PRIMS Full-text transcription (HTML)
Alexander von Humboldts Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.
Zweiter Band.
[figure]
Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger.

Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.

[1]

Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden.

A. v. Humboldt, Reiſe. II. 1[2][3]

Neuntes Kapitel.

Körperbeſchaffenheit und Sitten der Chaymas. Ihre Sprachen.

Der Beſchreibung unſerer Reiſe nach den Miſſionen am Caripe wollte ich keine allgemeinen Betrachtungen über die Stämme der Eingeborenen, welche Neuandaluſien bewohnen, über ihre Sitten, ihre Sprache und ihren gemeinſamen Ur - ſprung einflechten. Jetzt, da wir wieder am Orte ſind, von dem wir ausgegangen, möchte ich alles dies, das für die Geſchichte des Menſchengeſchlechtes von ſo großer Bedeutung iſt, unter einem Geſichtspunkt zuſammenfaſſen. Je weiter wir von jetzt an ins Binnenland eindringen, deſto mehr wird uns das Intereſſe für dieſe Gegenſtände, den Erſcheinungen der phyſiſchen Natur gegenüber, in Anſpruch nehmen. Der nordöſtliche Teil des tropiſchen Amerikas, Terra Firma und die Ufer des Orinoko, gleichen hinſichtlich der Mannigfaltig - keit der Völkerſchaften, die ſie bewohnen, den Thälern des Kaukaſus, den Bergen des Hindu-khu, dem nördlichen Ende Aſiens, jenſeits der Tunguſen und Tataren, die an der Mün - dung des Lena hauſen. Die Barbarei, die in dieſen ver - ſchiedenen Landſtrichen herrſcht, iſt vielleicht nicht ſowohl der Ausdruck urſprünglicher völliger Kulturloſigkeit, als vielmehr die Folge langer Verſunkenheit. Die meiſten der Horden, die wir Wilde nennen, ſtammen wahrſcheinlich von Völkern, die einſt auf bedeutend höherer Kulturſtufe ſtanden, und wie ſoll man ein Stehenbleiben im Kindesalter der Menſchheit (wenn ein ſolches überhaupt vorkommt) vom Zuſtand ſittlichen Verfalles unterſcheiden, in dem Vereinzelung, die Not des Lebens, gezwungene Wanderungen, oder ein grauſames Klima jede Spur von Kultur ausgetilgt haben? Wenn alles, was ſich auf die urſprünglichen Zuſtände des Menſchen und auf die älteſte Bevölkerung eines Feſtlandes bezieht, an und für4 ſich der Geſchichte angehörte, ſo würden wir uns auf die indiſchen Sagen berufen, auf die Anſicht, die in den Geſetzen Manus und im Ramayana ſo oft ausgeſprochen wird, nach der die Wilden aus der bürgerlichen Geſellſchaft ausgeſtoßene, in die Wälder getriebene Stämme ſind. Das Wort Barbar, das wir von Griechen und Römern angenommen, iſt vielleicht nur der Name einer ſolchen verſunkenen Horde.

Zu Anfang der Eroberung Amerikas beſtanden große geſellſchaftliche Vereine unter den Eingeborenen nur auf dem Rücken der Kordilleren und auf den Aſien gegenüber liegenden Küſten. Auf den mit Wald bedeckten, von Flüſſen durch - ſchnittenen Ebenen, auf den endloſen Savannen, die ſich oft - wärts ausbreiten und den Horizont begrenzen, traf man nur umherziehende Völkerſchaften, getrennt durch Verſchiedenheit der Sprache und der Sitten, zerſtreut gleich den Trümmern eines Schiffbruchs. Wir wollen verſuchen, ob uns in Er - mangelung aller anderen Denkmale die Verwandtſchaft der Sprachen und die Beobachtung der Körperbildung dazu dienen können, die verſchiedenen Stämme zu gruppieren, die Spuren ihrer weiten Wanderungen zu verfolgen und ein paar jener Familienzüge aufzufinden, durch die ſich die urſprüngliche Einheit unſeres Geſchlechtes verrät.

Die Eingeborenen oder Ureinwohner bilden in den Län - dern, deren Gebirge wir vor kurzem durchwandert, in den beiden Provinzen Cumana und Nueva Barcelona, beinahe noch die Hälfte der ſchwachen Bevölkerung. Ihre Kopfzahl läßt ſich auf 60000 ſchätzen, wovon 24000 auf Neuanda - luſien kommen. Dieſe Zahl iſt bedeutend gegenüber der Stärke der Jägervölker in Nordamerika; ſie erſcheint klein, wenn man die Teile von Neuſpanien dagegen hält, wo ſeit mehr als acht Jahrhunderten der Ackerbau beſteht, z. B. die Intendanz Oaxaca, in der die Mixteca und Tzapoteca des alten mexikaniſchen Reiches liegen. Dieſe Intendanz iſt um ein Dritteil kleiner als die zwei Provinzen Cumana und Barcelona zuſammen, zählt aber über 400000 Einwohner von der reinen kupferfarbigen Raſſe. Die Indianer in Cumana leben nicht alle in den Miſſionsdörfern; man findet ſie zer - ſtreut in der Umgegend der Städte, auf den Küſten, wohin ſie des Fiſchfangs wegen ziehen, ſelbſt auf den kleinen Höfen in den Llanos oder Savannen. In den Miſſionen der ara - goneſiſchen Kapuziner, die wir beſucht, leben allein 15000 Indianer, die faſt ſämtlich dem Chaymasſtamm angehören. 5Indeſſen ſind die Dörfer dort nicht ſo ſtark bevölkert, wie in der Provinz Barcelona. Die mittlere Seelenzahl iſt nur 500 bis 600, während man weiter nach Weſten in den Miſſionen der Franziskaner von Piritu indianiſche Dörfer mit 2000 bis 3000 Einwohnern trifft. Wenn ich die Zahl der Eingeborenen in den Provinzen Cumana und Barcelona auf 60000 ſchätzte, ſo meinte ich nur die in Terra Firma lebenden, nicht die Guaikeri auf der Inſel Margarita und die große Maſſe der Guaraunen, die auf den Inſeln im Delta des Orinoko ihre Unabhängigkeit behauptet haben. Dieſe ſchätzt man gemeiniglich auf 6000 bis 8000; dies ſcheint mir aber zu viel. Außer den Guaraunenfamilien, die ſich hie und da auf den ſumpfigen, mit Morichepalmen bewachſenen Landſtrichen (zwiſchen dem Caño Manamo und dem Rio Guarapiche), alſo auf dem Feſtlande ſelbſt blicken laſſen, gibt es ſeit dreißig Jahren in Neuandaluſien keine wilden India - ner mehr.

Ungern brauche ich das Wort wild, weil es zwiſchen dem unterworfenen, in den Miſſionen lebenden, und dem freien oder unabhängigen Indianer einen Unterſchied in der Kultur vorausſetzt, dem die Erfahrung häufig widerſpricht. In den Wäldern Südamerikas gibt es Stämme Eingeborener, die unter Häuptlingen friedlich in Dörfern leben, auf ziemlich ausgedehntem Gebiete Piſang, Maniok und Baumwolle bauen und aus letzterer ihre Hängematten weben. Sie ſind um nichts barbariſcher als die nackten Indianer in den Miſſionen, die man das Kreuz hat ſchlagen lehren. Die irrige Meinung, als wären ſämtliche nicht unterworfene Eingeborene umher - ziehende Jägervölker, iſt in Europa ziemlich verbreitet. In Terra Firma beſtand der Ackerbau lange vor Ankunft der Europäer; er beſteht noch jetzt zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrome in den Lichtungen der Wälder, wohin nie ein Miſſionär den Fuß geſetzt hat. Das verdankt man aller - dings dem Regiment der Miſſionen, daß der Eingeborene Anhänglichkeit an Grund und Boden bekommt, ſich an feſten Wohnſitz gewöhnt und ein ruhigeres, friedlicheres Leben lieben lernt. Aber der Fortſchritt in dieſer Beziehung iſt langſam, oft unmerklich, weil man die Indianer völlig von allem Ver - kehr abſchneidet, und man macht ſich ganz falſche Vorſtellungen vom gegenwärtigen Zuſtande der Völker in Südamerika, wenn man einerſeits chriſtlich, unterworfen und civiliſiert, andererſeits heidniſch, wild und unabhängig für gleich -6 bedeutend hält. Der unterworfene Indianer iſt häufig ſo wenig ein Chriſt als der unabhängige Götzendiener; beide ſind völlig vom augenblicklichen Bedürfnis in Anſpruch ge - nommen, und bei beiden zeigt ſich in gleichem Maße voll - kommene Gleichgültigkeit gegen chriſtliche Vorſtellungen und der geheime Hang, die Natur und ihre Kräfte göttlich zu verehren. Ein ſolcher Gottesdienſt gehört dem Kindesalter der Völker an; er kennt noch keine Götzen und keine heiligen Orte außer Höhlen, Schluchten und Forſten.

Wenn die unabhängigen Indianer nördlich vom Orinoko und Apure, d. h. von den Schneebergen von Merida bis zum Vorgebirge Paria, ſeit einem Jahrhundert faſt ganz ver - ſchwunden ſind, ſo darf man daraus nicht ſchließen daß es jetzt in dieſen Ländern weniger Eingeborene gibt, als zur Zeit des Biſchofs von Chiapa, Bartholomäus Las Caſas. In meinem Werke über Mexiko habe ich dargethan, wie ſehr man irrt, wenn man die Ausrottung der Indianer oder auch nur die Abnahme ihrer Volkszahl in den ſpaniſchen Kolonieen als eine allgemeine Thatſache hinſtellt. Die kupferfarbige Raſſe iſt auf beiden Feſtländern Amerikas noch über ſechs Millionen ſtark, und obgleich unzählige Stämme und Sprachen ausgeſtorben ſind oder ſich verſchmolzen haben, ſo unterliegt es doch keinem Zweifel, daß zwiſchen den Wendekreiſen, in dem Teile der Neuen Welt, in den die Kultur erſt ſeit Chriſtoph Kolumbus eingedrungen iſt, die Zahl der Eingeborenen be - deutend zugenommen hat. Zwei karibiſche Dörfer in den Miſſionen von Piritu oder am Carony zählen mehr Familien als vier oder fünf Völkerſchaften am Orinoko. Die geſell - ſchaftlichen Zuſtände der unabhängig gebliebenen Kariben an den Quellen des Eſſequibo und ſüdlich von den Bergen von Pacaraima thun zur Genüge dar, wie ſehr auch bei dieſem ſchönen Menſchenſchlage die Bevölkerung der Miſſionen die Maſſe der unabhängigen und verbündeten Kariben überſteigt. Uebrigens verhält es ſich mit den Wilden im heißen Erd - ſtrich ganz anders als mit denen am Miſſouri. Dieſe be - dürfen eines weiten Gebietes, weil ſie nur von der Jagd leben; die Indianer in ſpaniſch Guyana dagegen bauen Maniok und Bananen, und ein kleines Stück Land reicht zu ihrem Unterhalt hin. Sie ſcheuen nicht die Berührung mit den Weißen, wie die Wilden in den Vereinigten Staaten, die, nacheinander hinter die Alleghanies, hinter Ohio und Miſſiſſippi zurückgedrängt, ſich den Lebensunterhalt in dem7 Maße abgeſchnitten ſehen, in dem man ihr Gebiet beſchränkt. In den gemäßigten Zonen, in den provincias internas von Mexiko ſo gut wie in Kentucky iſt die Berührung mit den europäiſchen Anſiedlern den Eingeborenen verderblich geworden, weil die Berührung dort eine unmittelbare iſt.

Im größten Teil von Südamerika fallen dieſe Urſachen weg. Unter den Tropen bedarf der Ackerbau keiner weiten Landſtrecken, und die Weißen breiten ſich langſam aus. Die Mönchsorden haben ihre Niederlaſſungen zwiſchen den Be - ſitzungen der Koloniſten und dem Gebiete der freien Indianer gegründet. Die Miſſionen ſind als Zwiſchenſtaaten zu be - trachten; ſie haben allerdings die Freiheit der Eingeborenen beſchränkt, aber faſt allerorten iſt durch ſie eine Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden, wie ſie beim Nomaden - leben der unabhängigen Indianer nicht möglich iſt.

Im Maße als die Ordensgeiſtlichen gegen die Wälder vor - rücken und den Eingeborenen Land abgewinnen, ſuchen ihrer - ſeits die weißen Anſiedler von der anderen Seite her das Gebiet der Miſſionen in Beſitz zu bekommen. Dabei ſucht der weltliche Arm fortwährend die unterworfenen Indianer dem Mönchsregiment zu entziehen. Nach einem ungleichen Kampfe treten allmählich Pfarrer an die Stelle der Miſſionäre. Weiße und Miſchlinge laſſen ſich, begünſtigt von den Korregi - doren, unter den Indianern nieder. Die Miſſionen werden zu ſpaniſchen Dörfern und die Eingeborenen wiſſen bald gar nicht mehr, daß ſie eine Volksſprache gehabt haben. So rückt die Kultur von der Küſte ins Binnenland vor, lang - ſam, durch menſchliche Leidenſchaften aufgehalten, aber ſicheren, gleichmäßigen Schrittes.

Die Provinzen Neuandaluſien und Barcelona, die man unter dem Namen Govierno de Cumana begreift, zählen in ihrer gegenwärtigen Bevölkerung mehr als vierzehn Völker - ſchaften; es ſind in Neuandaluſien die Chaymas, Guaikeri, Pariagoten, Quaqua, Aruaken, Kariben und Guaraunen; in der Provinz Barcelona die Cumanagoten, Palenques, Kariben, Piritu, Tomuzen, Topocuaren, Chacopoten und Guariven. Neun oder zehn unter dieſen vierzehn Völker - ſchaften glauben ſelbſt, daß ſie ganz verſchiedener Abſtammung ſind. Man weiß nicht genau, wie viele Guaraunen es gibt, die ihre Hütten an der Mündung des Orinoko auf Bäumen bauen; der Guaikeri in der Vorſtadt von Cumana und auf der Halbinſel Araya ſind es 2000 Köpfe. Unter den8 übrigen Völkerſchaften ſind die Chaymas in den Bergen von Caripe, die Kariben auf den ſüdlichen Savannen von Neu - barcelona und die Cumanagoten in den Miſſionen von Piritu die zahlreichſten. Einige Familien Guaraunen ſind auf dem linken Ufer des Orinoko, da wo das Delta beginnt, der Miſſionszucht unterworfen worden. Die Sprachen der Gua - raunen, Kariben, Cumanagoten und Chaymas ſind die ver - breitetſten. Wir werden bald ſehen, daß ſie demſelben Sprach - ſtamme anzugehören ſcheinen und in ihren grammatiſchen For - men ſo nahe verwandt ſind, wie, um bekanntere Sprachen zur Vergleichung herbeizuziehen, das Griechiſche, Deutſche, Perſiſche und Sanskrit.

Trotz dieſer Verwandtſchaft ſind die Chaymas, Guarau - nen, Kariben, Quaqua, Aruaken und Cumanagoten als verſchiedene Völker zu betrachten. Von den Guaikeri, Paria - goten, Piritu, Tomuzen und Chacopoten wage ich nicht das Gleiche zu behaupten. Die Guaikeri geben ſelbſt zu, daß ihre Sprache und die der Guaraunen einander nahe ſtehen. Beide ſind Küſtenvölker, wie die Malaien in der Alten Welt. Was die Stämme betrifft, die gegenwärtig die Mundarten der Cumanagoten, Kariben und Chaymas haben, ſo läßt ſich über ihre urſprüngliche Abſtammung und ihr Verhältnis zu anderen, ehemals mächtigeren Völkern ſchwer etwas ausſagen. Der Geſchichtſchreiber der Eroberung, wie die Geiſtlichen, welche die Entwickelung der Miſſionen be - ſchrieben haben, verwechſeln, nach der Weiſe der Alten, immer geographiſche Bezeichnungen mit Stammnamen. Sie ſprechen von Indianern von Cumana und von der Küſte von Paria, als ob die Nachbarſchaft der Wohnſitze gleiche Abſtammung bewieſe. Meiſt benennen ſie ſogar die Stämme nach ihren Häuptlingen, nach dem Berg oder dem Thale, die ſie bewohnen. Dadurch häuft ſich die Zahl der Völkerſchaften ins Unend - liche und werden alle Angaben der Miſſionäre über die un - gleichartigen Elemente in der Bevölkerung ihrer Miſſionen in hohem Grade ſchwankend. Wie will man jetzt ausmachen, ob der Tomuze und der Piritu verſchiedener Abſtammung ſind, da beide cumanagotiſch ſprechen, was im weſtlichen Teile des Govierno de Cumana die herrſchende Sprache iſt, wie die der Kariben und der Chaymas im ſüdlichen und öſtlichen? Durch die große Uebereinſtimmung in der Körperbildung werden Unterſuchungen derart ſehr ſchwierig. Die beiden Kontinente verhalten ſich in dieſer Beziehung völlig verſchie -9 den; auf dem neuen findet man eine erſtaunliche Mannig - faltigkeit von Sprachen bei Völkern desſelben Urſprungs, die der Reiſende nach ihrer Körperlichkeit kaum zu unterſcheiden vermag; in der Alten Welt dagegen ſprechen körperlich un - gemein verſchiedene Völker, Lappen, Finnen und Eſthen, die germaniſchen Völker und die Hindu, die Perſer und die Kurden Sprachen, die im Bau und in den Wurzeln die größte Aehn - lichkeit miteinander haben.

Die Indianer in den Miſſionen treiben ſämtlich Acker - bau, und mit Ausnahme derer, die in den hohen Gebirgen leben, bauen alle dieſelben Gewächſe; ihre Hütten ſtehen am einen Orte in Reihen wie am anderen; die Einteilung ihres Tagewerkes, ihre Arbeit im Gemeindeconuco, ihr Verhältnis zu den Miſſionären und den aus ihrer Mitte gewählten Be - amten, alles iſt nach Vorſchriften geordnet, die überall gelten. Und dennoch und dies iſt eine höchſt merkwürdige Beobach - tung in der Geſchichte der Völker war dieſe große Gleich - förmigkeit der Lebensweiſe nicht imſtande die individuellen Züge, die Schattierungen, durch welche ſich die amerikaniſchen Völkerſchaften unterſcheiden, zu verwiſchen. Der Menſch mit kupferfarbiger Haut zeigt eine geiſtige Starrheit, ein zähes Feſthalten an den bei jedem Stamme wieder anders gefärbten Sitten und Gebräuchen, das der ganzen Raſſe recht eigentlich den Stempel aufdrückt. Dieſen Charakterzügen begegnet man unter allen Himmelsſtrichen vom Aequator bis zur Hudſons - bai und bis zur Magelhaensſchen Meerenge; ſie ſind bedingt durch die phyſiſche Organiſation der Eingeborenen, aber die mönchiſche Zucht leiſtet ihnen weſentlich Vorſchub.

Es gibt in den Miſſionen nur wenige Dörfer, wo die Familien verſchiedenen Völkerſchaften angehören und nicht dieſelbe Sprache reden. Aus ſo verſchiedenartigen Elementen beſtehende Gemeinheiten ſind ſchwer zu regieren. Meiſt haben die Mönche ganze Nationen oder doch bedeutende Stücke derſelben Nation in nahe bei einander gelegenen Dörfern untergebracht. Die Eingeborenen ſehen nur Leute ihres eigenen Stammes; denn Hemmung des Verkehres, Vereinzelung, das iſt ein Hauptartikel in der Staatskunſt der Miſſionäre. Bei den unterworfenen Chaymas, Kariben, Tamanacas erhalten ſich die nationalen Eigentümlichkeiten um ſo mehr, da ſie auch noch ihre Sprachen beſitzen. Wenn ſich die Individualität des Menſchen in den Mundarten gleichſam abſpiegelt, ſo wirken dieſe wieder auf Gedanken und Empfindung zurück. 10Durch dieſen innigen Verband zwiſchen Sprache, Volkscharakter und Körperbildung erhalten ſich die Völker einander gegenüber in ihrer Verſchiedenheit und Eigentümlichkeit, und dies iſt eine unerſchöpfliche Quelle von Bewegung und Leben in der geiſtigen Welt.

Die Miſſionäre konnten den Indianern gewiſſe alte Ge - bräuche bei der Geburt eines Kindes, beim Mannbarwerden, bei der Beſtattung der Toten verbieten; ſie konnten es dahin bringen, daß ſie ſich nicht mehr die Haut bemalten oder in Kinn, Naſe und Wangen Einſchnitte machten; ſie konnten beim großen Haufen die abergläubiſchen Vorſtellungen aus - rotten, die in manchen Familien im geheimen ſich forterben; aber es war leichter, Gebräuche abzuſtellen und Erinnerungen zu verwiſchen, als die alten Vorſtellungen durch neue zu er - ſetzen. In den Miſſionen iſt dem Indianer ſein Lebens - unterhalt geſicherter als zuvor. Er liegt nicht mehr in be - ſtändigem Kampfe mit feindlichen Gewalten, mit Menſchen und Elementen, und führt ſo dem wilden, unabhängigen Indianer gegenüber ein einförmigeres, unthätigeres, der Ent - wickelung der Geiſtes - und Gemütskraft weniger günſtiges Leben. Wenn er gutmütig iſt, ſo kommt dies nur daher, weil er die Ruhe liebt, nicht weil er gefühlvoll iſt und ge - mütlich. Wo er außer Verkehr mit den Weißen auch all den Gegenſtänden fern geblieben iſt, welche die Kultur der Neuen Welt zugebracht, hat ſich der Kreis ſeiner Vorſtellungen nicht erweitert. Alle ſeine Handlungen ſcheinen nur durch das augenblickliche Bedürfnis beſtimmt zu werden. Er iſt ſchweigſam, verdroſſen, in ſich gekehrt, ſeine Miene iſt ernſt, geheimnisvoll. Wer nicht lange in den Miſſionen gelebt hat und an das Ausſehen der Eingeborenen nicht gewöhnt iſt, hält ihre Trägheit und geiſtige Starrheit leicht für den Aus - druck der Schwermut und des Tiefſinns.

Ich habe die Charakterzüge des Indianers und die Ver - änderungen, die ſein Weſen unter der Zucht der Miſſionäre erleidet, ſo ſcharf hervorgehoben, um den einzelnen Beobach - tungen, die den Inhalt dieſes Abſchnittes bilden ſollen, mehr Intereſſe zu geben. Ich beginne mit der Nation der Chay - mas, deren über 15000 in den oben beſchriebenen Miſſionen leben. Dieſe nicht ſehr kriegeriſche Nation, welche Pater Francisco de Pamplona um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Zucht zu nehmen anfing, hat gegen Weſt die Cumana - goten, gegen Oſt die Guaraunen, gegen Süd die Kariben zu11 Nachbarn. Sie wohnt entlang dem hohen Gebirge des Cocollar und Guacharo an den Ufern des Guarapiche, des Rio Colo - rado, des Areo und des Caño de Caripe. Nach der genauen ſtatiſtiſchen Aufnahme des Paters Präfekten zählte man im Jahre 1792 in den Miſſionen der aragoneſiſchen Kapuziner in Cumana neunzehn Miſſionsdörfer; das jüngſte iſt von 1728, und ſie zählten 6433 Einwohner in 1465 Haushal - tungen; ſechzehn Dörfer de doctrina; das älteſte iſt von 1660, und ſie hatten 8170 Einwohner in 1766 Familien.

Dieſe Miſſionen hatten in den Jahren 1681, 1697 und 1720 viel zu leiden; die damals noch unabhängigen Kariben machten Einfälle und brannten ganze Dörfer nieder. Zwiſchen den Jahren 1730 und 1736 ging die Bevölkerung zurück in - folge der Verheerungen durch die Blattern, die der kupfer - farbigen Raſſe immer verderblicher ſind als den Weißen. Viele Guaraunen, die bereits angeſiedelt waren, entliefen wieder in ihre Sümpfe. Vierzehn alte Miſſionen blieben wüſte liegen oder wurden nicht wieder aufgebaut.

Die Chaymas ſind meiſt von kleinem Wuchſe; dies fällt namentlich auf, wenn man ſie nicht mit ihren Nachbarn, den Kariben, oder den Payaguas und Guayquilit in Paraguay, die ſich alle durch hohen Wuchs auszeichnen, ſondern nur mit den Eingeborenen Amerikas im Durchſchnitt vergleicht. Die Mittelgröße eines Chaymas beträgt 1 m 57 cm. Ihr Körper iſt gedrungen, unterſetzt, die Schultern ſind ſehr breit, die Bruſt flach, alle Glieder rund und fleiſchig. Ihre Hautfarbe iſt die der ganzen amerikaniſchen Raſſe von den kalten Hoch - ebenen Quitos und Neugranadas bis herab zu den heißen Tiefländern am Amazonenſtrom. Die klimatiſchen Unterſchiede äußern keinen Einfluß mehr auf dieſelbe; ſie iſt durch orga - niſche Verhältniſſe bedingt, die ſich ſeit Jahrhunderten unab - änderlich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortpflanzen. Gegen Nord wird die gleichförmige Hautfarbe röter, dem Kupfer ähnlicher; bei dem Chaymas dagegen iſt ſie dunkelbraun und nähert ſich dem Lohfarbigen. Der Ausdruck kupferfarbige Menſchen zur Bezeichnung der Eingeborenen wäre im tropiſchen Amerika niemals aufgekommen.

Der Geſichtsausdruck der Chaymas iſt nicht eben hart und wild, hat aber doch etwas Ernſtes, Finſteres. Die Stirn iſt klein, wenig gewölbt; daher heißt es auch in mehreren Sprachen dieſes Landſtriches von einem ſchönen Weibe, ſie ſei fett und habe eine ſchmale Stirne . Die Augen der12 Chaymas ſind ſchwarz, tiefliegend und ſtark in die Länge gezogen; ſie ſind weder ſo ſchief geſtellt noch ſo klein wie bei den Völkern mongoliſcher Raſſe, von denen Jornandes ſagt, ſie haben vielmehr Punkte als Augen , magis puncta quam lumina. Indeſſen iſt der Augenwinkel den Schläfen zu dennoch merklich in die Höhe gezogen; die Augenbrauen ſind ſchwarz oder dunkelbraun, dünn, wenig geſchweift; die Augen - lider haben ſehr lange Wimpern, und die Gewohnheit, ſie wie ſchläfrig niederzuſchlagen, gibt dem Blick der Weiber etwas Sanftes und läßt das verſchleierte Auge kleiner er - ſcheinen, als es wirklich iſt. Wenn die Chaymas, wie über - haupt alle Eingeborenen Südamerikas und Neuſpaniens, durch die Form der Augen, die vorſpringenden Backenknochen, das ſtraffe, glatte Haar, den faſt gänzlich mangelnden Bart ſich der mongoliſchen Raſſe nähern, ſo unterſcheiden ſie ſich von derſelben auffallend durch die Form der Naſe, die ziemlich lang iſt, der ganzen Länge nach vorſpringt und bei den Naſenlöchern dicker wird, welch letztere nach unten gerichtet ſind wie bei den Völkern kaukaſiſcher Raſſe. Der große Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig einen gutmütigen Ausdruck. Zwiſchen Naſe und Mund laufen bei beiden Geſchlechtern zwei Furchen von den Naſenlöchern gegen die Mundwinkel. Das Kinn iſt ſehr kurz und rund; die Kinnladen ſind auffallend ſtark und breit.

Die Zähne ſind bei den Chaymas ſchön und weiß wie bei allen Menſchen von einfacher Lebensweiſe, aber lange nicht ſo ſtark wie bei den Negern. Den erſten Reiſenden war der Brauch aufgefallen, mit gewiſſen Pflanzenſäften und Aetzkalk die Zähne ſchwarz zu färben; gegenwärtig weiß man nichts mehr davon. Die Völkerſtämme in dieſem Landſtrich ſind, namentlich ſeit den Einfällen der Spanier, welche Sklaven - handel trieben, ſo hin und her geſchoben worden, daß die Ein - wohner von Paria, die Chriſtoph Kolumbus und Ojeda ge - ſehen, ohne Zweifel nicht vom ſelben Stamme waren wie die Chaymas. Ich bezweifle ſehr, daß der Brauch des Schwärzens der Zähne, wie Gomara behauptet, mit ſeltſamen Schönheits - begriffen1Die Völker, welche die Spanier auf der Küſte von Paria antrafen, hatten wahrſcheinlich den Gebrauch, die Geſchmacksorgane mit Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Kakaoblätter oder Betel brauchen. Dieſe Sitte herrſcht noch jetzt auf derſelben zuſammenhängt, oder daß es ein Mittel gegen13 Zahnſchmerzen ſein ſollte. Von dieſem Uebel wiſſen die In - dianer ſo gut wie nichts; auch die Weißen in den ſpaniſchen Kolonieen, wenigſtens in den heißen Landſtrichen, wo die Tem - peratur ſo gleichförmig iſt, leiden ſelten daran. Auf dem Rücken der Kordilleren, in Santa Fé und Popayan ſind ſie demſelben mehr ausgeſetzt.

Die Chaymas haben, wie faſt alle eingeborenen Völker, die ich geſehen, kleine, ſchmale Hände. Ihre Füße aber ſind groß, und die Zehen bleiben beweglicher als gewöhnlich. Alle Chaymas ſehen einander ähnlich wie nahe Verwandte, und dieſe gleichförmige Bildung, die von den Reiſenden ſo oft hervorgehoben worden iſt, wird deſto auffallender, als ſich bei ihnen zwiſchen dem zwanzigſten und fünfzigſten Jahre das Alter nicht durch Hautrunzeln, durch graues Haar oder Hinfälligkeit des Körpers verrät. Tritt man in eine Hütte, ſo kann man oft unter den Erwachſenen kaum den Vater vom Sohn, die eine Generation von der anderen unterſcheiden. Nach meiner Anſicht beruht dieſer Familienzug auf zwei ſehr verſchiedenen Momenten: auf den örtlichen Verhältniſſen der indianiſchen Völkerſchaften und auf der niedrigen Stufe ihrer geiſtigen Entwickelung. Die wilden Völker zerfallen in eine Unzahl von Stämmen, die ſich tödlich haſſen und niemals Ehen unter - einander ſchließen, ſelbſt wenn ihre Mundarten demſelben Sprachſtamme angehören und nur ein kleiner Flußarm oder eine Hügelkette ihre Wohnſitze trennt. Je weniger zahlreich die Stämme ſind, deſto mehr muß ſich, wenn ſich jahrhunderte - lang dieſelben Familien miteinander verbinden, eine gewiſſe gleichförmige Bildung, ein organiſcher, recht eigentlich natio - naler Typus feſtſetzen. 1S. Tacitus Germania. Kap. 4.Dieſer Typus erhält ſich unter der Zucht der Miſſionen, die nur eine Völkerſchaft unter der Ob - hut haben. Die Vereinzelung iſt ſo ſtark wie früher; Ehen werden nur unter Angehörigen derſelben Dorfſchaft geſchloſſen. Für dieſe Blutsverwandtſchaft, welche ſo ziemlich um eine1Küſte, nur weiter oſtwärts, bei den Goajiros an der Mündung des Rio la Hacha. Dieſe Indianer, die wild geblieben ſind, führen das Pulver von kleinen calcinierten Muſchelſchalen in einer Frucht, die als Kapſel dient, am Gürtel. Dieſes Pulver des Goajiros iſt ein Handelsartikel, wie früher, nach Gomara, das der Indianer in Paria. In Europa werden die Zähne vom übermäßigen Tabak - rauchen gleichfalls gelb und ſchwarz. Wäre der Schluß richtig, man rauche bei uns, weil man gelbe Zähne ſchöner finde als weiße?14 ganze Völkerſchaft ein Band ſchlingt, hat die Sprache der Indianer, die in den Miſſionen geboren ſind oder erſt nach ihrer Aufnahme aus den Wäldern ſpaniſch gelernt haben, einen naiven Ausdruck. Wenn ſie von Leuten ſprechen, die zum ſelben Stamme gehören, ſagen ſie mis parientes, meine Verwandten.

Zu dieſen Urſachen, die ſich nur auf die Vereinzelung beziehen, deren Einfluß ſich ja auch bei den europäiſchen Juden, bei den indiſchen Kaſten und allen Gebirgsvölkern bemerklich macht, kommen nun noch andere, bisher weniger beachtete. Ich habe ſchon früher bemerkt, daß es vorzüglich die Geiſtes - bildung iſt, was Menſchengeſichter voneinander verſchieden macht. Barbariſche Nationen haben viel mehr eine Stamm - oder Hordenphyſiognomie, als eine, die dieſem oder jenem Individuum zukäme. Der wilde Menſch verhält ſich hierin dem gebildeten gegenüber wie die Tiere einer und derſelben Art, die zum Teil in der Wildnis leben, während die anderen in der Umgebung des Menſchen gleichſam an den Segnungen und den Uebeln der Kultur teilnehmen. Abweichungen in Körperbau und Farbe kommen nur bei den Haustieren häufig vor. Welcher Abſtand, was Beweglichkeit der Züge und mannig - faltigen phyſiognomiſchen Ausdruck betrifft, zwiſchen den Hun - den, die in der Neuen Welt wieder verwildert ſind, und den Hunden in einem wohlhabenden Hauſe, deren geringſte Launen man befriedigt! Beim Menſchen und bei den Tieren ſpiegeln ſich die Regungen der Seele in den Zügen ab, und die Züge werden deſto beweglicher, je häufiger, mannigfaltiger und an - dauernder die Empfindungen ſind. Aber der Indianer in den Miſſionen, von aller Kultur abgeſchnitten, wird allein vom phyſiſchen Bedürfnis beſtimmt, und da er dieſes im herr - lichen Klima faſt mühelos befriedigt, führt er ein träges, ein - förmiges Leben. Unter den Gemeindegliedern herrſcht die vollkommenſte Gleichheit, und dieſe Einförmigkeit, dieſe Starr - heit der Verhältniſſe drückt ſich auch in den Geſichtszügen der Indianer aus.

Unter der Zucht der Mönche wandeln heftige Leiden - ſchaften, wie Groll und Zorn, den Eingeborenen ungleich ſeltener an, als wenn er in den Wäldern lebt. Wenn der wilde Menſch ſich raſchen, heftigen Gemütsbewegungen über - läßt, ſo wird ſein bis dahin ruhiges, ſtarres Geſicht auf ein - mal krampfhaft verzerrt; aber ſeine Aufregung geht um ſo raſcher vorüber, je ſtärker ſie iſt. Beim Indianer in den15 Miſſionen dagegen iſt, wie ich am Orinoko oft beobachten konnte, der Zorn nicht ſo heftig, nicht ſo offen, aber er hält länger an. Uebrigens iſt es auf allen Stufen menſchlicher Entwickelung nicht die Stärke oder die augenblickliche Ent - feſſelung der Leidenſchaften, was den Zügen den eigentlichen Ausdruck gibt, ſondern vielmehr jene Reizbarkeit der Seele, die uns in beſtändiger Berührung mit der Außenwelt erhält, Zahl und Maß unſerer Schmerzen und unſerer Freuden ſteigert und auf Phyſiognomie, Sitten und Sprache zugleich zurückwirkt. Wenn Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit der Züge das belebte Naturreich verſchönern, ſo iſt auch nicht zu leugnen, daß beide zwar nicht allein Produkte der Kultur ſind, wohl aber mit ihr ſich ſteigern. In der großen Völker - familie kommen dieſe Vorzüge keiner Raſſe in höherem Maße zu als der kaukaſiſchen oder europäiſchen. Nur beim weißen Menſchen tritt das Blut plötzlich in das Gewebe der Haut und tritt damit jener leiſe Wechſel der Geſichtsfarbe ein, der den Ausdruck der Gemütsbewegungen ſo bedeutend verſtärkt. Wie ſoll man Menſchen trauen, die nicht rot werden können? ſagt der Europäer in ſeinem eingewurzelten Haſſe gegen den Neger und den Indianer. Man muß übrigens zugeben, daß dieſe Starrheit der Züge nicht allen Raſſen mit ſehr dunkel gefärbter Haut zukommt; ſie iſt beim Afrikaner lange nicht ſo bedeutend wie bei den eingeborenen Amerikanern.

Dieſer phyſiſchen Schilderung der Chaymas laſſen wir einige allgemeine Bemerkungen über ihre Lebensweiſe und ihre Sitten folgen. Da ich die Sprache des Volkes nicht verſtehe, kann ich keinen Anſpruch darauf machen, während meines nicht ſehr langen Aufenthaltes in den Miſſionen ihren Charakter durchgängig kennen gelernt zu haben. So oft im folgenden von den Indianern die Rede iſt, ſtelle ich das, was wir von den Miſſionären erfahren, neben das Wenige, was wir ſelbſt beobachten konnten.

Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in ſehr heißen Ländern, eine entſchiedene Abneigung gegen Kleider. Von mittelalterlichen Schriftſtellern hören wir, daß im nörd - lichen Europa die Hemden und Beinkleider, welche die Miſ - ſionäre austeilten, nicht wenig zur Bekehrung der Heiden bei - getragen haben. In der heißen Zone dagegen ſchämen ſich die Eingeborenen, wie ſie ſagen, daß ſie Kleider tragen ſollen, und ſie laufen in die Wälder, wenn man ſie zu frühe nötigt, ihr Nacktgehen aufzugeben. Bei den Chaymas bleiben, trotz16 des Eiferns der Mönche, Männer und Weiber im Inneren der Häuſer nackt. Wenn ſie durch das Dorf gehen, tragen ſie eine Art Hemd aus Baumwollenzeug, das kaum bis zum Knie reicht. Bei den Männern hat dasſelbe Aermel, bei den Weibern und den Jungen bis zum zehnten, zwölften Jahre bleiben Arme, Schultern und der obere Teil der Bruſt frei. Das Hemd iſt ſo geſchnitten, daß Vorderſtück und Rückenſtück durch zwei ſchmale Bänder auf der Schulter zuſammenhängen. Es kam vor, daß wir Eingeborenen außerhalb der Miſſion begegneten, die, namentlich bei Regenwetter, ihr Hemd aus - gezogen hatten und es aufgerollt unter dem Arm trugen. Sie wollten ſich lieber auf den bloßen Leib regnen als ihre Kleider naß werden laſſen. Die älteſten Weiber verſteckten ſich dabei hinter die Bäume und ſchlugen ein lautes Gelächter auf, wenn wir an ihnen vorüber kamen. Die Miſ - ſionäre klagen meiſt, daß Scham und Gefühl für das An - ſtändige bei den jungen Mädchen nicht viel entwickelter ſeien als bei den Männern. Schon Ferdinand Kolumbus erzählt, ſein Vater habe im Jahr 1498 auf der Inſel Trinidad völlig nackte Weiber angetroffen, während die Männer den Guayuco trugen, der viel mehr eine ſchmale Binde iſt als eine Schürze. Zur ſelben Zeit unterſchieden ſich auf der Küſte von Paria die Mädchen von den verheirateten Weibern dadurch, daß ſie, wie Kardinal Bembo behauptet, ganz nackt gingen, oder, nach Gomara, dadurch, daß ſie einen anders gefärbten Guayuco trugen. Dieſe Binde, die wir noch bei den Chaymas und allen nackten Völkerſchaften am Orinoko angetroffen, iſt nur 5 bis 7 cm breit und wird mit beiden Enden an einer Schnur befeſtigt, die mitten um den Leib gebunden iſt. Die Mädchen heiraten häufig mit zwölf Jahren; bis zum neunten geſtatten ihnen die Miſſionäre, nackt, das heißt ohne Hemd, zur Kirche zu kommen. Ich brauche hier nicht daran zu erinnern, daß bei den Chaymas, wie in allen ſpaniſchen Miſſionen und india - niſchen Dörfern, die ich beſucht, Beinkleider, Schuhe und Hut Luxusartikel ſind, von denen die Eingeborenen nichts wiſſen. Ein Diener, der uns auf der Reiſe nach Charipe und an den Orinoko begleitet, und den ich mit nach Frankreich gebracht, konnte ſich, nachdem wir ans Land geſtiegen, nicht genug ver - wundern, als er einen Bauern mit dem Hut auf dem Kopf ackern ſah, und er glaubte in einem armſeligen Lande zu ſein, wo ſogar die Edelleute (los mismos caballeros) hinter dem Pfluge gehen .

17

Die Weiber der Chaymas ſind nach unſeren Schönheits - begriffen nicht hübſch; indeſſen haben die jungen Mädchen etwas Sanftes und Wehmütiges im Blick, das von dem ein wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm abſticht. Die Haare tragen ſie in zwei lange Zöpfe geflochten. Die Haut bemalen ſie ſich nicht und kennen in ihrer Armut keinen anderen Schmuck als Hals - und Armbänder aus Muſcheln, Vögelknochen und Fruchtkernen. Männer und Weiber ſind ſehr muskulös, aber der Körper iſt fleiſchig mit runden Formen. Ich brauche kaum zu ſagen, daß mir nie ein Individuum mit einer natürlichen Mißbildung aufgeſtoßen iſt; dasſelbe gilt von den vielen tauſend Kariben, Muyscas, Mexikanern und Peruanern, die wir in fünf Jahren geſehen. Dergleichen Mißbildungen ſind bei gewiſſen Raſſen ungemein ſelten, beſonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe ſtark gefärbt iſt. Ich kann nicht glauben, daß ſie allein Folgen höherer Kultur, einer weichlicheren Lebensweiſe und der Sitten - verderbnis ſind. In Europa heiratet ein ſehr buckeliges oder ſehr häßliches Mädchen, wenn ſie Vermögen hat, und die Kinder erben häufig die Mißbildung der Mutter. Im wilden Zuſtand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrſcht, kann nichts einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder ſehr Kränkliche zum Weibe zu nehmen. Hat eine ſolche das ſeltene Glück, daß ſie das Alter der Reife erreicht, ſo ſtirbt ſie ſicher kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden ſeien alle ſo wohlgebildet und ſo kräftig, weil die ſchwächlichen Kinder aus Verwahrloſung frühe wegſterben und nur die kräftigen am Leben bleiben; aber dies kann nicht von den Indianern in den Miſſionen gelten, welche die Sitten unſerer Bauern haben, noch auch von den Mexikanern in Cholula und Tlascala, die in einem Wohlſtand leben, den ſie von civiliſierteren Vor - fahren ererbt. Wenn die kupferfarbige Raſſe auf allen Kultur - ſtufen dieſelbe Starrheit zeigt, dieſelbe Unfähigkeit, vom ur - ſprünglichen Typus abzuweichen, ſo müſſen wir darin doch wohl großenteils angeborene Anlage erblicken, das, worin eben der eigentümliche Raſſencharakter beſteht. Ich ſage abſichtlich: großenteils weil ich den Einfluß der Kultur nicht ganz aus - ſchließen möchte. Beim kupferfarbigen Menſchen, wie beim Weißen, wird der Körper durch Luxus und Weichlichkeit ge - ſchwächt, und aus dieſem Grunde waren früher Mißbildungen in Cuzco und Tenochtitlan häufiger; aber unter den heutigen Mexikanern, die alle Landbauern ſind und in der größtenA. v. Humboldt, Reiſe. II. 218Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge und Buckeligen aufgetrieben, die Bernal Diaz bei ſeiner Mahlzeit erſcheinen ſah.

Die Sitte des frühzeitigen Heiratens iſt, wie die Ordens - geiſtlichen bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus nicht nachteilig. Dieſe frühe Mannbarkeit iſt Raſſencharakter und keineswegs Folge des heißen Klimas; ſie kommt ja auch auf der Nordweſtküſte von Amerika, bei den Eskimo vor, ſo - wie in Aſien bei den Kamtſchadalen und Korjäken, wo häufig zehnjährige Mädchen Mütter ſind. Man kann ſich nur wundern, daß die Tragezeit, die Dauer der Schwangerſchaft ſich im geſunden Zuſtande bei keiner Raſſe und in keinem Klima verändert.

Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie die Tunguſen und andere Völker mongoliſcher Raſſe. Die wenigen Haare, die ſproſſen, reißen ſie aus; aber im all - gemeinen iſt es unrichtig, wenn man behauptet, ſie haben nur deshalb keinen Bart, weil ſie denſelben ausraufen. Auch ohne dieſen Brauch wären die Indianer größtenteils ziemlich bartlos. Ich ſage größtenteils, denn es gibt Völkerſchaften, die in dieſer Beziehung ganz vereinzelt neben den anderen ſtehen und deshalb um ſo mehr Aufmerkſamkeit verdienen. Hierher gehören in Nordamerika die Chipewyans, die Mackenzie beſucht hat, und die Yabipais bei den toltekiſchen Ruinen von Moqui, beide mit dichtem Bart, in Südamerika die Pata - gonen und Guarani. Unter letzteren ſieht man einzelne ſogar mit behaarter Bruſt. Wenn die Chaymas, ſtatt ſich den dünnen Kinnbart auszuraufen, ſich häufig raſieren, ſo wächſt der Bart ſtärker. Solches ſah ich mit Erfolg junge Indianer thun, die als Meßdiener lebhaft wünſchten, den Vätern Kapu - zinern, ihren Miſſionären und Meiſtern zu gleichen. Beim Volk im ganzen aber iſt und bleibt der Bart in dem Maße verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren ſteht. Dieſer Widerwille fließt aus derſelben Quelle wie die Vorliebe für abgeflachte Stirnen, die an den Bildniſſen aztekiſcher Gott - heiten und Helden in ſo ſeltſamer Weiſe zu Tage kommt. Den Völkern gilt immer für ſchön, was ihre eigene Körper - bildung, ihre Nationalphyſiognomie beſonders auszeichnet. 1So übertrieben die Griechen bei ihren ſchönſten Statuen die Stirnbildung, indem ſie den Geſichtswinkel zu groß annahmen.19Da ihnen nun die Natur ſehr wenig Bart, eine ſchmale Stirn und eine rotbraune Haut gegeben hat, ſo hält ſich jeder für deſto ſchöner, je weniger ſein Körper behaart, je flacher ſein Kopf, je lebhafter ſeine Haut mit Roucou, Chica oder irgend einer kupferroten Farbe bemalt iſt.

Die Lebensweiſe der Chaymas iſt höchſt einförmig. Sie legen ſich regelmäßig um ſieben Uhr abends nieder und ſtehen lange vor Tag, um halb fünf Uhr morgens, auf. Jeder Indianer hat ein Feuer bei ſeiner Hängematte. Die Weiber ſind ſo froſtig, daß ich ſie in der Kirche vor Kälte zittern ſah, wenn der hundertteilige Thermometer noch auf 18° ſtand. Im Inneren ſind die Hütten der Indianer äußerſt ſauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit Maniok oder gegorenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, alles befindet ſich in der ſchönſten Ordnung. Männer und Weiber baden täglich, und da ſie faſt immer nackt gehen, ſo kann bei ihnen die Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen Volk in kalten Ländern vorzugsweiſe von den Kleidern her - rührt. Außer dem Haus im Dorfe haben ſie meiſt auf ihren Conucos, an einer Quelle oder am Eingang einer recht einſamen Schlucht, eine mit Palm - und Bananenblättern ge - deckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich ſie auf dem Conuco weniger bequem leben, halten ſie ſich doch dort auf, ſo oft ſie nur können. Schon oben gedachten wir ihres un - widerſtehlichen Triebes, die Geſellſchaft zu fliehen und zum Leben in der Wildnis zurückzukehren. Die kleinſten Kinder entlaufen nicht ſelten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmkohl und Wurzeln ſich nährend. Wenn man in den Miſſionen reiſt, ſieht man häufig die Dörfer faſt ganz leer ſtehen, weil die Einwohner in ihren Gärten ſind oder auf der Jagd, al monte. Bei den civiliſierten Völkern fließt wohl die Jagdluſt zum Teil aus denſelben moraliſchen Quellen, aus dem Reiz der Einſamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen Eindruck, den die Natur überall auf den Menſchen macht, wo er ſich ihr allein gegenüberſieht.

Entbehrung und Leiden ſind auch bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbariſchen Völkern, das Los der Weiber. Die ſchwerſte Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas abends aus ihrem Garten heimkommen ſahen, trug der Mann nichts als das Meſſer (Machete), mit dem er ſich einen Weg durch das Geſträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter20 einer gewaltigen Laſt Bananen und trug ein Kind auf dem Arm, und zwei andere ſaßen nicht ſelten oben auf dem Bündel. Trotz dieſer geſellſchaftlichen Unterordnung ſchienen mir die Weiber der ſüdamerikaniſchen Indianer glücklicher als die der Wilden im Norden. Zwiſchen den Alleghanies und dem Miſſiſ - ſippi werden überall, wo die Eingeborenen nicht größten - teils von der Jagd leben, Mais, Bohnen und Kürbiſſe nur von den Weibern gebaut; der Mann gibt ſich mit dem Acker - bau gar nicht ab. In der heißen Zone gibt es nur ſehr wenige Jägervölker, und in den Miſſionen arbeiten die Män - ner im Felde ſo gut wie die Weiber.

Man macht ſich keinen Begriff davon, wie ſchwer die Indianer Spaniſch lernen. Sie haben einen Abſcheu davor, ſolange ſie mit den Weißen nicht in Berührung kommen und ihnen der Ehrgeiz fremd bleibt, civiliſierte Indianer zu heißen, oder, wie man ſich in den Miſſionen ausdrückt, latiniſierte Indianer, Indios muy latinos. Was mir aber nicht allein bei den Chaymas, ſondern in allen ſehr entlegenen Miſſionen, die ich ſpäter beſucht, am meiſten auffiel, das iſt, daß es den Indianern ſo ungemein ſchwer wird, die einfachſten Ge - danken zuſammenzubringen und auf ſpaniſch auszudrücken, ſelbſt wenn ſie die Bedeutung der Worte und den Satzbau ganz gut kennen. Man ſollte ſie für noch einfältiger halten als Kinder, wenn ein Weißer ſie über Gegenſtände befragt, mit denen ſie von Kindesbeinen an vertraut ſind. Die Miſ - ſionäre verſichern, dieſes Stocken ſei nicht Folge der Schüchtern - heit; bei den Indianern, die täglich ins Haus des Miſſionärs kommen und bei der öffentlichen Arbeit die Aufſicht führen, ſei es keineswegs natürliche Beſchränktheit, ſondern nur Un - vermögen, den Mechanismus einer von ihren Landesſprachen abweichenden Sprache zu handhaben. Je unkultivierter der Menſch iſt, deſto mehr moraliſche Starrheit und Unbiegſam - keit kommt ihm zu. Es iſt alſo nicht zu verwundern, wenn der Indianer, der vereinſamt in den Miſſionen lebt, Hemm - niſſen begegnet, von denen diejenigen nichts wiſſen, die mit Meſtizen, Mulatten und Weißen in der Nähe der Städte in Pfarrdörfern wohnen. Ich war oft erſtaunt, mit welcher Geläufigkeit in Caripe der Alkalde, der Governador, der Sargento mayor ſtundenlang zu den vor der Kirche verſammelten Indianern ſprachen; ſie verteilten die Arbeiten für die Woche, ſchalten die Trägen, drohten den Unanſtel - ligen. Dieſe Häuptlinge, die ſelbſt Chaymas ſind und die21 Befehle des Miſſionärs der Gemeinde zur Kenntnis bringen, ſprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit ſtarker Betonung, faſt ohne Gebärdenſpiel. Ihre Züge bleiben dabei unbeweglich, ihr Blick iſt ernſt gebieteriſch.

Dieſelben Menſchen, die ſo viel Geiſteslebendigkeit ver - rieten und ziemlich gut Spaniſch verſtanden, konnten ihre Ge - danken nicht mehr zuſammenbringen, wenn ſie uns auf unſeren Ausflügen in der Nähe des Kloſters begleiteten und wir durch die Mönche Fragen an ſie richten ließen. Man konnte ſie ja oder nein ſagen laſſen, je nachdem man die Frage ſtellte, und ihre Trägheit und nebenbei auch jene ſchlaue Höflichkeit, die auch dem roheſten Indianer nicht ganz fremd iſt, ließ ſie nicht ſelten ihren Antworten die Wendung geben, auf die unſere Fragen zu deuten ſchienen. Wenn ſich Reiſende auf die Ausſagen von Eingeborenen berufen wollen, können ſie vor dieſem gefälligen Jaſagen ſich nicht genug in acht nehmen. Ich wollte einmal einen indianiſchen Alkalden auf die Probe ſtellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe, der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der anderen Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte Oeffnung herein. Er ſchien ſich eine Weile zu beſinnen und ſagte dann zur Unterſtützung meiner Annahme: Freilich, wie wäre auch ſonſt vorn in der Höhle immer Waſſer im Bett?

Alle Zahlenverhältniſſe faſſen die Chaymas außerordent - lich ſchwer. Ich habe nicht einen geſehen, den man nicht ſagen laſſen konnte, er ſei achtzehn oder aber ſechzig Jahre alt. Marsden hat dieſelbe Beobachtung an den Malaien auf Sumatra gemacht, die doch ſeit mehr als fünfhundert Jahren civiliſiert ſind. Die Chaymasſprache hat Worte, die ziemlich große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wiſſen damit umzugehen, und da ſie im Verkehr mit den Miſſionären dazu genötigt ſind, ſo zählen die fähigſten ſpaniſch, aber ſo, daß man ihnen die geiſtige Anſtrengung anſieht, bis auf dreißig oder fünfzig. In der Chaymasſprache zählen dieſelben Men - ſchen nicht über fünf oder ſechs. Es iſt natürlich, daß ſie ſich vorzugsweiſe der Worte einer Sprache bedienen, in der ſie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt haben. Seit die europäiſchen Gelehrten es der Mühe wert halten, den Bau der amerikaniſchen Sprachen zu ſtudieren, wie man den Bau der ſemitiſchen Sprachen, des Griechiſchen und des Lateiniſchen ſtudiert, ſchreibt man nicht mehr der22 Mangelhaftigkeit der Sprachen zu, was nur auf Rechnung der Roheit der Völker kommt. Man erkennt an, daß faſt überall die Mundarten reicher ſind und feinere Wendungen aufzuweiſen haben, als man nach der Kulturloſigkeit der Völker, die ſie ſprechen, vermuten ſollte. Ich bin weit ent - fernt, die Sprachen der Neuen Welt den ſchönſten Sprachen Aſiens und Europas gleichſtellen zu wollen; aber keine von dieſen hat ein klareres, regelmäßigeres und einfacheres Zahl - ſyſtem als das Qquichua und das Aztekiſche, die in den großen Reichen Cuzco und Anahuac geſprochen wurden. Dürfte man nun ſagen, in dieſen Sprachen zähle man nicht über vier, weil es in den Dörfern, wo ſich dieſelben unter den armen Bauern von peruaniſchem oder mexikaniſchem Stamm erhalten haben, Menſchen gibt, die nicht weiter zählen können? Die ſeltſame Anſicht, nach der ſo viele Völker Amerikas nur bis zu fünf, zehn oder zwanzig ſollen zählen können, iſt durch Reiſende aufgekommen, die nicht wußten, daß die Menſchen, je nach dem Geiſt der verſchiedenen Mund - arten, in allen Himmelsſtrichen nach fünf, zehn oder zwanzig Einheiten (das heißt nach den Fingern einer Hand, beider Hände, der Hände und Füße zuſammen) einen Abſchnitt machen, und daß ſechs, dreizehn oder zwanzig auf verſchiedene Weiſe durch fünf eins, zehn drei und Fuß zehn ausgedrückt werden. Kann man ſagen, die Zahlen der Europäer gehen nicht über zehn, weil wir Halt machen, wenn eine Gruppe von zehn Einheiten beiſammen iſt?

Die amerikaniſchen Sprachen ſind ſo ganz anders gebaut, als die Töchterſprachen des Lateiniſchen, daß die Jeſuiten, welche alles, was ihre Anſtalten fördern konnte, aufs ſorg - fältigſte in Betracht zogen, bei den Neubekehrten ſtatt des Spaniſchen einige indianiſche ſehr reiche, ſehr regelmäßige und weit verbreitete Sprachen, namentlich das Qquichua und das Guarani, einführten. Sie ſuchten durch dieſe Sprachen die ärmeren, plumperen, im Satzbau nicht ſo regelmäßigen Mund - arten zu verdrängen. Und der Tauſch gelang ohne alle Schwierigkeit; die Indianer verſchiedener Stämme ließen ſich ganz gelehrig dazu herbei, und ſo wurden dieſe verallgemei - nerten amerikaniſchen Sprachen zu einem bequemen Verkehrs - mittel zwiſchen den Miſſionären und den Neubekehrten. Mit Unrecht würde man glauben, der Sprache der Inka ſei nur darum der Vorzug vor dem Spaniſchen gegeben worden, um die Miſſionen zu iſolieren und ſie dem Einfluß zweier auf -23 einander eiferſüchtiger Gewalten, der Biſchöfe und der Statt - halter, zu entziehen; abgeſehen von ihrer Politik hatten die Jeſuiten noch andere Gründe, wenn ſie gewiſſe indianiſche Sprachen zu verbreiten ſuchten. Dieſe Sprachen boten ihnen ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu ſchlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich geſinnt, durch die Sprachverſchiedenheit geſchieden waren; denn in unkultivierten Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren Jahrhunderten nicht ſelten die Form oder doch das Ausſehen von Urſprachen.

Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutſch, ein Spanier leichter Italieniſch oder Lateiniſch als jede andere Sprache, ſo meint man zunächſt, dies rühre daher, daß alle germaniſchen Sprachen oder alle Sprachen des lateiniſchen Europas eine Menge Wurzeln miteinander gemein haben; man vergißt, daß es neben dieſer Aehnlichkeit der Laute eine andere gibt, die Völker von gemeinſamem Urſprung noch un - gleich tiefer anregt. Die Sprache iſt keineswegs ein Ergebnis willkürlicher Uebereinkunft; der Mechanismus der Flexionen, die grammatiſchen Formen, die Möglichkeit der Inverſionen, alles iſt ein Ausfluß unſeres Inneren, unſerer eigentümlichen Organiſation. Im Menſchen lebt ein unbewußt thätiges und ordnendes Prinzip, das bei Völkern von verſchiedener Raſſe auch verſchieden angelegt iſt. Das mehr oder weniger rauhe Klima, der Aufenthalt im Hochgebirge oder am Meeresufer, die ganze Lebensweiſe mögen die Laute umwandeln, die Gemeinſamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer neue erzeugen; aber alle dieſe Urſachen laſſen den Bau und das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüſſe des Klimas und aller äußeren Verhältniſſe ſind ein verſchwin - dendes Moment dem gegenüber, was der Raſſencharakter wirkt, die Geſamtheit der dem Menſchen eigentümlichen, ſich vererbenden Anlagen.

In Amerika nun und dieſes Ergebnis der neueſten Forſchungen iſt für die Geſchichte unſerer Gattung von der höchſten Bedeutung in Amerika haben vom Lande der Eskimo bis zum Orinoko, und von den heißen Ufern dieſes Fluſſes bis zum Eiſe der Magelhaensſchen Meerenge den Wur - zeln nach ganz verſchiedene Stammſprachen ſozuſagen die - ſelbe Phyſiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie die der Inka, das Aymara, Guarani, Cora und das Mexi - kaniſche, ſondern auch ſehr rohe Sprachen zeigen in ihrem24 grammatiſchen Bau die überraſchendſten Aehnlichkeiten. Idiome, deren Wurzeln einander um nichts ähnlicher ſind als die Wurzeln des Slawiſchen und des Baskiſchen, gleichen einander im inneren Mechanismus wie Sanskrit, Perſiſch, Griechiſch und die germaniſchen Sprachen. So findet man faſt überall in der Neuen Welt, daß die Zeitwörter eine ganze Menge Formen und Tempora haben, ein künſtliches, ſehr verwickeltes Verfahren, um entweder durch Flexion der perſönlichen Für - wörter, welche die Wortendungen bilden, oder durch Ein - ſchieben eines Suffixes zum voraus Weſen und Verhältniſſe des Subjektes zu bezeichnen, um anzugeben, ob dasſelbe lebendig iſt oder leblos, männlichen oder weiblichen Geſchlechtes, einfach oder in vielfacher Zahl. Eben wegen dieſer allgemeinen Aehn - lichkeit im Bau, und weil amerikaniſche Sprachen, die auch nicht ein Wort miteinander gemein haben (z. B. das Mexi - kaniſche und das Qquichua), in ihrer inneren Gliederung übereinkommen und von den Töchterſprachen des Lateiniſchen durchaus abweichen, lernt der Indianer in den Miſſionen viel leichter eine amerikaniſche Sprache als die des europäi - ſchen Mutterlandes. In den Wäldern am Orinoko habe ich die roheſten Indianer zwei, drei Sprachen ſprechen hören. Häufig verkehren Wilde verſchiedener Nationen in einem anderen als ihrem eigenen Idiom miteinander.

Hätte man das Syſtem der Jeſuiten befolgt, ſo wären bereits weit verbreitete Sprachen faſt allgemein geworden. Auf Terra Firma und am Orinoko ſpräche man jetzt nur karibiſch oder tamanakiſch, im Süden und Südweſten Qqui - chua, Guarani, Omagua und araukaniſch. Die Miſſionäre könnten ſich dieſe Sprachen zu eigen machen, denen gramma - tiſche Formen höchſt regelmäßig und faſt ſo feſt ſind wie im Griechiſchen und Sanskrit, und würden ſo den Eingeborenen, über die ſie herrſchen, weit näher kommen. Die zahlloſen Schwierigkeiten in der Verwaltung von Miſſionen, die aus einem Dutzend Völkerſchaften beſtehen, verſchwänden mit der Sprachverwirrung. Die wenig verbreiteten Mundarten würden tote Sprachen; aber der Indianer behielte mit einer ameri - kaniſchen Sprache auch ſeine Individualität und ſeine natio - nale Phyſiognomie. Man erreichte ſo auf friedlichem Wege, was die allzuſehr geprieſenen Inka, die den Fanatismus in die Neue Welt eingeführt, mit Waffengewalt durchzuführen begonnen.

Wie mag man ſich auch wundern, daß die Chaymas, die25 Kariben, die Saliven oder Otomaken im Spaniſchen ſo ge - ringe Fortſchritte machen, wenn man bedenkt, daß fünf -, ſechs - hundert Indianern ein Weißer, ein Miſſionär gegenüberſteht, und daß dieſer alle Mühe hat, einen Governador, Alkaden oder Fiskal zum Dolmetſcher heranzubilden! Könnte man ſtatt der Zucht der Miſſionäre die Indianer auf anderem Wege civiliſieren oder vielmehr ihre Sitten ſänftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne deshalb gebildeter zu ſein), könnte man die Weißen, ſtatt ſie fern zu halten, in neugebildeten Gemeinden unter den Ein - geborenen leben laſſen, ſo wären die amerikaniſchen Sprachen bald von den europäiſchen verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige Maſſe neuer Vor - ſtellungen, welche die Früchte der Kultur ſind. Dann brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Inka oder das Guarani, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Miſſionen des ſüdlichen Amerikas ſo lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die Mißbräuche des Regimentes der Miſſionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Anſicht aus - ſprechen, daß dieſes Regiment nicht ſo leicht abzuſchaffen ſein wird, ein Syſtem, das ſich gar wohl bedeutend verbeſſern läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem unſeren Begriffen von bürgerlicher Freiheit entſprechenderen erſcheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in Gallien, in Bätika, in der Provinz Afrika mit ihrer Herr - ſchaft ſchnell auch ihre Sprache eingeführt, aber die einge - borenen Völker dieſer Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, ſie kannten den Gebrauch des Geldes, ſie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der Kultur vorausſetzen. Durch die Lockungen des Warentauſches und den langen Aufenthalt der Legionen waren ſie mit den Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen ſehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer überall faſt unüberwindliche Hinderniſſe entgegentreten, wo karthaginenſiſche, griechiſche oder römiſche Kolonieen auf wirk - lich barbariſchen Küſten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und unter allen Himmelsſtrichen iſt Flucht der erſte Gedanke des Wilden dem civiliſierten Menſchen gegenüber.

Die Sprache der Chaymas ſchien mir nicht ſo wohl - klingend wie das Karibiſche, das Saliviſche und andere Orinoko - ſprachen. Namentlich hat ſie weniger in accentuierten Vo - kalen ausklingende Endungen. Silben wie guaz, ez, puic,26 pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald ſehen, daß dieſe Endungen zum Teil Flexionen des Zeitwortes ſein ſind, oder aber Poſtpoſitionen, die nach dem Weſen der amerikaniſchen Sprachen den Worten ſelbſt einverleibt ſind. Mit Unrecht würde man dieſe Rauheit des Sprachtones dem Leben der Chaymas im Gebirge zuſchreiben, denn ſie ſind urſprünglich dieſem gemäßigten Klima fremd. Sie ſind erſt durch die Miſſionäre dorthin verſetzt worden, und bekanntlich war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landſtriche, die Kälte in Caripe, wie ſie es nennen, anfangs ſehr zu - wider. Während unſeres Aufenthaltes im Kapuzinerkloſter haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichnis von Chay - masworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die grammatiſchen Formen für die Sprachen weit bezeichnender ſind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß dieſe Analogie der Laute nicht ſelten in verſchiedenen Dia - lekten derſelben Sprache völlig unkenntlich wird; denn die Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für dieſelben Gegenſtände völlig verſchiedene Benennungen. So kommt es, daß man ſehr leicht irre geht, wenn man, die Flexionen außer Augen laſſend, nur nach den Wurzeln, z. B. nach den Worten für Mond, Himmel, Waſſer, Erde, zwei Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig verſchieden erklärt. Trotz dieſer Quelle des Irrtums thun, denke ich, die Reiſenden gut, wenn ſie immer alles Material ſammeln, das ihnen zugänglich iſt. Machen ſie auch nicht mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des Baues bekannt, ſo lehren ſie doch wichtige Teile desſelben für ſich kennen. Die Wörterverzeichniſſe ſind nicht zu ver - nachläſſigen; ſie geben ſogar über den weſentlichen Charakter einer Sprache einigen Aufſchluß, wenn der Reiſende Sätze ſammelt, aus denen man erſieht, wie das Zeitwort flektiert wird und, was in den verſchiedenen Sprachen in ſo abweichen - der Weiſe geſchieht, die perſönlichen und poſſeſſiven Fürwörter bezeichnet werden.

Die drei verbreitetſten Sprachen in den Provinzen Cu - mana und Barcelona ſind gegenwärtig die der Chaymas, das Cumanagotiſche und das Karibiſche. Sie haben im Lande von jeher als verſchiedene Idiome gegolten; jede hat ihr Wörterbuch, zum Gebrauch der Miſſionen verfaßt von den Patres Tauſte, Ruiz-Blanco und Breton. Das Vocabulario y arte de la lengua de los Indios Chaymas iſt ſehr ſelten27 geworden. Die wenigen Exemplare der meiſt im 17. Jahr - hundert gedruckten amerikaniſchen Sprachlehren ſind in die Miſſionen gekommen und in den Wäldern zu Grunde ge - gangen. Wegen der großen Feuchtigkeit und der Gefräßig - keit der Inſekten laſſen ſich in dieſen heißen Ländern Bücher faſt gar nicht aufbewahren. Trotz aller Vorſichtsmaßregeln ſind ſie in kurzer Zeit gänzlich verdorben. Nur mit großer Mühe konnte ich in den Miſſionen und Klöſtern die Gramma - tiken amerikaniſcher Sprachen zuſammenbringen, die ich gleich nach meiner Rückkehr nach Europa dem Profeſſor und Biblio - thekar Severin Vater zu Königsberg übermacht habe; ſie lieferten ihm gutes Material zu ſeinem ſchönen großen Werke über die Sprachen der Neuen Welt. Ich hatte damals ver - ſäumt, meine Notizen über die Chaymasſprache aus meinem Tagebuche abzuſchreiben und dieſem Gelehrten mitzuteilen. Da weder Pater Gili, noch der Abt Hervas dieſer Sprache erwäh - nen, gebe ich hier kurz das Ergebnis meiner Unterſuchungen.

Auf dem rechten Ufer des Orinoko, ſüdöſtlich von der Miſſion Encaramada, über hundert Meilen von den Chaymas, wohnen die Tamanaken (Tamanacu), deren Sprache in mehrere Dialekte zerfällt. Dieſe einſt ſehr mächtige Nation iſt auf wenige Köpfe zuſammengeſchmolzen; ſie iſt von den Bergen von Caripe durch den Orinoko, durch die großen Steppen von Caracas und Cumana, und durch eine noch ſchwerer zu über - ſteigende Schranke, durch Völker von karibiſchem Stamme getrennt. Trotz dieſer Entfernung und der vielfachen ört - lichen Hinderniſſe erkennt man in der Sprache der Chaymas einen Zweig der Tamanakenſprache. Die älteſten Miſſionäre in Caripe wiſſen nichts von dieſer intereſſanten Beobachtung, weil die aragoneſiſchen Kapuziner faſt nie an das ſüdliche Ufer des Orinoko kommen und von der Exiſtenz der Tama - naken ſo gut wie nichts wiſſen. Die Verwandtſchaft zwiſchen der Sprache dieſes Volkes und der der Chaymas habe ich erſt lange nach meiner Rückkehr nach Europa aufgefunden, als ich meine geſammelten Notizen mit einer Grammatik ver - glich, die ein alter Miſſionär am Orinoko in Italien drucken laſſen. Ohne die Sprache der Chaymas zu kennen, hatte ſchon der Abt Gili vermutet, daß die Sprache der Ein - wohner von Paria mit dem Tamanacu verwandt ſein müſſe.

Ich thue dieſe Verwandtſchaft auf dem doppelten Wege dar, auf dem man die Analogie der Sprachen erkennt, durch den grammatiſchen Bau und durch die Uebereinſtimmung der28 Worte oder Wurzeln. Hier ſind zuerſt die perſönlichen Fürwörter der Chaymas, die zugleich Poſſeſſiva ſind: u-re, ich, cu-re, du, teu-re, er. Im Tamanacu: u-re, ich, amare oder anja, du, iteu-ja, er. Die Wurzel der erſten und der dritten Perſon iſt im Chaymas u und teu; die - ſelben Wurzeln finden ſich im Tamanacu.

Chaymas.Tamanacu.
Ure, ich.Ure.
Tuna, Waſſer.Tuna.
Conopo, Regen.Canepo.
Poturu, Wiſſen.Puturo.
Apoto, Feuer.U-apto.
Nunu, Mond, Monat.Nuna.
Je, Baum.Jeje.
Ata, Haus.Aute.
Euya, dir.Auya.
Toya, ihm.Iteuya.
Guane, Honig.Uane.
Nacaramayre, er hat’s geſagt.Nacaramai.
Piache, Zauberer, Arzt.Psiache.
Tibin, eins.Obin.
Aco, zwei.Oco.
Oroa, drei.Orua.
Pun, Fleiſch.Punu.
Pra, nicht.Pra.

Sein heißt im Chaymas az; ſetzt man vor das Zeit - wort das perſönliche Fürwort ich (u von u-re), ſo läßt man des Wohlklangs wegen vor dem u ein g hören, alſo guaz, ich bin, eigentlich g-u-az. Wie die erſte Perſon durch ein u, ſo wird die zweite durch ein m, die dritte durch ein i be - zeichnet: du biſt, maz: muerepuec araquapemaz, warum biſt du traurig? wörtlich: das für traurig du ſein? pun - puec topuchemaz, du biſt fett von Körper ; wörtlich: Fleiſch (pun) für (puec) fett (topuche) du ſein (maz) . Die zueignenden Fürwörter kommen vor das Hauptwort zu ſtehen: upatay, in meinem Hauſe ; wörtlich: ich Haus in . Alle Präpoſitionen wie die Negation pra werden nach - geſetzt, wie im Tamanacu. Man ſagt im Chaymas: ipuec, mit ihm ; wörtlich: er mit ; euya, zu dir, oder dir zu ; epuec charpe guaz, ich bin luſtig mit dir ; wörtlich: du mit luſtig ich ſein ; ucarepra, nicht wie ich ; wörtlich:29 ich wie nicht ; quenpotupra quoguaz, ich kenne ihn nicht , wörtlich: ihn kennend nicht ich bin ; quenepra quoguaz, ich habe ihn nicht geſehen , wörtlich: ihn ſehend nicht ich bin . Im Tamanacu ſagt man: acurivane, ſchön , und acurivanepra, häßlich, nicht ſchön ; uotopra, es gibt keinen Fiſch , wörtlich: Fiſch nicht ; uteripipra, ich will nicht gehen , wörtlich: ich gehen wollen nicht ; und dies iſt zu - ſammengeſetzt aus iteri, gehen, ipiri, wollen, und pra, nicht. Bei den Kariben, deren Sprache auch Aehnlichkeit mit dem Tamanacu hat, obgleich weit weniger als das Chaymas, wird die Verneinung durch ein m vor dem Zeitworte ausgedrückt: amoyenlenganti, es iſt ſehr kalt ; mamoyenlenganti, es iſt nicht ſehr kalt . In ähnlicher Weiſe gibt im Tamanacu die Partikel mna, dem Zeitworte nicht angehängt, ſondern eingeſchoben, demſelben einen verneinenden Sinn, z. B. taro, ſagen, taromnar, nicht ſagen.

Das Hauptzeitwort ſein, das in allen Sprachen ſehr unregelmäßig iſt, lautet im Chaymas az oder ats, im Ta - manacu uochiri (in den Zuſammenſetzungen uac, uatscha). Es dient nicht bloß zur Bildung des Paſſivs, ſondern wird offenbar auch, wie durch Agglutination, in vielen Tempora der Wurzel der attributiven Zeitwörter angehängt. Dieſe Agglutinationen erinnern an den Gebrauch der Hilfszeitwörter as und bhu im Sanskrit, des fu oder fuo im Lateiniſchen,1Daher fu-ero, amav-issem, amav-eram, post-sum (pot-sum). das izan, ucan und eguin im Baskiſchen. Es gibt gewiſſe Punkte, in denen die einander unähnlichſten Sprachen zu - ſammentreffen; das Gemeinſame in der geiſtigen Organiſation des Menſchen ſpiegelt ſich ab im allgemeinen Bau der Sprachen, und in jedem Idiom, auch dem ſcheinbar barbariſchſten, offen - bart ſich ein regelndes Prinzip, das es geſchaffen.

Die Mehrzahl hat im Tamanacu ſiebenerlei Formen je nach der Endung des Subſtantiv, oder je nachdem es etwas Lebendes oder etwas Lebloſes bedeutet. 2Tamanacu hat in der Mehrzahl Tamanakemi; Pongheme heißt ein Spanier, wörtlich ein bekleideter Menſch; Pongamo, die Spanier oder die Bekleideten. Der Pluralis auf ene kommt leb - loſen Gegenſtänden zu; z. B. cene, Ding, cenecne, Dinge, jeje, Baum, jejecne, Bäume.Im Chaymas wird die Mehrzahl, wie im Karibiſchen, durch on bezeichnet: teure, er ſelbſt ; teurecon, ſie ſelbſt ; taronocon, die hier ;30 montaonocon, die dort , wenn der Sprechende einen Ort meint, an dem er ſich ſelbſt befand; myonocon, die dort , wenn er von einem Orte ſpricht, an dem er nicht war. Die Chaymas haben auch die ſpaniſchen Adverbe aqui und alà (allà), deren Sinn ſich in den Sprachen von germaniſcher und lateiniſcher Abſtammung nur mittels Umſchreibung wieder - geben läßt.

Manche Indianer, die Spaniſch verſtanden, verſicherten uns, zis bedeute nicht nur Sonne, ſondern auch Gottheit. Dies ſchien mir um ſo auffallender, da man bei allen anderen amerikaniſchen Völkern beſondere Worte für Gott und für Sonne findet. Der Karibe wirft tamoussicabo, den Alten des Himmels , und veyou, die Sonne , nicht zuſammen. Sogar der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt ſich zur Vorſtellung eines Weſens, das den Lauf der Sterne lenkt. In der Sprache der Inkas heißt die Sonne, faſt wie im Sanskrit, Inti,1In der Sprache der Inka heißt Sonne inti, Liebe munay, groß veypul; im Sanskrit: Sonne indre, Liebe manya, groß vipulo. Es ſind dies die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die man bis jetzt aufgefunden. Im grammatiſchen Bau ſind die beiden Sprachen völlig verſchieden. während Gott Vinay Huayna, der ewig Junge, genannt wird.

Die Satzbildung iſt im Chaymas wie bei allen Sprachen beider Kontinente, die ſich eine gewiſſe Jugendlichkeit bewahrt haben. Das Regierte kommt vor das Zeitwort zu ſtehen, das Zeitwort vor das perſönliche Fürwort. Der Gegenſtand, auf den der Hauptnachdruck fällt, geht allem voran, was ſonſt ausgeſagt wird. Der Amerikaner würde ſagen: Freiheit völlige lieben wir ſtatt: wir lieben völlige Freiheit; dir mit glücklich bin ich ſtatt: mit dir bin ich glücklich. Dieſe Sätze haben eine gewiſſe Unmittelbarkeit, Beſtimmtheit, Bündig - keit, und ſie erſcheinen deſto naiver, da der Artikel fehlt. Ob wohl dieſe Völker, bei fortſchreitender Kultur und ſich ſelbſt überlaſſen, mit der Zeit von dieſer Satzbildung abgegangen wären? Man könnte es vermuten, wenn man bedenkt, wie ſtark die Syntax der Römer in ihren beſtimmten, klaren, aber etwas ſchüchternen Töchterſprachen umgewandelt worden iſt.

Im Chaymas wie im Tamanacu und den meiſten ameri - kaniſchen Sprachen fehlen gewiſſe Buchſtaben ganz, ſo nament - lich das f, b und d. Kein Wort beginnt mit einem 1. Das -31 ſelbe gilt von der mexikaniſchen Sprache, in der doch die Silben tli, tla und itl als Endungen oder mitten in den Worten ſo häufig vorkommen. Der Chaymasindianer ſpricht r ſtatt l, weil er dieſes nicht ausſprechen kann, was ja in allen Himmelsſtrichen vorkommt. Auf dieſe Weiſe wurden aus den Kariben am Orinoko im franzöſiſchen Guayana Galibi; an die Stelle des r trat l und das k erweichte ſich. Aus dem ſpaniſchen Wort soldado hat das Tamanacu choraro (solalo) gemacht. Wenn f und b in ſo vielen amerikaniſchen Mundarten fehlen, ſo kommt dies vom innigen Verwandtſchaftsverhältnis zwiſchen gewiſſen Lauten, wie es ſich in allen Sprachen gleicher Abſtammung offenbart. Die Buchſtaben f und v, b und p werden verwechſelt; z. B. perſiſch: peder, pater, father, Vater; burader, frater, Bruder; behar, ver; griechiſch: phorton (forton), Bürde; pous, Fuß. Gerade ſo wird bei den Amerikanern f und b zu p, und aus d wird t. Der Chaymasindianer ſpricht patre, Tios, Atani, aracapucha, ſtatt padre, Dios, Adan und arcabuz (Büchſe).

Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht, daß das Chaymas als ein Dialekt des Tamanacu zu be - trachten iſt, wie die drei Dialekte Maitano, Cuchivero und Crataima. Der Abweichungen ſind viele und weſentliche, und die beiden Sprachen ſcheinen mir höchſtens in dem Grade verwandt, wie das Deutſche, Schwediſche und Engliſche. Sie gehören derſelben Unterabteilung der großen Familie der tama - nakiſchen, karibiſchen und aruakiſchen Sprachen an. Da es für die Sprachverwandtſchaft kein abſolutes Maß gibt, ſo laſſen ſich dergleichen Verwandtſchaftsgrade nur durch von bekannten Sprachen hergenommene Beiſpiele bezeichnen. Wir rechnen zur ſelben Familie Sprachen, die einander ſo nahe ſtehen wie Griechiſch, Deutſch, Perſiſch und Sanskrit.

Die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft glaubte gefunden zu haben, daß alle Sprachen in zwei große Klaſſen zerfallen, indem die einen, mit vollkommenerem Bau, freier, raſcher in der Bewegung, eine innere Entwickelung durch Flexion be - zeichnen, während die anderen, plumperen, weniger bildungs - fähigen, nur kleine Formen oder agglutinierte Partikeln roh nebeneinander ſtellen, die alle, wenn man ſie für ſich braucht, ihre eigentümliche Phyſiognomie beibehalten. Dieſe höchſt geiſtreiche Auffaſſung wäre unrichtig, wenn man annähme, es gäbe vielſilbige Sprachen ohne alle Flexion, oder aber32 diejenigen, die ſich wie von innen heraus organiſch entwickeln, kennen gar keinen äußerlichen Zuwachs durch Suffixe und Affixe, welchen Zuwachs wir ſchon öfters als Agglutination oder Inkorporation bezeichnet haben. Viele Formen, die wir jetzt für Flexionen der Wurzel halten, waren vielleicht ur - ſprünglich Affixe, von denen nur ein oder zwei Konſonanten übrig geblieben ſind. Es iſt mit den Sprachen wie mit allem Organiſchen in der Natur; nichts ſteht ganz für ſich, nichts iſt dem anderen völlig unähnlich. Je weiter man in ihren inneren Bau eindringt, deſto mehr ſchwinden die Kontraſte, die auffallenden Eigentümlichkeiten. Es iſt damit wie mit den Wolken, die nur von weitem ſcharf umriſſen ſcheinen. 1Wilhelm v. Humboldt.

Laſſen wir aber auch für die Sprachen keinen durch - greifenden Einteilungsgrund gelten, ſo iſt doch vollkommen zuzugeben, daß im gegenwärtigen Zuſtande die einen mehr Neigung haben zur Flexion, die anderen zur äußerlichen Aggre - gation. Zu den erſteren gehören bekanntlich die Sprachen des indiſchen, pelasgiſchen und germaniſchen Sprachſtammes, zu den letzteren die amerikaniſchen Sprachen, das Koptiſche oder Altägyptiſche und in gewiſſem Grade die ſemitiſchen Sprachen und das Baskiſche. Schon das Wenige, das wir vom Idiom der Chaymas oben mitgeteilt, zeigt deutlich die durchgehende Neigung zur Inkorporation oder Aggregation gewiſſer Formen, die ſich abtrennen laſſen, wobei aber ein ziemlich entwickeltes Gefühl für Wohllaut ein paar Buchſtaben wegwirft oder aber zuſetzt. Durch dieſe Affixe im Auslaut der Worte werden die mannigfaltigſten Zahl -, Zeit - und Raumverhältniſſe bezeichnet.

Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikaniſchen Sprachen näher, ſo glaubt man zu erraten, woher die alte, in allen Miſſionen verbreitete Anſicht rührt, daß die ameri - kaniſchen Sprachen Aehnlichkeit mit dem Hebräiſchen und dem Baskiſchen haben. Ueberall, im Kloſter Caripe wie am Orinoko, in Peru wie in Mexiko, hörte ich dieſen Gedanken äußern, beſonders Geiſtliche, die vom Hebräiſchen und Baskiſchen einige oberflächliche Kenntnis hatten. Liegen etwa religiöſe Rück - ſichten einer ſo ſeltſamen Annahme zu Grunde? In Nord - amerika, bei den Chokta und Chikaſa, haben etwas leicht - gläubige Reiſende, das Hallelujah der Hebräer ſingen hören,33 wie, den Panditen zufolge, die drei heiligen Worte der eleu - ſiniſchen Myſterien (konx om pax) noch heutzutage in Indien ertönen. Ich will nicht glauben, daß die Völker des latei - niſchen Europas alles hebräiſch oder baskiſch nennen, was ein fremdartiges Ausſehen hat, wie man lange alles, was nicht im griechiſchen oder römiſchen Stil gehalten war, ägyptiſche Denkmäler nannte. Ich glaube vielmehr, daß das gram - matiſche Syſtem der amerikaniſchen Sprachen die Miſſio - näre des 16. Jahrhunderts in ihrer Annahme von der aſiatiſchen Herkunft der Völker der Neuen Welt beſtärkt hat. Einen Beweis hierfür liefert die langweilige Kompilation des Paters Garcia: Tratad del origen de los Indios . Daß die poſſeſſiven und perſönlichen Fürwörter hinter Subſtantiven und Zeitwörtern ſtehen, und daß letztere ſo viele Tempora haben, das ſind Eigentümlichkeiten des Hebräiſchen und der anderen ſemitiſchen Sprachen. Manche Miſſionäre fanden es nun ſehr merkwürdig, daß die amerikaniſchen Sprachen die - ſelben Formen aufzuweiſen haben. Sie wußten nicht, daß die Uebereinſtimmung in verſchiedenen einzelnen Zügen für die gemeinſame Abſtammung der Sprachen nichts beweiſt.

Weniger zu verwundern iſt, wenn Leute, die nur zwei voneinander ſehr verſchiedene Sprachen, Spaniſch und Baskiſch, verſtehen, an letzterer eine Familienähnlichkeit mit den ameri - kaniſchen Sprachen fanden. Die Wortbildung, die Leichtigkeit, mit der ſich die einzelnen Elemente auffinden laſſen, die Formen des Zeitwortes und die mannigfaltigen Geſtalten, die es je nach dem Weſen des regierten Wortes annimmt, alles dies konnte die Täuſchung erzeugen und unterhalten. Aber, wir wiederholen es, mit der gleichen Neigung zur Aggregation und Inkorporation iſt noch keineswegs gleiche Abſtammung gegeben. Ich gebe einige Beiſpiele dieſer phyſiognomiſchen Ver - wandtſchaft zwiſchen den amerikaniſchen Sprachen und dem Bas - kiſchen, die in den Wurzeln durchgängig voneinander abweichen.

Chaymas: quenpotupra quoguaz, ich kenne nicht, wörtlich: wiſſend nicht ich bin. Tamanacu: jarer-uacure, tragend bin ich, ich trage; anarepna aichi, er wird nicht tragen, wörtlich: tragend nicht wird ſein; patcurbe, gut, patcutari, ſich gut machen; Tamanacu, ein Tamanake; Ta - manacutari, ſich zum Tamanaken machen; Pongheme, Spanier; ponghemtari, ſich hiſpaniſieren; tenectschi, ich werde ſehen; teneicre, ich werde wiederſehen; tecscha, ich gehe; tecschare, ich kehre zurück; Maypur butkè, ein kleiner Maypure-Indianer;A. v. Humboldt, Reiſe. II. 334aicabutkè, ein kleines Weib;1Das Diminutiv von Frau oder von Maypure-Indianer wird dadurch gebildet, daß man butkè, das Ende des Wortes cujuputkè, klein, beiſetzt. Taje entſpricht dem italieniſchen accio. maypuritaje, ein böſer May - pure-Indianer; aicataje, ein böſes Weib.

Baskiſch: maitetutendot, ich liebe ihn, wörtlich: ich liebend ihn bin; beguia, Auge, und beguitsa, ſehen; aita - gana, zum Vater; durch den Zuſatz von tu entſteht das Wort aitaganatu, zum Vater gehen; ume-tasuna, ſanftes, kindlich offenes Benehmen; ume-queria, widriges kindiſches Benehmen. 2Die Endung tasuna bedeutet eine gute Eigenſchaft, queria eine ſchlimme und kommt her von eria, Krankheit.

Dieſen Beiſpielen mögen einige beſchreibende Kompoſita folgen, die an die Kindheit des Menſchengeſchlechtes mahnen und in den amerikaniſchen Sprachen wie im Baskiſchen durch eine gewiſſe Naivität des Ausdruckes überraſchen. Tamanacu: Weſpe, uane-imu, wörtlich: Vater (im-de) des Honigs (uane); die Zehen, ptari-mucuru, wörtlich: die Söhne des Fußes; die Finger, amgna-mucuru, die Söhne der Hand; die Schwämme, jeje-panari, wörtlich: die Ohren des Baumes; die Adern der Hand, amgna-mitti, wörtlich: veräſtete Wurzeln; die Blätter, prutpe-jareri, wörtlich: die Haare des Baumwipfels; puirene - veju, wörtlich: gerade oder ſenkrechte Sonne; Blitz, kinemeru - uaptori, wörtlich: das Feuer des Donners oder des Ge - witters. Baskiſch: becoquia, Stirne, wörtlich: was zum Auge gehört; odotsa, das Getöſe der Wolke, der Donner; arribicia, das Echo, wörtlich: der lebendige Stein.

Im Chaymas und Tamanacu haben die Zeitwörter eine Unzahl Tempora, ein doppeltes Präſens, vier Präterita, drei Futura. Dieſe Häufung iſt ſelbſt den roheſten amerikaniſchen Sprachen eigen. In der Grammatik des Baskiſchen zählt Aſtarloa gleichfalls zweihundertſechs Formen des Zeitwortes auf. Die Sprachen, welche vorherrſchende Neigung zur Flexion haben, reizen die gemeine Neugier weniger als ſolche, die durch bloße Nebeneinanderſtellung von Elementen gebildet erſcheinen. In den erſteren ſind die Elemente, aus denen die Worte zuſammengeſetzt ſind und die meiſt aus wenigen Buchſtaben beſtehen, nicht mehr kenntlich. Für ſich geben dieſe Beſtandteile keinen Sinn; alles iſt verſchlungen und ver - ſchmolzen. Die amerikaniſchen Sprachen dagegen gleichen einem verwickelten Mechanismus mit offen zu Tage liegendem Räder -35 werk. Man erkennt die Künſtlichkeit, man kann ſagen den ausgearbeiteten Mechanismus des Baues. Es iſt, als bildeten ſie ſich erſt unter unſeren Augen, und man könnte ſie für ſehr neuen Urſprungs halten, wenn man nicht bedächte, daß der menſchliche Geiſt unverrückt einem einmal erhaltenen Anſtoße folgt, daß die Völker nach einem urſprünglich angelegten Plane den grammatiſchen Bau ihrer Sprachen erweitern, vervoll - kommnen oder ausbeſſern, und daß es Länder gibt, wo Sprache, Verfaſſung, Sitten und Künſte ſeit vielen Jahrhunderten wie feſtgebannt ſind.

Die höchſte geiſtige Entwickelung hat bis jetzt bei den Völkern ſtattgefunden, welche dem indiſchen und pelasgiſchen Stamme angehören. Die hauptſächlich durch Aggregation ge - bildeten Sprachen erſcheinen als ein natürliches Hindernis der Kulturentwickelung; es geht ihnen großenteils die raſche Be - wegung ab, das innerliche Leben, die die Flexion der Wurzeln mit ſich bringt und die den Werken der Einbildungskraft den Hauptreiz geben. Wir dürfen indeſſen nicht vergeſſen, daß ein ſchon im hohen Altertum hochberühmtes Volk, dem ſelbſt die Griechen einen Teil ihrer Bildung entlehnten, vielleicht eine Sprache hatte, die in ihrem Bau unwillkürlich an die amerikaniſchen Sprachen erinnert. Welche Maſſe ein - oder zweiſilbiger Partikeln werden im Koptiſchen dem Zeitwort oder Hauptwort angehängt! Das Chaymas und Tamanacu, halb barbariſche Sprachen, haben kurze abſtrakte Benennungen für Größe, Neid, Leichtſinn, cheictivate, uoite, uonde; aber im Koptiſchen iſt das Wort Bosheit, metrepherpeton, aus fünf leicht zu unterſcheidenden Elementen zuſammengeſetzt, und bedeutet: die Eigenſchaft (met) eines Subjektes (reph), das thut (er) das Ding (pet), (das iſt) böſe (on). Und dennoch hatte die koptiſche Sprache ihre Litteratur ſo gut wie die chineſiſche, in der die Wurzeln nicht einmal aggregiert, ſondern kaum aneinander gerückt ſind und ſich gar nicht unmittelbar berühren. So viel iſt gewiß, ſind einmal die Völker aus ihrem Schlummer aufgerüttelt und auf die Bahn der Kultur geworfen, ſo bietet ihnen die ſeltſamſte Sprache das Werkzeug, um Gedanken beſtimmt auszudrücken und Seelenregungen zu ſchildern. Ein achtungswerter Mann, der in der blutigen Revolution von Quito das Leben verloren, Don Juan de la Rea, hat ein paar Idyllen Theokrits in die Sprache der Inka einfach und zierlich übertragen, und man hat mich ver - ſichert, mit Ausnahme naturwiſſenſchaftlicher und philoſophiſcher36 Werke, laſſe ſich ſo ziemlich jedes neuere Litteraturprodukt ins Peruaniſche überſetzen.

Der ſtarke Verkehr zwiſchen den Eingeborenen und den Spaniern ſeit der Eroberung hat zur natürlichen Folge ge - habt, daß nicht wenige amerikaniſche Worte in die ſpaniſche Sprache übergegangen ſind. Manche dieſer Worte bezeichnen meiſt Dinge, die vor der Entdeckung der Neuen Welt unbe - kannt waren, und wir denken jetzt kaum mehr an ihren bar - bariſchen Urſprung (z. B. Savanne, Kannibale). Faſt alle ge - hören der Sprache der Großen Antillen an, die früher die Sprache von Hayti, Quizqueja oder Itis hieß. Ich nenne nur die Worte Mais, Tabak, Kanoe, Batate, Kazike, Balſa, Conuco u. ſ. w. Als die Spanier mit dem Jahre 1498 an - fingen Terra Firma zu beſuchen, hatten ſie bereits Worte für die nutzbarſten Gewächſe, die auf den Antillen, wie auf den Küſten von Cumana und Paria vorkommen. Sie be - hielten nicht nur dieſe von den Haytiern entlehnten Be - nennungen bei, durch ſie wurden dieſelben über ganz Amerika verbreitet, zu einer Zeit, wo die Sprache von Hayti bereits eine tote Sprache war, und bei Völkern, die von der Exiſtenz der Antillen gar nichts wußten. Manchen Worten, die in den ſpaniſchen Kolonieen in täglichem Gebrauche ſind, ſchreibt man indeſſen mit Unrecht haytiſchen Urſprung zu. Banana iſt aus der Chacoſprache, Arepa (Maniokbrot von Jatropha Manihot) und Guayuco (Schürze, perizoma) ſind karibiſch, Curiaca (ſehr langes Kanoe) iſt tamanakiſch, Chinchorro (Hängematte) und Tutuma (die Frucht der Crescentia Cujete, oder ein Gefäß für Flüſſigkeiten) ſind Chaymaswörter.

Ich habe lange bei Betrachtungen über die amerikaniſchen Sprachen verweilt; ich glaubte, wenn ich ſie zum erſtenmal in dieſem Werke beſpräche, anſchaulich zu machen, von welcher Bedeutung Unterſuchungen derart ſind. Es verhält ſich da - mit wie mit der Bedeutung, die den Denkmälern halb bar - bariſcher Völker zukommt. Man beſchäftigt ſich mit ihnen nicht, weil ſie für ſich auf den Rang von Kunſtwerken An - ſpruch machen können, ſondern weil die Unterſuchung für die Geſchichte unſeres Geſchlechtes und den Entwickelungsgang unſerer Geiſteskräfte nicht ohne Belang iſt.

Ehe Cortez nach der Landung an der Küſte von Mexiko ſeine Schiffe verbrannte, ehe er im Jahre 1521 in die Haupt - ſtadt Montezumas einzog, war Europa auf die Länder, die wir bisher durchzogen, aufmerkſam geworden. Mit der Be -37 ſchreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria glaubte man die Sitten aller Eingeborenen der Neuen Welt zu ſchildern. Dies fällt alsbald auf, wenn man die Ge - ſchichtſchreiber der Eroberung lieſt, namentlich die Briefe Peter Martyrs von Anghiera, die er am Hofe Ferdinands des Katholiſchen geſchrieben, die reich ſind an geiſtreichen Be - merkungen über Chriſtoph Kolumbus, Leo X. und Luther, und aus denen edle Begeiſterung für die großen Entdeckungen eines an außerordentlichen Ereigniſſen ſo reichen Jahrhunderts ſpricht. Eine nähere Beſchreibung der Sitten der Völker, die man lange unter der Geſamtbenennung Cumanier (Cu - maneses) zuſammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Ab - ſicht; dagegen ſcheint es mir von Belang, einen Punkt auf - zuklären, den ich im ſpaniſchen Amerika häufig habe beſprechen hören.

Die heutigen Pariagoten oder Paria ſind rotbraun wie die Kariben, die Chaymas und faſt alle Eingeborenen der Neuen Welt. Wie kommt es nun, daß die Geſchicht - ſchreiber des 16. Jahrhunderts behaupten, die erſten Beſucher haben am Vorgebirge Paria weiße Menſchen mit blonden Haaren geſehen? Waren dies Indianer mit weniger dunkler Haut, wie Bonpland und ich in Esmeralda an den Quellen des Orinoko geſehen? Aber dieſe Indianer hatten ſo ſchwarzes Haar wie die Otomaken und andere Stämme mit dunklerer Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf der Landenge von Panama gefunden? Aber Fälle dieſer Mißbildung ſind bei der kupferfarbigen Raſſe ungemein ſelten, und Anghiera wie auch Gomara ſprachen von den Einwohnern von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide1Aethiopes nigri, crispi lanati, Pariae incolae albi, ca - pillis oblongis protensis flavis. Utriusque sexus indigenae albi veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole ver - santur. Gomara ſagt von den Eingeborenen, die Kolumbus an der Mündung des Fluſſes Cumana geſehen: Las donzellas eran amorosas, desundas y blancas (las de la casa); los Indios que van al campo, estan negros del sol. beſchreiben ſie wie Völker germaniſchen Stammes, ſie ſeien weiß mit blonden Haaren. Ferner ſollen ſie ähnlich wie Türken gekleidet geweſen ſein. 2Sie trugen nach Ferdinand Kolumbus ein Tuch von ge - ſtreiftem Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa dieſenGomara und Anghiera ſchreiben nach mündlichen Berichten, die ſie geſammelt.

38

Dieſe Wunderdinge verſchwinden, wenn wir den Bericht, den Ferdinand Kolumbus den Papieren ſeines Vaters ent - nommen, näher anſehen. Da heißt es bloß, der Admiral habe zu ſeiner Ueberraſchung die Einwohner von Paria und der Inſel Trinidad wohlgebildeter, kultivierter (de buena conversacion) und weißer gefunden als die Eingeborenen, die er bis dahin geſehen. Damit iſt doch wohl nicht geſagt, daß die Pariagoten weiß geweſen. In der helleren Haut der Eingeborenen und in den ſehr kühlen Morgen ſah der große Mann eine Beſtätigung ſeiner ſeltſamen Hypotheſe von der unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage der Ebenen in dieſem Erdſtrich infolge einer gewaltigen Anſchwellung der Erdkugel in der Richtung der Parallelen. Amerigo Veſpucci (wenn man ſich auf ſeine angebliche erſte Reiſe berufen darf, die vielleicht nach den Berichten anderer Reiſenden zuſammengetragen iſt) vergleicht die Eingeborenen mit den tatariſchen Völkern, nicht wegen der Hautfarbe, ſondern wegen des breiten Geſichtes und wegen des ganzen Ausdruckes desſelben.

Gab es aber zu Ende des 15. Jahrhunderts auf den Küſten von Cumana ſo wenig als jetzt Menſchen mit weiß - licher Haut, ſo darf man daraus deshalb nicht ſchließen, daß bei den Eingeborenen der Neuen Welt das Hautſyſtem durchgängig gleichförmig organiſiert ſei. Wenn man ſagt, ſie ſeien alle kupferfarbig, ſo iſt dies ſo unrichtig, als wenn man behauptet, ſie wären nicht ſo dunkel gefärbt, wenn ſie ſich nicht der Sonnenglut ausſetzten oder nicht von der Luft gebräunt würden. Man kann die Eingeborenen in zwei, der Zahl nach ſehr ungleiche Gruppen teilen. Zur einen gehören die Eskimo in Grönland, in Labrador und auf der Nordküſte2Kopfputz für einen Turban angeſehen? Daß ein Volk unter dieſem Himmelsſtrich den Kopf bedeckt haben ſollte, iſt auffallend; aber was noch weit merkwürdiger iſt, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein an die Küſte von Paria unternommen und die wir bei Peter Martyr d’Anghiera beſchrieben finden, bekleidete Eingeborene geſehen haben: Incolas omnes, genu tenus mares, foeminas surarum tenus, gossampinis vestibus amictos simplicibus repererunt, sed viros, more Turcarum, insuto minutim gossipio ad belli usum, duplicibus. Was ſoll man aus dieſen Völkern machen, die civiliſierter geweſen und Mäntel getragen, wie man auf dem Rücken der Anden trägt, und auf einer Küſte gelebt, wo man vor und nach Pinzon nur nackte Menſchen geſehen.39 der Hudſonsbai, die Bewohner der Beringsſtraße, der Halb - inſel Alaska und des Prinz Williams-Sundes. Der öſtliche und der weſtliche Zweig dieſer Polarraſſe, die Eskimo und die Tſchugat, ſind trotz der ungeheuren Strecke von 1800 km, die zwiſchen ihnen liegt, durch ſehr nahe Sprachverwandtſchaft eng verbunden. Dieſe Verwandtſchaft erſtreckt ſich ſogar, wie in neuerer Zeit außer Zweifel geſetzt worden iſt, noch weiter, zu den Bewohnern des nordöſtlichen Aſiens; denn die Mundart der Tſchuktſchen an der Mündung des Anadyr hat dieſelben Wurzeln wie die Sprache der Eskimo auf der Europa gegen - überliegenden Küſte von Amerika. Die Tſchuktſchen ſind die aſiatiſchen Eskimo. Gleich den Malaien wohnt die hyper - boräiſche Raſſe nur am Meeresufer. Sie nähren ſich von Fiſchen, ſind faſt durchgängig von kleinerer Statur als die anderen Amerikaner, ſind lebhaft, beweglich, geſchwätzig. Ihre Haare ſind ſchlicht, glatt und ſchwarz; aber (und dies zeichnet die Raſſe, die ich die eskimo-tſchugaſiſche nennen will, ganz beſonders aus) ihre Haut iſt urſprünglich weißlich. Es iſt gewiß, daß die Kinder der Grönländer weiß zur Welt kommen; bei manchen erhält ſich dieſe Farbe, und auch bei den dunkelſten (den von der Luft am meiſten gebräunten) ſieht man nicht ſelten das Blut auf den Wangen rot durchſchimmern.

Die zweite Gruppe der Eingeborenen Amerikas umfaßt alle Völker außer den Eskimo-Tſchugat, vom Cooksfluß bis zur Magelhaensſchen Meerenge, von den Ugaljachmiut und Kinai am St. Eliasberg bis zu den Puelchen und Tehuelhet in der ſüdlichen Halbkugel. Die Völker dieſes zweiten Zweiges ſind größer, ſtärker, kriegeriſcher und ſchweigſamer. Auch ſie weichen hinſichtlich der Hautfarbe auffallend voneinander ab. In Mexiko, in Peru, in Neugranada, in Quito, an den Ufern des Orinoko und des Amazonenſtromes, im ganzen Striche von Südamerika, den ich geſehen, im Tieflande wie auf den ſehr kalten Hochebenen, ſind die indianiſchen Kinder im Alter von zwei, drei Monaten ebenſo bronzefarbig als die Erwachſenen. Daß die Eingeborenen nur von Luft und Sonne gebräunte Weiße ſein möchten, iſt einem Spanier in Quito oder an den Ufern des Orinoko nie in den Sinn gekommen. Im nordweſtlichen Amerika dagegen gibt es Stämme, bei denen die Kinder weiß ſind und erſt mit der Mannbarkeit ſo bronzefarbig werden wie die Eingeborenen von Peru und Mexiko. Bei dem Häuptling der Miami Michikinakua waren die Arme und die der Sonne nicht ausgeſetzten Körperteile40 faſt weiß. Dieſer Unterſchied in der Farbe der bedeckten und nicht bedeckten Teile wird bei den Eingeborenen von Peru und Mexiko niemals beobachtet, ſelbſt nicht bei ſehr wohl - habenden Familien, die ſich faſt beſtändig in ihren Häuſern aufhalten. Weſtwärts von den Miami, auf der gegenüber - liegenden aſiatiſchen Küſte, bei den Koljuſchen und Tlinkit in der Norfolkbai, erſcheinen die erwachſenen Mädchen, wenn ſie angehalten werden, ſich zu waſchen, ſo weiß wie Europäer. Dieſe weiße Hautfarbe ſoll, nach einigen Reiſeberichten, auch den Gebirgsvölkern in Chile zukommen. 1Darf man an die blauen Augen der Borroa in Chile und der Guayana am Uruguay glauben, die wie Völker vom Stamme Odins geſchildert werden? (Azzara, Reiſe.)

Dies ſind ſehr bemerkenswerte Thatſachen, die der nur zu ſehr verbreiteten Anſicht von der außerordentlichen Gleich - förmigkeit der Körperbildung bei den Eingeborenen Amerikas widerſprechen. Wenn wir dieſelben in Eskimo und Nicht - Eskimo teilen, ſo geben wir gerne zu, daß die Einteilung um nichts philoſophiſcher iſt, als wenn die Alten in der ganzen bewohnten Welt nur Kelten und Skythen, Griechen und Barbaren ſahen. Handelt es ſich indeſſen davon, zahlloſe Volksſtämme zu gruppieren, ſo gewinnt man immer doch etwas, wenn man ausſchließend zu Werke geht. Wir wollten hier darthun, daß, wenn man die Eskimo-Tſchugat ausſcheidet, mitten unter den kupferbraunen Amerikanern Stämme vor - kommen, bei denen die Kinder weiß zur Welt kommen, ohne daß ſich, bis zur Zeit der Eroberung zurück, darthun ließe, daß ſie ſich mit Europäern vermiſcht hätten. Dieſer Umſtand verdient genauere Unterſuchung durch Reiſende, die bei phyſio - logiſchen Kenntniſſen Gelegenheit finden, die braunen Kinder der Mexikaner und die weißen der Miami im Alter von zwei Jahren zu beobachten, ſowie die Horden am Orinoko, die im heißeſten Erdſtrich ihr Leben lang und bei voller Kraft die weißliche Hautfarbe der Meſtizen behalten. Der geringe Ver - kehr, der bis jetzt zwiſchen Nordamerika und den ſpaniſchen Kolonieen ſtattfindet, hat alle derartigen Unterſuchungen un - möglich gemacht.

Beim Menſchen betreffen die Abweichungen vom ganzen gemeinſamen Raſſentypus mehr den Wuchs, den Geſichts - ausdruck, den Körperbau, als die Farbe. Bei den Tieren iſt es anders; bei dieſen ſind Spielarten nach der Farbe häufiger41 als ſolche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugetiere, die Federn der Vögel, ſelbſt die Schuppen der Fiſche wechſeln die Farbe, je nach dem vorherrſchenden Einfluſſe von Licht oder von Dunkelheit, je nach den Hitze - und Kältegraden. Beim Menſchen ſcheint ſich der Farbſtoff im Hautſyſtem durch die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen guten Beobachtungen geht hervor, daß ſich die Hautfarbe wohl beim einzelnen infolge von Hautreizen, aber nicht erblich bei einer ganzen Raſſe ändert. Die Eskimo in Grönland und die Lappen ſind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Ver - änderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag, gegen welche alle geſchichtliche Ueberlieferung verſchwindet, darüber haben wir nichts zu ſagen. Bei Unterſuchungen der - art macht der forſchende Gedanke Halt, ſobald er Erfahrung und Analogie nicht mehr zu Führern hat.

Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie mit weißen Menſchen; nach ihnen ſind die Neger und alle dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnenglut ge - ſchwärzt oder gebräunt worden. Dieſe Anſicht, die ſchon bei den Griechen herrſchte,1Oneſicritus, bei Strabo, Lib. XV. Die Züge Alexanders ſcheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große Frage nach dem Einfluß des Klimas aufmerkſam zu machen. Sie hatten von Reiſenden vernommen, daß in Hinduſtan die Völker im Süden dunkelfarbiger ſeien als im Norden in der Nähe der Gebirge, und ſie ſetzten voraus, daß beide derſelben Raſſe an - gehören. wenn auch nicht ohne Widerſpruch, hat ſich bis auf unſere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in Proſa, was Theodektes zweitauſend Jahre früher poetiſch aus - geſprochen: Die Nationen tragen die Livree der Erdſtriche, die ſie bewohnen. Wäre die Geſchichte von ſchwarzen Völkern geſchrieben worden, ſie hätten behauptet, was neuerdings ſogar von Europäern angenommen worden iſt, der Menſch ſei ur - ſprünglich ſchwarz oder doch ſehr dunkelfarbig, und infolge der Civiliſation und fortſchreitenden Verweichlichung haben ſich manche Raſſen gebleicht, wie ja auch bei den Tieren im zahmen Zuſtande die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei Pflanzen und Tieren ſind Spielarten, die ſich durch Zufall unter unſeren Augen gebildet, beſtändig geworden und haben ſich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weiſt darauf hin,42 daß, unter den gegenwärtigen Verhältniſſen der menſchlichen Organiſation, die verſchiedenen Menſchenraſſen, die ſchwarze, gelbe, kupferfarbige und weiße, ſolange ſie ſich unvermiſcht erhalten, durch den Einfluß des Klimas, der Nahrung und anderer äußerer Umſtände vom urſprünglichen Typus bedeutend abweichen.

Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſe allgemeinen Be - trachtungen zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen der Kordilleren beſteigen, die vier - und fünfmal höher liegen als das Thal von Caripe. Ich berufe mich hier vorläufig nur auf das Zeugnis Ulloas. 1 Die Indianer ſind kupferrot, und dieſe Farbe wird durch den Einfluß von Sonne und Luſt dunkler. Ich muß darauf auf - merkſam machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die Farbe merkbar verändern, ſo daß man die Indianer auf den Kor - dilleren von Peru und die auf den heißeſten Ebenen leicht ver - wechſelt, und man diejenigen, die unter der Linie leben und die unter dem 40. nördlichen und ſüdlichen Breitengrade nicht unter - ſcheiden kann. Noticias americanas, cap. 17. Kein alter Schriftſteller hat die beiden Anſchauungsweiſen, nach denen man ſich noch gegenwärtig von der Verſchiedenheit benachbarter Völker nach Farbe und Geſichtszügen Rechenſchaft gibt, klarer angedeutet, als Tacitus im Leben des Agricola. Er unterſcheidet zwiſchen der erblichen Anlage und dem Einfluß des Klima, und thut keinen Ausſpruch, als ein Philoſoph, der gewiß weiß, daß wir von den erſten Urſachen der Dinge nichts wiſſen. Habitus corporum varii atque ex eo argumenta. Seu durante originis vi, seu procur - rentibus in diversa terris, positio coeli corporibus habitum dedit. Agricola, cap. 11.Dieſer Gelehrte ſah die In - dianer in Chile, auf den Anden von Peru, an den heißen Küſten von Panama, und wiederum in Louiſiana, im nörd - lichen gemäßigten Erdſtrich. Er hatte den Vorteil, daß er in einer Zeit lebte, wo der Anſichten noch nicht ſo vielerlei waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der Eingeborene unter der Linie im kalten Klima der Kordilleren ſo bronze - farbig, ſo braun iſt als auf den Ebenen. Bemerkt man Ab - weichungen in der Farbe, ſo ſind es feſte Stammunterſchiede. Wir werden bald an den heißen Ufern des Orinoko Indianern weißlicher Haut begegnen: Est durans originis vis.

[43]

Zehntes Kapitel.

Zweiter Aufenthalt in Cumana. Erdbeben. Ungewöhnliche Meteore.

Wir blieben wieder einen Monat in Cumana. Die be - ſchloſſene Fahrt auf dem Orinoko und Rio Negro erforderte Zurüſtungen aller Art. Wir mußten die Inſtrumente aus - wählen, die ſich auf engen Kanoen am leichteſten fortbringen ließen; wir mußten uns für eine zehnmonatliche Reiſe im Binnenlande, das in keinem Verkehr mit den Küſten ſteht, mit Geldmitteln verſehen. Da aſtronomiſche Ortsbeſtimmung der Hauptzweck dieſer Reiſe war, ſo war es mir von großem Belang, daß mir die Beobachtung einer Sonnenfinſternis nicht entging, die Ende Oktobers eintreten ſollte. Ich blieb lieber bis dahin in Cumana, wo der Himmel meiſt ſchön und heiter iſt. An den Orinoko konnten wir nicht mehr kommen, und das hohe Thal von Caracas war für meinen Zweck minder günſtig wegen der Dünſte, welche die nahen Gebirge um - ziehen. Wenn ich die Länge von Cumana genau beſtimmte, ſo hatte ich einen Ausgangspunkt für die chronometriſchen Beſtimmungen, auf die ich allein rechnen konnte, wenn ich mich nicht lange genug aufhielt, um Mondsdiſtanzen zu nehmen oder die Jupiterstrabanten zu beobachten.

Faſt hätte ein Unfall mich genötigt, die Reiſe an den Orinoko aufzugeben oder doch lange hinauszuſchieben. Am 27. Oktober, dem Tag vor der Sonnenfinſternis, gingen wir wie gewöhnlich am Ufer des Meerbuſens, um der Kühle zu genießen und das Eintreten der Flut zu beobachten, die an dieſem Seeſtrich nicht mehr als 32 bis 35 cm beträgt. Es war acht Uhr abends und der Seewind hatte ſich noch nicht aufgemacht. Der Himmel war bedeckt, und bei der Wind - ſtille war es unerträglich heiß. Wir gingen über den Strand44 zwiſchen dem Landungsplatz und der Vorſtadt der Guaikeri. Ich hörte hinter mir gehen, und wie ich mich umwandte, ſah ich einen hochgewachſenen Mann von der Farbe der Zambos, nackt bis zum Gürtel. Er hielt faſt über meinem Kopf eine Macana, einen dicken, unten keulenförmig dicker werdenden Stock aus Palmholz. Ich wich dem Schlage aus, indem ich links zur Seite ſprang. Bonpland, der mir zur Rechten ging, war nicht ſo glücklich; er hatte den Zambo ſpäter bemerkt als ich, und erhielt über die Schläfe einen Schlag, der ihn zu Boden ſtreckte. Wir waren allein, unbe - waffnet, 2 Kilometer von jeder Wohnung auf einer weiten Ebene an der See. Der Zambo kümmerte ſich nicht mehr um mich, ſondern ging langſam davon und nahm Bonplands Hut auf, der die Gewalt des Schlages etwas gebrochen hatte und weit weggeflogen war. Aufs äußerſte erſchrocken, da ich meinen Reiſegefährten zu Boden ſtürzen und eine Weile bewußtlos daliegen ſah, dachte ich nur an ihn. Ich half ihm aufſtehen; der Schmerz und der Zorn gaben ihm doppelte Kraft. Wir ſtürzten auf den Zambo zu, der, ſei es aus Feigheit, die bei dieſem Menſchenſchlag gemein iſt, oder weil er von weitem Leute am Strande ſah, nicht auf uns wartete und dem Tunal zulief, einem kleinen Buſchwerk aus Fackel - diſteln und baumartigen Avicennien. Zufällig fiel er unter - wegs, Bonpland, der zunächſt an ihm war, rang mit ihm und ſetzte ſich dadurch der äußerſten Gefahr aus. Der Zambo zog ein langes Meſſer aus ſeinem Beinkleid, und im un - gleichen Kampfe wären wir ſicher verwundet worden, wären nicht biscayiſche Handelsleute, die auf dem Strande Kühlung ſuchten, uns zu Hilfe gekommen. Als der Zambo ſich um - ringt ſah, gab er die Gegenwehr auf; er entſprang wieder, und nachdem wir ihm lange durch die ſtachlichten Kaktus nach - gelaufen, ſchlüpfte er in einen Viehſtall, aus dem er ſich ruhig herausholen und ins Gefängnis führen ließ.

Bonpland hatte in der Nacht Fieber; aber als ein kräftiger Mann, voll der Munterkeit, die eine der koſtbarſten Gaben iſt, welche die Natur einem Reiſenden verleihen kann, ging er ſchon des anderen Tages wieder ſeiner Arbeit nach. Der Schlag der Macana hatte bis zum Scheitel die Haut ge - quetſcht, und er ſpürte die Nachwehen mehrere Monate während unſeres Aufenthaltes in Caracas. Beim Bücken, um Pflanzen aufzunehmen, wurde er mehrere Male von einem Schwindel befallen, der uns befürchten ließ, daß im Schädel etwas aus -45 getreten ſein möchte. Zum Glück war dieſe Beſorgnis unge - gründet, und die Symptome, die uns anfangs beunruhigt, verſchwanden nach und nach. Die Einwohner von Cumana bewieſen uns die rührendſte Teilnahme. Wir hörten, der Zambo ſei aus einem der indianiſchen Dörfer gebürtig, die um den großen See Maracaybo liegen. Er hatte auf einem Kaperſchiff von San Domingo gedient und war infolge eines Streites mit dem Kapitän, als das Schiff aus dem Hafen von Cumana auslief, an der Küſte zurückgelaſſen worden. Er hatte das Signal bemerkt, das wir aufſtellen laſſen, um die Höhe der Flut zu beobachten, und hatte gelauert, um uns auf dem Strande anzufallen. Aber wie kam es, daß er, nachdem er einen von uns niedergeſchlagen, ſich mit dem Raub eines Hutes zu begnügen ſchien? Im Verhör waren ſeine Antworten ſo verworren und albern, daß wir nicht klug aus der Sache werden konnten; meiſt behauptete er, ſeine Abſicht ſei nicht geweſen, uns zu berauben; aber in der Erbitterung über die ſchlechte Behandlung am Bord des Kapers von San Domingo, habe er dem Drang, uns eines zu verſetzen, nicht widerſtehen können, ſobald er uns habe franzöſiſch ſprechen hören. Da der Rechtsgang hierzulande ſo langſam iſt, daß die Verhafteten, von denen die Gefängniſſe wimmeln, ſieben, acht Jahre auf ihr Urteil warten müſſen, ſo hörten wir wenige Tage nach unſerer Abreiſe von Cumana nicht ohne Befriedi - gung, der Zambo ſei aus dem Schloſſe San Antonio ent - ſprungen.

Trotz des Unfalls, der Bonpland betroffen, war ich anderen Tags, am 28. Oktober um fünf Uhr morgens auf dem Dach unſeres Hauſes, um mich zur Beobachtung der Sonnenfinſternis zu rüſten. Der Himmel war klar und rein. Die Sichel der Venus und das Sternbild des Schiffes, das durch ſeine gewaltigen Nebelflecke nahe aneinander ſo ſtark hervortritt, verſchwanden in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich hatte mir zu einem ſo ſchönen Tag um ſo mehr Glück zu wünſchen, als ich ſeit mehreren Wochen wegen der Gewitter, die regelmäßig zwei, drei Stunden nach dem Durch - gang der Sonne durch den Meridian im Süden und Südoſten aufzogen, die Uhren nicht nach korreſpondierenden Höhen hatte richten können. Ein rötlicher Dunſt, der in den tiefen Luft - ſchichten auf den Hygrometer faſt gar nicht wirkt, verſchleierte bei Nacht die Sterne. Dieſe Erſcheinung war ſehr unge - wöhnlich, da man in anderen Jahren oft drei, vier Monate46 lang keine Spur von Wolken und Nebel ſieht. Ich konnte den Verlauf und das Ende der Sonnenfinſternis vollſtändig beobachten. Das Ende der Finſternis war um 2 Uhr 14 Mi - nuten 23,4 Sekunden mittlerer Zeit in Cumana. Das Er - gebnis meiner Beobachtung wurde nach den alten Tafeln von Ciccolini in Bologna und Triesnecker in Wien berechnet und in der Connaissance des temps (im neunten Jahrgang) ver - öffentlicht. Dieſes Ergebnis wich um nicht weniger als um 1 Minute 9 Sekunden Zeit von der Länge ab, die der Chronometer mir ergeben; dasſelbe wurde aber von Oltmanns nach den neuen Mondtafeln von Burg und den Sonnentafeln von Delambre noch einmal berechnet, und jetzt ſtimmten Sonnenfinſternis und Chronometer bis auf 10 Sekunden überein. Ich führe dieſen merkwürdigen Fall, wo ein Fehler durch die neuen Tafeln auf 1 / 7 reduziert wurde, an, um die Reiſenden darauf aufmerkſam zu machen, wie ſehr es in ihrem Intereſſe liegt, die kleinſten Umſtände bei ihren einzelnen Beobachtungen aufzuzeichnen und bekannt zu machen. Die vollkommene Uebereinſtimmung zwiſchen den Jupiterstrabanten und den Angaben des Chronometers, von der ich mich an Ort und Stelle überzeugt, hatten mir großes Zutrauen zu Louis Berthouds Uhr gegeben, ſo oft ſie nicht auf den Maul - tieren ſtarken Stößen ausgeſetzt war.

Die Tage vor und nach der Sonnenfinſternis boten ſehr auffallende atmoſphäriſche Erſcheinungen. Wir waren im hieſigen ſogenannten Winter, d. h. in der Jahreszeit des bewölkten Himmels und der kurzen Gewitterregen. Vom 10. Oktober bis 3. November ſtieg mit Einbruch der Nacht ein rötlicher Nebel am Horizont auf und zog in wenigen Minuten einen mehr oder minder dichten Schleier über das blaue Himmelsgewölbe. Der Sauſſureſche Hygrometer zeigte keineswegs größere Feuchtigkeit an, ſondern ging vielmehr oft von 90° auf 83° zurück. Die Hitze bei Tage war 28 bis 32°, alſo für dieſen Strich der heißen Zone ſehr ſtark. Zuweilen verſchwand der Nebel mitten in der Nacht auf einmal, und im Augenblick, wo ich die Inſtrumente aufſtellte, bildeten ſich blendend weiße Wolken im Zenith und dehnten ſich bis zum Horizont aus. Am 18. Oktober waren dieſe Wolken ſo auf - fallend durchſichtig, daß man noch Sterne der vierten Größe dadurch ſehen konnte. Die Mondflecken ſah ich ſo deutlich, daß es war, als ſtünde die Scheibe vor den Wolken. Dieſe ſtanden ausnehmend hoch und bildeten Streifen, die, wie47 durch elektriſche Abſtoßung, in gleichen Abſtänden fortliefen. Es ſind dies dieſelben kleinen weißen Dunſtmaſſen, die ich auf den Gipfeln der höchſten Anden über mir geſehen, und die in mehreren Sprachen Schäfchen, moutons heißen. Wenn der rötliche Nebel den Himmel leicht überzog, ſo be - hielten die Sterne der erſten Größen, die in Cumana über 20 bis 25° hoch faſt nie flimmern, nicht einmal im Zenith ihr ruhiges, planetariſches Licht. Sie flimmerten in allen Höhen, wie nach einem ſtarken Gewitterregen. Dieſe Wirkung eines Nebels, der auf den Hygrometer an der Erdoberfläche nicht wirkte, erſchien mir auffallend. Ich blieb einen Teil der Nacht auf einem Balkon ſitzen, wo ich einen großen Teil des Horizontes überſah. Unter allen Himmelsſtrichen hat es viel Anziehendes für mich, bei heiterem Himmel ein großes Sternbild ins Auge zu faſſen und zu ſehen, wie Haufen von Dunſtbläschen ſich bilden, wie um einen Kern anſchießen, ver - ſchwinden und ſich von neuem bilden.

Zwiſchen dem 28. Oktober und 3. November war der rötliche Nebel dicker als je bisher; bei Nacht war die Hitze erſtickend, obgleich der Thermometer nur auf 26° ſtand. Der Seewind, der meiſt von 8 oder 9 Uhr abends die Luft abkühlt, ließ ſich gar nicht ſpüren. Die Luft war wie in Glut; der ſtaubige, ausgedörrte Boden bekam überall Riſſe. Am 4. November gegen 2 Uhr nachmittags hüllten dicke, ſehr ſchwarze Wolken die hohen Berge Brigantin und Tatara - qual ein. Sie rückten allmählich bis in das Zenith. Gegen 4 Uhr fing es an über uns zu donnern, aber ungemein hoch, ohne Rollen, trockene, oft kurz abgebrochene Schläge. Im Moment, wo die ſtärkſte elektriſche Entladung ſtattfand, um 4 Uhr 12 Minuten, erfolgten zwei Erdſtöße, 15 Sekun - den hintereinander. Das Volk ſchrie laut auf der Straße. Bonpland, der über einen Tiſch gebeugt Pflanzen unterſuchte, wurde beinahe zu Boden geworfen. Ich ſelbſt ſpürte den Stoß ſehr ſtark, obgleich ich in einer Hängematte lag. Die Richtung des Stoßes war, was in Cumana ziemlich ſelten vorkommt, von Nord nach Süd. Sklaven, die aus einem 6 bis 6,5 m tiefen Brunnen am Manzanares Waſſer ſchöpften, hörten ein Getöſe wie einen ſtarken Kanonenſchuß. Das Ge - töſe ſchien aus dem Brunnen heraufzukommen, eine auf - fallende Erſcheinung, die übrigens in allen Ländern Amerikas, die den Erdbeben ausgeſetzt ſind, häufig vorkommt.

Einige Minuten vor dem erſten Stoß trat ein heftiger48 Sturm ein, dem ein elektriſcher Regen mit großen Tropfen folgte. Ich beobachtete ſogleich die Elektrizität der Luft mit dem Voltaſchen Elektrometer. Die Kügelchen wichen 8,88 mm auseinander; die Elektrizität wechſelte oft zwiſchen poſitiv und negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa zuweilen ſelbſt bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und auf den Sturm folgte eine Windſtille, welche die ganze Nacht anhielt. Der Sonnenuntergang bot ein Schauſpiel von ſeltener Pracht. Der dicke Wolkenſchleier zerriß dicht am Horizont wie zu Fetzen, und die Sonne erſchien 12° hoch auf indigo - blauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein ſtark in die Breite gezogen, verſchoben und am Rande ausgeſchweift. Die Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den ſchönſten Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels aus - einander. Auf dem großen Platze war viel Volk verſammelt. Letztere Erſcheinung, das Erdbeben, der Donnerſchlag während desſelben, der rote Nebel ſeit ſo vielen Tagen, alles wurde der Sonnenfinſternis zugeſchrieben.

Gegen 9 Uhr abends erfolgte ein dritter Erdſtoß, weit ſchwächer als die erſten, aber begleitet von einem deutlich vernehmbaren unterirdiſchen Geräuſch. Der Barometer ſtand ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber der Gang der ſtündlichen Schwankungen oder der kleinen atmoſphäriſchen Ebbe und Flut wurde durchaus nicht unterbrochen. Das Queckſilber ſtand im Moment, wo der Erdſtoß eintrat, eben auf dem Minimum der Höhe; es ſtieg wieder bis 11 Uhr abends und fiel dann wieder bis 4 ½ Uhr morgens, voll - kommen entſprechend dem Geſetze der barometriſchen Schwan - kungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der rötlichte Nebel ſo dick, daß ich den Ort, wo der Mond ſtand, nur an einem ſchönen Hofe von 12° Durchmeſſer er - kennen konnte.

Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verfloſſen, ſeit die Stadt Cumana durch ein Erdbeben faſt gänzlich zerſtört worden. Das Volk ſieht die Nebel, welche den Horizont um - ziehen, und das Ausbleiben des Seewindes bei Nacht für ſichere ſchlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Beſuche, die ſich erkundigten, ob unſere Inſtrumente neue Stöße für den anderen Tag anzeigten. Beſonders groß und allgemein wurde die Unruhe, als am 5. November, zur ſelben Stunde wie tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat, dem ein Donner - ſchlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ ſich49 kein Stoß ſpüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder ſechs Tage zur ſelben Stunde, ja faſt zur ſelben Minute wieder. Schon ſeit langer Zeit haben die Einwohner von Cumana und ſo vieler Orte unter den Tropen die Beob - achtung gemacht, daß ſcheinbar ganz zufällige atmoſphäriſche Veränderungen wochenlang mit erſtaunlicher Regelmäßigkeit nach einem gewiſſen Typus eintreten. Dieſelbe Erſcheinung kommt ſommers auch im gemäßigten Erdſtrich vor und iſt dem Scharfblick der Aſtronomen nicht entgangen. Häufig ſieht man nämlich bei heiterem Himmel drei, vier Tage hinterein - ander an derſelben Stelle des Himmels ſich Wolken bilden, nach derſelben Richtung fortziehen und ſich in derſelben Höhe wieder auflöſen, bald vor, bald nach dem Durchgang eines Sternes durch den Meridian, alſo bis auf wenige Minuten zur ſelben wahren Zeit.

Das Erdbeben vom 4. November, das erſte, das ich erlebt, machte einen um ſo ſtärkeren Eindruck auf mich, da es, vielleicht zufällig, von ſo auffallenden meteoriſchen Er - ſcheinungen begleitet war. Auch war es eine wirkliche Hebung von unten nach oben, kein wellenförmiger Stoß. Ich hätte damals nicht geglaubt, daß ich nach langem Aufenthalt auf den Hochebenen von Quito und an den Küſten von Peru mich ſelbſt an ziemlich ſtarke Bewegungen des Bodens ſo ſehr gewöhnen würde, wie wir in Europa an das Donnern ge - wöhnt ſind. In der Stadt Quito dachten wir gar nicht mehr daran, bei Nacht aufzuſtehen, wenn ein unterirdiſches Gebrülle (bramidos), das immer vom Vulkan Pichincha herzukommen ſcheint (2 bis 3, zuweilen 7 bis 8 Minuten vorher) einen Stoß ankündigte, deſſen Stärke nur ſelten mit dem Grade des Getöſes im Verhältnis ſteht. Die Sorgloſigkeit der Ein - wohner, die wiſſen, daß in dreihundert Jahren ihre Stadt nicht zerſtört worden iſt, teilt ſich bald ſelbſt dem ängſtlichſten Fremden mit. Ueberhaupt iſt es nicht ſowohl die Beſorgnis vor Gefahr, als die eigentümliche Empfindung, was einen ſo ſehr aufregt, wenn man zum erſtenmal auch nur einen ganz leichten Erdſtoß empfindet.

Von Kindheit auf prägen ſich unſerer Vorſtellung gewiſſe Kontraſte ein; das Waſſer gilt uns für ein bewegliches Ele - ment, die Erde für eine unbewegliche träge Maſſe. Dieſe Begriffe ſind das Produkt der täglichen Erfahrung und hängen mit allen unſeren Sinneseindrücken zuſammen. Läßt ſich ein Erdſtoß ſpüren, wankt die Erde in ihren alten Grundfeſten,A. v. Humboldt, Reiſe. II. 450die wir für unerſchütterlich gehalten, ſo iſt eine langjährige Täuſchung in einem Augenblick zerſtört. Es iſt, als erwachte man, aber es iſt kein angenehmes Erwachen; man fühlt, die vorausgeſetzte Ruhe der Natur war nur eine ſcheinbare, man lauſcht hinfort auf das leiſeſte Geräuſch, man mißtraut zum erſtenmal einem Boden, auf den man ſo lange zuverſichtlich den Fuß geſetzt. Wiederholen ſich die Stöße, treten ſie mehrere Tage hintereinander häufig ein, ſo nimmt dieſes Zagen bald ein Ende. Im Jahre 1784 waren die Einwohner von Mexiko ſo ſehr daran gewöhnt, unter ihren Füßen donnern zu hören, wie wir an den Donner in der Luft. Der Menſch faßt ſehr ſchnell wieder Zutrauen, und an den Küſten von Peru ge - wöhnt man ſich am Ende an die Schwankungen des Bodens, wie der Schiffer an die Stöße, die das Fahrzeug von den Wellen erhält.

Der rötlichte Dunſt, der kurz nach Sonnenuntergang den Horizont umzog, hatte ſeit dem 7. November aufgehört. Die Luft war wieder ſo rein wie ſonſt, und das Himmelsgewölbe zeigte im Zenith das Dunkelblau, das den Klimaten eigen iſt, wo die Wärme, das Licht und große Gleichförmigkeit der elektriſchen Spannung miteinander die vollſtändigſte Auflöſung des Waſſers in der Luft zu bewirken ſcheinen. In der Nacht vom 7. zum 8. beobachtete ich die Immerſion des zweiten Jupiterstrabanten. Die Streifen des Planeten waren deut - licher, als ich ſie je zuvor geſehen.

Einen Teil der Nacht verwendete ich dazu, die Lichtſtärke der ſchönen Sterne am ſüdlichen Himmel zu vergleichen. Ich hatte ſchon zur See ſorgfältige Beobachtungen derart ange - ſtellt und ſetzte ſie ſpäter bei meinem Aufenthalt in Lima, Guayaquil und Mexiko in beiden Hemiſphären fort. Es war über ein halbes Jahrhundert verfloſſen, ſeit Lacaille den Strich des Himmels, der in Europa unſichtbar iſt, unterſucht hatte. Die Sterne nahe am Südpol werden meiſt ſo oberflächlich und ſo wenig anhaltend beobachtet, daß in ihrer Lichtſtärke und in ihrer eigenen Bewegung die größten Veränderungen eintreten können, ohne daß die Aſtronomen das Geringſte davon erfahren. Ich glaube Veränderungen derart in den Sternbildern des Kranichs und des Schiffes wahrgenommen zu haben. Nach einem Mittel aus ſehr vielen Schätzungen habe ich die relative Lichtſtärke der großen Sterne in nach - ſtehender Reihenfolge abnehmen ſehen: Sirius, Canopus, α des Centauren, Achernar, β des Centauren, Fomalhaut,51 Rigel, Procyon, Beteigeuze, ε des großen Hundes, δ des großen Hundes, α des Kranichs, α des Pfauen. Dieſe Arbeit, deren numeriſche Eingriffe ich anderswo veröffentlicht habe, wird an Bedeutung gewinnen, wenn nach je fünfzig bis ſechzig Jahren Reiſende die Lichtſtärke der Sterne von neuem be - obachten und darin Wechſel wahrnehmen, die entweder von Vorgängen an der Oberfläche der Himmelskörper oder von ihrem veränderten Abſtande von unſerem Planetenſyſtem her - rühren.

Hat man in unſeren nördlichen Himmelsſtrichen und in der heißen Zone lange mit denſelben Fernröhren beobachtet, ſo iſt man überraſcht, wie deutlich in letzterer, infolge der Durchſichtigkeit der Luft und der geringeren Schwächung des Lichtes, die Doppelſterne, die Trabanten des Jupiters und gewiſſe Nebelſterne erſcheinen. Bei gleich heiterem Himmel glaubt man beſſere Inſtrumente unter den Händen zu haben, ſo viel deutlicher, ſo viel ſchärfer begrenzt zeigen ſich dieſe Gegenſtände unter den Tropen. So viel iſt ſicher, wird einſt Südamerika der Mittelpunkt einer ausgebreiteten Kultur, ſo muß die phyſiſche Aſtronomie ungemeine Fortſchritte machen, ſobald man einmal anfängt im trockenen, heißen Klima von Cumana, Coro und der Inſel Margarita den Himmel mit vorzüglichen Werkzeugen zu beobachten. Des Rückens der Kordilleren erwähne ich dabei nicht, weil, einige ziemlich dürre Hochebenen in Mexiko und Peru ausgenommen, auf ſehr hohen Plateaus, auf ſolchen, wo der Luftdruck um 26 bis 29 cm geringer iſt als an der Meeresfläche, die Luft neblig und die Witterung ſehr veränderlich iſt. Sehr reine Luft, wie ſie in den Niederungen in der trockenen Jahreszeit faſt beſtändig vorkommt, bietet vollen Erſatz für die hohe Lage und die verdünnte Luft auf den Plateaus.

Die Nacht vom 11. zum 12. November war kühl und ausnehmend ſchön. Gegen Morgen, von 2 ½ Uhr an, ſah man gegen Oſt höchſt merkwürdige Feuermeteore. Bon - pland, der aufgeſtanden war, um auf der Galerie der Kühle zu genießen, bemerkte ſie zuerſt. Tauſende von Feuerkugeln und Sternſchnuppen fielen hintereinander, vier Stunden lang. Ihre Richtung war ſehr regelmäßig von Nord nach Süd; ſie füllten ein Stück des Himmels, das vom wahren Oſtpunkt 30° nach Nord und nach Süd reichte. Auf einer Strecke von 60° ſah man die Meteore in Oſt-Nord-Oſt und Oſt über den Horizont aufſteigen, größere oder kleinere Bogen52 beſchreiben und, nachdem ſie in der Richtung des Meridians fortgelaufen, gegen Süd niederfallen. Manche ſtiegen 40° hoch, alle höher als 25 bis 30°. Der Wind war in der niederen Luftregion ſehr ſchwach und blies aus Oſt; von Wolken war keine Spur zu ſehen. Nach Bonplands Ausſage war gleich zu Anfang der Erſcheinung kein Stück am Himmel ſo groß als drei Monddurchmeſſer, das nicht jeden Augenblick von Feuerkugeln und Sternſchnuppen gewimmelt hätte. Der erſteren waren wenigere; da man ihrer aber von verſchiedenen Größen ſah, ſo war zwiſchen dieſen beiden Klaſſen von Er - ſcheinungen unmöglich, eine Grenze zu ziehen. Alle Meteore ließen 8 bis 10° lange Lichtſtreifen hinter ſich zurück, was zwiſchen den Wendekreiſen häufig vorkommt. Die Phos - phoreszenz dieſer Lichtſtreifen hielt 7 bis 8 Sekunden an. Manche Sternſchnuppen hatten einen ſehr deutlichen Kern von der Größe der Jupiterſcheibe, von dem ſehr ſtark leuchtende Lichtfunken ausfuhren. Die Feuerkugeln ſchienen wie durch Exploſion zu platzen; aber die größten, von 1 bis 13′ Durch - meſſer, verſchwanden ohne Funkenwerfen und ließen leuchtende, 15 bis 20 Minuten breite Streifen (trabes) hinter ſich. Das Licht der Meteore war weiß, nicht rötlich, wahrſcheinlich weil die Luft ganz dunſtfrei und ſehr durchſichtig war. Aus dem - ſelben Grunde haben unter den Tropen die Sterne erſter Größe beim Aufgehen ein auffallend weißeres Licht als in Europa.

Faſt alle Einwohner von Cumana ſahen die Erſcheinung mit an, weil ſie vor 4 Uhr aus den Häuſern gehen, um die Frühmeſſe zu hören. Der Anblick der Feuerkugeln war ihnen keineswegs gleichgültig; die älteſten erinnerten ſich, daß dem großen Erdbeben des Jahres 1766 ein ganz ähnliches Phänomen vorausgegangen war. In der indianiſchen Vor - ſtadt waren die Guaikeri auf den Beinen; ſie behaupteten, das Feuerwerk habe um ein Uhr nachts begonnen, und als ſie vom Fiſchfang im Meerbuſen zurückgekommen, haben ſie ſchon Sternſchnuppen, aber ganz kleine, im Oſten aufſteigen ſehen . Sie verſicherten zugleich, auf dieſer Küſte ſeien nach 2 Uhr morgens Feuermeteore ſehr ſelten.

Von 4 Uhr an hörte die Erſcheinung allmählich auf; Feuerkugeln und Sternſchnuppen wurden ſeltener, indeſſen konnte man noch eine Viertelſtunde nach Sonnenaufgang mehrere an ihrem weißen Lichte und dem raſchen Hinfahren erkennen. Dies erſcheint nicht ſo auffallend, wenn ich daran53 erinnere, daß im Jahre 1788 in der Stadt Popayan am hellen Tage das Innere der Häuſer durch einen ungeheuer großen Meteorſtein ſtark erleuchtet wurde; er ging um 1 Uhr nach - mittags bei hellem Sonnenſchein über die Stadt weg. Am 26. September 1800, während unſeres zweiten Aufenthalts in Cumana, gelang es Bonpland und mir, nachdem wir die Immerſion des erſten Jupiterstrabanten beobachtet, 18 Mi - nuten, nachdem ſich die Sonnenſcheibe über den Horizont er - hoben, den Planeten mit bloßem Auge deutlich zu ſehen. Gegen Oſt war ſehr leichtes Gewölk, aber Jupiter ſtand auf blauem Grunde. Dieſe Fälle beweiſen, wie rein und durch - ſichtig die Luft zwiſchen den Wendekreiſen iſt. Die Maſſe des zerſtreuten Lichtes iſt deſto kleiner, je vollſtändiger der Waſſerdunſt aufgelöſt iſt. Dieſelbe Urſache, welche der Zer - ſtreuung des Sonnenlichtes entgegenwirkt, vermindert auch die Schwächung des Lichtes, das von den Feuerkugeln, vom Ju - piter, vom Mond am zweiten Tag nach der Konjunktion ausgeht.

Der 12. November war wieder ein ſehr heißer Tag und der Hygrometer zeigte eine für dieſes Klima ſehr ſtarke Trockenheit an. Auch zeigte ſich der rötliche, den Horizont umſchleiernde Dunſt wieder und ſtieg 14° hoch herauf. Es war das letzte Mal, daß man ihn in dieſem Jahre ſah. Ich bemerke hier, daß derſelbe unter dem ſchönen Himmel von Cumana im allgemeinen ſo ſelten iſt, als er in Acapulco auf der Weſtküſte von Mexiko häufig vorkommt.

Da bei meinem Abgange von Europa die Phyſiker durch Chladnis Unterſuchungen auf Feuerkugeln und Sternſchnuppen beſonders aufmerkſam geworden waren, ſo verſäumten wir auf unſerer Reiſe von Caracas nach dem Rio Negro nicht, uns überall zu erkundigen, ob am 12. November die Meteore geſehen worden ſeien. In einem wilden Lande, wo die Ein - wohner größenteils im Freien ſchlafen, konnte eine ſo außer - ordentliche Erſcheinung nur da unbemerkt bleiben, wo ſie ſich durch bewölkten Himmel der Beobachtung entzog. Der Ka - puziner in der Miſſion San Fernando de Apure, die mitten in den Savannen der Provinz Varinas liegt, die Franziskaner an den Fällen des Orinoko und in Maroa am Rio Negro hatten zahlloſe Sternſchnuppen und Feuerkugeln das Himmels - gewölbe beleuchten ſehen. Maroa liegt 780 km ſüdweſtlich von Cumana. Alle dieſe Beobachter verglichen das Phänomen mit einem ſchönen Feuerwerk, das von 3 bis 6 Uhr54 morgens gewährt. Einige Geiſtliche hatten dieſen Tag in ihrem Ritual angemerkt, andere bezeichneten denſelben nach den nächſten Kirchenfeſten, leider aber erinnerte ſich keiner der Richtung der Meteore oder ihrer ſcheinbaren Höhe. Nach der Lage der Berge und dichten Wälder, welche um die Miſſionen an den Katarakten und um das kleine Dorf Maroa liegen, mögen die Feuerkugeln noch 20° über dem Horizont ſichtbar geweſen ſein. Am Südende von ſpaniſch Guyana, im kleinen Fort San Carlos, traf ich Portugieſen, die von der Miſſion San Joſe dos Maravitanos den Rio Negro herauf gefahren waren. Sie verſicherten mich, in dieſem Teile Braſiliens ſei die Erſcheinung zum wenigſten bis San Gabriel das Cachoeiras, alſo bis zum Aequator, ſichtbar geweſen. 1In Santa Fé de Bogota, in Popayan und in der ſüdlichen Halbkugel in Quito und Peru habe ich niemand getroffen, der die Meteore geſehen hätte. Vielleicht war nur der Zuſtand der Atmo - ſphäre, der in dieſen weſtlichen Ländern ſehr veränderlich iſt, daran ſchuld.

Ich wunderte mich ſehr über die ungeheure Höhe, in der die Feuerkugeln geſtanden haben mußten, um zu gleicher Zeit in Cumana und an der Grenze von Braſilien, auf einer Strecke von 1035 km geſehen zu werden. Wie ſtaunte ich aber, als ich bei meiner Rückkehr nach Europa erfuhr, dieſelbe Er - ſcheinung ſei auf einem 64 Breiten - und 91 Längengrade großen Stück des Erdballs, unter dem Aequator, in Südamerika, in Labrador und in Deutſchland geſehen worden! Auf der Ueber - fahrt von Philadelphia nach Bordeaux fand ich zufällig in den Verhandlungen der Pennſylvaniſchen Geſellſchaft die be - treffende Beobachtung des Aſtronomen der Vereinigten Staaten, Ellicot (unter 30° 42′), und als ich von Neapel wieder nach Berlin ging, auf der Göttinger Bibliothek den Bericht der mähriſchen Miſſionäre bei den Eskimo. Bereits war damals von mehreren Phyſikern die Frage beſprochen worden, ob die Beobachtungen im Norden und die in Cumana, die Bonpland und ich ſchon im Jahre 1800 bekannt gemacht, denſelben Gegen - ſtand betreffen.

Ich gebe im folgenden eine gedrängte Zuſammenſtellung der Beobachtungen: 1) Die Feuermeteore wurden gegen Oſt und Oſt-Nord-Oſt, bis zu 40° über dem Horizont, von 2 bis 6 Uhr morgens geſehen in Cumana (Breite 10° 27′ 52″, Länge 66° 30′), in Porto Cabello (Breite 10° 6′ 52″, Länge 67° 5′)55 und an der Grenze von Braſilien in der Nähe des Aequators unter 70° der Länge vom Pariſer Meridian. 2) In fran - zöſiſch Guyana (Breite 40° 56′, Länge 54° 35′) ſah man den Himmel gegen Norden wie in Flammen ſtehen. Andert - halb Stunden lang ſchoſſen unzählige Sternſchnuppen durch der Himmel und verbreiteten ein ſo ſtarkes Licht, daß man die Meteore mit den ſprühenden Funkengarben bei einem Feuerwerk vergleichen konnte . Für dieſe Thatſache liegt ein höchſt achtungswertes Zeugnis vor, das des Grafen Marbois, der damals als ein Opfer ſeines Rechtsſinns und ſeiner An - hänglichkeit an verfaſſungsmäßige Freiheit als Deportierter in Cayenne lebte. 3) Der Aſtronom der Vereinigten Staaten, Ellicot, befand ſich, nachdem er trigonometriſche Vermeſſungen zur Grenzberichtigung am Ohio vollendet hatte, am 12. No - vember im Kanal von Bahama unter 25° der Breite und 81° 50′ der Länge. Er ſah am ganzen Himmel ſo viel Meteore als Sterne; ſie fuhren nach allen Richtungen dahin; manche ſchienen ſenkrecht niederzufallen und man glaubte jeden Augenblick, ſie werden aufs Schiff herabkommen . Dasſelbe wurde auf dem Feſtlande von Amerika bis zu 30° 43′ der Breite beobachtet. 4) In Labrador zu Nain (Breite 56° 55′) und Hoffenthal (Breite 58° 4′), in Grönland zu Lichtenau (Breite 61° 5′) und Neu-Herrnhut (Breite 64° 14′, Länge 52° 20′) erſchraken die Eskimo über die ungeheure Menge Feuerkugeln, die in der Dämmerung nach allen Himmels - gegenden niederfielen, und von denen manche einen Schuh breit waren . 5) In Deutſchland ſah der Pfarrer von Itterſtädt bei Weimar, Zeiſing (Breite 50° 59′, öſtliche Länge 1′), am 12. November zwiſchen 6 und 7 Uhr morgens (als es in Cumana Uhr war) einige Stern - ſchnuppen mit ſehr weißem Licht. Kurz darauf erſchienen gegen Süd und Südweſt 1,3 bis 2 m lange, rötliche Licht - ſtreifen, ähnlich denen einer Rakete. In der Morgendämmerung zwiſchen 7 und 8 Uhr ſah man von Zeit zu Zeit den Himmel durch weißliche, in Schlangenlinien am Horizont hinfahrende Blitze ſtark beleuchtet. In der Nacht war es kälter geworden und der Barometer war geſtiegen. Sehr wahrſcheinlich hätte das Meteor noch weiter oſtwärts in Polen und Rußland ge - ſehen werden können. Ohne die umſtändliche Angabe, die Ritter den Papieren des Pfarrers von Itterſtädt entnommen, hätten wir auch geglaubt, die Feuerkugeln ſeien außerhalb der Grenzen der Neuen Welt nicht geſehen worden.

56

Von Weimar an den Rio Negro ſind es 3340 km, vom Rio Negro nach Herrnhut in Grönland 5850 km. Sind an ſo weit auseinander gelegenen Punkten dieſelben Meteore ge - ſehen worden, ſo ſetzt dies für dieſelben eine Höhe von 1850 km voraus. Bei Weimar zeigten ſich die Lichtſtreifen gegen Süd und Südweſt, in Cumana gegen Oſt und Oſt - Nord-Oſt. Man könnte deshalb glauben, zahlloſe Aerolithen müßten zwiſchen Afrika und Südamerika weſtwärts von den Inſeln des Grünen Vorgebirges ins Meer gefallen ſein. Wie kommt es aber, daß die Feuerkugeln, die in Labrader und Cumana verſchiedene Richtungen hatten, am letzteren Orte nicht gegen Nord geſehen wurden, wie in Cayenne? Man kann nicht vorſichtig genug ſein mit einer Annahme, zu der es noch an guten, an weit auseinander gelegenen Orten an - geſtellten Beobachtungen fehlt. Ich möchte faſt glauben, daß die Chaymas in Cumana nicht dieſelben Feuerkugeln geſehen haben, wie die Portugieſen in Braſilien und die Miſſionäre in Labrador; immer aber bleibt es unzweifelhaft (und dieſe Thatſache ſcheint mir höchſt merkwürdig), daß in der Neuen Welt zwiſchen 46° und 82° der Länge, vom Aequator bis zu 64° der Breite in denſelben Stunden eine ungeheure Menge Feuerkugeln und Sternſchnuppen geſehen worden iſt. Auf einem Flächenraume von 18650000 qkm erſchienen die Meteore überall gleich glänzend.

Die Phyſiker (Benzenberg und Brandes), welche in neuerer Zeit über die Sternſchnuppen und ihre Parallaxen ſo müh - ſame Unterſuchungen angeſtellt haben, betrachten ſie als Me - teore, die der äußerſten Grenze unſeres Luftkreiſes, dem Raume zwiſchen der Region des Nordlichtes und der der leichteſten Wolken1Nach meinen Beobachtungen auf dem Rücken der Anden in mehr als 5260 m Meereshöhe über die Schäfchen oder kleinen weißen, gekräuſelten Wolken ſchätzte ich die Höhe derſelben zuweilen auf mehr als 11700 m über der Küſte. angehören. Es ſind welche beobachtet worden, die nur 27,3 km hoch waren, und die höchſten ſcheinen nicht über 164 km hoch zu ſein. Sie haben häufig über 32 m Durch - meſſer und ihre Geſchwindigkeit iſt ſo bedeutend, daß ſie in wenigen Sekunden 9 km zurücklegen. Man hat welche ge - meſſen, die faſt ſenkrecht oder unter einem Winkel von 50° von unten nach oben liefen. Aus dieſem ſehr merkwürdigen Umſtande hat man geſchloſſen, daß die Sternſchnuppen keine57 Meteorſteine ſind, die, nachdem ſie lange gleich Himmels - körpern durch den Raum gezogen, ſich entzünden, wenn ſie zufällig in unſere Atmoſphäre geraten und zur Erde fallen.

Welchen Urſprung nun auch dieſe Feuermeteore haben mögen, ſo hält es ſchwer, ſich in einer Region, wo die Luft verdünnter iſt als im luftleeren Raume unſerer Luftpumpen, wo (in 49 km Höhe) das Queckſilber im Barometer nicht 0,024 mm hoch ſtünde, ſich eine plötzliche Entzündung zu denken. Allerdings kennen wir das bis auf 3 / 1000 gleich - förmige Gemiſch der atmoſphäriſchen Luft nur bis zu 585 m Höhe, folglich nicht über die höchſte Schichte der flockigen Wolken hinauf. Man könnte annehmen, bei den früheſten Umwälzungen des Erdballes ſeien Gaſe, die uns bis jetzt ganz unbekannt geblieben, in die Luftregion aufgeſtiegen, in der ſich die Sternſchnuppen bewegen; aber aus genauen Verſuchen mit Gemiſchen von Gaſen von verſchiedenem ſpezifiſchem Ge - wichte geht hervor, daß eine oberſte, von den unteren Schichten ganz verſchiedene Luftſchicht undenkbar iſt. Die gasförmigen Körper miſchen ſich und durchdringen einander bei der geringſten Bewegung, und im Laufe der Jahrhunderte hätte ſich ein gleichförmiges Gemiſch herſtellen müſſen, wenn man nicht eine abſtoßende Kraft ins Spiel bringen will, von der an keinem der uns bekannten Körper etwas zu bemerken iſt. Nimmt man ferner in den uns unzugänglichen Regionen der Feuer - meteore, der Sternſchnuppen, der Feuerkugeln und des Nord - lichtes eigentümliche luftförmige Flüſſigkeiten an, wie will man es erklären, daß ſich nicht die ganze Schicht dieſer Flüſſig - keiten zumal entzündet, daß vielmehr Gasausſtrömungen, gleich Wolken, einen begrenzten Raum einnehmen? Wie ſoll man ſich ohne die Bildung von Dünſten, die einer ungleichen Ladung fähig ſind, eine elektriſche Entladung denken, und das in einer Luft, deren mittlere Temperatur vielleicht 250° unter Null beträgt, und die ſo verdünnt iſt, daß die Kompreſſion durch den elektriſchen Schlag ſo gut wie keine Wärme mehr entbinden kann? Dieſe Schwierigkeiten würden großenteils beſeitigt, wenn man die Sternſchnuppen nach der Richtung, in der ſie ſich bewegen, als Körper mit feſtem Kern, als kosmiſche (dem Himmelsraume außerhalb unſeres Luftkreiſes angehörige), nicht als telluriſche (nur unſerem Planeten an - gehörige) Erſcheinungen betrachten könnte.

Hatten die Meteore in Cumana nur die Höhe, in der ſich die Sternſchnuppen gewöhnlich bewegen, ſo konnten die -58 ſelben Meteore an Punkten, die 1400 km auseinander liegen, über dem Horizont geſehen werden. Wie außerordentlich muß nun an jenem 12. November in den hohen Luftregionen die Neigung zur Verbrennung geſteigert geweſen ſein, damit vier Stunden lang Milliarden von Feuerkugeln und Sternſchnuppen fallen konnten, die am Aequator, in Grönland und in Deutſch - land geſehen wurden! Benzenberg macht die ſcharfſinnige Bemerkung, daß dieſelbe Urſache, aus der das Phänomen häufiger eintritt, auch auf die Größe der Meteore und ihre Lichtſtärke Einfluß äußert. In Europa ſieht man in den Nächten, in denen am meiſten Sternſchnuppen fallen, immer auch ſehr ſtark leuchtende unter ganz kleinen. Durch das Periodiſche daran wird die Erſcheinung noch intereſſanter. In manchen Monaten zählte Brandes in unſerem gemäßigten Erdſtrich nur 60 bis 80 Sternſchnuppen in der Nacht, in anderen ſteigt die Zahl auf 2000. Sieht man eine vom Durchmeſſer des Sirius oder des Jupiter, ſo kann man ſicher darauf rechnen, daß hinter dieſem glänzenden Meteor viele kleinere kommen. Fallen in einer Nacht ſehr viele Stern - ſchnuppen, ſo iſt es höchſt wahrſcheinlich, daß dies mehrere Wochen anhält. In den hohen Luftregionen, an der äußerſten Grenze, wo Centrifugalkraft und Schwere ſich ausgleichen, ſcheint periodiſch eine beſondere Dispoſition zur Bildung von Feuerkugeln, Sternſchnuppen und Nordlichtern einzutreten. Hängt die Periodizität dieſer wichtigen Erſcheinung vom Zu - ſtande der Atmoſphäre ab, oder von etwas, das der Atmoſphäre von auswärts zukommt, während die Erde in der Ekliptik fortrückt? Von alledem wiſſen wir gerade ſo viel wie zur Zeit des Anaxagoras.

Was die Sternſchnuppen für ſich betrifft, ſo ſcheinen ſie mir, nach meiner eigenen Erfahrung, unter den Wendekreiſen häufiger zu ſein als in gemäßigten Landſtrichen, über den Feſtländern und an gewiſſen Küſten häufiger als auf offener See. Ob wohl die ſtrahlende Oberfläche des Erdballs und die elektriſche Ladung der tiefen Luftregionen, die nach der Beſchaffenheit des Bodens und nach der Lage der Kontinente und Meere ſich ändert, ihre Einflüſſe noch in Höhen äußern, wo ewiger Winter herrſcht? Daß in gewiſſen Jahreszeiten und über manchen dürren, pflanzenloſen Ebenen der Himmel auch nicht die kleinſten Wolken zeigt, ſcheint darauf hinzu - deuten, daß dieſer Einfluß ſich wenigſtens bis zur Höhe von 970 bis 1170 m geltend macht. In einem von Vulkanen59 ſtarrenden Lande, auf der Hochebene der Anden iſt vor dreißig Jahren eine ähnliche Erſcheinung wie die am 12. November beobachtet worden. Man ſah in der Stadt Quito nur an einem Stück des Himmels, über dem Vulkan Cayambe, Stern - ſchnuppen in ſolcher Menge aufſteigen, daß man meinte, der ganze Berg ſtehe in Feuer. Dieſes außerordentliche Schau - ſpiel dauerte über eine Stunde; das Volk lief auf der Ebene von Exido zuſammen, wo man eine herrliche Ausſicht auf die höchſten Gipfel der Kordilleren hat. Schon war eine Pro - zeſſion im Begriffe, vom Kloſter San Francisco aufzubrechen, als man gewahr wurde, daß das Feuer am Horizont von Feuermeteoren herrührte, die bis zur Höhe von 12 bis 15° nach allen Richtungen durch den Himmel ſchoſſen.

[60]

Elftes Kapitel.

Reiſe von Cumana nach Guayra. Morro de Nueva Barcelona. Das Vorgebirge Codera. Weg von Guayra nach Caracas.

Am 18. November um 8 Uhr abends waren wir unter Segel, um längs der Küſte von Cumana nach dem Hafen von Guayra zu fahren, aus dem die Einwohner von Vene - zuela den größten Teil ihrer Produkte ausführen. Es ſind nur 270 km und die Ueberfahrt währt meiſt nur 36 bis 40 Stunden. Den kleinen Küſtenfahrzeugen kommen Wind und Strömungen zumal zu gute; letztere ſtreichen mehr oder minder ſtark von Oſt nach Weſt längs den Küſten von Terra Firma hin, beſonders zwiſchen den Vorgebirgen Paria und Chichi - bacoa. Der Landweg von Cumana nach Neubarcelona und von da nach Caracas iſt ſo ziemlich im ſelben Zuſtande wie vor der Entdeckung von Amerika. Man hat mit allen Hin - derniſſen eines moraſtigen Bodens, zerſtreuter Felsblöcke und einer wuchernden Vegetation zu kämpfen; man muß unter freiem Himmel ſchlafen, die Thäler des Unare, Tuy und Ca - paya durchziehen und über Ströme ſetzen, die wegen der Nähe des Gebirges raſch anſchwellen. Zu dieſen Hinderniſſen kommt die Gefahr, die der Reiſende läuft, weil das Land ſehr un - geſund iſt, beſonders die Niederungen zwiſchen der Küſtenkette und dem Meeresufer, von der Bucht von Mochima bis Coro. Letztere Stadt aber, die von einem ungeheuren Gehölz von Fackeldiſteln und ſtachlichten Kaktus umgeben iſt, verdankt, gleich Cumana, ihr geſundes Klima dem dürren Boden und dem Mangel an Regen.

Man zieht zuweilen den Weg zu Lande dem zur See vor, wenn man von Caracas nach Cumana zurückgeht und nicht gerne gegen die Strömung fährt. Der Kurier von Caracas braucht dazu neun Tage; wir ſahen häufig Leute, die ſich61 ihm angeſchloſſen, in Cumana krank an Typhus und mias - matiſchen Fiebern ankommen. Der Baum, deſſen Rinde1Die Cortex Angosturae unſerer Pharmakopöen, die Rinde der Bonplandia trifoliata. ein treffliches Heilmittel gegen dieſe Fieber iſt, wächſt in denſelben Thälern, am Saume derſelben Wälder, deren Ausdünſtungen ſo gefährlich ſind. Der kranke Reiſende macht Halt in einer Hütte, deren Bewohner nichts davon wiſſen, daß die Bäume, welche die Thalgründe umher beſchatten, das Fieber vertreiben.

Als wir zur See von Cumana nach Guayra gingen, war unſer Plan der: wir wollten bis zum Ende der Regenzeit in Caracas bleiben, von dort über die großen Ebenen oder Llanos in die Miſſionen am Orinoko reiſen, dieſen ungeheuren Strom ſüdlich von den Katarakten bis zum Rio Negro und zur Grenze von Braſilien hinauffahren und über die Hauptſtadt des ſpa - niſchen Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage Angoſtura, d. h. Engpaß geheißen, nach Cumana zurückkehren. Wie lange wir zu dieſer Reiſe von 3150 km, wovon wir über zwei Dritt - teile im Kanoe zu machen hatten, brauchen würden, ließ ſich unmöglich beſtimmen. Auf den Küſten kennt man nur das Stück des Orinoko nahe an ſeiner Mündung; mit den Miſ - ſionen beſteht lediglich kein Handelsverkehr. Was jenſeits der Llanos liegt, iſt für die Einwohner von Cumana und Ca - racas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Raſen bedeckten Ebenen von Calabozo ziehen ſich 3600 km gegen Süden fort und ſtehen mit den Steppen oder Pampas von Buenos Ayres in Verbindung; andere halten wegen der großen Sterblichkeit unter den Truppen Iturriagas und Solanos auf ihrem Zuge an den Orinoko alles Land ſüdlich von den Kata - rakten von Atures für äußerſt ungeſund. In einem Lande, wo man ſo wenig reiſt, findet man Gefallen daran, den Fremden gegenüber die Gefahren, die vom Klima, von wilden Tieren und Menſchen drohen, zu übertreiben. Wir waren an dieſe Abſchreckungsmittel, welche die Koloniſten mit naiver und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht gewöhnt; trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Ent - ſchluſſe feſt. Wir konnten auf die Teilnahme und Unter - ſtützung des Statthalters der Provinz, Don Vicente Emparan, uns verlaſſen, ſowie auf die Empfehlungen der Franziskaner - mönche, welche an den Ufern des Orinoko die eigentlichen Herren ſind.

62

Zum Glück für uns war einer dieſer Geiſtlichen, Juan Gonzales, eben in Cumana. Dieſer junge Mönch war nur ein Laienbruder, aber ſehr verſtändig, gebildet, voll Leben und Mut. Kurz nach ſeiner Ankunft auf der Küſte hatte er ſich bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Guardians der Miſ - ſionen von Pritu, wobei im Kloſter zu Nueva Barcelona immer große Aufregung herrſcht, das Mißfallen ſeiner Oberen zugezogen. Die ſiegende Partei übte eine durchgreifende Re - aktion, welcher der Laienbruder nicht entgehen konnte. Er wurde nach Esmeralda geſchickt, in die letzte Miſſion am oberen Orinoko, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Inſekten, welche jahraus jahrein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war mit den Wäldern zwiſchen den Katarakten und den Quellen des Orinoko vollkommen bekannt. Eine andere Umwälzung im republikaniſchen Regiment der Mönche hatte ihn ſeit einigen Jahren wieder an die Küſte gebracht und er ſtand bei ſeinen Oberen in verdienter Achtung. Er beſtärkte uns in unſerem Verlangen, die vielbeſtrittene Gabelung des Orinoko zu unter - ſuchen; er erteilte uns guten Rat für die Erhaltung der Ge - ſundheit in einem Klima, in dem er ſelbſt ſo lange an Wechſel - fiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen, auf der Rückreiſe vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder anzutreffen. Da er ſich in der Havana nach Cadiz ein - ſchiffen wollte, übernahm er es gefällig, einen Teil unſerer Pflanzenſammlungen und unſerer Inſekten vom Orinoko nach Europa zu bringen, aber die Sammlungen gingen leider mit ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der uns ſehr zugethan war, und deſſen mutvoller Eifer den Miſ - ſionen ſeines Ordens große Dienſte hätte leiſten können, kam im Jahre 1801 in einem Sturme an der afrikaniſchen Küſte ums Leben.

Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra1Man bezahlt 120 Piaſter für die Ueberfahrt, wenn man das ganze Boot zu Verfügung hat. fuhren, war eines von denen, die zum Handel an den Küſten und mit den Antillen gebraucht werden. Sie ſind 30 m lang und haben mehr als 1 m Bord über Waſſer; ſie ſind ohne Verdeck und laden gewöhnlich 100 bis 125 kg. Obgleich die See vom Vorgebirge Codera bis Guayra ſehr unruhig iſt, hat man ſeit 30 Jahren kein Beiſpiel, daß eines dieſer Fahr - zeuge auf der Ueberfahrt von Cumana an die Küſte von63 Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge - wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört. Dieſe 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar - ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der, wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar - ſtern nach der Linie zwiſchen α und β des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin - den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen, welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres Weges gewiß zu ſein.

Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab. deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war, viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver - mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen des Schauſpiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein - ander wimmeln.

Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner früheſten Jugend geſehnt hatte. Der Eindruck der Natur im64 indiſchen Klima iſt ſo mächtig und großartig, daß man ſchon nach wenigen Monaten Aufenthalt lange Jahre darin ver - bracht zu haben meint. In Europa hat der Nordländer und der Bewohner der Niederung ſelbſt nach kurzem Beſuch eine ähnliche Empfindung, wenn er vom Golf von Neapel, von der köſtlichen Landſchaft zwiſchen Tivoli und dem See von Nemi oder von der wilden, großartigen Szenerie der Hochalpen und Pyrenäen ſcheidet. Ueberall in der gemäßigten Zone zeigt die Phyſiognomie der Pflanzenwelt nur wenige Kontraſte. Die Fichten und Eichen auf den Gebirgen Schwedens haben Familienähnlichkeit mit denen, die unter dem ſchönen Himmel Griechenlands und Italiens wachſen. Unter den Tropen da - gegen, in den Tiefländern beider Indien erſcheint alles neu und wunderbar in der Natur. Auf freiem Felde, im Waldes - dickicht faſt nirgends ein Bild, das an Europa mahnt; denn von der Vegetation hängt der Charakter einer Landſchaft ab; ſie wirkt auf unſere Einbildungskraft durch ihre Maſſe, durch den Kontraſt zwiſchen ihren Gebilden und den Glanz ihrer Farben. Je neuer und mächtiger die Eindrücke ſind, deſto mehr löſchen ſie frühere Eindrücke aus, und durch die Stärke erhalten ſie den Anſchein der Zeitdauer. Ich berufe mich auf alle, die mit mehr Sinn für die Schönheiten der Natur als für die Reize des geſelligen Lebens lange in der heißen Zone gelebt haben. Das erſte Land, das ihr Fuß betreten, wie teuer und denkwürdig bleibt es ihnen ihr Leben lang! Oft, und bis ins höchſte Alter, regt ſich in ihnen ein dunkles Sehnſuchtsgefühl, es noch einmal zu ſehen. Cumana und ſein ſtaubiger Boden ſtehen noch jetzt weit öfter vor meinem inneren Auge als alle Wunder der Kordilleren. Unter dem ſchönen ſüdlichen Himmel wird ſelbſt ein Land faſt ohne Pflanzenwuchs reizend durch das Licht und die Magie der in der Luft ſpielenden Farben. Die Sonne beleuchtet nicht allein, ſie färbt die Gegenſtände, ſie umgibt ſie mit einem leichten Duft, der, ohne die Durchſichtigkeit der Luft zu mindern, die Farben harmoniſcher macht, die Lichteffekte mildert und über die Natur eine Ruhe ausgießt, die ſich in unſerer Seele wider - ſpiegelt. Um den gewaltigen Eindruck der Landſchaften beider Indien, ſelbſt kärglich bewaldeter Küſtenſtriche zu begreifen, be - denke man nur, daß von Neapel dem Aequator zu der Himmel in dem Verhältnis immer ſchöner wird, wie von der Provence nach Unteritalien.

Wir liefen während der Flut über die Barre, welche der65 kleine Manzanares an ſeiner Mündung gebildet hat. Der abend - liche Seewind ſchwellte ſanft die Gewäſſer des Meerbuſens von Cariaco. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber der Teil der Milchſtraße zwiſchen den Füßen des Centauren und dem Sternbilde des Schützen ſchien einen Silberſchimmer auf die Meeresfläche zu werfen. Der weiße Fels, auf dem das alte Schloß San Antonio ſteht, tauchte zuweilen zwiſchen den hohen Wipfeln der Kokospalmen am Ufer auf. Nicht lange, ſo erkannten wir die Küſte nur noch an den zerſtreuten Lichtern fiſchender Guaikeri; da empfanden wir doppelt den Neiz des Landes und das ſchmerzliche Gefühl, ſcheiden zu müſſen. Vor fünf Monaten hatten wir dieſes Ufer betreten, wie ein neu entdecktes Land, Fremdlinge in der ganzen Um - gebung, in jeden Buſch, an jeden feuchten, ſchattigen Ort nur mit Zagen den Fuß ſetzend. Jetzt, da dieſe Küſte unſeren Blicken entſchwand, lebten Erinnerungen daran in uns, die uns uralt dünkten. Boden, Gebirgsart, Gewächſe, Bewohner, mit allem waren wir vertraut geworden.

Wir ſteuerten zuerſt nach Nord-Nord-Weſt, indem wir auf die Halbinſel Araya zuhielten; dann fuhren wir 135 km nach Weſt und Weſt-Süd-Weſt. In der Nähe der Bank, die das Vorgebirge Arenas umgibt und bis zu den Bergöl - quellen von Maniquarez fortſtreicht, hatten wir ein belebtes Schauſpiel, dergleichen die ſtarke Phosphoreszenz der See in dieſem Klima ſo häufig bietet. Schwärme von Tummlern zogen unſerem Fahrzeuge nach. Ihrer 15 oder 16 ſchwammen in gleichem Abſtand voneinander. Wenn ſie nun bei der Wendung mit ihren breiten Floſſen auf die Waſſerfläche ſchlugen, ſo gab es einen ſtarken Lichtſchimmer; es war, als bräche Feuer aus der Meerestiefe. Jeder Schwarm ließ beim Durchſchneiden der Wellen einen Lichtſtreif hinter ſich zurück. Dies fiel uns um ſo mehr auf, da außerdem die Wellen nicht leuchteten. Da der Schlag eines Ruders und der Stoß des Schiffes in dieſer Nacht nur ſchwache Funken gaben, ſo muß man wohl annehmen, daß der ſtarke Lichtſchein, der von den Tummlern ausging, nicht allein vom Schlage ihrer Floſſen herrührte, ſondern auch von der gallertartigen Materie, die ihren Körper überzieht und vom Stoße der Wellen abge - rieben wird.

Um Mitternacht befanden wir uns zwiſchen nackten Felſen - inſeln, die wie Bollwerke aus dem Meere ſteigen; es iſt die Gruppe der Caracas - und Chimanaseilande. Der Mond warA. v. Humboldt, Reiſe. II. 566aufgegangen und beſchien die zerklüfteten, kahlen, ſeltſam geſtal - teten Felsmaſſen. Zwiſchen Cumana und Kap Codera bildet das Meer jetzt eine Art Bucht, eine leichte Einbiegung in das Land. Die Eilande Picua, Picuita, Caracas und Boracha erſcheinen als Trümmer der alten Küſte, die von Bordones in der gleichen Richtung von Oſt nach Weſt lief. Hinter dieſen Inſeln liegen die Buſen Mochima und Santa Fé, die ſicher eines Tages ſtark beſuchte Häfen werden. Das zer - riſſene Land, die zerbrochenen, ſtark fallenden Schichten, alles deutet hier auf eine große Umwälzung hin, vielleicht dieſelbe, welche die Kette der Urgebirge geſprengt und die Glimmer - ſchiefer von Araya und der Inſel Margarita vom Gneis des Vorgebirges Codera losgeriſſen hat. Mehrere dieſer Inſeln ſieht man in Cumana von den flachen Dächern, und dort zeigen ſich an ihnen infolge der verſchiedenen Temperatur der übereinander gelagerten Luftſchichten die ſonderbarſten Ver - rückungen und Luftſpiegelungen. Dieſe Felſen ſind ſchwerlich über 290 m hoch, aber nachts bei Mondlicht ſcheinen ſie von ſehr bedeutender Höhe.

Man mag ſich wundern, Inſeln, die Caracas heißen, ſo weit von der Stadt dieſes Namens, der Küſte der Cumana - goten gegenüber zu finden; aber Caracas bedeutete in der erſten Zeit nach der Eroberung keinen Ort, ſondern einen Indianer - ſtamm. Die Gruppen der ſehr gebirgigen Eilande, an denen wir nahe hinfuhren, entzogen uns den Wind, und mit Sonnen - aufgang trieben uns ſchmale Waſſerfäden in der Strömung auf Boracha zu, das größte der Eilande. Da die Felſen faſt ſenkrecht aufſteigen, ſo fällt der Meeresgrund ſteil ab und auf einer anderen Fahrt habe ich Fregatten hier ſo nahe ankern ſehen, daß ſie beinahe ans Land ſtießen. Die Lufttemperatur war bedeutend geſtiegen, ſeit wir zwiſchen den Inſeln des kleinen Archipels hinfuhren. Das Geſtein erhitzt ſich am Tage und gibt bei Nacht die abſorbierte Wärme durch Strah - lung zum Teil wieder ab. Je mehr die Sonne über den Horizont ſtieg, deſto weiter warfen die zerriſſenen Berge ihre gewaltigen Schatten auf die Meeresfläche. Die Flamingo begannen ihren Fiſchfang allenthalben, wo nur in einer Bucht vor dem Kalkgeſtein ein ſchmaler Strand hinlief. Alle dieſe Eilande ſind jetzt ganz unbewohnt; aber auf einer der Caracas leben wilde, braune, ſehr große, ſchnellfüßige Ziegen mit wie unſer Steuermann verſicherte ſehr wohlſchmeckendem Fleiſche. Vor dreißig Jahren hatte ſich eine weiße Familie67 daſelbſt niedergelaſſen und Mais und Maniok gebaut. Der Vater überlebte allein alle ſeine Kinder. Da ſich ſein Wohl - ſtand gehoben hatte, kaufte er zwei ſchwarze Sklaven, und dies ward ſein Verderben: er wurde von ſeinen Sklaven er - ſchlagen. Die Ziegen verwilderten, nicht ſo die Kultur - gewächſe. Der Mais in Amerika, wie der Weizen in Europa, ſcheinen ſich nur durch die Pflege des Menſchen zu erhalten, an den ſie ſeit ſeinen früheſten Wanderungen gekettet ſind. Wohl wachſen dieſe nährenden Gräſer hin und wieder aus verſtreuten Samen auf; wenn ſie ſich aber ſelbſt überlaſſen bleiben, ſo gehen ſie ein, weil die Vögel die Samen aufzehren. Die beiden Sklaven von der Inſel Caracas entgingen lange dem Arm der Gerechtigkeit; für ein an ſo einſamem Orte be - gangenes Verbrechen war es ſchwer, Beweiſe aufzubringen. Der eine dieſer Schwarzen iſt jetzt in Cumana der Henker. Er hatte ſeinen Genoſſen angegeben, und da es an einem Nachrichter fehlte, ſo begnadigte man nach dem barbariſchen Landesbrauch den Sklaven unter der Bedingung, daß er alle Verhafteten aufknüpfte, gegen die längſt das Todesurteil ge - fällt war. Man ſollte kaum glauben, daß es Menſchen gibt, die roh genug ſind, um ihr Leben um ſolchen Preis zu er - kaufen und mit ihren Händen diejenigen abzuthun, die ſie tags zuvor verraten haben.

Wir verließen den Ort, an den ſich ſo traurige Erinne - rungen knüpfen, und ankerten ein paar Stunden auf der Reede von Nueva Barcelona an der Mündung des Fluſſes Neveri, deſſen indianiſcher (cumanagotiſcher) Name Inipiricuar lautet. Der Fluß wimmelt von Krokodilen, die ſich zuweilen bis auf die hohe See hinauswagen, beſonders bei Windſtille. Sie gehören zu der Art, die im Orinoko ſo häufig vorkommt und dem ägyptiſchen Krokodil ſo ſehr gleicht, daß man ſie lange zuſammengeworfen hat. Man ſieht leicht ein, daß ein Tier, deſſen Körper in einer Art Panzer ſteckt, für die Schärfe des Salzwaſſers nicht ſehr empfindlich ſein kann. Schon Piga - fetta ſah, wie er in ſeinem kürzlich in Mailand erſchienenen Tagebuche erzählt, auf der Küſte der Inſel Borneo Krokodile, die ſo gut in der See wie am Lande leben. Dieſe Beob - achtungen werden für die Geologie von Bedeutung, ſeit man in dieſer Wiſſenſchaft die Süßwaſſerbildungen näher ins Auge faßt, ſowie das auffallende Durcheinanderliegen von verſtei - nerten See - und Süßwaſſertieren in manchen ſehr neuen Ab - lagerungen.

68

Der Hafen von Barcelona, der auf unſeren Karten kaum angegeben iſt, treibt ſeit 1795 einen ſehr lebhaften Handel. Aus dieſem Hafen werden größtenteils die Produkte der weiten Steppen ausgeführt, die ſich vom Südabhang der Küſtenkette bis zum Orinoko ausbreiten und ſehr reich ſind an Vieh aller Art, faſt ſo reich wie die Pampas von Buenos Ayres. Die Handelsinduſtrie dieſer Länder gründet ſich auf den Bedarf der Großen und Kleinen Antillen an geſalzenem Fleiſch, Rind - vieh, Maultieren und Pferden. Da die Küſten von Terra Firma der Inſel Cuba in einer Entfernung von 15 bis 18 Tagereiſen gegenüberliegen, ſo beziehen die Handelsleute in der Havana, zumal im Frieden, ihren Bedarf lieber aus dem Hafen von Barcelona, als daß ſie das Wagnis einer langen Seefahrt in die andere Halbkugel zur Mündung des Rio de la Plata übernähmen. Von der ſchwarzen Bevölkerung von 1300000 Köpfen, die der Archipel der Antillen ſchon jetzt zählt, kommen auf Cuba allein über 230000 Sklaven, deren Nahrung aus Gemüſen, geſalzenem Fleiſch und getrockneten Fiſchen beſteht. Jedes Fahrzeug, das geſalzenes Fleiſch oder Taſajo von Terra Firma führt, ladet 20000 bis 30000 Arrobas, deren Handelswert über 45000 Piaſter beträgt. Barce - lona iſt beſonders für den Viehhandel gut gelegen. Die Tiere kommen in drei Tagen aus den Llanos in den Hafen, während ſie wegen der Gebirgskette des Brigantin und des Impoſible nach Cumana acht bis neun brauchen. Nach den Angaben, die ich mir verſchaffen konnte, wurden in den Jahren 1799 und 1800 in Barcelona 8000, in Porto Cabello 6000, in Carupano 3000 Maultiere nach den ſpaniſchen, engliſchen und franzöſi - ſchen Inſeln eingeſchifft. Wie viele aus Burburata, Coro und aus den Mündungen des Guarapiche und Orinoko aus - geführt werden, weiß ich nicht genau; aber trotz der Einflüſſe, durch welche die Zahl der Tiere in den Llanos von Cumana, Barcelona und Caracas herabgebracht worden iſt, müſſen nach meiner Schätzung dieſe unermeßlichen Steppen damals nicht unter 30000 Maultieren jährlich in den Handel mit den An - tillen gebracht haben. Jedes Maultier zu 26 Piaſter (Kauf - preis) gerechnet, bringt alſo dieſer Handelszweig allein gegen 3700000 Franken ein, abgeſehen vom Gewinn durch die Schiffsfracht. De Pons, der ſonſt in ſeinen ſtatiſtiſchen An - gaben ſehr genau iſt, gibt kleinere Zahlen an. Da er nicht ſelbſt die Llanos beſuchen konnte, und da er als Agent der franzöſiſchen Regierung ſich fortwährend in der Stadt Caracas69 aufhalten mußte, ſo mögen die Beſitzer der Hatos bei den Schätzungen, die ſie ihm mitteilten, zu niedrig gegriffen haben.

Wir gingen am rechten Ufer des Neveri ans Land und beſtiegen ein kleines Fort, el Morro de Barcelona, das 115 bis 136 m über dem Meere liegt. Es iſt ein erſt ſeit kurzem befeſtigter Kalkfels. Er wird gegen Süd von einem weit höheren Berge beherrſcht, und Sachverſtändige behaupten, es könnte dem Feinde, nachdem er zwiſchen der Mündung des Fluſſes und dem Morro gelandet, nicht ſchwer werden, dieſen zu umgehen und auf den umliegenden Höhen Batterien zu errichten. Vergebens warteten wir auf Nachricht über die engliſchen Kreuzer, die längs der Küſten ſtationiert waren. Zwei unſerer Reiſegefährten, Brüder des Marquis del Toro in Caracas, kamen aus Spanien, wo ſie in der königlichen Garde gedient hatten. Es waren ſehr gebildete Offiziere, und ſie kehrten jetzt nach langer Abweſenheit mit dem Brigade - general de Caxigal und dem Grafen Tovar in ihr Heimat - land zurück. Ihnen mußte noch mehr als uns davor bangen, aufgebracht und nach Jamaika geführt zu werden. Ich hatte keine Päſſe von der Admiralität; aber im Vertrauen auf den Schutz, den die großbritanniſche Regierung Reiſenden gewährt, die bloß wiſſenſchaftliche Zwecke verfolgen, hatte ich gleich nach meiner Ankunft in Cumana an den Gouverneur der Inſel Trinidad geſchrieben und ihm mitgeteilt, was ich in dieſen Ländern ſuchte. Die Antwort, die mir über den Meerbuſen von Paria zukam, war ſehr befriedigend.

Kurz bevor wir am 19. November mittags unter Segel gingen, nahm ich Mondhöhen auf, um die Länge des Morro zu beſtimmen. Die Meridiane von Cumana und von Barce - lona, in welch letzterer Stadt ich im Jahre 1800 ſehr viele aſtronomiſche Beobachtungen anſtellte, liegen 34 Minuten 48 Sekunden auseinander. Ich habe mich über dieſe Ent - fernung, über die damals viele Zweifel herrſchten, anderswo ausgeſprochen. Die Inklination der Magnetnadel fand ich gleich 42,20°; 224 Schwingungen gaben die Intenſität der magnetiſchen Kraft an.

Vom Morro de Barcelona bis zum Vorgebirge Codera ſenkt ſich das Land und zieht ſich gegen Süden zurück; es ſtreicht mit gleicher Waſſertiefe 5,5 km weit in das Meer hinaus. Jenſeits dieſer Linie iſt das Waſſer 36 54 m tief. Die Temperatur des Meeres an der Oberfläche war 25,9°, als wir aber durch den ſchmalen Kanal zwiſchen den beiden70 Inſeln Piritu mit 5 m Tiefe liefen, zeigte der Thermometer nur noch 24,5°. Der Unterſchied zeigte ſich beſtändig; er wäre vielleicht bedeutender, wenn die Strömung, die raſch nach Weſt zieht, tieferes Waſſer heraufbrächte, und wenn nicht in einer ſo engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung der Meerestemperatur mitwirkte. Die Inſeln Piritu gleichen den Bänken, die bei der Ebbe über Waſſer kommen. Sie erheben ſich nur 21 bis 23 cm über den mittleren Waſſer - ſtand. Ihre Oberfläche iſt völlig eben und mit Gras be - wachſen, und man meint eine unſerer nordiſchen Wieſen vor ſich zu haben. Die Scheibe der untergehenden Sonne ſchien wie ein Feuerball über der Grasflur zu hängen. Ihre letzten, die Erde ſtreifenden Strahlen beleuchteten die Grasſpitzen, die der Abendwind ſtark hin und her wiegte. Wenn aber auch in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräſer und Riedgräſer ſich wie eine Wieſe oder ein Raſen ausnehmen, ſo fehlt dem Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine die mancherlei Wieſenblumen, die nur eben über die Gräſer emporragen und ſich vom ebenen grünen Grunde abheben. Bei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation iſt unter den Tropen ein ſolcher Trieb in den Gewächſen, daß die kleinſten dikotyledoniſchen Pflanzen gleich zu Sträuchern wer - den. Man könnte ſagen, die Liliengewächſe, die unter den Gräſern wachſen, vertreten unſere Wieſenblumen. Sie fallen allerdings durch ihre Bildung ſtark ins Auge, ſie nehmen ſich durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben ſehr gut aus, aber ſie wachſen zu hoch und laſſen ſo das har - moniſche Verhältnis nicht aufkommen, das zwiſchen den Ge - wächſen beſteht, die bei uns den Raſen und die Wieſe bilden. Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der Landſchaft einen ihr eigentümlichen Reiz des Schönen.

Man darf ſich nicht wundern, daß fruchtbare Inſeln ſo nahe der Küſte gegenwärtig unbewohnt ſind. Nur in der erſten Zeit der Eroberung, als die Kariben, die Chaymas und Cumanagoten noch Herren der Küſten waren, gründeten die Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlaſſungen. Sobald die Eingeborenen unterworfen oder ſüdwärts den Savannen zu gedrängt waren, ließ man ſich lieber auf dem Feſtlande nieder, wo man die Wahl hatte unter Ländereien und Indianern, die man wie Laſttiere behandeln konnte. Lägen die kleinen Ei - lande Tortuga, Blanquilla und Orchilla mitten im Archipel der Antillen, ſo wären ſie nicht unangebaut geblieben.

71

Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwiſchen Terra Firma und der ſüdlichſten der Pirituinſeln. Da dieſelben ſehr niedrig ſind, ſo iſt ihre Nordſpitze von den Schiffern, die in dieſen Strichen dem Lande zufahren, ſehr gefürchtet. Als wir uns weſtlich vom Morro von Barcelona und der Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das bisher ſehr ſtill geweſen, immer unruhiger, je näher wir Kap Codera kamen. Der Einfluß dieſes großen Vorgebirges iſt in dieſem Striche des Meeres der Antillen weithin fühlbar. Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera herumkommt. Jenſeits dieſes Kaps iſt die See beſtändig ſo unruhig, daß man nicht mehr an der Küſte zu ſein glaubt, wo man (von der Spitze von Paria bis zum Vorgebirge San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß der Wellen wurde auf unſerem Fahrzeuge ſchwer empfunden. Meine Reiſegefährten litten ſehr; ich aber ſchlief ganz ruhig, da ich, ein ziemlich ſeltenes Glück, nie ſeekrank werde. Es windete ſtark die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am 20. November waren wir ſo weit, daß wir hoffen konnten, das Kap in wenigen Stunden zu umſchiffen, und wir ge - dachten noch am ſelben Tage nach Guayra zu kommen; aber unſer Schiffer bekam wieder Angſt vor den Kapern, die dort vor dem Hafen lagen. Es ſchien ihm geraten, ſich ans Land zu machen, im kleinen Hafen Higuerote, über den wir ſchon hinaus waren, vor Anker zu gehen und die Nacht abzuwarten, um die Ueberfahrt fortzuſetzen. Wenn man Leuten, die ſee - krank ſind, vom Landen ſpricht, ſo weiß man zum voraus, wofür ſie ſtimmen. Alle Vorſtellungen halfen nichts, man mußte nachgeben, und ſchon um 9 Uhr morgens am 20. No - vember lagen wir auf der Reede in der Bucht von Higuerote, weſtwärts von der Mündung des Rio Capaya.

Wir fanden daſelbſt weder Dorf noch Hof, nur zwei oder drei von armen Fiſchern, Meſtizen, bewohnte Hütten. Ihre gelbe Geſichtsfarbe und die auffallende Magerkeit der Kinder mahnten daran, daß dieſe Gegend eine der ungeſün - deſten, den Fiebern am meiſten unterworfenen auf der ganzen Küſte iſt. Die See iſt hier ſo ſeicht, daß man in der kleinſten Barke nicht landen kann, ohne durch das Waſſer zu gehen. Die Wälder ziehen ſich bis zum Strande herunter, und dieſen überzieht ein dichtes Buſchwerk von ſogenannten Wurzel - trägern, Avicennien, Manſchenillbäumen und der neuen Art72 der Gattung Suriana, die bei den Eingeborenen Romero de la mar heißt. Dieſem Buſchwerke, beſonders aber den Aus - dünſtungen der Wurzelträger oder Manglebäume, ſchreibt man es hier, wie überall in beiden Indien, zu, daß die Luft ſo ungeſund iſt. Beim Landen kam uns auf 30 bis 40 m ein fader, ſüßlicher Geruch entgegen, ähnlich dem, den in ver - laſſenen Bergwerksſtollen, wo die Lichter zu verlöſchen an - fangen, das mit Schimmel überzogene Zimmerwerk verbreitet. Die Lufttemperatur ſtieg auf 34° infolge der Reverberation des weißen Sandes, der ſich zwiſchen dem Buſchwerke und den hochgipfligen Waldbäumen hinzog. Da der Boden einen ganz unbedeutenden Fall hat, ſo werden, ſo ſchwach auch Ebbe und Flut hier ſind, dennoch die Wurzeln und ein Teil des Stammes der Manglebäume bald unter Waſſer geſetzt, bald trocken gelegt. Wenn nun die Sonne das naſſe Holz erhitzt und den ſchlammigen Boden, die abgefallenen, zer - ſetzten Blätter und die im angeſchwemmten Seetang hängen - den Weichtiere gleichſam in Gärung verſetzt, da bilden ſich wahrſcheinlich die ſchädlichen Gaſe, die ſich der chemiſchen Unterſuchung entziehen. Auf der ganzen Küſte zeigt das Seewaſſer da, wo es mit den Manglebäumen in Berührung kommt, eine braungelbe Färbung.

Dieſer Umſtand fiel mir auf und ich ſammelte daher in Higuerote ein ziemliches Quantum Wurzeln und Zweige, um gleich nach der Ankunft in Caracas mit dem Aufguß des Mangleholzes einige Verſuche anzuſtellen. Der Aufguß mit heißem Waſſer war braun, hatte einen zuſammenziehenden Geſchmack und enthielt ein Gemiſch von Extraktivſtoff und Gerbſtoff. Die Rizophora, der Guy, der Kornelkirſchbaum, alle Pflanzen aus den natürlichen Familien der Lorantheen und Caprifoliaceen haben dieſelben Eigenſchaften. Der Auf - guß des Manglebaums wurde unter einer Glocke zwölf Tage lang mit atmoſphäriſcher Luft in Berührung gebracht; die Reinheit derſelben ward dadurch nicht merkbar vermindert. Es bildete ſich ein kleiner flockiger, ſchwärzlicher Bodenſatz, aber eine merkbare Abſorption von Sauerſtoff fand nicht ſtatt. Holz und Wurzeln des Manglebaums wurden unter Waſſer der Sonne ausgeſetzt; ich wollte dabei nachahmen, was in der Natur auf der Küſte bei ſteigender Flut täglich vorgeht. Es entwickelten ſich Luftblaſen, die nach Verlauf von zehn Tagen ein Volumen von 33 Kubikzoll bildeten. Es war ein Gemiſch von Stickſtoff und Kohlenſäure; Salpetergas zeigte73 kaum eine Spur von Sauerſtoff an. Endlich ließ ich in einer Flaſche mit eingeriebenem Stöpſel eine beſtimmte Menge ſtark benetzter Manglewurzeln auf atmoſphäriſche Luft einwirken. Aller Sauerſtoff verſchwand, und derſelbe war keineswegs durch kohlenſaures Gas erſetzt, denn das Kalkwaſſer zeigte von dieſem nur 0,02 an. Ja, die Verminderung des Volu - mens war bedeutender, als dem abſorbirten Sauerſtoff ent - ſprach. Nach dieſer nur noch flüchtigen Unterſuchung war ich der Anſicht, daß die Luft in den Manglegebüſchen durch das naſſe Holz und die Rinde zerſetzt wird, nicht durch die ſtark gelb gefärbte Schichte Seewaſſer, die längs der Küſte einen deutlichen Streif bildet. In allen Graden der Zer - ſetzung der Holzfaſer habe ich nie, auch nur in Spuren, Schwefelwaſſerſtoff ſich entwickeln ſehen, dem manche Reiſende den eigentümlichen Geruch unter den Manglebäumen zu - ſchreiben. Durch die Zerſetzung der ſchwefelſauren Erden und Alkalien und ihren Uebergang in ſchwefligſaure Ver - bindungen wird ohne Zweifel aus manchen Strand - und Seegewächſen, wie aus den Tangen, Schwefelwaſſerſtoff ent - bunden; ich glaube aber vielmehr, daß Rhizophora, Avicennia und Conocarpus die Luft beſonders durch den tieriſchen Stoff verderben, den ſie neben dem Gerbſtoff enthalten. Dieſe Sträucher gehören zu den drei natürlichen Familien der Lo - rantheen, Combrataceen und Pyrenaceen, die reich ſind an adſtringierendem Stoff, und ich habe ſchon oben bemerkt, daß dieſer Stoff ſelbſt in der Rinde unſerer Buchen, Erlen und Nußbäume mit Gallerte verbunden iſt.

Uebrigens würde dichtes Buſchwerk auf ſchlammigem Boden ſchädliche Ausdünſtungen verbreiten, wenn es auch aus Bäumen beſtünde, die an ſich keine der Geſundheit nach - teiligen Eigenſchaften haben. Ueberall wo Manglebäume am Meeresufer wachſen, ziehen ſich zahlloſe Weichtiere und In - ſekten an den Strand. Dieſe Tiere lieben Beſchattung und Zwielicht, und im dicken, verſchlungenen Wurzelwerk, das wie ein Gitter über dem Waſſer ſteht, finden ſie Schutz gegen den Wellenſchlag. Die Schaltiere heften ſich an das Gitter, die Krabben verkriechen ſich in die hohlen Stämme, der Tang, den Wind und Flut an die Küſten treiben, bleibt an den ſich zum Boden niederneigenden Zweigen hängen. Auf dieſe Weiſe, indem ſich der Schlamm zwiſchen den Wurzeln an - häuft, wird durch die Küſtenwälder das feſte Land allgemach vergrößert; aber während ſie ſo der See Boden abgewinnen,74 nimmt dennoch ihre Breite faſt nicht zu. Im Maß, als ſie vorrücken, gehen ſie auch zu Grunde. Die Manglebäume und die anderen Gewächſe, die immer neben ihnen vorkommen, gehen ein, ſobald der Boden trocken wird und ſie nicht mehr im Salzwaſſer ſtehen. Ihre alten, mit Schaltieren bedeckten, halb im Sande begrabenen Stämme bezeichnen nach Jahr - hunderten den Weg, den ſie bei ihrer Wanderung einge - ſchlagen, und die Grenze des Landſtriches, den ſie dem Meere abgewonnen.

Die Bucht von Higuerote iſt ſehr günſtig gelegen, um das Vorgebirge Codera, das 11 km weit in ſeiner ganzen Breite vor einem daliegt, genau zu betrachten. Es imponiert mehr durch ſeine Maſſe als durch ſeine Höhe, die mir nach Höhenwinkeln, die ich am Strande gemeſſen, nicht über 390 m zu betragen ſchien. Nach Nord, Oſt und Weſt fällt es ſteil ab, und man meint an dieſen großen Profilen die fallenden Schichten zu unterſcheiden. Die Schichten zunächſt bei der Bucht ſtrichen Nord 60° Weſt und fielen unter 80° nach Nordweſt. Am großen Berge Silla und öſtlich von Mani - quarez auf der Landenge von Araya ſind Streichung und Fall dieſelben, und daraus ſcheint hervorzugehen, daß die Urgebirgskette dieſer Landenge, die auf eine Strecke von 157 km (zwiſchen den Meridianen von Maniquarez und Higuerote) vom Meere zerriſſen oder verſchlungen worden, im Kap Codera wieder auftritt und gegen Weſt als Küſtenkette fortſtreicht.

Meinen Reiſegefährten war bei der hochgehenden See vor dem Schlingern unſeres kleinen Schiffes ſo bange, daß ſie beſchloſſen, den Landweg von Higuerote nach Caracas einzuſchlagen; derſelbe führt durch ein wildes, feuchtes Land, durch die Montaña de Capaya nördlich von Caugagua, durch das Thal des Rio Guatire und des Guarenas. Es war mir lieb, daß auch Bonpland dieſen Weg wählte, auf dem er trotz des beſtändigen Regens und der ausgetretenen Flüſſe viele neue Pflanzen zuſammenbrachte. Ich ſelbſt ging mit dem indianiſchen Steuermann allein zur See weiter; es ſchien mir zu gewagt, die Inſtrumente, die uns an den Orinoko begleiten ſollten, aus den Augen zu laſſen.

Wir gingen mit Einbruch der Nacht unter Segel. Der Wind war nicht ſehr günſtig und wir hatten viele Mühe, um Kap Codera herum zu kommen; die Wellen waren kurz und brachen ſich häufig ineinander; es gehörte die Erſchöpfung75 durch einen furchtbar heißen Tag dazu, um in einem kleinen, dicht am Wind ſegelnden Fahrzeuge ſchlafen zu können. Die See ging um ſo höher, als der Wind bis nach Mitternacht der Strömung entgegenblies. Der zwiſchen den Wendekreiſen überall bemerkliche Zug des Waſſers gegen Weſten iſt an dieſen Küſten nur während zwei Dritteilen des Jahres deutlich zu ſpüren; in den Monaten September, Oktober und No - vember kommt es oft vor, daß die Strömung vierzehn Tage, drei Wochen lang nach Oſten geht. Schon öfter konnten Schiffe auf der Fahrt nach Guayra oder Porto Cabello die Strömung, die von Weſt nach Oſt ging, nicht bewältigen, obgleich ſie den Wind von hinten hatten. Die Urſache dieſer Unregelmäßigkeiten iſt bis jetzt nicht bekannt; die Schiffer ſchreiben ſie Stürmen aus Nordweſt im Golf von Mexiko zu, aber dieſe Stürme ſind im Frühjahr weit ſtärker als im Herbſt. Bemerkenswert iſt dabei auch, daß die Strömung nach Oſten geht, bevor der Seewind ſich ändert; ſie tritt bei Windſtille ein und erſt nach einigen Tagen geht auch der Wind der Strömung nach und bläſt beſtändig aus Weſt. Während dieſer Vorgänge bleiben die kleinen Schwankungen des Barometers auf und ab in ihrer Regelmäßigkeit durch - aus ungeſtört.

Mit Sonnenaufgang am 21. November befanden wir uns weſtwärts vom Kap Codera dem Curuao gegenüber. Der indianiſche Steuermann erſchrak nicht wenig, als ſich nord - wärts in der Entfernung von kaum 2 km eine engliſche Fre - gatte blicken ließ. Sie hielt uns wahrſcheinlich für eines der Fahrzeuge, die mit den Antillen Schleichhandel trieben und denn alles organiſiert ſich mit der Zeit vom Gou - verneur von Trinidad unterzeichnete Lizenzſcheine führten. Sie ließ uns durch das Boot, das auf uns zuzukommen ſchien, nicht einmal anrufen. Vom Kap Codera an iſt die Küſte felſig und ſehr hoch, und die Anſichten, die ſie bietet, ſind zugleich wild und maleriſch. Wir waren ſo nahe am Lande, daß wir die zerſtreuten, von Kokospalmen umgebenen Hütten unterſchieden und die Maſſen von Grün ſich vom braunen Grunde des Geſteines abheben ſahen. Ueberall fallen die Berge, 970 bis 1300 m hoch, ſteil ab; ihre Flanken werfen breite Schlagſchatten über das feuchte Land, das ſich bis zur See ausbreitet und geſchmückt mit friſchem Grün daliegt. Auf dieſem Uferſtriche wachſen großenteils die tropiſchen Früchte, die man auf den Märkten von Caracas in ſo großer76 Menge ſieht. Zwiſchen dem Camburi und Niguatar ziehen ſich mit Zuckerrohr und Mais beſtellte Felder in enge Thäler hinauf, die Felsſpalten gleichen. Die Strahlen der noch nicht hoch ſtehenden Sonne fielen hinein und bildeten die anziehend - ſten Kontraſte von Licht und Schatten.

Der Niguatar und die Silla bei Caracas ſind die höchſten Gipfel dieſer Küſtenkette. Erſterer iſt faſt ſo hoch als der Canigou in den Pyrenäen; es iſt als ſtiegen die Pyrenäen oder die Alpen, von ihrem Schnee entblößt, gerade aus dem Waſſer empor, ſo gewaltig erſcheinen einem die Gebirgs - maſſen, wenn man ſie zum erſtenmal von der See aus er - blickt. Bei Caravalleda wird das bebaute Land breiter, Hügel mit ſanftem Abhang erſcheinen und die Vegetation reicht ſehr weit hinauf. Man baut hier viel Zuckerrohr und die barm - herzigen Brüder haben daſelbſt eine Pflanzung und 200 Sklaven. Die Gegend war früher den Fiebern ſehr ausge - ſetzt, und man behauptet, die Luft ſei geſünder geworden, ſeit man um einen Teich, deſſen Ausdünſtungen man beſon - ders fürchtete, Bäume gepflanzt hat, ſo daß das Waſſer weniger dem Sonnenſtrahl ausgeſetzt iſt. Weſtlich von Cara - valleda läuft wieder eine nackte Felsmauer bis an die See vor, ſie iſt aber von geringer Ausdehnung. Nachdem wir dieſelbe umſegelt, lag das hübſch gelegene Dorf Macuto vor uns, weiterhin die ſchwarzen Felſen von Guayra mit ihren Batterien in mehreren Stockwerken übereinander und in duftiger Ferne ein langes Vorgebirge mit kegelförmigen, blendend weißen Bergſpitzen, Cabo Blanco. Kokosnußbäume ſäumen das Ufer und geben ihm unter dem glühenden Himmel den Anſchein von Fruchtbarkeit.

Nach der Landung im Hafen von Guayra traf ich noch am Abend Anſtalt, um meine Inſtrumente nach Caracas ſchaffen zu laſſen. Die Perſonen, denen ich empfohlen war, rieten mir, nicht in der Stadt zu ſchlafen, wo das gelbe Fieber erſt ſeit wenigen Wochen aufgehört hatte, ſondern über dem Dorfe Maiquetia in einem Hauſe auf einer kleinen Anhöhe, das dem kühlen Luftzug mehr ausgeſetzt war als Guayra. Am 21. abends kam ich in Caracas an, vier Tage früher als meine Reiſegefährten, die auf dem Landwege zwiſchen Capaya und Curiepe durch die ſtarken Regengüſſe und die ausgetretenen Bergwaſſer viel auszuſtehen gehabt hatten. Um nicht öfters auf dieſelben Gegenſtände zurückzukommen, ſchließe ich der Beſchreibung der Stadt Guayra und des merkwürdigen77 Weges, der von dieſem Hafen nach Caracas führt, alle Beobachtungen an, die Bonpland und ich auf einem Ausfluge nach Cabo Blanco zu Ende Januars 1800 gemacht. Da De - pons die Gegend nach mir beſucht hat, ſein lehrreiches Werk aber vor dem meinen erſchienen iſt, ſo laſſe ich mich auf eine nähere Beſchreibung der Gegenſtände, die er ausführlich be - handelt hat, nicht ein.

Guayra iſt viel mehr eine Reede als ein Hafen; das Meer iſt immer unruhig und die Schiffe werden vom Winde, von den Sandbänken, vom ſchlechten Ankergrunde und den Bohrwürmern1La broma; teredo navalis, Linné. zumal gefährdet. Das Laden iſt mit großen Schwierigkeiten verbunden und wegen des ſtarken Wellen - ſchlages kann man hier nicht, wie in Nueva Barcelona und Porto Cabello, Maultiere einſchiffen. Die freien Neger und Mulatten, welche den Kakao an Bord der Schiffe bringen, ſind ein Menſchenſchlag von ungemeiner Muskelkraft. Sie waten bis zu halbem Leibe durch das Waſſer, und was ſehr merkwürdig iſt, ſie haben von den Haifiſchen, die in dieſem Hafen ſo häufig ſind, nichts zu fürchten. Dieſer Umſtand ſcheint auf denſelben Momenten zu beruhen wie die Be - obachtung, die ich unter den Tropen häufig an Tieren aus anderen Klaſſen, die in Rudeln leben, wie an Affen und Krokodilen, gemacht habe. In den Miſſionen am Orinoko und am Amazonenſtrome wiſſen die Indianer, die Affen zum Verkauf fangen, ganz gut, daß die von gewiſſen Inſeln leicht zu zähmen ſind, während Affen derſelben Art, die auf dem benachbarten Feſtlande gefangen werden, aus Zorn oder Angſt zu Grunde gehen, ſobald ſie ſich in der Gewalt des Menſchen ſehen. Die Krokodile aus der einen Lache in den Llanos ſind feig und ergreifen ſogar im Waſſer die Flucht, während die aus einer anderen Lache äußerſt unerſchrocken angreifen. Aus den äußeren Verhältniſſen der Oertlichkeiten wäre dieſe Verſchiedenheit in Gemütsart und Sitten nicht leicht zu er - klären. Mit den Haifiſchen im Hafen von Guayra ſcheint es ſich ähnlich zu verhalten. Bei den Inſeln gegenüber der Küſte von Caracas, bei Roques, Bonayre und Curaçao, ſind ſie gefährlich und blutgierig, während ſie Badende in den Häfen von Guayra und Santa Marta nicht anfallen. Das Volk greift, um die Erklärung der Naturerſcheinungen zu78 vereinfachen, überall zum Wunderbaren, und ſo glaubt es denn, an den genannten zwei Orten habe ein Biſchof den Haien den Segen erteilt.

Guayra iſt ganz eigentümlich gelegen; es läßt ſich nur mit Santa Cruz auf Tenerifa vergleichen. Die Bergkette zwiſchen dem Hafen und dem hochgelegenen Thale von Caracas ſtürzt faſt unmittelbar in die See ab und die Häuſer der Stadt lehnen ſich an eine ſchroffe Felswand. Zwiſchen dieſer Wand und der See bleibt kaum ein 200 bis 270 m breiter ebener Raum. Die Stadt hat 6000 bis 8000 Einwohner und beſteht nur aus zwei Straßen, die nebeneinander von Oſt nach Weſt laufen. Sie wird von der Batterie auf dem Cerro Colorado beherrſcht und die Werke an der See ſind gut an - gelegt und wohl erhalten. Der Anblick des Ortes hat etwas Vereinſamtes, Trübſeliges; man meint nicht auf einem mit ungeheuren Wäldern bedeckten Feſtlande zu ſein, ſondern auf einer felſigen Inſel ohne Dammerde und Pflanzenwuchs. Außer Cabo Blanco und den Kokosnußbäumen von Maiquetia beſteht die ganze Landſchaft aus dem Meereshorizont und dem blauen Himmelsgewölbe. Bei Tage iſt die Hitze er - ſtickend, und meiſtens auch bei Nacht. Das Klima von Guayra gilt mit Recht für heißer als das von Cumana, Porto Cabello und Coro, weil der Seewind ſchwächer iſt und durch die Wärme, welche nach Sonnenuntergang von den ſenkrechten Felſen ausſtrahlt, die Luft erhitzt wird. Man machte ſich übrigens von der Luftbeſchaffenheit dieſes Ortes und des ganzen benachbarten Küſtenlandes eine unrichtige Vorſtellung, wenn man nur die Temperaturen, wie der Ther - mometer ſie angibt, vergleichen wollte. Eine ſtockende, in einer Bergſchlucht eingeſchloſſene, mit nackten Felsmaſſen in Berührung ſtehende Luft wirkt auf unſere Organe ganz anders als eine gleich warme Luft in offener Gegend. Ich bin weit entfernt, die phyſiſche Urſache dieſes Unterſchiedes nur in der verſchiedenen elektriſchen Ladung der Luft zu ſuchen, muß aber doch bemerken, daß ich etwas weſtlich von Guayra gegen Macuto zu, weit weg von den Häuſern und über 580 m von den Gneisfelſen, mehrere Tage lange kaum ſchwache Spuren von poſitiver Elektrizität bemerken konnte, während in Cumana in denſelben Nachmittagsſtunden und am ſelben mit rauchendem Docht verſehenen Voltaſchen Elektro - meter die Fliedermarkkügelchen 2 bis 4 mm auseinander ge - gangen waren. Ich verbreite mich weiter unten über die79 regelmäßigen täglichen Schwankungen in der elektriſchen Span - nung der Luft unter den Tropen, ein Verhältnis, das mit den Schwankungen in der Temperatur und mit dem Sonnen - ſtande in auffallendem Zuſammenhange ſteht.

Die von einem ausgezeichneten Arzte in Guayra neun Monate lang angeſtellten thermometriſchen Beobachtungen, von denen ich Einſicht bekam, ſetzten mich inſtand, das Klima dieſes Hafens mit dem von Cumana, Havana und Veracruz zu vergleichen. Dieſe Vergleichung erſcheint um ſo intereſſanter, als der Gegenſtand in den ſpaniſchen Kolo - nieen und unter den Seeleuten, die dieſe Länder beſuchen, ein unerſchöpflicher Stoff der Unterhaltung iſt. Da in dieſem Falle das Zeugnis der Sinne ungemein leicht täuſcht, ſo läßt ſich über die Verſchiedenheit von Klimaten nur nach Zahlen - verhältniſſen urteilen.

Die vier eben genannten Orte gelten für die heißeſten auf dem Küſtenſtriche der Neuen Welt; ihre Vergleichung mag dazu dienen, die ſchon öfters von uns gemachte Bemerkung zu beſtätigen, daß im allgemeinen nur das lange Anhalten einer hohen Temperatur, nicht die übermäßige Hitze oder die abſolute Wärmemenge den Bewohnern der heißen Zone läſtig wird.

Das Mittel aus den Beobachtungen um Mittag vom 27. Juni bis 16. November war in Guayra 31,6° des hundertteiligen Thermometers, in Cumana 29,3°, in Vera - cruz 28,7°, in der Havana 29,5°. Die täglichen Abwei - chungen betrugen zur ſelben Stunde nicht leicht über 0,8° bis 1,4°. Während dieſer ganzen Zeit regnete es nur vier - mal und nur 7 bis 8 Minuten lang. Dies iſt der Zeit - punkt, wo das gelbe Fieber herrſcht, das in Guayra wie in Veracruz und auf der Inſel St. Vincent gemeiniglich auf - hört, ſobald die Tagestemperatur auf 24 bis 25° herab - geht. Die mittlere Temperatur des heißeſten Monats war in Guayra etwa 29,3°, in Cumana 29,1°, in Veracruz 27,7°, in Kairo, nach Nouet, 29,9°, in Rom 25,0°. Vom 16. No - vember bis 19. Dezember war die mittlere Temperatur in Guayra um Mittag nur 24,3°, bei Nacht 21,6°. Um dieſe Zeit leidet man immer am wenigſten von der Hitze. Ich glaube übrigens, daß man den Thermometer (kurz vor Sonnen - aufgang) nicht unter 21° fallen ſieht; in Cumana fällt er zuweilen auf 21,2°, in Veracruz auf 16°, in der Havana (immer nur bei Nordwind) auf und ſelbſt darunter. Die80 mittlere Temperatur des kälteſten Monats iſt an dieſen vier Orten: 23,2°, 26,8°, 21°, 21,0°; in Kairo 13,4°. Das Mittel der ganzen Jahrestemperatur iſt, nach guten, ſorgfältig berechneten Beobachtungen, in Guayra ungefähr 28,1°, in Cumana 27,7°, in Veracruz 25,4°, in der Ha - vana 25,6°, in Rio Janeiro 23,5°, in Santa Cruz auf Tenerifa, unter 28° 28′ der Breite, aber wie Guayra an eine Felswand gelehnt, 21,9°, in Kairo 22,4°, in Rom 15,8°1In Paris iſt das Mittel des heißeſten Monats 19 bis 20°, demnach um 3 bis niedriger als die mittlere Temperatur des kälteſten Monats in Guayra..

Aus dieſen Beobachtungen geht hervor, daß Guayra einer der heißeſten Orte der Erde iſt, daß die Summe der Wärme, welche derſelbe im Laufe eines Jahres erhält, etwas größer iſt als in Cumana, daß ſich aber in den Monaten November, Dezember und Januar (bei gleichem Abſtand von den zwei Durchgängen der Sonne durch den Zenith der Stadt) die Luft in Guayra ſtärker abkühlt. Sollte dieſe Abkühlung, die weit unbedeutender iſt als die faſt zur ſelben Zeit in Veracruz und in der Havana eintretende, nicht von der weſtlicheren Lage von Guayra herrühren? Das Luft - meer, das für den oberflächlichen Blick nur eine Maſſe bildet, wird durch Strömungen bewegt, deren Grenzen durch unab - änderliche Geſetze beſtimmt ſind. Die Temperatur desſelben ändert ſich in mannigfacher Weiſe nach der Geſtalt der Länder und der Meere, auf denen es ruht. Man kann es in ver - ſchiedene Becken abteilen, die ſich ineinander ergießen, und wovon die unruhigſten (wie das über dem Golf von Mexiko oder zwiſchen der Sierra Santa Marta und dem Meerbuſen von Darien) merkbaren Einfluß auf Erkältung und Bewe - gung der benachbarten Luftſäulen äußern. Die Nordwinde verurſachen zuweilen im ſüdweſtlichen Striche des Meeres der Antillen Stauungen und Gegenſtrömungen, die in gewiſſen Monaten die Temperatur bis zu Terra Firma hin herab - drücken.

Während meines Aufenthaltes in Guayra kannte man die Geißel des gelben Fiebers, der Calentura amarilla, erſt ſeit zwei Jahren; auch war die Sterblichkeit nicht bedeutend geweſen, da die Küſte von Caracas weit weniger von Frem - den beſucht war als die Havana und Veracruz. Man hatte81 hie und da Leute, ſelbſt Kreolen und Farbige, plötzlich an gewiſſen unregelmäßig remittierenden Fiebern ſterben ſehen, die durch gallige Komplikation, durch Blutungen und andere gleich bedenkliche Symptome einige Aehnlichkeit mit dem gelben Fieber zu haben ſchienen. Es waren meiſt Menſchen, die das anſtrengende Geſchäft des Holzfällens trieben, zum Bei - ſpiel in den Wäldern bei dem kleinen Hafen von Capurano oder am Meerbuſen von Santa Fé, weſtlich von Cumana. Ihr Tod ſetzte häufig in Städten, die für ſehr geſund galten, nicht akklimatiſierte Europäer in Schrecken, aber die Keime der Krankheit, von denen ſie ſporadiſch befallen worden, pflanzten ſich nicht fort. Auf den Küſten von Terra Firma war der eigentliche amerikaniſche Typhus, Vomito prieto (ſchwarzes Erbrechen) und gelbes Fieber genannt, der als eine Krankheitsform sui generis zu betrachten iſt, nur in Porto Cabello, in Cartagena de las Indias und in Santa Marta bekannt, wo ihn Caſtelbondo ſchon im Jahre 1729 beobachtet und beſchrieben hat. Die kürzlich gelandeten Spanier und die Bewohner des Thales von Caracas ſcheuten damals den Aufenthalt in Guayra nicht; man beklagte ſich nur über die drückende Hitze, die einen großen Teil des Jahres herrſchte. Setzte man ſich unmittelbar der Sonne aus, ſo hatte man höchſtens die Haut - und Augenentzündungen zu befürchten, die faſt überall in der heißen Zone vorkommen und die häufig von Fieberbewegungen und Kongeſtionen gegen den Kopf be - gleitet ſind. Viele zogen dem kühlen, aber äußerſt veränder - lichen Klima von Caracas das heiße, aber beſtändige von Guayra vor; von ungeſunder Luft in dieſem Hafen war faſt gar nicht die Rede.

Seit dem Jahre 1797 iſt alles anders geworden. Der Hafen wurde auch anderen Handelsfahrzeugen als denen des Mutterlandes geöffnet. Matroſen aus kälteren Ländern als Spanien, und daher empfindlicher für die klimatiſchen Ein - flüſſe der heißen Zone, fingen an mit Guayra zu verkehren. Da brach das gelbe Fieber aus; vom Typhus befallene Nord - amerikaner wurden in den ſpaniſchen Spitälern aufgenommen; man war raſch bei der Hand mit der Behauptung, ſie haben die Seuche eingeſchleppt und ſie ſei an Bord einer aus Phila - delphia kommenden Brigantine ausgebrochen geweſen, ehe dieſe auf die Reede gekommen. Der Kapitän der Brigantine ſtellte ſolches in Abrede und behauptete, ſeine Matroſen haben die Krankheit keineswegs eingeſchleppt, ſondern erſt im HafenA. v. Humboldt, Reiſe. II. 682bekommen. Nach den Vorgängen in Cadiz im Jahre 1800 weiß man, wie ſchwer es iſt, über Fälle ins reine zu kom - men, die in ihrer Zweideutigkeit den entgegengeſetzteſten Theo - rieen das Wort zu ſprechen ſchienen. Die gebildetſten Ein - wohner von Caracas und Guayra waren über das Weſen der Anſteckung beim gelben Fieber geteilter Meinung, ſo gut wie die Aerzte in Europa und in den Vereinigten Staaten, und beriefen ſich auf dasſelbe amerikaniſche Schiff, die einen, um zu beweiſen, daß der Typhus von außen gekommen, die anderen, daß er im Lande ſelbſt entſtanden. Die der letzteren Anſicht waren, nahmen an, daß das Austreten des Rio de la Guayra eine Veränderung der Luftbeſchaffenheit herbeige - führt habe. Dieſes Waſſer, das meiſt nicht 26 cm tief iſt, ſchwoll nach ſechzigſtündigem Regen im Gebirge ſo furchtbar an, daß es Baumſtämme und anſehnliche Felsblöcke mit ſich fortriß. Das Waſſer wurde 9 bis 13 m breit und 3 bis 4 m tief. Man meinte, dasſelbe ſei aus einem unterirdiſchen Becken ausgebrochen, das ſich mittels Einſickerung des Waſſers durch loſes, neu urbar gemachtes Erdreich gebildet. Mehrere Häuſer wurden von der Flut weggeriſſen und die Ueber - ſchwemmung drohte den Magazinen um ſo mehr Gefahr, als das Stadtthor, durch welches das Waſſer allein abfließen konnte, ſich zufällig geſchloſſen hatte. Man mußte in die Mauer der See zu ein Loch ſchießen; mehr als dreißig Men - ſchen kamen ums Leben und der Schaden wurde auf eine halbe Million Piaſter angeſchlagen. Das ſtehende Waſſer in den Magazinen, den Kellern und den Gewölben des Gefäng - niſſes mochte immerhin Miasmen in der Luft verbreiten, die als prädisponierende Urſachen den Ausbruch des gelben Fie - bers beſchleunigt haben können; indeſſen glaube ich, daß das Austreten des Rio de la Guayra ſo wenig die erſte Urſache desſelben war, als die Ueberſchwemmungen des Guadalquivir, des Xenil und des Gual-Medina in den Jahren 1800 und 1804 die furchtbaren Epidemieen in Sevilla, Ecija und Malaga herbeigeführt haben. Ich habe das Bett des Baches von Guayra genau unterſucht und nichts gefunden als dürren Boden und Blöcke von Glimmerſchiefer und Gneis mit ein - geſprengtem Schwefelkies, die von der Sierra de Avila her - unterkommen, aber nichts, was die Luft hätte verunreinigen können.

Seit den Jahren 1797 und 1798 (denſelben, in denen in Philadelphia, Santa Lucia und San Domingo die Sterb -83 lichkeit ſo ungemein groß war) hat das gelbe Fieber ſeine Verheerungen in Guayra fortgeſetzt; es wütete nicht allein unter den friſch aus Spanien angekommenen Truppen, ſondern auch unter denen, die fern von der Küſte in den Llanos zwiſchen Calabozo und Uritucu ausgehoben worden, alſo in einem Lande, das faſt ſo heiß als Guayra, aber geſund iſt. Letzterer Umſtand würde uns noch mehr auffallen, wenn wir nicht wüßten, daß ſogar Eingeborene von Veracruz, die zu Hauſe den Typhus nicht bekommen, nicht ſelten in Epidemieen in der Havana oder in den Vereinigten Staaten Opfer des - ſelben werden. Wie das ſchwarze Erbrechen am Abhange der mexikaniſchen Gebirge auf dem Wege nach Xalapa beim Encero (in 928 m Meereshöhe), wo mit den Eichen ein kühles, köſtliches Klima beginnt, eine unüberſteigliche Grenze findet, ſo geht das gelbe Fieber nicht leicht über den Bergkamm zwiſchen Guayra und dem Thale von Caracas hinüber. Dieſes Thal iſt lange Zeit davon verſchont geblieben, denn man darf den Vomito, das gelbe Fieber, nicht mit den ataktiſchen und den Gallenfiebern verwechſeln. Der Cumbre und der Cerro de Avila ſind eine treffliche Schutzwehr für die Stadt Caracas, die etwas höher liegt als der Encero, die aber eine höhere mittlere Temperatur hat als Xalapa.

Bonplands und meine Beobachtungen über die phyſiſchen Verhältniſſe der Städte, welche periodiſch von der Geißel des gelben Fiebers heimgeſucht werden, ſind anderswo niedergelegt, und es iſt hier nicht der Ort, neue Vermutungen über die Veränderungen in der pathogoniſchen Konſtitution mancher Städte zu äußern. Je mehr ich über dieſen Gegenſtand nach - denke, deſto rätſelhafter erſcheint mir alles, was auf die gas - förmigen Effluvien Bezug hat, die man mit einem ſo viel - ſagenden Wort Keime der Anſteckung nennt, und die ſich in verdorbener Luft entwickeln, die durch die Kälte zerſtört werden, ſich durch Kleider verſchleppen und an den Wänden der Häuſer haften ſollen. Wie will man erklären, daß in den achtzehn Jahren vor 1794 in Veracruz nicht ein einziger Fall von Vomito vorkam, obgleich der Verkehr mit nicht akklimatiſierten Europäern und Mexikanern aus dem Inneren ſehr ſtark war, die Matroſen ſich denſelben Ausſchweifungen überließen, über die man noch jetzt klagt, und die Stadt weniger reinlich war, als ſie ſeit dem Jahre 1800 iſt.

Die Reihenfolge pathologiſcher Thatſachen, auf ihren einfachſten Ausdruck gebracht, iſt folgende. Wenn in einem84 Hafen des heißen Erdſtriches, der bis jetzt bei den Seeleuten nicht als beſonders ungeſund verrufen war, viele in kälterem Klima geborene Menſchen zugleich ankommen, ſo tritt der amerikaniſche Typhus auf. Dieſe Menſchen wurden nicht auf der Ueberfahrt vom Typhus befallen, er bricht erſt an Ort und Stelle unter ihnen aus. Iſt hier eine Veränderung in der Luftkonſtitution eingetreten, oder hat ſich in Individuen mit ſehr geſteigerter Reizbarkeit eine neue Krankheitsform ent - wickelt?

Nicht lange, ſo fordert der Typhus ſeine Opfer auch unter anderen, in ſüdlicheren Ländern geborenen Europäern. Teilt er ſich durch Anſteckung mit, ſo iſt es zu verwundern, daß er in den Städten des tropiſchen Feſtlandes keineswegs ſich an gewiſſe Straßen hält, und daß die unmittelbare Be - rührung der Kranken die Gefahr ſo wenig ſteigert, als Ab - ſperrung ſie vermindert. Kranke, welche weiter ins Land hinein, namentlich an kühlere, höhere Orte geſchafft werden, z. B. nach Xalapa, ſtecken die Bewohner dieſer Orte nicht an, ſei es nun, weil die Krankheit an ſich nicht anſteckend iſt, ſei es, weil die prädisponierenden Urſachen, die ſich an der Küſte geltend machen, hier wegfallen. Nimmt die Temperatur be - deutend ab, ſo hört die Seuche am Orte, wo ſie ausgebrochen, gewöhnlich auf. Mit Eintritt der heißen Jahreszeit, zuweilen weit früher, fängt ſie wieder an, obgleich ſeit mehreren Monaten im Hafen kein Kranker geweſen und kein Schiff eingelaufen iſt.

Der amerikaniſche Typhus ſcheint auf den Küſtenſtrich beſchränkt, ſei es nun, weil die, welche ihn einſchleppen, hier ans Land kommen und weil hier die Waren aufgehäuft werden, an denen, wie man meint, giftige Miasmen haften, oder weil ſich am Meeresufer eigentümliche gasförmige Effluvien bilden. Das äußere Anſehen der Orte, wo der Typhus wütet, ſcheint oft die Annahme eines örtlichen oder endemiſchen Urſprunges völlig auszuſchließen. Man hat ihn auf den Kanariſchen Inſeln, auf den Bermuden, auf den Kleinen Antillen herrſchen ſehen, auf trockenem Boden, in Ländern, deren Klima früher für ſehr geſund galt. Die Fälle von Verſchleppung des gelben Fiebers ins Binnenland ſind in der heißen Zone ſehr zwei - deutig; die Krankheit kann leicht mit den remittierenden Gallen - fiebern verwechſelt worden ſein. In der gemäßigten Zone dagegen, wo der amerikaniſche Typhus entſchiedener anſteckend auftritt, hat ſich die Seuche unzweifelhaft weit vom Uferlande85 weg, ſogar an ſehr hochgelegene, friſchen, trockenen Winden ausgeſetzte Orte verbreitet, ſo in Spanien nach Medina Si - donia, nach Carlotta und in die Stadt Murcia. Dieſe Viel - geſtaltigkeit derſelben Seuche nach den verſchiedenen Klimaten, nach der Geſamtheit der prädisponierenden Urſachen, nach der längeren oder kürzeren Dauer, nach den Graden der Bösartig - keit muß uns ſehr vorſichtig machen, wenn es ſich davon handelt, den geheimen Urſachen des amerikaniſchen Typhus nachzugehen. Ein einſichtsvoller Beobachter, der in den ſchreck - lichen Epidemieen der Jahre 1802 und 1803 Oberarzt in der Kolonie San Domingo war und die Krankheit auf Cuba, in den Vereinigten Staaten und in Spanien kennen gelernt hat, iſt mit mir der Anſicht, daß der Typhus ſehr oft anſteckend iſt, aber nicht immer.

Seit das gelbe Fieber in Guayra ſo furchtbare Ver - heerungen angerichtet, hat man nicht verfehlt, die Unreinlich - keit des kleinen Ortes zu übertreiben, wie man mit Vera - cruz und den Quais oder Warfs von Philadelphia gethan. An einem Orte, der auf ſehr trockenem Boden liegt, faſt keinen Pflanzenwuchs hat, und wo in 7 bis 8 Monaten kaum ein paar Tropfen Regen fallen, können der Urſachen der ſo - genannten ſchädlichen Miasmen nicht eben ſehr viele ſein. Die Straßen von Guayra ſchienen mir im allgemeinen ziem - lich reinlich, ausgenommen den Stadtteil, wo die Schlacht - bänke ſind. Auf der Reede iſt nirgends eine Strandſtrecke, wo ſich zerſetzte Tange und Weichtiere anhäufen, aber die benachbarte Küſte nach Oſten, dem Kap Codera zu, alſo unter dem Winde von Guayra, iſt äußerſt ungeſund. Wechſelfieber, Faul - und Gallenfieber kommen in Macuto und Caravalleda häufig vor, und wenn von Zeit zu Zeit der Seewind dem Weſtwinde Platz macht, ſo kommt aus der kleinen Bucht Catia, deren wir in der Folge oft zu gedenken haben werden, trotz der Schutzwehr des Cabo Blanco, eine mit faulen Dünſten geſchwängerte Luft auf die Küſte von Guayra.

Da die Reizbarkeit der Organe bei den nördlichen Völkern ſo viel ſtärker iſt als bei den ſüdlichen, ſo iſt nicht zu be - zweifeln, daß bei größerer Handelsfreiheit und ſtärkerem und innigerem Verkehr zwiſchen Ländern mit verſchiedenen Kli - maten das gelbe Fieber ſich über die Neue Welt verbreiten wird. Da hier ſo viele erregende Urſachen zuſammenwirken und Individuen von ſo verſchiedener Organiſation denſelben ausgeſetzt werden, können möglicherweiſe ſogar neue Krank -86 heitsformen, neue Verſtimmungen der Lebenskräfte ſich aus - bilden. Es iſt dies eines der notwendigen Uebel im Gefolge fortſchreitender Kultur; wer darauf hinweiſt, wünſcht darum keineswegs die Barbarei zurück; ebenſowenig teilt er die An - ſicht der Leute, die dem Verkehr unter den Völkern gern ein Ende machten, nicht um die Häfen in den Kolonieen vom Seuchengift zu reinigen, ſondern um dem Eindringen der Aufklärung zu wehren und die Geiſtesentwickelung aufzuhalten.

Die Nordwinde, welche die kalte Luft von Kanada her in den Mexikaniſchen Meerbuſen führen, machen periodiſch dem gelben Fieber und ſchwarzen Erbrechen in der Havana und in Veracruz ein Ende. Aber bei der großen Beſtändigkeit der Temperatur, wie ſie in Porto Cabello, Guayra, Nueva Barcelona und Cumana herrſcht, iſt zu befürchten, der Typhus möchte dort einheimiſch werden, wenn er einmal infolge des ſtarken Fremdenverkehres ſehr bösartig aufgetreten iſt. Glück - licherweiſe hat ſich die Sterblichkeit vermindert, ſeit man ſich in der Behandlung nach dem Charakter der Epidemieen in verſchiedenen Jahren richtet, und ſeit man die verſchiedenen Stadien der Krankheit, die Periode der entzündlichen Er - ſcheinungen, und die der Ataxie oder Schwäche, beſſer kennt und auseinander hält. Es wäre ſicher unrecht, in Abrede zu ziehen, daß die neuere Medizin gegen dieſes ſchreckliche Uebel ſchon Bedeutendes geleiſtet; aber der Glaube an dieſe Lei - ſtungen iſt in den Kolonieen gar nicht weit verbreitet. Man hört ziemlich allgemein die Aeußerung: Die Aerzte wiſſen jetzt den Hergang der Krankheit befriedigender zu erklären als früher, ſie heilen ſie aber keineswegs beſſer; früher ſei man langſam hingeſtorben, ohne alle Arznei, außer einem Tama - rindenaufguß; gegenwärtig führe ein eingreifenderes Heil - verfahren raſcher und unmittelbarer zum Tode.

Wer ſo ſpricht, weiß nicht ganz, wie man früher auf den Antillen zu Werke ging. Aus der Reiſe des Paters Labat kann man erſehen, daß zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Aerzte auf den Antillen den Kranken nicht ſo ruhig ſterben ließen, als man meint. Man tötete damals nicht durch über - triebene und unzeitige Anwendung von Brechmitteln, von China und Opium, wohl aber durch wiederholte Aderläſſe und übermäßiges Purgieren. Die Aerzte ſchienen auch mit der Wirkung ihres Verfahrens ſo gut bekannt, daß ſie, ſehr treuherzig, gleich beim erſten Beſuch mit Beichtvater und Notar am Krankenbett erſchienen . Gegenwärtig bringt man87 es in reinlichen, gut gehaltenen Spitälern dahin, daß von 100 Kranken nur 15 bis 20 und ſelbſt etwas weniger ſterben; aber überall, wo die Kranken zu ſehr aufeinander gehäuft ſind, ſteigt die Sterblichkeit auf die Hälfte, wohl gar (wie im Jahre 1802 bei der franzöſiſchen Armee auf San Domingo) auf drei Vierteile der Kranken.

Ich fand die Breite von Guayra 10° 36′ 19″, die Länge 69° 26′ 13″. Die Inklination der Magnetnadel war am 24. Januar 1800 42,20°, die Deklination nach Nordoſt 30′ 35″; die Intenſität der magnetiſchen Kraft = 237 Schwingungen.

Geht man an der aus Granit gebauten Küſte von Guayra gegen Weſt, ſo kommt man zwiſchen dieſem Hafen, der nur eine ſchlecht geſchützte Reede iſt, und dem Hafen von Porto Cabello an mehrere Einbuchtungen des Landes, wo die Schiffe vortrefflich ankern können. Es ſind die kleinen Buchten Catia, Los Arecifes, Puerto la Cruz, Choroni, Sienega de Ocumare, Turiamo, Burburata und Patanebo. Alle dieſe Häfen, mit Ausnahme des von Burburata, aus dem man Maultiere nach Jamaika ausführt, werden gegenwärtig nur von kleinen Küſten - fahrzeugen beſucht, die Lebensmittel und Kakao von den be - nachbarten Pflanzungen laden. Die Einwohner von Caracas, wenigſtens die weiter blickenden, legen einen großen Wert auf den Ankerplatz Catia, weſtlich von Cabo Blanco. Dieſen Küſtenpunkt unterſuchten Bonpland und ich während unſeres zweiten Aufenthaltes in Guayra. Eine Schlucht, unter dem Namen Quebreda de Tipe bekannt, von der weiterhin die Rede ſein wird, zieht ſich von der Hochebene von Caracas gegen Catia herunter. Längſt geht man mit dem Plane um, durch dieſe Schlucht einen Fahrweg anzulegen und die alte Straße von Guayra, die beinahe dem Uebergang über den St. Gotthard gleicht, aufzugeben. Nach dieſem Plane könnte der Hafen von Catia, der ſo geräumig als ſicher iſt, an die Stelle des von Guayra treten. Leider iſt dieſer ganze Küſten - ſtrich unter dem Winde von Cabo Blanco mit Wurzelbäumen bewachſen und höchſt ungeſund.

Faſt nirgends auf der Küſte iſt es ſo heiß als in der Nähe von Cabo Blanco. Wir litten ſehr durch die Hitze, die durch die Reverberation des dürren, ſtaubigen Bodens noch geſteigert wurde; die übermäßige Einwirkung des Sonnen - lichtes hatte indeſſen keine nachteiligen Folgen für uns. In Guayra fürchtet man die Inſolation und ihren Einfluß auf88 die Gehirnfunktionen ungemein, beſonders zu einer Zeit, wo das gelbe Fieber ſich zu zeigen anfängt. Ich ſtand eines Tages auf dem Dache unſeres Hauſes, um den Mittagspunkt und den Unterſchied zwiſchen dem Thermometerſtande in der Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter mir ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen, den er fertig in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich von ſeinem Fenſter aus ſeit einer halben Stunde in bloßem Kopf hatte in der Sonne ſtehen ſehen. Er verſicherte mich, da ich ein hoher Nordländer ſei, müſſe ich nach der Unvor - ſichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch dieſen Abend einen Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein Präſervativ nehme. Dieſe Prophezeiung, ſo ernſtlich ſie ge - meint war, beunruhigte mich nicht, da ich mich längſt für akklimatiſiert hielt; wie konnte ich aber eine Zumutung ab - lehnen, die aus ſo herzlicher Teilnahme entſprang? Ich ver - ſchluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken geſchrieben haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben gerettet.

Nachdem wir Lage und Luftbeſchaffenheit von Guayra beſchrieben, verlaſſen wir die Küſte des Antilliſchen Meeres, um ſie bis zu unſerer Rückkehr von den Miſſionen am Orinoko ſo gut wie nicht wieder zu ſehen. Der Weg aus dem Hafen nach Caracas, der Hauptſtadt einer Statthalterei von 900000 Einwohnern, gleicht, wie ſchon oben bemerkt, den Päſſen in den Alpen, dem Wege über den St. Gotthard oder den Großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft in der Pro - vinz Venezuela war derſelbe nie vermeſſen worden, und man hatte nicht einmal eine beſtimmte Vorſtellung davon, wie hoch das Thal von Caracas liegen möge. Man hatte längſt be - merkt, daß es von der Cumbre und Las Vueltas, dem höchſten Punkte der Straße nach Paſtora am Eingange des Thales von Caracas nicht ſo weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra; da aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmaſſe iſt, ſo ſieht man die zu vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach dem Klima des Thales von Caracas kann man ſich von der Höhe desſelben unmöglich einen richtigen Begriff machen. Die Luft daſelbſt wird durch niedergehende Luftſtröme ab - gekühlt, ſowie einen großen Teil des Jahres hindurch durch die Nebel, welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich habe den Weg von Guayra nach Caracas mehreremal zu Fuße gemacht und nach zwölf Punkten, deren Höhe mit dem89 Barometer beſtimmt wurde, ein Profil desſelben entworfen. Ich hätte gern geſehen, daß meine Vermeſſung durch einen unterrichteten Reiſenden, der nach mir dieſes maleriſche und für den Naturforſcher ſo intereſſante Land beſuchte, wiederholt und verbeſſert worden wäre; mein Wunſch iſt aber bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen.

Wenn man zur Zeit der ſtärkſten Hitze die glühende Luft Guayras atmet und den Blick auf das Gebirge richtet, ſo ſcheint es einem unbegreiflich, daß in gerader Entfernung von 9,75 bis 11,7 km in einem engen Thale eine Bevölkerung von 40000 Seelen einer Frühlingskühle genießen ſoll, einer Temperatur, die bei Nacht auf 12° heruntergeht. Daß auf dieſe Weiſe verſchiedene Klimate einander nahe gerückt ſind, kommt in den ganzen Kordilleren der Anden häufig vor; aber überall, in Mexiko, in Quito, in Peru, in Neugranada muß man weit ins Binnenland reiſen, entweder über die Ebenen oder auf Strömen hinauf, bis man in die Herde der Kultur, in die großen Städte, gelangt. Caracas liegt nur ein Dritt - teil ſo hoch als Mexiko, Quito und Santa Fé de Bogota; aber von allen Hauptſtädten des ſpaniſchen Amerikas, die mitten in der heißen Zone ein köſtlich kühles Klima haben, liegt Caracas am nächſten an der Küſte. Nur 13,5 km in einen Seehafen zu haben und im Gebirge zu liegen, auf einer Hochebene, wo der Weizen gediehe, wenn man nicht lieber Kaffee baute, das ſind bedeutende Vorteile.

Der Weg von Guayra in das Thal von Caracas iſt weit ſchöner als der von Honda nach Santa Fé und von Guayaquil nach Quito; er iſt ſogar beſſer unterhalten als die alte Straße, die aus dem Hafen von Veracruz am Süd - abhange der Gebirge von Neuſpanien nach Perote führt. Man braucht mit guten Maultieren nur drei Stunden aus dem Hafen von Guayra nach Caracas und zum Rückwege nur zwei, mit Laſttieren oder zu Fuß vier bis fünf Stunden. Man kommt zuerſt über einen ſehr ſteilen Felsabhang und über die Stationen Torre Quemada, Curucuti und Salto zu einem großen Wirtshauſe (La Venta), das 1170 m über dem Meere liegt. Der Name verbrannter Turm bezieht ſich auf den ſtarken Eindruck, den man erhält, wenn man nach Guayra hinuntergeht. Die Hitze, welche die Felswände und vollends die dürre Ebene zu den Füßen ausſtrahlen, iſt drückend zum Erſticken. Auf dieſem Wege und überall, wo man auf ſtarken Abhängen in ein anderes Klima gelangt,90 ſchien mir das Gefühl von geſteigerter Muskelkraft und von Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftſchichten über einen kommt, nicht ſo ſtark als umgekehrt die läſtige Mattig - keit und Erſchlaffung, die einen befällt, wenn man in die heißen Küſtenebenen hinuntergeht. Der Menſch iſt einmal ſo geſchaffen, daß der Genuß, wenn uns irgendwie leichter wird, nicht ſo lebhaft iſt als der Eindruck eines neuen Un - gemaches, und in der moraliſchen Welt iſt es ja ebenſo.

Von Curucuti zum Salto iſt der Weg etwas weniger ſteil; durch die Windungen, die er macht, wird die Steigung geringer, wie auf der alten Straße über den Mont Cenis. Der Salto, der Sprung , iſt eine Spalte, über die eine Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Berges ſind förmliche Werke angelegt. Bei der Venta ſtand der Thermometer um Mittag auf 19,3°, in Guayra zur ſelben Zeit auf 26,2°. Da, ſeit die Neutralen von Zeit zu Zeit in den ſpaniſchen Häfen zugelaſſen wurden, Fremde häufiger nach Caracas gehen durften als nach Mexiko, ſo iſt die Venta in Europa und in den Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer ſchönen Lage berühmt. Und allerdings hat man hier bei unbewölktem Himmel eine prachtvolle Ausſicht über die See und die nahen Küſten. Man hat einen Horizont von mehr als 100 km Halbmeſſer vor ſich; man wird geblendet von der Maſſe Licht, die der weiße, dürre Strand zurückwirft; zu den Füßen liegen Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit ſeinen Kokospalmen, Guayra und die Schiffe, die in den Hafen einlaufen. Ich fand dieſen Anblick noch weit überraſchender, wenn der Himmel nicht ganz rein iſt und Wolkenſtreifen, die oben ſtark beleuchtet ſind, gleich ſchwimmenden Eilanden ſich von der unermeßlichen Meeresfläche abheben. Nebelſchichten in verſchiedenen Höhen bilden Mittelgründe zwiſchen dem Auge des Beobachters und den Niederungen, und durch eine leicht erklärliche Täuſchung wird dadurch die Szenerie großartiger, impoſanter. Von Zeit zu Zeit kommen in den Riſſen der vom Winde gejagten und ſich ballenden Wolken Bäume und Wohnungen zum Vorſchein, und die Gegenſtände ſcheinen dann ungleich tiefer unten zu liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchſichtiger Luft. Wenn man ſich am Abhange der mexikaniſchen Gebirge (zwiſchen Las Trancas und Xalapa) in derſelben Höhe befindet, iſt man noch 54 km von der See entfernt; man ſieht die Küſte nur undeutlich, während man auf dem Wege von Guayra nach Caracas das Tiefland (die Tierra caliente) wie auf einem91 Turme beherrſcht. Man denke ſich, welchen Eindruck dieſer Anblick auf einen machen muß, der im Binnenlande zu Hauſe iſt und an dieſer Stelle zum erſtenmal das Meer und Schiffe ſieht.

Ich habe durch unmittelbare Beobachtungen die Breite der Venta ermittelt, um die Entfernung derſelben von der Küſte genauer angeben zu können. Die Breite iſt 10° 33′ 9″; die Länge des Ortes ſchien mir nach dem Chronometer etwa 2′ 47″ im Bogen weſtlich von der Stadt Caracas. Ich fand in dieſer Höhe die Inklination der Magnetnadel 41,75°, die Intenſität der magnetiſchen Kraft = 234 Schwingungen.

Von der Venta, auch Venta grande genannt zum Unter - ſchied von drei oder vier anderen kleinen Wirtshäuſern am Wege,1Damals, jetzt ſind faſt alle zerſtört. geht es noch über 290 m hinauf zum Guayavo. Dies iſt beinahe der höchſte Punkt der Straße, ich ging aber mit dem Barometer noch weiter, etwas über die Cumbre (Gipfel) hinauf, in die Schanze Cuchilla. Da ich keinen Paß hatte (in fünf Jahren bedurfte ich desſelben nur bei der Landung), ſo wäre ich beinahe von einem Artilleriepoſten verhaftet worden. Um die alten Soldaten zu beſänftigen, überſetzte ich ihnen in ſpaniſche Varas, wieviel Toiſen der Poſten über dem Meere liegt. Daran ſchien ihnen ſehr wenig gelegen, und wenn ſie mich gehen ließen, ſo verdanke ich es einem Andaluſier, der gar freundlich wurde, als ich ihm ſagte, die Berge ſeines Heimatlandes, die Sierra Nevada de Granada ſeien viel höher als alle Berge in der Provinz Caracas.

Die Schanze Cuchilla liegt ſo hoch wie der Gipfel des Puy de Dome und 290 m niedriger als die Poſt auf dem Mont Cenis. Da die Stadt Caracas, die Venta del Guayavo und der Hafen von Guayra ſo nahe bei einander liegen, hätten Bonpland und ich gern ein paar Tage hintereinander die kleinen Schwankungen des Barometers gleichzeitig in einem ſchmalen Thale, auf einer dem Winde ausgeſetzten Hochebene und an der Meeresküſte beobachtet; aber die Luft war wäh - rend unſeres Aufenthaltes an dieſen Orten nicht ruhig genug dazu. Ueberdem beſaß ich auch nicht den dreifachen meteoro - logiſchen Apparat, der zu dieſer Beobachtung erforderlich iſt, die ich Naturforſchern, die nach mir das Land beſuchen, em - pfehlen möchte.

92

Als ich zum erſtenmal über dieſe Hochebene nach der Hauptſtadt von Venezuela ging, traf ich vor dem kleinen Wirtshauſe auf dem Guayavo viele Reiſende, die ihre Maul - tiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von Caracas; ſie ſtritten über den Aufſtand zur Befreiung des Landes, der kurz zuvor ſtattgefunden. Joſeph España hatte auf dem Schafott geendet; ſein Weib ſchmachtete im Gefängnis, weil ſie ihren Mann auf der Flucht bei ſich aufgenommen und nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der Gemüter, die Bitterkeit, mit der man über Fragen ſtritt, über die Landsleute nie verſchiedener Meinung ſein ſollten, fielen mir ungemein auf. Während man ein langes und breites über den Haß der Mulatten gegen die freien Neger und die Weißen, über den Reichtum der Mönche und die Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten, verhandelte, hüllte uns ein kalter Wind, der vom hohen Gipfel der Silla herabzukommen ſchien, in einen dicken Nebel und machte der lebhaften Unterhaltung ein Ende; man ſuchte Schutz in der Venta. In der Wirtsſtube machte ein bejahrter Mann, der vorhin am ruhigſten geſprochen hatte, die anderen darauf aufmerkſam, wie unvorſichtig es ſei, zu einer Zeit, wo überall Angeber lauern, ſei es auf dem Berge oder in der Stadt, über politiſche Gegenſtände zu verhandeln. Dieſe in der Berg - einöde geſprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich ſollte denſelben auf unſeren Reiſen durch die Anden von Neugranada und Peru noch oft erhalten. In Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen ſchlichten, ſteigt man auf die Berge, um Einſamkeit und Freiheit zu ſuchen; in der Neuen Welt aber ſind die Kordilleren bis zu 3900 m Meereshöhe bewohnt. Die Menſchen tragen ihre bürgerlichen Zwiſte wie ihre kleinlichen, gehäſſigen Leiden - ſchaften mit hinauf. Auf dem Rücken der Anden, wo die Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Städten ge - führt hat, ſtehen Spielhäuſer, und in dieſen weiten Einöden, faſt über der Region der Wolken, in einer Naturumgebung, die dem Geiſte höheren Schwung geben ſollte, wird gar oft durch die Kunde, daß der Hof ein Ordenszeichen oder einen Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien geſtört.

Ob man auf den weiten Meereshorizont hinausblickt oder nach Südoſt, nach dem gezackten Felskamm, der ſchein - bar die Cumbre mit der Silla verbindet, während die Schlucht (Quebrada) Tocume dazwiſchen liegt, überall bewundert man93 den großartigen Charakter der Landſchaft. Von Guayavo an geht man eine halbe Stunde über ein ebenes, mit Alp - pflanzen bewachſenes Plateau. Dieſes Stück des Weges heißt der vielen Krümmungen wegen Las Vueltas. Etwas weiter oben liegen die Mehlmagazine, welche die Geſellſchaft von Guipuzcoa, während der Handel und die Verſorgung von Caracas mit Lebensmitteln ihr ausſchließliches Monopol war, an einem ſehr kühlen Orte hatte errichten laſſen. Auf dem Wege der Vueltas ſieht man zum erſtenmal die Hauptſtadt 580 m tiefer in einem mit Kaffeebäumen und europäiſchen Obſtbäumen üppig bepflanzten Thale liegen. Die Reiſenden machen gewöhnlich Halt bei einer ſchönen Quelle, genannt Fuente de Sanchorquiz, die auf fallenden Gneisſchichten von der Sierra herabkommt. Ich fand die Temperatur derſelben 16,4°, was für eine Höhe von 1415 m bedeutend kühl iſt. Dieſes klare Waſſer müßte denen, die davon trinken, noch kälter vorkommen, wenn die Quelle ſtatt zwiſchen der Cumbre und dem gemäßigten Thale von Caracas auf dem Abhange gegen Guayra hin entſpränge. Ich habe aber die Bemerkung gemacht, daß an dieſem, dem Nordabhange des Berges die Schichten (eine in dieſem Lande ſeltene Ausnahme) nicht nach Nordweſt, ſondern nach Südoſt fallen, was ſchuld daran ſein mag, daß die unterirdiſchen Gewäſſer dort keine Quellen bil - den können. Von der kleinen Schlucht Sanchorquiz an geht es beſtändig abwärts bis zum Kreuz von Guayra, das auf einem offenen Platze 1232 m über dem Meere ſteht, und von da an bei den Zollhäuſern vorbei und durch das Quartier Paſtora in die Stadt Caracas.

[94]

Zwölftes Kapitel.

Allgemeine Bemerkungen über die Provinzen von Venezuela. Ihre verſchiedenen Intereſſen. Die Stadt Caracas. Ihr Klima.

Die Wichtigkeit einer Hauptſtadt hängt nicht allein von ihrer Volkszahl, von ihrem Reichtum und ihrer Lage ab; um dieſelbe einigermaßen richtig zu beurteilen, muß man den Umfang des Gebietes, deſſen Mittelpunkt ſie iſt, die Menge einheimiſcher Erzeugniſſe, mit denen ſie Handel treibt, die Verhältniſſe, in denen ſie zu den ihrem politiſchen Einfluß unterworfenen Provinzen ſteht, in Rechnung ziehen. Dieſe verſchiedenen Umſtände modifizieren ſich durch die mehr oder weniger gelockerten Bande zwiſchen den Kolonieen und dem Mutterland; aber die Macht der Gewohnheit iſt ſo groß und die Handelsintereſſen ſind ſo zäh, daß ſich vorausſagen läßt, der Einfluß der Hauptſtädte auf das Land umher, auf die unter den Namen Reinos, Capitanias generales, Presidencias, Goviernos verſchmolzenen Gruppen von Provinzen werden auch die Kataſtrophe der Trennung der Provinzen vom Mutter - lande überdauern. Man wird nur da Stücke losreißen und anders verbinden, wo man, mit Mißachtung natürlicher Grenzen, willkürlich Gebiete verbunden hatte, die nur ſchwer miteinander verkehren. Ueberall, wo die Kultur nicht ſchon vor der Eroberung in einem gewiſſen Grade beſtand (wie in Mexiko, Guatemala, Quito und Peru), verbreitete ſie ſich von den Küſten ins Binnenland, bald einem großen Flußthale, bald einer Gebirgskette mit gemäßigtem Klima nach. Sie ſetzte ſich zu gleicher Zeit in verſchiedenen Mittelpunkten feſt, von denen ſie ſofort gleichſam ausſtrahlte. Die Vereinigung zu Provinzen oder Königreichen erfolgte, ſobald ſich civiliſierte, oder doch einem feſten, geregelten Regiment unterworfene Gebiete unmittelbar berührten. Wüſt liegende oder von wil - den Menſchen bewohnte Landſtriche umgeben jetzt die von der95 europäiſchen Kultur eroberten Länder. Sie trennen dieſe Eroberungen voneinander, wie ſchwer zu überſetzende Meeres - arme, und meiſt hängen benachbarte Staaten nur durch urbar gemachte Landzungen zuſammen. Die Umriſſe der Seeküſten ſind leichter aufzufaſſen als der krauſe Lauf dieſes Binnen - geſtades, auf dem Barbarei und Civiliſation, undurchdring - liche Wälder und bebautes Land aneinander ſtoßen und ein - ander begrenzen. Weil ſie die Zuſtände der erſt in der Bildung begriffenen Staaten der Neuen Welt außer acht laſſen, liefern ſo viele Geographen ſo ſonderbar ungenaue Karten, indem ſie die verſchiedenen Teile der ſpaniſchen und portu - gieſiſchen Kolonieen ſo zeichnen, als ob ſie im Inneren durch - aus zuſammenhingen. Die Lokalkenntnis, die ich mir aus eigener Anſchauung von dieſen Grenzen verſchafft, ſetzt mich inſtand, den Umfang der großen Gebietsabſchnitte mit einiger Beſtimmtheit anzugeben, die wüſten und die bewohnten Striche miteinander zu vergleichen und den mehr oder minder bedeu - tenden politiſchen Einfluß, den ſie als Regierungs - und Han - delsmittelpunkte äußern, zu ſchätzen.

Caracas iſt die Hauptſtadt eines Landes, das faſt zwei - mal ſo groß iſt als das heutige Peru und an Flächengehalt dem Königreich Neugranada wenig nachſteht. 1Die Capitania general von Caracas hat 972000 qkm Um - fang, Peru 607000 qkm, Neugranada 1316000 qkm. Es iſt dies das Ergebnis von Oltmanns Berechnung, wobei die Veränderungen zu Grunde gelegt ſind, welche die Karten von Amerika durch meine aſtronomiſchen Beſtimmungen erlitten haben.Dieſes Land, das im ſpaniſchen Regierungsſtil Capitania general de Caracas oder de las Provincias de Venezuela heißt, hat gegen eine Million Einwohner, worunter 60000 Sklaven, Es umfaßt längs den Küſten Neuandaluſien oder die Pro - vinz Cumana (mit der Inſel Margarita), Barcelona, Vene - zuela oder Caracas, Coro oder Maracaybo; im Inneren die Provinzen Varinas und Guyana, erſtere längs den Flüſſen San Domingo und Apure, letztere längs dem Orinoko, Caſſi - quiare, Atabapo und Rio Negro. Ueberblickt man die ſieben vereinigten Provinzen von Terra Firma, ſo ſieht man, daß ſie drei geſonderte Zonen bilden, die von Oſt nach Weſt laufen.

Zuvorderſt liegt das bebaute Land am Meeresufer und bei der Kette der Küſtengebirge; dann kommen Savannen oder Weiden, und endlich jenſeits des Orinoko die dritte, die Wald -96 zone, die nur mittels der Ströme, die hindurchlaufen, zu - gänglich iſt. Wenn die Eingeborenen in dieſen Wäldern ganz von der Jagd lebten wie die am Miſſouri, ſo könnte man ſagen, die drei Zonen, in welche wir das Gebiet von Vene - zuela zerfallen laſſen, ſeien ein Bild der drei Zuſtände und Stufen der menſchlichen Geſellſchaft: in den Wäldern am Orinoko das rohe Jägerleben, auf den Savannen oder Llanos das Hirtenleben, in den hohen Thälern und am Fuße der Küſtengebirge das Leben des Landbauers. Die Miſſionäre und eine Handvoll Soldaten beſetzen hier, wie in ganz Amerika, vorgeſchobene Poſten an der braſilianiſchen Grenze. In dieſer erſten Zone herrſcht das Recht des Stärkeren und der Mißbrauch der Gewalt, der eine notwendige Folge davon iſt. Die Einge - borenen liegen in beſtändigem blutigem Kriege miteinander und freſſen nicht ſelten einander auf. Die Mönche ſuchen ſich die Zwiſtigkeiten unter den Eingeborenen zu nutze zu machen und ihre kleinen Miſſionsdörfer zu vergrößern. Das Militär, das zum Schutz der Mönche daliegt, lebt im Zank mit ihnen. Ueberall ein trauriges Bild von Not und Elend. Wir werden bald Gelegenheit haben, dieſen Zuſtand, den die Städter als Naturzuſtand preiſen, näher kennen zu lernen. In der zwei - ten Region, auf den Ebenen und Weiden, iſt die Nahrung einförmig, aber ſehr reichlich. Die Menſchen ſind ſchon civiliſierter, leben aber, abgeſehen von ein paar weit aus - einander liegenden Städten, immer noch vereinzelt. Sieht man ihre zum Teil mit Häuten und Leder gedeckten Häuſer, ſo meint man, ſie haben ſich auf den ungeheuren, bis zum Horizont fortſtreichenden Grasebenen keineswegs niedergelaſſen, ſondern kaum gelagert. Der Ackerbau, der allein die Grund - lagen der Geſellſchaft befeſtigt und die Bande zwiſchen Menſch und Menſch enger knüpft, herrſcht in der dritten Zone, im Küſtenſtriche, beſonders in den warmen und gemäßigten Thä - lern der Gebirge am Meere.

Man könnte einwenden, auch in anderen Teilen des ſpaniſchen und portugieſiſchen Amerikas, überall, wo man die allmähliche Entwickelung der Kultur verfolgen kann, ſehe man jene drei Stufenalter der menſchlichen Geſellſchaft nebenein - ander; es iſt aber zu bemerken, und dies iſt für alle, welche die politiſchen Zuſtände der verſchiedenen Kolonieen genau kennen lernen wollen, von großem Belang, daß die drei Zonen, die Wälder, die Savannen und das bebaute Land, nicht überall im ſelben Verhältnis zu einander ſtehen, daß ſie aber nirgends97 ſo regelmäßig verteilt ſind wie im Königreich Venezuela. Bevölkerung, Induſtrie und Geiſtesbildung nehmen keines - wegs überall von der Küſte dem Inneren zu ab. In Mexiko, Peru und Quito findet man die ſtärkſte ackerbauende Be - völkerung, die meiſten Städte, die älteſten bürgerlichen Ein - richtungen auf den Hochebenen und in den Gebirgen des Binnenlandes. Ja, im Königreich Buenos Ayres liegt die Region der Weiden, der ſogenannten Pampas, zwiſchen dem vereinzelten Hafen von Buenos Ayres und der großen Maſſe ackerbauender Indianer, welche in den Kordilleren von Charras, La Paz und Potoſi wohnen. Dieſer Umſtand macht, daß ſich im ſelben Lande die gegenſeitigen Intereſſen der Bewohner des Binnenlandes und der Küſten ſehr verſchiedenartig ge - ſtalten.

Will man eine richtige Vorſtellung von dieſen gewaltigen Provinzen erhalten, die ſeit Jahrhunderten faſt wie unab - hängige Staaten von Vizekönigen oder Generalkapitänen re - giert wurden, ſo muß man mehrere Punkte zumal ins Auge faſſen. Man muß die Teile des ſpaniſchen Amerikas, die Aſien gegenüber liegen, von denen trennen, die der Atlantiſche Ozean beſpült; man muß, wie wir eben gethan, unterſuchen, wo ſich die Hauptmaſſe der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der Küſten, ob konzentriert im Inneren auf kalten und gemäßigten Hochebenen der Kordilleren; man muß die numeriſchen Ver - hältniſſe zwiſchen den Eingeborenen und den anderen Menſchen - ſtämmen ermitteln, ſich nach der Herkunft der europäiſchen Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksſtamme die Mehrzahl der Weißen in jedem Teile der Provinzen angehört. Die andaluſiſchen Kanarier in Venezuela, die Montañeſes 1So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von San - tander. und Biscayer in Mexiko, die Katalonier in Buenos Ayres unterſcheiden ſich hinſichtlich des Geſchickes zum Ackerbau, zu mechaniſchen Fertigkeiten, zum Handel und zu geiſtigen Be - ſchäftigungen ſehr weſentlich voneinander. Alle dieſe Stämme haben in der Neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten, der ihnen in der Alten zukommt, die rauhe oder ſanfte Ge - mütsart, die Mäßigkeit oder die ungezügelte Habgier, die leutſelige Gaſtlichkeit oder den Hang zum einſamen Leben. In Ländern, deren Bevölkerung großenteils aus IndianernA. v. Humboldt, Reiſe. II. 798von gemiſchtem Blute beſteht, kann der Unterſchied zwiſchen den Europäern und ihren Nachkommen allerdings nicht ſo auffallend ſchroff ſein, wie einſt in den Kolonieen ioniſcher und doriſcher Abkunft. Spanier, in die heiße Zone verſetzt, unter einem neuen Himmelsſtrich der Erinnerung an das Mutterland faſt entfremdet, mußten ſich ganz anders um - wandeln, als die Griechen, welche ſich auf den Küſten von Kleinaſien oder Italien niederließen, wo das Klima nicht viel anders war als in Athen oder Korinth. Daß der Charakter des amerikaniſchen Spaniers durch die phyſiſche Beſchaffenheit des Landes, durch die einſame Lage der Hauptſtädte auf den Hochebenen oder in der Nähe der Küſten, durch die Beſchäfti - gung mit dem Landbau, durch den Bergbau, durch die Ge - wöhnung an das Spekulieren im Handelsverkehr, in manchen Beziehungen ſich verändert hat, iſt unleugbar; aber überall, in Caracas, in Santa Fé, in Quito und Buenos Ayres macht ſich dennoch etwas geltend, was auf die urſprüngliche Stammes - eigenheit zurückweiſt.

Betrachtet man die Zuſtände der Kapitanerie von Caracas nach den oben angegebenen Geſichtspunkten, ſo zeigt es ſich, daß der Ackerbau, die Hauptmaſſe der Bevölkerung, die zahl - reichen Städte, kurz alles, was durch höhere Kultur bedingt iſt, ſich vorzugsweiſe in der Nähe der Küſte findet. Der Küſtenſtrich iſt über 900 km lang und wird vom kleinen Meer der Antillen beſpült, einer Art Mittelmeer, an deſſen Ufern faſt alle europäiſchen Nationen Niederlaſſungen ge - gründet haben, das an zahlreichen Stellen mit dem Atlan - tiſchen Ozean in Verbindung ſteht und ſeit der Eroberung auf den Fortſchritt der Bildung im öſtlichen Teile des tropiſchen Amerikas ſehr bedeutenden Einfluß geäußert hat. Die König - reiche Neugranada und Mexiko verkehren mit den fremden Kolonieen und mittels dieſer mit dem nicht ſpaniſchen Europa allein durch die Häfen von Cartagena und Santa Marta, Veracruz und Campeche. Dieſe ungeheuren Länder kommen, infolge der Beſchaffenheit ihrer Küſten und der Zuſammen - drängung der Bevölkerung auf dem Rücken der Kordilleren, mit Fremden wenig in Berührung. Der Meerbuſen von Mexiko iſt auch einen Teil des Jahres wegen der gefährlichen Nordſtürme wenig beſucht. Die Küſten von Venezuela da - gegen ſind ſehr ausgedehnt, ſpringen weit gegen Oſten vor, haben eine Menge Häfen, man kann allenthalben in jeder Jahreszeit ſicher ans Land kommen, und ſo können ſie von99 allen Vorteilen, die das innere Meer der Antillen bietet, Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen Inſeln und ſelbſt mit denen unter dem Winde ſtärker ſein als durch die Häfen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto - Cabello, Coro und Maracaybo, nirgends war der Schleich - handel mit dem Auslande ſchwerer im Zaume zu halten. Iſt es da zu verwundern, daß bei dieſem leichten Handelsverkehr mit den freien Amerikanern und mit den Völkern des politiſch aufgeregten Europas in den unter der Generalkapitanerie Venezuela vereinigten Provinzen Wohlſtand, Bildung und das unruhige Streben nach Selbſtregierung, in dem die Liebe zur Freiheit und zu republikaniſchen Einrichtungen zur Aeuße - rung kommt, gleichmäßig zugenommen haben?

Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden nur da einen ſehr anſehnlichen Teil der ackerbauenden Be - völkerung, wo die Spanier bei der Eroberung ordentliche Regierungen, eine bürgerliche Geſellſchaft, alte, meiſt ſehr ver - wickelte Inſtitutionen vorgefunden, wie in Neuſpanien ſüdlich von Durango und in Peru von Cuzco bis Potoſi. In der Generalkapitanerie Caracas iſt die indianiſche Bevölkerung des bebauten Landſtrichs, wenigſtens außerhalb der Miſſionen, unbeträchtlich. Zur Zeit großer politiſcher Zerwürfniſſe flößen die Indianer den Weißen und Miſchlingen keine Beſorgniſſe ein. Als ich im Jahre 1800 die Geſamtbevölkerung der ſieben vereinigten Provinzen auf 900000 Seelen ſchätzte, nahm ich die Indianer zu einem Neunteil an, während ſie in Mexiko faſt die Hälfte ausmachen.

Unter den Raſſen, aus denen die Bevölkerung von Vene - zuela beſteht, iſt die ſchwarze, auf die man zugleich mit Teil - nahme wegen ihres Unglücks, und mit Furcht wegen einer möglichen gewaltſamen Auflehnung blickt, nicht der Kopfzahl nach, aber wegen der Zuſammendrängung auf einen kleinen Flächenraum, von Belang. Wir werden bald ſehen, daß in der ganzen Kapitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehnteil der ganzen Bevölkerung ausmachen; auf Cuba, wo unter allen Antillen die Neger den Weißen gegenüber am wenigſten zahlreich ſind, war im Jahre 1811 das Verhältnis wie 1 zu 3. Die ſieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben 60000 Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner iſt, hat 212000. Betrachtet man das Meer der Antillen, zu dem der Meer - buſen von Mexiko gehört, als ein Binnenmeer mit mehreren Ausgängen, ſo iſt es wichtig, die politiſchen Beziehungen ins100 Auge zu faſſen, die infolge dieſer ſeltſamen Geſtaltung des neuen Kontinents zwiſchen Ländern entſtehen, die um das - ſelbe Becken gelegen ſind. Wie ſehr auch die meiſten Mutter - länder ihre Kolonieen abzuſperren ſuchen, ſie werden dennoch in die Aufregung hineingezogen. Die Elemente der Zerwürf - niſſe ſind die gleichen, und wie inſtinktmäßig bildet ſich ein Einverſtändnis zwiſchen Menſchen derſelben Farbe, auch wenn ſie verſchiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen Küſten wohnen. Dieſes amerikaniſche Mittelmeer, das durch die Küſten von Venezuela, Neugranada, Mexiko, die der Vereinigten Staaten und durch die Antillen gebildet wird, zählt an ſeinen Ufern gegen anderthalb Millionen Neger, Sklaven und Freie, und ſie ſind ſo ungleich verteilt, daß es im Süden ſehr wenige, im Weſten faſt keine gibt; in großen Maſſen finden ſie ſich nur auf den Nord - und Oſtküſten. Es iſt dies gleichſam das afrikaniſche Stück dieſes Binnenmeeres. Die Unruhen, die vom Jahre 1792 an auf San Domingo ausgebrochen, haben ſich naturgemäß auf die Küſten von Venezuela fortgepflanzt. Solange Spanien im ungeſtörten Beſitz dieſer ſchönen Kolonieen war, wurden die kleinen Sklaven - aufſtände leicht unterdrückt; aber ſobald ein Kampf anderer Art, der für die Unabhängigkeit, entbrannte, machten ſich die Schwarzen durch ihre drohende Haltung bald der einen, bald der anderen der einander gegenüberſtehenden Parteien furchtbar, und in verſchiedenen Ländern des ſpaniſchen Amerikas wurde die allmähliche oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt, nicht ſowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit oder Menſchlichkeit, als weil man ſich des Beiſtandes eines unerſchrockenen, an Ent - behrungen gewöhnten und für ſein eigenes Wohl kämpfenden Menſchenſchlages verſichern wollte. Ich bin in der Reiſebe - ſchreibung des Girolamo Benzoni auf eine merkwürdige Stelle geſtoßen, aus der hervorgeht, wie alt ſchon die Beſorgniſſe ſind, welche die Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung einflößt. Dieſe Beſorgniſſe werden nur da verſchwinden, wo die Regierungen die Umwandlung zum Beſſern, welche durch mildere Sitten, durch die öffentliche Meinung und durch religiöſe Anſichten in der Hausſklaverei nach und nach vor ſich geht, ihrerſeits durch die Geſetzgebung unterſtützen. Die Neger, ſagt Ben - zoni, haben ſich auf San Domingo dergeſtalt vermehrt, daß ich im Jahre 1545, als ich auf Terra Firma (an der Küſte von Caracas) war, viele Spanier geſehen habe, die gar nicht zweifelten, daß jene Inſel binnen kurzem Eigentum der101 Schwarzen ſein werde. Unſer Jahrhundert ſollte dieſe Pro - phezeiung in Erfüllung gehen und eine europäiſche Kolonie in Amerika ſich in einen afrikaniſchen Staat verwandeln ſehen.

Die 60000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von Venezuela ſind ſo ungleich verteilt, daß auf die Provinz Ca - racas allein 40000 kommen, worunter ein Fünfteil Mulatten, auf Maracaybo 10000 bis 12000, auf Cumana und Barcelona kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger und die Farbigen auf die öffentliche Ruhe im allgemeinen äußern, iſt es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt, man muß auch ihre Zuſammendrängung an gewiſſen Punkten und ihre Lebensweiſe als Ackerbauer oder Stadtbewohner in Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela ſind die Sklaven faſt alle auf einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtriche bei - ſammen, innerhalb der Küſte und einer Linie, die (54 km von der Küſte) über Panaquire, Yare, Sabana de Ocumare, Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den weiten Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barqui - ſimeto zählt man nur 4000 bis 5000, die auf den Höfen zer - ſtreut und mit der Hut des Viehes beſchäftigt ſind. Die Zahl der Freigelaſſenen iſt ſehr beträchtlich, denn die ſpaniſche Ge - ſetzgebung und die Sitten leiſten der Freilaſſung Vorſchub. Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaſter bietet, die Freiheit nicht verſagen, hätte der Sklave auch wegen des beſonderen Geſchickes im Handwerk, das er treibt, doppelt ſo viel gekoſtet. Die Fälle, daß jemand im letzten Willen mehr oder weniger Sklaven die Freiheit ſchenkt, ſind in der Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor wir die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Va - lencia beſuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe La Victoria auf dem Totenbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven, dreißig an der Zahl, freizulaſſen. Mit Vergnügen ſpreche ich von Handlungen, die den Charakter von Menſchen, die Bonpland und mir ſo viel Zuneigung und Wohlwollen be - wieſen, in ſo ſchönem Lichte zeigen.

Nach den Negern iſt es in den Kolonieen von beſonderem Belang, die Zahl der weißen Kreolen, die ich Hiſpano-Ameri - kaner1Nach dem Vorgang von Anglo-Amerikaner, welcher Aus - druck in alle europäiſchen Sprachen übergegangen iſt. In den nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen. 102Es hält ſchwer, ſich über einen ſo kitzlichen Punkt genaue Auskunft zu verſchaffen. Wie in der Alten Welt iſt auch in der Neuen die Zählung dem Volke ein Greuel, weil es meint, es ſei dabei auf Erhöhung der Abgaben abgeſehen. Anderer - ſeits lieben die Verwaltungsbeamten, welche das Mutterland in die Kolonieen ſchickt, ſtatiſtiſche Aufnahmen ſo wenig als das Volk, und zwar aus Rückſichten einer argwöhniſchen Staatsklugheit. Dieſe mühſam herzuſtellenden Aufnahmen ſind ſchwer der Neugier der Koloniſten zu entziehen. Wenn auch die Miniſter in Madrid richtige Begriffe vom wahren Beſten des Landes hatten und von Zeit zu Zeit genaue Be - richte über den zunehmenden Wohlſtand der Kolonieen ver - langten, die Lokalbehörden haben dieſe guten Abſichten in den ſeltenſten Fällen unterſtützt. Nur auf den ausdrücklichen Befehl des ſpaniſchen Hofes wurden den Herausgebern des Peruaniſchen Merkurs die vortrefflichen volkswirtſchaftlichen Notizen überlaſſen, die dieſes Blatt mitgeteilt hat. In Mexiko, nicht in Madrid habe ich den Vizekönig Grafen Revillagigedo tadeln hören, weil er ganz Neuſpanien kundgethan, daß die Hauptſtadt eines Landes von faſt ſechs Millionen Einwohnern im Jahre 1790 nur 2300 Europäer, dagegen über 50000 Hiſpano-Amerikaner zählte. Die Leute, die ſich darüber be - klagten, betrachteten auch die ſchöne Poſteinrichtung, welche Briefe von Buenos Ayres bis nach Neukalifornien befördert, als eine der gefährlichſten Neuerungen des Grafen Florida Blanca; ſie rieten (glücklicherweiſe ohne Erfolg), dem Handel mit dem Mutterlande zulieb, die Reben in Neumexiko und Chile auszureißen. Sonderbare Verblendung, zu meinen, durch Volkszählungen wecke man in den Koloniſten das Be - wußtſein ihrer Stärke! Nur in Zeiten des Unfriedens und des Bürgerzwiſtes kann es ſcheinen, als ob man, indem man die relative Stärke der Menſchenklaſſen ermittelt, die ein ge - meinſames Intereſſe haben ſollten, zum voraus die Zahl der Streiter ſchätzte.

Vergleicht man die ſieben vereinigten Provinzen von Venezuela mit dem Königreich Mexiko und der Inſel Cuba, ſo findet man annähernd die Zahl der weißen Kreolen, ſelbſt die der Europäer. Erſtere, die Hiſpano-Amerikaner, ſind in1ſpaniſchen Kolonieen heißen die in Amerika geborenen Weißen Spanier, die wirklichen Spanier aus dem Mutterlande Euro - päer, Gachupinos oder Chapetones.103 Mexiko ein Fünfteil, auf Cuba, nach der genauen Zählung von 1811, ein Dritteil der Geſamtbevölkerung. Bedenkt man, daß in Mexiko dritthalb Millionen Menſchen von der roten Raſſe wohnen, zieht man den Zuſtand der Küſten am Stillen Meere in Betracht, und wie wenige Weiße im Verhältnis zu den Eingeborenen in den Intendanzen Puebla und Oaxaca wohnen, ſo läßt ſich nicht zweifeln, daß, wenn nicht in der Capitania general, ſo doch in der Provinz Venezuela das Verhältnis ſtärker iſt als 1 zu 5. Die Inſel Cuba, auf der die Weißen ſogar zahlreicher ſind als in Chile, gibt uns für die Capitania general von Caracas eine Grenzzahl , das heißt das Maximum an die Hand. Ich glaube, man hat 200000 bis 210000 Hiſpano-Amerikaner auf eine Geſamt - bevölkerung von 900000 Seelen anzunehmen. Innerhalb der weißen Raſſe ſcheint die Zahl der Europäer (die Truppen aus dem Mutterlande nicht gerechnet) nicht über 12000 bis 15000 zu betragen. In Mexiko ſind ihrer gewiß nicht über 60000, und nach mehreren Zuſammenſtellungen finde ich, daß, ſämtliche ſpaniſche Kolonieen zu 14 bis 15 Millionen Ein - wohnern angenommen, höchſtens 3 Millionen Kreolen und 200000 Europäer darunter ſind.

Als der junge Tupac-Amaru, der in ſich den rechtmäßigen Erben des Reiches der Inka erblickte, an der Spitze von 40000 Indianern aus den Gebirgen mehrere Provinzen von Oberperu eroberte, ruhten die Befürchtungen aller Weißen auf demſelben Grunde. Die Hiſpano-Amerikaner fühlten ſo gut wie die in Europa geborenen Spanier, daß der Kampf ein Raſſenkampf zwiſchen dem roten und weißen Manne, zwi - ſchen Barbarei und Kultur ſei. Tupac-Amaru, der ſelbſt nicht ohne Bildung war, ſchmeichelte anfangs den Kreolen und der europäiſchen Geiſtlichkeit, aber die Ereigniſſe und die Rach - ſucht ſeines Neffen Andreas Condorcan riſſen ihn fort und er änderte ſein Verfahren. Aus einem Aufſtande für die Un - abhängigkeit wurde ein grauſamer Krieg zwiſchen den Raſſen; die Weißen blieben Sieger, es kam ihnen zum Bewußtſein, was ihr gemeinſames Intereſſe ſei, und von nun an faßten ſie das Zahlenverhältnis zwiſchen der weißen und der india - niſchen Bevölkerung in den verſchiedenen Provinzen ſehr ſcharf ins Auge. Erſt in unſerer Zeit kam es nun dahin, daß die Weißen dieſe Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt richteten und ſich mißtrauiſch nach den Beſtandteilen ihrer eigenen Kaſte um - ſahen. Jede Unternehmung zur Erringung der Unabhängigkeit104 und Freiheit trennt die nationale oder amerikaniſche Partei und die aus dem Mutterlande Herübergekommenen in zwei Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere eben der Gefahr entgangen, die ſie in dem von Eſpaña angezettelten Aufſtande für ſich erblickt hatten. Dieſer kecke Anſchlag hatte deſto ſchlimmere Folgen, da man, ſtatt den Urſachen des herrſchenden Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die Sache des Mutterlandes nur durch ſtrenge Maßregeln zu retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer des Rio de la Plata bis Neumexiko auf einer Strecke von 6300 km ausgebrochen ſind, ſtehen Menſchen desſelben Stammes einander gegenüber.

Man ſcheint ſich in Europa zu wundern, wie die Spanier aus dem Mutterlande, deren, wie wir geſehen, ſo wenige ſind, jahrhundertelang ſo ſtarken Widerſtand leiſten konnten, und man vergißt, daß in allen Kolonieen die europäiſche Partei notwendig durch eine große Menge Einheimiſcher verſtärkt wird. Familienrückſichten, die Liebe zur ungeſtörten Ruhe, die Scheu, ſich in ein Unternehmen einzulaſſen, das ſchlimm ablaufen kann, halten dieſe ab, ſich der Sache der Unab - hängigkeit anzuſchließen oder für die Einführung einer eigenen, wenn auch vom Mutterlande abhängigen Repräſentativregierung aufzutreten. Die einen ſcheuen alle gewaltſamen Mittel und leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Kolonial - regiment allgemach weniger drückend werden; Revolution iſt ihnen gleichbedeutend mit dem Verluſt ihrer Sklaven, mit der Beraubung des Klerus und der Einführung einer religiöſen Duldſamkeit, wobei, meinen ſie, der herrſchende Kultus ſich unmöglich in ſeiner Reinheit erhalten könne. Andere gehören den wenigen Familen an, die in jeder Gemeinde durch ererbten Wohlſtand oder durch ſehr alten Beſtand in den Kolonieen eine wahre Munizipalariſtokratie bilden. Sie wollen lieber gewiſſe Rechte gar nicht bekommen, als ſie mit allen teilen; ja eine Fremdherrſchaft wäre ihnen lieber als eine Regierung in den Händen von Amerikanern, die im Range unter ihnen ſtehen; ſie verabſcheuen jede auf Gleichheit der Rechte ge - gründete Verfaſſung; vor allem fürchten ſie den Verluſt der Ordenszeichen und Titel, die ſie ſich mit ſo ſaurer Mühe erworben, und die, wie wir oben angedeutet, einen Haupt - beſtandteil ihres häuslichen Glückes ausmachen. Noch andere, und ihrer ſind ſehr viele, leben auf dem Lande vom Ertrage ihrer Grundſtücke und genießen der Freiheit, deren ſich ein105 dünn bevölkertes Land unter dem Drucke der ſchlechteſten Re - gierung zu erfreuen hat. Sie ſelbſt machen keine Anſprüche auf Amt und Würden, und ſo fragen ſie nichts danach, wenn Leute damit bekleidet werden, die ſie kaum dem Namen nach kennen und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre ihnen eine nationale Regierung und volle Handelsfreiheit lieber als das alte Kolonialweſen, aber dieſe Wünſche ſind gegen - über der Liebe zur Ruhe und der Gewöhnung an ein träges Leben keineswegs ſo lebhaft, daß ſie ſich deshalb zu ſchweren, langwierigen Opfern entſchließen ſollten.

Mit dieſer nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen entworfenen Skizze der verſchiedenen Färbung der politiſchen Anſichten in den Kolonieen habe ich auch die Urſachen der langen friedlichen Herrſchaft des Mutterlandes über Amerika angegeben. Wenn die Ruhe erhalten blieb, ſo war dies die Folge der Gewohnheit des großen Einfluſſes einer gewiſſen Zahl mächtiger Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das ſich zwiſchen feindlichen Gewalten herſtellt. Eine auf Ent - zweiung gegründete Sicherheit muß erſchüttert werden, ſobald eine bedeutende Menſchenmaſſe ihren Privathaß eine Weile ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinſamen Intereſſes ſich verbündet, ſobald dieſes Gefühl, einmal erwacht, am Wider - ſtand erſtarkt und durch fortſchreitende Geiſtesentwickelung und die Umwandlung der Sitten der Einfluß der Gewohnheit und der alten Vorſtellungen ſich mindert.

Wir haben oben geſehen, daß die indianiſche Bevölkerung in den vereinigten Provinzen von Venezuela nicht ſtark und nicht altciviliſiert iſt; auch ſind alle Städte derſelben von den ſpaniſchen Eroberern gegründet. Dieſe konnten hier nicht, wie in Mexiko und Peru, in die Fußſtapfen der alten Kultur der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana und Coro iſt nichts indianiſch als die Namen. Von den Hauptſtädten des tropiſchen Amerika,1Mexiko, Santa Fé de Bogota und Quito. die im Gebirge liegen und eines ſehr gemäßigten Klimas genießen, iſt Caracas die am tiefſten gelegene. Da die Hauptmaſſe der Bevölkerung von Venezuela den Küſten nahe gerückt iſt und der kultivier - teſte Landſtrich von Oſt nach Weſt denſelben parallel läuft, ſo iſt Caracas kein Mittelpunkt des Handels, wie Mexiko, Santa Fé de Bogata und Quito. Jede der ſieben in eine106 Capitania general vereinigten Provinzen hat ihren eigenen Hafen, durch den ihre Produkte abfließen. Man darf nur die Lage der Provinzen, ihren mehr oder minder ſtarken Ver - kehr mit den Inſeln unter dem Winde oder den Großen An - tillen, die Richtung der Gebirge und den Lauf der großen Flüſſe betrachten, um einzuſehen, daß Caracas auf die Länder, deren Hauptſtadt es iſt, niemals einen bedeutenden politiſchen Einfluß haben kann. Der Apure, der Meta, der Orinoko, die von Weſt nach Oſt laufen, nehmen alle Gewäſſer aus den Llanos oder der Region des Weidelandes auf. San Tomas in Guyana muß notwendig einmal ein wichtiger Handelsplatz werden, namentlich wenn einmal das Mehl aus Neugranada oberhalb der Vereinigung des Rio Negro und des Umadea eingeſchifft wird und auf dem Meta und dem Orinoko hinunter - kommt und man dasſelbe in Cumana und Caracas dem Mehle aus den Vereinigten Staaten vorzieht. Es iſt ein großer Vorzug der Provinzen von Venezuela, daß nicht ihr ganzer Bodenreichtum in einem Punkte zuſammenfließt, wie der von Mexiko und Neugranada nach Veracruz und Cartagena, ſondern daß ſie eine Menge ziemlich gleich bevölkerter Städte haben, die eben ſo viele Mittelpunkte des Handels und der Kultur bilden.

Caracas iſt der Sitz einer Audiencia (hoher Ge - richtshof) und eines der acht Erzbistümer, in welche das ganze ſpaniſche Amerika geteilt iſt. Die Bevölkerung war, nach meinen Erkundigungen über die Zahl der Geburten, im Jahre 1800 etwa 40000; die unterrichtetſten Einwohner gaben ſie ſogar zu 45000 an, worunter 12000 Weiße und 27000 freie Farbige. Im Jahre 1778 hatte man bereits 30000 bis 32000 geſchätzt. Alle unmittelbaren Aufnahmen blieben ein Vierteil und mehr unter der wirklichen Zahl. Im Jahre 1766 hatte die Bevölkerung von Caracas und des ſchönen Thales, in dem es liegt, durch eine bösartige Pocken - epidemie ſehr ſtark gelitten. In der Stadt ſtarben 6000 bis 8000 Menſchen; ſeit dieſem denkwürdigen Zeitpunkte iſt die Kuhpockenimpfung allgemein geworden, und ich habe ſie ohne Arzt vornehmen ſehen. In der Provinz Cumana, die weniger Verkehr mit Europa hat, war zu meiner Zeit ſeit fünfzehn Jahren kein Pockenfall vorgekommen, während man in Caracas vor dieſer ſchrecklichen Krankheit beſtändig bange hatte, weil ſie immer an mehreren Punkten zugleich ſporadiſch auftrat; ich ſage ſporadiſch, denn im tropiſchen Amerika, wo der Wechſel107 der atmoſphäriſchen Zuſtände und die Erſcheinungen des orga - niſchen Lebens an eine auffallende Periodizität gebunden ſcheinen, traten die Pocken (wenn man ſich auf einen weit - verbreiteten Glauben verlaſſen kann) vor der Einführung der ſegensreichen Kuhpockenimpfung nur alle 15 bis 18 Jahre ver - heerend auf. Seit meiner Rückkehr nach Europa hat die Be - völkerung von Caracas beſtändig zugenommen; ſie betrug 50000 Seelen, als das große Erdbeben am 26. März 1812 gegen 12000 Menſchen unter den Trümmern ihrer Häuſer begrub. Durch die politiſchen Ereigniſſe, die dieſer Kataſtrophe folgten, kam die Einwohnerzahl auf weniger als 20000 her - unter; aber dieſe Verluſte werden bald wieder eingebracht ſein, wenn das äußerſt fruchtbare und handelsthätige Land, deſſen Mittelpunkt Caracas iſt, nur einiger Jahre Ruhe genießt und verſtändig regiert wird.

Die Stadt liegt am Eingang der Ebene von Chacao, die ſich 13 km nach Oſt gegen Caurimare und Cueſta d’Auyamas ausdehnt und 11,25 km breit wird und durch die der Rio Guayre fließt. Sie liegt 807 m über dem Meere. Der Boden, auf dem Caracas liegt, iſt uneben und fällt ſtark von Nord - Nord-Weſt nach Süd-Süd-Oſt ab. Um eine richtige Vor - ſtellung von der Lage der Stadt zu bekommen, muß man die Richtung der Küſtengebirge und der großen Längenthäler zwiſchen denſelben ins Auge faſſen. Der Guayrefluß ent - ſpringt im Urgebirge des Higuerote, das zwiſchen dem Thale von Caracas und dem von Aragua liegt. Er erhält bei Las Ayuntas nach der Vereinigung der Flüßchen San Pedro und Macarao ſeinen Namen und läuft zuerſt nach Oſt bis zur Cueſta d’Auyamas und dann nach Süd, um ſich oberhalb Yare mit dem Rio Tuy zu vereinigen. Letzterer iſt der einzige Fluß von Bedeutung im nördlichen, gebirgigen Teile der Pro - vinz. Er läuft 135 km lang, von denen über drei Vierteile ſchiffbar ſind, geradeaus von Weſt nach Oſt. Auf dieſem Stromſtücke beträgt nach meinen barometriſchen Meſſungen der Fall des Tuy von der Pflanzung Manterola bis zur Mün - dung 575 m. Dieſer Fluß bildet in der Küſtenkette eine Art Längenthal, während die Gewäſſer der Llanos, das heißt von fünf Sechsteilen der Provinz Caracas, dem Abhang des Bodens gegen Süden nach, ſich in den[Orinoko] ergießen. Nach dieſer hydrographiſchen Skizze erklärt ſich die natürliche Nei - gung der Bewohner derſelben Provinz, ihre Produkte auf verſchiedenen Wegen auszuführen.

108

Das Thal von Caracas iſt zwar nur ein Seitenzweig des Tuythals, dennoch laufen beide eine Strecke weit einander parallel. Sie ſind durch einen Bergzug getrennt, über den man auf dem Wege von Caracas nach den hohen Savannen von Ocumare über Le Valle und Salamanca kommt. Dieſe Savannen liegen ſchon jenſeits des Tuy, und da das Thal dieſes Fluſſes weit tiefer liegt als das von Caracas, ſo geht es von Nord nach Süd faſt beſtändig bergab. Wie das Vorgebirge Codera, die Silla, der Cerro de Avila zwiſchen Caracas und Guayra und die Berge von Mariara den nörd - lichſten und höchſten Zug der Küſtenkette, ſo bilden die Berge von Panaquire, Ocumare, Guiripa und Villa de Cura den ſüdlichſten Zug. Wir haben ſchon öfter bemerkt, daß die Schichten dieſes gewaltigen Küſtengebirges faſt durchgängig von Südoſt nach Südweſt ſtreichen und gewöhnlich nach Nord - weſt fallen. Es ergibt ſich daraus, daß die Richtung der Schichten des Urgebirges von der Richtung der ganzen Kette unabhängig iſt, und, was ſehr bemerkenswert iſt, verfolgt man die Kette von Porto Cabello bis Maniquare und zum Macanao auf der Inſel Margarita, ſo findet man von Weſt nach Oſt zuerſt Granit, dann Gneis, Glimmerſchiefer und Urſchiefer, endlich dichten Kalkſtein, Gips und Konglomerate mit Seemuſcheln.

Es iſt zu bedauern, daß Caracas nicht weiter oſtwärts liegt, unterhalb der Einmündung des Anauco in den Guayre, da wo, Chacao zu, ſich das Thal breit, und wie durch ſtehendes Gewäſſer geebnet, ausdehnt. Als Diego de Loſada die Stadt gründete,11567, ſpäter als Cumana, Coro, Nueva Barcelona und Car - valleda. hielt er ſich ohne Zweifel an die Spuren der erſten Niederlaſſung unter Faxardo. Der Ruf der Goldminen von Los Teques und Baruta hatte damals die Spanier her - gelockt, aber ſie waren noch nicht Herren des ganzen Thales und blieben lieber nahe am Wege zur Küſte. Die Stadt Quito liegt gleichfalls im engſten, unebenſten Teile eines Thales zwiſchen zwei ſchönen Ebenen (Turupamba und Rumi - pamba), wo man ſich hätte anbauen können, wenn man die alten indianiſchen Bauten hätte wollen liegen laſſen.

Vom Zollhauſe La Paſtora über den Platz Trinidad und die Plaza major nach Santa Roſalia und an den Rio Guayre geht es immer abwärts. Nach meinen barometriſchen Meſſungen109 liegt das Zollhaus 76 m über dem Platze Trinidad, wo ich meine aſtronomiſchen Beobachtungen gemacht habe, letzterer 15,6 m über dem Pflaſter vor der Hauptkirche auf dem großen Platze, und dieſer 62 m über dem Guayrefluſſe bei La Noria. Trotz des abſchüſſigen Bodens fahren Wagen in der Stadt, man bedient ſich ihrer aber ſelten. Drei Bäche, die vom Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und Caraguata, laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; ſie haben ſehr hohe Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgs - waſſern, welche darin auslaufen und das Terrain durchſchnei - den, erinnern ſie im kleinen an die berühmten Guaicos in Quito. Man trinkt in Caracas das Waſſer des Rio Catuche, aber die Wohlhabenden laſſen das Waſſer aus Valle, einem 4,5 km weit ſüdwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieſes Waſſer, ſowie das aus dem Gamboa gelten für ſehr geſund, weil ſie über Saſſaparillwurzeln1In ganz Amerika glaubt man, das Waſſer nehme die Eigen - ſchaften der Gewächſe an, in deren Schatten es fließt. So rühmt man an der Magelhaensſchen Meerenge das Waſſer, das mit den Wurzeln der Winterana Canella in Berührung kommt. laufen. Ich habe keine Spur von Arom oder Extraktivſtoff darin finden können; das Waſſer von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr Kohlenſäure als das Waſſer aus dem Anauco. Die neue Brücke über den letzteren Fluß iſt ſchön gebaut und belebt von den Spaziergängern, welche gegen Candelaria zu die Straße von Chacao und Petara aufſuchen. Man zählt in Caracas acht Kirchen, fünf Klöſter und ein Theater, das 1500 bis 1800 Zuſchauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre, in dem Männer und Frauen geſonderte Sitze haben, nicht bedeckt. Man ſah zugleich die Schauſpieler und die Sterne. Da das neblige Wetter mich um viele Trabantenbeobach - tungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus bemerken, ob Jupiter in der Nacht ſichtbar ſein werde. Die Straßen von Caracas ſind breit, gerade gezogen und ſchneiden ſich unter rechten Winkeln, wie in allen Städten, welche die Spanier in Amerika gegründet. Die Häuſer ſind geräumig und höher, als ſie in einem Lande, das Erdbeben ausgeſetzt iſt, ſein ſollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze Alta Gracia und San Francisco ſehr hübſch: ich ſage im Jahre 1800, denn die furchtbaren Erderſchütterungen am 26. März 1812 haben faſt die ganze Stadt zerſtört. Sie110 erſteht langſam aus ihren Trümmern; der Stadtteil La Trinidad, in dem ich wohnte, ward über den Haufen geworfen, als ob eine Mine darunter geſprungen wäre.

Durch das enge Thal und die Nähe der hohen Berge Avila und Silla erhält die Gegend von Caracas einen ernſten, düſteren Anſtrich, beſonders in der kühlſten Jahreszeit, in den Monaten November und Dezember. Die Morgen ſind dann ausnehmend ſchön; bei reinem klarem Himmel hat man die beiden Dome oder abgerundeten Pyramiden der Silla und den gezackten Kamm des Cerro de Avila vor ſich. Aber gegen Abend trübt ſich die Luft; die Berge umziehen ſich, Wolkenſtreifen hängen an ihren immergrünen Seiten und teilen ſie gleichſam in übereinander liegende Zonen. Allmäh - lich verſchmelzen dieſe Zonen, die kalte Luft, die von der Silla herabkommt, ſtaut ſich im engen Thale und verdichtet die leichten Dünſte zu großen flockigen Wolken. Dieſe Wolken ſenken ſich oft bis über das Kreuz von Guayra herab und man ſieht ſie dicht am Boden gegen La Paſtora und das benachbarte Quartier Trinidad fortziehen. Beim Anblick dieſes Wolkenhimmels meinte ich nicht in einem gemäßigten Thale der heißen Zone, ſondern mitten in Deutſchland, auf den mit Fichten und Lärchen bewachſenen Bergen des Harzes zu ſein.

Aber dieſer düſtere, ſchwermütige Charakter der Land - ſchaft, dieſer Kontraſt zwiſchen dem heiteren Morgen und dem bedeckten Himmel am Abend iſt mitten im Sommer ver - ſchwunden. Im Juni und Juli ſind die Nächte hell und ausnehmend ſchön; die Luft behält faſt beſtändig die den Hochebenen und hochgelegenen Thälern eigentümliche Reinheit und Durchſichtigkeit, ſolange ſie ruhig bleibt und der Wind nicht Schichten von verſchiedener Temperatur durcheinander - wirft. In dieſer Sommerzeit prangt die Landſchaft, die ich nur wenige Tage zu Ende Januars in ſchöner Beleuchtung geſehen, in ihrer vollen Pracht. Die beiden runden Gipfel der Silla erſcheinen in Caracas faſt unter demſelben Höhen - winkel1Ich fand auf dem Platze Trinidad die ſcheinbare Höhe der Silla 11° 12′ 49″. Ihr Abſtand beträgt etwa 8,7 km. wie der Pik von Tenerifa im Hafen von Orotava. Die untere Hälfte des Berges iſt mit kurzem Raſen bedeckt; dann kommt die Zone der immergrünen Sträucher, die zur111 Blütezeit der Befaria, der Alpenroſe des tropiſchen Amerikas, purpurrot ſchimmert. Ueber dieſer Waldregion ſteigen zwei Felsmaſſen in Kuppelform empor. Sie ſind völlig kahl und dadurch erſcheint der Berg, der im gemäßigten Europa kaum die Schneegrenze erreichte, höher, als er wirklich iſt. Mit dieſem großartigen Proſpekt der Silla und der Bergſzenerie im Norden der Stadt ſteht der angebaute Strich des Thales, die lachende Ebene von Chacao, Petare und La Vega im angenehmſten Kontraſt.

Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen Frühling nennen, und dasſelbe findet ſich überall im tropiſchen Amerika auf der halben Höhe der Kordilleren, zwiſchen 780 und 1750 m über dem Meere, wenn nicht ſehr breite Thäler und Hochebenen und dürrer Boden die Intenſität der ſtrah - lenden Wärme übermäßig ſteigern. Was läßt ſich auch Köſt - licheres denken als eine Temperatur, die ſich bei Tage zwiſchen 20 und 26°, bei Nacht zwiſchen 16 und 18° hält, und in der der Bananenbaum, der Orangenbaum, der Kaffeebaum, der Apfelbaum, der Aprikoſenbaum und der Weizen neben - einander gedeihen! Ein einheimiſcher Schriftſteller vergleicht auch Caracas mit dem Paradieſe und findet im Anauco und den benachbarten Bächen die vier Flüſſe desſelben.

Leider iſt in dieſem ſo gemäßigten Klima die Witterung ſehr unbeſtändig. Die Einwohner von Caracas klagen dar - über, daß ſie an einem Tage verſchiedene Jahreszeiten haben und die Uebergänge von einer Jahreszeit zur anderen ſehr ſchroff ſind. Häufig folgt z. B. im Januar auf eine Nacht mit einer mittleren Temperatur von 16° ein Tag, an dem der Thermometer im Schatten acht Stunden lang über 22° ſteht. Am ſelben Tage kommen aber Wärmegrade von 24 und von 18° vor. Dergleichen Schwankungen ſind in den gemäßigten Landſtrichen Europas ganz gewöhnlich, in der heißen Zone aber ſind ſelbſt die Europäer ſo ſehr an die Gleichförmigkeit der äußeren Reize gewöhnt, daß ein Tem - peraturwechſel von ihnen beſchwerlich wird. In Cumana und überall in der Niederung ändert ſich die Temperatur von 11 Uhr morgens bis 11 Uhr abends gewöhnlich nur um 2 bis . Zudem äußern dieſe atmoſphäriſchen Schwan - kungen in Caracas auf den menſchlichen Organismus ſtärkeren Einfluß, als man nach dem bloßen Thermometerſtande glauben ſollte. Im engen Thale wird die Luft ſozuſagen im Gleich - gewicht gehalten von zwei Winden, deren einer von Weſt,112 von der Seeſeite weht, während der andere von Oſt, aus dem Binnenlande kommt. Erſterer heißt der Wind von Catia , weil er von Catia, weſtwärts von Cabo Blanco, durch die Schlucht Tipe heraufkommt, deren wir oben bei Gelegenheit des Projektes einer neuen Straße und eines neuen Hafens, ſtatt der Straße und des Hafens von Guayra, er - wähnt haben. Der Wind von Catia iſt aber nur ſcheinbar ein Weſtwind, meiſt iſt es der Seewind aus Oſt und Nordoſt, der, wenn er ſtark bläſt, ſich in der Quebrada de Tipe fängt. Von den hohen Bergen Aguas Negras zurückgeworfen, kommt der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des Kapuziner - kloſters und des Rio Caraguata. Er iſt ſehr feucht und das Waſſer ſchlägt ſich aus ihm nieder, im Maße als er ſich abkühlt; der Gipfel der Silla umzieht ſich daher auch mit Wolken, ſobald der Catia ins Thal dringt. Die Einwohner von Caracas fürchten ſich ſehr vor ihm; Perſonen mit reiz - barem Nervenſyſtem verurſacht er Kopfſchmerzen. Ich habe welche gekannt, die, um ſich dem Winde nicht auszuſetzen, nicht aus dem Hauſe gehen, wie man in Italien thut, wenn der Sirokko weht. Ich glaubte während meines Aufenthaltes in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia reiner (etwas reicher an Sauerſtoff) ſei als der Wind von Petare; ich meinte auch, ſeine reizende Wirkung möchte eben von dieſer Reinheit herrühren. Aber die Mittel, die ich an - gewendet, ſind ſehr unzuverläſſig. Der Wind von Petare kommt von Oſt und Südoſt, vom öſtlichen Ende des Guayre - thales herein und führt die trockenere Luft des Gebirges und des Binnenlandes herbei; er zerſtreut die Wolken und läßt den Gipfel der Silla in ſeiner ganzen Pracht hervortreten.

Bekanntlich ſind die Veränderungen, welche die Miſchung der Luft an einem gegebenen Orte durch die Winde erleidet, auf eudiometriſchem Wege nicht zu ermitteln, da die genaueſten Methoden nur 0,003 Sauerſtoff angeben. Die Chemie kennt noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaſchen zu unter - ſcheiden, von denen die eine während des Sirokko oder des Catia mit Luft gefüllt worden iſt, und die andere, bevor dieſe Winde wehten. Es iſt mir jetzt wahrſcheinlich, daß der auf - fallende Effekt des Catia und aller Luftſtrömungen, die im gemeinen Glauben verrufen ſind, vielmehr dem Wechſel in Feuchtigkeit und Temperatur als chemiſchen Miſchungsverän - derungen zuzuſchreiben ſind. Man braucht keine Miasmen von der ungeſunden Seeküſte nach Caracas heraufkommen zu113 laſſen; es iſt ſehr begreiflich, daß Menſchen, die an die trockenere Gebirgsluft gewöhnt ſind, es ſehr unangenehm empfinden, wenn die ſehr feuchte Seeluft durch die Tipeſchlucht wie ein aufſteigender Strom in das hohe Thal von Caracas herauf - kommt, hier durch die Ausdehnung, die ſie erleidet, und durch die Berührung mit kälteren Schichten ſich abkühlt und einen bedeutenden Teil ihres Waſſers niederſchlägt. Dieſe Unbe - ſtändigkeit der Witterung, dieſe etwas ſchroffen Uebergänge von trockener, heller zu feuchter, nebliger Luft ſind Uebel - ſtände, die Caracas mit der ganzen gemäßigten Region unter den Tropen, mit allen Orten gemein hat, die in einer Meeres - höhe von 780 bis 1560 m entweder auf kleinen Hochebenen oder am Abhange der Kordilleren liegen, wie Xalapa in Mexiko und Guaduas in Neugranada. Beſtändig heiterer Himmel einen großen Teil des Jahres hindurch kommt nur in den Niederungen an der See vor, und wiederum in ſehr bedeu - tenden Höhen, auf den weiten Hochebenen, wo die gleich - förmige Strahlung des Bodens die Auflöſung der Dunſt - bläschen zu befördern ſcheint. Die dazwiſchen liegende Zone beginnt mit den erſten Wolkenſchichten, die ſich über der Erd - oberfläche lagern. Unbeſtändigkeit und viele Nebel bei ſehr milder Temperatur ſind der Witterungscharakter dieſer Region.

Trotz der hohen Lage iſt der Himmel in Caracas ge - wöhnlich weniger blau als in Cumana. Der Waſſerdunſt iſt dort nicht ſo vollkommen aufgelöſt, und wie in unſerem Klima wird durch die ſtärkere Zerſtreuung des Lichtes die Farbe der Luft geſchwächt, indem ſich Weiß dem Blau beimiſcht. Die Intenſität des Himmelblau war auf dem Sauſſureſchen Kyano - meter vom November bis Januar im Durchſchnitt 18, nie über 20°, an den Küſten dagegen 22 bis 25°. Ich habe im Thale von Caracas die Bemerkung gemacht, daß der Wind von Petare das Himmelsgewölbe zuweilen auffallend blaß färbt. Am 23. Januar war das Blau des Himmels um Mittag im Zenith heller, als ich es je in der heißen Zone geſehen. Es war gleich 12° des Kyanometers; die Luft war dabei vollkommen durchſichtig, wolkenlos und auffallend trocken. Sobald der ſtarke Wind von Petare nachließ, ſtieg das Blau im Zenith auf 16°. Zur See habe ich häufig, wenn auch in geringerem Grade, einen ähnlichen Einfluß des Windes auf die Farbe der Luft beim heiterſten Himmel beobachtet.

Welches iſt die mittlere Temperatur von Caracas? Wir kennen ſie nicht ſo genau wie die von Santa Fé de BogotaA. v. Humboldt, Reiſe. II. 8114und Mexiko. Ich glaube indeſſen darthun zu können, daß ſie nicht viel über oder unter 21 bis 22° beträgt. Nach eigenen Beobachtungen fand ich für die drei ſehr kühlen Monate No - vember, Dezember und Januar als Durchſchnitt des täglichen Maximums und Minimums der Temperatur 20,2°, 20,1°, 20,2°. Nach dem aber, was wir jetzt über die Verteilung der Wärme in den verſchiedenen Jahreszeiten und in verſchiedenen Meeres - höhen wiſſen, läßt ſich annähernd aus der mittleren Tempe - ratur einiger Monate die mittlere Temperatur des ganzen Jahres berechnen, ungefähr wie man auf die Höhe des Ge - ſtirnes im Meridian aus Höhen, die außerhalb des Meridians gemeſſen werden, einen Schluß zieht. Das Ergebnis, das ich für richtig halte, iſt nun aber auf folgendem Wege gewonnen worden. In Santa Fé de Bogota weicht nach Caldas der Januar von der mittleren Jahrestemperatur nur um 0,2° ab; in Mexiko, alſo der gemäßigten Zone ſchon ſehr nahe, beträgt der Unterſchied im Maximum . In Guayra bei Caracas weicht der kälteſte Monat vom jährlichen Mittel um 4,9° ab; aber wenn auch im Winter zuweilen die Luft von Guayra (oder von Catia) durch die Quebrada de Tipe ins hohe Thal von Caracas heraufkommt, ſo erhält dasſelbe dagegen einen größeren Teil des Jahres hindurch die Oſt - und Südoſtwinde von Caurimare her und aus dem Binnenlande. Wir wiſſen nach unmittelbaren Beobachtungen, daß in Guayra und Ca - racas die Temperatur der kälteſten Monate 23,2 und 20,1° beträgt. Dieſe Unterſchiede ſind der Ausdruck einer Tempe - raturabnahme, die im Thale von Caracas zugleich von der hohen Lage (oder von der Ausdehnung der Luft im aufſtei - genden Strome) und vom Konflikt der Winde von Catia und von Petare herbeigeführt wird.

Nach einer kleinen Reihe von Beobachtungen, die ich in drei Jahren teils in Caracas ſelbſt, teils in Chacao, ganz in der Nähe der Hauptſtadt, angeſtellt, hielt ſich der hundert - teilige Thermometer in der kalten Jahreszeit bei Tage meiſtens zwiſchen 21 und 22°, bei Nacht zwiſchen 16 und 17°. 1Nach Reaumur bei Tage 16,8 bis 18°, bei Nacht 12,8 bis 13,6°.In der heißen Jahreszeit, im Juli und Auguſt, ſteigt er bei Tage auf 25 bis 26°, bei Nacht auf 22 bis 23°. Dies iſt der gewöhnliche Zuſtand der Atmoſphäre, und dieſelben Beob - achtungen, mit einem von mir berichtigten Inſtrument an -115 geſtellt, ergeben als mittlere Jahrestemperatur von Caracas etwas mehr als 21,5°. Eine ſolche kommt aber im Syſtem der cisatlantiſchen Klimate auf Ebenen unter dem 36. bis 37. Breitengrade vor. Es iſt wohl überflüſſig zu bemerken, daß dieſer Vergleich ſich nur auf die Summe von Wärme bezieht, die ſich an jedem Punkte im Laufe des ganzen Jahres entwickelt, keineswegs aufs Klima, das heißt auf die Verteilung der Wärme unter die verſchiedenen Jahres - zeiten.

Sehr ſelten ſieht man in Caracas im Sommer die Tem - peratur ein paar Stunden lang auf 29,2° ſteigen; ſie ſoll im Winter unmittelbar nach Sonnenaufgang ſchon auf 11,3° geſunken ſein. Solange ich mich in Caracas aufhielt, waren das Maximum und das Minimum nur 25 und 12,5°. Die Kälte bei Nacht iſt um ſo empfindlicher, da dabei meiſt neb - lichtes Wetter iſt. Wochenlang konnte ich weder Sonnen - noch Sternhöhen meſſen. Der Uebergang von herrlich durch - ſichtiger Luft zur völligen Dunkelheit erfolgt ſo raſch, daß nicht ſelten, wenn ich ſchon, eine Minute vor dem Eintritt eines Trabanten, das Auge am Fernrohr hatte, mir der Planet und meine nächſte Umgebung miteinander im Nebel ver - ſchwanden. In Europa iſt in der gemäßigten Zone die Tem - peratur auf den Gebirgen etwas gleichförmiger als in den Niederungen. Beim Gotthardshoſpiz z. B. iſt der Unterſchied zwiſchen den mittleren Temperaturen der wärmſten und der kälteſten Monate 17,3°, während derſelbe unter der nämlichen Breite beinahe am Meeresſpiegel 20 bis 21° beträgt. Die Kälte nimmt auf unſeren Berge nicht ſo raſch zu, wie die Wärme abnimmt. Wenn wir den Kordilleren näher kommen, werden wir ſehen, daß in der heißen Zone das Klima in den Niederungen gleichförmiger iſt als auf den Hochebenen. In Cumana und Guayra (denn man darf keine Orte an - führen, wo die Nordwinde einige Monate lang das Gleich - gewicht der Atmoſphäre ſtören) ſteht der Thermometer das ganze Jahr zwiſchen 21 und 35°; in Santa Fé und Quito kommen Schwankungen zwiſchen 3 und 22° vor, wenn man nicht die kälteſten und heißeſten Tage, ſondern Stunden des Jahres vergleicht. In den Niederungen, wie in Cumana, iſt der Unterſchied zwiſchen Tag und Nacht meiſt nur 3 bis ; in Quito fand ich dieſen Unterſchied (ich zog dabei jeden Tag und jede Nacht das Mittel aus 4 bis 5 Beobachtungen) gleich . In Caracas, das faſt dreimal weniger hoch und auf einer116 unbedeutenden Hochebene liegt, ſind die Tage im November und Dezember noch um 5 bis 5,5° wärmer als die Nächte. Dieſe Erſcheinungen von nächtlicher Abkühlung mögen auf den erſten Anblick überraſchen; ſie modifizieren ſich durch die Erwärmung der Hochebenen und Gebirge den Tag über, durch das Spiel der niedergehenden Luftſtröme, beſonders aber durch die nächtliche Wärmeſtrahlung in der reinen, trockenen Luft der Kordilleren.

In den drei Monaten April, Mai und Juni regnet es in Caracas ſehr viel. Die Gewitter kommen immer aus Oſt und Südoſt, von Petare und Valle her. In den tief ge - legenen Landſtrichen hagelt es nicht unter den Tropen; in Caracas aber kommt es ſo ziemlich alle 4 bis 5 Jahre einmal vor. Man hat ſogar in noch tieferen Thälern hageln ſehen, und dieſe Erſcheinung macht dann einen ungemeinen Eindruck auf das Volk. Ein Meteorſteinfall iſt bei uns nicht ſo ſelten als im heißen Erdſtrich, trotz der häufigen Gewitter, Hagel unter 600 m Meereshöhe.

Im kühlen, köſtlichen Klima, das wir eben geſchildert, gedeihen noch die tropiſchen Gewächſe. Das Zuckerrohr wird ſogar in noch höheren Landſtrichen als Caracas gebaut; man pflanzt aber im Thale wegen der trockenen Lage und des ſteinigen Bodens lieber den Kaffeebaum, der nicht viele, aber ausgezeichnet gute Früchte gibt. In der Blütezeit des Strauches gewährt die Ebene nach Chacao hin den lachendſten Anblick. Der Bananenbaum in den Pflanzungen um die Stadt iſt nicht der große Platano harton, ſondern die Varietäten Camburi und Dominico, die weniger Wärme nötig haben. Die großen Bananen auf dem Markte von Caracas kommen aus den Hacienden von Turiamo an der Küſte zwiſchen Bur - burata und Porto Cabello. Die ſchmackhafteſten Ananas ſind die von Baruta, Empedrado und von den Höhen von Buena - viſta auf dem Wege nach Victoria. Kommt ein Reiſender zum erſtenmal in das Thal von Caracas herauf, ſo iſt er angenehm überraſcht, neben dem Kaffeebaum und Bananen - baum unſere Küchenkräuter, Erdbeeren, Weinreben und faſt alle Obſtbäume der gemäßigten Zone zu finden. Die ge - ſuchteſten Pfirſiche und Aepfel kommen von Macarao, am weſtlichen Ausgange des Thales. Der Quittenbaum, deſſen Stamm nur 1,3 bis 1,7 m hoch wird, iſt dort ſo gemein, daß er faſt verwildert iſt. Eingemachtes von Aepfeln und be - ſonders von Quitten iſt ſehr beliebt, da man hierzulande117 meint, ehe man Waſſer trinkt, müſſe man durch Süßigkeiten den Durſt reizen. Je ſtärker man in der Umgebung der Stadt Kaffee baute und je mehr mit den Pflanzungen, die nicht älter ſind als 1793, die Zahl der Arbeitsneger ſtieg, deſto mehr hat der Mais - und Gemüſebau die zerſtreuten Apfel - und Quittenbäume auf den Savannen verdrängt. Der Reisfelder, die man bewäſſert, waren früher in der Ebene von Chacao mehr als jetzt. Ich habe in dieſer Provinz, wie in Mexiko und in allen hochgelegenen Ländern der heißen Zone, die Bemerkung gemacht, daß da, wo der Apfelbaum vortrefflich gedeiht, der Birnbaum nur ſchwer fortzubringen iſt. Man hat mich verſichert, die ausgezeichnet guten Aepfel, die man auf dem Markte kauft, wachſen bei Caracas auf un - geimpften Stämmen. Kirſchbäume gibt es nicht; die Oliven - bäume, die ich im Hof des Kloſters San Felipe de Neri ge - ſehen, ſind groß und ſchön; aber eben wegen des üppigen Wachstums tragen ſie keine Früchte.

Wenn die Luftbeſchaffenheit des Thals allen landwirt - ſchaftlichen Produkten, die in den Kolonieen gebaut werden, ungemein günſtig iſt, ſo läßt ſich von der Geſundheit der Einwohner und der in der Hauptſtadt von Venezuela lebenden Fremden nicht dasſelbe ſagen. Das äußerſt unbeſtändige Wetter und die häufige Unterdrückung der Hautausdünſtung erzeugen katarrhaliſche Beſchwerden, die in den mannigfachſten Formen auftreten. Hat ſich der Europäer einmal an die ſtarke Hitze gewöhnt, ſo bleibt er in Cumana, in den Thälern von Aragua, überall, wo die Niederung unter den Tropen nicht zugleich ſehr feucht iſt, geſünder als in Caracas und all den Gebirgsländern, wo der geprieſene beſtändige Frühling herrſchen ſoll.

Als ich vom gelben Fieber in Guayra ſprach, gedachte ich der allgemein verbreiteten Meinung, daß dieſe ſchreckliche Krankheit faſt ebenſowenig von der Küſte von Venezuela nach der Hauptſtadt wandere, als von der Küſte von Mexiko nach Xalapa. Dieſe Meinung ſtützt ſich auf die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre. Von den Epidemieen, die im Hafen von Guayra herrſchten, wurde in Caracas faſt nichts be - merkt. Es ſollte mir leid tyun, wenn ich durch eingebildete Beſorgniſſe die Bewohner der Hauptſtadt aus ihrer Sicher - heit aufſchreckte; ich bin aber durchaus nicht überzeugt, daß der amerikaniſche Typhus, wenn er durch den ſtarken Verkehr im Hafen auf der Küſte einheimiſcher wird, nicht eines Tages,118 wenn beſondere klimatiſche Verhältniſſe ihm Vorſchub leiſten, im Thale ſehr oft auftreten könnte. Denn die mittlere Tem - peratur desſelben iſt immer noch ſo hoch, daß der Thermo - meter ſich in den heißeſten Monaten zwiſchen 22 und 26°117 bis 20° R. hält. Wenn ſich nicht wohl bezweifeln läßt, daß dieſer Typhus in der gemäßigten Zone durch Berührung anſteckend iſt, wie ſollte man da ſicher ſein, daß er bei großer Bösartigkeit nicht auch in der heißen Zone in einer Gegend anſteckend wird, wo 18 km von der Küſte die Sommertemperatur die Dispo - ſition des Körpers noch ſteigert? Die Lage von Xalapa am Abhange der mexikaniſchen Gebirge bietet ungleich mehr Sicher - heit, da die Stadt weniger volkreich und fünfmal weiter von der See entfernt iſt als Caracas, da ſie um 450 m höher liegt und ihre mittlere Temperatur weniger beträgt. Im Jahre 1696 weihte ein Biſchof von Venezuela, Diego de Baños, eine Kirche (ermita) der heiligen Roſalia von Pa - lermo, weil ſie die Hauptſtadt vom ſchwarzen Erbrechen, Vomito negro, erlöſt, nachdem es ſechzehn Monate gewütet. Ein Hochamt, das alle Jahre zu Anfang September in der Hauptkirche begangen wird, iſt zum Andenken an dieſe Seuche geſtiftet, wie denn in den ſpaniſchen Kolonieen auch die Tage, an denen große Erdbeben ſtattgefunden, durch Prozeſſionen im Gedächtnis erhalten werden. Das Jahr 1696 war wirk - lich durch eine Gelbefieberepidemie ausgezeichnet, die auf allen Antillen herrſchte, wo die Krankheit ſich erſt ſeit dem Jahre 1688 eigentlich feſtzuſetzen begonnen hatte; wie ſoll man aber in Caracas an eine Epidemie des ſchwarzen Erbrechens glauben, die ganze ſechzehn Monate gedauert, und alſo die ſehr kühle Jahreszeit in der der Thermometer auf 12 oder 13° fällt, überdauert hätte? Sollte der Typhus im hohen Thale von Caracas älter ſein als in den beſuchteren Häfen von Terra Firma? In dieſen war er, nach Ulloa, vor dem Jahre 1729 nicht bekannt, und ſo bezweifle ich, daß die Epidemie von 1697 das gelbe Fieber oder der echte amerikaniſche Typhus war. Schwarze Ausleerungen kommen in remittierenden Gallen - fiebern häufig vor und ſind an und für ſich ſo wenig als das Blutſpeien für die ſchreckliche Krankheit charakteriſtiſch, die man gegenwärtig in der Havana und in Veracruz unter dem Namen Vomito kennt. Wenn aber keine genaue Be - ſchreibung vorliegt, aus der hervorgeht, daß der amerikaniſche119 Typhus in Caracas ſchon zu Ende des 17. Jahrhunderts geherrſcht habe, ſo iſt es leider nur zu gewiß, daß dieſe Krankheit in dieſer Hauptſtadt im Jahre 1802 eine Menge junger europäiſcher Soldaten weggerafft hat. Der Gedanke iſt beunruhigend, daß mitten in der heißen Zone ein 870 m hoch, aber ſehr nahe an der See gelegenes Plateau die Ein - wohner keineswegs vor einer Seuche ſchützt, die, wie man meint, nur in den Niederungen an der Küſte zu Hauſe iſt.

[120]

Dreizehntes Kapitel.

Aufenthalt in Caracas. Berge um die Stadt. Beſteigung des Gipfels der Silla.

Ich blieb zwei Monate in Caracas. Bonpland und ich wohnten in einem großen, faſt ganz frei ſtehenden Hauſe im höchſten Teile der Stadt. Auf einer Galerie überſahen wir mit einem Blick den Gipfel der Silla, den gezackten Kamm des Galipano und das lachende Guayrethal, deſſen üppiger Anbau von den finſteren Bergwänden umher abſticht. Es war in der trockenen Jahreszeit. Um die Weide zu verbeſſern, zündete man die Savannen und den Raſen an, der die ſteil - ſten Felſen bedeckt. Dieſe großen Brände bringen, von weitem geſehen, die überraſchendſten Lichteffekte hervor. Ueberall, wo die Savannen längs der aus - und einſpringenden Felsgehänge die von den Bergwaſſern eingeriſſenen Schluchten ausfüllen, nehmen ſich die brennenden Bodenſtreifen bei dunkler Nacht wie Lavaſtröme aus, die über dem Thale hängen. Ihr ſtarkes, aber ruhiges Licht färbt ſich rötlich, wenn der Wind, der von der Silla herunterkommt, Wolkenzüge ins Thal niedertreibt. Andere Male, und dann iſt der Anblick am groß - artigſten, ſind die Lichtſtreifen in dickes Gewölk gehüllt und kommen nur da und dort durch Riſſe zum Vorſchein, und wenn dann die Wolken ſteigen, zeigen ſich ihre Ränder glänzend beleuchtet. Dieſe mannigfaltigen Erſcheinungen, wie ſie unter den Tropen häufig vorkommen, werden noch anziehender durch die Form der Berge, durch die Stellung der Abhänge und die Höhe der mit Alpenkräutern bewachſenen Savannen. Den Tag über jagt der Wind von Petare von Oſten her den Rauch über die Stadt und macht die Luft weniger durch - ſichtig.

Hatten wir Urſache, mit der Lage unſerer Wohnung zu - frieden zu ſein, ſo waren wir es noch viel mehr mit der Auf -121 nahme, die uns von den Einwohnern aller Stände zu teil wurde. Ich habe die Verpflichtung, der edlen Gaſtfreund - ſchaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalkapitän der Provinzen von Venezuela, Herrn von Guevara Vas - conzelos, genoſſen. Es ward mir das Glück zu teil, das nur wenige Spanier mit mir teilen, hintereinander Caracas, Havana, Santa Fé de Bogota, Quito, Lima und Mexiko zu beſuchen, und in dieſen ſechs Hauptſtädten des ſpaniſchen Amerika brachten mich meine Verhältniſſe mit Leuten aller Stände in Verbindung; dennoch erlaube ich mir nicht, mich über die verſchiedenen Stufen der Kultur auszuſprechen, welche die Geſellſchaft in jeder Kolonie bereits erſtiegen. Es iſt leichter, die Schattierungen der Nationalkultur und die vor - zugsweiſe Richtung der geiſtigen Entwickelung anzugeben, als zu vergleichen und zu klaſſifizieren, was ſich nicht unter einen Geſichtspunkt bringen läßt. In Mexiko und Santa Fé de Bogota ſchien mir die Neigung zu ernſten wiſſenſchaftlichen Studien vorherrſchend, in Quito und Lima fand ich mehr Sinn für ſchöne Litteratur und alles, was eine lebendige, feurige Einbildungskraft anſpricht, in der Havana und in Caracas größere Bildung hinſichtlich der allgemeinen politiſchen Verhältniſſe, umfaſſendere Anſichten über die Zuſtände der Kolonieen und der Mutterländer. Der ſtarke Handelsverkehr mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als ein Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beſchrieben, haben auf die geſellſchaftliche Entwickelung auf Cuba und in den ſchönen Provinzen von Venezuela gewaltigen Einfluß geäußert. Nirgends ſonſt im ſpaniſchen Amerika hat die Civiliſation eine ſo europäiſche Färbung angenommen. Die Menge ackerbau - treibender Indianer in Mexiko und im Inneren von Neu - granada gibt dieſen großen Ländern einen eigentümlichen, man könnte ſagen exotiſcheren Charakter. Trotz der Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung glaubt man ſich in der Havana und in Caracas näher bei Cadiz und den Vereinigten Staaten als in irgend einem Teile der Neuen Welt.

Da Caracas auf dem Feſtlande liegt und die Bevölkerung nicht ſo beweglich iſt als auf den Inſeln, haben ſich die volks - tümlichen Gebräuche mehr erhalten als in der Havana. Sehr geräuſchvolle und ſehr mannigfaltige Zerſtreuungen bietet die Geſellſchaft nicht, aber im Kreiſe der Familien empfindet man das Behagen, das munteres Weſen und Herzlichkeit im Verein mit feiner Sitte in uns erzeugen. Es gibt in Caracas, wie122 überall, wo eine große Umwälzung in den Vorſtellungen be - vorſteht, zwei Menſchenklaſſen, man könnte ſagen zwei ſtreng geſchiedene Generationen. Die eine, nicht mehr ſehr zahlreiche, hält feſt an den alten Bräuchen und hat die alte Sitteneinfalt und Mäßigung in Wünſchen und Begierden bewahrt. Sie lebt nur in der Vorzeit; in ihrer Vorſtellung iſt Amerika Eigentum ihrer Voreltern, die es erobert haben. Sie ver - abſcheut die ſogenannte Aufklärung des Jahrhunderts und hegt ſorgfältig, wie einen Teil ihres Erbgutes, die überlieferten Vorurteile. Die andere lebt weniger in der Gegenwart als in der Zukunft und hat eine nicht ſelten leichtfertige Vorliebe für neue Sitten und Ideen. Kommt zu dieſer Neigung der Trieb, ſich gründlich zu bilden, wird ſie von einem kräftigen, hellblickenden Geiſte gezügelt und gelenkt, ſo wird ſie in ihren Wirkungen der Geſellſchaft erſprießlich. Ich habe in Caracas mehrere durch wiſſenſchaftlichen Sinn, angenehme Sitten und großartige Geſinnung gleich ausgezeichnete Männer kennen gelernt, die dieſer zweiten Generation angehörten; aber auch andere, die auf alles Schöne und Achtungswürdige im ſpani - ſchen Charakter, in der Litteratur und Kunſt dieſes Volkes herabſahen und damit ihre eigene Nationalität einbüßten, ohne im Verkehr mit den Fremden richtige Begriffe über die wahren Grundlagen des öffentlichen Wohles und der geſell - ſchaftlichen Ordnung einzutauſchen.

Da ſeit der Regierung Karls V. der Korporationsgeiſt und der Munizipalhaß aus dem Mutterlande in die Kolonieen übergegangen ſind, ſo findet man in Cumana und anderen Handelsſtätten von Terra Firma Gefallen daran, die Adels - anſprüche der vornehmſten Familien in Caracas, der ſogenannten Mantuanos, mit Uebertreibung zu ſchildern. Wie ſich dieſe Anſprüche früher geäußert, weiß ich nicht; es ſchien mir aber, als ob die fortſchreitende Bildung und die in den Sitten ſich vollziehende Umwandlung nach und nach und faſt durchgängig den geſellſchaftlichen Unterſchieden im Verkehr unter Weißen alles Verletzende benommen hätten. In allen Kolonien gibt es zweierlei Adel. Der eine beſteht aus Kreolen, deren Vor - fahren in jüngſter Zeit bedeutende Aemter in Amerika be - kleidet haben; er gründet ſeine Vorrechte zum Teil auf das Anſehen, in dem er im Mutterlande ſteht; er glaubt ſie auch über dem Meere feſthalten zu können, gleichviel zu welcher Zeit er ſich in den Kolonieen niedergelaſſen. Der andere Adel haftet mehr am amerikaniſchen Boden; ſeine Glieder ſind123 Nachkommen der Konquiſtadoren, das heißt der Spanier, die bei der erſten Eroberung im Heere gedient. Mehrere dieſer Krieger, der Waffengenoſſen der Cortez, Loſada und Pizarro, gehörten den vornehmſten Familien der pyrenäiſchen Halbinſel an; andere aus den unteren Volksklaſſen haben ihren Namen durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender Zug des frühen 16. Jahrhunderts iſt, zu Ehren gebracht. Ich habe oben daran erinnert, daß in der Geſchichte dieſer Zeit der religiöſen und kriegeriſchen Begeiſterung im Gefolge der großen Anführer mehrere redliche, ſchlichte, großmütige Männer auftraten. Sie eiferten wider die Grauſamkeiten, welche die Ehre des ſpaniſchen Namens befleckten; aber ſie ver - ſchwanden in der Menge und konnten der allgemeinen Aechtung nicht entgehen. Der Name Konquiſtadores iſt deſto verhaßter geblieben, als die wenigſten, nachdem ſie friedliche Völker mißhandelt und im Schoße des Ueberfluſſes geſchwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem ſchweren Umſchlag des Glückes gebüßt haben, der den Haß der Men - ſchen ſänftigt und nicht ſelten das harte Urteil der Geſchichte mildert.

Aber nicht allein der Fortſchritt der Kultur und der Konflikt zwiſchen zwei Adelsklaſſen von verſchiedenem Urſprung nötigt die privilegierten Stände, ihre Anſprüche aufzugeben oder doch aus Klugheit nicht merken zu laſſen. Die Ariſto - kratie findet in den ſpaniſchen Kolonieen noch ein anderes Gegengewicht, das ſich von Tag zu Tage mehr geltend macht. Unter den Weißen hat ſich das Gefühl der Gleichheit aller Gemüter bemächtigt. Ueberall, wo die Farbigen entweder als Sklaven oder als Freigelaſſene angeſehen werden, iſt die an - geſtammte Freiheit, das Bewußtſein, daß man nur Freie zu Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Kolonieen iſt die Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen desſelben. In Mexiko wie in Peru, in Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage einen Menſchen, der barfuß geht, ſagen hören: Will der reiche weiße Mann weißer ſein als ich? Da Europa ſo große Menſchenmengen an Amerika abgeben kann, ſo iſt be - greiflich, daß der Satz: Jeder Weiße iſt Ritter, todo blanco es caballero, den altadeligen europäiſchen Familien mit ihren Anſprüchen ſehr unbequem iſt. Noch mehr: dieſer ſelbe Satz iſt in Spanien bei einem wegen ſeiner Biederkeit, ſeines Fleißes und ſeines Nationalgeiſtes mit Recht geachteten Volksſtamm längſt anerkannt; jeder Biscayer nennt ſich adelig, und da124 es in Amerika und auf den Philippinen mehr Biscayer gibt als zu Hauſe auf der Halbinſel, ſo haben die Weißen von dieſem Volksſtamme nicht wenig dazu beigetragen, den Grundſatz von der Gleichheit aller Menſchen, deren Blut nicht mit afri - kaniſchem Blut vermiſcht iſt, in den Kolonieen zur Geltung zu bringen.

Zudem ſind die Länder, wo man, auch ohne Repräſen - tativregierung und ohne Pairſchaft, auf Stammbäume und Geburtsvorzüge ſo ſehr viel hält, keineswegs immer die, wo die Familienariſtokratie am verletzendſten auftritt. Vergebens ſucht man bei den Völkern ſpaniſchen Urſprunges das kalte, anſpruchsvolle Weſen, das durch den Charakter der modernen Bildung im übrigen Europa nur noch allgemeiner zu werden ſcheint. In den Kolonieen wie im Mutterlande knüpfen Herz - lichkeit, Unbefangenheit und große Anſpruchsloſigkeit des Be - nehmens ein Band zwiſchen allen Ständen. Ja, man kann ſagen, Eitelkeit und Selbſtſucht verletzen um ſo weniger, da ſie ſich mit einer gewiſſen Offenheit und Naivität aus - ſprechen.

Ich fand in Caracas in mehreren Familien Sinn für Bildung; man kennt die Hauptwerke der franzöſiſchen und italieniſchen Litteratur, man liebt die Muſik, man treibt ſie mit Erfolg, und ſie verknüpft, wie die Pflege aller ſchönen Kunſt, die verſchiedenen Stufen der Geſellſchaft. Für Natur - wiſſenſchaften und zeichnende Künſte beſtehen hier keine großen Anſtalten, wie Mexiko und Santa Fé ſie der Freigebigkeit der Regierung und dem patriotiſchen Eifer der ſpaniſchen Be - völkerung verdanken. In einer ſo wundervollen, überſchwenglich reichen Natur gab ſich kein Menſch an dieſer Küſte mit Bo - tanik oder Mineralogie ab. Nur in einem Franziskanerkloſter fand ich einen ehrwürdigen Alten, der für alle Provinzen von Venezuela den Kalender berechnete und vom gegenwärtigen Stande der Aſtronomie einige richtige Begriffe hatte. Unſere Inſtrumente waren ihm höchſt merkwürdig, und eines Morgens kamen uns ſämtliche Franziskaner ins Haus und verlangten zu unſerer großen Ueberraſchung einen Inklinationskompaß zu ſehen. In Ländern, die vom vulkaniſchen Feuer unter - höhlt ſind, und in einem Himmelsſtrich, wo die Natur ſo großartig und dabei ſo geheimnisvoll unruhig iſt, ſteigert ſich von ſelbſt die Aufmerkſamkeit auf phyſikaliſche Erſcheinungen, und damit die Neubegier.

Wenn man daran denkt, daß in den Vereinigten Staaten125 von Nordamerika in kleinen Städten von 3000 Einwohnern Zeitungen erſcheinen, ſo wundert man ſich, wenn man hört, daß Caracas mit einer Bevölkerung von 40000 bis 50000 Seelen bis zum Jahre 1806 keine Druckerei hatte; denn ſo kann man doch nicht wohl Preſſen nennen, auf denen man Jahr um Jahr einen Kalender von ein paar Seiten oder ein biſchöfliches Aus - ſchreiben zuſtande bringt. Der Perſonen, denen Leſen ein Bedürfnis iſt, ſind nicht ſehr viele, ſelbſt in denjenigen ſpa - niſchen Kolonieen, wo die Kultur am weiteſten fortgeſchritten iſt; es wäre aber unbillig, den Koloniſten zur Laſt zu legen, was das Werk einer argwöhniſchen Staatskunſt iſt. Ein Franzoſe, Delpeche, der durch Heirat einer der geachtetſten Familien des Landes angehört, hat ſich durch die Errichtung der erſten guten Druckerei in Caracas verdient gemacht. Es iſt in unſerer Zeit gewiß eine auffallende Erſcheinung, daß das kräftigſte Mittel des Gedankenaustauſches nicht vor einer politiſchen Umwälzung eingeführt wird, ſondern erſt nachher.

In einem Lande mit ſo reizenden Fernſichten, zu einer Zeit, wo trotz der Aufſtandsverſuche die große Mehrzahl der Einwohner nur an materielle Intereſſen dachte, an die Frucht - barkeit des Jahres, an die lange Dürre, an den Kampf zwi - ſchen den Winden von Petare und Catia, glaubte ich viele Leute zu finden, welche mit den hohen Bergen in der Um - gegend genau bekannt wären; wir konnten aber in Caracas nicht einen Menſchen auftreiben, der je auf dem Gipfel der Silla geweſen wäre. Die Jäger kommen in den Bergen nicht bis oben hinauf, und in dieſen Ländern geht kein Menſch hinaus, um Alpenpflanzen zu ſammeln, um Gebirgsarten zu unterſuchen und ein Barometer auf hohe Punkte zu bringen. Man iſt an ein einförmiges Leben zwiſchen ſeinen vier Wänden gewöhnt, man ſcheut die Anſtrengung und die raſchen Witte - rungswechſel, und es iſt, als lebe man nicht, um des Lebens zu genießen, ſondern eben nur, um fortzuleben.

Wir kamen auf unſeren Spaziergängen häufig auf zwei Kaffeepflanzungen, deren Eigentümer angenehme Geſellſchafter waren. Die Pflanzungen liegen der Silla von Caracas gegen - über. Wir betrachteten mit dem Fernrohr die ſchroffen Ab - hänge des Berges und ſeine beiden Spitzen, und konnten ſo zum voraus ermeſſen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben würden, um auf den Gipfel zu gelangen. Nach den Höhenwinkeln, die ich auf unſerem Platze Trinidad126 aufgenommen, ſchien mir dieſer Gipfel nicht ſo hoch über dem Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito. Dieſe Schätzung ſtimmte aber ſchlecht mit den Vorſtellungen der Bewohner des Thales. Die Berge, welche über großen Städten liegen, erhalten eben dadurch in beiden Kontinenten einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man ſie genau gemeſſen hat, ſchreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvor - urteil zu verſtoßen.

Der Generalkapitän Guevara verſchaffte uns Führer durch den Teniente von Chacao. Es waren Schwarze, denen der Weg, der über den Bergkamm an der weſtlichen Spitze der Silla vorbei zur Küſte führt, etwas bekannt war. Dieſer Weg wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unſere Führer, noch die erfahrenſten Leute in der Miliz, welche die Schleichhändler in dieſen Wildniſſen verfolgen, waren je auf der öſtlichen Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla geweſen. Während des ganzen Dezembers war der Berg, deſſen Höhen - winkel mich das Spiel der irdiſchen Refraktion beobachten ließen, nur fünfmal unumwölkt geweſen. Da in dieſer Jahres - zeit ſelten zwei heitere Tage aufeinander folgen, hatte man uns geraten, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, ſondern zu einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch ſtehen und man hoffen darf, über der erſten gleichförmig verbreiteten Dunſtſchicht in trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des 2. Januars in der Eſtancia de Gallegos zu, einer Kaffee - pflanzung, bei der in einer ſchattigen Schlucht der Bach Cha - caito, der vom Gebirge herabkommt, ſchöne Fälle bildet. Die Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines beſchwerlichen Marſches gern einiger Ruhe genoſſen hätten, harrten wir, Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei Bedeckungen der Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte der Beobachtungen zum voraus beſtimmt und doch verfehlten wir alle, weil ſich in die Connaissance des temps Rechnungs - fehler eingeſchlichen hatten. Ein böſer Stern waltete über den Angaben hinſichtlich der Bedeckung für Dezember und Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechſelt.

Dieſes Mißgeſchick machte mir großen Verdruß, und nachdem ich vor Sonnenaufgang die Intenſität der magneti - ſchen Kraft am Fuße des Berges beobachtet, brachen wir um 5 Uhr morgens mit den Sklaven, die unſere Inſtrumente trugen, auf. Wir waren unſer 18 Perſonen und gingen auf127 ſchmalem Fußpfad in einer Reihe hintereinander. Dieſer Pfad läuft über einen ſteilen, mit Raſen bedeckten Abhang. Man ſucht zuerſt den Gipfel eines Hügels zu erreichen, der gegen Südweſt hin eine Art Vorgebirge der Silla bildet. Der - ſelbe hängt mit der Maſſe des Berges ſelbſt durch einen ſchmalen Damm zuſammen, den die Hirten ſehr bezeichnend die Pforte , Puerta de la Silla, nennen. Wir erreichten ihn gegen 7 Uhr. Der Morgen war ſchön und kühl, und der Himmel ſchien bis jetzt unſer Vorhaben zu begünſtigen. Der Thermometer ſtand ein wenig unter 14°. Nach dem Barometer waren wir bereits 1335 m über dem Meere, das heißt gegen 156 m höher als die Venta, wo man die präch - tige Ausſicht auf die Küſte hat. Unſere Führer meinten, wir würden bis auf den Gipfel noch 6 Stunden brauchen.

Wir gingen auf einem ſchmalen, mit Raſen bedeckten Felsdamm, und dieſer führte uns vom Vorgebirge der Puerta auf den Gipfel des großen Berges. Man blickt zu beiden Seiten in zwei Thäler nieder, die vielmehr dicht bewachſene Spalten ſind. Zur Rechten ſieht man die Schlucht, die zwi - ſchen beiden Gipfeln gegen den Hof Muñoz herabläuft; links hat man unter ſich die Spalte des Chacaito, deren reiche Gewäſſer am Hofe Gallego vorbeifließen. Man hört die Waſſerfälle rauſchen, ohne den Bach zu ſehen, der im dichten Schatten der Erythrina, Cluſia und der indiſchen Feigen - bäume1Ficus nymphaeifolia, Erythrina mitis. fließt. Nichts maleriſcher in einem Erdſtrich, wo ſo viele Gewächſe große, glänzende, lederartige Blätter haben, als tief unter ſich die Baumwipfel von den faſt ſenkrechten Sonnenſtrahlen beleuchtet zu ſehen.

Von der Puerta an wird der Berg immer ſteiler. Man mußte ſich ſtark vornüber beugen, um vorwärts zu kommen. Der Winkel beträgt häufig 30 bis 32°. Der Raſen iſt dicht und er war durch die lange Trockenheit ſehr glatt ge - worden. Gern hätten wir Fußeiſen und mit Eiſen beſchlagene Stöcke gehabt. Das kurze Gras bedeckt die Gneisfelſen und man kann ſich weder am Graſe halten, noch Stufen ein - ſchneiden wie auf weicherem Boden. Dieſes mehr mühſame als gefährliche Anſteigen wurde den Leuten aus der Stadt, die uns begleitet hatten und das Bergſteigen nicht gewöhnt waren, bald zu viel. Wir verloren viele Zeit, um auf ſie zu warten, und wir entſchloſſen uns erſt, unſeren Weg allein128 fortzuſetzen, als wir alle den Berg wieder hinabgehen, ſtatt weiter heraufkommen ſahen. Der Himmel fing an ſich zu be - decken. Bereits ſtieg aus dem feuchten Buſchwalde, der über uns die Region der Alpenſavannen begrenzte, der Nebel wie Rauch in dünnen, geraden Streifen auf. Es war, als wäre an mehreren Punkten des Waldes zugleich Feuer ausgebrochen. Nach und nach ballten ſich dieſe Dunſtſtreifen zuſammen, löſten ſich vom Boden ab und ſtreiften, vom Morgenwinde gejagt, als leichtes Gewölk um den runden Gipfel des Gebirges.

Dies war für Bonpland und mich ein untrügliches Zeichen, daß wir bald in dichten Nebel gehüllt ſein würden. Da wir beſorgten, unſere Führer möchten ſich dieſen Umſtand zu nutze machen, um uns im Stiche zu laſſen, ließen wir diejenigen, welche die unentbehrlichſten Inſtrumente trugen, vor uns her - gehen. Fortwährend ging es am Abhange, gegen die Spalte des Chacaito zu, aufwärts. Das vertrauliche Geſchwätz der ſchwarzen Kreolen ſtach merkwürdig ab vom ſchweigſamen Ernſt der Indianer, die in den Miſſionen von Charipe unſere be - ſtändigen Begleiter geweſen waren. Sie machten ſich über die Leute luſtig, die ein Unternehmen, zu dem ſie ſich ſo lange gerüſtet, ſo ſchnell aufgegeben hatten; am ſchlimmſten kam ein junger Kapuziner weg, ein Profeſſor der Mathematik, der immer wieder darauf kam, daß die europäiſchen Spanier aller Stände an Körperkraft und Mut den Hiſpano-Amerikanern denn doch weit überlegen ſeien. Er hatte ſich mit weißen Papierſtreifen verſehen, die in der Savanne zerſchnitten und ausgeworfen werden ſollten, um den Nachzüglern die einzu - ſchlagende Richtung anzugeben. Der Profeſſor hatte ſogar ſeinen Ordensbrüdern verſprochen, er wolle in der Nacht ein paar Raketen ſteigen laſſen, um ganz Caracas zu verkünden, daß ein Unternehmen glücklich zu Ende geführt worden, das ihm, und ich muß ſagen, nur ihm, vom höchſten Belang ſchien. Er hatte nicht bedacht, daß ſeine lange ſchwere Kleidung ihm beim Bergſteigen hinderlich werden müſſe. Er hatte lange vor den Kreolen den Mut verloren, und ſo blieb er den Tag vollends in einer nahen Pflanzung und ſah uns durch ein auf die Silla gerichtetes Fernrohr den Berg hinaufklettern. Zu unſerem Unſtern hatte der Ordensmann, dem es nicht an phyſikaliſchen Kenntniſſen fehlte, und der wenige Jahre darauf von den wilden Indianern am Apure ermordet wurde, die Beſorgung des bei einer Bergfahrt unentbehrlichen Waſſers und der Mundvorräte übernommen. Die Sklaven, die zu uns129 ſtoßen ſollten, wurden von ihm ſo lange aufgehalten, daß ſie erſt ſehr ſpät anlangten und wir zehn Stunden ohne Waſſer und Brot zubrachten.

Von den zwei abgerundeten Spitzen, die den Gipfel des Berges bilden, iſt die öſtliche die höchſte, und auf dieſe ſollten wir mit unſeren Inſtrumenten hinaufkommen. Von der Ein - ſenkung zwiſchen beiden Gipfeln hat der ganze Berg den ſpa - niſchen Namen Silla, Sattel. Eine Schlucht, deren wir bereits erwähnt, läuft von dieſer Einſenkung ins Thal von Caracas hinab; bei ihrem Anfang oder am oberen Ende nähert ſie ſich der weſtlichen Spitze. Man kann dem öſtlichen Gipfel nur ſo bei - kommen, daß man zuerſt weſtlich von der Schlucht über das Vorgebirge der Puerta gerade auf den niedrigeren Gipfel zu - geht und ſich erſt nach Oſten wendet, wenn man den Kamm oder die Einſattelung zwiſchen beiden Gipfeln beinahe erreicht hat. Schon ein Blick auf den Berg zeigt dieſen Weg als den von ſelbſt gegebenen, denn die Felſen öſtlich von der Schlucht ſind ſo ſteil, daß es ſchwer halten dürfte, auf den Gipfel der Silla zu gelangen, wenn man ſtatt über die Puerta gerade auf den öſtlichen Gipfel zuginge.

Vom Fuße des Falles des Chacaito bis in 1950 m Höhe fanden wir nur Savannen. Nur zwei kleine Liliengewächſe mit gelben Blüten erheben ſich über den Gräſern, mit denen das Geſtein bewachſen iſt. Hie und da erinnerte ein Him - beerbuſch1Rubus jamaicensis. an die europäiſchen Pflanzenformen. Vergebens ſahen wir uns auf dieſen Bergen von Caracas, wie ſpäter auf dem Rücken der Anden, neben den Himbeerbüſchen nach einem Roſenſtrauche um. In ganz Südamerika haben wir keine einheimiſche Roſenart gefunden, ſo nahe ſich auch das Klima auf den hohen Bergen der heißen Zone und das un - ſeres gemäßigten Erdſtriches ſtehen. Ja, dieſer liebliche Strauch ſcheint der ganzen ſüdlichen Halbkugel diesſeits und jenſeits des Wendekreiſes zu fehlen. Erſt auf den Bergen von Mexiko waren wir ſo glücklich, unter dem 19. Grad der Breite einen amerikaniſchen Roſenſtrauch zu entdecken.

Von Zeit zu Zeit wurden wir in Nebel gehüllt und fanden uns dann über die Richtung unſeres Weges nur ſchwer zurecht, denn in dieſer Höhe beſteht kein gebahnter Pfad mehr. Man hilft mit den Händen nach, wenn einen auf dem ſteilen glit - ſchigen Abhang die Beine im Stiche laſſen. Ein 1 m mäch -A. v. Humboldt, Reiſe. II. 9130tiger Gang mit Porzellanerde erregte unſere Aufmerkſamkeit. Die ſchneeweiße Erde iſt ohne Zweifel zerſetzter Feldſpat. Ich übergab dem Intendanten der Provinz anſehnliche Proben davon. In einem Lande, wo es nicht an Brennmaterial fehlt, läßt ſich durch Beimiſchung feuerbeſtändiger Erden das Töpfer - geſchirr, ſelbſt die Backſteine, verbeſſern. So oft die Wolken uns umgaben, fiel der Thermometer auf 12°, bei hellem Himmel ſtieg er auf 21°. Dieſe Beobachtungen wurden im Schatten gemacht; aber auf ſo ſteilem, mit vertrocknetem, gelbem, glattem Raſen bedeckten Abhange fällt es ſchwer, den Einfluß der ſtrahlenden Wärme auszuſchließen. Wir waren in 1830 m Höhe und dennoch ſahen wir in gleicher Höhe oſtwärts in einer Schlucht nicht ein paar einzelne Palmen, ſondern ein ganzes Palmenwäldchen. Es war die Palma real, vielleicht zur Gattung Oreodoxa gehörig. Dieſe Gruppe von Palmen in ſo bedeutender Höhe war eine ſeltſame Erſcheinung gegen - über den Weiden,1Wildenows Salix Humboldtiana. die im gemäßigteren Thalgrunde von Ca - racas hin und wieder wachſen; ſo ſieht man hier Gewächſe mit europäiſchem Typus tiefer als ſolche der heißen Zone vorkommen.

Nach vierſtündigem Marſch über die Savannen kamen wir in ein Buſchwerk aus Sträuchern und niedrigen Bäumen, el Pejual genannt, wahrſcheinlich wegen des vielen Pejoa (Gaultheria odorata), eines Gewächſes mit wohlriechenden Blättern. Der Abhang des Berges wurde ſanfter und mit unſäglicher Luſt unterſuchten wir die Gewächſe dieſer Region. Vielleicht nirgends findet man auf ſo beſchränktem Raume ſo ſchöne und für die Pflanzengeographie bedeutſame Pflanzen beiſammen. In 1950 m Meereshöhe ſtoßen die hohen Sa - vannen der Silla an eine Zone von Sträuchern, die durch den Habitus, die gekrümmten Aeſte, die harten Blätter, die großen ſchönen Purpurblüten an die Vegetation der Paramos oder Punas2Dieſe Worte wurden ſchon im erſten Bande erklärt. erinnern, wie man in der Kordillere der Anden ſie nennt. Hier treten auf: die Familie der Alproſen, die Thibaudien, die Andromeden, die Vaccinien (Heidelbeer - arten) und die Befarien mit harzigen Blättern, die wir ſchon öfters mit dem Rhododendron der europäiſchen Alpen verglichen haben.

131

Wenn auch die Natur in ähnlichen Klimaten, ſei es nun in Niederungen auf iſothermen Parallelen (von gleicher Wärme), ſei es auf Hochebenen, deren Temperatur mit der Temperatur weiter gegen die Pole gelegener Länder übereinkommt, nicht dieſelben Pflanzenarten hervorbringt, ſo zeigt doch die Vege - tation noch ſo weit entlegener Landſtriche im ganzen Habitus die auffallendſte Aehnlichkeit. Dieſe Erſcheinung iſt eine der merkwürdigſten in der Geſchichte der organiſchen Bildungen; ich ſage in der Geſchichte, denn wenn auch die Vernunft dem Menſchen ſagt, wie eitel Hypotheſen über den Urſprung der Dinge ſind, das unlösbare Problem, wie ſich die Organismen über die Erde verbreitet, läßt uns dennoch keine Ruhe. Eine ſchweizeriſche Grasart1Phleum alpinum, von Brown unterſucht. Nach den Beob - achtungen dieſes großen Botanikers unterliegt es keinem Zweifel, daß mehrere Pflanzen beiden Kontinenten und den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln zugleich angehören. Potentilla anserina, Prunella vulgaris, Scirpus mucronatus und Panicum Crus Galli wachſen in Deutſchland, in Neuholland und in Pennſylvanien. wächſt auf dem Granitfelſen der Magel - haensſchen Meerenge. Neuholland hat über vierzig europäiſche phanerogame Pflanzenarten aufzuweiſen, und die meiſten Ge - wächſe, die den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln gemein ſind, fehlen gänzlich in dem dazwiſchen liegenden Landſtriche, das heißt in der äquinoktialen Zone, ſowohl auf den Ebenen als auf dem Rücken der Gebirge. Eine Veilchenart mit be - haarten Blättern, mit der die Zone der Phanerogamen am Vulkan von Tenerifa gleichſam abſchließt, und von der man lange glaubte, ſie gehöre der Inſel eigentümlich an,2Viola chiranthifolia, die Bonpland und ich beſchrieben haben, iſt von Kunth und Leopold von Buch unter den Alpen - pflanzen gefunden worden, die Joſeph de Juſſieu aus den Pyrenäen mitgebracht hat. kommt 1350 km weiter nordwärts am beſchneiten Gipfel der Pyre - näen vor. Gräſer und Riedgräſer, die in Deutſchland, in Arabien und am Senegal wachſen, wurden unter den Pflanzen gefunden, die Bonpland und ich auf den kalten mexikaniſchen Hochebenen, an den heißen Ufern des Orinoko und in der ſüdlichen Halbkugel auf dem Rücken der Anden von Quito geſammelt. Wie will man begreiflich machen, daß Gewächſe über Striche mit ganz verſchiedenem Klima, und die gegen - wärtig vom Meere bedeckt ſind, gewandert ſein ſollen? Oder132 wie kommt es, daß die Keime von Organismen, die ſich im Habitus und ſelbſt im inneren Bau gleichen, ſich in ungleichen Abſtänden von den Polen und von der Meeresfläche überall entwickeln, wo ſo weit entlegene Orte in der Temperatur einigermaßen übereinkommen? Trotz des Einfluſſes des Luft - druckes und der ſtärkeren oder geringeren Schwächung des Lichtes auf die Lebensthätigkeit der Gewächſe iſt doch die un - gleiche Verteilung der Wärme und die verſchiedenen Jahres - zeiten als die Haupttriebkraft der Vegetation anzuſehen.

Der Arten, welche auf beiden Kontinenten und in beiden Halbkugeln gleichmäßig vorkommen, ſind lange nicht ſo viele, als man nach den Angaben der älteſten Reiſenden geglaubt hatte. Auf den hohen Gebirgen des tropiſchen Amerikas kommen allerdings Wegeriche, Baldriane, Sandkräuter, Ranunkeln, Miſpeln, Eichen und Fichten vor, die man nach ihrer Phyſio - gnomie mit den europäiſchen verwechſeln könnte; ſie ſind aber alle ſpezifiſch von letzteren verſchieden. Bringt aber auch die Natur nicht dieſelben Arten hervor, ſo wiederholt ſie doch die Gattungen. Nahe verwandte Arten kommen oft in unge - heuren Entfernungen voneinander vor, in den Niederungen des gemäßigten Erdſtriches die einen, in den Alpenregionen unter dem Aequator die anderen. Andere Male (und die Silla von Caracas bietet ein auffallendes Beiſpiel hierfür) ſind nicht Arten europäiſcher Gattungen wie Koloniſten auf die Berge der heißen Zone herübergekommen, es treten vielmehr hier wie dort Gattungen derſelben Zunft auf, die nach dem Habitus nicht leicht zu unterſcheiden ſind und unter verſchie - denen Breiten einander erſetzen.

Von den Bergen von Neugranada, welche die Hochebene von Bogota umgeben, bis zu den Bergen von Caracas ſind es über 900 km, und doch zeigt die Silla, der einzige hohe Gipfel einer ziemlich niedrigen Bergkette, dieſelbe merkwürdige Zuſammenſtellung von Befarien mit purpurroten Blüten, An - dromeden, Gaultherien, Myrtillen, Uvas camaronas, Nertera und Aralien mit wolligen Blättern, wie ſie für die Vegetation der Paramos auf den hohen Kordilleren von Santa Fé charakteriſtiſch iſt. Wir fanden dieſelbe Thibaudia glandulosa am Eingang der Hochebene von Bogota und im Pejual auf der Silla. Die Küſtenkette von Caracas hängt unzweifelhaft (über den Torito, die Palomera, Tocuyo, die Paramos de las Roſas, Bocono und Niquitao) mit den hohen Kordilleren von Merida, Pamplona und Santa Fé zuſammen; aber von133 der Silla bis zum Tocuyo, 315 km weit, ſind die Berge von Caracas ſo niedrig, daß für die oben erwähnten Sträucher aus der Familie der Ericineen das Klima nicht kühl genug iſt. Und wenn auch, wie wahrſcheinlich iſt, die Thibaudia und die Alpenroſe der Anden oder die Befaria im Paramo von Niquitao und in der mit ewigem Schnee bedeckten Sierra de Merida vorkommen, ſo iſt doch auf eine weite Strecke kein Felskamm, der hoch genug wäre, daß dieſe Gewächſe auf ihm nach der Silla von Caracas hätten wandern können.

Je mehr man die Verteilung der organiſchen Bildungen auf der Erdoberfläche kennen lernt, deſto geneigter wird man, wenn auch nicht dieſe Vorſtellungen von einer Wanderung aufzugeben, doch darin keinen ausreichenden Erklärungsgrund mehr zu erblicken. Die Kette der Anden teilt der Länge nach ganz Südamerika in zwei ungleiche Stücke. Am Fuße dieſer Kette, oſtwärts und weſtwärts, fanden wir in großer Anzahl dieſelben Pflanzenarten. All die verſchiedenen Uebergänge der Kordilleren ſind aber derart, daß nirgends Gewächſe der heißen Zone von den Küſten der Südſee an die Ufer des Amazonenſtromes gelangt ſein können. Wenn, ſei es nun im Tieflande oder in ganz niedrigen Bergen, ſei es inmitten eines Archipels von durch unterirdiſches Feuer emporgehobenen Inſeln, ein Berggipfel zu einer großen Höhe anſteigt, ſo iſt ſein Gipfel mit Alpenkräutern bewachſen, die zum Teil in ungeheuren Entfernungen auf anderen Bergen mit ähnlichem Klima gleichfalls vorkommen. In dieſer Weiſe zeigen ſich im allgemeinen die Gewächſe verteilt und man kann den Forſchern die genauere Ermittelung dieſer Verhältniſſe nicht dringend genug empfehlen. Wenn ich hier gegen voreilige Hypotheſen ſpreche, ſo nehme ich es keineswegs über mich, befriedigendere dafür aufzuſtellen. Ich halte vielmehr die Probleme, von denen es ſich hier handelt, für unlösbar, und nach meiner Anſchauung hat die Erfahrung geleiſtet, was ſie kann, wenn ſie die Geſetze ermittelt, nach denen die Natur die Pflanzen - gebilde verteilt hat.

Man ſagt, ein Berg ſei ſo hoch, daß er die Grenze des Rhododendron und der Befaria erreiche, wie man ſchon lange ſagt, ein Berg erreiche die Grenze des ewigen Schnees. Mit dieſem Ausdruck ſetzt man ſtillſchweigend voraus, daß unter dem Einfluſſe gewiſſer Wärmegrade ſich notwendig gewiſſe vegetabiliſche Formen entwickeln müſſen. Streng genommen iſt nun dieſe Vorausſetzung allerdings nicht richtig. Die134 Fichten Mexikos fehlen auf den Kordilleren von Peru; auf der Silla von Caracas wachſen nicht die Eichen, die man in Neugranada in derſelben Höhe findet. Die Uebereinſtimmung in den Bildungen deutet auf analoges Klima; aber in ana - logen Klimaten können die Arten bedeutend voneinander abweichen.

Die herrliche Alpenroſe der Anden, die Befaria, wurde zuerſt von Mutis beſchrieben, der ſie bei Pamplona und Santa Fé de Bogota unter dem 4. bis 7. Grad nördlicher Breite gefunden. Sie war vor unſerer Beſteigung der Silla ſo wenig bekannt, daß ſie ſich faſt in keinem Herbarium in Europa fand. Wie die Alpenroſen Lapplands, des Kau - kaſus und der Alpen1Rhododendrum laponicum, R. caucasicum, R. ferrugi - neum, R. hirsutum. voneinander abweichen, ſo ſind auch die beiden Befariaarten, die wir von der Silla mitgebracht,2Befaria glauca, B. ledifolia. von denen bei Santa Fé de Bogota3B. aestuans, B. resinosa. ſpezifiſch verſchieden. In der Nähe des Aequators bedecken die Alpenroſen der Anden die Berge bis in die höchſten Paramos hinauf, in 3120 bis 3312 m Meereshöhe. Weiter gegen Norden, auf der Silla von Caracas, findet man ſie weit tiefer, in etwas über 1950 m Höhe; die kürzlich in Florida unter dem 30. Grade der Breite entdeckte Befaria wächſt ſogar auf niedrigen Hügeln. So rücken denn auf einer Strecke von 2700 km der Breite dieſe Sträucher immer weiter gegen das Tiefland herab, je weiter vom Aequator ſie vorkommen. Ebenſo wächſt die lapp - ländiſche Alpenroſe 1560 bis 1750 m tiefer als die der Alpen oder Pyrenäen. Wir wunderten uns, daß wir in den Ge - birgen von Mexiko, zwiſchen den Alpenroſen von Santa Fé und Caracas einerſeits und denen von Florida andererſeits, keine Befariaart fanden.

Im kleinen Buſchwalde auf der Silla iſt die Befaria ledifolia nur 1 bis 1,3 m hoch. Der Stamm teilt ſich gleich am Boden in viele zerbrechliche, faſt quirlförmig geſtellte Aeſte. Die Blätter ſind eiförmig, zugeſpitzt, an der Unterfläche grau - grün und an den Rändern aufgerollt. Die ganze Pflanze iſt mit langen, klebrigen Haaren bedeckt und hat einen ſehr angenehmen Harzgeruch. Die Bienen beſuchen ihre ſchönen, purpurroten Blüten, die, wie bei allen Alpenpflanzen, un -135 gemein zahlreich und ganz entwickelt oft gegen einen Zoll breit ſind.

Das Rhododendron der Schweiz wächſt, in 1560 bis 2140 m Meereshöhe, in einem Klima mit einer mittleren Temperatur von + und , alſo ähnlich dem Klima der Ebenen Lapplands. In dieſer Zone haben die kälteſten Monate und 10°, die wärmſten Monate + 12° und . Nach thermometriſchen Beobachtungen in denſelben Höhen und unter denſelben Parallelen beträgt im Pejual auf der Silla die mittlere Temperatur der Luft ſehr wahrſcheinlich noch 17 bis 18° und ſteht der Thermometer in der kühlſten Jahreszeit bei Tage zwiſchen 15 und 20°, bei Nacht zwiſchen 10 und 12°. Beim St. Gotthardshoſpiz, nahe der oberen Grenze der hel - vetiſchen Alpenroſe, iſt die größte Wärme im Auguſt um Mittag (im Schatten) gewöhnlich 12 bis 13°; nachts kühlt ſich in derſelben Jahreszeit die Luft infolge der Wärme - ſtrahlung des Bodens auf + 1 oder 1,5° ab. Unter dem - ſelben barometriſchen Druck, alſo in derſelben Meereshöhe, aber um 30 Breitengrade näher beim Aequator iſt die Befaria auf der Silla um Mittag häufig einer Temperatur von 23 bis 24° ausgeſetzt und bei Nacht fällt dieſelbe wahrſcheinlich niemals unter . Wir haben hier genau die Klimate ver - glichen, unter denen zwei derſelben Familie angehörende Pflanzen - gruppen unter verſchiedenen Breiten in gleicher Meereshöhe wachſen; das Ergebnis wäre ein ganz anderes, wenn wir Zonen verglichen hätten, die gleich weit vom ewigen Schnee oder von der iſothermen Linie liegen.

Im Pejual wachſen neben der Befaria mit purpurroten Blüten eine Hedyotis mit Heidekrautblättern, die 2,6 m hoch wird, die Caparosa, ein großes baumartiges Johanniskraut, ein Lepidium, das mit dem virginiſchen identiſch ſcheint, endlich Bärlappenpflanzen und Mooſe, welche Felſen und Baumwurzeln überziehen. Am berühmteſten iſt aber dieſes Buſchwerk im Lande wegen eines 3 bis 5 m hohen Strauches aus der Familie der Corymbiferen. Die Kreolen nennen denſelben Inciensoz, Weihrauch. Seine lederartigen, ge - kerbten Blätter und die Spitzen der Zweige ſind mit einer weißen Wolle bedeckt. Es iſt eine neue, ſehr harzreiche Trixisart; die Blüten riechen angenehm nach Borax, ganz anders als die der Trixis therebintinacea in den Bergen von Jamaika, die denen von Caracas gegenüberliegen. Man mengt zuweilen den Weihrauch von der Silla mit den136 Blüten der Pevetera, gleichfalls einer Pflanze mit zuſammen - geſetzter Blüte, deren Geruch dem des peruaniſchen Heliotrops ähnelt. Die Pevetera geht aber in den Bergen nicht bis zur Zone der Alpenroſen hinauf, ſie kommt im Thale von Chacao vor und die Damen von Caracas verfertigen ein ſehr angenehmes Riechwaſſer daraus.

Wir hielten uns im Pejual mit der Unterſuchung der ſchönen harzigen und wohlriechenden Pflanzen lange auf. Der Himmel wurde immer finſterer, der Thermometer ſank unter 11°. Es iſt dies eine Temperatur, bei der man in dieſem Himmelsſtrich zu frieren anfängt. Tritt man aus dem Gebüſch von Alpenſträuchern, ſo iſt man wieder in einer Savanne. Wir ſtiegen ein Stück am weſtlichen Gipfel hinauf, um darauf in die Einſattelung, in das Thal zwiſchen beiden Gipfeln der Silla hinabzugelangen. Hier war wegen des üppigen Pflanzenwuchſes ſchwer durchzukommen. Ein Botaniker riete nicht leicht darauf, daß das dichte Buſchwerk, das dieſen Grund bedeckt, von einem Gewächs aus der Familie der Muſaceen1Scitamineen oder Bananengewächſe. gebildet wird. Es iſt wahrſcheinlich eine Macanta oder Heliconia; die Blätter ſind breit, glänzend; ſie wird 4,5 bis 5 m hoch und die ſaftigen Stengel ſtehen dicht bei - ſammen wie das Schilfrohr auf feuchten Gründen im öſtlichen Europa. Durch dieſen Wald von Muſaceen mußten wir uns einen Weg bahnen. Die Neger gingen mit ihren Meſſern oder Machetes vor uns her. Das Volk wirft dieſe Alpen - banane und die baumartigen Gräſer unter dem Namen Carice zuſammen; wir ſahen weder Blüte noch Frucht des Gewächſes. Man iſt überraſcht, in 2140 m Höhe, weit über den Andro - meden, Thibaudien und der Alpenroſe der Kordilleren, einer Monokotyledonenfamilie zu begegnen, von der man meint, ſie gehöre ausſchließlich den heißen Niederungen unter den Tropen an. In einer ebenſo hohen und noch nördlicheren Gebirgs - kette, in den blauen Bergen auf Jamaika, wachſen die Papa - geien-Helikonia und der Bichai auch vorzugsweiſe an alpiniſchen ſchattigen Orten.

Wir arbeiteten uns durch das Dickicht von Muſaceen oder baumartigen Kräutern immer dem öſtlichen Gipfel zu, den wir erſteigen wollten. Von Zeit zu Zeit war er durch einen Wolkenriß zu ſehen; auf einmal aber waren wir in dicken Nebel gehüllt und wir konnten uns nur nach dem137 Kompaß richten; gingen wir aber weiter nordwärts, ſo liefen wir bei jedem Schritt Gefahr, an den Rand der ungeheuren Felswand zu gelangen, die faſt ſenkrecht 1950 m hoch zum Meere abfällt. Wir mußten Halt machen; und wie ſo die Wolken um uns her über den Boden wegzogen, fingen wir an zu zweifeln, ob wir vor Einbruch der Nacht auf die öſt - liche Spitze gelangen könnten. Glücklicherweiſe waren in - zwiſchen die Neger, die das Waſſer und den Mundvorrat trugen, eingetroffen, und wir beſchloſſen, etwas zu uns zu nehmen; aber unſere Mahlzeit dauerte nicht lange. Sei es nun, daß der Pater Kapuziner nicht an unſere vielen Begleiter gedacht, oder daß die Sklaven ſich über den Vorrat hergemacht hatten, wir fanden nichts als Oliven und faſt kein Brot. Das Mahl, deſſen Lob Horaz in ſeinem Tibur ſingt,1Oden, Buch I, 31. war nicht leichter und frugaler; an Oliven mochte ſich aber immer - hin ein ſtillſitzender, ſtudierender Poet ſättigen, für Berg - ſteiger waren ſie eine kärgliche Koſt. Wir hatten die ver - gangene Nacht faſt ganz durchwacht, und waren jetzt ſeit neun Stunden auf den Beinen, ohne Waſſer angetroffen zu haben. Unſere Führer hatten den Mut verloren, ſie wollten durchaus umkehren, und Bonpland und ich hielten ſie nur mit Mühe zurück.

Mitten im Nebel machte ich den Verſuch mit dem Volta - ſchen Elektrometer. Obgleich ich ganz nahe an den dicht ge - drängten Helikonien ſtand, erhielt ich deutliche Spuren von Luftelektrizität. Sie wechſelte oft zwiſchen negativ und poſitiv und ihre Intenſität war jeden Augenblick anders. Dieſe Schwankungen und mehrere kleine entgegengeſetzte Luftſtrö - mungen, die den Nebel zerteilten und zu ſcharf begrenzten Wolken ballten, ſchienen mir untrügliche Zeichen, daß das Wetter ſich ändern wollte. Es war erſt 2 Uhr Nachmittag. Wir hofften immer noch vor Sonnenuntergang auf die öſtliche Spitze der Silla gelangen und wieder in das Thal zwiſchen beiden Gipfeln herabkommen zu können. Hier wollten wir von den Negern aus den breiten dünnen Blättern der Heli - konia eine Hütte bauen laſſen, ein großes Feuer anzünden und die Nacht zubringen. Wir ſchickten die Hälfte unſerer Leute fort, mit der Weiſung, uns am anderen Morgen nicht mit Oliven, ſondern mit geſalzenem Fleiſche entgegen - zukommen.

138

Kaum hatten wir ſolches angeordnet, ſo fing der Wind an ſtark von der See her zu blaſen und der Thermometer ſtieg auf 12,5°. Es war ohne Zweifel ein aufſteigender Luft - ſtrom, der die Temperatur erhöhte und damit die Dünſte auflöſte. Kaum zwei Minuten, ſo verſchwanden die Wolken und die beiden Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe vor uns. Wir öffneten den Barometer am tiefſten Punkte der Einſenkung zwiſchen den Gipfeln bei einer kleinen Lache ſchlammigen Waſſers. Hier wie auf den Antillen findet man ſumpfige Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das be - waldete Gebirge die Wolken anzieht, ſondern weil durch die Abkühlung bei Nacht, infolge der Wärmeſtrahlung des Bodens und des Parenchyms der Gewächſe, der Waſſerdunſt verdichtet wird. Das Queckſilber ſtand auf 562 mm. Wir gingen jetzt gerade auf den öſtlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs hielt uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch Helikonien umhauen, aber dieſe baumartigen Kräuter waren jetzt nicht mehr hoch und ſtanden nicht mehr ſo dicht. Die Gipfel der Silla ſelbſt, wie ſchon öfter erwähnt, ſind nur mit Gras und kleinen Befariaſträuchern bewachſen. Aber nicht wegen ihrer Höhe ſind ſie ſo kahl; die Baumgrenze liegt in dieſer Zone noch um 800 m höher; denn nach anderen Gebirgen zu ſchließen, befände ſich dieſe Grenze hier erſt in 3200 m Höhe. Große Bäume ſcheinen auf den beiden Felsgipfeln der Silla nur deshalb zu fehlen, weil der Boden ſo dürr und der Seewind ſo heftig iſt, und die Oberfläche, wie auf allen Bergen unter den Tropen, ſo oft abbrennt.

Um auf den höchſten, öſtlichen Gipfel zu kommen, muß man ſo nahe als möglich an dem ungeheuren Abſturz Cara - valleda und der Küſte zu hingehen. Der Gneis hatte bisher ſein blätteriges Gefüge und ſeine urſprüngliche Streichung behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufſtiegen, ging er in Granit über. Wir brauchten drei Viertelſtunden bis auf die Spitze der Pyramide. Dieſes Stück des Weges iſt keineswegs gefährlich, wenn man nur prüft, ob die Felsſtücke, auf die man den Fuß ſetzt, feſt liegen. Der dem Gneis aufgelagerte Granit iſt nicht regelmäßig geſchichtet, ſondern durch Spalten geteilt, die ſich oft unter rechten Winkeln ſcheiden. Pris - matiſche, 30 cm breite, 4 m lange Blöcke ragen ſchief aus dem Boden hervor, und am Rande des Abſturzes ſieht es aus, als ob ungeheure Balken über dem Abgrunde hingen.

139

Auf dem Gipfel hatten wir, freilich nur einige Minuten, ganz klaren Himmel. Wir genoſſen einer ungemein weiten Ausſicht; wir ſahen zugleich nach Norden über die See weg, nach Süden in das fruchtbare Thal von Caracas hinab. Der Barometer ſtand auf 550 mm, die Temperatur der Luft war 13,7°. Wir waren in 2630 m Meereshöhe. Man überblickt eine Meeresſtrecke von 172 km Halbmeſſer. Wem beim Blick in große Tiefen ſchwindlig wird, muß mitten auf dem kleinen Plateau bleiben. Durch ſeine Höhe iſt der Berg eben nicht ausgezeichnet; iſt er doch gegen 195 m niedriger als der Canigou in den Pyrenäen; aber er unterſcheidet ſich von allen Bergen, die ich bereiſt, durch den ungeheuren Abſturz gegen die See zu. Die Küſte bildet nur einen ſchmalen Saum, und blickt man von der Spitze der Pyramide auf die Häuſer von Caravalleda hinab, ſo meint man infolge einer öfter er - wähnten optiſchen Täuſchung, die Felswand ſei beinahe ſenk - recht. Nach einer genauen Berechnung ſchien mir der Neigungs - winkel 53° 28′; am Pik von Tenerifa beträgt die Neigung im Durchſchnitt kaum 12° 30′. Ein 1950 bis 2270 m hoher Abſturz wie an der Silla von Caracas iſt eine weit ſeltenere Erſcheinung, als man glaubt, wenn man in den Bergen reiſt, ohne ihre Höhen, ihre Maſſen und ihre Abhänge zu meſſen. Seit man ſich in mehreren Ländern Europas von neuem mit Verſuchen über den Fall der Körper und ihre Abweichung gegen Südoſt beſchäftigt, hat man in den Schweizer Alpen ſich überall vergeblich nach einer ſenkrechten, 490 m hohen Felswand umgeſehen. Der Neigungswinkel des Montblanc gegen die Allée blanche beträgt keine 45°, obgleich man in den meiſten geologiſchen Werken lieſt, der Montblanc falle gegen Süd ſenkrecht ab.

Auf der Silla von Caracas iſt der ungeheure nördliche Abhang, trotz ſeiner großen Steilheit, zum Teil bewachſen. Befaria - und Andromedabüſche hängen an der Felswand. Das kleine ſüdwärts gelegene Thal zwiſchen den Gipfeln zieht ſich der Meeresküſte zu fort: die Alpenpflanzen füllen dieſe Einſenkung aus, ragen über den Kamm des Berges empor und folgen den Krümmungen der Schlucht. Man meint, unter dieſen friſchen Schatten müſſe Waſſer fließen, und die Ver - teilung der Gewächſe, die Gruppierung ſo vieler unbeweglicher Gegenſtände bringt Leben und Bewegung in die Landſchaft.

Es war jetzt ſieben Monate, daß wir auf dem Gipfel des Vulkans von Tenerifa geſtanden hatten, wo man eine140 Erdfläche überblickt, ſo groß als ein Vierteil von Frankreich. Der ſcheinbare Meereshorizont liegt dort 27 km weiter ab als auf der Silla, und doch ſahen wir dort den Horizont, wenigſtens eine Zeitlang, ſehr deutlich. Er war ſcharf be - grenzt und verſchwamm nicht mit den anſtoßenden Luftſchichten. Auf der Silla, die um 1070 m niedriger iſt als der Pik von Tenerifa, konnten wir den näher gerückten Horizont gegen Nord und Nord-Nord-Oſt nicht ſehen. Blickten wir über die Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, ſo fiel uns auf, wie das reflektierte Licht in ſteigendem Verhältnis abnahm. Wo die Geſichtslinie die äußerſte Grenze der Fläche ſtreift, verſchwamm das Waſſer mit den darüber gelagerten Luft - ſchichten. Dieſer Anblick hat etwas ſehr Auffallendes. Man erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu ſehen, und ſtatt daß man in dieſer Höhe eine ſcharfe Grenze zwiſchen den beiden Elementen bemerkte, ſchienen die fernſten Waſſer - ſchichten ſich in Dunſt aufzulöſen und mit dem Luftozean zu miſchen. Dasſelbe beobachtete ich, nicht an einem einzigen Stück des Horizontes, ſondern auf einer Strecke von mehr als 160°, am Ufer der Südſee, als ich zum erſtenmal auf dem ſpitzen Felſen über dem Krater der Pichincha ſtand, eines Vul - kanes, der höher iſt als der Montblanc. Ob ein ſehr ferner Horizont ſichtbar iſt oder nicht, das hängt von zwei ver - ſchiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge, welche der Teil des Ozeans empfängt, auf den die Geſichtslinie zuläuft, und von der Schwächung, die das reflektierte Licht bei ſeinem Durchgange durch die dazwiſchen liegenden Luftſchichten erleidet. Trotz des heiteren Himmels und der durchſichtigen Luft kann die See in der Entfernung von 170 bis 180 km ſchwach beleuchtet ſein, oder die Luftſchichten zunächſt der Oberfläche können das Licht bedeutend ſchwächen, indem ſie die durch - gehenden Strahlen abſorbieren.

Selbſt vorausgeſetzt, die Refraktion äußere gar keinen Einfluß, ſollte man auf dem Gipfel der Silla bei ſchönem Wetter die Inſeln Tortuga, Orchila, Roques und Aves ſehen, von denen die nächſten 112,5 km entfernt ſind. Wir ſahen keine derſelben, ſei es nun wegen des Zuſtandes der Luft, oder weil die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu ver - wenden konnten, die Inſeln zu ſuchen, nicht lang genug war. Ein unterrichteter Seemann, der den Berg mit uns hatte beſteigen wollen, Don Miguel Areche, verſicherte uns, die Silla bei den Salzklippen an der Roca de Fuera, unter141 12° 1′ der Breite geſehen zu haben. 1Die Silla liegt unter 10° 31′ 5″ der Breite.Wenn die umgebenden Gipfel die Ausſicht nicht beſchränkten, müßte man von der Silla die Küſte oſtwärts bis zum Morro de Piritu, weſtwärts bis zur Punta del Soldado, 45 km unter dem Winde von Portobello, ſehen. Südwärts, dem inneren Lande zu, be - grenzt die Bergkette, welche Yare und die Savanne von Ocu - mare vom Thale von Caracas trennt, den Horizont wie ein Wall, der in der Richtung eines Parallelkreiſes hinläuft. Hätte dieſer Wall eine Oeffnung, eine Lücke, dergleichen in den hohen Bergen des Salzburger Landes und der Schweiz häufig vorkommen, ſo genöſſe man hier des merkwürdigſten Schauſpieles. Man ſähe durch die Lücke die Llanos, die weiten Steppen von Calabozo, und da dieſe Steppen in gleiche Höhe mit dem Auge des Beobachters aufſtiegen, ſo überſähe man vom ſelben Punkte zwei gleichartige Horizonte, einen Waſſer - und einen Landhorizont.

Die weſtliche abgerundete Spitze der Silla entzog uns die Ausſicht auf die Stadt Caracas; deutlich aber ſahen wir die ihr zunächſtliegenden Häuſer, die Dörfer Chacao und Petare, die Kaffeepflanzungen und den Lauf des Guayre, einen ſilberglänzenden Waſſerfaden. Der ſchmale Streif be - bauten Landes ſtach angenehm ab vom düſteren, wilden Aus - ſehen der umliegenden Gebirge.

Ueberſieht man ſo mit einem Blick dieſe reiche Land - ſchaft, ſo bedauert man kaum, daß kein Bild vergangener Zeiten den Einöden der Neuen Welt höheren Reiz gibt. Ueberall wo in der heißen Zone der von Gebirgen ſtarrende, mit dichtem Pflanzenwuchs bedeckte Boden ſein urſprüngliches Gepräge behalten hat, erſcheint der Menſch nicht mehr als Mittelpunkt der Schöpfung. Weit entfernt, die Elemente zu bändigen, hat er vollauf zu thun, ſich ihrer Herrſchaft zu entziehen. Die Umwandlungen, welche die Erdoberfläche ſeit Jahrhunderten durch die Hand der Wilden erlitten, ver - ſchwinden zu nichts gegen das, was das unterirdiſche Feuer, die austretenden gewaltigen Ströme, die tobenden Stürme in wenigen Stunden leiſten. Der Kampf der Elemente unter ſich iſt das eigentlich Charakteriſtiſche der Naturſzenerie in der Neuen Welt. Ein unbewohntes Land kommt dem Reiſenden aus dem kultivierten Europa wie eine Stadt vor, aus der die Einwohnerſchaft ausgezogen. Hat man einmal in Amerika142 ein paar Jahre in den Wäldern der Niederungen oder auf dem Rücken der Kordilleren gelebt, hat man in Ländern ſo groß wie Frankreich nur eine Handvoll zerſtreuter Hütten ſtehen ſehen, ſo hat eine weite Einöde nichts Schreckendes mehr für die Einbildungskraft. Man wird vertraut mit der Vorſtellung einer Welt, in der nur Pflanzen und Tiere leben, wo niemals der Menſch ſeinen Jubelſchrei oder die Klagelaute ſeines Schmerzes hören ließ.

Wir konnten die günſtige Lage der Silla, die alle Gipfel umher überragt, nicht lange für unſere Zwecke nutzen. Während wir mit dem Fernrohr den Seeſtrich, wo der Horizont ſcharf begrenzt war, und die Bergkette von Ocumare betrachteten, hinter der die unbekannte Welt des Orinoko und des Ama - zonenſtromes beginnt, zog ein dicker Nebel aus der Niederung zu den Höhen herauf. Zuerſt füllte er den Thalgrund von Caracas. Der von oben beleuchtete Waſſerdunſt war gleich - förmig milchweiß gefärbt. Es ſah aus, als ſtünde das Thal unter Waſſer, als bildeten die Berge umher die ſchroffen Ufer eines Meeresarmes. Lange warteten wir vergeblich auf den Sklaven, der den großen Ramsdenſchen Sextanten trug; ich mußte den Zuſtand des Himmels benutzen und entſchloß mich, einige Sonnenhöhen mit einem Troughtonſchen Sextanten von 53 mm Halbmeſſer aufzunehmen. Die Sonnenſcheibe war von Nebel halb verſchleiert. Der Längenunterſchied zwiſchen dem Quartier Trinidad in Caracas und dem öſtlichen Gipfel der Silla ſcheint kaum größer als 3′ 22″.

Während ich, auf dem Geſtein ſitzend, die Inklination der Magnetnadel beobachtete, ſah ich, daß ſich eine Menge haariger Bienen, etwas kleiner als die Honigbiene des nörd - lichen Europas, auf meine Hände geſetzt hatten. Dieſe Bienen niſten im Boden. Sie fliegen ſelten aus, und nach ihren trägen Bewegungen konnte man glauben, ſie ſeien auf dem Berge ſtarr vor Kälte. Man nennt ſie hierzulande Angelitos, Engelchen, weil ſie nur ſehr ſelten ſtechen. Trotz der Be - hauptung mehrerer Reiſenden iſt es nicht wahr, daß dieſe dem neuen Kontinent eigentümlichen Bienen gar keine An - griffswaffe haben. Ihr Stachel iſt nur ſchwächer und ſie brauchen denſelben ſeltener. Solange man von der Harm - loſigkeit dieſer Angelitos nicht vollkommen überzeugt iſt, kann man ſich einiger Beſorgnis nicht erwehren. Ich geſtehe, daß ich oft während aſtronomiſcher Beobachtungen beinahe die Inſtrumente hätte fallen laſſen, wenn ich ſpürte, daß mir143 Geſicht und Hände voll dieſer haarigen Bienen ſaßen. Unſere Führer verſicherten, ſie ſetzen ſich nur zur Wehr, wenn man ſie durch Anfaſſen der Füße reize. Ich fühlte mich nicht aufgelegt, den Verſuch an mir ſelbſt zu machen.

Die Lufttemperatur auf der Silla ſchwankte zwiſchen 11 und 14°, je nachdem die Luft ſtill war oder der Wind blies. Bekanntlich iſt es ſehr ſchwer, auf Berggipfeln die Temperatur zu beſtimmen, nach der man die Barometerhöhe zu berechnen hat. Der Wind kam aus Oſt, und dies ſcheint zu beweiſen, daß der Seewind oder die Paſſatwinde in dieſer Breite weit über 2920 m hinaufreichen. Leopold von Buch hat die Beobachtung gemacht, daß auf dem Pik von Tenerifa, nahe an der nördlichen Grenze der Paſſatwinde, in 3700 m Meereshöhe, meiſt ein Gegenwind (vent de remou), der Weſtwind, herrſcht. Die Pariſer Akademie der Wiſſenſchaften hatte die Phyſiker, welche den unglücklichen La Peyrouſe be - gleiteten, aufgefordert, zur See unter den Tropen mittels kleiner Luftballons zu beobachten, wie weit die Paſſate hinauf - reichen. Dergleichen Unterſuchungen ſind ſehr ſchwierig, wenn der Beobachter an der Erdoberfläche bleibt. Die kleinen Ballons ſteigen meiſt nicht ſo hoch als die Silla, und das leichte Gewölk, das ſich zuweilen in 5850 bis 7800 m Höhe zeigt, wie z. B. die ſogenannten Schäfchen, ſtehen ſtill oder rücken ſo langſam fort, daß ſich ihre Richtung nicht beſtimmen läßt.

Während der kurzen Zeit, wo der Himmel im Zenith klar war, fand ich das Blau der Luft um ein Bedeutendes dunkler als an der Küſte. Es war gleich 26,5° des Sauſſure - ſchen Kyanometers. In Caracas zeigte dasſelbe Inſtrument bei hellem, trockenem Wetter meiſt nur 18°. Wahrſcheinlich iſt in den Monaten Juli und Auguſt der Unterſchied in dieſer Beziehung zwiſchen der Küſte und dem Gipfel der Silla noch viel bedeutender. Was aber unter allen meteorologiſchen Er - ſcheinungen in der Stunde, die wir auf dem Berge zubrach - ten, Bonpland und mich am meiſten überraſchte, war die an - ſcheinende Trockenheit der Luft, die mit der Entwickelung des Nebels noch zuzunehmen ſchien. Als ich den (Delucſchen) Fiſchbeinhygrometer aus dem Kaſten nahm, um damit zu experimentieren, zeigte er 52° (87° nach Sauſſure). Der Himmel war hell; aber Dunſtſtreifen mit deutlichen Umriſſen zogen von Zeit zu Zeit zwiſchen uns durch am Boden weg. Der Delucſche Hygrometer ging auf 49° (85° nach Sauſſure) zu - rück. Eine halbe Stunde ſpäter hüllte eine dicke Wolke uns144 ein; wir konnten die nächſten Gegenſtände nicht mehr er - kennen und ſahen mit Erſtaunen, daß das Inſtrument fort - während dem Trockenpunkte zuging, bis 47° (84° Sauſſure). Die Lufttemperatur war dabei 12 bis 13°. Obgleich beim Fiſchbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht bei 100° iſt, ſondern bei 84,5° (99° S.), ſo ſchien mir doch dieſer Einfluß einer Wolke auf den Gang des Inſtrumentes im höchſten Grade auffallend. Der Nebel dauerte lange ge - nug, daß der Fiſchbeinſtreifen durch Anziehung der Waſſer - teilchen ſich hätte verlängern können. Unſere Kleider wurden nicht feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Rei - ſender verſicherte mich kürzlich, er habe auf der Montagne pelée auf Martinique eine Wolke ähnlich auf den Haarhygro - meter wirken ſehen. Der Phyſiker hat die Verpflichtung, die Erſcheinungen zu berichten, wie die Natur ſie bietet, zu - mal wenn er nichts verſäumt hat, um Fehler in der Be - obachtung zu vermeiden. Sauſſure ſah während eines heftigen Regenguſſes, wobei ſein Hygrometer nicht naß wurde, den - ſelben (faſt wie auf der Silla in der Wolke) auf 84,7° (48,6° Deluc) ſtehen bleiben; man begreift aber leichter, daß die Luft zwiſchen den Regentropfen nicht vollſtändig geſättigt wird, als daß der Waſſerdunſt, der den hygroſkopiſchen Körper unmittelbar berührt, denſelben nicht dem Sättigungspunkte zutreibt. In welchem Zuſtande befindet ſich Waſſerdunſt, der nicht naß macht und doch ſichtbar iſt? Man muß, glaube ich, annehmen, daß ſich eine trockenere Luft mit der, in der ſich die Wolke gebildet, gemiſcht hat, und daß die Dunſtbläschen, die ein weit geringeres Volumen haben als die dazwiſchen befindliche Luft, die glatte Fläche des Fiſchbeinſtreifens nicht naß gemacht haben. Die durchſichtige Luft vor einer Wolke kann zuweilen feuchter ſein als der Luftſtrom, der mit der Wolke zu uns gelangt.

Es wäre unvorſichtig geweſen, in dieſem dichten Nebel am Rande eines 2270 bis 2600 m hohen Abhanges länger zu verweilen. Wir gingen wieder vom Oſtgipfel der Silla herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht nur eine neue, ſehr intereſſante Gattung bildet, ſondern die wir auch, zu unſerer großen Ueberraſchung, ſpäter auf dem Gipfel des Vulkanes Pichincha in der ſüdlichen Halbkugel, 1800 km von der Silla, wieder fanden. 1Aegopogon cenchroides. Lichen floridus, der im145 nördlichen Europa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der Befaria und der Gaultheria odorata, und hing bis zur Wurzel der Geſträuche nieder. Während ich die Mooſe unter - ſuchte, welche den Gneis im Grunde zwiſchen beiden Gipfeln überziehen, fand ich zu meiner Ueberraſchung echte Geſchiebe, gerollte Quarzſtücke. Man ſieht leicht ein, daß das Thal von Caracas einmal ein Landſee ſein kann, ehe der Guayre - fluß gegen Oſt bei Caurimare, am Fuße des Hügels Auyamas durchbrach, und ehe die Tijeſchlucht ſich nach Weſt gegen Catia und Cabo Blanco zu geöffnet hatte; aber wie könnte das Waſſer je bis zum Fuße des Sillagipfels geſtiegen ſein, da die dieſem Gipfel gegenüberliegenden Berge von Ocumare ſo niedrig ſind, daß das Waſſer über ſie in die Llanos hätte abfließen müſſen? Die Geſchiebe können nicht von höheren Punkten hergeſchwemmt ſein, weil keine Höhe ringsum die Silla überragt. Soll man annehmen, daß ſie mit der ganzen Bergkette längs des Meeresufers emporgehoben worden ſind?

Es war Uhr abends, als wir mit unſeren Beob - achtungen fertig waren. In der Freude über den glücklichen Erfolg unſerer Reiſe dachten wir nicht daran, daß der Weg abwärts im Finſtern über ſteile, mit kurzem glatten Raſen bedeckte Abhänge gefährlich ſein könnte. Wegen des Nebels konnten wir nicht in das Thal hinunterſehen; wir ſahen aber deutlich den Doppelhügel der Puerta, und derſelbe erſchien, wie immer die Gegenſtände, die faſt ſenkrecht unter einem liegen, ganz auffallend nahe gerückt. Wir gaben den Ge - danken auf, zwiſchen den beiden Gipfeln der Silla zu über - nachten, und nachdem wir den Weg wieder gefunden, den wir uns im Heraufſteigen durch den dichten Helikonienbuſch ge - bahnt, kamen wir in den Pejual, in die Region der wohl - riechenden und harzigen Sträucher. Die herrlichen Befarien, ihre mit großen Purpurblüten bedeckten Zweige nahmen uns wieder ganz in Anſpruch. Wenn man in dieſen Erdſtrichen Pflanzen für Herbarien ſammelt, iſt man um ſo wähleriſcher, je üppiger die Vegetation iſt. Man wirft Zweige, die man eben abgeſchnitten, wieder weg, weil ſie einem nicht ſo ſchön vorkommen als Zweige, die man nicht erreichen konnte. Wen - det man endlich, mit Pflanzen beladen, dem Buſchwerk den Rücken, ſo will es einen faſt reuen, daß man nicht noch mehr mitgenommen. Wir hielten uns ſo lange im Pejual auf, daß die Nacht uns überraſchte, ehe wir in 1750 m Höhe die Savanne betraten.

A. v. Humboldt, Reiſe. II. 10146

Da es zwiſchen den Wendekreiſen faſt keine Dämmerung gibt, ſieht man ſich auf einmal aus dem hellſten Tageslicht in Finſternis verſetzt. Der Mond ſtand über dem Horizont; ſeine Scheibe ward zuweilen durch dicke Wolken bedeckt, die ein heftiger kalter Wind über den Himmel jagte. Die ſteilen, mit gelbem trockenem Graſe bewachſenen Abhänge lagen bald im Schatten, bald wurden ſie auf einmal wieder beleuchtet und erſchienen dann als Abgründe, in deren Tiefe man nieder - ſah. Wir gingen in einer Reihe hintereinander; man ſuchte ſich mit den Händen zu halten, um nicht zu fallen und den Berg hinabzurollen. Von den Führern, welche unſere In - ſtrumente trugen, fiel einer um den anderen ab, um auf dem Berge zu übernachten. Unter denen, die bei uns blieben, war ein Congoneger, deſſen Gewandtheit ich bewunderte; er trug einen großen Inklinationskompaß auf dem Kopf und hielt die Laſt trotz der ungemeinen Steilheit des Abhanges beſtändig im Gleichgewicht. Der Nebel im Thale war nach und nach verſchwunden. Die zerſtreuten Lichter, die wir tief unter uns ſahen, täuſchten uns in doppelter Beziehung; einmal ſchien der Abhang noch gefährlicher, als er wirklich war, und dann meinten wir in den ſechs Stunden, in denen wir beſtändig abwärts gingen, den Höfen am Fuße der Silla immer gleich nahe zu ſein. Wir hörten ganz deutlich Menſchenſtimmen und die ſchrillen Töne der Guitarren. Der Schall pflanzt ſich von unten nach oben meiſt ſo gut fort, daß man in einem Luftballon bisweilen in 5850 m Höhe die Hunde bellen hört. 1So Gay-Luſſac bei ſeiner Luftfahrt am 16. September 1803.

Erſt um 10 Uhr abends kamen wir äußerſt ermüdet und durſtig im Thale an. Wir waren fünfzehn Stunden lang faſt beſtändig auf den Beinen geweſen; der rauhe Felsboden und die dürren harten Grasſtoppeln hatten uns die Fußſohlen zerriſſen, denn wir hatten die Stiefeln ausziehen müſſen, weil die Sohlen zu glatt geworden waren. An Abhängen, wo weder Sträucher, noch holzige Kräuter wachſen, an denen man ſich mit den Händen halten kann, kommt man barfuß ſicherer herab. Um Weg abzuſchneiden, führte man uns von der Puerta zum Hofe Gallegos über einen Fußpfad, der zu einem Waſſerſtück, El Tanque genannt, führt. Man verfehlte den Fußpfad, und auf dieſem letzten Wegſtück, wo es am aller - ſteilſten abwärts ging, kamen wir in die Nähe der Schlucht147 Chacaito. Durch den Donner der Waſſerfälle erhielt das nächtliche Bild einen wilden, großartigen Charakter.

Wir übernachteten am Fuße der Silla; unſere Freunde in Caracas hatten uns durch Fernrohre auf dem öſtlichen Berggipfel ſehen können. Mit Teilnahme hörte man unſere beſchwerliche Bergfahrt beſchreiben, aber mit einer Meſſung, nach der die Silla nicht einmal ſo hoch ſein ſollte als der höchſte Pyrenäengipfel,1Man glaubte früher, die Silla von Caracas ſei ſo ziemlich ſo hoch als der Pik von Tenerifa. war man ſehr ſchlecht zufrieden. Wer möchte ſich über eine nationale Vorliebe aufhalten, die ſich in einem Lande, wo von Denkmälern der Kunſt keine Rede iſt, an Naturdenkmale hängt? Kann man ſich wundern, wenn die Einwohner von Quito und Riobamba, deren Stolz ſeit Jahrhunderten die Höhe ihres Chimborazo iſt, von Meſſungen nichts wiſſen wollen, nach denen das Himalayagebirge in Indien alle Koloſſe der Kordilleren überragt?

[148]

Vierzehntes Kapitel.

Erdbeben von Caracas. Zuſammenhang zwiſchen dieſer Erſchei - nung und den vulkaniſchen Ausbrüchen auf den Antillen.

Wir verließen Caracas am 7. Februar in der Abend - kühle, um unſere Reiſe an den Orinoko anzutreten. Die Er - innerung an dieſen Abſchied iſt uns heute ſchmerzlicher als vor einigen Jahren. Unſere Freunde haben in den blutigen Bürgerkriegen, die jenen fernen Ländern die Freiheit jetzt brachten, jetzt wieder entriſſen, das Leben verloren. Das Haus, in dem wir wohnten, iſt nur noch ein Schutthaufen. Furchtbare Erdbeben haben die Bodenfläche umgewandelt; die Stadt, die ich beſchrieben habe, iſt verſchwunden. An der - ſelben Stelle, auf dieſem zerklüfteten Boden, erhebt ſich all - mählich eine neue Stadt. Die Trümmerhaufen, die Gräber einer zahlreichen Bevölkerung, dienen bereits wieder Menſchen zur Wohnung.

Die großen Ereigniſſe, von denen ich hier ſpreche, und welche die allgemeinſte Teilnahme erregt haben, fallen lange nach meiner Rückkehr nach Europa. Ueber die politiſchen Stürme, über die Veränderungen, welche in den geſellſchaft - lichen Zuſtänden eingetreten, gehe ich hier weg. Die neueren Völker ſind bedacht für ihren Ruf bei der Nachwelt und ver - zeichnen ſorgfältig die Geſchichte der menſchlichen Umwälzungen, und damit die Geſchichte ungezügelter Leidenſchaften und ein - gewurzelten Haſſes. Mit den Umwälzungen in der äußeren Natur iſt es anders; man kümmert ſich wenig darum, ſie genau zu beſchreiben, vollends nicht, wenn ſie in die Zeiten bürgerlicher Zwiſte fallen. Die Erdbeben, die vulkaniſchen Ausbrüche wirken gewaltig auf die Einbildungskraft wegen des Unheils, das notwendig ihre Folge iſt. Die Ueberlieferung greift vorzugsweiſe nach allem Geſtaltloſen und Wunderbaren, und bei großen allgemeinen Unfällen, wie beim Unglück des149 einzelnen, ſcheut der Menſch das Licht, das ihm die wahren Urſachen des Geſchehenen zeigte und die begleitenden Um - ſtände erkennen ließe. Ich glaubte, in dieſem Werke nieder - legen zu ſollen, was ich an zuverläſſiger Kunde über die Erd - ſtöße zuſammengebracht, die am 26. März 1812 die Stadt Caracas zerſtört und in der Provinz Venezuela faſt in einem Augenblick über zwanzigtauſend Menſchen das Leben gekoſtet haben. Die Verbindungen, die ich fortwährend mit Leuten aller Stände unterhalten, ſetzten mich in den Stand, die Be - richte mehrerer Augenzeugen zu vergleichen und Fragen über Punkte an ſie zu richten, an deren Aufklärung der Wiſſen - ſchaft vorzugsweiſe gelegen iſt. Als Geſchichtſchreiber der Natur hat der Reiſende die Zeit des Eintrittes großer Kata - ſtrophen feſtzuſtellen, ihren Zuſammenhang und ihre gegen - ſeitigen Verhältniſſe zu unterſuchen, und im raſchen Ablauf der Zeit, im ununterbrochenen Zuge ſich drängender Ver - wandlungen feſte Punkte zu bezeichnen, mit denen einſt andere Kataſtrophen vergleichen werden mögen. In der unermeßlichen Zeit, welche die Geſchichte der Natur umfaßt, rücken alle Zeit - punkte des Geſchehenen nahe zuſammen; die verfloſſenen Jahre erſcheinen wie Augenblicke, und wenn die phyſiſche Beſchrei - bung eines Landes von keinem allgemeinen und überhaupt von keinem großen Intereſſe iſt, ſo hat ſie zum wenigſten den Vorteil, daß ſie nicht veraltet. Betrachtungen dieſer Art haben La Condamine bewogen, die denkwürdigen Ausbrüche des Vulkanes Cotopaxi,1Am 30. November 1744 und 3. September 1750. die lange nach ſeinem Abgange von Quito ſtattgefunden, in ſeiner Reiſe zum Aequator zu beſchreiben. Ich glaube dem Beiſpiel des großen Gelehrten deſto unbe - ſorgter vor irgend welchem Vorwurf folgen zu dürfen, da die Ereigniſſe, die ich zu beſchreiben gedenke, für die Theorie von den vulkaniſchen Reaktionen ſprechen, das heißt für den Einfluß, den ein Syſtem von Vulkanen auf den weiten Landſtrich umher ausübt.

Als Bonpland und ich in den Provinzen Neuandaluſien, Nueva Barcelona und Caracas uns aufhielten, war die Mei - nung allgemein verbreitet, daß die am weiteſten nach Oſten gelegenen Striche dieſer Küſten den verheerenden Wirkungen der Erdbeben am meiſten ausgeſetzt ſeien. Die Einwohner von Cumana ſcheuten das Thal von Caracas wegen des150 feuchten, veränderlichen Klimas, wegen des umzogenen, trüb - ſeligen Himmels. Die Bewohner dieſes kühlen Thales da - gegen ſprachen von Cumana als von einer Stadt, wo man jahraus, jahrein eine erſtickend heiße Luft atme und wo der Boden von heftigen Erdſtößen erſchüttert werde. Selbſt Ge - bildete dachten nicht an die Verwüſtung von Riobamba und anderen hochgelegenen Städten; ſie wußten nicht, daß die Erſchütterung des Kalkſteins an der Küſte von Cumana ſich in die aus Glimmerſchiefer beſtehende Halbinſel Araya fort - pflanzt, und ſo waren ſie der Meinung, daß Caracas ſo - wohl wegen des Baues ſeines Urgebirges als wegen der hohen Lage der Stadt nichts zu beſorgen habe. Feierliche Gottesdienſte, die in Guayra und in der Hauptſtadt ſelbſt bei nächtlicher Weile begangen wurden,1Z. B. die nächtliche Prozeſſion am 21. Oktober zum An - denken an das große Erdbeben an dieſem Tage um 1 Uhr nach Mitternacht im Jahre 1778. Andere ſehr ſtarke Erdſtöße kamen vor in den Jahren 1641, 1703 und 1802. mahnten ſie aller - dings daran, daß von Zeit zu Zeit die Provinz Venezuela von Erdbeben heimgeſucht worden war; aber Gefahren, die ſelten wiederkehren, machen einem wenig bange. Im Jahre 1811 ſollte eine gräßliche Erfahrung eine ſchmeichelnde Theorie und den Volksglauben über den Haufen werfen. Caracas, weſtlich von Cumana und weſtlich vom Meridian der vulkaniſchen Karibiſchen Inſeln, erlitt heftigere Stöße, als man je auf den Küſten von Paria und Neuandaluſien geſpürt.

Gleich nach meiner Ankunft in Terra Firma war mir der Zuſammenhang zwiſchen zwei Naturereigniſſen, zwiſchen der Zerſtörung von Cumana am 14. Dezember 1797 und dem Ausbruch der Vulkane auf den Kleinen Antillen, aufgefallen. Etwas Aehnliches zeigte ſich nun auch bei der Verwüſtung von Caracas am 26. März 1812. Im Jahre 1797 ſchien der Vulkan der Inſel Guadeloupe auf die Küſte von Cumana reagiert zu haben; 15 Jahre ſpäter wirkte, wie es ſcheint, ein dem Feſtlande näher liegender Vulkan, der auf San Vin - cent, in derſelben Weiſe bis nach Caracas und an den Apure hin. Wahrſcheinlich lag beidemal der Herd des Ausbruches in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erd - oberfläche, bis zu welchen die Bewegung ſich fortpflanzte.

151

Von Anfang des Jahres 1811 bis 1813 wurde ein be - trächtliches Stück der Erdfläche zwiſchen den Azoren und dem Thale des Ohio, den Kordilleren von Neugranada, den Küſten von Venezuela und den Vulkanen der Kleinen Antillen faſt zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erſchüttert, die man einem unterirdiſchen Feuerherde zuſchreiben kann. Ich zähle hier die Erſcheinungen auf, welche es wahrſcheinlich machen, daß auf ungeheure Diſtanzen Verbindungen beſtehen. Am 30. Ja - nuar 1811 brach bei einer der Azoriſchen Inſeln, bei San Michael, ein unterſeeiſcher Vulkan aus. An einer Stelle, wo die See 110 m tief iſt, hob ſich ein Fels über den Waſſer - ſpiegel. Die erweichte Erdkruſte ſcheint emporgehoben worden zu ſein, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie dies auch bei den Vulkanen von Jorullo in Mexiko und bei der Bildung der Inſel Klein-Kameni bei Santorin beobachtet wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war anfangs nur eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein ſechstägiger Aus - bruch, durch den die Klippe immer größer und nach und nach 97 m über dem Meeresſpiegel hoch wurde. Dieſes neue Land, das Kapitän Tillard alsbald im Namen der großbritanniſchen Regierung in Beſitz nahm und Sabrina nannte, hatte 1750 m Durchmeſſer. Das Meer ſcheint die Inſel wieder verſchlungen zu haben. Es iſt dies das dritte Mal, daß bei der Inſel San Michael unterſeeiſche Vulkane ſo außerordentliche Er - ſcheinungen hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieſer Vulkane an eine gewiſſe Periode gebunden, in der ſich jedes - mal elaſtiſche Flüſſigkeiten bis zu einem beſtimmten Grade angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91 oder 92 Jahren wieder zum Vorſchein. Es iſt zu bedauern, daß trotz der Nähe keine europäiſche Regierung, keine gelehrte Geſellſchaft Phyſiker und Geologen nach den Azoren geſchickt hat, um eine Erſcheinung näher unterſuchen zu laſſen, durch welche für die Geſchichte der Vulkane und des Erdballes über - haupt ſo viel gewonnen werden konnte.

Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erſchien, wurden die Kleinen Antillen, 3600 km ſüdweſtwärts von den Azoren gelegen, häufig von Erdbeben heimgeſucht. Vom Mai 1811 bis April 1812 ſpürte man auf der Inſel San Vincent, einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über 200 Erd - ſtöße. Die Bewegungen beſchränkten ſich aber nicht auf das Inſelgebiet von Südamerika. Vom 16. Dezember 1811 an bebte die Erde in den Thälern des Miſſiſſippi, des Arkanſas152 und Ohio faſt unaufhörlich. Im Oſten der Alleghanies waren die Schwingungen ſchwächer als im Weſten, in Tenneſſee und Kentucky. Sie waren von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe begleitet, das von Südweſt herkam. Auf einigen Punkten zwiſchen Neumadrid und Little Prairie, wie beim Salzwerk nördlich von Cincinnati unter 34° 45′ der Breite, ſpürte man mehrere Monate lang täglich, ja faſt ſtündlich Erdſtöße. Sie dauerten im ganzen vom 16. Dezember 1811 bis ins Jahr 1813. Die Stöße waren anfangs auf den Süden, auf das untere Miſſiſſippithal beſchränkt, ſchienen ſich aber allmählich gegen Norden fortzupflanzen.

Um dieſelbe Zeit nun, wo in den Staaten jenſeits der Alleghanies dieſe lange Reihe von Erderſchütterungen anhob, im Dezember 1811, ſpürte man in der Stadt Caracas den erſten Erdſtoß bei ſtiller, heiterer Luft. Dieſes Zuſammen - treffen war ſchwerlich ein zufälliges, denn man muß bedenken, daß, ſo weit auch die betreffenden Länder auseinander liegen, die Niederungen von Louiſiana und die Küſten von Venezuela und Cumana demſelben Becken, dem Meere der Antillen, angehören. Dieſes Mittelmeer mit mehreren Aus - gängen iſt von Südoſt nach Nordweſt gerichtet, und es ſcheint ſich früher über die weiten, allmählich 58,95 und 156 m über das Meer anſteigenden, aus ſekundären Gebirgsarten beſtehenden, vom Ohio, Miſſouri, Arkanſas und Miſſiſſippi durchſtrömten Ebenen forterſtreckt zu haben. Aus geologiſchem Geſichtspunkte betrachtet, erſcheinen als Begrenzung des See - beckens der Antillen und des Meerbuſens von Mexiko im Süden die Küſtenbergkette von Venezuela und die Kordilleren von Merida und Pamplona, im Oſten die Gebirge der An - tillen und die Alleghanies, im Weſten die Anden von Mexiko und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden Höhenzüge zwiſchen den kanadiſchen Seen und den Neben - flüſſen des Miſſiſſippi. Ueber zwei Dritteile dieſes Beckens ſind mit Waſſer bedeckt. Zwei Reihen thätiger Vulkane faſſen es ein: oſtwärts auf den Kleinen Antillen, zwiſchen dem 13. und 16. Grad der Breite, weſtwärts in den Kordilleren von Nicaragua, Guatemala und Mexiko, zwiſchen dem 11. und 20. Grad. Bedenkt man, daß das große Erdbeben von Liſſabon am 1. November 1755 faſt im ſelben Augenblick an der Küſte von Schweden, am Ontarioſee und auf Martinique geſpürt wurde, ſo kann die Annahme nicht zu keck erſcheinen, daß das ganze Becken der Antillen von Cumana und Caracas bis zu153 den Ebenen von Louiſiana zuweilen gleichzeitig durch Stöße erſchüttert werden kann, die von einem gemeinſamen Herde ausgehen.

Auf den Küſten von Terra Firma herrſcht allgemein der Glaube, die Erdbeben werden häufiger, wenn ein paar Jahre lang die elektriſchen Entladungen in der Luft auffallend ſelten geweſen ſind. Man wollte in Cumana und Caracas die Beob - achtung gemacht haben, daß ſeit dem Jahre 1792 die Regen - güſſe nicht ſo oft als ſonſt von Blitz und Donner begleitet geweſen, und man war ſchnell bei der Hand, ſowohl die gänz - liche Zerſtörung von Cumana im Jahre 1799 als die Erd - ſtöße, die man 1800, 1801 und 1802 in Maracaybo, Porto Cabello und Caracas geſpürt, einer Anhäufung der Elek - trizität im Inneren der Erde zuzuſchreiben. Wenn man lange in Neuandaluſien oder in den Niederungen von Peru gelebt hat, kann man nicht wohl in Abrede ziehen, daß zu Anfang der Regenzeit, alſo eben zur Zeit der Gewitter, das Auftreten von Erdbeben am meiſten zu beſorgen iſt. Die Luft und die Beſchaffenheit der Erdoberfläche ſcheinen auf eine uns noch ganz unbekannte Weiſe auf die Vorgänge in großen Tiefen Einfluß zu äußern, und wenn man einen Zuſammenhang zwiſchen der Seltenheit der Gewitter und der Häufigkeit der Erdbeben bemerkt haben will, ſo gründet ſich dies, meiner Meinung nach, keineswegs auf lange Erfahrung, ſondern iſt nur eine Hypotheſe der Halbgelehrten im Lande. Gewiſſe Erſcheinungen können zufällig zuſammentreffen. Den auf - fallend ſtarken Stößen, die man am Miſſiſſippi und Ohio zwei Jahre lang faſt beſtändig ſpürte, und die im Jahre 1812 mit denen im Thale von Caracas zuſammentrafen, ging in Louiſiana ein faſt gewitterloſes Jahr voran, und dies fiel wieder allgemein auf. Es kann nicht wunder nehmen, wenn man im Vaterlande Franklins zur Erklärung von Erſcheinungen gar gern die Lehre von der Elektrizität her - beizieht.

Der Stoß, den man im Dezember 1811 in Caracas ſpürte, war der einzige, der der ſchrecklichen Kataſtrophe am 26. März 1812 voranging. Man wußte in Terra Firma nichts davon, daß einerſeits der Vulkan auf San Vincent ſich rührte und andererſeits am 7. und 8. Februar 1812 im Becken des Miſ - ſiſſippi die Erde Tag und Nacht fortbebte. Um dieſe Zeit herrſchte in der Provinz Venezuela große Trockenheit. In Caracas und 400 km in der Runde war in den fünf Monaten154 vor dem Untergang der Hauptſtadt kein Tropfen Regen ge - fallen. Der 26. März war ein ſehr heißer Tag; die Luft war ſtill, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und ein großer Teil der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts ver - kündete die Schrecken dieſes Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten abends ſpürte man den erſten Erdſtoß. Er war ſo ſtark, daß die Kirchenglocken anſchlugen, und währte 5 bis 6 Se - kunden. Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10 bis 12 Se - kunden dauernder, währenddeſſen der Boden in beſtändiger Wellenbewegung war wie eine kochende Flüſſigkeit. Schon meinte man, die Gefahr ſei vorüber, als ſich unter dem Boden ein furchtbares Getöſe hören ließ. Es glich dem Rollen des Donners; es war aber ſtärker und dauerte länger als der Donner in der Gewitterzeit unter den Tropen. Dieſem Ge - töſe folgte eine ſenkrechte, etwa 3 bis 4 Sekunden anhaltende Bewegung und dieſer wiederum eine etwas längere wellen - förmige Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegegengeſetzter Richtung, von Nord nach Süd und von Oſt nach Weſt. Dieſer Bewegung von unten nach oben und dieſen ſich kreu - zenden Schwingungen konnte nichts widerſtehen. Die Stadt Caracas wurde völlig über den Haufen geworfen. Tauſende von Menſchen (zwiſchen 9000 und 10000) wurden unter den Trümmern der Kirchen und Häuſer begraben. Die Prozeſſion war noch nicht ausgezogen, aber der Zudrang zu den Kirchen war ſo groß, daß 3000 bis 4000 Menſchen von den ein - ſtürzenden Gewölben erſchlagen wurden. Die Exploſion war am ſtärkſten auf der Nordſeite, im Stadtteil, der dem Berge Avila und der Silla am nächſten liegt. Die Kirchen della Trinidad und Alta Gracia, die über 50 m hoch waren und deren Schiff von 3 bis 4 m dicken Pfeilern getragen wurde, lagen als kaum 1,5 bis 2 m hohe Trümmerhaufen da. Der Schutt hat ſich ſo ſtark geſetzt, daß man jetzt faſt keine Spur mehr von Pfeilern und Säulen findet. Die Kaſerne El Quartel de San Carlos, die nördlich von der Kirche Della Trinidad auf dem Wege nach dem Zollhauſe Paſtora lag, verſchwand faſt völlig. Ein Regiment Linientruppen ſtand unter den Waffen, um ſich der Prozeſſion anzuſchließen; es wurde, wenige Mann ausgenommen, unter den Trümmern des großen Ge - bäudes begraben. Neun Zehnteile der ſchönen Stadt Caracas wurden völlig verwüſtet. Die Häuſer, die nicht zuſammen - ſtürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzinerkloſter, erhielten ſo ſtarke Riſſe, daß man nicht wagen konnte, darin155 zu bleiben. Im ſüdlichen und weſtlichen Teile der Stadt, zwiſchen dem großen Platz und der Schlucht des Caraguata waren die Wirkungen des Erdbebens etwas geringer. Hier blieb die Hauptkirche mit ihren ungeheuren Strebepfeilern ſtehen. 1Delpeche, Sur le tremblement de terre de Venezuela, en 1812 (Manuſkript).

Bei der Angabe von 9000 bis 10000 Toten in Caracas ſind die Unglücklichen nicht gerechnet, die, ſchwer verwundet, erſt nach Monaten aus Mangel an Nahrung und Pflege zu Grunde gingen. Die Nacht vom Donnerstag zum Karfreitag bot ein Bild unſäglichen Jammers und Elends. Die dicke Staubwolke, welche über den Trümmern ſchwebte und wie ein Nebel die Luft verfinſterte, hatte ſich zu Boden geſchlagen. Kein Erdſtoß war mehr zu ſpüren, es war die ſchönſte, ſtillſte Nacht. Der faſt volle Mond beleuchtete die runden Gipfel der Silla, und am Himmel ſah es ſo ganz anders aus als auf der mit Trümmern und Leichen bedeckten Erde. Man ſah Mütter mit den Leichen ihrer Kinder in den Armen, die ſie wieder zum Leben zu bringen hofften; Familien liefen jammernd durch die Stadt und ſuchten einen Bruder, einen Gatten, einen Freund, von denen man nichts wußte und die ſich in der Volksmenge verloren haben mochten. Man drängte ſich durch die Straßen, die nur noch an den Reihen von Schutthaufen kenntlich waren.

Alle Schrecken der großen Kataſtrophen von Liſſabon, Meſſina, Lima und Riobamba wiederholten ſich am Unglücks - tage des 26. März 1812. Die unter den Trümmern be - grabenen Verwundeten riefen die Vorübergehenden laut um Hilfe an, und es wurden auch über 2000 hervorgezogen. Nie hat ſich das Mitleid rührender, man kann ſagen ſinnreicher beſtätigt als hier, wo es galt, zu den Unglücklichen zu dringen, die man jammern hörte. Es fehlte völlig an Werkzeugen zum Graben und Wegräumen des Schuttes; man mußte die noch Lebenden mit den Händen ausgraben. Man brachte die Ver - wundeten und die Kranken, die ſich aus den Spitälern ge - rettet, am Ufer des Guayre unter, aber hier fanden ſie kein Obdach als das Laub der Bäume. Betten, Leinwand zum Verbinden der Wunden, chirurgiſche Inſtrumente, alles Un - entbehrliche lag unter den Trümmern begraben. Es fehlte an allem, in den erſten Tagen ſogar an Lebensmitteln, und156 im Inneren der Stadt ging vollends das Waſſer aus. Das Erdbeben hatte die Leitungsröhren der Brunnen zertrümmert und Erdſtürze hatten die Quellen verſchüttet. Um Waſſer zu bekommen, mußte man zum Guayre hinunter, der bedeutend angeſchwollen war, und es fehlte an Gefäßen.

Den Toten die letzte Ehre zu erweiſen, war ſowohl ein Werk der Pietät, als bei der Beſorgnis vor Verpeſtung der Luft geboten. Da es geradezu unmöglich war, ſo viele tauſend halb unter den Trümmern ſteckende Leichen zu be - erdigen, ſo wurde eine Kommiſſion beauftragt, ſie zu ver - brennen. Man errichtete zwiſchen den Trümmern Scheiter - haufen, und die Leichenfeier dauerte mehrere Tage. Im all - gemeinen Jammer flüchtete das Volk zur Andacht und zu Ceremonien, mit denen es den Zorn des Himmels zu be - ſchwichtigen hoffte. Die einen traten zu Bittgängen zu - ſammen und ſangen Trauerchöre; andere halb ſinnlos, beich - teten laut auf der Straße. Da geſchah auch hier, was in der Provinz Quito nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797 vorgekommen war: viele Perſonen, die ſeit langen Jahren nicht daran gedacht hatten, den Segen der Kirche für ihre Verbindung zu ſuchen, ſchloſſen den Bund der Ehe; Kinder fanden ihre Eltern, von denen ſie bis jetzt ver - leugnet worden; Leute, die niemand eines Betruges beſchuldigt hatte, gelobten Erſatz zu leiſten; Familien, die lange in Feind - ſchaft gelebt, verſöhnten ſich im Gefühl des gemeinſamen Un - glücks. Wenn dieſes Gefühl auf die einen verſittlichend wirkte und das Herz für das Mitleid aufſchloß, wirkte es in anderen das Gegenteil: ſie wurden nur noch hartherziger und unmenſchlicher. In großen Unfällen geht in gemeinen Seelen leichter der Edelmut verloren als die Kraft; denn es geht im Unglück wie bei der wiſſenſchaftlichen Beſchäftigung mit der Natur: nur auf die wenigſten wirkt ſie veredelnd, gibt dem Gefühl mehr Wärme, den Gedanken höheren Schwung, und der ganzen Geſinnung mehr Milde.

So heftige Stöße, welche in einer Minute1Die Dauer des Erdbebens, d. h. all der wellenförmigen und ſtoßenden Bewegungen (undulacion y trepidacion), welche die furchtbare Kataſtrophe vom 26. März 1812 herbeiführten, wurde von den einen auf 50 Sekunden, von anderen auf 1 Minute 12 Se - kunden geſchätzt. die Stadt Caracas über den Haufen warfen, konnten ſich nicht auf einen157 kleinen Erdſtrich des Feſtlandes beſchränken. Ihre verheeren - den Wirkungen verbreiteten ſich über die Provinzen Venezuela, Varinas und Maracaybo, der Küſte entlang, beſonders aber in die Gebirge im Inneren. Guayra, Mayquetia, Antimano, Baruta, La Vega, San Felipe und Merida wurden faſt gänz - lich zerſtört. In Guayra und in Villa de San Felipe bei den Kupferminen von Aroa kamen wenigſtens 4000 bis 5000 Menſchen ums Leben. Auf einer Linie, die von Guayra und Caracas von Oſt-Nord-Oſt nach Weſt-Süd-Weſt den hohen Gebirgen von Niquitao und Merida zuläuft, ſcheint das Erd - beben am ſtärkſten geweſen zu ſein. Man ſpürte es im König - reich Neugranada von den Ausläufern der hohen Sierra de Santa Marta bis Santa Fé de Bogota und Honda am Magdalenenſtrom, 810 km von Caracas. Ueberall war es in den Kordilleren aus Gneis und Glimmerſchiefer oder un - mittelbar an ihrem Fuße ſtärker als in der Ebene. Dieſer Unterſchied war beſonders auffallend in den Savannen von Varinas und Caſanare. (In dem geologiſchen Syſtem, nach dem alle vulkaniſchen und nicht vulkaniſchen Gebirge auf Spalten emporgeſtiegen ſind, erklärt ſich dieſer Unterſchied leicht.) In den Thälern von Aragua zwiſchen Caracas und der Stadt San Felipe waren die Stöße ganz ſchwach. Vik - toria, Maracay, Valencia, obgleich nahe bei der Hauptſtadt, litten ſehr wenig. In Valecillo, einige Meilen von Valencia, ſpie der geborſtene Boden ſolche Waſſermaſſen aus, daß ſich ein neuer Bach bildete; dasſelbe ereignete ſich in Porto Ca - bello. Dagegen nahm der See von Maracaybo merkwürdig ab. In Coro fühlte man keine Erſchütterung, und doch liegt die Stadt an der Küſte, zwiſchen Städten, die gelitten haben. Fiſcher, die den 26. März auf der Inſel Orchila, 135 km öſtlich von Guayra, zugebracht hatten, ſpürten keine Stöße. Dieſe Abweichungen in der Richtung und Fortpflanzung des Stoßes rühren wahrſcheinlich von der eigentümlichen Lagerung der Geſteinsſchichten her.

Wir haben im bisherigen die Wirkungen des Erdbebens weſtlich von Caracas bis zu den Schneegebirgen von Santa Marta und zu der Hochebene von Santa Fé de Bogota ver - folgt. Wir wenden uns jetzt zum Landſtriche oſtwärts von der Hauptſtadt. Jenſeits Caurimare, im Thale von Capaya, waren die Erſchütterungen ſehr ſtark und reichten bis zum Meridian vom Kap Codera; es iſt aber höchſt merkwürdig, daß ſie an den Küſten von Nueva Barcelona, Cumana und158 Paria ſehr ſchwach waren, obgleich dieſe Küſten eine Fortſetzung des Litorales von Guayra und von alters her dafür bekannt ſind, daß ſie oft von unterirdiſchen Bebungen heimgeſucht werden. Ließe ſich annehmen, die gänzliche Zerſtörung der vier Städte Caracas, Guayra, San Felipe und Merida ſei von einem vulkaniſchen Herde unter der Inſel San Vincent oder in der Nähe ausgegangen, ſo würde begreiflich, wie die Bewegung ſich von Nordoſt nach Südweſt auf einer Linie, die über die Eilande Los Hermanos bei Blanquilla läuft, fort - pflanzen konnte, ohne die Küſten von Araya, Cumana und Nueva Barcelona zu berühren. Ja, der Stoß konnte ſich auf dieſe Weiſe fortpflanzen, ohne daß die dazwiſchen liegenden Punkte, z. B. die Eilande Hermanos, die geringſte Erſchütte - rung empfanden. Dieſe Erſcheinung kommt in Peru und Mexiko häufig bei Erdbeben vor, die ſeit Jahrhunderten eine beſtimmte Richtung einhalten. Die Bewohner der Anden haben einen naiven Ausdruck für einen Landſtrich, der an der Bebung ringsum keinen Teil nimmt; ſie ſagen, er macht eine Brücke (que hace puente), wie um anzudeuten, daß die Schwingungen ſich in ungeheurer Tiefe unter einer ruhig bleibenden Gebirgsart fortpflanzen.

Fünfzehn bis achtzehn Stunden lang nach der großen Kataſtrophe blieb der Boden ruhig. Die Nacht war, wie ſchon oben geſagt, ſchön und ſtill, und erſt nach dem 27. fingen die Stöße wieder an, und zwar begleitet von einem ſehr ſtarken und ſehr anhaltenden unterirdiſchen Getöſe (bramido). Die Einwohner von Caracas zerſtreuten ſich in der Umgegend; da aber Dörfer und Höfe ſo ſtark gelitten hatten wie die Stadt, fanden ſie erſt jenſeits der Berge Los Teques, in den Thälern von Aragua und in den Llanos Obdach. Man ſpürte oft 15 Schwingungen an einem Tage. Am 5. April erfolgte ein Erdbeben, faſt ſo ſtark wie das, in dem die Hauptſtadt untergegangen. Der Boden bewegte ſich mehrere Stunden lang wellenförmig auf und ab. In den Gebirgen gab es große Erdfälle; ungeheure Felsmaſſen brachen von der Silla los. Man behauptete ſogar und dieſe Meinung iſt noch jetzt im Lande weit verbreitet die beiden Kuppeln der Silla ſeien um 95 bis 115 m niedriger geworden; aber dieſe Behauptung ſtützt ſich auf keine Meſſung. Wie ich gehört, bildet man ſich auch in der Provinz Quito nach allen großen Erſchütterungen ein, der Vulkan Tunguragua ſei niedriger geworden.

159

In mehreren aus Anlaß der Zerſtörung von Caracas veröffentlichten Nachrichten wird behauptet: Die Silla ſei ein erloſchener Vulkan, man finde viele vulkaniſche Produkte auf dem Wege von Guayra nach Caracas, das Geſtein ſei dort nirgends regelmäßig geſchichtet und zeige überall Spuren des unterirdiſchen Feuers. Ja, es heißt weiter: Zwölf Jahre vor der großen Kataſtrophe haben Bonpland und ich nach unſeren mineralogiſchen und phyſikaliſchen Unterſuchungen er - klärt, die Silla ſei ein ſehr gefährlicher Nachbar für die Stadt, weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße von Nordoſt herkommen müßten. Es kommt ſelten vor, daß Phyſiker ſich wegen einer eingetroffenen Prophezeiung zu rechtfertigen haben; ich halte es aber für Pflicht, den Vor - ſtellungen von lokalen Urſachen der Erdbeben, die nur zu leicht Eingang finden, entgegenzutreten.

Ueberall, wo der Boden monatelang fortwährend er - ſchüttert worden, wie auf Jamaika im Jahre 1693, in Liſſa - bon 1755, in Cumana 1766, in Piemont 1808, iſt man darauf gefaßt, einen Vulkan ſich öffnen zu ſehen. Man ver - gißt, daß man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung weit unter der Erdoberfläche zu ſuchen hat; daß, nach zuver - läſſigen Ausſagen, die Schwingungen ſich faſt im ſelben Mo - ment 4500 km weit über die tiefſten Meere weg fortpflanzen; daß die größten Zerſtörungen nicht am Fuße thätiger Vulkane, ſondern in aus den verſchiedenſten Felsarten aufgebauten Ge - birgsketten vorgekommen ſind. Die Gneis -, Glimmerſchiefer - und Urkalkſchichten in der Umgegend von Caracas ſind keines - wegs ſtärker zerbrochen oder unregelmäßiger geneigt, als bei Freiberg in Sachſen und überall, wo Urgebirge raſch zu be - deutender Höhe anſteigen; ich habe daſelbſt weder Baſalt noch Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porphyre gefunden, kurz, keine Spur von erloſchenen Vulkanen. Es konnte mir nie einfallen, zu äußern, die Silla und der Cerro de Avila ſeien für die Hauptſtadt gefährliche Nachbarn, weil dieſe Berge in untergeordneten Schichten von Urkalk viele Schwefelkieſe enthalten; ich erinnere mich aber, während meines Aufent - haltes in Caracas geſagt zu haben, ſeit dem großen Erdbeben in Quito ſcheine am öſtlichen Ende von Terra Firma der Boden ſo unruhig zu ſein, daß man befürchten müſſe, mit der Zeit dürfte die Provinz Venezuela ſtarke Erderſchütterungen erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land lange von Erd - ſtößen heimgeſucht worden ſei, ſo ſcheinen ſich in der Tiefe160 neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzuſtellen, und die in der Richtung der Silla nordöſtlich von der Stadt ge - legenen Vulkane der Antillen ſeien vielleicht Luftlöcher, durch welche bei einem Ausbruch die elaſtiſchen Flüſſigkeiten ent - weichen, welche die Erdbeben auf den Küſten des Feſtlandes verurſachen. Zwiſchen ſolchen Betrachtungen, die ſich auf die Kenntnis der Oertlichkeiten und auf bloße Analogieen grün - den, und einer durch den Lauf der Naturereigniſſe beſtätigten Vorherſagung iſt ein großer Unterſchied.

Während man im Thale des Miſſiſſippi, auf der Inſel San Vincent und in der Provinz Venezuela gleichzeitig ſtarke Erdſtöße ſpürte, wurde man am 30. April 1812 in Caracas, in Calabozo mitten in den Steppen, und an den Ufern des Rio Apure, auf einem Landſtrich von 81000 qkm, durch ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt, das wiederholten Salven aus Geſchützen vom größten Kaliber glich. Es fing um 2 Uhr morgens an; es war von keinen Stößen begleitet, und, was ſehr merkwürdig iſt, es war auf der Küſte und 360 km weit im Lande gleich ſtark. Ueberall meinte man, es komme durch die Luft her, und man war ſo weit entfernt, dabei an einen unterirdiſchen Donner zu denken, daß man in Caracas wie in Calabozo militäriſche Maßregeln ergriff, um den Platz in Verteidigungszuſtand zu ſetzen, da der Feind mit ſeinem groben Geſchütz anzurücken ſchien. Beim Uebergang über den Apure unterhalb Orivante, beim Einfluß des Rio Nula, hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die Kanonenſchüſſe ebenſogut am weſtlichen Ende der Provinz Varinas als im Hafen von Guayra nördlich von der Küſten - kette gehört.

Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch ein unterirdiſches Getöſe erſchreckt wurden, erfolgte ein großer Ausbruch des Vulkans auf der Inſel San Vincent. Der Berg, der gegen 970 m hoch iſt, hatte ſeit dem Jahre 1718 keine Lava mehr ausgeworfen. Man ſah ihn kaum rauchen, als im Mai 1811 häufige Erdſtöße verkündeten, daß ſich das vulkaniſche Feuer entweder von neuem entzündet oder nach dieſem Strich der Antillen gezogen habe. Der erſte Ausbruch fand erſt am 27. April 1812 um Mittag ſtatt. Der Vulkan warf dabei nur Aſche aus, aber unter furchtbarem Krachen. Am 30. floß die Lava über den Kraterrand und erreichte nach vier Stunden die See. Das Getöſe beim Ausbruch glich abwechſelnd Salven aus dem ſchwerſten Geſchütz und161 Kleingewehrfeuer, und, was ſehr beachtenswert iſt, dasſelbe ſchien weit ſtärker auf offener See, weit weg von der Inſel, als im Angeſicht des Landes, ganz in der Nähe des brennenden Vulkanes.

Vom Vulkan San Vincent bis zum Rio Apure beim Einfluß des Nula ſind es in gerader Linie 390 km; die Exploſionen wurden demnach in einer Entfernung gehört gleich der vom Veſuv nach Paris. Dieſes Phänomen, dem ſich viele Beobachtungen in der Kordillere der Anden anſchließen, beweiſt, wieviel größer die unterirdiſche Wirkungsſphäre eines Vulkanes iſt, als man nach den unbedeutenden Veränderungen, die er an der Erdoberfläche hervorbringt, glauben ſollte. Die Knalle, die man in der Neuen Welt tagelang 360, 450, ja 900 km von einem Krater hört, gelangen nicht mittels der Fortpflanzung des Schalles durch die Luft zu uns; der Ton wird vielmehr durch die Erde geleitet, vielleicht am Punkte ſelbſt, wo wir uns befinden. Wenn die Ausbrüche des Vul - kanes von San Vincent, des Cotopaxi oder Tunguragua von ſo weit herſchallten wie eine ungeheuer große Kanone, ſo müßte der Schall im umgekehrten Verhältnis der Entfernung ſtärker werden; aber die Beobachtung zeigt, daß dies nicht der Fall iſt. Noch mehr: in der Südſee, auf der Fahrt von Guayaquil an die Küſte von Mexiko, fuhren Bonpland und ich über Striche, wo alle Matroſen an Bord über ein dumpfes Geräuſch erſchraken, das aus der Tiefe des Meeres heraufkam und uns durch das Waſſer mitgeteilt wurde. Eben fand wieder ein Ausbruch des Colopaxi ſtatt, und wir waren ſo weit von dieſem Vulkan entfernt, als der Aetna von der Stadt Neapel. Vom Vulkan Cotopaxi zur kleinen Stadt Honda am Ufer des Magdalenenſtromes ſind es nicht weniger als 650 km, und doch hörte man während der großen Ausbrüche jenes Vulkanes in Honda ein unterirdiſches Getöſe, das man für Geſchützſalven hielt. Die Franziskaner verbreiteten das Ge - rücht, Cartagena werde von den Engländern belagert und beſchoſſen, und alle Einwohner glaubten daran. Der Coto - paxi iſt nun aber ein Kegel, der 3500 m und mehr über dem Becken von Honda liegt; er ſteigt aus einer Hochebene empor, die ſelbſt noch 2920 m mehr Meereshöhe hat als das Thal des Magdalenenſtromes. All die koloſſalen Berge von Quito, der Provinz De los Paſtos und von Popayan, zahlloſe Thäler und Erdſpalten liegen dazwiſchen. Unter dieſen Umſtänden läßt ſich nicht annehmen, daß der Ton durch die Luft oderA. v. Humboldt, Reiſe. II. 11162durch die oberſten Erdſchichten fortgepflanzt worden und daß er von da ausgegangen ſei, wo der Kegel und der Krater des Cotopaxi liegen. Man muß es wahrſcheinlich finden, daß der hochgelegene Teil des Königreiches Quito und die benach - barten Kordilleren keineswegs eine Gruppe einzelner Vulkane ſind, ſondern eine einzige aufgetriebene Maſſe bilden, eine ungeheure von Süd nach Nord laufende vulkaniſche Mauer, deren Kamm über 12150 qkm Oberfläche hat. Auf dieſem Gewölbe, auf dieſem aufgetriebenen Erdſtücke ſtehen nun der Cotopaxi, der Tunguragua, der Antiſana, der Pichincha. Man gibt jedem einen eigenen Namen, obgleich es im Grunde nur verſchiedene Gipfel desſelben vulkaniſchen Gebirgsklumpens ſind. Das Feuer bricht bald durch den einen, bald durch den anderen dieſer Gipfel aus. Die ausgefüllten Krater erſcheinen uns als erloſchene Vulkane; wenn aber auch der Cotopaxi und der Tunguragua in hundert Jahren nur ein oder zweimal auswerfen, ſo läßt ſich doch annehmen, daß das unterirdiſche Feuer unter der Stadt Quito, unter Pichincha und Imbaburu in beſtändiger Thätigkeit iſt.

Nordwärts finden wir zwiſchen dem Vulkan Cotopaxi und der Stadt Honda zwei andere vulkaniſche Berg - ſyſteme, die Berge Los Paſtos und die von Popayan. Daß dieſe Syſteme unter ſich zuſammenhängen, geht unzweifelhaft aus einer Erſcheinung hervor, deren ich ſchon oben gedacht habe, als von der gänzlichen Zerſtörung der Stadt Caracas die Rede war. Vom November 1796 an ſtieß der Vulkan bei Paſto, der weſtlich von der Stadt dieſes Namens am Thale des Rio Guaytara liegt, eine dicke Rauchſäule aus. Die Mündungen des Vulkanes liegen an der Seite des Berges, auf ſeinem weſtlichen Abhange; dennoch ſtieg die Rauchſäule drei Monate lang ſo hoch über den Gebirgskamm empor, daß die Einwohner der Stadt Paſto ſie fortwährend ſahen. Alle verſicherten uns, zu ihrer großen Ueberraſchung ſei am 4. Februar 1797 der Rauch auf einmal verſchwunden, ohne daß man einen Erdſtoß ſpürte. Und im ſelben Augenblick wurde 300 km weiter gegen Süd zwiſchen dem Chimborazo, dem Tunguragua und dem Altar (Capac-Urcu) die Stadt Riobamba durch ein Erdbeben zerſtört, furchtbarer als alle, die im Andenken geblieben ſind. Die Gleichzeitigkeit dieſer Ereigniſſe läßt wohl keinen Zweifel darüber, daß die Dämpfe, welche der Vulkan von Paſto aus ſeinen kleinen Mündungen oder ventanillas ausſtieß, am Drucke elaſtiſcher Flüſſigkeiten163 teilnahmen, welche den Boden des Königreiches Peru erſchütter - ten und in wenigen Augenblicken 30000 bis 40000 Menſchen das Leben koſteten.

Um dieſe gewaltigen Wirkungen der vulkaniſchen Reaktionen zu erklären, um darzuthun, daß die Vulkan - gruppe oder das vulkaniſche Syſtem der Antillen von Zeit zu Zeit Terra Firma erſchüttern kann, mußte ich mich auf die Kordillere der Anden berufen. Nur auf die Analogie friſcher und ſomit vollkommen beglaubigter Thatſachen laſſen ſich geologiſche Schlüſſe bauen, und wo auf dem Erdball fände man großartigere und mannigfaltigere vulkaniſche Er - ſcheinungen als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel und jedes Thal die Fülle ihrer Wunder ausgegoſſen hat? Betrachtet man einen brennenden Krater als eine vereinzelte Erſcheinung, bleibt man dabei ſtehen, die Maſſe des Geſteines, das er ausgeworfen, abzuſchätzen, ſo ſtellt ſich die vulkaniſche Wirkſamkeit an der gegenwärtigen Erdoberfläche weder als ſehr gewaltig noch als ſehr ausgebreitet dar. Aber das Bild dieſer Wirkſamkeit erweitert ſich vor unſerem inneren Blick mehr und mehr, je näher wir den Zuſammenhang zwiſchen den Vulkanen derſelben Gruppe kennen lernen und der - gleichen Gruppen ſind z. B. die Vulkane in Neapel und auf Sizilien, die der Kanariſchen Inſeln, die der Azoren, die der Kleinen Antillen, die in Mexiko, in Guatemala und auf der Hochebene von Quito , je genauer wir ſowohl die Reaktionen dieſer verſchiedenen Vulkanſyſteme aufeinander als die Ent - fernungen kennen lernen, in denen ſie vermöge ihres Zu - ſammenhanges in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit erſchüttern. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei ganz geſonderte Teile. Der eine, rein mineralogiſche, beſchäftigt ſich nur mit der Unterſuchung der durch das unterirdiſche Feuer gebildeten oder umgewandelten Geſteine, von der Trachyt - und Trapp-Porphyrformation, von den Baſalten, Phonolithen und Doleriten herauf bis zu den neueſten Laven. Der andere, nicht ſo zugängliche und auch mehr vernachläſſigte Teil, hat es mit den gegenſeitigen phyſikaliſchen Verhältniſſen der Vul - kane zu thun, mit dem Einfluß, den die Syſteme aufeinander ausüben, mit dem Zuſammenhang zwiſchen den Wirkungen der feuerſpeienden Berge und den Stößen, welche den Erd - boden auf weite Strecken und lange fort in derſelben Richtung erſchüttern. Dieſes Wiſſen kann nur dann fortſchreiten, wenn164 man die verſchiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit genau verzeichnet, ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke der Erſchütterungen, ihr allmähliches Vorrücken in Landſtrichen, die ſie früher nicht erreicht hatten, das Zuſammentreffen eines fernen vulkaniſchen Ausbruches mit jenem unterirdiſchen Ge - töſe, das ſo ſtark iſt, daß die Bewohner der Anden es aus - drucksvoll unterirdiſches Gebrülle und unterirdiſchen Donner (bramidos y truenos subterraneos) nennen. Alle dieſe Angaben gehören dem Gebiete der Naturgeſchichte an, einer Wiſſenſchaft, der man nicht einmal ihren Namen gelaſſen hat, und die wie alle Geſchichte mit Zeiten beginnt, die uns fabelhaft erſcheinen, und mit Kataſtrophen, deren Großartigkeit und Gewaltſamkeit weit über das Maß unſerer Vorſtellungen hinausgeht.

Man hat ſich lange darauf beſchränkt, die Geſchichte der Natur nach den alten, in den Eingeweiden der Erde be - grabenen Denkmälern zu ſtudieren; aber wenn auch im engen Kreiſe ſicherer Ueberlieferung nichts von ſo allgemeinen Um - wälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Kordilleren emporgehoben und Myriaden von Seetieren begraben worden, ſo gehen doch auch in der jetzigen Natur, unter unſeren Augen, wenn auch auf beſchränktem Raume, ſtürmiſche Auftritte genug vor ſich, die, wiſſenſchaftlich aufgefaßt, über die entlegenſten Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Inneren des Erdballes hauſen die geheimnisvollen Kräfte, deren Wir - kungen an der Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche von Dämpfen, glühenden Schlacken, neuen vulkaniſchen Ge - ſteinen und heißen Quellen, als Auftreibungen zu Inſeln und Bergen, als Erſchütterungen, die ſich ſo ſchnell wie der elek - triſche Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdiſcher Donner, den man monatelang, und ohne Erſchütterung des Bodens, in großen Entfernungen von thätigen Vulkanen hört.

Je mehr im tropiſchen Amerika Kultur und Bevölkerung zunehmen werden, je fleißiger man die vulkaniſchen Syſteme von Popayan, Los Paſtos, Quito, auf den Kleinen Antillen, auf der Centralhochebene von Mexiko beobachten wird, deſto mehr muß der Zuſammenhang zwiſchen Ausbrüchen und Erd - beben, welche den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen, allgemeine Anſchauung werden. Die genannten Vulkane, be - ſonders aber die der Anden, welche die ungeheure Höhe von 4870 m und darüber erreichen, bieten dem Beobachter bedeu - tende Vorteile. Die Epochen ihrer Ausbrüche ſind merkwürdig165 ſcharf bezeichnet. Dreißig, vierzig Jahre lang werfen ſie keine Schlacken, keine Aſche aus, rauchen nicht einmal. In einer ſolchen Periode habe ich keine Spur von Rauch auf dem Gipfel des Tunguragua und des Cotopaxi geſehen. Wenn dagegen dem Krater des Veſuvs eine Rauchwolke entſteigt, achten die Neapolitaner kaum darauf; ſie ſind an die Bewegungen dieſes kleinen Vulkanes gewöhnt, der oft in zwei, drei Jahren hinter - einander Schlacken auswirft. Da iſt freilich ſchwer zu be - urteilen, ob die Schlackenauswürfe im Moment, wo man im Apennin einen Erdſtoß verſpürt, ſtärker geweſen ſind. Auf dem Rücken der Kordilleren hat alles einen beſtimmteren Typus. Auf einen Aſchenauswurf von ein paar Minuten folgt oft zehnjährige Ruhe. Unter dieſen Umſtänden wird es leicht, Epochen zu verzeichnen und auszumitteln, ob die Erſcheinungen in der Zeit zuſammenfallen.

Die Zerſtörung von Cumana im Jahre 1797 und von Caracas im Jahre 1812 weiſen darauf hin, daß die Vulkane auf den Kleinen Antillen mit den Erſchütterungen, welche die Küſten von Terra Firma erleiden, im Zuſammenhange ſtehen. Trotzdem kommt es häufig vor, daß die Stöße, welche man im vulkaniſchen Archipel ſpürt, ſich weder nach der Inſel Trinidad, noch nach den Küſten von Cumana und Caracas fortpflanzen. Dieſe Erſcheinung hat aber durchaus nichts Auffallendes. Auf den Kleinen Antillen ſelbſt beſchränken ſich die Erſchütterungen oft auf eine einzige Inſel. Der große Ausbruch des Vulkanes auf San Vincent im Jahre 1812 hatte in Martinique und Guadeloupe kein Erdbeben zur Folge. Man hörte, wie in Venezuela, ſtarke Schläge, aber der Boden blieb ruhig.

Dieſe Donnerſchläge, die nicht mit dem rollenden Ge - räuſch zu verwechſeln ſind, das überall auch ganz ſchwachen Erdſtößen vorausgeht, hört man an den Ufern des Orinoko ziemlich oft, beſonders, wie man uns an Ort und Stelle ver - ſichert hat, zwiſchen dem Rio Arauca und dem Cuchivero. Pater Morello erzählt, in der Miſſion Cabruta habe das unterirdiſche Getöſe zuweilen ſo ganz geklungen wie Salven von Steinböllern (pedreros), daß es geweſen ſei, als würde in der Ferne ein Gefecht geliefert. Am 21. Oktober 1766, am Tage des ſchrecklichen Erdbebens, das die Provinz Neu - andaluſien verheerte, erzitterte der Boden zu gleicher Zeit in Cumana, in Caracas, in Maracaybo, an den Ufern des Ca - ſanare, des Meta, des Orinoko und des Ventuario. Pater166 Gili hat dieſe Erderſchütterungen in einer ganz granitiſchen Gebirgsgegend, in der Miſſion Encaramada beſchrieben, wo ſie von heftigen Donnerſchlägen begleitet waren. Am Paurari erfolgten große Bergſtürze und beim Felſen Aravacoto ver - ſchwand eine Inſel im Orinoko. Die wellenförmigen Be - wegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war gleichſam das Zeichen gegeben zu den heftigen Erſchütterungen, welche die Küſten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate lang erlitten. Man ſollte meinen, Menſchen, die zerſtreut in Wäldern leben und kein anderes Obdach haben als Hütten aus Rohr und Palmblättern, fürchten ſich nicht vor den Erd - beben. Die Indianer am Erevato und Caura entſetzen ſich aber darüber, da die Erſcheinung bei ihnen ſelten vorkommt, und ſelbſt die Tiere im Walde erſchrecken ja dabei, und die Krokodile eilen aus dem Waſſer ans Ufer. Näher bei der See, wo die Erdſtöße ſehr häufig ſind, fürchten ſich die Indianer nicht nur nicht davor, ſondern ſehen ſie gern als Vorboten eines feuchten, fruchtbaren Jahres.

Alles weiſt darauf hin, daß im Inneren des Erdballes nie ſchlummernde Kräfte walten, die miteinander ringen, ſich das Gleichgewicht halten und ſich gegenſeitig ſtimmen. Je mehr die Urſachen jener Wellenbewegungen des Bodens, jener Entbindung von Hitze, jener Bildung elaſtiſcher Flüſſigkeiten für uns in Dunkel gehüllt ſind, deſto größere Aufforderung hat der Phyſiker, den Zuſammenhang näher zu beobachten, der zwiſchen dieſen Erſcheinungen ſichtbar beſteht und auf weite Entfernungen und in ſehr gleichförmiger Weiſe zu Tage kommt. Nur wenn man die verſchiedenen Beziehungen und Verhält - niſſe aus einem allgemeinen Geſichtspunkte betrachtet, wenn man ſie über ein großes Stück der Erdoberfläche durch die verſchiedenſten Gebirgsarten verfolgt, kommt man dazu, den Gedanken aufzugeben, als ob die vulkaniſchen Erſcheinungen und die Erdbeben kleine lokale Urſachen haben könnten wie Schichten von Schwefelkieſen und brennende Steinkohlenflöze.

Wir haben uns in dieſem Kapitel mit den gewaltigen Erſchütterungen beſchäftigt, welche die Steinkruſte des Erd - balles von Zeit zu Zeit erleidet, und die unermeßlichen Jammer über ein Land bringen, das die Natur mit ihren köſtlichſten Gaben ausgeſtattet hat. Ununterbrochene Ruhe herrſcht in der oberen Atmoſphäre, aber um einen Ausdruck Franklins zu brauchen, der mehr witzig iſt als richtig in der unter - irdiſchen Atmoſphäre, in dieſem Gemiſch elaſtiſcher Flüſſig -167 keiten, deren gewaltſame Bewegungen wir an der Erdoberfläche empfinden, rollt häufig der Donner. Wir haben von der Zerſtörung ſo vieler volkreichen Städte erzählt und damit das höchſte Maß menſchlichen Elendes geſchildert. Ein für ſeine Unabhängigkeit kämpfendes Volk ſieht ſich auf einmal dem Mangel an Nahrung und allen Lebensbedürfniſſen preis - gegeben. Hungernd, obdachlos zerſtreut es ſich auf dem platten Lande. Viele, die nicht unter den Trümmern ihrer Häuſer begraben worden, werden von Seuchen weggerafft. Das Ge - fühl des Jammers, weit entfernt, das Vertrauen unter den Bürgern zu befeſtigen, untergräbt es vollends; die äußeren Uebel ſteigern noch die Zwietracht, und der Anblick eines mit Thränen und Blut getränkten Bodens beſchwichtigt nicht den Grimm der ſiegreichen Partei.

Nachdem man bei ſolchen Greuelſzenen verweilt, läßt man die Einbildungskraft mit Behagen bei freundlichen Er - innerungen ausruhen. Als in den Vereinigten Staaten das große Unglück von Caracas bekannt wurde, beſchloß der zu Waſhington verſammelte Kongreß einſtimmig, fünf Schiffe mit Mehl zur Verteilung unter die Dürftigſten an die Küſte von Venezuela zu ſenden. Dieſe großmütige Unterſtützung ward mit dem lebhafteſten Danke aufgenommen, und dieſer feierliche Beſchluß eines freien Volkes, dieſer Beweis der Teilnahme von Volk zu Volk, wovon die ſich ſteigernde Kultur des alten Europas in jüngſter Zeit wenige Beiſpiele auf - zuweiſen hat, erſchien als ein koſtbares Unterpfand des gegen - ſeitigen Wohlwollens, das auf immer die Völker des ge - doppelten Amerikas verknüpfen ſoll.

[168]

Fünfzehntes Kapitel.

Abreiſe von Cacacas. Gebirge von San Pedro und Los Teques. Victoria. Thäler von Aragua.

Der kürzeſte Weg von Caracas an die Ufer des Orinoko hätte uns über die ſüdliche Kette der Berge zwiſchen Baruta, Salamanca und den Savannen von Ocumare, und über die Steppen oder Lanos von Orituco geführt, worauf wir uns bei Cabruta, an der Einmündung des Rio Guarico, hätten einſchiffen müſſen; aber auf dieſem geraden Wege hätten wir unſere Abſicht nicht erreicht, die dahin ging, den ſchönſten und kultivierteſten Teil der Provinz, die Thäler von Aragua, zu beſuchen, einen intereſſanten Strich der Küſte mit dem Barometer zu vermeſſen und den Rio Apure bis zu ſeinem Einfluß in den Orinoko hinabzufahren. Ein Reiſender, der ſich mit der Geſtaltung und den natürlichen Schätzen des Bodens bekannt machen will, richtet ſich nicht nach den Ent - fernungen, ſondern nach dem Intereſſe, das die zu bereiſenden Länder bieten. Dieſe entſcheidende Rückſicht führte uns in die Berge Los Teques, zu den warmen Quellen von Mariara, an die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia und über die ungeheuren Steppen von Calabozo nach San Fernando am Apure im öſtlichen Teile der Provinz Varinas. Auf dieſem Wege war unſere Richtung anfangs Weſt, dann Süd und am Ende Oſt-Süd-Oſt, um auf dem Apure, unter dem Parallel von 36′ 23″ in den Orinoko zu gelangen.

Da auf einem Wege von 2700 bis 3150 km die Längen durch Uebertragung der Zeit in Caracas und Cumana zu be - ſtimmen waren, mußte notwendig die Lage beider Städte genau und durch abſolute Beobachtungen ermittelt werden. Oben iſt das Reſultat der am erſten Ausgangspunkte, in Cumana, angeſtellten Beobachtungen angegeben; der zweite Punkt, der nördliche Stadtteil von Caracas, liegt unter169 10° 30′ 50″ der Breite und 69° 25′ 0″ der Länge. Die mag - netiſche Deklination fand ich am 22. Januar 1800 außerhalb der Stadt, am Thore bei der Paſtora, 38′ 45″ gegen Nordoſt, und am 30. Januar im Inneren der Stadt bei der Univerſität 39′ 15″, alſo um 26′ ſtärker als in Cumana. Die Inklination der Nadel war 42,90°; die Zahl der Schwin - gungen, welche die Intenſität der magnetiſchen Kraft angaben, war in zehn Minuten Zeit in Caracas 232, in Cumana 229. Dieſe Beobachtungen konnten nicht ſehr oft wiederholt werden; ſie ſind das Ergebnis dreimonatlicher Arbeit.

Am Tage, wo wir die Hauptſtadt von Venezuela ver - ließen, die ſeitdem durch ein furchtbares Erdbeben vernichtet worden iſt, übernachteten wir am Fuße der bewaldeten Berge, die das Thal gegen Südweſt ſchließen. Wir zogen am rechten Ufer des Guayre bis zum Dorfe Antimano auf einer ſehr ſchönen, zum Teil in den Fels gehauenen Straße. Man kommt durch La Vega und Carapa. Die Kirche von La Vega hebt ſich ſehr maleriſch von einem dicht bewachſenen Hügel - zuge ab. Zerſtreute Häuſer, von Dattelbäumen umgeben, deuten auf günſtige Verhältniſſe der Bewohner. Eine nicht ſehr hohe Bergkette trennt den kleinen Guayrefluß vom Thale De la Pascua,1Thal des Cortez oder Oſterthal, ſo genannt, weil Diego de Loſada, nachdem er die Tequesindianer und ihren Kaziken Guay - caypuro in den Bergen von San Pedro geſchlagen, im Jahre 1567 die Oſtertage daſelbſt zubrachte, ehe er in das Thal San Francisco drang, wo er die Stadt Caracas gründete. das in der Geſchichte des Landes eine große Rolle ſpielt, und von den alten Goldbergwerken von Baruta und Oripoto. Auf dem Wege aufwärts nach Carapa hat man noch einmal die Ausſicht auf die Silla, die ſich als eine gewaltige, gegen das Meer jäh abſtürzende Kuppel darſtellt. Dieſer runde Gipfel und der wie eine Mauerzinne gezackte Kamm des Galipano ſind die einzigen Berggeſtalten in dieſem Becken von Gneis und Glimmerſchiefer, die der Landſchaft Charakter geben; die übrigen Höhen ſind ſehr einförmig und langweilig.

Beim Dorfe Antimano waren alle Baumgärten voll blühender Pfirſichbäume. Aus dieſem Dorfe, aus Valle und von den Ufern des Macarao kommen eine Menge Pfirſiche, Quitten und anderes europäiſches Obſt auf den Markt in Caracas. Vom Antimano bis Las Ajuntas geht man ſieb -170 zehnmal über den Guayre. Der Weg iſt ſehr beſchwerlich; ſtatt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man vielleicht beſſer, dem Fluſſe ein anderes Bett anzuweiſen, der durch Einſickerung und Verdunſtung ſehr viel Waſſer verliert. Jede Krümmung bildet eine größere oder kleinere Lache. Dieſe Verluſte ſind nicht gleichgültig in einer Provinz, wo der ganze bebaute Boden, mit Ausnahme des Striches zwiſchen der See und der Küſtenbergkette von Mariara und Niguatar, ſehr trocken iſt. Es regnet weit ſeltener und weniger als im Inneren von Neuandaluſien, in Cumanacoa und an den Ufern des Guarapiche. Viele Berge der Provinz Caracas reichen in die Wolkenregion hinauf, aber die Schichten des Urgebirges ſind unter einem Winkel von 70 bis 80° geneigt und fallen meiſt nach Nordweſt, ſo daß die Waſſer entweder im Gebirge verſinken oder nicht ſüdlich, ſondern nördlich an den Küſtengebirgen von Niguatar, Avila und Mariara in reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus, daß die Gneis - und Glimmerſchieferſchichten gegen Süd aufgerichtet ſind, ſcheint ſich mir größtenteils die große Dürre des Küſten - ſtriches zu erklären. Im Inneren der Provinz findet man Strecken von 40 bis 60 qkm ohne alle Quellen. Das Zucker - rohr, der Indigo und der Kaffeebaum können nur da gedeihen, wo Waſſer fließt, mit dem man während der großen Dürre künſtlich bewäſſern kann. Die erſten Anſiedler haben unvor - ſichtigerweiſe die Wälder niedergeſchlagen. Auf einem ſteinigen Boden, wo Felſen ringsum Wärme ſtrahlen, iſt die Ver - dunſtung ungemein ſtark. Die Berge an der Küſte gleichen einer Mauer, die von Oſt nach Weſt vom Kap Codera gegen die Landſpitze Tucacas ſich hinzieht; ſie laſſen die feuchte Küſtenluft, die unteren Luftſchichten, die unmittelbar auf der See aufliegen und am meiſten Waſſer aufgelöſt haben, nicht ins innere Land kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige Schluchten, die wie die Schlucht von Catia oder Tipe1S. Bd. II, Seite 112. vom Meeresufer in die hochgelegenen Längenthäler hinaufführen. Da iſt kein großes Flußbett, kein Meerbuſen, durch die der Ozean in das Land einſchneidet und durch reichliche Ver - dunſtung Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 8. und 10. Breite - grade werfen da, wo die Wolken nicht nahe am Boden hin - ziehen, die Bäume im Januar und Februar die Blätter ab,171 ſicher nicht, wie in Europa, weil die Temperatur zu niedrig wird, ſondern weil in dieſen Monaten, die am weiteſten von der Regenzeit entfernt ſind, die Luft dem Maximum von Trockenheit ſich nähert. Nur die Gewächſe mit glänzenden, ſtark lederartigen Blättern halten die Dürre aus. Unter dem ſchönen tropiſchen Himmel befremdet den Reiſenden der faſt winterliche Charakter des Landes; aber das friſcheſte Grün erſcheint wieder, ſobald man an die Ufer des Orinoko gelangt. Dort herrſcht ein anderes Klima und durch ihre Beſchattung unterhalten die großen Wälder im Boden einen gewiſſen Grad von Feuchtigkeit und ſchützen ihn vor der verzehrenden Sonnenglut.

Jenſeits des kleinen Dorfes Antimano wird das Thal bedeutend enger. Das Flußufer iſt mit Lata bewachſen, der ſchönen Grasart mit zweizeiligen Blättern, die gegen 10 m hoch wird und die wir unter dem Namen Gynerium (sac - charoides) beſchrieben haben. Um jede Hütte ſtehen unge - heure Stämme von Perſea (Laurus Persea), an denen Ari - ſtolochien, Paullinien und eine Menge anderer Schlingpflanzen wachſen. Die benachbarten bewaldeten Berge ſcheinen dieſes weſtliche Ende des Thales von Caracas feucht zu erhalten. Die Nacht vor unſerer Ankunft in Las Ajuntas brachten wir auf einer Zuckerpflanzung zu. In einem viereckigen Hauſe lagen gegen 80 Neger auf Ochſenhäuten am Boden. In jedem Gemach waren vier Sklaven, und das Ganze ſah aus wie eine Kaſerne. Im Hofe brannten ein Dutzend Feuer, an denen gekocht wurde. Auch hier fiel uns die lärmende Luſtigkeit der Schwarzen auf und wir konnten kaum ſchlafen. Wegen des bewölkten Himmels konnte ich keine Sternbeobach - tungen machen; der Mond kam nur von Zeit zu Zeit zum Vorſchein, die Landſchaft war trübſelig einförmig, alle Hügel umher mit Maguey bewachſen. Man arbeitete an einem kleinen Kanale, der über 23 m hoch das Waſſer des Rio San Pedro in den Hof leiten ſollte. Nach einer barometriſchen Beobachtung liegt der Boden der Hacienda nur 97 m über dem Bett des Guayre bei Noria in der Nähe von Caracas.

Der Boden dieſes Landſtriches erwies ſich zum Bau des Kaffeebaumes nicht ſehr geeignet; er gibt im allgemeinen im Thale von Caracas einen geringeren Ertrag, als man anfangs vermutet hatte, da man bei Chacao mit dem Anbau begann. Um ſich von der Wichtigkeit dieſes Handelszweiges im all - gemeinen einen Begriff zu machen, genügt die Angabe, daß172 die ganze Provinz Caracas zur Zeit ihrer höchſten Blüte vor den Revolutionskriegen bereits 50000 bis 60000 Zentner Kaffee erzeugte. Dieſer Ertrag, der den Ernten von Guade - loupe und Martinique zuſammen faſt gleichkommt, muß deſto bedeutender erſcheinen, da erſt im Jahre 1784 ein achtbarer Bürger, Don Bartolomeo Blandin, die erſten Verſuche mit dem Kaffeebau auf der Küſte von Terra Firma gemacht hatte. Die ſchönſten Kaffeepflanzungen ſind jetzt in der Savanne von Ocumare bei Salamanca und in Rincon, ſowie im bergigen Lande los Mariches, San Antonio Hatillo und Los Budares. Der Kaffee von den drei letztgenannten, oſtwärts von Caracas gelegenen Orten iſt von vorzüglicher Güte; aber die Sträucher tragen dort weniger, was man der hohen Lage und dem kühlen Klima zuſchreibt. Die großen Pflanzungen in der Provinz Venezuela, wie Aguacates bei Valencia und El Rincon, geben in guten Jahren Ernten von 3000 Zentnern. Im Jahre 1786 betrug die Geſamtausfuhr der Provinz nicht mehr als 4800 Zentner, im Jahre 1804 10000 Zentner; ſie hatte indeſſen ſchon im Jahre 1789 begonnen. Die Preiſe ſchwankten zwiſchen 6 und 18 Piaſtern der Zentner. In der Havana ſah man denſelben auf 3 Piaſter fallen; zu jener für die Koloniſten ſo unheilvollen Zeit, in den Jahren 1810 und 1812, lagen aber auch über zwei Millionen Zentner Kaffee (im Werte von zehn Millionen Pfund Sterling) in den eng - liſchen Magazinen.

Die große Vorliebe, die man in dieſer Provinz für den Kaffeebau hat, rührt zum Teil daher, daß die Bohne ſich viele Jahre hält, während der Kakao, trotz aller Sorgfalt, nach zehn Monaten oder einem Jahre in den Magazinen ver - dirbt. Während der langen Kriege zwiſchen den europäiſchen Mächten, wo das Mutterland zu ſchwach war, um den Handel ſeiner Kolonieen zu ſchützen, mußte ſich die Induſtrie vorzugs - weiſe auf ein Produkt werfen, das nicht ſchnell abgeſetzt werden muß und bei dem man alle politiſchen und Handels - konjunkturen abwarten kann. In den Kaffeepflanzungen von Caracas nimmt man, wie ich geſehen, zum Verſetzen nicht leicht die jungen Pflanzen, die zufällig unter den tragenden Bäumen aufwachſen; man läßt vielmehr die Bohnen, getrennt von der Beere, aber doch noch mit einem Teile des Fleiſches daran, in Haufen zwiſchen Bananenblättern fünf Tage lang keimen und ſteckt ſofort den gekeimten Samen. Die ſo ge - zogenen Pflanzen widerſtehen der Sonnenhitze beſſer als die,173 welche in der Pflanzung ſelbſt im Schatten aufgewachſen ſind. Man ſetzt hierzulande gewöhnlich 5300 Bäume auf die Vanega, die gleich iſt 2,08 ha. Ein ſolches Grundſtück koſtet, wenn es ſich bewäſſern läßt, im nördlichen Teile der Provinz 500 Piaſter. Der Kaffeebaum blüht erſt im zweiten Jahre und die Blüte währt nur 24 Stunden. In dieſer Zeit nimmt ſich der kleine Baum ſehr gut aus; von weitem meint man, er ſei beſchneit. Im dritten Jahre iſt die Ernte bereits ſehr reich. In gut gejäteten und bewäſſerten Pflanzungen auf friſch umgebrochenem Boden gibt es ausgewachſene Bäume, die 8, 9, ſogar 10 kg Kaffee tragen; indeſſen darf man nur 1 ½ bis 2 Pfund auf den Stamm rechnen, und dieſer durch - ſchnittliche Ertrag iſt ſchon größer als auf den Antillen. Der Regen, wenn er in die Blütezeit fällt, der Mangel an Waſſer zum Ueberrieſeln und ein Schmarotzergewächs, eine neue Art Loranthus, das ſich an den Zweigen anſetzt, richten großen Schaden in den Kaffeepflanzungen an. Auf Pflanzungen von 8000 bis 10000 Stämmen gibt die fleiſchige Beere des Kaffee - baumes eine ungeheure Maſſe organiſchen Stoffes, und man muß ſich wundern, daß man nie verſucht hat, Alkohol daraus zu gewinnen.

Wenn auch die Unruhen auf San Domingo, der augen - blickliche Aufſchlag der Kolonialwaren und die Auswanderung der franzöſiſchen Pflanzer den erſten Anlaß zum Bau des Kaffees auf dem Feſtlande von Amerika, auf Cuba und Ja - maika gaben, ſo hat doch, was ſie an Kaffee geliefert, keines - wegs bloß das Defizit gedeckt, das dadurch entſtanden war, daß die franzöſiſchen Antillen nichts mehr ausführten. Dieſer Ertrag ſteigerte ſich, je mehr die Bevölkerung und bei ver - änderter Lebensweiſe der Luxus bei den europäiſchen Völkern zunahmen. Zu Neckers Zeit im Jahre 1780 führte San Domingo gegen 38000000 kg Kaffee aus. Im Jahre 1817 und den drei folgenden Jahren war die Ausfuhr, nach Colqu - houn, noch 18000000 kg. Der Kaffeebau iſt nicht ſo müh - ſam und koſtſpielig als der Bau des Zuckerrohres und hat unter dem Regiment der Schwarzen nicht ſo ſehr gelitten als letzterer. Das ſich ergebende Defizit von 20000000 kg wird nun von Jamaika, Cuba, Surinam, Demerary, Barbice, Curaçao, Venezuela und der Inſel Java weit mehr als ge - deckt, indem alle zuſammen 37950000 kg erzeugen.

Die Geſamteinfuhr von Kaffee aus Amerika nach Europa überſteigt jetzt 53000000 kg franzöſiſchen Markgewichtes. 174Rechnet man dazu 2 bis 2,5 Millionen von Isle de France und der Inſel Bourbon, und 15 Millionen aus Arabien und Java, ſo ergibt ſich, daß der Geſamtverbrauch von Europa im Jahre 1819 auf etwa 70000000 kg geſtiegen ſein mag. Bei meinen Unterſuchungen über die Kolonialwaren im Jahre 18101S. Humboldt, Essay politique sur le Mexique. T. II, p. 435. habe ich eine geringere Zahl angenommen. Bei dieſem ungeheuren Kaffeeverbrauche hat der Verbrauch von Thee keineswegs abgenommen, vielmehr iſt die Ausfuhr aus China in den letzten fünfzehn Jahren um mehr als ein Vier - teil ſtärker geworden. Im gebirgigen Teile der Provinzen Caracas und Cumana könnte Thee ſo gut gebaut werden als Kaffee. Man findet dort alle Klimate wie in Stockwerken übereinander, und dieſer neue Kulturzweig würde ebenſogut gedeihen, wie in der ſüdlichen Halbkugel, wo in Braſilien unter einer Regierung, die großſinnig die Induſtrie und die religiöſe Duldung in ihren Schutz nimmt, der Thee, die Chineſen und Fos Glaubensſätze zumal eingewandert ſind. Noch ſind es nicht hundert Jahre her, ſeit in Surinam und auf den Antillen die erſten Kaffeebäume gepflanzt wurden, und bereits hat der Ertrag der amerikaniſchen Ernte einen Wert von 15 Millionen Piaſtern, den Zentner Kaffee nur zu 14 Piaſtern gerechnet.

Am 8. Februar bei Sonnenaufgang brachen wir auf, um über den Higuerote zu gehen, einen hohen Gebirgszug zwiſchen den beiden Längenthälern von Caracas und Aragua. Nach - dem wir bei Las Ajuntas, wo die kleinen Flüſſe San Pedro und Macarao ſich zum Guayre vereinigen, über das Waſſer gegangen waren, ging es an ſteilem Berghange hinauf zur Hochebene von Buenaviſta, wo ein paar einzelne Häuſer ſtehen. Man ſieht hier gegen Nordoſt bis zur Stadt Caracas, gegen Süd bis zum Dorfe Los Teques. Die Gegend iſt wild und waldreich. Die Pflanzen des Thales von Caracas waren nach und nach ausgeblieben. Wir befanden uns in 1627 m Meereshöhe, alſo faſt ſo hoch als Popayan, aber die mittlere Temperatur iſt ſchwerlich höher als 17 bis 18°. Die Straße über dieſe Berge iſt ſehr belebt; jeden Augenblick be - gegnet man langen Zügen von Maultieren und Ochſen; es iſt die große Straße von der Hauptſtadt nach Victoria und175 in die Thäler von Aragua. Der Weg iſt in einen talkigen, zerſetzten Gneis gehauen. Ein mit Glimmerblättern gemengter Thon bedeckt 1 m hoch das Geſtein. Im Winter leidet man vom Staub und in der Regenzeit wird der Boden ein Moraſt. Abwärts von der Ebene von Buenaviſta, etwa 100 m gegen Südoſt, kommt man an eine ſtarke Quelle im Gneis, die mehrere Fälle bildet, welche die üppigſte Vegetation umgibt. Der Pfad zur Quelle hinunter iſt ſo ſteil, daß man die Wipfel der Baumfarne, deren Stamm 8 m hoch wird, mit der Hand berühren kann. Die Felſen ringsum ſind mit Jungermannia und Mooſen aus der Familie Hypnum be - kleidet. Der Bach ſchießt im Schatten von Helikonien hin und entblößt die Wurzeln der Plumeria, des Cupey, der Brownea und des Ficus gigantea. Dieſer feuchte, von Schlangen heimgeſuchte Ort gewährt dem Botaniker die reichſte Ausbeute. Die Brownea, von den Eingeborenen Rosa del monte oder Palo de Cruz genannt, trägt oft vier - bis fünf - hundert purpurrote Blüten in einem einzigen Strauße. Jede Blüte hat faſt immer 11 Staubfäden, und das prachtvolle Gewächs, deſſen Stamm 15 bis 20 m hoch wächſt, wird ſelten, weil ſein Holz eine ſehr geſuchte Kohle gibt. Den Boden bedecken Ananas, Hemimeris, Polygala und Melaſtomen. Eine kletternde Grasart ſchwebt in leichten Gewinden zwiſchen Bäumen, deren Hierſein bekundet, wie kühl das Klima in dieſen Bergen iſt. Dahin gehören die Aralia capitata, die Vismia caparosa, die Clethra fagifolia. Mitten unter dieſen, der ſchönen Region der Baumfarne (region de los helechos) eigentümlichen Gewächſen erheben ſich in den Lichtungen hie und da Palmbäume und Gruppen von Guarumo oder Cekropia mit ſilberfarbigen Blättern, deren dünner Stamm am Gipfel ſchwarz iſt, wie verbrannt vom Sauerſtoff der Luft. Es iſt auffallend, daß ein ſo ſchöner Baum vom Habitus der Theophraſta und der Palmen meiſt nur acht bis zehn Kronblätter hat. Die Ameiſen, die im Stamme des Guarumo hauſen und das Zellgewebe im Inneren zerſtören, ſcheinen das Wachstum des Baumes zu hemmen. Wir hatten in dieſen kühlen Bergen von Higuerote ſchon einmal botaniſiert, im Dezember, als wir den Generalkapitän Guevara auf dem Ausfluge begleiteten, den er mit dem Intendanten der Provinz in die Valles de Aragua machte. Damals entdeckte Bon - pland im dickſten Walde ein paar Stämme des Aguatire, deſſen wegen ſeiner ſchönen Farbe berühmtes Holz einmal ein176 Ausfuhrartikel nach Europa werden kann. Es iſt die von Bredemayer und Willdenow beſchriebene Sickingia erythro - xylon.

Vom bewaldeten Berge Higuerote kommt man gegen Süd - weſt zum kleinen Dorfe San Pedro herunter (Höhe 1138 m), das in einem Becken liegt, wo mehrere kleine Thäler zu - ſammenſtoßen, und faſt 584 m tiefer als die Ebene von Bue - naviſta. Man baute hier nebeneinander Bananen, Kartoffeln und Kaffee. Das Dorf iſt ſehr klein und die Kirche noch nicht ausgebaut. Wir trafen in einer Schenke (pulperia) mehrere bei der Tabakspacht angeſtellte Hiſpano-Europäer. Ihre Stimmung war von der unſerigen ſehr verſchieden. Vom Marſche ermüdet, brachen ſie in Klagen und Verwünſchungen aus über das unſelige Land (estas tierras infelices), in dem ſie leben müßten. Wir dagegen konnten die wilde Schönheit der Gegend, die Fruchtbarkeit des Bodens, das angenehme Klima nicht genug rühmen.

Das Thal von San Pedro mit dem Flüßchen dieſes Namens trennt zwei große Bergmaſſen, die des Higuerote und die von Las Cocuyzas. Es ging nun gegen Weſt wieder aufwärts über die kleinen Höfe Las Lagunetas und Garavatos. Es ſind dies nur einzelne Häuſer, die als Herbergen dienen; die Maultiertreiber finden hier ihr Lieblingsgetränk, Gua - rapo, gegorenen Zuckerrohrſaft. Beſonders die Indianer, die auf dieſer Straße hin und her ziehen, ſind dem Trunke ſehr ergeben. Bei Garavatos ſteht ein ſonderbar geſtalteter Glimmerſchieferfels, ein Kamm oder eine ſteile Wand, auf der oben ein Turm ſteht. Ganz oben auf dem Berge Las Cocuyzas öffneten wir den Barometer und fanden, daß wir hier in derſelben Höhe waren wie auf Buenaviſta, kaum 20 m höher.

Die Ausſicht auf Las Lagunetas iſt ſehr weit, aber ziemlich einförmig. Dieſer gebirgige, unbebaute Landſtrich zwiſchen den Quellen des Guayre und des Tuy iſt über 500 qkm groß. Es gibt darin ein einziges elendes Dorf, Los Teques, ſüdöſtlich von San Pedro. Der Boden iſt wie durchfurcht von unzähligen kleinen Thälern, und die kleinſten, neben - einander herlaufenden münden unter rechtem Winkel in die größeren aus. Die Berggipfel ſind ebenſo einförmig wie die Thalſchluchten; nirgends eine pyramidaliſche Bildung oder eine Auszackung, nirgends ein ſteiler Abhang. Nach meiner An - ſicht rührt das faſt durchgängig flache, wellenförmige Relief177 dieſes Landſtriches nicht ſowohl von der Beſchaffenheit der Gebirgsart her, etwa von der Zerſetzung des Gneiſes, als vielmehr davon, daß das Waſſer lange darüber geſtanden und die Strömungen ihre Wirkungen geäußert haben. Die Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen die - ſelbe Bildung.

Von Las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter. Dieſer weſtliche Abhang der Berggruppe Los Teques heißt Las Cocuyzas; er iſt mit zwei Pflanzen mit Agaveblättern, mit dem Maguey de Cocuyza und dem Maguey de Co - cuy bewachſen. Letzterer gehört zur Gattung Yukka (unſere Yucca acaulis); aus dem gegorenen, mit Zucker verſetzten Saft wird Branntwein gebrannt, auch habe ich die jungen Blätter eſſen ſehen. Aus den Faſern der ausgewachſenen Blätter werden ungemein feſte Stricke verfertigt. 1An der Uhr in der Hauptkirche von Caracas trug ein 1 cm dicker Magueyſtrick ſeit 15 Jahren ein Gewicht von 175 kg. Hat man die Berge Higuerote und Los Teques hinter ſich, ſo betritt man ein reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern, unter denen welche ſind, die in Europa Städte hießen. Von Oſt nach Weſt, auf einer Strecke von 54 km, kommt man durch Victoria, San Mateo, Turmero und Maracay, die zuſammen über 28000 Einwohner haben. Die Ebenen am Tuy ſind als der öſtliche Ausläufer der Thäler von Aragua zu betrachten, die ſich von Guigue, am Ufer des Sees von Valencia, bis an den Fuß der Berge Las Cocuyzas erſtrecken. Durch barometriſche Meſſung fand ich das Tuythal beim Hofe Manterola 575 m und den Spiegel des Sees 432 m über dem Meere. Der Tuy, der in den Bergen Las Cocuyzas ent - ſpringt, läuft anfangs gegen Weſt, wendet ſich dann nach Süd und Oſt längs der hohen Savannen von Ocumare, nimmt die Gewäſſer des Thales von Caracas auf und fällt unter dem Winde des Kap Codera ins Meer.

Wir waren ſchon lange an eine mäßige Temperatur ge - wöhnt, und ſo kamen uns die Ebenen am Tuy ſehr heiß vor, und doch ſtand der Thermometer bei Tag zwiſchen 11 Uhr morgens und 5 Uhr abends nur auf 23 bis 24°. Die Nächte waren köſtlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17,5° ſank. Je mehr die Hitze abnahm, deſto ſtärker ſchienen die Wohl - gerüche der Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus erkannten wir den köſtlichen Geruch des Lirio hermoso, einerA. v. Humboldt, Reiſe. II. 12178neuen Art von Pancratium, deren Blüte 21 bis 23 cm lang iſt und die am Ufer des Tuy wächſt. Wir verlebten zwei höchſt angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joſes de Man - terola, der in der Jugend Mitglied der ſpaniſchen Geſandt - ſchaft in Rußland geweſen war. Als Zögling und Günſt - ling Xavedras, eines der einſichtsvollſten Intendanten von Caracas, wollte er ſich, als der berühmte Staatsmann ins Miniſterium getreten war, nach Europa einſchiffen. Der Gou - verneur der Provinz fürchtete Manterolas Einfluß und ließ ihn im Hafen verhaften, und als der Befehl von Hof an - langte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der Miniſter bereits nicht mehr in Gunſt. Es hält ſchwer, auf 7300 km von der ſüdamerikaniſchen Küſte rechtzeitig einzu - treffen, um von der Macht eines hochgeſtellten Mannes Nutzen zu ziehen.

Der Hof, auf dem wir wohnten, iſt eine hübſche Zucker - plantage. Der Boden iſt eben wie der Grund eines aus - getrockneten Sees. Der Tuy ſchlängelt ſich durch Gründe, die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von Hura cre - pitans, Erythrina corallodendron und Feigenbäumen mit Nymphäenblättern bewachſen ſind. Das Flußbett beſteht aus Quarzgeſchieben, und ich wüßte nicht, wo man angenehmer badete als im Tuy: das kriſtallhelle Waſſer behält ſelbſt bei Tage die Temperatur von 18,6°. Das iſt ſehr kühl für dieſes Klima und für eine Meereshöhe von 580 m, aber der Fluß entſpringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des Eigentümers liegt auf einem 30 bis 40 m hohen Hügel und ringsum ſtehen die Hütten der Neger. Die Verheirateten ſorgen ſelbſt für ihren Unterhalt. Wie überall in den Thä - lern von Aragua weiſt man ihnen ein kleines Grundſtück an, das ſie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen freien Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten Hühner, zuweilen ſogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie gut ſie es haben, wie im nördlichen Europa die gnädigen Herren den Wohlſtand der leibeigenen Bauern rühmen. Am Tage unſerer Ankunft ſahen wir drei entſprungene Neger ein - bringen, vor kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge einer der Prügelſzenen ſein zu müſſen, die einem überall, wo die Sklaverei herrſcht, das Landleben verbittern; glücklicher - weiſe wurden die Schwarzen menſchlich behandelt.

Auf dieſer Pflanzung, wie überall in der Provinz Vene - zuela, unterſcheidet man ſchon von weitem die drei Arten179 Zuckerrohr, die gebaut werden, das kreoliſche Rohr, das tahi - tiſche und das bataviſche. Die erſtere Art hat ein dunkleres Blatt, einen dünneren Stengel und die Knoten ſtehen näher bei einander; es iſt dies das Zuckerrohr, das aus Indien zuerſt auf Sizilien, auf den Kanarien und auf den Antillen eingeführt wurde. Die zweite Art zeichnet ſich durch ein helleres Grün aus; der Stengel iſt höher, dicker, ſaftreicher; die ganze Pflanzung verrät üppigeres Wachstum. Man ver - dankt ſie den Reiſen Bougainvilles, Cooks und Blighs. Bou - gainville brachte ſie nach Cayenne, von wo ſie nach Martinique und vom Jahre 1792 an auf die anderen Antillen kam. Das tahitiſche Zuckerrohr, der To der Inſulaner, iſt eine der wichtigſten Bereicherungen, welche die Landwirtſchaft in den Kolonien ſeit einem Jahrhundert reiſenden Naturforſchern ver - dankt. Es gibt nicht nur auf demſelben Areal ein Dritteil mehr Vezou als das kreoliſche Zuckerrohr, ſein dicker Stengel und ſeine feſte Holzfaſer liefern auch ungleich mehr Brennſtoff. Letzteres iſt für die Antillen von großem Wert, da die Pflanzer dort wegen der Ausrodung der Wälder ſchon lange die Keſſel mit ausgepreßtem Rohr heizen müſſen. Ohne dieſes neue Gewächs, ohne die Fortſchritte des Ackerbaues auf dem Feſt - lande des ſpaniſchen Amerika und die Einführung des indiſchen und Javazuckers hätten die Revolutionen auf San Domingo und die Zerſtörung der dortigen großen Zuckerpflanzungen einen noch weit bedeutenderen Einfluß auf die Preiſe der Kolonialwaren in Europa geäußert. Nach Caracas kam das tahitiſche Rohr von der Inſel Trinidad, von Caracas nach Cucuta und San Gil im Königreiche Neugranada. Gegen - wärtig, nach fünfundzwanzigjährigem Anbau, iſt die Beſorgnis verſchwunden, die man anfangs gehegt, das nach Amerika verpflanzte Rohr möchte allmählich ausarten und ſo dünn werden wie das kreoliſche. Wenn es eine Spielart iſt, ſo iſt es eine ſehr konſtante. Die dritte Art, das violette Zucker - rohr, Caña de Batavia oder de Guinea genannt, iſt beſtimmt auf Java zu Hauſe, wo man es vorzugsweiſe in den Diſtrikten Japara und Paſuruan baut. Es hat purpurfarbige, ſehr breite Blätter; in der Provinz Caracas verwendet man es vorzugsweiſe zum Rumbrennen. Zwiſchen den Tablones oder mit Zuckerrohr bepflanzten Grundſtücken laufen Hecken aus einer gewaltig großen Grasart, der Latta oder dem Gynerium mit zweizeiligen Blättern. Man war im Tuy daran, ein Wehr auszubauen, durch das ein Wäſſerungskanal180 geſpeiſt werden ſollte. Der Eigentümer hatte für das Unter - nehmen 7000 Piaſter an Baukoſten und 4000 für die Prozeſſe mit ſeinen Nachbarn ausgegeben. Während die Sachwalter ſich über einen Kanal ſtritten, der erſt zur Hälfte fertig war, fing Manterola an zu bezweifeln, ob die Sache überhaupt ausführbar ſei. Ich vermaß das Terrain mittels eines Pro - bierglaſes auf einem künſtlichen Horizont und fand, daß das Wehr 2,6 m zu tief angelegt war. Wieviel Geld habe ich in den ſpaniſchen Kolonien für Bauten hinauswerfen ſehen, die nach falſchen Meſſungen angelegt waren!

Das Tuythal hat ſein Goldbergwerk , wie faſt jeder von Europäern bewohnte, im Urgebirge liegende Ort in Amerika. Man verſicherte, im Jahre 1780 habe man hier fremde Gold - wäſcher Goldkörner ſammeln ſehen, und die Leute haben ſofort in der Goldſchlucht eine Wäſcherei angelegt. Der Verwalter einer benachbarten Pflanzung hatte dieſe Spuren verfolgt, und ſiehe, man fand in ſeinem Nachlaß ein Wams mit goldenen Knöpfen, und nach der Volkslogik konnte dieſes Gold nur aus einem Erzgange kommen, wo die Schürfung durch einen Erdfall verſchüttet worden war. So beſtimmt ich auch erklärte, nach dem bloßen Ausſehen des Bodens, ohne einen tiefen Stollen in der Richtung des Ganges könne ich nicht wiſſen, ob hier einmal gebaut worden ſei es half nichts, ich mußte den Bitten meiner Wirte nachgeben. Seit zwanzig Jahren war das Wams des Verwalters im ganzen Bezirk tagtäglich beſprochen worden. Das Gold, das man aus dem Schoße der Erde gräbt, hat in den Augen des Volkes einen ganz anderen Reiz, als das Gold, das der Fleiß des Landmannes auf einem fruchtbaren, mit einem milden Klima geſegneten Boden erntet.

Nordweſtlich von der Hacienda del Tuy, im nördlichen Zuge der Küſtengebirgskette, befindet ſich eine tiefe Schlucht, Quebrada seca genannt, weil der Bach, dem ſie ihre Ent - ſtehung verdankt, in den Felsſpalten verſickert, ehe er das Ende der Schlucht erreicht. Dieſes ganze Bergland iſt dicht bewachſen; hier, wie überall, wo die Höhen in die Wolken - region reichen und die Waſſerdünſte auf ihrem Zuge von der See her freien Zutritt haben, fanden wir das herrliche friſche Grün, das uns in den Bergen von Buenaviſta und Lagunetas ſo wohl gethan hatte. In den Ebenen dagegen werfen, wie ſchon oben bemerkt, die Bäume im Winter ihre Blätter zum Teil ab, und ſobald man in das Thal des Tuy hinabkommt,181 fällt einem das faſt winterliche Ausſehen der Landſchaft auf. Die Luft iſt ſo trocken, daß der Delucſche Hygrometer Tag und Nacht auf 36 bis 40° ſteht. Weit ab vom Fluſſe ſieht man kaum hie und da eine Hura oder ein baumartiges Pfeffer - gewächs das entblätterte Buſchwerk beſchatten. Dieſe Erſchei - nung iſt wohl eine Folge der Trockenheit der Luft, die im Februar ihr Maximum erreicht; ſie rührt nicht, wie die Ko - loniſten meinen, daher, daß die Jahreszeiten, wie ſie in Spanien ſind, bis in den heißen Erdſtrich herüber wirken . Nur die aus einer Halbkugel in die andere verſetzten Gewächſe bleiben hinſichtlich ihrer Lebensverrichtungen, der Blätter - und Blütenentwickelung an einen fernen Himmelsſtrich gebunden und richten ſich, treu dem gewohnten Lebensgange, noch lange an die periodiſchen Witterungswechſel desſelben. In der Pro - vinz Venezuela fangen die kahlen Bäume faſt einen Monat vor der Regenzeit wieder an friſches Laub zu treiben. Wahr - ſcheinlich iſt um dieſe Zeit das elektriſche Gleichgewicht in der Luft bereits aufgehoben und dieſelbe wird allmählich feuchter, wenn ſie auch noch wolkenlos iſt. Das Himmelsblau wird bläſſer und hoch oben in der Luft ſammeln ſich leichte, gleich - förmig verbreitete Dünſte. In dieſe Jahreszeit fällt hier eigentlich das Erwachen der Natur; es iſt ein Frühling, der, nach dem Sprachgebrauch in den ſpaniſchen Kolonieen,1Winter heißt die Zeit im Jahre, wo es am meiſten regnet, daher in Terra Firma die mit der Winter-Tag - und Nachtgleiche beginnende Jahreszeit Sommer genannt wird und man alle Tage ſagen hört, im Gebirge ſei es Winter, während es in den benach - barten Niederungen Sommer iſt. Winters Anfang verkündigt und auf die Sommerhitze folgt.

In der Quebrada seca wurde früher Indigo gebaut; da aber der dichtbewachſene Boden nicht ſo viel Wärme ab - geben kann, als die Niederungen oder der Thalgrund des Tuy empfangen und durch Strahlung wieder von ſich geben, ſo baut man jetzt ſtatt desſelben Kaffee. Je weiter man in der Schlucht hinaufkommt, deſto feuchter wird ſie. Beim Hato, am nördlichen Ende der Quebrada, kamen wir an einen Bach, der über die fallenden Gneisſchichten niederſtürzt; man arbeitete hier an einer Waſſerleitung, die das Waſſer in die Ebene führen ſollte; ohne Bewäſſerung iſt in dieſem Land - ſtriche kein Fortſchritt in der Landwirtſchaft möglich. Ein un - geheuer dicker Baum (Hura crepitans) am Bergabhange, über182 dem Hauſe des Hato, fiel uns auf. Da er, wenn der Boden im geringſten wich, hätte umfallen und das Haus, das in ſeinem Schatten lag, zertrümmern müſſen, ſo hatte man ihn unten am Stamm abgebrannt und ſo gefällt, daß er zwiſchen ungeheure Feigenbäume zu liegen kam und nicht in die Schlucht hinunterrollen konnte. Wir maßen den gefällten Baum: der Wipfel war abgebrannt, und doch maß der Stamm noch 53 m; er hatte an der Wurzel 2,6 m Durchmeſſer und am oberen Ende 1,35 m.

Unſeren Führern war weit weniger als uns daran ge - legen, wie dick die Bäume ſind, und ſie trieben uns vorwärts, dem Goldbergwerke zu. Wir wandten uns nach Weſt und ſtanden endlich in der Quebrada del Oro. Da war nun am Abhange eines Hügels kaum die Spur eines Quarzganges zu bemerken. Durch den Regen war der Boden herabgerutſcht, das Terrain war dadurch ganz verändert und von einer Unter - ſuchung konnte keine Rede ſein. Bereits wuchſen große Bäume auf dem Fleck, wo die Goldwäſcher vor zwanzig Jahren ge - arbeitet hatten. Es iſt allerdings wahrſcheinlich, daß ſich hier im Glimmerſchiefer, wie bei Goldkronach in Franken und im Salzburgiſchen, goldhaltige Gänge finden; aber wie will man wiſſen, ob die Lagerſtätte bauwürdig iſt, oder ob das Erz nur in Neſtern vorkommt, und zwar deſto ſeltener, je reicher es iſt? Um uns für unſere Anſtrengung zu entſchädigen, botaniſierten wir lange im dichten Walde über dem Hato, wo Cedrela, Brownea und Feigenbäume mit Nymphäenblättern in Menge wachſen. Die Stämme der letzteren ſind mit ſehr ſtark rie - chenden Vanillepflanzen bedeckt, die meiſt erſt im April blühen. Auch hier fielen uns wieder die Holzauswüchſe auf, die in der Geſtalt von Gräten oder Rippen den Stamm der ameri - kaniſchen Feigenbäume bis 6,5 m über dem Boden ſo ungemein dick machen. Ich habe Bäume geſehen, die über der Wurzel 7,3 m Durchmeſſer hatten. Dieſe Holzgräten trennen ſich zu - weilen 2,6 m über dem Boden vom Stamm und verwandeln ſich in walzenförmige, 60 cm dicke Wurzeln, und da ſieht es aus, als würde der Baum von Strebepfeilern geſtützt. Dieſes Gerüſtwerk dringt indeſſen nicht weit in den Boden ein. Die Seitenwurzeln ſchlängeln ſich am Boden hin, und wenn man 6,5 m vom Stamm ſie mit einem Beil abhaut, ſieht man den Milchſaft des Feigenbaumes hervorquellen und ſofort, da er der Lebensthätigkeit der Organe entzogen iſt, ſich zerſetzen und gerinnen. Welch wundervolle Verflechtung von Zellen und183 Gefäßen in dieſen vegetabiliſchen Maſſen, in dieſen Rieſen - bäumen der heißen Zone, die vielleicht tauſend Jahre lang in einem fort Nahrungsſaft bereiten, der bis zu 58 m hoch aufſteigt und wieder zum Boden zurückfließt, und wo hinter einer rauhen, harten Rinde, unter dicken Schichten lebloſer Holzfaſern ſich alle Regungen organiſchen Lebens bergen!

Ich benutzte die hellen Nächte, um auf der Pflanzung am Tuy zwei Austritte des erſten und dritten Jupitertra - banten zu beobachten. Dieſe zwei Beobachtungen ergaben nach den Tafeln von Delambre 4h 39′ 14″ Länge; nach dem Chro - nometer fand ich 4h 39′ 10″. Dies waren die letzten Be - deckungen, die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoko beob - achtet; mittels derſelben wurde das öſtliche Ende der Thäler von Aragua und der Fuß der Berge Las Cocuyzas ziemlich genau beſtimmt. Nach Meridianhöhen von Canopus fand ich die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10° 16′ 55″, am 10. Februar 10° 16′ 34″. Trotz der großen Trockenheit der Luft flimmerten die Sterne bis zu 80° Höhe, was unter dieſer Zone ſehr ſelten vorkommt und jetzt viel - leicht das Ende der ſchönen Jahreszeit verkündete. Die In - klination der Magnetnadel war 41° 60′, und 228 Schwingungen in 10 Minuten Zeit gaben die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Die Abweichung der Nadel war 30′ gegen Nordoſt.

Während meines Aufenthaltes in den Thälern des Tuy und von Aragua zeigte ſich das Zodiakallicht faſt jede Nacht in ungemeinem Glanze. Ich hatte es unter den Tropen zum erſtenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr abends ge - ſehen. Die Spitze der Pyramide ſtand 53° hoch. Der Schein verſchwand faſt ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit), beinahe 3 Stunden 50 Minuten nach Sonnenuntergang, ohne daß der klare Himmel ſich getrübt hätte. Schon La Caille war auf ſeiner Reiſe nach Rio de Janeiro und dem Kap auf - gefallen, wie ſchön ſich das Zodiakallicht unter den Tropen ausnimmt, nicht ſowohl weil es weniger geneigt iſt, als wegen der großen Reinheit der Luft. Man müßte es auch auffallend finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominik Caſſini die Seefahrer, welche die Meere beider Indien beſuchten, die gelehrte Welt Europas auf dieſen Lichtſchimmer von ſo be - ſtimmter Form und Bewegung aufmerkſam gemacht haben, wenn man nicht wüßte, wie wenig ſie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ſich um alles kümmerten, was nicht un -184 mittelbar auf den Lauf des Schiffes und auf die Steuerung Bezug hatte.

So glänzend das Zodiakallicht im trockenen Tuythale war, ſo ſah ich es doch noch weit ſchöner auf dem Rücken der Kordilleren von Mexiko, am Ufer des Sees von Tezcuco, in 2261 m Meereshöhe. Auf dieſer Hochebene geht der De - lucſche Hygrometer auf 15° zurück, und bei einem Luftdruck von 21 Zoll 8 Linien iſt die Schwächung des Lichtes 1 / 1006mal geringer als auf den Niederungen. Im Januar 1804 reichte die Helle zuweilen mehr als 60° über den Horizont herauf. Die Milchſtraße erſchien blaß neben dem Glanz des Zo - diakallichtes, und wenn bläuliche zerſtreute Wölkchen gegen Weſt am Himmel ſchwebten, meinte man, der Mond ſei am Aufgehen.

Ich muß hier einer ſehr auffallenden Beobachtung ge - denken, die ſich in meinem an Ort und Stelle geführten Tage - buche mehrmals verzeichnet findet. Am 18. Januar und am 15. Februar 1800 zeigte ſich das Zodiakallicht nach je zwei Minuten ſehr merkbar jetzt ſchwächer, jetzt wieder ſtärker. Bald war es ſehr ſchwach, bald heller als der Glanz der Milchſtraße im Schützen. Der Wechſel erfolgte in der ganzen Pyramide, beſonders aber im Inneren, weit von den Rändern. Wäh - rend dieſer Schwankungen des Zodiakallichtes zeigte der Hygro - meter große Trockenheit an. Die Sterne vierter und fünfter Größe erſchienen dem bloßen Auge fortwährend in derſelben Lichtſtärke. Nirgends war ein Wolkenſtreif am Himmel zu ſehen, und nichts ſchien irgendwie die Reinheit der Luft zu beeinträchtigen. In anderen Jahren, in der ſüdlichen Halb - kugel, ſah ich das Licht eine halbe Stunde, ehe es verſchwand, ſtärker werden. Nach Dominik Caſſini ſollte das Zodiakal - licht in manchen Jahren ſchwächer und dann wieder ſo ſtark werden wie anfangs . Er glaubte, dieſer allmähliche Licht - wechſel hänge mit denſelben Emanationen zuſammen, in deren Folge auf der Sonnenſcheibe periodiſch Flecken und Fackeln erſcheinen , aber der ausgezeichnete Beobachter erwähnt nichts von einem ſolchen raſchen, innerhalb weniger Minuten erfol - genden Wechſel in der Stärke des Zodiakallichtes, wie ich denſelben unter den Tropen öfters geſehen. Mairan behauptet, in Frankreich ſehe man in den Monaten Februar und März ziemlich oft mit dem Zodiakalſchein eine Art Nordlicht ſich miſchen, das er das unbeſtimmte nennt, und deſſen Licht - nebel ſich entweder um den ganzen Horizont verbreitet oder185 gegen Weſten erſcheint. Ich bezweifle, daß in den von mir beobachteten Fällen dieſe beiderlei Lichtſcheine ſich gemengt haben. Der Wechſel in der Lichtſtärke erfolgte in bedeutenden Höhen, das Licht war weiß, nicht farbig, ruhig, nicht zitternd. Zudem ſind Nordlichter unter den Tropen ſo ſelten ſichtbar, daß ich in fünf Jahren, ſo oft ich auch im Freien lag und das Himmelsgewölbe anhaltend und ſehr aufmerkſam betrachtete, nie eine Spur davon bemerken konnte.

Ueberblicke ich, was ich in Bezug auf die Zu - und Ab - nahme des Zodiakallichtes in meinen Notizen verzeichnet habe, ſo möchte ich glauben, daß dieſe Veränderungen doch nicht alle ſcheinbar ſind, noch von gewiſſen Vorgängen in der Atmoſphäre abhängen. Zuweilen, in ganz heiteren Nächten, ſuchte ich das Zodiakallicht vergebens, während es tags zuvor ſich im größten Glanze gezeigt hatte. 1Mairan iſt dieſelbe Erſcheinung in Europa aufgefallen.Soll man annehmen, daß Emanationen, die das weiße Licht reflektieren, und die mit dem Schweif der Kometen Aehnlichkeit zu haben ſcheinen, zu gewiſſen Zeiten ſchwächer ſind? Die Unterſuchungen über den Zodiakalſchein bekommen noch mehr Intereſſe, ſeit die Mathematiker uns bewieſen haben, daß uns die wahre Urſache der Erſcheinung unbekannt iſt. Der berühmte Verfaſſer der mécanique céleste hat dargethan, daß die Sonnenatmoſphäre nicht einmal bis zur Merkursbahn reichen kann, und daß ſie in keinem Fall in der Linſenform erſcheinen könnte, die das Zodiakallicht nach der Beobachtung haben muß. Es laſſen ſich zudem über das Weſen dieſes Lichtes dieſelben Zweifel erheben, wie über das der Kometenſchweife. Iſt es wirklich reflektiertes, oder iſt es direktes Licht? Hoffentlich werden reiſende Natur - forſcher, welche unter die Tropen kommen, ſich mit Polari - ſationsapparaten verſehen, um dieſen wichtigen Punkt zu erledigen.

Am 11. Februar mit Sonnenaufgang brachen wir von der Pflanzung Manterola auf. Der Weg führt an den lachen - den Ufern des Tuy hin, der Morgen war kühl und feucht und die Luft durchwürzt vom köſtlichen Geruch des Pancra - tium undulatum und anderer großer Liliengewächſe. Man kommt durch das hübſche Dorf Mamon oder Conſejo, das in der Provinz wegen eines wunderthätigen Muttergottes - bildes berühmt iſt. Kurz vor Mamon machten wir auf einem Hofe der Familie Monteras Halt. Eine über 100 Jahre alte186 Negerin ſaß vor einer kleinen Hütte aus Rohr und Erde. Man kannte ihr Alter, weil ſie eine Kreolinſklavin war. Sie ſchien noch bei ganz guter Geſundheit. Ich halte ſie an der Sonne (la tingo al sol), ſagte ihr Enkel; die Wärme er - hält ſie am Leben. Das Mittel kam uns ſehr ſtark vor, denn die Sonnenſtrahlen fielen faſt ſenkrecht nieder. Die Völker mit dunkler Haut, die gut akklimatiſierten Schwarzen und die Indianer erreichen in der heißen Zone ein hohes, glückliches Alter. Ich habe anderswo von einem eingeborenen Peruaner erzählt, der im Alter von 143 Jahren ſtarb und 90 Jahre verheiratet geweſen war.

Don Francisco Montera und ſein Bruder, ein junger, ſehr gebildeter Geiſtlicher, begleiteten uns, um uns in ihr Haus in Victoria zu bringen. Faſt alle Familien, mit denen wir in Caracas befreundet geweſen waren, die Uſtariz, die Tovars, die Toros, lebten beiſammen in den ſchönen Thälern von Aragua, wo ſie die reichſten Pflanzungen beſaßen, und ſie wetteiferten, uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Ehe wir in die Wälder am Orinoko drangen, erfreuten wir uns noch einmal an allem, was hohe Kultur Schönes und Gutes bietet.

Der Weg von Mamon nach Victoria läuft von Süd nach Südweſt. Den Tuy, der am Fuße der hohen Berge von Guayraima eine Biegung nach Oſt macht, verloren wir bald aus dem Geſicht. Man meint im Haslithal im Berner Oberland zu ſein. Die Kalktuffhügel ſind nicht mehr als 270 m hoch, fallen aber ſenkrecht ab und ſpringen wie Vor - gebirge in die Ebene herein. Ihre Umriſſe deuten das alte Seegeſtade an. Das öſtliche Ende des Thales iſt dürr und nicht angebaut; man hat hier die waſſerreichen Schluchten der benachbarten Gebirge nicht benutzt, aber in der Nähe der Stadt betritt man ein gut bebautes Land. Ich ſage Stadt, obgleich zu meiner Zeit Victoria nur für ein Dorf (pueblo) galt.

Einen Ort mit 7000 Einwohnern, ſchönen Gebäuden, einer Kirche mit doriſchen Säulen und dem ganzen Treiben der Handelsinduſtrie kann man ſich nicht leicht als Dorf denken. Längſt hatten die Einwohner von Victoria den ſpaniſchen Hof um den Titel Villa angegangen und um das Recht, einen Cabildo, einen Gemeinderat, wählen zu dürfen. Das ſpaniſche Miniſterium willfahrte dem Geſuch nicht, und doch hatte es bei der Expedition Iturriagas und Solanos an187 den Orinoko, auf das dringende Geſuch der Franziskaner, ein paar Haufen indianiſcher Hütten den vornehmen Titel Ciudad erteilt. Die Selbſtverwaltung der Gemeinden ſollte ihrem Weſen nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleich - heit der Bürger ſein; aber in den ſpaniſchen Kolonieen iſt ſie in eine Gemeindeariſtokratie ausgeartet. Die Leute, welche die unumſchränkte Gewalt in Händen haben, könnten ſo leicht den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren Zwecken dienſtbar machen; ſtatt deſſen fürchten ſie den ſogenannten Unabhängigkeitsgeiſt der kleinen Gemeinden. Lieber ſoll der Staatskörper gelähmt und kraftlos bleiben, als daß ſie Mittel - punkte der Regſamkeit aufkommen ließen, die ſich ihrem Ein - fluß entziehen, als daß ſie der lokalen Lebensthätigkeit, welche die ganze Maſſe beſeelt, Vorſchub leiſteten, nur weil dieſe Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der oberſten Gewalt ausgeht. Zur Zeit Karls V. und Philipps II. wurde die Munizipalverfaſſung vom Hofe klugerweiſe begünſtigt. Mächtige Männer, die bei der Eroberung eine Rolle geſpielt, gründeten Städte und bildeten die erſten Cabildos nach dem Muſter der ſpaniſchen; zwiſchen den Angehörigen des Mutterlandes und ihren Nachkommen in Amerika beſtand damals Rechts - gleichheit. Die Politik war eben nicht freiſinnig, aber doch nicht ſo argwöhniſch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und verheerte Feſtland wurde als eine ferne Beſitzung Spaniens angeſehen. Der Begriff einer Kolonie im heutigen Sinne ent - wickelte ſich erſt mit dem modernen Syſtem der Handelspolitik, und dieſe Politik ſah zwar ganz wohl die wahren Quellen des Nationalreichtums, wurde aber nichtsdeſtoweniger bald kleinlich, mißtrauiſch, ausſchließend. Sie arbeitete auf die Zwietracht zwiſchen dem Mutterlande und den Kolonieen hin; ſie brachte unter den Weißen eine Ungleichheit auf, von der die erſte Geſetzgebung für Indien nichts gewußt hatte. All - mählich wurde durch die Centraliſierung der Gewalt der Ein - fluß der Gemeinden herabgedrückt, und dieſelben Cabildos, denen im 16. und 17. Jahrhundert das Recht zuſtand, nach dem Tode eines Statthalters das Land proviſoriſch zu re - gieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche Hemmniſſe der königlichen Gewalt. Hinfort erhielten die reichſten Dörfer trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur ſehr ſchwer den Stadttitel und das Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt ſich hieraus, daß die neueren Aenderungen in der Kolonial - politik keineswegs alle ſehr philoſophiſch ſind. Man ſieht188 ſolches ſehr deutlich, wenn man in den Leyes de Indias die Artikel von den Verhältniſſen der nach Amerika überſiedelten Spanier, von den Rechten der Gemeinden und der Einrichtung der Gemeinderäte nachlieſt.

Durch die Art des Anbaues iſt der Anblick der Umgegend von Victoria ein ganz eigentümlicher. Der bebaute Boden liegt nur in 525 bis 580 m Meereshöhe, und doch ſieht man Getreidefelder unter den Zucker -, Kaffee - und Bananenpflan - zungen. Mit Ausnahme des Inneren von Cuba werden ſonſt faſt nirgends im tropiſchen Teile der ſpaniſchen Kolonieen die europäiſchen Getreidearten in einem ſo tief gelegenen Land - ſtriche gebaut. In Mexiko wird nur zwiſchen 1170 und 2340 m abſoluter Höhe der Weizenbau ſtark betrieben, und nur ſelten geht er über 780 m herab. Wir werden bald ſehen, daß, wenn man Lagen von verſchiedener Höhe miteinander ver - gleicht, der Ertrag des Getreides von den hohen Breiten zum Aequator mit der mittleren Temperatur des Ortes merkbar zunimmt. Ob man mit Erfolg Getreide bauen kann, hängt ab vom Grade der Trockenheit der Luft, davon, ob der Regen auf mehrere Jahreszeiten verteilt iſt oder nur in der Winter - zeit fällt, ob der Wind fortwährend aus Oſt bläſt oder von Norden her kalte Luft in tiefe Breiten bringt (wie im Meer - buſen von Mexiko), ob monatelang Nebel die Kraft der Sonnen - ſtrahlen vermindern, kurz, von tauſend örtlichen Verhältniſſen, die nicht ſowohl die mittlere Temperatur des ganzen Jahres als die Verteilung derſelben Wärmemenge auf verſchiedene Jahreszeiten bedingen. Es iſt eine merkwürdige Erſcheinung, daß das europäiſche Getreide vom Aequator bis Lappland, unter dem 69. Breitengrad, in Ländern mit einer mittleren Wärme von + 22 bis 2 Grad, allerorten gebaut wird, wo die Sommertemperatur über 9 bis 10 Grad beträgt. Man kennt das Minimum von Wärme, wobei Weizen, Gerſte und Hafer noch reifen; über das Maximum, das dieſe ſonſt ſo zähen Grasarten ertragen, iſt man weniger im reinen. Wir wiſſen nicht einmal, welche Verhältniſſe zuſammen - wirken, um unter den Tropen den Getreidebau in ſehr ge - ringen Höhen möglich zu machen. Victoria und das benach - barte Dorf San Mateo erzeugen 4000 Zentner Weizen. Man ſät ihn im Dezember und erntet ihn am 70. oder 75. Tage. Das Korn iſt groß, weiß und ſehr reich an Kleber; die Deckhaut iſt dünner, nicht ſo hart als beim Korn auf den ſehr kalten mexikaniſchen Hochebenen. Bei Victoria erträgt189 der Morgen in der Regel 1500 bis 1600 kg Weizen, alſo, wie in Buenos Ayres, zwei bis dreimal mehr als in den nördlichen Ländern. Man erntet etwa das 16. Korn, während der Boden von Frankreich, nach Lavoiſiers Unterſuchungen, im Durchſchnitt nur das 5. bis 6., 500 bis 600 kg auf den Morgen trägt. Trotz dieſer Fruchtbarkeit des Bodens und des günſtigen Klimas iſt der Zuckerbau in den Thälern von Aragua einträglicher als der Getreidebau.

Durch Victoria läuft der kleine Rio Calanchas, der ſich nicht in den Tuy, ſondern in den Rio Aragua ergießt, wor - aus hervorgeht, daß dieſes ſchöne Land, wo Zuckerrohr und Weizen nebeneinander wachſen, bereits zum Becken des Sees von Valencia gehört, zu einem Syſtem von Binnenflüſſen, die mit der See nicht in Verbindung ſtehen. Der Stadtteil weſtlich vom Rio Calanchas heißt La otra banda und iſt der gewerbſamſte. Ueberall ſieht man Waren ausgeſtellt, und die Straßen beſtehen aus Budenreihen. Zwei Handelsſtraßen laufen durch Victoria, die von Valencia oder Porto Cabello und die von Villa de Cura oder den Ebenen her, Camino de los Llanos genannt. Es ſind im Verhältnis mehr Weiße hier als in Caracas. Wir beſuchten bei Sonnenuntergang den Kalvarienberg, wo man eine weite, ſehr ſchöne Ausſicht hat. Man ſieht gegen Weſt die lachenden Thäler von Aragua, ein weites, mit Gärten, Bauland, Stücken Wald, Höfen und Weilern bedecktes Gelände. Gegen Süd und Südoſt ziehen ſich, ſo weit das Auge reicht, die hohen Gebirge von Palma, Guayraima, Tiara und Guiripa hin, hinter denen die unge - heuren Ebenen oder Steppen von Calabozo liegen. Dieſe innere Bergkette ſtreicht nach Weſt längs des Sees von Va - lencia fort bis Villa de Cura, Cueſta de Yusma und zu den gezackten Bergen von Guigue. Sie iſt ſteil und fortwährend in den leichten Dunſt gehüllt, der in heißen Ländern ferne Gegenſtände ſtark blau färbt und die Umriſſe keineswegs ver - wiſcht, ſondern ſie nur ſtärker hervortreten läßt. In dieſer inneren Kette ſollen die Berge von Guayraima bis 2340 m hoch ſein. In der Nacht des 11. Februar fand ich die Breite von Victoria 10° 13′ 35″, die Inklination der Magnetnadel 40,80°, die Intenſität der magnetiſchen Kraft gleich 236 Schwingungen in 10 Zeitminuten und die Abweichung der Nadel 4,40° nach Nordoſt.

Wir zogen langſam weiter über die Dörfer San Mateo, Turmero und Maracay auf die Hacienda de Cura, eine ſchöne190 Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir erſt am 14. Februar abends ankamen. Das Thal wird allmählich weiter; zu beiden Seiten desſelben ſtehen Hügel von Kalktuff, den man hierzu - lande tierra blanca nennt. Die Gelehrten im Lande haben verſchiedene Verſuche gemacht, dieſe Erde zu brennen; ſie ver - wechſelten dieſelbe mit Porzellanerde, die ſich aus Schichten verwitterten Feldſpats bildet. Wir verweilten ein paar Stunden bei einer achtungswürdigen und gebildeten Familie, den Uſtariz in Conceſion. Das Haus mit einer auserleſenen Bücher - ſammlung ſteht auf einer Anhöhe und iſt mit Kaffee - und Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüſch von Balſambäumen (balsamo)1Amyris elata. gibt Kühlung und Schatten. Mit reger Teil - nahme ſahen wir die vielen im Thale zerſtreuten Häuſer, die von Freigelaſſenen bewohnt ſind. Geſetze, Einrichtungen, Sitten begünſtigen in den ſpaniſchen Kolonieen die Frei - heit der Neger ungleich mehr als bei den übrigen europäiſchen Nationen.

San Mateo, Turmero und Maracay ſind reizende Dörfer, wo alles den größten Wohlſtand verrät. Man glaubt ſich in den gewerbſamſten Teil von Katalonien verſetzt. Bei San Mateo ſahen wir die letzten Weizenfelder und die letzten Mühlen mit wagerechten Waſſerrädern. Man rechnete bei der bevorſtehenden Ernte auf die zwanzigfache Ausſaat, und als wäre dies noch ein mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob man in Preußen und Polen mehr ernte. Unter den Tropen iſt der Irrtum ziemlich verbreitet, das Getreide arte gegen den Aequator zu aus und die Ernten ſeien im Norden reicher. Seit man den Ertrag des Ackerbaues in verſchiedenen Erd - ſtrichen und die Temperaturen, bei denen das Getreide ge - deiht, berechnen kann, weiß man, daß nirgends jenſeits des 45. Breitengrades der Weizen ſo reiche Ernten gibt als auf den Nordküſten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu - granada, Peru und Mexiko. Vergleicht man nicht die mitt - lere Temperatur des ganzen Jahres, ſondern nur die mittleren Temperaturen der Jahreszeit, in welche der Vegetations - cyklus des Getreides fällt, ſo findet2Die mittlere Sommertemperatur iſt in Schottland (bei Edinburg unter dem 56. Grad der Breite) dieſelbe wie auf den Hochebenen von Neugranada, wo in 2725 m Meereshöhe und unter dem 4. Grad der Breite ſo viel Getreide gebaut wird. Auf der man für drei Sommer -191 monate im nördlichen Europa 15 bis 19°, in der Berberei und in Aegypten 27 bis 29°, unter den Tropen, zwiſchen 2725 und 580 m Höhe, 14 bis 25°.

Die herrlichen Ernten in Aegypten und Algerien, in den Thälern von Aragua und im Inneren von Cuba beweiſen zur Genüge, daß Zunahme der Wärme die Ernte des Weizens und der anderen nährenden Gräſer nicht beeinträchtigt, wenn nicht mit der hohen Temperatur übermäßige Trockenheit oder Feuchtigkeit Hand in Hand geht. Letzterem Umſtande ſind ohne Zweifel die ſcheinbaren Anomalieen zuzuſchreiben, die unter den Tropen hie und da an der unteren Grenze des Getreides vorkommen. Man wundert ſich, daß oſtwärts von der Havana, im vielgenannten Bezirk der Quatro Villas, dieſe Grenze faſt bis zum Meeresſpiegel herabgeht, während weſtlich von der Havana, am Abhange der mexikaniſchen Ge - birge, bei Xalapa, in 1320 m Höhe, die Vegetation noch ſo üppig iſt, daß der Weizen keine Aehren anſetzt. In der erſten Zeit nach der Eroberung wurde das europäiſche Getreide mit Erfolg an manchen Orten gebaut, die man jetzt für zu heiß oder zu feucht dafür hält. Die eben erſt nach Amerika ver - ſetzten Spanier waren noch nicht ſo an den Mais gewöhnt, man hielt noch feſter an den europäiſchen Sitten, man be - rechnete nicht, ob der Weizen weniger eintragen werde als Kaffee oder Baumwolle; man machte Verſuche mit Sämereien aller Art, man ſtellte keckere Fragen an die Natur, weil man weniger nach falſchen Theorieen urteilte. Die Provinz Car - tagena, durch welche die Gebirgsketten Maria und Guamoco laufen, baute bis ins 16. Jahrhundert Getreide. In der Provinz Caracas baut man es ſchon ſehr lange im Gebirgs -2anderen Seite entſpricht die mittlere Temperatur der Thäler von Aragua (10° 15′ der Breite) und aller nicht ſehr hochgelegenen Ebenen in der heißen Zone der Sommertemperatur von Neapel und Sizilien (39° 40′ der Breite). Die obigen Zahlen bezeichnen die Lage der iſotheren (der Linien der gleichen Sommerwärme), nicht der iſothermen Linien (der Linien der gleichen Jahres - wärme). Hinſichtlich der Wärmemenge, welche ein Punkt der Erd - oberfläche im Laufe eines ganzen Jahres empfängt, entſprechen die mittleren Temperaturen der Thäler von Aragua und der Hoch - ebenen von Neugranada in 580 bis 2725 m Meereshöhe den mitt - leren Temperaturen der Küſten unter dem 23. bis 45. Grad der Breite.192 land von Tocuyo, Quibor und Barqueſimeto, das die Küſten - bergkette mit der Sierra Nevada von Merida verbindet. Der Getreidebau hat ſich dort ſehr gut erhalten, und allein aus der Umgegend der Stadt Tocuyo werden jährlich gegen 5000 Zentner ausgezeichneten Mehls ausgeführt. Obgleich aber auf dem weiten Gebiete der Provinz Caracas mehrere Striche ſich ſehr gut zum Kornbau eignen, ſo glaube ich doch, daß dieſer Zweig der Landwirtſchaft dort nie eine große Be - deutung erlangen wird. Die gemäßigtſten Teile ſind nicht breit genug; es ſind keine eigentlichen Hochebenen und ihre mittlere Meereshöhe iſt nicht ſo bedeutend, daß die Einwohner es nicht immer noch vorteilhafter fänden, Kaffee ſtatt Getreide zu bauen. Gegenwärtig bezieht Caracas ſein Mehl entweder aus Spanien oder aus den Vereinigten Staaten. Wenn ein - mal mit der Herſtellung der öffentlichen Ruhe auch für den Gewerbefleiß beſſere Zeiten kommen und von Santa Fé de Bogota bis zum Landungsplatz am Pachaquiaro eine Straße gebaut wird, ſo werden die Einwohner von Venezuela ihr Mehl aus Neugranada auf dem Rio Meta und dem Orinoko beziehen.

Achtzehn Kilometer von San Mateo liegt das Dorf Turmero. Man kommt fortwährend durch Zucker -, Indigo -, Baumwollen - und Kaffeepflanzungen. An der regelmäßigen Bauart der Dörfer erkennt man, daß alle den Mönchen und den Miſſionen den Urſprung verdanken. Die Straßen ſind gerade, untereinander parallel und ſchneiden ſich unter rechten Winkeln; auf dem großen viereckigen Platz in der Mitte ſteht die Kirche. Die Kirche von Turmero iſt ein koſtbares, aber mit archtiktoniſchen Zieraten überladenes Gebäude. Seit die Miſſionäre den Pfarrern Platz gemacht, haben die Weißen manches von den Sitten der Indianer angenommen. Die letzteren verſchwinden nach und nach als beſondere Raſſe, das heißt, ſie werden in der Geſamtmaſſe der Bevölkerung durch die Meſtizen und die Zambos repräſentiert, deren Anzahl fortwährend zunimmt. Indeſſen habe ich in den Thälern von Aragua noch 4000 zinspflichtige Indianer angetroffen. In Turmero und Guacara ſind ſie am zahlreichſten. Sie ſind klein, aber nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas; ihr Auge verrät mehr Leben und Verſtand, was wohl weniger Folge der Stammverſchiedenheit als der höheren Civiliſation iſt. Sie arbeiten, wie die freien Leute, im Tagelohn; ſie ſind in der kurzen Zeit, in der ſie arbeiten, rührig und fleißig; was193 ſie aber in zwei Monaten verdient, verſchwenden ſie in einer Woche für geiſtige Getränke in den Schenken, deren leider von Tag zu Tage mehr werden.

In Turmero ſahen wir ein Ueberbleibſel der Landmiliz beiſammen. Man ſah es den Leuten an, daß dieſe Thäler ſeit Jahrhunderten eines ununterbrochenen Friedens genoſſen hatten. Der Generalkapitän wollte das Militärweſen wieder in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet. Da hatte in einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero auf das von Victoria Feuer gegeben. Unſer Wirt, ein Miliz - lieutenant, wurde nicht müde, uns zu ſchildern, wie gefährlich ein ſolches Manöver ſei. Rings um ihn ſeien Gewehre ge - weſen, die jeden Augenblick zerſpringen konnten; er habe vier Stunden in der Sonne ſtehen müſſen, und ſeine Sklaven haben ihm nicht einmal einen Sonnenſchirm über den Kopf halten dürfen. Wie raſch doch die ſcheinbar friedfertigſten Völker ſich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte damals über eine Haſenfüßigkeit, die ſich mit ſo naiver Offenherzigkeit kundgab, und zwölf Jahre darauf wurden dieſe ſelben Thäler von Aragua, die friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero, das Defilé von Cabrera und die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia der Schauplatz der blutigſten, hartnäckigſten Gefechte zwiſchen den Eingeborenen und den Truppen des Mutterlandes.

Südlich von Turmero ſpringt ein Bergzug aus Kalkſtein in die Ebene vor und trennt zwei ſchöne Zuckerpflanzungen, die Guayavita und die Paja. Letztere gehört der Familie des Grafen Tovar, der überall in der Provinz Beſitzungen hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eiſenerz entdeckt. Nördlich von Turmero, in der Küſtenkordillere, erhebt ſich ein Granitgipfel, der Chuao, auf dem man zugleich das Meer und den See von Valencia ſieht. Ueber dieſen Fels - kamm, der, ſo weit das Auge reicht, nach Weſt fortſtreicht, ge - langt man auf ziemlich beſchwerlichen Wegen zu den reichen Kakaopflanzungen auf dem Küſtenſtriche bei Choroni, Turiamo und Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbar - keit ihres Bodens und wegen ihrer Ungeſundheit. Turmero, Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im Araguathal hat ſeinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der Küſte führt.

Hinter dem Dorfe Turmero, Maracay zu, bemerkt man auf 4,5 km weit am Horizont einen Gegenſtand, der wie einA. v. Humboldt, Reiſe. II. 13194runder Hügel, wie ein grün bewachſener Tumulus ausſieht. Es iſt aber weder ein Hügel, noch ein Klumpen dicht bei - ſammenſtehender Bäume, ſondern ein einziger Baum, der be - rühmte Zamang del Guayre, bekannt im ganzen Lande wegen der ungeheuren Ausbreitung ſeiner Aeſte, die eine halbkugelige Krone von 187 m im Umfang bilden. Der Zamang iſt eine ſchöne Mimoſenart, deren gewundene Zweige ſich gabelig teilen. Sein feines, zartes Laub hob ſich angenehm vom blauen Himmel ab. Wir blieben lange unter dieſem vegeta - biliſchen Gewölbe. Der Stamm iſt nur 20 m hoch und hat 3 m Durchmeſſer, ſeine Schönheit beſteht aber eigentlich in der Form der Krone. Die Aeſte breiten ſich aus wie ein gewaltiger Sonnenſchirm und neigen ſich überall dem Boden zu, von dem ſie ringsum 4 bis 5 m abſtehen. Der Umriß der Krone iſt ſo regelmäßig, daß ich verſchiedene Durchmeſſer, die ich nahm, 62 und 60 m lang fand. Die eine Seite des Baumes war infolge der Trockenheit ganz entblättert; an einer anderen Stelle ſtanden noch Blätter und Blüten neben - einander. Tillandſien, Lorantheen, die Pitahaya und andere Schmarotzergewächſe bedecken die Zweige und durchbohren die Rinde derſelben. Die Bewohner dieſer Thäler, beſonders die Indianer, halten den Baum in hohen Ehren, den ſchon die erſten Eroberer ſo ziemlich ſo gefunden haben mögen, wie er jetzt vor uns ſteht. Seit man ihn genau beobachtet, iſt er weder dicker geworden, noch hat ſich ſeine Geſtalt ſonſt ver - ändert. Dieſer Zamang muß zum wenigſten ſo alt ſein wie der Drachenbaum bei Orotava. Der Anblick alter Bäume hat etwas Großartiges, Imponierendes; die Beſchädigung dieſer Naturdenkmäler wird daher auch in Ländern, denen es an Kunſtdenkmälern fehlt, ſtreng beſtraft. Wir hörten mit Vergnügen, der gegenwärtige Eigentümer der Zamang habe einen Pächter, der es gewagt, einen Zweig davon zu ſchnei - den, gerichtlich verfolgt. Die Sache kam zur Verhandlung und der Pächter wurde vom Gericht zur Strafe gezogen. Bei Turmero und bei der Hacienda de Cura gibt es Zamang, die einen dickeren Stamm haben als der am Guayre, aber ihre halbkugelige Krone iſt nicht ſo groß.

Je näher man gegen Cura und Guacara am nördlichen Ufer des Sees kommt, deſto beſſer angebaut und volkreicher werden die Ebenen. Man zählt in den Thälern von Aragua auf einem 58 km langen und 9 km breiten Landſtrich über 52000 Einwohner. Dies gibt auf den Quadratkilometer an195 100 Seelen, alſo beinahe ſo viel wie in den bevölkertſten Teilen Frankreichs. Das Dorf oder vielmehr der Flecken Maracay war früher, als der Indigobau in höchſter Blüte ſtand, der Hauptort für dieſen Zweig der Kolonialinduſtrie. Im Jahre 1795 zählte man daſelbſt bei einer Bevölkerung von 6000 Einwohnern 70 Kaufleute mit offenen Läden. Die Häuſer ſind alle von Stein; in jedem Hofe ſtehen Kokosbäume, deren Krone über die Gebäude emporragt. Der allgemeine Wohlſtand macht ſich in Maracay noch bemerklicher als in Turmero. Der hieſige Anil oder Indigo wurde im Handel immer dem von Guatemala gleich, manchmal ſogar höher ge - ſchätzt. Seit 1772 ſchloß ſich dieſer Kulturzweig dem Kakao - bau an, und jener iſt wieder älter als der Baumwollen - und Kaffeebau. Die Koloniſten warfen ſich auf jedes dieſer vier Produkte der Reihe nach mit beſonderer Vorliebe, aber nur Kakao und Kaffee ſind Artikel von Belang im Handelsverkehr mit Europa geblieben. In den beſten Zeiten konnte ſich die hieſige Indigofabrikation faſt mit der mexikaniſchen meſſen; ſie ſtieg in Venezuela auf 40000 Arroben oder eine halbe Million Kilogramm, im Werte von mehr als 1250000 Piaſtern. Man bekommt einen Begriff von der außerordentlichen Er - tragsfähigkeit des Bodens in den ſpaniſchen Kolonieen, wenn wenn man einem ſagt, daß der Indigo aus Caracas, der im Jahre 1794 einen Wert von mehr 6000000 Franken hatte, auf 80 bis 100 qkm gebaut iſt. In den Jahren 1789 bis 1795 kamen jährlich 4000 bis 5000 Freie aus den Llanos in die Thäler von Aragua, um beim Bau und der Bereitung des Indigo zu helfen; ſie arbeiteten 2 Monate im Tagelohn.

Der Anil erſchöpft den Boden, auf dem man ihn viele Jahre hintereinander baut, mehr als jede andere Pflanze. In Maracay, Tapatapa und Turmero gilt der Boden für ausge - ſogen; der Ertrag an Indigo hat auch fortwährend abgenom - men. Die Seekriege haben den Handel ins Stocken gebracht und durch die ſtarke Indigoeinfuhr aus Aſien ſind die Preiſe geſunken. Die Oſtindiſche Compagnie verkauft jetzt in London über 2750000 kg Indigo, während ſie im Jahre 1786 aus ihren weiten Beſitzungen nur 125000 kg bezog. Je mehr der Indigobau in den Araguathälern abnahm, einen deſto größeren Aufſchwung nahm er in der Provinz Varinas und auf den heißen Ebenen von Cucuta, wo der bis da unberührte Boden am Rio Tachira ein äußerſt farbreiches Produkt in Menge liefert.

196

Wir kamen ſehr ſpät nach Maracay. Die Perſonen, an die wir Empfehlungen hatten, waren nicht zu Hauſe; kaum bemerkten die Leute unſere Verlegenheit, ſo erbot man ſich von allen Seiten, uns aufzunehmen, unſere Inſtrumente unter - zubringen, unſere Maultiere zu verſorgen. Es iſt ſchon tauſend - mal geſagt worden, aber der Reiſende fühlt immer wieder das Bedürfnis, es zu wiederholen: die ſpaniſchen Kolonieen ſind das wahre Land der Gaſtfreundſchaft, auch noch an Orten, wo Gewerbfleiß und Handel Wohlſtand und eine gewiſſe Bil - dung unter den Koloniſten verbreitet haben. Eine kanariſche Familie nahm uns mit der liebenswürdigſten Herzlichkeit auf; man bereitete uns ein treffliches Mahl, man vermied ſorgfältig alles, was uns irgendwie einen Zwang auflegen konnte. Der Hausherr, Don Alexandro Gonzales, war in Handelsgeſchäften auf der Reiſe und ſeine junge Frau genoß ſeit kurzem der Mutterfreude. Sie war außer ſich vor Vergnügen, als ſie hörte, daß wir auf dem Rückweg vom Rio Negro an den Orinoko nach Angoſtura kommen würden, wo ſich ihr Mann befand. Von uns ſoll er erfahren, daß ihm ſein Erſtling geboren worden. In dieſen Ländern gelten, wie bei den Alten, wandernde Gäſte für die ſicherſten Boten. Es gibt Poſtreiter, aber dieſe machen ſo weite Umwege, daß Privat - leute durch ſie ſelten Briefe in die Llanos oder Savannen im Inneren gehen laſſen. Als wir aufbrachen, trug man uns das Kind zu. Wir hatten es am Abend im Schlaf geſehen, am Morgen mußten wir es wachend ſehen. Wir verſprachen, es dem Vater Zug für Zug zu beſchreiben; aber beim Anblick unſerer Bücher und Inſtrumente wurde die junge Frau un - ruhig. Sie meinte, auf einer langen Reiſe und bei ſo vielen anderweitigen Geſchäften könnten wir leicht vergeſſen, was für Augen ihr Kind habe . Wie liebenswürdig iſt ſolche Gaſtfreundſchaft, wie köſtlich der naive Ausdruck eines Ver - trauens, das ja auch ein Charakterzug früherer Menſchenalter beim Morgenrot der Geſittung iſt!

Auf dem Wege von Maracay nach der Hacienda de Cura hat man zuweilen einen Ausblick auf den See von Valencia. Von der Granitbergkette an der Küſte läuft ein Aſt ſüdwärts in die Ebene hinaus; es iſt dies das Vor - gebirge Portachuelo, durch welches das Thal beinahe ganz geſchloſſen würde, wenn nicht ein ſchmaler Paß zwiſchen dem Vorgebirge und dem Felſen der Cabrera hinliefe. Dieſer Ort hat in den letzten Revolutionskriegen in Caracas eine traurige197 Berühmtheit erhalten; alle Parteien ſtritten ſich hitzig um dieſen Paß, weil der Weg nach Valencia und in die Llanos hier durchführt. Die Cabrera iſt jetzt eine Halbinſel; noch vor weniger als 60 Jahren war es ein Felſeneiland im See, deſſen Waſſerſpiegel fortwährend ſinkt. Wir brachten auf der Hacienda de Cura ſieben Tage äußerſt angenehm zu, und zwar in einem kleinen Hauſe in einem Gebüſch, weil im Hauſe auf der ſchönen Zuckerpflanzung die Bubas ausgebrochen waren, eine unter den Sklaven in dieſen Thälern häufig vor - kommende Hautkrankheit.

Wir lebten wie die wohlhabenden Leute hierzulande, badeten zweimal, ſchliefen dreimal und aßen dreimal in 24 Stunden. Das Waſſer des Sees iſt ziemlich warm, 24 bis 25°; aber es gibt noch ein anderes, ſehr kühles, köſtliches Bad im Schatten von Ceibabäumen und großen Zamang, in der Toma, einem Bache, der aus den Granitbergen des Rincon del Diablo kommt. Steigt man in dieſes Bad, ſo hat man ſich nicht vor Inſektenſtichen zu fürchten, wohl aber vor den kleinen rötlichen Haaren an den Schoten des Dolichos pruriens, die in der Luft ſchweben und einem vom Winde zugeführt werden. Wenn dieſe Haare, die man be - zeichnend Picapica nennt, ſich an den Körper hängen, ſo ver - urſachen ſie ein ſehr heftiges Jucken; man fühlt Stiche und ſieht doch nicht, woher ſie rühren.

Bei Cura ſahen wir die ſämtliche Einwohnerſchaft daran, den mit Mimoſen, Sterculia und Coccoloba excoriata be - wachſenen Boden umzubrechen, um mehr Areal für den Baum - wollenbau zu gewinnen. Dieſer, der zum Teil an die Stelle des Indigobaues getreten iſt, gedeiht ſo gut, daß die Baum - wollenſtaude am Ufer des Sees von Valencia wild wächſt. Wir fanden 2,5 bis 3 m hohe Sträucher, mit Bignonien und anderen holzigen Schlingpflanzen durchwachſen. Indeſſen iſt die Baumwollenausfuhr aus Caracas noch unbedeutend; ſie betrug in Guayra im Durchſchnitt jährlich kaum 150000 bis 200000 kg; aber in allen Häuſern der Capitania general ſtieg ſie durch den ſtarken Anbau in Cariaco, Nueva Barce - lona und Maracaybo auf mehr als 22000 Zentner. Es iſt dies faſt die Hälfte deſſen, was der ganze Archipel der Antillen erzeugt. Die Baumwolle aus den Thälern von Aragua iſt von guter Qualität; ſie ſteht nur der braſiliſchen nach, denn ſie gilt für beſſer als die von Cartagena, von Do - mingo und den Kleinen Antillen. Die Baumwollenpflanzungen198 liegen auf der einen Seite des Sees zwiſchen Maracay und Valencia, auf der anderen zwiſchen Guayra und Guigue. Die großen Plantagen ertragen 30000 bis 35000 kg jährlich. Bedenkt man, daß in den Vereinigten Staaten, alſo außer - halb der Tropen, in einem unbeſtändigen, dem Gedeihen der Pflanze nicht ſelten feindlichen Klima die Ausfuhr der ein - heimiſchen Baumwolle in 18 Jahren (1797 bis 1815) von 1200000 auf 42500000 kg geſtiegen iſt, ſo kann man ſich nicht leicht einen Begriff davon machen, in welch ungeheurem Maßſtab dieſer Handelszweig ſich entwickeln muß, wenn ein - mal in den vereinigten Provinzen von Venezuela, in Neu - granada, in Mexiko und an den Ufern des La Plata der Gewerbfleiß nicht mehr in Feſſeln geſchlagen iſt. Unter den gegenwärtigen Verhältniſſen erzeugen nach Braſilien die Küſten von holländiſch Guyana, der Meerbuſen von Cariaco, die Thäler von Aragua und die Provinzen Maracaybo und Car - tagena am meiſten Baumwolle in Südamerika.

Während unſeres Aufenthaltes in Cura machten wir viele Ausflüge auf die Felſeninſeln im See von Valencia, zu den heißen Quellen von Mariara und auf den hohen Granit - berg Cucurucho del Coco. Ein ſchmaler, gefährlicher Pfad führt an den Hafen Turiamo und zu den berühmten Kakao - pflanzungen an der Küſte. Auf allen dieſen Ausflügen ſahen wir uns angenehm überraſcht nicht nur durch die Fortſchritte des Landbaus, ſondern auch durch das Wachstum einer freien Bevölkerung, die fleißig, an Arbeit gewöhnt und zu arm iſt, um Sklavenarbeit in Anſpruch nehmen zu können. Ueberall hatten kleine Landbauer, Weiße und Mulatten, zerſtreute Höfe angelegt. Unſer Wirt, deſſen Vater 40000 Piaſter Einkünfte hat, beſaß mehr Land, als er urbar machen konnte; er ver - teilte es in den Thälern von Aragua unter arme Leute, die Baumwolle bauen wollten. Sein Streben ging dahin, daß ſich um ſeine großen Pflanzungen freie Leute anſiedelten, die nach freiem Ermeſſen bald für ſich, bald auf den benachbarten Pflanzungen arbeiteten und in der Ernte ihm als Tagelöhner dienten. Graf Tovar verfolgte eifrig das edle Ziel, die Neger - ſklaverei im Lande allmählich auszurotten, und er hegte die dop - pelte Hoffnung, einmal den Grundbeſitzern die Sklaven weniger nötig zu machen, und dann die Freigelaſſenen in den Stand zu ſetzen, Pächter zu werden. Bei ſeiner Abreiſe nach Europa hatte er einen Teil ſeiner Ländereien bei Cura, weſtlich vom Felſen Las Viruelas, in einzelne Grundſtücke zerſchlagen und199 verpachtet. Als er vier Jahre darauf wieder nach Amerika kam, fand er daſelbſt ſchöne Baumwollenpflanzungen und einen Weiler von 30 bis 40 Häuſern, Punta Zamuro genannt, den wir oft mit ihm beſucht haben. Die Einwohner des Weilers ſind faſt durchaus Mulatten, Zambos und freie Neger. Mehrere große Grundbeſitzer haben nach dieſem Vorgange mit gleichem Erfolg Land verpachtet. Der Pachtſchilling beträgt zehn Piaſter auf die Vanega und wird in Geld oder in Baumwolle ent - richtet. Die kleinen Pächter ſind oft in Bedrängnis und geben ihre Baumwolle zu ſehr geringem Preiſe ab. Ja, ſie ver - kaufen ſie vor der Ernte, und durch dieſe Vorſchüſſe reicher Nachbarn gerät der Schuldner in eine Abhängigkeit, infolge deren er ſeine Dienſte als Tagelöhner öfter anbieten muß. Der Tagelohn iſt nicht ſo hoch als in Frankreich. Man be - zahlt in den Thälern von Aragua und in den Llanos einem freien Tagelöhner 4 bis 5 Piaſter monatlich, neben der Koſt, die beim Ueberfluß an Fleiſch und Gemüſe ſehr wenig aus - macht. Gern verbreite ich mich hier über den Landbau in den Kolonieen, weil ſolche Angaben den Europäern darthun, was aufgeklärten Koloniſten längſt nicht mehr zweifelhaft iſt, daß das Feſtland des ſpaniſchen Amerikas durch freie Hände Zucker, Baumwolle und Indigo erzeugen kann, und daß die unglücklichen Sklaven Bauern, Pächter und Grundbeſitzer wer - den können.

[200]

Sechzehntes Kapitel.

Der See von Valencia. Die heißen Quellen von Mariara. Die Stadt Nueva Valencia de el Rey. Weg zur Küſte von Porto Cabello hinab.

Die Thäler von Aragua, deren reichen Anbau und er - ſtaunliche Fruchtbarkeit wir im Obigen geſchildert, ſtellen ſich als ein Becken dar, das zwiſchen Granit - und Kalkgebirgen von ungleicher Höhe in der Mitte liegt. Nordwärts trennt die Sierra Mariara ſie von der Meeresküſte, gegen Süden dient ihnen die Bergkette des Guacimo und Yusma als Schutzwehr gegen die glühende Luft der Steppen. Hügelzüge, hoch genug, um den Lauf der Gewäſſer zu beſtimmen, ſchließen das Becken gegen Oſt und Weſt wie Querdämme. Dieſe Hügel liegen zwiſchen dem Tuy und Victoria, wie auf dem Wege von Valencia nach Nirgua und in die Berge des Torito. Infolge dieſer eigentümlichen Geſtaltung des Bodens bilden die Gewäſſer der Thäler von Aragua ein Syſtem für ſich und laufen einem von allen Seiten geſchloſſenen Becken zu; ſie ergießen ſich nicht in den Ozean, ſie vereinigen ſich in einem Binnenſee, unterliegen hier dem mächtigen Zuge der Verdunſtung und verlieren ſich gleichſam in der Luft. Durch dieſe Flüſſe und Seen wird die Fruchtbarkeit des Bodens und der Ertrag des Landbaus in dieſen Thälern bedingt. Schon der Augenſchein und eine halbhundertjährige Erfahrung zeigen, daß der Waſſerſtand ſich nicht gleich bleibt, daß das Gleich - gewicht zwiſchen der Summe der Verdunſtung und der des Zufluſſes geſtört iſt. Da der See 324 m über den benach - barten Steppen von Calabozo und 432 m über dem Meere liegt, ſo vermutete man, das Waſſer habe einen unterirdiſchen Abfluß oder verſickere. Da nun Eilande darin zu Tage kommen und der Waſſerſpiegel fortwährend ſinkt, ſo meinte man, der See könnte völlig eintrocknen. Das Zuſammen -201 treffen ſo auffallender Verhältniſſe mußte mich auf dieſe Thäler aufmerkſam machen, in denen die wilden Reize der Natur und der liebliche Eindruck fleißigen Anbaues und der Künſte einer erwachenden Kultur ſich vereinigen.

Der See von Valencia, von den Indianern Tacarigua genannt, iſt größer als der Neuenburger See in der Schweiz; im Umriß aber hat er Aehnlichkeit mit dem Genfer See, der auch faſt gleich hoch über dem Meere liegt. Da in den Thälern von Aragua der Boden nach Süd und Weſt fällt, ſo liegt der Teil des Beckens, der unter Waſſer geblieben iſt, zunächſt der ſüdlichen Bergkette von Guigue, Yusma und dem Guacimo, die den hohen Savannen von Ocumare zuſtreicht. Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees ſtechen auf - fallend voneinander ab. Das ſüdliche iſt wüſte, kahl, faſt gar nicht bewohnt, eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein finſteres, einförmiges Anſehen; das nördliche dagegen iſt eine liebliche Landſchaft mit reichen Zucker -, Kaffee - und Baum - wollenpflanzungen. Mit Ceſtrum, Azedarac und anderen immerblühenden Sträuchern eingefaßte Wege laufen über die Ebene und verbinden die zerſtreuten Höfe. Jedes Haus iſt von Bäumen umgeben. Der Ceiba mit großen gelben1Carnes tollendas; Bombax hibiscifolius. und die Erithryna mit purpurfarbigen Blüten, deren Aeſte ſich verflechten, geben der Landſchaft einen eigentümlichen Cha - rakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabili - ſchen Farben ſticht wirkungsvoll vom eintönigen Blau des wolkenloſen Himmels ab. In der trockenen Jahreszeit, wenn ein wallender Dunſt über dem glühenden Boden ſchwebt, wird das Grün und die Fruchtbarkeit durch künſtliche Be - wäſſerung unterhalten. Hin und wieder kommt der Granit im angebauten Land zu Tage; ungeheure Felsmaſſen ſteigen mitten im Thale ſteil empor. An ihren nackten, zerklüfteten Wänden wachſen einige Saftpflanzen und bilden Dammerde für kommende Jahrhunderte. Häufig iſt oben auf dieſen ein - zeln ſtehenden Hügeln ein Feigenbaum oder eine Cluſia mit fleiſchigen Blättern aus den Felsritzen emporgewachſen und beherrſcht die Landſchaft. Mit ihren dürren, abgeſtorbenen Aeſten ſehen ſie aus wie Signalſtangen auf einer ſteilen Küſte. An der Geſtaltung dieſer Höhen errät man, was ſie früher waren; als noch das ganze Thal unter Waſſer ſtand und die202 Wellen den Fuß der Gipfel von Mariara, die Teufels - mauer (el Rincon del Diablo) und die Küſtenbergkette be - ſpülten, waren dieſe Felshügel Untiefen oder Eilande.

Dieſe Züge eines reichen Gemäldes, dieſer Kontraſt zwiſchen den beiden Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft an das Seegeſtade des Waadtlandes, wo der überall angebaute, überall fruchtbare Boden dem Ackerbauer, dem Hirten, dem Winzer ihre Mühen ſicher lohnt, während das ſavoyiſche Ufer gegenüber ein gebirgiges, halb wüſtes Land iſt. In jenen fernen Himmelsſtrichen, mitten unter den Gebilden einer fremdartigen Natur, gedachte ich mit Luſt der hinreißenden Beſchreibungen, zu denen der Genfer See und die Felſen von Meillerie einen großen Schriftſteller begeiſtert haben. Wenn ich jetzt mitten im civiliſierten Europa die Natur in der Neuen Welt zu ſchildern verſuche, glaube ich durch die Ver - gleichung unſerer heimiſchen und der tropiſchen Landſchaften meinen Bildern mehr Schärfe und dem Leſer deutlichere Be - griffe zu geben. Man kann es nicht oft genug ſagen: Unter jedem Himmelsſtriche trägt die Natur, ſei ſie wild oder vom Menſchen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen Stempel. Die Empfindungen, die ſie in uns hervorruft, ſind unendlich mannigfaltig, gerade wie der Eindruck der Geiſtes - werke je nach dem Zeitalter, das ſie hervorgebracht, und nach den mancherlei Sprachen, von denen ſie ihren Reiz zum Teil borgen, ſo ſehr verſchieden iſt. Nur Größe und äußere Form - verhältniſſe können eigentlich vergleichen werden; man kann den rieſigen Gipfel des Montblanc und das Himalayagebirge, die Waſſerfälle der Pyrenäen und die der Kordilleren zu - ſammenhalten; aber durch ſolche vergleichende Schilderungen, ſo ſehr ſie wiſſenſchaftlich förderlich ſein mögen, erfährt man wenig vom Naturcharakter des gemäßigten und des heißen Erdſtriches. Am Geſtade eines Sees, in einem großen Walde, am Fuße mit ewigem Eis bedeckter Berggipfel iſt es nicht die materielle Größe, was uns mit dem heimlichen Gefühle der Bewunderung erfüllt. Was zu unſerem Gemüte ſpricht, was ſo tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wachruft, entzieht ſich der Meſſung wie den Sprachformen. Wenn man Naturſchönheiten recht lebhaft empfindet, ſo mag man Land - ſchaften von verſchiedenem Charakter gar nicht vergleichen; man würde fürchten, ſich ſelbſt im Genuß zu ſtören.

Die Ufer des Sees von Valencia ſind aber nicht allein wegen ihrer maleriſchen Reize im Lande berühmt; das Becken203 bietet verſchiedene Erſcheinungen, deren Aufklärung für die Naturforſchung und für den Wohlſtand der Bevölkerung von gleich großen Intereſſe iſt. Aus welchen Urſachen ſinkt der Seeſpiegel? Sinkt er gegenwärtig raſcher als vor Jahrhun - derten? Läßt ſich annehmen, daß das Gleichgewicht zwiſchen dem Zufluß und dem Abgang ſich über kurz oder lang wieder herſtellt, oder iſt zu beſorgen, daß der See ganz eingeht?

Nach den aſtronomiſchen Beobachtungen in Victoria, Ha - cienda de Cura, Nueva Valencia und Guigue iſt der See gegenwärtig von Cagua bis Guayos 45 km lang. Seine Breite iſt ſehr ungleich; nach den Breiten an der Einmündung des Rio Cura und beim Dorfe Guigue zu urteilen, beträgt ſie nirgends über 9 bis 13 km, meiſt nur 8 bis 10 km. Die Maße, die ſich aus meinen Beobachtungen ergeben, ſind weit geringer als die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man könnte meinen, um das Verhältnis der Waſſerabnahme genau kennen zu lernen, brauche man nur die gegenwärtige Größe des Sees mit der zu vergleichen, welche alte Chronikſchreiber, z. B. Oviedo in ſeiner ums Jahr 1723 veröffentlichen Geſchichte der Provinz Venezuela , angeben. Dieſer Geſchichtſchreiber läßt in ſeinem hochtrabenden Stil dieſes Binnenmeer, dieſen monstruoso cuerpo de la laguna de Valencia , 63 km lang und 27 breit ſein; er berichtet, in geringer Entfernung vom Ufer finde das Senkblei keinen Grund mehr, und große ſchwimmende Inſeln bedecken die Seefläche, die fortwährend von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt ſich auf Schätzungen Gewicht legen, die auf gar keiner Meſſung be - ruhen und dazu in Leguas ausgedrückt ſind, auf die man in den Kolonieen 3000, 5000 und 6550 Varas1Da einigermaßen richtige Begriffe über die aſtronomiſche Lage und die Entfernungen der Orte in den ſpaniſchen Kolonieen zuerſt und lange Zeit allein durch Seeleute ſich verbreiteten, ſo wurde in Mexiko und in Südamerika urſprünglich die Legua nautica von 6650 Varas oder 5559 m eingeführt; aber dieſe Seemeile wurde allmählich um die Hälfte oder um ein Dritteil verkürzt, weil man in den Hochgebirgen wie auf den dürren heißen Ebenen ſehr lang - ſam reiſt. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der Zeit und ſchließt aus der Zeit, nach willkürlichen Vorausſetzungen, auf die Länge der zurückgelegten Strecke. rechnet. Nur das verdient im Buche eines Mannes, der ſo oft durch die Thäler von Aragua gekommen ſein muß, Beachtung, daß er204 behauptet, die Stadt Nueva Valencia de el Rey ſei im Jahre 1555 2,25 km vom See erbaut worden, und daß ſich bei ihm die Länge des Sees zur Breite verhält wie 7 zu 3. Gegenwärtig liegt zwiſchen dem See und der Stadt ein ebener Landſtrich von mehr als 5260 m, den Oviedo ſicher zu 7 km angeſchlagen hätte, und die Länge des Seebeckens verhält ſich zur Breite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6. Schon das Ausſehen des Bodens zwiſchen Valencia und Guigue, die Hügel, die auf der Ebene öſtlich vom Cano de Cambury ſteil aufſteigen und zum Teil (el Islote und la Isla de la Negra oder Caratapona) ſogar noch jetzt Inſeln heißen, beweiſen zur Genüge, daß ſeit Oviedos Zeit das Waſſer be - deutend zurückgewichen iſt. Was die Veränderung des Um - riſſes des Sees betrifft, ſo ſcheint es mir nicht ſehr wahr - ſcheinlich, daß er im 17. Jahrhundert beinahe zur Hälfte ſo breit als lang geweſen ſein ſollte. Die Lage der Granit - berge von Mariara und Guigue und der Fall des Bodens, der gegen Nord und Süd raſcher ſteigt als gegen Oſt und Weſt, ſtreiten gleichermaßen gegen dieſe Annahme.

Wenn das ſo vielfach beſprochene Problem von der Ab - nahme der Gewäſſer zur Sprache kommt, ſo hat man, denke ich, zwei Epochen zu unterſcheiden, in welchen das Sinken des Waſſerſpiegels ſtattgefunden.

Wenn man die Flußthäler und die Seebecken genau be - trachtet, findet man überall das alte Ufer in bedeutender Entfernung. Niemand leugnet wohl jetzt mehr, daß unſere Flüſſe und Seen in ſehr bedeutendem Maße abgenommen haben; aber zahlreiche geologiſche Thatſachen weiſen auch dar - auf hin, daß dieſer große Wechſel in der Verteilung der Gewäſſer vor aller Geſchichte eingetreten iſt, und daß ſich ſeit mehreren Jahrtauſenden bei den meiſten Seen ein feſtes Gleichgewicht zwiſchen dem Betrage der Zuflüſſe einerſeits, und der Verdunſtung und Verſickerung andererſeits hergeſtellt hat. So oft dieſes Gleichgewicht geſtört iſt, thut man gut, ſich umzuſehen, ob ſolches nicht von rein örtlichen Verhältniſſen und aus jüngſter Zeit herrührt, ehe man eine beſtändige Ab - nahme des Waſſers annimmt. Ein ſolcher Gedankengang entſpricht dem vorſichtigeren Verfahren der heutigen Wiſſen - ſchaften. Zu einer Zeit, wo die phyſiſche Weltbeſchreibung das freie Geiſteserzeugnis einiger beredten Schriftſteller war und nur durch Phantaſiebilder wirkte, hätte man in der Er - ſcheinung, von der es ſich hier handelt, einen neuen Beweis205[für] den Kontraſt zwiſchen beiden Kontinenten geſehen, den man in allem herausfand. Um darzuthun, daß Amerika ſpäter als Aſien und Europa aus dem Waſſer emporgeſtiegen, hätte man wohl auch den See von Tacarigua angeführt als eines der Becken im inneren Lande, die noch nicht Zeit gehabt, durch unausgeſetzte allmähliche Verdunſtung auszutrocknen. Ich zweifle nicht, daß in ſehr alter Zeit das ganze Thal vom Fuße des Gebirges Cocuyſa bis zum Torito und den Bergen von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der Bergkette von Guigue, zum Guarimo und der Palma, unter Waſſer ſtand. Ueberall läßt die Geſtalt der Vorberge und ihr ſteiler Abfall das alte Ufer eines Alpſees, ähnlich den Steiermärker und Tiroler Seen, erkennen. Kleine Helix - und Valvaarten, die mit den jetzt im See lebenden identiſch ſind, kommen in 1 bis 1,3 m dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero und Conceſion bei Victoria vor. Dieſe Thatſachen beweiſen nun allerdings, daß das Waſſer gefallen iſt; aber nirgends liegt ein Beweis dafür vor, daß es ſeit jener weit entlegenen Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler von Aragua gehören zu den Strichen von Venezuela, die am früheſten bevölkert worden, und doch ſpricht weder Oviedo, noch irgend eine alte Chronik von einer merklichen Abnahme des Sees. Soll man geradezu annehmen, die Erſcheinung ſei zu einer Zeit, wo die indianiſche Bevölkerung die weiße noch weit überwog und das Seeufer ſchwächer bewohnt war, eben nicht bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhunderte, beſonders aber ſeit dreißig Jahren fällt es jedermann in die Augen, daß dieſes große Waſſerbecken von ſelbſt eintrocknet. Weite Strecken Landes, die früher unter Waſſer ſtanden, liegen jetzt trocken und ſind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und Baum - wolle bepflanzt. Wo man am Geſtade des Sees eine Hütte baut, ſieht man das Ufer von Jahr zu Jahr gleichſam fliehen. Man ſieht Inſeln, die beim Sinken des Waſſerſpiegels eben erſt mit dem Feſtlande zu verſchmelzen anfangen (wie die Felſeninſel Culebra, Guigue zu); andere Inſeln bilden bereits Vorgebirge (wie der Morro, zwiſchen Guigue und Nueva Valencia, und die Cabrera ſüdöſtlich von Mariara); noch andere ſtehen tief im Lande in Geſtalt zerſtreuter Hügel. Dieſe, die man ſchon von weitem leicht erkennt, liegen eine Viertelſee - meile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die merkwürdigſten ſind drei 60 bis 80 m hohe Eilande aus Granit auf dem Wege von der Hacienda de Cura nach Aguas calientes, und206 am Weſtende des Sees der Cerrito de San Pedro, der Islote und der Caratapona. Wir beſuchten zwei noch ganz von Waſſer umgebene Inſeln und fanden unter dem Geſträuche auf kleinen Ebenen, 8 bis 12, ſogar 15 m über dem jetzigen Seeſpiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einſt die Wellen hier abgeſetzt. Auf allen dieſen Inſeln begegnet man den unzweideutigſten Spuren vom allmählichen Fallen des Waſſers. Noch mehr, und dieſe Erſcheinung wird von der Bevölkerung als ein Wunder angeſehen: im Jahre 1796 erſchienen drei neue Inſeln öſtlich von der Inſel Caiguire, in derſelben Rich - tung wie die Inſeln Burro, Otama und Zorro. Dieſe neuen Inſeln, die beim Volke Los nuevos Peñones oder Las Apa - recidas heißen, bilden eine Art Untiefen mit völlig ebener Oberfläche. Sie waren im Jahre 1800 bereits über 1 m höher als der mittlere Waſſerſtand.

Wie wir zu Anfang dieſes Abſchnittes bemerkt, bildet der See von Valencia, gleich den Seen im Thale von Mexiko, den Mittelpunkt eines kleinen Syſtemes von Flüſſen, von denen keiner mit dem Meere in Verbindung ſteht. Die meiſten dieſer Gewäſſer können nur Bäche heißen; es ſind ihrer zwölf bis vierzehn. Die Einwohner wiſſen wenig davon, was die Verdunſtung leiſtet, und glauben daher ſchon lange, der See habe einen unterirdiſchen Abzug, durch den ebenſoviel ab - fließe, als die Bäche hereinbringen. Die einen laſſen dieſen Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe liegen ſollen, in Ver - bindung ſtehen; andere nehmen an, das Waſſer fließe durch einen ſchiefen Kanal in das Meer. Dergleichen kühne Hypo - theſen über den Zuſammenhang zwiſchen zwei benachbarten Waſſerbecken hat die Einbildungskraft des Volkes wie die der Phyſiker in allen Erdſtrichen ausgeheckt; denn letztere, wenn ſie es ſich auch nicht eingeſtehen, ſetzen nicht ſelten nur Volksmeinungen in die Sprache der Wiſſenſchaft um. In der Neuen Welt wie am Ufer des Kaſpiſchen Meeres hört man von unterirdiſchen Schlünden und Kanälen ſprechen, ob - gleich der See von Tacarigua 412 m über und die Kaspiſche See 105 m unter dem Meeresſpiegel liegt, und ſo gut man auch weiß, daß Flüſſigkeiten, die ſeitlich miteinander in Ver - bindung ſtehen, ſich in dasſelbe Niveau ſetzen.

Einerſeits die Verringerung der Maſſe der Zuflüſſe, die ſeit einem halben Jahrhunderte infolge der Ausrodung der Wälder, der Urbarmachung der Ebenen und des Indigobaues eingetreten iſt, andererſeits die Verdunſtung des Bodens und207 die Trockenheit der Luft erſcheinen als Urſachen, welche die Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich teile nicht die Anſicht eines Reiſenden, der nach mir dieſe Länder beſucht hat,1Depons, in ſeiner Reiſe nach Terra Firma : Bei der unbedeutenden Oberfläche des Sees (er mißt übrigens 4037 ha) läßt ſich unmöglich annehmen, daß die Verdunſtung allein, ſo ſtark ſie auch unter den Tropen ſein mag, ſo viel Waſſer wegſchaffen kann, als die Flüſſe hereinbringen. In der Folge ſcheint aber der Ver - faſſer ſelbſt wieder dieſe geheime Urſache, die Hypotheſe von einem Abzugsloch aufzugeben. derzufolge man zur Befriedigung der Vernunft und zu Ehren der Phyſik einen unterirdiſchen Ab - fluß ſoll annehmen müſſen. Fällt man die Bäume, welche Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, ſo ſchafft man kommenden Geſchlechtern ein zweifaches Ungemach, Mangel an Brennholz und Waſſermangel. Die Bäume ſind vermöge des Weſens ihrer Ausdünſtung und der Strahlung ihrer Blätter gegen einen wolkenloſen Himmel fortwährend mit einer kühlen, dunſtigen Lufthülle umgeben; ſie äußern weſent - lichen Einfluß auf die Fülle der Quellen, nicht weil ſie, wie man ſo lange geglaubt hat, die in der Luft verbreiteten Waſſerdünſte anziehen, ſondern weil ſie den Boden gegen die unmittelbare Wirkung der Sonnenſtrahlen ſchützen und damit die Verdunſtung des Regenwaſſers verringern. Zerſtört man die Wälder, wie die europäiſchen Anſiedler allerorten in Amerika mit unvorſichtiger Haſt thun, ſo verſiegen die Quellen oder nehmen doch ſtark ab. Die Flußbetten liegen einen Teil des Jahres über trocken und werden zu reißenden Strömen, ſo oft im Gebirge ſtarker Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs auch Raſen und Moos auf den Bergkuppen verſchwinden, wird das Regenwaſſer im Ablaufen nicht mehr aufgehalten; ſtatt langſam durch allmähliche Sickerung die Bäche zu ſchwellen, furcht es in der Jahreszeit der ſtarken Regenniederſchläge die Bergſeiten, ſchwemmt das losgeriſſene Erdreich fort und ver - urſacht plötzliches Austreten der Gewäſſer, welche nun die Felder verwüſten. Daraus geht hervor, daß das Verheeren der Wälder, der Mangel an fortwährend fließenden Quellen und die Wildwaſſer drei Erſcheinungen ſind, die in urſächlichem Zuſammenhange ſtehen. Länder in entgegengeſetzten Hemi - ſphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder - peru zwiſchen dem Stillen Meere und den Kordilleren der208 Anden, liefern einleuchtende Beweiſe für die Richtigkeit dieſes Satzes.

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Berge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald bewachſen. Große Bäume aus der Familie der Mimoſen, Ceiba - und Feigenbäume beſchatteten die Ufer des Sees und verbreiteten Kühlung. Die damals nur ſehr dünn bevölkerte Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgeſtürzten Baum - ſtämmen und Schmarotzergewächſen, mit dichtem Raſenfilz überzogen, und gab ſomit die ſtrahlende Wärme nicht ſo leicht von ſich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnen - glut nicht geſchützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume, mit der Ausdehnung des Zucker -, Indigo - und Baumwollen - baues nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüſſe des Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht ſich nur ſchwer einen Begriff davon, welch ungeheure Waſſermaſſen durch die Verdunſtung in der heißen Zone aufgeſogen werden, und vollends in einem Thale, das von ſteil abfallenden Bergen umgeben iſt, wo gegen Abend der Seewind und die nieder - gehenden Luftſtrömungen auftreten, und deſſen Boden ganz flach, wie vom Waſſer geebnet iſt. Wir haben ſchon oben erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura, Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrſcht, der ſtärkſten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleichkommt. Die mittlere Temperatur der Luft in den Thälern von Aragua iſt ungefähr 25,5°; die hygrometriſchen Beobachtungen er - gaben mir für den Monat Februar im Durchſchnitte aus Tag und Nacht 71,4° am Haarhygrometer. Da die Worte: große Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an ſich haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter den Tropen ſehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte, ſo kann man über dieſe klimatiſchen Verhältniſſe nur urteilen, wenn man verſchiedene Orte in derſelben Zone vergleicht. Nun iſt in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht regnet, und wo ich zu verſchiedenen Stunden bei Tage und bei Nacht ſehr viele hygrometriſche Beobachtungen gemacht, die mittlere Feuchtigkeit der Luft gleich 86°, entſprechend der mittleren Temperatur von 27,7°. Rechnet man die Regen - monate ein, das heißt ſchätzt man den Unterſchied zwiſchen der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des ganzen Jahres, wie man denſelben in anderen Teilen des tropiſchen Amerikas beobachtet, ſo ergibt ſich für die Thäler209 von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von höchſtens 74°, bei einer Temperatur von 25,5°. In dieſer warmen und doch gar nicht ſehr feuchten Luft iſt nun aber eine ungeheure Menge verdunſteten Waſſers. Nach der Daltonſchen Theorie berechnet ſich die Dicke der Waſſerſchicht, die unter den oben erwähnten Umſtänden in einer Stunde verdunſtet, auf 0,36 mm, oder auf 8,3 mm in vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in der gemäßigten Zone, z. B. für Paris, die mittlere Tem - peratur zu 10,6° und die mittlere Feuchtigkeit zu 82° an, ſo ergibt ſich nach denſelben Formeln 0,10 mm in der Stunde und 2,2 mm in vierundzwanzig Stunden. Will man ſich ſtatt dieſes unzuverläſſigen theoretiſchen Kalküls an die Er - gebniſſe unmittelbarer Beobachtung halten, ſo bedenke man, daß in Paris und Montmorency von Sedileau und Cotte die jährliche mittlere Verdunſtung gleich 855 mm und 1,015 m gefunden wurde. Im ſüdlichen Frankreich haben zwei ge - ſchickte Ingenieure, Clauſade und Pin, berechnet, daß der Kanal von Languedoc und das Baſſin von Saint Ferréol, über Abzug des Betrages der Verſickerung, jährlich 746 bis 780 mm verlieren. In den Pontiniſchen Sümpfen hat de Prony ungefähr das gleiche Ergebnis erhalten. Aus allen dieſen Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grade der Breite und bei einer mittleren Temperatur von 10,5 und 16° ergibt ſich eine mittlere Verdunſtung von 2,2 bis 2,8 mm im Tage. In der heißen Zone, z. B. auf den Antillen, iſt die Ver - dunſtung nach Le Gaux dreimal, nach Caſſan zweimal ſtärker. In Cumana, alſo an einem Orte, wo die Luft weit ſtärker mit Feuchtigkeit geſchwängert iſt als in den Thälern von Aragua, ſah ich oft in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 mm, im Schatten 3,4 mm Waſſer verdunſten. Verſuche dieſer Art ſind ſehr fein und ſchwankend; aber das eben Angeführte reicht hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Maſſe des Waſſer - dunſtes ſein muß, der aus dem See von Valencia und auf dem Gebiete aufſteigt, deſſen Gewäſſer ſich in den See er - gießen. Ich werde Gelegenheit finden, anderswo auf den Gegenſtand zurückzukommen; in einem Werke, das die großen Geſetze der Natur in den verſchiedenen Erdſtrichen zur An - ſchauung bringt, muß auch der Verſuch gemacht werden, das Problem von der mittleren Spannung der in der Luft enthaltenen Waſſerdämpfe unter verſchiedenen Breiten und in verſchiedenen Meereshöhen zu löſen.

Das Maß der Verdunſtung hängt von einer MengeA. v. Humboldt, Reiſe. II. 14210örtlicher Verhältniſſe ab: von der ſtärkeren oder geringeren Beſchattung des Waſſerbeckens, von der Ruhe und der Be - wegung des Waſſers, von der Tiefe desſelben, von der Be - ſchaffenheit und Farbe des Grundes; im großen aber wird die Verdunſtung nur durch drei Elemente bedingt, durch die Temperatur, durch die Spannung der in der Luft enthaltenen Dämpfe, durch den Widerſtand, den die Luft, je nachdem ſie mehr oder minder dicht, mehr oder weniger bewegt iſt, der Verbreitung der Dämpfe entgegenſetzt. Die Waſſermenge, die an einem gegebenen Orte verdunſtet, iſt proportional dem Unterſchiede zwiſchen der Maſſe des Dampfes, welche die umgebende Luft im geſättigten Zuſtande aufnehmen kann, und der Maſſe desſelben, welche ſie wirklich enthält. Es folgt daraus, daß (wie ſchon d’Aubuiſſon bemerkt, der meine hygro - metriſchen Beobachtungen berechnet hat) die Verdunſtung in der heißen Zone nicht ſo ſtark iſt, als man nach der ungemein hohen Temperatur glauben ſollte, weil in den heißen Himmels - ſtrichen die Luft gewöhnlich ſehr feucht iſt.

Seit der Ausbreitung des Ackerbaues in den Thälern von Aragua kommen die Flüßchen, die ſich in den See von Valencia ergießen, in den ſechs Monaten nach Dezember als Zuflüſſe nicht mehr in Betracht. Im unteren Stücke ihres Laufes ſind ſie ausgetrocknet, weil die Indigo -, Zucker - und Kaffeepflanzer ſie an vielen Punkten ableiten, um die Felder zu bewäſſern. Noch mehr, ein ziemlich anſehnliches Waſſer, der Rio Pao, der am Rande der Llanos, am Fuße des La Galera genannten Hügelzuges entſpringt, ergoß ſich früher in den See, nachdem er auf dem Wege von Nueva Valencia nach Guigue den Caño de Cambury aufgenommen. Der Fluß lief damals von Süd nach Nord. Zu Ende des 17. Jahr - hunderts kam der Beſitzer einer anliegenden Pflanzung auf den Gedanken, dem Rio Pao am Abhange eines Geländes ein neues Bett zu graben. Er leitete den Fluß ab, benutzte ihn zum Teil zur Bewäſſerung ſeines Grundſtückes und ließ ihn dann gegen Süd, dem Abhange der Llanos nach, ſelbſt ſeinen Weg ſuchen. Auf dieſem neuen Laufe nach Süd nimmt der Rio Pao drei andere Bäche auf, den Tinaco, den Guanarito und den Chilua, und ergießt ſich in die Portu - gueſa, einen Zweig der Rio Apure. Es iſt eine nicht un - intereſſante Erſcheinung, daß infolge der eigentümlichen Boden - bildung und der Senkung der Waſſerſcheide nach Südweſt der Rio Pao ſich vom kleinen inneren Flußſyſteme, dem er211 urſprünglich angehörte, trennte und nun ſeit hundert Jahren durch den Apure und den Orinoko mit dem Meere in Ver - bindung ſteht. Was hier im kleinen durch Menſchenhand geſchah, thut die Natur häufig ſelbſt entweder durch allmäh - liche Anſchwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens infolge ſtarker Erdbeben. Wahrſcheinlich werden im Laufe der Jahrhunderte manche Flüſſe im Sudan und in Neuholland, die jetzt im Sande verſiegen oder in Binnenſeen laufen, ſich einen Weg zur Meeresküſte bahnen. So viel iſt wenigſtens ſicher, daß es auf beiden Kontinenten innere Flußſyſteme gibt, die man als noch nicht ganz entwickelte1Karl Ritter, Erdkunde Bd. I. betrachten kann, und die entweder nur bei Hochgewäſſer oder beſtändig durch Gabelung unter ſich zuſammenhängen.

Der Rio Pao hat ſich ein ſo tiefes und breites Bett gegraben, daß, wenn in der Regenzeit der Caño grande de Cambury das ganze Land nordweſtlich von Guigue über - ſchwemmt, das Waſſer dieſes Caño und das des Sees von Valencia in den Rio Pao ſelbſt zurücklaufen, ſo daß dieſes Flüßchen, ſtatt dem See Waſſer zuzuführen, ihm vielmehr welches abzapft. Wir ſehen etwas Aehnliches in Nordamerika, da wo die Geographen auf ihren Karten zwiſchen den großen Kanadiſchen Seen und dem Lande der Miami eine eingebildete Bergkette angeben. Bei Hochgewäſſer ſtehen die Flüſſe, die den Seen, und die, welche dem Miſſiſſippi zulaufen, mitein - ander in Verbindung und man fährt im Kanoe von den Quellen des Fluſſes Santa Maria in den Wabaſh, wie aus dem Chicago in den Illinois. Dieſe analogen Fälle ſcheinen mir von ſeiten der Hydrographen alle Aufmerkſamkeit zu verdienen.

Da der Boden rings um den See von Valencia durchaus flach und eben iſt, ſo wird, wie ich es auch an den Mexika - niſchen Seen alle Tage beobachten konnte, wenn der Waſſer - ſpiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit fruchtbarem Schlamme und organiſchen Reſten bedeckter Strich Landes trocken gelegt. Im Maße, als der See ſich zurückzieht, rückt der Landbau gegen das neue Ufer vor. Dieſe von der Natur bewerkſtelligte, für die Landwirtſchaft der Kolonieen ſehr wich - tige Austrocknung war in den letzten zehn Jahren, in denen ganz Amerika an großer Trockenheit litt, ungewöhnlich ſtark. 212Ich riet den reichen Grundeigentümern im Lande, ſtatt die jeweiligen Krümmungen des Seeufers zu bezeichnen, im Waſſer ſelbſt Granitſäulen aufzuſtellen, an denen man von Jahr zu Jahr den mittleren Waſſerſtand beobachten könnte. Der Mar - ques del Toro will die Sache ausführen und auf Gneisgrund, der im See häufig vorkommt, aus dem ſchönen Granit der Sierra de Mariara Limnometer aufſtellen.

Unmöglich läßt ſich im voraus beſtimmen, in welchem Maße dieſes Waſſerbecken zuſammengeſchrumpft ſein wird, wenn einmal das Gleichgewicht zwiſchen dem Zufluſſe einer - ſeits und der Verdunſtung und Einſickerung andererſeits völlig hergeſtellt iſt. Die ſehr verbreitete Meinung, der See werde ganz verſchwinden, ſcheint mir durchaus unbegründet. Wenn infolge ſtarker Erdbeben oder aus anderen gleich unerklärten Urſachen zehn naſſe Jahre auf ebenſo viele trockene folgten, wenn ſich die Berge wieder mit Wald bedeckten, wenn große Bäume das Seeufer und die Thäler beſchatteten, ſo würde im Gegenteile das Waſſer ſteigen und den ſchönen Pflan - zungen, die gegenwärtig das Seebecken ſäumen, gefährlich werden.

Während in den Thälern von Aragua die einen Pflanzer beſorgen, der See möchte ganz eingehen, die anderen, er möchte wieder zum verlaſſenen Geſtade heraufkommen, hört man in Caracas alles Ernſtes die Frage erörtern, ob man nicht, um mehr Boden für den Landbau zu gewinnen, aus dem See einen Kanal dem Rio Pao zu graben und ihn in die Llanos ableiten ſollte. Es iſt nicht zu leugnen, daß ſolches möglich wäre, namentlich wenn man Kanäle unter dem Boden, Stollen anlegte. Dem allmählichen Rücktritte des Waſſers verdankt das herrliche, reiche Bauland von Maracay, Cura, Mocundo, Guigue und Santa Cruz del Escoval mit ſeinen Tabak -, Zucker -, Kaffee -, Indigo - und Kakaopflanzungen ſeine Ent - ſtehung; wie kann man aber nur einen Augenblick bezweifeln, daß nur der See das Land ſo fruchtbar macht? Ohne die ungeheure Dunſtmaſſe, welche Tag für Tag von der Waſſer - fläche in die Luft aufſteigt, wären die Thäler von Aragua ſo trocken und dürr wie die Berge umher.

Der See iſt im Durchſchnitt 23 bis 30 m, und an den tiefſten Stellen nicht, wie man gemeiniglich annimmt, 155, ſondern nur 68 bis 78 m tief. Dies iſt das Ergebnis der ſorgfältigen Meſſungen Don Antonio Manzanos mit dem Senkblei. Bedenkt man, wie ungemein tief alle Schweizer213 Seen ſind, ſo daß, obgleich ſie in hohen Thälern liegen, ihr Grund faſt auf den Spiegel des Mittelmeeres hinabreicht, ſo wundert man ſich, daß der Boden des Sees von Valencia, der doch auch ein Alpſee iſt, keine bedeutenderen Tiefen hat. Die tiefſten Stellen ſind zwiſchen der Felſeninſel Burro und der Landſpitze Caña Fiſtula, ſowie den hohen Bergen von Mariara gegenüber; im ganzen aber iſt der ſüdliche Teil des Sees tiefer als der nördliche. Es iſt nicht zu vergeſſen, daß jetzt zwar das ganze Ufer flach iſt, der ſüdliche Teil des Beckens aber doch am nächſten bei einer ſteil abfallenden Gebirgskette liegt. Wir wiſſen aber, daß auch das Meer bei einer hohen, ſenkrechten Felsküſte meiſt am tiefſten iſt.

Die Temperatur des Sees an der Waſſerfläche war während meines Aufenthaltes in den Thälern von Aragua im Februar beſtändig 23 bis 23,7°, alſo etwas geringer als die mittlere Lufttemperatur, ſei es nun infolge der Verdunſtung, die dem Waſſer und der Luft Wärme entzieht, oder weil die Schwankungen in der Temperatur der Luft ſich einer großen Waſſermaſſe nicht gleich ſchnell mitteilen, und weil der See Bäche aufnimmt, die aus kalten Quellen in den nahen Ge - birgen entſpringen. Zu meinem Bedauern konnte ich trotz der geringen Tiefe die Temperatur des Waſſers in 58 bis 78 m unter dem Waſſerſpiegel nicht beobachten. Ich hatte das Senkblei mit dem Thermometer, das ich auf den Alpen - ſeen Salzburgs und auf dem Meere der Antillen gebraucht, nicht bei mir. Aus Sauſſures Verſuchen geht hervor, daß zu beiden Seiten der Alpen Seen, die in einer Meereshöhe von 370 bis 530 m liegen, im Hochſommer in 290 bis 195, zuweilen ſogar ſchon in 48 m Tiefe beſtändig eine Temperatur von 4,3 bis zeigen; aber dieſe Verſuche ſind noch niemals auf Seen in der heißen Zone wiederholt worden. In der Schweiz ſind die Schichten kalten Waſſers ungeheuer mächtig. Im Genfer und im Bieler See fand man ſie ſo nahe an der Oberfläche, daß die Temperatur des Waſſers je mit 3 bis 5 m Tiefe um abnahm, alſo 8mal ſchneller als im Meere und 48mal ſchneller als in der Luft. In der gemäßigten Zone, wo die Lufttemperatur auf den Gefrierpunkt und weit darunter ſinkt, muß der Boden eines Sees, wäre er auch nicht von Gletſchern und mit ewigem Schnee bedeckten Bergen umgeben, Waſſerteilchen enthalten, die im Winter an der Oberfläche das Maximum ihrer Dichtigkeit (zwiſchen 3,4 und 4,4°) erlangt haben und alſo am tiefſten niedergeſunken ſind. Andere214 Teilchen mit der Temperatur von + 0,5° ſinken aber keines - wegs unter die Schicht mit Temperatur, ſondern finden das hydroſtatiſche Gleichgewicht nur über derſelben. Sie gehen nur dann weiter hinab, wenn ſich ihre Temperatur durch die Berührung mit weniger kalten Schichten um 3 bis erhöht hat. Wenn das Waſſer beim Erkalten in derſelben Proportion bis zum Nullpunkt immer dichter würde, ſo fände man in ſehr tiefen Seen und in Waſſerbecken, die nicht miteinander zuſammenhängen, welches auch die Breite des Ortes ſein mag, eine Waſſerſchicht, deren Temperatur dem Maxi - mum der Erkaltung über dem Frierpunkt, der jährlich die umgebenden niederen Luftregionen ausgeſetzt ſind, beinahe gleich käme. Nach dieſer Betrachtung erſcheint es wahrſchein - lich, daß auf den Ebenen der heißen Zone und in nicht hoch - gelegenen Thälern, deren mittlere Wärme 25,5 bis 27° beträgt, der Boden der Seen nie weniger als 21 bis 22° Temperatur haben kann. Wenn in derſelben Zone das Meer in der Tiefe von 1360 bis 1560 m Waſſer mit einer Tem - peratur von nur , das alſo um 12 bis 13° kälter iſt als das Minimum der Luftwärme über dem Meere, ſo iſt dieſe Erſcheinung, nach meiner Anſicht, ein direkter Beweis dafür, daß eine Meeresſtrömung in der Tiefe die Gewäſſer von den Polen zum Aequator führt. Wir laſſen hier das ſchwierige Problem unerörtert, wie unter den Tropen und in der gemäßigten Zone, z. B. im Meere der Antillen und in den Schweizer Seen, dieſe tiefen, bis auf 4 oder abge - kühlten Waſſerſchichten auf die Temperatur der von ihnen bedeckten Geſteinſchichten einwirken, und wie dieſe Schichten, deren urſprüngliche Temperatur unter den Tropen 27°, am Genfer See 10° beträgt, auf das dem Frierpunkt nahe Waſſer auf dem Boden der Seen und des tropiſchen Ozeans zurück - wirken? Dieſe Fragen ſind von der höchſten Wichtigkeit ſowohl für die Lebensprozeſſe der Tiere, die gewöhnlich auf dem Boden des ſüßen und des Salzwaſſers leben, als für die Theorie von der Verteilung der Wärme in Ländern, die von großen, tiefen Meeren umgeben ſind.

Der See von Valencia iſt ſehr reich an Inſeln, welche durch die maleriſche Form der Felſen und den Pflanzenwuchs, der ſie bedeckt, den Reiz der Landſchaft erhöhen. Dieſen Vorzug hat dieſer tropiſche See vor den Alpenſeen voraus. Es ſind wenigſtens fünfzehn Inſeln, die in drei Gruppen zerfallen. Sie ſind zum Teil angebaut und infolge der Waſſer -215 dünſte, die aus dem See aufſteigen, ſehr fruchtbar. Die größte, 3900 m lange, der Burro, iſt ſogar von ein paar Meſtizen - familien bewohnt, die Ziegen halten. Dieſe einfachen Menſchen kommen ſelten an das Ufer bei Mocundo; der See dünkt ihnen unermeßlich groß, ſie haben Bananen, Maniok, Milch und etwas Fiſche. Eine Rohrhütte, ein paar Hängematten aus Baumwolle, die nebenan wächſt, ein großer Stein, um Feuer darauf zu machen, die holzige Frucht des Tutuma zum Waſſerſchöpfen, das iſt ihr ganzer Hausrat. Der alte Meſtize, der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine ſehr hübſche Tochter. Unſer Führer erzählte uns, das einſame Leben habe den Mann ſo argwöhniſch gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit Menſchen geworden wäre. Tags zuvor waren Jäger auf der Inſel geweſen; die Nacht überraſchte ſie und ſie wollten lieber unter freiem Himmel ſchlafen, als nach Mocundo zurückfahren. Darüber entſtand große Unruhe auf der Inſel. Der Vater zwang die Tochter, auf eine ſehr hohe Akazie zu ſteigen, die auf dem ebenen Boden nicht weit von der Hütte ſteht. Er ſelbſt legte ſich unter den Baum und ließ die Tochter nicht eher herunter, als bis die Jäger abgezogen waren. Nicht bei allen Inſelbewohnern findet der Reiſende ſolch argwöhniſche Vorſicht, ſolch gewaltige Sittenſtrenge.

Die See iſt meiſt ſehr fiſchreich; es kommen aber nur drei Arten mit weichlichem, nicht ſehr ſchmackhaftem Fleiſche darin vor, die Guavina, der Vagre und die Sardina. Die beiden letzteren kommen aus den Bächen in den See. Die Guavina, die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, iſt 53 cm lang, 92 mm breit. Es iſt vielleicht eine neue Art der Gattung Erythrina des Gronovius. Sie hat große, ſilberglänzende, grün geränderte Schuppen; ſie iſt ſehr gefräßig und läßt andere Arten nicht aufkommen. Die Fiſcher verſicherten uns, ein kleines Krokodil, der Bava, der uns beim Baden oft nahe kam, helfe auch die Fiſche ausrotten. Wir konnten dieſes Reptils nie habhaft werden, um es näher zu unterſuchen. Es wird meiſt nur 1 bis 1,3 m lang und gilt für unſchädlich, aber in der Lebensweiſe wie in der Geſtalt kommt es dem Kaiman oder Crocodilus acutus nahe. Beim Schwimmen ſieht man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das Schwanzende. Bei Tage liegt es auf kahlen Uferſtellen. Es iſt ſicher weder ein Monitor (die eigentlichen Monitor ge - hören nur der Alten Welt an), noch Sebas Sauvegarde (Lacerta Teguixin), die nur taucht und nicht ſchwimmt. 216Reiſende mögen nach uns darüber entſcheiden, ich bemerke nur noch, als ziemlich auffallend, daß es im See von Valencia und im ganzen kleinen Flußgebiet desſelben keine großen Kai - man gibt, während dieſes gefährliche Tier wenige Kilometer davon in den Gewäſſern, die in den Apure und Orinoko, oder zwiſchen Porto Cabello und Guayra unmittelbar in das An - tilliſche Meer laufen, ſehr häufig iſt.

Die Inſel Chamberg iſt durch ihre Höhe ausgezeichnet. Es iſt ein 60 m hoher Gneisfels mit zwei ſattelförmig ver - bundenen Gipfeln. Der Abhang des Felſens iſt kahl, kaum daß ein paar Cluſiaſtämme mit großen weißen Blüten darauf wachſen, aber die Ausſicht über den See und die üppigen Fluren der anſtoßenden Thäler iſt herrlich, zumal wenn nach Sonnenuntergang Tauſende von Waſſervögeln, Reiher, Fla - mingos und Wildenten über den See ziehen, um auf den Inſeln zu ſchlafen, und der weite Gebirgsgürtel am Horizont in Feuer ſteht. Wie ſchon erwähnt, brennt das Landvolk die Weiden ab, um ein friſcheres, feineres Gras als Nachwuchs zu bekommen. Beſonders auf den Gipfeln der Bergkette wächſt viel Gras, und dieſe gewaltigen Feuer, die öfters über 2000 m lange Strecken laufen, nehmen ſich aus, wie wenn Lavaſtröme aus dem Bergkamme quöllen. Wenn man ſo an einem herrlichen tropiſchen Abend am Seeufer ausruht und der angenehmen Kühle genießt, betrachtet man mit Luſt in den Wellen, die an das Geſtade ſchlagen, das Bild der roten Feuer rings am Horizont.

Unter den Pflanzen, die auf den Felſeninſeln im See von Valencia wachſen, kommen, wie man glaubt, mehrere nur hier vor; wenigſtens hat man ſie ſonſt nirgends gefunden. Hierher gehören die See-Melonenbäume (Papaya de la la - guna) und die Liebesäpfel der Inſel Cura. Letztere ſind von unſerem Solanum Lycopersicum verſchieden; ihre Frucht iſt rund, klein, aber ſehr ſchmackhaft; man baut ſie jetzt in Vic - toria, Nueva Valencia, überall in den Thälern von Aragua. Auch die Papaya de la laguna iſt auf der Inſel Cura und auf Cabo Blanco ſehr häufig. Ihr Stamm iſt ſchlanker als beim gemeinen Melonenbaum (Carica Papaya), aber die Frucht iſt um die Hälfte kleiner und völlig kugelrund, ohne vorſpringende Rippen, und hat 10 bis 13 cm im Durchmeſſer. Beim Zerſchneiden zeigt ſie ſich voll Samen, ohne die leeren Zwiſchenräume, die ſich beim gemeinen Melonenbaum immer finden. Die Frucht, die ich oft gegeſſen, ſchmeckt ungemein217 ſüß; ich weiß nicht, ob es eine Spielart der Carica Micro - carpa iſt, die Jacquin beſchrieben hat.

Die Umgegend des Sees iſt nur in der trockenen Jahres - zeit ungeſund, wenn bei fallendem Waſſer der ſchlammige Boden der Sonnenhitze ausgeſetzt iſt. Das von Gebüſchen der Coccoloba barbadensis beſchattete, mit herrlichen Lilien - gewächſen geſchmückte Geſtade erinnert durch den Typus der Waſſerpflanzen an die ſumpfigen Ufer unſerer europäiſchen Seen. Man findet hier Laichkraut (Potamogeton), Chara und 1 m hohe Teichkolben, die man von der Typha angusti - folia unſerer Sümpfe kaum unterſcheiden kann. Erſt bei ge - nauer Unterſuchung erkennt man in allen dieſen Gewächſen der Neuen Welt eigentümliche Arten. Wie viele Pflanzen von der Magelhaensſchen Meerenge, aus Chile und den Kor - dilleren von Quito ſind früher wegen der großen Ueberein - ſtimmung in Bildung und Ausſehen mit Gewächſen der nörd - lichen gemäßigten Zone zuſammengeworfen worden!

Die Bewohner der Thäler von Aragua fragen häufig, warum das ſüdliche Ufer des Sees, beſonders aber der ſüd - weſtliche Strich desſelben gegen Las Aguacates, im ganzen ſtärker bewachſen iſt und ein friſcheres Grün hat als das nördliche. Im Februar ſahen wir viele entblätterte Bäume bei der Hacienda de Cura, bei Mocundo und Guacara, wäh - rend ſüdöſtlich von Valencia alles bereits darauf deutete, daß die Regenzeit bevorſtand. Nach meiner Anſicht werden im erſten Abſchnitte des Jahres, wo die Sonne gegen Süden abweicht, die Hügel um Valencia, Guacara und Cura von der Sonnenhitze ausgebrannt, während dem ſüdlichen Ufer durch den Seewind, ſobald er durch die Abra de Porto Cabello in das Thal kommt, eine Luft zugeführt wird, die ſich über dem See mit Waſſerdunſt beladen hat. Auf dieſem ſüdlichen Ufer, bei Guaruto, liegen auch die ſchönſten Tabaks - felder in der ganzen Provinz. Man unterſcheidet welche der primera, segunda und tercera fundacion. Nach dem drücken - den Monopol der Tabakspacht, deren wir bei der Beſchreibung der Stadt Cumanacoa gedacht haben, darf man in der Pro - vinz Caracas nur in den Thälern von Aragua (bei Guaruto und Tapatapa) und in den Llanos von Uritucu Tabak bauen. Der Ertrag beläuft ſich auf 500000 bis 600000 Piaſter; aber die Regie iſt ſo koſtſpielig, daß ſie gegen 230000 Piaſter im Jahre verſchlingt. Die Capitania general von Caracas könnte vermöge ihrer Größe und ihres vortrefflichen Bodens, ſo gut218 wie Cuba, ſämtliche europäiſche Märkte verſorgen; aber unter den gegenwärtigen Verhältniſſen erhält ſie im Gegenteil durch den Schleichhandel Tabak aus Braſilien auf dem Rio Negro, Caſſiquiare und Orinoko, und aus der Provinz Pore auf dem Caſanare, dem Ariporo und dem Rio Meta. Das ſind die traurigen Folgen eines Prohibitivſyſtems, das den Fortſchritt des Landbaues lähmt, den natürlichen Reichtum des Landes ſchmälert und ſich vergeblich abmüht, Länder abzuſperren, durch welche dieſelben Flüſſe laufen und deren Grenzen in unbe - wohnten Landſtrichen ſich verwiſchen.

Unter den Zuflüſſen des Sees von Valencia entſpringen einige aus heißen Quellen, und dieſe verdienen beſondere Auf - merkſamkeit. Dieſe Quellen kommen an drei Punkten der aus Granit beſtehenden Küſtenkordillere zu Tage, bei Onoto, zwiſchen Turmero und Maracay, bei Mariara, nordöſtlich von der Hacienda de Cura, und bei Las Trincheras, auf dem Wege von Nueva Valencia nach Porto Cabello. Nur die heißen Waſſer von Mariara und Las Trincheras konnte ich in phy - ſikaliſcher und geologiſcher Beziehung genau unterſuchen. Geht man am Bache Cura hinauf, ſeiner Quelle zu, ſo ſieht man die Berge von Mariara in die Ebene vortreten in Geſtalt eines weiten Amphitheaters, das aus ſenkrecht abfallenden Felswänden beſteht, über denen ſich Bergkegel mit gezackten Gipfeln erheben. Der Mittelpunkt des Amphitheaters führt den ſeltſamen Namen Teufelsmauer (Rincon del Diablo). Von den beiden Flügeln derſelben heißt der öſtliche El Cha - parro, der weſtliche Las Viruelas. Dieſe verwitterten Felſen beherrſchen die Ebene; ſie beſtehen aus einem ſehr grob - körnigen, faſt porphyrartigen Granit, in dem die gelblich-weißen Feldſpatkriſtalle über 4 cm lang ſind; der Glimmer iſt ziemlich ſelten darin und von ſchönem Silberglanz. Nichts maleriſcher und großartiger als der Anblick dieſes halb grün gewachſenen Gebirgſtockes. Den Gipfel der Calavera, welche die Teufels - mauer mit dem Chaparro verbindet, ſieht man ſehr weit. Der Granit iſt dort durch ſenkrechte Spalten in prismatiſche Maſſen geteilt, und es ſieht aus, als ſtünden Baſaltſäulen auf dem Urgebirge. In der Regenzeit ſtürzt eine bedeutende Waſſer - maſſe über dieſe ſteilen Abhänge herunter. Die Berge, die ſich öſtlich an die Teufelsmauer anſchließen, ſind lange nicht ſo hoch und beſtehen, wie das Vorgebirge Cabrera, aus Gneis und granithaltigem Glimmerſchiefer.

In dieſen niedrigeren Bergen, 3,5 bis 5,5 km nordöſtlich219 von Mariara, liegt die Schlucht der heißen Waſſer, Quebrada de aguas calientes. Sie ſtreicht nach Nord 75° Weſt und enthält mehrere kleine Tümpel, von denen die zwei oberen, die nicht zuſammenhängen, nur 21 cm, die drei unteren 60 bis 95 cm Durchmeſſer haben; ihre Tiefe beträgt zwiſchen 8 und 40 cm. Die Temperatur dieſer verſchiedenen Trichter (pozos) iſt 56 bis 59°, und, was ziemlich auffallend iſt, die unteren Trichter ſind heißer als die oberen, obgleich der Unterſchied in der Bodenhöhe nicht mehr als 18 bis 21 cm beträgt. Die heißen Waſſer laufen zu einem kleinen Bache zuſammen (Rio de aguas calientes), der 10 m weiter unten nur 48° Tem - peratur zeigt. Während der größten Trockenheit (in dieſer Zeit beſuchten wir die Schlucht) hat die ganze Maſſe des heißen Waſſers nur ein Profil von 184 qcm, in der Regenzeit aber wird dasſelbe bedeutend größer. Der Bach wird dann zum Bergſtrom und ſeine Wärme nimmt ab, denn die Tem - peratur der heißen Quellen ſelbſt ſcheint nur unmerklich auf und ab zu ſchwanken. Alle dieſe Quellen enthalten Schwefel - waſſerſtoffgas in geringer Menge. Der dieſem Gaſe eigene Geruch nach faulen Eiern läßt ſich nur ganz nahe bei den Quellen ſpüren. Nur in einem der Tümpel, in dem mit 56,2° Temperatur, ſieht man Luftblaſen ſich entwickeln, und zwar in ziemlich regelmäßigen Pauſen von 2 bis 3 Minuten. Ich bemerkte, daß die Blaſen immer von denſelben Stellen ausgingen, vier an der Zahl, und daß man den Ort, von dem das Schwefelwaſſerſtoffgas aufſteigt, durch Umrühren des Bodens mit einem Stock nicht merklich verändern kann. Dieſe Stellen entſprechen ohne Zweifel ebenſo vielen Löchern oder Spalten im Gneis; auch ſieht man, wenn über einem Loche Blaſen erſcheinen, das Gas ſogleich auch über den drei anderen ſich entwickeln. Es gelang mir nicht, das Gas anzuzünden, weder die kleinen Mengen in den an der Fläche des heißen Waſſers platzenden Blaſen, noch dasjenige, das ich in einer Flaſche über den Quellen geſammelt, wobei mir übel wurde, nicht ſowohl vom Geruche des Gaſes, als von der übermäßigen Hitze in der Schlucht. Iſt das Schwefelwaſſerſtoffgas mit vieler Kohlenſäure oder mit atmoſphäriſcher Luft gemengt? Erſteres iſt mir nicht wahrſcheinlich, ſo häufig es auch bei heißen Quellen vorkommt (Aachen, Enghien, Barège). Das in der Röhre eines Fontanaſchen Eudiometers aufgefangene Gas war lange mit Waſſer geſchüttelt worden. Auf den kleinen Tümpeln ſchwimmt ein feines Schwefelhäutchen, das220 ſich durch die langſame Verbrennung des Schwefelwaſſerſtoffes im Sauerſtoffe der Luft niederſchlägt. Hie und da iſt eine Pflanze an den Quellen mit Schwefel inkruſtiert. Dieſer Niederſchlag wird kaum bemerklich, wenn man das Waſſer von Mariara in einem offenen Gefäße erkalten läßt, ohne Zweifel, weil die Quantität des entwickelten Gaſes ſehr klein iſt und es ſich nicht erneuert. Das erkaltete Waſſer macht in der Auflöſung von ſalpeterſaurem Kupfer keinen Nieder - ſchlag; es iſt geſchmacklos und ganz trinkbar. Wenn es je einige Salze enthält, etwa ſchwefelſaures Natron oder ſchwefel - ſaure Bittererde, ſo können ſie nur in ſehr geringer Quantität darin ſein. Da wir faſt gar keine Reagenzien bei uns hatten, ſo füllten wir nur zwei Flaſchen an der Quelle ſelbſt und ſchickten ſie mit der nahrhaften Milch des ſogenannten Kuh - baumes (Vaca) über Porto Cabello und Havana an Furcroy und Vauquelin nach Paris. Daß Waſſer, die unmittelbar aus dem Granitgebirge kommen, ſo rein ſind, iſt eine der merkwürdigſten Erſcheinungen auf beiden Kontinenten. 1Auf dem alten Kontinent kommen in Portugal und am Cantal in den Pyrenäen ebenſo reine Waſſer aus dem Granit. Die Pisciarelli des Agnanoſees in Italien ſind 93° heiß. Sind etwa dieſe reinen Waſſer verdichtete Dämpfe?Wo ſoll man aber das Schwefelwaſſerſtoffgas herleiten? Von der Zerſetzung von Schwefeleiſen oder Schwefelkiesſchichten kann es nicht kommen. Rührt es von Schwefelcalcium, Schwefel - magneſium oder anderen erdigen Halbmetallen her, die das Innere unſeres Planeten unter der oxydierten Steinkruſte enthält?

In der Schlucht der heißen Waſſer von Mariara, in den kleinen Trichtern mit einer Temperatur von 56 bis 59°, kommen zwei Waſſerpflanzen vor, eine häutige, die Luftblaſen enthält, und eine mit parallelen Faſern. 2Converfa?Erſtere hat große Aehnlichkeit mit der Ulva labyrinthiformis Vandellis, die in den europäiſchen warmen Quellen vorkommt. Auf der Inſel Amſterdam ſah Barrow3Reiſe nach Cochinchina. Büſche von Lykopodium und Marchantia an Stellen, wo die Temperatur des Bodens noch weit höher war. So wirkt ein gewohnter Reiz auf die Organe der Gewächſe. Waſſerinſekten kommen im Waſſer221 von Mariara nicht vor. Man findet Fröſche darin, die, von Schlangen verfolgt, hineingeſprungen ſind und den Tod ge - funden haben.

Südlich von der Schlucht, in der Ebene, die ſich zum Seeufer erſtreckt, kommt eine andere ſchwefelwaſſerſtoffhaltige, nicht ſo warme und weniger Gas enthaltende Quelle zu Tage. Die Spalte, aus der das Waſſer läuft, liegt 12 m höher als die eben beſchriebenen Trichter. Der Thermometer ſtieg in der Spalte nur auf 42°. Das Waſſer ſammelt ſich in einem mit großen Bäumen umgebenen, faſt kreisrunden, 5 bis 6 m weiten und 1 m tiefen Becken. In dieſes Bad werfen ſich die unglücklichen Sklaven, wenn ſie gegen Sonnenuntergang, mit Staub bedeckt, ihr Tagewerk auf den benachbarten Indigo - und Zuckerfeldern vollbracht haben. Obgleich das Waſſer des Baño gewöhnlich 10 bis 14° wärmer iſt als die Luft, nennen es die Schwarzen doch erfriſchend, weil in der heißen Zone alles ſo heißt, was die Kräfte herſtellt, die Nervenaufregung beſchwichtigt oder überhaupt ein Gefühl von Wohlbehagen gibt. Wir ſelbſt erprobten die heilſame Wirkung dieſes Bades. Wir ließen unſere Hängematten an die Bäume, die das Waſſer - becken beſchatten, binden und verweilten einen ganzen Tag an dieſem herrlichen Platze, wo es ſehr viele Pflanzen gibt. In der Nähe des Baño de Mariara fanden wir den Volador oder Gyrocarpus. Die Flügelfrüchte dieſes großen Baumes fliegen wie Federbälle, wenn ſie ſich vom Fruchtſtiele trennen. Wenn wir die Aeſte des Volador ſchüttelten, wimmelte es in der Luft von dieſen Früchten und ihr gleichzeitiges Niederfallen gewährte den merkwürdigſten Anblick. Die zwei häutigen, geſtreiften Flügel ſind ſo gebogen, daß die Luft beim Nieder - fallen unter einem Winkel von 45° gegen ſie drückt. Glück - licherweiſe waren die Früchte, die wir auflaſen, reif. Wir ſchickten welche nach Europa und ſie keimten in den Gärten zu Berlin, Paris und Malmaiſon. Die vielen Voladorpflanzen, die man jetzt in den Gewächshäuſern ſieht, kommen alle von dem einzigen Baume der Art, der bei Mariara ſteht. Die geographiſche Verteilung der verſchiedenen Arten von Gyro - carpus, den Brown zu den Laurineen rechnet, iſt eine ſehr auffallende. Jacquin ſah eine Art bei Cartagena das Indias; eine andere Art, die auf den Bergen an der Küſte von Koro - mandel wächſt, hat Roxburgh beſchrieben; eine dritte und vierte kommen in der ſüdlichen Halbkugel auf den Küſten von Neuholland vor.

222

Während wir nach dem Bade uns, nach Landesſitte halb in ein Tuch gewickelt, von der Sonne trocknen ließen, trat ein kleiner Mulatte zu uns. Nachdem er uns freundlich ge - grüßt, hielt er uns eine lange Rede über die Kraft der Waſſer von Mariara, über die vielen Kranken, die ſie ſeit einigen Jahren beſuchten, über die günſtige Lage der Quellen zwiſchen zwei Städten, Valencia und Caracas, wo die Sittenverderbnis mit jedem Tage ärger werde. Er zeigte uns ſein Haus, eine kleine offene Hütte aus Palmblättern, in einer Einzäunung, ganz nahebei, an einem Bache, der in das Bad läuft. Er verſicherte uns, wir finden daſelbſt alle möglichen Bequem - lichkeiten, Nägel, unſere Hängematten zu befeſtigen, Ochſen - häute, um auf Rohrbänken zu ſchlafen, irdene Gefäße mit immer friſchem Waſſer, und was uns nach dem Bade am beſten bekommen werde, Iguanas, große Eidechſen, deren Fleiſch für eine erfriſchende Speiſe gilt. Wir erſahen aus dieſem Vortrage, daß der arme Mann uns für Kranke hielt, die ſich an der Quelle einrichten wollten. Er nannte ſich Waſſerinſpektor und Pulpero1Eigentümer einer Pulperia, einer kleinen Bude, in der man Eßwaren und Getränke feil hat. des Platzes . Auch hatte ſeine Zuvorkommenheit gegen uns ein Ende, als er erfuhr, daß wir bloß aus Neugierde da waren, oder, wie man in den Kolonieen, dem wahren Schlaraffenlande, ſagt, para ver, no mas (um zu ſehen, weiter nichts).

Man gebraucht das Waſſer von Mariara mit Erfolg gegen rheumatiſche Geſchwülſte, alte Geſchwüre und gegen die ſchreckliche Hautkrankheit, Bubas genannt, die nicht immer ſyphilitiſchen Urſprunges iſt. Da die Quellen nur ſehr wenig Schwefelwaſſerſtoff enthalten, muß man da baden, wo ſie zu Tage kommen. Weiterhin überrieſelt man mit dem Waſſer die Indigofelder. Der reiche Beſitzer von Mariara, Don Domingo Tovar, ging damit um, ein Badehaus zu bauen und eine Anſtalt einzurichten, wo Wohlhabende etwas mehr fänden als Eidechſenfleiſch zum Eſſen und Häute auf Bänken zum Ruhen.

Am 21. Februar abends brachen wir von der ſchönen Hacienda de Cura nach Guacara und Nueva Valencia auf. Wegen der ſchrecklichen Hitze bei Tage reiſten wir lieber bei Nacht. Wir kamen durch den Weiler Punta Zamuro am223 Fuße der hohen Berge Las Viruelas. Am Wege ſtehen große Zamang oder Mimoſen, deren Stamm 20 m hoch wird. Die faſt wagerechten Aeſte derſelben ſtoßen auf mehr als 48 m Entfernung zuſammen. Nirgends habe ich ein ſchöneres, dichteres Laubdach geſehen. Die Nacht war dunkel; die Teufelsmauer und ihre gezackten Felſen tauchten zuweilen in der Ferne auf, beleuchtet vom Scheine der brennenden Sa - vannen oder in rötliche Rauchwolken gehüllt. Wo das Ge - büſch am dichteſten war, ſcheuten unſere Pferde ob dem Ge - ſchrei eines Tieres, das hinter uns herzukommen ſchien. Es war ein großer Tiger, der ſich ſeit drei Jahren in dieſen Bergen umtrieb und den Nachſtellungen der kühnſten Jäger entgangen war. Er ſchleppte Pferde und Maultiere ſogar aus Einzäunungen fort; da es ihm aber nicht an Nahrung fehlte, hatte er noch nie Menſchen angefallen. Der Neger, der uns führte, erhob ein wildes Geſchrei, um den Tiger zu verſcheuchen, was natürlich nicht gelang. Der Jaguar ſtreicht, wie der europäiſche Wolf, den Reiſenden nach, auch wenn er ſie nicht anfallen will; der Wolf thut dies auf freiem Felde, auf offenen Landſtrecken, der Jaguar ſchleicht am Wege hin und zeigt ſich nur von Zeit zu Zeit im Gebüſche.

Den 23. Februar brachten wir im Hauſe des Marques del Toro, im Dorfe Guacara, einer ſehr ſtarken indianiſchen Gemeinde, zu. Die Eingeborenen, deren Korregidor, Don Pedro Peñalver, ein ſehr gebildeter Mann war, ſind ziemlich wohlhabend. Sie hatten eben bei der Audiencia einen Prozeß gewonnen, der ihnen die Ländereien wieder zuſprach, welche die Weißen ihnen ſtreitig gemacht. Eine Allee von Carolinea - bäumen führt von Guacara nach Mocundo. Ich ſah hier zum erſtenmal dieſes prachtvolle Gewächs, das eine der vor - nehmſten Zierden der Gewächshäuſer in Schönbrunn iſt. 1Sämtliche Carolinea princeps in Schönbrunn ſtammen aus Samen, die Boſe und Bredemeyer von einem ungeheuer dicken Baume bei Chacao, öſtlich von Caracas, genommen.Mocundo iſt eine reiche Zuckerpflanzung der Familie Toro. Man findet hier ſogar, was in dieſem Lande ſo ſelten iſt, den Luxus des Ackerbaues , einen Garten, künſtliche Gehölze und am Waſſer auf einem Gneisfelſen ein Luſthaus mit einem Mirador oder Belvedere. Man hat da eine herrliche Ausſicht auf das weſtliche Stück des Sees, auf die Gebirge224 ringsum und auf einen Palmenwald zwiſchen Guacara und Nueva Valencia. Die Zuckerfelder mit dem lichten Grün des jungen Rohres erſcheinen wie ein weiter Wieſengrund. Alles trägt den Stempel des Ueberfluſſes, aber die das Land bauen, müſſen ihre Freiheit daran ſetzen. In Mocundo baut man mit 230 Negern 77 Tablones oder Stücke Zuckerrohr, deren jedes 10000 Quadratvaras1Ein Tablon, gleich 7026 qm, entſpricht etwa 1⅕ Morgen. mißt und jährlich einen Rein - ertrag von 200 bis 240 Piaſtern gibt. Man ſetzt die Steck - linge des kreoliſchen und des tahitiſchen Zuckerrohres im April, bei erſterem je 1,3 m, bei letzterem 1,6 m voneinander. Das Rohr braucht 14 Monate zur Reife. Es blüht im Oktober, wenn der Setzling kräftig iſt, man kappt aber die Spitze, ehe die Riſpe ſich entwickelt. Bei allen Monokotyledonen (beim Maguey, der in Mexiko wegen des Pulque gebaut wird, bei der Weinpalme und dem Zuckerrohr) erhalten die Säfte durch die Blüte eine andere Miſchung. Die Zuckerfabrikation iſt in Terra Firma ſehr mangelhaft, weil man nur für den Ver - brauch im Lande fabriziert und man für den Abſatz im großen ſich lieber an den ſogenannten Papelon als an raffinierten und Rohzucker hält. Dieſer Papelon iſt ein unreiner, braun - gelber Zucker in ganz kleinen Hüten. Er iſt mit Melaſſe und ſchleimigen Stoffen verunreinigt. Der ärmſte Mann ißt Pa - pelon, wie man in Europa Käſe ißt; man hält ihn allgemein für nahrhaft. Mit Waſſer gegoren, gibt er den Guarapo, das Lieblingsgetränk des Volkes. Zum Auslaugen des Rohr - ſaftes bedient man ſich, ſtatt des Kalkes, des unterkohlenſauren Kalis. Man nimmt dazu vorzugsweiſe die Aſche des Bucare, der Erythrina corallodendron.

Das Zuckerrohr iſt ſehr ſpät, wahrſcheinlich erſt zu Ende des 16. Jahrhunderts, von den Antillen in die Thäler von Aragua gekommen. Man kannte es ſeit den älteſten Zeiten in Indien, in China und auf allen Inſeln des Stillen Meeres; in Choraſſan und in Perſien wurde es ſchon im 5. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung zur Gewinnung feſten Zuckers gebaut. Die Araber brachten das Rohr, das für die Bewohner heißer und gemäßigter Länder von ſo großem Werte iſt, an die Küſten des Mittelmeeres. Im Jahre 1306 wurde es auf Sizilien noch nicht gebaut, aber auf Cypern, Rhodus und in Morea war es bereits verbreitet; 100 Jahre darauf war es ein wert -225 voller Beſitz Kalabriens, Siziliens und der ſpaniſchen Küſten. Von Sizilien verpflanzte der Infant Henriquez das Zucker - rohr nach Madeira, von Madeira kam es auf die Kanarien, wo es ganz unbekannt war; denn die Ferulae, von denen Juba ſpricht (quae expressae liquorem fundunt potui jucundum), ſind Euphorbien, Tabayba dulce, und kein Zuckerrohr, wie man neuerdings behauptet hat. Nicht lange, ſo waren zehn Zuckermühlen (ingenios de azucar) auf der Großen Canaria, auf Palma und auf Tenerifa zwiſchen Adexe, Icod und Ga - rachico. Man brauchte Neger zum Bau, und ihre Nach - kommen leben noch in den Höhlen von Tiaxana auf der Großen Canaria. Seit das Zuckerrohr auf die Antillen ver - pflanzt worden iſt, und ſeit die Neue Welt den glückſeligen Inſeln den Mais geſchenkt, hat der Anbau dieſer Grasart auf Tenerifa und der Großen Canaria den Zuckerbau ver - drängt. Jetzt wird dieſer nur noch auf Palma bei Argual und Taxacorte getrieben und liefert kaum 1000 Zentner Zucker im Jahr. Das kanariſche Rohr, das Aiguilon nach San Domingo brachte, wurde dort ſeit 1517 oder den ſechs, ſieben folgenden Jahren unter der Herrſchaft der Hieronymiter mönche gebaut. Von Anfang an wurden Neger dazu ver - wendet, und ſchon 1519 ſtellte man, gerade wie heutzutage, der Regierung vor, die Antillen wären verloren und müßten wüſte liegen bleiben, wenn man nicht alle Jahre Sklaven von der Küſte von Guinea herüberbrächte .

Seit einigen Jahren haben ſich der Anbau und die Fa - brikation des Zuckers in Terra Firma bedeutend verbeſſert, und da auf Jamaika das Raffinieren geſetzlich verboten iſt, ſo glaubt man auf die Ausfuhr von raffiniertem Zucker in die engliſchen Kolonieen auf dem Wege des Schleichhandels rechnen zu können. Aber der Verbrauch in den Provinzen von Venezuela an Papelon und an Rohzucker zu Schokolade und Zuckerbäckerei (dulces) iſt ſo groß, daß die Ausfuhr bis jetzt gar nicht in Betracht kam. Die ſchönſten Zuckerpflan - zungen ſind in den Thälern von Aragua und des Tuy, bei Pao de Zarete, zwiſchen Victoria und San Sebaſtiano, bei Guatire, Guarenas und Caurimare. Wie das Zuckerrohr zuerſt von den Kanarien in die Neue Welt kam, ſo ſtehen noch jetzt meiſt Kanarier oder Isleños den großen Pflan - zungen vor und geben beim Anbau und beim Raffinieren die Anleitung.

Dieſer innige Verkehr mit den Kanariſchen Inſeln undA. v. Humboldt, Reiſe. II. 15226ihren Bewohnern hat auch zur Einführung der Kamele in die Provinzen von Venezuela Anlaß gegeben. Der Marques del Toro ließ ihrer drei von Lanzerote kommen. Die Trans - portkoſten waren ſehr bedeutend, weil die Tiere auf den Kauf - fahrern ſehr viel Raum einnehmen und ſie ſehr viel ſüßes Waſſer bedürfen, da die lange Ueberfahrt ſie ſtark angreift. Ein Kamel, für das man nur 30 Piaſter bezahlt, hatte nach der Ankunft auf der Küſte von Caracas 800 bis 900 Piaſter gekoſtet. Wir ſahen dieſe Tiere in Mocundo; von vieren waren ſchon drei in Amerika geworfen. Zwei waren vom Biß des Coral, einer giftigen Schlange, die am See ſehr häufig iſt, zu Grunde gegangen. Man braucht bis jetzt dieſe Kamele nur, um das Zuckerrohr in die Mühlen zu ſchaffen. Die männlichen Tiere, die ſtärker ſind als die weiblichen, tragen 40 bis 50 Arroben. Ein reicher Gutsbeſitzer in der Provinz Varinas wollte, aufgemuntert durch den Vorgang des Marques del Toro, 15000 Piaſter aufwenden und auf einmal 14 bis 15 Kamele von den Kanariſchen Inſeln kommen laſſen. Solche Unternehmungen ſind um ſo lobenswerter, da man dieſe Laſttiere zum Warentransport durch die glühend heißen Ebenen am Caſanare, Apure und am Calobozo benutzen will, die in der trockenen Jahreszeit den afrikaniſchen Wüſten gleichen. Ich habe anderwärts bemerkt,1Essay politique sur la nouvelle Espagne T. I, p. 23, T. II, p. 689. wie ſehr zu wün - ſchen wäre, daß die Eroberer ſchon zu Anfang des 16. Jahr - hunderts wie Rindvieh, Pferde und Maultiere ſo auch Kamele nach Amerika verpflanzt hätten. Ueberall, wo in unbewohnten Ländern ſehr große Strecken zurückzulegen ſind, wo ſich keine Kanäle anlegen laſſen, weil ſie zu viele Schleuſen erforderten (wie auf der Landenge von Panama, auf der Hochebene von Mexiko, in den Wüſten zwiſchen dem Königreich Quito und Peru, und zwiſchen Peru und Chile), wären Kamele für den Handelsverkehr im Inneren von der höchſten Bedeutung. Man muß ſich um ſo mehr wundern, daß die Regierung nicht gleich nach der Eroberung die Einführung des Tieres aufgemuntert hat, da noch lange nach der Unterwerfung von Granada das Kamel, das Lieblingstier der Mauren, im ſüdlichen Spanien ſehr häufig war. Ein Biscayer, Juan de Reinaga, hatte auf ſeine Koſten einige Kamele nach Peru gebracht. Pater Acoſta ſah ſie gegen das Ende des 16. Jahrhunderts am Fuße der227 Anden; da ſie aber ſchlecht gepflegt wurden, pflanzten ſie ſich ſpärlich fort und ſtarben bald aus. In dieſen Zeiten der Unterdrückung und des Elends, die man als die Zeiten des ſpaniſchen Ruhmes ſchildert, vermieteten die Encomenderos den Reiſenden Indianer wie Laſttiere. Man trieb ſie zu Hunderten zuſammen, um Waren über die Kordilleren zu ſchleppen oder um die Heere auf ihren Eroberungs - und Raubzügen zu begleiten. Die Eingeborenen unterzogen ſich dieſem Dienſte um ſo geduldiger, da ſie, beim faſt völligen Mangel an Haustieren, ſchon ſeit langer Zeit von ihren eigenen Häuptlingen, wenn auch nicht ſo unmenſchlich, dazu angehalten worden waren. Die von Juan de Reinaga verſuchte Ein - führung der Kamele brachte die Encomenderos, die nicht ge - ſetzlich, aber faktiſch die Grundherren der indianiſchen Dörfer waren, gewaltig in Aufruhr. Es iſt nicht zu verwundern, daß der Hof den Beſchwerden dieſer Herren Gehör gab; aber durch dieſe Maßregel ging Amerika eines Mittels verluſtig, das mehr als irgend etwas den Verkehr im Inneren und den Warenaustauſch erleichtern konnte. Jetzt, da ſeit Karls III. Regierung die Indianer unter einem milderen Regimente ſtehen, und alle Zweige des einheimiſchen Gewerbefleißes ſich freier entwickeln können, ſollte die Einführung der Kamele im großen und von der Regierung ſelbſt verſucht werden. Würden einige hundert dieſer nützlichen Tiere auf dem un - geheuren Areal von Amerika in heißen, trockenen Gegenden angeſiedelt, ſo würde ſich der günſtige Einfluß auf den all - gemeinen Wohlſtand ſchon in wenigen Jahren merkbar machen. Provinzen, die durch Steppen getrennt ſind, wären von Stunde an einander näher gerückt; manche Waren aus dem Inneren würden an den Küſten wohlfeiler, und durch die Vermehrung der Kamele, zumal der Hedjines, der Schiffe der Wüſte, käme ein ganz anderes Leben in den Gewerbfleiß und den Handel der Neuen Welt.

Am 22. abends brachen wir von der Mocundo auf und gingen über Los Guayos nach Nueva Valencia. Man kommt durch einen kleinen Palmenwald, deſſen Bäume nach dem Habitus und der Bildung der fächerförmigen Blätter dem Chamaerops humilis an der Küſte der Berberei gleichen. Der Stamm wird indeſſen 6 m, zuweilen ſogar 10 m hoch. Es iſt wahrſcheinlich eine neue Art der Gattung Corypha; die Palme heißt im Lande Palma de Sombrero, weil man aus den Blattſtielen Hüte, ähnlich unſeren Strohhüten228 flicht. Das Palmengehölz, wo die dürren Blätter beim ge - ringſten Luftzug raſſeln, die auf der Ebene weidenden Kamele, das Wallen der Dünſte auf einem vom Sonnenſtrahl glühen - den Boden, geben der Landſchaft ein afrikaniſches Gepräge. Je näher man der Stadt und über das weſtliche Ende des Sees hinauskommt, deſto dürrer wird der Boden. Es iſt ein ganz ebener, vom Waſſer verlaſſener Thonboden. Die benachbarten Hügel, Morros de Valencia genannt, beſtehen aus weißem Tuff, einer ganz neuen Bildung, die unmittelbar auf dem Gneis aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an verſchiedenen anderen Punkten längs der Küſtengebirgskette wieder zum Vorſchein. Die weiße Farbe dieſes Tuffs, von dem die Sonnenſtrahlen abprallen, trägt viel zur drückenden Hitze bei, die hier herrſcht. Alles iſt wüſt und öde, kaum ſieht man an den Ufern des Rio de Valencia hie und da einen Kakaoſtamm; ſonſt iſt die Ebene kahl, pflanzenlos. Dieſe anſcheinende Unfruchtbarkeit ſchreibt man hier, wie überall in den Thälern von Aragua, dem Indigo - bau zu, der den Boden ſtärker erſchöpft (cansa) als irgend ein Gewächs. Es wäre intereſſant, ſich nach den wahren phyſiſchen Urſachen dieſer Erſcheinung umzuſehen, über die man, wie ja auch über die Wirkung der Brache und der Wechſel - wirtſchaft, noch lange nicht im reinen iſt. Ich beſchränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß man unter den Tropen deſto häufiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit des Bau - landes klagen hört, je näher man ſich der Zeit der erſten Urbarmachung befindet. In einem Erdſtriche, wo faſt kein Gras wächſt, wo jedes Gewächs einen holzigen Stengel hat und gleich zum Buſch aufſchießt, iſt der unangebrochene Boden fortwährend von hohen Bäumen oder von Buſchwerk be - ſchattet. Unter dieſen dichten Schatten erhält er ſich überall friſch und feucht. So üppig der Pflanzenwuchs unter den Tropen erſcheint, ſo iſt doch die Zahl der in die Erde drin - genden Wurzeln auf einem nicht angebauten Boden geringer, während auf dem mit Indigo, Zuckerrohr oder Maniok an - gepflanzten Lande die Gewächſe weit dichter bei einander ſtehen. Die Bäume und Gebüſche mit ihrer Fülle von Zweigen und Laub ziehen ihre Nahrung zum großen Teil aus der um - gebenden Luft, und die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens nimmt zu durch die Zerſetzung des vegetabiliſchen Stoffes, der ſich fortwährend auf demſelben aufhäuft. Ganz anders bei den mit Indigo oder anderen krautartigen Gewächſen be - pflanzten Feldern. Die Sonnenſtrahlen fallen frei auf den229 Boden und zerſtören durch die raſche Verbrennung der Kohlen - waſſerſtoff - und anderen oxydierbaren Verbindungen die Keime der Fruchtbarkeit. Dieſe Wirkungen fallen den Koloniſten deſto mehr auf, da ſie in einem noch nicht lange bewohnten Lande die Fruchtbarkeit eines ſeit Jahrtauſenden unberührten Bodens mit dem Ertrag der bebauten Felder vergleichen können. In Bezug auf den Ertrag des Ackerbaues ſind gegenwärtig die ſpaniſchen Kolonieen auf dem Feſtland und die großen Inſeln Portorico und Cuba gegen die Kleinen Antillen be - deutend im Vorteil. Erſtere haben vermöge ihrer Größe, der mannigfaltigen Bodenbildung und der verhältnismäßig geringen Bevölkerung noch ganz den Typus eines unberührten Bodens, während man auf Barbados, Tabago, Santa Lucia, auf den Jungfraueninſeln und im franzöſiſchen Anteil von San Do - mingo nachgerade ſpürt, daß lange fortgeſetzter Anbau den Boden erſchöpft. Wenn man in den Thälern von Aragua die Indigofelder, ſtatt ſie aufzugeben und brach liegen zu laſſen, nicht mit Getreide, ſondern mit anderen nährenden und Futterkräutern anpflanzte, wenn man dazu vorzugsweiſe Ge - wächſe aus verſchiedenen Familien nähme, und ſolche, die mit ihren breiten Blättern den Boden beſchatten, ſo würden all - mählich die Felder verbeſſert und ihnen ihre frühere Frucht - barkeit zum Teil wieder gegeben werden.

Die Stadt Nueva Valencia nimmt einen anſehnlichen Flächenraum ein; aber die Bevölkerung iſt kaum 6000 bis 7000 Seelen ſtark. Die Straßen ſind ſehr breit, der Markt (plaza mayor) iſt übermäßig groß, und da die Häuſer ſehr niedrig ſind, iſt das Mißverhältnis zwiſchen der Bevölkerung und der Ausdehnung der Stadt noch auffallender als in Ca - racas. Viele Weiße von europäiſcher Abſtammung, beſonders die ärmſten, ziehen aus ihren Häuſern und leben den größten Teil des Jahres auf ihren kleinen Indigo - oder Baumwollen - pflanzungen. Dort wagen ſie es, mit eigenen Händen zu arbeiten, während ihnen dies, nach dem im Lande herrſchen - den eingewurzelten Vorurteil, in der Stadt zur Schande ge - reichte. Der Gewerbefleiß fängt im allgemeinen an ſich zu regen, und der Baumwollenbau hat bedeutend zugenommen, ſeit dem Handel von Porto Cabello neue Freiheiten erteilt worden ſind und dieſer Hafen als Haupthafen, als puerto mayor, den unmittelbar aus dem Mutterlande kommenden Schiffen offen ſteht.

Nueva Valencia wurde im Jahre 1555 unter Villacindas230 Statthalterſchaft von Alonzo Diaz Moreno gegründet, und iſt alſo zwölf Jahre älter als Caracas. Wir haben ſchon früher bemerkt, daß in Venezuela die ſpaniſche Bevölkerung von Weſt nach Oſt vorgerückt iſt. Valencia war anfangs nur eine zu Burburata gehörige Gemeinde, aber letztere Stadt iſt jetzt nur noch ein Platz, wo Maultiere eingeſchifft werden. Man bedauert, und vielleicht mit Recht, daß Valencia nicht die Hauptſtadt des Landes geworden iſt. Ihre Lage auf einer Ebene, am Ufer des Sees würde an die von Mexiko erinnern. Wenn man bedenkt, wie bequem man durch die Thäler von Aragua in die Lanos und an die Nebenflüſſe des Orinoko gelangt, wenn man ſich überzeugt, daß ſich durch den Rio Pao und die Portugueſa eine Schiffahrtsverbindung im inneren Lande bis zur Mündung des Orinoko, zum Caſſiquiare und dem Amazonenſtrom herſtellen ließe, ſo ſieht man ein, daß die Hauptſtadt der ausgedehnten Provinzen von Venezuela in der Nähe des prächtigen Hafens von Porto Cabello, unter einem reinen, heiteren Himmel beſſer läge als bei der ſchlecht geſchützten Reede von Guayra in einem gemäßigten, aber das ganze Jahr nebeligen Thale. So nahe beim Königreich Neugranada, mitten inne zwiſchen den getreidereichen Ge - bieten von Victoria und Barqueſimeto hätte die Stadt Valencia gedeihen müſſen; ſie konnte aber nicht gegen Ca - racas aufkommen, das ihr zwei Jahrhunderte lang einen bedeutenden Teil der Einwohner entzogen hat. Die Man - tuanosfamilien lebten lieber in der Hauptſtadt als in einer Provinzialſtadt.

Wer nicht weiß, von welcher Unmaſſe von Ameiſen alle Länder in der heißen Zone heimgeſucht ſind, macht ſich keinen Begriff von den Zerſtörungen dieſer Inſekten und von den Bodenſenkungen, die von ihnen herrühren. Sie ſind im Boden, auf dem Valencia ſteht, in ſo ungeheurer Menge, daß die Gänge, die ſie graben, unterirdiſchen Kanälen gleichen, in der Regenzeit ſich mit Waſſer füllen und den Gebäuden ſehr ge - fährlich werden. Man hat hier nicht zu den ſonderbaren Mitteln gegriffen, die man zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf San Domingo anwendete, als Ameiſenſchwärme die ſchönen Ebenen von La Vega und die reichen Beſitzungen des Ordens des heil. Franziskus verheerten. Nachdem die Mönche ver - gebens die Ameiſenlarven verbrannt und es mit Räucherungen verſucht hatten, gaben ſie den Leuten den Rat, einen Heiligen herauszuloſen, der als Abagado contra las Hormigas dienen231 ſollte. Die Ehre ward dem heil. Saturnin zu teil, und als man das erſte Mal das Feſt des Heiligen beging, verſchwan - den die Ameiſen. Seit den Zeiten der Eroberung hat der Unglauben gewaltige Fortſchritte gemacht, und nur auf dem Rücken der Kordilleren fand ich eine kleine Kapelle, in der, der Inſchrift zufolge, für die Vernichtung der Termiten ge - gebetet werden ſollte.

Valencia hat einige geſchichtliche Erinnerungen aufzu - weiſen, ſie ſind aber, wie alles, was die Kolonieen betrifft, nicht ſehr alt und beziehen ſich entweder auf bürgerliche Zwiſte oder auf blutige Gefechte mit den Wilden. Lopez de Aguirre, deſſen Frevelthaten und Abenteuer eine der dramatiſchten Epiſoden in der Geſchichte der Eroberung bilden, zog im Jahre 1561 aus Peru über den Amazonenſtrom auf die Inſel Margarita und von dort über den Hafen von Burburata in die Thäler von Aragua. Als er in Valencia eingezogen, die ſtolz den Namen einer königlichen Stadt, Villa de el Rey, führt, verkündigte er die Unabhängigkeit des Landes und die Abſetzung Philipps II. Die Einwohner flüchteten ſich auf die Inſeln im See und nahmen zu größerer Sicher - heit alle Boote am Ufer mit. Infolge dieſer Kriegsliſt konnte Aguirre ſeine Grauſamkeiten nur an ſeinen eigenen Leuten verüben. In Valencia ſchrieb er den berüchtigten Brief an den König von Spanien, der ein entſetzlich wahres Bild von den Sitten des Kriegsvolkes im 16. Jahrhundert gibt. Der Tyrann (ſo heißt Aguirre beim Volke noch jetzt) prahlt unter - einander mit ſeinen Schandthaten und mit ſeiner Frömmigkeit; er erteilt dem Könige Ratſchläge hinſichtlich der Regierung der Kolonieen und der Einrichtung der Miſſionen. Mitten unter wilden Indianern, auf der Fahrt auf einem großen Süßwaſſermeer, wie er den Amazonenſtrom nennt, fühlt er große Beſorgnis ob der Ketzereien Martin Luthers und der wachſenden Macht der Abtrünnigen in Europa . Lopez de Aguirre wurde, nachdem die Seinigen von ihm abgefallen, in Barqueſimeto erſchlagen. Als es mit ihm zu Ende ging, ſtieß er ſeiner einzigen Tochter den Dolch in die Bruſt, um ihr die Schande zu erſparen, bei den Spaniern die Tochter eines Ver - räters zu heißen . Die Seele des Tyrannen ſo glauben die Eingeborenen geht in den Savannen um in Geſtalt einer Flamme, die entweicht, wenn ein Menſch auf ſie zugeht.

Das zweite geſchichtliche Ereignis, das ſich an Valencia knüpft, iſt der Einfall der Kariben vom Orinoko her in den232 Jahren 1578 und 1580. Dieſe Horde von Menſchenfreſſern zog am Guarico herauf und über die Llanos herüber. Sie wurde vom tapferen Garci-Gonzalez, einem der Kapitäne, deren Namen noch jetzt in dieſen Provinzen in hohen Ehren ſteht, glücklich zurückgeſchlagen. Mit Befriedigung denkt man daran, daß die Nachkommen derſelben Kariben jetzt als fried - liche Ackerbauer in den Miſſionen leben, und daß kein wilder Volksſtamm in Guyana es mehr wagt, über die Ebenen zwiſchen der Waldregion und dem angebauten Lande herüber - zukommen.

Die Küſtenkordillere iſt von mehreren Schluchten durch - ſchnitten, die durchgängig von Südoſt nach Nordweſt ſtreichen. Dies wiederholt ſich von der Quebrada de Tocume zwiſchen Petarez und Caracas bis Porto Cabello. Es iſt als wäre allerorten der Stoß von Südoſt gekommen, und die Erſchei - nung iſt um ſo auffallender, da die Gneis - und Glimmer - ſchieferſchichten in der Küſtenkordillere meiſt von Südweſt nach Nordoſt ſtreichen. Die meiſten dieſer Schluchten ſchneiden in den Südabhang der Berge ein, gehen aber nicht ganz durch; nur im Meridian von Nueva Valencia befindet ſich eine Oeff - nung (Abra), durch die man zur Küſte hinuntergelangt und durch die jeden Abend ein ſehr erfriſchender Seewind in die Thäler von Aragua heraufkommt. Der Wind ſtellt ſich regel - mäßig zwei bis drei Stunden nach Sonnenuntergang ein.

Durch dieſe Abra, über den Hof Barbula und durch einen öſtlichen Zweig der Schlucht baut man eine neue Straße von Valencia nach Porto Cabello. Sie wird ſo kurz, daß man nur vier Stunden in den Hafen braucht und man in einem Tage vom Hafen in die Thäler von Aragua und wieder zurück kann. Um dieſen Weg kennen zu lernen, gingen wir am 26. Februar abends nach dem Hofe Barbula in Geſellſchaft der Eigentümer, der liebenswürdigen Familie Arambary.

Am 27. morgens beſuchten wir die heißen Quellen bei der Trinchera, 13 km von Valencia. Die Schlucht iſt ſehr breit und es geht vom Ufer des Sees bis zur Küſte faſt be - ſtändig abwärts. Trinchera heißt der Ort nach den kleinen Erdwerken, welche franzöſiſche Flibuſtiere angelegt, als ſie im Jahre 1677 die Stadt Valencia plünderten. Die heißen Quellen, und dies iſt geologiſch nicht unintereſſant, entſpringen nicht ſüdlich von den Bergen, wie die von Mariara, Onoto und am Brigantin, ſie kommen vielmehr in der Bergkette233 ſelbſt, faſt am Nordabhange, zu Tage. Sie ſind weit ſtärker als alle, die wir bisher geſehen, und bilden einen Bach, der in der trockenſten Jahreszeit 60 cm tief und 5,4 m breit iſt. Die Temperatur des Waſſers war, ſehr genau gemeſſen, 90,3°. Nach den Quellen von Urijino in Japan, die reines Waſſer ſein und eine Temperatur von 100° haben ſollen, ſcheint das Waſſer von La Trinchera de Porto Cabello das heißeſte, das man überhaupt kennt. Wir frühſtückten bei der Quelle. Eier waren im heißen Waſſer in weniger als vier Minuten gar. Das ſtark ſchwefelwaſſerſtoffhaltige Waſſer entſpringt auf dem Gipfel eines Hügels, der ſich 48 m über die Sohle der Schlucht erhebt und von Süd-Süd-Oſt nach Nord-Nord-Weſt ſtreicht. Das Geſtein, aus dem die Quelle kommt, iſt ein echter grob - körniger Granit, ähnlich dem der Teufelsmauer in den Bergen von Mariara. Ueberall wo das Waſſer an der Luft ver - dunſtet, bildet es Niederſchläge und Inkruſtationen von kohlen - ſaurem Kalk. Es geht vielleicht durch Schichten von Urkalk, der im Glimmerſchiefer und Gneis an der Küſte von Caracas ſo häufig vorkommt. Die Ueppigkeit der Vegetation um das Becken überraſchte uns. Mimoſen mit zartem, gefiedertem Laube, Kluſien und Feigenbäume haben ihre Wurzeln in den Boden eines Waſſerſtückes getrieben, deſſen Temperatur 85° betrug. Ihre Aeſte ſtehen nur 5 bis 7 cm über dem Waſſer - ſpiegel. Obgleich das Laub der Mimoſen beſtändig vom heißen Waſſerdampfe befeuchtet wird, iſt es doch ſehr ſchön grün. Ein Arum mit holzigem Stengel und pfeilförmigen Blättern wuchs ſogar mitten in einer Lache von 70° Temperatur. Die - ſelben Pflanzenarten kommen anderswo in dieſem Gebirge an Bächen vor, in denen der Thermometer nicht auf 18° ſteigt. Noch mehr, 13 m von der Stelle, wo die 90° heißen Quellen entſpringen, finden ſich auch ganz kalte. Beide Gewäſſer laufen eine Strecke weit nebeneinander fort, und die Ein - geborenen zeigten uns, wie man ſich, wenn man zwiſchen beiden Bächen ein Loch in den Boden gräbt, ein Bad von beliebiger Temperatur verſchaffen kann. Es iſt auffallend, wie in den heißeſten und in den kälteſten Erdſtrichen der ge - meine Mann gleich ſehr die Wärme liebt. Bei der Einführung des Chriſtentums in Island wollte ſich das Volk nur in den warmen Quellen am Hekla taufen laſſen, und in der heißen Zone, im Tieflande und auf den Kordilleren, laufen die Ein - geborenen von allen Seiten den warmen Quellen zu. Die Kranken, die nach Trinchera kommen, um Dampfbäder zu234 brauchen, errichten über der Quelle eine Art Gitterwerk aus Baumzweigen und ganz dünnem Rohr. Sie legen ſich nackt auf dieſes Gitter, das, wie mir ſchien, nichts weniger als feſt und nicht ohne Gefahr zu beſteigen iſt. Der Rio de Aguas calientes läuft nach Nordoſt und wird in der Nähe der Küſte zu einem ziemlich anſehnlichen Fluſſe, in dem große Krokodile leben, und der durch ſein Austreten den Uferſtrich ungeſund machen hilft.

Wir gingen immer rechts am warmen Waſſer nach Porto Cabello hinunter. Der Weg iſt ungemein maleriſch. Das Waſſer ſtürzt über die Felsbänke nieder, und es iſt als hätte man die Fälle der Reuß vom Gotthard herab vor ſich; aber welch ein Kontraſt, was die Kraft und Ueppigkeit des Pflanzen - wuchſes betrifft! Zwiſchen blühenden Geſträuchen aus Big - nonien und Melaſtomen erheben ſich majeſtätiſch die weißen Stämme der Cecropia. Sie gehen erſt aus, wenn man nur noch in 195 m Meereshöhe iſt. Bis hierher reicht auch eine kleine ſtachelige Palme, deren zarte, gefiederte Blätter an den Rändern wie gekräuſelt erſcheinen. Sie iſt in dieſem Gebirge ſehr häufig; da wir aber weder Blüte noch Frucht geſehen haben, wiſſen wir nicht, ob es die Piritupalme der Ka - riben oder Jacquins Cocos aculeata iſt.

Je näher wir der Küſte kamen, deſto drückender wurde die Hitze. Ein rötlicher Dunſt umzog den Horizont; die Sonne war am Untergehen, aber der Seewind wehte noch nicht. Wir ruhten in den einzeln ſtehenden Höfen aus, die unter dem Namen Cambury und Haus des Kanariers (Casa del Islengo) bekannt ſind. Der Rio de Aguas ca - lientes, an dem wir hinzogen, wurde immer tiefer. Am Ufer lag ein totes Krokodil; es war über 3 m lang. Wir hätten gerne ſeine Zähne und ſeine Mundhöhle unterſucht, aber es lag ſchon mehrere Wochen in der Sonne und ſtank ſo furcht - bar, daß wir dieſes Vorhaben aufgeben und wieder zu Pferde ſteigen mußten. Iſt man im Niveau des Meeres angelangt, ſo wendet ſich der Weg oſtwärts und läuft über einen dürren 7 km breiten Strand, ähnlich dem bei Cumana. Man ſieht hin und wieder eine Fackeldiſtel, ein Seſuvium, ein paar Stämme Coccoloba uvifera, und längs der Küſte wachſen Avicennien und Wurzelträger. Wir wateten durch den Guay - guazo und den Rio Eſtevan, die, da ſie ſehr oft austreten, große Lachen ſtehenden Waſſers bilden. Auf dieſer weiten Ebene erheben ſich wie Klippen kleine Felſen aus Mäandriten,235 Madreporiten und anderen Korallen. Man könnte in den - ſelben einen Beweis ſehen, daß ſich die See noch nicht ſehr lange von hier zurückgezogen; aber dieſe Maſſen von Polypen - gehäuſen ſind nur Bruchſtücke, in eine Breccie mit kalkigem Bindemittel eingebacken. Ich ſage in eine Breccie, denn man darf die weißen friſchen Koralliten dieſer ſehr jungen Forma - tion an der Küſte nicht mit den Koralliten verwechſeln, die im Uebergangsgebirge, in der Grauwacke und im ſchwarzen Kalkſtein eingeſchloſſen vorkommen. Wir wunderten uns nicht wenig, daß wir an dieſem völlig unbewohnten Orte einen ſtarken, in voller Blüte ſtehenden Stamm der Parkinsonia aculeata antrafen. Nach unſeren botaniſchen Werken gehört der Baum der Neuen Welt an; aber in fünf Jahren haben wir ihn nur zweimal wild geſehen, hier auf der Ebene am Rio Guayguazo und in den Llanos von Cumana, 135 km von der Küſte, bei Villa del Pao. Letzterer Ort könnte noch dazu leicht ein alter Conuco oder eingehegtes Baufeld ſein. Sonſt überall auf dem Feſtlande von Amerika ſahen wir die Parkinſonia wie die Plumeria nur in den Gärten der In - dianer.

Ich kam zu rechter Zeit nach Porto Cabello, um einige Höhen des Canopus nahe am Meridian aufnehmen zu können; aber dieſe Beobachtungen, wie die am 28. Februar aufge - nommenen korreſpondierenden Sonnenhöhen, ſind nicht ſehr zuverläſſig. Ich bemerkte zu ſpät, daß ſich das Diopterlineal eines Troughtonſchen Sextanten ein wenig verſchoben hatte. Es war ein Doſenſextant von 5 cm Halbmeſſer, deſſen Ge - brauch übrigens den Reiſenden ſehr zu empfehlen iſt. Ich brauchte denſelben ſonſt meiſt nur zu geodätiſchen Aufnahmen im Kanoe auf Flüſſen. In Porto Cabello wie in Guayra ſtreitet man darüber, ob der Hafen oſtwärts oder weſtwärts von der Stadt liegt, mit der derſelbe den ſtärkſten Verkehr hat. Die Einwohner glauben, Porto Cabello liege Nord - Nord-Weſt von Nueva Valencia. Aus meinen Beobachtungen ergibt ſich allerdings für jenen Ort eine Länge von 3 bis 4 Minuten im Bogen weiter nach Weſt. Nach Fidalgo läge er oſtwärts.

Wir wurden im Hauſe eines franzöſiſchen Arztes, Juliac, der ſich in Montpellier tüchtig gebildet hatte, mit größter Zuvorkommenheit aufgenommen. In ſeinem kleinen Hauſe befanden ſich Sammlungen mancherlei Art, die aber alle den Reiſenden intereſſieren konnten: ſchönwiſſenſchaftliche und236 naturgeſchichtliche Bücher, meteorologiſche Notizen, Bälge von Jaguaren und großen Waſſerſchlangen, lebendige Tiere, Affen, Gürteltiere, Vögel. Unſer Hausherr war Oberwundarzt am königlichen Hoſpital in Porto Cabello und im Lande wegen ſeiner tiefeingehenden Beobachtungen über das gelbe Fieber vorteilhaft bekannt. Er hatte in ſieben Jahren 600 bis 800 von dieſer ſchrecklichen Krankheit Befallene in das Spital aufnehmen ſehen; er war Zeuge der Verheerungen, welche die Seuche im Jahre 1793 auf der Flotte des Admirals Arizti - zabal angerichtet. Die Flotte verlor faſt ein Dritteil ihrer Bemannung, weil die Matroſen faſt ſämtlich nicht akklimati - ſierte Europäer waren und frei mit dem Lande verkehrten. Juliac hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inſeln gebräuchlich iſt, die Kranken mit Blutlaſſen, gelinde abführen - den Mitteln und ſäuerlichen Getränken behandelt. Bei dieſem Verfahren denkt man nicht daran, die Kräfte durch Reizmittel zu heben; man will beruhigen und ſteigert nur die Schwäche und Entkräftung. In den Spitälern, wo die Kranken dicht beiſammen lagen, ſtarben damals von den weißen Kreolen 33 Prozent, von den friſch angekommenen Europäern 63 Prozent. Seit man das alte herabſtimmende Verfahren aufgegeben hatte und Reizmittel anwendete, Opium, Benzoe, weingeiſtige Ge - tränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend abgenommen. Man glaubte, ſie betrage nunmehr nur 20 Prozent bei Europäern und 10 Prozent bei Kreolen, ſelbſt dann, wenn ſich ſchwarzes Erbrechen und Blutungen aus der Naſe, den Ohren und dem Zahnfleiſch einſtellen und ſo die Krankheit in hohem Grade bösartig erſcheint. Ich berichte genau, was mir damals als allgemeines Ergebnis der Beobachtungen mitgeteilt wurde; man darf aber, denke ich, bei ſolchen Zahlenzuſammenſtellungen nicht vergeſſen, daß, trotz der ſcheinbaren Uebereinſtimmung, die Epidemieen mehrerer aufeinanderfolgenden Jahre voneinander abweichen, und daß man bei der Wahl zwiſchen ſtärkenden und herabſtimmenden Mitteln (wenn je ein abſoluter Unter - ſchied zwiſchen beiden beſteht) die verſchiedenen Stadien der Krankheit zu unterſcheiden hat.

Die Hitze iſt in Porto Cabello nicht ſo ſtark als in Guayra. Der Seewind iſt ſtärker, häufiger, regelmäßiger; auch lehnen ſich die Häuſer nicht an Felſen, die bei Tag die Sonnenſtrahlen abſorbieren und bei Nacht die Wärme wieder von ſich geben. Die Luft kann zwiſchen der Küſte und den Bergen von Ilaria freier zirkulieren. Der Grund der Un -237 geſundheit der Luft iſt im Strande zu ſuchen, der ſich weſt - wärts, ſo weit das Auge reicht, gegen die Punta de Tucacos beim ſchönen Hafen von Chichiribiche fortzieht. Dort befinden ſich die Salzwerke und dort herrſchen bei Eintritt der Regen - zeit die dreitägigen Wechſelfieber, die leicht in ataktiſche Fieber übergehen. Man hat die intereſſante Bemerkung gemacht, daß die Meſtizen, die in den Salzwerken arbeiten, dunkelfarbiger ſind und eine gelbere Haut bekommen, wenn ſie mehrere Jahre hintereinander an dieſen Fiebern gelitten haben, welche die Küſtenkrankheit heißen. Die Bewohner dieſes Strandes, arme Fiſcher, behaupten, nicht daher, daß das Seewaſſer das Land überſchwemme und wieder abfließe, ſei der mit Wurzel - trägern bewachſene Boden ſo ungeſund, das Verderbnis der Luft rühre vielmehr vom ſüßen Waſſer her, von den Ueber - ſchwemmungen des Rio Guayguazo und des Rio Eſtevan, die in den Monaten Oktober und November ſo plötzlich und ſo ſtark austreten. Die Ufer des Rio Eſtevan ſind bewohnbarer geworden, ſeit man daſelbſt kleine Mais - und Piſangpflan - zungen angelegt und durch Erhöhung und Befeſtigung des Bodens dem Fluß ein engeres Bett angewieſen hat. Man geht damit um, dem Eſtevan eine andere Mündung zu graben und dadurch die Umgegend von Porto Cabello geſunder zu machen. Ein Kanal ſoll das Waſſer an den Küſtenſtrich leiten, der der Inſel Guayguaza gegenüberliegt.

Die Salzwerke von Porto Cabello gleichen ſo ziemlich denen auf der Halbinſel Araya bei Cumana. Indeſſen iſt die Erde, die man auslaugt, indem man das Regenwaſſer in kleinen Becken ſammelt, nicht ſo ſalzhaltig. Man fragt hier wie in Cumana, ob der Boden mit Salzteilchen geſchwängert ſei, weil er ſeit Jahrhunderten zeitweiſe unter Meerwaſſer geſtanden, das an der Sonne verdunſtet, oder ob das Salz im Boden enthalten ſei wie in einem ſehr armen Steinſalz - werk. Ich hatte nicht Zeit, den Strand hier ſo genau zu unterſuchen wie die Halbinſel Araya; läuft übrigens der Streit nicht auf die höchſt einfache Frage hinaus, ob das Salz von neuen oder aber von uralten Ueberſchwemmungen herrührt? Da die Arbeit in den Salzwerken von Porto Cabello ſehr ungeſund iſt, geben ſich nur die ärmſten Leute dazu her. Sie bringen das Salz an Ort und Stelle in kleine Magazine und verkaufen es dann in den Niederlagen der Stadt.

Während unſeres Aufenthaltes in Porto Cabello lief die Strömung an der Küſte, die ſonſt gewöhnlich nach Weſt geht,238 von Weſt nach Oſt. Dieſe Strömung nach oben (corriente por arriba), von der bereits die Rede war, kommt zwei bis drei Monate im Jahr, vom September bis November, häufig vor. Man glaubt, ſie trete ein, wenn zwiſchen Jamaika und dem Kap San Antonio auf Cuba Nordweſtwinde geweht haben.

Die militäriſche Verteidigung der Küſten von Terra Firma ſtützt ſich auf ſechs Punkte, das Schloß San Antonio bei Cu - mana, den Morro bei Nueva Barcelona, die Werke (mit 134 Geſchützen) bei Guayra, Porto Cabello, das Fort San Carlos an der Ausmündung des Sees Maracaybo und Cartagena. Nach Cartagena iſt Porto Cabello der wichtigſte feſte Platz; die Stadt iſt ganz neu und der Hafen einer der ſchönſten in beiden Welten. Die Lage iſt ſo günſtig, daß die Kunſt faſt nichts hinzuzuthun hatte. Eine Erdzunge läuft anfangs gegen Nord und dann nach Weſt. Die weſtliche Spitze derſelben liegt einer Reihe von Inſeln gegenüber, die durch Brücken verbunden und ſo nahe bei einander ſind, daß man ſie für eine zweite Landzunge halten kann. Dieſe Inſeln beſtehen ſämtlich aus Kalkbreccien von ſehr neuer Bildung, ähnlich der an der Küſte von Cumana und am Schloß Araya. Es iſt ein Konglomerat von Madreporen und anderen Korallenbruch - ſtücken, die durch ein kalkiges Bindemittel und Sandkörner verkittet ſind. Wir hatten dasſelbe Konglomerat bereits am Rio Guayguazo geſehen. Infolge der eigentümlichen Bildung des Landes ſtellt ſich der Hafen als ein Becken oder als eine innere Lagune dar, an deren ſüdlichem Ende eine Menge mit Manglebäumen bewachſener Eilande liegen. Daß der Hafen - eingang gegen Weſt liegt, trägt viel zur Ruhe des Waſſers bei. Es kann nur ein Fahrzeug auf einmal einlaufen, aber die größten Linienſchiffe können dicht am Lande ankern, um Waſſer einzunehmen. Die einzige Gefahr beim Einlaufen bieten die Riffe bei Punta Brava, denen gegenüber eine Bat - terie von acht Geſchützen ſteht. Gegen Weſt und Südweſt erblickt man das Fort, ein regelmäßiges Fünfeck mit fünf Ba - ſtionen, die Batterie beim Riff und die Werke um die alte Stadt, welche auf einer Inſel liegt, die ein verſchobenes Viereck bildet. Ueber eine Brücke und das befeſtigte Thor der Eſta - cada gelangt man aus der alten Stadt in die neue, welche bereits größer iſt als jene, aber dennoch nur als Vorſtadt gilt. Zuhinterſt läuft das Hafenbecken oder die Lagune um dieſe Vorſtadt herum gegen Südweſt, und hier iſt der Boden ſumpfig,239 voll ſtehenden, ſtinkenden Waſſers. Die Stadt hat gegen - wärtig gegen 9000 Einwohner. Sie verdankt ihre Entſtehung dem Schleichhandel, der ſich hier einniſtete, weil die im Jahre 1549 gegründete Stadt Burburata in der Nähe lag. Erſt unter dem Regiment der Biscayer und der Compagnie von Guipuzcoa wurde Porto Cabello, das bis dahin ein Weiler geweſen, eine wohlbefeſtigte Stadt. Von Guayra, das nicht ſowohl ein Hafen als eine ſchlechte offene Reede iſt, bringt man die Schiffe nach Porto Cabello, um ſie ausbeſſern und kalfatern zu laſſen.

Der Hafen wird vorzugsweiſe durch die tiefgelegenen Batterieen auf der Landzunge Punta Brava und auf dem Riff verteidigt, und dieſe Wahrheit wurde verkannt, als man auf den Bergen, welche die Vorſtadt gegen Süd beherrſchen, mit großen Koſten ein neues Fort, den Mirador (Belvedere) de Solano baute. Dieſes Werk, eine Viertelſtunde vom Hafen, liegt 130 bis 160 m über dem Meere. Die Baukoſten be - trugen jährlich und viele Jahre lang 20000 bis 30000 Piaſter. Der Generalkapitän von Caracas, Guevara Vasconzelos, war mit den beſten ſpaniſchen Ingenieuren der Anſicht, der Mirador, auf dem zu meiner Zeit erſt 16 Geſchütze ſtanden, ſei für die Verteidigung des Platzes nur von geringer Bedeutung und ließ den Bau einſtellen. Eine lange Erfahrung hat bewieſen, daß ſehr hochgelegene Batterieen, wenn auch ſehr ſchwere Stücke darin ſtehen, die Reede lange nicht ſo wirkſam beſtreichen, als tief am Strande oder auf Dämmen halb im Waſſer liegende Batterieen mit Geſchützen von geringerem Kaliber. Wir fan - den den Platz Porto Cabello in einem keineswegs befriedigen - den Verteidigungszuſtand. Die Werke am Hafen und der Stadtwall mit etwa 60 Geſchützen erfordern eine Beſatzung von 1800 bis 2000 Mann, und es waren nicht 600 da. Es war auch eine königliche Fregatte, die an der Einfahrt des Hafens vor Anker lag, bei Nacht von den Kanonierſchaluppen eines engliſchen Kriegsſchiffes angegriffen und weggenommen worden. Die Blockade begünſtigte vielmehr den Schleichhandel, als daß ſie ihn hinderte, und man ſah deutlich, daß in Porto Cabello die Bevölkerung in der Zunahme, der Gewerbefleiß im Aufſchwung begriffen waren. Am ſtärkſten iſt der geſetz - widrige Verkehr mit den Inſeln Curaçao und Jamaika. Man führt über 10000 Maultiere jährlich aus. Es iſt nicht un - intereſſant, die Tiere einſchiffen zu ſehen. Man wirft ſie mit der Schlinge nieder und zieht ſie an Bord mittels einer Vor -240 richtung gleich einem Krahn. Auf dem Schiffe ſtehen ſie in zwei Reihen und können ſich beim Schlingern und Stampfen kaum auf den Beinen halten. Um ſie zu ſchrecken und füg - ſamer zu machen, wird faſt fortwährend Tag und Nacht die Trommel gerührt. Man kann ſich denken, wie ſanft ein Paſ - ſagier ruht, der den Mut hat, ſich auf einer ſolchen mit Maul - tieren beladenen Goelette nach Jamaika einzuſchiffen.

Wir verließen Porto Cabello am 1. März mit Sonnen - aufgang. Mit Verwunderung ſahen wir die Maſſe von Kähnen, welche Früchte zu Markte brachten. Es mahnte mich an einen ſchönen Morgen in Venedig. Vom Meere aus geſehen, liegt die Stadt im ganzen freundlich und angenehm da. Dicht be - wachſene Berge, über denen Gipfel aufſteigen, die man nach ihren Umriſſen der Trappformation zuſchreiben könnte, bilden den Hintergrund der Landſchaft. In der Nähe der Küſte iſt alles nackt, weiß, ſtark beleuchtet, die Bergwand dagegen mit dicht belaubten Bäumen bedeckt, die ihre gewaltigen Schatten über braunes ſteiniges Erdreich werfen. Vor der Stadt be - ſahen wir die eben fertig gewordene Waſſerleitung. Sie iſt 4180 m lang und führt in einer Rinne das Waſſer des Rio Eſtevan in die Stadt. Dieſes Werk hat 30000 Piaſter ge - koſtet, das Waſſer ſpringt aber auch in allen Straßen.

Wir gingen von Porto Cabello in die Thäler von Aragua zurück und hielten wieder auf der Pflanzung von Barbula an, über welche die neue Straße nach Valencia geführt wird. Wir hatten ſchon ſeit mehreren Wochen von einem Baume ſprechen hören, deſſen Saft eine nährende Milch iſt. Man nennt ihn den Kuhbaum, und man verſicherte uns, die Neger auf dem Hofe trinken viel von dieſer vegetabiliſchen Milch und halten ſie für ein geſundes Nahrungsmittel. Da alle milchigen Pflanzenſäfte ſcharf, bitter und mehr oder weniger giftig ſind, ſo ſchien uns dieſe Behauptung ſehr ſonder - bar; aber die Erfahrung lehrte uns während unſeres Aufent - haltes in Barbula, daß, was man uns von den Eigenſchaften des Palo de Vaca erzählt hatte, nicht übertrieben war. Der ſchöne Baum hat den Habitus des Chrysophyllum Cainito oder Sternapfelbaumes; die länglichen, zugeſpitzten, lederartigen, abwechſelnden Blätter haben unten vorſpringende, parallele Seitenrippen und werden 26 cm lang. Die Blüte bekamen wir nicht zu ſehen; die Frucht hat wenig Fleiſch und enthält eine, bisweilen zwei Nüſſe. Macht man Einſchnitte in den Stamm des Kuhbaumes, ſo fließt ſehr reichlich eine klebrige241 ziemlich dicke Milch aus, die durchaus nichts Scharfes hat und ſehr angenehm wie Balſam riecht. Man reichte uns welche in den Früchten des Tutumo oder Flaſchenbaumes. Wir tranken abends vor Schlafengehen und frühmorgens viel davon, ohne irgend eine nachteilige Wirkung. Nur die Klebrigkeit macht dieſe Milch etwas unangenehm. Die Neger und die Freien, die auf den Pflanzungen arbeiten, tunken ſie mit Mais - und Maniokbrot, Arepa und Caſſave aus. Der Verwalter des Hofes verſicherte uns, die Neger legen in der Zeit, wo der Palo de Vaca ihnen am meiſten Milch gibt, ſichtbar zu. Bei freiem Zutritt der Luft zieht der Saft an der Oberfläche, vielleicht durch Abſorption des Sauerſtoffes der Luft, Häute einer ſtark animaliſierten, gelblichen, faſerigen, dem Käſeſtoff ähnlichen Subſtanz. Nimmt man dieſe Häute von der übrigen wäſſerigen Flüſſigkeit ab, ſo zeigen ſie ſich elaſtiſch wie Kautſchuk, in der Folge aber faulen ſie unter denſelben Erſcheinungen wie die Gallerte. Das Volk nennt den Klumpen, der ſich an der Luft abſetzt, Käſe; der Klumpen wird nach fünf, ſechs Tagen ſauer, wie ich an den kleinen Stücken bemerkte, die ich nach Nueva Valencia mitgebracht. In einer verſchloſſenen Flaſche ſetzte ſich in der Milch etwas Gerinnſel zu Boden, und ſie wurde keineswegs übelriechend, ſondern behielt ihren Balſamgeruch. Mit kaltem Waſſer ver - miſcht, gerann der friſche Saft nur ſehr wenig, aber die klebri - gen Häute ſetzten ſich ab, ſobald ich denſelben mit Salpeter - ſäure in Berührung brachte. Wir ſchickten Fourcroy in Paris zwei Flaſchen dieſer Milch. In der einen war ſie im natür - lichen Zuſtande, in der anderen mit einer gewiſſen Menge kohlenſauren Natrons verſetzt. Der franzöſiſche Konſul auf der Inſel St. Thomas übernahm die Beförderung.

Dieſer merkwürdige Baum ſcheint der Küſtenkordillere, beſonders von Barbula bis zum See Maracaybo, eigentümlich. Beim Dorfe San Mateo und nach Bredemeyer, deſſen Reiſen die ſchönen Gewächshäuſer von Schönbrunn und Wien ſo ſehr bereichert haben, im Thale von Caucagua, 13,5 km von Ca - racas, ſtehen auch einige Stämme. Dieſer Naturforſcher fand, wie wir, die vegetabiliſche Milch des Palo de Vaca angenehm von Geſchmack und von aromatiſchem Geruch. In Caucagua nennen die Eingeborenen den Baum, der den nährenden Saft gibt, Milchbaum, Arbol de leche. Sie wollen an der Dicke und Farbe des Laubes die Bäume erkennen, die am meiſten Saft geben, wie der Hirte nach äußeren MerkmalenA. v. Humboldt, Reiſe. II. 16242eine gute Milchkuh herausfindet. Kein Botaniker kannte bis jetzt dieſes Gewächs, deſſen Fruktifikationsorgane man ſich leicht wird verſchaffen können. Nach Kunth ſcheint der Baum zu der Familie der Sapoteen zu gehören. Erſt lange nach meiner Rückkehr nach Europa fand ich in des Holländers Laet Beſchreibung von Weſtindien eine Stelle, die ſich auf den Kuhbaum zu beziehen ſcheint. In der Provinz Cumana, ſagt Laet, gibt es Bäume, deren Saft geronnener Milch gleicht und ein geſundes Nahrungsmittel abgibt.

Ich geſtehe, von den vielen merkwürdigen Erſcheinungen, die mir im Verlaufe meiner Reiſe zu Geſicht gekommen, haben wenige auf meine Einbildungskraft einen ſtärkeren Eindruck gemacht als der Anblick des Kuhbaumes. Alles, was ſich auf die Milch oder auf die Getreidearten bezieht, hat ein Intereſſe für uns, das ſich nicht auf die phyſikaliſche Kenntnis der Gegenſtände beſchränkt, ſondern einem anderen Kreiſe von Vorſtellungen und Empfindungen angehört. Wir vermögen uns kaum vorzuſtellen, wie das Menſchengeſchlecht beſtehen könnte ohne mehlige Stoffe, ohne den nährenden Saft in der Mutterbruſt, der auf den langen Schwächezuſtand des Kindes berechnet iſt. Das Stärkemehl des Getreides, das bei ſo vielen alten und neueren Völkern ein Gegenſtand reli - giöſer Verehrung iſt, kommt in den Samen und den Wurzeln der Gewächſe vor; die nährende Milch dagegen erſcheint uns als ein ausſchließliches Produkt der tieriſchen Organiſation. Dieſen Eindruck erhalten wir von Kindheit auf, und daher denn auch das Erſtaunen, womit wir den eben beſchriebenen Baum betrachten. Was uns hier ſo gewaltig ergreift, ſind nicht prachtvolle Wälderſchatten, majeſtätiſch dahinziehende Ströme, von ewigem Eis ſtarrende Gebirge; ein paar Tropfen Pflanzenſaft führen uns die ganze Macht und Fülle der Natur vor das innere Auge. An der kahlen Felswand wächſt ein Baum mit trockenen, lederartigen Blättern; ſeine dicken hol - zigen Wurzeln dringen kaum in das Geſtein. Mehrere Monate im Jahre netzt kein Regen ſein Laub; die Zweige ſcheinen vertrocknet, abgeſtorben; bohrt man aber den Stamm an, ſo fließt eine ſüße, nahrhafte Milch heraus. Bei Sonnenaufgang ſtrömt die vegetabiliſche Quelle am reichlichſten; dann kommen von allen Seiten die Schwarzen und die Eingeborenen mit großen Näpfen herbei und fangen die Milch auf, die ſofort an der Oberfläche gelb und dick wird. Die einen trinken die Näpfe unter dem Baume ſelbſt aus, andere bringen ſie ihren243 Kindern. Es iſt, als ſähe man einen Hirten, der die Milch ſeiner Herde unter die Seinigen verteilt.

Ich habe den Eindruck geſchildert, den der Kuhbaum auf die Einbildungskraft des Reiſenden macht, wenn er ihn zum erſtenmal ſieht. Die wiſſenſchaftliche Unterſuchung zeigt, daß die phyſiſchen Eigenſchaften der tieriſchen und der vegetabi - liſchen Stoffe im engſten Zuſammenhange ſtehen; aber ſie benimmt dem Gegenſtande, der uns in Erſtaunen ſetzte, den Anſtrich des Wunderbaren, ſie entkleidet ihn wohl auch zum Teil ſeines Reizes. Nichts ſteht für ſich allein da; chemiſche Grundſtoffe, die, wie man glaubte, nur den Tieren zukommen, finden ſich in den Gewächſen gleichfalls. Ein gemeinſames Band umſchlingt die ganze organiſche Natur.

Lange bevor die Chemie im Blütenſtaube, im Eiweiß der Blätter und im weißlichen Anfluge unſerer Pflaumen und Trauben kleine Wachsteilchen entdeckte, verfertigten die Be - wohner der Anden von Quindiu Kerzen aus der dicken Wachs - ſchicht, welche den Stamm einer Palme überzieht. 1Ceroxylon andicola. Vor wenigen Jahren wurde in Europa das Caſeum, der Grund - ſtoff des Käſes, in der Mandelmilch entdeckt; aber ſeit Jahr - hunderten gilt in den Gebirgen an der Küſte von Venezuela die Milch eines Baumes und der Käſe, der ſich in dieſer vegetabiliſchen Milch abſondert, für ein geſundes Nahrungs - mittel. Woher rührt dieſer ſeltſame Gang in der Entwicke - lung unſerer Kenntniſſe? Wie konnte das Volk in der einen Halbkugel auf etwas kommen, was in der anderen dem Scharf - blick der Scheidekünſtler, die doch gewöhnt ſind, die Natur zu befragen und ſie auf ihrem geheimnisvollen Gange zu be - lauſchen, ſo lange entgangen iſt? Daher, daß einige wenige Elemente und verſchiedenartig zuſammengeſetzte Grundſtoffe in mehreren Pflanzenfamilien vorkommen; daher, daß die Gattungen und Arten dieſer natürlichen Familien nicht über die tropiſchen und die kalten und gemäßigten Himmelsſtriche gleich verteilt ſind; daher, daß Völker, die faſt ganz von Pflanzenſtoffen leben, vom Bedürfnis getrieben, mehlige näh - rende Stoffe überall finden, wo ſie nur die Natur im Pflan - zenſaft, in Rinden, Wurzeln oder Früchten niedergelegt hat. Das Stärkemehl, das ſich am reinſten in den Getreidekörnern findet, iſt in den Wurzeln der Arumarten, der Tacca pinna - tifida und der Jatropha Manihot mit einem ſcharfen, zu -244 weilen ſelbſt giftigen Safte verbunden. Der amerikaniſche Wilde wie der auf den Inſeln der Südſee hat das Satzmehl durch Auspreſſen und Trennen vom Safte ausſüßen gelernt. In der Pflanzenmilch und den milchigen Emulſionen ſind äußerſt nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käſeſtoff und Zucker mit Kautſchuk und ätzenden ſchädlichen Materien, wie Morphium und Blauſäure, verbunden. Dergleichen Miſchungen ſind nicht nur nach den Familien, ſondern ſogar bei den Arten derſelben Gattung verſchieden. Bald iſt es das Morphium oder der narkotiſche Grundſtoff, was der Pflanzenmilch ihre vorwiegende Eigenſchaft gibt, wie bei manchen Mohnarten, bald das Kautſchuk, wie bei der Hevea und Castilloa, bald Eiweiß und Käſeſtoff, wie beim Melonenbaum und Kuhbaum.

Die milchigen Gewächſe gehören vorzugsweiſe den drei Familien der Euphorbien, der Urticeen und der Apocyneen an, und da ein Blick auf die Verteilung der Pflanzenbildungen über den Erdball zeigt, daß dieſe drei Familien1Nach dieſen drei großen Familien kommen die Papaveraceae, Chicoraceae, Lobeliaceae, Campanulaceae, Sapoteae und Cucur - bitaceae. Die Blauſäure iſt der Gruppe der Rosaceae amygda - laceae eigentümlich. Bei den Monokotyledonen kommt ein Milchſaft vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die ſo ſüße und angenehme Emulſionen gibt, enthält ohne Zweifel Käſeſtoff. Was iſt die Milch der Pilze? in den Nie - derungen der Tropenländer durch die zahlreichſten Arten ver - treten ſind, ſo müſſen wir daraus ſchließen, daß eine ſehr hohe Temperatur zur Bildung von Kautſchuk, Eiweiß und Käſe - ſtoff beiträgt. Der Saft des Palo de Vaca iſt ohne Zweifel das auffallendſte Beiſpiel, daß nicht immer ein ſcharfer, ſchäd - licher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käſeſtoff und dem Kaut - ſchuk verbunden iſt; indeſſen kannte man in den Gattungen Euphorbia und Asklepias, die ſonſt durch ihre ätzenden Eigen - ſchaften bekannt ſind, Arten, die einen milden, unſchädlichen Saft haben. Hierher gehört der Tubayba dulce der Kana - riſchen Inſeln, von dem ſchon oben die Rede war,2Euphorbia balsamifera. und As - clepias lactifera auf Ceylon. Wie Burmann erzählt, bedient man ſich dort, in Ermangelung der Kuhmilch, der Milch der letztgenannten Pflanze und kocht mit den Blättern derſelben die Speiſen, die man ſonſt mit tieriſcher Milch zubereitet. Es iſt zu erwarten, daß ein Reiſender, dem die gründlichſten245 Kenntniſſe in der Chemie zu Gebote ſtehen, John Davy, bei ſeinem Aufenthalt auf Ceylon dieſen Punkt ins reine bringen wird; denn, wie De Candolle richtig bemerkt, es wäre möglich, daß die Eingeborenen nur den Saft der jungen Pflanze be - nutzten, ſolange der ſcharfe Stoff noch nicht entwickelt iſt. Wirklich werden in manchen Ländern die jungen Sproſſen der Apocyneen gegeſſen.

Ich habe mit dieſer Zuſammenſtellung den Verſuch ge - macht, die Milchſäfte der Gewächſe und der milchigen Emul - ſionen, welche die Früchte der Mandelarten und der Palmen geben, unter einen allgemeinen Geſichtspunkt zu bringen. Es möge mir geſtattet ſein, dieſen Betrachtungen die Ergebniſſe einiger Verſuche anzureihen, die ich während meines Aufent - haltes in den Thälern von Aragua mit dem Safte der Carica Papaya angeſtellt, obgleich es mir faſt ganz an Reagenzien fehlte. Derſelbe Saft iſt ſeitdem von Vauquelin unterſucht worden. Der berühmte Chemiker hat darin richtig das Ei - weiß und den käſeartigen Stoff erkannt; er vergleicht den Milchſaft mit einem ſtark animaliſierten Stoffe, mit dem tieri - ſchen Blut; es ſtand ihm aber nur gegorener Saft und ein übelriechendes Gerinnſel zu Gebote, das ſich auf der Ueber - fahrt von Isle de France nach Havre gebildet hatte. Er ſpricht den Wunſch aus, ein Reiſender möchte den Saft des Melonenbaumes friſch, wie er aus dem Stengel oder der Frucht fließt, unterſuchen können.

Je jünger die Frucht des Melonenbaumes iſt, deſto mehr Milch gibt ſie; man findet ſie bereits im kaum befruchteten Keime. Je reifer die Frucht wird, deſto mehr nimmt die Milch ab und deſto wäſſeriger wird ſie; man findet dann weniger vom tieriſchen Stoff darin, der durch Säuren und durch Ab - ſorption des Sauerſtoffes der Luft gerinnt. Da die ganze Frucht klebrig1Dieſe Klebrigkeit bemerkt man auch an der friſchen Milch des Kuhbaumes. Sie rührt ohne Zweifel daher, daß das Kaut - ſchuk ſich noch nicht abgeſetzt hat und eine Maſſe mit dem Eiweiß und dem Käſeſtoff bildet, wie in der tieriſchen Milch die Butter und der Käſeſtoff. Der Saft eines Gewächſes aus der Familie der Euphorbien, des Sapium aucuparia, der auch Kautſchuk ent - hält, iſt ſo klebrig, daß man Papageien damit fängt. iſt, ſo könnte man annehmen, je mehr ſie wachſe, deſto mehr lagere ſich der gerinnbare Stoff in den Organen ab und bilde zum Teil das Mark oder die fleiſchige246 Subſtanz. Tröpfelt man mit vier Teilen Waſſer verdünnte Salpeterſäure in die ausgepreßte Milch einer ganz jungen Frucht, ſo zeigt ſich eine höchſt merkwürdige Erſcheinung. In der Mitte eines jeden Tropfens bildet ſich ein gallertartiges, grau geſtreiftes Häutchen. Dieſe Streifen ſind nichts anderes als der Stoff, der wäſſeriger geworden, weil die Säure ihm den Eiweißſtoff entzogen hat. Zu gleicher Zeit werden die Häutchen in der Mitte undurchſichtig und eigelb. Sie ver - größern ſich, indem divergierende Faſern ſich zu verlängern ſcheinen. Die Flüſſigkeit ſieht anfangs aus wie ein Achat mit milchigen Wolken, und man meint, organiſche Häute unter ſeinen Augen ſich bilden zu ſehen. Wenn ſich das Gerinnſel über die ganze Maſſe verbreitet, verſchwinden die gelben Flecke wieder. Rührt man ſie um, ſo wird ſie krümelig wie weicher Käſe. Die gelbe Farbe erſcheint wieder, wenn man ein paar Tropfen Salpeterſäure zuſetzt. Die Säure wirkt hier wie die Berührung des Sauerſtoffes der Luft bei 27 bis 35°; denn das weiße Gerinnſel wird in ein paar Minuten gelb, wenn man es der Sonne ausſetzt. Nach einigen Stunden geht das Gelb in Braun über, ohne Zweifel, weil der Kohlenſtoff frei wird im Verhältnis, als der Waſſerſtoff, an den er gebunden war, verbrennt. Das durch die Säure gebildete Gerinnſel wird klebrig und nimmt den Wachsgeruch an, den ich gleich - falls bemerkte, als ich Muskelfleiſch und Pilze (Morcheln) mit Salpeterſäure behandelte. Nach Hatchetts ſchönen Ver - ſuchen kann man annehmen, daß das Eiweiß zum Teil in Gallerte übergeht. Wirft man das friſch bereitete Gerinnſel vom Melonenbaum in Waſſer, ſo wird es weich, löſt ſich teil - weiſe auf und färbt das Waſſer gelblich. Alsbald ſchlägt ſich eine zitternde Gallerte, ähnlich dem Stärkemehl, daraus nieder. Dies iſt beſonders auffallend, wenn das Waſſer, das man dazu nimmt, auf 40 bis 60° erwärmt iſt. Je mehr man Waſſer zugießt, deſto feſter wird die Gallerte. Sie bleibt lange weiß und wird nur gelb, wenn man etwas Salpeter - ſäure darauf tröpfelt. Nach dem Vorgange Fourcroys und Vauquelins bei ihren Verſuchen mit dem Safte der Hevea, ſetzte ich der Milch des Melonenbaumes eine Auflöſung von kohlenſaurem Natron bei. Es bildet ſich kein Klumpen, auch wenn man reines Waſſer dem Gemiſch von Milch und alka - liſcher Auflöſung zugießt. Die Häute kommen erſt zum Vor - ſchein, wenn man durch Zuſatz einer Säure das Alkali neu - traliſiert und die Säure im Ueberſchuß iſt. Ebenſo ſah ich247 das durch Salpeterſäure, Zitronenſaft oder heißes Waſſer ge - bildete Gerinnſel verſchwinden, wenn ich eine Löſung von kohlenſaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchig und flüſſig, wie er urſprünglich war. Dieſer Verſuch gelingt aber nur mit friſch gebildetem Gerinnſel.

Vergleicht man die Milchſäfte des Melonenbaumes, des Kuhbaumes und der Hevea, ſo zeigt ſich eine auffallende Achnlichkeit zwiſchen den Säften, die viel Käſeſtoff enthalten, und denen, in welchen das Kautſchuk vorherrſcht. Alles weiße, friſch bereitete Kautſchuk, ſowie die waſſerdichten Mäntel, die man im ſpaniſchen Amerika fabriziert und die aus einer Schicht des Milchſaftes der Hevea zwiſchen zwei Leinwandſtücken beſtehen, haben einen tieriſchen, ekligen Geruch, der darauf hinzuweiſen ſcheint, daß das Kautſchuk beim Gerinnen den Käſeſtoff an ſich reißt, der vielleicht nur ein modifizierter Ei - weißſtoff iſt.

Die Frucht des Brotfruchtbaumes iſt ſo wenig Brot als die Bananen vor ihrer Reife oder die ſtärkemehlreichen Wurzel - knollen der Dioscorea, des Convolvulus Batatas und der Kartoffel. Die Milch des Kuhbaumes dagegen enthält den Käſeſtoff gerade wie die Milch der Säugetiere. Aus allge - meinem Geſichtspunkte können wir mit Guy-Luſſac das Kaut - ſchuk als den öligen Teil, als die Butter der vegetabiliſchen Milch betrachten. Die beiden Grundſtoffe Eiweiß und Fett ſind in den Organen der verſchiedenen Tierarten und in den Pflanzen mit Milchſaft in verſchiedenen Verhältniſſen ent - halten. Bei letzteren ſind ſie meiſt mit anderen, beim Genuß ſchädlichen Stoffen verbunden, die ſich aber vielleicht auf chemiſchem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird nahrhaft, wenn keine ſcharfen, narkotiſchen Stoffe mehr darin ſind und ſtatt des Kautſchuks der Käſeſtoff darin überwiegt.

Iſt der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeß - lichen Segensfülle der Natur im heißen Erdſtrich, ſo mahnt er uns auch an die zahlreichen Quellen, aus denen unter dieſem herrlichen Himmel die träge Sorgloſigkeit des Men - ſchen fließt. Mungo Park hat uns mit dem Butterbaume in Bambarra bekannt gemacht, der, wie De Candolle vermutet, zu der Familie der Sapoteen gehört wie unſer Kuhbaum. Die Bananenbäume, die Sagobäume, die Mauritien am Ori - noko ſind Brotbäume ſo gut wie die Rima der Südſee. Die Früchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen; die Blumenſcheiden mancher Palmen und Baumrinden geben248 Kopfbedeckungen und Kleider ohne Naht. Die Knoten oder vielmehr die inneren Fächer im Stamme der Bambu geben Leitern und erleichtern auf tauſenderlei Art den Bau einer Hütte, die Herſtellung von Stühlen, Bettſtellen und anderem Geräte, das die wertvolle Habe des Wilden bildet. Bei einer üppigen Vegetation mit ſo unendlich mannigfaltigen Pro - dukten bedarf es dringender Beweggründe, ſoll der Menſch ſich der Arbeit ergeben, ſich aus ſeinem Halbſchlummer auf - rütteln, ſeine Geiſtesfähigkeiten entwickeln.

In Barbula baut man Kakao und Baumwolle. Wir fanden daſelbſt, eine Seltenheit in dieſem Lande, zwei große Maſchinen mit Cylindern zum Trennen der Baumwolle von den Samen; die eine wird von einem Waſſerrade, die andere durch einen Göpel und durch Maultiere getrieben. Der Ver - walter des Hofes, der dieſelben gebaut, war aus Merida. Er kannte den Weg von Nueva Valencia über Guanare und Miſagual nach Varinas, und von dort durch die Schlucht Callejones zum Paramo der Mucuchies und den mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgen von Merida. Seine Angaben, wie viel Zeit wir von Valencia über Varinas in die Sierra Ne - vada, und von da über den Hafen von Torunos und den Rio Santo Domingo nach San Fernando am Apure brauchen würden, wurden uns vom größten Nutzen. Man hat in Europa keinen Begriff davon, wie ſchwer es hält, genaue Er - kundigung in einem Lande einzuziehen, wo der Verkehr ſo gering iſt, und man die Entfernungen gern zu gering an - gibt oder übertreibt, je nachdem man den Reiſenden auf - muntern oder von ſeinem Vorhaben abbringen möchte. Bei der Abreiſe von Caracas hatte ich dem Intendanten der Provinz Gelder übergeben, die mir von den königlichen Schatz - beamten in Varinas ausbezahlt werden ſollten. Ich hatte beſchloſſen, das weſtliche Ende der Kordilleren von Neu - granada, wo ſie in die Paramos von Timotes und Niquitao auslaufen, zu beſuchen. Ich hörte nun in Barbula, bei dieſem Abſtecher würden wir 35 Tage ſpäter an den Orinoko ge - langen. Dieſe Verzögerung erſchien uns um ſo bedeutender, da man vermutete, die Regenzeit werde früher als gewöhn - lich eintreten. Wir durften hoffen, in der Folge ſehr viele mit ewigem Schnee bedeckte Gebirge in Quito, Peru und Mexiko beſuchen zu können, und es ſchien mir deſto geratener, den Ausflug in die Gebirge von Merida aufzugeben, da wir beſorgen mußten, dabei unſeren eigentlichen Reiſezweck zu ver -249 fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs - würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.

Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar - keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blaſen das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht, den Vorübergehenden ins Geſicht.

Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen. Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa - milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten, wo der Menſch ſo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen - ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen.

Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo -, des Baumwollen - und Zuckerbaues in der Provinz Caracas einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen, die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr - hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu 25 Piaſtern an, ſo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas 800000 Piaſter.

Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von250 Terra Firma nördlich vom Orinoko nirgends wild; erſt jen - ſeits der Fälle von Atures und Maypures trafen wir ihn nach und nach an. Beſonders häufig wächſt er an den Ufern des Ventuari und am oberen Orinoko zwiſchen dem Padamo und dem Gehette. Daß der Kakaobaum in Südamerika nord - wärts vom 6. Breitengrad ſo ſelten wild vorkommt, iſt für die Pflanzengeographie ſehr intereſſant und war bisher wenig bekannt. Die Erſcheinung iſt um ſo auffallender, da man nach dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Kakaopflanzungen in Cumana, Nueva Barcelona, Venezuela, Varinas und Mara - caybo über 16 Millionen Bäume in vollem Ertrag rechnet. Der wilde Kakaobaum hat ſehr viele Aeſte und ſein Laub iſt dicht und dunkel. Er trägt eine ſehr kleine Frucht, ähnlich der Spielart, welche die alten Mexikaner Tlalcacahuatl nannten. In die Conucos der Indianer am Caſſiquiare und Rio Negro verſetzt, behält der wilde Baum mehrere Genera - tionen die Kraft des vegetativen Lebens, die ihn vom vierten Jahre an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die Ernten erſt mit dem ſechſten, ſiebenten oder achten Jahre be - ginnen. Sie treten im Binnenlande ſpäter ein als an den Küſten und im Thale von Guapo. Wir fanden am Orinoko keinen Volksſtamm, der aus der Bohne des Kakaobaumes ein Getränk bereitete. Die Wilden ſaugen das Mark der Hülſe aus und werfen die Samen weg, daher man dieſelben oft in Menge auf ihren Lagerplätzen findet. Wenn auch an der Küſte der Chorote, ein ganz ſchwacher Kakaoaufguß, für ein uraltes Getränk gilt, ſo gibt es doch keinen geſchichtlichen Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der Ankunft der Spanier die Schokolade oder irgend eine Zuberei - tung des Kakao gekannt haben. Wahrſcheinlicher ſcheint mir, daß man in Caracas den Kakaobaum nach dem Vorbilde von Mexiko und Guatemala angebaut hat, und daß die in Terra Firma angeſiedelten Spanier die Behandlung des Baumes, der jung im Schatten der Erythrina und des Bananenbaumes auf - wächſt, die Bereitung der Schokoladetafeln und den Gebrauch des Getränkes dieſes Namens durch den Verkehr mit Mexiko, Guatemala und Nicaragua gelernt haben, drei Länder, deren Einwohner von toltekiſchem und aztekiſchem Stamme ſind.

Bis zum 16. Jahrhundert weichen die Reiſenden in ihren Urteilen über die Schokolade ſehr voneinander ab. Benzoni ſagt in ſeiner derben Sprache, es ſei ein Getränk vielmehr da porci, che da huomini . Der Jeſuit Acoſta verſichert,251 die Spanier in Amerika lieben die Schokolade mit närriſcher Leidenſchaft, man müſſe aber an das ſchwarze Gebräue ge - wöhnt ſein, wenn einem nicht ſchon beim Anblick des Schaumes, der wie die Hefe über einer gärenden Flüſſigkeit ſtehe, übel werden ſolle. Er bemerkt weiter: Der Kakao iſt ein Aber - glaube der Mexikaner, wie der Coca ein Aberglaube der Peru - aner. Dieſe Urteile erinnern an die Prophezeiung der Frau von Sevigné hinſichtlich des Gebrauches des Kaffees. Hernan Cortez und ſein Page, der gentilhombre del gran Con - quistador, deſſen Denkwürdigkeiten Ramuſio bekannt gemacht hat, rühmen dagegen die Schokolade nicht nur als ein ange - nehmes Getränk, ſelbſt wenn ſie kalt bereitet wird,1Der Pater Gili hat aus zwei Stellen bei Torquemada (Mo - narquia Indiana) bündig dargethan, daß die Mexikaner den Auf - guß kalt machten, und daß erſt die Spanier den Brauch einführten, die Kakaomaſſe im Waſſer zu ſieden. ſondern beſonders als nahrhaft. Wer eine Taſſe davon getrunken hat, ſagt der Page des Hernan Cortez, kann ohne weitere Nahrung eine ganze Tagereiſe machen, beſonders in ſehr heißen Ländern; denn die Schokolade iſt ihrem Weſen nach kalt und erfriſchend. Letztere Behauptung möchten wir nicht unter - ſchreiben; wir werden aber bei unſerer Fahrt auf dem Orinoko und bei unſeren Reiſen hoch an den Kordilleren hinauf bald Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenſchaften der Schokolade zu rühmen. Sie iſt gleich leicht mit ſich zu führen und als Nahrungsmittel zu verwenden und enthält in kleinem Raume viel nährenden und reizenden Stoff. Man ſagt mit Recht, in Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem Menſchen durch die Wüſten. In der Neuen Welt haben Schokolade und Maismehl ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure un - bewohnte Wälder zugänglich gemacht.

Die Kakaoernte iſt ungemein veränderlich. Der Baum treibt mit ſolcher Kraft, daß ſogar aus den holzigen Wurzeln, wo die Erde ſie nicht bedeckt, Blüten ſprießen. Er leidet von den Nordoſtwinden, wenn ſie auch die Temperatur nur um wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach der Regenzeit in den Wintermonaten vom Dezember bis März unregelmäßig eintreten, ſchaden dem Kakaobaume bedeutend. Es kommt nicht ſelten vor, daß der Eigentümer einer Pflanzung von 50000 Stämmen in einer Stunde für 4000 bis 5000 Piaſter Kakao einbüßt. Große Feuchtigkeit iſt dem Baume nur252 förderlich, wenn ſie allmählich zunimmt und lange ohne Unter - brechung anhält. Wenn in der trockenen Jahreszeit die Blätter und die unreife Frucht in einen ſtarken Regenguß kommen, ſo löſt ſich die Frucht vom Stiele. Die Gefäße, welche das Waſſer einſaugen, ſcheinen durch Ueberſchwellung zu berſten. Iſt nun die Kakaoernte äußerſt unſicher, weil der Baum gegen ſchlimme Witterung ſo empfindlich iſt und ſo viele Würmer, Inſekten, Vögel, Säugetiere1Papageien, Affen, Aguti, Eichhörner, Hirſche. die Schote freſſen, hat dieſer Kulturzweig den Nachteil, daß dabei der neue Pflanzer die Früchte ſeiner Arbeit erſt nach 8 bis 10 Jahren genießt und daß das Produkt ſchwer aufzubewahren iſt, ſo iſt dagegen nicht zu überſehen, daß die Kakaopflanzungen weniger Sklaven erfor - dern als die meiſten anderen Kulturen. Dieſer Umſtand iſt von großer Bedeutung in einem Zeitpunkte, wo ſämtliche Völker Europas den großherzigen Entſchluß gefaßt haben, dem Neger - handel ein Ende zu machen. Ein Sklave verſieht 1000 Stämme, die im jährlichen Durchſchnitt 12 Fanegas Kakao tragen können. Auf Cuba gibt allerdings eine große Zuckerpflanzung mit 300 Schwarzen im Jahre durchſchnittlich 40000 Arrobas Zucker, welche, die Kiſte2Eine Kiſte (caxa) wiegt 15½ bis 16 Arroben, die Arroba zu 23 ſpaniſchen Pfunden. zu 40 Piaſtern, 100000 Piaſter wert ſind, und in den Provinzen von Venezuela produziert man für 100000 Piaſter oder 4000 Fanegas Kakao, die Fanega zu 25 Piaſtern, auch nur mit 300 bis 350 Sklaven. Die 200000 Kiſten Zucker mit 3200000 Arroben, welche Cuba von 1812 bis 1814 jährlich ausgeführt hat, haben einen Wert von 8 Millionen Piaſtern und könnten mit 24000 Sklaven hergeſtellt werden, wenn die Inſel lauter große Pflan - zungen hätte; aber dieſer Annahme widerſpricht der Zu - ſtand der Kolonie und die Natur der Dinge. Die Inſel Cuba verwendete im Jahre 1811 nur zur Feldarbeit 143000 Sklaven, während die Capitania general von Caracas, die jährlich 200000 Fanegas Kakao oder für 5 Millionen Piaſter pro - duziert, wenn auch nicht ausführt, in Stadt und Land nicht mehr als 60000 Sklaven hat. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß dieſe Verhältniſſe ſich mit den Zucker - und Kakao - preiſen ändern.

Die ſchönſten Kakaopflanzungen in der Provinz Caracas ſind an der Küſte zwiſchen Caravalleda und der Mündung253 des Rio Tocuyo, in den Thälern von Caucagua, Capaya, Curiepe und Guapo; ferner in den Thälern von Cupira, zwiſchen Kap Codera und Kap Unare, bei Aroa, Barqueſimeto, Guigue und Uritucu. Der Kakao, der an den Ufern des Uritucu am Rande der Llanos, im Gerichtsbezirk San Se - baſtiano de los Reyos wächſt, gilt für den beſten; dann kom - men die von Guigue, Caucagua, Capaya und Cupira. Auf dem Handelsplatze Cadiz hat der Kakao von Caracas den erſten Rang gleich nach dem von Soconusco. Er ſteht meiſt um 30 bis 40 Prozent höher im Preiſe als der Kakao von Guayaquil.

Erſt ſeit der Mitte des 17. Jahrhunderts munterten die Holländer, im ruhigen Beſitz der Inſel Curaçao, durch den Schleichhandel den Landbau an den benachbarten Küſten auf, und erſt ſeitdem wurde der Kakao für die Provinz Caracas ein Ausfuhrartikel. Was in dieſer Gegend vorging, ehe im Jahre 1728 die Geſellſchaft der Biscayer aus Guipuzcoa ſich daſelbſt niederließ, wiſſen wir nicht. Wir beſitzen lediglich keine genauen ſtatiſtiſchen Angaben und wiſſen nur, daß zu Anfang des 18. Jahrhunderts aus Caracas kaum 30000 Fane - gas jährlich ausgeführt wurden. Im Jahre 1797 war die Ausfuhr, nach den Zollregiſtern von Guayra, den Schleich - handel nicht gerechnet, 70832 Fanegas. Wegen des Schmug - gels nach Trinidad und den anderen Antillen darf man kecklich ein Vierteil oder Fünfteil weiter rechnen. Ich glaube an - nehmen zu können, daß von 1800 bis 1806, alſo im letzten Zeitpunkte, wo in den ſpaniſchen Kolonieen noch innere Ruhe herrſchte, der jährliche Ertrag der Kakaopflanzungen in der ganzen Capitania general von Caracas ſich wenigſtens auf 193000 Fanegas belief.

Die Ernten, deren jährlich zwei ſtattfinden, im Juni und im Dezember, fallen ſehr verſchieden aus, doch nicht in dem Maße wie die Oliven - und Weinernten in Europa. Von jenen 193000 Fanegas fließen 145000 teils über die Häfen der Halbinſel, teils durch den Schleichhandel nach Europa ab.

Ich glaube beweiſen zu können (und dieſe Schätzungen beruhen auf zahlreichen einzelnen Angaben), daß Europa beim gegenwärtigen Stande ſeiner Civiliſation verzehrt:

  • 11,5 Mill. kg Kakao zu 120 Fr. den Ztr. 27600000 Fr.
  • 16 Mill. kg Thee zu 4 Fr. das Pfund 128000000
  • 70 Mill. kg Kaffee zu 114 Fr. den Ztr. 159600000
  • 225 Mill. kg Zucker zu 54 Fr. den Ztr. 243000000
  • 558200000 Fr
254

Von dieſen vier Erzeugniſſen, die ſeit zwei bis drei Jahr - hunderten die vornehmſten Artikel im Handel und der Pro - duktion der Kolonieen geworden ſind, gehört der erſte aus - ſchließlich Amerika, der zweite ausſchließlich Aſien an. Ich ſage ausſchließlich, denn die Kakaoausfuhr der Philippinen iſt jetzt ſo unbedeutend wie die Verſuche, die man in Braſilien, auf Trinidad und Jamaika mit dem Theebau gemacht hat. Die vereinigten Provinzen von Caracas liefern zwei Dritt - teile des Kakaos, der im weſtlichen und ſüdlichen Europa ver - zehrt wird. Dies iſt um ſo bemerkenswerter, als es der ge - meinen Annahme widerſpricht; aber die Kakaoſorten von Caracas, Maracaybo und Cumana ſind nicht alle von der - ſelben Qualität. Der Graf Caſa-Valencia ſchätzt den Ver - brauch Spaniens nur auf 3 bis 3,5 Millionen kg, der Abbé Hervas auf 9 Millionen. Wer lange in Spanien, Italien und Frankreich gelebt hat, muß die Bemerkung gemacht haben, daß nur im erſteren Lande Schokolade auch von den unterſten Volksklaſſen getrunken wird, und wird es ſchwerlich glaublich finden, daß Spanien nur ein Dritteil des in Europa ein - geführten Kakaos verzehren ſoll.

Die letzten Kriege haben für den Kakaohandel in Caracas weit verderblichere Folgen gehabt als in Guayaquil. Wegen des Preisaufſchlages iſt in Europa weniger Kakao von der teuerſten Sorte verzehrt worden. Früher machte man in Spanien die gewöhnliche Schokolade aus einem Vierteil Kakao von Caracas und drei Vierteilen Kakao von Guayaquil; jetzt nahm man letzteren allein. Dabei iſt zu bemerken, daß viel geringer Kakao, wie der vom Marañon, vom Rio Negro, von Honduras und von der Inſel Santa Lucia, im Handel Kakao von Guayaquil heißt. Aus letzterem Hafen werden nicht über 60000 Fanegas ausgeführt, zwei Dritteile weniger als aus den Häfen der Capitania general von Caracas.

Wenn auch die Kakaopflanzungen in den Provinzen Cu - mana, Barcelona und Maracaybo ſich in dem Maße vermehrt haben, in dem ſie in der Provinz Caracas eingegangen ſind, ſo glaubt man doch, daß dieſer alte Kulturzweig im ganzen allmählich abnimmt. In vielen Fällen verdrängen der Kaffee - baum und die Baumwollenſtaude den Kakaobaum, der für die Ungeduld des Landbauers viel zu ſpät trägt. Man behauptet auch, die neuen Pflanzungen geben weniger Ertrag als die alten. Die Bäume werden nicht mehr ſo kräftig und tragen ſpäter und nicht ſo reichlich Früchte. Auch ſoll der Boden erſchöpft255 ſein; aber nach unſerer Anſicht iſt vielmehr durch die Entwicke - lung des Landbaues und das Urbarmachen des Landes die Luft - beſchaffenheit eine andere geworden. Ueber einem unberührten, mit Wald bewachſenen Boden ſchwängert ſich die Luft mit Feuchtigkeit und den Gasgemengen, die den Pflanzenwuchs befördern und ſich bei der Zerſetzung organiſcher Stoffe bilden. Iſt ein Land lange Zeit angebaut geweſen, ſo wird das Ver - hältnis zwiſchen Sauerſtoff und Stickſtoff durchaus kein anderes; die Grundbeſtandteile der Luft bleiben dieſelben; aber jene binären und tertiären Verbindungen von Kohlenſtoff, Stick - ſtoff und Waſſerſtoff, die ſich aus einem unberührten Boden entwickeln und für eine Hauptquelle der Fruchtbarkeit gelten, ſind ihr nicht mehr beigemiſcht. Die reinere, weniger mit Miasmen und fremdartigen Effluvien beladene Luft wird zu - gleich trockener und die Spannung des Waſſerdampfes nimmt merkbar ab. Auf längſt urbar gemachten und ſomit zum Kakaobau wenig geeignetem Boden, z. B. auf den Antillen, iſt die Frucht beinahe ſo klein wie beim wilden Kakaobaume. An den Ufern des oberen Orinoko, wenn man über die Llanos hinüber iſt, betritt man, wie ſchon bemerkt, die wahre Heimat des Kakaobaumes, und hier findet man dichte Wälder, wo auf unberührtem Boden, in beſtändig feuchter Luft die Stämme mit dem vierten Jahre reiche Ernten geben. Auf nicht er - ſchöpftem Boden iſt die Frucht durch die Kultur überall größer und weniger bitter geworden, ſie reift aber auch ſpäter.

Sieht man nun den Ertrag an Kakao in Terra Firma allmählich abnehmen, ſo fragt man ſich, ob in Spanien, in Italien und im übrigen Europa auch der Verbrauch im ſelben Verhältnis abnimmt, oder ob nicht vielmehr infolge des Ein - gehens der Kakaopflanzungen die Preiſe ſo hoch ſteigen werden, daß der Landbauer zu neuen Anſtrengungen aufgemuntert wird? Letzteres iſt die herrſchende Anſicht bei allen, die in Caracas die Abnahme eines ſo alten und ſo einträglichen Handelszweiges bedauern. Wenn einmal die Kultur weiter gegen die feuchten Wälder im Binnenlande vorrückt, an die Ufer des Orinoko und des Amazonenſtromes, oder in die Thäler am Oſtabhange der Anden, ſo finden die neuen An - ſiedler einen Boden und eine Luft, wie ſie beide dem Kakao - bau angemeſſen ſind.

Bekanntlich ſcheuen die Spanier im allgemeinen den Zu - ſatz von Vanille zum Kakao, weil dieſelbe die Nerven reize. Daher wird auch die Frucht dieſer ſchönen Orchisart in der256 Provinz Caracas faſt gar nicht beachtet. Man könnte ſie auf der feuchten, fieberreichen Küſte zwiſchen Porto Cabello und Ocumare in Menge ſammeln, beſonders aber in Turiamo, wo die Früchte des Epidendrum Vanilla 29 bis 32 cm lang werden. Die Engländer und Angloamerikaner ſuchen häufig im Hafen von Guayra Vanille zu kaufen, und die Handels - leute können ſie nur mit Mühe in kleinen Quantitäten auf - treiben. In den Thälern, die ſich von der Küſtenbergkette zum Meere der Antillen herabziehen, in der Provinz Truxillo, wie in den Miſſionen in Guyana bei den Fällen des Orinoko könnte man ſehr viel Vanille ſammeln, und der Ertrag wäre noch reich - licher, wenn man, wie die Mexikaner thun, die Pflanze von Zeit zu Zeit von den Lianen ſäuberte, die ſie umſchlingen und erſticken.

Bei der Schilderung des gegenwärtigen Zuſtandes der Kakaopflanzungen in den Provinzen von Venezuela, bei den Bemerkungen über den Zuſammenhang zwiſchen dem Ertrag der Pflanzungen und der Feuchtigkeit und Geſundheit der Luft, haben wir der warmen, fruchtbaren Thäler der Küſten - kordilleren erwähnt. In ſeiner weſtlichen Erſtreckung, dem See Maracaybo zu, zeigt dieſer Landſtrich eine ſehr intereſſante mannigfaltige Terrainbildung. Ich ſtelle am Ende dieſes Kapitels zuſammen, was ich über die Beſchaffenheit des Bodens und den Metallreichtum in den Bezirken Aroa, Barqueſimeto und Carora habe in Erfahrung bringen können.

Von der Sierra Nevada von Merida und den Paramos von Niquitao, Bocono und Las Roſas an,1Wir wiſſen aus dem Munde vieler reiſenden Mönche, daß der kleine Paramo de las Roſas, der in mehr als 3120 m Meereshöhe zu liegen ſcheint, mit Rosmarin und roten und weißen europäiſchen Roſen, die hier verwildert ſind, bewachſen iſt. Man pflückt die Roſen, um bei Kirchenfeſten die Altäre in den benach - barten Dörfern damit zu ſchmücken. Durch welchen Zufall iſt unſere hundertblätterige Roſe hier verwildert, da wir ſie doch in den An - den von Quito und Peru nirgends angetroffen haben? Iſt es auch wirklich unſere Gartenroſe? wo der koſtbare Chinabaum wächſt, ſenkt ſich die öſtliche Kordillere von Neu - granada ſo raſch, daß ſie zwiſchen dem 9. und 10. Breitengrade nur noch eine Kette kleiner Berge bildet, an die ſich im Nordoſt der Altar und der Torito anſchließen und die die Nebenflüſſe des Rio Apure und des Orinoko von den zahlreichen Ge - wäſſern ſcheiden, die entweder in das Meer der Antillen oder257 in den See Maracaybo fallen. Auf dieſer Waſſerſcheide ſtehen die Städte Nirgua, San Felipe el Fuerte, Barqueſimeto und Tocuyo. In den drei erſteren iſt es ſehr heiß, in Tocuyo dagegen bedeutend kühl, und man hört mit Ueberraſchung, daß unter einem ſo herrlichen Himmel die Menſchen große Neigung zum Selbſtmord haben. Gegen Süden erhebt ſich der Boden, denn Truxillo, der See Urao, aus dem man kohlenſaures Natron gewinnt, und La Grita, oſtwärts von der Kordillere, liegen ſchon in 780 bis 1170 m Höhe.

Beobachtet man, in welchem konſtanten Verhältniſſe die Urgebirgsſchichten der Küſtenkordillere fallen, ſo ſieht man ſich auf eine der Urſachen hingewieſen, welche den Landſtrich zwiſchen der Kordillere und dem Meere ſo ungemein feucht machen. Die Schichten fallen meiſt nach Nordweſt, ſo daß die Gewäſſer nach dieſer Richtung über die Geſteinsbänke laufen und, wie ſchon oben bemerkt, die Menge Bäche und Flüſſe bilden, deren Ueberſchwemmungen vom Kap Codera bis zum See Maracaybo das Land ſo ungeſund machen.

Neben den Gewäſſern, die in der Richtung nach Nordoſt an die Küſte von Porto Cabello und zur Punta de Hicacos herabkommen, ſind die bedeutendſten der Tocuyo, der Aroa und der Yaracuy. Ohne die Miasmen, welche die Luft ver - peſten, wären die Thäler des Aroa und des Yaracuy vielleicht ſtärker bevölkert als die Thäler von Aragua. Durch die ſchiff - baren Flüſſe hätten jene ſogar den Vorteil, daß ſie ihre eigenen Zucker - und Kakaoernten, wie die Produkte der benachbarten Bezirke, den Weizen von Quibor, das Vieh von Monaï und das Kupfer von Aroa, leichter ausführen könnten. Die Gruben, wo man dieſes Kupfer gewinnt, liegen in einem Seitenthale, das in das Aroathal mündet und nicht ſo heiß und ungeſund iſt als die Thalſchluchten näher am Meere. In dieſen letzteren haben die Indianer Goldwäſchereien, und im Gebirge kommen dort reiche Kupfererze vor, die man noch nicht auszubeuten verſucht hat. Die alten, längſt in Abgang gekommenen Gruben von Aroa wurden auf den Betrieb Don Antonios Henriquez, den wir in San Fernando am Apure trafen, wieder aufgenommen. Nach den Notizen, die er mir gegeben, ſcheint die Lagerſtätte des Erzes eine Art Stockwerk zu ſein, das aus mehreren kleinen Gängen beſteht, die ſich nach allen Richtungen kreuzen. Das Stockwerk iſt ſtellenweiſe 4 bis 6 m dick. Der Gruben ſind drei, und in allen wird von Sklaven gearbeitet. Die größte, die Biscayna, hat nurA. v. Humboldt, Reiſe. II. 1725830 Bergleute, und die Geſamtzahl der mit der Förderung und dem Schmelzen des Erzes beſchäftigten Sklaven beträgt nur 60 bis 70. Da der Schacht nur 58 m tief iſt, ſo können, der Waſſer wegen, die reichſten Strecken des Stockwerkes, die darunter liegen, nicht abgebaut werden. Man hat bis jetzt nicht daran gedacht, Schöpfräder aufzuſtellen. Die Geſamt - ausbeute an gediegenem Kupfer beträgt jährlich 1200 bis 1500 Zentner. Das Kupfer, in Cadiz als Caracaskupfer bekannt, iſt ausgezeichnet gut; man zieht es ſogar dem ſchwe - diſchen und dem Kupfer von Coquimbo in Chile vor. Das Kupfer von Aroa wird zum Teil an Ort und Stelle zum Glockenguß verwendet. In neueſter Zeit iſt zwiſchen Aroa und Nirgua bei Guanita im Berge San Pablo einiges Silbererz entdeckt worden. Goldkörner kommen überall im Gebirgslande zwiſchen dem Rio Yaracuy, der Stadt San Felipe, Nirgua und Barqueſimeto vor, beſonders aber im Fluſſe Santa Cruz, in dem die indianiſchen Goldwäſcher zuweilen Geſchiebe von 4 bis 5 Piaſtern Wert finden. Kommen im anſtehenden Glimmerſchiefer - und Gneisgeſtein wirkliche Gänge vor, oder iſt das Gold auch hier, wie im Granit von Guadarama in Spanien oder im Fichtelgebirge in Franken, durch die ganze Gebirgsart zerſtreut? Das durchſickernde Waſſer mag die zer - ſtreuten Goldblättchen zuſammenſchwemmen, und in dieſem Fall wären alle Bergbauverſuche fruchtlos. In der Savana de la Miel bei der Stadt Barqueſimeto hat man im ſchwarzen, glänzenden, dem Bergpech (Ampélite) ähnlichen Schiefer einen Schacht niedergetrieben. Die Mineralien, die man daraus zu Tage gefördert, und die man mir nach Caracas geſchickt, waren Quarz, nicht goldhaltige Schwefelkieſe und in Nadeln mit Seidenglanz kriſtalliſiertes kohlenſaures Blei.

In der erſten Zeit nach der Eroberung begann man trotz der Einfälle des kriegeriſchen Stammes der Girahara die Gruben von Nirgua und Buria auszubeuten. Im ſelben Bezirk veranlaßte im Jahre 1553 die Menge der Negerſklaven einen Vorfall, der, ſo wenig er an ſich zu bedeuten hatte, dadurch intereſſant wird, daß er mit den Ereigniſſen, die ſich unter unſeren Augen auf San Domingo begeben haben, Aehn - lichkeit hat. Ein Negerſklave ſtiftete unter den Grubenarbeitern von San Felipe de Buria einen Aufſtand an, zog ſich in die Wälder und gründete mit 200 Genoſſen einen Flecken, in dem er zum König ausgerufen wurde. Miguel, der neue König, liebte Prunk und Feierlichkeit; ſein Weib Guiomar ließ er259 Königin nennen; er ernannte, wie Oviedo erzählt, Miniſter, Staatsräte, Beamte der Casa real, ſogar einen ſchwarzen Biſchof. Nicht lange, ſo war er keck genug, die benachbarte Stadt Nueva Segovia de Barqueſimeto anzugreifen; er wurde aber von Diego de Loſada zurückgeſchlagen und kam im Hand - gemenge um. Dieſem afrikaniſchen Königreiche folgte in Nirgua ein Freiſtaat der Zambos, daß heißt der Abkömmlinge von Negern und Indianern. Der ganze Gemeinderat, der Ca - bildo, beſteht aus Farbigen, die der König von Spanien als ſeine lieben und getreuen Unterthanen, die Zambos von Nirgua anredete. Nur wenige weiße Familien mögen in einem Lande leben, wo ein mit ihren Anſprüchen ſo wenig verträgliches Regiment herrſcht, und die kleine Stadt heißt ſpottweiſe La republica de Zambos y Mulatos. Es iſt ebenſo unklug, die Regierung einer einzelnen Kaſte zu überlaſſen, als ſie ihrer natürlichen Rechte zu berauben und ihr dadurch eine Einzelſtellung zu geben.

Wenn in den wegen ihres vortrefflichen Bauholzes be - rühmten Thälern des Aroa; Yaracuy und Tocuyo der üppige Pflanzenwuchs und die große Feuchtigkeit der Luft ſo viele Fieber erzeugen, ſo verhält es ſich mit den Savannen oder Llanos von Monaï und Carora ganz anders. Dieſe Llanos ſind durch das Gebirgsland von Tocuyo und Nirgua von den großen Ebenen an der Portugueza und bei Cala - bozo getrennt. Dürre Savannen, auf denen Miasmen herr - ſchen, ſind eine ſehr auffallende Erſcheinung. Sumpfboden kommt daſelbſt keiner vor, wohl aber mehrere Erſcheinungen, die auf die Entbindung von Waſſerſtoffgas hindeuten. 1Was iſt die unter dem Namen Farol (Laterne) de Maracaybo bekannte Lichterſcheinung, die man jede Nacht auf der See wie im inneren Lande ſieht, z. B. in Merida, wo Palacios dieſelbe zwei Jahre lang beobachtet hat? Der Umſtand, daß man das Licht über 180 km weit ſieht, hat zu der Vermutung geführt, es könnte daher rühren, daß in einer Bergſchlucht ſich jeden Tag ein Gewitter ent - lade. Man ſoll auch donnern hören, wenn man dem Farol nahe kommt. Andere ſprechen in unbeſtimmtem Ausdruck von einem Luftvulkan; aus asphalthaltigem Erdreich, ähnlich dem bei Mena, ſollen brennbare Dünſte aufſteigen und daher beſtändig ſichtbar ſein. Der Ort, wo ſich die Erſcheinung zeigt, iſt ein unbewohntes Ge - birgsland am Rio Catatumbo, nicht weit von ſeiner Vereinigung mit dem Rio Sulia. Der Farol liegt faſt ganz im Meridian derWenn260 man Reiſende, welche mit den brennbaren Schwaden unbekannt ſind, in die Höhle Del Serrito de Monaï führt, ſo erſchreckt man ſie durch Anzünden des Gasgemenges, das ſich im oberen Teile der Höhle fortwährend anſammelt. Soll man annehmen, daß die ungeſunde Luft hier dieſelbe Quelle hat, wie auf der Ebene zwiſchen Tivoli und Rom, Entwickelung von Schwefel - waſſerſtoff? 1Don Carlos de Pozo fand in dieſem Bezirke, in der Que - brada de Moroturo, eine Schicht ſchwarzer Thonerde, welche ſtark abfärbt, ſtark nach Schwefel riecht und ſich von ſelbſt entzündet, wenn man ſie, leicht befeuchtet, lange den Strahlen der tropiſchen Sonne ausſetzt; dieſe ſchleimige Materie verpufft ſehr heftig.Vielleicht äußert auch das Gebirgsland neben den Llanos von Monaï einen ungünſtigen Einfluß auf die anſtoßenden Ebenen. Südoſtwinde mögen die faulen Efflu - vien herführen, die ſich aus der Schlucht Villegas und Sienega de Cabra zwiſchen Carora und Carache entwickeln. Ich ſtelle abſichtlich alles zuſammen, was auf die Ungeſundheit der Luft Bezug haben mag; denn auf einem ſo dunkeln Gebiete kann man nur durch Vergleichung zahlreicher Beobachtungen hoffen, das wahre Sachverhältnis zu ermitteln.

Die dürren und doch ſo fieberreichen Savannen zwiſchen Barqueſimeto und dem öſtlichen Ufer des Sees Maracaybo ſind zum Teil mit Fackeldiſteln bewachſen; aber die gute Bergkochenille, die unter dem unbeſtimmten Namen Grana de Carora bekannt iſt, kommt aus einem gemäßigteren Land - ſtriche zwiſchen Carora und Truxillo, beſonders aber aus dem Thale des Rio Mucuju, öſtlich von Merida. Die Einwohner geben ſich mit dieſem im Handel ſo ſtark geſuchten Produkte gar nicht ab.

1Einfahrt (boca) in den See von Maracaybo, ſo daß die Steuerleute ſich nach ihm richten wie nach einem Leuchtfeuer.
1
[261]

Siebzehntes Kapitel.

Gebirge zwiſchen den Thälern von Aragua und den Llanos von Caracas. Villa de Cara. Parapara. Llanos oder Steppen. Calabozo.

Die Bergkette, welche den See von Tacarigua oder Va - lencia im Süden begrenzt, bildet gleichſam das nördliche Ufer des großen Beckens der Llanos oder Savannen von Caracas. Aus den Thälern von Aragua kommt man in die Savannen über die Berge von Guigue und Tucutunemo. Aus einer bevölkerten, durch Anbau geſchmückten Landſchaft gelangt man in eine weite Einöde. An Felſen und ſchattige Thäler ge - wöhnt, ſieht der Reiſende mit Befremden dieſe baumloſen Savannen vor ſich, dieſe unermeßlichen Ebenen, die gegen den Horizont aufzuſteigen ſcheinen.

Ehe ich die Llanos oder die Region der Weiden ſchildere, beſchreibe ich kürzlich unſeren Weg von Nueva Valencia durch Villa de Cura und San Juan zum kleinen, am Eingang der Steppen gelegenen Dorfe Ortiz. Am 6. März, vor Sonnen - aufgang, verließen wir die Thäler von Aragua. Wir zogen durch eine gut angebaute Ebene, längs dem ſüdweſtlichen Ge - ſtade des Sees von Valencia, über einen Boden, von dem ſich die Gewäſſer des Sees zurückgezogen. Die Fruchtbarkeit des mit Kalebaſſen, Waſſermelonen und Bananen bedeckten Landes ſetzte uns in Erſtaunen. Den Aufgang der Sonne verkündete der ferne Lärm der Brüllaffen. Vor einer Baum - gruppe, mitten in der Ebene zwiſchen den ehemaligen Eilanden Don Pedro und Negra, gewahrten wir zahlreiche Banden der ſchon oben beſchriebenen Simia ursina (Araguate), die wie in Prozeſſion äußerſt langſam von Baum zu Baum zogen. Hinter einem männlichen Tiere kamen viele weibliche, deren mehrere ihre Jungen auf den Schultern trugen. Die Brüll - affen, welche in verſchiedenen Strichen Amerikas in großen262 Geſellſchaften leben, ſind vielfach beſchrieben. In der Lebens - weiſe kommen ſie alle überein, es ſind aber nicht überall die - ſelben Arten. Wahrhaft erſtaunlich iſt die Einförmigkeit in den Bewegungen dieſer Affen. So oft die Zweige benach - barter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten ſchwieligen Teile ſeines Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt denſelben hin und her, bis er den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht ſofort an derſelben Stelle dieſelbe Bewegung. Ulloa und viele gut unterrichtete Reiſende behaupten, die Marimondas,1Simia Belzebuth. Araguaten und andere Affen mit Wickelſchwänzen bilden eine Art Kette, wenn ſie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen; ich brauche kaum zu bemerken, daß eine ſolche Behauptung ſehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge - habt, Tauſende dieſer Tiere zu beobachten, und eben deshalb glaubten wir nicht an Geſchichten, die vielleicht nur von Europäern erfunden ſind, wenn auch die Indianer in den Miſſionen ſie nachſagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheſte Menſch findet einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern ſeines Landes den Fremden in Erſtaunen zu ſetzen. Er will ſelbſt geſehen haben, was nach ſeiner Vorſtellung andere geſehen haben könnten. Jeder Wilde iſt ein Jäger, und die Geſchichten der Jäger werden deſto phantaſtiſcher, je höher die Tiere, von deren Liſten ſie zu erzählen wiſſen, in geiſtiger Beziehung wirklich ſtehen. Dies iſt die Quelle der Märchen, welche in beiden Hemiſphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Kondor der Anden im Schwange gehen.

Die Araguaten ſollen, wenn ſie von indianiſchen Jägern verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche laſſen, um ſich auf der Flucht zu erleichtern. Man will geſehen haben, wie Affenmütter das Junge von der Schulter riſſen und es vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine rein zufällige Bewegung für eine abſichtliche genommen. Die Indianer ſehen gewiſſe Affengeſchlechter mit Abneigung oder mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen kleinen Sagoinen ſind ſie gewogen, während die Araguaten wegen ihres trübſeligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge - brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber263 nachdachte, durch welche Urſachen die Fortpflanzung des Schalles durch die Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, ſchien es mir nicht unwichtig, genau zu beſtimmen, in welchem Abſtande, namentlich bei naſſer, ſtürmiſcher Witterung, das Geheul eines Trupps Araguaten zu vernehmen iſt. Ich glaube gefunden zu haben, daß man es noch in 1560 m Entfernung hört. Die Affen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in die Llanos machen, und mitten auf den weiten, mit Gras bewachſenen Ebenen unterſcheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt iſt und von welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf dieſe Baumgruppe zugeht oder ſich davon entfernt, ſo mißt man das Maximum des Abſtandes, in dem das Geheul noch vernehmbar iſt. Dieſe Abſtände ſchienen mir einigemal bei Nacht um ein Dritteil größer, namentlich bei bedecktem Himmel und ſehr warmem, feuchtem Wetter.

Die Indianer verſichern, wenn die Araguaten den Wald mit ihrem Geheule erfüllen, ſo haben ſie immer einen Vor - ſänger. Die Bemerkung iſt nicht unrichtig. Man hört meiſtens, lange fort, eine einzelne ſtärkere Stimme, worauf eine andere von verſchiedenem Tonfall ſie ablöſt. Denſelben Nachahmungs - trieb bemerken wir zuweilen auch bei uns bei den Fröſchen und faſt bei allen Tieren, die in Geſellſchaft leben und ſich hören laſſen. Noch mehr, die Miſſionäre verſichern, wenn bei den Araguaten ein Weibchen im Begriffe ſei zu werfen, ſo unterbreche der Chor ſein Geheul, bis das Junge zur Welt gekommen ſei. Ob etwas Wahres hieran iſt, habe ich nicht ſelbſt ausmachen können, ganz grundlos ſcheint es aber aller - dings nicht zu ſein. Ich habe beobachtet, daß das Geheul einige Minuten aufhört, ſo oft ein ungewöhnlicher Vorfall, zum Beiſpiel das Aechzen eines verwundeten Araguate, die Aufmerkſamkeit des Trupps in Anſpruch nimmt. Unſere Führer verſicherten uns allen Ernſtes, ein bewährtes Heilmittel gegen kurzen Atem ſei, aus der knöchernen Trommel am Zungenbeine des Araguate zu trinken. Da dieſes Tier eine ſo außerordentlich ſtarke Stimme hat, ſo muß dem Waſſer, das man in ſeinen Kehlkopf gießt, notwendig die Kraft zu - kommen, Krankheiten der Lungen zu heilen. Dies iſt Volks - phyſik, die nicht ſelten an die der Alten erinnert.

Wir übernachteten im Dorfe Guigue, deſſen Breite ich durch Beobachtungen des Canopus gleich 10° 4′ 11″ fand. Dieſes Dorf auf trefflich angebautem Boden liegt nur 1950 m264 vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem alten Sergeanten, aus Murcia gebürtig, einem höchſt originellen Manne. Um uns zu beweiſen, daß er bei den Jeſuiten erzogen worden, ſagte er uns die Geſchichte von der Erſchaffung der Welt lateiniſch her. Er nannte die Namen Auguſt, Tiber und Diokletian. Bei der angenehmen Nachtkühle in einem Ba - nanengehege beſchäftigte er ſich lebhaft mit allem, was am Hofe der römiſchen Kaiſer vorgefallen war. Er bat uns dringend um Mittel gegen die Gicht, die ihn grauſam plagte. Ich weiß wohl, ſagte er, daß ein Zambo aus Valencia, ein gewaltiger Curioſo‘, mich heilen kann; aber der Zambo macht auf eine Behandlung Anſpruch, die einem Menſchen von ſeiner Farbe nicht gebührt, und ſo bleibe ich lieber, wie ich bin.

Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette, welche im Süden des Sees gegen Guacimo und La Palma hinſtreicht. Von einem Plateau herab, das 624 m hoch liegt, ſahen wir zum letztenmal die Thäler von Aragua. Der Gneis kam zu Tage; er zeigte dieſelbe Streichung der Schichten, denſelben Fall nach Nordweſt. Quarzadern im Gneis ſind goldhaltig; eine benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada del Oro. Seltſamerweiſe begegnet man auf jedem Schritte dem vornehmen Namen Goldſchlucht in einem Lande, wo ein einziges Kupferbergwerk im Betriebe iſt. Wir legten 22,5 km bis zum Dorfe Maria Magdalena zurück, und weitere 9 zur Villa de Cura. Es war Sonntag. Im Dorfe Maria Mag - dalena waren die Einwohner vor der Kirche verſammelt. Man wollte unſere Maultiertreiber zwingen, anzuhalten und die Meſſe zu hören. Wir ergaben uns darein; aber nach langem Wortwechſel ſetzten die Maultiertreiber ihren Weg fort. Ich bemerke hier, daß dies das einzige Mal war, wo wir einen Streit ſolcher Art bekamen. Man macht ſich in Europa ganz falſche Begriffe von der Unduldſamkeit und ſelbſt vom Glaubens - eifer der ſpaniſchen Koloniſten.

San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa de Cura, liegt in einem ſehr dürren Thale, das von Nordweſt nach Südoſt ſtreicht und nach meinen barometriſchen Beob - achtungen eine Meereshöhe von 518 m hat. Außer einigen Fruchtbäumen hat das Land faſt gar keinen Pflanzenwuchs. Das Plateau iſt deſto dürrer, da mehrere Gewäſſer ein ziemlich ſeltener Fall im Urgebirge ſich auf Spalten im Boden verlieren. Der Rio de las Minas, nordwärts von265 Villa de Cura, verſchwindet im Geſtein, kommt wieder zu Tage und wird noch einmal unterirdiſch, ohne den See von Valencia zu erreichen, auf den er zuläuft. Cura gleicht viel mehr einem Dorfe als einer Stadt. Die Bevölkerung beträgt nicht mehr als 4000 Seelen, aber wir fanden daſelbſt mehrere Leute von bedeutender geiſtiger Bildung. Wir wohnten bei einer Familie, welche nach der Revolution von Caracas im Jahre 1797 von der Regierung verfolgt worden war. Einer der Söhne war nach langer Gefangenſchaft nach der Havana gebracht worden, wo er in einem feſten Schloſſe ſaß. Wie freute ſich die Mutter, als ſie hörte, daß wir auf dem Rückwege vom Ori - noko nach der Havana kommen würden! Sie übergab mir fünf Piaſter, all ihr Erſpartes . Gerne hätte ich ſie ihr zurückgegeben, aber wie hätte ich mich nicht ſcheuen ſollen, ihr Zartgefühl zu verletzen, einer Mutter wehe zu thun, die in den Entbehrungen, die ſie ſich auferlegt, ſich glücklich fühlt! Die ganze Geſellſchaft der Stadt fand ſich abends zuſammen, um in einem Guckkaſten die Anſichten der großen europäiſchen Städte zu bewundern. Wir bekamen die Tuilerien zu ſehen und das Standbild des großen Kurfürſten in Berlin. Es iſt ein eigenes Gefühl, ſeine Vaterſtadt, 9000 km von ihr ent - fernt, in einem Guckkaſten zu erblicken.

Ein Apotheker, der durch den unſeligen Hang zu berg - männiſchen Unternehmungen heruntergekommen war, begleitete uns zum Serro de Chacao, der an goldhaltigen Kieſen ſehr reich iſt. Der Weg läuft immer am ſüdlichen Abhange der Küſtenkordillere hinab, in welcher die Ebenen von Aragua ein Längenthal bilden. Die Nacht des 11. brachten wir zum Teil im Dorfe San Juan zu, bekannt wegen ſeiner warmen Quellen und der ſonderbaren Geſtalt zweier benachbarten Berge, der ſogenannten Morros de San Juan. Dieſe Kuppen bilden ſteile Gipfel, die ſich auf einer Felsmauer von ſehr breiter Baſis erheben. Die Mauer fällt ſteil ab und gleicht der Teufelsmauer, die um einen Strich des Harz - gebirges herläuft. Dieſe Kuppen ſieht man ſehr weit in den Llanos, ſie machen ſtarken Eindruck auf die Einbildungskraft der Bewohner der Ebenen, die an gar keine Unebenheit des Bodens gewöhnt ſind, und ſo kommt es, daß ihre Höhe im Lande gewaltig überſchätzt wird. Sie ſollten, wie man uns geſagt, mitten in den Steppen liegen, während ſie ſich am nördlichen Saume derſelben befinden, weit jenſeits einer Hügel - kette, die La Galera heißt. Nach Winkeln, die im Abſtande266 von 3,9 km genommen wurden, erheben ſich die Kuppen nicht mehr als 304 m über dem Dorfe San Juan und 682 m über dem Meere. Die warmen Quellen entſpringen am Fuße der Kuppen, die aus Uebergangskalkſtein beſtehen; ſie ſind mit Schwefelwaſſerſtoff geſchwängert, wie die Waſſer von Mariara, und bilden einen kleinen Teich oder eine Lagune, in der ich den Thermometer nur auf 31,3° ſteigen ſah.

In der Nacht vom 9. zum 10. März fand ich durch ſehr befriedigende Sternbeobachtungen die Breite von Villa de Cura 10° 2′ 47″. Die ſpaniſchen Offiziere, welche im Jahre 1755 bei der Grenzexpedition mit aſtronomiſchen In - ſtrumenten an den Orinoko gekommen ſind, können zu Cura nicht beobachtet haben, denn die Karte von Caulin und die von Cruz Olmedilla ſetzen dieſe Stadt einen Viertelsgrad zu weit ſüdwärts.

Villa de Cura iſt im Lande berühmt wegen eines wunder - thätigen Marienbildes, das Nueſtra Señora de los Valencianos genannt wird. Dieſes Bild, das um die Mitte des 18. Jahr - hunderts von einem Indianer in einer Schlucht gefunden wurde, gab Anlaß zu einem Rechtshandel zwiſchen den Städten Cura und San Sebaſtiano de los Reyes. Die Geiſtlichen der letzteren Stadt behaupteten, die heil. Jungfrau ſei zuerſt in ihrem Sprengel erſchienen. Der Biſchof von Caracas, dem langen ärgerlichen Streite ein Ende zu machen, ließ das Bild in das biſchöfliche Archiv ſchaffen und behielt es daſelbſt dreißig Jahre unter Siegel; es wurde den Einwohnern von Cura erſt im Jahre 1802 zurückgegeben. Depons gibt umſtändliche Nach - richt von dieſem ſeltſamen Handel.

Nachdem wir im kleinen Fluſſe San Juan auf einem Bette von baſaltiſchem Grünſtein, in friſchem, klarem Waſſer ge - badet, ſetzten wir um 2 Uhr in der Nacht unſeren Weg über Ortiz und Parapara nach Meſa de Paja fort. Die Llanos waren damals durch Raubgeſindel unſicher, weshalb ſich mehrere Reiſende an uns anſchloſſen, ſo daß wir eine Art Karawane bildeten. Sechs bis ſieben Stunden lang ging es fortwährend abwärts; wir kamen am Cerro de Flores vorbei, wo die Straße zum großen Dorfe San Joſé de Tisnao abgeht. An den Höfen Luque und Juncalito vorüber gelangt man in die Gründe, die wegen des ſchlechten Weges und der blauen Farbe der Schiefer Malpaſo und Piedras Azules heißen. Wir ſtanden hier auf dem alten Geſtade des großen Beckens der Steppen, auf einem geologiſch intereſſanten Boden.

267

Der ſüdliche Abhang der Küſtenkordillere iſt ziemlich ſteil da die Steppen nach meinen barometriſchen Meſſungen 324 m tiefer liegen als der Boden des Beckens von Aragua. Vom weiten Plateau von Villa de Cura kamen wir herab an das Ufer des Rio Tucutunemo, der ſich ins Serpentingeſtein ein von Oſt nach Weſt ſtreichendes Längenthal gegraben hat, un - gefähr im Niveau von La Victoria. Von da führte uns ein Querthal über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos. Dieſes Thal ſtreicht im ganzen von Nord nach Süd und ver - engt ſich an mehreren Stellen. Becken mit völlig wage - rechtem Boden ſtehen durch ſchmale, abſchüſſige Schluchten mit - einander in Verbindung. Es waren dies einſt ohne Zweifel kleine Seen, und durch Aufſtauung der Gewäſſer oder durch eine noch gewaltſamere Kataſtrophe ſind die Dämme zwiſchen den Waſſerbecken durchbrochen worden. Dieſe Erſcheinung kommt gleichzeitig in beiden Kontinenten vor, überall, wo Längenthäler Päſſe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen bilden. 1Ich erinnere die Reiſenden an den Weg vom Urſernthal zum Gotthardshoſpiz und von da nach Airolo.Wahrſcheinlich rührt die ruinenhafte Geſtalt der Kuppen von San Juan und San Sebaſtiano von den ge - waltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der Ge - wäſſer gegen die Llanos erfolgten.

Bei der Meſa de Paja, unter dem 9. Grade der Breite, betraten wir das Becken der Llanos. Die Sonne ſtand beinahe im Zenith; der Boden zeigte überall, wo er von Vegetation entblößt war, eine Temperatur von 48 bis 50°. In der Höhe, in der wir uns auf unſeren Maultieren be - fanden, war kein Lufthauch zu ſpüren; aber in dieſer ſchein - baren Ruhe erhoben ſich fortwährend kleine Staubwirbel in - folge der Luftſtrömungen, die dicht am Boden durch die Temperaturunterſchiede zwiſchen dem nackten Sande und den mit Gras bewachſenen Flecken hervorgebracht werden. Dieſe Sandwinde ſteigern die erſtickende Hitze der Luft. Jedes Quarzkorn, weil es wärmer iſt als die umgebende Luft, ſtrahlt ringsum Wärme aus, und es hält ſchwer, die Lufttemperatur zu beobachten, ohne daß Sandteilchen gegen die Kugel des Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum ſchienen zum Himmel anzuſteigen, und die weite unermeßliche Einöde ſtellte ſich unſeren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen268 bedeckte See dar. Da die Dunſtmaſſen in der Luft ungleich verteilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein - andergelagerten Luftſchichten keine gleichförmige iſt, ſo zeigte ſich der Horizont in gewiſſen Richtungen hell und ſcharf be - grenzt, in anderen wellenförmig auf und ab gebogen und wie geſtreift. Erde und Himmel ſchmolzen dort ineinander. Durch den trockenen Nebel und die Dunſtſchichten gewahrte man in der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden Wipfel beraubt, erſchienen dieſe Stämme wie Schiffsmaſten, die am Horizont auftauchten.

Der einförmige Anblick dieſer Steppen hat etwas Groß - artiges, aber auch etwas Trauriges und Niederſchlagendes. Es iſt als ob die ganze Natur erſtarrt wäre; kaum daß hin und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durch den Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Sa - vanne fällt. Der erſte Anblick der Llanos überraſcht vielleicht nicht weniger als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer, welches auch die abſolute Höhe ihrer höchſten Gipfel ſein mag, haben eine gemeinſame Phyſiognomie; aber nur ſchwer gewöhnt man ſich an den Anblick der Llanos von Venezuela und Caſanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco, die beſtändig, 20, 30 Tagereiſen lang, ein Bild der Meeres - fläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der ſpani - ſchen Mancha und die Heiden (ericeta), die ſich von den Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Weſtfalen bis nach Belgien hinein erſtrecken. Letztere ſind wahre Steppen, von denen der Menſch ſeit Jahrhunderten nur kleine Strecken kulturfähig zu machen imſtande war; aber die Ebenen im Weſten und Norden von Europa geben nur ein ſchwaches Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im Südoſten unſeres Kontinentes, in Ungarn zwiſchen der Donau und der Theiß, in Rußland zwiſchen dem Dnjepr, dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weide - länder auf, die durch langen Aufenthalt der Waſſer geebnet ſcheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die ungariſchen Ebenen bereiſt habe, an den Grenzen Deutſchlands zwiſchen Preßburg und Oedenburg, beſchäftigen ſie die Ein - bildungskraft des Reiſenden durch das fortwährende Spiel der Luftſpiegelung; aber ihre weiteſte Erſtreckung iſt oſtwärts zwiſchen Czegled, Debreczin und Tittel. Es iſt ein grünes Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Waitzen, dem anderen zwiſchen Belgrad und Widdin.

269

Man glaubte die verſchiedenen Weltteile zu charakteri - ſieren, indem man ſagte, Europa habe Heiden, Aſien Steppen, Afrika Wüſten, Amerika Savannen; aber man ſtellt damit Gegenſätze auf, die weder in der Natur der Sache, noch im Geiſte der Sprachen gegründet ſind. Die aſiatiſchen Steppen ſind keineswegs überall mit Salzpflanzen bedeckt; in den Sa - vannen von Venezuela kommen neben den Gräſern kleine kraut - artige Mimoſen, Schotengewächſe und andere Dikotyledonen vor. Die Ebenen der Dſungarei, die zwiſchen Don und Wolga, die ungariſchen Pußten ſind wahre Savannen, Weideländer mit reichem Graswuchs, während auf den Savannen oſt - und weſtwärts von den Rocky Mountains und von Neumexiko Chenopodien mit einem Gehalt von kohlenſaurem und ſalz - ſaurem Natron vorkommen. Aſien hat echte pflanzenloſe Wüſten, in Arabien, in der Gobi, in Perſien. Seit man die Wüſten im Inneren Afrikas, was man ſo lange unter dem allge - meinen Namen Sahara begriffen, näher kennen gelernt hat, weiß man, daß es im Oſten dieſes Kontinents, wie in Ara - bien, Savannen und Weideländer gibt, die von nackten, dürren Landſtrichen umgeben ſind. Letztere, mit loſem Geſtein bedeckte, ganz pflanzenloſe Wüſten, fehlen nun aber der Neuen Welt faſt ganz. Ich habe dergleichen nur im niederen Striche von Peru, zwiſchen Amotape und Coquimbo, am Geſtade der Süd - ſee geſehen. Die Spanier nennen ſie nicht Llanos, ſondern Deſiertos von Sechura und Atacamez. Dieſe Einöde iſt nicht breit, aber 1980 km lang. Die Gebirgsart kommt überall durch den Flugſand zu Tage. Es fällt niemals ein Tropfen Regen, und wie in der Sahara nördlich von Timbuktu findet ſich in der peruaniſchen Wüſte bei Huaura eine reiche Stein - ſalzgrube. Ueberall ſonſt in der Neuen Welt gibt es öde, weil unbewohnte Flächen, aber keine eigentlichen Wüſten.

Dieſelben Erſcheinungen wiederholen ſich in den ent - legenſten Landſtrichen, und ſtatt dieſe weiten baumloſen Ebenen nach den Pflanzen zu unterſcheiden, die auf ihnen vorkommen, unterſcheidet man wohl am einfachſten zwiſchen Wüſten und Steppen oder Savannen, zwiſchen nackten Landſtrichen ohne Spur von Pflanzenwuchs und Landſtrichen, die mit Gräſern oder kleinen Gewächſen aus der Klaſſe der Dikotyle - donen bedeckt ſind. In manchen Werken heißen die ameri - kaniſchen Savannen, namentlich die der gemäßigten Zone, Wieſen (Prärien); aber dieſe Bezeichnung paßt, wie mir dünkt, ſchlecht auf Weiden, die oft ſehr dürr, wenn auch mit270 1,3 bis 1,6 m hohen Kräutern bedeckt ſind. Die amerikani - ſchen Llanos oder Pampas ſind wahre Steppen. Sie ſind in der Regenzeit ſchön begrünt, aber in der trockenſten Jahres - zeit bekommen ſie das Anſehen von Wüſten. Das Kraut zer - fällt zu Staub, der Boden berſtet, das Krokodil und die großen Schlangen liegen begraben im ausgedörrten Schlamm, bis die erſten Regengüſſe im Frühjahr ſie aus der langen Erſtarrung wecken. Dieſe Erſcheinungen kommen auf dürren Landſtrichen von 1000 bis 1200 qkm überall vor, wo keine Gewäſſer durch die Savanne ſtrömen; denn am Ufer der Bäche und der kleinen Stücke ſtehenden Waſſers ſtößt der Reiſende von Zeit zu Zeit ſelbſt in der dürrſten Jahreszeit auf Ge - büſche der Mauritia, einer Palmenart, deren fächerförmige Blätter beſtändig glänzend grün ſind.

Die aſiatiſchen Steppen liegen alle außerhalb der Wende - kreiſe und bilden ſehr hohe Plateaus. Auch Amerika hat auf dem Rücken der Gebirge von Mexiko, Peru und Quito Sa - vannen von bedeutender Ausdehnung, aber ſeine ausgedehn - teſten Steppen, die Llanos von Cumana, Caracas und Meta, erheben ſich nur ſehr wenig über dem Meeresſpiegel und fallen alle in die Aequinoktialzone. Dieſe Umſtände erteilen ihnen einen eigentümlichen Charakter. Die Seen ohne Abfluß, die kleinen Flußſyſteme, die ſich im Sande verlieren oder durch die Gebirgsart durchſeigen, wie ſie den Steppen im öſt - lichen Aſien und den perſiſchen Wüſten eigen ſind, kommen hier nicht vor. Die amerikaniſchen Llanos fallen gegen Oſt und Süd und ihre ſtrömenden Gewäſſer laufen in den Orinoko.

Nach dem Laufe dieſer Flüſſe hatte ich früher geglaubt, daß die Ebenen Plateaus bilden müßten, die mindeſtens 195 bis 290 m über dem Meere gelegen wären. Ich dachte mir, auch die Wüſten im inneren Afrika müßten beträchtlich hoch liegen und ſtufenweiſe von den Küſten bis ins Innere des großen Kontinents übereinander aufſteigen. Bis jetzt iſt noch kein Barometer in die Sahara gekommen. Was aber die amerikaniſchen Llanos betrifft, ſo zeigen die Barometerhöhen, die ich zu Calabozo, zu Villa del Pao und an der Mündung des Meta beobachtet, daß ſie nicht mehr als 78 bis 97 m über dem Meeresſpiegel liegen. Die Flüſſe haben einen ſehr ſchwachen, oft kaum merklichen Fall. So kommt es, daß beim geringſten Winde, und wenn der Orinoko anſchwillt, die Flüſſe, die in ihn fallen, rückwärts gedrängt werden. Im Rio Arauca271 bemerkt man häufig die Strömung nach oben. Die In - dianer glauben einen ganzen Tag lang abwärts zu ſchiffen, während ſie von der Mündung gegen die Quellen fahren. Zwiſchen den abwärtsſtrömenden und den aufwärtsſtrömenden Gewäſſern bleibt eine bedeutende Waſſermaſſe ſtillſtehen, in der ſich durch Gleichgewichtsſtörung Wirbel bilden, die den Fahrzeugen gefährlich werden.

Der eigentümlichſte Zug der Savannen oder Steppen Südamerikas iſt die völlige Abweſenheit aller Erhöhungen, die vollkommen wagerechte Lage des ganzen Bodens. Die ſpaniſchen Eroberer, die zuerſt von Coro her an die Ufer des Apure vordrangen, haben ſie daher auch weder Wüſten, noch Savannen, noch Prärien genannt, ſondern Ebenen, los Llanos. Auf 600 qkm zeigt der Boden oft keine fußhohe Unebenheit. Dieſe Aehnlichkeit mit der Meeresfläche drängt ſich der Ein - bildungskraft beſonders da auf, wo die Ebenen gar keine Palmen tragen, und wo man von den Bergen an der Küſte und vom Orinoko ſo weit weg iſt, daß man dieſelben nicht ſieht, wie in der Meſa de Pavones. Dort könnte man ſich verſucht fühlen, mit einem Reflexionsinſtrument Sonnenhöhen aufzunehmen, wenn nicht der Landhorizont infolge des wechſelnden Spieles der Refraktionen, beſtändig in Nebel ge - hüllt wäre. Dieſe Ebenheit des Bodens iſt noch vollſtändiger unter dem Meridian von Calabozo als gegen Oſt zwiſchen Cari, Villa del Pao und Nueva Barcelona; aber ſie herrſcht ohne Unterbrechung von den Mündungen des Orinoko bis zur Villa de Araure und Oſpinos, auf einer Parallele von 810 km, und von San Carlos bis zu den Savannen am Caqueta auf einem Meridian von 900 km. Sie vor allem iſt charakteriſtiſch für den neuen Kontinent, ſowie für die aſia - tiſchen Steppen zwiſchen dem Dnjepr und der Wolga, zwi - ſchen dem Irtyſch und dem Ob. Dagegen zeigen die Wüſten im inneren Afrika, in Arabien, Syrien und Perſien, die Gobi und die Gasna viele Bodenunebenheiten, Hügelreihen, waſſer - loſe Schluchten und feſtes Geſtein, das aus dem Sande her - vorragt.

Trotz der ſcheinbaren Gleichförmigkeit ihrer Fläche finden ſich indeſſen in den Llanos zweierlei Unebenheiten, die dem aufmerkſamen Beobachter nicht entgehen. Die erſte Art nennt man Bancos; es ſind wahre Bänke, Untiefen im Steppen - becken, zerbrochene Schichten von feſtem Sandſtein oder Kalk - ſtein, die 1,3 bis 1,6 m höher liegen als die übrige Ebene. 272Dieſe Bänke ſind zuweilen 13 bis 18 km lang; ſie ſind voll - kommen eben und wagerecht und man bemerkt ihr Vorhanden - ſein überhaupt nur dann, wenn man ihre Ränder vor ſich hat. Die zweite Unebenheit läßt ſich nur durch geodätiſche oder barometriſche Meſſungen oder am Laufe der Flüſſe er - kennen; ſie heißt Meſa. Es ſind dies kleine Plateaus, oder vielmehr konvexe Erhöhungen, die unmerklich zu einigen Metern Höhe anſteigen. Dergleichen ſind oſtwärts in der Provinz Cumana, im Norden von Villa de la Merced und Candelaria, die Meſas Amana, Guanipa und Jonoro, die von Südweſt nach Nordoſt ſtreichen und trotz ihrer unbedeutenden Höhe die Waſſer zwiſchen dem Orinoko und der Nordküſte von Terra Firma ſcheiden. Nur die ſanfte Wölbung der Savanne bildet die Waſſerſcheide; hier ſind die Divortia aquarum,1Livius L. 38, c. 75. wie in Polen, wo fern von den Karpathen die Waſſerſcheide zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meere in der Ebene ſelbſt liegt. Die Geographen ſetzen da, wo eine Waſſerſcheide iſt, immer Bergzüge voraus, und ſo ſieht man denn auch auf den Karten dergleichen um die Quellen des Rio Neveri, des Unare, des Guarapiche und des Pao eingezeichnet. Dies erinnert an die mongoliſchen Prieſter, die nach einem alten abergläubiſchen Brauche an allen Stellen, wo die Waſſer nach entgegengeſetzten Seiten fließen, Obos oder kleine Steinhaufen errichten.

Das ewige Einerlei der Llanos, die große Seltenheit von bewohnten Plätzen, die Beſchwerden der Reiſe unter einem glühenden Himmel und bei ſtauberfüllter Luft, die Ausſicht auf den Horizont, der beſtändig vor einem zurückzuweichen ſcheint, die vereinzelten Palmſtämme, deren einer ausſieht wie der andere, und die man gar nicht erreichen zu können meint, weil man ſie mit anderen Stämmen verwechſelt, die nacheinander am Geſichtskreiſe auftauchen all dies zuſammen macht, daß einem die Steppen noch weit größer vorkommen, als ſie wirklich ſind. Die Pflanzer am Südabhange des Küſtengebirges ſehen die Steppen grenzenlos, gleich einem grünen Ozean gegen Süd ſich ausdehnen. Sie wiſſen, daß man vom Delta des Orinoko bis in die Provinz Varinas und von dort über die Flüſſe Meta, Guaviare und Caguan, anfangs von Oſt nach Weſt, ſodann von Nordoſt nach Nordweſt, 1700 km weit in273 den Steppen fortziehen kann, bis über den Aequator hinaus an den Fuß der Anden von Paſto. Sie kennen nach den Berichten der Reiſenden die Pampas von Buenos Ayres, die gleichfalls mit feinem Gras bewachſene, baumloſe Llanos ſind und von verwilderten Rindern und Pferden wimmeln. Sie ſind, nach Anleitung unſerer meiſten Karten von Amerika, der Meinung, der Kontinent habe nur eine Bergkette, die der Anden, die von Süd nach Nord läuft, und nach einem unbeſtimmten ſyſtematiſchen Begriffe laſſen ſie alle Ebenen vom Orinoko und vom Apure an bis zum Rio de la Plata und der Magelhaensſchen Meerenge untereinander zuſammen - hängen.

Ich entwerfe im folgenden ein möglichſt klares und ge - drängtes Bild vom allgemeinen Bau eines Feſtlandes, deſſen Endpunkte, unter ſo verſchiedenen Klimaten ſie auch liegen, in mehreren Zügen miteinander übereinkommen. Um den Umriß und die Grenzen der Ebenen richtig aufzufaſſen, muß man die Bergketten kennen, welche den Uferrand derſelben bilden. Von der Küſtenkordillere, deren höchſter Gipfel die Silla bei Caracas iſt, und die durch den Paramo de las Roſas mit dem Nevado von Merida und den Anden von Neugranada zuſammenhängt, haben wir bereits geſprochen. Eine zweite Bergkette, oder vielmehr ein minder hoher, aber weit breiterer Bergſtock läuft zwiſchen dem 3. und 7. Parallelkreiſe von den Mündungen des Guaviare und Meta zu den Quellen des Orinoko, Marony und Eſſequibo, gegen das holländiſche und franzöſiſche Guyana zu. Ich nenne dieſe Kette die Kor - dillere der Parime oder der großen Fälle des Orinoko; man kann ſie 1125 km weit verfolgen, es iſt aber nicht ſowohl eine Kette, als ein Haufen granitiſcher Berge, zwiſchen denen kleine Ebenen liegen und die nicht überall Reihen bilden. Der Bergſtock der Parime verſchmälert ſich bedeutend zwiſchen den Quellen des Orinoko und den Bergen von Demerara zu den Sierren von Quimiropaca und Pacaraimo, welche die Waſſer - ſcheide bilden zwiſchen dem Carony und dem Rio Parime oder Rio de Aguas blancas. Dies iſt der Schauplatz der Unter - nehmungen, um den Dorado aufzuſuchen und die große Stadt Manoa, das Timbuktu der Neuen Welt. Die Kordillere der Parime hängt mit den Anden von Neugranada nicht zuſammen; ſie ſind durch einen 360 km breiten Zwiſchenraum getrennt. Dächte man ſich, dieſelbe ſie hier durch eine große Erdum - wälzung zerſtört worden, was übrigens gar nicht wahrſcheinlichA. v. Humboldt, Reiſe. II. 18274iſt, ſo müßte man annehmen, ſie ſei einſt von den Anden zwiſchen Santa Fé de Bogota und Pamplona abgegangen. Dieſe Bemerkung mag dazu dienen, die geographiſche Lage dieſer Kordillere, die bis jetzt ſehr wenig bekannt geworden, dem Leſer beſſer einzuprägen. Eine dritte Bergkette ver - bindet unter dem 16. und 18. Grad ſüdlicher Breite (über Santa Cruz de la Sierra, die Serranias von Aguapehy und die vielberufenen Campos dos Parecis) die peruaniſchen Anden mit den Gebirgen Braſiliens. Dies iſt die Kordillere von Chiquitos, die in der Capitania von Minas Geraes breiter wird und die Waſſerſcheide zwiſchen dem Amazonenſtrome und dem La Plata bildet, nicht nur im inneren Lande, im Meridian von Villa Boa, ſondern bis wenige Meilen von der Küſte, zwiſchen Rio de Janeiro und Bahia.

Dieſe drei Querketten oder vielmehr dieſe drei Berg - ſtöcke, welche innerhalb der Grenzen der heißen Zone von Weſt nach Oſt ſtreichen, ſind durch völlig ebene Landſtriche getrennt, die Ebenen von Caracas oder am unteren Ori - noko, die Ebenen des Amazonenſtromes und des Rio Negro, die Ebenen von Buenos Ayres oder des La Plata. Ich brauche nicht den Ausdruck Thäler, weil der untere Orinoko und der Amazonenſtrom keineswegs in einem Thale fließen, ſondern nur in einer weiten Ebene eine kleine Rinne bilden. Die beiden Becken an den beiden Enden Südamerikas ſind Savannen oder Steppen, baumloſe Weiden; das mittlere Becken, in welches das ganze Jahr die tropiſchen Regen fallen, iſt faſt durchgängig ein ungeheurer Wald, in dem es keinen anderen Pfad gibt als die Flüſſe. Wegen des kräftigen Pflanzenwuchſes, der den Boden überzieht, fällt hier die Eben - heit desſelben weniger auf, und nur die Becken von Caracas und La Plata nennt man Ebenen. In der Sprache der Koloniſten heißen die drei eben beſchriebenen Becken: die Llanos von Varinas und Caracas, die Bosques oder Selvas (Wälder) des Amazonenſtromes, und die Pampas von Buenos Ayres. Der Wald bedeckt nicht nur größtenteils die Ebenen des Amazonenſtromes von der Kordillere von Chiquitos bis zu der der Parime, er überzieht auch dieſe beiden Bergketten, welche ſelten die Höhe der Pyrenäen erreichen. Deshalb ſind die weiten Ebenen des Amazonen - ſtromes, des Madeira und Rio Negro nicht ſo ſcharf begrenzt wie die Llanos von Caracas und die Pampas von Buenos Ayres. Da die Waldregion Ebenen und Gebirge zugleich275 begreift, ſo erſtreckt ſie ſich vom 18. Grad ſüdlicher bis zum 7. und 8. Grad nördlicher Breite und umfaßt gegen 2430000 qkm. Dieſer Wald des ſüdlichen Amerika, denn im Grunde iſt es nur einer, iſt ſechsmal größer als Frankreich; die Europäer kennen ihn nur an den Ufern einiger Flüſſe, die ihn durch - ſtrömen, und er hat Lichtungen, deren Umfang mit dem des Forſtes im Verhältnis ſteht. Wir werden bald an ſumpfigen Savannen zwiſchen dem oberen Orinoko, dem Conorichite und Caſſiquiare, unter dem 3. und 4. Grad der Breite, vor - überkommen. Unter demſelben Parallelkreiſe liegen andere Lichtungen oder Savanas limpias1Offene baumloſe Savannen, limpias de arboles. zwiſchen den Quellen des Mao und des Rio de Aguas blancas, ſüdlich von der Sierra Pacaraima. Dieſe letzteren Savannen ſind von Ka - riben und nomadiſchen Macuſi bewohnt; ſie ziehen ſich bis nahe an die Grenzen des holländiſchen und franzöſiſchen Guyana fort.

Wir haben die geologiſchen Verhältniſſe von Südamerika geſchildert; heben wir jetzt die Hauptzüge heraus. Den Weſt - küſten entlang läuft eine ungeheure Gebirgsmauer, reich an edlen Metallen überall, wo das vulkaniſche Feuer ſich nicht durch den ewigen Schnee Bahn gebrochen: dies iſt die Kor - dillere der Anden. Gipfel von Trappporphyr ſteigen hier zu mehr als 6430 m Höhe auf, und die mittlere Höhe der Kette beträgt 3595 m. Sie ſtreicht in der Richtung eines Meridians fort und ſchickt in jeder Halbkugel, unter dem 10. Grad nördlicher und unter dem 16. und 18. Grad ſüd - licher Breite einen Seitenzweig ab. Der erſtere dieſer Zweige, die Küſtenkordillere von Caracas, iſt minder breit und bildet eine eigentliche Kette. Der zweite, die Kordillere von Chi - quitos und an den Quellen des Guapore, iſt ſehr reich an Gold und breitet ſich oſtwärts, in Braſilien, zu weiten Plateaus mit gemäßigtem Klima aus. Zwiſchen dieſen beiden mit den Anden zuſammenhängenden Querketten liegt vom 3. zum 7. Grad nördlicher Breite eine abgeſonderte Gruppe granitiſcher Berge, die gleichfalls parallel mit dem Aequator, jedoch nicht über den 71. Grad der Länge fortſtreicht, dort gegen Weſten raſch abbricht und mit den Anden von Neugranada nicht zuſammen - hängt. Dieſe drei Querketten haben keine thätigen Vulkane; wir wiſſen aber nicht, ob auch die ſüdlichſte, gleich den beiden276 anderen, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere Höhe der Kordillere der Parime und der Küſtenkordillere von Caracas beträgt nicht ganz 1170 m, wobei übrigens manche Gipfel ſich doch 2730 m über das Meer erheben. Zwiſchen den drei Querketten liegen Ebenen, die ſämtlich gegen Weſt geſchloſſen, gegen Oſt und Südoſt offen ſind. Bedenkt man ihre ſo unbedeutende Höhe über dem Meere, ſo fühlt man ſich verſucht, ſie als Golfe zu betrachten, die in der Richtung des Rotationsſtromes fortſtreichen. Wenn infolge einer un - gewöhnlichen Anziehung die Gewäſſer des Atlantiſchen Meeres an der Mündung des Orinoko um 100 m, an der Mündung des Amazonenſtromes um 390 m ſtiegen, ſo würde die Flut mehr als die Hälfte von Südamerika bedecken. Der Oſtabhang oder der Fuß der Anden, der jetzt 2700 km von den Küſten Braſiliens abliegt, wäre ein von der See beſpültes Ufer. Dieſe Betrachtung gründet ſich auf eine barometriſche Meſſung in der Provinz Jaen de Bracamoros, wo der Amazonenſtrom aus den Kordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß dort der ungeheure Strom bei mittlerem Waſſerſtande nur 378 m über dem gegenwärtigen Spiegel des Atlantiſchen Meeres liegt. Und dieſe in der Mitte gelegenen waldbedeckten Ebenen liegen noch fünfmal höher als die grasbewachſenen Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas und am Meta.

Dieſe Llanos, welche das Becken des unteren Orinoko bilden und die wir zweimal im ſelben Jahre, in den Monaten März und Juli, durchzogen haben, hängen zuſammen mit dem Becken des Amazonenſtromes und des Rio Negro, das einerſeits durch die Kordillere von Chiquitos, andererſeits durch die Gebirge der Parime begrenzt iſt. Dieſer Zuſammen - hang vermittelt ſich durch die Lücke zwiſchen den letzteren und den Anden von Neugranada. Der Boden in ſeinem Anblick erinnert hier, nur daß der Maßſtab ein weit größerer iſt, an die lombardiſchen Ebenen, die ſich auch nur 100 bis 120 m über das Meer erheben und einmal von der Brenta nach Turin von Oſt nach Weſt, dann von Turin nach Coni von Nord nach Süd ſtreichen. Wenn andere geologiſche That - ſachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am unteren Orinoko, am Amazonenſtrom und am Rio de la Plata als alte Seebecken zu betrachten, ſo ließen ſich die Ebenen am Rio Vichada und am Meta als ein Kanal anſehen, durch den277 die Waſſer des oberen Sees, des auf den Ebenen des Ama - zonenſtromes, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas, durchgebrochen wären und dabei die Kordillere der Parime von der der Anden getrennt hätten. Dieſer Kanal iſt eine Art Land-Meerenge (détroit terrestre). Der durchaus ebene Boden zwiſchen dem Guaviare, dem Meta und Apure zeigt keine Spur von gewaltſamem Einbruch der Gewäſſer; aber am Rande der Kordillere der Parime, zwiſchen dem 4. und 7. Grad der Breite, hat ſich der Orinoko, der von ſeiner Quelle bis zur Einmündung des Guaviare weſtwärts fließt, auf ſeinem Laufe von Süd nach Nord durch das Geſtein einen Weg ge - brochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald ſehen werden, auf dieſer Strecke. Aber mit der Einmündung des Apure, dort, wo im ſo niedrig gelegenen Lande der Abhang gegen Nord mit dem Gegenhang nach Südoſt zuſammentrifft, das heißt mit der Böſchung der Ebenen, die unmerklich gegen die Gebirge von Caracas anſteigen, macht der Fluß wieder eine Biegung und ſtrömt ſofort oſtwärts. Ich glaubte den Leſer ſchon hier auf dieſe ſonderbaren Windungen des Ori - noko aufmerkſam machen zu müſſen, weil er mit ſeinem Laufe, als zwei Becken zumal angehörend, ſelbſt auf den mangelhafteſten Karten gewiſſermaßen die Richtung des Teiles der Ebenen bezeichnet, der zwiſchen die Anden von Neu - granada und den weſtlichen Saum der Gebirge der Parime eingeſchoben iſt.

Die Llanos oder Steppen am unteren Orinoko und am Meta führen, gleich den afrikaniſchen Wüſten, in ihren ver - ſchiedenen Strichen verſchiedene Namen. Von den Bocas del Dragon an folgen von Oſt nach Weſt aufeinander: die Llanos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder Venezuela. Wo die Steppen vom 8. Breitengrade an, zwiſchen dem 70. und 73. Grad der Länge, ſich nach Süd und Süd - Süd-Weſt wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos von Varinas, Caſanare, Meta, Guaviare, Caguan und Ca - queta. In den Ebenen von Varinas kommen einige nicht ſehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein nicht mehr vorhandenes Volk deuten. Man findet zwiſchen Mijagual und dem Caño de la Hacha wahre Grabhügel, dortzulande Serrillos de los Indios genannt. Es ſind kegelförmige Er - höhungen, aus Erde von Menſchenhand aufgeführt, und ſie bergen ohne Zweifel menſchliche Gebeine, wie die Grabhügel in den aſiatiſchen Steppen. Ferner beim Hato de la Calzada,278 zwiſchen Varinas und Caragua, ſieht man eine hübſche Straße, 22,5 km lang, vor der Eroberung, in ſehr alter Zeit von den Eingeborenen angelegt. Es iſt ein Erddamm, 5 m hoch, der über eine häufig überſchwemmte Ebene führt. Hatten ſich etwa civiliſiertere Völker von den Gebirgen von Truxillo und Merida über die Ebenen am Rio Apure verbreitet? Die heu - tigen Indianer zwiſchen dieſem Fluß und dem Meta ſind viel zu verſunken, um an die Errichtung von Kunſtſtraßen oder Grabhügeln zu denken.

Ich habe den Flächenraum dieſer Llanos von der Caqueta bis zum Apure und vom Apure zum Delta des Orinoko auf 345000 qkm berechnet. Der von Nord nach Süd ſich er - ſtreckende Teil iſt beinahe doppelt ſo groß als der von Oſt nach Weſt zwiſchen dem unteren Orinoko und der Küſten - kordillere von Caracas ſtreichende. Die Pampas nord - und nordweſtwärts von Buenos Ayres, zwiſchen dieſer Stadt und Cordova, Jujuy und Tucuman, ſind ungefähr ebenſo groß als die Llanos; aber die Pampas ſetzen ſich noch 18° weiter nach Süd fort, und ſie erſtrecken ſich über einen ſo weiten Landſtrich, daß am einen Saume Palmen wachſen, während der andere, ebenſo niedrig gelegene und ebene, mit ewigem Eis bedeckt iſt.

Die amerikaniſchen Llanos ſind da, wo ſie parallel mit dem Aequator ſtreichen, viermal ſchmäler als die große afri - kaniſche Wüſte. Dieſer Umſtand iſt von großer Bedeutung in einem Landſtrich, wo die Richtung der Winde beſtändig von Oſt nach Weſt geht. Je weiter Ebenen in dieſer Richtung ſich erſtrecken, deſto heißer iſt ihr Klima. Das große afri - kaniſche Sandmeer hängt über Yemen mit Gedroſia und Be - ludſchiſtan bis ans rechte Ufer des Indus zuſammen, und infolge der Winde, die über die oſtwärts gelegenen Wüſten weggegangen ſind, iſt das Becken des Roten Meeres, in der Mitte von Ebenen, welche auf allen Punkten Wärme ſtrahlen, eine der heißeſten Gegenden des Erdballs. Der unglückliche Kapitän Tuckey berichtet, daß der hundertteilige Thermo - meter ſich dort faſt immer bei Nacht auf 34°, bei Tag auf 40 bis 44° hält. Wie wir bald ſehen werden, haben wir ſelbſt im weſtlichen Teile der Steppen von Caracas die Tem - peratur der Luft, im Schatten und vom Boden entfernt, ſelten über 37° gefunden.

An dieſe phyſikaliſchen Betrachtungen über die Steppen der Neuen Welt knüpfen ſich andere, höhere, ſolche, die ſich279 auf die Geſchichte unſerer Gattung beziehen. Das große afrikaniſche Sandmeer, die waſſerloſen Wüſten ſind nur von Karawanen beſucht, die bis zu 50 Tagen brauchen, ſie zu durchziehen. Die Sahara trennt die Völker von Negerbildung von den Stämmen der Araber und Berbern und iſt nur in den Oaſen bewohnt. Weiden hat ſie nur im öſtlichen Striche, wo als Wirkung der Paſſatwinde die Sandſchicht weniger dick iſt, ſo daß die Quellen zu Tage brechen können. Die Steppen Amerikas ſind nicht ſo breit, nicht ſo glühend heiß, ſie werden von herrlichen Strömen befruchtet und ſind ſo dem Verkehr der Völker weit weniger hinderlich. Die Llanos trennen die Küſtenkordillere von Caracas und die Anden von Neugranada von der Waldregion, von jener Hyläa1῾ϒλαίη. Herodot, Melpomene. des Ori - noko, die ſchon bei der Entdeckung Amerikas von Völkern bewohnt war, welche auf einer weit tieferen Stufe der Kultur ſtanden, als die Bewohner der Küſten und vor allen des Ge - birgslandes der Kordilleren. Indeſſen waren die Steppen einſt ſo wenig eine Schutzmauer der Kultur, als ſie gegen - wärtig für die in den Wäldern lebenden Horden eine Schutz - mauer der Freiheit ſind. Sie haben die Völker am unteren Orinoko nicht abgehalten, die kleinen Flüſſe hinaufzufahren und nach Nord und Weſt Einfälle ins Land zu machen. Hätte es die mannigfaltige Verbreitung der Geſchlechter über die Erde mit ſich gebracht, daß das Hirtenleben in der Neuen Welt beſtehen konnte; hätten vor der Ankunft der Spanier auf den Llanos und Pampas ſo zahlreiche Herden von Rindern und Pferden geweidet wie jetzt, ſo wäre Kolumbus das Men - ſchengeſchlecht hier in ganz anderer Verfaſſung entgegengetreten. Hirtenvölker, die von Milch und Käſe leben, wahre Nomaden hätten dieſe weiten, miteinander zuſammenhängenden Ebenen durchzogen. In der trockenen Jahreszeit und ſelbſt zur Zeit der Ueberſchwemmungen hätten ſie den Beſitz der Weiden einander ſtreitig gemacht, ſie hätten einander unterjocht und, vereint durch das gemeinſame Band der Sitten, der Sprache und der Gottesverehrung, ſich zu der Stufe von Halbkultur erhoben, die uns bei den Völkern mongoliſchen und tatariſchen Stammes überraſchend entgegentritt. Dann hätte Amerika, gleich dem mittleren Aſien, ſeine Eroberer gehabt, welche aus den Ebenen zum Plateau der Kordilleren hinaufſtiegen, dem280 umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka und des Zaque1Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca. Er teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von Iraca. umſtürzten und an die Stelle des Deſpo - tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Deſpotismus ſetzten, wie ihn das patriarchaliſche Regiment der Hirtenvölker mit ſich bringt. Die Menſchheit der Neuen Welt hat dieſe großen moraliſchen und politiſchen Wechſel nicht durchgemacht, und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die aſiatiſchen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich iſt, und weil in der Entwickelung amerikaniſcher Kultur das Mittelglied zwiſchen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern fehlte.

Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten gegenüber den Wüſten Afrikas und den fruchtbaren Steppen Aſiens ſchienen mir geeignet, den Bericht einer Reiſe durch ſo einförmige Landſtriche anziehender zu machen. Jetzt aber mag mich der Leſer auf unſerem Wege von den vulkani - ſchen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas begleiten.

Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver - geblich unter Gebüſch von Murichipalmen Schutz gegen die Sonnenglut geſucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen Hofe El Cayman , auch la Guadelupe genannt. Es iſt dies ein Hato de Ganado, das heißt ein einſames Haus in der Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, iſt nicht ein - gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren Quadratmeilen. Nirgends iſt eine Umzäunung. Männer, bis zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, ſtreifen zu Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be - halten, zurückzutreiben, was ſich zu weit von den Weiden des Hofes verläuft, mit dem glühenden Eiſen zu zeichnen, was noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Dieſe Far - bigen, Peones Llaneros genannt, ſind zum Teil Freie oder281 Freigelaſſene, zum Teil Sklaven. Nirgends iſt der Menſch ſo anhaltend dem ſengenden Strahl der tropiſchen Sonne aus - geſetzt. Sie nähren ſich von luftdürrem, ſchwach geſalzenem Fleiſch; ſelbſt ihre Pferde freſſen es zuweilen. Sie ſind be - ſtändig im Sattel und meinen nicht, den unbedeutendſten Gang zu Fuß machen zu können. Wir trafen im Hof einen alten Negerſklaven, der in der Abweſenheit des Herrn das Regiment führte. Herden von mehreren tauſend Kühen ſollten in der Steppe weiden; trotzdem baten wir vergeblich um einen Topf Milch. Man reichte uns in Tutumofrüchten gelbes, ſchlam - miges, ſtinkendes Waſſer: es war aus einem Sumpf in der Nähe geſchöpft. Die Bewohner der Llanos ſind ſo träg, daß ſie gar keine Brunnen graben, obgleich man wohl weiß, daß ſich faſt allenthalben in 3 m Tiefe gute Quellen in einer Schicht von Konglomerat oder rotem Sandſtein finden. Nach - dem man die eine Hälfte des Jahres durch die Ueberſchwem - mungen gelitten, erträgt man in der anderen geduldig den peinlichſten Waſſermangel. Der alte Neger riet uns, das Gefäß mit einem Stück Leinwand zu bedecken und ſo gleich - ſam durch ein Filtrum zu trinken, damit uns der üble Geruch nicht beläſtigte und wir vom feinen, gelblichen Thon, der im Waſſer ſuſpendiert iſt, nicht ſo viel zu verſchlucken hätten. Wir ahnten nicht, daß wir von nun an monatelang auf dieſes Hilfsmittel angewieſen ſein würden. Auch das Waſſer des Orinoko hat ſehr viele erdige Beſtandteile; es iſt ſogar ſtinkend, wo in Flußſchlingen tote Krokodile auf den Sand - bänken liegen oder halb im Schlamm ſtecken.

Kaum war abgepackt und unſere Inſtrumente aufgeſtellt, ſo ließ man unſere Maultiere laufen und, wie es dort heißt, Waſſer in der Savanne ſuchen . Rings um den Hof ſind kleine Teiche; die Tiere finden ſie, geleitet von ihrem Inſtinkt, von den Mauritiagebüſchen, die hie und da zu ſehen ſind, und von der feuchten Kühlung, die ihnen in einer Atmoſphäre, die uns ganz ſtill und regungslos erſcheint, von kleinen Luft - ſtrömen zugeführt wird. Sind die Waſſerlachen zu weit ent - fernt und die Knechte im Hof zu faul, um die Tiere zu dieſen natürlichen Tränken zu führen, ſo ſperrt man ſie 5, 6 Stun - den lang in einen recht heißen Stall, bevor man ſie laufen läßt. Der heftige Durſt ſteigert dann ihren Scharfſinn, in - dem er gleichſam ihre Sinne und ihren Inſtinkt ſchärft. So - wie man den Stall öffnet, ſieht man Pferde und Maultiere, die letzteren beſonders, vor deren Spürkraft die Intelligenz282 der Pferde zurückſtehen muß, in die Savanne hinausjagen. Den Schwanz hoch gehoben, den Kopf zurückgeworfen, laufen ſie gegen den Wind und halten zuweilen an, wie um den Raum auszukundſchaften; ſie richten ſich dabei weniger nach den Eindrücken des Geſichts als nach denen des Geruchs, und endlich verkündet anhaltendes Wiehern, daß ſich in der Richtung ihres Laufs Waſſer findet. In den Llanos geborene Pferde, die ſich lange in umherſchweifenden Rudeln frei ge - tummelt haben, ſind in allen dieſen Bewegungen raſcher und kommen dabei leichter zum Ziele als ſolche, die von der Küſte herkommen und von zahmen Pferden abſtammen. Bei den meiſten Tieren, wie beim Menſchen, vermindert ſich die Schärfe der Sinne durch lange Unterwürfigkeit und durch die Gewöh - nungen, wie feſte Wohnſitze und die Fortſchritte der Kultur ſie mit ſich bringen.

Wir gingen unſeren Maultieren nach, um zu einer der Lachen zu gelangen, aus denen man das trübe Waſſer ſchöpft, das unſeren Durſt ſo übel gelöſcht hatte. Wir waren mit Staub bedeckt, verbrannt vom Sandwind, der die Haut noch mehr angreift als die Sonnenſtrahlen. Wir ſehnten uns nach einem Bad, fanden aber nur ein großes Stück ſtehenden Waſſers, mit Palmen umgeben. Das Waſſer war trüb, aber zu unſerer großen Verwunderung etwas kühler als die Luft. Auf unſerer langen Reiſe gewöhnt, zu baden, ſo oft ſich Ge - legenheit dazu bot, oft mehrmals des Tages, beſannen wir uns nicht lange und ſprangen in den Teich. Kaum war das behagliche Gefühl der Kühlung über uns gekommen, als ein Geräuſch am entgegengeſetzten Ufer uns ſchnell wieder aus dem Waſſer trieb. Es war ein Krokodil, das ſich in den Schlamm grub. Es wäre unvorſichtig geweſen, zur Nachtzeit an dieſem ſumpfigen Ort zu verweilen.

Wir waren nur etwas über 1 km vom Hof entfernt, wir gingen aber über eine Stunde und kamen nicht hin. Wir wurden zu ſpät gewahr, daß wir eine falſche Richtung ein - geſchlagen. Wir hatten bei Anbruch der Nacht, noch ehe die Sterne ſichtbar wurden, den Hof verlaſſen und waren aufs Geratewohl in der Ebene fortgegangen. Wir hatten, wie immer, einen Kompaß bei uns; auch konnten wir uns nach der Stellung des Canopus und des ſüdlichen Kreuzes leicht orientieren; aber all dies half uns nichts, weil wir nicht ge - wiß wußten, ob wir vom Hof weg nach Oſt oder nach Süd gegangen waren. Wir wollten an unſeren Badeplatz zurück283 und gingen wieder drei Viertelſtunden, ohne den Teich zu finden. Oft meinten wir, Feuer am Horizont zu ſehen; es waren auf - gehende Sterne, deren Bild durch die Dünſte vergrößert wurde. Nachdem wir lange in der Savanne umhergeirrt, beſchloſſen wir, unter einem Palmbaume, an einem recht trockenen, mit kurzem Gras bewachſenen Ort uns niederzuſetzen; denn friſch angekommene Europäer fürchten ſich immer mehr vor den Waſſerſchlangen als vor den Jaguaren. Wir durften nicht hoffen, daß unſere Führer, deren träge Gleichgültigkeit uns wohl bekannt war, uns in der Savanne ſuchen würden, bevor ſie ihre Lebensmittel zubereitet und abgeſpeiſt hätten. Je bedenklicher unſere Lage war, deſto freudiger überraſchte uns ferner Hufſchlag, der auf uns zukam. Es war ein mit einer Lanze bewaffneter Indianer, der vom Rodeo zurückkam, das heißt von der Streife, durch die man das Vieh auf einen be - ſtimmten Raum zuſammentreibt. Beim Anblick zweier Weißen, die verirrt ſein wollten, dachte er zuerſt an irgend eine böſe Liſt von unſerer Seite, und es koſtete uns Mühe, ihm Ver - trauen einzuflößen. Endlich ließ er ſich willig finden, uns zum Hof zu führen, ritt aber dabei in einem kurzen Trott weiter. Unſere Führer verſicherten, ſie hätten bereits ange - fangen, beſorgt um uns zu werden , und dieſe Beſorgnis zu rechtfertigen, zählten ſie eine Menge Leute her, die, in den Llanos verirrt, im Zuſtand völliger Erſchöpfung gefunden worden. Die Gefahr kann begreiflich nur dann ſehr groß ſein, wenn man weit von jedem Wohnplatz abkommt, oder wenn man, wie es in den letzten Jahren vorgekommen iſt, von Räubern geplündert und an Leib und Händen an einen Palmſtamm gebunden wird.

Um von der Hitze am Tage weniger zu leiden, brachen wir ſchon um 2 Uhr in der Nacht auf und hofften vor Mittag Calabozo zu erreichen, eine kleine Stadt mit lebhaftem Handel, die mitten in den Llanos liegt. Das Bild der Land - ſchaft iſt immer dasſelbe. Der Mond ſchien nicht, aber die großen Haufen von Nebelſternen, die den ſüdlichen Himmel ſchmücken, beleuchteten im Niedergang einen Teil des Land - horizonts. Das erhabene Schauſpiel des Sternengewölbes in ſeiner unermeßlichen Ausdehnung, der friſche Luftzug, der bei Nacht über die Ebene ſtreicht, das Wogen des Graſes, überall wo es eine gewiſſe Höhe erreicht alles erinnert uns an die hohe See. Vollends ſtark wurde die Täuſchung (man kann es nicht oft genug ſagen), als die Sonnenſcheibe am284 Horizont erſchien, ihr Bild durch die Strahlenbrechung ſich verdoppelte, ihre Abplattung nach kurzer Friſt verſchwand, und ſie nun raſch gerade zum Zenith aufſtieg.

Sonnenaufgang iſt auch in den Ebenen der kühlſte Zeit - punkt am Tage; aber dieſer Temperaturwechſel macht keinen bedeutenden Eindruck auf die Organe. Wir ſahen den Thermo - meter meiſt nicht unter 27,5°122° R. fallen, während bei Acapulco in Mexiko auf gleichfalls ſehr tiefem Boden die Temperatur um Mittag oft 32°, bei Sonnenaufgang 17 bis 18° beträgt. In den Llanos abſorbiert die ebene, bei Tag niemals be - ſchattete Fläche ſo viel Wärme, daß Erde und Luft, trotz der nächtlichen Strahlung gegen einen wolkenloſen Himmel, von Mitternacht bis zu Sonnenaufgang ſich nicht merkbar ab - kühlen können. In Calabozo war im März die Temperatur bei Tag 31 bis 32,5°, bei Nacht 28 bis 29°. Die mittlere Temperatur dieſes Monates, der nicht der heißeſte im Jahre iſt, mag etwa 30,6° ſein, eine ungeheure Hitze für ein Land unter den Tropen, wo Tage und Nächte faſt immer gleich lang ſind. In Kairo iſt die mittlere Temperatur des heißeſten Monats nur 29,9°, in Madras 31,8°, und zu Abuſchär im perſiſchen Meerbuſen, von wo Reihen von Beobachtungen vor - liegen, 34°; aber die mittleren Temperaturen des ganzen Jahres ſind in Madras und Abuſchär niedriger als in Cala - bozo. Obgleich ein Teil der Llanos, gleich den fruchtbaren Steppen Sibiriens, von kleinen Flüſſen durchſtrömt wird, und ganz dürre Striche von Land umgeben ſind, das in der Regen - zeit unter Waſſer ſteht, ſo iſt die Luft dennoch im allgemeinen äußerſt trocken. Delucs Hygrometer zeigte bei Tag 34°, bei Nacht 36°.

Wie die Sonne zum Zenith aufſtieg und die Erde und die übereinander gelagerten Luftſchichten verſchiedene Tempera - turen annahmen, zeigte ſich das Phänomen der Luftſpiege - lung mit ſeinen mannigfaltigen Abänderungen. Es iſt dies in allen Zonen eine ganz gewöhnliche Erſcheinung, und ich erwähne hier derſelben nur, weil wir Halt machten, um die Breite des Luftraumes zwiſchen dem Horizonte und dem auf - gezogenen Bilde mit einiger Genauigkeit zu meſſen. Das Bild war immer hinaufgezogen, aber nicht verkehrt. Die kleinen, über die Bodenfläche wegſtreichenden Luftſtröme hatten eine ſo285 veränderliche Temperatur, daß in einer Herde wilder Ochſen manche mit den Beinen in der Luft zu ſchweben ſchienen, während andere auf dem Boden ſtanden. Der Luftſtrich war, je nach der Entfernung des Tieres, 3 bis 4 Minuten breit. Wo Gebüſche der Mauritiapalme in langen Streifen hinliefen, ſchwebten die Enden dieſer grünen Streifen in der Luft, wie die Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegenſtand meiner Beobachtungen geweſen. Ein unterrichteter Mann verſicherte uns, er habe zwiſchen Calabozo und Uritucu das verkehrte Bild eines Tieres geſehen, ohne direktes Bild. Niebuhr hat in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters meinten wir am Horizont Grabhügel und Türme zu erblicken, die von Zeit zu Zeit verſchwanden, ohne daß wir die wahre Geſtalt der Gegenſtände auszumitteln vermochten. Es waren wohl Erdhaufen, kleine Erhöhungen, jenſeits des gewöhnlichen Ge - ſichtskreiſes gelegen. Ich ſpreche nicht von den pflanzenloſen Flächen, die ſich als weite Seen mit wogender Oberfläche dar - ſtellten. Wegen dieſer Erſcheinung, die am früheſten beobachtet worden iſt, heißt die Luftſpiegelung im Sanskrit ausdrucks - voll die Sehnſucht (der Durſt) der Antilope. Die häu - figen Anſpielungen der indiſchen, perſiſchen und arabiſchen Dichter auf dieſe magiſchen Wirkungen der irdiſchen Strahlen - brechung ſprechen uns ungemein an. Die Griechen und Römer waren faſt gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem Reichtum ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten ſie wenig Sinn für eine ſolche Poeſie der Wüſte. Die Ge - burtsſtätte derſelben iſt Aſien; den Dichtern des Orientes wurde ſie durch die natürliche Beſchaffenheit ihrer Länder an die Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die ſich gleich Meeresarmen und Buchten zwiſchen Länder eindrängen, welche die Natur mit überſchwenglicher Fruchtbarkeit geſchmückt, wurde für ſie zu einer Quelle der Begeiſterung.

Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh, das ſich bei Nacht längs der Teiche oder unter Murichi - und Rhopalabüſchen gelagert hatte, ſammelte ſich zu Herden, und die Einöde bevölkerte ſich mit Pferden, Maultieren und Rin - dern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als freie Tiere leben, ohne feſten Wohnplatz, der Pflege und des Schutzes der Menſchen leicht entbehrend. In dieſen heißen Landſtrichen ſind die Stiere, obgleich von ſpaniſcher Raſſe wie die auf den kalten Plateaus von Quito, von ſanfterem Tem - perament. Der Reiſende läuft nie Gefahr, angefallen und286 verfolgt zu werden, was uns bei unſeren Wanderungen auf dem Rücken der Kordilleren oft begegnet iſt. Dort iſt das Klima rauh, zu heftigen Stürmen geneigt, die Landſchaft hat einen wilderen Charakter und das Futter iſt nicht ſo reichlich. In der Nähe von Calabozo ſahen wir Herden von Rehen friedlich unter Pferden und Rindern weiden. Sie heißen Matacani; ihr Fleiſch iſt ſehr gut. Sie ſind etwas größer als unſere Rehe und gleichen Damhirſchen mit ſehr glattem, fahlbraunem, weiß getupftem Fell. Ihre Geweihe ſchienen mir einfache Spieße. Sie waren faſt gar nicht ſcheu und in Rudeln von 30 bis 40 Stück bemerkten wir mehrere ganz weiße. Dieſe Spielart kommt bei den großen Hirſchen in den kalten Landſtrichen der Anden häufig vor; in dieſen tiefen, heißen Ebenen mußten wir ſie auffallend finden. Ich habe ſeitdem gehört, daß ſelbſt beim Jaguar in den heißen Land - ſtrichen von Paraguay zuweilen Albinos vorkommen, mit ſo gleichförmig weißem Fell, daß man die Flecke oder Ringe nur im Reflex der Sonne bemerkt. Die Matacani oder kleinen Damhirſche ſind ſo häufig in den Llanos, daß ihre Häute einen Handelsartikel abgeben könnten. Ein gewandter Jäger könnte über zwanzig im Tage ſchießen. Aber die Einwohner ſind ſo träge, daß man ſich oft gar nicht die Mühe nimmt, dem Tiere die Haut abzuziehen. Ebenſo iſt es mit der Jagd auf den Jaguar oder großen ameri - kaniſchen Tiger. Ein Jaguarfell, für das man in den Steppen von Varinas nur 1 Piaſter bezahlt, koſtet in Cadiz 4 bis 5 Piaſter.

Die Steppen, die wir durchzogen, ſind haupſächlich mit Gräſern bewachſen, mit Killingia, Cenchrus, Paspalum. Dieſe Gräſer waren in dieſer Jahreszeit bei Calabozo und San Ge - ronimo del Pirital kaum 23 bis 26 cm hoch. An den Flüſſen Apure und Portugueſa wachſen ſie bis 1,3 m hoch, ſo daß der Jaguar ſich darin verſtecken und die Pferde und Maul - tiere in der Ebene überfallen kann. Unter die Gräſer miſchen ſich einige Dikotyledonen, wie Turnera, Malvenarten und, was ſehr auffallend iſt, kleine Mimoſen mit reizbaren Blättern von den Spaniern Dormideras genannt. Derſelbe Rinder - ſtamm, der in Spanien mit Klee und Eſpen gemäſtet wird, findet hier ein treffliches Futter an den krautartigen Senſi - tiven. Die Weiden, wo dieſe Senſitiven beſonders häufig vorkommen, werden teurer als andere verkauft. Im Oſt, in den Llanos von Cari und Barcelona, ſieht man Cypura287 und Craniolaria mit der ſchönen weißen 16 bis 21 cm langen Blüte ſich einzeln über die Gräſer erheben. Am fetteſten ſind die Weiden nicht nur an den Flüſſen, welche häufig aus - treten, ſondern überall, wo die Palmen dichter ſtehen. Ganz baumloſe Flecke ſind die unfruchtbarſten, und es wäre wohl vergebliche Mühe, ſie anbauen zu wollen. Dieſer Unterſchied kann nicht daher rühren, daß die Palmen Schatten geben und den Boden von der Sonne weniger ausdörren laſſen. In den Wäldern am Orinoko habe ich allerdings Bäume aus dieſer Familie mit dicht belaubten Kronen geſehen; aber am Palmbaum der Llanos, der Palma de Cobija,1Dachpalme, Corypha tectorum. iſt der Schatten eben nicht ſehr zu rühmen. Dieſe Palme hat ſehr kleine, gefaltete, handförmige Blätter, gleich denen des Chamärops, und die unteren ſind immer vertrocknet. Es befremdete uns, daß faſt alle dieſe Coryphaſtämme gleich groß waren, 7 bis 8 m hoch, bei 21 bis 26 cm Durchmeſſer unten am Stamm. Nur wenige Palmarten bringt die Natur in ſo ungeheuren Mengen hervor. Unter Tauſenden mit olivenförmigen Früchten be - ladenen Stämmen fanden wir etwa ein Hundert ohne Früchte. Sollten unter den Stämmen mit hermaphroditiſcher Blüte einige mit einhäuſigen Blüten vorkommen? Die Llaneros, die Bewohner der Ebenen, ſchreiben allen dieſen Bäumen von unbedeutender Höhe ein Alter von mehreren Jahrhunderten zu. Ihr Wachstum iſt faſt unmerklich, nach 20 bis 30 Jahren fällt es kaum auf. Die Palma de Cobija liefert übrigens ein treffliches Bauholz. Es iſt ſo hart, daß man nur mit Mühe einen Nagel einſchlägt. Die fächerförmig gefalteten Blätter dienen zum Decken der zerſtreuten Hütten in den Llanos, und dieſe Dächer halten über 20 Jahre aus. Man befeſtigt die Blätter dadurch, daß man die Enden der Blattſtiele umbiegt, nachdem man dieſelben zwi - ſchen zwei Steinen geſchlagen, damit ſie ſich biegen, ohne zu brechen.

Außer den einzelnen Stämmen dieſer Palme findet man hie und da in der Steppe Gruppen von Palmen, wahre Ge - büſche (Palmares), wo ſich zur Corypha ein Baum aus der Familie der Proteaceen geſellt, den die Eingeborenen Cha - parro nennen, eine neue Art Rhopala, mit harten, raſſelnden Blättern. Die kleineren Rhopalagebüſche heißen Chaparrales,288 und man kann ſich leicht denken, daß in einer weiten Ebene, wo nur zwei oder drei Baumarten wachſen, der Chaparro, der Schatten gibt, für ein ſehr wertvolles Gewächs gilt. Der Corypha iſt in den Llanos von Caracas von der Meſa de Paja bis an den Guayaval verbreitet; weiter nach Nord und Nordweſt, am Guanare und San Carlos, tritt eine andere Art derſelben Gattung mit gleichfalls handförmigen, aber größeren Blättern an ſeine Stelle. Sie heißt Palma real de los Llanos. Südlich vom Guayaval herrſchen andere Palmen, namentlich der Piritu mit gefiederten Blättern und der Murichi (Moriche), den Pater Gumilla als arbol de la vida ſo hoch preiſt. Es iſt dies der Sagobaum Amerikas; er liefert victum et amictum ,1Plinius L. XII, c. VII. Mehl, Wein, Faden zum Verfertigen der Hängematten, Körbe, Netze und Kleider. Seine tannenzapfenförmigen, mit Schuppen bedeckten Früchte gleichen ganz denen des Calamus Rotang; ſie ſchmecken etwas wie Aepfel; reif ſind ſie innen gelb, außen rot. Die Brüllaffen ſind ſehr lüſtern danach, und die Völkerſchaft der Guaraunen, deren Exiſtenz faſt ganz an die Murichipalme geknüpft iſt, bereitet daraus ein gegorenes, ſäuerliches, ſehr erfriſchendes Getränk. Dieſe Palme mit großen, glänzenden, fächerförmig gefalteten Blättern bleibt auch in der dürrſten Jahreszeit leb - haft grün. Schon ihr Anblick gibt das Gefühl angenehmer Kühlung, und die mit ihren ſchuppigen Früchten behangene Murichipalme bildet einen auffallenden Kontraſt mit der trüb - ſeligen Palma de Cobija, deren Laub immer grau und mit Staub bedeckt iſt. Die Llaneros glauben, erſterer Baum ziehe die Feuchtigkeit der Luft an ſich, und deshalb finde man in einer gewiſſen Tiefe immer Waſſer um ſeinen Stamm, wenn man den Boden aufgräbt. Man verwechſelt hier Wirkung und Urſache. Der Murichi wächſt vorzugsweiſe an feuchten Stellen, und richtiger ſagte man, das Waſſer ziehe den Baum an. Es iſt eine ähnliche Schlußfolge, wenn die Eingeborenen am Orinoko behaupten, die großen Schlangen helfen einen Landſtrich feucht erhalten. Ein alter Indianer in Javita ſagte uns mit großer Wichtigkeit: Vergeblich ſuche man Waſſer - ſchlangen, wo es keine Sümpfe gibt; denn es ſammelt ſich kein Waſſer, wenn man die Schlangen, die es anziehen, un - vorſichtigerweiſe umbringt.

289

Auf dem Wege über die Meſa bei Calabozo litten wir ſehr von der Hitze. Die Temperatur der Luft ſtieg merkbar, ſo oft der Wind zu wehen anfing. Die Luft war voll Staub, und während der Windſtöße ſtieg der Thermometer auf 40 bis 41°. Wir kamen nur langſam vorwärts, denn es wäre gefährlich geweſen, die Maultiere, die unſere Inſtrumente trugen, dahinten zu laſſen. Unſere Führer gaben uns den Rat, Rhopalablätter in unſere Hüte zu ſtecken, um die Wir - kung der Sonnenſtrahlen auf Haare und Scheitel zu mildern. Wir fühlten uns durch dieſes Mittel erleichtert, und wir fanden es beſonders dann ausgezeichnet, wenn man Blätter von Pothos oder einer anderen Arumart haben kann.

Bei der Wanderung durch dieſe glühenden Ebenen drängt ſich einem von ſelbſt die Frage auf, ob ſie von jeher in dieſem Zuſtand dagelegen, oder ob ſie durch eine Naturumwälzung ihres Pflanzenwuchſes beraubt worden? Die gegenwärtige Humusſchicht iſt allerdings ſehr dünn. Die Eingeborenen ſind der Meinung, die Palmares und Chaparrales (die kleinen Gebüſche von Palmen und Rhopala) ſeien vor der Ankunft der Spanier häufiger und größer geweſen. Seit die Llanos bewohnt und mit verwilderten Haustieren bevölkert ſind, zündet man häufig die Savanne an, um die Weide zu ver - beſſern. Mit den Gräſern werden dabei zufällig auch die zerſtreuten Baumgruppen zerſtört. Die Ebenen waren ohne Zweifel im 15. Jahrhundert nicht ſo kahl wie gegenwärtig; indeſſen ſchon die erſten Eroberer, die von Coro herkamen, beſchreiben ſie als Savannen, in denen man nichts ſieht als Himmel und Raſen, im allgemeinen baumlos und beſchwer - lich zu durchziehen wegen der Wärmeſtrahlung des Bodens. Warum erſtreckt ſich der mächtige Wald am Orinoko nicht weiter nordwärts auf dem linken Ufer des Fluſſes? Warum überzieht er nicht den weiten Landſtrich bis zur Küſtenkordillere, da dieſer doch von zahlreichen Gewäſſern befruchtet wird? Dieſe Frage hängt genau zuſammen mit der ganzen Geſchichte unſeres Planeten. Ueberläßt man ſich geologiſchen Träumen, denkt man ſich, die amerikaniſchen Steppen und die Wüſte Sahara ſeien durch einen Einbruch des Meeres ihres ganzen Pflanzenwuchſes beraubt worden, oder aber, ſie ſeien urſprüng - lich der Boden von Binnenſeeen geweſen, ſo leuchtet ein, daß ſogar in Jahrtauſenden Bäume und Gebüſche vom Saume der Wälder, vom Uferrand der kahlen oder mit Raſen be - deckten Ebenen nicht bis zur Mitte derſelben vordringen undA. v. Humboldt, Reiſe. II. 19290einen ſo ungeheuren Landſtrich mit ihrem Schattendach über - wölben konnten. Der Urſprung kahler, von Wäldern um - ſchloſſener Savannen iſt noch ſchwerer zu erklären, als die Thatſache, daß Wälder und Savannen, gerade wie Feſtländer und Meere, in ihren alten Grenzen verharren.

In Calabozo wurden wir im Hauſe des Verwalters der Real Hacienda Don Miguel Couſin, aufs gaſtfreund - lichſte aufgenommen. Die Stadt, zwiſchen den Flüſſen Guarico und Uritucu gelegen, hatte damals nur 5000 Einwohner, aber ihr Wohlſtand war ſichtbar im Steigen. Der Reichtum der meiſten Einwohner beſteht in Herden, die von Pächtern be - ſorgt werden, von ſogenannten Hateros, von Hato, was im Spaniſchen ein Haus oder einen Hof im Weideland bedeutet. Die über die Llanos zerſtreute Bevölkerung drängt ſich an gewiſſen Punkten, namentlich in der Nähe der Städte, enger zuſammen, und ſo hat Calabozo in ſeiner Umgebung bereits fünf Dörfer oder Miſſionen. Man berechnet das Vieh, das auf den Weiden in der Nähe der Stadt läuft, auf 98000 Stücke. Die Herden auf den Llanos von Caracas, Barcelona, Cu - mana und des ſpaniſchen Guyana ſind ſehr ſchwer genau zu ſchätzen. Depons, der ſich länger als ich in Caracas aufge - halten hat, und deſſen ſtatiſtiſche Angaben im ganzen genau ſind, rechnet auf den weiten Ebenen von den Mündungen des Orinoko bis zum See Maracaybo 1200000 Rinder, 180000 Pferde und 90000 Maultiere. Den Ertrag der Herden ſchätzt er auf 5 Millionen Franken, wobei neben der Ausfuhr auch der Wert der im Lande konſumierten Häute in Anſchlag gebracht iſt. In den Pampas von Buenos Ayres ſollen 12 Millionen Rinder und 3 Millionen Pferde laufen, ungeachtet das Vieh, das für herrenlos gilt.

Ich laſſe mich nicht auf ſolche allgemeine Schätzungen ein, die der Natur der Sache nach ſehr unzuverläſſig ſind; ich bemerke nur, daß die Beſitzer der großen Hatos in den Llanos von Caracas ſelbſt gar nicht wiſſen, wie viel Stücke Vieh ſie beſitzen. Sie wiſſen nur, wie viele junge Tiere jährlich mit dem Buchſtaben oder der Figur, wodurch die Herden ſich unterſcheiden, gezeichnet werden. Die reichſten Viehbeſitzer zeichnen gegen 14000 im Jahr und verkaufen 5000 bis 6000. Nach den offiziellen Angaben belief ſich die Ausfuhr an Häuten aus der ganzen Capitania general jährlich nur nach den An - tillen auf 174000 Rindshäute und 11500 Ziegenhäute. Be - denkt man nun, daß dieſe Angaben ſich nur auf die Zoll -291 regiſter gründen, in denen vom Schleichhandel mit Häuten keine Rede iſt, ſo möchte man glauben, daß das Hornvieh auf den Llanos vom Carony und dem Guarapiche bis zum See Maracaybo zu 1200000 Stück viel zu niedrig ange - ſchlagen iſt. Der einzige Hafen von Guayra hat nach den Zollregiſtern von 1789 bis 1792 jährlich 70000 bis 80000 Häute ausgeführt, wovon kaum ein Fünftel nach Spanien. Am Ende des 18. Jahrhunderts belief ſich nach Don Felix d’Azarra die Ausfuhr von Buenos Ayres auf 800000 Häute. Man zieht in der Halbinſel die Häute von Caracas denen von Buenos Ayres vor, weil letztere infolge des weiteren Transportes beim Gerben 12 Prozent Abgang haben. Der ſüdliche Strich der Savannen, gemeiniglich Llanos de Arriba genannt, iſt ausnehmend reich an Maultieren und Rindvieh; da aber die Weiden dort im ganzen minder gut ſind, muß man die Tiere auf andere Ebenen treiben, um ſie vor dem Verkauf fett zu machen. Die Llanos von Monaï und alle Llanos de Abaxo haben weniger Herden, aber die Weiden ſind dort ſo fett, daß ſie vortreffliches Fleiſch für den Bedarf der Küſte liefern. Die Maultiere, die erſt im fünften Jahre zum Dienſte taugen, und dann Mulas de Saca heißen, werden ſchon an Ort und Stelle für 14 bis 18 Piaſter verkauft. Im Ausfuhrhafen gelten ſie 25 Piaſter, und auf den Antillen ſteigt ihr Preis oft auf 60 bis 80 Piaſter. Die Pferde der Llanos ſtammen von der ſchönen ſpaniſchen Raſſe und ſind nicht groß. Sie ſind meiſt einfarbig, dunkelbraun, wie die meiſten wilden Tiere. Bald dem Waſſermangel, bald Ueber - ſchwemmungen, dem Stich der Inſekten, dem Biß großer Fledermäuſe ausgeſetzt, führen ſie ein geplagtes, ruheloſes Leben. Wenn ſie einige Monate unter menſchlicher Pflege geweſen ſind, entwickeln ſich ihre guten Eigenſchaften und kommen zu Tag. Ein wildes Pferd gilt in den Pampas von Buenos Ayres ½ bis 1 Piaſter, in den Llanos von Caracas 2 bis 3 Piaſter; aber der Preis des Pferdes ſteigt, ſobald es gezähmt und zum Ackerbau tüchtig iſt. Schafe gibt es keine; Schafherden haben wir nur auf dem Plateau der Pro - vinz Quito geſehen.

Die Rindviehhatos haben in den letzten Jahren viel zu leiden gehabt durch Banden von Landſtreichern, die durch die Steppen ſtreifen und das Vieh töten, nur um die Haut zu verkaufen. Dieſe Räuberei hat um ſich gegriffen, ſeit der Handel mit dem unteren Orinoko blühender geworden iſt. 292Ein halbes Jahrhundert lang waren die Ufer dieſes großen Stromes von der Einmündung des Apure bis Angoſtura nur den Miſſionären bekannt. Vieh wurde nur aus den Häfen der Nordküſte, aus Cumana, Barcelona, Burburata und Porto Cabello ausgeführt. In neueſter Zeit iſt dieſe Abhängigkeit von der Küſte weit geringer geworden. Der ſüdliche Strich der Ebenen iſt in ſtarken Verkehr mit dem unteren Orinoko getreten, und dieſer Handel iſt deſto lebhafter, da ſich die Verbote dabei leicht umgehen laſſen.

Die größten Herden in den Llanos beſitzen die Hatos Merecure, La Cruz, Belen, Alta Gracia und Pavon. Das ſpaniſche Vieh iſt von Coro und Tocuyo in die Ebenen ge - kommen. Die Geſchichte bewahrt den Namen des Koloniſten, der zuerſt den glücklichen Gedanken hatte, dieſe Grasfluren zu bevölkern, auf denen damals nur Damhirſche und eine große Aguti-Art, Cavia Capybara, im Lande Chiguire genannt, weideten. Chriſtoval Rodriguez ſchickte ums Jahr 1548 das erſte Hornvieh in die Llanos. Er wohnte in der Stadt Tocuyo und hatte lange in Neugranada gelebt.

Wenn man von der unzählbaren Menge von Horn - vieh, Pferden und Maultieren auf den amerikaniſchen Ebenen ſprechen hört, ſo vergißt man gewöhnlich, daß es im civili - ſierten Europa bei ackerbauenden Völkern auf viel kleinerer Bodenfläche gleich ungeheure Mengen gibt. Frankreich hat nach Peuchet 6 Millionen Stück Hornvieh, wovon 3500000 Ochſen zum Ackerbau verwendet werden. In der öſterreichi - ſchen Monarchie ſchätzt Lichtenſtern 13400000 Ochſen, Kühe und Kälber. Paris allein verzehrt jährlich 155000 Stück Rindvieh; nach Deutſchland werden alle Jahre aus Ungarn 150000 Ochſen eingeführt. Die Haustiere in nicht ſtarken Herden gelten bei ackerbauenden Völkern als ein untergeord - neter Gegenſtand des Nationalreichtums. Sie wirken auch weit weniger auf die Einbildungskraft als die umherſchwei - fenden Rudel von Rindern und Pferden, die einzige Bevöl - kerung der neuangebauten Steppen der Neuen Welt. Kultur und bürgerliche Ordnung wirken in gleichem Maße auf die Vermehrung der menſchlichen Bevölkerung und auf die Ver - vielfältigung der dem Menſchen nützlichen Tiere.

Wir fanden in Calabozo, mitten in den Llanos, eine Elektriſiermaſchine mit großen Scheiben, Elektrophoren, Bat - terieen, Elektrometern, kurz einen Apparat faſt ſo vollſtändig, als unſere Phyſiker in Europa ſie beſitzen. Und all dies war293 nicht in den Vereinigten Staaten gekauft, es war das Werk eines Mannes, der nie ein Inſtrument geſehen, der niemand zu Rate ziehen konnte, der die elektriſchen Erſcheinungen nur aus der Schrift des Sigaud de la Fond und aus Franklins Denkwürdigkeiten kannte. Carlos del Pozo ſo heißt der achtungswürdige, ſinnreiche Mann hatte zuerſt aus großen Glasgefäßen, an denen er die Hälſe abſchnitt, Cylinder - maſchinen gebaut. Erſt ſeit einigen Jahren hatte er ſich aus Philadelphia zwei Glasplatten verſchafft, um eine Scheiben - maſchine bauen und ſomit bedeutendere elektriſche Wirkungen hervorbringen zu können. Man kann ſich vorſtellen, mit welchen Schwierigkeiten Pozo zu kämpfen hatte, ſeit die erſten Schriften über Elektrizität ihm in die Hände gefallen waren, und er den kühnen Entſchluß faßte, alles, was er in den Büchern beſchrieben fand, mit Kopf und Hand nachzumachen und herzuſtellen. Bisher hatte er ſich bei ſeinen Experimen - ten nur am Erſtaunen und der Bewunderung von ganz rohen Menſchen ergötzt, die nie über die Wüſte der Llanos hinaus - gekommen waren. Unſer Aufenthalt in Calabozo verſchaffte ihm einen ganz neuen Genuß. Er mußte natürlich Wert auf das Urteil zweier Reiſenden legen, die ſeine Apparate mit den europäiſchen vergleichen konnten. Ich hatte verſchiedene Elektrometer bei mir, mit Stroh, mit Korkkügelchen, mit Goldplättchen, auch eine kleine Leidner Flaſche, die nach der Methode von Ingenhouß durch Reibung geladen wurde und mir zu phyſiologiſchen Verſuchen diente. Pozo war außer ſich vor Freude, als er zum erſtenmal Inſtrumente ſah, die er nicht ſelbſt verfertigt, und die den ſeinigen nachgemacht ſchienen. Wir zeigten ihm auch die Wirkungen des Kontaktes heterogener Metalle auf die Nerven des Froſches. Die Namen Galvani und Volta waren in dieſen weiten Einöden noch nicht gehört worden.

Was nach den elektriſchen Apparaten von der gewandten Hand eines ſinnreichen Einwohners der Llanos uns in Cala - bozo am meiſten beſchäftigte, das waren die Zitteraale, die lebendige elektriſche Apparate ſind. Mit der Begeiſterung, die zum Forſchen treibt, aber der richtigen Auffaſſung des Er - forſchten hinderlich wird, hatte ich mich ſeit Jahren täglich mit den Erſcheinungen der galvaniſchen Elektrizität beſchäftigt; ich hatte, indem ich Metallſcheiben aufeinander legte und Stücke Muskelfleiſch, oder andere feuchte Subſtanzen da - zwiſchen brachte, mir unbewußt, echte Säulen aufgebaut,294 und ſo war es natürlich, daß ich mich ſeit unſerer Ankunft in Cumana eifrig nach elektriſchen Aalen umſah. Man hatte uns mehrmals welche verſprochen, wir hatten uns aber immer getäuſcht geſehen. Je weiter von der Küſte weg, deſto wert - loſer wird das Geld, und wie ſoll man über das unerſchüt - terliche Phlegma des Volkes Herr werden, wo der Stachel der Gewinnſucht fehlt?

Die Spanier begreifen unter dem Namen Tembladores (Zitterer) alle elektriſchen Fiſche. Es gibt welche im Antilli - ſchen Meer an den Küſten von Cumana. Die Guaykeri, die gewandteſten und fleißigſten Fiſcher in jener Gegend, brachten uns einen Fiſch, der, wie ſie ſagten, ihnen die Hände ſtarr machte. Dieſer Fiſch geht im kleinen Fluſſe Manzanares aufwärts. Es war eine neue Art Raja mit kaum ſichtbaren Seitenflecken, dem Zitterrochen Galvanis ziemlich ähnlich. Die Zitterrochen haben ein elektriſches Organ, das wegen der Durchſichtigkeit der Haut ſchon außen ſichtbar iſt, und bilden eine eigene Geſtaltung oder doch eine Untergattung der eigent - lichen Rochen. Der cumaniſche Zitterrochen war ſehr munter, ſeine Muskelbewegungen ſehr kräftig, dennoch waren die elek - triſchen Schläge, die wir von ihm erhielten, äußerſt ſchwach. Sie wurden ſtärker, wenn wir das Tier mittels der Berüh - rung von Zink und Gold galvaniſierten. Andere Tembla - dores, echte Gymnoten oder Zitteraale, kommen im Rio Co - lorado, im Guarapiche und verſchiedenen kleinen Bächen in den Miſſionen der Chaymasindianer vor. Auch in den großen amerikaniſchen Flüſſen, im Orinoko, im Amazonen - ſtrom, im Meta ſind ſie häufig, aber wegen der ſtarken Strömung und des tiefen Waſſers ſchwer zu fangen. Die Indianer fühlen weit häufiger ihre elektriſchen Schläge beim Schwimmen und Baden im Fluß, als daß ſie dieſelben zu ſehen bekommen. In den Llanos, beſonders in der Nähe von Calabozo, zwiſchen den Höfen Morichal und den Miſſionen de Arriba und de Abaxo, ſind die Gymnoten in den Stücken ſtehenden Waſſers und in den Zuflüſſen des Orinoko (im Rio Guarico, in den Caños Raſtro, Berito und Paloma) ſehr häufig. Wir wollten zuerſt in unſerem Hauſe zu Cala - bozo unſere Verſuche anſtellen; aber die Furcht vor den Schlägen des Gymnotus iſt im Volk ſo übertrieben, daß wir in den erſten drei Tagen keinen bekommen konnten, obgleich ſie ſehr leicht zu fangen ſind und wir den Indianern zwei Piaſter für jeden recht großen und ſtarken Fiſch verſprochen295 hatten. Dieſe Scheu der Indianer iſt um ſo ſonderbarer, als ſie von einem nach ihrer Behauptung ganz zuverläſſigen Mittel gar keinen Gebrauch machen. Sie verſichern die Weißen, ſo oft man ſie über die Schläge der Tembladores befragt, man könne ſie ungeſtraft berühren, wenn man dabei Tabak kaue. Dieſes Märchen vom Einfluß des Tabakes auf die tieriſche Elektrizität iſt auf dem Kontinent von Südamerika ſo weit verbreitet, als unter den Matroſen der Glaube, daß Knoblauch und Unſchlitt auf die Magnetnadel wirken.

Des langen Wartens müde, und nachdem ein lebender, aber ſehr erſchöpfter Gymnotus, den wir bekommen, uns ſehr zweifelhafte Reſultate geliefert, gingen wir nach dem Caño de Bera, um unſere Verſuche im Freien, unmittelbar am Waſſer anzuſtellen. Wir brachen am 19. März in der Frühe nach dem kleinen Dorfe Raſtro de Abaxo auf, und von dort führten uns Indianer zu einem Bache, der in der dürren Jahreszeit ein ſchlammiges Waſſerbecken bildet, um das ſchöne Bäume ſtehen, Cluſia, Amyris, Mimoſen mit wohlriechenden Blüten. Mit Netzen ſind die Gymnoten ſehr ſchwer zu fangen, weil der ausnehmend bewegliche Fiſch ſich gleich den Schlangen in den Schlamm eingräbt. Die Wurzeln der Piscidia Eri - thryna, der Jacquinia armillaris und einiger Arten von Phyllanthus haben die Eigenſchaft, daß ſie, in einen Teich geworfen, die Tiere darin berauſchen oder betäuben: dieſes Mittel, den ſogenannten Barbasco, wollten wir nicht an - wenden, da die Gymnoten dadurch geſchwächt worden wären. Da ſagten die Indianer, ſie wollen mit Pferden fiſchen, embarbascar con cavallos. 1Wörtlich: mit Pferden die Fiſche einſchläfern und betäuben.Wir hatten keinen Begriff von einer ſo ſeltſamen Fiſcherei; aber nicht lange, ſo kamen unſere Führer aus der Savanne zurück, wo ſie ungezähmte Pferde und Maultiere zuſammengetrieben. Sie brachten ihrer etwa 30 und jagten ſie ins Waſſer.

Der ungewohnte Lärm vom Stampfen der Roſſe treibt die Fiſche aus dem Schlamm hervor und reizt ſie zum An - griff. Die ſchwärzlich und gelb gefärbten, großen Waſſer - ſchlangen gleichenden Aale ſchwimmen auf der Waſſerfläche hin und drängen ſich unter den Bauch der Pferde und Maul - tiere. Der Kampf zwiſchen ſo ganz verſchieden organiſierten Tieren gibt das maleriſcheſte Bild. Die Indianer mit Har -296 punen und langen, dünnen Rohrſtäben ſtellen ſich in dichter Reihe um den Teich; einige beſteigen die Bäume, deren Zweige ſich wagerecht über die Waſſerfläche breiten. Durch ihr wildes Geſchrei und mit ihren langen Rohren ſcheuchen ſie die Pferde zurück, wenn ſie ſich aufs Ufer flüchten wollen. Die Aale, betäubt vom Lärm, verteidigen ſich durch wieder - holte Schläge ihrer elektriſchen Batterieen. Lange ſcheint es, als ſolle ihnen der Sieg verbleiben. Mehrere Pferde erliegen den unſichtbaren Streichen, von denen die weſentlichſten Or - gane allerwärts getroffen werden; betäubt von den ſtarken, unaufhörlichen Schlägen, ſinken ſie unter. Andere, ſchnaubend, mit geſträubter Mähne, wilde Angſt im ſtarren Auge, raffen ſich wieder auf und ſuchen dem um ſie tobenden Ungewitter zu entkommen; ſie werden von den Indianern ins Waſſer zu - rückgetrieben. Einige aber entgehen der regen Wachſamkeit der Fiſcher; ſie gewinnen das Ufer, ſtraucheln aber bei jedem Schritt und werfen ſich in den Sand, zum Tode erſchöpft, mit von den elektriſchen Schlägen der Gymnoten erſtarrten Gliedern.

Ehe fünf Minuten vergingen, waren zwei Pferde ertrunken. Der 1,6 m lange Aal drängt ſich dem Pferde an den Bauch und gibt ihm nach der ganzen Länge ſeines elektriſchen Organes einen Schlag; das Herz, die Eingeweide und der plexus coeliacus der Abdominalnerven werden dadurch zumal be - troffen. Derſelbe Fiſch wirkt ſo begreiflicherweiſe weit ſtärker auf ein Pferd als auf den Menſchen, wenn dieſer ihn nur mit einer Extremität berührt. Die Pferde werden ohne Zweifel nicht totgeſchlagen, ſondern nur betäubt; ſie ertrinken, weil ſie ſich nicht aufraffen können, ſo lange der Kampf zwiſchen den anderen Pferden und den Gymnoten fortdauert.

Wir meinten nicht anders, als alle Tiere, die man zu dieſer Fiſcherei gebraucht, müßten nacheinander zu Grunde gehen. Aber allmählich nimmt die Hitze des ungleichen Kampfes ab und die erſchöpften Gymnoten zerſtreuen ſich. Sie bedürfen jetzt langer Ruhe1Die Indianer verſichern, wenn man Pferde zwei Tage hinter - einander in einer Lache laufen laſſe, in der es ſehr viele Gymnoten gibt, gehe am zweiten Tage kein Pferd mehr zu Grunde. und reichlicher Nahrung, um den erlittenen Verluſt an galvaniſcher Kraft wieder zu erſetzen. Maultiere und Pferde verrieten weniger Angſt, ihre Mähne ſträubte ſich nicht mehr, ihr Auge blickte ruhiger. Die Gymnoten kamen297 ſcheu ans Ufer des Teiches geſchwommen, und hier fing man ſie mit kleinen, an langen Stricken befeſtigten Harpunen. Wenn die Stricke recht trocken ſind, ſo fühlen die Indianer beim Herausziehen des Fiſches an die Luft keine Schläge. In wenigen Minuten hatten wir fünf große Aale, die meiſten nur leicht verletzt. Auf dieſelbe Weiſe wurden abends noch andere gefangen.

Die Gewäſſer, in denen ſich die Zitteraale gewöhnlich aufhalten, haben eine Temperatur von 26 bis 27°. Ihre elektriſche Kraft ſoll in kälterem Waſſer abnehmen, und es iſt, wie bereits ein berühmter Phyſiker bemerkt hat, überhaupt merkwürdig, daß die Tiere mit elektriſchen Organen, deren Wirkungen dem Menſchen fühlbar werden, nicht in der Luft leben, ſondern in einer die Elektrizität leitenden Flüſſigkeit. Der Gymnotus iſt der größte elektriſche Fiſch; ich habe welche gemeſſen, die 1,7 m und 1,62 m lang waren; die Indianer wollten noch größere geſehen haben. Ein 1,23 m langer Fiſch wog 5 kg. Der Querdurchmeſſer des Körpers (die kahnförmig verlängerte Afterfloſſe abgerechnet) betrug 9 cm. Die Gym - noten aus dem Cerro de Bera ſind hübſch olivengrün. Der Unterteil des Kopfes iſt rötlichgelb. Zwei Reihen kleiner gelber Flecken laufen ſymmetriſch über den Rücken vom Kopf bis zum Schwanzende. Jeder Fleck umſchließt einen Aus - führungskanal; die Haut des Tieres iſt auch beſtändig mit einem Schleim bedeckt, der, wie Volta gezeigt hat, die Elek - trizität 20 bis 30mal beſſer leitet als reines Waſſer. Es iſt überhaupt merkwürdig, daß keiner der elektriſchen Fiſche, die bis jetzt in verſchiedenen Weltteilen entdeckt worden, mit Schuppen bedeckt iſt.

Den erſten Schlägen eines ſehr großen, ſtark gereizten Gymnotus würde man ſich nicht ohne Gefahr ausſetzen. Be - kommt man zufällig einen Schlag, bevor der Fiſch verwundet oder durch lange Verfolgung erſchöpft iſt, ſo ſind Schmerz und Betäubung ſo heftig, daß man ſich von der Art der Empfindung gar keine Rechenſchaft geben kann. Ich erinnere mich nicht, je durch die Entladung einer großen Leidner Flaſche eine ſo furchtbare Erſchütterung erlitten zu haben wie die, als ich unvorſichtigerweiſe beide Füße auf einen Gymnotus ſetzte, der eben aus dem Waſſer gezogen worden war. Ich empfand den ganzen Tag heftigen Schmerz in den Knieen und faſt in allen Gelenken. Will man den ziemlich auffallenden Unterſchied zwiſchen der Wirkung der Voltaſchen Säule und298 der elektriſchen Fiſche genau beobachten, ſo muß man dieſe berühren, wenn ſie ſehr erſchöpft ſind. Die Zitterrochen und die Zitteraale verurſachen dann ein Sehnenhüpfen vom Glied an, das die elektriſchen Organe berührt, bis zum Ellbogen. Man glaubt bei jedem Schlage[innerlich] eine Schwingung zu empfinden, die zwei, drei Sekunden anhält und der eine ſchmerzhafte Betäubung folgt. In der ausdrucksvollen Sprache der Tamanaken heißt daher der Temblador Arimna, das heißt, der die Bewegung raubt .

Die Empfindung bei ſchwachen Schlägen des Gymnotus ſchien mir große Aehnlichkeit zu haben mit dem ſchmerzlichen Zucken, das ich fühlte, wenn auf den wunden Stellen, die ich auf meinem Rücken durch ſpaniſche Fliegen hervorgebracht, zwei heterogene Metalle ſich berührten. 1Humboldts Verſuche über die gereizte Muskelfaſer. Bd. I, S. 323 329.Dieſer Unterſchied zwiſchen der Empfindung, welche der Schlag des elektriſchen Fiſches, und der, welche eine Säule oder ſchwach geladene Leidner Flaſche hervorbringt, iſt allen Beobachtern aufgefallen; derſelbe widerſpricht indeſſen keineswegs der Annahme, daß die Elektrizität und die galvaniſche Wirkung der Fiſche dem Weſen nach eins ſind. Die Elektrizität kann beidemal dieſelbe ſein, ſie mag ſich aber verſchieden äußern infolge des Baues der elektriſchen Organe, der Intenſität des elektriſchen Flui - dums, der Schnelligkeit des Stromes oder einer eigentümlichen Wirkungsweiſe. In holländiſch Guyana, zum Beiſpiel zu Demerary, galten früher die Zitteraale als ein Heilmittel gegen Lähmungen. Zur Zeit, wo die europäiſchen Aerzte von der Anwendung der Elektrizität Großes erwarteten, gab ein Wundarzt in Eſſequibo, Namens van der Lott, in Holland eine Abhandlung über die Heilkräfte des Zitteraales heraus. Solche elektriſche Kuren kommen bei den Wilden Amerikas wie bei den Griechen vor. Scribonius Largus, Galenus und Dioscorides berichten uns, daß der Zitterrochen Kopfweh, Migräne und Gicht heile. In den ſpaniſchen Kolonieen, die ich durchreiſt, habe ich von dieſer Heilmethode nichts gehört; aber ſo viel iſt gewiß, daß Bonpland und ich, nachdem wir vier Stunden lang an Gymnoten experimentiert, bis zum anderen Tage Muskelſchwäche, Schmerz in den Gelenken, all - gemeine Ueblichkeit empfanden, eine Folge der heftigen Reizung des Nervenſyſtems.

299

Während die Gymnoten für die europäiſchen Naturforſcher Gegenſtände der Vorliebe und des lebhafteſten Intereſſes ſind, werden ſie von den Eingeborenen gefürchtet und gehaßt. Ihr Muskelfleiſch ſchmeckt allerdings nicht übel, aber der Körper beſteht zum größten Teil aus dem elektriſchen Organ, und dieſes iſt ſchmierig und von unangenehmem Geſchmack; man ſondert es daher auch ſorgfältig vom übrigen ab. Zudem ſchreibt man es vorzüglich den Gymnoten zu, daß die Fiſche in den Sümpfen und Teichen der Llanos ſo ſelten ſind. Sie töten ihrer viel mehr, als ſie verzehren, und die Indianer erzählten uns, wenn man in ſehr ſtarken Netzen junge Kro - kodile und Zitteraale zugleich fange, ſo ſei an letzteren nie eine Verletzung zu bemerken, weil ſie die jungen Krokodile lähmen, bevor dieſe ihnen etwas anhaben können. Alle Be - wohner des Waſſers fliehen die Gemeinſchaft der Zitteraale. Eidechſen, Schildkröten und Fröſche ſuchen Sümpfe auf, wo ſie vor jenen ſicher ſind. Bei Uritucu mußte man einer Straße eine andere Richtung geben, weil die Zitteraale ſich in einem Fluſſe ſo vermehrt hatten, daß ſie alle Jahre eine Menge Maultiere, die belaſtet durch den Fluß wateten, um - brachten.

Am 24. März verließen wir die Stadt Calabozo, ſehr befriedigt von unſerem Aufenthalt und unſeren Verſuchen über einen ſo wichtigen phyſiologiſchen Gegenſtand. Ich hatte über - dies gute Sternbeobachtungen machen können und zu meiner Ueberraſchung gefunden, daß die Angaben der Karten auch hier um einen Viertelsgrad in der Breite unrichtig ſind. Vor mir hatte niemand an dieſem Orte beobachtet, und wie denn die Geographen gewöhnlich die Diſtanzen von der Küſte dem Binnenlande zu zu groß annehmen, ſo hatten ſie auch hier alle Punkte zu weit nach Süden gerückt.

Auf dem Wege durch den ſüdlichen Strich der Llanos fanden wir den Boden ſtaubiger, pflanzenloſer, durch die lange Dürre zerriſſener. Die Palmen verſchwanden nach und nach ganz. Der Thermometer ſtand von 11 Uhr bis zu Sonnen - untergang auf 34 bis 35°. Je ruhiger die Luft in 2,6 bis 2,9 m Höhe ſchien, deſto dichter wurden wir von den Staub - wirbeln eingehüllt, welche von den kleinen, am Boden hin - ſtreichenden Luftſtrömungen erzeugt werden. Gegen 4 Uhr abends fanden wir in der Savanne ein junges indianiſches Mädchen. Sie lag auf dem Rücken, war ganz nackt und ſchien nicht über 12 bis 13 Jahre alt. Sie war von300 Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub, der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern. Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge - fahr, beharrte ſie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani - ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog ſie eine Staub - wolke unſeren Blicken.

In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 km von da, im Rio Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind. Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab - weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin, einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank, da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis 90 cm langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in301 den Fluß. Man unterſuchte den Boden unter der Barbacoa oder Lagerſtätte, und da war denn der Hergang des ſeltſamen Abenteuers bald klar. Man fand die Erde weit hinab auf - gewühlt; es war vertrockneter Schlamm, in dem das Krokodil im Sommerſchlaf gelegen hatte, in welchen Zuſtand manche Individuen dieſer Tierart während der dürren Jahreszeit in den Llanos verfallen. Der Lärm von Menſchen und Pferden, vielleicht auch der Geruch des Hundes hatten es aufgeweckt. Die Hütte lag an einem Teich und ſtand einen Teil des Jahres unter Waſſer; ſo war das Krokodil ohne Zweifel, als die Savanne überſchwemmt wurde, durch dasſelbe Loch hineinge - kommen, durch das es Don Miguel herauskommen ſah. Häufig finden die Indianer ungeheure Boas, von ihnen Uji oder Waſſerſchlangen genannt, im ſelben Zuſtand der Erſtarrung. Man muß ſie, ſagt man, reizen oder mit Waſſer begießen, um ſie zu erwecken. Man tötet die Boas und hängt ſie in einen Bach, um durch die Fäulnis die ſehnigten Teile der Rückenmuskeln zu gewinnen, aus denen man in Calabozo vor - treffliche Guitarrenſaiten macht, die weit beſſer ſind als die aus den Därmen der Brüllaffen.

Wir ſehen ſomit, daß in den Llanos Trockenheit und Hitze auf Tiere und Gewächſe gleich dem Froſt wirken. Außer - halb der Tropen werfen die Bäume in ſehr trockener Luft ihre Blätter ab. Die Reptilien, beſonders Krokodile und Boas, verlaſſen vermöge ihres trägen Naturells die Lachen, wo ſie beim Austreten der Flüſſe Waſſer gefunden haben, nicht leicht wieder. Je mehr nun dieſe Waſſerſtücke eintrocknen, deſto tiefer graben ſich die Tiere in den Schlamm ein, der Feuch - tigkeit nach, die bei ihnen Haut und Decken ſchmiegſam er - hält. In dieſem Zuſtand der Ruhe kommt die Erſtarrung über ſie; ſie werden wohl dabei von der äußeren Luft nicht ganz abgeſperrt, und ſo gering auch der Zutritt derſelben ſein mag, er reicht hin, den Atmungsprozeß bei einer Eidechſe zu unterhalten, die ausnehmend große Lungenſäcke hat, die keine Muskelbewegungen vornimmt und bei der faſt alle Lebens - verrichtungen ſtocken. Die Temperatur des vertrockneten, dem Sonnenſtrahl ausgeſetzten Schlammes beträgt im Mittel wahr - ſcheinlich mehr als 40°. Als es im nördlichen Aegypten, wo im kühlſten Monat die Temperatur nicht unter 13,4° ſinkt, noch Krokodile gab, wurden dieſe häufig von der Kälte be - täubt. Sie waren einem Winterſchlaf unterworfen gleich unſeren Fröſchen, Salamandern, Uferſchwalben und Murmel -302 tieren. Wenn die Erſtarrung im Winter bei Tieren mit warmem Blut, wie bei ſolchen mit kaltem vorkommt, ſo kann man ſich eben nicht wundern, daß in beiden Klaſſen oft Fälle von Sommerſchlaf vorkommen. Gleich den Krokodilen in Südamerika liegen die Tenrek oder Igel auf Madagaskar mitten in der heißen Zone drei Monate des Jahres in Er - ſtarrung.

Am 25. März kamen wir über den ebenſten Strich der Steppen von Caracas, die Meſa de Pavones. Die Co - rypha - und Murichepalme fehlen hier ganz. So weit das Auge reicht, gewahrt man keinen Gegenſtand, der auch nur 40 cm hoch wäre. Die Luft war rein und der Himmel tief blau, aber den Horizont ſäumte ein blaſſer, gelblicher Schein, der ohne Zweifel von der Menge des in der Luft ſchwebenden Sandes herrührte. Wir trafen große Herden und bei ihnen Scharen ſchwarzer Vögel mit olivenfarbigem Glanz von der Gattung Crotophaga, die dem Vieh nachgehen. Wir ſahen ſie häufig den Kühen auf den Rücken ſitzen und Bremſen und andere Inſekten ſuchen. Gleich mehreren Vögeln dieſer Einöde ſcheuen ſie ſo wenig vor dem Menſchen, daß ſie Kinder oft mit der Hand fangen. In den Thälern von Aragua, wo ſie ſehr häufig ſind, ſetzten ſie ſich am hellen Tag auf unſere Hängematten, während wir darin lagen.

Zwiſchen Calabozo, Uritucu und der Meſa de Pavones kann man überall, wo der Boden von Menſchenhand wenige Fuß tief aufgegraben iſt, die geologiſchen Verhältniſſe der Llanos beobachten. Ein roter Sandſtein1Rotes Totliegendes, oder älteſter Flözſandſtein der Frei - berger Schule. (altes Konglomerat) ſtreicht über mehrere tauſend Quadratmeilen weg. Wir fanden ihn ſpäter wieder in den weiten Ebenen des Amazonenſtromes, am öſtlichen Saum der Provinz Jaen de Bracamoros. Dieſe ungeheure Verbreitung des roten Sandſteines auf den tief - gelegenen Landſtrichen oſtwärts von den Anden iſt eine der auffallendſten geologiſchen Erſcheinungen, die ich unter den Tropen beobachtet.

Nachdem wir in den öden Savannen der Meſa de Pa - vones lange ohne die Spur eines Pfades umhergeirrt, ſahen wir zu unſerer freudigen Ueberraſchung einen einſamen Hof vor uns, den Hato de alta Gracia, der von Gärten und303 kleinen Teichen mit klarem Waſſer umgeben iſt. Hecken von Azedarac liefen um Gruppen von Icaquesbäumen, die voll Früchten hingen. Eine Strecke weiter übernachteten wir beim kleinen Dorfe San Geronimo del Guayaval, das Miſ - ſionäre vom Kapuzinerorden gegründet haben. Es liegt am Ufer des Rio Guarico, der in den Apure fällt. Ich beſuchte den Geiſtlichen, der in der Kirche wohnen mußte, weil noch kein Prieſterhaus gebaut war. Der junge Mann nahm uns aufs zuvorkommendſte auf und gab uns über alles die ver - langte Auskunft. Sein Dorf, oder, um den offiziellen Aus - druck der Mönche zu gebrauchen, ſeine Miſſion, war nicht leicht zu regieren. Der Stifter, der keinen Anſtand genommen, auf ſeine Rechnung eine Pulperia zu errichten, das heißt ſo - gar in der Kirche Bananen und Guarapo zu verkaufen, war auch bei Aufnahme der Koloniſten nicht ekel geweſen. Viele Landſtreicher aus den Llanos hatten ſich in Guayaval nieder - gelaſſen, weil die Einwohner einer Miſſion dem weltlichen Arm entrückt ſind. Hier wie in Neuholland kann man erſt in der zweiten oder dritten Generation auf gute Koloniſten rechnen.

Wir ſetzten über den Rio Guarico und übernachteten in den Savannen ſüdlich vom Guayaval. Ungeheure Fleder - mäuſe, wahrſcheinlich von der Sippe der Phylloſtomen, flat - terten, wie gewöhnlich, einen guten Teil der Nacht über unſeren Hängematten. Man meint jeden Augenblick, ſie wollen ſich einem ins Geſicht einkrallen. Am frühen Morgen ſetzten wir unſeren Weg über tiefe, häufig unter Waſſer ſtehende Land - ſtriche fort. In der Regenzeit kann man zwiſchen dem Guarico und dem Apure im Kahn fahren wie auf einem See. Es begleitete uns ein Mann, der alle Höfe (Hatos) in den Llanos beſucht hatte, um Pferde zu kaufen. Er hatte für 1000 Pferde 2200 Piaſter gegeben. 1In den Llanos von Calabozo und am Guayaval koſtet ein junger Stier von 2 bis 3 Jahren 1 Piaſter. Iſt er verſchnitten, (in ſehr heißen Ländern eine ziemlich gefährliche Operation), ſo iſt er 5 bis 6 Piaſter wert. Eine an der Sonne getrocknete Ochſen - haut gilt Silberrealen (1 Peſo = 8 Realen); ein Huhn 2 Realen; ein Schaf, in Barqueſimeto und Truxillo, denn oſtwärts von dieſen Städten gibt es keine, 3 Realen. Da dieſe Preiſe ſich notwendig verändern werden, je mehr die Bevölkerung in den ſpaniſchen Kolonieen zunimmt, ſo ſchien es mir nicht unwichtig, hier AngabenMan bezahlt natürlich deſto weniger,304 je bedeutender der Kauf iſt. Am 27. März langten wir in der Villa de San Fernando, dem Hauptort der Miſ - ſionen der Kapuziner in der Provinz Varinas, an. Damit waren wir am Ziel unſerer Reiſe über die Ebenen, denn die drei Monate April, Mai und Juni brachten wir auf den Strömen zu.

1niederzulegen, die künftig bei nationalökonomiſchen Unterſuchungen als Anhaltspunkte dienen können.
1

About this transcription

TextReise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents
Author Alexander von Humboldt
Extent315 images; 106489 tokens; 15662 types; 731154 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents Zweiter Band Alexander von Humboldt. Hermann Hauff (ed.) . 304 S. CottaKrönerStuttgart1859.

Identification

BBAW BBAW, Hu 44336

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Geographie; Wissenschaft; Geographie; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:47Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryBBAW
ShelfmarkBBAW, Hu 44336
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.