PRIMS Full-text transcription (HTML)
Nachtſtuͤcke
Zweiter Theil.
Berlin,1817.In der Realſchulbuchhandlung.
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Das oͤde Haus.

Man war daruͤber einig, daß die wirklichen Erſcheinungen im Leben oft viel wunderbarer ſich geſtalteten, als alles, was die regſte Fantaſie zu erfinden trachte. Ich meine, ſprach Lelio, daß die Geſchichte davon hinlaͤnglichen Beweis gibt und daß eben deshalb die ſogenannten hiſtori¬ ſchen Romane, worin der Verfaſſer, in ſeinem muͤßigen Gehirn bei aͤrmlichem Feuer ausgebruͤtete Kindereien, den Thaten der ewigen, im Univerſum waltenden Macht beizugeſellen ſich unterfaͤngt, ſo abgeſchmackt und widerlich ſind. Es iſt, nahm Franz das Wort, die tiefe Wahrheit der uner¬A2forſchlichen Geheimniſſe, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den uͤber uns herrſchenden, uns ſelbſt bedingenden Geiſt erkennen. Ach! fuhr Lelio fort, die Erkenntniß, von der du ſprichſt! Ach das iſt ja eben die entſetzlichſte Folge unſerer Entartung nach dem Suͤndenfall, daß dieſe Erkenntniß uns fehlt! Viele, unterbrach Franz den Freund, viele ſind berufen und wenige auserwaͤhlt! Glaubſt Du denn nicht, daß das Erkennen, das bei¬ nahe noch ſchoͤnere Ahnen der Wunder unſeres Lebens manchem verliehen iſt, wie ein beſonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren koͤnnten, herauf zu ſpringen in den heitren Augenblick, werf 'ich Euch das ſkurrile Gleichniß hin, daß Menſchen, denen die Seher¬ gabe, das Wunderbare zu ſchauen, mir wohl wie die Fledermaͤuſe beduͤnken wollen, an denen der ge¬ lehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen ſechsten Sinn entdeckte, der als ſchalkhafter Stell¬ vertreter nicht allein alles, ſondern viel mehr aus¬3 richtet, als alle uͤbrige Sinne zuſammengenommen. Ho ho, rief Franz lachelnd, ſo waͤren denn die Fledermaͤuſe eigentlich recht die gebornen natuͤr¬ lichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augen¬ blick, deſſen Du gedachteſt, will ich Poſto faſſen und bemerken, daß jener ſechſte bewundrungswuͤr¬ dige Sinn vermag an jeder Erſcheinung, ſei es Perſon, That oder Begebenheit, ſogleich dasjenige exzentriſche zu ſchauen, zu dem wir in unſerm ge¬ woͤhnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was iſt denn aber ge¬ woͤhnliches Leben? Ach das Drehen in dem engen Kreiſe, an den unſere Naſe uͤberall ſtoͤßt, und doch will man wohl Courbetten verſuchen im taktmaͤßigen Paßgang des Alltagsgeſchaͤfts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir ſprechen, ganz vorzuͤglich eigen ſcheint. Daher kommt es, daß er oft unbekannten Menſchen, die irgend etwas verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, Tagelang nachlaͤuft, daß er uͤber eine Gegebenheit, uͤber eine That, leicht hinA 24erzaͤhlt, keiner Beachtung werth und von niemanden beachtet, tiefſinnig wird, daß er antipodiſche Dinge zuſammen ſtellt und Beziehungen heraus fantaſirt, an die niemand denkt. Lelio rief laut: Halt, halt, das iſt ja unſer Theodor, der ganz was beſonderes im Kopfe zu haben ſcheint, da er mit ſolch ſeltſamen Blicken in das Blaue heraus ſchaut. In der That, fing Theodor an, der ſo lange geſchwiegen, in der That, waren meine Blicke ſeltſam, ſo lang darin der Reflex des wahrhaft Seltſamen, das ich im Geiſte ſchaute. Die Erin¬ nerung eines unlaͤngſt erlebten Abentheuers O erzaͤhle, erzaͤhle, unterbrachen ihn die Freunde. Erzaͤhlen, fuhr Theodor fort, moͤcht 'ich wohl, doch muß ich zufoͤrderſt Dir, lieber Lelio, ſagen, daß Du die Beiſpiele, die meine Sehergabe dar¬ thun ſollten, ziemlich ſchlecht waͤhlteſt. Aus Eber¬ hards Synonymik mußt Du wiſſen, daß wun¬ derlich alle Aeußerungen der Erkenntniß und des Begehrens genannt werden, die ſich durch keinen vernuͤnftigen Grund rechtfertigen laſſen wunder¬5 bar aber dasjenige heißt, was man fuͤr unmoͤg¬ lich, fuͤr unbegreiflich haͤlt, was die bekannten Kraͤfte der Natur zu uͤberſteigen, oder wie ich hinzu fuͤge, ihrem gewoͤhnlichen Gange entgegen zu ſeyn ſcheint. Daraus wirſt Du entnehmen, daß Du vorhin Ruͤckſichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche mit dem Wunderbaren verwech¬ ſelteſt. Aber gewiß iſt es, daß das anſcheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren ſproßt, und daß wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht ſehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blaͤt¬ tern und Bluͤthen hervor ſproſſen. In dem Aben¬ theuer, das ich Euch mittheilen will, miſcht ſich beides, das Wunderliche und Wunderbare, auf, wie mich duͤnkt, recht ſchauerliche Weiſe. Mit dieſen Worten zog Theodor ſein Taſchenbuch hervor, worin er, wie die Freunde wußten, allerley Noti¬ zen von ſeiner Reiſe her eingetragen hatte, und erzaͤhlte, dann und wann in dies Buch hineinblik¬ kend, folgende Begebenheit, die der weiteren Mit¬ theilung nicht unwerth ſcheint.

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Ihr wißt (ſo fing Theodor an), daß ich den ganzen vorigen Sommer in *** n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vor¬ fand, das freie gemuͤthliche Leben, die mannig¬ fachen Anregungen der Kunſt und der Wiſſenſchaft, das Alles hielt mich feſt. Nie war ich heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Straßen zu wandeln, und mich an jedem ausgehaͤngten Kupferſtich, an jedem Anſchlagzettel zu ergoͤtzen, oder die mir begegnenden Geſtalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu ſtellen, hing ich hier mit Leidenſchaft nach, da nicht allein der Reichthum der ausgeſtellten Werke der Kunſt und des Luxus, ſondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebaͤude unwiderſtehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebaͤuden jener Art einge¬ ſchloſſene Allee, welche nach dem *** ger Thore fuͤhrt, iſt der Sammelplatz des hoͤheren, durch Stand oder Reichthum zum uͤppigeren Lebensgenuß berechtigten Publikums. In dem Erdgeſchoß der hohen breiten Pallaͤſte werden meiſtentheils Waaren7 des Luxus feil geboten, indeß in den obern Stock¬ werken Leute der beſchriebenen Claſſe hauſen. Die vornehmſten Gaſthaͤuſer liegen in dieſer Straße, die fremden Geſandten wohnen meiſtens darin, und ſo koͤnnt Ihr denken, daß hier ein beſonderes Leben und Regen mehr als in irgend einem andern Theile der Reſidenz Statt finden muß, die ſich eben auch hier volkreicher zeigt, als ſie es wirklich iſt. Das Zudraͤngen nach dieſem Orte macht es, daß man¬ cher ſich mit einer kleineren Wohnung, als ſein Beduͤrfniß eigentlich erfordert, begnuͤgt, und ſo kommt es, daß manches von mehreren Familien be¬ wohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages ploͤtzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche ſeltſame Weiſe von allen uͤbrigen abſtach. Denkt Euch ein niedriges, vier Fenſter breites, von zwei hohen ſchoͤnen Gebaͤuden einge¬ klemmtes Haus, deſſen Stock uͤber dem Erdgeſchoß nur wenig uͤber die Fenſter im Erdgeſchoß des nach¬ barlichen Hauſes hervorragt, deſſen ſchlecht ver¬8 wahrtes Dach, deſſen zum Theil mit Papier ver¬ klebte Fenſter, deſſen farbloſe Mauern von gaͤnz¬ licher Verwahrloſung des Eigenthuͤmers zeugen. Denkt Euch, wie ſolch ein Haus zwiſchen mit ge¬ ſchmackvollem Luxus ausſtaffirten Prachtgebaͤuden ſich ausnehmen muß. Ich blieb ſtehen und be¬ merkte bey naͤherer Betrachtung, daß alle Fenſter dicht verzogen waren, ja daß vor die Fenſter des Erdgeſchoſſes eine Mauer aufgefuͤhrt ſchien, daß die gewoͤhnliche Glocke an dem Thorwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Hausthuͤre dien¬ te, fehlte, und daß an dem Thorwege ſelbſt nir¬ gends ein Schloß, ein Druͤcker zu entdecken war. Ich wurde uͤberzeugt, daß dieſes Haus ganz unbe¬ wohnt ſeyn muͤſſe, da ich niemahls, niemahls, ſo oft und zu welcher Tageszeit ich auch voruͤbergehen mochte auch nur die Spur eines menſchlichen We¬ ſens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieſer Gegend der Stadt! Eine wunderliche Er¬ ſcheinung und doch findet das Ding vielleicht darin ſeinen natuͤrlichen einfachen Grund, daß der Be¬9 ſitzer auf einer lange dauernden Reiſe begriffen oder auf fernen Guͤtern hauſend, dies Grundſtuͤck weder vermiethen noch veraͤußern mag, um, nach *** n zuruͤckkehrend, augenblicklich ſeine Wohnung dort aufſchlagen zu koͤnnen. So dacht 'ich, und doch weiß ich ſelbſt nicht wie es kam, daß bey dem oͤden Hauſe voruͤberſchreitend ich jedesmahl wie feſt¬ gebannt ſtehen bleiben und mich in ganz verwun¬ derliche Gedanken nicht ſowohl vertiefen, als ver¬ ſtricken mußte. Ihr wißt es ja alle, ihr wackern Kumpane meines froͤhlichen Jugendlebens, ihr wißt es ja alle, wie ich mich von jeher als Geiſterſeher gebehrdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt ſeltſame Erſcheinungen ins Leben treten woll¬ ten, die ihr mit derbem Verſtande wegzulaͤugnen wußtet! Nun! zieht nur Eure ſchlauen ſpitz¬ fuͤndigen Geſichter, wie Ihr wollt, gern zugeſtehen darf ich ja, daß ich oft mich ſelbſt recht arg myſti¬ fizirt habe, und daß mit dem oͤden Hauſe ſich daſ¬ ſelbe ereignen zu wollen ſchien, aber am Ende kommt die Moral, die Euch zu Boden ſchlaͤgt,10 horcht nur auf! Zur Sache! Eines Tages und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton ge¬ bietet, in der Allee auf und ab zu gehen, ſtehe ich, wie gewoͤhnlich, in tiefen Gedanken hinſtarrend vor dem oͤden Hauſe. Ploͤtzlich bemerke ich, ohne ge¬ rade hinzuſehen, daß jemand neben mir ſich hinge¬ ſtellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es iſt Graf P., der ſich ſchon in vieler Hinſicht als mir geiſtesverwandt kund gethan hat, und ſogleich iſt mir nichts gewiſſer, als daß auch ihm das Ge¬ heimnißvolle des Hauſes aufgegangen war. Um ſo mehr fiel es mir auf, daß, als ich von dem ſelt¬ ſamen Eindruck ſprach, den dies veroͤdete Gebaͤude hier in der belebteſten Gegend der Reſidenz auf mich gemacht hatte, er ſehr ironiſch laͤchelte, bald war aber Alles erklaͤrt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Combinationen ꝛc. hatte er die Bewandtniß heraus¬ gefunden, die es mit dem Hauſe hatte, und eben dieſe Bewandtniß lief auf eine ſolche ganz ſeltſame Geſchichte heraus, die nur die lebendigſte Fantaſie11 des Dichters ins Leben treten laſſen konnte. Es waͤre wohl recht, daß ich Euch die Geſchichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mittheilte, doch ſchon jetzt fuͤhle ich mich durch das, was ſich wirklich mit mir zutrug, ſo geſpannt, daß ich unaufhaltſam fortfahren muß. Wie war aber dem guten Grafen zu Muthe, als er mit der Geſchichte fertig, erfuhr, daß das ver¬ oͤdete Haus nichts anders enthalte, als die Zucker¬ baͤckerei des Conditors, deſſen prachtvoll eingerich¬ teter Laden dicht anſtieß. Daher waren die Fenſter des Erdgeſchoſſes, wo die Oefen eingerichtet, ver¬ mauert und die zum Aufbewahren des Gebacknen im obern Stock beſtimmten Zimmer mit dicken Vorhaͤngen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mittheilte, ſo wie er, die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigſtens der allem Poetiſchen feindliche Daͤmon den Suͤßtraͤumenden empfindlich und ſchmerzhaft bey der Naſe. Unerachtet der pro¬ ſaiſchen Aufklaͤrung mußte ich doch noch immer12 voruͤbergehend nach dem oͤden Hauſe hinſchauen, und noch immer gingen im leiſen Froͤſteln, das mir durch die Glieder bebte, allerley ſeltſame Gebilde von dem auf, was dort verſchloſſen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zucker¬ baͤckerei, des Marzipans, der Bonbons, der Tor¬ ten, der eingemachten Fruͤchte u. ſ. w. gewoͤhnen. Eine ſeltſame Ideen-Combination ließ mir das Alles erſcheinen wie ſuͤßes beſchwichtigendes Zureden. Ungefaͤhr: Erſchrecken Sie nicht, Beſter! wir alle ſind liebe ſuͤße Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bischen einſchlagen. Dann dachte ich wieder: Biſt du nicht ein recht wahnſinniger Thor, daß du das Gewoͤhnlichſte in das Wunder¬ bare zu ziehen trachteſt, ſchelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen uͤberſpannten Geiſterſeher? Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Be¬ ſtimmung auch nicht anders ſeyn konnte, immer unveraͤndert, und ſo geſchah es, daß mein Blick ſich daran gewoͤhnte, und die tollen Gebilde, die ſonſt ordentlich aus den Mauern hervor zu ſchweben13 ſchienen, allmaͤhlig verſchwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeſchlummert, wieder auf. Daß, unerachtet ich mich, ſo gut es gehen wollte, ins Alltaͤgliche gefuͤgt hatte, ich doch nicht unterließ, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das koͤnnt Ihr Euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer ritterlicher Treue am Wunder¬ baren feſt haͤlt, wohl denken. So geſchah es, daß ich eines Tages, als ich wie gewoͤhnlich zur Mittagsſtunde in der Allee luſtwandelte, meinen Blick auf die verhaͤngten Fenſter des oͤden Hauſes richtete. Da bemerkte ich, daß die Gardine an dem letzten Fenſter dicht neben dem Conditorladen ſich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorſchein. Ich riß meinen Operngucker her¬ aus und gewahrte nun deutlich die blendend weiße, ſchoͤn geformte Hand eines Frauenzimmers, an de¬ ren kleinem Finger ein Brillant mit ungewoͤhn¬ lichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in uͤppiger Schoͤnheit geruͤndeten Arm. Die Hand ſetzte eine hohe ſeltſam geformte Kryſtallfla¬14 ſche hin auf die Fenſterbank und verſchwand hinter dem Vorhange. Erſtarrt blieb ich ſtehen, ein ſon¬ derbar baͤnglich wonniges Gefuͤhl durchſtroͤmte mit elektriſcher Waͤrme mein Inneres, unverwandt blickte ich herauf nach dem verhaͤngnißvollen Fenſter, und wohl mag ein ſehnſuchtsvoller Seufzer meiner Bruſt entflohen ſeyn. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menſchen allerlei Standes, die ſo wie ich mit neugierigen Geſichtern herauf guckten. Das verdroß mich, aber gleich fiel mir ein, daß jedes Hauptſtadtvolk jenem glei¬ che, das zahllos vor dem Hauſe verſammelt, nicht zu gaffen und ſich daruͤber zu verwundern aufhoͤren konnte, daß eine Schlafmuͤtze aus dem ſechsten Stock herabgeſtuͤrzt, ohne eine Maſche zu zer¬ reißen. Ich ſchlich mich leiſe fort, und der pro¬ ſaiſche Daͤmon fluͤſterte mir ſehr vernehmlich in die Ohren, daß ſo eben die reiche, ſonntaͤglich geſchmuͤckte Conditorsfrau eine geleerte Flaſche feinen Roſen¬ waſſers o. ſ. auf die Fenſterbank geſtellt. Seltner Fall! mir kam urploͤtzlich ein ſehr15 geſcheuter Gedanke. Ich kehrte um und gerade zu ein, in den leuchtenden Spiegelladen des dem oͤden Hauſe nachbarlichen Conditors. Mit kuͤh¬ lendem Athem den heißen Schaum von der Choko¬ lade wegblaſend, fing ich leicht hingeworfen an: In der That, Sie haben da nebenbei ihre Anſtalt ſehr ſchoͤn erweitert. Der Conditor warf noch ſchnell ein paar bunte Bonbons in die Viertel-Tuͤte, und dieſe dem lieblichen Maͤdchen, das darnach ver¬ langt, hinreichend, lehnte er ſich mit aufgeſtemmtem Arm weit uͤber den Ladentiſch heruͤber und ſchaute mich mit ſolch' laͤchelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verſtanden. Ich wieder¬ holte, daß er ſehr zweckmaͤßig in dem benachbarten Hauſe ſeine Baͤckerei angelegt, wiewohl das da¬ durch veroͤdete Gebaͤude in der lebendigen Reihe der uͤbrigen duͤſter und traurig abſteche. Ei mein Herr! fing nun der Conditor an, wer hat Ih¬ nen denn geſagt, daß das Haus nebenan uns ge¬ hoͤrt? Leider blieb jeder Verſuch es zu acquiri¬ ren vergebens, und am Ende mag es auch gut ſeyn,16 denn mit dem Hauſe nebenan hat es eine eigne Bewandtniß. Ihr, meine treuen Freunde, koͤnnt wohl denken, wie mich des Conditors Ant¬ wort ſpannte, und wie ſehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hauſe zu ſagen. Ja, mein Herr! ſprach er, recht ſonderliches weiß ich ſelbſt nicht davon, ſo viel iſt aber gewiß, daß das Haus der Graͤfin von S. gehoͤrt, die auf ihren Guͤtern lebt und ſeit vielen Jahren nicht in *** n geweſen iſt. Als noch keins der Prachtgebaͤude exiſtirte, die jetzt unſere Straße zieren, ſtand dies Haus, wie man mir erzaͤhlt hat, ſchon in ſeiner jetzigen Geſtalt da, und ſeit der Zeit wurd 'es nur gerade vor dem gaͤnz¬ lichen Verfall geſichert. Nur zwei lebendige Weſen hauſen darin, ein ſteinalter menſchenfeindlicher Hausverwalter und ein graͤmlicher lebensſatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage ſoll es in dem oͤden Gebaͤude haͤßlich ſpuken, und in der That, mein Bruder (der Beſitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzuͤglichzur17zur Weihnachtszeit, wenn uns unſer Geſchaͤft hier im Laden wach erhielt, oft ſeltſame Klagelaute vernommen, die offenbar ſich hier hinter der Mauer im Nebenhauſe erhoben. Und dann fing es an ſo haͤßlich zu ſcharren und zu rumoren, daß uns bei¬ den ganz graulich zu Muthe wurde. Auch iſt es nicht lange her, daß ſich zur Nachtzeit ein ſolch ſonderbarer Geſang hoͤren ließ, den ich Ihnen nun gar nicht beſchreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Toͤne waren ſo gellend klar, und liefen in bunten Cadenzen und langen ſchneidenden Trillern ſo hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutſchland ſo viel Saͤn¬ gerinnen gekannt, noch nie gehoͤrt habe. Mir war ſo, als wuͤrden franzoͤſiſche Worte geſungen, doch konnt 'ich das nicht genau unterſcheiden, und uͤber¬ haupt das tolle geſpenſtige Singen nicht lange an¬ hoͤren, denn mir ſtanden die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geraͤuſch auf der Straße nachlaͤßt, hoͤren wir auch in der hintern Stube tiefeB18Seufzer, und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervor zu droͤhnen ſcheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, daß es eben auch im Hauſe nebenan ſo ſeufzt und lacht. Bemerken Sie (er fuͤhrte mich in das hintere Zimmer und zeigte durch's Fenſter) bemerken Sie jene eiſerne Roͤhre, die aus der Mauer hervor ragt, die raucht zuweilen ſo ſtark, ſelbſt im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, daß mein Bruder ſchon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der ſich aber damit entſchuldigt, daß er ſein Eſſen koche, was der aber eſſen mag, das weiß der Himmel, denn oft verbreitet ſich, eben wenn jene Roͤhre recht ſtark raucht, ein ſonderbarer ganz eigenthuͤmlicher Ge¬ ruch. Die Glasthuͤre des Ladens knarrte, der Conditor eilte hinein und warf mir, nach der hinein¬ getretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. Ich verſtand ihn vollkommen. Konnte denn die ſonderbare Geſtalt jemand anders ſeyn als der Verwalter des geheimnißvollen Hauſes? 19 Denkt Euch einen kleinen duͤrren Mann mit einem Mumienfarbnen Geſichte, ſpitzer Naſe, zuſammen¬ gekniffenen Lippen, gruͤn funkelnden Katzenaugen, ſtetem wahnſinnigem Laͤcheln, altmodig mit aufge¬ thuͤrmtem Toupee und Klebeloͤckchen friſirtem ſtark gepudertem Haar, großem Haarbeutel, Poſtillion d'Amour, Kaffeebraunem altem verbleichtem, doch wohlgeſchontem, gebuͤrſtetem Kleide, grauen Struͤmpfen, großen abgeſtumpften Schuhen mit Steinſchnaͤllchen. Denkt Euch, daß dieſe kleine duͤrre Figur doch, vorzuͤglich was die uͤbergroßen Faͤuſte mit langen ſtarken Fingern betrift, robuſt geformt iſt, und kraͤftig nach dem Ladentiſch hin¬ ſchreitet, dann aber ſtets laͤchelnd und ſtarr hin¬ ſchauend nach den in Kryſtallglaͤſern aufbewahrten Suͤßigkeiten mit ohnmaͤchtiger klagender Stimme herausweint: Ein Paar eingemachte Pomeran¬ zen ein Paar Makronen ein Paar Zucker¬ kaſtanien ꝛc. Denkt Euch das und urtheilt ſelbſt, ob hier Grund war, Seltſames zu ahnen oder nicht. Der Conditor ſuchte alles, was der Alte gefordert,B 220zuſammen. Wiegen Sie, wiegen Sie, verehr¬ ter Herr Nachbar, jammerte der ſeltſame Mann, holte aͤchzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Taſche, und ſuchte muͤhſam Geld hervor. Ich bemerkte, daß das Geld, als er es auf den Ladentiſch aufzaͤhlte, aus verſchiedenen alten zum Theil ſchon ganz aus dem gewoͤhnlichen Cours gekommenen Muͤnzſorten beſtand. Er that dabey ſehr klaͤglich und murmelte: Suͤß ſuͤß ſuͤß ſoll nun alles ſeyn ſuͤß meinethalben; der Satan ſchmiert ſeiner Braut Honig ums Maul puren Honig. Der Conditor ſchaute mich lachend an, und ſprach dann zu dem Alten: Sie ſcheinen nicht recht wohl zu ſeyn, ja, ja das Alter, das Alter, die Kraͤfte nehmen ab immer mehr und mehr. Ohne die Miene zu aͤndern rief der Alte mit erhoͤhter Stimme: Alter? Alter? Kraͤfte abneh¬ men? Schwach matt werden! Ho ho ho ho ho ho! Und damit ſchlug er die Faͤuſte zuſammen, daß die Gelenke knackten und ſprang, in der Luft eben ſo gewaltig die Fuͤße zuſammen,21 klappend, hoch auf, daß der ganze Laden droͤhnte und alle Glaͤſer zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob ſich auch ein graͤßliches Geſchrei, der Alte hatte den ſchwarzen Hund getreten, der hinter ihm her geſchlichen dicht an ſeine Fuͤße ge¬ ſchmiegt auf dem Boden lag. Verruchte Beſtie! ſataniſcher Hoͤllenhund, ſtoͤhnte leiſe im vorigen Ton der Alte, oͤffnete die Tuͤte und reichte dem Hunde eine große Makrone hin. Der Hund, der in ein menſchliches Weinen ausgebrochen, war ſo¬ gleich ſtill, ſetzte ſich auf die Hinterpfoten und knapperte an der Makrone wie ein Eichhoͤrnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit ſeiner Makrone, der Alte mit dem Verſchließen und Einſtecken ſeiner Tuͤte. Gute Nacht, ver¬ ehrter Herr Nachbar, ſprach er jetzt, reichte dem Conditor die Hand, und druͤckte die des Conditors ſo, daß er laut aufſchrie vor Schmerz. Der alte ſchwaͤchliche Greis wuͤnſcht Ihnen eine gute Nacht, beſter Herr Nachbar Conditor, wiederholte er dann und ſchritt zum Laden heraus, hinter ihm der22 ſchwarze Hund mit der Zunge die Makronenreſte vom Maule wegleckend. Mich ſchien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich ſtand da ganz erſtarrt vor Erſtaunen. Sehn Sie, fing der Conditor an, ſehen Sie, ſo treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigſtens in vier Wochen zwey, dreymahl, aber nichts iſt aus ihm heraus zu brin¬ gen, als daß er ehemahls Kammerdiener des Gra¬ fen von S. war, daß er jetzt hier das Haus ver¬ waltet, und jeden Tag (ſchon ſeit vielen Jahren) die Graͤflich S ſche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermiethet werden kann. Mein Bru¬ der ging ihm einmahl zu Leibe wegen des wunder¬ lichen Getoͤns zur Nachtzeit, da ſprach er aber ſehr gelaſſen: Ja! die Leute ſagen alle, es ſpuke im Hauſe, glauben Sie es aber nicht, es thut nicht wahr ſeyn. Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, dieſen Laden zu beſu¬ chen, die Thuͤr oͤffnete ſich, elegante Welt ſtroͤmte hinein und ich konnte nicht weiter fragen.

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So viel ſtand nun feſt, daß die Nachrichten des Grafen P. uͤber das Eigenthum und die Benutzung des Hauſes falſch waren, daß der alte Verwalter daſſelbe ſeines Laͤugnens unerachtet nicht allein be¬ wohnte, und daß ganz gewiß irgend ein Geheimniß vor der Welt dort verhuͤllt werden ſollte. Mußte ich denn nicht die Erzaͤhlung von dem ſeltſamen, ſchauerlichen Geſange mit dem Erſcheinen des ſchoͤ¬ nen Arms am Fenſter in Verbindung ſetzen? Der Arm ſaß nicht, konnte nicht ſitzen an dem Leibe eines alten verſchrumpften Weibes, der Geſang nach des Conditors Beſchreibung nicht aus der Kehle des jungen bluͤhenden Maͤdchens kommen. Doch fuͤr das Merkzeichen des Arms entſchieden, konnt 'ich leicht mich ſelbſt uͤberreden, daß vielleicht nur eine akuſtiſche Taͤuſchung die Stimme alt und gellend klingen laſſen, und daß eben ſo vielleicht nur des, vom Graulichen befangenen, Conditors truͤgliches Ohr die Toͤne ſo vernommen. Nun dacht' ich an den Rauch, den ſeltſamen Geruch, an die wunderlich geformte Kryſtallflaſche, die ich ſah,24 und bald ſtand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geſchoͤpfs mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeiſter, zum verdammten Zau¬ berkerl, der vielleicht ganz unabhaͤngig von der Graͤflich S ſchen Familie geworden, nun auf ſeine eigne Hand in dem veroͤdeten Hauſe Unheil¬ bringendes Weſen trieb. Meine Fantaſie war im Arbeiten und noch in ſelbiger Nacht nicht ſowohl im Traum, als im Deliriren des Einſchlafens, ſah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glaͤnzenden Spange. Wie aus duͤnnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmuͤthig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Geſtalt eines Maͤdchens, in voller anmuthiger Ju¬ gendbluͤthe hervor. Bald bemerkte ich, daß das, was ich fuͤr Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Kryſtallflaſche, die die Geſtalt in den Haͤn¬ den hielt, in ſich kreiſelndem Gewirbel emporſtieg. O du holdes Zauberbild, rief ich voll Entzuͤcken,25 o du holdes Zauberbild, thu 'es mir kund, wo du weilſt, was dich gefangen haͤlt? O wie du mich ſo voll Wehmuth und Liebe anblickſt! Ich weiß es, die ſchwarze Kunſt iſt es, die dich befan¬ gen, du biſt die ungluͤckſelige Sklavin des boshaf¬ ten Teufels, der herumwandelt kaffeebraun und beharbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Spruͤngen alles zerſchmeißen will und Hoͤllenhunde tritt, die er mit Makronen fuͤttert, nachdem ſie den ſataniſchen Murki im fuͤnfachtel Takt abgeheult. O ich weiß ja Alles, du holdes, anmuthiges Weſen! Der Diamant iſt der Reflex innerer Gluth! ach haͤtt'ſt du ihn nicht mit deinem Herzblut getraͤnkt, wie koͤnnt' er ſo funkeln, ſo tau¬ ſendfarbig ſtrahlen in den allerherrlichſten Liebes¬ toͤnen, die je ein Sterblicher vernommen. Aber ich weiß es wohl, das Band, was deinen Arm umſchlingt, iſt das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune ſpricht, ſie ſey magnetiſch Glaub 'es nicht Herrliche! ich ſehe ja, wie ſie herab¬ haͤngt in die, von blauem Feuer gluͤhende Retorte. 26 Die werf' ich um und du biſt befreit! Weiß ich denn nicht Alles weiß ich denn nicht Alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! nun oͤffne den Roſenmund, o ſage In dem Augenblick griff eine knotige Fauſt uͤber meine Schulter weg nach der Kryſtallflaſche, die in tauſend Stuͤcke zer¬ ſplittert in der Luft verſtaͤubte. Mit einem leiſen Ton dumpfer Wehklage war die anmuthige Geſtalt verſchwunden in finſtrer Nacht. Ha! ich merk es an Euerm Laͤcheln, daß Ihr ſchon wieder in mir den traͤumeriſchen Geiſterſeher findet, aber verſichern kann ich Euch, daß der ganze Traum, wollt Ihr nun einmahl nicht abgehen von dieſer Benennung, den vollendeten Charakter der Viſion hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich ſo im proſai¬ ſchen Unglauben anzulaͤcheln, ſo will ich lieber gar nichts mehr davon ſagen, ſondern nur raſch weiter gehen. Kaum war der Morgen angebrochen als ich voll Unruhe und Sehnſucht nach der Allee lief, und mich hinſtellte vor das oͤde Haus! Außer den innern Vorhaͤngen waren noch dichte Jalouſien27 vorgezogen. Die Straße war noch voͤllig menſchen¬ leer, ich trat dicht an die Fenſter des Erdgeſchoſſes und horchte und horchte, aber kein Laut ließ ſich hoͤren, ſtill blieb es wie im tiefen Grabe. Der Tag kam herauf, das Gewerbe ruͤhrte ſich, ich mußte fort. Was ſoll ich Euch damit ermuͤden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umſchlich, ohne auch nur das mindeſte zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forſchen zu keiner be¬ ſtimmten Notiz fuͤhrte, und wie endlich das ſchoͤne Bild meiner Viſion zu verblaſſen begann. End¬ lich, als ich einſt am ſpaͤten Abend von einem Spa¬ ziergange heimkehrend bey dem oͤden Hauſe heran¬ gekommen, bemerkte ich, daß das Thor halb geoͤff¬ net war; ich ſchritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entſchluß war gefaßt. Wohnt nicht der Geheime Finanzrath Binder hier in die¬ ſem Hauſe? So frug ich den Alten, indem ich ihn beinahe zuruͤckdraͤngend in den, von einer Lam¬ pe matt erleuchteten Vorſaal trat. Der Alte blickte mich an mit ſeinem ſtehenden Laͤcheln und ſprach28 leiſe und gezogen: Nein, der wohnt nicht hier, hat niemahls hier gewohnt, wird niemahls hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. Aber die Leute ſagen, es ſpuke hier in dieſem Hauſe, jedoch kann ich verſichern, daß es nicht wahr iſt, es iſt ein ruhiges, huͤbſches Haus, und morgen zieht die gnaͤdige Graͤfin von S. ein und Gute Nacht, mein lieber Herr! Damit manoͤvrirte mich der Alte zum Hauſe hinaus, und verſchloß hinter mir das Thor. Ich vernahm, wie er keu¬ chend und huſtend mit dem klirrenden Schluͤſſel¬ bunde uͤber den Flur wegſcharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, herab ſtieg. Ich hatte in der kurzen Zeit ſo viel bemerkt, daß der Flur mit alten bunten Tapeten behaͤngt, und wie ein Saal mit großen, mit rothem Damaſt beſchlagenen Lehnſeſ¬ ſeln moͤblirt war, welches denn doch ganz verwun¬ derlich ausſah.

Nun gingen, wie geweckt, durch mein Eindrin¬ gen in das geheimnißvolle Haus, die Abenteuer auf! Denkt Euch, denkt Euch, ſo wie ich den29 andern Tag in der Mittagsſtunde die Allee durch¬ wandere und mein Blick ſchon in der Ferne ſich unwillkuͤrlich nach dem oͤden Hauſe richtet, ſehe ich an dem letzten Fenſter des obern Stocks etwas ſchimmern. Naͤher getreten bemerke ich, daß die aͤußere Jalouſie ganz, der innere Vorhang halb aufgezogen iſt. Der Diamant funkelt mir entge¬ gen. O Himmel! geſtuͤtzt auf den Arm blickt mich wehmuͤthig flehend jenes Antlitz meiner Viſion an. War es moͤglich in der auf und abwogen¬ den Maſſe ſtehen zu bleiben? In dem Augen¬ blick fiel mir die Bank ins Auge, die fuͤr die Luſt¬ wandler in der Allee in der Richtung des oͤden Hauſes, wiewohl man ſich darauf niederlaſſend dem Hauſe den Ruͤcken kehrte, angebracht war. Schnell ſprang ich in die Allee, und mich uͤber die Lehne der Bank wegbeugend konnt 'ich nun ungeſtoͤrt nach dem verhaͤngnißvollen Fenſter ſchauen. Ja! Sie war es, das anmuthige, holdſelige Maͤdchen, Zug fuͤr Zug! Nur ſchien ihr Blick ungewiß. Nicht nach mir, wie es vorhin ſchien, blickte ſie,30 vielmehr hatten die Augen etwas todtſtarres, und die Taͤuſchung eines lebhaft gemahlten Bildes waͤre moͤglich geweſen, haͤtten ſich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz verſunken in den Anblick des verwunderlichen Weſens am Fenſter, das mein Innerſtes ſo ſeltſam aufregte, hatte ich nicht die quaͤkende Stimme des italieniſchen Tabuletkraͤmers gehoͤrt, der mir vielleicht ſchon lange unaufhoͤrlich ſeine Waaren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; ſchnell mich umdrehend, wies ich ihn ziem¬ lich hart und zornig ab. Er ließ aber nicht nach mit Bitten und Quaͤlen. Noch gar nichts habe ich heute verdient, nur ein Paar Bleifedern, ein Buͤndelchen Zahnſtocher moͤge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Ueberlaͤſtigen nur geſchwind los zu werden, griff ich in die Taſche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: Auch hier hab' ich noch ſchoͤne Sachen! zog er den untern Schub ſeines Kaſtens heraus, und hielt mir einen kleinen runden Taſchenſpiegel, der in dem Schub unter andern Glaͤſern lag, in kleiner Entfernung ſeitwaͤrts31 vor. Ich erblickte das oͤde Haus hinter mir, das Fenſter und in den ſchaͤrfſten deutlichſten Zuͤgen die holde Engelsgeſtalt meiner Viſion Schnell kauft 'ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moͤg¬ lich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nach¬ barn aufzufallen, nach dem Fenſter hinzuſchauen. Doch, indem ich nun laͤnger und laͤnger das Ge¬ ſicht im Fenſter anblickte, wurd' ich von einem ſelt¬ ſamen, ganz unbeſchreiblichen Gefuͤhl, das ich bei¬ nahe waches Traͤumen nennen moͤchte, befangen. Mir war es, als laͤhme eine Art Starrſucht nicht ſowohl mein ganzes Regen und Bewegen als viel¬ mehr nur meinen Blick, den ich nun niemahls mehr wuͤrde abwenden koͤnnen von dem Spiegel. Mit Beſchaͤmung muß ich Euch bekennen, daß mir jenes Ammenmaͤhrchen einfiel, womit mich in fruͤher Kindheit meine Wart'frau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa geluͤſten ließ, Abends vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer ſtehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie ſagte nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel32 blickten, gucke ein fremdes, garſtiges Geſicht her¬ aus, und der Kinder Augen blieben dann erſtarrt ſtehen. Mir war das ganz entſetzlich graulich, aber in vollem Grauſen konnt 'ich doch oft nicht unterlaſſen, wenigſtens nach dem Spiegel hin zu blinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Geſicht. Einmahl glaubt' ich ein paar graͤßliche gluͤhende Augen aus dem Spiegel fuͤrchterlich her¬ ausfunkeln zu ſehen, ich ſchrie auf und ſtuͤrzte dann ohnmaͤchtig nieder. In dieſem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt iſt es mir, als haͤtten jene Augen mich wirklich angefun¬ kelt. Kurz alles dieſes tolle Zeug aus meiner fruͤhen Kindheit fiel mir ein, Eiskaͤlte bebte durch meine Adern ich wollte den Spiegel von mir ſchleudern ich vermocht 'es nicht nun blick¬ ten mich die Himmelsaugen der holden Geſtalt an ja ihr Blick war auf mich gerichtet und ſtrahlte bis ins Herz hinein. Jenes Grauſen, das mich ploͤtzlich ergriffen, ließ von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz ſuͤßer Sehnſucht, die michmit33mit elektriſcher Waͤrme durchgluͤht. Sie haben da einen niedlichen Spiegel, ſprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlaͤchelnde Geſichter er¬ blickte. Mehrere Perſonen hatten auf derſelben Bank Platz genommen, und nichts war gewiſſer, als daß ich ihnen mit dem ſtarren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen ſeltſa¬ men Geſichtern, die ich in meinem exaltirtem Zu¬ ſtande ſchnitt, auf meine Koſten ein ergoͤtzliches Schauſpiel gegeben. Sie haben da einen nied¬ lichen Spiegel, wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufuͤgte: Aber ſagen Sie mir, was ſoll das wahnſinnige Hineinſtarren, erſcheinen Ihnen Geiſter ꝛc. Der Mann, ſchon ziemlich hoch in Jahren, ſehr ſauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmuͤthiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen An¬ ſtand, ihm geradehin zu ſagen, daß ich im Spie¬C34gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt das hinter mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz geſehen. Dort druͤben? in dem alten Hauſe in dem letzten Fenſter? ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. Allerdings, allerdings, ſprach ich; da laͤchelte der Alte ſehr und fing an: Nun das iſt doch eine wunderliche Taͤuſchung nun meine alten Augen Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und lebendig in Oel gemahltes Portrait. Schnell drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬ ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. Ja! fuhr der Alte fort, ja, mein Herr, nun iſt's zu ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgeſtaͤubt,35 vom Fenſter fort und ließ die Jalouſie herunter. War es denn gewiß ein Bild? fragte ich noch¬ mahls ganz beſtuͤrzt. Trauen Sie meinen Au¬ gen, erwiederte der Alte. Daß Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel ſahen, vermehrte gewiß ſehr die optiſche Taͤuſchung und wie ich noch in Ihren Jahren war, haͤtt 'ich nicht auch das Bild eines ſchoͤnen Maͤdchens, kraft meiner Fantaſie, ins Leben gerufen? Aber Hand und Arm bewegten ſich doch, fiel ich ein. Ja, ja, ſie regten ſich, alles regte ſich, ſprach der Alte, laͤchelnd und ſanft mich auf die Schulter klopfend. Dann ſtand er auf und verließ mich, hoͤflich ſich verbeugend, mit den Worten: Nehmen Sie Sich doch vor Taſchenſpiegeln in Acht, die ſo haͤßlich luͤgen. Ganz gehorſamſter Diener. Ihr koͤnnt denken, wie mir zu Muthe war, als ich mich ſo als einen thoͤrichten, bloͤdſichtigen Fantaſten behandelt ſah. Mir kam die Ueberzeugung, daß der Alte Recht hatte, und daß nur in mir ſelbſt das tolle Gaukelſpiel aufgegangen, das mich mit dem oͤdenC 236Hauſe, zu meiner eignen Beſchaͤmung, ſo garſtig myſtifizirte.

Ganz voller Unmuth und Verdruß lief ich nach Hauſe, feſt entſchloſſen, mich ganz los zu ſagen von jedem Gedanken an die Myſterien des oͤden Hauſes, und wenigſtens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden. Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, daß mich den Tag uͤber dringend ge¬ wordene Geſchaͤfte am Schreibtiſch, an den Abenden aber geiſtreiche froͤhliche Freunde in ihrem Kreiſe feſthielten, ſo mußt 'es wohl geſchehen, daß ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimniſſe dachte. Nur begab es ſich in dieſer Zeit, daß ich zuweilen aus dem Schlaf auffuhr, wie ploͤtzlich durch aͤußere Beruͤhrung geweckt, und dann war es mir doch deutlich, daß nur der Gedanke an das geheimni߬ volle Weſen, das ich in meiner Viſion und in dem Fenſter des oͤden Hauſes erblickt, mich geweckt hatte. Ja ſelbſt waͤhrend der Arbeit, waͤhrend der lebhafteſten Unterhaltung mit meinen Freunden, durchfuhr mich oft ploͤtzlich, ohne weitern Anlaß,37 jener Gedanke, wie ein elektriſcher Blitz. Doch waren dies nur ſchnell voruͤbergehende Momente. Den kleinen Taſchenſpiegel, der mir ſo taͤuſchend das anmuthige Bildniß reflektirt, hatte ich zum pro¬ ſaiſchen Hausbedarf beſtimmt. Ich pflegte mir vor demſelben die Halsbinde feſt zu knuͤpfen. So ge¬ ſchah es, daß er mir, als ich einſt dies wichtige Geſchaͤft abthun wollte, blind ſchien, und ich ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu poliren. Alle meine Pulſe ſtockten, mein Innerſtes bebte vor wonnigem Grauen! ja ſo muß ich das Gefuͤhl nennen, das mich uͤbermannte, als ich, ſo wie mein Hauch den Spiegel uͤberlief, im blaͤulichen Nebel das holde Antlitz ſah, das mich mit jenem wehmuͤthigem, das Herz durchbohrendem Blick anſchaute! Ihr lacht? Ihr ſeid mit mir fertig, ihr haltet mich fuͤr einen unheilbaren Traͤumer, aber ſprecht, denkt was ihr wollt, genug, die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber ſo wie der Hauch zerrann, verſchwand das Geſicht in dem Funkeln des Spiegels. Ich will Euch38 nicht ermuͤden, ich will Euch nicht herzaͤhlen alle Momente, die ſich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur ſo viel will ich ſagen, daß ich unaufhoͤrlich die Verſuche mit dem Spiegel erneuerte, daß es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervor zu rufen, daß aber manchmahl die angeſtrengteſten Bemuͤhun¬ gen ohne Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnſinnig auf und ab vor dem oͤden Hauſe und ſtarrte in die Fenſter, aber kein menſchliches Weſen wollte ſich zeigen. Ich lebte nur in dem Gedan¬ ken an Sie, alles uͤbrige war abgeſtorben fuͤr mich, ich vernachlaͤſſigte meine Freunde, meine Studien. Dieſer Zuſtand, wollte er in mildern Schmerz, in traͤumeriſche Sehnſucht uͤbergehen, ja ſchien es, als wolle das Bild an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur hoͤchſten Spitze geſteigert, durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entſetzen denke. Da ich von einem Seelenzuſtande rede, der mich haͤtte ins Verderben ſtuͤrzen koͤnnen, ſo iſt fuͤr Euch, Ihr Unglaͤubigen, da nichts zu39 belaͤcheln und zu beſpoͤtteln, hoͤrt und fuͤhlt mit mir, was ich ausgeſtanden. Wie geſagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblaßt war, ergriff mich ein koͤrperliches Uebelbefinden, die Geſtalt trat, wie ſonſt niemahls, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor, daß ich ſie zu erfaſſen waͤhnte. Aber dann kam es mir auf grauliche Weiſe vor, ich ſey ſelbſt die Geſtalt, und von den Nebeln des Spiegels umhuͤllt und umſchloſſen. Ein empfindlicher Bruſtſchmerz, und dann gaͤnzliche Apathie endigte den peinlichen Zuſtand, der immer eine, das innerſte Mark wegzehrende Erſchoͤpfung hinterließ. In dieſen Momenten mißlang jeder Verſuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber er¬ kraͤftigt, und trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel hervor, ſo mag ich nicht leugnen, daß ſich damit ein beſonderer, mir ſonſt fremder phyſiſcher Reiz verband. Dieſe ewige Span¬ nung wirkte gar verderblich auf mich ein, blaß wie der Tod und zerſtoͤrt im ganzen Weſen ſchwankte ich umher, meine Freunde hielten mich fuͤr krank,40 und ihre ewigen Mahnungen brachten mich endlich dahin, uͤber meinen Zuſtand, ſo wie ich es nur vermochte, ernſtlich nachzuſinnen. War es Ab¬ ſicht oder Zufall, daß einer der Freunde, welcher Arzneikunde ſtudirte, bei einem Beſuch Reils Buch uͤber Geiſteszerruͤttungen zuruͤckließ. Ich fing an zu leſen, das Werk zog mich unwiderſtehlich an, aber wie ward mir, als ich in allem, was uͤber fixen Wahnſinn geſagt wird, mich ſelbſt wieder fand! Das tiefe Entſetzen, das ich, mich ſelbſt auf dem Wege zum Tollhauſe erblickend, empfand, brachte mich zur Beſinnung und zum feſten Ent¬ ſchluß, den ich raſch ausfuͤhrte. Ich ſteckte meinen Taſchenſpiegel ein und eilte ſchnell zu dem Doktor R., beruͤhmt durch ſeine Behandlung und Heilung der Wahnſinnigen, durch ſein tieferes Eingehen in das pſychiſche Prinzip, welches oft ſogar koͤrperliche Krankheiten hervorzubringen und wieder zu heilen vermag. Ich erzaͤhlte ihm Alles, ich verſchwieg ihm nicht den kleinſten Umſtand und beſchwor ihn mich zu retten, von dem ungeheuern Schickſal, von41 dem bedroht ich mich glaubte. Er hoͤrte mich ſehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in ſeinem Blick tiefes Erſtaunen. Noch, fing er an, noch iſt die Gefahr keinesweges ſo nahe als Sie glauben und ich kann mit Gewißheit behaupten, daß ich ſie ganz abzuwenden vermag. Daß Sie auf unerhoͤrte Weiſe pſychiſch angegriffen ſind, leidet gar keinen Zweifel, aber die voͤllige klare Erkenntniß dieſes Angriffs irgend eines boͤſen Prinzips giebt Ihnen ſelbſt die Waffen in die Hand, ſich dagegen zu wehren. Laſſen Sie mir Ihren Taſchenſpiegel, zwingen Sie ſich zu irgend einer Arbeit, die Ihre Geiſteskraͤfte in Anſpruch nimmt, meiden Sie die Allee, arbeiten Sie von der Fruͤhe an, ſo lange Sie es nur auszuhalten vermoͤgen, dann aber, nach einem tuͤchtigen Spaziergange, fort in die Ge¬ ſellſchaft Ihrer Freunde, die Sie ſo lange vermißt. Eſſen Sie nahrhafte Speiſen, trinken Sie ſtarken kraͤftigen Wein. Sie ſehen, daß ich blos die fixe Idee, das heißt, die Erſcheinung des Sie bethoͤren¬ den Antlitzes im Fenſter des oͤden Hauſes und im42 Spiegel vertilgen, Ihren Geiſt auf andere Dinge leiten und Ihren Koͤrper ſtaͤrken will. Stehen Sie ſelbſt meiner Abſicht redlich bei. Es wur¬ de mir ſchwer, mich von dem Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn ſchon genommen, ſchien es zu bemerken, er hauchte ihn an und frug, indem er mir ihn vorhielt: Sehen Sie etwas? Nicht das Mindeſte, erwiederte ich, wie es ſich auch in der That verhielt. Hauchen Sie den Spiegel an, ſprach dann der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich that es, das Wun¬ derbild trat deutlicher als je hervor. Da iſt ſie, rief ich laut. Der Arzt ſchaute hinein und ſprach dann: ich ſehe nicht das Mindeſte, aber nicht ver¬ heelen mag ich Ihnen, daß ich in dem Augenblick, als ich in Ihren Spiegel ſahe, einen unheimlichen Schauer fuͤhlte, der aber gleich voruͤberging. Sie bemerken, daß ich ganz aufrichtig bin, und eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. Wiederholen ſie doch den Verſuch. Ich that es, der Arzt umfaßte mich, ich fuͤhlte ſeine Hand auf43 dem Ruͤckenwirbel. Die Geſtalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel ſchauend er¬ blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, ſchauete nochmals hinein, verſchloß ihn in dem Pult, und kehrte erſt, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn ſchweigend da geſtanden, zu mir zuruͤck. Befolgen Sie, fing er an, befolgen Sie genau meine Vorſchriften. Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in denen Sie außer ſich ſelbſt geſetzt Ihr eignes Ich in phyſiſchem Schmerz fuͤhlten, mir noch ſehr ge¬ heimnißvoll ſind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr daruͤber ſagen zu koͤnnen. Mit feſtem, unabaͤnderlichem Willen, ſo ſchwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorſchriften des Arztes gemaͤß, und ſo ſehr ich auch bald den wohl¬ thaͤtigen Einfluß anderer Geiſtesanſtrengung und der uͤbrigen verordneten Diaͤt verſpuͤrte, ſo blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfaͤllen, die Mittags um zwoͤlf Uhr, viel ſtaͤrker aber Nachts um zwoͤlf Uhr ſich einzuſtellen pflegten. Selbſt in munterer44 Geſellſchaft bey Wein und Geſang war es oft, als durchfuͤhren ploͤtzlich mein Inneres ſpitzige gluͤhende Dolche, und alle Macht des Geiſtes reichte dann nicht hin zum Widerſtande, ich mußte mich entfer¬ nen und durfte erſt wiederkehren, wenn ich aus dem Ohnmachtaͤhnlichen Zuſtande erwacht. Es begab ſich, daß ich mich einſt bey einer Abendgeſell¬ ſchaft befand, in der uͤber pſychiſche Einfluͤſſe und Wirkungen, uͤber das dunkle unbekannte Gebiet des Magnetismus geſprochen wurde. Man kam vorzuͤglich auf die Moͤglichkeit der Einwirkung eines entfernten pſychiſchen Princips, ſie wurde aus vie¬ len Beiſpielen bewieſen, und vorzuͤglich fuͤhrte ein junger, dem Magnetismus ergebener, Arzt an, daß er, wie mehrere andere, oder vielmehr wie alle kraͤftige Magnetiſeurs, es vermoͤge, aus der Ferne bloß durch den feſtfixirten Gedanken und Willen auf ſeine Somnambulen zu wirken. Alles was Kluge, Schubert, Bartels u. m. dar¬ uͤber geſagt haben, kam nach und nach zum Vor¬ ſchein. Das Wichtigſte, fing endlich einer der45 Anweſenden, ein als ſcharfſinniger Beobachter be¬ kannter Mediziner, an, das Wichtigſte von Allem bleibt mir immer, daß der Magnetismus manches Geheimniß, das wir als gemeine ſchlichte Lebens¬ erfahrung nun eben fuͤr kein Geheimniß erkennen wollen, zu erſchließen ſcheint. Nur muͤſſen wir frei¬ lich behutſam zu Werke gehn. Wie kommt es denn, daß ohne allen aͤußern oder innern uns be¬ kannten Anlaß, ja unſere Ideenkette zerreißend, irgend eine Perſon, oder wohl gar das treue Bild irgend einer Begebenheit ſo lebendig, ſo ſich unſers ganzen Ichs bemeiſternd in den Sinn kommt, daß wir ſelbſt daruͤber erſtaunen. Am merkwuͤrdigſten iſt es, daß wir oft im Traume auffahren. Das ganze Traumbild iſt in den ſchwarzen Abgrund ver¬ ſunken, und im neuen, von jenem Bilde ganz un¬ abhaͤngigen Traum tritt uns mit voller Kraft des Lebens ein Bild entgegen, das uns in ferne Gegen¬ den verſetzt und ploͤtzlich ſcheinbar uns ganz fremd gewordene Perſonen, an die wir ſeit Jahren nicht mehr dachten, uns entgegenfuͤhrt. Ja, noch mehr!46 oft ſchauen wir auf eben die Weiſe ganz fremde un¬ bekannte Perſonen, die wir vielleicht Jahre nach¬ her erſt kennen lernen. Das Bekannte: Mein Gott, der Mann, die Frau, kommt mir ſo zum Erſtaunen bekannt vor, ich daͤcht' ich haͤtt 'ihn, ſie, ſchon irgendwo geſehen, iſt vielleicht, da dies oft ſchlechterdings unmoͤglich, die dunkle Erinnerung an ein ſolches Traumbild. Wie wenn dies ploͤtz¬ liche Hineinſpringen fremder Bilder in unſere Ideenreihe, die uns gleich mit beſonderer Kraft zu ergreifen pflegen, eben durch ein fremdes pſychiſches Prinzip veranlaßt wuͤrde? Wie wenn es dem frem¬ den Geiſte unter gewiſſen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, den magnetiſchen Rapport auch ohne Vorbereitung ſo herbei zu fuͤhren, daß wir uns willenlos ihm fuͤgen muͤßten? So kaͤmen wir, fiel ein An¬ derer lachend ein, mit einem gar nicht zu großen Schritt auf die Lehre von Verhexungen, Zauber¬ bildern, Spiegeln und andern unſinnigen aberglaͤu¬ biſchen Fantaſtereien laͤngſt verjaͤhrter alberner Zeit. Ei, unterbrach der Mediziner den Un¬47 glaͤubigen, keine Zeit kann verjaͤhren und noch viel weniger hat es jemahls eine alberne Zeit gege¬ ben, wenn wir nicht etwa jede Zeit, in der Men¬ ſchen zu denken ſich unterfangen moͤgen, mithin auch die unſrige, fuͤr albern erkennen wollen. Es iſt ein eignes Ding, etwas geradezu weglaͤugnen zu wollen, was oft ſogar durch ſtreng juriſtiſch gefuͤhr¬ ten Beweis feſtgeſtellt iſt, und ſo wenig ich der Meinung bin, daß in dem dunklen geheimnißvollen Reiche, welches unſeres Geiſtes Heimath iſt, auch nur ein einziges, unſerm bloͤdem Auge recht hell leuchtendes Laͤmpchen brennt, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß uns die Natur das Talent und die Neigung der Maulwuͤrfe nicht verſagt hat. Wir ſuchen, verblindet wie wir ſind, uns weiter zu arbeiten auf finſtern Wegen. Aber ſo wie der Blinde auf Erden an dem fluͤſternden Rauſchen der Baͤume, an dem Murmeln und Plaͤtſchern des Waſſers, die Naͤhe des Waldes, der ihn in ſeinen kuͤhlenden Schatten aufnimmt, des Baches, der den Durſtenden labt, erkennt, und ſo das Ziel ſei¬48 ner Sehnſucht erreicht, ſo ahnen wir an dem toͤnen¬ den Fluͤgelſchlag unbekannter, uns mit Geiſterathem beruͤhrender Weſen, daß der Pilgergang uns zur Quelle des Lichts fuͤhrt, vor dem unſere Augen ſich aufthun! Ich konnte mich nicht laͤnger halten, Sie ſtatuiren alſo, wandte ich mich zu dem Medi¬ ziner, die Einwirkung eines fremden geiſtigen Prin¬ zips, dem man ſich willenlos fuͤgen muß? Ich halte, erwiederte der Mediziner, ich halte, um nicht zu weit zu gehen, dieſe Einwirkung nicht allein fuͤr moͤglich, ſondern auch andern, durch den magne¬ tiſchen Zuſtand deutlicher gewordenen Operationen des pſychiſchen Prinzips fuͤr ganz homogen. So koͤnnt' es auch, fuhr ich fort, daͤmoniſchen Kraͤf¬ ten verſtattet ſeyn, feindlich verderbend auf uns zu wirken? Schnoͤde Kunſtſtuͤcke gefallner Geiſter, erwiderte der Mediziner laͤchelnd. Nein, de¬ nen wollen wir nicht erliegen. Und uͤberhaupt bitt 'ich, meine Andeutungen fuͤr nichts anders zu nehmen, als eben nur fuͤr Andeutungen, denen ich noch hinzufuͤge, daß ich keinesweges an unbe¬dingte49dingte Herrſchaft eines geiſtigen Prinzips uͤber das andere glauben, ſondern vielmehr annehmen will, daß entweder irgend eine Abhaͤngigkeit, Schwaͤche des innern Willens, oder eine Wechſel¬ wirkung Statt finden muß, die jener Herrſchaft Raum giebt. Nun erſt, fing ein aͤltlicher Mann an, der ſo lange geſchwiegen und nur auf¬ merkſam zugehoͤrt, nun erſt kann ich mich mit Ihren ſeltſamen Gedanken uͤber Geheimniſſe, die uns verſchloſſen bleiben ſollen, einigermaßen be¬ freunden. Gibt es geheimnißvolle thaͤtige Kraͤfte, die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, ſo kann uns dagegen nur irgend eine Abnormitaͤt im geiſtigen Organism Kraft und Muth zum ſieghaften Widerſtande rauben. Mit einem Wort, nur gei¬ ſtige Krankheit die Suͤnde macht uns unter¬ than dem daͤmoniſchen Prinzip. Merkwuͤrdig iſt es, daß von den aͤlteſten Zeiten her die den Men¬ ſchen im Innerſten verſtoͤrendſte Gemuͤthsbewegung es war, an der ſich daͤmoniſche Kraͤfte uͤbten. Ich meine nichts anders als die Liebesverzauberungen,D50von denen alle Chroniken voll ſind. In tollen Hexenprozeſſen kommt immer dergleichen vor, und ſelbſt in dem Geſetzbuch eines ſehr aufgeklaͤrten Staats wird von den Liebestruͤnken gehandelt, die inſofern auch rein pſychiſch zu wirken beſtimmt ſind, als ſie nicht Liebesluſt im Allgemeinen erwecken, ſondern unwiderſtehlich an eine beſtimmte Perſon bannen ſollen. Ich werde in dieſen Geſpraͤchen an eine tragiſche Begebenheit erinnert, die ſich in mei¬ nem eignen Hauſe vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unſer Land mit ſeinen Truppen uͤber¬ ſchwemmt hatte, wurde ein Obriſter von der italie¬ niſchen Nobelgarde bei mir einquartirt. Er war einer von den wenigen Offizieren der ſogenannten großen Armee, die ſich durch ein ſtilles beſcheidnes edles Betragen auszeichneten. Sein todtbleiches Geſicht, ſeine duͤſtern Augen zeugten von Krank¬ heit oder tiefer Schwermuth. Nur wenige Tage war er bei mir, als ſich auch der beſondere Zufall kund that, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf ſeinem Zimmer, als er ploͤtzlich mit tiefen51 Seufzern die Hand auf die Bruſt, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er toͤdtliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr ſprechen, er war genoͤthigt ſich in den Sopha zu werfen, dann aber verloren ploͤtzlich ſeine Augen die Sehkraft und er erſtarrte zur bewußtloſen Bild¬ ſaͤule. Mit einem Ruck wie aus dem Traume auf¬ fahrend, erwachte er endlich, aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch ſich nicht regen und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm ſandte, behandelte ihn, nachdem andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetiſch, und dies ſchien zu wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablaſſen mußte, da er ſelbſt beim Magnetiſiren des Kranken von einem unertraͤglichen Gefuͤhl des Uebelſeyns ergriffen wurde. Er hatte uͤbrigens des Obriſten Zutrauen gewonnen, und dieſer ſagte ihm, daß in jenen Momenten ſich ihm das Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Piſa gekannt; dann wuͤrde es ihm als wenn ihre gluͤhenden Blicke in ſein Inneres fuͤhren, und er fuͤhle die unertraͤglichſten Schmer¬D 252zen, bis er in voͤllige Bewußtloſigkeit verſinke. Aus dieſem Zuſtande bleibe ihm ein dumpfer Kopf¬ ſchmerz, und eine Abſpannung, als habe er ge¬ ſchwelgt im Liebesgenuß, zuruͤck. Nie ließ er ſich uͤber die naͤheren Verhaͤltniſſe aus, in denen er viel¬ leicht mit jenem Frauenzimmer ſtand. Die Trup¬ pen ſollten aufbrechen, gepackt ſtand der Wagen des Obriſten vor der Thuͤre, er fruͤhſtuͤckte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum Munde fuͤhren wollte, ſtuͤrzte er mit einem dum¬ pfen Schrei vom Stuhle herab. Er war todt. Die Aerzte fanden ihn vom Nervenſchlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den Obriſten adreſſirter Brief bey mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken ihn zu oͤffnen, um vielleicht ein Naͤheres von den Verwandten des Obriſten zu erfahren, und ihnen Nachricht von ſeinem ploͤtzlichen Tode geben zu koͤnnen. Der Brief kam von Piſa und enthielt ohne Unterſchrift die wenigen Worte: Ungluͤckſe¬ liger! Heute, am 7. um zwoͤlf Uhr Mittag ſank Antonia, dein truͤgeriſches Abbild mit lieben¬53 den Armen umſchlingend, todt nieder! Ich ſah den Kalender nach, in dem ich des Obriſten Tod angemerkt hatte und fand, daß Antonia's Todes¬ ſtunde auch die ſeinige geweſen. Ich hoͤrte nicht mehr, was der Mann noch ſeiner Geſchichte hinzu¬ ſetzte; denn in dem Entſetzen, das mich ergriffen, als ich in des italieniſchen Obriſten Zuſtand den meinigen erkannte, ging mit wuͤthendem Schmerz eine ſolche wahnſinnige Sehnſucht nach dem unbe¬ kannten Bilde auf, daß ich davon uͤberwaͤltigt auf¬ ſpringen und hineilen mußte nach dem verhaͤngni߬ vollen Hauſe. Es war mir in der Ferne, als ſaͤh 'ich Lichter blitzen, durch die feſtverſchloſſenen Jalouſien, aber der Schein verſchwand, als ich naͤher kam. Raſend vor duͤrſtendem Liebesverlangen ſtuͤrzte ich auf die Thuͤr; ſie wich meinem Druck, ich ſtand auf dem matterleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, ſchwuͤlen Luft umfangen. Das Herz pochte mir vor ſeltſamer Angſt und Ungeduld, da ging ein langer, ſchneidender, aus weiblicher Kehle ſtroͤmender Ton durch das Haus, und ich weiß54 ſelbſt nicht, wie es geſchah, daß ich mich ploͤtzlich in einem mit vielen Kerzen hell erleuchteten Saale befand, der in alterthuͤmlicher Pracht mit vergolde¬ ten Meublen und ſeltſamen japaniſchen Gefaͤßen verziert war. Starkduftendes Raͤucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. Willkom¬ men willkommen, ſuͤßer Braͤutigam die Stunde iſt da, die Hochzeit nah! So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und eben ſo wenig, als ich weiß, wie ich ploͤtzlich in den Saal kam, eben ſo wenig vermag ich zu ſagen, wie es ſich begab, daß ploͤtzlich aus dem Nebel eine hohe jugendliche Geſtalt in reichen Kleidern hervorleuch¬ tete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: Will¬ kommen ſuͤßer Braͤutigam, trat ſie mit ausgebrei¬ teten Armen mir entgegen und ein gelbes, von Alter und Wahnſinn graͤßlich verzerrtes Antlitz ſtarrte mir in die Augen. Von tiefem Entſetzen durchbebt wankte ich zuruͤck; wie durch den gluͤhen¬ den, durchbohrenden Blick der Klapperſchlange feſt gezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden55 von dem graͤulichen alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat naͤher auf mich zu, da war es mir, als ſei das ſcheußliche Ge¬ ſicht nur eine Maske von duͤnnem Flor, durch den die Zuͤge jenes holden Spiegelbildes durchblickten. Schon fuͤhlt' ich mich von den Haͤnden des Weibes beruͤhrt, als ſie laut aufkreiſchend vor mir zu Bo¬ den ſank und hinter mir eine Stimme rief: Hu hu! treibt ſchon wieder der Teufel ſein Bocks¬ ſpiel mit Ew. Gnaden, zu Bette, zu Bette, meine Gnaͤdigſte, ſonſt ſetzt es Hiebe, gewaltige Hiebe! Ich wandte mich raſch um und erblickte den alten Hausverwalter im bloßen Hemde, eine tuͤch¬ tige Peitſche uͤber dem Haupte ſchwingend. Er wollte losſchlagen auf die Alte, die ſich heulend am Boden kruͤmmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber mich von ſich ſchleudernd rief er: Donner¬ wetter, Herr, der alte Satan haͤtte ſie ermordet, kam ich nicht dazwiſchen fort, fort, fort. Ich ſtuͤrzte zum Saal heraus, vergebens ſucht 'ich in dicker Finſterniß die Thuͤr des Hauſes. Nun56 hoͤrt' ich die ziſchenden Hiebe der Peitſche und das Jammergeſchrei der Alten. Laut wollte ich um Huͤlfe rufen, als der Boden unter meinen Fuͤßen ſchwand, ich fiel eine[Treppe] herab und traf auf eine Thuͤr ſo hart, daß ſie aufſprang und ich der Laͤnge nach in ein kleines Zimmer ſtuͤrzte. An dem Bette, das jemand ſo eben verlaſſen zu haben ſchien, an dem kaffeebraunen, uͤber einen Stuhl gehaͤngten Rocke mußte ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augen¬ blicke nachher polterte es die Treppe herab, der Hausverwalter ſtuͤrzte herein und hin zu meinen Fuͤßen. Um aller Seligkeit willen, flehte er mit aufgehobenen Haͤnden, um aller Seligkeit willen, wer Sie auch ſeyn moͤgen, wie der alte gnaͤdige Hexenſatan Sie auch hieher gelockt haben mag, verſchweigen Sie, was hier geſchehen, ſonſt kom¬ me ich um Amt und Brot! Die wahnſinnige Excellenz iſt abgeſtraft und liegt gebunden im Bette. O ſchlafen Sie doch, geehrteſter Herr! recht ſanft und ſuͤß. Ja ja, das thun Sie doch fein 57 eine ſchoͤne warme Julius Nacht, zwar kein Mond¬ ſchein, aber begluͤckter Sternenſchimmer. Nun ruhige, gluͤckliche Nacht. Unter dieſen Reden war der Alte aufgeſprungen, hatte ein Licht genom¬ men, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Thuͤre hinausgeſchoben und dieſe feſt ver¬ ſchloſſen. Ganz verſtoͤrt eilt 'ich nach Hauſe, und Ihr koͤnnt wohl denken, daß ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimniß ergriffen, auch nicht den mindeſten nur wahrſcheinlichen Zuſammenhang der Sache mir in den erſten Tagen denken konnte. Nur ſo viel war gewiß, daß, hielt mich ſo lange ein boͤſer Zauber gefangen, dieſer jetzt in der That von mir abgelaſſen hatte. Alle ſchmerzliche Sehn¬ ſucht nach dem Zauberbilde in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im oͤden Gebaͤude wie das unvermuthete Hinein¬ gerathen in ein Tollhaus. Daß der Hausverwalter zum tyranniſchen Waͤchter einer wahnſinnigen Frau von vornehmer Geburt, deren Zuſtand vielleicht der Welt verborgen bleiben ſollte, beſtimmt worden,58 daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel das tolle Zauberweſen uͤberhaupt doch wei¬ ter weiter!

Spaͤter begab es ſich, daß ich in zahlreicher Geſellſchaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend ſprach: Wiſſen Sie wohl, daß ſich die Geheimniſſe unſeres oͤden Hauſes zu enthuͤllen anfangen? Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzaͤhlen wollte, oͤffneten ſich die Fluͤgelthuͤren des Eßſaals, man ging zur Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimniſſe, die mir der Graf entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war mechaniſch der in ſteifem Zeremoniell ſich langſam daherſchrei¬ tenden Reihe gefolgt. Ich fuͤhre meine Dame zu dem offnen Platz, der ſich uns darbietet, ſchaue ſie nun erſt recht an und erblicke mein Spiegelbild in den getreuſten Zuͤgen, ſo daß gar keine Taͤu¬ ſchung moͤglich iſt. Daß ich im Innerſten erbebte, koͤnnt Ihr Euch wohl denken, aber eben ſo muß ich59 Euch verſichern, daß ſich auch nicht der leiſeſte An¬ klang jener verderblichen wahnſinnigen Liebeswuth in mir regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild aus dem Spiegel hervor rief. Meine Befremdung, noch mehr, mein Erſchrecken muß lesbar geweſen ſeyn in meinem Blick, denn das Maͤdchen ſah mich ganz verwundert an, ſo daß ich fuͤr noͤthig hielt, mich ſo, wie ich nur konnte, zuſammen zu nehmen, und ſo gelaſſen als moͤglich anzufuͤhren, daß eine leb¬ hafte Erinnerung mich gar nicht zweifeln laſſe, ſie ſchon irgendwo geſehen zu haben. Die kurze Ab¬ fertigung, daß dies wohl nicht gut der Fall ſeyn koͤnne, da ſie geſtern erſt und zwar das erſte Mal in ihrem Leben nach *** n gekommen, machte mich im eigentlichſten Sinn des Worts etwas verbluͤfft. Ich verſtummte. Nur der Engelsblick, den die holdſeligen Augen des Maͤdchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wißt, wie man bei derlei Gelegenheit die geiſtigen Fuͤhlhoͤrner aus¬ ſtrecken und leiſe, leiſe taſten muß, bis man die60 Stelle findet, wo der angegebene Ton wieder klingt. So macht 'ich es und fand bald, daß ich ein zartes, holdes, aber in irgend einem pſychiſchen Ueberreiz verkraͤnkeltes Weſen neben mir hatte. Bey irgend einer heitern Wendung des Geſpraͤchs, vorzuͤglich wenn ich zur Wuͤrze wie ſcharfen Cayenne Pfeffer irgend ein keckes bizarres Wort hineinſtreute, laͤchelte ſie zwar, aber ſeltſam ſchmerzlich, wie zu hart beruͤhrt. Sie ſind nicht heiter, meine Gnaͤdige, vielleicht der Beſuch heute Morgen. So redete ein nicht weit entfernt ſitzender Officier meine Dame an, aber in dem Augenblick faßte ihn ſein Nachbar ſchnell beim Arm und ſagte ihm etwas ins Ohr, waͤhrend eine Frau an der andern Seite des Tiſches Gluth auf den Wangen und im Blick laut der herr¬ lichen Oper erwaͤhnte, deren Darſtellung ſie in Paris geſehen und mit der heutigen vergleichen werde. Meiner Nachbarin ſtuͤrzten die Thraͤnen aus den Augen: Bin ich nicht ein albernes Kind, wandte ſie ſich zu mir. Schon erſt hatte ſie uͤber Migraine geklagt. Die gewoͤhnliche Folge des nervoͤſen61 Kopfſchmerzes, erwiderte ich daher mit unbefan¬ genem Ton, wofuͤr nichts beſſer hilft, als der muntre kecke Geiſt, der in dem Schaum dieſes Dichtergetraͤnks ſprudelt. Mit dieſen Worten ſchenkte ich Champagner, den ſie erſt abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem ſie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Thraͤnen, die ſie nicht zu bergen vermochte. Es ſchien heller gewor¬ den in ihrem Innern und alles waͤre gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unverſehends hart an das vor mir ſtehende engliſche Glas geſtoßen, ſo daß es in gellender ſchneidender Hoͤhe ertoͤnte. Da erbleichte meine Nachbarin bis zum Tode, und auch mich ergriff ein ploͤtzliches Grauen, weil der Ton mir die Stimme der wahnſinnigen Alten im oͤden Hauſe ſchien. Waͤhrend daß man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mich dem Grafen P. zu naͤhern; er merkte gut, warum. Wiſſen Sie wohl, daß Ihre Nachbarin die Graͤfin Edwine von S. war? Wiſſen Sie wohl, daß in dem oͤden Hauſe die Schweſter ihrer Mutter, ſchon ſeit Jahren unheil¬62 bar wahnſinnig, eingeſperrt gehalten wird? Heute Morgen waren beide, Mutter und Tochter, bey der Ungluͤcklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige, der den gewaltſamen Ausbruͤchen des Wahnſinns der Graͤfin zu ſteuern wußte, und dem daher die Aufſicht uͤber ſie uͤbertragen wurde, liegt todtkrank, und man ſagt, daß die Schweſter end¬ lich dem Doktor K. das Geheimniß anvertraut, und daß dieſer noch die letzten Mittel verſuchen wird, die Kranke, wo nicht herzuſtellen, doch von der entſetzlichen Tobſucht, in die ſie zuweilen ausbre¬ chen ſoll, zu retten. Mehr weiß ich vor der Hand nicht. Andere traten hinzu, das Geſpraͤch brach ab. Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich, meines raͤthſelhaften Zuſtandes halber, gewandt, und Ihr moͤget Euch wohl vor¬ ſtellen, daß ich, ſo bald es ſeyn konnte, zu ihm eilte, und alles, was mir ſeit der Zeit widerfahren, getreulich erzaͤhlte. Ich forderte ihn auf zu meiner Beruhigung, ſo viel als er von der wahnſinnigen Alten wiſſe, zu ſagen, und er nahm keinen Anſtand,63 mir, nachdem ich ihm ſtrenge Verſchwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen.

Angelika, Graͤfin von Z. (ſo fing der Doktor an) unerachtet in die Dreyßig vorgeruͤckt, ſtand noch in der vollſten Bluͤthe wunderbarer Schoͤnheit, als der Graf von S., der viel juͤnger an Jahren, ſie hier in *** n bey Hofe ſah, und ſich in ihren Reizen ſo verfing, daß er zur Stunde die eifrigſten Bewerbungen begann und ſelbſt, als zur Som¬ merszeit die Graͤfin auf die Guͤter ihres Vaters zuruͤck kehrte, ihr nachreiſte, um ſeine Wuͤnſche, die nach Angelika's Benehmen durchaus nicht hoff¬ nungslos zu ſeyn ſchienen, dem alten Grafen zu eroͤffnen. Kaum war Graf S. aber dort angekom¬ men, kaum ſah er Angelika's juͤngere Schweſter Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung er¬ wachte. In verbluͤhter Farbloſigkeit ſtand Angelika neben Gabrielen, deren Schoͤnheit und Anmuth den Grafen S. unwiderſtehlich hinriß, und ſo kam es, daß er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabriele'ns Hand warb, die ihm der alte Graf Z.64 um ſo lieber zuſagte, als Gabriele gleich die entſchie¬ denſte Neigung fuͤr den Grafen S. zeigte. Angelika aͤußerte nicht den mindeſten Verdruß uͤber die Un¬ treue ihres Liebhabers. Er glaubt mich verlaſſen zu haben. Der thoͤrichte Knabe! er merkt nicht, daß nicht ich, daß er mein Spielzeug war, das ich wegwarf! So ſprach ſie in ſtolzem Hohn, und in der That, ihr ganzes Weſen zeigte, daß es wohl Ernſt ſeyn mochte mit der Verachtung des Ungetreuen. Uebrigens ſah man, ſobald das Buͤndniß Gabriele'ns mit dem Grafen von S. aus¬ geſprochen war, Angelika ſehr ſelten. Sie erſchien nicht bey der Tafel und man ſagte, ſie ſchweife ein¬ ſam im naͤchſten Walde umher, den ſie laͤngſt zum Ziel ihrer Spaziergaͤnge gewaͤhlt hatte. Ein ſonderbarer Vorfall ſtoͤrte die einfoͤrmige Ruhe, die im Schloſſe herrſchte. Es begab ſich, daß die Jaͤger des Grafen von Z., unterſtuͤtzt von den in großer Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine Zigeuner¬ bande eingefangen hatten, der man die Mordbren¬ nereien und Raͤubereien, welche ſeit kurzer Zeit ſohaͤufig65haͤufig in der Gegend vorfielen, Schuld gab. An eine lange Kette geſchloſſen brachte man die Maͤn¬ ner, gebunden auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder aus den Schloßhof. Manche trotzige Geſtalt, die mit wildem funkelnden Blick, wie ein gefeſſelter Tiger, keck umherſchaute, ſchien den ent¬ ſchloſſenen Raͤuber und Moͤrder zu bezeichnen, vor¬ zuͤglich fiel aber ein langes, hageres, entſetzliches Weib, in einen blutrothen Shawl vom Kopf bis zu Fuß gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen ſtand, und mit gebietender Stimme rief: man ſolle ſie herabſteigen laſſen, welches auch geſchah. Der Graf von Z. kam auf den Schloßhof und be¬ fahl eben, wie man die Bande abgeſondert in den feſten Schloßgefaͤngniſſen vertheilen ſolle, als mit fliegenden Haaren, Entſetzen und Angſt in bleichem Geſicht, Graͤfin Angelika aus der Thuͤr hinaus¬ ſtuͤrzte, und auf die Kniee geworfen mit ſchneidender Stimme rief: Dieſe Leute los dieſe Leute los ſie ſind unſchuldig, unſchuldig Vater: laß dieſe Leute los! ein Tropfen Blut's vergoſſenE66an einem von dieſen und ich ſtoße mir dieſes Meſſer in die Bruſt! Damit ſchwang die Graͤfin ein ſpiegelblankes Meſſer in den Luͤften und ſank ohn¬ maͤchtig nieder. Ei mein ſchoͤnes Puͤppchen, mein trautes Goldkind, das wußt ich ja wohl, daß du es nicht leiden wuͤrdeſt! So meckerte die rothe Alte. Dann kauerte ſie nieder neben der Graͤfin und bedeckte Geſicht und Buſen mit ekelhaften Kuͤſ¬ ſen, indem ſie fortwaͤhrend murmelte: Blanke Tochter, blanke Tochter wach'auf, wach 'auf, der Braͤutigam kommt hei hei blanker Braͤuti¬ gam kommt. Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner Goldfiſch in ſilberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln ſchien. Dieſe Phiole hielt die Alte der Graͤfin an das Herz, augenblick¬ lich erwachte ſie, aber kaum erblickte ſie das Zigeu¬ nerweib, als ſie aufſprang, das Weib heftig und bruͤnſtig umarmte und dann mit ihr davon eilte in das Schloß hinein. Der Graf von Z. Gabriele, ihr Braͤutigam, die unterdeſſen erſchienen, ſchauten ganz erſtarrt und von ſeltſamen Grauen ergriffen, das67 Alles an. Die Zigeuner blieben ganz gleichguͤl¬ tig und ruhig, ſie wurden nun abgeloͤſt von der Kette, und einzeln gefeſſelt in die Schloßgefaͤngniſſe geworfen. Am andern Morgen ließ der Graf von Z. die Gemeinde verſammeln, die Zigeuner wurden vorgefuͤhrt, der Graf erklaͤrte laut, daß ſie ganz unſchuldig waͤren an allen Raͤubereien, die in der Gegend veruͤbt, und daß er ihnen freien Durchzug durch ſein Gebiet verſtatte, worauf ſie entfeſſelt und zum Erſtaunen aller mit Paͤſſen wohl verſehen entlaſſen wurden. Das rothe Weib wurde ver¬ mißt. Man wollte wiſſen, daß der Zigeunerhaupt¬ mann, kenntlich an den goldnen Ketten um den Hals und dem rothen Federbuſch an dem ſpaniſch niedergekrempten Hut, Nachts auf dem Zimmer des Barons geweſen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargethan, daß die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der That auch nicht den mindeſten Antheil hatten. Gabriele's Hochzeit ruͤckte heran, mit Erſtau¬ nen bemerkte ſie eines Tages, daß mehrere Ruͤſt¬E 268wagen mit Meublen, Kleidungsſtuͤcken, Waͤſche, kurz, mit einer ganz vollſtaͤndigen Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr ſie, daß Angelika begleitet von dem Kam¬ merdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten rothen Zigeunerin aͤhnlich ge¬ ſehen, Nachts abgereiſet ſey. Graf Z. loͤſte das Raͤthſel, indem er erklaͤrte, daß er ſich aus gewiſ¬ ſen Urſachen genoͤthiget geſehen, den freilich ſeltſa¬ men Wuͤnſchen Angelik'as nachzugeben, und ihr nicht allein das in *** n belegne Haus in der Allee als Eigenthum zu ſchenken, ſondern auch zu erlau¬ ben, daß ſie dort einen eignen, ganz unabhaͤngigen Haushalt fuͤhre, wobei ſie ſich bedungen, daß kei¬ ner aus der Familie, ihn ſelbſt nicht ausgenommen, ohne ihre ausdruͤckliche Erlaubniß das Haus betre¬ ten ſolle. Der Graf von S. fuͤgte hinzu, daß auf Angelikas dringenden Wunſch er ſeinen Kam¬ merdiener ihr uͤberlaſſen muͤſſen, der mit gereiſet ſey nach *** n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit ſeiner Gemahlin nach D. und69 ein Jahr verging ihnen in ungetruͤbter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weiſe zu kraͤnkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebensluſt, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemuͤhungen ſeiner Ge¬ mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das ſein Innerſtes verderblich zu verſtoͤren ſchien. Als endlich tiefe Ohnmachten ſeinen Zuſtand lebensge¬ faͤhrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging angeblich nach Piſa. Gabriele konnte nicht mit¬ reiſen, da ſie ihrer Niederkunft entgegen ſah, die indeſſen erſt nach mehrern Wochen erfolgte. Hier, ſprach der Arzt, werden die Mittheilun¬ gen der Graͤfin Gabriele von S. ſo rhapſodiſch, daß nur ein tieferer Blick den naͤheren Zuſammenhang auffaſſen kann. Genug ihr Kind, ein Maͤdgen, verſchwindet auf unbegreifliche Weiſe aus der Wiege, alle Nachforſchungen bleiben verge¬ bens ihre Troſtloſigkeit geht bis zur Verzweif¬ lung, als zur ſelbigen Zeit Graf von Z. ihr die entſetzliche Nachricht ſchreibt, daß er den Schwie¬70 gerſohn, den er auf dem Wege nach Piſa glaubte, in *** n und zwar in Angelika's Hauſe, vom Ner¬ venſchlage zum Tode getroffen, gefunden; daß An¬ gelika in furchtbaren Wahnſinn gerathen ſey und daß er ſolchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. So wie Gabriele von S. nur einige Kraͤfte gewonnen, eilt ſie auf die Guͤter des Va¬ ters; in ſchlafloſer Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt ſie ein leiſes Wimmern vor der Thuͤre des Schlaf¬ zimmers zu vernehmen; ermuthigt, zuͤndet ſie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den rothen Shawl gewickelt, ſtarrt das Zigeunerweib mit ſtierem, lebloſem Blick ihr in die Augen in den Armen haͤlt ſie ein kleines Kind, das ſo aͤngſtlich wimmert, das Herz ſchlaͤgt der Graͤfin hoch auf in der Bruſt! es iſt ihr Kind! es iſt die verlorne Tochter! Sie reißt das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in dieſem Augenblick kugelt dieſe um, wie eine lebloſe Puppe. 71Auf das Angſtgeſchrei der Graͤfin wird alles wach, man eilt hinzu, man findet das Weib todt auf der Erde, kein Belebungsmittel wirkt und der Graf laͤßt ſie einſcharren. Was bleibt uͤbrig, als nach *** n zur wahnſinnigen Angelika zu eilen, und vielleicht dort das Geheimniß mit dem Kinde zu erforſchen. Alles hat ſich veraͤndert. Angelika's wilde Raſerei hat alle weibliche Dienſtboten ent¬ fernt, nur der Kammerdiener iſt geblieben. Ange¬ lika iſt ruhig und vernuͤnftig geworden. Als der Graf die Geſchichte von Gabriele'ns Kinde erzaͤhlt, ſchlaͤgt ſie die Haͤnde zuſammen, und ruft mit lau¬ tem Lachen: Iſt's Puͤppgen angekommen? rich¬ tig angekommen? eingeſcharrt, eingeſcharrt? O Jemine, wie praͤchtig ſich der Goldfaſan ſchuͤt¬ telt! wißt ihr nichts vom gruͤnen Loͤwen mit den blauen Gluthaugen? Mit Entſetzen bemerkt der Graf die Ruͤckkehr des Wahnſinns, indem ploͤtzlich Angelika's Geſicht die Zuͤge des Zigeunerweibes an¬ zunehmen ſcheint, und beſchließt, die Arme mitzu¬ nehmen auf die Guͤter, welches der alte Kammer¬72 diener widerraͤth. In der That bricht auch der Wahnſinn Angelika's in Wuth und Raſerei aus, ſobald man Anſtalten macht, ſie aus dem Hauſe zu entfernen. In einem lichten Zwiſchenraum be¬ ſchwoͤrt Angelika mit heißen Thraͤnen den Vater, ſie in dem Hauſe ſterben zu laſſen, und tiefgeruͤhrt bewil¬ ligt er dies, wiewohl er das Geſtaͤndniß, das dabei ihren Lippen entflieht, nur fuͤr das Erzeugniß des aufs neue ausbrechenden Wahnſinns haͤlt. Sie bekennt, daß Graf S. in ihre Arme zuruͤckgekehrt, und daß das Kind, welches die Zigeunerin ins Haus des Grafen von Z. brachte, die Frucht dieſes Buͤndniſſes ſey. In der Reſidenz glaubt man, daß der Graf von Z. die Ungluͤckliche mitgenommen hat auf die Guͤter, indeſſen ſie hier tiefverborgen und der Aufſicht des Kammerdieners uͤbergeben in dem veroͤdeten Hauſe bleibt Graf von Z. iſt ge¬ ſtorben vor einiger Zeit, und Graͤfin Gabriele von S. kam mit Edmonden her, um Familienangelegen¬ heiten zu berichtigen. Sie durfte es ſich nicht ver¬ ſagen, die ungluͤckliche Schweſter zu ſehen. Bei dieſem Beſuch muß ſich Wunderliches ereignet ha¬73 ben, doch hat mir die Graͤfin nichts daruͤber ver¬ traut, ſondern nur im Allgemeinen geſagt, daß es nun noͤthig geworden, dem alten Kammerdiener die Ungluͤckliche zu entreißen. Einmal habe er, wie es herausgekommen, durch harte grauſame Mi߬ handlungen den Ausbruͤchen des Wahnſinns zu ſteu¬ ern geſucht, dann aber, durch Angelika's Vorſpieg¬ lung, daß ſie Gold zu machen verſtehe, ſich verlei¬ ten laſſen, mit ihr allerlei ſonderbare Operationen vorzunehmen und ihr alles Noͤthige dazu herbeizu¬ ſchaffen. Es wuͤrde wohl (ſo ſchloß der Arzt ſeine Erzaͤhlung) ganz uͤberfluͤſſig ſeyn, Sie, gerade Sie auf den tiefern Zuſammenhang aller dieſer ſeltſamen Dinge aufmerkſam zu machen. Es iſt mir gewiß, daß Sie die Kataſtrophe herbeige¬ fuͤhrt haben, die der Alten Geneſung oder baldigen Tod bringen wird. Uebrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, daß ich mich nicht wenig entſetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetiſchen Rapport geſetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel ſah. Daß dies Bild Edmonde war, wiſſen wir nun beide.

74

Eben ſo, wie der Arzt glaubte, fuͤr mich nichts hinzufuͤgen zu duͤrfen, eben ſo halte ich es fuͤr ganz unnuͤtz, mich nun noch daruͤber etwa zu verbreiten, in welchem geheimen Verhaͤltniß Angelika, Ed¬ monde, ich und der alte Kammerdiener ſtanden, und wie myſtiſche Wechſelwirkungen ein daͤmoniſches Spiel trieben. Nur ſo viel ſage ich noch, daß mich nach dieſen Begebenheiten ein druͤckendes, un¬ heimliches Gefuͤhl aus der Reſidenz trieb, welches erſt nach einiger Zeit mich ploͤtzlich verließ. Ich glaube, daß die Alte in dem Augenblick, als ein ganz beſonderes Wohlſeyn mein Innerſtes durch¬ ſtroͤmte, geſtorben iſt. So endete Theodor ſeine Erzaͤhlung. Noch Manches ſprachen die Freunde uͤber Theodors Abenteuer und gaben ihm Recht, daß ſich darin das Wunderliche mit dem Wunderbaren auf ſeltſame grauliche Weiſe miſche. Als ſie ſchie¬ den, nahm Franz Theodors Hand und ſprach, ſie leiſe ſchuͤttelnd, mit beinahe wehmuͤthigem Laͤcheln: Gute Nacht, du Spalanzaniſche Fledermaus!

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Das Majorat.

Dem Geſtade der Oſtſee unfern liegt das Stamm¬ ſchloß der Freiherrlich von R. .ſchen Familie, R. .ſitten genannt. Die Gegend iſt rauh und oͤde, kaum entſprießt hin und wieder ein Grashalm dem bodenloſen Triebſande, und ſtatt des Gartens, wie er ſonſt das Herrenhaus zu zieren pflegt, ſchließt ſich an die nackten Mauern nach der Landſeite hin ein duͤrftiger Foͤhrenwald, deſſen ewige, duͤſtre Trauer den bunten Schmuck des Fruͤhlings ver¬ ſchmaͤht, und in dem, ſtatt des froͤhlichen Jauch¬ zens der zu neuer Luſt erwachten Voͤgelein nur das ſchaurige Gekraͤchze der Raben, das ſchwirrende76 Kreiſchen der Sturmverkuͤndenden Moͤven wieder¬ hallt. Eine Viertelſtunde davon aͤndert ſich ploͤtzlich die Natur. Wie durch einen Zauberſchlag iſt man in bluͤhende Felder, uͤppige Aecker und Wieſen ver¬ ſetzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit dem geraͤumigen Wohnhauſe des Wirthſchaftsin¬ ſpektors. An der Spitze eines freundlichen Erlen¬ buſches ſind die Fundamente eines großen Schloſſes ſichtbar, das einer der vormaligen Beſitzer aufzu¬ bauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Guͤtern in Curland hauſend, ließen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wie¬ derum ſeinen Wohnſitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da ſeinem finſtern, men¬ ſchenſcheuen Weſen der Aufenthalt in dem alten, einſam liegenden Schloſſe zuſagte. Er ließ das ver¬ fallene Gebaͤude, ſo gut es gehen wollte, herſtellen, und ſperrte ſich darin ein, mit einem graͤmlichen Hausverwalter und geringer Dienerſchaft. Nur ſelten ſah 'man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt er oft am Meeresſtrande hin und her, und77 man wollte aus der Ferne bemerkt haben, wie er in die Wellen hineinſprach und dem Brauſen und Ziſchen der Brandung zuhorchte, als vernehme er die antwortende Stimme des Meergeiſtes. Auf der hoͤchſten Spitze des Wartthurms hatte er ein Cabinett einrichten und mit Fernroͤhren mit einem vollſtaͤndigen aſtronomiſchen Apparat verſehen laſſen; da beobachtete er Tages, nach dem Meer hinausſchauend, die Schiffe, die oft gleich weißbe¬ ſchwingten Meervoͤgeln am fernen Horizont vor¬ uͤberflogen. Sternenhelle Naͤchte brachte er hin mit aſtronomiſcher, oder, wie man wiſſen wollte, mit aſtrologiſcher Arbeit, worin ihm der alte Haus¬ verwalter beiſtand. Ueberhaupt ging zu ſeinen Lebzeiten die Sage, daß er geheimer Wiſſenſchaft, der ſogenannten ſchwarzen Kunſt, ergeben ſey, und daß eine verfehlte Operation, durch die ein hohes Fuͤr¬ ſtenhaus auf das empfindlichſte gekraͤnkt wurde, ihn aus Curland vertrieben habe. Die leiſeſte Erinne¬ rung an ſeinen dortigen Aufenthalt erfuͤllte ihn mit Entſetzen, aber alles ſein Leben verſtoͤrende, was78 ihm dort geſchehen, ſchrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg boͤslich ver¬ ließen. Um fuͤr die Zukunft wenigſtens das Haupt der Familie an das Stammhaus zu feſſeln, be¬ ſtimmte er es zu einem Majoratsbeſitzthum. Der Landesherr beſtaͤtigte die Stiftung um ſo lieber, als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬ milie, deren Zweige ſchon in das Ausland heruͤber¬ rankten, fuͤr das Vaterland gewonnen werden ſollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie ſein Großvater Roderich geheißen, mochte indeſſen in dem Stammſchloſſe hauſen, beide blieben in Curland. Man mußte glauben, daß ſie, heit'rer und lebensluſtiger geſinnt, als der duͤſtre Ahnherr, die ſchaurige Oede des Aufenthalts ſcheuten. Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheiratheten Schweſtern ſeines Vaters, die mager ausgeſtattet in Duͤrftigkeit lebten, Woh¬ nung und Unterhalt auf dem Gute geſtattet. Dieſe ſaßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenfluͤgels, und außer79 ihnen und dem Koch, der im Erdgeſchoß ein großes Gemach neben der Kuͤche inne hatte, wankte in den hohen Zimmern und Saͤlen des Hauptgebaͤudes nur noch ein abgelebter Jaͤger umher, der zugleich die Dienſte des Caſtellans verſah. Die uͤbrige Diener¬ ſchaft wohnte im Dorfe bei dem Wirthſchaftsin¬ ſpektor. Nur in ſpaͤter Herbſtzeit, wenn der erſte Schnee zu fallen begann, und die Wolfs - die Schweinsjagden aufgingen, wurde das oͤde, ver¬ laſſene Schloß lebendig. Dann kam Freiherr Ro¬ derich mit ſeiner Gemahlin, begleitet von Verwand¬ ten, Freunden und zahlreichem Jagdgefolge heruͤber aus Curland. Der benachbarte Adel, ja ſelbſt jagdluſtige Freunde aus der nahe liegenden Stadt fanden ſich ein, kaum vermochten Hauptgebaͤude und Nebenfluͤgel die zuſtroͤmenden Gaͤſte zu faſſen, in allen Oefen und Kaminen kniſterten reichlich zu¬ geſchuͤrte Feuer, vom grauen Morgen bis in die Nacht hinein ſchnurrten die Bratenwender, Trepp' auf, Trepp 'ab liefen hundert luſtige Leute, Herren und Diener, dort erklangen angeſtoßene80 Pokale und froͤhliche Jaͤgerlieder, hier die Tritte der nach gellender Muſik Tanzenden, uͤberall lautes Jauchzen und Gelaͤchter, und ſo glich vier bis ſechs Wochen hindurch das Schloß mehr einer praͤchtigen, an vielbefahrner Landſtraße liegenden Herberge, als der Wohnung des Gutsherrn. Freiherr Ro¬ derich widmete dieſe Zeit, ſo gut es ſich nur thun ließ, ernſtem Geſchaͤfte, indem er, zuruͤckgezogen aus dem Strudel der Gaͤſte, die Pflichten des Majoratsherrn erfuͤllte. Nicht allein, daß er ſich vollſtaͤndige Rechnung der Einkuͤnfte legen ließ, ſo hoͤrte er auch jeden Vorſchlag irgend einer Verbeſſe¬ rung, ſo wie die kleinſte Beſchwerde ſeiner Unter¬ thanen an, und ſuchte alles zu ordnen, jedem Un¬ rechten oder Unbilligen zu ſteuern, wie er es nur vermochte. In dieſen Geſchaͤften ſtand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn vererbter Geſchaͤftstraͤger des R. .ſchen Hauſes und Juſti¬ tiarius der in P. liegenden Guͤter, redlich bei, und V. pflegte daher ſchon acht Tage vor der be¬ ſtimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majo¬rats¬81ratsgute abzureiſen. Im Jahr 179 war die Zeit gekommen, daß der alte V. nach R. .ſitten reiſen ſollte. So lebenskraͤftig der Greis von ſieb¬ zig Jahren ſich auch fuͤhlte, mußte er doch glauben, daß eine huͤlfreiche Hand im Geſchaͤft ihm wohlthun werde. Wie im Scherz ſagte er daher eines Tages zu mir: Vetter! (ſo nannte er mich, ſeinen Großneffen, da ich ſeine Vornamen erhielt) Vet¬ ter! ich daͤchte, du ließeſt dir einmal etwas Seewind um die Ohren ſauſen und kaͤm'ſt mit mir nach R. .ſitten. Außerdem, daß du mir wacker beiſtehen kannſt in meinem manchmal boͤſen Ge¬ ſchaͤft, ſo magſt du dich auch einmal im wilden Jaͤgerleben verſuchen und zuſehen, wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches Protokoll geſchrieben, du den andern ſolch trotzigem Thier, als da iſt ein langbehaarter, graͤulicher Wolf, oder ein zahn¬ fletſchender Eber, ins funkelnde Auge zu ſchauen, oder gar es mit einem tuͤchtigen Buͤchſenſchuß zu er¬ legen verſteheſt. Nicht ſo viel Seltſames von der luſtigen Jagdzeit in R. ſitten haͤtte ich ſchon hoͤren,F82nicht ſo mit ganzer Seele dem herrlichen alten Großonkel anhaͤngen muͤſſen, um nicht hocherfreut zu ſeyn, daß er mich diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geuͤbt in derlei Geſchaͤften, wie er ſie vorhatte, verſprach ich mit tapferm Fleiß ihm alle Muͤhe und Sorge abzunehmen. Andern Tages ſaßen wir in tuͤchtige Pelze eingehuͤllt im Wagen und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkuͤndendes Schneegeſtoͤber nach R. .ſitten. Unterwegs erzaͤhlte mir der Alte manches Wunder¬ liche von dem Freiherrn Roderich, der das Majorat ſtiftete und ihn ſeines Juͤnglingsalters ungeachtet zu ſeinem Juſtitiarius und Teſtamentsvollzieher er¬ nannte. Er ſprach von dem rauhen, wilden We¬ ſen, das der alte Herr gehabt, und das ſich auf die ganze Familie zu vererben ſchiene, da ſelbſt der jetzi¬ ge Majoratsherr, den er als ſanftmuͤthigen, bei¬ nahe weichlichen Juͤngling gekannt, von Jahr zu Jahr mehr davon ergriffen werde. Er ſchrieb mir vor, wie ich mich keck und unbefangen betragen muͤßte, um in des Freiherrn Augen was werth zu83 ſeyn und kam endlich auf die Wohnung im Schloſſe, die er ein fuͤr allemal gewaͤhlt, da ſie warm, be¬ quem und ſo abgelegen ſey, daß wir uns, wenn und wie wir wollten, dem tollen Getoͤſe der jubili¬ renden Geſellſchaft entziehen koͤnnten. In zwei kleinen, mit warmen Tapeten behangenen Zim¬ mern, dicht neben dem großen Gerichtsſaal im Seitenfluͤgel, dem gegenuͤber, wo die alten Fraͤu¬ leins wohnten, da waͤre ihm jedesmal ſeine Reſi¬ denz bereitet. Endlich nach ſchneller, aber beſchwer¬ licher Fahrt kamen wir in tiefer Nacht nach R. .ſit¬ ten. Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Kruge Tanzmuſik und froͤhlicher Jubel, des Wirthſchaftsinſpektors Haus von unten bis oben erleuchtet, drinnen auch Muſik und Ge¬ ſang; deſto ſchauerlicher wurde die Oede, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in ſchneidenden Jammertoͤnen heruͤber und, als habe er ſie aus tiefem Zauberſchlaf geweckt, ſtoͤhnten die duͤſtern Foͤhren ihm nach in dumpfer Klage. Die nackten ſchwarzen Mauern des Schloſſes ſtie¬F 284gen empor aus dem Schneegrunde, wir hielten an dem verſchloſſenen Thor. Aber da half kein Rufen, kein Peitſchengeknalle, kein Hammern und Pochen, es war, als ſey alles ausgeſtorben, in keinem Fen¬ ſter ein Licht ſichtbar. Der Alte ließ ſeine ſtarke droͤhnende Stimme erſchallen: Franz Franz! Wo ſteckt ihr denn? Zum Teufel, ruͤhrt Euch! Wir erfrieren hier am Thor! Der Schnee ſchmeißt einem ja das Geſicht blutruͤnſtig ruͤhrt Euch, zum Teufel. Da fing ein Hof¬ hund zu winſeln an, ein wandelndes Licht wurde im Erdgeſchoſſe ſichtbar, Schluͤſſel klapperten und bald knarrten die gewichtigen Thorfluͤgel auf. Ei ſchoͤn willkommen, ſchoͤn willkommen Herr Juſti¬ tiarius, ei in dem unſaubern Wetter! So rief der alte Franz, indem er die Laterne hoch in die Hoͤhe hob, ſo daß das volle Licht auf ſein ver¬ ſchrumpftes, zum freundlichen Lachen ſonderbar verzogenes Geſicht fiel. Der Wagen fuhr in den Hof, wir ſtiegen aus und nun gewahrte ich erſt ganz des alten Bedienten ſeltſame, in eine altmo¬85 diſche, weite, mit vielen Schnuͤren wunderlich aus¬ ſtaffirte Jaͤgerlivrei gehuͤllte Geſtalt. Ueber die breite weiße Stirn legten ſich nur ein Paar graue Loͤckchen, der untere Theil des Geſichts hatte die robuſte Jaͤgerfarbe, und unerachtet die verzogenen Muskeln das Geſicht zu einer beinahe abenteuerlichen Maske formten, ſoͤhnte doch die etwas duͤmmliche Gutmuͤthigkeit, die aus den Augen leuchtete und um den Mund ſpielte, alles wieder aus. Nun, alter Franz, fing der Großonkel an, indem er ſich im Vorſaal den Schnee vom Pelze abklopfte, nun, alter Franz, iſt alles bereitet, ſind die Tapeten in meinen Stuben abgeſtaubt, ſind die Betten hinein¬ getragen, iſt geſtern und heute tuͤchtig geheitzt wor¬ den? Nein, erwiederte Franz ſehr gelaſſen, nein, mein wertheſter Herr Juſtitiarius, das iſt alles nicht geſchehen. Herr Gott! fuhr der Großonkel auf, ich habe ja zeitig genug geſchrie¬ ben, ich komme ja ſtets nach dem richtigen Datum; das iſt ja eine Toͤlpelei, nun kann ich in eiskalten Zimmern hauſen. Ja, wertheſter Herr Juſti¬86 tiarius, ſprach Franz weiter, indem er ſehr ſorg¬ lich mit der Lichtſcheere vom dem Docht einen glim¬ menden Raͤuber abſchnippte und ihn mit dem Fuße austrat, ja ſehn Sie, das alles, vorzuͤglich das Heizen haͤtte nicht viel geholfen, denn der Wind und der Schnee, die hauſen gar zu ſehr hinein, durch die zerbrochenen Fenſterſcheiben, und da Was, fiel der Großonkel ihm in die Rede, den Pelz weit auseinander ſchlagend und beide Arme in die Seiten ſtemmend, was, die Fenſter ſind zerbrochen und Ihr, des Hauſes Caſtellan, habt nichts machen laſſen? Ja, wertheſter Herr Ju¬ ſtitiarius, fuhr der Alte ruhig und gelaſſen fort, man kann nur nicht recht hinzu, wegen des vielen Schutt's und der vielen Mauerſteine, die in den Zimmern herum liegen. Wo zum Tauſend Himmel Sapperment kommen Schutt und Steine in meine Zimmer, ſchrie der Großonkel. Zum beſtaͤndigen froͤhlichen Wohlſeyn, mein junger Herr! rief der Alte, ſich hoͤflich buͤckend, da ich eben nieſte, ſetzte aber gleich hinzu: es ſind die87 Steine und der Kalk von der Mittelwand, die von der großen Erſchuͤtterung einfiel. Habt ihr ein Erdbeben gehabt, platzte der Großonkel zornig heraus. Das nicht, wertheſter Herr Juſtitia¬ rius, erwiederte der Alte mit dem ganzen Geſicht laͤchelnd, aber vor drei Tagen iſt die ſchwere, ge¬ taͤfelte Decke des Gerichtsſaal's mit gewaltigem Krachen eingeſtuͤrzt. So ſoll doch das Der Großonkel wollte, heftig und aufbrauſend, wie er war, einen ſchweren Fluch ausſtoßen; aber indem er mit der Rechten in die Hoͤhe fuhr und mit der Linken die Fuchsmuͤtze von der Stirn ruͤckte, hielt er ploͤtzlich inne, wandte ſich nach mir um und ſprach laut auflachend: Wahrhaftig Vetter! wir muͤſſen das Maul halten, wir duͤrfen nicht weiter fragen; ſonſt erfahren wir noch aͤrgeres Unheil, oder das ganze Schloß ſtuͤrzt uns uͤber den Koͤpfen zuſammen. Aber, fuhr er fort, ſich nach dem Alten umdrehend, aber, Franz, konntet Ihr denn nicht ſo geſcheut ſeyn, mir ein anderes Zimmer rei¬ nigen und heitzen zu laſſen? Konntet Ihr nicht88 irgend einen Saal im Hauptgebaͤude ſchnell einrich¬ ten zum Gerichtstage? Dieſes iſt auch bereits Alles geſchehen, ſprach der Alte, indem er freund¬ lich nach der Treppe wies und ſofort hinauf zu ſteigen begann. Nun ſeht mir doch den wunderlichen Kauz, rief der Onkel, indem wir dem Alten nachſchritten. Es ging fort durch lange hochgewoͤlbte Corridore, Franzens flackerndes Licht warf einen wunderlichen Schein in die dicke Finſterniß. Saͤu¬ len, Capitaͤler und bunte Bogen zeigten ſich oft wie in den Luͤften ſchwebend, rieſengroß ſchritten unſere Schatten neben uns her und die ſeltſamen Gebilde an den Waͤnden, uͤber die ſie wegſchluͤpften, ſchie¬ nen zu zittern und zu ſchwanken, und ihre Stim¬ men wiſperten in den droͤhnenden Nachhall unſerer Tritte hinein: Weckt uns nicht, weckt uns nicht, uns tolles Zaubervolk, das hier in den alten Stei¬ nen ſchlaͤft! Endlich oͤffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finſtrer Gemaͤcher durchgan¬ gen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes Ka¬ minfeuer uns mit ſeinem luſtigen Kniſtern wie mit89 heimathlichem Gruß empfing. Mir wurde gleich, ſo wie ich eintrat, ganz wohl zu Muthe, doch der Großonkel blieb mitten im Saal ſtehen, ſchaute rings umher und ſprach mit ſehr ernſtem, beinahe feierlichem Ton: Alſo hier, dies ſoll der Ge¬ richtsſaal ſeyn? Franz, in die Hoͤhe leuchtend, ſo daß an der breiten dunkeln Wand ein heller Fleck, wie eine Thuͤre groß, ins Auge fiel, ſprach dumpf und ſchmerzhaft: Hier iſt ja wohl ſchon Gericht gehalten worden! Was kommt Euch ein, Alter. rief der Onkel, indem er den Pelz ſchnell ab¬ warf und an das Kaminfeuer trat. Es fuhr mir nur ſo heraus, ſprach Franz, zuͤndete die Lichter an und oͤffnete das Nebenzimmer, welches zu unſrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war. Nicht lange dauerte es, ſo ſtand ein gedeckter Tiſch vor dem Kamin, der Alte trug wohlzubereitete Schuͤſſeln auf, denen, wie es uns beiden, dem Großonkel und mir, recht behaglich war, eine tuͤchtige Schale nach aͤcht nordiſcher Art gebrauten Punſches folgte. Ermuͤdet von der Reiſe, ſuchte der Großonkel, ſo90 wie er gegeſſen, das Bette; das Neue, Seltſame des Aufenthalts, ja ſelbſt der Punſch, hatte aber meine Lebensgeiſter zu ſehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz raͤumte den Tiſch ab, ſchuͤrte das Kaminfeuer zu und verließ mich mit freundlichen Buͤcklingen.

Nun ſaß ich allein in dem hohen, weiten Rit¬ terſaal. Das Schneegeſtoͤber hatte zu ſchlackern, der Sturm zu ſauſen aufgehoͤrt, heitrer Himmel war's geworden und der helle Vollmond ſtrahl¬ te durch die breiten Bogenfenſter, alle finſtre Ecken des wunderlichen Baues, wohin der duͤſtre Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht dringen konnte, magiſch erleuchtend. So wie man es wohl noch in alten Schloͤſſern antrifft, waren auf ſeltſame alterthuͤmliche Weiſe Waͤnde und Decke des Saals verziert, dieſe mit ſchwerem Getaͤfel, jene mit fantaſtiſcher Bilderei und buntgemahltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den großen Ge¬ maͤhlden, mehrentheils das wilde Gewuͤhl blutiger Baͤren, und Wolfsjagden darſtellend, ſprangen in91 Holz geſchnitzte Thier - und Menſchenkoͤpfe hervor, den gemahlten Leibern angeſetzt, ſo daß, zumal bei der flackernden, ſchimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das Ganze in graulicher Wahrheit lebte. Zwiſchen dieſen Gemaͤhlden waren lebensgroße Bilder, in Jaͤgertracht daher ſchreiten¬ de Ritter, wahrſcheinlich der jagdluſtigen Ahn¬ herren, eingefugt. Alles, Mahlerei und Schnitz¬ werk, trug die dunkle Farbe langverjaͤhrter Zeit; um ſo mehr fiel der helle kahle Fleck an derſelben Wand, durch die zwei Thuͤren in Nebengemaͤcher fuͤhrten, auf; bald erkannte ich, daß dort auch eine Thuͤr geweſen ſeyn muͤßte, die ſpaͤter zugemauert worden, und daß eben dies neue, nicht einmal der uͤbrigen Wand gleichgemahlte, oder mit Schnitzwerk ver¬ zierte Gemaͤuer auf jene Art abſteche. Wer weiß es nicht, wie ein ungewoͤhnlicher, abenteuer¬ licher Aufenthalt mit geheimnißvoller Macht den Geiſt zu erfaſſen vermag, ſelbſt die traͤgſte Fantaſie wird wach in dem, von wunderlichen Felſen um¬ ſchloſſenen Thal in den duͤſtern Mauern einer92 Kirche o. ſ., und will ſonſt nie Erfahrnes ahnen. Setze ich nun noch hinzu, daß ich zwanzig Jahr alt war und mehrere Glaͤſer ſtarken Punſch getrun¬ ken hatte ſo wird man es glauben, daß mir in meinem Ritterſaal ſeltſamer zu Muthe wurde als jemals. Man denke ſich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brauſen des Meers, das ſeltſame Pfeifen des Nachtwindes wie die Toͤne eines maͤchtigen, von Geiſtern geruͤhrten Orgelwerks er¬ klangen die voruͤberfliegenden Wolken, die oft, hell und glaͤnzend, wie vorbeiſtreifende Rieſen durch die klirrenden Bogenfenſter zu gucken ſchienen in der That, ich mußt 'es in dem leiſen Schauer fuͤhlen, der mich durchbebte, daß ein fremdes Reich nun ſichtbarlich und vernehmbar aufgehen koͤnne. Doch dies Gefuͤhl glich dem Froͤſteln, das man bei einer lebhaft dargeſtellten Geſpenſtergeſchichte em¬ pfindet und das man ſo gern hat. Dabei fiel mir ein, daß in keiner guͤnſtigeren Stimmung das Buch zu leſen ſey, das ich, ſo wie damals jeder, der nur irgend dem Romantiſchen ergeben, in der Taſche93 trug. Es war Schillers Geiſterſeher. Ich las und las, und erhitzte meine Fantaſie immer mehr und mehr. Ich kam zu der mit dem maͤchtigſten Zauber ergreifenden Erzaͤhlung von dem Hochzeit¬ feſt bei dem Grafen von V. Gerade wie Jero¬ nimo's blutige Geſtalt eintritt, ſpringt mit einem gewaltigen Schlage die Thuͤr auf, die in den Vorſaal fuͤhrt. Entſetzt fahre ich in die Hoͤhe, das Buch faͤllt mir aus den Haͤnden Aber in demſelben Augenblick iſt alles ſtill und ich ſchaͤme mich uͤber mein kindiſches Erſchrecken! Mag es ſeyn, daß durch die durchſtroͤmende Zugluft, oder auf andere Weiſe die Thuͤr aufgeſprengt wurde. Es iſt nichts meine uͤberreizte Fantaſie bil¬ det jede natuͤrliche Erſcheinung geſpenſtiſch! So beſchwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe mich wieder in den Lehnſtuhl da geht es leiſe und langſam mit abgemeſſenen Tritten quer uͤber den Saal hin, und dazwiſchen ſeufzt und aͤchzt es, und in dieſem Seufzen, dieſem Aechzen liegt der Ausdruck des tiefſten menſchlichen Leidens,94 des troſtloſeſten Jammers Ha! das iſt irgend ein eingeſperrtes krankes Thier im untern Stock. Man kennt ja die akuſtiſche Taͤuſchung der Nacht, die alles entfernt toͤnende in die Naͤhe ruͤckt wer wird ſich nur durch ſo Etwas Grauen erregen laſſen So beſchwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entſetzlichen Angſt der Todesnoth ausgeſtoßen, ſich hoͤren laſſen, an jenem neuen Gemaͤuer. Ja, es iſt ein armes eingeſperrtes Thier ich werde jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tuͤchtig auf den Boden ſtampfen, gleich wird alles ſchweigen, oder das Thier unten ſich deutlicher in ſeinen natuͤr¬ lichen Toͤnen hoͤren laſſen! So denke ich, aber das Blut gerinnt in meinen Adern kalter Schweiß ſteht auf der Stirne, erſtarrt bleib ich im Lehnſtuhle ſitzen, nicht vermoͤgend aufzuſtehen, viel weniger noch zu rufen. Das abſcheuliche Kratzen hoͤrt endlich auf die Tritte laſſen ſich aufs Neue vernehmen Es iſt, als wenn Leben und Re¬ gung in mir erwachte, ich ſpringe auf und trete95 zwei Schritte vor, aber da ſtreicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demſelben Augen¬ blick wirft der Mond ſein helles Licht auf das Bild¬ niß eines ſehr ernſten, beinahe ſchauerlich anzuſe¬ henden Mannes, und als ſaͤusle ſeine warnende Stimme durch das ſtaͤrkere Brauſen der Meeres¬ wellen, durch das gellendere Pfeifen des Nachtwin¬ des, hoͤre ich deutlich: Nicht weiter nicht weiter, ſonſt biſt du verfallen dem entſetzlichen Graus der Geiſterwelt! Nun faͤllt die Thuͤr zu mit demſelben ſtarken Schlage wie zuvor, ich hoͤre die Tritte deutlich auf dem Vorſaal es geht die Treppe hinab die Hauptthuͤr des Schloſſes oͤffnet ſich raſſelnd und wird wieder verſchloſſen. Dann iſt es, als wuͤrde ein Pferd aus dem Stalle gezogen, und nach einer Weile wieder in den Stall zuruͤckgefuͤhrt dann iſt alles ſtill! In dem¬ ſelben Augenblick vernahm ich, wie der alte Gro߬ onkel im Nebengemach aͤngſtlich ſeufzte und ſtoͤhnte, dies gab mir alle Beſinnung wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein. Der Alte ſchien mit96 einem boͤſen, ſchweren Traume zu kaͤmpfen. Er¬ wachen Sie erwachen Sie, rief ich laut, indem ich ihn ſanft bei der Hand faßte und den hellen Kerzenſchein auf ſein Geſicht fallen ließ. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann ſchaute er mich mit freundlichen Augen an und ſprach: Das haſt du gut gemacht, Vetter! daß du mich weckteſt. Ei, ich hatte einen ſehr haͤßlichen Traum, und daran iſt blos hier das Gemach und der Saal Schuld, denn ich mußte dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche denken, was hier ſich begab. Aber nun wollen wir recht tuͤchtig ausſchlafen! Damit huͤllte ſich der Alte in die Decke und ſchien ſofort einzuſchlafen. Als ich die Kerzen ausgeloͤſcht und mich auch ins Bette gelegt hatte, vernahm ich, daß der Alte leiſe betete. Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirth¬ ſchaftsinſpector kam mit den Rechnungen, und Leute meldeten ſich, die irgend einen Streit geſchlichtet, irgend eine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags ging der Großonkel mit mir heruͤber inden97den Seitenfluͤgel, um den beiden alten Baroneſſen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein ſechzigjaͤhriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Muͤtterchen, die ſich das Kam¬ merfraͤulein der gnaͤdigen Herrſchaft nannte, in das Heiligthum gefuͤhrt. Da empfingen uns die alten, nach laͤngſt verjaͤhrter Mode abenteuerlich geputz¬ ten Damen mit komiſchem Ceremoniell, und vor¬ zuͤglich war ich ein Gegenſtand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beiſtehenden Juſtizmann vorſtellte. In ihren Mienen lag es, daß ſie bei meiner Jugend das Wohl des R. .ſittenſchen Unterthanen gefaͤhr¬ det glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte uͤberhaupt viel Laͤcherliches, die Schauer der vergangenen Nacht froͤſtelten aber noch in meinem Innern, ich fuͤhlte mich wie von einer unbekannten Macht beruͤhrt, oder es war mir viel¬ mehr, als habe ich ſchon an den Kreis geſtreift, den zu uͤberſchreiten und rettungslos unterzugehen esG98nur noch eines Schritt's beduͤrfte, als koͤnne nur das Aufbieten aller mir inwohnenden Kraft mich gegen das Entſetzen ſchuͤtzen, das nur dem unheilba¬ ren Wahnſinn zu weichen pflegt. So kam es, daß ſelbſt die alten Baroneſſen in ihren ſeltſamen hoch¬ aufgethuͤrmten Friſuren, in ihren wunderlichen ſtoff¬ nen, mit bunten Blumen und Baͤndern ausſtaffirten Kleidern mir ſtatt laͤcherlich, ganz graulich und ge¬ ſpenſtiſch erſchienen. In den alten gelbverſchrumpften Geſichtern, in den blinzenden Augen wollt 'ich es leſen, in dem ſchlechten Franzoͤſiſch, das halb durch die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die ſpitzen Naſen herausſchnarrte, wollt' ich es hoͤren, wie ſich die Alten mit den unheimlichen, im Schloſſe herumſpukenden Weſen, wenigſtens auf guten Fuß geſetzt haͤtten, und auch wohl ſelbſt Verſtoͤrendes und Entſetzliches zu treiben vermoͤchten. Der Gro߬ onkel, zu allem Luſtigen aufgelegt, verſtrickte mit ſeiner Ironie die Alten in ein ſolches tolles Ge¬ waͤſche, daß ich in anderer Stimmung nicht gewußt haͤtte, wie das ausgelaſſenſte Gelaͤchter in mich99 hineinſchlucken, aber wie geſagt, die Baroneſſen ſammt ihrem Geplapper waren und blieben geſpen¬ ſtiſch, und der Alte, der mir eine beſondere Luſt bereiten wollte, blickte mich einmal uͤbers andere ganz verwundert an. So wie wir nach Tiſche in unſerm Zimmer allein waren, brach er los: Aber, Vetter, ſag mir um des Himmelswillen, was iſt dir? Du lachſt nicht, du ſprichſt nicht, du iſſeſt nicht, du trinkſt nicht? Biſt du krank? oder fehlt es ſonſt woran? Ich nahm jetzt gar kei¬ nen Anſtand ihm alles Grauliche, Entſetzliche, was ich in voriger Nacht uͤberſtanden, ganz ausfuͤhrlich zu erzaͤhlen. Nichts verſchwieg ich, vorzuͤglich auch nicht, das ich viel Punſch getrunken und in Schillers Geiſterſeher geleſen. Bekennen muß ich dies, ſetzte ich hinzu, denn ſo wird es glaub¬ lich, daß meine uͤberreizte arbeitende Fantaſie all die Erſcheinungen ſchuf, die nur innerhalb den Waͤnden meines Gehirns exiſtirten Ich glaubte, daß nun der Großonkel mir derb zuſetzen wuͤrde mit koͤrnigten Spaͤßen uͤber meine Geiſterſeherei,G 2100ſtatt deſſen wurde er ſehr ernſthaft, ſtarrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf ſchnell in die Hoͤhe und ſprach, mich mit dem brennenden Blick ſeiner Augen anſchauend: Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder ſeinem, noch dem Geiſt des Punſches haſt du jenen Geiſterſpuk zu verdan¬ ken. Wiſſe, daß ich daſſelbe, was dir widerfuhr, traͤumte. Ich ſaß, ſo wie du (ſo kam es mir vor), im Lehnſtuhl bei dem Kamin, aber was ſich dir nur in Toͤnen kund gethan, das ſah ich, mit dem innern Auge es deutlich erfaſſend. Ja! ich erblickte den graulichen Unhold, wie er hereintrat, wie er kraft¬ los an die vermauerte Thuͤr ſchlich, wie er in troſtloſer Verzweiflung an der Wand kratzte, daß das Blut unter den zerriſſenen Naͤgeln heraus¬ quoll, wie er dann hinabſtieg, das Pferd aus dem Stalle zog und in den Stall zuruͤckbrachte. Haſt du es gehoͤrt, wie der Hahn im fernen Gehoͤfte des Dorfes kraͤhte? Da weckteſt du mich und ich widerſtand bald dem boͤſen Spuk des entſetzlichen Menſchen, der noch vermag, das heitre Leben101 grauenhaft zu verſtoͤren. Der Alte hielt inne, aber ich mochte nicht fragen, wohlbedenkend, daß er mir alles aufklaͤren werde, wenn er es gerathen finden ſollte. Nach einer Weile, in der er tief in ſich gekehrt da geſeſſen, fuhr der Alte fort: Vet¬ ter, haſt du Muth genug, jetzt nachdem du weißt, wie ſich alles begiebt, den Spuk noch einmal zu beſtehen? und zwar mit mir zuſammen? Es war natuͤrlich, daß ich erklaͤrte, wie ich mich jetzt dazu ganz erkraͤftigt fuͤhle. So wollen wir, ſprach der Alte weiter, in kuͤnftiger Nacht zuſammen wa¬ chen. Eine innere Stimme ſagt mir, daß meiner geiſtigen Gewalt nicht ſowohl, als meinem Muthe, der ſich auf feſtes Vertrauen gruͤndet, der boͤſe Spuk weichen muß, und daß es kein freveliches Beginnen, ſondern ein frommes, tapferes Werk iſt, wenn ich Leib und Leben daran wage, den boͤſen Unhold zu bannen, der hier die Soͤhne aus der Stammburg der Ahnherrn treibt. Doch! von keiner Wagniß iſt ja die Rede, denn in ſolch 'feſtem redlichen Sinn, in ſolch' frommen Vertrauen,102 wie es in mir lebt, iſt und bleibt man ein ſiegrei¬ cher Held. Aber ſollt 'es dennoch Gottes Wille ſeyn, daß die boͤſe Macht mich anzutaſten vermag, ſo ſollſt du, Vetter! es verkuͤnden, daß ich im red¬ lichen chriſtlichen Kampf mit dem Hoͤllengeiſt, der hier ſein verſtoͤrendes Weſen treibt, unterlag! Du! halt dich ferne! dir wird dann nichts geſchehen!

Unter mancherlei zerſtreuenden Geſchaͤften war der Abend herangekommen. Franz hatte, wie geſtern, das Abendeſſen abgeraͤumt und uns Punſch gebracht, der Vollmond ſchien hell durch die glaͤn¬ zenden Wolken, die Meereswellen brauſten und der Nachtwind heulte und ſchuͤttelte die klirrenden Scheiben der Bogenfenſter. Wir zwangen uns, im Innern aufgeregt, zu gleichguͤltigen Geſpraͤ¬ chen. Der Alte hatte ſeine Schlaguhr auf den Tiſch gelegt. Sie ſchlug zwoͤlfe. Da ſprang mit entſetzlichem Krachen die Thuͤr auf und wie geſtern ſchwebten leiſe und langſam Tritte quer durch den Saal und das Aechzen und Seufzen ließ ſich ver¬103 nehmen. Der Alte war verblaßt, aber ſeine Augen erſtrahlten in ungewoͤhnlichem Feuer, er erhob ſich vom Lehnſtuhl, und indem er in ſeiner großen Ge¬ ſtalt, hochaufgerichtet, den linken Arm in die Seite geſtemmt, den rechten weit vorſtreckend nach der Mitte des Saals da ſtand, war er anzuſehen, wie ein gebietender Held. Doch immer ſtaͤrker und vernehmlicher wurde das Seufzen und Aechzen, und nun fing es an abſcheulicher als geſtern an der Wand hin und her zu kratzen. Da ſchritt der Alte vorwaͤrts, gerade auf die zugemauerte Thuͤr los, mit feſten Tritten, daß der Fußboden erdroͤhnte. Dicht vor der Stelle, wo es toller und toller kratz¬ te, ſtand er ſtill und ſprach mit ſtarkem, feierlichem Ton, wie ich ihn nie gehoͤrt: Daniel, Daniel! was machſt du hier zu dieſer Stunde! Da kreiſchte es auf grauenvoll und entſetzlich, und ein dumpfer Schlag geſchah, wie wenn eine Laſt zu Boden ſtuͤrzte. Suche Gnade und Erbarmen vor dem Thron des Hoͤchſten, dort iſt dein Platz! Fort mit dir aus dem Leben, dem du niemals mehr angehoͤ¬104 ren kannſt! So rief der Alte noch gewaltiger als vorher, es war als ginge ein leiſes Gewimmer durch die Luͤfte und erſterbe im Sauſen des Sturms, der ſich zu erheben begann. Da ſchritt der Alte nach der Thuͤr und warf ſie zu, daß es laut durch den oͤden Vorſaal wiederhallte. In ſeiner Sprache, in ſeinen Gebehrden lag etwas uͤbermenſchliches, das mich mit tiefem Schauer erfuͤllte. Als er ſich in den Lehnſtuhl ſetzte, war ſein Blick wie verklaͤrt, er faltete ſeine Haͤnde, er betete im Innern. So mochten einige Minuten vergangen ſeyn, da frug er mit der milden, tief in das Herz dringenden Stimme, die er ſo ſehr in ſeiner Macht hatte: Nun, Vetter? Von Schauer Entſetzen Angſt heiliger Ehrfurcht und Liebe durchbebt ſtuͤrzte ich auf die Kniee und benetzte die mir darge¬ botene Hand mit heißen Thraͤnen. Der Alte ſchloß mich in ſeine Arme, und indem er mich innig an ſein Herz druͤckte, ſprach er ſehr weich: Nun wollen wir auch recht ſanft ſchlafen, lieber Vetter! Es geſchah auch ſo, und als ſich in der folgenden105 Nacht durchaus nichts Unheimliches verſpuͤren ließ, gewannen wir die alte Heiterkeit wieder, zum Nach¬ theil der alten Baroneſſen, die, blieben ſie auch in der That ein wenig geſpenſtiſch, mit ihrem aben¬ teuerlichen Weſen, doch nur ergoͤtzlichen Spuk trie¬ ben, den der Alte auf poſſierliche Weiſe anzuregen wußte.

Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit ſeiner Gemahlin und zahlreichem Jagdge¬ folge, die geladenen Gaͤſte ſammelten ſich und nun ging in dem ploͤtzlich lebendig gewordenen Schloſſe das laute wilde Treiben los, wie es vorhin beſchrie¬ ben. Als der Baron gleich nach ſeiner Ankunft in unſern Saal trat, ſchien er uͤber unſern veraͤnder¬ ten Aufenthalt auf ſeltſame Weiſe befremdet, er warf einen duͤſtern Blick auf die zugemauerte Thuͤr, und ſchnell ſich abwendend, fuhr er mit der Hand uͤber die Stirn, als wolle er irgend eine boͤſe Erinnerung verſcheuchen. Der Groß-Onkel ſprach von der Verwuͤſtung des Gerichtsſaals und der anſtoßenden Gemaͤcher, der Baron tadelte es,106 daß Franz uns nicht beſſer einlogirt habe, und for¬ derte den Alten recht gemuͤthlich auf, doch nur zu gebieten, wenn ihm irgend etwas in dem neuen Gemach, das doch viel ſchlechter ſey, als das, was er ſonſt bewohnt, an ſeiner Bequemlichkeit abginge. Ueberhaupt war das Betragen des Barons gegen den alten Großonkel nicht allein herzlich, ſondern ihm miſchte ſich eine gewiſſe kindliche Ehrfurcht bei, als ſtehe der Baron mit dem Alten in verwandt¬ ſchaftlichem Reſpektsverhaͤltniß. Dies war aber auch das Einzige, was mich mit dem rauhen, ge¬ bieteriſchen Weſen des Barons, das er immer mehr und mehr entwickelte, einigermaßen zu verſoͤhnen vermochte. Mich ſchien er wenig oder gar nicht zu beachten, er ſah in mir den gewoͤhnlichen Schrei¬ ber. Gleich das erſte Mal, als ich eine Verhand¬ lung aufgenommen, wollte er etwas in der Faſſung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf und ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu er¬ wiedern, als der Großonkel das Wort nehmend, verſicherte, daß ich denn nun einmahl alles recht107 nach ſeinem Sinne mache und daß dieſer doch nur hier in gerichtlicher Verhandlung walten koͤnne. Als wir allein waren, beſchwerte ich mich bitter uͤber den Baron, der mir immer mehr im Grunde der Seele zuwider werde. Glaube mir, Vetter! erwiederte der Alte, daß der Baron trotz ſeines unfreundlichen Weſens der vortrefflichſte, gut¬ muͤthigſte Menſch von der Welt iſt. Dieſes Weſen hat er auch, wie ich dir ſchon ſagte, erſt ſeit der Zeit angenommen, als er Majoratsherr wurde, vorher war er ein ſanfter, beſcheidener Juͤngling. Ueberhaupt iſt es denn doch aber nicht mit ihm ſo arg, wie du es machſt, und ich moͤchte wohl wiſſen, warum er dir ſo gar ſehr zuwider iſt. Indem der Alte die letzten Worte ſprach, laͤchelte er recht hoͤh¬ niſch, und das Blut ſtieg mir ſiedend heiß ins Ge¬ ſicht. Mußte mir nun nicht mein Innres recht klar werden, mußte ich es nicht deutlich fuͤhlen, daß jenes wunderliche Haſſen aufkeimte aus dem Lieben, oder vielmehr aus dem Verlieben in ein Weſen, das mir das holdeſte, hochherrlichſte zu108 ſeyn ſchien, was jemahls auf Erden gewandelt? Dieſes Weſen war niemand, als die Baroneſſe ſelbſt. Schon gleich als ſie angekommen und in einem ruſſiſchen Zobelpelz, der knapp anſchloß an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt, durch die Gemaͤcher ſchritt, wirkte ihre Erſcheinung auf mich wie ein maͤchtiger unwiderſtehlicher Zauber. Ja, ſelbſt der Umſtand, daß die alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich ſie noch geſehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre franzoͤſi¬ ſchen Bewillkommungen herſchnatterten, waͤhrend ſie, die Baronin, mit unbeſchreiblich milden Blik¬ ken um ſich her ſchaute, und bald dieſem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem rein toͤnenden Cur¬ laͤndiſchen Dialekt einige deutſche Worte dazwiſchen[floͤtete], ſchon dieſes gab ein wunderbar fremdarti¬ ges Bild, und unwillkuͤrlich reihte die Fantaſie dies Bild an jenen unheimlichen Spuk, und die Baroneſſe wurde der Engel des Lichts, dem ſich die boͤſen geſpenſtiſchen Maͤchte beugen. Die109 wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Gei¬ ſtes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neun¬ zehn Jahre zaͤhlen, ihr Geſicht eben ſo zart, wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der hoͤchſten Engels¬ guͤte, vorzuͤglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein unbeſchreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesſtrahl ging darin eine ſchwermuͤthige Sehn¬ ſucht auf; ſo wie in ihrem holdſeligen Laͤcheln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzuͤcken. Oft ſchien ſie ganz in ſich ſelbſt verloren, und dann gin¬ gen duͤſtre Wolkenſchatten uͤber ihr holdes Antlitz. Man haͤtte glauben ſollen, irgend ein verſtoͤrender Schmerz muͤſſe ſie befangen, mir ſchien es aber, daß wohl die duͤſtere Ahnung einer truͤben, Ungluͤcks¬ ſchwangeren Zukunft es ſey, von der ſie in ſolchen Augenblicken erfaßt werde, und auch damit ſetzte ich auf ſeltſame Weiſe, die ich mir weiter gar nicht zu erklaͤren wußte, den Spuk im Schloſſe in Ver¬ bindung. Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, verſammelte ſich die Geſell¬ ſchaft zum Fruͤhſtuͤck, der Alte ſtellte mich der Ba¬110 roneſſe vor, und wie es in ſolcher Stimmung, wie die meinige war, zu geſchehen pflegt, ich nahm mich unbeſchreiblich albern, indem ich auf die ein¬ fachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schloſſe gefalle u. ſ., mich in die wunderlichſten ſinnloſeſten Reden verfing, ſo daß die alten Tanten meine Verlegenheit wohl lediglich dem profunden Reſpekt vor der Herrin zuſchrieben, ſich meiner huldreich annehmen zu muͤſſen glaubten, und mich in franzoͤſiſcher Sprache als einen ganz artigen und geſchickten jungen Menſchen, als einen garçon très joli anprieſen. Das aͤrgerte mich, und ploͤtz¬ lich mich ganz beherrſchend, fuhr mir ein Witzwort heraus in beſſerem Franzoͤſiſch, als die Alten es ſprachen, worauf ſie mich mit großen Augen an¬ guckten und die langen ſpitzen Naſen reichlich mit Tabak bedienten. An dem ernſteren Blick der Ba¬ roneſſe, mit dem ſie ſich von mir ab zu einer andern Dame wandte, merkte ich, daß mein Witzwort hart an eine Narrheit ſtreifte, das aͤrgerte mich noch mehr, und ich verwuͤnſchte die Alten in den Ab¬111 grund der Hoͤlle. Die Zeit des ſchaͤferiſchen Schmachtens, des Liebesungluͤcks in kindiſcher Selbſtbethoͤrung hatte mir der alte Großonkel laͤngſt weg ironirt, und wohl merkt 'ich, daß die Baronin tiefer und maͤchtiger, als noch bis jetzt eine Frau, mich in meinem innerſten Gemuͤth gefaßt hatte. Ich ſah, ich hoͤrte nur ſie, aber bewußt war ich mir deutlich und beſtimmt, daß es abgeſchmackt, ja wahnſinnig ſeyn wuͤrde, irgend eine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die Unmoͤglichkeit einſah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu ſtaunen und anzubeten, deſſen ich mich ſelbſt haͤtte ſchaͤmen muͤſ¬ ſen. Der herrlichen Frau naͤher zu treten, ohne ihr nur mein inneres Gefuͤhl ahnen zu laſſen, das ſuͤße Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einſaugen und dann fern von ihr, ſie lange, vielleicht immer¬ dar im Herzen tragen, das wollte und konnte ich. Dieſe romantiſche, ja wohl ritterliche Liebe, wie ſie mir aufging in ſchlafloſer Nacht, ſpannte mich dermaßen, daß ich kindiſch genug war, mich ſelbſt auf pathetiſche Weiſe zu haranguiren und zuletzt112 ſehr klaͤglich zu ſeufzen: Seraphine, ach Seraphi¬ ne! ſo daß der Alte erwachte und mir zurief: Vet¬ ter! Vetter! ich glaube du fantaſirſt mit lauter Stimme! Thu's bei Tage, wenn's moͤglich iſt, aber zur Nachtzeit laß mich ſchlafen! Ich war nicht wenig beſorgt, daß der Alte, der ſchon mein aufgeregtes Weſen bei der Ankunft der Baronin wohl bemerkt, den Namen gehoͤrt haben und mich mit ſeinem ſarkaſtiſchen Spott uͤberſchuͤtten werde, er ſagte am andern Morgen aber nichts weiter, als bei dem Hineingehen in den Gerichtsſaal: Gott gebe Je¬ dem gehoͤrigen Menſchenverſtand und Sorglichkeit ihn in gutem Verſchluß zu halten. Es iſt ſchlimm, mir nichts dir nichts ſich in einen Haſenfuß umzu¬ ſetzen. Hierauf nahm er Platz an dem großen Tiſch und ſprach: Schreibe fein deutlich, lieber Vetter! damit ich's ohne Anſtoß zu leſen vermag.

Die Hochachtung, ja die kindliche Ehrfurcht, die der Baron meinem alten Großonkel erzeigte, ſprach ſich in Allem aus. So mußte er auch beiTiſche113Tiſche den ihm von vielen beneideten Platz neben der Baroneſſe einnehmen, mich warf der Zufall bald hier bald dorthin, doch pflegten gewoͤhnlich ein paar Offiziere aus der nahen Hauptſtadt mich in Beſchlag zu nehmen, um ſich uͤber alles Neue und Luſtige, was dort geſchehen, recht auszuſprechen und dabei wacker zu trinken. So kam es, daß ich mehrere Tage hindurch, ganz fern von der Ba¬ roneſſe, am untern Ende des Tiſches ſaß, bis mich endlich ein Zufall in ihre Naͤhe brachte. Als der ver¬ ſammelten Geſellſchaft der Eßſaal geoͤffnet wurde, hatte mich gerade die Geſellſchafterin der Baronin, ein nicht mehr ganz junges Fraͤulein, aber ſonſt nicht haͤßlich und nicht ohne Geiſt, in ein Geſpraͤch verwickelt, das ihr zu behagen ſchien. Der Sitte gemaͤß mußte ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut war ich, als ſie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich zunickte. Man kann denken, daß nun alle Worte, die ich ſprach, nicht mehr der Nachbarin allein, ſondern hauptſaͤch¬ lich der Baronin galten. Mag es ſeyn, daß meineH114innere Spannung Allem, was ich ſprach, einen beſondern Schwung gab, genug, das Fraͤulein wurde aufmerkſamer und aufmerkſamer, ja zuletzt unwiderſtehlich hineingezogen in die bunte Welt ſtets wechſelnder Bilder, die ich ihr aufgehen ließ. Sie war, wie geſagt, nicht ohne Geiſt, und ſo geſchah es bald, daß unſer Geſpraͤch, ganz unab¬ haͤngig von den vielen Worten der Gaͤſte, die hin und her ſtreiften, auf ſeine eigene Hand lebte und dorthin, wohin ich es haben wollte, einige Blitze ſandte. Wohl merkt 'ich nemlich, daß das Fraͤulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf, und daß dieſe ſich muͤhte uns zu hoͤren. Vorzuͤglich war dies der Fall, als ich, da das Geſpraͤch ſich auf Muſik gewandt, mit voller Begeiſterung von der herrlichen, heiligen Kunſt ſprach und zuletzt nicht verheelte, daß ich, trockner, langweiliger Ju¬ riſterei, der ich mich ergeben, unerachtet, den Fluͤ¬ gel mit ziemlicher Fertigkeit ſpiele, ſinge und auch wohl ſchon manches Lied geſetzt habe Man war in den andern Saal getreten, um Kaffee und115 Liqueure zu nehmen, da ſtand ich unverſehens, ſelbſt wußte ich nicht wie, vor der Baronin, die mit dem Fraͤulein geſprochen. Sie redete mich ſogleich an, indem ſie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem Bekannten ſpricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schloſſe zuſage u. ſ., wiederholte. Ich verſicherte, daß in den erſten Tagen die ſchauerliche Oede der Umgebung, ja ſelbſt das alterthuͤmliche Schloß mich ſeltſam geſtimmt habe, daß aber eben in dieſer Stimmung viel Herr¬ liches aufgegangen und daß ich nur wuͤnſche, der wilden Jagden, an die ich nicht gewoͤhnt, uͤberho¬ ben zu ſeyn. Die Baronin laͤchelte, indem ſie ſprach: Wohl kann ich's mir denken, daß Ihnen das wuͤſte Treiben in unſern Foͤhrenwaͤldern nicht eben behaglich ſeyn kann. Sie ſind Muſiker, und taͤuſcht mich nicht Alles, gewiß auch Dichter! Mit Leidenſchaft liebe ich beide Kuͤnſte! ich ſpiele ſelbſt etwas die Harfe, das muß ich nun in R. .ſit¬ ten entbehren, denn mein Mann mag es nicht, daß ich das Inſtrument mitnehme, deſſen ſanftes GetoͤnH 2116ſchlecht ſich ſchicken wuͤrde zu dem wilden Halloh, zu dem gellenden Hoͤrnergetoͤſe der Jagd, das ſich hier nur hoͤren laſſen ſoll! O mein Gott! wie wuͤrde mich hier Muſik erfreun! Ich verſicherte, daß ich meine ganze Kunſt aufbieten werde, ihren Wunſch zu erfuͤllen, da es doch im Schloſſe unbe¬ zweifelt ein Inſtrument, ſey es auch nur ein alter Fluͤgel, geben werde. Da lachte aber Fraͤulein Adelheid (der Baronin Geſellſchafterin) hell auf und frug, ob ich denn nicht wiſſe, daß ſeit Men¬ ſchen Gedenken im Schloſſe keine andern Inſtru¬ mente gehoͤrt worden, als kraͤchzende Trompeten, im Jubel lamentirende Hoͤrner der Jaͤger und hei¬ ſere Geigen, verſtimmte Baͤſſe, meckernde Hoboen herumziehender Muſikanten. Die Baronin hielt den Wunſch, Muſik und zwar mich zu hoͤren, feſt, und beide, ſie und Adelheid, erſchoͤpften ſich in Vorſchlaͤgen, wie ein leidliches Fortepiano her¬ beigeſchafft werden koͤnne. In dem Augenblick ſchritt der alte Franz durch den Saal. Da haben wir den, der fuͤr alles guten Rath weiß, der alles117 herbeiſchafft, ſelbſt das Unerhoͤrte und Ungeſehene! Mit dieſen Worten rief ihn Fraͤulein Adelheid heran und indem ſie ihm begreiflich machte, worauf es an¬ komme, horchte die Baronin mit gefalteten Haͤn¬ den, mit vorwaͤrts gebeugtem Haupt, dem Alten mit mildem Laͤcheln ins Auge blickend, zu. Gar anmuthig war ſie anzuſehen, wie ein holdes, lieb¬ liches Kind, das ein erſehntes Spielzeug nur gar zu gern ſchon in Haͤnden haͤtte. Franz, nachdem er in ſeiner weitlaͤufigen Manier mehrere Urſachen hergezaͤhlt hatte, warum es denn ſchier unmoͤglich ſey, in der Geſchwindigkeit ſolch ein rares Inſtru¬ ment herbeizuſchaffen, ſtrich ſich endlich mit behag¬ lichem Schmunzeln den Bart und ſprach: Aber die Frau Wirthſchaftsinſpectorin druͤben im Dorfe ſchlaͤgt ganz ungemein geſchickt das Clavizimbel, oder wie ſie es jetzt nennen mit dem auslaͤndiſchen Namen, und ſingt dazu ſo fein und lamentabel, daß einem die Augen roth werden, wie von Zwie¬ beln und man huͤpfen moͤchte mit beiden Beinen Und beſitzt ein Fortepiano! fiel Fraͤulein Adel¬118 heid ihm in die Rede. Ei freilich, fuhr der Alte fort, direkt aus Dresden iſt es gekommen ein O das iſt herrlich, unterbrach ihn die Baronin. ein ſchoͤnes Inſtrument, ſprach der Alte weiter, aber ein wenig ſchwaͤchlich, denn als der Organiſt neulich das Lied: In allen meinen Thaten, darauf ſpielen wollte, ſchlug er alles in Grund und Boden, ſo daß O mein Gott, riefen beide, die Baronin und Fraͤulein Adelheid, ſo daß, fuhr der Alte fort, es mit ſchweren Koſten nach R geſchafft und dort reparirt wer¬ den mußte. Iſt es denn nun wieder hier, frug Fraͤulein Adelheid ungeduldig. Ei freilich, gnaͤdiges Fraͤulein! und die Frau Wirthſchaftsinſpec¬ torin wird es ſich zur Ehre rechnen In dieſem Au¬ genblick ſtreifte der Baron voruͤber, er ſah ſich wie befremdet nach unſerer Gruppe um und fluͤſterte ſpoͤttiſch laͤchelnd der Baronin zu: muß Franz wie¬ der guten Rath ertheilen? Die Baronin ſchlug er¬ roͤthend die Augen nieder, und der alte Franz ſtand erſchrocken abbrechend, den Kopf gerade gerichtet,119 die herabhaͤngenden Arme dicht an den Leib gedruͤckt, in ſoldatiſcher Stellung da. Die alten Tanten ſchwammen in ihren ſtoffnen Kleidern auf uns zu und entfuͤhrten die Baronin. Ihr folgte Fraͤu¬ lein Adelheid. Ich war wie bezaubert ſtehen geblieben. Entzuͤcken, daß ich nun ihr, der Angebeteten, die mein ganzes Weſen beherrſchte, mich nahen werde, kaͤmpfte mit duͤſterm Mißmuth und Aerger uͤber den Baron, der mir als ein rauher Deſpot erſchien. War er dies nicht, durfte dann wohl der alte eis¬ graue Diener ſo ſklaviſch ſich benehmen? Hoͤrſt du, ſieh'ſt du endlich, rief der Großonkel mir auf die Schulter klopfend; wir gingen hinauf in unſer Gemach. Draͤnge dich nicht ſo an die Ba¬ ronin, ſprach er, als wir angekommen, wozu ſoll das, uͤberlaß es den jungen Gecken, die gern den Hof machen und an denen es ja nicht man¬ gelt. Ich erzaͤhlte, wie alles gekommen und forderte ihn auf mir nun zu ſagen: ob ich ſeinen Vorwurf verdiene, er erwiederte aber darauf nichts als: Hm hm zog den Schlafrock an,120 ſetzte ſich mit angezuͤndeter Pfeife in den Lehnſtuhl und ſprach von den Ereigniſſen der geſtrigen Jagd, mich foppend uͤber meine Fehlſchuͤſſe. Im Schloſſe war es ſtill geworden, Herren und Damen beſchaͤf¬ tigten ſich in ihren Zimmern mit dem Putz fuͤr die Nacht. Jene Muſikanten mit den heiſern Geigen, mit den verſtimmten Baͤſſen und den meckernden Hoboen, von denen Fraͤulein Adelheid geſprochen, waren nemlich angekommen und es ſollte fuͤr die Nacht nichts geringeres geben, als einen Ball in beſtmoͤglichſter Form. Der Alte, den ruhigen Schlaf ſolch faſelndem Treiben vorziehend, blieb in ſeinem Gemach, ich hingegen hatte mich eben zum Ball gekleidet, als es leiſe an unſere Thuͤr klopfte und Franz hineintrat, der mir mit behaglichem Laͤ¬ cheln verkuͤndete, daß ſo eben das Clavizimbel von der Frau Wirthſchaftsinſpektorin in einem Schlitten angekommen und zur gnaͤdigen Frau Baronin ge¬ tragen worden ſey. Fraͤulein Adelheid ließe mich einladen nur gleich heruͤber zu kommen. Man kann denken, wie mir alle Pulſe ſchlugen, mit121 welchem innern ſuͤßen Erbeben ich das Zimmer oͤff¬ nete, in dem ich ſie fand. Fraͤulein Adelheid kam mir freudig entgegen. Die Baronin, ſchon zum Ball voͤllig geputzt, ſaß ganz nachdenklich vor dem geheimnißvollen Kaſten, in dem die Toͤne ſchlum¬ mern ſollten, die zu wecken ich berufen. Sie ſtand auf, ſo in vollem Glanz der Schoͤnheit ſtrah¬ lend, daß ich keines Wortes maͤchtig ſie anſtarrte. Nun Theodor (nach der gemuͤthlichen Sitte des Nordens, die man im tieferen Suͤden wiederfindet, nannte ſie jeden bei ſeinem Vornamen), Nun, Theo¬ dor, ſprach ſie freundlich, das Inſtrument iſt ge¬ kommen, gebe der Himmel, daß es ihrer Kunſt nicht ganz unwuͤrdig ſeyn moͤge. So wie ich den Deckel oͤffnete, rauſchten mir eine Menge geſprungener Sai¬ ten entgegen, und ſo wie ich einen Akkord griff, klang es, da alle Saiten, die noch ganz geblieben, durchaus verſtimmt waren, widrig und abſcheulich. Der Organiſt iſt wieder mit ſeinen zarten Haͤnd¬ chen druͤber her geweſen, rief Fraͤulein Adelheid lachend, aber die Baronin ſprach ganz mißmuthig:122 das iſt denn doch ein rechtes Ungluͤck! ach, ich ſoll denn hier nun einmal keine Freude haben! Ich ſuchte in dem Behaͤlter des Inſtruments und fand gluͤcklicher Weiſe einige Rollen Saiten, aber durchaus keinen Stimmhammer! Neue Kla¬ gen! Jeder Schluͤſſel, deſſen Bart in die Wir¬ bel paſſe, koͤnne gebraucht werden, erklaͤrte ich; da liefen beide, die Baronin und Fraͤulein Adel¬ heid, freudig hin und wieder, und nicht lange dauerte es, ſo lag ein ganzes Magazin blanker Schluͤſſelchen vor mir auf dem Reſonanzboden.

Nun machte ich mich emſig druͤber her Fraͤulein Adelheid, die Baronin ſelbſt muͤhte ſich mir beizuſtehen, dieſen jenen Wirbel probirend Da zieht einer den traͤgen Schluͤſſel an, es geht, es geht! riefen ſie freudig Da rauſcht die Saite, die ſich ſchier bis zur Reinheit herange¬ aͤchzt, geſprungen auf und erſchrocken fahren ſie zuruͤck! Die Baronin handthiert mit den klei¬ nen zarten Haͤndchen in den ſproͤden Drathſaiten,123 ſie reicht mir die Nummern, die ich verlange, und haͤlt ſorgſam die Rolle, die ich abwickle; ploͤtzlich ſchnurrt eine auf, ſo daß die Baronin ein ungedul¬ diges Ach! ausſtoͤßt Fraͤulein Adelheid lacht laut auf, ich verfolge den verwirrten Knaͤuel bis in die Ecke des Zimmers, und wir alle ſuchen aus ihm noch eine gerade unzerknickte Saite herauszuziehen, die dann aufgezogen zu unſerm Leidweſen wieder ſpringt aber endlich endlich ſind gute Rollen gefunden, die Saiten fangen an zu ſtehen und aus dem mißtoͤnigen Sumſen gehen allmaͤhlig klare, reine Akkorde hervor! Ach es gluͤckt, es gluͤckt

das Inſtrument ſtimmt ſich! ruft die Baro¬ nin, indem ſie mich mit holdem Laͤcheln anblickt!

Wie ſchnell vertrieb dies gemeinſchaftliche Muͤ¬ hen alles Fremde, Nuͤchterne, das die Convenienz hinſtellt; wie ging unter uns eine heimiſche Ver¬ traulichkeit auf, die, ein elektriſcher Hauch mich durchgluͤhend, die verzagte Beklommenheit, welche wie Eis auf meiner Bruſt lag, ſchnell wegzehrte. Jener ſeltſame Pathos, wie ihn ſolche Verliebtheit,124 wie die meinige, wohl erzeugt, hatte mich ganz verlaſſen und ſo kam es, daß, als nun endlich das Pianoforte leidlich geſtimmt war, ich, ſtatt, wie ich gewollt, meine innern Gefuͤhle in Fantaſien recht laut werden zu laſſen, in jene ſuͤße liebliche Canzo¬ netten verfiel, wie ſie aus dem Suͤden zu uns her¬ uͤber geklungen. Waͤhrend dieſer Senza di te dieſer: Sentimi idol mio, dieſer Almen se non poss'io und hundert morir mi sento's und Addio's und Oh dio's wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke. Sie hatte ſich dicht neben mir an das Inſtrument geſetzt, ich fuͤhlte ihren Athem an meiner Wange ſpielen; indem ſie ihren Arm hinter mir auf die Stuhllehne ſtuͤtzte, fiel ein weißes Band, das ſich von dem zierlichen Ballkleide losgeneſſelt, uͤber meine Schulter und flatterte von meinen Toͤnen, von Seraphinens leiſen Seufzern beruͤhrt hin und her, wie ein getreuer Liebesbote! Es war zu verwundern, daß ich den Verſtand behielt! Als ich mich auf irgend ein neues Lied beſinnend in den Akkorden herumfuhr, ſprang125 Fraͤulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers geſeſſen, herbei, kniete vor der Baronin hin, und bat, ihre beide Haͤnde erfaſſend und an die Bruſt druͤckend: O liebe Baronin Seraphinchen, nun mußt du auch ſingen! Die Baronin erwiederte: Wo denkſt du aber auch hin, Adelheid! wie mag ich mich denn vor unſerm Virtuoſen da mit mei¬ ner elenden Singerei hoͤren laſſen! Es war lieblich anzuſchauen, wie ſie, gleich einem fromm¬ verſchaͤmten Kinde, die Augen niederſchlagend und hocherroͤthend mit der Luſt und mit der Scheu kaͤmpfte. Man kann denken, wie ich ſie anfleh¬ te, und, als ſie kleine kurlaͤndiſche Volkslieder er¬ waͤhnte, nicht nachließ, bis ſie mit der linken Hand heruͤberlangend einige Toͤne auf dem Inſtrument verſuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am Inſtrument, ſie ließ es aber nicht zu, indem ſie verſicherte, daß ſie nicht eines einzi¬ gen Akkordes maͤchtig ſey, und daß eben deshalb ihr Geſang ohne Begleitung ſehr mager und unſicher klingen werde. Nun fing ſie mit zarter, glocken¬126 reiner, tief aus dem Herzen toͤnender Stimme ein Lied an, deſſen einfache Melodie ganz den Charak¬ ter jener Volkslieder trug, die ſo klar aus dem In¬ nern herausleuchten, daß wir in dem hellen Schein, der uns umfließt, unſere hoͤhere poetiſche Natur erkennen muͤſſen. Ein geheimnißvoller Zauber liegt in den unbedeutenden Worten des Textes, der zur Hieroglyphe des Unausſprechlichen wird, von dem unſere Bruſt erfuͤllt. Wer denkt nicht an jene ſpa¬ niſche Canzonetta, deren Inhalt den Worten nach nicht viel mehr iſt, als: Mit meinem Maͤdchen ſchifft 'ich auf dem Meer, da wurd' es ſtuͤrmiſch, und mein Maͤdchen wankte furchtſam hin und her. Nein! nicht ſchiff 'ich wieder mit meinem Maͤd¬ chen auf dem Meer! So ſagte der Baronin Liedlein nichts weiter: Juͤngſt tanzt' ich mit meinem Schatz auf der Hochzeit, da fiel mir eine Blume aus dem Haar, die hob er auf, und gab ſie mir und ſprach: Wenn, mein Maͤdchen, gehn wir wieder zur Hochzeit? Als ich bei der zweiten Strophe dies Liedchen in harpeggirenden Akkorden begleitete,127 als ich in der Begeiſterung, die mich erfaßt, die Melo¬ dien der folgenden Lieder gleich von den Lippen der Ba¬ ronin wegſtahl, da erſchien ich ihr und der Fraͤulein Adelheid wie der groͤßte Meiſter der Tonkunſt, ſie uͤberhaͤuften mich mit Lobſpruͤchen. Die angezuͤndeten Lichter des Ballſaals im Seitenfluͤgel brannten hin¬ ein in das Gemach der Baronin, und ein mißtoͤni¬ ges Geſchrei von Trompeten und Hoͤrnern verkuͤn¬ dete, daß es Zeit ſey, ſich zum Ball zu verſam¬ meln. Ach, nun muß ich fort, rief die Baro¬ nin, ich ſprang auf vom Inſtrument. Sie haben mir eine herrliche Stunde bereitet es waren die heiterſten Momente, die ich jemals hier in R. .ſit¬ ten verlebte. Mit dieſen Worten reichte mir die Baronin die Hand; als ich ſie im Rauſch des hoͤch¬ ſten Entzuͤckens an die Lippen druͤckte, fuͤhlte ich ihre Finger heftig pulſirend an meiner Hand an¬ ſchlagen! Ich weiß nicht, wie ich in des Großon¬ kels Zimmer, wie ich dann in den Ballſaal kam. Jener Gaskogner fuͤrchtete die Schlacht, weil jede Wunde ihm toͤdtlich werden muͤſſe, da er ganz128 Herz ſey! Ihm mochte ich, ihm mag jeder in meiner Stimmung gleichen! jede Beruͤhrung wird toͤdtlich. Der Baronin Hand, die pulſirenden Finger hatten mich getroffen wie vergiftete Pfeile, mein Blut brannte in den Adern! Ohne mich gerade auszufragen, hatte der Alte am andern Morgen doch bald die Geſchichte des mit der Ba¬ ronin verlebten Abends heraus, und ich war nicht wenig betreten, als er, der mit lachendem Munde und heitrem Tone geſprochen, ploͤtzlich ſehr ernſt wurde und anfing: Ich bitte dich, Vetter, wi¬ derſtehe der Narrheit, die dich mit aller Macht er¬ griffen! Wiſſe, daß dein Beginnen, ſo harm¬ los wie es ſcheint, die entſetzlichſten Folgen haben kann, du ſtehſt in achtloſem Wahnſinn auf duͤnner Eisdecke, die bricht unter dir ehe du dich es ver¬ ſiehſt und du plumpſt hinein. Ich werde mich huͤ¬ ten, dich am Rockſchoß feſtzuhalten, denn ich weiß, du rappelſt dich ſelbſt wieder heraus und ſprichſt zum Tode erkrankt: das bischen Schnupfen bekam ich im Traume, aber ein boͤſes Fieber wird zehrenan129an deinem Lebensmark, und Jahre werden hinge¬ hen, ehe du dich ermannſt. Hol der Teufel deine Muſik, wenn du damit nichts beſſeres anzu¬ fangen weißt, als empfindelnde Weiber hinauszu¬ trompeten aus friedlicher Ruhe. Aber, unter¬ brach ich den Alten, kommt es mir denn in den Sinn, mich bei der Baronin einzuliebeln? Affe! rief der Alte, wuͤßt 'ich das, ſo wuͤrfe ich dich hier durchs Fenſter! Der Baron unterbrach das peinliche Geſpraͤch, und das beginnende Geſchaͤft riß mich auf aus der Liebestraͤumerei, in der ich nur Seraphinen ſah und dachte. In der Geſellſchaft ſprach die Baronin nur dann und wann mit mir ei¬ nige freundliche Worte, aber beinahe kein Abend verging, daß nicht heimliche Botſchaft kam von Fraͤu¬ lein Adelheid, die mich hinrief zu Seraphinen. Bald geſchah es, daß mannigfache Geſpraͤche mit der Mu¬ ſik wechſelten. Fraͤulein Adelheid, die beinahe nicht jung genug war, um ſo naiv und drollig zu ſeyn, ſprang mit allerley luſtigem und etwas konfuſem Zeuge dazwiſchen, wenn ich und Seraphine uns zuI130vertiefen begannen in ſentimentale Ahnungen und Traͤumereien. Aus mancher Andeutung mußt 'ich bald erfahren, daß der Baronin wirklich irgend etwas Ver¬ ſtoͤrendes im Sinn liege, wie ich es gleich, als ich ſie zum erſten Male ſah, in ihrem Blick zu leſen glaubte, und die feindliche Wirkung des Hausge¬ ſpenſtes ging mir ganz klar auf. Irgend etwas Entſetzliches war oder ſollte geſchehen. Wie oft draͤngte es mich, Seraphinen zu erzaͤhlen, wie mich der unſichtbare Feind beruͤhrt, und wie ihn der Alte, gewiß fuͤr immer, gebannt habe, aber eine mir ſelbſt unerklaͤrliche Scheu feſſelte mir die Zunge im Au¬ genblick als ich reden wollte.

Eines Tages fehlte die Baronin bei der Mit¬ tagstafel; es hieß, ſie kraͤnkle, und koͤnne das Zim¬ mer nicht verlaſſen. Theilnehmend frug man den Baron, ob das Uebel von Bedeutung ſey. Er laͤ¬ chelte auf fatale Art, recht wie bitter hoͤhnend, und ſprach: Nichts als ein leichter Katarrh, den ihr die rauhe Seeluft zugeweht, die nun einmal hier kein ſuͤßes Stimmchen duldet, und keine andern Toͤne131 leidet, als das derbe Halloh der Jagd. Bei dieſen Worten warf der Baron mir, der ihm ſchraͤg uͤber ſaß, einen ſtechenden Blick zu. Nicht zu dem Nachbar, zu mir hatte er geſprochen. Fraͤulein Adelheid, die neben mir ſaß, wurde blutroth; vor ſich hin auf den Teller ſtarrend und mit der Gabel darauf herumkritzelnd lispelte ſie: Und noch heute ſiehſt du Seraphinen, und noch heute werden deine ſuͤßen Liederchen beruhigend ſich an das kranke Herz legen. Auch Adelheid ſprach dieſe Worte fuͤr mich, aber in dem Augenblick war es mir, als ſtehe ich mit der Baronin in unlauterm verbotenem Lie¬ besverhaͤltniß, das nur mit dem Entſetzlichen, mit einem Verbrechen, endigen koͤnne. Die Warnun¬ gen des Alten fielen mir ſchwer aufs Herz. Was ſollte ich beginnen! Sie nicht mehr ſehen? Das war, ſo lange ich im Schloſſe blieb, unmoͤglich, und durfte ich auch das Schloß verlaſſen, und nach K. zuruͤckgehen, ich vermochte es nicht. Ach! nur zu ſehr fuͤhlt 'ich, daß ich nicht ſtark genug war, mich ſelbſt aufzuruͤtteln aus dem Traum, der michJ 2132mit fantaſtiſchem Liebesgluͤck neckte. Adelheid er¬ ſchien mir beinahe als gemeine Kupplerin, ich wollte ſie deshalb verachten und doch, mich wieder be¬ ſinnend, mußte ich mich meiner Albernheit ſchaͤmen. Was geſchah in jenen ſeligen Abendſtunden, das nur im mindeſten ein naͤheres Verhaͤltniß mit Seraphi¬ nen, als Sitte und Anſtand es erlaubten, herbei¬ fuͤhren konnte? Wie durfte es mir einfallen, daß die Baronin irgend etwas fuͤr mich fuͤhlen ſollte, und doch war ich von der Gefahr meiner Lage uͤber¬ zeugt! Die Tafel wurde zeitiger aufgehoben, weil es noch auf Woͤlfe gehen ſollte, die ſich in dem Foͤhrenwalde, ganz nahe dem Schloſſe, hatten blicken laſſen. Die Jagd war mir recht in meiner aufge¬ regten Stimmung, ich erklaͤrte dem Alten, mitziehn zu wollen, er laͤchelte mich zufrieden an, ſprechend: das iſt brav, daß du auch einmal dich herausmachſt, ich bleibe heim, du kannſt meine Buͤchſe nehmen, und ſchnalle auch meinen Hirſchfaͤnger um, im Fall der Noth iſt das eine gute ſichre Waffe, wenn man nur gleichmuͤthig bleibt. Der Theil des Waldes,133 in dem die Woͤlfe lagern mußten, wurde von den Jaͤgern umſtellt. Es war ſchneidend kalt, der Wind heulte durch die Foͤhren, und trieb mir die hellen Schneeflocken ins Geſicht, daß ich, als nun vollends die Daͤmmerung einbrach, kaum ſechs Schritte vor mir hinſchauen konnte. Ganz er¬ ſtarrt verließ ich den mir angewieſenen Platz, und ſuchte Schutz tiefer im Walde. Da lehnte ich an einen Baum, die Buͤchſe unterm Arm. Ich vergaß die Jagd, meine Gedanken trugen mich fort zu Seraphinen ins heimiſche Zimmer. Ganz entfernt fielen Schuͤſſe, in demſelben Moment rauſchte es im Roͤhricht, und nicht zehn Schritte von mir erblickte ich einen ſtarken Wolf, der voruͤ¬ ber rennen wollte. Ich legte an, druͤckte ab, ich hatte gefehlt, das Thier ſprang mit gluͤhen¬ den Augen auf mich zu, ich war verloren, hatte ich nicht Beſonnenheit genug, das Jagdmeſſer herauszureißen, das ich dem Thier, als es mich packen wollte, tief in die Gurgel ſtieß, ſo daß das Blut mir uͤber Hand und Arm ſpritzte. Ei¬134 ner von den Jaͤgern des Barons, der mir unfern geſtanden, kam nun mit vollem Geſchrey heran¬ gelaufen, und auf ſeinen wiederholten Jagdruf ſammelten ſich alle um uns. Der Baron eilte auf mich zu: Um des Himmels willen. Sie bluten? Sie bluten Sie ſind verwundet? Ich verſicherte das Gegentheil; da fiel der Baron uͤber den Jaͤger her, der mir der naͤchſte geſtanden, und uͤberhaͤufte ihn mit Vorwuͤrfen, daß er nicht nachgeſchoſſen, als ich gefehlt, und, unerachtet die¬ ſer verſicherte, daß das gar nicht moͤglich geweſen, weil in derſelben Sekunde der Wolf auf mich zugeſtuͤrzt, ſo daß jeder Schuß mich haͤtte treffen koͤnnen, ſo blieb doch der Baron dabei, daß er mich, als einen minder erfahrnen Jaͤger, in be¬ ſondere Obhut haͤtte nehmen ſollen. Unterdeſſen hatten die Jaͤger das Thier aufgehoben, es war das groͤßte der Art, das ſich ſeit langer Zeit hatte ſehen laſſen, und man bewunderte allgemein mei¬ nen Muth und meine Entſchloſſenheit, unerachtet mir mein Benehmen ſehr natuͤrlich ſchien, und ich135 in der That an die Lebensgefahr, in der ich ſchwebte, gar nicht gedacht hatte. Vorzuͤglich be¬ wies ſich der Baron theilnehmend, er konnte gar nicht aufhoͤren zu fragen, ob ich, ſey ich auch nicht von der Beſtie verwundet, doch nichts von den Folgen des Schrecks fuͤrchte. Es ging zuruͤck nach dem Schloſſe, der Baron faßte mich, wie einen Freund, unter den Arm, die Buͤchſe mußte ein Jaͤger tragen. Er ſprach noch immer von meiner heroiſchen That, ſo daß ich am Ende ſelbſt an meinen Heroismus glaubte, alle Befangenheit verlor, und mich ſelbſt dem Baron gegenuͤber als ein Mann von Muth und ſeltener Entſchloſſenheit feſtgeſtellt fuͤhlte. Der Schulknabe hatte ſein Exa¬ men gluͤcklich beſtanden, war kein Schulknabe mehr, und alle demuͤthige Aengſtlichkeit des Schul¬ knaben war von ihm gewichen. Erworben ſchien mir jetzt das Recht, mich um Seraphinens Gunſt zu muͤhen. Man weiß ja, welcher albernen Zu¬ ſammenſtellungen die Fantaſie eines verliebten Juͤnglings faͤhig iſt. Im Schloſſe, am Kamin136 bei dem rauchenden Punſchnapf, blieb ich der Held des Tages; nur der Baron ſelbſt hatte außer mir noch einen tuͤchtigen Wolf erlegt, die uͤbrigen mußten ſich begnuͤgen, ihre Fehlſchuͤſſe dem Wet¬ ter der Dunkelheit zuzuſchreiben, und grau¬ liche Geſchichten von ſonſt auf der Jagd erlebtem Gluͤck und uͤberſtandener Gefahr zu erzaͤhlen. Von dem Alten glaubte ich nun gar ſehr gelobt und bewundert zu werden; mit dieſem Anſpruch er¬ zaͤhlte ich ihm mein Abenteuer ziemlich breit, und vergaß nicht, das wilde, blutduͤrſtige Anſehn der wilden Beſtie mit recht grellen Farben auszu¬ malen. Der Alte lachte mir aber ins Geſicht, und ſprach: Gott iſt maͤchtig in den Schwa¬ chen!

Als ich des Trinkens, der Geſellſchaft uͤberdruͤſ¬ ſig, durch den Corridor nach dem Gerichtsſaal ſchlich, ſah ich vor mir eine Geſtalt, mit dem Licht in der Hand, hineinſchluͤpfen. In den Saal tretend erkannte ich Fraͤulein Adelheid. Muß man nicht umher irren wie ein Geſpenſt, wie ein Nacht¬137 wandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjaͤger, auf¬ zufinden! So lispelte ſie mir zu, indem ſie mich bei der Hand ergriff. Die Worte: Nacht¬ wandler Geſpenſt, fielen mir, hier an dieſem Orte ausgeſprochen, ſchwer aufs Herz; augenblick¬ lich brachten ſie mir die geſpenſtiſchen Erſcheinun¬ gen jener beiden graulichen Naͤchte in Sinn und Gedanken, wie damals heulte der Seewind in tiefen Orgeltoͤnen heruͤber, es knatterte und pfiff ſchauerlich durch die Bogenfenſter, und der Mond warf ſein bleiches Licht gerade auf die geheimni߬ volle Wand, an der ſich das Kratzen vernehmen ließ. Ich glaubte Blutflecke daran zu erkennen. Fraͤulein Adelheid mußte, mich noch immer bei der Hand haltend, die Eiskaͤlte fuͤhlen, die mich durch¬ ſchauerte. Was iſt Ihnen, was iſt Ihnen ſprach ſie leiſe, Sie erſtarren ja ganz? Nun ich will Sie ins Leben rufen. Wiſſen Sie wohl, daß die Baronin es gar nicht erwarten kann. Sie zu ſe¬ hen? Eher glaubt ſie nicht, daß der boͤſe Wolf Sie wirklich nicht zerbiſſen hat. Sie aͤngſtigt ſich138 unglaublich! Ey, ey, mein Freund, was haben Sie mit Seraphinchen angefangen! Noch niemals habe ich ſie ſo geſehen. Hu! wie jetzt der Puls anfaͤngt zu prickeln! wie der todte Herr ſo ploͤtz¬ lich erwacht iſt! Nein, kommen Sie fein leiſe wir muͤſſen zur kleinen Baronin! Ich ließ mich ſchweigend fortziehen; die Art, wie Adel, heid von der Baronin ſprach, ſchien mir unwuͤrdig, und vorzuͤglich die Andeutung des Verſtaͤndniſſes zwiſchen uns gemein. Als ich mit Adelheid ein¬ trat, kam Seraphine mir mit einem leiſen Ach! drey vier Schritte raſch entgegen, dann blieb ſie, wie ſich beſinnend, mitten im Zimmer ſtehen, ich wagte, ihre Hand zu ergreifen, und ſie an meine Lippen zu druͤcken. Die Baronin ließ ihre Hand in der meinigen ruhen, indem ſie ſprach: Aber mein Gott, iſt es denn ihres Berufs, es mit Woͤlfen aufzunehmen? Wiſſen Sie denn nicht, daß Orpheus, Amphions fabelhafte Zeit, laͤngſt voruͤber iſt, und daß die wilden Thiere allen Re¬ ſpekt vor den vortrefflichſten Saͤngern ganz ver¬139 loren haben? Dieſe anmuthige Wendung, mit der die Baronin ihrer lebhaften Theilnahme ſo¬ gleich alle Mißdeutung abſchnitt, brachte mich au¬ genblicklich in richtigen Ton und Takt. Ich weiß ſelbſt nicht, wie es kam, daß ich nicht, wie ge¬ woͤhnlich, mich an das Inſtrument ſetzte, ſondern neben der Baronin auf dem Kanapee Platz nahm. Mit dem Wort: Und wie kamen Sie denn in Gefahr? erwies ſich unſer Einverſtaͤndniß, daß es heute nicht auf Muſik, ſondern auf Geſpraͤch ab¬ geſehen ſey. Nachdem ich meine Abenteuer im Walde erzaͤhlt, und der lebhaften Theilnahme des Barons erwaͤhnt, mit der leiſen Andeutung, daß ich ihn deren nicht fuͤr faͤhig gehalten, fing die Baronin mit ſehr weicher, beinahe wehmuͤthiger Stimme an: O wie muß Ihnen der Baron ſo ſtuͤrmiſch, ſo rauh vorkommen, aber glauben Sie mir, nur waͤhrend des Aufenthalts in dieſen fin¬ ſtern unheimlichen Mauern, nur waͤhrend des wilden Jagens in den oͤden Foͤhrenwaͤldern aͤndert er ſein ganzes Weſen, wenigſtens ſein aͤußeres Be¬140 tragen. Was ihn vorzuͤglich ſo ganz und gar ver¬ ſtimmt, iſt der Gedanke, der ihn beſtaͤndig ver¬ folgt, daß hier irgend etwas Entſetzliches geſche¬ hen werde: daher hat ihn Ihr Abenteuer, das zum Gluͤck ohne uͤble Folgen blieb, gewiß tief er¬ ſchuͤttert. Nicht den geringſten ſeiner Diener will er der mindeſten Gefahr ausgeſetzt wiſſen, viel weniger einen lieben neugewonnenen Freund, und ich weiß gewiß, daß Gottlieb, dem er Schuld gibt, Sie im Stiche gelaſſen zu haben, wo nicht mit Gefaͤngniß beſtraft werden, doch die beſchaͤmende Jaͤgerſtrafe dulden wird, ohne Gewehr, mit einem Knittel in der Hand, ſich dem Jagdgefolge an¬ ſchließen zu muͤſſen. Schon, daß ſolche Jagden, wie hier, nie ohne Gefahr ſind, und daß der Ba¬ ron, immer Ungluͤck befuͤrchtend, doch in der Freude und Luſt daran, ſelbſt den boͤſen Daͤmon neckt, bringt etwas Zerriſſenes in ſein Leben, das feind¬ lich ſelbſt auf mich wirken muß. Man erzaͤhlt viel Seltſames von dem Ahnherrn, der das Ma¬ jorat ſtiftete, und ich weiß es wohl, daß ein duͤ¬141 ſteres Familiengeheimniß, das in dieſen Mauern verſchloſſen, wie ein entſetzlicher Spuk, die Beſitzer wegtreibt, und es ihnen nur moͤglich macht, eine kurze Zeit hindurch im lauten wilden Gewuͤhl aus¬ zudauern. Aber ich! wie einſam muß ich mich in dieſem Gewuͤhl befinden, und wie muß mich das Un¬ heimliche, das aus allen Waͤnden weht, im Innerſten aufregen! Sie, mein lieber Freund! haben mir die erſten heitern Augenblicke, die ich hier verlebte, durch ihre Kunſt verſchafft! wie kann ich Ih¬ nen denn herzlich genug dafuͤr danken! Ich kuͤßte die mir dargebotene Hand, indem ich erklaͤrte: daß auch ich gleich am erſten Tage, oder vielmehr in der erſten Nacht, das Unheimliche des Aufent¬ halts bis zum tiefſten Entſetzen gefuͤhlt habe. Die Baronin blickte mir ſtarr ins Geſicht, als ich jenes Unheimliche der Bauart des ganzen Schloſſes, vor¬ zuͤglich den Verzierungen im Gerichtsſaal, dem ſau¬ ſenden Seewinde u. ſ. w. zuſchrieb. Es kann ſeyn, daß Ton und Ausdruck darauf hindeuteten, daß ich noch etwas anderes meine, genug, als ich ſchwieg,142 rief die Baronin heftig: Nein, nein es iſt Ihnen irgend etwas Entſetzliches geſchehen in jenem Saal, den ich nie ohne Schauer betrete! ich be¬ ſchwoͤre Sie ſagen Sie mir Alles!

Zur Todtenblaͤſſe war Seraphinens Geſicht ver¬ bleicht, ich ſah wohl ein, daß es nun gerathener ſey, alles, was mir widerfahren, getreulich zu erzaͤhlen, als Seraphinens aufgeregter Fantaſie es zu uͤberlaſ¬ ſen, vielleicht einen Spuk, der, in mir unbekannter Beziehung, noch ſchrecklicher ſeyn konnte, als der erlebte, ſich auszubilden: Sie hoͤrte mich an, und immer mehr und mehr ſtieg ihre Beklommenheit und Angſt. Als ich des Kratzens an der Wand er¬ waͤhnte, ſchrie ſie auf: das iſt entſetzlich ja, ja in dieſer Mauer iſt jenes fuͤrchterliche Geheim¬ niß verborgen! Als ich dann weiter erzaͤhlte, wie der Alte mit geiſtiger Gewalt und Uebermacht den Spuk gebannt, ſeufzte ſie tief, als wuͤrde ſie frey von einer ſchweren Laſt, die ihre Bruſt ge¬ druͤckt. Sich zuruͤcklehnend, hielt ſie beide Haͤnde vor's Geſicht. Erſt jetzt bemerkte ich, daß Adelheid143 uns verlaſſen. Laͤngſt hatte ich geendet, und da Se¬ raphine noch immer ſchwieg, ſtand ich leiſe auf, ging an das Inſtrument, und muͤhte mich, in anſchwel¬ lenden Akkorden troͤſtende Geiſter heraufzurufen, die Seraphinen dem finſtern Reiche, das ſich ihr in mei¬ ner Erzaͤhlung erſchloſſen, entfuͤhren ſollten. Bald intonirte ich ſo zart, als ich es vermochte, eine jener heiligen Canzonen des Abbate Steffani. In den wehmuthsvollen Klaͤngen des: O chi, perchè piangete erwachte Seraphine aus duͤſtern Traͤumen, und horchte mild laͤchelnd, glaͤnzende Perlen in den Augen, mir zu. Wie geſchah es denn, daß ich vor ihr hinkniete, daß ſie ſich zu mir herabbeugte, daß ich ſie mit meinen Ar¬ men umſchlang, daß ein langer gluͤhender Kuß auf meinen Lippen brannte? Wie geſchah es denn, daß ich nicht die Beſinnung verlor, daß ich es fuͤhlte, wie ſie ſanft mich an ſich druͤckte, daß ich ſie aus meinen Armen ließ, und ſchnell mich emporrichtend an das Inſtrument trat? Von mir abgewendet ging die Baronin einige Schritte nach144 dem Fenſter hin, dann kehrte ſie um, und trat mit einem beinahe ſtolzen Anſtande, der ihr ſonſt gar nicht eigen, auf mich zu. Mir feſt ins Auge blickend, ſprach ſie: Ihr Onkel iſt der wuͤrdigſte Greis, den ich kenne, er iſt der Schutzengel un¬ ſerer Familie moͤge er mich einſchließen in ſein frommes Gebet! Ich war keines Wortes maͤchtig, verderbliches Gift, das ich in jenem Kuſſe eingeſogen, gaͤhrte und flammte in allen Pulſen, in allen Nerven! Fraͤulein Adelheid trat her¬ ein die Wuth des innern Kampfes ſtroͤmte aus in heißen Thraͤnen, die ich nicht zuruͤck zu draͤngen vermochte! Adelheid blickte mich ver¬ wundert und zweifelhaft laͤchelnd an ich haͤtte ſie ermorden koͤnnen. Die Baronin reichte mir die Hand und ſprach mit unbeſchreiblicher Milde: Leben Sie wohl, mein lieber Freund! Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, daß vielleicht niemand beſſer, als ich, ihre Muſik verſtand. Ach! dieſe Toͤne werden lange lange in mei¬ nem Innern wiederklingen. Ich zwang mireinige145einige unzuſammenhaͤngende alberne Worte ab, und lief nach unſerm Gemach. Der Alte hatte ſich ſchon zur Ruhe begeben. Ich blieb im Saal, ich ſtuͤrzte auf die Knie, ich weinte laut ich rief den Na¬ men der Geliebten, kurz, ich uͤberließ mich den Thor¬ heiten des verliebten Wahnſinns trotz einem, und nur der laute Zuruf des uͤber mein Toben aufge¬ wachten Alten: Vetter, ich glaube du biſt verruͤckt geworden, oder balgſt dich aufs neue mit einem Wolf? Schier dich zu Bette, wenn es dir ſonſt gefaͤllig iſt. Nur dieſer Zuruf trieb mich hinein ins Gemach, wo ich mich mit dem feſten Vorſatz niederlegte, nur von Seraphinen zu traͤumen. Es mochte ſchon nach Mitternacht ſeyn, als ich, noch nicht eingeſchlafen, entfernte Stimmen, ein Hin - und Herlaufen, und das Oeffnen und Zuſchlagen von Thuͤren zu vernehmen glaubte. Ich horchte auf, da hoͤrte ich Tritte auf dem Corridor ſich na¬ hen, die Thuͤr des Saals wurde geoͤffnet, und bald klopfte es an unſer Gemach. Wer iſt da, rief ich laut; da ſprach es draußen: Herr Juſtitiarius

K146

Herr Juſtitiarius, wachen Sie auf wachen Sie auf! Ich erkannte Franzens Stimme, und indem ich frug: Brennt es im Schloſſe, wurde der Alte wach, und rief: Wo brennt es? wo iſt ſchon wieder verdammter Teufelsſpuk los? Ach, ſtehen Sie auf, Herr Juſtitiarius, ſprach Franz, ſtehen Sie auf, der Herr Baron verlangt nach Ih¬ nen! Was will der Baron von mir, frug der Alte weiter, was will er von mir zur Nachtzeit? weiß er nicht, daß das Juſtitiariat mit dem Juſti¬ tiarius zu Bette geht, und eben ſo gut ſchlaͤft, als er? Ach, rief nun Franz aͤngſtlich, lieber Herr Juſtitiarius, ſtehen Sie doch nur auf die gnaͤdige Frau Baronin liegt im Sterben! Mit einem Schrey des Entſetzens fuhr ich auf. Oeffne Franzen die Thuͤr, rief mir der Alte zu; beſin¬ nungslos wankte ich im Zimmer herum, ohne Thuͤr und Schloß zu finden. Der Alte mußte mir beiſte¬ hen, Franz trat bleich mit verſtoͤrtem Geſicht herein, und zuͤndete die Lichter an. Als wir uns kaum in die Kleider geworfen, hoͤrten wir ſchon den Baron im Saal rufen: Kann ich147 Sie ſprechen, lieber V.? Warum haſt du dich angezogen, Vetter, der Baron hat nur nach mir verlangt? frug der Alte, im Begriff herauszutre¬ ten. Ich muß hinab ich muß ſie ſehen und dann ſterben, ſprach ich dumpf und wie vernichtet vom troſtloſen Schmerz. Ja ſo! da haſt du Recht, Vetter! Dies ſprechend warf mir der Alte die Thuͤr vor der Naſe zu, daß die Angeln klirrten, und verſchloß ſie von draußen. Im erſten Augen¬ blick, uͤber dieſen Zwang empoͤrt, wollt 'ich die Thuͤr einrennen, aber mich ſchnell beſinnend, daß dieſes nur die verderblichen Folgen einer ungezuͤgelten Ra¬ ſerei haben koͤnne, beſchloß ich, die Ruͤckkehr des Alten abzuwarten, dann aber, koſte es was es wolle, ſeiner Aufſicht zu entſchluͤpfen. Ich hoͤrte den Alten heftig mit dem Baron reden, ich hoͤrte mehrmals meinen Namen nennen, ohne weiteres verſtehen zu koͤnnen Mit jeder Sekunde wurde mir meine Lage toͤdtlicher. Endlich vernahm ich, wie dem Baron eine Botſchaft gebracht wurde, und wie er ſchnell davon rannte. Der Alte trat wieder in dasK2148Zimmer Sie iſt todt mit dieſem Schrey ſtuͤrzte ich dem Alten entgegen Und du biſt naͤr¬ riſch! fiel er gelaſſen ein, faßte mich, und druͤckte mich in einen Stuhl. Ich muß hinab, ſchrie ich, ich muß hinab, ſie ſehen, und ſollt 'es mir das Le¬ ben koſten! Thue das, lieber Vetter, ſprach der Alte, indem er die Thuͤr verſchloß, den Schluͤſ¬ ſel abzog und in die Taſche ſteckte. Nun flammte ich auf in toller Wuth, ich griff nach der geladenen Buͤchſe, und ſchrie: Hier vor Ihren Augen jage ich mir die Kugel durch den Kopf, wenn Sie nicht ſogleich mir die Thuͤr oͤffnen. Da trat der Alte dicht vor mir hin, und ſprach, indem er mich mit durch¬ bohrendem Blick ins Auge faßte: Glaubſt du, Knabe, daß du mich mit deiner armſeligen Drohung erſchrecken kannſt? Glaubſt du, daß mir dein Leben was werth iſt, wenn du vermagſt, es in kin¬ diſcher Albernheit, wie ein abgenutztes Spielzeug, wegzuwerfen? Was haſt du mit dem Weibe des Barons zu ſchaffen? wer gibt dir das Recht, dich, wie ein uͤberlaͤſtiger Geck, da hinzudraͤngen,149 wo du nicht hin gehoͤrſt, und wo man dich auch gar nicht mag? Willſt du den liebelnden Schaͤfer machen in ernſter Todesſtunde? Ich ſank ver¬ nichtet in den Lehnſtuhl Nach einer Weile fuhr der Alte mit milderer Stimme fort: Und damit du es nur weißt, mit der angeblichen Todesgefahr der Baronin iſt es wahrſcheinlich ganz und gar nichts Fraͤulein Adelheid iſt denn nun gleich au¬ ßer ſich uͤber alles; wenn ihr ein Regentropfen auf die Naſe faͤllt, ſo ſchreit ſie: Welch ein ſchreckli¬ ches Unwetter! Zum Ungluͤck iſt der Feuerlaͤrm bis zu den alten Tanten gedrungen, die ſind unter unziemlichem Weinen mit einem ganzen Arſenal von ſtaͤrkenden Tropfen Lebenselixiren, und was weiß ich ſonſt, angeruͤckt Eine ſtarke Anwandlung von Ohnmacht Der Alte hielt inne, er mochte be¬ merken, wie ich im Innern kaͤmpfte. Er ging ei¬ nige Mal die Stube auf und ab, ſtellte ſich wieder vor mir hin, lachte recht herzlich, und ſprach: Vet¬ ter, Vetter! was treibſt du fuͤr naͤrriſches Zeug? Nun! es iſt einmal nicht anders, der Satan150 treibt hier ſeinen Spuk auf mancherlei Weiſe, du biſt ihm ganz luſtig in die Krallen gelaufen, und er macht jetzt ſein Taͤnzchen mit dir Er ging wie¬ der einige Schritte auf und ab, dann ſprach er wei¬ ter: Mit dem Schlaf iſt's nun einmal vorbey, und da daͤcht' ich, man rauchte eine Pfeife, und braͤchte ſo noch die paar Stuͤndchen Nacht und Fin¬ ſterniß hin! Mit dieſen Worten nahm der Alte eine thoͤnerne Pfeife vom Wandſchrank herab, und ſtopfte ſie, ein Liedchen brummend, langſam und ſorgfaͤltig, dann ſuchte er unter vielen Papieren, bis er ein Blatt herausriß, es zum Fidibus zuſammen¬ knetete und anſteckte. Die dicken Rauchwolken von ſich blaſend, ſprach er zwiſchen den Zaͤhnen: Nun Vetter, wie war es mit dem Wolf? Ich weiß nicht, wie dies ruhige Treiben des Alten ſeltſam auf mich wirkte. Es war, als ſey ich gar nicht mehr in R. ſitten die Baronin weit weit von mir entfernt, ſo daß ich ſie nur mit den gefluͤ¬ gelten Gedanken erreichen koͤnne! Die letzte Frage des Alten verdroß mich. Aber, fiel ich ein, finden151 Sie mein Jagdabenteuer ſo luſtig, ſo zum Beſpoͤtteln geeignet? Mit nichten, erwiderte der Alte, mit nichten Herr Vetter, aber du glaubſt nicht, welch 'komiſches Geſicht ſolch ein Kiek in die Welt, wie du, ſchneidet, und wie er ſich uͤberhaupt ſo poſſierlich da¬ bei macht, wenn der liebe Gott ihn einmal wuͤrdigt, was beſonderes ihm paſſiren zu laſſen. Ich hatte einen akademiſchen Freund, der ein ſtiller, beſonne¬ ner, mit ſich einiger Menſch war. Der Zufall ver¬ wickelte ihn, der nie Anlaß zu dergleichen gab, in eine Ehrenſache, und er, den die mehreſten Burſchen fuͤr einen Schwaͤchling, fuͤr einen Pinſel hielten, benahm ſich dabei mit ſolchem ernſtem entſchloſſenem Muthe, daß alle ihn hoͤchlich bewunderten. Aber ſeit der Zeit war er auch umgewandelt. Aus dem fleißigen beſonnenen Juͤnglinge wurde ein prahlhaf¬ ter, unausſtehlicher, Raufbold. Er kommerſchirte und jubelte, und ſchlug, dummer Kinderei halber, ſich ſo lange, bis ihn der Senior einer Landsmann¬ ſchaft, die er auf poͤbelhafte Weiſe beleidigt, im Duell niederſtieß. Ich erzaͤhle dir das nur ſo, Vetter,152 du magſt dir dabei denken, was du willſt! Um nun wieder auf die Baronin und ihre Krankheit zu kommen Es ließen ſich in dem Augenblick leiſe Tritte auf dem Saal hoͤren, und mir war es, als ginge ein ſchauerliches Aechzen durch die Luͤfte! Sie iſt hin! der Gedanke durchfuhr mich wie ein toͤdtender Blitz! Der Alte ſtand raſch auf, und rief laut: Franz Franz! Ja, lie¬ ber Herr Juſtitiarius, antwortete es draußen! Franz, fuhr der Alte fort, ſchuͤre ein wenig das Feuer im Kamin zuſammen, und iſt es thunlich, ſo magſt du fuͤr uns ein Paar Taſſen guten Thee be¬ reiten! Es iſt verteufelt kalt, wandte ſich der Alte zu mir, und da wollen wir uns lieber draußen am Kamine was erzaͤhlen. Der Alte ſchloß die Thuͤr auf, ich folgte ihm mechaniſch. Wie gehts unten, frug der Alte. Ach, erwiderte Franz, es hatte gar nicht viel zu bedeuten, die gnaͤdige Frau Baronin ſind wieder ganz munter, und ſchieben das bischen Ohnmacht auf einen boͤſen Traum! Ich wollte aufjauchzen vor Freude153 und Entzuͤcken, ein ſehr ernſter Blick des Alten wies mich zur Ruhe. Ja, ſprach der Alte, im Grunde genommen waͤr's doch beſſer, wir leg¬ ten uns noch ein paar Stuͤndchen aufs Ohr Laß es nur gut ſeyn mit dem Thee, Franz! Wie Sie befehlen, Herr Juſtitiarius, erwiderte Franz, und verließ den Saal mit dem Wunſch einer geruhſamen Nacht, unerachtet ſchon die Haͤhne kraͤhten. Hoͤre, Vetter! ſprach der Alte, indem er die Pfeife im Kamin ausklopfte, hoͤre, Vet¬ ter! gut iſt's doch, daß dir kein Malheur paſſirt iſt mit Woͤlfen und geladenen Buͤchſen! Ich verſtand jetzt alles und ſchaͤmte mich, daß ich dem Alten Anlaß gab, mich zu behandeln wie ein un¬ gezogenes Kind.

Sey ſo gut, ſprach der Alte am andern Morgen, ſey ſo gut, lieber Vetter, ſteige herab und erkundige dich, wie es mit der Baronin ſteht. Du kannſt nur immer nach Fraͤulein Adelheid fra¬ gen, die wird dich denn wohl mit einem tuͤchtigen154 Bulletin verſehen. Man kann denken, wie ich hinab eilte. Doch in dem Augenblick, als ich leiſe an das Vorgemach der Baronin pochen wollte, trat mir der Baron raſch aus demſelben entgegen. Er blieb verwundert ſtehen und maß mich mit finſterm, durchbohrenden Blick. Was wollen Sie hier! fuhr es ihm heraus. Unerachtet mir das Herz im Innerſten ſchlug, nahm ich mich zuſammen und er¬ wiederte mit feſtem Ton: Mich im Auftrage des Onkels nach dem Befinden der gnaͤdigen Frau erkun¬ digen. O es war ja gar nichts ihr gewoͤhn¬ licher Nervenzufall. Sie ſchlaͤft ſanft, und ich weiß, daß ſie wohl und munter bei der Tafel er¬ ſcheinen wird! Sagen Sie das Sagen Sie das Dies ſprach der Baron mit einer gewiſſen leidenſchaftlichen Heftigkeit, die mir anzudeuten ſchien, daß er um die Baronin beſorgter ſey, als er es wolle merken laſſen. Ich wandte mich, um zuruͤckzukehren, da ergriff der Baron ploͤtzlich mei¬ nen Arm und rief mit flammendem Blick: Ich habe mit Ihnen zu ſprechen, junger Mann! 155 Sah 'ich nicht den ſchwerbeleidigten Gatten vor mir, und mußt ich nicht einen Auftritt befuͤrchten, der vielleicht ſchmachvoll fuͤr mich enden konnte? Ich war unbewaffnet, doch im Moment beſann ich mich auf mein kuͤnſtliches Jagdmeſſer, das mir der Alte erſt in R. .ſitten geſchenkt und das ich noch in der Taſche trug. Nun folgte ich dem mich raſch fortziehenden Baron mit dem Entſchluß keines Le¬ ben zu ſchonen, wenn ich Gefahr laufen ſollte, un¬ wuͤrdig behandelt zu werden. Wir waren in des Barons Zimmer eingetreten, deſſen Thuͤr er hinter ſich abſchloß. Nun ſchritt er mit uͤbereinanderge¬ ſchlagenen Armen heftig auf und ab, dann blieb er vor mir ſtehen und wiederholte: Ich habe mit Ihnen zu ſprechen, junger Mann! Der ver¬ wegenſte Muth war mir gekommen, und ich wie¬ derholte mit erhoͤhtem Ton: Ich hoffe, daß es Worte ſeyn werden, die ich ungeahndet hoͤren darf! Der Baron ſchaute mich verwundert an, als verſtehe er mich nicht. Dann blickte er finſter zur Erde, ſchlug die Arme uͤber den Ruͤcken und156 fing wieder an im Zimmer auf und abzurennen.

Er nahm eine Buͤchſe herab und ſtieß den Lade¬ ſtock hinein, als wolle er verſuchen, ob ſie geladen ſey oder nicht! Das Blut ſtieg mir in den Adern, ich faßte nach dem Meſſer und ſchritt dicht auf den Baron zu, um es ihm unmoͤglich zu ma¬ chen, auf mich anzulegen. Ein ſchoͤnes Gewehr, ſprach der Baron, die Buͤchſe wieder in den Win¬ kel ſtellend. Ich trat einige Schritte zuruͤck und der Baron an mich heran; kraͤftiger auf meine Schulter ſchlagend, als gerade noͤthig, ſprach er dann: Ich muß Ihnen aufgeregt und verſtoͤrt vorkommen, Theodor! ich bin es auch wirklich von der in tauſend Aengſten durchwachten Nacht. Der Nervenzufall meiner Frau war durchaus nicht ge¬ faͤhrlich, das ſehe ich jetzt ein, aber hier hier in dieſem Schloß, in das ein finſt'rer Geiſt gebannt iſt, fuͤrcht 'ich das Entſetzliche, und dann iſt es auch das erſte Mal, daß ſie hier erkrankte. Sie Sie allein ſind Schuld daran! Wie das moͤglich ſeyn koͤnne, davon haͤtte ich keine Ah¬157 nung, erwiderte ich gelaſſen. O, fuhr der Baron fort, o waͤre der verdammte Ungluͤckskaſten der Inſpektorin auf blankem Eiſe zerbrochen in tau¬ ſend Stuͤcke, o waͤren Sie doch nein! nein! Es ſollte, es mußte ſo ſeyn, und ich allein bin Schuld an Allem. An mir lag es, in dem Augen¬ blick, als Sie anfingen in dem Gemach meiner Frau Muſik zu machen, Sie von der ganzen Lage der Sache, von der Gemuͤthsſtimmung meiner Frau zu unterrichten Ich machte Miene zu ſprechen Laſſen Sie mich reden, rief der Ba¬ ron, ich muß im Voraus Ihnen alles voreilige Urtheil abſchneiden. Sie werden mich fuͤr einen rauhen, der Kunſt abholden Mann halten. Ich bin das keinesweges, aber eine, auf tiefe Ueberzeu¬ gung gebaute Ruͤckſicht noͤthigt mich, hier wo moͤglich ſolcher Muſik, die jedes Gemuͤth, und auch gewiß das meinige ergreift, den Eingang zu verſagen. Erfahren Sie, daß meine Frau an einer Erregbarkeit kraͤnkelt, die am Ende alle Lebens¬ freude wegzehren muß. In dieſen wunderlichen158 Mauern kommt ſie gar nicht heraus aus dem er¬ hoͤhten, uͤberreitzten Zuſtande, der ſonſt nur mo¬ mentan einzutreten pflegt, und zwar oft als Vor¬ bote einer ernſten Krankheit. Sie fragen mit Recht, warum ich der zarten Frau dieſen ſchauerli¬ chen Aufenthalt, dieſes wilde verwirrte Jaͤgerleben nicht erſpare? Aber nennen Sie es immerhin Schwaͤche, genug, mir iſt es nicht moͤglich ſie allein zuruͤckzulaſſen. In tauſend Aengſten und nicht faͤhig Ernſtes zu unternehmen wuͤrde ich ſeyn, denn ich weiß es, die entſetzlichſten Bilder von aller¬ lei verſtoͤrendem Ungemach, das ihr wiederfahren, verließen mich nicht im Walde, nicht im Gerichts¬ ſaal Dann aber glaube ich auch, daß dem ſchwaͤch¬ lichen Weibe gerade dieſe Wirthſchaft hier wie ein erkraͤftigendes Stahlbad anſchlagen muß Wahr¬ haftig, der Seewind, der nach ſeiner Art tuͤchtig durch die Foͤhren ſauſt, das dumpfe Gebelle der Doggen, der keck und munter ſchmetternde Hoͤrner¬ klang muß hier ſiegen uͤber die verweichlenden, ſchmachtelnden Pinſeleien am Clavier, das ſo kein159 Mann ſpielen ſollte, aber Sie haben es darauf an¬ gelegt, meine Frau methodiſch zu Tode zu quaͤ¬ len! Der Baron ſagte dies mit verſtaͤrkter Stimme und wildfunkelnden Augen das Blut ſtieg mir in den Kopf, ich machte eine heftige Be¬ wegung mit der Hand gegen den Baron, ich wollte ſprechen, er ließ mich nicht zu Worte kommen. Ich weiß, was Sie ſagen wollen, fing er an, ich weiß es und wiederhole es, daß Sie auf dem Wege waren meine Frau zu toͤdten, und daß ich Ihnen dies auch nicht im mindeſten zurechnen kann, wiewohl Sie begreifen, daß ich dem Dinge Einhalt thun muß. Kurz! Sie exaltiren meine Frau durch Spiel und Geſang, und als ſie in dem bodenloſen Meere traͤumeriſcher Viſionen und Ah¬ nungen, die Ihre Muſik wie ein boͤſer Zauber her¬ aufbeſchworen hat, ohne Halt und Steuer umher¬ ſchwimmt, druͤcken Sie ſie hinunter in die Tiefe mit der Erzaͤhlung eines unheimlichen Spuks, der Sie oben im Gerichtsſaal geneckt haben ſoll. Ihr Großonkel hat mir Alles erzaͤhlt, aber ich bitte160 Sie, wiederholen Sie mir Alles, was Sie ſahen oder nicht ſahen hoͤrten fuͤhlten ahnten. Ich nahm mich zuſammen und erzaͤhlte ruhig, wie es ſich damit begeben, von Anfang bis zu Ende. Der Baron warf nur dann und wann einzelne Worte, die ſein Erſtaunen ausdruͤckten, dazwiſchen. Als ich darauf kam, wie der Alte ſich mit frommen Muth dem Spuk entgegengeſtellt und ihn gebannt habe mit kraͤftigen Worten, ſchlug er die Haͤnde zu¬ ſammen, hob ſie gefaltet zum Himmel empor und rief begeiſtert: Ja, er iſt der Schutzgeiſt der Familie! ruhen ſoll in der Gruft der Ahnen ſeine ſterbliche Huͤlle! Ich hatte geendet. Daniel, Daniel! was machſt du hier zu dieſer Stunde! murmelte der Baron in ſich hinein, in¬ dem er mit uͤbereinander geſchlagenen Armen im Zimmer auf und abſchritt. Weiter war es alſo nichts, Herr Baron? frug ich laut, indem ich Miene machte mich zu entfernen. Der Baron fuhr auf wie aus einem Traum, faßte freundlich mich bei der Hand und ſprach: Ja lieberFreund! 161Freund! meine Frau, der ſie ſo arg mitgeſpielt haben, ohne es zu wollen, die muͤſſen Sie wie¬ der herſtellen, Sie allein koͤnnen das. Ich fuͤhlte mich erroͤthend, und ſtand ich dem Spiegel gegenuͤber, ſo erblickte ich gewiß in demſelben ein ſehr albernes verdutztes Geſicht. Der Baron ſchien ſich an meiner Verlegenheit zu weiden, er blickte mir unverwandt ins Auge mit einem recht fata¬ len ironiſchen Laͤcheln. Wie in aller Welt ſollte ich es anfangen, ſtotterte ich endlich muͤhſam her¬ aus. Nun, nun, unterbrach mich der Baron, Sie haben es mit keiner gefaͤhrlichen Patientin zu thun. Ich nehme jetzt ausdruͤcklich Ihre Kunſt in Anſpruch. Die Baronin iſt nun einmal her¬ eingezogen in den Zauberkreis Ihrer Muſik, und ſie ploͤtzlich heraus zu reißen, wuͤrde thoͤrigt und grauſam ſeyn. Setzen Sie die Muſik fort. Sie werden zur Abendſtunde in den Zimmern meiner Frau jedesmal willkommen ſeyn. Aber gehen Sie nach und nach uͤber zu kraͤftigerer Muſik, verbin¬ den Sie geſchickt das Heitere mit dem Ernſten L162und dann, vor allen Dingen, wiederholen Sie die Erzaͤhlung von dem unheimlichen Spuk recht oft. Die Baronin gewoͤhnt ſich daran, ſie vergißt, daß der Spuk hier in dieſen Mauern hauſet, und die Geſchichte wirkt nicht ſtaͤrker auf ſie, als jedes an¬ dere Zaubermaͤrchen, das in irgend einem Roman, in irgend einem Geſpenſterbuch, ihr aufgetiſcht worden. Das thun Sie, lieber Freund! Mit dieſen Worten entließ mich der Baron Ich ging Ich war vernichtet in meinem eignen Innern, herabgeſunken zum bedeutungsloſen, thoͤ¬ rigten Kinde! Ich Wahnſinniger, der ich glaubte, Eiferſucht koͤnne ſich in ſeiner Bruſt regen; Er ſelbſt ſchickt mich zu Seraphinen, er ſelbſt ſieht in mir nur das willenloſe Mittel, das er braucht und wegwirft, wie es ihm beliebt! Vor wenig Minuten fuͤrchtete ich den Baron, es lag in mir tief im Hintergrunde verborgen das Bewußtſeyn der Schuld, aber dieſe Schuld ließ mich das hoͤ¬ here, herrlichere Leben deutlich fuͤhlen, dem ich zu¬ gereift; nun war alles verſunken in ſchwarze Nacht,163 und ich ſah nur den albernen Knaben, der in kin¬ diſcher Verkehrtheit die papierne Krone, die er ſich auf den heißen Kopf ſtuͤlpte, fuͤr aͤchtes Gold ge¬ halten. Ich eilte zum Alten, der ſchon auf mich wartete. Nun Vetter, wo bleibſt du denn, wo bleibſt du denn? rief er mir entgegen. Ich habe mit dem Baron geſprochen, warf ich ſchnell und leiſe hin, ohne den Alten anſchauen zu koͤn¬ nen. Tauſend Sapperlot! ſprach der Alte wie verwundert, Tauſend Sapperlot, dacht 'ich's doch gleich! der Baron hat dich gewiß her¬ ausgefordert, Vetter? Das ſchallende Gelaͤch¬ ter, das der Alte gleich hinterher aufſchlug, be¬ wies mir, daß er auch dieſes Mal, wie immer, ganz und gar mich durchſchaute Ich biß die Zaͤhne zuſammen ich mochte kein Wort erwi¬ dern, denn wohl wußt' ich, daß es deſſen nur be¬ durfte, um ſogleich von den tauſend Neckereien uͤberſchuͤttet zu werden, die ſchon auf des Alten Lippen ſchwebten.

L 2164

Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend weiß, friſch gefalle¬ nen Schnee beſiegte. Sie ſah matt aus und ab¬ geſpannt, doch als ſie nun leiſe und melodiſch ſprechend die dunkeln Augen erhob, da blitzte ſuͤ¬ ßes, ſehnſuͤchtiges Verlangen aus duͤſterer Glut, und ein fluͤchtiges Roth uͤberflog das lilienblaſſe Antlitz. Sie war ſchoͤner als jemals Wer er¬ mißt die Thorheiten eines Juͤnglings mit zu hei¬ ßem Blut im Kopf und Herzen! Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich uͤber auf die Baronin. Alles erſchien mir wie eine heilloſe Myſtifikation, und nun wollt 'ich be¬ weiſen, daß ich gar ſehr bey vollem Verſtande ſey, und uͤber die Maßen ſcharfſichtig. Wie ein ſchmollendes Kind vermied ich die Baronin, und entſchluͤpfte der mich verfolgenden Adelheid, ſo daß ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Ta¬ fel zwiſchen den beiden Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker zu zechen begann. Beim Nachtiſch ſtießen wir fleißig die Glaͤſer zu¬165 ſammen, und, wie es in ſolcher Stimmung zu geſchehen pflegt, ich war ungewoͤhnlich laut und luſtig. Ein Bedienter hielt mir einen Teller hin, auf dem einige Bonbons lagen, mit den Worten: von Fraͤulein Adelheid. Ich nahm, und bemerkte bald, daß auf einem der Bonbons mit Silberſtift gekritzelt ſtand: Und Seraphine? Das Blut wallte mir auf in den Adern. Ich ſchaute hin nach Adelheid, die ſah mich an mit uͤberaus ſchlauer, verſchmitzter Miene, nahm das Glas und nickte mir zu mit leiſem Kopfnicken. Beinahe willkuͤhrlos murmelte ich ſtill: Sera¬ phine, nahm mein Glas und leerte es mit einem Zuge. Mein Blick flog hin zu ihr, ich gewahrte, daß ſie auch in dem Augenblick getrunken hatte, und ihr Glas eben hinſetzte ihre Augen tra¬ fen die meinen, und ein ſchadenfroher Teufel raunte es mir in die Ohren: Unſeliger! Sie liebt dich doch! Einer der Gaͤſte ſtand auf, und brachte, nordiſcher Sitte gemaͤß, die Geſund¬ heit der Frau vom Hauſe aus Die Glaͤſer er¬166 klangen im lauten Jubel Entzuͤcken und Verzweif¬ lung ſpalteten mir das Herz, die Glut des Weins flammte in mir auf, alles drehte ſich in Kreiſen, es war, als muͤßte ich vor Aller Augen hinſtuͤrzen zu ihren Fuͤßen, und mein Leben aushauchen! Was iſt Ihnen, lieber Freund? Dieſe Frage meines Nachbars gab mir die Beſinnung wieder, aber Se¬ raphine war verſchwunden. Die Tafel wurde aufgehoben. Ich wollte fort, Adelheid hielt mich feſt, ſie ſprach allerley, ich hoͤrte, ich verſtand kein Wort ſie faßte mich bei beiden Haͤnden, und rief mir laut lachend etwas in die Ohren Wie von der Starrſucht gelaͤhmt, blieb ich ſtumm und re¬ gungslos. Ich weiß nur, daß ich endlich mecha¬ niſch ein Glas Likoͤr aus Adelheids Hand nahm, und es austrank, daß ich mich einſam in einem Fenſter wiederfand, daß ich dann hinausſtuͤrzte aus dem Saal, die Treppe hinab, und hinaus lief in den Wald. In dichten Flocken fiel der Schnee herab, die Foͤhren ſeufzten vom Sturm bewegt; wie ein Wahnſinniger ſprang ich umher in weiten Kreiſen,167 und lachte und ſchrie wild auf: Schaut zu, ſchaut zu! Heiſa! der Teufel macht ſein Taͤnzchen mit dem Knaben, der zu ſpeiſen gedachte total verbotene Fruͤchte! Wer weiß, wie mein tolles Spiel geen¬ det, wenn ich nicht meinen Namen laut in den Wald hinein rufen gehoͤrt. Das Wetter hatte nachgelaſ¬ ſen, der Mond ſchien hell durch die zerriſſenen Wol¬ ken, ich hoͤrte Doggen anſchlagen, und gewahrte eine finſtere Geſtalt, die ſich mir naͤherte. Es war der alte Jaͤger. Ei, ei, lieber Herr Theodor! fing er an, wie haben Sie ſich denn verirrt in dem boͤ¬ ſen Schneegeſtoͤber, der Herr Juſtitiarius warten auf Sie mit vieler Ungeduld! Schweigend folgte ich dem Alten. Ich fand den Großonkel im Gerichtsſaal arbeitend. Das haſt du gut gemacht, rief er mir entgegen, das haſt du ſehr gut gemacht, daß du ein wenig ins Freie gingſt, um dich gehoͤrig abzukuͤhlen. Trinke doch nicht ſo viel Wein, du biſt noch viel zu jung dazu, das taugt nicht. Ich brachte kein Wort hervor, ſchweigend ſetzte ich mich hin an den Schreibtiſch. Aber, ſage mir nur, lie¬168 ber Vetter, was wollte denn eigentlich der Baron von dir? Ich erzaͤhlte alles, und ſchloß da¬ mit, daß ich mich nicht hergeben wollte zu der zweifelhaften Cur, die der Baron vorgeſchlagen. Wuͤrde auch gar nicht angehen, fiel der Alte mir in die Rede, denn wir reiſen morgen in al¬ ler Fruͤhe fort, lieber Vetter! Es geſchah ſo, ich ſah Seraphinen nicht wieder!

Kaum angekommen in K. klagte der alte Großonkel, daß er mehr als jemals ſich von der beſchwerlichen Fahrt angegriffen fuͤhle. Sein muͤr¬ riſches Schweigen, nur unterbrochen von heftigen Ausbruͤchen der uͤbelſten Laune, verkuͤndete die Ruͤckkehr ſeiner podagriſtiſchen Zufaͤlle. Eines Ta¬ ges wurd 'ich ſchnell hingerufen, ich fand den Al¬ ten, vom Schlage getroffen, ſprachlos auf dem Lager einen zerknitterten Brief in der krampfhaft geſchloſſenen Hand. Ich erkannte die Schriftzuͤge des Wirthſchafts-Inſpektors aus R ſitten, doch, von dem tiefſten Schmerz durchdrungen, wagte ich es nicht, den Brief dem Alten zu entreißen, ich169 zweifelte nicht an ſeinem baldigen Tod. Doch, noch ehe der Arzt kam, ſchlugen die Lebenspulſe wieder, die wunderbar kraͤftige Natur des ſiebzig¬ jaͤhrigen Greiſes widerſtand dem toͤdtlichen Anfall, noch deſſelben Tages erklaͤrte ihn der Arzt außer Gefahr. Der Winter war hartnaͤckiger als je¬ mals, ihm folgte ein rauher, duͤſterer Fruͤhling, und ſo kam es, daß nicht jener Zufall ſowol, als das Podagra, von dem boͤſen Klima wohl gehegt, den Alten fuͤr lange Zeit auf das Krankenlager warf. In dieſer Zeit beſchloß er, ſich von jedem Geſchaͤft ganz zuruͤck zu ziehen. Er trat ſeine Ju¬ ſtitiariate an andere ab, und ſo war mir jede Hoffnung verſchwunden, jemals wieder nach R ſit¬ ten zu kommen. Nur meine Pflege litt der Alte, nur von mir verlangte er unterhalten, auf¬ geheitert zu werden. Aber wenn auch in ſchmerz¬ loſen Stunden ſeine Heiterkeit wiedergekehrt war, wenn es an derben Spaͤßen nicht fehlte, wenn es ſelbſt zu Jagdgeſchichten kam, und ich jeden Augen¬ blick vermuthete, meine Heldenthat, wie ich den170 greulichen Wolf mit dem Jagdmeſſer erlegte, wuͤrde herhalten muͤſſen; niemals niemals erwaͤhnte er unſeres Aufenthalts in R ſitten, und wer mag nicht einſehen, daß ich, aus natuͤrlicher Scheu, mich wohl huͤtete, ihn geradezu darauf zu brin¬ gen. Meine bittere Sorge, meine ſtete Muͤhe um den Alten, hatte Seraphinens Bild in den Hintergrund geſtellt. So wie des Alten Krank¬ heit nachließ, gedachte ich lebhafter wieder jenes Moments im Zimmer der Baronin, der mir wie ein leuchtender, auf ewig fuͤr mich untergegange¬ ner Stern erſchien. Ein Ereigniß rief allen em¬ pfundenen Schmerz hervor, indem es mich zu¬ gleich, wie eine Erſcheinung aus der Geiſterwelt, mit eiskalten Schauern durchbebte! Als ich naͤmlich eines Abends die Brieftaſche, die ich in R ſitten getragen, oͤffne, faͤllt mir aus den auf¬ geblaͤtterten Papieren eine dunkle, mit einem wei¬ ßen Bande umſchlungene Locke entgegen, die ich augenblicklich fuͤr Seraphinens Haar erkenne! Aber, als ich das Band naͤher betrachte, ſehe ich deut¬171 lich die Spur eines Blutstropfens! Vielleicht wußte Adelheid in jenen Augenblicken des bewußt¬ loſen Wahnſinns, der mich am letzten Tage er¬ griffen, mir dies Andenken geſchickt zuzuſtellen, aber warum der Blutstropfe, der mich Entſetzli¬ ches ahnen ließ, und jenes beinahe zu ſchaͤfermaͤ¬ ßige Pfand zur ſchauervollen Mahnung an eine Leidenſchaft, die theures Herzblut koſten konnte, hinaufſteigerte? Das war jenes weiße Band, das mich, zum erſten Mal Seraphinen nahe, wie im leichten loſen Spiel umflatterte, und dem nun die dunkle Nacht das Wahrzeichen der Verletzung zum Tode gegeben. Nicht ſpielen ſoll der Knabe mit der Waffe, deren Gefaͤhrlichkeit er nicht er¬ mißt!

Endlich hatten die Fruͤhlingsſtuͤrme zu toben aufgehoͤrt, der Sommer behauptete ſein Recht, und war erſt die Kaͤlte unertraͤglich, ſo wurd 'es nun, als der Julius begonnen, die Hitze. Der Alte erkraͤftigte ſich zuſehends, und zog, wie er ſonſt zu thun pflegte, in einen Garten der Vor¬172 ſtadt. An einem ſtillen lauen Abende ſaßen wir in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬ gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie ſonſt, voll ſarkaſtiſcher Ironie, ſondern mild, beinahe weich geſtimmt. Vetter, fing er an, ich weiß nicht, wie mir heute iſt, ein ganz beſonderes Wohlſeyn, wie ich es ſeit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬ dringt mich mit gleichſam elektriſcher Waͤrme. Ich glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod. Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤſtern Gedanken abzubringen. Laß es gut ſeyn, Vetter, ſprach er, lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! Denkſt du noch an die Herbſtzeit in R ſitten? Wie ein Blitz durchfuhr mich dieſe Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr er weiter fort: Der Himmel wollte es, daß du dort auf ganz eigne Weiſe eintratſt, und wider deinen Willen eingeflochten wurdeſt in die tiefſten Geheimniſſe des Hauſes. Jetzt iſt es an der Zeit, daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!173 haben wir uͤber Dinge geſprochen, die du mehr ahnteſt, als verſtandeſt. Die Natur ſtellt den Cy¬ klus des menſchlichen Lebens in dem Wechſel der Jahreszeiten ſymboliſch dar, das ſagen ſie Alle, aber ich meine das auf andere Weiſe als Alle. Die Fruͤh¬ lingsnebel fallen, die Duͤnſte des Sommers ver¬ dampfen, und erſt des Herbſtes reiner Aether zeigt deutlich die ferne Landſchaft, bis das Hienieden ver¬ ſinkt in die Nacht des Winters. Ich meine, daß im Hellſehen des Alters ſich deutlicher das Walten der unerforſchlichen Macht zeigt. Es ſind Blicke vergoͤnnt in das gelobte Land, zu dem die Pilger¬ fahrt beginnt mit dem zeitlichen Tode. Wie wird mir in dieſem Augenblick ſo klar das dunkle Ver¬ haͤngniß jenes Hauſes, dem ich durch feſtere Bande, als Verwandtſchaft ſie zu ſchlingen vermag, ver¬ knuͤpft wurde. Wie liegt alles ſo erſchloſſen vor mei¬ nes Geiſtes Augen! doch, wie ich nun alles ſo geſtaltet vor mir ſehe, das Eigentliche, das kann ich dir nicht mit Worten ſagen, keines Menſchen Zunge iſt deſſen faͤhig. Hoͤre mein Sohn das, was ich174 dir nur wie eine merkwuͤrdige Geſchichte, die ſich wohl zutragen konnte, zu erzaͤhlen vermag. Be¬ wahre tief in deiner Seele die Erkenntniß, daß die geheimnißvollen Beziehungen, in die du dich viel¬ leicht nicht unberufen wagteſt, dich verderben konn¬ ten! doch das iſt nun voruͤber!

Die Geſchichte des R***ſchen Majorats, die der Alte jetzt erzaͤhlte, trage ich ſo treu im Gedaͤcht¬ niß, daß ich ſie beinahe mit ſeinen Worten (er ſprach von ſich ſelbſt in der dritten Perſon) zu wiederholen vermag.

In einer ſtuͤrmiſchen Herbſtnacht des Jahres 1760 weckte ein entſetzlicher Schlag, als falle das ganze weitlaͤuftige Schloß in tauſend Truͤmmer zu¬ ſammen, das Hausgeſinde in R ſitten aus tiefem Schlafe. Im Nu war alles auf den Beinen, Lich¬ ter wurden angezuͤndet, Schrecken und Angſt im leichenblaſſen Geſicht keuchte der Hausverwalter mit den Schluͤſſeln herbei, aber nicht gering war jedes Erſtaunen, als man in tiefer Todtenſtille, in der175 das pfeifende Geraſſel der muͤhſam geoͤffneten Schloͤſ¬ ſer, jeder Fußtritt, recht ſchauerlich wiederhallte, durch unverſehrte Gaͤnge, Saͤle, Zimmer, fort und fort wandelte. Nirgends die mindeſte Spur irgend einer Verwuͤſtung. Eine finſtere Ahnung erfaßte den alten Hausverwalter. Er ſchritt hinauf in den großen Ritterſaal, in deſſen Seitenkabinet der Frei¬ herr Roderich von R. zu ruhen pflegte, wenn er aſtronomiſche Beobachtungen angeſtellt. Eine zwi¬ ſchen der Thuͤr dieſes und eines andern Kabinets an¬ gebrachte Pforte fuͤhrte durch einen engen Gang unmittelbar in den aſtronomiſchen Thurm. Aber ſo wie Daniel (ſo war der Hausverwalter geheißen) dieſe Pforte oͤffnete, warf ihm der Sturm, abſcheu¬ lig heulend und ſauſend, Schutt und zerbroͤckelte Mauerſteine entgegen, ſo daß er vor Entſetzen weit zuruͤckprallte, und, indem er den Leuchter, deſſen Kerzen praſſelnd verloͤſchten, an die Erde fallen ließ, laut aufſchrie: O Herr des Himmels! der Ba¬ ron iſt jaͤmmerlich zerſchmettert! In dem Au¬ genblick ließen ſich Klagelaute vernehmen, die aus176 dem Schlafkabinet des Freiherrn kamen. Daniel fand die uͤbrigen Diener um den Leichnam ihres Herrn verſammelt. Vollkommen und reicher geklei¬ det als jemals, ruhigen Ernſt im unentſtellten Ge¬ ſichte, fanden ſie ihn ſitzend in dem großen reich ver¬ zierten Lehnſtuhle, als ruhe er aus von gewichtiger Arbeit. Es war aber der Tod, in dem er aus¬ ruhte. Als es Tag geworden, gewahrte man, daß die Krone des Thurms in ſich eingeſtuͤrzt. Die gro¬ ßen Quaderſteine hatten Decke und Fußboden des aſtronomiſchen Zimmers eingeſchlagen, nebſt den nun voran ſtuͤrzenden maͤchtigen Balken, mit gedoppel¬ ter Kraft des Falles das untere Gewoͤlbe durchbro¬ chen, und einen Theil der Schloßmauer und des en¬ gen Ganges mit fort geriſſen. Nicht einen Schritt durch die Pforte des Saals durfte man thun, ohne Gefahr wenigſtens achtzig Fuß hinab zu ſtuͤrzen in tiefe Gruft.

Der alte Freiherr hatte ſeinen Tod bis auf die Stunde vorausgeſehen, und ſeine Soͤhne davon be¬ nachrichtigt. So geſchah es, daß gleich folgenden177 Tages Wolfgang Freiherr von R., aͤlteſter Sohn des Verſtorbenen, mithin Majoratsherr, eintraf. Auf die Ahnung des alten Vaters wohl bauend, hatte er, ſo wie er den verhaͤngnißvollen Brief erhalten, ſogleich Wien, wo er auf der Reiſe ſich gerade befand, verlaſſen, und war, ſo ſchnell es nur gehen wollte, nach R ſitten geeilt. Der Hausverwalter hatte den großen Saal ſchwarz ausſchlagen, und den alten Freiherrn in den Klei¬ dern, wie man ihn gefunden, auf ein praͤchtiges Paradebette, das hohe ſilberne Leuchter mit bren¬ nenden Kerzen umgaben, legen laſſen. Schwei¬ gend ſchritt Wolfgang die Treppe herauf, in den Saal hinein, und dicht hinan an die Leiche des Vaters. Da blieb er mit uͤber die Bruſt ver¬ ſchraͤnkten Armen ſtehen, und ſchaute ſtarr und duͤſter, mit zuſammengezogenen Augenbrauen, dem Vater ins bleiche Antlitz. Er glich einer Bild¬ ſaͤule, keine Thraͤne kam in ſeine Augen. End¬ lich, mit einer beinahe krampfhaften Bewegung, den rechten Arm hin nach der Leiche zuckend,M178murmelte er dumpf: Zwangen dich die Geſtirne, den Sohn, den du liebteſt, elend zu machen? Die Haͤnde zuruͤckgeworfen, einen kleinen Schritt hinter ſich getreten, warf nun der Baron den Blick in die Hoͤhe, und ſprach mit geſenkter, bei¬ nahe weicher Stimme: Armer, bethoͤrter Greis! Das Faſtnachtsſpiel mit ſeinen laͤppiſchen Taͤu¬ ſchungen iſt nun voruͤber! Nun magſt du er¬ kennen, daß das kaͤrglich zugemeſſene Beſitzthum hienieden nichts gemein hat mit dem Jenſeits uͤber den Sternen Welcher Wille, welche Kraft reicht hinaus uͤber das Grab? Wieder ſchwieg der Baron einige Sekunden dann rief er hef¬ tig: Nein, nicht ein Quentlein meines Erden¬ gluͤcks, das du zu vernichten trachteteſt, ſoll mir dein Starrſinn rauben, und damit riß er ein zuſammengelegtes Papier aus der Taſche, und hielt es zwiſchen zwey Fingern hoch empor an eine dicht bei der Leiche ſtehende brennende Kerze. Das Papier, von der Kerze ergriffen, flackerte hoch auf, und als der Wiederſchein der Flamme179 auf dem Geſicht des Leichnams hin und her zuckte und ſpielte, war es, als ruͤhrten ſich die Muskeln und der Alte ſpraͤche tonloſe Worte, ſo daß, der entfernt ſtehenden Dienerſchaft tiefes Grauen und Entſetzen ankam. Der Baron vollendete ſein Ge¬ ſchaͤft mit Ruhe, indem er das letzte Stuͤckchen Papier, das er flammend zu Boden fallen laſſen, mit dem Fuße ſorglich austrat. Dann warf er noch einen duͤſtern Blick auf den Vater, und eilte mit ſchnellen Schritten zum Saal hinaus.

Andern Tages machte Daniel den Freiherrn mit der neuerlich geſchehenen Verwuͤſtung des Thurms bekannt, und ſchilderte mit vielen Wor¬ ten, wie ſich uͤberhaupt alles in der Todesnacht des alten ſeligen Herrn zugetragen, indem er da¬ mit endete, daß es wohl gerathen ſeyn wuͤrde, ſo¬ gleich den Thurm herſtellen zu laſſen, da, ſtuͤrze er noch mehr zuſammen, das ganze Schloß in Gefahr ſtehe, wo nicht zertruͤmmert, doch hart beſchaͤdigt zu werden.

M 2180

Den Thurm herſtellen? fuhr der Freiherr den alten Diener, funkelnden Zorn in den Au¬ gen, an, den Thurm herſtellen? Nimmer¬ mehr! Merkſt du denn nicht, fuhr er dann gelaſſener fort, merkſt du denn nicht Alter, daß der Thurm nicht ſo, ohne weitern Anlaß, einſtuͤr¬ zen konnte? Wie, wenn mein Vater ſelbſt die Vernichtung des Orts, wo er ſeine unheimliche Sterndeuterey trieb, gewuͤnſcht, wie, wenn er ſelbſt gewiſſe Vorrichtungen getroffen haͤtte, die es ihm moͤglich machten, die Krone des Thurms, wenn er wollte, einſtuͤrzen, und ſo das Innere des Thurms zerſchmettern zu laſſen? Doch dem ſey wie ihm wolle, und mag auch das ganze Schloß zuſammenſtuͤrzen, mir iſt es Recht. Glaubt ihr denn, daß ich in dem abenteuerlichen Eulenneſte hier hauſen werde? Nein! jener kluge Ahn¬ herr, der in dem ſchoͤnen Thalgrunde die Funda¬ mente zu einem neuen Schloß legen ließ, der hat mir vorgearbeitet, dem will ich folgen. Und ſo werden, ſprach Daniel kleinlaut, dann auch181 wohl die alten treuen Diener den Wanderſtab zur Hand nehmen muͤſſen. Daß ich erwiderte der Freiherr, mich nicht von unbehuͤlflichen ſchlotter¬ beinigten Greiſen bedienen laſſen werde, verſteht ſich von ſelbſt, aber verſtoßen werde ich keinen. Arbeitslos ſoll Euch das Gnadenbrod gut genug ſchmecken. Mich, rief der Alte voller Schmerz, mich, den Hausverwalter, ſo außer Aktivitaͤt Da wandte der Freiherr, der dem Alten den Ruͤk¬ ken gekehrt, im Begriff ſtand, den Saal zu ver¬ laſſen, ſich ploͤtzlich um, blutroth im ganzen Ge¬ ſichte vor Zorn, die geballte Fauſt vorgeſtreckt, ſchritt er auf den Alten zu, und ſchrie mit fuͤrch¬ terlicher Stimme: Dich, du alter heuchleriſcher Schurke, der du mit dem alten Vater das un¬ heimliche Weſen triebſt dort oben, der du dich, wie ein Vampir, an ſein Herz legteſt, der viel¬ leicht des Alten Wahnſinn verbrecheriſch nuͤtzte, um in ihm die hoͤlliſchen Entſchluͤſſe zu erzeugen, die mich an den Rand des Abgrunds brachten Dich ſollte ich hinausſtoßen wie einen raͤudigen182 Hund! Der Alte war vor Schreck uͤber dieſe entſetzlichen Reden, dicht neben dem Freiherrn, auf beide Knie geſunken, und ſo mochte es geſchehen, daß dieſer, indem er vielleicht unwillkuͤhrlich, wie denn im Zorn oft der Koͤrper dem Gedanken mechaniſch folgt, und das Gedachte mimiſch ausfuͤhrt, bei den letzten Worten den rechten Fuß vorſchleuderte, den Alten ſo hart an der Bruſt traf, daß er mit einem dumpfen Schrey umſtuͤrzte. Er raffte ſich muͤhſam in die Hoͤhe, und indem er einen ſonderbaren Laut, gleich dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod wunden Thieres, ausſtieß, durchbohrte er den Frei¬ herrn mit einem Blick, in dem Wuth und Verzweif¬ lung gluͤhten. Den Beutel mit Geld, den ihm der Freiherr im Davonſchreiten zugeworfen, ließ er un¬ beruͤhrt auf dem Fußboden liegen.

Unterdeſſen hatten ſich die in der Gegend befind¬ lichen naͤchſten Verwandten des Hauſes eingefunden, mit vielem Prunk wurde der alte Freiherr in der Familiengruft, die in der Kirche von R ſitten be¬ findlich, beigeſetzt, und nun, da die geladenen Gaͤſte183 ſich wieder entfernt, ſchien der neue Majorats - Herr, von der duͤſtern Stimmung verlaſſen, ſich des erworbenen Beſitzthums recht zu erfreuen. Mit R., dem Juſtitiarius des alten Freiherrn, dem er gleich, nachdem er ihn nur geſprochen, ſein volles Vertrauen ſchenkte, und ihn in ſeinem Amt beſtaͤ¬ tigte, hielt er genaue Rechnung uͤber die Einkuͤnfte des Majorats, und uͤberlegte, wie viel davon ver¬ wandt werden koͤnne zu Verbeſſerungen und zum Aufbau eines neuen Schloſſes. V. meinte, daß der alte Freiherr unmoͤglich ſeine jaͤhrlichen Einkuͤnfte aufgezehrt haben koͤnne, und daß, da ſich unter den Briefſchaften nur ein paar unbedeutende Capitalien in Bankoſcheinen befanden, und die in einem eiſer¬ nen Kaſten befindliche baare Summe tauſend Thaler nur um weniges uͤberſtiege, gewiß irgendwo noch Geld verborgen ſeyn muͤſſe Wer anders konnte davon unterrichtet ſeyn, als Daniel, der, ſtoͤrriſch und eigenſinnig wie er war, vielleicht nur darauf wartete, daß man ihn darum befrage. Der Baron war nicht wenig beſorgt, daß Daniel, den er ſchwer184 beleidigt, nun nicht ſowol aus Eigennutz, denn was konnte ihm, dem kinderloſen Greiſe, der im Stamm¬ ſchloſſe R ſitten ſein Leben zu enden wuͤnſchte, die groͤßte Summe Geldes helfen, als vielmehr, um Rache zu nehmen fuͤr den erlittenen Schimpf, ir¬ gendwo verſteckte Schaͤtze lieber vermodern laſſen, als ihm entdecken werde. Er erzaͤhlte V. den gan¬ zen Vorfall mit Daniel umſtaͤndlich, und ſchloß da¬ mit, daß nach mehreren Nachrichten, die ihm zuge¬ kommen, Daniel allein es geweſen ſey, der in dem alten Freiherrn einen unerklaͤrlichen Abſcheu, ſeine Soͤhne in R ſitten wiederzuſehen, zu naͤhren ge¬ wußt habe. Der Juſtitiarius erklaͤrte dieſe Nach¬ richten durchaus fuͤr falſch, da kein menſchliches We¬ ſen auf der Welt im Stande geweſen ſey, des alten Freiherrn Entſchluͤſſe nur einigermaßen zu lenken, viel weniger zu beſtimmen, und uͤbernahm es uͤbri¬ gens, dem Daniel das Geheimniß, wegen irgend in einem verborgenen Winkel aufbewahrten Geldes, zu entlocken. Es bedurfte deſſen gar nicht, denn kaum fing der Juſtitiarius an: Aber wie kommt es185 denn, Daniel, daß der alte Herr ſo wenig baares Geld hinterlaſſen? ſo erwiderte Daniel mit widri¬ gem Laͤcheln: Meinen Sie die lumpigten paar Thaler, Herr Juſtitiarius, die Sie in dem kleinen Kaͤſtchen fanden? das uͤbrige liegt ja im Gewoͤlbe neben dem Schlafkabinet des alten gnaͤdigen Herrn! Aber das Beſte, fuhr er dann fort, indem ſein Laͤcheln ſich zum abſcheulichen Grinſen verzog, und blutrothes Feuer in ſeinen Augen funkelte, aber das Beſte, viele tauſend Goldſtuͤcke liegen da unten im Schutt vergraben! Der Juſtitiarius rief ſogleich den Freiherrn herbei, man begab ſich in das Schlafkabinet, in einer Ecke deſſelben ruͤckte Daniel an dem Getaͤfel der Wand, und ein Schloß wurde ſichtbar. Indem der Freiherr das Schloß mit gieri¬ gen Blicken anſtarrte, dann aber Anſtalt machte, die Schluͤſſel, welche an dem großen Bunde hingen, den er mit vielem Geklapper muͤhſam aus der Taſche ge¬ zerrt, an dem glaͤnzenden Schloſſe zu verſuchen, ſtand Daniel da hoch aufgerichtet, und wie mit haͤmiſchem Stolz herabblickend auf den Freiherrn, der ſich nie¬186 dergebuͤckt hatte, um das Schloß beſſer in Augen¬ ſchein zu nehmen. Den Tod im Antlitz, mit be¬ bender Stimme, ſprach er dann: Bin ich ein Hund, hochgnaͤdiger Freiherr! ſo bewahr 'ich auch in mir des Hundes Treue. Damit reichte er dem Baron einen blanken ſtaͤhlernen Schluͤſſel hin, den ihm dieſer mit haſtiger Begier aus der Hand riß, und die Thuͤr mit leichter Muͤhe oͤff¬ nete. Man trat in ein kleines, niedriges Ge¬ woͤlbe, in welchem eine große eiſerne Truhe mit geoͤffnetem Deckel ſtand. Auf den vielen Geldſaͤk¬ ken lag ein Zettel. Der alte Freiherr hatte mit ſeinen wohlbekannten großen altvaͤteriſchen Schrift¬ zuͤgen darauf geſchrieben:

Einmal hundert und funfzig tauſend Reichs¬ thaler in alten Friedrichsd'or erſpartes Geld von den Einkuͤnften des Majoratsgutes R ſit¬ ten, und iſt dieſe Summe beſtimmt zum Bau des Schloſſes. Es ſoll ferner der Majorats¬ herr, der mir folgt, im Beſitzthum von die¬ ſem Gelde auf dem hoͤchſten Huͤgel oͤſtlich187 gelegen, dem alten Schloßthurm, den er ein¬ geſtuͤrzt finden wird, einen hohen Leuchtthurm, zum Beſten der Seefahrer, auffuͤhren, und allnaͤchtlich feuern laſſen. R ſitten in der Michaelisnacht des Jahres 1760.

Roderich Freiherr von R.

Erſt als der Freiherr die Beutel, einen nach dem andern, gehoben, und wieder in den Ka¬ ſten fallen laſſen, ſich ergoͤtzend an dem klirren¬ den Klingen des Goldes, wandte er ſich raſch zu dem alten Hausverwalter, dankte ihm fuͤr die be¬ wieſene Treue, und verſicherte, daß nur verlaͤum¬ deriſche Klaͤtſchereien Schuld daran waͤren, daß er ihm Anfangs uͤbel begegnet. Nicht allein im Schloſſe, ſondern in vollem Dienſt als Hausver¬ walter, mit verdoppeltem Gehalt, ſolle er bleiben. Ich bin dir volle Entſchaͤdigung ſchuldig, willſt du Gold, ſo nimm dir einen von jenen Beuteln! So ſchloß der Freiherr ſeine Rede, indem er mit niedergeſchlagenen Augen, vor dem Alten ſte¬188 hend, mit der Hand nach dem Kaſten hinzeigte, an den er nun aber noch einmal hintrat und die Beutel muſterte. Dem Hausverwalter trat ploͤtz¬ lich gluͤhende Roͤthe ins Geſicht, und er ſties je¬ nen entſetzlichen, dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod wunden Thiers aͤhnlichen, Laut aus, wie ihn der Freiherr dem Juſtitiarius beſchrieben. Dieſer erbebte, denn was der Alte nun zwiſchen den Zaͤhnen murmelte, klang, wie: Blut fuͤr Gold! Der Freiherr, vertieft in dem Anblick des Schatzes, hatte von Allem nicht das mindeſte be¬ merkt; Daniel, den es, wie im krampfigten Fie¬ berfroſt, durch alle Glieder geſchuͤttelt, nahte ſich mit gebeugtem Haupt in demuͤthiger Stellung dem Freiherrn, kuͤßte ihm die Hand, und ſprach mit weinerlicher Stimme, indem er mit dem Taſchen¬ tuch ſich uͤber die Augen fuhr, als ob er Thraͤ¬ nen wegwiſche: Ach, mein lieber gnaͤdiger Herr, was ſoll ich armer, kinderloſer Greis mit dem Golde? aber das doppelte Gehalt, das nehme189 ich an mit Freuden, und will mein Amt verwal¬ ten ruͤſtig und unverdroſſen!

Der Freiherr, der nicht ſonderlich auf die Worte des Alten geachtet, ließ nun den ſchweren Deckel der Truhe zufallen, daß das ganze Gewoͤlbe krachte und droͤhnte, und ſprach dann, indem er die Truhe ver¬ ſchloß, und die Schluͤſſel ſorgfaͤltig auszog, ſchnell hingeworfen: Schon gut, ſchon gut Alter! Aber du haſt noch, fuhr er fort, nachdem ſie ſchon in den Saal getreten waren, aber du haſt noch von vielen Goldſtuͤcken geſprochen, die unten im zerſtoͤr¬ ten Thurm liegen ſollen? Der Alte trat ſchwei¬ gend an die Pforte, und ſchloß ſie mit Muͤhe auf. Aber ſo wie er die Fluͤgel aufriß, trieb der Sturm dickes Schneegeſtoͤber in den Saal; aufgeſcheucht flatterte ein Rabe kreiſchend und kraͤchzend umher, ſchlug mit ſchwarzen Schwingen gegen die Fenſter, und ſtuͤrzte ſich, als er die offne Pforte wieder ge¬ wonnen, in den Abgrund. Der Freiherr trat hin¬ aus in den Corridor, bebte aber zuruͤck, als er kaum einen Blick in die Tiefe geworfen. Abſcheulicher190 Anblick Schwindel, ſtotterte er, und ſank, wie ohnmaͤchtig, dem Juſtitiarius in die Arme. Er raffte ſich jedoch wieder gleich zuſammen, und frug den Alten mit ſcharfen Blicken erfaſſend: Und da unten? Der Alte hatte indeſſen die Pforte wieder verſchloſſen, er druͤckte nun noch mit ganzer Leibeskraft dagegen, ſo daß er keuchte und aͤchzte, um nur die großen Schluͤſſel aus den ganz verroſte¬ ten Schloͤſſern loswinden zu koͤnnen. Dies endlich zu Stande gebracht, wandte er ſich um nach dem Baron, und ſprach, die großen Schluͤſſel in der Hand hin und her ſchiebend, mit ſeltſamen Laͤcheln: Ja, da unten liegen tauſend und tauſend alle ſchoͤnen Inſtrumente des ſeligen Herrn Teleskope, Qua¬ dranten Globen Nachtſpiegel alles liegt zertruͤmmert im Schutt zwiſchen den Steinen und Balken! Aber, baares Geld, baares Geld, fiel der Freiherr ein, du haſt von Goldſtuͤcken ge¬ ſprochen, Alter? Ich meinte nur erwiderte der Alte, Sachen, welche viele tauſend Goldſtuͤcke191 gekoſtet. Mehr war aus dem Alten nicht heraus¬ zubringen.

Der Baron zeigte ſich hoch erfreut, nun, mit einem Mal, zu allen Mitteln gelangt zu ſeyn, deren er bedurfte, ſeinen Lieblingsplan ausfuͤhren, naͤmlich ein neues praͤchtiges Schloß aufbauen zu koͤnnen. Zwar meinte der Juſtitiarius, daß, nach dem Wil¬ len des Verſtorbenen, nur von der Reparatur, von dem voͤlligen Ausbau des alten Schloſſes, die Rede ſeyn koͤnne, und daß in der That jeder neue Bau ſchwerlich die ehrwuͤrdige Groͤße, den ernſten einfa¬ chen Charakter des alten Stammhauſes, erreichen werde, der Freiherr blieb aber bei ſeinem Vorſatz, und meinte, daß in ſolchen Verfuͤgungen, die nicht durch die Stiftungsurkunde ſanktioniert worden, der todte des Dahingeſchiedenen weichen muͤſſe. Er gab dabei zu verſtehen, daß es ſeine Pflicht ſey, den Aufenthalt in R ſitten ſo zu verſchoͤnern, als es nur Klima, Boden und Umgebung zulaſſe, da er ge¬ denke, in kurzer Zeit, als ſein innig geliebtes Weib192 ein Weſen heimzufuͤhren, die in jeder Hinſicht der groͤßten Opfer wuͤrdig ſey.

Die geheimnißvolle Art, wie der Freiherr ſich uͤber das vielleicht ſchon ins Geheim geſchloſſene Buͤndniß aͤußerte, ſchnitt dem Juſtitiarius jede weitere Frage ab, indeſſen fand er ſich durch die Entſchei¬ dung des Freiherrn in ſofern beruhigt, als er wirk¬ lich in ſeinem Streben nach Reichthum mehr die Begier, eine geliebte Perſon, das ſchoͤnere Vater¬ land, dem ſie entſagen mußte, ganz vergeſſen zu laſſen, als eigentlichen Geiz, finden wollte. Fuͤr geizig, wenigſtens fuͤr unausſtehlich habſuͤchtig mußte er ſonſt den Baron halten, der, im Golde wuͤhlend, die alten Friedrichsd'or beaͤugelnd, ſich nicht enthalten konnte, muͤrriſch aufzufahren: Der alte Hallunke hat uns gewiß den reichſten Schatz verſchwiegen, aber kuͤnftigen Fruͤhling laß 'ich den Thurm ausraͤumen unter meinen Augen.

Baumeiſter kamen, mit denen der Freiherr weit¬ laͤuftig uͤberlegte, wie mit dem Bau am zweckmaͤßig¬193 ſten zu verfahren ſey. Er verwarf Zeichnung auf Zeichnung, keine Architektur war ihm reich, gro߬ artig genug. Nun fing er an, ſelbſt zu zeichnen, und, aufgeheitert durch dieſe Beſchaͤftigungen, die ihm beſtaͤndig das ſonnenhelle Bild der gluͤcklich¬ ſten Zukunft vor Augen ſtellten, erfaßte ihn eine frohe Laune, die oft an Ausgelaſſenheit anſtreifte, und die er allen mitzutheilen wußte. Seine Frei¬ gebigkeit, die Opulenz ſeiner Bewirthung, wider¬ legte wenigſtens jeden Verdacht des Geizes. Auch Daniel ſchien nun ganz jenen Tort, der ihm ge¬ ſchehen, vergeſſen zu haben. Er betrug ſich ſtill und demuͤthig gegen den Freiherrn, der ihn, des Schatzes in der Tiefe halber, oft mit mißtraui¬ ſchen Blicken verfolgte. Was aber allen wunder¬ bar vorkam, war, daß der Alte ſich zu verjuͤngen ſchien von Tage zu Tage. Es mochte ſeyn, daß ihn der Schmerz um den alten Herrn tief ge¬ beugt hatte, und er nun den Verluſt zu verſchmer¬ zen begann, wohl aber auch, daß er nun nicht, wie ſonſt, kalte Naͤchte ſchlaflos auf dem ThurmN194zubringen, und beſſere Koſt, guten Wein, wie es ihm gefiel, genießen durfte, genug, aus dem Greiſe ſchien ein ruͤſtiger Mann werden zu wollen mit rothen Wangen und wohlgenaͤhrtem Koͤrper, der kraͤftig auftrat, und mit lauter Stimme mitlachte, wo es einen Spaß gab Das luſtige Leben in R ſitten wurde durch die Ankunft eines Man¬ nes unterbrochen, von dem man haͤtte denken ſol¬ len, er gehoͤre nun gerade hin. Wolfgangs juͤn¬ gerer Bruder, Hubert, war dieſer Mann, bei deſ¬ ſen Anblick Wolfgang, im Antlitz den bleichen Tod, laut aufſchrie: Ungluͤcklicher, was willſt du hier! Hubert ſtuͤrzte dem Bruder in die Arme, die¬ ſer faßte ihn aber, und zog ihn mit ſich fort und hinauf in ein entferntes Zimmer, wo er ſich mit ihm einſchloß. Mehrere Stunden blieben beide zuſammen, bis endlich Hubert herab kam mit ver¬ ſtoͤrtem Weſen, und nach ſeinen Pferden rief. Der Juſtitiarius trat ihm in den Weg, er wollte voruͤber; V., von der Ahnung ergriffen, daß viel¬ leicht gerade hier ein toͤdtlicher Bruderzwiſt enden195 koͤnne, bat ihn, wenigſtens ein paar Stunden zu verweilen, und in dem Augenblick kam auch der Freiherr herab, laut rufend: Bleibe hier, Hu¬ bert! Du wirſt dich beſinnen! Huberts Blicke heiterten ſich auf, er gewann Faſſung, und indem er den reichen Leibpelz, den er, ſchnell ab¬ gezogen, hinter ſich dem Bedienten zuwarf, nahm er V s Hand, und ſprach mit ihm, in die Zim¬ mer ſchreitend, mit einem verhoͤhnenden Laͤcheln: Der Majoratsherr will mich doch alſo hier lei¬ den. V. meinte, daß gewiß ſich jetzt das un¬ gluͤckliche Mißverſtaͤndniß loͤſen werde, welches nur bei getrenntem Leben habe gedeihen koͤnnen. Hubert nahm die ſtaͤhlerne Zange, die beim Ka¬ min ſtand, zur Hand, und, indem er damit ein aſtiges, dampfendes Stuͤck Holz auseinander klopfte, und das Feuer beſſer aufſchuͤrte, ſprach er zu V.: Sie merken, Herr Juſtitiarius, daß ich ein gut¬ muͤthiger Menſch bin, und geſchickt zu allerlei haͤuslichen Dienſten. Aber Wolfgang iſt voll der wunderlichſten Vorurtheile, und ein kleinerN 2196Geizhals. V. fand es nicht gerathen, weiter in das Verhaͤltniß der Bruͤder einzudringen, zu¬ mal Wolfgangs Geſicht, ſein Benehmen, ſein Ton den durch Leidenſchaften jeder Art im Innerſten zerriſſenen Menſchen ganz deutlich zeigte.

Um des Freiherrn Entſchluͤſſe in irgend einer das Majorat betreffenden Angelegenheit zu ver¬ nehmen, ging V. noch am ſpaͤten Abend hinauf in ſein Gemach. Er fand ihn, wie er die Arme uͤber den Ruͤcken zuſammengeſchraͤnkt, ganz verſtoͤrt mit großen Schritten das Zimmer maß. Er blieb ſtehen als er endlich den Juſtitiarius er¬ blickte, faßte ſeine beiden Haͤnde, und duͤſter ihm ins Auge ſchauend, ſprach er mit gebrochener Stimme: Mein Bruder iſt gekommen! Ich weiß, fuhr er fort, als V. kaum den Mund zur Frage geoͤffnet, Ich weiß, was Sie ſagen wol¬ len. Ach, Sie wiſſen nichts. Sie wiſſen nicht, daß mein ungluͤcklicher Bruder ja ungluͤcklich nur will ich ihn nennen daß er, wie ein boͤſer Geiſt, mir uͤberall in den Weg tritt, und meinen197 Frieden ſtoͤrt. An ihm liegt es nicht, daß ich nicht unausſprechlich elend wurde, er that das Sei¬ nige dazu, doch der Himmel wollt 'es nicht Seit der Zeit, daß die Stiftung des Majorats bekannt wurde, verfolgt er mich mit toͤdtlichem Haß. Er beneidet mich um das Beſitzthum, das in ſeinen Haͤnden wie Spreu verflogen waͤre. Er iſt der wahnſinnigſte Verſchwender, den es gibt. Seine Schuldenlaſt uͤberſteigt bei weitem die Haͤlfte des freien Vermoͤgens in Curland, die ihm zu¬ faͤllt, und nun, verfolgt von Glaͤubigern, die ihn quaͤlen, eilt er her, und bettelt um Geld. Und Sie, der Bruder, verweigern wollte ihm V. in die Rede fallen, doch der Freiherr rief, indem er V s Haͤnde fahren ließ, und einen ſtarken Schritt zuruͤcktrat, laut und heftig: Hal¬ ten Sie ein! ja! ich verweigere! Von den Einkuͤnften des Majorats kann und werde ich kei¬ nen Thaler verſchenken! Aber hoͤren Sie, wel¬ chen Vorſchlag ich dem Unſinnigen vor wenigen Stunden vergebens machte, und dann richten Sie198 uͤber mein Pflichtgefuͤhl. Das freie Vermoͤgen in Curland iſt, wie Sie wiſſen, bedeutend, auf die mir zufallende Haͤlfte wollt' ich verzichten, aber zu Gunſten ſeiner Familie. Hubert iſt verheira¬ thet in Curland an ein ſchoͤnes armes Fraͤulein. Sie hat ihm Kinder erzeugt, und darbt mit ih¬ nen. Die Guͤter ſollten adminiſtrirt, aus den Revenuͤen ihm die noͤthigen Gelder zum Unter¬ halt angewieſen, die Glaͤubiger, vermoͤge Abkom¬ mens, befriedigt werden. Aber was gilt ihm ein ruhiges, ſorgenfreies Leben, was gilt ihm Frau und Kind! Geld, baares Geld in großen Sum¬ men will er haben, damit er in verruchtem Leicht¬ ſinn es verpraſſen koͤnne! Welcher Daͤmon hat ihm das Geheimniß mit den einhundert und funf¬ zig tauſend Thalern verrathen, davon verlangt er die Haͤlfte nach ſeiner wahnſinnigen Weiſe, be¬ hauptend, dies Geld ſey, getrennt vom Majorat, als freies Vermoͤgen zu achten Ich muß und werde ihm dies verweigern, aber mir ahnt es, mein Verderben bruͤtet er aus im Innern.

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So ſehr V. ſich auch bemuͤhte, dem Freiherrn den Verdacht wider ſeinen Bruder auszureden, wobei er ſich freilich, uneingeweiht in die naͤheren Verhaͤltniſſe, mit ganz allgemeinen moraliſchen, ziemlich flachen Gruͤnden behelfen mußte, ſo ge¬ lang ihm dies doch ganz und gar nicht. Der Freiherr gab ihm den Auftrag, mit dem feindſeli¬ gen geldgierigen Hubert zu unterhandeln. V. that dies mit ſo viel Vorſicht, als ihm nur moͤglich war, und freute ſich nicht wenig, als Hubert end¬ lich erklaͤrte: Mag es dann ſeyn, ich nehme die Vorſchlaͤge des Majoratsherrn an, doch unter der Bedingung, daß er mir jetzt, da ich auf dem Punkt ſtehe, durch die Haͤrte meiner Glaͤubiger, Ehre und guten Namen auf immer zu verlieren, tauſend Friedrichsd'or baar vorſchieße, und erlaube, daß ich kuͤnftig, wenigſtens einige Zeit hindurch, meinen Wohnſitz in dem ſchoͤnen R ſitten bei dem guͤtigen Bruder nehme. Nimmermehr! ſchrie der Freiherr auf, als ihm V. dieſe Vor¬ ſchlaͤge des Bruders hinterbrachte, nimmermehr200 werde ich's zugeben, daß Hubert auch nur eine Minute in meinem Hauſe verweile, ſobald ich mein Weib hergebracht! Gehen Sie, mein theurer Freund, ſagen Sie dem Friedenſtoͤrer, daß er zweitauſend Friedrichsd'or haben ſoll, nicht als Vorſchuß, nein als Geſchenk, nur fort fort! V. wußte nun mit einem Mal, daß der Freiherr ſich ohne Wiſſen des Vaters ſchon verheirathet hatte, und daß in dieſer Heirath auch der Grund des Bruderzwiſtes liegen mußte. Hubert hoͤrte ſtolz und gelaſſen den Juſtitiarius an, und ſprach, nachdem er geendet, dumpf und duͤſter: Ich werde mich beſinnen, vor der Hand aber noch ei¬ nige Tage hier bleiben! V. bemuͤhte ſich, dem Unzufriedenen darzuthun, daß der Freiherr doch in der That alles thue, ihn, durch die Ab¬ tretung des freien Vermoͤgens, ſo viel als moͤg¬ lich, zu entſchaͤdigen, und daß er uͤber ihn ſich durchaus nicht zu beklagen habe, wenn er gleich bekennen muͤſſe, daß jede Stiftung, die den Erſt¬ gebornen ſo vorwiegend beguͤnſtige, und die andern201 Kinder in den Hintergrund ſtelle, etwas Gehaͤſſi¬ ges habe. Hubert riß, wie einer, der Luft machen will der beklemmten Bruſt, die Weſte von oben bis unten auf; die eine Hand in die offne Buſen¬ krauſe begraben, die andere in die Seite geſtemmt, drehte er ſich, mit einer raſchen Taͤnzerbewegung, auf einem Fuße um, und rief mit ſchneidender Stimme: Pah! das Gehaͤſſige wird geboren vom Haß dann ſchlug er ein gellendes Gelaͤchter auf, und ſprach: Wie gnaͤdig doch der Majoratsherr dem armen Bettler ſeine Goldſtuͤcke zuzuwerfen gedenkt. V. ſah nun wohl ein, daß von voͤlliger Ausſoͤhnung der Bruͤder gar nicht die Rede ſeyn koͤnne.

Hubert richtete ſich in den Zimmern, die ihm in den Seitenfluͤgeln des Schloſſes angewieſen worden, zu des Freiherrn Verdruß, auf recht langes Bleiben ein. Man bemerkte, daß er oft und lange mit dem Hausverwalter ſprach, ja daß dieſer ſogar zuweilen mit ihm auf die Wolfsjagd zog. Sonſt ließ er ſich wenig ſehen, und mied es ganz, mit dem Bruder allein zuſammen zu kommen, welches dieſem eben202 ganz recht war. V. fuͤhlte das Druͤckende dieſes Verhaͤltniſſes, ja er mußte ſich es ſelbſt geſtehen, daß die ganz beſondere unheimliche Manier Huberts in allem, was er ſprach und that, alle Luſt recht gefliſ¬ ſentlich zerſtoͤrend, eingriff. Jener Schreck des Frei¬ herrn, als er den Bruder eintreten ſah, war ihm nun ganz erklaͤrlich.

V. ſaß allein in der Gerichtsſtube unter den Ak¬ ten, als Hubert eintrat, ernſter, gelaſſener, als ſonſt, und mit beinahe wehmuͤthiger Stimme ſprach: ich nehme auch die letzten Vorſchlaͤge des Bruders an, bewirken Sie, daß ich die zweitauſend Fried¬ richsd'or noch heute erhalte, in der Nacht will ich fort zu Pferde ganz allein Mit dem Gelde? frug V. Sie haben Recht, erwi¬ derte Hubert, ich weiß, was Sie ſagen wollen die Laſt! Stellen Sie es in Wechſel auf Iſak Lazarus in K.! Noch in dieſer Nacht will ich hin nach K. Es treibt mich von hier fort, der Alte hat ſeine boͤſen Geiſter hier hinein ge¬ hext! Sprechen Sie von Ihrem Vater,203 Herr Baron? frug V. ſehr ernſt. Huberts Lippen bebten, er hielt ſich an dem Stuhl feſt, um nicht umzuſinken, dann aber, ſich ploͤtzlich er¬ mannend, rief er: Alſo noch heute, Herr Juſti¬ tiarius, und wankte, nicht ohne Anſtrengung, zur Thuͤr hinaus. Er ſieht jetzt ein, daß keine Taͤu¬ ſchungen mehr moͤglich ſind, daß er nichts vermag gegen meinen feſten Willen, ſprach der Freiherr, indem er den Wechſel auf Iſak Lazarus in K. ausſtellte. Eine Laſt wurde ſeiner Bruſt entnom¬ men durch die Abreiſe des feindlichen Bruders, lange war er nicht ſo froh geweſen, als bei der Abendtafel. Hubert hatte ſich entſchuldigen laſ¬ ſen, alle vermißten ihn recht gern.

V. wohnte in einem etwas abgelegenen Zim¬ mer, deſſen Fenſter nach dem Schloßhofe heraus¬ gingen. In der Nacht fuhr er ploͤtzlich auf aus dem Schlafe, und es war ihm, als habe ein fer¬ nes, klaͤgliches Wimmern ihn aus dem Schlafe geweckt. Mochte er aber auch horchen, wie er wollte, es blieb alles todtenſtill, und ſo mußte er204 jenen Ton, der ihm in die Ohren geklungen, fuͤr die Taͤuſchung eines Traums halten. Ein ganz beſonderes Gefuͤhl von Grauen und Angſt bemaͤch¬ tigte ſich ſeiner aber ſo ganz und gar, daß er nicht im Bette bleiben konnte. Er ſtand auf und trat ans Fenſter. Nicht lange dauerte es, ſo wurde das Schloßthor geoͤffnet, und eine Geſtalt, mit einer brennenden Kerze in der Hand, trat heraus und ſchritt uͤber den Schloßhof. V. erkannte in der Geſtalt den alten Daniel, und ſah, wie er die Stallthuͤr oͤffnete, in den Stall hinein ging, und bald darauf ein geſatteltes Pferd heraus brachte. Nun trat aus der Finſterniß eine zweite Geſtalt hervor, wohl eingehuͤllt in einen Pelz, eine Fuchs¬ muͤtze auf dem Kopf. V. erkannte Hubert, der mit Daniel einige Minuten hindurch heftig ſprach, dann aber ſich zuruͤckzog. Daniel fuͤhrte das Pferd wieder in den Stall, verſchloß dieſen, und eben ſo die Thuͤr des Schloſſes, nachdem er uͤber den Hof, wie er gekommen, zuruͤckgekehrt. Hubert hatte wegreiten wollen, und ſich in dem Augenblick ei¬205 nes andern beſonnen, das war nun klar. Eben ſo aber auch, daß Hubert gewiß mit dem alten Haus¬ verwalter in irgend einem gefaͤhrlichen Buͤndniſſe ſtand. V. konnte kaum den Morgen erwarten, um den Freiherrn von den Ereigniſſen der Nacht zu un¬ terrichten. Es galt nun wirklich, ſich gegen An¬ ſchlaͤge des boͤsartigen Hubert zu waffnen, die ſich, wie V. jetzt uͤberzeugt war, ſchon geſtern in ſeinem verſtoͤrten Weſen kund gethan.

Andern Morgens zur Stunde, wenn der Frei¬ herr aufzuſtehen pflegte, vernahm V. ein Hin - und Herrennen, Thuͤr auf, Thuͤr zu ſchlagen, ein ver¬ wirrtes Durcheinanderreden und Schreien. Er trat hinaus, und ſtieß uͤberall auf Bediente, die, ohne auf ihn zu achten, mit leichenblaſſen Geſichtern ihm vorbei Trepp auf Trepp ab hinaus hin¬ ein durch die Zimmer rannten. Endlich erfuhr er, daß der Freiherr vermißt, und ſchon Stunden lang vergebens geſucht werde. In Gegenwart des Jaͤ¬ gers hatte er ſich ins Bette gelegt, er mußte dann aufgeſtanden, und ſich im Schlafrock und Pantof¬206 feln, mit dem Armleuchter in der Hand, entfernt haben, denn eben dieſe Stuͤcke wurden vermißt. V. lief, von duͤſterer Ahnung getrieben, in den verhaͤng¬ nißvollen Saal, deſſen Seitenkabinet gleich dem Vater Wolfgang zu ſeinem Schlafgemach gewaͤhlt hatte. Die Pforte zum Thurm ſtand weit offen, tief entſetzt ſchrie V. laut auf: Dort in der Tiefe liegt er zerſchmettert! Es war dem ſo. Schnee war gefallen, ſo daß man von oben herab nur den zwiſchen den Steinen hervorragenden ſtarren Arm des Ungluͤcklichen deutlich wahrnehmen konnte. Viele Stunden gingen hin, ehe es den Arbeitern gelang, mit Lebensgefahr, auf zuſammengebundenen Leitern, herab zu ſteigen, und dann den Leichnam an Stricken heraufzuziehen. Im Krampf der Todesangſt hatte der Baron den ſilbernen Armleuchter feſt gepackt, die Hand, die ihn noch feſt hielt, war der einzige un¬ verſehrte Theil des ganzen Koͤrpers, der ſonſt durch das Anprallen an die ſpitzen Steine auf das graͤ߬ lichſte zerſchellt worden.

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Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz ſtuͤrzte Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen, und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen breiten Tiſch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte Roderich lag. Niedergeſchmettert von dem graͤßlichen Anblick heulte er: Bruder o mein armer Bruder nein, das hab 'ich nicht erfleht von den Teufeln, die uͤber mir waren! V. er¬ bebte vor dieſer verfaͤnglichen Rede, es war ihm ſo, als muͤſſe er zufahren auf Hubert, als den Moͤrder ſeines Bruders Hubert lag von Sinnen auf dem Fußboden, man brachte ihn ins Bette, und er er¬ holte ſich, nachdem er ſtaͤrkende Mittel gebraucht, ziemlich bald. Sehr bleich, duͤſtern Gram im halb erloſchnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer, und ſprach, indem er vor Mattigkeit, nicht faͤhig zu ſtehen, ſich langſam in einen Lehnſtuhl niederließ: Ich habe meines Bruders Tod gewuͤnſcht, weil der Vater ihm den beſten Theil des Erbes zugewandt durch eine thoͤrigte Stiftung jetzt hat er ſeinen Tod gefunden auf ſchreckliche Weiſe ich bin Ma¬208 joratsherr, aber mein Herz iſt zermalmt, ich kann, ich werde niemals gluͤcklich ſeyn. Ich beſtaͤtige Sie im Amte, Sie erhalten die ausgedehnteſten Voll¬ machten, Ruͤckſichts der Verwaltung des Majorats, auf dem ich nicht zu hauſen vermag! Hubert verließ das Zimmer, und war in ein paar Stunden ſchon auf dem Wege nach K. Es ſchien, daß der ungluͤckliche Wolfgang in der Nacht aufgeſtanden war, und ſich vielleicht in das andere Kabinet, wo eine Bibliothek aufgeſtellt, begeben wollen. In der Schlaftrunkenheit verfehlte er die Thuͤr, oͤffnete ſtatt derſelben die Pforte, ſchritt vor, und ſtuͤrzte hinab. Dieſe Erklaͤrung enthielt indeſſen immer viel Erzwun¬ genes. Konnte der Baron nicht ſchlafen, wollte er ſich noch ein Buch aus der Bibliothek holen, um zu leſen, ſo ſchloß dieſes alle Schlaftrunkenheit aus, aber nur ſo war es moͤglich, die Thuͤr des Kabinets zu verfehlen, und ſtatt dieſer die Pforte zu oͤffnen. Ueberdem war dieſe feſt verſchloſſen und mußte erſt mit vieler Muͤhe aufgeſchloſſen werden. Ach, fing endlich, als V. dieſe Unwahrſcheinlichkeiten vor ver¬209 ſammelter Dienerſchaft entwickelte, des Freiherrn Jaͤger, Franz geheißen, an: Ach, lieber Herr Juſtitiarius, ſo hat es wohl ſich nicht zugetragen! Wie denn anders? fuhr ihn V. an. Franz, ein ehrlicher treuer Kerl, der ſeinem Herrn haͤtte ins Grab folgen moͤgen, wollte aber nicht vor den an¬ dern mit der Sprache heraus, ſondern behielt ſich vor, das, was er davon zu ſagen wiſſe, dem Ju¬ ſtitiarius allein zu vertrauen. V. erfuhr nun, daß der Freiherr zu Franz ſehr oft von den vielen Schaͤtzen ſprach, die da unten in dem Schutt begraben laͤgen, und daß er oft, wie vom boͤſen Geiſt getrieben, zur Nachtzeit noch die Pforte, zu der den Schluͤſſel ihm Daniel hatte geben muͤſſen, oͤffnete und mit Sehnſucht hinabſchaute in die Tiefe nach den ver¬ meintlichen Reichthuͤmern. Gewiß war es nun wohl alſo, daß in jener verhaͤngnißvollen Nacht der Freiherr, nachdem ihn der Jaͤger ſchon verlaſſen, noch einen Gang nach dem Thurm gemacht und ihn dort ein ploͤtzlicher Schwindel erfaßt und herabge¬ ſtuͤrzt hatte. Daniel, der von dem entſetzlichenO210Tode des Freiherrn auch ſehr erſchuͤttert ſchien, meinte, daß es gut ſeyn wuͤrde, die gefaͤhrliche Pforte feſt vermauern zu laſſen, welches denn auch gleich geſchah. Freiherr Hubert von R., jetziger Majoratsbeſitzer, ging, ohne ſich wieder in R ſitten ſehen zu laſſen, nach Curland zuruͤck. V. erhielt alle Vollmachten, die zur unumſchraͤnkten Verwal¬ tung des Majorats noͤthig waren. Der Bau des neuen Schloſſes unterblieb, wogegen ſo viel moͤglich das alte Gebaͤude in guten Stand geſetzt wurde. Schon waren mehrere Jahre verfloſſen, als Hubert zum erſtenmal zur ſpaͤten Herbſtzeit ſich in R ſitten einfand, und nachdem er mehrere Tage mit V. in ſeinem Zimmer eingeſchloſſen zugebracht, wieder nach Curland zuruͤckging. Bei ſeiner Durchreiſe durch K. hatte er bei der dortigen Landesregierung ſein Teſtament niedergelegt.

Waͤhrend ſeines Aufenthalts in R ſitten ſprach der Freiherr, der in ſeinem tiefſten Weſen ganz geaͤndert ſchien, viel von Ahnungen eines nahen Todes. Dieſe gingen wirklich in Erfuͤllung; denn211 er ſtarb ſchon das Jahr darauf. Sein Sohn, wie er Hubert geheißen, kam ſchnell heruͤber von Cur¬ land, um das reiche Majorat in Beſitz zu nehmen. Ihm folgten Mutter und Schweſter. Der Juͤng¬ ling ſchien alle boͤſen Eigenſchaften der Vorfahren in ſich zu vereinen; er bewies ſich als ſtolz, hochfah¬ rend, ungeſtuͤm, habſuͤchtig gleich in den erſten Augenblicken ſeines Aufenthalts in R ſitten. Er wollte auf der Stelle vieles aͤndern laſſen, welches ihm nicht bequem, nicht gehoͤrig ſchien; den Koch warf er zum Hauſe hinaus; den Kutſcher verſuchte er zu pruͤgeln, welches aber nicht gelang, da der baumſtarke Kerl die Frechheit hatte, es nicht leiden zu wollen; kurz, er war im beſten Zuge, die Rolle des ſtrengen Majoratsherrn zu beginnen, als V. ihm mit Ernſt und Feſtigkeit entgegen trat, ſehr beſtimmt verſichernd: Kein Stuhl ſolle hier geruͤckt werden, keine Katze das Haus verlaſſen, wenn es ihr noch ſonſt darin gefalle, vor Eroͤffnung des Teſtaments. Sie unterſtehen ſich hier, dem Ma¬ joratsherrn fing der Baron an. V. ließ denO 2212den vor Wuth ſchaͤumenden Juͤngling jedoch nicht ausreden, ſondern ſprach, indem er ihn mit durch¬ bohrenden Blicken maß: Keine Uebereilung, Herr Baron! Durchaus duͤrfen Sie hier nicht regie¬ ren wollen vor Eroͤffnung des Teſtaments; jetzt bin ich, ich allein hier Herr, und werde Gewalt mit Gewalt zu vertreiben wiſſen. Erinnern Sie ſich, daß ich kraft meiner Vollmacht als Vollzieher des vaͤterlichen Teſtaments, kraft der getroffenen Ver¬ fuͤgungen des Gerichts berechtigt bin, Ihnen den Aufenthalt hier in R ſitten zu verſagen, und ich rathe Ihnen, um das Unangenehme zu verhuͤten, ſich ruhig nach K. zu begeben. Der Ernſt des Ge¬ richtshalters, der entſchiedene Ton, mit dem er ſprach, gab ſeinen Worten gehoͤrigen Nachdruck, und ſo kam es, daß der junge Baron, der mit gar zu ſpitzigen Hoͤrnern anlaufen wollte, wider den feſten Bau die Schwaͤche ſeiner Waffen fuͤhlte, und fuͤr gut fand, im Ruͤckzuge ſeine Beſchaͤmung mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter auszugleichen.

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Drei Monate waren verfloſſen und der Tag ge¬ kommen, an dem, nach dem Willen des Verſtorbe¬ nen, das Teſtament in R., wo es niedergelegt worden, eroͤffnet werden ſollte. Außer den Ge¬ richtsperſonen, dem Baron und V. befand ſich noch ein junger Menſch von edlem Anſehn in dem Ge¬ richtsſaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein eingeknoͤpftes Aktenſtuͤck aus dem Buſen hervorragte, fuͤr V. .s Schreiber hielt. Der Baron ſah ihn, wie er es beinahe mit allen uͤbrigen machte, uͤber die Achſel an, und verlangte ſtuͤrmiſch, daß man die langweilige uͤberfluͤſſige Ceremonie nur ſchnell und ohne viele Worte und Schreiberei ab¬ machen ſolle. Er begreife nicht, wie es uͤberhaupt in dieſer Erbangelegenheit, wenigſtens Hinſichts des Majorats, auf ein Teſtament ankommen koͤnne, und werde, in ſo fern hier irgend etwas verfuͤgt ſeyn ſolle, es lediglich von ſeinem Willen abhaͤngen, das zu beachten oder nicht. Hand und Siegel des verſtorbenen Vaters erkannte der Baron an, nach¬ dem er einen fluͤchtigen muͤrriſchen Blick darauf ge¬214 worfen, dann, indem der Gerichtsſchreiber ſich zum lauten Ableſen des Teſtaments anſchickte, ſchaute er gleichguͤltig nach dem Fenſter hin, den rechten Arm nachlaͤſſig uͤber die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt auf den Gerichtstiſch, und auf deſſen gruͤner Decke mit den Fingern trommelnd. Nach einem kurzen Eingange erklaͤrte der verſtorbene Frei¬ herr Hubert von R., daß er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr beſeſſen, ſondern daſſelbe nur Nahmens des einzigen Sohnes des verſtorbenen Freiherrn Wolfgang von R., nach ſeinem Gro߬ vater Roderich geheißen, verwaltet habe; dieſer ſey derjenige, dem nach der Familien-Succeſſion durch ſeines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genaueſten Rechnungen uͤber Einnahme und Aus¬ gabe, uͤber den vorzufindenden Beſtand u. ſ. w. wuͤrde man in ſeinem Nachlaß finden. Wolfgang von R., ſo erzaͤhlte Hubert in dem Teſtament, lernte auf ſeinen Reiſen in Genf das Fraͤulein Julie von St. Val kennen, und faßte eine ſolche heftige Neigung zu ihr, daß er ſich nie mehr von ihr zu215 trennen beſchloß. Sie war ſehr arm, und ihre Familie, unerachtet von gutem Adel, gehoͤrte eben nicht zu den glaͤnzendſten. Schon deshalb durfte er auf die Einwilligung des alten Roderich, deſſen ganzes Streben dahin ging, das Majorathaus auf alle nur moͤgliche Weiſe zu erheben, nicht hoffen. Er wagte es dennoch, von Paris aus dem Vater ſeine Neigung zu entdecken; was aber voraus zu ſehen, geſchah wirklich, indem der Alte beſtimmt erklaͤrte, daß er ſchon ſelbſt die Braut fuͤr den Ma¬ joratsherrn erkohren, und von einer andern niemals die Rede ſeyn koͤnne. Wolfgang, ſtatt, wie er ſollte, nach England hinuͤberzuſchiffen, kehrte unter dem Nahmen Born nach Genf zuruͤck, und vermaͤhlte ſich mit Julien, die ihm nach Verlauf eines Jahres den Sohn gebahr, der mit dem Tode Wolfgangs Majoratsherr wurde. Daruͤber, daß Hubert, von der ganzen Sache unterrichtet, ſo lange ſchwieg, und ſich ſelbſt als Majoratsherr gerirte, waren ver¬ ſchiedene Urſachen angefuͤhrt, die ſich auf fruͤhere Verabredungen mit Wolfgang bezogen, indeſſen216 unzureichend und aus der Luft gegriffen ſchie¬ nen.

Wie vom Donner geruͤhrt ſtarrte der Baron den Gerichtsſchreiber an, der mit eintoͤniger ſchnar¬ render Stimme alles Unheil verkuͤndete. Als er geendet, ſtand V. auf, nahm den jungen Menſchen, den er mitgebracht, bei der Hand, und ſprach, in¬ dem er ſich gegen die Anweſenden verbeugte: Hier, meine Herren, habe ich die Ehre, Ihnen den Frei¬ herrn Roderich von R., Majoratsherrn von R ſitten vorzuſtellen! Baron Hubert blickte den Juͤng¬ ling, der, wie vom Himmel gefallen, ihn um das reiche Majorat, um die Haͤlfte des freien Vermoͤ¬ gens in Curland brachte, verhaltenen Grimm im gluͤhenden Auge, an, drohte dann mit geballter Fauſt, und rannte, ohne ein Wort hervorbringen zu koͤnnen, zum Gerichtsſaal hinaus. Von den Gerichtsperſonen dazu aufgefordert, holte jetzt Ba¬ ron Roderich die Urkunden hervor, die ihn als die Perſon, fuͤr die er ſich ausgab, legitimiren ſollten. Er uͤberreichte den beglaubigten Auszug aus den217 Regiſtern der Kirche, wo ſein Vater ſich trauen laſſen, worin bezeugt wurde, daß an dem und dem Tage der Kaufmann Wolfgang Born, gebuͤrtig aus K., mit dem Fraͤulein Julie von St. Val, in Ge¬ genwart der genannten Perſonen, durch prieſterliche Einſegnung getraut worden. Eben ſo hatte er ſei¬ nen Taufſchein (er war in Genf als von dem Kauf¬ mann Born mit ſeiner Gemahlin Julie, geb. von St. Val, in guͤltiger Ehe erzeugtes Kind getauft worden), verſchiedene Briefe ſeines Vaters an ſeine ſchon laͤngſt verſtorbene Mutter, die aber alle nur mit W. unterzeichnet waren.

V. ſah alle dieſe Papiere mit finſterm Geſichte durch, und ſprach, ziemlich bekuͤmmert, als er ſie wieder zuſammenſchlug: Nun, Gott wird hel¬ fen!

Schon andern Tages reichte der Freiherr Hubert von R. durch einen Advokaten, den er zu ſeinem Rechtsfreunde erkohren, bei der Landesregierung in K. eine Vorſtellung ein, worin er auf nichts weniger antrug, als ſofort die Uebergabe des Majorats218 R ſitten an ihn zu veranlaſſen. Es verſtehe ſich von ſelbſt, ſagte der Advokat, daß weder teſtamen¬ tariſch, noch auf irgend eine andere Weiſe, der ver¬ ſtorbene Freiherr Hubert von R. habe uͤber das Majorat verfuͤgen koͤnnen. Jenes Teſtament ſey alſo nichts anders, als die aufgeſchriebene und ge¬ richtlich uͤbergebene Ausſage, nach welcher der Frei¬ herr Wolfgang von R. das Majorat an einen Sohn vererbt haben ſolle, der noch lebe, die keine hoͤhere Beweiskraft, als jede andere irgend eines Zeugen haben, und alſo unmoͤglich die Legitimation des angeblichen Freiherrn Roderich von R. bewirken koͤnne. Vielmehr ſey es die Sache dieſes Praͤten¬ denten, ſein vorgebliches Erbrecht, dem hiemit aus¬ druͤcklich widerſprochen werde, im Wege des Pro¬ zeſſes darzuthun, und das Majorat, welches jetzt nach dem Recht der Succeſſion dem Baron Hubert von R. zugefallen, zu vindiziren. Durch den Tod des Vaters ſey der Beſitz unmittelbar auf den Sohn uͤbergegangen; es habe keiner Erklaͤrung uͤber den Erbſchaftsantritt bedurft, da der Majoratsfolge219 nicht entſagt werden koͤnne, mithin duͤrfe der jetzige Majoratsherr in dem Beſitze nicht durch ganz illi¬ quide Anſpruͤche turbirt werden. Was der Verſtor¬ bene fuͤr Grund gehabt habe, einen andern Ma¬ joratsherrn aufzuſtellen, ſey ganz gleichguͤltig, nur werde bemerkt, daß er ſelbſt, wie aus den nachge¬ laſſenen Papieren erforderlichen Falls nachgewieſen werden koͤnne, eine Liebſchaft in der Schweiz gehabt habe, und ſo ſey vielleicht der angebliche Bruders¬ ſohn der eigne, in einer verbotenen Liebe erzeugte, dem er in einem Anfall von Reue das reiche Ma¬ jorat zuwenden wollen.

So ſehr auch die Wahrſcheinlichkeit fuͤr die im Teſtament behaupteten Umſtaͤnde ſprach, ſo ſehr auch die Richter hauptſaͤchlich die letzte Wendung, in der der Sohn ſich nicht ſcheute, den Verſtorbenen eines Verbrechens anzuklagen, empoͤrte, ſo blieb doch die Anſicht der Sache, wie ſie aufgeſtellt wor¬ den, die richtige, und nur den raſtloſen Bemuͤhun¬ gen V. .s, der beſtimmten Verſicherung, daß der die Legitimation des Freiherrn Roderich von R. be¬220 wirkende Beweis in kurzer Zeit auf das buͤndigſte gefuͤhrt werden ſolle, konnte es gelingen, daß die Uebergabe des Majorats noch ausgeſetzt und die Fortdauer der Adminiſtration bis nach entſchiedener Sache verfuͤgt wurde.

V. ſah nur zu gut ein, wie ſchwer es ihm wer¬ den wuͤrde, ſein Verſprechen zu halten. Er hatte alle Briefſchaften des alten Roderich durchſtoͤbert, ohne die Spur eines Briefes oder ſonſt eines Auf¬ ſatzes zu finden, der Bezug auf jenes Verhaͤltniß Wolfgangs mit dem Fraͤulein von St. Val gehabt haͤtte. Gedankenvoll ſaß er in R ſitten in dem Schlafkabinett des alten Roderich, das er ganz durchſucht, und arbeitete an einem Aufſatze fuͤr den Notar in Genf, der ihm als ein ſcharfſinniger thaͤtiger Mann empfohlen worden, und der ihm einige Notizen ſchaffen ſollte, die die Sache des jungen Freiherrn ins Klare bringen konnten. Es war Mitternacht worden, der Vollmond ſchien hell hinein in den anſtoßenden Saal, deſſen Thuͤr offen ſtand. Da war es, als ſchritte jemand langſam221 und ſchwer die Treppe herauf, und klirre und klap¬ pere mit Schluͤſſeln. V. wurde aufmerkſam, er ſtand auf, ging in den Saal, und vernahm nun deutlich, daß jemand ſich durch den Flur der Thuͤre des Saals nahte. Bald darauf wurde dieſe geoͤffnet, und ein Menſch mit leichenblaſſem entſtellten Antlitz in Nachtkleidern, in der einen Hand den Armleuch¬ ter mit brennenden Kerzen, in der andern den großen Schluͤſſelbund, trat langſam hinein. V. er¬ kannte augenblicklich den Hausverwalter, und war im Begriff, ihm zuzurufen, was er ſo ſpaͤt in der Nacht wolle, als ihn in dem ganzen Weſen des Alten, in dem zum Tode erſtarrten Antlitz etwas unheimliches geſpenſtiſches mit Eiskaͤlte anhauchte. Er erkannte, daß er einen Nachtwandler vor ſich habe. Der Alte ging mit gemeſſenen Schritten queer durch den Saal, gerade los auf die vermauerte Thuͤr, die ehemals zum Thurm fuͤhrte. Dicht vor derſelben blieb er ſtehen, und ſtieß aus tiefer Bruſt einen heulenden Laut aus, der ſo entſetzlich in dem ganzen Saale wiederhallte, daß V. erbebte222 vor Grauſen. Dann, den Armleuchter auf den Fußboden geſtellt, den Schluͤſſelbund an den Guͤrtel gehaͤngt, fing Daniel an mit beiden Haͤnden an der Mauer zu kratzen, daß bald das Blut unter den Naͤgeln hervorquoll, und dabei ſtoͤhnte er und aͤchzte, wie gepeinigt von einer nahmenloſen Todesqual. Nun legte er das Ohr an die Mauer, als wolle er irgend etwas erlauſchen, dann winkte er mit der Hand, wie jemanden beſchwichtigend, buͤckte ſich, den Armleuchter wieder vom Boden aufhebend, und ſchlich mit leiſen gemeſſenen Schritten nach der Thuͤre zuruͤck. V. folgte ihm behutſam mit dem Leuchter in der Hand. Es ging die Treppe herab, der Alte ſchloß die große Hauptthuͤr des Schloſſes auf, V. ſchluͤpfte geſchickt hindurch; nun begab er ſich nach dem Stall, und nachdem er zu V. .s tiefem Erſtaunen den Armleuchter ſo geſchickt hin¬ geſtellt hatte, daß das ganze Gebaͤude genugſam erhellt wurde, ohne irgend eine Gefahr, holte er Sattel und Zeug herbei, und ruͤſtete mit großer Sorglichkeit, den Gurt feſt, die Steigbuͤgel hinauf¬223 ſchnallend, ein Pferd aus, das er losgebunden von der Krippe. Nachdem er noch ein Buͤſchel Haare uͤber den Stirnriemen weg durch die Hand gezogen, nahm er, mit der Zunge ſchnalzend und mit der einen Hand ihm den Hals klopfend, das Pferd beim Zuͤgel und fuͤhrte es heraus. Draußen im Hofe blieb er einige Sekunden ſtehen in der Stellung, als erhalte er Befehle, die er kopfnickend auszu¬ fuͤhren verſprach. Dann fuͤhrte er das Pferd zuruͤck in den Stall, ſattelte es wieder ab, und band es an die Krippe. Nun nahm er den Armleuchter, ver¬ ſchloß den Stall, kehrte in das Schloß zuruͤck, und verſchwand endlich in ſein Zimmer, das er ſorgfaͤltig verriegelte. V. fuͤhlte ſich von dieſem Auftritt im Innerſten ergriffen, die Ahnung einer entſetzlichen That erhob ſich vor ihm wie ein ſchwarzes hoͤlliſches Geſpenſt, das ihn nicht mehr verließ. Ganz erfuͤllt von der bedrohlichen Lage ſeines Schuͤtzlings, glaubte er wenigſtens das, was er geſehen, nuͤtzen zu muͤſſen zu ſeinem Beſten. Andern Tages, es wollte ſchon die Daͤmmerung einbrechen, kam Daniel in ſein224 Zimmer, um irgend eine ſich auf den Hausſtand beziehende Anweiſung einzuholen. Da faßte ihn V. bei beiden Aermen, und fing an, indem er ihn zutraulich in den Seſſel niederdruͤckte: Hoͤre, alter Freund Daniel! lange habe ich dich fragen wollen, was haͤltſt du denn von dem verworrenen Kram, den uns Huberts ſonderbares Teſtament uͤber den Hals gebracht hat? Glaubſt du denn wohl, daß der junge Menſch wirklich Wolfgangs in rechtsguͤltiger Ehe erzeugter Sohn iſt? Der Alte, ſich uͤber die Lehne des Stuhls wegbeugend und V. .s ſtarr auf gerichteten Blicken aus¬ weichend, rief muͤrriſch: Pah! er kann es ſeyn; er kann es auch nicht ſeyn. Was ſchiert's mich, mag nun hier Herr werden, wer da will. Aber ich meine, fuhr V. fort, indem er dem Alten naͤher ruͤckte, und die Hand auf ſeine Schul¬ ter legte, aber ich meine, da du des alten Frei¬ herrn ganzes Vertrauen hatteſt, ſo verſchwieg er dir gewiß nicht die Verhaͤltniſſe ſeiner Soͤhne. Er er¬ zaͤhlte dir von dem Buͤndniß, das Wolfgang wider225 ſeinen Willen geſchloſſen? Ich kann mich auf dergleichen gar nicht beſinnen, erwiederte der Alte, indem er auf ungezogene Art laut gaͤhnte. Du biſt ſchlaͤfrig, Alter, ſprach V., haſt du vielleicht eine unruhige Nacht gehabt? Daß ich nicht wuͤßte, entgegnete der Alte froſtig, aber ich will nun gehen und das Abendeſſen beſtellen Hiemit erhob er ſich ſchwerfaͤllig vom Stuhl, indem er ſich den gekruͤmmten Ruͤcken rieb und abermahls und zwar noch lauter gaͤhnte als zuvor. Bleibe doch noch Alter, rief V. indem er ihn bey der Hand ergriff und zum Sitzen noͤthigen wollte, der Alte blieb aber vor dem Arbeitstiſch ſtehen, auf den er ſich mit beiden Haͤnden ſtemmte, den Leib uͤber¬ gebogen nach V. hin, und muͤrriſch fragend. Nun was ſoll's denn, was ſchiert mich das Teſta¬ ment, was ſchiert mich der Streit um das Majorat Davon, fiel ihm V. in die Rede, wollen wir auch gar nicht mehr ſprechen: von ganz etwas Anderm, lieber Daniel! Du biſt muͤrriſch, du gaͤhnſt, das alles zeugt von beſondererP226Abſpannung und nun moͤcht 'ich beinahe glauben, daß du es wirklich geweſen biſt, in dieſer Nacht. Was bin ich geweſen in dieſer Nacht, frug der Alte, in ſeiner Stellung verharrend. Als ich, ſprach V. weiter, geſtern Mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen Saal ſaß, kamſt du zur Thuͤre herein, ganz ſtarr und bleich, ſchritteſt auf die zugemauerte Thuͤr los, kratzteſt mit beyden Haͤnden an der Mauer und ſtoͤhnteſt, als wenn du große Qualen empfaͤn¬ deſt. Biſt du denn ein Nachtwandler, Daniel? Der Alte ſank zuruͤck in den Stuhl, den ihm V. ſchnell unterſchob. Er gab keinen Laut von ſich, die tiefe Daͤmmerung ließ ſein Geſicht nicht erken¬ nen, V. bemerkte nur, daß er kurz Athem holte und mit den Zaͤhnen klapperte. Ja, fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, ja es iſt ein eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern Tages wiſſen ſie von dieſem ſonderbaren Zuſtande, von Allem, was ſie wie in vollem Wachen begon¬ nen haben, nicht das allermindeſte. Daniel blieb ſtill. Aehnliches ſprach V. weiter, wie227 geſtern mit dir, habe ich ſchon erlebt. Ich hatte einen Freund, der ſtellte, ſo wie du, trat der Voll¬ mond ein, regelmaͤßig naͤchtliche Wanderungen an. Ja, manchmal ſetzte er ſich hin und ſchrieb Briefe: Am merkwuͤrdigſten war es aber, daß, fing ich an ihm ganz leiſe in's Ohr zu fluͤſtern, es mir bald gelang ihn zum Sprechen zu bringen. Er antwortete gehoͤrig auf alle Fragen und ſelbſt das, was er im Wachen ſorglich verſchwiegen haben wuͤrde, floß nun unwillkuͤhrlich, als koͤnne er der Kraft nicht widerſtehen, die auf ihn einwirkte, von ſeinen Lippen. Der Teufel! ich glaube, verſchwiege ein Mondſuͤchtiger irgend eine began¬ gene Unthat noch ſo lange, man koͤnnte ſie ihm abfragen in dem ſeltſamen Zuſtande. Wohl dem, der ein reines Gewiſſen hat, wie wir beide, guter Daniel, wir koͤnnen ſchon immer Nacht¬ wandler ſeyn, uns wird man kein Verbrechen abfragen. Aber hoͤre Daniel, gewiß willſt du herauf in den aſtronomiſchen Thurm, wenn du ſo abſcheulich an der zugemauerten Thuͤre krat¬P 2228zeſt? Du willſt gewiß laboriren wie der alte Roderich? Nun, das werd 'ich dir naͤchſtens abfragen! Der Alte hatte, waͤh¬ rend V. dieſes ſprach, immer ſtaͤrker und ſtaͤrker gezittert, jetzt flog ſein ganzer Koͤrper von heillo¬ ſem Krampf hin und hergeworfen, und er brach aus in ein gellendes, unverſtaͤndiges Geplapper. V. ſchellte die Diener herauf. Man brachte Lich¬ ter, der Alte ließ nicht nach, wie ein willkuͤhrlos bewegtes Automat hob man ihn auf und brachte ihn in's Bette. Nachdem beinahe eine Stunde dieſer heilloſe Zuſtand gedauert, verfiel er in tie¬ fer Ohnmacht aͤhnlichen Schlaf. Als er erwachte, verlangte er Wein zu trinken, und als man ihm dieſen gereicht, trieb er den Diener, der bei ihm wachen wollte, fort und verſchloß ſich, wie ge¬ woͤhnlich, in ſein Zimmer. V. hatte wirklich be¬ ſchloſſen, den Verſuch anzuſtellen, in dem Augen¬ blick als er davon gegen Daniel ſprach, wiewohl er ſich ſelbſt geſtehen mußte, einmal, daß Daniel, vielleicht erſt jetzt von ſeiner Mondſucht unterrich¬229 tet alles anwenden werde, ihm zu entgehen, dann aber, daß Geſtaͤndniſſe in dieſem Zuſtande abge¬ legt eben nicht geeignet ſeyn wuͤrden, darauf wei¬ ter fortzubauen. Dem unerachtet begab er ſich gegen Mitternacht in den Saal, hoffend, daß Da¬ niel, wie es in dieſer Krankheit geſchieht, gezwun¬ gen werden wuͤrde, willkuͤhrlos zu handeln. Um Mitternacht erhob ſich ein großer Laͤrm auf dem Hofe. V. hoͤrte deutlich ein Fenſter einſchlagen, er eilte herab und als er die Gaͤnge durchſchritt, wallte ihm ein ſtinkender Dampf entgegen, der, wie er bald gewahrte, aus dem geoͤffneten Zimmer des Hausverwalters herausquoll. Dieſen brachte man eben todtſtarr herausgetragen, um ihn in einem andern Zimmer ins Bette zu legen. Um Mitternacht wurde ein Knecht, ſo erzaͤhlten die Diener, durch ein ſeltſames, dumpfes Pochen ge¬ weckt, er glaubte dem Alten ſei etwas zugeſtoßen und ſchickte ſich an aufzuſtehen, um ihm zu Huͤlfe zu kommen als, der Waͤchter auf dem Hofe laut rief: Feuer, Feuer! in der Stube des Herrn230 Verwalters brennt's lichterloh! Auf dies Geſchrei waren gleich mehrere Diener bei der Hand, aber alles Muͤhen die Thuͤr des Zim¬ mers einzubrechen, blieb umſonſt. Nun eilten ſie heraus auf den Hof, aber der entſchloſſene Waͤchter hatte ſchon das Fenſter des niedrigen, im Erdgeſchoſſe befindlichen Zimmers eingeſchlagen und die brennenden Gardinen herabgeriſſen, worauf ein paar hineingegoſſene Eimer Waſſer den Brand augenblicklich loͤſchten. Den Hausverwalter fand man mitten im Zimmer auf der Erde liegend in tiefer Ohnmacht. Er hielt noch feſt den Armleuchter in der Hand, deſſen brennende Ker¬ zen die Gardinen erfaßt, und ſo das Feuer veranlaßt hatten. Brennende herabfallende Lap¬ pen hatten dem Alten die Augenbraunen und ein gut Theil Kopfhaare weggeſengt. Bemerkte der Waͤchter nicht das Feuer, ſo haͤtte der Alte huͤlf¬ los verbrennen muͤſſen. Zu nicht geringer Ver¬ wunderung fanden die Diener, daß die Thuͤr des Zimmers von innen durch zwei ganz neu ange¬231 ſchrobene Riegel, die noch den Abend vorher nicht da geweſen, verwahrt war. V. ſah ein, daß der Alte ſich hatte das Hinausſchreiten aus dem Zim¬ mer unmoͤglich machen wollen; widerſtehen konnte er dem blinden Triebe nicht. Der Alte verfiel in eine ernſte Krankheit; er ſprach nicht, er nahm nur wenig Nahrung zu ſich und ſtarrte, wie feſt geklammert von einem entſetzlichen Gedanken, mit Blicken, in denen ſich der Tod mahlte, vor ſich hin. V. glaubte, daß der Alte von dem Lager nicht erſtehen werde. Alles, was ſich fuͤr ſeinen Schuͤtzling thun ließ, hatte V. gethan, er mußte ruhig den Erfolg abwarten, und wollte deshalb nach K. zuruͤck. Die Abreiſe war fuͤr den fol¬ genden Morgen beſtimmt. V. packte ſpaͤt Abends ſeine Scripturen zuſammen, da fiel ihm ein klei¬ nes Packet in die Haͤnde, welches ihm der Frei¬ herr Hubert von R. verſiegelt und mit der Auf¬ ſchrift: Nach Eroͤffnung meines Teſtaments zu leſen, zugeſtellt und das er unbegreiflicher Weiſe noch nicht beobachtet hatte. Er war im Begriff232 dieſes Packet zu entſiegeln, als die Thuͤr auf¬ ging und mit leiſen geſpenſtiſchen Schritten Daniel hereintrat. Er legte eine ſchwarze Mappe, die er unter dem Arm trug, auf den Schreibtiſch, dann mit einem tiefen Todesſeufzer auf beide Knie ſin¬ kend, V. .s Haͤnde mit den ſeinen krampfhaft faſſend, ſprach er hohl und dumpf, wie aus tie¬ fem Grabe: Auf dem Schaffott ſtuͤrb' ich nicht gern! der dort oben richtet! dann richtete er ſich unter angſtvollem Keuchen muͤhſam auf und verließ das Zimmer, wie er gekommen.

V. brachte die ganze Nacht hin, alles das zu leſen, was die ſchwarze Mappe und Huberts Paket enthielt. Beides hing genau zuſammen, und be¬ ſtimmte von ſelbſt die weitern Maßregeln, die nun zu ergreifen. So wie V. in K. angekommen, begab er ſich zum Freiherrn Hubert von R., der ihn mit rauhem Stolz empfing. Die merkwuͤrdige Folge einer Unterredung, welche Mittags anfing und bis ſpaͤt in die Nacht hinein ununterbrochen fortdauerte, war aber, daß der Freiherr andern233 Tages vor Gericht erklaͤrte, daß er den Praͤten¬ denten des Majorats dem Teſtamente ſeines Va¬ ters gemaͤß fuͤr den in rechtsguͤltiger Ehe von dem aͤlteſten Sohn des Freiherrn Roderich von R. Wolffgang von R. mit dem Fraͤulein Julie von St. Val erzeugten Sohn, mithin fuͤr den rechts¬ guͤltig legitimirten Majorats-Erben anerkenne. Als er von dem Gerichtsſaal herabſtieg, ſtand ſein Wa¬ gen mit Poſtpferden vor der Thuͤre, er reiſte ſchnell ab und ließ Mutter und Schweſter zuruͤck. Sie wuͤrden ihn vielleicht nie wieder ſehen, hatte er ihnen mit andern raͤthſelhaften Aeußerungen geſchrieben. Roderich's Erſtaunen uͤber dieſe Wen¬ dung, die die Sache nahm, war nicht gering, er drang in V. ihm doch nur zu erklaͤren, wie dies Wunder habe bewirkt werden koͤnnen, welche geheimnißvolle Macht im Spiele ſey. V. ver¬ troͤſtete ihn indeſſen auf kuͤnftige Zeiten, und zwar, wenn er Beſitz genommen haben wuͤrde von dem Majorat. Die Uebergabe des Majorats konnte nehmlich deshalb nicht geſchehen, weil nun die234 Gerichte, nicht befriedigt durch jene Erklaͤrung Hubert's, außerdem die vollſtaͤndige Legitimation Roderich's verlangten. V. bot dem Freiherrn die Wohnung in R. ſitten an, und ſetzte hinzu: daß Hubert's Mutter und Schweſter, durch ſeine ſchnelle Abreiſe in augenblickliche Verlegenheit ge¬ ſetzt, den ſtillen Aufenthalt auf dem Stammgute der geraͤuſchvollen theuren Stadt vorziehen wuͤr¬ den. Das Entzuͤcken, womit Roderich den Ge¬ danken ergriff, mit der Baronin und ihrer Toch¬ ter wenigſtens eine Zeitlang unter einem Dache zu wohnen, bewies, welchen tiefen Eindruck Se¬ raphine, das holde, anmuthige Kind, auf ihn ge¬ macht hatte. In der That wußte der Freiherr ſeinen Aufenthalt in R ſitten ſo gut zu benutzen, daß er, wenige Wochen waren vergangen, Sera¬ phinens innige Liebe und der Mutter beifaͤllig Wort zur Verbindung mit ihr gewonnen hatte. Dem V. war das Alles zu ſchnell, da bis jetzt Roderich's Legitimation als Majoratsherr von R ſitten noch immer zweifelhaft geblieben. Briefe235 aus Curland unterbrachen das Idyllenleben auf dem Schloſſe. Hubert hatte ſich gar nicht auf den Guͤtern ſehen laſſen, ſondern war unmittelbar nach Petersburg gegangen, dort in Militaͤrdienſte getreten, und ſtand jetzt im Felde gegen die Per¬ ſer, mit denen Rußland gerade im Kriege begriffen. Dies machte die ſchnelle Abreiſe der Baronin mit ihrer Tochter nach den Guͤtern, wo Unordnung und Verwirrung herrſchte, noͤthig. Roderich, der ſich ſchon als den aufgenommenen Sohn betrach¬ tete, unterließ nicht die Geliebte zu begleiten und ſo wurde, da V. ebenfalls nach K. zuruͤckkehrte, das Schloß einſam, wie vorher. Des Hausver¬ walters boͤſe Krankheit wurde ſchlimmer und ſchlim¬ mer, ſo daß er nicht mehr daraus zu erſtehen glaubte, ſein Amt wurde einem alten Jaͤger, Wolfgangs treuem Diener, Franz geheißen, uͤber¬ tragen. Endlich nach langem Harren erhielt V. die guͤnſtigſten Nachrichten aus der Schweiz. Der Pfarrer, der Roderichs Trauung vollzogen, war laͤngſt geſtorben, indeſſen fand ſich in dem Kir¬236 chenbuche von ſeiner Hand notirt, daß derjenige, den er unter dem Namen Born mit dem Fraͤu¬ lein Julie St. Val ehelich verbunden, ſich bei ihm als Freiherr Wolffgang von R., aͤlteſten Sohn des Freiherrn Roderich von R. auf R ſitten, vollſtaͤndig legitimirt habe. Außerdem wurden noch zwei Trauzeugen, ein Kaufmann in Genf, und ein alter franzoͤſiſcher Kapitaͤn, der nach Lyon gezogen, ausgemittelt, denen Wolffgang ebenfalls ſich entdeckt hatte, und ihre eidlichen Ausſagen bekraͤftigten den Vermerk des Pfarrers im Kir¬ chenbuche. Mit den in rechtlicher Form ausge¬ fertigten Verhandlungen in der Hand fuͤhrte nun V. den vollſtaͤndigen Nachweis der Rechte ſeines Machtgebers und nichts ſtand der Uebergabe des Majorats im Wege, die im kuͤnftigen Herbſt er¬ folgen ſollte. Hubert war gleich in der erſten Schlacht, der er beiwohnte, geblieben, ihn hatte das Schickſal ſeines juͤngern Bruders, der ein Jahr vor ſeines Vaters Tode ebenfalls im Felde blieb, getroffen; ſo fielen die Guͤter in Curland der237 Baroneſſe Seraphine von R. zu, und wurden eine ſchoͤne Mitgift fuͤr den uͤbergluͤcklichen Ro¬ derich.

Der November war angebrochen, als die Ba¬ ronin, Roderich mit ſeiner Braut in R. .ſitten anlangte. Die Uebergabe des Majorats erfolgte und dann Roderichs Verbindung mit Seraphinen. Manche Woche verging im Taumel der Luſt, bis endlich die uͤberſaͤttigten Gaͤſte nach und nach das Schloß verließen zur großen Zufriedenheit V. .s, der von R. .ſitten nicht ſcheiden wollte, ohne den jungen Majoratsherrn auf das genaueſte einzu¬ weihen in alle Verhaͤltniſſe des neuen Beſitzthums. Mit der ſtrengſten Genauigkeit hatte Roderichs Oheim die Rechnungen uͤber Einnahme und Aus¬ gabe gefuͤhrt, ſo daß, da Roderich nur eine gerin¬ ge Summe jaͤhrlich zu ſeinem Unterhalt bekam, durch die Ueberſchuͤſſe der Einnahme jenes baare Capital, das man in des alten Freiherrn Nachlaß vorfand, einen bedeutenden Zuſchuß erhielt. Nur in den erſten drei Jahren hatte Hubert die Einkuͤnf¬238 te des Majorats in ſeinen Nutzen verwandt, daruͤ¬ ber aber ein Schuldinſtrument ausgeſtellt und es auf den ihm zuſtehenden Antheil der Guͤter in Curland verſichern laſſen. V. hatte ſeit der Zeit, als ihm Daniel als Nachtwandler erſchien, das Schlafgemach des alten Roderich zu ſeinem Wohn¬ zimmer gewaͤhlt, um deſto ſicherer das erlauſchen zu koͤnnen, was ihm Daniel nachher freiwillig of¬ fenbarte. So kam es, daß dies Gemach und der anſtoßende große Saal der Ort blieb, wo der Frei¬ herr mit V. im Geſchaͤft zuſammenkam. Da ſa¬ ßen nun beide beim helllodernden Kaminfeuer an dem großen Tiſche, V. mit der Feder in der Hand, die Summen notirend und den Reichthum des Ma¬ joratsherrn berechnend, dieſer mit aufgeſtemmtem Arm hineinblinzelnd in die aufgeſchlagenen Rech¬ nungsbuͤcher, in die gewichtigen Dokumente. Kei¬ ner vernahm das dumpfe Brauſen der See, das Angſtgeſchrei der Moͤven, die das Unwetter verkuͤn¬ dend im Hin - und Herflattern an die Fenſterſcheiben ſchlugen, keiner achtete des Sturms, der um Mit¬239 ternacht heraufgekommen in wildem Toſen das Schloß durchſauſte, ſo daß alle Unkenſtimmen in den Caminen, in den engen Gaͤngen erwachten und wi¬ derlich durcheinander pfiffen und heulten. Als end¬ lich nach einem Windſtoß, vor dem der ganze Bau erdroͤhnte, ploͤtzlich der ganze Saal im duͤſtern Feuer des Vollmonds ſtand, rief V: Ein boͤſes Wetter! Der Freiherr, ganz vertieft in die Ausſicht des Reichthums, der ihm zugefallen, er¬ wiederte gleichguͤltig, indem er mit zufriedenem Laͤcheln ein Blatt des Einnahmebuchs umſchlug: In der That, ſehr ſtuͤrmiſch. Aber wie fuhr er von der eiſigen Fauſt des Schreckens beruͤhrt in die Hoͤhe, als die Thuͤr des Saals aufſprang und eine bleiche, geſpenſtiſche Geſtalt ſichtbar wurde, die den Tod im Antlitz hineinſchritt. Daniel, den V. ſo wie Jedermann in tiefer Krankheit ohnmaͤchtig da¬ liegend, nicht fuͤr faͤhig hielt ein Glied zu ruͤhren, war es, der abermals von der Mondſucht befallen ſeine naͤchtliche Wanderung begonnen. Lautlos ſtarrte der Freiherr den Alten an, als dieſer nun240 aber unter angſtvollen Seufzern der Todesqual an der Wand kratzte, da faßte den Freiherrn tiefes Entſetzen. Bleich im Geſicht wie der Tod, mit emporgeſtraͤubtem Haar ſprang er auf, ſchritt in be¬ drohlicher Stellung zu auf den Alten und rief mit ſtarker Stimme, daß der Saal erdroͤhnte: Da¬ niel! Daniel! was machſt du hier zu dieſer Stunde! Da ſtieß der Alte jenes grauenvolle heulende Gewimmer aus, gleich dem Todeslaut des getroffenen Thiers, wie damals, als ihm Wolffgang Gold fuͤr ſeine Treue bot und ſank zuſammen. V. rief die Bedienten herbei, man hob den Alten auf, alle Verſuche ihn zu beleben blieben vergebens. Da ſchrie der Freiherr wie außer ſich: Herr Gott! Herr Gott! habe ich denn nicht gehoͤrt, daß Nacht¬ wandler auf der Stelle des Todes ſeyn koͤnnen, wenn man ſie beim Namen ruft? Ich! Ich Ungluͤckſeligſter ich habe den armen Greis er¬ ſchlagen! Zeit meines Lebens habe ich keine ru¬ hige Stunde mehr! V., als die Bedienten den Leichnam fortgetragen und der Saal leer gewor¬den,241den, nahm den immerfort ſich anklagenden Frei¬ herrn bei der Hand, fuͤhrte ihn in tiefem Schwei¬ gen vor die zugemauerte Thuͤr und ſprach: Der hier todt zu Ihren Fuͤßen niederſank, Freiherr Ro¬ derich, war der verruchte Moͤrder Ihres Vaters! Als ſaͤh 'er Geiſter der Hoͤlle, ſtarrte der Frei¬ herr den V. an. Dieſer fuhr fort: Es iſt nun wohl an der Zeit, Ihnen das graͤßliche Geheimniß zu enthuͤllen, das auf dieſem Unhold laſtete und ihn, den Fluchbeladenen, in den Stunden des Schlafs umhertrieb. Die ewige Macht ließ den Sohn Rache nehmen an dem Moͤrder des Vaters Die Worte, die Sie dem entſetzlichen Nacht¬ wandler in die Ohren donnerten, waren die letzten, die Ihr ungluͤcklicher Vater ſprach! Bebend, unfaͤhig ein Wort zu ſprechen, hatte der Freiherr neben V., der ſich vor den Camin ſetzte, Platz ge¬ nommen. V. fing mit dem Inhalt des Aufſatzes an, den Hubert fuͤr V. zuruͤckgelaſſen und den er erſt nach Eroͤffnung des Teſtaments entſiegeln ſollte. Hubert klagte ſich mit Ausdruͤcken, die von derQ242tiefſten Reue zeigten, des unverſoͤhnlichen Haſſes an, der in ihm gegen den aͤltern Bruder Wurzel faßte von dem Augenblick, als der alte Roderich das Majorat geſtiftet hatte. Jede Waffe war ihm entriſſen, denn waͤr 'es ihm auch gelungen auf haͤ¬ miſche Weiſe, den Sohn mit dem Vater zu ent¬ zweien, ſo blieb dies ohne Wirkung, da Roderich ſelbſt nicht ermaͤchtigt war, dem aͤlteſten Sohn die Rechte der Erſtgeburt zu entreißen, und es, wandte ſich auch ſein Herz und Sinn ganz ab von ihm, doch nach ſeinen Grundſaͤtzen nimmermehr gethan haͤtte. Erſt als Wolffgang in Genf das Liebesver¬ haͤltniß mit Julien von St. Val begonnen, glaubte Hubert den Bruder verderben zu koͤnnen. Da fing die Zeit an, in der er im Einverſtaͤndniße mit Da¬ niel auf buͤbiſche Weiſe den Alten zu Entſchluͤſſen noͤthigen wollte, die den Sohn zur Verzweiflung bringen mußten.

Er wußte, daß nur die Verbindung mit einer der aͤlteſten Familien des Vaterlandes nach dem243 Sinn des alten Roderich den Glanz des Majorats auf ewige Zeiten begruͤnden konnte. Der Alte hatte dieſe Verbindung in den Geſtirnen geleſen und jedes freveliche Zerſtoͤren der Conſtellation konnte nur Verderben bringen uͤber die Stiftung. Wolffgangs Verbindung mit Julien erſchien in dieſer Art dem Alten ein verbrecheriſches Attentat, wider Beſchluͤſſe der Macht gerichtet, die ihm beigeſtanden im irdi¬ ſchen Beginnen, und jeder Anſchlag. Julien, die wie ein daͤmoniſches Princip ſich ihm entgegenge¬ worfen, zu verderben, gerechtfertigt. Hubert kann¬ te des Bruders an Wahnſinn ſtreifende Liebe zu Ju¬ lien, ihr Verluſt mußte ihn elend machen, vielleicht toͤdten, und um ſo lieber wurde er thaͤtiger Hel¬ fershelfer bei den Plaͤnen des Alten, als er ſelbſt ſtraͤfliche Neigung zu Julien gefaßt und ſie fuͤr ſich zu gewinnen hoffte. Eine beſondere Schickung des Himmels wollt 'es, daß die giftigſten Anſchlaͤge an Wolffgangs Entſchloſſenheit ſcheiterten, ja daß es ihm gelang den Bruder zu taͤuſchen. Fuͤr Hubert blieb Wolffgangs wirklich vollzogene Ehe, ſo wie dieQ 2244Geburt eines Sohnes ein Geheimniß. Mit der Vorahnung des nahen Todes kam dem alten Rode¬ rich zugleich der Gedanke, daß Wolffgang jene ihm feindliche Julie geheirathet habe; in dem Briefe, der dem Sohn befahl, am beſtimmten Tage nach R. .ſitten zu kommen, um das Majorat anzu¬ treten, fluchte er ihm, wenn er nicht jene Verbin¬ dung zerreiſſen werde. Dieſen Brief verbrannte Wolffgang bei der Leiche des Vaters.

An Hubert ſchrieb der Alte, daß Wolffgang Julien geheirathet habe, er werde aber dieſe Ver¬ bindung zerreiſſen. Hubert hielt dies fuͤr die Ein¬ bildung des traͤumeriſchen Vaters, erſchrack aber nicht wenig, als Wolffgang in R. .ſitten ſelbſt mit vieler Freimuͤthigkeit die Ahnung des Alten nicht allein beſtaͤtigte, ſondern auch hinzufuͤgte, daß Julie ihm einen Sohn geboren, und daß er nun in kurzer Zeit Julien, die ihn bis jetzt fuͤr den Kaufmann Born aus M. gehalten, mit der Nach¬ richt ſeines Standes und ſeines reichen Beſitzthums hoch erfreuen werde. Selbſt wolle er hin nach245 Genf, um das geliebte Weib zu holen. Noch ehe er dieſen Entſchluß ausfuͤhren konnte, ereilte ihn der Tod. Hubert verſchwieg ſorglich was ihm von dem Daſeyn eines in der Ehe mit Julien erzeugten Sohnes bekannt und riß ſo das Majorat an ſich, das dieſem gebuͤhrte. Doch nur wenige Jahre wa¬ ren vergangen, als ihn tiefe Reue ergriff. Das Schickſal mahnte ihn an ſeine Schuld auf fuͤrchter¬ liche Weiſe durch den Haß, der zwiſchen ſeinen bei¬ den Soͤhnen mehr und mehr emporkeimte. Du biſt ein armer duͤrftiger Schlucker, ſagte der aͤlte¬ ſte, ein zwoͤlfjaͤhriger Knabe zu dem juͤngſten, aber ich werde, wenn der Vater ſtirbt, Majorats¬ herr von R. .ſitten, und da mußt du demuͤthig ſeyn und mir die Hand kuͤſſen, wenn ich dir Geld geben ſoll zum neuen Rock Der juͤngſte, in volle Wuth gerathen uͤber des Bruders hoͤhnenden Stolz, warf das Meſſer, das er gerade in der Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe zum Tode. Hubert, großes Ungluͤck fuͤrchtend, ſchickte den juͤngſten fort nach Petersburg, wo er246 ſpaͤter als Officier unter Suwarow wider die Fran¬ zoſen focht und blieb. Vor der Welt das Geheimniß ſeines unredlichen betruͤgeriſchen Beſitzes kund zu thun, davon hielt ihn die Scham, die Schande, die uͤber ihn gekommen, zuruͤck, aber entziehen wollte er dem rechtmaͤßigen Beſitzer keinen Groſchen mehr. Er zog Erkundigungen ein in Genf, und erfuhr, daß die Frau Born, troſtlos uͤber das unbegreifliche Verſchwinden ihres Mannes, geſtor¬ ben, daß aber der junge Roderich Born von einem wackern Mann, der ihn aufgenommen, erzogen werde. Da kuͤndigte ſich Hubert unter fremden Namen als Verwandter des auf der See umgekom¬ menen Kaufmann Born an und ſchickte Summen ein, die hinreichten, den jungen Majoratsherrn ſorglich und anſtaͤndig zu erziehn. Wie er die Ueberſchuͤſſe der Einkuͤnfte des Majorats ſorgfaͤltig ſammelte; wie er dann teſtamentariſch verfuͤgte, iſt bekannt. Ue¬ ber den Tod ſeines Bruders ſprach Hubert in ſon¬ derbaren raͤthſelhaften Ausdruͤcken, die ſo viel erra¬ then ließen, daß es damit eine geheimnißvolle Be¬247 wandtniß haben mußte, und daß Hubert wenigſtens mittelbar Theil nahm an einer graͤßlichen That. Der Inhalt der ſchwarzen Mappe klaͤrte alles auf. Der verraͤtheriſchen Correſpondenz Huberts mit Da¬ niel lag ein Blatt bei, das Daniel beſchrieben und unterſchrieben hatte. V. las ein Geſtaͤndniß, vor dem ſein Innerſtes erbebte. Auf Daniels Veran¬ laſſung war Hubert nach R ... ſitten gekommen, Daniel war es, der ihm von den gefundenen Ein¬ hundert und funfzigtauſend Reichsthalern geſchrie¬ ben. Man weiß, wie Hubert von dem Bruder aufgenommen wurde, wie er getaͤuſcht in allen ſei¬ nen Wuͤnſchen und Hoffnungen fort wollte, wie ihn V. zuruͤckhielt. In Daniels Innerm kochte blutige Rache, die er zu nehmen hatte an dem jun¬ gen Menſchen, der ihn ausſtoßen wollen, wie einen raͤudigen Hund. Der ſchuͤrte und ſchuͤrte an dem Brande, von dem der verzweifelnde Hubert ver¬ zehrt wurde. Im Foͤhrenwalde auf der Wolfsjagd, im Sturm und Schneegeſtoͤber wurden ſie einig uͤber Wolffgangs Verderben. Wegſchaffen

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murmelte Hubert, indem er ſeitwaͤrts wegblickte und die Buͤchſe anlegte. Ja, wegſchaffen, grinzte Daniel, aber nicht ſo, nicht ſo Nun vermaß er ſich hoch und theuer, er werde den Freiherrn ermorden und kein Hahn ſolle darnach kraͤhen. Hubert, als er endlich Geld erhalten, that der Anſchlag leid, er wollte fort, um jeder weitern Verſuchung zu widerſtehen. Daniel ſelbſt ſattelte in der Nacht das Pferd und fuͤhrte es aus dem Stalle, als aber der Baron ſich aufſchwingen wollte, ſprach Daniel mit ſchneidender Stimme: Ich daͤchte, Freiherr Hubert, du bliebſt auf dem Majorat, das dir in dieſem Augenblick zugefallen, denn der ſtolze Majoratsherr liegt zerſchmettert in der Gruft des Thurms! Daniel hatte beobach¬ tet, daß, von Golddurſt geplagt, Wolffgang oft in der Nacht aufſtand, vor die Thuͤr trat, die ſonſt zum Thurme fuͤhrte und mit ſehnſuͤchtigen Blicken hinabſchaute in die Tiefe, die nach Daniels Verſi¬ cherung noch bedeutende Schaͤtze bergen ſollte. Darauf gefaßt ſtand in jener verhaͤngnißvollen249[N]acht Daniel vor der Thuͤre des Saals. So wie er den Freiherrn die zum Thurm fuͤhrende Thuͤr oͤffnen hoͤrte, trat er hinein und dem Freiherrn nach, der dicht an dem Abgrunde ſtand. Der Freiherr drehte ſich um und rief, als er den ver¬ ruchten Diener, dem der Mord ſchon aus den Au¬ gen blitzte, gewahrte, entſetzt: Daniel, Daniel, was machſt du hier zu dieſer Stunde! Aber da kreiſchte Daniel wild auf: Hinab mit dir, du raͤudiger Hund, und ſchleuderte mit einem kraͤf¬ tigen Fußſtoß den Ungluͤcklichen hinunter in die Tiefe! Ganz erſchuͤttert von der graͤßlichen Un¬ that fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schloſ¬ ſe, wo ſein Vater ermordet. Er ging auf ſeine Guͤter nach Curland und kam nur jedes Jahr zur Herbſtzeit nach R. .ſitten. Franz, der alte Franz, behauptete, daß Daniel, deſſen Verbrechen er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds ſpuke und beſchrieb den Spuk gerade ſo, wie ihn V. ſpaͤ¬ ter erfuhr und bannte. Die Entdeckung dieſer Umſtaͤnde, welche das Andenken des Vaters ſchaͤn¬250 deten, trieben auch den jungen Freiherrn Hubert fort in die Welt. So hatte der Großonkel Alles erzaͤhlt, nun nahm er meine Hand und ſprach, in¬ dem ihm volle Thraͤnen in die Augen traten, mit ſehr weicher Stimme: Vetter Vetter auch ſie, die holde Frau, hat das boͤſe Verhaͤng¬ niß, die unheimliche Macht, die dort auf dem Stammſchloſſe hauſet, ereilt! Zwei Tage nachdem wir R. .ſitten verlaſſen, veranſtaltete der Frei¬ herr zum Beſchluß eine Schlittenfarth. Er ſelbſt faͤhrt ſeine Gemahlin, doch, als es Thalabwaͤrts geht, reißen die Pferde ploͤtzlich auf unbegreifliche Weiſe ſcheu geworden aus in vollem wuͤthenden Schnauben und Toben. Der Alte der Alte iſt hinter uns her, ſchreit die Baronin auf mit ſchneidender Stimme! In dem Augenblick wird ſie durch den Stoß, der den Schlitten umwirft, weit fortgeſchleudert. Man findet ſie leblos ſie iſt hin! Der Freiherr kann ſich nimmer troͤſten, ſeine Ruhe iſt die eines Sterbenden! Nimmer kommen wir wieder nach R. .ſitten, Vetter!

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Der alte Großonkel ſchwieg, ich ſchied von ihm mit zerriſſenem Herzen, und nur die Alles beſchwich¬ tigende Zeit konnte den tiefen Schmerz lindern, in dem ich vergehen zu muͤſſen glaubte.

Jahre waren vergangen. V. ruhte laͤngſt im Grabe, ich hatte mein Vaterland verlaſſen. Da trieb mich der Sturm des Krieges, der verwuͤſtend uͤber ganz Deutſchland hinbrauſte, in den Norden hinein, fort nach Petersburg. Auf der Ruͤckreiſe, nicht mehr weit von K., fuhr ich in einer finſtern Sommer¬ nacht dem Geſtade der Oſtſee entlang, als ich vor mir am Himmel einen großen funkelnden Stern er¬ blickte. Naͤher gekommen gewahrte ich wohl an der rothen flackernden Flamme, daß das, was ich fuͤr einen Stern gehalten, ein ſtarkes Feuer ſeyn muͤſſe, ohne zu begreifen, wie es ſo hoch in den Luͤften ſchweben koͤnne. Schwager! was iſt das fuͤr ein Feuer, dort vor uns? frug ich den Po¬ ſtillion. Ei, erwiederte dieſer, ei, das iſt kein Feuer, das iſt der Leuchtthurm von R. .ſitten. R. .ſitten! ſo wie der Poſtillion den Na¬252 men nannte, ſprang in hellem Leben das Bild jener verhaͤngnißvollen Herbſttage hervor, die ich dort verlebte. Ich ſah den Baron Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich ſelbſt mit blankem Milchgeſicht, ſchoͤn friſirt und gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet ja mich den Verliebten, der wie ein Ofen ſeufzt, mit Jammerlied auf ſeiner Liebſten Braue! In der tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten wie bunte Lichterchen V. .s derbe Spaͤße auf, die mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von Schmerz und wunderbarer Luſt bewegt, ſtieg ich am fruͤhen Morgen in R. .ſitten aus dem Wagen, der vor der Poſtexpedition hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinſpektors, ich frug nach ihm. Mit Verlaub, ſprach der Poſtſchreiber, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der Nachtmuͤtze ruͤckte, mit Verlaub, hier iſt kein Oekonomieinſpektor, es iſt ein koͤnigliches Amt und der Herr Amtsrath belieben noch zu ſchlafen. Auf weiteres Fragen erfuhr ich, daß ſchon vor ſechszehn253 Jahren der Freiherr Roderich von R., der letzte Majoratsbeſitzer, ohne Deszendenten geſtorben und das Majorat der Stiftungsurkunde gemaͤß dem Staate anheimgefallen ſey. Ich ging hinauf nach dem Schloſſe, es lag in Ruinen zuſammenge¬ ſtuͤrzt. Man hatte einen großen Theil der Steine zu dem Leuchtthurm benutzt, ſo verſicherte ein alter Bauer, der aus dem Foͤhrenwalde kam und mit dem ich mich ins Geſpraͤch einließ. Der wußte auch noch von dem Spuk zu erzaͤhlen, wie er auf dem Schloſſe gehauſt haben ſollte und verſicherte, daß noch jetzt ſich oft, zumal beim Vollmonde, grauenvolle Klagelaute in dem Geſtein hoͤren ließen.

Armer alter, kurzſichtiger Roderich! welche boͤſe Macht beſchworſt du herauf, die den Stamm, den du mit feſter Wurzel fuͤr die Ewigkeit zu pflanzen gedachteſt, im erſten Aufkeimen zum Tode ver¬ giftete.

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Das Geluͤbde.

Am Michaelistage, eben als bei den Carmelitern die Abendhora eingelaͤutet wurde, fuhr ein mit vier Poſtpferden beſpannter ſtattlicher Reiſewagen, donnernd und raſſelnd durch die Gaſſen des klei¬ nen polniſchen Graͤnzſtaͤdtchens L., und hielt end¬ lich ſtill vor der Hausthuͤr des alten teutſchen Buͤrgermeiſters. Neugierig ſteckten die Kinder die Koͤpfe zum Fenſter heraus, aber die Hausfrau ſtand auf von ihrem Sitze und rief: indem ſie ganz unmuthig ihr Naͤhzeug auf den Tiſch warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer ſchnell eintrat, entgegen: Schon wieder Fremde, die unſer ſtilles Haus fuͤr eine Gaſtwirthſchaft halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. War¬255 um haſt du auch die ſteinerne Taube uͤber der Thuͤr auf's neue vergolden laſſen? Der Alte laͤchelte ſchlau und bedeutſam ohne etwas zu er¬ wiedern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebuͤrſtet uͤber der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erſtaunte Frau den Mund zur Frage oͤffnen konnte, ſtand er ſchon, ſein Sammtmuͤtzchen unterm Arm, ſo daß ſein ſilberweißes Haupt in der Daͤmmerung hell auf¬ ſchimmerte, vor dem Kutſchenſchlage, den indeſſen ein Diener geoͤffnet. Eine aͤltliche Frau im grauen Reiſemantel ſtieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Geſtalt mit dicht verhuͤlltem Antlitz die auf des Buͤrgermeiſters Arm geſtuͤtzt, in das Haus hinein mehr wankte als ſchritt, und kaum in's Zimmer getreten, wie halb entſeelt in den Lehnſtuhl ſank, den die Hausfrau auf des Alten Wink ſchnell herangeruͤckt. Die aͤltere Frau ſprach leiſe und ſehr wehmuͤthig zu dem Buͤrgermeiſter: Das arme Kind! ich muß wohl noch einige256 Augenblicke bei ihr verweilen, damit machte ſie Anſtalt ihren Reiſemantel herunterzuziehen, worin ihr des Buͤrgermeiſters aͤltere Tochter beiſtand, ſo daß bald ihr Nonnengewand, ſo wie ein auf der Bruſt funkelndes Kreuz ſichtbar wurde, wel¬ ches ſie als Aebtiſſin eines Ciſterzienſer Nonnen¬ kloſters darſtellte. Die verhuͤllte Dame hatte un¬ terdeſſen nur durch ein leiſes, kaum vernehmbares Aechzen kund gethan, daß ſie noch lebe und end¬ lich die Hausfrau um ein Glas Waſſer gebeten. Die brachte aber allerley ſtaͤrkende Tropfen und Eſſenzen herbei, und pries ihre Wunderkraft, in¬ dem ſie die Dame bat, doch nur die dicken, ſchwe¬ ren Schleier, die ihr alles freie Athmen verhin¬ dern muͤßten, abzulegen. Mit der Hand jede Annaͤherung der Hausfrau abwehrend, mit allen Zeichen des Abſcheues den Kopf zuruͤckbeugend, ver¬ warf aber die Kranke den Vorſchlag, und ſelbſt, als ſie endlich es ſich gefallen ließ, den Duft einer ſtarken Lebenseſſenz einzuziehen, als ſie etwas von dem verlangten Waſſer, in das die beſorgte Haus¬257 frau einige Tropfen eines bewaͤhrten Elixirs hin¬ eingethan, genoß, that ſie alles dies unter den Schleiern, ohne ſie nur im mindeſten zu luͤpfen. Ihr habt doch, mein lieber, alter Herr! wandte ſich die Aebtiſſin zum Buͤrgermeiſter, ihr habt doch Alles ſo bereitet, wie es gewuͤnſcht worden? Ja wohl, erwiederte der Alte, ja wohl! ich hoffe, mein durchlauchtigſter Fuͤrſt ſoll mit mir zufrieden ſeyn, ſo wie die Dame, fuͤr die ich Alles zu thun bereit bin, was nur in meinen Kraͤften ſteht. So laßt mich, fuhr die Aebtiſſin fort, mit meinem armen Kinde noch einige Augenblicke allein. Die Familie mußte das Zimmer verlaſſen. Man hoͤrte, wie die Aebtiſſin eifrig und ſalbungs¬ voll der Dame zuſprach, und wie dieſe endlich auch zu reden begann mit einem Ton, der tief bis in's Herz drang. Ohne gerade zu horchen, blieb denn doch die Hausfrau an der Thuͤre des Zimmers ſte¬ hen, indeſſen wurde italiaͤniſch geſprochen, und ſelbſt dies machte fuͤr ſie den ganzen Auftritt geheim¬ nißvoller und vermehrte die Beklommenheit, welcheR258ihr den Mund verſchloß. Frau und Tochter trieb der Alte fort, um fuͤr Wein und andere Erfri¬ ſchungen zu ſorgen, er ſelbſt ging in das Zimmer zuruͤck. Getroͤſteter, gefaßter ſchien die verſchlei¬ erte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und ge¬ falteten Haͤnden vor der Aebtiſſin ſtand. Dieſe verſchmaͤhte es nicht, etwas von den Erfriſchungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief ſie: Nun iſt es Zeit! Die verſchleierte Dame ſank nieder auf die Knie, die Aebtiſſin legte die Haͤnde auf ihr Haupt und ſprach leiſe Gebete. Als dieſe geendet, ſchloß ſie, indem haͤufige Thraͤ¬ nen ihr uͤber die Wangen rollten, die Verſchleierte in die Arme und druͤckte ſie heftig wie im Ueber¬ maß des Schmerzes an die Bruſt, dann gab ſie gefaßt und wuͤrdevoll der Familie die Bene¬ diktion und eilte, vom Alten geleitet, raſch in den Wagen, vor dem die friſch angelegten Poſtpferde laut wieherten. In vollem Juchzen und Blaſen jug der Poſtillion durch die Gaſſen zum Thore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß259 die verſchleierte Dame, fuͤr die man ein paar ſchwere Koffer vom Wagen abgepackt und hinein¬ getragen, da blieb, wohl gar auf lange Zeit ein¬ gezogen ſey, konnte ſie ſich gar nicht laſſen vor peinlicher Neugier und Sorge. Sie trat hinaus auf den Hausflur und dem Alten, der eben in das Zimmer wollte, in den Weg. Um Chriſtus willen, fluͤſterte ſie leiſe und aͤngſtlich. um Chriſtus willen, welch 'einen Gaſt bringſt du mir ins Haus, denn du weißt doch ja von Allem und haſt es mir nur verſchwiegen. Alles was ich weiß, ſollſt du auch erfahren, erwiederte der Alte ganz ruhig. Ach ach! fuhr die Frau noch aͤngſtlicher fort, du weißt aber vielleicht nicht Alles; waͤr'ſt du nur jetzt im Zimmer geweſen. So wie die Frau Aeb¬ tiſſin abgefahren, mochte es der Dame doch wohl zu beklommen werden in ihren dicken Schleiern. Sie nahm den großen ſchwarzen Kreppflor, der ihr bis an die Knie reichte, herab, und da ſah ich Nun was ſahſt du denn, fiel der Alte der Frau, die zitternd ſich umſchaute, als erblicke ſie Ge¬R 2260ſpenſter, in die Rede. Nein, ſprach die Frau weiter, die Geſichtszuͤge konnte ich unter den duͤnnen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die Todtenfarbe, ach die grauliche Todten¬ farbe. Aber nun Alter, nun merk 'auf: deutlich, nur zu deutlich, ganz ſonnenklar liegts am Tage, daß die Dame guter Hoffnung iſt. In wenigen Wochen kommt ſie in's Kindbett. Das weiß ich ja, Frau, ſprach der Alte ganz muͤrriſch, und damit du nur nicht umkommen moͤgeſt vor Neugier und Unruhe, will ich dir mit zwei Wor¬ ten alles erklaͤren. Wiſſe alſo, daß Fuͤrſt Z. un¬ ſer hoher Goͤnner mir vor einigen Wochen ſchrieb, die Aebtiſſin des Ciſterzienſerkloſters in O. werde mir eine Dame bringen, die ich bei mir in meinem Hauſe aufnehmen ſolle, in aller Stille, jedes Aufſehen ſorglich vermeidend. Die Dame, welche nicht anders genannt ſeyn wolle, als ſchlecht¬ weg Coͤleſtine, werde bei mir ihre nahe Entbin¬ dung abwarten, und dann nebſt dem Kinde, das ſie geboren, wieder abgeholt werden. Fuͤge ich nun261 noch hinzu, daß der Fuͤrſt mir mit den eindring¬ lichſten Worten die ſorgſamſte Pflege der Dame empfohlen und fuͤr die erſten Auslagen und Be¬ muͤhungen einen tuͤchtigen Beutel mit Dukaten, den du in meiner Commode finden und beaͤugeln kannſt, beigefuͤgt hat, ſo werden wohl alle Be¬ denken aufhoͤren. So muͤſſen wir, ſprach die Hausfrau, vielleicht arger Suͤnde, wie ſie die Vornehmen treiben, die Hand bieten. Noch ehe der Alte darauf etwas erwiedern konnte, trat die Tochter zum Zimmer heraus, und rief ihn zur Dame, welche ſich nach Ruhe ſehne und in das fuͤr ſie beſtimmte Gemach gefuͤhrt zu werden wuͤnſche. Der Alte hatte die beiden Zimmerchen des obern Stocks ſo gut ausſchmuͤcken laſſen, als er es nur vermochte, und war nicht wenig betreten, als Coͤleſtine frug, ob er außer dieſen Gemaͤchern nicht noch eins, deſſen Fenſter hinten heraus gin¬ gen, beſitze. Er verneinte das und fuͤgte nur, um ganz gewiſſenhaft zu ſeyn, hinzu, daß zwar noch ein einziges Gemach mit einem Fenſter nach dem262 Garten heraus, vorhanden, dies duͤrfte aber gar kein Zimmer, ſondern nur eine ſchlechte Kammer genannt werden; kaum ſo geraͤumig, um ein Bette, einen Tiſch und einen Stuhl hinein zu ſtellen, ganz einer elenden Kloſterzelle gleich. Coͤleſtine verlangte augenblicklich dieſe Kammer zu ſehen, und erklaͤrte, kaum hineingekommen, daß eben die¬ ſes Gemach ihren Wuͤnſchen und Beduͤrfniſſen angemeſſen ſey, daß ſie nur in dieſem und keinem andern wohnen, und es nur dann, wenn ihr Zu¬ ſtand durchaus groͤßeren Raum und eine Kran¬ kenwaͤrterin erfordern ſolle, mit einem groͤßern vertauſchen werde. Verglich der Alte ſchon jetzt dieſes enge Gemach mit einer Kloſterzelle, ſo war es andern Tages ganz dazu geworden. Coͤleſtine hatte ein Marienbild an die Wand geheftet und auf den alten hoͤlzernen Tiſch, der unter dem Bilde ſtand, ein Cruzifix hingeſtellt. Das Bette beſtand in einem Strohſack und einer wollenen Decke und außer einem hoͤlzernen Schemmel und noch einem kleinen Tiſch, litt Coͤleſtine kein ande¬263 res Geraͤth. Die Hausfrau, ausgeſoͤhnt mit der Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der ſich in ihrem ganzen Weſen offenbarte, glaubte nach gewoͤhnlicher Weiſe ſie aufheitern, unterhal¬ ten zu muͤſſen, die Fremde bat aber mit den ruͤh¬ rendſten Worten, eine Einſamkeit nicht zu verſtoͤ¬ ren, in der allein mit ganz der Jungfrau und den Heiligen zugewandtem Sinn ſie Troͤſtung finde. Jedes Tages, ſo wie der Morgen graute, begab ſich Coͤleſtine zu den Carmelitern, um die Fruͤhmeſſe zu hoͤren; den uͤbrigen Tag ſchien ſie unausgeſetzt Andachtsuͤbungen gewidmet zu haben, denn ſo oft es auch noͤthig wurde ſie in ihrem Zimmer aufzuſuchen, fand man ſie entweder betend oder in frommen Buͤchern leſend. Sie verſchmaͤhte andere Speiſe als Gemuͤſe, anderes Getraͤnk als Waſſer, und nur die dringendſten Vorſtellungen des Alten, daß ihr Zuſtand, das Weſen, das in ihr lebe, beſſere Koſt fordere, konnten ſie endlich vermoͤgen zuweilen Fleiſchbruͤhe und etwas Wein zu genießen. Dieſes ſtrenge kloͤſterliche Leben264 hielt es auch jeder im Hauſe fuͤr die Buße be¬ gangener Suͤnde, erweckte doch zu gleicher Zeit inniges Mitleiden und tiefe Ehrfurcht, wozu denn auch der Adel ihrer Geſtalt, die ſiegende Anmuth jeder ihrer Bewegungen nicht wenig beitrug. Was aber dieſen Gefuͤhlen fuͤr die fremde Heilige etwas ſchauerliches beimiſchte, war der Umſtand, daß ſie die Schleier durchaus nicht ablegte, ſo daß keiner ihr Geſicht zu erſchauen vermochte. Nie¬ mand kam in ihre Naͤhe, als der Alte und der weibliche Theil ſeiner Familie, und dieſe, niemals aus dem Staͤdtchen gekommen, konnten unmoͤglich durch das Wiedererkennen eines Geſichts, das ſie vorher nicht geſehen, dem Geheimniß auf die Spur kommen. Wozu alſo die Verhuͤllung? Die geſchaͤftige Fantaſie der Weiber erfand bald ein grauliches Maͤhrchen. Ein fuͤrchterliches Ab¬ zeichen (ſo lautete die Fabel), die Spur der Teu¬ felskralle, hatte das Geſicht der Fremden graͤßlich verzerrt, und darum die dicken Schleier. Der Alte hatte Muͤhe dem Gewaͤſche zu ſteuern und265 zu verhindern, daß wenigſtens vor der Thuͤre ſeines Hauſes nicht abenteuerliches von der Frem¬ den geſchwatzt wurde, deren Aufenthalt in des Buͤr¬ germeiſters Hauſe freilich in der Stadt bekannt geworden. Ihre Gaͤnge nach dem Carmeliterklo¬ ſter blieben auch nicht unbemerkt und bald nannte man ſie des Buͤrgermeiſters ſchwarze Frau, wo¬ mit freilich ſich von ſelbſt die Idee einer ſpukhaf¬ ten Erſcheinung verband. Der Zufall wollte, daß eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speiſen in das Zimmer brachte, der Luftſtrom den Schleier erfaßte und aufhob; mit Blitzes¬ ſchnelle wandte ſich die Fremde, ſo daß ſie ſich in demſelben Moment dem Blick des Maͤdchens entzog. Dieſe kam aber erblaßt und an allen Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber ſo wie die Mutter ein todtenbleiches, hatte ſie ein marmorweißes Antlitz erſchaut, aus deſſen tiefen Augenhoͤhlen es ſeltſam hervorblitzte. Der Alte ſchob mit Recht vieles auf des Maͤdchens Einbil¬ dung, aber auch ihm war es, im Grunde genom¬266 men, ſo zu Muthe wie allen; er wuͤnſchte das verſtoͤrende Weſen, trotz aller Froͤmmigkeit, die es bewies, fort aus ſeinem Hauſe. Bald darauf weckte in einer Nacht der Alte die Hausfrau und ſagte ihr, daß er ſchon ſeit einigen Minuten ein leiſes Wimmern und Aechzen, ein Klopfen ver¬ nehme, das von Coͤleſtinens Zimmer zu kommen ſcheine. Die Frau, von der Ahnung ergriffen, was das ſeyn koͤnne, eilte hinauf. Sie fand Coͤ¬ leſtinen angezogen und in ihre Schleier gewickelt, auf dem Bette halb ohnmaͤchtig liegen und uͤber¬ zeugte ſich bald, daß die Niederkunft nahe ſey. Schnell traf man die laͤngſt vorbereiteten Anſtal¬ ten, und in weniger Zeit war ein geſundes hol¬ des Knaͤblein geboren. Dies Ereigniß, hatte man es auch laͤngſt vorausgeſehen, trat doch wie uner¬ wartet ein, und vernichtete in ſeinen Folgen das druͤckende unheimliche Verhaͤltniß mit der Frem¬ den, welches auf der Familie ſchwer gelaſtet hatte. Der Knabe ſchien, wie ein ſuͤhnender Mittler, Coͤleſtinen dem Menſchlichen wieder naͤher zu brin¬267 gen. Ihr Zuſtand litt keine ſtrenge ascetiſche Uebungen, und indem ihre Huͤlfloſigkeit ihr die Menſchen, welche ſie mit liebender Sorgfalt pfleg¬ ten, aufnoͤthigte, gewoͤhnte ſie ſich mehr und mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten, ihr ſelbſt die nahr¬ hafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß in dieſer haͤuslichen Sorge alles Boͤſe, was ihr ſonſt uͤber die raͤthſelhafte Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen ſollte. Der Alte jubelte ganz verjuͤngt und haͤtſchelte den Knaben, als ſey ihm ein Enkelkind geboren, und er, wie Alle uͤbrige, hatten ſich daran gewoͤhnt, daß Coͤleſtine ver¬ ſchleiert blieb, ja ſelbſt waͤhrend der Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr ſchwoͤren muͤſſen, daß, trete ja ein Zuſtand der Bewußtloſigkeit ein, doch die Schleier nicht geluͤpft werden ſollten, außer von ihr, der Wehmutter ſelbſt, im Fall der Todes¬ gefahr. Es war gewiß, daß die Alte Coͤleſtinen268 unverſchleiert geſehen, ſie ſagte aber daruͤber nichts, als: Die arme junge Dame muß ſich ja wohl ſo verhuͤllen! Nach einigen Tagen erſchien der Carmelitermoͤnch, der den Knaben getauft hatte. Seine Unterredung mit Coͤleſtinen, niemand durfte zugegen ſeyn, dauerte laͤnger als zwei Stunden. Man hoͤrte ihn eifrig ſprechen und beten. Als er fortgegangen, fand man Coͤleſtinen im Lehn¬ ſtuhl ſitzend, auf dem Schooße den Knaben, um deſſen kleine Schultern ein Skapulier gelegt war, und der ein Agnusdei auf der Bruſt trug. Wo¬ chen und Monate vergingen, ohne daß, wie der Buͤrgermeiſter geglaubt hatte, und wie es ihm auch vom Fuͤrſten Z. geſagt worden, Coͤleſtine mit dem Kinde abgeholt wurde. Sie haͤtte ganz eintreten koͤnnen in den friedlichen Kreis der Fa¬ milie, waͤren die fatalen Schleier nicht geweſen, die immer den letzten Schritt zur freundlichen Annaͤherung hemmten. Der Alte nahm es ſich heraus, dies der Fremden ſelbſt freimuͤthig zu aͤußern, doch als ſie mit dumpfem feierlichen Ton269 erwiederte: Nur im Tode fallen dieſe Schleier, ſchwieg er davon und wuͤnſchte aufs Neue, daß der Wagen mit der Aebtiſſin erſcheinen moͤge. Der Fruͤhling war herangekommen, von einem Spatzier¬ gange kehrte die Familie des Buͤrgermeiſters heim, Blumenſtraͤuße in den Haͤnden tragend, deren ſchoͤnſte der frommen Coͤleſtine beſtimmt waren. Eben als ſie ins Haus treten wollten, ſprengte ein Reiter heran, eifrig nach dem Buͤrgermeiſter fragend. Der Alte ſprach, er ſei ſelbſt der Buͤr¬ germeiſter und ſtehe vor ſeinem Hauſe. Da ſprang der Reiter herab vom Pferde, das er feſtband an den Pfoſten und ſtuͤrzte mit dem gellenden Ruf: Sie iſt hier, ſie iſt hier, ins Haus und die Treppe herauf. Man hoͤrte eine Thuͤr ein¬ ſchlagen und Coͤleſtinens Angſtgeſchrei. Der Alte, von Entſetzen erfaßt, eilte nach. Der Reiter wie nun ſichtlich, war ein Offizier von der fran¬ zoͤſiſchen Jaͤgergarde mit vielen Orden geſchmuͤckt, hatte den Knaben aus der Wiege geriſſen und in den linken, mit dem Mantel umſchlungenen Arm270 genommen; den Rechten hatte Coͤleſtine erfaßt, alle Kraft aufbietend, den Raͤuber des Kindes zuruͤckzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den Schleier herab ein todtſtarres marmorweißes Antlitz, von ſchwarzen Locken umſchattet, blickte ihn an, gluͤhende Strahlen aus den tiefen Augen¬ hoͤhlen ſchießend, waͤhrend ſchneidende Jammertoͤne aus den halbgeoͤffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, daß Coͤleſtine eine weiße, dicht anſchließende Maske trug. Entſetzliches Weib! willſt du, daß auch mich deine Raſerei ergreife? ſchrie der Offizier, indem er ſich mit Gewalt losriß, ſo daß Coͤleſtine zu Boden ſtuͤrzte. Nun umfaßte ſie aber ſeine Knie, indem ſie mit dem Ausdruck des unſaͤglichſten Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchſchnitt, flehte: Laß mir das Kind! o laß mir das Kind! nicht um die ewige Seligkeit ſollſt du mich brin¬ gen. Um Chriſtus um der heiligen Jung¬ frau willen laß mir das Kind laß mir das Kind. Und bei dieſen Jammertoͤnen regte271 ſich keine Muskel, regten ſich nicht die Lippen des Todtenantlitzes, ſo daß dem Alten, der Haus¬ frau Allen, die ihm gefolgt, vor Grauen das Blut in den Adern ſtockte! Nein, ſchrie der Offizier wie in heller Verzweiflung, nein, un¬ menſchliches, unerbittliches Weib, das Herz konn¬ teſt du aus dieſer Bruſt reißen, aber verderben ſollſt du nicht im heilloſen Wahnſinn das Weſen, das ſich troͤſtend an die blutende Wunde legt! Feſter druͤckte der Offizier das Kind an ſich, ſo daß es laut zu weinen begann da brach Coͤle¬ ſtine aus in ein dumpfes Heulen: Rache des Himmels Rache uͤber dich du Moͤrder Laß ab! laß ab fort mit dir, du Hoͤl¬ lenſpuk kreiſchte der Offizier, und ſchleuderte mit einer konvulſiviſchen Bewegung des Fußes Coͤleſti¬ nen weit von ſich, und wollte zur Thuͤre heraus. Der Alte trat ihm in den Weg, er riß aber ſchnell ein Terzerol hervor, rief, die Muͤndung gegen den Alten gekehrt: die Kugel durch den Kopf dem, der dem Vater ſein Kind zu entreißen gedenkt, 272ſtuͤrzte die Treppe herab, ſchwang ſich auf's Pferd ohne das Kind zu laſſen, und ſprengte in vollem Galopp davon. Die Hausfrau voll Herzens¬ angſt, wie es nun um Coͤleſtinen ſtehen, und was nun mit ihr anzufangen ſeyn wuͤrde, uͤber¬ wand ihr Grauen vor der entſetzlichen Todten¬ maske, und eilte herauf ihr beizuſtehen. Wie er¬ ſtaunte ſie, als ſie Coͤleſtinen mitten im Zimmer gleich einer Statue mit herabhaͤngenden Armen lautlos ſtehend fand. Sie redete ſie an, keine Antwort. Nicht vermoͤgend den Anblick der Maske zu tragen, hing ſie ihr die Schleier um, die auf dem Boden lagen, kein Regen und Bewegen. Coͤleſtine war in einen automataͤhnlichen Zuſtand geſunken, der die Hausfrau mit neuer Angſt und Pein erfuͤllte, ſo daß ſie ganz inbruͤnſtig zu Gott flehte, ſie nur von dieſer unheimlichen Fremden zu befreien. Ihre Bitte wurde zur Stelle erhoͤrt, denn eben hielt derſelbe Wagen, der Coͤleſtinen ge¬ bracht, vor der Thuͤre. Die Aebtiſſin kam, mit ihr Fuͤrſt Z. des alten Buͤrgermeiſters hoher Goͤnner.

273

Als der erfahren, was ſich ſo oben zugetragen, ſprach er ſehr mild und ruhig: So kamen wir zu ſpaͤt, und muͤſſen uns wohl in Gottes Fuͤgung ſchicken. Man brachte Coͤleſtinen herab, die ſich ſtarr und lautlos, ohne Zeichen eignen Willens und eigner Willkuͤhr, fortfuͤhren und in den Wagen ſetzen ließ, der ſchnell fortrollte. Dem Alten, der ganzen Familie war ſo zu Muthe, als erwachten ſie nun erſt aus einem boͤſen ſpukhaften Traum, der ſie ſehr geaͤngſtet.

Bald darauf, als ſich dies in dem Hauſe des Buͤrgermeiſters von L. begeben, wurde in dem Ciſterzienſer Nonnenkloſter zu O. eine Logenſchweſter mit ungewoͤhnlicher Feierlichkeit begraben und ein dumpfes Geruͤcht ging, daß dieſe Logenſchweſter die Graͤfin Hermenegilda von C. geweſen, von der man glaubte, ſie ſey mit ihres Vaters Schweſter, der Fuͤr¬ ſtin von Z., nach Italien gegangen. Zur ſelbigen Zeit erſchien Graf Nepomuk von C., Hermenegilda's Vater, in Warſchau und trat, ſich nur ein kleines Guͤtchen in der Ukraine vorbehaltend, ſeine ſaͤmmt¬S274lichen uͤbrigen betraͤchtlichen Beſitzungen den beiden Soͤhnen des Fuͤrſten Z., ſeinen Neffen, vermoͤge eines gerichtlichen Akts ohne Einſchraͤnkung ab. Man fragte nach der Ausſtattung ſeiner Tochter, da hob er den duͤſtern thraͤnenſchweren Blick gen Himmel und ſagte mit dumpfer Stimme: Sie iſt ausgeſtattet! Er nahm gar keinen Anſtand, nicht allein jenes Geruͤcht von Hermenegilda's Tode im Kloſter zu O. zu beſtaͤtigen, ſondern auch das beſondere Verhaͤngniß zu offenbaren, das uͤber Her¬ menegilda gewaltet und ſie einer duldenden Maͤrty¬ rin gleich fruͤhzeitig in das Grab gezogen. Man¬ che Patrioten, gebeugt, aber nicht zerknickt durch den Fall des Vaterlandes, gedachten den Grafen aufs neue in geheime Verbindungen zu ziehen, die die Herſtellung des polniſchen Staats bezweckten, aber nicht mehr den feurigen, fuͤr Freiheit und Va¬ terland beſeelten Mann, der ſonſt zu jeder gewag¬ ten Unternehmung mit unerſchuͤtterlichem Muthe die Hand bot, fanden ſie, ſondern einen ohnmaͤchtigen, von wildem Schmerz zerriſſenen Greis, der allen275 Welthaͤndeln entfremdet im Begriff ſtand, ſich in tiefer Einſamkeit zu vergraben. Sonſt, zu jener Zeit, als nach der erſten Theilung Polens die In¬ ſurrection vorbereitet wurde, war des Grafen Ne¬ pomuk von C. Stammgut der geheime Sammel¬ platz der Patrioten. Dort entzuͤndeten ſich die Ge¬ muͤther bei feierlichen Mahlen zum Kampf fuͤr das gefallene Vaterland. Dort erſchien wie ein Engels¬ bild vom Himmel geſendet zur heiligen Weihe Her¬ menegilda in dem Kreiſe der jungen Helden. Wie es den Frauen ihrer Nation eigen, nahm ſie Theil an allen, ſelbſt an politiſchen Verhandlungen und aͤußerte, die Lage der Dinge wohl beachtend und erwaͤgend, in einem Alter von noch nicht ſiebzehn Jahren, oft manchmal allen uͤbrigen entgegen, eine Meinung, die von dem außerordentlichſten Scharf¬ ſinn, von der klarſten Umſicht zeigte und die meh¬ rentheils den Ausſchlag gab. Naͤchſt ihr war nie¬ manden das Talent des ſchnellen Ueberblicks, des Auffaſſens und ſcharfgeruͤndeten Darſtellens der La¬ ge der Dinge mehr eigen, als dem Grafen Stanis¬S 2276laus von R., einem feurigen, hochbegabten Juͤng¬ linge von zwanzig Jahren. So geſchah es, daß Hermenegilda und Stanislaus oft allein in ra¬ ſchen Diſcuſſionen die zur Sprache gebrachten Ge¬ genſtaͤnde verhandelten, Vorſchlaͤge pruͤften an¬ nahmen verwarfen, andere aufſtellten, und daß die Reſultate des Zweigeſpraͤchs zwiſchen dem Maͤd¬ chen und dem Juͤnglinge oft ſelbſt von den alten ſtaatsklugen Maͤnnern, die zu Rathe ſaßen, als das Kluͤgſte und Beſte, was zu beginnen, anerkannt werden mußten. Was war natuͤrlicher, als an die Verbindung dieſer beiden zu denken, in deren wunderbaren Talenten das Heil des Vaterlandes em¬ porzukeimen ſchien. Außerdem war aber auch die naͤhere Verzweigung beider Familien ſchon deshalb in dem Augenblick politiſch wichtig, weil man ſie von verſchiedenem Intereſſe beſeelt glaubte, wie der Fall bey manchen andern Familien in Polen zutraf. Hermenegilda, ganz durchdrungen von dieſen An¬ ſichten, nahm den ihr beſtimmten Gatten als ein Geſchenk des Vaterlandes auf, und ſo wurden mit277 ihrer feierlichen Verlobung die patriotiſchen Zuſam¬ menkuͤnfte auf dem Gute des Vaters beſchloſſen. Es iſt bekannt, daß die Polen unterlagen, daß mit Kosziusko's Fall eine zu ſehr auf Selbſtvertrauen und falſch vorausgeſetzte Rittertreue baſirte Unter¬ nehmung ſcheiterte. Graf Stanislaus, dem ſeine fruͤhere militaͤriſche Laufbahn, ſeine Jugend und Kraft eine Stelle im Heer anwies, hatte mit Loͤ¬ wenmuth gefochten. Mit Noth ſchmaͤhlicher Ge¬ fangenſchaft entgangen, auf den Tod verwundet, kam er zuruͤck. Nur Hermenegilda feſſelte ihn noch ans Leben, in ihren Armen glaubte er Troſt, verlorne Hoffnung wiederzufinden. So wie er nur leidlich von ſeinen Wunden geneſen, eilte er auf die Guͤter des Grafen Nepomuk, um dort aufs neue, aufs ſchmerzlichſte verwundet zu werden. Herme¬ negilda empfing ihn mit beinahe hoͤhnender Verach¬ tung. Seh 'ich den Helden, der in den Tod ge¬ hen wollte fuͤr das Vaterland? So rief ſie ihm entgegen; es war, als wenn ſie in thoͤrichtem Wahnſinn den Braͤutigam fuͤr einen jener Paladine278 der fabelhaften Ritterzeit gehalten, deſſen Schwert allein Armeen vernichten konnte. Was halfen alle Betheurungen, daß keine menſchliche Kraft zu wi¬ derſtehen vermochte dem brauſenden, alles verſchlin¬ genden Strom, der ſich uͤber das Vaterland hin¬ waͤlzte, was half alles Flehen der inbruͤnſtigen Lie¬ be, Hermenegilda, als koͤnne ſich ihr todtkaltes Herz nur im wilden Treiben der Welthaͤndel ent¬ zuͤnden, blieb bei dem Entſchluß, ihre Hand nur dann dem Grafen Stanislaus geben zu wollen, wenn die Fremden aus dem Vaterlande vertrieben ſeyn wuͤrden. Der Graf ſah' zu ſpaͤt ein, daß Hermenegilda ihn nie liebte, ſo wie er ſich uͤberzeu¬ gen mußte, daß die Bedingniß, die Hermenegilda aufſtellte, vielleicht niemals, wenigſtens erſt in ge¬ raumer Zeit erfuͤllt werden konnte. Mit dem Schwur der Treue bis in den Tod verließ er die Geliebte und nahm franzoͤſiſche Dienſte, die ihn in den Krieg nach Italien fuͤhrten. Man ſagt den polniſchen Frauen nach, daß ein eignes lau¬ niſches Weſen ſie auszeichne. Tiefes Gefuͤhl, ſich279 hingebender Leichtſinn, ſtoiſche Selbſtverlaͤugnung, gluͤhende Leidenſchaft, todtſtarre Kaͤlte, alles das, wie es bunt gemiſcht in ihrem Gemuͤthe liegt, er¬ zeugt das wunderliche unſtete Treiben auf der Oberflaͤche, das dem Spiel gleicht der in ſtetem Wechſel fortplaͤtſchernden Wellen des im tiefſten Grunde bewegten Bachs. Gleichguͤltig ſah Her¬ menegilda den Braͤutigam ſcheiden, aber kaum wa¬ ren einige Tage vergangen, als ſie ſich von ſolch 'un¬ ausſprechlicher Sehnſucht befangen fuͤhlte, wie ſie nur die gluͤhendſte Liebe erzeugen kann. Der Sturm des Krieges war verrauſcht, die Amneſtie wurde proklamirt, man entließ die polniſchen Offiziere aus der Gefangenſchaft. So geſchah es, daß meh¬ rere von Stanislaus Waffenbruͤdern ſich nach und nach auf des Grafen Gute einfanden. Mit tiefem Schmerz gedachte man jener ungluͤcklichen Tage, aber auch mit hoher Begeiſterung des Loͤwenmuths, womit alle, aber keiner mehr als Stanislaus ge¬ fochten. Er hatte die zuruͤckweichenden Bataillo¬ ne, da, wo ſchon alles verloren ſchien, aufs neue280 ins Feuer gefuͤhrt, es war ihm gegluͤckt, die feind¬ lichen Reihen mit ſeiner Reuterei zu durchbrechen. Das Schickſal des Tages wankte, da traf ihn eine Kugel und mit dem Ausruf: Vaterland Her¬ menegilda! ſtuͤrzte er in Blut gebadet vom Pferde herab. Jedes Wort dieſer Erzaͤhlung war ein Dolchſtich, der tief in Hermenegilda's Herz fuhr. Nein! ich wußt' es nicht, daß ich ihn unaus¬ ſprechlich liebte ſeit dem erſten Augenblick, als ich ihn ſah! Welch ein hoͤlliſches Blendwerk konnte mich Aermſte verfuͤhren, daß ich zu leben gedachte ohne ihn, der mein einziges Leben iſt! Ich habe ihn in den Tod geſchickt er kehrt nicht wieder! So brach Hermenegilda aus in ſtuͤrmiſche Klagen, die allen in die Seele drangen. Schlaflos, von ſteter Unruhe gefoltert, durchirrte ſie zur Nachtzeit den Park, und, als vermoͤge der Nachtwind ihre Worte hinzutragen zu dem fernen Geliebten, rief ſie in die Luͤfte hinein: Stanislaus Stanis¬ laus kehre zuruͤck ich bin es Hermene¬ gilda iſt es, die dich ruft hoͤrſt du mich denn281 nicht kehre zuruͤck, ſonſt muß ich vergehen in banger Sehnſucht, in troſtloſer Verzweiflung!

Hermenegilda's uͤberreizter Zuſtand ſchien uͤber¬ gehen zu wollen in wirklichen hellen Wahnſinn, der ſie zu tauſend Thorheiten trieb. Graf Nepo¬ muk, voll Kummer und Angſt um das geliebte Kind, glaubte, daß aͤrztliche Huͤlfe hier vielleicht wirkſam ſeyn koͤnnte, und es gelang ihm in der That, einen Arzt zu finden, der es ſich gefallen ließ einige Zeit auf dem Gute zu bleiben und ſich der Leidenden anzunehmen. So richtig berechnet ſeine mehr pſychiſche als phyſiſche Curmethode aber auch ſeyn mochte, ſo wenig ſich ihre Wirkung auch ganz ableugnen ließ, ſo blieb es doch zweifelhaft, ob von wirklichem Geneſen jemals die Rede wuͤrde ſeyn koͤnnen, da nach langer Stille ſich ganz uner¬ wartet wieder die ſeltſamſten Paroxismen einſtellten. Ein eignes Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben dem klei¬ nen Uhlanen, einem Puͤppchen, das ſie ſonſt282 wie den Geliebten ans Herz gedruͤckt, dem ſie die ſuͤßeſten Namen gegeben, unwillig ins Feuer geworfen, weil er durchaus nicht ſingen wollte: Podrosz twoia nam ńiemiła, milsza przyiaszń w Kraiwbyła etc. Im Begriff, von dieſer Expedition in ihr Zimmer zuruͤck zu kehren, befand ſie ſich auf dem Vorſaal, als es klingend und klirrend hinter ihr her ſchritt. Sie ſchaute um ſich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der franzoͤſiſchen Jaͤgergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und ſtuͤrzte mit dem lauten Ruf: Stanislaus, mein Stanislaus! ihm ohn¬ maͤchtig in die Arme. Der Offizier, eingewurzelt im Boden vor Erſtaunen und Ueberraſchung, hatte nicht wenig Muͤhe Hermenegilda, die groß und uͤppig gebaut, eben keine geringe Laſt war, mit einem Arm, deſſen er nur maͤchtig, aufrecht zu erhalten. Er druͤckte ſie feſt und feſter an ſich, und indem er Hermenegilda's Herz an ſeiner Bruſt ſchlagen fuͤhlte, mußte er ſich geſtehen, daß dies eins der entzuͤckendſten Abenteuer ſey, das283 er je erlebt. Sekunde auf Sekunde verging, der Offizier ganz entzuͤndet vom Liebesfeuer, das in tauſend elektriſchen Funken der holden Geſtalt, die er in ſeinen Armen hielt, entſtroͤmte, druͤckte gluͤhende Kuͤſſe auf die ſuͤßen Lippen. So fand ihn Graf Nepomuk, der aus ſeinen Zimmern trat. Auch er rief aufjauchzend vor Freude: Graf Stanislaus! In dem Augenblick er¬ wachte Hermenegilda, und umſchlang ihn inbruͤn¬ ſtig, indem ſie ganz außer ſich von neuem rief: Stanislaus! mein Geliebter! mein Gatte! Der Offizier im ganzen Geſicht gluͤhend, zit¬ ternd außer aller Faſſung, trat einen Schritt zuruͤck, indem er ſich ſanft Hermenegilda's ſtuͤr¬ miſcher Umarmung entzog. Es iſt der ſuͤßeſte Augenblick meines Lebens aber nicht ſchwelgen will ich in der Seligkeit, die mir nur ein Irr¬ thum bereitet ich bin ja nicht Stanislaus ach ich bin es ja nicht. So ſprach der Offi¬ zier ſtotternd und zagend; entſetzt prallte Herme¬ negilda zuruͤck, und als ſie ſich, den Offizier ſchaͤrfer284 ins Auge faſſend, uͤberzeugt, daß die freilich ganz wunderbare Aehnlichkeit des Offiziers mit dem Geliebten ſie getaͤuſcht, eilte ſie fort laut jammernd und klagend. Graf Nepomuk konnte, da der Offizier ſich nun als den juͤngern Vetter des Gra¬ fen Stanislaus, als den Grafen Xaver von R. kund that, es kaum fuͤr moͤglich halten, daß der Knabe in ſo kurzer Zeit zum kraͤftigen Juͤnglinge herangewachſen. Freilich kam hinzu, daß die Stra¬ pazen des Kriegs dem Geſicht, der ganzen Hal¬ tung, einen maͤnnlichern Charakter gaben, als es ſonſt der Fall geweſen ſeyn wuͤrde. Graf Xaver hatte nehmlich mit ſeinem aͤltern Vetter Stanis¬ laus zugleich das Vaterland verlaſſen, wie er, fran¬ zoͤſiſche Kriegsdienſte genommen und in Italien ge¬ fochten. Damals kaum achtzehn Jahre alt, zeich¬ nete er ſich doch bald, als beſonnener und loͤwen¬ kuͤhner Kriegsheld auf ſolche Weiſe aus, daß ihn der Feldherr zu ſeinem Adjutanten erhob, und jetzt war er, ein zwanzigjaͤhriger Juͤngling, ſchon zum Obriſten heraufgeſtiegen. Erhaltene Wunden,285 noͤthigten ihn einige Zeit auszuruhen. Er kehrte in das Vaterland zuruͤck, und Auftraͤge von Sta¬ nislaus an die Geliebte fuͤhrten ihn auf den Landſitz des Grafen Nepomuk, wo er empfangen wurde, als ſey er der Geliebte ſelbſt. Graf Nepomuk und der Arzt, beide gaben ſich alle nur erſinnliche Muͤhe, Hermenegilda, die ganz ver¬ nichtet von Scham und bitterm Schmerz, ihr Zimmer nicht verlaſſen wollte, ſo lange Xaver im Hauſe, zu beruhigen, aber umſonſt. Xaver war außer ſich, daß er Hermenegilda nicht wieder ſehen ſollte. Er ſchrieb ihr, daß er unverſchuldet eine fuͤr ihn ungluͤckliche Aehnlichkeit zu hart buͤße. Aber nicht ihn allein, ſondern den Geliebten Sta¬ nislaus ſelbſt traͤfe das von jenem verhaͤngni߬ vollen Moment erzeugte Mißgeſchick, da ihm, dem Ueberbringer ſuͤßer Liebesbotſchaft, jetzt alle Ge¬ legenheit geraubt worden, ihr ſelbſt, wie er ge¬ ſollt, den Brief, den er von Stanislaus bei ſich trage, einzuhaͤndigen, und noch alles von Mund zu Mund hinzuzufuͤgen, was Stanislaus in der286 Haſt des Augenblicks nicht mehr ſchreiben konnte. Hermenegilda's Kammerfrau, die Xaver in ſein Intereſſe gezogen, uͤbernahm die Beſtellung zur guͤnſtigen Stunde, und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch ſein Schreiben. Hermenegilda entſchloß ſich ihn zu ſehen. In tiefem Schweigen, mit niedergeſenktem Blick empfing ſie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte ſich mit leiſem ſchwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sopha, auf dem ſie ſaß, aber indem er ſich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als daß er ſaß, und ſo flehte er in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken, mit einem Ton, als habe er ſich des unverzeih¬ lichſten Verbrechens anzuklagen, nicht auf ſein Haupt moͤge ſie die Schuld des Irrthums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes em¬ pfinden laſſen. Nicht ihn, nein Stanislaus ſelbſt habe ſie in der Wonne des Wiederſehens umarmt. Er uͤbergab den Brief, und fing an von Stanis¬ laus zu erzaͤhlen, wie er mit aͤchtritterlicher Treue287 ſelbſt im blutigen Kampf ſeiner Dame gedenke, wie nur ſein Herz gluͤhe fuͤr Freiheit und Vater¬ land u. ſ. w. Xaver erzaͤhlte mit lebendigem Feuer, er riß Hermenegilden hin, die alle Scheu bald uͤberwunden, den zauberiſchen Blick ihrer Him¬ melsaugen unverwandt auf ihn richtete, ſo daß er, ein neuer, von Turandot's Blick getroffener, Calaf, durchbebt von ſuͤßer Wonne, nur muͤhſam die Erzaͤhlung fortſpann. Ohne es ſelbſt zu wiſſen, bedraͤngt von dem innern Kampf gegen die Lei¬ denſchaft, die in hellen Flammen auflodern wollte, verlor er ſich in die weitlaͤuftige Beſchreibung ein¬ zelner Gefechte. Er ſprach von Cavallerieangrif¬ fen geſprengten Maſſen eroberten Batte¬ rien. Ungeduldig unterbrach ihn Hermene¬ gilda, indem ſie rief: O, weg mit dieſen bluti¬ gen Szenen eines Schauſpiels der Hoͤlle ſage! ſage mir nur, daß er mich liebt, daß Stanislaus mich liebt! Da ergriff Xaver, ganz ermuthigt, Hermenegilda's Hand, die er heftig an ſeine Bruſt druͤckte. Hoͤre ihn ſelbſt, deinen Stanis¬288 laus! ſo rief er, und nun ſtroͤmten die Betheu¬ rungen der gluͤhendſten Liebe, wie ſie nur dem Wahnſinn der verzehrendſten Leidenſchaft eigen, von ſeinen Lippen. Er war zu Hermenegilda's Fuͤßen geſunken, ſie hatte ihn mit beiden Armen umſchlungen, aber indem er ſchnell aufgeſprungen ſie an ſeine Bruſt druͤcken wollte, fuͤhlte er ſich heftig zuruͤckgeſtoßen. Hermenegilda ſah ihn mit ſtarrem ſeltſamen Blick an, und ſprach mit dum¬ pfer Stimme: Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwaͤrme an meiner Bruſt, ſo biſt du doch nicht Stanislaus, und kannſt es auch nimmer werden! Hierauf verließ ſie das Zimmer mit leiſen langſamen Schritten. Xaver ſah 'zu ſpaͤt ſeine Unbeſonnenheit ein. Daß er bis zum Wahnſinn in Hermenegilda, in die Braut des verwandten Freundes verliebt ſey, fuͤhlte er nur zu lebhaft, eben ſo aber auch, daß er bei jedem Schritt, den er zu Gunſten ſeiner thoͤrich¬ ten Leidenſchaft zu thun geſonnen, ſich wuͤrde treuloſen Freundſchaftsbruch vorwerfen muͤſſen. 289Schnell abreiſen, ohne Hermenegilda wieder zu ſehen, das war der heroiſche Entſchluß, den er wirklich auf der Stelle ſo weit ausfuͤhrte, daß er zu packen und ſeinen Wagen anzuſpannen befahl. Graf Nepomuk war hoch verwundert, als Xaver von ihm Abſchied nahm; er bot alles auf ihn feſtzu¬ halten, doch mit einer Feſtigkeit, mehr von einer Art Krampf, als von wahrer Geiſtesſtaͤrke erzeugt, blieb Xaver dabei, daß beſondere Urſachen ihn forttrieben. Den Saͤbel umgeſchnallt, die Feldmuͤtze in der Hand, ſtand er in der Mitte des Zimmers, der Bediente mit dem Mantel auf dem Vorſaal Unten vor der Thuͤre wieherten ungeduldig die Pferde. Da ging die Thuͤr auf, Hermene¬ gilda trat herein, mit unbeſchreiblicher Anmuth ſchritt ſie auf den Grafen zu, und ſprach hold¬ laͤchelnd: Sie wollen fort, lieber Xaver? und noch ſo vieles dacht' ich von meinem gelieb¬ ten Stanislaus zu hoͤren! Wiſſen Sie wohl, daß mich Ihre Erzaͤhlungen wunderbar troͤſten? Xaver ſchlug hocherroͤthend die Augen nieder,T290man nahm Platz, Graf Nepomuk verſicherte ein¬ mal uͤber das andere, ſeit vielen Monaten habe er Hermenegilda nicht in dieſer heitern unbefan¬ genen Stimmung geſehen. Auf ſeinen Wink wurde, da die Zeit herangekommen, die Abendtafel in demſelben Zimmer bereitet. Der edelſte Ungar¬ wein perlte in den Glaͤſern, und volle Gluth auf den Wangen nippte Hermenegilda aus dem ge¬ fuͤllten Pokal hochfeiernd das Andenken des Ge¬ liebten, Freiheit und Vaterland. Zur Nacht reiſe ich fort, dachte Xaver im Innern, und frug in der That, als die Tafel aufgehoben, den Be¬ dienten, ob der Wagen warte; der, erwiederte der Bediente, ſey laͤngſt, wie Graf Nepomuk befohlen, abgepackt und abgeſpannt in die Remiſe geſchoben, die Pferde fraͤßen im Stall und Woyciech ſchnarche unten auf dem Strohſack. Xaver ließ es dabei bewenden. Hermenegilda's unvermuthete Erſcheinung hatte den Grafen uͤber¬ zeugt, daß es nicht allein moͤglich, ſondern auch raͤthlich und angenehm ſey zu bleiben, und von291 dieſer Ueberzeugung kam er zu der andern, daß es nur darauf ankomme ſich zu beſiegen, das heißt, Ausbruͤchen der innern Leidenſchaft zu wehren, die, den geiſteskranken Zuſtand Hermenegilda's aufrei¬ zend, nur ihm in jeder Hinſicht verderblich werden koͤnnten. Wie dann nun alles ſich weiter fuͤgen wuͤrde, ſo beſchloß Xaver ſeine Betrachtung, ſollte ſelbſt Her¬ menegilda aus ihren Traͤumen erwacht, die heitere Gegenwart der duͤſtern Zukunft vorziehen, das liege denn alles in der Conſtellation zuſammen¬ wirkender Umſtaͤnde und an Treuloſigkeit, an Freundſchaftsbruch ſey nicht zu denken. So wie Xaver andern Tages Hermenegilden wieder ſah, gelang es ihm in der That, indem er ſorglich auch das Kleinſte vermied, was ſein zu heißes Blut haͤtte in Wallung ſetzen koͤnnen, ſeine Lei¬ denſchaft niederzukaͤmpfen. In den Schranken der ſtrengſten Sitte bleibend, ja ſelbſt ein froſtig Ceremoniell beachtend, gab er nur dem Geſpraͤch die Schwingen jener Galanterie, die den Weibern mit ſuͤßem Zucker verderbliches Gift beibringt. T 2292Xaver, ein zwanzigjaͤhriger Juͤngling, in eigent¬ lichen Liebeshaͤndeln unerfahren, entfaltete, von dem ſichern Takt fuͤrs Boͤſe im Innern geleitet, die Kunſt des erfahrnen Meiſters. Nur von Stanislaus, von ſeiner unausſprechlichen Liebe zur ſuͤßen Braut, ſprach er, aber durch die volle Gluth, die er dann entzuͤndet, wußte er geſchickt ſein eignes Bild durchſchimmern zu laſſen, ſo daß Hermenegilda in arger Verwirrung ſelbſt nicht wußte, wie beide Bilder, das des abweſenden Stanislaus und das des gegenwaͤrtigen Xaver, tren¬ nen. Xavers Geſellſchaft wurde bald der aufge¬ regten Hermenegilda zum Beduͤrfniß, und ſo geſchah es, daß man ſie beinahe beſtaͤndig, und oft wie im traulichen Liebesgeſpraͤch zuſammenſah. Die Gewohnheit uͤberwand mehr und mehr Her¬ menegilda's Scheu und in eben dem Grade uͤber¬ ſchritt Xaver jene Schranken des froſtigen Cere¬ moniells, in die er ſich Anfangs mit klugem Vor¬ bedacht gebannt hatte. Arm in Arm gingen Her¬ menegilda und Xaver in dem Park umher, und293 ſorglos ließ ſie ihre Hand in der ſeinigen, wenn er im Zimmer neben ihr ſitzend von dem gluͤck¬ lichen Stanislaus erzaͤhlte. Kam es nicht auf Staatshaͤndel, auf die Sache des Vaterlandes an, ſo war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe faͤhig, er begnuͤgte ſich mit dem, was er auf der Oberflaͤche wahrzunehmen im Stande, ſein fuͤr alles uͤbrige todtes Gemuͤth vermochte die voruͤberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektiren, ſpurlos ſchwanden ſie dahin. Ohne Hermenegilda's inne¬ res Weſen zu ahnen, hielt er es fuͤr gut, daß ſie endlich die Puͤppchen, die bei ihrem thoͤrigten wahnſinnigen Treiben den Geliebten vorſtellen mußten, mit einem lebendigen Juͤngling vertauſcht, und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszuſehen, daß Xaver, der ihm als Schwiegerſohn eben ſo lieb, bald ganz in Stanislaus Stelle treten werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieſes ebenfalls, da nun, nachdem ein Paar Monate vergangen, Hermenegilda, ſo294 ſehr ihr ganzes Weſen auch von dem Andenken an Stanislaus erfuͤllt ſchien, es ſich doch gefallen ließ, daß Xaver mehr und mehr ſich ihr annaͤ¬ herte mit eigner Bewerbung. Eines Morgens hieß es, daß Hermenegilda ſich in ihre Gemaͤcher mit der Kammerfrau eingeſchloſſen habe, und durchaus niemanden ſehen wolle. Graf Nepomuk glaubte nicht anders, als daß ein neuer Paroxis¬ mus eingetreten ſey, der ſich bald legen werde. Er bat den Grafen Xaver, die Gewalt, die er uͤber Hermenegilda gewonnen, jetzt zu ihrem Heil zu uͤben, wie erſtaunte er aber, als Xaver es nicht allein durchaus verweigerte, ſich Hermene¬ gilden auf irgend eine Weiſe zu naͤhern, ſondern ſich auch in ſeinem ganzen Weſen auf eigne Art veraͤndert zeigte. Statt wie ſonſt beinahe zu keck aufzutreten, war er verſchuͤchtert, als habe er Ge¬ ſpenſter geſehen, der Ton ſeiner Stimme ſchwan¬ kend der Ausdruck matt und unzuſammenhaͤn¬ gend. Er ſprach davon, daß er nun durchaus nach Warſchau muͤßte, daß er Hermenegilden wohl295 niemals wieder ſehen werde daß in der letzten Zeit ihr verſtoͤrtes Weſen ihm Grauen und Ent¬ ſetzen erregt daß er Verzicht geleiſtet auf alles Gluͤck der Liebe, daß er nun erſt in der an Wahnſinn graͤnzenden Treue Hermenegilda's, die Treuloſigkeit, die er an dem Freunde begehen wollen, zu ſeiner tiefſten Beſchaͤmung fuͤhle, daß ſchleunige Flucht ſein einziges Rettungsmittel ſey. Graf Nepomuk begriff alles nicht, nur ſchien es ihm endlich klar zu werden, daß Hermenegilda's wahnſinnige Schwaͤrmerei den Juͤngling angeſteckt. Er ſuchte ihm dies zu beweiſen, doch umſonſt. Xaver widerſtrebte um ſo heftiger als dringender Nepomuk ihm die Nothwendigkeit bewies, daß er Hermenegilda von allen Bizarrerien heilen, folglich ſie wieder ſehen muͤſſe. Schnell war der Streit geendet, als Xaver, wie von unſichtbarer unwiderſtehlicher Gewalt getrieben, hinabrannte, ſich in den Wagen warf und davon fuhr.

Graf Nepomuk, voller Gram und Zorn uͤber Hermenegilda's Betragen, bekuͤmmerte ſich nicht mehr296 um ſie, und ſo geſchah es, daß mehrere Tage ver¬ gingen, die ſie ungeſtoͤrt, auf ihrem Zimmer einge¬ ſchloſſen, von niemanden als ihrer Kammerfrau ge¬ ſehen, zubrachte.

In tiefen Gedanken, ganz erfuͤllt von den Hel¬ denthaten jenes Mannes, den die Polen damahls anbeteten wie ein falſches Goͤtzenbild, ſaß Nepomuk eines Tages in ſeinem Zimmer, als die Thuͤr auf¬ ging und Hermenegilda in voller Trauer mit lang herabhaͤngendem Witwenſchleier eintrat. Langſa¬ men feierlichen Schrittes nahte ſie ſich dem Grafen, ließ ſich dann auf die Knie nieder und ſprach mit bebender Stimme: O mein Vater Graf Sta¬ nislaus, mein geliebter Gatte, iſt hinuͤber er fiel als Held im blutigen Kampf: vor dir kniet ſei¬ ne bejammernswerthe Witwe! Graf Nepo¬ muk mußte dies um ſo mehr fuͤr einen neuen Aus¬ bruch der zerruͤtteten Gemuͤthsſtimmung Hermene¬ gilda's halten, als noch Tages zuvor Nachrichten von dem Wohlbefinden des Grafen Stanislaus ein¬ gelaufen waren. Er hob Hermenegilden ſanft auf,297 indem er ſprach: Beruhige dich liebe Tochter, Stanislaus iſt wohl, bald eilt er in deine Arme. Da athmete Hermenegilda auf wie im ſchweren Todesſeufzer und ſank von wildem Schmerz zerriſſen neben dem Grafen hin in die Polſter des Sophas. Doch nach wenigen Sekunden wieder zu ſich ſelbſt gekommen, ſprach ſie mit wunderbarer Ruhe und Faſſung: Laß es mich dir ſagen, lieber Vater! wie ſich alles begeben, denn du mußt es wiſſen, da¬ mit du in mir die Witwe des Grafen Stanislaus von R. .erkenneſt. Wiſſe, daß ich vor ſechs Tagen in der Abenddaͤmmerung mich in dem Pavil¬ lon an der Suͤdſeite unſeres Parks befand. Alle meine Gedanken, mein ganzes Weſen dem Geliebten zugewendet, fuͤhlt 'ich meine Augen ſich unwillkuͤhr¬ lich ſchließen, nicht in Schlaf, nein, in einen ſeltſa¬ men Zuſtand verſank ich, den ich nicht anders nen¬ nen kann, als waches Traͤumen. Aber bald ſchwirr¬ te und droͤhnte es um mich her, ich vernahm ein wildes Getuͤmmel, es fiel ganz in der Naͤhe Schuß auf Schuß. Ich fuhr auf, und war nicht wenig er¬298 ſtaunt mich in einer Feldhuͤtte zu befinden. Vor mir kniete er ſelbſt mein Stanislaus. Ich umſchlang ihn mit meinen Armen, ich druͤckte ihn an meine Bruſt Gelobt ſey Gott, rief er, du lebſt, du biſt mein! Er ſagte mir, ich ſey gleich nach der Trauung in tiefe Ohnmacht geſunken, und ich thoͤrigt Ding erinnerte mich jetzt erſt, daß ja Pa¬ ter Cyprianus, den ich in dieſem Augenblick erſt zur Feldhuͤtte hinausſchreiten ſah, uns ja eben in der nahen Kapelle unter dem Donner des Geſchuͤtzes, unter dem wilden Toben der nahen Schlacht getraut hatte. Der goldne Trauring blinkte an meinem Finger. Die Seligkeit, mit der ich nun aufs neue den Gatten umarmte, war unbeſchreiblich; nie ge¬ fuͤhltes nahmenloſes Entzuͤcken des begluͤckten Wei¬ bes durchbebte mein Inneres mir ſchwanden die Sinne da wehte es mich an mit eiskaltem Froſt Ich ſchlug die Augen auf entſetzlich! mitten im Gewuͤhl der wilden Schlacht vor mir die brennende Feldhuͤtte, aus der man mich wahrſchein¬ lich gerettet! Stanislaus bedraͤngt von feindli¬299 chen Reitern Freunde ſprengen heran ihn zu retten zu ſpaͤt, von hinten haut ihn ein Reiter herab vom Pferde. Aufs neue ſank Hermene¬ gilda uͤberwaͤltigt von dem entſetzlichen Schmerz ohn¬ maͤchtig zuſammen. Nepomuk eilte nach ſtaͤrkenden Mitteln, doch es bedurfte ihrer nicht, mit wunder¬ barer Kraft faßte ſich Hermenegilda zuſammen. Der Wille des Himmels iſt erfuͤllt, ſprach ſie dumpf und feierlich, nicht zu klagen ziemt es mir, aber bis zum Tode dem Gatten treu, ſoll kein irdiſches Buͤnd¬ niß mich von ihm trennen. Um ihn trauern, fuͤr ihn, fuͤr unſer Heil beten, das iſt jetzt meine Be¬ ſtimmung, und nichts ſoll dieſe mir verſtoͤren. Graf Nepomuk mußte mit vollem Recht glauben, daß der innerlich bruͤtende Wahnſinn Hermenegil¬ da's ſich durch jene Viſion Luft gemacht habe und da die ruhige kloͤſterliche Trauer Hermenegilda's um den Gatten kein ausſchweifendes beunruhigendes Treiben zuließ, ſo war dem Grafen Nepomuk dieſer Zuſtand, den die Ankunft des Grafen Stanislaus ſchnell enden mußte, ganz recht. Ließ Nepomuk300 zuweilen etwas von Traͤumereien und Viſionen fal¬ len, ſo laͤchelte Hermenegilda ſchmerzlich, dann druͤck¬ te ſie aber den goldnen Ring, den ſie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heißen Thraͤnen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erſtaunen, daß dieſer Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei ſeiner Tochter geſehen, da es indeſſen tauſend Faͤlle gab, wie ſie dazu gekommen ſeyn konnte, ſo gab er ſich nicht einmahl die Muͤhe weiter nachzuforſchen. Wichtiger war ihm die boͤſe Nachricht, daß Graf Stanislaus in feindliche Gefangenſchaft gerathen ſey. Hermenegilda fing an auf eigne Weiſe zu kraͤnkeln, ſie klagte oft uͤber eine ſeltſame Empfin¬ dung, die ſie eben nicht Krankheit nennen koͤnne, die aber ihr ganzes Weſen auf ſeltſame Art durchbebe. Um dieſe Zeit kam Fuͤrſt Z. mit ſeiner Gemahlin. Die Fuͤrſtin hatte, als Hermenegildas Mutter fruͤh¬ zeitig ſtarb, ihre Stelle vertreten und ſchon deshalb wurde ſie von ihr mit kindlicher Hingebung empfan¬ gen. Hermenegilda erſchloß der wuͤrdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bitterſten Wehmuth,301 daß, unerachtet ſie fuͤr die Wahrheit aller Umſtaͤnde Ruͤckſichts der wirklich vollzogenen Trauung mit Stanislaus, die uͤberzeugendſten Beweiſe habe, man ſie doch eine wahnſinnige Traͤumerin ſchelte. Die Fuͤrſtin, von allem unterrichtet und von Hermene¬ gilda's zerruͤttetem Gemuͤthszuſtande uͤberzeugt, huͤ¬ tete ſich wohl ihr zu widerſprechen; ſie begnuͤgte ſich damit, ihr zu verſichern, daß die Zeit alles aufklaͤren werde und daß es wohlgethan ſey, ſich in frommer Demuth dem Willen des Himmels ganz zu ergeben. Aufmerkſamer wurde die Fuͤrſtin, als Hermenegilda von ihrem koͤrperlichen Zuſtande ſprach und die ſon¬ derbaren Anfaͤlle beſchrieb, die ihr Inneres zu ver¬ ſtoͤren ſchienen. Man ſah, wie die Fuͤrſtin mit der aͤngſtlichſten Sorgfalt uͤber Hermenegilda wachte und wie ihre Bekuͤmmerniß in dem Grade ſtieg, als Hermenegilda ſich ganz zu erholen ſchien. Die todtblaßen Wangen und Lippen roͤtheten ſich wieder, die Augen verloren das duͤſtre unheimliche Feuer, der Blick wurde mild und ruhig, die abgemagerten Formen rundeten ſich mehr und mehr, kurz Herme¬302 negilda bluͤhte ganz auf in voller Jugend und Schoͤn¬ heit. Und doch ſchien die Fuͤrſtin ſie fuͤr kraͤnker als jemahls zu halten, denn: Wie iſt dir, was haſt du mein Kind? was fuͤhlſt du? ſo frug ſie, quaͤ¬ lende Beſorgniß im Geſicht, ſo bald Hermenegilda nur ſeufzte oder im mindeſten erblaßte. Graf Nepomuk, der Fuͤrſt, die Fuͤrſtin beratheten ſich, was es denn nun werden ſolle mit Hermenegilda und ihrer fixen Idee, Stanislaus Witwe zu ſeyn. Ich glaube leider, ſprach der Fuͤrſt, daß ihr Wahnſinn unheilbar bleiben wird, denn ſie iſt koͤr¬ perlich kerngeſund und naͤhrt den zerruͤtteten Zu¬ ſtand ihrer Seele mit voller Kraft Ja, fuhr er fort, als die Fuͤrſtin ſchmerzlich vor ſich hin¬ blickte, ja ſie iſt kerngeſund, unerachtet ſie zur Ungebuͤhr und zu ihrem offenbaren Nachtheil wie eine Kranke gepflegt, gehaͤtſchelt und geaͤngſtet wird. Die Fuͤrſtin, welche dieſe Worte trafen, faßte den Grafen Nepomuk ins Auge und ſprach raſch und entſchieden: Nein! Hermenegilda iſt nicht krank, aber, laͤge es nicht im Reich der303 Unmoͤglichkeit, daß ſie ſich vergangen haben koͤnn¬ te, ſo wuͤrde ich uͤberzeugt ſeyn, daß ſie ſich in guter Hoffnung befinde. Damit ſtand ſie auf und verließ das Zimmer. Wie vom Blitz getrof¬ fen ſtarrten ſich Graf Nepomuk und der Fuͤrſt an. Dieſer, zuerſt das Wort aufnehmend, mein¬ te, daß ſeine Frau auch zuweilen von den ſon¬ derbarſten Viſionen heimgeſucht werde. Graf Ne¬ pomuk ſprach aber ſehr ernſt: Die Fuͤrſtin hat darin recht, daß ein Vergehen der Art von Seiten Hermenegildas durchaus im Reich der Unmoͤglichkeit liegt, wenn ich dir aber ſage, daß, als Hermene¬ gilda geſtern vor mir herging, mir es ſelbſt wie ein naͤrriſcher Gedanke durch den Sinn fuhr: nun ſeht einmahl, die junge Witwe iſt ja guter Hoff¬ nung; daß dieſer Gedanke offenbar nur durch das Betrachten ihrer Geſtalt erzeugt werden konnte, wenn ich dir das alles ſage, ſo wirſt du es na¬ tuͤrlich finden, wie die Worte der Fuͤrſtin mich mit truͤber Beſorgniß, ja mit der peinlichſten Angſt erfuͤllen. So muß, erwiederte der Fuͤrſt,304 der Arzt oder die weiſe Frau entſcheiden und entweder das vielleicht voreilige Urtheil der Fuͤr¬ ſtin vernichtet oder unſere Schande beſtaͤtiget wer¬ de. Mehrere Tage ſchwankten Beide von Ent¬ ſchluß zu Entſchluß. Beiden wurden Hermenegil¬ da's Formen verdaͤchtig, die Fuͤrſtin ſollte entſchei¬ den was jetzt zu thun. Sie verwarf die Ein¬ miſchung eines vielleicht plauderhaften Arztes und meinte, daß andere Huͤlfe wohl erſt in fuͤnf Mo¬ nathen noͤthig ſeyn wuͤrde. Welche Huͤlfe? ſchrie Graf Nepomuk entſetzt. Ja, fuhr die Fuͤrſtin mit erhoͤhter Stimme fort, es iſt nun gar kein Zweifel mehr, Hermenegilda iſt entweder die verruchteſte Heuchlerin, die jemahls gebohren, oder es waltet ein unerforſchliches Geheimniß genug, ſie iſt guter Hoffnung! Ganz erſtarrt vor Schreck fand Graf Nepomuk keine Worte; end¬ lich ſich muͤhſam ermannend beſchwor er die Fuͤrſtin, koſte es was es wolle, von Hermenegilda ſelbſt zu erforſchen, wer der Ungluͤckſelige ſey, der die unaus¬ loͤſchliche Schmach uͤber ſein Haus gebracht.

305

Noch, ſprach die Fuͤrſtin, noch ahnet Hermene¬ gilda nicht, daß ich um ihren Zuſtand weiß. Von dem Moment, wenn ich es ihr ſagen werde, wie es um ſie ſteht, verſpreche ich mir Alles. Ueberraſcht wird ſie die Larve der Heuchlerin fallen laſſen oder es muß ſich ſonſt ihre Unſchuld auf eine wunderbare Weiſe offenbaren, unerachtet ich es auch nicht zu traͤumen vermag, wie dies ſollte geſchehen koͤnnen. Noch denſelben Abend war die Fuͤrſtin mit Her¬ menegilda, deren muͤtterliches Anſehn mit jeder Stunde zuzunehmen ſchien, allein auf ihrem Zim¬ mer. Da ergriff die Fuͤrſtin das arme Kind bey beiden Armen, blickte ihr ſcharf ins Auge und ſagte mit ſchneidendem Ton: Liebe, du biſt guter Hoff¬ nung! Da ſchlug Hermenegilda den wie von himmliſcher Wonne verklaͤrten Blick in die Hoͤhe und rief mit dem Ton des hoͤchſten Entzuͤckens: O Mutter, Mutter, ich weiß es ja! Lange fuͤhlt 'ich es, daß ich, fiel auch der theure Gatte unter den moͤrderiſchen Streichen der wilden Feinde, dennoch unausſprechlich gluͤcklich ſeyn ſollte. Ja! jenerU306Moment meines hoͤchſten irdiſchen Gluͤcks lebt in mir fort, ich werde ihn ganz wieder haben den ge¬ liebten Gatten in dem theuern Pfande des ſuͤßen Bundes. Der Fuͤrſtin war es, als finge ſich alles an um ſie zu drehen, als wollten ihr die Sinne ſchwinden. Die Wahrheit in Hermenegilda's Aus¬ druck ihr Entzuͤcken, ihre wahrhafte Verklaͤrung ließ keinen Gedanken an erheucheltes Weſen, an Trug aufkommen und doch konnte nur toller Wahn¬ ſinn auf ihre Behauptung etwas geben. Von dem letzten Gedanken ganz erfaßt, ſtieß die Fuͤrſtin Her¬ menegilda von ſich, indem ſie heftig rief: Unſin¬ nige! Ein Traum hatte dich in den Zuſtand verſetzt, der Schmach und Schande uͤber uns alle bringt! glaubſt du, daß du mich mit albernen Maͤhrchen zu hintergehen vermagſt? Beſinne dich laß alle Ereigniſſe der vorigen Tage dir voruͤbergehen. Ein reuiges Bekenntniß kann uns vielleicht verſoͤh¬ nen. In Thraͤnen gebadet, ganz aufgeloͤſt von herbem Schmerz ſank Hermenegilda vor der Fuͤr¬ ſtin auf die Knie und jammerte: Mutter, auch307 du ſchiltſt mich eine Traͤumerin, auch du glaubſt nicht daran, daß die Kirche mich mit Stanislaus verband, daß ich ſein Weib bin? Aber ſieh 'doch nur hier den Ring an meinem Finger was ſage ich! Du, du kennſt ja meinen Zuſtand, iſt denn das nicht genug dich zu uͤberzeugen, daß ich nicht traͤumte? Die Fuͤrſtin nahm mit dem tief¬ ſten Erſtaunen wahr, daß Hermenegilden der Gedan¬ ke eines Vergehens gar nicht einkam, daß ſie die Hindeutung darauf gar nicht aufgefaßt, gar nicht verſtanden. Der Fuͤrſtin ihre Haͤnde heftig an die Bruſt druͤckend, flehte Hermenegilda immer fort, ſie moͤge doch nur jetzt, da es ihr Zuſtand außer Zweifel ſetze, an ihren Gatten glauben, und die ganz beſtuͤrzte, ganz außer ſich geſetzte Frau wußte in der That ſelbſt nicht mehr, was ſie der Armen ſagen, welchen Weg ſie uͤberhaupt einſchla¬ gen ſollte, dem Geheimniß, das hier walten mu߬ te, auf die Spur zu kommen. Erſt nach mehre¬ ren Tagen erklaͤrte die Fuͤrſtin dem Gemahl und dem Grafen Nepomuk, daß es unmoͤglich ſey vonU 2308Hermenegilda, die ſich von dem Gatten ſchwan¬ ger glaube, mehr heraus zu bringen, als wovon ſie ſelbſt im Innerſten der Seele uͤberzeugt ſey. Die Maͤnner voller Zorn ſchalten Hermenegilda eine Heuchlerin und inſonderheit ſchwur Graf Nepomuk, daß, wenn gelinde Mittel ſie nicht von dem wahn¬ ſinnigen Gedanken, ihm ein abgeſchmacktes Maͤhrchen aufzuheften, zuruͤckbringen wuͤrden, er es mit ſtren¬ gen Maßregeln verſuchen werde. Die Fuͤrſtin meinte dagegen, daß jede Strenge eine zweckloſe Grauſamkeit ſeyn wuͤrde. Ueberzeugt ſey ſie nehm¬ lich, wie geſagt, daß Hermenegilda keinesweges heuchle, ſondern daran, was ſie ſage, mit voller See¬ le glaube. Es giebt, fuhr ſie fort, noch man¬ ches Geheimniß in der Welt, das zu begreifen wir gaͤnzlich außer Stande ſind. Wie, wenn das leb¬ hafte Zuſammenwirken des Gedankens auch eine phyſiſche Wirkung haben koͤnnte, wie wenn eine gei¬ ſtige! Zuſammenkunft zwiſchen Stanislaus und Her¬ menegilda ſie in den uns unerklaͤrlichen Zuſtand ver¬ ſetzte? Unerachtet alles Zorns, aller Bedraͤngniß309 des fatalen Augenblicks konnten ſich der Fuͤrſt und Graf Nepomuk doch des lauten Lachens nicht ent¬ halten, als die Fuͤrſtin dieſen Gedanken aͤußerte, den die Maͤnner den ſublimſten nannten, der je das Menſchliche aͤtheriſirt habe. Die Fuͤrſtin blut¬ roth im ganzen Geſicht meinte, daß den rohen Maͤnnern der Sinn fuͤr dergleichen abginge, daß ſie das ganze Verhaͤltniß, in das ihr armes Kind, an deſſen Unſchuld ſie unbedingt glaube, gerathen, anſtoͤßig und abſcheulich finde, und daß eine Reiſe, die ſie mit ihr zu unternehmen gedenke, das einzige und beſte Mittel ſey, ſie der Argliſt, dem Hohne ihrer Umgebung zu entziehen. Graf Nepomuk war mit dieſem Vorſchlage ſehr zufrieden, denn da Hermene¬ gilda ſelbſt gar kein Geheimniß aus ihrem Zuſtande machte, ſo mußte ſie, ſollte ihr Ruf verſchont blei¬ ben, freilich aus dem Kreiſe der Bekannten entfernt werden.

Dies ausgemacht, fuͤhlten ſich alle beruhigt. Graf Nepomuk dachte kaum mehr an das beaͤngſti¬ gende Geheimniß ſelbſt, als er nur die Moͤglichkeit310 ſah, es der Welt, deren Hohn ihm das Bitterſte war, zu verbergen, und der Fuͤrſt urtheilte ſehr richtig, daß bei der ſeltſamen Lage der Dinge, bei Hermenegilda's unerheucheltem Gemuͤthszuſtande freilich gar nichts anders zu thun ſey, als die Auf¬ loͤſung des wunderbaren Raͤthſels der Zeit zu uͤber¬ laſſen. Eben wollte man nach geſchloſſener Bera¬ thung auseinander gehen, als die ploͤtzliche Ankunft des Grafen Xaver von R. uͤber alle neue Verle¬ genheit neue Kuͤmmerniß brachte. Erhitzt von dem ſcharfen Ritt, uͤber und uͤber mit Staub be¬ deckt, mit der Haſt eines von wilder Leidenſchaft getriebenen ſtuͤrzte er ins Zimmer und rief, ohne Gruß, alle Sitte nicht beachtend, mit ſtarker Stim¬ me: Er iſt todt, Graf Stanislaus! nicht in Gefangenſchaft gerieth er nein er wurde niedergehauen von den Feinden hier ſind die Beweiſe! Damit ſteckte er mehrere Briefe, die er ſchnell hervorgeriſſen, dem Grafen Nepomuk in die Haͤnde. Dieſer fing ganz beſtuͤrzt an zu leſen. Die Fuͤrſtin ſah in die Blaͤtter hinein, kaum311 hatte ſie wenige Zeilen erhaſcht, als ſie mit zum Himmel emporgerichteten Blick die Haͤnde zuſam¬ menſchlug und ſchmerzlich ausrief: Hermenegil¬ da! armes Kind! welches unerforſchliche Geheimniß! Sie hatte gefunden, daß Sta¬ nislaus Todestag gerade mit Hermenegilda's An¬ gabe zuſammentraf, daß ſich alles ſo begeben, wie ſie es in dem verhaͤngnißvollen Augenblick geſchaut hatte. Er iſt todt, ſprach nun Xaver raſch und feurig, Hermenegilda iſt frei, mir, der ich ſie liebe wie mein Leben, ſteht nichts mehr entgegen, ich bitte um ihre Hand! Graf Nepomuk ver¬ mochte nicht zu antworten, der Fuͤrſt nahm das Wort und erklaͤrte, daß gewiſſe Umſtaͤnde es ganz unmoͤglich machten, jetzt auf ſeinen Antrag einzuge¬ hen, daß er in dieſem Augenblick nicht einmal Her¬ menegilda ſehen koͤnne, daß es alſo das Beſte ſey, ſich wieder ſchnell zu entfernen, wie er gekommen. Xaver entgegnete, daß er Hermenegilda's zerruͤtte¬ ten Gemuͤthszuſtand, von dem wahrſcheinlich die Rede ſey, recht gut kenne, daß er dies aber um ſo312 weniger fuͤr ein Hinderniß halte, als gerade ſeine Verbindung mit Hermenegilda jenen Zuſtand enden wuͤrde. Die Fuͤrſtin verſicherte ihm, daß Herme¬ negilda ihrem Stanislaus Treue bis in den Tod geſchworen, jede andere Verbindung daher ver¬ werfen wuͤrde, uͤbrigens befinde ſie ſich gar nicht mehr auf dem Schloſſe. Da lachte Xaver laut auf und meinte, nur des Vaters Einwilligung beduͤrfe er; Hermenegilda's Herz ruͤhren, das ſolle man nur ihm uͤberlaſſen. Ganz erzuͤrnt uͤber des Juͤng¬ lings ungeſtuͤme Zudringlichkeit erklaͤrte Graf Ne¬ pomuk, daß er in dieſem Augenblick vergebens auf ſeine Einwilligung hoffe und nur ſogleich das Schloß verlaſſen moͤge. Graf Xaver ſah ihn ſtarr an, oͤff¬ nete die Thuͤr des Vorſaals und rief hinaus, Woy¬ ciech ſolle den Mantelſack hereinbringen, die Pferde abſatteln und in den Stall fuͤhren. Dann kam er ins Zimmer zuruͤck, warf ſich in den Lehnſtuhl, der dicht am Fenſter ſtand, und erklaͤrte ruhig und ernſt: Ehe er Hermenegilda geſehen und geſprochen, werde ihn nur off'ne Gewalt vom Schloſſe weg¬313 treiben. Graf Nepomuk meinte, daß er dann auf einen recht langen Aufenthalt rechnen koͤnne, uͤbri¬ gens aber erlauben muͤſſe, daß er ſeiner Seits das Schloß verlaſſe. Alle, Graf Nepomuk, der Fuͤrſt und ſeine Gemahlin giengen hierauf aus dem Zimmer, um ſo ſchnell als moͤglich Hermenegilda fortzuſchaffen. Der Zufall wollte indeſſen, daß ſie gerade in dieſer Stunde, ganz wider ihre ſonſtige Gewohnheit, in den Park gegangen war. Xaver, durch das Fenſter blickend, an dem er ſaß, gewahrte ſie ganz in der Ferne wandelnd. Er rannte hinun¬ ter in den Park und erreichte endlich Hermenegilda, als ſie eben in jenen verhaͤngnißvollen Pavillon an der Suͤdſeite des Parks trat. Ihr Zuſtand war nun ſchon beinahe jedem Auge ſichtlich. O all' ihr Maͤchte des Himmels, rief Xaver, als er vor Hermenegilda ſtand, dann ſtuͤrzte er aber zu ihren Fuͤßen und beſchwor ſie, unter den heiligſten Be¬ theurungen ſeiner gluͤhendſten Liebe, ihn zum gluͤck¬ lichſten Gatten aufzunehmen. Hermenegilda, ganz außer ſich vor Schreck und Ueberraſchung, ſagte314 ihm: Ein boͤſes Geſchick habe ihn hergefuͤhrt, ihre Ruhe zu ſtoͤren niemals, niemals wuͤrde ſie, dem geliebten Stanislaus zur Treue bis in den Tod verbunden, die Gattin eines andern werden. Als nun aber Xaver nicht aufhoͤrte mit Bitten und Betheurungen, als er endlich in toller Leidenſchaft ihr vorhielt, daß ſie ſich ſelbſt taͤuſche, daß ſie ihm ja ſchon die ſuͤßeſten Liebesaugenblicke geſchenkt, als er, aufgeſprungen vom Boden, ſie in ſeine Arme ſchließen wollte, da ſtieß ſie ihn, den Tod im Antlitz, mit Abſcheu und Verachtung zuruͤck, in¬ dem ſie rief: Elender, ſelbſtſuͤchtiger Thor, eben ſo wenig, wie du das ſuͤße Pfand meines Bundes mit Stanislaus vernichten kannſt, eben ſo wenig vermagſt du mich zum verbrecheriſchen Bruch der Treue zu verfuͤhren Fort aus meinen Augen! Da ſtreckte Xaver die geballte Fauſt ihr entgegen, lachte laut auf in wildem Hohn und ſchrie: Wahn¬ ſinnige, brachſt du denn nicht ſelbſt jenen albernen Schwur? Das Kind, das du unter dem Her¬ zen traͤgſt, mein Kind iſt es, mich umarmteſt du315 hier an dieſer Stelle meine Buhlſchaft warſt du und bleibſt du, wenn ich dich nicht erhebe zu meiner Gattin. Hermenegilda blickte ihn an, die Gluth der Hoͤlle in den Augen, dann kreiſchte ſie auf: Ungeheuer! und ſank wie zum Tode getroffen nieder auf den Boden.

Wie von allen Furien verfolgt rannte Xaver in das Schloß zuruͤck, er traf auf die Fuͤrſtin, die er mit Ungeſtuͤm bei der Hand ergriff und hineinzog in die Zimmer. Sie hat mich verworfen mit Ab¬ ſcheu mich, den Vater ihres Kindes! Um aller Heiligen willen! Du? Xaver! mein Gott! ſprich, wie war es moͤglich? ſo rief von Entſetzen ergriffen die Fuͤrſtin. Mag mich verdammen, fuhr Xaver gefaßter fort, mag mich verdammen wer da will, aber gluͤht ihm gleich mir das Blut in den Adern, gleich mir wird er in ſolchem Moment ſuͤndigen. In dem Pavillon traf ich Hermenegilda in einem ſeltſamen Zuſtande, den ich nicht zu beſchreiben vermag. Sie316 lag wie feſtſchlafend und traͤumend auf dem Kana¬ pee. Kaum war ich eingetreten, als ſie ſich erhob, auf mich zukam, mich bei der Hand ergriff und fei¬ erlichen Schritts durch den Pavillon ging. Dann kniete ſie nieder, ich that ein gleiches, ſie betete und ich bemerkte bald, daß ſie im Geiſte einen Prieſter vor uns ſah. Sie zog einen Ring vom Finger, den ſie dem Prieſter darreichte, ich nahm ihn und ſteckte ihr einen goldnen Ring an, den ich von mei¬ nem Finger zog, dann ſank ſie mit der inbruͤnſtig¬ ſten Liebe in meine Arme Als ich entfloh, lag ſie in tiefem bewußtloſen Schlaf. Entſetzlicher Menſch! ungeheurer Frevel! ſchrie die Fuͤrſtin ganz außer ſich. Graf Nepomuk und der Fuͤrſt traten hinein, in wenigen Worten erfuhren ſie Xa¬ vers Bekenntniſſe, und wie tief wurde der Fuͤrſtin zartes Gemuͤth verwundet, als die Maͤnner Xavers freveliche That ſehr verzeihlich und durch ſeine Ver¬ bindung mit Hermenegilda geſuͤhnt fanden. Nein, ſprach die Fuͤrſtin, nimmer wird Hermenegilda dem die Hand als Gattin reichen, der es wagte,317 wie der haͤmiſchte Geiſt der Hoͤlle, den hoͤchſten Moment ihres Lebens mit dem ungeheuerſten Fre¬ vel zu vergiften. Sie wird, ſprach Graf Xa¬ ver mit kaltem hoͤhnenden Stolz, ſie wird mir die Hand reichen muͤſſen, um ihre Ehre zu retten ich bleibe hier und alles fuͤgt ſich In dieſem Augen¬ blick entſtand ein dumpfes Geraͤuſch, man brachte Hermenegilda, die der Gaͤrtner im Pavillon leblos gefunden, in das Schloß zuruͤck. Man legte ſie auf das Sopha; ehe es die Fuͤrſtin verhindern konnte, trat Xaver hinan und faßte ihre Hand. Da fuhr ſie mit einem entſetzlichen Schrei, nicht menſchlicher Ton, nein, dem ſchneidenden Jam¬ merlaut eines wilden Thiers aͤhnlich, in die Hoͤhe und ſtarrte in graͤßlicher Verzuckung den Grafen mit funkenſpruͤhenden Augen an. Der taumelte wie vom toͤdtenden Blitz getroffen zuruͤck und lallte kaum verſtaͤndlich: Pferde! Auf den Wink der Fuͤrſtin brachte man ihn herab Wein! Wein! ſchrie er, ſtuͤrzte einige Glaͤſer hinunter, warf ſich dann erkraͤftigt aufs Pferd und jug da¬318 von. Hermenegilda's Zuſtand, der aus dum¬ pfen Wahnſinn in wilde Raſerei uͤbergehen zu wol¬ len ſchien, aͤnderte auch Nepomuks und des Fuͤrſten Geſinnungen, die nun erſt das Entſetzliche, Un¬ ſuͤhnbare von Xavers That einſahen. Man wollte nach dem Arzt ſenden, aber die Fuͤrſtin verwarf alle aͤrztliche Huͤlfe, wo nur geiſtlicher Troſt viel¬ leicht wirken koͤnne. Statt des Arztes erſchien alſo der Carmelitermoͤnch Cyprianus, Beichtvater des Hauſes. Auf wunderbare Weiſe gelang es ihm, Hermenegilda aus der Bewußtloſigkeit des ſtieren Wahnſinns zu erwecken. Noch mehr! bald wurde ſie ruhig und gefaßt; ſie ſprach ganz zuſam¬ menhaͤngend mit der Fuͤrſtin, der ſie den Wunſch aͤußerte, nach ihrer Niederkunft ihr Leben im Ci¬ ſterzienſer Kloſter zu O. in ſteter Reue und Trauer hinzubringen. Ihren Trauerkleidern hatte ſie Schleier hinzugefuͤgt, die ihr Geſicht undurchdring¬ lich verhuͤllten und die ſie niemals luͤpfte. Pater Cyprianus verließ das Schloß, kam aber nach eini¬ gen Tagen wieder. Unterdeſſen hatte der Fuͤrſt Z.

319an den Buͤrgermeiſter zu L. geſchrieben, dort ſollte Hermenegilda ihre Niederkunft abwarten und von der Aebtiſſin des Ciſterzienſer Kloſters, einer Ver¬ wandten des Hauſes, dahingebracht werden, waͤh¬ rend die Fuͤrſtin nach Italien reiſte, und angeblich Hermenegilda mitnahm. Es war Mitternacht, der Wagen, der Hermenegilda nach dem Kloſter bringen ſollte, ſtand vor der Thuͤre. Von Gram gebeugt erwartete Nepomuk, der Fuͤrſt, die Fuͤr¬ ſtin, das ungluͤckliche Kind, um von ihr Abſchied zu nehmen. Da trat ſie in Schleier gehuͤllt, an der Hand des Moͤnchs, in das von Kerzen hell er¬ leuchtete Zimmer. Cyprianus ſprach mit feierlicher Stimme: Die Layenſchweſter Coͤleſtina ſuͤndigte ſchwer, als ſie ſich noch in der Welt befand, denn der Frevel des Teufels befleckte ihr reines Gemuͤth, doch ein unaufloͤsliches Geluͤbde bringt ihr Troſt Ruhe und ewige Seligkeit! Nie wird die Welt mehr das Antlitz ſchauen, deſſen Schoͤnheit den Teufel anlockte Schaut her! ſo beginnt und vollendet Coͤleſtina ihre Buße! Damit hob320 der Moͤnch Hermenegilda's Schleier auf, und ſchnei¬ dendes Weh durchfuhr alle, da ſie die blaſſe Todten¬ larve erblickten, in die Hermenegilda's engelſchoͤnes Antlitz auf immer verſchloſſen! Sie ſchied, kei¬ nes Wortes maͤchtig, von dem Vater, der ganz aufgeloͤſt von verzehrendem Schmerz nicht mehr le¬ ben zu koͤnnen dachte. Der Fuͤrſt, ſonſt ein gefa߬ ter Mann, badete ſich in Thraͤnen, nur der Fuͤr¬ ſtin gelang es, mit aller Macht den Schrecken jenes grauenvollen Geluͤbdes niederkaͤmpfend, ſich auf¬ recht zu erhalten in milder Faſſung

Wie Graf Xaver Hermenegilda's Aufenthalt und ſogar den Umſtand, daß das geborne Kind der Kirche geweiht ſeyn ſollte, erfahren, iſt unerklaͤrlich. Wenig nutzte ihm der Raub des Kindes, denn als er nach P. gekommen, und es in die Haͤnde einer vertrauten Frau zur Pflege geben wollte, war es nicht, wie er glaubte, von der Kaͤlte ohnmaͤchtig geworden, ſondern todt. Darauf verſchwand Graf Xaver ſpurlos, und man glaubte, er habe ſichden321den Tod gegeben: Mehrere Jahre waren vergan¬ gen, als der junge Fuͤrſt Boleslaw von Z. auf ſei¬ nen Reiſen nach Neapel in die Naͤhe des Poſilippo kam. Dort in der anmuthigſten Gegend liegt ein Kamaldulenſerkloſter, zu dem der Fuͤrſt heraufſtieg, um eine Ausſicht zu genießen, die ihm als die rei¬ zendſte in ganz Neapel geſchildert worden. Eben im Begriff, auf die herausſpringende Felſenſpitze im Garten zu treten, die ihm als der ſchoͤnſte Punkt beſchrieben, bemerkte er einen Moͤnch, der vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen und, ein aufgeſchlagenes Gebetbuch auf dem Schooß, in die Ferne hinausſchaute. Sein Antlitz, in den Grundzuͤgen noch jugendlich, war nur durch tiefen Gram entſtellt. Dem Fuͤrſten kam, als er den Moͤnch naͤher und naͤher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er ſchlich naͤher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebet¬ buch in polniſcher Sprache abgefaßt war. Dar¬ auf redete er den Moͤnch polniſch an, dieſer wandte ſich voller Schreck um, kaum hatte erX322aber den Fuͤrſten erblickt, als er ſein Geſicht ver¬ huͤllte und ſchnell, wie vom boͤſen Geiſt getrie¬ ben, durch die Gebuͤſche entfloh. Fuͤrſt Boles¬ law verſicherte, als er dem Grafen Nepomuk das Abenteuer erzaͤhlte, dieſer Moͤnch ſey nie¬ mand anders geweſen, als der Graf Xaver von R. 323

Das ſteinerne Herz.

Jedem Reiſenden, der bei guter Tageszeit ſich dem Staͤdtchen G. von der ſuͤdlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genaͤhert, faͤllt der Landſtraße rechts ein ſtattliches Landhaus in die Augen, welches mit ſeinen wunderlichen bunten Zinnen aus finſterm Gebuͤſch blickend, emporſteigt. Dieſes Gebuͤſch umkraͤnzte den weitlaͤuftigen Gar¬ ten, der ſich in weiter Strecke Thal abwaͤrts hin¬ zieht. Kommſt du einmal, vielgeliebter Leſer! des Weges, ſo ſcheue weder den kleinen Aufenthalt deiner Reiſe, noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gaͤrtner geben duͤrfteſt, ſondern ſteige fein aus dem Wagen, und laß dir Haus und Garten aufſchließen, vorgebend, du haͤtteſt denX 2324verſtorbenen Eigenthuͤmer des anmuthigen Land¬ ſitzes, den Hofrath Reutlinger in G., recht gut gekannt. Im Grunde genommen kannſt du dies als¬ dann mit gutem Fug thun, wenn es dir gefal¬ len ſollte, alles, was ich dir zu erzaͤhlen eben im Begriff ſtehe, bis ans Ende durchzuleſen; denn ich hoffe, der Hofrath Reutlinger ſoll dir alsdann mit all' ſeinem ſonderbaren Thun und Treiben ſo vor Augen ſtehen, als ob du ihn wirklich ſelbſt gekannt haͤtteſt. Schon von außen findeſt du das Landhaus auf alterthuͤmliche groteske Weiſe mit bun¬ ten gemahlten Zierathen verſchmuͤckt, du klagſt mit Recht uͤber die Geſchmackloſigkeit dieſer zum Theil widerſinnigen Wandgemaͤhlde, aber bei naͤherer Betrachtung weht dich ein beſonderer wunderbarer Geiſt aus dieſen bemahlten Steinen an und mit einem leiſen Schauer, der dich uͤberlaͤuft, trittſt du in die weite Vorhalle. Auf den in Felder abgetheilten, mit weißem Gipsmarmor bekleideten Waͤnden erblickeſt du mit grellen Farben gemahlte Arabesken, die in den wunderlichſten Verſchlingun¬325 gen, Menſchen - und Thiergeſtalten, Blumen, Fruͤchte, Geſteine, darſtellen, und deren Bedeu¬ tung du ohne weitere Verdeutlichung zu ahnen glaubſt. Im Saal, der den untern Stock in der Breite einnimmt und bis uͤber den zweiten Stock hinaufſteigt, ſcheint in vergoldeter Bilderei alles das plaſtiſch ausgefuͤhrt, was erſt durch Gemaͤhlde angedeutet wurde. Du wirſt im erſten Augenblick vom verdorbenen Geſchmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden, du wirſt weidlich ſchmaͤh¬ len uͤber das Barocke, Ueberladene, Grelle, Ge¬ ſchmackloſe dieſes Styls, aber biſt du nur was weniges meines Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Fantaſie, welches ich allemal bei dir, mein guͤtiger Leſer! vorausſetze, ſo wirſt du bald allen in der That gegruͤndeten Tadel vergeſſen. Es wird dir ſo zu Muthe werden, als ſey die regel¬ loſe Willkuͤhr nur das kecke Spiel des Meiſters mit Geſtaltungen, uͤber die er unumſchraͤnkt zu herrſchen wußte, dann aber, als verkette ſich alles zur bitterſten Ironie des irdiſchen Treibens, die326 nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kraͤn¬ kelnden Gemuͤth eigen. Ich rathe Dir, geliebter Leſer! die kleinen Zimmer des zweiten Stocks, die wie eine Gallerie den Saal umgeben, und aus deren Fenſtern man hinabſchaut in den Saal, zu durchwandern. Hier ſind die Verzierungen ſehr einfach, aber hin und wieder ſtoͤßeſt du auf teut¬ ſche, arabiſche und tuͤrkiſche Inſchriften, die ſich wunderlich genug ausnehmen. Du eilſt jetzt nach dem Garten, er iſt nach altfranzoͤſiſcher Art mit langen, breiten, von hohen Taxuswaͤnden um¬ ſchloſſenen Gaͤngen, mit geraͤumigen Casketts an¬ gelegt, und mit Statuen, mit Fontainen geſchmuͤckt. Ich weiß nicht, ob du, geliebter Leſer, nicht auch den ernſten feierlichen Eindruck, den ſolch 'ein alt¬ franzoͤſiſcher Garten macht, mit mir fuͤhlſt, und ob du ſolch' ein Gartenkunſtwerk nicht der alber¬ nen Kleinigkeitskraͤmerei vorziehſt, die in unſern ſogenannten engliſchen Gaͤrten mit Bruͤckchen und Fluͤßlein, und Tempelchen und Groͤttchen getrieben wird. Am Ende des Gartens trittſt du in einen317 finſtern Hain von Trauerweiden, Haͤngebirken und Weymoutskiefern. Der Gaͤrtner ſagt dir, daß dies Waͤldchen, wie man es von der Hoͤhe des Hauſes hinabſchauend, deutlich wahrnehmen kann, die Form eines Herzens hat. Mitten darin iſt ein Pavillon von dunklem ſchleſiſchen Marmor in der Form eines Herzens erbaut. Du trittſt hin¬ ein, der Boden iſt mit weißen Marmorplatten ausgelegt, in der Mitte erblickſt du ein Herz in gewoͤhnlicher Groͤße. Es iſt ein dunkelrother in den weißen Marmor eingefugter Stein. Du buͤckſt dich herab, und entdeckeſt die in den Stein ein¬ gegrabenen Worte: Es ruht! In dieſem Pa¬ villon, bei dieſem dunkelrothen ſteinernen Herzen, das damals jene Inſchrift noch nicht trug, ſtan¬ den am Tage Mariaͤ Geburt, das heißt am achten September des Jahres 180 ein großer ſtattli¬ cher alter Herr und eine alte Dame, beide ſehr reich und ſchoͤn nach der Mode der ſechsziger Jahre gekleidet. Aber, ſprach die alte Dame, aber wie kam Ihnen, lieber Hofrath, denn wieder die328 bizarre, ich moͤchte lieber ſagen, die ſchauervolle Idee, in dieſem Pavillon das Grabmal ihres Her¬ zens, das unter dem rothen Stein ruhen ſoll, bauen zu laſſen? Laſſen Sie Uns, erwiederte der alte Herr, laſſen Sie Uns, liebe Geheime - Raͤthin, von dieſen Dingen ſchweigen! Nen¬ nen Sie es das krankhafte Spiel eines wunden Gemuͤths, nennen Sie es wie Sie wollen, aber erfahren Sie, daß, wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das haͤmiſche Gluͤck wie ein Spiel¬ zeug dem einfaͤltigen Kinde, das daruͤber die To¬ deswunden vergißt, mir zuwarf, der bitterſte Un¬ muth ergreift, wenn alles erfahrne Leid von neuem auf mich zutritt, daß ich dann hier in dieſen Mauern Troſt und Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein ſo roth gefaͤrbt, aber er iſt eiskalt, bald liegt er auf meinem Her¬ zen und kuͤhlt die verderbliche Gluth, welche darin loderte. Die alte Dame ſah mit einem Blick der tiefſten Wehmuth herab zum ſteinernen Herzen, und indem ſie ſich etwas herabbuͤckte, fielen ein319 paar große perlenglaͤnzende Thraͤnen auf den rothen Stein. Da faßte der alte Herr ſchnell heruͤber und ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im ju¬ gendlichen Feuer; wie ein fernes mit Bluͤthen und Blumen reich geſchmuͤcktes herrliches Land im ſchim¬ mernden Abendroth lag eine laͤngſt vergangene Zeit voll Liebe und Seligkeit in ſeinen gluͤhenden Blicken. Julie! Julie! und auch Sie konnten dieſes arme Herz ſo auf den Tod verwunden. So rief der alte Herr mit von der ſchmerzlichſten Weh¬ muth halberſtickter Stimme: Nicht mich, erwie¬ derte die alte Dame ſehr weich und zaͤrtlich, nicht mich, klagen Sie an, Maximilian! War es denn nicht ihr ſtarrer unverſoͤhnlicher Sinn, ihr traͤumeriſcher Glaube an Ahnungen, an ſeltſame, Unheil verkuͤndende Viſionen, der Sie forttrieb von mir, und der mich zuletzt beſtimmen mußte, dem ſanfteren, beugſameren Mann, der mit Ihnen zu¬ gleich ſich um mich bewarb, den Vorzug zu geben. Ach! Maximilian, Sie mußten es ja wohl fuͤhlen, wie innig Sie geliebt wurden, aber Ihre ewige330 Selbſtqual, peinigte ſie mich nicht bis zur Todes¬ ermattung? Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren ließ: O Sie haben Recht, Frau Geheime Raͤthin, ich muß allein ſtehen, kein menſchliches Herz darf ſich mir anſchmiegen, alles was Freundſchaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von dieſem ſteinernen Herzen. Wie bitter fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, wie bitter, wie ungerecht gegen ſich ſelbſt, und an¬ dere ſind Sie, Maximilian! Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigſten Wohlthaͤter der Beduͤrftigen, als den unwandelbarſten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches boͤſe Ge¬ ſchick warf jenes entſetzliche Mißtrauen in ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend einem von jeder Willkuͤhr unabhaͤngigen Ereigniß Verderben und Unheil ahnet? Hege ich denn nicht alles, ſprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Thraͤnen in den Augen, hege ich denn nicht alles, was ſich mir naͤhert, mit der vollſten Liebe. Aber dieſe Liebe zerreißt mir das Herz, ſtatt es zu331 naͤhren. Ha! fuhr er mit erhoͤhter Stimme fort, dem unerforſchlichen Geiſt der Welten gefiel es mich mit einer Gabe auszuſtatten, die, mich dem Tode entreißend, mich hundertmal toͤdtet! Gleich dem ewigen Juden, ſehe ich das unſichtbare Cainszeichen auf der Stirne des gleißneriſchen Meu¬ ters! Ich erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie ſpielende Raͤthſel der geheimnißvolle Koͤnig der Welt, den wir Zufall nennen, uns in den Weg wirft. Eine holde Jungfrau ſchaut uns mit hellen klaren Iſisaugen an, aber wer ihre Raͤth¬ ſel nicht loͤſt, den ergreift ſie mit kraͤftigen Loͤwen¬ tatzen, und ſchleudert ihn in den Abgrund. Noch immer, ſprach die alte Dame, noch immer dieſe verderblichen Traͤume. Wo blieb der ſchoͤne, artige Knabe, ihres juͤngern Bruders Sohn, den Sie vor einigen Jahren ſo liebreich aufgenommen, in dem ſo viel Liebe und Troſt fuͤr Sie aufzukeimen ſchien? Den, erwiederte der alte Herr mit rauher Stim¬ me, den habe ich verſtoßen, es war ein Boͤſewicht, eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Bu¬332 ſen naͤhrte. Ein Boͤſewicht! der Knabe von ſechs Jahren? fragte die Dame ganz beſtuͤrzt. Sie wiſſen, fuhr der alte Herr fort, die Geſchichte meines juͤngern Bruders; Sie wiſſen, daß er mich mehrmals auf buͤbiſche Weiſe taͤuſchte, daß, alles bruͤderliche Gefuͤhl in ſeiner Bruſt ertoͤdtend, ihm jede Wohlthat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich diente. An ihm, an ſeinem raſtloſen Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine buͤrgerliche Exiſtenz verloren ging. Sie wiſſen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefſte Elend ver¬ ſunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung ſeiner verworrenen Lebensweiſe, wieder erwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann ſeinen Aufenthalt in meinem Hauſe nutzte, um gewiſſe Dokumente doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und dieſen behielt ich bei mir, als der Schaͤndliche, nachdem ſeine Raͤnke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Criminalprozeß ver¬ wickeln ſollten, entdeckt worden, fliehen mußte. Ein warnender Wink des Schickſals befreiete mich333 von dem Boͤſewicht. Und dieſer Wink des Schick¬ ſals war gewiß einer ihrer boͤſen Traͤume. So ſprach die alte Dame, doch der alte Herr fuhr fort: Hoͤren Sie, urtheilen Sie Julie! Sie wiſſen, daß meines Bruders Teufelei mir den haͤrteſten Stoß gab, den ich erlitten es ſey denn, daß doch ſtill davon. Mag es ſeyn, daß ich der Seelen¬ krankheit, die mich befallen, den Gedanken zuſchrei¬ ben muß, mir in dieſem Waͤldchen eine Grabſtaͤtte fuͤr mein Herz bereiten zu laſſen. Genug, es ge¬ ſchah! Das Waͤldchen war in Herzform ange¬ pflanzt, der Pavillon erbaut, die Arbeiter beſchaͤf¬ tigten ſich mit der Marmortaͤfelung des Fußbodens. Ich trete hinan, um nach dem Werk zu ſehen. Da bemerke ich, daß in einiger Entfernung der Knabe, ſo wie ich, Max geheißen, etwas hin und herkugelt unter allerlei tollen Bocksſpruͤngen und lautem Ge¬ laͤchter. Eine finſtere Ahnung geht durch meine Seele! Ich gehe los auf den Knaben und er¬ ſtarre, als ich ſehe, daß es der rothe herzfoͤrmig aus¬ gearbeite Stein iſt, der zum Einlegen in dem Pavil¬334 lon bereit lag, den er mit Muͤhe herausgekugelt hat und mit dem er nun ſpielt! Bube! Du ſpielſt mit meinem Herzen, wie dein Vater! Mit dieſen Worten ſtieß ich ihn voll Abſcheu von mir, als er ſich weinend mir nahte. Mein Verwalter erhielt die noͤthigen Befehle ihn fortzu¬ ſchaffen, ich habe den Knaben nicht wieder geſehen! Entſetzlicher Mann! rief die alte Dame, die aber der alte Herr ſich hoͤflich verbeugend, und mit den Worten: des Schickſals große Grundſtriche fuͤ¬ gen ſich nicht dem feinen Nonpareil der Damen, unter dem Arm faßte, und aus dem Pavillon hin¬ ausfuͤhrte durch das Waͤldchen in den Garten. Der alte Herr war der Hofrath Reutlinger, die alte Dame aber die Geheimeraͤthin Foerd. Der Garten bot das allermerkwuͤrdigſte Schauſpiel dar, was man nur ſehen konnte. Eine große Ge¬ ſellſchaft alter Herren, Geheime Raͤthe, Hofraͤthe u. a. nebſt ihren Familien aus den benachbarten Staͤdt¬ chen hatte ſich verſammelt. Alle, ſelbſt die jungen Leute und Maͤdchen waren ganz ſtreng nach der335 Mode des Jahres 1760 gekleidet mit großen Peruͤk¬ ken, geſteiften Kleidern, hohen Friſuren, Reifroͤk¬ ken u. ſ. w., welches denn um ſo mehr einen wun¬ derlichen Eindruck machte, als die Anlagen des Gar¬ tens ganz zu jenem Coſtum paßten. Jeder glaubte ſich, wie durch einen Zauberſchlag, in eine laͤngſt verfloſſene Zeit zuruͤckverſetzt. Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers zum Grunde. Er pflegte alle drei Jahre am Tage Mariaͤ Geburt auf ſeinem Landſitz das Feſt der alten Zeit zu feiern, wozu er alles aus dem Staͤdtchen, was nur kommen wollte, einlud, jedoch war es uner¬ laͤßliche Bedingung, daß jeder Gaſt ſich in das Coſtum des Jahres 1760 werfen mußte. Jungen Leuten, denen es laͤſtig geweſen ſeyn wuͤrde, der¬ gleichen Kleider herbei zu ſchaffen, half der Hofrath aus mit ſeiner eigenen reichen Garderobe. Offenbar wollte der Hofrath dieſe Zeit hindurch (das Feſt dauerte zwei bis drei Tage) in Ruͤckerinnerungen der alten Jugendzeit recht ſchwelgen.

In einer Seitenallee begegneten ſich Ernſt und336 Willibald. Beide ſahen ſich eine Weile ſchwei¬ gend an und brachen dann in ein helles Gelaͤch¬ ter aus. Du kommſt mir vor, rief Willibald, wie der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Cavalier. Und mich duͤnkt, erwiederte Ernſt, ich haͤtte dich ſchon in der aſiatiſchen Baniſe er¬ blickt. Aber in der That, fuhr Willibald fort, des alten Hofraths Einfall iſt ſo uͤbel nicht. Er will nun einmahl ſich ſelbſt myſtifiziren, er will eine Zeit hervorzaubern, in der er wahrhaft lebte, unerachtet er noch jetzt ein munterer ſtarker Greis mit unverwuͤſtlicher Lebenskraft und herrlicher Friſch¬ heit des Geiſtes, an Erregbarkeit und fantaſiereicher Laune es manchem vor der Zeit abgeſtumpften Juͤng¬ linge zuvorthut. Er darf nicht dafuͤr ſorgen, daß jemand in Wort und Gebehrde aus dem Coſtum falle, denn dafuͤr ſteckt jeder eben in den Kleidern die ihm das ganz unmoͤglich machen. Sieh 'nur wie juͤngferlich und zunferlich unſere jungen Damen in ihren Reifroͤcken einhertrippeln, wie ſie ſich des Faͤ¬ chers zu bedienen wiſſen Wahrhaftig mich ſelbſt337 ergreift unter der Peruͤcke, die ich auf meinen Titus geſtuͤlpt, ein ganz beſonderer Geiſt alterthuͤmlicher Courtoiſie, da ich eben das allerliebſte Kind des geh. Rathes Foerd juͤngſte Tochter, die holde Julia er¬ blicke, ſo weiß ich gar nicht was mich abhaͤlt, mich ihr in demuͤthiger Stellung zu nahen und mich alſo zu appliziren und expliziren: Allerſchoͤnſte Julia! wenn wird mir doch die laͤngſt gewuͤnſchte Ruhe durch deine Gegenliebe gewaͤhrt werden! Es iſt ja unmoͤglich, daß den Tempel dieſer Schoͤnheit ein ſteinerner Abgott bewohnen koͤnne. Den Mar¬ mor bezwingt der Regen und der Diamant wird durch ſchlechtes Blut erweichet; dein Herz will aber einem Amboße gleichen, welches ſich nur durch Schlaͤge verhaͤrtet; je mehr nun mein Herze klo¬ pfet, je unempfindlicher wirſt du. Laß mich doch das Ziel deines Blicks ſeyn, ſchaue doch wie mein Herz kocht und meine Seele nach der Erquickung lechzet, welche aus deiner Anmuth quillt. Ach! willſt du mich durch Schweigen betruͤben, un¬ empfindliche Seele? Die todten Felſen antworten ja den Fragenden durch ein Echo und du willſtY338 mich Troſtloſen keiner Antwort wuͤrdigen? O Allerſchoͤnſte Ich bitte dich, unterbrach hier Ernſt den Freund, der mit dem wunderlichſten Gebehrdenſpiel das alles geſprochen, ich bitte dich, halt ein, du biſt nun einmahl wieder in deiner tollen Laune und merkſt nicht, wie Julie, erſt ſich uns freundlich naͤhernd, mit einem Mahl ganz ſcheu aus¬ bog. Ohne dich zu verſtehen, glaubt ſie gewiß ſo wie alle in gleichem Fall, ſchonungslos von dir be¬ ſpoͤttelt zu ſeyn, und ſo bewaͤhrſt du deinen Ruf als eingefleiſchten ironiſchen Satan und ziehſt mich neu¬ en Ankoͤmmling ins Ungluͤck, denn ſchon ſprechen alle mit zweideutigem Seitenblick und bitterſuͤßem Laͤcheln: es iſt Wilibalds Freund. Laß es gut ſeyn, ſprach Wilibald, ich weiß es ja, daß viele Leute, zumahl junge hoffnungsvolle Maͤdchen von ſechszehn, ſiebzehn Jahren mir ſorglich ausweichen, aber ich kenne das Ziel, wohin alle Wege fuͤhren, und weiß auch, daß ſie dort mir begegnend oder viel¬ mehr mich wie im eignen Hauſe angeſiedelt treffend, recht mit vollem freundlichen Gemuͤth mir die Hand reichen werden. Du meinſt, ſprach Ernſt, ei¬339 ne Verſoͤhnung, wie im ewgen Leben, wenn der Drang des Irdiſchen abgeſchuͤttelt. O ich bitte dich, unterbrach ihn Wilibald, laß uns doch ge¬ ſcheut ſeyn und nicht alte laͤngſt beſprochene Dinge aufs neue und gerade zur unguͤnſtigſten Stunde aufruͤhren. Unguͤnſtig fuͤr derley Geſpraͤche nenne ich nehmlich deshalb eben dieſe Stunden, weil wir gar nichts beſſeres thun koͤnnen, als uns dem ſeltſa¬ men Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt hat, hingeben. Siehſt du wohl jenen Baum, deſſen ungeheure weiße Bluͤthen der Wind hin und her¬ ſchuͤttelt? Cactus grandiflorus kann es nicht ſeyn, denn der bluͤht nur Mitternachts und ich ſpuͤre auch nicht das Aroma, welches ſich bis hieher ver¬ breiten muͤßte Weiß der Himmel, welchen Wun¬ derbaum der Hofrath wieder in ſein Tusculum verpflanzt hat. Die Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten ſich in der That nicht wenig, als ſie einen dicken dunklen Holunder¬ buſch trafen, deſſen Bluͤthen nichts anders waren, als hineingehaͤngte weißgepuderte Peruͤcken, die mitY 2340ihren daran gehaͤngten Haarbeuteln und Zoͤpfchen, ein kurioſes Spielzeug des launigten Suͤdwinds, auf und niederſchaukelten. Lautes Lachen verkuͤn¬ dete was hinter den Buͤſchen verborgen. Eine gan¬ ze Geſellſchaft alter gemuͤthlicher lebenskraͤftiger Herren hatte ſich auf einem breiten von buntem Buſchwerk umgebenen Raſenplatz verſammelt. Die Roͤcke ausgezogen, die laͤſtigen Peruͤcken in den Ho¬ lunder gehaͤngt, ſchlugen ſie Ballon. Aber niemand uͤbertraf den Hofrath Reutlinger, der den Ballon bis zu einer unglaublichen Hoͤhe und ſo geſchickt zu treiben wußte, daß er jedesmahl dem Gegenſpieler ſchlaggerecht niederfiel. In dem Augenblick ließ ſich eine abſcheuliche Muſik von kleinen Pfeifen und dumpfen Trommeln hoͤren. Die Herren endeten ſchnell ihr Spiel und griffen nach ihren Roͤcken und Peruͤcken. Was iſt denn das nun wieder? ſprach Ernſt. Ich wette, erwiederte Wilibald, der tuͤrkiſche Geſandte zieht ein. Der tuͤrkiſche Ge¬ ſandte? frug Ernſt ganz erſtaunt. So nenne ich, fuhr Wilibald fort, den Baron von Exter, der ſich in G. aufhaͤlt und den Du noch viel zu we¬341 nig geſehn haſt, um in ihm nicht eins der wunder¬ lichſten Originale zu erkennen, die es geben mag. Er iſt ehemahls Geſandter unſeres Hofes in Con¬ ſtantinopel geweſen und noch immer ſonnt er ſich in dem Reflex dieſer wahrſcheinlich genußreichſten Fruͤh¬ lingszeit ſeines Lebens. Seine Beſchreibung des Pallaſtes, den er in Pera bewohnte, erinnert an die diamantnen Feen-Pallaͤſte in Tauſend und einer Nacht, und ſeine Lebensweiſe an den weiſen Koͤnig Salomo, dem er auch darin gleichen will, daß er ſich wirklich der Herrſchaft uͤber unbekannte Natur¬ kraͤfte ruͤhmt. In der That hat dieſer Baron Ex¬ ter ſeiner luͤgneriſchen Prahlerey, ſeiner Charlatane¬ rie unerachtet, doch etwas myſtiſches, das mich wenigſtens in drolligem Abſtich mit ſeiner aͤußern etwas ſkurrilen Erſcheinung oft wirklich myſtifizirt. Davon, ich meine von ſeinem wirklich myſtiſchen Treiben geheimer Wiſſenſchaften, ruͤhrt auch ſeine enge Verbindung mit Reutlingern her, der dieſem We¬ ſen ganz ergeben iſt mit Leib und Seele Bei¬ de ſind wunderliche Traͤumer, aber jeder auf ſeine Weiſe, uͤbrigens aber entſchiedene Mesmerianer. 342 Unter dieſem Geſpraͤch waren die Freunde bis an des Gartens großes Gatterthor gelangt, durch welches ſo eben der tuͤrkiſche Geſandte einzog. Ein kleiner rundlicher Mann mit einem ſchoͤnen tuͤrkiſchen Pelz und hohem aus farbigten Shawls aufgewickel¬ tem Turban angethan. Aus Gewohnheit hatte er ſich aber nicht von der eng anſchließenden Zopfperuͤ¬ cke mit kleinen Loͤckchen, aus Beduͤrfniß nicht von den filznen Podagriſtenſtiefeln trennen koͤnnen, wo¬ durch freilich das tuͤrkiſche Coſtuͤm ſchwer verletzt wurde. Seine Begleiter, die das abſcheuliche muſi¬ kaliſche Geraͤuſch machten und in denen Wilibald trotz der Vermummung Exters Koch und anderes Hausgeſinde erkannten, waren zu Mohren angerußt und trugen ſpitze gemahlte Papiermuͤtzen, den San¬ benitos nicht unaͤhnlich, welches drollig genug aus¬ ſah. Den tuͤrkiſchen Geſandten fuͤhrte am Arm ein alter Offizier, nach ſeiner Tracht von irgend einem Schlachtfelde des ſiebenjaͤhrigen Krieges erwacht und erſtanden. Es war der General Rixendorf, Com¬ mandant von G., der dem Hofrath zu Gefallen ſammt ſeinen Offizieren ſich in das alte Coſtuͤme ge¬343 worfen hatte. Salama milek! ſprach der Hof¬ rath den Baron Exter umarmend, der ſofort den Turban abnahm, und ihn wieder auf die Peruͤcke ſtuͤlpte, nachdem er ſich den Schweiß von der Stirne mit einem oſtindiſchen Tuch weggetrocknet. In dem Augenblick bewegte ſich auch in den Zweigen eines Spaͤtkirſchenbaums der goldſtrahlende Fleck, den Ernſt ſchon lange betrachtet hatte, ohne entraͤthſeln zu koͤnnen, was da oben ſitze. Es war blos der ge¬ heime Commerzien Rath Harſcher in einem gold¬ ſtoffnen Ehrenkleide, eben ſolchen Beinkleidern und ſilberſtoffner mit blauen Roſenbouquets beſtreuter Weſte, der nun ſich aus den Blaͤttern des Kirſchbaums entwickelte, und fuͤr ſein Alter behende genug auf der angelehnten Leiter herab ſtieg und mit ganz fei¬ ner etwas quaͤckender Stimme ſingend oder vielmehr kreiſchend: Ah! che vedo o dio che ſen¬ to! dem tuͤrkiſchen Geſandten in die Arme eilte. Der Commerzien-Rath hatte ſeine Jugendzeit in Italien zugebracht, war ein großer Muſikus und wollte noch immer mittelſt eines lang geuͤbten Fal¬ ſetts ſingen wie Farinelli. Ich weiß, ſprach Wi¬344 libald, daß Harſcher ſich die Taſchen mit Spaͤtkir¬ ſchen vollgeſtopft hat, die er, irgend ein Madrigal ſuͤß lamentirend, den Damen praͤſentiren wird. Da er aber wie Friedrich der zweite den Spaniol ohne Doſe in der Taſche ausgeſchuͤttet traͤgt, wird er mit ſeiner Galanterie nur widerwilliges Ab¬ lehnen und finſtre Geſichter einaͤrndten. Ueberall war nun der tuͤrkiſche Geſandte ſo wie der Held des ſiebenjaͤhrigen Krieges mit Freude und Jubel empfangen worden. Letzterer wurde von Julchen Foerd mit kindlicher Demuth be¬ gruͤßt, tief beugte ſie ſich vor dem alten Herrn und wollte ihm die Hand kuͤßen, da ſprang aber der tuͤrkiſche Geſandte wild dazwiſchen, rief: Narr¬ heiten, tolles Zeug! umarmte Julchen mit Hef¬ tigkeit, wobey er dem Commerzien-Rath Harſcher ſehr hart auf die Fuͤße trat, der aber vor Schmerz nur ein ganz klein wenig miaute und rannte dann mit Julien, die er unter den Arm gefaßt, davon. Man ſah, daß er ſehr eifrig mit den Haͤnden focht, den Turban auf und abſtuͤlpte u. ſ. w. Was hat der Alte mit dem Maͤdchen vor? 345ſprach Ernſt. In der That, erwiederte Wili¬ bald, es ſcheint Wichtiges, denn, iſt Exter gleich des Maͤdchens Pathe und ganz vernarrt in ſie, ſo pflegt er doch nicht ſogleich aus der Geſellſchaft mit ihr davon zu laufen. In dem Augenblick blieb der tuͤrkiſche Geſandte ſtehen, ſtreckte den rech¬ ten Arm weit von ſich und rief mit ſtarker Stimme, daß es im ganzen Garten wiederhallte: Appor¬ te! Wilibald brach in ein lautes Gelaͤchter aus, Wahrhaftig, ſprach er dann, es iſt weiter nichts, als daß Exter Julien zum tauſendſtenmahl die merk¬ wuͤrdige Geſchichte vom Seehunde erzaͤhlt. Ernſt wollte dieſe merkwuͤrdige Geſchichte durchaus wiſſen. Erfahre denn, ſprach Wilibald, daß Exters Pallaſt dicht am Bosphorus lag, ſo daß Stufen von dem feinſten karariſchen Marmor hinabfuͤhrten ins Meer. Eines Tages ſteht Exter auf der Gal¬ lerie in die tiefſinnigſten Betrachtungen verſunken, aus denen ihn ein durchdringender gellender Schrey hinausreißt. Er ſchaut hinab und ſiehe, ein unge¬ heurer Seehund iſt aus dem Meer hinaufgetaucht und hat einem armen tuͤrkiſchen Weibe, die auf den346 Marmorſtufen ſaß, den Knaben von dem Arm hin¬ abgeriſſen, mit dem er eben abfaͤhrt in die Mee¬ reswellen. Exter eilt hinab, das Weib faͤllt ihm troſtlos weinend und heulend zu Fuͤßen, Exter be¬ ſinnt ſich nicht lange, er tritt dicht ans Meer auf die letzte Stufe, ſtreckt den Arm aus und ruft mit ſtarker Stimme: Apporte! Sogleich ſteigt der Seehund aus der Tiefe des Meers, im weiten Maule den Knaben, den er zierlich und geſchickt, wie auch ganz unverſehrt dem Magier uͤberreicht und ſodann jedem Dank ausweichend, ſich wieder ent¬ fernt in das Meer niedertaucht. Das iſt ſtark das iſt ſtark, rief Ernſt. Siehſt du wohl, fuhr Wilibald fort, ſiehſt du wohl wie Exter jetzt einen kleinen Ring vom Finger zieht und ihn Juli¬ en zeigt? Keine Tugend bleibt unbelohnt! Außer dem, daß Exter dem tuͤrkiſchen Weibe den Kna¬ ben gerettet hatte, ſo beſchenkte er ſie noch, als er vernahm, daß ihr Mann ein armer Laſttraͤger, kaum das taͤgliche Brod zu verdienen vermochte, mit eini¬ gen Juwelen und Goldſtuͤcken, freilich nur eine Lum¬ perei, hoͤchſtens zwanzig bis dreißigtauſend Thaler347 an Werth; darauf zog das Weib einen kleinen Sapphir vom Finger und drang ihn Extern auf mit der Verſicherung, es ſey ein theures ererbtes Fami¬ lienſtuͤck, das nur durch Exters That gewonnen werden koͤnne. Exter nahm den Ring, der ihm von geringem Werthe ſchien und erſtaunte nicht we¬ nig, als er ſpaͤter durch eine kaum ſichtbare arabi¬ ſche Inſchrift an des Ringes Reif belehrt wurde, daß er des großen Alis Siegelring am Finger trage, mit dem er jetzt zuweilen Mahomeds Tauben heran¬ lockt und mit ihnen konverſirt. Das ſind ganz er¬ ſtaunliche Dinge, rief Ernſt lachend, doch laß 'uns ſehen, was dort in dem geſchloſſenen Kreiſe vor¬ geht, in deſſen Mitte ein klein Ding, wie ein kar¬ teſianiſches Teufelchen, auf - und niedergaukelt und quinkelirt Die Freunde traten auf einen run¬ den Raſenplatz, rings umher ſaßen alte und junge Herren und Damen, in der Mitte ſprang ein ſehr bunt gekleidetes, kaum vier Fuß hohes Daͤmchen, mit einem etwas zu großen Apfelkoͤpfchen umher, und ſchnippte mit den Fingerchen und ſang mit einem ganz kleinen, duͤnnen Stimmchen:

348 Amenez vos troupeaux bergeres! Sollteſt du wohl glauben, ſprach Wilibald, daß dies putzige Figurchen, die ſo uͤberaus naiv und ſchar¬ mant thut, Juliens aͤltere Schweſter iſt? Du merkſt, daß ſie leider zu den Weibern gehoͤrt, die die Natur mit recht bittrer Ironie myſtifizirt, in¬ dem ſie trotz alles Straͤubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermoͤge ihrer Figur und ihres ganzen Weſens im Alter noch mit jener kindiſchen Naivitaͤt koquettirend ſich und andern herzlich zur Laſt werden muͤſſen, wobei es denn oft an gehoͤriger Verhoͤh¬ nung nicht mangelt. Beiden Freunden wurde das Daͤmchen mit ihrer franzoͤſiſchen Faſelei recht fatal, ſie ſchlichen daher fort wie ſie gekommen und ſchloſſen ſich lieber an den tuͤrkiſchen Geſandten an, der ſie fortfuͤhrte in den Saal, wo eben, da die Sonne ſchon niederſank, alles zu der Muſik vorbe¬ reitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der Oeſterleiniſche Fluͤgel wurde geoͤffnet und jedes Pult fuͤr die Kuͤnſtler an ſeinen Ort ge¬ ſtellt. Die Geſellſchaft ſammelte ſich nach und nach, Erfriſchungen wurden herumgereicht in altem349 reichen Porzellan; dann ergriff Reutlinger eine Geige und fuͤhrte mit Geſchicklichkeit und Kraft eine Sonate von Corelli aus, wozu ihn der General Rixendorf auf dem Fluͤgel begleitete, dann bewaͤhr¬ te ſich der goldſtoffne Harſcher als Meiſter auf der Theorbe. Hierauf begann die geheime Raͤthin Foerd eine große italieniſche Szene von Anfoſſi mit ſeltenem Ausdruck. Die Stimme war alt, tremu¬ lirend und ungleich, aber noch wurde alles dieſes durch die ihr eigne Meiſterſchaft des Geſanges be¬ ſiegt. In Reutlingers verklaͤrtem Blick glaͤnzte das Entzuͤcken laͤngſt vergangener Jugend. Das Adagio war geendet, Rixendorf begann das Alle¬ gro, als ploͤtzlich die Thuͤr des Saals aufgeriſſen wurde und ein junger wohlgekleideter Menſch, von huͤbſchem Anſehen, ganz erhitzt und athemlos hin¬ ein und zu Rixendorfs Fuͤßen ſtuͤrzte. O Herr General! Sie haben mich gerettet Sie al¬ lein Es iſt alles gut Alles gut! O mein Gott, wie ſoll ich Ihnen denn danken. So ſchrie der junge Menſch wie außer ſich, der General ſchien verlegen, er hob den jungen Menſchen ſanft auf,350 und fuͤhrte ihn mit beſchwichtigenden Worten heraus in den Garten. Die Geſellſchaft war von dem Auf¬ tritt uͤberraſcht worden, jeder hatte in dem Juͤng¬ ling den Schreiber des geheimen Rathes Foerd er¬ kannt und ſchaute dieſen mit neugierigen Blicken an. Der nahm aber eine Priſe nach der andern und ſprach mit ſeiner Frau franzoͤſiſch, bis er end¬ lich, da ihm der tuͤrkiſche Geſandte naͤher auf den Leib ruͤckte, rund heraus erklaͤrte: Ich weiß, Hochzuverehrende! durchaus mir nicht zu erklaͤren, welcher boͤſe Geiſt meinen Max hier ſo ploͤtzlich mit exaltirten Dankſagungen hineingeſchleudert hat, werde aber ſogleich die Ehre haben Damit ſchluͤpfte er zur Thuͤre heraus und Wilibald folgte ihn auf dem Fuße. Das dreiblaͤttrige Kleeblatt der Foerdſchen Familie, nemlich die drei Schweſtern, Nannette, Clementine und Julie, aͤußerten ſich auf ganz verſchiedene Weiſe. Nannette ließ den Faͤcher auf - und niederrauſchen, ſprach von Etourderie und woll¬ te endlich wieder ſingen: Amenez vos troupeaux, worauf aber niemand achtete. Julie war abſeits in den Winkel getreten und der Geſellſchaft den Ruͤcken

351zugewendet, war es, als wolle ſie nicht allein ihr gluͤhendes Geſicht, ſondern auch einige Thraͤnen verbergen, die ihr, wie man ſchon bemerkt, in die Augen getreten. Freude und Schmerz verwun¬ den, mit gleichem Weh die Bruſt des armen Men¬ ſchen, aber faͤrbt der, dem verletzenden Dorn nach¬ quillende Blutstropfe nicht mit hoͤherem Roth die verbleichende Roſe? So ſprach mit vielem Pa¬ thos die jeanpauliſirende Clementine, indem ſie ver¬ ſtohlen die Hand eines huͤbſchen jungen, blonden Men¬ ſchen faßte, der gar zu gern ſich aus den Roſenban¬ den, womit ihn Clementine bedrohlich umſtrickt und in denen er etwas zu ſpitze Dornen verſpuͤrt hatte, losgewickelt. Der laͤchelte aber etwas fade und ſprach nur: O ja, Beſte! Dabei ſchielte er nach einem ſeitwaͤrts ſtehenden Glaſe Wein, wel¬ ches er gern auf Clementinens ſentimentalen Spruch geleert. Das ging aber nicht, da Clementine ſeine linke Hand feſthielt, er aber mit der Rechten ſo eben das Beſitzthum eines Stuͤcks Kuchen ergrif¬ fen. In dem Augenblick trat Willibald zur Saal¬ thuͤr herein und alles ſtuͤrzte auf ihn zu mit tauſend352 Fragen, wie, was, warum und woher? Er wollte durchaus nichts wiſſen, zog aber ein verſchmitzteres Geſicht als jemals. Man ließ nicht ab von ihm, weil man deutlich bemerkt, daß er im Garten ſich mit dem geheimen Rath Foerd zum General Rixen¬ dorf und zum Schreiber Max geſellt, und heftig mitgeſprochen hatte. Soll ich denn, fing er end¬ lich an, ſoll ich denn in der That die wichtigſte aller Begebenheiten vor der Zeit ausplaudern, ſo muß es mir vergoͤnnt werden, zuvoͤrderſt an Sie, meine hochzuverehrenden Damen und Herren, einige Fragen zu richten. Man erlaubte das gern. Iſt Ihnen, fuhr Willibald nun pathetiſch fort, iſt Ihnen nicht allen der Schreiber des Herrn ge¬ heimen Rath Foerd, Max geheißen, als ein wohlge¬ bildeter, von der Natur reichlich ausgeſtatteter Juͤng¬ ling bekannt? Ja, ja, ja! rief der Chor der Damen. Iſt Ihnen, frug Willibald weiter, iſt Ihnen nicht ſein Fleiß, ſeine wiſſenſchaftliche Bildung, ſeine Geſchicklichkeit im Geſchaͤft be¬ kannt? Ja ja! rief der Chor der Herren und wieder Ja, ja, ja! der vereinigte Chor der353 Herren und Damen, als Willibald noch frug, ob Max nicht weiter als der aufgeweckteſte Kopf, vol¬ ler Poſſen und Schnurren, ſo wie endlich als ſolch geſchickter Zeichner bekannt ſey, daß Rixendorf, der als Dilettant in der Mahlerei Ungewoͤhnliches lei¬ ſte, es nicht verſchmaͤht habe, ſelbſt ihm zweckmaͤ¬ ßigen Unterricht zu ertheilen. Es begab ſich, erzaͤhlte nun Willibald, daß vor einiger Zeit ein junges Meiſterlein von der ehrſamen Schneider¬ zunft ſeine Hochzeit feierte. Es ging dabei hoch her, Baͤſſe ſchnurrten, Trompeten ſchmetterten durch die Gaſſe. Mit rechter Wehmuth ſah des Herrn geheimen Raths Bedienter, Johann, zu den erleuchteten Fenſtern herauf, das Herz wollte ihm ſpringen, wenn er unter den Tanzenden Jettchens Tritte zu vernehmen glaubte, die, wie er wußte, auf der Hochzeit war. Als nun aber Jettchen wirklich zum Fenſter herausguckte, da konnte er es nicht laͤnger aushalten, er lief nach Hauſe, warf ſich in ſeinen beſten Staat und ging keck herauf in den Hochzeitſaal. Er wurde wirklich zugelaſſen, freilich unter der ſchmerzlichen Bedingung, daß im Tanz jeder Schneider vor ihm den Vorzug haben ſollte, wodurch er freilich auf die Maͤdchen angewie¬ ſen wurde, mit denen, ob ihrer Haͤßlichkeit oderZ354ſonſtigen Untugenden, niemand tanzen mochte. Jettchen war auf alle Taͤnze verſagt, aber ſo wie ſie den Geliebten ſah, vergaß ſie alles, was ſie ver¬ ſprochen, und der beherzte Johann ſtieß das duͤnn¬ leibige Schneiderlein, das ihm Jettchen abtrotzen wollte, zu Boden, daß es uͤber und uͤber purzelte. Dies gab das Signal zum allgemeinen Aufſtande. Johann wehrte ſich wie ein Loͤwe, Rippenſtoͤße und Ohrfeigen nach allen Seiten austheilend, doch er mußte der Menge ſeiner Feinde erliegen und wurde auf ſchmaͤhliche Weiſe von Schneidergeſellen die Treppe herabgeworfen. Voll Wuth und Ver¬ zweiflung wollte er die Fenſter einwerfen, er ſchimpfte und fluchte, da kam Max, der nach Hauſe ging, des Weges und befreite den ungluͤckli¬ chen Johann aus den Haͤnden der Schaarwacht, die eben uͤber ihn herzufallen im Begriff ſtand. Nun klagte Johann ſein Ungluͤck und wollte durch¬ aus nicht abſtehen von tumultuariſcher Rache, doch gelang es endlich dem kluͤgern Max ihn zu beruhi¬ gen, wiewohl nur unter dem Verſprechen, daß er ſich ſeiner annehmen und die ihm geſchehene Unbill ſo raͤchen wolle, daß er ganz gewiß zufrieden ſeyn werde Willibald hielt ploͤtzlich ein. Nun? nun? Und weiter? Eine Schneiderhoch¬355 zeit ein Liebespaar Pruͤgel was ſoll das dann werden? So rief es von allen Sei¬ ten. Erlauben Sie, fuhr Willibald fort, er¬ lauben Sie, Hochzuverehrende! zu bemerken, daß, um mit dem beruͤhmten Weber Zettel zu reden, in dieſer Komoͤdie von Johann und Jettchen Dinge vorkommen, die nimmermehr gefallen werden. Es koͤnnte ſogar wider den feinſten Anſtand geſuͤn¬ digt werden. Sie werden's ſchon einzurichten wiſſen, lieber Herr Willibald, ſprach die alte Stiftsraͤthin von Krain, indem ſie ihn auf die Schulter klopfte, ich fuͤr meinen Theil kann einen Puff vertragen. Der Schreiber Max, er¬ zaͤhlte Willibald weiter, ſetzte ſich andern Tages hin, nahm ein großes ſchoͤnes Blatt Velinpapier, Bleifeder und Tuſche, und zeichnete mit der vollen¬ detſten Wahrheit einen großen ſtattlichen Ziegen¬ bock hin. Die Phyſiognomie dieſes wunderbaren Thiers gab jedem Phyſiognomen reichlichen Stoff zum Studium. In dem Blick der geiſtreichen Au¬ gen lag etwas Ueberſchwengliches, wiewohl um das Maul und um den Bart herum einige Convul¬ ſionen zitternd zu ſpielen ſchienen. Das Ganze zeugte von innerer unausſprechlicher Qual. In der That war auch der gute Bock beſchaͤftigt, aufZ 2356eine ſehr natuͤrliche, wiewohl ſchmerzliche Weiſe ganz kleine allerliebſte, mit Scheere und Buͤgeleiſen bewaffnete Schneiderlein zur Welt zu befoͤrdern, die in den wunderlichſten Gruppen ihre Lebensthaͤ¬ tigkeit bewieſen. Unter dem Bilde ſtand ein Vers, den ich leider vergeſſen, doch irr 'ich nicht, ſo hieß die erſte Zeile: Ei was hat der Bock gegeſſen. Ich kann uͤbrigens verſichern, daß dieſer wunder¬ bare Bock Genug genug, riefen die Damen, genug von dem garſtigen Thier von Max, von Max wollen wir hoͤren. Beſagter Max, nahm Willibald das Wort wieder auf, beſagter Max gab das wohlausgefuͤhrte und voll¬ kommen gerathene Tableau dem gekraͤnkten Johann, der es ſo geſchickt an die Schneiderherberge anzu¬ heften wußte, daß einen ganzen Tag hindurch das muͤßige Volk nicht von dem Bildniß wegkam. Die Straßenjungen ſchwenkten jubelnd die Muͤtzen und tanzten jedem Schneiderlein, das ſich ſehen ließ, hinterher, und ſangen und kreiſchten gewaltig: Ei was hat der Bock gegeſſen. Niemand anders hat das Blatt gezeichnet, als des geheimen Raths Max, ſagten die Mahler, niemand hat die Worte geſchrie¬ ben, als des geheimen Raths Max, riefen die Schreibmeiſter, als die ehrſame Schneiderzunft357 die noͤthigen Erkundigungen einzog. Max wurde verklagt und ſah, da er nicht wohl leugnen konnte, einer empfindlichen Gefaͤngnißſtrafe entgegen. Da rannte er voll Verzweiflung zu ſeinem Goͤnner, dem General Rixendorf; bei allen Advokaten war er ſchon geweſen. Die runzelten die Stirn, ſchuͤttel¬ ten die Koͤpfe und ſprachen von hartnaͤckigem Ab¬ leugnen u. ſ. w., was dem ehrlichen Max nicht wohlgefiel. Der General ſprach dagegen, du haſt einen dummen Streich gemacht, lieber Sohn! die Advokaten werden dich nicht retten, aber ich, und blos darum, weil in deinem Bilde, das ich bereits geſehen, korrekte Zeichnung und verſtaͤndige Anord¬ nung iſt. Der Bock, als Hauptfigur, hat Aus¬ druck und Haltung, ſo wie die bereits auf dem Bo¬ den liegenden Schneider eine gute Pyramidalgrup¬ pe bilden, die reich iſt, ohne das Auge zu verwir¬ ren. Sehr weiſe haſt du den im Schmerz der Quetſchung ſich hervorarbeitenden Schneider wieder als Hauptfigur der untern Gruppe behandelt, in ſeinem Geſicht liegt laokoontiſches Weh! Eben ſo ruͤhmlich iſt es, daß die fallenden Schneider nicht etwa ſchweben, ſondern wirklich fallen, wiewohl nicht aus dem Himmel; manche zu gewagte Ver¬ kuͤrzungen ſind recht huͤbſch durch die Buͤgeleiſen358 maskirt, auch haſt du mit reger Fantaſie die Hoff¬ nung neuer Geburten angedeutet. Die Damen fingen an ungeduldig zu murmeln, und der Gold¬ ſtoffne liſpelte: Aber Maxens Prozeß, Ver¬ ehrter? Indeſſen nimm mirs nicht uͤbel, ſprach der General, (ſo fuhr Willibald fort) die Idee des Bildes iſt nicht die Deinige, ſondern uralt; doch das iſt es eben, was dich rettet. Mit dieſen Worten kramte der General in ſeinem alten Schreibſchranke, holte einen Tabaksbeutel hervor, auf dem ſich Maxens Gedanke ſauber und zwar beinahe ganz nach Maxens Weiſe ausgefuͤhrt befand, uͤberließ denſelben ſeinem Liebling zum Gebrauch und nun war alles gut. Wie das, wie das? rief alles durch einander, aber die Juriſten, die ſich in der Geſellſchaft befanden, lachten laut, und der geheime Rath Foerd, der unterdeſſen auch hineingetreten war, ſprach laͤchelnd: Er leugnete den animum inju¬ riandi, die Abſicht zu beleidigen, und wurde freige¬ ſprochen. Will ſo viel heißen, fiel Willibald ihm im die Rede, als daß Max ſprach: Ich kann nicht leugnen, daß das Bild von meiner Hand iſt; abſichtslos und ohne irgend die von mir ſo hochver¬ ehrte Schneiderzunft kraͤnken zu wollen, kopirte ich das Blatt nach dem Original, das ich hier mit die¬359 ſem Tabaksbeutel, der dem General Rixendorf, meinem Lehrer in der Zeichenkunſt, gehoͤrt, uͤber¬ reiche. Einige Variationen habe ich meiner ſchaf¬ fenden Fantaſie zu danken. Das Bild iſt mir aus den Haͤnden gekommen, ich habe es weder Jemanden ſonſt gezeigt, noch gar etwa angeheftet. Ueber dieſen Umſtand, in dem allein die Injurie liegt, erwarte ich den Nachweis. Dieſen Nach¬ weis iſt die ehrſame Schneiderzunft ſchuldig geblie¬ ben und Max heute freigeſprochen worden. Daher ſein Dank, ſeine unmaͤßige Freude. Man fand allgemein, daß doch die halb wahnſinnige Art und Weiſe, wie Max ſeinen Dank geaͤußert, durch die erzaͤhlten Umſtaͤnde nicht ganz motivirt werde, nur die geheime Raͤthin Foerd ſprach mit bewegter Stimme: Der Juͤngling hat ein leicht verwund¬ bares Gemuͤth und ein zarteres Ehrgefuͤhl, als je ein anderer. Koͤrperliche Strafe erdulden zu muͤſ¬ ſen haͤtte ihn elend gemacht, ihn auf immer von G. vertrieben. Vielleicht, fiel Willibald ein, liegt hier noch etwas ganz Beſonderes im Hinter¬ grunde. So iſt es, lieber Willibald, ſprach Rixendorf, der hineingetreten war und die Worte der geheimen Raͤthin vernommen hatte, ſo iſt es, und will es Gott, ſo ſoll ſich bald alles recht hell360 und froͤhlich aufklaͤren. Clementine fand die ganze Geſchichte ſehr unzart. Nannette dachte gar nichts, aber Julie war ſehr heiter geworden. Jetzt ermunterte Reutlinger die Geſellſchaft zum Tanze. Sogleich ſpielten vier Theorbiſten, unter¬ ſtuͤtzt von ein paar Zinken, Violinen und Baͤſſen, eine pathetiſche Sarabande. Die Alten tanzten, die Jungen ſchauten zu. Der Goldſtoffne zeichnete ſich aus durch zierliche und gewagte Spruͤnge. Der Abend ging ganz heiter hin, ſo auch der andere Morgen. Wie geſtern ſollte auch heute Concert und Ball den feſtlichen Tag beſchließen. Der Ge¬ neral Rixendorf ſaß ſchon am Fluͤgel, der Gold¬ ſtoffne hatte die Theorbe im Arm, die geheime Raͤ¬ thin Foerd die Partie in der Hand. Man war¬ tete nur auf die Ruͤckkehr des Hofraths Reutlinger. Da hoͤrte man im Garten aͤngſtlich rufen und ſah die Bedienten herausrennen. Bald trugen ſie den Hofrath mit geiſterbleichem entſtelltem Geſicht herein, der Gaͤrtner hatte ihn unweit des Herzpavillons in tiefer Ohnmacht auf der Erde liegend gefunden. Mit einem Schrei des Entſetzens ſprang Rixendorf auf vom Fluͤgel. Man eilte herbei mit ſpirituoͤſen Mitteln, man fing an, dem Hofrath, der auf einem Kanape lag, die Stirne mit koͤlni¬361 ſchem Waſſer zu reiben, der tuͤrkiſche Geſandte ſtieß aber alle zuruͤck, indem er unaufhoͤrlich rief: Zu¬ ruͤck, zuruͤck, ihr unwiſſenden ungeſchickten Leute! ihr macht mir den kerngeſunden, muntern Hofrath nur matt und elend! Damit ſchleuderte er ſeinen Turban uͤber alle Koͤpfe weg in den Garten hinein, den Pelz hinterher. Nun beſchrieb er mit der fla¬ chen Hand ſeltſame Kreiſe um den Hofrath, die enger und enger werdend, zuletzt beinahe Schlaͤfe und Herzgrube beruͤhrten. Dann hauchte er den Hofrath an, der ſogleich die Augen aufſchlug und mit matter Stimme ſprach: Exter! Du haſt nicht gut gethan mich zu wecken! Die dunkle Macht hat mir den nahen Tod verkuͤndet, und vielleicht war es mir vergoͤnnt in dieſer tiefen Ohnmacht hin¬ ein zu ſchlummern in den Tod Poſſen, Traͤumer, rief Exter, deine Zeit iſt noch nicht ge¬ kommen. Schau dich nur um, Herr Bruder, wo du biſt, und ſey fein munter wie es ſich ſchickt. Der Hofrath wurde nun gewahr, daß er ſich im Saal in voller Geſellſchaft befand. Er erhob ſich ruͤſtig vom Kanape, trat in die Mitte des Saals, und ſprach mit anmuthigem Laͤcheln: Ich gab Ih¬ nen ein boͤſes Schauſpiel, Verehrte! aber an mir lag es nicht, daß das ungeſchickte Volk mich gerade362 in den Saal trug. Laſſen ſie uns uͤber das ſtoͤrende Intermezzo ſchnell hinweggehen, laſſen ſie uns tan¬ zen! Die Muſik begann ſofort, aber als ſich alles in der erſten Menuett pathetiſch wandte und drehte, verſchwand der Hofrath mit Exter und Rixendorf aus dem Saal. Als ſie in ein entfern¬ tes Zimmer gekommen, warf ſich Reutlinger er¬ ſchoͤpft in einen Lehnſeſſel, hielt beide Haͤnde vor's Geſicht und ſprach mit von Schmerz gepreßter Stimme: O, meine Freunde! meine Freunde! Exter und Rixendorf vermutheten mit Recht, daß irgend etwas Entſetzliches den Hofrath erfaßt haben muͤſſe, und daß er ſich jetzt daruͤber erklaͤren werde. Sag's nur heraus, alter Freund, ſprach Rixen¬ dorf, ſag's nur heraus, dir iſt, Gott weiß auf welche Weiſe, Schlimmes im Garten begegnet. Aber, fiel letzter ein, ich begreife gar nicht, wie dem Hofrath heute, und uͤberhaupt in dieſen Tagen Schlimmes begegnen konnte, da eben jetzt ſein ſide¬ riſches Prinzip reiner und herrlicher ſich geſtaltet als jemals. Doch, doch! fing der Hofrath mit dumpfer Stimme an, Exter! es iſt bald aus mit uns, der kecke Geiſterſeher klopfte nicht ungeſtraft an die dunklen Pforten. Ich wiederhole es dir, daß die geheimnißvolle Macht mich hinter den363 Schleier ſchauen ließ der nahe, vielleicht graͤ߬ liche Tod iſt mir verkuͤndet. So erzaͤhle nur was dir geſchah, fiel Rixendorf ihm ungeduldig in die Rede, ich wette, daß alles auf eine wunderliche Einbildung hinauslaͤuft, ihr verderbt Euch beide das Leben mit Euern Fantaſtereien, Du und Exter.

So vernehmt es denn, fuhr der Hofrath fort, indem er aufſtand von dem Lehnſtuhl, und zwiſchen beide Freunde trat, ſo vernehmt es denn, was mich vor Entſetzen und Graus in tiefe Ohn¬ macht warf. Ihr hattet Euch ſchon alle in dem Saal verſammelt, als ich, ſelbſt weiß ich nicht wo¬ durch, angetrieben wurde noch einſam einen Gang durch den Garten zu machen. Unwillkuͤhrlich lenkten ſich meine Schritte nach dem Waͤldchen. Es war mir, als hoͤre ich ein leiſes, hohles Pochen und eine leiſe klagende Stimme. Die Toͤne ſchienen aus dem Pavillon zu kommen ich trete naͤher, die Thuͤr des Pavillons ſteht offen ich erblicke mich ſelbſt! mich ſelbſt! aber ſo wie ich war vor dreißig Jahren, in demſelben Kleide, das ich trug an jenem verhaͤngnißvollen Tage, als ich in troſtloſer Verzweiflung mein elendes Leben enden wollte, als Julie wie ein Engel des Lichts mir erſchien im braͤutlichen Schmuck es war ihr364 Hochzeitstag die Geſtalt ich ich lag auf dem Boden vor dem Herzen, und darauf klo¬ pfend, daß es hohl wiederhallte, murmelte ich: Nie nie kannſt du dich erweichen, du ſtei¬ nernes Herz! Regungslos ſtarrte ich hin, wie der eiskalte Tod rannte es durch meine Adern. Da trat Julie braͤutlich geſchmuͤckt, in voller Pracht der bluͤhendſten Jugend, aus den Gebuͤſchen hervor, und ſtreckte voll ſuͤßen Verlangens die Arme aus nach der Geſtalt, nach mir nach mir dem Juͤng¬ linge! Bewußtlos ſtuͤrzte ich zu Boden! Der Hofrath ſank halb ohnmaͤchtig in den Lehn¬ ſtuhl zuruͤck, aber Rixendorf faßte ſeine beiden Haͤnde, ruͤttelte ſie, und rief mit ſtarker Stimme: Das ſahſt Du, das ſahſt Du, Bruder, weiter nichts? Viktoria laß ich ſchießen aus deinen ja¬ paniſchen Kanonen! mit Deinem nahen Tode, mit der Erſcheinung iſt es nichts, gar nichts! Ich ruͤttle dich auf aus deinen boͤſen Traͤumen, damit du geneſen, und noch lange leben moͤgeſt auf Er¬ den. Damit ſprang Rixendorf ſchneller, als es ſein Alter zuzulaſſen ſchien, zum Zimmer heraus. Der Hofrath hatte wohl wenig von Rixendorfs Worten vernommen, er ſaß da mit geſchloſſenen Augen. Exter ging mit großen Schritten auf und365 ab, runzelte mißmuͤthig die Stirn und ſprach: Ich wette, der Menſch will wieder alles auf gewoͤhnli¬ che Manier erklaͤren, aber das ſoll ihm ſchwer werden, nicht wahr, Hofraͤthchen? wir verſte¬ hen uns auf Erſcheinungen! Ich wollt 'nur, ich haͤtte meinen Turban und meinen Pelz! Dies wuͤnſchend pfiff er ſehr ſtark auf einer kleinen ſilbernen Pfeife, die er beſtaͤndig bei ſich trug, und ſogleich brachte auch ein Mohr aus ſeinem Gefolge beides, Turban und Pelz. Bald darauf trat die Geheime Raͤthin Foerd hinein, ihr folgte der Ge¬ heime Rath mit Julien. Der Hofrath raffte ſich auf, und in den Verſicherungen, daß ihm wieder ganz wohl geworden, wurde er es wirklich. Er bat, des ganzen Vorfalls zu vergeſſen, und eben wollten alle bis auf Exter, der ſich in ſeiner tuͤrkiſchen Klei¬ dung auf's Sopha geſtreckt, und aus einer uͤbermaͤßig langen Pfeife, deren Kopf, auf[Raͤder] geſtellt, am Bo¬ den hin und herſchurrte, Tabak ſchmauchte und Kaffee trank, in den Saal zuruͤckkehren, als die Thuͤr aufging, und Rixendorf haſtig hereintrat. An der Hand hielt er einen jungen Menſchen in alttatariſcher Kleidung. Es war Max, bei deſſen Anblick der Hofrath er¬ ſtarrte. Sieh hier dein Ich, dein Traumbild, hub Rixendorf an: es iſt mein Werk, daß mein366 treflicher Max hier blieb, und von deinem Kammer¬ diener aus deiner Garderobe Kleider empfing, um gehoͤrig koſtumirt erſcheinen zu koͤnnen. Er war es, der im Pavillon an dem Herzen kniete. Ja, an deinem ſteinernen Herzen, du harter unempfind¬ licher Oheim! kniete der Neffe, den du unbarm¬ herzig verſtießeſt, einer traͤumeriſchen Einbildung halber! Verging ſich der Bruder ſchwer gegen den Bruder, ſo hat er es laͤngſt gebuͤßt mit dem Tode im tiefſten Elend da ſteht die vaterloſe Waiſe, dein Neffe Max, wie du, geheißen, dir aͤhnlich an Leib und Seele, wie der Sohn dem Vater tapfer hielt ſich der Knabe, der Juͤngling auf den Wellen des brauſenden Lebensſtroms empor da nimm ihn auf erweiche dein Herz! reiche ihm die wohlthaͤtige Hand, daß er eine Stuͤtze habe, wenn zu ſehr der Sturm auf ihn einbricht. In demuͤthiger gebeugter Stellung, heiße Thraͤnen in den Augen, hatte ſich der Juͤngling dem Hofrath genaͤhert. Der ſtand da geiſterbleich, mit blitzenden Augen, den Kopf ſtolz in die Hoͤhe geworfen, ſtumm und ſtarr, aber ſo wie der Juͤngling ſeine Hand erfaſſen wollte, wich er, ihn mit beiden Haͤnden von ſich abwehrend, zwei Schritte zuruͤck, und rief mit fuͤrchterlicher Stimme: Verruchter willſt du mich mor¬367 den? Fort aus meinen Augen, ja du ſpielſt mit meinem Herzen, mit mir! Und auch du Rixendorf verſchworen zum laͤppiſchen Puppen¬ ſpiel, das ihr mir auftiſcht? fort fort aus meinen Augen du du, der du zu meinem Untergange geboren du Sohn des ſchaͤndlichſten Ver Halt ein, brach Max ploͤtzlich los, indem Zorn und Verzweiflung gluͤhende Blitze aus ſeinen Augen ſchoſſen, halt ein, unnatuͤrlicher Oheim herzloſer, unnatuͤrlicher Bruder. Schuld auf Schuld, Schande und Schmach haſt du auf meines armen ungluͤcklichen Vaters Haupt gehaͤuft, der verderbli¬ chen Leichtſinn, aber nie Verbrechen in ſich hegen konnte! Ich wahnſinniger Thor, daß ich glaubte, jemals dein ſteinernes Herz ruͤhren, jemals, mit Liebe dich umfangend; meines Vaters Vergehen ſuͤhnen zu koͤnnen! Elend verlaſſen von aller Welt, aber an der Bruſt eines Sohnes hauchte mein Vater ſein muͤhſeliges Leben aus Max! ſey brav! ſuͤhne den unverſoͤhnlichen Bruder werde ſein Sohn, das war das Letzte, was er ſprach Aber du verwirfſt mich, ſo wie du alles verwirfſt, was ſich dir naht mit Liebe und Ergebung, waͤhrend der Teufel ſelbſt dich mit truͤgeriſchen Traͤumen um¬ gaukelt. Nun, ſo ſtirb denn einſam und verlaſ¬A a368ſen! Moͤgen habſuͤchtige Diener auf deinen Tod lauern und ſich in die Beute theilen, wenn du kaum die lebensmuͤden Augen geſchloſſen ſtatt der Seufzer, ſtatt der troſtloſen Klagen derer, die dir mit treuer Liebe bis in den Tod anhaͤngen woll¬ ten, magſt du ſterbend das Hohngelaͤchter, die frechen Scherze der Unwuͤrdigen hoͤren, die dich pflegten, weil du ſie bezahlteſt mit ſchnoͤdem Gol¬ de! Niemals, niemals ſiehſt du mich wieder! Der Juͤngling wollte zur Thuͤre hinausſtuͤrzen, da ſank Julie laut ſchluchzend nieder, ſchnell ſprang Max zuruͤck, fing ſie in ſeinen Armen auf, und hef¬ tig ſie an ſeine Bruſt druͤckend, rief er mit dem herz¬ zerreißenden Ton des troſtloſeſten Jammers: O Ju¬ lie, Julie, alle Hoffnung iſt verloren! Der Hof¬ rath hatte da geſtanden, zitternd an allen Gliedern, ſprachlos kein Wort konnte ſich entwinden den bebenden Lippen, doch als er Julien in Maxens Ar¬ men ſah, ſchrie er laut auf, wie ein Wahnſinniger. Er ging mit ſtarkem kraͤftigen Schritt auf ſie los, er riß ſie von Maxens Bruſt hinweg, hob ſie hoch in die Hoͤhe und frug kaum vernehmbar: Liebſt du dieſen Max, Julie? Wie mein Leben erwie¬ derte Julie voll tiefen Schmerzes, wie mein Leben. Der Dolch, den ſie in ſein Herz ſtoßen, trift auch369 das meine! Da ließ ſie der Hofrath langſam her¬ ab, und ſetzte ſie behutſam nieder in einen Lehnſtuhl. Dann blieb er ſtehen, die gefaltenen Haͤnde an die Stirn gedruͤckt. Es war todtenſtill rings um¬ her. Kein Laut keine Bewegung der Anwe¬ ſenden! Dann ſank der Hofrath auf beide Knie. Lebensroͤthe im Geſicht, helle Thraͤnen in den Au¬ gen hob er das Haupt empor, beide Arme hoch aus¬ geſtreckt zum Himmel, ſprach er leiſe und feierlich: Ewig waltende unerforſchliche Macht dort oben, das war dein Wille, Mein verworrenes Leben nur der Keim, der im Schooß der Erde ruhend, den friſchen Baum emportreibt mit herrlichen Bluͤthen und Fruͤchten? O Julie, Julie! o ich armer verblendeter Thor Der Hofrath verhuͤllte ſein Geſicht, man vernahm ſein Weinen. So dauerte es einige Sekunden, dann ſprang der Hofrath ploͤtz¬ lich auf, ſtuͤrzte auf Max, der wie betaͤubt da ſtand, los, riß ihn an ſeine Bruſt, und ſchrie, wie außer ſich: Du liebſt Julien, du biſt mein Sohn nein mehr als das, du biſt ich ich ſelbſt Alles gehoͤrt dir du biſt reich, ſehr reich du haſt ein Land¬ gut Haͤuſer, baares Geld laß mich bei dir bleiben, du ſollſt mir das Gnadenbrot geben in mei¬ nen alten Tagen nicht wahr, du thuſt das? Aa 2370Du liebſt mich ja! nicht wahr, du mußt mich ja lieben, du biſt ja ich ſelbſt ſcheue dich nicht vor meinem ſteinernen Herzen, druͤcke mich nur feſt an deine Bruſt, deine Lebenspulſe erweichen es ja! Max Max mein Sohn mein Freund, mein Wohlthaͤter! So ging es fort, daß allen vor dieſen Ausbruͤchen des uͤberreizten Gefuͤhls bange wurde. Rixendorf, dem beſonnenen Freunde, ge¬ lang es endlich, den Hofrath zu beſchwichtigen, der, ruhiger geworden, nun erſt ganz einſah, was er an dem herrlichen Juͤnglinge gewonnen, und mit tiefer Ruͤhrung gewahrte, wie auch die Geheime-Raͤthin Foerd in der Verbindung ihrer Julie mit Reutlingers Neffen das neue Aufkeimen einer alten verlornen Zeit erblickte. Großes Wohlgefallen aͤußerte der Geheime-Rath, der viel Tabak ſchnupfte und ſich in wohlgeſtelltem nationell ausgeſprochenem Franzoͤſiſch daruͤber ausließ. Zu¬ foͤrderſt ſollten nun Juliens Schweſtern von dem Ereigniß benachrichtigt werden, die waren aber nir¬ gends aufzufinden. Nannettens halber hatte man ſchon in allen großen japaniſchen Vaſen, die in dem Veſtibule herumſtanden, nachgeſehen, ob ſie, zu ſehr ſich uͤber den Rand beugend, vielleicht hineingefallen, aber vergebens, endlich fand man die Kleine unter371 einem Roſenbuͤſchchen eingeſchlafen, wo man ſie nur nicht gleich bemerkt, und eben ſo holte man Clemen¬ tinen in einer entfernteren Allee ein, wo ſie dem ent¬ fliehenden blonden Juͤngling, dem ſie vergebens nachgeſetzt, eben mit lauter Stimme nachrief: O der Menſch ſieht es oft ſpaͤt ein, wie ſehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und wie groß das verkannte Herz! Beide Schwe¬ ſtern waren etwas mißmuͤthig uͤber die Heirath der juͤngern, wiewohl viel ſchoͤneren und reizenderen Schweſter, und vorzuͤglich ruͤmpfte die ſchmaͤhſuͤchti¬ ge Nannette das kleine Stuͤlpnaͤschen; Rixendorf nahm ſie aber auf den Arm und meinte, ſie koͤnnte wohl einmahl einen viel vornehmeren Mann mit einem noch ſchoͤneren Gute bekommen. Da wurde ſie vergnuͤgt und ſang wieder: Amenez vos troupeaux bergeres! Clementine ſprach aber ſehr ernſt und vornehm: In der haͤuslichen Gluͤck¬ ſeligkeit ſind die windſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil: ihr Nerven - und Lebensgeiſt ſind die lodernden Naphtaquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen in einander ſpringen. Die Geſellſchaft im Saal, die ſchon Kunde bekom¬ men von den wunderlichen aber froͤhlichen Ereig¬372 niſſen, erwartete mit Ungeduld das Brautpaar, um mit den gehoͤrigen Gluͤckwuͤnſchen losfahren zu koͤn¬ nen. Der Goldſtoffne, der am Fenſter alles angehoͤrt und angeſchaut, bemerkte ſchlau: Nun weiß ich, warum der Ziegenbock dem armen Max ſo wichtig war. Haͤtte er einmahl im Gefaͤngniß ge¬ ſteckt, ſo war durchaus an keine Ausſoͤhnung zu den¬ ken. Alles applaudirte dieſer Meinung, wozu Wil¬ libald die Loſung gab. Schon wollte man fort aus dem Nebenzimmer in den Saal, als der tuͤrkiſche Geſandte, der ſo lange auf dem Sopha geblieben, nichts geſprochen ſondern nur durch Hin und Her¬ rutſchen und durch die ſeltſamſten Grimaſſen ſeine Theilnahme zu erkennen gegeben hatte, wie toll auf¬ ſprang und zwiſchen die Brautleute fuhr: Was was, rief er, nun gleich heirathen, gleich hei¬ rathen? Deine Geſchicklichkeit, deinen Fleiß in Ehren, Max! aber du biſt ein Kiek-in-die-Welt, oh¬ ne Erfahrung, ohne Lebensklugheit, ohne Bildung. Du ſetzeſt deine Fuͤße einwaͤrts und biſt grob in dei¬ nen Redensarten wie ich vorhin vernommen, als du deinen Oheim den Hofrath Reutlinger Du nann¬ teſt. Fort in die Welt! nach Conſtantinopel! da lernſt du alles was du brauchſt fuͤr's Leben dann kehre wieder und heirathe getroſt mein liebes373 holdes Kind, das ſchoͤne Julchen. Alle waren ganz erſtaunt uͤber Exters ſeltſames Begehren. Der nahm aber den Hofrath auf die Seite; beide ſtell¬ ten ſich gegen uͤber, legten einander die Haͤnde auf die Achſeln und wechſelten einige arabiſche Worte. Darauf kam Reutlinger zuruͤck, nahm Maxens Hand und ſprach ſehr mild und freundlich: Mein lieber guter Sohn, mein theurer Max, thue mir den Gefallen und reiſe nach Conſtantinopel, es kann hoͤchſtens ſechs Monate dauern, dann richte ich hier die Hochzeit aus! Aller Proteſtatio¬ nen der Braut unerachtet mußte Max fort nach Conſtantinopel.

Nun koͤnnte ich, ſehr geliebter Leſer! wohl fuͤglich meine Erzaͤhlung ſchließen, denn du magſt es dir vorſtellen, daß Max, nachdem er aus Con¬ ſtantinopel, wo er die Marmorſtufe, wohin der Seehund Extern das Kind apportirt, nebſt vielem andern Merkwuͤrdigen geſchaut hatte, zuruͤckgekehrt war, wirklich Julien heirathete, und verlangſt wohl nicht noch zu wiſſen, wie die Braut geputzt war und wie viel Kinder das Paar bis jetzt erzeugt hat. Hinzuſetzen will ich nur noch, daß am Ta¬ ge Mariaͤ Geburt des Jahres 18 Max und374 Julie einander gegenuͤber im Pavillon bei dem rothen Herzen knieten. Haͤufige Thraͤnen fielen auf den kalten Stein, denn unter ihm lag das Ach! nur zu oft blutende Herz des wohlthaͤtigen Oheims. Nicht um des Lord Horions Grabmal nachzuahmen, ſondern weil er des armen Onkels ganze Lebens - und Leidensgeſchichte darin ange¬ deutet fand, hatte Max mit eigner Hand die Wor¬ te in den Stein gegraben:

Es ruht!

About this transcription

TextNachtstücke
Author E. T. A. Hoffmann
Extent385 images; 58526 tokens; 10766 types; 407909 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationNachtstücke Zweiter Theil E. T. A. Hoffmann. . 374 S. RealschulbuchhandlungBerlin1817.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 4975-1/2http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=616599129

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Novelle; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:24Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
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