— Man war daruͤber einig, daß die wirklichen Erſcheinungen im Leben oft viel wunderbarer ſich geſtalteten, als alles, was die regſte Fantaſie zu erfinden trachte. „ Ich meine, “ſprach Lelio, „ daß die Geſchichte davon hinlaͤnglichen Beweis gibt und daß eben deshalb die ſogenannten hiſtori¬ ſchen Romane, worin der Verfaſſer, in ſeinem muͤßigen Gehirn bei aͤrmlichem Feuer ausgebruͤtete Kindereien, den Thaten der ewigen, im Univerſum waltenden Macht beizugeſellen ſich unterfaͤngt, ſo abgeſchmackt und widerlich ſind. “ „ Es iſt, “nahm Franz das Wort, „ die tiefe Wahrheit der uner¬A2forſchlichen Geheimniſſe, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den uͤber uns herrſchenden, uns ſelbſt bedingenden Geiſt erkennen. “ „ Ach! “fuhr Lelio fort, „ die Erkenntniß, von der du ſprichſt! — Ach das iſt ja eben die entſetzlichſte Folge unſerer Entartung nach dem Suͤndenfall, daß dieſe Erkenntniß uns fehlt! “ „ Viele, “unterbrach Franz den Freund, „ viele ſind berufen und wenige auserwaͤhlt! Glaubſt Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬ nahe noch ſchoͤnere Ahnen der Wunder unſeres Lebens manchem verliehen iſt, wie ein beſonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren koͤnnten, herauf zu ſpringen in den heitren Augenblick, werf 'ich Euch das ſkurrile Gleichniß hin, daß Menſchen, denen die Seher¬ gabe, das Wunderbare zu ſchauen, mir wohl wie die Fledermaͤuſe beduͤnken wollen, an denen der ge¬ lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen ſechsten Sinn entdeckte, der als ſchalkhafter Stell¬ vertreter nicht allein alles, ſondern viel mehr aus¬3 richtet, als alle uͤbrige Sinne zuſammengenommen. “ „ Ho ho, “rief Franz lachelnd, „ ſo waͤren denn die Fledermaͤuſe eigentlich recht die gebornen natuͤr¬ lichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augen¬ blick, deſſen Du gedachteſt, will ich Poſto faſſen und bemerken, daß jener ſechſte bewundrungswuͤr¬ dige Sinn vermag an jeder Erſcheinung, ſei es Perſon, That oder Begebenheit, ſogleich dasjenige exzentriſche zu ſchauen, zu dem wir in unſerm ge¬ woͤhnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was iſt denn aber ge¬ woͤhnliches Leben? — Ach das Drehen in dem engen Kreiſe, an den unſere Naſe uͤberall ſtoͤßt, und doch will man wohl Courbetten verſuchen im taktmaͤßigen Paßgang des Alltagsgeſchaͤfts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir ſprechen, ganz vorzuͤglich eigen ſcheint. Daher kommt es, daß er oft unbekannten Menſchen, die irgend etwas verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, Tagelang nachlaͤuft, daß er uͤber eine Gegebenheit, uͤber eine That, leicht hinA 24erzaͤhlt, keiner Beachtung werth und von niemanden beachtet, tiefſinnig wird, daß er antipodiſche Dinge zuſammen ſtellt und Beziehungen heraus fantaſirt, an die niemand denkt. “ Lelio rief laut: „ Halt, halt, das iſt ja unſer Theodor, der ganz was beſonderes im Kopfe zu haben ſcheint, da er mit ſolch ſeltſamen Blicken in das Blaue heraus ſchaut. “ „ In der That, “fing Theodor an, der ſo lange geſchwiegen, „ in der That, waren meine Blicke ſeltſam, ſo lang darin der Reflex des wahrhaft Seltſamen, das ich im Geiſte ſchaute. Die Erin¬ nerung eines unlaͤngſt erlebten Abentheuers “— O erzaͤhle, erzaͤhle, unterbrachen ihn die Freunde. „ Erzaͤhlen, “fuhr Theodor fort, „ moͤcht 'ich wohl, doch muß ich zufoͤrderſt Dir, lieber Lelio, ſagen, daß Du die Beiſpiele, die meine Sehergabe dar¬ thun ſollten, ziemlich ſchlecht waͤhlteſt. Aus Eber¬ hards Synonymik mußt Du wiſſen, daß wun¬ derlich alle Aeußerungen der Erkenntniß und des Begehrens genannt werden, die ſich durch keinen vernuͤnftigen Grund rechtfertigen laſſen wunder¬5 bar aber dasjenige heißt, was man fuͤr unmoͤg¬ lich, fuͤr unbegreiflich haͤlt, was die bekannten Kraͤfte der Natur zu uͤberſteigen, oder wie ich hinzu fuͤge, ihrem gewoͤhnlichen Gange entgegen zu ſeyn ſcheint. Daraus wirſt Du entnehmen, daß Du vorhin Ruͤckſichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche mit dem Wunderbaren verwech¬ ſelteſt. Aber gewiß iſt es, daß das anſcheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren ſproßt, und daß wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht ſehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blaͤt¬ tern und Bluͤthen hervor ſproſſen. In dem Aben¬ theuer, das ich Euch mittheilen will, miſcht ſich beides, das Wunderliche und Wunderbare, auf, wie mich duͤnkt, recht ſchauerliche Weiſe. Mit dieſen Worten zog Theodor ſein Taſchenbuch hervor, worin er, wie die Freunde wußten, allerley Noti¬ zen von ſeiner Reiſe her eingetragen hatte, und erzaͤhlte, dann und wann in dies Buch hineinblik¬ kend, folgende Begebenheit, die der weiteren Mit¬ theilung nicht unwerth ſcheint.
6Ihr wißt (ſo fing Theodor an), daß ich den ganzen vorigen Sommer in *** n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vor¬ fand, das freie gemuͤthliche Leben, die mannig¬ fachen Anregungen der Kunſt und der Wiſſenſchaft, das Alles hielt mich feſt. Nie war ich heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Straßen zu wandeln, und mich an jedem ausgehaͤngten Kupferſtich, an jedem Anſchlagzettel zu ergoͤtzen, oder die mir begegnenden Geſtalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu ſtellen, hing ich hier mit Leidenſchaft nach, da nicht allein der Reichthum der ausgeſtellten Werke der Kunſt und des Luxus, ſondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebaͤude unwiderſtehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebaͤuden jener Art einge¬ ſchloſſene Allee, welche nach dem *** ger Thore fuͤhrt, iſt der Sammelplatz des hoͤheren, durch Stand oder Reichthum zum uͤppigeren Lebensgenuß berechtigten Publikums. In dem Erdgeſchoß der hohen breiten Pallaͤſte werden meiſtentheils Waaren7 des Luxus feil geboten, indeß in den obern Stock¬ werken Leute der beſchriebenen Claſſe hauſen. Die vornehmſten Gaſthaͤuſer liegen in dieſer Straße, die fremden Geſandten wohnen meiſtens darin, und ſo koͤnnt Ihr denken, daß hier ein beſonderes Leben und Regen mehr als in irgend einem andern Theile der Reſidenz Statt finden muß, die ſich eben auch hier volkreicher zeigt, als ſie es wirklich iſt. Das Zudraͤngen nach dieſem Orte macht es, daß man¬ cher ſich mit einer kleineren Wohnung, als ſein Beduͤrfniß eigentlich erfordert, begnuͤgt, und ſo kommt es, daß manches von mehreren Familien be¬ wohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages ploͤtzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche ſeltſame Weiſe von allen uͤbrigen abſtach. Denkt Euch ein niedriges, vier Fenſter breites, von zwei hohen ſchoͤnen Gebaͤuden einge¬ klemmtes Haus, deſſen Stock uͤber dem Erdgeſchoß nur wenig uͤber die Fenſter im Erdgeſchoß des nach¬ barlichen Hauſes hervorragt, deſſen ſchlecht ver¬8 wahrtes Dach, deſſen zum Theil mit Papier ver¬ klebte Fenſter, deſſen farbloſe Mauern von gaͤnz¬ licher Verwahrloſung des Eigenthuͤmers zeugen. Denkt Euch, wie ſolch ein Haus zwiſchen mit ge¬ ſchmackvollem Luxus ausſtaffirten Prachtgebaͤuden ſich ausnehmen muß. Ich blieb ſtehen und be¬ merkte bey naͤherer Betrachtung, daß alle Fenſter dicht verzogen waren, ja daß vor die Fenſter des Erdgeſchoſſes eine Mauer aufgefuͤhrt ſchien, daß die gewoͤhnliche Glocke an dem Thorwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Hausthuͤre dien¬ te, fehlte, und daß an dem Thorwege ſelbſt nir¬ gends ein Schloß, ein Druͤcker zu entdecken war. Ich wurde uͤberzeugt, daß dieſes Haus ganz unbe¬ wohnt ſeyn muͤſſe, da ich niemahls, niemahls, ſo oft und zu welcher Tageszeit ich auch voruͤbergehen mochte auch nur die Spur eines menſchlichen We¬ ſens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieſer Gegend der Stadt! Eine wunderliche Er¬ ſcheinung und doch findet das Ding vielleicht darin ſeinen natuͤrlichen einfachen Grund, daß der Be¬9 ſitzer auf einer lange dauernden Reiſe begriffen oder auf fernen Guͤtern hauſend, dies Grundſtuͤck weder vermiethen noch veraͤußern mag, um, nach *** n zuruͤckkehrend, augenblicklich ſeine Wohnung dort aufſchlagen zu koͤnnen. — So dacht 'ich, und doch weiß ich ſelbſt nicht wie es kam, daß bey dem oͤden Hauſe voruͤberſchreitend ich jedesmahl wie feſt¬ gebannt ſtehen bleiben und mich in ganz verwun¬ derliche Gedanken nicht ſowohl vertiefen, als ver¬ ſtricken mußte. — Ihr wißt es ja alle, ihr wackern Kumpane meines froͤhlichen Jugendlebens, ihr wißt es ja alle, wie ich mich von jeher als Geiſterſeher gebehrdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt ſeltſame Erſcheinungen ins Leben treten woll¬ ten, die ihr mit derbem Verſtande wegzulaͤugnen wußtet! — Nun! zieht nur Eure ſchlauen ſpitz¬ fuͤndigen Geſichter, wie Ihr wollt, gern zugeſtehen darf ich ja, daß ich oft mich ſelbſt recht arg myſti¬ fizirt habe, und daß mit dem oͤden Hauſe ſich daſ¬ ſelbe ereignen zu wollen ſchien, aber — am Ende kommt die Moral, die Euch zu Boden ſchlaͤgt,10 horcht nur auf! — Zur Sache! — Eines Tages und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton ge¬ bietet, in der Allee auf und ab zu gehen, ſtehe ich, wie gewoͤhnlich, in tiefen Gedanken hinſtarrend vor dem oͤden Hauſe. Ploͤtzlich bemerke ich, ohne ge¬ rade hinzuſehen, daß jemand neben mir ſich hinge¬ ſtellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es iſt Graf P., der ſich ſchon in vieler Hinſicht als mir geiſtesverwandt kund gethan hat, und ſogleich iſt mir nichts gewiſſer, als daß auch ihm das Ge¬ heimnißvolle des Hauſes aufgegangen war. Um ſo mehr fiel es mir auf, daß, als ich von dem ſelt¬ ſamen Eindruck ſprach, den dies veroͤdete Gebaͤude hier in der belebteſten Gegend der Reſidenz auf mich gemacht hatte, er ſehr ironiſch laͤchelte, bald war aber Alles erklaͤrt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Combinationen ꝛc. hatte er die Bewandtniß heraus¬ gefunden, die es mit dem Hauſe hatte, und eben dieſe Bewandtniß lief auf eine ſolche ganz ſeltſame Geſchichte heraus, die nur die lebendigſte Fantaſie11 des Dichters ins Leben treten laſſen konnte. Es waͤre wohl recht, daß ich Euch die Geſchichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mittheilte, doch ſchon jetzt fuͤhle ich mich durch das, was ſich wirklich mit mir zutrug, ſo geſpannt, daß ich unaufhaltſam fortfahren muß. Wie war aber dem guten Grafen zu Muthe, als er mit der Geſchichte fertig, erfuhr, daß das ver¬ oͤdete Haus nichts anders enthalte, als die Zucker¬ baͤckerei des Conditors, deſſen prachtvoll eingerich¬ teter Laden dicht anſtieß. Daher waren die Fenſter des Erdgeſchoſſes, wo die Oefen eingerichtet, ver¬ mauert und die zum Aufbewahren des Gebacknen im obern Stock beſtimmten Zimmer mit dicken Vorhaͤngen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mittheilte, ſo wie er, die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigſtens der allem Poetiſchen feindliche Daͤmon den Suͤßtraͤumenden empfindlich und ſchmerzhaft bey der Naſe. — Unerachtet der pro¬ ſaiſchen Aufklaͤrung mußte ich doch noch immer12 voruͤbergehend nach dem oͤden Hauſe hinſchauen, und noch immer gingen im leiſen Froͤſteln, das mir durch die Glieder bebte, allerley ſeltſame Gebilde von dem auf, was dort verſchloſſen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zucker¬ baͤckerei, des Marzipans, der Bonbons, der Tor¬ ten, der eingemachten Fruͤchte u. ſ. w. gewoͤhnen. Eine ſeltſame Ideen-Combination ließ mir das Alles erſcheinen wie ſuͤßes beſchwichtigendes Zureden. Ungefaͤhr: „ Erſchrecken Sie nicht, Beſter! wir alle ſind liebe ſuͤße Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bischen einſchlagen. “ Dann dachte ich wieder: „ Biſt du nicht ein recht wahnſinniger Thor, daß du das Gewoͤhnlichſte in das Wunder¬ bare zu ziehen trachteſt, ſchelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen uͤberſpannten Geiſterſeher? “— Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Be¬ ſtimmung auch nicht anders ſeyn konnte, immer unveraͤndert, und ſo geſchah es, daß mein Blick ſich daran gewoͤhnte, und die tollen Gebilde, die ſonſt ordentlich aus den Mauern hervor zu ſchweben13 ſchienen, allmaͤhlig verſchwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeſchlummert, wieder auf. — Daß, unerachtet ich mich, ſo gut es gehen wollte, ins Alltaͤgliche gefuͤgt hatte, ich doch nicht unterließ, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das koͤnnt Ihr Euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer ritterlicher Treue am Wunder¬ baren feſt haͤlt, wohl denken. So geſchah es, daß ich eines Tages, als ich wie gewoͤhnlich zur Mittagsſtunde in der Allee luſtwandelte, meinen Blick auf die verhaͤngten Fenſter des oͤden Hauſes richtete. Da bemerkte ich, daß die Gardine an dem letzten Fenſter dicht neben dem Conditorladen ſich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorſchein. Ich riß meinen Operngucker her¬ aus und gewahrte nun deutlich die blendend weiße, ſchoͤn geformte Hand eines Frauenzimmers, an de¬ ren kleinem Finger ein Brillant mit ungewoͤhn¬ lichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in uͤppiger Schoͤnheit geruͤndeten Arm. Die Hand ſetzte eine hohe ſeltſam geformte Kryſtallfla¬14 ſche hin auf die Fenſterbank und verſchwand hinter dem Vorhange. Erſtarrt blieb ich ſtehen, ein ſon¬ derbar baͤnglich wonniges Gefuͤhl durchſtroͤmte mit elektriſcher Waͤrme mein Inneres, unverwandt blickte ich herauf nach dem verhaͤngnißvollen Fenſter, und wohl mag ein ſehnſuchtsvoller Seufzer meiner Bruſt entflohen ſeyn. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menſchen allerlei Standes, die ſo wie ich mit neugierigen Geſichtern herauf guckten. Das verdroß mich, aber gleich fiel mir ein, daß jedes Hauptſtadtvolk jenem glei¬ che, das zahllos vor dem Hauſe verſammelt, nicht zu gaffen und ſich daruͤber zu verwundern aufhoͤren konnte, daß eine Schlafmuͤtze aus dem ſechsten Stock herabgeſtuͤrzt, ohne eine Maſche zu zer¬ reißen. — Ich ſchlich mich leiſe fort, und der pro¬ ſaiſche Daͤmon fluͤſterte mir ſehr vernehmlich in die Ohren, daß ſo eben die reiche, ſonntaͤglich geſchmuͤckte Conditorsfrau eine geleerte Flaſche feinen Roſen¬ waſſers o. ſ. auf die Fenſterbank geſtellt. — Seltner Fall! — mir kam urploͤtzlich ein ſehr15 geſcheuter Gedanke. — Ich kehrte um und gerade zu ein, in den leuchtenden Spiegelladen des dem oͤden Hauſe nachbarlichen Conditors. — Mit kuͤh¬ lendem Athem den heißen Schaum von der Choko¬ lade wegblaſend, fing ich leicht hingeworfen an: In der That, Sie haben da nebenbei ihre Anſtalt ſehr ſchoͤn erweitert. — Der Conditor warf noch ſchnell ein paar bunte Bonbons in die Viertel-Tuͤte, und dieſe dem lieblichen Maͤdchen, das darnach ver¬ langt, hinreichend, lehnte er ſich mit aufgeſtemmtem Arm weit uͤber den Ladentiſch heruͤber und ſchaute mich mit ſolch' laͤchelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verſtanden. Ich wieder¬ holte, daß er ſehr zweckmaͤßig in dem benachbarten Hauſe ſeine Baͤckerei angelegt, wiewohl das da¬ durch veroͤdete Gebaͤude in der lebendigen Reihe der uͤbrigen duͤſter und traurig abſteche. „ Ei mein Herr! “fing nun der Conditor an, „ wer hat Ih¬ nen denn geſagt, daß das Haus nebenan uns ge¬ hoͤrt? — Leider blieb jeder Verſuch es zu acquiri¬ ren vergebens, und am Ende mag es auch gut ſeyn,16 denn mit dem Hauſe nebenan hat es eine eigne Bewandtniß. “— Ihr, meine treuen Freunde, koͤnnt wohl denken, wie mich des Conditors Ant¬ wort ſpannte, und wie ſehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hauſe zu ſagen. „ Ja, mein Herr! “ſprach er, „ recht ſonderliches weiß ich ſelbſt nicht davon, ſo viel iſt aber gewiß, daß das Haus der Graͤfin von S. gehoͤrt, die auf ihren Guͤtern lebt und ſeit vielen Jahren nicht in *** n geweſen iſt. Als noch keins der Prachtgebaͤude exiſtirte, die jetzt unſere Straße zieren, ſtand dies Haus, wie man mir erzaͤhlt hat, ſchon in ſeiner jetzigen Geſtalt da, und ſeit der Zeit wurd 'es nur gerade vor dem gaͤnz¬ lichen Verfall geſichert. Nur zwei lebendige Weſen hauſen darin, ein ſteinalter menſchenfeindlicher Hausverwalter und ein graͤmlicher lebensſatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage ſoll es in dem oͤden Gebaͤude haͤßlich ſpuken, und in der That, mein Bruder (der Beſitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzuͤglichzur17zur Weihnachtszeit, wenn uns unſer Geſchaͤft hier im Laden wach erhielt, oft ſeltſame Klagelaute vernommen, die offenbar ſich hier hinter der Mauer im Nebenhauſe erhoben. Und dann fing es an ſo haͤßlich zu ſcharren und zu rumoren, daß uns bei¬ den ganz graulich zu Muthe wurde. Auch iſt es nicht lange her, daß ſich zur Nachtzeit ein ſolch ſonderbarer Geſang hoͤren ließ, den ich Ihnen nun gar nicht beſchreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Toͤne waren ſo gellend klar, und liefen in bunten Cadenzen und langen ſchneidenden Trillern ſo hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutſchland ſo viel Saͤn¬ gerinnen gekannt, noch nie gehoͤrt habe. Mir war ſo, als wuͤrden franzoͤſiſche Worte geſungen, doch konnt 'ich das nicht genau unterſcheiden, und uͤber¬ haupt das tolle geſpenſtige Singen nicht lange an¬ hoͤren, denn mir ſtanden die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geraͤuſch auf der Straße nachlaͤßt, hoͤren wir auch in der hintern Stube tiefeB18Seufzer, und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervor zu droͤhnen ſcheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, daß es eben auch im Hauſe nebenan ſo ſeufzt und lacht. — Bemerken Sie — (er fuͤhrte mich in das hintere Zimmer und zeigte durch's Fenſter) bemerken Sie jene eiſerne Roͤhre, die aus der Mauer hervor ragt, die raucht zuweilen ſo ſtark, ſelbſt im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, daß mein Bruder ſchon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der ſich aber damit entſchuldigt, daß er ſein Eſſen koche, was der aber eſſen mag, das weiß der Himmel, denn oft verbreitet ſich, eben wenn jene Roͤhre recht ſtark raucht, ein ſonderbarer ganz eigenthuͤmlicher Ge¬ ruch. “— Die Glasthuͤre des Ladens knarrte, der Conditor eilte hinein und warf mir, nach der hinein¬ getretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. — Ich verſtand ihn vollkommen. Konnte denn die ſonderbare Geſtalt jemand anders ſeyn als der Verwalter des geheimnißvollen Hauſes? —19 Denkt Euch einen kleinen duͤrren Mann mit einem Mumienfarbnen Geſichte, ſpitzer Naſe, zuſammen¬ gekniffenen Lippen, gruͤn funkelnden Katzenaugen, ſtetem wahnſinnigem Laͤcheln, altmodig mit aufge¬ thuͤrmtem Toupee und Klebeloͤckchen friſirtem ſtark gepudertem Haar, großem Haarbeutel, Poſtillion d'Amour, Kaffeebraunem altem verbleichtem, doch wohlgeſchontem, gebuͤrſtetem Kleide, grauen Struͤmpfen, großen abgeſtumpften Schuhen mit Steinſchnaͤllchen. Denkt Euch, daß dieſe kleine duͤrre Figur doch, vorzuͤglich was die uͤbergroßen Faͤuſte mit langen ſtarken Fingern betrift, robuſt geformt iſt, und kraͤftig nach dem Ladentiſch hin¬ ſchreitet, dann aber ſtets laͤchelnd und ſtarr hin¬ ſchauend nach den in Kryſtallglaͤſern aufbewahrten Suͤßigkeiten mit ohnmaͤchtiger klagender Stimme herausweint: „ Ein Paar eingemachte Pomeran¬ zen — ein Paar Makronen — ein Paar Zucker¬ kaſtanien ꝛc. “ Denkt Euch das und urtheilt ſelbſt, ob hier Grund war, Seltſames zu ahnen oder nicht. Der Conditor ſuchte alles, was der Alte gefordert,B 220zuſammen. „ Wiegen Sie, wiegen Sie, verehr¬ ter Herr Nachbar, “jammerte der ſeltſame Mann, holte aͤchzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Taſche, und ſuchte muͤhſam Geld hervor. Ich bemerkte, daß das Geld, als er es auf den Ladentiſch aufzaͤhlte, aus verſchiedenen alten zum Theil ſchon ganz aus dem gewoͤhnlichen Cours gekommenen Muͤnzſorten beſtand. Er that dabey ſehr klaͤglich und murmelte: „ Suͤß — ſuͤß — ſuͤß ſoll nun alles ſeyn — ſuͤß meinethalben; der Satan ſchmiert ſeiner Braut Honig ums Maul — puren Honig. “ Der Conditor ſchaute mich lachend an, und ſprach dann zu dem Alten: „ Sie ſcheinen nicht recht wohl zu ſeyn, ja, ja das Alter, das Alter, die Kraͤfte nehmen ab immer mehr und mehr. “ Ohne die Miene zu aͤndern rief der Alte mit erhoͤhter Stimme: „ Alter? — Alter? — Kraͤfte abneh¬ men? — Schwach — matt werden! Ho ho — ho ho — ho ho! “ Und damit ſchlug er die Faͤuſte zuſammen, daß die Gelenke knackten und ſprang, in der Luft eben ſo gewaltig die Fuͤße zuſammen,21 klappend, hoch auf, daß der ganze Laden droͤhnte und alle Glaͤſer zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob ſich auch ein graͤßliches Geſchrei, der Alte hatte den ſchwarzen Hund getreten, der hinter ihm her geſchlichen dicht an ſeine Fuͤße ge¬ ſchmiegt auf dem Boden lag. „ Verruchte Beſtie! ſataniſcher Hoͤllenhund, “ſtoͤhnte leiſe im vorigen Ton der Alte, oͤffnete die Tuͤte und reichte dem Hunde eine große Makrone hin. Der Hund, der in ein menſchliches Weinen ausgebrochen, war ſo¬ gleich ſtill, ſetzte ſich auf die Hinterpfoten und knapperte an der Makrone wie ein Eichhoͤrnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit ſeiner Makrone, der Alte mit dem Verſchließen und Einſtecken ſeiner Tuͤte. „ Gute Nacht, ver¬ ehrter Herr Nachbar, “ſprach er jetzt, reichte dem Conditor die Hand, und druͤckte die des Conditors ſo, daß er laut aufſchrie vor Schmerz. „ Der alte ſchwaͤchliche Greis wuͤnſcht Ihnen eine gute Nacht, beſter Herr Nachbar Conditor, “wiederholte er dann und ſchritt zum Laden heraus, hinter ihm der22 ſchwarze Hund mit der Zunge die Makronenreſte vom Maule wegleckend. Mich ſchien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich ſtand da ganz erſtarrt vor Erſtaunen. „ Sehn Sie, “fing der Conditor an, „ ſehen Sie, ſo treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigſtens in vier Wochen zwey, dreymahl, aber nichts iſt aus ihm heraus zu brin¬ gen, als daß er ehemahls Kammerdiener des Gra¬ fen von S. war, daß er jetzt hier das Haus ver¬ waltet, und jeden Tag (ſchon ſeit vielen Jahren) die Graͤflich S — ſche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermiethet werden kann. Mein Bru¬ der ging ihm einmahl zu Leibe wegen des wunder¬ lichen Getoͤns zur Nachtzeit, da ſprach er aber ſehr gelaſſen: „ Ja! — die Leute ſagen alle, es ſpuke im Hauſe, glauben Sie es aber nicht, es thut nicht wahr ſeyn. “— Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, dieſen Laden zu beſu¬ chen, die Thuͤr oͤffnete ſich, elegante Welt ſtroͤmte hinein und ich konnte nicht weiter fragen. —
23So viel ſtand nun feſt, daß die Nachrichten des Grafen P. uͤber das Eigenthum und die Benutzung des Hauſes falſch waren, daß der alte Verwalter daſſelbe ſeines Laͤugnens unerachtet nicht allein be¬ wohnte, und daß ganz gewiß irgend ein Geheimniß vor der Welt dort verhuͤllt werden ſollte. Mußte ich denn nicht die Erzaͤhlung von dem ſeltſamen, ſchauerlichen Geſange mit dem Erſcheinen des ſchoͤ¬ nen Arms am Fenſter in Verbindung ſetzen? Der Arm ſaß nicht, konnte nicht ſitzen an dem Leibe eines alten verſchrumpften Weibes, der Geſang nach des Conditors Beſchreibung nicht aus der Kehle des jungen bluͤhenden Maͤdchens kommen. Doch fuͤr das Merkzeichen des Arms entſchieden, konnt 'ich leicht mich ſelbſt uͤberreden, daß vielleicht nur eine akuſtiſche Taͤuſchung die Stimme alt und gellend klingen laſſen, und daß eben ſo vielleicht nur des, vom Graulichen befangenen, Conditors truͤgliches Ohr die Toͤne ſo vernommen. — Nun dacht' ich an den Rauch, den ſeltſamen Geruch, an die wunderlich geformte Kryſtallflaſche, die ich ſah,24 und bald ſtand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geſchoͤpfs mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeiſter, zum verdammten Zau¬ berkerl, der vielleicht ganz unabhaͤngig von der Graͤflich S — ſchen Familie geworden, nun auf ſeine eigne Hand in dem veroͤdeten Hauſe Unheil¬ bringendes Weſen trieb. Meine Fantaſie war im Arbeiten und noch in ſelbiger Nacht nicht ſowohl im Traum, als im Deliriren des Einſchlafens, ſah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glaͤnzenden Spange. Wie aus duͤnnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmuͤthig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Geſtalt eines Maͤdchens, in voller anmuthiger Ju¬ gendbluͤthe hervor. Bald bemerkte ich, daß das, was ich fuͤr Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Kryſtallflaſche, die die Geſtalt in den Haͤn¬ den hielt, in ſich kreiſelndem Gewirbel emporſtieg. „ O du holdes Zauberbild, “rief ich voll Entzuͤcken,25 „ o du holdes Zauberbild, thu 'es mir kund, wo du weilſt, was dich gefangen haͤlt? — O wie du mich ſo voll Wehmuth und Liebe anblickſt! — Ich weiß es, die ſchwarze Kunſt iſt es, die dich befan¬ gen, du biſt die ungluͤckſelige Sklavin des boshaf¬ ten Teufels, der herumwandelt kaffeebraun und beharbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Spruͤngen alles zerſchmeißen will und Hoͤllenhunde tritt, die er mit Makronen fuͤttert, nachdem ſie den ſataniſchen Murki im fuͤnfachtel Takt abgeheult. — O ich weiß ja Alles, du holdes, anmuthiges Weſen! — Der Diamant iſt der Reflex innerer Gluth! — ach haͤtt'ſt du ihn nicht mit deinem Herzblut getraͤnkt, wie koͤnnt' er ſo funkeln, ſo tau¬ ſendfarbig ſtrahlen in den allerherrlichſten Liebes¬ toͤnen, die je ein Sterblicher vernommen. — Aber ich weiß es wohl, das Band, was deinen Arm umſchlingt, iſt das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune ſpricht, ſie ſey magnetiſch — Glaub 'es nicht Herrliche! — ich ſehe ja, wie ſie herab¬ haͤngt in die, von blauem Feuer gluͤhende Retorte. 26— Die werf' ich um und du biſt befreit! — Weiß ich denn nicht Alles — weiß ich denn nicht Alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! — nun oͤffne den Roſenmund, o ſage “— In dem Augenblick griff eine knotige Fauſt uͤber meine Schulter weg nach der Kryſtallflaſche, die in tauſend Stuͤcke zer¬ ſplittert in der Luft verſtaͤubte. Mit einem leiſen Ton dumpfer Wehklage war die anmuthige Geſtalt verſchwunden in finſtrer Nacht. — Ha! — ich merk es an Euerm Laͤcheln, daß Ihr ſchon wieder in mir den traͤumeriſchen Geiſterſeher findet, aber verſichern kann ich Euch, daß der ganze Traum, wollt Ihr nun einmahl nicht abgehen von dieſer Benennung, den vollendeten Charakter der Viſion hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich ſo im proſai¬ ſchen Unglauben anzulaͤcheln, ſo will ich lieber gar nichts mehr davon ſagen, ſondern nur raſch weiter gehen. — Kaum war der Morgen angebrochen als ich voll Unruhe und Sehnſucht nach der Allee lief, und mich hinſtellte vor das oͤde Haus! — Außer den innern Vorhaͤngen waren noch dichte Jalouſien27 vorgezogen. Die Straße war noch voͤllig menſchen¬ leer, ich trat dicht an die Fenſter des Erdgeſchoſſes und horchte und horchte, aber kein Laut ließ ſich hoͤren, ſtill blieb es wie im tiefen Grabe. — Der Tag kam herauf, das Gewerbe ruͤhrte ſich, ich mußte fort. Was ſoll ich Euch damit ermuͤden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umſchlich, ohne auch nur das mindeſte zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forſchen zu keiner be¬ ſtimmten Notiz fuͤhrte, und wie endlich das ſchoͤne Bild meiner Viſion zu verblaſſen begann. — End¬ lich, als ich einſt am ſpaͤten Abend von einem Spa¬ ziergange heimkehrend bey dem oͤden Hauſe heran¬ gekommen, bemerkte ich, daß das Thor halb geoͤff¬ net war; ich ſchritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entſchluß war gefaßt. „ Wohnt nicht der Geheime Finanzrath Binder hier in die¬ ſem Hauſe? “ So frug ich den Alten, indem ich ihn beinahe zuruͤckdraͤngend in den, von einer Lam¬ pe matt erleuchteten Vorſaal trat. Der Alte blickte mich an mit ſeinem ſtehenden Laͤcheln und ſprach28 leiſe und gezogen: „ Nein, der wohnt nicht hier, hat niemahls hier gewohnt, wird niemahls hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. — Aber die Leute ſagen, es ſpuke hier in dieſem Hauſe, jedoch kann ich verſichern, daß es nicht wahr iſt, es iſt ein ruhiges, huͤbſches Haus, und morgen zieht die gnaͤdige Graͤfin von S. ein und — Gute Nacht, mein lieber Herr! “— Damit manoͤvrirte mich der Alte zum Hauſe hinaus, und verſchloß hinter mir das Thor. Ich vernahm, wie er keu¬ chend und huſtend mit dem klirrenden Schluͤſſel¬ bunde uͤber den Flur wegſcharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, herab ſtieg. Ich hatte in der kurzen Zeit ſo viel bemerkt, daß der Flur mit alten bunten Tapeten behaͤngt, und wie ein Saal mit großen, mit rothem Damaſt beſchlagenen Lehnſeſ¬ ſeln moͤblirt war, welches denn doch ganz verwun¬ derlich ausſah.
Nun gingen, wie geweckt, durch mein Eindrin¬ gen in das geheimnißvolle Haus, die Abenteuer auf! — Denkt Euch, denkt Euch, ſo wie ich den29 andern Tag in der Mittagsſtunde die Allee durch¬ wandere und mein Blick ſchon in der Ferne ſich unwillkuͤrlich nach dem oͤden Hauſe richtet, ſehe ich an dem letzten Fenſter des obern Stocks etwas ſchimmern. — Naͤher getreten bemerke ich, daß die aͤußere Jalouſie ganz, der innere Vorhang halb aufgezogen iſt. Der Diamant funkelt mir entge¬ gen. — O Himmel! geſtuͤtzt auf den Arm blickt mich wehmuͤthig flehend jenes Antlitz meiner Viſion an. — War es moͤglich in der auf und abwogen¬ den Maſſe ſtehen zu bleiben? — In dem Augen¬ blick fiel mir die Bank ins Auge, die fuͤr die Luſt¬ wandler in der Allee in der Richtung des oͤden Hauſes, wiewohl man ſich darauf niederlaſſend dem Hauſe den Ruͤcken kehrte, angebracht war. Schnell ſprang ich in die Allee, und mich uͤber die Lehne der Bank wegbeugend konnt 'ich nun ungeſtoͤrt nach dem verhaͤngnißvollen Fenſter ſchauen. Ja! Sie war es, das anmuthige, holdſelige Maͤdchen, Zug fuͤr Zug! — Nur ſchien ihr Blick ungewiß. — Nicht nach mir, wie es vorhin ſchien, blickte ſie,30 vielmehr hatten die Augen etwas todtſtarres, und die Taͤuſchung eines lebhaft gemahlten Bildes waͤre moͤglich geweſen, haͤtten ſich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz verſunken in den Anblick des verwunderlichen Weſens am Fenſter, das mein Innerſtes ſo ſeltſam aufregte, hatte ich nicht die quaͤkende Stimme des italieniſchen Tabuletkraͤmers gehoͤrt, der mir vielleicht ſchon lange unaufhoͤrlich ſeine Waaren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; ſchnell mich umdrehend, wies ich ihn ziem¬ lich hart und zornig ab. Er ließ aber nicht nach mit Bitten und Quaͤlen. Noch gar nichts habe ich heute verdient, nur ein Paar Bleifedern, ein Buͤndelchen Zahnſtocher moͤge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Ueberlaͤſtigen nur geſchwind los zu werden, griff ich in die Taſche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: „ Auch hier hab' ich noch ſchoͤne Sachen! “zog er den untern Schub ſeines Kaſtens heraus, und hielt mir einen kleinen runden Taſchenſpiegel, der in dem Schub unter andern Glaͤſern lag, in kleiner Entfernung ſeitwaͤrts31 vor. — Ich erblickte das oͤde Haus hinter mir, das Fenſter und in den ſchaͤrfſten deutlichſten Zuͤgen die holde Engelsgeſtalt meiner Viſion — Schnell kauft 'ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moͤg¬ lich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nach¬ barn aufzufallen, nach dem Fenſter hinzuſchauen. — Doch, indem ich nun laͤnger und laͤnger das Ge¬ ſicht im Fenſter anblickte, wurd' ich von einem ſelt¬ ſamen, ganz unbeſchreiblichen Gefuͤhl, das ich bei¬ nahe waches Traͤumen nennen moͤchte, befangen. Mir war es, als laͤhme eine Art Starrſucht nicht ſowohl mein ganzes Regen und Bewegen als viel¬ mehr nur meinen Blick, den ich nun niemahls mehr wuͤrde abwenden koͤnnen von dem Spiegel. Mit Beſchaͤmung muß ich Euch bekennen, daß mir jenes Ammenmaͤhrchen einfiel, womit mich in fruͤher Kindheit meine Wart'frau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa geluͤſten ließ, Abends vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer ſtehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie ſagte nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel32 blickten, gucke ein fremdes, garſtiges Geſicht her¬ aus, und der Kinder Augen blieben dann erſtarrt ſtehen. Mir war das ganz entſetzlich graulich, aber in vollem Grauſen konnt 'ich doch oft nicht unterlaſſen, wenigſtens nach dem Spiegel hin zu blinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Geſicht. Einmahl glaubt' ich ein paar graͤßliche gluͤhende Augen aus dem Spiegel fuͤrchterlich her¬ ausfunkeln zu ſehen, ich ſchrie auf und ſtuͤrzte dann ohnmaͤchtig nieder. In dieſem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt iſt es mir, als haͤtten jene Augen mich wirklich angefun¬ kelt. — Kurz alles dieſes tolle Zeug aus meiner fruͤhen Kindheit fiel mir ein, Eiskaͤlte bebte durch meine Adern — ich wollte den Spiegel von mir ſchleudern — ich vermocht 'es nicht — nun blick¬ ten mich die Himmelsaugen der holden Geſtalt an — ja ihr Blick war auf mich gerichtet und ſtrahlte bis ins Herz hinein. Jenes Grauſen, das mich ploͤtzlich ergriffen, ließ von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz ſuͤßer Sehnſucht, die michmit33mit elektriſcher Waͤrme durchgluͤht. „ Sie haben da einen niedlichen Spiegel, “ſprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlaͤchelnde Geſichter er¬ blickte. Mehrere Perſonen hatten auf derſelben Bank Platz genommen, und nichts war gewiſſer, als daß ich ihnen mit dem ſtarren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen ſeltſa¬ men Geſichtern, die ich in meinem exaltirtem Zu¬ ſtande ſchnitt, auf meine Koſten ein ergoͤtzliches Schauſpiel gegeben. „ Sie haben da einen nied¬ lichen Spiegel, “wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufuͤgte: „ Aber ſagen Sie mir, was ſoll das wahnſinnige Hineinſtarren, erſcheinen Ihnen Geiſter “ꝛc. Der Mann, ſchon ziemlich hoch in Jahren, ſehr ſauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmuͤthiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen An¬ ſtand, ihm geradehin zu ſagen, daß ich im Spie¬C34gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt ‚ das hinter mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz geſehen. „ Dort druͤben? — in dem alten Hauſe — in dem letzten Fenſter? “ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „ Allerdings, allerdings, “ſprach ich; da laͤchelte der Alte ſehr und fing an: „ Nun das iſt doch eine wunderliche Taͤuſchung — nun meine alten Augen — Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und lebendig in Oel gemahltes Portrait. “ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬ ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. „ Ja! “fuhr der Alte fort, „ ja, mein Herr, nun iſt's zu ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgeſtaͤubt,35 vom Fenſter fort und ließ die Jalouſie herunter. “ „ War es denn gewiß ein Bild? “fragte ich noch¬ mahls ganz beſtuͤrzt. „ Trauen Sie meinen Au¬ gen, “erwiederte der Alte. „ Daß Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel ſahen, vermehrte gewiß ſehr die optiſche Taͤuſchung und — wie ich noch in Ihren Jahren war, haͤtt 'ich nicht auch das Bild eines ſchoͤnen Maͤdchens, kraft meiner Fantaſie, ins Leben gerufen? “ „ Aber Hand und Arm bewegten ſich doch, “fiel ich ein. „ Ja, ja, ſie regten ſich, alles regte ſich, “ſprach der Alte, laͤchelnd und ſanft mich auf die Schulter klopfend. Dann ſtand er auf und verließ mich, hoͤflich ſich verbeugend, mit den Worten: „ Nehmen Sie Sich doch vor Taſchenſpiegeln in Acht, die ſo haͤßlich luͤgen. — Ganz gehorſamſter Diener. “— Ihr koͤnnt denken, wie mir zu Muthe war, als ich mich ſo als einen thoͤrichten, bloͤdſichtigen Fantaſten behandelt ſah. Mir kam die Ueberzeugung, daß der Alte Recht hatte, und daß nur in mir ſelbſt das tolle Gaukelſpiel aufgegangen, das mich mit dem oͤdenC 236Hauſe, zu meiner eignen Beſchaͤmung, ſo garſtig myſtifizirte.
Ganz voller Unmuth und Verdruß lief ich nach Hauſe, feſt entſchloſſen, mich ganz los zu ſagen von jedem Gedanken an die Myſterien des oͤden Hauſes, und wenigſtens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden. Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, daß mich den Tag uͤber dringend ge¬ wordene Geſchaͤfte am Schreibtiſch, an den Abenden aber geiſtreiche froͤhliche Freunde in ihrem Kreiſe feſthielten, ſo mußt 'es wohl geſchehen, daß ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimniſſe dachte. Nur begab es ſich in dieſer Zeit, daß ich zuweilen aus dem Schlaf auffuhr, wie ploͤtzlich durch aͤußere Beruͤhrung geweckt, und dann war es mir doch deutlich, daß nur der Gedanke an das geheimni߬ volle Weſen, das ich in meiner Viſion und in dem Fenſter des oͤden Hauſes erblickt, mich geweckt hatte. Ja ſelbſt waͤhrend der Arbeit, waͤhrend der lebhafteſten Unterhaltung mit meinen Freunden, durchfuhr mich oft ploͤtzlich, ohne weitern Anlaß,37 jener Gedanke, wie ein elektriſcher Blitz. Doch waren dies nur ſchnell voruͤbergehende Momente. Den kleinen Taſchenſpiegel, der mir ſo taͤuſchend das anmuthige Bildniß reflektirt, hatte ich zum pro¬ ſaiſchen Hausbedarf beſtimmt. Ich pflegte mir vor demſelben die Halsbinde feſt zu knuͤpfen. So ge¬ ſchah es, daß er mir, als ich einſt dies wichtige Geſchaͤft abthun wollte, blind ſchien, und ich ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu poliren. — Alle meine Pulſe ſtockten, mein Innerſtes bebte vor wonnigem Grauen! — ja ſo muß ich das Gefuͤhl nennen, das mich uͤbermannte, als ich, ſo wie mein Hauch den Spiegel uͤberlief, im blaͤulichen Nebel das holde Antlitz ſah, das mich mit jenem wehmuͤthigem, das Herz durchbohrendem Blick anſchaute! — Ihr lacht? — Ihr ſeid mit mir fertig, ihr haltet mich fuͤr einen unheilbaren Traͤumer, aber ſprecht, denkt was ihr wollt, genug, die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber ſo wie der Hauch zerrann, verſchwand das Geſicht in dem Funkeln des Spiegels. — Ich will Euch38 nicht ermuͤden, ich will Euch nicht herzaͤhlen alle Momente, die ſich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur ſo viel will ich ſagen, daß ich unaufhoͤrlich die Verſuche mit dem Spiegel erneuerte, daß es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervor zu rufen, daß aber manchmahl die angeſtrengteſten Bemuͤhun¬ gen ohne Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnſinnig auf und ab vor dem oͤden Hauſe und ſtarrte in die Fenſter, aber kein menſchliches Weſen wollte ſich zeigen. — Ich lebte nur in dem Gedan¬ ken an Sie, alles uͤbrige war abgeſtorben fuͤr mich, ich vernachlaͤſſigte meine Freunde, meine Studien. — Dieſer Zuſtand, wollte er in mildern Schmerz, in traͤumeriſche Sehnſucht uͤbergehen, ja ſchien es, als wolle das Bild an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur hoͤchſten Spitze geſteigert, durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entſetzen denke. — Da ich von einem Seelenzuſtande rede, der mich haͤtte ins Verderben ſtuͤrzen koͤnnen, ſo iſt fuͤr Euch, Ihr Unglaͤubigen, da nichts zu39 belaͤcheln und zu beſpoͤtteln, hoͤrt und fuͤhlt mit mir, was ich ausgeſtanden. — Wie geſagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblaßt war, ergriff mich ein koͤrperliches Uebelbefinden, die Geſtalt trat, wie ſonſt niemahls, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor, daß ich ſie zu erfaſſen waͤhnte. Aber dann kam es mir auf grauliche Weiſe vor, ich ſey ſelbſt die Geſtalt, und von den Nebeln des Spiegels umhuͤllt und umſchloſſen. Ein empfindlicher Bruſtſchmerz, und dann gaͤnzliche Apathie endigte den peinlichen Zuſtand, der immer eine, das innerſte Mark wegzehrende Erſchoͤpfung hinterließ. In dieſen Momenten mißlang jeder Verſuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber er¬ kraͤftigt, und trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel hervor, ſo mag ich nicht leugnen, daß ſich damit ein beſonderer, mir ſonſt fremder phyſiſcher Reiz verband. — Dieſe ewige Span¬ nung wirkte gar verderblich auf mich ein, blaß wie der Tod und zerſtoͤrt im ganzen Weſen ſchwankte ich umher, meine Freunde hielten mich fuͤr krank,40 und ihre ewigen Mahnungen brachten mich endlich dahin, uͤber meinen Zuſtand, ſo wie ich es nur vermochte, ernſtlich nachzuſinnen. War es Ab¬ ſicht oder Zufall, daß einer der Freunde, welcher Arzneikunde ſtudirte, bei einem Beſuch Reils Buch uͤber Geiſteszerruͤttungen zuruͤckließ. Ich fing an zu leſen, das Werk zog mich unwiderſtehlich an, aber wie ward mir, als ich in allem, was uͤber fixen Wahnſinn geſagt wird, mich ſelbſt wieder fand! — Das tiefe Entſetzen, das ich, mich ſelbſt auf dem Wege zum Tollhauſe erblickend, empfand, brachte mich zur Beſinnung und zum feſten Ent¬ ſchluß, den ich raſch ausfuͤhrte. Ich ſteckte meinen Taſchenſpiegel ein und eilte ſchnell zu dem Doktor R., beruͤhmt durch ſeine Behandlung und Heilung der Wahnſinnigen, durch ſein tieferes Eingehen in das pſychiſche Prinzip, welches oft ſogar koͤrperliche Krankheiten hervorzubringen und wieder zu heilen vermag. Ich erzaͤhlte ihm Alles, ich verſchwieg ihm nicht den kleinſten Umſtand und beſchwor ihn mich zu retten, von dem ungeheuern Schickſal, von41 dem bedroht ich mich glaubte. Er hoͤrte mich ſehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in ſeinem Blick tiefes Erſtaunen. „ Noch, “fing er an, „ noch iſt die Gefahr keinesweges ſo nahe als Sie glauben und ich kann mit Gewißheit behaupten, daß ich ſie ganz abzuwenden vermag. Daß Sie auf unerhoͤrte Weiſe pſychiſch angegriffen ſind, leidet gar keinen Zweifel, aber die voͤllige klare Erkenntniß dieſes Angriffs irgend eines boͤſen Prinzips giebt Ihnen ſelbſt die Waffen in die Hand, ſich dagegen zu wehren. Laſſen Sie mir Ihren Taſchenſpiegel, zwingen Sie ſich zu irgend einer Arbeit, die Ihre Geiſteskraͤfte in Anſpruch nimmt, meiden Sie die Allee, arbeiten Sie von der Fruͤhe an, ſo lange Sie es nur auszuhalten vermoͤgen, dann aber, nach einem tuͤchtigen Spaziergange, fort in die Ge¬ ſellſchaft Ihrer Freunde, die Sie ſo lange vermißt. Eſſen Sie nahrhafte Speiſen, trinken Sie ſtarken kraͤftigen Wein. Sie ſehen, daß ich blos die fixe Idee, das heißt, die Erſcheinung des Sie bethoͤren¬ den Antlitzes im Fenſter des oͤden Hauſes und im42 Spiegel vertilgen, Ihren Geiſt auf andere Dinge leiten und Ihren Koͤrper ſtaͤrken will. Stehen Sie ſelbſt meiner Abſicht redlich bei. “— Es wur¬ de mir ſchwer, mich von dem Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn ſchon genommen, ſchien es zu bemerken, er hauchte ihn an und frug, indem er mir ihn vorhielt: „ Sehen Sie etwas? “ „ Nicht das Mindeſte, “erwiederte ich, wie es ſich auch in der That verhielt. „ Hauchen Sie den Spiegel an, “ſprach dann der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich that es, das Wun¬ derbild trat deutlicher als je hervor. „ Da iſt ſie, “rief ich laut. Der Arzt ſchaute hinein und ſprach dann: ich ſehe nicht das Mindeſte, aber nicht ver¬ heelen mag ich Ihnen, daß ich in dem Augenblick, als ich in Ihren Spiegel ſahe, einen unheimlichen Schauer fuͤhlte, der aber gleich voruͤberging. Sie bemerken, daß ich ganz aufrichtig bin, und eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. „ Wiederholen ſie doch den Verſuch. “ Ich that es, der Arzt umfaßte mich, ich fuͤhlte ſeine Hand auf43 dem Ruͤckenwirbel. — Die Geſtalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel ſchauend er¬ blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, ſchauete nochmals hinein, verſchloß ihn in dem Pult, und kehrte erſt, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn ſchweigend da geſtanden, zu mir zuruͤck. „ Befolgen Sie, “fing er an, „ befolgen Sie genau meine Vorſchriften. Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in denen Sie außer ſich ſelbſt geſetzt Ihr eignes Ich in phyſiſchem Schmerz fuͤhlten, mir noch ſehr ge¬ heimnißvoll ſind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr daruͤber ſagen zu koͤnnen. “— Mit feſtem, unabaͤnderlichem Willen, ſo ſchwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorſchriften des Arztes gemaͤß, und ſo ſehr ich auch bald den wohl¬ thaͤtigen Einfluß anderer Geiſtesanſtrengung und der uͤbrigen verordneten Diaͤt verſpuͤrte, ſo blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfaͤllen, die Mittags um zwoͤlf Uhr, viel ſtaͤrker aber Nachts um zwoͤlf Uhr ſich einzuſtellen pflegten. Selbſt in munterer44 Geſellſchaft bey Wein und Geſang war es oft, als durchfuͤhren ploͤtzlich mein Inneres ſpitzige gluͤhende Dolche, und alle Macht des Geiſtes reichte dann nicht hin zum Widerſtande, ich mußte mich entfer¬ nen und durfte erſt wiederkehren, wenn ich aus dem Ohnmachtaͤhnlichen Zuſtande erwacht. — Es begab ſich, daß ich mich einſt bey einer Abendgeſell¬ ſchaft befand, in der uͤber pſychiſche Einfluͤſſe und Wirkungen, uͤber das dunkle unbekannte Gebiet des Magnetismus geſprochen wurde. Man kam vorzuͤglich auf die Moͤglichkeit der Einwirkung eines entfernten pſychiſchen Princips, ſie wurde aus vie¬ len Beiſpielen bewieſen, und vorzuͤglich fuͤhrte ein junger, dem Magnetismus ergebener, Arzt an, daß er, wie mehrere andere, oder vielmehr wie alle kraͤftige Magnetiſeurs, es vermoͤge, aus der Ferne bloß durch den feſtfixirten Gedanken und Willen auf ſeine Somnambulen zu wirken. Alles was Kluge, Schubert, Bartels u. m. dar¬ uͤber geſagt haben, kam nach und nach zum Vor¬ ſchein. „ Das Wichtigſte, “fing endlich einer der45 Anweſenden, ein als ſcharfſinniger Beobachter be¬ kannter Mediziner, an, „ das Wichtigſte von Allem bleibt mir immer, daß der Magnetismus manches Geheimniß, das wir als gemeine ſchlichte Lebens¬ erfahrung nun eben fuͤr kein Geheimniß erkennen wollen, zu erſchließen ſcheint. Nur muͤſſen wir frei¬ lich behutſam zu Werke gehn. — Wie kommt es denn, daß ohne allen aͤußern oder innern uns be¬ kannten Anlaß, ja unſere Ideenkette zerreißend, irgend eine Perſon, oder wohl gar das treue Bild irgend einer Begebenheit ſo lebendig, ſo ſich unſers ganzen Ichs bemeiſternd in den Sinn kommt, daß wir ſelbſt daruͤber erſtaunen. Am merkwuͤrdigſten iſt es, daß wir oft im Traume auffahren. Das ganze Traumbild iſt in den ſchwarzen Abgrund ver¬ ſunken, und im neuen, von jenem Bilde ganz un¬ abhaͤngigen Traum tritt uns mit voller Kraft des Lebens ein Bild entgegen, das uns in ferne Gegen¬ den verſetzt und ploͤtzlich ſcheinbar uns ganz fremd gewordene Perſonen, an die wir ſeit Jahren nicht mehr dachten, uns entgegenfuͤhrt. Ja, noch mehr!46 oft ſchauen wir auf eben die Weiſe ganz fremde un¬ bekannte Perſonen, die wir vielleicht Jahre nach¬ her erſt kennen lernen. Das Bekannte: Mein Gott, der Mann, die Frau, kommt mir ſo zum Erſtaunen bekannt vor, ich daͤcht' ich haͤtt 'ihn, ſie, ſchon irgendwo geſehen, iſt vielleicht, da dies oft ſchlechterdings unmoͤglich, die dunkle Erinnerung an ein ſolches Traumbild. Wie wenn dies ploͤtz¬ liche Hineinſpringen fremder Bilder in unſere Ideenreihe, die uns gleich mit beſonderer Kraft zu ergreifen pflegen, eben durch ein fremdes pſychiſches Prinzip veranlaßt wuͤrde? Wie wenn es dem frem¬ den Geiſte unter gewiſſen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, den magnetiſchen Rapport auch ohne Vorbereitung ſo herbei zu fuͤhren, daß wir uns willenlos ihm fuͤgen muͤßten? “ „ So kaͤmen wir, “fiel ein An¬ derer lachend ein, „ mit einem gar nicht zu großen Schritt auf die Lehre von Verhexungen, Zauber¬ bildern, Spiegeln und andern unſinnigen aberglaͤu¬ biſchen Fantaſtereien laͤngſt verjaͤhrter alberner Zeit. “ „ Ei, “unterbrach der Mediziner den Un¬47 glaͤubigen, „ keine Zeit kann verjaͤhren und noch viel weniger hat es jemahls eine alberne Zeit gege¬ ben, wenn wir nicht etwa jede Zeit, in der Men¬ ſchen zu denken ſich unterfangen moͤgen, mithin auch die unſrige, fuͤr albern erkennen wollen. — Es iſt ein eignes Ding, etwas geradezu weglaͤugnen zu wollen, was oft ſogar durch ſtreng juriſtiſch gefuͤhr¬ ten Beweis feſtgeſtellt iſt, und ſo wenig ich der Meinung bin, daß in dem dunklen geheimnißvollen Reiche, welches unſeres Geiſtes Heimath iſt, auch nur ein einziges, unſerm bloͤdem Auge recht hell leuchtendes Laͤmpchen brennt, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß uns die Natur das Talent und die Neigung der Maulwuͤrfe nicht verſagt hat. Wir ſuchen, verblindet wie wir ſind, uns weiter zu arbeiten auf finſtern Wegen. Aber ſo wie der Blinde auf Erden an dem fluͤſternden Rauſchen der Baͤume, an dem Murmeln und Plaͤtſchern des Waſſers, die Naͤhe des Waldes, der ihn in ſeinen kuͤhlenden Schatten aufnimmt, des Baches, der den Durſtenden labt, erkennt, und ſo das Ziel ſei¬48 ner Sehnſucht erreicht, ſo ahnen wir an dem toͤnen¬ den Fluͤgelſchlag unbekannter, uns mit Geiſterathem beruͤhrender Weſen, daß der Pilgergang uns zur Quelle des Lichts fuͤhrt, vor dem unſere Augen ſich aufthun! “— Ich konnte mich nicht laͤnger halten, „ Sie ſtatuiren alſo, “wandte ich mich zu dem Medi¬ ziner, „ die Einwirkung eines fremden geiſtigen Prin¬ zips, dem man ſich willenlos fuͤgen muß? „ Ich halte, “erwiederte der Mediziner, „ ich halte, um nicht zu weit zu gehen, dieſe Einwirkung nicht allein fuͤr moͤglich, ſondern auch andern, durch den magne¬ tiſchen Zuſtand deutlicher gewordenen Operationen des pſychiſchen Prinzips fuͤr ganz homogen. “ „ So koͤnnt' es auch, “fuhr ich fort, „ daͤmoniſchen Kraͤf¬ ten verſtattet ſeyn, feindlich verderbend auf uns zu wirken? “ „ Schnoͤde Kunſtſtuͤcke gefallner Geiſter, “erwiderte der Mediziner laͤchelnd. — „ Nein, de¬ nen wollen wir nicht erliegen. Und uͤberhaupt bitt 'ich, meine Andeutungen fuͤr nichts anders zu nehmen, als eben nur fuͤr Andeutungen, denen ich noch hinzufuͤge, daß ich keinesweges an unbe¬dingte49dingte Herrſchaft eines geiſtigen Prinzips uͤber das andere glauben, ſondern vielmehr annehmen will, daß entweder irgend eine Abhaͤngigkeit, Schwaͤche des innern Willens, oder eine Wechſel¬ wirkung Statt finden muß, die jener Herrſchaft Raum giebt. “ „ Nun erſt, “fing ein aͤltlicher Mann an, der ſo lange geſchwiegen und nur auf¬ merkſam zugehoͤrt, „ nun erſt kann ich mich mit Ihren ſeltſamen Gedanken uͤber Geheimniſſe, die uns verſchloſſen bleiben ſollen, einigermaßen be¬ freunden. Gibt es geheimnißvolle thaͤtige Kraͤfte, die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, ſo kann uns dagegen nur irgend eine Abnormitaͤt im geiſtigen Organism Kraft und Muth zum ſieghaften Widerſtande rauben. Mit einem Wort, nur gei¬ ſtige Krankheit — die Suͤnde macht uns unter¬ than dem daͤmoniſchen Prinzip. Merkwuͤrdig iſt es, daß von den aͤlteſten Zeiten her die den Men¬ ſchen im Innerſten verſtoͤrendſte Gemuͤthsbewegung es war, an der ſich daͤmoniſche Kraͤfte uͤbten. Ich meine nichts anders als die Liebesverzauberungen,D50von denen alle Chroniken voll ſind. In tollen Hexenprozeſſen kommt immer dergleichen vor, und ſelbſt in dem Geſetzbuch eines ſehr aufgeklaͤrten Staats wird von den Liebestruͤnken gehandelt, die inſofern auch rein pſychiſch zu wirken beſtimmt ſind, als ſie nicht Liebesluſt im Allgemeinen erwecken, ſondern unwiderſtehlich an eine beſtimmte Perſon bannen ſollen. Ich werde in dieſen Geſpraͤchen an eine tragiſche Begebenheit erinnert, die ſich in mei¬ nem eignen Hauſe vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unſer Land mit ſeinen Truppen uͤber¬ ſchwemmt hatte, wurde ein Obriſter von der italie¬ niſchen Nobelgarde bei mir einquartirt. Er war einer von den wenigen Offizieren der ſogenannten großen Armee, die ſich durch ein ſtilles beſcheidnes edles Betragen auszeichneten. Sein todtbleiches Geſicht, ſeine duͤſtern Augen zeugten von Krank¬ heit oder tiefer Schwermuth. Nur wenige Tage war er bei mir, als ſich auch der beſondere Zufall kund that, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf ſeinem Zimmer, als er ploͤtzlich mit tiefen51 Seufzern die Hand auf die Bruſt, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er toͤdtliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr ſprechen, er war genoͤthigt ſich in den Sopha zu werfen, dann aber verloren ploͤtzlich ſeine Augen die Sehkraft und er erſtarrte zur bewußtloſen Bild¬ ſaͤule. Mit einem Ruck wie aus dem Traume auf¬ fahrend, erwachte er endlich, aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch ſich nicht regen und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm ſandte, behandelte ihn, nachdem andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetiſch, und dies ſchien zu wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablaſſen mußte, da er ſelbſt beim Magnetiſiren des Kranken von einem unertraͤglichen Gefuͤhl des Uebelſeyns ergriffen wurde. Er hatte uͤbrigens des Obriſten Zutrauen gewonnen, und dieſer ſagte ihm, daß in jenen Momenten ſich ihm das Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Piſa gekannt; dann wuͤrde es ihm als wenn ihre gluͤhenden Blicke in ſein Inneres fuͤhren, und er fuͤhle die unertraͤglichſten Schmer¬D 252zen, bis er in voͤllige Bewußtloſigkeit verſinke. Aus dieſem Zuſtande bleibe ihm ein dumpfer Kopf¬ ſchmerz, und eine Abſpannung, als habe er ge¬ ſchwelgt im Liebesgenuß, zuruͤck. Nie ließ er ſich uͤber die naͤheren Verhaͤltniſſe aus, in denen er viel¬ leicht mit jenem Frauenzimmer ſtand. Die Trup¬ pen ſollten aufbrechen, gepackt ſtand der Wagen des Obriſten vor der Thuͤre, er fruͤhſtuͤckte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum Munde fuͤhren wollte, ſtuͤrzte er mit einem dum¬ pfen Schrei vom Stuhle herab. Er war todt. Die Aerzte fanden ihn vom Nervenſchlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den Obriſten adreſſirter Brief bey mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken ihn zu oͤffnen, um vielleicht ein Naͤheres von den Verwandten des Obriſten zu erfahren, und ihnen Nachricht von ſeinem ploͤtzlichen Tode geben zu koͤnnen. Der Brief kam von Piſa und enthielt ohne Unterſchrift die wenigen Worte: Ungluͤckſe¬ liger! Heute, am 7. — um zwoͤlf Uhr Mittag ſank Antonia, dein truͤgeriſches Abbild mit lieben¬53 den Armen umſchlingend, todt nieder! — Ich ſah den Kalender nach, in dem ich des Obriſten Tod angemerkt hatte und fand, daß Antonia's Todes¬ ſtunde auch die ſeinige geweſen. “— Ich hoͤrte nicht mehr, was der Mann noch ſeiner Geſchichte hinzu¬ ſetzte; denn in dem Entſetzen, das mich ergriffen, als ich in des italieniſchen Obriſten Zuſtand den meinigen erkannte, ging mit wuͤthendem Schmerz eine ſolche wahnſinnige Sehnſucht nach dem unbe¬ kannten Bilde auf, daß ich davon uͤberwaͤltigt auf¬ ſpringen und hineilen mußte nach dem verhaͤngni߬ vollen Hauſe. Es war mir in der Ferne, als ſaͤh 'ich Lichter blitzen, durch die feſtverſchloſſenen Jalouſien, aber der Schein verſchwand, als ich naͤher kam. Raſend vor duͤrſtendem Liebesverlangen ſtuͤrzte ich auf die Thuͤr; ſie wich meinem Druck, ich ſtand auf dem matterleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, ſchwuͤlen Luft umfangen. Das Herz pochte mir vor ſeltſamer Angſt und Ungeduld, da ging ein langer, ſchneidender, aus weiblicher Kehle ſtroͤmender Ton durch das Haus, und ich weiß54 ſelbſt nicht, wie es geſchah, daß ich mich ploͤtzlich in einem mit vielen Kerzen hell erleuchteten Saale befand, der in alterthuͤmlicher Pracht mit vergolde¬ ten Meublen und ſeltſamen japaniſchen Gefaͤßen verziert war. Starkduftendes Raͤucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. „ Willkom¬ men — willkommen, ſuͤßer Braͤutigam — die Stunde iſt da, die Hochzeit nah! “— So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und eben ſo wenig, als ich weiß, wie ich ploͤtzlich in den Saal kam, eben ſo wenig vermag ich zu ſagen, wie es ſich begab, daß ploͤtzlich aus dem Nebel eine hohe jugendliche Geſtalt in reichen Kleidern hervorleuch¬ tete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: „ Will¬ kommen ſuͤßer Braͤutigam, “trat ſie mit ausgebrei¬ teten Armen mir entgegen — und ein gelbes, von Alter und Wahnſinn graͤßlich verzerrtes Antlitz ſtarrte mir in die Augen. Von tiefem Entſetzen durchbebt wankte ich zuruͤck; wie durch den gluͤhen¬ den, durchbohrenden Blick der Klapperſchlange feſt gezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden55 von dem graͤulichen alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat naͤher auf mich zu, da war es mir, als ſei das ſcheußliche Ge¬ ſicht nur eine Maske von duͤnnem Flor, durch den die Zuͤge jenes holden Spiegelbildes durchblickten. Schon fuͤhlt' ich mich von den Haͤnden des Weibes beruͤhrt, als ſie laut aufkreiſchend vor mir zu Bo¬ den ſank und hinter mir eine Stimme rief: „ Hu hu! — treibt ſchon wieder der Teufel ſein Bocks¬ ſpiel mit Ew. Gnaden, zu Bette, zu Bette, meine Gnaͤdigſte, ſonſt ſetzt es Hiebe, gewaltige Hiebe! “— Ich wandte mich raſch um und erblickte den alten Hausverwalter im bloßen Hemde, eine tuͤch¬ tige Peitſche uͤber dem Haupte ſchwingend. Er wollte losſchlagen auf die Alte, die ſich heulend am Boden kruͤmmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber mich von ſich ſchleudernd rief er: „ Donner¬ wetter, Herr, der alte Satan haͤtte ſie ermordet, kam ich nicht dazwiſchen — fort, fort, fort. “— Ich ſtuͤrzte zum Saal heraus, vergebens ſucht 'ich in dicker Finſterniß die Thuͤr des Hauſes. Nun56 hoͤrt' ich die ziſchenden Hiebe der Peitſche und das Jammergeſchrei der Alten. Laut wollte ich um Huͤlfe rufen, als der Boden unter meinen Fuͤßen ſchwand, ich fiel eine[Treppe] herab und traf auf eine Thuͤr ſo hart, daß ſie aufſprang und ich der Laͤnge nach in ein kleines Zimmer ſtuͤrzte. An dem Bette, das jemand ſo eben verlaſſen zu haben ſchien, an dem kaffeebraunen, uͤber einen Stuhl gehaͤngten Rocke mußte ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augen¬ blicke nachher polterte es die Treppe herab, der Hausverwalter ſtuͤrzte herein und hin zu meinen Fuͤßen. „ Um aller Seligkeit willen, “flehte er mit aufgehobenen Haͤnden, „ um aller Seligkeit willen, wer Sie auch ſeyn moͤgen, wie der alte gnaͤdige Hexenſatan Sie auch hieher gelockt haben mag, verſchweigen Sie, was hier geſchehen, ſonſt kom¬ me ich um Amt und Brot! — Die wahnſinnige Excellenz iſt abgeſtraft und liegt gebunden im Bette. O ſchlafen Sie doch, geehrteſter Herr! recht ſanft und ſuͤß. — Ja ja, das thun Sie doch fein —57 eine ſchoͤne warme Julius Nacht, zwar kein Mond¬ ſchein, aber begluͤckter Sternenſchimmer. — Nun ruhige, gluͤckliche Nacht. “— Unter dieſen Reden war der Alte aufgeſprungen, hatte ein Licht genom¬ men, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Thuͤre hinausgeſchoben und dieſe feſt ver¬ ſchloſſen. Ganz verſtoͤrt eilt 'ich nach Hauſe, und Ihr koͤnnt wohl denken, daß ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimniß ergriffen, auch nicht den mindeſten nur wahrſcheinlichen Zuſammenhang der Sache mir in den erſten Tagen denken konnte. Nur ſo viel war gewiß, daß, hielt mich ſo lange ein boͤſer Zauber gefangen, dieſer jetzt in der That von mir abgelaſſen hatte. Alle ſchmerzliche Sehn¬ ſucht nach dem Zauberbilde in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im oͤden Gebaͤude wie das unvermuthete Hinein¬ gerathen in ein Tollhaus. Daß der Hausverwalter zum tyranniſchen Waͤchter einer wahnſinnigen Frau von vornehmer Geburt, deren Zuſtand vielleicht der Welt verborgen bleiben ſollte, beſtimmt worden,58 daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel — das tolle Zauberweſen uͤberhaupt — doch wei¬ ter — weiter!
Spaͤter begab es ſich, daß ich in zahlreicher Geſellſchaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend ſprach: „ Wiſſen Sie wohl, daß ſich die Geheimniſſe unſeres oͤden Hauſes zu enthuͤllen anfangen? “ Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzaͤhlen wollte, oͤffneten ſich die Fluͤgelthuͤren des Eßſaals, man ging zur Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimniſſe, die mir der Graf entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war mechaniſch der in ſteifem Zeremoniell ſich langſam daherſchrei¬ tenden Reihe gefolgt. Ich fuͤhre meine Dame zu dem offnen Platz, der ſich uns darbietet, ſchaue ſie nun erſt recht an und — erblicke mein Spiegelbild in den getreuſten Zuͤgen, ſo daß gar keine Taͤu¬ ſchung moͤglich iſt. Daß ich im Innerſten erbebte, koͤnnt Ihr Euch wohl denken, aber eben ſo muß ich59 Euch verſichern, daß ſich auch nicht der leiſeſte An¬ klang jener verderblichen wahnſinnigen Liebeswuth in mir regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild aus dem Spiegel hervor rief. — Meine Befremdung, noch mehr, mein Erſchrecken muß lesbar geweſen ſeyn in meinem Blick, denn das Maͤdchen ſah mich ganz verwundert an, ſo daß ich fuͤr noͤthig hielt, mich ſo, wie ich nur konnte, zuſammen zu nehmen, und ſo gelaſſen als moͤglich anzufuͤhren, daß eine leb¬ hafte Erinnerung mich gar nicht zweifeln laſſe, ſie ſchon irgendwo geſehen zu haben. Die kurze Ab¬ fertigung, daß dies wohl nicht gut der Fall ſeyn koͤnne, da ſie geſtern erſt und zwar das erſte Mal in ihrem Leben nach *** n gekommen, machte mich im eigentlichſten Sinn des Worts etwas verbluͤfft. Ich verſtummte. Nur der Engelsblick, den die holdſeligen Augen des Maͤdchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wißt, wie man bei derlei Gelegenheit die geiſtigen Fuͤhlhoͤrner aus¬ ſtrecken und leiſe, leiſe taſten muß, bis man die60 Stelle findet, wo der angegebene Ton wieder klingt. So macht 'ich es und fand bald, daß ich ein zartes, holdes, aber in irgend einem pſychiſchen Ueberreiz verkraͤnkeltes Weſen neben mir hatte. Bey irgend einer heitern Wendung des Geſpraͤchs, vorzuͤglich wenn ich zur Wuͤrze wie ſcharfen Cayenne Pfeffer irgend ein keckes bizarres Wort hineinſtreute, laͤchelte ſie zwar, aber ſeltſam ſchmerzlich, wie zu hart beruͤhrt. „ Sie ſind nicht heiter, meine Gnaͤdige, vielleicht der Beſuch heute Morgen. “— So redete ein nicht weit entfernt ſitzender Officier meine Dame an, aber in dem Augenblick faßte ihn ſein Nachbar ſchnell beim Arm und ſagte ihm etwas ins Ohr, waͤhrend eine Frau an der andern Seite des Tiſches Gluth auf den Wangen und im Blick laut der herr¬ lichen Oper erwaͤhnte, deren Darſtellung ſie in Paris geſehen und mit der heutigen vergleichen werde. — Meiner Nachbarin ſtuͤrzten die Thraͤnen aus den Augen: „ Bin ich nicht ein albernes Kind, “wandte ſie ſich zu mir. Schon erſt hatte ſie uͤber Migraine geklagt. „ Die gewoͤhnliche Folge des nervoͤſen61 Kopfſchmerzes, “erwiderte ich daher mit unbefan¬ genem Ton, „ wofuͤr nichts beſſer hilft, als der muntre kecke Geiſt, der in dem Schaum dieſes Dichtergetraͤnks ſprudelt. “ Mit dieſen Worten ſchenkte ich Champagner, den ſie erſt abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem ſie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Thraͤnen, die ſie nicht zu bergen vermochte. Es ſchien heller gewor¬ den in ihrem Innern und alles waͤre gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unverſehends hart an das vor mir ſtehende engliſche Glas geſtoßen, ſo daß es in gellender ſchneidender Hoͤhe ertoͤnte. Da erbleichte meine Nachbarin bis zum Tode, und auch mich ergriff ein ploͤtzliches Grauen, weil der Ton mir die Stimme der wahnſinnigen Alten im oͤden Hauſe ſchien. — Waͤhrend daß man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mich dem Grafen P. zu naͤhern; er merkte gut, warum. „ Wiſſen Sie wohl, daß Ihre Nachbarin die Graͤfin Edwine von S. war? — Wiſſen Sie wohl, daß in dem oͤden Hauſe die Schweſter ihrer Mutter, ſchon ſeit Jahren unheil¬62 bar wahnſinnig, eingeſperrt gehalten wird? — Heute Morgen waren beide, Mutter und Tochter, bey der Ungluͤcklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige, der den gewaltſamen Ausbruͤchen des Wahnſinns der Graͤfin zu ſteuern wußte, und dem daher die Aufſicht uͤber ſie uͤbertragen wurde, liegt todtkrank, und man ſagt, daß die Schweſter end¬ lich dem Doktor K. das Geheimniß anvertraut, und daß dieſer noch die letzten Mittel verſuchen wird, die Kranke, wo nicht herzuſtellen, doch von der entſetzlichen Tobſucht, in die ſie zuweilen ausbre¬ chen ſoll, zu retten. Mehr weiß ich vor der Hand nicht. “— Andere traten hinzu, das Geſpraͤch brach ab. — Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich, meines raͤthſelhaften Zuſtandes halber, gewandt, und Ihr moͤget Euch wohl vor¬ ſtellen, daß ich, ſo bald es ſeyn konnte, zu ihm eilte, und alles, was mir ſeit der Zeit widerfahren, getreulich erzaͤhlte. Ich forderte ihn auf zu meiner Beruhigung, ſo viel als er von der wahnſinnigen Alten wiſſe, zu ſagen, und er nahm keinen Anſtand,63 mir, nachdem ich ihm ſtrenge Verſchwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen.
Angelika, Graͤfin von Z. (ſo fing der Doktor an) unerachtet in die Dreyßig vorgeruͤckt, ſtand noch in der vollſten Bluͤthe wunderbarer Schoͤnheit, als der Graf von S., der viel juͤnger an Jahren, ſie hier in *** n bey Hofe ſah, und ſich in ihren Reizen ſo verfing, daß er zur Stunde die eifrigſten Bewerbungen begann und ſelbſt, als zur Som¬ merszeit die Graͤfin auf die Guͤter ihres Vaters zuruͤck kehrte, ihr nachreiſte, um ſeine Wuͤnſche, die nach Angelika's Benehmen durchaus nicht hoff¬ nungslos zu ſeyn ſchienen, dem alten Grafen zu eroͤffnen. Kaum war Graf S. aber dort angekom¬ men, kaum ſah er Angelika's juͤngere Schweſter Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung er¬ wachte. In verbluͤhter Farbloſigkeit ſtand Angelika neben Gabrielen, deren Schoͤnheit und Anmuth den Grafen S. unwiderſtehlich hinriß, und ſo kam es, daß er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabriele'ns Hand warb, die ihm der alte Graf Z.64 um ſo lieber zuſagte, als Gabriele gleich die entſchie¬ denſte Neigung fuͤr den Grafen S. zeigte. Angelika aͤußerte nicht den mindeſten Verdruß uͤber die Un¬ treue ihres Liebhabers. „ Er glaubt mich verlaſſen zu haben. Der thoͤrichte Knabe! er merkt nicht, daß nicht ich, daß er mein Spielzeug war, das ich wegwarf! “— So ſprach ſie in ſtolzem Hohn, und in der That, ihr ganzes Weſen zeigte, daß es wohl Ernſt ſeyn mochte mit der Verachtung des Ungetreuen. Uebrigens ſah man, ſobald das Buͤndniß Gabriele'ns mit dem Grafen von S. aus¬ geſprochen war, Angelika ſehr ſelten. Sie erſchien nicht bey der Tafel und man ſagte, ſie ſchweife ein¬ ſam im naͤchſten Walde umher, den ſie laͤngſt zum Ziel ihrer Spaziergaͤnge gewaͤhlt hatte. — Ein ſonderbarer Vorfall ſtoͤrte die einfoͤrmige Ruhe, die im Schloſſe herrſchte. Es begab ſich, daß die Jaͤger des Grafen von Z., unterſtuͤtzt von den in großer Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine Zigeuner¬ bande eingefangen hatten, der man die Mordbren¬ nereien und Raͤubereien, welche ſeit kurzer Zeit ſohaͤufig65haͤufig in der Gegend vorfielen, Schuld gab. An eine lange Kette geſchloſſen brachte man die Maͤn¬ ner, gebunden auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder aus den Schloßhof. Manche trotzige Geſtalt, die mit wildem funkelnden Blick, wie ein gefeſſelter Tiger, keck umherſchaute, ſchien den ent¬ ſchloſſenen Raͤuber und Moͤrder zu bezeichnen, vor¬ zuͤglich fiel aber ein langes, hageres, entſetzliches Weib, in einen blutrothen Shawl vom Kopf bis zu Fuß gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen ſtand, und mit gebietender Stimme rief: man ſolle ſie herabſteigen laſſen, welches auch geſchah. Der Graf von Z. kam auf den Schloßhof und be¬ fahl eben, wie man die Bande abgeſondert in den feſten Schloßgefaͤngniſſen vertheilen ſolle, als mit fliegenden Haaren, Entſetzen und Angſt in bleichem Geſicht, Graͤfin Angelika aus der Thuͤr hinaus¬ ſtuͤrzte, und auf die Kniee geworfen mit ſchneidender Stimme rief: „ Dieſe Leute los — dieſe Leute los — ſie ſind unſchuldig, unſchuldig — Vater: laß dieſe Leute los! — ein Tropfen Blut's vergoſſenE66an einem von dieſen und ich ſtoße mir dieſes Meſſer in die Bruſt! “— Damit ſchwang die Graͤfin ein ſpiegelblankes Meſſer in den Luͤften und ſank ohn¬ maͤchtig nieder. „ Ei mein ſchoͤnes Puͤppchen, mein trautes Goldkind, das wußt ich ja wohl, daß du es nicht leiden wuͤrdeſt! “— So meckerte die rothe Alte. Dann kauerte ſie nieder neben der Graͤfin und bedeckte Geſicht und Buſen mit ekelhaften Kuͤſ¬ ſen, indem ſie fortwaͤhrend murmelte: „ Blanke Tochter, blanke Tochter — wach'auf, wach 'auf, der Braͤutigam kommt — hei hei blanker Braͤuti¬ gam kommt. “ Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner Goldfiſch in ſilberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln ſchien. Dieſe Phiole hielt die Alte der Graͤfin an das Herz, augenblick¬ lich erwachte ſie, aber kaum erblickte ſie das Zigeu¬ nerweib, als ſie aufſprang, das Weib heftig und bruͤnſtig umarmte und dann mit ihr davon eilte in das Schloß hinein. Der Graf von Z. — Gabriele, ihr Braͤutigam, die unterdeſſen erſchienen, ſchauten ganz erſtarrt und von ſeltſamen Grauen ergriffen, das67 Alles an. Die Zigeuner blieben ganz gleichguͤl¬ tig und ruhig, ſie wurden nun abgeloͤſt von der Kette, und einzeln gefeſſelt in die Schloßgefaͤngniſſe geworfen. Am andern Morgen ließ der Graf von Z. die Gemeinde verſammeln, die Zigeuner wurden vorgefuͤhrt, der Graf erklaͤrte laut, daß ſie ganz unſchuldig waͤren an allen Raͤubereien, die in der Gegend veruͤbt, und daß er ihnen freien Durchzug durch ſein Gebiet verſtatte, worauf ſie entfeſſelt und zum Erſtaunen aller mit Paͤſſen wohl verſehen entlaſſen wurden. Das rothe Weib wurde ver¬ mißt. Man wollte wiſſen, daß der Zigeunerhaupt¬ mann, kenntlich an den goldnen Ketten um den Hals und dem rothen Federbuſch an dem ſpaniſch niedergekrempten Hut, Nachts auf dem Zimmer des Barons geweſen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargethan, daß die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der That auch nicht den mindeſten Antheil hatten. — Gabriele's Hochzeit ruͤckte heran, mit Erſtau¬ nen bemerkte ſie eines Tages, daß mehrere Ruͤſt¬E 268wagen mit Meublen, Kleidungsſtuͤcken, Waͤſche, kurz, mit einer ganz vollſtaͤndigen Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr ſie, daß Angelika begleitet von dem Kam¬ merdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten rothen Zigeunerin aͤhnlich ge¬ ſehen, Nachts abgereiſet ſey. Graf Z. loͤſte das Raͤthſel, indem er erklaͤrte, daß er ſich aus gewiſ¬ ſen Urſachen genoͤthiget geſehen, den freilich ſeltſa¬ men Wuͤnſchen Angelik'as nachzugeben, und ihr nicht allein das in *** n belegne Haus in der Allee als Eigenthum zu ſchenken, ſondern auch zu erlau¬ ben, daß ſie dort einen eignen, ganz unabhaͤngigen Haushalt fuͤhre, wobei ſie ſich bedungen, daß kei¬ ner aus der Familie, ihn ſelbſt nicht ausgenommen, ohne ihre ausdruͤckliche Erlaubniß das Haus betre¬ ten ſolle. Der Graf von S. fuͤgte hinzu, daß auf Angelikas dringenden Wunſch er ſeinen Kam¬ merdiener ihr uͤberlaſſen muͤſſen, der mit gereiſet ſey nach *** n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit ſeiner Gemahlin nach D. und69 ein Jahr verging ihnen in ungetruͤbter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weiſe zu kraͤnkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebensluſt, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemuͤhungen ſeiner Ge¬ mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das ſein Innerſtes verderblich zu verſtoͤren ſchien. — Als endlich tiefe Ohnmachten ſeinen Zuſtand lebensge¬ faͤhrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging angeblich nach Piſa. — Gabriele konnte nicht mit¬ reiſen, da ſie ihrer Niederkunft entgegen ſah, die indeſſen erſt nach mehrern Wochen erfolgte. — „ Hier, “ſprach der Arzt, „ werden die Mittheilun¬ gen der Graͤfin Gabriele von S. ſo rhapſodiſch, daß nur ein tieferer Blick den naͤheren Zuſammenhang auffaſſen kann. “— Genug — ihr Kind, ein Maͤdgen, verſchwindet auf unbegreifliche Weiſe aus der Wiege, alle Nachforſchungen bleiben verge¬ bens — ihre Troſtloſigkeit geht bis zur Verzweif¬ lung, als zur ſelbigen Zeit Graf von Z. ihr die entſetzliche Nachricht ſchreibt, daß er den Schwie¬70 gerſohn, den er auf dem Wege nach Piſa glaubte, in *** n und zwar in Angelika's Hauſe, vom Ner¬ venſchlage zum Tode getroffen, gefunden; daß An¬ gelika in furchtbaren Wahnſinn gerathen ſey und daß er ſolchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. — So wie Gabriele von S. nur einige Kraͤfte gewonnen, eilt ſie auf die Guͤter des Va¬ ters; in ſchlafloſer Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt ſie ein leiſes Wimmern vor der Thuͤre des Schlaf¬ zimmers zu vernehmen; ermuthigt, zuͤndet ſie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. — Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den rothen Shawl gewickelt, ſtarrt das Zigeunerweib mit ſtierem, lebloſem Blick ihr in die Augen — in den Armen haͤlt ſie ein kleines Kind, das ſo aͤngſtlich wimmert, das Herz ſchlaͤgt der Graͤfin hoch auf in der Bruſt! — es iſt ihr Kind! — es iſt die verlorne Tochter! — Sie reißt das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in dieſem Augenblick kugelt dieſe um, wie eine lebloſe Puppe. 71Auf das Angſtgeſchrei der Graͤfin wird alles wach, man eilt hinzu, man findet das Weib todt auf der Erde, kein Belebungsmittel wirkt und der Graf laͤßt ſie einſcharren. — Was bleibt uͤbrig, als nach *** n zur wahnſinnigen Angelika zu eilen, und vielleicht dort das Geheimniß mit dem Kinde zu erforſchen. Alles hat ſich veraͤndert. Angelika's wilde Raſerei hat alle weibliche Dienſtboten ent¬ fernt, nur der Kammerdiener iſt geblieben. Ange¬ lika iſt ruhig und vernuͤnftig geworden. Als der Graf die Geſchichte von Gabriele'ns Kinde erzaͤhlt, ſchlaͤgt ſie die Haͤnde zuſammen, und ruft mit lau¬ tem Lachen: Iſt's Puͤppgen angekommen? — rich¬ tig angekommen? — eingeſcharrt, eingeſcharrt? O Jemine, wie praͤchtig ſich der Goldfaſan ſchuͤt¬ telt! wißt ihr nichts vom gruͤnen Loͤwen mit den blauen Gluthaugen? — Mit Entſetzen bemerkt der Graf die Ruͤckkehr des Wahnſinns, indem ploͤtzlich Angelika's Geſicht die Zuͤge des Zigeunerweibes an¬ zunehmen ſcheint, und beſchließt, die Arme mitzu¬ nehmen auf die Guͤter, welches der alte Kammer¬72 diener widerraͤth. In der That bricht auch der Wahnſinn Angelika's in Wuth und Raſerei aus, ſobald man Anſtalten macht, ſie aus dem Hauſe zu entfernen. — In einem lichten Zwiſchenraum be¬ ſchwoͤrt Angelika mit heißen Thraͤnen den Vater, ſie in dem Hauſe ſterben zu laſſen, und tiefgeruͤhrt bewil¬ ligt er dies, wiewohl er das Geſtaͤndniß, das dabei ihren Lippen entflieht, nur fuͤr das Erzeugniß des aufs neue ausbrechenden Wahnſinns haͤlt. Sie bekennt, daß Graf S. in ihre Arme zuruͤckgekehrt, und daß das Kind, welches die Zigeunerin ins Haus des Grafen von Z. brachte, die Frucht dieſes Buͤndniſſes ſey. — In der Reſidenz glaubt man, daß der Graf von Z. die Ungluͤckliche mitgenommen hat auf die Guͤter, indeſſen ſie hier tiefverborgen und der Aufſicht des Kammerdieners uͤbergeben in dem veroͤdeten Hauſe bleibt — Graf von Z. iſt ge¬ ſtorben vor einiger Zeit, und Graͤfin Gabriele von S. kam mit Edmonden her, um Familienangelegen¬ heiten zu berichtigen. Sie durfte es ſich nicht ver¬ ſagen, die ungluͤckliche Schweſter zu ſehen. Bei dieſem Beſuch muß ſich Wunderliches ereignet ha¬73 ben, doch hat mir die Graͤfin nichts daruͤber ver¬ traut, ſondern nur im Allgemeinen geſagt, daß es nun noͤthig geworden, dem alten Kammerdiener die Ungluͤckliche zu entreißen. Einmal habe er, wie es herausgekommen, durch harte grauſame Mi߬ handlungen den Ausbruͤchen des Wahnſinns zu ſteu¬ ern geſucht, dann aber, durch Angelika's Vorſpieg¬ lung, daß ſie Gold zu machen verſtehe, ſich verlei¬ ten laſſen, mit ihr allerlei ſonderbare Operationen vorzunehmen und ihr alles Noͤthige dazu herbeizu¬ ſchaffen. — „ Es wuͤrde wohl (ſo ſchloß der Arzt ſeine Erzaͤhlung) ganz uͤberfluͤſſig ſeyn, Sie, gerade Sie auf den tiefern Zuſammenhang aller dieſer ſeltſamen Dinge aufmerkſam zu machen. Es iſt mir gewiß, daß Sie die Kataſtrophe herbeige¬ fuͤhrt haben, die der Alten Geneſung oder baldigen Tod bringen wird. Uebrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, daß ich mich nicht wenig entſetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetiſchen Rapport geſetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel ſah. Daß dies Bild Edmonde war, wiſſen wir nun beide. “—
74Eben ſo, wie der Arzt glaubte, fuͤr mich nichts hinzufuͤgen zu duͤrfen, eben ſo halte ich es fuͤr ganz unnuͤtz, mich nun noch daruͤber etwa zu verbreiten, in welchem geheimen Verhaͤltniß Angelika, Ed¬ monde, ich und der alte Kammerdiener ſtanden, und wie myſtiſche Wechſelwirkungen ein daͤmoniſches Spiel trieben. Nur ſo viel ſage ich noch, daß mich nach dieſen Begebenheiten ein druͤckendes, un¬ heimliches Gefuͤhl aus der Reſidenz trieb, welches erſt nach einiger Zeit mich ploͤtzlich verließ. Ich glaube, daß die Alte in dem Augenblick, als ein ganz beſonderes Wohlſeyn mein Innerſtes durch¬ ſtroͤmte, geſtorben iſt. So endete Theodor ſeine Erzaͤhlung. Noch Manches ſprachen die Freunde uͤber Theodors Abenteuer und gaben ihm Recht, daß ſich darin das Wunderliche mit dem Wunderbaren auf ſeltſame grauliche Weiſe miſche. — Als ſie ſchie¬ den, nahm Franz Theodors Hand und ſprach, ſie leiſe ſchuͤttelnd, mit beinahe wehmuͤthigem Laͤcheln: Gute Nacht, du Spalanzaniſche Fledermaus!
75Dem Geſtade der Oſtſee unfern liegt das Stamm¬ ſchloß der Freiherrlich von R. .ſchen Familie, R. .ſitten genannt. Die Gegend iſt rauh und oͤde, kaum entſprießt hin und wieder ein Grashalm dem bodenloſen Triebſande, und ſtatt des Gartens, wie er ſonſt das Herrenhaus zu zieren pflegt, ſchließt ſich an die nackten Mauern nach der Landſeite hin ein duͤrftiger Foͤhrenwald, deſſen ewige, duͤſtre Trauer den bunten Schmuck des Fruͤhlings ver¬ ſchmaͤht, und in dem, ſtatt des froͤhlichen Jauch¬ zens der zu neuer Luſt erwachten Voͤgelein nur das ſchaurige Gekraͤchze der Raben, das ſchwirrende76 Kreiſchen der Sturmverkuͤndenden Moͤven wieder¬ hallt. Eine Viertelſtunde davon aͤndert ſich ploͤtzlich die Natur. Wie durch einen Zauberſchlag iſt man in bluͤhende Felder, uͤppige Aecker und Wieſen ver¬ ſetzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit dem geraͤumigen Wohnhauſe des Wirthſchaftsin¬ ſpektors. An der Spitze eines freundlichen Erlen¬ buſches ſind die Fundamente eines großen Schloſſes ſichtbar, das einer der vormaligen Beſitzer aufzu¬ bauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Guͤtern in Curland hauſend, ließen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wie¬ derum ſeinen Wohnſitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da ſeinem finſtern, men¬ ſchenſcheuen Weſen der Aufenthalt in dem alten, einſam liegenden Schloſſe zuſagte. Er ließ das ver¬ fallene Gebaͤude, ſo gut es gehen wollte, herſtellen, und ſperrte ſich darin ein, mit einem graͤmlichen Hausverwalter und geringer Dienerſchaft. Nur ſelten ſah 'man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt er oft am Meeresſtrande hin und her, und77 man wollte aus der Ferne bemerkt haben, wie er in die Wellen hineinſprach und dem Brauſen und Ziſchen der Brandung zuhorchte, als vernehme er die antwortende Stimme des Meergeiſtes. Auf der hoͤchſten Spitze des Wartthurms hatte er ein Cabinett einrichten und mit Fernroͤhren — mit einem vollſtaͤndigen aſtronomiſchen Apparat verſehen laſſen; da beobachtete er Tages, nach dem Meer hinausſchauend, die Schiffe, die oft gleich weißbe¬ ſchwingten Meervoͤgeln am fernen Horizont vor¬ uͤberflogen. Sternenhelle Naͤchte brachte er hin mit aſtronomiſcher, oder, wie man wiſſen wollte, mit aſtrologiſcher Arbeit, worin ihm der alte Haus¬ verwalter beiſtand. Ueberhaupt ging zu ſeinen Lebzeiten die Sage, daß er geheimer Wiſſenſchaft, der ſogenannten ſchwarzen Kunſt, ergeben ſey, und daß eine verfehlte Operation, durch die ein hohes Fuͤr¬ ſtenhaus auf das empfindlichſte gekraͤnkt wurde, ihn aus Curland vertrieben habe. Die leiſeſte Erinne¬ rung an ſeinen dortigen Aufenthalt erfuͤllte ihn mit Entſetzen, aber alles ſein Leben verſtoͤrende, was78 ihm dort geſchehen, ſchrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg boͤslich ver¬ ließen. Um fuͤr die Zukunft wenigſtens das Haupt der Familie an das Stammhaus zu feſſeln, be¬ ſtimmte er es zu einem Majoratsbeſitzthum. Der Landesherr beſtaͤtigte die Stiftung um ſo lieber, als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬ milie, deren Zweige ſchon in das Ausland heruͤber¬ rankten, fuͤr das Vaterland gewonnen werden ſollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie ſein Großvater Roderich geheißen, mochte indeſſen in dem Stammſchloſſe hauſen, beide blieben in Curland. Man mußte glauben, daß ſie, heit'rer und lebensluſtiger geſinnt, als der duͤſtre Ahnherr, die ſchaurige Oede des Aufenthalts ſcheuten. Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheiratheten Schweſtern ſeines Vaters, die mager ausgeſtattet in Duͤrftigkeit lebten, Woh¬ nung und Unterhalt auf dem Gute geſtattet. Dieſe ſaßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenfluͤgels, und außer79 ihnen und dem Koch, der im Erdgeſchoß ein großes Gemach neben der Kuͤche inne hatte, wankte in den hohen Zimmern und Saͤlen des Hauptgebaͤudes nur noch ein abgelebter Jaͤger umher, der zugleich die Dienſte des Caſtellans verſah. Die uͤbrige Diener¬ ſchaft wohnte im Dorfe bei dem Wirthſchaftsin¬ ſpektor. Nur in ſpaͤter Herbſtzeit, wenn der erſte Schnee zu fallen begann, und die Wolfs - die Schweinsjagden aufgingen, wurde das oͤde, ver¬ laſſene Schloß lebendig. Dann kam Freiherr Ro¬ derich mit ſeiner Gemahlin, begleitet von Verwand¬ ten, Freunden und zahlreichem Jagdgefolge heruͤber aus Curland. Der benachbarte Adel, ja ſelbſt jagdluſtige Freunde aus der nahe liegenden Stadt fanden ſich ein, kaum vermochten Hauptgebaͤude und Nebenfluͤgel die zuſtroͤmenden Gaͤſte zu faſſen, in allen Oefen und Kaminen kniſterten reichlich zu¬ geſchuͤrte Feuer, vom grauen Morgen bis in die Nacht hinein ſchnurrten die Bratenwender, Trepp' auf, Trepp 'ab liefen hundert luſtige Leute, Herren und Diener, dort erklangen angeſtoßene80 Pokale und froͤhliche Jaͤgerlieder, hier die Tritte der nach gellender Muſik Tanzenden, uͤberall lautes Jauchzen und Gelaͤchter, und ſo glich vier bis ſechs Wochen hindurch das Schloß mehr einer praͤchtigen, an vielbefahrner Landſtraße liegenden Herberge, als der Wohnung des Gutsherrn. Freiherr Ro¬ derich widmete dieſe Zeit, ſo gut es ſich nur thun ließ, ernſtem Geſchaͤfte, indem er, zuruͤckgezogen aus dem Strudel der Gaͤſte, die Pflichten des Majoratsherrn erfuͤllte. Nicht allein, daß er ſich vollſtaͤndige Rechnung der Einkuͤnfte legen ließ, ſo hoͤrte er auch jeden Vorſchlag irgend einer Verbeſſe¬ rung, ſo wie die kleinſte Beſchwerde ſeiner Unter¬ thanen an, und ſuchte alles zu ordnen, jedem Un¬ rechten oder Unbilligen zu ſteuern, wie er es nur vermochte. In dieſen Geſchaͤften ſtand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn vererbter Geſchaͤftstraͤger des R. .ſchen Hauſes und Juſti¬ tiarius der in P. liegenden Guͤter, redlich bei, und V. pflegte daher ſchon acht Tage vor der be¬ ſtimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majo¬rats¬81ratsgute abzureiſen. Im Jahr 179 — war die Zeit gekommen, daß der alte V. nach R. .ſitten reiſen ſollte. So lebenskraͤftig der Greis von ſieb¬ zig Jahren ſich auch fuͤhlte, mußte er doch glauben, daß eine huͤlfreiche Hand im Geſchaͤft ihm wohlthun werde. Wie im Scherz ſagte er daher eines Tages zu mir: „ Vetter! “ (ſo nannte er mich, ſeinen Großneffen, da ich ſeine Vornamen erhielt) „ Vet¬ ter! — ich daͤchte, du ließeſt dir einmal etwas Seewind um die Ohren ſauſen und kaͤm'ſt mit mir nach R. .ſitten. Außerdem, daß du mir wacker beiſtehen kannſt in meinem manchmal boͤſen Ge¬ ſchaͤft, ſo magſt du dich auch einmal im wilden Jaͤgerleben verſuchen und zuſehen, wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches Protokoll geſchrieben, du den andern ſolch trotzigem Thier, als da iſt ein langbehaarter, graͤulicher Wolf, oder ein zahn¬ fletſchender Eber, ins funkelnde Auge zu ſchauen, oder gar es mit einem tuͤchtigen Buͤchſenſchuß zu er¬ legen verſteheſt. “ Nicht ſo viel Seltſames von der luſtigen Jagdzeit in R. ſitten haͤtte ich ſchon hoͤren,F82nicht ſo mit ganzer Seele dem herrlichen alten Großonkel anhaͤngen muͤſſen, um nicht hocherfreut zu ſeyn, daß er mich diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geuͤbt in derlei Geſchaͤften, wie er ſie vorhatte, verſprach ich mit tapferm Fleiß ihm alle Muͤhe und Sorge abzunehmen. Andern Tages ſaßen wir in tuͤchtige Pelze eingehuͤllt im Wagen und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkuͤndendes Schneegeſtoͤber nach R. .ſitten. — Unterwegs erzaͤhlte mir der Alte manches Wunder¬ liche von dem Freiherrn Roderich, der das Majorat ſtiftete und ihn ſeines Juͤnglingsalters ungeachtet zu ſeinem Juſtitiarius und Teſtamentsvollzieher er¬ nannte. Er ſprach von dem rauhen, wilden We¬ ſen, das der alte Herr gehabt, und das ſich auf die ganze Familie zu vererben ſchiene, da ſelbſt der jetzi¬ ge Majoratsherr, den er als ſanftmuͤthigen, bei¬ nahe weichlichen Juͤngling gekannt, von Jahr zu Jahr mehr davon ergriffen werde. Er ſchrieb mir vor, wie ich mich keck und unbefangen betragen muͤßte, um in des Freiherrn Augen was werth zu83 ſeyn und kam endlich auf die Wohnung im Schloſſe, die er ein fuͤr allemal gewaͤhlt, da ſie warm, be¬ quem und ſo abgelegen ſey, daß wir uns, wenn und wie wir wollten, dem tollen Getoͤſe der jubili¬ renden Geſellſchaft entziehen koͤnnten. In zwei kleinen, mit warmen Tapeten behangenen Zim¬ mern, dicht neben dem großen Gerichtsſaal im Seitenfluͤgel, dem gegenuͤber, wo die alten Fraͤu¬ leins wohnten, da waͤre ihm jedesmal ſeine Reſi¬ denz bereitet. Endlich nach ſchneller, aber beſchwer¬ licher Fahrt kamen wir in tiefer Nacht nach R. .ſit¬ ten. Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Kruge Tanzmuſik und froͤhlicher Jubel, des Wirthſchaftsinſpektors Haus von unten bis oben erleuchtet, drinnen auch Muſik und Ge¬ ſang; deſto ſchauerlicher wurde die Oede, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in ſchneidenden Jammertoͤnen heruͤber und, als habe er ſie aus tiefem Zauberſchlaf geweckt, ſtoͤhnten die duͤſtern Foͤhren ihm nach in dumpfer Klage. Die nackten ſchwarzen Mauern des Schloſſes ſtie¬F 284gen empor aus dem Schneegrunde, wir hielten an dem verſchloſſenen Thor. Aber da half kein Rufen, kein Peitſchengeknalle, kein Hammern und Pochen, es war, als ſey alles ausgeſtorben, in keinem Fen¬ ſter ein Licht ſichtbar. Der Alte ließ ſeine ſtarke droͤhnende Stimme erſchallen: „ Franz — Franz! — Wo ſteckt ihr denn? — Zum Teufel, ruͤhrt Euch! — Wir erfrieren hier am Thor! Der Schnee ſchmeißt einem ja das Geſicht blutruͤnſtig — ruͤhrt Euch, zum Teufel. “ Da fing ein Hof¬ hund zu winſeln an, ein wandelndes Licht wurde im Erdgeſchoſſe ſichtbar, Schluͤſſel klapperten und bald knarrten die gewichtigen Thorfluͤgel auf. „ Ei ſchoͤn willkommen, ſchoͤn willkommen Herr Juſti¬ tiarius, ei in dem unſaubern Wetter! “ So rief der alte Franz, indem er die Laterne hoch in die Hoͤhe hob, ſo daß das volle Licht auf ſein ver¬ ſchrumpftes, zum freundlichen Lachen ſonderbar verzogenes Geſicht fiel. Der Wagen fuhr in den Hof, wir ſtiegen aus und nun gewahrte ich erſt ganz des alten Bedienten ſeltſame, in eine altmo¬85 diſche, weite, mit vielen Schnuͤren wunderlich aus¬ ſtaffirte Jaͤgerlivrei gehuͤllte Geſtalt. Ueber die breite weiße Stirn legten ſich nur ein Paar graue Loͤckchen, der untere Theil des Geſichts hatte die robuſte Jaͤgerfarbe, und unerachtet die verzogenen Muskeln das Geſicht zu einer beinahe abenteuerlichen Maske formten, ſoͤhnte doch die etwas duͤmmliche Gutmuͤthigkeit, die aus den Augen leuchtete und um den Mund ſpielte, alles wieder aus. „ Nun, alter Franz, “fing der Großonkel an, indem er ſich im Vorſaal den Schnee vom Pelze abklopfte, „ nun, alter Franz, iſt alles bereitet, ſind die Tapeten in meinen Stuben abgeſtaubt, ſind die Betten hinein¬ getragen, iſt geſtern und heute tuͤchtig geheitzt wor¬ den? “ „ Nein, “erwiederte Franz ſehr gelaſſen, „ nein, mein wertheſter Herr Juſtitiarius, das iſt alles nicht geſchehen. “ „ Herr Gott! “fuhr der Großonkel auf, „ ich habe ja zeitig genug geſchrie¬ ben, ich komme ja ſtets nach dem richtigen Datum; das iſt ja eine Toͤlpelei, nun kann ich in eiskalten Zimmern hauſen. “ „ Ja, wertheſter Herr Juſti¬86 tiarius, “ſprach Franz weiter, indem er ſehr ſorg¬ lich mit der Lichtſcheere vom dem Docht einen glim¬ menden Raͤuber abſchnippte und ihn mit dem Fuße austrat, „ ja ſehn Sie, das alles, vorzuͤglich das Heizen haͤtte nicht viel geholfen, denn der Wind und der Schnee, die hauſen gar zu ſehr hinein, durch die zerbrochenen Fenſterſcheiben, und da “— „ Was, “fiel der Großonkel ihm in die Rede, den Pelz weit auseinander ſchlagend und beide Arme in die Seiten ſtemmend, „ was, die Fenſter ſind zerbrochen und Ihr, des Hauſes Caſtellan, habt nichts machen laſſen? “ „ Ja, wertheſter Herr Ju¬ ſtitiarius, “fuhr der Alte ruhig und gelaſſen fort, „ man kann nur nicht recht hinzu, wegen des vielen Schutt's und der vielen Mauerſteine, die in den Zimmern herum liegen. “ „ Wo zum Tauſend Himmel Sapperment kommen Schutt und Steine in meine Zimmer, “ſchrie der Großonkel. „ Zum beſtaͤndigen froͤhlichen Wohlſeyn, mein junger Herr! “rief der Alte, ſich hoͤflich buͤckend, da ich eben nieſte, ſetzte aber gleich hinzu: „ es ſind die87 Steine und der Kalk von der Mittelwand, die von der großen Erſchuͤtterung einfiel. “ „ Habt ihr ein Erdbeben gehabt, “platzte der Großonkel zornig heraus. “ „ Das nicht, wertheſter Herr Juſtitia¬ rius, “erwiederte der Alte mit dem ganzen Geſicht laͤchelnd, „ aber vor drei Tagen iſt die ſchwere, ge¬ taͤfelte Decke des Gerichtsſaal's mit gewaltigem Krachen eingeſtuͤrzt. “ „ So ſoll doch das “— Der Großonkel wollte, heftig und aufbrauſend, wie er war, einen ſchweren Fluch ausſtoßen; aber indem er mit der Rechten in die Hoͤhe fuhr und mit der Linken die Fuchsmuͤtze von der Stirn ruͤckte, hielt er ploͤtzlich inne, wandte ſich nach mir um und ſprach laut auflachend: „ Wahrhaftig Vetter! wir muͤſſen das Maul halten, wir duͤrfen nicht weiter fragen; ſonſt erfahren wir noch aͤrgeres Unheil, oder das ganze Schloß ſtuͤrzt uns uͤber den Koͤpfen zuſammen. “ „ Aber, “fuhr er fort, ſich nach dem Alten umdrehend, „ aber, Franz, konntet Ihr denn nicht ſo geſcheut ſeyn, mir ein anderes Zimmer rei¬ nigen und heitzen zu laſſen? Konntet Ihr nicht88 irgend einen Saal im Hauptgebaͤude ſchnell einrich¬ ten zum Gerichtstage? “ „ Dieſes iſt auch bereits Alles geſchehen, “ſprach der Alte, indem er freund¬ lich nach der Treppe wies und ſofort hinauf zu ſteigen begann. „ Nun ſeht mir doch den wunderlichen Kauz, “rief der Onkel, indem wir dem Alten nachſchritten. Es ging fort durch lange hochgewoͤlbte Corridore, Franzens flackerndes Licht warf einen wunderlichen Schein in die dicke Finſterniß. Saͤu¬ len, Capitaͤler und bunte Bogen zeigten ſich oft wie in den Luͤften ſchwebend, rieſengroß ſchritten unſere Schatten neben uns her und die ſeltſamen Gebilde an den Waͤnden, uͤber die ſie wegſchluͤpften, ſchie¬ nen zu zittern und zu ſchwanken, und ihre Stim¬ men wiſperten in den droͤhnenden Nachhall unſerer Tritte hinein: Weckt uns nicht, weckt uns nicht, uns tolles Zaubervolk, das hier in den alten Stei¬ nen ſchlaͤft! — Endlich oͤffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finſtrer Gemaͤcher durchgan¬ gen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes Ka¬ minfeuer uns mit ſeinem luſtigen Kniſtern wie mit89 heimathlichem Gruß empfing. Mir wurde gleich, ſo wie ich eintrat, ganz wohl zu Muthe, doch der Großonkel blieb mitten im Saal ſtehen, ſchaute rings umher und ſprach mit ſehr ernſtem, beinahe feierlichem Ton: „ Alſo hier, dies ſoll der Ge¬ richtsſaal ſeyn? “— Franz, in die Hoͤhe leuchtend, ſo daß an der breiten dunkeln Wand ein heller Fleck, wie eine Thuͤre groß, ins Auge fiel, ſprach dumpf und ſchmerzhaft: „ Hier iſt ja wohl ſchon Gericht gehalten worden! “ „ Was kommt Euch ein, Alter. “rief der Onkel, indem er den Pelz ſchnell ab¬ warf und an das Kaminfeuer trat. „ Es fuhr mir nur ſo heraus, “ſprach Franz, zuͤndete die Lichter an und oͤffnete das Nebenzimmer, welches zu unſrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war. Nicht lange dauerte es, ſo ſtand ein gedeckter Tiſch vor dem Kamin, der Alte trug wohlzubereitete Schuͤſſeln auf, denen, wie es uns beiden, dem Großonkel und mir, recht behaglich war, eine tuͤchtige Schale nach aͤcht nordiſcher Art gebrauten Punſches folgte. Ermuͤdet von der Reiſe, ſuchte der Großonkel, ſo90 wie er gegeſſen, das Bette; das Neue, Seltſame des Aufenthalts, ja ſelbſt der Punſch, hatte aber meine Lebensgeiſter zu ſehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz raͤumte den Tiſch ab, ſchuͤrte das Kaminfeuer zu und verließ mich mit freundlichen Buͤcklingen.
Nun ſaß ich allein in dem hohen, weiten Rit¬ terſaal. Das Schneegeſtoͤber hatte zu ſchlackern, der Sturm zu ſauſen aufgehoͤrt, heitrer Himmel war's geworden und der helle Vollmond ſtrahl¬ te durch die breiten Bogenfenſter, alle finſtre Ecken des wunderlichen Baues, wohin der duͤſtre Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht dringen konnte, magiſch erleuchtend. So wie man es wohl noch in alten Schloͤſſern antrifft, waren auf ſeltſame alterthuͤmliche Weiſe Waͤnde und Decke des Saals verziert, dieſe mit ſchwerem Getaͤfel, jene mit fantaſtiſcher Bilderei und buntgemahltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den großen Ge¬ maͤhlden, mehrentheils das wilde Gewuͤhl blutiger Baͤren, und Wolfsjagden darſtellend, ſprangen in91 Holz geſchnitzte Thier - und Menſchenkoͤpfe hervor, den gemahlten Leibern angeſetzt, ſo daß, zumal bei der flackernden, ſchimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das Ganze in graulicher Wahrheit lebte. Zwiſchen dieſen Gemaͤhlden waren lebensgroße Bilder, in Jaͤgertracht daher ſchreiten¬ de Ritter, wahrſcheinlich der jagdluſtigen Ahn¬ herren, eingefugt. Alles, Mahlerei und Schnitz¬ werk, trug die dunkle Farbe langverjaͤhrter Zeit; um ſo mehr fiel der helle kahle Fleck an derſelben Wand, durch die zwei Thuͤren in Nebengemaͤcher fuͤhrten, auf; bald erkannte ich, daß dort auch eine Thuͤr geweſen ſeyn muͤßte, die ſpaͤter zugemauert worden, und daß eben dies neue, nicht einmal der uͤbrigen Wand gleichgemahlte, oder mit Schnitzwerk ver¬ zierte Gemaͤuer auf jene Art abſteche. — Wer weiß es nicht, wie ein ungewoͤhnlicher, abenteuer¬ licher Aufenthalt mit geheimnißvoller Macht den Geiſt zu erfaſſen vermag, ſelbſt die traͤgſte Fantaſie wird wach in dem, von wunderlichen Felſen um¬ ſchloſſenen Thal — in den duͤſtern Mauern einer92 Kirche o. ſ., und will ſonſt nie Erfahrnes ahnen. Setze ich nun noch hinzu, daß ich zwanzig Jahr alt war und mehrere Glaͤſer ſtarken Punſch getrun¬ ken hatte ſo wird man es glauben, daß mir in meinem Ritterſaal ſeltſamer zu Muthe wurde als jemals. Man denke ſich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brauſen des Meers, das ſeltſame Pfeifen des Nachtwindes wie die Toͤne eines maͤchtigen, von Geiſtern geruͤhrten Orgelwerks er¬ klangen — die voruͤberfliegenden Wolken, die oft, hell und glaͤnzend, wie vorbeiſtreifende Rieſen durch die klirrenden Bogenfenſter zu gucken ſchienen — in der That, ich mußt 'es in dem leiſen Schauer fuͤhlen, der mich durchbebte, daß ein fremdes Reich nun ſichtbarlich und vernehmbar aufgehen koͤnne. Doch dies Gefuͤhl glich dem Froͤſteln, das man bei einer lebhaft dargeſtellten Geſpenſtergeſchichte em¬ pfindet und das man ſo gern hat. Dabei fiel mir ein, daß in keiner guͤnſtigeren Stimmung das Buch zu leſen ſey, das ich, ſo wie damals jeder, der nur irgend dem Romantiſchen ergeben, in der Taſche93 trug. Es war Schillers Geiſterſeher. Ich las und las, und erhitzte meine Fantaſie immer mehr und mehr. Ich kam zu der mit dem maͤchtigſten Zauber ergreifenden Erzaͤhlung von dem Hochzeit¬ feſt bei dem Grafen von V. — Gerade wie Jero¬ nimo's blutige Geſtalt eintritt, ſpringt mit einem gewaltigen Schlage die Thuͤr auf, die in den Vorſaal fuͤhrt. — Entſetzt fahre ich in die Hoͤhe, das Buch faͤllt mir aus den Haͤnden — Aber in demſelben Augenblick iſt alles ſtill und ich ſchaͤme mich uͤber mein kindiſches Erſchrecken! — Mag es ſeyn, daß durch die durchſtroͤmende Zugluft, oder auf andere Weiſe die Thuͤr aufgeſprengt wurde. — Es iſt nichts — meine uͤberreizte Fantaſie bil¬ det jede natuͤrliche Erſcheinung geſpenſtiſch! — So beſchwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe mich wieder in den Lehnſtuhl — da geht es leiſe und langſam mit abgemeſſenen Tritten quer uͤber den Saal hin, und dazwiſchen ſeufzt und aͤchzt es, und in dieſem Seufzen, dieſem Aechzen liegt der Ausdruck des tiefſten menſchlichen Leidens,94 des troſtloſeſten Jammers — Ha! das iſt irgend ein eingeſperrtes krankes Thier im untern Stock. Man kennt ja die akuſtiſche Taͤuſchung der Nacht, die alles entfernt toͤnende in die Naͤhe ruͤckt — wer wird ſich nur durch ſo Etwas Grauen erregen laſſen — So beſchwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entſetzlichen Angſt der Todesnoth ausgeſtoßen, ſich hoͤren laſſen, an jenem neuen Gemaͤuer. — „ Ja, es iſt ein armes eingeſperrtes Thier — ich werde jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tuͤchtig auf den Boden ſtampfen, gleich wird alles ſchweigen, oder das Thier unten ſich deutlicher in ſeinen natuͤr¬ lichen Toͤnen hoͤren laſſen! “— So denke ich, aber das Blut gerinnt in meinen Adern — kalter Schweiß ſteht auf der Stirne, erſtarrt bleib ich im Lehnſtuhle ſitzen, nicht vermoͤgend aufzuſtehen, viel weniger noch zu rufen. Das abſcheuliche Kratzen hoͤrt endlich auf — die Tritte laſſen ſich aufs Neue vernehmen — Es iſt, als wenn Leben und Re¬ gung in mir erwachte, ich ſpringe auf und trete95 zwei Schritte vor, aber da ſtreicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demſelben Augen¬ blick wirft der Mond ſein helles Licht auf das Bild¬ niß eines ſehr ernſten, beinahe ſchauerlich anzuſe¬ henden Mannes, und als ſaͤusle ſeine warnende Stimme durch das ſtaͤrkere Brauſen der Meeres¬ wellen, durch das gellendere Pfeifen des Nachtwin¬ des, hoͤre ich deutlich: — Nicht weiter — nicht weiter, ſonſt biſt du verfallen dem entſetzlichen Graus der Geiſterwelt! Nun faͤllt die Thuͤr zu mit demſelben ſtarken Schlage wie zuvor, ich hoͤre die Tritte deutlich auf dem Vorſaal — es geht die Treppe hinab — die Hauptthuͤr des Schloſſes oͤffnet ſich raſſelnd und wird wieder verſchloſſen. Dann iſt es, als wuͤrde ein Pferd aus dem Stalle gezogen, und nach einer Weile wieder in den Stall zuruͤckgefuͤhrt — dann iſt alles ſtill! — In dem¬ ſelben Augenblick vernahm ich, wie der alte Gro߬ onkel im Nebengemach aͤngſtlich ſeufzte und ſtoͤhnte, dies gab mir alle Beſinnung wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein. Der Alte ſchien mit96 einem boͤſen, ſchweren Traume zu kaͤmpfen. „ Er¬ wachen Sie — erwachen Sie, “rief ich laut, indem ich ihn ſanft bei der Hand faßte und den hellen Kerzenſchein auf ſein Geſicht fallen ließ. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann ſchaute er mich mit freundlichen Augen an und ſprach: „ Das haſt du gut gemacht, Vetter! daß du mich weckteſt. Ei, ich hatte einen ſehr haͤßlichen Traum, und daran iſt blos hier das Gemach und der Saal Schuld, denn ich mußte dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche denken, was hier ſich begab. Aber nun wollen wir recht tuͤchtig ausſchlafen! “ Damit huͤllte ſich der Alte in die Decke und ſchien ſofort einzuſchlafen. Als ich die Kerzen ausgeloͤſcht und mich auch ins Bette gelegt hatte, vernahm ich, daß der Alte leiſe betete. — Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirth¬ ſchaftsinſpector kam mit den Rechnungen, und Leute meldeten ſich, die irgend einen Streit geſchlichtet, irgend eine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags ging der Großonkel mit mir heruͤber inden97den Seitenfluͤgel, um den beiden alten Baroneſſen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein ſechzigjaͤhriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Muͤtterchen, die ſich das Kam¬ merfraͤulein der gnaͤdigen Herrſchaft nannte, in das Heiligthum gefuͤhrt. Da empfingen uns die alten, nach laͤngſt verjaͤhrter Mode abenteuerlich geputz¬ ten Damen mit komiſchem Ceremoniell, und vor¬ zuͤglich war ich ein Gegenſtand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beiſtehenden Juſtizmann vorſtellte. In ihren Mienen lag es, daß ſie bei meiner Jugend das Wohl des R. .ſittenſchen Unterthanen gefaͤhr¬ det glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte uͤberhaupt viel Laͤcherliches, die Schauer der vergangenen Nacht froͤſtelten aber noch in meinem Innern, ich fuͤhlte mich wie von einer unbekannten Macht beruͤhrt, oder es war mir viel¬ mehr, als habe ich ſchon an den Kreis geſtreift, den zu uͤberſchreiten und rettungslos unterzugehen esG98nur noch eines Schritt's beduͤrfte, als koͤnne nur das Aufbieten aller mir inwohnenden Kraft mich gegen das Entſetzen ſchuͤtzen, das nur dem unheilba¬ ren Wahnſinn zu weichen pflegt. So kam es, daß ſelbſt die alten Baroneſſen in ihren ſeltſamen hoch¬ aufgethuͤrmten Friſuren, in ihren wunderlichen ſtoff¬ nen, mit bunten Blumen und Baͤndern ausſtaffirten Kleidern mir ſtatt laͤcherlich, ganz graulich und ge¬ ſpenſtiſch erſchienen. In den alten gelbverſchrumpften Geſichtern, in den blinzenden Augen wollt 'ich es leſen, in dem ſchlechten Franzoͤſiſch, das halb durch die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die ſpitzen Naſen herausſchnarrte, wollt' ich es hoͤren, wie ſich die Alten mit den unheimlichen, im Schloſſe herumſpukenden Weſen, wenigſtens auf guten Fuß geſetzt haͤtten, und auch wohl ſelbſt Verſtoͤrendes und Entſetzliches zu treiben vermoͤchten. Der Gro߬ onkel, zu allem Luſtigen aufgelegt, verſtrickte mit ſeiner Ironie die Alten in ein ſolches tolles Ge¬ waͤſche, daß ich in anderer Stimmung nicht gewußt haͤtte, wie das ausgelaſſenſte Gelaͤchter in mich99 hineinſchlucken, aber wie geſagt, die Baroneſſen ſammt ihrem Geplapper waren und blieben geſpen¬ ſtiſch, und der Alte, der mir eine beſondere Luſt bereiten wollte, blickte mich einmal uͤbers andere ganz verwundert an. So wie wir nach Tiſche in unſerm Zimmer allein waren, brach er los: „ Aber, Vetter, ſag mir um des Himmelswillen, was iſt dir? — Du lachſt nicht, du ſprichſt nicht, du iſſeſt nicht, du trinkſt nicht? — Biſt du krank? oder fehlt es ſonſt woran? “— Ich nahm jetzt gar kei¬ nen Anſtand ihm alles Grauliche, Entſetzliche, was ich in voriger Nacht uͤberſtanden, ganz ausfuͤhrlich zu erzaͤhlen. Nichts verſchwieg ich, vorzuͤglich auch nicht, das ich viel Punſch getrunken und in Schillers Geiſterſeher geleſen. „ Bekennen muß ich dies, “ſetzte ich hinzu, „ denn ſo wird es glaub¬ lich, daß meine uͤberreizte arbeitende Fantaſie all die Erſcheinungen ſchuf, die nur innerhalb den Waͤnden meines Gehirns exiſtirten “Ich glaubte, daß nun der Großonkel mir derb zuſetzen wuͤrde mit koͤrnigten Spaͤßen uͤber meine Geiſterſeherei,G 2100ſtatt deſſen wurde er ſehr ernſthaft, ſtarrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf ſchnell in die Hoͤhe und ſprach, mich mit dem brennenden Blick ſeiner Augen anſchauend: „ Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder ſeinem, noch dem Geiſt des Punſches haſt du jenen Geiſterſpuk zu verdan¬ ken. Wiſſe, daß ich daſſelbe, was dir widerfuhr, traͤumte. Ich ſaß, ſo wie du (ſo kam es mir vor), im Lehnſtuhl bei dem Kamin, aber was ſich dir nur in Toͤnen kund gethan, das ſah ich, mit dem innern Auge es deutlich erfaſſend. Ja! ich erblickte den graulichen Unhold, wie er hereintrat, wie er kraft¬ los an die vermauerte Thuͤr ſchlich, wie er in troſtloſer Verzweiflung an der Wand kratzte, daß das Blut unter den zerriſſenen Naͤgeln heraus¬ quoll, wie er dann hinabſtieg, das Pferd aus dem Stalle zog und in den Stall zuruͤckbrachte. Haſt du es gehoͤrt, wie der Hahn im fernen Gehoͤfte des Dorfes kraͤhte? — Da weckteſt du mich