PRIMS Full-text transcription (HTML)
Nachtſtuͤcke
Erſter Theil.
Berlin,1817.In der Realſchulbuchhandlung.
[1]

Der Sandmann.

Nathanael an Lothar.

Gewiß ſeid ihr alle voll Unruhe, daß ich ſo lange lange nicht geſchrieben. Mutter zuͤrnt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergeſſe mein holdes En¬ gelsbild, ſo tief mir in Herz und Sinn einge¬ praͤgt, ganz und gar. Dem iſt aber nicht ſo; taͤglich und ſtuͤndlich gedenke ich Eurer Aller und in ſuͤßen Traͤumen geht meines holden Claͤrchens freundliche Geſtalt voruͤber und laͤchelt mich mit ihren hellen Augen ſo anmuthig an, wie ſie wohl pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. Ach wie vermochte ich denn Euch zu ſchreiben, in der zerriſſenen Stimmung des Geiſtes, die mir bis¬ her alle Gedanken verſtoͤrte! Etwas entſetzli¬

A

2ches iſt in mein Leben getreten! Dunkle Ah¬ nungen eines graͤßlichen mir drohenden Geſchicks breiten ſich wie ſchwarze Wolkenſchatten uͤber mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnen¬ ſtrahl. Nun ſoll ich Dir ſagen, was mir wiederfuhr. Ich muß es, das ſehe ich ein, aber nur es denkend, lacht es wie toll aus mir her¬ aus. Ach mein herzlieber Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermaßen empfinden zu laſſen, daß das, was mir vor einigen Tagen geſchah, denn wirklich mein Leben ſo feindlich zer¬ ſtoͤren konnte! Waͤrſt du nur hier, ſo koͤnnteſt du ſelbſt ſchauen; aber jetzt haͤltſt Du mich gewiß fuͤr einen aberwitzigen Geiſterſeher. Kurz und gut, das Entſetzliche, was mir geſchah, deſſen toͤdtlichen Eindruck zu vermeiden ich mich verge¬ bens bemuͤhe, beſteht in nichts anderm, als daß vor einigen Tagen, nehmlich am 30. October Mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashaͤndler in meine Stube trat und mir ſeine Waare anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe her¬ abzuwerfen, worauf er aber von ſelbſt fortging.

3

Du ahneſt, daß nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende Beziehungen dieſem Vorfall Bedeutung geben koͤnnen, ja, daß wohl die Per¬ ſon jenes ungluͤckſeligen Kraͤmers gar feindlich auf mich wirken muß. So iſt es in der That. Mit aller Kraft faſſe ich mich zuſammen, um ruhig und geduldig Dir aus meiner fruͤhern Jugendzeit ſo viel zu erzaͤhlen, daß deinem regen Sinn alles klar und deutlich in leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, hoͤre ich Dich lachen und Clara ſagen: das ſind ja rechte Kin¬ dereien! Lacht, ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich aus! ich bitt 'Euch ſehr! Aber Gott im Himmel! die Haare ſtraͤuben ſich mir und es iſt, als flehe ich Euch an, mich aus¬ zulachen, in wahnſinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den Daniel. Nun fort zur Sache!

Außer dem Mittagseſſen ſahen wir, ich und mein Geſchwiſter, Tag uͤber den Vater wenig. Er mochte mit ſeinem Dienſt viel beſchaͤftigt ſeyn. Nach dem Abendeſſen, das alter Sitte gemaͤßA 24ſchon um ſieben Uhr aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters Arbeitszimmer und ſetzten uns um einen runden Tiſch. Der Vater rauchte Tabak und trank ein großes Glas Bier dazu. Oft erzaͤhlte er uns viele wunderbare Geſchichten und gerieth daruͤber ſo in Eifer, daß ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder an¬ zuͤnden mußte, welches mir denn ein Hauptſpaß war. Oft gab er uns aber Bilderbuͤcher in die Haͤnde, ſaß ſtumm und ſtarr in ſeinem Lehnſtuhl und blies ſtarke Dampfwolken von ſich, daß wir alle wie im Nebel ſchwammen. An ſolchen Aben¬ den war die Mutter ſehr traurig und kaum ſchlug die Uhr neun, ſo ſprach ſie: Nun Kinder! zu Bette! zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk 'es ſchon. Wirklich hoͤrte ich dann jedes¬ mal Etwas ſchweren langſamen Tritts die Treppe heraufpoltern; das mußte der Sandmann ſeyn. Einmal war mir jenes dumpfe Treten und Pol¬ tern beſonders graulich; ich frug die Mutter, in¬ dem ſie uns fortfuͤhrte: Ei Mama! wer iſt denn5 der boͤſe Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? wie ſieht er denn aus? Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind, erwiederte die Mutter: wenn ich ſage, der Sandmann kommt, ſo will das nur heißen, ihr ſeyd ſchlaͤfrig und koͤnnt die Augen nicht offen behalten, als haͤtte man Euch Sand hineingeſtreut. Der Mut¬ ter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindiſchen Gemuͤth entfaltete ſich deutlich der Ge¬ danke, daß die Mutter den Sandmann nur ver¬ laͤugne, damit wir uns vor ihm nicht fuͤrchten ſollten, ich hoͤrte ihn ja immer die Treppe her¬ aufkommen. Voll Neugierde, naͤheres von dieſem Sandmann und ſeiner Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine juͤngſte Schweſter wartete: was denn das fuͤr ein Mann ſei, der Sandmann? Ei Thanelchen, erwiederte dieſe, weißt du das noch nicht? Das iſt ein boͤſer Mann, der kommt zu den Kindern, wenn ſie nicht zu Bett' gehen wollen und wirft ihnen Haͤndevoll Sand in die Augen, daß ſie blutig zum Kopf herausſpringen,6 die wirft er dann in den Sack und traͤgt ſie in den Halbmond zur Atzung fuͤr ſeine Kinderchen; die ſitzen dort im Neſt und haben krumme Schnaͤ¬ bel, wie die Eulen, damit picken ſie der unartigen Menſchenkindlein Augen auf[. ] Graͤßlich malte ſich nun im Innern mir das Bild des grauſamen Sandmanns aus; ſo wie es Abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angſt und Entſetzen. Nichts als den unter Thraͤnen hergeſtotterten Ruf: der Sandmann! der Sandmann! konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht uͤber quaͤlte mich die fuͤrchterliche Erſcheinung des Sandmanns. Schon alt genug war ich gewor¬ den, um einzuſehen, daß das mit dem Sand¬ mann und ſeinem Kinderneſt im Halbmonde, ſo wie es mir die Wartefrau erzaͤhlt hatte, wohl nicht ganz ſeine Richtigkeit haben koͤnne; indeſſen blieb mir der Sandmann ein fuͤrchterliches Ge¬ ſpenſt, und Grauen Entſetzen ergriff mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkom¬ men, ſondern auch meines Vaters Stubenthuͤr7 heftig aufreiſſen und hineintreten hoͤrte. Manch¬ mal blieb er lange weg, dann kam er oͤfter hin¬ tereinander. Jahre lang dauerte das, und nicht gewoͤhnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grauſigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantaſie immer mehr und mehr zu beſchaͤftigen: den Vater darum zu befra¬ gen hielt mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck, aber ſelbſt ſelbſt das Geheimniß zu erforſchen, den fabelhaften Sandmann zu ſehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr die Luſt in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das ſo ſchon leicht im kindlichen Gemuͤth ſich einniſtet. Nichts war mir lieber, als ſchauerliche Geſchich¬ ten von Kobolten, Hexen, Daͤumlingen u. ſ. w. zu hoͤren oder zu leſen; aber obenan ſtand im¬ mer der Sandmann, den ich in den ſeltſamſten, abſcheulichſten Geſtalten uͤberall auf Tiſche, Schraͤn¬ ke und Waͤnde mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die8 Mutter aus der Kinderſtube in ein Kaͤmmerchen, das auf dem Corridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer mußten wir uns, wenn auf den Schlag Neun Uhr ſich jener Unbe¬ kannte im Hauſe hoͤren ließ, ſchnell entfernen. In meinem Kaͤmmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als verbreite ſich im Hauſe ein fei¬ ner ſeltſam riechender Dampf. Immer hoͤher mit der Neugierde wuchs der Muth, auf irgend eine Weiſe des Sandmanns Bekanntſchaft zu machen. Oft ſchlich ich ſchnell aus dem Kaͤmmerchen auf den Corridor, wenn die Mutter voruͤbergegangen, aber nichts konnte ich erlauſchen, denn immer war der Sandmann ſchon zur Thuͤre hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir ſichtbar werden mußte. Endlich von unwiderſteh¬ lichem Drange getrieben, beſchloß ich, im Zimmer des Vaters ſelbſt mich zu verbergen und den Sandmann zu erwarten.

An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines Abends, daß der9 Sandmann kommen werde; ich ſchuͤtzte daher große Muͤdigkeit vor, verließ ſchon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg mich dicht neben der Thuͤre in einen Schlupfwinkel. Die Hausthuͤre knarrte, durch den Flur ging es, langſamen, ſchweren, droͤhnenden Schrittes nach der Treppe. Die Mut¬ ter eilte mit dem Geſchwiſter mir voruͤber. Leiſe leiſe oͤffnete ich des Vaters Stubenthuͤr. Er ſaß, wie gewoͤhnlich, ſtumm und ſtarr den Ruͤcken der Thuͤre zugekehrt, er bemerkte mich nicht, ſchnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich neben der Thuͤre ſtehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider hingen, vorgezogen war. Naͤher immer naͤher droͤhnten die Tritte es huſtete und ſcharrte und brummte ſeltſam draußen. Das Herz bebte mir vor Angſt und Erwartung. Dicht, dicht vor der Thuͤre ein ſcharfer Tritt ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Thuͤr ſpringt raſſelnd auf! Mit Gewalt mich ermannend gucke ich behutſam hervor. Der Sandmann ſteht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der10 Lichter brennt ihm ins Geſicht! Der Sand¬ mann, der fuͤrchterliche Sandmann iſt der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage ißt!

Aber die graͤßlichſte Geſtalt haͤtte mir nicht tieferes Entſetzen erregen koͤnnen, als eben dieſer Coppelius. Denke Dir einen großen breit¬ ſchultrigen Mann mit einem unfoͤrmlich dicken Kopf, erdgelbem Geſicht, buſchigten grauen Augenbrau¬ en, unter denen ein paar gruͤnliche Katzenaugen ſtechend hervorfunkeln, großer, ſtarker uͤber die Oberlippe gezogener Naſe. Das ſchiefe Maul ver¬ zieht ſich oft zum haͤmiſchen Lachen; dann wer¬ den auf den Backen ein paar dunkelrothe Flecke ſichtbar und ein ſeltſam ziſchender Ton faͤhrt durch die zuſammengekniffenen Zaͤhne. Coppelius erſchien immer in einem altmodiſch zugeſchnittenen aſchgrauen Rocke, eben ſolcher Weſte und gleichen Beinkleidern, aber dazu ſchwarze Struͤmpfe und Schuhe mit kleinen Steinſchnallen. Die kleine Peruͤcke reichte kaum bis uͤber den Kopfwirbel heraus, die Kleblocken ſtanden hoch uͤber den11 großen rothen Ohren und ein breiter verſchloſſe¬ ner Haarbeutel ſtarrte von dem Nacken weg, ſo daß man die ſilberne Schnalle ſah, die die gefaͤl¬ telte Halsbinde ſchloß. Die ganze Figur war uͤberhaupt widrig und abſcheulich; aber vor allem waren uns Kindern ſeine großen knotigten, haarigten Faͤuſte zuwider, ſo daß wir, was er damit be¬ ruͤhrte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es ſeine Freude, irgend ein Stuͤck¬ chen Kuchen, oder eine ſuͤße Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter dieſem, oder jenem Vorwande zu beruͤhren, daß wir, helle Thraͤnen in den Augen, die Naͤſcherei, der wir uns erfreuen ſollten, nicht mehr genießen mochten vor Ekel und Abſcheu. Eben ſo machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein klein Glaͤschen ſuͤßen Weins eingeſchenkt hatte. Dann fuhr er ſchnell mit der Fauſt heruͤber, oder brachte wohl gar das Glas an die blauen Lippen und lachte recht teufliſch, wenn wir unſern Aerger nur leiſe ſchluchzend aͤußern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen Beſtien zu nennen;12 wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns geben und verwuͤnſchten den haͤßlichen, feind¬ lichen Mann, der uns recht mit Bedacht und Abſicht auch die kleinſte Freude verdarb. Die Mutter ſchien eben ſo, wie wir, den widerwaͤrti¬ gen Coppelius zu haſſen; denn ſo wie er ſich zeigte, war ihr Frohſinn, ihr heiteres unbefange¬ nes Weſen umgewandelt in traurigen, duͤſtern Ernſt. Der Vater betrug ſich gegen ihn, als ſei er ein hoͤheres Weſen, deſſen Unarten man dulden und das man auf jede Weiſe bei guter Laune er¬ halten muͤſſe. Er durfte nur leiſe andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und ſeltene Weine kredenzt.

Als ich nun dieſen Coppelius ſah, ging es grauſig und entſetzlich in meiner Seele auf, daß ja niemand anders, als er, der Sandmann ſeyn koͤnne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem Ammenmaͤhrchen, der dem Eulenneſt im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung holt, Nein! ein haͤßlicher geſpenſtiſcher Unhold, der uͤberall, wo er einſchreitet, Jam¬13 mer Noth zeitliches, ewiges Verderben bringt.

Ich war feſt gezaubert. Auf die Gefahr ent¬ deckt, und, wie ich deutlich dachte, hart geſtraft zu werden, blieb ich ſtehen, den Kopf lauſchend durch die Gardine hervorgeſtreckt. Mein Vater empfing den Coppelius feierlich. Auf! zum Werk[, ]rief dieſer mit heiſerer, ſchnarrender Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog ſtill und finſter ſeinen Schlafrock aus und beide kleideten ſich in lange ſchwarze Kittel. Wo ſie die hernahmen, hatte ich uͤberſehen. Der Vater oͤffnete die Fluͤgelthuͤr eines Wandſchranks; aber ich ſah, daß das, was ich ſo lange dafuͤr gehal¬ ten, kein Wandſchrank, ſondern vielmehr eine ſchwarze Hoͤhlung war, in der ein kleiner Heerd ſtand. Coppelius trat hinzu und eine blaue Flamme kniſterte auf dem Heerde empor. Aller¬ lei ſeltſames Geraͤthe ſtand umher. Ach Gott! wie ſich nun mein alter Vater zum Feuer herab¬ buͤckte, da ſah er ganz anders aus. Ein graͤßli¬ cher krampfhafter Schmerz ſchien ſeine ſanften14 ehrlichen Zuͤge zum haͤßlichen widerwaͤrtigen Teu¬ felsbilde verzogen zu haben. Er ſah dem Coppe¬ lius aͤhnlich. Dieſer ſchwang die gluthrothe Zange und holte damit hellblinkende Maſſen aus dem dicken Qualm, die er dann aͤmſig haͤmmerte. Mir war es als wuͤrden Menſchengeſichter rings¬ umher ſichtbar, aber ohne Augen ſcheußliche, tiefe ſchwarze Hoͤhlen ſtatt ihrer. Augen her, Augen her[! ]rief Coppelius mit dumpfer droͤh¬ nender Stimme. Ich kreiſchte auf von wildem Entſetzen gewaltig erfaßt und ſtuͤrzte aus meinem Verſteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius, kleine Beſtie! kleine Beſtie! meckerte er zaͤhnfletſchend! riß mich auf und warf mich auf den Heerd, daß die Flamme mein Haar zu ſengen begann: Nun haben wir Au¬ gen Augen ein ſchoͤn Paar Kinderaugen[. ]So fluͤſterte Coppelius, und griff mit den Faͤu¬ ſten gluthrothe Koͤrner aus der Flamme, die er mir in die Augen ſtreuen wollte. Da hob mein Vater flehend die Haͤnde empor und rief: Meiſter! Meiſter! laß meinem Nathanael die Augen 15 laß ſie ihm! Coppelius lachte gellend auf und rief: Mag denn der Junge die Augen behalten und ſein Penſum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanismus der Haͤnde und der Fuͤße recht obſerviren[. ]Und damit faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und ſchrob mir die Haͤnde ab und die Fuͤße und ſetzte ſie bald hier, bald dort wieder ein. 'S ſteht doch uͤberall nicht recht! 's gut ſo wie es war! Der Alte hat's verſtanden! So ziſchte und lis¬ pelte Coppelius; aber alles um mich her wurde ſchwarz und finſter, ein jaͤher Krampf durchzuckte Nerv und Gebein ich fuͤhlte nichts mehr. Ein ſanfter warmer Hauch glitt uͤber mein Geſicht, ich erwachte wie aus dem Todesſchlaf, die Mutter hatte ſich uͤber mich hingebeugt. Iſt der Sand¬ mann noch da? ſtammelte ich. Nein, mein liebes Kind, der iſt lange, lange fort, der thut dir keinen Schaden! So ſprach die Mutter und kuͤßte und herzte den wieder gewonnenen Liebling.

Was ſoll ich Dich ermuͤden, mein herzlieber16 Lothar! was ſoll ich ſo weitlaͤuftig Einzelnes hererzaͤhlen, da noch ſo vieles zu ſagen uͤbrig bleibt? Genug! ich war bei der Lauſcherei entdeckt, und von Coppelius gemißhandelt wor¬ den. Angſt und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. Iſt der Sandmann noch da? Das war mein erſtes geſundes Wort und das Zeichen meiner Geneſung, meiner Rettung. Nur noch den ſchrecklichſten Moment meiner Ju¬ gendjahre darf ich dir erzaͤhlen; dann wirſt du uͤberzeugt ſeyn, daß es nicht meiner Augen Bloͤ¬ digkeit iſt, wenn mir nun alles farblos erſcheint, ſondern, daß ein dunkles Verhaͤngniß wirklich einen truͤben Wolkenſchleier uͤber mein Leben ge¬ haͤngt hat, den ich vielleicht nur ſterbend zer¬ reiſſe.

Coppelius ließ ſich nicht mehr ſehen, es hieß, er habe die Stadt verlaſſen.

Ein Jahr mochte vergangen ſeyn, als wir der alten unveraͤnderten Sitte gemaͤß Abends an dem runden Tiſche ſaßen. Der Vater war ſehr heiterund17und erzaͤhlte viel Ergoͤtzliches von den Reiſen, die er in ſeiner Jugend gemacht. Da hoͤrten wir als es Neune ſchlug, ploͤtzlich die Hausthuͤr in den Angeln knarren und langſame eiſenſchwere Schritte droͤhnten durch den Hausflur die Treppe herauf. Das iſt Coppelius, ſagte meine Mutter erblaſſend. Ja! es iſt Coppelius wiederholte der Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Thraͤnen ſtuͤrzten der Mutter aus den Augen. Aber Vater, Vater! rief ſie, muß es denn ſo ſeyn? Zum letztenmahle! erwiederte dieſer, zum letztenmahle kommt er zu mir, ich verſpreche es Dir. Geh 'nur, geh' mit den Kin¬ dern! Geht geht zu Bette! Gute Nacht!

Mir war es, als ſei ich in ſchweren kalten Stein eingepreßt mein Athem ſtockte! Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich un¬ beweglich ſtehen blieb: Komm Nathanael, komme nur! Ich ließ mich fortfuͤhren, ich trat in meine Kammer. Sei ruhig, ſei ruhig, lege Dich ins Bette! ſchlafe ſchlafe , rief mir die Mutter nach; aber von unbeſchreiblicherB18innerer Angſt und Unruhe gequaͤlt, konnte ich kein Auge zuthun. Der verhaßte abſcheuliche Coppelius ſtand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich haͤmiſch an, vergebens trachtete ich ſein Bild los zu werden. Es mochte wohl ſchon Mitternacht ſeyn, als ein entſetzlicher Schlag geſchah, wie wenn ein Geſchuͤtz losgefeiert wuͤrde. Das ganze Haus erdroͤhnte, es raſſelte und rauſchte bei meiner Thuͤre voruͤber, die Hausthuͤre wurde klirrend zugeworfen. Das iſt Coppelius rief ich entſetzt und ſprang aus dem Bette. Da kreiſchte es auf in ſchneidendem troſtloſen Jam¬ mer, fort ſtuͤrzte ich nach des Vaters Zimmer, die Thuͤre ſtand offen, erſtickender Dampf quoll mir entgegen, das Dienſtmaͤdchen ſchrie: Ach, der Herr! der Herr! Vor dem dampfenden Heerde auf dem Boden lag mein Vater todt mit ſchwarz verbranntem graͤßlich verzerrtem Geſicht, um ihn herum heulten und winſelten die Schwe¬ ſtern die Mutter ohnmaͤchtig daneben! Coppelius, verruchter Satan, du haſt den Vater erſchlagen! So ſchrie ich auf; mir ver¬19 gingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf meinen Vater in den Sarg legte, waren ſeine Geſichtszuͤge wieder mild und ſanft geworden, wie ſie im Leben waren. Troͤſtend ging es in meiner Seele auf, daß ſein Bund mit dem teufliſchen Coppelius ihn nicht ins ewige Verderben ge¬ ſtuͤrzt haben koͤnne.

Die Exploſion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar und kam vor die Obrig¬ keit, welche den Coppelius zur Verantwortung vorfordern wollte. Der war aber ſpurlos vom Orte verſchwunden.

Wenn ich Dir nun ſage, mein herzlieber Freund! daß jener Wetterglashaͤndler eben der verruchte Coppelius war, ſo wirſt Du mir es nicht verargen, daß ich die feindliche Erſcheinung als ſchweres Unheil bringend deute. Er war an¬ ders gekleidet, aber Coppelius Figur und Ge¬ ſichtszuͤge ſind zu tief in mein Innerſtes einge¬ praͤgt, als daß hier ein Irrthum moͤglich ſeyn ſollte. Zudem hat Coppelius nicht einmahl ſeinen Namen geaͤndert. Er gibt ſich hier, wieB 220ich hoͤre, fuͤr einen piemonteſiſchen Mechanicus aus, und nennt ſich Giuſeppe Coppola.

Ich bin entſchloſſen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu raͤchen, mag es denn nun gehen wie es will.

Der Mutter erzaͤhle nichts von dem Erſchei¬ nen des graͤßlichen Unholds Gruͤße meine liebe holde Clara, ich ſchreibe ihr in ruhigerer Ge¬ muͤthsſtimmung. Lebe wohl ꝛc. ꝛc.

Clara an Nathanael.

Wahr iſt es, daß Du recht lange mir nicht geſchrieben haſt, aber dennoch glaube ich, daß Du mich in Sinn und Gedanken traͤgſt. Denn mei¬ ner gedachteſt Du wohl recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief an Bruder Lothar abſen¬ den wollteſt und die Aufſchrift, ſtatt an ihn, an mich richteteſt. Freudig erbrach ich den Brief und wurde den Irrthum erſt bei den Worten inne: Ach mein herzlieber Lothar! Nun haͤtte ich nicht weiter leſen, ſondern den Brief dem Bru¬21 der geben ſollen. Aber, haſt Du mir auch ſonſt manchmahl in kindiſcher Neckerei vorgeworfen, ich haͤtte ſolch 'ruhiges, weiblich beſonnenes Ge¬ muͤth, daß ich wie jene Frau, drohe das Haus den Einſturz, noch vor ſchneller Flucht ganz ge¬ ſchwinde einen falſchen Kniff in der Fenſter¬ gardine glattſtreichen wuͤrde, ſo darf ich doch wohl kaum verſichern, daß Deines Briefes Anfang mich tief erſchuͤtterte. Ich konnte kaum athmen, es flimmerte mir vor den Augen. Ach, mein herzgeliebter Nathanael! was konnte ſo ent¬ ſetzliches in Dein Leben getreten ſeyn! Trennung von Dir, Dich niemahls wieder ſehen, der Gedanke durchfuhr meine Bruſt wie ein gluͤhender Dolchſtich. Ich las und las! Deine Schil¬ derung des widerwaͤrtigen Coppelius iſt graͤ߬ lich. Erſt jetzt vernahm ich, wie Dein guter alter Vater ſolch' entſetzlichen, gewaltſamen Todes ſtarb. Bruder Lothar, dem ich ſein Eigenthum zu¬ ſtellte, ſuchte mich zu beruhigen, aber es gelang ihm ſchlecht. Der fatale Wetterglashaͤndler Giu¬ ſeppe Coppola verfolgte mich auf Schritt und22 Tritt und beinahe ſchaͤme ich mich, es zu geſte¬ hen, daß er ſelbſt meinen geſunden, ſonſt ſo ruhi¬ gen Schlaf in allerlei wunderlichen Traumgebilden zerſtoͤren konnte. Doch bald, ſchon den andern Tag, hatte ſich Alles anders in mir geſtaltet. Sei mir nur nicht boͤſe, mein Inniggeliebter, wenn Lothar Dir etwa ſagen moͤchte, daß ich trotz Deiner ſeltſamen Ahnung, Coppelius werde Dir etwas Boͤſes anthun, ganz heitern un¬ befangenen Sinnes bin, wie immer.

Gerade heraus will ich es Dir nur geſtehen, daß, wie ich meine, alles Entſetzliche und Schreck¬ liche, wovon Du ſprichſt, nur in Deinem Innern vorging, die wahre wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig Theil hatte. Widerwaͤrtig genug mag der alte Coppelius geweſen ſeyn, aber daß er Kinder haßte, das brachte in Euch Kindern wah¬ ren Abſcheu gegen ihn hervor.

Natuͤrlich verknuͤpfte ſich nun in Deinem kin¬ diſchen Gemuͤth der ſchreckliche Sandmann aus dem Ammenmaͤhrchen mit dem alten Coppelius, der Dir, glaubteſt Du auch nicht an den Sand¬23 mann, ein geſpenſtiſcher, Kindern vorzuͤglich ge¬ faͤhrlicher, Unhold blieb. Das unheimliche Trei¬ ben mit Deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts anders, als daß beide insgeheim alchymi¬ ſtiſche Verſuche machten, womit die Mutter nicht zufrieden ſeyn konnte, da gewiß viel Geld un¬ nuͤtz verſchleudert und obendrein, wie es immer mit ſolchen Laboranten der Fall ſeyn ſoll, des Va¬ ters Gemuͤth ganz von dem truͤgeriſchen Drange nach hoher Weisheit erfuͤllt, der Familie abwen¬ dig gemacht wurde. Der Vater hat wohl gewiß durch eigne Unvorſichtigkeit ſeinen Tod herbeige¬ fuͤhrt, und Coppelius iſt nicht Schuld daran: Glaubſt Du, daß ich den erfahrnen Nachbar Apo¬ theker geſtern frug, ob wohl bei chemiſchen Ver¬ ſuchen eine ſolche augenblicklich toͤdtende Exploſion moͤglich ſei? Der ſagte: Ei allerdings und be¬ ſchrieb mir nach ſeiner Art gar weitlaͤuftig und umſtaͤndlich, wie das zugehen koͤnne, und nannte dabei ſo viel ſonderbar klingende Namen, die ich gar nicht zu behalten vermochte. Nun wirſt Du wohl unwillig werden uͤber deine Clara,24 Du wirſt ſagen: in dies kalte Gemuͤth dringt kein Strahl des Geheimnißvollen, das den Men¬ ſchen oft mit unſichtbaren Armen umfaßt; ſie er¬ ſchaut nur die bunte Oberflaͤche der Welt und freut ſich, wie das kindiſche Kind uͤber die gold¬ gleißende Frucht, in deren Innerm toͤdtliches Gift verborgen.

Ach mein herzgeliebter Nathanael! glaubſt Du denn nicht, daß auch in heitern unbefan¬ genen ſorgloſen Gemuͤthern die Ahnung woh¬ nen koͤnne von einer dunklen Macht, die feindlich Uns in Unſerm eignen Selbſt zu verderben ſtrebt? Aber verzeih 'es mir, wenn ich ein¬ faͤltig' Maͤdchen mich unterfange, auf irgend eine Weiſe mir anzudeuten, was ich eigentlich von ſolchem Kampfe im Innern glaube. Ich finde wohl gar am Ende nicht die rechten Worte und Du lachſt mich aus, nicht, weil ich was dummes meine, ſondern weil ich mich ſo ungeſchickt an¬ ſtelle, es zu ſagen.

Giebt es eine dunkle Macht, die ſo recht feind¬ lich und verraͤtheriſch einen Faden in unſer Inne¬25 res legt, woran ſie uns dann feſtpackt und fort¬ zieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir ſonſt nicht betreten haben wuͤrden giebt es eine ſolche Macht, ſo muß ſie in Uns ſich, wie wir ſelbſt geſtalten, ja unſer Selbſt werden; denn nur ſo glauben wir an ſie und raͤumen ihr den Platz ein, deſſen ſie bedarf, um jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir fe¬ ſten, durch das heitre Leben geſtaͤrkten, Sinn genug, um fremdes feindliches Einwirken als ſolches ſtets zu erkennen und den Weg, in den uns Neigung und Beruf geſchoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, ſo geht wohl jene unheimliche Macht unter in dem vergeblichen Ringen nach der Geſtaltung, die unſer eignes Spiegelbild ſeyn ſollte. Es iſt auch gewiß, fuͤgt Lothar hinzu, daß die dunkle phy¬ ſiſche Macht, haben wir uns durch uns ſelbſt ihr hingegeben, oft fremde Geſtalten, die die Außen¬ welt uns in den Weg wirft, in unſer Inneres hineinzieht, ſo, daß wir ſelbſt nur den Geiſt ent¬ zuͤnden, der, wie wir in wunderlicher Taͤuſchung glauben, aus jener Geſtalt ſpricht. Es iſt das26 Fantom unſeres eigenen Ichs, deſſen innige Ver¬ wandtſchaft und deſſen tiefe Einwirkung auf unſer Gemuͤth uns in die Hoͤlle wirft, oder in den Him¬ mel verzuͤckt. Du merkſt, mein herzlieber Nathanael! daß wir, ich und Bruder Lothar uns recht uͤber die Materie von dunklen Maͤchten und Gewalten ausgeſprochen haben, die mir nun, nachdem ich nicht ohne Muͤhe das Hauptſaͤchlichſte aufgeſchrieben, ordentlich tiefſinnig vorkommt. Lothar's letzte Worte verſtehe ich nicht ganz, ich ahne nur, was er meint, und doch iſt es mir, als ſei alles ſehr wahr. Ich bitte Dich, ſchlage Dir den haͤßlichen Advokaten Coppelius und den Wetterglasmann Giuſeppe Coppola ganz aus dem Sinn. Sei uͤberzeugt, daß dieſe fremden Geſtalten nichts uͤber Dich vermoͤgen; nur der Glaube an ihre feindliche Gewalt kann ſie Dir in der That feindlich machen. Spraͤche nicht aus jeder Zeile Deines Briefes die tiefſte Aufregung Deines Gemuͤths, ſchmerzte mich nicht Dein Zu¬ ſtand recht in innerſter Seele, wahrhaftig, ich koͤnnte uͤber den Advokaten Sandmann und den27 Wetterglashaͤndler Coppelius ſcherzen. Sei hei¬ ter heiter! Ich habe mir vorgenommen, bei Dir zu erſcheinen, wie Dein Schutzgeiſt, und den haͤßlichen Coppola, ſollte er es ſich etwa beikommen laſſen, Dir im Traum beſchwerlich zu fallen, mit lautem Lachen fortzubannen. Ganz und gar nicht fuͤrchte ich mich vor ihm und vor ſeinen garſtigen Faͤuſten, er ſoll mir weder als Advokat eine Naͤſcherei, noch als Sandmann die Augen verderben.

Ewig, mein herzinnigſtgeliebter Natha¬ nael ꝛc. ꝛc. ꝛc.

Nathanael an Lothar.

Sehr unlieb iſt es mir, daß Clara neulich den Brief an Dich aus, freilich durch meine Zer¬ ſtreutheit veranlaßtem, Irrthum erbrach und las. Sie hat mir einen ſehr tiefſinnigen philoſophiſchen Brief geſchrieben, worin ſie ausfuͤhrlich beweiſet, daß Coppelius und Coppola nur in meinem Innern exiſtiren und Fantome meines Ich's ſind,28 die augenblicklich zerſtaͤuben, wenn ich ſie als ſolche, erkenne. In der That, man ſollte gar nicht glau¬ ben, daß der Geiſt, der aus ſolch 'hellen hold¬ laͤchelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher ſuͤßer Traum, hervorleuchtet, ſo gar verſtaͤndig, ſo ma¬ giſtermaͤßig diſtinguiren koͤnne. Sie beruft ſich auf Dich. Ihr habt uͤber mich geſprochen. Du lieſeſt ihr wohl logiſche Collegia, damit ſie alles fein ſichten und ſondern lerne. Laß das blei¬ ben! Uebrigens iſt es wohl gewiß, daß der Wetterglashaͤndler Giuſeppe Coppola keines¬ weges der alte Advokat Coppelius iſt. Ich hoͤre bei dem erſt neuerdings angekommenen Profeſſor der Phyſik, der, wie jener beruͤhmte Naturforſcher, Spalanzani heißt und italiaͤniſcher Abkunft iſt, Collegia. Der kennt den Coppola ſchon ſeit vielen Jahren und uͤberdem hoͤrt man es auch ſeiner Ausſprache an, daß er wirklich Piemonteſer iſt. Coppelius war ein Deutſcher, aber wie mich duͤnkt, kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara, mich immerhin fuͤr einen duͤſtern Traͤumer, aber nicht29 los kann ich den Eindruck werden, den Coppe¬ lius verfluchtes Geſicht auf mich macht. Ich bin froh, daß er fort iſt aus der Stadt, wie mir Spalanzani ſagt. Dieſer Profeſſor iſt ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher Mann, das Geſicht mit ſtarken Backenknochen, feiner Naſe, aufgeworfnen Lippen, kleinen ſtechenden Au¬ gen. Doch beſſer, als in jeder Beſchreibung, ſiehſt Du ihn, wenn Du den Caglioſtro, wie er von Chodowiecki in irgend einem Berliniſchen Taſchenkalender ſteht, anſchaueſt. So ſieht Spalanzani aus. Neulich ſteige ich die Treppe herauf und nehme wahr, daß die ſonſt einer Glasthuͤre dicht vorgezogene Gardine zur Seite einen kleinen Spalt laͤßt. Selbſt weiß ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, ſehr ſchlank im reinſten Ebenmaß ge¬ wachſenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer ſaß im Zimmer vor einem kleinen Tiſch, auf den ſie beide Aerme, die Haͤnde zuſammengefaltet, gelegt hatte. Sie ſaß der Thuͤre gegenuͤber, ſo, daß ich ihr engelſchoͤnes Geſicht ganz erblickte. Sie ſchien30 mich nicht zu bemerken, und uͤberhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe moͤcht' ich ſagen, keine Sehkraft, es war mir ſo, als ſchliefe ſie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb ſchlich ich leiſe fort ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher er¬ fuhr ich, daß die Geſtalt, die ich geſehen, Spa¬ lanzani's Tochter, Olimpia war, die er ſon¬ derbarer und ſchlechter Weiſe einſperrt, ſo, daß durchaus kein Menſch in ihre Naͤhe kommen darf. Am Ende hat es eine Bewandniß mit ihr, ſie iſt vielleicht bloͤdſinnig oder ſonſt. Weshalb ſchreibe ich Dir aber das alles? Beſſer und ausfuͤhrlicher haͤtte ich Dir das muͤndlich er¬ zaͤhlen koͤnnen. Wiſſe nehmlich, daß ich uͤber vierzehn Tage bey Euch bin. Ich muß mein ſuͤßes liebes Engelsbild, meine Clara, wiederſeh¬ en. Weggehaucht wird dann die Verſtimmung ſeyn, die ſich (ich muß das geſtehen) nach dem fata¬ len verſtaͤndigen Briefe meiner bemeiſtern wollte Deshalb ſchreibe ich auch heute nicht an Sie.

Tauſend Gruͤße ꝛc. ꝛc. ꝛc.

31

Seltſamer und wunderlicher kann nichts erfun¬ den werden, als dasjenige iſt, was ſich mit mei¬ nem armen Freunde, dem jungen Studenten Na¬ thanael, zugetragen, und was ich Dir, guͤnſtiger Leſer! zu erzaͤhlen unternommen. Haſt Du, Ge¬ neigteſter! wohl jemahls etwas erlebt, das Deine Bruſt, Sinn und Gedanken ganz und gar erfuͤllte, Alles Andere daraus verdraͤngend? Es gaͤhrte und kochte in Dir, zur ſiedenden Gluth entzuͤndet ſprang das Blut durch die Adern und faͤrbte hoͤh¬ er Deine Wangen. Dein Blick war ſo ſeltſam als wolle er Geſtalten, keinem andern Auge ſicht¬ bar, im leeren Raum erfaſſen und die Rede zer¬ floß in dunkle Seufzer. Da frugen Dich die Freunde: Wie iſt Ihnen, Verehrter? Was haben Sie, Theurer? Und nun wollteſt Du das innere Gebilde mit allen gluͤhenden Farben und Schatten und Lichtern ausſprechen und muͤhteſt Dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war Dir, als muͤßteſt Du nun gleich im erſten Wort Alles Wunderbare, Herrliche, Entſetzliche, Luſtige, Grauenhafte, das ſich zuge¬32 tragen, recht zuſammengreifen, ſo daß es, wie ein elektriſcher Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, Alles was Rede vermag, ſchien Dir farb¬ los und froſtig und todt. Du ſuchſt und ſuchſt, und ſtotterſt und ſtammelſt, und die nuͤchternen Fragen der Freunde ſchlagen, wie eiſige Windes¬ hauche, hinein in Deine innere Gluth, bis ſie ver¬ loͤſchen will. Hatteſt Du aber, wie ein kecker Mahler, erſt mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß Deines innern Bildes hingeworfen, ſo trugſt Du mit leichter Muͤhe immer gluͤhender und gluͤhender die Farben auf und das lebendige Gewuͤhl mannigfacher Geſtalten riß die Freunde fort und ſie ſahen, wie Du, ſich ſelbſt mitten im Bilde, das aus Deinem Gemuͤth hervorgegangen! Mich hat, wie ich es Dir, geneigter Leſer! geſtehen muß, eigentlich niemand nach der Geſchichte des jungen Nathanael gefragt; Du weißt ja aber wohl, daß ich zu dem wunderlichen Geſchlechte der Autoren gehoͤre, denen, tragen ſie etwas ſo in ſich, wie ich es vorhin beſchrieben, ſo zu Muthe wird, als frage jeder, der in ihre Naͤhekommt33kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: Was iſt es denn? Erzaͤhlen Sie Lieb¬ ſter? So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verhaͤngnißvollem Leben zu Dir zu ſprechen. Das Wunderbare, Seltſame davon er¬ fuͤllte meine ganze Seele, aber eben deshalb und weil ich Dich, o mein Leſer! gleich geneigt machen mußte, Wunderliches zu ertragen, welches nichts geringes iſt, quaͤlte ich mich ab, Nathanaels Geſchichte, bedeutend originell, ergreifend, an¬ zufangen: Es war einmahl der ſchoͤnſte An¬ fang jeder Erzaͤhlung, zu nuͤchtern! In der kleinen Provinzial-Stadt S. lebte etwas beſ¬ ſer, wenigſtens ausholend zum Climax. Oder gleich medias in res: Scheer 'er ſich zum Teu¬ fel, rief, Wuth und Entſetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der Wetterglas - Haͤndler Giuſeppe Coppola Das hatte ich in der That ſchon aufgeſchrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael etwas poſſirliches zu verſpuͤren glaubte; die Geſchichte iſt aber gar nicht ſpaßhaft. Mir kam keine RedeC34in den Sinn, die nur im mindeſten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuſpiegeln ſchien. Ich beſchloß gar nicht anzufangen. Nimm, geneigter Leſer! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir guͤtigſt mittheilte, fuͤr den Umriß des Gebildes, in das ich nun erzaͤhlend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemuͤh¬ en werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Geſtalt, wie ein guter Portraitmahler, ſo aufzu¬ faſſen, daß Du es aͤhnlich findeſt, ohne das Ori¬ ginal zu kennen, ja daß es Dir iſt, als haͤtteſt Du die Perſon recht oft ſchon mit leibhaftigen Augen geſehen. Vielleicht wirſt Du, o mein Leſer! dann glauben, daß nichts wunderlicher und toller ſei, als das wirkliche Leben und daß dieſes der Dichter doch nur, wie in eines matt geſchliffnen Spiegels dunklem Widerſchein, auffaſſen koͤnne.

Damit klarer werde, was gleich Anfangs zu wiſſen noͤthig, iſt jenen Briefen noch hinzuzufuͤ¬ gen, daß bald darauf, als Nathanaels Vater geſtorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitlaͤuftigen Verwandten, der ebenfalls geſtorben35 und ſie verwaiſt nachgelaſſen, von Nathanaels Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael faßten eine heftige Zuneigung zu einander, wogegen kein Menſch auf Erden etwas einzuwenden hatte; ſie waren daher Ver¬ lobte, als Nathanael den Ort verließ um ſeine Studien in G. fortzuſetzen. Da iſt er nun in ſeinem letzten Briefe und hoͤrt Collegia bei dem beruͤhmten Profeſſor Phyſices, Spalan¬ zani.

Nun koͤnnte ich getroſt in der Erzaͤhlung fort¬ fahren; aber in dem Augenblick ſteht Clara's Bild ſo lebendig mir vor Augen, daß ich nicht wegſchauen kann, ſo wie es immer geſchah, wenn ſie mich holdlaͤchelnd anblickte. Fuͤr ſchoͤn konnte Clara keinesweges gelten; das meinten alle, die ſich von Amtswegen auf Schoͤnheit ver¬ ſtehen. Doch lobten die Architekten die reinen Ver¬ haͤltniſſe ihres Wuchſes, die Mahler fanden Nacken, Schultern und Bruſt beinahe zu keuſch geformt, verliebten ſich dagegen ſaͤmmtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faſelten uͤberhaupt viel vonC 236Battoniſchem Colorit. Einer von ihnen, ein wirk¬ licher Fantaſt, verglich aber hoͤchſtſeltſamer Weiſe Clara's Augen mit einem See von Ruisdael, in dem ſich des wolkenloſen Himmels reines Azur, Wald - und Blumenflur, der reichen Landſchaft ganzes buntes, heitres Leben ſpiegelt. Dichter und Meiſter gingen aber weiter und ſprachen: Was See was Spiegel! Koͤnnen wir denn das Maͤdchen anſchauen, ohne daß uns aus ihrem Blick wunderbare himmliſche Geſaͤnge und Klaͤnge entgegenſtrahlen, die in unſer Innerſtes dringen, daß da alles wach und rege wird? Singen wir ſelbſt denn nichts wahrhaft geſcheutes, ſo iſt uͤber¬ haupt nicht viel an uns und das leſen wir denn auch deutlich in dem um Clara's Lippen ſchwe¬ benden feinen Laͤcheln, wenn wir uns unterfan¬ gen, ihr etwas vorzuquinkeliren, das ſo thun will als ſei es Geſang, unerachtet nur einzelne Toͤne verworren durch einander ſpringen. Es war dem ſo. Clara hatte die lebenskraͤftige Fantaſie des heitern unbefangenen, kindiſchen Kindes, ein tie¬ fes weiblich zartes Gemuͤth, einen gar hellen ſcharf37 ſichtenden Verſtand. Die Nebler und Schwebler hatten bei ihr boͤſes Spiel; denn ohne zu viel zu reden, was uͤberhaupt in Clara's ſchweigſamer Natur nicht lag, ſagte ihnen der helle Blick, und jenes feine ironiſche Laͤcheln: Lieben Freunde! wie moͤget ihr mir denn zumuthen, daß ich Eure ver¬ fließende Schattengebilde fuͤr wahre Geſtalten an¬ ſehen ſoll, mit Leben und Regung? Clara wurde deshalb von vielen kalt, gefuͤhllos, pro¬ ſaiſch geſcholten; aber andere, die das Leben in klarer Tiefe aufgefaßt, liebten ungemein das ge¬ muͤthvolle, verſtaͤndige, kindliche Maͤdchen, doch keiner ſo ſehr, als Nathanael, der ſich in Wiſ¬ ſenſchaft und Kunſt kraͤftig und heiter bewegte. Clara hing an dem Geliebten mit ganzer Seele; die erſten Wolkenſchatten zogen durch ihr Leben, als er ſich von ihr trennte. Mit welchem Ent¬ zuͤcken flog ſie in ſeine Arme, als er nun, wie er im letzten Briefe an Lothar es verheißen, wirklich in ſeiner Vaterſtadt ins Zimmer der Mut¬ ter eintrat. Es geſchah ſo wie Nathanael ge¬ glaubt; denn in dem Augenblick, als er Clara38 wieder ſah, dachte er weder an den Advokaten Coppelius, noch an Clara's verſtaͤndigen Brief, jede Verſtimmung war verſchwunden.

Recht hatte aber Nathanael doch, als er ſeinem Freunde Lothar ſchrieb, daß des wider¬ waͤrtigen Wetterglashaͤndlers Coppola Geſtalt recht feindlich in ſein Leben getreten ſei. Alle fuͤhlten das, da Nathanael gleich in den erſten Tagen in ſeinem ganzen Weſen durchaus veraͤn¬ dert ſich zeigte. Er verſank in duͤſtre Traͤume¬ reien, und trieb es bald ſo ſeltſam, wie man es niemahls von ihm gewohnt geweſen. Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung ge¬ worden; immer ſprach er davon, wie jeder Menſch, ſich frei waͤhnend, nur dunklen Maͤchten zum grauſamen Spiel diene, vergeblich lehne man ſich dagegen auf, demuͤthig muͤſſe man ſich dem fuͤgen, was das Schickſal verhaͤngt habe. Er ging ſo weit, zu behaupten, daß es thoͤricht ſei, wenn man glaube, in Kunſt und Wiſſenſchaft nach ſelbſt¬ thaͤtiger Willkuͤhr zu ſchaffen; denn die Begeiſte¬ rung, in der man nur zu ſchaffen faͤhig ſei,39 komme nicht aus dem eignen Innern, ſondern ſei das Einwirken irgend eines außer uns ſelbſt liegenden hoͤheren Prinzips.

Der verſtaͤndigen Clara war dieſe myſtiſche Schwaͤrmerei im hoͤchſten Grade zuwider, doch ſchien es vergebens, ſich auf Widerlegung einzu¬ laſſen. Nur dann, wenn Nathanael bewies, daß Coppelius das boͤſe Prinzip ſei, was ihn in dem Augenblick erfaßt habe, als er hinter dem Vor¬ hange lauſchte, und daß dieſer widerwaͤrtige Daͤ¬ mon auf entſetzliche Weiſe ihr Liebesgluͤck ſtoͤren werde, da wurde Clara ſehr ernſt und ſprach: Ja Nathanael! Du haſt Recht, Coppelius iſt ein boͤſes feindliches Prinzip, er kann Entſetz¬ liches wirken, wie eine teufliſche Macht, die ſicht¬ barlich in das Leben trat, aber nur dann, wenn Du ihn n[i]cht aus Sinn und Gedanken verbannſt. So lange Du an ihn glaubſt, iſt er auch und wirkt, nur Dein Glaube iſt ſeine Macht. Nathanael, ganz erzuͤrnt, daß Clara die Exi¬ ſtenz des Daͤmons nur in ſeinem eignen Innern ſtatuire, wollte dann hervorruͤcken mit der ganzen40 myſtiſchen Lehre von Teufeln und grauſen Maͤch¬ ten, Clara brach aber verdruͤßlich ab, indem ſie irgend etwas gleichguͤltiges dazwiſchen ſchob, zu Na¬ thanaels nicht geringem Aerger. Der dachte, kalten unempfaͤnglichen Gemuͤthern erſchließen ſich ſolche tiefe Geheimniſſe, ohne ſich deutlich bewußt zu ſeyn, daß er Clara eben zu ſolchen unter¬ geordneten Naturen zaͤhle, weshalb er nicht ab¬ ließ mit Verſuchen, ſie in jene Geheimniſſe ein¬ zuweihen. Am fruͤhen Morgen, wenn Clara das Fruͤhſtuͤck bereiten half, ſtand er bei ihr und las ihr aus allerlei myſtiſchen Buͤchern vor, daß Clara bat: Aber lieber Nathanael, wenn ich Dich nun das boͤſe Prinzip ſchelten wollte, das feindlich auf meinen Kaffee wirkt? Denn, wenn ich, wie Du es willſt, alles ſtehen und lie¬ gen laſſen und Dir, indem Du lieſeſt, in die Augen ſchauen ſoll, ſo laͤuft mir der Kaffee ins Feuer und ihr bekommt alle kein Fruͤhſtuͤck! Nathanael klappte das Buch heftig zu und rannte voll Unmuth fort in ſein Zimmer. Sonſt hatte er eine beſondere Staͤrke in anmuthigen,41 lebendigen Erzaͤhlungen, die er aufſchrieb, und die Clara mit dem innigſten Vergnuͤgen anhoͤrte; jetzt waren ſeine Dichtungen duͤſter, unverſtaͤnd¬ lich, geſtaltlos, ſo daß, wenn Clara ſchonend es auch nicht ſagte, er doch wohl fuͤhlte, wie wenig ſie davon angeſprochen wurde. Nichts war fuͤr Clara toͤdtender, als das Langweilige; in Blick und Rede ſprach ſich dann ihre nicht zu beſiegende geiſtige Schlaͤfrigkeit aus. Natha¬ nael's Dichtungen waren in der That ſehr lang¬ weilig. Sein Verdruß uͤber Clara's kaltes pro¬ ſaiſches Gemuͤth ſtieg hoͤher, Clara konnte ihren Unmuth uͤber Nathanael's dunkle, duͤſtere, langweilige Myſtik nicht uͤberwinden, und ſo ent¬ fernten beide im Innern ſich immer mehr von ein¬ ander, ohne es ſelbſt zu bemerken. Die Geſtalt des haͤßlichen Coppelius war, wie Natha¬ nael ſelbſt es ſich geſtehen mußte, in ſeiner Fan¬ taſie erbleicht und es koſtete ihm oft Muͤhe, ihn in ſeinen Dichtungen, wo er als grauſer Schickſals¬ popanz auftrat, recht lebendig zu coloriren. Es kam ihm endlich ein, jene duͤſtre Ahnung, daß42 Coppelius ſein Liebesgluͤck ſtoͤren werde, zum Ge¬ genſtande eines Gedichts zu machen. Er ſtellte ſich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann war es, als griffe eine ſchwarze Fauſt in ihr Leben und riſſe irgend eine Freude her¬ aus, die ihnen aufgegangen. Endlich, als ſie ſchon am Traualtar ſtehen, erſcheint der entſetzliche Cop¬ pelius und beruͤhrt Clara's holde Augen; die ſpringen in Nathanaels Bruſt wie blu¬ tige Funken ſengend und brennend, Coppelius faßt ihn und wirft ihn in einen flammenden Feuer¬ kreis, der ſich dreht mit der Schnelligkeit des Sturmes und ihn ſauſend und brauſend fortreißt. Es iſt ein Toſen, als wenn der Orkan grimmig hineinpeitſcht in die ſchaͤumenden Meereswellen, die ſich wie ſchwarze, weißhauptige Rieſen empor¬ baͤumen in wuͤthendem Kampfe. Aber durch dies wilde Toſen hoͤrt er Clara's Stimme: Kannſt Du mich denn nicht erſchauen? Coppelius hat Dich getaͤuſcht, das waren ja nicht meine Augen, die ſo in Deiner Bruſt brannten, das waren ja gluͤhende Tropfen Deines eignen Herzbluts 43 ich habe ja meine Augen, ſieh 'mich doch nur an! Nathanael denkt: das iſt Clara, und ich bin ihr Eigen ewiglich. Da iſt es, als faßt der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, daß er ſtehen bleibt, und im ſchwarzen Abgrund verrauſcht dumpf das Getoͤſe. Natha¬ nael blickt in Clara's Augen; aber es iſt der Tod, der mit Clara's Augen ihn freundlich anſchaut.

Waͤhrend Nathanael dies dichtete, war er ſehr ruhig und beſonnen, er feilte und beſſerte an jeder Zeile und da er ſich dem metriſchen Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend ſich fuͤgte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht fuͤr ſich laut las, da faßte ihn Grauſen und wildes Entſetzen und er ſchrie auf: Weſſen grauenvolle Stimme iſt das? Bald ſchien ihm jedoch das Ganze wieder nur eine ſehr gelungene Dich¬ tung, und es war ihm, als muͤſſe Clara's kaltes Gemuͤth dadurch entzuͤndet werden, wie¬ wohl er nicht deutlich dachte, wozu denn Clara44 entzuͤndet, und wozu es denn nun eigentlich fuͤh¬ ren ſolle, ſie mit den grauenvollen Bildern zu aͤng¬ ſtigen, die ein entſetzliches, ihre Liebe zerſtoͤrendes Geſchick weiſſagten. Sie, Nathanael und Clara, ſaßen in der Mutter kleinem Garten, Clara war ſehr heiter, weil Nathanael ſie ſeit drei Tagen, in denen er an jener Dichtung ſchrieb, nicht mit ſeinen Traͤumen und Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael ſprach lebhaft und froh von luſtigen Dingen wie ſonſt, ſo, daß Clara ſagte: Nun erſt habe ich Dich ganz wie¬ der, ſiehſt Du es wohl, wie wir den haͤßlichen Coppelius vertrieben haben? Da fiel dem Nathanael erſt ein, daß er ja die Dichtung in der Taſche trage, die er habe vorleſen wollen. Er zog auch ſogleich die Blaͤtter hervor und fing an zu leſen: Clara, etwas langweiliges wie gewoͤhnlich vermuthend und ſich darein ergebend, fing an, ruhig zu ſtricken. Aber ſo wie immer ſchwaͤrzer und ſchwaͤrzer das duͤſtre Gewoͤlk auf¬ ſtieg, ließ ſie den Strickſtrumpf ſinken und blickte ſtarr dem Nathanael ins Auge. Den riß45 ſeine Dichtung unaufhaltſam fort, hochroth faͤrbte ſeine Wangen die innere Gluth, Thraͤnen quollen ihm aus den Augen Endlich hatte er geſchloſ¬ ſen, er ſtoͤhnte in tiefer Ermattung er faßte Clara's Hand und ſeufzte wie aufgeloͤſt in troſt¬ loſem Jammer: Ach! Clara Clara! Clara druͤckte ihn ſanft an ihren Buſen und ſagte leiſe, aber ſehr langſam und ernſt: Natha¬ nael mein herzlieber Nathanael! wirf das tolle unſinnige wahnſinnige Maͤhrchen ins Feuer. Da ſprang Nathanael entruͤſtet auf und rief, Clara von ſich ſtoßend: Du leb¬ loſes, verdammtes Automat! Er rannte fort, bittre Thraͤnen vergoß die tief verletzte Clara: Ach er hat mich niemahls geliebt, denn er ver¬ ſteht mich nicht, ſchluchzte ſie laut. Lothar trat in die Laube; Clara mußte ihm erzaͤhlen was vorgefallen; er liebte ſeine Schweſter mit ganzer Seele, jedes Wort ihrer Anklage fiel wie ein Funke in ſein Inneres, ſo, daß der Unmuth, den er wider den traͤumeriſchen Nathanael lange im Herzen getragen, ſich entzuͤndete zum46 wilden Zorn. Er lief zu Nathanael, er warf ihm das unſinnige Betragen gegen die geliebte Schweſter in harten Worten vor, die der auf¬ brauſende Nathanael eben ſo erwiederte. Ein fantaſtiſcher, wahnſinniger Geck wurde mit einem miſerablen, gemeinen Alltagsmenſchen erwiedert. Der Zweikampf war unvermeidlich. Sie beſchloſ¬ ſen, ſich am folgenden Morgen hinter dem Garten nach dortiger akademiſcher Sitte mit ſcharf ge¬ ſchliffenen Stoßrappieren zu ſchlagen. Stumm und finſter ſchlichen ſie umher, Clara hatte den heftigen Streit gehoͤrt und geſehen, daß der Fechtmeiſter in der Daͤmmerung die Rappiere brachte. Sie ahnte was geſchehen ſollte. Auf dem Kampfplatz angekommen hatten Lothar und Nathanael ſo eben duͤſterſchweigend die Roͤcke abgeworfen, blutduͤrſtige Kampfluſt im brennenden Auge wollten ſie gegen einander ausfallen, als Clara durch die Gartenthuͤr herbeiſtuͤrzte. Schluchzend rief ſie laut: Ihr wilden entſetzlichen Menſchen! ſtoßt mich nur gleich nieder, ehe ihr Euch anfallt; denn wie ſoll ich denn laͤnger47 leben auf der Welt, wenn der Geliebte den Bru¬ der, oder wenn der Bruder den Geliebten er¬ mordet hat! Lothar ließ die Waffe ſinken und ſah ſchweigend zur Erde nieder, aber in Na¬ thanael's Innerm ging in herzzerreiſſender Weh¬ muth alle Liebe wieder auf, wie er ſie jemahls in der herrlichen Jugendzeit ſchoͤnſten Tagen fuͤr die holde Clara empfunden. Das Mordgewehr entfiel ſeiner Hand, er ſtuͤrzte zu Clara's Fuͤßen. Kannſt Du mir denn jemahls verzeihen, Du meine einzige, meine herzgeliebte Clara! Kannſt Du mir verzeihen, mein herzlieber Bru¬ der Lothar! Lothar wurde geruͤhrt von des Freundes tiefem Schmerz; unter tauſend Thraͤ¬ nen umarmten ſich die drei verſoͤhnten Menſchen und ſchwuren, nicht von einander zu laſſen in ſteter Liebe und Treue.

Dem Nathanael war es zu Muthe, als ſei eine ſchwere Laſt, die ihn zu Boden gedruͤckt, von ihm abgewaͤlzt, ja als habe er, Widerſtand leiſtend der finſtern Macht, die ihn befangen, ſein ganzes Seyn, dem Vernichtung drohte, ge¬48 rettet. Noch drei ſelige Tage verlebte er bei den Lieben, dann kehrte er zuruͤck nach G., wo er noch ein Jahr zu bleiben, dann aber auf im¬ mer nach ſeiner Vaterſtadt zuruͤckzukehren gedachte.

Der Mutter war alles, was ſich auf Cop¬ pelius bezog, verſchwiegen worden; denn man wußte, daß ſie nicht ohne Entſetzen an ihn den¬ ken konnte, weil ſie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes Schuld gab.

Wie erſtaunte Nathanael, als er in ſeine Wohnung wollte und ſah, daß das ganze Haus niedergebrannt war, ſo daß aus dem Schutthau¬ fen nur die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, aus¬ gebrochen war, das Haus daher von unten her¬ auf gebrannt hatte, ſo war es doch den kuͤhnen, ruͤſtigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in Nathanael's im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und Buͤcher, Manuſcripte,In¬49Inſtrumente zu retten. Alles hatten ſie unver¬ ſehrt in ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beſchlag genommen, welches Nathanael nun ſogleich bezog. Nicht ſon¬ derlich achtete er darauf, daß er dem Profeſſor Spalanzani gegenuͤber wohnte, und eben ſo wenig ſchien es ihm etwas beſonderes, als er be¬ merkte, daß er aus ſeinem Fenſter gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia einſam ſaß, ſo, daß er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl die Zuͤge des Geſichts undeutlich und ver¬ worren blieben. Wohl fiel es ihm endlich auf, daß Olimpia oft Stundenlang in derſelben Stel¬ lung, wie er ſie einſt durch die Glasthuͤre ent¬ deckte, ohne irgend eine Beſchaͤftigung an einem kleinen Tiſche ſaß und daß ſie offenbar unverwand¬ ten Blickes nach ihm heruͤberſchaute; er mußte ſich auch ſelbſt geſtehen, daß er nie einen ſchoͤ¬ neren Wuchs geſehen; indeſſen, Clara im Herzen, blieb ihm die ſteife, ſtarre Olimpia hoͤchſt gleichguͤltig und nur zuweilen ſah 'er fluͤch¬ tig uͤber ſein Compendium heruͤber nach der ſchoͤ¬D50nen Bildſaͤule, das war Alles. Eben ſchrieb er an Clara, als es leiſe an die Thuͤre klopfte; ſie oͤffnete ſich auf ſeinen Zuruf und Coppola's widerwaͤrtiges Geſicht ſah hinein. Nathanael fuͤhlte ſich im Innerſten erbeben; eingedenk deſſen, was ihm Spalanzani uͤber den Landsmann Coppola geſagt und was er auch Ruͤckſichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten ſo heilig verſprochen, ſchaͤmte er ſich aber ſelbſt ſeiner kin¬ diſchen Geſpenſterfurcht, nahm ſich mit aller Ge¬ walt zuſammen und ſprach ſo ſanft und gelaſſen, als moͤglich: Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur! Da trat aber Coppola vollends in die Stube und ſprach mit heiſerem Ton, indem ſich das weite Maul zum haͤßlichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern ſtechend her¬ vorfunkelten: Ei, nix Wetterglas, nix Wetter¬ glas! hab 'auch ſkoͤne Oke ſkoͤne Oke! Entſetzt rief Nathanael: Toller Menſch, wie kannſt Du Augen haben? Augen Augen? Aber in dem Augenblick hatte Coppola ſeine51 Wetterglaͤſer bei Seite geſetzt, griff in die weiten Rocktaſchen und holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tiſch legte. Nu Nu Brill' Brill auf der Nas 'ſu ſetze, das ſeyn meine Oke ſkoͤne Oke! Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, ſo, daß es auf dem ganzen Tiſch ſeltſam zu flim¬ mern und zu funkeln begann. Tauſend Augen blickten und zuckten krampfhaft und ſtarrten auf zum Nathanael; aber er konnte nicht weg¬ ſchauen von dem Tiſch, und immer mehr Bril¬ len legte Coppola hin, und immer wilder und wilder ſprangen flammende Blicke durch einander und ſchoſſen ihre blutrothe Strahlen in Natha¬ nael's Bruſt. Uebermannt von tollem Entſetzen ſchrie er auf: halt ein! halt ein, fuͤrchterlicher Menſch! Er hatte Coppola, der eben in die Taſche griff, um noch mehr Brillen herauszu¬ bringen, unerachtet ſchon der ganze Tiſch uͤber¬ deckt war, beim Arm feſtgepackt. Coppola machte ſich mit heiſerem widrigen Lachen ſanft los und mit den Worten: Ah! nie fuͤr Sie D 252aber hier ſkoͤne Glas hatte er alle Brillen zuſammengerafft, eingeſteckt und aus der Seiten¬ taſche des Rocks eine Menge großer und kleiner Perſpektive hervorgeholt. So wie die Brillen nur fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend ſah 'er wohl ein, daß der entſetzliche Spuk nur aus ſeinem Innern hervor¬ gegangen, ſo wie daß Coppola ein hoͤchſt ehr¬ licher Mechanicus und Opticus, keinesweges aber Coppelii verfluchter Doppeltgaͤnger und Reve¬ nant ſeyn koͤnne. Zudem hatten alle Glaͤſer, die Coppola nun auf den Tiſch gelegt, gar nichts beſonderes, am wenigſten ſo etwas geſpenſtiſches wie die Brillen und, um alles wieder gut zu ma¬ chen, beſchloß Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er ergriff ein kleines ſehr ſauber gearbeitetes Taſchenperſpektiv und ſah, um es zu pruͤfen, durch das Fenſter. Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenſtaͤnde ſo rein, ſcharf und deutlich dicht vor die Augen ruͤckte. Unwillkuͤhrlich ſah' er hinein in Spalanzani's Zimmer; Olimpia53 ſaß, wie gewoͤhnlich, vor dem kleinen Tiſch, die Aerme darauf gelegt, die Haͤnde gefaltet. Nun erſchaute Nathanael erſt Olimpia's wunderſchoͤn geformtes Geſicht. Nur die Augen ſchienen ihm gar ſeltſam ſtarr und todt. Doch wie er immer ſchaͤrfer und ſchaͤrfer durch das Glas hinſchaute, war es, als gingen in Olim¬ pia's Augen feuchte Mondesſtrahlen auf. Es ſchien, als wenn nun erſt die[Sehkraft] entzuͤndet wuͤrde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie feſtgezaubert im Fenſter, immer fort und fort die himmliſch - ſchoͤne Olimpia betrachtend. Ein Raͤuspern und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola ſtand hinter ihm: Tre Zechini drei Dukat Nathanael hatte den Opticus rein vergeſſen, raſch zahlte er das verlangte: Nick ſo? ſkoͤne Glas ſkoͤne Glas! frug Coppola mit ſeiner widerwaͤrtigen heiſern Stim¬ me und dem haͤmiſchen Laͤcheln. Ja ja, ja! er¬ wiederte Nathanael verdrießlich. Adieu, lieber Freund! Coppola verließ nicht ohne viele54 ſeltſame Seitenblicke auf Nathanael, das Zim¬ mer. Er hoͤrte ihn auf der Treppe laut lachen. Nun ja, meinte Nathanael, er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perſpektiv gewiß viel zu theuer bezahlt habe zu theuer be¬ zahlt! Indem er dieſe Worte leiſe ſprach, war es, als halle ein tiefer Todesſeufzer grauen¬ voll durch das Zimmer, Nathanael's Athem ſtockte vor innerer Angſt. Er hatte ja aber ſelbſt ſo aufgeſeufzt, das merkte er wohl. Clara, ſprach er zu ſich ſelber, hat wohl Recht, daß ſie mich fuͤr einen abgeſchmackten Geiſterſeher haͤlt; aber naͤrriſch iſt es doch ach wohl mehr, als naͤrriſch, daß mich der dumme Gedanke, ich haͤtte das Glas dem Coppola zu theuer bezahlt, noch jetzt ſo ſonderbar aͤngſtigt; den Grund davon ſehe ich gar nicht ein. Jetzt ſetzte er ſich hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenſter uͤberzeugte ihn, daß Olimpia noch da ſaͤße und im Augenblick, wie von unwi¬ derſtehlicher Gewalt getrieben, ſprang er auf, er¬ griff Coppola's Perſpektiv und konnte nicht55 los von Olimpia's verfuͤhreriſchem Anblick, bis ihn Freund und Bruder[Siegmund] abrief in's Collegium bei dem Profeſſor Spalanzani. Die Gardine vor dem verhaͤngnißvollen Zimmer war dicht zugezogen, er konnte Olimpia eben ſo wenig hier, als die beiden folgenden Tage hin¬ durch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenſter verließ und fortwaͤhrend durch Coppola's Perſpektiv hinuͤberſchaute. Am dritten Tage wurden ſogar die Fenſter verhaͤngt. Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnſucht und gluͤhendem Verlangen lief er hinaus vor's Thor. Olimpia's Geſtalt ſchwebte vor ihm her in den Luͤften und trat aus dem Gebuͤſch, und guckte ihn an mit großen ſtrahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Clara's Bild war ganz aus ſei¬ nem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olim¬ pia und klagte ganz laut und weinerlich: Ach Du mein hoher herrlicher Liebesſtern, biſt Du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verſchwinden, und mich zu laſſen in finſtrer hoff[¬]nungsloſer Nacht?

56

Als er zuruͤckkehren wollte in ſeine Wohnung, wurde er in Spalanzani's Hauſe ein geraͤuſch¬ volles Treiben gewahr. Die Thuͤren ſtanden offen, man trug allerlei Geraͤthe hinein, die Fenſter des erſten Stocks waren ausgehoben, geſchaͤftige Maͤgde kehrten und ſtaͤubten mit großen Haar¬ beſen hin und herfahrend, inwendig klopften und haͤmmerten Tiſchler und Tapezierer. Natha¬ nael blieb in vollem Erſtaunen auf der Straße ſtehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und ſprach: Nun, was ſagſt Du zu unſerem alten Spalanzani? Nathanael verſicherte, daß er gar nichts ſagen koͤnne, da er durchaus nichts vom Profeſſor wiſſe, vielmehr mit großer Verwunderung wahrnehme, wie in dem ſtillen duͤſtern Hauſe ein tolles Treiben und Wirthſchaf¬ ten losgegangen; da erfuhr er denn von Sieg¬ mund, daß Spalanzani morgen ein großes Feſt geben wolle, Conzert und Ball, und daß die halbe Univerſitaͤt eingeladen ſei. Allgemein ver¬ breite man, daß Spalanzani ſeine Tochter Olimpia, die er ſo lange jedem menſchlichen57 Auge recht aͤngſtlich entzogen, zum erſtenmahl erſcheinen laſſen werde.

Nathanael fand eine Einladungskarte und ging mit hochklopfendem Herzen zur beſtimmten Stunde, als ſchon die Wagen rollten und die Lichter in den geſchmuͤckten Saͤlen ſchimmerten, zum Profeſſor. Die Geſellſchaft war zahlreich und glaͤnzend. Olimpia erſchien ſehr reich und geſchmackvoll gekleidet. Man mußte ihr ſchoͤn¬ geformtes Geſicht, ihren Wuchs bewundern. Der etwas ſeltſam eingebogene Ruͤcken, die wespen¬ artige Duͤnne des Leibes ſchien von zu ſtarkem Einſchnuͤren bewirkt zu ſeyn. In Schritt und Stellung hatte ſie etwas abgemeſſenes und ſteifes, das manchem unangenehm auffiel; man ſchrieb es dem Zwange zu, den ihr die Geſellſchaft auflegte. Das Conzert begann. Olimpia ſpielte den Fluͤgel mit großer Fertigkeit und trug eben ſo eine Bravour-Arie mit heller, beinahe ſchneidender Glasglockenſtimme vor. Nathanael war ganz entzuͤckt; er ſtand in der hinterſten Reihe und58 konnte im blendenden Kerzenlicht Olimpia's Zuͤge nicht ganz erkennen. Ganz unvermerkt nahm er deshalb Coppola's Glas hervor und ſchaute hin nach der ſchoͤnen Olimpia. Ach! da wurde er gewahr, wie ſie voll Sehnſucht nach ihm heruͤberſah ', wie jeder Ton erſt deutlich auf¬ ging in dem Liebesblick, der zuͤndend ſein Inneres durchdrang. Die kuͤnſtlichen Rouladen ſchienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe verklaͤrten Gemuͤths, und als nun endlich nach der Cadenz der lange Trillo recht ſchmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von gluͤhenden Aermen ploͤtzlich erfaßt ſich nicht mehr halten, er mußte vor Schmerz und Ent¬ zuͤcken laut aufſchreien: Olimpia! Alle ſahen ſich um nach ihm, manche lachten. Der Domorganiſt ſchnitt aber noch ein finſtreres Geſicht, als vorher und ſagte blos: Nun nun! Das Conzert war zu Ende, der Ball fing an. Mit ihr zu tanzen! mit ihr! das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wuͤnſche, alles Stre¬59 bens; aber wie ſich erheben zu dem Muth, Sie, die Koͤnigin des Feſtes, aufzufordern? Doch! er ſelbſt wußte nicht wie es geſchah, daß er, als ſchon der Tanz angefangen, dicht neben Olim¬ pia ſtand, die noch nicht aufgefordert worden, und daß er, kaum vermoͤgend einige Worte zu ſtammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olim¬ pia's Hand, er fuͤhlte ſich durchbebt von grau¬ ſigem Todesfroſt, er ſtarrte Olimpia ins Auge, das ſtrahlte ihm voll Liebe und Sehnſucht ent¬ gegen und in dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulſe zu ſchlagen und des Lebensblutes Stroͤme zu gluͤhen. Und auch in Nathanael's Innerm gluͤhte hoͤher auf die Liebesluſt, er umſchlang die ſchoͤne Olimpia und durchflog mit ihr die Reihen. Er glaubte ſonſt recht taktmaͤßig getanzt zu haben, aber an der ganz eignen rythmiſchen Feſtigkeit, womit Olim¬ pia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung brachte, merkte er bald, wie ſehr ihm der Takt gemangelt. Er wollte jedoch mit keinem60 andern Frauenzimmer mehr tanzen und haͤtte jeden, der ſich Olimpia naͤherte, um ſie aufzu¬ fordern, nur gleich ermorden moͤgen. Doch nur zweimahl geſchah dies, zu ſeinem Erſtaunen blieb darauf Olimpia bei jedem Tanze ſitzen und er ermangelte nicht, immer wieder ſie aufzuziehen. Haͤtte Nathanael außer der ſchoͤnen Olimpia noch etwas anders zu ſehen vermocht, ſo waͤre allerlei fataler Zank und Streit unvermeidlich geweſen; denn offenbar ging das[halbleiſe], muͤh¬ ſam unterdruͤckte Gelaͤchter, was ſich in dieſem und jenem Winkel unter den jungen Leuten erhob, auf die ſchoͤne Olimpia, die ſie mit ganz kurioſen Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wiſſen, warum? Durch den Tanz und durch den reich¬ lich genoſſenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle ihm ſonſt eigne Scheu abgelegt. Er ſaß neben Olimpia, ihre Hand in der ſeinigen und ſprach hoch entflammt und begeiſtert von ſeiner Liebe in Worten, die keiner verſtand, weder er, noch Olimpia. Doch dieſe vielleicht; denn ſie61 ſah ihm unverruͤckt ins Auge und ſeufzte einmahl uͤber's andere: Ach Ach Ach! worauf denn Nathanal alſo ſprach: O Du herrliche, himmliſche Frau! Du Strahl aus dem ver¬ heißenen Jenſeits der Liebe Du tiefes Gemuͤth, in dem ſich mein ganzes Seyn ſpiegelt und noch mehr dergleichen, aber Olimpia ſeufzte blos im¬ mer wieder: Ach, Ach! Der Profeſſor Spa¬ lanzani ging einigemahl bei den Gluͤcklichen voruͤber und laͤchelte ſie ganz ſeltſam zufrieden an. Dem Nathanael ſchien es, unerachtet er ſich in einer ganz andern Welt befand, mit einem¬ mahl, als wuͤrd' es hienieden beim Profeſſor Spalanzani merklich finſter; er ſchaute um ſich und wurde zu ſeinem nicht geringen Schreck gewahr, daß eben die zwei letzten Lichter in dem leeren Saal hernieder brennen und ausgehen woll¬ ten. Laͤngſt hatten Muſik und Tanz aufgehoͤrt. Trennung, Trennung , ſchrie er ganz wild und verzweifelt, er kuͤßte Olimpia's Hand, er neigte ſich zu ihrem Munde, eiskalte Lippen be¬62 gegneten ſeinen gluͤhenden! So wie, als er Olimpia's kalte Hand beruͤhrte, fuͤhlte er ſich von innerem Grauſen erfaßt, die Legende von der todten Braut ging ihm ploͤtzlich durch den Sinn; aber feſt hatte ihn Olimpia an ſich gedruͤckt, und in dem Kuß ſchienen die Lippen zum Leben zu erwarmen. Der Profeſſor Spalanzani ſchritt langſam durch den leeren Saal, ſeine Schritte klangen hohl wieder und ſeine Figur, von flackernden Schlagſchatten um¬ ſpielt, hatte ein grauliches geſpenſtiſches Anſehen. Liebſt Du mich Liebſt Du mich Olimpia? Nur dies Wort! Liebſt Du mich? So fluͤſterte Nathanael, aber Olimpia ſeufzte, indem ſie aufſtand, nur: Ach Ach! Ja Du mein hol¬ der, herrlicher Liebesſtern, ſprach Nathanael, biſt mir aufgegangen und wirſt leuchten, wirſt verklaͤren mein Inneres immerdar! Ach, ach! replizirte Olimpia fortſchreitend. Nathanael folgte ihr, ſie ſtanden vor dem Profeſſor. Sie haben ſich außerordentlich lebhaft mit meiner Toch¬63 ter unterhalten , ſprach dieſer laͤchelnd: Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie Geſchmack daran, mit dem bloͤden Maͤdchen zu converſiren, ſo ſollen mir Ihre Beſuche willkommen ſeyn. Einen ganzen hellen ſtrahlenden Himmel in der Bruſt ſchied Nathanael von dannen: Spa¬ lanzani's Feſt war der Gegenſtand des Geſpraͤchs in den folgenden Tagen. Uner¬ achtet der Profeſſor alles gethan hatte, recht ſplendid zu erſcheinen, ſo wußten doch die luſti¬ gen Koͤpfe von allerlei Unſchicklichem und Son¬ derbarem zu erzaͤhlen, das ſich begeben, und vor¬ zuͤglich fiel man uͤber die todtſtarre, ſtumme Olim¬ pia her, der man, ihres ſchoͤnen Aeußern uner¬ achtet, totalen Stumpfſinn andichten und darin die Urſache finden wollte, warum Spalanzani ſie ſo lange verborgen gehalten. Nathanael vernahm das nicht ohne innern Grimm, indeſſen ſchwieg er; denn, dachte er, wuͤrde es wohl ver¬ lohnen, dieſen Burſchen zu beweiſen, daß eben ihr eigner Stumpfſinn es iſt, der ſie Olimpia's64 tiefes herrliches Gemuͤth zu erkennen hindert? Thu 'mir den Gefallen Bruder, ſprach eines Tages Siegmund, thu' mir den Gefallen und ſage, wie es Dir geſcheuten Kerl moͤglich war, Dich in das Wachsgeſicht, in die Holzpuppe da druͤben zu vergaffen? Nathanael wollte zor¬ nig auffahren, doch ſchnell beſann er ſich und er¬ wiederte: Sage Du mir Siegmund, wie Deinem, ſonſt alles Schoͤne klar auffaſſenden Blick, Deinem regen Sinn, Olimpia's himmliſcher Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank ſei es dem Geſchick, Dich nicht zum Nebenbuhler; denn ſonſt muͤßte einer von uns blutend fallen. Siegmund merkte wohl, wie es mit dem Freunde ſtand, lenkte geſchickt ein und fuͤgte, nachdem er geaͤußert, daß in der Liebe niemahls uͤber den Gegenſtand zu rechten ſei, hinzu: Wunderlich iſt es doch, daß viele von uns uͤber Olimpia ziemlich gleich urtheilen. Sie iſt uns nimm es nicht uͤbel. Bruder! auf ſeltſame Weiſe ſtarr und ſeelenlos erſchienen. Ihr Wuchsiſt65iſt regelmaͤßig, ſo wie ihr Geſicht, das iſt wahr! Sie koͤnnte fuͤr ſchoͤn gelten, wenn ihr Blick nicht ſo ganz ohne Lebensſtrahl, ich moͤchte ſagen, ohne Sehkraft waͤre. Ihr Schritt iſt ſonderbar abge¬ meſſen, jede Bewegung ſcheint durch den Gang eines aufgezogenen Raͤderwerks bedingt. Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geiſtloſen Takt der ſingenden Maſchine und eben ſo iſt ihr Tanz. Uns iſt dieſe Olimpia ganz unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu ſchaffen haben, es war uns als thue ſie nur ſo wie ein lebendiges Weſen und doch habe es mit ihr eine eigne Bewandniß Nathanael gab ſich dem bittern Gefuͤhl, das ihn bei dieſen Worten Siegmund's ergreifen wollte, durchaus nicht hin, er wurde Herr ſeines Unmuths und ſagte blos ſehr ernſt: Wohl mag Euch, ihr kalten proſaiſchen Menſchen, Olimpia unheimlich ſeyn. Nur dem poetiſchen Gemuͤth entfaltet ſich das gleich organiſirte! Nur mir ging ihr Lie¬ besblick auf und durchſtrahlte Sinn und Gedanken,E66nur in Olimpia's Liebe finde ich mein Selbſt wieder. Auch mag es nicht recht ſeyn, daß ſie nicht in platter Converſation faſelt, wie die an¬ dern flachen Gemuͤther. Sie ſpricht wenig Worte, das iſt wahr; aber dieſe wenigen Worte erſchei¬ nen als aͤchte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntniß des geiſtigen Lebens in der Anſchauung des ewigen Jenſeits. Doch fuͤr Alles das habt ihr keinen Sinn und alles ſind verlorne Worte. Behuͤte Dich Gott, Herr Bruder, ſagte Siegmund ſehr ſanft, beinahe wehmuͤthig, aber mir ſcheint es, Du ſeiſt auf boͤſem Wege. Auf mich kannſt Du rechnen, wenn alles Nein, ich mag nichts weiter ſagen! Dem Nathanael war es ploͤtzlich, als meine der kalte proſaiſche Siegmund es ſehr treu mit ihm, er ſchuͤttelte daher die ihm dargebotene Hand recht herzlich.

Nathanael hatte rein vergeſſen, daß es eine Clara in der Welt gebe, die er ſonſt geliebt; die Mutter Lothar Alle waren aus ſeinem67 Gedaͤchtniß entſchwunden, er lebte nur fuͤr Olim¬ pia, bei der er taͤglich Stundenlang ſaß und von ſeiner Liebe, von zum Leben ergluͤhter Sym¬ pathie, von pſychiſcher Wahlverwandtſchaft fanta¬ ſirte, welches alles Olimpia mit großer Andacht anhoͤrte. Aus dem tiefſten Grunde des Schreib¬ pults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geſchrieben. Gedichte, Fantaſien, Viſionen, Romane, Erzaͤhlungen, das wurde taͤglich ver¬ mehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonnet¬ ten, Stanzen, Canzonen, und das alles las er der Olimpia Stundenlang hinter einander vor, ohne zu ermuͤden. Aber auch noch nie hatte er eine ſolche herrliche Zuhoͤrerin gehabt. Sie ſtickte und ſtrickte nicht, ſie ſah 'nicht durch's Fenſter, ſie fuͤtterte keinen Vogel, ſie ſpielte mit keinem Schooshuͤndchen, mit keiner Lieblingskatze, ſie drehte kein Papierſchnitzchen, oder ſonſt etwas in der Hand, ſie durfte kein Gaͤhnen durch einen leiſen erzwungenen Huſten bezwingen Kurz! Stundenlang ſah ſie mit ſtarrem Blick unver¬E 268wandt dem Geliebten ins Auge, ohne ſich zu ruͤk¬ ken und zu bewegen und immer gluͤhender, immer lebendiger wurde dieſer Blick. Nur wenn Na¬ thanael endlich aufſtand und ihr die Hand, auch wohl den Mund kuͤßte, ſagte ſie: Ach, Ach! dann aber: Gute Nacht, mein Lieber! O du herrliches, du tiefes Gemuͤth, rief Natha¬ nael auf ſeiner Stube: nur von Dir, von Dir allein werd 'ich ganz verſtanden. Er erbebte vor innerm Entzuͤcken, wenn er bedachte, welch' wun¬ derbarer Zuſammenklang ſich in ſeinem und Olim¬ pia's Gemuͤth taͤglich mehr offenbare; denn es ſchien ihm, als habe Olimpia uͤber ſeine Werke, uͤber ſeine Dichtergabe uͤberhaupt recht tief aus ſei¬ nem Innern geſprochen, ja als habe die Stimme aus ſeinem Innern ſelbſt herausgetoͤnt. Das mußte denn wohl auch ſeyn; denn mehr Worte als vorhin erwaͤhnt, ſprach Olimpia niemals. Erinnerte ſich aber auch Nathanael in hellen nuͤchternen Augenblicken, z. B. Morgens gleich nach dem Erwachen, wirklich an Olimpia's69 gaͤnzliche Paſſivitaͤt und Wortkargheit, ſo ſprach er doch: Was ſind Worte Worte! Der Blick ihres himmliſchen Auges ſagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag denn uͤberhaupt ein Kind des Himmels ſich einzuſchichten in den engen Kreis, den ein klaͤgliches irdiſches Beduͤrfniß ge¬ zogen? Profeſſor Spalanzani ſchien hoch erfreut uͤber das Verhaͤltniß ſeiner Tochter mit Nathanael; er gab dieſem allerlei unzweideutige Zeichen ſeines Wohlwollens und als es Natha¬ nael endlich wagte von ferne auf eine Verbin¬ dung mit Olimpia anzuſpielen, laͤchelte dieſer mit dem ganzen Geſicht und meinte: Er werde ſeiner Tochter voͤllig freie Wahl laſſen. Er¬ muthigt durch dieſe Worte, brennendes Verlangen im Herzen, beſchloß Nathanael, gleich am fol¬ genden Tage Olimpia anzuflehen, daß ſie das unumwunden in deutlichen Worten ausſpreche, was laͤngſt ihr holder Liebesblick ihm geſagt, daß ſie ſein Eigen immerdar ſeyn wolle. Er ſuchte nach dem Ringe, den ihm beim Abſchiede die70 Mutter geſchenkt, um ihn Olimpia als Sym¬ bol ſeiner Hingebung, ſeines mit ihr aufkeimen¬ den, bluͤhenden Lebens darzureichen. Clara's, Lothar's Briefe fielen ihm dabei in die Haͤnde; gleichguͤltig warf er ſie bei Seite, fand den Ring, ſteckte ihn ein und rannte heruͤber zu Olimpia. Schon auf der Treppe, auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getoͤſe; es ſchien aus Spa¬ lanzani's Studirzimmer heraus zu ſchallen. Ein Stampfen ein Klirren ein Stoßen Schlagen gegen die Thuͤr, dazwiſchen Fluͤche und Verwuͤnſchungen. Laß los laß los Infa¬ mer Verruchter! Darum Leib und Leben daran geſetzt? ha ha ha ha! ſo haben wir nicht gewettet ich, ich hab 'die Augen gemacht ich das Raͤderwerk dummer Teufel mit dei¬ nem Raͤderwerk verfluchter Hund von einfaͤl¬ tigem Uhrmacher fort mit dir Satan halt Peipendreher teufliſcher Beſtie! halt fort laß los! Es waren Spalan¬ zani's und des graͤßlichen Coppelius Stimmen,71 die ſo durch einander ſchwirrten und tobten. Hin¬ ein ſtuͤrzte Nathanael von namenloſer Angſt ergriffen. Der Profeſſor hatte eine weibliche Fi¬ gur bei den Schultern gepackt, der Italiaͤner Coppola bei den Fuͤßen, die zerrten und zogen ſie hin und her, ſtreitend in voller Wuth um den Beſitz. Voll tiefen Entſetzens prallte Natha¬ nael zuruͤck, als er die Figur fuͤr Olimpia er¬ kannte; aufflammend in wildem Zorn wollte er den Wuͤthenden die Geliebte entreiſſen, aber in dem Augenblick wand Coppola ſich mit Rieſen¬ kraft drehend die Figur dem Profeſſor aus den Haͤnden und verſetzte ihm mit der Figur ſelbſt einen fuͤrchterlichen Schlag, daß er ruͤcklings uͤber den Tiſch, auf dem Phiolen, Retorten, Flaſchen, glaͤſerne Cylinder ſtanden, taumelte und hinſtuͤrzte; alles Geraͤth klirrte in tauſend Scherben zuſam¬ men. Nun warf Coppola die Figur uͤber die Schulter und rannte mit fuͤrchterlich gellendem Gelaͤchter raſch fort die Treppe herab, ſo daß die haͤßlich herunterhaͤngenden Fuͤße der Figur auf den72 Stufen hoͤlzern klapperten und droͤhnten. Er¬ ſtarrt ſtand Nathanael nur zu deutlich hatte er geſehen, Olimpia's todterbleichtes Wachsge¬ ſicht hatte keine Augen, ſtatt ihrer ſchwarze Hoͤhlen; ſie war eine lebloſe Puppe. Spalanzani waͤlzte ſich auf der Erde, Glasſcherben hatten ihm Kopf, Bruſt und Arm zerſchnitten, wie aus Springquel¬ len ſtroͤmte das Blut empor. Aber er raffte ſeine Kraͤfte zuſammen. Ihm nach ihm nach, was zauderſt Du? Coppelius Cop¬ pelius, mein beſtes Automat hat er mir ge¬ raubt Zwanzig Jahre gearbeitet Leib und Leben daran geſetzt das Raͤderwerk Sprache Gang mein die Augen die Augen Dir geſtohlen. Verdammter Ver¬ fluchter ihm nach hohl mir Olimpia da haſt Du die Augen! Nun ſah Natha¬ nael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Bo¬ den liegend ihn anſtarrten, die ergriff Spalan¬ zani mit der unverletzten Hand und warf ſie nach ihm, daß ſie ſeine Bruſt trafen. Da

73packte ihn der Wahnſinn mit gluͤhenden Krallen und fuhr in ſein Inneres hinein Sinn und Ge¬ danken zerreiſſend. Hui hui hui! Feuerkreis Feuerkreis! dreh Dich Feu¬ erkreis luſtig luſtig! Holzpuͤppchen hui ſchoͤn 'Holzpuͤppchen dreh Dich damit warf er ſich auf den Profeſſor und druͤckte ihm die Kehle zu. Er haͤtte ihn erwuͤrgt, aber das Getoͤſe hatte viele Menſchen herbeigelockt, die drangen ein, riſſen den wuͤthenden Nathanael auf und retteten ſo den Profeſſor, der gleich verbunden wurde. Sieg¬ mund, ſo ſtark er war, vermochte nicht den Ra¬ ſenden zu baͤndigen; der ſchrie mit fuͤrchterlicher Stimme immer fort: Holzpuͤppchen dreh' Dich und ſchlug um ſich mit geballten Faͤuſten. Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu uͤberwaͤltigen, indem ſie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter in ent¬ ſetzlichem thieriſchen Gebruͤll. So in graͤßlicher Raſerei tobend wurde er nach dem Tollhauſe ge¬ bracht.

74

Ehe ich, guͤnſtiger Leſer! Dir zu erzaͤhlen fort¬ fahre, was ſich weiter mit dem ungluͤcklichen Na¬ thanael zugetragen, kann ich Dir, ſollteſt Du einigen Antheil an dem geſchickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, verſichern, daß er von ſeinen Wunden voͤllig geheilt wurde. Er mußte indeß die Univerſitaͤt verlaſſen, weil Nathanael's Geſchichte Aufſehen erregt hatte und es allgemein fuͤr gaͤnzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernuͤnftigen Theezirkeln (Olimpia hatte ſie mit Gluͤck beſucht) ſtatt der lebendigen Perſon eine Holzpuppe einzuſchwaͤrzen. Juriſten nannten es ſogar einen feinen und um ſo haͤrter zu beſtrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und ſo ſchlau angelegt worden, daß kein Menſch (ganz kluge Studenten ausge¬ nommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weiſe thun und ſich auf allerlei Thatſachen beru¬ fen wollten, die ihnen verdaͤchtig vorgekommen. Dieſe letzteren brachten aber eigentlich nichts ge¬ ſcheutes zu Tage. Denn konnte z. B. wohl irgend75 jemanden verdaͤchtig vorgekommen ſeyn, daß nach der Ausſage eines eleganten Theeiſten Olimpia gegen alle Sitte oͤfter genießet, als gegaͤhnt hatte? Erſteres, meinte der Elegant, ſei das Selbſtauf¬ ziehen des verborgenen Triebwerks geweſen, merk¬ lich habe es dabei geknarrt u. ſ. w. Der Profeſ¬ ſor der Poeſie und Beredſamkeit nahm eine Priſe, klappte die Doſe zu, raͤusperte ſich und ſprach feierlich: Hochzuverehrende Herren und Damen! merken Sie denn nicht, wo der Haſe im Pfeffer liegt? Das Ganze iſt eine Allegorie eine fort¬ gefuͤhrte Metapher! Sie verſtehen mich! Sapienti sat! Aber viele hochzuverehrende Her¬ ren beruhigten ſich nicht dabei; die Geſchichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefaßt und es ſchlich ſich in der That abſcheuli¬ ches Mißtrauen gegen menſchliche Figuren ein. Um nun ganz uͤberzeugt zu werden, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Lieb¬ habern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos ſinge und tanze, daß ſie beim Vorleſen ſticke,76 ſtricke, mit dem Moͤpschen ſpiele u. ſ. w. vor allen Dingen aber, daß ſie nicht bloß hoͤre, ſondern auch manchmahl in der Art ſpreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden vorausſetze. Das Liebesbuͤndniß vieler wurde feſter und dabei anmuthiger, andere dagegen gingen leiſe aus einander. Man kann wahrhaftig nicht dafuͤr ſtehen, ſagte dieſer und jener. In den Thees wurde unglaublich gegaͤhnt und niemahls genießet, um jedem Verdacht zu begegnen. Spalanzani mußte, wie geſagt, fort, um der Criminalunterſuchung wegen der menſchlichen Ge¬ ſellſchaft betruͤglicher Weiſe eingeſchobenen Auto¬ mats zu entgehen. Coppola war auch ver¬ ſchwunden.

Nathanael erwachte wie aus ſchwerem, fuͤrch¬ terlichem Traum, er ſchlug die Augen auf und fuͤhlte wie ein unbeſchreibliches Wonnegefuͤhl mit ſanfter himmliſcher Waͤrme ihn durchſtroͤmte. Er lag in ſeinem Zimmer in des Vaters Hauſe auf dem Bette, Clara hatte ſich uͤber ihn hingebeugt77 und unfern ſtanden die Mutter und Lothar. Endlich, endlich, o mein herzlieber Natha¬ nael nun biſt Du geneſen von ſchwerer Krank¬ heit nun biſt Du wieder mein! So ſprach Clara recht aus tiefer Seele und faßte den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmuth und Entzuͤcken die hellen gluͤhenden Thraͤnen aus den Augen und er ſtoͤhnte tief auf: Meine meine Clara! Sieg¬ mund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in großer Noth, trat herein. Nathanael reichte ihm die Hand: Du treuer Bruder haſt mich doch nicht verlaſſen. Jede Spur des Wahnſinns war verſchwunden, bald erkraͤftigte ſich Nathanael in der ſorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Gluͤck war unterdeſſen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von dem niemand etwas gehofft, war geſtorben und hatte der Mutter nebſt einem nicht unbedeutenden Vermoͤgen ein Guͤt¬ chen in einer angenehmen Gegend unfern der78 Stadt hinterlaſſen. Dort wollten ſie hinziehen, die Mutter, Nathanael mit ſeiner Clara, die er nun zu heirathen gedachte, und Lothar. Na¬ thanael war milder, kindlicher geworden, als er je geweſen und erkannte nun erſt recht Clara's himmliſch reines, herrliches Gemuͤth. Niemand er¬ innerte ihn auch nur durch den leiſeſten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund von ihm ſchied, ſprach Nathanael: bei Gott Bru¬ der! ich war auf ſchlimmen Wege, aber zu rech¬ ter Zeit leitete mich ein Engel auf den lichten Pfad! Ach es war ja Clara! Sieg¬ mund ließ ihn nicht weiter reden, aus Beſorg¬ niß, tief verletzende Erinnerungen moͤchten ihm zu hell und flammend aufgehen. Es war an der Zeit, daß die vier gluͤcklichen Menſchen nach dem Guͤtchen ziehen wollten. Zur Mittagsſtunde gin¬ gen ſie durch die Straßen der Stadt. Sie hatten manches eingekauft, der hohe Rathsthurm warf ſeinen Rieſenſchatten uͤber den Markt. Ei! ſagte Clara: ſteigen wir doch noch einmal her¬79 auf und ſchauen in das ferne Gebirge hinein! Geſagt, gethan! Beide, Nathanael und Clara, ſtiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienſt¬ magd nach Hauſe, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern, wollte unten war¬ ten. Da ſtanden die beiden Liebenden Arm in Arm auf der hoͤchſten Gallerie des Thurmes und ſchauten hinein in die duftigen Waldungen, hin¬ ter denen das blaue Gebirge, wie eine Rieſen¬ ſtadt, ſich erhob.

Sieh 'doch den ſonderbaren kleinen grauen Buſch, der ordentlich auf uns los zu ſchreiten ſcheint , frug Clara. Nathanael faßte mechaniſch nach der Seitentaſche; er fand Cop¬ pola's Perſpektiv, er ſchaute ſeitwaͤrts Clara ſtand vor dem Glaſe! Da zuckte es krampfhaft in ſeinen Pulſen und Adern todtenbleich ſtarrte er Clara an, aber bald gluͤhten und ſpruͤhten Feuerſtroͤme durch die rollenden Augen, graͤßlich bruͤllte er auf, wie ein gehetztes Thier; dann ſprang er hoch in die Luͤfte und grauſig dazwi¬80 ſchen lachend ſchrie er in ſchneidendem Ton: Holzpuͤppchen dreh' Dich Holzpuͤppchen dreh 'Dich und mit gewaltiger Kraft faßte er Clara und wollte ſie herabſchleudern, aber Clara krallte ſich in verzweifelnder Todesangſt feſt an das Gelaͤnder. Lothar hoͤrte den Raſenden toben, er hoͤrte Clara's Angſtgeſchrei, graͤßliche Ah¬ nung durchflog ihn, er rannte herauf, die Thuͤr der zweiten Treppe war verſchloſſen ſtaͤrker hallte Clara's Jammergeſchrei. Unſinnig vor Wuth und Angſt ſtieß er gegen die Thuͤr, die end¬ lich aufſprang Matter und matter wurden nun Clara's Laute: Huͤlfe rettet rettet ſo erſtarb die Stimme in den Luͤften. Sie iſt hin ermordet von dem Raſenden, ſo ſchrie Lothar. Auch die Thuͤr zur Gallerie war zu¬ geſchlagen. Die Verzweiflung gab ihm Rie¬ ſenkraft, er ſprengte die Thuͤr aus den Angeln. Gott im Himmel Clara ſchwebte von dem raſenden Nathanael erfaßt uͤber der Gallerie in den Luͤften nur mit einer Hand hatte ſienoch81noch die Eiſenſtaͤbe umklammert. Raſch wie der Blitz erfaßte Lothar die Schweſter, zog ſie hin¬ ein, und ſchlug in demſelben Augenblick mit ge¬ ballter Fauſt dem Wuͤthenden in's Geſicht, daß er zuruͤckprallte und die Todesbeute fahren ließ.

Lothar rannte herab, die ohnmaͤchtige Schwe¬ ſter in den Armen. Sie war gerettet. Nun raste Nathanael herum auf der Gallerie und ſprang hoch in die Luͤfte und ſchrie Feuer¬ kreis dreh 'dich Feuerkreis dreh' dich Die Menſchen liefen auf das wilde Geſchrei zu¬ ſammen; unter ihnen ragte rieſengroß der Advo¬ kat Coppelius hervor, der eben in die Stadt gekommen und gerades Weges nach dem Markt geſchritten war. Man wollte herauf, um ſich des Raſenden zu bemaͤchtigen, da lachte Coppelius ſprechend: ha ha wartet nur, der kommt ſchon herunter von ſelbſt, und ſchaute wie die uͤbrigen hinauf. Nathanael blieb ploͤtzlich wie erſtarrt ſtehen, er buͤckte ſich herab, wurde den Coppe¬ lius gewahr und mit dem gellenden Schrei:F82 Ha! Skoͤne Oke Skoͤne Oke, ſprang er uͤber das Gelaͤnder.

Als Nathanael mit zerſchmettertem Kopf auf dem Steinpflaſter lag, war Coppelius im Gewuͤhl verſchwunden.

Nach mehreren Jahren will man in einer ent¬ fernten Gegend Clara geſehen haben, wie ſie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Thuͤre eines ſchoͤnen Landhauſes ſaß und vor ihr zwei muntre Knaben ſpielten. Es waͤre daraus zu ſchließen, daß Clara das ruhige haͤus¬ liche Gluͤck noch fand, das ihrem heitern lebens¬ luſtigen Sinn zuſagte und das ihr der im Innern zerriſſene Nathanael niemals haͤtte gewaͤhren koͤnnen.

83

Ignaz Denner.

Vor alter laͤngſt verfloßner Zeit lebte in einem wilden einſamen Forſt des Fuldaiſchen Gebiets ein wackrer Jaͤgersmann, Andres mit Namen. Er war ſonſt Leibjaͤger des Herrn Grafen Aloys von Vach geweſen, den er auf weiten Reiſen durch das ſchoͤne Welſchland begleitet, und ein¬ mal, als ſie auf den unſichern Wegen in dem Koͤnigreich Neapel von Straßenraͤubern angefal¬ len wurden, durch ſeine Klugheit und Tapferkeit aus großer Lebensgefahr gerettet hatte. In dem Wirthshauſe zu Neapel, wo ſie eingekehrt waren, befand ſich ein armes, bildſchoͤnes Maͤdchen, die von dem Hauswirth, der ſie als eine Waiſe auf¬ genommen, gar hart behandelt und zu den nie¬F 284drigſten Arbeiten in Hof und Kuͤche gebraucht wurde. Andres ſuchte ſie, ſo gut er ſich ihr ver¬ ſtaͤndlich machen konnte, mit troſtreichen Worten aufzurichten, und das Maͤdchen faßte ſolche Liebe zu ihm, daß ſie ſich nicht mehr von ihm tren¬ nen, ſondern mitziehen wollte nach dem kalten Deutſchland. Der Graf von Vach, geruͤhrt von Andres Bitten und Giorgina's Thraͤnen, er¬ laubte, daß ſie ſich zu dem geliebten Andres auf den Kutſchenbock ſetzen, und ſo die beſchwer¬ liche Reiſe machen durfte. Schon ehe ſie uͤber die Graͤnzen von Italien hinausgekommen, ließ ſich Andres mit ſeiner Giorgina trauen und als ſie dann nun endlich zuruͤckgekehrt waren auf die Guͤter des Grafen von Vach, glaubte dieſer den treuen Diener recht zu belohnen, da er ihn zu ſeinem Revierjaͤger ernannte. Mit ſeiner Giorgina und einem alten Knecht zog er in den einſamen rauhen Wald, den er ſchuͤtzen ſollte wider die Freijaͤger und Holzdiebe. Statt des gehofften Wohlſtandes, den ihm der Graf von85 Vach verheißen, fuͤhrte er aber ein beſchwerli¬ ches, muͤhſeliges, duͤrftiges Leben und gerieth bald in Kummer und Elend. Der kleine Lohn an baarem Gelde, den er von dem Grafen er¬ hielt, reichte kaum hin, ſich und ſeine Gior¬ gina zu kleiden; die geringen Gefaͤlle, die ihm bei Holzverkaͤufen zukamen, waren ſelten und ungewiß und den Garten, auf deſſen Bebau¬ ung und Benutzung er angewieſen, verwuͤſteten oft die Woͤlfe und die wilden Schweine, er mochte mit ſeinem Knecht auf der Hut ſeyn, wie er wollte, ſo daß bisweilen in einer Nacht die letzte Hoffnung des Lebensunterhalts vereitelt ward. Dabei war ſein Leben ſtets bedroht von den Holzdieben und Freiſchuͤtzen. Jeder Lockung widerſtand er als ein wackrer frommer Mann, der lieber darben, als ungerechtes Gut an ſich bringen wollte und verwaltete ſein Amt getreulich und tapfer, deshalb ſtellten ſie ihm nach auf ge¬ faͤhrliche Weiſe, und nur ſeine treuen Doggen ſchuͤtzten ihn vor naͤchtlichem Ueberfall des Raubge¬86 ſindels. Giorgina, des Clima's und der Le¬ bensweiſe in dem wilden Forſt ganz ungewohnt, welkte zuſehends hin. Ihre braͤunliche Geſichts¬ farbe verwandelte ſich in fahles Gelb, ihre leb¬ haften blitzenden Augen wurden duͤſter, und ihr voller, uͤppiger Wuchs magerte mit jedem Tage mehr ab. Oft erwachte ſie in mondheller Nacht. Schuͤſſe krachten in der Ferne durch den Wald, die Doggen heulten, leiſe erhob ſich der Mann vom Lager und ſchlich mit dem Knecht murmelnd hinaus in den Forſt. Dann betete ſie inbruͤnſtig zu Gott und zu den Heiligen, daß ſie und ihr treuer Mann errettet werden moͤchten aus dieſer ſchrecklichen Einoͤde und aus der ſteten Todesge¬ fahr. Die Geburt eines Knaben warf Giorgina endlich auf das Krankenlager, und immer ſchwaͤ¬ cher und ſchwaͤcher werdend, ſah ſie ihr Ende vor Augen. Dumpf in ſich hinbruͤtend, ſchlich der un¬ gluͤckliche Andres umher; alles Gluͤck war mit der Krankheit ſeines Weibes von ihm gewichen. Wie neckendes, geſpenſtiſches Weſen guckte das87 Wild aus den Buͤſchen; ſo wie er ſein Gewehr abdruͤckte, war es verſtoben in der Luft. Er konnte kein Thier mehr treffen und nur ſein Knecht, ein geuͤbter Schuͤtze, beſchaffte das Wild, welches er dem Grafen von Vach zu liefern ge¬ halten war. Einſt ſaß er an Giorgina's Bette, den ſtarren Blick auf das geliebte Weib gerichtet, die ermattet zum Tode kaum mehr ath¬ mete. In dumpfem, lautloſem Schmerz hatte er ihre Hand gefaßt und hoͤrte nicht das Aechzen des Knaben, der nahrungslos verſchmachten wollte. Der Knecht ging ſchon am fruͤhen Morgen nach Fulda, um fuͤr das letzte Erſparniß einige Erquik¬ kung fuͤr die Kranke herbeizuſchaffen. Kein menſchliches troͤſtendes Weſen war weit und breit zu finden, nur der Sturm heulte in ſchneidenden Toͤnen des entſetzlichen Jammers durch die ſchwar¬ zen Tannen und die Doggen winſelten, wie in troſtloſer Klage, um den ungluͤcklichen Herrn. Da hoͤrte Andres auf einmal es vor dem Hauſe daher ſchreiten, wie menſchliche Fußtritte. Er88 glaubte, es waͤre der zuruͤckkehrende Knecht, un¬ erachtet er ihn nicht ſo fruͤh erwarten konnte, aber die Hunde ſprangen heraus und bellten hef¬ tig. Es mußte ein Fremder ſeyn. Andres ging ſelbſt vor die Thuͤr: da trat ihm ein lan¬ ger, hagerer Mann entgegen, in grauem Mantel, die Reiſemuͤtze tief ins Geſicht gedruͤckt. Ei, ſagte der Fremde: wie bin ich doch hier im Walde ſo irre gegangen! Der Sturm tobt von den Bergen herab, wir bekommen ein ſchrecklich Wet¬ ter. Moͤchtet ihr nicht erlauben, lieber Herr! daß ich in Euer Haus eintreten und mich von dem beſchwerlichen Wege erholen und erquicken duͤrfte zur weitern Reiſe? Ach Herr, erwie¬ derte der betruͤbte Andres, ihr kommt in ein Haus der Noth und des Elends und außer dem Stuhl, auf dem ihr ausruhen koͤnnt, vermag ich kaum Euch irgend eine Erquickung anzubieten; meinem armen kranken Weibe mangelt es ſelbſt daran, und mein Knecht, den ich nach Fulda ge¬ ſchickt, wird erſt am ſpaͤten Abend etwas zur89 Labung herbeibringen. Unter dieſen Worten wa¬ ren ſie in die Stube getreten. Der Fremde legte ſeine Reiſemuͤtze und ſeinen Mantel ab, unter dem er ein Felleiſen und ein Kiſtchen trug. Er zog auch ein Stilet und ein Paar Terzerole her¬ vor, die er auf den Tiſch legte. Andres war an Giorgina's Bett getreten, ſie lag in bewußt¬ loſem Zuſtande. Der Fremde trat ebenfalls hin¬ zu, ſchaute die Kranke lange mit ſcharfen, bedaͤch¬ tigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den Puls ſorglich erforſchend. Als nun Andres voll Verzweiflung ausrief: Ach Gott, nun ſtirbt ſie wohl! da ſagte der Fremde: Mit nichten, lieber Freund! ſeid ganz ruhig. Euerm Weibe fehlt nichts als kraͤftige, gute Nahrung, und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das zugleich reizt und ſtaͤrkt, die beſten Dienſte thun. Ich bin zwar kein Arzt, ſondern vielmehr ein Kaufmann, allein doch in der Arzneiwiſſenſchaft nicht unerfahren, und beſitze aus uralter Zeit her manches Arcanum, welches ich mit mir fuͤhre90 und auch wohl verkaufe. Damit oͤffnete der Fremde ſein Kiſtchen, holte eine Phiole heraus, troͤpfelte von dem ganz dunkelrothen Liquor etwas auf Zucker und gab es der Kranken. Dann holte er aus dem Felleiſen eine kleine geſchliffene Fla¬ ſche koͤſtlichen Rheinweins und floͤßte der Kranken ein Paar Loͤffel voll ein. Den Knaben, befahl er, nur dicht an der Mutter Bruſt gelehnt ins Bette zu legen und beide der Ruhe zu uͤberlaſ¬ ſen. Dem Andres war es zu Muthe, als ſei ein Heiliger herabgeſtiegen in die Einoͤde, ihm Troſt und Huͤlfe zu bringen. Anfangs hatte ihn der ſtechende, falſche Blick des Fremden abge¬ ſchreckt, jetzt wurde er durch die ſorgliche Theil¬ nahme, durch die augenſcheinliche Huͤlfe, die er der armen Giorgina leiſtete, zu ihm hingezo¬ gen. Er erzaͤhlte dem Fremden unverholen, wie er eben durch die Gnade, die ihm ſein Herr, der Graf von Vach, angedeihen laſſen wollen, in Noth und Elend gerathen ſei und wie er wol Zeit ſeines Lebens nicht aus druͤckender Armuth91 und Duͤrftigkeit kommen werde. Der Fremde troͤſtete ihn dagegen und meinte, wie oft ein un¬ verhofftes Gluͤck dem Hoffnungsloſeſten alle Guͤter des Lebens bringe, und daß man wol etwas wagen muͤſſe, das Gluͤck ſelbſt ſich dienſtbar zu machen. Ach lieber Herr! erwiederte Andres, ich vertraue Gott und der Fuͤrſprache der Heiligen, zu denen wir, ich und mein treues Weib, jeden Tag mit Inbrunſt beten. Was ſoll ich denn thun, um mir Geld und Gut zu verſchaffen? Iſt es mir nach Gottes Weisheit nicht beſchieden, ſo waͤre es ja ſuͤndlich, darnach zu trachten; ſoll ich aber noch in dieſer Welt zu Guͤtern gelangen, welches ich meines armen Weibes halber wuͤnſche, die ihr ſchoͤnes Vaterland verlaſſen, um mir in dieſe wilde Einoͤde zu folgen, ſo kommt es wol, ohne daß ich Leib und Leben wage um ſchnoͤdes, weltliches Gut. Der Fremde laͤchelte bei dieſen Reden des frommen Andres auf ganz ſeltſame Weiſe und war im Begriff, etwas zu erwiedern, als Giorgina mit einem tiefen Seufzer aus92 dem Schlaf, in den ſie verſunken, erwachte. Sie fuͤhlte ſich wunderbarlich geſtaͤrkt; auch der Knabe laͤchelte hold und lieblich an ihrer Bruſt. An¬ dres war außer ſich vor Freude, er weinte, er betete, er jubelte durch das Haus. Der Knecht war indeſſen zuruͤckgekommen und bereitete, ſo gut er es vermochte, von den mitgebrachten Le¬ bensmitteln das Mahl, an dem nun der Fremde Theil nehmen ſollte. Der Fremde kochte ſelbſt eine Kraftſuppe fuͤr Giorgina, und man ſah, daß er allerlei Gewuͤrz und andere Ingredienzien hineinwarf, die er bei ſich getragen. Es war ſpaͤter Abend worden, der Fremde mußte daher bei dem Andres uͤbernachten, und er bat, daß man ihm in derſelben Stube, wo Andres und Giorgina ſchliefen, ein Strohlager bereiten moͤge. Das geſchah. Andres, den die Be¬ ſorgniß um Giorgina nicht ſchlafen ließ, be¬ merkte, wie der Fremde beinahe bei jedem ſtaͤr¬ keren Athemzuge Giorgina's auffuhr, wie er ſtuͤndlich aufſtand, leiſe ſich ihrem Bette93 naͤherte, ihren Puls erforſchte und ihr Arznei eintroͤpfelte.

Als der Morgen angebrochen, war Gior¬ gina wieder zuſehends beſſer geworden. Andres dankte dem Fremden, den er ſeinen Schutzengel nannte, aus der Fuͤlle ſeines Herzens. Auch Giorgina aͤußerte, wie ihn wol, auf ihr inbruͤnſtiges Gebet, Gott ſelbſt geſendet habe zu ihrer Rettung. Dem Fremden ſchienen dieſe lebhaften Ausbruͤche des Danks in gewiſſer Art beſchwerlich zu fallen; er war ſichtlich verlegen und aͤußerte einmal uͤber das andere, wie er ja ein Unmenſch ſeyn muͤſſe, wenn er nicht der Kranken mit ſeiner Kenntniß und den Arznei¬ mitteln, die er bei ſich fuͤhre, habe beiſtehen ſol¬ len. Uebrigens ſei nicht Andres, ſondern er zum Dank verpflichtet, da man ihn, der Noth unerachtet, die im Hauſe herrſche, ſo gaſtlich aufgenommen, und er wolle auch keinesweges dieſe Pflicht unerfuͤllt laſſen. Er zog einen wohlgefuͤll¬ ten Beutel hervor und nahm einige Goldſtuͤcke94 heraus, die er dem Andres hinreichte. Ei Herr , ſagte Andres, wie und wofuͤr ſollte ich denn ſo vieles Geld von Euch annehmen? Euch in meinem Hauſe zu beherbergen, da ihr Euch in dem wilden weitlaͤuftigen Forſt verirrt hattet, das war ja Chriſtenpflicht, und duͤnkte Euch das irgend eines Dankes werth, ſo habt ihr mich ja uͤberreich, ja mehr, als ich es nur mit Worten ſagen mag, dadurch belohnt, daß ihr als ein weiſer kunſterfahrner Mann mein liebes Weib vom augenſcheinlichen Tode rettetet. Ach Herr! was Ihr an mir gethan, werde ich Euch ewiglich nicht vergeſſen, und Gott moͤge es mir verleihen, daß ich die edle That Euch mit meinem Leben und Blut lohnen koͤnne. Bei dieſen Worten des wackern Andres fuhr es wie ein raſcher funkelnder Blitz aus den Augen des Fremden. Ihr muͤßt, braver Mann, ſprach er, durchaus das Geld annehmen. Ihr ſeid das ſchon Euerm Weibe ſchuldig, der ihr damit beſ¬ ſere Nahrungsmittel und Pflege verſchaffen koͤnnt;95 denn dieſer bedarf ſie nunmehro, um nicht wieder in ihren vorigen Zuſtand zuruͤckzufallen, und Euerm Knaben Nahrung geben zu koͤnnen. Ach Herr, erwiederte Andres, verzeiht es, aber eine innere Stimme ſagt mir, daß ich Euer un¬ verdientes Geld nicht nehmen darf. Dieſe innere Stimme, der ich, wie der hoͤhern Eingebung meines Schutzheiligen, immer vertraut, hat mich bisher ſicher durch das Leben gefuͤhrt und mich beſchuͤtzt vor allen Gefahren des Leibes und der Seele. Wollt ihr großmuͤthig handeln und an mir Armen ein Uebriges thun, ſo laßt mir ein Flaͤſchlein von Eurer wundervollen Arznei zuruͤck, damit durch ihre Kraft mein Weib ganz geneſe. Giorgina richtete ſich im Bette auf, und der ſchmerzvolle wehmuͤthige Blick, den ſie auf An¬ dres warf, ſchien ihn anzuflehen, diesmal nicht ſo ſtrenge auf ſein inneres Widerſtreben zu ach¬ ten, ſondern die Gabe des mildthaͤtigen Mannes anzunehmen. Der Fremde bemerkte das und ſprach: Nun wenn ihr denn durchaus mein96 Geld nicht annehmen wollt, ſo ſchenke ich es Euerm lieben Weibe, die meinen guten Willen, Euch aus der bittern Noth zu retten, nicht ver¬ ſchmaͤhen wird. Damit griff er noch einmal in den Beutel, und ſich der Georgina naͤhernd, gab er ihr wol noch einmal ſo viel Geld, als er vorhin dem Andres angeboten hatte. Gior¬ gina ſah das ſchoͤne funkelnde Gold mit vor Freude leuchtenden Augen, ſie konnte kein Wort des Danks herausbringen, die hellen Thraͤnen ſchoſſen ihr die Wangen herab. Der Fremde wandte ſich ſchnell von ihr weg, und ſprach zu Andres: Seht, lieber Mann! Ihr koͤnnet meine Gabe getroſt annehmen, da ich nur etwas von großem Ueberfluß Euch mittheile. Geſtehen will ich Euch, daß ich das nicht bin, was ich ſcheine. Nach meiner ſchlichten Kleidung, und da ich wie ein duͤrftiger wandernder Kraͤmer zu Fuß reiſe, glaubt Ihr gewiß, daß ich arm bin und mich nur kuͤmmerlich von kleinem Verdienſt auf Meſſen und Jahrmaͤrkten naͤhre: ich muß Euchjedoch97jedoch ſagen, daß ich durch gluͤcklichen Handel mit den trefflichſten Kleinodien, den ich ſeit vie¬ len Jahren treibe, ein ſehr reicher Mann gewor¬ den, und nur die einfache Lebensweiſe aus alter Gewohnheit beibehalten habe. In dieſem kleinen Felleiſen und dem Kiſtchen bewahre ich Juwelen und koͤſtliche, zum Theil noch im grauen Alterthum geſchnittene Steine, welche viele, viele Tauſende werth ſind. Ich habe diesmal in Frankfurt ſehr gluͤckliche Geſchaͤfte gemacht, ſo daß das wol noch lange nicht der hundertſte Theil des Ge¬ winns ſeyn mag, was ich Euerm lieben Weibe ſchenkte. Ueberdem gebe ich Euch das Geld kei¬ nesweges umſonſt, ſondern verlange von Euch da¬ fuͤr allerlei Gefaͤlligkeiten. Ich wollte, wie ge¬ woͤhnlich, von Frankfurt nach Caſſel gehen und kam von Schuͤchtern aus vom richtigen Wege ab. Indeſſen habe ich gefunden, daß der Weg durch dieſen Forſt, den ſonſt die Reiſenden ſcheuen, gerade fuͤr einen Fußgaͤnger recht anmuthig iſt, weshalb ich denn kuͤnftig auf gleicher Reiſe immerG98dieſe Straße einſchlagen und bei Euch einſprechen will. Ihr werdet daher mich jaͤhrlich zweimal bei Euch eintreffen ſehen; nehmlich zu Oſtern, wenn ich von Frankfurt nach Caſſel wandere, und im ſpaͤten Herbſt, wenn ich von der Leipziger Michaelis-Meſſe nach Frankfurt und von dort nach der Schweiz und wol auch nach Welſchland gehe. Dann ſollt ihr mich fuͤr gute Bezahlung einen zwei auch wol drei Tage bei Euch be¬ herbergen und das iſt die erſte Gefaͤlligkeit, um die ich Euch erſuche.

Ferner bitte ich Euch, dieſes kleine Kiſtchen, worin Waaren ſind, die ich in Caſſel nicht brau¬ che, und das mir beim Wandern hinderlich iſt, zu behalten, bis ich kuͤnftigen Herbſt wieder bei Euch einſpreche. Nicht verhehlen will ich, daß die Waaren viele Tauſende werth ſind, aber ich mag Euch deshalb doch kaum groͤßere Sorglichkeit empfehlen, da ich nach der Treue und Froͤmmig¬ keit, die Ihr an den Tag legt, Euch zutraue, daß Ihr auch das Geringſte, was ich Euch zuruͤckließe,99 ſorgfaͤltig aufbewahren wuͤrdet; zumal werdet Ihr das bei Sachen von ſolch 'großem Werthe, als die ſind, welche in dem Kiſtchen verſchloſſen, ſicherlich thun. Seht, das iſt der zweite Dienſt, den ich von Euch fordere. Das dritte, was ich verlange, wird Euch wohl am ſchwerſten fallen, unerachtet es mir jetzt am noͤthigſten thut. Ihr ſollt Euer liebes Weib nur auf dieſen Tag ver¬ laſſen und mich aus dem Forſt bis auf die Straße nach Hirſchfeld geleiten, wo ich bei Be¬ kannten einſprechen und dann meine Reiſe nach Caſſel fortſetzen will. Denn außer dem, daß ich des Weges im Forſt nicht recht kundig bin und mich daher zum zweitenmal verirren koͤnnte, ohne von einem ſo wackern Mann, wie ihr es ſeid, aufgenommen zu werden, iſt es auch in der Gegend nicht recht geheuer. Euch als einem Jaͤgersmann aus der Gegend wird man nichts anhaben, aber ich, als einſamer Wanderer, koͤnnte wohl gefaͤhrdet werden. Man ſprach in Frankfurt davon, daß eine Raͤuberbande, die ſonſt die Gegend vonG 2100Schaffhauſen unſicher machte und ſich bis nach Strasburg herauf ausdehnte, nunmehr ſich ins Fuldaiſche geworfen haben ſoll, da die von Leip¬ zig nach Frankfurt reiſenden Kaufleute ihnen rei¬ cheren Gewinnſt verſprachen, als ſie dort finden konnten. Wie leicht waͤr 'es moͤglich, daß ſie mich ſchon von Frankfurt aus als reichen Juwe¬ lenhaͤndler kennten. Hab' ich alſo ja durch die Rettung Eures Weibes Dank verdient, ſo koͤnnt ihr mich dadurch reichlich lohnen, daß Ihr aus dieſem Forſte mich auf Weg und Steg leitet. Andres war mit Freuden bereit, Alles zu er¬ fuͤllen, was man von ihm verlangte, und machte ſich gleich, wie es der Fremde wuͤnſchte, zur Wanderung fertig, indem er ſeine Jaͤgeruniform anzog, ſeine Doppelbuͤchſe und ſeinen tuͤchtigen Hirſchfaͤnger umſchnallte und dem Knecht befahl, zwei von den Doggen anzukuppeln. Der Fremde hatte unterdeſſen das Kiſtchen geoͤffnet und die praͤchtigſten Geſchmeide, Halsketten Ohrringe Spangen herausgenommen, die er auf Giorgi¬101 na's Bette ausbreitete, ſo daß ſie ihre Verwun¬ derung und Freude gar nicht bergen konnte. Als nun aber der Fremde ſie aufforderte, doch eine der ſchoͤnſten Halsketten umzuhaͤngen, die reichen Spangen auf ihre wunderſchoͤn geformten Aerme zu ſtreifen, und ihr dann einen kleinen Taſchen¬ ſpiegel vorhielt, worin ſie ſich nach Herzensluſt beſchauen konnte, ſo daß ſie in kindiſcher Luſt aufjauchzte, da ſagte Andres zu dem Fremden: Ach lieber Herr! wie moͤget ihr doch in mei¬ nem armen Weibe ſolche Luͤſternheit erregen, daß ſie ſich mit Dingen putzt, die ihr nimmermehr zukommen, und auch gar nicht anſtehen. Nehmt mir es nicht uͤbel, Herr! aber die einfache rothe Korallenſchnur, die meine Giorgina um den Hals gehaͤngt hatte, als ich ſie zum erſtenmal in Neapel ſah, iſt mir tauſendmal lieber, als das funkelnde blitzende Geſchmeide, das mir recht eitel und truͤgeriſch vorkommt. Ihr ſeid auch gar zu ſtrenge, erwiederte der Fremde hoͤhniſch laͤchelnd, daß Ihr Euerm Weibe nicht einmal in102 ihrer Krankheit die unſchuldige Freude laſſen wollt, ſich mit meinen ſchoͤnen Geſchmeiden herauszu¬ putzen, die keinesweges truͤgeriſch, ſondern wahr¬ haft aͤcht ſind. Wißt Ihr denn nicht, daß eben den Weibern ſolche Dinge rechte Freude verur¬ ſachen? Und was Ihr da ſagt, daß ſolcher Prunk Eurer Giorgina nicht zukomme, ſo muß ich das Gegentheil behaupten. Euer Weib iſt huͤbſch genug, ſich ſo herauszuputzen und Ihr wißt ja nicht, ob ſie nicht einmal auch noch reich genug ſeyn wird, dergleichen Schmuck ſelbſt zu beſitzen und zu tragen. Andres ſprach mit ſehr ern¬ ſtem nachdruͤcklichen Ton: Ich bitte Euch, Herr! fuͤhrt nicht ſolche geheimnißvolle verfaͤngliche Re¬ den! Wollt Ihr denn mein armes Weib bethoͤ¬ ren, daß ſie von eitlem Geluͤſt nach ſolchem weltlichem Prunk und Staat nur druͤckender un¬ ſere Armuth fuͤhle und um alle Lebensruhe, um alle Heiterkeit gebracht werde? Packt nur Eure ſchoͤne Sachen ein, lieber Herr! ich will ſie Euch treulich bewahren, bis ihr zuruͤckkommt. Aber103 ſagt mir nun, wenn, wie es der Himmel verhuͤ¬ ten moͤge! Euch unterdeſſen ein Ungluͤck zuſtoßen ſollte, ſo daß ihr nicht mehr zuruͤckkehrtet in mein Haus, wohin ſoll ich dann das Kiſtchen abliefern, und wie lange ſoll ich auf Euch war¬ ten, ehe ich die Juwelen dem einhaͤndige, den ihr mir nennen werdet, ſo wie ich Euch jetzt um Euern Namen bitte? Ich heiße, erwiederte der Fremde, Ignaz Denner, und bin, wie ihr ſchon wiſſet, Kauf - und Handelsmann. Ich habe weder Weib, noch Kinder, und meine Ver¬ wandte wohnen im Walliſer Lande. Die kann ich aber keinesweges lieben und achten, da ſie ſich, als ich noch arm und beduͤrftig war, um mich gar nicht gekuͤmmert haben. Sollte ich in drei Jahren mich nicht ſehen laſſen, ſo behal¬ tet das Kiſtchen ruhig an Euch und, da ich wohl weiß, daß beide, Ihr und Giorgina, Euch ſtraͤuben werdet, das reiche Vermaͤchtniß von mir anzunehmen, ſo ſchenke ich in jenem Fall das Kaͤſtchen mit Kleinodien Euerm Knaben, dem ich,104 wenn Ihr ihn firmeln laßt, den Namen Igna¬ tius beizugeben bitte. Andres wußte in der That nicht, was er aus der ſeltenen Freigebigkeit und Großmuth des fremden Mannes machen ſoll¬ te. Er ſtand ganz verſtummt vor ihm, indeß Giorgina ihm fuͤr ſeinen guten Willen dankte und verſicherte, zu Gott und den Heiligen fleißig beten zu wollen, daß ſie ihn auf ſeinen weiten beſchwerlichen Reiſen beſchuͤtzen und ihn ſtets gluͤcklich in ihr Haus zuruͤckfuͤhren moͤchten. Der Fremde laͤchelte, ſo wie es ſeine Art war, auf ſeltſame Weiſe und meinte, daß wol das Gebet einer ſchoͤnen Frau mehr Kraft haben moͤge, als das ſeinige. Das Beten wolle er daher ihr uͤberlaſ¬ ſen und uͤbrigens ſeinem kraͤftigen abgehaͤrteten Koͤrper und ſeinen guten Waffen vertrauen.

Dem frommen Andres mißfiel dieſe Aeuße¬ rung des Fremden hoͤchlich; indeſſen verſchwieg er das, was er darauf zu erwiedern ſchon im Begriff ſtand, und trieb vielmehr den Fremden an, jetzt die Wanderung durch den Forſt zu105 beginnen, da er ſonſt erſt in ſpaͤter Nacht in ſein Haus zuruͤckkehren und ſeine Giorgina in Furcht und Angſt ſetzen wuͤrde.

Der Fremde ſagte beim Abſchiede noch Gior¬ ginen: daß er ausdruͤcklich ihr erlaube, ſich, wenn es ihr Vergnuͤgen mache, mit ſeinen Ge¬ ſchmeiden zu ſchmuͤcken, da es ihr ja ohnedies in dieſem einſamen wilden Forſt an jeder Beluſti¬ gung mangle. Giorgina erroͤthete vor innerm Vergnuͤgen, da ſie freilich die ihrer Nation eigne Luſt an glaͤnzendem Staat und vorzuͤglich an koſt¬ baren Steinen nicht unterdruͤcken konnte. Nun ſchritten Denner und Andres raſch vorwaͤrts durch den finſtern oͤden Wald. In dem dickſten Gebuͤſch ſchnupperten die Doggen umher und klaff¬ ten, den Herrn mit klugen beredten Augen an¬ ſchauend. Hier iſt es nicht geheuer, ſprach Andres, ſpannte den Hahn ſeiner Buͤchſe und ſchritt mit den Hunden bedaͤchtig vor dem frem¬ den Kaufmann her. Oft war es ihm, als rau¬ ſche es in den Baͤumen und bald erblickte er in106 der Ferne finſtre Geſtalten, die gleich wieder in dem Gebuͤſch verſchwanden. Er wollte ſeine Dog¬ gen loskuppeln. Thut das nicht, lieber Mann! rief Denner, denn ich kann Euch verſichern, daß wir nicht das mindeſte zu fuͤrchten haben. Kaum hatte er dieſe Worte geſprochen, als nur wenige Schritte von ihnen ein großer ſchwarzer Kerl mit ſtruppigen Haaren und großem Knebel¬ bart, eine Buͤchſe in der Hand, aus dem Gebuͤſch heraustrat. Andres machte ſich ſchußfertig; ſchießt nicht, ſchießt nicht! rief Denner; der ſchwarze Kerl nickte ihm freundlich zu und verlor ſich in den Baͤumen. Endlich waren ſie aus dem Walde heraus, auf der lebhaften Land¬ ſtraße. Nun danke ich Euch herzlich fuͤr Euer Geleite, ſprach Denner; kehrt nur jetzt in Eure Wohnung zuruͤck; ſollten Euch wieder ſolche Geſtalten aufſtoßen, wie wir ſie geſehen, ſo zieht ruhig Eure Straße fort, ohne Euch darum zu kuͤmmern. Thut, als wenn Ihr gar nichts be¬ merktet, behaltet Eure Doggen am Strick, Ihr107 werdet ohne alle Gefahr Eure Wohnung errei¬ chen. Andres wußte nicht, was er von dem Allen und von dem wunderlichen Kaufmann den¬ ken ſollte, der, wie ein Geiſterbeſchwoͤrer, den Feind zu bannen und von ſich abzuhalten ſchien. Er konnte nicht begreifen, warum er denn erſt ſich habe durch den Wald geleiten laſſen. Getroſt ſchritt Andres durch den Forſt zuruͤck, es ſtieß ihm durchaus nichts verdaͤchtiges auf und er kam wohlbehalten in ſein Haus, wo ihm ſeine Gior¬ gina, die ſich munter und kraͤftig aus dem Bette gemacht, voll Freude in die Arme fiel.

Durch die Freigebigkeit des fremden Kauf¬ manns bekam die kleine Haushaltung des An¬ dres eine ganz andere Geſtalt. Kaum war nehmlich Giorgina ganz geneſen, als er mit ihr nach Fulda ging und außer den noͤthigſten Beduͤrfniſſen noch manches Stuͤck einkaufte, das ihrer haͤuslichen Einrichtung abging und wodurch dieſe das Anſehen eines gewiſſen Wohlſtandes er¬ hielt. Dazu kam, daß ſeit dem Beſuch des108 Fremden die Freijaͤger und Holzdiebe aus der Gegend gebannt ſchienen, und Andres ſeinem Poſten ruhig vorſtehen konnte. Auch ſein Jagd¬ gluͤck war wiedergekehrt, ſo daß er, wie ſonſt, beinahe niemals einen Fehlſchuß that. Der Fremde ſtellte ſich zu Michaelis wieder ein und blieb drei Tage. Der hartnaͤckigen Weigerung der Wirthsleute unerachtet war er doch wieder ſo freigebig, wie das erſtemal. Er verſicherte, es ſei nun einmal ſeine Abſicht, ſie in Wohlſtand zu verſetzen, und ſo ſich ſelbſt das Abſteigequartier im Walde freundlicher und angenehmer zu ma¬ chen.

Nun konnte die bildhuͤbſche Giorgina ſich beſſer kleiden; ſie geſtand dem Andres, daß ſie der Fremde mit einer zierlich gearbeiteten goldnen Nadel, wie ſie die Maͤdchen und Weiber in man¬ cher Gegend Italiens durch das in Zoͤpfen zuſam¬ mengeflochtene aufgewirbelte Haar zu ſtecken pfle¬ gen, beſchenkt habe. Andres zog ein finſtres Geſicht, aber in dem Augenblick war Giorgina109 zur Thuͤr herausgeſprungen und nicht lange dau¬ erte es, ſo kehrte ſie zuruͤck ganz ſo gekleidet und geſchmuͤckt, wie Andres ſie in Neapel geſehen hatte. Die ſchoͤne goldne Nadel prangte in dem ſchwarzen Haar, in das ſie mit maleriſchem Sinn bunte Blumen geflochten, und Andres mußte ſich nun ſelbſt geſtehen, daß der Fremde ſein Geſchenk recht ſinnig gewaͤhlt hatte, um ſeine Georgina wahrhaft zu erfreuen.

Andres aͤußerte dies unverholen und Gior¬ gina meinte, daß der Fremde wol ihr Schutz¬ engel ſei, der ſie aus der tiefſten Duͤrftigkeit zum Wohlſtande erhebe, und daß ſie gar nicht be¬ greife, wie Andres ſo wortkarg, ſo verſchloſſen gegen den Fremden und uͤberhaupt ſo traurig, ſo in ſich gekehrt, bleiben koͤnne. Ach, liebes Her¬ zensweib! ſprach Andres, die innere Stimme, welche mir damals ſo laut ſagte, daß ich durch¬ aus nichts von dem Fremden annehmen duͤrfe, die ſchweigt bis jetzt keinesweges. Ich werde oft von innern Vorwuͤrfen gemartert; es iſt mir, als ob110 mit dem Gelde des Fremden unrechtes Gut in mein Haus gekommen ſei und deshalb kann mich nichts recht freuen; was dafuͤr angeſchafft wurde. Ich kann mich jetzt wol oͤfter mit einer kraͤftigen Speiſe, mit einem Glaſe Wein erlaben; glaube mir aber, liebe Giorgina! war einmahl ein guter Holzverkauf vorgefallen und hatte mir der liebe Gott ein paar ehrlich verdiente Groſchen mehr beſcheert, als gewoͤhnlich, dann ſchmeckte mir ein Glas geringen Weins viel beſſer, als jetzt der gute Wein, den der Fremde uns mitbringt. Ich kann mich mit dieſem ſonderbaren Kaufmann durchaus nicht befreunden, ja es iſt mir in ſeiner Gegenwart oft ganz unheimlich zu Muthe. Haſt Du wohl bemerkt, liebe Giorgina! daß er nie¬ manden feſt anzuſchauen vermag? Und dabei blitzt es zuweilen aus ſeinen tiefliegenden kleinen Augen ſo ſonderbar heraus, und dann kann er bei unſern ſchlichten Reden oft ſo buͤbiſch moͤcht 'ich ſagen, lachen, daß es mich eiskalt uͤberlaͤuft. Ach, moͤchten nur nicht meine innern Gedanken wahr111 werden, aber oft iſt es mir, als liege allerlei ſchwarzes Unheil im Hintergrunde, das nun der Fremde mit einemmahl hervorrufen werde, nach¬ dem er uns in ſeinen kuͤnſtlichen Schlingen ge¬ fangen.

Giorgina ſuchte ihrem Mann die ſchwar¬ zen Vorſtellungen auszureden, indem ſie verſicher¬ te, wie ſie oft in ihrem Vaterlande und vorzuͤg¬ lich bei ihren Pflegeaͤltern im Wirthshauſe, Per¬ ſonen kennen gelernt, deren Aeußeres noch viel widriger geweſen ſey, unerachtet es am Ende grundgute Menſchen waren. Andres ſchien ge¬ troͤſtet, im Innern beſchloß er aber auf der Hut zu ſeyn.

Der Fremde ſprach bei Andres wieder ein, als ſein Knabe, ein wunderſchoͤnes Kind, ganz der Mutter Ebenbild, gerade neun Monate alt geworden. Es war Giorgina's Namenstag; ſie hatte den Kleinen fremdartig und ſonderbar herausgeputzt, ſich ſelbſt in ihre liebe neapolitani¬ ſche Tracht geworfen und ein beſſeres Mahl, als112 gewoͤhnlich, bereitet, wozu der Fremde eine Fla¬ ſche koͤſtlichen Weins aus dem Felleiſen hergab. Als ſie nun froͤhlich bei Tiſche ſaßen und der kleine Knabe mit ſolch 'wunderbar verſtaͤndigen Augen umherblickte, hub der Fremde an: Euer Kind verſpricht in der That mit ſeinem beſondern Weſen ſchon jetzt recht viel und es iſt Schade, daß Ihr nicht im Stande ſeyn werdet, es gehoͤrig zu erziehen. Ich haͤtte Euch wol einen Vorſchlag zu thun, Ihr werdet ihn aber verwerfen wollen, un¬ erachtet Ihr bedenken moͤchtet, daß er nur Euer Gluͤck, Euern Wohlſtand bezweckt. Ihr wißt, daß ich reich und ohne Kinder bin, ich fuͤhle eine ganz beſondere Liebe und Zuneigung zu Eu¬ erm Knaben Gebt mir ihn! Ich bringe ihn nach Strasburg, wo er von einer Freundin von mir, einer alten ehrbaren Frau, auf das beſte erzogen werden und mir ſo wie Euch große Freude machen ſoll. Ihr werdet mit Euerm Kinde einer großen Laſt frei; doch muͤßt Ihr Euern Entſchluß ſchnell faſſen, da ich genoͤthigt bin, noch heuteAbend113Abend abzureiſen. Auf meinen Armen trage ich das Kind bis in das naͤchſte Dorf; dort nehme ich dann ein Fuhrwerk. Bei dieſen Worten des Fremden riß Giorgina das Kind, das er auf ſeinen Knien geſchaukelt hatte, haſtig fort und druͤckte es an ihren Buſen, indem ihr die Thraͤnen in die Augen traten. Seht, lieber Herr! ſprach Andres, wie meine Frau Euch auf Euern Vorſchlag antwortet, und eben ſo bin auch ich geſinnt. Eure Abſicht mag recht gut ſeyn; aber wie moͤget Ihr doch uns das Liebſte rauben wollen, das wir auf Erden beſitzen? wie moͤget Ihr doch das eine Laſt nennen, was unſer Leben aufheitern wuͤrde, waͤren wir auch noch in der tiefſten Duͤrftigkeit, aus der uns Eure Guͤte geriſſen? Seht, lieber Herr! Ihr ſagtet ſelbſt, daß Ihr ohne Frau und ohne Kinder waͤret; Euch iſt daher wohl die Seligkeit fremd, die gleichſam aus der Glorie des offnen Himmelreichs herab¬ ſtroͤmt auf Mann und Weib bei der Geburt eines Kindes. Es iſt ja die reinſte Liebe undH114Himmelswonne ſelbſt, von der die Eltern erfuͤllt werden, wenn ſie ihr Kind ſchauen, das ſtumm und ſtill an der Mutter Bruſt liegend, doch mit gar beredten Zungen von ihrer Liebe, von ihrem hoͤchſten Lebensgluͤck ſpricht. Nein, lieber Herr! ſo groß auch die Wohlthaten ſind, die Ihr uns erzeigt habt, ſo wiegen ſie doch lange nicht das auf, was uns unſer Kind werth iſt; denn wo gaͤbe es Schaͤtze der Welt, die dieſem Beſitz gleich zu ſtellen? Scheltet uns daher nicht un¬ dankbar, lieber Herr! daß wir Euch Euer Anſin¬ nen ſo ganz und gar abſchlagen. Waͤret Ihr ſelbſt Vater, ſo beduͤrfte es weiter gar keiner Entſchuldigung fuͤr uns. Nun, nun, erwie¬ derte der Fremde, indem er finſter ſeitwaͤrts blickte, ich glaubte Euch wohl zu thun, indem ich Euern Sohn reich und gluͤcklich machte. Seid Ihr nicht damit zufrieden, ſo iſt davon weiter nicht die Rede. Giorgina kuͤßte und herzte den Knaben, als ſei er aus großer Gefahr errettet, und ihr wiedergegeben worden. Der115 Fremde ſtrebte ſichtlich wieder unbefangen und heiter zu ſcheinen; man merkte es indeſſen doch nur zu deutlich, wie ſehr ihn die Weigerung ſei¬ ner Wirthsleute, ihm den Knaben zu geben, ver¬ droſſen hatte. Statt, wie er geſagt, noch den¬ ſelben Abend fortzureiſen, blieb er wieder drei Tage, in welchen er jedoch nicht ſo, wie ſonſt bei Giorgina[verweilte], ſondern mit Andres auf die Jagd zog und ſich bei dieſer Gelegenheit viel von dem Grafen Aloys von Vach erzaͤhlen ließ. Als in der Folge Ignaz Denner wie¬ der bei ſeinem Freunde Andres einſprach, dachte er nicht mehr an ſeinen Plan, den Knaben mit ſich zu nehmen. Er war nach ſeiner Art freund¬ lich wie vorher, und fuhr fort, Giorgina reichlich zu beſchenken, die er noch uͤberdem wie¬ derholt aufforderte, ſo oft ſie Luſt habe ſich mit den Juwelen aus dem Kiſtchen, das er Andres in Verwahrung gegeben, zu ſchmuͤcken, welches ſie auch wol dann und wann heimlich that. Oft wollte Denner, wie ſonſt mit dem KnabenH 2116ſpielen; dieſer ſtraͤubte ſich aber und weinte, durchaus mochte er nicht mehr zu dem Fremden gehen, als wiſſe er etwas von dem feindlichen Anſchlag, ihn ſeinen Eltern zu entfuͤhren. Zwei Jahre hindurch hatte der Fremde nun auf ſeinen Wanderungen den Andres beſucht, und Zeit und Gewohnheit hatten die Scheu, das Mißtrauen wider Denner endlich uͤberwunden, ſo daß An¬ dres ſeinen Wohlſtand ruhig und heiter genoß. Im Herbſt des dritten Jahres, als die Zeit, in der Denner gewoͤhnlich einzuſprechen pflegte, ſchon voruͤber war, pochte es in einer ſtuͤrmiſchen Nacht hart an Andres Thuͤr, und mehrere rauhe Stimmen riefen ſeinen Namen. Erſchrok¬ ken ſprang er aus dem Bette; als er aber zum Fenſter herausfrug, wer ihn in finſtrer Nacht ſo ſtoͤre und wie er gleich ſeine Doggen loslaſſen werde, um ſolche ungebetene Gaͤſte wegzuhetzen, da ſagte einer, er moͤge nur aufmachen, ein Freund ſei da, und Andres erkannte Den¬ ner's Stimme. Als er nun mit dem Licht in117 der Hand die Hausthuͤr oͤffnete, trat ihm Den¬ ner allein entgegen. Andres aͤußerte, wie es ihm vorgekommen, als ob mehrere Stimmen ſei¬ nen Namen gerufen haͤtten; Denner meinte dagegen, daß den Andres das Heulen des Windes getaͤuſcht haben muͤſſe. Als ſie in die Stube traten, erſtaunte Andres nicht wenig, als er den Denner naͤher betrachtete und ſeinen ganz veraͤnderten Anzug gewahr wurde. Statt der grauen ſchlichten Kleidung und des Mantels trug er ein dunkelrothes Wamms und einen brei¬ ten ledernen Gurt, in dem ein Stilet und vier Piſtolen ſtaken; außerdem war er noch mit einem Saͤbel bewaffnet, ſelbſt das Geſicht ſchien veraͤn¬ dert, indem auf der ſonſt glatten Stirn nun buſchichte Augenbrauen lagen und ein ſtarker ſchwarzer Bart ſich uͤber Lippe und Wangen zog. Andres! ſprach Denner, indem er ihn mit ſeinen funkelnden Augen anblitzte, Andres! als ich vor beinahe drei Jahren dein Weib vom Tode errettet hatte, da wuͤnſchteſt Du, daß Gott118 es Dir verleihen moͤge, mir die Dir erzeigte Wohlthat mit Deinem Blut und Leben lohnen zu koͤnnen. Dein Wunſch iſt erfuͤllt; denn es iſt nunmehr der Augenblick gekommen, in dem du mir Deine Dankbarkeit, Deine Treue beweiſen kannſt. Kleide Dich an; nimm Deine Buͤchſe und komme mit mir, nur wenige Schritte von Deiner Wohnung ſollſt Du das uͤbrige erfahren. Andres wußte nicht, was er von Denners Zumuthung halten ſollte; der Worte, die er ihm vorhielt, indeſſen wohl eingedenk, verſicherte er, wie er bereit ſei, alles nur moͤgliche fuͤr ihn zu unternehmen, ſo bald es nicht der Rechtſchaffen¬ heit, Tugend und Religion zuwider laufe. Daruͤber kannſt Du ganz ruhig ſeyn, rief Denner, indem er ihm laͤchelnd auf die Schul¬ ter klopfte; und da er bemerkte, daß Giorgina aufgeſprungen war, und vor Angſt zitternd und bebend ihren Mann umklammerte, nahm er ſie bei den Armen und ſprach, ſie ſanft zuruͤckziehend: Laßt Euern Mann nur immer mit mir ziehen,119 in wenigen Stunden iſt er wieder geſund bei Euch, und bringt Euch vielleicht was Schoͤnes mit. Hab 'ich es denn jemals boͤſe mit Euch gemeint? Habe ich ſelbſt dann, wenn Ihr mich verkanntet, nicht immer Euch Gutes erzeigt? Wahrhaftig, Ihr ſeid recht beſondere mißtrauiſche Leute. Andres zauderte noch immer ſich anzukleiden, da wandte Denner ſich zu ihm und ſprach mit zornigem Blick: Ich hoffe Du wirſt Deine Zuſage halten, denn es gilt nunmehr, das zu beweiſen mit der That, was Du geſprochen! Schnell war nun Andres angekleidet, und indem er mit Denner zur Thuͤre herausſchritt, ſprach er noch einmal: Alles, lieber Herr! will ich fuͤr Euch thun, doch etwas Unrechtes werdet Ihr wol von mir nicht fordern, da ich auch das Kleinſte, was wider mein Gewiſſen liefe, nicht vollbringen wuͤrde. Denner antwortete nichts, ſondern ſchritt raſch vorwaͤrts. Sie waren durch das Dickicht gedrungen bis auf einen ziemlich geraͤu¬ migen Raſenplatz; da pfiff Denner dreimal,120 daß der Ton ringsumher aus den ſchaurigen Kluͤften wiederhallte und uͤberall in den Buͤſchen flackerten Windlichter auf und es rauſchte und klirrte in den dunklen Gaͤngen, bis ſich ſchwarze graͤßliche Geſtalten geſpenſtiſch hervordraͤngten und den Denner im Kreiſe umringten. Einer aus dem Kreiſe trat hervor und ſprach auf Andres hindeutend: das iſt ja wol unſer neuer Geſelle, nicht wahr Hauptmann? Ja, antwortete Den¬ ner, ich hab' ihn aus dem Bette geholt, er ſoll ſein Probeſtuͤck machen, es kann nun gleich vor¬ waͤrts gehen. Andres erwachte bei dieſen Worten wie aus dumpfer Betaͤubung, kalter Schweiß ſtand ihm auf der Stirne; aber er er¬ mannte ſich und rief heftig. Was, Du ſchaͤnd¬ licher Betruͤger, fuͤr einen Kaufmann gabſt Du Dich aus, und treibſt ein hoͤlliſches verruchtes Gewerbe, und biſt ein verworfener Raͤuber? Nimmermehr will ich Dein Geſelle ſeyn und theilnehmen an Deinen Schandthaten, zu denen Du mich, wie der Satan ſelbſt, auf kuͤnſtliche haͤ¬121 miſche Weiſe verlocken wollteſt? Laß mich gleich fort, Du frevelicher Boͤſewicht, und raͤu¬ me mit Deiner Rotte dies Gebiet, ſonſt ver¬ rathe ich Deine Schlupfwinkel der Obrigkeit, und Du bekommſt den Lohn fuͤr Deine Schandthaten; denn nun weiß ich es wohl, daß Du ſelbſt der ſchwarze Ignaz biſt, der mit ſeiner Bande an der Graͤnze gehauſet und geraubt, und gemordet hat. Gleich laſſe mich fort, ich will Dich nie mehr ſchauen. Denner lachte laut auf. Was, Du feiger Bube? ſprach er: Du unter¬ ſtehſt Dich, mir zu trotzen, Dich meinem Willen, meinem Machtwort entziehen zu wollen? Biſt Du nicht laͤngſt ſchon unſer Geſelle? lebſt Du nicht ſchon ſeit beinahe drei Jahren von unſerm Gelde? ſchmuͤckt ſich Dein Weib nicht mit unſerm Raube? Nun ſtehſt Du unter uns und willſt nicht arbeiten dafuͤr was Du genoſſen? Folgſt Du uns nun nicht, zeigſt Du Dich nicht gleich als unſern ruͤſtigen Kumpan, ſo laſſe ich Dich gebunden in unſere Hoͤhle werfen und meine Ge¬122 ſellen ziehen nach deiner Wohnung, zuͤnden ſie an und ermorden dein Weib und deinen Knaben. Doch ich werde wol dieſe Maßregel, die nur eine Folge Deiner Halsſtarrigkeit ſeyn wuͤrde, nicht ergreifen duͤrfen. Nun! waͤhle! es iſt Zeit, wir muͤſſen fort! Andres ſah nun wohl ein, daß die mindeſte Weigerung ſeiner geliebten Giorgina und dem Knaben das Le¬ ben koſten wuͤrde; den verraͤtheriſchen buͤbiſchen Denner im Innern zur Hoͤlle verfluchend, be¬ ſchloß er daher, in ſeinen Willen ſich ſcheinbar zu fuͤgen, rein von Diebſtahl und Mord zu bleiben und das tiefere Eindringen in die Schlupfwinkel der Bande nur dazu zu benutzen, bei der erſten guͤnſtigen Gelegenheit ihre Aufhebung und Ein¬ ziehung zu bewirken. Nach dieſem im Stillen gefaßten Entſchluß erklaͤrte er dem Denner, wie trotz ſeines innern Widerſtrebens doch die Dankbarkeit fuͤr Giorgina's Rettung ihn ver¬ pflichte, etwas zu wagen, und er wolle daher die Expedition mitmachen, wobei er nur bitte, ihn123 als einen Neuling, ſo viel moͤglich mit dem thaͤ¬ tigen Antheil daran zu verſchonen. Denner lobte ſeinen Entſchluß, indem er hinzufuͤgte, wie er keinesweges verlange, daß er foͤrmlich zur Bande uͤbertreten ſolle, vielmehr muͤſſe er Revier¬ jaͤger bleiben; denn ſo waͤre er ihm und der Bande ſchon jetzt von großem Nutzen geweſen, was denn auch kuͤnftig der Fall ſeyn wuͤrde.

Es war auf nichts geringeres abgeſehen, als die Wohnung eines reichen Pachters, die von dem Dorfe abgelegen, unfern dem Walde, ſtand, zu uͤberfallen und auszupluͤndern. Man wußte, daß der Pachter außer dem vielen Gelde und den Koſtbarkeiten, die er beſaß, eben jetzt fuͤr er¬ kauftes Getraide eine ſehr bedeutende Summe ein¬ genommen hatte, die er bei ſich bewahrte und um ſo mehr verſprachen ſich die Raͤuber einen reichen Fang. Die Windlichter wurden ausgeloͤſcht und ſtill zogen die Raͤuber durch die engen Schleichwege, bis ſie dicht an dem Gebaͤude ſtanden, welches einige von der Bande umringten. Andere dagegen ſtiegen uͤber124 die Mauer, und ſprengten von innen das Hof¬ thor; einige wurden auf Wache ausgeſtellt, und unter dieſen befand ſich Andres. Bald hoͤrte er, wie die Raͤuber die Thuͤren erbrachen und ins Haus ſtuͤrmten, er vernahm ihr Fluchen, ihr Geſchrei, das Geheul der Gemißhandelten. Es fiel ein Schuß; der Pachter, ein beherzter Mann, mochte ſich zur Wehre ſetzen dann wurde es ſtiller aufgeſprengte Schloͤſſer klirrten, Raͤuber ſchleppten Kiſten zum Hofthor heraus. Einer von des Pachters Leuten mußte in der Finſterniß ent¬ wiſcht und ins Dorf gerannt ſeyn; denn auf ein¬ mal toͤnte die Sturmglocke durch die Nacht, und bald darauf ſtroͤmten Haufen mit hellauflodernden Lichtern die Straße herauf nach der Pachterwoh¬ nung. Nun fiel Schuß auf Schuß, die Raͤuber ſammelten ſich im Hofe und ſtreckten alles nieder, was ſich der Mauer naͤherte. Sie hatten ihre Windfackeln angezuͤndet. Andres, der auf einer Anhoͤhe ſtand, konnte alles uͤberſehen. Mit Entſetzen erblickte er unter den Bauern, Jaͤger125 in der Liverei ſeines Herrn, des Grafen von Vach! Was ſollte er thun? Sich zu ihnen zu begeben, war unmoͤglich, nur die ſchnellſte Flucht konnte ihn retten; aber wie feſtgezaubert ſtand er da hinſtarrend in den Pachterhof, wo das Gefecht immer moͤrderiſcher wurde; denn durch eine kleine Pforte an der andern Seite waren die Vachſchen Jaͤger gedrungen und mit den Raͤubern handgemein geworden. Die Raͤuber mußten zuruͤck, ſie draͤngten ſich fechtend durch das Thor nach der Gegend hin, wo Andres ſtand. Er ſah Dennern, der unaufhoͤrlich lud und ſchoß und niemals fehlte. Ein junger reich¬ gekleideter Mann, von Vachſchen Jaͤgern um¬ geben, ſchien den Anfuͤhrer zu machen; auf ihn legte Denner an, aber noch ehe er abdruͤckte, ſtuͤrzte er von einer Kugel getroffen mit einem dumpfen Schrei nieder. Die Raͤuber flohen ſchon ſtuͤrzten die Vachſchen Jaͤger herbei, da ſprang, wie von unwiderſtehlicher Macht getrieben, An¬ dres herbei und rettete Dennern, den er, ſtark126 wie er war, auf die Schultern warf und ſchnell forteilte. Ohne verfolgt zu werden, erreichte er gluͤcklich den Wald. Nur einzelne Schuͤſſe fie¬ len hin und wieder und bald wurde es ganz ſtill; ein Zeichen, daß es den Raͤubern, die nicht ver¬ wundet auf dem Platze liegen geblieben, gegluͤckt war, in den Wald zu entkommen und daß es den Jaͤgern und Bauern nicht rathſam ſchien, in das Dickicht einzubrechen: Setze mich nur nieder, Andres! ſprach Denner, ich bin in den Fuß verwundet und verdammt, daß ich umſtuͤrzte, denn, unerachtet mich die Wunde ſehr ſchmerzt, glaub 'ich doch nicht einmal, daß ſie bedeutend iſt. Andres that es, Denner holte eine kleine Phiole aus der Taſche und als er ſie oͤffnete, ſtrahlte ein helles Licht heraus, bei dem Andres die Wunde genau unterſuchen konnte: Denner hatte Recht; nur ein ſtarker Streifſchuß hatte den rechten Fuß getroffen, der ſtark blutete. An¬ dres verband die Wunde mit ſeinem Schnupf¬ tuch, Denner ließ ſeine Pfeife ertoͤnen, aus127 der Ferne wurde geantwortet und nun bat er den Andres, ihn ſachte den ſchmalen Waldweg her¬ aufzufuͤhren, denn bald wuͤrden ſie an Ort und Stelle ſeyn. Wirklich dauerte es auch nicht lange, ſo ſahen ſie den Schein von Windlichtern durch das dunkle Gebuͤſch brechen und hatten jenen Raſen¬ platz erreicht, von dem ſie ausgegangen und wo ſie die uͤbriggebliebenen Raͤuber bereits verſammelt fanden. Alle jauchzten vor Freude auf, als Den¬ ner unter ſie trat und ruͤhmten den Andres, der, tief in ſich gekehrt, kein Wort vorzubringen vermochte. Es fand ſich, daß uͤber die Haͤlfte der Bande todt, oder hart verwundet auf dem Platze liegen geblieben war; indeſſen hatten einige von den Raͤubern, die dazu beſtimmt waren, den Raub in Sicherheit zu bringen, mitten im Gefecht wirklich mehrere Kiſten mit koſtbarem Geraͤth, ſo wie eine anſehnliche Summe Geld, fortzuſchaffen gewußt, ſo daß, unerachtet das Un¬ ternehmen ſchlimm ausgegangen, doch die Beute anſehnlich blieb. Als nun das Noͤthige beſprochen,128 wandte ſich Denner, den man unterdeſſen ordentlich verbunden hatte, und der kaum irgend einen Schmerz mehr zu fuͤhlen ſchien, zu Andres und ſprach: Ich habe dein Weib vom Tode er¬ rettet, Du haſt mich in dieſer Nacht der Gefan¬ genſchaft entzogen und mich folglich auch von dem mir gewiſſen Tode befreit, wir ſind quit! Du kannſt in Deine Wohnung zuruͤckkehren. In den naͤchſten Tagen, vielleicht ſchon morgen, verlaſ¬ ſen wir die Gegend; Du magſt daher ganz ruhig daruͤber ſeyn, daß wir Dir aͤhnliches, ſo wie heu¬ te, zumuthen werden. Du biſt ja ſo ein gottes¬ fuͤrchtiger Narr und uns nicht brauchbar. Es iſt indeſſen billig, daß Du Theil am heutigen Raube nehmeſt und uͤberdem fuͤr meine Rettung belohnt werdeſt. Nimm daher dieſen Beutel mit Gold und behalte mich in gutem Andenken; denn uͤber's Jahr hoffe ich bei Dir einzuſprechen. Gott der Herr ſoll mich behuͤten, erwiederte Andres heftig, daß ich auch nur einen Pfennig von Eurem ſchaͤndlichen Raube nehmen ſollte. Habt Ihr michdoch129doch nur durch die abſcheulichſten Drohungen ge¬ zwungen mitzugehen, welches ich ewiglich bereuen werde. Wol mag es Suͤnde geweſen ſeyn, daß ich Dich, Du ſchaͤndlicher Boͤſewicht! der gerech¬ ten Strafe entzogen habe; aber Gott im Himmel mag es mir nach ſeiner Langmuth verzeihen. Es war, als flehe in dem Augenblick meine Gior¬ gina um Dein Leben, da Du das ihrige erret¬ tet, und ich konnte nicht anders, als daß ich Dich mit Gefahr meines Lebens und meiner Ehre, ja das Wohl und Weh meines Weibes und meines Kindes auf's Spiel ſetzend, der Gefahr entriß. Denn ſprich, was waͤre aus mir, wenn man mich verwundet, ja was waͤre aus meinem armen Weibe, meinem Knaben geworden, wenn man mich erſchlagen unter Deiner verruchten Moͤr¬ derbande gefunden haͤtte? Aber ſei uͤberzeugt, daß, wenn Du die Gegend nicht verlaͤſſeſt, wenn nur ein einziger hier geſchehener Raub, oder Mord mir kund wird, ich augenblicklich nach Fulda gehe und der Obrigkeit Deine Schlupfwinkel ver¬I130rathe. Die Raͤuber wollten uͤber den An¬ dres herfallen, um ihn fuͤr ſeine Reden zu zuͤch¬ tigen; Denner verbot es ihnen jedoch, indem er ſagte, laßt doch den albernen Kerl ſchwatzen, was thut das uns? Andres, fuhr Den¬ ner fort, Du biſt in meiner Gewalt, ſo wie Dein Weib und Dein Knabe. Du ſo wol, als dieſe, ſollen aber ungefaͤhrdet bleiben, wenn Du mir verſprichſt, Dich ruhig in Deiner Wohnung zu halten und uͤber Deine Mitwiſſenſchaft von dem Vorfall dieſer Nacht gaͤnzlich zu ſchweigen. Das Letzte rathe ich Dir um ſo mehr, als meine Rache Dich furchtbar treffen und uͤberdem die Obrigkeit Dir ſelbſt wol Deine Huͤlfe bei der That, ſo wie, daß Du ſchon lange von meinem Reichthum genoſſeſt, nicht ſo hingehen laſſen wuͤrde. Dagegen verſpreche ich Dir noch einmal, daß ich die Gegend gaͤnzlich raͤumen will und we¬ nigſtens von mir und meiner Bande hier kein Unternehmen mehr ausgefuͤhrt werden ſoll. Nach¬ dem Andres nothgedrungen dieſe Bedingungen131 des Raͤuberhauptmanns eingegangen war und fei¬ erlich verſprochen hatte zu ſchweigen, wurde er von zwei Raͤubern durch wildverwachsne Fußſteige auf den breiten Waldweg gefuͤhrt und es war laͤngſt heller Morgen worden, als er in ſein Haus trat und die vor Sorge und Angſt todten¬ bleiche Giorgina umarmte. Er ſagte ihr nur im Allgemeinen, daß ſich ihm Denner als der verruchteſte Boͤſewicht offenbart, und er daher alle Gemeinſchaft mit ihm abgebrochen habe; nie ſolle er mehr ſeine Schwelle betreten. Aber das Ju¬ welenkaͤſtchen? unterbrach ihn Giorgina. Da fiel es dem Andres wie eine ſchwere Laſt auf's Herz. An die Kleinodien, die Denner bei ihm zuruͤckgelaſſen, hatte er nicht gedacht, und uner¬ klaͤrlich ſchien es ihm, daß Dennern auch nicht ein Wort daruͤber entfallen war. Er ging mit ſich zu Rathe, was er wol mit dieſem Kaͤſtchen anfangen ſolle. Zwar dachte er daran, es nach Fulda zu bringen und der Obrigkeit zu uͤbergeben; wie ſollte er aber den Beſitz deſſelben beſchoͤnigen,I 2132ohne ſich wenigſtens dringender Gefahr auszu¬ ſetzen, das dem Denner einmal gegebene Wort zu brechen? Er beſchloß endlich, dieſen Schatz getreulich zu bewahren, bis der Zufall ihm Gele¬ genheit darbieten wuͤrde, es Dennern wieder zuzuſtellen, oder beſſer noch, es, ohne ſein Wort zu brechen, an die Obrigkeit zu bringen.

Der Ueberfall der Pachterwohnung hatte nicht geringen Schreck in der ganzen Gegend verur¬ ſacht; denn es war das kuͤhnſte Wageſtuͤck, das die Raͤuber ſeit Jahren unternommen und ein ſichrer Beweis, daß die Bande, welche ſich erſt durch gemeine Diebereien, dann durch das Anhalten und Berauben einzelner Reiſenden kund that, be¬ deutend verſtaͤrkt haben mußte. Nur dem Zufall, daß der Neffe des Grafen von Vach, von meh¬ reren Leuten ſeines Oheims begleitet, eben in dem Dorfe, das unfern der Pachterwohnung lag, uͤber¬ nachtete und auf den erſten Laͤrm den Bauern, die gegen die Raͤuber auszogen, zu Huͤlfe eilte, hatte der Pachter die Rettung ſeines Lebens und133 des groͤßten Theils ſeiner Baarſchaft zu verdan¬ ken. Drei von den Raͤubern, die auf dem Platz geblieben waren, lebten noch den andern Tag und gaben Hoffnung, von ihren Wunden zu geneſen. Man hatte ſie ſorgfaͤltig verbunden und in das Dorfgefaͤngniß geſperrt; als man indeſſen am fruͤhen Morgen des dritten Tages ſie abfuͤhren wollte, fand man ſie durch viele Stiche ermor¬ det, ohne daß man haͤtte errathen koͤnnen, wie das zugegangen. Jede Hoffnung der Gerichte, von den Gefangenen naͤheren Aufſchluß uͤber die Bande zu erhalten, war daher vereitelt. An¬ dres ſchauderte im Innern, als er das Alles er¬ zaͤhlen hoͤrte, als er vernahm, wie mehrere Bau¬ ern und Jaͤger des Grafen von Vach zum Theil getoͤdtet, zum Theil ſchwer verwundet worden. Starke Patrouillen von Fuldaiſchen Reitern durchſtreiften den Wald, und ſprachen oͤfters bei ihm ein; jeden Augenblick mußte Andres be¬ fuͤrchten, daß man Dennern ſelbſt, oder wenig¬ ſtens einen von der Bande einbringen, und dieſer134 ihn dann als Genoſſe jener kuͤhnen Frevelthat er¬ kennen und angeben werde. Zum erſtenmal in ſeinem Leben fuͤhlte er die folternde Quaal des boͤſen Gewiſſens, und doch hatte ihn nur die Liebe zu ſeinem Weibe, zu dem Knaben, gezwun¬ gen, dem frevelichen Anſinnen Denners nach¬ zugeben.

Alle Nachforſchungen blieben fruchtlos, es war unmoͤglich den Raͤubern auf die Spur zu kommen, und Andres uͤberzeugte ſich bald, daß Denner Wort gehalten und die Gegend mit ſeiner Bande verlaſſen hatte. Das Geld, wel¬ ches er noch von Denner's Geſchenken uͤbrig behalten, ſo wie die goldene Nadel, legte er zu den Kleinodien in das Kiſtchen; denn er wollte nicht noch mehr Suͤnde auf ſich laden und von geraubtem Gelde ſich guͤtlich thun. So kam es denn, daß Andres bald wieder in die vorige Duͤrftigkeit und Armuth gerieth; aber immer mehr erheiterte ſich ſein Inneres, je laͤngere Zeit ver¬ ſtrich, ohne daß irgend etwas ſein ruhiges Leben135 verſtoͤrt haͤtte. Nach zwei Jahren gebar ihm ſein Weib noch einen Knaben, ohne jedoch, wie das erſtemal, zu erkranken, wiewol ſie ſich herzlich nach jener beſſern Koſt und Pflege ſehnte, die ihr damals ſo wohl gethan. Andres ſaß einſt in der Abenddaͤmmerung traulich mit ſeinem Wei¬ be zuſammen, die den juͤngſtgebornen Knaben an der Bruſt hatte, waͤhrend der Aeltere ſich mit dem großen Hunde herumbalgte, der, als Liebling ſeines Herrn, wol in der Stube ſeyn durfte. Da kam der Knecht hinein, und ſagte, wie ein Menſch, der ihm ganz verdaͤchtig vorkomme, ſchon ſeit beinahe einer Stunde um das Haus herum¬ ſchleiche. Andres war im Begriff mit ſeiner Buͤchſe hinauszugehen, als er vor dem Hauſe ſeinen Namen rufen hoͤrte. Er oͤffnete das Fen¬ ſter und erkannte auf den erſten Blick den ver¬ haßten Ignaz Denner, der ſich wieder in den grauen Kaufmannshabit geworfen hatte, und ein Felleiſen unter dem Arme trug. Andres, rief Denner, Du mußt mir dieſe Nacht Herberge136 geben in Deinem Hauſe, morgen ziehe ich weiter. Was? Du unverſchaͤmter verruchter Boͤſewicht? rief Andres in vollem Zorn, Du wagſt es Dich wieder hier ſehen zu laſſen? Habe ich Dir nicht treulich Wort gehalten, nur damit Du Dein Verſprechen erfuͤllen und auf immer dieſe Gegend verlaſſen ſollteſt? Du darfſt nicht mehr meine Schwelle betreten entferne Dich ſchnell, oder ich ſchieße Dich moͤrderiſchen Buben nieder! Doch warte, ich will Dir Dein Gold, Dein Ge¬ ſchmeide, womit Du Satan mein Weib verblen¬ den wollteſt, hinabwerfen; dann magſt Du ſchnell forteilen. Ich laſſe Dir drei Tage Zeit, ſpuͤre ich aber dann nur auf irgend eine Weiſe Deine und Deiner Bande Gegenwart, ſo eile ich ſchnell nach Fulda und entdecke Alles, was ich weiß, der Obrigkeit. Magſt Du nun Deine Drohungen gegen mich und mein Weib erfuͤllen wollen, ich verlaſſe mich auf den Beiſtand Gottes, und werde Dich Boͤſewicht mit meinem guten Gewehr zu treffen wiſſen. Nun holte Andres ſchnell das137 Kaͤſtchen herbei, um es hinabzuwerfen; als er aber an's Fenſter trat, war Denner verſchwun¬ den, und unerachtet die Doggen die ganze Ge¬ gend rings ums Haus durchſpuͤren mußten, war es doch nicht moͤglich ihn aufzufinden. Andres ſah nun wohl ein, wie er, Denner's Bosheit ausgeſetzt, nun in großer Gefahr ſchwebe; er war daher allnaͤchtlich auf ſeiner Hut, indeſſen blieb alles ruhig und Andres uͤberzeugte ſich, daß Denner nur allein den Wald durchſtrichen hatte. Um indeſſen ſeinen aͤngſtlichen Zuſtand zu enden, ja um ſein Gewiſſen zu beruhigen, das ihn mit Vorwuͤrfen quaͤlte, beſchloß er nun nicht laͤnger zu ſchweigen, ſondern dem Rath in Fulda ſein ganzes unverſchuldetes Verhaͤltniß mit Denner zu berichten und zugleich das Kiſtchen mit den Kleinodien abzuliefern. Andres wußte wohl, daß er ohne Strafe nicht abkommen wuͤrde, jedoch verließ er ſich auf ſein reuiges Bekenntniß eines Fehltritts, zu dem ihn der verruchte Ignaz Denner, wie der Satan ſelbſt, verlockt und ge¬138 zwungen, ſo wie auf die Fuͤrſprache ſeines Herrn, des Grafen von Vach, der dem treuen Diener ein guͤnſtiges Zeugniß nicht verſagen konnte. Er hatte mit ſeinem Knechte mehrmals den Wald durchſtreift und nie war ihm etwas verdaͤchtiges aufgeſtoßen; fuͤr ſein Weib war daher jetzt keine Gefahr vorhanden und er wollte nun ungeſaͤumt nach Fulda gehen, um ſeinen Vorſatz auszufuͤhren. An dem Morgen, als er ſich zur Reiſe bereit gemacht, kam ein Bote von dem Grafen von Vach, der ihn augenblicklich auf das Schloß ſeines Herrn mitgehen hieß. Statt nach Fulda wanderte er alſo fort mit dem Boten nach dem Schloß, nicht ohne Bangigkeit, was wol dieſer ganz ungewoͤhnliche Ruf ſeines Herrn zu bedeu¬ ten haben werde. Als er in dem Schloß ange¬ kommen, mußte er gleich in das Zimmer des Grafen treten. Freue Dich, Andres rief die¬ ſer ihm entgegen, Dich hat ein ganz unerwarte¬ tes Gluͤck getroffen. Erinnerſt Du Dich wol noch unſers alten muͤrriſchen Hauswirths in Nea¬139 pel, des Pflegevaters Deiner Giorgina? Der iſt geſtorben; aber auf dem Sterbebette hatte ihn noch das Gewiſſen geruͤhrt wegen der abſcheuli¬ chen Behandlung des armen verwaiſ'ten Kindes, und deshalb hat er ihr zweitauſend Dukaten ver¬ macht, die bereits in Wechſelbriefen in Frankfurt angekommen ſind und die Du bei meinem Bankier heben kannſt. Willſt Du Dich gleich nach Frank¬ furt aufmachen, ſo laſſe ich Dir auf der Stelle das noͤthige Certifikat ausfertigen, damit Dir das Geld ohne Anſtand ausgezahlt werde. Den Andres machte die Freude ſprachlos, und der Graf von Vach ergoͤtzte ſich nicht wenig an dem Entzuͤcken ſeines treuen Dieners. Andres be¬ ſchloß, als er ſich gefaßt hatte, ſeinem Weibe eine unvermuthete Freude zu bereiten; er nahm daher ſeines Herrn gnaͤdiges Anerbieten an, und machte ſich, nachdem er die Urkunde zu ſeiner Legitimation erhalten, auf den Weg nach Frankfurt.

Seinem Weibe ließ er ſagen, wie ihn der Graf mit wichtigen Auftraͤgen verſchickt habe,140 und er daher einige Tage ausbleiben werde. Als er in Frankfurt angekommen, wies ihn der Bankier des Grafen, bei dem er ſich meldete, an einen andern Kaufmann, der mit der Auszahlung des Legats beauftragt ſeyn ſollte. Andres fand ihn endlich und erhielt die anſehnliche Summe wirklich ausgezahlt. Immer nur an Giorgina denkend, immer darnach trachtend, ihre Freude recht vollkommen zu machen, kaufte er fuͤr ſie allerlei ſchoͤne Sachen und auch eine goldene Na¬ del, der ganz gleich, welche ihr Denner geſchenkt hatte, und da er nun das ſchwere Fell¬ eiſen nicht wohl als Fußgaͤnger fortbringen konnte, verſchaffte er ſich ein Pferd. So trat er nun, nachdem er ſechs Tage abweſend geweſen, wohlge¬ muth ſeine Ruͤckreiſe an. Bald hatte er den Forſt und ſeine Wohnung erreicht. Er fand das Haus feſt verſchloſſen. Laut rief er den Knecht, ſeine Giorgina, niemand antwortete: die Hunde winſelten im Hauſe eingeſperrt. Da ahnete er großes Ungluͤck und ſchlug heftig an die Thuͤr141 und ſchrie laut: Giorgina! Giorgina! Nun rauſchte es am Bodenfenſter, Giorgina ſchaute heraus und rief: Ach Gott! Ach Gott! Andres, biſt Du es? Geprieſen ſei die Macht des Himmels, daß Du nur wieder da biſt. Als Andres nun durch die geoͤffnete Thuͤr eintrat, fiel ihm ſein Weib todtenbleich und laut heulend in die Arme. Regungslos ſtand er da; endlich faßte er ſein Weib, die mit erſchlaff¬ ten Gliedern zu Boden ſinken wollte, und trug ſie in die Stube. Aber wie mit eiſigen Krallen packte ihn das Entſetzen bei dem graͤßlichen An¬ blick. Die ganze Stube voller Blutflecke an dem Boden, an den Waͤnden, ſein juͤngſter Knabe mit zerſchnittener Bruſt, todt auf ſeinem Bett¬ chen! Wo iſt George, wo iſt George? ſchrie Andres endlich auf in wilder Verzweif¬ lung, aber in dem Augenblick hoͤrte er, wie der Knabe die Treppe herabtrippelte und nach dem Vater rief. Zerbrochene Glaͤſer, Flaſchen, Teller lagen umher. Der große ſchwere Tiſch,142 ſonſt an der Wand ſtehend, war in die Mitte des Zimmers geruͤckt, eine ſonderbar geformte Kohlpfanne, mehrere Phiolen und eine Schuͤſſel mit geronnenem Blut ſtanden auf demſelben. Andres nahm ſein armes Knaͤblein aus dem Bette. Giorgina verſtand ihn, ſie holte Tuͤ¬ cher herbei, in die ſie den Leichnam wickelten und im Garten begruben. Andres ſchnitt ein klei¬ nes Kreuz aus Eichenholz und ſetzte es auf den Grabhuͤgel. Kein Wort, kein Laut entfloh den Lippen der ungluͤcklichen Eltern. In dumpfem duͤſterem Schweigen hatten ſie die Arbeit vollen¬ det und ſaßen nun vor dem Hauſe in der Abend¬ daͤmmerung, den ſtarren Blick in die Ferne ge¬ richtet. Erſt den andern Tag konnte Giorgina den Verlauf deſſen, was ſich in Andres Ab¬ weſenheit zugetragen, erzaͤhlen. Am vierten Tage, nachdem Andres ſein Haus verlaſſen, hatte der Knecht zur Mittagszeit wieder allerlei verdaͤchtige Geſtalten durch den Wald wanken geſehen, und Giorgina deshalb des Mannes Ruͤckkehr herz¬143 lich gewuͤnſcht. Mitten in der Nacht wurde ſie durch lautes Toben und Schreien dicht vor dem Hauſe aus dem Schlafe geweckt, der Knecht ſtuͤrzte herein und verkuͤndete voller Schreck, daß das ganze Haus von Raͤubern umringt und an eine Gegenwehr gar nicht zu denken ſei. Die Doggen wuͤtheten, aber bald ſchien es, als wuͤr¬ den ſie beſchwichtigt und man rief laut: Andres! Andres! Der Knecht faßte ſich ein Herz, oͤffnete ein Fenſter und rief herab, daß der Revierjaͤger Andres nicht zu Hauſe ſei. Nun, es thut nichts, antwortete eine Stimme von unten herauf, oͤffne nur die Thuͤr, denn wir muͤſſen bei Euch einkehren, Andres wird bald nachfolgen. Was blieb dem Knecht uͤbrig, als die Thuͤr zu oͤffnen; da ſtroͤmte der helle Haufe der Raͤuber herein und begruͤßte Giorgina als die Frau ihres Cameraden, dem der Haupt¬ mann Freiheit und Leben zu danken habe. Sie verlangten, daß Giorgina ihnen ein tuͤchtiges Eſſen bereiten moͤge, weil ſie Nachts ein ſchwe¬144 res Stuͤck Arbeit vollbracht, das aber herrlich, gelungen ſei. Zitternd und bebend machte Gior¬ gina in der Kuͤche ein großes Feuer an und bereitete das Mahl, wozu ſie Wildpret, Wein und allerlei andere Ingredienzien von einem der Raͤuber empfing, der der Kuͤchen - und Keller¬ meiſter der Bande zu ſeyn ſchien. Der Knecht mußte den Tiſch decken und das Geſchirr herbei¬ bringen. Er nahm den Augenblick wahr und ſchlich ſich fort zu ſeiner Frau in die Kuͤche. Ach wißt ihr wol, fing er voller Entſetzen an, was fuͤr eine That die Raͤuber in dieſer Nacht veruͤbt haben? Nach langer Abweſenheit und nach langer Vorbereitung haben ſie vor etlichen Stunden das Schloß des Herrn Grafen von Vach uͤberfallen, und nach tapferer Gegenwehr mehrere ſeiner Leute und ihn ſelbſt getoͤdtet, das Schloß aber angezuͤndet. Giorgina ſchrie un¬ aufhoͤrlich: ach mein Mann, wenn mein Mann nur auf dem Schloſſe geweſen waͤre Ach, der arme Herr! Die Raͤuber tobten und ſangenunter¬145unterdeſſen in der Stube und ließen ſich den Wein wohl ſchmecken, bis ihnen das Mahl auf¬ getragen wurde. Der Morgen fing ſchon an zu daͤmmern als der verhaßte Denner erſchien; nun wurden die Kiſten und Felleiſen, die ſie auf ihren Packpferden mitgebracht hatten, geoͤffnet. Giorgina hoͤrte, wie ſie vieles Geld zaͤhlten und wie die Silbergeſchirre klirrten; es ſchien alles verzeichnet zu werden. Endlich als es ſchon lich¬ ter Tag geworden, brachen die Raͤuber auf, nur Denner blieb zuruͤck. Er nahm eine freundliche leutſelige Miene an, und ſprach zu Giorgina: Ihr ſeid wohl recht erſchreckt worden, liebe Frau; denn Euer Mann ſcheint Euch nicht geſagt zu haben, daß er ſchon ſeit geraumer Zeit unſer Camerad geworden. Es thut mir in der That leid, daß er nicht zu Hauſe gekommen iſt; er muß einen andern Weg eingeſchlagen und uns verfehlt haben. Er war mit uns auf dem Schloſſe des Boͤſewichts, des Grafen von Vach, der uns vor zwei Jahren auf alle nur moͤgliche WeiſeK146verfolgt hat und an dem in voriger Nacht wir Rache nahmen Er fiel, kaͤmpfend, von Eures Mannes Hand. Beruhigt Euch nur, liebe Frau, und ſagt dem Andres, daß er mich nun ſo bald nicht wieder ſehen wuͤrde, da die Bande ſich auf einige Zeit trennt. Heute Abend verlaſſe ich Euch. Ihr habt lauter huͤbſche Kinder, liebe Frau! Das iſt ja wieder ein herrlicher Knabe. Mit dieſen Worten nahm er den Kleinen von Giorgina's Arm und wußte mit ihm ſo freund¬ lich zu ſpielen, daß das Kind lachte und jauchzte und gern bei ihm blieb, bis er es wieder der Mutter zuruͤckgab. Schon war es Abend gewor¬ den, als Denner zu Giorgina ſagte: Ihr merkt wohl, daß ich, unerachtet ich kein Weib und keine Kinder habe, welches mir manchmal recht nahe geht, doch gar zu gern mit kleinen Kindern ſpiele und taͤndle. Gebt mir doch Euern Kleinen auf die wenigen Augenblicke, die ich noch bei Euch zubringe. Nicht wahr? der Kleine iſt jetzt gerade neun Wochen alt. Giorgina be¬147 jahte das und gab, jedoch nicht ohne inneres Widerſtreben, den kleinen Knaben Dennern hin, der ſich mit ihm vor die Hausthuͤr ſetzte und Giorgina bat, ihm nun das Abendeſſen zu bereiten, weil er in einer Stunde fortmuͤßte. Kaum war Giorgina in die Kuͤche getreten, als ſie ſah, wie Denner mit dem Kinde auf dem Arm in die Stube ging. Bald darauf ver¬ breitete ſich ein ſeltſam riechender Dampf durch das Haus, der aus der Stube zu quillen ſchien. Giorgina wurde von unbeſchreiblicher Angſt er¬ griffen; ſie lief ſchnell nach der Stube und fand die Thuͤr von innen verriegelt. Es war ihr, als hoͤre ſie das Kind leiſe wimmern. Rette, rette mein Kind aus den Klauen des Boͤſewichts! ſo ſchrie ſie, eine graͤßliche That ahnend, dem Knecht entgegen, der eben in das Haus trat. Dieſer ergriff ſchnell die Axt und ſprengte die Thuͤr. Dicker ſtinkender Dampf ſchlug ihnen entgegen. Mit einem Sprunge war Giorgina im Zim¬ mer; der Knabe lag nackt uͤber einer Schuͤſſel, inK 2148die ſein Blut troͤpfelte. Sie ſah nur noch, wie der Knecht mit der Axt ausholte, um den Den¬ ner zu treffen, wie dieſer dem Schlage auswich, den Knecht unterlief und mit ihm rang. Es war ihr, als hoͤre ſie jetzt mehrere Stimmen dicht vor den Fenſtern, bewußtlos ſank ſie zu Boden. Als ſie wieder erwachte, war es finſtre Nacht worden, aber ganz betaͤubt vermochte ſie nicht die erſtarrten Glieder zu regen. Endlich wurde es Tag und nun ſah ſie mit Entſetzen, wie das Blut im Zimmer ſchwamm. Stuͤcke von Denner's Kleidern lagen uͤberall umher ein ausgeriſſener Schopf von des Knechts Haa¬ ren die Axt blutig daneben der Knabe vom Tiſche herabgeſchleudert mit zerſchnittener Bruſt. Auf's neue wurde Giorgina ohnmaͤchtig, ſie glaubte zu ſterben, aber ſie erwachte wie aus dem Todesſchlummer, als es ſchon Mittag gewor¬ den. Sie raffte ſich muͤhſam auf, ſie rief laut den Georg, aber als niemand antwortete, glaubte ſie, auch Georg ſei ermordet. Die Verzweif¬149 lung gab ihr Kraͤfte, ſie floh aus dem Zimmer in den Hof und ſchrie laut: Georg! Georg! Da antwortete es mit matter klaͤglicher Stimme vom Bodenfenſter herab: Mutter, ach liebe Mut¬ ter, biſt Du denn da? Komm herauf zu mir! mich hungert ſehr! Schnell ſprang jetzt Giorgina hinauf und fand den Kleinen, der vor Angſt bei dem Laͤrm im Hauſe in die Bodenkam¬ mer gekrochen war und nicht gewagt hatte her¬ auszukommen. Mit Entzuͤcken druͤckte Giorgi¬ na den Kleinen an die Bruſt. Sie verſchloß das Haus und wartete nun von Stunde zu Stunde in der Bodenkammer auf Andres, den ſie auch verloren glaubte. Der Knabe hatte von oben herab geſehen, wie mehrere Maͤnner ins Haus gingen und mit Denner'n einen todten Menſchen heraustrugen. Endlich bemerkte auch Giorgina das Geld und die ſchoͤnen Sachen, die Andres mitgebracht hatte. Ach, ſo iſt es doch wahr? ſchrie ſie entſetzt auf, ſo biſt Du doch Andres ließ ſie nicht ausreden, ſon¬150 dern erzaͤhlte ausfuͤhrlich, welches Gluͤck ſie be¬ troffen und wie er in Frankfurt geweſen ſei, wo er ſich ihre Erbſchaft habe auszahlen laſſen. Der Neffe des ermordeten Grafen von Vach war nun Beſitzer der Guͤter worden; bei dieſem wollte ſich Andres melden, getreulich alles Geſchehene erzaͤhlen, Denner's Schlupfwinkel entdecken und bitten, ihn ſeines Dienſtes zu entlaſſen, der ihm ſo viel Noth und Gefahr bringe. Gior¬ gina durfte mit dem Knaben im Hauſe nicht zuruͤckbleiben. Andres beſchloß daher, ſeine beſten leicht fortzuſchaffenden Sachen auf einen kleinen Leiterwagen zu packen, das Pferd vorzuſpannen und ſo mit ſeinem Weibe und Kinde eine Gegend auf immer zu verlaſſen, die ihm nur die ſchreck¬ lichſten Erinnerungen erregen und uͤberdem nie¬ mals Ruhe und Sicherheit gewaͤhren konnte. Der dritte Tag war zur Abreiſe beſtimmt, und eben packten ſie einen Kaſten, als ein ſtarkes Pferdegetrappel immer naͤher und naͤher kam. Andres erkannte den Vachſchen Foͤrſter, der151 bei dem Schloſſe wohnte; hinter ihm ritt ein Commando Fuldaiſcher Dragoner. Nun da fin¬ den wir ja den Boͤſewicht gerade bei der Arbeit, ſeinen Raub in Sicherheit zu bringen, rief der Commiſſarius des Gerichts, der mitgekommen. Andres erſtarrte vor Staunen und Schreck. Giorgina war halb ohnmaͤchtig. Sie fielen uͤber ihn her, banden ihn und ſein Weib mit Stricken und warfen ſie auf den Leiterwagen, der ſchon vor dem Hauſe ſtand. Giorgina jammerte laut um den Knaben und flehte um Got¬ tes willen, daß man ihn ihr mitgeben moͤge. Da¬ mit Du Deine Brut auch noch ins hoͤlliſche Ver¬ derben bringen kannſt? ſprach der Commiſſarius und riß den Knaben mit Gewalt aus Giorgina's Armen. Schon ſollte es fortgehen, da trat der alte Foͤrſter, ein rauher aber biederer Mann, noch einmal an den Wagen und ſagte: Andres, Andres, wie haſt Du Dich denn von dem Sa¬ tan verlocken laſſen, ſolche Frevelthaten zu begehen? Immer warſt Du ja ſonſt ſo fromm und ehrlich! 152 Ach lieber Herr! ſchrie Andres auf im hoͤch¬ ſten Jammer, ſo wahr Gott im Himmel lebt, ſo wie ich dereinſt ſelig zu ſterben hoffe, ich bin unſchuldig. Ihr habt mich ja gekannt von fruͤher Jugend her; wie ſollte ich, der ich niemals Un¬ rechtes gethan, ſolch ein abſcheulicher Boͤſewicht geworden ſeyn? denn ich weiß wohl, daß Ihr mich fuͤr einen verruchten Raͤuber und Theilneh¬ mer an der Frevelthat haltet, die auf dem Schloſſe meines geliebten ungluͤcklichen Herrn veruͤbt wor¬ den iſt. Aber ich bin unſchuldig bei meinem Le¬ ben und meiner Seligkeit! Nun ſagte der alte Foͤrſter, wenn Du unſchuldig biſt, ſo wird das an den Tag kommen, mag auch noch ſo viel wi¬ der Dich ſprechen. Deines Knaben und des Be¬ ſitzthums, was Du zuruͤcklaͤſſeſt, will ich mich ge¬ treulich annehmen, ſo daß, wenn Deine und Deines Weibes Unſchuld erwieſen, Du den Jun¬ gen friſch und munter und Deine Sachen unver¬ ſehrt wiederfinden ſollſt. Das Geld nahm der Commiſſarius des Gerichts in Beſchlag. Unter¬153 weges frug Andres Giorginen, wo ſie denn das Kaͤſtchen verwahrt habe; ſie geſtand, wie es ihr jetzt leid thue, daß ſie es dem Denner uͤberliefert, da es jetzt der Obrigkeit haͤtte uͤber¬ geben werden koͤnnen. In Fulda trennte man den Andres von ſeinem Weibe und warf ihn in ein tiefes finſtres Gefaͤngniß. Nach einigen Tagen wurde er zum Verhoͤr gefuͤhrt. Man be¬ ſchuldigte ihn der Theilnahme an dem im Vach¬ ſchen Schloſſe veruͤbten Raubmorde und ermahnte ihn die Wahrheit zu geſtehen, da ſchon alles wi¬ der ihn ſo gut als ausgemittelt ſei. Andres erzaͤhlte nun getreulich Alles, was ſich mit ihm zugetragen, von dem erſten Eintritt des abſcheu¬ lichen Denners in ſein Haus bis zu dem Au¬ genblick ſeiner Verhaftung. Er klagte ſich ſelbſt voll Reue des einzigen Vergehens an, daß er, um Weib und Kind zu retten, bei der Pluͤnderung des Pachters zugegen war, und den Denner von der Gefangennehmung befreite, und betheu¬ erte ſeine gaͤnzliche Unſchuld Ruͤckſichts des letzten154 von der Dennerſchen Bande veruͤbten Raub¬ mordes, da er zu eben derſelben Zeit in Frankfurt geweſen ſei. Jetzt oͤffneten ſich die Thuͤren des Gerichtsſaals und der abſcheuliche Denner wur¬ de hereingefuͤhrt. Als er den Andres erblickte, lachte er auf in teufliſchem Hohn und ſprach: Nun, Kamerad, haſt Du Dich auch erwiſchen laſ¬ ſen? Hat Dir Deines Weibes Gebet denn nicht[herausgeholfen]? Die Richter forderten Den¬ ner'n auf, ſein Bekenntniß Ruͤckſichts des An¬ dres zu wiederholen und er ſagte aus, daß eben der Vachſche Revierjaͤger Andres, der jetzt vor ihm ſtehe, ſchon ſeit fuͤnf Jahren mit ihm ver¬ bunden und das Jaͤgerhaus ſein beſter und ſicher¬ ſter Schlupfwinkel geweſen ſei. Andres habe immer den ihm gebuͤhrenden Antheil vom Raube erhalten, wiewol er nur zweimal thaͤtig bei den Raͤubereien mitgewirkt. Einmahl nehmlich bei der Beraubung des Pachters, wo er ihn, den Denner, aus der dringendſten Gefahr errettet, und dann bei dem Unternehmen gegen den Gra¬155 fen Aloys von Vach, der eben durch einen gluͤcklichen Schuß des Andres getoͤdtet worden ſei. Andres gerieth in Wuth, als er dieſe ſchaͤndliche Luͤge hoͤrte. Was? ſchrie er, Du verruchter teufliſcher Boͤſewicht, Du wagſt es, mich der Ermordung meines lieben armen Herrn anzuklagen, die Du ſelbſt veruͤbt? Ja! ich weiß es, nur Du ſelbſt biſt ſolcher That faͤhig; aber Deine Rache verfolgt mich, weil ich aller Gemeinſchaft mit Dir entſagt habe, weil ich drohte, Dich als einen verruchten Raͤuber und Moͤrder niederzuſchießen, ſo wie Du meine Schwelle betreten wuͤrdeſt. Darum haſt Du mit Deiner Bande mein Haus uͤberfallen, als ich abweſend war; darum haſt Du mein armes un¬ ſchuldiges Kind und meinen braven Knecht er¬ mordet! Aber Du wirſt der ſchrecklichen Strafe des gerechten Gottes nicht entgehen, ſollte ich auch Deiner Bosheit unterliegen. Nun wie¬ derholte Andres ſein voriges Bekenntniß unter den heiligſten Betheurungen der Wahrheit; aber156 Denner lachte hoͤhniſch und meinte, warum er denn aus allzugroßer Furcht vor dem Tode noch erſt das Gericht zu beluͤgen ſich unterfange, und daß es ſich ſchlecht mit der Froͤmmigkeit, von der er ſo viel Aufhebens mache, vereinbare, daß er Gott und die Heiligen zur Bekraͤftigung ſeiner falſchen Ausſagen anrufe. Die Richter wu߬ ten in der That nicht, was ſie von dem Andres, deſſen Miene und Sprache die Wahrheit ſeiner Ausſage zu beſtaͤtigen ſchien, ſo wie von Den¬ ner's kalter Feſtigkeit denken ſollten. Nun wurde Giorgina vorgefuͤhrt, die in namenlo¬ ſem Jammer laut weinend auf den Mann zu¬ ſtuͤrzte. Sie wußte nur Unzuſammenhaͤngendes zu erzaͤhlen, und unerachtet ſie den Denner des entſetzlichen Mordes ihres Knaben anklagte, ſchien Denner doch keinesweges entruͤſtet, ſondern be¬ hauptete, wie er ſchon fruͤher gethan, daß Giorgina nie etwas von den Unternehmungen ihres Mannes gewußt habe, ſondern ganz un¬ ſchuldig ſei. Andres wurde in ſein Gefaͤngniß157 zuruͤckgefuͤhrt. Einige Tage nachher ſagte ihm der ziemlich gutmuͤthige Gefangenwaͤrter, daß ſein Weib, da ſowol Denner, als die uͤbrigen Raͤu¬ ber fortwaͤhrend ihre Unſchuld behauptet, ſonſt auch nichts wider ſie ausgemittelt worden, der Haft entlaſſen ſei. Der junge Graf von Vach, ein edelmuͤthiger Herr, der ſogar an ſeiner, des An¬ dres, Schuld zu zweifeln ſcheine, habe Caution geſtellt, und der alte Foͤrſter Giorginen in einem ſchoͤnen Wagen abgeholt. Vergebens habe Giorgina gebeten, ihren Mann ſehen zu duͤr¬ fen; das ſei ihr vom Gericht gaͤnzlich abgeſchla¬ gen worden. Den armen Andres troͤſtete dieſe Nachricht nicht wenig, da mehr, als ſein Ungluͤck ihm ſeines Weibes elender Zuſtand im Gefaͤngniß zu Herzen ging. Sein Prozeß verſchlimmerte ſich indeſſen von Tage zu Tage. Es war erwie¬ ſen, daß eben, wie Denner es angegeben, ſeit fuͤnf Jahren Andres in einen gewiſſen Wohl¬ ſtand gerieth, deſſen Quelle nur die Theilnahme an den Raͤubereien ſeyn konnte. Ferner geſtand158 Andres ſelbſt ſeine Abweſenheit von Hauſe waͤhrend der auf dem Vachſchen Schloſſe ver¬ uͤbten That, und ſeine Angabe wegen ſeiner Erb¬ ſchaft und ſeines Aufenthalts in Frankfurt blieb verdaͤchtig, weil er den Namen des Kaufmanns, von dem er das Geld ausgezahlt erhalten haben wollte, durchaus nicht anzugeben wußte. Der Bankier des Grafen von Vach, ſo wie der Hauswirth in Frankfurt, bei dem Andres ein¬ gekehrt war, verſicherten einſtimmig, wie ſie ſich des beſchriebenen Revierjaͤgers gar nicht erinnern koͤnnten; der Gerichtshalter des Grafen von Vach, der das Certifikat fuͤr den Andres aus¬ gefertigt hatte, war geſtorben, und niemand von den Vachſchen Dienern wußte etwas von der Erbſchaft, da der Graf nichts davon geaͤußert, Andres aber auch davon geſchwiegen, weil er, aus Frankfurt zuruͤckkehrend, ſein Weib mit dem Gelde uͤberraſchen wollte. So blieb alles, was Andres vorbrachte, um nachzuweiſen, daß er zur Zeit des Raubes in Frankfurt geweſen und das159 Geld ehrlich erworben ſei, unausgemittelt. Den¬ ner blieb dagegen bei ſeiner fruͤhern Behauptung und ihm ſtimmten ſaͤmmtliche Raͤuber, die eingefan¬ gen worden, in allem bei. Alles dieſes haͤtte aber die Richter noch nicht ſo von der Schuld des ungluͤcklichen Andres uͤberzeugt, als die Aus¬ ſage von zwei Vachſchen Jaͤgern, die bei dem Schein der Flammen ganz genau den Andres erkannt und geſehen haben wollten, wie von ihm der Graf niedergeſtreckt wurde. Nun war An¬ dres in den Augen des Gerichts ein verſtockter heuchleriſcher Boͤſewicht und geſtuͤtzt auf das Re¬ ſultat aller jener Ausſagen und Beweiſe wurde ihm die Tortur zuerkannt, um ſeinen ſtarren Sinn zu beugen, und ihn zum Geſtaͤndniß zu bringen. Schon uͤber ein Jahr ſchmachtete An¬ dres im Kerker, der Gram hatte ſeine Kraͤfte aufgezehrt, und ſein ſonſt robuſter ſtarker Koͤrper war ſchwach und ohnmaͤchtig geworden. Der ſchreck¬ liche Tag, an dem die Pein ihm das Geſtaͤndniß einer That, welche er niemals begangen, abdrin¬160 gen ſollte, kam heran. Man fuͤhrte ihn in die Folterkammer, wo die entſetzlichen mit ſinnreicher Grauſamkeit erfundenen Inſtrumente lagen, und die Henkersknechte ſich bereiteten, den Ungluͤcklichen zu martern. Nochmals wurde Andres ermahnt, die That, deren er ſo dringend verdaͤchtig, ja deren er durch das Zeugniß jener Jaͤger uͤberfuͤhrt wor¬ den, zu geſtehen. Er betheuerte wiederum ſeine Unſchuld, und wiederholte alle Umſtaͤnde ſeiner Bekanntſchaft mit Dennern in denſelben Wor¬ ten, wie er es im erſten Verhoͤr gethan. Da er¬ griffen ihn die Knechte, banden ihn mit Stricken und marterten ihn, indem ſie ſeine Glieder aus¬ renkten und Stacheln einbohrten in das gedehnte Fleiſch. Andres vermochte nicht die Quaal zu ertragen: vom Schmerz gewaltſam zerriſſen, den Tod wuͤnſchend, geſtand er alles was man wollte, und wurde ohnmaͤchtig in den Kerker zuruͤckge¬ ſchleppt. Man ſtaͤrkte ihn, wie es nach erlitte¬ ner Tortur gewoͤhnlich, mit Wein und er fiel in einen zwiſchen Wachen und Schlafen hinbruͤtendenZuſtand. 161Zuſtand. Da war es ihm als loͤsten ſich die Steine aus der Mauer, und als fielen ſie kra¬ chend herab auf den Boden des Kerkers. Ein blutrother Schimmer drang durch und in ihm trat eine Geſtalt hinein, die, unerachtet ſie Den¬ ner's Zuͤge hatte, ihm doch nicht Denner zu ſeyn ſchien. Gluͤhender funkelten die Augen, ſchwaͤrzer ſtarrte das ſtruppige Haar auf der Stirn empor und tiefer ſenkten ſich die finſtern Augenbrauen in die dicke Muskel herab, die uͤber der krummgebogenen Habichtsnaſe lag. Auf graͤ߬ lich ſeltſame Weiſe war das Geſicht verſchrumpft und verzerrt, und die Kleidung fremd und aben¬ theuerlich, wie er Dennern niemals geſehen. Ein feuerrother mit Gold ſtark verbraͤmter weiter Mantel hing in bauſchichten Falten der Geſtalt uͤber die Schultern, ein breiter niedergekrempter ſpaniſcher Hut mit herabhaͤngender rother Feder ſaß ſchief auf dem Kopfe, ein langer Stoßdegen hing an der Seite, und unter dem linken Arm trug die Geſtalt ein kleines Kiſtchen. So ſchrittL162der geſpenſtiſche Unhold auf Andres zu in hoh¬ lem dumpfen Tone ſprechend: Nun, Camerad, wie hat Dir die Folter geſchmeckt? Du haſt das Alles blos Deinem Eigenſinn zu verdanken; haͤtteſt Du Dich als zur Bande gehoͤrig bekannt, ſo waͤrſt Du nun ſchon gerettet. Verſprichſt Du aber, Dich mir und meiner Leitung ganz zu er¬ geben, und gewinnſt Du es uͤber Dich, von die¬ ſen Tropfen zu trinken, die aus Deines Kindes Herzblut gekocht ſind, ſo biſt Du augenblicklich aller Quaal entledigt. Du fuͤhlſt Dich geſund und kraͤftig, und fuͤr Deine weitere Rettung will ich dann ſorgen. Andres konnte vor Schreck, Angſt und Ermattung nicht ſprechen; er ſah, wie ſeines Kindes Blut in der Phiole, die ihm die Geſtalt hinhielt, in rothen Flaͤmmchen ſpielte; in¬ bruͤnſtig betete er zu Gott und den Heiligen, daß ſie ihn retten moͤchten aus den Klauen des Sa¬ tans, der ihn verfolge und um die ewige Selig¬ keit bringen wolle, die er zu erlangen hoffe, ſollte er auch eines ſchimpflichen Todes ſterben. Nun163 lachte die Geſtalt, daß es im Kerker widergellte, und verſchwand im dicken Dampf. Andres er¬ wachte endlich aus dumpfer Betaͤubung, er ver¬ mochte ſich aufzurichten vom Lager; aber wie ward ihm, als er ſah, daß das Stroh, was unter ſeinem Haupte gelegen, ſich ſtaͤrker und ſtaͤrker zu ruͤhren begann und endlich weggeſchoben wurde. Er gewahrte, daß ein Stein aus dem Fußboden von unten herausgedraͤngt worden und hoͤrte mehrmals ſeinen Namen leiſe rufen. Er erkannte Denner's Stimme und ſprach: Was willſt Du von mir? Laß mich ruhen, ich habe mit Dir nichts zu ſchaffen! Andres, ſprach Denner, ich bin durch mehrere Gewoͤlbe gedrungen, um Dich zu retten; denn, wenn Du auf den Richtplatz kommſt, von dem ich errettet wurde, biſt Du verloren. Bloß um Deines Weibes willen, die mir mehr angehoͤrt, als Du wohl denken magſt, helfe ich Dir. Du biſt ein muthloſer Feigling. Was hat Dir nun Dein erbaͤrmliches Laͤugnen gefruchtet? Blos, daß Du vom VachſchenL 2164Schloß nicht zu rechter Zeit nach Hauſe zuruͤck¬ kehrteſt und ich mich zu lange bei Deinem Weibe aufhielt, iſt Schuld, daß man mich auffing. Da! nimm die Feile und die Saͤge, befreie Dich in kuͤnftiger Nacht von den Ketten und durch¬ ſaͤge das Schloß der Kerkerthuͤre; ſchleiche durch den Gang! Die aͤußere Thuͤr linker Hand wird offen ſtehn, und draußen wirſt Du einen von uns finden, der Dich weiter geleitet. Halte Dich gut! Andres nahm die Saͤge und die Feile, die ihm Denner hineinreichte und hob dann den Stein wieder in die Oeffnung. Er war ent¬ ſchloſſen, das zu thun, wozu ihn die innere Stimme des Gewiſſens aufforderte. Als es Tag geworden und der Gefangenwaͤrter hineintrat, da ſagte er, wie er ſehnlich wuͤnſche vor den Richter gefuͤhrt zu werden, indem er Wichtiges zu entdecken habe. Noch an demſelben Vormittage wurde ſein Verlangen erfuͤllt, weil man nicht anders glaubte, als daß Andres neue, bisher noch unbekannt gebliebene, Frevelthaten der Bande ge¬165 ſtehen werde. Andres uͤberreichte den Richtern die von Dennern erhaltenen Inſtrumente, und erzaͤhlte den Vorgang der Nacht. Unerachtet ich gewiß und wahrhaftig unſchuldig leide, ſo ſoll mich doch Gott behuͤten, daß ich darnach trachten ſollte, meine Freiheit auf unerlaubte Weiſe zu er¬ langen; denn das wuͤrde mich ja dem verruchten Denner, der mich in Schande und Tod geſtuͤrzt hat, in die Haͤnde liefern und ich dann erſt durch mein ſuͤndliches freveliches Unternehmen die Strafe verdienen, die ich jetzt unſchuldig leiden werde. So beſchloß Andres ſeinen Vortrag. Die Rich¬ ter ſchienen erſtaunt und von Mitleid fuͤr den Ungluͤcklichen durchdrungen, wiewol ſie durch die mannichfachen Thatſachen, die wider ihn ſprachen, zu ſehr von ſeiner Schuld uͤberzeugt waren, um ſein jetziges Benehmen nicht auch fuͤr zweifelhaft zu halten. Die Aufrichtigkeit des Andres und vorzuͤglich der Umſtand, daß nach jener Anzeige der von Denner beabſichtigten Flucht, in der Stadt und zwar in der naͤchſten Umgebung des166 Gefaͤngniſſes wirklich noch einige von der Bande ertappt und aufgegriffen wurden, hatte jedoch den wohlthaͤtigen Einfluß auf ihn, daß er aus dem unterirdiſchen Kerker, in den er geſperrt geweſen, herausgenommen wurde, und eine lichte Gefaͤng¬ nißſtube neben der Wohnung des Gefangenwaͤrters erhielt. Da brachte er ſeine Zeit mit Gedanken an ſein treues Weib, an ſeinen Knaben, und mit gottſeligen Betrachtungen hin, und bald fuͤhlte er ſich[ermuthigt], das Leben auch auf ſchmerzliche Weiſe, wie eine Buͤrde, abzuwerfen. Nicht genug konnte ſich der Gefangenwaͤrter uͤber den from¬ men Verbrecher wundern und er mußte nothge¬ drungen beinahe an ſeine Unſchuld glauben.

Endlich, nachdem beinahe noch ein Jahr ver¬ floſſen, war der ſchwierige verwickelte Prozeß wider Denner und ſeine Mitſchuldigen geſchloſ¬ ſen. Es hatte ſich gefunden, daß die Bande bis an die Graͤnze von Italien ausgebreitet war und ſchon ſeit geraumer Zeit uͤberall raubte und mor¬ dete. Denner ſollte gehaͤngt, und dann ſein167 Koͤrper verbrannt werden. Auch dem ungluͤckli¬ chen Andres war der Strang zuerkannt; ſeiner Reue halber, und da er durch das Bekenntniß der ihm von Denner gerathenen Flucht die Entdeckung des Anſchlags der Bande, durchzubre¬ chen, veranlaßt hatte, durfte jedoch ſein Koͤrper herabgenommen, und auf der Gerichtsſtaͤtte ver¬ ſcharrt werden.

Der Morgen, an dem Denner und An¬ dres hingerichtet werden ſollten, war angebro¬ chen; da ging die Thuͤr des Gefaͤngniſſes auf, und der junge Graf von Vach trat hinein zum Andres, der auf den Knien lag und ſtill betete. Andres, ſprach der Graf, Du mußt ſter¬ ben. Erleichtere Dein Gewiſſen noch durch ein offnes Geſtaͤndniß! Sage mir, haſt Du Deinen Herrn getoͤdtet? Biſt Du wirklich der Moͤrder meines Oheims? Da ſtuͤrzten dem Andres die Thraͤnen aus den Augen, und er wiederholte nochmals Alles, was er vor Gericht ausgeſagt, ehe ihm die unleidliche Quaal der Tortur eine168 Luͤge auspreßte. Er rief Gott und die Heiligen an, die Wahrheit ſeiner Ausſage und ſeine gaͤnz¬ liche Unſchuld an dem Tode des geliebten Herrn zu bekraͤftigen.

So iſt hier, fuhr der Graf von Vach fort, ein unerklaͤrliches Geheimniß im Spiele. Ich ſelbſt, Andres, war von Deiner Unſchuld uͤber¬ zeugt, unerachtet vieles wider Dich ſprach; denn ich wußte ja, daß Du von Jugend auf der treuſte Diener meines Oheims geweſen biſt, und ihn ſelbſt einmal in Neapel mit Gefahr Deines Le¬ bens aus Raͤuberhaͤnden errettet haſt. Allein nur noch geſtern haben mir die beiden alten Jaͤger meines Oheims Franz und Nikolaus geſchwo¬ ren, daß ſie Dich leibhaftig unter den Raͤubern geſehen und genau bemerkt haͤtten, wie Du ſelbſt meinen Oheim niederſtreckteſt. Andres wurde von den peinlichſten, ſchrecklichſten Gefuͤhlen durch¬ bohrt; es war ihm, als wenn der Satan ſelbſt ſeine Geſtalt angenommen habe, um ihn zu verderben; denn auch Denner hatte ja ſogar im Kerker davon169 geſprochen, daß er den Andres wirklich geſehen, und ſo ſchien ſelbſt die falſche Beſchuldigung vor Gericht auf innerer wahrer Ueberzeugung zu be¬ ruhen. Andres ſagte dies Alles unverholen, indem er hinzuſetzte, daß er ſich der Schickung des Himmels ergebe, nach welcher er den ſchmaͤh¬ lichen Tod eines Verbrechers ſterben ſolle, daß aber, ſei es auch lange Zeit nachher, ſeine Un¬ ſchuld gewiß an den Tag kommen werde. Der Graf von Vach ſchien tief erſchuͤttert; er konnte kaum noch dem Andres ſagen, daß, nach ſeinem Wunſche, der Tag der Hinrichtung ſeinem ungluͤck¬ lichen Weibe verſchwiegen geblieben ſei, und daß ſie ſich nebſt dem Knaben bei dem alten Foͤrſter aufhalte. Die Rathhausglocke erklang dumpf und ſchauerlich in abgemeſſenen Pulſen. Andres wurde angekleidet und der Zug ging mit den ge¬ woͤhnlichen Feierlichkeiten unter dem Zuſtroͤmen unzaͤhlichen Volks nach der Richtſtaͤtte. Andres betete laut und ruͤhrte durch ſein frommes Betra¬ gen alle, die ihn ſahen. Denner hatte die Miene170 des trotzigen verſtockten Boͤſewichts. Er ſchaute munter und kraͤftig um ſich, und lachte oft den armen Andres tuͤckiſch und ſchadenfroh an. Andres ſollte zuerſt hingerichtet werden; er be¬ ſtieg gefaßt mit dem Henker die Leiter, da kreiſchte ein Weib auf und ſank ohnmaͤchtig einem alten Mann in die Arme. Andres blickte hin, es war Giorgina; laut erflehte er vom Himmel Faſſung und Staͤrke. Dort, dort, ſehe ich Dich wieder, mein armes ungluͤckliches Weib, ich ſterbe unſchuldig! rief er, indem er den Blick ſehnſuchtsvoll zum Himmel erhob. Der Richter rief dem Henker zu, er moͤge ſich foͤrdern, denn es entſtand ein Murren unter dem Volke und es flogen Steine nach Dennern, der ebenfalls ſchon die Leiter beſtiegen hatte und die Zuſchauer verhoͤhnte ob ihres Mitleids mit dem frommen Andres. Der Henker legte dem Andres den Strick um den Hals, da ſcholl es aus der Ferne her: Halt halt um Chriſtus willen halt! Der Mann iſt unſchuldig! ihr richtet einen171 Unſchuldigen hin! Halt halt! ſchrieen tauſend Stimmen und kaum vermochte die Wache zu ſteuern dem Volk, das hinzudrang und den Andres von der Leiter herabreiſſen wollte. Naͤher ſprengte nun der Mann zu Pferde, der erſt gerufen hatte, und Andres erkannte auf den erſten Blick in dem Fremden den Kaufmann, der ihm in Frankfurt Giorgina's Erbſchaft ausgezahlt hatte. Seine Bruſt wollte zerſprin¬ gen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er ſich aufrecht erhalten als er von der Leiter herab¬ geſtiegen. Der Kaufmann ſagte dem Richter, daß zu derſelben Zeit, als der Raubmord im Vachſchen Schloſſe veruͤbt worden, Andres in Frankfurt, alſo viele Meilen davon entfernt, ge¬ weſen ſei, und daß er dies vor Gericht auf die unzweifelhafteſte Weiſe durch Urkunden und Zeu¬ gen darthun wolle. Da rief der Richter: Die Hinrichtung des Andres kann keinesweges ge¬ ſchehen; denn dieſer hoͤchſtwichtige Umſtand bewei¬ ſet, wenn er ausgemittelt wird, die voͤllige Un¬172 ſchuld des Angeklagten. Man fuͤhre ihn ſogleich nach dem Gefaͤngniſſe zuruͤck. Denner hatte alles von der Leiter herab ruhig angeſehen; als aber der Richter dieſe Worte geſprochen, da rollten ſeine gluͤhenden Augen, er knirſchte mit den Zaͤh¬ nen, er heulte in wilder Verzweiflung, daß es graͤßlich, wie der namenloſe Jammer des wuͤthenden Wahnſinns, durch die Luͤfte hallte: Satan, Satan! Du haſt mich betrogen weh mir! weh mir! es iſt aus aus Alles verloren! Man brachte ihn von der Leiter herab, er fiel zu Boden und roͤchelte dumpf: ich will alles be¬ kennen ich will alles bekennen! Auch ſeine Hinrichtung wurde verſchoben und er ins Gefaͤng¬ niß zuruͤckgefuͤhrt, wo ihm jedes Entſpringen unmoͤglich gemacht worden. Der Haß ſeiner Waͤchter war die beſte Schutzwehr gegen die Schlauheit ſeiner Verbuͤndeten. Wenige Au¬ genblicke nachher, als Andres bei dem Gefan¬ genwaͤrter angekommen, lag Giorgina in ſei¬ nen Armen. Ach Andres, Andres, rief173 ſie, nun habe ich Dich ganz wieder, da ich weiß, daß Du unſchuldig biſt; denn auch ich habe an Deiner Redlichkeit, an Deiner Froͤmmigkeit ge¬ zweifelt! Unerachtet man Giorginen den Tag der Hinrichtung verſchwiegen, war ſie doch von unbeſchreiblicher Angſt, von ſeltſamer Ahnung getrieben, nach Fulda geeilt, und gerade auf die Richtſtaͤtte gekommen, als ihr Mann die verhaͤngnißvolle Leiter beſtieg, die ihn zum Tode fuͤhren ſollte. Der Kaufmann war die ganze lange Zeit der Unterſuchung uͤber auf Reiſen in Frankreich und Italien geweſen, und jetzt uͤber Wien und Prag zuruͤckgekehrt. Der Zufall, oder vielmehr eine beſondere Schickung des Himmels, wollte, daß er gerade in dem entſcheidendſten Au¬ genblick auf dem Richtplatze ankam, und den armen Andres von dem ſchmaͤhlichen Tode des Verbrechens rettete. Im Gaſthofe erfuhr er die ganze Geſchichte des Andres und es fiel ihm gleich ſchwer aufs Herz, daß Andres wol der¬ ſelbe Revierjaͤger ſeyn koͤnne, der vor zwei Jahren174 eine Erbſchaft, die ſeinem Weibe von Neapel aus zugefallen, erhob. Schnell eilte er fort und uͤberzeugte ſich, als er nur Andres ſah, ſogleich von der Wahrheit ſeiner Vermuthung. Durch die eifrigen Bemuͤhungen des wackern Kauf¬ manns und des jungen Grafen von Vach wurde Andres Aufenthalt in Frankfurt bis auf die Stunde ausgemittelt, dadurch aber ſeine voͤllige Unſchuld an dem Raubmorde dargethan. Den¬ ner ſelbſt geſtand nun die Richtigkeit der Angabe des Andres uͤber das Verhaͤltniß mit ihm und meinte nur, der Satan muͤſſe ihn geblendet ha¬ ben; denn in der That haͤtte er geglaubt, An¬ dres fechte auf dem Vachſchen Schloß an ſeiner Seite. Fuͤr die erzwungene Theilnahme an der Auspluͤnderung des Pachterhofes, ſo wie fuͤr die geſetzwidrige Rettung Denner's, hatte, nach dem Ausſpruch der Richter, Andres genug gebuͤßt durch das lange harte Gefaͤngniß und durch die ausgeſtandene Marter und Todesangſt; er wurde daher durch[Urteil] und Recht von jeder weiteren175 Strafe freigeſprochen und eilte mit ſeiner Gior¬ gina auf das Vachſche Schloß, wo ihm der edle wohlthaͤtige Graf im Nebengebaͤude eine Wohnung einraͤumte, von ihm nur die geringen Jagddienſte fordernd, die des Grafen perſoͤnliche Liebhaberei nothwendig machte. Auch die Ge¬ richtskoſten bezahlte der Graf, ſo daß Andres und Giorgina in dem ungekraͤnkten Beſitz ihres Vermoͤgens blieben.

Der Prozeß wider den[verruchten] Ignaz Denner nahm jetzt eine ganz andere Wendung. Die Begebenheit auf der Gerichtsſtaͤtte ſchien ihn ganz umgewandelt zu haben. Sein hoͤhnender teufliſcher Stolz war gebeugt, und aus ſeinem zerknirſchten Innern brachen Geſtaͤndniſſe hervor, die den Richtern das Haar ſtraͤubten. Denner klagte ſich ſelbſt mit allen Zeichen tiefer Reue des Buͤndniſſes mit dem Satan an, das er von ſeiner fruͤhen Jugendzeit unterhalten, und ſo wurde vorzuͤglich hierauf die fernere Unterſuchung mit dem Zutritt dazu verordneter Geiſtlichkeit gerich¬176 tet. Ueber ſeine fruͤheren Lebensverhaͤltniſſe erzaͤhlte Denner ſo viel Sonderbares, daß man es fuͤr das Erzeugniß wahnſinniger Ueberſpannung haͤtte halten muͤſſen, wenn nicht durch die Erkun¬ digungen, die man in Neapel, ſeinem angeblichen Geburtsort, einziehen ließ, alles beſtaͤtigt worden waͤre. Ein Auszug aus den von dem geiſtlichen Gericht in Neapel verhandelten Akten ergab uͤber Denner's Herkunft folgende merkwuͤrdige Um¬ ſtaͤnde.

Vor langen Jahren lebte in Neapel ein alter wunderlicher Doktor, Trabacchio mit Namen, den man ſeiner geheimnißvollen ſtets gluͤcklichen Curen wegen insgemein den Wunder-Doktor zu nennen pflegte. Es ſchien, als wenn das Alter nichts uͤber ihn vermoͤge; denn er ſchritt raſch und jugendlich daher, unerachtet mehrere Einge¬ borne ihm nachrechnen konnten, daß er an die achtzig Jahre alt ſeyn muͤßte. Sein Geſicht war auf eine ſeltſame grauſige Weiſe verzerrt und verſchrumpft, und ſeinen Blick konnte man kaumohne177ohne innern Schauer ertragen, wiewol er oft den Kranken wohl that, ſo daß man ſagte, blos durch den ſcharf auf den Kranken gehefteten Blick heile er oftmals ſchwere hartnaͤckige Uebel. Ueber ſei¬ nen ſchwarzen Anzug warf er gewoͤhnlich einen weiten rothen Mantel mit goldnen Treſſen und Troddeln, unter deſſen bauſchichten Falten der lange Stoßdegen hervorragte. So lief er mit einer Kiſte ſeiner Arzneien, die er ſelbſt bereitete, durch die Straßen von Neapel zu ſeinen Kran¬ ken, und jeder wich ihm ſcheu aus. Nur in der hoͤchſten Noth wandte man ſich an ihn, aber nie¬ mals ſchlug er es aus einen Kranken zu beſuchen, hatte er dabei auch nicht ſonderlichen Gewinn zu hoffen. Mehrere Weiber ſtarben ihm ſchnell; immer waren ſie ausnehmend ſchoͤn und insge¬ mein Landdirnen geweſen. Er ſperrte ſie ein und erlaubte ihnen, nur unter Begleitung einer alten ekelhaft haͤßlichen Frau die Meſſe zu hoͤren. Dieſe Alte war unbeſtechlich; jeder noch ſo liſtig angelegte Verſuch junger Luͤſtlinge, den ſchoͤnenM178Frauen des Doktor Trabacchio naͤher zu kom¬ men, blieb fruchtlos. Unerachtet Doktor Tra¬ bacchio von Reichen ſich gut bezahlen ließ, ſo ſtand doch ſeine Einnahme mit dem Reichthum an Geld und Kleinodien, den er in ſeinem Hauſe aufgehaͤuft hatte und den er niemanden verheelte, in keinem Verhaͤltniß. Dabei war er zu Zeiten freigebig bis zur Verſchwendung, und hatte die Gewohnheit jedesmal, wenn ihm eine Frau ge¬ ſtorben, ein Gaſtmahl zu geben, deſſen Aufwand wol doppelt ſo viel betrug, als die reichſte Ein¬ nahme, die ihm ſeine Praxis ein ganzes Jahr hindurch verſchaffte. Mit ſeiner letzten Frau hatte er einen Sohn erzeugt, den er eben ſo einſperrte, wie ſeine Weiber; niemand bekam ihn zu ſehen. Nur bei dem Gaſtmahl, das er nach dem Tode dieſer Frau gab, ſaß der kleine dreijaͤhrige Knabe an ſeiner Seite, und alle Gaͤſte waren uͤber die Schoͤnheit und die Klugheit des Kindes, das man, verrieth ſein koͤrperliches Anſehen nicht ſein Alter, ſeinem Benehmen nach wenigſtens fuͤr179 zwoͤlfjaͤhrig haͤtte halten koͤnnen. Eben bei dieſem Gaſtmahl aͤußerte der Doktor Trabacchio, daß, da nunmehr ſein Wunſch, einen Sohn zu haben, erreicht ſei, er nicht mehr heirathen werde. Sein uͤbermaͤßiger Reichthum, aber noch mehr ſein geheimnißvolles Weſen, ſeine wunderbaren Curen, die bis ins Unglaubliche gingen, da blos einigen von ihm bereiteten und eingefloͤßten Tropfen, ja oft blos ſeiner Betaſtung, ſeinem Blick, die hart¬ naͤckigſten Krankheiten wichen, gaben endlich An¬ laß zu allerlei ſeltſamen Geruͤchten, die ſich in Neapel verbreiteten. Man hielt den Doktor Trabacchio fuͤr einen Alchymiſten, fuͤr einen Teufelsbeſchwoͤrer, ja man gab ihm endlich Schuld, daß er mit dem Satan im Buͤndniß ſtehe. Die letzte Sage entſtand aus einer ſeltſamen Begeben¬ heit, die ſich mit einigen Edelleuten in Neapel zutrug. Dieſe kehrten einſt ſpaͤt in der Nacht von einem Gaſtmahl zuruͤck und geriethen, da ſie im Weinrauſch den Weg verfehlt, in eine ein¬ ſame verdaͤchtige Gegend. Da rauſchte und ra¬M 2180ſchelte es vor ihnen und ſie wurden mit Entſetzen gewahr, daß ein großer leuchtendrother Hahn, ein zackicht Hirſchgeweihe auf dem Kopfe tragend, mit ausgebreiteten Fluͤgeln daher ſchritt, und ſie mit menſchlichen funkelnden Augen anſtarrte. Sie draͤngten ſich in eine Ecke, der Hahn ſchritt vor¬ uͤber, und ihm folgte eine große Figur im glaͤn¬ zendem goldverbraͤmten Mantel. So wie die Ge¬ ſtalten voruͤber waren, ſagte einer von den Edel¬ leuten leiſe: Das war der Wunderdoktor Tra¬ bacchio. Alle, nuͤchtern geworden durch den ent¬ ſetzlichen Spuk, ermuthigten ſich und folgten dem angeblichen Doktor mit dem Hahn, deſſen Leuch¬ ten den genommenen Weg zeigte. Sie ſahen, wie die Geſtalten wirklich auf das Haus des Doktors, das auf einem fernen leeren oͤden Platze ſtand, zu¬ ſchritten. Vor dem Hauſe angekommen, rauſchte der Hahn in die Hoͤhe, und ſchlug mit den Fluͤgeln an das große Fenſter uͤber dem Balkon, das ſich klirrend oͤffnete; die Stimme eines alten Weibes meckerte: Kommt kommt nach Haus kommt181 nach Haus warm iſt das Bett, und Liebchen wartet lange ſchon lange ſchon! Da war es, als ſtiege der Doktor auf einer unſichtbaren Lei¬ ter empor, und rauſche nach dem Hahn durch das Fenſter, welches zugeſchlagen wurde, daß es die einſame Straße entlang klirrte und droͤhnte. Alles war im ſchwarzen Dunkel der Nacht verſchwun¬ den und die Edelleute ſtanden ſtumm und ſtarr vor Grauſen und Entſetzen. Dieſer Spuk, die Ueberzeugung der Edelleute, daß die Geſtalt, der der teufliſche Hahn vorleuchtete, niemand anders, als der verrufene Doktor Trabacchio geweſen, war fuͤr das geiſtliche Gericht, dem Alles zu Ohren kam, genug, dem ſataniſchen Wundermann ſorglich in aller Stille nachzuſpuͤren. Man brachte in der That heraus, daß in den Zimmern des Doktors ſich oft ein rother Hahn befand, mit dem er auf wunderliche Weiſe zu ſprechen und zu disputiren ſchien, als ſpraͤchen Gelehrte uͤber zweifelhafte Gegenſtaͤnde ihres Wiſſens. Das geiſtliche Gericht war im Begriff den Doktor182 Trabacchio einzuziehen als einen verruchten Hexenmeiſter; aber das weltliche Gericht kam dem geiſtlichen zuvor und ließ den Doktor durch die Sbirren aufheben und ins Gefaͤngniß ſchleppen, da er eben von dem Beſuch eines Kranken heim¬ kehrte. Die Alte war ſchon fruͤher aus dem Hauſe geholt worden, den Knaben hatte man nicht finden koͤnnen. Die Thuͤren der Zimmer wur¬ den verſchloſſen und verſiegelt, Wachen ringsum das Haus geſtellt. Folgendes war der Grund dieſes gerichtlichen Verfahrens. Seit einiger Zeit ſtarben mehrere angeſehene Perſonen in Neapel und in der umliegenden Gegend und zwar nach der Aerzte einſtimmigem Urtheil an Gift. Dies hatte viele Unterſuchungen veranlaßt, die fruchtlos blieben, bis endlich ein junger Menſch in Neapel, ein bekannter Luͤſtling und Verſchwender, deſſen Oheim vergiftet worden, die graͤßliche That mit dem Zuſatz eingeſtand, daß er das Gift von dem alten Weibe, der Haushaͤlterin Trabacchio's, gekauft habe. Man ſpuͤrte der Alten nach, und ertappte183 ſie, als ſie eben ein feſtverſchloſſenes kleines Kiſt¬ chen forttragen wollte, in dem man kleine Phio¬ len fand, die mit den Namen von allerlei Arz¬ neimitteln verſehen waren, unerachtet ſie fluͤſſi¬ ges Gift enthielten. Die Alte wollte nichts ein¬ geſtehen; als man ihr indeſſen mit der Tortur drohte, da bekannte ſie, daß der Doktor Tra¬ bacchio ſchon ſeit vielen Jahren jenes kuͤnſtliche Gift, das unter dem Namen Aqua Toffana bekannt ſei, bereite, und daß der geheime Ver¬ kauf dieſes Gifts, der durch ſie bewirkt worden, beſtaͤndig ſeine reichſte Erwerbsquelle geweſen. Ferner ſei es nur zu gewiß, daß er mit dem Satan im Buͤndniß ſtehe, der in verſchiedenen Geſtalten bei ihm einkehre. Jedes ſeiner Weiber habe ihm ein Kind geboren, ohne daß es jemand außer dem Hauſe geahnet. Das Kind habe er denn allemal, nachdem es neun Wochen, oder neun Monate alt worden, unter beſonderen Zu¬ ruͤſtungen und Feierlichkeiten auf unmenſchliche Weiſe geſchlachtet, indem er ihm die Bruſt auf¬184 geſchnitten und das Herz herausgenommen. Je¬ desmal ſei der Satan bei dieſer Operation, bald in dieſer, bald in jener Geſtalt, meiſtens aber als Fledermaus mit menſchlicher Larve, erſchienen, und habe mit breiten Fluͤgeln das Kohlfeuer ange¬ facht, bei dem Trabacchio aus des Kindes Herzblut koͤſtliche Tropfen bereitet, die jeder Siechheit kraͤftig widerſtaͤnden. Die Weiber haͤtte Trabacchio bald nachher auf dieſe, oder jene heimliche Weiſe getoͤdtet, ſo daß der ſchaͤrfſte Blick des Arztes wohl nie auch die kleinſte Spur der Ermordung habe auffinden koͤnnen. Nur Trabacchio's letztes Weib, die ihm einen Sohn geboren, der noch lebe, ſei des natuͤrlichen Todes geſtorben.

Der Doktor Trabacchio geſtand alles unver¬ holen ein und ſchien eine Freude daran zu finden, das Gericht mit den ſchauerlichen Erzaͤhlungen ſeiner Unthaten und vorzuͤglich der naͤhern Um¬ ſtaͤnde ſeines entſetzlichen Buͤndniſſes mit dem Satan in Verwirrung zu ſetzen. Die Geiſtlichen,185 welche dem Gericht beiwohnten, gaben ſich alle nur erſinnliche Muͤhe, den Doktor zur Reue und zur Erkenntniß ſeiner Suͤnden zu bringen; aber es blieb vergebens, da Trabacchio ſie nur verhoͤhn¬ te und verlachte. Beide, die Alte und Trabac¬ chio, wurden zum Scheiterhaufen verurtheilt. Man hatte unterdeſſen das Haus des Doktors un¬ terſucht und alle ſeine Reichthuͤmer hervorgeholt, die, nach Abzug der Gerichtskoſten, an die Hoſpi¬ taͤler vertheilt werden ſollten. In Trabacchio's Bibliothek fand man nicht ein einziges verdaͤchti¬ ges Buch und noch viel weniger gab es Geraͤth¬ ſchaften, die auf die ſataniſche Kunſt, die der Doktor getrieben, haͤtten hindeuten ſollen. Nur ein ver¬ ſchloſſenes Gewoͤlbe, deſſen viele durch die Mauer herausragende Roͤhren das Laboratorium verriethen, widerſtand, als man es oͤffnen wollte, aller Kunſt und aller Gewalt. Ja, wenn Schloſſer und Mau¬ rer unter der Aufſicht des Gerichts ſich eifrig be¬ muͤhten, endlich durchzubrechen, ſo daß wohl der Zweck erreicht worden waͤre, da kreiſchten im Innern186 des Gewoͤlbes entſetzliche Stimmen, es rauſchte auf und nieder, wie mit eiskalten Fluͤgeln ſchlug es an die Geſichter der Arbeiter und ein ſchnei¬ dender Zugwind pfiff in gellenden graͤßlichen Toͤnen durch den Gang, ſo daß von Grauſen und Ent¬ ſetzen ergriffen alle flohen, und am Ende niemand mehr ſich an die Thuͤr des Gewoͤlbes wagen wollte, aus Furcht wahnſinnig zu werden vor Angſt und Schrecken. Den Geiſtlichen, die ſich der Thuͤr nahten, ging es nicht beſſer und es blieb nichts uͤbrig, als die Ankunft eines alten Dominikaners aus Palermo zu erwarten, deſſen Standhaftig¬ keit und Froͤmmigkeit bisher alle Kuͤnſte des Sa¬ tans weichen mußten. Als dieſer Moͤnch ſich nun in Neapel befand, war er bereit den teufli¬ ſchen Spuk in Trabacchio's Gewoͤlbe zu be¬ kaͤmpfen, und verfuͤgte ſich hin, ausgeruͤſtet mit Kreuz und Weihwaſſer, begleitet von mehreren Geiſtlichen und Gerichtsperſonen, die aber weit von der Thuͤr entfernt blieben. Der alte Domi¬ nikaner ging betend auf die Thuͤr los; aber da187 erhob ſich heftiger das Rauſchen und Brauſen, und die entſetzlichen Stimmen verworfener Gei¬ ſter lachten gellend heraus. Der Geiſtliche ließ ſich jedoch nicht irre machen; er betete kraͤftiger das Cruzifix emporhaltend und die Thuͤr mit Weihwaſſer beſprengend. Man gebe mir ein Brecheiſen! rief er laut; zitternd reichte es ihm[ein] Maurerbuſche hin, aber kaum ſetzte es der alte Moͤnch an die Thuͤre, als ſie mit furchtbar erſchuͤtterndem Knall aufſprang. Blaue Flammen leckten uͤberall an den Waͤnden des Gewoͤlbes herauf und eine betaͤubende erſtickende Hitze ſtroͤmte aus dem Innern. Demunerachtet wollte der Dominikaner hineintreten; da ſtuͤrzte der Boden des Gewoͤlbes ein, daß das ganze Haus er¬ droͤhnte und Flammen praſſelten aus dem Ab¬ grunde hervor, die wuͤthend um ſich griffen und alles rings umher erfaßten. Schnell mußte der Dominikaner mit ſeiner Begleitung fliehen, um nicht zu verbrennen, oder verſchuͤttet zu werden. Kaum waren ſie auf der Straße, als das ganze188 Haus des Doktor Trabacchio in Flammen ſtand. Das Volk lief zuſammen und jauchzte und jubelte, als es des verruchten Hexenmeiſters Wohnung brennen ſah, ohne auch nur das min¬ deſte zur Rettung zu thun. Schon war das Dach eingeſtuͤrzt, das inwendige Holzwerk flammte zu den Waͤnden heraus und nur die ſtarken Bal¬ ken des obern Stocks widerſtanden noch der Ge¬ walt des Feuers. Aber vor Entſetzen ſchrie das Volk auf, als es Trabacchio's zwoͤlfjaͤhrigen Sohn mit einem Kiſtchen unter dem Arm einen dieſer glimmenden Balken entlang ſchreiten ſah. Nur einen Moment dauerte dieſe Erſcheinung, ſie verſchwand ploͤtzlich in den hochaufſchlagenden Flammen. Der Doktor Trabacchio ſchien ſich herzinniglich zu freuen, als er dieſe Begeben¬ heit erfuhr und ging mit verwegener Frechheit zum Tode. Als man ihn an den Pfahl band, lachte er hell auf und ſagte zu dem Henker, der ihn mordluſtig recht feſt anſchnuͤrte: Sieh Dich vor, Geſelle, daß dieſe Stricke nicht an Deinen189 Faͤuſten brennen. Dem Moͤnch, der ſich ihm zuletzt noch nahen wollte, rief er mit fuͤrchterli¬ cher Stimme zu: Fort! zuruͤck von mir! Glaubſt Du denn, daß ich ſo dumm ſeyn werde, Euch zu Gefallen einen ſchmerzlichen Tod zu lei¬ den? noch iſt meine Stunde nicht gekom¬ men. Nun fing das angezuͤndete Holz an zu praſſeln; kaum erreichte aber die Flamme den Trabacchio, als es hell aufloderte, wie Stroh¬ feuer und von einer fernen Anhoͤhe ein gellendes Hohngelaͤchter ſich hoͤren ließ. Alles ſchaute hin und Grauſen ergriff das Volk, als den Doktor Trabacchio leibhaftig in dem ſchwarzen Kleide, dem goldverbraͤmten Mantel, den Stoßdegen an der Seite, den niedergekrempten ſpaniſchen Hut mit der rothen Feder auf dem Kopfe, das Kiſt¬ chen unter dem Arm, ganz wie er ſonſt durch die Straßen von Neapel zu laufen pflegte, er¬ blickte. Reiter, Sbirren, hundert andere aus dem Volk ſtuͤrzten hin nach dem Huͤgel, aber Trabacchio war und blieb verſchwunden. Die190 Alte gab ihren Geiſt auf unter den entſetzlich¬ ſten Quaalen, unter den graͤßlichſten Verwuͤn¬ ſchungen ihres verruchten Herrn, mit dem ſie unzaͤhlige Verbrechen getheilt.

Der ſogenannte Ignaz Denner war nun kein anderer, als eben der Sohn des Doktors, der ſich damals durch die hoͤlliſchen Kuͤnſte ſeines Vaters mit einem Kiſtchen der ſeltenſten und geheimnißvollſten Koſtbarkeiten aus den Flammen rettete. Schon ſeit der fruͤheſten Jugend unter¬ richtete ihn der Vater in den geheimen Wiſſen¬ ſchaften und ſeine Seele war dem Teufel ver¬ ſchrieben, noch ehe er ſein volles Bewußtſeyn erlangt. Als man dem Doktor Trabacchio in's Gefaͤngniß warf, blieb der Knabe in dem ge¬ heimnißvollen verſchloſſenen Gewoͤlbe unter den verworfenen Geiſtern, die des Vaters hoͤlliſcher Zauber hineingebannt; da aber endlich dieſer Zau¬ ber der Macht des Dominikaners weichen mußte, ließ der Knabe die verborgenen mechaniſchen Kraͤfte wirken, und Flammen entzuͤndeten ſich,191 die in wenigen Minuten das ganze Haus in Brand ſteckten, waͤhrend der Knabe ſelbſt unver¬ ſehrt durch das Feuer fort zum Thore hinaus in den Wald eilte, den ihm der Vater bezeichnet hatte. Nicht lange dauerte es, ſo erſchien auch Doktor Trabacchio, und floh ſchnell mit dem Sohne, bis ſie wol an drei Tagereiſen von Nea¬ pel in die Ruinen eines alten roͤmiſchen Gebaͤudes kamen, wo der Eingang zu einer weiten geraͤu¬ migen Hoͤle verſteckt lag. Hier wurde der Doktor Trabacchio von einer zahlreichen Raͤuberbande, mit der er laͤngſt in Verbindung geſtanden, und der er durch ſeine geheime Wiſſenſchaft die we¬ ſentlichſten Dienſte geleiſtet, mit lautem Jubel empfangen. Die Raͤuber wollten ihn mit nichts geringerem lohnen, als mit der Kroͤnung zum Raͤuberkoͤnige, wodurch er ſich zum Oberhaupt aller Banden, die in Italien und dem ſuͤdlichen Deutſchland verbreitet waren, aufgeſchwungen haͤtte. Der Doktor Trabacchio erklaͤrte, dieſe Wuͤrde nicht annehmen zu koͤnnen, da er der192 beſondern Conſtellation wegen, die uͤber ihn walte, nunmehr ein ganz unſtetes Leben fuͤhren muͤſſe, und von keinem Verhaͤltniß gebunden wer¬ den koͤnne; doch werde er noch immer den Raͤu¬ bern mit ſeiner Kunſt und Wiſſenſchaft beiſtehn, und ſich dann und wann ſehen laſſen. Da be¬ ſchloſſen die Raͤuber, den zwoͤlfjaͤhrigen Trabac¬ chio zum Raͤuberkoͤnige zu waͤhlen und damit war der Doktor hoͤchlich zufrieden, ſo daß der Knabe von Stund an unter den Raͤubern blieb, und, als er funfzehn Jahr alt worden, ſchon als wirkliches Oberhaupt mit ihnen auszog. Sein ganzes Leben war von nun an ein Gewebe von Greuelthaten und Teufelskuͤnſten, in welche ihn der Vater, der ſich oftmals blicken ließ und zu¬ weilen Wochenlang einſam mit ſeinen Sohne in der Hoͤle blieb, immer mehr einweihte. Die kraͤf¬ tigen Maßregeln des Koͤnigs von Neapel gegen die Raͤuberbanden, die immer kecker und verwege¬ ner wurden, noch mehr aber die entſtandenen Zwiſtigkeiten der Raͤuber hoben endlich das ge¬faͤhr¬193faͤhrliche Buͤndniß unter einem Oberhaupte auf und den Trabacchio ſelbſt, der ſich durch ſeinen Stolz und durch ſeine Grauſamkeit verhaßt ge¬ macht hatte, konnten ſeine vom Vater erlernte Teufelskuͤnſte nicht vor den Dolchen ſeiner Unter¬ gebenen ſchuͤtzen. Er floh nach der Schweiz, gab ſich den Namen Ignaz Denner, und beſuchte als reiſender Kaufmann die Meſſen und Jahr¬ maͤrkte in Deutſchland, bis ſich aus den zerſtreu¬ ten Gliedern jener großen Bande eine kleinere bildete, die den vormaligen Raͤuberkoͤnig zu ihrem Oberhaupt waͤhlte. Trabacchio verſicherte, wie ſein Vater noch zur Stunde lebe, ihn noch im Gefaͤngniß beſucht, und Rettung von der Ge¬ richtsſtaͤtte verſprochen habe. Nur dadurch, daß, wie er nun wol einſehe, goͤttliche Schickung den Andres vom Tode errettet, ſei die Macht ſei¬ nes Vaters entkraͤftet worden, und er wolle nun als reuiger Suͤnder allen Teufelskuͤnſten abſchwoͤ¬ ren und geduldig die gerechte Todesſtrafe erlei¬ den.

N194

Andres, der alles dieſes aus dem Munde des Grafen von Vach erfuhr, zweifelte keinen Augen¬ blick, daß es wol eben Trabacchio's Bande geweſen, die ehemals im Neapolitaniſchen ſeinen Herrn anfiel, ſo wie er uͤberzeugt war, daß der alte Doktor Trabacchio ſelbſt im Gefaͤngniß ihm wie der leibhaftige Satan erſchien und verlocken wollte zum boͤſen Beginnen. Nun ſah er erſt recht ein, in welch 'großer Gefahr er geſchwebt hatte ſeit der Zeit, als Trabacchio in ſein Haus getreten; wiewol er noch immer nicht begreifen konnte, warum es denn der Verruchte ſo ganz und gar auf ihn und ſein Weib gemuͤnzt hatte, da der Vortheil, den er aus ſeinem Aufenthalt in dem Jaͤgerhauſe zog, nicht ſo bedeutend ſeyn konnte.

Andres befand ſich nach den entſetzlichen Stuͤrmen nun in ruhiger gluͤcklicher Lage, allein zu erſchuͤtternd hatten jene Stuͤrme getobt, um nicht in ſeinem ganzen Leben dumpf nachzuhallen. Außer dem, daß Andres, ſonſt ein ſtarker kraͤftiger Mann, durch den Gram, durch das lange Gefaͤngniß, ja195 durch den unſaͤglichen Schmerz der Tortur koͤr¬ perlich zu Grunde gerichtet, ſiech und krank da¬ her ſchwankte und kaum noch die Jagd treiben konnte, ſo welkte auch Giorgina, deren ſuͤdliche Natur von dem Grame, von der Angſt, von dem Entſetzen, wie von brennender Gluth aufgezehrt wurde, zuſehends hin. Keine Huͤlfe war fuͤr ſie mehr vorhanden, ſie ſtarb wenige Monate nach ihres Mannes Ruͤckkehr. Andres wollte ver¬ zweifeln und nur der wunderſchoͤne kluge Knabe, der Mutter getreues Ebenbild, vermochte ihn zu troͤſten. Um dieſes willen that er alles, ſein Leben zu erhalten, und ſich ſo viel als moͤglich zu kraͤftigen, ſo daß er nach Verlauf von beinahe zwei Jahren wol an Geſundheit zugenommen und manchen luſtigen Jaͤgergang in den Forſt unter¬ nehmen konnte. Der Prozeß wider den Tra¬ bacchio hatte endlich ſein Ende erreicht und er war, ſo wie vor alter Zeit ſein Vater, zum Tode durchs Feuer verdammt worden, den er in weni¬ ger Zeit erleiden ſollte.

N 2196

Andres kam eines Tages, als die Abend¬ daͤmmerung ſchon eingebrochen, mit ſeinem Kna¬ ben aus dem Forſt zuruͤck; ſchon war er dem Schloſſe nahe, als er ein klaͤgliches Gewimmer vernahm, das aus dem ihm nahen ausgetrockne¬ ten Feldgraben zu kommen ſchien. Er eilte naͤher und erblickte einen Menſchen, der in elende ſchmutzige Lumpen gehuͤllt, im Graben lag und unter großen Schmerzen den Geiſt aufgeben zu wollen ſchien. Andres warf Flinte und Buͤchſen¬ ſack ab, und zog mit Muͤhe den Ungluͤcklichen heraus; aber als er nun dem Menſchen in's Geſicht blickte, erkannte er mit Entſetzen den Tra¬ bacchio. Zuruͤckſchaudernd ließ er von ihm ab; aber da wimmerte Trabacchio dumpf. An¬ dres, Andres, biſt Du es? um der Barm¬ herzigkeit Gottes willen, der ich meine Seele empfohlen, habe Mitleid mit mir! Wenn Du mich retteſt, retteſt Du eine Seele von ewiger Verdammniß; denn bald ereilt mich ja der Tod, und noch nicht vollendet iſt meine Buße! Ver¬197 dammter Heuchler, ſchrie Andres auf; Moͤr¬ der meines Kindes, meines Weibes, hat Dich nicht der Satan wieder hergefuͤhrt, damit Du mich vielleicht noch verderbeſt? Ich habe mit Dir nichts zu ſchaffen. Stirb 'und vermodere wie ein Aas, Verruchter! Andres wollte ihn zu¬ ruͤckſtoßen in den Graben; da heulte Trabacchio in wildem Jammer: Andres! Du retteſt den Vater Deines Weibes, Deiner Giorgina, die fuͤr mich betet am Throne des Hoͤchſten! An¬ dres ſchauderte zuſammen; mit Giorgina's Namen fuͤhlte er ſich von ſchmerzlicher Wehmuth ergriffen. Mitleid mit dem Moͤrder ſeiner Ruhe, ſeines Gluͤcks, durchdrang ihn, er faßte den Tra¬ bacchio, lud ihn mit Muͤhe auf und trug ihn nach ſeiner Wohnung, wo er ihn mit ſtaͤrkenden Mitteln erquickte. Bald erwachte Trabacchio aus der Ohnmacht, in die er verſunken.

In der Nacht vor der Hinrichtung ergriff den Trabacchio die entſetzlichſte Todesangſt; er war uͤberzeugt, daß ihn nichts mehr von der198 namenloſen Marter des Feuertodes retten wuͤrde. Da faßte und ruͤttelte er in wahnſinniger Ver¬ zweiflung die Eiſenſtaͤbe des Gitterfenſters und zerbroͤckelt blieben ſie in ſeinen Haͤnden. Ein Strahl der Hoffnung fiel in ſeine Seele. Man hatte ihn in einen Thurm dicht neben dem trock¬ nen Stadtgraben geſperrt; er ſchaute in die Tiefe und der Entſchluß ſich hinabzuſtuͤrzen, und ſo ſich zu retten, oder zu ſterben, war auf der Stelle gefaßt. Der Ketten hatte er ſich bald mit gerin¬ ger Anſtrengung entledigt. Als er ſich hinauswarf, vergingen ihm die Sinne, er erwachte, als die Sonne hell ſtrahlte. Da ſah er, wie er zwiſchen Strauchwerk in hohes Gras gefallen, aber an allen Gliedern verſtaucht und verrenkt, vermochte er ſich nicht zu regen und zu ruͤhren. Schmei߬ fliegen und anderes Ungeziefer ſetzten ſich auf ſei¬ nen halbnackten Koͤrper und ſtachen und leckten ſein Blut, ohne daß er ſie abwehren konnte. So brachte er einen martervollen Tag hin. Erſt des Nachts gelang es ihm weiter zu kriechen und er199 war gluͤcklich genug, an eine Stelle zu kommen, wo ſich etwas Regenwaſſer geſammelt hatte, wel¬ ches er begierig einſchluͤrfte. Er fuͤhlte ſich ge¬ ſtaͤrkt und vermochte muͤhſam hinanzuklimmen und ſich fortzuſchleichen, bis er den Forſt erreichte, der unfern von Fulda anhob und ſich beinahe bis an das Vachſche Schloß erſtreckte. So war er bis in die Gegend gekommen, wo ihn Andres mit dem Tode ringend fand. Die entſetzliche Anſtren¬ gung der letzten Kraft hatte ihn ganz erſchoͤpft und wenige Minuten ſpaͤter haͤtte ihn Andres ſicherlich todt gefunden. Ohne daran zu denken, was kuͤnftig mit dem Trabacchio, der der Obrig¬ keit entflohen, werden ſollte, brachte ihn Andres in ein einſames Zimmer und pflegte ihn auf alle nur moͤgliche Weiſe, aber ſo behutſam ging er dabei zu Werke, daß niemand die Anweſenheit des Fremden ahnte; denn ſelbſt der Knabe, ge¬ wohnt dem Vater blindlings zu gehorchen, ver¬ ſchwieg getreulich das Geheimniß. Andres frug nun den Trabacchio, ob er denn gewiß200 und wahrhaftig Giorgina's Vater ſei. Al¬ lerdings bin ich das, erwiederte Trabacchio. In der Gegend von Neapel entfuͤhrte ich einſt ein bildſchoͤnes Maͤdchen, die mir eine Tochter gebar. Nun weißt Du ſchon, Andres, daß eines der groͤßten Kunſtſtuͤcke meines Vaters die Bereitung jenes koͤſtlichen wunderſamen Liquors war, wozu das Hauptingredienz das Herzblut von Kindern iſt, die neun Wochen, neun Monate, oder neun Jahre alt und von den Eltern dem Laboranten freiwillig anvertraut ſeyn muͤſſen. Je naͤher die Kinder mit dem Laboranten in Beziehung ſtehen, deſto wirkungsvoller entſteht aus ihrem Herzblut Lebenskraft, ſtete Verjuͤngung, ja ſelbſt die Bereitung des kuͤnſtlichen Goldes. Deshalb ſchlachtete mein Vater ſeine Kinder und ich war froh, das Toͤchterlein, das mir mein Weib geboren, auf ſolche verruchte Weiſe hoͤheren Zwecken opfern zu koͤnnen. Noch kann ich nicht begreifen, auf welche Weiſe mein Weib die boͤſe Abſicht ahnte; aber ſie war vor Ablauf der neun¬201 ten Woche verſchwunden und erſt nach mehrern Jahren erfuhr ich, daß ſie in Neapel geſtorben ſei und ihre Tochter Giorgina bei einem graͤm¬ lichen geizhalſigen Gaſtwirth erzogen wuͤrde. Eben ſo wurde mir ihre Verheirathung mit Dir und Dein Aufenthalt bekannt. Nun kannſt Du Dir erklaͤren, Andres, warum ich Deinem Weibe gewogen war und warum ich, ganz erfuͤllt von meinen verruchten Teufelskuͤnſten, Deinen Kindern ſo nachſtellte. Aber Dir, Andres, Dir allein und Deiner wunderbaren Rettung durch Gottes Allmacht verdanke ich meine tiefe Reue, meine innere Zerknirſchung. Uebrigens iſt das Kiſtchen mit Kleinodien, das ich Deinem Weibe gab, dasjenige, welches ich auf des Vaters Geheiß aus den Flammen rettete, Du kannſt es getroſt aufbewahren fuͤr Deinen Knaben. Das Kiſt¬ chen, fiel Andres ein, hat Euch ja Gior¬ gina wieder gegeben an jenem ſchrecklichen Tage, da ihr den graͤßlichen Mord veruͤbtet?

Allerdings, erwiederte Trabacchio: allein202 ohne daß es Giorgina wußte, kam es wieder in Euern Beſitz. Seht nur nach in der großen ſchwarzen Truhe, die in Euerm Hausflur ſteht, da werdet ihr das Kiſtchen auf dem Boden finden. Andres ſuchte in der Truhe und fand das Kiſtchen wirklich ganz in dem Zuſtande wieder, wie er es damals zum erſtenmal von Trabac¬ chio in Verwahrung erhalten.

Andres fuͤhlte in ſich unheimlichen Unmuth, ja er konnte ſich des Wunſches nicht erwehren, daß Trabacchio todt geweſen ſeyn moͤge, als er ihn im Graben fand. Freilich ſchien Trabac¬ chio's Reue und Buße wahrhaft zu ſeyn; denn ohne ſeine Clauſe zu verlaſſen, brachte er ſeine Zeit nur damit hin, in andaͤchtigen Buͤchern zu leſen und ſeine einzige Ergoͤtzlichkeit war die Un¬ terhaltung mit dem kleinen Georg, den er uͤber Alles zu lieben ſchien. Andres beſchloß indeſſen doch auf ſeiner Hut zu ſeyn und eroͤffnete bei erſter Gelegenheit das ganze Geheimniß dem Gra¬ fen von Vach, der uͤber das ſeltene Spiel des203 Schickſals nicht wenig verwundert war. So ver¬ gingen einige Monate, der Spaͤtherbſt war ein¬ getreten und Andres mehr auf der Jagd, als ſonſt. Der Kleine blieb gewoͤhnlich bei dem Großvater und einem alten Jaͤger, der um das Geheimniß wußte. Eines Abends war Andres von der Jagd zuruͤckgekehrt, als der alte Jaͤger hineintrat und nach ſeiner treuherzigen Weiſe an¬ fing: Herr, ihr habt einen boͤſen Kumpan im Hauſe. Zu dem kommt der Gott ſei bei uns! durch's Fenſter und geht wieder ab in Rauch und Dampf. Dem Andres wurde es bei dieſer Rede zu Muth, als haͤtt 'ihn ein Blitzſtrahl ge¬ troffen. Er wußte nur zu genau, was das zu bedeuten hatte; als ihm der alte Jaͤger weiter er¬ zaͤhlte, wie er ſchon mehrere Tage hinter einan¬ der in ſpaͤter Abenddaͤmmerung in Trabacchio's Zimmer ſeltſame Stimmen gehoͤrt, die wie im Zank durch einander geplappert, und heute zum zweitenmal habe es ihm, indem er Trabacchio's Thuͤre ſchnell geoͤffnet, geſchienen, als rauſche eine204 Geſtalt im rothen goldverbraͤmten Mantel zum Fenſter hinaus. In vollem Zorn eilte Andres herauf zum Trabacchio, hielt ihm vor, was ſein Jaͤger ausgeſagt und kuͤndigte ihm an, daß er ſich's gefallen laſſen muͤſſe, in's Schloßgefaͤng¬ niß geſperrt zu werden, wenn er nicht allen boͤſen Tritten entſage. Trabacchio blieb ruhig, und erwiederte im wehmuͤthigen Ton: Ach, lieber Andres! nur zu wahr iſt es, daß mein Vater, deſſen Stuͤndlein noch immer nicht gekommen, mich auf unerhoͤrte Weiſe peinigt und quaͤlt. Er will, daß ich mich ihm wieder zuwende, und der Froͤmmigkeit, dem Heil meiner Seele entſage, allein ich bin ſtandhaft geblieben, und glaube nicht, daß er wiederkehren wird, da er geſehen, daß er nicht mehr uͤber mich Macht hat. Bleibe ruhig, lieber Sohn Andres! und laß mich bei Dir als ein frommer Chriſt verſoͤhnt mit Gott ſterben! In der That ſchien auch die feindliche Geſtalt auszubleiben, indeſſen war es, als wuͤrden Tra¬ bacchio's Augen wieder gluͤhender, er laͤchelte205 zuweilen ſo ſeltſam hoͤhniſch, wie ſonſt. Waͤhrend der Betſtunde, die Andres jeden Abend mit ihm zu halten pflegte, ſchien er oft krampfhaft zu erzittern; zuweilen ſtrich eine ſeltſam pfeifende Zugluft durch das Zimmer, welche die Blaͤtter der Gebetbuͤcher raſchelnd umſchlug, ja die Buͤcher ſelbſt dem Andres aus den Haͤnden warf. Gottloſer Trabacchio, verruchter Satan! Du biſt es, der hier hoͤlliſchen Spuk treibt! Was willſt Du von mir? hebe Dich weg, denn Du haſt keine Macht uͤber mich! hebe Dich weg! So rief Andres mit ſtarker Stimme! Da lachte es hoͤhniſch durch das Zimmer hin, und ſchlug wie mit ſchwarzen Fittigen an das Fenſter. Und doch war es nur der Regen, der an das Fenſter geſchlagen, und der Herbſtwind, der durch das Zimmer geheult, wie Trabacchio meinte, als das Unweſen wieder einmal recht arg war und Georg vor Angſt weinte.

Nein, rief Andres: Euer gottloſer Vater koͤnnte hier nicht ſo herumſpuken, wenn Ihr aller206 und jeder Gemeinſchaft mit ihm entſagt haͤttet. Ihr muͤßt fort von mir. Eure Wohnung iſt Euch laͤngſt bereitet. Ihr muͤßt fort in's Schlo߬ gefaͤngniß; dort moͤget ihr Euern Spuk treiben wie ihr wollt. Trabacchio weinte heftig, er bat um aller Heiligen willen ihn im Hauſe zu dulden und Georg, ohne zu begreifen, was das Alles wohl bedeute, ſtimmte in ſeine Bitten ein. So bleibt denn noch morgen hier, ſagte Andres, ich will ſehen, wie es mit der Betſtunde gehen wird, wenn ich heimkomme von der Jagd. Am andern Tage gab es herrliches Herbſtwetter, und Andres verſprach ſich eine reiche Beute. Als er von dem Anſtand zuruͤckkehrte, war es ganz finſter geworden. Er fuͤhlte ſich im innerſten Ge¬ muͤth beſonders bewegt; ſeine merkwuͤrdigen Schick¬ ſale, Giorgina's Bild, ſein ermordeter Knabe traten ihm ſo lebendig vor Augen, daß er tief in ſich gekehrt, immer langſamer und langſamer den Jaͤgern nachſchlenderte, bis er ſich endlich unverſehends auf einem Nebenwege allein im207 Forſt befand. Im Begriff zuruͤckzukehren in den breiten Waldweg, wurde er ein blendendes Licht gewahr, welches durch das dickſte Gebuͤſch flackerte. Da ergriff ihn eine wunderbare verworrene Ah¬ nung großer Greuelthat, die veruͤbt werde; er drang durch das Dickicht, er war dem Feuer nahe, da ſtand des alten Trabacchio Geſtalt im gold¬ verbraͤmten Mantel, den Stoßdegen an der Seite, den niedergekrempten Hut mit rother Feder auf dem Kopfe, das Arzneikiſtchen unterm Arm. Mit gluͤhenden Augen blickte die Geſtalt in das Feuer, das wie in roth und blau flammenden Schlangen unter einer Retorte hervorloderte. Vor dem Feuer lag Georg nackt ausgebreitet auf einer Art Roſt und der verruchte Sohn des ſata¬ niſchen Doktors hatte hoch das funkelnde Meſſer erhoben zum Todesſtoß. Andres ſchrie auf vor Entſetzen; aber ſo wie der Moͤrder ſich umblickte, ſauſte ſchon die Kugel aus Andres Buͤchſe und Trabacchio ſtuͤrzte mit zerſchmettertem Gehirn uͤber das Feuer hin, das im Augenblick erloſch. 208Die Geſtalt des Doktors war verſchwunden. Andres ſprang hinzu, ſtieß den Leichnam bei Seite, band den armen Georg los und trug ihn ſchnell fort bis ins Haus. Dem Knaben fehlte nichts; nur die Todesangſt hatte ihn ohn¬ maͤchtig gemacht. Den Andres trieb es heraus in den Wald, er wollte ſich von Trabacchio's Tode uͤberzeugen und den Leichnam gleich verſchar¬ ren; er weckte daher den alten Jaͤger, der in tie¬ fen, wahrſcheinlich von Trabacchio bewirkten Schlaf geſunken, und beide gingen mit Laterne, Hacke und Spaten an die nicht weit entlegene Stelle. Da lag der blutige Trabacchio; aber ſo wie Andres ſich naͤherte, richtete er ſich mit halbem Leibe auf, ſtarrte ihn graͤßlich an und roͤ¬ chelte dumpf: Moͤrder! Moͤrder des Vaters Dei¬ nes Weibes, aber meine Teufel ſollen Dich quaͤlen! Fahre zur Hoͤlle, Du ſataniſcher Boͤſewicht, ſchrie Andres, der dem Entſetzen, das ihn uͤber¬ mannen wollte, widerſtand; fahre hin zur Hoͤlle, Du, der Du den Tod hundertfaͤltig verdient haſt,dem209dem ich den Tod gab, weil er verruchten Mord an meinem Kinde, an dem Kinde ſeiner Tochter veruͤben wollte! Du haſt nur Buße und Froͤm¬ migkeit geheuchelt um ſchaͤndlichen Verraths willen, aber nun bereitet der Satan manche Quaal Dei¬ ner Seele, die Du ihm verkauft. Da ſank Trabacchio heulend zuruͤck und immer dumpfer und dumpfer wimmernd gab er ſeinen Geiſt auf. Nun gruben die beiden Maͤnner ein tiefes Loch, in das ſie Trabacchio's Koͤrper warfen. Sein Blut komme nicht uͤber mich! ſprach Andres, aber ich konnte nicht anders, ich war dazu aus¬ erſehen von Gott, meinen Georg zu retten und hundertfaͤltige Frevel zu raͤchen. Doch will ich fuͤr ſeine Seele beten und ein kleines Kreuz auf ſein Grab ſtellen. Als andern Tages Andres dieſes Vorhaben ausfuͤhren wollte, fand er die Erde aufgewuͤhlt, der Leichnam war verſchwun¬ den. Ob das nun von wilden Thieren, oder wie ſonſt bewirkt, blieb in Zweifel. Andres ging mit ſeinem Knaben und dem alten Jaͤger zumO210Grafen von Vach, und berichtete treulich die gan¬ ze Begebenheit. Der Graf von Vach billigte die That des Andres, der zur Rettung ſeines Soh¬ nes einen Raͤuber und Moͤrder niedergeſtreckt hatte und ließ den ganzen Verlauf der Sache niederſchrei¬ ben und im Archiv des Schloſſes aufbewahren.

Die ſchreckliche Begebenheit hatte den An¬ dres tief im Innerſten erſchuͤttert, und wol mochte er ſich deshalb, wenn die Nacht eingebro¬ chen, ſchlaflos auf dem Lager waͤlzen. Aber wenn er ſo zwiſchen Wachen und Traͤumen hin¬ bruͤtete, da hoͤrte er es im Zimmer kniſtern und rauſchen, und ein rother Schein fuhr hindurch und verſchwand wieder. So wie er anfing zu horchen und zu ſchauen, da murmelte es dumpf: Nun biſt Du Meiſter Du haſt den Schatz Du haſt den Schatz gebeut uͤber die Kraft, ſie iſt Dein! Dem An¬ dres war es, als wolle ein unbekanntes Ge¬ fuͤhl ganz eigner Wohlbehaglichkeit und Lebensluſt in ihm aufgehen; aber ſo wie die Morgenroͤthe211 durch die Fenſter brach, da ermannte ſich An¬ dres und betete, wie er es zu thun gewohnt, kraͤftig und inbruͤnſtig zu dem Herrn, der ſeine Seele erleuchtete. Ich weiß was nun noch mei¬ nes Amts und Berufs iſt, um den Verſucher zu bannen und die Suͤnde abzuwenden von meinem Hauſe! So ſprach Andres, nahm Tra¬ bacchio's Kiſtchen und warf es, ohne es zu oͤffnen, in eine tiefe Bergſchlucht. Nun genoß Andres eines ruhigen heitern Alters, das keine feindliche Macht zu zerſtoͤren vermochte.

O 2212

Die Jeſuiterkirche in G.

In eine elende Poſtchaiſe gepackt, die die Motten, wie die Ratten Prospero's Fahrzeug, aus Inſtinkt verlaſſen hatten, hielt ich endlich, nach halsbrechen¬ der Fahrt, halbgeraͤdert, vor dem Wirthshauſe auf dem Markte in G. Alles Ungluͤck, das mir ſelbſt begegnen koͤnnen, war auf meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Poſtmeiſter der letzten Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde ſchleppten nach mehrern Stunden endlich mit Huͤlfe mehrerer Bauern und meines Bedien¬ ten das baufaͤllige Reiſehaus herbei; die Sachver¬ ſtaͤndigen kamen, ſchuͤttelten die Koͤpfe und mein¬ ten, daß eine Hauptreparatur noͤthig ſei, die zwei, auch wol drei Tage dauern koͤnne. Der Ort213 ſchien mir freundlich, die Gegend anmuthig und doch erſchrak ich nicht wenig uͤber den mir ge¬ drohten Aufenthalt. Warſt Du, guͤnſtiger Leſer! jemals genoͤthigt, in einer kleinen Stadt, wo Du niemanden niemanden kannteſt, wo Du jedem fremd bliebſt, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgend ein tiefer Schmerz den Drang nach gemuͤthlicher Mittheilung in Dir weggezehrt, ſo wirſt Du mein Unbehagen mit mir fuͤhlen. In dem Wort geht ja erſt der Geiſt des Lebens auf in Allem um uns her; aber die Kleinſtaͤdter ſind wie ein in ſich ſelbſt veruͤbtes, abgeſchloſſenes Orcheſter eingeſpielt und eingeſungen, nur ihre eignen Stuͤcke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden diſſonirt ihren Ohren und bringt ſie augenblicklich zum Schweigen. Recht mißlau¬ nig ſchritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir ploͤtzlich ein, daß ein Freund in der Heimath, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. geweſen, oft von einem gelehrten geiſtrei¬ chen Manne ſprach, mit dem er damals viel um¬214 gegangen. Auch des Namens erinnerte ich mich: es war der Profeſſor im Jeſuiter-Collegio Aloy¬ ſius Walter. Ich beſchloß hinzugehen und meines Freundes Bekanntſchaft fuͤr mich ſelbſt zu nutzen. Man ſagte mir im Collegio, daß Pro¬ feſſor Walter zwar eben leſe, aber in kurzer Zeit endigen werde, und ſtellte mir frei, ob ich wiederkommen, oder in den aͤußeren Saͤlen ver¬ weilen wolle. Ich waͤhlte das letzte. Ueberall ſind die Kloͤſter, die Collegien, die Kirchen der Jeſuiten in jenem italieniſchen Styl gebaut, der auf antike Form und Manier geſtuͤtzt, die An¬ muth und Pracht dem heiligen Ernſt, der reli¬ gioͤſen Wuͤrde vorzieht. So waren auch hier die hohen, luftigen, hellen Saͤle mit reicher Architek¬ tur geſchmuͤckt, und ſonderbar genug ſtachen gegen Heiligenbilder, die hie und da an den Waͤnden zwiſchen ioniſchen Saͤulen hingen, die Superporten ab, welche durchgehends Genientaͤnze, oder gar Fruͤchte und Leckerbiſſen der Kuͤche darſtellten. Der Profeſſor trat ein, ich erinnerte ihn an215 meinen Freund, und nahm auf die Zeit meines gezwungenen Aufenthalts ſeine Gaſtlichkeit in Anſpruch. Ganz, wie ihn mein Freund beſchrie¬ ben, fand ich den Profeſſor; hellgeſpraͤchig weltgewandt kurz, ganz in der Manier des hoͤheren Geiſtlichen, der wiſſenſchaftlich ausgebil¬ det, oft genug uͤber das Brevier hinweg in das Leben geſchaut hat, um genau zu wiſſen, wie es darin hergeht. Als ich ſein Zimmer auch mit moderner Eleganz eingerichtet fand, kam ich auf meine vorigen Bemerkungen in den Saͤlen zu¬ ruͤck, die ich gegen den Profeſſor laut werden ließ. Es iſt wahr, erwiederte er, wir haben jenen duͤſtern Ernſt, jene ſonderbare Majeſtaͤt des niederſchmetternden Tyrannen, die im gothiſchen Bau unſere Bruſt beklemmt, ja wol ein unheimli¬ ches Grauen erregt, aus unſeren Gebaͤuden ver¬ bannt, und es iſt wol verdienſtlich, unſern Werken die regſame Heiterkeit der Alten anzueignen. Sollte aber, erwiederte ich, nicht eben jene hei¬ lige Wuͤrde, jene hohe zum Himmel ſtrebende Ma¬216 jeſtaͤt des gothiſchen Baues recht von dem wahren Geiſt des Chriſtenthums erzeugt ſeyn, der, uͤber¬ ſinnlich, dem ſinnlichen, nur in dem Kreis des Irdiſchen bleibenden Geiſte der antiken Welt ge¬ radezu widerſtrebt? Der Profeſſor laͤchelte. Ei, ſprach er, das hoͤhere Reich ſoll man erkennen in dieſer Welt und dieſe Erkenntniß darf geweckt werden durch heitere Symbole, wie ſie das Leben, ja der aus jenem Reich ins irdi¬ ſche Leben herabgekommene Geiſt, darbietet. Un¬ ſere Heimath iſt wohl dort droben; aber ſo lange wir hier hauſen, iſt unſer Reich auch von dieſer Welt. Ja wohl, dachte ich: in Allem was Ihr thatet, bewieſet ihr, daß Euer Reich von dieſer Welt, ja nur allein von dieſer Welt iſt. Ich ſagte aber das, was ich dachte, keinesweges dem Profeſſor Aloyſius Walter, welcher alſo fortfuhr: Was Sie von der Pracht unſerer Gebaͤude hier am Orte ſagen, moͤchte ſich wol nur auf die Annehmlichkeit der Form beziehen. Hier, wo der Marmor unerſchwinglich iſt, wo217 große Meiſter der Mahlerkunſt nicht arbeiten moͤgen, hat man ſich, der neuern Tendenz gemaͤß, mit Surrogaten behelfen muͤſſen. Wir thun viel, wenn wir uns zum polirten Gips verſteigen, meh¬ rentheils ſchafft nur der Mahler die verſchiedenen Marmorarten, wie es eben jetzt in unſerer Kirche geſchieht, die, Dank ſei es der Freigebigkeit un¬ ſerer Patronen, neu dekorirt wird. Ich aͤußerte den Wunſch, die Kirche zu ſehen; der Profeſſor fuͤhrte mich hinab, und als ich in den korinthi¬ ſchen Saͤulengang, der das Schiff der Kirche formte, eintrat, fuͤhlte ich wohl den nur zu freundlichen Eindruck der zierlichen Verhaͤltniſſe. Dem Hochaltare links war ein hohes Geruͤſte er¬ richtet, auf dem ein Mann ſtand, der die Waͤnde in Giallo antik uͤbermahlte. Nun wie geht es, Berthold? rief der Profeſſor hinauf. Der Mahler wandte ſich nach uns um, aber gleich fuhr er wieder fort zu arbeiten, indem er mit dumpfer beinahe unvernehmbarer Stimme ſprach: Viel Plage krummes verworrenes Zeug 218 Kein Lineal zu brauchen Thiere Affen Menſchengeſichter Menſchengeſichter o ich elender Thor! Das letzte rief er laut mit einer Stimme, die nur der tiefſte im Innerſten wuͤh¬ lende Schmerz erzeugt; ich fuͤhlte mich auf die ſeltſamſte Weiſe angeregt, jene Worte und der Ausdruck des Geſichts, der Blick, womit er zuvor den Profeſſor anſchaute, brachten mir das ganze zerriſſene Leben eines ungluͤcklichen Kuͤnſtlers vor Augen. Der Mann mochte kaum uͤber vierzig Jahr alt ſeyn; ſeine Geſtalt, war ſie auch durch den unfoͤrmlichen ſchmutzigen Mahleranzug ent¬ ſtellt, hatte was unbeſchreiblich edles, und der tiefe Gram konnte nur das Geſicht entfaͤrben, das Feuer, was in den ſchwarzen Augen ſtrahlte, aber nicht ausloͤſchen. Ich frug den Profeſſor, was es mit dem Maler wol fuͤr eine Bewandt¬ niß haͤtte. Es iſt ein fremder Kuͤnſtler, er¬ wiederte er, der ſich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur der Kirche beſchloſſen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm219 antrugen, mit Freuden, und in der That war ſeine Ankunft ein Gluͤcksfall fuͤr uns; denn weder hier, noch in der Gegend weit umher haͤtten wir einen Mahler auftreiben koͤnnen, der fuͤr alles, deſſen es hier zu mahlen bedarf, ſo tuͤchtig gewe¬ ſen waͤre. Uebrigens iſt es der gutmuͤthigſte Menſch von der Welt, den wir alle recht lieben, und ſo kommt es denn, daß er in unſerm Colle¬ gio gut aufgenommen wurde. Außer dem an¬ ſehnlichen Honorar, das er fuͤr ſeine Arbeit erhaͤlt, verkoͤſtigen wir ihn; dies iſt aber fuͤr uns ein ſehr geringer Aufwand, denn er iſt beinahe zu maͤßig, welches freilich ſeinem kraͤnklichen Koͤrper zuſagen mag.

Aber, fiel ich ein, er ſchien heute ſo muͤr¬ riſch ſo aufgeregt. Das hat ſeine beſondere Urſache, erwiederte der Profeſſor, doch laſſen Sie uns einige ſchoͤne Gemaͤhlde der Seiten-Al¬ taͤre anſchauen, die vor einiger Zeit ein gluͤckli¬ cher Zufall uns verſchaffte. Nur ein einziges Original, ein Dominichino, iſt dabei, die anderen220 ſind von unbekannten Meiſtern der italieniſchen Schule, aber, ſind Sie vorurtheilsfrei, ſo werden Sie geſtehen muͤſſen, daß jedes den beruͤhmteſten Namen tragen duͤrfte. Ich fand es ganz ſo, wie der Profeſſor geſagt hatte. Es war ſeltſam, daß das einzige Original gerade zu den ſchwaͤchern Stuͤcken gehoͤrte, war es nicht wirklich das ſchwaͤchſte, und daß dagegen die Schoͤnheit man¬ cher Gemaͤhlde ohne Namen mich unwiderſtehlich hinriß. Ueber das Gemaͤhlde eines Altars war eine Decke herabgelaſſen; ich frug nach der Ur¬ ſache. Dies Bild, ſprach der Profeſſor, iſt das ſchoͤnſte was wir beſitzen, es iſt das Werk eines jungen Kuͤnſtlers der neueren Zeit gewiß ſein letztes, denn ſein Flug iſt gehemmt Wir mußten in dieſen Tagen das Gemaͤhlde aus ge¬ wiſſen Gruͤnden verhaͤngen laſſen, doch bin ich vielleicht morgen, oder uͤbermorgen im Stande, es Ihnen zu zeigen. Ich wollte weiter fragen, indeſſen ſchritt der Profeſſor raſch durch den Gang fort, und das war genug, um ſeine Unluſt zu221 zeigen, mir weiter zu antworten. Wir gingen in das Collegium zuruͤck, und gern nahm ich des Profeſſors Einladung an, der mit mir Nachmit¬ tags einen nahgelegenen Luſtort beſuchen wollte. Spaͤt kehrten wir heim, ein Gewitter war auf¬ geſtiegen, und kaum langte ich in meiner Woh¬ nung an, als der Regen herabſtroͤmte. Es mochte wol ſchon Mitternacht ſeyn, da klaͤrte ſich der Himmel auf, und nur noch entfernt mur¬ melte der Donner. Durch die geoͤffneten Fenſter wehte die laue, mit Wohlgeruͤchen geſchwaͤngerte, Luft in das dumpfe Zimmer, ich konnte der Ver¬ ſuchung nicht widerſtehen, unerachtet ich muͤde genug war, noch einen Gang zu machen; es gluͤckte mir, den muͤrriſchen Hausknecht, der ſchon ſeit zwei Stunden ſchnarchen mochte, zu erwecken, und ihn zu bedeuten, daß es kein Wahnſinn ſei, noch um Mitternacht ſpatzieren zu gehen, bald befand ich mich auf der Straße. Als ich bei der Je¬ ſuiterkirche voruͤberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch ein Fenſter ſtrahlte. Die222 kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, daß vor einer hohen Blende eine Wachsfackel brannte. Naͤher gekom¬ men bemerkte ich, daß vor der Blende ein Netz von Bindfaden aufgeſpannt war, hinter dem eine dunkle Geſtalt eine Leiter hinauf und hinunter ſprang, und in die Blende etwas hineinzuzeichnen ſchien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes mit ſchwarzer Farbe genau uͤberzog. Neben der Leiter auf einer hohen Staffelei ſtand die Zeichnung eines Altars. Ich erſtaunte uͤber den ſinnreichen Einfall. Biſt Du, guͤnſtiger Le¬ ſer, mit der edlen Mahlerkunſt was weniges vertraut, ſo wirſt Du ohne weitere Erklaͤrung ſogleich wiſſen, was es mit dem Netz, deſſen Schattenſtriche Berthold in die Blende hinein¬ zeichnete, fuͤr eine Bewandtniß hat. Berthold ſollte in die Blende einen hervorſpringenden Altar mahlen. Um die kleine Zeichnung richtig in das Große zu uͤbertragen, mußte er beides, den Ent¬ wurf und die Flaͤche, worauf der Entwurf aus¬223 gefuͤhrt werden ſollte, dem gewoͤhnlichen Verfahren gemaͤß mit einem Netz uͤberziehn. Nun war es aber keine Flaͤche, ſondern eine halbrunde Blende, wor¬ auf gemahlt werden ſollte; die Gleichung der Qua¬ drate, die die krummen Linien des Netzes auf der Hoͤlung bildeten, mit den geraden des Ent¬ wurfs und die Berichtigung der architektoniſchen Verhaͤltniſſe, die ſich herausſpringend darſtellen ſollten, war daher nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weiſe. Wol huͤtete ich mich vor die Fackel zu treten, und mich ſo durch mei¬ nen Schlagſchatten zu verrathen, aber nahe ge¬ nug zur Seite ſtand ich, um den Mahler genau zu beobachten. Er ſchien mir ganz ein anderer, vielleicht war es nur Wirkung des Fackelſcheins, aber ſein Geſicht war geroͤthet, ſeine Augen blitz¬ ten wie vor innerm Wohlbehagen, und als er ſeine Linien fertig gezeichnet, ſtellte er ſich mit in die Seite geſtemmten Haͤnden vor die Blende hin, und pfiff, die Arbeit beſchauend, ein mun¬ tres Liedchen. Nun wandte er ſich um und riß224 das aufgeſpannte Netz herunter. Da fiel ihm meine Geſtalt ins Auge, he da! he da! rief er laut: ſeid ihr es Chriſtian? Ich trat auf ihn zu, erklaͤrte ihm was mich in die Kirche gelockt, und, den ſinnreichen Einfall mit dem Schattennetz hochpreiſend, gab ich mich als Ken¬ ner und Ausuͤber der edlen Mahlerkunſt zu er¬ kennen. Ohne mir darauf weiter zu antworten, ſprach Berthold: Chriſtian iſt auch wei¬ ter nichts, als ein Faulenzer; treu wollte er aus¬ halten bei mir die ganze Nacht hindurch, und nun liegt er gewiß irgendwo auf dem Ohr! Mein Werk muß vorruͤcken, denn morgen mahlt ſich's vielleicht hier in der Blende teufelmaͤßig ſchlecht und allein kann ich doch jetzt nichts machen. Ich erbot mich ihm behuͤlflich zu ſeyn. Er lachte laut auf, faßte mich bei beiden Schultern und rief: das iſt ein excellenter Spaß; was wird Chriſtian ſagen, wenn er morgen merkt, daß er ein Eſel iſt, und ich ſeiner gar nicht bedurft habe? Nun ſo kommt, fremder Geſelle und Bru¬der,225der, helft mir erſt fein bauen. Er zuͤndete einige Kerzen an, wir liefen durch die Kirche, ſchlepp¬ ten Boͤcke und Breter herbei und bald ſtand ein hohes Geruͤſt in der Blende. Nun friſch zu¬ gereicht, rief Berthold, indem er heraufſtieg. Ich erſtaunte uͤber die Schnelligkeit, mit der Bert¬ hold die Zeichnung ins Große uͤbertrug; keck zog er ſeine Linien, niemals gefehlt, immer richtig und rein. An dergleichen Dinge in fruͤherer Zeit gewoͤhnt, half ich dem Mahler treulich, in¬ dem ich, bald oben, bald unter ihm ſtehend, die langen Lineale in die angedeuteten Punkte ein¬ ſetzte und feſthielt, die Kohlen ſpitz ſchliff und ihm zureichte u. ſ. w. Ihr ſeid ja gar ein wackerer Gehuͤlfe, rief Berthold ganz froͤhlich, und Ihr, erwiederte ich, in der That einer der geuͤbteſten Architektur-Mahler, die es geben mag; habt Ihr denn bei Eurer fertigen kecken Fauſt nie andere Mahlerei getrieben, als dieſe? Verzeiht meine Frage. Was meint Ihr denn eigentlich? ſprach Berthold. Nun, erwiederteP226ich, ich meine, daß ihr zu etwas beſſerem taugt, als Kirchenwaͤnde mit Marmorſaͤulen zu bemah¬ len. Architektur-Mahlerei bleibt doch immer et¬ was untergeordnetes; der Hiſtorien-Mahler, der Landſchafter ſteht unbedingt hoͤher. Geiſt und Fantaſie, nicht in die engen Schranken geome¬ triſcher Linien gebannt, erheben ſich in freiem Fluge. Selbſt das einzige Fantaſtiſche Eurer Mahlerei, die ſinnetaͤuſchende Perſpektive, haͤngt von genauer Berechnung ab, und ſo iſt die Wir¬ kung das Erzeugniß, nicht des genialen Gedan¬ kens, ſondern nur mathematiſcher Spekulation. Der Mahler hatte, waͤhrend ich dies ſprach, den Pinſel abgeſetzt, und den Kopf in die Hand geſtuͤtzt. Unbekannter Freund, fing er jetzt mit dumpfer feierlicher Stimme an: Unbekannter Freund, Du frevelſt, wenn Du die verſchiedenen Zweige der Kunſt in Rangordnung ſtellen willſt, wie die Vaſallen eines ſtolzen Koͤnigs. Und noch groͤßerer Frevel iſt es, wenn Du nur die Ver¬ wegenen achteſt, welche taub fuͤr das Klirren227 der Sclavenkette, fuͤhllos fuͤr den Druck des Ir¬ diſchen, ſich frei, ja ſelbſt ſich Gott waͤhnen und ſchaffen und herrſchen wollen uͤber Licht und Le¬ ben. Kennſt Du die Fabel von dem Prome¬ theus, der Schoͤpfer ſeyn wollte, und das Feuer vom Himmel ſtahl, um ſeine todten Figuren zu beleben? Es gelang ihm, lebendig ſchritten die Geſtalten daher, und aus ihren Augen ſtrahlte jenes himmliſche Feuer, das in ihrem Innern brannte; aber rettungslos wurde der Frevler, der ſich angemaßt Goͤttliches zu fahen, verdammt zu ewiger fuͤrchterlicher Qual. Die Bruſt, die das Goͤttliche geahnt, in der die Sehnſucht nach dem Ueberirdiſchen aufgegangen, zerfleiſchte der Geier, den die Rache geboren und der ſich nun naͤhrte von dem eignen Innern des Vermeſſenen. Der das Himmliſche gewollt, fuͤhlte ewig den irdiſchen Schmerz. Der Mahler ſtand in ſich verſunken da. Aber, rief ich: Aber Berthold, wie beziehen Sie das Alles auf Ihre Kunſt? Ich glaube nicht, daß irgendP 2228jemand es fuͤr vermeſſenen Frevel halten kann, Menſchen zu bilden, ſei es durch Mahlerei, oder Plaſtik. Wie in bitterm Hohn lachte Ber¬ thold auf: Ha ha Kinderſpiel iſt kein Fre¬ vel! Kinderſpiel iſt's wie Sie's machen, die Leute, die getroſt ihre Pinſel in die Farbentoͤpfe ſtecken und eine Leinwand beſchmieren, mit der wahrhaftigen Begier, Menſchen darzuſtellen; aber es kommt ſo heraus, als habe, wie es in jenem Trauerſpiele ſteht, irgend ein Handlanger der Natur verſucht Menſchen zu bilden, und es ſei ihm mißlungen. Das ſind keine freveliche Suͤnder, das ſind nur arme unſchuldige Narren! Aber Herr! wenn man nach dem Hoͤchſten ſtrebt nicht Fleiſchesluſt, wie Titian nein das Hoͤchſte der goͤttlichen Natur, der Prometheus¬ funken im Menſchen Herr! es iſt eine Klippe ein ſchmaler Strich, auf dem man ſteht der Abgrund iſt offen! uͤber ihm ſchwebt der kuͤhne Segler und ein teufliſcher Trug laͤßt ihn unten unten das erblicken, was er229 oben uͤber den Sternen erſchauen wollte! Tief ſeufzte der Mahler auf, er fuhr mit der Hand uͤber die Stirn, und blickte dann in die Hoͤhe. Aber was ſchwatze ich mit Euch, Geſelle, da drunten fuͤr tolles Zeug, und mahle nicht wei¬ ter? Schaut her Geſelle, das nenne ich treu und ehrlich gezeichnet. Wie herrlich iſt die Re¬ gel! alle Linien einen ſich zum beſtimmten Zweck, zu beſtimmter deutlich gedachter Wirkung. Nur das Gemeſſene iſt rein menſchlich; was druͤ¬ ber geht, vom Uebel. Das Uebermenſchliche muß Gott, oder Teufel ſeyn; ſollten beide nicht in der Mathematik von Menſchen uͤbertroffen werden? Sollt 'es nicht denkbar ſeyn, daß Gott uns aus¬ druͤcklich erſchaffen haͤtte, um das, was nach ge¬ meſſenen erkennbaren Regeln darzuſtellen iſt, kurz, das rein Commenſurable, zu beſorgen fuͤr ſeinen Hausbedarf, ſo wie wir unſrerſeits wieder Saͤge¬ muͤhlen und Spinnmaſchinen bauen, als mecha¬ niſche Werkmeiſter unſeres Bedarfs. Profeſſor Walther behauptete neulich, daß gewiſſe Thiere230 blos erſchaffen waͤren, um von andern gefreſſen zu werden, und das kaͤme doch am Ende zu un¬ ſerm Nutzen heraus, ſo wie z. B. die Katzen den angebornen Inſtinkt haͤtten, Maͤuſe zu freſſen, damit dieſe uns nicht den Zucker, der zum Fruͤh¬ ſtuͤck bereit laͤge, wegknappern ſollten. Am Ende hat der Profeſſor Recht Thiere und wir ſelbſt ſind gut eingerichtete Maſchinen, um gewiſſe Stoffe zu verarbeiten, und zu verkneten fuͤr den Tiſch des unbekannten Koͤnigs Nun friſch friſch, Geſelle reiche mir die Toͤpfe! Alle Toͤne hab' ich geſtern beim lieben Sonnenlicht abgeſtimmt, damit mich der Fackelſchein nicht truͤge, ſie ſtehn numerirt im Winkel. Reich 'mir Nu¬ mero eins, mein Junge! Grau in Grau! Und was waͤre das trockne muͤhſelige Leben, wenn der Herr des Himmels uns nicht ſo manches bunte Spielzeug in die Haͤnde gegeben haͤtte! Wer artig iſt, trachtet nicht, wie der neugierige Bube, den Kaſten zu zerbrechen, in dem es orgelt, wenn er die aͤußere Schraube dreht. Man231 ſagt, es iſt ganz natuͤrlich, daß es drinnen klingt; denn ich drehe ja die Schraube! Indem ich dies Gebaͤlk richtig aus dem Augenpunkt aufge¬ zeichnet, weiß ich beſtimmt, daß es ſich dem Be¬ ſchauer plaſtiſch darſtellt Numero zwei herauf¬ gereicht, Junge! Nun mahle ich es aus in den regelrecht abgeſtimmten Farben es erſcheint vier Ellen zuruͤcktretend. Das weiß ich alles ge¬ wiß; o! man iſt erſtaunlich klug Wie kommt es, daß die Gegenſtaͤnde in der Ferne ſich ver¬ kleinern? Die einzige dumme Frage eines Chineſen koͤnnte ſelbſt den Profeſſor Eytelwein in Ver¬ legenheit ſetzen; doch koͤnnte er ſich mit dem or¬ gelnden Kaſten helfen und ſprechen, er habe manchmal an der Schraube gedreht, und immer dieſelbe Wirkung erfahren Violett Numero eins, Junge! ein anderes Lineal dicken ausgewaſchenen Pinſel! Ach, was iſt all' unſer Ringen und Streben nach dem Hoͤheren anderes, als das unbeholfene bewußtloſe Handthieren des Saͤuglings, der die Amme verletzt, die ihn wohl¬232 thaͤtig naͤhrt! Violett Numero zwei friſch Junge! das Ideal iſt ein ſchnoͤder luͤgneriſcher Traum vom gaͤhrenden Blute erzeugt. Die Toͤpfe weg, Junge ich ſteige herab. Der Teufel narrt uns mit Puppen, denen er Engels¬ fittige angeleimt. Nicht moͤglich iſt es mir, alles das woͤrtlich zu wiederholen, was Ber¬ thold ſprach, indem er raſch fortmahlte, und mich ganz wie ſeinen Handlanger brauchte. In der angegebenen Manier fuhr er fort, die Beſchraͤnkt¬ heit alles irdiſchen Beginnens auf das bitterſte zu verhoͤhnen; ach er ſchaute in die Tiefe eines auf den Tod verwundeten Gemuͤths, deſſen Klage ſich nur in ſchneidender Ironie erhebt. Der Mor¬ gen daͤmmerte, der Schein der Fackel verblaßte vor den hereinbrechenden Sonnenſtrahlen. Ber¬ thold mahlte eifrig fort, aber er wurde ſtiller und ſtiller und nur einzelne Laute zuletzt nur Seuf¬ zer, entflohen der gepreßten Bruſt. Er hatte den ganzen Altar mit gehoͤriger Farbenabſtufung an¬ gelegt, und ſchon jetzt, ohne weiter ausgefuͤhrt zu233 ſeyn, ſprang das Gemaͤhlde wunderbar hervor. In der That herrlich ganz herrlich, rief ich voll Bewunderung aus. Meinen Sie, ſprach Berthold mit matter Stimme: Meinen Sie, daß etwas daraus werden wird? Ich gab mir wenigſtens alle Muͤhe richtig zu zeichnen; aber nun kann ich nicht mehr. Keinen Pinſelſtrich weiter, lieber Berthold! ſprach ich: es iſt beinahe unglaublich, wie Sie mit einem ſolchen Werk in wenigen Stunden ſo weit vorruͤcken konnten; aber Sie greifen Sich zu ſehr an, und verſchwenden Ihre Kraft. Und doch, erwiederte Berthold, ſind das meine gluͤcklich¬ ſten Stunden. Vielleicht ſchwazte ich zu viel, aber es ſind ja nur Worte, in die ſich der das Innere zerreiſſende Schmerz aufloͤſt. Sie ſchei¬ nen Sich ſehr ungluͤcklich zu fuͤhlen, mein armer Freund, ſprach ich: irgend ein furchtbares Er¬ eigniß trat feindlich zerſtoͤrend in ihr Leben! Der Mahler trug langſam ſeine Geraͤthſchaften in die Capelle, loͤſchte die Fackel aus, kam dann234 auf mich zu, faßte meine Hand und ſprach mit gebrochener Stimme: Koͤnnten Sie einen Augen¬ blick ihres Lebens ruhigen, heitern Geiſtes ſeyn, wenn Sie Sich eines graͤßlichen, nie zu ſuͤhnen¬ den Verbrechens bewußt waͤren? Erſtarrt blieb ich ſtehen. Die hellen Sonnenſtrahlen fielen in des Mahlers leichenblaſſes zerſtoͤrtes Geſicht, und er war beinahe geſpenſtiſch anzuſehen, als er fort¬ wankte durch die kleine Pforte in das Innere des Collegiums.

Kaum erwarten konnte ich am folgenden Tage die Stunde, die mir Profeſſor Walther zum Wiederſehen beſtimmt hatte. Ich erzaͤhlte ihm den ganzen Auftritt der vorigen Nacht, der mich nicht wenig aufgeregt hatte; ich ſchilderte mit den lebendigſten Farben des Mahlers wunderliches Benehmen, und verſchwieg kein Wort, das er ge¬ ſprochen, ſelbſt das nicht, was ihn ſelbſt betroffen. Je mehr ich aber auf des Profeſſors Theilnahme hoffte, deſto gleichguͤltiger ſchien er mir, ja er laͤchelte ſelbſt uͤber mich auf eine hoͤchſt widrige235 Weiſe, als ich nicht nachließ, von Berthold zu reden und in ihn zu dringen, mir ja alles, was er von dem Ungluͤcklichen wuͤßte, zu ſagen. Es iſt ein wunderlicher Menſch, dieſer Mahler, fing der Profeſſor an: ſanft gutmuͤthig arbeit¬ ſam nuͤchtern, wie ich Ihnen ſchon fruͤher ſagte, aber ſchwachen Verſtandes; denn ſonſt haͤtte er ſich nicht durch irgend ein Ereigniß im Leben, ſei es ſelbſt ein Verbrechen, das er beging, herab¬ ſtimmen laſſen vom herrlichen Hiſtorienmahler zum duͤrftigen Wandpinsler. Der Ausdruck Wandpinsler aͤrgerte mich ſo wie des Profeſſors Gleichguͤltigkeit uͤberhaupt. Ich ſuchte ihm darzu¬ thun, daß noch jetzt Berthold ein hoͤchſt ach¬ tungswerther Kuͤnſtler, und der hoͤchſten regſa¬ men Theilnahme werth ſei. Nun, fing der Profeſſor endlich an: wenn Sie einmal unſer Berthold in ſolch hohem Grade intereſſirt, ſo ſollen Sie Alles, was ich von ihm weiß, und das iſt nicht wenig, ganz genau erfahren. Zur Einleitung deſſen, laſſen Sie uns gleich in die236 Kirche gehen! Da Berthold die ganze Nacht hindurch mit Anſtrengung gearbeitet hat, wird er heute Vormittags raſten. Wenn wir ihn in der Kirche faͤnden, waͤre mein Zweck verfehlt. Wir gingen nach der Kirche, der Profeſſor ließ das Tuch von dem verhaͤngten Gemaͤhlde herun¬ ternehmen und in zauberiſchem Glanze ging vor mir ein Gemaͤhlde auf, wie ich es nie geſehen. Die Compoſition war wie Raphaels Styl, einfach und himmliſch erhaben! Maria und Eliſabeth in einem ſchoͤnen Garten auf einem Raſen ſitzend, vor ihnen die Kinder Johannes und Chriſtus mit Blumen ſpielend, im Hintergrunde ſeitwaͤrts eine betende maͤnnliche Figur! Maria's holdes himmliſches Geſicht, die Hoheit und Froͤmmigkeit ihrer ganzen Figur erfuͤllten mich mit Staunen und tiefer Bewunderung. Sie war ſchoͤn, ſchoͤ¬ ner als je ein Weib auf Erden, aber ſo wie Ra¬ phaels Maria in der Dresdner Gallerie ver¬ kuͤndete ihr Blick die hoͤhere Macht der Gottes - Mutter. Ach! mußte vor dieſen wunderbaren,237 von tiefem Schatten umfloſſenen Augen nicht in des Menſchen Bruſt die ewigduͤrſtende Sehnſucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoͤffneten Lippen nicht troͤſtend, wie in holden Engels Me¬ lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬ mels? Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der Himmels Koͤnigin, trieb mich ein un¬ beſchreibliches Gefuͤhl keines Wortes maͤchtig konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgefuͤhrt, an der Figur Eliſabeths ſchien die letzte Hand zu fehlen, und der betende Mann war noch nicht uͤbermahlt. Naͤher getreten erkannte ich in dem Geſicht die¬ ſes Mannes Berthold's Zuͤge. Ich ahnte, was mir der Profeſſor gleich darauf ſagte: Die¬ ſes Bild, ſprach er, iſt Berthold's letzte Ar¬ beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in Oberſchleſien, wo es von einem unſerer Collegen in einer Verſteigerung gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet iſt, ließen wir es238 doch ſtatt des elenden Altarblatts, das ſonſt hier ſtand, einfuͤgen. Als Berthold angekom¬ men war und dies Gemaͤhlde erblickte, ſchrie er laut auf und ſtuͤrzte bewußtlos zu Boden. Nach¬ her vermied er ſorgfaͤltig, es anzublicken und ver¬ traute mir, daß es ſeine letzte Arbeit in dieſem Fache ſei. Ich hoffte ihn nach und nach zur Vollendung des Bildes zu uͤberreden, aber mit Entſetzen und Abſcheu wies er jeden Antrag der Art zuruͤck. Um ihn nur einigermaßen heiter und kraͤftig zu erhalten, mußte ich das Bild ver¬ haͤngen laſſen, ſo lange er in der Kirche arbeitet. Fiel es ihm nur von ungefaͤhr ins Auge, ſo lief er wie von unwiderſtehlicher Macht getrieben hin, warf ſich laut ſchluchzend nieder, bekam ſeinen Paroxysmus, und war auf mehrere Tage un¬ brauchbar. Armer armer ungluͤcklicher Mann! rief ich aus, welch 'eine Teufelsfauſt griff ſo grimmig zerſtoͤrend in dein Leben. O! ſprach der Profeſſor: die Hand ſammt dem Arm iſt ihm an den Leib gewachſen Ja ja! er239 ſelbſt war gewiß ſein eigner Daͤmon ſein Luzifer, der in ſein Leben mit der Hoͤllen¬ fackel hineinleuchtete. Wenigſtens geht das aus ſeinem Leben ſehr deutlich hervor. Ich bat den Profeſſor, mir doch nur jetzt gleich Alles zu ſagen, was er uͤber des ungluͤcklichen Mah¬ lers Leben wuͤßte. Das wuͤrde viel zu weit¬ laͤuftig ſeyn, und viel zu viel Athem koſten, erwiederte der Profeſſor. Verderben wir uns den heitern Tag nicht mit dem truͤben Zeuge! Laſſen Sie uns fruͤhſtuͤcken, und dann nach der Muͤhle gehen, wo uns ein tuͤchtig zubereitetes Mittags¬ mahl erwartet. Ich hoͤrte nicht auf, in den Profeſſor zu dringen, und nach vielem Hin - und Herreden kam es endlich heraus, daß gleich nach der Ankunft Berthold's ſich ein Juͤngling, der auf dem Collegio ſtudirte, mit voller Liebe an ihn anſchloß, daß dieſem Berthold nach und nach die Begebenheiten ſeines Lebens vertraute, die der junge Mann ſorglich aufſchrieb und dem Profeſſor Walther das Manuſcript uͤbergab. Es war. 240ſprach der Profeſſor: ſolch ein Enthuſiaſt, wie Sie, mein Herr, mit Ihrer Erlaubniß! Aber das Aufſchreiben der wunderlichen Begebenheiten des Mahlers diente ihm in der That zur treflichen Styluͤbung. Mit vieler Muͤhe erhielt ich von dem Profeſſor das Verſprechen, daß er mir Abends nach geendeter Luſtpartie das Manuſcript anver¬ trauen wolle. Sei es, daß es die geſpannte Neu¬ gierde war, oder war der Profeſſor wirklich ſelbſt daran Schuld, kurz, niemals hab' ich mehr Lan¬ geweile empfunden, als den Tag. Schon die Eiskaͤlte des Profeſſors Ruͤckſichts Bertholds war mir fatal; aber ſeine Geſpraͤche, die er mit den Collegen, die an dem Mahl Theil nahmen, fuͤhrte, uͤberzeugten mich, daß, trotz aller Gelehr¬ ſamkeit, aller Weltgewandtheit, ſein Sinn fuͤr's Hoͤhere gaͤnzlich verſchloſſen, und er der kraſſeſte Materialiſt war, den es geben konnte. Das Syſtem von dem freſſen und gefreſſen werden, wie es Berthold anfuͤhrte, hatte er wirklich adoptirt. Alles geiſtige Streben, Erfindungs¬Schoͤ¬241Schoͤpfungskraft leitete er aus gewiſſen Conjunc¬ turen der Eingeweide und des Magens her, und dabei kramte er noch mehr naͤrriſche abnorme Einfaͤlle aus. Er behauptete z. B. ſehr ernſt¬ haft, daß jeder Gedanke durch die Begattung zweier Faͤſerchen im menſchlichen Gehirne erzeugt wuͤrde. Ich begriff, auf welche Weiſe der Pro¬ feſſor mit ſolchen tollen Dingen den armen Ber¬ thold, der in verzweifelnder Ironie alle guͤnſtige Einwirkung des Hoͤheren anfocht, quaͤlen, und in die noch blutenden Wunden ſpitze Dolche einſetzen mußte. Endlich am Abend gab mir der Pro¬ feſſor ein paar beſchriebene Bogen mit den Wor¬ ten: Hier, lieber Enthuſiaſt, iſt das Studenten - Machwerk. Es iſt nicht uͤbel geſchrieben, aber hoͤchſt ſonderbar und wider alle Regel ruͤckt der Herr Verfaſſer, ohne es weiter anzudeuten, Reden des Mahlers woͤrtlich in der erſten Perſon ein. Uebrigens mache ich Ihnen mit dem Aufſatz, uͤber den ich von Amtswegen verfuͤgen kann, ein Geſchenk, da ich weiß, daß ſie kein Schriftſteller ſind. DerQ242Verfaſſer der Fantaſieſtuͤcke in Callots Manier haͤtte es eben nach ſeiner tollen Manier arg zu¬ geſchnitten und gleich drucken laſſen, welches ich nicht von ihnen zu erwarten habe.

Der Profeſſor Aloyſius Walther wußte nicht, daß er wirklich den reiſenden Enthuſiaſten vor ſich hatte, wiewol er es haͤtte merken koͤnnen, und ſo gebe ich Dir, mein guͤnſtiger Leſer! des Je¬ ſuiten Studenten kurze Erzaͤhlung von dem Mah¬ ler Berthold. Die Weiſe, wie er ſich mir zeigte, wird dadurch ganz erklaͤrt, und Du, o mein Leſer! wirſt dann auch gewahren, wie des Schickſals wunderliches Spiel uns oft zu verderb¬ lichem Irrthum treibt.

Laßt Euern Sohn nur getroſt nach Italien reiſen! Schon jetzt iſt er ein wackrer Kuͤnſtler, und es fehlt ihm hier in D. keinesweges an Ge¬ legenheit, nach den treflichſten Originalen jeder Art zu ſtudiren, aber dennoch darf er nicht hier bleiben. Das freie Kuͤnſtlerleben muß ihm in243 dem heitern Kunſtlande aufgehen, ſein Studium wird dort ſich erſt lebendig geſtalten, und den eignen Gedanken erzeugen. Das Copiren allein hilft ihm nun nichts mehr. Mehr Sonne muß die aufſprießende Pflanze erhalten, um zu gedei¬ hen und Bluͤth 'und Frucht zu tragen. Euer Sohn hat ein reines wahrhaftiges Kuͤnſtlergemuͤth, darum ſeid um Alles Uebrige unbeſorgt. So ſprach der alte Mahler Stephan Birkner zu Bertholds Aeltern. Die rafften alles zuſam¬ men was ihr duͤrftiger Haushalt entbehren konn¬ te, und ſtatteten den Juͤngling aus zur langen Reiſe. So ward Bertholds heißeſter Wunſch, nach Italien zu gehen, erfuͤllt.

Als mir Birkner den Entſchluß meiner Aeltern verkuͤndete, ſprang ich hoch auf vor Freu¬ de und Entzuͤcken. Wie im Traum ging ich umher die Tage hindurch, bis zu meiner Abreiſe. Es war mir nicht moͤglich, auf der Gallerie einen Pinſel anzuſetzen. Der Inſpektor, alle Kuͤnſtler, die in Italien geweſen, mußten mir erzaͤhlen vonQ 2244dem Lande, wo die Kunſt gedeiht. Endlich war Tag und Stunde gekommen. Schmerzlich war der Abſchied von den Aeltern, die von duͤſtrer Ahnung gequaͤlt, daß ſie mich nicht wieder¬ ſehen wuͤrden, mich nicht laſſen wollten. Selbſt der Vater, ſonſt ein entſchloſſener feſter Mann, hatte Muͤhe, Faſſung zu erringen. Italien Italien wirſt Du ſehen, riefen die Kunſtbruͤder, da loderte von tiefer Wehmuth nur ſtaͤrker entzuͤndet das Verlangen auf und raſch ſchritt ich fort vor der Aeltern Hauſe ſchien mir die Bahn des Kuͤnſtlers zu beginnen.

Berthold, in jedem Fache der Mahlerei vorbe¬ reitet, hatte ſich doch vorzuͤglich der Landſchaftsmah¬ lerei ergeben, die er mit Liebe und Eifer trieb. In Rom glaubte er reiche Nahrung fuͤr dieſen Zweig der Kunſt zu finden; es war dem nicht ſo. Ge¬ rade in dem Kreis der Kuͤnſtler und Kunſtfreunde, in dem er ſich bewegte, wurde ihm unaufhoͤrlich vorgeredet, daß der Hiſtorienmahler allein auf der hoͤchſten Spitze ſtehe, und ihm Alles Uebrige245 untergeordnet ſey. Man rieth ihm, wolle er ein bedeutender Kuͤnſtler werden, doch nur gleich von ſeinem Fach abzugehen und ſich dem Hoͤheren zu¬ zuwenden, und, dies, verbunden mit dem nie ſonſt gefuͤhlten Eindruck, den Raphaels maͤchtige Fresko - Gemaͤhlde im Vatikan auf ihn machten, beſtimm¬ te ihn wirklich, die Landſchaft zu verlaſſen. Er zeichnete nach jenen Raphaels, er kopirte kleine Oelgemaͤlde anderer beruͤhmter Meiſter; alles fiel bei ſeiner tuͤchtigen Praktik recht wohl und ſchicklich aus, aber nur zu ſehr fuͤhlte er, daß das Lob der Kuͤnſtler und Kenner ihn nur troͤ¬ ſten, aufmuntern ſollte. Er ſah es ja ſelbſt, daß ſeinen Zeichnungen, ſeinen Copien alles Leben des Originals fehle. Raphael's, Correggio's himmliſche Gedanken begeiſterten (ſo glaubte er) zum eignen Schaffen, aber ſo wie er ſie in der Fantaſie feſt halten wollte, verſchwammen ſie wie im Nebel, und alles, was er auswendig zeichnete, hatte, wie jedes nur undeutlich, verworren Ge¬ dachte, kein Regen, keine Bedeutung. Ueber246 dieſes vergebliche Ringen und Streben ſchlich truͤber Unmuth in ſeine Seele, und oft entrann er den Freunden, um in der Gegend von Rom Baumgruppen einzelne landſchaftliche Partien heimlich zu zeichnen und zu mahlen. Aber auch dies gerieth nicht mehr wie ſonſt, und zum erſten¬ mal zweifelte er an ſeinem wahren Kuͤnſtlerberuf. Die ſchoͤnſten Hoffnungen ſchienen untergehn zu wollen. Ach mein hochverehrter Freund und Lehrer, ſchrieb Berthold an Birkner, Du haſt mir Großes zugetraut, aber hier, wo es erſt recht licht werden ſollte in meiner Seele, bin ich inne worden, daß das, was Du wahr¬ haftes Kuͤnſtlergenie nannteſt, nur etwa Talent aͤußere Fertigkeit der Hand war. Sage meinen Aeltern, daß ich bald zuruͤckkehren wuͤrde, um irgend ein Handwerk zu erlernen, das mich kuͤnf¬ tig ernaͤhre u. ſ. w. Birkner ſchrieb zuruͤck: O, koͤnnte ich doch bei Dir ſeyn, mein Sohn! um Dich aufzurichten in Deinem Unmuth. Aber glaube mir, Deine Zweifel ſind es gerade, die247 fuͤr Dich, fuͤr Deinen Kuͤnſtlerberuf ſprechen. Der, welcher in ſtetem unwandelbaren Vertrauen auf ſeine Kraft immer fortzuſchreiten gedenkt, iſt ein bloͤder Thor, der ſich ſelbſt taͤuſcht; denn ihm fehlt ja der eigentliche Impuls zum Streben, der nur in dem Gedanken der Mangelhaftigkeit ruht. Harre aus! Bald wirſt Du Dich erkraͤftigen, und dann ruhig, nicht durch das Urtheil, durch den Rath der Freunde, die Dich zu verſtehen vielleicht gar nicht im Stande, gezuͤgelt, den Weg fortwandeln, den Dir Deines Ichs eigne Natur vorgeſchrieben. Ob Du Landſchafter blei¬ ben, ob Du Hiſtorienmahler werden willſt, wirſt Du dann ſelbſt entſcheiden koͤnnen, und an keine feindliche Abſonderung der Zweige eines Stam¬ mes denken.

Es begab ſich, daß gerade zu der Zeit, als Berthold dieſen troͤſtenden Brief von ſeinem alten Lehrer und Freunde erhielt, ſich Philipp Hackert's Ruhm in Rom verbreitet hatte. Einige von ihm dort aufgeſtellte Stuͤcke von wunderbarer248 Anmuth und Klarheit bewaͤhrten des Kuͤnſtlers Ruf und ſelbſt die Hiſtorienmahler geſtanden, es laͤge auch in dieſer reinen Nachahmung der Na¬ tur viel Großes und Vortreffliches. Berthold ſchoͤpfte Athem er hoͤrte nicht mehr ſeine Lieb¬ lingskunſt verhoͤhnen, er ſah einen Mann, der ſie trieb, hochgeſtellt und verehrt; wie ein Funke fiel es in ſeine Seele, daß er nach Neapel wandern und unter Hackert ſtudiren muͤſſe. Ganz jubilirend ſchrieb er an Birkner und an ſeine Aeltern, daß er nun nach hartem Kampf den rechten Weg gefunden habe, und bald in ſei¬ nem Fach ein tuͤchtiger Kuͤnſtler zu werden hoffe. Freundlich nahm der ehrliche deutſche Hackert den deutſchen Schuͤler auf, und bald ſtrebte dieſer dem Lehrer in regem Schwunge nach. Bert¬ hold erlangte große Fertigkeit, die verſchiedenen Baum - und Geſtraͤucharten der Natur getreu dar¬ zuſtellen; auch leiſtete er nicht Geringes in dem Dunſtigen und Duftigen, wie es auf Hackert¬ ſchen Gemaͤhlden zu finden. Das erwarb ihm vieles249 Lob, aber auf ganz eigene Weiſe ſchien es ihm bisweilen, als wenn ſeinen, ja ſelbſt den Land¬ ſchaften des Lehrers etwas fehle, das er nicht zu nennen wußte, und das ihm doch in Gemaͤhlden Claude Lorrains, ja ſelbſt in Salvator Roſa's rauhen Wuͤſteneien entgegentrat. Es erhoben ſich allerlei Zweifel gegen den Lehrer in ihm, und er wurde vorzuͤglich ganz unmuthig, wenn Hackert mit angeſtrengter Muͤhe todtes Wild mahlte, das ihm der Koͤnig zugeſchickt. Doch uͤberwand er bald dergleichen, wie er glaub¬ te, freveliche Gedanken und fuhr fort, mit from¬ mer Hingebung und deutſchem Fleiß nach ſeines Lehrers Muſter zu arbeiten, ſo daß er in kurzer Zeit es ihm beinahe gleich that. So kam es denn, daß er auf Hackerts ausdruͤcklichen An¬ laß eine große Landſchaft, die er treu nach der Natur gemahlt hatte, zu einer Ausſtellung, die mehrentheils aus Hackertſchen Landſchaften und Stilleben beſtand, hergeben mußte. Alle Kuͤnſt¬ ler und Kenner bewunderten des Juͤnglings treue250 ſaubre Arbeit und prieſen ihn laut. Nur ein aͤltlicher, ſonderbar gekleideter Mann ſagte ſelbſt zu Hackerts Gemaͤhlden kein Wort, ſondern laͤchelte nur bedeutſam, wenn die Lobeserhebun¬ gen der Menge recht ausgelaſſen und toll daher brauſten. Berthold bemerkte deutlich, wie der Fremde, als er vor ſeiner Landſchaft ſtand, mit einer Miene des tiefſten Bedauerns den Kopf ſchuͤttelte und dann ſich entfernen wollte. Ber¬ thold etwas aufgeblaͤht durch das allgemeine Lob, das ihm zu Theil geworden, konnte ſich des innern Aergers uͤber den Fremden nicht erwehren. Er trat auf ihn zu und frug, indem er die Worte ſchaͤrfer betonte, als gerade noͤthig. Ihr ſcheint mit dem Bilde nicht zufrieden, mein Herr, un¬ erachtet es doch wackre Kuͤnſtler und Kenner nicht ganz uͤbel finden wollen? Sagt mir ge¬ faͤlligſt, woran es liegt, damit ich die Fehler nach Euerm guͤtigen Rath abaͤndere und beſſere. Mit ſcharfem Blicke ſchaute der Fremde Berthold an, und ſprach ſehr ernſt: Juͤngling, aus Dir haͤtte251 viel werden koͤnnen. Berthold erſchrak bis ins Innerſte vor des Mannes Blick und ſeinen Wor¬ ten; er hatte nicht den Muth, etwas weiter zu ſagen, oder ihm zu folgen, als er langſam zum Saale hinausſchritt. Hackert trat bald darauf ſelbſt hinein, und Berthold eilte, ihm den Vor¬ fall mit dem wunderlichen Mann zu erzaͤhlen. Ach! rief Hackert lachend: Laß Dir das ja nicht zu Herzen gehen! Das war ja unſer brum¬ mige Alte, dem nichts recht iſt, der alles tadelt; ich begegnete ihm auf dem Vorſaal. Er iſt auf Maltha von griechiſchen Aeltern geboren, ein rei¬ cher wunderlicher Kauz, gar kein uͤbler Mahler; aber alles was er macht, hat ein fantaſtiſches Anſehen, welches wol daher ruͤhrt, weil er uͤber jede Darſtellung durch die Kunſt ganz tolle ab¬ ſurde Meinungen und ſich ein kuͤnſtleriſches Sy¬ ſtem gebaut hat, das den Teufel nichts taugt. Ich weiß recht gut, daß er gar nichts auf mich haͤlt, welches ich ihm gern verzeihe, da er mir wohlerworbnen Ruhm nicht ſtreitig machen wird. 252Dem Berthold war es zwar, als habe der Maltheſer irgend einen wunden Fleck ſeines In¬ nerſten ſchmerzhaft beruͤhrt, aber ſo wie der wohlthaͤtige Wundarzt, um zu forſchen und zu heilen; indeſſen ſchlug er ſich das bald aus dem Sinn und arbeitete froͤlich fort, wie zuvor.

Das große, wohlgelungene, allgemein bewun¬ derte Bild hatte ihm Muth gemacht, das Gegen¬ ſtuͤck zu beginnen. Einen der ſchoͤnſten Punkte in Neapels reicher Umgebung waͤhlte Hackert ſelbſt aus, und ſo wie jenes Bild den Sonnenuntergang darſtellte, ſollte dieſe Landſchaft im Sonnenauf¬ gang gehalten werden. Berthold bekam viel fremde Baͤume, viele Weinberge, vorzuͤglich aber viel Nebel und Duft zu mahlen.

Auf der Platte eines großen Steins, eben in jenem von Hackert gewaͤhlten Punkte, ſaß Berthold eines Tages, den Entwurf des großen Bildes nach der Natur vollendend. Wohl ge¬ troffen in der That! ſprach es neben ihm. Ber¬ thold blickte auf, der Maltheſer ſah 'in ſein Blatt253 hinein, und fuͤgte mit ſarkaſtiſchem Laͤcheln hinzu: Nur eins habt Ihr vergeſſen, lieber junger Freund! Schaut doch dort heruͤber nach der gruͤn berankten Mauer des fernen Weinbergs! Die Thuͤre ſteht halb offen; das muͤßt Ihr ja anbringen mit gehoͤ¬ rigem Schlagſchatten die halbgeoͤffnete Thuͤre macht erſtaunliche Wirkung! Ihr ſpottet, er¬ wiederte Berthold, ohne Urſache, mein Herr! Solche Zufaͤlligkeiten ſind keinesweges ſo veraͤcht¬ lich wie Ihr glaubt und deshalb mag ſie mein Meiſter wol anbringen. Erinnert Euch doch nur des aufgehaͤngten weißen Tuchs in der Land¬ ſchaft eines alten niederlaͤndiſchen Mahlers, das nicht fehlen darf, ohne die Wirkung zu verderben. Aber Ihr ſcheint uͤberhaupt kein Freund der Land¬ ſchaftsmahlerei, der ich mich nun einmal ganz ergeben habe mit Leib und Seele, und darum bitt' ich Euch, laßt mich ruhig fortarbeiten. Du biſt in großem Irrthum befangen, Juͤngling, ſprach der Maltheſer. Noch einmahl, ſage ich, aus Dir haͤtte viel werden koͤnnen; denn ſichtlich zeu¬254 gen Deine Werke das raſtloſe Beſtreben nach dem Hoͤheren, aber nimmer wirſt Du Dein Ziel er¬ reichen, denn der Weg, den Du eingeſchlagen, fuͤhrt nicht dahin. Merk wohl auf, was ich Dir ſagen wer¬ de! Vielleicht gluͤckt es mir, die Flamme in Deinem Innern, die Du, Unverſtaͤndiger! zu uͤberbauen trachteſt, anzufachen, daß ſie hell auflodert und Dich erleuchtet; dann wirſt Du den wahren Geiſt, der in Dir lebt, zu erſchauen vermoͤgen. Haͤltſt Du mich denn fuͤr ſo thoͤrigt, daß ich die Landſchaft dem hiſtoriſchen Gemaͤhlde unterordne, daß ich nicht das gleiche Ziel, nach dem beide, Landſchafter und Hiſtorienmahler, ſtreben ſollen, erkenne? Auf¬ faſſung der Natur in der tiefſten Bedeutung des hoͤhern Sinns, der alle Weſen zum hoͤheren Le¬ ben entzuͤndet, das iſt der heilige Zweck aller Kunſt. Kann denn das bloße genaue Abſchreiben der Natur jemals dahin fuͤhren? Wie aͤrm¬ lich, wie ſteif und gezwungen ſieht die nachge¬ mahlte Handſchrift in einer fremden Sprache aus, die der Abſchreiber nicht verſtand und daher den255 Sinn der Zuͤge, die er muͤhſam abſchnoͤrkelte, nicht zu deuten wußte. So ſind die Landſchaften deines Meiſters correkte Abſchriften eines in ihm fremder Sprache geſchriebenen Originals. Der Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebuͤſch, Blume, Berg und Gewaͤſſer von unerforſchlichem Geheimniß ſpricht, die in ſeiner Bruſt ſich zu frommer Ahnung geſtalten; dann kommt, wie der Geiſt Gottes ſelbſt, die Gabe uͤber ihn, dieſe Ah¬ nung ſichtlich in ſeine Werke zu uͤbertragen. Iſt Dir, Juͤngling! denn bei dem Beſchauen der Landſchaften alter Meiſter nicht ganz wunderbar¬ lich zu Muthe geworden? Gewiß haſt Du nicht daran gedacht, daß die Blaͤtter des Lindenbaums, daß die Pinien, die Platanen der Natur getreuer, daß der Hintergrund duftiger, das Waſſer klarer ſeyn koͤnnte; aber der Geiſt, der aus dem Ganzen wehte, hob Dich empor in ein hoͤheres Reich, deſſen Abglanz Du zu ſchauen waͤhnteſt. Da¬ her ſtudire die Natur zwar auch im Mechaniſchen256 fleißig und ſorgfaͤltig, damit Du die Praktik des Darſtellens erlangen moͤgeſt, aber halte die Prak¬ tik nicht fuͤr die Kunſt ſelbſt. Biſt Du einge¬ drungen in den tiefern Sinn der Natur, ſo wer¬ den ſelbſt in Deinem Innern ihre Bilder in hoh¬ er glaͤnzender Pracht aufgehen. Der Mal¬ theſer ſchwieg; als aber Berthold tief ergriffen, gebuͤckten Hauptes, keines Wortes maͤchtig da ſtand, verließ ihn der Maltheſer mit den Wor¬ ten: Ich habe Dich durchaus nicht verwirren wollen in Deinem Beruf; aber ich weiß, daß ein hoher Geiſt in Dir ſchlummert: ich rief ihn an mit ſtarken Worten, damit er erwache und friſch und frei ſeine Fittige rege. Lebe wohl!

Dem Berthold war es ſo, als habe der Maltheſer nur dem, was in ſeiner Seele gaͤhrte und brauſte, Worte gegeben; die innere Stimme brach hervor Nein! Alles dieſes Streben dieſes Muͤhen iſt das ungewiſſe, truͤgeriſche Umher¬ tappen des Blinden, weg weg mit Allem, was mich geblendet bis jetzt! Er war nicht imStande257Stande auch nur einen Strich weiter an dem Bilde zu zeichnen. Er verließ ſeinen Meiſter, und ſtreifte voll wilder Unruhe umher und flehte laut, daß die hoͤhere Erkenntniß, von der der Maltheſer geſprochen, ihm aufgehen moͤge.

Nur in ſuͤßen Traͤumen war ich gluͤcklich ſelig. Da wurde Alles wahr, was der Malthe¬ ſer geſprochen. Ich lag von zauberiſchen Duͤften umſpielt im gruͤnen Gebuͤſch, und die Stimme der Natur ging vernehmbar im melodiſch klin¬ genden Wehen durch den dunklen Wald. Horch horch auf Geweihter! Vernimm die Urtoͤne der Schoͤpfung, die ſich geſtalten zu Weſen deinem Sinn empfaͤnglich. Und indem ich die Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen hoͤrte, war es, als ſei ein neuer Sinn in mir erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das er¬ faßte, was mir unerforſchlich geſchienen. Wie in ſeltſamen Hieroglyphen zeichnete ich das mir aufgeſchloſſene Geheimniß mit Flammenzuͤgen in die Luͤfte; aber die Hieroglyphen-Schrift warR258eine wunderherrliche Landſchaft, auf der Baum, Gebuͤſch, Blume, Berg und Gewaͤſſer, wie in lautem wonnigem Klingen ſich regten und be¬ wegten.

Doch eben nur im Traume kam ſolche Selig¬ keit uͤber den armen Berthold, deſſen Kraft gebrochen, und der im Innerſten verwirrter war, als in Rom, da er Hiſtorienmahler werden wollte. Schritt er durch den dunklen Wald, ſo uͤberfiel ihn ein unheimliches Grauen; trat er heraus, und ſchaute in die fernen Berge, ſo griff es wie mit eiskalten Krallen in ſeine Bruſt ſein Athem ſtockte er wollte vergehen vor innerer Angſt. Die ganze Natur, ihm ſonſt freundlich laͤchelnd, ward ihm zum bedrohlichen Ungeheuer, und ihre Stimme, die ſonſt in des Abendwindes Saͤuſeln, in dem Plaͤtſchern des Baches, in dem Rauſchen des Gebuͤſches mit ſuͤßem Wort ihn be¬ gruͤßte, verkuͤndete ihm nun Untergang und Ver¬ derben. Endlich wurde er, je mehr ihn jene holden Traͤume troͤſteten, deſto ruhiger, doch mied259 er es im Freien allein zu ſeyn, und ſo kam es, daß er ſich zu ein paar muntern deutſchen Mah¬ lern geſellte, und mit ihnen haͤufig Ausfluͤge nach den ſchoͤnſten Gegenden Neapels machte.

Einer von ihnen, wir wollen ihn Florentin nennen, hatte es in dem Augenblick nicht ſowol auf tiefes Studium ſeiner Kunſt, als auf heitern Lebensgenuß abgeſehen, ſeine Mappe zeugte da¬ von. Gruppen tanzender Bauermaͤdchen Prozeſſionen laͤndliche Feſte Alles das wußte Florentin, ſo wie es ihm aufſtieß, mit ſichrer leichter Hand ſchnell auf's Blatt zu werfen. Jede Zeichnung, war ſie auch kaum mehr als Skizze, hatte Leben und Bewegung. Dabei war Florentin's Sinn keinesweges fuͤr das Hoͤhere verſchloſſen; im Gegentheil drang er mehr, als je ein moderner Mahler, tief ein in den frommen Sinn der Gemaͤhlde aller Mei¬ ſter. In ſein Mahlerbuch hatte er die Fresko - Gemaͤhlde einer alten Kloſterkirche in Rom, ehe die Mauern eingeriſſen wurden, in bloßen Um¬R 2260riſſen hineingezeichnet. Sie ſtellten das Marty¬ rium der heiligen Katharina dar. Man konnte nichts herrlicheres, reiner aufgefaßtes ſehen, als jene Umriſſe, die auf Berthold einen ganz eignen Eindruck machten. Er ſah Blitze leuchten durch die finſtre Oede, die ihn umfangen, und es kam dahin, daß er fuͤr Florentins heiteren Sinn empfaͤnglich wurde, und, da dieſer zwar den Reiz der Natur, in ihr aber beſtaͤndig mehr das menſchliche Princip mit reger Lebendig¬ keit auffaßte, eben dieſes Princip fuͤr den Stuͤtz¬ punkt erkannte, an den er ſich halten muͤſſe, um nicht geſtaltlos im leeren Raum zu verſchwimmen. Waͤhrend Florentin irgend eine Gruppe, der er begegnete, ſchnell zeichnete, hatte Berthold des Freundes Mahlerbuch aufgeſchlagen, und ver¬ ſuchte Katharina's wunderholde Geſtalt nach¬ zubilden, welches ihm endlich ſo ziemlich gluͤckte, wiewol er, ſo wie in Rom vergebens darnach ſtrebte, ſeine Figuren dem Original gleich zu be¬ leben. Er klagte dies dem, wie er glaubte, an261 wahrer Kuͤnſtlergenialitaͤt ihm weit uͤberlegenen Florentin, und erzaͤhlte zugleich, wie der Mal¬ theſer zu ihm uͤber die Kunſt geſprochen. Ei, lieber Bruder Berthold! ſprach Florentin: der Maltheſer hat in der That recht, und ich ſtelle die wahre Landſchaft den tief bedeutſamen heiligen Hiſtorien, wie ſie die alten Mahler dar¬ ſtellen, voͤllig gleich. Ja, ich halte ſogar dafuͤr, daß man erſt durch das Darſtellen der uns naͤher liegenden organiſchen Natur ſich ſtaͤrken muͤſſe, um Licht zu finden in ihrem naͤchtlichen Reich. Ich rathe Dir Berthold, daß Du Dich gewoͤhnſt Figuren zu zeichnen, und in ihnen Deine Gedan¬ ken zu ordnen; vielleicht wird es dann heller um Dich werden. Berthold that ſo wie ihm der Freund geboten, und es war ihm, als zoͤgen die finſtern Wolkenſchatten, die ſich uͤber ſein Leben gelegt, voruͤber.

Ich muͤhte mich, das, was nur wie dunkle Ahnung tief in meinem Innern lag, wie in je¬ nem Traum hieroglyphiſch darzuſtellen, aber die262 Zuͤge dieſer Hieroglyphen-Schrift waren menſch¬ liche Figuren, die ſich in wunderlicher Verſchlin¬ gung um einen Lichtpunkt bewegten. Dieſer Lichtpunkt ſollte die herrlichſte Geſtalt ſeyn, die je eines Bildners Fantaſie aufgegangen; aber ver¬ gebens ſtrebte ich, wenn ſie im Traume von Himmelsſtrahlen umfloſſen mir erſchien, ihre Zuͤge zu erfaſſen. Jeder Verſuch, ſie darzuſtellen, mißlang auf ſchmaͤhliche Weiſe, und ich verging in heißer Sehnſucht. Florentin bemerkte den bis zur Krankheit aufgeregten Zuſtand des Freundes, er troͤſtete ihn, ſo gut er es vermochte. Oft ſagte er ihm, daß dies eben die Zeit des Durchbruchs zur Erleuchtung ſey; aber wie ein Traͤumer ſchlich Berthold einher, und alle ſeine Verſuche blieben nur ohnmaͤchtige Anſtren¬ gungen des kraftloſen Kindes.

Unfern Neapel lag die Villa eines Herzogs, die, weil ſie die ſchoͤnſte Ausſicht nach dem Veſuv und in's Meer hinein gewaͤhrte, den frem¬ den Kuͤnſtlern, vorzuͤglich den Landſchaftern gaſt¬263 lich geoͤffnet war. Berthold hatte hier oͤfters gearbeitet, oͤfter noch in einer Grotte des Parks zur guten Zeit ſich dem Spiel ſeiner fantaſtiſchen Traͤume hingegeben. Hier in dieſer Grotte ſaß er eines Tages, von gluͤhender Sehnſucht, die ſeine Bruſt zerriß, gemartert, und weinte heiße Thraͤnen, daß der Stern des Himmels ſeine dunkle Bahn erleuchten moͤge; da rauſchte es im Gebuͤſch, und die Geſtalt eines hochherrlichen Weibes ſtand vor der Grotte.

Die vollen Sonnenſtrahlen fielen in das Engelsgeſicht. Sie ſchaute mich an mit un¬ beſchreiblichen Blick. Die heilige Kathari¬ na Nein, mehr als ſie mein Ideal, mein Ideal war es! Wahnſinnig vor Entzuͤcken ſtuͤrzte ich nieder, da verſchwebte die Geſtalt freundlich laͤchelnd! Erhoͤrt war mein heiße¬ ſtes Gebet!

Florentin trat in die Grotte, er erſtaunte uͤber Berthold, der mit verklaͤrtem Blick ihn an ſein Herz druͤckte. Thraͤnen ſtuͤrzten ihm264 aus den Augen Freund Freund! ſtammelte er: ich bin gluͤcklich ſelig ſie iſt gefunden gefunden! Raſch ſchritt er fort, in ſeine Werk¬ ſtatt er ſpannte die Leinwand auf, er fing an zu mahlen. Wie von goͤttlicher Kraft beſeelt, zauberte er mit der vollen Gluth des Lebens das uͤberirdiſche Weib, wie es ihm erſchienen, her¬ vor. Sein Innerſtes war von dieſem Augen¬ blicke ganz umgewendet. Statt des Truͤbſinns, der an ſeinem Herzmark gezehrt hatte, erhob ihn Frohſinn und Heiterkeit. Er ſtudirte mit Fleiß und Anſtrengung die Meiſterwerke der alten Mah¬ ler. Mehrere Copien gelangen ihm vortrefflich, und nun fing er an ſelbſt Gemaͤhlde zu ſchaffen, die alle Kenner in Erſtaunen ſetzten. An Land¬ ſchaften war nicht mehr zu denken, und Hackert bekannte ſelbſt, daß der Juͤngling nun erſt ſeinen eigentlichen Beruf gefunden habe. So kam es, daß er mehrere große Werke, Altarblaͤtter fuͤr Kirchen, zu mahlen bekam. Er waͤhlte mehren¬ theils heitere Gegenſtaͤnde chriſtlicher Legenden,265 aber uͤberall ſtrahlte die wunderherrliche Geſtalt ſeines Ideals hervor. Man fand, daß Geſicht und Geſtalt der Prinzeſſin Angiola T .... zum Sprechen aͤhnlich ſei, man aͤußerte dies dem jun¬ gen Mahler ſelbſt, und Schlaukoͤpfe gaben ſpoͤt¬ tiſch zu verſtehen, der deutſche Mahler ſei von dem Feuerblick der wunderſchoͤnen Donna tief in's Herz getroffen. Berthold war hoch er¬ zuͤrnt uͤber das alberne Gewaͤſch der Leute, die das Himmliſche in das Gemeinirdiſche herabziehen wollten. Glaubt Ihr denn, ſprach er, daß ſolch 'ein Weſen wandeln koͤnne hier auf Erden? In einer wunderbaren Viſion wurde mir das Hoͤchſte erſchloſſen; es war der Moment der Kuͤnſtlerweihe. Berthold lebte nun froh und gluͤcklich, bis nach Bonapartes Siegen in Italien ſich die franzoͤſiſche Armee dem Koͤnig¬ reich Neapel nahte, und die alle ruhigen gluͤckli¬ chen Verhaͤltniſſe furchtbar zerſtoͤrende Revolution ausbrach. Der Koͤnig hatte mit der Koͤnigin Neapel verlaſſen, die Citta war angeordnet. 266Der General-Vikar ſchloß mit dem franzoͤſiſchen General einen ſchmachvollen Waffenſtillſtand, und bald kamen die franzoͤſiſchen Commiſſarien, um die Summe, die gezahlt werden ſollte, in Em¬ pfang zu nehmen. Der General-Vikar entfloh, um der Wuth des Volks, das ſich von ihm, von der Citta, von allen, die ihm Schutz gewaͤhren konnten gegen den andringenden Feind, verlaſſen glaubte, zu entgehen. Da waren alle Bande der Geſellſchaft aufgeloͤſt; in wilder Anarchie ver¬ hoͤhnte der Poͤbel Ordnung und Geſetz, und un¬ ter dem Geſchrei: viva la santa fede rannten ſeine wahnſinnigen Horden durch die Straßen, die Haͤuſer der Großen, von welchen ſie ſich an den Feind verkauft waͤhnten, pluͤndernd und in Brand ſteckend. Vergebens waren die Bemuͤhun¬ gen Moliterno's und Rocca Romana's, Guͤnſtlinge des Volks und zu Anfuͤhrern gewaͤhlt, die Raſenden zu baͤndigen. Die Herzoge della Torre und Clemens Filomarino waren ermordet, aber noch war des wuͤthenden Poͤbels267 Blutdurſt nicht geſtillt. Berthold hatte ſich aus einem brennenden Hauſe nur halb ange¬ kleidet gerettet, er ſtieß auf einen Haufen des Volks, der mit angezuͤndeten Fackeln und blin¬ kenden Meſſern nach dem Pallaſt des Herzogs von T. eilte. Ihn fuͤr ihres gleichen haltend, draͤng¬ ten ſie ihn mit ſich fort viva la santa fede bruͤllten die Wahnſinnigen, und in wenigen Mi¬ nuten waren der Herzog die Bedienten, alles was ſich widerſetzte, ermordet, und der Pallaſt loderte hoch in Flammen auf. Berthold war immer fort und fort in den Pallaſt hinein¬ gedraͤngt. Dicker Rauch wallte durch die lan¬ gen Gaͤnge. Er lief ſchnell durch die aufge¬ ſprengten Zimmer, auf's neue in Gefahr, in den Flammen umzukommen vergebens den Aus¬ gang ſuchend. Ein ſchneidendes Angſtgeſchrei ſchallt ihm entgegen er ſtuͤrzt durch den Saal. Ein Weib ringt mit einem Lazzarone, der es mit ſtarker Fauſt erfaßt hat, und im Be¬ griff iſt ihm das Meſſer in die Bruſt zu ſtoßen 268 Es iſt die Prinzeſſin es iſt Berthold's Ideal! Bewußtlos vor Entſetzen, ſpringt Berthold hinzu den Lazzarone bei der Gurgel packen ihn zu Boden werfen, ihm ſein eignes Meſſer in die Kehle ſtoßen die Prinzeſſin in die Arme nehmen mit ihr flie¬ hen durch die flammenden Saͤle die Treppen hinab fort fort, durch das dickſte Volksge¬ wuͤhl Alles das iſt die That eines Mo¬ ments! Keiner hielt den fliehenden Ber¬ thold auf, mit dem blutigen Meſſer in der Hand, vom Dampfe ſchwarz gefaͤrbt, in zerriſſe¬ nen Kleidern ſah das Volk in ihm den Moͤrder und Pluͤnderer, und goͤnnte ihm ſeine Beute. In einem oͤden Winkel der Stadt unter einem alten Gemaͤuer, in das er, wie aus Inſtinkt, ſich vor der Gefahr zu verbergen gelaufen, ſank er ohnmaͤchtig nieder. Als er erwachte, kniete die Prinzeſſin neben ihm, und wuſch ſeine Stirne mit kaltem Waſſer. O Dank! liſpelte ſie mit wunderlieblicher Stimme; Dank den Heili¬269 gen, daß Du erwacht biſt, Du mein Retter, mein Alles! Berthold richtete ſich auf, er waͤhnte zu traͤumen, er blickte mit ſtarren Augen die Prinzeſſin an ja ſie war es ſelbſt die herrliche Himmelsgeſtalt, die den Goͤtterfun¬ ken in ſeiner Bruſt entzuͤndet. Iſt es moͤg¬ lich iſt es wahr lebe ich denn? rief er aus. Ja, Du lebſt, ſprach die Prinzeſſin Du lebſt fuͤr mich; was Du nicht zu hoffen wag¬ teſt, geſchah wie durch ein Wunder. O, ich kenne Dich wohl, Du biſt der deutſche Mahler Ber¬ thold, Du liebteſt mich ja, und verherrlichteſt mich in Deinen ſchoͤnſten Gemaͤhlden. Konnte ich denn Dein ſeyn? Aber nun bin ich es immerdar und ewig. Laß uns fliehen, o laß uns fliehen! Ein ſonderbares Gefuͤhl, wie wenn jaͤhlinger Schmerz ſuͤße Traͤume zerſtoͤrt, durchzuckte Berthold bei dieſen Worten der Prinzeſſin. Doch als das holde Weib ihn mit den vollen ſchneeweißen Armen umfing, als er ſie ungeſtuͤm an ſeinen Buſen druͤckte, da durchbeb¬270 ten ihn ſuͤße nie gekannte Schauer und im Wahn¬ ſinn des Entzuͤckens hoͤchſter Erdenluſt rief er aus: O, kein Trugbild des Traumes nein! es iſt mein Weib, das ich umfange, es nie zu laſſen das meine gluͤhende duͤrſtende Sehn¬ ſucht ſtillt!

Aus der Stadt zu fliehen war unmoͤglich: denn vor den Thoren ſtand das franzoͤſiſche Heer, dem das Volk, war es gleich ſchlecht bewaffnet und ohne alle Anfuͤhrung, zwei Tage hindurch den Einzug in die Stadt ſtreitig machte. End¬ lich gelang es Berthold mit Angiola von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel, und dann aus der Stadt zu fliehen. Angiola, von heißer Liebe zu ihrem Retter entbrannt, verſchmaͤhte es in Italien zu bleiben, die Familie ſollte ſie fuͤr todt halten, und ſo Bertholds Beſitz ihr geſichert bleiben. Ein diamantnes Halsband und koſtbare Ringe, die ſie getragen, waren hinlaͤnglich, in Rom (bis dahin waren ſie langſam fortgepilgert) ſich mit271 allen noͤthigen Beduͤrfniſſen zu verſehen, und ſo kamen ſie gluͤcklich nach M. im ſuͤdlichen Deutſch¬ land, wo Berthold ſich niederzulaſſen, und durch die Kunſt ſich zu ernaͤhren gedachte. War's denn nicht ein nie getraͤumtes, nie ge¬ ahnetes Gluͤck, daß Angiola, das himmliſch - ſchoͤne Weib, das Ideal ſeiner wonnigſten Kuͤnſt¬ lertraͤume ſein werden muͤßte, unerachtet ſich alle Verhaͤltniſſe des Lebens, wie eine unuͤberſteigbare Mauer zwiſchen ihm und der Geliebten aufthuͤrm¬ ten? Berthold konnte in der That dies Gluͤck kaum faſſen, und ſchwelgte in namenloſen Wonnen, bis lauter und lauter die innere Stimme ihn mahnte, ſeiner Kunſt zu gedenken. In M. beſchloß er ſeinen Ruf durch ein großes Gemaͤhlde zu begruͤnden, das er fuͤr die dortige Marien¬ kirche mahlen wollte. Der einfache Gedanke, Maria und Eliſabeth in einem ſchoͤnen Gar¬ ten auf einem Raſen ſitzend, die Kinder Chriſtus und Johannes vor ihnen im Graſe ſpielend, ſollte der ganze Vorwurf des Bildes ſeyn, aber verge¬272 bens war alles Ringen nach einer reinen geiſtigen Anſchauung des Gemaͤhldes. So wie in jener ungluͤcklichen Zeit der Criſis, verſchwammen ihm die Geſtalten, und nicht die himmliſche Maria, nein, ein irdiſches Weib, ach ſeine Angiola ſelbſt ſtand auf graͤuliche Weiſe verzerrt, vor ſei¬ nes Geiſtes Augen. Er gedachte Trotz zu bie¬ ten der unheimlichen Gewalt, die ihn zu erfaſſen ſchien, er bereitete die Farben, er fing an zu mahlen; aber ſeine Kraft war gebrochen, all' ſein Bemuͤhen, ſo wie damals, nur die ohnmaͤchtige Anſtrengung des unverſtaͤndigen Kindes. Starr und leblos blieb was er mahlte, und ſelbſt An¬ giola Angiola, ſein Ideal, wurde, wenn ſie ihm ſaß und er ſie mahlen wollte, auf der Lein¬ wand zum todten Wachsbilde, das ihn mit glaͤſernen Augen anſtierte. Da ſchlich ſich immer mehr und mehr truͤber Unmuth in ſeine Seele, der alle Freude des Lebens wegzehrte. Er wollte er konnte nicht weiter arbeiten, und ſo kam es, daß er in Duͤrftigkeit gerieth, die ihn deſtomehr nieder¬beugte,273beugte, je weniger Angiola auch nur ein Wort der Klage hoͤren ließ.

Der immer mehr in mein Innerſtes herein¬ zehrende Gram, erzeugt von ſtets getaͤuſchter Hoffnung, wenn ich immer vergebens Kraͤfte auf¬ bot, die nicht mehr mein waren, verſetzte mich bald in einen Zuſtand, der dem Wahnſinne gleich zu achten war. Mein Weib gebar mir einen Sohn, das vollendete mein Elend und der lange verhaltene Groll brach aus in hell aufflammen¬ den Haß. Sie Sie allein ſchuf mein Ungluͤck. Nein Sie war nicht das Ideal, das mir er¬ ſchien, nur mir zum rettungsloſen Verderben hatte ſie truͤgeriſch jenes Himmelsweibes Geſtalt und Geſicht geborgt. In wilder Verzweiflung fluchte ich ihr und dem unſchuldigen Kinde. Ich wuͤnſchte beider Tod, damit ich erloͤſt werden moͤge von der unertraͤglichen Quaal, die wie mit gluͤ¬ henden Meſſern in mir wuͤhlte! Gedanken der Hoͤlle ſtiegen in mir auf. Vergebens las ich in Angiola's leichenblaſſem Geſicht, in ihren Thraͤ¬S274nen mein raſendes freveliches Beginnen Du haſt mich um mein Leben betrogen, verruchtes Weib, bruͤllte ich auf, und ſtieß ſie mit dem Fuße von mir, wenn ſie ohnmaͤchtig niederſank, und meine Knie umfaßte.

Berthold grauſames wahnſinniges Betra¬ gen gegen Weib und Kind erregte die Aufmerk¬ ſamkeit der Nachbaren, die es der Obrigkeit an¬ zeigten. Man wollte ihn verhaften, als aber die Polizeidiener in ſeine Wohnung traten, war er ſammt Frau und Kind ſpurlos verſchwunden. Berthold erſchien bald darauf zu N. in Ober¬ ſchleſien; er hatte ſich ſeines Weibes und Kindes entledigt, und fing voll heitern Muthes an, das Bild zu mahlen, das er in M. vergebens begon¬ nen hatte. Aber nur die Jungfrau Maria und die Kinder Chriſtus und Johannes konnte er voll¬ enden, dann fiel er in eine furchtbare Krankheit, die ihn dem Tode, den er wuͤnſchte, nahe brachte. Um ihn zu pflegen, hatte man alle ſeine Geraͤth¬ ſchaften und auch jenes unvollendete Gemaͤhlde275 verkauft, und er zog, nachdem er nur einiger¬ maßen ſich wieder erkraͤftigt, als ein ſiecher elen¬ der Bettler von dannen. In der Folge naͤhrte er ſich duͤrftig durch Wandmahlerei, die ihm hie und da uͤbertragen wurde.

Bertholds Geſchichte hat etwas Entſetzli¬ ches und Grauenvolles, ſprach ich zu dem Profeſſor, ich halte ihn, unerachtet er es nicht geradezu ausgeſprochen, fuͤr den ruchloſen Moͤrder ſeines unſchuldigen Weibes und ſeines Kindes. Es iſt ein wahnſinniger Thor, erwiederte der Profeſ¬ ſor, dem ich den Muth zu ſolcher That gar nicht zutraue. Ueber dieſen Punkt laͤßt er ſich niemals deutlich aus, und es iſt die Frage, ob er ſich nicht blos einbildet, an dem Tode ſeiner Frau und ſei¬ nes Kindes Schuld zu ſeyn; er mahlt eben wie¬ der Marmor, erſt in kuͤnftiger Nacht vollendet er den Altar, dann iſt er bei guter Laune, undS 2276Sie koͤnnen vielleicht mehr uͤber jenen kitzlichen Punkt von ihm heraus bekommen. Ich muß geſtehen, daß, dachte ich es mir lebhaft, um Mit¬ ternacht mit Berthold allein in der Kirche mich zu befinden, mir, nachdem ich ſeine Geſchichte geleſen, ein leiſer Schauer durch die Glieder lief. Ich meinte, er koͤnnte mitunter was weniges der Teufel ſeyn, trotz ſeiner Gutmuͤthigkeit und ſei¬ nes treuherzigen Weſens, und wollte mich des¬ halb lieber gleich Mittags im lieben heitern Son¬ nenſchein mit ihm abfinden.

Ich fand ihn auf dem Geruͤſte muͤrriſch und in ſich gekehrt, Marmoradern ſprenkelnd; zu ihm heraufgeſtiegen, reichte ich ihm ſtillſchweigend die Toͤpfe. Erſtaunt ſah er ſich nach mir um, ich bin ja ihr Handlanger, ſprach ich leiſe, das zwang ihm ein Laͤcheln ab. Nun fing ich an von ſeinem Leben zu ſprechen, ſo daß er merken mußte, ich wiſſe Alles, und er ſchien zu glauben, er habe mir Alles ſelbſt in jener Nacht erzaͤhlt. Leiſe leiſe kam ich auf die graͤßliche Kataſtro¬277 phe, dann ſprach ich ploͤtzlich: Alſo in heilloſem Wahnſinn mordeten Sie Weib und Kind? Da ließ er Farbentopf und Pinſel fallen, und rief, mich mit graͤßlichem Blick anſtarrend und beide Haͤnde hoch erhebend: Rein ſind dieſe Haͤnde vom Blute meines Weibes, meines Sohnes! Noch ein ſolches Wort, und ich ſtuͤrze mich mit Euch hier vom Geruͤſte herab, daß unſere Schaͤdel zerſchellen auf dem ſteinernen Boden der Kirche! Ich befand mich in dem Au¬ genblick wirklich in ſeltſamer Lage, am beſten ſchien es mir mit ganz Fremden hineinzu¬ fahren. O ſehn Sie doch, lieber Berthold ſprach ich ſo ruhig und kalt, als es mir moͤglich war, wie das haͤßliche Dunkelgelb auf der Wand dort ſo verfließt. Er ſchauete hin, und indem er das Gelb mit dem Pinſel verſtrich, ſtieg ich leiſe das Geruͤſte herab, verließ die Kirche, und ging zum Profeſſor, um mich uͤber meinen beſtraf¬ ten Vorwitz tuͤchtig auslachen zu laſſen.

Mein Wagen war reparirt und ich verließ G.,278 nachdem mir der Profeſſor Aloyſius Walther feierlich verſprochen, ſollte ſich etwas beſonderes mit Berthold ereignen, mir es gleich zu ſchreiben.

Ein halbes Jahr mochte vergangen ſeyn, als ich wirklich von dem Profeſſor einen Brief erhielt, in welchem er ſehr weitſchweifig unſer Beiſammen¬ ſeyn in G. ruͤhmte. Ueber Berthold ſchrieb er mir folgendes: Bald nach Ihrer Abreiſe trug ſich mit unſerm wunderlichen Mahler viel ſonder¬ bares zu. Er wurde ploͤtzlich ganz heiter, und voll¬ endete auf die herrlichſte Weiſe das große Altar¬ blatt, welches nun vollends alle Menſchen in Er¬ ſtaunen ſetzt. Dann verſchwand er, und da er nicht das mindeſte mitgenommen, und man ein paar Tage darauf Hut und Stock unfern des O Stromes fand, glauben wir alle, er habe ſich freiwillig den Tod gegeben.

279

Das Sanctus.

Der Doktor ſchuͤttelte bedenklich den Kopf. Wie, rief der Kapellmeiſter heftig, indem er vom Stuhle aufſprang, wie! ſo ſollte Bettina's Catarrh wirklich etwas zu bedeuten haben? Der Doktor ſtieß ganz leiſe drey oder viermahl mit ſeinem ſpaniſchen Rohr auf den Fußboden, nahm die Doſe heraus und ſteckte ſie wieder ein ohne zu ſchnupfen, richtete den Blick ſtarr empor, als zaͤhle er die Roſetten an der Decke und huͤſtelte mißtoͤnig ohne ein Wort zu reden. Das brachte den Kapellmeiſter außer ſich, denn er wußte ſchon, ſolches Gebehrdenſpiel des Dok¬ tors hieß in deutlichen lebendigen Worten nichts anders, als: ein boͤſer boͤſer Fall und ich weiß280 mir nicht zu rathen und zu helfen, und ich ſteure umher in meinen Verſuchen, wie jener Doktor im Gilblas di Santillana. Nun, ſo ſag 'er es denn nur geradezu heraus, rief der Kapell¬ meiſter erzuͤrnt, ſag' er es heraus, ohne ſo ver¬ dammt wichtig zu thun mit der ſimplen Heiſer¬ keit, die ſich Bettina zugezogen, weil ſie un¬ vorſichtiger Weiſe den Schawl nicht umwarf, als ſie die Kirche verließ das Leben wird es ihr doch eben nicht koſten, der Kleinen. Mit nich¬ ten, ſprach der Doktor, indem er nochmahls die Doſe herausnahm, jetzt aber wirklich ſchnupfte, mit nichten, aber hoͤchſt wahrſcheinlich wird ſie in ihrem ganzen Leben keine Note mehr ſingen! Da fuhr der Kapellmeiſter mit beiden Faͤuſten ſich in die Haare, daß der Puder weit umherſtaͤubte und rannte im Zimmer auf und ab, und ſchrie wie beſeſſen: Nicht mehr ſingen? nicht mehr ſingen? Bettina nicht mehr ſingen? Geſtorben all' die herrlichen Canzonette die wunderbaren Bollero's und Seguidilla's, die281 wie klingender Blumenhauch von ihren Lippen ſtroͤmten? Kein frommes Agnus, kein troͤ¬ ſtendes Bènedictus, von ihr mehr hoͤren. O! o! Kein Miserere, das mich reinbuͤrſtete von jedem irdiſchen Schmutz miſerabler Gedanken das in mir oft eine ganze reiche Welt makelloſer Kirchenthema's aufgehen ließ? Du luͤgſt Doktor, Du luͤgſt! Der Satan verſucht Dich, mich auf's Eis zu fuͤhren. Der Dom-Orga¬ niſt, der mich mit ſchaͤndlichem Neide verfolgt, ſeitdem ich ein achtſtimmiges qui tollis aus¬ gearbeitet zum Entzuͤcken der Welt, der hat Dich beſtochen! Du ſollſt mich in ſchnoͤde Ver¬ zweiflung ſtuͤrzen, damit ich meine neue Meſſe in's Feuer werfe, aber es gelingt ihm es gelingt Dir nicht! Hier hier trage ich ſie bei mir, Bettina's Soli (er ſchlug auf die rechte Rocktaſche, ſo daß es gewaltig darin klatſchte) und gleich ſoll herrlicher, als je, die Kleine ſie mir mit hocherhabener Glockenſtimme vorſingen. Der Capellmeiſter griff nach dem282 Hute und wollte fort, der Doktor hielt ihn zu¬ ruͤck, indem er ſehr ſanft und leiſe ſprach: Ich ehre ihren werthen Enthuſiasmus, holdſeeligſter Freund! aber ich uͤbertreibe nichts und kenne den Dom-Organiſten gar nicht, es iſt nun ein¬ mahl ſo! Seit der Zeit, daß Bettina in der katholiſchen Kirche bei dem Amt die Solos im Gloria und Credo geſungen, iſt ſie von einer ſolch 'ſeltſamen Heiſerkeit oder vielmehr Stimm¬ loſigkeit befallen, die meiner Kunſt trotzt und die mich, wie geſagt, befuͤrchten laͤßt, daß ſie nie mehr ſingen wird. Gut denn, rief der Ka¬ pellmeiſter wie in reſignirter Verzweiflung, gut denn, ſo gieb ihr Opium Opium und ſo lange Opium bis ſie eines ſanften Todes dahinſcheidet, denn ſingt Bettina nicht mehr, ſo darf ſie auch nicht mehr leben, denn ſie lebt nur, wenn ſie ſingt ſie exiſtirt nur im Geſange, himm¬ liſcher Doktor, thu' mir den Gefallen, vergifte ſie jeher deſto lieber. Ich habe Connektionen im Criminal-Collegio, mit dem Praͤſidenten ſtudirte283 ich in Halle, es war ein großer Horniſt, wir blie¬ ſen Bizinien zur Nachtzeit mit einfallenden Choͤren obligater Huͤndelein und Kater! Sie ſollen Dir nichts thun des ehrlichen Mords wegen Aber vergifte ſie vergifte ſie Man iſt, unterbrach der Doktor den ſprudelnden Kapellmei¬ ſter, man iſt doch ſchon ziemlich hoch in Jahren, muß ſich das Haar pudern ſeit geraumer Zeit und doch noch vorzuͤglich die Muſik anlangend vel quasi ein Haſenfuß. Man ſchreie nicht ſo, man ſpreche nicht ſo verwegen vom ſuͤndlichen Mord und Todſchlag, man ſetze ſich ruhig hin dort in jenen bequemen Lehnſtuhl und hoͤre mich gelaſſen an. Der Kapellmeiſter rief mit ſehr weinerlicher Stimme: Was werd 'ich hoͤren und that uͤbri¬ gens wie ihm geheißen. Es iſt, fing der Dok¬ tor an, es iſt in der That in Bettina's Zu¬ ſtand etwas ganz ſonderbares und verwunderliches. Sie ſpricht laut, mit voller Kraft des Organs, an irgend eines der gewoͤhnlichen Halsuͤbel iſt gar nicht zu denken, ſie iſt ſelbſt im Stande einen284 muſikaliſchen Ton anzugeben, aber ſo wie ſie die Stimme zum Geſange erheben will, laͤhmt ein unbegreifliches Etwas, das ſich durch kein Ste¬ chen, Prickeln, Kitzeln oder ſonſt als ein affir¬ matives krankhaftes Prinzip darthut, ihre Kraft, ſo daß jeder verſuchte Ton ohne gepreßt-un¬ rein, kurz katarrhaliſch zu klingen, matt und farblos dahin ſchwindet. Bettina ſelbſt ver¬ gleicht ihren Zuſtand ſehr richtig demjenigen im Traum, wenn man mit dem vollſten Bewußtſeyn der Kraft zum Fliegen doch vergebens ſtrebt in die Hoͤhe zu ſteigen. Dieſer negative krankhafte Zuſtand ſpottet meiner Kunſt und wirkungslos bleiben alle Mittel. Der Feind, den ich bekaͤm¬ pfen ſoll, gleicht einem koͤrperloſen Spuck, gegen den ich vergebens meine Streiche fuͤhre. Darin habt Ihr Recht Kapellmeiſter, daß Bettina's ganze Exiſtenz im Leben durch den Geſang be¬ dingt iſt, denn eben im Geſange kann man ſich den kleinen Paradiesvogel nur denken, deshalb iſt ſie aber ſchon durch die Vorſtellung, daß ihr285 Geſang und mit ihr ſie ſelbſt untergehe, ſo im Innerſten aufgeregt, und faſt bin ich uͤberzeugt, daß eben dieſe fortwaͤhrende geiſtige Agitation ihr Uebelbefinden foͤrdert und meine Bemuͤhungen vereitelt. Sie iſt, wie ſie ſich ſelbſt ausdruͤckt, von Natur ſehr apprehenſiv, und ſo glaube ich, nachdem ich Monate lang, wie ein Schiffbruͤchi¬ ger, der nach jedem Splitter haſcht, nach dieſem, jenem Mittel gegriffen und daruͤber ganz verzagt worden, daß Bettina's ganze Krankheit mehr pſychiſch als phyſiſch iſt. Recht Doktor, rief hier der reiſende Enthuſiaſt, der ſo lange ſchwei¬ gend mit uͤber einander geſchlagenen Aermen im Winkel geſeſſen, recht Doktor, mit einem Mahl habt Ihr den richtigen Punkt getroffen, mein vortrefflicher Arzt! Bettina's krankhaftes Ge¬ fuͤhl iſt die phyſiſche Ruͤckwirkung eines pſychi¬ ſchen Eindrucks, eben deshalb aber deſto ſchlim¬ mer und gefaͤhrlicher. Ich ich allein kann Euch Alles erklaͤren, Ihr Herren! Was werd' ich hoͤren, ſprach der Kapellmeiſter noch weinerlicher286 als vorher, der Doktor ruͤckte ſeinen Stuhl naͤher heran zum reiſenden Enthuſiaſten und guckte ihm mit ſonderbar laͤchelnder Miene in's Geſicht. Der reiſende Enthuſiaſt warf aber den Blick in die Hoͤhe und ſprach ohne den Doktor oder den Kapellmeiſter anzuſehen. Kapellmeiſter! ich ſah einmahl einen kleinen buntgefaͤrbten Schmetter¬ ling, der ſich zwiſchen den Saiten Eures Dop¬ pelclavichords eingefangen hatte. Das kleine Ding flatterte luſtig auf und nieder und mit den glaͤnzenden Fluͤgelein um ſich ſchlagend beruͤhrte es bald die obern bald die untern Saiten, die dann leiſe leiſe nur dem ſchaͤrfſten geuͤbteſten Ohr ver¬ nehmbare Toͤne und Akkorde hauchten ſo daß zu¬ letzt das Thierchen nur in den Schwingungen wie in ſanftwogenden Wellen zu ſchwimmen oder viel¬ mehr von ihnen getragen zu werden ſchien. Aber oft kam es, daß eine ſtaͤrker beruͤhrte Saite, wie erzuͤrnt in die Fluͤgel des froͤhlichen Schwimmers ſchlug, ſo daß ſie wund geworden den Schmuck des bunten Bluͤthenſtaubs von ſich ſtreuten, doch287 deſſen nicht achtend kreiſte der Schmetterling fort und fort im froͤhlichen Klingen und Singen bis ſchaͤrfer und ſchaͤrfer die Saiten ihn verwundeten, und er lautlos hinab ſank in die Oeffnung des Reſonanzbodens. Was wollen wir damit ſagen, frug der Kapellmeiſter, Fiat applicatio mein Beſter! ſprach der Doktor. Von einer beſonde¬ ren Anwendung iſt hier nicht die Rede, fuhr der Enthuſiaſt fort, ich wollte, da ich obbeſagten Schmetterling wirklich auf des Kapellmeiſters Clavichord ſpielen gehoͤrt habe, nur im Allgemei¬ nen eine Idee andeuten, die mir damals einkam, und die alles das, was ich uͤber Bettina's Uebel ſagen werde, ſo ziemlich einleitet. Ihr koͤnnet das Ganze aber auch fuͤr eine Allegorie anſehen, und es in das Stammbuch irgend einer reiſenden Virtuoſin hineinzeichnen. Es ſchien mir nehmlich damals, als habe die Natur ein tauſendchoͤrigtes Clavichord um uns herum gebaut, in deſſen Saiten wir herum handthierten, ihre Toͤne und Akkorde fuͤr unſere eigne willkuͤhrlich288 hervorgebrachte haltend und als wuͤrden wir oft zum Tode wund, ohne zu ahnden, daß der un¬ harmoniſch beruͤhrte Ton uns die Wunde ſchlug. Sehr dunkel, ſprach der Kapellmeiſter. O, rief der Doktor lachend, o nur Geduld, er wird gleich auf ſeinem Steckenpferde ſitzen und geſtreckten Gallops in die Welt der Ahnungen, Traͤume, pſychiſchen Einfluͤſſe, Sympathien, Idioſynkraſien u. ſ. w. hineinreiten, bis er auf der Station des Magnetismus abſitzt und ein Fruͤhſtuͤck nimmt. Gemach gemach, mein weiſer Doktor, ſprach der reiſende Enthuſiaſt, ſchmaͤht nicht auf Dinge, die ihr, ſtraͤuben moͤcht Ihr Euch auch wie ihr wollt, doch mit Demuth anerkennen und hoͤchlich beach¬ ten muͤßt. Habt Ihr es denn nicht ſelbſt eben erſt ausgeſprochen, daß Bettina's Krankheit von pſychiſcher Anregung herbeigefuͤhrt oder viel¬ mehr nur ein pſychiſches Uebel iſt? Wie kommt, unterbrach der Doktor den Enthuſia¬ ſten, wie kommt aber Bettina mit dem un¬ gluͤckſeeligen Schmetterling zuſammen? Wennman289man, fuhr der Enthuſiaſt fort, wenn man nun alles haarklein auseinander ſieben ſoll, und jedes Koͤrnchen beaͤugeln und bekucken, ſo wird das eine Arbeit, die ſelbſt langweilig Langeweile verbreitet! Laßt den Schmetterling im Clavichordkaſten des Kapellmeiſter ruhen! Uebrigens, ſagt ſelbſt, Kapellmeiſter! iſt es nicht ein wahres Ungluͤck, daß die hochheilige Muſik ein integrirender Theil un¬ ſerer Converſation geworden iſt? Die herrlichſten Talente werden herabgezogen in das gemeine duͤrf¬ tige Leben! Statt daß ſonſt aus heiliger Ferne wie aus dem wunderbaren Himmelsreiche ſelbſt, Ton und Geſang auf uns herniederſtrahlte, hat man jetzt alles huͤbſch bey der Hand und man weiß genau, wie viel Taſſen Thee die Saͤngerin oder wie viel Glaͤſer Wein der Baſſiſt trinken muß, um in die gehoͤrige Tramontane zu kommen. Ich weiß wohl, daß es Vereine giebt, die ergrif¬ fen von dem wahren Geiſt der Muſik ſie unter¬ einander mit wahrhafter Andacht uͤben, aber jene miſerablen geſchmuͤckten, geſchniegelten doch ichT290will mich nicht aͤrgern! Als ich voriges Jahr hieher kam, war die arme Bettina gerade recht in der Mode ſie war, wie man ſagt, recherchirt, es konnte kaum Thee getrunken werden ohne Zu¬ that einer ſpaniſchen Romanze, einer italiaͤniſchen Canzonetta oder auch wohl eines franzoͤſiſchen Lied¬ leins: Souvent l'amour etc. zu dem ſich Bet¬ tina hergeben mußte. Ich fuͤrchtete in der That, daß das gute Kind mit ſammt ihrem herrlichen Talent untergehen wuͤrde in dem Meer von Theewaſſer, das man uͤber ſie ausſchuͤttete, das geſchah nun nicht, aber die Kataſtrophe trat ein. Was fuͤr eine Kataſtrophe? riefen Doktor und Kapellmeiſter. Seht liebe Herren! fuhr der Enthuſiaſt fort, eigentlich iſt die arme Betti¬ na wie man ſo ſagt, verwuͤnſcht oder verhext worden, und ſo hart es mir ankommt es zu be¬ kennen, ich ich ſelbſt bin der Hexenmeiſter, der das boͤſe Werk vollbracht hat, und nun gleich dem Zauberlehrling den Bann nicht zu loͤſen ver¬ mag. Poſſen Poſſen, und wir ſitzen hier291 und laſſen uns mit der groͤßten Ruhe von dem ironiſchen Boͤſewicht myſtifiziren. So rief der Doktor, indem er aufſprang. Aber zum Teufel die Kataſtrophe die Kataſtrophe, ſchrie der Kapellmeiſter. Ruhig ihr Herren, ſprach der Enthuſiaſt, jetzt kommt eine Thatſache, die ich verbuͤrgen kann, haltet uͤbrigens meine Hexerei fuͤr Scherz, unerachtet es mir zuweilen recht ſchwer aufs Herz faͤllt, daß ich ohne Wiſſen und Willen einer unbekannten pſychiſchen Kraft zum Medium des Entwickelns und Einwirkens auf Bettina gedient haben mag. Gleichſam als Leiter mein 'ich, ſo wie in der elektriſchen Reihe einer den andern ohne Selbſtthaͤtigkeit und eignen Willen pruͤgelt. Hop hop, rief der Doktor, ſeht wie das Steckenpferd gar herrliche Cour¬ betten verfuͤhrt. Aber die Geſchichte die Geſchichte, ſchrie der Kapellmeiſter dazwiſchen! Ihr erwaͤhntet, fuhr der Enthuſiaſt fort, ihr erwaͤhntet Kapellmeiſter ſchon zuvor, daß Bettina das letztemal, ehe ſie die StimmeT 2

292verlor, in der katholiſchen Kirche ſang. Erinnert Euch, daß dies am erſten Oſterfeiertage vorigen Jahres geſchah. Ihr hattet Euer ſchwarzes Eh¬ renkleid angethan und dirigirtet die herrliche Haydnſche Meſſe aus dem D Moll. In dem Sopran that ſich ein Flor junger anmuthig geklei¬ deter Maͤdchen auf, die zum Theil ſangen, zum Theil auch nicht; unter ihnen ſtand Bettina, die mit wunderbar ſtarker voller Stimme die kleinen Soli vortrug. Ihr wißt, daß ich mich im Tenor angeſtellt hatte, das Sanctus war ein¬ getreten, ich fuͤhlte die Schauer der tiefſten An¬ dacht mich durchbeben, da rauſchte es hinter mir ſtoͤrend, unwillkuͤhrlich drehte ich mich um, und erblickte zu meinem Erſtaunen Bettina, die ſich durch die Reihen der Spielenden und Sin¬ genden draͤngte um den Chor zu verlaſſen. Sie wollen fort? redete ich ſie an. Es iſt die hoͤchſte Zeit, erwiederte ſie ſehr freundlich, daß ich mich jetzt nach der *** Kirche begebe, um noch, wie ich verſprochen, dort in einer Cantate293 mitzuſingen, auch muß ich noch Vormittag ein Paar Duetts probiren, die ich heute Abend in dem Singethee bei *** vortragen werde, dann iſt Souper bei ***. Sie kommen doch hin? es werden ein Paar Choͤre aus dem Haͤn¬ del'ſchen Meſſias und das erſte Finale aus Figa¬ ro's Hochzeit gemacht. Waͤhrend dieſes Ge¬ ſpraͤchs erklangen die vollen Akkorde des Sanctus, und das Weihrauchopfer zog in blauen Wolken durch das hohe Gewoͤlbe der Kirche. Wiſſen Sie denn nicht, ſprach ich, daß es ſuͤndlich iſt, daß es nicht ſtraflos bleibt, wenn man waͤhrend des Sanctus die Kirche verlaͤßt? Sie wer¬ den ſo bald nicht mehr in der Kirche ſingen! Es ſollte Scherz ſeyn, aber ich weiß nicht, wie es kann, daß mit einemmal meine Worte ſo feierlich klangen. Bettina erblaßte und verließ ſchweigend die Kirche. Seit dieſem Moment ver¬ lor ſie die Stimme Der Doktor hatte ſich waͤhrend der Zeit wieder geſetzt, und das Kinn auf den Stockknopf geſtuͤtzt, er blieb ſtumm, aber294 der Kapellmeiſter rief: Wunderbar in der That, ſehr wunderbar! Eigentlich fuhr der Enthuſiaſt fort, eigentlich kam mir damals bei meinen Worten nichts beſtimmtes in den Sinn und eben ſo wenig ſetzte ich Bettina's Stimmloſigkeit mit dem Vorfall in der Kirche nur in den min¬ deſten Bezug. Erſt jetzt, als ich wieder hieher¬ kam und von Euch Doktor erfuhr, daß Betti¬ na noch immer an der verdrießlichen Kraͤnklich¬ keit leide, war es mir, als haͤtte ich ſchon da¬ mals an eine Geſchichte gedacht, die ich vor meh¬ reren Jahren in einem alten Buche las, und die ich Euch, da ſie mir anmuthig und ruͤhrend ſcheint, mittheilen will. Erzaͤhlen Sie, rief der Kapellmeiſter, vielleicht liegt ein guter Stoff zu einer tuͤchtigen Oper darin. Koͤnnt 'ihr, ſprach der Doktor, koͤnnt' ihr, Kapellmeiſter, Traͤume Ahnungen magnetiſche Zuſtaͤnde in Muſik ſetzen, ſo wird Euch geholfen, auf ſo was wird die Geſchichte doch wieder herauslaufen. Ohne dem Doktor zu antworten raͤusperte ſich295 der reiſende Enthuſiaſt und fing mit erhabener Stimme an: Unabſehbar breitete ſich das Feldla¬ ger Iſabellen's und Ferdinand's von Arra¬ gonien vor den Mauern von Granada aus. Herr des Himmels und der Erden, unterbrach der Doktor den Erzaͤhler, das faͤngt an als wollt 'es in neun Tagen und neun Naͤchten nicht endigen, und ich ſitze hier und die Patienten lamentiren. Ich ſcheere mich den Teufel um Eure mauriſchen Geſchichten, den Gonzalvo von Cordova habe ich geleſen, und Bettina's Seguidillas ge¬ hoͤrt, aber damit Baſta, alles was recht iſt Gott befohlen! Schnell ſprang der Doktor zur Thuͤre heraus, aber der Kapellmeiſter blieb ruhig ſitzen, indem er ſprach: Es wird eine Geſchichte aus den Kriegen der Mauren mit den Spaniern, wie ich merke, ſo was haͤtt' ich laͤngſt gar zu gern komponirt. Gefechte Tumult Romanzen Aufzuͤge Cymbeln Choraͤle Trommeln und Pauken ach Pauken! Da wir nun einmal ſo zuſammen ſind, erzaͤhlen Sie,296 liebenswuͤrdiger Enthuſiaſt, wer weiß, welches Saamenkorn die erwuͤnſchte Erzaͤhlung in mein Gemuͤth wirft und was fuͤr Rieſenlilien daraus entſprießen. Euch wird, erwiederte der Enthu¬ ſiaſt, Euch wird nun Kapellmeiſter! alles ein¬ mal gleich zur Oper und daher kommt es denn auch, daß die vernuͤnftigen Leute, die die Muſik behandeln wie einen ſtarken Schnaps, den man nur dann und wann in kleinen Portionen genießt zur Magenſtaͤrkung, Euch manchmahl fuͤr toll halten. Doch erzaͤhlen will ich Euch, und keck moͤget ihr, wandelt Euch die Luſt an, manchmal ein Paar Akkorde dazwiſchen werfen. Schrei¬ ber dieſes fuͤhlt ſich gedrungen, ehe er dem En¬ thuſiaſten die Erzaͤhlung nachſchreibt, Dich guͤnſti¬ gen Leſer zu bitten, Du moͤgeſt ihm der Kuͤrze halber zu Gute halten, wenn er den dazwiſchen anſchlagenden Akkorden den Kapellmeiſter vor¬ zeichnet. Statt alſo zu ſchreiben: Hier ſprach der Kapellmeiſter, heißt es blos der Kapell¬ meiſter.

297

Unabſehbar breitete ſich das Feldlager Iſa¬ bellens und Ferdinand's von Arragonien vor den feſten Mauern von Granada aus. Ver¬ gebens auf Huͤlfe hoffend, immer enger und enger eingeſchloſſen, verzagte der feige Boabdil und im bittern Hohn vom Volk das ihn den kleinen Koͤnig nannte, verſpottet, fand er nur in den Opfern blutduͤrſtiger Grauſamkeit augenblick¬ lichen Troſt. Aber eben in dem Grade, wie die Muthloſigkeit und Verzweiflung taͤglich mehr Volk und Kriegsheer in Granada erfaßte, wurde leben¬ diger Siegeshoffnung und Kampfesluſt im ſpani¬ ſchen Lager. Es beduͤrfte keines Sturms. Fer¬ dinand begnuͤgte ſich die Waͤlle zu beſchießen, und die Ausfaͤlle der Belagerten zuruͤckzutreiben. Dieſe kleinen Gefechte glichen mehr froͤlichen Tur¬ nieren als ernſten Kaͤmpfen und ſelbſt der Tod der im Kampfe Gefallnen konnte die Gemuͤther nur erheben, da ſie hochgefeiert im Gepraͤnge des kirchlichen Cultus wie in der ſtrahlenden Glo¬ rie des Maͤrtyrthums fuͤr den Glauben erſchienen. 298Gleich nachdem Iſabella in das Lager einge¬ zogen, ließ ſie in deſſen Mitte ein hohes hoͤlzer¬ nes Gebaͤude mit Thuͤrmen auffuͤhren, von deren Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das In¬ nere wurde zum Kloſter und zur Kirche eingerich¬ tet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, taͤgli¬ chen Gottesdienſt uͤbend. Die Koͤnigin, von ihrem Gefolge, von ihren Rittern begleitet, jeden Mor¬ gen, die Meſſe zu hoͤren, die ihr Beichtvater las, von dem Geſange der im Chor verſammelten Nonnen unterſtuͤtzt. Da begab es ſich, daß Iſabella an einem Morgen eine Stimme ver¬ nahm, die mit wunderbarem Glockenklang die andern Stimmen im Chor uͤbertoͤnte. Der Ge¬ ſang war anzuhoͤren wie das ſiegende Schmettern einer Nachtigall, die, die Fuͤrſtin des Hains, dem jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die Ausſprache der Worte ſo fremdartig und ſelbſt die ſonderbare ganz eigenthuͤmliche Art des Ge¬ ſanges that kund, daß eine Saͤngerin des kirchli¬ chen Styls noch ungewohnt, vielleicht zum erſten¬299 mahl das Amt ſingen muͤſſe. Verwundert ſchaute Iſabella um ſich und bemerkte, daß ihr Ge¬ folge von demſelben Erſtaunen ergriffen worden; doch ahnen mußte ſie wohl, daß hier ein beſon¬ deres Abentheuer im Spiel ſeyn muͤſſe, als ihr der tapfere Heerfuͤhrer Aguillar, der ſich eben im Gefolge befand, ihr in's Auge fiel. Im Betſtuhl kniend, die Haͤnde gefaltet, ſtarrte er zum Gitter des Chors herauf, gluͤhende inbruͤn¬ ſtige Sehnſucht im duͤſtern Auge. Als die Meſſe geendet war, begab ſich Iſabella nach Donna Maria's, der Priorin, Zimmern und frug nach der fremden Saͤngerin. Wollet Euch o Koͤni¬ gin, ſprach Donna Maria, wollet Euch erinnern, daß vor Mondesfriſt Don Aguil¬ lar jenes Außenwerk zu uͤberfallen und zu er¬ obern gedachte, das mit einer herrlichen Terraſſe geziert den Mauren zum Luſtort dient. In jeder Nacht ſchallen die uͤppigen Geſaͤnge der Heiden in unſer Lager heruͤber wie verlockende Syrenen¬ ſtimmen und eben deshalb wollte der tapfere300 Aguillar das Neſt der Suͤnde zerſtoͤren. Schon war das Werk genommen, ſchon wurden die gefangenen Weiber waͤhrend des Gefechts ab¬ gefuͤhrt, als eine unvermuthete Verſtaͤrkung ihn tapferer Wehr unerachtet noͤthigte, abzulaſſen und ſich zuruͤckzuziehen in das Lager. Der Feind wagte nicht ihn zu verfolgen und ſo kam es, daß die Gefangenen und reiche Beute ſein blieben. Unter den gefangenen Weibern befand ſich eine, deren troſtloſes Jammern, deren Verzweiflung Don Aguillar's Aufmerkſamkeit erregte. Er nahte ſich der Verſchleierten mit freundlichen Worten, aber als haͤtte ihr Schmerz keine andere Sprache als Geſang, fing ſie, nachdem ſie auf der Zither, die ihr an einem goldnen Bande um den Hals hing, einige ſeltſame Akkorde gegriffen hatte, eine Romanze an, die in tiefaufſeufzenden herzzer¬ ſchneidenden Lauten die Trennung von dem Ge¬ liebten, von aller Lebensfreude klagte. Aguil¬ lar tief ergriffen von den wunderbaren Toͤnen, beſchloß das Weib zuruͤckbringen zu laſſen nach301 Granada; ſie ſtuͤrzte vor ihm nieder, indem ſie den Schleier zuruͤckſchlug. Da rief Aguillar wie außer ſich: Biſt Du denn nicht Zulema, das Licht des Geſanges in Granada? Zulema, die der Feldherr bei einer Sendung an Boab¬ dil's Hof geſehen, deren wunderbarer Geſang ſeitdem tief in ſeiner Bruſt wiederhallte, war es wirklich. Ich gebe Dir die Freiheit, rief Aguillar, aber da ſprach der ehrwuͤrdige Va¬ ter Agoſtino Sanchez, der das Kreuz in der Hand mitgezogen: Erinnere Dich, Herr! daß Du, indem Du die Gefangene frei laͤſſeſt, ihr großes Unrecht thuſt, da ſie dem Goͤtzendienſt entriſſen, vielleicht bei uns von der Gnade des Herrn erleuchtet, in den Schooß der Kirche zu¬ ruͤckgekehrt waͤre. Aguillar ſprach, Sie mag bei uns bleiben einen Monat hindurch und dann, fuͤhlt ſie ſich nicht durchdrungen von dem Geiſt des Herrn, zuruͤckgebracht werden nach Granada. So kam es, o Herrin! daß Zulema von uns in dem Kloſter aufgenommen wurde. Anfangs uͤber¬302 ließ ſie ſich ganz dem troſtloſeſten Schmerz und bald waren es wild und ſchauerlich toͤnende, bald tiefklagende Romanzen, mit denen ſie das Kloſter erfuͤllte, denn uͤberall hoͤrte man ihre durchdringende Glockenſtimme. Es begab ſich, daß wir einſt um Mitternacht im Chor der Kir¬ che verſammelt waren und die Hora nach jener wundervollen heiligen Weiſe abſangen, die der hohe Meiſter des Geſanges, Ferreras, uns lehrte. Ich bemerkte im Schein der Lichter Zulema in der offnen Pforte des Chors ſtehend und mit ernſtem Blick ſtill und andaͤchtig hineinſchauend; als wir Paarweiſe daherziehend den Chor ver¬ ließen, kniete Zulema im Gange unfern eines Marienbildes. Den andern Tag ſang ſie keine Romanze, ſondern blieb ſtill und in ſich gekehrt. Bald verſuchte ſie auf der tiefgeſtimmten Zither die Akkorde jenes Chorals, den wir in der Kirche geſungen, und dann fing ſie an leiſe leiſe zu ſin¬ gen, ja ſelbſt die Worte unſers Geſanges zu ver¬ ſuchen, die ſie freilich wunderlich wie mit gebun¬303 dener Zunge ausſprach. Ich merkte wohl, daß der Geiſt des Herrn mit milder troͤſtender Stimme im Geſange zu ihr geſprochen, und daß ſich ihre Bruſt oͤffnen wuͤrde ſeiner Gnade, daher ſchickte ich Schweſter Emanuela, die Meiſterin des Chors, zu ihr, daß ſie den glimmenden Funken anfache, und ſo geſchah es, daß im heiligen Ge¬ ſange der Kirche der Glaube in ihr entzuͤndet wurde. Noch iſt Zulema nicht durch die hei¬ lige Taufe in den Schooß der Kirche aufgenom¬ men, aber vergoͤnnt wurde es ihr unſerm Chor ſich beizugeſellen, und ſo ihre wunderbare Stimme zur Glorie der Religion zu erheben. Die Koͤni¬ gin wußte nun wohl, was in Aguillar's In¬ nerm vorgegangen, als er auf Agoſtino's Ein¬ rede Zulema nicht zuruͤckſandte nach Granada, ſondern ſie im Kloſter aufnehmen ließ und um ſo mehr war ſie erfreut uͤber Zulema's Bekeh¬ rung zum wahren Glauben. Nach wenigen Ta¬ gen wurde Zulema getauft und erhielt den Na¬ men Julia. Die Koͤnigin ſelbſt, der Marquis304 von Cadix, Heinrich von Gusman, die Feldherren Mendoza, Villena, waren die Zeu¬ gen des heiligen Akts. Man haͤtte glauben ſol¬ len, daß Julia's Geſang nun noch inniger und wahrer die Herrlichkeit des Glaubens haͤtte ver¬ kuͤnden muͤſſen und ſo geſchah es auch wirklich eine kurze Zeit hindurch, indeſſen bemerkte Ema¬ nuela bald, daß Julia oft auf ſeltſame Weiſe von dem Choral abwich, fremdartige Toͤne ein¬ miſchend. Oft hallte urploͤtzlich der dumpfe Klang einer tiefgeſtimmten Zither durch den Chor. Der Ton glich dem Nachklingen vom Sturm durchrauſchter Saiten. Dann wurde Julia un¬ ruhig und es geſchah ſogar, daß ſie wie willkuͤhr¬ los in den lateiniſchen Hymnus ein mohriſches Wort einwarf. Emanuela warnte die Neube¬ kehrte, ſtandhaft zu widerſtehen dem Feinde, aber leichtſinnig achtete Julia deſſen nicht und zum Aer¬ gerniß der Schweſtern ſang ſie oft, wenn eben die ernſten heiligen Choraͤle des alten Ferreras er¬ klungen, taͤndelnde mohriſche Liebeslieder zur Zither,die305die ſie wieder hoch geſtimmt hatte. Sonderbarer Weiſe klangen jetzt die Zithertoͤne, die oft durch den Chor ſauſten, auch hoch und recht widrig beynahe wie das gellende Gepfeife der kleinen mohriſchen Floͤten.

Der Kapellmeiſter. Flauti piccoli Oktavfloͤtchen. Aber, mein Beſter, noch bis jetzt nichts, gar nichts fuͤr die Oper keine Expo¬ ſition und das iſt immer die Hauptſache, doch mit der tiefen und hohen Stimmung der Zither, das hat mich angeregt. Glaubt ihr nicht, daß der Teufel ein Tenoriſt iſt? Er iſt falſch wie der Teufel, und daher macht er alles im Fal¬ ſet!

Der Enthuſiaſt. Gott im Himmel! ihr werdet von Tage zu Tage witziger, Kapellmei¬ ſter! Aber ihr habt Recht, laſſen wir dem teufli¬ ſchen Prinzip alles uͤberhohe unnatuͤrliche Ge¬ pfeife, Gequieke ꝛc. Doch weiter fort in der Er¬ zaͤhlung, die mir eigentlich blutſauer wird, weil ich jeden Augenblick Gefahr laufe, uͤber irgendU306einen wohl zu beachtenden Moment wegzuſprin¬ gen.

Es begab ſich, daß die Koͤnigin, begleitet von den edlen Feldherren des Lagers, nach der Kirche der Benediktiner-Nonnen ſchritt, um wie ge¬ woͤhnlich die Meſſe zu hoͤren. Vor der Pforte lag ein elender zerlumpter Bettler, die Traban¬ ten wollten ihn fortſchaffen, doch halb erhoben riß er ſich wieder los und warf ſich heulend nie¬ der, ſo daß er die Koͤnigin beruͤhrte. Ergrimmt ſprang Aguillar hervor und wollte den Elenden mit dem Fuße fortſtoßen. Der richtete ſich aber mit halbem Leibe gegen ihn empor und ſchrie: Tritt die Schlange tritt die Schlange, ſie wird dich ſtechen zum Tode! und dazu griff er in die Saiten der unter den Lumpen verſteckten Zither, daß ſie im gellenden widrig pfeifenden Tone zerriſſen und alle von unheimlichem Grauen ergriffen, zuruͤckbebten. Die Trabanten ſchafften das widrige Geſpenſt fort und es hieß: der Menſch ſey ein gefangener wahnſinniger Mohr, der aber307 durch ſeine tollen Spaͤße und durch ſein verwun¬ derliches Zitherſpiel die Soldaten im Lager belu¬ ſtige. Die Koͤnigin trat ein und das Amt be¬ gann. Die Schweſtern im Chor intonirten das Sanctus, eben ſollte Julia mit maͤchtiger Stim¬ me wie ſonſt eintreten: Pleni sunt coeli gloria tua, da ging ein gellender Zitherton durch den Chor, Julia ſchlug ſchnell das Blatt zu¬ ſammen und wollte den Chor verlaſſen. Was beginnſt du? rief Emanuela, O! ſagte Julia, hoͤrſt du denn nicht die praͤchtigen Toͤne des Meiſters? dort bey ihm, mit ihm muß ich ſingen! damit eilte Julia nach der Thuͤre, aber Emanuela ſprach mit ſehr ernſter feierli¬ cher Stimme: Suͤnderin, die du den Dienſt des Herrn entweihſt, da du mit dem Munde ſein Lob verkuͤndeſt und im Herzen weltliche Gedanken traͤgſt, flieh von hinnen, gebrochen iſt die Kraft des Geſanges in dir, verſtummt ſind die wunder¬ baren Laute in deiner Bruſt die der Geiſt des Herrn entzuͤndet! Von Emanuela's Wor¬U 2308ten wie vom Blitz getroffen, ſchwankte Julia fort. Eben wollten die Nonnen zur Nachtzeit ſich verſammeln, um die Hora zu ſingen, als ein dicker Qualm ſchnell die ganze Kirche erfuͤllte. Bald darauf drangen die Flammen ziſchend und praſſelnd durch die Waͤnde des Nebengebaͤudes und erfaßten das Kloſter. Mit Muͤhe gelang es den Nonnen ihr Leben zu retten, Trompeten und Hoͤrner ſchmetterten durch das Lager, aus dem erſten Schlaf taumelten die Soldaten auf; man ſah den Feldherrn Aguillar mit verſeng¬ tem Haar, mit halbverbrannten Kleidern aus dem Kloſter ſtuͤrzen, er hatte Julia, die man vermißte, vergebens zu retten geſucht, keine Spur von ihr war zu finden. Fruchtlos blieb der Kampf gegen das Feuer, das von dem Sturm, der ſich erhoben, angefacht, immer mehr um ſich griff; in kurzer Zeit lag Iſabellens ganzes reiches herrliches Lager in Aſche. Die Mauren im Vertrauen, daß der Chriſten Ungluͤck ihnen Sieg bringen wuͤrde, wagten mit einer bedeuten¬309 den Macht einen Ausfall, glaͤnzender war aber fuͤr die Waffen der Spanier nie ein Kampf ge¬ weſen, als eben dieſer, und als ſie unter dem jauchzenden Schall der Trompeten ſieggekroͤnt in ihre Verſchanzungen zuruͤckzogen, da beſtieg die Koͤnigin Iſabella den Thron, den man im Freyen errichtet hatte und verordnete, daß an der Stelle des abgebrannten Lagers eine Stadt ge¬ baut werde! Zeigen ſollte dies den Mauren in Granada, daß niemals die Belagerung aufgeho¬ ben werden wuͤrde.

Der Kapellmeiſter. Duͤrfte man ſich nur mit geiſtlichen Dingen auf das Theater wa¬ gen, hat man nicht ſchon ſeine Noth mit dem lieben Publikum, wenn man hie und da ein bis¬ chen Choral anbringt. Sonſt waͤr 'die Julia gar keine uͤble Partie. Denkt Euch den doppel¬ ten Styl, in welchem ſie glaͤnzen kann, erſt die Romanzen, dann die Kirchengeſaͤnge. Einige allerliebſte ſpaniſche und mohriſche Lieder hab' ich bereits fertig, auch iſt der Sieges-Marſch der310 Spanier gar nicht uͤbel, ſo wie ich das Gebot der Koͤnigin melodramatiſch zu behandeln Willens bin, wie indeſſen das Ganze ſich zuſammenfuͤgen ſoll, das weiß der Himmel! Aber erzaͤhlt weiter, kommen wir wieder auf Julia, die hoffentlich nicht verbrannt ſeyn wird.

Der Enthuſiaſt. Denkt Euch, liebſter Kapellmeiſter, daß jene Stadt, die die Spanier in ein und zwanzig Tagen aufbauten und mit Mauern umgaben, eben das heute noch ſtehende Santa Fe iſt. Doch indem ich das Wort ſo un¬ mittelbar an Euch richte, falle ich aus dem feier¬ lichen Ton, der allein ſich zu dem feierlichen Stoffe paßt. Ich wollte Ihr ſpieltet eins von Paleſtrina's Reſponſorien, die dort auf dem Pult des Fortepiano's aufgeſchlagen liegen.

Der Kapellmeiſter that es und hierauf fuhr der reiſende Enthuſiaſt alſo fort:

Die Mauren unterließen nicht, die Spanier waͤhrend des Aufbaues ihrer Stadt auf mannig¬ fache Weiſe zu beunruhigen, die Verzweiflung311 trieb ſie zur verwogenſten Kuͤhnheit und ſo wur¬ den die Gefechte ernſter als jemals. Aguillar hatte einſt ein mauriſches Geſchwader, das die ſpaniſchen Vorwachen uͤberfallen, bis in die Mau¬ ern von Granada zuruͤck getrieben. Er kehrte mit ſeinen Reitern zuruͤck, und hielt unfern den er¬ ſten Verſchanzungen bey einem Myrthenwaͤldchen, ſein Gefolge fortſchickend, um ſo ernſtem Gedan¬ ken und wehmuͤthiger Erinnerung ſich mit ganzem Gemuͤth hingeben zu koͤnnen. Julia's Bild ſtand lebendig vor ſeines Geiſtes Augen. Schon waͤh¬ rend des Gefechts hoͤrte er ihre Stimme bald drohend bald klagend ertoͤnen und auch jetzt war es ihm als ſaͤusle ein ſeltſamer Geſang, halb mohriſches Lied halb chriſtlicher Kirchen-Geſang, durch die dunklen Myrthen. Da rauſchte ploͤtz¬ lich ein mohriſcher Ritter im ſilbernen Schuppen¬ harniſch auf leichtem arabiſchen Pferde aus dem Walde hervor und gleich ſauſte auch der gewor¬ fene Speer dicht bey Aguillars Haupt vorbey. Er wollte mit gezogenem Schwert auf den Feind312 losſtuͤrzen, als der zweyte Speer flog und ſeinem Pferde tief in der Bruſt ſtecken blieb, daß es ſich vor Wuth und Schmerz hoch emporbaͤumte und Aguillar ſich ſchnell von der Seite herab¬ ſchwingen mußte, um ſchwerem Falle nicht zu erlie¬ gen. Der Mohr war herangeſprengt und hieb herab mit der Sichelklinge nach Aguillars entbloͤſtem Haupt. Aber geſchickt parirte Aguillar den Todesſtreich und hieb ſo gewaltig nach, daß der Mohr ſich nur rettete, indem er tief vom Pferde niedertauchte. In demſelben Augenblick draͤngte ſich des Mohren Pferd dicht an Aguillar, ſo daß er keinen zweyten Hieb fuͤhren konnte, der Mohr riß ſeinen Dolch hervor, aber noch ehe er zuſtoßen konnte, hatte ihn Aguillar mit Rieſen¬ ſtaͤrke erfaßt, vom Pferde heruntergezogen und ringend zu Boden geworfen. Er kniete auf des Mohren Bruſt und indem er mit der linken Fauſt des Mohren rechten Arm ſo gewaltig ge¬ packt hatte, daß er regungslos blieb, zog er ſei¬ nen Dolch. Schon hatte er den Arm erhoben,313 um des Mohren Kehle zu durchſtoßen, als dieſer tief aufſeufzte: Zulema! Zur Bildſaͤule erſtarrt vermochte Aguillar nicht die That zu vollenden. Unſeliger, rief er, welch 'einen Namen nannteſt du? Stoße zu, ſtoͤhnte der Mohr, ſtoße zu, du toͤdteſt den, der dir Tod und Verderben geſchworen hat. Ja! wiſſe, ver¬ raͤtheriſcher Chriſt, wiſſe, daß es Hichem der letzte des Stammes Alhamar iſt, dem du Zulema raubteſt! Wiſſe, daß jener zerlumpte Bettler, der mit den Gebehrden des Wahnſinns in eurem Lager umherſchlich, Hichem war, wiſſe daß es mir gelang, das dunkle Gefaͤngniß, in dem ihr Verruchte das Licht meiner Gedanken eingeſchloſ¬ ſen, anzuzuͤnden, und Zulema zu retten. Zulema Julia lebt? rief Aguillar. Da lachte Hichem gellend auf im grauſigen Hohn: Ja ſie lebt, aber Euer blutiges dornen¬ gekroͤntes Goͤtzenbild hat mit fluchwuͤrdigem Zau¬ ber ſie befangen und die duftende gluͤhende Blume des Lebens eingehuͤllt in die Leichentuͤcher der wahn¬314 ſinnigen Weiber, die ihr Braͤute Eures Goͤtzen nennt. Wiſſe, daß Ton und Geſang in ihrer Bruſt wie angeweht vom giftigen Hauch des Samums erſtorben iſt. Dahin iſt alle Luſt des Lebens mit Zulema's ſuͤßen Liedern, darum toͤdte mich toͤdte mich, da ich nicht Rache zu nehmen vermag an dir, der du mir ſchon mehr als mein Leben entriſſeſt. Aguillar ließ ab von Hichem und erhob ſich, ſein Schwert von dem Boden aufnehmend langſam. Hichem, ſprach er: Zulema, die in heiliger Taufe den Namen Julia empfing, wurde meine Gefan¬ gene im ehrlichen offenen Kampf. Erleuchtet von der Gnade des Herrn, entſagte ſie Mahoms ſchnoͤdem Dienſt und was du verblendeter Mohr boͤſen Zauber eines Goͤtzenbildes nennſt, war nur die Verſuchung des Boͤſen, dem ſie nicht zu wi¬ derſtehen vermochte. Nennſt du Zulema deine Geliebte, ſo ſey Julia, die zum Glauben be¬ kehrte, die Dame meiner Gedanken, und ſie im Herzen, zur Glorie des wahren Glaubens will315 ich gegen dich beſtehen im wackern Kampf. Nimm deine Waffen und falle gegen mich aus wie du willſt nach deiner Sitte. Schnell ergriff Hi¬ chem Schwert und Tartſche, aber auf Aguil¬ lar losrennend, wankte er laut aufbruͤllend zuruͤck, warf ſich auf das Pferd, das neben ihm ſtehen geblieben und ſprengte geſtreckten Galopps davon. Aguillar wußte nicht was das zu bedeuten haben koͤnnte, aber in dem Augenblick ſtand der ehrwuͤrdige Greis Agoſtino Sanchez hinter ihm und ſprach ſanft laͤchelnd: Fuͤrchtet Hichem mich oder den Herrn, der in mir wohnt und deſſen Liebe er verſchmaͤht? Aguillar erzaͤhlte alles was er von Julia vernommen und beyde erinnerten ſich nun wohl an die prophetiſchen Worte Emanuela's, als Julia verlockt von Hichems Zithertoͤnen alle Andacht im Innern ertoͤdtend, den Chor waͤhrend des Sanctus ver¬ ließ.

Der Kapellmeiſter. Ich denke an keine Oper mehr, aber das Gefecht zwiſchen dem Moh¬316 ren Hichem im Schuppenharniſch und dem Feld? herrn Aguillar ging mir auf in Muſik. Hol 'es der Teufel! wie kann man nun beſſer gegen einander ausfallen laſſen als es Mozart im Don Giovanni gethan hat. Ihr wißt doch in der erſten

Der reiſende Enthuſiaſt. Still Ka¬ pellmeiſter! Ich werde nun meiner ſchon zu lan¬ gen Erzaͤhlung den letzten Ruck geben. Noch allerley kommt vor, und es iſt noͤthig die Gedanken zuſammen zu halten, um ſo mehr, da ich immer dabey an Bettina denke, welches mich nicht wenig verwirrt. Vorzuͤglich moͤcht 'ich gar nicht, daß ſie jemals etwas von meiner ſpa¬ niſchen Geſchichte erfuͤhre und doch iſt es mir ſo, als wenn ſie dort an jener Thuͤre lauſchte, wel¬ ches natuͤrlicher Weiſe pure Einbildung ſeyn muß. Alſo weiter.

Immer und immer geſchlagen in allen Ge¬ fechten, von der taͤglich-ſtuͤndlich zunehmenden Hungersnoth gedruͤckt, ſahen ſich die Mauren317 endlich genoͤthigt, zu kapituliren und im feſtlichen Gepraͤnge unter dem Donner des Geſchuͤtzes zogen Ferdinand und Iſabella in Granada ein. Prieſter hatten die große Moſchee eingeweiht zur Cathedrale und dorthin ging der Zug, um in andaͤchtiger Meſſe, im feyerlichen Te deum lau¬ damus dem Herrn der Heerſchaaren zu danken fuͤr den glorreichen Sieg uͤber die Diener Ma¬ homs, des falſchen Propheten. Man kannte die nur muͤhſam unterdruͤckte, immer neu aufgeifernde Wuth der Mohren und daher deckten Truppenab¬ theilungen, die durch entferntere Straßen ſchlag¬ fertig zogen, die durch die Hauptſtraße ſich be¬ wegende Proceſſion. So geſchah es, daß Aguil¬ lar an der Spitze einer Abtheilung Fußvolks eben auf entfernterem Wege ſich nach der Cathe¬ drale, wo das Amt ſchon begonnen, begeben wollte, als er ſich ploͤtzlich durch einen Pfeilſchuß an der linken Schulter verwundet fuͤhlte. In demſelben Augenblick ſtuͤrzte ein Haufen Mohren aus einem dunkeln Bogengange hervor, und318 uͤberfiel die Chriſten mit verzweifelnder Wuth. Hichem an der Spitze rannte gegen Aguillar an, dieſer nur leicht verletzt, kaum den Schmerz der Wunde fuͤhlend, parirte geſchickt den gewal¬ tigen Hieb und in demſelben Augenblick lag auch Hichem mit geſpaltenem Kopf zu ſeinen Fuͤßen. Die Spanier drangen wuͤthend ein auf die ver¬ raͤtheriſchen Mohren, die bald heulend flohen und ſich in ein ſteinernes Haus warfen, deſſen Thor ſie ſchnell verſchloſſen. Die Spanier ſtuͤrmten heran, aber da regnete es Pfeile aus den Fen¬ ſtern, Aguillar befahl Feuerbraͤnde hinein zu werfen. Schon loderten die Flammen aus dem Dache hoch auf, als durch den Donner des Ge¬ ſchuͤtzes eine wunderbare Stimme aus dem bren¬ nenden Gebaͤude erklang: Sanctus Sanctus Dominus deus Sabaoth. Julia Julia! rief Aguillar in troſtloſem Schmerz, da oͤfne¬ ten ſich die Pforten, und Julia im Gewande der Benedictiner-Nonne trat hervor mit ſtarker Stimme ſingend: Sanctus Sanctus Dominusdeus319deus Sabaoth, hinter ihr zogen die Mohren in gebeugter Stellung die Haͤnde auf der Bruſt zum Kreuz verſchraͤnkt. Erſtaunt wichen die Spanier zuruͤck und durch ihre Reihen zog Julia mit den Mohren nach der Cathedrale hineintre¬ tend intonirte ſie das: Benedictus qui venit in nomine domini. Unwillkuͤhrlich, als komme die Heilige vom Himmel geſendet, Heiliges zu verkuͤnden den Geſegneten des Herrn, beugte das Volk die Knie. Feſten Schrittes, den verklaͤrten Blick gen Himmel gerichtet, trat Julia vor den Hoch¬ altar zwiſchen Ferdinand und Iſabellen, das Amt ſingend und die heiligen Gebraͤuche mit inbruͤnſtiger Andacht uͤbend. Bey den letzten Lauten des: Dona nobis pacem, ſank Julia entſeelt der Koͤnigin in die Arme. Alle Mohren, die ihr gefolgt, empfingen, zum Glauben bekehrt, ſelbigen Tages die heilige Taufe.

So hatte der Enthuſiaſt ſeine Geſchichte geen¬ det, als der Doktor mit vielem Geraͤuſch eintrat, heftig mit dem Stock auf die Erde ſtieß und zor¬X320nig ſchrie: da ſitzen ſie noch und erzaͤhlen ſich tolle fantaſtiſche Geſchichten ohne Ruͤckſicht auf Nachbarſchaft und machen die Leute kraͤnker. Was iſt denn nun wieder geſchehen, mein Wer¬ theſter, ſprach der Kapellmeiſter ganz erſchrocken. Ich weiß es recht gut, fiel der Enthuſiaſt ganz gelaſſen ein. Nichts mehr und nichts weniger, als daß Bettina uns ſtark reden gehoͤrt hat, dort ins Cabinet gegangen iſt und alles weiß. Das habt ihr nun, ſprudelte der Doktor, von Euren verdammten luͤgenhaften Geſchichten, wahnſinniger Enthuſiaſt, daß ihr reizbare Gemuͤther vergiftet ruinirt, mit Eurem tollen Zeuge; aber ich werde Euch das Handwerk legen. Herrlicher Doktor! unterbrach der Enthuſiaſt den Zornigen, ereifert Euch nicht und bedenkt, daß Bettina's pſychiſche Krankheit pſychiſche Mittel erfordert und daß vielleicht meine Geſchichte Still ſtill fiel der Doktor ganz gelaſſen ein, ich weiß ſchon, was ihr ſagen wollt. Zu einer Oper taugt es nicht, aber ſonſt gab es darin einige ſonderbar321 klingende Akkorde. So murmelte der Kapellmei¬ ſter, indem er den Hut ergriff und den Freunden folgte.

Als drey Monat darauf der reiſende Enthu¬ ſiaſt der geſundeten Bettina, die mit herrlicher Glocken-Stimme Pergoleſes Stabat mater (jedoch nicht in der Kirche, ſondern im maͤßig großen Zimmer) geſungen hatte, voll Freude und andaͤch¬ tigen Entzuͤckens die Hand kuͤßte, ſprach ſie: Ein Hexenmeiſter ſind Sie gerade nicht, aber zuweilen etwas widerhaarigter Natur. wie alle Enthuſia¬ ſten. ſetzte der Kapellmeiſter hinzu.

About this transcription

TextNachtstücke
Author E. T. A. Hoffmann
Extent333 images; 47764 tokens; 9405 types; 330946 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationNachtstücke Erster Theil E. T. A. Hoffmann. . 321 S. RealschulbuchhandlungBerlin1817.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 4975-1/2http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=616598920

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Novelle; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:23Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 19 ZZ 4975-1/2
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.