in dieſer hoͤchſt my¬ ſtiſchen Sache nur irgend eine Meinung zu aͤußern, oder wohl gar dieſe jene Hy¬ potheſe aufzutiſchen, die mir durch den Kopf gefahren, ſondern lieber getreulich dir das erzaͤhlen, was die, uͤber jene Reliquie vor¬ handenen Dokumente davon ſagen. Du fin¬ deſt dieſe Dokumente in jenem Schrank und kannſt ſie ſelbſt nachleſen. Dir iſt das Le¬ ben des heiligen Antonius zur Gnuͤge be¬ kannt, du weißt, daß er, um ſich von allem Irrdiſchen zu entfernen, um ſeine Seele ganz dem Goͤttlichen zuzuwenden, in dieWuͤ¬49Wuͤſte zog, und da ſein Leben den ſtrengſten Buß - und Andachtsuͤbungen weihte. Der Widerſacher verfolgte ihn und trat ihm oft ſichtlich in den Weg, um ihn in ſeinen from¬ men Betrachtungen zu ſtoͤren. So kam es denn, daß der h. Antonius einmal in der Abenddaͤmmerung eine finſtre Geſtalt wahr¬ nahm, die auf ihn zuſchritt. In der Naͤhe erblickte er zu ſeinem Erſtaunen, daß aus den Loͤchern des zerriſſenen Mantels, den die Geſtalt trug, Flaſchenhaͤlſe hervorguckten. Es war der Widerſacher, der in dieſem ſelt¬ ſamen Aufzuge ihn hoͤhniſch anlaͤchelte und frug, ob er nicht von den Elixieren, die er in den Flaſchen bei ſich truͤge, zu koſten be¬ gehre? Der heilige Antonius, den dieſe Zu¬ muthung nicht einmal verdrießen konnte, weil der Widerſacher, ohnmaͤchtig und kraftlos ge¬ worden, nicht mehr im Stande war, ſich auf irgend einen Kampf einzulaſſen, und ſich da¬ her auf hoͤhnende Reden beſchraͤnken mußte, frug ihn: warum er denn ſo viele FlaſchenI. [4] 50und auf ſolche beſondere Weiſe bei ſich truͤ¬ ge? Da antwortete der Widerſacher: Siehe, wenn mir ein Menſch begegnet, ſo ſchaut er mich verwundert an und kann es nicht laſ¬ ſen nach meinen Getraͤnken zu fragen, und zu koſten aus Luͤſternheit. Unter ſo vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet und er ſaͤuft die ganze Flaſche aus, und wird trunken, und ergiebt ſich mir und meinem Reiche. So weit ſteht das in allen Legenden; nach dem beſonderen Do¬ kument, das wir uͤber dieſe Viſion des heili¬ gen Antonius beſitzen, heißt es aber weiter, daß der Widerſacher, als er ſich von dannen hub, einige ſeiner Flaſchen auf einen Raſen ſtehen ließ, die der h. Antonius ſchnell in ſeine Hoͤle mitnahm und verbarg, aus Furcht, ſelbſt in der Einoͤde koͤnnte ein Verirrter, ja wohl gar einer ſeiner Schuͤler, von dem ent¬ ſetzlichen Getraͤnke koſten und ins ewige Ver¬ derben gerathen. Zufaͤllig, erzaͤhlt das Dokument weiter, habe der heilige Antonius51 einmal eine dieſer Flaſchen geoͤffnet, da ſey ein ſeltſamer betaͤubender Dampf herausge¬ fahren und allerlei ſcheusliche ſinneverwir¬ rende Bilder der Hoͤlle, haͤtten den Heiligen umſchwebt, ja ihn mit verfuͤhreriſchen Gau¬ keleien zu verlocken geſucht, bis er ſie durch ſtrenges Faſten und anhaltendes Gebet wie¬ der vertrieben. In dieſem Kiſtchen befin¬ det ſich nun aus dem Nachlaß des h. Anto¬ nius eben eine ſolche Flaſche mit einem Teu¬ fels-Elixier und die Dokumente ſind ſo au¬ thentiſch und genau, daß wenigſtens daran, daß die Flaſche wirklich nach dem Tode des h. Antonius unter ſeinen nachgebliebenen Sa¬ chen gefunden wurde, kaum zu zweifeln iſt. Uebrigens kann ich verſichern, lieber Bruder Medardus! daß, ſo oft ich die Flaſche, ja nur dieſes Kiſtchen, worin ſie verſchloſſen, beruͤhre, mich ein unerklaͤrliches inneres Grauen anwandelt, ja daß ich waͤhne, etwas von einem ganz ſeltſamen Duft zu ſpuͤren, der mich betaͤubt und zugleich eine innere52 Unruhe des Geiſtes hervorbringt, die mich ſelbſt bei den Andachtsuͤbungen zerſtreut. Indeſſen uͤberwinde ich dieſe boͤſe Stim¬ mung, welche offenbar von dem Einfluß ir¬ gend einer feindlichen Macht herruͤhrt, ſollte ich auch an die unmittelbare Einwirkung des Widerſachers nicht glauben, durch ſtand¬ haftes Gebet. Dir, lieber Bruder Medardus, der du noch ſo jung biſt, der du noch Alles, was dir deine von fremder Kraft aufgeregte Fantaſie vorbringen mag, in glaͤnzenderen lebhafteren Farben erblickſt, der du noch, wie ein tapferer aber unerfahrner Krieger, zwar ruͤſtig im Kampfe, aber vielleicht zu kuͤhn, das Unmoͤgliche wagend, deiner Staͤrke zu ſehr vertrauſt, rathe ich, das Kiſtchen nie¬ mals, oder wenigſtens erſt nach Jahren zu oͤffnen, und damit dich deine Neugierde nicht in Verſuchung fuͤhre, es dir weit weg aus den Augen zu ſtellen.

Der Bruder Cyrillus verſchloß die ge¬ heimnißvolle Kiſte wieder in den Schrank,53 wo ſie geſtanden, und uͤbergab mir den Schluͤſſelbund, an dem auch der Schluͤſſel je¬ nes Schranks hing: die ganze Erzaͤhlung hatte auf mich einen eignen Eindruck ge¬ macht, aber je mehr ich eine innere Luͤſtern¬ heit emporkeimen fuͤhlte, die wunderbare Re¬ liquie zu ſehen, deſto mehr war ich, der War¬ nung des Bruders Cyrillus gedenkend, be¬ muͤht, auf jede Art mir es zu erſchweren. Als Cyrillus mich verlaſſen, uͤberſah ich noch einmal die mir anvertrauten Heiligthuͤmer, dann loͤſte ich aber das Schluͤſſelchen, wel¬ ches den gefaͤhrlichen Schrank ſchloß, vom Bunde ab, und verſteckte es tief unter meine Skripturen im Schreibpulte.

Unter den Profeſſoren im Seminar gab es einen vortrefflichen Redner, jedesmal, wenn er predigte, war die Kirche uͤberfuͤllt; der Feuerſtrom ſeiner Worte riß alles unwi¬ derſtehlich fort, die inbruͤnſtigſte Andacht im Innern entzuͤndend. Auch mir drangen ſei¬ ne herrlichen begeiſterten Reden ins Innerſte,54 aber indem ich den Hochbegabten gluͤcklich pries, war es mir, als rege ſich eine innere Kraft, die mich maͤchtig antrieb, es ihm gleich zu thun. Hatte ich ihn gehoͤrt, ſo predigte ich auf meiner einſamen Stube, mich ganz der Begeiſterung des Moments uͤberlaſſend, bis es mir gelang, meine Ideen, meine Worte feſtzuhalten und aufzuſchreiben. Der Bru¬ der, welcher im Kloſter zu predigen pflegte, wurde zuſehends ſchwaͤcher, ſeine Reden ſchlichen wie ein halbverſiegter Bach muͤh¬ ſam und tonlos dahin, und die ungewoͤhnlich gedehnte Sprache, welche der Mangel an Ideen und Worten erzeugte, da er ohne Con¬ zept ſprach, machte ſeine Reden ſo unausſteh¬ lich lang, daß vor dem Amen ſchon der groͤßte Theil der Gemeinde, wie bei dem bedeu¬ tungsloſen eintoͤnigen Geklapper einer Muͤhle, ſanft eingeſchlummert war, und nur durch den Klang der Orgel wieder erweckt werden konnte. Der Prior Leonardus war zwar ein ganz vorzuͤglicher Redner, indeſſen trug er55 Scheu zu predigen, weil es ihn bei den ſchon erreichten hohen Jahren zu ſtark angriff, und ſonst gab es im Kloſter keinen, der die Stelle jenes ſchwaͤchlichen Bruders haͤtte er¬ ſetzen koͤnnen. Leonardus ſprach mit mir uͤber dieſen Uebelſtand, der der Kirche den Beſuch mancher Frommen entzog; ich faßte mir ein Herz und ſagte ihm, wie ich ſchon im Seminar einen innern Beruf zum Predi¬ gen geſpuͤrt und manche geiſtliche Rede auf¬ geſchrieben habe. Er verlangte, ſie zu ſehen, und war ſo hoͤchlich damit zufrieden, daß er in mich drang ſchon am naͤchſten heiligen Tage, den Verſuch mit einer Predigt zu machen, der um ſo weniger mißlingen wer¬ de, als mich die Natur mit Allem ausge¬ ſtattet habe, was zum guten Canzelredner gehoͤre, nehmlich mit einer einnehmenden Geſtalt, einem ausdrucksvollen Geſicht und einer kraͤftigen tonreichen Stimme. Ruͤck¬ ſichts des aͤußern Anſtandes, der richtigen Geſtikulation unternahm Leonardus ſelbſt mich56 zu unterrichten. Der Heiligentag kam her¬ an, die Kirche war beſetzter als gewoͤhnlich, und ich beſtieg nicht ohne inneres Erbeben die Canzel. Im Anfange blieb ich mei¬ ner Handſchrift getreu, und Leonardus ſagte mir nachher, daß ich mit zitternder Stimme geſprochen, welches aber gerade den andaͤch¬ tigen wehmuthsvollen Betrachtungen, womit die Rede begann, zugeſagt, und bei den mehrſten fuͤr eine beſondere wirkungsvolle Kunſt des Redners gegolten habe. Bald aber war es, als ſtrahle der gluͤhende Funke himmliſcher Begeiſterung durch mein Inne¬ res ich dachte nicht mehr an die Hand¬ ſchrift, ſondern uͤberließ mich ganz den Ein¬ gebungen des Moments. Ich fuͤhlte, wie das Blut in allen Pulſen gluͤhte und ſpruͤhte ich hoͤrte meine Stimme durch das Gewoͤlbe donnern ich ſah mein erhobenes Haupt, meine ausgebreiteten Arme, wie von Strah¬ lenglanz der Begeiſterung umfloſſen. Mit einer Sentenz, in der ich alles Heilige und57 Herrliche, das ich verkuͤndet, nochmals wie in einem flammenden Fokus zuſammenfaßte, ſchloß ich meine Rede, deren Eindruck ganz ungewoͤhnlich, ganz unerhoͤrt war. Heftiges Weinen unwillkuͤhrlich den Lippen entflie¬ hende Ausrufe der andachtvollſten Wonne lautes Gebet, hallten meinen Worten nach. Die Bruͤder zollten mir ihre hoͤchſte Bewun¬ derung, Leonardus umarmte mich, er nannte mich den Stolz des Kloſters. Mein Ruf verbreitete ſich ſchnell, und um den Bruder Medardus zu hoͤren, draͤngte ſich der vor¬ nehmſte, der gebildetſte Theil der Stadtbe¬ wohner, ſchon eine Stunde vor dem Laͤuten, in die nicht allzugroße Kloſterkirche. Mit der Bewunderung ſtieg mein Eifer und mei¬ ne Sorge, den Reden im ſtaͤrkſten Feuer Ruͤnde und Gewandtheit zu geben. Immer mehr gelang es mir, die Zuhoͤrer zu feſſeln, und, immer ſteigend und ſteigend, glich bald die Verehrung, die ſich uͤberall, wo ich ging und ſtand in den ſtaͤrkſten Zuͤgen an den Tag58 legte, beinahe der Vergoͤtterung eines Heili¬ gen. Ein religioͤſer Wahn hatte die Stadt ergriffen, alles ſtroͤmte bei irgend einem An¬ laß, auch an gewoͤhnlichen Wochentagen, nach dem Kloſter, um den Bruder Medardus zu ſehen, zu ſprechen. Da keimte in mir der Gedanke auf, ich ſey ein beſonders Erkohr¬ ner des Himmels; die geheimnißvollen Um¬ ſtaͤnde bei meiner Geburt, am heiligen Orte zur Entſuͤndigung des verbrecheriſchen Va¬ ters, die wunderbaren Begebenheiten in mei¬ nen erſten Kinderjahren, alles deutete dahin, daß mein Geiſt, in unmittelbarer Beruͤhrung mit dem Himmliſchen, ſich ſchon hienieden uͤber das Irrdiſche erhebe, und ich nicht der Welt, den Menſchen angehoͤre, denen Heil und Troſt zu geben, ich hier auf Erden wandle. Es war mir nun gewiß, daß der alte Pilgram in der heiligen Linde, der hei¬ lige Joſeph, der wunderbare Knabe aber das Jeſuskind ſelbſt geweſen, das in mir den Heiligen der auf Erden zu wandeln beſtimmt,59 begruͤßt habe. Aber ſo wie dies Alles im¬ mer lebendiger vor meiner Seele ſtand, wur¬ de mir auch meine Umgebung immer laͤſti¬ ger und druͤckender. Jene Ruhe und Hei¬ terkeit des Geiſtes, die mich ſonſt umfing, war aus meiner Seele entſchwunden ja alle gemuͤthliche Aeußerungen der Bruͤder, die Freundlichkeit des Priors, erweckten in mir einen feindſeeligen Zorn. Den Heili¬ gen, den hoch uͤber ſie erhabenen, ſollten ſie in mir erkennen, ſich niederwerfen in den Staub, und die Fuͤrbitte erflehen vor dem Throne Gottes. So aber hielt ich ſie fuͤr befangen in verderblicher Verſtocktheit. Selbſt in meine Reden flocht ich gewiſſe Anſpielun¬ gen ein, die darauf hindeuteten, wie nun ei¬ ne wundervolle Zeit, gleich der in ſchimmern¬ den Strahlen leuchtenden Morgenroͤthe, an¬ gebrochen, in der Troſt und Heil bringend der glaͤubigen Gemeinde ein Auserwaͤhlter Gottes auf Erden wandle. Meine eingebil¬ dete Sendung kleidete ich in myſtiſche Bil¬60 der ein, die um ſo mehr wie ein fremdarti¬ ger Zauber auf die Menge wirkten, je we¬ niger ſie verſtanden wurden. Leonardus wur¬ de ſichtlich kaͤlter gegen mich, er vermied, mit mir ohne Zeugen zu ſprechen, aber endlich, als wir einſt zufaͤllig von allen Bruͤdern ver¬ laſſen, in der Allee des Kloſtergartens ein¬ hergingen, brach er los: Nicht verhehlen kann ich es dir, lieber Bruder Medardus, daß Du ſeit einiger Zeit durch dein ganzes Betragen mir Mißfallen erregſt. Es iſt etwas in deine Seele gekommen, das dich dem Leben in frommer Einfalt abwendig macht. In deinen Reden herrſcht ein feind¬ liches Dunkel, aus dem nur noch manches hervorzutreten ſich ſcheut, was dich wenig¬ ſtens mit mir auf immer entzweien wuͤrde. Laß mich offenherzig ſeyn! Du traͤgſt in dieſem Augenblick die Schuld unſeres ſuͤndi¬ gen Urſprungs, die jedem maͤchtigen Empor¬ ſtreben unſerer geiſtigen Kraft die Schran¬ ken des Verderbniſſes oͤffnet, wohin wir uns61 in unbedachtem Fluge nur zu leicht verirren! Der Beifall, ja die abgoͤttiſche Bewunde¬ rung, die dir die leichtſinnige, nach jeder An¬ reizung luͤſterne Welt gezollt, hat dich ge¬ blendet, und du ſiehſt dich ſelbſt in einer Ge¬ ſtalt, die nicht dein eigen, ſondern ein Trug¬ bild iſt, welches dich in den verderblichen Abgrund lockt. Gehe in dich, Medardus! entſage dem Wahn der dich bethoͤrt ich glaube ihn zu kennen! ſchon jetzt iſt dir die Ruhe des Gemuͤths, ohne welche kein Heil hienieden zu finden, entflohen. Laß dich warnen, weiche aus dem Feinde der dir nachſtellt. Sey wieder der gutmuͤthige Juͤngling, den ich mit ganzer Seele lieb¬ te. Thraͤnen quollen aus den Augen des Priors, als er dies ſprach; er hatte mei¬ ne Hand ergriffen, ſie loslaſſend entfernte er ſich ſchnell, ohne meine Antwort abzuwar¬ ten. Aber nur feindſeelig waren ſeine Worte in mein Innres gedrungen; er hatte des Beifalls, ja der hoͤchſten Bewunderung62 erwaͤhnt, die ich mir durch meine außeror¬ dentliche Gaben erworben, und es war mir deutlich, daß nur kleinlicher Neid jenes Mi߬ behagen an mir erzeugt habe, das er ſo un¬ verholen aͤußerte. Stumm und in mich ge¬ kehrt, blieb ich vom innern Groll ergriffen, bei den Zuſammenkuͤnften der Moͤnche, und ganz erfuͤllt von dem neuen Weſen, das mir aufgegangen, ſann ich den Tag uͤber, und in den ſchlafloſen Naͤchten, wie ich alles in mir aufgekeimte, in praͤchtige Worte faſſen und dem Volk verkuͤnden wollte. Je mehr ich mich nun von Leonardus und den Bruͤdern entfernte, mit deſto ſtaͤrkeren Banden wußte ich die Menge an mich zu ziehen.

Am Tage des heiligen Antonius war die Kirche ſo gedraͤngt voll, daß man die Thuͤ¬ ren weit oͤffnen mußte, um dem zuſtroͤmen¬ den Volke zu vergoͤnnen, mich auch noch vor der Kirche zu hoͤren. Nie hatte ich kraͤf¬ tiger, feuriger, eindringender geſprochen. Ich erzaͤhlte, wie es gewoͤhnlich, Manches aus63 dem Leben des Heiligen, und knuͤpfte daran fromme, tief ins Leben eindringende Betrach¬ tungen. Von den Verfuͤhrungen des Teu¬ fels, dem der Suͤndenfall die Macht gegeben, die Menſchen zu verlocken, ſprach ich, und unwillkuͤhrlich fuͤhrte mich der Strom der Rede hinein in die Legende von den Elixie¬ ren, die ich wie eine ſinnreiche Allegorie dar¬ ſtellen wollte. Da fiel mein in der Kirche umherſchweifender Blick auf einen langen hageren Mann, der mir ſchraͤg uͤber auf eine Bank geſtiegen, ſich an einen Eckpfeiler lehn¬ te. Er hatte auf ſeltſame fremde Weiſe einen dunkelvioletten Mantel umgeworfen, und die uͤbereinander geſchlagenen Arme da¬ rin gewickelt. Sein Geſicht war leichenblaß, aber der Blick der großen ſchwarzen ſtieren Augen, fuhr wie ein gluͤhender Dolchſtich durch meine Bruſt. Mich durchbebte ein unheimliches grauenhaftes Gefuͤhl, ſchnell wandte ich mein Auge ab und ſprach, alle meine Kraft zuſammennehmend, weiter. Aber64 wie von einer fremden zauberiſchen Gewalt getrieben, mußte ich immer wieder hinſchau¬ en, und immer ſtarr und bewegungslos ſtand der Mann da, den geſpenſtiſchen Blick auf mich gerichtet. So wie bittrer Hohn ver¬ achtender Haß, lag es auf der hohen gefurch¬ ten Stirn, in dem herabgezogenen Munde. Die ganze Geſtalt hatte etwas furchtbares entſetzliches! Ja! es war der unbe¬ kannte Maler aus der heiligen Linde. Ich fuͤhlte mich, wie von eiskalten grauſigen Faͤu¬ ſten gepackt Tropfen des Angſtſchweißes ſtanden auf meiner Stirn meine Perioden ſtockten immer verwirrter und verwirrter wurden meine Reden es entſtand ein Fluͤ¬ ſtern ein Gemurmel in der Kirche aber ſtarr und unbeweglich lehnte der fuͤrchterli¬ che Fremde am Pfeiler, den ſtieren Blick auf mich gerichtet. Da ſchrie ich auf in der Hoͤllenangſt wahnſinniger Verzweiflung. Ha Verruchter! hebe dich weg! hebe dich weg denn ich bin es ſelbſt! ich binder65der heilige Antonius! Als ich aus dem bewuſtloſen Zuſtand, in den ich mit jenen Worten verſunken, wieder erwachte, befand ich mich auf meinem Lager, und der Bruder Cyrillus ſaß neben mir, mich pflegend und troͤſtend. Das ſchreckliche Bild des Unbe¬ kannten ſtand mir noch lebhaft vor Augen, aber je mehr der Bruder Cyrillus, dem ich alles erzaͤhlte, mich zu uͤberzeugen ſuchte, daß dieſes nur ein Gaukelbild meiner durch das eifrige und ſtarke Reden erhitzten Fan¬ taſie geweſen, deſto tiefer fuͤhlte ich bittre Reue und Schaam uͤber mein Betragen auf der Kanzel. Die Zuhoͤrer dachten, wie ich nachher erfuhr, es habe mich ein ploͤtzlicher Wahnſinn uͤberfallen, wozu ihnen vorzuͤglich mein letzter Ausruf gerechten Anlaß gab. Ich war zerknirſcht zerruͤttet im Geiſte; eingeſchloſſen in meine Zelle, unterwarf ich mich den ſtrengſten Bußuͤbungen, und ſtaͤrkte mich durch inbruͤnſtige Gebete zum Kampfe mit dem Verſucher, der mir ſelbſt an heili¬I. [5] 66ger Staͤtte erſchienen, nur in frechem Hohn die Geſtalt borgend von dem frommen Ma¬ ler in der heiligen Linde. Niemand wollte uͤbrigens den Mann im violetten Mantel er¬ blickt haben, und der Prior Leonardus ver¬ breitete nach ſeiner anerkannten Gutmuͤthig¬ keit auf das eifrigſte uͤberall, wie es nur der Anfall einer hitzigen Krankheit geweſen, wel¬ cher mich in der Predigt auf ſolche entſetzli¬ che Weiſe mitgenommen, und meine verwirr¬ ten Reden veranlaßt habe: wirklich war ich auch noch ſiech und krank, als ich nach meh¬ reren Wochen wieder in das gewoͤhnliche Kloͤ¬ ſterliche Leben eintrat. Dennoch unternahm ich es wieder die Kanzel zu beſteigen, aber, von innerer Angſt gefoltert, verfolgt von der entſetzlichen bleichen Geſtalt, vermochte ich kaum zuſammenhaͤngend zu ſprechen, viel we¬ niger mich wie ſonſt, dem Feuer der Bered¬ ſamkeit zu uͤberlaſſen. Meine Predigten wa¬ ren gewoͤhnlich ſteif zerſtuͤckelt. Die Zuhoͤrer bedauerten den Verluſt meiner Red¬67 nergabe, verlohren ſich nach und nach, und der alte Bruder, der ſonſt gepredigt und nun noch offenbar beſſer redete, als ich, erſetzte wieder meine Stelle.

Nach einiger Zeit begab es ſich, daß ein junger Graf, von ſeinem Hofmeiſter, mit dem er auf Reiſen begriffen, begleitet, unſer Klo¬ ſter beſuchte, und die vielfachen Merkwuͤrdig¬ keiten deſſelben zu ſehen begehrte. Ich mu߬ te die Reliquienkammer aufſchließen und wir traten hinein, als der Prior, der mit uns durch Chor und Kirche gegangen, abgerufen wurde, ſo daß ich mit den Fremden allein blieb. Jedes Stuͤck hatte ich gezeigt und erklaͤrt, da fiel dem Grafen der, mit zierlichem altteutſchen Schnitzwerk geſchmuͤckte, Schrank ins Auge, in dem ſich das Kiſtchen mit dem Teufels-Elixier befand. Unerachtet ich nun nicht gleich mit der Sprache heraus wollte, was in dem Schrank verſchloſſen, ſo dran¬ gen beide, der Graf und der Hofmeiſter, doch ſo lange in mich, bis ich die Legende vom h. 68Antonius und dem argliſtigen Teufel erzaͤhl¬ te, und mich uͤber die, als Reliquie aufbe¬ wahrte Flaſche, ganz getreu nach den Wor¬ ten des Bruder Cyrillus ausließ, ja ſogar die Warnung hinzufuͤgte, die er mir Ruͤck¬ ſichts der Gefahr des Oeffnens der Kiſte und des Vorzeigens der Flaſche gegeben. Uner¬ achtet der Graf unſerer Religion zugethan war, ſchien er doch eben ſo wenig, als der Hofmeiſter auf die Wahrſcheinlichkeit der hei¬ ligen Legenden viel zu bauen. Sie ergoſſen ſich beide in allerlei witzigen Anmerkungen und Einfaͤllen uͤber den komiſchen Teufel, der die Verfuͤhrungsflaſchen im zerriſſenen Mantel trage, endlich nahm aber der Hof¬ meiſter eine ernſthafte Miene an und ſprach: Haben Sie an uns leichtſinnigen Weltmen¬ ſchen kein Aergerniß, ehrwuͤrdiger Herr! Seyn Sie uͤberzeugt, daß wir beide, ich und mein Graf, die Heiligen als herrliche von der Religion hoch begeiſterte Menſchen ver¬ ehren, die dem Heil ihrer Seele, ſo wie dem69 Heil der Menſchen, alle Freuden des Lebens, ja, das Leben ſelbſt opferten, was aber ſol¬ che Geſchichten betrifft, wie die ſo eben von Ihnen erzaͤhlte, ſo glaube ich, daß nur eine geiſtreiche, von dem Heiligen erſonnene Alle¬ gorie durch Mißverſtand, als wirklich ge¬ ſchehen, ins Leben gezogen wurde.

Unter dieſen Worten hatte der Hofmei¬ ſter den Schieber des Kiſtchens ſchnell aufge¬ ſchoben und die ſchwarze, ſonderbar geform¬ te Flaſche herausgenommen. Es verbreitete ſich wirklich, wie der Bruder Cyrillus es mir geſagt, ein ſtarker Duft, der indeſſen nichts weniger, als betaͤubend, ſondern vielmehr angenehm und wohlthaͤtig wirkte. Ei, rief der Graf: ich wette, daß das Elixier des Teufels weiter nichts iſt, als herrlicher aͤchter Syrakuſer. Ganz gewiß, erwiederte der Hofmeiſter: und ſtammt die Flaſche wirklich aus dem Nachlaß des h. Antonius, ſo geht es Ihnen, ehrwuͤrdiger Herr! beinahe beſ¬ ſer, wie dem Koͤnige von Neapel, den die70 Unart der Roͤmer, den Wein nicht zu pfro¬ pfen, ſondern nur durch darauf getroͤpfeltes Oel zu bewahren, um das Vergnuͤgen brach¬ te, altroͤmiſchen Wein zu koſten. Iſt dieſer Wein auch lange nicht ſo alt, als jener gewe¬ ſen waͤre, ſo iſt es doch fuͤrwahr der aͤlteſte, den es wohl geben mag, und darum thaͤten ſie wohl, die Reliquie in Ihren Nutzen zu verwenden und getroſt auszunippen. Ge¬ wiß, fiel der Graf ein: dieſer uralte Syra¬ kuſer wuͤrde neue Kraft in Ihre Adern gie¬ ßen und die Kraͤnklichkeit verſcheuchen, von der Sie, ehrwuͤrdiger Herr! heimgeſucht ſchei¬ nen. Der Hofmeiſter holte einen ſtaͤhlernen Korkzieher aus der Taſche und oͤffnete, mei¬ ner Proteſtationen unerachtet, die Flaſche. Es war mir als zucke mit dem Herausflie¬ gen des Korks ein blaues Flaͤmmchen empor, das gleich wieder verſchwand. Staͤrker ſtieg der Duft aus der Flaſche und wallte durch das Zimmer. Der Hofmeiſter koſtete zuerſt und rief begeiſtert: herrlicher herr¬71 licher[Syrakuſer]! In der That, der Wein¬ keller des heiligen Antonius war nicht uͤbel, und machte der Teufel ſeinen Kellermeiſter, ſo meinte er es mit dem heiligen Mann nicht ſo boͤſe, als man glaubt koſten Sie Graf! Der Graf that es, und beſtaͤtigte das, was der Hofmeiſter geſprochen. Beide ſcherz¬ ten noch mehr uͤber die Reliquie, die offen¬ bar die ſchoͤnſte in der ganzen Sammlung ſey ſie wuͤnſchten ſich einen ganzen Keller voll ſolcher Reliquien u. ſ. w. Ich hoͤrte Alles ſchweigend mit niedergeſenktem Haupte, mit zur Erde ſtarrendem Blick an; der Frohſinn der Fremden, hatte fuͤr mich, in meiner duͤ¬ ſteren Stimmung, etwas quaͤlendes; verge¬ bens drangen ſie in mich, auch von dem Wein des heiligen Antonius zu koſten, ich verweigerte es ſtandhaft und verſchloß die Flaſche, wohl zugepfropft, wieder in ihr Be¬ haͤltniß.

Die Fremden verließen das Kloſter, aber als ich einſam in meiner Zelle ſaß, konnte72 ich mir ſelbſt ein gewiſſes innres Wohlbeha¬ gen, eine rege Heiterkeit des Geiſtes nicht ablaͤugnen. Es war offenbar, daß der gei¬ ſtige Duft des Weins mich geſtaͤrkt hatte. Keine Spur der uͤblen Wirkung, von der Cyrillus geſprochen, empfand ich, und nur der entgegengeſetzte wohlthaͤtige Einfluß zeig¬ te ſich auf auffallende Weiſe: je mehr ich uͤber die Legende des heiligen Antonius nach¬ dachte, je lebhafter die Worte des Hofmei¬ ſters in meinem Innern wiederklangen, deſto gewiſſer wurde es mir, daß die Erklaͤrung des Hofmeiſters die richtige ſey, und nun erſt durchfuhr mich, wie ein leuchtender Blitz der Gedanke: daß, an jenem ungluͤcklichen Ta¬ ge, als eine feindſeelige Viſion mich in der Predigt auf ſo zerſtoͤrende Weiſe unterbrach, ich ja ſelbſt im Begriff geweſen, die Legende auf dieſelbe Weiſe, als eine geiſtreiche be¬ lehrende Allegorie des heiligen Mannes vor¬ zutragen. Dieſem Gedanken knuͤpfte ſich ein anderer an, welcher bald mich ſo ganz und73 gar erfuͤllte, daß alles Uebrige in ihm unter¬ ging. Wie, dachte ich, wenn das wunder¬ bare Getraͤnk mit geiſtiger Kraft dein Inne¬ res ſtaͤrkte, ja die erloſchene Flamme entzuͤn¬ den koͤnnte, daß ſie in neuem Leben empor¬ ſtrahlte? Wenn ſchon dadurch eine geheim¬ nißvolle Verwandſchaft deines Geiſtes mit den in jenem Wein verſchloſſenen Natur¬ kraͤften ſich offenbaret haͤtte, daß derſelbe Duft, der den ſchwaͤchlichen Cyrillus betaͤub¬ te, auf dich nur wohlthaͤtig wirkte? Aber, war ich auch ſchon entſchloſſen, dem Rathe der Fremden zu folgen, wollte ich ſchon zur That ſchreiten, ſo hielt mich immer wieder ein inneres, mir ſelbſt unerklaͤrliches Wider¬ ſtreben davon zuruͤck. Ja, im Begriff, den Schrank aufzuſchließen, ſchien es mir, als erblicke ich in dem Schnitzwerk das enſetz¬ liche Geſicht des Malers, mit den mich durch¬ bohrenden lebendigtodtſtarren Augen, und von geſpenſtiſchem Grauen gewaltſam er¬ griffen, floh ich aus der Reliquienkammer,74 um an heiliger Staͤtte meinen Vorwitz zu bereuen. Aber immer und immer verfolgte mich der Gedanke, daß nur durch den Genuß des wunderbaren Weins mein Geiſt ſich er¬ laben und ſtaͤrken koͤnne. Das Betragen des Priors der Moͤnche die mich, wie einen geiſtig Erkrankten, mit gutgemeinter, aber niederbeugender Schonung behandelten, brachte mich zur Verzweiflung, und als Leo¬ nardus nun gar mich von den gewoͤhnlichen Andachtsuͤbungen dispenſirte, damit ich mei¬ ne Kraͤfte ganz ſammeln ſolle, da beſchloß ich, in ſchlafloſer Nacht von tiefem Gram ge¬ foltert, auf den Tod alles zu wagen, um die verlorne geiſtige Kraft wieder zu gewinnen, oder unterzugehn.

Ich ſtand vom Lager auf, und ſchlich wie ein Geſpenſt, mit der Lampe, die ich bei dem Marienbilde auf dem Gange des Klo¬ ſters angezuͤndet, durch die Kirche nach der Re¬ liquienkammer. Von dem flackernden Scheine der Lampe beleuchtet, ſchienen die heiligen75 Bilder in der Kirche ſich zu regen, es war, als blickten ſie mitleidsvoll auf mich herab, es war, als hoͤre ich in dem dumpfen Brau¬ ſen des Sturms, der durch die zerſchlagenen Fenſter ins Chor hineinfuhr, klaͤgliche war¬ nende Stimmen, ja, als riefe mir meine Mut¬ ter zu aus weiter Ferne: Sohn Medardus, was beginnſt du, laß ab von dem gefaͤhrli¬ chen Unternehmen! Als ich in die Reli¬ quienkammer getreten, war alles ſtill und ruhig, ich ſchloß den Schrank auf, ich ergriff das Kiſtchen, die Flaſche, bald hatte ich einen kraͤftigen Zug gethan! Glut ſtroͤmte durch meine Adern und erfuͤllte mich mit dem Gefuͤhl unbeſchreiblichen Wohl¬ ſeyns ich trank noch einmal, und die Luſt eines neuen herrlichen Lebens ging mir auf! Schnell verſchloß ich das leere Kiſtchen in den Schrank, eilte raſch mit der wohlthaͤti¬ gen Flaſche nach meiner Zelle, und ſtellte ſie in mein Schreibepult. Da fiel mir der kleine Schluͤſſel in die Haͤnde, den ich da¬76 mals, um jeder Verſuchung zu entgehen, vom Bunde loͤſ'te, und doch hatte ich ohne ihn, ſowohl damals, als die Fremden zuge¬ gen waren, als jetzt, den Schrank aufge¬ ſchloſſen? Ich unterſuchte meinen Schluͤſ¬ ſelbund, und ſiehe ein unbekannter Schluͤſſel, mit dem ich damals und jetzt den Schrank geoͤffnet, ohne in der Zerſtreuung darauf zu merken, hatte ſich zu den uͤbrigen gefunden. Ich erbebte unwillkuͤhrlich, aber ein bun¬ tes Bild jug das andere bei dem, wie aus tiefem Schlaf aufgeruͤttelten Geiſte voruͤber. Ich hatte nicht Ruh, nicht Raſt, bis der Morgen heiter anbrach,[und] ich hinabeilen konnte in den Kloſtergarten, um mich in den Strahlen der Sonne, die feurig und gluͤhend hinter den Bergen emporſtieg, zu baden. Leo¬ nardus, die Bruͤder, bemerkten meine Veraͤn¬ derung; ſtatt daß ich ſonſt in mich verſchloſ¬ ſen, kein Wort ſprach, war ich heiter und lebendig. Als rede ich vor verſammelter Ge¬ meinde, ſprach ich mit dem Feuer der Be¬77 redſamkeit, wie es ſonſt mir eigen. Da ich mit Leonardus allein geblieben, ſah er mich lange an, als wollte er mein Innerſtes durch¬ dringen; dann ſprach er aber, indem ein lei¬ ſes ironiſches Laͤcheln uͤber ſein Geſicht flog: hat der Bruder Medardus vielleicht in einer Viſion neue Kraft und verjuͤngtes Leben von oben herab erhalten? Ich fuͤhlte mich vor Schaam ergluͤhen, denn in dem Augenblick kam mir meine Exaltation, durch einen Schluck alten Weins erzeugt, nichtswuͤrdig und arm¬ ſeelig vor. Mit niedergeſchlagenen Augen und geſenktem Haupte, ſtand ich da, Leonar¬ dus uͤberließ mich meinen Betrachtungen. Nur zu ſehr hatte ich gefuͤrchtet, daß die Spannung, in die mich der genoſſene Wein verſetzt, nicht lange anhalten, ſondern viel¬ leicht zu meinem Gram noch groͤßere Ohn¬ macht nach ſich ziehn wuͤrde; es war aber dem nicht ſo, vielmehr fuͤhlte ich, wie, mit der wiedererlangten Kraft, auch jugendlicher Muth, und jenes raſtloſe Streben nach dem78 hoͤchſten Wirkungskreiſe, den mir das Kloſter darbot, zuruͤckkehrte. Ich beſtand darauf, am naͤchſten heiligen Tage wieder zu predigen, und es wurde mir vergoͤnnt. Kurz vorher ehe ich die Kanzel beſtieg, genoß ich von dem wunderbaren Weine; nie hatte ich darauf feuriger, ſalbungsreicher eindringender ge¬ ſprochen. Schnell verbreitete ſich der Ruf meiner gaͤnzlichen Wiederherſtellung, und ſo wie ſonſt fuͤllte ſich wieder die Kirche, aber je mehr ich den Beifall der Menge erwarb, deſto ernſter und zuruͤckhaltender wurde Leo¬ nardus, und ich fing an, ihn von ganzer Seele zu haſſen, da ich ihn von kleinlichem Neide und moͤnchiſchem Stolz befangen glaubte.

Der Bernardustag kam heran, und ich war voll brennender Begierde, vor der Fuͤr¬ ſtin recht mein Licht leuchten zu laſſen, wes¬ halb ich den Prior bat, es zu veranſtalten, daß mir es vergoͤnnt werde, an dem Tage im Ciſterzienſer Kloſter zu predigen. Den Leonardus ſchien meine Bitte auf beſondere79 Weiſe zu uͤberraſchen, er geſtand mir unver¬ holen, daß er gerade dieſesmal im Sinn ge¬ habt habe, ſelbſt zu predigen, und daß des¬ halb ſchon das noͤthige angeordnet ſey, deſto leichter ſey indeſſen die Erfuͤllung meiner Bitte, da er ſich mit Krankheit entſchuldigen und mich ſtatt ſeiner herausſchicken werde.

Das geſchah wirklich! Ich ſah meine Mutter, ſo wie die Fuͤrſtin, den Abend vor¬ her; mein Innres war aber ſo ganz von meiner Rede erfuͤllt, die den hoͤchſten Gipfel der Beredſamkeit erreichen ſollte, daß ihr Wiederſehen nur einen geringen Eindruck auf mich machte. Es war in der Stadt verbrei¬ tet, daß ich ſtatt des erkrankten Leonardus predigen wuͤrde, und dies hatte vielleicht noch einen groͤßeren Theil des gebildeten Publi¬ kums herbeigezogen. Ohne das mindeſte auf¬ zuſchreiben, nur in Gedanken die Rede, in ihren Theilen ordnend, rechnete ich auf die hohe Begeiſterung, die das feierliche Hoch¬ amt, das verſammelte andaͤchtige Volk, ja80 ſelbſt die herrliche hochgewoͤlbte Kirche in mir erwecken wuͤrde, und hatte mich in der That nicht geirrt. Wie ein Feuerſtrom floſſen meine Worte, die mit der Erinnerung an den heiligen Bernhard die ſinnreichſten Bilder, die froͤmmſten Betrachtungen ent¬ hielten dahin, und in allen auf mich gerich¬ teten Blicken, las ich Staunen und Bewun¬ derung. Wie war ich darauf geſpannt, was die Fuͤrſtin wohl ſagen werde, wie erwartete ich den hoͤchſten Ausbruch ihres innigſten Wohlgefallens, ja es war mir, als muͤſſe ſie den, der ſie ſchon als Kind in Erſtaunen ge¬ ſetzt, jetzt die ihm inwohnende hoͤhere Macht deutlicher ahnend, mit unwillkuͤhrlicher Ehr¬ furcht empfangen. Als ich ſie ſprechen woll¬ te, ließ ſie mir ſagen, daß ſie, ploͤtzlich von einer Kraͤnklichkeit uͤberfallen, niemanden, auch mich nicht ſprechen koͤnne. Dies war mir um ſo verdrießlicher, als nach meinem ſtolzen Wahn, die Aebtiſſin in der hoͤchſten Begeiſterung das Beduͤrfniß haͤtte fuͤhlen ſol¬len,81len, noch ſalbungsreiche Worte von mir zu vernehmen. Meine Mutter ſchien einen heim¬ lichen Gram in ſich zu tragen, nach deſſen Urſache ich mich nicht unterſtand zu forſchen, weil ein geheimes Gefuͤhl mir ſelbſt die Schuld davon aufbuͤrdete, ohne daß ich mir dies haͤtte deutlicher entraͤthſeln koͤnnen. Sie gab mir ein kleines Billet von der Fuͤrſtin, das ich erſt im Kloſter oͤffnen ſollte: kaum war ich in meiner Zelle, als ich zu meinem Erſtaunen folgendes las:

Du haſt mich, mein lieber Sohn (denn noch will ich Dich ſo nennen) durch die Rede, die Du in der Kirche unſeres Kloſters hielteſt, in die tiefſte Be¬ truͤbniß geſetzt. Deine Worte kommen nicht aus dem andaͤchtigen ganz dem himmlischen zugewandten Gemuͤthe, Dei¬ ne Begeiſterung war nicht diejenige, welche den Frommen auf Seraphsfittigen emportraͤgt, daß er in heiliger Verzuͤk¬ kung, das himmliſche Reich zu ſchauenI. [6] 82vermag. Ach! Der ſtolze Prunk Dei¬ ner Rede, Deine ſichtliche Anſtrengung, nur recht viel auffallendes, glaͤnzendes zu ſagen, hat nur bewieſen, daß Du, ſtatt die Gemeinde zu belehren und zu frommen Betrachtungen zu entzuͤnden, nur nach dem Beifall, nach der werthlo¬ ſen Bewunderung der weltlich geſinnten Menge trachteſt. Du haſt Gefuͤhle ge¬ heuchelt, die nicht in Deinem Innern waren, ja Du haſt ſelbſt gewiſſe ſichtlich ſtudierte Mienen und Bewegungen er¬ kuͤnſtelt, wie ein eitler Schauſpieler, Alles nur des ſchnoͤden Beifalls wegen. Der Geiſt des Truges iſt in Dich gefahren, und wird Dich verderben, wenn Du nicht in Dich gehſt und der Suͤnde ent¬ ſageſt. Denn Suͤnde, große Suͤnde, iſt Dein Thun und Treiben, um ſo mehr, als Du Dich zum froͤmmſten Wandel, zur Entſagung aller irrdiſchen Thorheit im Kloſter, dem Himmel verpflichtet. 83Der heilige Bernardus, den Du durch Deine truͤgeriſche Rede ſo ſchnoͤde belei¬ digt, moͤge Dir nach ſeiner himmliſchen Langmuth verzeihen, ja Dich erleuchten, daß Du den rechten Pfad, von dem Du durch den Boͤſen verlockt abgewichen, wieder findeſt, und er fuͤrbitten koͤnne fuͤr das Heil Deiner Seele. Gehab Dich wohl!

Wie hundert Blitze durchfuhren mich die Worte der Aebtiſſin, und ich ergluͤhte vor innerm Zorn, denn nichts war mir gewiſſer, als daß Leonardus, deſſen mannigfache An¬ deutungen uͤber meine Predigten eben dahin gewieſen hatten, die Andaͤchtelei der Fuͤrſtin benutzt, und ſie gegen mich und mein Red¬ ner-Talent aufgewiegelt habe. Kaum konnte ich ihn mehr anſchauen, ohne vor innerlicher Wuth zu erbeben, ja es kamen mir oft Ge¬ danken, ihn zu verderben, in den Sinn, vor denen ich ſelbſt erſchrack. Um ſo unertraͤgli¬ cher waren mir die Vorwuͤrfe der Aebtiſſin84 und des Priors, als ich in der tiefſten Tiefe meiner Seele, wohl die Wahrheit derſelben fuͤhlte; aber immer feſter und feſter behar¬ rend in meinem Thun, mich ſtaͤrkend durch Tropfen Weins aus der geheimnißvollen Fla¬ ſche, fuhr ich fort, meine Predigten mit al¬ len Kuͤnſten der Rhetorik auszuſchmuͤcken und mein Mienenſpiel, meine Geſtikulationen ſorg¬ faͤltig zu ſtudieren, und ſo gewann ich des Beifalls, der Bewunderung immer mehr und mehr.

Das Morgenlicht brach in farbigten Strahlen durch die bunten Fenſter der Klo¬ ſterkirche; einſam, und in tiefe Gedanken ver¬ ſunken, ſaß ich im Beichtſtuhl; nur die Tritte des dienenden Layenbruders, der die Kirche reinigte, hallten durch das Gewoͤlbe. Da rauſchte es in meiner Naͤhe, und ich erblick¬ te ein großes ſchlankes Frauenzimmer, auf fremdartige Weiſe gekleidet, einen Schleier uͤber das Geſicht gehaͤngt, die durch die Sei¬ tenpforte hereingetreten, ſich mir nahte, um85 zu beichten. Sie bewegte ſich mit unbe¬ ſchreiblicher Anmuth, ſie kniete nieder, ein tiefer Seufzer entfloh ihrer Bruſt, ich fuͤhlte ihren gluͤhenden Athem, es war als um¬ ſtricke mich ein betaͤubender Zauber, noch ehe ſie ſprach! Wie vermag ich den ganz eignen, ins Innerſte dringenden Ton ihrer Stimme zu beſchreiben. Jedes ihrer Wor¬ te griff in meine Bruſt, als ſie bekannte, wie ſie eine verbotene Liebe hege, die ſie ſchon ſeit langer Zeit vergebens bekaͤmpfe, und daß dieſe Liebe um ſo ſuͤndlicher ſey, als den Geliebten heilige Bande auf ewig feſſel¬ ten; aber im Wahnſinn hoffnungsloſer Ver¬ zweiflung, habe ſie dieſen Banden ſchon ge¬ flucht. Sie ſtockte mit einem Thraͤnen¬ ſtrom, der die Worte beinahe erſtickte, brach ſie los: Du ſelbſt Du ſelbſt, Medardus biſt es, den ich ſo unausſprechlich liebe! Wie im toͤdtenden Krampf zuckten alle meine Nerven, ich war außer mir ſelbſt, ein niege¬ kanntes Gefuͤhl zerriß meine Bruſt, ſie ſe¬86 hen, ſie an mich druͤcken vergehen vor Wonne und Qual, eine Minute dieſer Seelig¬ keit fuͤr ewige Marter der Hoͤlle! Sie ſchwieg, aber ich hoͤrte ſie tief athmen. In einer Art wilder Verzweiflung raffte ich mich gewaltſam zuſammen, was ich geſpro¬ chen, weiß ich nicht mehr, aber ich nahm wahr, daß ſie ſchweigend aufſtand und ſich entfernte, waͤhrend ich das Tuch feſt vor die Augen druͤckte, und wie erſtarrt, bewuſtlos im Beichtſtuhle ſitzen blieb.

Zum Gluͤck kam niemand mehr in die Kirche, ich konnte daher unbemerkt in meine Zelle entweichen. Wie ſo ganz anders er¬ ſchien mir jetzt Alles, wie thoͤrigt, wie ſchaal mein ganzes Streben. Ich hatte das Ge¬ ſicht der Unbekannten nicht geſehen und doch lebte ſie in meinem Innern und blickte mich an mit holdſeeligen dunkelblauen Augen, in denen Thraͤnen perlten, die wie mit verzeh¬ render Gluth in meine Seele fielen, und die Flamme entzuͤndeten, die kein Gebet, keine87 Bußuͤbung mehr daͤmpfte. Denn dieſe unter¬ nahm ich, mich zuͤchtigend bis aufs Blut mit dem Knotenſtrick, um der ewigen Verdamm¬ niß zu entgehen, die mir drohte, da oft je¬ nes Feuer, das das fremde Weib in mich ge¬ worfen, die ſuͤndlichſten Begierden, welche ſonſt mir unbekannt geblieben, erregte, ſo daß ich mich nicht zu retten wußte, vor wol¬ luͤſtiger Qual.

Ein Altar in unſerer Kirche war der heiligen Roſalia geweiht, und ihr herrliches Bild in dem Moment gemalt, als ſie den Maͤrtyrer Tod erleidet. Es war meine Geliebte, ich erkannte ſie, ja ſogar ihre Klei¬ dung war dem ſeltſamen Anzug der Unbe¬ kannten voͤllig gleich. Da lag ich ſtunden¬ lang, wie von verderblichem Wahnſinn be¬ fangen, niedergeworfen auf den Stufen des Altars und ſtieß heulende entſetzliche Toͤne der Verzweiflung aus, daß die Moͤnche ſich entſetzten und ſcheu von mir wichen. In ruhigeren Augenblicken lief ich im Kloſter¬88 garten auf und ab, in duftiger Ferne ſah ich ſie wandeln, ſie trat aus den Gebuͤſchen, ſie ſtieg empor aus den Quellen, ſie ſchwebte auf blumigter Wieſe, uͤberall nur ſie, nur ſie! Da verwuͤnſchte ich mein Geluͤbde, mein Daſeyn! Hinaus in die Welt wollte ich, und nicht raſten, bis ich ſie gefunden, ſie erkaufen mit dem Heil meiner Seele. Es gelang mir endlich wenigſtens, mich in den Ausbruͤchen meines den Bruͤdern und dem Prior unerklaͤrlichen Wahnſinns zu maͤßigen, ich konnte ruhiger ſcheinen, aber immer tie¬ fer ins Innere hinein, zehrte die verderbliche Flamme. Kein Schlaf! Keine Ruhe! Von ihrem Bilde verfolgt, waͤlzte ich mich auf dem harten Lager und rief die Heiligen an, nicht, mich zu retten von dem verfuͤhreri¬ ſchen Gaukelbilde, das mich umſchwebte, nicht, meine Seele zu bewahren vor ewiger Verdammniß, nein! mir das Weib zu ge¬ ben, meinen Schwur zu loͤſen, mir Freiheit zu ſchenken zum ſuͤndigen Abfall!

89

Endlich ſtand es feſt in meiner Seele, meiner Quaal durch die Flucht aus dem Klo¬ ſter ein Ende zu machen. Denn nur die Be¬ freiung von den Kloſtergeluͤbden ſchien mir noͤthig zu ſeyn, um das Weib in meinen Armen zu ſehen und die Begierde zu ſtillen, die in mir brannte. Ich beſchloß, unkenntlich geworden durch das Abſcheeren meines Barts und weltliche Kleidung, ſo lange in der Stadt umherzuſchweifen, bis ich ſie gefun¬ den, und dachte nicht daran, wie ſchwer, ja wie unmoͤglich dies vielleicht ſeyn werde, ja, wie ich vielleicht, von allem Gelde[entbloͤßt], nicht einen einzigen Tag außerhalb den Mau¬ ern wuͤrde leben koͤnnen.

Der letzte Tag, den ich noch im Kloſter zubringen wollte, war endlich herangekom¬ men, durch einen guͤnſtigen Zufall hatte ich anſtaͤndige buͤrgerliche Kleider erhalten; in der naͤchſten Nacht, wollte ich das Kloſter verlaſſen, um nie wieder zuruͤckzukehren. Schon war es Abend geworden, als der Prior90 mich ganz unerwartet zu ſich rufen ließ; Ich erbebte, denn nichts glaubte ich gewiſſer, als daß er von meinem heimlichen Anſchlage et¬ was bemerkt habe. Leonardus empfing mich mit ungewoͤhnlichem Ernſt, ja mit einer im¬ ponirenden Wuͤrde, vor der ich unwillkuͤhrlich erzittern mußte. Bruder Medardus, fing er an: Dein unſinniges Betragen, das ich nur fuͤr den ſtaͤrkeren Ausbruch jener geiſti¬ gen Exaltation halte, die Du ſeit laͤngerer Zeit vielleicht nicht aus den reinſten Abſich¬ ten herbeigefuͤhrt haſt, zerreißt unſer ruhiges Beiſammenſeyn, ja es wirkt zerſtoͤrend auf die Heiterkeit und Gemuͤthlichkeit, die ich als das Erzeugniß eines ſtillen frommen Lebens bis jetzt unter den Bruͤdern zu erhalten ſtreb¬ te. Vielleicht iſt aber auch irgend ein feindliches Ereigniß, das Dich betroffen, daran Schuld. Du haͤtteſt bei mir, deinem vaͤter¬ lichen Freunde, dem du ſicher Alles vertrauen konnteſt, Troſt gefunden, doch Du ſchwiegſt, und ich mag um ſo weniger in Dich drin¬91 gen, als mich jetzt Dein Geheimniß, um ei¬ nen Theil meiner Ruhe bringen koͤnnte, die ich im heitern Alter uͤber alles ſchaͤtze. Du haſt oftmals, vorzuͤglich bei dem Altar der heiligen Roſalia, durch anſtoͤßige entſetz¬ liche Reden, die Dir wie im Wahnſinn zu entfahren ſchienen, nicht nur den Bruͤdern, ſondern auch Fremden, die ſich zufaͤllig in der Kirche befanden, ein heilloſes Aergerniß gegeben; ich koͤnnte Dich daher nach der Klo¬ ſterzucht hart ſtrafen, doch will ich dies nicht thun, da vielleicht irgend eine boͤſe Macht der Widerſacher ſelbſt, dem Du nicht genugſam widerſtanden, an Deiner Verirrung Schuld iſt, und gebe dir nur auf, ruͤſtig zu ſeyn in Buße und Gebet. Ich ſchaue tief in Dei¬ ne Seele? Du willſt ins Freie!

Durchdringend ſchaute Leonardus mich an, ich konnte ſeinen Blick nicht ertragen, ſchluchzend ſtuͤrzte ich nieder in den Staub, mich bewußt, des boͤſen Vorhabens. Ich verſtehe dich, fuhr Leonardus fort, und glau¬92 be ſelbſt, daß beſſer, als die Einſamkeit des Kloſters, die Welt, wenn Du ſie in Froͤmmig¬ keit durchziehſt, Dich von Deiner Verirrung heilen wird. Eine Angelegenheit unſeres Kloſters erfordert die Sendung eines Bru¬ ders nach Rom. Ich habe Dich dazu ge¬ waͤhlt, und ſchon morgen kannſt Du, mit den noͤthigen Vollmachten und Inſtruktionen ver¬ ſehen, deine Reiſe antreten. Um ſo mehr eigneſt Du Dich zur Ausfuͤhrung dieſes Auf¬ trages, als Du noch jung, ruͤſtig, gewandt in Geſchaͤften, und der italiaͤniſchen Sprache vollkommen maͤchtig biſt. Begieb Dich jetzt in deine Zelle; bete mit Inbrunſt, um das Heil deiner Seele, ich will ein Gleiches thun, doch unterlaſſe alle Kaſteiungen, die Dich nur ſchwaͤchen und zur Reiſe untauglich machen wuͤrden. Mit dem Anbruch des Tages er¬ warte ich Dich hier im Zimmer.

Wie ein Strahl des Himmels erleuchte¬ ten mich die Worte des ehrwuͤrdigen Leonar¬ dus, ich hatte ihn gehaßt, aber jetzt durch¬93 drang mich wie ein wonnevoller Schmerz die Liebe, welche mich ſonſt an ihn gefeſſelt hatte. Ich vergoß heiße Thraͤnen, ich druͤck¬ te ſeine Haͤnde an die Lippen. Er umarmte mich, und es war mir, als wiſſe er nun meine geheimſten Gedanken, und ertheile mir die Freiheit, dem Verhaͤngniß nachzugeben, das, uͤber mich waltend, nach Minuten langer Seeligkeit mich vielleicht in ewiges Verder¬ ben ſtuͤrzen konnte.

Nun war die Flucht unnoͤthig geworden, ich konnte das Kloſter verlaſſen, und ihr, ihr, ohne die nun keine Ruhe, kein Heil fuͤr mich hienieden zu finden, raſtlos folgen, bis ich ſie gefunden. Die Reiſe nach Rom, die Auf¬ traͤge dahin, ſchienen mir nur von Leonar¬ dus erſonnen, um mich auf ſchickliche Weiſe aus dem Kloſter zu entlaſſen.

Die Nacht brachte ich betend, und mich bereitend zur Reiſe, zu, den Reſt des geheim¬ nißvollen Weins fuͤllte ich in eine Korbfla¬ ſche, um ihn als bewaͤhrtes Wirkungsmittel94 zu gebrauchen, und ſetzte die Flaſche, welche ſonſt das Elixier enthielt, wieder in die Kiſte.

Nicht wenig verwundert war ich, als ich aus den weitlaͤuftigen Inſtruktionen des Priors wahrnahm, daß es mit meiner Sen¬ dung nach Rom nun wohl ſeine Richtigkeit hatte, und daß die Angelegenheit, welche dort die Gegenwart eines bevollmaͤchtigten Bruders verlangte, gar viel bedeutete und in ſich trug. Es fiel mir ſchwer aufs Herz, daß ich geſonnen, mit dem erſten Schritt aus dem Kloſter, ohne alle Ruͤckſicht mich meiner Freiheit zu uͤberlaſſen; doch der Ge¬ danke an ſie ermuthigte mich, und ich be¬ ſchloß, meinem Plane treu zu bleiben.

Die Bruͤder verſammelten ſich, und der Abſchied von ihnen, vorzuͤglich von dem Va¬ ter Leonardus, erfuͤllte mich mit der tiefſten Wehmuth. Endlich ſchloß ſich die Kloſter¬ pforte hinter mir, und ich war geruͤſtet zur weiten Reiſe im Freien.

[95]

Zweiter Abschnitt.

Der Eintritt in die Welt.

In blauen Duft gehuͤllt, lag das Kloſter un¬ ter mir im Thale; der friſche Morgenwind ruͤhrte ſich und trug, die Luͤfte durchſtreichend, die frommen Geſaͤnge der Bruͤder zu mir her¬ auf. Unwillkuͤhrlich ſtimmte ich ein. Die Sonne trat in flammender Gluth hinter der Stadt hervor, ihr funkelndes Gold erglaͤnzte in den Baͤumen und in freudigem Rauſchen fielen die Thautropfen wie gluͤhende Diaman¬ ten herab auf tauſend bunte Inſektlein, die ſich ſchwirrend und ſumſend erhoben. Die Voͤgel erwachten und flatterten, ſingend und96 jubilirend und ſich in froher Luſt liebkoſend, durch den Wald! Ein Zug von Bauer¬ burſchen und feſtlich geſchmuͤckter Dirnen kam den Berg herauf. Gelobt ſey Jeſus Chriſtus! riefen ſie, bei mir voruͤberwan¬ delnd. In Ewigkeit! antwortete ich, und es war mir, als trete ein neues Leben, voll Luſt und Freiheit, mit tauſend holdſeeligen Er¬ ſcheinungen auf mich ein! Nie war mir ſo zu Muthe geweſen, ich ſchien mir ſelbſt ein andrer, und, wie von neuerweckter Kraft beſeelt und begeiſtert, ſchritt ich raſch fort durch den Wald, den Berg herab. Den Bauer, der mir jetzt in den Weg kam, frug ich nach dem Orte, den meine Reiſeroute als den erſten bezeichnete, wo ich uͤbernachten ſollte; und er beſchrieb mir genau einen naͤ¬ hern, von der Heerſtraße abweichenden, Richt¬ ſteig mitten durch's Gebuͤrge. Schon war ich eine ziemliche Strecke einſam fortgewan¬ delt, als mir erſt der Gedanke an die Unbe¬ kannte und an den phantaſtiſchen Plan ſieauf¬97aufzuſuchen wiederkam. Aber ihr Bild, war wie von fremder unbekannter Macht ver¬ wiſcht, ſo daß ich nur mit Muͤhe die blei¬ chen entſtellten Zuͤge wieder erkennen konnte; je mehr ich trachtete, die Erſcheinung im Geiſte feſtzuhalten, deſto mehr zerrann ſie in Nebel. Nur mein ausgelaſſenes Betragen im Kloſter, nach jener geheimnißvollen Be¬ gebenheit, ſtand mir noch klar vor Augen. Es war mir jetzt ſelbſt unbegreiflich, mit wel¬ cher Langmuth der Prior das alles ertragen, und mich ſtatt der wohlverdienten Strafe in die Welt geſchickt hatte. Bald war ich uͤber¬ zeugt, daß jene Erſcheinung des unbekannten Weibes nur eine Viſion geweſen, die Folge gar zu großer Anſtrengung, und ſtatt, wie ich ſonſt gethan haben wuͤrde, das verfuͤhreri¬ ſche verderbliche Trugbild der ſteten Verfol¬ gung des Widerſachers zuzuſchreiben, rech¬ nete ich es nur der Taͤuſchung der eignen auf¬ geregten Sinne zu, da der Umſtand, daß die Fremde ganz wie die heilige Roſalia geklei¬I. [7] 98det geweſen, mir zu beweiſen ſchien, daß das lebhafte Bild jener Heiligen, welches ich wirklich, wiewohl in betraͤchtlicher Ferne und in ſchiefer Richtung aus dem Beichtſtuhl ſe¬ hen konnte, großen Antheil daran gehabt habe. Tief bewunderte ich die Weisheit des Priors, der das richtige Mittel zu meiner Heilung waͤhlte, denn, in den Kloſtermauern eingeſchloſſen, immer von denſelben Gegen¬ ſtaͤnden umgeben, immer bruͤtend und hin¬ einzehrend in das Innere, haͤtte mich jene Viſion, der die Einſamkeit gluͤhendere, keckere Farben lieh, zum Wahnſinn gebracht. Im¬ mer vertrauter werdend mit der Idee nur ge¬ traͤumt zu haben, konnte ich mich kaum des Lachens uͤber mich ſelbſt erwehren, ja mit einer Frivolitaͤt, die mir ſonſt nicht eigen, ſcherzte ich im Innern uͤber den Gedanken, eine Heilige in mich verliebt zu waͤhnen, wo¬ bei ich zugleich daran dachte, daß ich ja ſelbſt ſchon einmal der heilige Antonius ge¬ weſen.

99

Schon mehrere Tage war ich durch das Gebuͤrge gewandelt, zwiſchen kuͤhn emporge¬ thuͤrmten ſchauerlichen Felſenmaſſen, uͤber ſchmale Stege, unter denen reiſſende Wald¬ baͤche brausten; immer oͤder, immer be¬ ſchwerlicher wurde der Weg. Es war hoher Mittag, die Sonne brannte auf mein unbe¬ decktes Haupt, ich lechzte vor Durſt, aber keine Quelle war in der Naͤhe, und noch im¬ mer konnte ich nicht das Dorf erreichen, auf das ich ſtoßen ſollte. Ganz entkraͤftet ſetzte ich mich auf ein Felsſtuͤck, und konnte nicht widerſtehen, einen Zug aus der Korbflaſche zu thun, unerachtet ich das ſeltſame Getraͤnk ſo viel nur moͤglich, aufſparen wollte. Neue Kraft durchgluͤhte meine Adern, und erfriſcht und geſtaͤrkt ſchritt ich weiter, um mein Ziel, das nicht mehr fern ſeyn konnte, zu erreichen. Immer dichter und dichter wurde der Tan¬ nenwald, im tiefſten Dickigt rauſchte es, und bald darauf wieherte laut ein Pferd, das dort angebunden. Ich trat einige Schritte weiter100 und erſtarrte beinahe vor Schreck, als ich dicht an einem jaͤhen entſetzlichen Abgrund ſtand, in den ſich, zwiſchen ſchroffen ſpitzen Felſen, ein Waldbach ziſchend und brauſend hinabſtuͤrzte, deſſen donnerndes Getoͤſe ich ſchon in der Ferne vernommen. Dicht, dicht an dem Sturz, ſaß auf einem uͤber die Tiefe hervorragenden Felſenſtuͤck, ein junger Mann in Uniform, der Hut mit dem hohen Feder¬ buſch, der Degen, ein Portefeuille lagen ne¬ ben ihm. Mit dem ganzen Koͤrper uͤber den Abgrund haͤngend, ſchien er eingeſchlafen und immer mehr und mehr heruͤber zu ſin¬ ken. Sein Sturz war unvermeidlich. Ich wagte mich heran; indem ich ihn mit der Hand ergreifen und zuruͤckhalten wollte, ſchrie ich laut: um Jeſuswillen! Herr! er¬ wacht! Um Jeſuswillen. So wie ich ihn beruͤhrte, fuhr er auf aus tiefem Schlafe, aber in demſelben Augenblick ſtuͤrzte er, das Gleichgewicht verlierend, hinab in den Ab¬ grund, daß, von Felſenſpitze zu Felſenſpitze ge¬101 worfen, die zerſchmetterten Glieder zuſam¬ menkrachten; ſein ſchneidendes Jammerge¬ ſchrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauf¬ toͤnte, das endlich auch erſtarb. Leblos vor Schreck und Entſetzen ſtand ich da, endlich ergriff ich den Hut, den Degen, das Porte¬ feuille, und wollte mich ſchnell von dem Un¬ gluͤcksorte entfernen, da trat mir ein junger Menſch aus dem Tannenwalde entgegen, wie ein Jaͤger gekleidet, ſchaute mir erſt ſtarr ins Geſicht, und fing dann an, ganz uͤbermaͤ¬ ßig zu lachen, ſo daß ein eiskalter Schauer mich durchbebte.

Nun, gnaͤdiger Herr Graf, ſprach end¬ lich der junge Menſch, die Maskerade iſt in der That vollſtaͤndig und herrlich, und waͤre die gnaͤdige Frau nicht ſchon vorher davon unterrichtet, wahrhaftig, ſie wuͤrde den Her¬ zensgeliebten nicht wieder erkennen. Wo ha¬ ben Sie aber die Uniform hingethan, gnaͤdi¬ ger Herr? Die ſchleuderte ich hinab in102 den Abgrund, antwortete es aus mir hohl und dumpf, denn ich war es nicht, der dieſe Worte ſprach, unwillkuͤhrlich entflohen ſie meinen Lippen. In mich gekehrt, immer in den Abgrund ſtarrend, ob der blutige Leich¬ nam des Grafen ſich nicht mir drohend erhe¬ ben werde, ſtand ich da. Es war mir, als habe ich ihn ermordet, noch immer hielt ich den Degen, Hut und Portefeuille krampfhaft feſt. Da fuhr der junge Menſch fort: Nun gnaͤdiger Herr, reite ich den Fahrweg her¬ ab nach dem Staͤdtchen, wo ich mich in dem Hauſe dicht vor dem Thor linker Hand ver¬ borgen halten will, Sie werden wohl gleich herab nach dem Schloſſe wandeln, man wird Sie wohl ſchon erwarten, Hut und Degen nehme ich mit mir. Ich reichte ihm bei¬ des hin. Nun leben Sie wohl, Herr Graf! recht viel Gluͤck im Schloſſe, rief der junge Menſch und verſchwand ſingend und pfeifend in dem Dickigt. Ich hoͤrte, daß er das Pferd, was dort angebunden, losmachte, und mit103 ſich fortfuͤhrte. Als ich mich von meiner Betaͤubung erholt und die ganze Begebenheit uͤberdachte, mußte ich mir wohl eingeſtehen, daß ich bloß dem Spiel des Zufalls, der mich mit einem Ruck in das ſonderbarſte Verhaͤlt¬ niß geworfen, nachgegeben. Es war mir klar, daß eine große Aehnlichkeit meiner Ge¬ ſichtszuͤge und meiner Geſtalt, mit der des ungluͤcklichen Grafen, den Jaͤger getaͤuſcht, und der Graf gerade die Verkleidung als Ca¬ puziner gewaͤhlt haben muͤſſe, um irgend ein Abentheuer in dem nahen Schloſſe zu beſte¬ hen. Der Tod hatte ihn ereilt, und ein wunderbares Verhaͤngniß mich in demſelben Augenblick an ſeine Stelle geſchoben. Der innere unwiderſtehliche Drang in mir, wie es jenes Verhaͤngniß zu wollen ſchien, die Rolle des Grafen fortzuſpielen, uͤberwog jeden Zwei¬ fel und uͤbertaͤubte die innere Stimme, welche mich des Mordes und des frechen Frevels bezieh. Ich eroͤffnete das Portefeuille, wel¬ ches ich behalten; Briefe, betraͤchtliche Wech¬104 ſel fielen mir in die Hand. Ich wollte die Papiere einzeln durchgehen, ich wollte die Briefe leſen um mich von den Verhaͤltniſſen des Grafen zu unterrichten, aber die innere Unruhe, der Flug von tauſend und tauſend Ideen, die durch meinen Kopf brauſten, ließ es nicht zu.

Ich ſtand nach einigen Schritten wieder ſtill, ich ſetzte mich auf ein Felsſtuͤck, ich woll¬ te eine ruhigere Stimmung erzwingen, ich ſah die Gefahr, ſo ganz unvorbereitet mich in den Kreis mir fremder Erſcheinungen zu wagen; da toͤnten luſtige Hoͤrner durch den Wald, und mehrere Stimmen jauchzten und jubelten immer naͤher und naͤher. Das Herz pochte mir in gewaltigen Schlaͤgen, mein Athem ſtockte, nun ſollte ſich mir eine neue Welt, ein neues Leben erſchließen! Ich bog in einen ſchmalen Fußſteig ein, der mich einen jaͤhen Abhang hinabfuͤhrte; als ich aus dem Gebuͤſch trat, lag ein großes ſchoͤn gebautes Schloß vor mir im Thal¬105 grunde. Das war der Ort des Abentheu¬ ers, welches der Graf zu beſtehen im Sinn gehabt, und ich ging ihm muthig entgegen. Bald befand ich mich in den Gaͤngen des Parks, welcher das Schloß umgab; in einer dunklen Seiten-Allee ſah ich zwei Maͤnner wandeln, von denen der eine, wie ein Welt¬ geiſtlicher gekleidet war. Sie kamen mir naͤ¬ her, aber ohne mich gewahr zu werden gin¬ gen ſie in tiefem Geſpraͤch bei mir voruͤber. Der Weltgeiſtliche war ein Juͤngling, auf deſſen ſchoͤnem Geſichte die Todtenblaͤſſe ei¬ nes tief nagenden Kummers lag, der andere ſchlicht aber anſtaͤndig gekleidet, ſchien ein ſchon bejahrter Mann. Sie ſetzten ſich, mir den Ruͤcken zuwendend, auf eine ſteinerne Bank, ich konnte jedes Wort verſtehen, was Sie ſprachen. Hermogen! ſagte der Alte: Sie bringen durch Ihr ſtarrſinniges Schwei¬ gen Ihre Familie zur Verzweiflung, Ihre duͤſtre Schwermuth ſteigt mit jedem Tage, Ihre jugendliche Kraft iſt gebrochen, die Bluͤthe106 verwelkt, Ihr Entſchluß, den geiſtlichen Stand zu waͤhlen, zerſtoͤrt alle Hoffnungen, alle Wuͤnſche Ihres Vaters! Aber willig wuͤr¬ de er dieſe Hoffnungen aufgeben, wenn ein wahrer innerer Beruf