PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Elixiere des Teufels.
Nachgelaſſene Papiere des Bruders Medardus elnes Capuziners.
Zweiter Theil.
Berlin,1816.Bei Duncker und Humblot.
[1]

Die Elixiere des Teufels.

Zweiter Band.

II. [2] [2][3]

Erſter Abſchnitt.

Der Wendepunkt.

In weſſen Leben ging nicht einmal das wun¬ derbare, in tiefſter Bruſt bewahrte, Geheim¬ niß der Liebe auf! Wer Du auch ſeyn magſt, der Du kuͤnftig dieſe Blaͤtter lieſeſt, rufe Dir jene hoͤchſte Sonnenzeit zuruͤck, ſchaue noch einmal das holde Frauenbild, das, der Geiſt der Liebe ſelbſt, Dir entgegen trat. Da glaubteſt Du ja nur in ihr, Dich, Dein hoͤheres Seyn zu erkennen. Weißt Du noch, wie die rauſchenden Quellen, die fluͤ¬ ſternden Buͤſche; wie der koſende Abendwind von ihr, von Deiner Liebe, ſo vernehmlich4 zu Dir ſprachen? Siehſt Du es noch, wie die Blumen Dich mit hellen freundlichen Au¬ gen anblickten, Gruß und Kuß von ihr brin¬ gend? Und ſie kam, ſie wollte Dein ſeyn ganz und gar. Du umfingſt ſie voll gluͤhen¬ den Verlangens und wollteſt, losgeloͤſet von der Erde, auflodern in inbruͤnſtiger Sehn¬ ſucht! Aber das Myſterium blieb uner¬ fuͤllt, eine finſtre Macht zog ſtark und ge¬ waltig Dich zur Erde nieder, als Du Dich aufſchwingen wollteſt mit ihr zu dem fernen Jenſeits, das Dir verheißen. Noch ehe Du zu hoffen wagteſt, hatteſt Du ſie verloren, alle Stimmen, alle Toͤne waren verklungen, und nur die hoffnungsloſe Klage des Einſa¬ men aͤchzte grauenvoll durch die duͤſtre Ein¬ oͤde. Du, Fremder! Unbekannter! hat Dich je ſolch nahmenloſer Schmerz zermalmt, ſo ſtimme ein in den troſtloſen Jammer des er¬ grauten Moͤnchs, der in finſtrer Zelle der Sonnenzeit ſeiner Liebe gedenkend, das harte Lager mit blutigen Thraͤnen netzt, deſſen ban¬5 ge Todesſeufzer in ſtiller Nacht durch die duͤſtren Kloſtergaͤnge hallen. Aber auch Du, Du mir im Innern verwandter, auch Du glaubſt es, daß der Liebe hoͤchſte Seelig¬ keit, die Erfuͤllung des Geheimniſſes im Tode aufgeht. So verkuͤnden es uns die dunk¬ len weiſſagenden Stimmen, die aus jener, keinem irrdiſchen Maaßſtab meßlichen Urzeit zu uns heruͤbertoͤnen, und wie in den My¬ ſterien, die die Saͤuglinge der Natur feyer¬ ten, iſt uns ja auch der Tod, das Weyhfeſt der Liebe!

Ein Blitz fuhr durch mein Innres, mein Athem ſtockte, die Pulſe ſchlugen, krampf¬ haft zuckte das Herz, zerſpringen wollte die Bruſt! Hin zu ihr hin zu ihr ſie an mich reiſſen in toller Liebeswuth! Was widerſtrebſt Du, Unſeelige! der Macht, die Dich unaufloͤslich an mich gekettet? Biſt Du nicht mein! mein immerdar? Doch beſſer, wie damals, als ich Aurelien zum erſtenmal im Schloſſe des Barons erblickte,6 hemmte ich den Ausbruch meiner wahnſin¬ nigen Leidenſchaft. Ueberdem waren aller Augen auf Aurelien gerichtet, und ſo gelang es mir, im Kreiſe gleichguͤltiger Menſchen mich zu drehen und zu wenden, ohne daß ir¬ gend einer mich ſonderlich bemerkt oder gar angeredet haͤtte, welches mir unertraͤglich ge¬ weſen ſeyn wuͤrde, da ich nur ſie, ſehen hoͤren denken wollte.

Man ſage nicht, daß das einfache Haus¬ kleid das wahrhaft ſchoͤne Maͤdchen am be¬ ſten ziere, der Putz der Weiber uͤbt einen ge¬ heimnißvollen Zauber; dem wir nicht leicht widerſtehen koͤnnen. In ihrer tiefſten Natur mag es liegen, daß im Putz recht aus ihrem Innern heraus, ſich alles ſchimmernder und ſchoͤner entfaltet, wie Blumen nur dann vol¬ lendet ſich darſtellen, wenn ſie in uͤppiger Fuͤlle in bunten glaͤnzenden Farben aufge¬ brochen. Als Du die Geliebte zum erſten mal geſchmuͤckt ſahſt, froͤſtelte da nicht ein unerklaͤrlich Gefuͤhl Dir durch Nerv und7 Adern? Sie kam Dir ſo fremd vor, aber ſelbſt das gab ihr einen unnennbaren Reiz. Wie durchbebten Dich Wonne und namen¬ loſe Luͤſternheit, wenn Du verſtohlen ihre Hand druͤcken konnteſt! Aurelien hatte ich nie anders als im einfachen Hauskleide ge¬ ſehen, heute erſchien ſie, der Hofſitte gemaͤß, in vollem Schmuck. Wie ſchoͤn ſie war! wie fuͤhlte ich mich bei ihrem Anblick von unnennbarem Entzuͤcken, von ſuͤßer Wolluſt durchſchauert! Aber da wurde der Geiſt des Boͤſen maͤchtig in mir und erhob ſeine Stimme, der ich williges Ohr lieh. Siehſt Du es nun wohl, Medardus, ſo fluͤſterte es mir zu: ſiehſt Du es nun wohl, wie Du dem Geſchick gebieteſt, wie der Zufall, Dir untergeordnet, nur die Faden geſchickt ver¬ ſchlingt, die Du ſelbſt geſponnen? Es gab in dem Cirkel des Hofes Frauen, die fuͤr vollendet ſchoͤn geachtet werden konnten, aber vor Aureliens, das Gemuͤth tief ergreifen¬ dem Liebreiz verblaßte alles wie in unſchein¬8 barer Farbe. Eine eigne Begeiſterung regte die traͤgſten auf, ſelbſt den aͤlteren Maͤnnern riß der Faden gewoͤhnlicher Hofconverſation, wo es nur auf Woͤrter ankommt, denen von außen her einiger Sinn anfliegt, jaͤhlings ab und es war luſtig, wie jeder mit ſichtli¬ cher Quaal darnach rang, in Wort und Mie¬ ne recht ſonntagsmaͤßig vor der Fremden zu erſcheinen. Aurelie nahm dieſe Huldigungen mit niedergeſchlagenen Augen in holder An¬ muth hoch erroͤthend auf; aber als nun der Fuͤrſt die aͤlteren Maͤnner um ſich ſammelte und mancher bildſchoͤne Juͤngling ſich ſchuͤch¬ tern mit freundlichen Worten Aurelien nahte, wurde ſie ſichtlich heitrer und unbefangener. Vorzuͤglich gelang es einem Major von der Leibgarde, ihre Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen, ſo daß ſie bald in lebhaftem Geſpraͤch begriffen ſchienen. Ich kannte den Major als entſchiedenen Liebling der Weiber. Er wußte, mit geringem Aufwande harmlosſchei¬ nender Mittel, Sinn und Geiſt aufzuregen und9 zu umſtricken. Mit feinem Ohr auch den lei¬ ſeſten Anklang erlauſchend, ließ er ſchnell, wie ein geſchickter Spieler, alle verwandte Akkorde nach Willkuͤhr vibriren, ſo daß die Getaͤuſchte in den fremden Toͤnen, nur ihre eigne innere Muſik zu hoͤren glaubte. Ich ſtand nicht fern von Aurelien, ſie ſchien mich nicht zu bemerken ich wollte hin zu ihr, aber wie mit eiſernen Banden gefeſſelt, ver¬ mochte ich nicht, mich von der Stelle zu ruͤhren. Noch einmal den Major ſcharf anblickend, war es mir ploͤtzlich, als ſtehe Viktorin bei Aurelien. Da lachte ich auf im grimmigen Hohn: Hey! Hey! Du Verruchter, haſt Du Dich im Teufelsgrun¬ de ſo weich gebettet, daß Du in toller Brunſt trachten magſt nach der Buhlin des Moͤnchs?

Ich weiß nicht, ob ich dieſe Worte wirk¬ lich ſprach, aber ich hoͤrte mich ſelbſt lachen, und fuhr auf wie aus tiefem Traum, als der alte Hofmarſchall, ſanft meine Hand faſſend,10 frug: Woruͤber erfreuen Sie Sich ſo, lie¬ ber Herr Leonard? Eiskalt durchbebte es mich!

Waren das nicht die Worte des from¬ men Bruders Cyrill, der mich eben ſo frug, als er bei der Einkleidung mein freveliches Laͤcheln bemerkte? Kaum vermochte ich, etwas unzuſammenhaͤngendes herzuſtammeln. Ich fuͤhlte es, daß Aurelie nicht mehr in meiner Naͤhe war, doch wagte ich es nicht, aufzublicken, ich rannte fort durch die er¬ leuchteten Saͤle. Wohl mag mein ganzes Weſen gar unheimlich erſchienen ſeyn; denn ich bemerkte, wie mir Alles ſcheu auswich, als ich die breite Haupttreppe mehr herab¬ ſprang, als herabſtieg.

Ich mied den Hof, denn Aurelien, ohne Gefahr mein tiefſtes Geheimniß zu verra¬ then, wiederzuſehen, ſchien mir unmoͤglich. Einſam lief ich durch Flur und Wald, nur ſie denkend, nur ſie ſchauend. Feſter und feſter wurde meine Ueberzeugung, daß ein11 dunkles Verhaͤngniß ihr Geſchick in das mei¬ nige verſchlungen habe, und daß das, was mir manchmal als ſuͤndhafter Frevel erſchie¬ nen, nur die Erfuͤllung eines ewigen unab¬ aͤnderlichen Rathſchluſſes ſey. So mich er¬ muthigend lachte ich der Gefahr, die mir dann drohen koͤnnte, wenn Aurelie in mir Hermogens Moͤrder erkennen ſollte. Dies duͤnkte mir jedoch uͤberdem hoͤchſt unwahr¬ ſcheinlich. Wie erbaͤrmlich erſchienen mir nun jene Juͤnglinge, die in eitlem Wahn ſich um die bemuͤhten, die ſo ganz und gar mein Eigen worden, daß ihr leiſeſter Lebenshauch nur durch das Seyn in mir bedingt ſchien. Was ſind mir dieſe Grafen, dieſe Frei¬ herren, dieſe Kammerherren, dieſe Offiziere in ihren bunten Roͤcken in ihrem blinkenden Golde, ihren ſchimmernden Orden, anders als ohnmaͤchtige, geſchmuͤckte Inſektlein, die ich, wird mir das Volk laͤſtig, mit kraͤftiger Fauſt zermalme. In der Kutte will ich unter ſie treten, Aurelien braͤutlich geſchmuͤckt12 in meinen Armen, und dieſe ſtolze feind¬ liche Fuͤrſtin ſoll ſelbſt das Hochzeitslager bereiten, dem ſiegenden Moͤnch, den ſie ver¬ achtet. In ſolchen Gedanken arbeitend, rief ich oft laut Aureliens Namen und lachte und heulte wie ein Wahnſinniger. Aber bald legte ſich der Sturm. Ich wurde ruhiger und faͤhig, daruͤber Entſchluͤſſe zu faſſen, wie ich nun mich Aurelien naͤhern wollte. Eben ſchlich ich eines Tages durch den Park, nachſinnend, ob es rathſam ſey, die Abend¬ geſellſchaft zu beſuchen, die der Fuͤrſt anſa¬ gen laſſen, als man von hinten her auf mei¬ ne Schulter klopfte. Ich wandte mich um, der Leibarzt ſtand vor mir. Erlauben Sie mir Ihren werthen Puls! fing er ſogleich an, und griff, ſtarr mir ins Auge blickend nach meinem Arm. Was bedeutet das? frug ich erſtaunt. Nicht viel, fuhr er fort: es ſoll hier ſtill und heimlich einige Tollheit umherſchleichen, die die Menſchen recht ban¬ ditenmaͤßig uͤberfaͤllt und ihnen eins verſetzt,13 daß ſie laut aufkreiſchen muͤſſen, klingt das auch zuweilen nur wie ein unſinnig 'Lachen. Indeſſen kann alles auch nur ein Fantasma, oder jener tolle Teufel nur ein gelindes Fie¬ ber mit ſteigender Hitze ſeyn, darum erlauben Sie Ihren werthen Puls, Liebſter! Ich verſichere Sie, mein Herr! daß ich von dem Allen kein Wort verſtehe! So fiel ich ein, aber der Leibarzt hatte meinen Arm gefaßt und zaͤhlte den Puls mit zum Himmel ge¬ richtetem Blick eins zwei, drei. Mir war ſein wunderliches Betragen raͤthſelhaft, ich drang in ihn, mir doch nur zu ſagen, was er eigentlich wolle. Sie wiſſen alſo nicht, werther Herr Leonard, daß Sie neu¬ lich den ganzen Hof in Schrecken und Be¬ ſtuͤrzung geſetzt haben? Die Oberhofmei¬ ſterin leidet bis dato an Kraͤmpfen, und der Conſiſtorial-Praͤſident verſaͤumt die wichtig¬ ſten Seſſionen, weil es Ihnen beliebt hat, uͤber ſeine podagriſchen Fuͤße wegzurennen, ſo daß er, im Lehnſtuhl ſitzend, noch uͤber man¬14 nigfache Stiche betraͤchtlich bruͤllt! das geſchah nehmlich, als Sie, wie von einiger Tollheit heimgeſucht, aus dem Saale ſtuͤrz¬ ten, nachdem Sie ohne merkliche Urſache ſo aufgelacht hatten, daß Allen ein Grauſen an¬ kam und ſich die Haare ſtraͤubten! In dem Augenblick dachte ich an den Hofmar¬ ſchall und meinte, daß ich mich nun wohl erinnere in Gedanken laut aufgelacht zu ha¬ ben, um ſo weniger koͤnne das aber von ſolch' wunderlicher Wirkung geweſen ſeyn, als der Hofmarſchall mich ja ganz ſanft ge¬ fragt haͤtte: woruͤber ich mich ſo erfreue? Ey, Ey! fuhr der Leibarzt fort: das will nichts bedeuten, der Hofmarſchall iſt ſolch ein homo impavidus, der ſich aus dem Teu¬ fel ſelbſt nichts macht. Er blieb in ſeiner ruhigen Dolcezza, obgleich erwaͤhnter Con¬ ſiſtorial-Praͤſident wirklich meinte, der Teu¬ fel habe aus Ihnen, mein Theurer! auf ſeine Weiſe gelaͤchelt, und unſere ſchoͤne Aurelie von ſolchem Grauſen und Entſetzen ergriffen15 wurde, daß alle Bemuͤhungen der Herrſchaft ſie zu beruhigen, vergebens blieben, und ſie bald die Geſellſchaft verlaſſen mußte, zur Verzweiflung ſaͤmmtlicher Herren, denen ſicht¬ lich das Liebesfeuer aus den exaltirten Tou¬ pees dampfte! In dem Augenblick, als Sie, werther Herr Leonard, ſo lieblich lachten, ſoll Aurelie mit ſchneidendem in das Herz drin¬ genden Ton: Hermogen! gerufen haben. Ey, ey! was mag das bedeuten? Das koͤnnten Sie vielleicht wiſſen Sie ſind uͤberhaupt ein lieber, luſtiger, kluger Mann, Herr Leonard, und es iſt mir nicht unlieb, das ich Ihnen Francesko's merkwuͤrdige Ge¬ ſchichte anvertraut habe, das muß recht lehr¬ reich fuͤr Sie werden! Immer fort hielt der Leibarzt meinen Arm feſt, und ſah mir ſtarr in die Augen. Ich weiß, ſagte ich, mich ziemlich unſanft losmachend: ich weiß ihre wunderliche Reden nicht zu deuten, mein Herr, aber ich muß geſtehen, daß, als ich Aurelien von den geſchmuͤckten Herren umla¬16 gert ſah, denen, wie Sie witzig bemerken, das Liebesfeuer aus den exaltirten Toupees dampfte, mir eine ſehr bittre Erinnerung aus meinem fruͤheren Leben durch die Seele fuhr, und daß ich, von recht grimmigem Hohn uͤber mancher Menſchen thoͤrigt 'Treiben er¬ griffen, unwillkuͤhrlich hell auflachen mußte. Es thut mir leid, daß ich, ohne es zu wol¬ len, ſo viel Unheil angerichtet habe, und ich buͤße dafuͤr, indem ich mich ſelbſt auf einige Zeit vom Hofe verbanne. Mag mir die Fuͤrſtin, mag mir Aurelie verzeihen. Ey, mein lieber Herr Leonard, verſetzte der Leib¬ arzt, man hat ja wohl wunderliche Anwand¬ lungen, denen man leicht widerſteht, wenn man ſonſt nur reinen Herzens iſt. Wer darf ſich deſſen ruͤhmen hienieden? frug ich dumpf in mich hinein. Der Leibarzt aͤnderte ploͤtzlich Blick und Ton. Sie ſcheinen mir, ſprach er milde und ernſt: Sie ſcheinen mir aber doch wirklich krank. Sie ſehen blaß und verſtoͤrt aus Ihr Auge iſt eingefal¬len17len und brennt ſeltſam in roͤthlicher Glut ... Ihr Puls geht fieberhaft ... Ihre Sprache klingt dumpf ... ſoll ich Ihnen etwas auf¬ ſchreiben? Gift! ſprach ich kaum vernehm¬ bar. Ho ho! rief der Leibarzt, ſteht es ſo mit Ihnen? Nun nun, ſtatt des Gifts das niederſchlagende Mittel zerſtreuender Geſell¬ ſchaft. Es kann aber auch ſeyn daß ... Wunderlich iſt es aber doch ... vielleicht Ich bitte Sie, mein Herr! rief ich ganz erzuͤrnt: Ich bitte Sie mich nicht mit abgebrochenen unverſtaͤndlichen Reden zu quaͤ¬ len, ſondern lieber geradezu Alles ... Halt! unterbrach mich der Leibarzt: halt ... es giebt die wunderlichſten Taͤuſchungen, mein Herr Leonard: beynahe iſt's mir gewiß, daß man auf augenblicklichen Eindruck eine Hypotheſe gebaut hat, die vielleicht in wenigen Minu¬ ten in Nichts zerfaͤllt. Dort kommt die Fuͤr¬ ſtin mit Aurelien, nuͤtzen Sie dieſes zufaͤllige Zuſammentreffen, entſchuldigen Sie Ihr Be¬ tragen ... Eigentlich ... mein Gott! eigentlichII. [2] 18haben Sie ja auch nur gelacht ... freylich auf etwas wunderliche Weiſe, wer kann aber dafuͤr, daß ſchwachnervige Perſonen daruͤ¬ ber erſchrecken. Adieu!

Der Leibarzt ſprang mit der ihm eignen Behendigkeit davon. Die Fuͤrſtin kam mit Aurelien den Gang herab. Ich erbebte. Mit aller Gewalt raffte ich mich zuſammen. Ich fuͤhlte nach des Leibarztes geheimnißvol¬ len Reden, daß es nun galt, mich auf der Stelle zu behaupten. Keck trat ich den Kom¬ menden entgegen. Als Aurelie mich ins Au¬ ge faßte, ſank ſie mit einem dumpfen Schrei wie todt zuſammen, ich wollte hinzu, mit Abſcheu und Entſetzen winkte mich die Fuͤr¬ ſtin fort, laut um Huͤlfe rufend. Wie von Furien und Teufeln gepeitſcht, rannte ich fort durch den Park. Ich ſchloß mich in meine Wohnung ein, und warf mich, vor Wuth und Verzweiflung knirſchend, aufs Lager! Der Abend kam, die Nacht brach ein, da hoͤrte ich die Hausthuͤre aufſchließen, mehre¬19 re Stimmen murmelten und fluͤſterten durch einander, es wankte und tappte die Treppe herauf endlich pochte man an meine Thuͤ¬ re und befahl mir, im Namen der Obrigkeit, aufzumachen. Ohne deutliches Bewußtſeyn, was mir drohen koͤnne, glaubte ich zu fuͤh¬ len, daß ich nun verloren ſey. Rettung durch Flucht ſo dachte ich, und riß das Fenſter auf. Ich erblickte Bewaffnete vor dem Hau¬ ſe, von denen mich Einer ſogleich bemerkte. Wohin? rief er mir zu, und in dem Augen¬ blick wurde die Thuͤre meines Schlafzimmers geſprengt. Mehrere Maͤnner traten herein; bei dem Leuchten der Laterne die einer von ihnen trug, erkannte ich ſie fuͤr Polizeyſolda¬ ten. Man zeigte mir die Ordre des Crimi¬ nalgerichts, mich zu verhaften, vor; jeder Widerſtand waͤre thoͤrigt geweſen. Man warf mich in den Wagen, der vor dem Hauſe hielt, und als ich, an den Ort, der meine Be¬ ſtimmung ſchien, angekommen, frug, wo ich mich befaͤnde? ſo erhielt ich zur Antwort:20 in den Gefaͤngniſſen der obern Burg. Ich wußte, daß man hier gefaͤhrliche Verbrecher waͤhrend des Prozeſſes einſperre. Nicht lan¬ ge dauerte es, ſo wurde mein Bette gebracht, und der Gefangenwaͤrter frug mich, ob ich noch etwas zu meiner Bequemlichkeit wuͤn¬ ſche? Ich verneinte das, und blieb endlich al¬ lein. Die lange nachhallenden Tritte und das Auf - und Zuſchließen vieler Thuͤren ließen mich wahrnehmen, daß ich mich in einem der innerſten Gefaͤngniſſe auf der Burg be¬ fand. Auf mir ſelbſt unerklaͤrliche Weiſe war ich waͤhrend der ziemlich langen Fahrt ruhig geworden, ja in einer Art Sinnesbetaͤubung erblickte ich alle Bilder die mir voruͤbergin¬ gen nur in blaſſen halberloſchenen Farben. Ich erlag nicht dem Schlaf, ſondern einer Gedanken und Fantaſie laͤhmenden Ohnmacht. Als ich am hellen Morgen erwachte, kam mir nur nach und nach die Erinnerung deſſen, was geſchehen und wo ich hingebracht wor¬ den. Die gewoͤlbte ganz zellenartige Kam¬21 mer wo ich lag, haͤtte mir kaum ein Gefaͤng¬ niß geſchienen, wenn nicht das kleine Fen¬ ſter ſtark mit Eiſenſtaͤben vergittert und ſo hoch angebracht geweſen waͤre, daß ich es nicht einmal mit ausgeſtreckter Hand errei¬ chen, viel weniger hinausſchauen konnte. Nur wenige Sonnenſtrahlen fielen ſparſam hinein; mich wandelte die Luſt an, die Um¬ gebungen meines Aufenthaltes zu erforſchen, ich ruͤckte daher mein Bette heran und ſtellte den Tiſch darauf. Eben wollte ich hinauf¬ klettern, als der Gefangenwaͤrter hereintrat und uͤber mein Beginnen ſehr verwundert ſchien. Er frug mich, was ich da mache, ich erwiederte, daß ich nur hinausſchauen wollen; ſchweigend trug er Tiſch, Bette und den Stuhl fort und ſchloß mich ſogleich wie¬ der ein. Nicht eine[Stunde] hatte es ge¬ dauert, als er, von zwei andern Maͤnnern begleitet, wieder erſchien und mich durch lan¬ ge Gaͤnge Trepp 'auf, Trepp' ab fuͤhrte, bis ich endlich in einen kleinen Saal eintrat, wo22 mich der Kriminalrichter erwartete. Ihm zur Seite ſaß ein junger Mann, dem er in der Folge Alles, was ich auf die an mich gerichtete Fragen erwiedert hatte, laut in die Feder diktirte. Meinen ehemaligen Ver¬ haͤltniſſen bei Hofe und der allgemeinen Ach¬ tung, die ich in der That ſo lange genoſſen hatte, mochte ich die hoͤfliche Art danken, mit der man mich behandelte, wiewohl ich auch die Ueberzeugung darauf baute, daß nur Vermuthungen, die hauptſaͤchlich auf Aure¬ liens ahnendes Gefuͤhl beruhen konnten, mei¬ ne Verhaftung veranlaßt hatten. Der Rich¬ ter forderte mich auf, meine bisherigen Le¬ bensverhaͤltniſſe genau anzugeben; ich bat ihn, mir erſt die Urſache meiner ploͤtzlichen Verhaftung zu ſagen, er erwiederte, daß ich uͤber das mir Schuld gegebene Verbrechen zu ſeiner Zeit genau genug vernommen wer¬ den ſolle. Jetzt komme es nur darauf an, meinen ganzen Lebenslauf bis zur Ankunft in der Reſidenz auf das genaueſte zu wiſſen,23 und er muͤſſe mich daran erinnern, daß es dem Criminalgericht nicht an Mitteln fehlen wuͤrde, auch dem kleinſten von mir angege¬ benen Umſtande nachzuſpuͤren, weshalb ich denn ja der ſtrengſten Wahrheit treu bleiben moͤge. Dieſe Ermahnung, die der Richter, ein kleiner duͤrrer Mann mit fuchsrothen Haaren, mit heiſerer, laͤcherlich quaͤckender Stimme mir hielt, indem er die grauen Au¬ gen weit aufriß, fiel auf einen fruchtbaren Boden; denn ich erinnerte mich nun daß ich in meiner Erzaͤhlung den Faden genau ſo aufgreifen und fortſpinnen muͤſſe, wie ich ihn angelegt, als ich bei Hofe meinen Namen und Geburtsort angab. Auch war es wohl noͤthig, alles Auffallende vermeidend, meinen Lebenslauf ins Alltaͤgliche, aber weit Entfern¬ te, Ungewiſſe zu ſpielen, ſo daß die weitern Nachforſchungen dadurch auf jeden Fall weit ausſehend und ſchwierig werden mußten. In dem Augenblicke kam mir auch ein junger Pole ins Gedaͤchtniß, mit dem ich auf dem24 Seminar in B. ſtudirte; ich beſchloß, ſeine einfachen Lebensumſtaͤnde mir anzueignen. So geruͤſtet, begann ich in folgender Art: Es mag wohl ſeyn, daß man mich eines ſchwe¬ ren Verbrechens beſchuldigt, ich habe indeſ¬ ſen hier unter den Augen des Fuͤrſten und der ganzen Stadt gelebt, und es iſt waͤhrend der Zeit meines Aufenthaltes kein Verbre¬ chen veruͤbt worden, fuͤr deſſen Urheber ich gehalten werden oder deſſen Theilnehmer ich ſeyn koͤnnte. Es muß alſo ein Fremder ſeyn, der mich eines in fruͤherer Zeit be¬ gangenen Verbrechens anklagt, und da ich mich von aller Schuld voͤllig rein fuͤhle, ſo hat vielleicht nur eine ungluͤckliche Aehnlich¬ keit die Vermuthung meiner Schuld erregt; um ſo haͤrter finde ich es aber, daß man mich leerer Vermuthungen und vorgefaßter Meinungen wegen, dem uͤberfuͤhrten Verbre¬ cher gleich, in ein ſtrenges Criminal-Ge¬ faͤngniß ſperrt. Warum ſtellt man mich nicht meinem leichtſinnigen, vielleicht boshaften25 Anklaͤger unter die Augen? ... Gewiß iſt es am Ende ein alberner Thor, der ... Ge¬ mach, gemach Herr Leonard, quaͤckte der Richter: menagiren Sie ſich, Sie koͤnnten ſonſt garſtig anſtoßen gegen hohe Perſonen, und die fremde Perſon, die Sie, mein Herr Leonard, oder Herr ... (er biß ſich ſchnell in die Lippen) erkannt hat, iſt auch weder leicht¬ ſinnig noch albern, ſondern ... Nun, und dann haben wir gute Nachrichten aus der ... Er nannte die Gegend, wo die Guͤter des Barons F. lagen und Alles klaͤrte ſich dadurch mir deutlich auf. Entſchieden war es, daß Aurelie in mir den Moͤnch erkannt hatte, der ihren Bruder ermordete. Dieſer Moͤnch war ja aber Medardus, der beruͤhmte Canzelred¬ ner aus dem Capuzinerkloſter in B. Als die¬ ſen hatte ihn Reinhold erkannt und ſo hat¬ te er ſich auch ſelbſt kund gethan. Daß Fran¬ cesko der Vater jenes Medardus war, wu߬ te die Aebtiſſin, und ſo mußte meine Aehn¬ lichkeit mit ihm, die der Fuͤrſtin gleich An¬26 fangs ſo unheimlich worden, die Vermuthun¬ gen, welche die Fuͤrſtin und die Aebtiſſin vielleicht ſchon brieflich unter ſich angeregt hatten, beinahe zur Gewißheit erheben. Moͤg¬ lich war es auch, daß Nachrichten ſelbſt aus dem Capuziner Kloſter in B. eingeholt worden; daß man meine Spur genau verfolgt und ſo die Identitaͤt meiner Perſon mit dem Moͤnch Medardus feſtgeſtellt hatte. Alles dieſes uͤberdachte ich ſchnell, und ſah die Gefahr meiner Lage. Der Richter ſchwatzte noch fort, und dies brachte nur Vortheil, denn es fiel mir auch jetzt der lange vergebens ge¬ ſuchte Name des polniſchen Staͤdtchens ein, das ich der alten Dame bei Hofe als mei¬ nen Geburtsort genannt hatte. Kaum endete daher der Richter ſeinen Sermon mit der barſchen Aeußerung, daß ich nun ohne wei¬ teres meinen bisherigen Lebenslauf erzaͤhlen ſolle, als ich anfing: Ich heiße eigentlich Leonard Krczynski und bin der einzige Sohn eines Edelmanns der ſein Guͤtchen27 verkauft hatte und ſich in Kwiecziczewo aufhielt. Wie, was? rief der Richter, in¬ dem er ſich vergebens bemuͤhte, meinen, ſo wie den Nahmen meines angeblichen Ge¬ burtsorts, nachzuſprechen. Der Protokollfuͤh¬ rer wußte gar nicht, wie er die Woͤrter auf¬ ſchreiben ſollte; ich mußte beide Namen ſelbſt einruͤcken, und fuhr dann fort: Sie bemerken, mein Herr, wie ſchwer es der deutſchen Zunge wird, meinen Conſonantenreichen Na¬ men nachzuſprechen und darin liegt die Ur¬ ſache, warum ich ihn, ſo wie ich nach Deutſchland kam, wegwarf und mich bloß nach meinem Vornamen, Leonard, nannte. Uebrigens kann keines Menſchen Lebenslauf einfacher ſeyn, als der meinige. Mein Va¬ ter, ſelbſt ziemlich unterrichtet, billigte mei¬ nen entſchiedenen Hang zu den Wiſſenſchaf¬ ten, und wollte mich eben nach Krakau zu ei¬ nem ihm verwandten Geiſtlichen, Stanis¬ law Krczynski ſchicken, als er ſtarb. Nie¬ mand bekuͤmmerte ſich um mich, ich ver¬28 kaufte die kleine Habe, zog einige Schul¬ den ein, und begab mich wirklich mit dem ganzen mir von meinem Vater[hinterlaſſe¬ nen] Vermoͤgen nach Krakau, wo ich ei¬ nige Jahre unter meines Verwandten Auf¬ ſicht ſtudirte. Dann ging ich nach Danzig und nach Koͤnigsberg. Endlich trieb es mich, wie mit unwiderſtehlicher Gewalt, eine Reiſe nach dem Suͤden zu machen; ich hoffte, mich mit dem Reſt meines kleinen Vermoͤgens durchzubringen und dann eine Anſtellung bei irgend einer Univerſitaͤt zu finden, doch waͤre es mir hier beinahe ſchlimm ergan¬ gen, wenn nicht ein betraͤchtlicher Gewinn an der Farobank des Fuͤrſten mich in den Stand geſetzt haͤtte, hier noch ganz gemaͤch¬ lich zu verweilen und dann, wie ich es in Sinn hatte, meine Reiſe nach Italien fort¬ zuſetzen. Irgend etwas Ausgezeichnetes, das werth waͤre, erzaͤhlt zu werden, hat ſich in meinem Leben gar nicht zugetragen. Doch muß ich wohl noch erwaͤhnen, daß29 es mir leicht geweſen ſeyn wuͤrde, die Wahr¬ heit meiner Angaben ganz unzweifelhaft nachzuweiſen, wenn nicht ein ganz beſon¬ derer Zufall mich um meine Brieftaſche ge¬ bracht haͤtte, worin mein Paß, meine Rei¬ ſeroute und verſchiedene andere Scripturen befindlich waren, die jenem Zweck gedient haͤtten. Der Richter fuhr ſichtlich auf, er ſah mich ſcharf an, und frug mit beinahe ſpoͤttiſchem Ton, welcher Zufall mich denn außer Stande geſetzt haͤtte, mich, wie es verlangt werden muͤßte, zu legitimiren. Vor mehreren Monathen, ſo erzaͤhlte ich: be¬ fand ich mich auf dem Wege hieher im Ge¬ buͤrge. Die anmuthige Jahreszeit, ſo wie die herrliche romantiſche Gegend beſtimm¬ ten mich, den Weg zu Fuße zu machen. Er¬ muͤdet ſaß ich eines Tages in dem Wirths¬ hauſe eines kleinen Doͤrfchens; ich hatte mir Erfriſchungen reichen laſſen und ein Blaͤttchen aus meiner Brieftaſche genom¬ men, um irgend Etwas, das mir eingefallen30 aufzuzeichnen; die Brieftaſche lag vor mir auf dem Tiſche. Bald darauf kam ein Rei¬ ter daher geſprengt, deſſen ſonderbare Klei¬ dung und verwildertes Anſehen meine Auf¬ merkſamkeit erregte. Er trat ins Zimmer, forderte einen Trunk und ſetzte ſich, finſter und ſcheu mich anblickend, mir gegenuͤber an den Tiſch. Der Mann war mir unheim¬ lich, ich trat daher ins Freie hinaus. Bald darauf kam auch der Reiter, bezahlte den Wirth und ſprengte, mich fluͤchtig gruͤßend, davon. Ich ſtand im Begriff, weiter zu ge¬ hen, als ich mich der Brieftaſche erinnerte, die ich in der Stube auf dem Tiſche liegen laſſen; ich ging hinein und fand ſie noch auf dem alten Platz. Erſt des andern Tages, als ich die Brieftaſche hervorzog, entdeckte ich, daß es nicht die meinige war, ſondern daß ſie wahr¬ ſcheinlich dem Fremden gehoͤrte, der gewiß aus Irrthum die meinige eingeſteckt hatte. Nur einige mir unverſtaͤndliche Notizen und mehrere an einen Grafen Viktorin gerich¬31 tete Briefe befanden ſich darin. Dieſe Brief¬ taſche nebſt dem Inhalt wird man noch un¬ ter meinen Sachen finden; in der meinigen hatte ich, wie geſagt, meinen Paß, meine Reiſeroute und, wie mir jetzt eben einfaͤllt, ſogar meinen Taufſchein; um das Alles bin ich durch jene Verwechslung gekommen. Der Richter ließ ſich den Fremden, deſſen ich erwaͤhnt, von Kopf bis zu Fuß beſchrei¬ ben, und ich ermangelte nicht, die Figur mit aller nur moͤglichen Eigenthuͤmlichkeit aus der Geſtalt des Grafen Viktorin und aus der meinigen auf der Flucht aus dem Schloſſe des Barons F. geſchickt zuſammenzufuͤgen. Nicht aufhoͤren konnte der Richter, mich uͤber die kleinſten Umſtaͤnde dieſer Begebenheit auszufragen, und indem ich Alles befriedigend beantwortete, ruͤndete ſich das Bild davon ſo in meinem Innern, daß ich ſelbſt daran glaubte, und keine Gefahr lief, mich in Wi¬ derſpruͤche zu verwickeln. Mit Recht konnte ich es uͤbrigens wohl fuͤr einen gluͤcklichen32 Gedanken halten, wenn ich, den Beſitz jener an den Grafen Viktorin gerichteten Briefe, die in der That ſich noch im Portefeuille be¬ fanden, rechtfertigend, zugleich eine fingirte Perſon einzuflechten ſuchte, die kuͤnftig, je nachdem die Umſtaͤnde darauf hindeuteten, den entflohenen Medardus oder den Grafen Viktorin vorſtellen konnte[.]Dabei fiel mir ein, daß vielleicht unter Euphemiens[Papie¬ ren] ſich Briefe vorfanden, die uͤber Vikto¬ rins Plan, als Moͤnch im Schloſſe zu er¬ ſcheinen, Aufſchluß gaben, und daß dies aufs neue den eigentlichen Hergang der Sache verdunkeln und verwirren koͤnne. Meine Fantaſie arbeitete fort indem der Richter mich frug, und es entwickelten ſich mir im¬ mer neue Mittel, mich vor jeder Entdek¬ kung zu ſichern, ſo daß ich auf das aͤrgſte gefaßt zu ſeyn glaubte. Ich erwartete nun, da uͤber mein Leben im Allgemeinen Alles genug eroͤrtert ſchien, daß der Richter dem mir angeſchuldigten Verbrechen naͤherkommen33kommen wuͤrde, es war aber dem nicht ſo; vielmehr frug er, warum ich habe aus dem Gefaͤngniß entfliehen wollen? Ich verſicherte, daß mir dies nicht in den Sinn gekommen ſey. Das Zeugniß des Gefangenwaͤrters, der mich an das Fenſter hinaufkletternd angetrof¬ fen, ſchien aber wider mich zu ſprechen. Der Richter drohte mir, daß ich nach einem zweiten Verſuch angeſchloſſen werden ſolle. Ich wurde in den Kerker zuruͤckgefuͤhrt. Man hatte mir das Bette genommen und ein Stroh¬ lager auf dem Boden bereitet, der Tiſch war feſtgeſchraubt, ſtatt des Stuhles fand ich ei¬ ne ſehr niedrige Bank. Es vergingen drei Tage, ohne daß man weiter nach mir frug, ich ſah nur das muͤrriſche Geſicht eines al¬ ten Knechts, der mir das Eſſen brachte, und Abends die Lampe anſteckte. Da ließ die ge¬ ſpannte Stimmung nach, in der es mir war, als ſtehe ich im luſtigen Kampf auf Leben und Tod, den ich wie ein wackrer Streiter ausfechten werde. Ich fiel in ein[5] 34truͤbes duͤſtres Hinbruͤten, Alles ſchien mir gleichguͤltig, ſelbſt Aureliens Bild war ver¬ ſchwunden. Doch bald ruͤttelte ſich der Geiſt wieder auf, aber nur um ſtaͤrker von dem un¬ heimlichen, krankhaften Gefuͤhl befangen zu werden, das die Einſamkeit, die dumpfe Ker¬ kerluft erzeugt hatte, und dem ich nicht zu widerſtehen vermochte. Ich konnte nicht mehr ſchlafen. In den wunderlichen Reflexen, die der duͤſtre flackernde Schein der Lampe an Waͤnde und Decke warf, grinzten mich aller¬ lei verzerrte Geſichter an; ich loͤſchte die Lampe aus, ich barg mich in die Strohkiſſen, aber graͤßlicher toͤnte dann das dumpfe Stoͤh¬ nen, das Kettengeraſſel der Gefangenen durch die grauenvolle Stille der Nacht. Oft war es mir, als hoͤre ich Euphemiens Vikto¬ rins Todesroͤcheln: Bin ich denn Schuld an euerm Verderben? war't ihr es nicht ſelbſt, Verruchte! die ihr euch hingabt mei¬ nem raͤchenden Arm? So ſchrie ich laut auf, aber dann ging ein langer, tief ausath¬35 mender Todesſeufzer durch die Gewoͤlbe, und in wilder Verzweiflung heulte ich: Du biſt es Hermogen! ... nah iſt die Rache! ... Keine Rettung mehr! In der neunten Nacht mochte es ſeyn, als ich, halb ohnmaͤchtig von Grauen und Entſetzen, auf dem kalten Boden des Gefaͤngniſſes ausgeſtreckt lag. Da ver¬ nahm ich deutlich unter mir ein leiſes, abge¬ meſſenes Klopfen. Ich horchte auf, das Klopfen dauerte fort, und dazwiſchen lachte es ſeltſamlich aus dem Boden hervor! Ich ſprang auf, und warf mich auf das Strohlager, aber immer fort klopfte es, und lachte und ſtoͤhnte dazwiſchen. Endlich rief es leiſe, leiſe, aber wie mit haͤßlicher, hei¬ ſerer, ſtammelnder Stimme hinter einander fort: Med-ar-dus! Me-dar-dus! Ein Eis¬ ſtrom goß ſich mir durch die Glieder! Ich ermannte mich und rief: Wer da! Wer iſt da? Lauter lachte es nun, und ſtoͤhnte und aͤchzte und klopfte und ſtammelte heiſer: Me¬ dar-dus ... Me-dar-dus! Ich raffte mich36 auf vom Lager. Wer Du auch biſt, der Du hier tollen Spuk treibſt, ſtell Dich her ſicht¬ barlich vor meine Augen, daß ich dich ſchauen mag, oder hoͤre auf mit Deinem wuͤſten Lachen und Klopfen! So rief ich in die dicke Fin¬ ſterniß hinein, aber recht unter meinen Fuͤßen klopfte es ſtaͤrker und ſtammelte: Hihihi ... hihihi ... Bruͤ-der-lein ... Bruͤ-der-lein ... Me-dar-dus ... ich bin da ... bin da ... ma¬ mach auf ... auf ... wir wo-wollen in den Wa - Wald gehn ... Wald gehn! Jetzt toͤnte die Stimme dunkel in meinem Innern wie be¬ kannt; ich hatte ſie ſchon ſonſt gehoͤrt, doch nicht, wie mich es duͤnkte, ſo abgebrochen und ſo ſtammelnd. Ja mit Entſetzen glaubte ich, meinen eignen Sprachton zu vernehmen. Unwillkuͤhrlich, als wollte ich verſuchen, ob es dem ſo ſey, ſtammelte ich nach: Me-dar - dus ... Me-dar-dus! Da lachte er wieder, aber hoͤhniſch und grimmig, und rief: Bruͤ¬ der-lein ... Bruͤ-der-lein, haſt ... Du, Du mi¬ mich erkannt ... erkannt? ... ma-mach auf ...37 wir wo-wollen in den Wa-Wald ... in den Wald! Armer Wahnſinniger, ſo ſprach es dumpf und ſchauerlich aus mir heraus: Armer Wahnſinniger, nicht aufmachen kann ich Dir, nicht heraus mit Dir in den ſchoͤnen Wald, in die herrliche freye Fruͤhlingsluft, die draußen wehen mag; eingeſperrt im dumpfen duͤſtern Kerker bin ich wie Du! Da aͤchzte es im troſtloſen Jammer, und immer leiſer und unvernehmlicher wurde das Klopfen, bis es endlich ganz ſchwieg; der Morgen brach durch das Fenſter, die Schloͤſſer raſſelten, und der Kerkermeiſter, den ich die ganze Zeit uͤber nicht geſehen, trat herein. Man hat, fing er an: in dieſer Nacht allerlei Laͤrm in Ihrem Zimmer gehoͤrt und lautes Sprechen. Wie iſt es damit? Ich habe die Gewohn¬ heit, erwiederte ich ſo ruhig, als es mir nur moͤglich war: laut und ſtark im Schlafe zu reden, und fuͤhrte ich auch im Wachen Selbſt¬ geſpraͤche, ſo glaube ich, daß mir dies wohl erlaubt ſeyn wird. Wahrſcheinlich, fuhr der38 Kerkermeiſter fort: iſt Ihnen bekannt wor¬ den, daß jeder Verſuch zu entfliehen, jedes Einverſtaͤndniß mit den Mitgefangenen hart geahndet wird. Ich betheuerte, nichts der¬ gleichen haͤtte ich vor. Ein paar Stunden nachher fuͤhrte man mich hinauf zum Cri¬ minal Gericht. Nicht der Richter, der mich zuerſt vernommen, ſondern ein anderer, ziem¬ lich junger Mann, dem ich auf den erſten Blick anmerkte, daß er dem vorigen an Ge¬ wandtheit und eindringenden Sinn weit uͤber¬ legen ſeyn muͤſſe, trat freundlich auf mich zu, und lud mich zum Sitzen ein. Noch ſteht er mir gar lebendig vor Augen. Er war fuͤr ſeine Jahre ziemlich unterſetzt, ſein Kopf beinahe haarlos, er trug eine Brille. In ſeinem ganzen Weſen lag ſo viel Guͤte und Gemuͤthlichkeit, daß ich wohl fuͤhlte, gerade deshalb muͤſſe jeder nicht ganz verſtockte Ver¬ brecher ihm ſchwer widerſtehen koͤnnen. Sei¬ ne Fragen warf er leicht, beinahe im Con¬ verſationston hin, aber ſie waren uͤberdacht39 und ſo praͤcis geſtellt, daß nur beſtimmte Antworten erfolgen konnten. Ich muß Sie zufoͤrderſt fragen, (ſo fing er an) ob alles das, was Sie uͤber Ihren Lebenslauf an¬ gegeben haben, wirklich gegruͤndet iſt, oder ob bei reiflichem Nachdenken Ihnen nicht dieſer oder jener Umſtand einfiel, den Sie noch erwaͤhnen wollen?

Ich habe Alles geſagt, was ich uͤber mein einfaches Leben zu ſagen wußte.

Haben Sie nie mit Geiſtlichen ... mit Moͤnchen Umgang gepflogen?

Ja, in Krakau ... Danzig ... Frauen¬ burg ... Koͤnigsberg. Am letztern Ort mit den Weltgeiſtlichen die bei der Kirche als Pfarrer und Kapellan angeſtellt waren.

Sie haben fruͤher nicht erwaͤhnt, daß Sie auch in Frauenburg geweſen ſind?

Weil ich es nicht der Muͤhe werth hielt, eines kurzen, wie mich duͤnkt achttaͤgigen Au¬ fenthalts dort, auf der Reiſe von Danzig nach Koͤnigsberg, zu erwaͤhnen.

40

Alſo in Kwiecziczewo ſind Sie gebohren?

Dies frug der Richter ploͤtzlich in polniſcher Sprache, und zwar in aͤcht polniſchem Dia¬ lekt, jedoch ebenfalls ganz leicht hin. Ich wurde in der That einen Augenblick verwirrt, raffte mich jedoch zuſammen, beſann mich auf das wenige Polniſche, was ich von meinem Freunde Krcszinski im Seminar gelernt hat¬ te, und antwortete:

Auf dem kleinen Gute meines Vaters bei Kwiecziczewo.

Wie hieß dieſes Gut?

Krcziniewo, das Stammgut meiner Fa¬ milie.

Sie ſprechen, fuͤr einen Nationalpolen, das Polniſche nicht ſonderlich aus. Auf¬ richtig geſagt, in ziemlich deutſchem Dialekt. Wie kommt das?

Schon ſeit vielen Jahren ſpreche ich nichts als Deutſch. Ja ſelbſt ſchon in Krakau hat¬ te ich viel Umgang mit Deutſchen, die das Polniſche von mir erlernen wollten; unver¬41 merkt mag ich ihren Dialekt mir angewoͤhnt haben, wie man leicht provinzielle Ausſpra¬ che annimmt, und die beſſere, eigenthuͤmliche daruͤber vergißt.

Der Richter blickte mich an, ein leiſes Laͤcheln flog uͤber ſein Geſicht, dann wandte er ſich zum Protokollfuͤhrer und diktirte ihm leiſe etwas. Ich unterſchied deutlich die Wor¬ te: ſichtlich in Verlegenheit und wollte mich eben noch mehr uͤber mein ſchlechtes Polniſch auslaſſen, als der Richter frug:

Waren Sie niemals in B.?

Niemals!

Der Weg von Koͤnigsberg hieher kann Sie uͤber den Ort gefuͤhrt haben?

Ich habe eine andere Straße eingeſchlagen.

Haben Sie nie einen Moͤnch aus dem Capuzinerkloſter in B. kennen gelernt?

Nein!

Der Richter klingelte, und gab dem her¬ eintretenden Gerichtsdiener leiſe einen Befehl. Bald darauf oͤffnete ſich die Thuͤre, und wie42 durchbebten mich Schreck und Entſetzen, als ich den Pater Cyrillus eintreten ſah. Der Richter frug:

Kennen Sie dieſen Mann?

Nein! ... ich habe ihn fruͤher niemals geſehen!

Da heftete Cyrillus den ſtarren Blick auf mich, dann trat er naͤher; er ſchlug die Haͤnde zuſammen, und rief laut, indem Thraͤ¬ nen ihm aus den Augen gewaltſam hervor¬ quollen: Medardus, Bruder Medardus! ... um Chriſtus willen, wie muß ich Dich wie¬ derfinden, im Verbrechen teufliſch frevelnd. Bruder Medardus, gehe in Dich, bekenne, bereue ... Gottes Langmuth iſt unendlich! Der Richter ſchien mit Cyrillus Rede unzufrie¬ den, er unterbrach ihn mit der Frage: Er¬ kennen Sie dieſen Mann fuͤr den Moͤnch Medardus aus den Capuzinerkloſter in B.?

So wahr mir Chriſtus helfe zur Seelig¬ keit, erwiederte Cyrillus: ſo kann ich nicht anders glauben, als daß dieſer Mann, traͤgt43 er auch weltliche Kleidung, jener Medardus iſt, der im Capuzinerkloſter zu B. unter mei¬ nen Augen Noviz war und die Weihe empfing. Doch hat Medardus das rothe Zeichen ei¬ nes Kreuzes an der linken Seite des Halſes, und wenn dieſer Mann ... Sie bemerken, un¬ terbrach der Richter den Moͤnch, ſich zu mir wendend: daß man Sie fuͤr den Capuziner Medardus aus dem Kloſter in B. haͤlt, und daß man eben dieſen Medardus ſchwerer Verbrechen halber angeklagt hat. Sind Sie nicht dieſer Moͤnch, ſo wird es Ihnen leicht werden, dies darzuthun; eben daß jener Medardus ein beſonderes Abzeichen am Halſe traͤgt, welches Sie, ſind Ihre Angaben richtig, nicht haben koͤnnen giebt Ihnen die beſte Gelegenheit dazu. Entbloͤßen Sie Ihren Hals, Es bedarf deſſen nicht, erwiederte ich gefaßt, ein beſonderes Ver¬ haͤngniß ſcheint mir die treueſte Aehnlichkeit mit jenem angeklagten, mir gaͤnzlich unbe¬ kannten, Moͤnch Medardus gegeben zu haben,44 denn ſelbſt ein rothes Kreuzzeichen trage ich an der linken Seite des Halſes. Es war dem wirklich ſo, jene Verwundung am Halſe, die mir das diamantne Kreuz der Aebtiſſin zufuͤgte, hatte eine rothe kreuzfoͤrmige Narbe hinterlaſſen, die die Zeit nicht vertilgen konn¬ te. Entbloͤßen Sie Ihren Hals, wiederholte der Richter. Ich that es, da ſchrie Cyrillus laut: Heilige Mutter Gottes, es iſt es, es iſt das rothe Kreuzzeichen! ... Medardus ... Ach, Bruder Medardus, haſt Du denn ganz entſagt dem ewigen Heil? Weinend und halb ohnmaͤchtig ſank er in einen Stuhl. Was erwiedern Sie auf die Behauptung die¬ ſes ehrwuͤrdigen Geiſtlichen, frug der Rich¬ ter. In dem Augenblick durchfuhr es mich wie eine Blitzesflamme; alle Verzagtheit, die mich zu uͤbermannen drohte, war von mir ge¬ wichen, ach, es war der Widerſacher ſelbſt, der mir zufluͤſterte: Was vermoͤgen dieſe Schwaͤchlinge gegen Dich Starken in Sinn und Geiſt? ... Soll Aurelie denn nicht Dein45 werden? Ich fuhr heraus beinahe in wildem, hoͤnendem Trotz: Dieſer Moͤnch da, der ohn¬ maͤchtig im Stuhle liegt, iſt ein ſchwachſin¬ niger, bloͤder Greis, der in toller Einbildung mich fuͤr irgend einen verlaufenen Capuziner ſeines Kloſters haͤlt, von dem ich vielleicht eine fluͤchtige Aehnlichkeit trage. Der Rich¬ ter war bis jetzt in ruhiger Faſſung geblieben, ohne Blick und Ton zu aͤndern; zum erſten¬ mal verzog ſich nun ſein Geſicht zum fin¬ ſtern, durchbohrenden Ernſt, er ſtand auf und blickte mir ſcharf ins Auge. Ich muß ge¬ ſtehen, ſelbſt das Funkeln ſeiner Glaͤſer hat¬ te fuͤr mich etwas Unertraͤgliches, Entſetzliches, ich konnte nicht weiter reden; von innerer verzweifelnder Wuth grimmig erfaßt, die ge¬ ballte Fauſt vor der Stirn, ſchrie ich laut auf: Aurelie! Was ſoll das, was[bedeu¬ tet] der Name? frug der Richter heftig. Ein dunkles Verhaͤngniß opfert mich dem ſchmach¬ vollen Tode, ſagte ich dumpf, aber ich bin unſchuldig, gewiß ... ich bin ganz unſchuldig46 ... entlaſſen Sie mich ... haben Sie Mitlei¬ den ... ich fuͤhle es, daß Wahnſinn mir durch Nerv und Adern zu toben beginnt ... entlaſ¬ ſen Sie mich! Der Richter, wieder ganz ruhig geworden, diktirte dem Protokollfuͤhrer vieles, was ich nicht verſtand, endlich las er mir eine Verhandlung vor, worin alles was er gefragt und was ich geantwortet, ſo wie, was ſich mit Cyrillus zugetragen hatte, verzeich¬ net war. Ich mußte meinen Namen unter¬ ſchreiben, dann forderte mich der Richter auf, irgend etwas polniſch und deutſch aufzuzeich¬ nen, ich that es. Der Richter nahm das deutſche Blatt, und gab es dem Pater Cyril¬ lus, der ſich unterdeſſen wieder erholt hatte, mit der Frage in die Haͤnde: Haben die¬ ſe Schriftzuͤge Aehnlichkeit mit der Hand, die Ihr Kloſterbruder Medardus ſchrieb? Es iſt ganz genau ſeine Hand, bis auf die kleinſten Eigenthuͤmlichkeiten, erwiederte Cy¬ rillus, und wandte ſich wieder zu mir. Er wollte ſprechen, ein Blick des Richters wies47 ihn zur Ruhe. Der Richter ſah das von mir geſchriebene polniſche Blatt ſehr aufmerk¬ ſam durch, dann ſtand er auf, trat dicht vor mir hin, und ſagte mit ſehr ernſtem, entſchei¬ dendem Ton:

Sie ſind kein Pole. Dieſe Schrift iſt durchaus unrichtig, voller grammatiſcher und orthographiſcher Fehler. Kein Nationalpole ſchreibt ſo, waͤre er auch viel weniger wiſ¬ ſenſchaftlich ausgebildet, als Sie es ſind.

Ich bin in Krcziniewo geboren, folg¬ lich allerdings ein Pole. Selbſt aber in dem Fall, daß ich es nicht waͤre, daß geheim¬ nißvolle Umſtaͤnde mich zwaͤngen, Stand und Namen zu verlaͤugnen, ſo wuͤrde ich deshalb doch nicht der Capuziner Medardus ſeyn duͤr¬ fen, der aus dem Kloſter in B., wie ich glau¬ ben muß, entſprang.

Ach Bruder Medardus, fiel Cyrillus ein: ſchickte Dich unſer ehrwuͤrdiger Prior Leonar¬ dus nicht im Vertrauen auf Deine Treue und Froͤmmigkeit nach Rom? ... Bruder Medar¬48 dus! um Chriſtus willen, verlaͤugne nicht laͤnger auf gottloſe Weiſe den heiligen Stand, dem Du entronnen.

Ich bitte Sie, uns nicht zu unterbrechen, ſagte der Richter, und fuhr dann, ſich zu mir wendend, fort:

Ich muß Ihnen bemerklich machen, wie die unverdaͤchtige Ausſage dieſes ehrwuͤr¬ digen Herrn, die dringendſte Vermuthung bewirkt, daß Sie wirklich der Medardus ſind, fuͤr den man Sie haͤlt. Nicht verhelen mag ich auch, daß man Ihnen mehrere Perſonen entgegen ſtellen wird, die Sie fuͤr jenen Moͤnch unzweifelhaft erkannt haben. Unter dieſen Perſonen befindet ſich eine, die Sie, treffen die Vermuthungen ein, ſchwer fuͤrch¬ ten muͤſſen. Ja ſelbſt unter Ihren eigenen Sachen hat ſich Manches gefunden, was den Verdacht wider Sie unterſtuͤzt. Endlich wer¬ den bald die Nachrichten uͤber Ihre vorgeb¬ liche Familienumſtaͤnde eingehen, um die man die Gerichte in Poſen erſucht hat. ... Allesdieſes49dieſes ſage ich Ihnen offner, als es mein Amt gebietet, damit Sie ſich uͤberzeugen, wie wenig ich auf irgend einen Kunſtgriff rechne, Sie, haben jene Vermuthungen Grund, zum Geſtaͤndniß der Wahrheit zu bringen. Bereiten Sie Sich vor, wie Sie wollen; ſind Sie wirklich jener angeklagte Medardus, ſo glauben Sie, daß der Blick des Richters die tiefſte Verhuͤllung bald durchdringen wird! ; Sie werden dann auch ſelbſt ſehr genau wiſ¬ ſen, welcher Verbrechen man Sie anklagt. Sollten Sie dagegen wirklich der Leonard von Krczinski ſeyn, fuͤr den Sie Sich aus¬ geben, und ein beſonderes Spiel der Natur Sie, ſelbſt Ruͤckſichts beſonderer Abzeichen, jenem Medardus aͤhnlich gemacht haben, ſo werden Sie ſelbſt leicht Mittel finden, dies klar nachzuweiſen. Sie ſchienen mir erſt in einem ſehr exaltirten Zuſtande, ſchon deshalb brach ich die Verhandlung ab, indeſſen woll¬ te ich Ihnen zugleich auch Raum geben zum reiflichen Nachdenken. Nach dem was heu¬II. [4] 50te geſchehen, kann es Ihnen an Stoff dazu nicht fehlen.

Sie halten alſo meine Angaben durchaus fuͤr falſch? ... Sie ſehen in mir den verlau¬ fenen Moͤnch Medardus? So frug ich; der Richter ſagte mit einer leichten Verbeugung: Adieu, Herr von Krczinski! und man brachte mich in den Kerker zuruͤck.

Die Worte des Richters durchbohrten mein Innres wie gluͤhende Stacheln. Alles was ich vorgegeben, kam mir ſeicht und ab¬ geſchmackt vor. Daß die Perſon, der ich entgegengeſtellt werden, und die ich ſo ſchwer zu fuͤrchten haben ſollte, Aurelie ſeyn mußte, war nur zu klar. Wie ſollt 'ich das ertra¬ gen! Ich dachte nach, was unter meinen Sachen wohl verdaͤchtig ſeyn koͤnne, da fiel es mir ſchwer auf's Herz, daß ich noch aus jener Zeit meines Aufenthaltes auf dem Schloſſe des Barons von F. einen Ring mit Euphemiens Namen beſaß, ſo wie, daß Vik¬ torins Felleiſen, das ich auf meiner Flucht51 mit mir genommen, noch mit dem Capuzi¬ ner-Strick war! Ich hielt mich fuͤr verloren! Verzweifelnd rannte ich den Kerker auf und ab. Da war es, als fluͤſterte, als ziſchte es mir in die Ohren: Du Thor, was verzagſt du? denkſt du nicht an Vikto¬ rin? Laut rief ich: Ha! nicht verloren, ge¬ wonnen iſt das Spiel. Es arbeitete und kochte in meinem Innern! Schon fruͤher hatte ich daran gedacht, daß unter Euphe¬ miens Papieren ſich wohl etwas gefunden haben muͤſſe, was auf Viktorins Erſcheinen auf dem Schloſſe als Moͤnch hindeute. Da¬ rauf mich ſtuͤtzend, wollte ich auf irgend eine Weiſe ein Zuſammentreffen mit Viktorin, ja ſelbſt mit dem Medardus fuͤr den man mich hielt, vorgeben; jenes Abentheuer auf dem Schloſſe, das ſo fuͤrchterlich endete, als von Hoͤrenſagen erzaͤhlen, und mich ſelbſt, mei¬ ne Aehnlichkeit mit jenen Beiden, auf unſchaͤd¬ liche Weiſe geſchickt hinein verflechten. Der kleinſte Umſtand mußte reiflich erwogen wer¬52 den; aufzuſchreiben beſchloß ich daher den Roman, der mich retten ſollte! Man[be¬ willigte] mir die Schreibematerialien, die ich forderte, um ſchriftlich noch manchen ver¬ ſchwiegenen Umſtand meines Lebens zu eroͤr¬ tern. Ich arbeitete mit Anſtrengung bis in die Nacht hinein; im Schreiben erhizte ſich meine Fantaſie, alles formte ſich wie eine geruͤndete Dichtung, und feſter und feſter ſpann ſich das Gewebe endloſer Luͤgen, wo¬ mit ich dem Richter die Wahrheit zu ver¬ ſchleiern hoffte.

Die Burgglocke hatte zwoͤlfe geſchlagen, als ſich wieder leiſe und entfernt das Pochen vernehmen ließ, das mich geſtern ſo verſtoͤrt hatte. Ich wollte nicht darauf achten, aber immer lauter pochte es in abgemeſſenen Schlaͤ¬ gen, und dabei fing es wieder an, dazwiſchen zu lachen und zu aͤchzen. Stark auf dem Tiſch ſchlagend, rief ich laut: Still ihr da drunten! und glaubte mich ſo von dem Grau¬ en, das mich befing, zu ermuthigen; aber da53 lachte es gellend und ſchneidend durch das Gewoͤlbe, und ſtammelte: Bruͤ-der-lein, Bruͤ¬ der-lein ... zu dir her-auf ... herauf ... ma - mach auf ... mach auf! Nun begann es dicht neben mir im Fußboden zu ſchaben, zu raſſeln und zu kratzen, und immer wieder lachte es und aͤchzte; ſtaͤrker und immer ſtaͤrker wurde das Ge¬ raͤuſch, das Raſſeln, das Kratzen dazwiſchen dumpfdroͤhnende Schlaͤge wie das Fallen ſchwe¬ rer Maſſen. Ich war aufgeſtanden, mit der Lampe in der Hand. Da ruͤhrte es ſich un¬ ter meinem Fuß, ich ſchritt weiter und ſah, wie an der Stelle, wo ich geſtanden, ſich ein Stein des Pflaſters losbroͤckelte. Ich er¬ faßte ihn, und hob ihn mit leichter Muͤhe vollends heraus. Ein duͤſtrer Schein brach durch die Oeffnung, ein nackter Arm mit ei¬ nem blinkenden Meſſer in der Hand ſtreckte ſich mir entgegen. Von tiefem Entſetzen durch¬ ſchauert bebte ich zuruͤck. Da ſtammelte es von unten herauf: Bruͤ-der-lein! Bruͤ-der¬ lein, Medar-dus iſt da-da, herauf ... nimm,54 nimm! ... brich ... brich ... in den Wa-Wald ... in den Wald! Schnell dachte ich Flucht und Rettung; alles Grauen uͤberwunden, er¬ griff ich das Meſſer, das die Hand mir wil¬ lig ließ, und fing an, den Moͤrtel zwiſchen den Steinen des Fußbodens aͤmſig wegzu¬ brechen. Der, der unten war, druͤckte wak¬ ker herauf. Vier, fuͤnf Steine lagen zur Seite weggeſchleudert, da erhob ſich ploͤtzlich ein nackter Menſch bis an die Huͤften aus der Tiefe empor und ſtarrte mich geſpenſtiſch an mit des Wahnſinns grinſendem, entſetzli¬ chem Gelaͤchter. Der volle Schein der Lam¬ pe fiel auf das Geſicht ich erkannte mich ſelbſt mir vergingen die Sinne. Ein empfindlicher Schmerz an den Armen weckte mich aus tiefer Ohnmacht! hell war es um mich her, der Kerkermeiſter ſtand mit einer blendenden Leuchte vor mir, Kettenge¬ raſſel und Hammerſchlaͤge hallten durch das Gewoͤlbe. Man war beſchaͤftigt, mich in Feſ¬ ſeln zu ſchmieden. Außer den Hand - und55 Fußſchellen wurde ich mittelſt eines Ringes um den Leib und einer daran befeſtigten Ket¬ te an die Mauer gefeſſelt. Nun wird es der Herr wohl bleiben laſſen, an das Durch¬ brechen zu denken, ſagte der Kerkermeiſter. Was hat denn der Kerl eigentlich gethan? frug ein Schmiedeknecht. Ei, erwiederte der Kerkermeiſter: weißt du denn das nicht, Joſt? ... die ganze Stadt iſt ja davon voll. 's iſt ein verfluchter Capuziner, der drei Menſchen ermordet hat. Sie haben's ſchon ganz her¬ aus. In wenigen Tagen haben wir große Galla, da werden die Raͤder ſpielen. Ich hoͤrte nichts mehr, denn aufs neue entſchwan¬ den mir Sinn und Gedanken. Nur muͤhſam erholte ich mich aus der Betaͤubung, finſter blieb es, endlich brachen einige matte Streif¬ lichter des Tages herein in das niedrige, kaum ſechs Fuß hohe Gewoͤlbe, in das, wie ich jetzt zu meinem Entſetzen wahrnahm, man mich aus meinem vorigen Kerker ge¬ bracht hatte. Mich duͤrſtete, ich griff nach56 dem Waſſer-Kruge, der neben mir ſtand, feucht und kalt ſchluͤpfte es mir durch die Hand, ich ſah eine aufgedunſene ſcheußliche Kroͤte ſchwerfaͤllig davon huͤpfen. Voll Ekel und Abſcheu ließ ich den Krug fahren. Au¬ relie! ſtoͤhnte ich auf, in dem Gefuͤhl des nahmenloſen Elends, das nun uͤber mich hereingebrochen. Und darum das armſeli¬ ge Laͤugnen und Luͤgen vor Gericht? alle gleißneriſchen Kuͤnſte des teufliſchen Heuch¬ lers? darum, um ein zerriſſenes, qualvol¬ les Leben einige Stunden laͤnger zu friſten? Was willſt du, Wahnſinniger! Aurelien be¬ ſitzen, die nur durch ein unerhoͤrtes Verbre¬ chen Dein werden konnte? denn immer¬ dar, luͤgſt du auch der Welt deine Unſchuld vor, wuͤrde ſie in dir Hermogens verruch¬ ten Moͤrder erkennen und dich tief verab¬ ſcheuen. Elender, wahnwitziger Thor, wo ſind nun deine hochfliegenden Plaͤne, der Glaube an deine uͤberirdiſche Macht, wo¬ mit du das Schickſal ſelbſt nach Willkuͤhr zu57 lenken waͤhnteſt; nicht zu toͤdten vermagſt du den Wurm der an deinem Herzmark mit toͤdlichen Biſſen nagt, ſchmachvoll ver¬ derben wirſt du in troſtloſem Jammer, wenn der Arm der Gerechtigkeit auch deiner ſchont. So, laut klagend, warf ich mich auf das Stroh und fuͤhlte in dem Augenblick einen Druck auf der Bruſt, der von einem harten Koͤrper in der Buſentaſche meiner Weſte herzuruͤhren ſchien. Ich faßte hinein, und zog ein kleines Meſſer hervor. Nie hat¬ te ich, ſo lange ich im Kerker war, ein Meſſer bei mir getragen, es mußte daher daſ¬ ſelbe ſeyn, das mir mein geſpenſtiſches Eben¬ bild herauf gereicht hatte. Muͤhſam ſtand ich auf, und hielt das Meſſer in den ſtaͤrker hereinbrechenden Lichtſtrahl. Ich erblickte das ſilberne blinkende Heft. Unerforſchliches Verhaͤngniß! es war daſſelbe Meſſer, womit ich Hermogen getoͤdtet, und das ich ſeit eini¬ gen Wochen vermißt hatte. Aber nun ging ploͤtzlich in meinem Innern, wunderbar leuch¬58 tend, Troſt und Rettung von der Schmach auf. Die unbegreifliche Art wie ich das Meſ¬ ſer erhalten, war mir ein Fingerzeig der ewigen Macht, wie ich meine Verbrechen buͤßen, wie ich im Tode Aurelien verſoͤhnen ſolle. Wie ein goͤttlicher Strahl im reinen Feuer, durchgluͤhte mich nun die Liebe zu Au¬ relien, jede ſuͤndliche Begierde war von mir gewichen. Es war mir, als ſaͤhe ich ſie ſelbſt, wie damals, als ſie am Beichtſtuhl in der Kirche des Capuzinerkloſters erſchien. Wohl liebe ich Dich, Medardus, aber Du verſtandeſt mich nicht! ... meine Liebe iſt der Tod! ſo umſaͤuſelte und umfluͤſterte mich Aureliens Stimme, und feſt ſtand mein Entſchluß, dem Richter frei die merkwuͤrdige Geſchichte meiner Verirrungen zu geſtehen, und dann mir den Tod zu geben.

Der Kerkermeiſter trat herein und brach¬ te mir beſſere Speiſen, als ich ſonſt zu er¬ halten pflegte, ſo wie eine Flaſche Wein. Vom Fuͤrſten ſo befohlen, ſprach er, indem59 er den Tiſch, den ihm ſein Knecht nachtrug, deckte, und die Kette, die mich an die Wand feſſelte, losſchloß. Ich bat ihn, dem Richter zu ſagen, daß ich vernommen zu werden wuͤnſche, weil ich vieles zu eroͤffnen haͤtte was mir ſchwer auf dem Herzen liege. Er verſprach, meinen Auftrag auszurichten, in¬ deſſen wartete ich vergebens, daß man mich zum Verhoͤr abholen ſolle; Niemand ließ ſich mehr ſehen, bis der Knecht, als es ſchon ganz finſter worden, hereintrat und die am Gewoͤlbe haͤngende Lampe anzuͤndete. In meinem Innern war es ruhiger als jemals, doch fuͤhlte ich mich ſehr erſchoͤpft, und ver¬ ſank bald in tiefen Schlaf. Da wurde ich in einen langen, duͤſtern, gewoͤlbten Saal ge¬ fuͤhrt, in dem ich eine Reihe in ſchwarzen Talaren gekleideter Geiſtlicher erblickte, die der Wand entlang auf hohen Stuͤhlen ſaßen. Vor ihnen, an einem mit blutrother Decke behangenen Tiſch, ſaß der Richter, und neben ihm ein Dominikaner im Ordenshabit. Du60 biſt jetzt, ſprach der Richter mit feierlich er¬ habener Stimme: dem geiſtlichen Gericht uͤber¬ geben, da Du, verſtockter, frevelicher Moͤnch, vergebens Deinen Stand und Namen ver¬ laͤugnet haſt. Franciskus, mit dem Kloſter - Namen Medardus genannt, ſprich, welcher Verbrechen biſt Du beziehen worden? Ich wollte Alles, was ich je ſuͤndhaftes und freve¬ liches begangen, offen eingeſtehen, aber zu meinem Entſetzen war das, was ich ſprach, durchaus nicht das, was ich dachte und ſa¬ gen wollte. Statt des ernſten, reuigen Be¬ kenntniſſes, verlor ich mich in ungereimte, unzuſammenhaͤngende Reden. Da ſagte der Dominikaner, rieſengroß vor mir daſtehend, und mit graͤßlich funkelndem Blick mich durch¬ bohrend: Auf die Folter mit Dir, Du hals¬ ſtarriger, verſtockter Moͤnch. Die ſeltſamen Geſtalten rings umher erhoben ſich und ſtreck¬ ten ihre langen Arme nach mir aus, und rie¬ fen in heiſeren grauſigem Einklang: Auf die Folter mit ihm. Ich riß das Meſſer heraus61 und ſtieß nach meinem Herzen, aber der Arm fuhr unwillkuͤrlich herauf! ich traf den Hals und am Zeichen des Kreuzes ſprang die Klinge wie in Glasſcherben, ohne mich zu verwunden. Da ergriffen mich die Hen¬ kersknechte, und ſtießen mich hinab in ein tie¬ fes unterirdiſches Gewoͤlbe. Der Dominika¬ ner und der Richter ſtiegen mir nach. Noch einmal forderte mich dieſer auf, zu geſtehen. Nochmals ſtrengte ich mich an, aber in tol¬ lem Zwieſpalt ſtand Rede und Gedanke. Reuevoll, zerknirſcht von tiefer Schmach, be¬ kannte ich im Innern Alles abgeſchmackt, verwirrt, ſinnlos war, was der Mund aus¬ ſtieß. Auf den Wink des Dominikaners zo¬ gen mich die Henkersknechte nackt aus, ſchnuͤr¬ ten mir beide Arme uͤber den Ruͤcken zuſam¬ men, und hinaufgewunden fuͤhlte ich, wie die ausgedehnten Gelenke knackend zerbroͤckeln wollten. In heilloſem, wuͤthendem Schmerz ſchrie ich laut auf, und erwachte. Der Schmerz an den Haͤnden und Fuͤßen dauerte62 fort, er ruͤhrte von den ſchweren Ketten her, die ich trug, doch empfand ich noch außer¬ dem einen Druck uͤber den Augen, die ich nicht aufzuſchlagen vermochte. Endlich war es, als wuͤrde ploͤtzlich eine Laſt mir von der Stirn genommen, ich richtete mich ſchnell empor, ein Dominikanermoͤnch ſtand vor mei¬ nem Strohlager. Mein Traum trat in das Le¬ ben, eiskalt rieſelte es mir durch die Adern. Un¬ beweglich, wie eine Bildſaͤule, mit uͤbereinander geſchlagenen Armen ſtand der Moͤnch da, und ſtarrte mich an mit den hohlen ſchwarzen Augen. Ich erkannte den graͤßlichen Mahler, und fiel halb ohnmaͤchtig auf mein Strohlager zu¬ ruͤck. Vielleicht war es nur eine Taͤuſchung der durch den Traum aufgeregten Sinne? Ich ermannte mich, ich richtete mich auf, aber unbeweglich ſtand der Moͤnch und ſtarrte mich an mit den hohlen ſchwarzen Augen. Da ſchrie ich in wahnſinniger Verzweiflung: Entſetzlicher[Menſch] ... hebe dich weg! ... Nein! ... Kein Menſch, Du biſt der Wider¬63 ſacher ſelbſt, der mich ſtuͤrzen will in ewige Verderbniß ... hebe dich weg, Verruchter! hebe dich weg! Armer, kurzſichtiger Thor, ich bin nicht der, der Dich ganz unaufloͤslich zu umſtricken ſtrebt mit ehernen Banden! der dich abwendig machen will dem heiligen Werk zu dem Dich die ewige Macht berief. Medardus! armer kurzſichtiger Thor! ſchreckbar, grauenvoll bin ich Dir erſchie¬ nen, wenn Du uͤber dem offenen Grabe ewi¬ ger Verdammniß leichtſinnig gaukelteſt. Ich warnte Dich, aber Du haſt mich nicht verſtan¬ den! Auf! naͤhere Dich mir! der Moͤnch ſprach alles dieſes im dumpfen Ton der tiefen, herz¬ zerſchneidendſten Klage; ſein Blick, mir ſonſt ſo fuͤrchterlich, war ſanft und milde worden, weicher die Form ſeines Geſichts. Eine un¬ beſchreibliche Wehmuth durchbebte mein In¬ nerſtes; wie ein Geſandter der ewigen Macht mich aufzurichten, mich zu troͤſten im endlo¬ ſen Elend, erſchien mir der ſonſt ſo ſchreckli¬ che Mahler. Ich ſtand auf vom Lager,64 ich trat ihm nahe, es war kein Fantom, ich beruͤhrte ſein Kleid; ich kniete unwillkuͤhrlich nieder, er legte die Hand auf mein Haupt, wie mich ſeegnend. Da gingen in lichten Farben herrliche Gebilde in mir auf. Ach! ich war in dem heiligen Walde! ja es war derſelbe Platz, wo, in fruͤher Kindheit, der fremdartig gekleidete Pilger mir den wun¬ derbaren Knaben brachte. Ich wollte fort¬ ſchreiten, ich wollte hinein in die Kirche, die ich dicht vor mir erblickte. Dort ſollte ich (ſo war es mir) buͤßend und bereuend Ab¬ laß erhalten von ſchwerer Suͤnde. Aber ich blieb regungslos mein eignes Ich konnte ich nicht erſchauen, nicht erfaſſen. Da ſprach eine dumpfe, hohle Stimme: der Gedanke iſt die That! Die Traͤume ver¬ ſchwebten; es war der Maler, der jene Wor¬ te geſprochen. Unbegreifliches Weſen, warſt Du es denn ſelbſt? an jenem ungluͤcklichen Morgen in der Capuzinerkirche zu B.? in der Reichsſtadt, und nun? Halt ein, un¬ter65 terbrach mich der Mahler: ich war es, der uͤberall Dir nahe war, um Dich zu retten von Verderben und Schmach, aber Dein Sinn blieb verſchloſſen! Das Werk zu dem Du erkohren, mußt Du vollbringen zu Deinem eignen Heil. Ach, rief ich voll Verzweif¬ lung: warum hieltſt Du nicht meinen Arm zuruͤck, als ich in verruchtem Frevel je¬ nen Juͤngling ... Das war mir nicht ver¬ goͤnnt, fiel der Mahler ein: Frage nicht wei¬ ter! vermeſſen iſt es, vorgreifen zu wollen dem, was die ewige Macht beſchloſſen. ... Medardus! Du gehſt Deinem Ziel entgegen ... Morgen! Ich erbebte in eiskaltem Schauer, denn ich glaubte, den Mahler ganz zu verſte¬ hen. Er wußte und billigte den beſchloſſe¬ nen Selbſtmord. Der Mahler wankte mit leiſem Tritt nach der Thuͤr des Kerkers. Wann, wann ſehe ich Dich wieder? Am Ziele! rief er, ſich noch einmal nach mir umwendend, feyerlich und ſtark, daß das Gewoͤlbe droͤhnte Alſo Morgen? Lei¬II. [5] 66ſe drehte ſich die Thuͤre in den Angeln, der Mahler war verſchwunden.

So wie der helle Tag nur angebrochen, erſchien der Kerkermeiſter mit ſeinen Knech¬ ten, die mir die Feſſeln von den wunden Armen und Fuͤßen abloͤßten. Ich ſolle bald zum Verhoͤr hinaufgefuͤhrt werden, hieß es. Tief in mich gekehrt, mit dem Gedanken des nahen Todes vertraut, ſchritt ich hinauf in den Gerichtsſaal; mein Bekenntniß hatte ich im Innern ſo geordnet, daß ich dem Richter eine kurze, aber den kleinſten Umſtand mit aufgreifende Erzaͤhlung zu machen hoffte. Der Richter kam mir ſchnell entgegen, ich mußte hoͤchſt entſtellt ausſehen, denn bei mei¬ nem Anblick verzog ſich ſchnell das freudige Laͤcheln, das erſt auf ſeinem Geſicht ſchwebte, zur Miene des tiefſten Mitleids. Er faßte meine beiden Haͤnde und ſchob mich ſanft in ſeinen Lehnſtuhl. Dann mich ſtarr an¬ ſchauend, ſagte er langſam und feierlich: Herr von Krcszinski! ich habe Ihnen frohes zu67 verkuͤnden! Sie ſind frei! die Unterſuchung iſt auf Befehl des Fuͤrſten niedergeſchlagen worden. Man hat Sie mit einer andern Per¬ ſon verwechſelt, woran Ihre ganz unglaubliche Aehnlichkeit mit dieſer Perſon Schuld iſt. Klar, ganz klar iſt Ihre Schuldloſigkeit dar¬ gethan! ... Sie ſind Es ſchwirrte und ſauſte und drehte ſich alles um mich her. Des Richters Geſtalt blinkte, hundertfach ver¬ vielfaͤltigt, durch den duͤſtern Nebel, Alles ſchwand in dicker Finſterniß. Ich fuͤhlte endlich, daß man mir die Stirne mit ſtar¬ kem Waſſer rieb, und erholte mich aus dem ohnmachtaͤhnlichen Zuſtande in den ich ver¬ ſunken. Der Richter las mir ein kurzes Pro¬ tokoll vor, welches ſagte, daß er mir die Niederſchlagung des Prozeſſes bekannt ge¬ macht, und meine Entlaſſung aus dem Kerker bewirkt habe. Ich unterſchrieb ſchweigend, keines Wortes war ich maͤchtig. Ein unbe¬ ſchreibliches, mich im Innerſten vernichten¬ des Gefuͤhl ließ keine Freude aufkommen.

68

So wie mich der Richter mit recht in das Herz dringender Gutmuͤthigkeit anblickte, war es mir, als muͤſſe ich nun, da man an meiner Unſchuld glaubte und mich frei laſ¬ ſen wollte, allen verruchten Frevel, den ich begangen, frei geſtehen und dann mir das Meſſer in das Herz ſtoßen. Ich wollte re¬ den der Richter ſchien meine Entfernung zu wuͤnſchen. Ich ging nach der Thuͤre, da kam er mir nach, und ſagte leiſe: Nun habe ich aufgehoͤrt Richter zu ſeyn; von dem er¬ ſten Augenblick, als ich Sie ſah, intereſſir¬ ten Sie mich auf das hoͤchſte. So ſehr, wie (Sie werden dies ſelbſt zugeben muͤſſen) der Schein wider Sie war, ſo wuͤnſchte ich doch gleich, daß Sie in der That nicht der ab¬ ſcheuliche, verbrecheriſche Moͤnch ſeyn moͤch¬ ten, fuͤr den man Sie hielt. Jetzt darf ich Ihnen zutraulich ſagen ... Sie ſind kein Pole. Sie ſind nicht in Kwiecziczewo geboren. Sie heißen nicht Leonard von Krcszinski. Mit Ruhe und Feſtigkeit ant¬69 wortete ich Nein! Und auch kein Geiſt¬ licher? frug der Richter weiter indem er die Augen niederſchlug, wahrſcheinlich um mir den Blick des Inquiſitors zu erſparen. Es wallte auf in meinem Innern. So hoͤren Sie denn, fuhr ich heraus Still, unterbrach mich der Richter: was ich gleich anfangs geglaubt und noch glaube, beſtaͤtigt ſich. Ich ſehe, daß hier raͤthſelhafte Um¬ ſtaͤnde walten, und daß Sie ſelbſt mit ge¬ wiſſen Perſonen des Hofes in ein geheim¬ nißvolles Spiel des Schickſals verflochten ſind. Es iſt nicht mehr meines Berufs, tie¬ fer einzudringen, und ich wuͤrde es fuͤr un¬ ziemlichen Vorwitz halten, Ihnen irgend et¬ was uͤber Ihre Perſon, uͤber Ihre wahr¬ ſcheinlich ganz eigne Lebensverhaͤltniſſe ent¬ locken zu wollen! Doch, wie waͤre es, wenn Sie, Sich losreißend von allem Ihrer Ruhe Bedrohlichem, den Ort verlie¬ ßen. Nach dem, was geſchehen, kann Ih¬ nen ohnedies der Aufenthalt hier nicht70 wohlthun. So wie der Richter dieſes ſprach, war es, als floͤhen alle finſtre Schatten, die ſich druͤckend uͤber mich gelegt hatten, ſchnell von hinnen. Das Leben war wieder gewonnen, und die Lebensluſt ſtieg durch Nerv und Adern gluͤhend in mir auf. Aurelie! ſie dachte ich wieder, und ich ſollte jetzt fort von dem Orte, fort von ihr? Tief ſeufzte ich auf: Und ſie verlaſſen? Der Richter blickte mich im hoͤchſten Erſtau¬ nen an, und ſagte dann ſchnell: Ach! jetzt glaube ich klar zu ſehen! Der Himmel gebe, Herr Leonard! daß eine ſehr ſchlimme Ah¬ nung, die mir eben jetzt recht deutlich wird, nicht in Erfuͤllung gehen moͤge. Alles hat¬ te ſich in meinem Innern anders geſtaltet. Hin war alle Reue und wohl mochte es bei¬ nahe frevelnde Frechheit ſeyn, daß ich den Rich¬ ter mit erheuchelter Ruhe frug: Und Sie hal¬ ten mich doch fuͤr ſchuldig? Erlauben Sie, mein Herr! erwiederte der Richter ſehr ernſt: daß ich meine Ueberzeugungen, die doch nur71 auf ein reges Gefuͤhl geſtuͤtzt ſcheinen, fuͤr mich behalte. Es iſt ausgemittelt, nach be¬ ſter Form und Weiſe, daß Sie nicht der Moͤnch Medardus ſeyn koͤnnen, da eben die¬ ſer Medardus ſich ſich hier befindet und von dem Pater Cyrill, der ſich durch Ihre ganz ge¬ naue Aehnlichkeit taͤuſchen ließ, anerkannt wurde, ja auch ſelbſt gar nicht laͤugnet, daß er jener Capuziner ſey. Damit iſt nun Alles geſchehen, was geſchehen konnte, um Sie von jedem Verdacht zu reinigen, und um ſo mehr muß ich glauben, daß Sie Sich frei von je¬ der Schuld fuͤhlen. Ein Gerichtsdiener rief in dieſem Augenblick den Richter ab und ſo wurde ein Geſpraͤch unterbrochen, als es eben begann mich zu peinigen.

Ich begab mich nach meiner Wohnung, und fand alles ſo wieder; wie ich es verlaſ¬ ſen. Meine Papiere hatte man in Beſchlag genommen, in ein Packet geſiegelt lagen ſie auf meinem Schreibtiſche, nur Viktorins Brieftaſche, Euphemiens Ring und den Ca¬72 puziner-Strick vermißte ich, meine Vermu¬ thungen im Gefaͤngniſſe waren daher richtig. Nicht lange dauerte es, ſo erſchien ein fuͤrſt¬ licher Diener, der mit einem Handbillet des Fuͤrſten mir eine goldene, mit koſtbaren Steinen beſetzte Doſe[uͤberreichte]. Es iſt Ihnen uͤbel mitgeſpielt worden, Herr von Krcszinski, ſchrieb der Fuͤrſt: aber weder ich noch meine Gerichte ſind Schuld daran. Sie ſind einem ſehr boͤſen Menſchen auf ganz unglaubliche Weiſe aͤhnlich; alles iſt aber nun zu Ihrem Beſten aufgeklaͤrt: Ich ſende Ihnen ein Zeichen meines Wohlwollens und hoffe, Sie bald zu ſehen. Des Fuͤrſten Gnade war mir eben ſo gleichguͤltig als ſein Geſchenk; eine duͤſtre Traurigkeit, die geiſt¬ toͤdtend mein Inneres durchſchlich, war die Folge des ſtrengen Gefaͤngniſſes; ich fuͤhlte, daß mir koͤrperlich aufgeholfen werden muͤſſe, und lieb war es mir daher, als der Leibarzt erſchien. Das aͤrztliche war bald beſpro¬ chen. Iſt es nicht, fing nun der Leibarzt73 an, eine beſondere Fuͤgung des Schickſals, daß eben in dem Augenblick als man davon zu uͤberzeugt ſeyn glaubt, daß Sie jener abſcheu¬ liche Moͤnch ſind, der in der Familie des Barons von F. ſo viel Unheil anrichtete, die¬ ſer Moͤnch wirklich erſcheint, und Sie von jedem Verdacht rettet?

Ich muß verſichern, daß ich von den naͤhern Umſtaͤnden, die meine Befreiung be¬ wirkten, nicht unterrichtet bin; nur im All¬ gemeinen ſagte mir der Richter, daß der Ca¬ puziner Medardus, dem man nachſpuͤrte, und fuͤr den man mich hielt, ſich hier ein¬ gefunden habe.

Nicht eingefunden hat er ſich, ſondern hergebracht iſt er worden, feſtgebunden auf einem Wagen, und ſeltſamer Weiſe zu der¬ ſelben Zeit, als Sie hergekommen waren. Eben faͤllt mir ein, daß, als ich Ihnen einſt jene wunderbaren Ereigniſſe erzaͤhlen wollte, die ſich vor einiger Zeit an unſerm Hofe zutrugen, ich gerade dann unterbrochen wur¬74 de, als ich auf den feindlichen Medardus, Francesko's Sohn, und auf ſeine verruchte That im Schloſſe des Barons von F. gekom¬ men war. Ich nehme den Faden der Be¬ gebenheit da wieder auf, wo er damals ab¬ riß. Die Schweſter unſerer Fuͤrſtin, wie Sie wiſſen, Aebtiſſin im Ciſterzienſer-Klo¬ ſter zu B. nahm einſt freundlich eine arme Frau mit einem Kinde auf, die von der Pil¬ gerfahrt nach der heiligen Linde wiederkehrte.

Die Frau war Francesko's Wittwe, und der Knabe eben der Medardus.

Ganz Recht, aber wie kommen Sie dazu, dies zu wiſſen?

Auf die ſeltſamſte Weiſe ſind mir die geheimnißvollen Lebensumſtaͤnde des Capuzi¬ ners Medardus bekannt worden. Bis zu dem Augenblick, als er aus dem Schloß des Barons von F. entfloh, bin ich von dem, was ſich dort zutrug, genau unterrichtet.

Aber wie? ... von wem ...

75

Ein lebendiger Traum hat mir Alles dargeſtellt.

Sie ſcherzen?

Keinesweges. Es iſt mir wirklich ſo, als haͤtte ich traͤumend die Geſchichte eines Ungluͤcklichen gehoͤrt, der, ein Spielwerk dunkler Maͤchte, hin und her geſchleudert und von Verbrechen zu Verbrechen getrieben wurde. In dem ... tzer Forſt hatte mich auf der Reiſe hierher der Poſtillon irre gefah¬ ren; ich kam in das Foͤrſterhaus, und dort ... Ha! ich verſtehe Alles, dort trafen Sie den Moͤnch an ...

So iſt es, er war wahnſinnig. Er ſcheint es nicht mehr zu ſeyn. Schon damals hatte er lichte Stunden und vertrau¬ te Ihnen Alles? ...

Nicht gerade zu. In der Nacht trat er, von meiner Ankunft im Foͤrſter¬ hauſe nicht unterrichtet, in mein Zimmer. Ich, mit der treuen beiſpielloſen Aehnlich¬ keit, war ihm furchtbar. Er hielt mich76 fuͤr ſeinen Doppeltgaͤnger, deſſen Erſcheinung ihm den Tod verkuͤnde. Er ſtammelte ſtotterte Bekenntniſſe her unwillkuͤrlich uͤbermannte mich, von der Reiſe ermuͤdet, der Schlaf; es war mir, als ſpreche der Moͤnch nun ruhig und gefaßt weiter, und ich weiß in der That jetzt nicht, wo und wie der Traum eintrat. Es duͤnkt mich, daß der Moͤnch behauptete, nicht er habe Euphemie und Hermogen getoͤdtet, ſondern beider Moͤrder, ſey der Graf Viktorin

Sonderbar, hoͤchſt ſonderbar, aber wa¬ rum verſchwiegen Sie das Alles dem Rich¬ ter?

Wie konnte ich hoffen, daß der Richter auch nur einiges Gewicht auf eine Erzaͤhlung legen werde, die ihm ganz abentheuerlich klingen mußte. Darf denn uͤberhaupt ein erleuchtetes Criminalgericht an das Wunder¬ bare glauben?

Wenigſtens haͤtten Sie aber doch gleich ahnen, daß man Sie mit dem wahnſinnigen77 Moͤnch verwechsle und dieſen als den Capu¬ ziner Medardus bezeichnen ſollen?

Freilich und zwar nachdem mich ein alter bloͤder Greis, ich glaube er heißt Cy¬ ryllus, durchaus fuͤr ſeinen Kloſterbruder halten wollte. Es iſt mir nicht eingefallen, daß der wahnſinnige Moͤnch eben der Me¬ dardus, und das Verbrechen, das er mir bekannte, Gegenſtand des jetzigen Prozeſſes ſeyn koͤnne. Aber, wie mir der Foͤrſter ſagte, hatte er ihm niemals ſeinen Namen genannt wie kam man zur Entdeckung?

Auf die einfachſte Weiſe. Der Moͤnch hatte ſich, wie Sie wiſſen, einige Zeit bei dem Foͤrſter aufgehalten; er ſchien geheilt, aber aufs neue brach der Wahnſinn ſo ver¬ derblich aus, daß der Foͤrſter ſich genoͤthigt ſah, ihn hierher zu ſchaffen, wo er in das Irrenhaus eingeſperrt wurde. Dort ſaß er Tag und Nacht mit ſtarrem Blick, ohne Re¬ gung, wie eine Bildſaͤule. Er ſprach kein Wort und mußte gefuͤttert werden, da er78 keine Hand bewegte. Verſchiedene Mittel, ihn aus der Starrſucht zu wecken, blieben fruchtlos, zu den ſtaͤrkſten durfte man nicht ſchreiten, ohne Gefahr ihn wieder in wilde Raſerei zu ſtuͤrzen. Vor einigen Tagen kommt des Foͤrſters aͤlteſter Sohn nach der Stadt, er geht in das Irrenhaus um den Moͤnch wieder zu ſehen. Ganz erfuͤllt von dem troſt¬ loſen Zuſtande des Ungluͤcklichen, tritt er aus dem Hauſe, als eben der Pater Cyrillus aus dem Capuzinerkloſter in B. voruͤberſchrei¬ tet. Den redet er an, und bittet ihn, den ungluͤcklichen, hier eingeſperrten Kloſterbru¬ der zu beſuchen, da ihm Zuſpruch eines Geiſtlichen ſeines Ordens vielleicht heilſam ſeyn koͤnne. Als Cyrillus den Moͤnch erblickt, faͤhrt er entſetzt zuruͤck. Heilige Mutter Gottes! Medardus, ungluͤckſeliger Medar¬ dus! So ruft Cyrillus, und in dem Augen¬ blick beleben ſich die ſtarren Augen des Moͤnchs. Er ſteht auf, und faͤllt mit einem dumpfen Schrei kraftlos zu Boden. Cy¬79 rillus, mit den Uebrigen die bei dem Ereig¬ niß zugegen waren, geht ſofort zum Praͤſi¬ denten des Criminal-Gerichts, und zeigt Al¬ les an. Der Richter, dem die Unterſuchun¬ gen wider Sie uͤbertragen, begiebt ſich mit Cyrillus nach dem Irrenhauſe; man findet den Moͤnch ſehr matt, aber frei von allem Wahnſinn. Er geſteht ein, daß er der Moͤnch Medardus aus dem Capuzinerkloſter in B. ſey. Cyrillus verſicherte ſeiner Seits, daß Ihre unglaubliche Aehnlichkeit mit Medar¬ dus ihn getaͤuſcht habe. Nun bemerke er wohl, wie Herr Leonard ſich in Sprache, Blick, Gang und Stellung ſehr merklich von dem Moͤnch Medardus, den er nun vor ſich ſehe, unterſcheide. Man entdeckte auch das bedeutende Kreuzeszeichen an der linken Seite des Halſes, von dem in Ihrem Pro¬ zeß ſo viel Aufhebens gemacht worden iſt. Nun wird der Moͤnch uͤber die Begebenheiten auf dem Schloſſe des Barons von F. be¬ fragt. Ich bin ein abſcheuliger, verruch¬80 ter Verbrecher, ſagt er mit matter, kaum ver¬ nehmbarer Stimme: ich bereue tief, was ich gethan. Ach ich ließ mich um mein Selbſt, um meine unſterbliche Seele betruͤgen! ... Man habe Mitleiden! ... man laſſe mir Zeit ... Alles ... alles will geſtehen. Der Fuͤrſt, unterrichtet, befiehlt ſofort den Prozeß wider Sie aufzuheben und Sie der Haft zu ent¬ laſſen. Das iſt die Geſchichte Ihrer Befrei¬ ung. Der Moͤnch iſt nach dem Criminal - Gefaͤngniß gebracht worden.

Und hat Alles geſtanden? Hat er Eu¬ phemien, Hermogen ermordet? wie iſt es mit dem Grafen Viktorin? ...

So viel wie ich weiß, faͤngt der eigent¬ liche Criminalprozeß wider den Moͤnch erſt heute an. Was aber den Grafen Viktorin betrifft, ſo ſcheint es, als wenn nun einmal Alles was nur irgend mit jenen Ereigniſſen an unſerm Hofe in Verbindung ſteht, dunkel und unbegreiflich bleiben muͤſſe.

Wie die Ereigniſſe auf dem Schloſſe81 des Barons von F. aber mit jener Kataſtro¬ phe an Ihrem Hofe ſich verbinden ſollen, ſehe ich in der That nicht ein.

Eigentlich meinte ich auch mehr die ſpielenden Perſonen, als die Begebenheit.

Ich verſtehe Sie nicht.

Erinnern Sie Sich genau meiner Er¬ zaͤhlung jener Kataſtrophe, die dem Prinzen den Tod brachte!

Allerdings.

Iſt es Ihnen dabei nicht voͤllig klar worden, daß Francesko verbrecheriſch die Italienerin liebte? daß er es war, der vor dem Prinzen in die Brautkammer ſchlich, und den Prinzen niederſtieß? Viktorin iſt die Frucht jener frevelichen Unthat. Er und Medardus ſind Soͤhne Eines Vaters. Spurlos iſt Viktorin verſchwunden, Alles Nachforſchen blieb vergebens.

Der Moͤnch ſchleuderte ihn hinab in den Teufels Grund. Fluch dem wahnſinni¬ gen Brudermoͤrder!

II. [6] 82

Leiſe leiſe ließ ſich in dem Augenblick, als ich heftig dieſe Worte ausſties, jenes Klopfen des geſpenſtiſchen Unholds aus dem Kerker hoͤren. Vergebens ſuchte ich das Grauſen zu bekaͤmpfen, welches mich ergriff. Der Arzt ſchien ſo wenig das Klopfen als meinen innern Kampf zu bemerken. Er fuhr fort: Was? ... Hat der Moͤnch Ihnen ge¬ ſtanden, daß auch Viktorin durch ſeine Hand fiel?

Ja! ... Wenigſtens ſchließe ich aus ſei¬ nen abgebrochenen Aeußerungen, halte ich damit Viktorins Verſchwinden zuſammen, daß ſich die Sache wirklich ſo verhaͤlt. Fluch dem wahnſinnigen Brudermoͤrder! Staͤrker klopfte es, und ſtoͤhnte und aͤchzte; ein feines Lachen, daß durch die Stube pfiff, klang wie Medardus ... Medardus ... hi ... hi ... hi hilf! Der Arzt, ohne das zu bemerken, fuhr fort:

Ein beſonderes Geheimniß ſcheint noch auf Francesko's Herkunft zu ruhen. Er iſt83 hoͤchſt wahrſcheinlich dem fuͤrſtlichen Hauſe verwandt. So viel iſt gewiß, daß Euphe¬ mie die Tochter ...

Mit einem entſetzlichen Schlage, daß die Angeln zuſammen krachten, ſprang die Thuͤr auf, ein ſchneidendes Gelaͤchter gellte herein. Ho ho ... ho ... ho Bruͤderlein, ſchrie ich wahnſinnig auf: hoho ... hieher ... friſch friſch, wenn du kaͤmpfen willſt mit mir ... der Uhu macht Hochzeit; nun wollen wir auf das Dach ſteigen und ringen mit einan¬ der, und wer den andern herabſtoͤßt, iſt Koͤ¬ nig und darf Blut trinken. Der Leibarzt faßte mich in die Arme und rief: Was iſt das? was iſt das? Sie ſind krank ... in der That, gefaͤhrlich krank. Fort, fort, zu Bette. Aber ich ſtarrte nach der offnen Thuͤre, ob mein ſcheuslicher Doppeltgaͤnger nicht herein treten werde, doch ich erſchaute nichts und erholte mich bald von dem wil¬ den Entſetzen, das mich gepackt hatte, mit eiskalten Krallen. Der Leibarzt beſtand da¬84 rauf, daß ich kraͤnker ſey, als ich ſelbſt wohl glauben moͤge, und ſchob alles auf den Ker¬ ker und die Gemuͤthsbewegung, die mir uͤberhaupt der Prozeß verurſacht haben muͤſ¬ ſe. Ich brauchte ſeine Mittel, aber mehr als ſeine Kunſt trug zu meiner ſchnellen Ge¬ neſung bei, daß das Klopfen ſich nicht mehr hoͤren ließ, der furchtbare Doppeltgaͤnger mich daher ganz verlaſſen zu haben ſchien.

Die Fruͤhlingsſonne warf eines Morgens ihre goldnen Strahlen hell und freundlich in mein Zimmer, ſuͤße Blumenduͤfte ſtroͤmten durch das Fenſter; hinaus ins Freie trieb mich ein unendlich Sehnen, und des Arztes Verbot nicht achtend, lief ich fort in den Park. Da begruͤßten Baͤume und Buͤſche rauſchend und fluͤſternd den von der Todeskrankheit Ge¬ neſenen. Ich athmete auf, wie aus langem ſchwerem Traum erwacht, und tiefe Seuf¬ zer waren des Entzuͤckens unausſprechbare Worte, die ich hineinhauchte in das Gejauch¬85 ze der Voͤgel, in das froͤhliche Sumſen und Schwirren bunter Inſekten.

Ja! ein ſchwerer Traum duͤnkte mir, nicht nur die letzt vergangene Zeit, ſondern mein ganzes Leben, ſeitdem ich das Kloſter verlaſſen, als ich mich in einem von dunk¬ len Platanen beſchatteten Gange befand. Ich war im Garten der Capuziner zu B. Aus dem fernen Gebuͤſch ragte ſchon das hohe Kreuz hervor, an dem ich ſonſt oft mit tiefer Inbrunſt flehte, um Kraft, aller Verſuchung zu widerſtehen. Das Kreuz ſchien mir nun das Ziel zu ſeyn, wo ich hinwallen muͤſſe, um, in den Staub niederge¬ worfen, zu bereuen und zu buͤßen den Fre¬ vel ſuͤndhafter Traͤume, die mir der Satan vorgegaukelt;[und] ich ſchritt fort mit gefal¬ teten emporgehobenen Haͤnden, den Blick nach dem Kreuz gerichtet. Staͤrker und ſtaͤrker zog der Luftſtrom ich glaubte die Hymnen der Bruͤder zu vernehmen, aber es waren nur des Waldes wunderbare Klaͤnge,86 die der Wind, durch die Baͤume ſauſend, ge¬ weckt hatte, und der meinen Athem fort¬ riß, ſo daß ich bald erſchoͤpft ſtill ſtehen, ja mich an einen nahen Baum feſt halten mußte, um nicht nieder zu ſinken. Doch hin zog es mich mit unwiderſtehlicher Ge¬ walt nach dem fernen Kreuz; ich nahm alle meine Kraft zuſammen und wankte weiter fort, aber nur bis an den Moosſitz dicht vor dem Gebuͤſch konnte ich gelangen; alle Glie¬ der laͤhmte ploͤtzlich toͤdliche Ermattung; wie ein ſchwacher Greis, ließ ich langſam mich nieder und in dumpfem Stoͤhnen ſuchte ich die gepreßte Bruſt zu erleichtern. Es rauſch¬ te im Gange dicht neben mir ... Aurelie! So wie der Gedanke mich durchblitzte, ſtand ſie vor mir! Thraͤnen inbruͤnſtiger Weh¬ muth quollen aus den Himmels-Augen, aber durch die Thraͤnen funkelte ein zuͤndender Strahl; es war der unbeſchreibliche Aus¬ druck der gluͤhendſten Sehnſucht, der Aure¬ lien fremd ſchien. Aber ſo flammte der Lie¬87 besblick jenes geheimnißvollen Weſens am Beichtſtuhl, das ich oft in ſuͤßen Traͤumen ſah. Koͤnnen Sie mir jemals verzeihen! lispelte Aurelie. Da ſtuͤrzte ich wahnſinnig vor namenloſem Entzuͤcken vor ihr hin, ich ergriff ihre Haͤnde! Aurelie ... Aurelie ... fuͤr Marter! ... Tod! Ich fuͤhlte mich ſanft emporgehoben Aurelie ſank an mei¬ ne Bruſt, ich ſchwelgte in gluͤhenden Kuͤſſen. Aufgeſchreckt durch ein nahes Ge¬ raͤuſch, wand ſie ſich endlich los aus meinen Armen, ich durfte ſie nicht zuruͤckhalten. Erfuͤllt iſt all' mein Sehnen und Hoffen ſprach ſie leiſe, und in dem Augenblick ſah 'ich die Fuͤrſtin den Gang heraufkommen. Ich trat hinein in das Gebuͤſch, und wurde nun gewahr, daß ich wunderlicher Weiſe einen duͤrren grauen Stamm fuͤr ein Cruzifix ge¬ halten.

Ich fuͤhlte keine Ermattung mehr, Aure¬ liens Kuͤße durchgluͤhten mich mit neuer Le¬ benskraft; es war mir, als ſey jetzt hell und88 herrlich das Geheimniß meines Seyns auf¬ gegangen. Ach, es war das wunderbare Ge¬ heimniß der Liebe, das ſich nun erſt in rein ſtrahlender Glorie mir erſchloſſen. Ich ſtand auf dem hoͤchſten Punkt des Lebens; abwaͤrts mußte es ſich wenden, damit ein Geſchick er¬ fuͤllt werde, das die hoͤhere Macht beſchloſ¬ ſen. Dieſe Zeit war es, die mich wie ein Traum aus dem Himmel umfing, als ich das aufzuzeichnen begann, was ſich nach Au¬ reliens Wiederſehen mit mir begab. Dich Fremden, Unbekannten! der du einſt dieſe Blaͤtter leſen wirſt, bat ich, du ſollteſt jene hoͤchſte Sonnenzeit deines eigenen Lebens zu¬ ruͤckrufen, dann wuͤrdeſt du den troſtloſen Jammer des in Reue und Buße ergrauten Moͤnchs verſtehen und einſtimmen in ſeine Klagen. Noch einmal bitte ich dich jetzt, laß jene Zeit im Innern dir aufgehen, und nicht darf ich dann dir's ſagen: wie Aure¬ liens Liebe mich und Alles um mich her ver¬ klaͤrte, wie reger und lebendiger mein Geiſt89 das Leben im Leben erſchaute und ergriff, wie mich, den goͤttlich begeiſterten, die Freu¬ digkeit des Himmels erfuͤllte. Kein finſtrer Gedanke ging durch meine Seele, Aureliens Liebe hatte mich entſuͤndigt, ja! auf wunder¬ bare Weiſe keimte in mir die feſte Ueberzeu¬ gung auf, daß nicht ich jener ruchloſe Frev¬ ler auf dem Schloſſe des Barons von F. war, der Euphemien Hermogen erſchlug, ſon¬ dern, daß der wahnſinnige Moͤnch, den ich im Foͤrſterhauſe traf, die That begangen. Alles, was ich dem Leibarzt geſtand, ſchien mir nicht Luͤge, ſondern der wahre geheim¬ nißvolle Hergang der Sache zu ſeyn, der mir ſelbſt[unbegreiflich] blieb. Der Fuͤrſt hatte mich empfangen, wie einen Freund, den man verloren glaubt und wiederfin¬ det; dies gab natuͤrlicher Weiſe den Ton an, in den Alle einſtimmen mußten, nur die Fuͤr¬ ſtin, war ſie auch milder als ſonſt, blieb ernſt und zuruͤckhaltend.

Aurelie gab ſich mir mit kindlicher Un¬90 befangenheit ganz hin, ihre Liebe war ihr keine Schuld, die ſie der Welt verbergen mußte, und eben ſo wenig vermochte ich, auch nur im mindeſten das Gefuͤhl zu ver¬ hehlen, in dem allein ich nur lebte. Jeder bemerkte mein Verhaͤltniß mit Aurelien, Nie¬ mand ſprach daruͤber, weil man in des Fuͤr¬ ſten Blicken las, daß er unſre Liebe, wo nicht beguͤnſtigen, doch ſtillſchweigend dulden wolle. So kam es, daß ich zwanglos Au¬ relien oͤfter, manchmal auch wohl ohne Zeu¬ gen ſah. Ich ſchloß ſie in meine Arme, ſie erwiederte meine Kuͤſſe, aber es fuͤhlend, wie ſie erbebte in jungfraͤulicher Scheu, konn¬ te ich nicht Raum geben der ſuͤndlichen Be¬ gierde; jeder freveliche Gedanke erſtarb in dem Schauer, der durch mein Innres glitt. Sie ſchien keine Gefahr zu ahnen, wirklich gab es fuͤr ſie keine, denn oft, wenn ſie im einſamen Zimmer neben mir ſaß, wenn maͤchtiger als je ihr Himmelsreiz ſtralte, wenn wilder die Liebesglut in mir auf¬91 flammen wollte, blickte ſie mich an ſo un¬ beſchreiblich milde und keuſch, daß es mir war, als vergoͤnne es der Himmel dem buͤ¬ ßenden Suͤnder, ſchon hier auf Erden der Heiligen zu nahen. Ja, nicht Aurelie, die heilige Roſalia ſelbſt war es, und ich ſtuͤrzte zu ihren Fuͤßen und rief laut: O du, from¬ me, hohe Heilige, darf ſich denn irdiſche Liebe zu dir, im Herzen regen? Dann reichte ſie mir die Hand und ſprach mit ſuͤßer mil¬ der Stimme: Ach keine hohe Heilige bin ich, aber wohl recht fromm, und liebe dich gar ſehr!

Ich hatte Aurelien mehrere Tage nicht geſehen, ſie war mit der Fuͤrſtin auf ein nahe gelegenes Luſtſchloß gegangen. Ich er¬ trug es nicht laͤnger, ich rannte hin. Am ſpaͤten Abend angekommen, traf ich im Garten auf eine Kammerfrau, die mir Au¬ reliens Zimmer nachwies. Leiſe, leiſe oͤffne¬ te ich die Thuͤr ich trat hinein eine ſchwuͤle Luft, ein wunderbarer Blumenge¬92 ruch wallte mir ſinnebetaͤubend entgegen. Er¬ innerungen ſtiegen in mir auf, wie dunkle Traͤume! Iſt das nicht Aureliens Zimmer auf dem Schloſſe des Barons, wo ich ... So wie ich dies dachte, war es, als erhoͤbe ſich hinter mir eine finſtre Geſtalt, und: Hermo¬ gen! rief es in meinem Innern! Entſetzt rannte ich vorwaͤrts, nur angelehnt war die Thuͤre des Cabinets. Aurelie kniete, den Ruͤcken mir zugekehrt vor einem Tabourett auf dem ein aufgeſchlagenes Buch lag. Voll ſcheuer Angſt blickte ich unwillkuͤhrlich zu¬ ruͤck ich ſchaute nichts, da rief ich im hoͤch¬ ſten Entzuͤcken: Aurelie, Aurelie! Sie wandte ſich ſchnell um, aber noch ehe ſie auf¬ geſtanden, lag ich neben ihr und hatte ſie feſt umſchlungen. Leonard! mein Geliebter! lispelte ſie leiſe. Da kochte und gaͤhrte in meinem Innern raſende Begier, wildes, ſuͤn¬ diges Verlangen. Sie hing kraftlos in mei¬ nen Armen; die geneſtelten Haare waren auf¬ gegangen und fielen in uͤppigen Locken uͤber93 meine Schultern, der jugendliche Buſen quoll hervor ſie aͤchzte dumpf ich kannte mich ſelbſt nicht mehr! Ich riß ſie em¬ por, ſie ſchien erkraͤftigt, eine fremde Glut brannte in ihrem Auge, feuriger erwiederte ſie meine wuͤthenden Kuͤſſe. Da rauſchte es hinter uns wie ſtarker, maͤchtiger Fluͤgel¬ ſchlag; ein ſchneidender Ton, wie das Angſt¬ geſchrei des zum Tode Getroffenen, gellte durch das Zimmer. Hermogen! ſchrie Aurelie, und ſank ohnmaͤchtig hin aus meinen Armen. Von wildem Entſetzen erfaßt, rannte ich fort! Im Flur trat mir die Fuͤrſtin, von einem Spaziergange heimkehrend, entgegen. Sie blickte mich ernſt und ſtolz an, indem ſie ſprach: Es iſt mir in der That ſehr be¬ fremdlich, Sie hier zu ſehen, Herr Leon¬ ard! Meine Verſtoͤrtheit im Augenblick bemeiſternd, antwortete ich in beinahe be¬ ſtimmterem Ton, als es ziemlich ſeyn moch¬ te: daß man oft gegen große Anregungen vergebens ankaͤmpfe, und daß oft das un¬94 ſchicklich ſcheinende fuͤr das Schicklichſte gel¬ ten koͤnne! Als ich durch die finſtre Nacht der Reſidenz zueilte, war es mir, als liefe jemand neben mir her, und als fluͤſtere eine Stimme: I ... Imm ... Immer bin ich bei Di ... Dir ... Bruͤ ... Bruͤderlein ... Bruͤ¬ derlein Medardus! Blickte ich um mich her, ſo merkte ich wohl, daß das Fantom des Doppeltgaͤngers nur in meiner Fantaſie ſpu¬ ke; aber nicht los konnte ich das entſetzliche Bild werden, ja es war mir endlich, als muͤſſe ich mit ihm ſprechen und ihm erzaͤh¬ len, daß ich wieder recht albern geweſen ſey, und mich habe ſchrecken laſſen, von dem tol¬ len Hermogen; die heilige Roſalia ſollte denn nun bald mein ganz mein ſeyn, denn dafuͤr waͤre ich Moͤnch und habe die Weihe erhalten. Da lachte und ſtoͤhnte mein Dop¬ peltgaͤnger, wie er ſonſt gethan, und ſtotterte: aber ſchn ... ſchnell ... ſchnell! Gedulde dich nur, ſprach ich wieder: gedulde dich nur, mein Junge! Alles wird gut werden. 95Den Hermogen habe ich nur nicht gut ge¬ troffen, er hat ſolch ein verdammtes Kreuz am Halſe, wie wir beide, aber mein flinkes Meſſerchen iſt noch ſcharf und ſpitzig! Hi ... hi hi ... tri ... triff gut ... triff gut! So verfluͤſterte des Doppeltgaͤngers Stimme im Sauſen des Morgenwindes, der von dem Feuerpurpur herſtrich, welches aufbrannte im Oſten.

Eben war ich in meiner Wohnung an¬ gekommen, als ich zum Fuͤrſten beſchieden wurde. Der Fuͤrſt kam mir ſehr freundlich entgegen. In der That, Herr Leonard! fing er an: Sie haben Sich meine Zuneigung im hohen Grade erworben; nicht verhehlen kann ichs Ihnen, daß mein Wohlwollen fuͤr Sie wahre Freundſchaft geworden iſt. Ich moͤchte Sie nicht verlieren, ich moͤchte Sie gluͤcklich ſehen. Ueberdem iſt man Ih¬ nen fuͤr das was Sie gelitten haben, alle nur moͤgliche Entſchaͤdigung zu gewaͤhren ſchuldig. Wiſſen Sie wohl, Herr Leonard!96 wer Ihren boͤſen Prozeß einzig und allein veranlaßte? wer ſie anklagte?

Nein, gnaͤdigſter Herr!

Baroneſſe Aurelie! ... Sie erſtaunen? Ja ja, Baroneſſe Aurelie, mein Herr Leon¬ ard, die hat Sie (er lachte laut auf) die hat Sie fuͤr einen Capuziner gehalten! Nun bei Gott! ſind Sie ein Capuziner, ſo ſind Sie der liebenswuͤrdigſte, den je ein menſchliches Auge ſah! Sagen Sie auf¬ richtig, Herr Leonard, ſind Sie wirklich ſo e n Stuͤck von Kloſtergeiſtlichen?

Gnaͤdigſter Herr, ich weiß nicht, welch ein boͤſes Verhaͤngniß mich immer zu dem Moͤnch machen will, der ...

Nun nun! ich bin kein Inquiſitor! fatal waͤr's doch wenn ein geiſtliches Ge¬ luͤbde Sie baͤnde. Zur Sache! moͤchten Sie nicht fuͤr das Unheil, das Baroneſſe Aurelie Ihnen zufuͤgte, Rache nehmen?

In welches Menſchen Bruſt koͤnnteein97ein Gedanke der Art gegen das holde Him¬ melsbild aufkommen?

Sie lieben Aurelien?

Dies frug der Fuͤrſt, mir ernſt und ſcharf ins Auge blickend. Ich ſchwieg, indem ich die Hand auf die Bruſt legte. Der Fuͤrſt fuhr weiter fort:

Ich weiß es, Sie haben Aurelien ge¬ liebt, ſeit dem Augenblick, als ſie mit der Fuͤrſtin hier zum erſtenmal in den Saal trat. Sie werden wieder geliebt, und zwar mit einem Feuer, das ich der ſanften Aure¬ lie nicht zugetraut haͤtte. Sie lebt nur in Ihnen, die Fuͤrſtin hat mir Alles geſagt. Glauben ſie wohl, daß nach Ihrer Verhaf¬ tung Aurelie ſich einer ganz troſtloſen, ver¬ zweifelten Stimmung uͤberließ, die ſie auf das Krankenbett warf und dem Tode nahe brachte? Aurelie hielt Sie damals fuͤr den Moͤrder ihres Bruders, um ſo unerklaͤrlicher war uns ihr Schmerz. Schon damals wur¬ den Sie geliebt. Nun, Herr Leonard, oderII. [7] 98vielmehr Herr von Krezinski, Sie ſind von Adel, ich fixire Sie bei Hofe auf eine Art, die Ihnen angenehm ſeyn ſoll. Sie heira¬ then Aurelien. In einigen Tagen feiern wir die Verlobung, ich ſelbſt werde die Stelle des Brautvaters vertreten. Stumm, von den widerſprechendſten Gefuͤhlen zerriſ¬ ſen ſtand ich da. Adieu, Herr Leonard! rief der Fuͤrſt und verſchwand, mir freund¬ lich zuwinkend, aus dem Zimmer.

Aurelie mein Weib! Das Weib eines verbrecheriſchen Moͤnchs! Nein! ſo wollen es die dunklen Maͤchte nicht, mag auch uͤber die Arme verhaͤngt ſeyn, was da will! Dieſer Gedanke erhob ſich in mir, ſiegend uͤber alles, was ſich dagegen auflehnen moch¬ te. Irgend ein Entſchluß, das fuͤhlte ich, mußte auf der Stelle gefaßt werden, aber vergebens ſann ich auf Mittel, mich ſchmerz¬ los von Aurelien zu trennen. Der Gedanke ſie nicht wieder zu ſehen, war mir unertraͤg¬ lich, aber daß ſie mein Weib werden ſollte,99 das erfuͤllte mich mit einem mir ſelbſt uner¬ klaͤrlichen Abſcheu. Deutlich ging in mir die Ahnung auf, daß, wenn der verbrecheriſche Moͤnch vor dem Altar des Herrn ſtehen werde, um mit heiligen Geluͤbden freveliches Spiel zu treiben, jenes fremden Mahlers Geſtalt, aber nicht milde troͤſtend wie im Gefaͤngniß, ſondern Rache und Verderben furchtbar verkuͤndend, wie bei Francesko's Trauung, erſcheinen, und mich ſtuͤrzen wer¬ de in namenloſe Schmach, in zeitliches, ewiges Elend. Aber dann vernahm ich tief im Innern eine dunkle Stimme: und doch muß Aurelie dein ſeyn! Schwachſinniger Thor, wie gedenkſt du zu aͤndern das, was uͤber euch verhaͤngt iſt. Und dann rief es wiederum: Nieder nieder wirf dich in den Staub! Verblendeter, du frevelſt! nie kann ſie dein werden; es iſt die heilige Roſalia ſelbſt, die du zu umfangen gedenkſt in irrdiſcher Liebe. So im Zwieſpalt grau¬ ſer Maͤchte hin und hergetrieben, vermochte100 ich nicht zu denken, nicht zu ahnen, was ich thun muͤſſe, um dem Verderben zu ent¬ rinnen, das mir uͤberall zu drohen ſchien. Voruͤber war jene begeiſterte Stimmung, in der mein ganzes Leben, mein verhaͤngnißvol¬ ler Aufenthalt auf dem Schloſſe des Barons von F. mir nur ein ſchwerer Traum ſchien. In duͤſtrer Verzagtheit ſah ich in mir nur den gemeinen Luͤſtling und Verbrecher. Al¬ les, was ich dem Richter, dem Leibarzt ge¬ ſagt, war nun nichts, als alberne, ſchlecht erfundene Luͤge, nicht eine innere Stimme, hatte geſprochen, wie ich ſonſt mich ſelbſt uͤberreden wollte.

Tief in mich gekehrt, nichts außer mir bemerkend und vernehmend, ſchlich ich uͤber die Straße. Der laute Zuruf des Kutſchers, das Geraſſel des Wagens weckte mich, ſchnell ſprang ich zur Seite. Der Wagen der Fuͤr¬ ſtin rollte voruͤber, der Leibarzt buͤckte ſich aus dem Schlage und winkte mir freundlich zu; ich folgte ihm nach ſeiner Wohnung. 101Er ſprang heraus und zog mich mit den Worten: Eben komme ich von Aurelien, ich habe Ihnen manches zu ſagen! herauf in ſein Zimmer. Ei, Ei, fing er an: Sie Heftiger, Unbeſonnener! was haben Sie an¬ gefangen. Aurelien ſind Sie erſchienen ploͤtz¬ lich, wie ein Geſpenſt, und das arme nerven¬ ſchwache Weſen iſt daruͤber erkrankt! Der Arzt bemerkte mein Erbleichen. Nun nun, fuhr er fort: arg iſt es eben nicht, ſie geht wieder im Garten umher und kehrt Morgen mit der Fuͤrſtin nach der Reſidenz zuruͤck. Von Ihnen, lieber Leonard! ſprach Aurelie viel, ſie empfindet herzliche Sehnſucht Sie wieder zu ſehen, und ſich zu entſchuldigen. Sie glaubt, Ihnen albern und thoͤrigt erſchie¬ nen zu ſeyn.

Ich wußte, dachte ich daran, was auf dem Luſtſchloſſe vorgegangen, Aureliens Aeu¬ ßerung nicht zu deuten.

Der Arzt ſchien von dem, was der Fuͤrſt mit mir im Sinn hatte, unterrichtet,102 er gab mir dies nicht undeutlich zu verſte¬ hen, und mittelſt ſeiner hellen Lebendigkeit, die Alles um ihn her ergriff, gelang es ihm bald, mich aus der duͤſtern Stimmung zu reißen, ſo daß unſer Geſpraͤch ſich heiter wandte. Er beſchrieb noch einmal, wie er Aurelien getroffen, die, dem Kinde gleich, das ſich nicht von ſchweren Traum erho¬ len kann, mit halbgeſchloſſenen, in Thraͤ¬ nen laͤchelnden Augen auf dem Ruhbette, das Koͤpfchen in die Hand geſtuͤtzt, gelegen, und ihm ihre krankhafte Viſionen geklagt habe. Er wiederholte ihre Worte, die durch leiſe Seufzer unterbrochene Stimme des ſchuͤchter¬ nen Maͤdchens nachahmend, und wußte, in¬ dem er manche ihrer Klagen neckiſch genug ſtellte, das anmuthige Bild durch einige kek¬ ke ironiſche Lichtblicke ſo zu heben, daß es gar heiter und lebendig vor mir aufging. Dazu kam, daß er im Contraſt die gravi¬ taͤtiſche Fuͤrſtin hinſtellte, welches mich nicht wenig ergoͤtzte. Haben Sie wohl gedacht,103 fing er endlich an: Haben Sie wohl gedacht, als ſie in die Reſidenz einzogen, daß Ihnen ſo viel wunderliches hier geſchehen wuͤrde? Erſt das tolle Mißverſtaͤndniß, das Sie in die Haͤnde des Criminal - Gerichts brachte, und dann das wahrhaft beneidenswerthe Gluͤck, das Ihnen der fuͤrſtliche Freund be¬ reitet!

Ich muß in der That geſtehen, daß gleich anfangs der freundliche Empfang des Fuͤrſten mir wohl that; doch fuͤhle ich, wie ſehr ich jetzt in ſeiner, in aller Achtung bei Hofe geſtiegen bin, das habe ich gewiß meinem erlittenen Unrecht zu verdanken.

Nicht ſowohl dem, als einem andern ganz kleinen Umſtande, den Sie wohl erra¬ then koͤnnen.

Keinesweges.

Zwar nennt man Sie, weil Sie es ſo wollen, ſchlechtweg Herr Leonard, wie vor¬ her, jeder weiß aber jetzt, daß Sie von Adel104 ſind, da die Nachrichten, die man aus Po¬ ſen erhalten hat, ihre Angaben beſtaͤtigten.

Wie kann das aber auf den Fuͤrſten, auf die Achtung, die ich im Zirkel des Ho¬ fes genieße, von Einfluß ſeyn? Als mich der Fuͤrſt kennen lernte und mich einlud, im Zir¬ kel des Hofes zu erſcheinen, wandte ich ein, daß ich nur von buͤrgerlicher Abkunft ſei, da ſagte mir der Fuͤrſt, daß die Wiſſenſchaft mich adle und faͤhig mache, in ſeiner Umge¬ bung zu erſcheinen.

Er haͤlt es wirklich ſo, coquettirend mit aufgeklaͤrtem Sinn fuͤr Wiſſenſchaft und Kunſt. Sie werden im Zirkel des Hofes manchen buͤrgerlichen Gelehrten und Kuͤnſtler bemerkt haben, aber die Feinfuͤhlenden unter dieſen, denen Leichtigkeit des innern Seyns abgeht, die ſich nicht in heitrer Ironie auf den hohen Standpunkt ſtellen koͤnnen, der ſie uͤber das Ganze erhebt, ſieht man nur ſelten, ſie bleiben auch wohl ganz aus. Bei dem beſten Willen, ſich recht vorurtheilsfrei105 zu zeigen, miſcht ſich in das Betragen des Adlichen gegen den Buͤrger ein gewiſſes Et¬ was, das wie Herablaſſung, Duldung des eigentlich unziemlichen ausſieht; das leidet kein Mann, der im gerechten Stolz wohl fuͤhlt, wie in adlicher Geſellſchaft oft nur er es iſt, der ſich herablaſſen und dulden muß, das geiſtig Gemeine und Abgeſchmackte. Sie ſind ſelbſt von Adel, Herr Leonard, aber wie ich hoͤre ganz geiſtlich und wiſſenſchaftlich er¬ zogen. Daher mag es kommen, daß Sie der erſte Adliche ſind, an dem ich ſelbſt im Zirkel des Hofes unter Adlichen auch jetzt nichts adliches, im ſchlimmen Sinn genom¬ men, verſpuͤrt habe. Sie koͤnnten glauben, ich ſpraͤche da, als Buͤrgerlicher, vorgefaßte Meinungen aus, oder mir ſei perſoͤnlich et¬ was begegnet, das ein Vorurtheil erweckt habe, dem iſt aber nicht ſo. Ich gehoͤre nun einmal zu einer der Claſſen, die Ausnahms¬ weiſe nicht blos tolerirt, ſondern wirklich gehegt und gepflegt werden. Aerzte und106 Beichtvaͤter ſind regierende Herren Herr¬ ſcher uͤber Leib und Seele, mithin allemal von gutem Adel. Sollten denn auch nicht Indigeſtion und ewige Verdammniß den Cour¬ faͤhigſten etwas weniges incommodiren koͤn¬ nen? Von Beichtvaͤtern gilt das aber nur bei den katholiſchen. Die proteſtantiſchen Prediger, wenigſtens auf dem Lande, ſind nur Hausoffizianten, die, nachdem ſie der gnaͤdigen Herrſchaft das Gewiſſen geruͤhrt, am unterſten Ende des Tiſches ſich in De¬ muth an Braten und Wein erlaben. Mag es ſchwer ſeyn, ein eingewurzeltes Vorurtheil abzulegen, aber es fehlt auch meiſtentheils an gutem Willen, da mancher Adlicher ah¬ nen mag, daß nur als ſolcher er eine Stel¬ lung im Leben behaupten koͤnne, zu der ihm ſonſt nichts in der Welt ein Recht giebt. Der Ahnen - und Adelſtolz iſt in unſerer, al¬ les immer mehr vergeiſtigenden Zeit, eine hoͤchſt ſeltſame, beinahe laͤcherliche Erſchei¬ nung. Vom Ritterthum, von Krieg und107 Waffen ausgehend, bildet ſich eine Kaſte, die ausſchließlich die andern Staͤnde ſchuͤtzt, und das ſubordinirte Verhaͤltniß des Beſchuͤtz¬ ten gegen den Schutzherrn erzeugt ſich von ſelbſt. Mag der Gelehrte ſeine Wiſſenſchaft, der Kuͤnſtler ſeine Kunſt, der Handwerker, der Kaufmann ſein Gewerbe ruͤhmen, ſiehe ſagt der Ritter, da kommt ein ungebehrdi¬ ger Feind, dem ihr, des Krieges unerfahrne, nicht zu widerſtehen vermoͤget, aber ich Waffengeuͤbter ſtelle mich mit meinem Schlacht¬ ſchwert vor euch hin, und was mein Spiel, was meine Freude iſt, rettet Euer Leben, Euer Hab und Gut. Doch immer mehr ſchwindet die rohe Gewalt von der Erde, immer mehr treibt und ſchafft der Geiſt, und immer mehr enthuͤllt ſich ſeine Alles uͤberwaͤltigende Kraft. Bald wird man gewahr, daß eine ſtarke Fauſt, ein Harniſch, ein maͤchtig geſchwun¬ genes Schwert nicht hinreichen das zu be¬ ſiegen, was der Geiſt will; ſelbſt Krieg und Waffenuͤbung unterwerfen ſich dem geiſtigen108 Prinzip der Zeit. Jeder wird immer mehr und mehr auf ſich ſelbſt geſtellt, aus ſeinem innern geiſtigen Vermoͤgen muß er das ſchoͤ¬ pfen, womit er, giebt der Staat ihm auch irgend einen blendenden aͤußern Glanz, ſich der Welt geltend machen muß. Auf das entgegengeſetzte Prinzip ſtuͤtzt ſich der aus dem Ritterthum hervorgehende Ahnen¬ ſtolz, der nur in dem Satz ſeinen Grund findet: meine Voreltern waren Helden, al¬ ſo bin ich dito ein Held. Je hoͤher das hin¬ aufgeht, deſto beſſer; denn kann man das leicht abſehen, wo einem Großpapa der Hel¬ denſinn kommen, und ihm der Adel ver¬ liehen worden, ſo traut man dem, wie allem Wunderbaren, das zu nahe liegt, nicht recht. Alles bezieht ſich wieder auf[Helden¬ muth] und koͤrperliche Kraft. Starke, ro¬ buſte Eltern haben wenigſtens in der Regel eben dergleichen Kinder, und eben ſo vererbt ſich kriegeriſcher Sinn und Muth. Die Rit¬ terkaſte rein zu erhalten, war daher wohl109 Erforderniß jener alten Ritterzeit, und kein geringes Verdienſt fuͤr ein altſtaͤmmiges Fraͤu¬ lein, einen Junker zu gebaͤren, zu dem die arme buͤrgerliche Welt flehte: Bitte, friß uns nicht, ſondern ſchuͤtze uns vor andern Junkern; mit dem geiſtigen Vermoͤgen iſt es nicht ſo. Sehr weiſe Vaͤter erzielen oft dumme Soͤhnchen, und es moͤchte, eben weil die Zeit dem phyſiſchen Riterthum das pſy¬ chiſche untergeſchoben hat, Ruͤckſichts des Beweiſes angeerbten Adels aͤngſtlicher ſeyn, von Leibnitz abzuſtammen, als von Amadis von Gallien oder ſonſt einem uralten Ritter der Tafelrunde. In der einmal beſtimmten Richtung ſchreitet der Geiſt der Zeit vor¬ waͤrts, und die Lage des ahnenſtolzen Adels verſchlimmert ſich merklich; daher denn auch wohl jenes taktloſe, aus Anerkennung des Verdienſtes und widerlicher Herablaſſung ge¬ miſchte Benehmen gegen, der Welt und dem Staat hoch geltende Buͤrgerliche, das Erzeug¬ niß eines dunkeln, verzagten Gefuͤhls ſeyn110 mag, in dem ſie ahnen, daß vor den Augen der Weiſen, der veraltete Tand laͤngſt ver¬ jaͤhrter Zeit abfaͤllt, und die laͤcherliche Bloͤ¬ ße ſich ihnen frei darſtellt. Dank ſei es dem Himmel, viele Adliche, Maͤnner und Frauen, erkennen den Geiſt der Zeit und ſchwingen ſich auf im herrlichen Fluge zu der Lebens¬ hoͤhe, die ihnen Wiſſenſchaft und Kunſt dar¬ bieten; dieſe werden die wahren Geiſterban¬ ner jenes Unholds ſeyn.

Des Leibarztes Geſpraͤch hatte mich in ein fremdes Gebiet gefuͤhrt. Niemals war es mir eingefallen, uͤber den Adel und uͤber ſein Verhaͤltniß zum Buͤrger zu reflektiren. Wohl mochte der Leibarzt nicht ahnen, daß ich ehedem eben zu der zweiten Claſſe gehoͤrt hatte, die, nach ſeiner Behauptung, der Stolz des Adels nicht trifft. War ich denn nicht in den vornehmſten adlichen Haͤuſern zu B., der hochgeachtete, hochverehrte Beichtiger? Weiter nachſinnend erkannte ich, wie ich ſelbſt aufs neue mein Schickſal verſchlun¬111 gen hatte, indem aus dem Namen, Kwie¬ cziczewo, den ich jener alten Dame bei Ho¬ fe nannte, mein Adel entſprang und ſo dem Fuͤrſten der Gedanke einkam, mich mit Aure¬ lien zu vermaͤhlen.

Die Fuͤrſtin war zuruͤckgekommen. Ich eilte zu Aurelien. Sie empfing mich mit holder jungfraͤulicher Verſchaͤmtheit; ich ſchloß ſie in meine Arme und glaubte in dem Augenblick daran, daß ſie mein Weib werden koͤnne. Aurelie war wei¬ cher, hingebender als ſonſt. Ihr Auge hing voll Thraͤnen, und der Ton, indem ſie ſprach, war wemuͤthige Bitte, ſo wie wenn im Gemuͤth des ſchmollenden Kindes ſich der Zorn bricht, in dem es geſuͤndigt. Ich durfte an meinen Beſuch im Luſt¬ ſchloß der Fuͤrſtin denken, lebhaft drang ich darauf, alles zu erfahren; ich beſchwor Au¬ relien mir zu vertrauen, was ſie damals ſo erſchrecken konnte. Sie ſchwieg, ſie112 ſchlug die Augen nieder, aber ſo wie mich ſelbſt der Gedanke meines graͤßlichen Dop¬ peltgaͤngers ſtaͤrker erfaßte, ſchrie ich auf: Aurelie! um aller Heiligen willen, welche ſchreckliche Geſtalt erblickteſt Du hinter uns! Sie ſah mich voll Verwunderung an, immer ſtarrer und ſtarrer wurde ihr Blick, dann ſprang ſie ploͤtzlich auf, als wolle ſie fliehen, doch blieb ſie und ſchluchzte, beide Haͤnde vor die Augen gedruͤckt: Nein, nein, nein er iſt es ja nicht! Ich erfaßte ſie ſanft, erſchoͤpft ließ ſie ſich nieder. Wer, wer iſt es nicht? frug ich heftig, wohl Alles ah¬ nend, was in ihrem Innern ſich entfalten mochte. Ach, mein Freund, mein Geliebter, ſprach ſie leiſe und wemuͤthig: wuͤrdeſt Du mich nicht fuͤr eine wahnſinnige Schwaͤrmerin halten, wenn ich Alles ... Alles ... dir ſagen ſollte, was mich immer wieder ſo verſtoͤrt im vollen Gluͤck der reinſten Liebe? Ein grauenvoller Traum geht durch mein Leben, er ſtellte ſich mit ſeinen entſetzlichen Bildernzwiſchen113zwiſchen uns, als ich Dich zum erſtenmale ſah; wie mit kalten Todesſchwingen wehte er mich an, als du ſo ploͤtzlich eintratſt in mein Zimmer auf dem Luſtſchloß der Fuͤrſtin. Wiſſe, ſo wie Du damals, kniete einſt ne¬ ben mir ein verruchter Moͤnch, und wollte heiliges Gebet mißbrauchen zum graͤßlichen Frevel. Er wurde, als er, wie ein wildes Thier liſtig auf ſeine Beute lauernd, mich umſchlich, der Moͤrder meines Bruders! Ach und Du! ... Deine Zuͤge? ... Deine Spra¬ che ... jenes Bild! laß mich ſchweigen, o laß mich ſchweigen. Aurelie bog ſich zuruͤck; in halbliegender Stellung lehnte ſie, den Kopf auf die Hand geſtuͤzt, in die Ecke des Sophas, uͤppiger traten die ſchwellenden Umriſſe des jugendlichen Koͤrpers hervor. Ich ſtand vor ihr, das luͤſterne Au¬ ge ſchwelgte in dem unendlichen Liebreiz, aber mit der Luſt kaͤmpfte der teufliſche Hohn, der in mir rief: Du Ungluͤckſelige, Du dem Satan erkaufte, biſt du ihm dennII. [8] 114entflohen, dem Moͤnch, der dich im Gebet zur Suͤnde verlockte? Nun biſt du ſeine Braut ... ſeine Braut! In dem Augenblick war jene Liebe zu Aurelien, die ein Him¬ melsſtrahl zu entzuͤnden ſchien, als dem Ge¬ faͤngniß, dem Tode entronnen, ich ſie im Park wiederſah, aus meinem Innern verſchwun¬ den, und der Gedanke: daß ihr Verderben meines Lebens glaͤnzendſter Lichtpunkt ſeyn koͤnne, erfuͤllte mich ganz und gar. Man rief Aurelien zur Fuͤrſtin. Klar wurde es mir, daß Aureliens Leben gewiſſe mir noch unbekannte Beziehungen auf mich ſelbſt ha¬ ben muͤſſe; und doch fand ich keinen Weg dies zu erfahren, da Aurelie alles Bittens uner¬ achtet, jene einzelne hingeworfene Aeußer¬ ungen nicht naͤher deuten wollte. Der Zu¬ fall enthuͤllte mir das, was ſie zu verſchwei¬ gen gedachte. Eines Tages befand ich mich in dem Zimmer des Hofbeamten, dem es oblag, alle Privatbriefe des Fuͤrſten und der dem Hofe Angehoͤrigen zur Poſt zu be¬115 foͤrdern. Er war eben abweſend, als Aure¬ liens Maͤdchen mit einem ſtarken Briefe hin¬ eintrat, und ihn auf den Tiſch zu den uͤbri¬ gen, die ſchon dort befindlich, legte. Ein fluͤchtiger Blick uͤberzeugte mich, daß die Aufſchrift an die Aebtiſſin, der Fuͤrſtin Schweſter, von Aureliens Hand war. Die Ahnung, alles noch nicht erforſchte ſey darin enthalten, durchflog mich mit Blitzesſchnelle; noch ehe der Beamte zuruͤckgekehrt, war ich fort mit dem Briefe Aureliens.

Du Moͤnch, oder im weltlichen Treiben Befangener, der Du aus meinem Leben Leh¬ re und Warnung zu ſchoͤpfen trachteſt, lies die Blaͤtter die ich hier einſchalte, lies die Geſtaͤndniſſe des frommen, reinen Maͤdchens, von den bittern Thraͤnen des reuigen, hoff¬ nungsloſen Suͤnders benezt. Moͤge das from¬ me Gemuͤth dir aufgehen, wie leuchtender Troſt in der Zeit der Suͤnde und des Fre¬ vels.

116

Aurelie an die Aebtißin des Ciſter¬ zienſer Nonnenkloſters zu ....

Meine theure gute Mutter! mit welchen Worten ſoll ich Dir's denn verkuͤnden, daß dein Kind gluͤcklich iſt, daß endlich die grauſe Geſtalt, die, wie ein ſchrecklich drohendes Ge¬ ſpenſt, alle Bluͤthen abſtreifend, alle Hof¬ nungen zerſtoͤrend in mein Leben trat, ge¬ bannt wurde, durch der Liebe goͤttlichen Zau¬ ber. Aber nun faͤllt es mir recht ſchwer aufs Herz, daß wenn Du meines ungluͤckli¬ chen Bruders, meines Vaters, den der Gram toͤdtete, gedachteſt und mich aufrichte¬ teſt in meinem troſtloſen Jammer daß ich dann Dir nicht, wie in heiliger Beichte, mein Innres ganz aufſchloß. Doch ich vermag ja auch nun erſt das duͤſtre Geheimniß aus¬ zuſprechen das tief in meiner Bruſt verbor¬ gen lag. Es iſt, als wenn eine boͤſe un¬ heimliche Macht mir mein hoͤchſtes Lebens¬ gluͤck recht truͤgeriſch wie ein grauſiges Schreckbild vorgaukelte. Ich ſollte wie auf117 einem wogenden Meer hin und her ſchwan¬ ken und vielleicht rettungslos untergehen. Doch der Himmel half, wie durch ein Wun¬ der, in dem Augenblick, als ich im Begriff ſtand, unnennbar elend zu werden. Ich muß zuruͤckgehen in meine fruͤhe Kinderzeit, um Alles, Alles zu ſagen, denn ſchon da¬ mals wurde der Keim in mein Innres gelegt, der ſo lange Zeit hindurch verderblich fort¬ wucherte. Erſt drei oder vier Jahre war ich alt, als ich einſt, in der ſchoͤnſten Fruͤh¬ lingszeit, im Garten unſeres Schloſſes mit Hermogen ſpielte. Wir pfluͤckten allerlei Blumen, und Hermogen, ſonſt eben nicht da¬ zu aufgelegt, ließ es ſich gefallen, mir Kraͤn¬ ze zu flechten, in die ich mich putzte. Nun wol¬ len wir zur Mutter gehen, ſprach ich als ich mich uͤber und uͤber mit Blumen behaͤngt hat¬ te; da ſprang aber Hermogen haſtig auf, und rief mit wilder Stimme: Laß uns nur hier bleiben, klein Ding! die Mutter iſt im blauen Cabinet und ſpricht mit dem Teufel!118 Ich wußte gar nicht, was er damit ſagen wollte, aber dennoch erſtarrte ich vor Schreck, und fing endlich an jaͤmmerlich zu weinen. Dumme Schweſter, was heulſt Du, rief Hermogen, Mutter ſpricht alle Tage mit dem Teufel, er thut ihr nichts! Ich fuͤrch¬ tete mich vor Hermogen, weil er ſo finſter vor ſich hin blickte, ſo rauh ſprach, und ſchwieg ſtille. Die Mutter war damals ſchon ſehr kraͤnklich, ſie wurde oft von fuͤrchterli¬ chen Kraͤmpfen ergriffen, die in einen todt¬ aͤhnlichen Zuſtand uͤbergingen. Wir, ich und Hermogen, wurden dann fortgebracht. Ich hoͤrte nicht auf zu klagen, aber Hermo¬ gen ſprach dumpf in ſich hinein: der Teufel hat's ihr angethan! So wurde in meinem kindiſchen Gemuͤth der Gedanke erweckt, die Mutter habe Gemeinſchaft mit einem boͤſen haͤßlichen Geſpenſt, denn anders dachte ich mir nicht den Teufel, da ich mit den Lehren der Kirche noch unbekannt war. Eines Ta¬ ges hatte man mich allein gelaſſen, mir wur¬119 de ganz unheimlich zu Muthe, und vor Schreck vermochte ich nicht zu fliehen, als ich wahr¬ nahm, daß ich eben in dem blauen Cabinet mich befand, wo nach Hermogens Behaup¬ tung, die Mutter mit dem Teufel ſprechen ſollte. Die Thuͤre ging auf, die Mutter trat leichenblaß herein und vor eine leere Wand hin. Sie rief mit dumpfer tief kla¬ gender Stimme: Francesko, Francesko! Da rauſchte und regte es ſich hinter der Wand, ſie ſchob ſich aus einander und das lebensgroße Bild eines ſchoͤnen, in einem violetten Man¬ tel wunderbar gekleideten Mannes wurde ſichtbar. Die Geſtalt, das Geſicht dieſes Mannes machte einen unbeſchreiblichen Ein¬ druck auf mich, ich jauchzte auf vor Freude; die Mutter umblickend, wurde nun erſt mich gewahr und rief heftig: Was willſt Du hier Aurelie? wer hat Dich hieher gebracht? Die Mutter, ſonſt ſo ſanft und guͤtig, war erzuͤrnter, als ich ſie je geſehen. Ich glaub¬ te daran Schuld zu ſeyn. Ach, ſtammelte120 ich unter vielen Thraͤnen, ſie haben mich hier allein gelaſſen, ich wollte ja nicht hier bleiben. Aber als ich wahrnahm, daß das Bild verſchwunden, da rief ich: Ach das ſchoͤne Bild, wo iſt das ſchoͤne Bild! Die Mutter hob mich in die Hoͤhe, kuͤßte und herzte mich und ſprach: Du biſt mein gutes, liebes Kind, aber das Bild darf nie¬ mand ſehen, auch iſt es nun auf immer fort! Niemand vertraute ich, was mir widerfah¬ ren, nur zu Hermogen ſprach ich einmal: Hoͤre! die Mutter ſpricht nicht mit dem Teu¬ fel, ſondern mit einem ſchoͤnen Mann, aber der iſt nur ein Bild, und ſpringt aus der Wand, wenn Mutter ihn ruft. Da ſah Her¬ mogen ſtarr vor ſich hin und murmelte: Der Teufel kann ausſehen wie er will, ſagt der Herr Pater, aber der Mutter thut er doch nichts. Mich uͤberfiel ein Grauen, und ich bat Hermogen flehentlich, doch ja nicht wieder von dem Teufel zu ſprechen. Wir gingen nach der Hauptſtadt, das Bild ver¬121 lor ſich aus meinem Gedaͤchtniß und wurde ſelbſt dann nicht wieder lebendig, als wir nach dem Tode der guten Mutter auf das Land zuruͤckgekehrt waren. Der Fluͤgel des Schloſſes, in welchem jenes blaue Cabinet gelegen, blieb unbewohnt; es waren die Zimmer meiner Mutter, die der Vater nicht betreten konnte, ohne die ſchmerzlichſten Er¬ innerungen in ſich aufzuregen. Eine Repa¬ ratur des Gebaͤudes machte es endlich noͤthig die Zimmer zu oͤffnen; ich trat in das blaue Cabinet, als die Arbeiter eben beſchaͤftiget waren, den Fußboden aufzureißen. So wie einer von ihnen eine Tafel in der Mit¬ te des Zimmers emporhob, rauſchte es hin¬ ter der Wand, ſie ſchob ſich aus einander, und das lebensgroße Bild des Unbekannten wurde ſichtbar. Man entdeckte die Feder im Fußboden, welche, angedruͤckt, eine Maſchi¬ ne hinter der Wand in Bewegung ſetzte, die ein Feld des Tafelwerks, womit die Wand bekleidet, aus einander ſchob. Nun gedachte122 ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinder¬ jahre, meine Mutter ſtand wieder vor mir, ich vergoß heiße Thraͤnen, aber nicht weg¬ wenden konnte ich den Blick von dem frem¬ den herrlichen Mann, der mich mit leben¬ dig ſtrahlenden Augen anſchaute. Man hatte wahrſcheinlich meinem Vater gleich gemeldet was ſich zugetragen, er trat herein, als ich noch vor dem Bilde ſtand. Nur einen Blick hatte er darauf geworfen, als er, von Entſe¬ tzen ergriffen, ſtehen blieb und dumpf in ſich hineinmurmelte: Francesko, Francesko! Darauf wandte er ſich raſch zu den Arbei¬ tern, und befahl mit ſtarker Stimme: Man breche ſogleich das Bild aus der Wand, rol¬ le es auf und uͤbergebe es Reinhold. Es war mir, als ſolle ich den ſchoͤnen herrli¬ chen Mann, der in ſeinem wunderbaren Ge¬ wande mir, wie ein hoher Geiſterfuͤrſt vor¬ kam, niemals wiederſehen, und doch hielt mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck, den Vater zu bitten, das Bild ja nicht ver¬123 nichten zu laſſen. In wenigen Tagen ver¬ ſchwand jedoch der Eindruck, den der Auf¬ tritt mit dem Bilde auf mich gemacht hatte, ſpurlos aus meinem Innern. Ich war ſchon vierzehn Jahr alt worden, und noch ein wildes, unbeſonnenes Ding, ſo daß ich ſonderbar genug gegen den ernſten feierlichen Hermogen abſtach und der Vater oft ſagte, daß wenn Hermogen mehr ein ſtilles Maͤdchen ſchie¬ ne, ich ein recht ausgelaſſener Knabe ſey. Das ſollte ſich bald aͤndern. Hermogen fing an, mit Leidenſchaft und Kraft ritterliche Uebun¬ gen zu treiben. Er lebte nur in Kampf und Schlacht, ſeine ganze Seele war davon erfuͤllt, und da es eben Krieg, geben ſollte, lag er dem Vater an, ihn nur gleich Dien¬ ſte nehmen zu laſſen. Mich uͤberfiel dagegen eben zu der Zeit eine ſolch unerklaͤrliche Stimmung, die ich nicht zu deuten wußte, und die bald mein ganzes Weſen verſtoͤrte. Ein ſeltſames Uebelbefinden ſchien aus der Seele zu kommen, und alle Lebenspulſe ge¬124 waltſam zu ergreifen. Ich war oft der Ohnmacht nahe, dann kamen allerlei wun¬ derliche Bilder und Traͤume, und es war mir, als ſolle ich einen glaͤnzenden Himmel voll Seligkeit und Wonne erſchauen und koͤnne nur, wie ein ſchlaftrunknes Kind, die Augen nicht oͤffnen. Ohne zu wiſſen, wa¬ rum? konnte ich oft bis zum Tode betruͤbt, oft ausgelaſſen froͤhlich ſeyn. Bei dem ge¬ ringſten Anlaß ſtuͤrzten mir die Thraͤnen aus den Augen, eine unerklaͤrliche Sehnſucht ſtieg oft bis zu koͤrperlichem Schmerz, ſo daß alle Glieder krampfhaft zuckten. Der Vater bemerkte meinen Zuſtand, ſchrieb ihn uͤberreizten Nerven zu und ſuchte die Huͤlfe des Arztes, der allerlei Mittel verordnete die ohne Wirkung blieben. Ich weiß ſelbſt nicht wie es kam, urploͤtzlich erſchien mir das ver¬ geſſene Bild jenes unbekannten Mannes ſo lebhaft, daß es mir war, als ſtehe es vor mir, Blicke des Mitleids auf mich gerichtet. Ach! ſoll ich denn ſterben? was iſt125 es, das mich ſo unausſprechlich quaͤlt? So rief ich dem Traumbilde entgegen, da laͤchel¬ te der Unbekannte und antwortete: Du liebſt mich, Aurelie; das iſt deine Qual, aber kannſt Du die Geluͤbde des Gottgeweihten brechen? Zu meinem Erſtaunen wurde ich nun ge¬ wahr, daß der Unbekannte das Ordenskleid der Capuziner trug. Ich raffte mich mit aller Gewalt auf, um nur aus dem traͤume¬ riſchen Zuſtande zu erwachen. Es gelang mir. Feſt war ich uͤberzeugt, daß je¬ ner Moͤnch nur ein loſes truͤgeriſches Spiel meiner Einbildung geweſen und doch ahnte ich nur zu deutlich, daß das Geheimniß der Liebe ſich mir erſchloſſen hatte. Ja! ich liebte den Unbekannten mit aller Staͤrke des erwachten Gefuͤhls, mit aller Leidenſchaft und Inbrunſt de¬ ren das jugendliche Herz faͤhig. In jenen Au¬ genblicken traͤumeriſchen Hinbruͤtens, als ich den Unbekannten zu ſehen glaubte, ſchien mein Uebelbefinden den hoͤchſten Punkt er¬ reicht zu haben, ich wurde zuſehends woh¬126 ler, indem meine Nervenſchwaͤche nachließ, und nur das ſtete ſtarre Feſthalten jenes Bil¬ des, die fantaſtiſche Liebe zu einem Weſen, das nur in mir lebte, gab mir das Anſehen einer Traͤumerin. Ich war fuͤr Alles ver¬ ſtummt, ich ſaß in der Geſellſchaft ohne mich zu regen, und indem ich, mit meinem Ideal beſchaͤftigt, nicht darauf achtete, was man ſprach, gab ich oft verkehrte Antwor¬ ten, ſo daß man mich fuͤr ein einfaͤltig Ding achten mochte. In meines Bruders Zimmer ſah ich ein fremdes Buch auf dem Tiſche liegen; ich ſchlug es auf, es war ein aus dem Engliſchen uͤberſetzter Roman: Der Moͤnch! Mit eiskaltem Schauer durchbeb¬ te mich der Gedanke, daß der unbekannte Geliebte ein Moͤnch ſey. Nie hatte ich ge¬ ahnt, daß die Liebe zu einem Gottgeweihten ſuͤndlich ſeyn koͤnne, nun kamen mir ploͤtzlich die Worte des Traumbildes ein: Kannſt du die Geluͤbde des Gottgeweihten brechen? und nun erſt verwundeten ſie, mit ſchwerem Ge¬127 wicht in mein Innres fallend, mich tief. Es war mir, als koͤnne jenes Buch mir manchen Aufſchluß geben. Ich nahm es mit mir, ich fing an zu leſen, die wunder¬ bare Geſchichte riß mich hin, aber als der erſte Mord geſchehen, als immer verruchter der graͤßliche Moͤnch frevelt, als er endlich ins Buͤndniß tritt mit dem Boͤſen, da er¬ griff mich namenloſes Entſetzen, denn ich gedachte jener Worte Hermogens: Die Mutter ſpricht mit dem Teufel! Nun glaubte ich, ſo wie jener Moͤnch im Roman, ſey der Unbekannte ein dem Boͤſen Verkaufter, der mich verlocken wolle. Und doch konnte ich nicht gebieten der Liebe zu dem Moͤnch, der in mir lebte. Nun erſt wußte ich, daß es frevelhafte Liebe gebe, mein Abſcheu dage¬ gen kaͤmpfte mit dem Gefuͤhl, das meine Bruſt erfuͤllte, und dieſer Kampf machte mich auf eigne Weiſe reizbar. Oft bemeiſterte ſich meiner, in der Naͤhe eines Mannes ein un¬ heimliches Gefuͤhl, weil es mir ploͤtzlich war,128 als ſey es der Moͤnch, der nun mich erfaſſen und fortreißen werde ins Verderben. Rein¬ hold kam von einer Reiſe zuruͤck, und erzaͤhlte viel von einem Capuziner Medardus, der als Canzelredner weit und breit beruͤhmt ſey und den er ſelbſt in ... r mit Verwunderung gehoͤrt habe. Ich dachte an den Moͤnch im Roman und es uͤberfiel mich eine ſeltſa¬ me Ahnung, daß das geliebte und gefuͤrchtete Traumbild jener Medardus ſeyn koͤnne. Der Gedanke war mir ſchrecklich, ſelbſt wußte ich nicht, warum? und mein Zuſtand wurde in der That peinlicher[und] verſtoͤrter, als ich es zu ertragen vermochte. Ich ſchwamm in einem Meer von Ahnungen und Traͤumen. Aber vergebens ſuchte ich das Bild des Moͤnchs aus meinem Innern zu verbannen; ich ungluͤckliches Kind konnte nicht widerſte¬ hen der ſuͤndigen Liebe zu dem Gottgeweih¬ ten. Ein Geiſtlicher beſuchte einſt, wie er es wohl manchmal zu thun pflegte, den Vater. Er ließ ſich weitlaͤuftig uͤber die mannichfa¬chen129chen Verſuchungen des Teufels aus und mancher Funke fiel in meine Seele, indem der Geiſtliche den troſtloſen Zuſtand des jungen Gemuͤths beſchrieb, in das ſich der Boͤſe den Weg bahnen wolle und worin er nur ſchwaches Widerſtreben faͤnde. Mein Vater fuͤgte man¬ ches hinzu, als ob er von mir rede. Nur unbegraͤnzte Zuverſicht, ſagte endlich der Geiſtliche, nur unwandelbares Vertrauen, nicht ſowohl zu befreundeten Menſchen, als zur Religion und ihren Dienern, koͤnne Ret¬ tung bringen. Dies merkwuͤrdige Geſpraͤch beſtimmte mich, den Troſt der Kirche zu ſu¬ chen, und meine Bruſt, durch reuiges Geſtaͤnd¬ niß in heiliger Beichte, zu erleichtern. Am fruͤhen Morgen des andern Tages wollte ich, da wir uns eben in der Reſidenz befanden, in die dicht neben unſerm Hauſe gelegene Kloſterkirche gehen. Es war eine qualvolle, entſetzliche Nacht, die ich zu uͤberſtehen hat¬ te. Abſcheuliche, freveliche Bilder, wie ich ſie nie geſehen, nie gedacht, umgaukeltenII. [9] 130mich, aber dann mitten drunter ſtand der Moͤnch da, mir die Hand wie zur Rettung bie¬ tend und rief: Sprich es nur aus, daß Du mich liebſt, und frei biſt Du aller Noth. Da mußt 'ich unwillkuͤhrlich rufen: Ja Medardus, ich liebe Dich! und verſchwunden waren die Geiſter der Hoͤlle! Endlich ſtand ich auf, klei¬ dete mich an, und ging nach der Kloſterkirche.

Das Morgenlicht brach eben in farbigen Strahlen durch die bunten Fenſter, ein Lay¬ enbruder reinigte, die Gaͤnge. Unfern der Seitenpforte, wo ich hineingetreten, ſtand ein der heiligen Roſalia geweihter Altar, dort hielt ich ein kurzes Gebet, und ſchritt dann auf den Beichtſtuhl zu, in dem ich ei¬ nen Moͤnch erblickte. Hilf, heiliger Him¬ mel! es war Medardus! Kein Zweifel blieb uͤbrig, eine hoͤhere Macht ſagte es mir. Da ergriff mich wahnſinnige Angſt und Lie¬ be, aber ich fuͤhlte, daß nur ſtandhafter Muth mich retten koͤnne. Ich beichtete ihm ſelbſt meine ſuͤndliche Liebe zu dem Gottgeweihten,131 ja mehr als das! ... Ewiger Gott! in dem Augenblicke war es mir, als haͤtte ich ſchon oft in troſtloſer Verzweiflung den heiligen Banden, die den Geliebten feſſelten, geflucht, und auch das beichtete ich. Du ſelbſt, Du ſelbſt, Medardus, biſt es, den ich ſo unaus¬ ſprechlich liebe. Das waren die letzten Worte, die ich zu ſprechen vermochte, aber nun floß lindernder Troſt der Kirche, wie des Himmels Balſam, von den Lippen des Moͤnchs, der mir ploͤtzlich nicht mehr Medar¬ dus ſchien. Bald darauf nahm mich ein al¬ ter ehrwuͤrdiger Pilger in ſeine Arme und fuͤhrte mich langſamen Schrittes durch die Gaͤnge der Kirche zur Hauptpforte hinaus. Er ſprach hochheilige, herrliche Worte, aber ich mußte entſchlummern wie ein unter ſanften, ſuͤßen Toͤnen eingewiegtes Kind. Ich verlor das Bewußtſeyn. Als ich erwachte, lag ich angekleidet auf dem Sopha meines Zimmers. Gott und den Heiligen Lob und Dank, die Criſis iſt voruͤber, ſie erholt ſich! rief eine132 Stimme. Es war der Arzt, der dieſe Worte zu meinem Vater ſprach. Man ſagte mir, daß man mich des Morgens in einem er¬ ſtarrten, todtaͤhnlichen Zuſtande gefunden und einen Nervenſchlag befuͤrchtet habe. Du ſiehſt, meine liebe, fromme Mutter, daß meine Beichte bei dem Moͤnch Medardus nur ein lebhafter Traum in einem uͤberreizten Zuſtande war, aber die heilige Roſalia, zu der ich oft flehte, und deren Bildniß ich ja auch im Traum anrief, hat mir wohl al¬ les ſo erſcheinen laſſen, damit ich errettet werden moͤge aus den Schlingen, die mir der argliſtige Boͤſe gelegt. Verſchwunden war aus meinem Innern die wahnſinnige Liebe zu dem Trugbilde im Moͤnchsgewand. Ich erholte mich ganz: und trat nun erſt hei¬ ter und unbefangen in das Leben ein. Aber, gerechter Gott, noch einmal ſollte mich jener verhaßte Moͤnch auf entſetzliche Weiſe bis zum Tode treffen. Fuͤr eben jenen Medardus, dem ich im Traum gebeichtet,133 erkannte ich augenblicklich den Moͤnch, der ſich auf unſerm Schloſſe eingefunden. Das iſt der Teufel, mit dem die Mutter geſpro¬ chen, huͤte Dich, huͤte Dich! er ſtellt Dir nach! ſo rief der ungluͤckliche Hermogen im¬ mer in mich hinein. Ach, es haͤtte dieſer Warnung nicht bedurft. Von dem erſten Moment an, als mich der Moͤnch mit vor frevelicher Begier funkelnden Augen anblick¬ te, und dann in geheuchelter Verzuͤckung die heilige Roſalia anrief, war er mir unheim¬ lich und entſetzlich. Du weißt alles fuͤrch¬ terliche, was ſich darauf begab, meine gute liebe Mutter. Ach aber, muß ich es nicht Dir auch geſtehen, daß der Moͤnch mir deſto gefaͤhrlicher war, als ſich tief in meinem Innerſten ein Gefuͤhl re te, dem gleich als zuerſt der Gedanke der Suͤnde in mir ent¬ ſtand und als ich ankaͤmpfen mußte gegen die Verlockung des Boͤſen? Es gab Augenblicke, in denen ich Verblendete den heuchleriſchen frommen Reden des Moͤnchs traute, ja in134 denen es mir war, als ſtrahle aus ſeinem Innern der Funke des Himmels, der mich zur reinen uͤberirrdiſchen Liebe entzuͤnden koͤnne. Aber dann wußte er mit verruchter Liſt, ſelbſt in begeiſterter Andacht, eine Glut anzufachen, die aus der Hoͤlle kam. Wie den mich bewachenden Schutzengel ſandten mir dann die Heiligen, zu denen ich inbruͤn¬ ſtig flehte, den Bruder. Denke dir, liebe Mutter, mein Entſetzen, als hier, bald nach¬ dem ich zum erſtenmal bei Hofe erſchienen, ein Mann auf mich zutrat, den ich auf den erſten Blick fuͤr den Moͤnch Medardus zu erkennen glaubte, unerachtet er weltlich ge¬ kleidet ging. Ich wurde ohnmaͤchtig, als ich ihn ſah. In den Armen der Fuͤrſtin erwacht, rief ich laut: Er iſt es, er iſt es, der Moͤr¬ der meines Bruders. Ja er iſt es, ſprach die Fuͤrſtin: der verkappte Moͤnch Medardus der dem Kloſter entſprang; die auffallende Aehnlichkeit mit ſeinem Vater Francesco ... Hilf, heiliger Himmel, indem ich dieſen Na¬135 men ſchreibe, rinnen eiskalte Schauer mir durch alle Glieder. Jenes Bild meiner Mut¬ ter war Francesco ... das truͤgeriſche Moͤnchs¬ gebilde, das mich quaͤlte, hatte ganz ſeine Zuͤge! Medardus, ihn erkannte ich als jenes Gebilde in dem wunderbaren Traum der Beichte. Medardus iſt Francesco's Sohn, Franz, den du, meine gute Mutter, ſo fromm erziehen ließeſt und der in Suͤnde und Fre¬ vel gerieth. Welche Verbindung hatte meine Mutter mit jenem Francesco, daß ſie ſein Bild heimlich aufbewahrte, und bei ſeinem Anblick ſich dem Andenken einer ſeeligen Zeit zu uͤberlaſſen ſchien? Wie kam es, daß in dieſem Bilde Hermogen den Teufel ſah, und daß es den Grund legte zu meiner ſon¬ derbaren Verirrung? Ich verſinke in Ahnun¬ gen und Zweifel. Heiliger Gott, bin ich denn entronnen der boͤſen Macht, die mich umſtrickt hielt? Nein, ich kann nicht wei¬ ter ſchreiben, mir iſt, als wuͤrd 'ich von dunkler Nacht befangen und kein Hoffnungs¬136 ſtern leuchte, mir freundlich den Weg zei¬ gend, den ich wandeln ſoll!

(Einige Tage ſpaͤter.) Nein! Keine finſtere Zweifel ſollen mir die hellen Sonnentage verduͤſtern, die mir aufgegangen ſind. Der ehrwuͤrdige Pater Cyrillus hat dir, meine theure Mutter, wie ich weiß, ſchon ausfuͤhrlich berichtet, welch eine ſchlimme Wendung der Prozeß Leonards nahm, den meine Uebereilung den boͤſen Criminalgerichten in die Haͤnde gab. Daß der wirkliche Medardus eingefangen wurde, daß ſein vielleicht verſtellter Wahnſinn bald ganz nachließ, daß er ſeine Frevelthaten ein¬ geſtand, daß er ſeine gerechte Strafe erwar¬ tet und ... doch nicht weiter, denn nur zu ſehr wuͤrde das ſchmachvolle Schickſal des Verbrechers, der als Knabe Dir ſo theuer war, dein Herz verwunden. Der merk¬ wuͤrdige Prozeß war das einzige Geſpraͤch bei Hofe. Man hielt Leonard fuͤr einen ver¬ ſchmizten, hartnaͤckigen Verbrecher, weil er137 alles laͤugnete. Gott im Himmel! Dolch¬ ſtiche waren mir manche Reden, denn auf wunderbare Weiſe ſprach eine Stimme in mir: er iſt unſchuldig und das wird klar werden, wie der Tag. Ich empfand das tiefſte Mitleid mit ihm, geſtehen mußte ich es mir ſelbſt, daß mir ſein Bild, rief ich es mir wieder zuruͤck, Regungen erweckte, die ich nicht mißdeuten konnte. Ja! ich liebte ihn ſchon unausſprechlich, als er der Welt noch ein frevelicher Verbrecher ſchien. Ein Wunder mußte ihn und mich retten, denn ich ſtarb, ſo wie Leonard durch die Hand des Henkers fiel. Er iſt ſchuldlos, er liebt mich, und bald iſt er ganz mein. So geht eine dunkle Ahnung aus fruͤhen Kindesjahren, die mir eine feindliche Macht argliſtig zu vertruͤben ſuchte, herrlich, herrlich auf in regen wonnigem Leben. O gieb mir, gieb dem Geliebten Deinen Segen, Du fromme Mutter! Ach koͤnnte Dein gluͤckliches Kind nur ihre volle Himmelsluſt recht ausweinen138 an Deinem Herzen! Leonard gleicht ganz jenem Francesko, nur ſcheint er groͤßer, auch unterſcheidet ihn ein gewiſſer charakteriſtiſcher Zug, der ſeiner Nation eigen, Du weißt daß er ein Pole iſt) von Francesko und dem Moͤnch Medardus ſehr merklich. Albern war es wohl uͤberhaupt, den geiſtreichen, gewand¬ ten, herrlichen Leonard auch nur einen Au¬ genblick fuͤr einen entlaufenen Moͤnch anzu¬ ſehen. Aber ſo ſtark iſt noch der fuͤrchterli¬ che Eindruck jener graͤßlichen Szenen auf unſerm Schloſſe, daß oft, tritt Leonard un¬ vermuthet zu mir herein und blickt mich an mit ſeinem ſtrahlenden Auge, das, ach nur zu ſehr jenem Medardus gleicht, mich unwillkuͤhrliches Grauſen befaͤllt und ich Gefahr laufe durch mein kindiſches We¬ ſen, den Geliebten zu verletzen. Mir iſt, als wuͤrde erſt des Prieſters Seegen die fin¬ ſtere Geſtalten bannen, die noch jetzt recht feindlich manchen Wolkenſchatten in mein Leben werfen. Schließe mich und den Ge¬139 liebten in Dein frommes Gebet, meine theure Mutter! Der Fuͤrſt wuͤnſcht, daß die Vermaͤhlung bald vor ſich gehe; den Tag ſchreibe ich Dir, damit Du Deines Kindes gedenken moͤgeſt, in ihres Lebens feierlicher, verhaͤngnißvoller Stunde ꝛc.

Immer und immer wieder las ich Au¬ reliens Blaͤtter. Es war, als wenn der Geiſt des Himmels, der daraus hervorleuch¬ tete, in mein Inneres dringe und vor ſeinem reinen Strahl alle ſuͤndliche freveliche Gluth verloͤſche. Bei Aureliens Anblick uͤberfiel mich heilige Scheu, ich wagte es nicht mehr, ſie ſtuͤrmiſch zu liebkoſen, wie ſonſt. Aurelie bemerkte mein veraͤndertes Betragen, ich ge¬ ſtand ihr reuig den Raub des Briefes an die Aebtiſſin; ich entſchuldigte ihn mit ei¬ nem unerklaͤrlichen Drange, dem ich, wie der Gewalt einer unſichtbaren hoͤheren Macht, nicht widerſtehen koͤnnen, ich behauptete, daß eben jene hoͤhere, auf mich einwirkende Macht, mir jene Viſion am Beichtſtuhle140 habe kund thun wollen, um mir zu zeigen, wie unſere innigſte Verbindung ihr ewiger Rathſchluß ſey. Ja, Du frommes Himmels¬ kind, ſprach ich: Auch mir ging einſt ein wunderbarer Traum auf, indem Du mir Deine Liebe geſtandeſt, aber ich war ein un¬ gluͤcklicher vom Geſchick zermalmter Moͤnch deſſen Bruſt tauſend Qualen der Hoͤlle zer¬ riſſen. Dich Dich liebte ich mit nah¬ menloſer Inbrunſt, doch Frevel, doppelter, verruchter Frevel war meine Liebe, denn ich war ja ein Moͤnch, und Du die heilige Ro¬ ſalia. Erſchrocken fuhr Aurelie auf. Um Gott, ſprach ſie: Um Gott, es geht ein tie¬ fes unerforſchliches Geheimniß durch unſer Leben; ach, Leonard, laß uns nie an dem Schleier ruͤhren, der es umhuͤllt, wer weiß, was grauenvolles entſetzliches dahinter ver¬ borgen. Laß uns fromm ſeyn, und feſt an einander halten in treuer Liebe, ſo widerſte¬ hen wir der dunkeln Macht, deren Geiſter uns vielleicht feindlich bedrohen. Daß Du141 meinen Brief laſeſt, das mußte ſo ſeyn; ach! ich ſelbſt haͤtte Dir Alles erſchließen ſollen, kein Geheimniß darf unter uns wal¬ ten. Und doch iſt es mir, als kaͤmpfteſt Du mit manchem, was fruͤher recht verderblich eintrat in Dein Leben und was Du nicht ver¬ moͤchteſt, uͤber die Lippen zu bringen vor unrechter Scheu! Sey aufrichtig, Leonard? Ach wie wird ein freimuͤthiges Geſtaͤnd¬ niß Deine Bruſt erleichtern, und heller unſere Liebe ſtrahlen? Wohl fuͤhlte ich bei die¬ ſen Worten Aureliens recht marternd, wie der Geiſt des Truges in mir wohne, und wie ich nur noch vor wenigen Augenblicken das fromme Kind recht frevelich getaͤuſcht; und dies Gefuͤhl regte ſich ſtaͤrker und ſtaͤr¬ ker auf in wunderbarer Weiſe, ich mußte Au¬ relien Alles alles entdecken und doch ih¬ re Liebe gewinnen Aurelie Du meine Heilige, die mich rettet von ... In dem Augenblick trat die Fuͤrſtin herein, ihr An¬ blick warf mich ploͤtzlich zuruͤck in die Hoͤlle,142 voll Hohn und Gedanken des Verderbens. Sie mußte mich jetzt dulden, ich blieb, und ſtellte mich als Aureliens Braͤutigam kuͤhn und keck ihr entgegen. Ueberhaupt war ich nur frei von allen boͤſen Gedanken, wenn ich mit Aurelien allein mich befand; dann ging mir aber auch die Seligkeit des Him¬ mels auf. Jetzt erſt wuͤnſchte ich lebhaft meine Vermaͤhlung mit Aurelien. In ei¬ ner Nacht ſtand lebhaft meine Mutter vor mir, ich wollte ihre Hand ergreifen, und wurde gewahr, daß es nur Duft ſey, der ſich geſtaltet. Weshalb dieſe alberne Taͤu¬ ſchung, rief ich erzuͤrnt; da floſſen helle Thraͤnen aus meiner Mutter Augen, die wurden aber zu ſilbernen, hellblinken¬ den Sternen, aus denen leuchtende Tropfen fielen, und um mein Haupt kreiſten, als wollten ſie einen Heiligenſchein bilden, doch immer zerriß eine ſchwarze fuͤrchterliche Fauſt den Kreis. Du, den ich rein von je¬ der Unthat geboren, ſprach meine Mutter143 mit ſanfter Stimme: iſt denn deine Kraft gebrochen, daß du nicht zu widerſtehen ver¬ magſt den Verlockungen des Satans? Jetzt kann ich erſt Dein Innres durchſchau¬ en, denn mir iſt die Laſt des Irrdiſchen ent¬ nommen! Erhebe dich Franciskus! ich will dich ſchmuͤcken mit Baͤndern und Blu¬ men, denn es iſt der Tag des heiligen Bernardus gekommen und du ſollſt wie¬ der ein frommer Knabe ſeyn! Da war es mir, als muͤſſe ich wie ſonſt einen Hym¬ nus anſtimmen zum Lobe des Heiligen, aber entſetzlich tobte es dazwiſchen, mein Geſang wurde ein wildes Geheul, und ſchwarze Schleier rauſchten herab, zwiſchen mir und der Geſtalt meiner Mutter. Mehrere Ta¬ ge nach dieſer Viſion begegnete mir der Cri¬ minalrichter auf der Straße. Er trat freund¬ lich auf mich zu. Wiſſen Sie ſchon, fing er an: daß der Prozeß des Capuziners[Medar¬ dus] wieder zweifelhaft worden? Das[Urteil] das ihm hoͤchſt wahrſcheinlich den Tod zuer¬144 kannt haͤtte, ſollte ſchon abgefaßt werden, als er aufs neue Spuren des Wahnſinns zeigte. Das Criminalgericht erhielt nem¬ lich die Nachricht von dem Tode ſeiner Mut¬ ter; ich machte es ihm bekannt, da lachte er wild auf und rief mit einer Stimme, die ſelbſt dem ſtandhafteſten Gemuͤth Entſetzen erregen konnte: Ha ha ha! die Prinzeſſin von ... (er nannte die Gemahlin des ermor¬ deten Bruders unſers Fuͤrſten) iſt laͤngſt ge¬ ſtorben! Es iſt jetzt eine neue aͤrztliche Unterſuchung verfuͤgt, man glaubt jedoch, daß der Wahnſinn des Moͤnchs verſtellt ſey. Ich ließ mir Tag und Stunde des Todes meiner Mutter ſagen! ſie war mir in dem¬ ſelben Momente als ſie ſtarb erſchienen, und tief eindringend in Sinn und Gemuͤth, war nun auch die nur zu ſehr vergeſſene Mutter die Mittlerin zwiſchen mir und der reinen Himmelsſeele, die mein werden ſollte. Mil¬ der und weicher geworden, ſchien ich nun erſt Aureliens liebe ganz zu verſtehen, ichmochte145mochte ſie wie eine mich beſchirmende Heili¬ ge kaum verlaſſen, und mein duͤſteres Ge¬ heimniß wurde, indem ſie nicht mehr deshalb in mich drang, nun ein mir ſelbſt unerforſch¬ liches, von hoͤheren Maͤchten verhaͤngtes, Er¬ eigniß. Der von dem Fuͤrſten beſtimmte Tag der Vermaͤhlung war gekommen. Au¬ relie wollte in erſter Fruͤhe vor dem Altar der heiligen Roſalia, in der nahe gelegenen Kloſterkirche, getraut ſeyn. Wachend, und nach langer Zeit zum erſtenmal inbruͤnſtig betend, brachte ich die Nacht zu. Ach! ich Verblen¬ deter fuͤhlte nicht, daß das Gebet, womit ich mich zur Suͤnde ruͤſtete, hoͤlliſcher Fre¬ vel ſey! Als ich zu Aurelien eintrat, kam ſie mir, weißgekleidet, und mit duftenden Ro¬ ſen geſchmuͤckt, in holder Engelsſchoͤnheit ent¬ gegen. Ihr Gewand, ſo wie ihr Haarſchmuck, hatte etwas ſonderbar alterthuͤmliches, eine dunkle Erinnerung ging in mir auf, aber von tiefen Schauer fuͤhlte ich mich durchbebt, als ploͤtzlich lebhaft das Bild des Altars, anII. [10] 146dem wir getraut werden ſollten, mir vor Augen ſtand. Das Bild ſtellte das Marty¬ rium der heiligen Roſalia vor, und gerade ſo wie Aurelie, war ſie gekleidet. Schwer wurde es mir, den grauſigen Eindruck den dies auf mich machte, zu verbergen. Au¬ relie gab mir, mit einem Blick, aus dem ein ganzer Himmel voll Liebe und Selig¬ keit ſtralte, die Hand, ich zog ſie an meine Bruſt, und mit dem Kuß des reinſten Ent¬ zuͤckens, durchdrang mich aufs neue das deut¬ liche Gefuͤhl, daß nur durch Aurelie meine Seele errettet werden koͤnne. Ein fuͤrſtli¬ cher Bedienter meldete, daß die Herrſchaft bereit ſey, uns zu empfangen. Aurelie zog ſchnell die Handſchuhe an, ich nahm ihren Arm, da bemerkte das Kammermaͤdchen, daß das Haar in Unordnung gekommen ſey, ſie ſprang fort um Nadeln zu holen. Wir warteten an der Thuͤre, der Aufenthalt ſchien Aurelien unangenehm. In dem Au¬ genblick entſtand ein dumpfes Geraͤuſch auf147 der Straße, hohle Stimmen riefen durch ein¬ ander, und das droͤhnende Geraſſel eines ſchweren langſam rollenden Wagens lies ſich vernehmen. Ich eilte ans Fenſter! Da ſtand eben vor dem Pallaſt der vom Hen¬ kersknecht gefuͤhrte Leiterwagen, auf dem der Moͤnch ruͤckwaͤrts ſaß, vor ihm ein Capuzi¬ ner, laut und eifrig mit ihm betend. Er war entſtellt von der Blaͤße der Todesangſt und dem ſtruppigen Bart doch waren die Zuͤge des graͤßlichen Doppeltgaͤngers mir nur zu kenntlich. So wie der Wagen, au¬ genblicklich gehemmt durch die andraͤngende Volksmaſſe, wieder fortrollte, warf er den ſtieren entſetzlichen Blick der funkelnden Au¬ gen zu mir herauf, und lachte und heulte her¬ auf: Braͤutigam, Braͤutigam!. komm komm aufs Dach ... aufs Dach ... da wollen wir ringen mit einander, und wer den an¬ dern herabſtoͤßt iſt Koͤnig und darf Blut trinken! Ich ſchrie auf: entſetzlicher Menſch ... was Du was willſt Du von mir. 148 Aurelie umfaßte mich mit beiden Armen, ſie riß mich mit Gewalt vom Fenſter, ru¬ fend: Um Gott und der heiligen Jungfrau willen ... Sie fuͤhren den Medardus ... den Moͤrder meines Bruders, zum Tode ... Leonard ... Leonard! Da wurden die Gei¬ ſter der Hoͤlle in mir wach, und baͤumten ſich auf mit der Gewalt die ihnen verlie¬ hen uͤber den frevelnden verruchten Suͤnder. Ich erfaßte Aurelien mit grimmer Wuth, daß ſie zuſammen zuckte: Ha ha ha ... Wahn¬ ſinniges, thoͤriges Weib ... ich ... ich, dein Buhle, Dein Braͤutigam, bin der Medardus ... bin Deines Bruders Moͤrder ... Du, Braut des Moͤnchs, willſt Verderben herab¬ winſeln uͤber Deinen Braͤutigam? Ho ho ho! ... ich bin Koͤnig ... ich trinke dein Blut! Das Mordmeſſer riß ich heraus ich ſtieß nach Aurelien, die ich zu Boden fal¬ len laſſen ein Blutſtrom ſprang hervor uͤber meine Hand. Ich ſtuͤrzte die Trep¬ pen hinab, durch das Volk hin zum Wagen,149 ich riß den Moͤnch herab, und warf ihn zu Boden; da wurde ich feſtgepackt, wuͤthend ſtieß ich mit dem Meſſer um mich herum ich wurde frei ich ſprang fort man drang auf mich ein, ich fuͤhlte mich in der Seite durch einen Stich verwundet, aber das Meſſer in der rechten Hand, und mit der linken kraͤftige Fauſtſchlaͤge austheilend, ar¬ beitete ich mich durch bis an die nahe Mauer des Parks, die ich mit einem fuͤrchterlichen Satz uͤberſprang. Mord ... Mord ... Hal¬ tet ... haltet den Moͤrder! riefen Stimmen hinter mir her, ich hoͤrte es raſſeln, man wollte das verſchloſſene Thor des Parks ſprengen, unaufhaltſam rannte ich fort. Ich kam an den breiten Graben, der den Park von dem dicht dabei gelegenen Walde trenn¬ te, ein maͤchtiger Sprung ich war hinuͤ¬ ber, und immer fort und fort rannte ich durch den Wald, bis ich erſchoͤpft unter einem Baume niederſank. Es war ſchon finſtre Nacht worden, als ich, wie aus tiefer Be¬150 taͤubung, erwachte. Nur der Gedanke, zu fliehen, wie ein gehetztes Thier, ſtand feſt in meiner Seele. Ich ſtand auf, aber kaum war ich einige Schritte fort, als, aus dem Gebuͤſch hervorrauſchend, ein Menſch auf meinen Ruͤcken ſprang, und mich mit den Armen umhalste. Vergebens verſuchte ich, ihn abzuſchuͤtteln ich warf mich nieder, ich druͤckte mich hinterruͤcks an die Baͤume, alles umſonſt. Der Menſch kicherte und lachte hoͤhniſch; da brach der Mond hellleuch¬ tend durch die ſchwarzen Tannen, und das todtenbleiche, graͤßliche Geſicht des Moͤnchs des vermeintlichen Medardus, des Doppelt¬ gaͤngers, ſtarrte mich an mit dem graͤßlichen Blick, wie von dem Wagen herauf. Hi ... hi ... hi ... Bruͤderlein ... Bruͤderlein, immer immer bin ich bei Dir ... laſſe Dich nicht ... laſſe ... Dich nicht ... Kann nicht lau .. laufen ... wie Du ... mußt mich tra¬ ... tragen ... Komme vom Ga ... Galgen ... haben mich raͤ ... raͤdern wollen ... hi151 hi ... So lachte und heulte das grauſe Ge¬ ſpenſt, indem ich, von wildem Entſetzen ge¬ kraͤftigt, hoch empor ſprang wie ein von der Rieſenſchlange eingeſchnuͤrter Tiger! Ich raſte gegen Baum - und Felsſtuͤcke, um ihn wo nicht zu toͤdten, doch wenigſtens hart zu verwunden, daß er mich zu laſſen genoͤthigt ſeyn ſollte. Dann lachte er ſtaͤrker und mich nur traf jaͤher Schmerz; ich verſuchte ſeine un¬ ter meinem Kinn feſtgeknoteten Haͤnde loszu¬ winden, aber die Gurgel einzudruͤcken drohte mir des Ungethuͤmes Gewalt. Endlich, nach tollem Raſen, fiel er ploͤtzlich herab, aber kaum war ich einige Schritte fortgerannt, als er von neuem auf meinem Ruͤcken ſaß, kichernd und lachend, und jene entſetzliche Worte ſtammelnd! Aufs neue jene An¬ ſtrengungen wilder Wuth aufs neue be¬ freit! aufs neue umhalst von dem fuͤrch¬ terlichen Geſpenſt. Es iſt mir nicht moͤg¬ lich, deutlich anzugeben, wie lange ich, von dem Doppeltgaͤnger verfolgt, durch finſtre152 Waͤlder floh, es iſt mir ſo, als muͤſſe das Monate hindurch, ohne daß ich Speiſe und Trank genoß, gedauert haben. Nur eines lichten Augenblicks erinnere ich mich lebhaft, nach welchem ich in gaͤnzlich bewußtloſen Zuſtand verfiel. Eben war es mir gegluͤckt, meinen Doppellgaͤnger abzuwerfen, als ein heller Sonnenſtral, und mit ihm ein hol¬ des anmuthiges Toͤnen den Wald durchdrang. Ich unterſchied eine Kloſterglocke die zur Fruͤhmette laͤutete. Du haſt Aurelie er¬ mordet! Der Gedanke erfaßte mich mit des Todes eiskalten Armen, und ich ſank be¬ wuſtlos nieder.

[153]

Zweiter Abſchnitt.

Die Buße.

Eine ſanfte Waͤrme glitt durch mein Inne¬ res. Dann fuͤhlte ich es in allen Adern ſelt¬ ſam arbeiten und prickeln; dies Gefuͤhl wur¬ de zu Gedanken, doch war mein Ich hun¬ dertfach zertheilt. Jeder Theil hatte im eig¬ nen Regen eignes Bewußtſeyn des Lebens und umſonſt gebot das Haupt den Gliedern, die wie untreue Vaſallen ſich nicht ſammeln moch¬ ten unter ſeiner Herrſchaft. Nun fingen die Gedanken der einzelnen Theile an ſich zu drehen, wie leuchtende Punkte, immer ſchnel¬ ler und ſchneller, ſo daß ſie einen Feuerkreis154 bildeten, der wurde kleiner, ſo wie die Schnel¬ ligkeit wuchs, daß er zuletzt nur eine ſtill¬ ſtehende Feuerkugel ſchien. Aus der ſchoſ¬ ſen rothgluͤhende Stralen und bewegten ſich im farbigten Flammenſpiel. Das ſind[ mei¬ ne] Glieder, die ſich regen, jetzt erwache ich! So dachte ich deutlich, aber in dem Augen¬ blick durchzuckte mich ein jaͤher Schmerz, helle Glockentoͤne ſchlugen an mein Ohr. Fliehen, weiter fort! weiter fort! rief ich laut, wollte mich ſchnell aufraffen, fiel aber entkraͤftet zuruͤck. Jetzt erſt vermochte ich die Au¬ gen zu oͤffnen. Die Glockentoͤne dauerten fort ich glaubte noch im Walde zu ſeyn, aber wie erſtaunte ich, als ich die Gegenſtaͤnde rings umher, als ich mich ſelbſt betrachtete. In dem Ordenshabit der Capuziner lag ich, in einem hohen einfachen Zimmer, auf einer wohlgepolſterten Matratze ausgeſtreckt. Ein Paar Rohrſtuͤhle, ein kleiner Tiſch und ein aͤrmliches Bett waren die einzigen Gegen¬ ſtaͤnde, die ſich noch im Zimmer befanden. 155Es wurde mir klar, daß mein bewuſtloſer Zuſtand eine Zeitlang gedauert haben, und daß ich in demſelben auf dieſe oder jene Wei¬ ſe in ein Kloſter gebracht ſeyn mußte, das Kranke aufnehme. Vielleicht war meine Klei¬ dung zerriſſen, und man gab mir vorlaͤufig eine Kutte. Der Gefahr, ſo ſchien es mir, war ich entronnen. Dieſe Vorſtellungen be¬ ruhigten mich ganz, und ich beſchloß abzu¬ warten, was ſich weiter zutragen wuͤrde, da ich vorausſetzen konnte, daß man bald nach dem Kranken ſehen wuͤrde. Ich fuͤhlte mich ſehr matt, ſonſt aber ganz ſchmerzlos. Nur einige Minuten hatte ich ſo, zum voll¬ kommenen Bewußtſeyn erwacht, gelegen, als ich Tritte vernahm, die ſich wie auf einem langen Gange naͤherten. Man ſchloß meine Thuͤre auf und ich erblickte zwei Maͤnner, von denen einer buͤrgerlich gekleidet war, der andere aber den Ordenshabit der barm¬ herzigen Bruͤder trug. Sie traten ſchwei¬ gend auf mich zu, der buͤrgerlich gekleidete156 ſah mir ſcharf in die Augen und ſchien ſehr verwundert. Ich bin wieder zu mir ſelbſt gekommen, mein Herr, fing ich mit matter Stimme an: dem Himmel ſey es gedankt, der mich zum leben erweckt hat wo be¬ finde ich mich aber? wie bin ich hergekom¬ men? Ohne mir zu antworten wandte ſich der buͤrgerlich gekleidete zu dem Geiſtli¬ chen, und ſprach auf italiaͤniſch: Das iſt in der That erſtaunenswuͤrdig, der Blick iſt ganz geaͤndert, die Sprache rein, nur matt ... es muß eine beſondere Criſis eingetreten ſeyn. Mir ſcheint, erwiederte der Geiſtli¬ che: mir ſcheint, als wenn die Heilung nicht mehr zweifelhaft ſeyn koͤnne. Das kommt, fuhr der buͤrgerlich gekleidete fort: das kommt darauf an, wie er ſich in den naͤchſten Ta¬ gen haͤlt. Verſtehen Sie nicht ſo viel deutſch um mit ihm zu ſprechen? Leider nein, antwor¬ tete der Geiſtliche. Ich verſtehe und ſpreche italiaͤniſch, fiel ich ein; Sagen Sie mir, wo bin ich, wie bin ich hergekommen? Der157 buͤrgerlich gekleidete, wie ich wohl merken konnte, ein Arzt, ſchien freudig verwundert. Ah, rief er aus: ah das iſt gut. Ihr befin¬ det Euch, ehrwuͤrdiger Herr! an einem Or¬ te, wo man nur fuͤr Euer Wohl auf alle moͤgli¬ che Weiſe ſorgt. Ihr wurdet vor drei Mo¬ naten in einem ſehr bedenklichen! Zuſtande hergebracht. Ihr wart ſehr krank, aber durch unſere Sorgfalt und Pflege ſcheint ihr Euch auf dem Wege der Geneſung zu befin¬ den. Haben wir das Gluͤck, Euch ganz zu heilen, ſo koͤnnt ihr ruhig Eure Straße fort¬ wandeln, denn wie ich hoͤre, wollt ihr nach Rom? Bin ich denn, frug ich weiter, in der Kleidung die ich trage zu Euch gekom¬ men? Freilich, erwiederte der Arzt, aber laßt das Fragen, beunruhigt Euch nur nicht, al¬ les ſollt Ihr erfahren, die Sorge fuͤr Eure Geſundheit iſt jetzt das vornehmlichſte. Er faßte meinen Puls, der Geiſtliche hatte un¬ terdeſſen eine Taſſe herbeigebracht, die er mir darreichte. Trinkt, ſprach der Arzt: und158 ſagt mir dann, wofuͤr ihr das Getraͤnk hal¬ tet. Es iſt, erwiederte ich, nachdem ich ge¬ trunken: es iſt eine gar kraͤftig zubereite¬ te Fleiſchbruͤhe. Der Arzt laͤchelte zufrieden und rief dem Geiſtlichen zu: Gut ſehr gut! Beide verließen mich. Nun war meine Vermuthung, wie ich glaubte, richtig. Ich befand mich in einem oͤffentlichen Kranken¬ hauſe. Man pflegte mich mit ſtaͤrkenden Nahrungsmitteln und kraͤftiger Arzenei, ſo daß ich nach drei Tagen im Stande war, aufzuſtehen. Der Geiſtliche oͤffnete ein Fenſter, eine warme herrliche Luft, wie ich ſie nie geathmet, ſtroͤmte herein, ein Garten ſchloß ſich an das Gebaͤude, herrliche fremde Baͤu¬ me gruͤnten und bluͤhten, Weinlaub rankte ſich uͤppig an der Mauer empor, vor allem aber war mir der dunkelblaue duftige Him¬ mel eine Erſcheinung aus ferner Zauberwelt. Wo bin ich denn, rief ich voll Entzuͤcken aus, haben mich die Heiligen gewuͤrdigt, in einem Himmelslande zu wohnen? Der159 Geiſtliche laͤchelte wohlbehaglich, indem er ſprach; Ihr ſeyd in Italien, mein Bruder! in Italien! Meine Verwunderung wuchs bis zum hoͤchſten Grade, ich drang in den Geiſtlichen, mir genau die Umſtaͤnde meines Eintritts in dies Haus zu ſagen, er wies mich an den Doktor. Der ſagte mir endlich, daß vor drei Monaten mich ein wunderli¬ cher Menſch hergebracht und gebeten habe mich aufzunehmen; ich befaͤnde mich nem¬ lich in einem Krankenhauſe, das von barm¬ herzigen Bruͤdern verwaltet werde. So wie ich mich mehr und mehr erkraͤftigte, bemerk¬ te ich, daß beide, der Arzt und der Geiſtli¬ che, ſich in mannigfache Geſpraͤche mit mir einließen und mir vorzuͤglich[Gelegenheit] ga¬ ben, lange hintereinander zu erzaͤhlen. Mei¬ ne ausgebreiteten Kenntniſſe in den verſchie¬ denſten Faͤchern des Wiſſens gaben mir rei¬ chen Stoff dazu, und der Arzt lag mir an, manches nieder zu ſchreiben, welches er dann in meiner Gegenwart las und ſehr zufrieden160 ſchien. Doch fiel es mir oft ſeltſamlich auf, daß er, ſtatt meine Arbeit ſelbſt zu loben, immer nur ſagte: In der That ... das geht gut ... ich habe mich nicht getaͤuſcht! ... wunderbar ... wunderbar! Ich durfte nur zu gewiſſen Stunden in den Garten hinab, wo ich manchmal grauſig entſtellte, todten¬ blaſſe, bis zum Geripp ausgetrocknete Men¬ ſchen, von barmherzigen Bruͤdern geleitet, er¬ blickte. Einmal begegnete mir, als ich ſchon im Begriff ſtand, in das Haus zuruͤck zu kehren, ein langer, hagerer Mann, in ei¬ nem ſeltſamen erdgelben Mantel, der wurde von zwei Geiſtlichen bei den Armen gefuͤhrt, und nach jedem Schritt machte er einen poſ¬ ſirlichen Sprung, und pfiff dazu mit durch¬ dringender Stimme. Erſtaunt, blieb ich ſte¬ hen, doch der Geiſtliche, der mich begleitete, zog mich ſchnell fort, indem er ſprach: Kommt, kommt, lieber Bruder Medardus! das iſt nichts fuͤr Euch. Um Gott, rief ich aus: woher wißt Ihr meinen Nahmen? DieHef¬161Heftigkeit, womit ich dieſe Worte ausſtieß, ſchien meinen Begleiter zu beunruhigen. Ei, ſprach er: wie ſollten wir denn Euern Nah¬ men nicht wiſſen? Der Mann, der Euch herbrachte, nannte ihn ja ausdruͤcklich, und ihr ſeyd eingetragen in die Regiſter des Hau¬ ſes: Medardus, Bruder des Capuzinerklo¬ ſters zu B. Eiskalt bebte es mir durch die Glieder. Aber mochte der Unbekannte, der mich in das Krankenhaus gebracht hatte, ſeyn wer er wollte, mochte er eingeweiht ſeyn in mein entſetzliches Geheimniß: er konnte nicht Boͤſes wollen, denn er hatte ja freundlich fuͤr mich geſorgt, und ich war ja frei.

Ich lag im offnen Fenſter und ath¬ mete in vollen Zuͤgen die herrliche, warme Luft ein, die durch Mark und Adern ſtroͤmend neues Leben in mir entzuͤndete, als ich eine kleine, duͤrre Figur, ein ſpitzes Huͤtchen auf dem Kopfe, und in einen aͤrmlichen erbliche¬ nen Ueberrock gekleidet, den Hauptgang nachII. [11] 162dem Hauſe herauf mehr huͤpfen und trip¬ peln als gehen ſah. Als er mich erblickte ſchwenkte er den Hut in der Luft und warf mir Kußhaͤndchen zu. Das Maͤnnlein hatte etwas bekanntes, doch konnte ich die Ge¬ ſichtszuͤge nicht deutlich erkennen, und er ver¬ ſchwand unter den Baͤumen, ehe ich mit mir einig worden, wer es wohl ſeyn moͤge. Doch nicht lange dauerte es, ſo klopfte es an meine Thuͤre, ich oͤffnete, und dieſelbe Figur, die ich im Garten geſehen, trat her¬ ein. Schoͤnfeld, rief ich voll Verwunder¬ ung: Schoͤnfeld, wie kommen Sie her, um des Himmels willen? Es war jener naͤrriſche Friſeur aus der Handelsſtadt, der mich damals rettete aus großer Gefahr. Ach ach ach! ſeufzte er, indem ſich ſein Ge¬ ſicht auf komiſche Weiſe weinerlich verzog: wie ſoll ich denn herkommen, ehrwuͤrdiger Herr! wie ſoll ich denn herkommen anders, als geworfen geſchleudert, von dem boͤſen Verhaͤngniß, das alle Genies verfolgt! Eines163 Mordes wegen mußte ich fliehen ... Eines Mordes wegen? unterbrach ich ihn heftig. Ja eines Mordes wegen, fuhr er fort: ich hatte im Zorn den linken Backenbart des juͤngſten Commerzienrathes in der Stadt getoͤdtet, und dem rechten gefaͤhrliche Wun¬ den beigebracht. Ich bitte Sie, unterbrach ich ihn aufs neue, laſſen Sie die Poſſen, ſeyn Sie einmal vernuͤnftig und erzaͤhlen Sie im Zuſammenhange, oder verlaſſen Sie mich. Ey, lieber Bruder Medardus, fing er ploͤtzlich ſehr ernſt an; Du willſt mich fortſchicken, nun Du geneſen, und mußteſt mich doch in Deiner Naͤhe leiden, als Du krank da lagſt und ich Dein Stubenkammerad war und in jenem Bette ſchlief. Was heißt das, rief ich be¬ ſtuͤrzt aus, wie kommen Sie auf den Na¬ men Medardus? Schauen Sie, ſprach er laͤchelnd: den rechten Zipfel ihrer Kutte ge¬ faͤlligſt an. Ich that es, und erſtarrte vor Schreck und Erſtaunen, denn ich fand, daß der Name Medardus hineingenaͤht war, ſo164 wie mich bei, genauerer Unterſuchung, un¬ truͤgliche Kennzeichen wahrnehmen ließen, daß ich ganz unbezweifelt dieſelbe Kutte trug, die ich auf der Flucht aus dem Schloſſe des Barons von F. in einen holen Baum ver¬ borgen hatte. Schoͤnfeld bemerkte meine in¬ nere Bewegung, er laͤchelte ganz ſeltſam; den Zeigefinger an die Naſe gelegt, ſich auf den Fu߬ ſpitzen erhebend, ſchaute er mir ins Auge; ich blieb ſprachlos, da fing er leiſe und bedaͤch¬ tig an: Ew. Ehrwuͤrden wundern ſich merk¬ lich, uͤber das ſchoͤne Kleid, das ihnen an¬ gelegt worden es ſcheint Ihnen uͤberall wun¬ derbar anzuſtehen und zu paſſen, beſſer als jenes nußbraune Kleid mit ſchnoͤden beſpon¬ nenen Knoͤpfen, das mein ernſthafter ver¬ nuͤnftiger Damon Ihnen anlegte ... Ich ... ich ... der verkannte, verbannte Pietro Bel¬ campo war es, der Eure Bloͤße deckte mit dieſem Kleide. Bruder Medardus! Ihr wart nicht im ſonderlichſten Zuſtande, denn als Ueberrock Spenzer engliſchen Frack165 trugt Ihr ſimpler Weiſe Eure eigne Haut, und an ſchickliche Friſur war nicht zu den¬ ken, da Ihr, eingreifend in meine Kunſt, Eu¬ ern Karakalla mit dem zehnzahnigten Kamm, der Euch an die Fauſte gewachſen, ſelbſt be¬ ſorgtet. Laßt die Narrheiten, fuhr ich auf: Laßt die Narrheiten, Schoͤnfeld ..., Pietro Belcampo heiße ich, unterbrach er mich in vollem Zorne: ja Pietro Belcampo, hier in Italien, und Du magſt es nur wiſſe[n], Me¬ dardus, ich ſelbſt, ich ſelbſt bin die Narrheit, die iſt uͤberall hinter Dir her, um Dei¬ ner Vernunft beizuſtehen, und Du magſt es nun einſehen oder nicht, in der Narr¬ heit findeſt Du nur Dein Heil, denn Deine Vernunft iſt ein hoͤchſt miſerables Ding, und kann ſich nicht aufrecht erhal¬ ten, ſie taumelt hin und her wie ein ge¬ brechliches Kind, und muß mit der Narr¬ heit in Compagnie treten, die hilft ihr auf und weiß den richtigen Weg zu finden166 nach der Heimath das iſt das Tollhaus, da ſind wir beide richtig angelangt, mein Bruͤderchen Medardus. Ich ſchauderte zu¬ ſammen, ich dachte an die Geſtalten, die ich geſehen; an den ſpringenden Mann im erdgelben Mantel, und konnte nicht zweifeln, daß Schoͤnfeld in ſeinem Wahnſinn mir die Wahrheit ſagte. Ja, mein Bruͤderchen Me¬ dardus, fuͤhr Schoͤnfeld mit erhobener Stim¬ me und heftig geſtikulirend fort: Ja, mein liebes Bruͤderchen. Die Narrheit erſcheint auf Erden, wie die wahre Geiſterkoͤnigin. Die Vernunft iſt nur ein traͤger Statthalter, der ſich nie darum kuͤmmert, was außer den Graͤnzen des Reichs vorgeht, der nur aus Langerweile auf dem Paradeplatz die Soldaten exerzieren laͤßt, die koͤnnen nachher keinen ordentlichen Schuß thun, wenn der Feind eindringt von Außen. Aber die Narr¬ heit, die wahre Koͤnigin des Volks zieht ein mit Pauken und Trompeten: huſſa huſſa! hin¬ ter ihr her Jubel Jubel Die Vaſal¬167 len erheben ſich von den Plaͤtzen, wo ſie die Vernunft einſperrte, und wollen nicht mehr ſtehen, ſitzen und liegen wie der pedantiſche Hofmeiſter es will; der ſieht die Nummern durch und ſpricht: Seht, die Narrheit hat mir meine beſten Eleven entruͤckt fort¬ geruͤckt verruͤckt ja ſie ſind verruͤckt worden. Das iſt ein Wortſpiel, Bruͤderlein Medardus ein Wortſpiel iſt ein gluͤhendes Lockeneiſen in der Hand der Narrheit, womit ſie Gedanken kruͤmmt. Noch einmal, fiel ich dem albernen Schoͤnfeld in die Rede, noch einmal bitte ich Euch, das unſinnige Geſchwaͤtz zu laſſen, wenn Ihr es vermoͤget, und mir zu ſagen, wie Ihr hergekommen ſeyd, und was Ihr von mir und von dem Kleide wißt, das ich trage. Ich hatte ihn mit dieſen Worten bei beiden Haͤnden ge¬ faßt und in einen Stuhl gedruͤckt. Er ſchien ſich zu beſinnen, indem er die Augen nieder¬ ſchlug und tief Athem ſchoͤpfte. Ich habe Ihnen, fing er dann mit leiſer matter Stim¬168 me an: Ich habe Ihnen das Leben zum zweitenmal gerettet, ich war es ja, der Ihrer Flucht aus der Handelsſtadt behuͤlflich war, ich war es wiederum, der Sie her¬ brachte. Aber um Gott, um der Heiligen willen, wo fanden Sie mich? So rief ich laut aus, indem ich ihn losließ, doch in dem Augenblick ſprang er auf, und ſchrie mit fun¬ kelnden Augen: Ey, Bruder Medardus, haͤtt 'ich Dich nicht, klein und ſchwach, wie ich bin, auf meinen Schultern fortgeſchleppt, Du laͤgſt mit zerſchmetterten Gliedern auf dem Rade. Ich erbebte wie vernichtet ſank ich in den Stuhl, die Thuͤre oͤffnete ſich, und haſtig trat der mich pflegende Geiſt¬ liche herein. Wie kommt Ihr hieher? wer hat Euch erlaubt, dies Zimmer zu betreten? So fuhr er auf Belcampo los, dem ſtuͤrzten aber die Thraͤnen aus den Augen und er ſprach mit flehender Stimme: Ach, mein ehr¬ wuͤrdiger Herr! nicht laͤnger konnte ich dem Drange widerſtehen meinen Freund zu ſpre¬169 chen, den, ich dringender Todesgefahr ent¬ riſſen! Ich ermannte mich. Sagt mir, mein lieber Bruder! ſprach ich zu dem Geiſtlichen: hat mich dieſer Mann wirklich hergebracht? Er ſtockte. Ich weiß jetzt, wo ich mich befinde, fuhr ich fort: ich kann vermuthen, daß ich im ſchrecklichſten Zuſtande war, den es giebt, aber Ihr merkt, daß ich vollkommen geneſen, und ſo darf ich wohl nun alles er¬ fahren, was man mir bis jetzt abſichtlich ver¬ ſchweigen mochte, weil man mich fuͤr zu reizbar hielt. So iſt es in der That, ant¬ wortete der Geiſtliche: Dieſer Mann brachte Euch, es moͤgen ungefaͤhr drei bis vierte¬ halb Monate her ſeyn, in unſere Anſtalt. Er hatte Euch, wie er erzaͤhlte, fuͤr todt in dem Walde, der vier Meilen von hier das .... ſche von unſerm Gebiet ſcheidet, gefunden, und Euch fuͤr den ihm fruͤher bekannten Ca¬ puziner-Moͤnch Medardus aus dem Kloſter zu B. erkannt, der auf einer Reiſe nach Rom durch den Ort kam, wo er ſonſt wohn¬170 te. Ihr befandet Euch in einem vollkom¬ men apathiſchen Zuſtande. Ihr gingt, wenn man Euch fuͤhrte, Ihr bliebt ſtehen, wenn man Euch losließ, Ihr ſetztet, Ihr legtet Euch nieder, wenn man Euch die Richtung gab. Speiſe und Trank mußte man Euch einfloͤßen. Nur dumpfe, unverſtaͤndliche Laute vermoch¬ tet Ihr auszuſtoßen, Euer Blick ſchien ohne alle Sehkraft. Belcampo verließ Euch nicht, ſondern war Euer treuer Waͤrter. Nach vier Wochen fielt Ihr in die ſchrecklichſte Ra¬ ſerei, man war genoͤthiget, Euch in eins der dazu beſtimmten abgelegenen Gemaͤcher zu bringen. Ihr waret dem wilden Thier gleich doch nicht naͤher mag ich Euch einen Zu¬ ſtand ſchildern, deſſen Erinnerung Euch vielleicht zu ſchmerzlich ſeyn wuͤrde. Nach vier Wochen kehrte ploͤtzlich jener apathiſche Zuſtand wieder, der in eine vollkommene Starrſucht uͤberging, aus der Ihr geneſen er¬ wachtet. Schoͤnfeld hatte ſich waͤhrend die¬ ſer Erzaͤhlung des Geiſtlichen geſetzt, und,171 wie in tiefes Nachdenken verſunken, den Kopf in die Hand geſtuͤzt. Ja, fing er an: ich weiß recht gut, daß ich zuweilen ein aberwitziger Narr bin, aber die Luft im Tollhauſe, vernuͤnftigen Leuten verderblich, hat gar gut auf mich gewirkt. Ich fange an, uͤber mich ſelbſt zu raͤſoniren, und das iſt kein uͤbles Zeichen. Exiſtire ich uͤber¬ haupt nur durch mein eignes Bewußtſeyn, ſo kommt es nur darauf an, daß dies Bewußt¬ ſeyn dem Bewußten die Hanswurſtjacke aus¬ ziehe, und ich ſelbſt ſtehe da als ſolider Gent¬ leman. O Gott! iſt aber ein genialer Friſeur nicht ſchon an und vor ſich ſelbſt ein geſetzter Haſenfuß? Haſenfuͤßigkeit ſchuͤtzt vor allem Wahnſinn, und ich kann Euch verſichern, Ehrwuͤrdiger Herr! daß ich auch bei Nordnordweſt einen Kirchthurm von einem Leuchtenpfahl genau zu unterſchei¬ den vermag. Iſt dem wirklich ſo, ſprach ich: ſo beweiſen Sie es dadurch, daß Sie mir ruhig den Hergang der Sache erzaͤhlen,172 wie Sie mich fanden, und wie Sie mich herbrachten. Das will ich thun, erwieder¬ te Schoͤnfeld: unerachtet der geiſtliche Herr hier ein gar beſorgliches Geſicht ſchneidet; erlaube aber, Bruder Medardus, daß ich Dich, als meinen Schuͤtzling, mit dem vertraulichen Du anrede. Der fremde Mahler war den andern Morgen, nachdem Du in der Nacht entflohen, auch mit ſeiner Gemaͤhldeſammlung auf unbegreifliche Weiſe verſchwunden. So ſehr die Sache uͤberhaupt Anfangs Aufſehen erregt hatte, ſo bald war ſie doch im Strome neuer Begebenheiten un¬ tergegangen. Nur als der Mord auf dem Schloſſe des Barons F. bekannt wurde; als die .. ſche Gerichte durch Steckbriefe den Moͤnch Medardus aus dem Capuzinerkloſter zu B. verfolgten, da erinnerte man ſich da¬ ran, daß der Mahler die ganze Geſchichte im Weinhauſe erzaͤhlt und in Dir den Bruder Medardus erkannt hatte. Der Wirth des Hotels wo Du gewohnt hatteſt, beſtaͤtigte173 die Vermuthung, daß ich deiner Flucht foͤr¬ derlich geweſen war. Man wurde auf mich aufmerkſam, man wollte mich ins Gefaͤng¬ niß ſetzen. Leicht war mir der Entſchluß, dem elenden Leben das ſchon laͤngſt mich zu Boden gedruͤckt hatte, zu entfliehen. Ich be¬ ſchloß, nach Italien zu gehen, wo es Abba¬ tes und Friſuren giebt. Auf meinem Wege dahin ſah ich Dich in der Reſidenz des Fuͤr¬ ſten von *** Man ſprach von Deiner Ver¬ maͤhlung mit Aurelien und von der Hinrich¬ tung des Moͤnchs Medardus. Ich ſah auch dieſen Moͤnch Nun! dem ſey wie ihm wolle, halte Dich nun einmal fuͤr den wahren Medardus. Ich ſtellte mich Dir in den Weg, Du bemerkteſt mich nicht, und ich verließ die Reſidenz, um meine Straße wei¬ ter zu verfolgen Nach langer Reiſe ruͤſtete ich mich einſt in fruͤhſter Morgendaͤmmerung, den Wald zu durchwandern, der in duͤſtrer Schwaͤrze vor mir lag. Eben brachen die erſten Stralen der Morgenſonne hervor,174 als es in dem dicken Gebuͤſch rauſchte, und ein Menſch mit zerzauſtem Kopfhaar und Bart, aber in zierlicher Kleidung, bei mir voruͤberſprang. Sein Blick war wild und verſtoͤrt, im Augenblick war er mir aus dem Geſicht verſchwunden. Ich ſchritt weiter fort, doch wie entſetzte ich mich, als ich dicht vor mir eine nackte menſchliche Figur, aus¬ geſtreckt auf dem Boden, erblickte. Ich glaubte, es ſey ein Mord geſchehen, und der Fliehende ſey der Moͤrder. Ich buͤckte mich herab zu dem Nackten, erkannte Dich und wurde gewahr, daß Du leiſe athmeteſt. Dicht bei Dir lag die Moͤnchskutte, die Du jetzt traͤgſt mit vieler Muͤhe kleidete ich Dich darin, und ſchleppte Dich weiter fort. End¬ lich erwachteſt Du aus tiefer Ohnmacht, Du bliebſt aber in dem Zuſtande, wie ihn Dir der ehrwuͤrdige Herr hier erſt beſchrieben. Es koſtete keine geringe Anſtrengung, Dich fortzuſchaffen, und ſo kam es, daß ich erſt am Abende eine Schenke erreichte, die mit¬175 ten im Walde liegt. Wie ſchlaftrunken ließ ich Dich auf einem Raſenplatze zuruͤck, und ging hinein um Speiſe und Trank zu holen. In der Schenke ſaßen *** ſche Dragoner, die ſollten, wie die Wirthin ſagte, einem Moͤnch bis an die Graͤnze nachſpuͤren, der auf unbegreifliche Weiſe in dem Augenblicke entflohen ſey, als er ſchwerer Verbrechen halber in *** haͤtte hingerichtet werden ſol¬ len. Ein Geheimniß war es mir, wie Du aus der Reſidenz in den Wald kamſt, aber die Ueberzeugung, Du ſeyſt eben der Me¬ dardus, den man ſuche, hieß mich alle Sorgfalt anwenden, Dich der Gefahr, in der Du mir zu ſchweben ſchienſt, zu entreißen. Durch Schleichwege ſchaffte ich Dich fort, uͤber die Graͤnze, und kam endlich mit Dir in dies Haus, wo man Dich und auch mich aufnahm, da ich erklaͤrte, mich von Dir nicht trennen zu wollen. Hier warſt Du ſicher, denn in keiner Art haͤtte man den aufgenommenen Kranken fremden Gerichten176 ausgeliefert. Mit Deinen fuͤnf Sinnen war es nicht ſonderlich beſtellt, als ich hier im Zimmer bei Dir wohnte, und Dich pflegte. Auch die Bewegung Deiner Gliedmaßen war nicht zu ruͤhmen, Noverre und Veſtris haͤt¬ ten Dich tief verachtet, denn Dein Kopf hing auf die Bruſt, und wollte man Dich ge¬ rade aufrichten, ſo ſtuͤlpteſt Du um, wie ein mißrathner Kegel. Auch mit der Red¬ nergabe ging es hoͤchſt traurig, denn Du warſt verdammt einſilbig, und ſagteſt in aufgeraͤumten Stunden nur Hu hu! und Me ... me ... woraus Dein Wollen und Denken nicht ſonderlich zu vernehmen, und beinahe zu glauben, beides ſey Dir untreu worden und vagabondire auf ſeine eigene Hand oder ſeinen eignen Fuß. Endlich wur¬ deſt Du mit einem Mal uͤberaus luſtig, Du ſprangſt hoch in die luͤfte, bruͤllteſt vor lau¬ ter Entzuͤcken und riſſeſt Dir die Kutte vom Leibe um frei zu ſeyn, von jeder Naturbe¬ ſchraͤnkenden Feſſel Dein Appetit ..., Hal¬ten177ten Sie ein, Schoͤnfeld, unterbrach ich den entſetzlichen Witzling: Halten Sie ein! Man hat mich ſchon von dem fuͤrchterlichen Zu¬ ſtande, in den ich verſunken unterrichtet. Dank ſey es der ewigen Langmuth und Gna¬ de des Herrn, Dank ſey es der Fuͤrſprache der Gebenedeiten und der Heiligen, daß ich errettet worden bin! Ey, ehrwuͤrdiger Herr! fuhr Schoͤnfeld fort: was haben Sie denn nun davon! ich meine von der beſonde¬ ren Geiſtesfunktion, die man Bewuſtſeyn nennt, und die nichts anders iſt, als die verfluchte Thaͤtigkeit eines verdammten Thor¬ einnehmers Acciſeoffizianten Oberkon¬ trollaſſiſtenten, der ſein heilloſes Comtoir im Oberſtuͤbchen aufgeſchlagen hat, und zu aller Waare, die hinaus will! ſagt: hey ... hey ... die Ausfuhr iſt verboten ... im Lande, im Lande bleibts. Die ſchoͤnſten Juwelen werden wie ſchnoͤde Saatkoͤrner in die Er¬ de geſteckt, und was emporſchießt, ſind hoͤch¬ ſtens Runkelruͤben, aus denen die Praxis mitII. [12] 178tauſendcentner ſchwerem Gewicht eine Vier¬ tel Unze uͤbelſchmeckenden Zucker preßt. ... Hey hey ... und doch ſollte jene Ausfuhr einen Handelsverkehr begruͤnden mit der herrlichen Gottesſtadt, da droben, wo alles ſtolz und herrlich iſt. Gott im Himmel! Herr! Al¬ len meinen theuer erkauften Puder à la Ma¬ réchal oder à la Pompadour, oder à la reine de Golconde haͤtte ich in den Fluß gewor¬ fen, wo er am tiefſten iſt, haͤtte ich nur we¬ nigſtens durch Tranſito-Handel ein Quent¬ lein Sonnenſtaͤubchen von dort her bekom¬ men koͤnnen, um die Peruͤcken hoͤchſt gebilde¬ ter Profeſſoren und Schulkollegen zu pudern, zuvoͤrderſt aber meine eigne! Was ſage ich? haͤtte mein Damon Ihnen, ehrwuͤrdig¬ ſter aller ehrwuͤrdigen Moͤnche, ſtatt des floh¬ farbnen Fracks einen Sonnenmatin umhaͤn¬ gen koͤnnen, in dem die reichen, uͤbermuͤthi¬ gen Buͤrger der Gottesſtadt zu Stuhle gehen, wahrhaftig es waͤre, was Anſtand und Wuͤr¬ de betrifft, alles anders gekommen; aber ſo179 hielt Sie die Welt fuͤr einen gemeinen gle¬ bae adscriptus und der Teufel fuͤr Ihren Cousin germain. Schoͤnfeld war aufge¬ ſtanden und ging, oder huͤpfte vielmehr, ſtark geſtikulirend und tolle Geſichter ſchneidend, von einer Ecke des Zimmers zur andern. Er war im vollen Zuge, wie gewoͤhnlich, ſich in der Narrheit durch die Narrheit zu entzuͤn¬ den, ich faßte ihn daher bei beiden Haͤnden, und ſprach: Willſt Du Dich denn durchaus ſtatt meiner hier einbuͤrgern? Iſt es Dir denn nicht moͤglich, nach einer Minute ver¬ ſtaͤndigen Ernſtes das Poſſenhafte zu laſſen? Er laͤchelte auf ſeltſame Weiſe und ſagte: Iſt wirklich alles ſo albern, was ich ſpreche, wenn mir der Geiſt kommt? Das iſt ja eben das Ungluͤck, erwiederte ich: daß Deinen Fratzen oft tiefer Sinn zum Grunde liegt, aber Du vertroͤdelſt und verbraͤmſt alles mit ſolch buntem Zeuge, daß ein guter, in aͤchter Farbe gehaltener Gedanke, laͤcherlich und un¬ ſcheinbar wird, wie ein, mit ſcheckigen Fetzen180 behaͤngtes Kleid. Du kannſt, wie ein Betrunkener, nicht auf gerader Schnur ge¬ hen, Du ſpringſt hinuͤber und heruͤber Deine Richtung iſt ſchief! Was iſt Rich¬ tung, unterbrach mich Schoͤnfeld leiſe, und fortlaͤchelnd mit bitterſuͤßer Miene. Was iſt Richtung, ehrwuͤrdiger Capuziner? Richtung ſetzt ein Ziel voraus, nach dem wir unſere Richtung nehmen. Sind Sie ihres Ziels gewiß, theurer Moͤnch? fuͤrchten Sie nicht, daß Sie bisweilen zu wenig Katzenhirn zu ſich genommen, ſtatt deſſen aber im Wirths¬ hauſe neben der gezogenen Schnur zuviel ſpiri¬ tuoͤſes genoſſen, und nun wie ein ſchwindli¬ cher Thurmdecker zwei Ziele ſehn, ohne zu wiſſen, welches das rechte? Ueberdem, Capuziner! vergieb es meinem Stande, daß ich das Poſſenhafte als eine angenehme Bei¬ miſchung, ſpaniſchen Pfeffer zum Blumen¬ kohl, in mir trage. Ohne das iſt ein Haar¬ kuͤnſtler, eine erbaͤrmliche Figur, ein armſe¬ liger Dummkopf, der das Privilegium in181 der Taſche traͤgt, ohne es zu nutzen zu ſei¬ ner Luſt und Freude. Der Geiſtliche hatte bald mich, bald den grimaßirenden Schoͤnfeld mit Aufmerkſamkeit betrachtet; er verſtand, da wir deutſch ſprachen, kein Wort; jetzt un¬ terbrach er unſer Geſpraͤch. Verzeihet, mei¬ ne Herren! wenn es meine Pflicht heiſcht, eine Unterredung zu enden, die euch beiden unmoͤglich wohl thun kann. Ihr ſeyd, mein Bruder, noch zu ſehr geſchwaͤcht, um von Dingen, die wahrſcheinlich aus Euerm fruͤ¬ hern Leben ſchmerzhafte Erinnerungen auf¬ regen, ſo anhaltend fortzuſprechen; Ihr koͤn¬ net ja nach und nach von Euerm Freunde alles erfahren, denn wenn Ihr auch ganz ge¬ neſen unſere Anſtalt verlaſſet, ſo wird Euch doch wohl Euer Freund weiter geleiten. Zu¬ dem habt Ihr (er wandte ſich zu Schoͤnfeld) eine Art des Vortrags, die ganz dazu geeig¬ net iſt, Alles das, wovon Ihr ſprecht, dem Zuhoͤrer lebendig vor Augen zu bringen. In Deutſchland muß man Euch fuͤr toll halten,182 und ſelbſt bei uns wuͤrdet Ihr fuͤr einen gu¬ ten Buffone gelten. Ihr koͤnnt auf dem ko¬ miſchen Theater Euer Gluͤck machen. Schoͤn¬ feld ſtarrte den Geiſtlichen mit weit aufge¬ riſſenen Augen an, dann erhob er ſich auf den Fußſpitzen, ſchlug die Haͤnde uͤber den Kopf zuſammen und rief auf italiaͤniſch: Geiſterſtimme! ... Schickſalsſtimme, du haſt aus dem Munde dieſes ehrwuͤrdigen Herrn zu mir geſprochen! ... Belcampo .. Belcam¬ po ... ſo konnteſt Du Deinen wahrhaften Beruf verkennen ... es iſt entſchieden! Damit ſprang er zur Thuͤre hinaus. Den andern Morgen trat er reiſefertig zu mir herein. Du biſt, mein lieber Bruder Me¬ dardus, ſprach er: nunmehr ganz geneſen, Du bedarfſt meines Beiſtandes nicht mehr, ich ziehe fort, wohin mich mein innerſter Beruf leitet ... Lebe wohl! ... doch erlaube, daß ich zum letztenmal meine Kunſt, die mir nun wie ein ſchnoͤdes Gewerbe vor¬ kommt, an Dir uͤbe. Er zog Meſſer, Schee¬183 re und Kamm hervor, und brachte unter tau¬ ſend Grimaſſen und poſſenhaften Reden meine Tonſur und meinen Bart in Ordnung. Der Menſch war mir, trotz der Treue, die er mir bewieſen, unheimlich worden, ich war froh als er geſchieden. Der Arzt hat¬ te mir ſtaͤrkender Arzney ziemlich aufge¬ holfen; meine Farbe war friſcher worden, und durch immer laͤngere Spaziergaͤnge ge¬ wann ich meine Kraͤfte wieder. Ich war uͤberzeugt, eine Fußreiſe aushalten zu koͤn¬ nen, und verließ ein Haus, das dem Geiſtes¬ kranken wohlthaͤtig, dem Geſunden aber un¬ heimlich und grauenvoll ſeyn mußte. Man hatte mir die Abſicht untergeſchoben, nach Rom zu pilgern, ich beſchloß, dieſes wirklich zu thun, und ſo wandelte ich fort auf der Straße, die, als dorthin fuͤhrend, mir be¬ zeichnet worden war. Unerachtet mein Geiſt vollkommen geneſen, war ich mir doch ſelbſt eines gefuͤhlloſen Zuſtandes bewußt, der uͤber jedes im Innern aufkeimende Bild einen duͤ¬184 ſtern Flor warf, ſo daß alles farblos, grau in grau erſchien. Ohne alle deutliche Erin¬ nerung des Vergangenen, beſchaͤftigte mich die Sorge fuͤr den Augenblick ganz und gar. Ich ſah in die Ferne, um den Ort zu er¬ ſpaͤhen, wo ich wuͤrde einſprechen koͤnnen, um mir Speiſe oder Nachtquartier zu erbetteln, und war recht innig froh, wenn Andaͤchtige meinen Bettelſack und meine Flaſche gut ge¬ fuͤllt hatten, wofuͤr ich meine Gebete mecha¬ niſch herplapperte. Ich war ſelbſt im Geiſt zum gewoͤhnlichen ſtupiden Bettelmoͤnch her¬ abgeſunken. So kam ich endlich an das gro¬ ße Capuzinerkloſter, das, wenige Stunden von Rom, nur von Wirtſchaftsgebaͤuden umgeben, einzeln da liegt. Dort mußte man den Ordensbruder aufnehmen, und ich gedach¬ te, mich in voller Gemaͤchlichkeit recht aus¬ zupflegen. Ich gab vor, daß, nachdem das Kloſter in Deutſchland, worin ich mich ſonſt befand, aufgehoben worden, ich fortgepilgert ſey, und in irgend ein anderes Kloſter mei¬185 neines Ordens einzutreten wuͤnſche. Mit der Freundlichkeit, die den italiaͤniſchen Moͤn¬ chen eigen, bewirthete man mich reichlich, und der Prior erklaͤrte, daß, in ſofern mich nicht vielleicht die Erfuͤllung eines Geluͤbdes weiter zu pilgern noͤthige, ich als Fremder ſo lange im Kloſter bleiben koͤnne, als es mir anſtehen wuͤrde. Es war Vesperzeit, die Moͤnche gingen in den Chor, und ich trat in die Kirche. Der kuͤhne, herrliche Bau des Schiffs ſetzte mich nicht wenig in Verwun¬ derung, aber mein zur Erde gebeugter Geiſt konnte ſich nicht erheben, wie es ſonſt ge¬ ſchah, ſeit der Zeit, als ich, ein kaum er¬ wachtes Kind, die Kirche der heiligen Linde geſchaut hatte. Nachdem ich mein Gebet am Hochaltar verrichtet, ſchritt ich durch die Seitengaͤnge, die Altargemaͤlde betrachtend, welche, wie gewoͤhnlich, die Martyrien der Heiligen, denen ſie geweiht, darſtellten. Endlich trat ich in eine Seitenkapelle, deren Altar von den, durch die bunten Fenſterſchei¬186 ben brechenden Sonnenſtralen magiſch be¬ leuchtet wurde. Ich wollte das Gemaͤlde betrachten, ich ſtieg die Stufen hinauf. Die heilige Roſalia das verhaͤngnißvolle Altarblatt meines Kloſters Ach! Aure¬ lien erblickte ich! Mein ganzes Leben mei¬ ne tauſendfachen Frevel meine Miſſetha¬ ten Hermogens Aureliens Mord Alles alles nur ein entſetzlicher Gedanke, und der durchfuhr wie ein ſpitzes, gluͤhendes Eiſen mein Gehirn. Meine Bruſt Adern und Fibern zerriſſen im wilden Schmerz der grauſamſten Folter! Kein lindernder Tod! Ich warf mich nieder ich zerriß in ra¬ ſender Verzweiflung mein Gewand ich heulte auf im troſtloſen Jammer, daß es weit in der Kirche nachhallte: Ich bin ver¬ flucht, ich bin verflucht! Keine Gnade kein Troſt mehr, hier und dort! Zur Hoͤlle zur Hoͤlle ewige Verdammniß uͤber mich verruchten Suͤnder beſchloſſen! Man hob mich auf die Moͤnche waren in187 der Capelle, vor mir ſtand der Prior, ein hoher ehrwuͤrdiger Greis. Er ſchaute mich an mit unbeſchreiblich mildem Ernſt, er faßte meine Haͤnde, und es war, als halte ein Heiliger, von himmliſchem Mitleid erfuͤllt, den Verlornen in den Luͤften uͤber dem Flammenpfuhl feſt, in dem er hinabſtuͤrzen wollte. Du biſt krank, mein Bruder! ſprach der Prior, wir wollen Dich in das Kloſter bringen, da magſt Du Dich erholen. Ich kuͤßte ſeine Haͤnde, ſein Kleid, ich konnte nicht ſprechen, nur tiefe angſtvolle Seufzer verriethen den fuͤrchterlichen, zerriſſenen Zu¬ ſtand meiner Seele. Man fuͤhrte mich in das Refektorium, auf einen Wink des Priors entfernten ſich die Moͤnche, ich blieb mit ihm allein. Du ſcheinſt, mein Bruder! fing er an: von ſchwerer Suͤnde belaſtet, denn nur die tiefſte, troſtloſeſte Reue uͤber eine entſetzliche That kann ſich ſo gebehrden. Doch groß iſt die Langmuth des Herrn, ſtark und kraͤftig iſt die Fuͤrſprache der Heiligen, faße188 Vertrauen Du ſollſt mir beichten und es wird Dir, wenn Du buͤßeſt, Troſt der Kirche werden! In dem Augenblick ſchien es mir, als ſey der Prior jener alte Pilger aus der heiligen Linde, und nur der ſey das einzige Weſen, auf der ganzen weiten Erde, dem ich mein Leben voller Suͤnde und Fre¬ vel offenbaren muͤſſe. Noch war ich keines Wortes maͤchtig, ich warf mich vor dem Greiſe nieder in den Staub. Ich gehe in die Capelle des Kloſters ſprach er, mit feier¬ lichem Ton, und ſchritt von dannen. Ich war gefaßt ich eilte ihm nach, er ſaß im Beichtſtuhl, und ich that augenblicklich, wo¬ zu mich der Geiſt unwiderſtehlich trieb; ich beichtete Alles Alles! Schrecklich war die Buße, die mir der Prior auflegte. Ver¬ ſtoßen von der Kirche, wie ein Ausſaͤtziger verbannt aus den Verſammlungen der Bruͤ¬ der, lag ich in den Todtengewoͤlben des Klo¬ ſters, mein Leben kaͤrglich friſtend durch un¬ ſchmackhafte in Waſſer gekochte Kraͤuter,189 mich geißelnd und peinigend mit Marterin¬ ſtrumenten, die die ſinnreichſte Grauſamkeit erfunden, und meine Stimme erhebend nur zur eigenen Anklage, zum zerknirſchten Ge¬ bet um Rettung aus der Hoͤlle, deren Flam¬ men ſchon in mir loderten. Aber wenn das Blut aus hundert Wunden rann, wenn der Schmerz in hundert giftigen Scorpionſtichen brannte und dann endlich die Natur erlag, bis der Schlaf ſie, wie ein ohnmaͤchtiges Kind, ſchuͤz¬ zend mit ſeinen Armen umfing, dann ſtiegen feindliche Traumbilder empor, die mir neue Todesmarter bereiteten. Mein ganzes Le¬ ben geſtaltete ſich auf entſetzliche Weiſe. Ich ſah Euphemien, wie ſie in uͤppiger Schoͤn¬ heit mir nahte, aber laut ſchrie ich auf: Was willſt Du von mir, Verruchte! Nein, die Hoͤlle hat keinen Theil an mir. Da ſchlug ſie ihr Gewand aus einander, und die Schauer der Verdammniß ergriffen mich. Zum Gerippe eingedorrt war ihr Leib, aber in dem Gerippe wanden ſich unzaͤhlige190 Schlangen durch einander und ſtreckten ihre Haͤupter, ihre rothgluͤhenden Zungen mir entgegen. Laß ab von mir! ... Deine Schlangen ſtechen hinein in die wunde Bruſt ... ſie wollen ſich maͤſten von meinem Herz¬ blut ... aber dann ſterbe ich ... dann ſterbe ich ... der entreißt mich Deiner Rache. So ſchrie ich auf, da heulte die Geſtalt: Meine Schlangen koͤnnen ſich naͤhren von Deinem Herzblut ... aber das fuͤhlſt Du nicht, denn das iſt nicht Deine Qual Deine Qual iſt in Dir, und toͤdtet Dich nicht, denn Du lebſt in ihr. Deine Qual iſt der Ge¬ danke des Frevels und der iſt ewig! Der blutende Hermogen ſtieg auf, aber vor ihm floh Euphemie und er rauſchte voruͤber, auf die Halswunde deutend, die die Geſtalt des Kreuzes hatte. Ich wollte beten, da begann ein ſinnverwirrendes Fluͤſtern und Rauſchen. Menſchen, die ich ſonſt geſehen, erſchienen zu tollen Fratzen verunſtaltet. Koͤpfe kro¬ chen mit Heuſchreckenbeinen, die ihnen an191 die Ohren gewachſen, umher und lachten mich haͤmiſch an ſeltſames Gefluͤgel Raben mit Menſchengeſichtern rauſchten in der Luft Ich erkannte den Conzertmeiſter aus B. mit ſeiner Schweſter, die drehte ſich in wildem Walzer, und der Bruder ſpielte dazu auf, aber auf der eigenen Bruſt ſtrei¬ chend, die zur Geige worden. Belcampo, mit einem haͤßlichen Eidexengeſicht, auf einem ekelhaften gefluͤgelten Wurm ſitzend, fuhr auf mich ein, er wollte meinen Bart kaͤmmen, mit eiſernem gluͤhendem Kamm aber es gelang ihm nicht. Toller und toller wird das Gewirre, ſeltſamer, abentheuerlicher werden die Geſtalten, von der kleinſten Amei¬ ſe mit tanzenden Menſchenfuͤßchen bis zum langgedehnten Roßgerippe mit funkelnden Augen, deſſen Haut zur Schabracke worden, auf der ein Reuter mit leuchtendem Eulen¬ kopfe ſitzt. Ein bodenloſer Becher iſt ſein Leibharniſch ein umgeſtuͤlpter Trichter ſein Helm! Der Spaß der Hoͤlle iſt em¬192 porgeſtiegen. Ich hoͤre mich lachen, aber dies Lachen zerſchneidet die Bruſt, und bren¬ nender wird der Schmerz und heftiger blu¬ ten alle Wunden. Die Geſtalt eines Wei¬ bes leuchtet hervor, das Geſindel weicht ſie tritt auf mich zu! Ach es iſt Aurelie! Ich lebe, und bin nun ganz Dein! ſpricht die Geſtalt. Da wird der Frevel in mir wach. Raſend vor wilder Begier um¬ ſchlinge ich ſie mit meinen Armen. Alle Ohnmacht iſt von mir gewichen, aber da legt es ſich gluͤhend an meine Bruſt rau¬ he Borſten zerkratzen meine Augen, und der Satan lacht gellend auf! Nun biſt Du ganz mein! Mit dem Schrei des Entſetzens erwache ich, und bald fließt mein Blut in Stroͤmen von den Hieben der Stachelpeitſche, mit der ich mich in troſtloſer Verzweiflung zuͤchtige. Denn ſelbſt die Frevel des Traums, jeder ſuͤndliche Gedanke fordert doppelte Bu¬ ße. Endlich war die Zeit, die der Prior zur ſtrengſten Buße beſtimmt hatte, verſtri¬chen193chen und ich ſtieg empor aus dem Todtengewoͤlbe, um in dem Kloſter ſelbſt, aber in abgeſon¬ derter Zelle, entfernt von den Bruͤdern, die nun mir auferlegten Bußuͤbungen vor¬ zunehmen. Dann, immer in geringern Gra¬ den der Buße, wurde mir der Eintritt in die Kirche und in den Chor der Bruͤder er¬ laubt. Doch mir ſelbſt genuͤgte nicht dieſe letzte Art der Buße, die nur in taͤglicher ge¬ woͤhnlicher Geißelung beſtehen ſollte. Ich wies ſtandhaft jede beſſere Koſt zuruͤck, die man mir reichen wollte, ganze Tage lag ich ausgeſtreckt auf dem kalten Marmorboden vor dem Bilde der heiligen Roſalia, und marterte mich in einſamer Zelle ſelbſt auf die grauſamſte Weiſe, denn durch aͤußere Qua¬ len gedachte ich die innere graͤßliche Marter zu uͤbertaͤuben. Es war vergebens, immer kehrten jene Geſtalten, von dem Gedanken erzeugt, wieder, und dem Satan ſelbſt war ich preisgegeben, daß er mich hoͤhnend fol¬ tere und verlocke zur Suͤnde. Meine ſtrengeII. [13] 194Buße, die unerhoͤrte Weiſe, wie ich ſie voll¬ zog, erregte die Aufmerkſamkeit der Moͤn¬ che. Sie betrachteten mich mit ehrfurchtsvoller Scheu, und ich hoͤrte es ſogar unter ihnen fluͤſtern: Das iſt ein Heiliger! Dies Wort war mir entſetzlich, denn nur zu lebhaft er¬ innerte es mich an jenen graͤßlichen Augen¬ blick in der Capuzinerkirche zu B., als ich dem mich anſtarrenden Maler in vermeſſe¬ nem Wahnſinn entgegen rief: ich bin der hei¬ lige Antonius! Die letzte, von dem Prior beſtimmte Zeit der Buße war endlich auch verfloſſen, ohne daß ich davon abließ, mich zu martern, unerachtet meine Natur der Qual zu erliegen ſchien. Meine Augen waren erloſchen, mein wunder Koͤrper ein blutendes Gerippe, und es kam dahin, daß wenn ich Stundenlang am Boden gele¬ gen, ich ohne Huͤlfe Anderer nicht aufzuſte¬ hen vermochte. Der Prior ließ mich in ſein Sprachzimmer bringen. Fuͤhlſt Du, mein Bruder! fing er an, durch die ſtrenge Bu¬195 ße Dein Inneres erleichtert? iſt Troſt des Himmels Dir worden? Nein, ehrwuͤrdiger Herr, erwiederte ich in dumpfer Verzweiflung. Indem ich Dir, fuhr der Prior mit erhoͤhter Stimme fort: Indem ich Dir, mein Bru¬ der! da Du mir eine Reihe entſetzlicher Tha¬ ten gebeichtet hatteſt, die ſtrengſte Buße auf¬ legte, genuͤgte ich den Geſetzen der Kirche, welche wollen, daß der Uebelthaͤter, den der Arm der Gerechtigkeit nicht erreichte und der reuig dem Diener des Herrn ſeine Verbrechen bekannte, auch durch aͤußere Handlungen die Wahrheit ſeiner Reue kund thue. Er ſoll den Geiſt ganz dem himmliſchen zuwenden, und doch das Fleiſch peinigen, damit die irr¬ diſche Marter jede teufliſche Luſt der Untha¬ ten aufwaͤge. Doch glaube ich, und mir ſtimmen beruͤhmte Kirchenlehrer bei, daß die entſetzlichſten Qualen, die ſich der Buͤßende zufuͤgt, dem Gewicht ſeiner Suͤnden auch nicht ein Quentlein entnehmen, ſobald er darauf ſeine Zuverſicht ſtuͤzt und der Gnade190 [196] des Ewigen deshalb ſich wuͤrdig duͤnckt. Keiner menſchlichen Vernunft erforſchlich iſt es, wie der Ewige unſere Thaten mißt, ver¬ loren iſt der, der, iſt er auch von wirklichem Frevel rein, vermeſſen glaubt, den Himmel zu erſtuͤrmen durch aͤußeres Frommthun, und der Buͤßende, welcher nach der Bußuͤbung ſeinen Frevel vertilgt glaubt, beweiſet, daß ſeine innere Reue nicht wahrhaft iſt. Du, lieber Bruder Medardus, empfindeſt noch kei¬ ne Troͤſtung, das beweiſet die Wahrhaftig¬ keit Deiner Reue, unterlaſſe jetzt, ich will es, alle Geißelungen, nimm beſſere Speiſe zu Dir, und fliehe nicht mehr den Umgang der Bruͤder. Wiſſe, daß Dein geheimni߬ volles Leben mir in allen ſeinen wunderbar¬ ſten Verſchlingungen beſſer bekannt worden, als Dir ſelbſt. Ein Verhaͤngniß, dem Du nicht entrinnen konnteſt, gab dem Satan Macht uͤber Dich, und indem Du frevelteſt, warſt Du nur ſein Werkzeug. Waͤhne aber nicht, daß Du deshalb weniger ſuͤndig vor197 den Augen des Herrn erſchieneſt, denn Dir war die Kraft gegeben, im ruͤſtigen Kampf den Satan zu bezwingen. In weſſen Men¬ ſchen Herz ſtuͤrmt nicht der Boͤſe, und wi¬ derſtrebt dem Guten; aber ohne dieſen Kampf gaͤb 'es keine Tugend, denn dieſe iſt nur der Sieg des guten Prinzips uͤber das boͤſe, ſo wie aus dem umgekehrten die Suͤnde ent¬ ſpringt. Wiſſe fuͤrs erſte, daß Du Dich eines Verbrechens anklagſt, welches Du nur im Willen vollbrachteſt. Aurelie lebt, in wildem Wahnſinn verletzteſt Du Dich ſelbſt, das Blut Deiner eigenen Wunde war es, was uͤber deine Hand floß ... Aurelie lebt ... ich weiß es.

Ich ſtuͤrzte auf die Knie, ich hob meine Haͤnde betend empor, tiefe Seufzer entflohen der Bruſt, Thraͤnen quollen aus den Augen! Wiſſe ferner, fuhr der Prior fort, daß jener alte fremde Mahler, von dem Du in der Beichte geſprochen, ſchon ſo lange, als ich denken kann, zuweilen unſer Kloſter be¬198 ſucht hat und vielleicht bald wieder eintref¬ fen wird. Er hat ein Buch mir in Verwah¬ rung gegeben, welches verſchiedene Zeichnun¬ gen, vorzuͤglich aber eine Geſchichte enthaͤlt, der er jedesmahl, wenn er bei uns einſprach, einige Zeilen zuſetzte. Er hat mir nicht verboten, das Buch jemanden in die Haͤnde zu geben, und um ſo mehr will ich es Dir anvertrauen, als dies meine heiligſte Pflicht iſt. Den Zuſammenhang Deiner eignen, ſeltſamen Schickſale, die Dich bald in eine hoͤhere Welt wunderbarer Viſionen, bald in das gemeinſte Leben verſetzten, wirſt Du erfahren. Man ſagt, das Wunderbare ſey von der Erde verſchwunden, ich glaube nicht daran. Die Wunder ſind geblieben, denn wenn wir ſelbſt das wunderbarſte von dem wir taͤglich umgeben, deshalb nicht mehr ſo nennen wollen, weil wir einer Reihe von Erſcheinungen die Regel der cykliſchen Wie¬ derkehr abgelauert haben, ſo faͤhrt doch oft durch jenen Kreis ein Phaͤnomen, das all'199 unſre Klugheit zu Schanden macht, und an das wir, weil wir es nicht zu erfaſſen vermoͤgen, in ſtumpfſinniger Verſtocktheit nicht glauben. Hartnaͤckig laͤugnen wir dem innern Auge deshalb die Erſcheinung ab, weil ſie zu durchſichtig war, um ſich auf der rauhen Flaͤche des aͤußern Auges abzuſpie¬ geln. Jenen ſeltſamen Mahler rechne ich zu den außerordentlichen Erſcheinungen, die jeder erlauerten Regel ſpotten; ich bin zwei¬ felhaft, ob ſeine koͤrperliche Erſcheinung das iſt, was wir wahr nennen. So viel iſt gewiß, daß niemand die gewoͤhnlichen Funk¬ tionen des Lebens bei ihm bemerkt hat. Auch ſah ich ihn niemals ſchreiben oder zeichnen, unerachtet im Buch, worin er nur zu leſen ſchien, jedesmahl, wenn er bei uns geweſen, mehr Blaͤtter als vorher beſchrieben waren. Seltſam iſt es auch, daß mir Alles im Bu¬ che nur verworrenes Gekritzel, undeutliche Skizze eines fantaſtiſchen Mahlers zu ſeyn ſchien, und nur dann erſt erkennbar und200 lesbar[wurde], als Du, mein lieber Bruder Medardus! mir gebeichtet hatteſt. Nicht naͤher darf ich mich daruͤber auslaſſen, was ich Ruͤckſichts des Mahlers ahne und glaube. Du ſelbſt wirſt es errathen, oder vielmehr das Geheimniß wird ſich Dir von ſelbſt aufthun. Gehe, erkraͤftige Dich, und fuͤhlſt Du Dich, wie ich glaube, daß es in weni¬ gen Tagen geſchehen wird, im Geiſte auf¬ gerichtet, ſo erhaͤltſt Du von mir des frem¬ den Mahlers wunderbares Buch.

Ich that nach dem Willen des Priors, ich mit den Bruͤdern, ich unterließ die Kaſteiungen und beſchraͤnkte mich auf inbruͤn¬ ſtiges Gebet an den Altaͤren der Heiligen. Blutete auch meine Herzenswunde fort, wur¬ de auch nicht milder der Schmerz, der aus dem Innern heraus mich durchbohrte, ſo ver¬ ließen mich doch die entſetzlichen Traumbil¬ der, und oft, wenn ich, zum Tode matt, auf dem harten Lager ſchlaflos lag, umwehte es mich, wie mit Engelsfittigen, und ich ſah201 die holde Geſtalt der lebenden Aurelie, die, himmliſches Mitleiden im Auge voll Thraͤ¬ nen, ſich uͤber mich hinbeugte. Sie ſtreckte die Hand, wie mich beſchirmend aus, uͤber mein Haupt, da ſenkten ſich meine Augen¬ lieder, und ein ſanfter erquickender Schlum¬ mer goß neue Lebenskraft in meine Adern. Als der Prior bemerkte, daß mein Geiſt wie¬ der einige Spannung gewonnen, gab er mir des Mahlers Buch, und ermahnte mich, es auf¬ merkſam in ſeiner Zelle zu leſen. Ich ſchlug es auf, und das erſte, was mir ins Auge fiel, waren die in Umriſſen angedeuteten und dann in Licht und Schatten ausgefuͤhrten Zeichnungen der Fresko-Gemaͤhlde in der heiligen Linde. Nicht das mindeſte Erſtaunen, nicht die mindeſte Begierde, ſchnell das Raͤthſel zu loͤſen, regte ſich in mir auf. Nein! es gab kein Raͤth¬ ſel fuͤr mich, laͤngſt wußte ich ja Alles, was in dieſem Mahlerbuch aufbewahrt worden. Das, was der Mahler auf den letzten Seiten des Buchs in kleiner, kaum lesbarer bunt202 gefaͤrbter Schrift zuſammen getragen hatte, waren meine Traͤume, meine Ahnungen, nur deutlich, beſtimmt in ſcharfen Zuͤgen darge¬ ſtellt, wie ich es niemals zu thun vermochte.

Eingeſchaltete Anmerkung des Herausgebers.

Bruder Medardus faͤhrt hier, ohne ſich weiter auf das, was er im Mahlerbuche fand, einzulaſſen, in ſeiner Erzaͤhlung fort, wie er Abſchied nahm von dem in ſeine Geheimniſſe eingeweihten Prior und von den freundlichen Bruͤdern, und wie er nach Rom pilgerte, und uͤberall, in Sankt Peter, in St. Sebaſtian und Laurenz, in St. Giova¬ ni a Laterano, in Sankta Maria Maggiore, u. ſ. w. an allen Altaͤren kniete und bete¬ te, wie er ſelbſt des Pabſtes Aufmerkſamkeit erregte, und endlich in einen Geruch der Heiligkeit kam, der ihn da er jetzt wirklich ein reuiger Suͤnder worden, und wohl fuͤhl¬ te, daß er nichts mehr als das ſey von Rom203 vertrieb. Wir, ich meine Dich und mich, mein guͤnſtiger Leſer! wiſſen aber viel zu we¬ nig deutliches von den Ahnungen und Traͤu¬ men des Bruders Medardus, als daß wir, ohne zu leſen, was der Mahler aufgeſchrie¬ ben, auch nur im mindeſten das Band zu¬ ſammen zu knuͤpfen vermoͤchten, welches die verworren aus einander laufenden Faͤden der Geſchichte des Medardus, wie in einen Kno¬ ten einigt. Ein beſſeres Gleichniß uͤbrigens iſt es, daß uns der Fokus fehlt, aus dem die verſchiedenen bunten Strahlen brachen. Das Manuſkript des ſeligen Capuziners war in altes vergelbtes Pergament eingeſchlagen, und Dies Pergament mit kleiner, beinahe un¬ leſerlicher Schrift beſchrieben, die, da ſich darin eine ganz ſeltſame Hand kund that, meine Neugierde nicht wenig reizte. Nach vieler Muͤhe gelang es mir, Buchſtaben und Worte zu entziffern, und wie erſtaunte ich, als es mir klar wurde, daß es jene im Mah¬ lerbuch aufgezeichnete Geſchichte ſey, von204 der Medardus ſpricht. Im alten Italiaͤniſch iſt ſie beinahe Chronikenartig und ſehr aphoriſtiſch geſchrieben. Der ſeltſame Ton klingt im deut¬ ſchen nur rauh und dumpf, wie ein geſprun¬ genes Glas, doch war es noͤthig zum Ver¬ ſtaͤndniß des Ganzen hier die Ueberſetzung einzuſchalten; dies thue ich, nachdem ich nur noch folgendes wehmuͤthigſt bemerkt. Die fuͤrſtliche Familie, aus der jener oft ge¬ nannte Francesko abſtammte, lebt noch in Italien, und eben ſo leben noch die Nach¬ koͤmmlinge des Fuͤrſten, in deſſen Reſidenz ſich Medardus aufhielt. Unmoͤglich war es daher, die Namen zu nennen, und unbe¬ huͤlflicher, ungeſchickter iſt Niemand auf der ganzen Welt, als derjenige, der Dir, guͤn¬ ſtiger Leſer, dies Buch in die Haͤnde giebt, wenn er Nahmen erdenken ſoll, da, wo ſchon wirkliche, und zwar ſchoͤn und romantiſch toͤnende, vorhanden ſind, wie es hier der Fall war. Bezeichneter Herausgeber gedachte ſich ſehr gut mit dem: der Fuͤrſt, der Baron205 u. ſ. w. herauszuhelfen, nun aber der alte Mahler die geheimnißvollſten, verwickeltſten Familienverhaͤltniſſe ins Klare ſtellt, ſieht er wohl ein, daß er mit den allgemeinen Be¬ zeichnungen nicht vermag ganz verſtaͤndlich zu werden. Er muͤßte den einfachen Chro¬ niken-Choral des Mahlers mit allerlei Er¬ klaͤrungen und Zurechtweiſungen, wie mit krauſen Figuren, verſchnoͤrkeln und verbraͤ¬ men. Ich trete in die Perſon des Her¬ ausgebers, und bitte Dich, guͤnſtiger Leſer! Du wolleſt, ehe Du weiter lieſeſt, folgendes Dir guͤtigſt merken. Camillo, Fuͤrſt von P., tritt als Stammvater Familie auf, aus der Francesko, des Medardus Vater, ſtammt. Theodor, Fuͤrſt von W., iſt der Vater des Fuͤrſten Alexander von W., an deſſen Hofe ſich Medardus aufhielt. Sein Bruder Al¬ bert, Fuͤrſt von W., vermaͤhlte ſich mit der italiaͤniſchen Prinzeſſin Giazinta B. Die Fa¬ milie des Barons F. im Gebuͤrge iſt bekannt, und nur zu bemerken, daß die Baroneſſe von206 F. aus Italien abſtammte, denn ſie war die Tochter des Grafen Pietro S., eines Soh¬ nes des Grafen Filippo S. Alles wird ſich lieber Leſer, nun klaͤrlich darthun, wenn Du dieſe wenigen Vornahmen und Buchſtaben im Sinn behaͤltſt. Es folgt nunmehr, ſtatt der Fortſetzung der Geſchichte,

das Pergamentblatt des alten Mahlers.

Und es begab ſich, daß die Re¬ publik Genua, hart bedraͤngt von den algieri¬ ſchen Corſaren, ſich an den großen Seehelden Camillo, Fuͤrſten von P., wandte, daß er mit vier wohl ausgeruͤſteten und bemannten Galeonen einen Streifzug gegen die verwe¬ genen Raͤuber unternehmen moͤge. Camillo, nach ruhmvollen Thaten duͤrſtend, ſchrieb ſo¬ fort an ſeinen aͤlteſten Sohn Francesko, daß er kommen moͤge, in des Vaters Abweſen¬ heit das Land zu regieren. Francesko uͤbte in Leonardo da Vinci's Schule die Mahlerei,207 und der Geiſt der Kunſt hatte ſich ſeiner ſo ganz und gar bemaͤchtigt, daß er nichts an¬ ders denken konnte. Daher hielt er auch die Kunſt hoͤher, als alle Ehre und Pracht auf Erden, und alles uͤbrige Thun und Treiben der Menſchen erſchien ihm als ein klaͤgliches Bemuͤhen um eitlen Tand. Er konnte von der Kunſt und von dem Meiſter, der ſchon hoch in den Jahren war, nicht laſſen, und ſchrieb daher dem Vater zuruͤck, daß er wohl den Pinſel, aber nicht den Szepter zu fuͤhren verſtehe, und bei Leonardo bleiben wolle. Da war der alte ſtolze Fuͤrſt Camil¬ lo hoch erzuͤrnt, ſchalt den Sohn einen un¬ wuͤrdigen Thoren, und ſchickte vertraute Die¬ ner ab, die den Sohn zuruͤckbringen ſollten. Als nun aber Francesko ſtandhaft verwei¬ gerte, zuruͤckzukehren, als er erklaͤrte, daß ein Fuͤrſt, von allem Glanz des Throns umſtralt, ihm nur ein elendiglich Weſen duͤn¬ ke gegen einen tuͤchtigen Mahler, und daß die groͤßten Kriegesthaten nur ein grauſames208 irdiſches Spiel waren, dagegen die Schoͤ¬ pfung des Mahlers, die reine Abſpiegelung des ihm inwohnenden goͤttlichen Geiſtes ſey, da ergrimmte der Seeheld Camillo und ſchwur, daß er den Francesko verſtoßen und ſeinem juͤngern Bruder Zenobio die Nachfolge zu¬ ſichern wolle. Francesko war damit gar zufrie¬ den, ja er trat in einer Urkunde ſeinem juͤngern Bruder die Nachfolge auf den fuͤrſtlichen Thron mit aller Form und Feierlichkeit ab, und ſo be¬ gab es ſich, daß, als der alte Fuͤrſt Camillo in einem harten blutigen Kampfe mit den Algierern ſein Leben verloren hatte, Zeno¬ bio zur Regierung kam, Francesko dagegen, ſeinen fuͤrſtlichen Stand und Namen ver¬ laͤugnend, ein Mahler wurde, und von einem kleinen Jahrgehalt, den ihm der regierende Bruder ausgeſetzt, kuͤmmerlich genug lebte. Francesko war ſonſt ein ſtolzer, uͤbermuͤthi¬ ger Juͤngling geweſen, nur der alte Leo¬ nardo zaͤhmte ſeinen wilden Sinn, und als Francesko dem fuͤrſtlichen Stand entſagthatte,209hatte, wurde er Leonardo's frommer, treuer Sohn. Er half dem Alten manch 'wichti¬ ges großes Werk vollenden, und es geſchah, daß der Schuͤler, ſich hinaufſchwingend zu der Hoͤhe des Meiſters, beruͤhmt wurde, und man¬ ches Altarblatt fuͤr Kirchen und Kloͤſter ma¬ len mußte. Der alte Leonardo ſtand ihm treulich bei mit Rath und That, bis er denn endlich im hohen Alter ſtarb. Da brach, wie ein lange muͤhſam unterdruͤcktes Feuer, in dem Juͤngling Francesko wieder der Stolz und Uebermuth hervor. Er hielt ſich fuͤr den groͤßten Maler ſeiner Zeit und die er¬ reichte Kunſtvollkommenheit mit ſeinem Stan¬ de paarend, nannte er ſich ſelbſt den fuͤrſtli¬ chen Maler. Von dem alten Leonardo ſprach er veraͤchtlich, und ſchuf, abweichend von dem frommen, einfachen Styl, ſich eine neue Manier, die mit der Ueppigkeit der Geſtal¬ ten und dem prahlenden Farbenglanz die Augen der Menge verblendete, deren uͤber¬ triebene Lobſpruͤche ihn immer eitler und uͤber¬II. [14] 210muͤthiger machten. Es geſchah, daß er zu Rom unter wilde ausſchweifende Juͤnglinge gerieth, und wie er nun in Allem der erſte und vorzuͤglichſte zu ſeyn begehrte, ſo war er bald im wilden Sturm des Laſters der ruͤſtigſte Segler. Ganz von der falſchen truͤ¬ geriſchen Pracht des Heidenthums verfuͤhrt, bildeten die Juͤnglinge, an deren Spitze Fran¬ cesko ſtand, einen geheimen Bund, in dem ſie, das Chriſtenthum auf freveliche Weiſe verſpottend, die Gebraͤuche der alten Grie¬ chen nachahmten und mit frechen Dirnen verruchte ſuͤndhafte Feſte feierten. Es wa¬ ren Maler, aber noch mehr Bildhauer unter ihnen, die wollten nur von der antikiſchen Kunſt etwas wiſſen und verlachten Alles, was neue Kuͤnſtler, von dem heiligen Chriſtenthum entzuͤndet, zur Glorie deſſelben erfunden und herrlich ausgefuͤhrt hatten. Francesko mal¬ te in unheiliger Begeiſterung viele Bilder aus der luͤgenhaften Fabelwelt. Keiner als er vermochte, die buhleriſche Ueppigkeit der weib¬211 lichen Geſtalten ſo wahrhaft darzuſtellen, in¬ dem er von lebenden Modellen die Carnation, von den alten Marmorbildern aber Form und Bildung entnahm. Statt, wie ſonſt, in den Kirchen und Kloͤſtern ſich an den herr¬ lichen Bildern der alten frommen Meiſter zu erbauen, und ſie mit kuͤnſtleriſcher Andacht aufzunehmen in ſein Inneres, zeichnete er aͤmſig die Geſtalten der luͤgneriſchen Heiden¬ goͤtter nach. Von keiner Geſtalt war er aber ſo ganz und gar durchdrungen, als von ei¬ nem beruͤhmten Venusbilde, das er ſtets in Gedanken trug. Das Jahrgehalt, was Ze¬ nobio dem Bruder ausgeſetzt hatte, blieb ein¬ mal laͤnger als gewoͤhnlich aus, und ſo kam es, daß Francesko bei ſeinem wilden Leben, das ihm allen Verdienſt ſchnell hinweg raffte, und das er doch nicht laſſen wollte, in arge Geldnoth gerieth. Da gedachte er, daß vor langer Zeit ihm ein Capuzinerkloſter aufge¬ tragen hatte, fuͤr einen hohen Preis das Bild der heiligen Roſalia zu malen, und er212 beſchloß, das Werk, das er aus Abſcheu gegen alle chriſtliche Heiligen nicht unterneh¬ men wollte, nun ſchnell zu vollenden um das Geld zu erhalten. Er gedachte die Heili¬ ge nackt, und in Form und Bildung des Ge¬ ſichts jenem Venusbilde gleich, darzuſtellen. Der Entwurf gerieth uͤber die Maaßen wohl, und die frevelichen Juͤnglinge prieſen hoch Francesko's verruchten Einfall, den frommen Moͤnchen, ſtatt der chriſtlichen Heiligen, ein heidniſches Goͤtzenbild in die Kirche zu ſtel¬ len. Aber wie Francesko zu malen begann, ſiehe, da geſtaltete ſich alles anders, als er es in Sinn und Gedanken getragen, und ein maͤchtigerer Geiſt uͤberwaͤltigte den Geiſt der ſchnoͤden Luͤge der ihn beherrſcht hatte. Das Geſicht eines Engels aus dem hohen Him¬ melreiche fing an, aus duͤſtern Nebeln her¬ vor zu daͤmmern; aber als wie von ſcheuer Angſt, das Heilige zu verletzen und dann dem Strafgericht des Herrn zu erliegen, er¬ griffen, wagte Francesko nicht, das Geſicht213 zu vollenden, und um den nackt gezeichneten Koͤrper legten in anmuthigen Falten ſich zuͤch¬ tige Gewaͤnder, ein dunkelrothes Kleid und ein azurblauer Mantel. Die Capuzinermoͤn¬ che hatten in dem Schreiben an den Maler Francesko nur des Bildes der heiligen Ro¬ ſalia gedacht, ohne weiter zu beſtimmen, ob dabei nicht eine denkwuͤrdige Geſchichte ihres Lebens der Vorwurf des Malers ſeyn ſolle, und eben daher hatte Francesko auch nur in der Mitte des Blatts die Geſtalt der Hei¬ ligen entworfen; aber nun mahlte er, vom Geiſte getrieben, allerlei Figuren rings um¬ her, die ſich wunderbarlich zuſammenfuͤgten, um das Martyrium der Heiligen darzuſtellen. Francesko war in ſein Bild ganz und gar verſunken, oder vielmehr das Bild war ſelbſt der maͤchtige Geiſt worden, der ihn mit ſtar¬ ken Armen umfaßte und emporhielt uͤber das freveliche Weltleben, das er bisher ge¬ trieben. Nicht zu vollenden vermochte er aber das Geſicht der Heiligen, und das wur¬214 de ihm zu einer hoͤlliſchen Qual, die, wie mit ſpitzen Stacheln, in ſein inneres Gemuͤth bohrte. Er gedachte nicht mehr des Venus¬ bildes, wohl aber war es ihm, als ſaͤhe er den alten Meiſter Leonardo, der ihn anblick¬ te mit klaͤglicher Geberde, und ganz aͤngſt¬ lich und ſchmerzlich ſprach: Ach, ich wollte Dir wohl helfen, aber ich darf es nicht, Du mußt erſt entſagen allem ſuͤndhaften Streben, und in tiefer Reue und Demuth die Fuͤr¬ bitte der Heiligen erflehen, gegen die Du gefrevelt haſt. Die Juͤnglinge, welche Francesko ſo lange geflohen, ſuchten ihn auf in ſeiner Werkſtatt und fanden ihn, wie ei¬ nen ohnmaͤchtigen Kranken, ausgeſtreckt auf ſeinem Lager liegen. Da aber Francesko ih¬ nen ſeine Noth klagte, wie er, als ha¬ be ein boͤſer Geiſt ſeine Kraft gebrochen, nicht das Bild der heiligen Roſalia fertig zu machen vermoͤge, da lachten ſie alle auf und ſprachen: ey mein Bruder, wie biſt Du denn mit einem mahl ſo krank worden? 215 Laßt uns dem Aeskulap und der freundlichen Hygeia ein Weinopfer bringen, damit jener Schwache dort geneſe! Es wurde Syraku¬ ſer Wein gebracht, womit die Juͤnglinge die Trinkſchaalen fuͤllten, und, vor dem unvollen¬ deten Bilde den heidniſchen Goͤttern Libatio¬ nen darbringend, ausgoſſen. Aber als ſie dann wacker zu zechen begannen, und dem Francesko Wein darboten, da wollte dieſer nicht trinken, und nicht Theil nehmen, an dem Gelage der wilden Bruͤder, unerachtet ſie Frau Venus hoch leben ließen! Da ſprach einer unter ihnen: Der thoͤrigte Maler da iſt wohl wirklich in ſeinen Gedanken und Gliedmaßen krank, und ich muß nur einen Doktor herbeiholen. Er warf ſeinen Man¬ tel um, ſteckte ſeinen Stoßdegen an und ſchritt zur Thuͤre hinaus. Es hatte aber nur wenige Augenblicke gedauert, als er wieder hereintrat und ſagte: Ey ſeht doch nur, ich bin ja ſelbſt ſchon der Arzt, der jenen Siechling dort heilen will. Der Juͤngling,216 der gewiß einem alten Arzt in Gang und Stellung recht aͤhnlich zu ſeyn begehrte, trip¬ pelte mit gekruͤmmten Knien einher, und hatte ſein jugendliches Geſicht ſeltſamlich in Runzeln und Falten verzogen, ſo daß er anzuſehen war, wie ein alter recht haͤßlicher Mann, und die Juͤnglinge ſehr lachten und riefen: Ey ſeht doch, was der Doktor fuͤr gelehrte Geſichter zu ſchneiden vermag! Der Doktor naͤherte ſich dem kranken Francesko, und ſprach mit rauher Stimme und verhoͤh¬ nendem Ton: Ey, Du armer Geſelle, ich muß Dich wohl aufrichten aus truͤbſeliger Ohn¬ macht! Ey, Du erbaͤrmlicher Geſelle, wie ſiehſt Du doch ſo blaß und krank aus, der Frau Venus wirſt Du ſo nicht gefallen! Kann ſeyn, daß Donna Roſalia ſich Deiner annehmen wird, wenn Du geſundet! Du ohnmaͤchtiger Geſelle, nippe von meiner Wunder-Arzeney. Da Du Heilige malen willſt, wird Dich mein Trank wohl zu er¬ kraͤftigen vermoͤgen, es iſt Wein aus dem217 Keller des heiligen Antonias. Der angebli¬ che Doktor hatte eine Flaſche unter dem Mantel hervorgezogen, die er jetzt oͤffnete. Es ſtieg ein ſeltſamlicher Duft aus der Fla¬ ſche, der die Juͤnglinge betaͤubte, ſo daß ſie, wie von Schlaͤfrigkeit uͤbernommen, in die Seſſel ſanken und die Augen ſchloſſen. Aber Francesko riß in wilder Wuth, verhoͤhnt zu ſeyn als ein ohnmaͤchtiger Schwaͤchling, die Flaſche dem Doktor aus den Haͤnden und trank in vollen Zuͤgen. Wohl bekomm Dir's rief der Juͤngling, der nun wieder ſein ju¬ gendliches Geſicht und ſeinen kraͤftigen Gang angenommen hatte. Dann rief er die an¬ dern Juͤnglinge aus dem Schlafe auf, wo¬ rin ſie verſunken, und ſie taumelten mit ihm die Treppe hinab. So wie der Berg Ve¬ ſuv in wildem Brauſen verzehrende Flam¬ men ausſpruͤht, ſo tobte es jetzt in Feuer¬ ſtroͤmen heraus aus Francesko's Innern. Al¬ le heidniſche Geſchichten, die er jemals ge¬ malt, ſah er vor Augen, als ob ſie leben¬218 dig worden, und er rief mit gewaltiger Stimme: Auch Du mußt kommen, meine geliebte Goͤttin, Du mußt leben und mein ſeyn, oder ich weihe mich den unterirdiſchen Goͤttern! Da erblickte er Frau Venus, dicht vor dem Bilde ſtehend, und ihm freundlich zuwinkend. Er ſprang auf von ſeinem La¬ ger, und begann an dem Kopfe der heiligen Roſalia zu malen, weil er nun der Frau Venus reizendes Angeſicht ganz getreulich abzukonterfeyen gedachte. Es war ihm ſo, als koͤnne der feſte Wille nicht gebieten der Hand, denn immer glitt der Pinſel ab von den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen Roſalia eingehuͤllt war, und ſtrich unwill¬ kuͤrlich an den Haͤuptern der barbariſchen Maͤnner, von denen ſie umgeben. Und doch kam das himmliſche Antlitz der Heiligen im¬ mer ſichtbarlicher zum Vorſchein, und blick¬ te den Francesko ploͤtzlich mit ſolchen leben¬ digſtralenden Augen an, daß er, wie von einem herabfahrenden Blitze toͤdtlich getrof¬219 fen, zu Boden ſtuͤrzte. Als er wieder nur etwas weniges ſeiner Sinnen maͤchtig wor¬ den, richtete er ſich muͤhſam in die Hoͤhe, er wagte jedoch nicht, nach dem Bilde, das ihm ſo ſchrecklich worden, hinzublicken, ſon¬ dern ſchlich mit geſenktem Haupte nach dem Tiſche, auf dem des Doktors Weinflaſche ſtand, aus der er einen tuͤchtigen Zug that. Da war Francesko wieder ganz erkraͤftigt, er ſchaute nach ſeinem Bilde, es ſtand, bis auf den letzten Pinſelſtrich vollendet, vor ihm, und nicht das Antlitz der heiligen Roſalia, ſondern das geliebte Venusbild lachte ihn mit uͤppigem Liebesblicke an. In demſelben Augenblick wurde Francesko von wilden fre¬ velichen Trieben entzuͤndet. Er heulte vor wahnſinniger Begier, er gedachte des heid¬ niſchen Bildhauers Pygmalion, deſſen Ge¬ ſchichte er gemalt, und flehte ſo wie er zur Frau Venus, daß ſie ſeinem Bilde Leben einhauchen moͤge. Bald war es ihm auch, als finge das Bild an ſich zu regen, doch220 als er es in ſeine Arme faſſen wollte, ſah er wohl, daß es todte Leinewand geblieben. Dann zerraufte er ſein Haar und gebehrdete ſich wie einer, der von dem Satan beſeſſen. Schon zwei Tage und zwei Naͤchte hatte es Francesko ſo getrieben; am dritten Tag, als er, wie eine erſtarrte Bildſaͤule, vor dem Bilde ſtand, ging die Thuͤre ſeines Gemachs auf, und es rauſchte hinter ihm wie mit weib¬ lichen Gewaͤndern. Er drehte ſich um und erblickte ein Weib, das er fuͤr das Original ſeines Bildes erkannte. Es waͤren ihm ſchier die Sinne vergangen, als er das Bild, wel¬ ches er aus ſeinen innerſten Gedanken nach einem Marmorbilde erſchaffen, nun lebendig vor ſich in aller nur erdenklichen Schoͤnheit erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein Grauſen an, wenn er das Gemaͤlde anſah, das nun wie eine getreuliche Abſpiegelung des fremden Weibes erſchien. Es geſchah ihm dasje¬ nige was die wunderbarliche Erſcheinung eines Geiſtes zu bewirken pflegt, die Zunge war221 ihm gebunden, und er fiel lautlos vor der Fremden auf die K ee und hob die Haͤnde wie anbetend zu ihr empor. Das fremde Weib richtete ihn aber laͤchelnd auf und ſag¬ te ihm, daß ſie ihn ſchon damals, als er in der Malerſchule des alten Leonardo da Vin¬ ci geweſen, als ein kleines Maͤdchen oftmals geſehen und eine unſaͤgliche Liebe zu ihm ge¬ faßt habe. Eltern und Verwandte habe ſie nun verlaſſen, und ſey allein nach Rom ge¬ wandert, um ihn wiederzufinden, da eine in ihrem Innern ertoͤnende Stimme ihr geſagt habe, daß er ſie ſehr liebe und ſie aus lau¬ ter Sehnſucht und Begierde abkonterfeyt ha¬ be, was denn, wie ſie jetzt ſehe, auch wirk¬ lich wahr ſey. Francesko merkte nun, daß ein geheimnißvolles Seelenverſtaͤndniß mit dem fremden Weibe obgewaltet, und daß dieſes Verſtaͤndniß das wunderbare Bild und ſeine wahnſinnige Liebe zu demſelben ge¬ ſchaffen hatte. Er umarmte das Weib voll inbruͤnſtiger Liebe, und wollte ſie ſogleich222 nach der Kirche fuͤhren, damit ein Prieſter ſie durch das heilige Sakrament der Ehe auf ewig binde. Dafuͤr ſchien ſich das Weib aber zu entſetzen, und ſie ſprach: Ey, mein geliebter Francesko, biſt Du denn nicht ein wackrer Kuͤnſtler, der ſich nicht feſſeln laͤßt von den Banden der chriſtlichen Kirche? Biſt Du nicht mit Leib und Seele dem freudigen friſchen Alterthum und ſeinen dem Leben freundlichen Goͤttern zugewandt? Was geht unſer Buͤndniß die traurigen Prieſter an, die in duͤſtern Hallen ihr Leben in hoffnungs¬ loſer Klage verjammern; Laß uns heiter und hell das Feſt unſerer Liebe feiern. Fran¬ cesko wurde von dieſen Reden des Weibes verfuͤhrt, und ſo geſchah es, daß er mit den von ſuͤndigem, frevelichem Leichtſinn befan¬ genen Juͤnglingen, die ſich ſeine Freunde nannten, noch an demſelben Abende ſein Hochzeitsfeſt mit dem fremden Weibe nach heidniſchen Gebraͤuchen beging. Es fand ſich, daß das Weib eine Kiſte mit Kleinodien223 und baarem Gelde mitgebracht hatte, und Francesko lebte mit ihr, in ſuͤndlichen Ge¬ nuͤſſen ſchwelgend, und ſeiner Kunſt entſagend, lange Zeit hindurch. Das Weib fuͤhlte ſich ſchwanger und bluͤhte nun erſt immer herrlicher und herrlicher in leuchtender Schoͤnheit auf, ſie ſchien ganz und gar das erweckte Venusbild, und Francesko vermochte kaum, die uͤppige Luſt ſeines Lebens zu ertragen. Ein dumpfes angſtvolles Stoͤhnen weckte in einer Nacht den Francesko aus dem Schlafe; als er er¬ ſchrocken aufſprang und mit der Leuchte in der Hand nach ſeinem Weibe ſah, hatte ſie ihm ein Knaͤblein geboren. Schnell mußten die Diener eilen, um Wehmutter und Arzt herbeizurufen. Francesko nahm das Kind von dem Schooße der Mutter, aber in dem¬ ſelben Augenblick ſtieß das Weib einen ent¬ ſetzlichen, durchdringenden Schrei aus und kruͤmmte ſich, wie von gewaltigen Faͤuſten gepackt, zuſammen. Die Wehmutter kam mit ihrer Dienerin, ihr folgte der Arzt; als ſie224 nun aber dem Weibe Huͤlfe leiſten wollten, ſchauderten ſie entſetzt zuruͤck, denn das Weib war zum Tode erſtarrt, Hals und Bruſt durch blaue, garſtige Flecke verunſtaltet, und ſtatt des jungen ſchoͤnen Geſichts erblickten ſie ein graͤßlich verzerrtes runzliches Geſicht mit off¬ nen heraus ſtarrenden Augen. Auf das Geſchrei, das die beiden Weiber erhoben, liefen die Nachbarsleute herzu, man hatte von jeher von dem fremden Weibe allerlei ſeltſames ge¬ ſprochen; die uͤppige Lebensart, die ſie mit Francesko fuͤhrte, war Allen ein Greuel ge¬ weſen, und es ſtand daran, daß man ihr ſuͤndhaftes Beiſammenſeyn ohne prieſterliche Einſegnung, den geiſtlichen Gerichten anzei¬ gen wollte. Nun, als ſie die graͤßlich ent¬ ſtellte Todte ſahen, war es Allen gewiß, daß ſie im Buͤndniß mit dem Teufel gelebt, der ſich jetzt ihrer bemaͤchtigt habe. Ihre Schoͤn¬ heit war nur ein luͤgneriſches Trugbild ver¬ dammter Zauberei geweſen. Alle Leute die gekommen, flohen erſchreckt von dannen, kei¬ner225ner mochte die Todte anruͤhren. Francesko wußte nun wohl, mit wem er es zu thun gehabt hatte, und es bemaͤchtigte ſich ſei¬ ner eine entſetzliche Angſt. Alle ſeine Fre¬ vel ſtanden ihm vor Augen, und das Straf¬ gericht des Herrn begann ſchon hier auf Er¬ den, da die Flammen der Hoͤlle in ſeinem Innern aufloderten.

Des andern Tages kam ein Abgeordne¬ ter des geiſtlichen Gerichts, mit den Haͤſchern, und wollte den Francesko verhaften, da er¬ wachte aber ſein Muth und ſtolzer Sinn, er ergriff ſeinen Stoßdegen, machte ſich Platz und entrann. Eine gute Strecke von Rom fand er eine Hoͤhle, in die er ſich ermuͤdet und ermattet verbarg. Ohne ſich deſſen deutlich bewußt zu ſeyn, hatte er das neuge¬ borne Knaͤblein in den Mantel gewickelt und mit ſich genommen. Voll wilden In¬ grimms wollte er das, von dem teufliſchen Weibe ihm geborne Kind an den Steinen zerſchmettern, aber indem er es in die HoͤheII. [15] 226hob, ſtieß es klaͤgliche bittende Toͤne aus, und es wandelte ihn tiefes Mitleid an, er legte das Knaͤblein auf weiches Moos, und troͤpfelte ihm den Saft einer Pommeranze ein, die er bei ſich getragen. Francesko hatte, gleich einem buͤßenden Einſiedler, meh¬ rere Wochen in der Hoͤhle zugebracht, und ſich abwendend von dem ſuͤndlichen Fre¬ vel, in dem er gelebt, inbruͤnſtig zu den Heiligen gebetet. Aber vor allen Andern rief er die von ihm ſchwer beleidigte Roſalia an, daß ſie vor dem Throne des Herrn ſeine Fuͤr¬ ſprecherin ſeyn moͤge. Eines Abends lag Francesko, in der Wildniß betend, auf den Knien, und ſchaute in die Sonne, wel¬ che ſich tauchte in das Meer, das in Weſten ſeine rothen Flammenwellen emporſchlug. Aber, ſo wie die Flammen verblaßten im grauen Abendnebel, gewahrte Francesko in den Luͤften einen leuchtenden Roſenſchimmer, der ſich bald zu geſtalten begann. Von Engeln um¬ geben ſah Francesko die heilige Roſalia, wie ſie227 auf einer Wolke kniete, und ein ſanftes Saͤuſeln und Rauſchen ſprach die Worte: Herr, ver¬ gieb dem Menſchen, der in ſeiner Schwachheit und Ohnmacht nicht zu widerſtehen vermoch¬ te, den Lockungen des Satans. Da zuckten Blitze durch den Roſenſchimmer, und ein dum¬ pfer Donner ging droͤhnend durch das Gewoͤlbe des Himmels: Welcher ſuͤndige Menſch hat gleich dieſem gefrevelt! Nicht Gnade, nicht Ruhe im Grabe ſoll er finden, ſo lange der Stamm, den ſein Verbrechen erzeugte, fort¬ wuchert, in frevelicher Suͤnde! Fran¬ cesko ſank nieder in den Staub, denn er wußte wohl, daß nun ſein Urtheil geſpro¬ chen, und ein entſetzliches[Verhaͤngniß] ihn troſtlos umhertreiben werde. Er floh, ohne des Knaͤbleins in der Hoͤhle zu gedenken, von dannen, und lebte, da er nicht mehr zu ma¬ len vermochte, im tiefen, jammervollen Elend. Manchmal kam es ihm in den Sinn, als muͤſſe er zur Glorie der chriſtlichen Reli¬ gion, herrliche Gemaͤlde ausfuͤhren, und228 er dachte große Stuͤcke in der Zeichnung und Faͤrbung aus, die die heiligen Geſchichten der Jungfrau und der heiligen Roſalia dar¬ ſtellen ſollten; aber wie konnte er ſolche Malerei beginnen, da er keinen Skudo be¬ ſaß, um Leinwand und Farben zu kaufen, und nur von duͤrftigen Almoſen, an den Kir¬ chenthuͤren geſpendet, ſein qualvolles Leben durchbrachte. Da begab es ſich, daß als er einſt in einer Kirche, die leere Wand[anſtar¬ rend], in Gedanken malte, zwei in Schleier gehuͤllte Frauen auf ihn zu traten, von de¬ nen eine mit holder Engelsſtimme ſprach: In dem fernen Preußen iſt der Jungfrau Maria, da wo die Engel des Herrn ihr Bildniß auf einen Lindenbaum niederſetzten, eine Kirche erbaut worden, die noch des Schmuckes der Malerei entbehrt. Ziehe hin, die Ausuͤbung Deiner Kunſt ſey Dir heilige Andacht, und Deine zerriſſene Seele wird gelabt werden mit himmliſchem Troſt. Als Francesko aufblickte zu den Frauen, gewahrte er, wie229 ſie in ſanftleuchtenden Strahlen zerfloſſen, und ein Lilien - und Roſenduft die Kirche durchſtroͤmte. Nun wußte Francesko wer die Frauen waren und wollte den andern Mor¬ gen ſeine Pilgerfahrt beginnen. Aber noch am Abende deſſelben Tages fand ihn, nach vielem Muͤhen, ein Diener Zenobio's auf, der ihm ein zweijaͤhriges Gehalt auszahlte, und ihn einlud an den Hof ſeines Herrn. Doch nur eine geringe Summe behielt Fran¬ cesko, das uͤbrige theilte er aus an die Ar¬ men, und machte ſich auf nach dem fernen Preußen. Der Weg fuͤhrte ihn uͤber Rom, und er kam in das nicht ferne davon gelege¬ ne Capuzinerkloſter, fuͤr welches er die hei¬ lige Roſalia gemalt hatte. Er ſah auch das Bild in den Altar eingefugt, doch be¬ merkte er, bei naͤherer Betrachtung, daß es nur eine Copie ſeines Gemaͤldes war. Das Original hatten, wie er erfuhr, die Moͤnche nicht behalten moͤgen, wegen der ſonderba¬ ren Geruͤchte, die man von dem entflohenen230 Maler verbreitete, aus deſſen Nachlaß ſie das Bild bekommen, ſondern daſſelbe nach genommener Copie, an das Capuzinerkloſter in B. verkauft. Nach beſchwerlicher Pilger¬ fahrt langte Francesko in dem Kloſter der heiligen Linde in Oſtpreußen an, und erfuͤllte den Befehl, den ihm die heilige Jungfrau ſelbſt gegeben. Er malte die Kirche ſo wunderbarlich aus, daß er wohl einſah, wie der Geiſt der Gnade in ihm zu wirken be¬ ginne. Troſt des Himmels floß in ſeine Seele.

Es begab ſich, daß der Graf Filippo S. auf der Jagd in einer abgelegenen wilden Gegend von einem boͤſen Unwetter uͤberfallen wurde. Der Sturm heulte durch die Kluͤfte, der Regen goß in Stroͤmen herab, als ſolle in einer neuen Suͤndfluth Menſch und Thier untergehen; da fand Graf Filippo eine Hoͤh¬ le, in die er ſich, ſammt ſeinem Pferde, das er muͤhſam hineinzog, rettete. Schwarzes Gewoͤlk hatte ſich uͤber den ganzen Horizont231 gelegt, daher war es, zumal in der Hoͤhle, ſo finſter, daß Graf Filippo nichts unter¬ ſcheiden und nicht entdecken konnte, was dicht neben ihm ſo raſchle und rauſche. Er war voll Bangigkeit, daß wohl ein wildes Thier in der Hoͤhle verborgen ſeyn koͤnne, und zog ſein Schwert, um jeden Angriff abzu¬ wehren. Als aber das Unwetter voruͤber, und die Sonnenſtralen in die Hoͤhle fielen, gewahrte er zu ſeinem Erſtaunen, daß neben ihn auf einem Blaͤtterlager ein nacktes Knaͤb¬ lein lag und ihn mit hellen funkelnden Au¬ gen anſchaute. Neben ihm ſtand ein Becher von Elfenbein, in dem der Graf Filippo noch einige Tropfen duftenden Weines fand, die das Knaͤblein begierig einſog. Der Graf ließ ſein Horn ertoͤnen, nach und nach ſam¬ melten ſich ſeine Leute, die hierhin, dorthin gefluͤchtet waren, und man wartete auf des Grafen B[ef]ehl, ob ſich nicht derjenige, der das Kind in die Hoͤhle gelegt, einfinden wuͤr¬ de, es abzuholen. Als nun aber die Nacht232 einzubrechen begann, da ſprach der Graf Fi¬ lippo: Ich kann das Knaͤblein nicht huͤlflos liegen laſſen, ſondern will es mit mir neh¬ men, und daß ich dies gethan, uͤberall be¬ kannt machen laſſen, damit es die Eltern, oder ſonſt einer, der es in die Hoͤhle legte, von mir abfordern kann. Es geſchah ſo; aber Wochen, Monate und Jahre vergingen, ohne daß ſich jemand gemeldet haͤtte. Der Graf hatte dem Fuͤndling in heiliger Taufe den Namen Francesko geben laſſen. Der Knabe wuchs heran und wurde an Geſtalt und Geiſt ein wunderbarer Juͤngling, den der Graf, ſeiner ſeltenen Gaben wegen wie ſeinen Sohn liebte, und ihm, da er kinder¬ los war, ſein ganzes Vermoͤgen zuzuwen¬ den gedachte. Schon fuͤnf und zwanzig Jahre war Francesko alt worden, als der Graf Filippo in thoͤrichter Liebe zu einem armen bildſchoͤnen Fraͤulein entbrannte, und ſie hei¬ rathete, unerachtet ſie blutjung, er aber ſchon ſehr hoch in Jahren war. Francesko233 wurde alsbald von ſuͤndhafter Begier nach dem Beſitze der Graͤfin erfaßt, und unerach¬ tet ſie gar fromm und tugendhaft war, und nicht die geſchworene Treue verletzen wollte, gelang es ihm doch endlich nach hartem Kam¬ pfe, ſie durch teufliſche Kuͤnſte zu verſtricken, ſo daß ſie ſich der frevelichen Luſt uͤberließ, und er ſeinen Wohlthaͤter mit ſchwarzem Undank und Verrath lohnte. Die beiden Kinder, Graf Pietro und Graͤfin Angiola die der greiſe Filippo in vollem Entzuͤcken der Vaterfreude an ſein Herz druͤckte, waren die Fruͤchte des Frevels, der ihm, ſo wie der Welt, auf ewig verborgen blieb.

Von innerm Geiſte getrieben, trat ich zu meinem Bruder Zenobio und ſprach: ich habe dem Throne entſagt, und ſelbſt dann, wenn Du kinderlos vor mir ſterben ſollteſt, will ich ein armer Maler bleiben und mein Leben in ſtiller Andacht, die Kunſt234 uͤbend, hinbringen. Doch nicht fremdem Staat ſoll unſer Laͤndlein anheim fallen. Jener Francesko, den der Graf Filippo S. erzogen, iſt mein Sohn. Ich war es, der auf wilder Flucht ihn in der Hoͤhle zuruͤckließ wo ihn der Graf fand. Auf dem elfen¬ beinernen Becher der bei ihm ſtand, iſt un¬ ſer Wappen geſchnitzt, doch noch mehr als das ſchuͤtzt des Juͤnglings Bildung, die ihn als aus unſerer Familie abſtammend, getreu¬ lich bezeichnet, vor jedem Irrthum. Nimm, mein Bruder Zenobio! den Juͤngling als Dei¬ nen Sohn auf, und er ſey Dein Nachfolger! Zenobio's Zweifel, ob der Juͤngling Francesko in rechtmaͤßiger Ehe erzeugt ſey, wurden durch die von dem Pabſt ſanktionir¬ te Adoptionsurkunde, die ich auswirkte, ge¬ hoben, und ſo geſchah es, daß meines Soh¬ nes ſuͤndhaftes, ehebrecheriſches Leben ende¬ te und er bald in rechtmaͤßiger Ehe einen Sohn erzeugte, den er Paolo Francesko nannte. Gewuchert hat der verbrecheri¬235 ſche Stamm auf verbrecheriſche Weiſe. Doch, kann meines Sohnes Reue nicht ſeine Fre¬ vel ſuͤhnen? Ich ſtand vor ihm, wie das Strafgericht des Herrn, denn ſein Innerſtes lag vor mir offen und klar, und was der Welt verborgen, das ſagte mir der Geiſt, der maͤchtig und maͤchtiger wird in mir, und mich emporhebt uͤber den brauſenden Wel¬ len des Lebens, daß ich hinabzuſchauen ver¬ mag in die Tiefe, ohne daß dieſer Blick mich hinabzieht zum Tode.

Francesko's Entfernung brachte der Graͤ¬ fin S. den Tod, denn nun erſt erwachte ſie zum Bewußtſeyn der Suͤnde, und nicht uͤber¬ ſtehen konnte ſie den Kampf der Liebe zum Verbrecher, und der Reue uͤber das, was ſie begangen. Graf Filippo wurde neunzig Jahr alt, dann ſtarb er als ein kindiſcher Greis. Sein vermeintlicher Sohn Pietro zog mit ſeiner Schweſter Angiola an den236 Hof Francesko's, der dem Zenobio gefolgt war. Durch glaͤnzende Feſte wurde Paolo Francesko's Verlobung mit Vittoria, Fuͤrſtin von M., gefeiert, als aber Pietro die Braut in voller Schoͤnheit erblickte, wurde er in heftiger Liebe entzuͤndet, und ohne der Ge¬ fahr zu achten, bewarb er ſich um Vitto¬ ria's Gunſt. Doch Paolo Francesko's Blik¬ ken entging Pietro's Beſtreben, da er ſelbſt in ſeine Schweſter Angiola heftig entbrannt war, die all' ſein Bemuͤhen kalt zuruͤckwies. Vittoria entfernte ſich von dem Hofe um, wie ſie vorgab, noch vor ihrer Heirath in ſtiller Einſamkeit ein heiliges Geluͤbde zu erfuͤllen. Erſt nach Ablauf eines Jahres kehrte ſie zuruͤck, die Hochzeit ſollte vor ſich gehen, und gleich nach derſelben wollte Graf Pietro mit ſeiner Schweſter Angiola nach ſeiner Vaterſtadt zuruͤckkehren. Paolo Francesko's Liebe zur Angiola war durch ihr ſtetes, ſtandhaftes Widerſtreben, immer mehr entflammt worden, und artete jetzt aus237 in die wuͤthende Begier des wilden Thie¬ res, die er nur durch den Gedanken des Ge¬ nuſſes zu bezaͤhmen vermochte. So ge¬ ſchah es, daß er durch den ſchaͤndlichſten Verrath am Hochzeitstage ehe er in die Brautkammer ging, Angiola in ihrem Schlaf¬ zimmer uͤberfiel, und ohne daß ſie zur Be¬ ſinnung kam, denn Opiate hatte ſie beim Hochzeitmal bekommen, ſeine freveliche Luſt befriedigte. Als Angiola durch die verruch¬ te That dem Tode nahe gebracht wurde, da geſtand der von Gewiſſensbiſſen gefol¬ terte Paolo Francesko ein, was er be¬ gangen. Im erſten Aufbrauſen des Zorns, wollte Pietro den Verraͤther niederſtoßen, aber gelaͤhmt ſank ſein Arm nieder, da er daran dachte, daß ſeine Rache der That vorangegangen. Die kleine Giazinta, Fuͤr¬ ſtin von B., allgemein fuͤr die Tochter der Schweſter Vittoria's geltend, war die Frucht des geheimen Verſtaͤndniſſes, das Pietro mit Paolo Francesko's Braut unterhalten hatte. 238Pietro ging mit Angiola nach Deutſchland, wo ſie einen Sohn gebar, den man Franz nannte und ſorgfaͤltig erziehen ließ. Die ſchuldloſe Angiola troͤſtete ſich endlich uͤber den entſetzlichen Frevel, und bluͤhte wieder auf in gar herrlicher Anmuth und Schoͤn¬ heit. So kam es, daß der Fuͤrſt Theodor von W. eine gar heftige Liebe zu ihr faßte, die ſie aus tiefer Seele erwiederte. Sie wurde in kurzer Zeit ſeine Gemalin, und Graf Pietro vermaͤlte ſich zu gleicher Zeit mit einem teutſchen Fraͤulein, mit der er eine Tochter erzeugte, ſo wie Angiola dem Fuͤrſten zwei Soͤhne gebar. Wohl konnte ſich die fromme Angiola ganz rein im Ge¬ wiſſen fuͤhlen, und doch verſank ſie oft in duͤſteres Nachdenken, wenn ihr, wie ein boͤ¬ ſer Traum, Paolo Francesko's verruchte That in den Sinn kam, ja es war ihr oft ſo zu Muthe, als ſey ſelbſt die bewußtlos began¬ gene Suͤnde ſtrafbar, und wuͤrde geraͤcht werden an ihr und ihren Nachkommen. Selbſt239 die Beichte und vollſtaͤndige Abſolution konn¬ te ſie nicht beruhigen. Wie eine himmli¬ ſche Eingebung kam ihr nach langer Qual der Gedanke, daß ſie alles ihrem Gemal ent¬ decken muͤſſe. Unerachtet ſie wohl ſich des ſchweren Kampfes verſah, den ihr das Ge¬ ſtaͤndniß des von dem Boͤſewicht Paolo Fran¬ cesko veruͤbten Frevels koſten wuͤrde, ſo ge¬ lobte ſie ſich doch feierlich, den ſchweren Schritt zu wagen, und ſie hielt, was ſie ge¬ lobt hatte. Mit Entſetzen vernahm Fuͤrſt Theodor die verruchte That, ſein Inneres wurde heftig erſchuͤttert, und der tiefe In¬ grimm ſchien ſelbſt der ſchuldloſen Gemalin bedrohlich zu werden. So geſchah es, daß ſie einige Monate auf einem entfernten Schloß zubrachte; waͤhrend der Zeit bekaͤmpf¬ te der Fuͤrſt die bittern Empfindungen, die ihn quaͤlten, und es kam ſo weit, daß er nicht allein verſoͤhnt der Gemalin die Hand bot, ſondern auch, ohne das ſie es wußte, fuͤr Franzens Erziehung ſorgte. Nach dem240 Tode des Fuͤrſten und ſeiner Gemalin, wu߬ te nur Graf Pietro und der junge Fuͤrſt Alexander von W. um das Geheimniß von Franzens Geburt. Keiner der Nachkoͤmmlin¬ ge des Malers wurde jenem Francesko, den Graf Filippo erzog, ſo ganz und gar aͤhn¬ lich an Geiſt und Bildung als dieſer Franz. Ein wunderbarer Juͤngling vom hoͤheren Geiſte belebt, feurig und raſch in Gedanken und That. Mag des Vaters, mag des Ahn¬ herrn Suͤnde nicht auf ihm laſten, mag er widerſtehen den boͤſen Verlockungen des Sa¬ tans. Ehe Fuͤrſt Theodor ſtarb, reiſeten ſei¬ ne beiden Soͤhne Alexander und Johann nach dem ſchoͤnen Welſchland, doch nicht ſo¬ wohl offenbare Uneinigkeit, als verſchiedene Neigung, verſchiedenes Streben war die Ur¬ ſache, daß die beiden Bruͤder ſich in Rom trennten. Alexander, kam an Paolo Fran¬ cesko's Hof, und faßte ſolche Liebe zu Paolos juͤngſter mit Vittoria erzeugten Tochter, daß er ſich ihr zu vermaͤlen gedachte. Fuͤrſt Theo¬dor241dor wies indeſſen mit einem Abſcheu, der dem Fuͤrſten Alexander unerklaͤrlich war, die Verbindung zuruͤck, und ſo kam es, daß erſt nach Theodors Tode Fuͤrſt Alexander ſich mit Paolo Francesko's Tochter vermaͤlte. Prinz Johann hatte auf dem Heimwege ſei¬ nen Bruder Franz kennen gelernt, und fand an dem Juͤnglinge, deſſen nahe Verwandt¬ ſchaft mit ihm er nicht ahnte, ſolches Beha¬ gen, daß er ſich nicht mehr von ihm trennen mochte. Franz war die Urſache, daß der Prinz, ſtatt heimzukehren nach der Reſidenz des Bruders, nach Italien zuruͤckging. Das ewige unerforſchliche Verhaͤngniß wollte es, daß Beide, Prinz Johann und Franz, Vit¬ torias und Pietro's Tochter Giazinta ſahen, und Beide in heftiger Liebe zu ihr entbrann¬ ten. Das Verbrechen keimt, wer vermag zu widerſtehen den dunkeln Maͤchten.

II. [16] 242

Wohl waren die Suͤnden und Frevel mei¬ ner Jugend entſetzlich, aber durch die Fuͤr¬ ſprache der Gebenedeiten und der heiligen Roſalia bin ich errettet vom ewigen Verder¬ ben, und es iſt mir vergoͤnnt, die Qualen der Verdammniß zu erdulden hier auf Er¬ den, bis der verbrecheriſche Stamm verdor¬ ret iſt und keine Fruͤchte mehr traͤgt. Ueber geiſtige Kraͤfte gebietend druͤckt mich die Laſt des irdiſchen nieder, und das Geheimniß der duͤſtern Zukunft ahnend, blendet mich der truͤgeriſche Farbenglanz des Lebens, und das bloͤde Auge verwirrt ſich in zerfließenden Bildern, ohne daß es die wahre innere Ge¬ ſtaltung zu erkennen vermag! Ich erblicke oft den Faden, den die dunkle Macht, ſich auflehnend gegen das Heil meiner Seele, fortſpinnt, und glaube thoͤrigt ihn erfaſſen, ihn zerreißen zu koͤnnen. Aber dulden ſoll ich, und glaͤubig und fromm in fortwaͤhren¬ der reuiger Buße die Marter ertragen, die mir auferlegt worden um meine Miſſethaten243 zu ſuͤhnen. Ich habe den Prinzen und Franz von Giazinta weggeſcheucht, aber der Satan iſt geſchaͤftig, dem Franz das Verder¬ ben zu bereiten, dem er nicht entgehen wird. Franz kam mit dem Prinzen an den Ort, wo ſich Graf Pietro mit ſeiner Gemalin und ſeiner Tochter Aurelie, die eben funfzehn Jahr alt worden, aufhielt. So wie der verbrecheriſche Vater Paolo Francesko in wilder Begier entbrannte, als er Angiola ſah, ſo loderte das Feuer verbo¬ tener Luſt auf in dem Sohn, als er das hol¬ de Kind Aurelie erblickte. Durch allerlei teufliſche Kuͤnſte der Verfuͤhrung wußte er die fromme kaum erbluͤhte Aurelie zu um¬ ſtricken, daß ſie mit ganzer Seele ihm ſich ergab, und ſie hatte geſuͤndigt, ehe der Ge¬ danke der Suͤnde aufgegangen in ihrem In¬ nern. Als die That nicht mehr verſchwie¬ gen bleiben konnte, da warf er ſich, wie voll Verzweiflung uͤber das, was er begangen, der Mutter zu Fuͤßen und geſtand alles. 244Graf Pietro, unerachtet ſelbſt in Suͤnde und Frevel befangen, haͤtte Franz und Aurelie ermordet. Die Mutter ließ den Franz ihren gerechten Zorn fuͤhlen, indem ſie ihn mit der Drohung, die verruchte That dem Gra¬ fen Pietro zu entdecken, auf immer aus ih¬ ren und der verfuͤhrten Tochter Augen ver¬ bannte. Es gelang der Graͤfin die Tochter den Augen des Grafen Pietro zu entziehen, und ſie gebar an entfernten Orten ein Toͤch¬ terlein. Aber Franz konnte nicht laſſen von Aurelien, er erfuhr ihren Aufenthalt, eilte hin und trat in das Zimmer, als eben die Graͤfin, verlaſſen vom Hausgeſinde, neben dem Bette der Tochter ſaß und das Toͤchter¬ lein, das erſt acht Tage alt worden, auf dem Schooße hielt. Die Graͤfin ſtand voller Schreck und Entſetzen uͤber den unvermuthe¬ ten Anblick des Boͤſewichts auf, und gebot ihm, das Zimmer zu verlaſſen. Fort ... fort ſonſt biſt Du verloren; Graf Pietro weiß, was Du Verruchter begonnen! So rief ſie,245 um dem Franz Furcht einzujagen, und draͤngte ihn nach der Thuͤre; da uͤbermannte den Franz wilde, teufliſche Wuth, er riß der Graͤfin das Kind vom Arme, verſetzte ihr einen Fauſtſchlag vor die Bruſt, daß ſie ruͤcklings niederſtuͤrzte und rannte fort. Als Aurelie aus tiefer Ohnmacht erwachte, war die Mutter nicht mehr am Leben, die tiefe Kopf¬ wunde (ſie war auf einen mit Eiſen beſchla¬ genen Kaſten geſtuͤrzt) hatte ſie getoͤdtet. Franz hatte im Sinn, das Kind zu ermor¬ den, er wickelte es in Tuͤcher, lief am fin¬ ſtern Abend die Treppe hinab und wollte eben zum Hauſe hinaus, als er ein dumpfes Wimmern vernahm, das aus einem Zimmer des Erdgeſchoßes zu kommen ſchien. Unwill¬ kuͤhrlich blieb er ſtehen, horchte und ſchlich endlich jenem Zimmer naͤher. In dem Au¬ genblick trat eine Frau, welche er fuͤr die Kinderwaͤrterin der Baroneſſe von S., in de¬ ren Hauſe er wohnte, erkannte, unter klaͤgli¬ chem Jammern heraus. Franz frug, wes¬246 halb ſie ſich ſo gebehrde; Ach Herr, ſagte die Frau: mein Ungluͤck iſt gewiß, ſo eben ſaß die kleine Euphemie auf meinem Schoße und juchzte und lachte, aber mit einemmal laͤßt ſie das Koͤpfchen ſinken und iſt todt. Blaue Flecken hat ſie auf der Stirn, und ſo wird man mir Schuld geben, daß ich ſie habe fallen laſſen! Schnell trat Franz hinein, und als er das todte Kind erblickte, gewahrte er, wie das Verhaͤngniß das Leben ſeines Kindes wollte, denn es war mit der todten Euphemie auf wunderbare Weiſe gleich gebildet und geſtaltet. Die Waͤrterin, vielleicht nicht ſo unſchuldig an dem Tode des Kindes als ſie vorgab, und beſtochen durch Franzens reichliches Geſchenk, ließ ſich den Tauſch gefallen; Franz wickelte nun das todte Kind in die Tuͤcher und warf es in den Strom. Aureliens Kind wurde als die Tochter der Baroneſſe von S., Euphe¬ mie mit Namen, erzogen und der Welt blieb das Geheimniß ihrer Geburt verborgen. 247Die Unſelige wurde nicht durch das Sakra¬ ment der heiligen Taufe in den Schoß der Kirche aufgenommen, denn getauft war ſchon das Kind, deſſen Tod ihr Leben erhielt. Au¬ relie hat ſich nach mehreren Jahren mit dem Baron von F. vermaͤhlt; zwei Kinder, Her¬ mogen und Aurelie ſind die Frucht dieſer Vermaͤlung.

Die ewige Macht des Himmels hatte es mir vergoͤnnt, daß als der Prinz mit Fran¬ cesko (ſo nannte er den Franz auf italiaͤni¬ ſche Weiſe) nach der Reſidenzſtadt des fuͤrſtli¬ chen Bruders zu gehen gedachte, ich zu ihnen treten und mitziehen durfte. Mit kraͤftigem Arm wollte ich den ſchwankenden Francesko erfaſſen, wenn er ſich dem Abgrunde nahte, der ſich vor ihm aufgethan. Thoͤrigtes Be¬ ginnen des ohnmaͤchtigen Suͤnders, der noch nicht Gnade gefunden vor dem Throne des Herrn! Francesko ermordete den Bruder248 nachdem er an Giazinta verruchten Frevel geuͤbt! Francesko's Sohn iſt der unſelige Knabe, den der Fuͤrſt unter dem Namen des Grafen Viktorin erziehen laͤßt. Der Moͤrder Francesko gedachte ſich zu vermaͤlen mit der frommen Schweſter der Fuͤrſtin, aber ich vermochte dem Frevel vorzubeugen in dem Augenblick, als er begangen werden ſollte an heiliger Staͤtte.

Wohl bedurfte es des tiefen Elends in das Franz verſank nachdem er, gefoltert von dem Gedanken nie abzubuͤßender Suͤnde, entflohen um ihn zur Reue zu wenden. Von Gram und Krankheit gebeugt kam er auf der Flucht zu einem Landmann, der ihn freundlich aufnahm. Des Landmanns Toch¬ ter, eine fromme, ſtille Jungfrau, faßte wunderbare Liebe zu dem Fremden, und pflegte ihn ſorglich. So geſchah es, daß als Francesko geneſen, er der Jungfrau Lie¬249 be erwiederte, und ſie wurden durch das heilige Sakrament der Ehe vereinigt. Es gelang ihm durch ſeine Klugheit und Wiſſen¬ ſchaft ſich aufzuſchwingen und des Vaters nicht geringen Nachlaß reichlich zu vermeh¬ ren, ſo daß er viel irdiſchen Wohlſtand ge¬ noß. Aber unſicher und eitel iſt das Gluͤck des mit Gott nicht verſoͤhnten Suͤnders. Franz ſank zuruͤck in die bitterſte Armuth und toͤdtend war ſein Elend, denn er fuͤhlte, wie Geiſt und Koͤrper hinſchwanden in kraͤn¬ kelnder Siechheit. Sein Leben wurde eine fortwaͤhrende Bußuͤbung. Endlich ſandte ihm der Himmel einen Stral des Troſtes. Er ſoll pilgern nach der heiligen Linde und dort wird ihm die Geburt eines Sohnes die Gnade des Herrn verkuͤnden.

In dem Walde, der das Kloſter zur hei¬ ligen Linde umſchließt, trat ich zu der be¬ draͤngten Mutter, als ſie uͤber dem neuge¬250 bornen vaterloſen Knaͤblein weinte, und er¬ quickte ſie mit Worten des Troſtes.

Wunderbar geht die Gnade des Herrn auf, dem Kinde, das geboren wird in dem ſeegensreichen Heiligthum der Gebenedeiten! Oftmals begiebt es ſich, daß das Jeſuskind¬ lein ſichtbarlich zu ihm tritt und fruͤh in dem kindiſchen Gemuͤth den Funken der Liebe ent¬ zuͤndet.

Die Mutter hat in heiliger Taufe dem Knaben des Vaters Namen, Franz, geben laſſen! Wirſt Du es denn ſeyn, Franzis¬ kus, der, an heiliger Staͤtte geboren, durch frommen Wandel den verbrecheriſchen Ahn¬ herrn entſuͤndigt und ihm Ruhe ſchafft im Grabe? Fern von der Welt und ihren ver¬ fuͤhreriſchen Lockungen, ſoll der Knabe ſich ganz dem himmliſchen zuwenden. Er ſoll geiſtlich werden. So hat es der heilige Mann, der wunderbaren Troſt in meine Seele goß, der Mutter verkuͤndet, und es mag wohl die Prophezeihung der Gnade ſeyn, die mich251 mit wundervoller Klarheit erleuchtet, ſo daß ich in meinem Innern das lebendige Bild der Zukunft zu erſchauen vermeine.

Ich ſehe den Juͤngling den Todeskampf ſtreiten mit der finſtern Macht, die auf ihn eindringt mit furchtbarer Waffe! Er faͤllt, doch ein goͤttlich Weib erhebt uͤber ſein Haupt die Siegeskrone! Es iſt die heili¬ ge Roſalia ſelbſt, die ihn errettet! So oft es mir die ewige Macht des Himmels vergoͤnnt, will ich dem Knaben, dem Juͤng¬ linge, dem Mann nahe ſeyn und ihn ſchuͤz¬ zen, wie es die mir verliehene Kraft ver¬ mag. Er wird ſeyn wie

Anmerkung des Herausgebers.

Hier wird, guͤnſtiger Leſer! die halb er¬ loſchene Schrift des alten Malers ſo undeut¬ lich, daß weiter etwas zu entziffern, ganz unmoͤglich iſt. Wir kehren zu dem Manu¬ ſkript des merkwuͤrdigen Capuziners Medar¬ dus zuruͤck.

[252]

Dritter Abſchnitt.

Die Ruͤckkehr in das Kloſter.

Es war ſo weit gekommen, daß uͤberall, wo ich mich in den Straßen von Rom blik¬ ken ließ, Einzelne aus dem Volk ſtill ſtan¬ den, und in gebeugter, demuͤthiger Stellung um meinen Seegen baten. Mocht 'es ſeyn, daß meine ſtrenge Bußuͤbungen, die ich fort¬ ſetzte, ſchon Aufſehen erregten, aber gewiß war es, daß meine fremdartige, wunderliche Erſcheinung den lebhaften fantaſtiſchen Roͤ¬ mern bald zu einer Legende werden mußte, und daß ſie mich vielleicht, ohne daß ich es253 ahnte, zu dem Helden irgend eines frommen Maͤhrchens erhoben hatten. Oft weckten mich bange[Seufzer] und das Gemurmel leiſer Gebete aus tiefer Betrachtung, in die ich, auf den Stufen des Altars liegend, verſun¬ ken, und ich bemerkte dann, wie rings um mich her Andaͤchtige knieten, und meine Fuͤr¬ bitte zu erflehen ſchienen. So wie in jenem Capuzinerkloſter, hoͤrte ich hinter mir rufen: il Santo! und ſchmerzhafte Dolchſtiche fuhren durch meine Bruſt. Ich wollte Rom verlaſſen, doch wie erſchrak ich, als der Prior des Kloſters, in dem ich mich aufhielt, mir ankuͤndigte, daß der Pabſt mich haͤtte zu ſich gebieten laſſen. Duͤſtre Ahnungen ſtie¬ gen in mir auf, daß vielleicht aufs neue die boͤſe Macht in feindlichen Verkettungen mich feſtzubannen trachte, indeſſen faßte ich Muth und ging zur beſtimmten Stunde nach dem Vatikan. Der Pabſt, ein wohlgebildeter Mann, noch in den Jahren der vollen Kraft, empfing mich auf einem reich, verzierten254 Lehnſtuhl ſitzend. Zwei wunderſchoͤne geiſt¬ lich gekleidete Knaben bedienten ihn mit Eiswaſſer und durchfaͤchelten das Zimmer, mit Reiherbuͤſchen, um, da der Tag uͤber¬ heiß war, die Kuͤhle zu erhalten. Demuͤthig trat ich auf ihn zu und machte die gewoͤhn¬ liche Kniebeugung. Er ſah mich ſcharf an, der Blick hatte aber etwas gutmuͤthiges und ſtatt des ſtrengen Ernſtes, der ſonſt, wie ich aus der Ferne wahrzunehmen geglaubt, auf ſeinem Geſicht ruhte, ging ein ſanftes Laͤ¬ cheln durch alle Zuͤge. Er frug, woher ich kaͤme, was mich nach Rom gebracht kurz das gewoͤhnlichſte uͤber meine perſoͤnliche Ver¬ haͤltniſſe, und ſtand dann auf, indem er ſprach: Ich ließ Euch rufen, weil man mir von Eu¬ rer ſeltenen Froͤmmigkeit erzaͤhlt. Warum, Moͤnch Medardus, treibſt Du Deine Andachts¬ uͤbungen oͤffentlich vor dem Volk in den be¬ ſuchteſten Kirchen? Gedenkſt Du zu erſchei¬ nen als ein Heiliger des Herrn und angebe¬ tet zu werden von dem fanatiſchen Poͤbel,255 ſo greife in Deine Bruſt und forſche wohl, wie der innerſte Gedanke beſchaffen, der Dich ſo zu handeln treibt. Biſt Du nicht rein vor dem Herrn und vor mir, ſeinem Statt¬ halter, ſo nimmſt Du bald ein ſchmaͤhliches Ende, Moͤnch Medardus! Dieſe Worte ſprach der Pabſt mit ſtarker, durchdringen¬ der Stimme, und wie treffende Blitze fun¬ kelte es aus ſeinen Augen. Nach langer Zeit zum erſtenmal fuͤhlte ich mich nicht der Suͤn¬ de ſchuldig, der ich angeklagt wurde, und ſo mußte es wohl kommen, daß ich nicht allein meine Faſſung behielt, ſondern auch von dem Gedanken, daß meine Buße aus wah¬ rer innerer Zerknirſchung hervorgegangen, erhoben wurde, und wie ein Begeiſterter zu ſprechen vermochte: Ihr hochheiliger Statthalter des Herrn, wohl iſt Euch die Kraft verliehen, in mein Inneres zu ſchauen; wohl moͤgt Ihr es wiſſen, daß Centnerſchwer mich die unſaͤgliche Laſt meiner Suͤnden zu Boden druͤckt, aber eben ſo werdet Ihr die256 Wahrheit meiner Reue erkennen. Fern von mir iſt der Gedanke ſchnoͤder Heuchelei, fern von mir jede ehrgeizige Abſicht, das Volk zu taͤuſchen auf verruchte Weiſe. Ver¬ goͤnnt es dem buͤßenden Moͤnche, o hochhei¬ liger Herr! daß er in kurzen Worten ſein verbrecheriſches Leben, aber auch das, was er in der tiefſten Reue und Zerknirſchung begonnen, Euch enthuͤlle! So fing ich an, und erzaͤhlte nun, ohne Namen zu nen¬ nen und ſo gedraͤngt als moͤglich, meinen ganzen Lebenslauf. Aufmerkſamer und auf¬ merkſamer wurde der Pabſt. Er ſetzte ſich in den Lehnſtuhl, und ſtuͤtzte den Kopf in die Hand; er ſah zur Erde nieder, dann fuhr er ploͤtzlich in die Hoͤhe; die Haͤnde uͤber einander geſchlagen und mit dem rechten Fuß ausſchreitend, als wolle er auf mich zutre¬ ten, ſtarrte er mich an mit gluͤhenden Au¬ gen. Als ich geendet, ſetzte er ſich aufs neue. Eure Geſchichte, Moͤnch Medardus! fing er an: iſt die verwunderlichſte die ich je¬mals257mals vernommen. Glaubt Ihr an die of¬ fenbare ſichtliche Einwirkung einer boͤſen Macht, die die Kirche Teufel nennt? Ich wollte antworten, der Pabſt fuhr fort: Glaubt Ihr, daß der Wein, den Ihr aus der Reliquienkammer ſtahlt und austranket, Euch zu den Freveln trieb, die ihr begin¬ get? Wie ein von giftiger Duͤnſten ge¬ ſchwaͤngertes Waſſer gab er Kraft dem boͤſen Keim, der in mir ruhete, daß er fortzuwu¬ chern vermochte! Als ich dies erwiedert, ſchwieg der Pabſt einige Augenblicke, dann fuhr er mit ernſtem in ſich gekehrtem Blick fort: Wie, wenn die Natur die Regel des koͤrperlichen Organism auch im geiſtigen be¬ folgte, daß gleicher Keim nur gleiches zu gebaͤhren vermag? ... Wenn Neigung und Wollen, wie die Kraft, die im Kern ver¬ ſchloſſen, des hervorſchießenden Baumes Blaͤt¬ ter wieder gruͤn faͤrbt ſich fortpflanzte von Vaͤtern zu Vaͤtern, alle Willkuͤhr aufhebend? ... Es giebt Familien von Moͤrdern, vonII. [17] 258Raͤubern! ... Das waͤre die Erbſuͤnde, des frevelhaften Geſchlechts ewiger, durch kein Suͤhnopfer vertilgbarer Fluch! Muß der vom Suͤnder geborne wieder ſuͤndigen, ver¬ moͤge des vererbten Organism, dann giebt es keine Suͤnde, ſo unterbrach ich den Pabſt. Doch! ſprach er: der ewige Geiſt ſchuf einen Rieſen, der jenes blinde Thier, das in uns wuͤthet, zu baͤndigen und in Feſ¬ ſeln zu ſchlagen vermag. Bewußtſeyn heißt dieſer Rieſe, aus deſſen Kampf mit dem Thier ſich die Spontaneitaͤt erzeugt. Des Rieſen Sieg iſt die Tugend, der Sieg des Thieres, die Suͤnde. Der Pabſt ſchwieg ei¬ nige Augenblicke, dann heiterte ſein Blick ſich auf, und er ſprach mit ſanfter Stimme: Glaubt Ihr, Moͤnch Medardus, daß es fuͤr den Statthalter des Herrn ſchicklich ſey, mit Euch uͤber Tugend und Suͤnde zu ver¬ nuͤnfteln? Ihr habt hochheiliger Herr, erwiederte ich: Euern Diener gewuͤrdigt Eu¬ re tiefe Anſicht des menſchlichen Seyns zu259 vernehmen, und wohl mag es Euch ziemen uͤber den Kampf zu ſprechen, den Ihr laͤngſt, herrlich und glorreich ſiegend, geendet. Du haſt eine gute Meinung von mir, Bruder Medardus, ſprach der Pabſt: oder glaubſt Du, daß die Tiara der Lorbeer ſey, der mich als Helden und Sieger der Welt ver¬ kuͤndet? Es iſt, ſprach ich: wohl etwas großes, Koͤnig ſeyn und herrſchen uͤber ein Volk. So im Leben hochgeſtellt, mag alles rings umher naͤher zuſammengeruͤckt in jedem Verhaͤltniß commenſurabler erſcheinen, und eben durch die hohe Stellung ſich die wun¬ derbare Kraft des Ueberſchauens entwickeln, die, wie eine hoͤhere Weihe, ſich kund thut im gebornen Fuͤrſten. Du meinſt, fiel der Pabſt ein, daß ſelbſt den Fuͤrſten, die ſchwach an Verſtande und Willen, doch eine gewiſſe wunderliche Sagazitaͤt beiwohne, die fuͤglich fuͤr Weisheit geltend, der Menge zu imponi¬ ren vermag. Aber wie gehoͤrt das hieher? Ich wollte, fuhr ich fort: von der Weihe260 der Fuͤrſten reden, deren Reich von dieſer Welt iſt, und dann von der heiligen, goͤttli¬ chen Weihe des Statthalters des Herrn. Auf geheimnißvolle Weiſe erleuchtet der Geiſt des Herrn die im Conklave verſchloſſenen hohen Prieſter. Getrennt, in einzelnen Gemaͤchern frommer Betrachtung hingegeben, befruchtet der Strahl des Himmels das nach der Offenba¬ rung ſich ſehnende Gemuͤth, und ein Name er¬ ſchallt, wie ein, die ewige Macht lobpreiſender Hymnus, von den begeiſterten Lippen. Nur kund gethan in irrdiſcher Sprache wird der Beſchluß der ewigen Macht, die ſich ihren wuͤrdigen Statthalter auf Erden erkor, und ſo, hochheiliger Herr! iſt Eure Krone, im drei¬ fachen Ringe das Myſterium Eures Herrn, des Herrn der Welten, verkuͤndend, in der That der Lorbeer, der Euch als Helden und Sieger darſtellt. Nicht von dieſer Welt iſt Euer Reich, und doch ſeyd Ihr berufen zu herr¬ ſchen uͤber alle Reiche dieſer Erde, die Glieder der unſichtbaren Kirche ſammelnd unter der261 Fahne des Herrn! Das weltliche Reich, das Euch beſchieden, iſt nur Euer in himm¬ liſcher Pracht bluͤhender Thron. Das giebſt Du zu, unterbrach mich der Pabſt, das giebſt Du zu, Bruder Medardus, daß ich Urſache habe, mit dieſem mir beſchiedenen Thron zufrieden zu ſeyn. Wohl iſt meine bluͤhende Roma geſchmuͤckt mit himmliſcher Pracht, das wirſt Du auch wohl fuͤhlen, Bruder Medardus! haſt Du Deinen Blick nicht ganz dem Irdiſchen verſchloſſen. ... Doch das glaub 'ich nicht ... Du biſt ein wack¬ rer Redner und haſt mir zum Sinn geſpro¬ chen. ... Wir werden uns, merk ich, naͤher verſtaͤndigen! ... Bleibe hier! ... In einigen Tagen biſt Du vielleicht Prior, und ſpaͤter koͤnnt' ich Dich wohl gar zu meinem Beicht¬ vater erwaͤhlen. ... Gehe ... gebaͤhrde Dich weniger naͤrriſch in den Kirchen, zum[Heil¬ gen] ſchwingſt Du Dich nun einmal nicht hin¬ auf der Kalender iſt vollzaͤhlig. Gehe. Des Pabſtes letzte Worte verwunderten mich262 eben ſo, wie ſein ganzes Betragen uͤber¬ haupt, das ganz dem Bilde widerſprach, wie es ſonſt von dem Hoͤchſten der chriſtlichen Gemeinde, dem die Macht gegeben zu bin¬ den und zu loͤſen, in meinem Innern aufge¬ gangen war. Es war mir nicht zweifelhaft, daß er alles, was ich von der hohen Goͤtt¬ lichkeit ſeines Berufs geſprochen, fuͤr eine leere liſtige Schmeichelei gehalten hatte. Er ging von der Idee aus, daß ich mich hatte zum Heiligen aufſchwingen wollen, und daß ich, da er mir aus beſondern Gruͤnden den Weg dazu verſperren mußte, nun geſonnen war, mir auf andere Weiſe Anſehn und Einfluß zu verſchaffen. Auf dieſes wollte er wieder aus beſonderen mir unbekannten Gruͤn¬ den eingehen.

Ich beſchloß, ohne daran zu denken, daß ich ja, ehe der Pabſt mich rufen ließ, Rom hatte verlaſſen wollen meine Andachtsuͤbun¬ gen fortzuſetzen. Doch nur zu ſehr im In¬ nern fuͤhlte ich mich bewegt, um wie ſonſt263 mein Gemuͤth ganz dem himmliſchen zuwen¬ den zu koͤnnen. Unwillkuͤhrlich dachte ich ſelbſt im Gebet an mein fruͤheres Leben; erblaßt war das Bild meiner Suͤnden und nur das Glaͤnzende der Laufbahn, die ich als Lieb¬ ling eines Fuͤrſten begonnen, als Beichtiger des Pabſtes fortſetzen, und wer weiß auf welcher Hoͤhe enden werde, ſtand grell leuch¬ tend vor meines Geiſtes Augen. So kam es, daß ich, nicht weil es der Pabſt verbo¬ ten,[ſondern] unwillkuͤrlich meine Andachtsuͤbun¬ gen einſtellte, und ſtatt deſſen in den Stra¬ ßen von Rom umherſchlenderte. Als ich ei¬ nes Tages uͤber den ſpaniſchen Platz ging, war ein Haufen Volks um den Kaſten eines Puppenſpielers verſammelt. Ich vernahm Pulcinells komiſches Gequaͤke und das wie¬ hernde Gelaͤchter der Menge. Der erſte Akt war geendet, man bereitete ſich auf den zweiten vor. Die kleine Decke flog auf, der junge David erſchien mit ſeiner Schleuder und dem Sack voll Kieſelſteinen. Unter poſ¬264 ſierlichen Bewegungen verſprach er, daß nun¬ mehr der ungeſchlachte Rieſe Goliath ganz gewiß erſchlagen und Iſrael errettet werden ſolle. Es ließ ſich ein dumpfes Rauſchen und Brummen hoͤren. Der Rieſe Goliath ſtieg empor mit einem ungeheuern Kopfe. Wie erſtaunte ich, als ich auf den erſten Blick in dem Goliathskopf den naͤrriſchen Belcampo erkannte. Dicht unter dem Kopf hatte er mittelſt einer beſondern Vorrichtung einen kleinen Koͤrper mit Aermchen und Beinchen angebracht, ſeine eigenen Schul¬ tern und Aerme aber durch eine Drappe¬ rie verſteckt, die wie Goliaths breit gefalte¬ ter Mantel anzuſehen war. Goliath hielt, mit den ſeltſamſten Grimaſſen und groteskem Schuͤtteln des Zwergleibes, eine ſtolze Rede, die David nur zuweilen durch ein feines Kickern unterbrach. Das Volk lachte un¬ maͤßig, und ich ſelbſt, wunderlich angeſprochen von der neuen fabelhaften Erſcheinung Bel¬ campo's, ließ mich fortreißen und brach aus265 in das laͤngſt ungewohnte Lachen der innern kindiſchen Luſt. Ach wie oft war ſonſt mein Lachen nur der convulſiviſche Krampf der innern herzzerreißenden Qual. Dem Kampf mit dem Rieſen ging eine lange Dis¬ putation voraus, und David bewies uͤberaus kuͤnſtlich und gelehrt, warum er den furcht¬ baren Gegner todt ſchmeißen muͤſſe und wer¬ de. Belcampo ließ alle Muskeln ſeines Ge¬ ſichts wie kniſternde Lauffeuer ſpielen und da¬ bei ſchlugen die Rieſenaͤrmchen nach dem kleiner als kleinen David, der geſchickt un¬ terzuducken wußte und dann hie und da, ja ſelbſt aus Goliaths eigner Mantelfalte zum Vorſchein kam. Endlich[flog] der Kieſel an Goliaths Haupt, er ſank hin und die Decke fiel. Ich lachte immer mehr, durch Bel¬ campo's tollen Genius gereizt, uͤberlaut, da klopfte jemand leiſe auf meine Schulter. Ein Abbate ſtand neben mir. Es freut mich, fing er an: daß ihr, mein Ehrwuͤr¬ diger Herr, nicht die Luſt am Irdiſchen ver¬266 loren habt. Beinahe traute ich Euch, nach¬ dem ich Eure merkwuͤrdige Andachtsuͤbungen geſehen, nicht mehr zu, daß Ihr uͤber ſolche Thorheiten zu lachen vermoͤchtet. Es war mir ſo, als der Abbate dieſes ſprach, als muͤßte ich mich meiner Luſtigkeit ſchaͤmen, und unwillkuͤrlich ſprach ich, was ich gleich darauf ſchwer bereute geſprochen zu haben. Glaubt mir, mein Herr Abbate, ſagte ich, daß dem, der in dem bunteſten Wogenſpiel des Lebens ein ruͤſtiger Schwimmer war, nie die Kraft gebricht, aus dunkler Fluth aufzu¬ tauchen und muthig ſein Haupt zu erheben. Der Abbate ſah mich mit blitzenden Augen an. Ey, ſprach er: wie habt Ihr das Bild ſo gut erfunden und ausgefuͤhrt. Ich glaube Euch jetzt zu kennen ganz undgar, und bewun¬ dere Euch aus tiefſtem Grunde meiner Seele.

Ich weiß nicht, mein Herr! wie ein ar¬ mer buͤßender Moͤnch Eure Bewunderung zu erregen vermochte!

Vortrefflich, Ehrwuͤrdigſter! Ihr267 fallt zuruͤck in Eure Rolle! Ihr ſeyd des Pabſtes Liebling?

Dem hochheiligen Statthalter des Herrn hat es gefallen, mich ſeines Blicks zu wuͤr¬ digen. Ich habe ihn verehrt im Staube, wie es der Wuͤrde, die ihm die ewige Macht verlieh, als ſie himmliſch reine Tugend be¬ waͤhrt fand in ſeinem Innern, geziemt.

Nun, Du ganz wuͤrdiger Vaſall an dem Thron des dreifach gekroͤnten, Du wirſt tapfer thun, was deines Amtes iſt! Aber glaube mir, der jetzige Statthalter des Herrn iſt ein Kleinod der Tugend gegen Alexander den ſechſten, und da magſt Du Dich viel¬ leicht doch verrechnet haben! Doch ſpiele deine Rolle ausgeſpielt iſt bald, was munter und luſtig begann. Lebt wohl, mein ſehr ehrwuͤrdiger Herr!

Mit gellendem Hohngelaͤchter ſprang der Abbate von dannen, erſtarrt blieb ich ſtehen. Hielt ich ſeine letzte Aeußerung mit meinen eignen Bemerkungen uͤber den Pabſt268 zuſammen, ſo mußte es mir wohl klar auf¬ gehen, daß er keinesweges der nach dem Kampf mit dem Thier gekroͤnte Sieger war, fuͤr den ich ihn gehalten, und eben ſo mußte ich auf entſetzliche Weiſe mich uͤberzeugen, daß, wenigſtens dem eingeweihten Theil des Publikums, meine Buße als ein heuchleri¬ ſches Beſtreben erſchienen war, mich auf dieſe oder jene Weiſe aufzuſchwingen. Verwun¬ det bis tief in das Innerſte, kehrte ich in mein Kloſter zuruͤck und betete inbruͤn¬ ſtig in der einſamen Kirche. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich er¬ kannte bald die Verſuchung der finſtern Macht, die mich aufs neue zu verſtricken ge¬ trachtet hatte, aber auch zugleich meine ſuͤndi¬ ge Schwachheit und die Strafe des Himmels. Nur ſchnelle Flucht konnte mich retten, und ich beſchloß mit dem fruͤheſten Mor¬ gen mich auf den Weg zu machen. Schon war beinahe die Nacht eingebrochen, als die Hausglocke des Kloſters ſtark angezogen269 wurde. Bald darauf trat der Bruder Pfoͤrt¬ ner in meine Zelle und berichtete, daß ein ſeltſam gekleideter Mann durchaus begehre mich zu ſprechen. Ich ging nach dem Sprach¬ zimmer, es war Belcampo der nach ſeiner tollen Weiſe auf mich zuſprang, bei beiden Armen mich packte, und mich ſchnell in ei¬ nen Winkel zog. Medardus, fing er leiſe und eilig an: Medardus, Du magſt es nun anſtellen wie Du willſt um Dich zu verderben, die Narrheit iſt hinter Dir her auf den Fluͤ¬ geln des Weſtwindes Suͤdwindes oder auch Suͤd Suͤdweſt oder ſonſt, und packt Dich, ragt auch nur noch ein Zipfel deiner Kutte hervor aus dem Abgrunde, und zieht Dich herauf O Medardus, erkenne das erkenne was Freundſchaft iſt, erkenne was Lie¬ be vermag, glaube an David und Jonathan, liebſter Capuziner! Ich habe Sie als Go¬ liath bewundert, fiel ich dem Schwaͤtzer in die Rede, aber ſagen Sie mir ſchnell, worauf es ankommt was Sie zu mir hertreibt?

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Was mich hertreibt? ſprach Belcampo: was mich hertreibt? Wahnſinnige Liebe zu einem Capuziner dem ich einſt den Kopf zu¬ rechtſetzte, der umherwarf mit blutiggoldenen Dukaten der Umgang hatte mit ſcheußlichen Revenants der, nachdem er was weniges gemordet hatte die Schoͤnſte der Welt hei¬ rathen wollte, buͤrgerlicher oder vielmehr ad¬ licher Weiſe. Halt ein, rief ich: halt ein, Du grauenhafter Narr! Gebuͤßt habe ich ſchwer, was Du mir vorwirfſt im frevelichen Muthwillen. O Herr, fuhr Belcampo fort, noch iſt die Stelle ſo empfindlich, wo Euch die feindliche Macht tiefe Wunden ſchlug? Ey, ſo iſt Eure Heilung noch nicht vollbracht. Nun ich will ſanft und ruhig ſeyn, wie ein frommes Kind, ich will mich bezaͤhmen, ich will nicht mehr ſpringen, weder koͤrperlich noch geiſtig und Euch, geliebter Capuziner, blos ſagen, daß ich Euch hauptſaͤchlich Eurer ſublimen Toll¬ heit halber, ſo zaͤrtlich liebe, und da es uͤber¬271 haupt nuͤtzlich iſt, daß jedes tolle Prinzip ſo lange lebe und gedeihe auf Erden als nur immer moͤglich, ſo rette ich Dich aus jeder Todesgefahr, in die Du muthwilliger Weiſe Dich begiebſt. In meinem Puppenkaſten habe ich ein Geſpraͤch belauſcht das Dich betrifft. Der Papſt will dich zum Prior des hieſigen Capuzinerkloſters und zu ſeinem Beichtiger erheben. Fliehe ſchnell, ſchnell fort von Rom, denn Dolche lauern auf Dich. Ich kenne den Bravo, der dich ins Himmelreich ſpe¬ diren ſoll. Du biſt dem Dominikaner, der jetzt des Papſtes Beichtiger iſt, und ſeinem Anhange im Wege. Morgen darfſt Du nicht mehr hier ſeyn. Dieſe neue Bege¬ benheit konnte ich gar gut mit den Aeußer¬ ungen des unbekannten Abbate's zuſammen¬ raͤumen; ſo betroffen war ich, daß ich kaum bemerkte, wie der poſſierliche Belcampo mich einmal uͤber das andere an das Herz druͤckte und endlich mit ſeinen gewoͤhnlichen ſeltſa¬272 men Grimaſſen und Spruͤngen Abſchied nahm.

Mitternacht mochte voruͤber ſeyn, als ich die aͤußere Pforte des Kloſters oͤffnen und einen Wagen dumpf uͤber das Pflaſter des Hofes hereinrollen hoͤrte. Bald darauf kam es den Gang herauf; man klopfte an meine Zelle, ich oͤffnete und erblickte den Pater Guardian, dem ein tief vermummter Mann mit einer Fackel folgte. Bruder Medardus, ſprach der Guardian: ein Sterbender ver¬ langt in der Todesnoth Euern geiſtlichen Zuſpruch und die letzte Oelung. Thut, was Eures Amtes iſt, und folgt dieſem Mann, der Euch dort hinfuͤhren wird, wo man Eu¬ rer bedarf. Mich uͤberlief ein kalter Schau¬ er, die Ahnung daß man mich zum To¬ de fuͤhren wolle, regte ſich in mir auf; doch durfte ich mich nicht weigern, und folg¬ te daher dem Vermummten, der den Schlag des Wagens oͤffnete, und mich noͤthigte ein¬ zuſteigen. Im Wagen fand ich zwei Maͤn¬ner273ner die mich in ihre Mitte nahmen. Ich frug, wo man mich hinfuͤhren wolle? wer gerade von mir Zuſpruch und letzte Oelung verlange? Keine Antwort! In tiefem Schweigen ging es fort durch mehrere Straßen. Ich glaubte an dem Klange wahr¬ zunehmen, daß wir ſchon außerhalb Rom waren, doch bald vernahm ich deutlich, daß wir durch ein Thor und dann wieder durch gepflaſterte Straßen fuhren. Endlich hielt der Wagen, und ſchnell wurden mir die Haͤnde gebunden und eine dicke Kap¬ pe fiel uͤber mein Geſicht. Euch ſoll nichts Boͤſes widerfahren, ſprach eine rauhe Stimme, nur ſchweigen muͤßt Ihr uͤber alles, was Ihr ſehen und hoͤren werdet, ſonſt iſt Euer augenblicklicher Tod gewiß. Man hob mich aus dem Wagen, Schloͤſ¬ ſer klirrten, und ein Thor droͤhnte auf in ſchweren ungefuͤgigen Angeln. Man fuͤhrte mich durch lange Gaͤnge und endlichII. [18] 274Treppen hinab tiefer und tiefer. Der Schall der Tritte uͤberzeugte mich, daß wir uns in Gewoͤlben befanden deren Be¬ ſtimmung der durchdringende Todtengeruch verrieth. Endlich ſtand man ſtill die Haͤn¬ de wurden mir losgebunden, die Kappe mir vom Kopfe gezogen. Ich befand mich in ei¬ nem geraͤumigen, von einer Ampel ſchwach beleuchteten Gewoͤlbe, ein ſchwarz vermumm¬ ter Mann, wahrſcheinlich derſelbe, der mich hergefuͤhrt hatte, ſtand neben mir, rings umher ſaßen auf niedrigen Baͤnken Domini¬ kanermoͤnche. Der grauenhafte Traum, den ich einſt in dem Kerker traͤumte, kam mir in den Sinn, ich hielt meinen qualvollen Tod fuͤr gewiß, doch blieb ich gefaßt und betete inbruͤnſtig im Stillen, nicht um Rettung, ſondern um ein ſeliges Ende. Nach eini¬ gen Minuten duͤſtern ahnungsvollen Schwei¬ gens trat einer der Moͤnche auf mich zu, und ſprach mit dumpfer Stimme: Wir haben ei¬ nen Eurer Ordensbruͤder gerichtet, Medar¬275 dus! das Urtheil ſoll vollſtreckt werden. Von Euch, einem heiligen Manne, erwartet er Abſolution und Zuſpruch im Tode! Geht und thut was Eures Amts iſt. Der Ver¬ mummte, welcher neben mir ſtand, faßte mich unter den Arm und fuͤhrte mich weiter fort, durch einen engen Gang in ein kleines Ge¬ woͤlbe. Hier lag, in einem Winkel, auf dem Strohlager ein bleiches, abgezehrtes, mit Lum¬ pen behaͤngtes Geripp. Der Vermummte ſetzte die Lampe, die er mitgebracht, auf dem ſtei¬ nernen Tiſch in der Mitte des Gewoͤlbes, und entfernte ſich. Ich nahte mich dem Ge¬ fangenen, er drehte ſich muͤhſam nach mir um? ich erſtarrte, als ich die ehrwuͤrdigen Zuͤge des frommen Cyrillus erkannte. Ein himmliſches verklaͤrtes Laͤcheln uͤberflog ſein Geſicht. So haben mich, fing er mit matter Stimme an, die entſetzlichen Diener der Hoͤlle, welche hier hauſen, doch nicht getaͤuſcht. Durch ſie erfuhr ich, daß Du, mein lieber Bruder Medardus, Dich in Rom276 befaͤndeſt, und als ich mich ſo ſehnte nach Dir, weil ich großes Unrecht an Dir ver¬ uͤbt habe, da verſprachen Sie mir, ſie woll¬ ten Dich zu mir fuͤhren in der Todesſtunde. Die iſt nun wohl gekommen und ſie haben Wort gehalten. Ich kniete nieder bei dem frommen ehrwuͤrdigen Greis, ich beſchwor ihn, mir nur vor allen Dingen zu ſagen, wie es moͤglich geweſen ſey, ihn einzukerkern, ihn zum Tode zu verdammen. Mein lieber Bruder Medardus, ſprach Cyrill: erſt nach¬ dem ich reuig bekannt, wie ſuͤndlich ich aus Irrthum an Dir gehandelt, erſt wenn Du mich mit Gott verſoͤhnt, darf ich von mei¬ nem Elende, von meinem irdiſchen Unter¬ gange zu Dir reden! Du weißt, daß ich, und mit mir unſer Kloſter, Dich fuͤr den ver¬ ruchteſten Suͤnder gehalten; die ungeheuer¬ ſten Frevel hatteſt Du (ſo glaubten wir) auf Dein Haupt geladen, und ausgeſtoßen hatten wir Dich aus aller Gemeinſchaft. Und doch war es nur ein verhaͤngnißvoller Augenblick,277 in dem der Teufel Dir die Schlinge uͤber den Hals warf und dich fortriß von der hei¬ ligen Staͤtte in das ſuͤndliche Weltleben. Dich um Deinen Namen, um Dein Kleid, um Deine Geſtalt betruͤgend, beging ein teuf¬ liſcher Heuchler jene Unthaten, die Dir bei¬ nahe den ſchmachvollen Tod des Moͤrders zugezogen haͤtten. Die ewige Macht hat es auf wunderbare Weiſe offenbart, daß Du zwar leichtſinnig ſuͤndigteſt, indem Dein Trachten darauf ausging, Dein Geluͤbde zu brechen, daß Du aber rein biſt von jenen ent¬ ſetzlichen Freveln. Kehre zuruͤck in unſer Klo¬ ſter, Leonardus, die Bruͤder werden Dich, den verloren Geglaubten, mit Liebe und Freudig¬ keit aufnehmen. O Medardus ... Der Greis, von Schwaͤche uͤbermannt, ſank in eine tiefe Ohnmacht. Ich widerſtand der Spannung, die ſeine Worte, welche eine neue wunderbare Begebenheit zu verkuͤnden ſchienen, in mir erregt hatten, und nur an ihn, an das Heil ſeiner Seele denkend,278 ſuchte ich, von allen andern Huͤlfsmitteln entbloͤßt, ihn dadurch ins Leben zuruͤckzuru¬ fen, daß ich langſam und leiſe Kopf und Bruſt mit meiner rechten Hand anſtrich, ei¬ ne in unſern Kloͤſtern uͤbliche Art, Todtkran¬ ke aus der Ohnmacht zu wecken. Cyrillus erholte ſich bald, und beichtete mir, er der Fromme, dem frevelichen Suͤnder! Aber es war, als wuͤrde, indem ich den Greis, deſſen hoͤchſte Vergehen nur in Zweifel be¬ ſtanden, die ihm hie und da aufgeſtoßen, ab¬ ſolvirte, von der hohen ewigen Macht, ein Geiſt des Himmels in mir entzuͤndet, und als ſey ich nur das Werkzeug, das koͤrperge¬ wordene Organ, deſſen ſich jene Macht be¬ diene, um ſchon hienieden zu dem noch nicht entbundenen Menſchen menſchlich zu reden. Cyrillus hob den andachtsvollen Blick zum Himmel, und ſprach: O, mein Bruder Me¬ dardus, wie haben mich Deine Worte er¬ quickt! Froh gehe ich dem Tode entgegen, den mir verruchte Boͤſewichter bereitet! Ich279 falle, ein Opfer der graͤßlichſten Falſchheit und Suͤnde die den Thron des dreifach Ge¬ kroͤnten umgiebt. Ich vernahm dumpfe Tritte, die naͤher und naͤher kamen, die Schluͤſſel raſſelten im Schloß der Thuͤre. Cyrillus raffte ſich mit Gewalt empor, er¬ faßte meine Hand und rief mir ins Ohr: Kehre in unſer Kloſter zuruͤck Leonardus iſt von allem unterrichtet, er weiß, wie ich ſterbe beſchwoͤre ihn, uͤber meinen Tod zu ſchweigen. Wie bald haͤtte mich ermat¬ teten Greis auch ſonſt der Tod ereilt Le¬ be wohl, mein Bruder! Bete fuͤr das Heil meiner Seele! Ich werde bei Euch ſeyn, wenn ihr im Kloſter mein Todtenamt haltet. Gelobe mir, daß Du hier uͤber alles was Du erfahren, ſchweigen willſt, denn Du fuͤhrſt nur Dein Verderben herbei, und ver¬ wickelſt unſer Kloſter in tauſend ſchlimme Haͤndel! Ich that es, Vermummte waren hereingetreten, ſie hoben den Greis aus dem Bette und ſchleppten ihn, der vor Mat¬280 tigkeit nicht fortzuſchreiten vermochte, durch den Gang nach dem Gewoͤlbe, in dem ich fruͤher geweſen. Auf den Wink der[Vermumm¬ ten] war ich gefolgt, die Dominikaner hatten einen Kreis geſchloſſen, in den man den Greis brachte und auf ein Haͤufchen Erde, das man in der Mitte aufgeſchuͤttet, nieder¬ knien hieß. Man hatte ihm ein Kruzifix in die Hand gegeben. Ich war, weil ich es meines Amts hielt, mit in den Kreis getre¬ ten und betete laut. Ein Dominikaner er¬ griff mich beim Arm und zog mich bei Sei¬ te. In dem Augenblicke ſah ich in der Hand eines Vermummten, der hinterwaͤrts in den Kreis getreten, ein Schwert blitzen und Cyrillus blutiges Haupt rollte zu mei¬ nen Fuͤßen hin. Ich ſank bewußtlos nie¬ der. Als ich wieder zu mir ſelbſt kam, be¬ fand ich[] mich in einem kleinen zellenarti¬ gen Zimmer. Ein Dominikaner trat auf mich zu und ſprach mit haͤmiſchem Laͤcheln: Ihr ſeyd wohl recht erſchrocken, mein Bru¬281 der, und ſolltet doch billig Euch erfreuen, da Ihr mit eignen Augen ein ſchoͤnes Marti¬ rium angeſchaut habt. So muß man ja wohl es nennen, wenn ein Bruder aus Eu¬ erm Kloſter den verdienten Tod empfaͤngt, denn Ihr ſeyd wohl Alle ſammt und ſon¬ ders Heilige? Nicht Heilige ſind wir, ſprach ich, aber in unſerm Kloſter wurde noch nie ein Unſchuldiger ermordet! Ent¬ laßt mich ich habe mein Amt vollbracht mit Freudigkeit! Der Geiſt des Verklaͤr¬ ten wird mir nahe ſeyn, wenn ich fallen ſollte in die Haͤnde verruchter Moͤrder! Ich zweifle gar nicht, ſprach der Dominika¬ ner: daß der ſelige Bruder Cyrillus Euch in dergleichen Faͤllen beizuſtehen im Stande ſeyn wird, wollet aber doch, lieber Bruder! ſeine Hinrichtung nicht etwa einen Mord nennen? Schwer hatte ſich Cyrillus ver¬ ſuͤndigt an dem Statthalter des Herrn, und dieſer ſelbſt war es, der ſeinen Tod befahl. Doch er muß Euch ja wohl alles gebeich¬282 tet haben, unnuͤtz iſt es daher, mit Euch da¬ ruͤber zu ſprechen, nehmt lieber dieſes zur Staͤrkung und Erfriſchung, ihr ſeht ganz blaß und verſtoͤrt aus. Mit dieſen Worten reichte mir der Dominikaner einen kriſtalle¬ nen Pokal in dem ein dunkelrother ſtark duf¬ tender Wein ſchaͤumte. Ich weiß nicht, wel¬ che Ahnung mich durchblitzte, als ich den Pokal an den Mund brachte. Doch war es gewiß, daß ich denſelben Wein roch, den mir einſt Euphemie in jener verhaͤngnißvol¬ len Nacht kredenzte und unwillkuͤrlich, ohne deutlichen Gedanken, goß ich ihn aus in den linken Aermel meines Habits, indem ich, wie von der Ampel geblendet, die linke Hand vor die Augen hielt. Wohl bekomm 'es Euch, rief der Dominikaner indem er mich ſchnell zur Thuͤre hinausſchob. Man warf mich in den Wagen, der zu meiner Bewun¬ derung leer war, und zog mit mir von dan¬ nen. Die Schrecken der Nacht, die geiſti¬ ge Anſpannung, der tiefe Schmerz uͤber den283 ungluͤcklichen Cyrill warfen mich in einen betaͤubten Zuſtand, ſo daß ich mich ohne zu widerſtehen hingab, als man mich aus dem Wagen heraus riß und ziemlich unſanft auf den Boden fallen ließ. Der Morgen brach an, und ich ſah mich an der Pforte des Capuzinerkloſters liegen, deſſen Glocke ich, als ich mich aufgerichtet hatte, anzog. Der Pfoͤrtner erſchrack uͤber mein bleiches, verſtoͤrtes Anſehen und mochte dem Prior die Art, wie ich zuruͤckgekommen, gemeldet haben, denn gleich nach der Fruͤhmeſſe trat dieſer mit beſorglichem Blick in meine Zelle. Auf ſein Fragen erwiederte ich nur im All¬ gemeinen, daß der Tod deſſen, den ich ab¬ ſolviren muͤſſen, zu graͤßlich geweſen ſey um mich nicht im Innerſten aufzuregen, aber bald konnte ich vor dem wuͤthenden Schmerz, den ich am linken Arme empfand, nicht wei¬ ter reden, ich ſchrie laut auf. Der Wund¬ arzt des Kloſters kam, man riß mir den feſt an dem Fleiſch klebenden Ermel herab, und284 fand den ganzen Arm wie von einer aͤtzen¬ den Materie zerfleiſcht und zerfreſſen. Ich habe Wein trinken ſollen ich habe ihn in den Aermel gegoſſen, ſtoͤhnte ich, ohnmaͤch¬ tig von der entſetzlichen Qual! Aetzen¬ des Gift war in dem Weine, rief der Wund¬ arzt, und eilte, Mittel anzuwenden, die we¬ nigſtens bald den wuͤthenden Schmerz linder¬ ten. Es gelang der Geſchicklichkeit des Wund¬ arztes und der ſorglichen Pflege, die mir der Prior angedeihen ließ, den Arm, der erſt abgenommen werden ſollte, zu retten, aber bis auf den Knochen dorrte das Fleiſch ein und alle Kraft der Bewegung hatte der feindliche Schierlingstrank gebrochen. Ich ſehe nur zu deutlich, ſprach der Prior, was es mit jener Begebenheit, die Euch um Euern Arm brachte, fuͤr eine Bewandniß hat. Der fromme Bruder Cyrillus verſchwand aus un¬ ſerm Kloſter und aus Rom auf unbegreifliche Weiſe, und auch Ihr, lieber Bruder Medar¬ dus! werdet auf dieſelbe Weiſe verloren285 gehen, wenn Ihr Rom nicht alsbald verlaſ¬ ſet. Auf verſchiedene verdaͤchtigte Weiſe er¬ kundigte man ſich nach Euch, waͤhrend der Zeit als Ihr krank lagt, und nur meiner Wachſamkeit und der Einigkeit der frommge¬ ſinnten Bruͤder moͤget Ihr es verdanken, daß Euch der Mord nicht bis in Eure Zelle ver¬ folgte. So wie Ihr uͤberhaupt mir ein verwun¬ derlicher Mann zu ſeyn ſcheint, den uͤberall verhaͤngnißvolle Bande umſchlingen, ſo ſeyd Ihr auch ſeit der kurzen Zeit Eures Aufent¬ halts in Rom gewiß wider Euern Willen viel zu merkwuͤrdig geworden, als daß es ge¬ wiſſen Perſonen nicht wuͤnſchenswerth ſeyn ſollte, Euch aus dem Wege zu raͤumen. Kehrt zuruͤck in Euer Vaterland, in Euer Kloſter! Friede ſey mit Euch!

Ich fuͤhlte wohl, daß, ſo lange ich mich in Rom befaͤnde, mein Leben in ſteter Ge¬ fahr bleiben muͤſſe, aber zu dem peinigen¬ den Andenken an alle begangene Frevel, das die ſtrengſte Buße nicht zu vertilgen vermocht286 hatte, geſellte ſich der koͤrperliche empfindli¬ che Schmerz des abwelkenden Armes, und ſo achtete ich ein qualvolles ſieches Daſeyn nicht, das ich durch einen ſchnell mir gege¬ benen Tod wie eine druͤckende Buͤrde fahren laſſen konnte. Immer mehr gewoͤhnte ich mich an den Gedanken, eines gewaltſamen Todes zu ſterben, und er erſchien mir bald ſogar als ein glorreiches durch meine ſtrenge Bu¬ ße erworbenes Maͤrtirerthum. Ich ſah mich ſelbſt, wie ich zu den Pforten des Kloſters hinausſchritt, und wie eine finſtre Geſtalt mich ſchnell mit einem Dolch durchbohrte. Das Volk verſammelte ſich um den blutigen Leichnam Medardus der fromme buͤ¬ ßende Medardus iſt ermordet! So rief man durch die Straßen und dichter und dich¬ ter draͤngten ſich die Menſchen, laut wehkla¬ gend um den Entſeelten. Weiber knieten nieder und trockneten mit weißen Tuͤchern die Wunde, aus der das Blut hervorquoll. Da ſieht Eine das Kreuz an meinem Halſe,287 laut ſchreit ſie auf: Er iſt ein Maͤrtirer, ein Heiliger ſeht hier das Zeichen des Herrn, das er am Halſe traͤgt, da wirft ſich Al¬ les auf die Knie. Gluͤcklich, der den Koͤr¬ per des Heiligen beruͤhren, der nur ſein Gewand erfaſſen kann! ſchnell iſt eine Bahre gebracht, der Koͤrper hinaufgelegt, mit Blumen bekraͤnzt, und im Triumphzuge unter lautem Geſang und Gebet tragen ihn Juͤnglinge nach St. Peter! So arbeitete meine[Fantaſie] ein Gemaͤlde aus, das meine Verherrlichung hienieden mit lebendigen Far¬ ben darſtellte, und nicht gedenkend, nicht ah¬ nend, wie der boͤſe Geiſt des ſuͤndlichen Stol¬ zes mich auf neue Weiſe zu verlocken trach¬ te, beſchloß ich, nach meiner voͤlligen Gene¬ ſung in Rom zu bleiben, meine bisherige Lebensweiſe fortzuſetzen, und ſo entweder glorreich zu ſterben oder, durch den Papſt meinen Feinden entriſſen, emporzuſteigen zu hohen Wuͤrde der Kirche. Meine ſtarke lebenskraͤftige Natur ließ mich endlich den288 namenloſen Schmerz ertragen, und wider¬ ſtand der Einwirkung des hoͤlliſchen Safts der von außen her mein Inneres zerruͤtten wollte. Der Arzt verſprach meine baldige Herſtellung, und in der That empfand ich nur in den Augenblicken jenes Delirirens, das dem Einſchlafen vorher zu gehen pflegt, fie¬ berhafte Anfaͤlle, die mit kalten Schauern und fliegender Hitze wechſelten. Gerade in dieſen Augenblicken war es, als ich, ganz erfuͤllt von dem Bilde meines Martiriums, mich ſelbſt, wie es ſchon oft geſchehen, durch einen Dolchſtich in der Bruſt ermordet ſchau¬ te. Doch, ſtatt daß ich mich ſonſt gewoͤhn¬ lich auf dem ſpaniſchen Platz niedergeſtreckt und bald von einer Menge Volks, die meine Heiligſprechung verbreitete, umgeben ſah, lag ich einſam in einem Laubgange des Klo¬ ſtergartens in B. Statt des Blutes quoll ein ekelhafter farbloſer Saft aus der weit aufklaffenden Wunde und eine Stimme ſprach: Iſt das Blut vom Maͤrtirer vergoſſen? Doch289Doch ich will das unreine Waſſer klaͤren und faͤrben, und dann wird das Feuer, wel¬ ches uͤber das Licht geſiegt, ihn kroͤnen! Ich war es, der dies geſprochen, als ich mich aber von meinem todten Selbſt getrennt fuͤhlte, merkte ich wohl, daß ich der weſen¬ loſe Gedanke meines Ichs ſey, und bald er¬ kannte ich mich als das im Aether ſchwim¬ mende Roth. Ich ſchwang mich auf zu den leuchtenden Bergſpitzen ich wollte einziehn durch das Thor goldner Morgenwolken in die heimathliche Burg, aber Blitze durchkreuz¬ ten, gleich im Feuer auflodernden Schlangen, das Gewoͤlbe des Himmels, und ich ſank herab, ein feuchter, farbloſer Nebel. Ich ich, ſprach der Gedanke, ich bin es, der Eure Blumen Euer Blut faͤrbt Blumen und Blut ſind Euer Hochzeitſchmuck, den ich be¬ reite! So wie ich tiefer und tiefer nie¬ derfiel, erblickte ich die Leiche mit weitauf¬ klaffender Wunde in der Bruſt, aus der je¬ nes unreine Waſſer in Stroͤmen floß. MeinII. [19] 290Hauch ſollte das Waſſer umwandeln in Blut, doch geſchah es nicht, die Leiche richtete ſich auf und ſtarrte mich an mit hohlen graͤßli¬ chen Augen und heulte wie der Nordwind in tiefer Kluft: Verblendeter, thoͤrichter Ge¬ danke, kein Kampf zwiſchen Licht und Feuer, aber das Licht iſt die Feuertaufe durch das Roth, das Du zu vergiften trachteſt Die Leiche ſank nieder; alle Blumen auf der Flur neigten verwelkt ihre Haͤupter, Menſchen, bleichen Geſpenſtern aͤhnlich, warfen ſich zur Erde und ein tauſendſtimmiger troſtloſer Jam¬ mer ſtieg in die Luͤfte: O Herr, Herr! iſt ſo un¬ ermeßlich die Laſt unſrer Suͤnde, daß Du Macht giebſt dem Feinde unſeres Blutes Suͤhnopfer zu ertoͤdten? Staͤrker und ſtaͤrker, wie des Mee¬ res brauſende Welle, ſchwoll die Klage! der Gedanke wollte zerſtaͤuben in dem gewal¬ tigen Ton des troſtloſen Jammers, da wurde ich wie durch einen elektriſchen Schlag em¬ porgeriſſen aus dem Traum. Die Thurm¬ glocke des Kloſters ſchlug zwoͤlfe, ein blen¬291 dendes Licht fiel aus den Fenſtern der Kirche in meine Zelle. Die Todten richten ſich auf aus den Graͤbern und halten Gottesdienſt. So ſprach es in meinem Innern und ich be¬ gann zu beten. Da vernahm ich ein leiſes klopfen. Ich glaubte, irgend ein Moͤnch wolle zu mir herein, aber mit tiefem Entſetzen hoͤrte ich bald jenes grauenvolle Kichern und Lachen meines geſpenſtiſchen Doppelgaͤngers, und es rief neckend und hoͤhnend: Bruͤderchen ... Bruͤderchen ... Nun bin ich wieder bei Dir ... die Wunde blutet ... die Wunde blutet ... roth ... roth ... Komm mit mir, Bruͤderchen Medar¬ dus, Komm mit mir! Ich wollte aufſprin¬ gen vom Lager, aber das Grauſen hatte ſeine Eisdecke uͤber mich geworfen und jede Be¬ wegung die ich verſuchte, wurde zum innern Krampf, der die Muskeln zerſchnitt. Nur der Gedanke blieb und war inbruͤnſtiges Gebet: daß ich errettet werden moͤge von den dunklen Maͤchten, die aus der offenen Hoͤllenpforte auf mich eindrangen. Es ge¬292 ſchah, daß ich mein Gebet, nur im Innern gedacht, laut und vernehmlich hoͤrte, wie es Herr wurde uͤber das Klopfen und Kichern und unheimliche Geſchwaͤtz des furchtbaren Doppeltgaͤngers, aber zuletzt ſich verlor in ein ſeltſames Summen, wie wenn der Suͤd¬ wind Schwaͤrme feindlicher Inſekten geweckt hat, die giftige Saugruͤſſel anſetzen an die bluͤhende Saat. Zu jener troſtloſen Klage der Menſchen wurde das Summen, und mei¬ ne Seele frug, iſt das nicht der weiſſagen¬ de Traum, der ſich auf deine blutende Wun¬ de heilend und troͤſtend legen will? In dem Augenblicke brach der Purpurſchimmer des Abendroths durch den duͤſtern farbloſen Nebel, aber in ihm erhob ſich eine hohe Geſtalt. Es war Chriſtus, aus jeder ſei¬ ner Wunden perlte ein Tropfen Bluts und wiedergegeben war der Erde das Roth, und der Menſchen Jammer wurde ein jauchzen¬ der Hymnus, denn das Roth war die Gna¬ de des Herrn die uͤber ihnen aufgegangen! 293Nur Medardus Blut floß noch farblos aus der Wunde, und er flehte inbruͤnſtig: Soll auf der ganzen weiten Erde ich, ich allein nur troſtlos der ewigen Qual der Verdamm¬ ten preisgegeben[bleiben]? da regte es ſich in den Buͤſchen eine Roſe, von himmli¬ ſcher Gluth hoch gefaͤrbt, ſtreckte ihr Haupt empor und ſchaute den Medardus an mit engliſch mildem Laͤcheln, und ſuͤßer Duft umfing ihn, und der Duft war das wunder¬ bare Leuchten des reinſten Fruͤhlingsaͤthers. Nicht das Feuer hat geſiegt, kein Kampf zwiſchen Licht und Feuer. Feuer iſt das Wort, das den Suͤndigen erleuchtet. Es war, als haͤtte die Roſe dieſe Worte geſpro¬ chen, aber die Roſe war ein holdes Frauen¬ bild. In weißem Gewande, Roſen in das dunkle Haar geflochten, trat ſie mir entge¬ gen. Aurelie, ſchrie ich auf, aus dem Trau¬ me erwachend; ein wunderbarer Roſengeruch erfuͤllte die Zelle und fuͤr Taͤuſchung meiner aufgeregten Sinne mußt 'ich es wohl halten,294 als ich deutlich Aureliens Geſtalt wahrzu¬ nehmen glaubte, wie ſie mich mit ernſten Blicken anſchaute und dann in den Strahlen des Morgens, die in die Zelle fielen, zu ver¬ duften ſchien. Nun erkannte ich die Ver¬ ſuchung des Teufels und meine ſuͤndige Schwachheit. Ich eilte herab und betete inbruͤnſtig am Altar der heiligen Roſalia. Keine Kaſteiung, keine Buße im Sinn des Kloſters, aber als die Mittagsſonne ſenk¬ recht ihre Strahlen herabſchoß, war ich ſchon mehrere Stunden von Rom entfernt. Nicht nur Cyrillus Mahnung, ſondern eine innere unwiderſtehliche Sehnſucht nach der Heimath, trieb mich fort auf demſelben Pfade, den ich bis nach Rom durchwandert. Ohne es zu wollen hatte ich, indem ich mei¬ nem, Beruf entfliehen wollte, den geradeſten Weg nach dem mir von dem Prior Leonar¬ dus beſtimmten Ziel genommen.

Ich vermied die Reſidenz des Fuͤrſten, nicht weil ich fuͤrchtete, erkannt zu werden295 und aufs neue dem Criminalgericht in die Haͤnde zu fallen, aber wie konnte ich ohne herzzerreißende Erinnerung den Ort betreten, wo ich in frevelnder Verkehrtheit nach einem irdiſchen Gluͤck zu trachten mich vermaß, dem ich Gottgeweihter ja entſagt hatte ach, wo ich, dem ewigen reinen Geiſt der Liebe abge¬ wandt, fuͤr des Lebens hoͤchſten Lichtpunkt, in dem das ſinnliche und uͤberſinnliche in ei¬ ner Flamme auflodert, den Moment der Be¬ friedigung des irdiſchen Triebes nahm: wo mir die rege Fuͤlle des Lebens, genaͤhrt von ſeinem eigenen uͤppigen Reichthum, als das Prinzip erſchien, das ſich kraͤftig auflehnen muͤſſe gegen jenes Aufſtreben nach dem Himm¬ liſchen, das ich nur unnatuͤrliche Selbſtver¬ laͤugnung nennen konnte! Aber noch mehr! tief im Innern fuͤhlte ich, trotz der Er¬ kraͤftigung, die mir durch unſtraͤflichen Wan¬ del, durch anhaltende ſchwere Buße werden ſollte, die Ohnmacht, einen Kampf glorreich zu beſtehen, zu dem mich jene dunkle, grauen¬296 volle Macht, deren Einwirkung ich nur zu oft, zu ſchreckbar gefuͤhlt, unverſehends auf¬ reizen koͤnne. Aurelien wiederſehen! vielleicht in voller Anmuth und Schoͤnheit prangend! Konnt 'ich das ertragen, ohne uͤbermannt zu werden von dem Geiſt des Boͤſen, der wohl noch mit den Flammen der Hoͤlle mein Blut aufkochte, daß es ziſchend und gaͤhrend durch die Adern ſtroͤmte. Wie oft erſchien mir Aureliens Geſtalt, aber wie oft regten ſich dabei Gefuͤhle in meinem Innerſten, deren Suͤndhaftigkeit ich erkannte und mit aller Kraft des Willens vernichtete. Nur in dem Bewußtſeyn alles deſſen, wor¬ aus die hellſte Aufmerkſamkeit auf mich ſelbſt hervorging und dem Gefuͤhl meiner Ohnmacht, die mich den Kampf vermeiden hieß, glaubte ich die Wahrhaftigkeit meiner Buße zu er¬ kennen, und troͤſtend war die Ueberzeugung, daß wenigſtens der hoͤlliſche Geiſt des Stol¬ zes, die Vermeſſenheit es aufzunehmen mit den dunklen Maͤchten, mich verlaſſen habe. 297Bald war ich im Gebirge, und eines Mor¬ gens tauchte aus dem Nebel des vor mir liegenden Thals ein Schloß auf, das ich naͤ¬ her ſchreitend wohl erkannte. Ich war auf dem Gute des Barons von F. Die Anlagen des Parks waren verwildert, die Gaͤnge ver¬ wachſen und mit Unkraut bedeckt; auf dem ſonſt ſo ſchoͤnen Raſenplatz vor dem Schloſſe weidete in dem hohen Graſe Vieh die Fenſter des Schloſſes hin und wieder zerbro¬ chen der Aufgang verfallen. Keine menſchliche Seele ließ ſich blicken. Stumm und ſtarr ſtand ich da in grauenvoller Ein¬ ſamkeit. Ein leiſes Stoͤhnen drang aus ei¬ nem noch ziemlich erhaltenen Boskett, und ich wurde einen alten eisgrauen Mann gewahr, der in dem Boskett ſaß, und mich, unerach¬ tet ich ihm nahe genug war, nicht wahrzu¬ nehmen ſchien. Als ich mich noch mehr naͤherte, vernahm ich die Worte: Tod tod ſind ſie alle, die ich liebte! Ach Au¬ relie! Aurelie auch Du! die letzte! 298 todt todt fuͤr dieſe Welt! Ich erkann¬ te den alten Reinhold eingewurzelt blieb ich ſtehen. Aurelie todt? Nein, nein du irrſt Alter, Die hat die ewige Macht beſchuͤtzt vor dem Meſſer des frevelichen Moͤr¬ ders. So ſprach ich, da fuhr der Alte wie vom Blitz getroffen zuſammen, und rief laut: Wer iſt hier? wer iſt hier? Leo¬ pold! Leopold! Ein Knabe ſprang her¬ bei; als er mich erblickte, neigte er ſich tief und gruͤßte: Laudetur Jesus Christus! In omnia saecula saeculorum erwiederte ich, da raffte der Alte ſich auf und rief noch ſtaͤrker: Wer iſt hier? wer iſt hier? Nun ſah ich, daß der Alte blind war. Ein ehrwuͤr¬ diger Herr, ſprach der Knabe: ein Geiſtli¬ cher vom Orden der Capuziner iſt hier. Da war es, als erfaſſe den Alten tiefes Grauen und Entſetzen, und er ſchrie: Fort fort Knabe fuͤhre mich fort hinein hinein verſchließ' die Thuͤren Peter ſoll Wa¬ che halten fort, fort, hinein. Der Alte299 nahm alle Kraft zuſammen, die ihm geblie¬ ben, um vor mir zu fliehen, wie vor dem reißenden Thier. Verwundert, erſchrocken ſah mich der Knabe an, doch der Alte, ſtatt ſich von ihm fuͤhren zu laſſen, riß ihn fort, und bald waren ſie durch die Thuͤre ver¬ ſchwunden, die, wie ich hoͤrte, feſt verſchloſ¬ ſen wurde. Schnell floh ich fort von dem Schauplatz meiner hoͤchſten Frevel, die bei dieſem Auftritt lebendiger als jemals vor mir ſich wiedergeſtalteten, und bald befand ich mich in dem tiefſten Dickigt. Ermuͤdet ſetzte ich mich an den Fuß eines Baumes in das Moos nieder; unweit davon war ein kleiner Huͤgel aufgeſchuͤttet auf welchem ein Kreuz ſtand. Als ich aus dem Schlaf, in dem ich vor Ermattung geſunken, erwachte, ſaß ein alter Bauer neben mir, der alsbald, da er mich ermuntert ſah, ehrerbietig ſeine Muͤtze abzog und im Ton der vollſten ehrlichſten Gutmuͤthigkeit ſprach: Ey ihr ſeyd wohl weit her gewandert, ehrwuͤrdiger Herr! und recht300 muͤde geworden, denn ſonſt waͤret Ihr hier an dem ſchauerlichen Plaͤtzchen nicht in ſolch tiefen Schlaf geſunken. Oder Ihr wiſſet vielleicht gar nicht, was es mit dieſem Or¬ te hier fuͤr eine Bewandniß hat? Ich ver¬ ſicherte, daß ich als fremder, von Ita¬ lien hereinwandernder Pilger durchaus nicht von dem, was hier vorgefallen unterrichtet ſey. Es geht, ſprach der Bauer: Euch und Euere Ordensbruͤder ganz beſonders an, und ich muß geſtehen, als ich Euch ſo ſanft ſchlafend fand, ſetzte ich mich her, um jede etwanige Gefahr von Euch abzu¬ wenden Vor mehrern Jahren ſoll hier ein Capuziner ermordet worden ſeyn. So viel iſt gewiß, daß ein Capuziner zu der Zeit durch unſer Dorf kam, und nachdem er uͤber¬ nachtet, dem Gebuͤrge zuwanderte. An dem¬ ſelben Tage ging mein Nachbar den tiefen Thalweg, unterhalb des Teufelsgrundes, hin¬ ab, und hoͤrte mit einemmahl ein fernes durch¬ dringendes Geſchrei, welches ganz abſonder¬301 lich in den Luͤften verklang. Er will ſogar, was mir aber unmoͤglich ſcheint, eine Ge¬ ſtalt von der Bergſpitze herab in den Ab¬ grund ſtuͤrzen geſehen haben. So viel iſt gewiß, daß wir Alle im Dorfe, ohne zu wiſ¬ ſen warum, glaubten, der Capuziner koͤnne wohl herabgeſtuͤrzt ſeyn, und daß Mehrere von uns hingingen und, ſoweit es nur moͤglich war, ohne das Leben aufs Spiel zu ſetzen, hin¬ ab ſtiegen, um wenigſtens die Leiche des un¬ gluͤcklichen Menſchen zu finden. Wir konnten aber nichts entdecken und lachten den Nachbar tuͤchtig aus, als er einmal in der mondhel¬ len Nacht auf dem Thalwege heimkehrend, ganz voll Todesſchrecken einen nackten Men¬ ſchen aus dem Teufelsgrunde wollte empor¬ ſteigen geſehen haben. Das war nun pure Einbildung; aber ſpaͤter erfuhr man denn wohl, daß der Capuziner, Gott weiß warum, hier von einem vornehmen Mann ermordet, und der Leichnam in den Teufelsgrund[ge¬ ſchleudert] worden ſey. Hier auf dieſem Fleck302 muß der Mord geſchehen ſeyn, davon bin ich uͤberzeugt, denn ſeht einmal, ehrwuͤrdi¬ ger Herr! hier ſitze ich einſt, und ſchaue ſo in Gedanken da den holen Baum neben uns an. Mit einemmal iſt es mir, als hinge ein Stuͤck dunkelbraunes Tuch zur Spalte her¬ aus. Ich ſpringe auf, ich gehe hin, und ziehe einen ganz neuen Capuzinerhabit her¬ aus. An dem einen Ermel klebte etwas Blut und in einem Zipfel war der Nahme Medar¬ dus hineingezeichnet. Ich dachte, arm wie ich bin, ein gutes Werk zu thun, wenn ich den Habit verkaufe und fuͤr das daraus geloͤ¬ ſte Geld dem armen ehrwuͤrdigen Herrn, der hier ermordet, ohne ſich zum Tode vorzube¬ reiten und ſeine Rechnung zu machen, Meſ¬ ſen leſen ließe. So geſchah es denn, daß ich das Kleid nach der Stadt trug, aber kein Troͤdler wollte es kaufen, und ein Capuzi¬ nerkloſter gab es nicht am Orte; endlich kam ein Mann, ſeiner Kleidung nach wars wohl ein Jaͤger oder ein Foͤrſter, der ſagte, er303 brauche gerade ſolch einen Capuzinerrock und bezahlte mir meinen Fund reichlich. Nun ließ ich von unſerm Herrn Pfarrer eine tuͤchtige Meſſe leſen und ſetzte, da im Teu¬ felsgrunde kein Kreuz anzubringen, hier eins hin zum Zeichen des ſchmaͤlichen Todes des Herrn Capuziners. Aber der ſeelige Herr muß etwas viel uͤber die Schnur gehauen haben, denn er ſoll hier noch zuweilen her¬ umſpucken und ſo hat des Herrn Pfarrers Meſſe nicht viel geholfen. Darum bitte ich Euch, ehrwuͤrdiger Herr, ſeyd Ihr geſund heimgekehrt von Eurer Reiſe, ſo haltet ein Amt fuͤr das Heil der Seele Eures Ordens¬ bruders Medardus. Verſprecht mir das! Ihr ſeid im Irrthum, mein guter Freund! ſprach ich, der Capuziner Medardus, der vor mehrern Jahren auf der Reiſe nach Italien durch Euer Dorf zog, iſt nicht ermordet Noch bedarf es keiner Seelenmeſſe fuͤr ihn, er lebt und kann noch arbeiten fuͤr ſein ewiges Heil! Ich bin ſelbſt Medardus!

304

Mit dieſen Worten ſchlug ich meine Kutte aus einander und zeigte ihm den in den Zipfel geſtickten Namen Medardus. Kaum hatte der Bauer den Namen erblickt, als er erbleichte und mich voll Entſetzen anſtarrte. Dann ſprang er jaͤhlings auf und lief laut ſchreiend in den Wald hinein. Es war klar, daß er mich fuͤr das umgehende Geſpenſt des ermordeten Medardus hielt, und vergeblich wuͤrde mein Beſtreben geweſen ſeyn, ihm den Irrthum zu benehmen. Die Abgeſchieden¬ heit, die Stille des Orts nur von dem dum¬ pfen Brauſen des nicht fernen Waldſtroms unterbrochen, war auch ganz dazu geeignet, grauenvolle Bilder aufzuregen; ich dachte an meinen graͤßlichen Doppeltgaͤnger, und, ange¬ ſteckt von dem Entſetzen des Bauers, fuͤhlte ich mich im Innerſten erbeben, da es mir war, als wuͤrde er aus dieſem, aus jenem finſtern Buſch hervortreten. Mich erman¬ nend ſchritt ich weiter fort, und erſt dann, als mich die grauſige Idee des Geſpenſtes,mei¬305meines Ichs, fuͤr das mich der Bauer gehal¬ ten, verlaſſen, dachte ich daran, daß mir nun ja erklaͤrt worden ſey, wie der wahnſin¬ nige Moͤnch zu dem Capuzinerrock gekom¬ men, den er mir auf der Flucht zuruͤckließ und den ich unbezweifelt fuͤr den meinigen erkannte. Der Foͤrſter, bei dem er ſich auf¬ hielt, und den er um ein neues Kleid ange¬ ſprochen, hatte ihn in der Stadt von dem Bauer gekauft. Wie die verhaͤngnißvolle Begebenheit am Teufelsgrunde auf merkwuͤr¬ dige Weiſe verſtuͤmmelt worden, das fiel tief in meine Seele, denn ich ſah wohl, wie alle Umſtaͤnde ſich vereinigen mußten, um jene Unheilbringende Verwechslung mit Viktorin herbeizufuͤhren. Sehr wichtig ſchien mir des furchtſamen Nachbars wunderbare Vi¬ ſion, und ich ſah mit Zuverſicht noch deutli¬ cherer Aufklaͤrung entgegen, ohne zu ahnen, wo und wie ich ſie erhalten wuͤrde.

Endlich, nach raſtloſer Wanderung, meh¬ rere Wochen hindurch, nahte ich mich derII. [20] 306Heimath; mit klopfendem Herzen ſah ich die Thuͤrme des Ciſterzienſernonnenkloſters vor mir aufſteigen. Ich kam in das Dorf, auf den freien Platz vor der Kloſterkirche. Ein Hymnus, von Maͤnnerſtimmen geſungen, klang aus der Ferne heruͤber. Ein Kreuz wurde ſichtbar Moͤnche, paarweiſe wie in Prozeſſion fortſchreitend, hinter ihm. Ach ich erkannte meine Ordensbruͤder, den greiſen Leonardus von einem jungen, mir un¬ bekannten Bruder gefuͤhrt, an ihrer Spitze. Ohne mich zu bemerken ſchritten ſie ſin¬ gend bei mir voruͤber und hinein durch die geoͤffnete Kloſterpforte. Bald darauf zogen auf gleiche Weiſe die Dominikaner und Fran¬ ziskaner aus B. herbei, feſt verſchloſſene Kutſchen fuhren hinein in den Kloſterhof, es waren die Klaren Nonnen aus B. Alles ließ mich wahrnehmen, daß irgend ein außeror¬ dentliches Feſt gefeiert werden ſolle. Die Kirchenthuͤren ſtanden weit offen, ich trat hinein, und bemerkte, wie alles ſorgfaͤltig ge¬307 kehrt und geſaͤubert wurde. Man ſchmuͤck¬ te den Hochaltar und die Nebenaltaͤre mit Blumengewinden, und ein Kirchendiener ſprach viel von friſch aufgebluͤhten Roſen, die durchaus Morgen in aller Fruͤhe herbei¬ geſchafft werden muͤßten, weil die Frau Aeb¬ tiſſin ausdruͤcklich befohlen habe, daß mit Roſen der Hochaltar verziert werden ſolle. Entſchloſſen, nun gleich zu den Bruͤdern zu treten, ging ich, nachdem ich mich durch kraͤf¬ tiges Gebet geſtaͤrkt, in das Kloſter und frug nach dem Prior Leonardus; die Pfoͤrtnerin fuͤhrte mich in einen Saal, Leonardus ſaß im Lehnſtuhl, von den Bruͤdern umgeben; laut weinend, im Innerſten zerknirſcht, kei¬ nes Wortes maͤchtig, ſtuͤrzte ich zu ſeinen Fuͤßen. Medardus! ſchrie er auf, und ein dumpfes Gemurmel lief durch die Reihe der Bruͤder: Medardus Bruder Medardus iſt endlich wieder da! Man hob mich auf, die Bruͤder druͤckten mich an ihre Bruſt: Dank den himmliſchen Maͤchten, daß Du308 errettet biſt aus den Schlingen der argliſti¬ gen Welt aber erzaͤhle erzaͤhle, mein Bruder ſo riefen die Moͤnche durch ein¬ ander. Der Prior erhob ſich, und auf ſeinen Wink folgte ich ihm in das Zimmer, welches ihm gewoͤhnlich bei dem Beſuch des Klo¬ ſters zum Aufenthalt diente. Medardus, fing er an: Du haſt auf freveliche Weiſe Dein Geluͤbde gebrochen; Du haſt, indem Du, anſtatt die Dir gegebenen Auftraͤge auszurich¬ ten, ſchaͤndlich entflohſt, das Kloſter auf die unwuͤrdigſte Weiſe betrogen. Einmauern koͤnnte ich Dich laſſen, wollte ich verfahren nach der Strenge des Kloſtergeſetzes! Richtet mich, mein ehrwuͤrdiger Vater, er¬ wiederte ich: richtet mich, wie das Geſetz es will: ach! mit Freuden werfe ich die Buͤr¬ de eines elenden qualvollen Lebens ab! Ich fuͤhl 'es wohl, daß die ſtrengſte Buße der ich mich unterwarf, mir keinen Troſt hienieden geben konnte! Ermanne Dich, fuhr Leonardus fort: der Prior hat mit Dir309 geſprochen, jetzt kann der Freund, der Va¬ ter mit Dir reden! Auf wunderbare Weiſe biſt du errettet worden vom Tode, der Dir in Rom drohte. Nur Cyrillus fiel als Opfer ... Ihr wißt alſo? frug ich voll Staunen. Alles, erwiederte der Prior: Ich weiß, daß Du dem Armen beiſtandeſt in der letzten Todesnoth, und daß man Dich mit dem vergifteten Wein, den man Dir zum Labetrunk darbot, zu ermorden gedachte. Wahrſcheinlich haſt Du, bewacht von den Argusaugen der Moͤnche, doch Gelegenheit gefunden, den Wein ganz zu verſchuͤtten, denn trankſt Du nur einen Tropfen, ſo warſt Du hin, in Zeit von zehn Minuten. O, ſchaut her, rief ich und zeigte, den Ermel der Kutte aufſtreifend, dem Prior meinen bis auf den Knochen eingeſchrumpften Arm, in¬ dem ich erzaͤhlte, wie ich, Boͤſes ahnend, den Wein in den Ermel gegoſſen. Leonardus ſchauerte zuruͤck vor dem haͤßlichen Anblick des mumienartigen Gliedes, und ſprach dumpf310 in ſich hinein: Gebuͤßt haſt Du, der Du fre¬ velteſt auf jedigliche Weiſe; aber Cyrillus Du frommer Greis! Ich ſagte dem Prior: daß mir die eigentliche Urſache der heimlichen Hinrichtung des armen Cyrillus unbekannt geblieben. Vielleicht, ſprach der Prior, hatteſt Du daſſelbe Schickſal, wenn Du, wie Cyrillus als Bevollmaͤchtigter unſe¬ res Kloſters auftratſt. Du weißt, daß die Anſpruͤche unſers Kloſters Einkuͤnfte des Cardinals ***, die er auf unrechtmaͤßige Wei¬ ſe zieht, vernichten; dies war die Urſache, warum der Cardinal mit des Pabſtes Beicht¬ vater, den er bis jetzt angefeindet, ploͤtzlich Freundſchaft ſchloß, und ſo ſich in dem Domi¬ nikaner einen kraͤftigen Gegner gewann, den er dem Cyrillus entgegen ſtellen konnte. Der ſchlaue Moͤnch fand bald die Art aus, wie Cyrill geſtuͤrzt werden konnte. Er fuͤhrte ihn ſelbſt ein bei dem Pabſt, und wu߬ te dieſem den fremden Capuziner ſo darzuſtel¬ len, daß der Pabſt ihn wie eine merkwuͤr¬311 dige Erſcheinung bei ſich aufnahm, und Cy¬ rillus in die Reihe der Geiſtlichen trat, von denen er umgeben. Cyrillus mußte nun bald gewahr werden, wie der Statthalter des Herrn nur zu ſehr ſein Reich in dieſer Welt und ihren Luͤſten ſuche und finde; wie er ei¬ ner heuchleriſchen Brut zum Spielwerk die¬ ne, die ihn trotz des kraͤftigen Geiſtes, der ſonſt ihm einwohnte, den ſie aber durch die ver¬ worfenſten Mittel zu beugen wußte, zwiſchen Himmel und Hoͤlle herumwerfe. Der from¬ me Mann, das war vorauszuſehen, nahm großes Aergerniß daran, und fuͤhlte ſich be¬ rufen, durch feurige Reden, wie der Geiſt ſie ihm eingab, den Pabſt im Innerſten zu erſchuͤttern und ſeinen Geiſt von dem Irdi¬ ſchen abzulenken. Der Pabſt, wie verweich¬ lichte Gemuͤther pflegen, wurde in der That von des frommen Greiſes Worten ergriffen, und eben in dieſem erregten Zuſtande wurde es dem Dominikaner leicht, auf geſchickte Weiſe nach und nach den Schlag vorzuberei¬312 ten, der den armen Cyrillus treffen ſollte. Er berichtete dem Pabſt, daß es auf nichts geringeres abgeſehen ſey, als auf eine heim¬ liche Verſchwoͤrung, die ihn der Kirche als unwuͤrdig der dreifachen Krone darſtellen ſollte; Cyrillus habe den Auftrag, ihn dahin zu bringen, daß er irgend eine oͤffentliche Bußuͤbung vornehme, welche dann als Signal des foͤrmlichen, unter den Cardinaͤlen gaͤhrenden Aufſtandes dienen wuͤrde. Jetzt fand der Pabſt in den ſalbungsvollen Reden unſeres Bruders die verſteckte Abſicht leicht heraus, der Alte wurde ihm tief verhaßt, und um nur irgend einen auffallenden Schritt zu vermeiden, litt er ihn noch in ſeiner Naͤ¬ he. Als Cyrillus wieder einmal Gelegen¬ heit fand, zu dem Pabſt ohne Zeugen zu ſprechen, ſagte er geradezu, daß der, der den Luͤſten der Welt nicht ganz entſage, der nicht einen wahrhaft heiligen Wandel fuͤhre, ein unwuͤrdiger Statthalter des Herrn, und der Kirche eine Schmach und Verdammniß313 bringende Laſt ſey, von der ſie ſich befreien muͤſſe. Bald darauf, und zwar nachdem man Cyrillus aus den innern Kammern des Pab¬ ſtes treten geſehen, fand man das Eiswaſſer, welches der Pabſt zu trinken pflegte, vergif¬ tet. Daß Cyrillus unſchuldig war, darf ich Dir, der Du den frommen Greis gekannt haſt, nicht verſichern. Doch uͤberzeugt war der Pabſt von ſeiner Schuld, und der Befehl, den fremden Moͤnch bei den Dominikanern heimlich hinzurichten, die Folge davon. Du warſt in Rom eine auffallende Erſcheinung; die Art, wie Du Dich gegen den Pabſt aͤu¬ ßerteſt, vorzuͤglich die Erzaͤhlung Deines Le¬ benslaufs, ließ ihn eine gewiſſe geiſtige Ver¬ wandſchaft zwiſchen ihm und Dir finden; er glaubte, ſich mit Dir zu einem hoͤhern Stand¬ punkte erheben und in ſuͤndhaftem Vernuͤnf¬ teln uͤber alle Tugend und Religion recht er¬ laben und erkraͤftigen zu koͤnnen, um, wie ich wohl ſagen mag, mit rechter Begeiſter¬ ung fuͤr die Suͤnde zu ſuͤndigen. Deine314 Bußuͤbungen waren ihm nur ein recht klug angelegtes heuchleriſches Beſtreben, zum hoͤ¬ heren Zweck zu gelangen. Er bewunderte Dich und ſonnte ſich in den glaͤnzenden, lob¬ preiſenden Reden, die Du ihm hielſt. So kam es, daß Du, ehe der Dominikaner es ahnte, Dich erhobſt und der Rotte gefaͤhrlicher wurdeſt, als es Cyrillus jemals werden konnte. Du merkſt, Medardus! daß ich von Deinem Beginnen in Rom genau unterrichtet bin; daß ich jedes Wort weiß, welches Du mit dem Papſt ſprachſt, und darin liegt weiter nichts geheimnißvol¬ les, wenn ich Dir ſage, daß das Kloſter in der Naͤhe Sr. Heiligkeit einen Freund hat, der mir genau alles berichtete. Selbſt als Du mit dem Papſt allein zu ſeyn glaubteſt, war er nahe genug um jedes Wort zu ver¬ ſtehen. Als Du in dem Capuzinerkloſter, deſſen Prior mir nahe verwandt iſt, Deine ſtrenge Bußuͤbungen begannſt, hielt ich Dei¬ ne Reue fuͤr aͤcht. Es war auch wohl dem ſo, aber in Rom erfaßte Dich der boͤſe Geiſt315 des ſuͤndhaften Hochmuths, dem Du bei uns erlagſt, aufs neue. Warum klagteſt Du Dich gegen den Pabſt Verbrechen an, die Du niemals begingſt? Warſt Du denn je¬ mals auf dem Schloſſe des Barons von F.? Ach! mein ehrwuͤrdiger Vater, rief ich von innerm Schmerz zermalmt: das war ja der Ort meiner entſetzlichſten Frevel! Das iſt aber die haͤrteſte Strafe der ewigen un¬ erforſchlichen Macht, daß ich auf Erden nicht gereinigt erſcheinen ſoll von der Suͤnde, die ich in wahnſinniger Verblendung beging? Auch Euch, mein Ehrwuͤrdiger Vater, bin ich ein ſuͤndiger Heuchler? In der That, fuhr der Prior fort: bin ich jetzt, da ich Dich ſehe und ſpreche, beinahe uͤberzeugt, daß Du, nach Deiner Buße, der Luͤge nicht mehr faͤhig warſt, dann aber waltet noch ein mir bis jetzt unerklaͤrliches Geheimniß ob. Bald nach Deiner Flucht aus der Reſidenz (der Himmel wollte den Frevel nicht, den Du zu begehen im Begriff ſtandeſt, er errettete316 die fromme Aurelie) bald nach Deiner Flucht ſage ich, und nachdem der Moͤnch, den ſelbſt Cyrillus fuͤr Dich hielt wie durch ein Wunder ſich gerettet hatte, wurde es be¬ kannt, daß nicht Du, ſondern der als Capu¬ ziner verkappte Graf Viktorin auf dem Schloſ¬ ſe des Barons geweſen war. Briefe, die ſich in Euphemiens Nachlaß fanden, hatten dies zwar ſchon fruͤher kund gethan, man hielt aber Euphemien ſelbſt fuͤr getaͤuſcht, da Rein¬ hold verſicherte, er habe Dich zu genau ge¬ kannt um ſelbſt bei Deiner treueſten Aehn¬ lichkeit mit Viktorin getaͤuſcht zu werden. Euphemiens Verblendung blieb unbegreiflich. Da erſchien ploͤtzlich der Reitknecht des Gra¬ fen, und erzaͤhlte, wie der Graf, der ſeit Monaten im Gebuͤrge einſam gelebt, und ſich den Bart wachſen laſſen, ihm in dem Walde und zwar bei dem ſogenannten Teu¬ felsgrunde ploͤtzlich als Capuziner gekleidet erſchienen ſey. Obgleich er nicht gewußt, wo der Graf die Kleider hergenommen, ſo317 ſey ihm doch die Verkleidung weiter nicht aufgefallen, da er von dem Anſchlage des Grafen, im Schloſſe des Barons in Moͤnchs¬ habit zu erſcheinen, denſelben ein ganzes Jahr zu tragen und ſo auch wohl noch hoͤ¬ here Dinge auszufuͤhren, unterrichtet gewe¬ ſen. Geahnt habe er wohl, wo der Graf zum Capuzinerrock gekommen ſey, da er den Tag vorher geſagt, wie er einen Capuziner im Dorfe geſehen, und von ihm, wandere er durch den Wald, ſeinen Rock auf dieſe oder jene Weiſe zu bekommen hoffe. Geſehen ha¬ be er den Capuziner nicht, wohl aber einen Schrei gehoͤrt; bald darauf ſey auch im Dorf von einem im Walde ermordeten Capuziner die Rede geweſen. Zu genau habe er ſeinen Herrn gekannt, zu viel mit ihm noch auf der Flucht aus dem Schloſſe geſprochen, als daß hier eine Verwechſelung ſtatt finden koͤnne. Dieſe Ausſage des Reitknechts ent¬ kraͤftete Reinholds Meinung, und nur Vikto¬ rins gaͤnzliches Verſchwinden blieb unbegreif¬318 lich. Die Fuͤrſtin ſtellte die Hypotheſe auf, daß der vorgebliche Herr von Krczynſki aus Kwiecziczewo eben der Graf Viktorin gewe¬ ſen ſey, und ſtuͤtzte ſich auf ſeine merkwuͤrdi¬ ge, ganz auffallende Aehnlichkeit mit Fran¬ cesko, an deſſen Schuld laͤngſt Niemand zwei¬ felte, ſo wie auf die Motion die ihr jedes¬ mal ſein Anblick verurſacht habe. Viele traten ihr bei und wollten, im Grunde ge¬ nommen, viel graͤflichen Anſtand an jenem Abentheurer bemerkt haben, den man laͤcher¬ licher Weiſe fuͤr einen verkappten Moͤnch ge¬ halten. Die Erzaͤhlung des Foͤrſters von dem wahnſinnigen Moͤnch, der im Walde hauſete und zuletzt von ihm aufgenommen wurde, fand nun auch ihren Zuſammenhang mit der Unthat Viktorins, ſobald man nur einige Umſtaͤnde als wahr vorausſetzte. Ein Bruder des Kloſters, in dem Medar¬ dus geweſen, hatte den wahnſinnigen Moͤnch ausdruͤcklich fuͤr den Medardus erkannt, er mußte es alſo wohl ſeyn. Viktorin hatte319 ihn in den Abgrund geſtuͤrzt; durch irgend einen Zufall, der gar nicht unerhoͤrt ſeyn durfte, wurde er errettet. Aus der Betaͤu¬ bung erwacht, aber ſchwer am Kopfe ver¬ wundet, gelang es ihm, aus dem Grabe her¬ aufzukriechen. Der Schmerz der Wunde, Hunger und Durſt machten ihn wahnſinnig raſend! So lief er durch das Gebuͤrge, vielleicht von einem mitleidigen Bauer hin und wieder geſpeiſet und mit Lumpen behan¬ gen, bis er in die Gegend der Foͤrſterwoh¬ nung kam. Zwei Dinge bleiben hier aber unerklaͤrbar, nemlich wie Medardus eine ſolche Strecke aus dem Gebuͤrge laufen konn¬ te, ohne angehalten zu werden, und wie er, ſelbſt in den von Aerzten bezeugten Augen¬ blicken des vollkommenſten ruhigſten Bewußt¬ ſeins, ſich zu Unthaten bekennen konnte, die er nie begangen. Die, welche die Wahrſcheinlich¬ keit jenes Zuſammenhangs der Sache verthei¬ digten, bemerkten, daß man ja von den Schick¬ ſalen des aus dem Teufelsgrunde erretteten320 Medardus gar nichts wiſſe; es ſey ja moͤg¬ lich, daß ſein Wahnſinn erſt ausgebrochen, als er auf der Pilgerreiſe in der Gegend der Foͤrſterwohnung ſich befand. Was aber das Zugeſtaͤndniß der Verbrechen, deren er be¬ ſchuldigt, belange, ſo ſey eben daraus abzu¬ nehmen, daß er niemals geheilt geweſen, ſon¬ dern anſcheinend bei Verſtande, doch immer wahnſinnig geblieben waͤre. Daß er die ihm angeſchuldigten Mordthaten wirklich began¬ gen, dieſer Gedanke habe ſich zur fixen Idee umgeſtaltet. Der Criminalrichter, auf deſſen Sagazitaͤt man ſehr baute, ſprach, als man ihn um ſeine Meinung frug: Der vorgebliche Herr von Krczynski war kein Pole und auch kein Graf, der Graf Vikto¬ rin gewiß nicht, aber unſchuldig auch keines¬ weges der Moͤnch blieb wahnſinnig und unzurechnungsfaͤhig in jedem Fall, deshalb das Criminalgericht auch nur auf ſeine Einſperrung als Sicherheitsmaßregel erken¬ nen konnte. Dieſes Urtheil durfte derFuͤrſt321Fuͤrſt nicht hoͤren, denn er war es allein, der, tief ergriffen von den Freveln auf dem Schloſſe des Barons, jene von dem Criminal¬ gericht in Vorſchlag gebrachte Einſperrung in die Strafe des Schwerts umwandelte. Wie aber Alles in dieſem elenden vergaͤngli¬ chen Leben, ſey es Begebenheit oder That, noch ſo ungeheuer im erſten Augenblick er¬ ſcheinend, ſehr bald Glanz und Farbe ver¬ liert, ſo geſchah es auch, daß das, was in der Reſidenz und vorzuͤglich am Hofe Schau¬ er und Entſetzen erregt hatte, herabſank bis zur aͤrgerlichen Klatſcherei. Jene Hypotheſe, daß Aureliens entflohener Braͤutigam, Graf Viktorin geweſen, brachte die Geſchichte der Italiaͤnerin in friſches Andenken, ſelbſt die fruͤher nicht Unterrichteten wurden von denen, die nun nicht mehr ſchweigen zu duͤrfen glaubten, aufgeklaͤrt, und jeder, der den Me¬ dardus geſehen, fand es natuͤrlich, daß ſeine Geſichtszuͤge vollkommen denen des Grafen Viktorin glichen, da ſie Soͤhne eines VatersII. [22] 322waren. Der Leibarzt war uͤberzeugt, daß die Sache ſich ſo verhalten mußte und ſprach zum Fuͤrſten: Wir wollen froh ſeyn, gnaͤdig¬ ſter Herr! daß beide unheimliche Geſellen fort ſind, und es bei der erſten vergeblich ge¬ bliebenen Verfolgung bewenden laſſen. Die¬ ſer Meinung trat der Fuͤrſt aus dem Grun¬ de ſeines Herzens bei, denn er fuͤhlte wohl, wie der doppelte Medardus ihn von einem Mißgriff zum andern verleitet hatte. Die Sache wird geheimnißvoll bleiben, ſagte der Fuͤrſt: wir wollen nicht mehr an dem Schleier zupfen, den ein wunderbares Geſchick wohl¬ thaͤtig daruͤber geworfen hat. Nur Aure¬ lie ... Aurelie, unterbrach ich den Prior mit Heftigkeit: um Gott, mein ehrwuͤrdiger Vater, ſagt mir, wie ward es mit Aure¬ lien? Ey, Bruder Medardus, ſprach der Prior ſanft laͤchelnd: noch iſt das gefaͤhrliche Feuer in Deinem Innern nicht verdampft? noch lodert die Flamme empor bei leiſer Beruͤhrung? So biſt Du noch nicht frei323 von den ſuͤndlichen Trieben, denen Du Dich hingabſt. Und ich ſoll der Wahrheit Dei¬ ner Buße trauen; ich ſoll uͤberzeugt ſeyn, daß der Geiſt der Luͤge Dich ganz verlaſſen? Wiſſe, Medardus, daß ich Deine Reue fuͤr wahrhaft nur dann anerkennen wuͤrde, wenn Du jene Frevel, deren Du Dich an¬ klagſt, wirklich begingſt. Denn nur in die¬ ſem Fall koͤnnt 'ich glauben, daß jene Un¬ thaten ſo Dein Inneres zerruͤtteten daß Du, meiner Lehren, alles deſſen, was ich Dir uͤber aͤußere und innere Buße ſagte, un¬ eingedenk, wie der Schiffbruͤchige nach dem leichten unſichern Brett, nach jenen truͤ¬ geriſchen Mitteln Dein Verbrechen zu ſuͤhnen haſchteſt, die Dich nicht allein einen, verwor¬ fenen Pabſt, ſondern jedem wahrhaft from¬ men Mann als einen eitlen Gaukler erſchei¬ nen ließen. Sage, Medardus! war Deine Andacht, Deine Erhebung zu der ewigen Macht ganz makellos, wenn Du Aurelien gedenken mußteſt? Ich ſchlug, im In¬324 nern vernichtet, die Augen nieder. Du biſt aufrichtig, Medardus, fuhr der Prior fort, Dein Schweigen ſagt mir Alles. Ich wußte mit der vollſten Ueberzeugung, daß Du es warſt, der in der Reſidenz die Rolle eines polniſchen Edelmanns ſpielte und die Baroneſſe Aurelie heirathen wollte. Ich hatte den Weg, den Du genommen, ziemlich ge¬ nau verfolgt, ein ſeltſamer Menſch (er nannte ſich den Haarkuͤnſtler Belcampo) den Du zu¬ letzt in Rom ſahſt, gab mir Nachrichten; ich war uͤberzeugt, daß Du auf verruchte Wei¬ ſe Hermogen und Euphemien mordeteſt, und um ſo graͤßlicher war es mir, daß Du Au¬ relien ſo in Teufelsbanden verſtricken woll¬ teſt. Ich haͤtte Dich verderben koͤnnen, doch weit entfernt, mich zum Raͤcheramt erkoren zu glauben, uͤberließ ich Dich und Dein Schick¬ ſal der ewigen Macht des Himmels. Du biſt erhalten worden auf wunderbare Weiſe und ſchon dieſes uͤberzeugt mich, daß Dein irdiſcher Untergang noch nicht beſchloſſen325 war. Hoͤre, welches beſonderen Umſtan¬ des halber ich ſpaͤter glauben mußte, daß es in der That Graf Viktorin war, der als Capuziner auf dem Schloſſe des Barons von F. erſchien! Nicht gar zu lange iſt es her, als Bruder Sebaſtianus der Pfoͤrtner, durch ein Aechzen und Stoͤhnen, das den Seufzern eines Sterbenden glich, geweckt wurde. Der Morgen war ſchon angebro¬ chen, er ſtand auf, oͤffnete die Kloſter¬ pforte und fand einen Menſchen, der dicht vor derſelben, halb erſtarrt vor Kaͤlte, lag und muͤhſam die Worte herausbrachte: er ſey Medardus, der aus unſerm Kloſter entflohe¬ ne Moͤnch. Sebaſtianus meldete mir ganz er¬ ſchrocken, was ſich unten zugetragen; ich ſtieg mit den Bruͤdern hinab, wir brachten den ohnmaͤchtigen Mann in das Refektorium. Trotz des bis zum Grauſen entſtellten Ge¬ ſichts des Mannes, glaubten wir doch Deine Zuͤge zu erkennen, und Mehrere meinten, daß wohl nur die veraͤnderte Tracht den wohlbe¬326 kannten Medardus ſo fremdartig darſtelle. Er hatte Bart und Tonſur, dazu aber eine weltliche Kleidung, die zwar ganz verdorben und zerriſſen war, der man aber noch die urſpruͤngliche Zierlichkeit anſah. Er trug ſeidene Struͤmpfe, auf einem Schuhe noch eine goldene Schnalle, eine weiße Atlasweſte ... Einen kaſtanienbraunen Rock von dem fein¬ ſten Tuch, fiel ich ein, zierlich genaͤhte Waͤ¬ ſche einen einfachen goldenen Ring am Finger. Allerdings, ſprach Leonardus er¬ ſtaunt: aber wie kannſt Du ... Ach, es war ja der Anzug, wie ich ihn an jenem verhaͤng¬ nißvollen Hochzeittage trug! Der Dop¬ peltgaͤnger ſtand mir vor Augen. Nein es war nicht der weſenloſe entſetzliche Teufel des Wahnſinns, der hinter mir herrannte, der, wie ein mich bis ins Innerſte zerflei¬ ſchendes Unthier, aufhockte auf meinen Schul¬ tern; es war der entflohene wahnſinnige Moͤnch, der mich verfolgte, der endlich, als ich in tiefer Ohnmacht da lag, meine Klei¬327 der nahm und mir die Kutte uͤberwarf. Er war es, der an der Kloſterpforte lag, mich mich ſelbſt auf ſchauderhafte Weiſe dar¬ ſtellend! Ich bat den Prior nur fortzu¬ fahren in ſeiner Erzaͤhlung, da die Ahnung der Wahrheit, wie es ſich mit mir auf die wunderbarſte, geheimnißvollſte Weiſe zuge¬ tragen, in mir aufdaͤmmere. Nicht lange dauerte es, erzaͤhlte der Prior weiter, als ſich bei dem Manne die deutlichſten unzwei¬ felhafteſten Spuren des unheilbaren Wahn¬ ſinns zeigten, und unerachtet, wie geſagt, die Zuͤge ſeines Geſichts den Deinigen auf das genaueſte glichen, unerachtet er fortwaͤh¬ rend rief: Ich bin Medardus der entlaufene Moͤnch, ich will Buße thun bei Euch ſo war doch bald jeder von uns uͤberzeugt, daß es fixe Idee des Fremden ſey, ſich fuͤr Dich zu halten. Wir zogen ihm das Kleid der Capuziner an, wir fuͤhrten ihn in die Kir¬ che, er mußte die gewoͤhnlichen Andachtsuͤbun¬ gen vornehmen, und wie er dies zu thun328 ſich bemuͤhte, merkten wir bald, daß er nie¬ mals in einem Kloſter geweſen ſeyn koͤnne. Es mußte mir wohl die Idee kommen: wie, wenn dies der aus der Reſidenz entſprungene Moͤnch, wie wenn dieſer Moͤnch Viktorin waͤre? Die Geſchichte, die der Wahnſinni¬ ge ehemals dem Foͤrſter aufgetiſcht hatte, war mir bekannt worden, indeſſen fand ich, daß alle Umſtaͤnde, das Auffinden und Aus¬ trinken des Teufelselixiers, die Viſion in dem Kerker, kurz der ganze Aufenthalt im Kloſter, wohl die, durch Deine auf ſeltſame pſychiſche Weiſe einwirkende Individualitaͤt, erzeugte Ausgeburt des erkrankten Geiſtes ſeyn koͤnne. Merkwuͤrdig war es in dieſer Hinſicht, daß der Moͤnch in boͤſen Augen¬ blicken immer geſchrieen hatte, er ſey Graf und gebietender Herr! Ich beſchloß, den fremden Mann der Irrenanſtalt zu St. Ge¬ treu zu uͤbergeben, weil ich hoffen durfte, daß, waͤre Wiederherſtellung moͤglich, ſie ge¬ wiß dem Direktor jener Anſtalt, einem in329 jede Abnormitaͤt des menſchlichen Organis¬ mus tief eindringenden, genialen Aerzte, ge¬ lingen werde. Des Fremden Geneſen mußte das geheimnißvolle Spiel der unbekannten Maͤchte wenigſtens zum Theil enthuͤllen. Es kam nicht dazu. In der dritten Nacht weckte mich die Glocke, die, wie Du weißt, augezogen wird, ſobald jemand im Kranken¬ zimmer meines Beiſtandes bedarf. Ich trat hinein, man ſagte mir, der Fremde habe eif¬ rig nach mir verlangt und es ſcheine, als habe ihn der Wahnſinn gaͤnzlich verlaſſen, wahr¬ ſcheinlich wolle er beichten; denn er ſey ſo ſchwach, daß er die Nacht wohl nicht uͤber¬ leben werde. Verzeiht, fing der Fremde an: als ich ihm mit frommen Worten zugeſpro¬ chen, verzeiht, ehrwuͤrdiger Herr, daß ich Euch taͤuſchen zu wollen mich vermaß. Ich bin nicht der Moͤnch Medardus, der Euerm Kloſter entfloh. Den Grafen Viktorin ſeht ihr vor Euch ... Fuͤrſt ſollte er heißen, denn aus fuͤrſtlichem Hauſe iſt er entſproſſen, und330 ich rathe Euch, dies zu beachten, da ſonſt mein Zorn Euch treffen koͤnnte. Sey er auch Fuͤrſt, erwiederte ich, ſo waͤre dies in unſern Mauern, und in ſeiner jetzigen Lage, ohne alle Bedeutung und es ſchiene mir beſſer zu ſeyn, wenn er ſich abwende von dem Ir¬ diſchen, und in Demuth erwarte, was die ewige Macht uͤber ihn verhaͤngt habe. Er ſah mich ſtarr an, ihm ſchienen die Sin¬ ne zu vergehen, man gab ihm ſtaͤrkende Tropfen, er erholte ſich bald und ſprach: Es iſt mir ſo, als muͤſſe ich bald ſterben und vorher mein Herz erleichtern. Ihr habt Macht uͤber mich, denn ſo ſehr ihr Euch auch verſtellen moͤget, merke ich doch wohl, daß Ihr der heilige Antonius ſeyd und am beſten wiſſet, was fuͤr Unheil Eure Elixiere ange¬ richtet. Ich hatte wohl Großes im Sinne, als ich beſchloß, mich als ein geiſtlicher Herr darzuſtellen mit großem Barte und brauner Kutte. Aber als ich ſo recht mit mir zu Ra¬ the ging, war es, als traͤten die heimlichſten331 Gedanken aus meinem Innern heraus und verpuppten ſich zu einem koͤrperlichen Weſen, das recht graulich doch mein Ich war. Dies zweite Ich hatte grimmige Kraft und ſchleu¬ derte mich, als aus dem ſchwarzen Geſtein des tiefen Abgrundes, zwiſchen ſprudelndem ſchaͤumigen Gewaͤſſer, die Prinzeſſin ſchnee¬ weis hervortrat, hinab. Die Prinzeſſin fing mich auf in ihren Armen und wuſch meine Wunden aus, daß ich bald keinen Schmerz mehr fuͤhlte. Moͤnch war ich nun freilich geworden, aber das Ich meiner Gedanken war ſtaͤrker, und trieb mich, daß ich die Prin¬ zeſſin die mich errettet und die ich ſehr lieb¬ te, ſammt ihrem Bruder ermorden mußte. Man warf mich in den Kerker, aber Ihr wißt ſelbſt, heiliger Antonius, auf welche Weiſe Ihr, nachdem ich Euern verfluchten Trank geſoffen, mich entfuͤhrtet, durch die Luͤfte. Der gruͤne Waldkoͤnig nahm mich ſchlecht auf, unerachtet er doch meine Fuͤrſt¬ lichkeit kannte; das Ich meiner Gedanken332 erſchien bei ihm und ruͤckte mir allerlei haͤ߬ liches vor, und wollte, weil wir doch alles zuſammen gethan, in Gemeinſchaft mit mir bleiben. Das geſchah auch, aber bald, als wir davon liefen, weil man uns den Kopf abſchlagen wollte, haben wir uns doch ent¬ zweit. Als das laͤcherliche Ich indeſſen im¬ mer und ewig genaͤhrt ſeyn wollte von mei¬ nem Gedanken, ſchmiß ich es nieder, pruͤgelte es derb ab und nahm ihm ſeinen Rock. So weit waren die Reden des Ungluͤcklichen einigermaßen verſtaͤndlich, dann verlor er ſich in das unſinnige alberne Gewaͤſch des hoͤchſten Wahnſinns. Eine Stunde ſpaͤter, als das Fruͤhamt eingelaͤutet wurde, fuhr er mit einem durchdringenden entſetzlichen Schrei auf, und ſank, wie es uns ſchien, todt nieder. Ich ließ ihn nach der Todtenkammer bringen, er ſollte in unſerm Garten an geweihter Staͤtte begraben werden, Du kannſt Dir aber wohl unſer Erſtaunen, unſern Schreck denken, als die Leiche, da wir ſie hinaustragen und ein¬333 ſargen wollten, ſpurlos verſchwunden war. Alles Nachforſchen blieb vergebens, und ich mußte darauf verzichten, jemals naͤhe¬ res, verſtaͤndlicheres uͤber den raͤthſelhaften Zuſammenhang der Begebenheiten in die Du mit dem Grafen verwickelt wurdeſt, zu erfahren. Indeſſen, hielt ich alle mir uͤber die Vorfaͤlle im Schloß bekannt ge¬ wordenen Umſtaͤnde mit jenen verworrenen, durch Wahnſinn entſtellten Reden zuſam¬ men, ſo konnte ich kaum daran zweifeln, daß der Verſtorbene wirklich Graf Viktorin war. Er hatte, wie der Reitknecht andeute¬ te, irgend einen pilgernden Capuziner im Gebuͤrge ermordet und ihm das Kleid genom¬ men, um ſeinen Anſchlag im Schloſſe des Barons auszufuͤhren. Wie er vielleicht es gar nicht im Sinn hatte, endete der begon¬ nene Frevel mit dem Morde Euphemiens und Hermogens. Vielleicht war er ſchon wahnſinnig, wie Reinhold behauptet, oder er wurde es dann auf der Flucht, gequaͤlt334 von Gewiſſensbiſſen. Das Kleid, welches er trug und die Ermordung des Moͤnchs, geſtaltete ſich in ihm zur fixen Idee, daß er wirklich ein Moͤnch, und ſein Ich zerſpaltet ſey in zwei ſich feindliche Weſen. Nur die Periode von der Flucht aus dem Schloſſe bis zur Ankunft bei dem Foͤrſter, bleibt dunkel, ſo wie es unerklaͤrlich iſt, wie ſich die Er¬ zaͤhlung von ſeinem Aufenthalt im Kloſter und der Ort ſeiner Rettung aus dem Kerker in ihm bildete. Daß aͤußere Motive ſtatt finden mußten, leidet gar keinen Zweifel, aber hoͤchſt merkwuͤrdig iſt es, daß dieſe Erzaͤhlung Dein Schickſal, wiewohl ver¬ ſtuͤmmelt, darſtellt. Nur die Zeit der Ankunft des Moͤnchs bei dem Foͤrſter, wie dieſer ſie angiebt, will gar nicht mit Reinholds An¬ gabe des Tages wann Viktorin aus dem Schloſſe entfloh, zuſammenſtimmen. Nach der Behauptung des Foͤrſters mußte ſich der wahnſinnige Viktorin gleich haben im Wal¬ de blicken laſſen, nachdem er auf dem Schloſſe335 des Barons angekommen. Haltet ein, un¬ terbrach ich den Prior: Haltet ein, mein ehrwuͤrdiger Vater, jede Hoffnung, der Laſt meiner Suͤnden unerachtet, nach der Lang¬ muth des Herrn, noch Gnade und ewige Seeligkeit zu erringen, ſoll aus meiner Seele ſchwinden; in troſtloſer Verzweiflung, mich ſelbſt und mein Leben verfluchend, will ich ſterben, wenn ich nicht in tiefſter Reue und Zerknirſchung Euch alles, was ſich mit mir begab, ſeitdem ich das Kloſter verließ, ge¬ treulich offenbaren will, wie ich es in heili¬ ger Beichte that. Der Prior gerieth in das hoͤchſte Erſtaunen, als ich ihm nun mein gan¬ zes Leben mit aller nur moͤglichen Umſtaͤnd¬ lichkeit enthuͤllte. Ich muß Dir glauben, ſprach der Prior, als ich geendet, ich muß Dir glauben, Bruder Medardus, denn alle Zeichen wahrer Reue entdeckte ich, als Du re¬ deteſt. Wer vermag das Geheimniß zu enthuͤllen, das die geiſtige Verwandſchaft zweier Bruͤder, Soͤhne eines verbrecheri¬336 ſchen Vaters, und ſelbſt in Verbrechen be¬ fangen, bildete. Es iſt gewiß, daß Vikto¬ rin auf wunderbare Weiſe errettet wurde aus dem Abgrunde, in den Du ihn ſtuͤrzteſt, daß er der wahnſinnige Moͤnch war, den der Foͤrſter aufnahm, der Dich als Dein Dop¬ peltgaͤnger verfolgte und hier im Kloſter ſtarb. Er diente der dunkeln Macht, die in Dein Leben eingriff nur zum Spiel, nicht Dein Genoſſe war er, nur das untergeord¬ nete Weſen, welches Dir in den Weg geſtellt wurde, damit das lichte Ziel, das ſich Dir vielleicht aufthun konnte, Deinem Blick ver¬ huͤllt bleibe. Ach, Bruder Medardus, noch geht der Teufel raſtlos auf Erden umher, und bietet den Menſchen ſeine Elixiere dar! Wer hat dieſes oder jenes ſeiner hoͤlli¬ ſchen Getraͤnke nicht einmal ſchmackhaft ge¬ funden; aber das iſt der Wille des Himmels, daß der Menſch, der boͤſen Wirkung des au¬ genblicklichen Leichtſinns ſich bewußt werde, und aus dieſem klaren Bewußtſeyn die Kraftſchoͤpfe337ſchoͤpfe, ihr zu widerſtehen. Dann offen¬ bart ſich die Macht des Herrn, daß, ſo wie das Leben der Natur durch das Gift, das ſittlich gute Prinzip in ihr erſt durch das Boͤſe bedingt wird. Ich darf zu Dir ſo ſprechen, Medardus! da ich weiß, daß Du mich nicht mißverſteheſt. Gehe jetzt zu den Bruͤdern.

In dem Augenblick erfaßte mich, wie ein jaͤher alle Nerven und Pulſe durchzuckender Schmerz, die Sehnſucht der hoͤchſten Liebe; Aurelie ach Aurelie! rief ich laut. Der Prior ſtand auf und ſprach in ſehr ernſtem Ton: Du haſt wahrſcheinlich die Zuberei¬ tungen zu einem großen Feſte in dem Kloſter bemerkt? Aurelie wird morgen eingeklei¬ det und erhaͤlt den Kloſternamen Roſalia. Erſtarrt lautlos blieb ich vor dem Prior ſtehen. Gehe zu den Bruͤdern rief er bei¬ nahe zornig, und ohne deutliches Bewußtſeyn ſtieg ich hinab in das Refektorium, wo die Bruͤder verſammelt waren. Man beſtuͤrmteII. [22] 338mich aufs neue mit Fragen, aber nicht faͤhig war ich, auch nur ein einziges Wort uͤber mein Leben zu ſagen; alle Bilder der Ver¬ gangenheit verdunkelten ſich in mir, und nur Aureliens Lichtgeſtalt trat mir glaͤnzend entgegen. Unter dem Vorwande einer An¬ dachtsuͤbung verließ ich die Bruͤder und be¬ gab mich nach der Kapelle, die an dem aͤu¬ ßerſten Ende des weitlaͤuftigen Kloſtergartens lag. Hier wollte ich beten, aber das klein¬ ſte Geraͤuſch, das linde Saͤuſeln des Laub¬ ganges riß mich empor aus frommer Be¬ trachtung. Sie iſt es ... Sie kommt ... ich werde ſie wiederſehen ſo rief es in mir, und mein Herz bebte vor Angſt und Entzuͤcken. Es war mir, als hoͤre ich ein leiſes Geſpraͤch. Ich raffte mich auf, ich trat aus der Capelle, und ſiehe, langſamen Schrit¬ tes, nicht fern von mir, wandelten zwei Non¬ nen, in ihrer Mitte eine Novize. Ach es war gewiß Aurelie mich uͤberfiel ein krampfhaftes Zittern mein Athem ſtockte 339 ich wollte vorſchreiten, aber keines Schrit¬ tes maͤchtig ſank ich zu Boden. Die Non¬ nen, mit ihnen die Novize, verſchwanden im Gebuͤſch. Welch ein Tag! welch eine Nacht! Immer nur Aurelie und Aurelie Kein anderes Bild Kein anderer Gedanke fand Raum in meinem Innern.

So wie die erſten Stralen des Mor¬ gens aufgingen, verkuͤndigten die Glocken des Kloſters das Feſt der Einkleidung Au¬ reliens, und bald darauf verſammelten ſich die Bruͤder in einem großen Saal; die Aeb¬ tiſſin trat, von zwei Schweſtern begleitet, herein. Unbeſchreiblich iſt das Gefuͤhl, das mich durchdrang als ich die widerſah, die meinen Vater ſo innig liebte, und un¬ erachtet er durch Frevelthaten ein Buͤndniß, das ihm das hoͤchſte Erdengluͤck erwerben mußte, gewaltſam zerriß, doch die Neigung, die ihr Gluͤck zerſtoͤrt hatte, auf den Sohn uͤbertrug. Zur Tugend, zur Froͤmmigkeit wollte ſie dieſen Sohn aufziehen, aber dem340 Vater gleich, haͤufte er Frevel auf Frevel und vernichtete ſo jede Hoffnung der frommen Pflegemutter, die in der Tugend des Sohnes Troſt fuͤr des ſuͤndigen Vaters Verderbniß finden wollte. Niedergeſenkten Hauptes, den Blick zur Erde gerichtet, hoͤrte ich die kurze Rede an, worin die Aebtiſſin nochmals der verſammelten Geiſtlichkeit Aureliens Ein¬ tritt in das Kloſter anzeigte, und ſie auffor¬ derte, eifrig zu beten, in dem entſcheidenden Augenblick des Geluͤbdes, damit der Erbfeind nicht Macht haben moͤge, ſinneverwirrendes Spiel zu treiben, zur Qual der frommen Jungfrau. Schwer, ſprach die Aebtiſſin: ſchwer waren die Pruͤfungen, die die Jung¬ frau zu uͤberſtehen hatte. Der Feind wollte ſie verlocken zum Boͤſen, und alles was die Liſt der Hoͤlle vermag, wandte er an, ſie zu bethoͤren, daß ſie, ohne Boͤſes zu ahnen, ſuͤn¬ dige und dann aus dem Traum erwachend un¬ tergehe in Schmach und Verzweiflung. Doch die ewige Macht beſchuͤtzte das Himmelskind,341 und mag denn der Feind auch noch heute es verſuchen ihr verderblich zu nahen, ihr Sieg uͤber ihn wird deſto glorreicher ſeyn. Betet betet, meine Bruͤder, nicht darum, daß die Chri¬ ſtusbraut nicht wanke, denn feſt und ſtandhaft iſt ihr dem Himmliſchen ganz zugewandter Sinn, ſondern daß kein irdiſches Unheil die fromme Handlung unterbreche. Eine Bang¬ igkeit hat ſich meines Gemuͤths bemaͤchtigt, der ich nicht zu widerſtehen vermag!

Es war klar, daß die Aebtiſſin mich mich allein den Teufel der Verſuchung nann¬ te, daß ſie meine Ankunft mit der Einklei¬ dung Aureliens in Bezug, daß ſie vielleicht in mir die Abſicht irgend einer Greuelthat vorausſetzte. Das Gefuͤhl der Wahrheit mei¬ ner Reue, meiner Buße, der Ueberzeugung, daß mein Sinn geaͤndert worden, richtete mich empor. Die Aebtiſſin wuͤrdigte mich nicht eines Blickes; tief im Innerſten ge¬ kraͤnkt, regte ſich in mir jener bittere, verhoͤh¬ nende Haß, wie ich ihn ſonſt in der Reſi¬342 denz bei dem Anblick der Fuͤrſtin gefuͤhlt, und ſtatt daß ich, ehe die Aebtiſſin jene Worte ſprach, mich haͤtte vor ihr niederwer¬ fen moͤgen in den Staub, wollte ich keck und kuͤhn vor ſie hintreten und ſprechen: warſt Du denn immer ſolch ein uͤberirdiſches Weib, daß die Luſt der Erde Dir nicht aufging? ... Als Du meinen Vater ſahſt, verwahrteſt Du denn immer Dich ſo, daß der Gedanke der Suͤnde nicht Raum fand? ... Ey ſage doch, ob ſelbſt dann, als ſchon die Inful und der Stab dich ſchmuͤckten, in unbewachten Augen¬ blicken meines Vaters Bild, nicht Sehnſucht nach irdiſcher Luſt in Dir aufregte? ... Was empfandeſt Du denn, Stolze! als Du den Sohn des Geliebten an Dein Herz druͤckteſt, und den Namen des Verlorenen, war er gleich ein frevelicher Suͤnder, ſo ſchmerzvoll riefſt? Haſt Du jemals gekaͤmpft mit der dunklen Macht wie ich? Kannſt Du Dich eines wahren Sieges erfreuen, wenn kein harter Kampf vorherging? Fuͤhlſt Du343 Dich ſelbſt ſo ſtark, daß Du den verachteſt, der dem maͤchtigſten Feinde erlag und ſich dennoch erhob in tiefer Reue und Buße? Die ploͤtzliche Aenderung meiner Gedanken, die Umwandlung des Buͤßenden in den, der ſtolz auf den beſtandenen Kampf feſt einſchreitet in das wiedergewonnene Leben, muß ſelbſt im Aeußern ſichtlich geweſen ſeyn. Denn der neben mir ſtehende Bruder frug: Was iſt Dir, Medardus, warum wirfſt Du ſolche ſonderbare zuͤrnende Blicke auf die hochheilige Frau? Ja, erwiederte ich halblaut: wohl mag es eine hochheilige Frau ſeyn, denn ſie ſtand immer ſo hoch, daß das Profane ſie nicht erreichen konnte, doch kommt ſie mir jetzt nicht ſowohl wie eine chriſtli¬ che, ſondern wie eine heidniſche Prieſterin vor, die ſich bereitet, mit gezuͤcktem Meſſer das Menſchenopfer zu vollbringen. Ich weiß ſelbſt nicht, wie ich dazu kam, die letzten Worte, die außer meiner Ideenreihe lagen, zu ſprechen, aber mit ihnen draͤngten ſich344 im buntem Gewirr Bilder durcheinander, die nur im Entſetzlichſten ſich zu einen ſchienen. Aurelie ſollte auf immer die Welt verlaſ¬ ſen, ſie ſollte, wie ich, durch ein Geluͤbde, das mir jetzt nur die Ausgeburt des religioͤ¬ ſen Wahnſinns ſchien, dem Irdiſchen entſa¬ gen? So wie ehemals, als ich, dem Sa¬ tan verkauft, in Suͤnde und Frevel den hoͤch¬ ſten ſtralendſten Lichtpunkt des Lebens zu ſchauen waͤhnte, dachte ich jetzt daran, daß beide, ich und Aurelie, im Leben, ſey es auch nur durch den einzigen Moment des hoͤchſten irdiſchen Genuſſes, vereint und dann als der unterirdiſchen Macht Geweihte ſterben muͤßten. Ja, wie ein graͤßlicher Unhold, wie der Satan ſelbſt, ging der Gedanke des Mordes mir durch die Seele! Ach, ich Verblende¬ ter gewahrte nicht, daß in dem Moment, als ich der Aebtiſſin Worte auf mich deutete, ich Preis gegeben war, der vielleicht haͤrte¬ ſten Pruͤfung, das der Satan Macht bekom¬ men uͤber mich, und mich verlocken wollte345 zu dem Entſetzlichſten, das ich noch began¬ gen! Der Bruder, zu dem ich geſprochen ſah mich erſchrocken an: Um Jeſus und der hei¬ ligen Jungfrau willen, was ſagt ihr da! ſo ſprach er; ich ſchaute nach der Aebtiſſin, die im Begriff ſtand, den Saal zu verlaſſen, ihr Blick fiel auf mich, todtenbleich ſtarrte ſie mich an, ſie wankte, die Nonnen mußten ſie unterſtuͤtzen. Es war mir, als lisple ſie die Worte: O all' ihr Heiligen, meine Ah¬ nung. Bald darauf wurde der Prior Leo¬ nardus zu ihr gerufen. Schon laͤuteten aufs neue alle Glocken des Kloſters, und dazwi¬ ſchen toͤnten die donnernden Toͤne der Or¬ gel, die Weihgeſaͤnge der im Chor verſam¬ melten Schweſtern, durch die Luͤfte, als der Prior wieder in den Saal trat. Nun begaben ſich die Bruͤder der verſchiedenen Orden in feierlichem Zuge nach der Kirche, die von Menſchen beinahe ſo uͤberfuͤllt war, als ſonſt am Tage des heiligen Bernardus. An einer Seite des mit duftenden Roſen346 geſchmuͤckten Hochaltars waren erhoͤhte Sitze fuͤr die Geiſtlichkeit angebracht, der Tribune gegenuͤber, auf welcher die Capelle des Bi¬ ſchoffs die Muſik des Amts, welches er ſelbſt hielt, ausfuͤhrte. Leonardus rief mich an ſeine Seite, und ich bemerkte, daß er aͤngſtlich auf mich wachte; die kleinſte Bewegung er¬ regte ſeine Aufmerkſamkeit; er hielt mich an, fortwaͤhrend aus meinem Brevier zu beten. Die Klaren Nonnen verſammelten ſich in dem mit einem niedrigen Gitter eingeſchloſſenen Platz dicht vor dem Hochaltar, der entſchei¬ dende Augenblick kam; aus dem Innern des Kloſters, durch die Gitterthuͤre hinter dem Al¬ tar, fuͤhrten die Ciſterzienſer Nonnen Aure¬ lien herbei. Ein Gefluͤſter rauſchte durch die Menge, als ſie ſichtbar worden, die Or¬ gel ſchwieg und der einfache Hymnus der Nonnen erklang in wunderbaren tief ins Innerſte dringenden Akkorden. Noch hatte ich keinen Blick aufgeſchlagen; von einer furchtbaren Angſt ergriffen, zuckte ich krampf¬347 haft zuſammen, ſo daß mein Brevier zur Er¬ de fiel. Ich buͤckte mich darnach, es aufzu¬ heben, aber ein ploͤtzlicher Schwindel haͤtte mich von dem hohen Sitz herabgeſtuͤrzt, wenn Leonardus mich nicht faßte und feſt¬ hielt. Was iſt Dir, Medardus, ſprach der Prior leiſe: Du befindeſt Dich in ſeltſamer Bewegung, widerſtehe dem boͤſen Feinde der Dich treibt. Ich faßte mich mit aller Gewalt zuſammen, ich ſchaute auf, und er¬ blickte Aurelien, vor dem Hochaltar knieend. O Herr des Himmels, in hoher Schoͤn¬ heit und Anmuth ſtralte ſie mehr als je! Sie war braͤutlich ach! eben ſo wie an jenem verhaͤngnißvollen Tage, da ſie mein werden ſollte, gekleidet. Bluͤhende Myrthen und Roſen im kuͤnſtlich geflochtenen Haar. Die Andacht, das Feierliche des Moments, hatte ihre Wangen hoͤher gefaͤrbt, und in dem zum Himmel gerichteten Blick lag der volle Ausdruck himmliſcher Luſt. Was wa¬ ren jene Augenblicke, als ich Aurelien zum348 erſtenmal, als ich ſie am Hofe des Fuͤrſten ſah, gegen dieſes Wiederſehen. Raſender als jemals flammte in mir die Gluth der Liebe der wilden Begier auf O Gott o, all' ihr Heiligen! laßt mich nicht wahnſinnig werden, nur nicht wahnſinnig rettet mich, rettet mich von dieſer Pein der Hoͤlle Nur nicht wahnſinnig laßt mich werden denn das Entſetzliche muß ich ſonſt thun, und meine See¬ le Preis geben der ewigen Verdammniß! So betete ich im Innern, denn ich fuͤhlte, wie im¬ mer mehr und mehr der boͤſe Geiſt uͤber mich Herr werden wollte. Es war mir als habe Aurelie Theil an dem Frevel, den ich nur be¬ ging, als ſey das Geluͤbde, das ſie zu leiſten ge¬ dachte, in ihren Gedanken nur der feierliche Schwur, vor dem Altar des Herrn mein zu ſeyn. Nicht die Chriſtusbraut, des Moͤnchs der ſein Geluͤbde brach verbrecheriſches Weib ſah ich in ihr. Sie mit aller Inbrunſt der wuͤthenden Begier umarmen und dann ihr den Tod geben der Gedanke erfaßte mich un¬349 widerſtehlich. Der boͤſe Geiſt trieb mich wilder und wilder ſchon wollte ich ſchreien: Haltet ein, verblendete Thoren! nicht die von irdiſchem Triebe reine Jungfrau, die Braut des Moͤnchs wollt ihr erheben zur Himmelsbraut! mich hinabſtuͤrzen unter die Nonnen, ſie herausreißen ich faßte in die Kutte, ich ſuchte nach dem Meſſer, da war die Ceremonie ſo weit gediehen, daß Aurelie anfing das Geluͤbde zu ſprechen. Als ich ihre Stimme hoͤrte, war es als braͤ¬ che milder Mondesglanz durch die ſchwarzen, von wildem Sturm gejagten Wetterwolken. Licht wurde es in mir, und ich erkannte den boͤſen Geiſt, dem ich mit aller Gewalt widerſtand. Jedes Wort Aureliens gab mir neue Kraft, und im heißen Kampf wurde ich bald Sieger. Entflohen war jeder ſchwar¬ ze Gedanke des Frevels, jede Regung der irdiſchen Begier. Aurelie war die fromme Himmelsbraut, deren Gebet mich retten konn¬ te von ewiger Schmach und Verderbniß. 350 Ihr Geluͤbde war mein Troſt, meine Hoff¬ nung, und hell ging in mir die Heiterkeit des Himmels auf. Leonardus, den ich nun erſt wieder bemerkte, ſchien die Aenderung in meinem Innern wahrzunehmen, denn mit ſanfter Stimme ſprach er: Du haſt dem Feinde widerſtanden, mein Sohn! das war wohl die letzte ſchwere Pruͤfung die Dir die ewige Macht auferlegt!

Das Geluͤbde war geſprochen; waͤhrend eines Wechſelgeſanges den die Klaren Schwe¬ ſtern anſtimmten, wollte man Aurelien das Nonnengewand anlegen. Schon hatte man die Myrthen und Roſen aus dem Haar geflochten, ſchon ſtand man im Begriff die herabwallen¬ den Locken abzuſchneiden, als ein Getuͤmmel in der Kirche entſtand ich ſah, wie die Menſchen aus einander gedraͤngt und zu Boden geworfen wurden; naͤher und naͤher wir¬ belte der Tumult. Mit raſender Gebaͤhr¬ de, mit wildem, entſetzlichen Blick draͤng¬ te ſich ein halbnackter Menſch, (die Lumpen351 eines Capuzinerrocks hingen ihm um den Leib,) alles um ſich her mit geballten Faͤu¬ ſten niederſtoßend durch die Menge. Ich erkannte meinen graͤßlichen Doppeltgaͤnger, aber in demſelben Moment, als ich, Entſetzli¬ ches ahnend, hinabſpringen und mich ihm ent¬ gegen werfen wollte, hatte der wahnſinnige Unhold die Gallerie die den Platz des Hoch¬ altars einſchloß, uͤberſprungen. Die Nonnen ſtaͤubten ſchreiend aus einander; die Aebtiſ¬ ſin hatte Aurelien feſt in ihre Arme einge¬ ſchloſſen. Ha ha ha! kreiſchte der Ra¬ ſende mit gellender Stimme: wollt ihr mir die Prinzeſſin rauben! Ha ha ha! die Prinzeſſin iſt mein Braͤutchen, mein Braͤut¬ chen und damit riß er Aurelien empor, und ſtieß ihr das Meſſer, das er hochge¬ ſchwungen in die Hand hielt, bis an das Heft in die Bruſt, daß des Blutes Spring¬ quell hoch emporſpritzte. Juchhe Juch Juch nun hab 'ich mein Braͤutchen, nun hab' ich die Prinzeſſin gewonnen! So ſchrie352 der Raſende auf, und ſprang hinter den Hoch¬ altar, durch die Gitterthuͤre fort in die Klo¬ ſtergaͤnge. Voll Entſetzen kreiſchten die Non¬ nen auf. Mord Mord am Altar des Herrn, ſchrie das Volk, nach dem Hochaltar ſtuͤrmend. Beſetzt die Ausgaͤnge des Klo¬ ſters, daß der Moͤrder nicht entkomme, rief Leonardus mit lauter Stimme, und das Volk ſtuͤrzte hinaus und wer von den Moͤn¬ chen ruͤſtig war, ergriff die im Winkel ſte¬ henden Prozeſſionsſtaͤbe und ſetzte dem Un¬ hold nach durch die Gaͤnge des Kloſters. Al¬ les war die That eines Augenblicks; bald kniete ich neben Aurelien, die Nonnen hat¬ ten mit weißen Tuͤchern die Wunde, ſo gut es gehen wollte, verbunden, und ſtanden der ohnmaͤchtigen Aebtiſſin bei. Eine ſtarke Stim¬ me ſprach neben mir: Sancta Rosalia ora pro nobis, und alle die noch in der Kirche geblie¬ ben, riefen laut: Ein Mirakel ein Mirakel ja ſie iſt eine Maͤrtyrin. Sancta Rosalia ora pro nobis Ich ſchaute auf. Der alteMa¬353Maler ſtand neben mir, aber ernſt und mild, ſo wie er mir im Kerker[erſchien]. Kein ir¬ diſcher Schmerz uͤber Aureliens Tod, kein Ent¬ ſetzen uͤber die Erſcheinung des Malers konnte mich faſſen, denn in meiner Seele daͤmmerte es auf, wie nun die raͤthſelhaften Schlingen, die die[dunkle] Macht geknuͤpft, ſich loͤſten.

Mirakel, Mirakel ſchrie das Volk immer fort: Seht ihr wohl den alten Mann im vio¬ letten Mantel? der iſt aus dem Bilde des Hochaltars herabgeſtiegen ich habe es geſe¬ hen ich auch, ich auch riefen mehrere[Stim¬ men] durch einander und nun ſtuͤrzte Alles auf die Knie nieder und das verworrene Getuͤmmel verbrauſte und ging uͤber in ein von heftigem Schluchzen und Weinen unterbrochenes Ge¬ murmel des Gebets. Die Aebtiſſin erwachte aus der Ohnmacht, und ſprach mit dem herz¬ zerſchneidenden Ton des tiefen, gewaltigen Schmerzes: Aurelie! mein Kind! mei¬ ne fromme Tochter! ewiger Gott es iſt Dein Rathſchluß! Man hatte eineII. [23] 354mit Polſtern und Decken belegte Bahre her¬ beigebracht. Als man Aurelien hinaufhob, ſeufzte ſie tief und ſchlug die Augen auf. Der Maler ſtand hinter ihrem Haupte, auf das er ſeine Hand gelegt. Er war anzuſe¬ hen wie ein maͤchtiger Heiliger, und Alle, ſelbſt die Aebtiſſin, ſchienen von wunderba¬ rer ſcheuer Ehrfurcht durchdrungen. Ich kniete beinahe dicht an der Seite der Bahre. Aureliens Blick fiel auf mich, da erfaßte mich tiefer Jammer uͤber der Heiligen ſchmerz¬ liches Maͤrtirerthum. Keines Wortes maͤch¬ tig, war es nur ein dumpfer Schrei, den ich ausſtieß. Da ſprach Aurelie ſanft und leiſe: Was klageſt Du uͤber die, welche von der ewigen Macht des Himmels gewuͤrdigt wur¬ de von der Erde zu ſcheiden, in dem Augenblick als ſie die Nichtigkeit alles irdiſchen erkannt, als die unendliche Sehnſucht nach dem Reich der ewigen Freude und Seligkeit ihre Bruſt erfuͤllte? Ich war aufgeſtanden, ich war dicht an die Bahre getreten. Aurelie,355 ſprach ich: heilige Jungfrau! Nur einen einzigen Augenblick ſenke Deinen Blick her¬ ab aus den hohen Regionen, ſonſt muß ich vergehen, in meine Seele, mein innerſtes Gemuͤth zerruͤttenden, verderbenden Zweifeln. Aurelie! verachteſt Du den Frevler der, wie der boͤſe Feind ſelbſt, in Dein Leben trat? Ach! ſchwer hat er gebuͤßt aber er weiß es wohl, daß alle Buße ſeiner Suͤnden Maaß nicht mindert Aurelie! biſt Du ver¬ ſoͤhnt im Tode? Wie von Engelsſitti¬ gen beruͤhrt, laͤchelte Aurelie und ſchloß die Augen. O, Heiland der Welt heili¬ ge Jungfrau ſo bleibe ich zuruͤck, ohne Troſt der Verzweiflung hingegeben, O Ret¬ tung! Rettung von hoͤlliſchem Verderben! So betete ich inbruͤnſtig, da ſchlug Aurelie noch einmal die Augen auf und ſprach: Me¬ dardus nachgegeben haſt Du der boͤſen Macht! aber blieb ich denn rein von der Suͤnde, als ich irdiſches Gluͤck zu erlangen hoffte in meiner verbrecheriſchen Liebe? 356 Ein beſonderer Rathſchluß des Ewigen, hatte uns beſtimmt, ſchwere Verbrechen unſeres frevelichen Stammes zu ſuͤhnen, und ſo ver¬ einigte uns das Band der Liebe, die nur uͤber den Sternen thront und die nichts ge¬ mein hat, mit irdiſcher Luſt. Aber dem li¬ ſtigen Feinde gelang es, die tiefe Bedeutung unſerer Liebe uns zu verhuͤllen, ja uns auf entſetzliche Weiſe zu verlocken, daß wir das himmliſche nur deuten konnten auf irdiſche Weiſe. Ach! war ich es denn nicht, die Dir ihre Liebe bekannte im Beichtſtuhl, aber ſtatt den Gedanken der ewigen Liebe in Dir zu entzuͤnden, die hoͤlliſche Gluth der Luſt in Dir entflammte, welche Du, da ſie Dich ver¬ zehren wollte, durch Verbrechen zu loͤſchen gedachteſt? Faſſe Muth, Medardus! der wahn¬ ſinnige Thor, den der boͤſe Feind verlockt hat zu glauben, er ſey Du, und muͤſſe voll¬ bringen was Du begonnen, war das Werk¬ zeug des Himmels, durch das ſein Rath¬ ſchluß vollendet wurde. Faſſe Muth, Me¬357 dardus ... Aurelie, die das letzte ſchon mit geſchloſſenen Augen und hoͤrbarer Anſtrengung geſprochen, wurde ohnmaͤchtig, doch der Tod konnte ſie noch nicht erfaſſen. Hat Sie Euch gebeichtet, ehrwuͤrdiger Herr? hat Sie Euch gebeichtet? ſo frugen mich neugierig die Nonnen. Mit nichten, er¬ wiederte ich: nicht ich, ſie hat meine Seele mit himmliſchen Troſt erfuͤllt. Wohl Dir, Medardus, bald iſt Deine Pruͤfungszeit be¬ endet und wohl mir dann! Es war der Maler, der dieſe Worte ſprach. Ich trat auf ihn zu: So verlaßt mich nicht, wunder¬ barer Mann. Ich weiß ſelbſt nicht, wie meine Sinne, indem ich weiter ſprechen woll¬ te, auf ſeltſame Weiſe betaͤubt worden; ich gerieth in einen Zuſtand zwiſchen Wachen und Traͤumen, aus dem mich ein lautes Rufen und Schreien erweckte. Ich ſah den Maler nicht mehr. Bauern Buͤrgersleute Soldaten waren in die Kirche gedrungen und verlangten durchaus, daß ihnen erlaubt358 werden ſolle, das ganze Kloſter zu durchſu¬ chen, um den Moͤrder Aureliens, der noch im Kloſter ſeyn muͤſſe, aufzufinden. Die Aeb¬ tiſſin, mit Recht Unordnungen befuͤrchtend, verweigerte dies, aber ihres Anſehens uner¬ achtet vermochte ſie nicht die erhitzten Gemuͤ¬ ther zu beſchwichtigen. Man warf ihr vor, daß ſie aus kleinlicher Furcht den Moͤrder verhehle, weil er ein Moͤnch ſey, und immer heftiger tobend ſchien das Volk ſich zum Stuͤrmen des Kloſters aufzuregen. Da beſtieg Leonardus die Kanzel und ſagte dem Volk nach einigen kraͤftigen Worten uͤber die Entweih¬ ung heiliger Staͤtten, daß der Moͤrder keines¬ weges ein Moͤnch, ſondern ein Wahnſinni¬ ger ſey, den er im Kloſter zur Pflege aufge¬ nommen, den er, als er todt geſchienen, im Ordenshabit nach der Todtenkammer brin¬ gen laſſen, der aber aus dem todtaͤhnlichen Zuſtande erwacht und entſprungen ſey. Waͤ¬ re er noch im Kloſter, ſo wuͤrden es ihm die getroffenen Maaßregeln unmoͤglich ma¬359 chen, zu entſpringen. Das Volk beruhigte ſich, und verlangte nur, daß Aurelie nicht durch die Gaͤnge, ſondern uͤber den Hof in feierlicher Prozeſſion nach dem Kloſter ge¬ bracht werden ſolle. Dies geſchah. Die verſchuͤchterten Nonnen hoben die Bahre auf, die man mit Roſen bekraͤnzt hatte. Auch Aurelie war, wie vorher, mit Myrthen und Roſen geſchmuͤckt. Dicht hinter der Bahre, uͤber welche vier Nonnen den Baldachin tru¬ gen, ſchritt die Aebtiſſin von zwei Nonnen, unterſtuͤtzt, die uͤbrigen folgten mit den Klaren¬ ſchweſtern, dann die Bruͤder der verſchie¬ denen Orden, ihnen ſchloß ſich das Volk an, und ſo bewegte ſich der Zug durch die Kirche. Die Schweſter, welche die Orgel ſpielte, mußte ſich auf den Chor bege¬ ben haben, denn ſo wie der Zug in der Mitte der Kirche war, ertoͤnten dumpf und ſchauerlich tiefe Orgeltoͤne vom Chor herab. Aber ſiehe, da richtete ſich Aurelie lang¬ ſam auf, und erhob die Haͤnde betend zum360 Himmel, und aufs neue ſtuͤrzte alles Volk auf die Knie nieder und rief: Sancta Rosalia, ora pro nobis. So wurde das wahr, was ich, als ich Aurelien zum erſtenmahl ſah, in ſataniſcher Verblendung nur frevelich heuchelnd verkuͤndet.

Als die Nonnen in dem untern Saal des Kloſters die Bahre niederſetzten, als Schweſtern und Bruͤder betend im Kreis umherſtanden, ſank Aurelie mit einem tiefen Seufzer der Aebtiſſin, die neben ihr kniete, in die Arme. Sie war todt! Das Volk wich nicht von der Kloſterpforte, und als nun die Glocken den irdiſchen Untergang der frommen Jungfrau verkuͤndeten, brach Alles aus in Schluchzen und Jammergeſchrei. Viele thaten das[Geluͤbde], bis zu Aure¬ liens Exequien in dem Dorf zu bleiben, und erſt nach demſelben in die Heimath zuruͤck¬ zufahren, waͤhrend der Zeit aber ſtrenge zu faſten. Das Geruͤcht von der entſetzlichen Unthat, und von dem Martirium der Braut361 des Himmels, verbreitete ſich ſchnell, und ſo geſchah es, daß Aureliens Exequien, die nach vier Tagen begangen wurden, einem hohen die Verklaͤrung einer Heiligen feiernden Ju¬ belfeſt glichen. Denn ſchon Tages vorher war die Wieſe vor dem Kloſter, wie ſonſt am Bernardustage, mit Menſchen bedeckt, die, ſich auf den Boden lagernd, den Mor¬ gen erwarteten. Nur ſtatt des frohen Ge¬ tuͤmmels hoͤrte man fromme Seufzer und ein dumpfes Murmeln. Von Mund zu Mund ging die Erzaͤhlung von der entſetzlichen That am Hochaltar der Kirche, und brach einmal eine laute Stimme hervor, ſo ge¬ ſchah es in Verwuͤnſchungen des Moͤrders, der ſpurlos verſchwunden blieb.

Von tieferer Einwirkung auf das Heil meiner Seele, waren wohl dieſe vier Tage, die ich meiſtens einſam in der Capelle des Gartens zubrachte, als die lange ſtrenge Buße im Capuzinerkloſter bei Rom. Aure¬ liens letzte Worte hatten mir das Geheimniß362 meiner Suͤnden erſchloſſen und ich erkannte, daß ich, ausgeruͤſtet mit aller Kraft der Tu¬ gend und Froͤmmigkeit, doch wie ein muthlo¬ ſer Feigling dem Satan, der den verbreche¬ riſchen Stamm zu hegen trachtete, daß er fort und fort gedeihe, nicht zu widerſtehen ver¬ mochte. Gering war der Keim des Boͤſen in mir, als ich des Conzertmeiſters Schwe¬ ſter ſah, als der freveliche Stolz in mir er¬ wachte, aber da ſpielte mir der Satan jenes Elixier in die Haͤnde, das mein Blut wie ein verdammtes Gift, in Gaͤhrung ſetzte. Nicht achtete ich des unbekannten Malers, des Priors, der Aebtiſſin ernſte Mahnung. Aureliens Erſcheinung am Beichtſtuhl vollen¬ dete den Verbrecher. Wie eine phyſiſche Krankheit von jenem Gift erzeugt, brach die Suͤnde hervor. Wie konnte der dem Satan Ergebene das Band erkennen, das die Macht des Himmels als Symbol der ewigen Liebe um mich und Aurelien geſchlungen? Scha¬ denfroh feſſelte mich der Satan an einen363 Verruchten, in deſſen Seyn mein Ich ein¬ dringen, ſo wie er geiſtig auf mich einwir¬ ken mußte. Seinen ſcheinbaren Tod, viel¬ leicht das leere Blendwerk des Teufels, mußte ich mir zuſchreiben. Die That mach¬ te mich vertraut mit dem Gedanken des Mor¬ des, der dem teufliſchen Trug folgte. So war der in verruchter Suͤnde erzeugte Bru¬ der das vom Teufel beſeelte Prinzip, das mich in die abſcheulichſten Frevel ſtuͤrzte und mich mit den graͤßlichſten Qualen um¬ hertrieb. Bis dahin, als Aurelie nach dem Rathſchluß der ewigen Macht ihr Geluͤbde ſprach, war mein Innres nicht rein von der Suͤnde; bis dahin hatte der Feind Macht uͤber mich, aber die wunderbare innere Ru¬ he, die wie von oben herabſtralende Hei¬ terkeit, die uͤber mich kam, als Aurelie die letzten Worte geſprochen, uͤberzeugte mich, daß Aureliens Tod die Verheißung der Suͤh¬ ne ſey. Als in dem feierlichen Requiem der Chor die Worte ſang: Confutatis maledictis364 flammis acribus addictis, fuͤhlte ich mich er¬ beben, aber bei dem Voca me cum bene¬ dictis war es mir, als ſaͤhe ich in himmli¬ ſcher Sonnenklarheit Aurelien, wie ſie erſt auf mich niederblickte und dann ihr von ei¬ nem ſtralenden Sternenringe umgebenes Haupt zum hoͤchſten Weſen erhob, um fuͤr das ewige Heil meiner Seele zu bitten! Oro supplex et acclinis cor contritum quasi cinis! Niederſank ich in den Staub, aber wie wenig glich mein inneres Gefuͤhl, mein demuͤthiges Flehen, jener leidenſchaftli¬ chen Zerknirſchung, jenen grauſamen wilden Bußuͤbungen im Kapuzinerkloſter. Erſt jetzt war mein Geiſt faͤhig, das Wahre von dem Falſchen zu unterſcheiden, und bei dieſem klaren Bewußtſeyn mußte jede neue Pruͤfung des Feindes wirkungslos bleiben. Nicht Au¬ reliens Tod, ſondern nur die als graͤßlich und entſetzlich erſcheinende Art deſſelben hat¬ te mich in den erſten Augenblicken ſo tief erſchuͤttert; aber wie bald erkannte ich, daß365 die Gunſt der ewigen Macht ſie das hoͤchſte beſtehen ließ! Das Martyrium der gepruͤf¬ ten, entſuͤndigten Chriſtusbraut! War ſie denn fuͤr mich untergegangen? Nein! jetzt erſt, nachdem ſie der Erde voller Qual ent¬ ruͤckt, wurde ſie mir der reine Stral der ewigen Liebe, der in meiner Bruſt aufgluͤhte. Ja! Aureliens Tod war das Weihfeſt jener Liebe, die, wie Aurelie ſprach, nur uͤber den Sternen thront, und nichts gemein hat mit dem Irdiſchen. Dieſe Gedanken erho¬ ben mich uͤber mein Irdiſches Selbſt, und, ſo waren wohl jene Tage im Ciſterzienſer¬ kloſter die wahrhaft ſeligſten meines Lebens.

Nach der Exportation welche am folgen¬ den Morgen ſtatt fand, wollte Leonardus mit den Bruͤdern nach der Stadt zuruͤckkeh¬ ren; die Aebtiſſin ließ mich, als ſchon der Zug beginnen ſollte, zu ſich rufen. Ich fand ſie allein in ihrem Zimmer, ſie war in der hoͤchſten Bewegung, die Thraͤnen ſtuͤrzten ihr aus den Augen. Alles alles weiß366 ich jetzt, mein Sohn Medardus! Ja ich nen¬ ne Dich ſo wieder, denn uͤberſtanden haſt Du die Pruͤfungen, die uͤber Dich Ungluͤck¬ lichen, Bedauernswuͤrdigen ergingen! Ach, Medardus, nur ſie, nur ſie, die am Thro¬ ne Gottes unſere Fuͤrſprecherin ſeyn mag, iſt rein von der Suͤnde. Stand ich nicht am Rande des Abgrundes, als ich, von dem Ge¬ danken an irdiſche Luſt erfuͤllt, dem Moͤrder mich verkaufen wollte? Und doch! Sohn Medardus! verbrecheriſche Thraͤnen hab 'ich geweint, in einſamer Zelle, Deines Vaters gedenkend! Gehe, Sohn Medar¬ dus! Jeder Zweifel, daß ich vielleicht, zur mir ſelbſt anzurechnenden Schuld in Dir den frevelichſten Suͤnder erzog, iſt aus meiner Seele verſchwunden.

Leonardus, der gewiß der Aebtiſſin al¬ les enthuͤllt hatte, was ihr aus meinem Le¬ ben noch unbekannt geblieben, bewies mir durch ſein Betragen, daß auch er mir ver¬ ziehen und dem Hoͤchſten anheim geſtellthatte,367hatte, wie ich vor ſeinem Richterſtuhl beſte¬ hen werde. Die alte Ordnung des Kloſters war geblieben, und ich trat in die Reihe der Bruͤder ein, wie ſonſt. Leonardus ſprach ei¬ nes Tages zu mir: ich moͤchte Dir, Bruder Medardus wohl noch eine Bußuͤbung aufge¬ ben. Demuͤthig frug ich, worin ſie beſtehen ſolle. Du magſt, erwiederte der Prior, die Geſchichte Deines Lebens genau aufſchreiben. Keiner der merkwuͤrdigen Vorfaͤlle, auch ſelbſt der unbedeutenderen, vorzuͤglich nichts was Dir im bunten Weltleben wiederfuhr, darfſt Du auslaſſen. Die Fantaſie wird Dich wirklich in die Welt zuruͤckfuͤhren, Du wirſt alles grauenvolle, poſſenhafte, ſchauer¬ liche und luſtige noch einmal fuͤhlen, ja es iſt moͤglich, daß Du im Moment Aurelien anders, nicht als die Nonne Roſalia, die das Maͤrtirium beſtand, erblickſt; aber hat der Geiſt des Boͤſen Dich ganz verlaſſen, haſt Du Dich ganz vom Irdiſchen abge¬ wendet, ſo wirſt Du, wie ein hoͤheres Prin¬II. [24] 368zip uͤber alles ſchweben, und ſo wird je¬ ner Eindruck keine Spur hinterlaſſen. Ich that wie der Prior geboten. Ach! wohl geſchah es ſo, wie er es ausgeſprochen! Schmerz und Wonne, Grauen und Luſt Entſetzen und Entzuͤcken ſtuͤrmten in meinem Innern, als ich mein Leben ſchrieb. Du, der Du einſt dieſe Blaͤtter lieſeſt, ich ſprach zu Dir von der Liebe hoͤchſter Sonnenzeit, als Aureliens Bild mir im regen Leben auf¬ ging! Es giebt hoͤheres als irdiſche Luſt, die meiſtens nur Verderben bereitet dem leichtſinnigen, bloͤdſinnigen Menſchen, und das iſt jene hoͤchſte Sonnenzeit, wenn fern von dem Gedanken frevelicher Begier die Ge¬ liebte wie ein Himmelsſtral, alles hoͤhere, alles, was aus dem Reich der Liebe ſeegens¬ voll herabkommt auf den armen Menſchen, in Deiner Bruſt entzuͤndet. Dieſer Ge¬ danke hat mich erquickt, wenn bei der Erin¬ nerung an die herrlichſten Momente, die mir die Welt gab, heiße Thraͤnen den Augen entſtuͤrzten und alle laͤngſt verharrſchte Wun¬ den aufs neue bluteten.

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Ich weiß, daß vielleicht noch im Tode der Widerſacher Macht haben wird, den ſuͤn¬ digen Moͤnch zu quaͤlen, aber ſtandhaft ja mit inbruͤnſtiger Sehnſucht erwarte ich den Augen¬ blick, der mich der Erde entruͤckt, denn es iſt der Augenblick der Erfuͤllung alles deſſen, was mir Aurelie, ach! die heilige Roſalia ſelbſt, im Tode verheißen. Bitte bitte fuͤr mich, o heilige Jungfrau in der dunklen Stunde, daß die Macht der Hoͤlle, der ich ſo oft er¬ legen, nicht mich bezwinge und hinabreiße in den Pfuhl ewiger Verderbniß!

Nachtrag des Paters Spiridion, Bibliothekar des Capuziner¬ kloſters zu B.

In der Nacht vom dritten auf den vierten September des Jahres 17 .. hat ſich viel wunderbares in unſerm Kloſter ereignet. Es mochte wohl um Mitternacht ſeyn, als ich in der, neben der meinigen liegenden, Zelle des Bruders Medardus ein ſeltſames Kichern und Lachen, und waͤhrend deſſen ein dum¬ pfes klaͤgliches Aechzen vernahm. Mir war es, als hoͤre ich deutlich von einer ſehr haͤ߬370 lichen, widerwaͤrtigen Stimme die Worte ſprechen: Komm mit mir, Bruͤderchen Me¬ dardus, wir wollen die Braut ſuchen. Ich ſtand auf, und wollte mich zum Bruder Medardus begeben, da uͤberfiel mich aber ein beſonderes Grauen, ſo daß ich, wie von dem Froſt eines Fiebers ganz gewaltig durch alle Glieder geſchuͤttelt wurde; ich ging dem¬ nach, ſtatt in des Medardus Zelle, zum Prior Leonardus, weckte ihn nicht ohne Muͤhe, und erzaͤhlte ihm, was ich vernom¬ men. Der Prior erſchrak ſehr, ſprang auf und ſagte, ich ſolle geweihte Kerzen holen und wir wollten uns beide dann zum Bru¬ der Medardus begeben. Ich that, wie mir geheißen, zuͤndete die Kerzen an der Lampe des Mutter-Gottesbildes auf dem Gange an, und wir ſtiegen die Treppe hinauf. So ſehr wir aber auch horchen mochten, die abſcheu¬ lige Stimme, die ich vernommen, ließ ſich nicht wieder hoͤren. Statt deſſen hoͤrten wir leiſe liebliche Glockenklaͤnge, und es war ſo, als verbreite ſich ein feiner Roſenduft. Wir traten naͤher, da oͤffnete ſich die Thuͤre371 der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann, mit weißem krauſen Bart, in einem violetten Mantel, ſchritt heraus; ich war ſehr erſchrok¬ ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann ein drohendes Geſpenſt ſeyn mußte, da die Kloſterpforten feſt verſchloſſen waren, mit¬ hin kein Fremder eindringen konnte; aber Leonardus ſchaute ihn keck an, jedoch ohne ein Wort zu ſagen. Die Stunde der Er¬ fuͤllung iſt nicht mehr fern, ſprach die Ge¬ ſtalt ſehr dumpf und feierlich, und verſchwand in dem dunklen Gange, ſo daß meine Bangig¬ keit noch ſtaͤrker wurde und ich ſchier haͤtte die Kerze aus der zitternden Hand fallen laſ¬ ſen moͤgen. Aber der Prior, der, ob ſeiner Froͤmmigkeit und Staͤrke im Glauben, nach Geſpenſtern nicht viel fraͤgt, faßte mich beim Arm und ſagte: nun wollen wir in die Zelle des Bruders Medardus treten. Das ge¬ ſchah denn auch. Wir fanden den Bruder, der ſchon ſeit einiger Zeit ſehr ſchwach wor¬ den, im Sterben, der Tod hatte ihm die Zunge gebunden, er roͤchelte nur noch was weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich372 weckte die Bruͤder, indem ich die Glocke ſtark anzog und mit lauter Stimme rief: Steht auf! ſteht auf! Der Bruder Medardus liegt im Tode! Sie ſtanden auch wirklich auf, ſo daß nicht ein einziger fehlte, als wir mit angebrannten Kerzen uns zu dem ſterbenden Bruder begaben. Alle, auch ich, der ich dem Grauen endlich widerſtanden, uͤberlie¬ ßen uns vieler Betruͤbniß. Wir trugen den Bruder Medardus auf einer Bahre nach der Kloſterkirche, und ſetzten ihn vor dem Hoch¬ altar nieder. Da erholte er ſich zu unſerm Erſtaunen und fing an zu ſprechen, ſo daß Leonardus ſelbſt, ſogleich nach vollendeter Beichte und Abſolution, die letzte Oelung vor¬ nahm. Nachher begaben wir uns, waͤhrend Leonardus unten blieb und immerfort mit dem Bruder Medardus redete, in den Chor und ſangen die gewoͤhnlichen Todtengeſaͤnge fuͤr das Heil der Seele des ſterbenden Bruders. Gerade als die Glocke des Kloſters den an¬ dern Tag, naͤmlich am fuͤnften September des Jahres 17 .. Mittags zwoͤlfe ſchlug, verſchied Bruder Medardus in des Priors373 Armen. Wir bemerkten, daß es Tag und Stunde war, in der voriges Jahr die Non¬ ne Roſalia auf entſetzliche Weiſe, gleich nach¬ dem ſie das Geluͤbde abgelegt, ermordet wur¬ de. Bei dem Requiem und der Exportation hat ſich noch folgendes ereignet. Bei dem Re¬ quiem naͤmlich verbreitete ſich ein ſehr ſtarker Roſenduft, und wir bemerkten, daß an dem ſchoͤnen Bilde der heiligen Roſalia, das von ei¬ nem ſehr alten unbekannten italiaͤniſchen Maler verfertigt ſeyn ſoll, und das unſer Kloſter von den Capuzinern in der Gegend von Rom fuͤr erklekliches Geld erkaufte, ſo daß ſie nur ei¬ ne Copie des Bildes behielten, ein Strauß der ſchoͤnſten, in dieſer Jahreszeit ſeltenen Roſen befeſtigt war. Der Bruder Pfoͤrtner ſagte, daß am fruͤhen Morgen ein zerlump¬ ter, ſehr elend ausſehender Bettler, von uns unbemerkt, hinaufgeſtiegen und den Strauß an das Bild geheftet habe. Derſelbe Bettler fand ſich bei der Exportation ein und draͤng¬ te ſich unter die Bruͤder. Wir wollten ihn zuruͤckweiſen, als aber der Prior Leonardus ihn ſcharf angeblickt hatte, befahl er, ihn374 unter uns zu leiden. Er nahm ihn als Lay¬ enbruder im Kloſter auf; wir nannten ihn Bruder Peter, da er im Leben Peter Schoͤn¬ feld geheißen, und goͤnnten ihm den ſtolzen Namen, weil er uͤberaus ſtill und gutmuͤ¬ thig war, wenig ſprach und nur zuweilen ſehr poſſirlich lachte, welches, da es gar nichts ſuͤndliches hatte, uns ſehr ergoͤtzte. Der Prior Leonardus ſprach einmal: des Peters Licht ſey im Dampf der Narrheit verloͤſcht, in die ſich in ſeinem Innern die Ironie des Lebens umgeſtaltet. Wir verſtanden Alle nicht, was der gelehrte Leonardus damit ſagen wollte, merkten aber wohl, daß er mit dem Layenbruder Peter laͤngſt bekannt ſeyn muͤſſe. So habe ich den Blaͤttern, die des Bruders Medardi Leben enthalten ſollen, die ich aber nicht geleſen, die Umſtaͤnde ſeines Todes ſehr genau und nicht ohne Muͤhe ad majorem dei gloriam hinzugefuͤgt. Friede und Ruhe dem entſchlafenen Bruder Medardus, der Herr des Himmels laſſe ihn dereinſt froͤlich auferſtehen und nehme ihn auf in den Chor heiliger Maͤn¬ ner, da er ſehr fromm geſtorben.

About this transcription

TextDie Elixiere des Teufels
Author E. T. A. Hoffmann
Extent385 images; 53179 tokens; 9466 types; 368008 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Elixiere des Teufels Nachgelassene Papiere des Bruders Medardus eines Capuziners Zweiter Theil E. T. A. Hoffmann. . 374 S. Duncker und HumblotBerlin1816.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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