PRIMS Full-text transcription (HTML)
PHANTASUS
Berlin1898Sassenbach
Erstes Heft
Nacht.
Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,
von seinen Blättern funkelt der Thau ins Gras,
und mein Herz
schlägt.
Nacht.
Ein Hund ... bellt, ... ein Zweig ... knickt, still!
Still!!
Du? ... Du?
Ah, deine Hand! Wie kalt, wie kalt!
Und ... deine Augen ... gebrochen!
Gebrochen!!
Nein! Nein! Du darfst es nicht sehn.
dass die Lippen mir zucken,
und auch die Thränen nicht, die ich kindisch um dich vergiesse
Du armes Weib!
Also nachts,
nachts nur noch wagst du dich,
schüchtern,
aus deinem Sarg?
Um dich auf Zehen zu mir zu schleichen?
Armes Weib!
Verblüht
die Kränze, die du gewunden,
verweht
die Lieder, die du gesungen,
und in deinen Haaren, in deinen schönen Haaren,
klebt nun die
Erde.
Tot, tot, tot ...
Und deine Flügel, deine armen Flügel!
Unbarmherzig heruntergeschnitten
von den schimmernden Schultern ah, weine nicht!
Weine nicht!
Hier! Hier! Zu mir sollst du dich setzen,
nächtlich, allnächtlich,
bis der Morgen
graut,
bis die Sonne
scheint,
und die Welt,
die kluge Welt, wieder gleichgültig über dein Grab rollt
Horch!
Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,
der Thau tropft,
und mein Herz
schlägt.
Nacht, Nacht, Nacht ...
Durch die Friedrichstrasse
die Laternen brennen nur noch halb,
der trübe Wintermorgen dämmert schon
bummle ich nach Hause.
In mir, langsam, steigt ein Bild auf.
Ein grüner Wiesenplan,
ein lachender Frühlingshimmel,
ein weisses Schloss mit weissen Nymphen.
Davor ein riesiger Kastanienbaum,
der seine roten Blütenkerzen
in einem stillen Wasser spiegelt!
Ich liege noch im Bett und habe eben Kaffee getrunken.
Das Feuer im Ofen knattert schon,
durchs Fenster,
das ganze Stübchen füllend,
Schneelicht.
Ich lese.
Huysmans. Bas.
... Alors,
en sa blanche splendeur,
l'âme du Moyen Age rayonna dans cette salle ...
Plötzlich,
irgendwo tiefer im Hause,
ein Kanarienvogel.
Die schönsten Läufe!
Ich lasse das Buch sinken.
Die Augen schliessen sich mir,
ich liege wieder da, den Kopf in die Kissen
Zwischen Gräben und grauen Hecken,
den Rockkragen hoch, die Hände in den Taschen,
schlendre ich durch den frühen Märzmorgen.
Falbes Gras, blinkende Lachen und schwarzes Brachland,
so weit ich sehn kann.
Dazwischen,
mitten in den weissen Horizont hinein,
wie erstarrt,
eine Weidenreihe.
Ich bleibe stehn.
Nirgends ein Laut. Noch nirgends Leben.
Nur die Luft und die Landschaft.
Und sonnenlos, wie den Himmel, fühl ich mein Herz!
Plötzlich ein Klang.
Ich starre in die Wolken.
Ueber mir,
jubelnd,
durch immer heller werdendes Licht,
die erste Lerche!
Mitten auf dem Platz,
wo die Kinder lärmen,
bleib ich stehn.
Jungens,
die sich um eine Murmel zanken,
ein kleines Mädchen, das Reifen spielt ....
Herr Gott, Frühling!
Und nichts, nichts hab ich gesehn!
Aus allen Büschen
brechen ja schon die Knospen!
Fern liegt ein Land!
In dunklen Nächten
rauschten schwermütig seine Eichen.
Weiche Flocken deckten mein Grab.
Jetzt blühn die Primeln,
die Drossel singt,
und über grüne Wiesen, um den blauen See
treibt der Schäfer seine Schafe.
Weisse Wölkchen gleiten.
Du süsse Welt!
Auf deinen glänzendsten Stern
hast du ein Herz, das dich liebt, gerettet!
Schönes, grünes, weiches Gras.
Drin liege ich.
Mitten zwischen Butterblumen!
Ueber mir,
warm,
der Himmel:
ein weites, zitterndes Weiss,
das mir die Augen langsam, ganz langsam,
schliesst.
Wehende Luft, ... ein zartes Summen.
Nun bin ich fern
von jeder Welt,
ein sanftes Roth erfüllt mich ganz,
und deutlich spür ich,
wie die Sonne mir durchs Blut rinnt
minutenlang.
Versunken Alles. Nur noch ich.
Selig.
Aus weissen Wolken
baut sich ein Schloss.
Spiegelnde Seeen, selige Wiesen,
singende Brunnen aus tiefstem Smaragd!
In seinen schimmernden Hallen
wohnen
die alten Götter.
Noch immer,
abends,
wenn die Sonne purpurn sinkt,
glühn seine Gärten,
vor ihren Wundern bebt mein Herz
und lange ... steh ich.
Sehnsüchtig!
Dann naht die Nacht,
die Luft verlischt,
wie zitterndes Silber blinkt das Meer,
und über die ganze Welt hin
weht ein Duft
wie von Rosen.
In einem Garten
unter dunklen Bäumen
erwarten wir die Frühlingsnacht.
Noch glänzt kein Stern.
Aus einem Fenster,
schwellend,
die Töne einer Geige ....
Der Goldregen blinkt,
der Flieder duftet,
in unsern Herzen geht der Mond auf!
Ich bin der reichste Mann der Welt!
Meine silbernen Yachten
schwimmen auf allen Meeren.
Goldne Villen glitzern durch meine Wälder in Japan,
in himmelhohen Alpenseeen spiegeln sich meine Schlösser,
auf tausend Inseln hängen meine purpurnen Gärten.
Ich beachte sie kaum.
An ihren aus Bronze gewundenen Schlangengittern
geh ich vorbei,
über meine Diamantgruben
lass ich die Lämmer grasen.
Die Sonne scheint,
ein Vogel singt,
ich bücke mich
und pflücke eine kleine Wiesenblume.
Und plötzlich weiss ich: ich bin der ärmste Bettler!
Ein Nichts ist meine ganze Herrlichkeit
vor diesem Thautropfen,
der in der Sonne funkelt.
Vor meinem Fenster
singt ein Vogel.
Still hör ich zu; mein Herz vergeht.
Er singt,
was ich als Kind besass
und dann vergessen.
Fern auf der Insel Nurapu
blüht der Baum Bo.
In seinen Wurzeln singt die See,
durch seine Zweige ziehn die Sterne.
Auf einem langen Ast, mein Gott: die Hirtin und der Schornsteinfeger?
Die niedlichen kleinen Schuhe, der goldne Hut,
die schwarze Leiter, der Hirtenstab ...
Ihr habt also doch nicht zurückgefunden?
Ach Gott, ja:
wenn man aus Porzellan ist!
Das alte Stübchen mit dem Spiegeltischchen,
das verschnörkelte Spind aus Mahagoniholz,
der blaue, gemütliche Kachelofen!
Grossmutters Tulpen!
Das waren noch Zeiten!
Hier ruft keine Kukuksuhr,
hier duftet kein Lawendeltopf;
hier braust die See,
hier fliehn die Sterne.
Und ich sitze und weine bitterlich!
Vergeben? Ich? Dir?
Längst.
Ich thats, noch eh ichs wusste.
Aber vergessen? Vergessen? ... Ach, wenn ichs könnte!
Oft,
mitten im hellsten Sonnenschein,
wenn ich fröhlich bin und an nichts denke ,
plötzlich,
da,
grau hockt es vor mir,
... wie eine Kröte!
Und Alles, Alles scheint mir wieder schaal. Schaal und trostlos.
Das ganze Leben.
Und ich bin traurig. Traurig über dich ... und mich.
Ueber die Welt hin ziehen die Wolken.
Grün durch die Wälder
fliesst ihr Licht.
Herz, vergiss!
In stiller Sonne
webt linderndster Zauber,
unter wehenden Blumen blüht tausend Trost.
Vergiss! Vergiss!
Aus fernem Grund pfeift, horch, ein Vogel ....
Er singt sein Lied.
Das Lied vom Glück!
Vom Glück.
Hinter blühenden Apfelbaumzweigen
steigt der Mond auf.
Zarte Ranken,
blasse Schatten
zackt sein Schimmer in den Kies.
Lautlos fliegt ein Falter.
Ich strecke mich selig ins silberne Gras
und liege da
das Herz im Himmel!
Rote Dächer!
Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch,
oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu, Tauben.
Es ist Nachmittag.
Aus Mohdrickers Garten her gackert eine Henne,
die ganze Stadt riecht nach Kaffee.
Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge
und liege, das Kinn in beide Fäuste,
platt auf dem Bauch
und kucke durch die Bodenluke.
Unter mir, steil, der Hof,
hinter mir, weggeworfen, ein Buch.
Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger.
Wie still das ist!
Nur drüben in Knorrs Regenrinne
zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,
ein Mann, der sägt,
und dazwischen, deutlich von der Kirche her,
in kurzen Pausen, regelmässig, hämmernd,
der Kupferschmied Thiel.
Wenn ich unten runtersehe,
sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett:
ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie
und mittendrin, zierlich in einem Cigarrenkistchen,
ein Hümpelchen Reseda.
Wie das riecht? Bis zu mir rauf!
Und die Farben!
Jetzt! Wie der Wind drüber weht!
Die wunder, wunderschönen Farben!
Ich schliesse die Augen. Ich sehe sie noch immer.
In einen brennenden Abendhimmel,
aus Staub und Dunkel,
steigt der Dom.
Die Glocken läuten.
Die kleinen Linden stehen schwarz,
vor ihren Thüren sitzen alte Leute.
Feierabend!
Die Gassen schweigen.
Die Gluth erlischt,
am Himmel
leise
ziehn die ewigen Sterne auf.
Zwischen Bergen im Sonnenschein
liegt am Fluss das Städtchen.
Hier oben von meinem Meilenstein seh ich über alle Dächer.
Kerzengrade steigt der Rauch.
Durch einen blühenden Hollunderbusch
unterscheide ich deutlich,
unter der alten Grünspankuppel,
die Thurmuhr.
Ein himmelblaues Zifferblatt mit weissen Zahlen.
Noch drei kleine Striche,
und die gesammte Bürgerschaft
setzt sich pünktlich zu Mittag.
Zwölf!
Es ist heute Sonnabend, es giebt also überall Eierkuchen.
Ich köpfe vergnügt eine Distel
und wandre weiter.
Im Thiergarten, auf einer Bank, sitz ich und rauche;
und freue mich über die schöne Vormittagssonne.
Vor mir, glitzernd, der Kanal:
den Himmel spiegelnd, beide Ufer leise schaukelnd.
Ueber die Brücke, langsam Schritt, reitet ein Leutnant.
Unter ihm,
zwischen den dunklen, schwimmenden Kastanienkronen,
pfropfenzieherartig ins Wasser gedreht,
den Kragen siegellackrot
sein Spiegelbild.
Ein Kukuk
ruft.
Lachend in die Siegesallee
schwenkt ein Mädchenpensionat.
Donnerwetter, sind die chic!
Wippende, grünblau schillernde Changeantschirme,
lange, buttergelbe schwedische Handschuhe,
sich bauschende, silbergraue, von roten Tulpen durchflammte Velvetblousen.
Drei junge Leutnants drehn ihre Schnurrbärte.
Monocles.
Die Kavalkade amüsiert sich.
Fünfzig braune, trappelnde Strandschuhe,
fünfundzwanzig klingelnde Bettelarmbänder.
Links,
hinter ihnen drein,
die Blicke kohlschwarz,
ihr Drache.
Wehe!
Wie die Sonne durch die Bäume goldne Kringel wirft ...
Ach was!
Und ich kriege die Schönste, die sich nicht sträubt, um die Taille,
die ganze Gesellschaft stiebt kreischend auseinander,
Huuch! die alte Anstandsglucke fällt in Ohnmacht
und rufe:
Mädchen, entgürtet euch und tanzt nackt zwischen Schwertern!
Ich möchte alle Geheimnisse wissen!
Alle Sterne, über die Meere rollen, schöpf ich mit meiner Hand.
In meine Träume
drehn sich Welten,
und mich entzückt das kleinste Nest,
das im Sommer ein Schwalbenpaar
an meinem Giebel baut.
Das leiseste Zwitschern draus
rührt an mein Herz!
In meinem glühendsten Tulpenbaum
tausend Blüten!
Eine süsse Stimme singt:
Blaue Flügel aus Perlmutter,
als Hochzeitsbett ein Lilienblatt,
eine ganz kleine Prinzessin!
Keiner kennt mich.
Niemand weiss,
wo mein Haus steht.
Sieben Regenbogenbrücken
funkeln zu ihm durch meinen Garten.
Wenn in deine Seele die Sonne scheint,
besuch mich mal.
Hörst du?
Starr,
aus Schlangen gewunden,
steht der Baum.
Ein Windstoss rüttelt,
wie tanzende Flammen wehn seine Blüten!
Ich liege zwischen dunklen Spiegelwänden.
Grüne, glimmende Seesterne,
Augen, die glotzen,
ein riesiger Rochen reisst sein Maul auf.
Ein Druck, und sie leuchten!
Durch einen roten Korallenwald segelt ein silberner Mondfisch!
Ich liege und rauche aus meiner Wasserpfeife.
See, See, sonnigste See, soweit du siehst!
Ueber die rollenden Wasser hin, jauchzend, tausend Tritonen.
Auf ihren Schultern,
muschelempor,
hoch,
ein Weib.
Ihre Nacktheit
in die Sonne.
Unter ihr,
triefend,
die blendenden Perlmutterwände immer wieder von Neuem hoch,
dick, feist, verliebt,
wie Kröten,
sieben alte, glamsrige Meertaper.
Die Gesichter! Das Gestöhn und das Gepruste!
Da,
plötzlich,
wütend aus der Tiefe,
Neptun.
Sein Bart
blitzt.
Hallunken!
Und, plitschplatsch, sein Dreizack den sieben Schlappschwänzen um die Glatzen.
Die brüllen!
Dann, schnell,
hier noch ein paar Tatschen, dort noch ein Bauch
weg sind sie.
Die Schöne
lächelt.
Neptun
verbeugt sich.
Madam?
In meinen grünen Steinwald
scheint der Mond.
In seinem Licht
sitzt ein blasses Weib und singt.
Von einem Sonnensee,
von blauen Blumen,
von einem Kind, das Mutter ruft.
Müde
fällt die Hand ihr übers Knie,
in ihrer stummen Harfe
glänzt der Mond.
Auf einem vergoldeten Blumenschiff
mit Ebenholzmasten und Purpursegeln
schwimmen wir ins offne Meer.
Hinter uns,
zwischen Wasserrosen,
schaukelt der Mond.
Tausend bunte Papierlaternen schillern an seidnen Fäden.
In runden Schalen kreist der Wein.
Die Lauten klingen.
Aus fernem Süd
taucht blühend eine Insel ...
Die Insel der Vergessenheit!
Nachts um meinen Tempelhain
wachen siebzig Bronzekühe.
Tausend bunte Steinlampen flimmern.
Auf einem roten Thron aus Lack
sitz ich im Allerheiligsten.
Ueber mir,
durch das Gebälk aus Sandelholz,
im ausgestochnen Viereck,
stehn die Sterne.
Ich blinzle.
Wenn ich jetzt aufstünde,
zertrümmerten meine elfenbeinernen Schultern das Dach,
und der eirunde Diamant vor meiner Stirn
stiesse den Mond ein.
Die dicken Priester dürfen ruhig schnarchen.
Ich stehe nicht auf.
Ich sitze mit untergeschlagenen Beinen
und beschaue meinen Nabel.
Der ist ein blutender Rubin
in einem nackten Bauch aus Gold.
Mich schuf Korinth, ich sah das Meer.
Tausend Jahre
unter Schutt und Tempeltrümmern
lag ich in schwarzer Erde.
Zwischen roten Disteln im Abendschein weideten Ziegen,
über mein blühendes Grab bliesen Hirten.
Tausend Jahre war ich tot.
Heut scheint die Sonne, der Himmel lacht, ich lebe!
Im alten Park
steh ich nackt aus weissem Marmor.
Auf meine Schultern
durch gezacktes Laub
fallen zitternde Tupfen.
Meine Augen,
weit geöffnet,
starren auf ein grünes Wasser.
In breiten, überhängenden Kastanienblättern
spiegelt sich und zuckt
sein Licht.
In einem alten Park ein Schlösschen.
Ueber seinem bemoosten Dach glänzt ein Sommerhimmel,
sieben verwilderte Taxusalleeen
treffen sich vor seiner Thür.
Ich halte die Hand vor und sehe in ein Fenster.
Nichts.
Dann,
blinkend,
ein Goldrahmen,
verschwimmende Farben,
jetzt,
deutlich:
Eine rosenüberstreute Tapete,
ein blauer Divan,
eine nackte Dame füttert einen Kakadu!
Musik.
Durchs Schilf glotzt der Behemot,
sieben nackte Erzengel decken mich mit ihren Schwertern.
Heilig, heilig, heilig ist der Herr!
Die Welt verfliesst,
mein silberner Wolkenbart durchflutet den Himmel.
Ich schnarche.
Eine schwimmende Walfischheerde um Spitzbergen,
ein wehendes Palmenbaumblatt auf Zanzibar,
eine Mücke in Surinam, die ihre Flügel putzt ...
Nanu?
Ein kleines Mädchen fin de siècle
schwarze Strümpfe, gelbes Seidenkorsett und lila Höschen,
hinten das blitzende Schniepelchen
wupps, auf meinem Schooss!
Die Musik verstummt,
der Behemot grunzt,
ihre züngelnden Schlangenschwerter flammend wie Fackeln,
dräuen die Erzengel.
Diese Frechheit!
Das entzückende Balg kitzelt mich mit einer Pfauenfeder.
Sie ... Alterchen ... Bonbon gefällig?
Emmy!!
In meinem schwarzen Taxuswald
singt ein Märchenvogel
die ganze Nacht.
Blumen blinken.
Unter Sternen, die sich spiegeln,
treibt mein Boot.
Meine träumenden Hände
tauchen in schwimmende Wasserrosen.
Unten,
lautlos, die Tiefe.
Fern die Ufer! Das Lied ...
Um mein erleuchtetes Schloss wehn Cypressen.
Ich höre sie nicht. Ich fühle sie.
Alle meine Lichter werden erlöschen,
der letzte Geigenton verklingt,
durchs Fenster
in meinem brechenden Blick
spiegelt sich der Mond.
Aus einem Kornfeld,
schräg zum See,
hob sich die Linde.
Auf schmalem Fussweg an ihr vorbei,
jeden Nachmittag durch die Juliglut zum Baden,
wir Jungens.
Der blaue Himmel, die tausend gelben Blüten, das Bienengesumm!
Und noch immer,
wenn die Andern längst unten waren,
aus dem Wasser klang ihr Lachen und Geschrei
stand ich.
Und sah den Himmel
und hörte die Bienen
und sog den Duft.
Unten im Dorf
hinter der Kirchhofsmauer
schläft der Müller.
Die Mühle steht still.
Auf ihrem morschen Gebälk kriechen Marieenkäferchen,
über sie fliegt ein Kukuk hin.
... Kukuk ... Kukuk ...
Den steilen Weg durchs Korn her kommen Kinder,
lachen, schwatzen und stopfen Gras durch die Ritzen.
Eins kuckt durch.
... Kukuk ...
Innen:
Sonnenstrahlen und Schmetterlinge!
Ich weiss.
Oft
wars nur ein Lachen, ein Handdruck von dir,
oder ein Härchen, ein blosses Härchen,
das dir der Wind ins Genick geweht,
und all mein Blut
gährte gleich auf,
und all mein Herz
schlug nach dir.
Dich haben, dich haben,
dich endlich mal haben,
ganz und nackt, ganz und nackt!
Und heut,
zum ersten Mal,
unten am See, glitzernd im Mittag,
sah ich dich so.
Ganz und nackt! Ganz und nackt!
Und mein Herz
stand still.
Vor Glück, vor Glück.
Und es war keine Welt mehr,
nichts, nichts, nichts,
es war nur noch Sonne, nur noch Sonne
so schön warst du!
Dann losch das Licht,
und durch die Stille
nur noch dein Herzschlag ...
Seligkeit!
Im Garten, frühauf, pfiff ein Vogel,
von tausend Gräsern troff der Thau,
der ganze Himmel stand in Rosen.
Lieber! Liebe!
Und wieder: Kuss auf Kuss ...
Was kann die Welt uns jetzt noch bieten!
Ich trat in mein Zimmer.
Die Fenster standen weit auf,
draussen
schien die Sonne.
Wie wunderbar,
Rosen?
Ein ganzer Strauss!
Weisse, gelbe und dunkelrote ...
Ah, wie das duftete! Wie das wohl that!
Und ich stellte das Glas wieder auf meinen Schreibtisch.
Dort steht es und schimmert nun,
und in Alles, was ich schreibe, fällt sein schöner Schein.
Du Liebe, du Gute!
Ein kleines Haus mit grüner Thür
und Herzen in den Fensterläden!
Abends,
unter den Silberpappeln,
sitzen wir mit unsern Jungens.
Mutter, Mutter, der Mond is kaput!
Der Kleinste kuckt auch.
Biela!
Bist du ein Maikäfer?
Sa.
Am andern Morgen ist der Biela krank.
Der arme Biela!
Er sitzt vergnügt im Bett und pappt Kuchen.
Sein Bruder
spielt.
Du Mutter?
Mein Bär is auch krank!
So?
Na was fehlt ihm denn?
Na, den hat doch n Schmetterling gebissen?
Ein mal noch,
bevor wir schlafen gehn,
zu unsern Jungens!
In beide Bettchen scheint der Mond.
Der Biela noch im Arm das Püppchen,
sein Bruder um den Hals die Perlenkette ...
Leise,
auf Spitzzehen,
tasten wir in unser Zimmer.
Du gingst.
Die Blätter ... fallen.
In blaue Dämmrung sinkt das Thal.
Ich starre in die steigenden Nebel ....
Da,
einmal noch, aus der Ferne,
weht dein Tuch.
Grüsse! Grüsse!
Ich strecke sehnsüchtig die Arme ...
Vorbei.
Aus den Silberpappeln schreien die Staare in den Sonnenuntergang.
Kein Laut!
Nur die Pappeln flüstern ...
Der alte Tümpel vor mir schwarz wie Tinte,
um mich, über mir, von allen Seiten,
auf Fledermausflügeln,
die Nacht,
und nur drüben noch,
zwischen den beiden Weidenstümpfen,
die sich im Dunkeln wie Drachen dehnen,
matt, fahl, verröchelnd,
ein letzter Schwefelstreif.
Auf ihm, scharf, eine Silhouette: ein Faun, der die Flöte bläst.
Ich sehe deutlich seine Finger.
Sie sind alle zierlich gespreizt
und die beiden kleinsten sogar höchst kokett aufwärts gebogen.
Das graziöse Röhrchen quer in ihrer Mitte
schwebt fast wagerecht über der linken Schulter.
Auch die rechte sehe ich.
Nur den Kopf nicht. Der fehlt. Der ist runtergekullert.
Der liegt seit hundert Jahren schon
unten im Tümpel.
Plitsch! ? Ein Frosch.
Ich bin zusammengeschrocken.
Der Streif drüben erlischt,
ich fühle, wie das Wasser Kreise treibt,
und die uralte Steinbank, auf der ich sitze,
schauert mir plötzlich ihre Kälte bis ins Genick hinauf.
.....?
Nein. Nichts. Nur die Pappeln.
Aus schwerem Schlaf
plötzlich erwacht,
es ist noch Alles dunkel, ich liege da
formt sich, in mir, langsam, eine Strophe.
Ueber den Sternen ...
Ueber den Sternen ...
Ueber den Sternen hängt eine Harfe.
Selig sitzt die Nacht und singt.
Singt, dass die zitternden Herzen klopfen!
Aus den Saiten Sonnen tropfen.
Ueber den Sternen hängt eine Harfe,
selig sitzt die Nacht und singt!
Die Augen zu, die Zähne zusammen,
dass ich nicht schluchze!
Draussen die Düne.
Einsam das Haus,
eintönig,
ans Fenster,
der Regen.
Hinter mir,
tictac,
eine Uhr,
meine Stirn
gegen die Scheibe.
Nichts.
Alles vorbei.
Grau der Himmel,
grau die See
und grau
das Herz.
Kleine, sonnenüberströmte Gärten
mit bunten Lauben, Kürbissen und Schnittlauch.
Noch blitzt der Thau.
Ueber den nahen Häuserhorizont ragen Thürme.
Durch das monotone Geräusch der Neubauten,
ab und zu,
pfeifen Fabriken,
schlagen Glocken an.
Auf einer Hopfenstange sitzt ein Spatz.
Ich stehe gegen einen alten Drahtzaun gelehnt
und sehe zu, wie über einem Asternbeet
zwei Kohlweisslinge taumeln.
Ich öffne ein kleines Gitter.
Die Märzgefallnen.
Ueber den Weg, durch welkes Laub, hüpfen Schwarzdrosseln,
um verwitternde Kreuze im Sonnenlicht spielen glitzernde Fäden.
In einer Ecke,
der Epheu blinkt, ich bücke mich
auf einem Stein, liegen Rosen.
Dünne Ranken, graues Moos und Thautropfen.
Die alten Buchstaben sind kaum mehr zu lesen.
Mit Mühe nur entziffre ich:
Ein ... un ... be ... kann ... ter ... Mann.
Ueberm Bett, eingerahmt, hängt der Myrthenkranz.
Vor Jahren
stand am Fenster mal die Nähmaschine;
ein Kanarienvogel sang.
Jetzt
ist das alles anders!
Abends,
wenn die rote Lampe brennt,
kommen fremde Herren in das Stübchen;
alte, junge, wies grad trifft.
Du lieber Gott das Leben!
Nur manchmal,
wenn der Regen draussen auf die Dächer peitscht,
nachts,
kein Mensch ist mehr wach,
sitzt das Weib und weint ...
Der tote Mann! Die armen Kinder!
Auf einem Stern mit silbernen Zacken
sitz ich und lach ich ein kleines Kind.
Vögel und Blumen haben mich lieb,
blonde Engel spielen mit mir.
Unten grämt sich der Vater,
unten schluchzt die Mutter,
ich sitze und flechte mir einen Kranz aus Himmelsschlüsselchen.
Lieber Vater! Liebe Mutter!
Weint nicht!
Seht:
hier wachsen Blumen,
Lämmer springen,
und an jedem blanken Zacken
hängt ein Zuckerherz!
Ich bin ein Stern. Ich glänze.
Thränenbleich
hebst du zu mir dein Gesicht;
deine Hände
weinen.
Tröste mich!
Ich glänze.
Alle meine Strahlen
zittern in dein Herz.
Eine schluchzende Sehnsucht mein Frühling,
ein heisses Ringen mein Sommer
wie wird mein Herbst sein?
Ein spätes Garbengold?
Ein Nebelsee?

About this transcription

TextPhantasus
Author Arno Holz
Extent67 images; 3219 tokens; 1452 types; 21901 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationPhantasus Erstes Heft Arno Holz. . [27] Bl. SassenbachBerlin1898.

Identification

Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, C40081

Physical description

Antiqua

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:27:53Z
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Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryZentral- und Landesbibliothek Berlin
ShelfmarkBerlin ZLB, C40081
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