Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.
Körperbeſchaffenheit und Sitten der Chaymas. — Ihre Sprachen.
Der Beſchreibung unſerer Reiſe nach den Miſſionen am Caripe wollte ich keine allgemeinen Betrachtungen über die Stämme der Eingeborenen, welche Neuandaluſien bewohnen, über ihre Sitten, ihre Sprache und ihren gemeinſamen Ur - ſprung einflechten. Jetzt, da wir wieder am Orte ſind, von dem wir ausgegangen, möchte ich alles dies, das für die Geſchichte des Menſchengeſchlechtes von ſo großer Bedeutung iſt, unter einem Geſichtspunkt zuſammenfaſſen. Je weiter wir von jetzt an ins Binnenland eindringen, deſto mehr wird uns das Intereſſe für dieſe Gegenſtände, den Erſcheinungen der phyſiſchen Natur gegenüber, in Anſpruch nehmen. Der nordöſtliche Teil des tropiſchen Amerikas, Terra Firma und die Ufer des Orinoko, gleichen hinſichtlich der Mannigfaltig - keit der Völkerſchaften, die ſie bewohnen, den Thälern des Kaukaſus, den Bergen des Hindu-khu, dem nördlichen Ende Aſiens, jenſeits der Tunguſen und Tataren, die an der Mün - dung des Lena hauſen. Die Barbarei, die in dieſen ver - ſchiedenen Landſtrichen herrſcht, iſt vielleicht nicht ſowohl der Ausdruck urſprünglicher völliger Kulturloſigkeit, als vielmehr die Folge langer Verſunkenheit. Die meiſten der Horden, die wir Wilde nennen, ſtammen wahrſcheinlich von Völkern, die einſt auf bedeutend höherer Kulturſtufe ſtanden, und wie ſoll man ein Stehenbleiben im Kindesalter der Menſchheit (wenn ein ſolches überhaupt vorkommt) vom Zuſtand ſittlichen Verfalles unterſcheiden, in dem Vereinzelung, die Not des Lebens, gezwungene Wanderungen, oder ein grauſames Klima jede Spur von Kultur ausgetilgt haben? Wenn alles, was ſich auf die urſprünglichen Zuſtände des Menſchen und auf die älteſte Bevölkerung eines Feſtlandes bezieht, an und für4 ſich der Geſchichte angehörte, ſo würden wir uns auf die indiſchen Sagen berufen, auf die Anſicht, die in den Geſetzen Manus und im Ramayana ſo oft ausgeſprochen wird, nach der die Wilden aus der bürgerlichen Geſellſchaft ausgeſtoßene, in die Wälder getriebene Stämme ſind. Das Wort Barbar, das wir von Griechen und Römern angenommen, iſt vielleicht nur der Name einer ſolchen verſunkenen Horde.
Zu Anfang der Eroberung Amerikas beſtanden große geſellſchaftliche Vereine unter den Eingeborenen nur auf dem Rücken der Kordilleren und auf den Aſien gegenüber liegenden Küſten. Auf den mit Wald bedeckten, von Flüſſen durch - ſchnittenen Ebenen, auf den endloſen Savannen, die ſich oft - wärts ausbreiten und den Horizont begrenzen, traf man nur umherziehende Völkerſchaften, getrennt durch Verſchiedenheit der Sprache und der Sitten, zerſtreut gleich den Trümmern eines Schiffbruchs. Wir wollen verſuchen, ob uns in Er - mangelung aller anderen Denkmale die Verwandtſchaft der Sprachen und die Beobachtung der Körperbildung dazu dienen können, die verſchiedenen Stämme zu gruppieren, die Spuren ihrer weiten Wanderungen zu verfolgen und ein paar jener Familienzüge aufzufinden, durch die ſich die urſprüngliche Einheit unſeres Geſchlechtes verrät.
Die Eingeborenen oder Ureinwohner bilden in den Län - dern, deren Gebirge wir vor kurzem durchwandert, in den beiden Provinzen Cumana und Nueva Barcelona, beinahe noch die Hälfte der ſchwachen Bevölkerung. Ihre Kopfzahl läßt ſich auf 60000 ſchätzen, wovon 24000 auf Neuanda - luſien kommen. Dieſe Zahl iſt bedeutend gegenüber der Stärke der Jägervölker in Nordamerika; ſie erſcheint klein, wenn man die Teile von Neuſpanien dagegen hält, wo ſeit mehr als acht Jahrhunderten der Ackerbau beſteht, z. B. die Intendanz Oaxaca, in der die Mixteca und Tzapoteca des alten mexikaniſchen Reiches liegen. Dieſe Intendanz iſt um ein Dritteil kleiner als die zwei Provinzen Cumana und Barcelona zuſammen, zählt aber über 400000 Einwohner von der reinen kupferfarbigen Raſſe. Die Indianer in Cumana leben nicht alle in den Miſſionsdörfern; man findet ſie zer - ſtreut in der Umgegend der Städte, auf den Küſten, wohin ſie des Fiſchfangs wegen ziehen, ſelbſt auf den kleinen Höfen in den Llanos oder Savannen. In den Miſſionen der ara - goneſiſchen Kapuziner, die wir beſucht, leben allein 15000 Indianer, die faſt ſämtlich dem Chaymasſtamm angehören. 5Indeſſen ſind die Dörfer dort nicht ſo ſtark bevölkert, wie in der Provinz Barcelona. Die mittlere Seelenzahl iſt nur 500 bis 600, während man weiter nach Weſten in den Miſſionen der Franziskaner von Piritu indianiſche Dörfer mit 2000 bis 3000 Einwohnern trifft. Wenn ich die Zahl der Eingeborenen in den Provinzen Cumana und Barcelona auf 60000 ſchätzte, ſo meinte ich nur die in Terra Firma lebenden, nicht die Guaikeri auf der Inſel Margarita und die große Maſſe der Guaraunen, die auf den Inſeln im Delta des Orinoko ihre Unabhängigkeit behauptet haben. Dieſe ſchätzt man gemeiniglich auf 6000 bis 8000; dies ſcheint mir aber zu viel. Außer den Guaraunenfamilien, die ſich hie und da auf den ſumpfigen, mit Morichepalmen bewachſenen Landſtrichen (zwiſchen dem Caño Manamo und dem Rio Guarapiche), alſo auf dem Feſtlande ſelbſt blicken laſſen, gibt es ſeit dreißig Jahren in Neuandaluſien keine wilden India - ner mehr.
Ungern brauche ich das Wort wild, weil es zwiſchen dem unterworfenen, in den Miſſionen lebenden, und dem freien oder unabhängigen Indianer einen Unterſchied in der Kultur vorausſetzt, dem die Erfahrung häufig widerſpricht. In den Wäldern Südamerikas gibt es Stämme Eingeborener, die unter Häuptlingen friedlich in Dörfern leben, auf ziemlich ausgedehntem Gebiete Piſang, Maniok und Baumwolle bauen und aus letzterer ihre Hängematten weben. Sie ſind um nichts barbariſcher als die nackten Indianer in den Miſſionen, die man das Kreuz hat ſchlagen lehren. Die irrige Meinung, als wären ſämtliche nicht unterworfene Eingeborene umher - ziehende Jägervölker, iſt in Europa ziemlich verbreitet. In Terra Firma beſtand der Ackerbau lange vor Ankunft der Europäer; er beſteht noch jetzt zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrome in den Lichtungen der Wälder, wohin nie ein Miſſionär den Fuß geſetzt hat. Das verdankt man aller - dings dem Regiment der Miſſionen, daß der Eingeborene Anhänglichkeit an Grund und Boden bekommt, ſich an feſten Wohnſitz gewöhnt und ein ruhigeres, friedlicheres Leben lieben lernt. Aber der Fortſchritt in dieſer Beziehung iſt langſam, oft unmerklich, weil man die Indianer völlig von allem Ver - kehr abſchneidet, und man macht ſich ganz falſche Vorſtellungen vom gegenwärtigen Zuſtande der Völker in Südamerika, wenn man einerſeits chriſtlich, unterworfen und civiliſiert, andererſeits heidniſch, wild und unabhängig für gleich -6 bedeutend hält. Der unterworfene Indianer iſt häufig ſo wenig ein Chriſt als der unabhängige Götzendiener; beide ſind völlig vom augenblicklichen Bedürfnis in Anſpruch ge - nommen, und bei beiden zeigt ſich in gleichem Maße voll - kommene Gleichgültigkeit gegen chriſtliche Vorſtellungen und der geheime Hang, die Natur und ihre Kräfte göttlich zu verehren. Ein ſolcher Gottesdienſt gehört dem Kindesalter der Völker an; er kennt noch keine Götzen und keine heiligen Orte außer Höhlen, Schluchten und Forſten.
Wenn die unabhängigen Indianer nördlich vom Orinoko und Apure, d. h. von den Schneebergen von Merida bis zum Vorgebirge Paria, ſeit einem Jahrhundert faſt ganz ver - ſchwunden ſind, ſo darf man daraus nicht ſchließen daß es jetzt in dieſen Ländern weniger Eingeborene gibt, als zur Zeit des Biſchofs von Chiapa, Bartholomäus Las Caſas. In meinem Werke über Mexiko habe ich dargethan, wie ſehr man irrt, wenn man die Ausrottung der Indianer oder auch nur die Abnahme ihrer Volkszahl in den ſpaniſchen Kolonieen als eine allgemeine Thatſache hinſtellt. Die kupferfarbige Raſſe iſt auf beiden Feſtländern Amerikas noch über ſechs Millionen ſtark, und obgleich unzählige Stämme und Sprachen ausgeſtorben ſind oder ſich verſchmolzen haben, ſo unterliegt es doch keinem Zweifel, daß zwiſchen den Wendekreiſen, in dem Teile der Neuen Welt, in den die Kultur erſt ſeit Chriſtoph Kolumbus eingedrungen iſt, die Zahl der Eingeborenen be - deutend zugenommen hat. Zwei karibiſche Dörfer in den Miſſionen von Piritu oder am Carony zählen mehr Familien als vier oder fünf Völkerſchaften am Orinoko. Die geſell - ſchaftlichen Zuſtände der unabhängig gebliebenen Kariben an den Quellen des Eſſequibo und ſüdlich von den Bergen von Pacaraima thun zur Genüge dar, wie ſehr auch bei dieſem ſchönen Menſchenſchlage die Bevölkerung der Miſſionen die Maſſe der unabhängigen und verbündeten Kariben überſteigt. Uebrigens verhält es ſich mit den Wilden im heißen Erd - ſtrich ganz anders als mit denen am Miſſouri. Dieſe be - dürfen eines weiten Gebietes, weil ſie nur von der Jagd leben; die Indianer in ſpaniſch Guyana dagegen bauen Maniok und Bananen, und ein kleines Stück Land reicht zu ihrem Unterhalt hin. Sie ſcheuen nicht die Berührung mit den Weißen, wie die Wilden in den Vereinigten Staaten, die, nacheinander hinter die Alleghanies, hinter Ohio und Miſſiſſippi zurückgedrängt, ſich den Lebensunterhalt in dem7 Maße abgeſchnitten ſehen, in dem man ihr Gebiet beſchränkt. In den gemäßigten Zonen, in den provincias internas von Mexiko ſo gut wie in Kentucky iſt die Berührung mit den europäiſchen Anſiedlern den Eingeborenen verderblich geworden, weil die Berührung dort eine unmittelbare iſt.
Im größten Teil von Südamerika fallen dieſe Urſachen weg. Unter den Tropen bedarf der Ackerbau keiner weiten Landſtrecken, und die Weißen breiten ſich langſam aus. Die Mönchsorden haben ihre Niederlaſſungen zwiſchen den Be - ſitzungen der Koloniſten und dem Gebiete der freien Indianer gegründet. Die Miſſionen ſind als Zwiſchenſtaaten zu be - trachten; ſie haben allerdings die Freiheit der Eingeborenen beſchränkt, aber faſt allerorten iſt durch ſie eine Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden, wie ſie beim Nomaden - leben der unabhängigen Indianer nicht möglich iſt.
Im Maße als die Ordensgeiſtlichen gegen die Wälder vor - rücken und den Eingeborenen Land abgewinnen, ſuchen ihrer - ſeits die weißen Anſiedler von der anderen Seite her das Gebiet der Miſſionen in Beſitz zu bekommen. Dabei ſucht der weltliche Arm fortwährend die unterworfenen Indianer dem Mönchsregiment zu entziehen. Nach einem ungleichen Kampfe treten allmählich Pfarrer an die Stelle der Miſſionäre. Weiße und Miſchlinge laſſen ſich, begünſtigt von den Korregi - doren, unter den Indianern nieder. Die Miſſionen werden zu ſpaniſchen Dörfern und die Eingeborenen wiſſen bald gar nicht mehr, daß ſie eine Volksſprache gehabt haben. So rückt die Kultur von der Küſte ins Binnenland vor, lang - ſam, durch menſchliche Leidenſchaften aufgehalten, aber ſicheren, gleichmäßigen Schrittes.
Die Provinzen Neuandaluſien und Barcelona, die man unter dem Namen Govierno de Cumana begreift, zählen in ihrer gegenwärtigen Bevölkerung mehr als vierzehn Völker - ſchaften; es ſind in Neuandaluſien die Chaymas, Guaikeri, Pariagoten, Quaqua, Aruaken, Kariben und Guaraunen; in der Provinz Barcelona die Cumanagoten, Palenques, Kariben, Piritu, Tomuzen, Topocuaren, Chacopoten und Guariven. Neun oder zehn unter dieſen vierzehn Völker - ſchaften glauben ſelbſt, daß ſie ganz verſchiedener Abſtammung ſind. Man weiß nicht genau, wie viele Guaraunen es gibt, die ihre Hütten an der Mündung des Orinoko auf Bäumen bauen; der Guaikeri in der Vorſtadt von Cumana und auf der Halbinſel Araya ſind es 2000 Köpfe. Unter den8 übrigen Völkerſchaften ſind die Chaymas in den Bergen von Caripe, die Kariben auf den ſüdlichen Savannen von Neu - barcelona und die Cumanagoten in den Miſſionen von Piritu die zahlreichſten. Einige Familien Guaraunen ſind auf dem linken Ufer des Orinoko, da wo das Delta beginnt, der Miſſionszucht unterworfen worden. Die Sprachen der Gua - raunen, Kariben, Cumanagoten und Chaymas ſind die ver - breitetſten. Wir werden bald ſehen, daß ſie demſelben Sprach - ſtamme anzugehören ſcheinen und in ihren grammatiſchen For - men ſo nahe verwandt ſind, wie, um bekanntere Sprachen zur Vergleichung herbeizuziehen, das Griechiſche, Deutſche, Perſiſche und Sanskrit.
Trotz dieſer Verwandtſchaft ſind die Chaymas, Guarau - nen, Kariben, Quaqua, Aruaken und Cumanagoten als verſchiedene Völker zu betrachten. Von den Guaikeri, Paria - goten, Piritu, Tomuzen und Chacopoten wage ich nicht das Gleiche zu behaupten. Die Guaikeri geben ſelbſt zu, daß ihre Sprache und die der Guaraunen einander nahe ſtehen. Beide ſind Küſtenvölker, wie die Malaien in der Alten Welt. Was die Stämme betrifft, die gegenwärtig die Mundarten der Cumanagoten, Kariben und Chaymas haben, ſo läßt ſich über ihre urſprüngliche Abſtammung und ihr Verhältnis zu anderen, ehemals mächtigeren Völkern ſchwer etwas ausſagen. Der Geſchichtſchreiber der Eroberung, wie die Geiſtlichen, welche die Entwickelung der Miſſionen be - ſchrieben haben, verwechſeln, nach der Weiſe der Alten, immer geographiſche Bezeichnungen mit Stammnamen. Sie ſprechen von Indianern von Cumana und von der Küſte von Paria, als ob die Nachbarſchaft der Wohnſitze gleiche Abſtammung bewieſe. Meiſt benennen ſie ſogar die Stämme nach ihren Häuptlingen, nach dem Berg oder dem Thale, die ſie bewohnen. Dadurch häuft ſich die Zahl der Völkerſchaften ins Unend - liche und werden alle Angaben der Miſſionäre über die un - gleichartigen Elemente in der Bevölkerung ihrer Miſſionen in hohem Grade ſchwankend. Wie will man jetzt ausmachen, ob der Tomuze und der Piritu verſchiedener Abſtammung ſind, da beide cumanagotiſch ſprechen, was im weſtlichen Teile des Govierno de Cumana die herrſchende Sprache iſt, wie die der Kariben und der Chaymas im ſüdlichen und öſtlichen? Durch die große Uebereinſtimmung in der Körperbildung werden Unterſuchungen derart ſehr ſchwierig. Die beiden Kontinente verhalten ſich in dieſer Beziehung völlig verſchie -9 den; auf dem neuen findet man eine erſtaunliche Mannig - faltigkeit von Sprachen bei Völkern desſelben Urſprungs, die der Reiſende nach ihrer Körperlichkeit kaum zu unterſcheiden vermag; in der Alten Welt dagegen ſprechen körperlich un - gemein verſchiedene Völker, Lappen, Finnen und Eſthen, die germaniſchen Völker und die Hindu, die Perſer und die Kurden Sprachen, die im Bau und in den Wurzeln die größte Aehn - lichkeit miteinander haben.
Die Indianer in den Miſſionen treiben ſämtlich Acker - bau, und mit Ausnahme derer, die in den hohen Gebirgen leben, bauen alle dieſelben Gewächſe; ihre Hütten ſtehen am einen Orte in Reihen wie am anderen; die Einteilung ihres Tagewerkes, ihre Arbeit im Gemeindeconuco, ihr Verhältnis zu den Miſſionären und den aus ihrer Mitte gewählten Be - amten, alles iſt nach Vorſchriften geordnet, die überall gelten. Und dennoch — und dies iſt eine höchſt merkwürdige Beobach - tung in der Geſchichte der Völker — war dieſe große Gleich - förmigkeit der Lebensweiſe nicht imſtande die individuellen Züge, die Schattierungen, durch welche ſich die amerikaniſchen Völkerſchaften unterſcheiden, zu verwiſchen. Der Menſch mit kupferfarbiger Haut zeigt eine geiſtige Starrheit, ein zähes Feſthalten an den bei jedem Stamme wieder anders gefärbten Sitten und Gebräuchen, das der ganzen Raſſe recht eigentlich den Stempel aufdrückt. Dieſen Charakterzügen begegnet man unter allen Himmelsſtrichen vom Aequator bis zur Hudſons - bai und bis zur Magelhaensſchen Meerenge; ſie ſind bedingt durch die phyſiſche Organiſation der Eingeborenen, aber die mönchiſche Zucht leiſtet ihnen weſentlich Vorſchub.
Es gibt in den Miſſionen nur wenige Dörfer, wo die Familien verſchiedenen Völkerſchaften angehören und nicht dieſelbe Sprache reden. Aus ſo verſchiedenartigen Elementen beſtehende Gemeinheiten ſind ſchwer zu regieren. Meiſt haben die Mönche ganze Nationen oder doch bedeutende Stücke derſelben Nation in nahe bei einander gelegenen Dörfern untergebracht. Die Eingeborenen ſehen nur Leute ihres eigenen Stammes; denn Hemmung des Verkehres, Vereinzelung, das iſt ein Hauptartikel in der Staatskunſt der Miſſionäre. Bei den unterworfenen Chaymas, Kariben, Tamanacas erhalten ſich die nationalen Eigentümlichkeiten um ſo mehr, da ſie auch noch ihre Sprachen beſitzen. Wenn ſich die Individualität des Menſchen in den Mundarten gleichſam abſpiegelt, ſo wirken dieſe wieder auf Gedanken und Empfindung zurück. 10Durch dieſen innigen Verband zwiſchen Sprache, Volkscharakter und Körperbildung erhalten ſich die Völker einander gegenüber in ihrer Verſchiedenheit und Eigentümlichkeit, und dies iſt eine unerſchöpfliche Quelle von Bewegung und Leben in der geiſtigen Welt.
Die Miſſionäre konnten den Indianern gewiſſe alte Ge - bräuche bei der Geburt eines Kindes, beim Mannbarwerden, bei der Beſtattung der Toten verbieten; ſie konnten es dahin bringen, daß ſie ſich nicht mehr die Haut bemalten oder in Kinn, Naſe und Wangen Einſchnitte machten; ſie konnten beim großen Haufen die abergläubiſchen Vorſtellungen aus - rotten, die in manchen Familien im geheimen ſich forterben; aber es war leichter, Gebräuche abzuſtellen und Erinnerungen zu verwiſchen, als die alten Vorſtellungen durch neue zu er - ſetzen. In den Miſſionen iſt dem Indianer ſein Lebens - unterhalt geſicherter als zuvor. Er liegt nicht mehr in be - ſtändigem Kampfe mit feindlichen Gewalten, mit Menſchen und Elementen, und führt ſo dem wilden, unabhängigen Indianer gegenüber ein einförmigeres, unthätigeres, der Ent - wickelung der Geiſtes - und Gemütskraft weniger günſtiges Leben. Wenn er gutmütig iſt, ſo kommt dies nur daher, weil er die Ruhe liebt, nicht weil er gefühlvoll iſt und ge - mütlich. Wo er außer Verkehr mit den Weißen auch all den Gegenſtänden fern geblieben iſt, welche die Kultur der Neuen Welt zugebracht, hat ſich der Kreis ſeiner Vorſtellungen nicht erweitert. Alle ſeine Handlungen ſcheinen nur durch das augenblickliche Bedürfnis beſtimmt zu werden. Er iſt ſchweigſam, verdroſſen, in ſich gekehrt, ſeine Miene iſt ernſt, geheimnisvoll. Wer nicht lange in den Miſſionen gelebt hat und an das Ausſehen der Eingeborenen nicht gewöhnt iſt, hält ihre Trägheit und geiſtige Starrheit leicht für den Aus - druck der Schwermut und des Tiefſinns.
Ich habe die Charakterzüge des Indianers und die Ver - änderungen, die ſein Weſen unter der Zucht der Miſſionäre erleidet, ſo ſcharf hervorgehoben, um den einzelnen Beobach - tungen, die den Inhalt dieſes Abſchnittes bilden ſollen, mehr Intereſſe zu geben. Ich beginne mit der Nation der Chay - mas, deren über 15000 in den oben beſchriebenen Miſſionen leben. Dieſe nicht ſehr kriegeriſche Nation, welche Pater Francisco de Pamplona um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Zucht zu nehmen anfing, hat gegen Weſt die Cumana - goten, gegen Oſt die Guaraunen, gegen Süd die Kariben zu11 Nachbarn. Sie wohnt entlang dem hohen Gebirge des Cocollar und Guacharo an den Ufern des Guarapiche, des Rio Colo - rado, des Areo und des Caño de Caripe. Nach der genauen ſtatiſtiſchen Aufnahme des Paters Präfekten zählte man im Jahre 1792 in den Miſſionen der aragoneſiſchen Kapuziner in Cumana neunzehn Miſſionsdörfer; das jüngſte iſt von 1728, und ſie zählten 6433 Einwohner in 1465 Haushal - tungen; ſechzehn Dörfer de doctrina; das älteſte iſt von 1660, und ſie hatten 8170 Einwohner in 1766 Familien.
Dieſe Miſſionen hatten in den Jahren 1681, 1697 und 1720 viel zu leiden; die damals noch unabhängigen Kariben machten Einfälle und brannten ganze Dörfer nieder. Zwiſchen den Jahren 1730 und 1736 ging die Bevölkerung zurück in - folge der Verheerungen durch die Blattern, die der kupfer - farbigen Raſſe immer verderblicher ſind als den Weißen. Viele Guaraunen, die bereits angeſiedelt waren, entliefen wieder in ihre Sümpfe. Vierzehn alte Miſſionen blieben wüſte liegen oder wurden nicht wieder aufgebaut.
Die Chaymas ſind meiſt von kleinem Wuchſe; dies fällt namentlich auf, wenn man ſie nicht mit ihren Nachbarn, den Kariben, oder den Payaguas und Guayquilit in Paraguay, die ſich alle durch hohen Wuchs auszeichnen, ſondern nur mit den Eingeborenen Amerikas im Durchſchnitt vergleicht. Die Mittelgröße eines Chaymas beträgt 1 m 57 cm. Ihr Körper iſt gedrungen, unterſetzt, die Schultern ſind ſehr breit, die Bruſt flach, alle Glieder rund und fleiſchig. Ihre Hautfarbe iſt die der ganzen amerikaniſchen Raſſe von den kalten Hoch - ebenen Quitos und Neugranadas bis herab zu den heißen Tiefländern am Amazonenſtrom. Die klimatiſchen Unterſchiede äußern keinen Einfluß mehr auf dieſelbe; ſie iſt durch orga - niſche Verhältniſſe bedingt, die ſich ſeit Jahrhunderten unab - änderlich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortpflanzen. Gegen Nord wird die gleichförmige Hautfarbe röter, dem Kupfer ähnlicher; bei dem Chaymas dagegen iſt ſie dunkelbraun und nähert ſich dem Lohfarbigen. Der Ausdruck „ kupferfarbige Menſchen “zur Bezeichnung der Eingeborenen wäre im tropiſchen Amerika niemals aufgekommen.
Der Geſichtsausdruck der Chaymas iſt nicht eben hart und wild, hat aber doch etwas Ernſtes, Finſteres. Die Stirn iſt klein, wenig gewölbt; daher heißt es auch in mehreren Sprachen dieſes Landſtriches von einem ſchönen Weibe, „ ſie ſei fett und habe eine ſchmale Stirne “. Die Augen der12 Chaymas ſind ſchwarz, tiefliegend und ſtark in die Länge gezogen; ſie ſind weder ſo ſchief geſtellt noch ſo klein wie bei den Völkern mongoliſcher Raſſe, von denen Jornandes ſagt, ſie haben „ vielmehr Punkte als Augen “, magis puncta quam lumina. Indeſſen iſt der Augenwinkel den Schläfen zu dennoch merklich in die Höhe gezogen; die Augenbrauen ſind ſchwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geſchweift; die Augen - lider haben ſehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, ſie wie ſchläfrig niederzuſchlagen, gibt dem Blick der Weiber etwas Sanftes und läßt das verſchleierte Auge kleiner er - ſcheinen, als es wirklich iſt. Wenn die Chaymas, wie über - haupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuſpaniens, durch die Form der Augen, die vorſpringenden Backenknochen, das ſtraffe, glatte Haar, den faſt gänzlich mangelnden Bart ſich der mongoliſchen Raſſe nähern, ſo unterſcheiden ſie ſich von derſelben auffallend durch die Form der Naſe, die ziemlich lang iſt, der ganzen Länge nach vorſpringt und bei den Naſenlöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet ſind wie bei den Völkern kaukaſiſcher Raſſe. Der große Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen gutmütigen Ausdruck. Zwiſchen Naſe und Mund laufen bei beiden Geſchlechtern zwei Furchen von den Naſenlöchern gegen die Mundwinkel. Das Kinn iſt ſehr kurz und rund; die Kinnladen ſind auffallend ſtark und breit.
Die Zähne ſind bei den Chaymas ſchön und weiß wie bei allen Menſchen von einfacher Lebensweiſe, aber lange nicht ſo ſtark wie bei den Negern. Den erſten Reiſenden war der Brauch aufgefallen, mit gewiſſen Pflanzenſäften und Aetzkalk die Zähne ſchwarz zu färben; gegenwärtig weiß man nichts mehr davon. Die Völkerſtämme in dieſem Landſtrich ſind, namentlich ſeit den Einfällen der Spanier, welche Sklaven - handel trieben, ſo hin und her geſchoben worden, daß die Ein - wohner von Paria, die Chriſtoph Kolumbus und Ojeda ge - ſehen, ohne Zweifel nicht vom ſelben Stamme waren wie die Chaymas. Ich bezweifle ſehr, daß der Brauch des Schwärzens der Zähne, wie Gomara behauptet, mit ſeltſamen Schönheits - begriffen1Die Völker, welche die Spanier auf der Küſte von Paria antrafen, hatten wahrſcheinlich den Gebrauch, die Geſchmacksorgane mit Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Kakaoblätter oder Betel brauchen. Dieſe Sitte herrſcht noch jetzt auf derſelben zuſammenhängt, oder daß es ein Mittel gegen13 Zahnſchmerzen ſein ſollte. Von dieſem Uebel wiſſen die In - dianer ſo gut wie nichts; auch die Weißen in den ſpaniſchen Kolonieen, wenigſtens in den heißen Landſtrichen, wo die Tem - peratur ſo gleichförmig iſt, leiden ſelten daran. Auf dem Rücken der Kordilleren, in Santa Fé und Popayan ſind ſie demſelben mehr ausgeſetzt.
Die Chaymas haben, wie faſt alle eingeborenen Völker, die ich geſehen, kleine, ſchmale Hände. Ihre Füße aber ſind groß, und die Zehen bleiben beweglicher als gewöhnlich. Alle Chaymas ſehen einander ähnlich wie nahe Verwandte, und dieſe gleichförmige Bildung, die von den Reiſenden ſo oft hervorgehoben worden iſt, wird deſto auffallender, als ſich bei ihnen zwiſchen dem zwanzigſten und fünfzigſten Jahre das Alter nicht durch Hautrunzeln, durch graues Haar oder Hinfälligkeit des Körpers verrät. Tritt man in eine Hütte, ſo kann man oft unter den Erwachſenen kaum den Vater vom Sohn, die eine Generation von der anderen unterſcheiden. Nach meiner Anſicht beruht dieſer Familienzug auf zwei ſehr verſchiedenen Momenten: auf den örtlichen Verhältniſſen der indianiſchen Völkerſchaften und auf der niedrigen Stufe ihrer geiſtigen Entwickelung. Die wilden Völker zerfallen in eine Unzahl von Stämmen, die ſich tödlich haſſen und niemals Ehen unter - einander ſchließen, ſelbſt wenn ihre Mundarten demſelben Sprachſtamme angehören und nur ein kleiner Flußarm oder eine Hügelkette ihre Wohnſitze trennt. Je weniger zahlreich die Stämme ſind, deſto mehr muß ſich, wenn ſich jahrhunderte - lang dieſelben Familien miteinander verbinden, eine gewiſſe gleichförmige Bildung, ein organiſcher, recht eigentlich natio - naler Typus feſtſetzen. 1S. Tacitus Germania. Kap. 4.Dieſer Typus erhält ſich unter der Zucht der Miſſionen, die nur eine Völkerſchaft unter der Ob - hut haben. Die Vereinzelung iſt ſo ſtark wie früher; Ehen werden nur unter Angehörigen derſelben Dorfſchaft geſchloſſen. Für dieſe Blutsverwandtſchaft, welche ſo ziemlich um eine1Küſte, nur weiter oſtwärts, bei den Goajiros an der Mündung des Rio la Hacha. Dieſe Indianer, die wild geblieben ſind, führen das Pulver von kleinen calcinierten Muſchelſchalen in einer Frucht, die als Kapſel dient, am Gürtel. Dieſes Pulver des Goajiros iſt ein Handelsartikel, wie früher, nach Gomara, das der Indianer in Paria. In Europa werden die Zähne vom übermäßigen Tabak - rauchen gleichfalls gelb und ſchwarz. Wäre der Schluß richtig, man rauche bei uns, weil man gelbe Zähne ſchöner finde als weiße?14 ganze Völkerſchaft ein Band ſchlingt, hat die Sprache der Indianer, die in den Miſſionen geboren ſind oder erſt nach ihrer Aufnahme aus den Wäldern ſpaniſch gelernt haben, einen naiven Ausdruck. Wenn ſie von Leuten ſprechen, die zum ſelben Stamme gehören, ſagen ſie mis parientes, meine Verwandten.
Zu dieſen Urſachen, die ſich nur auf die Vereinzelung beziehen, deren Einfluß ſich ja auch bei den europäiſchen Juden, bei den indiſchen Kaſten und allen Gebirgsvölkern bemerklich macht, kommen nun noch andere, bisher weniger beachtete. Ich habe ſchon früher bemerkt, daß es vorzüglich die Geiſtes - bildung iſt, was Menſchengeſichter voneinander verſchieden macht. Barbariſche Nationen haben viel mehr eine Stamm - oder Hordenphyſiognomie, als eine, die dieſem oder jenem Individuum zukäme. Der wilde Menſch verhält ſich hierin dem gebildeten gegenüber wie die Tiere einer und derſelben Art, die zum Teil in der Wildnis leben, während die anderen in der Umgebung des Menſchen gleichſam an den Segnungen und den Uebeln der Kultur teilnehmen. Abweichungen in Körperbau und Farbe kommen nur bei den Haustieren häufig vor. Welcher Abſtand, was Beweglichkeit der Züge und mannig - faltigen phyſiognomiſchen Ausdruck betrifft, zwiſchen den Hun - den, die in der Neuen Welt wieder verwildert ſind, und den Hunden in einem wohlhabenden Hauſe, deren geringſte Launen man befriedigt! Beim Menſchen und bei den Tieren ſpiegeln ſich die Regungen der Seele in den Zügen ab, und die Züge werden deſto beweglicher, je häufiger, mannigfaltiger und an - dauernder die Empfindungen ſind. Aber der Indianer in den Miſſionen, von aller Kultur abgeſchnitten, wird allein vom phyſiſchen Bedürfnis beſtimmt, und da er dieſes im herr - lichen Klima faſt mühelos befriedigt, führt er ein träges, ein - förmiges Leben. Unter den Gemeindegliedern herrſcht die vollkommenſte Gleichheit, und dieſe Einförmigkeit, dieſe Starr - heit der Verhältniſſe drückt ſich auch in den Geſichtszügen der Indianer aus.
Unter der Zucht der Mönche wandeln heftige Leiden - ſchaften, wie Groll und Zorn, den Eingeborenen ungleich ſeltener an, als wenn er in den Wäldern lebt. Wenn der wilde Menſch ſich raſchen, heftigen Gemütsbewegungen über - läßt, ſo wird ſein bis dahin ruhiges, ſtarres Geſicht auf ein - mal krampfhaft verzerrt; aber ſeine Aufregung geht um ſo raſcher vorüber, je ſtärker ſie iſt. Beim Indianer in den15 Miſſionen dagegen iſt, wie ich am Orinoko oft beobachten konnte, der Zorn nicht ſo heftig, nicht ſo offen, aber er hält länger an. Uebrigens iſt es auf allen Stufen menſchlicher Entwickelung nicht die Stärke oder die augenblickliche Ent - feſſelung der Leidenſchaften, was den Zügen den eigentlichen Ausdruck gibt, ſondern vielmehr jene Reizbarkeit der Seele, die uns in beſtändiger Berührung mit der Außenwelt erhält, Zahl und Maß unſerer Schmerzen und unſerer Freuden ſteigert und auf Phyſiognomie, Sitten und Sprache zugleich zurückwirkt. Wenn Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit der Züge das belebte Naturreich verſchönern, ſo iſt auch nicht zu leugnen, daß beide zwar nicht allein Produkte der Kultur ſind, wohl aber mit ihr ſich ſteigern. In der großen Völker - familie kommen dieſe Vorzüge keiner Raſſe in höherem Maße zu als der kaukaſiſchen oder europäiſchen. Nur beim weißen Menſchen tritt das Blut plötzlich in das Gewebe der Haut und tritt damit jener leiſe Wechſel der Geſichtsfarbe ein, der den Ausdruck der Gemütsbewegungen ſo bedeutend verſtärkt. „ Wie ſoll man Menſchen trauen, die nicht rot werden können? “ſagt der Europäer in ſeinem eingewurzelten Haſſe gegen den Neger und den Indianer. Man muß übrigens zugeben, daß dieſe Starrheit der Züge nicht allen Raſſen mit ſehr dunkel gefärbter Haut zukommt; ſie iſt beim Afrikaner lange nicht ſo bedeutend wie bei den eingeborenen Amerikanern.
Dieſer phyſiſchen Schilderung der Chaymas laſſen wir einige allgemeine Bemerkungen über ihre Lebensweiſe und ihre Sitten folgen. Da ich die Sprache des Volkes nicht verſtehe, kann ich keinen Anſpruch darauf machen, während meines nicht ſehr langen Aufenthaltes in den Miſſionen ihren Charakter durchgängig kennen gelernt zu haben. So oft im folgenden von den Indianern die Rede iſt, ſtelle ich das, was wir von den Miſſionären erfahren, neben das Wenige, was wir ſelbſt beobachten konnten.
Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in ſehr heißen Ländern, eine entſchiedene Abneigung gegen Kleider. Von mittelalterlichen Schriftſtellern hören wir, daß im nörd - lichen Europa die Hemden und Beinkleider, welche die Miſ - ſionäre austeilten, nicht wenig zur Bekehrung der Heiden bei - getragen haben. In der heißen Zone dagegen ſchämen ſich die Eingeborenen, wie ſie ſagen, daß ſie Kleider tragen ſollen, und ſie laufen in die Wälder, wenn man ſie zu frühe nötigt, ihr Nacktgehen aufzugeben. Bei den Chaymas bleiben, trotz16 des Eiferns der Mönche, Männer und Weiber im Inneren der Häuſer nackt. Wenn ſie durch das Dorf gehen, tragen ſie eine Art Hemd aus Baumwollenzeug, das kaum bis zum Knie reicht. Bei den Männern hat dasſelbe Aermel, bei den Weibern und den Jungen bis zum zehnten, zwölften Jahre bleiben Arme, Schultern und der obere Teil der Bruſt frei. Das Hemd iſt ſo geſchnitten, daß Vorderſtück und Rückenſtück durch zwei ſchmale Bänder auf der Schulter zuſammenhängen. Es kam vor, daß wir Eingeborenen außerhalb der Miſſion begegneten, die, namentlich bei Regenwetter, ihr Hemd aus - gezogen hatten und es aufgerollt unter dem Arm trugen. Sie wollten ſich lieber auf den bloßen Leib regnen als ihre Kleider naß werden laſſen. Die älteſten Weiber verſteckten ſich dabei hinter die Bäume und ſchlugen ein lautes Gelächter auf, wenn wir an ihnen vorüber kamen. Die Miſ - ſionäre klagen meiſt, daß Scham und Gefühl für das An - ſtändige bei den jungen Mädchen nicht viel entwickelter ſeien als bei den Männern. Schon Ferdinand Kolumbus erzählt, ſein Vater habe im Jahr 1498 auf der Inſel Trinidad völlig nackte Weiber angetroffen, während die Männer den Guayuco trugen, der viel mehr eine ſchmale Binde iſt als eine Schürze. Zur ſelben Zeit unterſchieden ſich auf der Küſte von Paria die Mädchen von den verheirateten Weibern dadurch, daß ſie, wie Kardinal Bembo behauptet, ganz nackt gingen, oder, nach Gomara, dadurch, daß ſie einen anders gefärbten Guayuco trugen. Dieſe Binde, die wir noch bei den Chaymas und allen nackten Völkerſchaften am Orinoko angetroffen, iſt nur 5 bis 7 cm breit und wird mit beiden Enden an einer Schnur befeſtigt, die mitten um den Leib gebunden iſt. Die Mädchen heiraten häufig mit zwölf Jahren; bis zum neunten geſtatten ihnen die Miſſionäre, nackt, das heißt ohne Hemd, zur Kirche zu kommen. Ich brauche hier nicht daran zu erinnern, daß bei den Chaymas, wie in allen ſpaniſchen Miſſionen und india - niſchen Dörfern, die ich beſucht, Beinkleider, Schuhe und Hut Luxusartikel ſind, von denen die Eingeborenen nichts wiſſen. Ein Diener, der uns auf der Reiſe nach Charipe und an den Orinoko begleitet, und den ich mit nach Frankreich gebracht, konnte ſich, nachdem wir ans Land geſtiegen, nicht genug ver - wundern, als er einen Bauern mit dem Hut auf dem Kopf ackern ſah, und er glaubte „ in einem armſeligen Lande zu ſein, wo ſogar die Edelleute (los mismos caballeros) hinter dem Pfluge gehen “.
17Die Weiber der Chaymas ſind nach unſeren Schönheits - begriffen nicht hübſch; indeſſen haben die jungen Mädchen etwas Sanftes und Wehmütiges im Blick, das von dem ein wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm abſticht. Die Haare tragen ſie in zwei lange Zöpfe geflochten. Die Haut bemalen ſie ſich nicht und kennen in ihrer Armut keinen anderen Schmuck als Hals - und Armbänder aus Muſcheln, Vögelknochen und Fruchtkernen. Männer und Weiber ſind ſehr muskulös, aber der Körper iſt fleiſchig mit runden Formen. Ich brauche kaum zu ſagen, daß mir nie ein Individuum mit einer natürlichen Mißbildung aufgeſtoßen iſt; dasſelbe gilt von den vielen tauſend Kariben, Muyscas, Mexikanern und Peruanern, die wir in fünf Jahren geſehen. Dergleichen Mißbildungen ſind bei gewiſſen Raſſen ungemein ſelten, beſonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe ſtark gefärbt iſt. Ich kann nicht glauben, daß ſie allein Folgen höherer Kultur, einer weichlicheren Lebensweiſe und der Sitten - verderbnis ſind. In Europa heiratet ein ſehr buckeliges oder ſehr häßliches Mädchen, wenn ſie Vermögen hat, und die Kinder erben häufig die Mißbildung der Mutter. Im wilden Zuſtand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrſcht, kann nichts einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder ſehr Kränkliche zum Weibe zu nehmen. Hat eine ſolche das ſeltene Glück, daß ſie das Alter der Reife erreicht, ſo ſtirbt ſie ſicher kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden ſeien alle ſo wohlgebildet und ſo kräftig, weil die ſchwächlichen Kinder aus Verwahrloſung frühe wegſterben und nur die kräftigen am Leben bleiben; aber dies kann nicht von den Indianern in den Miſſionen gelten, welche die Sitten unſerer Bauern haben, noch auch von den Mexikanern in Cholula und Tlascala, die in einem Wohlſtand leben, den ſie von civiliſierteren Vor - fahren ererbt. Wenn die kupferfarbige Raſſe auf allen Kultur - ſtufen dieſelbe Starrheit zeigt, dieſelbe Unfähigkeit, vom ur - ſprünglichen Typus abzuweichen, ſo müſſen wir darin doch wohl großenteils angeborene Anlage erblicken, das, worin eben der eigentümliche Raſſencharakter beſteht. Ich ſage abſichtlich: großenteils weil ich den Einfluß der Kultur nicht ganz aus - ſchließen möchte. Beim kupferfarbigen Menſchen, wie beim Weißen, wird der Körper durch Luxus und Weichlichkeit ge - ſchwächt, und aus dieſem Grunde waren früher Mißbildungen in Cuzco und Tenochtitlan häufiger; aber unter den heutigen Mexikanern, die alle Landbauern ſind und in der größtenA. v. Humboldt, Reiſe. II. 218Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge und Buckeligen aufgetrieben, die Bernal Diaz bei ſeiner Mahlzeit erſcheinen ſah.
Die Sitte des frühzeitigen Heiratens iſt, wie die Ordens - geiſtlichen bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus nicht nachteilig. Dieſe frühe Mannbarkeit iſt Raſſencharakter und keineswegs Folge des heißen Klimas; ſie kommt ja auch auf der Nordweſtküſte von Amerika, bei den Eskimo vor, ſo - wie in Aſien bei den Kamtſchadalen und Korjäken, wo häufig zehnjährige Mädchen Mütter ſind. Man kann ſich nur wundern, daß die Tragezeit, die Dauer der Schwangerſchaft ſich im geſunden Zuſtande bei keiner Raſſe und in keinem Klima verändert.
Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie die Tunguſen und andere Völker mongoliſcher Raſſe. Die wenigen Haare, die ſproſſen, reißen ſie aus; aber im all - gemeinen iſt es unrichtig, wenn man behauptet, ſie haben nur deshalb keinen Bart, weil ſie denſelben ausraufen. Auch ohne dieſen Brauch wären die Indianer größtenteils ziemlich bartlos. Ich ſage größtenteils, denn es gibt Völkerſchaften, die in dieſer Beziehung ganz vereinzelt neben den anderen ſtehen und deshalb um ſo mehr Aufmerkſamkeit verdienen. Hierher gehören in Nordamerika die Chipewyans, die Mackenzie beſucht hat, und die Yabipais bei den toltekiſchen Ruinen von Moqui, beide mit dichtem Bart, in Südamerika die Pata - gonen und Guarani. Unter letzteren ſieht man einzelne ſogar mit behaarter Bruſt. Wenn die Chaymas, ſtatt ſich den dünnen Kinnbart auszuraufen, ſich häufig raſieren, ſo wächſt der Bart ſtärker. Solches ſah ich mit Erfolg junge Indianer thun, die als Meßdiener lebhaft wünſchten, den Vätern Kapu - zinern, ihren Miſſionären und Meiſtern zu gleichen. Beim Volk im ganzen aber iſt und bleibt der Bart in dem Maße verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren ſteht. Dieſer Widerwille fließt aus derſelben Quelle wie die Vorliebe für abgeflachte Stirnen, die an den Bildniſſen aztekiſcher Gott - heiten und Helden in ſo ſeltſamer Weiſe zu Tage kommt. Den Völkern gilt immer für ſchön, was ihre eigene Körper - bildung, ihre Nationalphyſiognomie beſonders auszeichnet. 1So übertrieben die Griechen bei ihren ſchönſten Statuen die Stirnbildung, indem ſie den Geſichtswinkel zu groß annahmen.19Da ihnen nun die Natur ſehr wenig Bart, eine ſchmale Stirn und eine rotbraune Haut gegeben hat, ſo hält ſich jeder für deſto ſchöner, je weniger ſein Körper behaart, je flacher ſein Kopf, je lebhafter ſeine Haut mit Roucou, Chica oder irgend einer kupferroten Farbe bemalt iſt.
Die Lebensweiſe der Chaymas iſt höchſt einförmig. Sie legen ſich regelmäßig um ſieben Uhr abends nieder und ſtehen lange vor Tag, um halb fünf Uhr morgens, auf. Jeder Indianer hat ein Feuer bei ſeiner Hängematte. Die Weiber ſind ſo froſtig, daß ich ſie in der Kirche vor Kälte zittern ſah, wenn der hundertteilige Thermometer noch auf 18° ſtand. Im Inneren ſind die Hütten der Indianer äußerſt ſauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit Maniok oder gegorenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, alles befindet ſich in der ſchönſten Ordnung. Männer und Weiber baden täglich, und da ſie faſt immer nackt gehen, ſo kann bei ihnen die Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen Volk in kalten Ländern vorzugsweiſe von den Kleidern her - rührt. Außer dem Haus im Dorfe haben ſie meiſt auf ihren Conucos, an einer Quelle oder am Eingang einer recht einſamen Schlucht, eine mit Palm - und Bananenblättern ge - deckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich ſie auf dem Conuco weniger bequem leben, halten ſie ſich doch dort auf, ſo oft ſie nur können. Schon oben gedachten wir ihres un - widerſtehlichen Triebes, die Geſellſchaft zu fliehen und zum Leben in der Wildnis zurückzukehren. Die kleinſten Kinder entlaufen nicht ſelten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmkohl und Wurzeln ſich nährend. Wenn man in den Miſſionen reiſt, ſieht man häufig die Dörfer faſt ganz leer ſtehen, weil die Einwohner in ihren Gärten ſind oder auf der Jagd, al monte. Bei den civiliſierten Völkern fließt wohl die Jagdluſt zum Teil aus denſelben moraliſchen Quellen, aus dem Reiz der Einſamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen Eindruck, den die Natur überall auf den Menſchen macht, wo er ſich ihr allein gegenüberſieht.
Entbehrung und Leiden ſind auch bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbariſchen Völkern, das Los der Weiber. Die ſchwerſte Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas abends aus ihrem Garten heimkommen ſahen, trug der Mann nichts als das Meſſer (Machete), mit dem er ſich einen Weg durch das Geſträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter20 einer gewaltigen Laſt Bananen und trug ein Kind auf dem Arm, und zwei andere ſaßen nicht ſelten oben auf dem Bündel. Trotz dieſer geſellſchaftlichen Unterordnung ſchienen mir die Weiber der ſüdamerikaniſchen Indianer glücklicher als die der Wilden im Norden. Zwiſchen den Alleghanies und dem Miſſiſ - ſippi werden überall, wo die Eingeborenen nicht größten - teils von der Jagd leben, Mais, Bohnen und Kürbiſſe nur von den Weibern gebaut; der Mann gibt ſich mit dem Acker - bau gar nicht ab. In der heißen Zone gibt es nur ſehr wenige Jägervölker, und in den Miſſionen arbeiten die Män - ner im Felde ſo gut wie die Weiber.
Man macht ſich keinen Begriff davon, wie ſchwer die Indianer Spaniſch lernen. Sie haben einen Abſcheu davor, ſolange ſie mit den Weißen nicht in Berührung kommen und ihnen der Ehrgeiz fremd bleibt, civiliſierte Indianer zu heißen, oder, wie man ſich in den Miſſionen ausdrückt, latiniſierte Indianer, Indios muy latinos. Was mir aber nicht allein bei den Chaymas, ſondern in allen ſehr entlegenen Miſſionen, die ich ſpäter beſucht, am meiſten auffiel, das iſt, daß es den Indianern ſo ungemein ſchwer wird, die einfachſten Ge - danken zuſammenzubringen und auf ſpaniſch auszudrücken, ſelbſt wenn ſie die Bedeutung der Worte und den Satzbau ganz gut kennen. Man ſollte ſie für noch einfältiger halten als Kinder, wenn ein Weißer ſie über Gegenſtände befragt, mit denen ſie von Kindesbeinen an vertraut ſind. Die Miſ - ſionäre verſichern, dieſes Stocken ſei nicht Folge der Schüchtern - heit; bei den Indianern, die täglich ins Haus des Miſſionärs kommen und bei der öffentlichen Arbeit die Aufſicht führen, ſei es keineswegs natürliche Beſchränktheit, ſondern nur Un - vermögen, den Mechanismus einer von ihren Landesſprachen abweichenden Sprache zu handhaben. Je unkultivierter der Menſch iſt, deſto mehr moraliſche Starrheit und Unbiegſam - keit kommt ihm zu. Es iſt alſo nicht zu verwundern, wenn der Indianer, der vereinſamt in den Miſſionen lebt, Hemm - niſſen begegnet, von denen diejenigen nichts wiſſen, die mit Meſtizen, Mulatten und Weißen in der Nähe der Städte in Pfarrdörfern wohnen. Ich war oft erſtaunt, mit welcher Geläufigkeit in Caripe der Alkalde, der Governador, der Sargento mayor ſtundenlang zu den vor der Kirche verſammelten Indianern ſprachen; ſie verteilten die Arbeiten für die Woche, ſchalten die Trägen, drohten den Unanſtel - ligen. Dieſe Häuptlinge, die ſelbſt Chaymas ſind und die21 Befehle des Miſſionärs der Gemeinde zur Kenntnis bringen, ſprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit ſtarker Betonung, faſt ohne Gebärdenſpiel. Ihre Züge bleiben dabei unbeweglich, ihr Blick iſt ernſt gebieteriſch.
Dieſelben Menſchen, die ſo viel Geiſteslebendigkeit ver - rieten und ziemlich gut Spaniſch verſtanden, konnten ihre Ge - danken nicht mehr zuſammenbringen, wenn ſie uns auf unſeren Ausflügen in der Nähe des Kloſters begleiteten und wir durch die Mönche Fragen an ſie richten ließen. Man konnte ſie ja oder nein ſagen laſſen, je nachdem man die Frage ſtellte, und ihre Trägheit und nebenbei auch jene ſchlaue Höflichkeit, die auch dem roheſten Indianer nicht ganz fremd iſt, ließ ſie nicht ſelten ihren Antworten die Wendung geben, auf die unſere Fragen zu deuten ſchienen. Wenn ſich Reiſende auf die Ausſagen von Eingeborenen berufen wollen, können ſie vor dieſem gefälligen Jaſagen ſich nicht genug in acht nehmen. Ich wollte einmal einen indianiſchen Alkalden auf die Probe ſtellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe, der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der anderen Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte Oeffnung herein. Er ſchien ſich eine Weile zu beſinnen und ſagte dann zur Unterſtützung meiner Annahme: „ Freilich, wie wäre auch ſonſt vorn in der Höhle immer Waſſer im Bett? “
Alle Zahlenverhältniſſe faſſen die Chaymas außerordent - lich ſchwer. Ich habe nicht einen geſehen, den man nicht ſagen laſſen konnte, er ſei achtzehn oder aber ſechzig Jahre alt. Marsden hat dieſelbe Beobachtung an den Malaien auf Sumatra gemacht, die doch ſeit mehr als fünfhundert Jahren civiliſiert ſind. Die Chaymasſprache hat Worte, die ziemlich große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wiſſen damit umzugehen, und da ſie im Verkehr mit den Miſſionären dazu genötigt ſind, ſo zählen die fähigſten ſpaniſch, aber ſo, daß man ihnen die geiſtige Anſtrengung anſieht, bis auf dreißig oder fünfzig. In der Chaymasſprache zählen dieſelben Men - ſchen nicht über fünf oder ſechs. Es iſt natürlich, daß ſie ſich vorzugsweiſe der Worte einer Sprache bedienen, in der ſie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt haben. Seit die europäiſchen Gelehrten es der Mühe wert halten, den Bau der amerikaniſchen Sprachen zu ſtudieren, wie man den Bau der ſemitiſchen Sprachen, des Griechiſchen und des Lateiniſchen ſtudiert, ſchreibt man nicht mehr der22 Mangelhaftigkeit der Sprachen zu, was nur auf Rechnung der Roheit der Völker kommt. Man erkennt an, daß faſt überall die Mundarten reicher ſind und feinere Wendungen aufzuweiſen haben, als man nach der Kulturloſigkeit der Völker, die ſie ſprechen, vermuten ſollte. Ich bin weit ent - fernt, die Sprachen der Neuen Welt den ſchönſten Sprachen Aſiens und Europas gleichſtellen zu wollen; aber keine von dieſen hat ein klareres, regelmäßigeres und einfacheres Zahl - ſyſtem als das Qquichua und das Aztekiſche, die in den großen Reichen Cuzco und Anahuac geſprochen wurden. Dürfte man nun ſagen, in dieſen Sprachen zähle man nicht über vier, weil es in den Dörfern, wo ſich dieſelben unter den armen Bauern von peruaniſchem oder mexikaniſchem Stamm erhalten haben, Menſchen gibt, die nicht weiter zählen können? Die ſeltſame Anſicht, nach der ſo viele Völker Amerikas nur bis zu fünf, zehn oder zwanzig ſollen zählen können, iſt durch Reiſende aufgekommen, die nicht wußten, daß die Menſchen, je nach dem Geiſt der verſchiedenen Mund - arten, in allen Himmelsſtrichen nach fünf, zehn oder zwanzig Einheiten (das heißt nach den Fingern einer Hand, beider Hände, der Hände und Füße zuſammen) einen Abſchnitt machen, und daß ſechs, dreizehn oder zwanzig auf verſchiedene Weiſe durch fünf eins, zehn drei und „ Fuß zehn “ausgedrückt werden. Kann man ſagen, die Zahlen der Europäer gehen nicht über zehn, weil wir Halt machen, wenn eine Gruppe von zehn Einheiten beiſammen iſt?
Die amerikaniſchen Sprachen ſind ſo ganz anders gebaut, als die Töchterſprachen des Lateiniſchen, daß die Jeſuiten, welche alles, was ihre Anſtalten fördern konnte, aufs ſorg - fältigſte in Betracht zogen, bei den Neubekehrten ſtatt des Spaniſchen einige indianiſche ſehr reiche, ſehr regelmäßige und weit verbreitete Sprachen, namentlich das Qquichua und das Guarani, einführten. Sie ſuchten durch dieſe Sprachen die ärmeren, plumperen, im Satzbau nicht ſo regelmäßigen Mund - arten zu verdrängen. Und der Tauſch gelang ohne alle Schwierigkeit; die Indianer verſchiedener Stämme ließen ſich ganz gelehrig dazu herbei, und ſo wurden dieſe verallgemei - nerten amerikaniſchen Sprachen zu einem bequemen Verkehrs - mittel zwiſchen den Miſſionären und den Neubekehrten. Mit Unrecht würde man glauben, der Sprache der Inka ſei nur darum der Vorzug vor dem Spaniſchen gegeben worden, um die Miſſionen zu iſolieren und ſie dem Einfluß zweier auf -23 einander eiferſüchtiger Gewalten, der Biſchöfe und der Statt - halter, zu entziehen; abgeſehen von ihrer Politik hatten die Jeſuiten noch andere Gründe, wenn ſie gewiſſe indianiſche Sprachen zu verbreiten ſuchten. Dieſe Sprachen boten ihnen ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu ſchlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich geſinnt, durch die Sprachverſchiedenheit geſchieden waren; denn in unkultivierten Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren Jahrhunderten nicht ſelten die Form oder doch das Ausſehen von Urſprachen.
Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutſch, ein Spanier leichter Italieniſch oder Lateiniſch als jede andere Sprache, ſo meint man zunächſt, dies rühre daher, daß alle germaniſchen Sprachen oder alle Sprachen des lateiniſchen Europas eine Menge Wurzeln miteinander gemein haben; man vergißt, daß es neben dieſer Aehnlichkeit der Laute eine andere gibt, die Völker von gemeinſamem Urſprung noch un - gleich tiefer anregt. Die Sprache iſt keineswegs ein Ergebnis willkürlicher Uebereinkunft; der Mechanismus der Flexionen, die grammatiſchen Formen, die Möglichkeit der Inverſionen, alles iſt ein Ausfluß unſeres Inneren, unſerer eigentümlichen Organiſation. Im Menſchen lebt ein unbewußt thätiges und ordnendes Prinzip, das bei Völkern von verſchiedener Raſſe auch verſchieden angelegt iſt. Das mehr oder weniger rauhe Klima, der Aufenthalt im Hochgebirge oder am Meeresufer, die ganze Lebensweiſe mögen die Laute umwandeln, die Gemeinſamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer neue erzeugen; aber alle dieſe Urſachen laſſen den Bau und das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüſſe des Klimas und aller äußeren Verhältniſſe ſind ein verſchwin - dendes Moment dem gegenüber, was der Raſſencharakter wirkt, die Geſamtheit der dem Menſchen eigentümlichen, ſich vererbenden Anlagen.
In Amerika nun — und dieſes Ergebnis der neueſten Forſchungen iſt für die Geſchichte unſerer Gattung von der höchſten Bedeutung — in Amerika haben vom Lande der Eskimo bis zum Orinoko, und von den heißen Ufern dieſes Fluſſes bis zum Eiſe der Magelhaensſchen Meerenge den Wur - zeln nach ganz verſchiedene Stammſprachen ſozuſagen die - ſelbe Phyſiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie die der Inka, das Aymara, Guarani, Cora und das Mexi - kaniſche, ſondern auch ſehr rohe Sprachen zeigen in ihrem24 grammatiſchen Bau die überraſchendſten Aehnlichkeiten. Idiome, deren Wurzeln einander um nichts ähnlicher ſind als die Wurzeln des Slawiſchen und des Baskiſchen, gleichen einander im inneren Mechanismus wie Sanskrit, Perſiſch, Griechiſch und die germaniſchen Sprachen. So findet man faſt überall in der Neuen Welt, daß die Zeitwörter eine ganze Menge Formen und Tempora haben, ein künſtliches, ſehr verwickeltes Verfahren, um entweder durch Flexion der perſönlichen Für - wörter, welche die Wortendungen bilden, oder durch Ein - ſchieben eines Suffixes zum voraus Weſen und Verhältniſſe des Subjektes zu bezeichnen, um anzugeben, ob dasſelbe lebendig iſt oder leblos, männlichen oder weiblichen Geſchlechtes, einfach oder in vielfacher Zahl. Eben wegen dieſer allgemeinen Aehn - lichkeit im Bau, und weil amerikaniſche Sprachen, die auch nicht ein Wort miteinander gemein haben (z. B. das Mexi - kaniſche und das Qquichua), in ihrer inneren Gliederung übereinkommen und von den Töchterſprachen des Lateiniſchen durchaus abweichen, lernt der Indianer in den Miſſionen viel leichter eine amerikaniſche Sprache als die des europäi - ſchen Mutterlandes. In den Wäldern am Orinoko habe ich die roheſten Indianer zwei, drei Sprachen ſprechen hören. Häufig verkehren Wilde verſchiedener Nationen in einem anderen als ihrem eigenen Idiom miteinander.
Hätte man das Syſtem der Jeſuiten befolgt, ſo wären bereits weit verbreitete Sprachen faſt allgemein geworden. Auf Terra Firma und am Orinoko ſpräche man jetzt nur karibiſch oder tamanakiſch, im Süden und Südweſten Qqui - chua, Guarani, Omagua und araukaniſch. Die Miſſionäre könnten ſich dieſe Sprachen zu eigen machen, denen gramma - tiſche Formen höchſt regelmäßig und faſt ſo feſt ſind wie im Griechiſchen und Sanskrit, und würden ſo den Eingeborenen, über die ſie herrſchen, weit näher kommen. Die zahlloſen Schwierigkeiten in der Verwaltung von Miſſionen, die aus einem Dutzend Völkerſchaften beſtehen, verſchwänden mit der Sprachverwirrung. Die wenig verbreiteten Mundarten würden tote Sprachen; aber der Indianer behielte mit einer ameri - kaniſchen Sprache auch ſeine Individualität und ſeine natio - nale Phyſiognomie. Man erreichte ſo auf friedlichem Wege, was die allzuſehr geprieſenen Inka, die den Fanatismus in die Neue Welt eingeführt, mit Waffengewalt durchzuführen begonnen.
Wie mag man ſich auch wundern, daß die Chaymas, die25 Kariben, die Saliven oder Otomaken im Spaniſchen ſo ge - ringe Fortſchritte machen, wenn man bedenkt, daß fünf -, ſechs - hundert Indianern ein Weißer, ein Miſſionär gegenüberſteht, und daß dieſer alle Mühe hat, einen Governador, Alkaden oder Fiskal zum Dolmetſcher heranzubilden! Könnte man ſtatt der Zucht der Miſſionäre die Indianer auf anderem Wege civiliſieren oder vielmehr ihre Sitten ſänftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne deshalb gebildeter zu ſein), könnte man die Weißen, ſtatt ſie fern zu halten, in neugebildeten Gemeinden unter den Ein - geborenen leben laſſen, ſo wären die amerikaniſchen Sprachen bald von den europäiſchen verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige Maſſe neuer Vor - ſtellungen, welche die Früchte der Kultur ſind. Dann brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Inka oder das Guarani, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Miſſionen des ſüdlichen Amerikas ſo lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die Mißbräuche des Regimentes der Miſſionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Anſicht aus - ſprechen, daß dieſes Regiment nicht ſo leicht abzuſchaffen ſein wird, ein Syſtem, das ſich gar wohl bedeutend verbeſſern läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem unſeren Begriffen von bürgerlicher Freiheit entſprechenderen erſcheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in Gallien, in Bätika, in der Provinz Afrika mit ihrer Herr - ſchaft ſchnell auch ihre Sprache eingeführt, aber die einge - borenen Völker dieſer Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, ſie kannten den Gebrauch des Geldes, ſie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der Kultur vorausſetzen. Durch die Lockungen des Warentauſches und den langen Aufenthalt der Legionen waren ſie mit den Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen ſehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer überall faſt unüberwindliche Hinderniſſe entgegentreten, wo karthaginenſiſche, griechiſche oder römiſche Kolonieen auf wirk - lich barbariſchen Küſten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und unter allen Himmelsſtrichen iſt Flucht der erſte Gedanke des Wilden dem civiliſierten Menſchen gegenüber.
Die Sprache der Chaymas ſchien mir nicht ſo wohl - klingend wie das Karibiſche, das Saliviſche und andere Orinoko - ſprachen. Namentlich hat ſie weniger in accentuierten Vo - kalen ausklingende Endungen. Silben wie guaz, ez, puic,26 pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald ſehen, daß dieſe Endungen zum Teil Flexionen des Zeitwortes ſein ſind, oder aber Poſtpoſitionen, die nach dem Weſen der amerikaniſchen Sprachen den Worten ſelbſt einverleibt ſind. Mit Unrecht würde man dieſe Rauheit des Sprachtones dem Leben der Chaymas im Gebirge zuſchreiben, denn ſie ſind urſprünglich dieſem gemäßigten Klima fremd. Sie ſind erſt durch die Miſſionäre dorthin verſetzt worden, und bekanntlich war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landſtriche, die Kälte in Caripe, wie ſie es nennen, anfangs ſehr zu - wider. Während unſeres Aufenthaltes im Kapuzinerkloſter haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichnis von Chay - masworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die grammatiſchen Formen für die Sprachen weit bezeichnender ſind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß dieſe Analogie der Laute nicht ſelten in verſchiedenen Dia - lekten derſelben Sprache völlig unkenntlich wird; denn die Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für dieſelben Gegenſtände völlig verſchiedene Benennungen. So kommt es, daß man ſehr leicht irre geht, wenn man, die Flexionen außer Augen laſſend, nur nach den Wurzeln, z. B. nach den Worten für Mond, Himmel, Waſſer, Erde, zwei Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig verſchieden erklärt. Trotz dieſer Quelle des Irrtums thun, denke ich, die Reiſenden gut, wenn ſie immer alles Material ſammeln, das ihnen zugänglich iſt. Machen ſie auch nicht mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des Baues bekannt, ſo lehren ſie doch wichtige Teile desſelben für ſich kennen. Die Wörterverzeichniſſe ſind nicht zu ver - nachläſſigen; ſie geben ſogar über den weſentlichen Charakter einer Sprache einigen Aufſchluß, wenn der Reiſende Sätze ſammelt, aus denen man erſieht, wie das Zeitwort flektiert wird und, was in den verſchiedenen Sprachen in ſo abweichen - der Weiſe geſchieht, die perſönlichen und poſſeſſiven Fürwörter bezeichnet werden.
Die drei verbreitetſten Sprachen in den Provinzen Cu - mana und Barcelona ſind gegenwärtig die der Chaymas, das Cumanagotiſche und das Karibiſche. Sie haben im Lande von jeher als verſchiedene Idiome gegolten; jede hat ihr Wörterbuch, zum Gebrauch der Miſſionen verfaßt von den Patres Tauſte, Ruiz-Blanco und Breton. Das Vocabulario y arte de la lengua de los Indios Chaymas iſt ſehr ſelten27 geworden. Die wenigen Exemplare der meiſt im 17. Jahr - hundert gedruckten amerikaniſchen Sprachlehren ſind in die Miſſionen gekommen und in den Wäldern zu Grunde ge - gangen. Wegen der großen Feuchtigkeit und der Gefräßig - keit der Inſekten laſſen ſich in dieſen heißen Ländern Bücher faſt gar nicht aufbewahren. Trotz aller Vorſichtsmaßregeln ſind ſie in kurzer Zeit gänzlich verdorben. Nur mit großer Mühe konnte ich in den Miſſionen und Klöſtern die Gramma - tiken amerikaniſcher Sprachen zuſammenbringen, die ich gleich nach meiner Rückkehr nach Europa dem Profeſſor und Biblio - thekar Severin Vater zu Königsberg übermacht habe; ſie lieferten ihm gutes Material zu ſeinem ſchönen großen Werke über die Sprachen der Neuen Welt. Ich hatte damals ver - ſäumt, meine Notizen über die Chaymasſprache aus meinem Tagebuche abzuſchreiben und dieſem Gelehrten mitzuteilen. Da weder Pater Gili, noch der Abt Hervas dieſer Sprache erwäh - nen, gebe ich hier kurz das Ergebnis meiner Unterſuchungen.
Auf dem rechten Ufer des Orinoko, ſüdöſtlich von der Miſſion Encaramada, über hundert Meilen von den Chaymas, wohnen die Tamanaken (Tamanacu), deren Sprache in mehrere Dialekte zerfällt. Dieſe einſt ſehr mächtige Nation iſt auf wenige Köpfe zuſammengeſchmolzen; ſie iſt von den Bergen von Caripe durch den Orinoko, durch die großen Steppen von Caracas und Cumana, und durch eine noch ſchwerer zu über - ſteigende Schranke, durch Völker von karibiſchem Stamme getrennt. Trotz dieſer Entfernung und der vielfachen ört - lichen Hinderniſſe erkennt man in der Sprache der Chaymas einen Zweig der Tamanakenſprache. Die älteſten Miſſionäre in Caripe wiſſen nichts von dieſer intereſſanten Beobachtung, weil die aragoneſiſchen Kapuziner faſt nie an das ſüdliche Ufer des Orinoko kommen und von der Exiſtenz der Tama - naken ſo gut wie nichts wiſſen. Die Verwandtſchaft zwiſchen der Sprache dieſes Volkes und der der Chaymas habe ich erſt lange nach meiner Rückkehr nach Europa aufgefunden, als ich meine geſammelten Notizen mit einer Grammatik ver - glich, die ein alter Miſſionär am Orinoko in Italien drucken laſſen. Ohne die Sprache der Chaymas zu kennen, hatte ſchon der Abt Gili vermutet, daß die Sprache der Ein - wohner von Paria mit dem Tamanacu verwandt ſein müſſe.
Ich thue dieſe Verwandtſchaft auf dem doppelten Wege dar, auf dem man die Analogie der Sprachen erkennt, durch den grammatiſchen Bau und durch die Uebereinſtimmung der28 Worte oder Wurzeln. — Hier ſind zuerſt die perſönlichen Fürwörter der Chaymas, die zugleich Poſſeſſiva ſind: u-re, ich, cu-re, du, teu-re, er. Im Tamanacu: u-re, ich, amare oder anja, du, iteu-ja, er. Die Wurzel der erſten und der dritten Perſon iſt im Chaymas u und teu; die - ſelben Wurzeln finden ſich im Tamanacu.
Chaymas. | Tamanacu. |
Ure, ich. | Ure. |
Tuna, Waſſer. | Tuna. |
Conopo, Regen. | Canepo. |
Poturu, Wiſſen. | Puturo. |
Apoto, Feuer. | U-apto. |
Nunu, Mond, Monat. | Nuna. |
Je, Baum. | Jeje. |
Ata, Haus. | Aute. |
Euya, dir. | Auya. |
Toya, ihm. | Iteuya. |
Guane, Honig. | Uane. |
Nacaramayre, er hat’s geſagt. | Nacaramai. |
Piache, Zauberer, Arzt. | Psiache. |
Tibin, eins. | Obin. |
Aco, zwei. | Oco. |
Oroa, drei. | Orua. |
Pun, Fleiſch. | Punu. |
Pra, nicht. | Pra. |
Sein heißt im Chaymas az; ſetzt man vor das Zeit - wort das perſönliche Fürwort ich (u von u-re), ſo läßt man des Wohlklangs wegen vor dem u ein g hören, alſo guaz, ich bin, eigentlich g-u-az. Wie die erſte Perſon durch ein u, ſo wird die zweite durch ein m, die dritte durch ein i be - zeichnet: du biſt, maz: „ muerepuec araquapemaz, warum biſt du traurig? “wörtlich: „ das für traurig du ſein? “ „ pun - puec topuchemaz, du biſt fett von Körper “; wörtlich: „ Fleiſch (pun) für (puec) fett (topuche) du ſein (maz) “. Die zueignenden Fürwörter kommen vor das Hauptwort zu ſtehen: „ upatay, in meinem Hauſe “; wörtlich: „ ich Haus in “. Alle Präpoſitionen wie die Negation pra werden nach - geſetzt, wie im Tamanacu. Man ſagt im Chaymas: „ ipuec, mit ihm “; wörtlich: „ er mit “; „ euya, zu dir, oder dir zu “; „ epuec charpe guaz, ich bin luſtig mit dir “; wörtlich: „ du mit luſtig ich ſein “; „ ucarepra, nicht wie ich “; wörtlich:29 „ ich wie nicht “; „ quenpotupra quoguaz, ich kenne ihn nicht “, wörtlich: „ ihn kennend nicht ich bin “; „ quenepra quoguaz, ich habe ihn nicht geſehen “, wörtlich: „ ihn ſehend nicht ich bin “. Im Tamanacu ſagt man: „ acurivane, ſchön “, und „ acurivanepra, häßlich, nicht ſchön “; „ uotopra, es gibt keinen Fiſch “, wörtlich: „ Fiſch nicht “; „ uteripipra, ich will nicht gehen “, wörtlich: „ ich gehen wollen nicht “; und dies iſt zu - ſammengeſetzt aus iteri, gehen, ipiri, wollen, und pra, nicht. Bei den Kariben, deren Sprache auch Aehnlichkeit mit dem Tamanacu hat, obgleich weit weniger als das Chaymas, wird die Verneinung durch ein m vor dem Zeitworte ausgedrückt: „ amoyenlenganti, es iſt ſehr kalt “; „ mamoyenlenganti, es iſt nicht ſehr kalt “. In ähnlicher Weiſe gibt im Tamanacu die Partikel mna, dem Zeitworte nicht angehängt, ſondern eingeſchoben, demſelben einen verneinenden Sinn, z. B. taro, ſagen, taromnar, nicht ſagen.
Das Hauptzeitwort ſein, das in allen Sprachen ſehr unregelmäßig iſt, lautet im Chaymas az oder ats, im Ta - manacu uochiri (in den Zuſammenſetzungen uac, uatscha). Es dient nicht bloß zur Bildung des Paſſivs, ſondern wird offenbar auch, wie durch Agglutination, in vielen Tempora der Wurzel der attributiven Zeitwörter angehängt. Dieſe Agglutinationen erinnern an den Gebrauch der Hilfszeitwörter as und bhu im Sanskrit, des fu oder fuo im Lateiniſchen,1Daher fu-ero, amav-issem, amav-eram, post-sum (pot-sum). das izan, ucan und eguin im Baskiſchen. Es gibt gewiſſe Punkte, in denen die einander unähnlichſten Sprachen zu - ſammentreffen; das Gemeinſame in der geiſtigen Organiſation des Menſchen ſpiegelt ſich ab im allgemeinen Bau der Sprachen, und in jedem Idiom, auch dem ſcheinbar barbariſchſten, offen - bart ſich ein regelndes Prinzip, das es geſchaffen.
Die Mehrzahl hat im Tamanacu ſiebenerlei Formen je nach der Endung des Subſtantiv, oder je nachdem es etwas Lebendes oder etwas Lebloſes bedeutet. 2Tamanacu hat in der Mehrzahl Tamanakemi; Pongheme heißt ein Spanier, wörtlich ein bekleideter Menſch; Pongamo, die Spanier oder die Bekleideten. Der Pluralis auf ene kommt leb - loſen Gegenſtänden zu; z. B. cene, Ding, cenecne, Dinge, jeje, Baum, jejecne, Bäume.Im Chaymas wird die Mehrzahl, wie im Karibiſchen, durch on bezeichnet: „ teure, er ſelbſt “; „ teurecon, ſie ſelbſt “; „ taronocon, die hier “;30 „ montaonocon, die dort “, wenn der Sprechende einen Ort meint, an dem er ſich ſelbſt befand; „ myonocon, die dort “, wenn er von einem Orte ſpricht, an dem er nicht war. Die Chaymas haben auch die ſpaniſchen Adverbe aqui und alà (allà), deren Sinn ſich in den Sprachen von germaniſcher und lateiniſcher Abſtammung nur mittels Umſchreibung wieder - geben läßt.
Manche Indianer, die Spaniſch verſtanden, verſicherten uns, zis bedeute nicht nur Sonne, ſondern auch Gottheit. Dies ſchien mir um ſo auffallender, da man bei allen anderen amerikaniſchen Völkern beſondere Worte für Gott und für Sonne findet. Der Karibe wirft „ tamoussicabo, den Alten des Himmels “, und „ veyou, die Sonne “, nicht zuſammen. Sogar der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt ſich zur Vorſtellung eines Weſens, das den Lauf der Sterne lenkt. In der Sprache der Inkas heißt die Sonne, faſt wie im Sanskrit, Inti,1In der Sprache der Inka heißt Sonne inti, Liebe munay, groß veypul; im Sanskrit: Sonne indre, Liebe manya, groß vipulo. Es ſind dies die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die man bis jetzt aufgefunden. Im grammatiſchen Bau ſind die beiden Sprachen völlig verſchieden. während Gott Vinay Huayna, der ewig Junge, genannt wird.
Die Satzbildung iſt im Chaymas wie bei allen Sprachen beider Kontinente, die ſich eine gewiſſe Jugendlichkeit bewahrt haben. Das Regierte kommt vor das Zeitwort zu ſtehen, das Zeitwort vor das perſönliche Fürwort. Der Gegenſtand, auf den der Hauptnachdruck fällt, geht allem voran, was ſonſt ausgeſagt wird. Der Amerikaner würde ſagen: „ Freiheit völlige lieben wir “ſtatt: wir lieben völlige Freiheit; „ dir mit glücklich bin ich “ſtatt: mit dir bin ich glücklich. Dieſe Sätze haben eine gewiſſe Unmittelbarkeit, Beſtimmtheit, Bündig - keit, und ſie erſcheinen deſto naiver, da der Artikel fehlt. Ob wohl dieſe Völker, bei fortſchreitender Kultur und ſich ſelbſt überlaſſen, mit der Zeit von dieſer Satzbildung abgegangen wären? Man könnte es vermuten, wenn man bedenkt, wie ſtark die Syntax der Römer in ihren beſtimmten, klaren, aber etwas ſchüchternen Töchterſprachen umgewandelt worden iſt.
Im Chaymas wie im Tamanacu und den meiſten ameri - kaniſchen Sprachen fehlen gewiſſe Buchſtaben ganz, ſo nament - lich das f, b und d. Kein Wort beginnt mit einem 1. Das -31 ſelbe gilt von der mexikaniſchen Sprache, in der doch die Silben tli, tla und itl als Endungen oder mitten in den Worten ſo häufig vorkommen. Der Chaymasindianer ſpricht r ſtatt l, weil er dieſes nicht ausſprechen kann, was ja in allen Himmelsſtrichen vorkommt. Auf dieſe Weiſe wurden aus den Kariben am Orinoko im franzöſiſchen Guayana Galibi; an die Stelle des r trat l und das k erweichte ſich. Aus dem ſpaniſchen Wort soldado hat das Tamanacu choraro (solalo) gemacht. Wenn f und b in ſo vielen amerikaniſchen Mundarten fehlen, ſo kommt dies vom innigen Verwandtſchaftsverhältnis zwiſchen gewiſſen Lauten, wie es ſich in allen Sprachen gleicher Abſtammung offenbart. Die Buchſtaben f und v, b und p werden verwechſelt; z. B. perſiſch: peder, pater, father, Vater; burader, frater, Bruder; behar, ver; griechiſch: phorton (forton), Bürde; pous, Fuß. Gerade ſo wird bei den Amerikanern f und b zu p, und aus d wird t. Der Chaymasindianer ſpricht patre, Tios, Atani, aracapucha, ſtatt padre, Dios, Adan und arcabuz (Büchſe).
Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht, daß das Chaymas als ein Dialekt des Tamanacu zu be - trachten iſt, wie die drei Dialekte Maitano, Cuchivero und Crataima. Der Abweichungen ſind viele und weſentliche, und die beiden Sprachen ſcheinen mir höchſtens in dem Grade verwandt, wie das Deutſche, Schwediſche und Engliſche. Sie gehören derſelben Unterabteilung der großen Familie der tama - nakiſchen, karibiſchen und aruakiſchen Sprachen an. Da es für die Sprachverwandtſchaft kein abſolutes Maß gibt, ſo laſſen ſich dergleichen Verwandtſchaftsgrade nur durch von bekannten Sprachen hergenommene Beiſpiele bezeichnen. Wir rechnen zur ſelben Familie Sprachen, die einander ſo nahe ſtehen wie Griechiſch, Deutſch, Perſiſch und Sanskrit.
Die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft glaubte gefunden zu haben, daß alle Sprachen in zwei große Klaſſen zerfallen, indem die einen, mit vollkommenerem Bau, freier, raſcher in der Bewegung, eine innere Entwickelung durch Flexion be - zeichnen, während die anderen, plumperen, weniger bildungs - fähigen, nur kleine Formen oder agglutinierte Partikeln roh nebeneinander ſtellen, die alle, wenn man ſie für ſich braucht, ihre eigentümliche Phyſiognomie beibehalten. Dieſe höchſt geiſtreiche Auffaſſung wäre unrichtig, wenn man annähme, es gäbe vielſilbige Sprachen ohne alle Flexion, oder aber32 diejenigen, die ſich wie von innen heraus organiſch entwickeln, kennen gar keinen äußerlichen Zuwachs durch Suffixe und Affixe, welchen Zuwachs wir ſchon öfters als Agglutination oder Inkorporation bezeichnet haben. Viele Formen, die wir jetzt für Flexionen der Wurzel halten, waren vielleicht ur - ſprünglich Affixe, von denen nur ein oder zwei Konſonanten übrig geblieben ſind. Es iſt mit den Sprachen wie mit allem Organiſchen in der Natur; nichts ſteht ganz für ſich, nichts iſt dem anderen völlig unähnlich. Je weiter man in ihren inneren Bau eindringt, deſto mehr ſchwinden die Kontraſte, die auffallenden Eigentümlichkeiten. „ Es iſt damit wie mit den Wolken, die nur von weitem ſcharf umriſſen ſcheinen. “1Wilhelm v. Humboldt.
Laſſen wir aber auch für die Sprachen keinen durch - greifenden Einteilungsgrund gelten, ſo iſt doch vollkommen zuzugeben, daß im gegenwärtigen Zuſtande die einen mehr Neigung haben zur Flexion, die anderen zur äußerlichen Aggre - gation. Zu den erſteren gehören bekanntlich die Sprachen des indiſchen, pelasgiſchen und germaniſchen Sprachſtammes, zu den letzteren die amerikaniſchen Sprachen, das Koptiſche oder Altägyptiſche und in gewiſſem Grade die ſemitiſchen Sprachen und das Baskiſche. Schon das Wenige, das wir vom Idiom der Chaymas oben mitgeteilt, zeigt deutlich die durchgehende Neigung zur Inkorporation oder Aggregation gewiſſer Formen, die ſich abtrennen laſſen, wobei aber ein ziemlich entwickeltes Gefühl für Wohllaut ein paar Buchſtaben wegwirft oder aber zuſetzt. Durch dieſe Affixe im Auslaut der Worte werden die mannigfaltigſten Zahl -, Zeit - und Raumverhältniſſe bezeichnet.
Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikaniſchen Sprachen näher, ſo glaubt man zu erraten, woher die alte, in allen Miſſionen verbreitete Anſicht rührt, daß die ameri - kaniſchen Sprachen Aehnlichkeit mit dem Hebräiſchen und dem Baskiſchen haben. Ueberall, im Kloſter Caripe wie am Orinoko, in Peru wie in Mexiko, hörte ich dieſen Gedanken äußern, beſonders Geiſtliche, die vom Hebräiſchen und Baskiſchen einige oberflächliche Kenntnis hatten. Liegen etwa religiöſe Rück - ſichten einer ſo ſeltſamen Annahme zu Grunde? In Nord - amerika, bei den Chokta und Chikaſa, haben etwas leicht - gläubige Reiſende, das Hallelujah der Hebräer ſingen hören,33 wie, den Panditen zufolge, die drei heiligen Worte der eleu - ſiniſchen Myſterien (konx om pax) noch heutzutage in Indien ertönen. Ich will nicht glauben, daß die Völker des latei - niſchen Europas alles hebräiſch oder baskiſch nennen, was ein fremdartiges Ausſehen hat, wie man lange alles, was nicht im griechiſchen oder römiſchen Stil gehalten war, ägyptiſche Denkmäler nannte. Ich glaube vielmehr, daß das gram - matiſche Syſtem der amerikaniſchen Sprachen die Miſſio - näre des 16. Jahrhunderts in ihrer Annahme von der aſiatiſchen Herkunft der Völker der Neuen Welt beſtärkt hat. Einen Beweis hierfür liefert die langweilige Kompilation des Paters Garcia: „ Tratad del origen de los Indios “. Daß die poſſeſſiven und perſönlichen Fürwörter hinter Subſtantiven und Zeitwörtern ſtehen, und daß letztere ſo viele Tempora haben, das ſind Eigentümlichkeiten des Hebräiſchen und der anderen ſemitiſchen Sprachen. Manche Miſſionäre fanden es nun ſehr merkwürdig, daß die amerikaniſchen Sprachen die - ſelben Formen aufzuweiſen haben. Sie wußten nicht, daß die Uebereinſtimmung in verſchiedenen einzelnen Zügen für die gemeinſame Abſtammung der Sprachen nichts beweiſt.
Weniger zu verwundern iſt, wenn Leute, die nur zwei voneinander ſehr verſchiedene Sprachen, Spaniſch und Baskiſch, verſtehen, an letzterer eine Familienähnlichkeit mit den ameri - kaniſchen Sprachen fanden. Die Wortbildung, die Leichtigkeit, mit der ſich die einzelnen Elemente auffinden laſſen, die Formen des Zeitwortes und die mannigfaltigen Geſtalten, die es je nach dem Weſen des regierten Wortes annimmt, alles dies konnte die Täuſchung erzeugen und unterhalten. Aber, wir wiederholen es, mit der gleichen Neigung zur Aggregation und Inkorporation iſt noch keineswegs gleiche Abſtammung gegeben. Ich gebe einige Beiſpiele dieſer phyſiognomiſchen Ver - wandtſchaft zwiſchen den amerikaniſchen Sprachen und dem Bas - kiſchen, die in den Wurzeln durchgängig voneinander abweichen.
Chaymas: quenpotupra quoguaz, ich kenne nicht, wörtlich: wiſſend nicht ich bin. Tamanacu: jarer-uacure, tragend bin ich, ich trage; anarepna aichi, er wird nicht tragen, wörtlich: tragend nicht wird ſein; patcurbe, gut, patcutari, ſich gut machen; Tamanacu, ein Tamanake; Ta - manacutari, ſich zum Tamanaken machen; Pongheme, Spanier; ponghemtari, ſich hiſpaniſieren; tenectschi, ich werde ſehen; teneicre, ich werde wiederſehen; tecscha, ich gehe; tecschare, ich kehre zurück; Maypur butkè, ein kleiner Maypure-Indianer;A. v. Humboldt, Reiſe. II. 334aicabutkè, ein kleines Weib;1Das Diminutiv von Frau oder von Maypure-Indianer wird dadurch gebildet, daß man butkè, das Ende des Wortes cujuputkè, klein, beiſetzt. Taje entſpricht dem italieniſchen accio. maypuritaje, ein böſer May - pure-Indianer; aicataje, ein böſes Weib.
Baskiſch: maitetutendot, ich liebe ihn, wörtlich: ich liebend ihn bin; beguia, Auge, und beguitsa, ſehen; aita - gana, zum Vater; durch den Zuſatz von tu entſteht das Wort aitaganatu, zum Vater gehen; ume-tasuna, ſanftes, kindlich offenes Benehmen; ume-queria, widriges kindiſches Benehmen. 2Die Endung tasuna bedeutet eine gute Eigenſchaft, queria eine ſchlimme und kommt her von eria, Krankheit.
Dieſen Beiſpielen mögen einige beſchreibende Kompoſita folgen, die an die Kindheit des Menſchengeſchlechtes mahnen und in den amerikaniſchen Sprachen wie im Baskiſchen durch eine gewiſſe Naivität des Ausdruckes überraſchen. Tamanacu: Weſpe, uane-imu, wörtlich: Vater (im-de) des Honigs (uane); die Zehen, ptari-mucuru, wörtlich: die Söhne des Fußes; die Finger, amgna-mucuru, die Söhne der Hand; die Schwämme, jeje-panari, wörtlich: die Ohren des Baumes; die Adern der Hand, amgna-mitti, wörtlich: veräſtete Wurzeln; die Blätter, prutpe-jareri, wörtlich: die Haare des Baumwipfels; puirene - veju, wörtlich: gerade oder ſenkrechte Sonne; Blitz, kinemeru - uaptori, wörtlich: das Feuer des Donners oder des Ge - witters. Baskiſch: becoquia, Stirne, wörtlich: was zum Auge gehört; odotsa, das Getöſe der Wolke, der Donner; arribicia, das Echo, wörtlich: der lebendige Stein.
Im Chaymas und Tamanacu haben die Zeitwörter eine Unzahl Tempora, ein doppeltes Präſens, vier Präterita, drei Futura. Dieſe Häufung iſt ſelbſt den roheſten amerikaniſchen Sprachen eigen. In der Grammatik des Baskiſchen zählt Aſtarloa gleichfalls zweihundertſechs Formen des Zeitwortes auf. Die Sprachen, welche vorherrſchende Neigung zur Flexion haben, reizen die gemeine Neugier weniger als ſolche, die durch bloße Nebeneinanderſtellung von Elementen gebildet erſcheinen. In den erſteren ſind die Elemente, aus denen die Worte zuſammengeſetzt ſind und die meiſt aus wenigen Buchſtaben beſtehen, nicht mehr kenntlich. Für ſich geben dieſe Beſtandteile keinen Sinn; alles iſt verſchlungen und ver - ſchmolzen. Die amerikaniſchen Sprachen dagegen gleichen einem verwickelten Mechanismus mit offen zu Tage liegendem Räder -35 werk. Man erkennt die Künſtlichkeit, man kann ſagen den ausgearbeiteten Mechanismus des Baues. Es iſt, als bildeten ſie ſich erſt unter unſeren Augen, und man könnte ſie für ſehr neuen Urſprungs halten, wenn man nicht bedächte, daß der menſchliche Geiſt unverrückt einem einmal erhaltenen Anſtoße folgt, daß die Völker nach einem urſprünglich angelegten Plane den grammatiſchen Bau ihrer Sprachen erweitern, vervoll - kommnen oder ausbeſſern, und daß es Länder gibt, wo Sprache, Verfaſſung, Sitten und Künſte ſeit vielen Jahrhunderten wie feſtgebannt ſind.
Die höchſte geiſtige Entwickelung hat bis jetzt bei den Völkern ſtattgefunden, welche dem indiſchen und pelasgiſchen Stamme angehören. Die hauptſächlich durch Aggregation ge - bildeten Sprachen erſcheinen als ein natürliches Hindernis der Kulturentwickelung; es geht ihnen großenteils die raſche Be - wegung ab, das innerliche Leben, die die Flexion der Wurzeln mit ſich bringt und die den Werken der Einbildungskraft den Hauptreiz geben. Wir dürfen indeſſen nicht vergeſſen, daß ein ſchon im hohen Altertum hochberühmtes Volk, dem ſelbſt die Griechen einen Teil ihrer Bildung entlehnten, vielleicht eine Sprache hatte, die in ihrem Bau unwillkürlich an die amerikaniſchen Sprachen erinnert. Welche Maſſe ein - oder zweiſilbiger Partikeln werden im Koptiſchen dem Zeitwort oder Hauptwort angehängt! Das Chaymas und Tamanacu, halb barbariſche Sprachen, haben kurze abſtrakte Benennungen für Größe, Neid, Leichtſinn, cheictivate, uoite, uonde; aber im Koptiſchen iſt das Wort Bosheit, metrepherpeton, aus fünf leicht zu unterſcheidenden Elementen zuſammengeſetzt, und bedeutet: die Eigenſchaft (met) eines Subjektes (reph), das thut (er) das Ding (pet), (das iſt) böſe (on). Und dennoch hatte die koptiſche Sprache ihre Litteratur ſo gut wie die chineſiſche, in der die Wurzeln nicht einmal aggregiert, ſondern kaum aneinander gerückt ſind und ſich gar nicht unmittelbar berühren. So viel iſt gewiß, ſind einmal die Völker aus ihrem Schlummer aufgerüttelt und auf die Bahn der Kultur geworfen, ſo bietet ihnen die ſeltſamſte Sprache das Werkzeug, um Gedanken beſtimmt auszudrücken und Seelenregungen zu ſchildern. Ein achtungswerter Mann, der in der blutigen Revolution von Quito das Leben verloren, Don Juan de la Rea, hat ein paar Idyllen Theokrits in die Sprache der Inka einfach und zierlich übertragen, und man hat mich ver - ſichert, mit Ausnahme naturwiſſenſchaftlicher und philoſophiſcher36 Werke, laſſe ſich ſo ziemlich jedes neuere Litteraturprodukt ins Peruaniſche überſetzen.
Der ſtarke Verkehr zwiſchen den Eingeborenen und den Spaniern ſeit der Eroberung hat zur natürlichen Folge ge - habt, daß nicht wenige amerikaniſche Worte in die ſpaniſche Sprache übergegangen ſind. Manche dieſer Worte bezeichnen meiſt Dinge, die vor der Entdeckung der Neuen Welt unbe - kannt waren, und wir denken jetzt kaum mehr an ihren bar - bariſchen Urſprung (z. B. Savanne, Kannibale). Faſt alle ge - hören der Sprache der Großen Antillen an, die früher die Sprache von Hayti, Quizqueja oder Itis hieß. Ich nenne nur die Worte Mais, Tabak, Kanoe, Batate, Kazike, Balſa, Conuco u. ſ. w. Als die Spanier mit dem Jahre 1498 an - fingen Terra Firma zu beſuchen, hatten ſie bereits Worte für die nutzbarſten Gewächſe, die auf den Antillen, wie auf den Küſten von Cumana und Paria vorkommen. Sie be - hielten nicht nur dieſe von den Haytiern entlehnten Be - nennungen bei, durch ſie wurden dieſelben über ganz Amerika verbreitet, zu einer Zeit, wo die Sprache von Hayti bereits eine tote Sprache war, und bei Völkern, die von der Exiſtenz der Antillen gar nichts wußten. Manchen Worten, die in den ſpaniſchen Kolonieen in täglichem Gebrauche ſind, ſchreibt man indeſſen mit Unrecht haytiſchen Urſprung zu. Banana iſt aus der Chacoſprache, Arepa (Maniokbrot von Jatropha Manihot) und Guayuco (Schürze, perizoma) ſind karibiſch, Curiaca (ſehr langes Kanoe) iſt tamanakiſch, Chinchorro (Hängematte) und Tutuma (die Frucht der Crescentia Cujete, oder ein Gefäß für Flüſſigkeiten) ſind Chaymaswörter.
Ich habe lange bei Betrachtungen über die amerikaniſchen Sprachen verweilt; ich glaubte, wenn ich ſie zum erſtenmal in dieſem Werke beſpräche, anſchaulich zu machen, von welcher Bedeutung Unterſuchungen derart ſind. Es verhält ſich da - mit wie mit der Bedeutung, die den Denkmälern halb bar - bariſcher Völker zukommt. Man beſchäftigt ſich mit ihnen nicht, weil ſie für ſich auf den Rang von Kunſtwerken An - ſpruch machen können, ſondern weil die Unterſuchung für die Geſchichte unſeres Geſchlechtes und den Entwickelungsgang unſerer Geiſteskräfte nicht ohne Belang iſt.
Ehe Cortez nach der Landung an der Küſte von Mexiko ſeine Schiffe verbrannte, ehe er im Jahre 1521 in die Haupt - ſtadt Montezumas einzog, war Europa auf die Länder, die wir bisher durchzogen, aufmerkſam geworden. Mit der Be -37 ſchreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt zu ſchildern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge - ſchichtſchreiber der Eroberung lieſt, namentlich die Briefe Peter Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des Katholiſchen geſchrieben, die reich ſind an geiſtreichen Be - merkungen über Chriſtoph Kolumbus, Leo X. und Luther, und aus denen edle Begeiſterung für die großen Entdeckungen eines an außerordentlichen Ereigniſſen ſo reichen Jahrhunderts ſpricht. Eine nähere Beſchreibung der Sitten der Völker, die man lange unter der Geſamtbenennung Cumanier (Cu - maneses) zuſammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab - ſicht; dagegen ſcheint es mir von Belang, einen Punkt auf - zuklären, den ich im ſpaniſchen Amerika häufig habe beſprechen hören.
Die heutigen Pariagoten oder Paria ſind rotbraun wie die Kariben, die Chaymas und faſt alle Eingeborenen der Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geſchicht - ſchreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die erſten Beſucher haben am Vorgebirge Paria weiße Menſchen mit blonden Haaren geſehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen des Orinoko geſehen? Aber dieſe Indianer hatten ſo ſchwarzes Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieſer Mißbildung ſind bei der kupferfarbigen Raſſe ungemein ſelten, und Anghiera wie auch Gomara ſprachen von den Einwohnern von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide1Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae albi, ca - pillis oblongis protensis flavis. Utriusque sexus indigenae albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver - santur. Gomara ſagt von den Eingeborenen, die Kolumbus an der Mündung des Fluſſes Cumana geſehen: „ Las donzellas eran amorosas, desundas y blancas (las de la casa); los Indios que van al campo, estan negros del sol. “beſchreiben ſie wie Völker germaniſchen Stammes, ſie ſeien weiß mit blonden Haaren. Ferner ſollen ſie ähnlich wie Türken gekleidet geweſen ſein. 2Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge - ſtreiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa dieſenGomara und Anghiera ſchreiben nach mündlichen Berichten, die ſie geſammelt.
38Dieſe Wunderdinge verſchwinden, wenn wir den Bericht, den Ferdinand Kolumbus den Papieren ſeines Vaters ent - nommen, näher anſehen. Da heißt es bloß, „ der Admiral habe zu ſeiner Ueberraſchung die Einwohner von Paria und der Inſel Trinidad wohlgebildeter, kultivierter (de buena conversacion) und weißer gefunden als die Eingeborenen, die er bis dahin geſehen. “ Damit iſt doch wohl nicht geſagt, daß die Pariagoten weiß geweſen. In der helleren Haut der Eingeborenen und in den ſehr kühlen Morgen ſah der große Mann eine Beſtätigung ſeiner ſeltſamen Hypotheſe von der unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage der Ebenen in dieſem Erdſtrich infolge einer gewaltigen Anſchwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen. Amerigo Veſpucci (wenn man ſich auf ſeine angebliche erſte Reiſe berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer Reiſenden zuſammengetragen iſt) vergleicht die Eingeborenen mit den tatariſchen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe, ſondern wegen des breiten Geſichtes und wegen des ganzen Ausdruckes desſelben.
Gab es aber zu Ende des 15. Jahrhunderts auf den Küſten von Cumana ſo wenig als jetzt Menſchen mit weiß - licher Haut, ſo darf man daraus deshalb nicht ſchließen, daß bei den Eingeborenen der Neuen Welt das Hautſyſtem durchgängig gleichförmig organiſiert ſei. Wenn man ſagt, ſie ſeien alle kupferfarbig, ſo iſt dies ſo unrichtig, als wenn man behauptet, ſie wären nicht ſo dunkel gefärbt, wenn ſie ſich nicht der Sonnenglut ausſetzten oder nicht von der Luft gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der Zahl nach ſehr ungleiche Gruppen teilen. Zur einen gehören die Eskimo in Grönland, in Labrador und auf der Nordküſte2Kopfputz für einen Turban angeſehen? Daß ein Volk unter dieſem Himmelsſtrich den Kopf bedeckt haben ſollte, iſt auffallend; aber was noch weit merkwürdiger iſt, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein an die Küſte von Paria unternommen und die wir bei Peter Martyr d’Anghiera beſchrieben finden, bekleidete Eingeborene geſehen haben: „ Incolas omnes, genu tenus mares, foeminas surarum tenus, gossampinis vestibus amictos simplicibus repererunt, sed viros, more Turcarum, insuto minutim gossipio ad belli usum, duplicibus. “ Was ſoll man aus dieſen Völkern machen, die civiliſierter geweſen und Mäntel getragen, wie man auf dem Rücken der Anden trägt, und auf einer Küſte gelebt, wo man vor und nach Pinzon nur nackte Menſchen geſehen.39 der Hudſonsbai, die Bewohner der Beringsſtraße, der Halb - inſel Alaska und des Prinz Williams-Sundes. Der öſtliche und der weſtliche Zweig dieſer Polarraſſe, die Eskimo und die Tſchugat, ſind trotz der ungeheuren Strecke von 1800 km, die zwiſchen ihnen liegt, durch ſehr nahe Sprachverwandtſchaft eng verbunden. Dieſe Verwandtſchaft erſtreckt ſich ſogar, wie in neuerer Zeit außer Zweifel geſetzt worden iſt, noch weiter, zu den Bewohnern des nordöſtlichen Aſiens; denn die Mundart der Tſchuktſchen an der Mündung des Anadyr hat dieſelben Wurzeln wie die Sprache der Eskimo auf der Europa gegen - überliegenden Küſte von Amerika. Die Tſchuktſchen ſind die aſiatiſchen Eskimo. Gleich den Malaien wohnt die hyper - boräiſche Raſſe nur am Meeresufer. Sie nähren ſich von Fiſchen, ſind faſt durchgängig von kleinerer Statur als die anderen Amerikaner, ſind lebhaft, beweglich, geſchwätzig. Ihre Haare ſind ſchlicht, glatt und ſchwarz; aber (und dies zeichnet die Raſſe, die ich die eskimo-tſchugaſiſche nennen will, ganz beſonders aus) ihre Haut iſt urſprünglich weißlich. Es iſt gewiß, daß die Kinder der Grönländer weiß zur Welt kommen; bei manchen erhält ſich dieſe Farbe, und auch bei den dunkelſten (den von der Luft am meiſten gebräunten) ſieht man nicht ſelten das Blut auf den Wangen rot durchſchimmern.
Die zweite Gruppe der Eingeborenen Amerikas umfaßt alle Völker außer den Eskimo-Tſchugat, vom Cooksfluß bis zur Magelhaensſchen Meerenge, von den Ugaljachmiut und Kinai am St. Eliasberg bis zu den Puelchen und Tehuelhet in der ſüdlichen Halbkugel. Die Völker dieſes zweiten Zweiges ſind größer, ſtärker, kriegeriſcher und ſchweigſamer. Auch ſie weichen hinſichtlich der Hautfarbe auffallend voneinander ab. In Mexiko, in Peru, in Neugranada, in Quito, an den Ufern des Orinoko und des Amazonenſtromes, im ganzen Striche von Südamerika, den ich geſehen, im Tieflande wie auf den ſehr kalten Hochebenen, ſind die indianiſchen Kinder im Alter von zwei, drei Monaten ebenſo bronzefarbig als die Erwachſenen. Daß die Eingeborenen nur von Luft und Sonne gebräunte Weiße ſein möchten, iſt einem Spanier in Quito oder an den Ufern des Orinoko nie in den Sinn gekommen. Im nordweſtlichen Amerika dagegen gibt es Stämme, bei denen die Kinder weiß ſind und erſt mit der Mannbarkeit ſo bronzefarbig werden wie die Eingeborenen von Peru und Mexiko. Bei dem Häuptling der Miami Michikinakua waren die Arme und die der Sonne nicht ausgeſetzten Körperteile40 faſt weiß. Dieſer Unterſchied in der Farbe der bedeckten und nicht bedeckten Teile wird bei den Eingeborenen von Peru und Mexiko niemals beobachtet, ſelbſt nicht bei ſehr wohl - habenden Familien, die ſich faſt beſtändig in ihren Häuſern aufhalten. Weſtwärts von den Miami, auf der gegenüber - liegenden aſiatiſchen Küſte, bei den Koljuſchen und Tlinkit in der Norfolkbai, erſcheinen die erwachſenen Mädchen, wenn ſie angehalten werden, ſich zu waſchen, ſo weiß wie Europäer. Dieſe weiße Hautfarbe ſoll, nach einigen Reiſeberichten, auch den Gebirgsvölkern in Chile zukommen. 1Darf man an die blauen Augen der Borroa in Chile und der Guayana am Uruguay glauben, die wie Völker vom Stamme Odins geſchildert werden? (Azzara, Reiſe.)
Dies ſind ſehr bemerkenswerte Thatſachen, die der nur zu ſehr verbreiteten Anſicht von der außerordentlichen Gleich - förmigkeit der Körperbildung bei den Eingeborenen Amerikas widerſprechen. Wenn wir dieſelben in Eskimo und Nicht - Eskimo teilen, ſo geben wir gerne zu, daß die Einteilung um nichts philoſophiſcher iſt, als wenn die Alten in der ganzen bewohnten Welt nur Kelten und Skythen, Griechen und Barbaren ſahen. Handelt es ſich indeſſen davon, zahlloſe Volksſtämme zu gruppieren, ſo gewinnt man immer doch etwas, wenn man ausſchließend zu Werke geht. Wir wollten hier darthun, daß, wenn man die Eskimo-Tſchugat ausſcheidet, mitten unter den kupferbraunen Amerikanern Stämme vor - kommen, bei denen die Kinder weiß zur Welt kommen, ohne daß ſich, bis zur Zeit der Eroberung zurück, darthun ließe, daß ſie ſich mit Europäern vermiſcht hätten. Dieſer Umſtand verdient genauere Unterſuchung durch Reiſende, die bei phyſio - logiſchen Kenntniſſen Gelegenheit finden, die braunen Kinder der Mexikaner und die weißen der Miami im Alter von zwei Jahren zu beobachten, ſowie die Horden am Orinoko, die im heißeſten Erdſtrich ihr Leben lang und bei voller Kraft die weißliche Hautfarbe der Meſtizen behalten. Der geringe Ver - kehr, der bis jetzt zwiſchen Nordamerika und den ſpaniſchen Kolonieen ſtattfindet, hat alle derartigen Unterſuchungen un - möglich gemacht.
Beim Menſchen betreffen die Abweichungen vom ganzen gemeinſamen Raſſentypus mehr den Wuchs, den Geſichts - ausdruck, den Körperbau, als die Farbe. Bei den Tieren iſt es anders; bei dieſen ſind Spielarten nach der Farbe häufiger41 als ſolche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugetiere, die Federn der Vögel, ſelbſt die Schuppen der Fiſche wechſeln die Farbe, je nach dem vorherrſchenden Einfluſſe von Licht oder von Dunkelheit, je nach den Hitze - und Kältegraden. Beim Menſchen ſcheint ſich der Farbſtoff im Hautſyſtem durch die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen guten Beobachtungen geht hervor, daß ſich die Hautfarbe wohl beim einzelnen infolge von Hautreizen, aber nicht erblich bei einer ganzen Raſſe ändert. Die Eskimo in Grönland und die Lappen ſind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Ver - änderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag, gegen welche alle geſchichtliche Ueberlieferung verſchwindet, darüber haben wir nichts zu ſagen. Bei Unterſuchungen der - art macht der forſchende Gedanke Halt, ſobald er Erfahrung und Analogie nicht mehr zu Führern hat.
Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie mit weißen Menſchen; nach ihnen ſind die Neger und alle dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnenglut ge - ſchwärzt oder gebräunt worden. Dieſe Anſicht, die ſchon bei den Griechen herrſchte,1Oneſicritus, bei Strabo, Lib. XV. Die Züge Alexanders ſcheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große Frage nach dem Einfluß des Klimas aufmerkſam zu machen. Sie hatten von Reiſenden vernommen, daß in Hinduſtan die Völker im Süden dunkelfarbiger ſeien als im Norden in der Nähe der Gebirge, und ſie ſetzten voraus, daß beide derſelben Raſſe an - gehören. wenn auch nicht ohne Widerſpruch, hat ſich bis auf unſere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in Proſa, was Theodektes zweitauſend Jahre früher poetiſch aus - geſprochen: „ Die Nationen tragen die Livree der Erdſtriche, die ſie bewohnen. “ Wäre die Geſchichte von ſchwarzen Völkern geſchrieben worden, ſie hätten behauptet, was neuerdings ſogar von Europäern angenommen worden iſt, der Menſch ſei ur - ſprünglich ſchwarz oder doch ſehr dunkelfarbig, und infolge der Civiliſation und fortſchreitenden Verweichlichung haben ſich manche Raſſen gebleicht, wie ja auch bei den Tieren im zahmen Zuſtande die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei Pflanzen und Tieren ſind Spielarten, die ſich durch Zufall unter unſeren Augen gebildet, beſtändig geworden und haben ſich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weiſt darauf hin,42 daß, unter den gegenwärtigen Verhältniſſen der menſchlichen Organiſation, die verſchiedenen Menſchenraſſen, die ſchwarze, gelbe, kupferfarbige und weiße, ſolange ſie ſich unvermiſcht erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und anderer äußerer Umſtände vom urſprünglichen Typus bedeutend abweichen.
Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſe allgemeinen Be - trachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen der Kordilleren beſteigen, die vier - und fünfmal höher liegen als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig nur auf das Zeugnis Ulloas. 1„ Die Indianer ſind kupferrot, und dieſe Farbe wird durch den Einfluß von Sonne und Luſt dunkler. Ich muß darauf auf - merkſam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die Farbe merkbar verändern, ſo daß man die Indianer auf den Kor - dilleren von Peru und die auf den heißeſten Ebenen leicht ver - wechſelt, und man diejenigen, die unter der Linie leben und die unter dem 40. nördlichen und ſüdlichen Breitengrade nicht unter - ſcheiden kann. “ Noticias americanas, cap. 17. — Kein alter Schriftſteller hat die beiden Anſchauungsweiſen, nach denen man ſich noch gegenwärtig von der Verſchiedenheit benachbarter Völker nach Farbe und Geſichtszügen Rechenſchaft gibt, klarer angedeutet, als Tacitus im Leben des Agricola. Er unterſcheidet zwiſchen der erblichen Anlage und dem Einfluß des Klima, und thut keinen Ausſpruch, als ein Philoſoph, der gewiß weiß, daß wir von den erſten Urſachen der Dinge nichts wiſſen. „ Habitus corporum varii atque ex eo argumenta. Seu durante originis vi, seu procur - rentibus in diversa terris, positio coeli corporibus habitum dedit. “ Agricola, cap. 11.Dieſer Gelehrte ſah die In - dianer in Chile, auf den Anden von Peru, an den heißen Küſten von Panama, und wiederum in Louiſiana, im nörd - lichen gemäßigten Erdſtrich. Er hatte den Vorteil, daß er in einer Zeit lebte, wo der Anſichten noch nicht ſo vielerlei waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene unter der Linie im kalten Klima der Kordilleren ſo bronze - farbig, ſo braun iſt als auf den Ebenen. Bemerkt man Ab - weichungen in der Farbe, ſo ſind es feſte Stammunterſchiede. Wir werden bald an den heißen Ufern des Orinoko Indianern weißlicher Haut begegnen: Est durans originis vis.
Zweiter Aufenthalt in Cumana. — Erdbeben. — Ungewöhnliche Meteore.
Wir blieben wieder einen Monat in Cumana. Die be - ſchloſſene Fahrt auf dem Orinoko und Rio Negro erforderte Zurüſtungen aller Art. Wir mußten die Inſtrumente aus - wählen, die ſich auf engen Kanoen am leichteſten fortbringen ließen; wir mußten uns für eine zehnmonatliche Reiſe im Binnenlande, das in keinem Verkehr mit den Küſten ſteht, mit Geldmitteln verſehen. Da aſtronomiſche Ortsbeſtimmung der Hauptzweck dieſer Reiſe war, ſo war es mir von großem Belang, daß mir die Beobachtung einer Sonnenfinſternis nicht entging, die Ende Oktobers eintreten ſollte. Ich blieb lieber bis dahin in Cumana, wo der Himmel meiſt ſchön und heiter iſt. An den Orinoko konnten wir nicht mehr kommen, und das hohe Thal von Caracas war für meinen Zweck minder günſtig wegen der Dünſte, welche die nahen Gebirge um - ziehen. Wenn ich die Länge von Cumana genau beſtimmte, ſo hatte ich einen Ausgangspunkt für die chronometriſchen Beſtimmungen, auf die ich allein rechnen konnte, wenn ich mich nicht lange genug aufhielt, um Mondsdiſtanzen zu nehmen oder die Jupiterstrabanten zu beobachten.
Faſt hätte ein Unfall mich genötigt, die Reiſe an den Orinoko aufzugeben oder doch lange hinauszuſchieben. Am 27. Oktober, dem Tag vor der Sonnenfinſternis, gingen wir wie gewöhnlich am Ufer des Meerbuſens, um der Kühle zu genießen und das Eintreten der Flut zu beobachten, die an dieſem Seeſtrich nicht mehr als 32 bis 35 cm beträgt. Es war acht Uhr abends und der Seewind hatte ſich noch nicht aufgemacht. Der Himmel war bedeckt, und bei der Wind - ſtille war es unerträglich heiß. Wir gingen über den Strand44 zwiſchen dem Landungsplatz und der Vorſtadt der Guaikeri. Ich hörte hinter mir gehen, und wie ich mich umwandte, ſah ich einen hochgewachſenen Mann von der Farbe der Zambos, nackt bis zum Gürtel. Er hielt faſt über meinem Kopf eine Macana, einen dicken, unten keulenförmig dicker werdenden Stock aus Palmholz. Ich wich dem Schlage aus, indem ich links zur Seite ſprang. Bonpland, der mir zur Rechten ging, war nicht ſo glücklich; er hatte den Zambo ſpäter bemerkt als ich, und erhielt über die Schläfe einen Schlag, der ihn zu Boden ſtreckte. Wir waren allein, unbe - waffnet, 2 Kilometer von jeder Wohnung auf einer weiten Ebene an der See. Der Zambo kümmerte ſich nicht mehr um mich, ſondern ging langſam davon und nahm Bonplands Hut auf, der die Gewalt des Schlages etwas gebrochen hatte und weit weggeflogen war. Aufs äußerſte erſchrocken, da ich meinen Reiſegefährten zu Boden ſtürzen und eine Weile bewußtlos daliegen ſah, dachte ich nur an ihn. Ich half ihm aufſtehen; der Schmerz und der Zorn gaben ihm doppelte Kraft. Wir ſtürzten auf den Zambo zu, der, ſei es aus Feigheit, die bei dieſem Menſchenſchlag gemein iſt, oder weil er von weitem Leute am Strande ſah, nicht auf uns wartete und dem Tunal zulief, einem kleinen Buſchwerk aus Fackel - diſteln und baumartigen Avicennien. Zufällig fiel er unter - wegs, Bonpland, der zunächſt an ihm war, rang mit ihm und ſetzte ſich dadurch der äußerſten Gefahr aus. Der Zambo zog ein langes Meſſer aus ſeinem Beinkleid, und im un - gleichen Kampfe wären wir ſicher verwundet worden, wären nicht biscayiſche Handelsleute, die auf dem Strande Kühlung ſuchten, uns zu Hilfe gekommen. Als der Zambo ſich um - ringt ſah, gab er die Gegenwehr auf; er entſprang wieder, und nachdem wir ihm lange durch die ſtachlichten Kaktus nach - gelaufen, ſchlüpfte er in einen Viehſtall, aus dem er ſich ruhig herausholen und ins Gefängnis führen ließ.
Bonpland hatte in der Nacht Fieber; aber als ein kräftiger Mann, voll der Munterkeit, die eine der koſtbarſten Gaben iſt, welche die Natur einem Reiſenden verleihen kann, ging er ſchon des anderen Tages wieder ſeiner Arbeit nach. Der Schlag der Macana hatte bis zum Scheitel die Haut ge - quetſcht, und er ſpürte die Nachwehen mehrere Monate während unſeres Aufenthaltes in Caracas. Beim Bücken, um Pflanzen aufzunehmen, wurde er mehrere Male von einem Schwindel befallen, der uns befürchten ließ, daß im Schädel etwas aus -45 getreten ſein möchte. Zum Glück war dieſe Beſorgnis unge - gründet, und die Symptome, die uns anfangs beunruhigt, verſchwanden nach und nach. Die Einwohner von Cumana bewieſen uns die rührendſte Teilnahme. Wir hörten, der Zambo ſei aus einem der indianiſchen Dörfer gebürtig, die um den großen See Maracaybo liegen. Er hatte auf einem Kaperſchiff von San Domingo gedient und war infolge eines Streites mit dem Kapitän, als das Schiff aus dem Hafen von Cumana auslief, an der Küſte zurückgelaſſen worden. Er hatte das Signal bemerkt, das wir aufſtellen laſſen, um die Höhe der Flut zu beobachten, und hatte gelauert, um uns auf dem Strande anzufallen. Aber wie kam es, daß er, nachdem er einen von uns niedergeſchlagen, ſich mit dem Raub eines Hutes zu begnügen ſchien? Im Verhör waren ſeine Antworten ſo verworren und albern, daß wir nicht klug aus der Sache werden konnten; meiſt behauptete er, ſeine Abſicht ſei nicht geweſen, uns zu berauben; aber in der Erbitterung über die ſchlechte Behandlung am Bord des Kapers von San Domingo, habe er dem Drang, uns eines zu verſetzen, nicht widerſtehen können, ſobald er uns habe franzöſiſch ſprechen hören. Da der Rechtsgang hierzulande ſo langſam iſt, daß die Verhafteten, von denen die Gefängniſſe wimmeln, ſieben, acht Jahre auf ihr Urteil warten müſſen, ſo hörten wir wenige Tage nach unſerer Abreiſe von Cumana nicht ohne Befriedi - gung, der Zambo ſei aus dem Schloſſe San Antonio ent - ſprungen.
Trotz des Unfalls, der Bonpland betroffen, war ich anderen Tags, am 28. Oktober um fünf Uhr morgens auf dem Dach unſeres Hauſes, um mich zur Beobachtung der Sonnenfinſternis zu rüſten. Der Himmel war klar und rein. Die Sichel der Venus und das Sternbild des Schiffes, das durch ſeine gewaltigen Nebelflecke nahe aneinander ſo ſtark hervortritt, verſchwanden in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich hatte mir zu einem ſo ſchönen Tag um ſo mehr Glück zu wünſchen, als ich ſeit mehreren Wochen wegen der Gewitter, die regelmäßig zwei, drei Stunden nach dem Durch - gang der Sonne durch den Meridian im Süden und Südoſten aufzogen, die Uhren nicht nach korreſpondierenden Höhen hatte richten können. Ein rötlicher Dunſt, der in den tiefen Luft - ſchichten auf den Hygrometer faſt gar nicht wirkt, verſchleierte bei Nacht die Sterne. Dieſe Erſcheinung war ſehr unge - wöhnlich, da man in anderen Jahren oft drei, vier Monate46 lang keine Spur von Wolken und Nebel ſieht. Ich konnte den Verlauf und das Ende der Sonnenfinſternis vollſtändig beobachten. Das Ende der Finſternis war um 2 Uhr 14 Mi - nuten 23,4 Sekunden mittlerer Zeit in Cumana. Das Er - gebnis meiner Beobachtung wurde nach den alten Tafeln von Ciccolini in Bologna und Triesnecker in Wien berechnet und in der Connaissance des temps (im neunten Jahrgang) ver - öffentlicht. Dieſes Ergebnis wich um nicht weniger als um 1 Minute 9 Sekunden Zeit von der Länge ab, die der Chronometer mir ergeben; dasſelbe wurde aber von Oltmanns nach den neuen Mondtafeln von Burg und den Sonnentafeln von Delambre noch einmal berechnet, und jetzt ſtimmten Sonnenfinſternis und Chronometer bis auf 10 Sekunden überein. Ich führe dieſen merkwürdigen Fall, wo ein Fehler durch die neuen Tafeln auf 1 / 7 reduziert wurde, an, um die Reiſenden darauf aufmerkſam zu machen, wie ſehr es in ihrem Intereſſe liegt, die kleinſten Umſtände bei ihren einzelnen Beobachtungen aufzuzeichnen und bekannt zu machen. Die vollkommene Uebereinſtimmung zwiſchen den Jupiterstrabanten und den Angaben des Chronometers, von der ich mich an Ort und Stelle überzeugt, hatten mir großes Zutrauen zu Louis Berthouds Uhr gegeben, ſo oft ſie nicht auf den Maul - tieren ſtarken Stößen ausgeſetzt war.
Die Tage vor und nach der Sonnenfinſternis boten ſehr auffallende atmoſphäriſche Erſcheinungen. Wir waren im hieſigen ſogenannten Winter, d. h. in der Jahreszeit des bewölkten Himmels und der kurzen Gewitterregen. Vom 10. Oktober bis 3. November ſtieg mit Einbruch der Nacht ein rötlicher Nebel am Horizont auf und zog in wenigen Minuten einen mehr oder minder dichten Schleier über das blaue Himmelsgewölbe. Der Sauſſureſche Hygrometer zeigte keineswegs größere Feuchtigkeit an, ſondern ging vielmehr oft von 90° auf 83° zurück. Die Hitze bei Tage war 28 bis 32°, alſo für dieſen Strich der heißen Zone ſehr ſtark. Zuweilen verſchwand der Nebel mitten in der Nacht auf einmal, und im Augenblick, wo ich die Inſtrumente aufſtellte, bildeten ſich blendend weiße Wolken im Zenith und dehnten ſich bis zum Horizont aus. Am 18. Oktober waren dieſe Wolken ſo auf - fallend durchſichtig, daß man noch Sterne der vierten Größe dadurch ſehen konnte. Die Mondflecken ſah ich ſo deutlich, daß es war, als ſtünde die Scheibe vor den Wolken. Dieſe ſtanden ausnehmend hoch und bildeten Streifen, die, wie47 durch elektriſche Abſtoßung, in gleichen Abſtänden fortliefen. Es ſind dies dieſelben kleinen weißen Dunſtmaſſen, die ich auf den Gipfeln der höchſten Anden über mir geſehen, und die in mehreren Sprachen Schäfchen, moutons heißen. Wenn der rötliche Nebel den Himmel leicht überzog, ſo be - hielten die Sterne der erſten Größen, die in Cumana über 20 bis 25° hoch faſt nie flimmern, nicht einmal im Zenith ihr ruhiges, planetariſches Licht. Sie flimmerten in allen Höhen, wie nach einem ſtarken Gewitterregen. Dieſe Wirkung eines Nebels, der auf den Hygrometer an der Erdoberfläche nich