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Alexander von Humboldts Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.
Dritter Band.
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Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger.

Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.

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Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden.

A. v. Humboldt, Reiſe. III. 1[2][3]

Achtzehntes Kapitel.

San Fernando de Apure. Verſchlingungen und Gabelteilungen der Flüſſe Apure und Arauca. Fahrt auf dem Rio Apure.

Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die großen Flüſſe Apure, Payara, Arauca und Meta in Europa kaum dem Namen nach bekannt, ja, weniger als in den vorhergehenden Jahrhunderten, als der tapfere Felipe de Urre und die Eroberer von Tocuyo durch die Llanos zogen, um jenſeits des Apure die große Stadt des Dorado und das reiche Land Omaguas, das Timbuktu des neuen Kontinentes, aufzuſuchen. So kühne Züge waren nur in voller Kriegs - rüſtung auszuführen. Auch wurden die Waffen, die nur die neuen Anſiedler ſchützen ſollten, beſtändig wider die unglück - lichen Eingeborenen gekehrt. Als dieſen Zeiten der Gewalt - thätigkeit und der allgemeinen Not friedlichere Zeiten folgten, machten ſich zwei mächtige indianiſche Volksſtämme, die Cabres und die Kariben vom Orinoko, zu Herren des Landes, welches, die Konquiſtadoren jetzt nicht mehr verheerten. Von nun an war es nur noch armen Mönchen geſtattet, ſüdlich von den Steppen den Fuß zu ſetzen. Jenſeits des Uritucu begann für die ſpaniſchen Anſiedler eine neue Welt, und die Nach - kommen der unerſchrockenen Krieger, die von Peru bis zu den Küſten von Neugranada und an den Amazonenſtrom alles Land erobert hatten, kannten nicht die Wege, die von Coro an den Rio Meta führen. Das Küſtenland von Venezuela blieb iſoliert, und mit den langſamen Eroberungen der Miſ - ſionäre von der Geſellſchaft Jeſu wollte es nur längs der Ufer des Orinoko glücken. Dieſe Väter waren bereits bis über die Katarakte von Atures und Maypures hinausge - drungen, als die andaluſiſchen Kapuziner von der Küſte und den Thälern von Aragua aus kaum die Ebenen von Calabozo erreicht hatten. Aus den verſchiedenen Ordensregeln läßt ſich4 ein ſolcher Kontraſt nicht wohl erklären; vielmehr iſt der Charakter des Landes ein Hauptmoment, ob die Miſſionen raſchere oder langſamere Fortſchritte machen. Mitten im Lande, in Gebirgen oder auf Steppen, überall, wo ſie nicht am ſelben Fluſſe fortgehen, dringen ſie nur langſam vor. Man ſollte es kaum glauben, daß die Stadt San Fernando am Apure, die in gerader Linie nur 225 km von dem am früheſten be - völkerten Küſtenſtrich von Caracas liegt, erſt im Jahre 1789 gegründet worden iſt. Man zeigte uns ein Pergament voll hübſcher Malereien, die Stiftungsurkunde der kleinen Stadt. Dieſelbe war auf Anſuchen der Mönche aus Madrid gekommen, als man noch nichts ſah als ein paar Rohrhütten um ein großes, mitten im Flecken aufgerichtetes Kreuz. Da die Miſ - ſionäre und die weltlichen oberſten Behörden gleiches Inter - eſſe haben, in Europa ihre Bemühungen für Förderung der Kultur und der Bevölkerung in den Provinzen über dem Meer in übertriebenem Lichte erſcheinen zu laſſen, ſo kommt es oft vor, daß Stadt - und Dorfnamen lange vor der wirklichen Gründung in der Liſte der neuen Eroberungen aufgeführt werden. Wir werden an den Ufern des Orinoko und des Caſſiquiare dergleichen Ortſchaften nennen, die längſt pro - jektiert waren, aber nie anderswo ſtanden als auf den in Rom und Madrid geſtochenen Miſſionskarten.

San Fernando, an einem großen ſchiffbaren Strome, nahe bei der Einmündung eines anderen, der die ganze Provinz Varinas durchzieht, iſt für den Handel ungemein günſtig ge - legen. Alle Produkte dieſer Provinz, Häute, Kakao, Baum - wolle, der Indigo von Mijagual, der ausgezeichnet gut iſt, gehen über dieſe Stadt nach den Mündungen des Orinoko. In der Regenzeit kommen große Fahrzeuge von Angoſtura nach San Francisco herauf, ſowie auf dem Rio Santo Do - mingo nach Torunos, dem Hafen der Stadt Varinas. Um dieſe Zeit treten die Flüſſe aus, und zwiſchen dem Apure, dem Capanaparo und Sinaruco bildet ſich dann ein wahres Labyrinth von Verzweigungen, das über eine Fläche Landes von 8100 qkm reicht. Hier iſt der Punkt, wo der Orinoko, nicht wegen naher Berge, ſondern durch das Gefälle der Gegenhänge ſeinen Lauf ändert und ſofort, ſtatt wie bisher die Richtung eines Meridians zu verfolgen, oſtwärts fließt. Betrachtet man die Erdoberfläche als einen vielſeitigen Körper mit verſchieden geneigten Flächen, ſo ſpringt ſchon bei einem Blick auf die Karten in die Augen, daß zwiſchen San5 Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta drei Gehänge, die gegen Nord, Weſt und Süd anſteigen, ſich durchſchneiden, wodurch eine bedeutende Bodenſenkung ent - ſtehen mußte. In dieſem Becken ſteht in der Regenzeit das Waſſer 4 bis 4,5 m hoch auf den Grasfluren, ſo daß ſie einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die gleichſam auf Untiefen dieſes Sees liegen, ſtehen kaum 0,6 bis 1 m über dem Waſſer. Alles erinnert hier an die Ueber - ſchwemmung in Unterägypten und an die Laguna de Xarayes, die früher bei den Geographen ſo vielberufen war, obgleich ſie nur ein paar Monate im Jahre beſteht. Das Austreten der Flüſſe Apure, Meta und Orinoko iſt ebenſo an eine be - ſtimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Savanne wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil ſie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man ſieht die Stuten, hinter ihnen ihre Füllen, einen Teil des Tages herumſchwimmen und die Gräſer abweiden, die nur mit den Spitzen über das Waſſer reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man ſieht nicht ſelten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zähnen dieſer fleiſchfreſſenden Reptilien aufzuweiſen haben. Die Aaſe von Pferden, Maultieren und Kühen ziehen zahlloſe Geier herbei. Die Zamuros1Vultur aura. ſind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Habitus des Huhns der Pharaonen und leiſten den Be - wohnern der Llanos dieſelben Dienſte, wie der Vultur Per - cnopterus den Aegyptern.

Ueberdenkt man die Wirkungen dieſer Ueberſchwemmungen, ſo kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegſam die Organiſation der Tiere iſt, die der Menſch ſeiner Herrſchaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund die Abfälle beim Fiſchfang, und gibt es keine Fiſche, ſo nährt er ſich von Seegras. Der Eſel und das Pferd, die aus den kalten, dürren Ebenen Hochaſiens ſtammen, begleiten den Men - ſchen in die Neue Welt, treten hier in den wilden Zuſtand zurück und friſten im heißen tropiſchen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beſchwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und darauf von übermäßiger Näſſe geplagt, ſuchen ſie bald, um ihren Durſt zu löſchen, eine Lache auf dem kahlen, ſtaubigten Boden, bald flüchten ſie ſich vor den Waſſern der austretenden6 Flüſſe, vor einem Feinde, der ſie von allen Seiten umzingelt. Den Tag über werden Pferde, Maultiere und Rinder von Bremſen und Moskiten gepeinigt und bei Nacht von unge - heuren Fledermäuſen angefallen, die ſich in ihren Rücken ein - krallen und ihnen deſto ſchlimmere Wunden beibringen, da alsbald Milben und andere bösartige Inſekten in Menge hineinkommen. Zur Zeit der großen Dürre benagen die Maul - tiere ſogar den ganz mit Stacheln beſetzten Melokaktus,1Ganz beſonders geſchickt wiſſen die Eſel ſich die Feuchtigkeit im Inneren des Cactus melocactus zu nutze zu machen. Sie ſtoßen die Stacheln mit den Füßen ab, und man ſieht welche infolge dieſes Verfahrens hinken. um zum erfriſchenden Saft und ſo gleichſam zu einer vegetabi - liſchen Waſſerquelle zu gelangen. Während der großen Ueber - ſchwemmungen leben dieſelben Tiere wahrhaft amphibiſch, in Geſellſchaft von Krokodilen, Waſſerſchlangen und Seekühen. Und dennoch erhält ſich, nach den unabänderlichen Geſetzen der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen, mitten unter zahlloſen Plagen und Gefahren. Fällt das Waſſer wieder, kehren die Flüſſe in ihre Betten zurück, ſo überzieht ſich die Savanne mit zartem, angenehm duftendem Gras, und im Herzen des heißen Landſtrichs ſcheinen die Tiere des alten Europas und Hochaſiens in ihr Heimatland verſetzt zu ſein und ſich des neuen Frühlingsgrüns zu freuen.

Während des hohen Waſſerſtandes gehen die Bewohner dieſer Länder, um die ſtarke Strömung und die gefährlichen Baumſtämme, die ſie treibt, zu vermeiden, in ihren Kanoen nicht in den Flußbetten hinauf, ſondern fahren über die Gras - fluren. Will man von San Fernando nach den Dörfern San Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Fran - cisco de Capanaparo, wendet man ſich gerade nach Süd, als führe man auf einem einzigen 90 km breiten Strome. Die Flüſſe Guarico, Apure, Cabullare und Arauca bilden da, wo ſie ſich in den Orinoko ergießen, 720 km von der Küſte von Guyana, eine Art Binnendelta, dergleichen die Hydro - graphie in der Alten Welt wenige aufzuweiſen hat. Nach der Höhe des Queckſilbers im Barometer hat der Apure von San Fernando bis zur See nur ein Gefälle von 66 m. Dieſer Fall iſt ſo unbedeutend als der von der Einmündung des Oſagefluſſes und des Miſſouri in den Miſſiſſippi bis zur Barre desſelben. Die Savannen in Niederlouiſiana erinnern7 überhaupt in allen Stücken an die Savannen am unteren Orinoko.

Wir hielten uns 3 Tage in der kleinen Stadt San Francisco auf. Wir wohnten beim Miſſionär, einem ſehr wohlhabenden Kapuziner. Wir waren vom Biſchof von Ca - racas an ihn empfohlen, und er bewies uns die größte Auf - merkſamkeit und Gefälligkeit. Man hatte Uferbauten unter - nommen, damit der Fluß den Boden, auf dem die Stadt liegt, nicht unterwühlen könnte, und er zog mich deshalb zu Rat. Durch den Einfluß der Portugueſa in den Apure wird dieſer nach Südoſt gedrängt, und ſtatt dem Fluß freieren Lauf zu verſchaffen, hatte man Dämme und Deiche gebaut, um ihn einzuengen. Es war leicht vorauszuſagen, daß, wenn die Flüſſe ſtark austraten, dieſe Wehren um ſo ſchneller weg - geſchwemmt werden mußten, da man das Erdreich zu den Waſſerbauten hinter dem Damme genommen und ſo das Ufer geſchwächt hatte.

San Fernando iſt berüchtigt wegen der unmäßigen Hitze, die hier den größten Teil des Jahres herrſcht, und bevor ich von unſerer langen Fahrt auf den Strömen berichte, führe ich hier einige Beobachtungen an, welche für die Meteorologie der Tropenländer nicht ohne Wert ſein mögen. Wir begaben uns mit Thermometern auf das mit weißem Sand bedeckte Geſtade am Apure. Um 2 Uhr nachmittags zeigte der Sand überall, wo er der Sonne ausgeſetzt war, 52,5°. In 48 cm Höhe über dem Sand ſtand der Thermometer auf 42°, in 1,95 m Höhe auf 38,7°. Die Lufttemperatur im Schatten eines Ceibabaumes war 36,2°. Dieſe Beobachtungen wurden bei völlig ſtiller Luft gemacht. Sobald der Wind zu wehen anfing, ſtieg die Temperatur der Luft um , und doch be - fanden wir uns in keinem Sandwind . Es waren vielmehr Luftſchichten, die mit einem ſtark erhitzten Boden in Berüh - rung geweſen, oder durch welche Sandhoſen durchgegangen waren Dieſer weſtliche Strich der Llanos iſt der heißeſte, weil ihm die Luft zugeführt wird, welche bereits über die ganze dürre Steppe weggegangen iſt. Denſelben Unterſchied hat man zwiſchen den öſtlichen und weſtlichen Strichen der afrikaniſchen Wüſten da bemerkt, wo die Paſſate wehen. In der Regenzeit nimmt die Hitze in den Llanos bedeutend zu, beſonders im Juli, wenn der Himmel bedeckt iſt und die ſtrahlende Wärme gegen den Erdboden zurückwirft. In dieſer Zeit hört der Seewind ganz auf, und nach Pozos guten thermo -8 metriſchen Beobachtungen ſteigt der Thermometer im Schatten auf 39 bis 39,5°,131,2° bis 31,6° R. und zwar noch über 4,9 m vom Boden. Je näher wir den Flüſſen Portugueſa, Apure und Apurito kamen, deſto kühler wurde die Luft, infolge der Verdunſtung ſo anſehnlicher Waſſermaſſen. Dies iſt beſonders bei Sonnen - aufgang fühlbar; den Tag über werfen die mit weißem Sand bedeckten Flußufer die Sonnenſtrahlen auf unerträgliche Weiſe zurück, mehr als der gelbbraune Thonboden um Calabozo und Tisnao.

Am 28. März bei Sonnenaufgang befand ich mich am Ufer, um die Breite des Apure zu meſſen. Sie beträgt 411 m. Es donnerte von allen Seiten; es war dies das erſte Ge - witter und der erſte Regen der Jahreszeit. Der Fluß ſchlug beim Oſtwind ſtarke Wellen, aber bald wurde die Luft wieder ſtill, und alsbald fingen große Cetaceen aus der Familie der Spritzfiſche, ganz ähnlich den Delphinen unſerer Meere, an ſich in langen Reihen an der Waſſerfläche zu tummeln. Die Krokodile, langſam und träge, ſchienen die Nähe dieſer lär - menden, in ihren Bewegungen ungeſtümen Tiere zu ſcheuen; wir ſahen ſie untertauchen, wenn die Spritzfiſche ihnen nahe - kamen. Daß Cetaceen ſo weit von der Küſte vorkommen, iſt ſehr auffallend. Die Spanier in den Miſſionen nennen ſie, wie die Seedelphine, Toninas; ihr indianiſcher Name iſt Orinucua. Sie ſind 1 bis 1,3 m lang und zeigen, wenn ſie den Rücken krümmen und mit dem Schwanz auf die unteren Waſſerſchichten ſchlagen, ein Stück des Rückens und der Rücken - floſſe. Ich konnte keines Stückes habhaft werden, ſo oft ich auch Indianer aufforderte, mit Pfeilen auf ſie zu ſchießen. Pater Gili verſichert, die Guamos eſſen das Fleiſch derſelben. Gehören dieſe Cetaceen den großen Strömen Südamerikas eigentümlich an, wie der Lamantin (die Seekuh), der nach Cuviers anatomiſchen Unterſuchungen gleichfalls ein Süß - waſſerſäugetier iſt, oder ſoll man annehmen, daß ſie aus der See gegen die Strömung ſo weit heraufkommen, wie in den aſiatiſchen Flüſſen der Delphinapterus Beluga zuweilen thut? Was mir letztere Vermutung unwahrſcheinlich macht, iſt der Umſtand, daß wir im Rio Atabapo, oberhalb der großen Fälle des Orinoko, Toninas angetroffen haben. Sollten ſie von der Mündung des Amazonenſtromes her durch die Verbindungen desſelben mit dem Rio Negro, Caſſiquiare und9 Orinoko bis in das Herz von Südamerika gekommen ſein? Man trifft ſie dort in allen Jahreszeiten an, und keine Spur ſcheint anzudeuten, daß ſie zu beſtimmten Zeiten wandern wie die Lachſe.

Während es bereits rings um uns donnerte, zeigten ſich am Himmel nur einzelne Wolken, die langſam, und zwar in entgegengeſetzter Richtung dem Zenith zuzogen. Delucs Hygro - meter ſtand auf 53°, der Thermometer auf 23,7°; der Elektro - meter mit rauchendem Docht zeigte keine Spur von Elektri - zität. Während das Gewitter ſich zuſammenzog, wurde die Farbe des Himmels zuerſt dunkelblau und dann grau. Die Dunſtbläschen wurden ſichtbar, und der Thermometer ſtieg um , wie faſt immer unter den Tropen bei bedecktem Himmel, weil dieſer die ſtrahlende Wärme des Bodens zurückwirft. Jetzt goß der Regen in Strömen nieder. Wir waren hin - länglich an das Klima gewöhnt, um von einem tropiſchen Regen keinen Nachteil fürchten zu dürfen; ſo blieben wir denn am Ufer, um den Gang des Elektrometers genau zu beobachten. Ich hielt ihn 2 m über dem Boden 20 Minuten lang in der Hand und ſah die Fliedermarkkügelchen meiſt nur wenige Sekunden vor dem Blitz auseinandergehen, und zwar 8 mm. Die elektriſche Ladung blieb ſich mehrere Minuten lang gleich; wir hatten Zeit, mittels einer Siegellackſtange die Elektrizität zu unterſuchen, und ſo ſah ich hier, wie ſpäter oft auf dem Rücken der Anden während eines Gewitters, daß die Luft - elektrizität zuerſt poſitiv war, dann Null und endlich negativ wurde. Dieſer Wechſel zwiſchen Poſitiv und Negativ (zwiſchen Glas - und Harzelektrizität) wiederholte ſich öfters. Indeſſen zeigte der Elektrometer ein wenig vor dem Blitz immer nur Null oder poſitive Elektrizität, niemals negative. Gegen das Ende des Gewitters wurde der Weſtwind ſehr heftig. Die Wolken zerſtreuten ſich und der Thermometer fiel auf 22° infolge der Verdunſtung am Boden und der freieren Wärme - ſtrahlung gegen den Himmel.

Ich bin hier näher auf einzelnes über elektriſche Span - nung der Luft eingegangen, weil die Reiſenden ſich meiſt darauf beſchränken, den Eindruck zu beſchreiben, den ein tro - piſches Gewitter auf einen neu angekommenen Europäer macht. In einem Land, wo das Jahr in zwei große Hälften zerfällt, in die trockene und in die naſſe Jahreszeit, oder, wie die Indianer in ihrer ausdrucksvollen Sprache ſagen, in Sonnen - zeit und in Regenzeit, iſt es von großem Intereſſe, den10 Verlauf der meteorologiſchen Erſcheinung beim Uebergang von einer Jahreszeit zur anderen zu verfolgen. Bereits ſeit dem 18. und 19. Februar hatten wir in den Thälern von Aragua mit Einbruch der Nacht Wolken aufziehen ſehen. Mit Anfang März wurde die Anhäufung ſichtbarer Dunſtbläschen und damit die Anzeichen von Luftelektrizität von Tag zu Tag ſtärker. Wir ſahen gegen Süd wetterleuchten und der Voltaſche Elektrometer zeigte bei Sonnenuntergang fortwährend Gas - elektrizität. Mit Einbruch der Nacht wichen die Fliedermark - kügelchen, die ſich den Tag über nicht gerührt, 6 bis 8 mm auseinander, dreimal weiter, als ich in Europa mit demſelben Inſtrument bei heiterem Wetter in der Regel beobachtet. Vom 26. Mai an ſchien nun aber das elektriſche Gleichgewicht in der Luft völlig geſtört. Stundenlang war die Elektrizität Null, wurde dann ſehr ſtark 8 bis 11 mm und bald darauf war ſie wieder unmerklich. Delucs Hygrometer zeigte fortwährend große Trockenheit an, 33 bis 35°, und dennoch ſchien die Luft nicht mehr dieſelbe. Während dieſes beſtändigen Schwankens der Luftelektrizität fingen die kahlen Bäume be - reits an, friſche Blätter zu treiben, als hätten ſie ein Vor - gefühl vom nahenden Frühling.

Der Witterungswechſel, den wir hier beſchrieben, bezieht ſich nicht etwa auf ein einzelnes Jahr. In der Aequinoktial - zone folgen alle Erſcheinungen in wunderbarer Einförmigkeit aufeinander, weil die lebendigen Kräfte der Natur ſich nach leicht erkennbaren Geſetzen beſchränken und im Gleichgewicht halten. Im Binnenlande, oſtwärts von den Kordilleren von Merida und Neugranada, in den Llanos von Venezuela und am Rio Meta, zwiſchen dem 4. und 10. Breitengrad, aller - orten, wo es vom Mai bis Oktober beſtändig regnet und demnach die Zeit der größten Hitze, die im Juli und Auguſt eintritt, in die Regenzeit fällt, nehmen die atmoſphäriſchen Erſcheinungen folgenden Verlauf.

Unvergleichlich iſt die Reinheit der Luft vom Dezember bis in den Februar. Der Himmel iſt beſtändig wolkenlos, und zieht je Gewölk auf, ſo iſt das ein Phänomen, das die ganze Einwohnerſchaft beſchäftigt. Der Wind bläſt ſtark aus Oſt und Oſt-Nord-Oſt. Da er beſtändig Luft von der gleichen Temperatur herführt, ſo können die Dünſte nicht durch Ab - kühlung ſichtbar werden. Gegen Ende Februar und zu Anfang März iſt das Blau des Himmels nicht mehr ſo dunkel, der Hygrometer zeigt allmählich ſtärkere Feuchtigkeit an, die Sterne11 ſind zuweilen von einer feinen Dunſtſchicht umſchleiert, ihr Licht iſt nicht mehr planetariſch ruhig, man ſieht ſie hin und wieder bis zu 20° über dem Horizont flimmern. Um dieſe Zeit wird der Wind ſchwächer, unregelmäßiger, und es tritt öfter als zuvor völlige Windſtille ein. In Süd-Süd-Oſt ziehen Wolken auf. Sie erſcheinen wie ferne Gebirge mit ſehr ſcharfen Umriſſen. Von Zeit zu Zeit löſen ſie ſich vom Horizont ab und laufen über das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit, die mit dem ſchwachen Wind in den unteren Luftſchichten außer Verhältnis ſteht. Zu Ende März wird das ſüdliche Stück des Himmels von kleinen, leuchtenden elektriſchen Entladungen durchzuckt, phosphoriſchen Aufleuchtungen, die immer nur von einer Dunſtmaſſe auszugehen ſcheinen. Von nun an dreht ſich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden nach Weſt und Südweſt. Es iſt dies ein ſicheres Zeichen, daß die Regenzeit bevorſteht, die am Orinoko gegen Ende April eintritt. Der Himmel fängt an, ſich zu beziehen, das Blau verſchwindet und macht einem gleichförmigen Grau Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme ſtetig zu, und nicht lange, ſo ſind nicht mehr Wolken am Himmel, ſondern ver - dichtete Waſſerdünſte hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geſchrei. Die Luftelektrizität, die während der großen Dürre vom Dezember bis März bei Tag faſt beſtändig gleich 3,6 bis 4 mm am Voltaſchen Elektrometer war, fängt mit dem März an, äußerſt veränderlich zu werden. Ganze Tage lang iſt ſie Null, und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar Stunden lang 6 bis 8 mm auseinander. Die Luftelektrizität, die in der heißen wie in der gemäßigten Zone in der Regel Glaselektrizität iſt, ſchlägt auf 8 bis 10 Minuten in Harz - elektrizität um. Die Regenzeit iſt die Zeit der Gewitter, und doch erſcheint als Ergebnis meiner zahlreichen, dreijährigen Beobachtungen, daß gerade in dieſer Gewitterzeit die elek - triſche Spannung in den tiefen Luftregionen geringer iſt. Sind die Gewitter die Folge dieſer ungleichen Ladung der über - einander gelagerten Luftſchichten? Was hindert die Elektrizität in einer Luft, die ſchon ſeit März feuchter geworden, auf den Boden herabzukommen? Um dieſe Zeit ſcheint die Elektrizität nicht durch die ganze Luft verbreitet, ſondern auf der äußeren Hülle, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu ſein. Daß ſich das elektriſche Fluidum an die Oberfläche der Wolke zieht, iſt, nach Gay-Luſſac, eben eine Folge der Wolkenbildung. In12 den Ebenen ſteigt das Gewitter 2 Stunden nach dem Durch - gang der Sonne durch den Meridian auf, alſo kurze Zeit nach dem Eintritt des täglichen Wärmemaximums unter den Tropen. Im Binnenlande hört man bei Nacht oder Morgens äußerſt ſelten donnern; nächtliche Gewitter kommen nur in gewiſſen Flußthälern vor, die ein eigentümliches Klima haben.

Auf welchen Urſachen beruht es nun, daß das Gleich - gewicht in der elektriſchen Spannung der Luft geſtört wird, daß ſich die Dünſte fortwährend zu Waſſer verdichten, daß der Wind aufhört, daß die Regenzeit eintritt und ſo lange anhält? Ich bezweifle, daß die Elektrizität bei Bildung der Dunſtbläschen mitwirkt; durch dieſe Bildung wird vielmehr nur die elektriſche Spannung geſteigert und modifiziert. Nörd - lich und ſüdlich vom Aequator kommen die Gewitter oder die großen Entladungen in der gemäßigten und in der äquinok - tialen Zone um dieſelbe Zeit vor. Beſteht ein Moment, das durch das große Luftmeer aus jener Zone gegen die Tropen her wirkt? Wie läßt ſich denken, daß in letzterem Himmels - ſtrich, wo die Sonne ſich immer ſo hoch über den Horizont erhebt, der Durchgang des Geſtirnes durch den Zenith be - deutenden Einfluß auf die Vorgänge in der Luft haben ſollte? Nach meiner Anſicht iſt die Urſache, welche unter den Tropen das Eintreten des Regens bedingt, keine örtliche, und das ſcheinbar ſo verwickelte Problem würde ſich wohl unſchwer löſen, wenn wir mit den oberen Luftſtrömungen beſſer be - kannt wären. Wir können nur beobachten, was in den unteren Luftſchichten vorgeht. Ueber 3900 m Meereshöhe ſind die Anden faſt unbewohnt, und in dieſer Höhe äußern die Nähe des Bodens und die Gebirgsmaſſen, welche die Untiefen im Luftozean ſind, bedeutenden Einfluß auf die umgebende Luft. Was man auf der Hochebene von Antiſana beobachtet, iſt etwas anderes, als was man wahrnähme, wenn man in derſelben Höhe in einem Luftballon über den Llanos oder über der Meeresfläche ſchwebte.

Wie wir geſehen haben, fällt in der nördlichen Aequinok - tialzone der Anfang der Regenniederſchläge und Gewitter zu - ſammen mit dem Durchgang der Sonne durch den Zenith des Orts, mit dem Aufhören der See - oder Nordoſtwinde, mit dem häufigen Eintreten von Windſtillen und Bendavales, das heißt heftigen Südoſt - und Südweſtwinden bei bedecktem Himmel. Vergegenwärtigt man ſich die allgemeinen Geſetze des Gleichgewichtes, denen die Gasmaſſen, aus denen unſere13 Atmoſphäre beſteht, gehorchen, ſo iſt, nach meiner Anſicht, in den Momenten, daß der Strom, der vom gleichnamigen Pol herbläſt, unterbrochen wird, daß die Luft in der heißen Zone ſich nicht mehr erneuert, und daß fortwährend ein feuchter Strom aufwärts geht, einfach die Urſache zu ſuchen, warum jene Erſcheinungen zuſammenfallen. Solange nördlich vom Aequator der Seewind aus Nordoſt mit voller Kraft bläſt, läßt er die Luft über den tropiſchen Ländern und Meeren ſich nicht mit Waſſerdunſt ſättigen. Die heiße, trockene Luft dieſer Erdſtriche ſteigt aufwärts und fließt den Polen zu ab, während untere, trockene und kältere Luft herbeiführende Polar - ſtrömungen jeden Augenblick die aufſteigenden Luftſäulen er - ſetzen. Bei dieſem unaufhörlichen Spiel zweier entgegen - geſetzten Luftſtrömungen kann ſich die Feuchtigkeit in der Aequatorialzone nicht anhäufen, ſondern wird kalten und ge - mäßigten Regionen zugeführt. Während dieſer Zeit der Nord - oſtwinde, wo ſich die Sonne in den ſüdlichen Zeichen befindet, bleibt der Himmel in der nördlichen Aequatorialzone beſtändig heiter. Die Dunſtbläschen verdichten ſich nicht, weil die be - ſtändig erneuerte Luft weit vom Sättigungspunkt entfernt iſt. Je mehr die Sonne nach ihrem Eintritt in die nördlichen Zeichen gegen den Zenith heraufrückt, deſto mehr legt ſich der Nordoſtwind und hört nach und nach ganz auf. Der Temperatur - unterſchied zwiſchen den Tropen und der nördlichen gemäßigten Zone iſt jetzt der kleinſtmögliche. Es iſt Sommer am Nord - pol, und während die mittlere Wintertemperatur unter dem 42. bis 52. Grad der Breite um 20 bis 26° niedriger iſt als die Temperatur unter dem Aequator, beträgt der Unterſchied im Sommer kaum 4 bis . Steht nun die Sonne im Zenith, und hört der Nordoſtwind auf, ſo treten die Urſachen, welche Feuchtigkeit erzeugen und ſie in der nörd - lichen Aequinoktialzone anhäufen, zumal in vermehrte Wirk - ſamkeit. Die Luftſäule über dieſer Zone ſättigt ſich mit Waſſerdampf, weil ſie nicht mehr durch den Polarſtrom er - neuert wird. In dieſer geſättigten und durch die vereinten Wirkungen der Strahlung und der Ausdehnung beim Auf - ſteigen erkalteten Luft bilden ſich Wolken. Im Maß als dieſe Luft ſich verdünnt, nimmt ihre Wärmekapazität zu. Mit der Bildung und Zuſammenballung des Dunſtbläschens häuft ſich die Elektrizität in den oberen Luftregionen an. Den Tag über ſchlagen ſich die Dünſte fortwährend nieder; bei Nacht hört dies meiſt auf, häufig ſogar ſchon nach Sonnen -14 untergang. Die Regengüſſe ſind regelmäßig am ſtärkſten und von elektriſchen Entladungen begleitet, kurze Zeit nachdem das Maximum der Tagestemperatur eingetreten iſt. Dieſer Stand der Dinge dauert an, bis die Sonne in die ſüdlichen Zeichen tritt. Jetzt beginnt in der nördlichen gemäßigten Zone die kalte Witterung. Von nun an tritt die Luft - ſtrömung vom Nordpol her wieder ein, weil der Unterſchied zwiſchen den Wärmegraden im tropiſchen und im gemäßigten Erdſtriche mit jedem Tage bedeutender wird. Der Nordoſt - wind bläſt ſtark, die Luft unter den Tropen wird erneuert und kann den Sättigungspunkt nicht mehr erreichen. Daher hört es auf zu regnen, die Dunſtbläschen löſen ſich auf, der Himmel wird wieder rein und blau. Von elektriſchen Ent - ladungen iſt nichts mehr zu hören, ohne Zweifel weil die Elektrizität in den oberen Luftregionen jetzt keine Haufen von Dunſtbläschen, faſt hätte ich geſagt, keine Wolkenhüllen mehr antrifft, auf denen ſich das Fluidum anhäufen könnte.

Wir haben das Aufhören des Nordoſtwindes als die Haupturſache der tropiſchen Regen betrachtet. Dieſe Regen dauern in jeder Halbkugel nur ſo lange, als die Sonne die der Halbkugel gleichnamige Abweichung hat. Es muß hier aber noch bemerkt werden, daß, wenn der Nordoſt auf - hört, nicht immer Windſtille eintritt, ſondern die Ruhe der Luft häufig, beſonders längs der Weſtküſten von Amerika, durch Bendavales, das heißt Südweſt - und Südoſtwinde, unterbrochen wird. Dieſe Erſcheinung ſcheint darauf hinzuweiſen, daß die feuchten Luftſäulen, die im nördlichen äquatorialen Erdſtriche aufſteigen, zuweilen dem Südpol zuſtrömen. In der That hat in den Ländern der heißen Zone nördlich und ſüdlich vom Aequator in ihrem Sommer, wenn die Sonne durch ihren Zenith geht, der Unterſchied zwiſchen ihrer Tempe - ratur und der am ungleichnamigen Pol ſein Maximum erreicht. Die ſüdliche gemäßigte Zone hat jetzt Winter, während es nördlich vom Aequator regnet und die mittlere Temperatur um 5 bis höher iſt als in der trockenen Jahreszeit, wo die Sonne am tiefſten ſteht. Daß der Regen fortdauert, während die Bendavales wehen, beweiſt, daß die Luftſtrö - mungen vom entfernteren Pol her in der nördlichen Aequa - torialzone nicht die Wirkung äußern wie die vom benach - barten Pole her, weil die Südpolarſtrömung weit feuchter iſt. Die Luft, welche dieſe Strömung herbeiführt, kommt aus einer faſt ganz mit Waſſer bedeckten Halbkugel; ſie geht, bevor15 ſie zum 8. Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze ſüdliche Aequinoktialzone weg, iſt folglich nicht ſo trocken, nicht ſo kalt als der Nordpolarſtrom oder der Nordoſtwind, und ſomit auch weniger geeignet, als Gegenſtrom aufzutreten und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die Bendavales an manchen Küſten, z. B. an denen von Guatemala, als heftige Winde auftreten, ſo rührt dies ohne Zweifel da - her, daß ſie nicht Folge eines allmählichen, regelmäßigen Ab - fluſſes der tropiſchen Luft gegen den Südpol ſind, ſondern mit Windſtillen abwechſeln, von elektriſchen Entladungen be - gleitet ſind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde darauf hinweiſt, daß im Luftmeer eine Rückſtauung, eine raſche, vor - übergehende Störung des Gleichgewichtes ſtattgefunden hat.

Wir haben hier eine der wichtigſten meteorologiſchen Er - ſcheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Ge - ſichtspunkte betrachtet. Wie die Grenzen der Paſſatwinde keine mit dem Aequator parallelen Kreiſe bilden, ſo äußert ſich auch die Wirkung der Polarluftſtrömungen unter ver - ſchiedenen Luftſtrömungen verſchieden. In derſelben Halb - kugel haben nicht ſelten die Gebirgsketten und das Küſten - land entgegengeſetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, mehrere Anomalieen der Art zu erwähnen; will man aber zur Erkenntnis der Naturgeſetze gelangen, ſo muß man, bevor man ſich nach den Urſachen lokaler Erſchei - nungen umſieht, den mittleren Zuſtand der Atmoſphäre und die beſtändige Norm ihrer Veränderungen kennen.

Das Ausſehen des Himmels, der Gang der Elektrizität und der Regenguß am 28. März verkündeten den Beginn der Regenzeit; man riet uns indeſſen, von San Fernando am Apure noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio Sinaruco und den Hato San Antonio, nach dem kürzlich am Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und uns auf dem Orinoko etwas oberhalb Carichana einzuſchiffen. Dieſer Landweg führt durch einen ungeſunden, von Fiebern heimgeſuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez, bot ſich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein ſprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in dieſen entlegenen Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als 100000 Piaſtern, und doch ſtieg er mit nackten Füßen, an die mächtige ſilberne Sporen geſchnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vege - tation auf den Llanos iſt, und ſchlugen daher lieber den längeren16 Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoko ein. Wir wählten dazu eine der ſehr breiten Pirogen, welche die Spanier Lanchas nennen; zur Bemannung waren ein Steuermann (el patron) und vier Indianer hinreichend. Am Hinterteil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte Hütte hergerichtet. Sie war ſo geräumig, daß Tiſch und Bänke Platz darin fanden. Letztere beſtanden aus über Rahmen von Braſilholz ſtraff geſpannten und angenagelten Ochſen - häuten. Ich führe dieſe kleinen Umſtände an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben auf dem Orinoko in den ſchmalen elenden Kanoen. Wir nahmen in die Piroge Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando1Wir bezahlten von San Fernando de Apure bis Carichana am Orinoko (8 Tagereiſen) 10 Piaſter für die Lancha, und außer - dem dem Steuermann einen halben Piaſter oder 4 Realen und jedem der indianiſchen Ruderer 2 Realen Taglohn. gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniok - mehl und Kakao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender Limonade. Es war vorauszuſehen, daß ein Dach aus Palmen - blättern ſich im breiten Flußbett, wo man faſt immer den ſenkrechten Sonnenſtrahlen ausgeſetzt iſt, ſehr ſtark erhitzen mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebens - mittel, die wir angeſchafft, als auf ihre Angeln und Netze. Wir nahmen auch einige Schießgewehre mit, die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter nach Süden die Miſſionäre wegen der übermäßigen Feuchtig - keit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im Rio Apure gibt es ſehr viele Fiſche, Seekühe und Schild - kröten, deren Eier allerdings nährend, aber keine ſehr ange - nehme Speiſe ſind. Die Ufer ſind mit unzähligen Vögel - ſcharen bevölkert. Die erſprießlichſten für uns waren der Pauxi und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Faſan des Landes nennen könnte. Ihr Fleiſch kam mir härter und nicht ſo weiß vor als das unſerer hühnerartigen Vögel in Europa, weil ſie ihre Muskeln ungleich ſtärker brauchen. Neben dem Mundvorrat, dem Geräte zum Fiſchfang und den Waffen vergaß man nicht ein paar Fäſſer Branntwein zum Tauſchhandel mit den Indianern am Orinoko einzunehmen.

Wir fuhren von San Fernando am 30. März, um 4 Uhr abends, bei ſehr ſtarker Hitze ab; der Thermometer ſtand im17 Schatten auf 34°, obgleich der Wind ſtark aus Südoſt blies. Wegen dieſes widrigen Windes konnten wir keine Segel auf - ziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoko und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters der Provinz Varinas, Don Nicolas Soto, der erſt kürzlich von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers ſind, entſchloß er ſich, mit uns 74 Tage auf einem engen, von Moskiten wimmelnden Kanoe zuzubringen. Sein geiſtreiches, liebenswürdiges Weſen und ſeine muntere Laune haben uns oft die Beſchwerden einer zuweilen nicht gefahrloſen Fahrt vergeſſen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vor - bei und an der Inſel dieſes Namens hin, die vom Apure und dem Guarico gebildet wird. Dieſe Inſel iſt im Grunde nichts als ein ganz niedriger Landſtrich, der von zwei großen Flüſſen eingefaßt wird, die ſich in geringer Entfernung von - einander in den Orinoko ergießen, nachdem ſie bereits unter - halb San Fernando durch eine erſte Gabelung des Apure ſich vereinigt haben. Die Isla del Apurito iſt 100 km lang und 9 bis 13 km breit. Sie wird durch den Caño de la Tigrera und den Caño del Manati in drei Stücke ge - teilt, wovon die beiden äußerſten Isla de Blanco und Isla de las Garzilas heißen. Ich mache hier dieſe umſtändlichen Angaben, weil alle bis jetzt erſchienenen Karten den Lauf und die Verzweigungen der Gewäſſer zwiſchen dem Guarico und dem Meta aufs ſonderbarſte entſtellen. Unterhalb des Apurito iſt das rechte Ufer des Apure etwas beſſer angebaut als das linke, wo einige Hütten der Yaruro-Indianer aus Rohr und Palmblattſtielen ſtehen. Sie leben von Jagd und Fiſchfang und ſind beſonders geübt im Erlegen der Jaguare, daher die unter dem Namen Tigerfelle bekannten Bälge vorzüglich durch ſie in die ſpaniſchen Dörfer kommen. Ein Teil dieſer In - dianer iſt getauft, beſucht aber niemals eine chriſtliche Kirche. Man betrachtet ſie als Wilde, weil ſie unabhängig bleiben wollen. Andere Stämme der Yaruro leben unter der Zucht der Miſſionäre im Dorfe Achaguas, ſüdlich vom Rio Payara. Die Leute dieſer Nation, die ich am Orinoko zu ſehen Ge - legenheit gehabt, haben einige Züge von der fälſchlich ſo ge - nannten tatariſchen Bildung, die manchen Zweigen der mon - goliſchen Raſſe zukommt. Ihr Blick iſt ernſt, das Auge ſtark in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die NaſeA. v. Humboldt, Reiſe. III. 218aber der ganzen Länge nach vorſpringend. Sie ſind größer, brauner und nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas. Die Miſ - ſionäre rühmen die geiſtigen Anlagen der Yaruro, die früher eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoko waren, beſonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des Einfluſſes des Guarico. Wir brachten die Nacht in Dia - mante zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Inſel dieſes Namens gegenüber.

Auf meiner ganzen Reiſe von San Fernando nach San Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Ango - ſtura war ich bemüht, Tag für Tag, ſei es im Kanoe, ſei es im Nachtlager, aufzuſchreiben, was mir Bemerkenswertes vor - gekommen. Durch den ſtarken Regen und die ungeheure Menge Moskiten, von denen die Luft am Orinoko und Caſ - ſiquiare wimmelt, hat dieſe Arbeit notwendig Lücken be - kommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die folgenden Seiten ſind ein Auszug aus dieſem Tagebuch. Was im Angeſicht der geſchilderten Gegenſtände niedergeſchrieben iſt, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte ſagen von Individualität), das auch den unbedeutendſten Dingen einen gewiſſen Reiz gibt. Um unnötige Wiederholungen zu ver - meiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen, was über die beſchriebenen Gegenſtände ſpäter zu meiner Kenntnis gelangt iſt. Je gewaltiger und großartiger die Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern erſcheint, deſto ſtrenger muß man bei den Naturſchilderungen an der Einfachheit feſthalten, die das vornehmſte, oft das einzige Verdienſt eines erſten Entwurfes iſt.

Am 31. März. Der widrige Wind nötigte uns, bis Mittag am Ufer zu bleiben. Wir ſahen die Zuckerfelder zum Teil durch einen Brand zerſtört, der ſich aus einem nahen Walde bis hierher fortgepflanzt hatte. Die wandernden In - dianer zünden überall, wo ſie Nachtlager gehalten, den Wald an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen von dieſen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend harte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerſtörung ſchützte. Wir fanden Stämme des Mahagonibaumes (Cahoba) und von Desmanthus, die kaum 5 cm tief verkohlt waren.

Vom Diamante betritt man ein Gebiet, das nur von Tigern, Krokodilen und Chiguire, einer großen Art von Linnés Gattung Cavia, bewohnt iſt. Hier ſahen wir dicht - gedrängte Vogelſchwärme ſich vom Himmel abheben wie eine19 ſchwärzlichte Wolke, deren Umriſſe ſich jeden Augenblick ver - ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer iſt meiſt dürr und ſandig infolge der Ueberſchwemmungen; das andere iſt höher und mit hochſtämmigen Bäumen be - wachſen. Hin und wieder iſt der Fluß zu beiden Seiten be - waldet und bildet einen geraden, 290 m breiten Kanal. Die Stellung der Bäume iſt ſehr merkwürdig. Vorne ſieht man Büſche von Sauſo (Hermesia castaneifolia), die gleichſam eine 1,3 m hohe Hecke bilden, und es iſt, als wäre dieſe künſtlich beſchnitten. Hinter dieſer Hecke kommt ein Gehölz von Ce - drela, Braſilholz und Gayac. Die Palmen ſind ziemlich ſelten; man ſieht nur hie und da einen Stamm der Corozo - und der ſtacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieſes Landſtriches, die Tiger, Tapire und Pecariſchweine, haben Durchgänge in die eben beſchriebene Sauſohecke gebrochen, durch die ſie zum Trinken an den Strom gehen. Da ſie ſich nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat man den Genuß, ſie langſam am Ufer hinſtreichen zu ſehen, bis ſie durch eine der ſchmalen Lücken im Gebüſch im Walde verſchwinden. Ich geſtehe, dieſe Auftritte, ſo oft ſie vor - kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Luſt, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Intereſſe des Naturforſchers, ſondern daneben auf einer Empfindung, die allein im Schoße der Kultur aufgewachſenen Menſchen gemein iſt. Man ſieht ſich einer neuen Welt, einer wilden, unge - zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt ſich am Geſtade der Jaguar, der ſchöne amerikaniſche Panther; bald wandelt der Hocco (Crax alector) mit ſchwarzem Gefieder und dem Feder - buſch langſam an der Uferhecke hin. Tiere der verſchiedenſten Klaſſen löſen einander ab. Es como en el Paraiso (es iſt wie im Paradies), ſagte unſer Steuermann, ein alter Indianer aus den Miſſionen. Und wirklich, alles erinnert hier an den Urzuſtand der Welt, deſſen Unſchuld und Glück uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen ſtellen; beobachtet man aber das gegenſeitige Verhalten der Tiere genau, ſo zeigt es ſich, daß ſie einander fürchten und meiden. Das goldene Zeitalter iſt vorbei, und in dieſem Paradies der amerikaniſchen Wälder, wie allerorten, hat lange traurige Erfahrung alle Geſchöpfe gelehrt, daß Sanftmut und Stärke ſelten beiſammen ſind.

Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sauſobüſchen weiter vom Strome weg. Auf dieſem20 Zwiſchengebiet ſieht man Krokodile, oft acht und zehn, auf dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgeſperrt, ruhen ſie nebeneinander, ohne irgend ein Zeichen von Zuneigung, wie man ſie ſonſt bei geſellig leben - den Tieren bemerkt. Der Trupp geht auseinander, ſobald er vom Ufer aufbricht, und doch beſteht er wahrſcheinlich nur aus einem männlichen und vielen weiblichen Tieren; denn, wie ſchon Descourtils, der die Krokodile auf San Domingo ſo fleißig beobachtet, vor mir bemerkt hat, die Männchen ſind ziemlich ſelten, weil ſie in der Brunſt miteinander kämpfen und ſich ums Leben bringen. Dieſe gewaltigen Reptilien ſind ſo zahlreich, daß auf dem ganzen Stromlauf faſt jeden Augen - blick ihrer fünf oder ſechs zu ſehen waren, und doch fing der Apure erſt kaum merklich an zu ſteigen und Hunderte von Krokodilen lagen alſo noch im Schlamme der Savannen be - graben. Gegen 4 Uhr abends hielten wir an, um ein totes Krokodil zu meſſen, das der Strom ans Ufer geworfen. Es war nur 5,38 m lang; einige Tage ſpäter fand Bonpland ein anderes (männliches), das 7,22 m maß. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Aegypten, erreicht das Tier die - ſelbe Größe; auch iſt die Art, die im Apure, im Orinoko und im Magdalenenſtrom ſo häufig vorkommt,1Es iſt dies der Arue der Tamanaken, der Amana der May - puren, Cuviers Crocodilus acutus. kein Kaiman oder Alligator, ſondern ein wahres Krokodil mit an den äußeren Rändern gezähnten Füßen, dem Nilkrokodil ſehr ähnlich. Be - denkt man, daß das männliche Tier erſt mit zehn Jahren mannbar wird und daß es dann 2,6 m lang iſt, ſo läßt ſich annehmen, daß das von Bonpland gemeſſene Tier wenigſtens 28 Jahre alt war. Die Indianer ſagten uns, in San Fer - nando vergehe nicht leicht ein Jahr, wo nicht zwei, drei er - wachſene Menſchen, namentlich Weiber beim Waſſerſchöpfen am Fluß von dieſen fleiſchfreſſenden Eidechſen zerriſſen würden. Man erzählte uns die Geſchichte eines jungen Mädchens aus Uritucu, das ſich durch ſeltene Unerſchrockenheit und Geiſtes - gegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald ſie ſich gepackt fühlte, griff ſie nach den Augen des Tieres und ſtieß ihre Finger mit ſolcher Gewalt hinein, daß das Krokodil vor Schmerz ſie fahren ließ, nachdem es ihr den linken Vorderarm abgeriſſen. Trotz des ungeheuren Blut - verluſtes gelangte die Indianerin, mit der übrig gebliebenen21 Hand ſchwimmend, glücklich ans Ufer. In dieſen Einöden, wo der Menſch in beſtändigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhält man ſich täglich von den Kunſtgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder Traga Venado, einem Krokodil zu entgehen; jeder rüſtet ſich gleichſam auf die bevorſtehende Gefahr. Ich wußte, ſagte das junge Mädchen in Uritucu gelaſſen, daß der Kaiman abläßt, wenn man ihm die Finger in die Augen drückt. Lange nach meiner Rückkehr nach Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasſelbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert ſich nicht mit lebhafter Teilnahme, wie Iſaaco, der Führer des unglück - lichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulin - kombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Un - geheuers entkam, weil es ihm gelang, demſelben unter dem Waſſer die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner Iſaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung der - ſelben Geiſtesgegenwart, demſelben Gedankengang.

Das Krokodil im Apure bewegt ſich ſehr raſch und ge - wandt, wenn es angreift, ſchleppt ſich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt iſt, ſo langſam hin wie ein Salamander. Läuft das Tier, ſo hört man ein trockenes Geräuſch, das von der Reibung ſeiner Hautplatten gegen einander herzurühren ſcheint. Bei dieſer Bewegung krümmt es den Rücken und erſcheint hochbeiniger als in der Ruhe. Oft hörten wir am Ufer dieſes Rauſchen der Platten ganz in der Nähe; es iſt aber nicht wahr, was die Indianer be - haupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Schuppentier, ihre Schuppen und ihre ganze Rüſtung ſollen aufrichten können . Die Tiere bewegen ſich allerdings meiſtens gerade - aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke ſeine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängſel von falſchen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die ſeitliche Bewegung zu beſchränken ſcheinen, wenden die Kro - kodile ganz gut, wenn ſie wollen. Ich habe oft Junge ſich in den Schwanz beißen ſehen; andere haben dasſelbe bei erwachſenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung faſt immer geradlinig erſcheint, ſo rührt dies daher, daß dieſelbe, wie bei unſeren kleinen Eidechſen, ſtoßweiſe erfolgt. Die Krokodile ſchwimmen vortrefflich und überwinden leicht die ſtärkſte Strömung. Es ſchien mir indeſſen, als ob ſie, wenn ſie flußabwärts ſchwimmen, nicht wohl raſch umwenden könnten. Eines Tages wurde ein großer Hund, der uns22 auf der Reiſe von Caracas an den Rio Negro begleitete, im Fluſſe von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war ſchon ganz nahe an ihm und der Hund entging ſeinem Feinde nur dadurch, daß er umwandte und auf einmal gegen den Strom ſchwamm. Das Krokodil führte nun dieſelbe Bewegung aus, aber weit langſamer als der Hund, und dieſer erreichte glücklich das Ufer.

Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den Chiguire (Cavia Capybara, Waſſerſchwein), die in Rudeln von 50 bis 60 Stücken an den Flußufern leben. Dieſe un - glücklichen Tiere, von der Größe unſerer Schweine, beſitzen keinerlei Waffe, ſich zu wehren; ſie ſchwimmen etwas beſſer, als ſie laufen; aber auf dem Waſſer werden ſie eine Beute der Krokodile und am Lande werden ſie von den Tigern ge - freſſen. Man begreift kaum, wie ſie bei den Nachſtellungen zweier gewaltigen Feinde ſo zahlreich ſein können; ſie ver - mehren ſich aber ſo raſch wie die Cobayes, oder Meer - ſchweinchen, die aus Braſilien zu uns gekommen ſind.

Unterhalb der Einmündung des Caño de la Tigrera, in einer Bucht, Vuelta del Joval genannt, legten wir an, um die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu meſſen; ſie betrug nur 1,13 m in der Sekunde, was 0,83 m mittlere Geſchwindigkeit ergibt. 1Um die Geſchwindigkeit eines Stromes an der Oberfläche zu ermitteln, maß ich meiſt am Ufer eine Standlinie von 81 m ab und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom ſchwimmender Körper brauchte, um dieſelbe Strecke zurückzulegen.Die Barometerhöhen ergaben, unter Berückſichtigung der kleinen ſtündlichen Abweichungen, ein Gefälle von kaum 45 cm auf die Seemeile (zu 1855 km). Die Geſchwindigkeit iſt das Produkt zweier Momente, des Falles des Bodens und des Steigens des Waſſers im oberen Stromgebiete. Auch hier ſahen wir uns von Chiguire um - geben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals aus dem Waſſer ſtrecken. Auf dem Strande gegenüber ſahen wir zu unſerer Ueberraſchung ein mächtiges Krokodil mitten unter dieſen Nagetieren regungslos daliegen und ſchlafen. Es erwachte, als wir mit unſerer Piroge näher kamen, und ging langſam dem Waſſer zu, ohne daß die Chiguire un - ruhig wurden. Unſere Indianer ſahen den Grund dieſer Gleichgültigkeit in der Dummheit des Tieres; wahrſcheinlich aber wiſſen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das23 Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht an - greift, der Gegenſtand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblicke, wo es ſich ins Waſſer wirft, in den Weg kommen.

Beim Joval wird der Charakter der Landſchaft groß - artig wild. Hier ſahen wir den größten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbſt die Indianer erſtaunten über ſeine un - geheure Länge; er war größer als alle indiſchen Tiger, die ich in Europa in Menagerien geſehen. Das Tier lag im Schatten eines großen Zamang. 1Eine Mimoſenart.Es hatte eben einen Chi - guire erlegt, aber ſeine Beute noch nicht angebrochen; nur eine ſeiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unterägypten ver - glichen haben, hatten ſich in Scharen verſammelt, um die Reſte vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den ſeltſamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten ſich bis auf 60 cm vom Jaguar vor, aber bei der leiſeſten Bewegung desſelben wichen ſie zurück. Um die Sitten dieſer Tiere noch mehr in der Nähe zu be - obachten, beſtiegen wir das kleine Kanoe, das unſere Piroge mit ſich führte. Sehr ſelten greift der Tiger Kähne an, indem er danach ſchwimmt, und dies kommt nur vor, wenn durch langen Hunger ſeine Wut gereizt iſt. Beim Geräuſch unſerer Ruder erhob ſich das Tier langſam, um ſich hinter den Sauſo - büſchen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten ſich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Nähe unſeres Kanoe, einen Satz unter ſie und ſchleppte zornerfüllt, wie man an ſeinem Gange und am Schlagen ſeines Schwanzes ſah, ſeine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten, daß ſie ihre Lanzen nicht bei ſich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu können. Sie ſind an dieſe Waffe gewöhnt und thaten wohl, ſich nicht auf unſere Gewehre zu verlaſſen, die in einer ſo ungemein feuchten Luft häufig verſagten.

Im Weiterfahren flußabwärts ſahen wir die große Herde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er ſich ein Stück geholt hatte. Die Tiere ſahen uns ganz ruhig landen. Manche ſaßen da und ſchienen uns zu betrachten, wobei ſie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menſchen ſchienen ſie ſich nicht zu fürchten, aber beim Anblicke unſeres24 großen Hundes ergriffen ſie die Flucht. Da das Hintergeſtell bei ihnen höher iſt als das Vordergeſtell, ſo laufen ſie im kurzen Galopp, kommen aber dabei ſo wenig vorwärts, daß wir zwei fangen konnten. Der Chiguire, der ſehr fertig ſchwimmt, läßt im Laufen ein leiſes Seufzen hören, als ob ihm das Atmen beſchwerlich würde. Er iſt das größte Tier in der Familie der Nager; er ſetzt ſich nur in der äußerſten Not zur Wehre, wenn er umringt und verwundet iſt. Da ſeine Backzähne, beſonders die hinteren, ausnehmend ſtark und ziemlich lang ſind, ſo kann er mit ſeinem Biſſe einem Tiger die Tatze oder einem Pferde den Fuß zerreißen. Sein Fleiſch hat einen ziemlich unangenehmen Moſchusgeruch; man macht indeſſen im Lande Schinken daraus, und dies rechtfertigt ge - wiſſermaßen den Namen Waſſerſchwein, den manche alte Naturgeſchichtſchreiber dem Chiguire beilegen. Die geiſtlichen Miſſionäre laſſen ſich in den Faſten dieſe Schinken ohne Be - denken ſchmecken; in ihrem zoologiſchen Syſtem ſtehen das Gürteltier, das Waſſerſchwein und der Lamantin oder die Seekuh neben den Schildkröten; erſteres, weil es mit einer harten Kruſte, einer Art Schale bedeckt iſt, die beiden anderen, weil ſie im Waſſer wie auf dem Lande leben. An den Ufern des Santo Domingo, Apure und Arauca, in den Sümpfen und auf den überſchwemmten Savannen der Llanos kommen die Chiguire in ſolcher Menge vor, daß die Weiden darunter leiden. Sie freſſen das Kraut weg, von dem die Pferde am fetteſten werden, und das Chiguirero (Kraut des Chiguire) heißt. Sie freſſen auch Fiſche, und wir ſahen mit Verwunderung, daß das Tier, wenn es, erſchreckt durch ein nahendes Kanoe, untertaucht, 8 bis 10 Minuten unter Waſſer bleibt.

Wir brachten die Nacht, wie immer, unter freiem Himmel zu, obgleich auf einer Pflanzung, deren Beſitzer die Tiger - jagd trieb. Er war faſt ganz nackt und ſchwärzlich braun wie ein Zambo, zählte ſich aber nichtsdeſtoweniger zum weißen Menſchenſchlage. Seine Frau und ſeine Tochter, die ſo nackt waren wie er, nannte er Doſia Iſabela und Doña Manuela. Obgleich er nie vom Ufer des Apure weggekommen, nahm er den lebendigſten Anteil an den Neuigkeiten aus Madrid, an den Kriegen, deren kein Ende abzuſehen, und an all den Geſchichten dort drüben (todas las cosas de allà) . Er wußte, daß der König von Spanien bald zum Beſuche Ihrer Herrlichkeiten im Lande Caracas herüberkommen würde, ſetzte25 aber ſcherzhaft hinzu: Da die Hofleute nur Weizenbrot eſſen können, werden ſie nie über die Stadt Valencia hinaus wollen, und wir werden ſie hier nicht zu ſehen bekommen. Ich hatte einen Chiguire mitgebracht und wollte ihn braten laſſen; aber unſer Wirt verſicherte uns, nosotros cavalleros blancos, weiße Leute wie er und ich ſeien nicht dazu gemacht, von ſolchem Indianerwildpret zu genießen. Er bot uns Hirſch - fleiſch an; er hatte tags zuvor einen mit dem Pfeil erlegt, denn er hatte weder Pulver noch Schießgewehr.

Wir glaubten nicht anders, als hinter einem Bananen - gehölze liege die Hütte des Gehöftes; aber dieſer Mann, der ſich auf ſeinen Adel und ſeine Hautfarbe ſo viel einbildete, hatte ſich nicht die Mühe gegeben, aus Palmblättern eine Ajupa zu errichten. Er forderte uns auf, unſere Hänge - matten neben den ſeinigen zwiſchen zwei Bäumen befeſtigen zu laſſen, und verſicherte uns mit ſelbſtgefälliger Miene, wenn wir in der Regenzeit den Fluß wieder heraufkämen, würden wir ihn unter Dach (baxo techo) finden. Wir kamen bald in den Fall, eine Philoſophie zu verwünſchen, die der Faulheit Vorſchub leiſtet und den Menſchen für alle Bequemlichkeiten des Lebens gleichgültig macht. Nach Mitternacht erhob ſich ein furchtbarer Sturmwind, Blitze durchzuckten den Horizont, der Donner rollte und wir wurden bis auf die Haut durch - näßt. Während des Ungewitters verſetzte uns ein ſeltſamer Vorfall auf eine Weile in gute Laune. Doña Iſabelas Katze hatte ſich auf den Tamarindenbaum geſetzt, unter dem wir lagerten. Sie fiel in die Hängematte eines unſerer Be - gleiter, und der Mann, zerkratzt von der Katze und aus dem tiefſten Schlafe aufgeſchreckt, glaubte, ein wildes Tier aus dem Walde habe ihn angefallen. Wir liefen auf ſein Geſchrei hinzu und riſſen ihn nur mit Mühe aus ſeinem Irrtum. Während es auf unſere Hängematten und unſere Inſtrumente, die wir ausgeſchifft, in Strömen regnete, wünſchte uns Don Ignacio Glück, daß wir nicht am Ufer geſchlafen, ſondern uns auf ſeinem Gute befänden, entre gente blanca y de trato (unter Weißen und Leuten von Stande). Durchnäßt, wie wir waren, fiel es uns denn doch ſchwer, uns zu über - zeugen, daß wir es hier ſo beſonders gut haben, und wir hörten ziemlich widerwillig zu, wie unſer Wirt ein langes und breites von ſeinem ſogenannten Kriegszuge an den Rio Meta erzählte, wie tapfer er ſich in einem blutigen Gefechte mit den Guahibos gehalten, und welche Dienſte er Gott und26 ſeinem König geleiſtet, indem er den Eltern die Kinder (los Indiecitos) genommen und in die Miſſionen verteilt. Welch ſeltſamen Eindruck machte es, in dieſer weiten Einöde bei einem Manne, der von europäiſcher Abkunft zu ſein glaubt und kein anderes Obdach kennt als den Schatten eines Baumes, alle eitle Anmaßung, alle ererbten Vorurteile, alle Verkehrt - heiten einer alten Kultur anzutreffen!

Am 1. April. Mit Sonnenaufgang verabſchiedeten wir uns von Señor Don Ignacio und von Señora Doña Iſa - bela, ſeiner Gemahlin. Die Luft war abgekühlt; der Thermo - meter, der bei Tag meiſt auf 30 bis 35° ſtand, war auf 24° gefallen. Die Temperatur des Fluſſes blieb ſich faſt ganz gleich, ſie war fortwährend 26 bis 27°. Der Strom trieb eine ungeheure Menge Baumſtämme. Man ſollte meinen, auf einem völlig ebenen Boden, wo das Auge nicht die ge - ringſte Erhöhung bemerkt, hätte ſich der Fluß durch die Gewalt ſeiner Strömung einen ganz geraden Kanal graben müſſen. Ein Blick auf die Karte, die ich nach meinen Aufnahmen mit dem Kompaß entworfen, zeigt das Gegenteil. Das abſpülende Waſſer findet an beiden Ufern nicht denſelben Widerſtand, und faſt unmerkliche Bodenerhöhungen geben zu ſtarken Krüm - mungen Anlaß. Unterhalb des Jovals, wo das Flußbett etwas breiter wird, bildet dasſelbe wirklich einen Kanal, der mit der Schnur gezogen ſcheint und zu beiden Seiten von ſehr hohen Bäumen beſchattet iſt. Dieſes Stück des Fluſſes heißt Caño rico; ich fand dasſelbe 265 m breit. Wir kamen an einer niedrigen Inſel vorüber, auf der Flamingo, roſen - farbige Löffelgänſe, Reiher und Waſſerhühner, die das mannig - faltigſte Farbenſpiel boten, zu Tauſenden niſteten. Die Vögel waren ſo dicht aneinander gedrängt, daß man meinte, ſie könnten ſich gar nicht rühren. Die Inſel heißt Isla de Aves. Weiterhin fuhren wir an der Stelle vorbei, wo der Apure einen Arm (den Rio Arichuna) an den Cabullare ab - gibt und dadurch bedeutend an Waſſer verliert. Wir hielten am rechten Ufer bei einer kleinen indianiſchen, vom Stamme der Guamos bewohnten Miſſion. Es ſtanden erſt 16 bis 18 Hütten aus Palmblättern; aber auf den ſtatiſtiſchen Ta - bellen, welche die Miſſionäre jährlich bei Hofe einreichen, wird dieſe Gruppe von Hütten als das Dorf Santa Barbara de Arichuna aufgeführt.

Die Guamos ſind ein Indianerſtamm, der ſehr ſchwer ſeßhaft zu machen iſt. Sie haben in ihren Sitten vieles mit27 den Achagua, Guahibos und Otomaken gemein, namentlich die Unreinlichkeit, die Rachſucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig voneinander ab. Dieſe vier Stämme leben größtenteils von Fiſchfang und Jagd auf den häufig überſchwemmten Ebenen zwiſchen dem Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben ſcheint hier durch die Beſchaffenheit des Landes ſelbſt bedingt. Wir werden bald ſehen, daß man, ſobald man die Berge an den Katarakten des Orinoko betritt, bei den Piraoa, Macos und Maquiritares ſanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Ge - birge, in undurchdringlichen Wäldern ſieht ſich der Menſch genötigt, ſich feſt niederzulaſſen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anſtrengung, wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine anderen Wege führen als die Flüſſe, ein hartes, mühſeliges Leben führt. Die Guamos in der Miſſion Santa Barbara konnten uns die Mundvorräte, die wir gerne gehabt hätten, nicht liefern; ſie bauten nur etwas Maniok. Sie ſchienen indeſſen gaſtfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten ſie uns getrocknete Fiſche und Waſſer (in ihrer Sprache Cub) an. Das Waſſer war in poröſen Gefäßen abgekühlt.

Unterhalb der Vuelta del Cochino roto, an einer Stelle, wo ſich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten wir auf einem dürren, ſehr breiten Geſtade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und ſo brachten wir nur mit Not trockenes Holz zuſammen, um Feuer anmachen zu können, wobei man, wie die Indianer glauben, vor dem nächtlichen An - griffe des Tigers ſicher iſt. Unſere eigene Erfahrung ſcheint dieſen Glauben zu beſtätigen; dagegen verſichert Azarro, zu ſeiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savanne weggeholt.

Die Nacht war ſtill und heiter und der Mond ſchien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; ſie hatten ſich ſo gelegt, daß ſie das Feuer ſehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desſelben ſie herlockt, wie die Fiſche, die Krebſe und andere Waſſertiere. Die Indianer zeigten uns im Sande die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen ſeine Jungen zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, ſteckten wir die Ruder in den Boden und be - feſtigſten unſere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich28 ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob ſich im benach - barten Walde ein ſo furchtbarer Lärm, daß man beinahe kein Auge ſchließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder Tiere, die zuſammen ſchrieen, erkannten unſere Indianer nur diejenigen, die ſich auch einzeln hören ließen, namentlich die leiſen Flötentöne der Sapaju, die Seufzer der Aluaten, das Brüllen des Tigers und des Kuguars, oder amerikaniſchen Löwen ohne Mähne, das Geſchrei des Biſamſchweines, des Faultiers, des Hocco, des Parraqua und einiger anderen hühnerartigen Vögel. Wenn die Jaguare dem Waldrande ſich näherten, ſo fing unſer Hund, der bis dahin fortwährend gebellt hatte, an zu heulen und ſuchte Schutz unter den Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geſchwiegen, er - ſcholl das Brüllen der Tiger von den Bäumen herunter, und dann folgte darauf das anhaltende ſchrille Pfeifen der Affen, die ſich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon machten.

Ich ſchildere Zug für Zug dieſe nächtlichen Auftritte, weil wir zu Anfang unſerer Fahrt auf dem Apure noch nicht daran gewöhnt waren. Monatelang, allerorten, wo der Wald nahe an die Flußufer rückt, hatten wir ſie zu erleben. Die Sorgloſigkeit der Indianer macht dabei auch dem Rei - ſenden Mut. Man redet ſich mit ihnen ein, die Tiger fürchten alle das Feuer und greifen niemals einen Menſchen in ſeiner Hängematte an. Und ſolche Angriffe kommen allerdings ſehr ſelten vor und aus meinem langen Aufenthalte in Südamerika erinnere ich mich nur eines einzigen Falles, wo, den Achaguas - Inſeln gegenüber, ein Llanero in ſeiner Hängematte zerfleiſcht gefunden wurde.

Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes zu gewiſſen Stunden einen ſo furchtbaren Lärm erheben, ſo geben ſie die luſtige Antwort: Sie feiern den Vollmond. Ich glaube, die Unruhe rührt meiſt daher, daß im inneren Walde ſich irgendwo ein Kampf entſponnen hat. Die Ja - guare zum Beiſpiel machen Jagd auf die Biſamſchweine und Tapire, die nur Schutz finden, wenn ſie beiſammenbleiben und in gedrängten Rudeln fliehend das Gebüſch, das ihnen in den Weg kommt, niederreißen. Die Affen, ſcheu und furchtſam, erſchrecken ob dieſer Jagd und beantworten von den Bäumen herab das Geſchrei der großen Tiere. Sie wecken die geſellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, ſo iſt die ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald ſehen, daß29 dieſer Lärm keineswegs nur bei ſchönem Mondſchein, ſondern vorzugsweiſe während der Gewitter und ſtarken Regengüſſe unter den wilden Tieren ausbricht. Der Himmel verleihe ihnen eine ruhſame Nacht wie uns anderen! ſprach der Mönch, der uns an den Rio Negro begleitete, wenn er, todmüde von der Laſt des Tages, unſer Nachtlager einrichten half. Es war allerdings ſeltſam, daß man mitten im einſamen Walde ſollte keine Ruhe finden können. In den ſpaniſchen Herbergen fürchtet man ſich vor den ſchrillen Tönen der Guitarren im anſtoßenden Zimmer; in denen am Orinoko, das heißt auf offenem Geſtade oder unter einem einzeln ſtehenden Baume, beſorgt man durch Stimmen aus dem Walde im Schlafe ge - ſtört zu werden.

Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter Segel. Der Morgen war ſchön und kühl, wie es Leuten vorkommt, die an die große Hitze in dieſen Ländern gewöhnt ſind. Der Thermometer ſtand in der Luft nur auf 28°, aber der trockene, weiße Sand am Geſtade hatte trotz der Strah - lung gegen einen wolkenloſen Himmel eine Temperatur von 36° behalten. Die Delphine (Toninas) zogen in langen Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit fiſchfangenden Vögeln bedeckt. Manche machen ſich das Floßholz, das den Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraſchen die Fiſche, die ſich mitten in der Strömung halten. Unſer Kanoe ſtieß im Laufe des Morgens mehrmals an. Solche Stöße, wenn ſie ſehr heftig ſind, können ſchwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die jahre - lang in ſchiefer Richtung im Schlamme ſtecken bleiben. Dieſe Bäume kommen beim Hochwaſſer aus dem Sarare herunter und verſtopfen das Flußbett dergeſtalt, daß die Pirogen ſtromaufwärts häufig zwiſchen den Untiefen und überall, wo Wirbel ſind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle bei der Inſel Carizales, wo ungeheuer dicke Courbarilſtämme aus dem Waſſer ragten. Sie ſaßen voll Vögeln, einer Art Plotus, die der Anhinga ſehr nahe ſteht. Dieſe Vögel ſitzen in Reihen auf, wie die Faſanen und die Parraqua, und bleiben ſtundenlang, den Schnabel gen Himmel geſtreckt, regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Ausſehen gibt.

Von der Inſel Carizales an wurde die Abnahme des Waſſers im Fluſſe deſto auffallender, da unterhalb der Gabe - lung bei der Boca de Arichuna kein Arm, kein natürlicher Abzugskanal mehr dem Apure Waſſer entzieht. Der Verluſt30 rührt allein von der Verdunſtung und Einſickerung auf ſan - digen, durchnäßten Ufern her. Man kann ſich vorſtellen, wie viel dies ausmacht, wenn man bedenkt, daß wir den trockenen Sand zu verſchiedenen Tagesſtunden 36 bis 52°, den Sand, über dem 8 bis 10 cm Waſſer ſtanden, noch 32° warm fanden. Das Flußwaſſer erwärmt ſich dem Boden zu, ſo weit die Sonnenſtrahlen eindringen können, ohne beim Durchgange durch die übereinander gelagerten Waſſerſchichten zu ſehr ge - ſchwächt zu werden. Dabei reicht die Einſickerung weit über das Flußbett hinaus und iſt, ſozuſagen, ſeitlich. Das Ge - ſtade, das ganz trocken ſcheint, iſt bis zur Höhe des Waſſer - ſpiegels mit Waſſer getränkt. 97 m vom Fluſſe ſahen wir Waſſer hervorquellen, ſo oft die Indianer die Ruder in den Boden ſteckten; dieſer unten feuchte, oben trockene und dem Sonnenſtrahle ausgeſetzte Sand wirkt nun aber wie ein Schwamm. Er gibt jeden Augenblick durch Verdunſtung vom eingeſickerten Waſſer ab; der ſich entwickelnde Waſſerdampf zieht durch die obere, ſtark erhitzte Sandſchicht und wird ſicht - bar, wenn ſich am Abend die Luft abkühlt. Im Maße, als das Geſtade Waſſer abgibt, zieht es aus dem Strome neues an, und man ſieht leicht, daß dieſes fortwährende Spiel von Verdunſtung und ſeitlicher Einſaugung dem Fluſſe ungeheure Waſſermaſſen entziehen muß, nur daß der Verluſt ſchwer genau zu berechnen iſt. Die Zunahme dieſes Verluſtes wäre der Länge des Stromlaufes proportional, wenn die Flüſſe von der Quelle bis zur Mündung überall gleiche Ufer hätten; da aber dieſe von den Anſchwemmungen herrühren, und die Ge - wäſſer, je weiter von der Quelle weg, deſto langſamer fließen und ſomit notwendig im unteren Stromlaufe mehr abſetzen als im oberen, ſo werden viele Flüſſe im heißen Erdſtriche ihrer Mündung zu ſeichter. Barrow hat die auffallende Wirkung des Sandes im öſtlichen Afrika an den Ufern des Orangefluſſes beobachtet. Sie gab ſogar bei den verſchiedenen Annahmen über den Lauf des Nigers zu ſehr wichtigen Er - örterungen Anlaß.

Bei der Vuelta de Baſilio, wo wir ans Land gingen, um Pflanzen zu ſammeln, ſahen wir oben auf einem Baum zwei hübſche, kleine, pechſchwarze Affen, von der Größe des Saï, mit Wickelſchwänzen. Ihrem Geſichte und ihren Be - wegungen nach konnte es weder der Coaïta, noch der Chamek, noch überhaupt ein Atele ſein. Sogar unſere Indianer hatten nie dergleichen geſehen. In dieſen Wäldern gibt es eine31 Menge Sapaju, welche die Zoologen in Europa noch nicht kennen, und da die Affen, beſonders die in Rudeln lebenden und darum rührigeren, zu gewiſſen Zeiten weit wandern, ſo kommt es vor, das bei Eintritt der Regenzeit die Einge - borenen bei ihren Hütten welche anſichtig werden, die ſie nie zuvor geſehen. Am ſelben Ufer zeigten uns unſere Führer ein Neſt junger Leguane, die nur 10 cm lang waren. Sie waren kaum von einer gemeinen Eidechſe zu unterſcheiden. Die Rückenſtacheln, die großen aufgerichteten Schuppen, all die Anhängſel, die dem Leguan, wenn er 1,3 bis 1,6 m lang iſt, ein ſo ungeheuerliches Anſehen geben, waren kaum in Rudimenten vorhanden. Das Fleiſch dieſer Eidechſe fanden wir in allen ſehr trockenen Ländern von angenehmem Ge - ſchmack, ſelbſt zu Zeiten, wo es uns nicht an anderen Nah - rungsmitteln fehlte. Es iſt ſehr weiß und nach dem Fleiſch des Tatu oder Gürteltiers, das hier Cachicamo heißt, eines der beſten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet.

Gegen Abend regnete es; vor dem Regen ſtrichen die Schwalben, die vollkommen den unſerigen glichen, über die Waſſerfläche hin. Wir ſahen auch, wie ein Flug Papageien von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das durchdringende Geſchrei der Papageien ſtach vom Pfeifen der Raubvögel ſeltſam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel am Geſtade, in der Nähe der Inſel Carizales. Nicht weit ſtanden mehrere indianiſche Hütten auf Pflanzungen. Unſer Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Ja - guar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr iſt. Die Menſchen machen ihn übellaunig, los hombres lo enfadan, ſagt das Volk in den Miſſionen, ein ſpaßhafter, naiver Ausdruck für eine richtige Beobachtung.

Am 3. April. Seit der Abfahrt von San Fernando iſt uns kein einziges Kanoe auf dem ſchönen Strome begegnet. Ringsum herrſcht tiefe Einſamkeit. Am Morgen fingen unſere Indianer mit der Angel den Fiſch, der hierzulande Ka - ribe oder Caribito heißt, weil keiner ſo blutgierig iſt. Er fällt die Menſchen beim Baden und Schwimmen an und reißt ihnen oft anſehnliche Stücke Fleiſch ab. Iſt man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, ſo kommt man doch nur ſchwer aus dem Waſſer, ohne die ſchlimmſten Wunden davonzu - tragen. Die Indianer fürchten dieſe Karibenfiſche ungemein, und verſchiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln ver -32 narbte, ſehr tiefe Wunden, die von dieſen kleinen Tieren her - rührten, die bei den Maypures Umati heißen. Sie leben auf dem Boden der Flüſſe, gießt man aber ein paar Tropfen Blut ins Waſſer, ſo kommen ſie zu Tauſenden herauf. Be - denkt man, wie zahlreich dieſe Fiſche ſind, von denen die ge - fräßigſten und blutgierigſten nur 8 bis 10 cm lang werden, betrachtet man ihre dreiſeitigen ſchneidenden, ſpitzen Zähne und weites retraktiles Maul, ſo wundert man ſich nicht, daß die Anwohner des Apure und des Orinoko den Karibe ſo ſehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fiſch zu ſehen war, warfen wir kleine blutige Fleiſchſtücke ins Waſſer. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von Karibenfiſchen da und ſtritt ſich um den Fraß. Der Fiſch hat einen kantigen, ſägenförmig gekerbten Bauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den Serra-Salmen, den My - leten und den Priſtigaſtern zukommt. Nach dem Vor - handenſein einer zweiten fetten Rückenfloße und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinanderſtehenden, in der unteren Kinnlade größeren Zähne gehört der Karibe zu den Serra - Salmen. Er hat ein viel weiter geſpaltenes Maul als Cu - viers Myleten. Der Körper iſt am Rücken aſchgrau, ins Grünliche ſpielend; aber Bauch, Kiemen, Bruſt -, Bauch - und Afterfloßen ſind ſchön orangegelb. Im Orinoko kommen drei Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unter - ſcheidet. Die mittlere ſcheint identiſch mit Marcgravs mitt - lerer Art des Piraya oder Piranha (Salmo rhombeus, Linné). Ich habe ſie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen ſehr angenehmen Geſchmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, iſt er als eine der größten Plagen dieſer Landſtriche zu betrachten, wo der Stich der Moskiten und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem dringenden Bedürfnis machen.

Wir hielten gegen mittag an einem unbewohnten Ort, Algodonal genannt. Ich trennte mich von meinen Ge - fährten, während man das Fahrzeug ans Land zog und das Mittageſſen rüſtete. Ich ging am Geſtade hin, um in der Nähe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne ſchliefen, wobei ſie ihre mit breiten Platten belegten Schwänze aufeinanderlegten. Kleine Schneeweiße Reiher1Garzon Chico. In Oberägypten glaubt man, die Reiher haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil ſie ſich beim Fiſchfang liefen ihnen33 auf dem Rücken, ſogar auf dem Kopf herum, als wären es Baumſtämme. Die Krokodile waren graugrün, halb mit trockenem Schlamm überzogen: ihrer Farbe und ihrer Regungs - loſigkeit nach konnte man ſie für Bronzebilder halten. Wenig fehlte aber, ſo wäre mir der Spaziergang übel bekommen. Ich hatte immer nur nach dem Fluſſe hingeſehen, aber indem ich Glimmerblättchen aus dem Sande aufnahm, bemerkte ich die friſche Fährte eines Tigers, die an ihrer Form und Größe ſo leicht zu erkennen iſt. Das Tier war dem Walde zuge - gangen, und als ich nun dorthin blickte, ſah ich 80 Schritte von mir einen Jaguar unter dem dichten Laub eines Ceiba liegen. Nie iſt mir ein Tiger ſo groß vorgekommen.

Es gibt Vorfälle im Leben, wo man vergeblich die Ver - nunft zu Hilfe ruft. Ich war ſehr erſchrocken, indeſſen noch ſo weit Herr meiner ſelbſt und meiner Bewegungen, daß ich die Verhaltungsmaßregeln befolgen konnte, die uns die In - dianer ſchon oft für dergleichen Fälle erteilt hatten. Ich ging weiter, lief aber nicht; ich vermied es, die Arme zu bewegen, und glaubte zu bemerken, daß der Jaguar mit ſeinen Ge - danken ganz bei einer Herde Capybaras war, die über den Fluß ſchwammen. Jetzt kehrte ich um und beſchrieb einen ziemlich weiten Bogen dem Ufer zu. Je weiter ich von ihm wegkam, deſto raſcher glaubte ich gehen zu können. Wie oft war ich in Verſuchung, mich umzuſehen, ob ich nicht verfolgt werde! Glücklicherweiſe gab ich dieſem Drange erſt ſehr ſpät nach. Der Jaguar war ruhig liegen geblieben. Dieſe un - geheuren Katzen mit geflecktem Fell ſind hierzulande, wo es Capybaras, Biſamſchweine und Hirſche im Ueberfluß gibt, ſo gut genährt, daß ſie ſelten einen Menſchen anfallen. Ich kam atemlos beim Schiffe an und erzählte den Indianern mein Abenteuer. Sie ſchienen nicht viel daraus zu machen; indeſſen luden wir unſere Flinten, und ſie gingen mit uns auf den Ceibabaum zu, unter dem der Jaguar gelegen. Wir trafen ihn nicht mehr, und ihm in den Wald nachzugehen, war nicht geraten, da man ſich zerſtreuen oder in einer Reihe durch die verſchlungenen Lianen gehen muß.

Abends kamen wir an der Mündung des Caño del1den Umſtand zu nutze machen, daß die Fiſche ſich über das unge - heure Tier entſetzen und ſich vor ihm vom Grunde des Waſſers an die Oberfläche heraufflüchten; aber an den Ufern des Nils kommt der Reiher dem Krokodil klüglich nicht zu nahe.A. v. Humboldt, Reiſe. III. 334Manati vorüber, ſo genannt wegen der ungeheuren Menge Manati oder Lamantine, die jährlich hier gefangen werden. Dieſes grasfreſſende Waſſerſäugetier, das die Indianer Apcia und Avia nennen, wird hier meiſt 3,25 bis 4 m lang und 250 bis 400 kg ſchwer. Wir ſahen das Waſſer mit dem Kot desſelben bedeckt, der ſehr ſtinkend iſt, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es iſt im Orinoko unterhalb der Ka - tarakte, im Meta und im Apure zwiſchen den beiden Inſeln Carizales und Conſerva ſehr häufig. Wir fanden keine Spur von Nägeln auf der äußeren Fläche und am Rande der Schwimm - floſſen, die ganz glatt ſind; zieht man aber die Haut der Floſſe ab, ſo zeigen ſich an der dritten Phalange kleine Nägel - rudimente. Bei einem 3 m langen Tier, das wir in Cari - chana, einer Miſſion am Orinoko, zergliederten, ſprang die Oberlippe 10 cm über die untere vor. Jene iſt mit einer ſehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüſſel oder Fühler zum Betaſten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die beim friſch getöteten Tier auffallend warm iſt, zeigt einen ganz eigentümlichen Bau. Die Zunge iſt faſt unbeweglich; aber vor derſelben befindet ſich in jeder Kinnlade ein fleiſchiger Knopf und eine mit ſehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, die ineinander paſſen. Der Lamantin verſchluckt ſo viel Gras, daß wir ſowohl den in mehrere Fächer geteilten Magen als den 35 m langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet man das Tier am Rücken auf, ſo erſtaunt man über die Größe, Geſtalt und Lage ſeiner Lunge. Sie hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblaſen; ſie iſt 1 m lang. Mit Luft gefüllt hat ſie ein Volumen von mehr als 1000 Kubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß der Lamantin mit ſo anſehnlichen Luftbehältern ſo oft an die Waſſerfläche heraufkommt, um zu atmen. Sein Fleiſch, das aus irgend einem Vorurteil, für ungeſund und calenturioso (fiebererzeugend) gilt, iſt ſehr ſchmackhaft; es ſchien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleiſch als mit Rindfleiſch zu haben. Die Guamos und Otomaken eſſen es am liebſten, daher geben ſich auch dieſe zwei Stämme vorzugsweiſe mit dem Seekuh - fang ab. Das eingeſalzene und an der Sonne gedörrte Fleiſch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieſes Säugetier bei der Kleriſei für einen Fiſch gilt, ſo iſt es in den Faſten ſehr geſucht. Der Lamantin hat ein äußerſt zähes Leben; man harpuniert ihn und bindet ihn ſodann, ſchlachtet ihn aber erſt, nachdem er in die Piroge geſchafft worden. Dies35 geſchieht oft, wenn das Tier ſehr groß iſt, mitten auf dem Fluſſe, und zwar ſo, daß man die Piroge zu zwei Dritt - teilen mit Waſſer füllt, ſie unter das Tier ſchiebt und mit einer Kürbisflaſche wieder ausſchöpft. Am leichteſten ſind ſie am Ende der großen Ueberſchwemmungen zu fangen, wenn ſie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe geraten ſind und das Waſſer ſchnell fällt. Zur Zeit, wo die Jeſuiten den Miſſionen am unteren Orinoko vorſtanden, kamen dieſe alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zuſammen, um mit den Indianern aus ihren Miſſionen am Fuße des Berges, der gegenwärtig el Capuchino heißt, eine große See - kuhjagd anzuſtellen. Das Fett des Tiers, die Manteca de Manati, wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Walfiſch - thranes oder des Fettes anderer Cetaceen mit Spritzlöchern. Die Haut der Seekuh, die über 4 cm dick iſt, wird in Streifen zerſchnitten, und dieſe dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochſenhaut, als Stricke. Kommt ſie ins Waſſer, ſo hat ſie den Fehler, daß ſie zu faulen anfängt. Man macht in den ſpaniſchen Kolonieen Peitſchen daraus, daher auch die Worte Latigo und Manati gleichbedeutend ſind. Dieſe Peit - ſchen aus Seekuhhaut ſind ein ſchreckliches Werkzeug zur Züch - tigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den Miſſionen, die nach den Geſetzen als freie Menſchen behandelt werden ſollten.

Wir übernachteten der Inſel Conſerva gegenüber. Als wir am Waldſaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, 22 m hoher, mit veräſteten Dornen bedeckter Baum auf. Die In - dianer nennen ihn Barba de Tigre. Es iſt vielleicht ein Baum aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die In - dianer hatten unſere Feuer dicht am Waſſer angezündet; da fanden wir wieder, daß ſein Glanz die Krokodile herlockte, und ſogar die Delphine (Toninas), deren Lärm uns nicht ſchlafen ließ, bis man das Feuer auslöſchte. Wir wurden in dieſer Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur anführe, weil es ein paar Züge zum Bilde dieſer Wildnis liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unſerem Nachtlager nahe, um ſein Junges am Strome trinken zu laſſen. Die Indianer verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hörten wir das Ge - ſchrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze klang. Bald darauf wurde unſere große Dogge von unge - heuren Fledermäuſen, die um unſere Hängematten flatterten,36 vorne an der Schnauze gebiſſen oder, wie die Eingeborenen ſagen, geſtochen. Sie hatten lange Schwänze wie die Mo - loſſen; ich glaube aber, daß es Phylloſtomen waren, deren mit Warzen beſetzte Zunge ein Saugorgan iſt, das ſie be - deutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte kläglich, ſobald er den Biß fühlte, aber nicht aus Schmerz, ſondern weil er über die Fledermäuſe, als ſie unter unſeren Hängematten hervorkamen, erſchrak. Dergleichen Fälle ſind weit ſeltener, als man im Lande ſelbſt glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampyre und ähn - liche Fledermausarten ſo häufig ſind, ſo manche Nacht unter freiem Himmel geſchlafen haben, ſind wir doch nie von ihnen gebiſſen worden. Ueberdem iſt der Stich keineswegs gefähr - lich und der Schmerz meiſt ſo unbedeutend, daß man erſt aufwacht, wenn die Fledermaus ſich bereits davongemacht hat.

Am 4. April. Dies war unſer letzter Tag auf dem Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer ein - förmiger. Seit einigen Tagen, beſonders ſeit der Miſſion Arichuna, fingen wir an, arg von den Inſekten gequält zu werden, die ſich uns auf Geſicht und Hände ſetzten. Es waren keine Moskiten, die den Habitus kleiner Mücken von der Gattung Simulium haben,1Latreille hat gefunden, daß die Mouſtiques in Südkarolina zur Gattung Simulium (Atractocera, Meigen) gehören. ſondern Zancudos, echte Schna - ken, aber von unſerem Culex pipiens ganz verſchieden. Sie kommen erſt nach Sonnenuntergang zum Vorſchein; ihr Saug - rüſſel iſt ſo lang, daß, wenn ſie ſich an die Unterſeite der Hängematte ſetzen, ihr Stachel durch die Hängematte und die dickſten Kleider dringt.

Wir wollten in der Vuelta del Palmito übernachten, aber an dieſem Strich des Apure gibt es ſo viele Jaguare, daß unſere Indianer, als ſie unſere Hängematten befeſtigen wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilſtamm verſteckt fanden. Man riet uns, das Schiff wieder zu beſteigen und unſer Nachtlager auf der Inſel Apurito, ganz nahe beim Einfluß in den Orinoko, aufzuſchlagen. Dieſer Teil der Inſel gehört zu der Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der Provinz Varinas und das rechte Ufer des Orinoko zu Spaniſch - Guyana. Wir fanden keine Bäume, um unſere Hängematten zu befeſtigen, und mußten am Boden auf Ochſenhäuten ſchlafen. 37Die Kanoen ſind zu eng und wimmeln zu ſehr von Zancudos, als daß man darin übernachten könnte.

An der Stelle, wo wir unſere Inſtrumente ans Land gebracht hatten, war das Ufer ziemlich ſteil, und da ſahen wir denn einen neuen Beweis von der oben beſprochenen Trägheit der hühnerartigen Vögel unter den Tropen. Die Hocco und Pauxi1Letzterer (Crax Pauxi) iſt nicht ſo häufig als erſterer. kommen immer mehrmals des Tages an den Fluß herunter, um ihren Durſt zu löſchen. Sie trinken viel und in kurzen Pauſen. Eine Menge dieſer Vögel und ein Schwarm Parraqua-Faſanen hatten ſich bei unſerem Nachtlager zuſammengefunden. Es wurde ihnen ſehr ſchwer, am abſchüſſigen Ufer hinaufzukommen; ſie verſuchten es mehrere Male, ohne ihre Flügel zu brauchen. Wir jagten ſie vor uns her wie Schafe. Die Zamurosgeier entſchließen ſich gleichfalls ſehr ſchwer zum Auffliegen.

Ich konnte nach Mitternacht eine gute Beobachtung der Meridianhöhe α des ſüdlichen Kreuzes anſtellen. Der Einfluß des Apure liegt unter 36′ 23″ der Breite. Pater Gu - milla gibt 5′, d’Anville 3′, Caulin 26′ an. Die Länge der Boca des Apure iſt nach den Sonnenhöhen, die ich am 5. April morgens aufgenommen, 69° 7′ 29″, oder 12′ 41″ öſtlich vom Meridian von San Fernando.

Am 5. April. Es fiel uns ſehr auf, wie gering die Waſſermaſſe iſt, welche der Apure in dieſer Jahreszeit dem Orinoko zuführt. Derſelbe Strom, der nach meinen Meſſungen beim Caño Rico noch 265 m breit war, maß an ſeiner Aus - mündung nur zwiſchen 117 und 156 m. 2Dies iſt nicht ganz die Breite der Seine am Pontroyal, den Tuilerien gegenüber.Seine Tiefe betrug hier nur 5,8 bis 9,7 m. Er verliert allerdings Waſſer durch den Rio Arichuna und den Caño del Manati, zwei Arme des Apure, die zum Payara und Guarico laufen; aber der größte Verluſt ſcheint von der Einſickerung an den Ufern herzurühren, von der oben die Rede war. Die Geſchwindigkeit der Strö - mung bei der Ausmündung war nur 1 m in der Sekunde, ſo daß ich die ganze Waſſermaſſe leicht berechnen könnte, wenn mir durch Sondierung in kurzen Abſtänden alle Dimenſionen des Querſchnitts bekannt wären. Der Barometer, der in San Fernando, 9,1 m über dem mittleren Waſſerſtand des Apure, um Uhr morgens 747 mm hoch geſtanden hatte,38 ſtand an der Ausmündung des Apure in den Orinoko 778 mm hoch. Rechnet man die ganze Länge des Weges (die Krüm - mungen des Stromes mitgerechnet)1Ich ſchätze ſie auf ein Vierteil der geraden Entfernung. zu 175 km, und nimmt man die kleine, wegen der ſtündlichen Schwankung des Baro - meters vorzunehmende Korrektion in Rechnung, ſo ergibt ſich im Durchſchnitt ein Gefälle von 346 mm auf 1855 m. La Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der Fall des Amazonenſtromes und des Ganges durchſchnittlich kaum 10 bis 14 cm auf 1855 m beträgt.

Wir fuhren, ehe wir in den Orinoko einliefen, mehrmals auf; die Anſchwemmungen ſind beim Zuſammenfluß der beiden Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers am Tau ziehen laſſen. Welcher Kontraſt zwiſchen dieſem Zu - ſtande des Stromes unmittelbar vor dem Beginn der Regen - zeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der Verdunſtung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stande im Herbſte, wo der Apure gleich einem Meeresarm, ſo weit das Auge reicht, über den Grasfluren ſteht! Gegen Süd ſahen wir die einzelſtehenden Hügel bei Coruato; im Oſten fingen die Granitfelſen von Curiquima, der Zuckerhut von Caycara und die Cerros del Tirano an, über den Horizont emporzuſteigen. Mit einem gewiſſen Gefühl der Rührung ſahen wir zum erſtenmal, wonach wir uns ſo lange geſehnt, die Gewäſſer des Orinoko, an einem von der Meeresküſte ſo weit entfernten Punkte.

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Nennzehntes Kapitel.

Zuſammenfluß des Apure mit dem Orinoko. Die Gebirge von Encaramada. Uruana. Baraguan. Carichana. Der Einfluß des Meta. Die Inſel Panumana.

Mit der Ausfahrt aus dem Apure ſahen wir uns in ein ganz anderes Land verſetzt. So weit das Auge reichte, dehnte ſich eine ungeheure Waſſerfläche, einem See gleich, vor uns aus. Das durchdringende Geſchrei der Reiher, Flamingo und Löffelgänſe, wenn ſie in langen Schwärmen von einem Ufer zum anderen ziehen, erfüllte nicht mehr die Luft. Ver - geblich ſahen wir uns nach den Schwimmvögeln um, deren gewerbsmäßige Liſten bei jeder Sippe wieder andere ſind. Die ganze Natur ſchien weniger belebt. Kaum bemerkten wir in den Buchten der Wellen hie und da ein großes Krokodil, das mittels ſeines Schwanzes die bewegte Waſſerfläche ſchief durchſchnitt. Der Horizont war von einem Waldgürtel be - grenzt, aber nirgends traten die Wälder bis ans Strombett vor. Breite, beſtändig der Sonnenglut ausgeſetzte Ufer, kahl und dürr wie der Meeresſtrand, glichen infolge der Luft - ſpiegelung von weitem Lachen ſtehenden Waſſers. Dieſe ſan - digen Ufer verwiſchten vielmehr die Grenzen des Stromes, ſtatt ſie für das Auge feſtzuſtellen; nach dem wechſelnden Spiel der Strahlenbrechung rückten die Ufer bald nahe heran, bald wieder weit weg.

Dieſe zerſtreuten Landſchaftszüge, dieſes Gepräge von Einſamkeit und Großartigkeit kennzeichnen den Lauf des Ori - noko, eines der gewaltigſten Ströme der Neuen Welt. Aller - orten haben die Gewäſſer wie das Land ihren eigentümlichen, individuellen Charakter. Das Bett des Orinoko iſt ganz anders als die Betten des Meta, des Guaviare, des Rio Negro und des Amazonenſtromes. Dieſe Unterſchiede rühren nicht bloß von der Breite und der Geſchwindigkeit des Stromes her;40 ſie beruhen auf einer Geſamtheit von Verhältniſſen, die an Ort und Stelle leichter aufzufaſſen, als genau zu beſchreiben ſind. So erriete ein erfahrener Schiffer ſchon an der Form der Wogen, an der Farbe des Waſſers, am Ausſehen des Himmels und der Wolken, ob er ſich im Atlantiſchen Meere, oder im Mittelmeere oder im tropiſchen Strich des Großen Ozeanes befindet.

Der Wind wehte ſtark aus Oſt-Nord-Oſt; er war uns günſtig, um ſtromaufwärts nach der Miſſion Encaramada zu ſegeln; aber unſere Piroge leiſtete dem Wogenſchlage ſo ge - ringen Widerſtand, daß, wer gewöhnlich ſeekrank wurde, bei der heftigen Bewegung ſelbſt auf dem Fluſſe ſich ſehr un - behaglich fühlte. Das Scholken rührt daher, daß die Gewäſſer der beiden Ströme bei der Vereinigung aufeinander ſtoßen. Dieſer Stoß iſt ſehr ſtark, aber lange nicht ſo gefährlich, als Pater Gumilla behauptet. Wir fuhren an der Punta Curi - quima vorbei, einer einzeln ſtehenden Maſſe von quarzigem Granit, einem kleinen, aus abgerundeten Blöcken beſtehenden Vorgebirge. Hier, auf dem rechten Ufer des Orinoko, hatte zur Zeit der Jeſuiten Pater Rotella unter den Palenque - und Viriviri-Indianern eine Miſſion angelegt. Bei Hoch - waſſer waren der Berg Curiquima und das Dorf am Fuße desſelben rings von Waſſer umgeben. Wegen dieſes großen Uebelſtandes und wegen der Unzahl Moskiten und Niguas,1Die Sandflöhe (Pulex penetrans, Linné), die ſich beim Menſchen und Affen unter die Nägel der Zehen eingraben und da - ſelbſt ihre Eier legen. von denen Miſſionäre und Indianer geplagt wurden, gab man den feuchten Ort auf. Jetzt iſt er völlig verlaſſen, wäh - rend gegenüber auf dem linken Ufer in den Hügeln von Co - ruato herumziehende Indianer hauſen, die entweder aus den Miſſionen oder aus freien, den Mönchen nicht unterworfenen Stämmen ausgeſtoßen worden ſind.

Die ungemeine Breite des Orinoko zwiſchen der Ein - mündung des Apure und dem Berge Curiquima fiel mir ſehr auf; ich berechnete ſie daher nach einer Standlinie, die ich am weſtlichen Ufer zweimal abgemeſſen. Das Bett des Orinoko war beim gegenwärtigen tiefen Waſſerſtande 3519 m breit; aber in der Regenzeit, wenn der Berg Curiquima und der Hof Capuchino beim Hügel Pocopocori Inſeln ſind, mögen es 10752 m werden. Zum ſtarken Anſchwellen des Orinoko41 trägt auch der Druck der Waſſer des Apure bei, der nicht, wie andere Nebenflüſſe, mit dem Oberteile des Hauptſtromes einen ſpitzen Winkel bildet, ſondern unter einem rechten Winkel einmündet. Wir maßen an verſchiedenen Punkten des Bettes die Temperatur des Waſſers; mitten im Thalweg, wo die Strömung am ſtärkſten iſt, betrug ſie 28,3°, in der Nähe der Ufer 29,2°.

Wir fuhren zuerſt gegen Südweſt hinauf bis zum Ge - ſtade der Guaricotos-Indianer, auf dem linken Ufer des Ori - noko, und dann gegen Süd. Der Strom iſt ſo breit, daß die Berge von Encaramada aus dem Waſſer emporzuſteigen ſcheinen, wie wenn man ſie über dem Meereshorizonte ſähe. Sie bilden eine ununterbrochene, von Oſt nach Weſt ſtreichende Kette, und je näher man ihnen kommt, deſto maleriſcher wird die Landſchaft. Dieſe Berge beſtehen aus ungeheuren zer - klüfteten, aufeinander getürmten Granitblöcken. Die Teilung der Gebirgsmaſſe in Blöcke iſt eine Folge der Verwitterung. Zum Reize der Gegend von Encaramada trägt beſonders der kräftige Pflanzenwuchs bei, der die Felswände bedeckt und nur die abgerundeten Gipfel frei läßt. Man meint, altes Gemäuer rage aus einem Walde empor. Auf dem Berge, an den ſich die Miſſion lehnt, dem Tepupano der Tama - naken, ſtehen drei ungeheure Granitcylinder, von denen zwei geneigt ſind, während der dritte, unten ſchmälere und über 28 m hohe, ſenkrecht ſtehen geblieben iſt. Dieſer Felſen, deſſen Form an die Schnarcher im Harz oder an die Orgeln von Actopan in Mexiko erinnert, war früher ein Stück des runden Berggipfels. In allen Erdſtrichen hat der nicht ge - ſchichtete Granit das Eigentümliche, daß er durch Verwitterung in prismatiſche, cylindriſche oder ſäulenförmige Blöcke zerfällt.

Gegenüber dem Geſtade der Guaricotos kamen wir in die Nähe eines anderen, ganz niedrigen, 5,5 bis 8 m langen Felshaufens. Er ſteht mitten in der Ebene und gleicht nicht ſowohl einem Tumulus als den Granitmaſſen, die man in Holland und Niederdeutſchland Hünenbetten nennt. Der Uferſand an dieſem Stücke des Orinoko iſt nicht mehr reiner Quarzſand, er beſteht aus Thon und Glimmerblättchen in ſehr dünnen Schichten, die meiſt unter einen Winkel von 40 bis 50° fallen; er ſieht aus wie verwitterter Glimmer - ſchiefer. Dieſer Wechſel in der geologiſchen Beſchaffenheit der Ufer tritt ſchon weit oberhalb der Mündung des Apure ein; ſchon beim Algodonal und beim Caño de Manati fingen wir42 in letzterem Fluſſe an, denſelben zu bemerken. Die Glimmer - blättchen kommen ohne Zweifel von den Granitbergen von Curiquima und Encaramada, denn weiter nach Nord und Oſt findet man nur Quarzſand, Sandſtein, feſten Kalkſtein und Gips. Daß Anſchwemmungen von Süd nach Nord geführt werden, kann am Orinoko nicht befremden; aber wie erklärt ſich dieſelbe Erſcheinung im Bette des Apure, 31 km weſt - wärts von ſeiner Ausmündung? Beim gegenwärtigen Zu - ſtande der Dinge läuft der Apure auch beim höchſten Waſſer - ſtande des Orinoko nie ſo weit rückwärts, und um ſich von der Erſcheinung Rechenſchaft zu geben, muß man annehmen, die Glimmerſchichten haben ſich zu einer Zeit niedergeſchlagen, wo der ganze, ſehr tief gelegene Landſtrich zwiſchen Caycara, dem Algodonal und den Bergen von Encaramada ein See - becken war.

Wir verweilten einige Zeit im Hafen von Encaramada; es iſt dies eine Art Ladeplatz, wo die Schiffe zuſammen - kommen. Das Ufer beſteht aus einem 13 bis 16 m hohen Felſen, wieder jenen aufeinander getürmten Granitblöcken, wie ſie am Schneeberg in Franken und faſt in allen Granitgebirgen in Europa vorkommen. Manche dieſer abgeſonderten Maſſen ſind kugelig; es ſind aber keine Kugeln mit konzentriſchen Schichten, ſondern nur abgerundete Blöcke, Kerne, von denen das umhüllende Geſtein abgewittert iſt. Der Granit iſt blei - grau, oft ſchwarz, wie mit Manganoxyd überzogen; aber dieſe Farbe dringt kaum 0,44 mm tief ins Geſtein, das rötlich - weiß, grobkörnig iſt und keine Hornblende enthält.

Die indianiſchen Namen der Miſſion San Luis del Encaramada ſind Guaja und Caramana. 1Die Namen der Miſſionen in Südamerika beſtehen ſämtlich aus zwei Worten, von denen das erſte notwendig ein Heiligenname iſt (der Name des Schutzpatrons der Kirche), das zweite ein india - niſches (der Name des Volkes, das hier lebt, und der Gegend, wo die Miſſion liegt). So ſagt man: San Joſe de Maypures, Santa Cruz de Chachipo, San Juan-Nepomuceno de los Atures ꝛc. Dieſe zuſammengeſetzten Namen kommen aber nur in der amtlichen Sprache vor; die Einwohner brauchen nur einen, meiſt, wenn er wohlklingend iſt, den indianiſchen. Benachbarten Orten kommen oft dieſelben Heiligennamen zu, und dadurch entſteht in der Geographie eine heilloſe Verwirrung. Die Namen San Juan, San Pedro, San Diego ſind wie aufs Geratewohl auf unſeren Karten umher - geſtreut.Es iſt dies43 das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jeſuitenpater Gili, dem Verfaſſer der in Rom gedruckten Storia dell Orinoco, gegründet wurde. Dieſer in den Indianerſprachen ſehr be - wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einſamkeit bis zur Vertreibung der Jeſuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde dieſe Landſtriche ſind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 180 km von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte ſpricht, und daß er nie bis zu dem erſten Katarakt des Stromes gekommen iſt, an deſſen Beſchreibung er ſich gewagt hat.

Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus Panapana. Es war ein Kazike, der in ſeiner Piroge zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo und führte ein kleineres Kanoe, Curiara genannt, mit ſich. Er ſaß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel, aus Palmblättern beſtand. Sein kalter, einſilbiger Ernſt, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor ſich hatte. Der Kazike trug ſich übrigens ganz wie ſeine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto, dem Farbe - ſtoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerſchaft, Geräte, Fahrzeug, Segel, alles war rot angeſtrichen. Dieſe Kariben ſind Menſchen von faſt athletiſchem Wuchs; ſie ſchienen uns weit höher gewachſen als die Indianer, die wir bisher ge - ſehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verſchnittenen Haare, ihre ſchwarz gefärbten Augen - brauen, ihr finſterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Geſichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenſchädel von den Antillen geſehen und waren daher überraſcht, daß bei dieſen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter war, als man ſie uns beſchrieben. Die ſehr großen, aber ekelhaft ſchmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober - und Unterſchenkel der Kinder waren in gewiſſen Abſtänden mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeſchnürt. Das Fleiſch unter den Binden wird ſtark zu - ſammengepreßt und quillt in den Zwiſchenräumen heraus. Die Kariben verwenden meiſt auf ihr Aeußeres und ihren Putz ſo viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menſchen nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewiſſe Körperformen, und eine Mutter würde gewiſſenloſer Gleich -44 gültigkeit gegen ihre Kinder beſchuldigt, wenn ſie ihnen nicht durch künſtliche Mittel die Waden nach der Landesſitte formte. Da keiner unſerer Indianer vom Apure karibiſch ſprach, konnten wir uns beim Kaziken von Panapana nicht nach den Lager - plätzen erkundigen, wo man in dieſer Jahreszeit auf mehreren Inſeln im Orinoko zum Sammeln der Schildkröteneier zu - ſammenkommt.

Bei Encaramada trennt eine ſehr lange Inſel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felſenbucht, gegen - über der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaica ſich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit dieſem durch den Rio Arichuna in Verbindung ſteht. Der Abend war ſchön; der Mond beſchien die Spitzen der Granitfelſen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme ſo gleichmäßig verteilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, ſelbſt nicht 4 oder über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auf - fallend geſchwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des ſchein - baren Durchmeſſers Jupiters einen Irrtum in der Beobach - tung fürchten, ſo ſagte ich, wir alle glaubten hier zum erſten - mal mit bloßem Auge die Scheibe des Jupiters zu ſehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordoſtwind ſehr heftig. Er führte keine Wolken herauf, aber der Himmel bezog ſich mehr und mehr mit Dunſt. Es traten ſtarke Windſtöße ein und machten uns für unſere Piroge beſorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur ſehr wenige Krokodile geſehen, aber lauter ungewöhnlich große, 6,5 bis 8 m lange. Die Indianer verſicherten uns, die jungen Krokodile ſuchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüſſe auf; beſonders in den Caños ſind ſie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen ſagen, was Abd-Allatif von den Nilkrokodilen ſagt, ſie wimmeln wie Würmer an den ſeichten Stromſtellen und im Schutz der unbewohnten Inſeln .

Am 6. April. Wir fuhren erſt gegen Süd, dann gegen Südweſt weiter den Orinoko hinauf und bekamen den Süd - abhang der Serrania oder der Bergkette Encaramada zu Geſicht. Der dem Fuß am nächſten gelegene Strich iſt nicht mehr als 270 bis 310 m hoch, aber die ſteilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savanne, ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel laſſen die Serrania auffallend hoch erſcheinen. Ihre größte Breite beträgt nur 13,5 km; nach den Mitteilungen von Pareca-Indianern wird ſie gegen Oſt45 bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den nördlichſten Zug eines Bergſtockes, welcher ſich am rechten Ufer des Orinoko zwiſchen dem 5. und Grad der Breite, vom Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwiſchen den verſchiedenen Zügen dieſes Bergſtockes liegen kleine grasbewachſene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die nördlichſten ziehen ſich von Weſt nach Oſt, die ſüdlichſten von Nordweſt nach Südoſt. Aus dieſer ver - ſchiedenen Richtung erklärt ſich vollkommen, warum die Kor - dillere der Parime gegen Oſt, zwiſchen den Quellen des Ori - noko und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir ein - mal über die großen Katarakte von Atures und Maypures hinauf gelangt ſind, werden wir hintereinander 7 Hauptketten erſcheinen ſehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Cha - viripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo. Dieſe Ueberſicht mag einen allgemeinen Begriff von der geo - logiſchen Beſchaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn ſie noch ſo unregelmäßig gruppiert ſcheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen. Jede Kette erſcheint einem, wenn man auf dem Orinoko fährt, im Querſchnitt als ein einzelner Berg, aber die Iſolierung iſt nur ſcheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten ſcheint geringer zu werden, je weiter man gegen Oſten kommt. Die Berge der Encaramada hängen mit denen des Mato zuſammen, in welchen der Rio Aſiveru oder Cuchivero entſpringt; die Berge von Chaviripe er - ſtrecken ſich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Coroſal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari.

Ueber dieſe Berge, die von ſanftmütigen, ackerbauenden Indianern bewohnt ſind, ließ bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atabapo verſorgt werden ſollte. Die Einwohner der Encaramada zeigten da den ſpaniſchen Sol - daten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari mündet. Fährt man dieſe beiden Flüſſe hinab, ſo gelangt man in den Orinoko und Atabapo, ohne über die großen Katarakte zu kommen, über welche Vieh hinaufzuſchaffen ſo gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeiſt, der den Kaſtilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in ſo vor - züglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des 18. Jahr - hunderts auf kurze Friſt noch einmal auf, als König Fer - dinand IV. die wahren Grenzen ſeiner ungeheuren Beſitzungen46 kennen lernen wollte, und in den Wäldern von Guyana, dem klaſſiſchen Lande der Lüge und der märchenhaften Ueberliefe - rungen, die Argliſt der Indianer die ſchimäriſche Vorſtellung von den Schätzen des Dorado, welche die[Einbildungskraft] der erſten Eroberer ſo gewaltig beſchäftigt hatte, von neuem in Umlauf brachte.

In dieſen Bergen der Encaramada, die, wie der meiſte grobkörnige Granit, keine Gänge enthalten, fragt man ſich, wo die Goldgeſchiebe herkommen, welche Juan Martinez1Der Begleiter des Diego de Ordaz. und Ralegh bei den Indianern am Orinoko in ſo großer Menge geſehen haben wollen. Nach meinen Beobachtungen in dieſem Teile von Amerika glaube ich, daß das Gold, wie das Zinn, zuweilen in kaum ſichtbaren Teilchen durch die ganze Maſſe des Granitgeſteins zerſtreut iſt, ohne daß man kleine veräſtete und ineinander verſchlungene Gänge anzunehmen hat. Noch nicht lange fanden Indianer aus Encaramada in der Que - brada del Tigre (Tigerſchlucht) ein Goldkorn von 4 mm Durch - meſſer. Es war rund und ſchien im Waſſer gerollt. Dieſe Entdeckung war den Miſſionären noch wichtiger als den In - dianern, aber ſie blieb alleinſtehend.

Ich kann dieſes erſte Glied des Bergſtockes der Encara - mada nicht verlaſſen, ohne eines Umſtandes zu erwähnen, der Pater Gili nicht unbekannt geblieben war, und deſſen man während unſeres Aufenthaltes in den Miſſionen am Orinoko häufig gegen uns erwähnte. Unter den Eingeborenen dieſer Länder hat ſich die Sage erhalten, beim großen Waſſer, als ihre Väter das Kanoe beſteigen mußten, um der allgemeinen Ueberſchwemmung zu entgehen, haben die Wellen des Meeres die Felſen von Encaramada beſpült . Dieſe Sage kommt nicht nur bei einem einzelnen Volke, den Tamanaken vor, ſie gehört zu einem Kreiſe geſchichtlicher Ueberlieferungen, aus dem ſich einzelne Vorſtellungen bei den Maypures an den großen Katarakten, bei den Indianern am Rio Erevato, der ſich in den Caura ergießt, und faſt bei allen Stämmen am oberen Orinoko finden. Fragt man die Tamanaken, wie das Menſchengeſchlecht dieſe große Kataſtrophe, die Waſſerzeit der Mexikaner, überlebt habe, ſo ſagen ſie, ein Mann und ein Weib haben ſich auf einen hohen Berg, Namens Ta - manacu, am Ufer des Aſiveru, geflüchtet; da haben ſie Früchte der Mauritiapalme hinter ſich über ihre Köpfe geworfen, und47 aus den Kernen derſelben ſeien Männlein und Weiblein ent - ſproſſen, welche die Erde wieder bevölkerten . In ſolch ein - facher Geſtalt lebt bei jetzt wilden Völkern eine Sage, welche von den Griechen mit allem Reiz der Einbildungskraft ge - ſchmückt worden iſt. Ein paar Meilen von Encaramada ſteht mitten in der Savanne ein Fels, der ſogenannte Tepume - reme, der gemalte Fels. Man ſieht darauf Tierbilder und ſymboliſche Zeichen, ähnlich denen, wie wir ſie auf der Rückfahrt auf dem Orinoko nicht weit unterhalb Encaramada bei der Stadt Caycara geſehen. In Afrika heißen dergleichen Felſen bei den Reiſenden Fetiſchſteine. Ich vermeide den Ausdruck, weil die Eingeborenen am Orinoko von einem Fetiſchdienſt nichts wiſſen, und weil die Bilder, die wir an nunmehr unbewohnten Orten an Felſen gefunden, Sterne, Sonnen, Tiger, Krokodile, mir keineswegs Gegenſtände reli - giöſer Verehrung vorzuſtellen ſcheinen. Zwiſchen dem Caſſi - quiare und dem Orinoko, zwiſchen Encaramada, Capuchino und Caycara ſind die hieroglyphiſchen Figuren häufig ſehr hoch oben in Felswände eingehauen, wohin man nur mittels ſehr hoher Gerüſte gelangen könnte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es möglich geweſen ſei, die Bilder einzu - hauen, ſo erwidern ſie lächelnd, als ſprächen ſie eine That - ſache aus, mit der nur ein Weißer nicht bekannt ſein kann, zur Zeit des großen Waſſers ſeien ihre Väter ſo hoch oben im Kanoe gefahren .

Dieſe alten Sagen des Menſchengeſchlechtes, die wir gleich Trümmern eines großen Schiffbruches über den Erdball zer - ſtreut finden, ſind für die Geſchichtsphiloſophie von höchſter Bedeutung. Wie gewiſſe Pflanzenfamilien in allen Klimaten und in den verſchiedenſten Meereshöhen das Gepräge des ge - meinſamen Typus behalten, ſo haben die kosmogoniſchen Ueberlieferungen der Völker aller Orten denſelben Charakter, eine Familienähnlichkeit, die uns in Erſtaunen ſetzt. Im Grundgedanken hinſichtlich der Vernichtung der lebendigen Schöpfung und der Erneuerung der Natur weichen die Sagen faſt gar nicht ab, aber jedes Volk gibt ihnen eine örtliche Färbung. Auf den großen Feſtländern wie auf den kleinſten Inſeln im Stillen Meere haben ſich die übrig gebliebenen Men - ſchen immer auf den höchſten Berg in der Nähe geflüchtet, und das Ereignis erſcheint deſto neuer, je roher die Völker ſind und je weniger, was ſie von ſich ſelbſt wiſſen, weit zurück - reicht. Unterſucht man die mexikaniſchen Denkmale aus der48 Zeit vor der Entdeckung der Neuen Welt genau, dringt man in die Wälder am Orinoko, ſieht man, wie unbedeutend, wie vereinzelt die europäiſchen Niederlaſſungen ſind, und in welchen Zuſtänden die unabhängig gebliebenen Stämme verharren, ſo kann man nicht daran denken, die eben beſprochene Ueberein - ſtimmung dem Einfluß der Miſſionäre und des Chriſtentums auf die Volksſagen zuzuſchreiben. Ebenſo unwahrſcheinlich iſt es, daß die Völker am Orinoko durch den Umſtand, daß ſie Meeresprodukte hoch oben in den Gebirgen gefunden, auf die Vorſtellung vom großen Waſſer gekommen ſein ſollten, das eine Zeitlang die Keime des organiſchen Lebens auf der Erde vernichtet habe. Das Land am rechten Ufer des Orinoko bis zum Caſſiquiare und Rio Negro beſteht aus Urgebirge. Ich habe dort wohl eine kleine Sandſtein - oder Konglomeratfor - mation angetroffen, aber keinen ſekundären Kalkſtein, keine Spur von Verſteinerungen.

Der friſche Nordoſtwind brachte uns mit vollen Segeln zur Boca de la Tortuga. Gegen 11 Uhr vormittags ſtiegen wir an einer Inſel mitten im Strome aus, welche die Indianer in der Miſſion Uruana als ihr Eigentum be - trachten. Dieſe Inſel iſt berühmt wegen des Schildkröten - fanges, oder, wie man hier ſagt, wegen der Coſecha, der Eierernte, die jährlich hier gehalten wird. Wir fanden hier viele Indianer beiſammen und unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Das Lager war über 300 Köpfe ſtark. Seit San Fernando am Apure waren wir nur an öde Geſtade ge - wöhnt, und ſo fiel uns das Leben, das hier herrſchte, unge - mein auf. Außer den Guamos und Otomaken aus Uruana, die beide für wilde, unzähmbare Stämme gelten, waren Ka - riben und andere Indianer vom unteren Orinoko da. Jeder Stamm lagerte für ſich und unterſchied ſich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Wir fanden in dieſem lär - menden Haufen einige Weiße, namentlich Pulperos oder Krämer aus Angoſtura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu kaufen. Wir trafen auch den Miſſionär von Uruana, der aus Alcala de Henarez gebürtig war. Der Mann verwunderte ſich nicht wenig, uns hier zu finden. Nachdem er unſere Inſtrumente bewundert, entwarf er uns eine übertriebene Schilderung von den Beſchwerden, denen wir uns notwendig ausſetzten, wenn wir auf dem Orinoko bis über die Fälle hinaufgingen. Der Zweck unſerer Reiſe ſchien ihm in bedeutendes Dunkel49 gehüllt. Wie ſoll einer glauben, ſagte er, daß ihr euer Vaterland verlaſſen habt, um euch auf dieſem Fluſſe von den Moskiten aufzehren zu laſſen und Land zu vermeſſen, das euch nicht gehört? Zum Glück hatten wir Empfehlungen vom Pater Gardian der Franziskaner-Miſſion bei uns, und der Schwager des Statthalters von Varinas, der bei uns war, machte bald den Bedenken ein Ende, die durch unſere Tracht, unſern Accent und unſere Ankunft auf dieſem ſandigen Eiland unter den Weißen aufgetaucht waren. Der Miſſionär lud uns zu ſeinem frugalen Mahle aus Bananen und Fiſchen ein und erzählte uns, er ſei mit den Indianern über die Eier - ernte herübergekommen, um jeden Morgen unter freiem Himmel die Meſſe zu leſen und ſich das Oel für die Altar - lampe zu verſchaffen, beſonders aber um dieſe Republica de Indios y Castellanos in Ordnung zu halten, in der jeder für ſich allein haben wollte, was Gott allen beſchert .

Wir umgingen die Inſel in Begleitung des Miſſionärs und eines Pulpero, der ſich rühmte, daß er ſeit zehn Jahren ins Lager der Indianer und zur Pesca de Tortugas komme. Man beſucht dieſes Stück des Orinoko, wie man bei uns die Meſſen von Frankfurt und Beaucaire beſucht. Wir be - fanden uns auf einem ganz ebenen Sandſtriche. Man ſagte uns: So weit das Auge an den Ufern hin reicht, liegen Schildkröteneier unter einer Erdſchicht. Der Miſſionär trug eine lange Stange in der Hand. Er zeigte uns, wie man mit der Stange (vara) ſondiert, um zu ſehen, wie weit die Eier ſchicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raſeneiſenſtein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Vara ſenkrecht in den Boden, ſo ſpürt man daran, daß der Widerſtand auf einmal aufhört, daß man in die Höhlung oder das loſe Erdreich, in dem die Eier liegen, gedrungen iſt. Wie wir ſahen, iſt die Schicht im ganzen ſo gleichförmig verbreitet, daß die Sonde in einem Halbmeſſer von 19,5 m rings um einen gegebenen Punkt ſicher darauf ſtößt. Auch ſpricht man hier nur von Quadratſtangen Eiern, wie wenn man ein Bodenſtück, unter dem Mine - ralien liegen, in Loſe teilte und ganz regelmäßig abbaute. Indeſſen bedeckt die Eierſchicht bei weitem nicht die ganze Inſel; ſie hört überall auf, wo der Boden raſch anſteigt, weil die Schildkröte auf dieſe kleinen Plateaus nicht hinauf - kriechen kann. Ich erzählte meinen Führern von den hoch - trabenden Beſchreibungen Pater Gumillas, wie die Ufer desA. v. Humboldt, Reiſe. III. 450Orinoko nicht ſo viel Sandkörner enthalten als der Strom Schildkröten, und wie dieſe Tiere die Schiffe in ihrem Laufe aufhielten, wenn Menſchen und Tiger nicht alljährlich ſo viele töteten. Son cuentos de frailes, ſagte der Krämer aus Angoſtura leiſe, denn da arme Miſſionäre hierzulande die ein - zigen Reiſenden ſind, ſo nennt man hier Pfaffenmärchen , was man in Europa den Reiſenden überhaupt aufbürden würde.

Die Indianer verſicherten uns, von der Mündung des Orinoko bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine einzige Inſel und kein einziges Geſtade, wo man Schild - kröteneier in Maſſe ſammeln könnte. Die große Schildkröte, der Arrau (ſprich Arra-u), meidet von Menſchen bewohnte oder von Fahrzeugen beſuchte Orte. Es iſt ein furchtſames, ſcheues Tier, das den Kopf über das Waſſer ſtreckt und ſich beim leiſeſten Geräuſch verſteckt. Die Uferſtrecken, wo faſt ſämtliche Schildkröten des Orinoko ſich jährlich zuſammenzu - finden ſcheinen, liegen zwiſchen dem Zuſammenfluß des Orinoko und des Apure und den großen Fällen oder Raudales, das heißt zwiſchen Cabruta und der Miſſion Atures. Hier be - finden ſich die drei berühmten Fangplätze Encaramada oder Boca del Cabullare, Cucuruparu oder Boca de la Tortuaa, und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrauſchild - kröte geht, wie es ſcheint, nicht über die Fälle hinauf, und wie man uns verſichert, kommen oberhalb Atures und May - pures nur Terekayſchildkröten vor. Es iſt hier der Ort, einige Worte über dieſe beiden Arten und ihr Verhältnis zu den verſchiedenen Familien der Schildkröten zu ſagen.

Wir beginnen mit der Arrauſchildkröte, welche die Spanier in den Kolonieen kurzweg Tortuga nennen, und deren Geſchlecht für die Völker am unteren Orinoko von ſo großer Bedeutung iſt. Es iſt eine große Süßwaſſerſchild - kröte, mit Schwimmfüßen, ſehr plattem Kopf, zwei fleiſchigen, ſehr ſpitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an den Vorder - und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb ge - furcht ſind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 ſeit - liche und 24 Randplatten; er iſt oben ſchwarzgrau, unten orangegelb, die Füße ſind gleichfalls orangegelb und ſehr lang. Zwiſchen den Augen iſt eine ſehr tiefe Furche. Die Nägel ſind ſehr ſtark und gebogen. Die Afteröffnung be - findet ſich am letzten Fünfteil des Schwanzes. Das er - wachſene Tier wiegt 20 bis 25 kg. Die Eier, weit größer als Taubeneier, ſind nicht ſo länglich wie die Eier des Terekay. 51Sie haben eine Kalkſchale und ſollen ſo feſt ſein, daß die Kinder der Otomaken, die ſtarke Ballſpieler ſind, ſie einander zuwerfen können. Käme der Arrau oberhalb der Katarakte im Strome vor, ſo gingen die Indianer am oberen Orinoko nicht ſo weit nach dem Fleiſch und den Eiern dieſer Schild - kröte; man ſah aber früher ganze Volksſtämme von den Flüſſen Atabapo und Caſſiquiare über die Raudales herabkommen, um am Fang bei Uruana teilzunehmen.

Die Terekay ſind kleiner als die Arrau. Sie haben meiſt nur 37 cm Durchmeſſer. Ihr Schild hat gleichviel Platten, ſie ſind aber etwas anders verteilt. Ich zählte 4 im Mittelpunkt und zu jeder Seite 5 ſechsſeitige, am Rande 24 vierſeitige, ſtark gebogene. Der Schild iſt ſchwarz, ins Grüne ſpielend; Füße und Nägel ſind wie beim Arrau. Das ganze Tier iſt olivengrün, hat aber oben auf dem Kopfe zwei aus rot und gelb gemiſchte Flecke. Auch der Hals iſt gelb und hat einen ſtacheligen Anhang. Die Terekay thun ſich nicht in große Schwärme zuſammen wie die Arrau, um ihre Eier miteinander auf demſelben Ufer zu legen. Die Eier des Terekay haben einen angenehmen Geſchmack und ſind bei den Bewohnern von Spaniſch-Guyana ſehr geſucht. Sie kommen ſowohl im oberen Orinoko als unterhalb der Fälle vor, ferner im Apure, Uritucu, Guarico und den kleinen Flüſſen, welche durch die Llanos von Caracas laufen. Nach der Bildung der Füße und des Kopfes, nach den Anhängen an Kinn und Hals und nach der Stellung der Afteröffnung ſcheint der Arrau und wahrſcheinlich auch der Terekay eine neue Untergattung zu bilden, die von den Emyden zu trennen wäre. Durch die Anhänge und die Stellung des Afters nähern ſie ſich der Emys nasuta Schweiggers und dem Matamata in Fran - zöſiſch-Guyana, unterſcheiden ſich aber von letzterem durch die Form der Schildplatten, die keine pyramidaliſchen Buckel haben.

Die Zeit, wo die große Arrauſchildkröte ihre Eier legt, fällt mit dem niedrigſten Waſſerſtand zuſammen. Da der Orinoko von der Frühlings-Tag - und Nachtgleiche an zu ſteigen anfängt, ſo liegen von Anfang Januar bis zum 20. oder 25. März die tiefſten Uferſtellen trocken. Die Arrau ſammeln ſich ſchon im Januar in große Schwärme; ſie gehen jetzt aus dem Waſſer und wärmen ſich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Tier bedürfe zu ſeinem Wohlbefinden notwendig ſtarker Hitze und das Liegen in der52 Sonne befördere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arrau faſt den ganzen Tag auf dem Ufer. Zu Anfang März vereinigen ſich die zerſtreuten Haufen und ſchwimmen zu den wenigen Inſeln, auf denen ſie gewöhnlich ihre Eier legen. Wahrſcheinlich kommt dieſelbe Schildkröte jedes Jahr an dasſelbe Ufer. Um dieſe Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erſcheinen viele tauſend Schildkröten in langen Reihen an den Ufern der Inſeln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf über dem Waſſer, ausſchauend, ob nichts von Tigern oder Menſchen zu fürchten iſt. Die Indianer, denen viel daran liegt, daß die vereinigten Schwärme auch beiſammen bleiben, daß ſich die Schildkröten nicht zerſtreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen können, ſtellen längs des Ufers Wachen auf. Man be - deutet den Fahrzeugen, ſich mitten im Strome zu halten und die Schildkröten nicht durch Geſchrei zu verſcheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnen - untergang an. Das Tier gräbt mit ſeinen Hinterfüßen, die ſehr lang ſind und krumme Klauen haben, ein 1 m weites und 60 cm tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Uferſand zu befeſtigen, benetze die Schildkröte denſelben mit ihrem Harn, und man glaubt ſolches am Geruche wahrzu - nehmen, wenn man ein friſch gegrabenes Loch oder Eierneſt, wie man hier ſagt, öffnet. Der Drang der Tiere zum Eier - legen iſt ſo ſtark, daß manche in die von anderen gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefüllten Löcher hinuntergehen und auf die friſch gelegte Eierſchicht noch eine zweite legen. Bei dieſem ſtürmiſchen Durcheinander werden ungeheuer viele Eier zerbrochen. Der Miſſionär zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen aufgrub, daß der Verluſt ein Dritteil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das ver - trocknete Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch ſtärker zuſammen, und wir fanden Quarzſand und zerbrochene Eierſchalen in großen Klumpen zuſammengekittet. Der Tiere, welche in der Nacht am Ufer graben, ſind ſo unermeßlich viele, daß manche der Tag überraſcht, ehe ſie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt ſie der doppelte Drang, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger ſie nicht ſehen möge. Die Schildkröten, die ſich verſpätet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen ſelbſt droht. Sie arbeiten unter den Augen der Indianer, die frühmorgens auf das Ufer kommen. Man nennt ſie närriſche Schild -53 kröten . Trotz ihrer ungeſtümen Bewegungen fängt man ſie leicht mit den Händen.

Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den erſten Tagen Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor ſich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei allem herrſcht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Miſſionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in ſo reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach ſeiner eigenen Weiſe und es wurden unendlich viele Eier mutwillig zerbrochen, weil man nicht vorſichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeſchickten Händen ausgebeutet. Den Jeſuiten gebührt das Verdienſt, daß ſie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franziskaner, welche die Jeſuiten in den Miſſionen am Orinoko abgelöſt haben, rühmen ſich zwar, daß ſie das Verfahren ihrer Vor - gänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der ge - hörigen Vorſicht zu Werke. Die Jeſuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde; ſie ließen ein Stück un - berührt liegen, weil ſie beſorgten, die Arrauſchildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rückſichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden.

Iſt das Lager aufgeſchlagen, ſo ernennt der Miſſionär von Uruana ſeinen Stellvertreter oder den Kommiſſär, der den Landſtrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianer - ſtämme, die ſich in die Ernte teilen, in Loſe zerlegt. Es ſind lauter Indianer aus den Miſſionen , aber ſo nackt und ver - ſunken wie die Indianer aus den Wäldern ; man nennt ſie reducidos und neofitos, weil ſie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben, bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen.

Der Commiſſionado del Padre beginnt das Geſchäft damit, daß er den Boden ſondiert. Mit einer langen höl - zernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambu - rohr unterſucht er, wie weit die Eierſchicht reicht. Nach unſeren Meſſungen erſtreckt ſich die Schicht bis zu 40 m vom Ufer und iſt im Durchſchnitt 1 m tief. Der Kommiſſär ſteckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunde - rung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Er -54 trag eines Getreideackers ſchätzen. Es kam vor, daß ein Areal genau 40 m lang und 10 m breit 100 Krüge oder für 1000 Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die geſammelten Eier in kleine, Mappiri genannte Körbe, tragen ſie ins Lager und werfen ſie in große, mit Waſſer gefüllte hölzerne Tröge. In dieſen Trögen werden die Eier mit ſchaufeln zerdrückt und umgerührt und der Sonne ausgeſetzt, bis das Eigelb (der ölige Teil), das obenauf ſchwimmt, dick geworden iſt. Dieſer ölige Teil wird, wie er ſich auf dem Waſſer ſammelt, abgeſchöpft und bei einem ſtarken Feuer gekocht. Dieſes tieriſche Oel, das bei den Spaniern manteca de tortugas heißt, ſoll ſich deſto beſſer halten, je ſtärker es gekocht wird. Gut zubereitet iſt es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Miſ - ſionäre ſchätzen es dem beſten Olivenöl gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, ſondern auch, und zwar vorzugs - weiſe, zum Kochen, da es den Speiſen keinerlei unangenehmen Geſchmack gibt. Es hält indeſſen ſchwer, ganz reines Schild - krötenöl zu bekommen. Es hat meiſt einen fauligen Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter geraten ſind, in denen ſich, weil ſie ſchon länger der Sonne ausgeſetzt geweſen, die jungen Schildkröten (los tortuguillos) bereits ausgebildet hatten. Dieſe unangenehme Erfahrung machten wir nament - lich auf der Rückreiſe vom Rio Negro, wo das flüſſige Fett, das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die Gefäße hatten einen faſerigen Bodenſatz, und dies iſt das Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls.

Ich teile hier einige ſtatiſtiſche Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Miſſionärs von Uruana, ſeines Kommiſſärs und der Krämer aus Angoſtura erhalten. Das Ufer von Uruana gibt jährlich 1000 Botijas1Die Botija hält 25 franzöſiſche Flaſchen; ſie hat 1000 bis 1200 Kubikzoll Inhalt. oder Krüge Oel (manteca). Der Krug gilt in der Hauptſtadt von Guyana, gemeinhin Angoſtura genannt, 2 bis Piaſter. Der ganze Ertrag der drei Uferſtrecken, wo jährlich die Cosecha oder Ernte gehalten wird, läßt ſich auf 5000 Botijas anſchlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflaſche oder limeta voll Oel geben, ſo kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100 bis 116 Eier, und ein Drittel werde während des Legens, namentlich von den55 närriſchen Schildkröten zerbrochen, ſo ergibt ſich, daß, ſollen jährlich 5000 Krüge Oel gewonnen werden, 330 000 Arrau - ſchildkröten, die zuſammen 165 000 Zentner wiegen, auf den drei Ernteplätzen 33 Millionen Eier legen müſſen. Und mit dieſer Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkröten legen nur 60 bis 70 Eier; viele werden im Augenblick, wo ſie aus dem Waſſer gehen, von den Ja - guaren gefreſſen; die Indianer nehmen viele Eier mit, um ſie an der Sonne zu trocknen und zu eſſen, und ſie zerbrechen bei der Ernte ſehr viele aus Fahrläſſigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeſchlüpft ſind, ehe der Menſch darüber kommt, iſt ſo ungeheuer, daß ich beim Lagerplatz von Uruana das ganze Ufer des Orinoko von jungen, 26 mm breiten Schildkröten wimmeln ſah, die mit Not den Kindern der In - dianer entkamen, welche Jagd auf ſie machten. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arrau zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwiſchen der Mündung des Orinoko und dem Einfluß des Apure einzeln und ein paar Wochen ſpäter legen, ſo kommt man notwendig zu dem Schluß, daß ſich die Zahl der Schildkröten, welche jährlich an den Ufern des unteren Orinoko ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dies iſt ausnehmend viel für ein Tier von beträchtlicher Größe, das einen halben Zentner ſchwer wird, und unter deſſen Geſchlecht der Menſch ſo furchtbar aufräumt. Im allgemeinen pflanzt die Natur in der Tierwelt die großen Arten in geringerer Zahl fort als die kleinen.

Das Erntegeſchäft und die Zubereitung des Oels währen drei Wochen. Nur um dieſe Zeit ſtehen die Miſſionen mit der Küſte und den benachbarten civiliſierten Ländern in Ver - kehr. Die Franziskaner, die ſüdlich von den Katarakten leben, kommen zur Eierernte nicht ſowohl, um ſich Oel zu ver - ſchaffen, als um weiße Geſichter zu ſehen, wie ſie ſagen, und um zu hören, ob der König ſich im Eskorial oder in San Ildefonſo aufhält, ob die Klöſter in Frankreich noch immer aufgehoben ſind, vor allem aber, ob der Türke ſich noch immer ruhig verhält . Das iſt alles, wofür ein Mönch am Orinoko Sinn hat, Dinge, worüber die Krämer aus Ango - ſtura, die in die Lager kommen, nicht einmal genaue Aus - kunft geben können. In dieſen weit entlegenen Ländern wird eine Neuigkeit, die ein Weißer aus der Hauptſtadt bringt, nie - mals in Zweifel gezogen. Zweifeln iſt faſt ſoviel wie Denken, und wie ſollte man es nicht beſchwerlich finden, den Kopf56 anzuſtrengen, wenn man ſein Leben lang über die Hitze und die Stiche der Moskiten zu klagen hat?

Die Oelhändler haben 70 bis 80 Prozent Gewinn; denn die Indianer verkaufen den Krug oder die Botija für einen harten Piaſter an ſie, und die Transportkoſten machen für den Krug nur zwei Fünftel Piaſter. Die Indianer, welche die Cosecha de huevos mitmachen, bringen auch ganze Maſſen an der Sonne getrockneter oder leicht geſottener Eier nach Hauſe. Unſere Ruderer hatten immer welche in Körben oder kleinen Säcken von Baumwollenzeug. Der Geſchmack kam uns nicht unangenehm vor, wenn ſie gut erhalten ſind. Man zeigte uns große, von Jaguaren geleerte Schildkrötenpanzer. Die Tiger gehen den Arrau auf die Uferſtriche nach, wo ſie legen wollen. Sie überfallen ſie auf dem Sande, und um ſie gemächlich verzehren zu können, kehren ſie ſie um, ſo daß der Bruſtſchild nach oben ſieht. Aus dieſer Lage können die Schildkröten ſich nicht aufrichten, und da der Tiger ihrer weit mehr umwendet, als er in der Nacht verzehren kann, ſo machen ſich die Indianer häufig ſeine Liſt und ſeine bos - hafte Habſucht zu nutze.

Wenn man bedenkt, wie ſchwer der reiſende Naturforſcher den Körper der Schildkröte herausbringt, wenn er Rücken - und Bruſtſchild nicht trennen will, ſo kann man die Gewandt - heit des Tigers nicht genug bewundern, der mit ſeiner Tatze den Doppelſchild des Arrau leert, als wären die Anſätze der Muskeln mit einem chirurgiſchen Inſtrumente losgetrennt. Der Tiger verfolgt die Schildkröte ſogar ins Waſſer, wenn dieſes nicht ſehr tief iſt. Er gräbt auch die Eier aus und iſt nächſt dem Krokodil, den Reihern und dem Gallinazogeier der furchtbarſte Feind der friſch ausgeſchlüpften Schildkröten. Im verfloſſenen Jahre wurde die Inſel Pararuma während der Eierernte von ſo vielen Krokodilen heimgeſucht, daß die Indianer in einer einzigen Nacht ihrer 18, 4 bis 5 m lange, mit hakenförmigen Eiſen und Seekuhfleiſch daran, fingen. Außer den eben erwähnten Waldtieren thun auch die wilden Indianer der Oelbereitung bedeutenden Eintrag. Sobald die erſten kleinen Regenſchauer, von ihnen Schildkrötenregen genannt, ſich einſtellen, ziehen ſie an die Ufer des Orinoko und töten mit vergifteten Pfeilen die Schildkröten, die mit emporgerecktem Kopf und ausgeſtreckten Tatzen ſich ſonnen.

Die jungen Schildkröten (tortuguillos) zerbrechen die Eiſchale bei Tage, man ſieht ſie aber nie anders als bei Nacht57 aus dem Boden ſchlüpfen. Die Indianer behaupten, das junge Tier ſcheue die Sonnenhitze. Sie wollten uns auch zeigen, wie der Tortuguillo, wenn man ihn in einem Sack weit weg vom Ufer trägt und ſo an den Boden ſetzt, daß er dem Fluſſe den Rücken kehrt, alsbald den kürzeſten Weg zum Waſſer einſchlägt. Ich geſtehe, daß dieſes Experiment, von dem ſchon Pater Gumilla ſpricht, nicht immer gleich gut ge - lingt; meiſt aber ſchienen mir die kleinen Tiere ſehr weit vom Ufer, ſelbſt auf einer Inſel, mit äußerſt feinem Gefühl zu ſpüren, von woher die feuchteſte Luft weht. Bedenkt man, wie weit ſich die Eierſchicht faſt ohne Unterbrechung am Ufer hin erſtreckt, und wie viele Tauſende kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausſchlüpfen dem Waſſer zugehen, ſo läßt ſich nicht wohl annehmen, daß ſo viele Schildkröten, die am ſelben Orte ihre Neſter gegraben, ihre Jungen herausfinden und ſie, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoko führen können. So viel iſt aber gewiß, daß das Tier ſeine erſten Lebensjahre in den ſeichteſten Lachen zubringt und erſt, wenn es erwachſen iſt, in das große Flußbett geht. Wie finden nun die Tortu - guillos dieſe Lachen? Werden ſie von weiblichen Schildkröten hingeführt, die ſich ihrer annehmen, wie ſie ihnen aufſtoßen? Die Krokodile, deren weit nicht ſo viele ſind, legen ihre Eier in abgeſonderte Löcher, und wir werden bald ſehen, daß in dieſer Eidechſenfamilie das Weibchen gegen das Ende der Brutzeit wieder hinkommt, den Jungen ruft, die darauf ant - worten, und ihnen meiſt aus dem Boden hilft. Die Arrau - ſchildkröte erkennt ſicher, ſo gut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo ſie ihr Neſt gemacht; da ſie aber nicht wagt, wieder zum Ufer zu kommen, wo die Indianer ihr Lager auf - geſchlagen haben, wie könnte ſie ihre Jungen von fremden Tortuguillos unterſcheiden? Andererſeits wollen die Otomaken beim Hochwaſſer weibliche Schildkröten geſehen haben, die eine ganze Menge junger Schildkröten hinter ſich hatten. Dies waren vielleicht Arrau, die allein an einem einſamen Ufer gelegt hatten, zu dem ſie wieder kommen konnten. Männ - liche Tiere ſind unter den Schildkröten ſehr ſelten; unter mehreren Hunderten trifft man kaum eines. Der Grund dieſer Erſcheinung kann hier nicht derſelbe ſein wie bei den Krokodilen, die in der Brunſt einander blutige Gefechte liefern.

Unſer Steuermann war in die Playa de Huevos ein - gelaufen, um einige Mundvorräte zu kaufen, die bei uns auf die Neige gingen. Wir fanden daſelbſt friſches Fleiſch, Reis58 aus Angoſtura, ſogar Zwieback aus Weizenmehl. Unſere In - dianer füllten die Piroge zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nach - dem wir vom Miſſionär, der uns ſehr herzlich aufgenommen, uns verabſchiedet hatten, gingen wir gegen 4 Uhr abends unter Segel. Der Wind blies friſch und in Stößen. Seit wir uns im gebirgigen Teile des Landes befanden, hatten wir die Bemerkung gemacht, daß unſere Piroge ein ſehr ſchlechtes Segelwerk führe; aber der Patron wollte den Indianern, die am Ufer beiſammen ſtanden, zeigen, daß er, wenn er ſich dicht am Wind halte, mit einem Schlage mitten in den Strom kommen könne. Aber eben, als er ſeine Geſchicklich - keit und die Kühnheit ſeines Manövers pries, fuhr der Wind ſo heftig in das Segel, daß wir beinahe geſunken wären. Der eine Bord kam unter Waſſer und dasſelbe ſtürzte mit ſolcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin ſtanden. Es lief über ein Tiſchchen weg, an dem ich im Hinterteil des Fahrzeuges eben ſchrieb. Kaum rettete ich mein Tagebuch, und im nächſten Augenblick ſahen wir unſere Bücher, Papiere und getrockneten Pflanzen umherſchwimmen. Bon - pland ſchlief mitten in der Piroge. Vom eindringenden Waſſer und dem Geſchrei der Indianer aufgeſchreckt, überſah er unſere Lage ſogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter allen Verhältniſſen treu geblieben iſt. Der im Waſſer ſtehende Bord hob ſich während der Windſtöße von Zeit zu Zeit wieder, und ſo gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es auch verlaſſen müſſen, ſo konnte man ſich, glaubte er, durch Schwimmen retten, da ſich kein Krokodil blicken ließ. Wäh - rend wir ſo ängſtlich geſpannt waren, riß auf einmal das Tauwerk des Segels. Derſelbe Sturm, der uns auf die Seite geworfen, half uns jetzt aufrichten. Man machte ſich alsbald daran, das Waſſer mit den Früchten der Crescentia Cujete auszuſchöpfen; das Segel wurde ausgebeſſert, und in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter fahren. Der Wind hatte ſich etwas gelegt. Windſtöße, die mit Windſtillen wechſeln, ſind übrigens hier, wo der Orinoko im Gebirge läuft, ſehr häufig und können überladenen Schiffen ohne Verdeck ſehr gefährlich werden. Wir waren wie durch ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verſchanzte ſich hinter ſein indianiſches Phlegma, als man ihn heftig ſchalt, daß er ſich zu nahe am Winde gehalten. Er äußerte kaltblütig, es werde hier herum den weißen Leuten nicht an59 Sonne fehlen, um ihre Papiere zu trocknen . Wir hatten nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den erſten Band von Schrebers Genera plantarum, der ins Waſſer gefallen war. Dergleichen Verluſte thun weh, wenn man auf ſo wenige wiſſenſchaftliche Werke beſchränkt iſt.

Mit Einbruch der Nacht ſchlugen wir unſer Nachtlager auf einer kahlen Inſel mitten im Strome in der Nähe der Miſſion Uruana auf. Bei herrlichem Mondſchein, auf großen Schildkrötenpanzern ſitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unſer Abendeſſen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir alle beiſammen waren! Wir ſtellten uns vor, wie es einem ergangen wäre, der ſich beim Schiffbruch allein gerettet hätte, wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wo er jeden Augen - blick an ein Waſſer kam, das in den Orinoko läuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Karibenfiſche nur mit Lebensgefahr ſchwimmen konnte. Und dieſer Mann mit ge - fühlvollem Herzen weiß nicht, was aus ſeinen Unglücksgefährten geworden iſt, und ihr Los bekümmert ihn mehr als das ſeine! Gern überläßt man ſich ſolchen wehmütigen Vorſtellungen, weil einen nach einer überſtandenen Gefahr unwillkürlich nach ſtarken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war inner - lich mit dem beſchäftigt, was ſich eben vor unſeren Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger iſt als ſonſt. Wir waren erſt drei Tage auf dem Orinoko und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüſſen voll Klippen, in Fahrzeugen noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grunde gegangen wären.

Die Nacht war ſehr ſchwül. Wir lagen am Boden auf Häuten, da wir keine Bäume zum Befeſtigen der Hängematten fanden. Die Plage der Moskiten wurde mit jedem Tage ärger. Wir bemerkten zu unſerer Ueberraſchung, daß die Jaguare hier unſere Feuer nicht ſcheuten. Sie ſchwammen über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und morgens hörten wir ſie ganz in unſerer Nähe brüllen. Sie waren auf die Inſel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen. Die Indianer ſagten uns, während der Eierernte zeigen ſich die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als ſonſt, und ſie ſeien um dieſe Zeit auch am keckſten.

Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der un - geheuren Menge von Vögeln berühmt iſt, die auf ihm leben,60 zur Linken die Miſſion Uruana, gemeiniglich Concepcion de Uruana genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde um das Jahr 1748 von den Jeſuiten gegründet und daſelbſt Otomaken und Caveres - oder Cabres-Indianer angeſiedelt. Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken beſtehenden Berges, der, glaube ich, Saraguaca heißt. Durch die Verwitterung voneinander getrennte Steinmaſſen bilden hier Höhlen, in denen man unzweideutige Spuren einer alten Kultur der Ein - geborenen findet. Man ſieht hier hieroglyphiſche Bilder, ſogar Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indeſſen, daß dieſen Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir beſuchten die Miſſion Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und ſahen daſelbſt mit eigenen Augen die Erdmaſſen, welche die Otomaken eſſen und über die in Europa ſo viel geſtritten worden iſt.

Wir maßen die Breite des Orinoko zwiſchen der Isla de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben ſich, bei Hochwaſſer, 5250 m. Er iſt demnach hier, 873 km von der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Manfalut und Syut. Die Temperatur des Waſſers an der Oberfläche war bei Uruana 27,8°; den Zaire - oder Kongofluß in Afrika, in gleichem Abſtand vom Aequator, fand Kapitän Tuckey im Juli und Auguſt nur 23,9 bis 25,6° warm. Wir werden in der Folge ſehen, daß im Orinoko, ſowohl in der Nähe der Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom, im Thalweg die Temperatur des Waſſers auf 29,5°123,6° R. ſteigt und nicht unter 27,5° herabgeht; die Lufttemperatur war aber auch damals, vom April bis Juni, bei Tage meiſt 28 bis 30°, bei Nacht 24 bis 26°, während im Thale des Kongo von 8 Uhr morgens bis Mittag der Thermometer nur zwiſchen 20,6° und 26,7° ſtand.

Das weſtliche Ufer des Orinoko bleibt flach bis über den Einfluß des Meta hinauf, wogegen von der Miſſion Uruana an die Berge immer näher an das öſtliche Ufer herantreten. Da die Strömung ſtärker wird, je mehr das Flußbett ſich einengt, ſo kamen wir jetzt mit unſerem Fahrzeuge bedeutend langſamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel ſtromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachſene Land entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber ſchnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einfluſſes des61 Rio Arauca zeigten ſich mehr Krokodile als bisher, beſonders dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Ori - noko in Verbindung ſteht, wie die Lagune Cabularito zugleich in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die Indianer ſagten uns, dieſe Krokodile kommen aus dem inneren Lande, wo ſie im trockenen Schlamm der Savannen begraben gelegen. Sobald ſie bei den erſten Regengüſſen aus ihrer Erſtarrung erwachen, ſammeln ſie ſich in Rudel und ziehen dem Strome zu, auf dem ſie ſich wieder zerſtreuen. Hier im tropiſchen Erdſtrich wachen ſie auf, wenn es wieder feuchter wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten Erdſtrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Tiere aus der Erſtarrung oder dem Zuſtande von Nerven - und Muskel - ſchwäche, in dem der Atmungsprozeß unterbrochen oder doch ſehr ſtark beſchränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit, uneigentlich der Sommer der heißen Zone genannt, ent - ſpricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es iſt phyſio - logiſch ſehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligatoren zur ſelben Zeit der Kälte wegen im Winterſchlaf liegen, wo die Krokodile in den Llanos ihre Sommerſieſta halten. Erſchiene es als wahrſcheinlich, daß dieſe derſelben Familie angehörenden Tiere einmal in einem nördlicheren Lande zu - ſammen gelebt hätten, ſo könnte man glauben, ſie fühlen, auch näher an den Aequator verſetzt, noch immer, nachdem ſie 7 bis 8 Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfnis auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmels - ſtrich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigſte mit ihrem Körperbau zuſammenzuhängen ſcheint.

Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromſtück, wo das Bett durch die Berge des Baraguan eingeengt iſt. Es iſt eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher die Strecke des Orinoko zwiſchen dem Einfluſſe des Arauca und dem des Atabapo den Fluß Baraguan genannt, wie denn bei wilden Völkern große Ströme in verſchiedenen Strecken ihres Laufes verſchiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan iſt ein recht maleriſcher Ort. Die Granitfelſen fallen ſenk - recht ab, und da die Bergkette, die ſie bilden, von Nordweſt nach Südoſt ſtreicht, und der Strom dieſen Gebirgsdamm faſt unter einem rechten Winkel durchbricht, ſo ſtellen ſich die Höhen als freiſtehende Gipfel dar. Die meiſten ſind nicht62 über 330 m hoch, aber durch ihre Lage inmitten einer kleinen Ebene, durch ihre ſteilen, kahlen Abhänge erhalten ſie etwas Großartiges. Auch hier ſind wieder ungeheure, an den Rändern abgerundete Granitmaſſen, in Form von Parallelipi - peden, übereinander getürmt. Die Blöcke ſind häufig 25 m lang und 6 bis 10 m breit. Man müßte glauben, ſie ſeien durch eine äußere Gewalt übereinander gehäuft, wenn nicht ein ganz gleichartiges, nicht in Blöcke geteiltes, aber von Gänzen durchzogenes Geſtein anſtünde und deutlich verriete, daß das Zerfallen in Parallelipipede von atmoſphäriſchen Einflüſſen herrührt. Jene 5 bis 8 cm mächtigen Gänge be - ſtehen aus einem quarzreichen, feinkörnigen Granit im grob - körnigen, faſt porphyrartigen, an ſchönen roten Feldſpatkriſtallen reichen Granit. Umſonſt habe ich mich in der Kordillere des Baraguan nach der Hornblende und den Speckſteinmaſſen um - geſehen, die für mehrere Granite der Schweizer Alpen charak - teriſtiſch ſind.

Mitten in der Stromenge beim Baraguan gingen wir ans Land, um dieſelbe zu meſſen. Die Felſen ſtehen ſo dicht am Fluſſe, daß ich nur mit Mühe eine Standlinie von 156 m abmeſſen konnte. Ich fand den Strom 1733 m breit. Um begreiflich zu finden, wie man dieſe Strecke eine Strom - enge nennen kann, muß man bedenken, daß der Strom von Uruana bis zum Einfluß des Meta meiſt 2920 bis 4870 m breit iſt. Am ſelben, außerordentlich heißen und trockenen Punkte maß ich zwei ganz runde Granitgipfel, und fand ſie nur 214 und 166 m hoch. Im Inneren der Bergkette ſind wohl höhere Gipfel, im ganzen aber ſind dieſe ſo wild aus - ſehenden Berge lange nicht ſo hoch, als die Miſſionäre angeben.

In den Ritzen des Geſteines, das ſteil wie Mauern da - ſteht und Spuren von Schichtung zeigt, ſuchten wir vergeblich nach Pflanzen. Wir fanden nichts als einen alten Stamm der Aubletia Tiburda mit großer birnförmiger Frucht, und eine neue Art aus der Familie der Apocyneen (Allamanda salici - folia). Das ganze Geſtein war mit zahlloſen Leguanen und Gecko mit breiten, häutigen Zehen bedeckt. Regungslos, mit aufgerichtetem Kopfe und offenem Maule ſaßen die Eidechſen da und ſchienen ſich von der heißen Luft durchſtrömen zu laſſen. Der Thermometer, an die Felswand gehalten, ſtieg auf 50,2°. 140,1° R.Der Boden ſchien infolge der Luftſpiegelung63 auf und ab zu ſchwanken, während ſich kein Lüftchen rührte. Die Sonne war nahe am Zenith und ihr glänzendes, vom Spiegel des Stromes zurückgeworfenes Licht ſtach ſcharf ab vom rötlichen Dunſt, der alle Gegenſtände in der Nähe um - gab. Wie tief iſt doch der Eindruck, den in dieſen heißen Landſtrichen um die Mittagszeit die Stille der Natur auf uns macht! Die Waldtiere verbergen ſich im Dickicht, die Vögel ſchlüpfen unter das Laub der Bäume oder in Fels - ſpalten. Horcht man aber in dieſer ſcheinbaren tiefen Stille auf die leiſeſten Laute, die die Luft an unſer Ohr trägt, ſo vernimmt man ein dumpfes Schwirren, ein beſtändiges Brauſen und Summen der Inſekten, von denen alle unteren Luft - ſchichten wimmeln. Nichts kann dem Menſchen lebendiger vor die Seele führen, wie weit und wie gewaltig das Reich des organiſchen Lebens iſt. Myriaden Inſekten kriechen auf dem Boden oder umgaukeln die von der Sonnenhitze verbrannten Gewächſe. Ein wirres Getöne dringt aus jedem Buſch, aus faulen Baumſtämmen, aus den Felsſpalten, aus dem Boden, in dem Eidechſen, Tauſendfüße, Cäcilien ihre Gänge graben. Es ſind ebenſo viele Stimmen, die uns zurufen, daß alles in der Natur atmet, daß in tauſendfältiger Geſtalt das Leben im ſtaubigen, zerklüfteten Boden waltet, ſo gut wie im Schoße der Waſſer und in der Luft, die uns umgibt. Die Empfindungen, die ich hier andeute, ſind keinem fremd, der zwar nicht bis zum Aequator gekommen, aber doch in Italien, in Spanien oder in Aegypten geweſen iſt. Dieſer Kontraſt zwiſchen Regſamkeit und Stille, dieſes ruhige und doch wieder ſo bewegte Antlitz der Natur wirken lebhaft auf die Ein - bildungskraft des Reiſenden, ſobald er das Becken des Mittel - meeres, die Zone der Olive, des Chamärops und der Dattel - palme betritt.

Wir übernachteten am öſtlichen Ufer des Orinoko am Fuße eines Granithügels. An dieſem öden Fleck lag früher die Miſſion San Regis. Gar gern hätten wir im Bara - guan eine Quelle gefunden. Das Flußwaſſer hatte einen Biſamgeruch und einen ſüßlichen, äußerſt unangenehmen Ge - ſchmack. Beim Orinoko wie beim Apure iſt es ſehr auffallend, wie abweichend ſich in dieſer Beziehung, am dürrſten Ufer, verſchiedene Stellen im Strome verhalten. Bald iſt das Waſſer ganz trinkbar, bald ſcheint es mit gallertigen Stoffen beladen. Das macht die Rinde (die lederartige Hautdecke) der faulenden Kaiman, ſagen die Indianer. Je älter der64 Kaiman, deſto bitterer iſt ſeine Rinde. Ich bezweifle nicht, daß die Aaſe dieſer großen Reptilien, die der Seekühe, die 250 kg wiegen, und der Umſtand, daß die im Fluſſe lebenden Delphine eine ſchleimige Haut haben, das Waſſer verderben mögen, zumal in Buchten, wo die Strömung ſchwach iſt. Indeſſen waren die Punkte, wo man das übelriechendſte Waſſer antraf, nicht immer ſolche, wo wir viele tote Tiere am Ufer liegen ſahen. Wenn man in dieſem heißen Klima, wo man fortwährend vom Durſt geplagt iſt, Flußwaſſer mit einer Temperatur von 27 bis 28° trinken muß, ſo wünſcht man natürlich, daß ein ſo warmes, mit Sand verunreinigtes Waſſer wenigſtens geruchlos ſein möchte.

Am 8. April. Im Weiterfahren lagen gegen Oſt die Einmündungen des Suapure oder Sivapuri und des Caripo, gegen Weſt die des Sinaruco. Letzterer Fluß iſt nach dem Rio Arauca der bedeutendſte zwiſchen Apure und Meta. Der Suapure, der eine Menge kleiner Fälle bildet, iſt bei den Indianern wegen des vielen wilden Honigs berühmt, den die Waldungen liefern. Die Meliponen hängen dort ihre unge - heuren Stöcke an die Baumäſte. Pater Gili hat im Jahre 1766 den Suapure und den Turiva, der ſich in jenen er - gießt, befahren. Er fand dort Stämme der Nation der Areverier. Wir übernachteten ein wenig unterhalb der Inſel Macupina.

Am 9. April. Wir langten frühmorgens am Strande von Pararuma an und fanden daſelbſt ein Lager von In - dianern, ähnlich dem, das wir an der Boca de la Tortuga geſehen. Man war beiſammen, um den Sand aufzugraben, die Schildkröteneier zu ſammeln und das Oel zu gewinnen, aber man war leider ein paar Tage zu ſpät daran. Die jungen Schildkröten waren ausgekrochen, ehe die Indianer ihr Lager aufgeſchlagen hatten. Auch hatten ſich die Krokodile und die Garzes, eine große weiße Reiherart, das Säumnis zu nutze gemacht. Dieſe Tiere lieben das Fleiſch der jungen Schildkröten ſehr und verzehren unzählige. Sie gehen auf dieſen Fang bei Nacht aus, da die Tortuguillos erſt nach der Abenddämmerung aus dem Boden kriechen und dem nahen Fluſſe zulaufen. Die Zamurosgeier ſind zu träge, um nach Sonnenuntergang zu jagen. Bei Tage ſtreifen ſie an den Ufern umher und kommen mitten ins Lager der Indianer herein, um Eßwaren zu entwenden, und meiſt bleibt ihnen, um ihren Heißhunger zu ſtillen, nichts übrig, als auf dem65 Lande oder in ſeichtem Waſſer junge, 18 bis 21 cm lange Krokodile anzugreifen. Es iſt merkwürdig anzuſehen, wie ſchlau ſich die kleinen Tiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald ſie einen anſichtig werden, richten ſie ſich auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, ſtrecken den Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwäh - rend, wenn auch langſam, kehren ſie ſich dem Feinde zu und weiſen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeſchlüpften Tieren ſehr lang und ſpitz ſind. Oft, während ſo ein Zamuro ganz die Aufmerkſamkeit des jungen Krokodils in Anſpruch nimmt, benutzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff. Er ſtößt auf das Tier nieder, packt es am Halſe und ſteigt damit hoch in die Luft. Wir konnten dieſem Kampf - ſpiel halbe Vormittage lang zuſehen; in der Stadt Mompox am Magdalenenſtrom hatten wir mehr als 40 ſeit 14 Tagen bis 3 Wochen ausgeſchlüpfte Krokodile in einem großen, mit einer Mauer umgebenen Hofe beiſammen.

Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige Weiße, die von Angoſtura heraufgekommen waren, um manteca de tortuga zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen über die ſchlechte Ernte und den Schaden, den die Tiger während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich unter eine Ajupa mitten im Indianerlager. Hier ſaßen die Miſſionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten ſpielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit ihren weiten blauen Kutten, geſchorenen Köpfen und langen Bärten hätten wir ſie für Orientalen gehalten. Die armen Ordensleute nahmen uns ſehr freundlich auf und erteilten uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften. Sie litten ſeit mehreren Monaten am dreitägigen Wechſel - ſieber, und ihr blaſſes abgezehrtes Ausſehen überzeugte uns unſchwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Be - griff ſtanden, die Geſundheit des Reiſenden allerdings ge - fährdet ſei.

Dem indianiſchen Steuermann, der uns von San Fer - nando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht hatte, war die Fahrt durch die Stromſchnellen1Kleine Waſſerfälle, chorros, raudalitos. des Ori - noko neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten uns ſeinem Willen fügen. Glücklicherweiſe fand ſich der Miſſionär von Carichana willig, uns zu ſehr billigem PreiſeA. v. Humboldt, Reiſe. III. 566eine hübſche Piroge abzutreten; ja der Miſſionär von Atures und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot ſich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Braſilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen über die Raudales hinaufſchaffen helfen, ſind ſo wenige, daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr gelaufen wären, wochenlang an dieſem feuchten, ungeſunden Orte liegen bleiben zu müſſen. An den Ufern des Orinoko gelten die Wälder am Rio Negro für ein köſtliches Land. Wirklich iſt auch die Luft dort friſcher und geſünder, und es gibt im Fluſſe faſt keine Krokodile; man kann unbeſorgt baden und iſt bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom Inſektenſtich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Miſſionen am Rio Negro beſuchte, ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen. Er ſprach von der dortigen Gegend mit der Begeiſterung, mit der man in den Kolonieen auf dem Feſtlande alles anſieht, was in weiter Ferne liegt.

Die Verſammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauſpiel, wie es den Kulturmenſchen immer dazu anregt, den wilden Menſchen und die allmähliche Entwicke - lung unſerer Geiſteskräfte zu beobachten. Man ſträubt ſich gegen die Vorſtellung, daß wir in dieſem geſellſchaftlichen Kindheitszuſtande, in dieſem Haufen trübſeliger, ſchweigſamer, teilnahmloſer Indianer das urſprüngliche Weſen unſeres Ge - ſchlechtes vor uns haben ſollen. Die Menſchennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie ſie die Poeſie in allen Sprachen ſo hinreißend ſchildert. Der Wilde am Orinoko ſchien uns ſo widrig abſtoßend als der Wilde am Miſſiſſippi, wie ihn der reiſende Philoſoph,1Volney der größte Meiſter in der Schilderung des Menſchen in verſchie - denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man ſich ein, dieſe Eingeborenen, wie ſie da, den Leib mit Erde und Fett beſchmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild - krötenpanzern ſitzen und ſtundenlang mit dummen Geſichtern auf das Getränk glotzen, das ſie bereiten, ſeien keineswegs der urſprüngliche Typus unſerer Gattung, vielmehr ein ent - artetes Geſchlecht, die ſchwachen Ueberreſte von Völkern, die verſprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar - barei zurückgeſunken.

Die rote Bemalung iſt gleichſam die einzige Bekleidung67 der Indianer, und es laſſen ſich zwei Arten derſelben unter - ſcheiden, nach der größeren oder geringeren Wohlhabenheit der Individuen. Die gemeine Schminke der Kariben, Otomaken und Yaruros iſt der Onoto, von den Spaniern Achote, von den Koloniſten in Cayenne Rocou genannt. Es iſt der Farbſtoff, den man aus dem Fruchtfleiſch der Bixa orellana auszieht. Wenn ſie Onoto bereiten, werfen die indianiſchen Weiber die Samen der Pflanze in eine Kufe mit Waſſer, peitſchen das Waſſer eine Stunde lang und laſſen dann den Farbſtoff, der lebhaft ziegelrot iſt, ſich ruhig abſetzen. Das Waſſer wird abgegoſſen, der Bodenſatz herausgenommen, mit den Händen ausgedrückt, mit Schildkröteneieröl geknetet und runde 3 bis 4 Unzen ſchwere Kuchen daraus geformt. In Ermangelung von Schildkrötenöl vermengen einige Nationen den Onoto mit Krokodilfett. Ein anderer, weit koſtbarerer Farbſtoff wird aus einer Pflanze aus der Familie der Big - nonien gewonnen, die Bonpland unter dem Namen Big - nonia Chica bekannt gemacht hat. Die Tamanaken nennen dieſelbe Craviri, die Maypures Chirraviri. Sie[klettert] auf die höchſten Bäume und heftet ſich mit Ranken an. Die zweilippigen Blüten ſind 26 mm lang, ſchön violett, und ſtehen zu zweien oder dreien beiſammen. Die doppelt gefiederten Blätter vertrocknen leicht und werden rötlich. Die Frucht iſt eine 60 cm lange Schote mit geflügelten Samen. Dieſe Big - nonie wächſt bei Maypures in Menge wild, ebenſo noch weiter am Orinoko hinauf jenſeits des Einfluſſes des Guaviare, von Santa Barbara bis zum hohen Berge Duida, beſonders bei Esmeralda. Auch an den Ufern des Caſſiquiare haben wir ſie gefunden. Der rote Farbſtoff des Chica wird nicht, wie der Onoto, aus der Frucht gewonnen, ſondern aus den im Waſſer geweichten Blättern. Er ſondert ſich in Geſtalt eines ſehr leichten Pulvers ab. Man formt ihn, ohne ihn mit Schildkrötenöl zu vermiſchen, zu kleinen 21 bis 23 cm langen, 5 bis 8 cm hohen, an den Rändern abgerundeten Broten. Erwärmt verbreiten dieſe Brote einen angenehmen Geruch, wie Benzoe. Bei der Deſtillation zeigt der Chica keine merkbare Spur von Ammoniak; es iſt kein ſtickſtoffhaltiger Körper wie der Indigo. In Schwefel - und Salzſäure, ſelbſt in den Alkalien löſt er ſich etwas auf. Mit Oel abgerieben, gibt der Chica eine rote, dem Lack ähnliche Farbe. Tränkt man Wolle damit, ſo könnte man ſie mit Krapprot verwechſeln. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Chica, der vor68 unſerer Reiſe in Europa unbekannt war, ſich techniſch nützlich verwenden ließe. Am Orinoko wird dieſe Farbe am beſten von den Völkerſchaften der Salivas, Guipunaves, Caveres und Piraroas bereitet. Die meiſten Völker am Orinoko können mit dem Infundieren und Macerieren gut umgehen. So treiben die Maypures ihren Tauſchhandel mit kleinen Broten von Pucuma, einem Pflanzenmehl, das wie der Indigo getrocknet wird und eine ſehr dauerhafte gelbe Farbe liefert. Die Chemie des Wilden beſchränkt ſich auf die Be - reitung von Farbſtoffen und von Giften und auf das Aus - ſüßen der ſtärkemehlhaltigen Wurzeln der Arumarten und der Euphorbien.

Die meiſten Miſſionäre am oberen und unteren Orinoko geſtatten den Indianern in ihren Miſſionen, ſich die Haut zu bemalen. Leider gibt es manche, die auf die Nacktheit der Eingeborenen ſpekulieren. Da die Mönche nicht Leinwand und Kleider an ſie verkaufen können, ſo handeln ſie mit roter Farbe, die bei den Eingeborenen ſo ſehr geſucht iſt. Oft ſah ich in ihren Hütten, die vornehm Conventos heißen, Nieder - lagen von Chica. Der Kuchen, die Turtu, wird bis zu vier Franken verkauft. Um einen Begriff zu geben, welchen Luxus die nackten Indianer mit ihrem Putze treiben, bemerke ich hier, daß ein hochgewachſener Mann durch zweiwöchentliche Arbeit kaum genug verdient, um ſich durch Tauſch ſo viel Chica zu verſchaffen, daß er ſich rot bemalen kann. Wie man daher in gemäßigten Ländern von einem armen Menſchen ſagt, er habe nicht die Mittel, ſich zu kleiden, ſo hört man die In - dianer am Orinoko ſagen: Der Menſch iſt ſo elend, daß er ſich den Leib nicht einmal halb malen kann. Der kleine Handel mit Chica wird beſonders mit den Stämmen am unteren Orinoko getrieben, in deren Land die Pflanze, die den koſtbaren Stoff liefert, nicht wächſt. Die Kariben und Otomaken färben ſich bloß Geſicht und Haare mit Chica, aber den Salivas ſteht die Farbe in ſolcher Menge zu Gebote, daß ſie den ganzen Körper damit überziehen können. Wenn die Miſſionäre nach Angoſtura auf ihre Rechnung kleine Sen - dungen von Kakao, Tabak und Chiquichiqui1Stricke aus den Blattſtielen einer Palme mit gefiederten Blättern, von der unten die Rede ſein wird. vom Rio Negro machen, ſo packen ſie immer auch Chicakuchen, als einen ſehr geſuchten Artikel, bei. Manche Leute europäiſcher69 Abkunft brauchen den Farbſtoff, mit Waſſer angerührt, als ein vorzügliches harntreibendes Mittel.

Der Brauch, den Körper zu bemalen, iſt nicht bei allen Völkern am Orinoko gleich alt. Erſt ſeit den häufigen Ein - fällen der mächtigen Nation der Kariben in dieſe Länder iſt derſelbe allgemeiner geworden. Sieger und Beſiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu ſein, mußte man ſich bemalen wie er und ſeine Farbe tragen. Jetzt iſt es mit der Macht der Kariben vorbei, ſie ſind auf das Gebiet zwi - ſchen den Flüſſen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beſchränkt, aber die karibiſche Mode, den ganzen Körper zu färben, hat ſich erhalten; der Brauch iſt dauernder als die Eroberung.

Iſt nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Völkern ſo häufigen Gefallſucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gründet er ſich vielleicht auf die Beob - achtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligen Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskiten ſchützt? In den Miſſionen am Orinoko und überall, wo die Luft von giftigen Inſekten wimmelt, habe ich dieſe Frage ſehr oft erörtern hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Karibe und der Saliva, die rot bemalt ſind, von Moskiten und Zancudos ſo arg ge - plagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Inſektes keine Ge - ſchwulſt zur Folge; faſt nie bilden ſich die Blaſen oder kleinen Beulen, die friſch angekommenen Europäern ein ſo unerträg - liches Jucken verurſachen. Solange aber das Inſekt den Saugrüſſel nicht aus der Haut gezogen hat, ſchmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weißen gleich ſehr. Nach tauſend anderen nutzloſen Verſuchen haben Bonpland und ich uns ſelbſt Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröten - eieröl eingerieben und davon nie die geringſte Erleichterung geſpürt; wir wurden geſtochen nach wie vor. Ich weiß wohl, daß Oel und Fett von den Lappen als die wirkſamſten Schutz - mittel gerühmt werden, aber die ſkandinaviſchen Inſekten und die am Orinoko ſind nicht von derſelben Art. Der Tabaks - rauch verſcheucht unſere Schnaken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung von fetten und adſtringieren - den Stoffen1Das Fleiſch des Rocou und auch der Chica ſind adſtrin - gierend und leicht abführend. die unglücklichen Landeseinwohner vor der In - ſektenplage ſchützte, wie Pater Gumilla behauptet, warum70 wäre der Brauch, ſich zu bemalen, hierzulande nicht ganz allge - mein geworden? Wie könnten ſo viele nackte Völker, die ſich bloß das Geſicht bemalen, dicht neben ſolchen wohnen, die den ganzen Körper färben?

Es erſcheint auffallend, daß die Indianer am Orinoko, wie die Eingeborenen in Nordamerika, rote Farbſtoffe allen anderen vorziehen. Rührt dieſe Vorliebe davon her, daß der Wilde ſich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des Rocou und des Chica verſchafft? Das möchte ich ſehr be - zweifeln. In einem großen Teile des tropiſchen Amerikas wächſt der Indigo wild, und dieſe Pflanze, wie ſo viele andere Schotengewächſe, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten, ſich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch ſehen wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn die Amerikaner der roten Farbe den Vorzug geben, ſo beruht dies, wie ſchon oben bemerkt, wahrſcheinlich auf dem Triebe der Völker, alles, was ſie nationell auszeichnet, ſchön zu finden. Menſchen, deren Haut von Natur rotbraun iſt, lieben die rote Farbe. Kommen ſie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem Kopfe zur Welt, ſo ſuchen ſie bei ihren Kindern die Stirne niederzudrücken. Unterſcheiden ſie ſich von anderen Völkern durch ſehr dünnen Bart, ſo ſuchen ſie die wenigen Haare, welche die Natur ihnen wachſen laſſen, auszuraufen. Sie halten ſich für deſto ſchöner, je ſtärker ſie die charakteriſtiſchen Züge ihres Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten laſſen.

Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende Bemerkung, daß ſehr alte Weiber mit ihrem Putz ſich mehr zu ſchaffen machten als die jüngſten. Wir ſahen eine In - dianerin vom Stamme der Otomaken, die ſich die Haare mit Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und Caruto bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieſes Ge - ſchäft verrichten. Die Malerei beſtand in einer Art Gitter von ſchwarzen ſich kreuzenden Linien auf rotem Grunde; in jedes kleine Viereck wurde mitten ein ſchwarzer Punkt ge - macht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir hatten ſehr lange botaniſiert, und als wir zurückkamen, war die Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert ſich über einen ſo umſtändlichen Putz um ſo mehr, wenn man bedenkt, daß die Linien und Figuren nicht tättowiert werden, und daß das ſo mühſam Aufgemalte ſich verwiſcht,1Der ſchwarze, ätzende Farbſtoff des Caruto (Genipa wenn ſich der Indianer71 unvorſichtigerweiſe einem ſtarken Regen ausſetzt. Manche Na - tionen bemalen ſich nur, wenn ſie Feſte begehen, andere ſind das ganze Jahr mit Farbe angeſtrichen, und bei dieſen iſt der Gebrauch des Onoto ſo unumgänglich, daß Männer und Weiber ſich wohl weniger ſchämten, wenn ſie ſich ohne Guayuco, als wenn ſie ſich unbemalt blicken ließen. Die Guayucos beſtehen am Orinoko teils aus Baumrinde, teils aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen ſie breiter als die Weiber, die überhaupt (wie die Miſſionäre behaupten) weniger Schamgefühl haben. Schon Chriſtoph Kolumbus hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte dieſe Gleichgültigkeit der Weiber, dieſer ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren Sitten doch nicht ſehr verdorben ſind, nicht daher rühren, daß das andere Geſchlecht in Südamerika durch Mißbrauch der Gewalt von ſeiten der Männer ſo tief herabgewürdigt und zu Sklavendienſten verurteilt iſt?

Iſt in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, ſo ſtellt man ſich einen Menſchen vor, der an Kopf und Gürtel mit ſchönen Arras -, Tucan -, Tangara - und Kolibrifedern geſchmückt iſt. Von jeher gilt bei unſeren Malern und Bildhauern ſolcher Putz für das charakteriſtiſche Merkmal eines Amerikaners. Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir in den Miſſionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoko und Caſſiquiare nirgends jene ſchönen Federbüſche, jene Federſchürzen, wie ſie die Reiſenden ſo oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meiſten Völkerſchaften in Guyana, ſelbſt die, deren Geiſtes - kräfte ziemlich entwickelt ſind, die Ackerbau treiben und Baum - wollenzeug weben, ſind ſo nackt, ſo arm, ſo ſchmucklos wie die Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim ſtarken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei Nacht bedeckt, iſt jede Bekleidung unerträglich. Die Putzſachen, namentlich die Federbüſche werden nur bei Tanz und Feſtlich - keit gebraucht. Die Federbüſche der Guaypuñaves ſind wegen der Auswahl der ſchönen Manakin - und Papageienfedern die berühmteſten.

1americana) widerſteht dem Waſſer länger, wie wir zu unſerem großen Verdruß an uns ſelbſt erfuhren. Wir ſcherzten eines Tages mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche ins Geſicht, und man ſah dieſelben noch, als wir ſchon wieder in Angoſtura, im Schoße europäiſcher Kultur waren.

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Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenüberzug ſtehen; zuweilen ahmen ſie mit ihrer Haut - malerei in der wunderlichſten Weiſe den Schnitt europäiſcher Kleidungsſtücke nach. Wir ſahen in Pararuma welche, die ſich blaue Jacken mit ſchwarzen Knöpfen malen ließen. Die Miſſionäre erzählten uns ſogar, die Guaynaves am Rio Caura färben ſich mit Onoto und machen ſich dem Körper entlang breite Querſtreifen, auf die ſie ſilberfarbige Glimmerblättchen kleben. Von weitem ſieht es aus, als trügen die nackten Menſchen mit Treſſen beſetzte Kleider. Wären die bemalten Völker ſo ſcharf beobachtet worden wie die bekleideten, ſo wäre man zum Schluſſe gelangt, daß beim Bemalen ſo gut wie bei der Bekleidung, der Brauch von großer Fruchtbarkeit der Einbildungskraft und ſtarkem Wechſel der Laune er - zeugt wird.

Das Bemalen und Tättowieren iſt in beiden Welten weder auf einen Menſchenſtamm, noch auf einen Erdſtrich be - ſchränkt. Am häufigſten kommen dieſe Arten von Putz bei Völkern malaiiſcher und amerikaniſcher Raſſe vor; aber zur Zeit der Römer beſtand die Sitte auch bei der weißen Raſſe im Norden von Europa. Wenn Kleidung und Tracht im Griechiſchen Archipel und in Weſtaſien am maleriſchten ſind, ſo ſind Bemalung und Tättowierung bei den Inſulanern der Südſee am höchſten ausgebildet. Manche bekleideten Völker bemalen ſich dabei doch Hände, Nägel und Geſicht. Die Be - malung erſcheint hier auf die Körperteile beſchränkt, die allein bloß getragen werden, und während die Schminke, die an den wilden Zuſtand der Menſchheit erinnert, in Europa nach und nach verſchwindet, meinen die Damen in manchen Städten der Provinz Peru ihre doch ſo feine und ſehr weiße Haut durch Auftragen von vegetabiliſchen Farbſtoffen, von Stärke, Eiweiß und Mehl ſchöner zu machen. Wenn man lange unter Menſchen gelebt hat, die mit Onoto und Chica bemalt ſind, fallen einem dieſe Ueberreſte alter Barbarei inmitten aller Gebräuche der gebildeten Welt nicht wenig auf.

Im Lager von Pararuma hatten wir Gelegenheit, manche Tiere, die wir bis dahin nur von den europäiſchen Samm - lungen her kannten, zum erſtenmal lebend zu ſehen. Die Miſſionäre treiben mit dergleichen kleinen Tieren Handel. Gegen Tabak, Maniharz, Chicafarbe, Gallitos (Felshühner), Titi -, Kapuziner - und andere an den Küſten ſehr geſuchte Affen tauſchen ſie Zeuge, Nägel, Aexte, Angeln und Steck -73 nadeln ein. Die Produkte vom Orinoko werden den India - nern, die unter der Herrſchaft der Mönche leben, zu niedrigem Preiſe abgekauft, und dieſelben Indianer kaufen dann von den Mönchen, aber zu ſehr hohen Preiſen, mit dem Gelde, das ſie bei der Eierernte erlöſen, ihre Fiſchergeräte und ihre Acker - werkzeuge. Wir kauften mehrere Tiere, die uns auf der übrigen Stromfahrt begleiteten und deren Lebensweiſe wir ſomit beobachten konnten. Ich habe dieſe Beobachtungen in einem anderen Werke bekannt gemacht; da ich aber einmal von denſelben Gegenſtänden zweimal handeln muß, beſchränke ich mich hier auf ganz kurze Angaben und füge Notizen bei, wie ſie mir ſeitdem hie und da in meinen Reiſetagebüchern aufſtießen.

Die Gallitos oder Felshühner, die man in Pararuma in niedlichen kleinen Bauern aus Palmblattſtielen verkauft, ſind an den Ufern des Orinoko und im ganzen Norden und Weſten des tropiſchen Amerikas weit ſeltener als in franzöſiſch Guyana. Man fand ſie bisher nur bei der Miſſion Encara - mada und in den Raudales oder Fällen von Maypures. Ich ſage ausdrücklich in den Fällen; denn dieſe Vögel niſten gewöhnlich in den Höhlungen der kleinen Granitfelſen, die ſich durch den Orinoko ziehen und ſo zahlreiche Waſſerfälle bilden. Wir ſahen ſie manchmal mitten im Waſſerſchaum zum Vorſchein kommen, ihrer Henne rufen und miteinander kämpfen, wobei ſie wie unſere Hähne den doppelten beweg - lichen Kamm, der ihren Kopfſchmuck bildet, zuſammenfalten. Da die Indianer ſelten erwachſene Gallitos fangen und in Europa nur die Männchen geſchätzt ſind, die vom dritten Jahre an prächtig goldgelb werden, ſo muß der Käufer auf der Hut ſein, um nicht ſtatt jungen Hahnen junge Hennen zu bekommen. Beide ſind olivenbraun; aber der Pollo oder junge Hahn zeichnet ſich ſchon ganz jung durch ſeine Größe und ſeine gelben Füße aus. Die Henne bleibt ihr Leben lang dunkelfarbig, braun, und nur die Spitzen und der Unterteil der Flügel ſind bei ihr gelb. Soll der er - wachſene Felshahn in unſeren Sammlungen die ſchöne Farbe ſeines Gefieders erhalten, ſo darf man dasſelbe nicht dem. Lichte ausſetzen. Die Farbe bleicht weit ſchneller als bei an - deren Gattungen ſperlingsartiger Vögel. Die jungen Hahnen haben, wie die meiſten Tiere, das Gefieder der Mutter. Es wundert mich, wie ein ſo ausgezeichneter Beobachter wie Le Vaillant in Zweifel ziehen kann, ob die Henne wirklich immer74 dunkelfarbig, olivenbraun bleibt. Die Indianer bei den Rau - dales verſicherten mich alle, niemals ein goldfarbiges Weibchen geſehen zu haben.

Unter den Affen, welche die Indianer in Paramara zu Markte gebracht, ſahen wir mehrere Spielarten des Saï,1Simia capucina. der der kleinen Gruppe der Winſelaffen angehört, die in den ſpaniſchen Kolonieen Matchi heißen, ferner Marimondas2Simia Belzebuth. oder Atelen mit rotem Bauche, Titi und Viuditas. Die beiden letzteren Arten intereſſierten uns beſonders, und wir kauften ſie, um ſie nach Europa zu ſchicken. 3Einen ſchönen Saïmiri oder Titi vom Orinoko kauft man in Paramara für 8 bis 9 Piaſter; der Miſſionär bezahlt dem In - dianer, der den Affen gefangen und gezähmt, Piaſter.Buffons Uiſtiti4Simia Jacobus. iſt Azzaras Titi, der Titi5Simia Oedipus. von Cartagena und Darien iſt Büffons Pinche, und der Titi6Simia sciurea. vom Orinoko iſt der Saïmiri der franzöſiſchen Zoologen, und dieſe Tiere dürfen nicht verwechſelt werden. In den verſchiedenen ſpaniſchen Kolonieen heißen Titi Affen, die drei verſchiedenen Unter - gattungen angehören und in der Zahl der Backenzähne von - einander abweichen. Nach dem eben Angeführten iſt die Be - merkung faſt überflüſſig, wie wünſchenswert es wäre, daß man in wiſſenſchaftlichen Werken ſich der landesüblichen Namen enthielte, die durch unſere Orthographie entſtellt werden, die in jeder Provinz wieder anders lauten, und ſo die klägliche Verwirrung in der zoologiſchen Nomenklatur vermehren.

Der Titi vom Orinoko (Simia sciurea), bis jetzt ſchlecht abgebildet, indeſſen in unſeren Sammlungen ſehr be - kannt, heißt bei den Maypuresindianern Bititeni. Er kommt ſüdlich von den Katarakten ſehr häufig vor. Er hat ein weißes Geſicht und über Mund und Naſenſpitze weg einen kleinen blauſchwarzen Fleck. Die am zierlichſten gebauten und am ſchönſten gefärbten (der Pelz iſt goldgelb) kommen von den Ufern des Caſſiquiare. Die man am Guaviare fängt, ſind groß und ſchwer zu zähmen. Kein anderer Affe ſieht im Geſichte einem Kinde ſo ähnlich wie der Titi; es iſt derſelbe Ausdruck von Unſchuld, dasſelbe ſchalkhafte Lächeln, derſelbe75 raſche Uebergang von Freude zu Trauer. Seine großen Augen füllen ſich mit Thränen, ſobald er über etwas ängſtlich wird. Er iſt ſehr lüſtern nach Inſekten, beſonders nach Spinnen. Das kleine Tier iſt ſo klug, daß ein Titi, den wir auf un - ſerem Kanoe nach Angoſtura brachten, die Tafeln zu Cuviers Tableau élémentaire d’histoire naturelle ganz gut unter - ſchied. Dieſe Kupfer ſind nicht koloriert, und doch ſtreckte der Titi raſch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heu - ſchrecke oder eine Weſpe zu erhaſchen, ſo oft wir ihm die 11. Tafel vorhielten, auf der dieſe Inſekten abgebildet ſind. Zeigte man ihm Skelette oder Köpfe von Säugetieren, blieb er völlig gleichgültig. 1Ich führe bei dieſer Gelegenheit an, daß ich niemals bemerkt habe, daß ein Gemälde, auf dem Haſen und Rehe in natürlicher Größe und vortrefflich abgebildet waren, auf Jagdhunde, bei denen doch der Verſtand ſehr entwickelt ſchien, den mindeſten Eindruck gemacht hätte. Gibt es einen beglaubigten Fall, wo ein Hund das Porträt ſeines Herrn in ganzer Figur erkannt hätte? In allen dieſen Fällen wird das Geſicht nicht vom Geruch unterſtützt.Setzt man mehrere dieſer kleinen Affen, die im ſelben Käfig beiſammen ſind, dem Regen aus, und fällt die gewöhnliche Lufttemperatur raſch um 2 bis , ſo ſchlingen ſie ſich den Schwanz, der übrigens kein Wickelſchwanz iſt, um den Hals und verſchränken Arme und Beine, um ſich gegenſeitig zu erwärmen. Die indianiſchen Jäger erzählten uns, man finde in den Wäldern häufig Haufen von 10, 12 ſolcher Affen, die erbärmlich ſchreien, weil die auswärts Stehen - den in den Knäuel hinein möchten, um Wärme und Schutz zu finden. Schießt man mit Pfeilen, die in Curare des - templado (in verdünntes Gift) getaucht ſind, auf einen ſolchen Knäuel, ſo fängt man viele junge Affen auf einmal lebendig. Der junge Titi bleibt im Fallen an ſeiner Mutter hängen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, ſo weicht er nicht von Schulter und Hals des toten Tieres. Die meiſten, die man in den Hütten der Indianer lebend antrifft, ſind auf dieſe Weiſe von den Leichen ihrer Mütter geriſſen worden. Erwachſene Tiere, wenn ſie auch von leichten Wunden geneſen ſind, gehen meiſt zu Grunde, ehe ſie ſich an den Zuſtand der Gefangenſchaft gewöhnt haben. Die Titi ſind meiſt zarte, furchtſame kleine Tiere. Sie ſind aus den Miſſionen am Orinoko ſchwer an die Küſten von Cumana und Caracas zu bringen. Sobald man die Waldregion hinter ſich hat und76 die Llanos betritt, werden ſie traurig und niedergeſchlagen. Der unbedeutenden Zunahme der Temperatur kann man dieſe Veränderung nicht zuſchreiben, ſie ſcheint vielmehr vom ſtär - keren Licht, von der gringeren Feuchtigkeit und von irgend welcher chemiſchen Beſchaffenheit der Luft an der Küſte her - zurühren.

Den Saïmiri oder Titi vom Orinoko, den Atelen, Saju und anderen ſchon lange in Europa bekannten Vier - händern ſteht in ſcharfem Abſtich, nach Habitus und Lebens - weiſe, der Macavahu1Simia lugens. gegenüber, den die Miſſionäre Viudita oder Witwe in Trauer nennen. Das kleine Tier hat feines, glänzendes, ſchön ſchwarzes Haar. Das Geſicht hat eine weiß - liche, ins Blaue ſpielende Larve, in der Augen, Naſe und Mund ſtehen. Die Ohren haben einen umgebogenen Rand, ſind klein, wohlgebildet und faſt ganz nackt. Vorn am Halſe hat die Witwe einen weißen, zollbreiten Strich, der ein halbes Halsband bildet. Die Hinterfüße oder vielmehr Hände ſind ſchwarz wie der übrige Körper, aber die Vorderhände ſind außen weiß und innen glänzend ſchwarz. Dieſe weißen Abzeichen deuten nun die Miſſionäre als Schleier, Halstuch und Handſchuhe einer Witwe in Trauer. Die Gemütsart dieſes kleinen Affen, der ſich nur beim Freſſen auf den Hinter - beinen aufrichtet, verrät ſich durch ſeine Haltung nur ſchwer. Er ſieht ſanft und ſchüchtern aus; häufig berührt er das Freſſen nicht, das man ihm bietet, ſelbſt wenn er ſtarken Hunger hat. Er iſt nicht gern in Geſellſchaft anderer Affen; wenn er den kleinſten Saïmiri anſichtig wird, läuft er davon. Sein Auge verrät große Lebhaftigkeit. Wir ſahen ihn ſtunden - lang regungslos daſitzen, ohne daß er ſchlief, und auf alles, was um ihn vorging, achten. Aber dieſe Schüchternheit und Sanftmut ſind nur ſcheinbar. Iſt die Viudita allein, ſich ſelbſt überlaſſen, ſo wird ſie wütend, ſobald ſie einen Vogel ſieht. Sie klettert und läuft dann mit erſtaunlicher Behendig - keit; ſie macht einen Satz auf ihre Beute, wie die Katze, und erwürgt, was ſie erhaſchen kann. Dieſer ſehr ſeltene und ſehr zärtliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoko in den Granitgebirgen hinter der Miſſion Santa Barbara, ferner am Guaviare bei San Fernando de Atabapo. Die Viudita hat die ganze Reiſe auf dem Caſſiquiare und Rio Negro mitgemacht und iſt zweimal mit uns über die Katarakte77 gegangen. Will man die Sitten der Tiere genau beobachten, ſo iſt es nach meiner Meinung ſehr vorteilhaft, wenn man ſie monatelang in freier Luft, nicht in Häuſern, wo ſie ihre natürliche Lebhaftigkeit ganz verlieren, unter den Augen hat.

Die neue für uns beſtimmte Piroge wurde noch am Abend geladen. Es war, wie alle indianiſchen Kanoen, ein mit Axt und Feuer ausgehöhlter Baumſtamm, 13 m lang und 1 m breit. Drei Perſonen konnten nicht nebeneinander darin ſitzen. Dieſe Pirogen ſind ſo beweglich, ſie erfordern, weil ſie ſo wenig Widerſtand leiſten, eine ſo gleichmäßige Ver - teilung der Laſt, daß man, wenn man einen Augenblick auf - ſtehen will, den Ruderern (bogas) zurufen muß, ſich auf die entgegengeſetzte Seite zu lehnen; ohne dieſe Vorſicht liefe das Waſſer notwendig über den geneigten Bord. Man macht ſich nur ſchwer einen Begriff davon, wie übel man auf einem ſolchen elenden Fahrzeuge daran iſt.

Der Miſſionär aus den Raudales betrieb die Zu - rüſtungen zur Weiterfahrt eifriger, als uns lieb war. Man beſorgte, nicht genug Macos - und Guahibos-Indianer zur Hand zu haben, die mit dem Labyrinth von kleinen Kanälen und Waſſerfällen, welche die Raudales oder Katarakte bilden, bekannt wären; man legte daher die Nacht über zwei In - dianer in den Cepo, das heißt, man legte ſie auf den Boden und ſteckte ihnen die Beine durch zwei Holzſtücke mit Aus - ſchnitten, um die man eine Kette mit Vorlegſchloß legte. Am frühen Morgen weckte uns das Geſchrei eines jungen Mannes, den man mit einem Seekuhriemen unbarmherzig peitſchte. Es war Zerepe, ein ſehr verſtändiger Indianer, der uns in der Folge die beſten Dienſte leiſtete, jetzt aber nicht mit uns gehen wollte. Er war aus der Miſſion Atures gebürtig, ſein Vater war ein Maco, ſeine Mutter vom Stamme der May - pures; er war in die Wälder (al monte) entlaufen und hatte ein paar Jahre unter nicht unterworfenen Indianern gelebt. Dadurch hatte er ſich mehrere Sprachen zu eigen ge - macht, und der Miſſionär brauchte ihn als Dolmetſcher. Nur mit Mühe brachten wir es dahin, daß der junge Mann be - gnadigt wurde. Ohne ſolche Strenge, hieß es, würde es euch an allem fehlen. Die Indianer aus den Raudales und vom oberen Orinoko ſind ein ſtärkerer und arbeitſamerer Men - ſchenſchlag als die am unteren Orinoko. Sie wiſſen wohl, daß ſie in Angoſtura ſehr geſucht ſind. Ließe man ſie machen, ſo gingen ſie alle den Fluß hinunter, um ihre Produkte zu78 verkaufen und in voller Freiheit unter den Weißen zu leben, und die Miſſionen ſtünden leer.

Dieſe Gründe mögen ſcheinbar etwas für ſich haben, richtig ſind ſie nicht. Will der Menſch der Vorteile des ge - ſelligen Lebens genießen, ſo muß er allerdings ſeine natür - lichen Rechte, ſeine frühere Unabhängigkeit zum Teil zum Opfer bringen. Wird aber das Opfer, das man ihm auf - erlegt, nicht durch die Vorteile der Civiliſation aufgewogen, ſo nährt der Wilde fort und fort den Wunſch, in die Wälder zurückzukehren, in denen er geboren worden. Weil der In - dianer aus den Wäldern in den meiſten Miſſionen als ein Leibeigener behandelt wird, weil er der Früchte ſeiner Arbeit nicht froh wird, deshalb veröden die chriſtlichen Niederlaſſungen am Orinoko. Ein Regiment, das ſich auf die Vernichtung der Freiheit der Eingeborenen gründet, tötet die Geiſteskräfte oder hemmt doch ihre Entwickelung.

Wenn man ſagt, der Wilde müſſe wie das Kind unter ſtrenger Zucht gehalten werden, ſo iſt dies ein unrichtiger Vergleich. Die Indianer am Orinoko haben in den Aeuße - rungen ihrer Freude, im raſchen Wechſel ihrer Gemütsbewe - gungen etwas Kindliches; ſie ſind aber keineswegs große Kinder, ſo wenig als die armen Bauern im öſtlichen Europa, die in der Barbarei des Feudalſyſtemes ſich der tiefſten Verkommen - heit nicht entringen können. Zwang, als hauptſächlichſtes und einziges Mittel zur Sittigung des Wilden, erſcheint zu - dem als ein Grundſatz, der bei der Erziehung der Völker und bei der Erziehung der Jugend gleich falſch iſt. Wie ſchwach und wie tief geſunken auch der Menſch ſein mag, keine Fähig - keit iſt ganz erſtorben. Die menſchliche Geiſteskraft iſt nur dem Grade und der Entwickelung nach verſchieden. Der Wilde, wie das Kind, vergleicht den gegenwärtigen Zuſtand mit dem vergangenen; er beſtimmt ſeine Handlungen nicht nach blindem Inſtinkt, ſondern nach Rückſichten der Nützlichkeit. Unter allen Umſtänden kann Vernunft durch Vernunft aufgeklärt werden; die Entwickelung derſelben wird aber deſto mehr niedergehalten, je weiter diejenigen, die ſich zur Erziehung der Jugend oder zur Regierung der Völker berufen glauben, im hochmütigen Gefühl ihrer Ueberlegenheit auf die ihnen Unter - gebenen herabblicken und Zwang oder Gewalt brauchen ſtatt der ſittlichen Mittel, die allein keimende Fähigkeiten entwickeln, die aufgeregten Leidenſchaften ſänftigen und die geſellſchaft - liche Ordnung befeſtigen können.

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Am 10. April. Wir konnten erſt um 10 Uhr morgens unter Segel gehen. Nur ſchwer gewöhnten wir uns an die neue Piroge, die uns eben ein neues Gefängnis war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hinterteile des Fahrzeuges aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das auf beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war das Blätterdach (el toldo) darüber ſo niedrig, daß man ge - bückt ſitzen oder ausgeſtreckt liegen mußte, wo man dann nichts ſah. Da man die Pirogen durch die Stromſchnellen, ja von einem Fluſſe zum anderen ſchleppen muß, und weil man dem Winde zu viel Fläche böte, wenn man den Toldo höher machte, ſo kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinaufgehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Perſonen beſtimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leibe durchnäßt. Dabei liegt man auf Ochſenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vorder - teil des Fahrzeuges nahmen die indianiſchen Ruderer ein, die 1 m lange, löffelförmige Pagaien führen. Sie ſind ganz nackt, ſitzen paarweiſe und rudern im Takt, den ſie merk - würdig genau einhalten. Ihr Geſang iſt trübſelig, eintönig. Die kleinen Käfige mit unſeren Vögeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren teils am Toldo, teils am Vorderteil aufgehängt. Es war unſere Reiſe - menagerie. Obgleich viele der kleinen Tiere durch Zufall, meiſt aber am Sonnenſtich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rückkehr vom Caſſiquiare noch vierzehn. Natura - lienſammler, die lebende Tiere nach Europa bringen wollen, könnten ſich in Angoſtura und Gran-Para, den beiden Haupt - ſtädten am Orinoko und Amazonenſtrom, eigens für ihren Zweck Pirogen bauen laſſen, wo im erſten Dritteil zwei Reihen gegen die Sonnenglut geſchützter Käfige angebracht wären. Wenn wir unſer Nachtlager aufſchlugen, befanden ſich die Menagerie und die Inſtrumente immer in der Mitte; rings - um kamen fofort unſere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerſt die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar fernzuhalten. Um Sonnenaufgang ſtimmten unſere Affen in das Geſchrei der Affen im Walde ein. Dieſer Verkehr zwiſchen Tieren derſelben Art, die einander zugethan ſind, ohne ſich zu ſehen, von denen die einen der Freiheit80 genießen, nach der die anderen ſich ſehnen, hat etwas Weh - mütiges, Rührendes.

Auf der überfüllten, keinen Meter breiten Piroge blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inklinationskompaß und die meteorologiſchen Inſtrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den größten Teil des Tages ausgeſtreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Inſtrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und ausſteigen. Zu dieſen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskiten, die unter einem ſo niedrigen Dache in Scharen hauſen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausſtrahlen, deren obere Fläche beſtändig der Sonnenglut ausgeſetzt iſt. Jeden Augenblick ſuchten wir uns unſere Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine ſich unter ein Tuch ſteckte, um ſich vor den Inſekten zu ſchützen, verlangte der andere, man ſolle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erſtickenden Hitze war das eine Mittel ſo wenig an - wendbar als das andere. Aber mit einem munteren Geiſte, bei gegenſeitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieſer weiten Stromthäler fällt es den Reiſenden nicht ſchwer, Beſchwerden zu ertragen, die zur Ge - wohnheit werden. Wenn ich mich hier auf dieſe Kleinigkeiten eingelaſſen habe, geſchah es nur, um die Schiffahrt auf dem Orinoko zu ſchildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland und ich auf dieſem Stück unſerer Reiſe beim beſten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wiſſenſchaftlicher Ausbeute ſo reiche Naturum - gebung aufforderte.

Unſere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die ums Jahr 1733 von den Jeſuiten gegründete Miſſion Pararuma geſtanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivasindianern große Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Miſſion einging. Die wenigen Ein - wohner, welche die ſchreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald beſuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Romans Aus - ſage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem ſtarken Gewitter Hagel fiel. Dies iſt ſo ziemlich der einzige Fall, der meines Wiſſens in einer faſt im Niveau des Meeres81 liegenden Niederung vorgekommen; denn im allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 580 m Meereshöhe. Bildet ſich der Hagel in derſelben Höhe über Niederungen und Hochebenen, ſo muß man annehmen, er ſchmelze bei ſeinem Durchgang durch die unterſten Luftſchichten (zwiſchen 0 und 580 m), deren mittlere Temperatur 27,5° und 24° beträgt. Ich geſtehe indeſſen, daß es beim jetzigen Stande der Meteo - rologie ſehr ſchwer zu erklären iſt, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heißeſten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der Nähe des Aequators die Erſcheinung nicht vorkommt. In den Vereingten Staaten und im ſüdlichen Europa (unter dem 40. bis 43. Grad der Breite) iſt die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefähr ebenſo hoch als unter den Tropen. Auch die Wärmeabnahme iſt nach meinen Unter - ſuchungen nur wenig verſchieden. Rührt nun der Umſtand, daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die Hagelkörner beim Durchgang durch die unteren Luftſchichten ſchmelzen, ſo muß man annehmen, daß die Körner im Mo - ment der Bildung in der gemäßigten Zone größer ſind als in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in unſerem Klima das Waſſer in einer Gewitterwolke friert, noch ſo wenig, daß wir nicht zu beurteilen vermögen, ob unter dem Aequator über den Niederungen dieſelben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, daß ſich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null iſt, und die bei uns im Sommer 2920 bis 3120 m hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor ſie fallen, an - einander ſchlagen hört, und die wagerecht ziehen, kamen mir immer lange nicht ſo hoch vor, und es erſcheint begreiflich, daß in ſolch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der auf - ſteigenden Luft, welche an Wärmekapazität zunimmt, durch Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, beſonders aber (nach Gay-Luſſac) durch die Strahlung der oberen Fläche der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf dieſen Punkt zurückzu - kommen, wenn von den verſchiedenen Formen die Rede iſt, unter denen auf den Anden in 3900 bis 5070 m Meeres - höhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen, als eine horizontale Fortſetzung der Wolkenſchicht betrachtenA. v. Humboldt, Reiſe. III. 682kann, die wir in den Niederungen gerade über uns ſich bilden ſehen.

Im Orinoko ſind ſehr viele Inſeln und der Strom fängt jetzt an, ſich in mehrere Arme zu teilen, deren weſtlichſter in den Monaten Januar und Februar trocken liegt. Der ganze Strom iſt 3,9 bis 5,8 km breit. Der Inſel Javanavo gegen - über ſahen wir gegen Oſt die Mündung des Caño Au - jacoa. Zwiſchen dieſem Caño und dem Rio Paruaſi oder Paruati wird das Land immer ſtärker bewaldet. Aus einem Palmenwalde nicht weit vom Orinoko ſteigt, ungemein maleriſch, ein einzelner Fels empor, ein Granitpfeiler, ein Prisma, deſſen kahle, ſchroffe Wände gegen 65 m hoch ſind. Den Gipfel, der über die höchſten Waldbäume emporragt, krönt eine ebene, wagerechte Felsplatte. Auf dieſem Gipfel, den die Miſſionäre Pik oder Mogote de Cocuyza nennen, ſtehen wieder Bäume. Dieſes großartig einfache Naturdenkmal erinnert an die cyklo - piſchen Bauwerke. Sein ſcharf gezeichneter Umriß und oben darauf die Bäume und das Buſchwerk heben ſich vom blauen Himmel ab, ein Wald über einem Walde.

Weiterhin beim Einfluß des Paruaſi wird der Orinoko wieder ſchmäler. Gegen Oſten ſahen wir einen Berg mit plattem Gipfel, der wie ein Vorgebirge herantritt. Er iſt gegen 100 m hoch und diente den Jeſuiten als feſter Platz. Sie hatten ein kleines Fort darauf angelegt, das drei Batterien enthielt, und in dem beſtändig ein Militärpoſten lag. In Carichana und Atures ſahen wir die Kanonen ohne Lafetten, halb im Sande begraben. Die Jeſuitenſchanze (oder Fortaleza de San Francisco Xavier) wurde nach der Aufhebung der Geſellſchaft Jeſu zerſtört, aber der Ort heißt noch el Castillo. Auf einer in neueſter Zeit in Caracas von einem Weltgeiſt - lichen entworfenen, nicht geſtochenen Karte führt derſelbe den Namen Trinchera del despotismo monacal (Schanze des Mönchsdeſpotismus). In allen politiſchen Umwälzungen ſpricht ſich der Geiſt der Neuerung, der über die Menge kommt, auch in der geographiſchen Nomenklatur aus.

Die Beſatzung, welche die Jeſuiten auf dieſem Felſen hatten, ſollte nicht allein die Miſſionen gegen die Einfälle der Kariben ſchützen, ſie diente auch zum Angriffskriege, oder, wie man hier ſagt, zur Eroberung von Seelen (conquista de almas). Die Soldaten, durch die ausgeſetzten Geldbe - lohnungen angefeuert, machten mit bewaffneter Hand Einfälle oder Entradas auf das Gebiet unabhängiger Indianer. Man83 brachte um, was Widerſtand zu leiſten wagte, man brannte die Hütten nieder, zerſtörte die Pflanzungen und ſchleppte Greiſe, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Ge - fangenen wurden ſofort in die Miſſionen am Meta, Rio Negro und oberen Orinoko verteilt. Man wählte die ent - legenſten Orte, damit ſie nicht in Verſuchung kämen, wieder in ihr Heimatland zu entlaufen. Dieſes gewaltſame Mittel, Seelen zu erobern, war zwar nach ſpaniſchem Geſetz verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet und von den Oberen der Geſellſchaft, als der Religion und dem Aufkommen der Miſſionen förderlich, höchlich ge - prieſen. Die Stimme des Evangeliums, ſagt ein Jeſuit vom Orinoko in den erbaulichen Briefen‘1Cartas edificantes de la Compañia de Jesus 1757. äußerſt naiv, wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hören (el eco de la polvora). Sanftmut iſt ein gar lang - ſames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man ſich die Be - kehrung der Eingeborenen. Dergleichen die Menſchheit ſchän - dende Grundſätze wurden ſicher nicht von allen Gliedern einer Geſellſchaft geteilt, die in der Neuen Welt und überall, wo die Erziehung ausſchließlich in den Händen von Mönchen geblieben iſt, der Wiſſenſchaft und der Kultur Dienſte geleiſtet hat. Aber die Entradas, die geiſtlichen Eroberungen mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf raſche Ausbreitung der Miſſionen ankam, unzertrennlicher Greuel. Es thut dem Gemüte wohl, daß die Franziskaner, Dominikaner und Auguſtiner, welche gegenwärtig einen großen Teil von Südamerika regieren und, je nachdem ſie von milder oder roher Sinnesart ſind, auf das Geſchick von vielen Tauſenden von Eingeborenen den mächtigſten Ein - fluß üben, nicht nach jenem Syſtem verfahren. Die Einfälle mit bewaffneter Hand ſind faſt ganz abgeſtellt, und wo ſie noch vorkommen, werden ſie von den Ordensoberen mißbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob dieſe Wendung des Mönchregimentes zum Beſſeren daher rührt, daß die frühere Thätigkeit erſchlafft iſt und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man ſo gern thäte, einen Beweis ſehen ſoll, daß die Aufklärung zunimmt und eine höhere, dem wahren Geiſte des Chriſtentums entſprechen - dere Geſinnung Platz greift.

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Vom Einfluß des Rio Paruaſi an wird der Orinoko wieder ſchmäler. Er iſt voll Inſeln und Granitklippen, und ſo entſtehen hier die Stromſchnellen oder kleinen Fälle (los remolinos), die beim erſten Anblick wegen der vielen Wirbel dem Reiſenden bange machen können, aber in keiner Jahreszeit den Schiffen gefährlich ſind. Man muß wenig zu Schiffe geweſen ſein, wenn man wie Pater Gili, der ſonſt ſo genau und verſtändig iſt, ſagen kann: è terrible pe molti scogli il tratto del fiume tral Castello e Caricciana. Eine Reihe von Klippen, die faſt über den ganzen Fluß läuft, heißt Raudal de Marimara. Wir legten ſie ohne Schwierig - keit zurück, und zwar in einem ſchmalen Kanal, in dem das Waſſer ungeſtüm, wie ſiedend, unter der Piedra de Mari - mara heraufſchießt, einer kompakten Granitmaſſe, 26 m hoch und 100 m im Umfang, ohne Spalten und ohne Spur von Schichtung. Der Fluß tritt weit ins Land hinein und bildet in den Felſen weite Buchten. Eine dieſer Buchten zwiſchen zwei kahlen Vorgebirgen heißt der Hafen von Carichana. Der Ort hat ein wildes Ausſehen; das Felſenufer wirft ſeine mächtigen Schatten über den Waſſerſpiegel und das Waſſer erſcheint ſchwarz, wenn ſich dieſe Granitmaſſen darin ſpiegeln, die, wie ſchon bemerkt, wegen der eigenen Färbung ihrer Oberfläche, bald wie Steinkohlen, bald wie Bleierz ausſehen. Wir übernachteten im kleinen Dorfe Carichana, wo wir auf die Empfehlung des guten Miſſionärs Fray Joſe Antonio de Torre im Pfarrhauſe oder Convento Aufnahme fanden. Wir hatten ſeit faſt 14 Tagen unter keinem Dache geſchlafen.

Am 11. April. Um die für die Geſundheit oft ſo nach - teiligen Folgen der Ueberſchwemmungen zu vermeiden, wurde die Miſſion Carichana 3,3 km vom Fluſſe angelegt. Die Indianer ſind vom Stamme der Salivas. Die urſprüng - lichen Wohnſitze desſelben ſcheinen auf dem weſtlichen Ufer des Orinoko zwiſchen dem Rio Vichada und dem Guaviare, ſowie zwiſchen dem Meta und dem Rio Paute geweſen zu ſein. Gegenwärtig findet man Salivas nicht nur in Carichana, ſondern auch in den Miſſionen der Provinz Caſanare, in Cabapuna, Guanapalo, Cabiuna und Macuco. Letzteres im Jahre 1730 vom Jeſuiten Fray Manuel Roman gegründete Dorf hat 1300 Einwohner. Die Salivas ſind ein geſelliges, ſanftes, faſt ſchüchternes Volk, und leichter, ich ſage nicht zu civiliſieren, aber in der Zucht zu halten als andere am Ori - noko. Um ſich der Herrſchaft der Kariben zu entziehen, ließen85 die Salivas ſich leicht herbei, ſich den erſten Jeſuitenmiſſionen anzuſchließen. Die Patres rühmen aber auch in ihren Schriften durchgängig ihren Verſtand und ihre Gelehrigkeit. Die Sa - livas haben großen Hang zur Muſik; ſeit den älteſten Zeiten blaſen ſie Trompeten aus gebrannter Erde, die 1,3 bis 1,6 m lang ſind und mehrere kugelförmige Erweiterungen haben, die durch enge Röhren zuſammenhängen. Dieſe Trompeten geben ſehr klägliche Töne. Die Jeſuiten haben die natürliche Neigung der Salivas zur Inſtrumentalmuſik mit Glück ausgebildet, und auch nach der Aufhebung der Geſellſchaft Jeſu haben die Miſſionäre am Rio Meta in San Miguel de Macuco die ſchöne Kirchenmuſik und den muſikaliſchen Unterricht der Jugend fort gepflegt. Erſt kürzlich ſah ein Reiſender zu ſeiner Ver - wunderung die Eingeborenen Violine, Violoncell, Triangel, Guitarre und Flöte ſpielen.

In den vereinzelten Miſſionen am Orinoko wirkt die Verwaltung nicht ſo günſtig auf die Entwickelung der Kultur der Salivas und die Zunahme der Bevölkerung, als das Syſtem, das die Auguſtiner auf den Ebenen am Caſanare und Meta befolgen. In Macuco haben die Eingeborenen durch den Verkehr mit den Weißen im Dorfe, die faſt lauter Flücht - linge von Socorro 1Die Stadt Socorro, ſüdlich vom Rio Sogamoza und nord - nordöſtlich von Santa Fé de Bogota, war der Hauptherd des Auf - ruhrs, der im Jahre 1781 im Königreich Neugranada unter dem Erzbiſchof Vizekönig Gongora wegen der Plackereien ausbrach, denen das Volk infolge der Einführung der Tabakspacht ausgeſetzt ge - weſen. Viele fleißige Einwohner von Socorro wanderten damals in die Llanos am Meta aus, um ſich den Verfolgungen zu ent - ziehen, welche der vom Madrider Hof erteilten allgemeinen Amneſtie folgten. Dieſe Ausgewanderten heißen in den Miſſionen Socor - reños refugiados. ſind, ſehr gewonnen. Zur Jeſuitenzeit wurden die drei Dörfer am Orinoko, Pararuma, Caſtillo oder Marumarutu und Carichana in eines, Carichana, verſchmolzen, das damit eine ſehr anſehnliche Miſſion wurde. Im Jahre 1759, als die Fortaleza de San Francisco Xavier und ihre drei Batterien noch ſtanden, zählte Pater Caulin in der Miſ - ſion Carichana 400 Salivas; im Jahre 1800 fand ich ihrer kaum 150. Vom Dorfe iſt nichts übrig als einige Lehm - hütten, die ſymmetriſch um ein ungeheuer hohes Kreuz her - liegen.

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Wir trafen unter dieſen Indianern eine Frau von weißer Abkunft, die Schweſter eines Jeſuiten aus Neugranada. Un - beſchreiblich iſt die Freude, wenn man mitten unter Völkern, deren Sprache man nicht verſteht, einem Weſen begegnet, mit dem man ſich ohne Dolmetſcher unterhalten kann. Jede Miſſion hat zum wenigſten zwei ſolche Dolmetſcher, lenguarazes. Es ſind Indianer, etwas weniger beſchränkt als die anderen, mittels deren die Miſſionäre am Orinoko, die ſich gegenwärtig nur ſelten die Mühe nehmen, die Landesſprachen kennen zu lernen, mit den Neugetauften verkehren. Dieſe Dolmetſcher begleiteten uns beim Botaniſieren. Sie verſtehen wohl ſpaniſch, aber ſie können es nicht recht ſprechen. In ihrer faulen Gleich - gültigkeit geben ſie, man mag fragen, was man will, wie aufs Geratewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Ant - wort: Ja, Pater; nein, Pater. Man begreift leicht, daß einem die Geduld ausgeht, wenn man monatelang ſolche Ge - ſpräche zu führen hat, ſtatt über Gegenſtände Auskunft zu erhalten, für die man ſich lebhaft intereſſiert. Nicht ſelten konnten wir nur mittels mehrerer Dolmetſcher und ſo, daß derſelbe Satz mehrmals überſetzt wurde, mit den Eingeborenen verkehren.

Von meiner Miſſion an, ſagte der gute Ordensmann in Uruana, werdet ihr reiſen wie Stumme. Und dieſe Vorherſagung iſt ſo ziemlich in Erfüllung gegangen, und um nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Ver - kehr ſelbſt mit den verſunkenſten Indianern ziehen kann, griffen wir zuweilen zur Zeichenſprache. Sobald der Eingeborene merkt, daß man ſich keines Dolmetſchers bedienen will, ſobald man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenſtände deutet, ſo legt er ſeine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß ſich mit merkwürdiger Gewandtheit verſtändlich zu machen. Er macht Zeichen aller Art, er ſpricht die Worte langſam aus, er wiederholt ſie unaufgefordert. Es ſcheint ſeiner Eigenliebe zu ſchmeicheln, daß man ihn beachtet und ſich von ihm belehren läßt. Dieſe Leichtigkeit, ſich verſtändlich zu machen, zeigt ſich beſonders auffallend beim unabhängigen Indianer, und was die chriſtlichen Niederlaſſungen betrifft, muß ich den Reiſenden den Rat geben, ſich vorzugsweiſe an Eingeborene zu wenden, die erſt ſeit kurzem unterworfen ſind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingebore -87 nen belehrender und ſicherer iſt als der mittels des Dol - metſchers, wenn man nur ſeine Fragen zu vereinfachen weiß und dieſelben hintereinander an mehrere Individuen in verſchiedener Geſtalt richtet. Zudem ſind der Mundarten, welche am Meta, Orinoko, Caſſiquiare und Rio Negro geſprochen werden, ſo unglaublich viele, daß der Reiſende ſelbſt mit dem bedeutend - ſten Sprachtalent nie ſo viele derſelben ſich aneignen könnte, um ſich längs der ſchiffbaren Ströme von Angoſtura bis zum Fort San Carlos am Rio Negro verſtändlich zu machen. In Peru und Quito kommt man mit der Kenntnis der Quichua - oder Inkaſprache aus, in Chile mit dem Araukaniſchen, in Paraguay mit dem Guarani; man kann ſich wenigſtens der Mehrzahl der Bevölkerung verſtändlich machen. Ganz anders in den Miſſionen in ſpaniſch Guyana, wo im ſelben Dorfe Völker verſchiedenen Stammes untereinander wohnen. Hier wäre es nicht einmal genug, wenn man folgende Sprachen verſtünde: Karibiſch oder Carina, Guamo, Guahiva, Jaruro, Otomaco, Maypure, Saliva, Marivitano, Maquiritare und Guaica, zehn Sprachen, von denen es nur ganz rohe Sprach - lehren gibt und die untereinander weniger verwandt ſind als Griechiſch, Deutſch und Perſiſch.

Die Umgegend der Miſſion Carichana ſchien uns aus - gezeichnet ſchön. Das kleine Dorf liegt auf einer der gras - bewachſenen Ebenen, wie ſie von Encaramada bis über die Katarakte von Maypures hinauf ſich zwiſchen all den Ketten der Granitberge hinziehen. Der Waldſaum zeigt ſich nur in der Ferne. Ringsum iſt der Horizont von Bergen begrenzt, zum Teil bewaldet, von düſterer Färbung, zum Teil kahl mit felſigen Gipfeln, die der Strahl der untergehenden Sonne vergoldet. Einen ganz eigentümlichen Charakter erhält die Gegend durch die faſt ganz kahlen Felsbänke, die oft 260 m im Umfang haben und ſich kaum ein paar Centimeter über die umgebende Grasflur erheben. Sie machen gegenwärtig einen Teil der Ebene aus. Man fragt ſich mit Verwunde - rung, ob hier ein ungewöhnlich ſtürmiſches Ereignis Damm - erde und Gewächſe weggeriſſen, oder ob der Granitkern unſeres Planeten hier nackt zu Tage tritt, weil ſich die Keime des Lebens noch nicht auf allen Punkten entwickelt haben. Die - ſelbe Erſcheinung ſcheint in Schamo zwiſchen der Mongolei und China vorzukommen. Dieſe in der Wüſte zerſtreuten Felsbänke heißen Tſy. Es wären, wie mir ſcheint, eigentliche Plateaus, wären von der Ebene umher der Sand und die88 Erde weg, welche das Waſſer an den tiefſten Stellen ange - ſchwemmt hat. Auf den Felsplatten bei Carichana hat man, was ſehr intereſſant iſt, den Gang der Vegetation von ihren Anfängen durch die verſchiedenen Entwickelungsgrade vor Augen. Da ſieht man Flechten, welche das Geſtein zer - klüften und mehr oder weniger dicke Kruſten bilden; wo ein wenig Quarzſand ſich angehäuft hat, finden Saftpflanzen Nahrung; endlich in Höhlungen des Geſteins haben ſich ſchwarze, aus zerſetzten Wurzeln und Blättern ſich bildende Erdſchichten abgeſetzt, auf denen immergrünes Buſchwerk wächſt. Handelte es ſich hier von großartigen Natureffekten, ſo käme ich nicht auf unſere Gärten und die ängſtlichen Künſteleien der Menſchenhand; aber der Kontraſt zwiſchen Felsgeſtein und blühendem Geſträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und dort in der Savanne erinnert unwillkürlich an die mannig - faltigſten und maleriſchten Partieen unſerer Parke. Es iſt, als hätte hier der Menſch mit tiefem Gefühl für Natur - ſchönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern wollen.

Neun, zwölf Kilometer von der Miſſion findet man auf dieſen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenſo üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern ober - halb der großen Katarakte gegenüber kann man hier bei Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß man ſich an die Flußufer hält und auf Wälder ſtößt, in die nicht einzudringen iſt. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu Pferde, auf denen er ſehr viele Gewächſe erbeutete. Ich er - wähne nur den Paraguatan, eine ſehr ſchöne Art von Macro - cnemum, deren Rinde rot färbt, den Guaricamo mit gif - tiger Wurzel, die Jacaranda obtusifolia und den Serrape oder Jape der Salivasindianer, Aublets Coumarouna, der in ganz Terra Firma wegen ſeiner aromatiſchen Frucht be - rühmt iſt. Dieſe Frucht, die man in Caracas zwiſchen die Wäſche legt, während man ſie in Europa unter dem Namen Tonca - oder Tongobohne unter den Schnupftabak miſcht, wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt man allgemein, das eigentümliche Aroma des vortrefflichen Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom Jape; dies iſt aber unrichtig. Derſelbe heißt in den Miſ - ſionen Simaruba, ein Name, der zu argen Mißgriffen An - laß geben kann, denn die echte Simaruba iſt eine Quaſſia - art, eine Fieberrinde, und wächſt in Spaniſch-Guyana nur89 im Thale des Rio Caura, wo die Paudacotosindianer ſie Achecchari nennen.

In Carichana, auf dem großen Platze, fand ich die In - klination der Magnetnadel gleich 33,70, ° die Intenſität der magnetiſchen Kraft gleich 227 Schwingungen in 10 Zeit - minuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im Spiel ſein mochten. Die vom Waſſer des Orinoko geſchwärzten Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet. Der Barometer ſtand um Mittag 760 mm hoch, der Thermo - meter zeigte im Schatten 30,6°. Bei Nacht fiel die Tempe - ratur der Luft auf 26,2°; der Delucſche Hygrometer ſtand auf 46°.

Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll geſtiegen; die Erſcheinung war den Eingeborenen auffallend, da ſonſt der Strom anfangs faſt unmerklich ſteigt, und man ganz daran gewöhnt iſt, daß er im April ein paar Tage lang wieder fällt. Der Orinoko ſtand bereits 1 m über dem niedrig - ſten Punkte. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand die Spuren der gegenwärtigen Hochgewäſſer; ſie ſtanden nach unſerer Meſſung 13,6 m hoch, und dies iſt doppelt ſo viel als durchſchnittlich beim Nil. Aber dieſes Maß wurde an einem Orte genommen, wo das Strombett bedeutend durch Felſen eingeengt iſt, und ich konnte mich nur an die Angabe der In - dianer halten. Man ſieht leicht, daß das Stromprofil, die Beſchaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl der Nebenflüſſe, die das Regenwaſſer hereinführen, und die Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen der Hochgewäſſer und auf ihre Höhe von bedeutendem Ein - fluß ſein müſſen. Unzweifelhaft iſt, und es macht auf jeder - mann im Lande einen ſtarken Eindruck, daß man bei Carichana, San Borja, Atures und Maypures, wo ſich der Strom durch die Berge Bahn gebrochen, 30, zuweilen 42 m über dem höchſten gegenwärtigen Waſſerſtande ſchwarze Streifen und Auswaſchungen ſieht, die beweiſen, daß das Waſſer einmal ſo hoch geſtanden. So wäre denn dieſer Orinokoſtrom, der uns ſo großartig und gewaltig erſcheint, nur ein ſchwacher Neſt der ungeheuren Ströme ſüßen Waſſers, die einſt, ge - ſchwellt von Alpenſchnee oder noch ſtärkeren Regennieder - ſchlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern be - ſchattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der Verdunſtung Vorſchub leiſten, das Land gleich oſtwärts von den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen? 90In welchem Zuſtande müſſen ſich damals dieſe Niederungen von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueber - ſchwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Maſſen von Krokodilen, Seekühen und Boa müſſen auf dem weiten Landſtrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen ſtehen - den Waſſers beſtand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir leben, iſt eine ungleich ſtürmiſchere vorangegangen. Auf den Hochebenen der Anden finden ſich Knochen von Maſtodonten und amerikaniſchen eigentlichen Elefanten, und auf den Ebenen von Uraguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die Erde, ſo findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine Palmen und Baumfarne mehr vorkommen, Steinkohlenflötze, in denen rieſenhafte Reſte monokotyledoniſcher Gewächſe be - graben liegen. Es war alſo lange vor der Jetztwelt eine Zeit, wo die Familien der Gewächſe anders verteilt, wo die Tiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. So viel und nicht mehr ſagen uns die Naturdenkmale, die wir vor Augen haben. Wir wiſſen nicht, ob das Menſchengeſchlecht, das bei der Entdeckung von Amerika oſtwärts von den Kor - dilleren kaum ein paar ſchwache Volksſtämme aufzuweiſen hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob die uralte Sage vom großen Waſſer, die ſich bei den Völkern am Orinoko, Erevato und Caura findet, anderen Himmelsſtrichen angehört, aus denen ſie in dieſen Teil des neuen Kontinents gewandert iſt.

Am 11. April. Nach unſerer Abfahrt von Carichana um 2 Uhr nachmittags fanden wir im Bette immer mehr Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir ließen den Caño Orupe weſtwärts und fuhren darauf am großen, unter dem Namen Piedra del Tigre bekannten Felſen vorbei. Der Strom iſt hier ſo tief, daß ein Senkblei von 40 m den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der Himmel bedeckt und düſter, Windſtöße und dazwiſchen ganz ſtille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war. Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die Regenſtröme die Moskiten, die uns den Tag über grauſam geplagt, wenigſtens auf eine Weile. Wir befanden uns vor dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Waſſers war ſo ſtark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wur - den immer wieder mitten in die Strömung geworfen. End -91 lich ſprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins Waſſer, zogen die Piroge mit einem Stricke ans Ufer und banden ſie an der Piedra del Carichana vieja feſt, einer nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß ſtieg bedeutend und man fürchtete mehreremal, die wilden Wogen möchten unſer ſchwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen.

Der Granitfels, auf dem wir lagerten, iſt einer von denen, auf welchen Reiſende zuzeiten gegen Sonnenaufgang unterirdiſche Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die Miſſionäre nennen dergleichen Steine laxas de musica. Es iſt Hexenwerk (cosa de bruxas), ſagte unſer junger in - dianiſcher Steuermann, der kaſtilianiſch ſprach. Wir ſelbſt haben dieſe geheimnisvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana, noch am oberen Orinoko; aber nach den Ausſagen glaub - würdiger Zeugen läßt ſich die Erſcheinung wohl nicht in Zweifel ziehen, und ſie ſcheint auf einem gewiſſen Zuſtande der Luft zu beruhen. Die Felsbänke ſind voll feiner, ſehr tiefer Spalten und ſie erhitzten ſich bei Tag auf 48 bis 50°. Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche 39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterſchied zwiſchen der unterirdiſchen und der äußeren Luft ſein Maximum um Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt ſich zugleich vom Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weiteſten entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn man, das Ohr dicht am Geſtein, auf dem Fels ſchläft, nicht von einem Luftſtrom herrühren, der aus den Spalten dringt? Hilft nicht der Umſtand, daß die Luft an die elaſtiſchen Glimmerplättchen ſtößt, welche in den Spalten hervorſtehen, die Töne modifizieren? Läßt ſich nicht annehmen, daß die alten Aegypter, die beſtändig den Nil auf und ab fuhren, an gewiſſen Felſen in der Thebais dieſelbe Beobachtung gemacht, und daß die Muſik der Felſen Veranlaſſung zu den Gau - keleien gegeben, welche die Prieſter mit der Bildſäule Mem - nons trieben? Wenn die roſenfingerige Eos ihrem Sohn, dem ruhmreichen Memnon eine Stimme verlieh ,1So heißt es in einer Inſchrift, die bezeugt, daß am 13. des Monats Pachon im zehnten Regierungsjahre Antonins die Töne vernommen worden. ſo war dieſe Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgeſtell der92 Bildſäule verſteckten Menſchen, aber die Beobachtung der Eingeborenen am Orinoko, von der hier die Rede iſt, ſcheint ganz natürlich zu erklären, was zu dem Glauben der Aegypter, ein Stein töne bei Sonnenaufgang, Anlaß gegeben.

Faſt zur ſelben Zeit, da ich dieſe Vermutungen einigen Gelehrten in Europa mitteilte, kamen franzöſiſche Reiſende, die Herren Jomard, Jollois und Devilliers, auf ähnliche Gedanken. In einem Denkmal aus Granit, mitten in den Tempelgebäuden von Karnak, hörten ſie bei Sonnenaufgang ein Geräuſch wie von einer reißenden Saite. Gerade den - ſelben Vergleich brauchen aber die Alten, wenn von der Stimme Memnons die Rede iſt. Die franzöſiſchen Reiſen - den ſind mit mir der Anſicht, das Durchſtreichen der Luft durch die Spalten eines klingenden Steines habe wahrſchein - lich die ägyptiſchen Prieſter auf die Gaukeleien im Mem - nonium gebracht.

Am 12. April. Wir brachen um 4 Uhr morgens auf. Der Miſſionär ſah voraus, daß wir Not haben würden, über die Stromſchnellen und den Einfluß des Meta wegzukommen. Die Indianer ruderten zwölfundeinhalb Stunden ohne Unter - laß. Während dieſer Zeit nahmen ſie nichts zu ſich als Maniok und Bananen. Bedenkt man, wie ſchwer es iſt, die Gewalt der Strömung zu überwinden und die Katarakte hinaufzu - fahren, und weiß man, daß die Indianer am Orinoko und Amazonenſtrom auf zweimonatlichen Flußfahrten in dieſer Weiſe ihre Muskeln anſtrengen, ſo wundert man ſich gleich ſehr über die Körperkraft und über die Mäßigkeit dieſer Men - ſchen. Stärkemehl - und zuckerhaltige Stoffe, zuweilen Fiſche und Schildkröteneierfett erſetzen hier die Nahrung, welche die zwei erſten Tierklaſſen, Säugetiere und Vögel, Tiere mit rotem, warmem Blute, geben.

Wir fanden das Flußbett auf einer Strecke von 1170 m voll Granitblöcken; dies iſt der ſogenannte Raudal de Cariven. Wir liefen durch Kanäle, die nicht 1,6 m breit waren, und manchmal ſtak unſere Piroge zwiſchen zwei Granitblöcken feſt. Man ſuchte die Durchfahrten zu vermeiden, durch die ſich das Waſſer mit furchtbarem Getöſe ſtürzt. Es iſt keine ernſt - liche Gefahr vorhanden, wenn man einen guten indianiſchen Steuermann hat. Iſt die Strömung nicht zu überwinden, ſo ſpringen die Ruderer ins Waſſer, binden ein Seil an die Felsſpitzen und ziehen die Piroge herauf. Dies geht ſehr langſam vor ſich, und wir benutzten zuweilen die Gelegenheit93 und kletterten auf die Klippen, zwiſchen denen wir ſtaken. Es gibt ihrer von allen Größen; ſie ſind abgerundet, ganz ſchwarz, bleiglänzend und ohne alle Vegetation. Es iſt ein merkwürdiger Anblick, wenn man auf einem der größten Ströme der Erde gleichſam das Waſſer verſchwinden ſieht. Ja noch weit vom Ufer ſahen wir die ungeheuren Granit - blöcke aus dem Boden ſteigen und ſich aneinander lehnen. In den Stromſchnellen ſind die Kanäle zwiſchen den Felſen über 46 m tief, und ſie ſind um ſo ſchwerer zu finden, da das Geſtein nicht ſelten nach unten eingezogen iſt und eine Wölbung unter dem Flußſpiegel bildet. Im Raudal von Cariven ſahen wir keine Krokodile; die Tiere ſcheinen das Getöſe der Katarakte zu ſcheuen.

Von Cabruta bis zum Einfluß des Rio Sinaruco, auf einer Strecke von faſt zwei Breitengraden, iſt das linke Ufer des Orinoko völlig unbewohnt; aber weſtlich vom Raudal de Cariven hat ein unternehmender Mann, Don Felix Relinchon, Yaruro - und Otomakenindianer in einem kleinen Dorfe zu - ſammengebracht. Auf dieſen Civiliſationsverſuch hatten die Mönche unmittelbar keinen Einfluß. Es braucht kaum er - wähnt zu werden, daß Don Felix mit den Miſſionären am rechten Ufer des Stromes in offener Fehde lebt. Wir werden anderswo die wichtige Frage beſprechen, ob unter den gegen - wärtigen Verhältniſſen in Spaniſch-Amerika dergleichen Capi - tanes pobladores und fundadores an die Stelle der Mönche treten können, und welche der beiden Regierungsarten, die gleich launenhaft und willkürlich ſind, für die armen Indianer die ſchlimmſte iſt.

Um 9 Uhr langten wir an der Einmündung des Meta an, gegenüber dem Platze, wo früher die von den Jeſuiten gegründete Miſſion Santa Tereſa geſtanden. Der Meta iſt nach dem Guaviare der bedeutendſte unter den Nebenflüſſen des Orinoko. Man kann ihn der Donau vergleichen, nicht nach der Länge des Laufes, aber hinſichtlich der Waſſermaſſe. Er iſt durchſchnittlich 11, oft bis zu 28 m tief. Die Ver - einigung beider Ströme gewährt einen äußerſt großartigen Anblick. Am öſtlichen Ufer ſteigen einzelne Felſen empor, und aufeinander getürmte Granitblöcke ſehen von ferne wie verfallene Burgen aus. Breite, ſandige Ufer legen ſich zwi - ſchen den Strom und den Saum der Wälder, aber mitten in dieſen ſieht man am Horizont auf den Berggipfeln einzelne Palmen ſich vom Himmel abheben.

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Wir brachten zwei Stunden auf einem großen Felſen mitten im Orinoko zu, auf der Piedra de Paciencia, ſo ge - nannt, weil die Pirogen, die den Fluß hinaufgehen, hier nicht ſelten zwei Tage brauchen, um aus dem Strudel heraus - zukommen, der von dieſem Felſen herrührt. Es gelang mir, meine Inſtrumente darauf aufzuſtellen. Nach den Sonnen - höhen, die ich aufnahm, liegt der Einfluß des Meta unter 70° 4′ 29″ der Länge. Nach dieſer chronometriſchen Beob - achtung iſt d’Anvilles Karte von Südamerka, was dieſen Punkt betrifft, in der Länge faſt ganz richtig, während der Fehler in der Breite einen ganzen Grad beträgt.

Der Rio Meta durchzieht die weiten Ebenen von Caſa - nare; er iſt faſt bis zum Fuß der Anden von Neugranada ſchiffbar und muß einmal für die Bevölkerung von Guyana und Venezuela politiſch von großer Bedeutung werden. Aus dem Golfo Triſte und der Boca del Dragon kann eine Flo - tille den Orinoko und Meta bis auf 67 bis 90 km von Santa Fé de Bogota herauffahren. Auf demſelben Wege kann das Mehl aus Neugranada hinunterkommen. Der Meta iſt wie ein Schiffahrtskanal zwiſchen Ländern unter derſelben Breite, die aber ihren Produkten nach ſo weit auseinander ſind als Frankreich und der Senegal. Durch dieſen Umſtand wird es von Belang, daß man die Quellen des Fluſſes, der auf unſeren Karten ſo ſchlecht gezeichnet iſt, genau kennen lernt. Der Meta entſteht durch die Vereinigung zweier Flüſſe, die von den Paramos von Chingaſa und Suma Paz herab - kommen. Erſterer iſt der Rio Negro, der weiter unten den Pachaquiaro aufnimmt; der zweite iſt der Rio de Aguas blancas oder Umadea. Sie vereinigen ſich in der Nähe des Hafens von Marayal. Vom Paſo de la Cabulla, wo man den Rio Negro verläßt, bis zur Hauptſtadt Santa Fé ſind es nur 36 bis 45 km. Ich habe dieſe intereſſanten Notizen, wie ich ſie aus dem Munde von Augenzeugen erhalten, in der erſten Ausgabe meiner Karte vom Rio Meta benutzt. Die Reiſebeſchreibung des Kanonikus Don Joſef Cortes Ma - dariaga hat nicht allein meine erſte Anſicht vom Laufe des Meta beſtätigt, ſondern mir auch ſchätzbares Material zur Berichtigung meiner Arbeit geliefert. Von den Dörfern Xira - mena und Cabullaro bis zu den Dörfern Guanapalo und Santa Roſalia de Cabapuna, auf einer Strecke von 270 km ſind die Ufer des Meta ſtärker bewohnt als die des Orinoko. Es ſind dort 14 zum Teil ſtark bevölkerte chriſtliche Nieder -95 laſſungen, aber vom Einfluß des Pauto und des Caſanare an, über 225 km weit, machen die wilden Guahibos den Meta unſicher.

Zur Jeſuitenzeit, beſonders aber zur Zeit von Ituriagas Expedition im Jahre 1756 war die Schiffahrt auf dem Strome weit ſtärker als jetzt. Miſſionäre aus einem Orden waren damals Herren an den Ufern des Meta und des Orinoko. Die Dörfer Macuco, Zurimena, Caſimena einerſeits, anderer - ſeits Uruana, Encaramada, Carichana waren von den Jeſuiten gegründet. Die Patres gingen damit um, vom Einfluß des Caſanare in den Meta bis zum Einfluß des Meta in den Orinoko eine Reihe von Miſſionen zu gründen, ſo daß ein ſchmaler Streif bebauten Landes über die weite Steppe zwi - ſchen den Wäldern von Guyana und den Anden von Neu - granada gelaufen wäre. Außer dem Mehl von Santa Fé gingen damals zur Zeit der Schildkröteneierernte das Salz von Chita, die Baumwollenzeuge von San Gil und die ge - druckten Decken von Socorro den Fluß herunter. Um den Krämern, die dieſen Binnenhandel trieben, einigermaßen Sicher - heit zu verſchaffen, machte man vom Caſtillo oder Fort Carichana aus von Zeit zu Zeit einen Angriff auf die Gua - hibosindianer.

Da auf demſelben Wege, der den Handel mit den Pro - dukten von Neugranada förderte, das geſchmuggelte Gut von der Küſte von Guyana ins Land ging, ſo ſetzte es der Handels - ſtand von Cartagena de Indias bei der Regierung durch, daß der freie Handel auf dem Meta bedeutend beſchränkt wurde. Derſelbe Geiſt des Monopols ſchloß den Meta, den Rio Atracto und den Amazonenſtrom. Es iſt doch eine wun - derliche Politik von ſeiten der Mutterländer, zu glauben, es ſei vorteilhaft, Länder, wo die Natur Keime der Fruchtbarkeit mit vollen Händen ausgeſtreut, unangebaut liegen zu laſſen. Daß das Land nicht bewohnt iſt, haben ſich nun die wilden Indianer allerorten zu nutze gemacht. Sie ſind an die Flüſſe herangerückt, ſie machen Angriffe auf die Vorüberfahrenden, ſie ſuchen wiederzuerobern, was ſie ſeit Jahrhunderten verloren. Um die Guahibos im Zaume zu halten, wollten die Kapuziner, welche als Leiter der Miſſionen am Orinoko auf die Jeſuiten folgten, an der Ausmündung des Meta unter dem Namen Villa de San Carlos eine Stadt bauen. Trägheit und die Furcht vor dem dreitägigen Fieber ließen es nicht dazu kommen und ein ſauber gemaltes Wappen auf einem96 Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta iſt alles, was von der Villa de San Carlos beſtanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tau - ſende beträgt, ſind ſo frech geworden, daß ſie, als wir nach Carichana kamen, dem Miſſionär hatten ankündigen laſſen, ſie werden auf Flößen kommen und ihm ſein Dorf anzünden. Dieſe Flöße (valzas), die wir zu ſehen Gelegenheit hatten, ſind kaum 1 m breit und 4 m lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und anderen Rankengewächſen aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie dieſe kleinen Fahrzeuge in den Stromſchnellen beiſammen bleiben können. Viele aus den Dörfern am Caſanare und Apure entlaufene Indianer haben ſich den Guahibos angeſchloſſen und ihnen Geſchmack am Rindfleiſch und den Gebrauch des Leders bei - gebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Teil ihres Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reiſenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluſſe des Caſanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Waſſer kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neugranada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma beſuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erſchoſſen werden.

Vom Einfluſſe des Meta an erſchien der Orinoko freier von Klippen und Felsmaſſen. Wir fuhren auf einer 970 m breiten offenen Stromſtrecke. Die Indianer ruderten fort, ohne die Piroge zu ſchieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geſchrei zu beläſtigen. Gegen Weſt lagen im Vorbeifahren die Caños Uita und Endava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem Raudal de Tabaje hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir ſchliefen daher am Lande, an einem höchſt unbequemen Orte, auf einer mehr als 18° geneigten Felsplatte, in deren Spalten Scharen von Fledermäuſen ſtaken. Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und unſer großer Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umſonſt wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorſchein kämen; der Himmel war grauenhaft ſchwarz. Das dumpfe Toſen der Fälle des Orinoko ſtach ſcharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, ſich hören ließ.

Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die Stromſchnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater Gumilla97 auf ſeiner Fahrt gekommen war,1Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren ſein. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 4′ der Breite, was um 10′ zu wenig iſt. und ſtiegen wieder aus. Unſer Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, ſeit zwei Jahren beſtehenden Miſſion San Borja die Meſſe leſen. Wir fanden daſelbſt ſechs von noch nicht katechiſierten Guahibos bewohnte Häuſer. Sie unterſchieden ſich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen ſchwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Miſſionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; ſie wollten ihn nicht einmal koſten. Die Geſichter der jungen Mädchen waren alle mit runden ſchwarzen Tupfen bemalt; dieſelben nahmen ſich aus wie die Schönpfläſterchen, mit denen früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht be - malt. Mehrere hatten einen Bart; ſie ſchienen ſtolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu ver - ſtehen, ſie ſeien wie wir. Sie ſind meiſt ziemlich ſchlank gewachſen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoko in der Geſichtsbildung miteinander haben. Ihr Blick iſt düſter, trübſelig, aber weder ſtreng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den chriſtlichen Religionsgebräuchen (der Miſſionär von Carichana lieſt in San Borja nur drei - oder viermal im Jahre Meſſe); dennoch benahmen ſie ſich in der Kirche durchaus anſtändig. Die Indianer lieben es, ſich ein Anſehen zu geben; gern dulden ſie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn ſie nur wiſſen, daß man auf ſie ſieht. Bei der Kommunion machten ſie einander Zeichen, daß jetzt der Prieſter den Kelch zum Munde führen werde. Dieſe Gebärde ausgenommen, ſaßen ſie da, ohne ſich zu rühren, völlig teilnahmlos.

Die Teilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht ſchuld daran, daß die Miſſion einging. Einige derſelben, die lieber umherzogen, als das Land bauten, beredeten die anderen, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; ſie ſagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Borja kommen und ſie dann in ihren Kanoen fort - ſchleppen und in Angoſtura als Poitos, als Sklaven ver - kaufen. Die Guahibos warteten, bis ſie hörten, daß wirA. v. Humboldt, Reiſe. III. 798vom Rio Negro über den Caſſiquiare zurückkamen, und als ſie erfuhren, daß wir beim erſten großen Katarakt, bei Apures, angelangt ſeien, liefen alle davon in die Savannen weſtlich vom Orinoko. Am ſelben Platze und unter demſelben Namen hatten ſchon die Jeſuiten eine Miſſion gegründet. Kein Stamm iſt ſchwerer ſeßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben ſie von faulen Fiſchen, Tauſendfüßen und Würmern, als daß ſie ein kleines Stück Land bebauen. Die anderen Indianer ſagen daher ſprichwörtlich: Ein Guahibo ißt alles auf der Erde und unter der Erde.

Kommt man auf dem Orinoko weiter nach Süden, ſo nimmt die Hitze keineswegs zu, ſondern wird im Gegenteil erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tage 26 bis 27,5°, bei Nacht 23,7°. Das Waſſer des Stromes behielt ſeine ge - wöhnliche Temperatur von 27,7°. Aber trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskiten erſchrecklich zu. Nie hatten wir ſo arg gelitten als in San Borja. Man konnte nicht ſprechen oder das Geſicht entblößen, ohne Mund und Naſe voll Inſekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36° ſtehen ſahen; beim ſchrecklichen Hautreiz ſchien uns die Luft zu glühen. Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Karibenfiſchen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag über geſehen, waren alle außerordentlich groß, 7 bis 8 m lang.

Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns, ſchon um 5 Uhr morgens aufzubrechen. In der Luftſchicht über dem Fluſſe ſelbſt ſind weniger Inſekten als am Wald - ſaume. Zum Frühſtück hielten wir an der Inſel Guachaco, wo eine Sandſteinformation oder ein Konglomerat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandſtein enthält Quarz -, ſogar Feldſpattrümmer, und das Bindemittel iſt verhärteter Thon. Es befinden ſich darin kleine Gänge von Brauneiſenerz, das in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen Blätter bereits zwiſchen Encaramada und dem Baraguan am Ufer gefunden, und die Miſſionäre hatten dieſelben bald für Gold -, bald für Zinnerz gehalten. Wahrſcheinlich iſt dieſe ſekundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet geweſen. Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über welcher die Macosindianer wohnen, und übernachteten auf der Inſel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur Beſtimmung der Länge des Ortes, bei dem der Fluß eine99 ſcharfe Wendung nach Weſt macht, Höhenwinkel des Canopus zu meſſen. Die Inſel Panumana iſt ſehr reich an Pflanzen. Auch hier findet man wieder die kahlen Felſen, die Melaſtomen - büſche, die kleinen Baumpartieen, deren Gruppierung uns ſchon in der Ebene bei Carichana aufgefallen war. Die Berge bei den großen Katarakten begrenzten den Horizont gegen Südoſt. Je weiter wir hinauf kamen, deſto großartiger und maleriſcher wurden die Ufer des Orinoko.

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Zwanzigſtes Kapitel.

Die Mündung des Rio Anaveni. Der Pik Uniana. Die Miſſion Atures. Der Katarakt oder Raudal Mapara. Die Inſeln Surupamana und Uirapuri.

Auf ſeinem Laufe von Süd nach Nord ſtreicht über den Orinokoſtrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in ſeinem Laufe gehemmt, bricht er ſich toſend an den Felſen, welche Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieſes Landſchaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa Fé de Bogota, noch die gewaltige Naturſzenerie der Kordilleren vermochten den Eindruck zu verwiſchen, den die Stromſchnellen von Atures und Maypures auf mich machten, als ich ſie zum erſtenmal ſah. Steht man ſo, daß man die ununterbrochene Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum - und Dunſtfläche mit einem Blicke überſieht, ſo iſt es, als ſähe man den ganzen Strom über ſeinem Bette hängen.

So ausgezeichnete Naturbildungen mußten ſchon ſeit Jahrhunderten bei den Bewohnern der Neuen Welt Aufmerk - ſamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonſo de Herrera und der unerſchrockene Ralegh in der Mündung des Orinoko vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Ka - tarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort geweſen; ſie verwechſelten ſie ſogar mit weiter oſtwärts ge - legenen Fällen. Wie ſehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit des Pflanzenwuchſes dem Verkehr unter den Völkern hinderlich iſt, alles, was ſich auf den Lauf der großen Ströme bezieht, erlangt einen Ruf, der ſich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoko, Amazonenſtrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten Landſtrich, auf dem Völker hauſen, die zum Teil Menſchen - freſſer ſind. Noch iſt es nicht zwei Jahrhunderte her, ſeit101 die Kultur und das ſanfte Licht einer menſchlicheren Religion an den Ufern dieſer uralten, von der Natur gegrabenen Kanäle aufwärts ziehen; aber lange vor Einführung des Ackerbaues, ehe zwiſchen den zerſtreuten, oft ſich befehdenden Horden ein Tauſchverkehr zuſtande kam, verbreitete ſich auf tauſend zu - fälligen Wegen die Kunde von außerordentlichen Naturerſchei - nungen, von Waſſerfällen, vulkaniſchen Flammen, vom Schnee, der vor der Hitze des Sommers nicht weicht. 1350 km von den Küſten, im Herzen von Südamerika, unter Völkern, deren Wanderungen ſich in den Grenzen von drei Tagereiſen halten, findet man die Kunde vom Ozean, findet man Worte zur Bezeichnung einer Maſſe von Salzwaſſer, die ſich hinbreitet, ſo weit das Auge reicht. Verſchiedene Vorfälle, wie ſie im Leben des Wilden nicht ſelten ſind, helfen zur Verbreitung ſolcher Kenntniſſe. Infolge der kleinen Kriege zwiſchen be - nachbarten Horden wird ein Gefangener in ein fremdes Land geſchleppt, wo er als Poito oder Mero, das heißt als Sklave behandelt wird. Nachdem er mehreremal verkauft und wieder im Kriege gebraucht worden, entkommt er und kehrt zu den Seinigen zurück. Da erzählt er denn, was er geſehen, was er andere hat erzählen hören, deren Sprache er hat lernen müſſen. So kommt es, daß man, wenn man eine Rippe findet, von den großen Tieren weit im inneren Lande ſprechen hört; ſo kommt es, daß man, wenn man das Thal eines großen Fluſſes betritt, mit Ueberraſchung ſieht, wie viel die Wilden, die gar nicht auf dem Waſſer fahren, von weit ent - legenen Dingen zu ſagen wiſſen. Auf den erſten Stufen der geſellſchaftlichen Entwickelung tritt in gewiſſem Grade der Ge - dankenaustauſch früher ein als der Tauſch von Erzeugniſſen.

Die beiden großen Katarakte des Orinoko, die eines ſo ausgebreiteten, uralten Rufes genießen, entſtehen dadurch, daß der Strom die Berge der Parime durchbricht. Bei den Ein - geborenen heißen ſie Mapara und Quituna; aber die Miſſionäre haben dafür Atures und Maypures geſetzt, nach den Namen der beiden Stämme, die ſie in den beiden den Fällen zunächſt gelegenen Dörfern zuſammengebracht. An den Küſten von Caracas nennt man die zwei großen Kata - rakte einfach: die zwei Raudales1Vom ſpaniſchen Worte raudo, ſchnell, rapidus. (Stromſchnellen), was darauf hindeutet, daß man die anderen Fälle, ſogar die Strom -102 ſchnellen von Camiſeta und Carichana, gegenüber den Ka - tarakten von Apures und Maypures, gar nicht der Beachtung wert findet.

Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, 450 km weſtwärts von den Kordilleren von Neugranada, im Meridian von Porto Cabello, und nur 54 km voneinander. Es iſt ſehr auffallend, daß d’Anville nichts von denſelben gewußt hat, da er doch auf ſeiner ſchönen großen Karte von Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromſchnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakte teilen die chriſtlichen Niederlaſſungen in Spaniſch-Guyana in zwei ungleiche Hälften. Miſſionen am unteren Orinoko heißen die zwiſchen dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter den Miſſionen am oberen Orinoko ſind die Dörfer zwiſchen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verſtanden. Der Lauf des unteren Orinoko iſt, wenn man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Dritteil der geraden Richtung ſchätzt, 480 km, der des oberen Ori - noko, die Quellen oſtwärts vom Duida angenommen, 750 km lang.

Jenſeits der großen Katarakte beginnt ein unbekanntes Land. Es iſt ein zum Teil gebirgiger, zum Teil ebener Landſtrich, über den die Nebenflüſſe ſowohl des Amazonen - ſtromes als des Orinoko ziehen. Wegen des leichten Verkehres mit dem Rio Negro und Gran Para ſcheint derſelbe vielmehr Braſilien als den ſpaniſchen Kolonieen anzugehören. Keiner der Miſſionäre, die vor mir den Orinoko beſchrieben haben, die Patres Gumilla, Gili und Caulin, iſt über den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom oberen Orinoko und vom Caſſiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die Solanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Ka - tarakte fanden wir längs des Orinoko auf einer Strecke von 450 km nur drei chriſtliche Niederlaſſungen, und in denſelben waren kaum ſechs bis acht Weiße, das heißt Menſchen euro - päiſcher Abkunft. Es iſt nicht zu verwundern, daß ein ſo ödes Land von jeher der klaſſiſche Boden für Sagen und Wundergeſchichten war. Hierher verſetzten ernſte Miſſionäre die Völker, die ein Auge auf der Stirn, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden ſie alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den103 Arimaſpen und den Hyperboreern erzählen. Man thäte den ſchlichten, zuweilen ein wenig rohen Miſſionären unrecht, wenn man glaubte, ſie ſelbſt haben dieſe übertriebenen Mären erfunden; ſie haben ſie vielmehr großenteils den Indianer - geſchichten entnommen. In den Miſſionen erzählt man gern, wie zur See, wie im Orient, wie überall, wo man ſich lang - weilt. Ein Miſſionär iſt ſchon nach Standesgebühr nicht zum Skeptizismus geneigt; er prägt ſich ein, was ihm die Ein - geborenen ſo oft vorgeſagt, und kommt er nach Europa in die civiliſierte Welt zurück, ſo findet er eine Entſchädigung für ſeine Beſchwerden in der Luſt, durch die Erzählung von Dingen, die er als Thatſachen aufgenommen, durch lebendige Schilderung des im Raume ſo weit Entrückten, die Leute in Verwunderung zu ſetzen. Ja, dieſe Cuentos de viageros y frailes werden immer unwahrſcheinlicher, je weiter man von den Wäldern am Orinoko weg den Küſten zu kommt, wo die Weißen wohnen. Läßt man in Cumana, Nueva Barce - lona und in anderen Seehäfen, die ſtarken Verkehr mit den Miſſionen haben, einigen Unglauben merken, ſo ſchließt man einem den Mund mit den wenigen Worten: Die Patres haben es geſehen, aber weit über den großen Katarakten, mas ariba de los Raudales .

Jetzt, da wir ein ſo ſelten beſuchtes, von denen, die es bereiſt, nur zum Teil beſchriebenes Land betreten, habe ich mehrere Gründe, meine Reiſebeſchreibung auch ferner in der Form eines Tagebuches fortzuſetzen. Der Leſer unterſcheidet dabei leichter, was ich ſelbſt beobachtet, und was ich nach den Ausſagen der Miſſionäre und Indianer berichte; er begleitet die Reiſenden bei ihren täglichen Beſchäftigungen; er ſieht zugleich, wie wenig Zeit ihnen zu Gebote ſtand und mit welchen Schwierigkeiten ſie zu kämpfen hatten, und wird in ſeinem Urteil nachſichtiger.

Am 15. April. Wir brachen von der Inſel Panumana um 4 Uhr morgens auf, zwei Stunden vor Sonnenaufgang; der Himmel war großenteils bedeckt und durch dickes, über 40° hoch ſtehendes Gewölk fuhren Blitze. Wir wunderten uns, daß wir nicht donnern hörten; kam es daher, daß das Ge - witter ſo ausnehmend hoch ſtand? Es kam uns vor, als würden in Europa die elektriſchen Schimmer ohne Donner, das Wetterleuchten, wie man es mit unbeſtimmtem Ausdruck nennt, in der Regel weit näher am Horizont geſehen. Beim bedeckten Himmel, der die ſtrahlende Wärme des Bodens zu -104 rückwarf, war die Hitze erſtickend; kein Lüftchen bewegte das Laub der Bäume. Wie gewöhnlich waren die Jaguare über den Flußarm zwiſchen uns und dem Ufer herübergekommen, und wir hörten ſie ganz in unſerer Nähe brüllen. Im Laufe der Nacht hatten uns die Indianer geraten, aus dem Biwuak in eine verlaſſene Hütte zu ziehen, die zu den Conucos der Einwohner von Apures gehört; ſie verrammelten den Eingang mit Brettern, was uns ziemlich überflüſſig vorkam. Die Tiger ſind bei den Katarakten ſo häufig, daß vor zwei Jahren ein Indianer, der am Ende der Regenzeit, eben hier in den Co - nucos von Panumana, ſeine Hütte wieder aufſuchte, dieſelbe von einem Tigerweibchen mit zwei Jungen beſetzt fand. Die Tiere hatten ſich ſeit mehreren Monaten hier aufgehalten; nur mit Mühe brachte man ſie hinaus, und erſt nach hart - näckigem Kampfe konnte der Eigentümer einziehen. Die Ja - guare ziehen ſich gerne in verlaſſene Bauten, und nach meiner Meinung thut der einzelne Reiſende meiſt klüger, unter freiem Himmel zwiſchen zwei Feuern zu übernachten, als in unbe - wohnten Hütten Schutz zu ſuchen.

Bei der Abfahrt von der Inſel Panumana ſahen wir auf dem weſtlichen Stromufer die Lagerfeuer wilder Guahibos; der Miſſionär, der bei uns war, ließ einige blinde Schüſſe abfeuern, um ſie einzuſchüchtern, ſagte er, und ihnen zu zeigen, daß wir uns wehren könnten. Die Wilden hatten ohne Zweifel keine Kanoen und wohl auch keine Luſt, uns mitten auf dem Strome zu Leibe zu gehen. Bei Sonnenaufgang kamen wir am Einfluß des Rio Anaveni vorüber, der von den öſtlichen Bergen herabkommt. Jetzt ſind ſeine Ufer verlaſſen; aber zur Jeſuitenzeit hatte Pater Olmos hier Japuin - oder Yaruro - indianer in einem kleinen Dorfe zuſammengebracht. Die Hitze am Tage war ſo ſtark, daß wir lange an einem ſchattigen Platze hielten und mit der Leine fiſchten. Wir konnten die Fiſche, die wir gefangen, kaum alle fortbringen. Erſt ganz ſpät langten wir unmittelbar unter dem großen Katarakt in einer Bucht an, die der untere Hafen (puerto de abaxo) heißt, und gingen, bei der dunkeln Nacht nicht ohne Be - ſchwerde, auf ſchmalem Fußpfad in die Miſſion Atures, 4,5 km vom Flußufer. Man kommt dabei über eine mit großen Granitblöcken bedeckte Ebene.

Das kleine Dorf San Juan Nepomuceno de los Atures wurde im Jahre 1748 vom Jeſuiten Pater Fran - cisco Gonzales angelegt. Es iſt ſtromaufwärts die letzte vom105 Orden des heiligen Ignatius gegründete chriſtliche Nieder - laſſung. Die weiter nach Süd gelegenen Niederlaſſungen am Atabapo, Caſſiquiare und Rio Negro rühren von den dem Franziskanerorden angehörenden Obſervanten her. Wo jetzt das Dorf Atures ſteht, muß früher der Orinoko gefloſſen ſein, und die völlig ebene Grasflur um das Dorf war ohne Zweifel ein Stück des Flußbettes. Oeſtlich von der Miſſion ſah ich eine Felsreihe, die mir das alte Flußufer zu ſein ſchien. Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Strom gegen Weſt hin - übergedrängt, weil den öſtlichen Bergen zu, von denen viele Wildwaſſer herabkommen, die Anſchwemmungen ſtärker ſind. Der Katarakt heißt, wie oben bemerkt, Mapara, während das Dorf nach dem Volke der Atures genannt iſt, das man jetzt für ausgeſtorben hält. Auf den Karten des 17. Jahr - hunderts finde ich: Inſel und Katarakt Athule ; dies iſt Atures nach der Ausſprache der Tamanaken, die, wie ſo viele Völker, die Konſonanten l und r verwechſeln. Noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war dieſes gebirgige Land in Europa ſo wenig bekannt, daß d’Anville in der erſten Ausgabe ſeines Südamerika beim Salto de los Atures vom Orinoko einen Arm abgehen läßt, der ſich in den Ama - zonenſtrom ergießt und der bei ihm Rio Negro heißt.

Die alten Karten, ſowie Pater Gumilla in ſeinem Werke, ſetzen die Miſſion unter 30′ der Breite; der Abbé Gili gibt 30′ an. Nach Meridianhöhen des Canopus und des α des ſüdlichen Kreuzes fand ich 38′ 4″ Breite und durch Uebertrag der Zeit 4 Stunden 41 Minuten 17 Sekunden weſtliche Länge vom Pariſer Meridian. Die Inklination der Magnetnadel war am 16. April 30,25°; 223 Schwingungen in 10 Zeitminuten gaben das Maß der Intenſität der mag - netiſchen Kraft; in Paris ſind es 245 Schwingungen.

Wir fanden die kleine Miſſion in der kläglichſten Ver - faſſung. Zur Zeit von Solanos Expedition, gewöhnlich die Grenzexpedition genannt, waren noch 520 Indianer hier, und als wir über die Katarakte gingen, nur noch 47, und der Miſſionär verſicherte uns, mit jedem Jahre werde die Ab - nahme ſtärker. Er zeigte uns, daß in 32 Monaten nur eine einzige Ehe ins Kirchenbuch eingetragen worden; zwei weitere Ehen waren von noch nicht katechiſierten Indianern vor dem indianiſchen Governador geſchloſſen und damit, wie wir in Europa ſagen, der Civilakt vollzogen worden. Bei der Gründung der Miſſion waren hier Atures, Maypures, Meye -106 pures, Abanis und Quirupas untereinander; ſtatt dieſer Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stamme der Macos. Die Atures ſind faſt völlig ver - ſchwunden; man kennt ſie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabſtätten der Guanchen auf Tenerifa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem großen Völkerſtamme der Salivas angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves einer Ab - kunft ſeien mit den Cabres oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Kariben viel genannt werden. In dieſem Wirrwarr kleiner Völkerſchaften, die einander ſo ſchroff gegenüberſtehen, wie einſt die Völker in Latium, Kleinaſien und Sogdiana, läßt ſich das Zuſammengehörige im allge - meinſten nur an der Sprachverwandtſchaft erkennen. Die Sprachen ſind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen ſind; nur ſie, nicht an den Boden ge - feſſelt, beweglich und dauernd zugleich, ſind ſozuſagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über ſo viele Strecken verbreitet erſcheinen ſie aber weit weniger bei er - oberten und bei civiliſierten Völkern als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Fein - den in ihr tiefes Elend nichts mit ſich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter.

Zwiſchen dem 4. und 8. Breitengrad bildet der Orinoko nicht nur die Grenze zwiſchen dem großen Walde der Pa - rime und den kahlen Savannen am Apure, Meta und Gua - viare, er ſcheidet auch Horden von ſehr verſchiedener Lebens - weiſe. Im Weſten ziehen auf den baumloſen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft ſchmutzige Völker, ſtolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, ſchwer an den Boden zu feſſeln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen. Die ſpaniſchen Miſſionäre bezeichnen ſie ganz gut als Indios andantes (laufende, umherziehende Indianer). Oeſtlich vom Orinoko, zwiſchen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hauſen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, ſanftmütige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Miſſionen zu unter - werfende Völker. Der Indianer der Ebene unterſcheidet ſich vom Indianer der Wälder durch Sprache wie durch Sitten und die ganze Geiſtesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des107 erſteren iſt rauher, kürzer, leidenſchaftlicher; beim zweiten iſt ſie ſanfter, weitſchweifiger und reicher an abgeleiteten Aus - drücken.

In der Miſſion Atures, wie in den meiſten Miſſionen am Orinoko zwiſchen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volks - ſtämmen nebeneinander; man trifft daſelbſt Indianer aus den Wäldern und früher nomadiſche Indianer (Indios mon - teros und Indios andantes oder llaneros). Wir beſuchten mit dem Miſſionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. Im erſteren zeigt ſich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlſtand. Die unabhängigen Macos (Wilde möchte ich ſie nicht nennen) haben ihre Rochelas oder feſten Wohnplätze zwei bis drei Tage - reiſen öſtlich von Atures bei den Quellen des kleinen Fluſſes Cataniapo. Sie ſind ſehr zahlreich, bauen, wie die meiſten Waldindianer, keinen Mais, ſondern Maniok, und leben im beſten Einvernehmen mit den chriſtlichen Indianern in der Miſſion. Dieſe Eintracht hat der Franziskaner Pater Ber - nardo Zea geſtiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alkalde der unterworfenen Macos verließ mit der Genehmigung des Miſſionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos beſaß. Infolge dieſes friedlichen Verkehres hatten ſich vor einiger Zeit mehrere dieſer Indios monteros in der Miſſion nieder - gelaſſen. Sie baten dringend um Meſſer, Fiſchangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbotes der Ordensleute nicht als Halsbänder, ſondern zum Aufputz des Guayuco (Gürtels) dienen. Nachdem ſie das Gewünſchte erhalten, gingen ſie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Miſſion ſchlecht behagte. Epidemiſche Fieber, wie ſie bei Eintritt der Regenzeit nicht ſelten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahre 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures ſehr ſtark. Dem Waldindianer wird das Leben des civiliſierten Menſchen zum Greuel, ſobald ſeiner in der Miſſion lebenden Familie, ich will nicht ſagen ein Unglück, ſondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zuſtößt. So ſah man neubekehrte Indianer wegen herrſchender großer Trockenheit für immer aus den chriſtlichen Nieder - laſſungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen108 nicht ebenſo betroffen hätte, wenn ſie immer unabhängig ge - blieben wären.

Welches ſind die Urſachen der Fieber, die einen großen Teil des Jahres hindurch in den Dörfern Atures und May - pures an den zwei großen Katarakten des Orinoko herrſchen und die Gegend für den europäiſchen Reiſenden ſo gefährlich machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich ſtarken Feuchtigkeit der Luft, die ſchlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünſte, die ſich aus den kahlen Felſen der Raudales entwickeln. Dieſe Orinoko - fieber kommen, wie es uns ſchien, vollkommen mit denen überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwiſchen Nueva Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamiſche Fieber ausarten. Ich habe mein kleines Fieber (mi calenturita) erſt ſeit acht Monaten, ſagte der gute Miſſionär von Atures, der uns an den Rio Negro be - gleitete; er ſprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten ſie ein, wenn er in der Piroge auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heißen Sonne ausgeſetzt war. Dieſe drei - tägigen Fieber ſind mit bedeutender Schwächung des Muskel - ſyſtems verbunden; indeſſen ſieht man am Orinoko arme Ordensgeiſtliche ſich jahrelang mit dieſen Calenturitas und Tercianas ſchleppen; die Wirkungen ſind nicht ſo tief greifend und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten Himmelsſtrichen.

Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und ſogar die Miſſionäre den kahlen Felſen einen nachteiligen Einfluß auf die Salubrität der Luft zuſchreiben. Dieſer Glaube verdient um ſo mehr Beachtung, da er mit einer phyſikaliſchen Er - ſcheinung zuſammenhängt, die kürzlich in verſchiedenen Land - ſtrichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt iſt. In den Katarakten und überall, wo der Orinoko zwiſchen den Miſſionen Carichana und Santa Barbara periodiſch das Granitgeſtein beſpült, iſt dieſes glatt, dunkelfarbig, wie mit Waſſerblei überzogen. Die färbende Subſtanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkörniger Granit iſt, welcher hie und da Hornblendekriſtalle enthält. Der ſchwarze Ueberzug iſt 0,6 mm dick und findet ſich vorzüglich auf den quarzigen Stellen; die Feldſpatkriſtalle haben zuweilen äußerlich ihre rötlichweiße Farbe behalten und ſpringen aus der ſchwarzen109 Rinde vor. Zerſchlägt man das Geſtein mit dem Hammer, ſo iſt es innen unverſehrt, weiß, ohne Spur von Zerſetzung. Dieſe ungeheuren Steinmaſſen treten bald in viereckigen Um - riſſen auf, bald in der halbkugligen Geſtalt, wie ſie dem Granitgeſtein eigen iſt, wenn es ſich in Blöcke ſondert. Sie geben der Gegend etwas eigentümlich Düſteres, da ihre Farbe vom Waſſerſchaum, der ſie bedeckt, und vom Pflanzenwuchs um ſie her ſcharf abſticht. Die Indianer ſagen, die Felſen ſeien von der Sonnenglut verbrannt oder verkohlt . Wir ſahen ſie nicht nur im Bette des Orinoko, ſonder in manchen Punkten bis zu 970 m vom gegenwärtigen Ufer in Höhen, bis wohin der Fluß beim höchſten Waſſerſtande jetzt nicht ſteigt.

Was iſt dieſe ſchwarzbraune Kruſte, die dieſen Felſen, wenn ſie kugelig ſind, das Anſehen von Meteorſteinen gibt? Wie hat man ſich die Wirkung des Waſſers bei dieſem Nieder - ſchlag oder bei dieſem auffallenden Farbenwechſel zu denken? Vor allem iſt zu bemerken, daß die Erſcheinung nicht auf die Katarakte des Orinoko beſchränkt iſt, ſondern in beiden Hemi - ſphären vorkommt. Als ich, nach der Rückkehr aus Mexiko, im Jahre 1807 die Granite von Atures und Maypures Ro - zière ſehen ließ, der das Nilthal, die Küſte des Roten Meeres und den Berg Sinai bereiſt hat, ſo zeigte mir der gelehrte Geolog, daß das Urgebirgsgeſtein bei den kleinen Katarakten von Syene, gerade wie das am Orinoko, eine glänzende, ſchwarzgraue, faſt bleifarbige Oberfläche hat; manche Bruch - ſtücke ſehen aus wie mit Teer überzogen. Erſt neuerlich, bei der unglücklichen Expedition des Kapitän Tuckey, fiel die - ſelbe Erſcheinung engliſchen Naturforſchern an den Yellala (Stromſchnellen und Klippen) auf, welche den Kongo - oder Zairefluß verſtopfen. Dr. König hat im Britiſchen Muſeum neben Syenite vom Kongo Granite von Atures geſtellt, die einer Suite von Gebirgsarten entnommen ſind, die Bonpland und ich dem Präſidenten der Londoner königlichen Geſellſchaft überreicht hatten. Dieſe Handſtücke, ſagt König, ſehen beide aus wie Meteorſteine; bei beiden Gebirgsarten, bei der vom Orinoko wie bei der afrikaniſchen, beſteht die ſchwarze Rinde, nach der Analyſe von Children, aus Eiſen - und Man - ganoxyd.

Nach einigen Verſuchen, die ich in Mexiko in Verbindung mit del Rio gemacht, kam ich auf die Vermutung, das Ge - ſtein von Atures, welches das Papier, in das es eingeſchlagen iſt, ſchwarz färbt, möchte außer dem Manganoxyd Kohle und110 überkohlenſaures Eiſen enthalten. Am Orinoko ſind 13 bis 16 m dicke Granitmaſſen gleichförmig mit dieſen Oxyden über - zogen, und ſo dünn dieſe Rinden erſcheinen, enthalten ſie doch anſehnliche Mengen Eiſen und Mangan, da ſie über 20 qkm Fläche haben.

Es iſt zu bemerken, daß alle dieſe Erſcheinungen von Färbung des Geſteines bis jetzt nur in der heißen Zone beob - achtet worden ſind, an Flüſſen, deren Temperatur gewöhn - lich 24 bis 28° beträgt und die nicht über Sandſtein oder Kalkſtein, ſondern über Granit, Gneis und Hornblendegeſtein laufen. Der Quarz und der Feldſpat enthalten kaum 5 bis 6 Tauſendteile Eiſen - und Manganoxyd; dagegen im Glim - mer und in der Hornblende kommen dieſe Oxyde, beſonders das Eiſenoxyd, nach Klaproth und Herrmann, bis zu 15 und 20 Prozent vor. Die Hornblende enthält zudem Kohle, wie auch der lydiſche Stein und der Kieſelſchiefer. Bildet ſich nun dieſe ſchwarze Rinde durch eine langſame Zerſetzung des Granits unter dem doppelten Einfluß der Feuchtigkeit und der Sonne der Tropen, wie ſoll man es erklären, daß die Oxyde ſich ſo gleichförmig über die ganze Oberfläche des Geſteines verbreiten, daß um einen Glimmer - und Hornblendekriſtall nicht mehr davon liegt als über dem Feldſpat und dem milchigen Quarz? Der eiſenſchüſſige Sandſtein, der Granit, der Marmor, die aſchfarbig, zuweilen braun werden, haben ein ganz anderes Ausſehen. Der Glanz und die gleiche Dicke der Rinde laſſen vielmehr vermuten, daß der Stoff ein Niederſchlag aus dem Waſſer des Orinoko iſt, das in die Spalten des Geſteines ge - drungen. Geht man von dieſer Vorausſetzung aus, ſo fragt man ſich, ob jene Oxyde im Fluſſe nur ſuſpendiert ſind, wie der Sand und andere erdige Subſtanzen, oder wirklich chemiſch aufgelöſt? Der erſteren Annahme widerſpricht der Umſtand, daß die Rinde völlig homogen iſt und neben den Oxyden weder Sandkörner noch Glimmerblättchen ſich darin finden. Man muß daher annehmen, daß chemiſche Auflöſung vorliegt, und die Vorgänge, die wir täglich in unſeren Laboratorien beobachten, widerſprechen dieſer Vorausſetzung durchaus nicht. Das Waſſer großer Flüſſe enthält Kohlenſäure, und wäre es auch ganz rein, ſo könnte es doch immer in ſehr großen Mengen einige Teilchen Metalloxyd oder Hydrat auflöſen, wenn dieſelben auch für unauflöslich gelten. Im Nilſchlamm, alſo im Niederſchlag der im Fluſſe ſuſpendierten Stoffe, findet ſich kein Mangan; er enthält aber nach Reynaults Analyſe111 6 Prozent Eiſenoxyd und ſeine anfangs ſchwarze Farbe wird beim Trocknen und durch die Einwirkung der Luft gelbbraun. Von dieſem Schlamme kann alſo die ſchwarze Rinde an den Felſen von Syene nicht herrühren. Auf meine Bitte hat Berzelius dieſe Rinde unterſucht; er fand darin Eiſen und Mangan, wie in der auf den Graniten vom Orinoko und Kongo. Der berühmte Chemiker iſt der Anſicht, die Oxyde werden von den Flüſſen nicht dem Boden entzogen, über den ſie laufen, ſie kommen ihnen vielmehr aus ihren unterirdiſchen Quellen zu und ſie ſchlagen dieſelben auf das Geſtein nieder wie durch Cementation, infolge eigentümlicher Affinitäten, vielleicht durch Einwirkung des Kali im Feldſpat. Nur durch einen langen Aufenthalt an den Katarakten des Orinoko, des Nil und des Kongofluſſes und durch genaue Beobachtung der Umſtände, unter denen die Färbung auftritt, kann die Frage, die uns hier beſchäftigt hat, ganz zur Entſcheidung gebracht werden. Iſt die Erſcheinung der Beſchaffenheit des Geſteines unabhängig? Ich beſchränke mich auf die allgemeine Bemer - kung, daß weder Granitmaſſen, die weit vom alten Bette des Orinoko liegen, aber in der Regenzeit abwechſelnd befeuchtet und von der Sonne erhitzt werden, noch der Granit, der von den bräunlichen Waſſern des Rio Negro beſpült wird, äußer - lich den Meteorſteinen ähnlich werden. Die Indianer ſagen, die Felſen ſeien nur da ſchwarz, wo das Waſſer weiß iſt . Sie ſollten vielleicht weiter ſagen: wo das Waſſer eine große Geſchwindigkeit erlangt hat und gegen das Geſtein am Ufer anprallt. Die Cementation ſcheint zu erklären, warum die Rinde ſo dünn bleibt.

Ob der in den Miſſionen am Orinoko herrſchende Glaube, daß in der Nähe des kahlen Geſteines, beſonders der Fels - maſſen mit einer Rinde von Kohle, Eiſen - und Manganoxyd die Luft ungeſund ſei, grundlos iſt, weiß ich nicht zu ſagen. In der heißen Zone werden noch mehr als anderswo die krankheiterregenden Urſachen vom Volke willkürlich gehäuft. Man ſcheut ſich dort im Freien zu ſchlafen, wenn einem der Vollmond ins Geſicht ſchiene; ebenſo hält man es für be - denklich, ſich nahe am Fluſſe auf Granit zu lagern, und man erzählt viele Fälle, wo Leute nach einer auf dem ſchwarzen kahlen Geſtein zugebrachten Nacht morgens mit einem ſtarken Fieberanfall erwacht ſind. Wir ſchenkten nun zwar dieſer Be - hauptung der Miſſionäre und der Eingeborenen nicht unbedingt Glauben, mieden aber doch die Laxas negras und lagerten112 uns auf mit weißem Sande bedeckten Uferſtrecken, wenn wir keine Bäume fanden, um unſere Hängematten zu befeſtigen. In Carichana will man das Dorf abbrechen und verlegen, nur um von den ſchwarzen Felſen wegzukommen, von einem Orte, wo auf einer Strecke von mehr als 3,8 ha die Bodenfläche aus kahlem Granitgeſtein beſteht. Aus ähnlichen Gründen, die den Phyſikern in Europa als bloße Einbil - dungen erſcheinen müſſen, verſetzten die Jeſuiten Olmo, For - neri und Mellis ein Dorf der Yaruros an drei verſchiedene Punkte zwiſchem dem Raudal von Tabaje und dem Rio Ana - veni. Ich glaube dieſe Dinge, ganz wie ſie mir zu Ohren gekommen, anführen zu müſſen, da wir ſo gut wie gar nicht wiſſen, was eigentlich die Gasgemenge ſind, wodurch die Luft ungeſund wird. Läßt ſich annehmen, daß unter dem Einfluß ſtarker Hitze und beſtändiger Feuchtigkeit die ſchwarze Rinde des Geſteines auf die umgebende Luft einwirkt und Miasmen, ternäre Verbindungen von Kohlenſtoff, Stickſtoff und Waſſer - ſtoff erzeugt? Ich zweifle daran. Der Granit am Orinoko enthält allerdings häufig Hornblende, und praktiſche Berg - leute wiſſen wohl, daß die ſchlimmſten Schwaden ſich in Stollen bilden, die durch Syenit und Hornblendeſtein ge - trieben werden. Aber im Freien, wo die Luft durch die kleinen Strömungen fortwährend erneuert wird, kann die Wir - kung nicht dieſelbe ſein wie in einer Grube.

Wahrſcheinlich iſt es nur deshalb gefährlich, auf den Laxas negras zu ſchlafen, weil das Geſtein bei Nacht eine ſehr hohe Temperatur behält. Ich fand dieſelbe bei Tage 48°, während die Luft im Schatten 29,7° warm war; bei Nacht zeigte der Thermometer, an das Geſtein gelegt, 36°, die Luft nur 26°. Wenn die Wärmeanhäufung in den Geſteinsmaſſen zum Stillſtand gekommen iſt, ſo haben dieſe Maſſen zu den - ſelben Stunden immer wieder ungefähr dieſelbe Temperatur. Den Ueberſchuß von Wärme, den ſie bei Tage bekommen, ver - lieren ſie in der Nacht durch Strahlung, deren Stärke von der Beſchaffenheit der Oberfläche des ſtrahlenden Körpers, von der Anordnung ſeiner Moleküle im Inneren, beſonders aber von der Reinheit des Himmels abhängt, das heißt davon, ob die Luft durchſichtig und wolkenlos iſt. Wo der Unterſchied in der Abweichung der Sonne nur gering iſt, geht von ihr jeden Tag faſt die gleiche Wärmemenge aus und das Geſtein iſt am Ende des Sommers nicht wärmer als zu Anfang des - ſelben. Es kann ein gewiſſes Maximum nicht überſchreiten,113 weil ſich weder der Zuſtand ſeiner Oberfläche, noch ſeine Dich - tigkeit, noch ſeine Wärmekapazität verändert hat. Steigt man am Ufer des Orinoko bei Nacht aus der Hängematte und betritt den Felsboden mit bloßen Füßen, ſo iſt die Wärme, die man empfindet, ſehr auffallend. Wenn ich die Thermo - meterkugel an das nackte Geſtein legte, fand ich faſt immer, daß die Laxas negras bei Tage wärmer ſind als der rötlich - weiße Granit weitab vom Ufer, daß aber letzterer ſich bei Nacht nicht ſo ſchnell abkühlt als jener. Begreiflich geben Maſſen mit einem ſchwarzen Ueberzug den Wärmeſtoff raſcher wieder ab als ſolche, in denen viele ſilberfarbige Glimmer - blätter ſtecken. Geht man in Carichana, Atures oder May - pures zwiſchen 1 und 3 Uhr nachmittags unter dieſen auf - getürmten Felsblöcken ohne alle Dammerde, ſo erſtickt man beinahe, als ſtünde man vor der Mündung eines Schmelz - ofens. Der Wind (wenn man ihn je in dieſen bewaldeten Ländern ſpürt) bringt ſtatt Kühlung nur noch heißere Luft herbei, da er über Steinſchichten und aufgetürmte Granit - kugeln weggegangen iſt. Durch dieſe Steigerung der Hitze wird das Klima noch ungeſünder als es ohnehin iſt.

Unter den Urſachen der Entvölkerung der Raudales habe ich die Blattern nicht genannt, die in anderen Strichen von Amerika ſo ſchreckliche Verheerungen anrichten, daß die Ein - geborenen, von Entſetzen ergriffen, ihre Hütten anzünden, ihre Kinder umbringen und alle Gemeinſchaft fliehen. Am oberen Orinoko weiß man von dieſer Geißel ſo gut wie nichts, und käme ſie je dahin, ſo iſt zu hoffen, daß ihr die Kuh - pockenimpfung, deren Segen man auf den Küſten von Terra Firma täglich empfindet, alsbald Schranken ſetzte. Die Ur - ſachen der Entvölkerung in den chriſtlichen Niederlaſſungen ſind der Widerwille der Indianer gegen die Zucht in den Miſ - ſionen, das ungeſunde, zugleich heiße und feuchte Klima, die ſchlechte Nahrung, die Verwahrloſung der Kinder, wenn ſie krank ſind, und die ſchändliche Sitte der Mütter, giftige Kräuter zu gebrauchen, damit ſie nicht ſchwanger werden. Bei den barbariſchen Völkern in Guyana, wie bei den halb civili - ſierten Bewohnern der Südſeeinſeln gibt es viele junge Weiber, die nicht Mütter werden wollen. Bekommen ſie Kinder, ſo ſind dieſelben nicht allein den Gefahren des Lebens in der Wildnis, ſondern noch manchen anderen ausgeſetzt, die aus dem abgeſchmackteſten Aberglauben herfließen. Sind es Zwillinge, ſo verlangen verkehrte Begriffe von Anſtand undA. v. Humboldt, Reiſe. III. 8114Familienehre, daß man eines der Kinder umbringe. Zwillinge in die Welt ſetzen, heißt ſich dem allgemeinen Spott preis - geben, heißt es machen wie Ratten, Beuteltiere und das niedrigſte Getier, das viele Junge zugleich wirft. Aber noch mehr: Zwei zugleich geborene Kinder können nicht von einem Vater ſein. Das iſt ein Lehrſatz in der Phyſiologie der Salivas, und unter allen Himmelsſtrichen, auf allen Stufen der geſellſchaftlichen Entwickelung ſieht man, daß das Volk, hat es ſich einmal einen Satz derart zu eigen gemacht, zäher daran feſthält als die Unterrichteten, die ihn zuerſt aufs Tapet gebracht. Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Baſen der Mutter oder die Mure japoic-nei (Hebamme) auf ſich, eines der Kinder auf die Seite zu ſchaffen. Hat der Neugeborene, wenn er auch kein Zwilling iſt, irgend eine körperliche Mißbildung, ſo bringt ihn der Vater auf der Stelle um. Man will nur wohlgebildete, kräftige Kinder; denn bei den Mißbildungen hat der böſe Geiſt Joloquiamo die Hand im Spiel, oder der Vogel Tikitiki, der Feind des Menſchengeſchlechtes. Zuweilen haben auch bloß ſehr ſchwäch - liche Kinder dasſelbe Los. Fragt man einen Vater, was aus einem ſeiner Söhne geworden ſei, ſo thut er, als wäre er ihm durch einen natürlichen Tod entriſſen worden. Er ver - leugnet eine That, die er für tadelnswert, aber nicht für ſtrafbar hält. Das arme Mure (Kind), heißt es, konnte nicht mit uns Schritt halten; man hätte jeden Augenblick auf es warten müſſen; man hat nichts mehr von ihm geſehen, es iſt nicht dahin gekommen, wo wir geſchlafen haben. Dies iſt die Unſchuld und Sitteneinfalt, dies iſt das geprieſene Glück des Menſchen im Urzuſtand! Man bringt ſein Kind um, um nicht wegen Zwillingen lächerlich zu werden, um nicht langſamer wandern, um ſich nicht eine kleine Entbehrung auferlegen zu müſſen.

Grauſamkeiten derart ſind nun allerdings nicht ſo häufig, als man glaubt; indeſſen kommen ſie ſogar in den Miſſionen vor, und zwar zur Zeit, wo die Indianer aus dem Dorfe ziehen und ſich auf den Conucos in den nahen Wäldern aufhalten. Mit Unrecht ſchriebe man ſie der Polygamie zu, in der die nicht katechiſierten Indianer leben. Bei der Viel - weiberei iſt allerdings das häusliche Glück und der Friede in den Familien gefährdet, aber trotz dieſes Brauches, der ja auch ein Geſetz des Islams iſt, lieben die Morgenländer ihre Kinder zärtlich. Bei den Indianern am Orinoko kommt der115 Vater nur nach Hauſe, um zu eſſen und ſich in ſeine Hänge - matte zu legen; er liebkoſt weder ſeine kleinen Kinder, noch ſeine Weiber, die da ſind, ihn zu bedienen. Die väter - liche Zuneigung kommt erſt dann zum Vorſchein, wenn der Sohn ſo weit herangewachſen iſt, daß er an der Jagd, am Fiſchfang und an der Arbeit in den Pflanzungen teil - nehmen kann.

Wenn nun aber auch der ſchändliche Brauch, durch ge - wiſſe Tränke Kinder abzutreiben, die Zahl der Geburten ver - mindert, ſo greifen dieſe Tränke die Geſundheit nicht ſo ſehr an, daß nicht die jungen Weiber in reiferen Jahren wieder Mütter werden könnten. Dieſe phyſiologiſch ſehr merkwürdige Erſcheinung iſt den Mönchen in den Miſſionen längſt aufge - fallen. Der Jeſuit Gili, der 15 Jahre lang die Indianer am Orinoko Beichte gehört hat und ſich rühmt, i segreti delle donne maritate zu kennen, äußert ſich darüber mit verwunder - licher Naivität. In Europa, ſagt er, fürchten ſich die Ehe - weiber vor dem Kinderbekommen, weil ſie nicht wiſſen, wie ſie ſie ernähren, kleiden, ausſtatten ſollen. Von all dieſen Sorgen wiſſen die Weiber am Orinoko nichts. Sie wählen die Zeit, wo ſie Mütter werden wollen, nach zwei gerade entgegengeſetzten Syſtemen, je nachdem ſie von den Mitteln, ſich friſch und ſchön zu erhalten, dieſe oder jene Vorſtellung haben. Die einen behaupten, und dieſe Meinung iſt die vor - herrſchende, es ſei beſſer, man fange ſpät an Kinder zu be - kommen, um ſich in den erſten Jahren der Ehe ohne Unter - brechung der Arbeit in Haus und Feld widmen zu können. Andere glauben im Gegenteil, es ſtärke die Geſundheit und verhelfe zu einem glücklichen Alter, wenn man ſehr jung Mutter geworden ſei. Je nachdem die Indianer das eine oder das andere Syſtem haben, werden die Abtreibemittel in den verſchiedenen Lebensaltern gebraucht. Sieht man hier, wie ſelbſtſüchtig der Wilde ſeine Berechnungen anſtellt, ſo möchte man den civiliſierten Völkern in Europa Glück wün - ſchen, daß Ecbolia, die dem Anſchein nach der Geſundheit ſo wenig ſchaden, ihnen bis jetzt unbekannt geblieben ſind. Durch die Einführung von dergleichen Tränken würde viel - leicht die Sittenverderbnis in den Städten noch geſteigert, wo ein Vierteil der Kinder nur zur Welt kommt, um von den Eltern verſtoßen zu werden. Leicht möglich aber auch, daß die neuen Abtreibemittel in unſerem Klima ſo gefährlich wären wie der Sevenbaum, die Aloe und das flüchtige Zimt -116 und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verſchiedenen organiſchen Syſteme unabhängiger von - einander ſind, widerſteht beſſer und länger übermäßigen Reizen und dem Gebrauch dem Leben feindlicher Subſtanzen, als die ſchwache Konſtitution des civiliſierten Menſchen. Ich glaubte mich in dieſe nicht ſehr erfreulichen pathologiſchen Betrach - tungen einlaſſen zu müſſen, weil ſie auf eine der Urſachen hinweiſen, aus denen im verſunkenſten Zuſtande unſeres Ge - ſchlechtes, wie auf der höchſten Stufe der Kultur, die Be - völkerung kaum merklich zunimmt.

Zu den eben bezeichneten Urſachen kommen andere weſent - lich verſchiedene. Im Kollegium für die Miſſionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an ſehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als an den Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianiſchen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnen - untergang, alſo wenn die Luft am kühlſten iſt, zu baden, ſcheint die Konſtitution zu ſchwächen.

Der Pater Guardian der Franziskaner ſah mit Schrecken, wie raſch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Ka - tarakten abnahm und ſchlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angoſtura vor, die Indianer durch Neger zu erſetzen. Bekanntlich dauert die afrikaniſche Raſſe in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Nieder - laſſung freier Neger am ungeſunden Ufer des Caura in der Miſſion San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und ſie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Guardian beabſichtigte einen Teil dieſer ſchwarzen Koloniſten an die Ka - tarakte des Orinoko zu verpflanzen, oder aber Sklaven auf den Antillen zu kaufen und ſie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Eſſequibo entlaufen, anzuſiedeln. Wahr - ſcheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derſelbe er - innerte im kleinen an die Niederlaſſungen in Sierra Leone; es war Ausſicht vorhanden, daß der Zuſtand der Schwarzen ſich damit verbeſſerte und ſo das Chriſtentum zu ſeinem ur - ſprünglichen Ziele, Förderung des Glückes und der Freiheit der unterſten Volksklaſſen, wieder hingeführt wurde. Ein kleines Mißverſtändnis vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: Da man für das Leben der Neger ſo wenig bürgen könne als für das der Indianer, ſo erſcheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlaſſung in den Dörfern117 bei den Katarakten zu zwingen. Gegenwärtig hängt die Exiſtenz dieſer Miſſionen ſo ziemlich an zwei Guahibo - und Macofamilien, den einzigen, bei denen man einige Spuren von Civiliſation findet und die das Leben auf eigenem Grund und Boden lieben. Sterben dieſe Haushaltungen aus, ſo laufen die anderen Indianer, die der Miſſionszucht längſt müde ſind, dem Pater Zea davon, und an einem Punkt, den man als den Schlüſſel des Orinoko betrachten kann, finden dann die Reiſenden nichts mehr, was ſie bedürfen, zumal keinen Steuermann, der die Kanoen durch die Stromſchnellen ſchafft; der Verkehr zwiſchen dem Fort am Rio Negro und der Hauptſtadt Angoſtura wäre, wo nicht unterbrochen, doch ungemein erſchwert. Es bedarf ganz genauer Kenntnis der Oertlichkeiten, um ſich in das Labyrinth von Klippen und Felsblöcken zu wagen, die bei Atures und Maypures das Strombett verſtopfen.

Während man unſere Piroge auslud, betrachteten wir von allen Punkten, wo wir ans Ufer gelangen konnten, in der Nähe das ergreifende Schauſpiel eines eingeengten und wie völlig in Schaum verwandelten großen Stromes. Ich verſuche es, nicht unſere Empfindungen, ſondern eine Oertlich - keit zu ſchildern, die unter den Landſchaften der Neuen Welt ſo berühmt iſt. Je großartiger, majeſtätiſcher die Gegenſtände ſind, deſto wichtiger iſt es, ſie in ihren kleinſten Zügen auf - zufaſſen, die Umriſſe des Gemäldes, mit dem man zur Ein - bildungskraft des Leſers ſprechen will, feſt zu zeichnen, die bezeichnenden Merkmale der großen, unvergänglichen Denk - mäler der Natur einfach zu ſchildern.

Von ſeiner Mündung bis zum Einfluß des Anaveni, auf einer Strecke von 1170 km, iſt die Schiffahrt auf dem Orinoko durchaus ungehindert. Bei Muitaco, in einer Bucht, Boca del Infierno genannt, ſind Klippen und Wirbel; bei Carichana und San Borja ſind Stromſchnellen (Raudalitos); aber an all dieſen Punkten iſt der Strom nie ganz geſperrt, es bleibt eine Waſſerſtraße, auf der die Fahrzeuge hinab und hinauf fahren können.

Auf dieſer ganzen Fahrt auf dem unteren Orinoko wird dem Reiſenden nur eines gefährlich, die natürlichen Flöße aus Bäumen, die der Fluß entwurzelt und bei Hochwaſſer forttreibt. Wehe den Pirogen, die bei Nacht an ſolchem Gitterwerk aus Holz und Schlinggewächſen auffahren! Das - ſelbe iſt mit Waſſerpflanzen bedeckt und gleicht hier, wie auf118 dem Miſſiſſippi, ſchwimmenden Wieſen, den Chinampas1Schwimmende Gärten. der mexikaniſchen Seen. Wenn die Indianer eine feindliche Horde überfallen wollen, binden ſie mehrere Kanoen mit Stricken zuſammen, bedecken ſie mit Kräutern Baumzweigen und bilden ſo die Haufen von Bäumen nach, die der Orinoko auf ſeinem Thalweg abwärts treibt. Man ſagt den Kariben nach, ſie ſeien früher in dieſer Kriegsliſt ausgezeichnet ge - weſen, und gegenwärtig bedienen ſich die ſpaniſchen Schmuggler in der Nähe von Angoſtura desſelben Mittels, um die Zoll - aufſeher hinter das Licht zu führen.

Oberhalb des Rio Anaveni, zwiſchen den Bergen von Uniana und Sipapu, kommt man zu den Katarakten von Mapara und Quituna, oder wie die Miſſionäre gemeiniglich ſagen, zu den Raudales von Atures und Maypures. Dieſe beiden vom einen zum anderen Ufer laufenden Stromſperren geben im großen ungefähr dasſelbe Bild: zwiſchen zahlloſen Inſeln, Felsdämmen, aufeinander getürmten, mit Palmen be - wachſenen Granitblöcken löſt ſich einer der größten Ströme der Neuen Welt in Schaum auf. Trotz dieſer Uebereinſtim - mung im Ausſehen hat jeder der Fälle ſeinen eigentümlichen Charakter. Der erſte, nördliche, iſt bei niedrigem Waſſer leichter zu paſſieren; beim zweiten, dem von Maypures, iſt den In - dianern die Zeit des Hochwaſſers lieber. Oberhalb Maypures und der Einmündung des Caño Cameji iſt der Orinoko wieder frei auf einer Strecke von mehr als 760 km, bis in die Nähe ſeiner Quellen, das heißt bis zum Raudalito der Guaharibos, oſtwärts vom Caño Chiguire und den hohen Bergen von Yumariquin.

Ich habe die beiden Becken des Orinoko und des Ama - zonenſtromes beſucht, und es fiel mir ungemein auf, wie ver - ſchieden ſie ſich auf ihrem ungleich langen Laufe verhalten. Beim Amazonenſtrom, der gegen 1820 km lang iſt, ſind die großen Fälle ziemlich nahe bei den Quellen, im erſten Sechs - teil der ganzen Länge; fünf Sechsteile ſeines Laufes ſind vollkommen frei. Beim Orinoko ſind die Fälle, weit un - günſtiger für die Schiffahrt, wenn nicht in der Mitte, doch unterhalb des erſten Dritteils ſeiner Länge gelegen. Bei beiden Strömen werden die Fälle nicht durch die Berge, nicht durch die Stufen der übereinander liegenden Plateaus, wo ſie entſpringen, gebildet, ſondern durch andere Berge, durch119 andere übereinander gelagerte Stufen, durch die ſich die Ströme nach langem friedlichen Laufe Bahn brechen müſſen, wobei ſie ſich von Staffel zu Staffel herabſtürzen.

Der Amazonenſtrom durchbricht keineswegs die Haupt - kette der Anden, wie man zu einer Zeit behauptete, wo man ohne Grund vorausſetzte, daß überall, wo ſich die Gebirge in parallele Ketten teilen, die mittlere oder Centralkette höher ſein müſſe als die anderen. Dieſer große Strom entſpringt (und dieſer Umſtand iſt geologiſch nicht ohne Belang) oſtwärts von der weſtlichen Kette, der einzigen, welche unter dieſer Breite den Namen einer hohen Andenkette verdient. Er ent - ſteht aus der Vereinigung der kleinen Flüſſe Aguamiros und und Chavinillo, welch letzterer aus dem See Llauricocha kommt, der in einem Längenthale zwiſchen der weſtlichen und der mittleren Kette der Anden liegt. Um dieſe hydrographiſchen Verhältniſſe richtig aufzufaſſen, muß man ſich vorſtellen, daß der koloſſale Gebirgskuoten von Pasco und Huanuco ſich in drei Ketten teilt. Die weſtlichſte, höchſte, ſtreicht unter dem Namen Cordillera real de Nieve (zwiſchen Huary und Caxa - tambo, Guamachuco und Lucma, Micuipampa und Guanga - marca) über die Nevados von Viuda, Pelagatos, Moyopata und Huaylillas, und die Paramos von Guamani und Gua - ringa gegen die Stadt Loxa. Der mittlere Zug ſcheidet die Gewäſſer des oberen Amazonenſtroms und des Huallaga und bleibt lange nur 1950 m hoch; erſt ſüdlich von Huanuco ſteigt er in der Kordillere von Saſaguanca über die Schneelinie empor. Er ſtreicht zuerſt nach Nord über Huacrachuco, Chacha - poyas, Moyobamba und den Paramo von Piscoguañuna, dann fällt er allmählich ab, Peca, Capallin und der Miſſion San Jago am öſtlichen Ende der Provinz Jaen de Braca - moros zu. Die dritte, öſtlichſte Kette zieht ſich am rechten Ufer des Rio Huallaga hin und läuft unter dem 7. Grad der Breite in die Niederung aus. Solange der Amazonen - ſtrom von Süd nach Nord im Längenthal zwiſchen zwei Gebirgszügen von ungleicher Höhe läuft (das heißt von den Höhen Quivilla und Guancaybamba, wo man auf hölzernen Brücken über den Fluß geht, bis zum Einfluß des Rio Chinchipe), iſt die Fahrt im Kanoe weder durch Felſen, noch durch ſonſt etwas gehemmt. Die Fälle fangen erſt da an, wo der Ama - zonenſtrom ſich gegen Oſt wendet und durch die mittlere Anden - kette hindurchgeht, die gegen Norden bedeutend breiter wird. Er ſtößt auf die erſten Felſen von rotem Sandſtein oder altem120 Konglomerat zwiſchen Tambillo und dem Pongo Rentema, wo ich Breite, Tiefe und Geſchwindigkeit des Waſſers ge - meſſen habe; er tritt aus dem roten Sandſtein oſtwärts von der vielberufenen Stromenge Manſeriche beim Pongo Tayuchuc, wo die Hügel ſich nur noch 78 bis 116 m über den Fluß - ſpiegel erheben. Den öſtlichen Zug, der an den Pampas von Sacramento hinläuft, erreicht der Fluß nicht. Von den Hügeln von Tayuchuc bis Gran Para, auf einer Strecke von mehr als 3375 km, iſt die Schiffahrt ganz frei. Aus dieſer raſchen Ueberſicht ergibt ſich, daß der Marañon, hätte er nicht das Bergland zwiſchen San Jago und Tomependa, das zur Central - kette der Anden gehört, zu durchziehen, ſchiffbar wäre von ſeinem Ausfluß ins Meer bis Pumpo bei Piscobamba in der Provinz Conchucos, 193 km von ſeiner Quelle.

Wir haben geſehen, daß ſich beim Orinoko wie beim Amazonenſtrom die großen Fälle nicht in der Nähe des Ur - ſprunges befinden. Nach einem ruhigen Lauf von mehr als 720 km vom kleinen Raudal der Guaharibos, oſtwärts von Esmeralda, bis zu den Bergen von Sipapu, und nachdem er ſich durch die Flüſſe Jao, Ventuari, Atabapo und Guaviare verſtärkt, biegt der Orinoko aus ſeiner bisherigen Richtung von Oſt nach Weſt raſch in die von Süd nach Nord um und ſtößt auf dem Laufe über die Land-Meerenge 1Dieſe Landenge, von der ſchon öfters die Rede war, wird von den Kordilleren der Anden von Neugranada und von der Kordillere der Parime gebildet. in den Nie - derungen am Meta auf die Ausläufer der Kordillere der Parime. Und dadurch entſtehen nun Fälle, die weit ſtärker ſind und der Schiffahrt ungleich mehr Eintrag thun als alle Pongos im oberen Marañon, weil ſie, wie wir oben ausein - andergeſetzt, der Mündung des Fluſſes verhältnismäßig näher liegen. Ich habe mich in dieſe geographiſchen Details ein - gelaſſen, um am Beiſpiel der größten Ströme der Neuen Welt zu zeigen: 1) daß ſich nicht abſolut eine gewiſſe Meter - zahl, eine gewiſſe Meereshöhe angeben läßt, über welcher die Flüſſe noch nicht ſchiffbar ſind; 2) daß die Stromſchnellen keineswegs immer, wie in manchen Handbüchern der allge - meinen Topographie behauptet wird, nur am Abhang der erſten Bergſchwellen, bei den erſten Höhenzügen vorkommen, über welche die Gewäſſer in der Nähe ihrer Quellen zu laufen haben.

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Nur der nördliche der großen Katarakte des Orinoko hat hohe Berge zu beiden Seiten. Das linke Stromufer iſt meiſt niedriger, gehört aber zu einem Landſtrich, der weſtwärts von Atures gegen den Pik Uniana anſteigt, einen gegen 975 m hohen Bergkegel auf einer ſteil abfallenden Felsmauer. Da - durch, daß er frei aus der Ebene aufſteigt, nimmt ſich dieſer Pik noch großartiger und majeſtätiſcher aus. In der Nähe der Miſſion, auf dem Landſtrich am Katarakt nimmt die Landſchaft bei jedem Schritt einen anderen Charakter an. Auf engem Raume findet man hier die rauheſten, finſterſten Natur - gebilde neben freiem Felde, bebauten, lachenden Fluren. In der äußeren Natur wie in unſerem Inneren iſt der Gegen - ſatz der Eindrücke, das Nebeneinander des Großartigen, Drohen - den, und des Sanften, Friedlichen eine reiche Quelle unſerer Empfindungen und Genüſſe.

Ich nehme hier einige zerſtreute Züge einer Schilderung auf, die ich kurz nach meiner Rückkehr nach Europa in einem anderen Buche entworfen. 1Anſichten der Natur Band I, Seite 122 138.Die mit zarten Kräutern und Gräſern bewachſenen Savannen von Atures ſind wahre Prärien, ähnlich unſeren europäiſchen Wieſen; ſie werden nie vom Fluſſe überſchwemmt und ſcheinen nur der Menſchenhand zu harren, die ſie umbricht. Trotz ihrer bedeutenden Ausdeh - nung ſind ſie nicht ſo eintönig wie unſere Ebenen. Sie laufen um Felsgruppen, um übereinander getürmte Granit - blöcke her. Dicht am Rande dieſer Ebenen, dieſer offenen Fluren ſtößt man auf Schluchten, in die kaum ein Strahl der untergehenden Sonne dringt, auf Gründe, wo einem auf dem feuchten, mit Arum, Helikonia und Lianen dicht be - wachſenen Boden bei jedem Schritte die wilde Ueppigkeit der Natur entgegentritt. Ueberall kommen, dem Boden gleich, die ganz kahlen Granitplatten zu Tage, wie ich ſie bei Carichana beſchrieben, und wie ich ſie in der Alten Welt nirgends ſo ausnehmend breit geſehen habe wie im Orinokothale. Da wo Quellen aus dem Schoße dieſes Geſteines vorbrechen, haben ſich Verrucarien, Pſoren und Flechten an den verwitterten Granit geheftet und Dammerde erzeugt. Kleine Euphorbien, Peperomien und andere Saftpflanzen ſind den kryptogami - ſchen Gewächſen gefolgt, und jetzt bildet immergrünes Strauch - werk, Rhexien, Melaſtomen mit purpurroten Blüten, grüne Eilande inmitten der öden ſteinigen Ebene. Man kommt122 immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savannen zerſtreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit leder - artigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die ſich ein Bett im Fels graben und ſich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke ſchlängeln, alles erinnert einen hier an die reizendſten, maleriſchten Partieen unſerer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landſchaft menſchlicher Kunſt und Spuren von Kultur zu begegnen.

Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächſt bei der Miſſion Atures erhält die Gegend eine ſo auffallende Phyſio - gnomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont be - grenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzen - wuchſes das Ihrige dazu bei. Dieſe Berge erheben ſich meiſt nur 225 bis 260 m über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel ſind abgerundet, wie in den meiſten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen (el Cucurito), deren gleich Federbüſchen ge - kräuſelte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad maje - ſtätiſch emporſteigen, ſtehen mitten unter Bäumen mit wage - rechten Aeſten; ihre nackten Stämme ſchießen gleich 30 bis 40 m hohen Säulen in die Luft hinauf und heben ſich vom blauen Himmel ab, ein Wald über dem Walde . Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die rötliche Scheibe des Planeten ſich hinter das gefiederte Laub der Palmen verſteckte und dann wieder im Luftſtrich zwiſchen beiden Wäl - dern zum Vorſchein kam, ſo glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einſiedelei des Alten verſetzt, die Bernardin de Saint Pierre als eine der herrlichſten Gegenden auf der Inſel Bourbon ſchildert, und fühlte ſo recht, wie ſehr die Gewächſe nach Wuchs und Gruppierung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beſchreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Inſel im Indiſchen Ozean hat der unnachahmliche Verfaſſer von Paul und Virginie vom gewaltigen Bilde der tropiſchen Landſchaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu ſchildern, nicht weil er ſie als Forſcher kannte, ſondern weil er für all ihre harmoniſchen Verhältniſſe in Geſtaltung, Farbe und in - neren Kräften ein tiefes Gefühl beſaß.

Oeſtlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen zwei Wälder von Laurineen und Palmen überein - ander ſtehen, erheben ſich andere Berge von ganz verſchiedenem Ausſehen. Ihr Kamm iſt mit gezackten Felſen beſetzt, die123 wie Pfeiler über die Bäume und das Gebüſch emporragen. Dieſe Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmiſchen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Kaſtilien; ſie wiederholt ſich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe (780 bis 1170 m) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abſtänden ſich erhebenden Felſen beſtehen entweder aus aufgetürmten Blöcken oder ſind in regelmäßige, wagerechte Bänke geteilt. Auf die ganz nahe am Orinoko ſtellen ſich die Flamingo, die Solbados1Eine große Reiherart. und und andere fiſchfangende Vögel, und nehmen ſich dann aus wie Menſchen, die Wache ſtehen. Dies iſt zuweilen ſo täu - ſchend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angoſtura eines Tages kurz nach der Gründung der Stadt in die größte Beſtürzung gerieten, als ſich auf ein - mal auf einem Berge gegen Süd Reiher, Solbados und Garzas blicken ließen. Sie glaubten ſich von einem Ueber - fall der Indios monteros (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieſer Täuſchung bekannt waren, die Sache aufklärten, beruhigte ſich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft ſtiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoko zu fortſetzten.

Die ſchöne Vegetation der Berge iſt, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meiſtens ſieht man zwiſchen dieſer ſchwarzen, mit Pflanzen - faſern gemiſchten Dammerde und dem Granitgeſtein eine Schichte weißen Sandes. Der Miſſionär verſicherte uns, in der Nähe der Waſſerfälle ſei das Grün beſtändig friſch in - folge des vielen Waſſerdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 5,8 bis 7,8 km in Strudel und Waſſerfälle zerſchlagenen Strome aufſteigt.

Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation allerorten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man ſie auf den Küſten erſt zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Banniſterien, Bignonien mit blauen Blüten, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baum - ſtamme waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beiſammen, als in unſerem Klima auf einem anſehnlichen Landſtriche. Neben dieſen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächſen ſahen wir hier mitten in der heißen Zone und faſt im Niveau des124 Meeres zu unſerer Ueberraſchung Mooſe, die vollkommen den europäiſchen glichen. Beim großen Katarakt von Atures pflückten wir die ſchöne Grimmia-Art mit Fontinalisblättern, welche die Botaniker ſo ſehr beſchäftigt hat; ſie hängt an den Aeſten der höchſten Bäume. Unter den Phanerogamen herr - ſchen in den bewaldeten Strichen Mimoſen, Fikus und Lau - rineen vor. Dies iſt um ſo charakteriſtiſcher, als nach Browns neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüberliegenden Kon - tinent, im tropiſchen Afrika, die Laurineen faſt ganz zu fehlen ſcheinen. Gewächſe, welche Feuchtigkeit lieben, ſchmücken die Ufer am Waſſerfall. Man findet hier in den Niederungen Büſche von Helikonia und anderen Scitamineen mit breiten, glänzenden Blättern, Bamburohre, die drei Palmenarten Murichi, Jagua und Vadgiai, deren jede beſondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit ſchuppiger Frucht iſt die berühmte Sagopalme der Guaraun - indianer; ſie iſt ein wirkliches geſelliges Gewächs. Sie hat handförmige Blätter und wächſt nicht unter den Palmen mit gefiederten und gekräuſelten Blättern, dem Jagua, der eine Art Kokospalme zu ſein ſcheint, und dem Vadgiai oder Cu - curito, den man neben die ſchöne Gattung Oreodaxa ſtellen kann. Der Cucurito, bei den Fällen von Atures und May - pures die häufigſte Palme, iſt durch ſeinen Habitus aus - gezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel ſtehen auf einem 24 bis 32 m hohen Stamme faſt ſenkrecht, und zwar im jugendlichen Zuſtande wie in der vollen Entwickelung; nur die Spitzen ſind umgebogen. Es ſind wahre Federbüſche vom zarteſten, friſcheſten Grün. Der Cucurito, der Seje, deſſen Frucht der Aprikoſe gleicht, die Oreodoxa regia oder Palma real von der Inſel Cuba und das Ceroxylon der hohen Anden ſind im Wuchſe die großartigſten Palmen der Neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt, deſto mehr nehmen die Gewächſe dieſer Familie an Größe und Schönheit ab. Welch ein Unterſchied zwiſchen den eben erwähnten Arten und der orientaliſchen Dattelpalme, die bei den europäiſchen Landſchaftsmalern leider der Typus der Pal - menfamilie geworden iſt!

Es iſt nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche Afrika, Sizilien oder Murcia bereiſt hat, nicht begreifen kann, daß unter allen großen Baumgeſtalten die Geſtalt der Palme die großartigſte und ſchönſte ſein ſoll. Unzureichende Ana - logieen ſind ſchuld, daß ſich der Europäer keine richtige Vor -125 ſtellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beiſpiel, daß die Kontraſte des Baumlaubes, be - ſonders aber die große Menge von Gewächſen mit gefiederten Blättern ein Hauptſchmuck dieſer Zone ſind. Die Eſche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Akazie der Vereinigten Staaten, die Gleditſchia, die Tamarinde, die Mimoſen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deshalb eine Gruppe von Eſchen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom maleriſchen Effekte zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimoſen macht, wenn das Himmelsblau zwiſchen ihren kleinen, dünnen, zart - gefiederten Blättern durchbricht? Dieſe Betrachtungen ſind wichtiger, als ſie auf den erſten Blick ſcheinen. Die Geſtalten der Gewächſe beſtimmen die Phyſiognomie der Natur, und dieſe Phyſiognomie wirkt zurück auf die geiſtige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter miteinander übereinkommen, aber ſich dadurch unterſcheiden, daß dieſelben Organe verſchiedentlich entwickelt ſind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malva - ceen, die Bäume mit gefiederten Blättern ſind nicht alle ma - leriſch gleich ſchön, und meiſt, im Pflanzenreiche wie im Tier - reiche, gehören die ſchönſten Arten eines jeden Typus dem tropiſchen Erdſtriche an.

Die Protaceen, Kroton, Agaven und die große Sippe der Kaktus, die ausſchließlich nur in der Neuen Welt vor - kommt, verſchwinden allmählich, wenn man auf dem Orinoko über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indeſſen iſt viel mehr die Beſchattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küſten daran ſchuld, wenn die Kaktus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben öſtlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem oberen Amazonenſtrome zu, ganze Kaktuswälder, mit Kroton da - zwiſchen, große dürre Landſtriche bedecken ſehen. Die Baum - farne ſcheinen an den Fällen des Orinoko ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einfluſſe des Guaviare in den Orinoko.

Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromſchnellen ſelbſt zu ſprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeſchnittene Flußbett faſt unzugängliche Ufer hat. Nur an ſehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoko gelangen, um zwiſchen126 zwei Waſſerfällen, in Buchten, wo das Waſſer langſam kreiſt, zu baden. Auch wer ſich in den Alpen, in den Pyrenäen, ſelbſt in den Kordilleren aufgehalten hat, ſo vielberufen wegen der Zerriſſenheit des Bodens und der Zerſtörung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Be - ſchreibung ſich vom Zuſtande des Strombettes hier nur ſchwer eine Vorſtellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als 9,2 km laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben - ſo viele natürliche Wehre, ebenſo viele Schwellen, ähnlich denen im Dnjepr, welche bei den Alten Phragmoi hießen. Der Raum zwiſchen den Felsdämmen im Orinoko iſt mit Inſeln von verſchiedener Größe gefüllt; manche ſind hügelig, in verſchiedene runde Erhöhungen geteilt und 390 bis 585 m lang, andere klein und niedrig wie bloße Klippen. Dieſe Inſeln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Waſſer ſich kochend an den Felſen bricht; alle ſind mit Jagua - und Cucuritopalmen mit federbuſchartigem Laub bewachſen, ein Palmendickicht mitten auf der ſchäumenden Waſſerfläche. Die Indianer, welche die leeren Pirogen durch die Raudales ſchaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felſen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerſt zum Salto del Piapoco, zum Sprung des Tucans; zwiſchen den Inſeln Avaguri und Javariveni iſt der Raudal de Ja - variveni; hier verweilten wir auf unſerer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromſchnellen, um unſer Kanoe zu erwarten. Der Strom ſcheint zu einem großen Teil trocken zu liegen. Granitblöcke ſind aufeinander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletſcher in der Schweiz vor ſich her ſchieben. Ueberall ſtürzt ſich der Fluß in die Höhlen hinab, und in einer dieſer Höhlen hörten wir das Waſſer zugleich über unſeren Köpfen und unter unſeren Füßen rauſchen. Der Orinoko iſt wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche geteilt, deren jeder ſich durch die Felſen Bahn zu brechen ſucht. Man muß nur ſtaunen, wie wenig Waſſer man im Flußbett ſieht, über die Menge Waſſerſtürze, die ſich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Waſſer, die ſich ſchäumend an den Felſen brechen.

Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis Spumens invictis canescit fluctibus amnis. 1Lucan. Pharsal. X, 132.

127

Iſt man über den Raudal Javariveni weg (ich nenne hier nur die wichtigſten der Fälle), ſo kommt man zum Raudal Canucari, der durch eine Felsbank zwiſchen den Inſeln Suru - pamana und Uirapuri gebildet wird. Sind die Dämme oder natürlichen Wehre nur 60 bis 90 cm hoch, ſo wagen es die Indianer, im Kanoe hinabzufahren. Flußaufwärts ſchwimmen ſie voraus, bringen nach vielen vergeblichen Verſuchen ein Seil um eine der Felsſpitzen über dem Damme und ziehen das Fahrzeug am Seile auf die Höhe des Raudals. Wäh - rend dieſer mühſeligen Arbeit füllt ſich das Fahrzeug häufig mit Waſſer; andere Male zerſchellt es an den Felſen, und die Indianer, mit zerſchlagenem, blutendem Körper, reißen ſich mit Not aus dem Strudel und ſchwimmen an die nächſte Inſel. Sind die Felsſtaffeln oder Schwellen ſehr hoch und verſperren ſie den Strom ganz, ſo ſchafft man die leichten Fahrzeuge ans Land, ſchiebt Baumäſte als Walzen darunter und ſchleppt ſie bis an den Punkt, wo der Fluß wieder ſchiff - bar wird. 1Arastrando la Picagua. Von dieſem Worte arastrar, auf dem Boden ziehen, kommt der ſpaniſche Ausdruck: Arastradero, Trageplatz, Portage. Bei Hochwaſſer iſt ſolches ſelten nötig. Spricht man von den Waſſerfällen des Orinoko, ſo denkt man von ſelbſt an die Art und Weiſe, wie man in alter Zeit über die Katarakte des Nil herunterfuhr, wovon uns Seneca2Nat. Quaest. L. IV, c. 2. eine Beſchreibung hinterlaſſen hat, die poetiſch, aber ſchwerlich richtig iſt. Ich führe nur eine Stelle an, die vollkommen vergegenwärtigt, was man in Atures, Maypures und in einigen Pongos des Amazonenſtromes alle Tage ſieht. Je zwei miteinander beſteigen kleine Nachen, und einer lenkt das Schiff, der andere ſchöpft es aus. Sodann, nachdem ſie unter dem reißenden Toben des Nil und den ſich begegnenden Wellen tüchtig herumgeſchaukelt worden ſind, halten ſie ſich endlich an die ſeichteſten Kanäle, durch die ſie den Engpäſſen der Felſen entgehen, und mit der ganzen Strömung niederſtürzend, lenken ſie den ſchießenden Nachen.

In den hydrographiſchen Beſchreibungen der Länder werden meiſtens unter den unbeſtimmten Benennungen: Saltos, Chorros, Pongos, Cachoeiras, Raudales, Cataractes, Cas - cades, Chûtes, Rapides, Waſſerfälle, Waſſerſtürze, Strom - ſchnellen, ſtürmiſche Bewegungen der Waſſer zuſammen -128 geworfen, die durch ſehr verſchiedene Bodenbildungen hervor - gebracht werden. Zuweilen ſtürzt ſich ein ganzer Fluß aus bedeutender Höhe in einem Falle herunter, wodurch die Schiff - fahrt völlig unterbrochen wird. Dahin gehört der prächtige Fall des Rio Tequendama, den ich in meinen Vues des Cor - dillères abgebildet habe; dahin die Fälle des Niagara und der Rheinfall, die nicht ſowohl durch ihre Höhe als durch die Waſſermaſſe bedeutend ſind. Andere Male liegen niedrige Steindämme in weiten Abſtänden hintereinander und bilden getrennte Waſſerfälle; dahin gehören die Cachoeiras des Rio Negro und des Rio de la Madeira, die Saltos des Rio Cauca und die meiſten Pongos im oberen Amazonen - ſtrome zwiſchen dem Einfluſſe des Chinchipe und dem Dorfe San Borja. Der höchſte und gefährlichſte dieſer Pongos, den man auf Flößen herunterfährt, der bei Mayaſi, iſt übrigens nur 1 m hoch. Noch andere Male liegen kleine Stein - dämme ſo nahe aneinander, daß ſie auf mehrere Kilometer Erſtreckung eine ununterbrochene Reihe von Fällen und Stru - deln, Chorros und Remolinos, bilden, und dies nennt man eigentlich Raudales, Rapides, Stromſchnellen. Dahin gehören die Yellala, die Stromſchnellen des Zaire - oder Kongo - fluſſes, mit denen uns Kapitän Tuckey kürzlich bekannt gemacht hat; die Stromſchnellen des Orangefluſſes in Afrika oberhalb Pella, und die 18 km langen Fälle des Miſſouri da, wo der Fluß aus den Rocky Mountains hervorbricht. Hierher gehören nun auch die Fälle von Atures und Maypures, die einzigen, die, im tropiſchen Erdſtriche der Neuen Welt gelegen, mit einer herrlichen Palmenvegetation geſchmückt ſind. Zu allen Jahreszeiten gewähren ſie den Anblick eigentlicher Waſſerfälle und hemmen die Schiffahrt auf dem Orinoko in ſehr be - deutendem Grade, während die Stromſchnellen des Ohio und in Oberägypten zur Zeit der Hochgewäſſer kaum ſichtbar ſind. Ein vereinzelter Waſſerfall, wie der Niagara oder der Fall bei Terni, gibt ein herrliches Bild, aber nur eines; es wird nur anders, wenn der Zuſchauer ſeinen Standpunkt verändert; Stromſchnellen dagegen, namentlich wenn ſie zu beiden Seiten mit großen Bäumen beſetzt ſind, machen eine Landſchaft meilen - weit ſchön. Zuweilen rührt die ſtürmiſche Bewegung des Waſſers nur daher, daß die Strombetten ſehr eingeengt ſind. Dahin gehört die Angoſtura de Carare im Magdalenenfluß, ein Engpaß, der dem Verkehr zwiſchen Santa Fé de Bogota und der Küſte von Cartagena Eintrag thut; dahin gehört129 der Pongo von Manſeriche im oberen Amazonenſtrome, den La Condamine für weit gefährlicher gehalten hat, als er in Wahrheit iſt, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muß, ſo oft er im Dorfe San Jago eine Amtsverrichtung hat.

Der Orinoko, der Rio Negro und faſt alle Nebenflüſſe des Amazonenſtromes oder Marañon haben Fälle oder Strom - ſchnellen entweder in der Nähe ihres Urſprunges durch Berge laufen, oder weil ſie auf der mittleren Strecke ihres Laufes auf andere Berge ſtoßen. Wenn, wie oben bemerkt, Waſſer des Amazonenſtromes vom Pongo von Manſeriche bis zu ſeiner Mündung, mehr als 3375 km weit, nirgends heftig aufgeregt ſind, ſo verdankt er dieſen ungemein großen Vorteil dem Um - ſtande, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt von Oſt nach Weſt über eine weite Ebene, die gleichſam ein Längenthal zwiſchen der Bergkette der Parime und dem großen braſilianiſchen Gebirgsſtocke bildet.

Zu meiner Ueberraſchung erſah ich aus unmittelbarer Meſſung, daß die Stromſchnellen des Orinoko, deren Donner man über 4,5 km weit hört, und die durch die mannigfaltige Verteilung von Waſſer, Palmbäumen und Felſen ſo aus - nehmend maleriſch ſind, in ihrer ganzen Länge ſchwerlich mehr als 9,1 m ſenkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung zeigt es ſich, daß dies für Stromſchnellen viel iſt, während es für einen einzelnen Waſſerfall ſehr wenig wäre. Bei den Yellala im Kongofluß, in der Einſchnürung ſeines Bettes zwiſchen Banza Noki und Banza Inga, iſt der Höhenunter - ſchied zwiſchen den oberen und den unteren Staffeln weit bedeutender; Barrow bemerkt aber, daß ſich hier unter den vielen Stromſchnellen ein Fall findet, der allein 9,75 m hoch iſt. Andererſeits haben die vielberufenen Pongos im Ama - zonenſtrome, wo die Bergfahrt ſo gefährlich iſt, die Fälle von Rentama, Escurrebragas und Mayaſi, auch nur ein paar Fuß ſenkrechte Höhe. Wer ſich mit Waſſerbauten abgibt, weiß, welche Wirkung in einem großen Fluſſe eine Schwellung von 48 bis 53 cm hat. Das Toben des Waſſers und die Wirbel werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen Fälle bedingt, ſondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle hintereinander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felſen - dämme, von den ſogenannten Lames de réflexion, die in - einander ſtoßen und übereinander weggehen, von der Geſtalt der Inſeln und Klippen, von der Richtung der Gegenſtrö - mungen, von den Krümmungen und engen Stellen in denA. v. Humboldt, Reiſe. III. 9130Kanälen, durch die das Waſſer von einer Staffel zur anderen ſich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüſſen kann der eine Fälle haben, die nicht ſo hoch ſind als die des anderen, und doch weit gefährlicher und tobender.

Meine obige Angabe über die ſenkrechte Höhe der Rau - dales des Orinoko lautet nicht ganz beſtimmt, und ich habe damit auch nur eine Grenzzahl gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Miſſion Atures und den Katarakten, ich konnte aber keine konſtanten Unterſchiede beobachten. Bekanntlich wird die barometriſche Meſſung ſehr ſchwierig, wenn es ſich von ganz unbedeutenden Höhenunter - ſchieden handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der ſtünd - lichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die ſich mehr auf das Maß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebnis zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte einen Barometer hat, und wenn man Unterſchiede im Luftdruck von 1 mm auffaſſen ſoll.

Wahrſcheinlich wird die Waſſermaſſe des Stromes durch die Katarakte geringer, nicht allein weil durch das Zerſchlagen des Waſſers in Tropfen die Verdunſtung geſteigert wird, ſondern auch, und hauptſächlich, weil viel Waſſer in unter - irdiſche Höhlen verſinkt. Dieſer Verluſt iſt übrigens nicht ſehr auffallend, wenn man die Waſſermaſſe da, wo ſie in die Rau - dales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluſſe des Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine ſolche Vergleichung hat man gefunden, daß unter den Yellala oder Raudales des Kongofluſſes unterirdiſche Höhlungen liegen müſſen. Im Pongo von Manſeriche, der viel mehr eine Stromenge als ein Waſſerfall heißen ſollte, verſchwindet auf eine noch nicht ge - hörig ermittelte Weiſe das Waſſer des oberen Amazonenſtromes zum Teil mit all ſeinem Treibholz.

Sitzt man am Ufer des Orinoko und betrachtet die Fels - dämme, an denen ſich der Strom donnernd bricht, ſo fragt man ſich, ob die Fälle im Laufe der Jahrhunderte nach Ge - ſtaltung und Höhe ſich verändern werden. Ich bin nicht ſehr geneigt, dem Stoße des Waſſers gegen Granitblöcke und dem Zerfreſſen kieſelhaltigen Geſteines ſolche Wirkungen zuzu - ſchreiben. Die nach unten ſich verengenden Löcher, die Trichter, wie man ſie in den Raudales und bei ſo vielen Waſſerfällen in Europa antrifft, entſtehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeſchiebe. Wir haben ſolche Ge - ſchiebe geſehen, welche die Strömung am Boden der Trichter131 beſtändig herumwirbelt und dieſe dadurch nach allen Durch - meſſern erweitert. Die Pongos des Amazonenſtromes ſind leicht zerſtörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit beſtehen, ſondern aus Konglomerat, aus rotem, grobkörnigem Sand - ſtein. Der Pongo von Rentama ſtürzte vor 80 Jahren teil - weiſe ein, und da ſich das Waſſer hinter einem neugebildeten Damme ſtaute, ſo lag das Flußbett ein paar Stunden trocken zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya, 31 km unter dem eingeſtürzten Pongo. Die Indianer in Atures verſichern (und dieſe Ausſage widerſpricht der Anſicht des Paters Caulin), die Felſen im Raudal haben immer das - ſelbe Ausſehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der große Strom zerſchlagen wird, ändern beim Durchgang durch die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Waſſer gegen das eine oder das andere Ufer. Die Urſachen dieſes Wechſels können den Katarakten ſehr ferne liegen; denn in den Flüſſen, die auf der Erd - oberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organi - ſchen Körpern, pflanzen ſich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die anfangs ganz lokal ſcheinen, wirken auf die ganze flüſſige Maſſe im Stamme und den vielen Ver - zweigungen desſelben.

Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zu - ſtand der Stromſchnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln kaum 15 cm hoch ſind,1Der Chellal zwiſchen Philä und Syene hat zehn Staffeln, die zuſammen einen 1,6 bis 2,3 m hohen Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Waſſerſtand des Nil. Der Fall iſt 970 m lang. mit den großartigen Beſchreibungen der Alten, man leicht geneigt iſt, im Nilbett die Wirkungen der Auswaſchungen, überhaupt die gewaltigen Einflüſſe des ſtrömenden Waſſers zu erblicken, aus denen man in der Geo - logie lange die Bildung der Thäler und die Zerriſſenheit des Bodens in den Kordilleren befriedigend erklären zu können meinte. Dieſe Anſicht wird durch den Augenſchein keineswegs unterſtützt. Wir ſtellen nicht in Abrede, daß die Ströme, überhaupt fließende Waſſer, wo ſie in zerreibliches Geſtein, in ſekundäre Gebirgsformationen einſchneiden, bedeutende Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelſen bei Elephantine haben wahrſcheinlich ſeit Tauſenden von Jahren an abſoluter Höhe ſo wenig abgenommen als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die großen Naturſzenerieen in132 verſchiedenen Klimaten ſelbſt geſehen, ſo ſieht man ſich zu der Anſchauung gedrängt, daß jene tiefen Spalten, jene hoch auf - gerichteten Schichten, jene zerſtreuten Blöcke, all die Spuren einer allgemeinen Umwälzung Wirkungen außergewöhnlicher Urſachen ſind, die mit denen, welche im gegenwärtigen Zu - ſtande der Ruhe und des Friedens an der Erdoberfläche thätig ſind, nichts gemein haben. Was das Waſſer durch Auswaſchung von Granit wegführt, was die feuchte Luft am harten, nicht verwitterten Geſtein zerſtört, entzieht ſich unſeren Sinnen faſt ganz, und ich kann nicht glauben, daß, wie manche Geologen annehmen, die Gipfel der Alpen und der Pyrenäen niedriger werden, weil die Geſchiebe ſich in den Gründen am Fuße der Gebirge aufhäufen. Im Nil wie im Orinoko können die Stromſchnellen einen geringeren Fall bekommen, ohne daß die Felsdämme merkbar anders werden. Die relative Höhe der Fälle kann durch die Anſchwemmungen, die ſich unterhalb der Stromſchnellen bilden, abnehmen.

Wenn auch dieſe Betrachtungen einiges Licht über die anziehende Erſcheinung der Katarakte verbreiten, ſo ſind da - mit die übertriebenen Beſchreibungen der Stromſchnellen bei Syene, welche von den Alten1Auszunehmen iſt Strabo, deſſen Beſchreibung ebenſo einfach als genau erſcheint. Nach ihm hätte ſeit dem erſten Jahrhundert vor unſerer Zeitrechnung die Schnelligkeit des Waſſerſturzes abge - nommen und ſeine Richtung ſich verändert. Damals ging man den Chellal auf beiden Seiten hinauf, gegenwärtig iſt nur auf einer Seite eine Waſſerſtraße; der Katarakt iſt alſo eher ſchwerer befahrbar geworden. auf uns gekommen, allerdings nicht begreiflich zu machen. Sollten ſie aber nicht vielleicht auf dieſen unteren Waſſerfall übertragen haben, was ſie vom Hörenſagen von den oberen Fällen des Fluſſes in Nubien und Dongola wußten, die zahlreicher und gefährlicher ſind? 2Hatten wohl die Alten eine dunkle Kunde von den großen Katarakten des öſtlichen oder blauen Nil zwiſchen Fazoql und Alata, die über 65 m hoch ſind.Syene lag an der Grenze des römiſchen Reiches,3Claustra imperii romani, ſagt Tacitus. Im Namen der Inſel Philä findet man das koptiſche Wort phe-lakh, Ende (Ende Aegyptens) wieder. faſt an der Grenze der bekannten Welt, und im Raume, wie in den Schöpfungen des menſchlichen Geiſtes fangen die phantaſti - ſchen Vorſtellungen an, wo die klaren Begriffe aufhören.

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Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was auch die Miſſionäre in ihren Schriften ſagen mögen, vom Toſen der großen Katarakte ſo wenig taub als die Katadupen am Nil. Hört man das Getöſe auf der Ebene bei der Miſſion, ſtarke 4 km weit, ſo glaubt man in der Nähe einer felſigen Meeresküſte mit ſtarker Brandung zu ſein. Es iſt bei Nacht dreimal ſtärker als bei Tage und gibt dem einſamen Orte un - ausſprechlichen Reiz. Woher mag wohl dieſe Verſtärkung des Schalles in einer Einöde rühren, wo ſonſt nichts das Schweigen der Natur zu unterbrechen ſcheint? Die Geſchwindigkeit der Fortpflanzung des Schalles nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, ſondern vielmehr ab. Der Schall wird ſchwächer, wenn ein der Richtung desſelben entgegengeſetzter Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall iſt ſchwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl der erſchütterten Luftteilchen in jedem Strahle größer iſt. Die Stärke desſelben iſt in trockener und in mit Waſſerdunſt ver - mengter Luft gleich groß, aber in kohlenſaurem Gas iſt ſie geringer als in Gemengen von Stickſtoff und Sauerſtoff. Nach dieſen Erfahrungsſätzen (und es ſind die einzigen einiger - maßen zuverläſſigen) hält es ſchwer, eine Erſcheinung zu er - klären, die man bei jedem Waſſerfalle in Europa beobachtet, und die lange vor unſerer Ankunft im Dorfe Atures Miſ - ſionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht iſt die Temperatur der Luft um niedriger als bei Tage; zu - gleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben aber eben geſehen, daß der hygroſkopiſche Zuſtand der Luft auf die Fortpflanzung des Schalles keinen Einfluß hat, und daß die Abkühlung der Luft die Geſchwindigkeit vermindert.

Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menſchen leben, bringe am Tage das Sumſen der Inſekten, der Geſang der Vögel, das Rauſchen des Laubes beim leiſeſten Luftzuge ein verworrenes Getöne hervor, das wir um ſo weniger wahr - nehmen, da es ſich immer gleich bleibt und es fortwährend zu unſerem Ohre dringt. Dieſes Getöſe, ſo unmerklich es ſein mag, kann nun allerdings einen ſtärkeren Schall ſchwächen, und dieſe Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille der Nacht der Geſang der Vögel, das Sumſen der Inſekten und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre aber dieſe Folgerung auch richtig, ſo findet ſie keine Anwen - dung auf die Wälder am Orinoko, wo die Luft fortwährend134 von zahlloſen Moskitoſchwärmen erfüllt iſt, wo das Geſumſe der Inſekten bei Nacht weit ſtärker iſt als bei Tage, wo der Wind, wenn er je weht, ſich erſt nach Sonnenuntergang aufmacht.

Ich bin vielmehr der Anſicht, daß, ſolange die Sonne am Himmel ſteht, der Schall ſich langſamer fortpflanzt und geſchwächt wird, weil die Luftſtröme von verſchiedener Dich - tigkeit, die teilweiſen Schwingungen der Atmoſphäre infolge der ungleichen Erwärmung der verſchiedenen Bodenſtücke, Hinderniſſe bilden. In ruhiger Luft, ſei ſie nun trocken oder mit gleichförmig verteilten Dunſtbläschen erfüllt, pflanzt ſich die Schallwelle ungehindert fort; wird aber die Luft nach allen Richtungen von kleinen Strömen wärmerer Luft durch - zogen, ſo teilt ſich die Welle da, wo die Dichtigkeit des Mittels raſch wechſelt, in zwei Wellen; es bilden ſich lokale Echo, die den Schall ſchwächen, weil eine der Wellen zurückläuft; es tritt die Teilung der Wellen ein, deren Theorie in jüngſter Zeit von Poiſſon ſo ſcharfſinnig entwickelt worden iſt. Nach unſerer Anſchauung wird daher die Fortpflanzung der Schall - wellen nicht dadurch gehemmt, daß durch die Ortsveränderung der im Luftſtrome von unten nach oben aufſteigenden Luft - teilchen, durch die kleinen ſchiefen Strömungen ein Stoß aus - geübt würde. Ein Stoß auf die Oberfläche einer Flüſſigkeit bringt Kreiſe um den Mittelpunkt der Erſchütterung hervor, ſelbſt wenn die Flüſſigkeit in Bewegung iſt. Mehrere Arten von Wellen können ſich im Waſſer wie in der Luft kreuzen, ohne ſich in ihrer Fortpflanzung zu ſtören; kleine Bewegungen ſchieben ſich übereinander, und die wahre Urſache der geringeren Stärke des Schalles bei Tage ſcheint die zu ſein, daß das elaſtiſche Mittel dann nicht homogen iſt. Bei Tage ändert ſich die Dichtigkeit raſch überall, wo kleine Luftzüge von hoher Temperatur über ungleich erwärmten Bodenſtücken auf - ſteigen. Die Schallwellen teilen ſich, wie die Lichtſtrahlen ſich brechen, und überall, wo Luftſchichten von verſchiedener Dichtigkeit ſich berühren, tritt Spiegelung ein. Der Schall pflanzt ſich langſamer fort, wenn man in einer am einen Ende geſchloſſenen Röhre eine Schicht Waſſerſtoffgas über eine Schicht atmoſphäriſcher Luft aufſteigen läßt, und Biot erkärt den Umſtand, daß ein Glas mit Champagner nicht hell klingt, ſolange er perlt und die Luftblaſen im Weine aufſteigen, ſehr gut eben daraus, daß die Bläschen von kohlenſaurem Gas die Flüſſigkeit ungleichförmig machen.

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Für dieſe Anſichten könnte ich mich faſt auf die Autorität eines Philoſophen berufen, den die Phyſiker noch immer ſehr geringſchätzig behandeln, während die ausgezeichnetſten Zoologen ſeinem Scharfſinn als Beobachter längſt volle Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Warum, ſagt Ariſtoteles in ſeiner merk - würdigen Schrift von den Problemen, hört man bei Nacht alles beſſer als bei Tage? Weil alles bei Nacht regungs - loſer iſt, da die Wärme fehlt. Dadurch wird überhaupt alles ruhiger, denn die Sonne iſt es, die alles bewegt. 1Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß, ſo mangelhaft noch die Phyſik der Alten war, die Werke des Philoſophen von Stagira ungleich mehr ſcharfſinnige Beobachtungen enthalten, als die der anderen Philoſophen. Vergeblich ſucht man bei Ariſtoxenes (Liber de musica), bei Theophylactus Simocatta (De quaestionibus physicis), im fünften Buche von Senecas Quaestiones naturales eine Erklärung der Verſtärkung des Schalles bei Nacht. Ein in den Schriften der Alten ſehr bewanderter Mann, Herr Laurencit, hat mir eine Stelle des Plutarch mitgeteilt (Tiſchgeſpräche, Buch VIII, Frage 3), welche die angeführte des Ariſtoteles unterſtützt. Boethus, der erſte der Diſputierenden, behauptet, die Kälte bei Nacht ziehe die Luft zuſammen und verdichte ſie, und man höre den Schall bei Tage nicht ſo gut, weil dann weniger Zwiſchenräume zwiſchen den Atomen ſeien. Der zweite der Diſputierenden, Am - monius, verwirft die leeren Räume, wie Boethus ſie vorausſetzt, und nimmt mit Anaxagoras an, die Luft werde von der Sonne in eine zitternde und ſchwankende Bewegung verſetzt; man höre bei Tage ſchlecht wegen der Staubteile, die im Sonnenſchein herum - treiben und die ein gewiſſes Ziſchen und Geräuſch verurſachen; des Nachts aber höre dieſe Bewegung auf und folglich auch das damit verbundene Geräuſch. Boethus verſichert, daß er keineswegs Anaxo - goras meiſtern wolle, meint aber, das Ziſchen der kleinſten Teile müſſe man wohl aufgeben, die zitternde Bewegung und das Herum - treiben derſelben im Sonnenſchein ſei ſchon hinreichend. Die Luft macht den Körper und die Subſtanz der Stimme aus; iſt ſie alſo ruhig und beſtändig, ſo läßt ſie auch die Teile und Schwingungen des Schalles gerade, ungeteilt und ohne Hindernis fortgehen und befördert deren Verbreitung. Windſtille iſt dem Schalle günſtig, Erſchütterung der Luft aber zuwider. Die Bewegung in der Luft verhindert, daß von einer Stimme artikulierte und ausgebildete Töne zu den Ohren gelangen, ob ſie gleich immer von einer ſtarken und vielfachen ihnen etwas zuzuführen pflegt. Die Sonne, dieſer große und mächtige Beherrſcher des Himmels, bringt auch die klein - ſten Teile der Luft in Bewegung, und ſobald er ſich zeigt, erregt und belebt er alle Weſen. (Auszug aus Kaltwaſſers Ueberſetzung;Sicher136 ſchwebte Ariſtoteles die wahre Urſache der Erſcheinung als unbeſtimmte Ahnung vor; er ſchreibt aber die Bewegung der Luft dem Stoße der kleinſten Teilchen derſelben zu, was viel - mehr dem raſchen Wechſel der Dichtigkeit in ſich berührenden Luftſchichten zuzuſchreiben ſein möchte.

Am 16. April gegen Abend erhielten wir Nachricht, unſere Piroge ſei in weniger als 6 Stunden über die Strom - ſchnellen geſchafft worden und liege wohlbehalten in einer Bucht, Puerto de arriba, der obere Hafen, genannt. Eure Piroge wird nicht in Stücke gehen, weil ihr kein Kauf - mannsgut führt und der Mönch aus den Raudales mit euch reiſt, ſo hatte im Lager von Pararuma ein kleiner brauner Mann, in dem wir an der Mundart den Katalonier erkannten, boshaft gegen uns geäußert. Es war ein Schildkrötenöl - händler, der mit den Indianern in den Miſſionen in Verkehr und eben kein Freund der Miſſionäre war. Die Fahrzeuge, die leicht zerbrechen, fuhr er fort, ſind die der Katalo - nier, die mit einem Lizenzſchein vom Statthalter von Guyana, nicht aber mit der Genehmigung des Präſidenten der Miſ - ſionen jenſeits Atures und Maypures Handel treiben wollen. Man läßt unſere Pirogen in den Raudales, die der Schlüſſel ſind zu den Miſſionen am oberen Orinoko, am Caſſiquiare und Rio Negro, zu ſchanden gehen; man ſchafft uns dann durch die Indianer in Atures nach Carichana zurück und zwingt uns unſere Handelsſpekulationen aufzugeben. Als unpar - teiiſcher Geſchichtſchreiber der von mir bereiſten Länder kann ich einer ſolchen, wohl etwas leichtfertig ausgeſprochenen Mei - nung nicht beitreten. Der gegenwärtige Miſſionär bei den Raudales iſt nicht der Mann, die Plackereien, über welche die kataloniſchen Krämer klagen, ſich zu ſchulden kommen zu laſſen; man fragt ſich aber, weshalb das Regiment in den Miſſionen ſogar in den ſpaniſchen Kolonieen ſo gründlich ver - haßt iſt? Verleumdete man nur reiche Leute, ſo wären die Miſſionäre am oberen Orinoko vor dergleichen boshaften An - griffen ſicher. Sie beſitzen kein Pferd, keine Ziege, kaum eine Kuh, während ihre Ordensbrüder, die Kapuziner in den Miſ - ſionen am Carony, Herden von 40000 Stücken beſitzen. Der Groll der arbeitenden Klaſſen unter den Koloniſten gilt alſo1Humboldt hatte die alte franzöſiſche Ueberſetzung des Amyot aus - gezogen. Anm. des Herausgebers.)137 nicht dem Wohlſtand der Obſervanten, ſondern ihrem Prohi - bitivſyſtem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen die Weißen abzuſperren, den Hinderniſſen, die ſie dem Aus - tauſch der Produkte in den Weg legen. Allerorten empört ſich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn ſie auf den Handel und die materiellen Lebensbedürfniſſe Einfluß äußern, ſondern auch wenn ſich ein Stand oder eine Schicht der Ge - ſellſchaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu ſagen zu civiliſieren.

Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibſel vom einſtigen Wohlſtand der Jeſuiten. Eine ſilberne Lampe von anſehnlichem Gewicht lag, halb im Sande begraben, am Boden. Ein Gegenſtand derart würde aller - dings nirgends die Habſucht des Wilden reizen; ich muß aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoko erwähnen, daß ſie keine Diebe ſind, wie die lange nicht ſo rohen Bewohner der Südſeeinſeln. Jene haben große Achtung vor dem Eigen - tum; ſie ſuchen nicht einmal Eßwaren, Fiſchangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts von Schlöſſern an den Thüren; ſie werden eingeführt werden, ſobald Weiße und Miſchlinge ſich in den Miſſionen niederlaſſen.

Die Indianer in Atures ſind gutmütig, leidenſchaftslos, dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt. Die Jeſuiten früher trieben ſie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europäiſche Gemüſe; ſie pflanzten um das Dorf her ſogar ſüße Orangen und Tamarinden, ſie beſaßen in den Grasfluren von Atures und Carichana 20000 bis 30000 Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die Herden eine Menge Sklaven und Knechte (peones). Gegen - wärtig wird nichts gebaut als etwas Maniok und Bananen. Und doch iſt der Boden ſo fruchtbar, daß ich in Atures an einem einzigen Piſangbüſchel 108 Früchte zählte, deren 4 bis 5 faſt zur täglichen Nahrung eines Menſchen hinreichen. Der Maisbau wird gänzlich vernachläſſigt, Roſſe und Kühe ſind verſchwunden. Ein Uferſtrich am Raudal heißt noch Paso del ganado (Viehfurt), während die Nachkommen der In - dianer, mit denen die Jeſuiten die Miſſion gegründet, vom Hornvieh wie von einer ausgeſtorbenen Tiergattung ſprechen. Auf unſerer Fahrt den Orinoko hinauf San Carlos am Rio Negro zu ſahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres138 Obſervanten, welche gegenwärtig dieſe weiten Landſtriche unter ſich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jeſuiten. Wäh - rend eines achtzehnjährigen Interregnums wurden die Miſ - ſionen nur von Zeit zu Zeit beſucht, und zwar von Kapu - zinern. Unter dem Namen königlicher Kommiſſäre verwalteten weltliche Regierungsbeamte die Hatos oder Höfe der Jeſuiten, aber ſchändlich liederlich. Man ſtach das Vieh, um die Häute zu verkaufen, viele jüngere Tiere wurden von den Tigern gefreſſen, noch viel mehr gingen an den Biſſen der Fleder - mäuſe zu Grunde, die an den Katarakten kleiner ſind, aber kecker als in den Lanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Joſe de Maravitanos am Rio Negro ausgeführt, weil die Portu - gieſen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter Ferne auf dem Amazonenſtrom und dem Gran Para beziehen konnten. Seit dem Jahre 1795 iſt das Vieh der Jeſuiten gänzlich verſchwunden; als einziges Wahrzeichen des früheren Anbaues dieſer Länder und der wirtſchaftlichen Thätigkeit der erſten Miſſionäre ſieht man in den Savannen hie und da mitten unter wilden Bäumen einen Orangen - oder Tama - rindenſtamm.

Die Tiger oder Jaguare, die den Herden weniger ge - fährlich ſind als die Fledermäuſe, kommen ſogar ins Dorf herein und freſſen den armen Indianern die Schweine. Der Miſſionär erzählte uns ein auffallendes Beiſpiel von der Zuthulichkeit dieſer ſonſt ſo wilden Tiere. Einige Monate vor unſerer Ankunft hatte ein Jaguar, den man für ein junges Tier hielt, obgleich er groß war, ein Kind verwundet, mit dem er ſpielte; der Ausdruck mag ſonderbar ſcheinen, aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle Thatſachen kennen lernen konnte, die für die Sittengeſchichte der Tiere nicht ohne Bedeutung ſind. Zwei indianiſche Kinder von 8 bis 9 Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, ſaßen bei Atures mitten in einer Savanne, über die wir oft gegangen, im Gras. Es war 2 Uhr nachmittags, da kommt ein Ja - guar aus dem Walde und auf die Kinder zu, die er ſpringend umkreiſt; bald verſteckt er ſich im hohen Graſe, bald macht er mit gekrümmtem Rücken und geſenktem Kopfe einen Sprung, gerade wie unſere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in welcher Gefahr er ſchwebt, und wird ſie erſt inne, als der Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf ſchlägt. Erſt ſchlägt er ſachte, dann immer ſtärker; die Krallen verwunden das139 Kind und es blutet ſtark. Da nimmt das kleine Mädchen einen Baumzweig, ſchlägt das Tier, und dieſes läuft vor ihr davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer herbeigelaufen und ſehen den Jaguar, der ſichtbar an keine Gegenwehr dachte, in Sprüngen ſich davonmachen.

Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und ge - ſcheit ausſah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten an der Stirn die Haut abgeſtreift, und eine zweite Narbe hatte er oben auf dem Kopfe. Woher nun auf einmal dieſe muntere Laune bei einem Tiere, das in unſeren Menagerien nicht ſchwer zu zähmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grau - ſam iſt? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, ſicher ſeiner Beute, mit dem kleinen Indianer geſpielt, wie unſere Katzen mit Vögeln mit beſchnittenen Flügeln ſpielen, wie ſoll man es ſich erklären, daß ein großer Jaguar ſo duldſam iſt, daß er vor einem kleinen Mädchen davonläuft? Trieb den Jaguar der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In der Zuneigung und im Haß der Tiere iſt manches Geheimnis - volle. Wir haben geſehen, wie Löwen drei, vier Hunde, die man in ihren Käfig ſetzte, umbrachten und einen fünften, der weniger furchtſam, den König der Tiere an der Mähne packte, vom erſten Augenblick an liebkoſten. Das ſind eben Aeuße - rungen jenes Inſtinktes, der dem Menſchen ein Rätſel iſt. Es iſt als ob der Schwache deſto mehr für ſich einnähme, je zutraulicher er iſt.

Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den Jaguaren angefallen werden. Außer den gemeinen Schweinen von europäiſcher Raſſe gibt es in dieſen Ländern verſchiedene Arten von Pecari mit Drüſen an den Leiſten, von denen nur zwei den europäiſchen Zoologen bekannt ſind. Die In - dianer nennen den kleinen Pecari (Dicotiles torquatus) auf maypuriſch Chacharo; Apida aber heißt bei ihnen ein Schwein, das keinen Beutel haben ſoll und größer, ſchwarz - braun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiß iſt. Der Chacharo, den man im Hauſe aufzieht, wird ſo zahm wie unſere Schafe und Rehe. Sein ſanftes Weſen erinnert an die anatomiſch nachgewieſene intereſſante Aehnlichkeit zwiſchen dem Bau der Pecari und dem der Wiederkäuer. Der Apida, der ein Haustier wird wie unſere Schweine, zieht in Rudeln von mehreren hundert Stücken. Man hört es ſchon von weitem, wenn ſolche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen, rauhen Lauten, die ſie von ſich geben, ſondern noch mehr,140 weil ſie ungeſtüm das Gebüſch auf ihrem Wege zerknicken. Bonpland rief einmal beim Botaniſiern ſein indianiſcher Führer zu, er ſolle ſich hinter einen Baum verſtecken, und da ſah er denn dieſe Pecari (Cochinos oder Puercos del monte) ganz nahe an ſich vorüberkommen. Das Rudel zog in dicht gedrängten Reihen, die männlichen Tiere voran, jedes Mutter - ſchwein mit ſeinen Jungen hinter ſich. Die Chacharos haben ein weichliches, nicht ſehr angenehmes Fleiſch; ſie werden übrigens von den Indianern ſtark gegeſſen, die ſie mit kleinen an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man verſicherte uns in Atures, der Tiger fürchte ſich im Walde unter ein ſolches Rudel von Wildſchweinen zu geraten, und ſuche ſich, um nicht erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Iſt das nun eine Jägergeſchichte oder eine wirkliche Beobachtung? Wir werden bald ſehen, daß in manchen Ländern von Amerika die Jäger an die Exiſtenz eines Javali oder einheimiſchen Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern1Cortez behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber mit gekrümmten Hauern und Längsſtreifen auf dem Rücken ge - ſchoſſen. Sollte es dort verwilderte europäiſche Schweine geben? glauben. Ich habe nie einen geſehen, die amerikaniſchen Miſſionäre führen ihn aber in ihren Schriften auf, und dieſe von unſeren Zoo - logen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpſten Uebertreibungen ſehr intereſſante lokale Beobachtungen.

Unter den Affen, die wir in der Miſſion Atures zu ſehen bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der Saïs oder Saju, von den Hiſpano-Amerikanern gewöhnlich Ma - chis genannt. Es iſt dies der Uavapavi2Simia albifrons, Humboldt. mit grauem Pelz und bläulichem Geſicht. Augenränder und Stirn ſind ſchneeweiß, und dadurch unterſcheidet er ſich auf den erſten Blick von der Simia capucina, der Simia apella, Simia trepida und den anderen Winſelaffen, in deren Beſchreibung bis jetzt ſo große Verwirrung herrſcht. Das kleine Tier iſt ſo ſanftmütig als häßlich. Jeden Tag ſprang es im Hofe der Miſſion auf ein Schwein und blieb auf demſelben von Morgen bis Abend ſitzen, während es auf den Grasfluren umherlief. Wir ſahen es auch auf dem Rücken einer großen Katze, die mit ihm im Hauſe des Pater Zea aufgezogen wor - den war.

In den Katarakten hörten wir auch zum erſtenmal von141 dem behaarten Waldmenſchen, dem ſogenannten Salvaje ſprechen, der Weiber entführt, Hütten baut und zuweilen Menſchenfleiſch frißt. Die Tamanaken nennen ihn Achi, die Maypures Vaſitri oder den großen Teufel. Die Ein - geborenen und die Miſſionäre zweifeln nicht an der Exiſtenz dieſes menſchenähnlichen Affen, vor dem ſie ſich ſehr fürchten. Pater Gili erzählt in vollem Ernſte eine Geſchichte von einer Dame aus der Stadt San Carlos, welche dem Waldmenſchen wegen ſeiner Gutmütigkeit und Zuvorkommenheit das beſte Zeugnis gab. Sie lebte mehrere Jahre ſehr gut mit ihm und ließ ſich von Jägern nur deshalb wieder in den Schoß ihrer Familie bringen, weil ſie, nebſt ihren Kindern (die auch etwas behaart waren), der Kirche und der heiligen Sakramente nicht länger entbehren mochte . Bei aller Leichtgläubigkeit geſteht dieſer Schriftſteller, er habe keinen Indianer auftreiben können, der ausdrücklich geſagt hätte, er habe den Salvaje mit eigenen Augen geſehen. Dieſes Märchen, das ohne Zweifel von den Miſſionären, den ſpaniſchen Koloniſten und den Negern aus Afrika mit verſchiedenen Zügen aus der Sitten - geſchichte des Orang-Utan, Gibbon, Joko oder Chimpanſe und Pongo ausſtaffiert worden iſt, hat uns 5 Jahre lang in der nördlichen wie in der ſüdlichen Halbkugel verfolgt, und überall, ſelbſt in den gebildetſten Kreiſen, nahm man es übel, daß wir allein uns herausnahmen, daran zu zweifeln, daß es in Amerika einen großen menſchenähnlichen Affen gebe. Wir bemerken zunächſt, daß in gewiſſen Gegenden dieſer Glaube beſonders ſtark unter dem Volke verbreitet iſt, ſo namentlich am oberen Orinoko, im Thale Upar beim See Maracaybo, in den Bergen von Santa Marta und Merida, im Diſtrikt von Quixos und am Amazonenſtrom bei Tomependa. An allen dieſen ſo weit auseinander gelegenen Orten kann man hören, den Salvaje erkenne man leicht an ſeinen Fußſtapfen denn die Zehen ſeien nach hinten gekehrt. Gibt es aber auf dem neuen Kontinent einen Affen von anſehnlicher Größe, wie kommt es, daß ſich ſeit 300 Jahren kein glaubwürdiger Mann das Fell desſelben hat verſchaffen können? Was zu ſo einem alten Irrtum oder Glauben Anlaß gegeben haben mag, darüber laſſen ſich mehrere Vermutungen aufſtellen. Sollte der vielberufene Kapuzineraffe von Esmeralda,1Simia chiropotes. deſſen Hundszähne über 14 mm lang ſind, der ein viel menſchen -142 ähnlicheres Geſicht hat als der Orang-Utan,1Im Geſamtausdruck der Züge, nicht der Stirn nach. der ſich den Bart mit der Hand ſtreicht, wenn man ihn reizt, das Mär - chen vom Salvaje veranlaßt haben? Allerdings iſt er nicht ſo groß als der Coaïta (Simia paniscus); wenn man ihn aber oben auf einem Baume und nur den Kopf von ihm ſieht, könnte man ihn leicht für ein menſchliches Weſen halten. Es wäre auch möglich (und dies ſcheint mir das Wahrſchein - lichſte), daß der Waldmenſch einer der großen Bären iſt, deren Fußſpur der menſchlichen ähnlich iſt und von denen man in allen Ländern glaubt, daß ſie Weiber anfallen. Das Tier, das zu meiner Zeit am Fuße der Berge von Merida geſchoſſen und als ein Salvaje dem Oberſten Ungaro, Statt - halter der Provinz Varinas, geſchickt wurde, war auch wirk - lich nichts als ein Bär mit ſchwarzem, glänzendem Pelz. Unſer Reiſegefährte Don Nicolas Soto hat denſelben näher unterſucht. Die ſeltſame Vorſtellung von einem Sohlengänger, bei dem die Zehen ſo ſtehen, als ob er rückwärts ginge, ſollte ſie etwa daher rühren, daß die wahren wilden Waldmenſchen, die ſchwächſten, furchtſamſten Indianerſtämme, den Brauch haben, wenn ſie in den Wald oder über einen Uferſtrich ziehen, ihre Feinde dadurch irre zu machen, daß ſie ihre Fußſtapfen mit Sand bedecken oder rückwärts gehen?

Ich habe angegeben, weshalb zu bezweifeln iſt, daß es eine unbekannte große Affenart auf einem Kontinente gibt, wo gar keine Vierhänder aus der Familie des Orangs, Cyno - cephali, Mandrils und Pongos vorzukommen ſcheinen. Es iſt aber nicht zu vergeſſen, daß jeder, auch der abgeſchmackteſte Volksglaube auf wirklichen, nur unrichtig aufgefaßten Natur - verhältniſſen beruht. Wendet man ſich von dergleichen Dingen mit Geringſchätzung ab, ſo kann man, in der Phyſik wie in der Phyſiologie, leicht die Fährte einer Entdeckung verlieren. Wir erklären daher auch keineswegs mit einem ſpaniſchen Schriftſteller das Märchen vom Waldmenſchen für eine pfiffige Erfindung der indianiſchen Weiber, die entführt worden ſein wollen, wenn ſie hinter ihren Männern lange ausgeblieben ſind; vielmehr fordern wir die Reiſenden, die nach uns an den Orinoko kommen, auf, unſere Unterſuchungen hinſichtlich des Salvaje oder großen Waldteufels wieder aufzunehmen und zu ermitteln, ob eine unbekannte Bärenart oder ein ſehr143 ſeltener, der Simia chiropotes oder Simia Satanas ähnlicher Affe ſo ſeltſame Märchen veranlaßt haben mag.

Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir ſehr froh, unſere Piroge wieder laden und einen Ort verlaſſen zu können, wo der Thermometer bei Tage meiſt auf 29°, bei Nacht auf 26° ſtand. Nach der Hitze, die uns drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn die Angabe des Inſtrumentes und die Empfindung ſo wenig übereinſtimmten, ſo rührte dies vom beſtändigen Hautreiz durch die Moskiten her. Eine von giftigen Inſekten wim - melnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als ſie wirklich iſt. Das Sauſſureſche Hygrometer im Schatten beobachtet, wie immer zeigte bei Tage im Minimum (um 3 Uhr nachmittags) 78,2°, bei Nacht im Maximum 81,5°. Die Feuchtigkeit iſt um geringer als die mittlere Feuchtig - keit an der Küſte von Cumana, aber um 10° ſtärker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumloſen Ebenen. Die Waſſerfälle und die dichten Wälder ſteigern die Menge des in der Luft enthaltenen Waſſerdampfes. Den Tag über wurden wir von den Moskiten und den Jejen, kleinen gif - tigen Mücken aus der Gattung Simulium, furchtbar geplagt, bei Nacht von den Zancudos, einer großen Schnakenart, vor denen ſich ſelbſt die Eingeborenen fürchten. Unſere Hände fingen an ſtark zu ſchwellen und die Geſchwulſt nahm täglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Tiere los zu werden ſucht, ſind ſehr merk - würdig. Der gute Miſſionär Bernardo Zea, der ſein Leben unter den Qualen der Moskiten zubringt, hatte ſich neben der Kirche auf einem Gerüſte von Palmſtämmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier atmete. Abends ſtiegen wir mit einer Leiter in dasſelbe hinauf, um unſere Pflanzen zu trocknen und unſer Tagebuch zu ſchreiben. Der Miſſionär hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Inſekten in der tiefſten Luftſchicht am Boden 5 bis 7 m hoch, am häufig - ſten ſind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorfe und ſchlafen auf kleinen Inſeln mitten in den Waſſerfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskiten eine mit Waſſerdunſt beladene Luft zu fliehen ſcheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Ori - noko hinab, als wenn man aufwärts fährt.

Wer die großen Ströme des tropiſchen Amerikas, wie den144 Orinoko oder den Magdalenenfluß, nicht befahren hat, kann nicht begreifen, wie man ohne Unterlaß, jeden Augenblick im Leben von den Inſekten, die in der Luft ſchweben, gepeinigt werden, weil die Unzahl dieſer kleinen Tiere weite Landſtrecken faſt unbewohnbar machen kann. So ſehr man auch gewöhnt ſein mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, ſo lebhaft einen auch der Gegenſtand, den man eben beobachtet, beſchäf - tigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon ab - gezogen, wenn Moskiten, Zancudos, Jejen und Tem - praneros einem Hände und Geſicht bedecken, einen mit ihrem Saugrüſſel, der in einen Stachel ausläuft, durch die Kleider durch ſtechen, und in Naſe und Mund kriechen, ſo daß man huſten und nießen muß, ſobald man in freier Luft ſpricht. In den Miſſionen am Orinoko, in dieſen von unermeßlichen Wäldern umgebenen Dörfern am Stromufer, iſt aber auch die plaga de los moscos ein unerſchöpflicher Stoff der Unter - haltung. Begegnen ſich morgens zwei Leute, ſo ſind ihre erſten Fragen: Que le han parecido los zancudos de noche? Wie haben Sie die Zancados heute nacht gefunden? Como stamos hoy de mosquitos? Wie ſteht es heute mit den Moskiten? Dieſe Fragen erinnern an eine chineſiſche Höflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zuſtand des Landes, in dem ſie entſtanden ſein mag, zurückweiſt. Man begrüßte ſich früher im himmliſchen Reiche mit den Worten: Vou-to-hou? Seid ihr dieſe Nacht von Schlangen be - unruhigt worden? Wir werden bald ſehen, daß am Tua - mini, auf dem Magdalenenſtrom, beſonders aber in Choco, im Gold - und Platinalande, neben dem Moskitokompliment auch das chineſiſche Schlangenkompliment am Platze wäre.

Es iſt hier der Ort, von der geographiſchen Ver - teilung dieſer Inſekten aus der Familie der Tipulae zu ſprechen, die ganz merkwürdige Erſcheinungen darbietet. Die - ſelbe ſcheint keineswegs bloß von der Hitze, der großen Feuchtig - keit und den großen Wäldern abzuhängen, ſondern auch von ſchwer zu ermittelnden örtlichen Verhältniſſen. Vorab iſt zu bemerken, daß die Plage der Moskiten und Zancudos in der heißen Zone nicht ſo allgemein iſt, als man gemeiniglich glaubt. Auf Hochebenen mehr als 780 m über dem Meeres - ſpiegel, in ſehr trockenen Niederungen weit von den großen Strömen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auf - fallend mehr Schnaken als in dem am ſtärkſten bevölkerten Teile Europas. In Nueva Barcelona dagegen, und weiter145 weſtwärts an der Küſte, die gegen Kap Codera läuft, nehmen ſie ungeheuer zu. Zwiſchen dem kleinen Hafen von Higuerote und der Mündung des Rio Unare haben die unglücklichen Einwohner den Brauch, ſich bei Nacht auf die Erde zu legen und ſich 8 bis 10 cm tief in den Sand zu begraben, ſo daß nur der Kopf frei bleibt, den ſie mit einem Tuche bedecken. Man leidet vom Inſektenſtich, doch ſo, daß es leicht zu er - tragen iſt, wenn man den Orinoko von Cabruta gegen Ango - ſtura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffährt zwiſchen dem 7. und 8. Grad der Breite. Aber über dem Einfluß des Rio Arauca, wenn man durch den Engpaß beim Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun an findet der Reiſende keine Ruhe mehr. Hat er poetiſche Stellen aus Dante im Kopfe, ſo mag ihm zu Mute ſein, als hätte er die Città dolente betreten, als ſtänden an den Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verſe aus dem 3. Buch der Hölle geſchrieben:

Noi sem venuti al luogo, ov’i’t’ho detto Che tu vedrai le genti dolorose. 1Inferno. C. III, 16.

Die tiefen Luftſchichten vom Boden bis zu 5 bis 7 m Höhe ſind mit giftigen Inſekten wie mit einem dichten Dunſte angefüllt. Stellt man ſich an einen dunklen Ort, z. B. in die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgetürmten Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von der Sonne beleuchtete Oeffnung, ſo ſieht man Wolken von Moskiten, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem die Tierchen bei ihren langſamen und taktmäßigen Bewegungen ſich zuſammen - oder auseinanderziehen. In der Miſſion San Borja hat man ſchon mehr von den Moskiten zu leiden als in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, beſonders aber in Maypures erreicht die Plage ſozuſagen ihr Maxi - mum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der Menſch grauſamere Qualen zu erdulden hat als hier in der Regenzeit. Kommt man über den 5. Breitengrad hinauf, wird man etwas weniger zerſtochen; aber am oberen Orinoko ſind die Stiche ſchmerzlicher, weil bei der Hitze und der völli - gen Windſtille die Luft glühender iſt und die Haut, wo ſie dieſelbe berührt, mehr reizt.

A. v. Humboldt, Reiſe. III. 10146

Wie gut muß im Mond wohnen ſein! ſagte ein Sa - liva-Indianer zu Pater Gumilla. Er iſt ſo ſchön und hell, daß es dort gewiß keine Moskiten gibt. Dieſe Worte, die dem Kindesalter eines Volkes angehören, ſind ſehr merk - würdig. Ueberall iſt der Trabant der Erde für den wilden Amerikaner der Wohnplatz der Seligen, das Land des Ueber - fluſſes. Der Eskimo, für den eine Planke, ein Baumſtamm, den die Strömung an eine pflanzenloſe Küſte geworfen, ein Schatz iſt, ſieht im Monde waldbedeckte Ebenen; der Indianer in den Wäldern am Orinoko ſieht darin kahle Savannen, deren Bewohner nie von Moskiten geſtochen werden.

Weiterhin gegen Süd, wo das Syſtem der braungelben Gewäſſer beginnt, gemeinhin ſchwarze Waſſer (aguas negras) genannt, an den Ufern des Atabapo, Temi, Tuamini und des Rio Negro, genoſſen wir einer Ruhe, ich hätte bald geſagt eines Glückes, wie wir es gar nicht er - wartet hatten. Dieſe Flüſſe laufen wie der Orinoko durch dichte Wälder; aber die Schnaken wie die Krokodile halten ſich von den ſchwarzen Waſſern ferne. Kommen vielleicht die Larven und Nymphen der Tipulä und Schnaken, die man als eigentliche Waſſertiere betrachten kann, in dieſen Gewäſſern, die ein wenig kühler ſind als die weißen und ſich chemiſch anders verhalten, nicht ſo gut fort? Einige kleine Flüſſe, deren Waſſer entweder dunkelblau oder braungelb iſt, der Toparo, Mataveni und Zama, machen eine Ausnahme von der ſonſt ziem - lich allgemeinen Regel, daß es über ſchwarzem Waſſer keine Moskiten gibt. An jenen drei Flüſſen wimmelt es davon, und ſelbſt die Indianer machten uns auf die rätſelhafte Er - ſcheinung aufmerkſam und ließen uns über deren Urſachen nachdenken. Beim Herabfahren auf dem Rio Negro atmeten wir frei in den Dörfern Maroa, Davipe und San Carlos an der braſilianiſchen Grenze; allein dieſe Erleichterung unſerer Lage war von kurzer Dauer, und unſere Leiden begannen von neuem, ſobald wir in den Caſſiquiare kamen. In Esmeralda, am öſtlichen Ende des oberen Orinoko, wo die den Spaniern bekannte Welt ein Ende hat, ſind die Moskitowolken faſt ſo dick wie bei den großen Katarakten. In Mandavaca fanden wir einen alten Miſſionär, der mit jammervoller Miene gegen uns äußerte, er habe ſeine 20 Moskitojahre auf dem Rücken (ya tengo mis veinte años de mosquitos). Er forderte uns auf, ſeine Beine genau zu betrachten, damit wir eines Tages por alla (über dem Meer) davon zu ſagen147 wüßten, was die armen Miſſionäre in den Wäldern am Caſ - ſiquiare auszuſtehen haben. Da jeder Stich einen kleinen ſchwarzbraunen Punkt zurückläßt, waren ſeine Beine der - geſtalt gefleckt, daß man vor Flecken geronnenen Blutes kaum die weiße Haut ſah. Auf dem Caſſiquiare, der weißes Waſſer hat, wimmelt es von Mücken aus der Gattung Simulium, aber die Zancudos, der Gattung Culex ange - hörig, ſind deſto ſeltener; man ſieht faſt keine, während auf den Flüſſen mit ſchwarzem Waſſer meiſt einige Zancudos, aber keine Moskiten vorkommen. Wir haben ſchon oben bemerkt, daß wenn bei den kleinen Revolutionen im Schoße des Ordens der Obſervanten der Pater Guardian ſich an einem Laienbruder rächen will, er ihn nach Esmeralda ſchickt; er wird damit verbannt oder, wie der muntere Ausdruck der Ordensleute lautet, zu den Moskiten verurteilt.

Ich habe hier nach meinen eigenen Beobachtungen gezeigt, daß in dieſem Labyrinth weißer und ſchwarzer Waſſer die geographiſche Verteilung der giftigen Inſekten eine ſehr un - gleichförmige iſt. Es wäre zu wünſchen, daß ein tüchtiger Entomolog an Ort und Stelle die ſpezifiſchen Unterſchiede dieſer bösartigen Inſekten, die trotz ihrer Kleinheit in der heißen Zone eine bedeutende Rolle im Haushalte der Natur ſpielen, beobachten könnte. Sehr merkwürdig ſchien uns der Umſtand, der auch allen Miſſionären wohlbekannt iſt, daß die verſchiedenen Arten nicht untereinander fliegen und daß man zu verſchiedenen Tagesſtunden immer wieder von anderen Arten geſtochen wird. So oft die Szene wechſelt und ehe, nach dem naiven Ausdruck der Miſſionäre, andere Inſekten auf die Wache ziehen , hat man ein paar Minuten, oft eine Viertelſtunde Ruhe. Nach dem Abzug der einen Inſekten ſind die Nachfolger nicht ſogleich in gleicher Menge zur Stelle. Von Uhr morgens bis 5 Uhr abends wimmelt die Luft von Moskiten, die nicht, wie in manchen Reiſebeſchreibungen zu leſen iſt, unſeren Schnaken,1Culex pipiens. Dieſer Unterſchied zwiſchen Mosquito (kleine Mücke, Simulium) und Zancudo (Schnake, Culex) beſteht in allen ſpaniſchen Kolonieen. Das Wort Zancudo bedeutet Langfuß , qui tiene las zancas largas. ſondern vielmehr einer kleinen Mücke gleichen. Es ſind dies Arten der Gattung Simulium aus der Familie der Nemoceren nach Latreilles Syſtem. Ihr Stich hinterläßt einen kleinen braunroten Punkt, weil da,148 wo der Rüſſel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und geronnen iſt. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskiten von einer kleinen Schnakenart abgelöſt, Tempra - neros1 Die früh auf ſind , temprano. genannt, weil ſie ſich auch bei Sonnenaufgang zeigen; ſie bleiben kaum anderthalb Stunden und verſchwinden zwi - ſchen 6 und 7 Uhr abends oder, wie man hier ſagt, nach dem Angelus (a la oracion). Nach einigen Minuten Ruhe fühlt man die Stiche der Zancudos, einer anderen Schnakenart (Culex) mit ſehr langen Füßen. Der Zancudo, deſſen Rüſſel eine ſtechende Saugröhre enthält, verurſacht die heftigſten Schmerzen, und die Geſchwulſt, die dem Stiche folgt, hält mehrere Wochen an; ſein Sumſen gleicht dem unſerer europäiſchen Schnaken, nur iſt es ſtärker und anhaltender. Die Indianer wollen Zancudos und Tempraneros am Geſang unterſcheiden können; letztere ſind wahre Dämme - rungsinſekten, während die Zancudos meiſt Nacht - inſekten ſind und mit Sonnenaufgang verſchwinden.

Auf der Reiſe von Cartagena nach Santa Fé de Bogota machten wir die Beobachtung, daß zwiſchen Mompox und Honda im Thal des großen Magdalenenfluſſes die Zancudos zwiſchen 8 Uhr abends und Mitternacht die Luft verfinſtern, gegen Mitternacht abnehmen, ſich 3, 4 Stunden lang ver - kriechen und endlich gegen 4 Uhr morgens in Menge und voll Heißhunger wieder erſcheinen. Welches iſt die Urſache dieſes Wechſels von Bewegung und Ruhe? Werden die Tiere vom langen Fliegen müde? Am Orinoko ſieht man bei Tag ſehr ſelten wahre Schnaken, während man auf dem Magda - lenenſtrom Tag und Nacht von ihnen geſtochen wird, nur nicht von Mittag bis 2 Uhr. Ohne Zweifel ſind die Zan - cudos beider Flüſſe verſchiedene Arten; werden etwa die zu - ſammengeſetzten Augen der einen Art vom Sonnenlicht mehr angegriffen als die der anderen?

Wir haben geſehen, daß die tropiſchen Inſekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verſchwindens überall einen gewiſſen Typus befolgen. In derſelben Jahreszeit und unter derſelben Breite erhält die Luft zu beſtimmten, nie wechſeln - den Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in einem Erdſtrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird,2Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im ſtündlichen Wechſel des Luftdrucks. wo149 alles mit ſo bewundernswürdiger Regelmäßigkeit aufeinander folgt, könnte man beinahe am Sumſen der Inſekten und an den Stichen, die je nach der Art des Giftes, das jedes In - ſekt in der Wunde zurückläßt, wieder anders ſchmerzen, Tag und Nacht mit verbundenen Augen erraten, welche Zeit es iſt.

Zur Zeit, da die Tier - und Pflanzengeographie noch keine Wiſſenſchaft war, warf man häufig verwandte Arten aus verſchiedenen Himmelsſtrichen zuſammen. In Japan, auf dem Rücken der Anden und an der Magelhaensſchen Meerenge glaubte man die Fichten und die Ranunkeln, die Hirſche, Ratten und Schnaken des nördlichen Europa wiederzufinden. Hoch - verdiente, berühmte Naturforſcher glaubten, der Maringuin der heißen Zone ſei die Schnake unſerer Sümpfe, nur kräf - tiger, gefräßiger, ſchädlicher infolge des heißen Klimas; dies iſt aber ein großer Irrtum. Ich habe die Zancudos, von denen man am ärgſten gequält wird, an Ort und Stelle ſorg - fältig unterſucht und beſchrieben. Im Magdalenenfluß und im Guayaquil gibt es allein fünf ganz verſchiedene Arten.

Die Culexarten in Südamerika ſind meiſt geflügelt, Bruſtſtück und Füße ſind blau, geringelt, mit metalliſch glän - zenden Flecken und daher ſchillernd. Hier wie in Europa ſind die Männchen, die ſich durch ihre gefiederten Fühlhörner auszeichnen, ſehr ſelten; man wird faſt immer nur von Weibchen geſtochen. Aus dem großen Uebergewicht dieſes Geſchlechtes erklärt ſich die ungeheure Vermehrung der Art, da jedes Weibchen mehrere hundert Eier legt. Fährt man einen der großen amerikaniſchen Ströme hinauf, ſo bemerkt man, daß ſich aus dem Auftreten einer neuen Culexart ſchließen läßt, daß bald wieder ein Nebenfluß hereinkommt. Ich führe ein Beiſpiel dieſer merkwürdigen Erſcheinung an. Den Culex lineatus, deſſen Heimat der Caño Tamalameque iſt, trifft man im Thal des Magdalenenſtroms nur bis auf 4,5 km nördlich vom Zuſammenfluß der beiden Gewäſſer an; derſelbe geht den großen Strom hinauf, aber nicht hinab; in ähnlicher Weiſe verkündigt in einem Hauptgang das Auftreten einer neuen Subſtanz in der Gangmaſſe dem Bergmann die Nähe eines ſekundären Ganges, der ſich mit jenem verbindet.

Faſſen wir die hier mitgeteilten Beobachtungen zuſammen, ſo ſehen wir, daß unter den Tropen die Moskiten und Ma - ringuine am Abhang der Kordilleren1Der europäiſche Culex pipiens meidet das Gebirgsland nicht in die gemäßigte150 Region hinaufgehen, wo die mittlere Temperatur weniger als 19 bis 20° beträgt;1Das iſt die mittlere Temperatur von Montpellier und Rom. daß ſie mit wenigen Ausnahmen die ſchwarzen Gewäſſer und trockene, baumloſe Landſtriche meiden. Am oberen Orinoko finden ſie ſich weit maſſenhafter als am unteren, weil dort der Strom an ſeinen Ufern dicht bewaldet iſt und kein weiter kahler Uferſtrich zwiſchen dem Fluß und dem Waldſaum liegt. Mit dem Seichterwerden der Gewäſſer und der Ausrodung der Wälder nehmen die Moskiten auf dem neuen Kontinent ab; aber alle dieſe Mo - mente ſind in ihren Wirkungen ſo langſam als die Fortſchritte des Anbaues. Die Städte Angoſtura, Nueva Barcelona und Mompox, wo ſchlechte Polizei auf den Straßen, den Plätzen und in den Höfen der Häuſer das Buſchwerk wuchern läßt, ſind wegen der Menge ihrer Zancudos in trauriger Weiſe vielberufen.

Alle im Lande Geborenen, Weiße, Mulatten, Neger, Indianer, haben vom Inſektenſtich zu leiden; wie aber der Norden Europas trotz des Froſtes nicht unbewohnbar iſt, ſo hindern auch die Moskiten den Menſchen nicht, ſich in Län - dern, welche ſtark davon heimgeſucht ſind, niederzulaſſen, wenn anders durch die Lage und Regierungsweiſe die Verhältniſſe für Handel und Gewerbfleiß günſtige ſind. Die Leute klagen ihr Leben lang de la plaga, del insufrible tormento de las moscas; aber trotz dieſes beſtändigen Jammerns ziehen ſie doch und zwar mit einer gewiſſen Vorliebe, in die Handels - ſtädte Angoſtura, Santa Marta und Rio la Hacha. So ſehr gewöhnt man ſich an ein Uebel, das man zu jeder Tages - ſtunde zu erdulden hat, daß die drei Miſſionen San Borja, Atures und Esmeralda, wo es nach dem hyperboliſchen Aus - druck der Mönche mehr Mücken als Luft gibt (mas moscas que ayre), unzweifelhaft blühende Städte würden, wenn der Orinoko den Koloniſten zum Austauſch der Produkte dieſelben Vorteile gewährte wie der Ohio und der untere Miſſiſſippi. Wo es ſehr viele Inſekten gibt, nimmt zwar die Bevölkerung lang - ſamer zu, aber gänzlicher Stillſtand tritt deshalb doch nicht ein;1nicht, wie die Culexarten der heißen Zone Amerikas. Gieſecke wurde in Disco in Grönland unter dem 70. Breitengrad von Schnaken geplagt. In Lappland kommt die Schnake im Sommer in 580 bis 780 m Meereshöhe bei einer mittleren Temperatur von 11 bis 12° vor.151 die Weißen laſſen ſich aus dieſem Grunde nur da nicht nieder, wo bei den kommerziellen und politiſchen Verhältniſſen des Landes kein erklecklicher Vorteil in Ausſicht ſteht.

Ich habe anderswo in dieſem Werke des merkwürdigen Umſtandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone geborenen Weißen barfuß ungeſtraft in demſelben Zimmer herumgehen, in dem ein friſch angekommener Europäer Ge - fahr läuft, Niguas oder Chiques, Sandflöhe (Pulex penetrans), zu bekommen. Dieſe kaum ſichtbaren Tiere graben ſich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raſchen Entwickelung der in einem eigenen Sack am Bauche des In - ſektes liegenden Eier, ſo groß wie eine kleine Erbſe. Die Nigua unterſcheidet alſo, was die feinſte chemiſche Analyſe nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von dem eines weißen Kreolen. Anders bei den Stechfliegen. Trotz allem, was man darüber an den Küſten von Süd - amerika hört, fallen dieſe Inſekten die Eingeborenen ſo gut an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs ſind bei beiden Menſchenraſſen verſchieden. Dieſelbe giftige Flüſſigkeit, in die Haut eines kupferfarbigen Menſchen von indianiſcher Raſſe und eines friſch angekommenen Weißen gebracht, bringt beim erſteren keine Geſchwulſt hervor, beim letzteren dagegen harte, ſtark entzündete Beulen, die mehrere Tage ſchmerzen. So verſchieden reagiert das Hautſyſtem, je nachdem die Organe bei dieſer oder jener Raſſe, bei dieſem oder jenem Individuum mehr oder weniger reizbar ſind.

Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, ſo gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht in geringerem Grade. Bei Tage, ſelbſt während des Ruderns, ſchlagen ſich die Indianer beſtändig mit der flachen Hand heftig auf den Leib, um die Inſekten zu verſcheuchen. Im Schlaf ſchlagen ſie, ungeſtüm in allen ihren Bewegungen, auf ſich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren derben Hieben denkt man an das perſiſche Märchen vom Bären, der mit ſeiner Tatze die Fliegen auf der Stirn ſeines Herrn totſchlägt. Bei Maypures ſahen wir junge Indianer im Kreiſe ſitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grauſam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupferfarbige Raſſe fähig iſt, waren indianiſche Weiber beſchäftigt, mit einem ſpitzen Knochen die kleine Maſſe geronnenen Blutes in der Mitte jeden Stiches, die der Haut152 ein geflecktes Ausſehen gibt, auszuſtechen. Eines der bar - bariſchten Völker am Orinoko, die Otomaken, kennt den Ge - brauch der Mosquiteros (Fliegennetze), die aus den Faſern der Murichipalme gewoben werden. Wir haben oben geſehen, daß die Farbigen in Higuerote an der Küſte von Caracas ſich zum Schlafen in den Sand graben. In den Dörfern am Magdalenenfluß forderten uns die Indianer oft auf, uns mit ihnen bei der Kirche auf der Plaza grande auf Ochſen - häute zu legen. Man hatte daſelbſt alles Vieh aus der Um - gegend zuſammengetrieben, denn in der Nähe desſelben findet der Menſch ein wenig Ruhe. Wenn die Indianer am oberen Orinoko oder am Caſſiquiare ſahen, daß Bonpland wegen der unaufhörlichen Moskitoplage ſeine Pflanzen nicht einlegen konnte, forderten ſie ihn auf, in ihre Hornitos (Oefen) zu gehen. So heißen kleine Gemächer ohne Thüre und Fenſter, in die man durch eine ganz niedrige Oeffnung auf dem Bauche kriecht. Mittels eines Feuers von feuchtem Strauch - werk, das viel Rauch gibt, jagt man die Inſekten hinaus und verſchließt dann die Oeffnung des Ofens. Daß man jetzt die Moskiten los iſt, erkauft man ziemlich teuer; denn bei der ſtockenden Luft und dem Rauch einer Kopalfackel, die den Ofen beleuchtet, wird es entſetzlich heiß darin. Bonpland hat mit einem Mut und einer Geduld, die das höchſte Lob ver - dienen, viele hundert Pflanzen in dieſen Hornitos der In - dianer getrocknet.

Die Mühe, die ſich die Eingeborenen geben, um die Inſektenplage zu lindern, beweiſt hinlänglich, daß der kupfer - farbige Menſch trotz der verſchiedenen Organiſation ſeiner Haut für die Mückenſtiche empfindlich iſt ſo gut wie der Weiße; aber, wir wiederholen es, beim erſteren ſcheint der Schmerz nicht ſo ſtark zu ſein und der Stich hat nicht die Geſchwulſt zur Folge, die mehrere Wochen lang fort und fort wiederkehrt, die Reizbarkeit der Haut ſteigert und empfindliche Perſonen in den fieberhaften Zuſtand verſetzt, der allen Aus - ſchlagskrankheiten eigen iſt. Die im tropiſchen Amerika ge - borenen Weißen und die Europäer, die ſehr lange in den Miſſionen in der Nähe der Wälder und an den großen Flüſſen gelebt, haben weit mehr zu leiden als die Indianer, aber unendlich weniger als friſch angekommene Europäer. Es kommt alſo nicht, wie manche Reiſende behaupten, auf die Dicke der Haut an, ob der Stich im Augenblick, wo man ihn erhält, mehr oder weniger ſchmerzt, und bei den Indianern tritt153 nicht deshalb weniger Geſchwulſt und Entzündung ein, weil ihre Haut eigentümlich organiſiert iſt, vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nerven - ſyſtems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird geſteigert durch ſehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geiſtiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und dieſe phyſiologiſche Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin ſind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenſtiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, ſo verſetzt man die Haut in einen Zu - ſtand nervöſer Reizbarkeit, von dem man ſich in Europa keinen Begriff machen kann. Es iſt einem, als zöge ſich alle Em - pfindung in die Hautdecken.

Da die Moskiten und die Schnaken zwei Dritteile ihres Lebens im Waſſer zubringen, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüſſen durchzogenen Wäldern dieſe bösartigen Inſekten, je weiter vom Ufer weg, deſto ſeltener werden. Sie ſcheinen ſich am liebſten an den Orten aufzu - halten, wo ihre Verwandelung vor ſich gegangen iſt und wo ſie ihrerſeits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen ſich auch die wilden Indianer (Indios monteros) um ſo ſchwerer an das Leben in den Miſſionen, da ſie in den chriſt - lichen Niederlaſſungen eine Plage auszuſtehen haben, von der ſie daheim im inneren Lande faſt nichts wiſſen. Man ſah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene al monte (in die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskiten. Leider ſind gleich anfangs alle Miſſionen am Orinoko zu nahe am Fluſſe angelegt worden. In Esmeralda verſicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der ſchönen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, ſo könnten ſie freier atmen und fänden einige Ruhe. La nube de moscos, die Mückenwolke ſo ſagen die Mönche ſchwebt nur über dem Orinoko und ſeinen Nebenflüſſen; die Wolke zerteilt ſich mehr und mehr, wenn man von den Flüſſen weggeht, und man machte ſich eine ganz falſche Vorſtellung von Guyana und Braſilien, wenn man den großen, 1800 km breiten Wald zwiſchen den Quellen der Madeira und dem unteren Orinoko nach den Flußthälern beurteilte, die dadurch hinziehen.

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Man ſagte mir, die kleinen Inſekten aus der Familie der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die geſellig lebenden Affen der Gruppe der Aluaten. Man ſieht an ge - wiſſen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erſcheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magda - lenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine andere Culexart gekannt als den Jejen. Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinſekt iſt. Seit dem Jahre 1801 aber iſt die große Schnake mit blauen Flügeln (Culex cyanopterus) in ſolchen Maſſen erſchienen, daß die armen Einwohner von Simiti nicht wiſſen, wie ſie ſich Nacht - ruhe verſchaffen ſollen. In den ſumpfigen Kanälen (esteros) auf der Inſel Baru bei Cartagena lebt eine kleine weiß - lichte Mücke, Cafaſi genannt. Sie iſt mit dem bloßen Auge kaum ſichtbar und verurſacht doch äußerſt ſchmerzhafte Geſchwülſte. Man muß die Toldos oder Baumwollen - gewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der Cafaſi nicht zwiſchen den gekreuzten Fäden durchſchlüpfen kann. Dieſes zum Glück ſonſt ziemlich ſeltene Inſekt geht im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieſes Dorf kamen, trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an, aber keine Jejen mehr.

Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima ſcheinen bei denſelben Mücken - und Schnakenarten auf die Wirkſam - keit des Giftes, das die Tiere aus ihrem ſchneidenden und am unteren Ende gezahnten Saugrüſſel ergießen, Einfluß zu äußern. Am Orinoko ſind die läſtigſten oder, wie die Kreolen ſagen, die wildeſten (los mas feroces) Inſekten die an den großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Mag - dalenenſtrom iſt der Culex cyanopterus beſonders in Mompox, Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er iſt dort größer und ſtärker und ſeine Beine ſind ſchwärzer. Man kann ſich des Lächelns nicht enthalten, wenn man die Miſſionäre über Größe und Gefräßigkeit der Moskiten in verſchiedenen Strichen des - ſelben Fluſſes ſtreiten hört. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, iſt dies das Lieblingsthema der Unterhaltung. Wie ſehr be - daure ich Euch! ſagte beim Abſchied der Miſſionär aus den Raudales zu dem am Caſſiquiare. Ihr ſeid allein wie ich in dieſem Lande der Tiger und der Affen; Fiſche gibt es hier noch weniger, und heißer iſt es auch; was aber meine155 Mücken (mis moscas) anbelangt, ſo darf ich mich rühmen, daß ich mit einer von den meinen drei von den Euren ſchlage.

Dieſe Gefräßigkeit der Inſekten an gewiſſen Orten, dieſe Blutgier, womit ſie den Menſchen anfallen,1Dieſe Gefräßigkeit, dieſe Blutgier bei kleinen Inſekten, die ſonſt von Pflanzenſäften in einem faſt unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. Was fräßen die Tiere, wenn wir nicht hier vorüberkämen? ſagen oft die Kreolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer be - deckte Krokodile und behaarte Affen gibt. die ungleiche Wirkſamkeit des Giftes bei derſelben Art ſind ſehr merk - würdige Erſcheinungen; es ſtellen ſich ihnen jedoch andere aus den Klaſſen der großen Tiere zur Seite. In Angoſtura greift das Krokodil den Menſchen an, während man in Nueva Barcelona im Rio Neveri mitten unter dieſen fleiſchfreſſenden Reptilien ruhig badet. Die Jaguare in Maturin, Cuma - nacoa und auf der Landenge von Panama ſind feig denen am oberen Orinoko gegenüber. Die Indianer wiſſen recht gut, daß die Affen aus dieſem und jenem Thale leicht zu zähmen ſind, während Individuen derſelben Art, die man anderswo fängt, lieber Hungers ſterben, als ſich in die Ge - fangenſchaft ergeben.

Das Volk in Amerika hat ſich hinſichtlich der Geſundheit der Gegenden und der Krankheitserſcheinungen Syſteme ge - bildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und dieſe Syſteme widerſprechen ſich, gleichfalls wie bei uns, in den verſchiedenen Provinzen, in die der neue Kontinent zerfällt, ganz und gar. Am Magdalenenfluß findet man die vielen Moskiten läſtig, aber ſie gelten für ſehr geſund. Dieſe Tiere, ſagen die Leute, machen uns kleine Aderläſſe und ſchützen uns in einem ſo furchtbar heißen Land vor dem Tabardillo, dem Scharlachfieber, und anderen entzündlichen Krankheiten. Am Orinoko, deſſen Ufer höchſt ungeſund ſind, ſchreiben die Kranken alle ihre Leiden den Moskiten zu. Dieſe Inſekten entſtehen aus der Fäulnis und vermehren ſie; ſie entzünden das Blut (vician y incienden el sangre). Der Volksglaube, als wirkten die Moskiten durch örtliche Blutentziehung heilſam, braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa wiſſen die Bewohner ſumpfiger Länder gar wohl, daß die Inſekten das Hautſyſtem reizen und durch das Gift, das ſie in die Wunden bringen, die Funktionen desſelben ſteigern. 156Durch die Stiche wird der entzündliche Zuſtand der Haut - bedeckung nicht nur nicht vermindert, ſondern geſteigert.

Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur inſo - fern auf die Ungeſundheit einer Gegend hin, als Entwicke - lung und Vermehrung dieſer Inſekten von denſelben Urſachen abhängen, aus denen Miasmen entſtehen. Dieſe läſtigen Tiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachſenen Boden, ſtehendes Waſſer, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft; ſtatt freier Gegend ſuchen ſie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mitteren Grad von Licht, Wärmeſtoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemiſcher Affinitäten Vor - ſchub leiſtet und damit die Fäulnis organiſcher Subſtanzen beſchleunigt. Tragen die Moskiten an ſich zur Ungeſundheit der Luft bei? Bedenkt man, das bis auf 5 bis 8 m vom Boden im Kubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter Inſekten1Bei dieſer Gelegenheit ſoll nur daran erinnert werden, daß der Kubikfuß 2985984 Kubiklinien enthält. enthalten iſt, die eine ätzende, giftige Flüſſigkeit bei ſich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende des Bruſtſtücks (die Füße ungerechnet) an 4 mm lang ſind; endlich daß in dem Schnaken - und Mückenſchwarm, der wie ein Rauch die Luft erfüllt, ſich eine Menge toter Inſekten befinden, die durch den aufſteigenden Luftſtrom oder durch ſeitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte Ströme fortgeriſſen werden, ſo fragt man ſich, ob eine ſolche Anhäufung von tieriſchen Stoffen in der Luft nicht zur ört - lichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube, dieſe Subſtanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieſer Beziehung keine Behauptung aufzuſtellen. Von den vielen Rätſeln, welche das Ungeſundſein der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines gelöſt; ſie hat uns nur ſo viel gelehrt, daß wir gar vieles nicht wiſſen, was wir vor 15 Jahren dank den ſinnreichen Träumen der alten Eudiometrie zu wiſſen meinten.

Nicht ſo ungewiß und faſt durch tägliche Erfahrungen beſtätigt iſt der Umſtand, daß am Orinoko, am Caſſiquiare, am Rio Caura, überall, wo die Luft ſehr ungeſund iſt, der Stich der Moskiten die Dispoſition der Organe zur Aufnahme der Miasmen ſteigert. Wenn man monatelang Tag und Nacht von den Inſekten gepeinigt wird, ſo erzeugt der be - ſtändige Hautreiz fieberhafte Aufregung und ſchwächt, infolge157 des ſchon frühe erkannten Antagonismus zwiſchen dem gaſtri - ſchen und dem Hautſyſtem, die Verrichtung des Magens. Man fängt an ſchwer zu verdauen, die Entzündung der Haut veranlaßt profuſe Schweiße, den Durſt kann man nicht löſchen, und auf die beſtändig zunehmende Unruhe folgt bei Perſonen von ſchwacher Konſtitution eine geiſtige Niedergeſchlagenheit, in der alle pathogeniſchen Urſachen ſehr heftig einwirken. Gegenwärtig ſind es nicht mehr die Gefahren der Schiffahrt in kleinen Kanoen, nicht die wilden Indianer oder die Schlangen, die Krokodile oder die Jaguare, was den Spaniern die Reiſe auf dem Orinoko bedenklich macht, ſondern nur, wie ſie naiv ſich ausdrücken, el sudar y las moscas (der Schweiß und die Mücken). Es iſt zu hoffen, daß der Menſch, indem er die Bodenfläche umgeſtaltet, damit auch die Beſchaffenheit der Luft allmählich umändert. Die Inſekten werden ſich ver - mindern, wenn einmal die alten Bäume im Walde verſchwun - den ſind und man in dieſen öden Ländern die Stromufer mit Dörfern beſetzt, die Ebenen mit Weiden und Fruchtfeldern bedeckt ſieht.

Wer lange in von Moskiten heimgeſuchten Ländern ge - lebt hat, wird gleich uns die Erfahrung gemacht haben, daß es gegen die Inſektenplage kein Radikalmittel gibt. Die mit Onoto, Bolus oder Schildkrötenfett beſchmierten Indianer klatſchten ſich jeden Augenblick mit der flachen Hand auf Schultern, Rücken und Beine, ungefähr wie wenn ſie gar nicht bemalt wären. Es iſt überhaupt zweifelhaft, ob das Bemalen Erleichterung verſchafft; ſo viel iſt aber gewiß, daß es nicht ſchützt. Die Europäer, die eben erſt an den Ori - noko, den Magdalenenſtrom, den Guayaquil oder den Rio Chagre kommen (ich nenne hier die vier Flüſſe, wo die In - ſekten am furchtbarſten ſind), bedecken ſich zuerſt Geſicht und Hände; bald aber fühlen ſie eine unerträgliche Hitze, die Lange - weile, da ſie gar nichts thun können, drückt ſie nieder, und am Ende laſſen ſie Geſicht und Hände frei. Wer bei der Flußſchiffahrt auf jede Beſchäftigung verzichten wollte, könnte aus Europa eine eigens verfertigte, ſackförmige Kleidung mit - bringen, in die er ſich ſteckte und die er nur alle halbe Stunden aufmachte; der Sack müßte durch Fiſchbeinreife ausgeſpannt ſein, denn eine bloße Maske und Handſchuhe wären nicht zu ertragen. Da wir am Boden auf Häuten oder in Hänge - matten lagen, hätten wir uns auf dem Orinoko der Fliegen - netze (toldos) nicht bedienen können. Der Toldo leiſtet nur158 dann gute Dienſte, wenn er um das Lager ein ſo gut ge - ſchloſſenes Zelt bildet, daß auch nicht die kleinſte Oeffnung bleibt, durch die eine Schnake ſchlüpfen könnte. Dieſe Be - dingung iſt aber ſchwer zu erfüllen, und gelingt es auch (wie zum Beiſpiel bei der Bergfahrt auf dem Magdalenenſtrom, wo man mit einiger Bequemlichkeit reiſt), ſo muß man, um nicht vor Hitze zu erſticken, den Toldo verlaſſen und ſich in freier Luft ergehen. Ein ſchwacher Wind, Rauch, ſtarke Ge - rüche helfen an Orten, wo die Inſekten ſehr zahlreich und gierig ſind, ſo gut wie nichts. Fälſchlich behauptet man, die Tierchen fliehen vor dem eigentümlichen Geruch, den das Krokodil verbreitet. In Bataillez auf dem Wege von Car - tagena nach Honda wurden wir jämmerlich zerſtochen, wäh - rend wir ein 3,5 m langes Krokodil zerlegten, das die Luft weit umher verpeſtete. Die Indianer loben ſehr den Dunſt von brennendem Kuhmiſt. Iſt der Wind ſehr ſtark und regnet es dabei, ſo verſchwinden die Moskiten auf eine Weile; am grauſamſten ſtechen ſie, wenn ein Gewitter im Anzug iſt, beſonders wenn auf die elektriſchen Entladungen keine Regen - güſſe folgen.

Alles, was um Kopf und Hände flattert, hilft die In - ſekten verſcheuchen. Je mehr ihr euch rührt, deſto weniger werdet ihr geſtochen, ſagen die Miſſionäre. Der Zancudo ſummt lange umher, ehe er ſich niederſetzt; hat er dann ein - mal Vertrauen gefaßt, hat er einmal angefangen, ſeinen Saug - rüſſel einzubohren und ſich voll zu ſaugen, ſo kann man ihm die Flügel berühren, ohne daß er ſich verſcheuchen läßt. Er ſtreckt währenddeſſen ſeine beiden Hinterfüße in die Luft, und läßt man ihn ungeſtört ſich ſatt ſaugen, ſo bekommt man keine Geſchwulſt, empfindet keinen Schmerz. Wir haben dieſen Verſuch im Thale des Magdalenenſtroms nach dem Rate der Indianer oft an uns ſelbſt gemacht. Man fragt ſich, ob das Inſekt die reizende Flüſſigkeit erſt im Augenblick ergießt, wo es wegfliegt, wenn man es verjagt, oder ob es die Flüſſigkeit wieder aufpumpt, wenn man es ſaugen läßt, ſo viel es will? Letztere Annahme ſcheint mir die wahrſchein - lichere; denn hält man dem Culex cyanopterus ruhig den Handrücken hin, ſo iſt der Schmerz anfangs ſehr heftig, nimmt aber immer mehr ab, je mehr das Inſekt fortſaugt, und hört ganz auf im Moment, wo es von ſelbſt fortfliegt. Ich habe mich auch mit einer Nadel in die Haut geſtochen und die Stiche mit zerdrückten Moskiten (mosquitos machucados)159 gerieben, es folgte aber keine Geſchwulſt darauf. Die reizende Flüſſigkeit der Diptera Nemocera, die nach den bisherigen chemiſchen Unterſuchungen ſich nicht wie eine Säure verhält, iſt, wie bei den Ameiſen und anderen Hymenopteren, in eigenen Drüſen enthalten; dieſelbe iſt wahrſcheinlich zu ſehr verdünnt und damit zu ſchwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Tiere reibt.

Ich habe am Ende dieſes Kapitels alles zuſammen - geſtellt, was wir auf unſeren Reiſen über Erſcheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforſchung auffallend vernachläſſigt wurden, obgleich ſie auf das Wohl der Bevölkerung, die Geſundheit der Länder und die Grün - dung neuer Kolonieen an den Strömen des tropiſchen Amerika von bedeutendem Einfluß ſind. Ich bedarf wohl keiner Recht - fertigung, daß ich dieſen Gegenſtand mit einer Umſtändlichkeit behandelt habe, die kleinlich erſcheinen könnte, fiele nicht der - ſelbe unter einen allgemeineren phyſiologiſchen Geſichtspunkt. Unſere Einbildungskraft wird nur vom Großen ſtark angeregt, und ſo iſt es Sache der Naturphiloſophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben geſehen, wie geflügelte, geſellig lebende Inſekten, die in ihrem Saugrüſſel eine die Haut reizende Flüſſigkeit bergen, große Länder faſt unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Inſekten, die Termiten (Comejen), ſetzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tro - piſchen Erdſtriches der Entwickelung der Kultur ſchwer zu be - ſiegende Hinderniſſe entgegen. Furchtbar raſch verzehren ſie Papier, Pappe, Pergament; ſie zerſtören Archive und Biblio - theken. In ganzen Provinzen von Spaniſch-Amerika gibt es keine geſchriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie ſoll ſich die Kultur bei den Völkern entwickeln, wenn nicht Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menſchlicher Kenntniſſe öfters erneuern muß, wenn die geiſtige Errungenſchaft der Nachwelt nicht überliefert wer - den kann?

Je weiter man gegen die Hochebene der Anden hinauf - kommt, deſto mehr ſchwindet dieſe Plage. Dort atmet der Menſch eine friſche, reine Luft, und die Inſekten ſtören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen ohne Furcht vor gefährlichen Ter - miten. In 390 m Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr; die Termiten ſind in 580 m Höhe ſehr häufig, aber in Mexiko, Santa Fé de Bogota und Quito kommen ſie ſelten160 vor. In dieſen großen Hauptſtädten auf dem Rücken der Kordilleren findet man Bibliotheken und Archive, die ſich durch die Teilnahme gebildeter Bewohner täglich vermehren. Zu dieſen Verhältniſſen, die ich hier nur flüchtig berühre, kommen andere, welche der Alpenregion das moraliſche Uebergewicht über die niederen Regionen des heißen Erdſtrichs ſichern. Nimmt man nach den uralten Ueberlieferungen in beiden Welten an, infolge der Erdumwälzungen, die der Erneuerung unſeres Geſchlechts vorangegangen, ſei der Menſch von den Gebirgen in die Niederungen herabgeſtiegen, ſo läßt ſich noch weit beſtimmter annehmen, daß dieſe Berge, die Wiege ſo vieler und ſo verſchiedener Völker, in der heißen Zone für alle Zeit der Mittelpunkt der Geſittung bleiben werden. Von dieſen fruchtbaren, gemäßigten Hochebenen, von dieſen Inſeln im Ozean der Luft, werden ſich Aufklärung und der Segen geſellſchaftlicher Einrichtungen über die unermeßlichen Wälder am Fuße der Anden verbreiten, die jetzt noch von Stämmen bewohnt ſind, welche eben die Fülle der Natur in Trägheit niedergehalten hat.

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Einundzwanzigſtes Kapitel.

Der Raudal von Garcita. Maypures. Die Katarakte von Quituna. Der Einfluß des Vichada und Zama. Der Fels Aricagua. Siquita.

Unſere Piroge lag im Puerto de Arriba, oberhalb des Katarakts von Atures, dem Einfluß des Rio Cataniapo gegenüber; wir brachen dahin auf. Auf dem ſchmalen Wege, der zum Landungsplatze führt, ſahen wir den Pik Uniana zum letztenmal. Er erſchien wie eine über dem Horizont der Ebenen aufſteigende Wolke. Die Guahibosindianer ziehen am Fuße dieſer Gebirge umher und gehen bis zum Rio Vichada. Man zeigte uns von weitem rechts vom Fluſſe die Felſen bei der Höhle von Ataruipe; wir hatten aber nicht Zeit, dieſe Grabſtätte des ausgeſtorbenen Stammes der Atures zu beſuchen. Wir bedauerten dies um ſo mehr, da Pater Zea nicht müde wurde, uns von den mit Onoto bemalten Skeletten in der Höhle, von den großen Gefäßen aus ge - brannter Erde, in welchen je die Gebeine einer Familie zu liegen ſcheinen, und von vielen anderen merkwürdigen Dingen zu erzählen, ſo daß wir uns vornahmen, dieſelben auf der Rückreiſe vom Rio Negro in Augenſchein zu nehmen. Sie werden es kaum glauben, ſagte der Miſſionär, daß dieſe Gerippe, dieſe bemalten Töpfe, dieſe Dinge, von denen wir meinten, kein Menſch in der Welt wiſſe davon, mir und meinem Nachbar, dem Miſſionär von Carichana, Unglück gebracht haben. Sie haben geſehen, wie elend ich in den Raudales lebe, von den Moskiten gefreſſen, oft nicht einmal Bananen und Maniok im Hauſe! Und dennoch habe ich Neider in dieſem Lande gefunden. Ein Weißer, der auf den Weiden zwiſchen dem Meta und dem Apure lebt, hat kürzlich der Audiencia in Caracas die Anzeige gemacht, ich habe einen Schatz, den ich mit dem Miſſionär von Carichana gefunden,A. v. Humboldt, Reiſe. III. 11162unter den Gräbern der Indianer verſteckt. Man behauptet, die Jeſuiten in Santa Fé de Bogota haben zum voraus ge - wußt, daß die Geſellſchaft werde aufgehoben werden; da haben ſie ihr Geld und ihre koſtbaren Gefäße beiſeite ſchaffen wollen und dieſelben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoko geſchickt, mit dem Befehl, ſie auf den Inſeln mitten in den Raudales zu verſtecken. Dieſen Schatz nun ſoll ich ohne Wiſſen meiner Oberen mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, perſönlich zu erſcheinen. Wir mußten ganz umſonſt eine Reiſe von 675 km machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menſchengebeine, Marder und vertrocknete Fleder - mäuſe; man ernannte mit großer Wichtigkeit Kommiſſäre, die ſich hierher begeben und an Ort und Stelle inſpizieren ſollen, was noch vom Schatze der Jeſuiten vorhanden ſei. Aber wir können lange auf die Kommiſſäre warten. Wenn ſie auf dem Orinoko bis San Borja heraufkommen, werden ſie vor den Moskiten Angſt bekommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke (nube de moscas), in der wir in den Raudales ſtecken, iſt man gut geborgen.

Dieſe Geſchichte des Miſſionärs wurde uns ſpäter in Angoſtura aus dem Munde des Statthalters vollkommen be - ſtätigt. Zufällige Umſtände geben zu den ſeltſamſten Ver - mutungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichſten Inſeln fanden die Indianer vor langer Zeit eiſenbeſchlagene Kiſten mit verſchiedenen europäiſchen Werkzeugen, Reſten von Kleidungsſtücken, Roſenkränzen und Glaswaren. Man vermutete, die Gegenſtände haben portu - gieſiſchen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para an - gehört, die vor der Niederlaſſung der Jeſuiten am Orinoko über Trageplätze und die Flußverbindungen im Inneren nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugieſen, glaubte man, ſeien den Seuchen, die in den Raudales ſo häufig ſind, erlegen und ihre Kiſten den In - dianern in die Hände gefallen, die, wenn ſie wohlhabend ſind, ſich mit dem Koſtbarſten, was ſie im Leben beſaßen, beerdigen laſſen. Nach dieſen zweifelhaften Geſchichten wurde das Märchen von einem verſteckten Schatze geſchmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, ſogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die franzöſiſchen Aka -163 demiker bei der Meſſung des Meridians errichtet, für ein Inca pilca, das heißt für ein Werk des Inka gilt, ſo kann am Orinoko jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört haben, der ohne Zweifel die Miſſionen beſſer verwaltet hat, als Kapuziner und Obſervanten, deſſen Reichtum und deſſen Verdienſte um die Civiliſation der Indianer aber ſehr über - trieben worden ſind. Als die Jeſuiten in Santa Fé ver - haftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piaſtern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die ſie den Widerſachern der Geſellſchaft zufolge be - ſitzen ſollten. Man zog daraus den falſchen Schluß, die Schätze ſeien allerdings vorhanden geweſen, aber treuen In - dianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoko bis zur einſtigen Wiederherſtellung des Ordens verſteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugnis beibringen, aus dem un - zweifelhaft hervorgeht, daß der Vizekönig von Neugranada die Jeſuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vincente Orosco, ein ſpaniſcher Genieoffizier, erzählte mir in Angoſtura, er habe mit Don Manuel Cen - turion den Auftrag gehabt, die Miſſionäre in Carichana zu verhaften, und dabei ſei ihnen eine indianiſche Piroge be - gegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieſes Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landesſprachen verſtanden, ſo erregte ſein Erſcheinen Verdacht. Nach langem fruchtloſen Suchen fand man eine Flaſche mit einem Briefe, in dem der in Santa Fé reſidierende Superior der Geſell - ſchaft die Miſſionäre am Orinoko von den Verfolgungen be - nachrichtigte, welche die Jeſuiten in Neugranada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorſichtsmaßregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Reſpekt vor der Re - gierung, deren Befehle mit unnötiger, unvernünftiger Strenge vollzogen wurden.

Acht Indianer von Atures hatten unſere Piroge durch die Raudales geſchafft; ſie ſchienen mit dem mäßigen Lohne, der ihnen gereicht wurde,1Kaum 30 Sous der Mann. gar wohl zufrieden. Das Geſchäft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jämmerlichen Zuſtänden und dem Daniederliegen des Handels in den Miſſionen am Orinoko zu geben, merke ich hier an, daß der Miſſionär in drei Jahren, außer den Fahr - zeugen, welche der Kommandant von San Carlos am Rio164 Negro jährlich nach Angoſtura ſchickt, um die Löhnung der Truppen zu holen, nicht mehr als fünf Pirogen vom oberen Orinoko, die zur Schildkröteneierernte fuhren, und acht mit Handelsgut beladene Kanoen ſah.

Am 17. April. Nach dreiſtündigem Marſche kamen wir gegen 11 Uhr morgens bei unſerem Fahrzeuge an. Pater Zea ließ mit unſeren Inſtrumenten den wenigen Mundvorrat einſchiffen, den man für die Reiſe, die er mit uns fortſetzen ſollte, hatte auftreiben können: ein paar Bananenbüſchel, Maniok und Hühner. Dicht am Landungsplatze fuhren wir am Einfluſſe des Cataniapo vorbei, eines kleinen Fluſſes, an deſſen Ufern, drei Tagereiſen weit, die Macos oder Piaroas hauſen, die zur großen Familie der Salivas-Völker gehören. Wir haben oben Gelegenheit gehabt, ihre Gutmütigkeit und ihre Neigung zur Landwirtſchaft zu rühmen.

Im Weiterfahren fanden wir den Orinoko frei von Klippen, und nach einigen Stunden gingen wir über den Raudal von Garcita, deſſen Stromſchnellen bei Hochwaſſer leicht zu über - winden ſind. Im Oſten kommt die kleine Bergkette Cuma - daminari zum Vorſchein, die aus Gneis, nicht aus geſchich - tetem Granit beſteht. Auffallend war uns eine Reihe großer Löcher mehr als 58 m über dem jetzigen Spiegel des Orinoko, die dennoch vom Waſſer ausgewaſchen ſcheinen. Wir werden ſpäter ſehen, daß dieſe Erſcheinung beinahe in derſelben Höhe an den Felſen neben den Katarakten von Maypures und 225 km gegen Oſt beim Einfluſſe des Rio Jao vorkommt. Wir übernachteten im Freien am linken Stromufer unterhalb der Inſel Tomo. Die Nacht war ſchön und hell, aber die Moskitoſchicht nahe am Boden ſo dick, daß ich mit dem Nivellement des künſtlichen Horizontes nicht fertig werden konnte und um die Sternbeobachtung kam. Ein Queckſilber - horizont wäre mir auf dieſer Reiſe von großem Nutzen ge - weſen.

Am 18. April. Wir brachen um 3 Uhr morgens auf, um deſto ſicherer vor Einbruch der Nacht den unter dem Namen Raudal de Guahibos bekannten Katarakt zu erreichen. Wir legten am Einfluſſe des Rio Tomo an; die Indianer lagerten ſich am Ufer, um ihr Eſſen zu bereiten und ein wenig zu ruhen. Es war gegen 5 Uhr abends, als wir vor dem Raudal ankamen. Es war keine geringe Aufgabe, die Strömung hinaufzukommen und eine Waſſermaſſe zu überwinden, die ſich von einer mehrere Fuß hohen Gneisbank ſtürzt. Ein Indianer165 ſchwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften teilt; man band ein Seil an die Spitze desſelben, und nachdem man die Piroge nahe genug hingezogen, ſchiffte man mitten im Raudal unſere Inſtrumente, unſere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auf - treiben können, aus. Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir, daß auf dem natürlichen Wehre, über das ſich der Strom ſtürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir ſtehen und ſahen unſere Pirogue heraufſchaffen.

Der Gneisfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 1,3 m tief und 48 cm weit ſind. In dieſen Trichtern liegen Quarzkieſel und ſie ſcheinen durch die Reibung vom Waſſer umhergerollter Körper entſtanden zu ſein. Unſer Stand - punkt mitten im Katarakt war ſonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unſer Begleiter, der Miſſionär, bekam ſeinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durſt zu löſchen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen küh - lenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianiſchen Korb) mit Zucker, Citronen und Gre - nadillen oder Früchten der Paſſionsblumen, von den Spaniern Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüſſigkeiten miſchen konnte, ſo goß man mit einer Tutuma (Frucht der Crescentia Cujete) Flußwaſſer in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der ſauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke; es war das faſt eine Schwelgerei am unwirtbaren Ort; aber der Drang des Be - dürfniſſes machte uns von Tag zu Tag erfinderiſcher.

Nachdem wir unſeren Durſt gelöſcht, hatten wir große Luſt zu baden. Wir unterſuchten genau den ſchmalen Fels - damm, auf dem wir ſtanden, und bemerkten, daß er in ſeinem oberen Teile kleine Buchten bildete, in denen das Waſſer ruhig und klar war, und ſo badeten wir denn ganz behaglich beim Getöſe des Katarakts und dem Geſchrei unſerer Indianer. Ich erwähne dieſer kleinen Umſtände, einmal weil ſie unſere Art zu reiſen lebendig ſchildern, und dann weil ſie allen, die große Reiſen zu unternehmen gedenken, augenſcheinlich zeigen, wie man unter allen Umſtänden im Leben ſich Genuß verſchaffen kann.

Nach einer Stunde Harrens ſahen wir endlich die Piroge über den Raudal heraufkommen. Man lud die Inſtrumente und Vorräte wieder ein und wir eilten, vom Felſen der166 Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß iſt 1560 m breit, und wir mußten oberhalb des Katarakts ſchief darüber fahren, an einem Punkte, wo das Waſſer, weil das Bett ſtärker fällt, dem Wehre zu, über das es ſich ſtürzt, mit großer Gewalt hinunter - zieht. Wir wurden von einem Gewitter überraſcht, bei dem zum Glück kein ſtarker Wind ging, aber der Regen goß in Strömen nieder. Man ruderte bereits ſeit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, ſtatt ſtroman kommen wir wieder dem Raudal näher. Dieſe Augenblicke der Span - nung kamen uns gewaltig lang vor. Die Indianer ſprachen nur leiſe, wie immer, wenn ſie in einer verfänglichen Lage zu ſein glauben. Indeſſen verdoppelten ſie ihre Anſtrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an.

Die Gewitter unter den Tropen ſind ebenſo kurz als heftig. Zwei Blitzſchläge waren ganz nahe an unſerer Piroge gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Waſſer geſchlagen. Ich führe dieſen Fall an, weil man in dieſen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche elektriſch geladen ſind, ſtehen ſo hoch, daß der Blitz ſeltener in den Boden ſchlage als in Europa. Die Nacht war ſehr finſter. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durch - näßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unſchlüſſig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unſern Weg zu Fuß fortſetzen ſollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Miſſionär iſt, wollte durchaus noch nach Hauſe kommen. Er hatte angefangen, ſich durch die Indianer in der Miſſion ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen zu laſſen. Sie finden dort, meinte er naiv, dieſelbe Be - quemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tiſch noch Bank, aber Sie hätten nicht ſo viel von den Mücken zu leiden; denn ſo unverſchämt ſind ſie in der Miſſion doch nicht wie am Fluß.

Wir folgten dem Rat des Miſſionärs und er ließ Ko - palfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, 6 mm dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glatte Felsbänke, und dann kamen wir in ſehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf167 Baumſtämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloſchen; dieſelben ſind wunderlich zuſammengeſetzt (der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch als Licht und gehen leicht aus. Unſer Gefährte, Don Nicolas Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden Stamme über den Sumpf ging. Wir waren anfangs ſehr beſorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinunter - gefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er hatte ſich nicht verletzt. Der indianiſche Steuermann, der ſich ziemlich fertig auf ſpaniſch ausdrückte, ermangelte nicht, davon zu ſprechen, daß wir leicht von Ottern, Waſſerſchlangen und Tigern angegriffen werden könnten. Solches iſt eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man nachts mit den Eingeborenen unterwegs iſt. Die Indianer glauben, wenn ſie dem euro - päiſchen Reiſenden Angſt einjagen, ſich notwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpſte Burſche in den Miſſionen iſt mit den Kniffen bekannt, wie ſie überall im Schwange ſind, wo Menſchen von ſehr verſchie - denem Stand und Bildungsgrad miteinander verkehren. Unter dem abſoluten und hie und da etwas quäleriſchen Regiment der Mönche ſucht er ſeine Lage durch die kleinen Kunſtgriffe zu verbeſſern, welche die Waffen der Kindheit und jeder phy - ſiſchen und geiſtigen Schwäche ſind.

Da wir in der Miſſion San Joſe de Maypures in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung des Ortes doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefſten Schlaf; man hörte nichts als das Geſchrei der Nachtvögel und das ferne Toſen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieſer tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brauſen eines Waſſerfalles etwas Niederſchlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Joſe Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und das noch maleriſcher, man kann wohl ſagen wundervoller liegt als Atures.

Der Raudal von Maypures, von den Indianern Qui - tuna genannt, entſteht, wie alle Waſſerfälle, durch den Wider - ſtand, den der Fluß findet, indem er ſich durch einen Fels - grat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Ortes kennen lernen will, den verweiſe ich auf den Plan, den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem General - gouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß ſich der Raudal umgehen und die Schiffahrt bedeutend erleichtern168 ließe, wenn man zwiſchen zwei Nebenflüſſen des Orinoko, in einem Thale, das früher das Strombett geweſen zu ſein ſcheint, einen Kanal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Ca - litamini, zwiſchen den Quellen der Flüſſe Cataniapo und Ventuari, laufen gegen Weſt in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieſer Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichſam umfaſſen, nämlich am öſt - lichen Ufer der Sanariapo, am weſtlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen ſich die Berge in einen Bogen zurück und bilden, wie eine felſige Küſte, eine nach Südweſt offene Bucht. Zwiſchen dem Ein - fluſſe des Toparo und dem des Sanariapo, am weſtlichen Ende dieſes großartigen Amphitheaters, iſt der Durchbruch des Stromes erfolgt.

Gegenwärtig fließt der Orinoko am Fuße der öſtlichen Bergkette. Vom weſtlichen Landſtriche hat er ſich ganz weg - gezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum 10 m über dem mittleren Waſſerſtande, breitet ſich von dieſem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier ſteht aus Palmſtämmen die kleine Kirche von Maypures und umher ſieben oder acht Hütten. Im trockenen Grunde, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln ſtehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inſeln und Klippen im jetzigen Strombett ſtehen. Dieſe ganz ähnliche Geſtaltung fiel mir auf, als ich die Felſen Keri und Oco im verlaſſenen Strombett weſtlich von Maypures mit den Inſeln Uvitari und Camanitamini verglich, die öſtlich von der Miſſion gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologiſche Charakter der Gegend, das inſelhafte Anſehen auch der vom gegenwärtigen Stromufer entlegenſten Hügel, die Löcher, welche das Waſſer im Felſen Oco ausgeſpült zu haben ſcheint, und die genau im ſelben Niveau liegen (48 bis 58 m hoch) wie die Höhlungen an der Inſel Uvitari gegenüber alle dieſe Umſtände zuſammen beweiſen, daß dieſe ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Waſſer ſtand. Das Waſſer bildete hier wahrſcheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieſer Damm durch - brochen wurde, erſchien die Grasflur um die Miſſion zuerſt als eine ganz niedrige, von zwei Armen desſelben Fluſſes umgebene Inſel. Man kann annehmen, der Orinoko habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem169 Fels, der darin ſteht, den Keri-Grund nennen wollen; erſt als das Waſſer allmählich fiel, zog es ſich ganz gegen die öſtliche Kette und ließ den weſtlichen Stromarm trocken liegen. Streifen, deren ſchwarze Farbe ohne Zweifel von Eiſen - und Manganoxyden herrührt, ſcheinen die Richtigkeit dieſer Anſicht zu beweiſen. Man findet dieſelben auf allem Geſtein, weit weg von der Miſſion, und ſie weiſen darauf hin, daß hier einſt das Waſſer geſtanden. Geht man den Fluß hinauf, ſo ladet man die Fahrzeuge am Einfluſſe des Toparo in den Orinoko aus und übergibt ſie den Eingeborenen, die den Raudal ſo genau kennen, daß ſie für jede Staffel einen beſonderen Namen haben. Sie bringen die Kanoen bis zum Einfluſſe des Cameji, wo die Gefahr für überſtanden gilt.

Der Katarakt von Quituna oder Maypures ſtellt ſich in den zwei Zeitpunkten, in denen ich denſelben beim Hinab - und beim Hinauffahren beobachten konnte, unter folgendem Bilde dar. Er beſteht, wie der von Mapara oder Atures, aus einem Archipel von Inſeln, die auf einer Strecke von 5,8 km das Strombett verſtopfen, und aus Felsdämmen zwiſchen dieſen Inſeln. Die berufenſten unter dieſen Dämmen oder natürlichen Wehren ſind: Purimarimi, Manimi und der Salto de la Sardina (der Sardellenſprung). Ich nenne ſie in der Ordnung, wie ich ſie von Süd nach Nord aufeinander folgen ſah. Die letztere dieſer drei Staffeln iſt gegen 3 m hoch und bildet, ihrer Breite wegen, einen pracht - vollen Fall. Aber, ich muß das wiederholen, das Getöſe, mit dem die Waſſer niederſtürzen, gegeneinander ſtoßen und zerſtäuben, hängt nicht ſowohl von der abſoluten Höhe jeder Staffel, jedes Querdammes ab, als vielmehr von der Menge der Strudel, von der Stellung der Inſeln und Klippen am Fuß der Raudalitos oder partiellen Fälle, von der größeren oder geringeren Weite der Kanäle, in denen das Fahrwaſſer oft nur 7 bis 10 m breit iſt. Die öſtliche Hälfte der Kata - rakte von Maypures iſt weit gefährlicher als die weſtliche, weshalb auch die indianiſchen Steuerleute die Kanoen vor - zugsweiſe am linken Ufer hinauf - und hinabſchaffen. Leider liegt bei niedrigem Waſſer dieſes Ufer zum Teil trocken, und dann muß man die Pirogen tragen, das heißt auf Walzen oder runden Baumſtämmen ſchleppen. Wir haben ſchon oben bemerkt, daß bei Hochwaſſer (aber nur dann) der Raudal von Maypures leichter zu paſſieren iſt als der von Atures.

Um dieſe wilde Landſchaft in ihrer ganzen Großartigkeit170 mit einem Blicke zu umfaſſen, muß man ſich auf den Hügel Manimi ſtellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Miſ - ſionskirche aus der Savanne aufſteigt und nichts iſt als eine Fortſetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi beſteht. Wir waren oft auf dieſem Berge, denn man ſieht ſich nicht ſatt an dieſem außerordentlichen Schauſpiel in einem der[entlegenſten] Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felſen erreicht, ſo liegt auf einmal, 4 bis 5 km weit, eine Schaum - fläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmaſſen eiſen - ſchwarz aufragen. Die einen ſind, je zwei und zwei bei - ſammen, abgerundete Maſſen, Baſalthügeln ähnlich; andere gleichen Türmen, Kaſtellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düſtere Färbung hebt ſich ſcharf vom Silberglanze des Waſſerſchaums ab. Jeder Fels, jede Inſel iſt mit Gruppen kräftiger Bäume bewachſen. Vom Fuße dieſer Felſen an ſchwebt, ſo weit das Auge reicht, eine dichte Dunſtmaſſe über dem Strome, und über den weißlichen Nebel ſchießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Dieſe großartigen Gewächſe wie nennt man ſie? Ich glaube es iſt der Vadgiai, eine neue Art der Gattung Oreodoxa, deren Stamm über 25 m hoch iſt. Die einen Federbuſch bildenden Blätter dieſer Palme ſind ſehr glänzend und ſteigen faſt gerade himmelan. Zu jeder Tagesſtunde nimmt ſich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schatten darüber, bald bricht ſich der Strahl der unter - gehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt einhüllt. Farbige Bogen bilden ſich, verſchwinden und er - ſcheinen wieder, und im Spiel der Lüfte ſchwebt ihr Bild über der Fläche.

Solches iſt der Charakter der Landſchaft, wie ſie auf dem Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reiſender beſchrieben hat. Ich wiederhole, was ich ſchon einmal ge - äußert: weder die Zeit noch der Anblick der Kordilleren und der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexiko haben den tiefen Eindruck verwiſcht, den das Schauſpiel der Kata - rakte auf mich gemacht. Leſe ich eine Beſchreibung indiſcher Landſchaften, deren Hauptreize ſtrömende Waſſer und ein kräf - tiger Pflanzenwuchs ſind, ſo ſchwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen über eine Dunſtſchicht empor - ragen. Es iſt mit den großartigen Naturſzenen wie mit dem Höchſten in Poeſie und Kunſt: ſie laſſen Erinnerungen zurück, die immer wieder wach werden und ſich unſer Leben lang in171 unſere Empfindung miſchen, ſo oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt.

Die Stille in der Luft und das Toben der Waſſer bilden einen Gegenſatz, wie er dieſem Himmelsſtriche eigentümlich iſt. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes; eine gewaltige Lichtmaſſe iſt durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächſe mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der ſich unabſehbar hinbreitet. Dieſer An - blick hat für den Reiſenden, der im Norden von Europa zu Hauſe iſt, etwas ganz Befremdendes. Stellt er ſich eine wilde Landſchaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederſtürzt, ſo denkt er ſich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der Waſſerfälle ſich miſcht, wo am düſteren, nebeligen Tage die Wolken in das Thal herunterſteigen und in den Wipfeln der Tannen hängen. In den Niederungen der Feſtländer unter den Tropen hat die Landſchaft eine ganz eigene Phyſiognomie, eine Großartigkeit und eine Ruhe, die ſelbſt da ſich nicht verleugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen Hinderniſſen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inſeln, in pflanzenloſen Wüſten, kurz überall da vor, wo die Luft auf Flächen mit ſehr abweichender Strahlung ruht.

Der Hügel Manimi bildet die öſtliche Grenze einer Ebene, auf der man dieſelben für die Geſchichte der Vegetation, das heißt ihrer allmählichen Entwickelung auf nackten, kahlen Bodenſtrecken wichtigen Erſcheinungen beobachtet, wie wir ſie oben beim Raudal von Atures beſchrieben. In der Regenzeit ſchwemmt das Waſſer Dammerde auf dem Granitgeſtein zu - ſammen, deſſen kahle Bänke wagerecht daliegen. Dieſe mit den ſchönſten, wohlriechendſten Gewächſen geſchmückten Land - eilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletſchern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich ſchwer zugänglichen Klippen wächſt die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und außerordentlich lange Schoten gebrochen.

An einem Platze, wo wir tags zuvor gebadet hatten, am Fuße des Felſen Manimi, ſchlugen die Indianer eine 2,4 m lange Schlange tot, die wir mit Muße unterſuchen konnten. Die Macos nannten ſie Camudu; der Rücken172 hatte auf ſchön gelbem Grunde teils ſchwarze, teils braun - grüne Querſtreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein ſchönes, nicht giftiges Tier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 5 m lang wird. Ich hielt den Camudu anfangs für eine Boa, ſah aber zu meiner Ueberraſchung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen geteilt waren. Es war alſo eine Natter, vielleicht ein Python des neuen Kontinents; ich ſage vielleicht, denn große Naturforſcher (Cuvier) ſcheinen anzunehmen, daß alle Pythone der Alten, alle Boa der Neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius1War es Coluber Elaphis, oder Coluber Aesculapii, oder ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getötet worden? eine afrikaniſche und ſüdeuropäiſche Schlange war, ſo hätte Daudin wohl die amerikaniſchen Boa Pythone und die indiſchen Pythone Boa nennen ſollen. Die erſte Kunde von einem ungeheu - ren Reptil, das Menſchen, ſogar große Vierfüßer packt, ſich um ſie ſchlingt und ihnen ſo die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verſchlingt, kam uns zuerſt aus Indien und von der Küſte von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen iſt, ſo gewöhnt man ſich doch nur ſchwer daran, daß es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons beſungen hat (die aſiatiſchen Griechen hatten die Sage weit ſüdlicheren Völkern entlehnt), keine Boa constrictor geben ſoll. Ich will die Verwirrung in der zoologiſchen Nomenklatur nicht durch neue Vorſchläge zur Abänderung vermehren, und be - merke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Koloniſten in Guyana, doch die Miſſionäre und die latiniſierten Indianer in den Miſſionen ganz gut die Traga Venadas (Zauberſchlangen, echte Boa mit einfachen Afterſchuppen) von den Culebras de agua, den dem Camudu ähnlichen Waſſerottern (Pythone mit doppelten Afterſchuppen), unter - ſcheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine Querſtreifen, ſondern eine Kette rautenförmiger oder ſechs - eckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweiſe an ganz trockenen Orten, andere lieben das Waſſer, wie die Pythone oder Culebras de agua.

Geht man nach Weſten, ſo ſieht man die runden Hügel oder Eilande im verlaſſenen Orinokoarm mit denſelben Palmen bewachſen, die auf den Felſen in den Katarakten ſtehen. Einer173 dieſer Felſen, der ſogenannte Keri, iſt im Lande berühmt wegen eines weißen, weithin glänzenden Flecks, in dem die Eingeborenen ein Bild des Vollmondes ſehen wollen. Ich konnte die ſteile Felswand nicht erklimmen, wahrſcheinlich aber iſt der weiße Fleck ein mächtiger Quarzknoten, wie zuſammen - ſcharende Gänge ſie im Granit, der in Gneis übergeht, häufig bilden. Gegenüber dem Keri oder Mondfelſen, am Zwil - lingshügel Uvitari, der ein Eiland mitten in den Katarakten iſt, zeigen einem die Indianer mit geheimnisvoller Wichtigkeit einen ähnlichen weißen Fleck. Derſelbe iſt ſcheibenförmig, und ſie ſagen, es ſei das Bild der Sonne, Camoſi. Vielleicht hat die geographiſche Lage dieſer beiden Dinge Veranlaſſung ge - geben, ſie ſo zu benennen; Keri liegt gegen Untergang, Camoſi gegen Aufgang. Da die Sprachen die älteſten geſchichtlichen Denkmäler der Völker ſind, ſo haben die Sprachforſcher die Aehnlichkeit des amerikaniſchen Wortes Camoſi mit dem Worte Kamoſch, das in einem ſemitiſchen Dialekt urſprüng - lich Sonne bedeutet zu haben ſcheint, ſehr auffallend gefun - den. Dieſe Aehnlichkeit hat zu Hypotheſen Anlaß gegeben, die mir zum wenigſten ſehr gewagt ſcheinen. 2Im Jahre 1806 erſchien in Leipzig ein Buch unter dem Titel: Unterſuchungen über die von Humboldt am Orinoko ent - deckten Spuren der phöniziſchen Sprache .Der Gott der Moabiter, Chamos oder Kamoſch, der den Gelehrten ſo viel zu ſchaffen gemacht hat, der Apollo Chomeus, von dem Strabo und Ammianus Marcellinus ſprechen, Beelphegor, Amun oder Hamon und Adonis bedeuten ohne Zweifel alle die Sonne im Winterſolſtitium; was will man aber aus einer einzelnen, zufälligen Lautähnlichkeit in Sprachen ſchließen, die ſonſt nichts miteinander gemein haben?

Betrachtet man die Namen der von den ſpaniſchen Mönchen geſtifteten Miſſionen, ſo irrt man ſich leicht hin - ſichtlich der Bevölkerungselemente, mit denen ſie gegründet worden. Nach Encaramada und Atures brachten die Jeſuiten, als ſie dieſe Dörfer erbauten, Maypuresindianer, aber die Miſſion Maypures ſelbſt wurde nicht mit Indianern dieſes Namens gegründet, vielmehr mit Guipunabisindianern, die von den Ufern des Irimida ſtammen und nach der Sprach - verwandtſchaft, ſamt den Maypures, Cabres, Avani und viel - leicht den Pareni, demſelben Zweig der Orinokovölker ange - hören. Zur Zeit der Jeſuiten war die Miſſion am Raudal174 von Maypures ſehr anſehnlich; ſie zählte 6000 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Obſervanten iſt die Bevölkerung auf weniger als 60 herab - geſunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in dieſem Teile von Südamerika die Kultur ſeit einem halben Jahr - hundert zurückgegangen iſt, während wir jenſeits der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000 bis 3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures ſind ein ſanftmütiges, mäßiges Volk, das ſich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meiſten Wilden am Orinoko haben nicht den wüſten Hang zu geiſtigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomaken, Yaruros, Achaguas und Kariben berauſchen ſich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der Chiza und ſo mancher anderen gegorenen Getränke, die ſie aus Maniok, Mais und zucker - haltigen Palmfrüchten zu bereiten wiſſen; die Reiſenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und ſehr erſchöpft ſchienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müſſen erſt länger in dieſen Ländern geſeſſen haben, ehe ſich die Laſter ausbreiten, die unter den Indianern an den Küſten bereits ſo gemein ſind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Ein - geborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man den - ſelben in den Häuſern der Miſſionäre ſelten begegnet.

Sie bauen Bananen und Maniok, aber keinen Mais. 35 bis 40 kg Maniok in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brot, koſten 6 Silberrealen, ungefähr 4 Franken. Wie die meiſten Indianer am Orinoko haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieſer Getränke, das im Lande ſehr berühmt iſt, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Miſſion, am Ufer des Auvana wild wächſt. Dieſer Baum iſt der Seje; ich habe an einer Blütentraube 44000 Blüten geſchätzt; der Früchte, die meiſt unreif abfallen, waren 8000. Es iſt eine kleine fleiſchige Steinfrucht. Man wirft ſie ein paar Minuten lang in kochendes Waſſer, damit ſich der Kern vom Fleiſche trennt, das zuckerſüß iſt, und ſofort in einem großen Gefäß mit Waſſer zerſtampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelbliche Flüſſigkeit, die wie Mandelmilch ſchmeckt. Man ſetzt manchmal Papelon oder Rohzucker zu. Der175 Miſſionär verſichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo ſie Sejeſaft trinken, ſichtlich fetter; ſie brocken Kaſſavekuchen hinein. Die Piaches, oder indianiſchen Gaukler, gehen in die Wälder und blaſen unter der Sejepalme auf dem Botuto (der heiligen Trompete). Dadurch, ſagen ſie, wird der Baum gezwungen, im folgenden Jahre reichen Ertrag zu geben. Das Volk bezahlt für dieſe Zeremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei uns, Schamanen, Marabutin und andere Arten von Prieſtern dafür bezahlt, daß ſie mit Zauberſprüchen oder Gebeten die weißen Ameiſen und die Heuſchrecken vertreiben, oder lang - anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren.

Tengo en mi pueblo la fabrica de loza (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), ſprach Pater Zea und führte uns zu einer indianiſchen Familie, die beſchäftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große, 75 cm hohe Thongefäße zu brennen. Dieſes Gewerbe iſt den verſchiedenen Zweigen des großen Volksſtammes der Maypures eigentümlich und ſie ſcheinen dasſelbe ſeit unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem menſch - lichen Wohnſitz, ſtößt man, wenn man den Boden aufgräbt, auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Lieb - haberei für dieſe Arbeit ſcheint früher unter den Ureinwohnern Nord - und Südamerikas gleich verbreitet geweſen zu ſein. Im Norden von Mexiko, am Rio Gila, in den Trümmern einer aztekiſchen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den Grabhügeln der Miami, in Florida und überall, wo ſich Spuren einer alten Kultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geſchirren. Und höchſt auffallend iſt die durch - gängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und ſolche civiliſierten Völker, die durch ihre ſtaatlichen und reli - giöſen Einrichtungen dazu verurteilt ſind, immer nur ſelbſt zu kopieren,1Die Hindu, die Tibetaner, die Chineſen, die alten Aegypter, die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Maſſenkultur die freie Entwickelung der Geiſtesthätigkeit in den Individuen niederhielt. treibt ein gewiſſer Inſtinkt, immer dieſelben Formen zu wiederholen, an einem eigentümlichen Typus oder Stil feſt - zuhalten, immer nach denſelben Handgriffen und Methoden zu arbeiten, wie ſchon die Vorfahren ſie gekannt. In Nord -176 amerika wurden Steingutſcherben an den Befeſtigungslinien und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten, gänzlich ausgeſtorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf dieſen Scherben haben die auffallendſte Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louiſiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unſeren Augen Verzierungen, ganz wie wir ſie in der Höhle von Ataruipe auf den Ge - fäßen geſehen, in denen menſchliche Gebeine aufbewahrt ſind. Es ſind wahre Grecques , Mäanderlinien, Figuren von Krokodilen, von Affen und von einem großen vierfüßigen Tier, von dem ich nicht wußte, was es vorſtellen ſoll, das aber immer dieſelbe plumpe Geſtalt hat. Ich könnte bei dieſer Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elefantenrüſſel gedenken, den ich im Muſeum zu Velletri auf einem alten mexikaniſchen Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypotheſe aufſtellen, das große vierfüßige Tier auf den Töpfen der Maypures ge - höre einem anderen Lande an und der Typus desſelben habe ſich auf der großen Wanderung der amerikaniſchen Völker von Nordweſt nach Süd und Südoſt in der Erinnerung erhalten; wer wollte ſich aber bei ſo ſchwankenden, auf nichts ſich ſtützenden Vermutungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoko haben einen Tapir vorſtellen wollen, und die verzeichnete Figur eines einheimiſchen Tieres ſei einer der Typen geworden, die ſich forterben. Oft hat nur Un - geſchick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir gar ernſthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine abſichtliche Nach - ahmung zu Grunde.

Am geſchickteſten führen die Maypures Verzierungen aus geraden, mannigfach kombinierten Linien aus, wie wir ſie auf den großgriechiſchen Vaſen, auf den mexikaniſchen Gebäuden in Mitla und auf den Werken ſo vieler Völker ſehen, die, ohne daß ſie miteinander in Verkehr geſtanden, eben gleiches Vergnügen daran finden, ſymmetriſch dieſelben Formen zu wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unſer Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder beſtehen, in rhythmiſcher Folge aneinander gereiht ſind. Das Auge ver - hält ſich zu dieſer Anordnung, zu dieſer periodiſchen Wieder - kehr derſelben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Auf - einanderfolge von Tönen und Akkorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menſchen das Gefühl für den177 Rhythmus ſchon beim erſten Morgenrot der Kultur, in den roheſten Anfängen von Geſang und Poeſie zum Ausdruck kommt?

Die Eingeborenen in Maypures (und beſonders die Weiber verfertigen das Geſchirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und ar - beiten mit den Händen die größten Gefäße aus. Der ameri - kaniſche Indianer weiß nichts von der Töpferſcheibe, die ſich bei den Völkern des Orientes aus dem früheſten Altertum herſchreibt. Man kann ſich nicht wundern, daß die Miſſionäre die Eingeborenen am Orinoko nicht mit dieſem einfachen, nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man be - denkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den In - dianern auf der Halbinſel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen iſt. Die Farben der Maypures ſind Eiſen - und Manganoxyde, beſonders gelber und roter Ocker, der in Höhlungen des Sandſteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der Bignonia Chica an, nachdem das Geſchirr einem ganz ſchwachen Feuer ausgeſetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firnis von Algarobo, dem durchſichtigen Harz der Hymenaea Courbaril. Die großen Gefäße zur Aufbewahrung der Chiza heißen Ciamacu, die kleineren Mucra, woraus die Spanier an der Küſte Mur - cura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoko nicht allein von den Maypures, ſondern auch von den Guaypu - nabis, Kariben, Otomaken und ſelbſt von den Guamos, daß ſie Geſchirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieſes Gewerbe bis zum Amazonenſtrom hin verbreitet. Schon Orellana fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geſchirr der Omaguas auf, die zu ſeiner Zeit ein zahlreiches handel - treibendes Volk waren.

Ehe ich von dieſen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes bei Völkern, die wir ohne Unterſchied als Wilde bezeichnen, zu etwas anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die über die Geſchichte der amerikaniſchen Civiliſation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, oſtwärts von den Alleghanies, beſonders zwiſchen dem Ohio und den großen kanadiſchen Seen, findet man im Boden faſt überall bemalte Topfſcherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dies erſcheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, dieA. v. Humboldt, Reiſe. III. 12178ſich vom Aequator bis zum 8. Grad nördlicher Breite, das heißt vom Fuße der Anden bis zum Atlantiſchen Meer aus - dehnen, findet man dasſelbe bemalte Töpfergeſchirr an den einſamſten Orten; aber es kommen damit nur künſtlich durch - bohrte Aexte aus Nephrit und anderem harten Stein vor. Niemals hat man dort im Boden Werkzeuge oder Schmuck - ſachen aus Metall gefunden, obgleich man in den Gebirgen an der Küſte und auf dem Rücken der Kordilleren Gold und Kupfer zu ſchmelzen und letzteres mit Zinn zur Verfertigung von ſchneidenden Werkzeugen zu legieren verſtand. Woher rührt dieſer ſcharfe Gegenſatz zwiſchen der gemäßigten und der heißen Zone? Die peruaniſchen Inka hatten ihre Eroberungen und Religionskriege bis an den Napo und den Amazonenſtrom ausgedehnt, und dort hatte ſich auch ihre Sprache auf einem beſchränkten Landſtrich verbreitet; aber niemals ſcheint die Kultur der Peruaner, der Bewohner von Quito und der Muyscas in Neugranada auf den moraliſchen Zuſtand der Völker von Guyana irgend einen merklichen Einfluß geäußert zu haben. Noch mehr: in Nordamerika, zwiſchen dem Ohio, dem Miami und den Seen, hat ein unbekanntes Volk, das die Syſtematiker von den Tolteken und Azteken abſtammen laſſen möchten, aus Erde, zuweilen ſogar aus Steinen1Aus kieſelhaltigem Kalkſtein in Pique am großen Miami, aus Sandſtein am Paint Creek 45 km von Chillicothe, wo die Mauer 2920 m lang iſt. ohne Mörtel 3 bis 5 m hohe und 2,2 bis 2,6 km lange Mauern gebaut. Dieſe rätſelhaften Ringwälle und Ringmauern umſchließen oft gegen 150 Morgen Land. Bei den Niederungen am Orinoko, wie bei den Niederungen an der Marietta, am Miami und Ohio liegt der Mittelpunkt einer alten Kultur weſtwärts auf dem Rücken der Gebirge; aber der Orinoko und die Länder zwiſchen dieſem großen Fluß und dem Amazonenſtrom ſcheinen niemals von Völkern bewohnt geweſen zu ſein, deren Bauten dem Zahn der Zeit widerſtanden hätten. Sieht man dort auch ſymboliſche Figuren ins härteſte Felsgeſtein eingegraben, ſo hat man doch ſüdlich vom 8. Breitengrade bis jetzt nie weder einen Grabhügel, noch einen Ringwall, noch Erddämme gefunden, wie ſie weiter nordwärts auf den Ebenen von Va - rinas und Canagua vorkommen. Solches iſt der Gegenſatz zwiſchen den öſtlichen Stücken der beiden Amerika, zwiſchen179 denen, die ſich von der Hochebene von Cundiamarca und den Gebirgen von Cayenne gegen das Atlantiſche Meer ausbreiten, und denen, die von den Anden von Neuſpanien gegen die Alleghanies hinſtreichen. In der Kultur vorgeſchrittene Völker, deren Spuren uns am Ufer des Sees Teguyo und in den Caſas grandes am Rio Gila entgegentreten, mochten einzelne Stämme gegen Oſt in die offenen Fluren am Miſſouri und Ohio vorſchieben, wo das Klima nicht viel anders iſt als in Neumexiko; aber in Südamerika, wo die große Völkerſtrö - mung von Nord nach Süd ging, konnten Menſchen, die ſchon ſo lange auf dem Rücken der tropiſchen Kordilleren einer milden Temperatur genoſſen, keine Luſt haben, in die glühend heißen, mit Urwald bedeckten, periodiſch von den Flüſſen über - ſchwemmten Ebenen niederzuſteigen. Man ſieht leicht, wie in der heißen Zone die Ueberfülle des Pflanzenwuchſes, die Be - ſchaffenheit von Boden und Klima die Wanderungen der Ein - geborenen in ſtarken Haufen beſchränkten, Niederlaſſungen, die eines weiten, freien Raumes bedürfen, nicht aufkommen ließen, das Elend und die Verſunkenheit der vereinzelten Horden verewigten.

Heutzutage geht die ſchwache Kultur, wie die ſpaniſchen Mönche ſie eingeführt, wieder rückwärts. Pater Gili berichtet, zur Zeit der Grenzexpedition habe der Ackerkau am Orinoko angefangen Fortſchritte zu machen; das Vieh, beſonders die Ziegen hatten ſich in Maypures bedeutend vermehrt. Wir haben weder in dieſer Miſſion, noch ſonſt in einem Dorfe am Orinoko mehr welche angetroffen; die Tiger haben die Ziegen gefreſſen. Nur die ſchwarzen und weißen Schweine (letztere heißen franzöſiſche Schweine, puercos franceses, weil man glaubt, ſie ſeien von den Antillen gekommen) haben trotz der reißenden Tiere ausgedauert. Mit großem Intereſſe ſahen wir um die Hütten der Indianer Guacamayas oder zahme Ara, die auf den Feldern herumflogen wie bei uns die Tauben. Es iſt dies die größte und prächtigſte Papa - geienart mit nicht gefiederten Wangen, die wir auf unſeren Reiſen angetroffen. Sie mißt mit dem Schwanz 72 cm, und wir haben ſie auch am Atabapo, Temi und Rio Negro gefun - den. Das Fleiſch des Cahuei ſo heißt hier der Vogel das häufig gegeſſen wird, iſt ſchwarz und etwas hart. Dieſe Ara, deren Gefieder in den brennendſten Farben, purpurrot, blau und gelb ſchimmert, ſind eine große Zierde der india - niſchen Hühnerhöfe. Sie ſtehen an Pracht den Pfauen, Gold -180 faſanen, Pauxi und Alector nicht nach. Die Sitte, Papa - geien, Vögel aus einer dem Hühnergeſchlecht ſo ferne ſtehenden Familie aufzuziehen, war ſchon Chriſtoph Kolumbus aufge - fallen. Gleich bei der Entdeckung Amerikas hatte er beobachtet, daß die Eingeborenen auf den Antillen ſtatt Hühner Ara oder große Papageien aßen.

Beim kleinen Dorfe Maypures wächſt ein prächtiger, über 20 m hoher Baum, den die Koloniſten Fruta de Burro nennen. Es iſt eine neue Gattung Unona, die den Habitus von Aublets Uvaria Zeylandica hat und die ich früher Uvaria febrifuga benannt hatte. Ihre Zweige ſind gerade und ſtehen pyramidaliſch aufwärts, faſt wie bei der Pappel vom Miſ - ſiſſippi, fälſchlich italieniſche Pappel genannt. Der Baum iſt berühmt, weil ſeine aromatiſchen Früchte, als Aufguß ge - braucht, ein wirkſames Fiebermittel ſind. Die armen Miſ - ſionäre am Orinoko, die den größten Teil des Jahres am dreitägigen Fieber leiden, reiſen nicht leicht, ohne ein Säck - chen mit Frutas de Burro bei ſich zu führen. Unter den Tropen braucht man meiſt lieber aromatiſche Mittel, z. B. ſehr ſtarken Kaffee, Croton Cascarilla oder die Fruchthülle unſerer Unona, als die adſtringierenden Rinden der Cin - chona und der Bonplandia trifoliata, welche letztere die China von Angoſtura iſt. Das amerikaniſche Volk hat ein tief wur - zelndes Vorurteil gegen den Gebrauch der verſchiedenen China - arten, und in dem Lande, wo dieſes herrliche Heilmittel wächſt, ſucht man die Fieber durch Aufgüſſe von Scoparia dulcis ab - zuſchneiden, oder auch durch warme Limonade aus Zucker und der kleinen wilden Zitrone, deren Rinde öligt und aro - matiſch zugleich iſt.

Das Wetter war aſtronomiſchen Beobachtungen nicht günſtig; indeſſen erhielt ich doch am 20. April eine gute Reihe korreſpondierender Sonnenhöhen, nach denen der Chrono - meter für die Miſſion Maypures 70° 37′ 33″ Länge ergab; die Breite wurde durch Beobachtung eines Sternes gegen Norden gleich 13′ 57″ gefunden. Die neueſten Karten ſind in der Länge um ½°, in der Breite um ¼° unrichtig. Wie mühſam und qualvoll dieſe nächtlichen Beobachtungen waren, vermöchte ich kaum zu beſchreiben. Nirgends war die Moskitowolke ſo dick wie hier. Sie bildete ein paar Fuß über dem Boden gleichſam eine eigene Schicht und wurde immer dichter, je näher man gegen den künſtlichen Horizont hinleuchtete. Die meiſten Einwohner von Maypures gehen181 aus dem Dorf und ſchlafen auf den Inſeln mitten in den Katarakten, wo es weniger Inſekten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer ſtand bei Nacht auf 27 und 29°, bei Tage auf 30°. Am 19. April fand ich um 2 Uhr nachmittags einen loſen, grobkörnigen Granitſand 60,3°,1Gräſer vom friſcheſten Grün wuchſen in dieſem Sand. einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen und dichteren Granitſand 52,5° heiß; die Temperatur eines kahlen Granitfelſen war 47,6°. Zu derſelben Stunde zeigte der Thermometer 2,6 m über dem Boden im Schatten 29,6°, in der Sonne 36,2°. Eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38,8°, die Luft 28,6°, das Waſſer des Orinoko im Raudal, an der Ober - fläche, 27,6°, das Waſſer einer ſchönen Quelle, die hinter dem Haus der Miſſionäre aus dem Granit kommt, 27,8°. Es iſt dies vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inklination der Magnetnadel in Maypures betrug 31,10°, alſo 1,15° weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach Norden liegt.

Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und einem halben Tage im kleinen Dorfe Maypures neben dem oberen großen Katarakt ſchifften wir uns um 2 Uhr nach - mittags in derſelben Piroge wieder ein, die der Miſſionär von Carichana uns überlaſſen; ſie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorſichtigkeit der indianiſchen Schiffs - leute ziemlich beſchädigt; aber ihrer warteten noch größere Fährlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro über eine Landenge 11,7 km weit geſchleppt werden, ſie mußte über den Caſſiquiare wieder in den Orinoko herauf und zum zweitenmal durch die beiden Raudale. Man unterſuchte Boden und Seitenwände der Piroge und meinte, ſie ſei ſtark genug, die lange Reiſe auszuhalten.

Sobald man über die großen Katarakte weg iſt, befindet man ſich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die Schranke hinter ſich, welche die Natur ſelbſt zwiſchen den kultivierten Küſtenſtrichen und den wilden, unbekannten Län - dern im Inneren bezogen zu haben ſcheint. Gegen Oſt in blauer Ferne zeigt ſich zum letztenmal die hohe Bergkette des Cunavami; ihr langer, wagerechter Kamm erinnert an die182 Geſtalt der Meſa im Brigantin bei Cumana, nur endigt ſie mit einem abgeſtutzten Kegel. Der Pik Calitamini (ſo heißt dieſer Gipfel) iſt bei Sonnenuntergang wie von rötlichem Feuer beſtrahlt, und zwar einen Tag wie den anderen. Kein Menſch iſt je dieſem Berge nahe gekommen, der nicht über 1170 m hoch iſt. 1Er erſcheint in Maypures unter einem Winkel von 1 Grad 27 Minuten.Ich glaube, dieſer gewöhnlich rötliche, zuweilen ſilber - weiße Schimmer iſt ein Reflex von großen Talgblättern oder von Gneis, der in Glimmerſchiefer übergeht. Das ganze Land beſteht hier aus Granitgeſtein, dem da und dort, auf kleinen Ebenen, unmittelbar ein thonichter Sandſtein mit Quarz - trümmern und Brauneiſenſtein aufgelagert iſt.

Auf dem Wege zum Landungsplatz fingen wir auf einem Heveaſtamm2Einer der Bäume, deren Milch Kautſchuk gibt. eine neue, durch ihre ſchöne Färbung ausgezeich - nete Froſchart. Der Bauch war gelb, Rücken und Kopf ſchön ſamtartig purpurfarb; ein einziger ganz ſchmaler weißer Streif lief von der Spitze des Maules zu den Hinterbeinen. Der Froſch war 5 cm lang, nahe verwandt der Rana tinctoria, deren Blut (wie man behauptet), wenn man es Papageien da, wo man ihnen Federn ausgerauft, in die Haut einreibt, macht, daß die neuen gelben oder roten Federn ſcheckigt werden. Den Weg entlang zeigten uns die Indianer etwas, was hier - zulande allerdings ſehr merkwürdig iſt, Räderſpuren im Ge - ſtein. Sie ſprachen, wie von einem unbekannten Geſchöpf, von den Tieren mit großen Hörnern, welche zur Zeit der Grenzexpedition die Fahrzeuge durch das Thal des Keri vom Rio Toparo zum Rio Cameji gezogen, um die Katarakte zu umgehen und die Mühe des Umladens zu erſparen. Ich glaube, dieſe armen Einwohner von Maypures wunderten ſich jetzt beim Anblick eines Ochſen von kaſtiliſcher Raſſe wie die Römer über die lukaniſchen Ochſen (die Elefanten im Heere des Pyrrhus).

Wenn man durch das Thal des Keri einen Kanal zöge, der die kleinen Flüſſe Cameji und Toparo vereinigte, brauchten die Pirogen nicht mehr durch die Raudales zu gehen. Auf dieſem ganz einfachen Gedanken beruht der Plan, den ich im erſten Entwurf durch den Generalkapitän von Caracas, Gue - vara Vasconzelos, der ſpaniſchen Regierung habe vorlegen laſſen. Beim Katarakt von Maypures ſind die Bodenverhält -183 niſſe ſo günſtig, wie man ſie bei Atures vergeblich ſuchte. Der Kanal würde 5555 m oder 2650 m lang, je nachdem man ihn nahe an der Mündung der beiden Flüßchen oder weiter ihren Quellen zu anfangen ließe. Das Terrain ſcheint im Durchſchnitt von Süd-Süd-Oſt nach Nord-Nord-Weſt um 11 bis 13,5 m zu fallen, und im Thal des Keri iſt der Boden ganz eben, mit Ausnahme eines kleinen Kammes oder einer Waſſer - ſcheide, welche im Parallel der Kirche von Maypures die beiden Nebenflüſſe des Stromes nach entgegengeſetzten Seiten laufen läßt. Die Ausführung dieſes Planes wäre durchaus nicht koſtſpielig, da die Landenge größtenteils aus ange - ſchwemmtem Boden beſteht, und Pulver hätte man dabei gar nicht nötig. Dieſer Kanal, der nicht über 3 m breit zu ſein brauchte, wäre als ein ſchiffbarer Arm des Orinoko zu betrachten. Es bedürfte keiner Schleuſe, und die Fahrzeuge, die in den oberen Orinoko gehen, würden nicht mehr wie jetzt durch die Reibung an den rauhen Klippen am Raudal beſchädigt; man zöge ſie hinauf, und da man die Waren nicht mehr auszuladen brauchte, würde viel Zeit erſpart. Man hat die Frage erörtert, wozu der von mir in Vorſchlag gebrachte Kanal dienen ſollte. Hier iſt die Antwort, die ich im Jahre 1801 auf meiner Reiſe nach Quito dem Miniſterium erteilt habe: Auf den Bau eines Kanales bei Maypures und eines anderen, von dem in der Folge die Rede ſein wird, lege ich nur in der Vorausſetzung Gewicht, daß die Regierung ſich mit Handel und Gewerbefleiß am oberen Orinoko ernſtlich beſchäftigen wollte. Unter den gegenwärtigen Verhältniſſen, da, wie es ſcheint, die Ufer des majeſtätiſchen Stromes gänz - lich vernachläſſigt bleiben ſollen, wären Kanäle allerdings ſo gut wie überflüſſig.

Nachdem wir uns im Puerto de Arriba eingeſchifft, gingen wir mit ziemlicher Beſchwerde über den Raudal de Cameji; dieſe Stelle gilt bei ſehr hohem Waſſerſtand für gefährlich. Jenſeits des Raudals fanden wir den Strom ſpiegelglatt. Wir übernachteten auf einer felſichten Inſel, genannt Piedra Raton; ſie iſt gegen 3,3 km lang, und auch hier wiederholt ſich die intereſſante Erſcheinung einer in der Entwickelung be - griffenen Vegetation, jener zerſtreuten Gruppen von Buſchwerk auf ebenem Felsboden, wovon ſchon öfters die Rede war. Ich konnte in der Nacht mehrere Sternbeobachtungen machen und fand die Breite der Inſel gleich 4′ 51″, ihr Länge gleich 70° 57′. Ich konnte die im Strom reflektierten Stern -184 bilder benützen; obgleich wir uns mitten im Orinoko befanden, war die Moskitowolke ſo dick, daß ich nicht die Geduld hatte, den künſtlichen Horizont zu richten.

Am 22. April. Wir brachen anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang auf. Der Morgen war feucht, aber herrlich; kein Lüftchen ließ ſich ſpüren, denn ſüdlich von Atures und Maypures herrſcht beſtändig Windſtille. Am Rio Negro und Caſſiquiare, am Fuß des Cerro Duida in der Miſſion Santa Barbara hörten wir niemals das Rauſchen des Laubes, das in heißen Ländern einen ganz eigentümlichen Reiz hat. Die Krümmungen des Stromes, die ſchützenden Berge, die un - durchdringlichen Wälder und der Regen, der einen bis zwei Grade nördlich vom Aequator faſt gar nicht ausſetzt, mögen dieſe Erſcheinung veranlaſſen, die den Miſſionen am Orinoko eigentümlich iſt.

In dem unter ſüdlicher Breite, aber ebenſo weit vom Aequator gelegenen Thal des Amazonenſtromes erhebt ſich alle Tage, 2 Stunden nach der Kulmination der Sonne, ein ſehr ſtarker Wind. Derſelbe weht immer gegen die Strömung und wird nur im Flußbett ſelbſt geſpürt. Unterhalb San Borja iſt es ein Oſtwind; in Tomependa fand ich ihn zwiſchen Nord und Nord-Nord-Oſt. Es iſt immer die Briſe, der von der Umdrehung der Erde herrührende Wind, der aber durch kleine örtliche Verhältniſſe bald dieſe, bald jene Richtung bekommt. Mit dieſem beſtändigen Wind ſegelt man von Gran Para bis Tefe, 3375 km weit, den Amazonenſtrom hinauf. In der Provinz Jaen de Bracamoros, am Fuße des Weſtabhanges der Kordilleren, tritt dieſer vom Atlantiſchen Meere herkom - mende Wind zuweilen als ein eigentlicher Sturm auf. Wenn man auf das Flußufer zugeht, kann man ſich kaum auf den Beinen halten; ſo auffallend anders ſind die Verhältniſſe am oberen Orinoko und am oberen Amazonenſtrom.

Sehr wahrſcheinlich iſt es dieſem beſtändig wehenden Winde zuzuſchreiben, daß der Amazonenſtrom ſo viel geſunder iſt. In der ſtockenden Luft am oberen Orinoko ſind die chemi - ſchen Affinitäten eingreifender und es entwickeln ſich mehr ſchädliche Miasmen. Die bewaldeten Ufer des Amazonen - ſtromes wären ebenſo ungeſund, wenn nicht der Fluß, gleich dem Niger, ſeiner ungeheuren Länge nach von Weſt nach Oſt, alſo in der Richtung der Paſſatwinde, gerade fortliefe. Das Thal des Amazonenſtromes iſt nur an ſeinem weſtlichen Ende, wo es der Kordillere der Anden naherückt, geſchloſſen. Gegen185 Oſt, wo der Seewind auf den neuen Kontinent trifft, erhebt ſich das Geſtade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des atlantiſchen Meeres. Der obere Orinoko läuft anfangs von Oſt nach Weſt, und dann von Nord nach Süd. Da wo ſein Lauf dem des Amazonenſtromes ziemlich parallel iſt, liegt zwiſchen ihm und dem Atlantiſchen Meere ein ſehr gebirgiges Land, der Gebirgsſtock der Parime und des holländiſchen und franzöſiſchen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erſt vom Einfluß des Apure an, von wo der untere Orinoko von Weſt nach Oſt über eine weite, dem Atlantiſchen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an kräftig aufzutreten; dieſes Stromſtück iſt daher auch nicht ſo ungeſund als der obere Orinoko.

Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des Magdalenenſtromes an. Derſelbe behält, wie der Amazonen - ſtrom, immer dieſelbe Richtung, aber ſie iſt ungünſtig, weil ſie nicht mit der des Seewindes zuſammenfällt, ſondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Paſſatwinde gelegen, hat der Magdalenenſtrom eine ſo ſtockende Luft wie der obere Orinoko. Vom Kanal Mahates bis Honda, namentlich ſüdlich von der Stadt Mompox, ſpürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, ſo findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die ſehr ſtarken Winde, die ſich im Thale des Neiva verfangen, ſind als un - gemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windſtille aufhört, wenn man im oberen Stromlauf dem Gebirge näher kommt, aber es erſcheint er - klärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen, heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftſtrömungen herrühren. Kalte Luftſäulen ſtürzen von den Nevadas von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die unteren Luftſchichten vor ſich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entſtehen durch die ungleiche Erwärmung des Bodens und durch die Nähe ſchneebedeckter Gebirge örtliche Luftſtrömungen. Jene ſehr ſtarken Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Paſſatwinde zurück - geworfen würden; ſie entſtehen vielmehr da, wohin der See - wind nicht gelangen kann, und wenn die meiſt ganz mit Bäumen bewachſenen Berge am oberen Orinoko höher wären, ſo würden ſie in der Luft dieſelben raſchen Gleichgewichts - ſtörungen hervorbringen, wie wir ſie in den Gebirgen von186 Peru, Abeſſinien und Tibet beobachten. Dieſer genaue ur - ſachliche Zuſammenhang zwiſchen der Richtung der Ströme, der Höhe und Stellung der anliegenden Gebirge, den Be - wegungen der Atmoſphäre und der Salubrität des Klimas ver - dient die größte Aufmerkſamkeit. Wie ermüdend und un - fruchtbar wäre doch das Studium der Erdoberfläche und ihrer Unebenheiten, wenn es nicht aus allgemeinen Geſichtspunkten aufgefaßt würde!

Siebenundzwanzig Kilometer von der Inſel Piedra Raton kam zuerſt oſtwärts die Mündung des Rio Sipapo, den die Indianer Tipapu nennen, dann weſtwärts die Mündung des Rio Vichada. In der Nähe der letzteren bilden Felſen ganz unter Waſſer einen kleinen Fall, einen Raudalito. Der Rio Sipapo, den Pater Gili im Jahre 1757 hinauffuhr und der nach ihm zweimal breiter iſt als der Tiber, kommt aus einer ziemlich bedeutenden Bergkette. Im ſüdlichen Teil trägt die - ſelbe den Namen des Fluſſes und verbindet ſich mit dem Bergſtock des Calitamini und Cunavami. Nach dem Pik von Duida, der über der Miſſion Esmeralda aufſteigt, ſchienen mir die Cerros de Sipapo die höchſten in der ganzen Kor - dillere der Parime. Sie bilden eine ungeheure Felsmauer, die ſchroff aus der Ebene aufſteigt und deren von Süd-Süd-Oſt nach Nord-Nord-Weſt gerichteten Kamm ausgezackt iſt. Ich denke, aufgetürmte Granitblöcke bringen dieſe Einſchnitte, dieſe Auszackung hervor, die man auch am Sandſtein des Mont - ſerrat in Katalonien beobachtet. Jede Stunde war der An - blick der Cerros de Sipapo wieder ein anderer. Bei Sonnen - aufgang gibt der dichte Pflanzenwuchs den Bergen die dunkel - grüne, ins Bräunliche ſpielende Farbe, wie ſie Landſtrichen eigen iſt, wo Bäume mit lederartigen Blättern vorherrſchen. Breite, ſcharfe Schatten fallen über die anſtoßende Ebene und ſtechen ab vom glänzenden Licht, das auf dem Boden, in der Luft und auf der Waſſerfläche verbreitet iſt. Aber um die Mitte des Tages, wenn die Sonne den Zenith erreicht, verſchwinden dieſe kräftigen Schatten allmählich und die ganze Kette hüllt ſich in einen leiſen Duft, der weit ſatter blau iſt als der niedrige Strich des Himmelsgewölbes. In dieſem um den Felskamm ſchwebenden Duft verſchwimmen halb die Um - riſſe, werden die Lichteffekte gedämpft, und ſo erhält die Land - ſchaft das Gepräge der Ruhe und des Friedens, das in der Natur, wie in den Werken Claude Lorrains und Pouſſins, aus der Harmonie zwiſchen Form und Farbe entſpringt.

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Hinter dieſen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, der mächtige Häuptling der Guaypunabis, nachdem er mit ſeiner kriegeriſchen Horde von den Ebenen zwiſchen dem Rio Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die In - dianer verſicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachſe in Menge der Vehuco de Maimure. Dieſes Schling - gewächs iſt den Indianern ſehr wichtig, weil ſie Körbe und Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo ſind völlig unbekannt, und die Miſſionäre verſetzen hierher das Volk der Rayas,1Rochen, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fiſch dieſes Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt ſcheint. die den Mund am Nabel haben . Ein alter Indianer, den wir in Carichana antrafen und der ſich rühmte oft Menſchenfleiſch gegeſſen zu haben, hatte dieſe kopfloſen Menſchen mit eigenen Augen geſehen. Dieſe abgeſchmackten Märchen haben ſich auch in den Llanos verbreitet, und dort iſt es nicht immer geraten, die Exiſtenz der Rayas-Indianer in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsſtrichen iſt Unduld - ſamkeit die Gefährtin der Leichtgläubigkeit, und man könnte meinen, die Hirngeſpinnſte der alten Erdbeſchreiber ſeien aus der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht wüßte, daß die ſeltſamſten Ausgeburten der Phantaſie, gerade wie die Naturbildungen, überall in Ausſehen und Geſtaltung eine gewiſſe Aehnlichkeit zeigen.

Bei der Mündung des Rio Vichada oder Viſata ſtiegen wir aus, um die Pflanzen des Landſtriches zu unterſuchen. Die Gegend iſt höchſt merkwürdig; der Wald iſt nicht ſehr dicht und eine Unzahl kleiner Felſen ſteht frei auf der Ebene. Es ſind prismatiſche Steinmaſſen und ſie ſehen wie verfallene Pfeiler, wie einzeln ſtehende 5 bis 7 m hohe Türmchen aus. Die einen ſind von den Bäumen des Waldes beſchattet, bei anderen iſt der Gipfel von Palmen gekrönt. Die Felſen ſind Granit, der in Gneis übergeht. Befände man ſich hier nicht im Bereich des Urgebirges, man glaubte ſich in den Felſen von Adersbach in Böhmen oder von Streitberg und Fantaſie in Franken verſetzt. Sandſtein und ſekundärer Kalkſtein können keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des Vichada ſind die Granitfelſen, und was noch weit auffallender iſt, der Boden ſelbſt mit Moſen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von Cladonia pyxidata und Lichen ran - giferinus, die im nördlichen Europa ſo häufig vorkommen. 188Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine 200 m über dem Meer, unter dem 5. Breitengrad mitten in der heißen Zone befanden, von der man ſo lange glaubte, daß keine kryptogamiſchen Gewächſe in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieſes ſchattigen, feuchten Ortes beträgt wahr - ſcheinlich 26° des hundertteiligen Thermometers. In betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns über das ſchöne Grün der Wälder. Dieſer Umſtand iſt für das obere Orinokothal charakteriſtiſch; an der Küſte von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub im Winter1In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom Aequator Sommer heißt. ab und man ſieht am Boden nur gelbes, ver - trocknetes Gras. Zwiſchen den eben beſchriebenen freiſtehenden Felſen wuchſen mehrere große Stämme Säulenkaktus (Cactus septemangularis), was ſüdlich von den Katarakten von Atures und Maypures eine große Seltenheit iſt.

Am ſelben maleriſchen Ort hatte Bonpland das Glück, mehrere Stämme von Laurus cinnamomoides anzutreffen, eines ſehr gewürzreichen Zimtbaumes, der am Orinoko unter dem Namen Varimacu und Canelilla bekannt iſt. 2Diminutiv des ſpaniſchen Wortes Canela, das Cinnamo - mum (Kinnamomon der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort ge - hört zu den wenigen, die ſeit dem höchſten Altertum aus dem Phö - nikiſchen (einer ſemitiſchen Sprache) in die abendländiſchen Sprachen übergegangen ſind.Dieſes koſtbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und öſtlich von den großen Katarakten vor. Der Jeſuit Francisco de Olma ſcheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben. Der Miſſionär Gili, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede iſt, ſcheint den Varimacu oder Guari - macu mit der Myriſtica oder dem amerikaniſchen Muskat - baum zu verwechſeln. Dieſe gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimt, die Muskatnuß, Myrtus Pimenta und Laurus pucheri wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Ge - würze und Wohlgerüche Oſtindiens gewöhnt geweſen wäre. Der Zimt vom Orinoko und der aus den Miſſionen der Andaquies, deſſen Anbau Mutis in Mariquita in Neugranada eingeführt hat, ſind übrigens weniger gewürzhaft als der189 Ceylonzimt, und wären ſolches ſelbſt dann, wenn ſie ganz ſo getrocknet und zubereitet würden.

Jede Halbkugel hat ihre eigenen Arten von Gewächſen, und es erklärt ſich keineswegs aus der Verſchiedenheit der Klimate, warum das tropiſche Afrika keine Laurineen, die Neue Welt keine Heidekräuter hervorbringt, warum es in der ſüdlichen Halbkugel keine Calceolarien gibt, warum auf dem indiſchen Feſtlande das Gefieder der Vögel nicht ſo glänzend iſt wie in den heißen Landſtrichen Amerikas, endlich warum der Tiger nur Aſien, das Schnabeltier nur Neuholland eigen iſt? Die Urſachen der Verteilung der Arten im Pflanzen - wie im Tierreiche gehören zu den Rätſeln, welche die Natur - philoſophie nicht zu löſen imſtande iſt. Mit dem Urſprung der Weſen hat dieſe Wiſſenſchaft nichts zu thun, ſondern nur mit den Geſetzen, nach denen die Weſen über den Erdball verteilt ſind. Sie unterſucht das, was iſt, die Pflanzen - und Tierbildungen, wie ſie unter jeder Breite, in verſchiedenen Höhen und bei verſchiedenen Wärmegraden nebeneinander vor - kommen; ſie erforſcht die Verhältniſſe, unter denen ſich dieſer oder jener Organismus kräftiger entwickelt, ſich vermehrt oder ſich umwandelt; aber ſie rührt nicht an Fragen, die unmög - lich zu löſen ſind, weil ſie mit der Herkunft, mit dem Ur - anfang eines Lebenskeimes zuſammenhängen. Ferner iſt zu bemerken, daß die Verſuche, die Verteilung der Arten auf dem Erdballe allein aus dem Einfluſſe der Klimate zu erklären, einer Zeit angehören, wo die phyſiſche Geographie noch in der Wiege lag, wo man fortwährend an vermeintlichen Gegen - ſätzen beider Welten feſthielt und ſich vorſtellte, ganz Afrika und Amerika gleichen den Wüſten Aegyptens und den Sümpfen Cayennes. Seit man den Sachverhalt nicht nach einem will - kürlich angenommenen Typus, ſondern nach poſitiven Kennt - niſſen beurteilt, weiß man auch, daß die beiden Kontinente in ihrer unermeßlichen Ausdehnung Bodenſtücke mit völlig über - einſtimmenden Naturverhältniſſen aufzuweiſen haben. Amerika hat ſo dürre und glühend heiße Landſtriche als das innere Afrika. Die Inſeln, welche die indiſchen Gewürze erzeugen, zeichnen ſich keineswegs durch Trockenheit aus, und die Feuch - tigkeit des Klimas iſt durchaus nicht, wie in neueren Werken behauptet wird, die Urſache, warum auf dem neuen Kontinent die ſchönen Laurineen - und Myriſticeenarten nicht vorkommen, die im Indiſchen Archipel in einem kleinen Erdwinkel neben - einander wachſen. Seit einigen Jahren wird in mehreren190 Ländern des neuen Kontinents der echte Zimtbaum mit Erfolg gebaut, und ein Landſtrich, auf dem der Coumarouna (die Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, Mirtus pimenta, der Tolubalſam, Myroxylon peruvianum, die Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (Gaultheria odorata), der Incienſo der Silla von Caracas,1Trixis nereifolia. der Quereme, die Pan - kratiumarten und ſo viele herrliche Lilienarten wachſen, kann nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem iſt Trockenheit der Luft der Entwickelung aromatiſcher und rei - zender Eigenſchaften nur bei gewiſſen Pflanzenarten förderlich. Die heftigſten Gifte werden im feuchteſten Landſtriche Amerikas erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltend tropi - ſchen Regen gedeiht der amerikaniſche Pfeffer (Capsicum bac - catum) am beſten, deſſen Frucht häufig ſo ſcharf und beißend iſt als der oſtindiſche Pfeffer. Aus dieſen Betrachtungen geht folgendes hervor: 1) der neue Kontinent beſitzt ſehr ſtarke Gewürze, Arome und vegetabiliſche Gifte, die ihm allein an - gehören, ſich aber ſpezifiſch von denen der alten Welt unter - ſcheiden; 2) die urſprüngliche Verteilung der Arten in der heißen Zone iſt allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der Verteilung der Wärme, wie ſie im gegenwärtigen Zuſtande unſeres Planeten ſtattfindet, nicht zu erklären, aber dieſe Ver - ſchiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein gegebener organiſcher Typus ſich an der einen Oertlichkeit kräftiger entwickelt als an der anderen. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Muſen und Palmen, daß ſie wegen ihres inneren Baues und der Wich - tigkeit gewiſſer Organe unmöglich ſehr kalten Landſtrichen an - gehören können, wir vermögen aber nicht zu erklären, warum keine Art aus der Familie der Melaſtomeen nördlich vom 30. Breitengrad wächſt, warum keine einzige Roſenart der ſüdlichen Halbkugel angehört. Häufig ſind auf beiden Kon - tinenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugniſſe gleich - artig wären.

Der Rio Vichada (Bichada), der bei ſeinem Zuſammenfluß mit dem Orinoko einen kleinen Raudal hat, ſchien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendſte unter den aus Weſten kommenden Flüſſen. Seit vierzig Jahren hat kein Europäer den Vichada befahren. Ueber ſeine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermute ſie mit191 denen des Tomo auf den Ebenen ſüdwärts von Caſimena. Wenigſtens iſt wohl nicht zweifelhaft, daß die früheſten Miſ - ſionen an den Ufern des Vichada von Jeſuiten aus den Miſ - ſionen am Caſanare gegründet worden ſind. Noch in neueſter Zeit ſah man flüchtige Indianer von Santa Roſalia de Caba - puna, einem Dorfe am Meta, über den Rio Vichada an den Katarakt von Maypures kommen, was darauf hinweiſt, daß die Quellen desſelben nicht ſehr weit vom Meta ſein können. Pater Gumilla hat uns die Namen mehrerer deutſcher und ſpaniſcher Jeſuiten aufbewahrt, die im Jahre 1734 an den jetzt öden Ufern des Vichada von der Hand der Kariben als Opfer ihres religiöſen Eifers fielen.

Nachdem wir zuerſt gegen Oſt am Caño Pirajavi, ſodann gegen Weſt an einem kleinen Fluß vorübergekommen, der nach der Ausſage der Indianer aus einem See Namens Nao ent - ſpringt, übernachteten wir am Ufer des Orinoko, beim Einfluß des Zama, eines ſehr anſehnlichen Fluſſes, der ſo unbekannt iſt als der Rio Vichada. Trotz des ſchwarzen Waſſers des Zama hatten wir viel von den Inſekten auszuſtehen. Die Nacht war ſchön; in den niederen Luftregionen wehte kein Lüftchen, aber gegen 2 Uhr ſahen wir dicke Wolken raſch von Oſt nach Weſt durch den Zenith gehen. Als ſie beim Nieder - gehen gegen den Horizont vor die großen Nebelflecken im Schützen oder im Schiff traten, erſchienen ſie ſchwarzblau. Die Nebelflecken ſind nie lichtſtärker, als wenn ſie zum Teil von Wolkenſtreifen bedeckt ſind. Wir beobachten in Europa dieſelbe Erſcheinung an der Milchſtraße, beim Nordlicht, wenn es im Silberlicht ſtrahlt, endlich bei Sonnenauf - und Untergang an dem Stück des Himmels, das weiß wird aus Urſachen, welche die Phyſik noch nicht gehörig ermittelt hat.

Kein Menſch kennt den weiten Landſtrich zwiſchen Meta, Vichada und Guaviare weiter als auf 4 bis 5 km vom Ufer. Man glaubt, daß hier wilde Indianer vom Stamme der Chi - ricoas hauſen, die glücklicherweiſe keine Kanoen bauen. Früher, als noch die Kariben und ihre Feinde, die Cabres, mit ihren Geſchwadern von Flößen und Pirogen hier umherzogen, wäre es unvorſichtig geweſen, an der Mündung eines Fluſſes zu übernachten, der aus Weſten kommt. Gegenwärtig, da die kleinen Niederlaſſungen der Europäer die unabhängigen Indianer von den Ufern des oberen Orinoko verdrängt haben, iſt dieſer Landſtrich ſo öde, daß uns von Carichana bis Ja - vita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo,192 auf einer Stromfahrt von 810 km, nicht ein einziges Fahr - zeug begegnete.

Mit der Mündung des Rio Zama betraten wir ein Fluß - ſyſtem, das große Aufmerkſamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, der Guainia haben ſchwarzes Waſſer (aguas negras), das heißt, ihr Waſſer, in großen Maſſen geſehen, erſcheint kaffeebraun oder grünlich-ſchwarz, und doch ſind es die ſchönſten, klarſten, wohl - ſchmeckendſten Waſſer. Ich habe ſchon oben erwähnt, daß die Krokodile und, wenn auch nicht die Zancudos, doch die Moskiten faſt überall die ſchwarzen Waſſer meiden. Das Volk behauptet ferner, dieſe Waſſer bräunen das Geſtein nicht, und die weißen Flüſſe haben ſchwarze, die ſchwarzen Flüſſe weiße Ufer. Und allerdings ſieht man am Geſtade des Guainia, den die Euro - päer unter dem Namen Rio Negro kennen, häufig blendend weiße Quarzmaſſen aus dem Granit hervorſtehen. Im Glaſe iſt das Waſſer des Mataveni ziemlich weiß, das des Ata - bapo aber behält einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieſer ſchwarzen Flüſſe kräuſelt, ſo erſcheinen ſie ſchön wieſengrün, wie die Schweizer Seen. Im Schatten iſt der Zama, der Atabapo, der Guainia ſchwarz wie Kaffeeſatz. Dieſe Erſcheinungen ſind ſo auffallend, daß die Indianer allerorten die Gewäſſer in ſchwarze und weiße einteilen. Erſtere haben mir häufig als künſtlicher Horizont gedient; ſie werfen die Sternbilder wunderbar ſcharf zurück.

Die Farbe des Quellwaſſers, Flußwaſſers und Seewaſſers gehört zu den phyſikaliſchen Problemen, die durch unmittelbare Verſuche ſchwer oder gar nicht zu löſen ſind. Die Farben bei reflektiertem Lichte ſind meiſt ganz andere als bei durch - gehendem, beſonders wenn es durch eine große Maſſe Flüſſigkeit durchgeht. Fände keine Abſorption der Strahlen ſtatt, ſo hätte das durchgehende Licht immer die Farbe, welche die komplementäre des reflektierten Lichtes wäre, und meiſt be - urteilt man bei einem Waſſer in einem nicht tiefen Glaſe mit enger Oeffnung das durchgehende Licht falſch. Bei einem Fluſſe gelangt das reflektierte farbige Licht immer von den inneren Schichten der Flüſſigkeit zu uns, nicht von der oberſten Schicht derſelben.

Berühmte Phyſiker, welche das reinſte Gletſcherwaſſer unterſucht haben, ſowie das, welches aus mit ewigem Schnee bedeckten Bergen entſpringt, wo keine vegetabiliſchen Reſte ſich193 in der Erde finden, ſind der Meinung, die eigentümliche Farbe des Waſſers möchte blau oder grün ſein. In der That iſt durch nichts erwieſen, daß das Waſſer von Natur weiß iſt und immer ein Farbſtoff im Spiele ſein muß, wenn dasſelbe, bei reflektiertem Licht geſehen, eine Färbung zeigt. Wo Flüſſe wirklich einen färbenden Stoff enthalten, iſt derſelbe meiſt in ſo geringer Menge, daß er ſich jeder chemiſchen Unterſuchung entzieht. Die Färbung des Meeres ſcheint häufig weder von der Beſchaffenheit des Grundes, noch vom Reflex des Himmels und der Wolken abzuhängen. Ein großer Phyſiker, Davy, ſoll der Anſicht ſein, die verſchiedene Färbung der Meere könnte daher rühren, daß das Jod in verſchiedenen Verhält - niſſen darin enthalten iſt.

Aus den alten Erdbeſchreibern erſehen wir, daß bereits den Griechen die blauen Waſſer der Thermopylen, die roten bei Joppe, die ſchwarzen der heißen Bäder von Aſtyra, Lesbos gegenüber, aufgefallen waren. Manche Flüſſe, z. B. die Rhone bei Genf, haben eine entſchieden blaue Farbe. Das Schnee - waſſer in den Schweizeralpen ſoll zuweilen ſmaragdgrün ſein, in wieſengrün übergehend. Mehrere Seen in Savoyen und Peru ſind bräunlich, ja faſt ſchwarz. Die meiſten dergleichen Farbenerſcheinungen kommen bei Gewäſſern vor, welche für die reinſten gelten, und man wird ſich viel mehr an auf Ana - logieen gegründete Schlüſſe als an die unmittelbare Analyſe halten müſſen, um über dieſen noch ſehr dunklen Punkt einiges Licht zu verbreiten. In dem weit ausgedehnten Flußſyſteme, das wir bereiſt und dieſer Umſtand ſcheint mir ſehr auf - fallend kommen die ſchwarzen Waſſer vorzugsweiſe nur in dem Striche in der Nähe des Aequators vor. Um den 5. Grad nördlicher Breite fängt man an, ſie anzutreffen, und ſie ſind über den Aequator hinaus bis gegen den 2. Grad ſüdlicher Breite ſehr häufig. Die Mündung des Rio Negro liegt ſogar unter dem 9′ der Breite; aber auf dieſem ganzen Landſtriche kommen in den Wäldern und auf den Grasfluren weiße und ſchwarze Waſſer dergeſtalt untereinander vor, daß man nicht weiß, welcher Urſache man die Färbung des Waſſers zuſchreiben ſoll. Der Caſſiquiare, der ſich in den Rio Negro ergießt, hat weißes Waſſer wie der Orinoko, aus dem er entſpringt. Von zwei Nebenflüſſen des Caſſiquiare nahe bei einander, Siapa und Pacimony, iſt der eine weiß, der andere ſchwarz.

Fragt man die Indianer nach den Urſachen dieſer ſonder -A. v. Humboldt, Reiſe. III. 13194baren Färbung, ſo lautet ihre Antwort, wie nicht ſelten auch in Europa, wenn es ſich um phyſiſche und phyſiologiſche Fragen handelt: ſie wiederholen das Faktum mit anderen Worten. Wendet man ſich an die Miſſionäre, ſo ſprechen ſie, als hätten ſie die ſtrengſten Beweiſe für ihre Behauptung, das Waſſer färbe ſich, wenn es über Sarſaparillewurzeln laufe . Die Smilaceen ſind allerdings am Rio Negro, Pa - cimony und Cababury ſehr häufig, und ihre Wurzeln geben in Waſſer eingeweicht einen braunen, bitteren, ſchleimigen Extraktivſtoff; aber wie viele Smilaxbüſche haben wir an Orten geſehen, wo die Waſſer ganz weiß ſind! Wie kommt es, daß wir im ſumpfigen Walde, durch den wir unſere Piroge vom Rio Tuamini zum Caño Pimichin und an den Rio Negro ſchleppen mußten, auf demſelben Landſtriche jetzt durch Bäche mit weißem, jetzt durch andere mit ſchwarzem Waſſer wateten? Warum hat man niemals einen Fluß gefunden, der ſeiner Quelle zu weiß und im unteren Stücke ſeines Laufes ſchwarz war? Ich weiß nicht, ob der Rio Negro ſeine braungelbe Farbe bis zur Mündung behält, obgleich ihm durch den Caſſiquiare und den Rio Blanco ſehr viel weißes Waſſer zu - fließt. Da La Condamine den Fluß nordwärts vom Aequator nicht ſah, konnte er vom Unterſchied in der Farbe nicht urteilen.

Die Vegetation iſt wegen der Regenfülle ganz in der Nähe des Aequators allerdings kräftiger als 8 bis 10° gegen Nord und gegen Süd; es läßt ſich aber keineswegs behaupten, daß die Flüſſe mit ſchwarzem Waſſer vorzugsweiſe in den dichteſten, ſchattigſten Wäldern entſpringen. Im Gegenteil kommen ſehr viele aguas negras aus den offenen Grasfluren, die ſich vom Meta jenſeits des Guaviare gegen den Caqueta hinziehen. Auf einer Reiſe, die ich zur Zeit der Ueber - ſchwemmung mit Herrn von Montufar vom Hafen von Guaya - quil nach den Bodegas de Babaojo machte, fiel es mir auf, daß die weiten Savannen am Invernadero de Carzal und am Lagartero ganz ähnlich gefärbt waren wie der Rio Negro und der Atabapo. Dieſe zum Teil ſeit drei Monaten unter Waſſer ſtehenden Grasfluren beſtehen aus Paspalum, Eriochloa und mehreren Cyperaceen. Wir fuhren in 1,3 bis 1,6 m tiefem Waſſer; dasſelbe war bei Tage 33 bis 34° warm; es roch ſtark nach Schwefelwaſſerſtoff, was ohne Zweifel zum Teil von den faulenden Arum - und Helikonienſtauden her - rührte, die auf den Lachen ſchwammen. Das Waſſer des195 Lagartero ſah bei durchgehendem Lichte goldgelb, bei reflek - tiertem kaffeebraun aus. Die Farbe rührt ohne Zweifel von gekohltem Waſſerſtoff her. Man ſieht etwas Aehnliches am Düngerwaſſer, das unſere Gärtner bereiten, und am Waſſer, das aus Torfgruben abfließt. Läßt ſich demnach nicht an - nehmen, daß auch die ſchwarzen Flüſſe, der Atabapo, der Zama, der Mataveni, der Guainia, von einer Kohlen - und Waſſerſtoffverbindung, von einem Pflanzenextraktivſtoff ge - färbt werden? Der ſtarke Regen unter dem Aequator trägt ohne Zweifel zur Färbung bei, indem das Waſſer durch einen dichten Grasfilz ſickert. Ich gebe dieſen Gedanken nur als Vermutung. Die färbende Subſtanz ſcheint in ſehr geringer Menge im Waſſer enthalten; denn wenn man Waſſer aus dem Guainia oder Rio Negro ſieden läßt, ſah ich es nicht braun werden wie andere Flüſſigkeiten, welche viel Kohlen - waſſerſtoff enthalten.

Es erſcheint übrigens ſehr merkwürdig, daß dieſe ſchwarzen Waſſer, von denen man glauben ſollte, ſie ſeien auf die Nie - derungen der heißen Zone beſchränkt, gleichfalls, wenn auch ſehr ſelten, auf den Hochebenen der Anden vorkommen. Wir fanden die Stadt Cuenca im Königreich Quito von drei Bächen umgeben, dem Machangara, dem Rio del Matadero und dem Yanuncai. Die zwei erſteren ſind weiß, letzterer hat ſchwarzes Waſſer. Dasſelbe iſt, wie das des Atabapo, kaffeebraun bei reflektiertem, blaßgelb bei durchgehendem Licht. Es iſt ſehr ſchön, und die Einwohner von Cuenca, die es vorzugsweiſe trinken, ſchreiben die Farbe ohne weiteres der Sarſaparille zu, die am Rio Yanuncai ſehr häufig wachſen ſoll.

Am 23. April. Wir brachen von der Mündung des Zama um 3 Uhr morgens auf. Auf beiden Seiten lief fort - während dicker Wald am Strome hin. Die Berge im Oſten ſchienen immer weiter wegzurücken. Wir kamen zuerſt am Einfluſſe des Rio Mataveni und dann an einer merkwürdig geſtalteten Inſel vorbei. Ein viereckiger Granitfels ſteigt wie eine Kiſte gerade aus dem Waſſer empor; die Miſſionäre nennen ihn El Caſtillito. Aus ſchwarzen Streifen daran ſollte man ſchließen, daß der Orinoko, wenn er anſchwillt, an dieſer Stelle nicht über 2,6 m ſteigt, und daß die hohen Waſſer - ſtände, die wir weiter unten beobachtet, von den Nebenflüſſen herrühren, die nördlich von den Katarakten von Atures und Maypures hereinkommen. Wir übernachteten am rechten Ufer, der Mündung des Rio Siucurivapu gegenüber, bei einem196 Felſen, der Aricagua heißt. In der Nacht kamen zahlloſe Fledermäuſe aus den Felsſpalten und ſchwirrten um unſere Hängematten. Ich habe früher von dem Schaden geſprochen, den dieſe Tiere unter den Herden anrichten. Sie vermehren ſich beſonders ſtark in ſehr trockenen Jahren.

Am 24. April. Ein ſtarker Regen zwang uns, ſchon ſehr früh morgens die Piroge wieder zu beſteigen. Wir fuhren um 2 Uhr ab und mußten einige Bücher zurücklaſſen, die wir in der finſteren Nacht auf dem Felſen Aricagua nicht finden konnten. Der Strom läuft ganz gerade von Süd nach Nord; die Ufer ſind niedrig und zu beiden Seiten von dichten Wäl - dern beſchattet. Wir kamen an den Mündungen des Ucata, des Arapa und des Caranaveni vorüber. Gegen 4 Uhr abends ſtiegen wir bei den Conucos de Siquita aus, Pflanzungen von Indianern aus der Miſſion San Fernando. Die guten Leute hätten uns gerne behalten, aber wir fuhren weiter gegen den Strom, der in der Sekunde 1,62 m zurücklegt. Dies iſt das Ergebnis einer Meſſung, bei der ich die Zeit ſchätzte, die ein ſchwimmender Körper braucht, um eine gegebene Strecke zurückzulegen. Wir liefen bei finſterer Nacht in die Mündung des Guaviare ein, fuhren über den Zuſammenfluß des Atabapo mit dem Guaviare hinauf und langten nach Mitternacht in der Miſſion an. Wir erhielten unſere Wohnung, wie immer, im Kloſter, das heißt im Hauſe des Miſſionärs, der von unſerem unerwarteten Beſuche höchlich überraſcht war, uns aber nichtsdeſtoweniger mit der liebenswürdigſten Gaſtlichkeit aufnahm.

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Zweiundzwanzigſtes Kapitel.

San Fernando de Atabapo. San Baltaſar. Die Flüſſe Temi und Tuamini. Javita. Trageplatz zwiſchen dem Tuamini und dem Rio Negro.

Wir hatten in der Nacht faſt unvermerkt die Gewäſſer des Orinoko verlaſſen und ſahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land verſetzt, am Ufer eines Fluſſes, deſſen Namen wir faſt noch nie hatten ausſprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Braſiliens gelangen ſollten. Sie müſſen, ſagte uns der Präſident der Miſſionen, der in San Fernando ſeinen Sitz hat, zuerſt den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der ſtarken Strömung der ſchwarzen Waſſer nicht mehr weiter kommen, ſo führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Waſſer finden werden. Auf dieſem wüſten Land - ſtrich zwiſchen Orinoko und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Piroge vier Tagereiſen weit über Land zum Caño Pimichin ziehen zu laſſen. Zerbricht ſie nicht, ſo fahren Sie ohne Anſtand den Rio Negro (von Nordweſt nach Südoſt) hinunter bis zur Schanze San Carlos, ſodann den Caſſiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfriſt über den oberen Orinoko (von Oſt nach Weſt) wieder nach San Fernando. Dieſen Plan entwarf man uns für unſere Flußfahrt, und wir führten ihn nicht ohne Beſchwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in 33 Tagen aus. Die Krümmungen in dieſem Flußlabyrinth ſind ſo ſtark, daß man ſich ohne die Reiſekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küſte von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt ſind, ſo gut als keine Vorſtellung machen könnte. Für diejenigen, welche198 nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele ſchwer zu be - haltende Namen ſtehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoko von ſeinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Oſt nach Weſt, von San Fernando, alſo vom Zuſammenfluß des Ata - bapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord fließt und auf dieſer Strecke die großen Ka - tarakte bildet, daß er endlich vom Einfluſſe des Apure bis Angoſtura und zur Seeküſte von Weſt nach Oſt läuft. Auf der erſten Strecke, auf dem Laufe von Oſt nach Weſt, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen ſo oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerſt durch aſtronomiſche Beobachtungen beſtimmen konnte. Ein Arm des Orinoko, der Caſſiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt ſich in den Guainia oder Rio Negro, der ſeinerſeits in den Marañon oder Amazonenſtrom fällt. Der natürlichſte Weg zu Waſſer von Angoſtura nach Gran-Para wäre alſo den Orinoko hinauf bis Esmeralda, und dann den Caſſiquiare, Rio Negro und Amazonenſtrom hinunter; da aber der Rio Negro auf ſeinem oberen Laufe ſich ſehr den Quellen einiger Flüſſe nähert, die ſich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoko ergießen (am Punkte, wo der Orinoko aus der Richtung von Oſt nach Weſt raſch in die von Süd nach Nord umbiegt), ſo kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußſtrecke zwiſchen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Miſſion San Fernando vom Orinoko ab, fährt die zuſammenhängenden kleinen ſchwarzen Flüſſe (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf und läßt die Piroge über eine 11,7 km breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieſer Weg, den wir einſchlugen, und der beſonders ſeit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, iſt ſo kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angoſtura Briefſchaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Caſſiquiare herauf 50 bis 60 brauchte. Man kann alſo über den Atabapo aus dem Amazonenſtrom in den Orinoko kommen, ohne den Caſſiquiare herauf zu fahren, der wegen der ſtarken Strömung, des Mangels an Lebens - mitteln und der Moskiten gemieden wird. Für franzöſiſche Leſer führe ich hier ein Beiſpiel aus der hydrographiſchen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, ſtatt auf dem Kanal von Orleans zu fahren, der, wie der Caſſiquiare, zwei Fluß -199 ſyſteme verbindet, von den Zuflüſſen der Loire zu denen der Seine ſein Fahrzeug tragen laſſen; er könnte die Nièvre hinauffahren, über eine Landenge beim Dorfe Menou gehen und ſofort die Yonne hinab in die Seine gelangen.

Wir werden bald ſehen, welche Vorteile es hätte, wenn man über den ſumpfigen Landſtrich zwiſchen dem Tuamini und dem Pimichin einen Kanal zöge. Käme dieſer Plan einmal zur Ausführung, ſo hätte die Fahrt vom Fort San Carlos nach Angoſtura, der Hauptſtadt von Guyana, nur noch den Rio Negro herauf bis zur Miſſion Maroa einige Schwierigkeit; von da ginge es auf dem Tuamini, dem Temi, Atabapo und Orinoko abwärts. Ueber den Caſſiquiare iſt der Weg von San Carlos nach San Fernando am Atabapo weit unangenehmer und um die Hälfte länger als über Javita und den Caño Pimichin. Auf dieſem Landſtriche, in den zur Zeit der Grenzexpedition kein aſtronomiſches Werkzeug ge - kommen war, habe ich mit Louis Berthouds Chronometer und durch Meridianhöhen von Geſtirnen Länge und Breite von San Baltaſar am Atabapo, Javita, San Carlos am Rio Negro, des Felſen Culimacari und der Miſſion Esmeralda beſtimmt; die von mir entworfene Karte hat ſomit die Zweifel über die gegenſeitigen Entfernungen der chriſtlichen Nieder - laſſungen gehoben. Wenn es keinen anderen Weg gibt als auf vielgekrümmten, verſchlungenen Gewäſſern, wenn in dichten Wäldern nur kleine Dörfer ſtecken, wenn auf völlig ebenem Lande kein Berg, kein erhabener Gegenſtand von zwei Punkten zugleich ſichtbar iſt, kann man nur am Himmel leſen, wo man ſich auf Erden befindet. In den wildeſten Ländern der heißen Zone fühlt man mehr als anderswo das Bedürfnis aſtronomiſcher Beobachtungen. Dieſelben ſind dort nicht allein nützliche Hilfsmittel, um Karten zu vollenden und zu ver - beſſern, ſie ſind vielmehr zur Aufnahme des Terrains von vorne herein unerläßlich.

Der Miſſionär von San Fernando, bei dem wir zwei Tage verweilten, führt den Titel eines Präſidenten der Miſ - ſionen am Orinoko. Die 26 Ordensgeiſtlichen, die am Rio Negro, Caſſiquiare, Atabapo, Caura und Orinoko leben, ſtehen unter ihm und er ſeinerſeits ſteht unter dem Guardian des Kloſters in Nueva Barcelona, oder, wie man hier ſagt, des Colegio de la Purisima Concepcion de Propaganda Fide. Sein Dorf ſah etwas wohlhabender aus, als die wir bis jetzt auf unſerem Wege angetroffen, indeſſen hatte es doch nur200 266 Einwohner. Ich habe ſchon öfters bemerkt, daß die Miſſionen in der Nähe der Küſten, die gleichfalls unter den Obſervanten ſtehen, z. B. Pilar, Caigua, Huere und Cupapui, zwiſchen 800 und 2000 Einwohner zählen. Es ſind größere und ſchönere Dörfer als in den kultivierteſten Ländern Europas. Man verſicherte uns, die Miſſion San Fernando hahe un - mittelbar nach der Gründung eine ſtärkere Bevölkerung gehabt als jetzt. Da wir auf der Rückreiſe vom Rio Negro noch einmal an den Ort kamen, ſo ſtelle ich hier die Beobachtungen zuſammen, die wir an einem Punkte des Orinoko gemacht, der einmal für den Handel und die Gewerbe der Kolonien von großer Bedeutung werden kann.

San Fernando de Atabapo liegt an der Stelle, wo drei große Flüſſe, der Orinoko, der Guaviare und der Atabapo ſich vereinigen. Die Lage iſt ähnlich wie die von St. Louis oder Neumadrid am Einfluſſe des Miſſouri und des Ohio in den Miſſiſſippi. Je größeren Aufſchwung der Handel in dieſen von ungeheuren Strömen durchzogenen Ländern nimmt, deſto mehr werden die Städte, die an zwei Flüſſen liegen, von ſelbſt Schiffsſtationen, Stapelplätze für die Handelsgüter, wahre Mittelpunkte der Kultur. Pater Gumilla geſteht, daß zu ſeiner Zeit kein Menſch vom Laufe des Orinoko oberhalb des Einfluſſes des Guaviare etwas gewußt habe. Er ſagt ferner ſehr naiv, er habe ſich an Einwohner von Timana und Paſto um einige, noch dazu unſichere Auskunft über den oberen Orinoko wenden müſſen. Heutzutage erkundigt man ſich aller - dings nicht in den Anden von Popayan nach einem Fluſſe, der am Weſtabhange der Gebirge von Cayenne entſpringt. Pater Gumilla verwechſelte zwar nicht, wie man ihm ſchuld gegeben, die Quellen des Guaviare und die des Orinoko; da er aber das Stück des letzteren Fluſſes, das von Esmeralda San Fernando zu von Oſt nach Weſt gerichtet iſt, nicht kannte, ſo ſetzt er voraus, man müſſe, um oberhalb der Katarakte und der Einmündung des Vichada und Guaviare den Orinoko weiter hinaufzukommen, ſich nach Südweſt wenden. Zu jener Zeit hatten die Geographen die Quellen des Orinoko in die Nähe der Quellen des Putumayo und Caqueta an den öft - lichen Abhang der Anden von Paſto und Popayan geſetzt, alſo nach meinen Längenbeſtimmungen auf dem Rücken der Kordilleren und in Esmeralda, 1080 km vom richtigen Punkte. Unrichtige Angaben La Condamines über die Verzweigungen des Caqueta, wodurch Sanſons Annahmen Beſtätigung zu201 finden ſchienen, haben Irrtümer verbreiten helfen, die ſich jahrhundertelang erhalten haben. In der erſten Ausgabe ſeiner großen Karte von Südamerika (eine ſehr ſeltene Aus - gabe, die ich auf der großen Pariſer Bibliothek gefunden habe) zeichnete d’Anville den Rio Negro als einen Arm des Orinoko, der vom Hauptſtrome zwiſchen den Einflüſſen des Meta und des Vichada, in der Nähe des Katarakts von Los Aſtures (Atures) abgeht. Dieſem großen Geographen war damals die Exiſtenz des Caſſiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er ließ den Orinoko oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entſpringen. Erſt durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und Solanos wurde das wahre Verhältnis bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahre 1756 über die großen Katarakte bis zum Einfluſſe des Guaviare hinauf. Er ſah, daß man, um auf dem Orinoko weiter hinauf - zukommen, ſich oſtwärts wenden müſſe, und daß die Waſſer des Guaviare, der 9 km weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4′ der Breite die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugieſiſchen Beſitzungen ſo nahe als möglich zu kommen, ſo entſchloß er ſich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am Zuſammenfluſſe des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegeriſchen Nation der Guaypunabis angeſiedelt. Er lockte ſie durch Geſchenke an ſich und gründete mit ihnen die Miſſion San Fernando, die er, in der Hoffnung, ſich beim Miniſterium in Madrid wichtig zu machen, emphatiſch Villa betitelte.

Um die politiſche Bedeutung dieſer Niederlaſſung zu würdigen, muß man die damaligen Machtverhältniſſe zwiſchen den kleinen Indianerſtämmen in Guyana ins Auge faſſen. Die Ufer des unteren Orinoko waren lange der Schauplatz der blutigen Kämpfe zwiſchen zwei mächtigen Völkern, den Cabres und den Kariben, geweſen. Letztere, deren eigentliche Wohnſitze ſeit dem Ende des 17. Jahrhunderts zwiſchen den Quellen des Carony, des Eſſequibo, des Orinoko und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen Katarakten Herren des Landes, ſie machten auch Einfälle in die Länder am oberen Orinoko, und zwar über die Trage - plätze zwiſchen dem Paruspa und dem Caura, dem Erevato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Nie - mand wußte ſo gut, wie ſich die Flüſſe verzweigen, wo die202 Nebenflüſſe zur Hand ſind, wie man auf dem kürzeſten Wege ans Ziel kommt. Die Kariben hatten die Cabres geſchlagen und beinahe ausgerottet; waren ſie jetzt aber Herren am unteren Orinoko, ſo ſtießen ſie auf Wiederſtand bei den Guay - punabis, die ſich am oberen Orinoko die Herrſchaft errungen hatten und neben den Cabres, Manitivitanos und Parenis die ärgſten Anthropophagen in dieſem Landſtrich ſind. Sie waren urſprünglich am großen Fluſſe Inirida bei ſeiner Ver - einigung mit dem Chamochiquini und im Gebirgslande von Mabicore zu Hauſe. Um das Jahr 1744 hieß ihr Häupt - ling oder, wie die Eingeborenen ſagen, ihr Apoto (König), Macapu, ein Mann, durch Geiſteskraft und Mut gleich aus - gezeichnet. Er war mit einem Teile ſeiner Nation an den Atabapo gekommen, und als der Jeſuit Roman ſeinen merk - würdigen Zug vom Orinoko an den Rio Negro machte, ge - ſtattete Macapu, daß der Miſſionär einige Familien Guay - punabis mitnahm, um ſie in Uriana und beim Katarakt von Maypures anzuſiedeln. Dieſe Nation gehört der Sprache nach dem großen Volksſtamme der Maypures an; ſie iſt gewerb - fleißiger, man könnte beinahe ſagen civiliſierter als die anderen Völker am oberen Orinoko. Nach dem Berichte der Miſſionäre waren die Guaypunabis, als ſie in dieſen Ländern die Herren ſpielten, faſt alle bekleidet und beſaßen anſehnliche Dörfer. Nach Macapus Tode ging das Regiment auf einen anderen Krieger über, auf Cuſeru, von den Spaniern Kapitän Cru - zero genannt. Er hatte am Inirida Verteidigungslinien und eine Art Fort aus Erde und Holz angelegt. Die Pfähle waren über 5 m hoch und umgaben das Haus des Apoto, ſowie eine Niederlage von Bogen und Pfeilen. Pater Forneri beſchreibt dieſe in einem ſonſt ſo wilden Lande merkwürdigen Anlagen.

Am Rio Negro waren die Stämme der Marepizanas und Manitivitanos die mächtigſten. Die Häuptlinge der erſteren waren ums Jahr 1750 zwei Krieger Namens Imu und Ca - jamu; der König der Manitivitanos war Cocuy, vielberufen wegen ſeiner Grauſamkeit und ſeiner raffinierten Schwelgerei. Zu meiner Zeit lebte noch ſeine Schweſter in der Nähe der Miſſion Maypure. Man lächelt, wenn man hört, daß Männer wie Cuſeru, Imu und Cocuy hierzulande ſo berühmt ſind wie in Indien die Holkar, Tippo und die mächtigſten Fürſten. Die Häuptlinge der Guaypunabis und Manitivitanos fochten mit kleinen Haufen von 200 bis 300 Mann; aber in der203 langen Fehde verwüſteten ſie die Miſſionen, wo die armen Ordensleute nur 15 bis 20 ſpaniſche Soldaten zur Verfügung hatten. Horden, wegen ihrer Kopfzahl und ihrer Verteidigungs - mittel gleich verächtlich, verbreiteten einen Schrecken, als wären es Heere. Den Patres Jeſuiten gelang es nur dadurch, ihre Miſſionen zu retten, daß ſie Liſt wider Gewalt ſetzten. Sie zogen einige mächtige Häuptlinge in ihr Intereſſe und ſchwächten die Indianer durch Entzweiung. Als Ituriaga und Solano auf ihrem Zuge an den Orinoko kamen, hatten die Miſſionen von den Einfällen der Kariben nichts mehr zu befürchten. Cuſeru hatte ſich hinter den Granitbergen von Sipapo nieder - gelaſſen; er war der Freund der Jeſuiten; aber andere Völker vom oberen Orinoko und Rio Negro, die Marepizanos, Amui - zanos und Manitivitanos, fielen unter Imus, Cajamus und Cocuys Führung von Zeit zu Zeit in das Land nordwärts von den großen Katarakten ein. Sie hatten andere Beweg - gründe zur Feindſeligkeit als Haß. Sie trieben Menſchen - jagd, wie es früher bei den Kariben Brauch geweſen und wie es in Afrika noch Brauch iſt. Bald lieferten ſie Sklaven (poitos) den Holländern oder Paranaquiri (Meerbewohner); bald verkauften ſie dieſelben an die Portugieſen oder Jaranavi (Muſikantenſöhne). 1Die wilden Völker bezeichnen jedes europäiſche Handelsvolk mit Beinamen, die ganz zufällig entſtanden zu ſein ſcheinen. Ich habe ſchon oben bemerkt, daß die Spanier vorzugsweiſe bekleidete Menſchen, Pon gheme oder Uavemi, heißen.In Amerika wie in Afrika hat die Habſucht der Europäer gleiches Unheil geſtiftet; ſie hat die Eingeborenen gereizt, ſich zu bekriegen, um Gefangene zu be - kommen. Ueberall führt der Verkehr zwiſchen Völkern auf ſehr verſchiedenen Bildungsſtufen zum Mißbrauch der phy - ſiſchen Gewalt und der geiſtigen Ueberlegenheit. Phönizien und Karthago ſuchten einſt ihre Sklaven in Europa; heut - zutage liegt dagegen die Hand Europas ſchwer auf den Ländern, wo es die erſten Keime ſeines Wiſſens geholt, wie auf denen, wo es dieſelben, ſo ziemlich wider Willen, ver - breitet, indem es ihnen die Erzeugniſſe ſeines Gewerbfleißes zuführt.

Ich habe hier treu berichtet, was ich über die Zuſtände eines Landes in Erfahrung bringen konnte, wo die beſiegten Völker nach und nach abſterben und keine andere Spur ihres Daſeins hinterlaſſen als ein paar Worte ihrer Sprache, welche204 die ſiegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben geſehen, daß im Norden, jenſeits der Katarakte, die Kariben und die Cabres, ſüdwärts am oberen Orinoko die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mäch - tigſten Nationen waren. Der lange Widerſtand, den die unter einem tapferen Führer vereinigten Cabres den Kariben geleiſtet, hatte jenen nach dem Jahre 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura ge - ſchlagen; eine Menge Kariben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwiſchen den Stromſchnellen des Torno und der Isla del Infierno erſchlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinierten Verſchlagenheit und Grauſamkeit, wie ſie den Völkern Süd - wie Nordamerikas eigen iſt, ließen ſie einen Kariben am Leben, der, um Zeuge des barbariſchen Auftrittes zu ſein, auf einen Baum ſteigen und ſofort den Geſchlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der Siegesrauſch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Kariben kamen in ſolcher Maſſe wieder, daß nur kümmerliche Reſte der menſchenfreſſenden Cabres am Rio Cuchivero übrig blieben.

Am oberen Orinoko lagen Cocuy und Cuſeru im erbit - tertſten Kampfe gegeneinander, als Solano an der Mündung des Guaviare erſchien. Erſterer hatte für die Portugieſen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jeſuiten, that es dieſen immer zu wiſſen, wenn die Manitivitanos gegen die chriſtlichen Niederlaſſungen in Atures und Carichana im Anzuge waren. Cuſeru wurde erſt wenige Tage vor ſeinem Tode Chriſt; er hatte aber im Gefecht an ſeine linke Hüfte ein Kruzifix gebunden, das die Miſſionäre ihm geſchenkt und mit dem er ſich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine Anekdote, in der ſich ganz ſeine wilde Leidenſchaftlichkeit aus - ſpricht. Er hatte die Tochter eines indianiſchen Häuptlings vom Rio Temi geheiratet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen ſeinen Schwiegervater erklärte er ſeinem Weibe, er ziehe aus, ſich mit ihm zu meſſen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend ſtark ihr Vater ſei; da nahm Cuſeru, ohne ein Wort weiter zu ſprechen, einen vergifteten Pfeil und ſchoß ihr ihn durch die Bruſt. Im Jahre 1756 verſetzte die Ankunft einer kleinen Abteilung ſpaniſcher Truppen unter Solanos Befehl dieſen Häuptling der Guaypunabis in üble Stimmung. Er ſtand im Begriffe, es auf ein Gefecht ankommen zu laſſen, da gaben ihm die Patres Jeſuiten zu205 verſtehen, wie es ſein Vorteil wäre, ſich mit den Chriſten zu vertragen. Cuſeru ſpeiſte am Tiſche des ſpaniſchen Generals; man köderte ihn mit Verſprechungen, namentlich mit der Aus - ſicht, daß man nächſtens ſeinen Feinden den Garaus machen werde. Er war König geweſen, nunmehr ward er Dorfſchulze und ließ ſich dazu herbei, ſich mit den Seinigen in der neuen Miſſion San Fernando de Atabapo niederzulaſſen. Ein ſolch trauriges Ende nahmen meiſt jene Häuptlinge, welche bei Reiſenden und Miſſionären indianiſche Fürſten heißen. In meiner Miſſion, ſagt der gute Pater Gili, hatte ich fünf Reyecillos (kleine Könige) der Tamanaken, Avarigoten, Parecas, Quaqua und Maypures. In der Kirche ſetzte ich alle nebeneinander auf eine Bank, ermangelte aber nicht, den erſten Platz Monaiti, dem Könige der Tamanaken, an - zuweiſen, weil er mich bei der Gründung des Dorfes unter - ſtützt hatte. Er ſchien ganz ſtolz auf dieſe Auszeichnung. Wir ſind auch Pater Gilis Meinung, daß ehemalige, von ihrer Höhe herabgeſunkene Gewalthaber ſelten mit ſo wenigem zufriedenzuſtellen ſind.

Als Cuſeru, der Häuptling der Guaypunabis, die ſpani - ſchen Truppen durch die Katarakte ziehen ſah, riet er Don Joſe Solano, die Niederlaſſung am Atabapo noch ein ganzes Jahr aufzuſchieben; er prophezeite Unheil, das denn auch nicht ausblieb. Laßt mich, ſagte Cuſeru zu den Jeſuiten, mit den Meinigen arbeiten und das Land umbrechen; ich pflanze Maniok, und ſo habt ihr ſpäter mit ſo vielen Leuten zu leben. Solano, in ſeiner Ungeduld, weiter vorzudringen, hörte nicht auf den Rat des indianiſchen Häuptlings. Die neuen An - ſiedler in San Fernando verfielen allen Schreckniſſen der Hungersnot. Man ließ mit großen Koſten zu Schiff auf dem Meta und dem Vichada Mehl aus Neugranada kommen. Die Vorräte langten aber zu ſpät an, und viele Europäer und Indianer erlagen den Krankheiten, die in allen Himmels - ſtrichen Folgen des Mangels und der geſunkenen moraliſchen Kraft ſind.

Man ſieht in San Fernando noch einige Spuren von Anbau; jeder Indianer hat eine kleine Pflanzung von Kakao - bäumen. Die Bäume tragen vom fünften Jahre an reichlich, aber ſie hören damit früher auf als in den Thälern von Aragua. Die Bohne iſt klein und von vorzüglicher Güte. Ein Almuda, deren zehn auf eine Fanega gehen, koſtet in San Fernando 6 Realen, etwa 4 Franken, an den Küſten206 wenigſtens 20 bis 25 Franken; aber die ganze Miſſion erzeugt kaum 80 Fanegas im Jahre, und da, nach einem alten Miß - brauche, die Miſſionäre am Orinoko und Rio Negro allein mit Kakao Handel treiben, ſo wird der Indianer nicht auf - gemuntert, einen Kulturzweig zu erweitern, von dem er ſo gut wie keinen Nutzen hat. Es gibt bei San Fernando ein paar Savannen und gute Weiden; man ſieht aber kaum ſieben oder acht Kühe darauf, Ueberbleibſel der anſehnlichen Herde, welche die Grenzexpedition ins Land gebracht. Die Indianer ſind etwas civiliſierter als in den anderen Miſſionen. Zu unſerer Ueberraſchung trafen wir einen Schmied von der ein - geborenen Raſſe.

Was uns in der Miſſion San Fernando am meiſten auffiel und was der Landſchaft einen eigentümlichen Charakter gibt, das iſt die Pihiguao - oder Pirijao-Palme. Der mit Stacheln bewehrte Stamm iſt über 20 m hoch; die Blätter ſind gefiedert, ſehr ſchmal, wellenförmig und an den Spitzen gekräuſelt. Höchſt merkwürdig ſind die Früchte des Baumes; jede Traube trägt 50 bis 80; ſie ſind gelb wie Apfel, werden beim Reifen rot, ſind 5 bis 8 cm dick und der Fruchtkern kommt meiſt nicht zur Entwickelung. Unter den 80 bis 90 Palmenarten, die ausſchließlich der Neuen Welt angehören und die ich in den Nova genera plantarum aequinoctialium aufgezählt, iſt bei keiner das Fruchtfleiſch ſo außerordentlich ſtark entwickelt. Die Frucht des Pirijao enthält einen meh - ligen, eigelben, nicht ſtark ſüßen, ſehr nahrhaften Stoff. Man ißt ſie wie die Banane und die Kartoffel, geſotten oder in der Aſche gebraten; es iſt ein ebenſo geſundes als angenehmes Nahrungsmittel. Indianer und Miſſionäre erſchöpfen ſich im Lobe dieſer herrlichen Palme, die man die Pfirſichpalme nennen könnte und die in San Fernando, San Baltaſar, Santa Barbara, überall, wohin wir nach Süd und Oſt am Atabapo und oberen Orinoko kamen, in Menge angebaut fanden. In dieſen Landſtrichen erinnert man ſich unwillkürlich der Behauptung Linnés, die Palmenregion ſei die urſprüng - liche Heimat unſeres Geſchlechtes, der Menſch ſei eigentlich ein Palmfruchteſſer. 1Homo habitat inter tropicos, vescitur Palmis, Loto - phagus; hospitatur extra tropicos sub novercante Cerere, carnivorus. Muſtert man die Vorräte in den Hütten der Indianer, ſo ſieht man, daß mehrere Monate im207 Jahre die mehlige Frucht des Pirijao für ſie ſo gut ein Hauptnahrungsmittel iſt als der Maniok und die Banane. Der Baum trägt nur einmal im Jahre, aber oft drei Trauben, alſo 150 bis 200 Früchte.

San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Fran - cisco Solano ſind die bedeutendſten Miſſionen am oberen Orinoko. In San Fernando wie in den benachbarten Dörfern San Baltaſar und Javita fanden wir hübſche Pfarrhäuſer, mit Schlingpflanzen bewachſen und mit Gärten umgeben. Die ſchlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unſeren Augen die Hauptzierde dieſer Pflanzungen. Auf unſeren Spazier - gängen erzählte uns der Pater Präſident ſehr lebhaft von ſeinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er ſprach davon, wie ſehr ſich die Indianer auf Züge zur Eroberung von Seelen freuen; jedermann, ſelbſt Weiber und Greiſe, wollen daran teilnehmen. Unter dem nichtigen Vorwande, man ver - folge Neubekehrte, die aus dem Dorfe entlaufen, ſchleppt man dabei acht - bis zehnjährige Kinder fort und verteilt ſie an die Indianer in den Miſſionen als Leibeigene oder Poitos. Die Reiſetagebücher, die Pater Bartolomeo Mancilla uns ge - fällig mitteilte, enthalten ſehr wichtiges geographiſches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüſſen des Orinoko die Rede ſein wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Ueberſicht dieſer Entdeckungen. Hier nur ſo viel, daß es, nach meinen aſtronomiſchen Beobachtungen am Atabapo und auf dem weſtlichen Abhange der Kordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fer - nando bis zu den erſten Dörfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 480 km iſt. Auch verſicherten mich Indianer, die früher weſtlich von der Inſel Amanaveni, jenſeits des Einfluſſes des Rio Supavi, gelebt, ſie haben auf einer Luſtfahrt im Kanoe (was die Wilden ſo heißen) auf dem Guaviare bis über die Angoſtura (den Engpaß) und den Hauptwaſſerfall hinauf, in drei Tagereiſen Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkröte ſuchten. Darüber waren die Indianer ſo erſchrocken, daß ſie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrſcheinlich kamen dieſe weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und San Martin, da ſich die zwei Flüſſe Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es iſt nicht zu verwundern, daß die Miſſionäre am Orinoko und Atabapo faſt keine Ahnung208 davon haben, wie nahe ſie bei den Miſſionären von Mocoa, am Rio Fragua und Caguan leben. In dieſen öden Land - ſtrichen kann man nur durch Längenbeobachtungen die wahren Entfernungen kennen lernen, und nur nach aſtronomiſchen Er - mittelungen und den Erkundigungen, die ich in den Klöſtern zu Popayan und Paſto weſtwärts von den Kordilleren der Anden eingezogen, erhielt ich einen richtigen Begriff von der gegenſeitigen Lage der chriſtlichen Niederlaſſungen am Atabapo, Guayavero und Caqueta.

Sobald man das Bett des Atabapo betritt, iſt alles anders, die Beſchaffenheit der Luft, die Farbe des Waſſers, die Geſtalt der Bäume am Ufer. Bei Tage hat man von den Moskiten nicht mehr zu leiden; die Schnaken mit langen Füßen (Zancudos) werden bei Nacht ſehr ſelten, ja oberhalb der Miſſion San Fernando verſchwinden dieſe Nachtinſekten ganz. Das Waſſer des Orinoko iſt trübe, voll erdiger Stoffe, und in den Buchten hat es wegen der vielen toten Krokodile und anderer faulender Körper einen biſamartigen, ſüßlichen Geruch. Um dieſes Waſſer trinken zu können, mußten wir es nicht ſelten durch ein Tuch ſeihen. Das Waſſer des Ata - bapo dagegen iſt rein, von angenehmem Geſchmack, ohne eine Spur von Geruch, bei reflektiertem Lichte bräunlich, bei durch - gehendem gelblich. Das Volk nennt dasſelbe leicht , im Gegenſatze zum trüben, ſchweren Orinokowaſſer. Es iſt meiſt um , der Einmündung des Rio Temi zu um kühler als der obere Orinoko. Wenn man ein ganzes Jahr lang Waſſer von 27 bis 28° trinken muß, hat man ſchon bei ein paar Graden weniger ein äußerſt angenehmes Gefühl. Dieſe geringere Temperatur rührt wohl daher, daß der Fluß nicht ſo breit iſt, daß er keine ſandigen Ufer hat, die ſich am Orinoko bei Tag auf 50° erhitzen, und daß der Atabapo, Temi, Tuamini und der Rio Negro von dichten Wäldern beſchattet ſind.

Daß die ſchwarzen Waſſer ungemein rein ſein müſſen, das zeigt ihre Klarheit und Durchſichtigkeit und die Deutlich - keit, mit der ſich die umgebenden Gegenſtände nach Umriß und Färbung darin ſpiegeln. Auf 7 bis 10 m tief ſieht man die kleinſten Fiſche darin und meiſt blickt man bis auf den Grund des Fluſſes hinunter. Und dieſer iſt nicht etwa Schlamm von der Farbe des Fluſſes, gelblich oder bräunlich, ſondern blendend weißer Quarz - und Granitſand. Nichts geht über die Schönheit der Ufer des Atabapo; ihr üppiger Pflanzen -209 wuchs, über den Palmen mit Federbuſchlaub hoch in die Luft ſteigend, ſpiegelt ſich im Fluß. Das Grün am re - flektierten Bilde iſt ganz ſo ſatt als am direkt geſehenen Gegenſtand, ſo glatt und eben iſt die Waſſerfläche, ſo frei von ſuspendiertem Sand und organiſchen Trümmern, die auf der Oberfläche minder heller Flüſſe Streifen und Un - ebenheiten bilden.

Wo man vom Orinoko abfährt, kommt man, aber ohne alle Gefahr, über mehrere kleine Stromſchnellen. Mitten in dieſen Raudialitos ergießt ſich, wie die Miſſionäre an - nehmen, der Atabapo in den Orinoko. Nach meiner Anſicht ergießt ſich aber der Atabapo vielmehr in den Guaviare, und dieſen Namen ſollte man der Flußſtrecke vom Orinoko bis zur Miſſion San Fernando geben. Der Rio Guaviare iſt weit breiter als der Atabapo, hat weißes Waſſer, und der ganze Anblick ſeiner Ufer, ſeine gefiederten Fiſchfänger, ſeine Fiſche, die großen Krokodile, die darin hauſen, machen, daß er dem Orinoko weit mehr gleicht als der Teil dieſes Fluſſes, der von Esmeralda herkommt. Wenn ſich ein Strom durch die Vereinigung zweier faſt gleich breiten Flüſſe bildet, ſo iſt ſchwer zu ſagen, welchen derſelben man als die Quelle zu betrachten hat. Die Indianer in San Fernando haben noch heute eine Anſchauung, die der der Geographen gerade zu - widerläuft. Sie behaupten, der Orinoko entſpringe aus zwei Flüſſen, aus dem Guaviare und dem Rio Paragua. Unter letzterem Namen verſtehen ſie den oberen Orinoko von San Fernando und Santa Barbara bis über Esmeralda hinauf. Dieſer Annahme zufolge iſt ihnen der Caſſiquiare kein Arm des Orinoko, ſondern des Rio Paragua. Ein Blick auf die von mir entworfene Karte zeigt, daß dieſe Benennungen völlig willkürlich ſind. Ob man dem Rio Paragua den Namen Orinoko abſtreitet, daran iſt wenig gelegen, wenn man nur den Lauf der Flüſſe naturgetreu zeichnet, und nicht, wie man vor meiner Reiſe gethan, Flüſſe, die untereinander zuſammen - hängen und ein Syſtem bilden, durch eine Gebirgskette ge - trennt ſein läßt. Will man einen der beiden Zweige, die einen großen Fluß bilden, nach dem letzteren benennen, ſo muß man den Namen dem waſſerreichſten derſelben beilegen. In den beiden Jahreszeiten, wo ich den Guaviare und den oberen Orinoko oder Rio Paragua (zwiſchen Esmeralda und San Fernando) geſehen, kam es mir nun aber vor, als wäre letzterer nicht ſo breit als der Guaviare. Die VereinigungA. v. Humboldt, Reiſe. III. 14210des oberen Miſſiſſippi mit dem Miſſouri und Ohio, die des Marañon mit dem Huallaga und Ucayale, die des Indus mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den reiſenden Geographen ganz dieſelben Bedenken erregt. Um die rein willkürlich angenommene Flußnomenklatur nicht noch mehr zu verwirren, ſchlage ich keine neuen Benennungen vor. Ich nenne mit Pater Caulin und den ſpaniſchen Geographen den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoko oder oberen Orinoko, bemerke aber, daß wenn man den Orinoko von San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Inſel Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortſetzung des Rio Gua - viare und das Stück des oberen Orinoko zwiſchen Esmeralda und der Miſſion San Fernando als einen Nebenfluß betrach - tete, der Orinoko von den Savannen von San Juan de los Llanos und dem Oſtabhang der Anden bis zu ſeiner Mün - dung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Süd - weſt nach Nordoſt hätte.

Der Rio Paragua oder das Stück des Orinoko, auf dem man oſtwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt, hat klareres, durchſichtigeres und reineres Waſſer als das Stück unterhalb San Fernando. Das Waſſer des Guaviare dagegen iſt weiß und trüb; es hat, nach dem Ausſpruch der Indianer, deren Sinne ſehr ſcharf und ſehr geübt ſind, den - ſelben Geſchmack wie das Waſſer des Orinoko in den großen Katarakten. Gebt mir, ſagte ein alter Indianer aus der Miſſion Javita zu uns, Waſſer aus drei, vier großen Flüſſen des Landes, ſo ſage ich euch nach dem Geſchmack zuverläſſig, wo das Waſſer geſchöpft worden, ob aus einem weißen oder ſchwarzen Fluß, ob aus dem Orinoko oder dem Atabapo, dem Paragua oder Guaviare. Auch die großen Krokodile und die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere Orinoko miteinander gemein; dieſe Tiere kommen, wie man uns ſagte, im Rio Paragua (oder oberen Orinoko zwiſchen San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dies ſind doch ſehr auffallende Verſchiedenheiten hinſichtlich der Beſchaffen - heit der Gewäſſer und der Verteilung der Tiere. Die In - dianer verfehlen nicht, ſie aufzuzählen, wenn ſie den Reiſen - den beweiſen wollen, daß der obere Orinoko öſtlich von San Fernando ein eigener, ſich in den Orinoko ergießender Fluß, und der wahre Urſprung des letzteren in den Quellen des Guaviare zu ſuchen ſei. Die europäiſchen Geographen haben ſicher unrecht, daß ſie die Anſchauung der Indianer nicht211 teilen, welche die natürlichen Geographen ihres Landes ſind; aber bei Nomenklatur und Orthographie thut man nicht ſelten gut, eine Unrichtigkeit, auf die man aufmerkſam gemacht, dennoch ſelbſt beizubehalten.

Meine aſtronomiſchen Beobachtungen in der Nacht des 25. April gaben mir die Breite nicht ſo beſtimmt, als zu wünſchen war. Der Himmel war bewölkt und ich konnte nur ein paar Höhen von α im Centaur und dem ſchönen Sterne am Fuße des ſüdlichen Kreuzes nehmen. Nach dieſen Höhen ſchien mir die Breite der Miſſion San Fernando gleich 2′ 48″; Pater Caulin gibt auf der Karte, die Solanos Beob - achtungen im Jahre 1756 zu Grunde legt, 4′ an. Dieſe Uebereinſtimmung ſpricht für die Richtigkeit meiner Beob - achtung, obgleich ſich dieſelbe nur auf Höhen ziemlich weit vom Meridian gründet. Eine gute Sternbeobachtung in Gua - paſoſo ergibt mir für San Fernando 2′. (Gumilla ſetzte den Zuſammenfluß des Atabapo und Guaviare unter 30′, d’Auville unter 51′.) Die Länge konnte ich auf der Fahrt zum Rio Negro und auf dem Rückweg von dieſem Fluß ſehr genau beſtimmen: ſie iſt 70° 30′ 46″ (oder 0′ weſtlich vom Meridian von Cumana). Der Gang des Chronometers war während der Fahrt im Kanoe ſo regelmäßig, daß er vom 16. April bis 9. Juli nur um 27,9 bis 28,5 Sekunden ab - wich. In San Fernando fand ich die ſehr ſorgfältig rekti - fizierte Inklination der Magnetnadel gleich 29° 70, die In - tenſität der Kraft 219. Der Winkel und die Schwingungen waren alſo ſeit Maypures bei einem Breitenunterſchied von 11′ beträchtlich kleiner und weniger geworden. Das an - ſtehende Geſtein war nicht mehr eiſenſchüſſiger Sandſtein, ſondern Granit in Gneis übergehend.

Am 26. April. Wir legten nur 9 bis 13 km zurück und lagerten zur Nacht auf einem Felſen in der Nähe der indianiſchen Pflanzungen oder Conucos von Guapaſoſo. Da man das eigentliche Ufer nicht ſieht, und der Fluß, wenn er anſchwillt, ſich in die Wälder verläuft, kann man nur da landen, wo ein Fels oder ein kleines Plateau ſich über das Waſſer erhebt. Der Atabapo hat überall ein eigentümliches An - ſehen; das eigentliche Ufer, das aus einer 2,6 bis 3,2 m hohen Bank beſteht, ſieht man nirgends; es verſteckt ſich hinter einer Reihe von Palmen und kleinen Bäumen mit ſehr dünnen Stämmen, deren Wurzeln vom Waſſer beſpült werden. Vom Punkt, wo man vom Orinoko abgeht, bis zur Miſſion San212 Fernando gibt es viele Krokodile, und dieſer Umſtand beweiſt, wie oben bemerkt, daß dieſes Flußſtück zum Guaviare, nicht zum Atabapo gehört. Im eigentlichen Bett des letzteren ober - halb San Fernando gibt es keine Krokodile mehr; man trifft hie und da einen Bava an und viele Süßwaſſerdelphine, aber keine Seekühe. Man ſucht hier auch vergeblich den Chiguire, die Araguaten oder großen Brüllaffen, den Zamuro oder Vultur aura und den Faſanen mit der Haube, den ſo - genannten Guacharaca. Ungeheure Waſſernattern, im Habitus der Boa gleich, ſind leider ſehr häufig und werden den Indianern beim Baden gefährlich. Gleich in den erſten Tagen ſahen wir welche neben unſerer Piroge herſchwimmen, die 4 bis 5 m lang waren. Die Jaguare am Atabapo und Temi ſind groß und gut genährt, ſie ſollen aber lange nicht ſo keck ſein als die am Orinoko.

Am 27. April. Die Nacht war ſchön, ſchwärzliche Wolken liefen von Zeit zu Zeit ungemein raſch durch den Zenith. In den unteren Schichten der Atmoſphäre regte ſich kein Lüftchen, der allgemeine Oſtwind wehte erſt in 1950 m Höhe. Ich betone dieſen Umſtand: die Bewegung, die wir bemerkten, war keine Folge von Gegenſtrömungen (von Weſt nach Oſt), wie man ſie zuweilen in der heißen Zone auf den höchſten Gebirgen der Kordilleren wahrzunehmen glaubt, ſie rührte vielmehr von einer eigentlichen Briſe, vom Oſtwind her. Ich konnte die Meridianhöhe von α im ſüdlichen Kreuz gut beobachten; die einzelnen Reſultate ſchwankten nur um 8 bis 10 Sekunden um das Mittel. Die Breite von Gua - paſoſo iſt 53′ 55″. Das ſchwarze Waſſer des Fluſſes diente mir als Horizont, und dieſe Beobachtungen machten mir um ſo mehr Vergnügen, als wir auf den Flüſſen mit weißem Waſſer, auf dem Apure und Orinoko, von den In - ſekten furchtbar zerſtochen worden waren, während Bonpland die Zeit am Chronometer beobachtete und ich den Horizont richtete. Wir brachen um 2 Uhr von den Conucos von Gua - paſoſo auf. Wir fuhren immer nach Süden hinauf und ſahen den Fluß oder vielmehr den von Bäumen freien Teil ſeines Bettes immer ſchmaler werden. Gegen Sonnenaufgang fing es an zu regnen. Wir waren an dieſe Wälder, in denen es weniger Tiere gibt als am Orinoko, noch nicht gewöhnt, und ſo wunderten wir uns beinahe, daß wir die Araguaten nicht mehr brüllen hörten. Die Delphine oder Toninas ſpielten um unſer Kanoe. Nach Colebrooke begleitet der Delphinus213 gangeticus, der Süßwaſſerdelphin der Alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Be - nares bis zum Punkt, wo Salzwaſſer in den Ganges kommt, ſind es nur 900 km, von Atabapo aber an die Mündung des Orinoko über 1440 km.

Gegen Mittag lag gegen Oſt die Mündung des kleinen Fluſſes Ipurichapano, und ſpäter kamen wir am Granithügel vorbei, der unter dem Namen Piedra del Tigre bekannt iſt. Dieſer einzeln ſtehende Fels iſt nur 20 m hoch und doch im Lande weit berufen. Zwiſchen dem 4. und 5. Grad der Breite, etwas ſüdlich von Bergen von Sipapo, erreicht man das ſüdliche Ende der Kette der Katarakte, für die ich in einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen Kette der Parime in Vorſchlag gebracht habe. Unter 20′ ſtreicht ſie vom rechten Orinokoufer gegen Oſt und Oſt - Süd-Oſt. Der ganze Landſtrich zwiſchen den Bergen der Parime und dem Amazonenſtrom, über den der Atabapo, Caſſiquiare und Rio Negro ziehen, iſt eine ungeheure, zum Teil mit Wald, zum Teil mit Gras bewachſene Ebene. Kleine Felſen erheben ſich da und dort, wie feſte Schlöſſer. Wir bereuten es, unſer Nachtlager nicht beim Tigerfelſen aufge - ſchlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur ſehr ſchwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um unſer Feuer anzuzünden und unſere Inſtrumente und Hänge - matten unterbringen zu können.

Am 28. April. Der Regen goß ſeit Sonnenuntergang in Strömen; wir fürchteten, unſere Sammlungen möchten be - ſchädigt werden. Der arme Miſſionär bekam ſeinen Anfall von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem öſtlichen Ufer, iſt eine kahle, mit Psora Cladonia und anderen Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das nördliche Europa verſetzt, auf den Kamm der Gneis - und Granitberge zwiſchen Freiberg und Marienberg in Sachſen. Die Cladonien ſchienen mir identiſch mit dem Lichen rangi - ferinus, dem L. pyxidatus und L. polymorphus Linnés. Als wir die Stromſchnellen von Guarinuma hinter uns hatten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unſerer Rechten die Trümmer der ſeit lange verlaſſenen Miſſion Mendaxari. Auf dem anderen, öſtlichen Ufer, beim kleinen Felſen Kema - rumo, wurden wir auf einen rieſenhaften Käſebaum (Bombax214 Ceiba) aufmerkſam, der mitten in den Pflanzungen der In - dianer ſtand. Wir ſtiegen aus, um ihn zu meſſen: er war gegen 40 m hoch und hatte 4,5 bis 5 m Durchmeſſer. Ein ſo außerordentliches Wachstum fiel uns um ſo mehr auf, da wir bisher am Atabapo nur kleine Bäume mit dünnem Stamm, von weitem jungen Kirſchbäumen ähnlich, geſehen hatten. Nach den Ausſagen der Indianer bilden dieſe kleinen Bäume eine nur wenig verbreitete Gewächsgruppe. Sie werden durch das Austreten des Fluſſes im Wachstum gehemmt; auf den trockenen Strichen am Atabapo, Temi und Tuamini wächſt dagegen vortreffliches Bauholz. Dieſe Wälder (und dieſer Umſtand iſt wichtig, wenn man ſich von den Ebenen unter dem Aequator am Rio Negro und Amazonenſtrom eine richtige Vorſtellung machen will), dieſe Wälder erſtrecken ſich nicht ohne Unterbrechung oſtwärts und weſtwärts bis zum Caſſiquiare und Guaviare; es liegen vielmehr die kahlen Sa - vannen von Manuteſo und am Rio Inirida dazwiſchen. Am Abend kamen wir nur mit Mühe gegen die Strömung vor - wärts, und wir übernachteten in einem Gehölz etwas ober - halb Mendaxari. Hier iſt wieder ein Granitfels, durch den eine Quarzſchicht läuft; wir fanden eine Gruppe ſchöner, ſchwarzer Schörlkriſtalle darin.

Am 29. April. Die Luft war kühler; keine Zancudos, aber der Himmel fortwährend bedeckt und ſternlos. Ich fing an mich wieder auf den unteren Orinoko zu wünſchen. Bei der ſtarken Strömung kamen wir wieder nur langſam vorwärts. Einen großen Teil des Tages hielten wir an, um Pflanzen zu ſuchen, und es war Nacht, als wir in der Miſſion San Baltaſar ankamen, oder, wie die Mönche ſagen (da Baltaſar nur der Name eines indianiſchen Häuptlings iſt), in der Miſſion La divina Paſtora de Baltaſar de Atabapo. Wir wohnten bei einem kataloniſchen Miſſionär, einem munteren, liebens - würdigen Mann, der hier in der Wildnis ganz die ſeinem Volksſtamm eigentümliche Thätigkeit entwickelte. Er hatte einen ſchönen Garten angelegt, wo der europäiſche Feigen - baum der Perſea, der Zitronenbaum dem Mamei zur Seite ſtand. Das Dorf war nach einem regelmäßigen Plan gebaut, wie man es in Norddeutſchland und im proteſtantiſchen Amerika bei den Gemeinden der Mähriſchen Brüder ſieht. Die Pflan - zungen der Indianer ſchienen beſſer gehalten als anderswo. Hier ſahen wir zum erſtenmal den weißen, ſchwammigen Stoff, den ich unter dem Namen Dapicho und Zapis bekannt215 gemacht habe. Wir ſahen gleich, daß derſelbe mit dem elaſti - ſchen Harz Aehnlichkeit hat; da uns aber die Indianer durch Zeichen bedeuteten, man finde denſelben in der Erde, ſo ver - muteten wir, bis wir in die Miſſion Javita kamen, das Da - picho möchte ein foſſiler Kautſchuk ſein, wenn auch ab - weichend vom elaſtiſchen Bitumen in Derbyſhire. In der Hütte des Miſſionärs ſaß ein Poimiſano-Indianer an einem Feuer und verwandelte das Dapicho in ſchwarzen Kautſchuk. Er hatte mehrere Stücke auf ein dünnes Holz geſpießt und briet dieſelben wie Fleiſch. Je weicher und elaſtiſcher das Dapicho wird, deſto mehr ſchwärzt es ſich. Nach dem harzi - gen, aromatiſchen Geruch, der die Hütte erfüllte, rührt dieſes Schwarzwerden wahrſcheinlich davon her, daß eine Verbindung von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff zerſetzt und der Kohlenſtoff frei wird, während der Waſſerſtoff bei gelinder Hitze ver - brennt. Der Indianer klopfte die erweichte ſchwarze Maſſe mit einem vorne keulenförmigen Stück Braſilholz, knetete dann den Dapicho zu Kugeln von 8 bis 10 cm Durchmeſſer und ließ ihn erkalten. Dieſe Kugeln gleichen vollkommen dem Kautſchuk, wie es in den Handel kommt, ſie bleiben jedoch außen meiſt etwas klebrig. Man braucht ſie in San Bal - taſar nicht zum indianiſchen Ballſpiel, das bei den Einwoh - nern von Uruana und Encaramada in ſo hohem Anſehen ſteht; man ſchneidet ſie cylindriſch zu, um ſie als Stöpſel zu gebrauchen, die noch weit beſſer ſind als Korkſtöpſel. Dieſe Anwendung des Kautſchuk war uns deſto intereſſanter, da uns der Mangel europäiſcher Stöpſel oft in große Verlegen - heit geſetzt hatte. Wie ungemein nützlich der Kork iſt, fühlt man erſt in Ländern, wohin er durch den Handel nicht kommt. In Südamerika kommt nirgends, ſelbſt nicht auf dem Rücken der Anden, eine Eichenart vor, die dem Quercus suber nahe ſtünde, und weder das leichte Holz der Bombax - und Ochroma - Arten und anderer Malvaceen, noch die Maisſpindeln, deren ſich die Indianer bedienen, erſetzen unſere Stöpſel vollkommen. Der Miſſionär zeigte uns vor der Caſa de los Solteros (Haus, wo ſich die jungen, nicht verheirateten Leute verſammeln) eine Trommel, die aus einem 60 cm langen und 48 cm dicken hohlen Cylinder beſtand. Man ſchlug dieſelbe mit großen Stücken Dapicho wie mit Trommelſchlägeln; ſie hatte Löcher, die man mit der Hand ſchließen konnte, um höhere oder tiefere Töne hervorzubringen, und hing an zwei leichten Stützen. Wilde Völker lieben rauſchende Muſik. Die Trommel und216 die Botutos oder Trompeten aus gebrannter Erde, 1 bis 1,3 m lange Röhren, die ſich an mehreren Stellen zu Hohl - kugeln erweitern, ſind bei den Indianern unentbehrliche In - ſtrumente, wenn es ſich davon handelt, mit Muſik Effekt zu machen.

Am 30. April. Die Nacht war ziemlich ſchön, ſo daß ich die Meridianhöhen des α im ſüdlichen Kreuz und der zwei großen Sterne in den Füßen des Centauren beobachten konnte. Ich fand für San Baltaſar eine Breite von 14′ 23″. Als Länge ergab ſich aus Stundenwinkeln der Sonne nach dem Chronometer 70° 14′ 21″. Die Inklination der Magnet - nadel war 27′ 80. Wir verließen die Miſſion morgens ziem - lich ſpät und fuhren den Atabapo noch 22,5 km hinauf; ſtatt ihm aber weiter ſeiner Quelle zu gegen Oſten, wo er Atacavi heißt, zu folgen, liefen wir jetzt in den Rio Temi ein. Ehe wir an die Mündung desſelben kamen, beim Einfluß des Guaſacavi, wurden wir auf eine Granitkuppe am weſtlichen Ufer aufmerkſam. Dieſelbe heißt der Fels der Guahiba - Indianerin, oder der Fels der Mutter, Piedra de la madre. Wir fragten nach dem Grund einer ſo ſonderbaren Benennung. Pater Zea konnte unſere Neugier nicht befriedigen, aber einige Wochen ſpäter erzählte uns ein anderer Miſſionär einen Vor - fall, den ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet und der den ſchmerzlichſten Eindruck auf uns machte. Wenn der Menſch in dieſen Einöden kaum eine Spur ſeines Daſeins hinter ſich läßt, ſo iſt es für den Europäer doppelt demütigend, daß durch den Namen eines Felſens, durch eines der unvergänglichen Denkmale der Natur, das Andenken an die ſittliche Ver - worfenheit unſeres Geſchlechtes, an den Gegenſatz zwiſchen der Tugend des Wilden und der Barbarei des civiliſierten Menſchen verewigt wird.

Der Miſſionär von San Fernando1Einer der Vorgänger des Geiſtlichen, den wir in San Fer - nando als Präſidenten der Miſſionen fanden. war mit ſeinen In - dianern an den Guaviare gezogen, um einen jener feindlichen Einfälle zu machen, welche ſowohl die Religion als die ſpa - niſchen Geſetze verbieten. Man fand in einer Hütte eine Mutter vom Stamme der Guahibos mit drei Kindern, von denen zwei noch nicht erwachſen waren. Sie bereiteten Ma - niokmehl. An Widerſtand war nicht zu denken; der Vater war auf dem Fiſchfang, und ſo ſuchte die Mutter mit ihren217 Kindern ſich durch die Flucht zu retten. Kaum hatte ſie die Savanne erreicht, ſo wurde ſie von den Indianern aus der Miſſion eingeholt, die auf die Menſchenjagd gehen, wie die Weißen und die Neger in Afrika. Mutter und Kinder wurden gebunden und an den Fluß geſchleppt. Der Ordens - mann ſaß in ſeinem Boot, des Ausgangs der Expedition harrend, die für ihn ſehr gefahrlos war. Hätte ſich die Mutter zu ſtark gewehrt, ſo wäre ſie von den Indianern umgebracht worden; alles iſt erlaubt, wenn man auf die Conquista espiritual auszieht, und man will beſonders der Kinder hab - haft werden, die man dann in der Miſſion als Poitos oder Sklaven der Chriſten behandelt. Man brachte die Gefangenen nach San Fernando und meinte, die Mutter könne zu Land ſich nicht wieder in ihre Heimat zurückfinden. Durch die Trennung von den Kindern, die am Tage ihrer Entführung den Vater begleitet hatten, geriet das Weib in die höchſte Verzweiflung. Sie beſchloß, die Kinder, die in der Gewalt des Miſſionärs waren, zur Familie zurückzubringen; ſie lief mit ihnen mehrere Male von San Fernando fort, wurde aber immer wieder von den Indianern gepackt, und nachdem der Miſſionär ſie unbarmherzig hatte peitſchen laſſen, faßte er den grauſamen Entſchluß, die Mutter von den beiden Kindern, die mit ihr gefangen worden, zu trennen. Man führte ſie allein den Atabapo hinauf, den Miſſionen am Rio Negro zu. Leicht gebunden ſaß ſie auf dem Vorderteil des Fahrzeuges. Man hatte ihr nicht geſagt, welches Los ihrer wartete, aber nach der Richtung der Sonne ſah ſie wohl, daß ſie immer weiter von ihrer Hütte und ihrer Heimat wegkam. Es gelang ihr, ſich ihrer Bande zu entledigen, ſie ſprang in den Fluß und ſchwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Strömung trug ſie an eine Felsbank, die noch heute ihren Namen trägt. Sie ging hier ans Land und lief ins Holz; aber der Präſi - dent der Miſſionen befahl den Indianern, ans Ufer zu fahren und den Spuren der Guahiba zu folgen. Am Abend wurde ſie zurückgebracht, auf den Fels (piedra de la madre) gelegt und mit einem Seekuhriemen, die hierzulande als Peitſchen dienen und mit denen die Alkaden immer verſehen ſind, un - barmherzig gepeitſcht. Man band dem unglücklichen Weibe mit ſtarken Mavacureranken die Hände auf den Rücken und brachte ſie in die Miſſion Javita.

Man ſperrte ſie hier in eine der Karawanſeraien, die man hier Caſas del Rey nennt. Es war in der Regenzeit218 und die Nacht ganz finſter. Wälder, die man bis da für undurchdringlich gehalten, liegen 112 km in gerader Linie breit, zwiſchen Javita und San Fernando. Man kennt keinen anderen Weg als die Flüſſe. Niemals hat ein Menſch ver - ſucht zu Lande von einem Dorfe zum anderen zu gehen, und lägen ſie auch nur ein paar Meilen auseinander. Aber ſolche Schwierigkeiten halten eine Mutter, die man von ihren Kindern getrennt, nicht auf. Ihre Kinder ſind in San Fer - nando am Atabapo; ſie muß zu ihnen, ſie muß ſie aus den Händen der Chriſten befreien, ſie muß ſie dem Vater am Guaviare wiederbringen. Die Guahiba iſt im Karawanſerai nachläſſig bewacht, und da ihre Arme ganz blutig waren, hatten ihr die Indianer von Javita ohne Vorwiſſen des Miſ - ſionärs und des Alkaden die Bande gelockert. Es gelingt ihr, ſie mit den Zähnen vollends loszumachen, und ſie ver - ſchwindet in der Nacht. Und als die Sonne zum viertenmal aufgeht, ſieht man ſie in der Miſſion San Fernando um die Hütte ſchleichen, wo ihre Kinder eingeſperrt ſind. Was dieſes Weib ausgeführt, ſagte der Miſſionär, der uns dieſe traurige Geſchichte erzählte, der kräftigſte Indianer hätte es ſich nicht getraut, es zu unternehmen. Sie ging durch die Wälder in einer Jahreszeit, wo der Himmel immer mit Wolken bedeckt iſt und die Sonne tagelang nur auf wenige Minuten zum Vorſchein kommt. Hatte ſie ſich nach dem Laufe der Waſſer gerichtet? Aber da alles überſchwemmt war, mußte ſie ſich weit von den Flußufern, mitten in den Wäldern halten, wo man das Waſſer faſt gar nicht laufen ſieht. Wie oft mochte ſie von den ſtachligen Lianen aufgehalten worden ſein, welche um die von ihnen umſchlungenen Stämme ein Gitterwerk bilden! Wie oft mußte ſie über die Bäche ſchwimmen, die ſich in den Atabapo ergießen! Man fragte das unglückliche Weib, von was ſie ſich vier Tage lang genährt; ſie ſagte, völlig erſchöpft habe ſie ſich keine andere Nahrung verſchaffen können als die großen ſchwarzen Ameiſen, Vachacos genannt, die in langen Zügen an den Bäumen hinaufkriechen, um ihre harzigen Neſter daran zu hängen. Wir wollten durchaus vom Miſ - ſionär wiſſen, ob jetzt die Guahiba in Ruhe des Glückes habe genießen können, um ihre Kinder zu ſein, ob man doch end - lich bereut habe, daß man ſich ſo maßlos vergangen? Er fand nicht für gut, unſere Neugierde zu befriedigen; aber auf der Rückreiſe vom Rio Negro hörten wir, man habe der India - nerin nicht Zeit gelaſſen, von ihren Wunden zu geneſen, ſondern219 ſie wieder von ihren Kindern getrennt und in eine Miſ - ſion am oberen Orinoko gebracht. Dort wies ſie alle Nah - rung von ſich und ſtarb, wie die Indianer in großem Jam - mer thun.

Dies iſt die Geſchichte, deren Andenken an dieſem un - ſeligen Geſtein, an der Piedra de la madre, haftet. Es iſt mir in dieſer meiner Reiſebeſchreibung nicht darum zu thun, bei der Schilderung einzelner Unglücksſzenen zu verweilen. Dergleichen Jammer kommt überall vor, wo es Herren und Sklaven gibt, wo civiliſierte Europäer unter verſunkenen Völkern leben, wo Prieſter mit unumſchränkter Gewalt über unwiſſende, wehrloſe Menſchen herrſchen. Als Geſchichtſchreiber der Länder, die ich bereiſt, beſchränke ich mich meiſt darauf, anzudeuten, was in den bürgerlichen und religiöſen Einrich - tungen mangelhaft oder der Menſchheit verderblich erſcheint. Wenn ich beim Fels der Guahiba länger verweilt habe, geſchah es nur, um ein rührendes Beiſpiel von Mutterliebe bei einer Menſchenart beizubringen, die man ſo lange ver - leumdet hat, und weil es mir nicht ohne Nutzen ſchien, einen Vorfall zu veröffentlichen, den ich aus dem Munde von Fran - ziskanern habe, und der beweiſt, wie notwendig es iſt, daß das Auge des Geſetzgebers über dem Regiment der Miſſio - näre wacht.

Oberhalb des Einfluſſes des Guaſacavi liefen wir in den Rio Temi ein, der von Süd nach Nord läuft. Wären wir den Atabapo weiter hinaufgefahren, ſo wären wir gegen Oſt - Süd-Oſt vom Guainia oder Rio Negro abgekommen. Der Temi iſt nur 155 bis 175 m breit, und in jedem anderen Lande als Guyana wäre dies noch immer ein bedeutender Fluß. Das Land iſt äußerſt einförmig, nichts als Wald auf völlig ebenem Boden. Die ſchöne Pirijaopalme mit Früchten wie Pfirſiche, und eine neue Art Bache oder Mauritia mit ſtachligem Stamm ragen hoch über den kleineren Bäumen, deren Wachstum, wie es ſcheint, durch das lange Stehen unter Waſſer niedergehalten wird. Dieſe Mauritia aculeata heißt bei den Indianern Juria oder Cauvaja. Sie hat fächer - förmige, gegen den Boden geſenkte Blätter; auf jedem Blatte ſieht man gegen die Mitte, wahrſcheinlich infolge einer Krank - heit des Parenchyms, konzentriſche, abwechſelnd gelbe und blaue Kreiſe; gegen die Mitte herrſcht das Gelb vor. Dieſe Erſcheinung fiel uns ſehr auf. Dieſe wie ein Pfauenſchweif gefärbten Blätter ſitzen auf kurzen, ſehr dicken Stämmen. 220Die Stacheln ſind nicht lang und dünn, wie beim Corozo und anderen ſtachligen Palmen; ſie ſind im Gegenteil ſtark holzig, kurz, gegen die Baſis breiter, wie die Stacheln der Hura crepitans. An den Ufern des Atabapo und Temi ſteht dieſe Palme in Gruppen von 12 bis 15 Stämmen, die ſich ſo nah aneinander drängen, als kämen ſie aus einer Wurzel. Im Habitus, in der Form und der geringen Zahl der Blätter gleichen dieſe Bäume den Fächerpalmen und Chamärops der Alten Welt. Wir bemerkten, daß einige Juria - ſtämme gar keine Früchte trugen, während andere davon ganz voll hingen; dies ſcheint auf eine Palme mit getrennten Ge - ſchlechtern zu deuten.

Ueberall, wo der Temi Schlingen bildet, ſteht der Wald über 10 qkm weit unter Waſſer. Um die Krümmungen zu vermeiden und ſchneller vorwärts zu kommen, wird die Schiff - fahrt hier ganz ſeltſam betrieben. Die Indianer bogen aus dem Flußbett ab, und wir fuhren ſüdwärts durch den Wald auf ſogenannten Sendas, das heißt 1,3 bis 1,6 m breiten, offenen Kanälen. Das Waſſer iſt ſelten über einen halben Faden tief. Dieſe Sendas bilden ſich im überſchwemmten Wald wie auf trockenem Boden die Fußſteige. Die Indianer ſchlagen von einer Miſſion zur anderen mit ihren Kanoen wo - möglich immer denſelben Weg ein; da aber der Verkehr gering iſt, ſo ſtößt man bei der üppigen Vegetation zuweilen un - erwartet auf Hinderniſſe. Deshalb ſtand ein Indianer mit einem Machete (ein großes Meſſer mit 37 cm langer Klinge) vorne auf unſerem Fahrzeuge und hieb fortwährend die Zweige ab, die ſich auf beiden Seiten des Kanales kreuzten. Im dickſten Walde vernahmen wir mit Ueberraſchung einen ſonder - baren Lärm. Wir ſchlugen an die Büſche, und da kam ein Schwarm 1,3 m langer Toninas (Süßwaſſerdelphine) zum Vorſchein und umgab unſer Fahrzeug. Die Tiere waren unter den Aeſten eines Käſebaumes oder Bombax Ceiba verſteckt geweſen. Sie machten ſich durch den Wald davon und warfen dabei die Strahlen Waſſer und komprimierter Luft, nach denen ſie in allen Sprachen Blaſefiſche oder Spritzfiſche, souff - leurs u. ſ. w. heißen. Ein ſonderbarer Anblick mitten im Lande, 1300 bis 1800 km von den Mündungen des Orinoko und des Amazonenſtroms! Ich weiß wohl, daß Fiſche von der Familie Pleuronectes1Limanda. aus dem Atlantiſchen Meere in der221 Loire bis Orleans heraufgehen; aber ich bin immer noch der Anſicht, daß die Delphine im Temi, wie die im Ganges und wie die Rochen im Orinoko, von den Seerochen und See - delphinen ganz verſchiedene Arten ſind. In den ungeheuren Strömen Südamerikas und in den großen Seen Nordame - rikas ſcheint die Natur mehrere Typen von Seetieren zu wiederholen. Der Nil hat keine Delphine;1Die Delphine, welche in die Nilmündung kommen, fielen indeſſen den Alten ſo auf, daß ſie auf einer Büſte des Flußgottes aus Syenit im Pariſer Muſeum halb verſteckt im wallenden Barte dargeſtellt ſind. ſie gehen aus dem Meere im Delta nicht über Biana und Metonbis, Se - lamun zu, hinauf.

Gegen 5 Uhr abends gingen wir nicht ohne Mühe in das eigentliche Flußbett zurück. Unſere Piroge blieb ein paar Minuten lang zwiſchen zwei Baumſtämmen ſtecken. Kaum war ſie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Waſſerpfade oder kleine Kanäle ſich kreuzten, und der Steuermann wußte nicht gleich, welches der befahrenſte Weg war. Wir haben oben geſehen, daß man in der Provinz Varinas im Kanoe über die offenen Savannen von San Fer - nando am Apure bis an den Arauca fährt; hier fuhren wir durch einen Wald, der ſo dicht iſt, daß man ſich weder nach der Sonne noch nach den Sternen orientieren kann. Heute fiel es uns wieder recht auf, daß es in dieſem Landſtriche keine baumartigen Farne mehr gibt. Sie nehmen vom 6. Grad nördlicher Breite an ſichtbar ab, wogegen die Palmen dem Aequator zu ungeheuer zunehmen. Die eigentliche Heimat der baumartigen Farne iſt ein nicht ſo heißes Klima, ein etwas bergiger Boden, Plateaus von 580 m Höhe. Nur wo Berge ſind, gehen dieſe prachtvollen Gewächſe gegen die Nie - derungen herab; ganz ebenes Land, wie das, über welches der Caſſiquiare, der Temi, der Inirida und der Rio Negro ziehen, ſcheinen ſie zu meiden. Wir übernachteten an einem Felſen, den die Miſſionäre Piedra de Aſtor nennen. Von der Mündung des Guaviare an iſt der geologiſche Charakter des Bodens derſelbe. Es iſt eine weite aus Granit beſtehende Ebene, auf der jede Meile einmal das Geſtein zu Tage kommt und keine Hügel, ſondern kleine ſenkrechte Maſſen bildet, die Pfeilern oder zerfallenen Gebäuden gleichen.

222

Am 1. Mai. Die Indianer wollten lange vor Sonnen - aufgang aufbrechen. Wir waren vor ihnen auf den Beinen, weil ich vergeblich auf einen Stern wartete, der im Begriffe war, durch den Meridian zu gehen. Auf dieſem naſſen, dicht bewaldeten Landſtriche wurden die Nächte immer finſterer, je näher wir dem Rio Negro und dem inneren Braſilien kamen. Wir blieben im Flußbett, bis der Tag anbrach; man hätte beſorgen müſſen, ſich unter den Bäumen zu verirren. Sobald die Sonne aufgegangen war, ging es wieder, um der ſtarken Strömung auszuweichen, durch den überſchwemmten Wald. So kamen wir an den Zuſammenfluß des Temi mit einem anderen kleinen Fluſſe, dem Tuamini, deſſen Waſſer gleichfalls ſchwarz iſt, und gingen den letzteren gegen Südweſt hinauf. Damit kamen wir auf die Miſſion Javita zu, die am Tuamini liegt. In dieſer chriſtlichen Niederlaſſung ſollten wir die er - forderlichen Mittel finden, um unſere Piroge zu Land an den Rio Negro ſchaffen zu laſſen. Wir kamen in San An - tonio de Javita erſt um 11 Uhr vormittags an. Ein an ſich unbedeutender Vorfall, der aber zeigt, wie ungemein furchtſam die kleinen Sagoine ſind, hatte uns an der Mün - dung des Tuamini eine Zeitlang aufgehalten. Der Lärm, den die Spritzfiſche machen, hatte unſere Affen erſchreckt, und einer war ins Waſſer gefallen. Da dieſe Affenart, vielleicht weil ſie ungemein mager iſt, ſehr ſchlecht ſchwimmt, ſo koſtete es Mühe, ihn zu retten.

Zu unſerer Freude trafen wir in Javita einen ſehr geiſtes - lebendigen, vernünftigen und gefälligen Mönch. Wir mußten uns 4 bis 5 Tage in ſeinem Hauſe aufhalten, da ſo lange zum Transport unſeres Fahrzeuges über den Trageplatz am Pimichin erforderlich war; wir benützten dieſe Zeit nicht allein, um uns in der Gegend umzuſehen, ſondern auch, um uns von einem Uebel zu befreien, an dem wir ſeit zwei Tagen litten. Wir hatten ſehr ſtarkes Jucken in den Fingergelenken und auf dem Handrücken. Der Miſſionär ſagte uns, das ſeien Aradores (Ackerer), die ſich in die Haut gegraben. Mit der Lupe ſahen wir nur Streifen, parallele weißliche Furchen. Wegen der Form dieſer Furchen heißt das Inſekt der Ackerer. Man ließ eine Mulattin kommen, die ſich rühmte, all die kleinen Tiere, welche ſich in die Haut des Menſchen graben, die Nigua, den Nuche, die Coya und den Ackerer, aus dem Fundament zu kennen; es war die Curandera, der Dorfarzt. Sie verſprach uns, die Inſekten, die uns ſo ſchreck -223 liches Jucken verurſachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters ſehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der Haut ſichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete ſie mit dem pedantiſchen Ernſte, der den Farbigen eigen iſt, da ſei bereits ein Arador. Ich ſah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe ſchien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier ſolche Aradores heraus hätte, ſollte ich mich erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tage heilte uns ein Indianer aus Javita radikal und über - raſchend ſchnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt Uzao, mit kleinen, denen der Caſſia ähn - lichen, ſtark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich ausſah und wie Süßholz (Glycirrhyza) ſchmeckte und geſchlagen ſtarken Schaum gab. Auf einfaches Waſchen mit dem Uzaowaſſer hörte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Blüte noch Frucht auftreiben. Der Strauch ſcheint der Familie der Schotengewächſe anzugehören, deren chemiſche Eigenſchaften ſo auffallend ungleichartig ſind. Der Schmerz, den wir aus - zuſtehen gehabt, hatte uns ſo ängſtlich gemacht, daß wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Kanoe mitführten; der Strauch wächſt am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die Aradores oder mikroſkopiſchen Acariden verurſuchen?

Im Jahre 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich Solanos Expedition genannt, wurde dieſer Landſtrich zwiſchen den Miſſionen Javita und San Baltaſar als zu Braſilien gehörig betrachtet. Die Portugieſen waren vom Rio Negro über den Trageplatz beim Caño Pimichin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianiſcher Häuptling, Javita, berühmt wegen ſeines Mutes und ſeines Unternehmungsgeiſtes, war mit den Portugieſen verbündet. Seine Streifzüge gingen vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüſſe des Amazonenſtromes, über den Rio Uaupe und Xie, bis zu den ſchwarzen Gewäſſern des Temi und Tuamini, über 450 km weit. Er war mit einem Patent verſehen, das ihn ermächtigte, Indianer aus dem Walde zu holen zur Eroberung der Seelen . 224Er machte von dieſer Befugnis reichlichen Gebrauch; aber er bezweckte mit ſeinen Einfällen etwas, das nicht ſo ganz geiſtlich war, Sklaven (poitos) zu machen und ſie an die Portugieſen zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, ließ er Kapitän Javita auf einem ſeiner Streifzüge am Temi feſt - nehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm, ihn durch Verſprechungen, die nicht gehalten wurden, für die ſpaniſche Regierung zu gewinnen. Die Portugieſen, die bereits einige feſte Niederlaſſungen im Lande gegründet hatten, wurden bis an den unteren Rio Negro zurückgedrängt, und die Miſſion San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianiſchen Gründer Javita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini, dahin verlegt, wo ſie jetzt liegt. Der alte Kapitän Javita lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er iſt ein Indianer von bedeutender Geiſtes - und Körperkraft. Er ſpricht geläufig ſpaniſch und hat einen gewiſſen Einfluß auf die be - nachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim Botaniſieren und erteilte uns mancherlei Auskunft, die wir deſto mehr ſchätzten, da die Miſſionäre ihn für ſehr zuverläſſig halten. Er verſichert, er habe in ſeiner Jugend faſt alle Indianerſtämme, welche auf dem großen Landſtriche zwiſchen dem Orinoko, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura wohnen, Menſchenfleiſch eſſen ſehen. Er hält die Daricavanas, Puchirinavis und Manitibitanos für die ſtärkſten Anthropo - phagen. Er hält dieſen abſcheulichen Brauch bei ihnen nur für ein Stück ſyſtematiſcher Rachſucht: ſie eſſen nur Feinde, die im Gefechte in ihre Hände gefallen. Die Beiſpiele, wo der Indianer in der Grauſamkeit ſo weit geht, daß er ſeine Nächſten, ſein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, ſind, wie wir weiter unten ſehen werden, ſehr ſelten. Auch weiß man am Orinoko nichts von der ſeltſamen Sitte der ſkythiſchen und maſſagetiſchen Völker, der Capanaguas am Rio Ucayale und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Toten zu Ehren die Leiche zum Teil aßen. Auf beiden Kontinenten kommt dieſer Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleiſch eines Gefangenen verabſcheuen. Der Indianer auf Hayti (San Domingo) hätte geglaubt, dem Andenken eines Angehö - rigen die Achtung zu verſagen, wenn er nicht ein wenig von der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten Leiche in ſein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl mit einem orientaliſchen Dichter ſagen, am ſeltſamſten in225 ſeinen Sitten, am ausſchweifendſten in ſeinen Trieben ſei von allen Tieren der Menſch .

Das Klima in San Antonio de Javita iſt ungemein regneriſch. Sobald man über den dritten Breitengrad hinunter dem Aequator zu kommt, findet man ſelten Gelegenheit, Sonne und Geſtirne zu beobachten. Es regnet faſt das ganze Jahr und der Himmel iſt beſtändig bedeckt. Da in dieſem unermeß - lichen Urwalde von Guyana der Oſtwind nicht zu ſpüren iſt und die Polarſtröme nicht hierher reichen, ſo wird die Luft - ſäule, die auf dieſer Waldregion liegt, nicht durch trockenere Schichten erſetzt. Der Waſſerdunſt, mit dem ſie geſättigt iſt, verdichtet ſich zu äquatorialen Regengüſſen. Der Miſſionär verſicherte uns, er habe hier oft vier, fünf Monate ohne Unter - brechung regnen ſehen. Ich maß den Regen, der am 1. Mai innerhalb 5 Stunden fiel: er ſtand 46,5 mm hoch, und am 3. Mai bekam ich ſogar 30 mm in 3 Stunden. Und zwar, was wohl zu beachten, wurden dieſe Beobachtungen nicht bei ſtarkem, ſondern bei ganz gewöhnlichem Regen angeſtellt. Be - kanntlich fallen in Paris in ganzen Monaten, ſelbſt in den naſſeſten, März, Juli und September, nur 62 bis 66 mm Waſſer. Allerdings kommen auch bei uns Regengüſſe vor, bei denen in der Stunde über 26 mm Waſſer fallen, man darf aber nur den mittleren Zuſtand der Atmoſphäre in der ge - mäßigten und in der heißen Zone vergleichen. Aus den Be - obachtungen, die ich hintereinander im Hafen von Guayaquil an der Südſee und in der Stadt Quito in 2908 m Meeres - höhe angeſtellt, ſcheint hervorzugehen, daß gewöhnlich auf dem Rücken der Anden in der Stunde 2 bis 3mal weniger Waſſer fällt als im Niveau des Meeres. Es regnet im Gebirge öfter, dabei fällt aber in einer gegebenen Zeit weniger Waſſer. Am Rio Negro in Maroa und San Carlos iſt der Himmel bedeutend heiterer als in Javita und am Temi. Dieſer Unterſchied rührt nach meiner Anſicht daher, daß dort die Savannen am unteren Rio Negro in der Nähe liegen, über die der Oſtwind frei wehen kann, und die durch ihre Strah - lung einen ſtärkeren aufſteigenden Luftſtrom verurſachen als bewaldetes Land.

Es iſt in Javita kühler als in Maypures, aber bedeutend heißer als am Rio Negro. Der hundertteilige Thermometer ſtand bei Tage auf 26 bis 27°, bei Nacht auf 21°; nördlich von den Katarakten, beſonders nördlich von der Mündung des Meta, war die Temperatur bei Tage meiſt 28 bis 30°,A. v. Humboldt, Reiſe. III. 15226bei Nacht 25 bis 26°. Dieſe Abnahme der Wärme am Ata - bapo, Tuamini und Rio Negro rührt ohne Zweifel davon her, daß bei dem beſtändig bedeckten Himmel die Sonne ſo wenig ſcheint und die Verdunſtung auf dem naſſen Boden ſo ſtark iſt. Ich ſpreche nicht vom erkältenden Einfluſſe der Wälder, wo die zahlloſen Blätter ebenſo viele dünne Flächen ſind, die ſich durch Strahlung gegen den Himmel abkühlen. Bei dem mit Wolken umzogenen Himmel kann dieſes Moment nicht viel ausmachen. Auch ſcheint die Meereshöhe von Javita etwas dazu beizutragen, daß die Temperatur niedriger iſt. Maypures liegt wahrſcheinlich 117 bis 136 m, San Fernando de Atabapo 238, Javita 323 m über dem Meere. Da die kleine atmoſphäriſche Ebbe und Flut an der Küſte (in Cu - mana) von einem Tag zum anderen um 1,6 bis 4 mm variiert, und ich das Unglück hatte, das Inſtrument zu zerbrechen, ehe ich wieder an die See kam, ſo ſind dieſe Reſultate nicht ganz zuverläſſig. Als ich in Javita die ſtündlichen Variationen des Luftdruckes beobachtete, bemerkte ich, daß eine kleine Luft - blaſe die Queckſilberſäule zum Teil ſperrte1Ich führe dieſen geringfügigen Umſtand hier an, um die Reiſenden darauf aufmerkſam zu machen, wie nötig es iſt, nur ſolche Barometer zu haben, bei denen die Röhre der ganzen Länge nach ſichtbar iſt. Eine ganz kleine Luftblaſe kann das Queckſilber zum Teil oder ganz ſperren, ohne daß der Ton beim Anſchlagen des Queckſilbers am Ende der Röhre ſich veränderte. und durch ihre thermometriſche Ausdehnung auf das Steigen und Fallen Einfluß äußerte. Auf den elenden Fahrzeugen, in die wir eingezwängt waren, ließ ſich der Barometer faſt unmöglich ſenkrecht oder doch ſtark aufwärts geneigt halten. Ich benützte unſeren Aufenthalt in Javita, um das Inſtrument auszu - beſſern und zu berichtigen. Nachdem ich das Niveau gehörig rektifiziert, ſtand der Thermometer bei 23,4° Temperatur morgens 11½ Uhr 40 cm hoch. Ich lege einiges Gewicht auf dieſe Beobachtung, da es für die Kenntnis der Boden - bildung eines Kontinents von größerem Belang iſt, die Meeres - höhe der Ebenen 900 bis 1300 km von der Küſte zu beſtimmen, als die Gipfel der Kordilleren zu meſſen. Barometriſche Be - obachtungen in Segu am Nigir, in Bornu oder auf den Hochebenen von Khoten und Hami wären für die Geologie wichtiger als die Beſtimmung der Höhe der Gebirge in Abeſ - ſinien und im Muſart. Die ſtündlichen Variationen des227 Barometers treten in Javita zu denſelben Stunden ein wie an den Küſten und im Hofe Antiſana, wo mein Inſtrument in 4100 m Meereshöhe hing. Sie betrugen von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr abends 3,2 mm, am 4. Mai ſogar faſt 4,4 mm. Der Delucſche auf den Sauſſureſchen reduzierte Hygrometer ſtand fortwährend im Schatten zwiſchen 84 und 92°, wobei nur die Beobachtungen gerechnet ſind, die gemacht wurden, ſolange es nicht regnete. Die Feuchtigkeit hatte ſomit ſeit den großen Katarakten bedeutend zugenommen: ſie war mitten in einem ſtark beſchatteten, von Aequatorialregen überfluteten Lande faſt ſo groß wie auf der See.

Vom 29. April bis 4. Mai konnte ich keines Sternes im Meridian anſichtig werden, um die Länge zu beſtimmen. Ich blieb ganze Nächte wach, um die Methode der doppelten Höhen anzuwenden; all mein Bemühen war vergeblich. Die Nebel im nördlichen Europa ſind nicht anhaltender als hier in Guyana in der Nähe des Aequators. Am 4. Mai kam die Sonne auf einige Minuten zum Vorſchein. Ich fand mit dem Chronometer und mittels Stundenwinkeln die Länge von Javita gleich 70° 22′ oder 1′ 5″ weiter nach Weſt als die Länge der Einmündung des Apure in den Orinoko. Dieſes Ergebnis iſt von Bedeutung, weil wir damit auf unſeren Karten die Lage des gänzlich unbekannten Landes zwiſchen dem Xie und den Quellen des Iſſana angeben können, die auf demſelben Meridian wie die Miſſion Javita liegen. Die Inklination der Magnetnadel war in der Miſſion 26,40°; ſie hatte demnach ſeit dem großen nördlichen Katarakt, bei einem Breitenunterſchiede von 50′, um 5,85° abgenommen. Die Abnahme der Intenſität der magnctiſchen Kraft war ebenſo bedeutend. Die Kraft entſprach in Atures 223, in Javita nur 218 Schwingungen in 10 Zeitminuten.

Die Indianer in Javita, 160 an der Zahl, ſind gegen - wärtig größtenteils Poimiſanos, Echinavis und Paraginis, und treiben Schiffbau. Man nimmt dazu Stämme einer großen Lorbeerart, von den Miſſionären Saſſafras1Ocotea cymbarum, ſehr verſchieden vom Laurus Sassa - fras in Nordamerika. genannt, die man mit Feuer und Axt zugleich aushöhlt. Dieſe Bäume ſind über 30 m hoch; das Holz iſt gelb, harzig, verdirbt faſt nie im Waſſer und hat einen ſehr angenehmen Geruch. Wir ſahen es in San Fernando, in Javita, beſonders aber in228 Esmeralda, wo die meiſten Pirogen für den Orinoko gebaut werden, weil die benachbarten Wälder die dickſten Saſſafras - ſtämme liefern. Man bezahlt den Indianern für 84 cm oder eine Vara vom Boden der Piroge, das heißt für den unteren, hauptſächlichen Teil (der aus einem ausgehöhlten Stamme beſteht), einen harten Piaſter, ſo daß ein 13,3 m langes Kanoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaſter koſtet; aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt ſo hoch. Auf dem oberen Orinoko ſah ich 40 Piaſter oder 200 Franken für eine 15,6 m lange Piroge bezahlen.

Im Walde zwiſchen Javita und dem Caño Pimichin wächſt eine erſtaunliche Menge rieſenhafter Baumarten, Oco - teen und echte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Perſea, iſt wild nur in mehr als 1950 m Meereshöhe ge - funden worden), die Amasonia arborea, das Retiniphyllum secundiflorum, der Curvana, der Jacio, der Jacifate, deſſen Holz rot iſt wie Braſilholz, der Guamufate mit ſchönen, 18 bis 21 cm langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die Amyris Caranna und der Mani. Alle dieſe Bäume (mit Ausnahme unſerer neuen Gattung Retiniphyllum) waren 32 bis 35 m hoch. Da die Aeſte erſt in der Nähe des Wipfels vom Stamme abgehen, ſo koſtete es Mühe, ſich Blätter und Blüten zu verſchaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen am Boden; da aber in dieſen Wäldern Arten verſchiedener Familien durcheinander wachſen und jeder Baum mit Schling - pflanzen bedeckt iſt, ſo ſchien es bedenklich, ſich allein auf die Ausſage der Indianer zu verlaſſen, wenn dieſe uns verſicherten, die Blüten gehören dieſem oder jenem Baume an. In der Fülle der Naturſchätze machte uns das Botaniſieren mehr Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten, ſchien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete ſeit mehreren Monaten un - aufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit künſtlicher Wärme zu trocknen ſuchte, größtenteils zu Grunde. Unſere Indianer kauten erſt, wie ſie gewöhnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten ſie beſſer zu unterſcheiden als Blüten und Früchte. Da ſie nur Bauholz (Stämme zu Pirogen) ſuchen, kümmern ſie ſich wenig um den Blütenſtand. Alle dieſe großen Bäume tragen weder Blüten noch Früchte, ſo lautete fortwährend ihr Be - ſcheid. Gleich den Kräuterkennern im Altertum ziehen ſie in229 Abrede, was ſie nicht der Mühe wert gefunden zu unterſuchen. Wenn unſere Fragen ſie langweilten, ſo machten ſie ihrerſeits uns ärgerlich.

Wir haben ſchon oben die Bemerkung gemacht, daß zu - weilen dieſelben chemiſchen Eigenſchaften denſelben Organen in verſchiedenen Pflanzenfamilien zukommen, ſo daß dieſe Familien in verſchiedenen Klimaten einander erſetzen. Die Einwohner des tropiſchen Amerika und Afrika gewinnen von mehreren Palmenarten das Oel, das uns der Olivenbaum gibt. Was die Nadelhölzer für die gemäßigte Zone, das ſind die Terebinthaceen und Guttiferen für die heiße. In dieſen Wäldern des heißen Erdſtriches, wo es keine Fichte, keine Thuia, kein Taxodium, nicht einmal einen Podocarpus gibt, kommen Harze, Balſame, aromatiſches Gummi von den Mo - ronobea -, Icica -, Amyrisarten. Das Einſammeln dieſer Gummi und Harze iſt ein Erwerbszweig für das Dorf Javita. Das berühmteſte Harz heißt Mani; wir ſahen mehrere Zentner ſchwere Klumpen desſelben, die Kolophonium oder Maſtix glichen. Der Baum, den die Paraginisindianer Mani nennen und den Bonpland für die Moronobea coccinea hält, liefert nur einen ſehr kleinen Teil der Maſſe, die in den Handel von Angoſtura kommt. Das meiſte kommt vom Mararo oder Caragna, der eine Amyris iſt. Es iſt ziemlich auf - fallend, daß der Name Mani, den Aublet aus dem Munde der Galibisindianer in Cayenne gehört hat, uns in Javita, 1300 km von franzöſiſch Guyana, wieder begegnete. Die Moronobea oder Symphonia bei Javita gibt ein gelbes Harz, der Caragna ein ſtark riechendes, ſchneeweißes Harz, das gelb wird, wo es innen an alter Rinde ſitzt.

Wir gingen jeden Tag in den Wald, um zu ſehen, ob es mit dem Transport unſeres Fahrzeuges zu Land vorwärts ging. Dreiundzwanzig Indianer waren angeſtellt, dasſelbe zu ſchleppen, wobei ſie nacheinander Baumäſte als Walzen unterlegten. Ein kleines Kanoe gelangt in einem oder andert - halb Tagen aus dem Tuamini in den Caño Pimichin, der in den Rio Negro fällt; aber unſere Piroge war ſehr groß, und da ſie noch einmal durch die Katarakte mußte, bedurfte es beſonderer Vorſichtsmaßregeln, um die Reibung am Boden zu vermindern. Der Transport währte auch über vier Tage. Erſt ſeit dem Jahre 1795 iſt ein Weg durch den Wald an - gelegt. Die Indianer in Javita haben denſelben zur Hälfte vollendet, die andere Hälfte haben die Indianer in Maroa,230 Davipe und San Carlos herzuſtellen. Pater Eugenio Cereſo maß den Weg mit einem 83,6 m langen Strick und fand denſelben 14361 m lang. Legte man ſtatt des Trageplatzes einen Kanal an, wie ich dem Miniſterium König Karls IV. vorgeſchlagen, ſo würde die Verbindung zwiſchen dem Rio Negro und Angoſtura, zwiſchen dem ſpaniſchen Orinoko und den portugieſiſchen Beſitzungen am Amazonenſtrom ungemein erleichtert. Die Fahrzeuge gingen dann von San Carlos nicht mehr über den Caſſiquiare, der eine Menge Krümmungen hat und wegen der ſtarken Strömung gerne gemieden wird; ſie gingen nicht mehr den Orinoko von ſeiner Gabelteilung bis San Fernando de Atabapo hinunter. Die Bergfahrt wäre über den Rio Negro und den Caño Pimichin um die Hälfte kürzer. Vom neuen Kanal bei Javita ginge es über den Tuamini, Temi, Atabapo und Orinoko abwärts bis Ango - ſtura. Ich glaube, man könnte auf dieſe Weiſe von der bra - ſilianiſchen Grenze in die Hauptſtadt von Guyana leicht in 24 bis 26 Tagen gelangen; man brauchte unter gewöhnlichen Umſtänden 10 Tage weniger und der Weg wäre für die Ru - derer (Bogas) weniger beſchwerlich, weil man nur halb ſo lang gegen die Strömung anfahren muß, als auf dem Caſſi - quiare. Fährt man aber den Orinoko herauf, geht man von Angoſtura an den Rio Negro, ſo beträgt der Unterſchied in der Zeit kaum ein paar Tage; denn über dem Pimichin muß man dann die kleinen Flüſſe hinauf, während man auf dem alten Wege den Caſſiquiare hinunterfährt. Wie lange die Fahrt von der Mündung des Orinoko nach San Carlos dauert, hängt begreiflich von mehreren wechſelnden Umſtänden ab, ob die Briſe zwiſchen Angoſtura und Carichana ſtärker oder ſchwächer weht, wie in den Katarakten von Atures und May - pures und in den Flüſſen überhaupt der Waſſerſtand iſt. Im November und Dezember iſt die Briſe ziemlich kräftig und die Strömung des Orinoko nicht ſtark, aber die kleinen Flüſſe haben dann ſo wenig Waſſer, daß man jeden Augenblick Ge - fahr läuft, aufzufahren. Die Miſſionäre reiſen am liebſten im April, zur Zeit der Schildkröteneierernte, durch die an ein paar Uferſtriche des Orinoko einiges Leben kommt. Man fürchtet dann auch die Moskiten weniger, der Strom iſt halb voll, die Briſe kommt einem noch zu gute und man kommt leicht durch die großen Katarakte.

Aus den Barometerhöhen, die ich in Javita und beim Landungsplatz am Pimichin beobachtet, geht hervor, daß der231 Kanal im Durchſchnitt von Nord nach Süd einen Fall von 58 bis 78 m hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Pirogen ſchleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraſchung, daß unter dieſen Bächen mit ſchwarzem Waſſer ſich einige befanden, deren Waſſer bei reflektiertem Licht ſo weiß war als das Orinoko - waſſer. Woher mag dieſer Unterſchied rühren? Alle dieſe Quellen entſpringen auf denſelben Savannen, aus denſelben Sümpfen im Walde. Pater Cereſo hat bei ſeiner Meſſung nicht die gerade Linie eingehalten und iſt zu weit nach Oſt gekommen, der Kanal würde daher nicht 11,7 km lang. Ich ſteckte den kürzeſten Weg mittels des Kompaſſes ab und man hieb hie und da in die älteſten Waldbäume Marken. Der Boden iſt völlig eben; auf 22,5 km in der Runde findet ſich nicht die kleinſte Erhöhung. Wie die Verhältniſſe jetzt ſind, ſollte man das Tragen wenigſtens dadurch erleichtern, daß man den Weg beſſerte, die Pirogen auf Wagen führte und Brücken über die Bäche ſchlüge, durch welche die Indianer oft tagelang aufgehalten werden.

In dieſem Walde erhielten wir endlich auch genaue Aus - kunft über den vermeintlichen foſſilen Kautſchuk, den die Indianer Dapicho nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um dieſe Subſtanz zu bekommen, im ſumpfigen Erd - reich 60 bis 90 cm zwiſchen den Wurzeln zweier Bäume, des Jacio und des Curvana graben muß. Erſterer iſt Aublets Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, der Kautſchuk kommt, der in Cayenne und Gran Para im Handel iſt; der zweite hat gefiederte Blätter; ſein Saft iſt milchig, aber ſehr dünn und faſt gar nicht klebrig. Der Dapicho ſcheint ſich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dies geſchieht beſonders, wenn die Bäume ſehr alt ſind, und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint be - kommen Riſſe, und ſo erfolgt auf natürlichem Wege, was der Menſch künſtlich thut, um den Milchſaft der Hevea, der Ca - ſtilloa und der Kautſchuk gebenden Feigenbäume in Menge zu ſammeln. Nach Aublets Bericht machen die Galibi und Garipon in Cayenne zuerſt unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen ſie ſenkrechte und ſchiefe Einſchnitte, ſo daß dieſe von oben am Stamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einſchnitt zu -232 ſammenlaufen. Alle dieſe Rinnen leiten den Milchſaft der Stelle zu, wo das Thongefäß ſteht, in dem der Kautſchuk aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana ſahen wir ungefähr ebenſo verfahren.

Wenn, wie ich vermute, die Anhäufung und das Aus - treten der Milch beim Jacio und Curvana ein patholo - giſche Erſcheinung iſt, ſo muß der Prozeß zuweilen durch die Spitzen der längſten Wurzeln vor ſich gehen; denn wir fanden 60 cm breite und 10 cm dicke Maſſen Dapicho 2,6 m vom Stamme entfernt. Oft ſucht man unter abgeſtorbenen Bäumen vergebens, andere Male findet man Dapicho unter noch grü - nenden Hevea - oder Jacioſtämmen. Die Subſtanz iſt weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinanderliegen - den Blätter und die gewellten Ränder dem Boletus igniarius. Vielleicht iſt zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei iſt wahrſcheinlich der, daß infolge eines eigentümlichen Zuſtandes des vegetabiliſchen Gewebes der Saft ſich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es iſt ein eigentümlich beſchaffener, ich möchte faſt ſagen vergeilter Kautſchuk. Aus der Feuchtigkeit des Bodens ſcheint ſich das wellige Anſehen der Ränder des Da - picho und ſeine Blätterung zu erklären.

Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchſaft der Hevea oder den Saft der Carica langſam in vieles Waſſer gießt, das Gerinnſel wellenförmige Umriſſe zeigt. Das Dapicho kommt ſicher nicht bloß in dem Walde zwiſchen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden iſt. Ich zweifle nicht, daß man in franzöſiſch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachſuchte, zuweilen gleichfalls ſolche ungeheure Klumpen von korkartigem Kautſchuk fände, wie wir ſie eben beſchrieben. In Europa macht man die Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft ſich gegen die Wurzeln zieht; es wäre intereſſant, zu unterſuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchſäfte der Urticeen, der Eu - phorbien, und der Apocyneen in gewiſſen Jahreszeiten gleich - falls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen Vegetationscyklus, unterliegen Veränderungen mit periodiſcher Wiederkehr. Der Dapicho iſt wichtiger für die Pflanzen - phyſiologie als für die organiſche Chemie. Wir haben eine Abhandlung Allens über den Unterſchied zwiſchen dem Kaut -233 ſchuk in ſeinem gewöhnlichen Zuſtande und der bei Javita gefundenen Subſtanz, von der ich Sir Joſeph Banks geſendet hatte. Gegenwärtig kommt im Handel ein gelblich-weißer Kautſchuk vor, den man leicht vom Dapicho unterſcheidet, da er weder trocken wie Kork, noch zerreiblich iſt, ſondern ſehr elaſtiſch, glänzend und ſeifenartig. Ich ſah kürzlich in London anſehnliche Maſſen, die zwiſchen 6 und 15 Frank das Pfund im Preiſe ſtanden. Dieſer weiße, fett anzufühlende Kautſchuk kommt aus Oſtindien. Er hat den tieriſchen, nauſeoſen Ge - ruch, den ich weiter oben von einer Miſchung von Käſeſtoff und Eiweißſtoff abgeleitet habe. Wenn man bedenkt, wie unendlich viele und mannigfaltige tropiſche Gewächſe Kaut - ſchuk geben, ſo muß man bedauern, daß dieſer ſo nützliche Stoff bei uns nicht wohlfeiler iſt. Man brauchte die Bäume mit Milchſaft gar nicht künſtlich zu pflanzen; allein in den Miſſionen am Orinoko ließe ſich ſo viel Kautſchuk gewinnen, als das civiliſierte Europa immer bedürfen mag. Im König - reich Neugranada iſt hie und da mit Glück verſucht worden, aus dieſer Subſtanz Stiefeln und Schuhe ohne Naht zu machen. Unter den amerikaniſchen Völkern verſtehen ſich die Omaguas am Amazonenſtrom am beſten auf die Verarbeitung des Kautſchuk.

Bereits waren vier Tage verfloſſen und unſere Piroge hatte den Landungsplatz am Rio Pimichin immer noch nicht erreicht. Es fehlt Ihnen an nichts in meiner Miſſion, ſagte Pater Cereſo; Sie haben Bananen und Fiſche, bei Nacht werden Sie nicht von den Moskiten geſtochen, und je länger Sie bleiben, deſto wahrſcheinlicher iſt es, daß Ihnen auch noch die Geſtirne meines Landes zu Geſicht kommen. Zerbricht Ihr Fahrzeug beim Tragen‘, ſo geben wir Ihnen ein anderes, und mir wird es ſo gut, daß ich ein paar Wochen con gente blanca y de razon lebe. 1 Mit weißen und vernünftigen Menſchen . Die europäiſche Eigenliebe ſtellt gemeiniglich die Gente de razon und die Gente parda einander gegenüber.Trotz unſerer Unge - duld, hörten wir die Schilderungen des guten Miſſionärs mit großem Intereſſe an. Er beſtätigte alles, was wir bereits über die ſittlichen Zuſtände der Eingeborenen dieſer Landſtriche vernommen hatten. Sie leben in einzelnen Horden von 40 bis 50 Köpfen unter einem Familienhaupte; einen gemein - ſamen Häuptling (apoto, sibierene) erkennen ſie nur an, ſo -234 bald ſie mit ihren Nachbarn in Fehde geraten. Das gegen - ſeitige Mißtrauen iſt bei dieſen Horden um ſo ſtärker, da ſelbſt die, welche einander zunächſt hauſen, gänzlich verſchiedene Sprachen ſprechen. Auf offenen Ebenen oder in Ländern mit Grasfluren halten ſich die Völkerſchaften gerne nach der Stamm - verwandtſchaft, nach der Aehnlichkeit der Gebräuche und Mund - arten zuſammen. Auf dem tatariſchen Hochland wie in Nord - amerika ſah man große Völkerfamilien in mehreren Marſch - kolonnen über ſchwach bewaldete, leicht zugängliche Länder fortziehen. Derart waren die Züge der toltekiſchen und azteki - ſchen Raſſe über die Hochebenen von Mexiko vom 6. bis zum 11. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung; derart war vermut - lich auch die Völkerſtrömung, in der ſich die kleinen Stämme in Kanada, die Mengwe (Irokeſen) oder fünf Nationen, die Algonkin oder Lenni-Lenape, die Chikeſaws und die Mus - kohgees vereinigten. Da aber der unermeßliche Landſtrich zwiſchen dem Aequator und dem 8. Breitengrad nur ein Wald iſt, ſo zerſtreuten ſich darin die Horden, indem ſie den Flußverzweigungen nachzogen, und die Beſchaffenheit des Bodens nötigte ſie mehr oder weniger Ackerbauer zu werden. So wirr iſt das Labyrinth der Flüſſe, daß die Familien ſich niederließen, ohne zu wiſſen, welche Menſchenart zunächſt neben ihnen wohnte. In ſpaniſch Guyana trennt zuweilen ein Berg, ein 2 bis 3 km breiter Forſt Horden, die zwei Tage zu Waſſer fahren müßten, um zuſammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Kultur ſchon vorgeſchrittenen Ländern Flußverbindungen mächtig auf Verſchmelzung der Sprachen, der Sitten und der politiſchen Einrichtungen; da - gegen in den undurchdringlichen Wäldern des heißen Land - ſtriches, wie im rohen Urzuſtand unſeres Geſchlechtes, zer - ſchlagen ſie große Völker in Bruchſtücke, laſſen ſie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grundverſchieden ausſehen, nähren ſie das Mißtrauen und den Haß unter den Völkern. Zwi - ſchen dem Caura und dem Padamo trägt alles den Stempel der Zwietracht und der Schwäche. Die Menſchen fliehen einander, weil ſie einander nicht verſtehen; ſie haſſen ſich, weil ſie einander fürchten.

Betrachtet man dieſes wilde Gebiet Amerikas mit Auf - merkſamkeit, ſo glaubt man ſich in die Urzeit verſetzt, wo die Erde ſich allmählich bevölkerte; man meint die früheſten ge - ſellſchaftlichen Bildungen vor ſeinen Augen entſtehen zu ſehen. In der Alten Welt ſehen wir, wie das Hirtenleben die Jäger -235 völker zum Leben des Ackerbaues erzieht. In der Neuen ſehen wir uns vergeblich nach dieſer allmählichen Kulturentwickelung um, nach dieſen Ruhe - und Haltpunkten im Leben der Völker. Der üppige Pflanzenwuchs iſt den Indianern bei ihren Jagden hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, ſo hört des tiefen Waſſers wegen der Fiſchfang monatelang auf. Die Arten von Wiederkäuern, die der koſtbarſte Beſitz der Völker der Alten Welt ſind, fehlen in der Neuen; der Biſon und der Moſchusochſe ſind niemals Haustiere geworden. Die Vermehrung der Lama und Guanako führte nicht zu den Sitten des Hirtenlebens. In der gemäßigten Zone, an den Ufern des Miſſouri wie auf dem Hochland von Neumexiko, iſt der Amerikaner ein Jäger; in der heißen Zone dagegen, in den Wäldern von Guyana pflanzt er Maniok, Bananen, zuweilen Mais. Die Natur iſt ſo überſchwenglich freigebig, daß die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden iſt, daß das Urbarmachen darin beſteht, daß man die Sträucher wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder Steckreiſer dem Boden anvertraut. So weit man ſich in Ge - danken in der Zeit zurückverſetzt, nie kann man in dieſen dicken Wäldern die Völker anders denken als ſo, daß ihnen der Boden vorzugsweiſe die Nahrung lieferte; da aber dieſer Boden auf der kleinſten Fläche faſt ohne Arbeit ſo reichlich trägt, ſo hat man ſich wiederum vorzuſtellen, daß dieſe Völker immer einem und demſelben Gewäſſer entlang häufig ihre Wohnplätze wechſelten. Und der Eingeborene am Orinoko wandert ja mit ſeinem Saatkorn noch heute, und legt wan - dernd ſeine Pflanzung (conuco) an, wie der Araber ſein Zelt aufſchlägt und die Weide wechſelt. Die Menge von Kultur - gewächſen, die man mitten im Walde findet, weiſen deut - lich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadiſcher Lebensweiſe hin. Kann man ſich wundern, daß bei ſolchen Sitten vom Segen der feſten Niederlaſſung, des Getreidebaues, der weite Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, ſo gut wie nichts übrig bleibt?

Die Völker am oberen Orinoko, am Atabapo und Ini - rida verehren, gleich den alten Germanen und Perſern, keine anderen Gottheiten als die Naturkräfte. Das gute Prinzip nennen ſie Cachimana; das iſt der Manitu, der große Geiſt, der die Jahreszeiten regiert und die Früchte reifen läßt. Neben dem Cachimana ſteht ein böſes Prinzip, der Jolokiamo, der nicht ſo mächtig iſt, aber ſchlauer und beſonders rühriger. 236Die Indianer aus den Wäldern, wenn ſie zuweilen in die Miſſionen kommen, können ſich von einem Tempel oder einem Bilde ſehr ſchwer einen Begriff machen. Die guten Leute, ſagte der Miſſionär, lieben Prozeſſionen nur im Freien. Jüngſt beim Feſt meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer von Inirida der Meſſe bei. Da ſagten ſie zu mir: Euer Gott ſchließt ſich in ein Haus ein, als wäre er alt und krank; der unſerige iſt im Wald, auf dem Feld, auf den Sipabubergen, woher der Regen kommt. Bei zahl - reicheren und eben deshalb weniger barbariſchen Völkerſchaften bilden ſich ſeltſame religiöſe Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht ſein als die anderen, und dieſe haben das berühmte Botuto in Ver - wahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den Palmen geblaſen wird, damit ſie reichlich Früchte tragen. An den Ufern des Orinoko gibt es kein Götzenbild, wie bei allen Völkern, die beim urſprünglichen Naturgottesdienſt ſtehen ge - blieben ſind; aber der Botuto, die heilige Trompete, iſt zum Gegenſtand der Verehrung geworden. Um in die Myſterien des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten und unbeweibt ſein. Die Eingeweihten unterziehen ſich der Geißelung, dem Faſten und anderen angreifenden Andachts - übungen. Dieſer heiligen Trompeten ſind nur ganz wenige und die altberühmteſte befindet ſich auf einem Hügel beim Zuſammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie ſoll zu - gleich am Tuamini und in der Miſſion San Miguel de Davipe, 45 km weit gehört werden. Nach Pater Cereſos Bericht ſprechen die Indianer von dieſem Botuto am Rio Tomo ſo, als wäre derſelbe für mehrere Völkerſchaften in der Nähe ein Gegenſtand der Verehrung. Man ſtellt Früchte und be - rauſchende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläſt der Große Geiſt (Cachimana) ſelbſt die Trompete, bald läßt er nur ſeinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da dieſe Gaukeleien ſehr alt ſind (von den Vätern unſerer Väter her, ſagen die Indianer), ſo iſt es nicht zu verwundern, daß es bereits Menſchen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber dieſe Ungläubigen äußern nur ganz leiſe, was ſie von den Myſterien des Botuto halten. Die Weiber dürfen das wunderbare Inſtrument gar nicht ſehen; ſie ſind überhaupt von jedem Gottesdienſte ausge - ſchloſſen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken, ſo wird ſie ohne Gnade umgebracht. Der Miſſionär erzählte237 uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Mädchen zu retten, der ein eiferſüchtiger rachſüchtiger Lieb - haber ſchuld gegeben, ſie ſei aus Vorwitz den Indianern nachgeſchlichen, die in den Pflanzungen den Botuto blieſen. Oeffentlich hätte man ſie nicht umgebracht, ſagte Pater Cereſo, aber wie ſollte man ſie vor dem Fanatismus der Eingeborenen ſchützen, da es hierzulande ſo leicht iſt, einem Gift beizubringen? Das Mädchen äußerte ſolche Beſorgnis gegen mich und ich ſchickte ſie in eine Miſſion am unteren Orinoko. Wären die Völker in Guyana Herren dieſes großen Landes geblieben, könnten ſie, ungehindert von den chriſtlichen Niederlaſſungen, ihre barbariſchen Gebräuche frei entwickeln, ſo erhielte der Botutodienſt ohne Zweifel eine po - litiſche Bedeutung. Dieſer geheimnisvolle Verein von Ein - geweihten, dieſe Hüter der heiligen Trompete würden zu einer mächtigen Prieſterkaſte und das Orakel am Rio Tomo ſchlänge nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf dieſe Weiſe ſind durch gemeinſam Gottesverehrung (communia sacra), durch religiöſe Gebräuche und Myſterien ſo viele Völker der Alten Welt einander näher gebracht, miteinander verſöhnt und vielleicht der Geſittung zugeführt worden.

Am 4. Mai abends meldete man uns, ein Indianer, der beim Schleppen unſerer Piroge an den Pimichin beſchäftigt war, ſei von einer Natter gebiſſen worden. Der große, ſtarke Mann wurde in ſehr bedenklichem Zuſtande in die Miſſion gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Boden geſtürzt, und auf die Ohnmacht waren Uebelkeit, Schwindel, Kongeſtionen gegen den Kopf gefolgt. Die Liane Vejuco de Guaco, die durch Mutis ſo berühmt geworden, und die das ſicherſte Mittel gegen den Biß giftiger Schlangen iſt, war hierzulande noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguß von Raiz de Mato. Wir können nicht mit Beſtimmtheit angeben, von welcher Pflanze dieſes Gegengift kommt. Der reiſende Bo - taniker hat nur zu oft den Verdruß, daß er von den nutz - barſten Gewächſen weder Blüte noch Frucht zu Geſichte be - kommt, während er ſo viele Arten, die ſich durch keine be - ſonderen Eigenſchaften auszeichnen, täglich mit allen Frukti - fikationsorganen vor Augen hat. Der Raiz de Mato iſt vermutlich ein Apocynee, vielleicht die Cerbera thevethia, welche die Einwohner von Cumana Lengua de Mate oder Contra-Culebra nennen und gleichfalls gegen Schlangen -238 biß brauchen. Eine der Cerbera ſehr naheſtehende Gattung (Ophioxylon serpentinum) leiſtet in Indien denſelben Dienſt. Ziemlich häufig findet man in derſelben Pflanzenfamilie vege - tabiliſche Gifte und Gegengifte gegen den Biß der Reptilien. Da viele tropiſche und narkotiſche Mittel mehr oder minder wirkſame Gegengifte ſind, ſo kommen dieſe in weit auseinder - ſtehenden Familien vor, bei den Ariſtolochien, Apocyneen, Gen - tianen, Polygalen, Solaneen, Malvaceen, Drymyrhizeen, bei den Pflanzen mit zuſammengeſetzten Blüten, und was noch auffallender iſt, bei den Palmen.

In der Hütte des Indianers, der von einer Natter ge - biſſen worden, fanden wir 5 bis 8 cm große Kugeln eines erdigen, unreinen Salzes, Chivi genannt, das von den Ein - geborenen ſehr ſorgfältig zubereitet wird. In Maypures ver - brennt man eine Konferve, die der Orinoko, wenn er nach dem Hochgewäſſer in ſein Bett zurückkehrt, auf dem Geſtein ſitzen läßt. In Javita bereitet man Salz durch Einäſcherung des Blütenkolbens und der Früchte der Seje oder Chimu - palme. Dieſe ſchöne Palme, die am Ufer des Auvena beim Katarakt Guarinuma und zwiſchen dem Javita und dem Pi - michin ſehr häufig vorkommt, ſcheint eine neue Art Kokos - palme zu ſein. Bekanntlich iſt das in der gemeinen Kokos - nuß eingeſchloſſene Waſſer häufig ſalzig, ſelbſt wenn der Baum weit von der Meeresküſte wächſt. Auf Madagaskar gewinnt man Salz aus dem Saft einer Palme Namens Cira. Außer den Blütenkolben und den Früchten der Sejepalme laugen die Indianer in Javita auch die Aſche des vielbe - rufenen Schlinggewächſes Cupana aus. Es iſt dies eine neue Art der Gattung Paullinia, alſo eine von Linnés Cu - pania ſehr verſchiedene Pflanze. Ich bemerke bei dieſer Ge - legenheit, daß ein Miſſionär ſelten auf die Reiſe geht, ohne den zubereiteten Samen der Liane Cupana mitzunehmen. Dieſe Zubereitung erfordert große Sorgfalt. Die Indianer zerreiben den Samen, miſchen ihn mit Maniokmehl, wickeln die Maſſe in Bananenblätter und laſſen ſie im Waſſer gären, bis ſie ſafrangelb wird. Dieſer gelbe Teig wird an der Sonne getrocknet, und mit Waſſer angegoſſen genießt man ihn mor - gens ſtatt Thee. Das Getränk iſt bitter und magenſtärkend, ich fand aber den Geſchmack ſehr widrig.

Am Nigir und in einem großen Teile des inneren Afrika, wo das Salz ſehr ſelten iſt, heißt es von einem reichen Mann: Es geht ihm ſo gut, daß er Salz zu ſeinen Speiſen ißt. 239Dieſes Wohlergehen iſt auch im Inneren Guyanas nicht allzu häufig. Nur die Weißen, beſonders die Soldaten im Fort San Carlos, wiſſen ſich reines Salz zu verſchaffen, entweder von der Küſte von Caracas oder von Chita, am Oſtabhange der Kordilleren von Neugranada, auf dem Rio Meta. Hier, wie in ganz Amerika, eſſen die Indianer wenig Fleiſch und verbrauchen faſt kein Salz. Daher trägt auch die Salzſteuer allerorten, wo die Zahl der Eingeborenen bedeutend vorſchlägt, wie in Mexiko und Guatemala, der Staatskaſſe wenig ein. Der Chivi in Javita iſt ein Gemenge von ſalzſaurem Kali und ſalzſaurem Natron, Aetzkalk und verſchiedenen erdigen Salzen. Man löſt ein ganz klein wenig davon in Waſſer auf, füllt mit der Auflöſung ein dütenförmig aufgewickeltes Helikonienblatt und läßt wie aus der Spitze eines Filtrums ein paar Tropfen auf die Speiſen fallen.

Am 5. Mai machten wir uns zu Fuß auf den Weg, um unſere Piroge einzuholen, die endlich über den Trageplatz im Caño Pimichin angelangt war. Wir mußten über eine Menge Bäche waten, und es iſt dabei wegen der Nattern, von denen die Sümpfe wimmeln, einige Vorſicht nötig. Die Indianer zeigten uns auf dem naſſen Thon die Fährte der kleinen ſchwarzen Bären, die am Temi ſo häufig vorkommen. Sie unterſcheiden ſich wenigſtens in der Größe vom Ursus ame - ricanus; die Miſſionäre nennen ſie Oso carnicero zum Unterſchiede vom Oso palmero (Myrmecophaga jubata) und dem Oso hormigero oder Tamandua-Ameiſenfreſſer. Dieſe Tiere ſind nicht übel zu eſſen; die beiden erſtgenannten ſetzen ſich zur Wehre und ſtellen ſich dabei auf die Hinter - beine. Buffons Tamanoir heißt bei den Indianern Uaraca; er iſt reizbar und beherzt, was bei einem zahnloſen Tiere ziemlich auffallend erſcheint. Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Walde, der uns deſto reicher erſchien, je zugänglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea (die amerikaniſche Gruppe mit Blüten in Riſpen bildet wahr - ſcheinlich eine Gattung für ſich), die Galega piscatorum, deren ſowie der Jacquinia und einer Pflanze mit zuſammen - geſetzter Blüte vom Rio Temi1Bailliera Barbasco. die Indianer ſich als Bar - basco bedienen, um die Fiſche zu betäuben, endlich die hier Vejuco de Mavacure genannte Liane, von der das viel -240 berufene Gift Curare kommt. Es iſt weder ein Phyllanthus, noch eine Coriaria, wie Willdenow gemeint, ſondern nach Kunths Unterſuchungen ſehr wahrſcheinlich ein Strychnos. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieſer giftigen Subſtanz zu ſprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handels - artikel iſt. Wenn ein Reiſender, der ſich gleich uns durch die Gaſtfreundſchaft der Miſſionäre gefördert ſähe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres Jahr in den Bergen bei Esmeralda und am oberen Orinoko zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von Aublet und Richard beſchriebenen Gattungen verdreifachen.

Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die rieſige Höhe von 26 bis 40 m. Es ſind dies die Laurineen und Amyris, die in dieſen heißen Himmelsſtrichen das ſchöne Bau - holz liefern, das man an der Nordweſtküſte von Amerika, in den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20° unter Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika iſt unter allen Himmelsſtrichen und in allen Pflanzenfamilien die Vegetationskraft ſo ausnehmend ſtark, daß unter dem 57. Grad nördlicher Breite, auf derſelben Iſotherme wie Petersburg und die Orkneyinſeln, Pinus canadensis 48 m hohe und 2 m dicke Stämme hat. 1Langsdorf ſah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Kanoen aus einem Stück 16 m lang, 1,45 m breit und an den Rändern 1 m hoch; ſie faßten 30 Menſchen. Auch Populus balsamifera wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch.Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem Puerto oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, wo ein armer Miſſionär, ein Kapuziner, von den Weſpen umgebracht worden . Ich ſpreche dies dem Mönch in Javita und den Indianern nach. Man ſpricht hier - zulande viel von giftigen Weſpen und Ameiſen; wir konnten aber keines von dieſen beiden Inſekten auftreiben. Bekanntlich verurſachen im heißen Erdſtrich unbedeutende Stiche nicht ſelten Fieberanfälle, faſt ſo heftig wie die, welche bei uns bei ſehr bedeutenden organiſchen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erſchöpfung und der Feuchtigkeit geweſen ſein, als des Giftes im Stachel der Weſpen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht haben. Dieſe Weſpen bei Javita ſind nicht mit den Honig - bienen zu verwechſeln, welche die Spanier Engelchen nennen241 und die ſich auf dem Gipfel der Silla bei Caracas uns haufen - weiſe auf Geſicht und Hände ſetzten.

Der Landungsplatz am Pimichin liegt in einer kleinen Pflanzung von Kakaobäumen. Die Bäume ſind ſehr kräftig und hier wie am Atabapo und Rio Negro in allen Jahres - zeiten mit Blüten und Früchten bedeckt. Sie fangen im vierten Jahre an zu tragen, auf der Küſte von Caracas erſt im ſechſten bis achten. Der Boden iſt am Tuamini und Pimichin überall, wo er nicht ſumpfig iſt, leichter Sandboden, aber ungemein fruchtbar. Bedenkt man, daß der Kakaobaum in dieſen Wäl - dern der Parime; ſüdlich vom 6. Breitengrade, eigentlich zu Hauſe iſt, und daß das naſſe Klima am oberen Orinoko dieſem koſtbaren Baume weit beſſer zuſagt als die Luft in den Pro - vinzen Caracas und Barcelona, die von Jahr zu Jahr trockener wird, ſo muß man bedauern, daß dieſes ſchöne Stück Erde in den Händen von Mönchen iſt, von denen keinerlei Kultur befördert wird. Die Miſſionen der Obſervanten allein könnten 4 600 000 kg Kakao in den Handel bringen, deſſen Wert ſich in Europa auf mehr als 6 Millionen Franken be - liefe. Um die Conucos am Pimichin wächſt wild der Igua, ein Baum, ähnlich dem Caryocar nuciferum, den man in holländiſch und franzöſiſch Guyana baut, und von dem neben dem Almendron von Mariquita (Caryocar amygdaliferum), dem Juvia von Esmeralda (Bertholletia excelsa) und der Geoffräa vom Amazonenſtrome die geſuchteſten Mandeln in Südamerika kommen. Die Früchte des Igua kommen hier gar nicht in den Handel; dagegen ſah ich an den Küſten von Terra Firma Fahrzeuge, die aus Demerary die Früchte des Caryocar tomentosum, Aublets Pekea tuberculosa, ein - führten. Dieſe Bäume werden 30 m hoch und nehmen ſich mit ihrer ſchönen Blumenkrone und ihren vielen Staubfäden prachtvoll aus. Ich müßte den Leſer ermüden, wollte ich die Wunder der Pflanzenwelt, welche dieſe großen Wälder auf - zuweiſen haben, noch weiter herzählen. Ihre erſtaunliche Mannigfaltigkeit rührt daher, daß hier auf kleiner Bodenfläche ſo viele Pflanzenfamilien nebeneinander vorkommen, und daß bei dem mächtigen Reiz von Licht und Wärme die Säfte, die in dieſen rieſenhaften Gewächſen zirkulieren, ſo vollkommen ausgearbeitet werden.

Wir übernachteten in einer Hütte, welche erſt ſeit kurzem verlaſſen ſtand. Eine indianiſche Familie hatte darin Fiſcher - geräte zurückgelaſſen, irdenes Geſchirr, aus PalmblattſtielenA. v. Humboldt, Reiſe. III. 16242geflochtene Matten, den ganzen Hausrat dieſer ſorgloſen, um Eigentum wenig bekümmerten Menſchenart. Große Vorräte von Mani (eine Miſchung vom Harz der Moronobea und der Amyris Caraña) lagen um die Hütte. Die Indianer bedienen ſich desſelben hier wie in Cayenne zum Teeren der Pirogen und zum Befeſtigen des knöchernen Stachels der Rochen an die Pfeile. Wir fanden ferner Näpfe voll vege - tabiliſcher Milch, die zum Firniſſen dient und in den Miſſionen als Leche para pindar viel genannt wird. Man beſtreicht mit dieſem klebrigen Safte das Geräte, dem man eine ſchöne weiße Farbe geben will. An der Luft verdickt er ſich, ohne gelb zu werden, und nimmt einen bedeutenden Glanz an. Wie oben bemerkt worden,1S. Band II, Seite 247. iſt der Kautſchuk der fette Teil, die Butter in jeder Pflanzenmilch. Dieſes Gerinnſel nun, dieſe weiße Haut, die glänzt, als wäre ſie mit Kopalfirnis über - zogen, iſt ohne Zweifel eine eigene Form des Kautſchuk. Könnte man dieſem milchigen Firnis verſchiedene Farben geben, ſo hätte man damit, ſollte ich meinen, ein Mittel, um unſere Kutſchenkaſten raſch, in einer Handlung zu bemalen und zu firniſſen. Je genauer man die chemiſchen Verhältniſſe der Gewächſe der heißen Zone kennen lernt, deſto mehr wird man hie und da an abgelegenen, aber dem europäiſchen Handel zugänglichen Orten in den Organen gewiſſer Gewächſe halb - fertige Stoffe entdecken, die nach der bisherigen Anſicht nur dem Tierreiche angehören, oder die wir auf künſtlichem, zwar ſicherem, oft aber langem und mühſamem Wege hervorbringen. So hat man bereits das Wachs gefunden, das den Palm - baum der Anden von Quindiu überzieht, die Seide der Mocoapalme, die nahrhafte Milch des Palo de Vaca, den afrikaniſchen Butterbaum, den käſeartigen Stoff im faſt ani - maliſchen Safte der Carica Papaya. Dergleichen Entdeckungen werden ſich häufen, wenn, wie nach den gegenwärtigen poli - tiſchen Verhältniſſen in der Welt wahrſcheinlich iſt, die euro - päiſche Kultur großenteils in die Aequinoktialländer des neuen Kontinents überfließt.

Wie ich oben erwähnt, iſt die ſumpfige Ebene zwiſchen Javita und dem Landungsplatze am Pimichin wegen ihrer vielen Nattern im Lande berüchtigt. Bevor wir von der ver - laſſenen Hütte Beſitz nahmen, ſchlugen die Indianer zwei große, 1,3 bis 2,6 m lange Mapanareſchlangen tot. Sie243 ſchienen mir von derſelben Art wie die vom Rio Magdalena, die ich beſchrieben habe. Es iſt ein ſchönes, aber ſehr giftiges Tier, am Bauche weiß, auf dem Rücken braun und rot ge - fleckt. Da in der Hütte eine Menge Kraut lag und wir am Boden ſchliefen (die Hängematten ließen ſich nicht befeſtigen), ſo war man in der Nacht nicht ohne Beſorgnis; auch fand man morgens, als man das Jaguarfell aufhob, unter dem einer unſerer Diener am Boden gelegen, eine große Natter. Wie die Indianer ſagen, ſind dieſe Reptilien langſam in ihren Bewegungen, wenn ſie nicht verfolgt werden, und machen ſich an den Menſchen, weil ſie der Wärme nachgehen. Am Mag - dalenenſtrome kam wirklich eine Schlange zu einem unſerer Reiſebegleiter ins Bett und brachte einen Teil der Nacht darin zu, ohne ihm etwas zuleide zu thun. Ich will hier keineswegs Nattern und Klapperſchlangen das Wort reden, aber das läßt ſich behaupten, wären dieſe giftigen Tiere ſo angriffsluſtig, als man glaubt, ſo hätte in manchen Strichen Amerikas, z. B. am Orinoko und in den feuchten Bergen von Choco, der Menſch ihrer Unzahl erliegen müſſen.

Am 6. Mai. Wir ſchifften uns bei Sonnenaufgang ein, nachdem wir den Boden unſerer Piroge genau unterſucht hatten. Er war beim Tragen wohl dünner geworden, aber nicht geſprungen. Wir dachten, das Fahrzeug könne die 1300 km, die wir den Rio Negro hinab, den Caſſiquiare hinauf und den Orinoko wieder hinab bis Angoſtura noch zu machen hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Caño) heißt, iſt ſo breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenüber, aber kleine, gerne im Waſſer wachſende Bäume, Coroſſols (Anona) und Achras, engen ſein Bett ſo ein, daß nur ein 30 bis 40 m breites Fahrwaſſer offen bleibt. Er gehört mit dem Rio Chagre zu den Gewäſſern, die in Amerika wegen ihrer Krümmungen berüchtigt ſind. Man zählt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlängert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 9 bis 13 km hintereinander. Um den Längenunterſchied zwiſchen dem Landungsplatze und dem Punkte, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu beſtimmen, nahm ich mit dem Kompaß den Lauf des Caño Pimichin auf und bemerkte, wie lange wir in derſelben Richtung fuhren. Die Strömung war nur 664 mm in der Sekunde, aber unſere Piroge legte beim Rudern 1,32 m zurück. Meiner Schätzung nach liegt der Landungs - platz am Pimichin 2140 m weſtwärts von ſeiner Mündung244 und 2′ weſtwärts von der Miſſion Javita. Der Caño iſt das ganze Jahr ſchiffbar; er hat nur einen einzigen Raudal, über den ziemlich ſchwer heraufzukommen iſt; ſeine Ufer ſind niedrig, aber felſig. Nachdem wir fünftehalb Stunden lang den Krümmungen des ſchmalen Fahrwaſſers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein.

Der Morgen war kühl und ſchön. 36 Tage waren wir in einem ſchmalen Kanoe eingeſperrt geweſen, das ſo unſtät war, daß es umgeſchlagen hätte, wäre man unvorſichtig auf - geſtanden, ohne den Ruderern am anderen Bord zuzurufen, ſich überzulehnen und das Gleichgewicht herzuſtellen. Wir hatten vom Inſektenſtiche furchtbar gelitten, aber das un - geſunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne umzuſchlagen, über eine ganze Menge Waſſerfälle und Fluß - dämme gekommen, welche die Stromfahrt ſehr beſchwerlich und oft gefährlicher machen als lange Seereiſen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich ge - ſtattet ſein auszuſprechen, wie herzlich froh wir waren, daß wir die Nebenflüſſe des Amazonenſtromes erreicht, daß wir die Landenge zwiſchen zwei großen Flußſyſtemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuverſicht der Erreichung des Haupt - zweckes unſerer Reiſe entgegenſehen konnten, der aſtronomiſchen Aufnahme jenes Armes des Orinoko, der ſich in den Rio Negro ergießt, und deſſen Exiſtenz ſeit einem halben Jahr - hundert bald bewieſen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenſtand, den man lange vor dem inneren Auge gehabt, wächſt uns an Bedeutung, je näher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geſchichtsloſen Ufer des Caſſiquiare beſchäftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geſchichte der Kulturvölker hochberühmten Ufer des Euphrat und des Oxus. Hier, inmitten des neuen Kontinents, gewöhnt man ſich beinahe daran, den Menſchen als etwas zu betrachten, das nicht notwendig zur Naturordnung gehört. Der Boden iſt dicht bedeckt mit Gewächſen, und ihre freie Entwickelung findet nirgends ein Hindernis. Eine mächtige Schicht Dammerde weiſt darauf hin, daß die organiſchen Kräfte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Kro - kodile und Boa ſind die Herren des Stromes; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Affen ſtreifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefährde; ſie hauſen hier wie auf ihrem angeſtammten Erbe. Dieſer Anblick der lebendigen Natur, in der der Menſch nichts iſt, hat etwas Befremdendes245 und Niederſchlagendes. Selbſt auf dem Ozean und im Sande Afrikas gewöhnt man ſich nur ſchwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unſere Felder, unſere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man ſich bewegt, nicht ſo ſtark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geſchmückt mit unvergänglichem Grün, ſieht man ſich umſonſt nach einer Spur von der Wirkſamkeit des Menſchen um; man glaubt ſich in eine andere Welt verſetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der ſein ganzes Leben in den Miſſionen am oberen Orinoko zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein geſcheiter Menſch, und in der ruhigen, heiteren Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die Größe der Sterne, über die Mondbewohner, über tauſend Dinge, von denen ich ſo viel wußte als er. Meine Antworten konnten ſeiner Neugier nicht genügen, und ſo ſagte er in zu - verſichtlichem Tone: Was die Menſchen anlangt, ſo glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet, wenn ihr zu Lande von Javita an den Caſſiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, iſt eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (mucho monte), durch den ein Strom fließt. Mit dieſen Worten iſt ganz der Eindruck geſchildert, den der eintönige Anblick dieſer Ein - öde hervorbringt. Möchte dieſe Eintönigkeit nicht auch auf das Tagebuch unſerer Flußfahrt übergehen! Möchten Leſer, die an die Beſchreibung der Landſchaften und an die geſchicht - lichen Erinnerungen des alten Kontinents gewöhnt ſind, es nicht ermüdend finden!

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Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Der Rio Negro. Die braſilianiſche Grenze.

Der Rio Negro iſt dem Amazonenſtrome, dem Rio de la Plata und dem Orinoko gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Beſitz desſelben war aber ſeit Jahrhunderten für die ſpaniſche Regierung von großer politiſcher Wichtigkeit, weil er für einen eiferſüchtigen Nachbar, für Portugal, eine offene Straße iſt, um ſich in die Miſſionen in Guyana ein - zudrängen und die ſüdlichen Grenzen der Capitania general von Caracas zu beunruhigen. 300 Jahre verfloſſen über zu nichts führenden Grenzſtreitigkeiten. Je nach dem Geiſt der Zeiten und dem Kulturgrade der Völker hielt man ſich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hilfsmittel der Aſtronomie. Da man es meiſt vorteilhafter fand, den Streit zu verſchleppen, als ihm ein Ende zu machen, ſo haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Kontinents bei dieſem endloſen Prozeß gewonnen. Es iſt bekannt, daß durch die Bullen der Päpſte Nikolaus V. und Alexander VI., durch den Vertrag von Tordeſillas und die Notwendigkeit, eine feſte Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu löſen, die Ephemeriden zu verbeſſern und die In - ſtrumente zu vervollkommnen, bedeutend geſtachelt worden iſt. Als die Händel in Paraguay und der Beſitz der Kolonie am Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Liſſabon Sachen von großem Belang wurden, ſchickte man Grenz - kommiſſäre an den Orinoko, an den Amazonenſtrom und an den Rio de la Plata.

Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Ver - rechnungen und Protokollen füllten, fand ſich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineoffizier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küſten Ortsbeſtim - mungen vornehmen kann, Beſcheid mußte. Das Wenige, was247 wir am Schluſſe des vorigen Jahrhunderts von der aſtro - nomiſchen Geographie des neuen Kontinents wußten, verdankt man dieſen achtbaren, fleißigen Männern, den franzöſiſchen und ſpaniſchen Akademikern, die in Quito den Meridian ge - meſſen, und Offizieren, welche von Valparaiſo nach Buenos Ayres gegangen waren, um ſich Malaſpinas Expedition anzu - ſchließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie ſehr die Wiſſen - ſchaften faſt zufällig durch jene Grenzkommiſſionen gefördert worden ſind, die für den Staat eine große Laſt waren und von denen, die ſie ins Leben gerufen, noch öfter vergeſſen als aufgelöſt wurden.

Weiß man, wie unzuverläſſig die Karten von Amerika ſind, kennt man aus eigener Anſchauung die unbewohnten Landſtriche zwiſchen dem Jupura und Rio Negro, dem Ma - deira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küſte von Cayenne, die man ſich in Europa bis auf dieſen Tag allen Ernſtes ſtreitig gemacht, ſo kann man ſich über die Beharr - lichkeit, mit der man ſich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwiſchen dieſem ſtreitigen Gebiet und den angebauten Strichen der Kolonieen liegen meiſt Wüſten, deren Ausdehnung ganz unbekannt iſt. Auf den berühmten Konferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papſt, als er die Demarkationslinie 370 ſpaniſche Meilen1Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezählt. weſtwärts von den Inſeln des Grünen Vorgebirges zog, gemeint habe, der erſte Meridian ſolle vom Mittelpunkt der Inſel San Ni - colas aus, oder aber (wie der portugieſiſche Hof behauptete) vom weſtlichen Ende der kleinen Inſel San Antonio gezählt werden. Im Jahre 1754, zur Zeit von Ituriagas und So - lanos Expedition, unterhandelte man über den Beſitz der da - mals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein Stück Sumpfland, über das wir zwiſchen Javita und dem Pimichin an einem Abend gegangen. Noch in neueſter Zeit wollten die ſpaniſchen Kommiſſäre die Scheidungslinie an die Einmündung des Apoporis in den Jupura legen, während die portugieſiſchen Aſtronomen ſie bis zum Salto Grande zu - rückſchoben. Die Miſſionäre und das Publikum überhaupt beteiligten ſich ſehr lebhaft an dieſen Grenzſtreitigkeiten. In den ſpaniſchen wie in den portugieſiſchen Kolonieen beſchuldigt248 man die Regierung der Gleichgültigkeit und Läſſigkeit. Ueberall wo die Völker keine Verfaſſung haben, deren Grundlage die Freiheit iſt, geraten die Gemüter nur dann in Aufregung, wenn es ſich davon handelt, die Grenzen des Landes weiter oder enger zu machen.

Der Rio Negro und der Jupura ſind zwei Nebenflüſſe des Amazonenſtromes, die in Länge der Donau wenig nach - geben, und deren oberer Lauf den Spaniern gehört, während der untere in den Händen der Portugieſen iſt. An dieſen zwei majeſtätiſchen Strömen hat ſich die Bevölkerung nur in der Nähe des älteſten Mittelpunktes der Kultur bedeutend vermehrt. Die Ufer des oberen Jupura oder Caqueta wurden von Miſſionären kultiviert, die aus den Kordilleren von Po - payan und Neiva gekommen waren. Von Macoa bis zum Einfluß des Caguan gibt es ſehr viele chriſtliche Nieder - laſſungen, während am unteren Jupura die Portugieſen kaum ein paar Dörfer gegründet haben. Am Rio Negro dagegen konnten es die Spanier ihren Nachbarn nicht gleich thun. Wie kann man ſich auf eine Bevölkerung ſtützen, wenn ſie ſo weit abliegt als die in der Provinz Caracas? Faſt völlig unbewohnte Steppen und Wälder liegen, 720 km breit, zwi - ſchen dem angebauten Küſtenſtrich und den vier Miſſionen Macoa, Tomo, Davipe und San Carlos, den einzigen, welche die ſpaniſchen Franziskaner längs des Rio Negro zuſtande gebracht. Bei den Portugieſen in Braſilien hat das mili - täriſche Regiment, das Syſtem der Presides und Capitanes pobladores dem Miſſionsregiment gegenüber die Oberhand gewonnen. Von Gran-Para iſt es allerdings ſehr weit zur Einmündung des Rio Negro;1In gerader Linie 675 km. aber bei der bequemen Schiff - fahrt auf dem Amazonenſtrom, der wie ein ungeheurer Kanal von Weſt nach Oſt gerade fortläuft, konnte ſich die portu - gieſiſche Bevölkerung längs des Stromes raſch ausbreiten. Die Ufer des unteren Amazonenſtromes von Viſtoza bis Serpa, ſowie die des Rio Negro von Forte da Bara bis San Joſe de Marabitanos ſind geſchmückt mit reichem An - bau und mit zahlreichen Städten und anſehnlichen Dörfern bedeckt.

An dieſe Betrachtungen über die örtlichen Verhältniſſe reihen ſich andere an, die ſich auf die moraliſche Verfaſſung249 der Völker beziehen. Auf der Nordweſtküſte Amerikas ſind bis auf dieſen Tag keine feſten Niederlaſſungen außer den ruſſiſchen und den ſpaniſchen Kolonieen. Noch ehe die Be - völkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Oſt nach Weſt den Küſtenſtrich erreicht hatte, der zwiſchen dem 41. bis 50. Breitengrad lange die kaſtilianiſchen Mönche und die ſibiriſchen Jäger1Dieſe Jäger gehören zu Militärpoſten und hängen von der ruſſiſchen Geſellſchaft ab, deren Hauptaktionäre in Irkutsk ſind. Im Jahre 1804 war die kleine Feſtung (Krepoſt) in der Bucht von Jakutal noch 2700 km von den nördlichſten mexikaniſchen Beſitzungen entfernt. getrennt, ließen ſich letztere ſüdlich vom Rio Colombia nieder. So waren denn in Neukalifornien die Miſſionäre vom Orden des heil. Franz, deren Lebenswandel und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen, nicht wenig erſtaunt, als ſie hörten, in ihrer Nachbarſchaft ſeien griechiſche Prieſter eingetroffen, ſo daß die beiden Völker, welche das Oſt - und das Weſtende von Europa bewohnen, auf den Küſten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn ge - worden waren. Anders wiederum geſtalteten ſich die Ver - hältniſſe in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren Grenzen dieſelben Portugieſen wieder, die mit ihnen durch Sprache und Gemeindeverfaſſung einen der edelſten Reſte des römiſchen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie es aus Ungleichheit der Kräfte und allzu naher Berührung gefloſſen, zu einer nicht ſelten feindſeligen, immer aber eifer - ſüchtigen Macht geworden waren. Geht man von der Küſte von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen überhaupt, die europäiſche Handelspolitik der tägliche Gegen - ſtand des Intereſſes iſt) nach Süd, ſo fühlt man ſich mit jedem Tage mehr und mit wachſender Geſchwindigkeit allem entrückt, was mit dem Mutterlande zuſammenhängt. Mitten in den Steppen oder Lanos, in den mit Ochſenhäuten ge - deckten Hütten inmitten wilder Herden unterhält man ſich von nichts als von der Pflege des Viehes, von der Trocken - heit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden, den die Fledermäuſe an Färſen und Füllen angerichtet. Kommt man auf dem Orinoko in die Miſſionen in den Wäldern, ſo findet man die Einwohnerſchaft wieder mit anderen Dingen beſchäftigt, mit der Unzuverläſſigkeit der Indianer, die aus250 den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen Ernte der Schildkröteneier, mit den Beſchwerden eines heißen, ungeſunden Klimas. Kommen die Mönche über der Plage der Moskiten noch zu einem anderen Gedanken, ſo beklagt man ſich leiſe über den Präſidenten der Miſſionen, ſo ſeufzt man über die Verblendung der Leute, die im nächſten Kapitel den Guardian des Kloſters in Nueva Barcelona wieder wäh - len wollen. Alles hat hier ein rein örtliches Intereſſe, und zwar beſchränkt ſich dasſelbe auf die Angelegenheiten des Ordens, auf dieſe Wälder, wie die Mönche ſagen, estas selvas, die Gott uns zum Wohnſitz angewieſen . Dieſer etwas enge, aber ziemlich trübſelige Ideenkreis erweitert ſich, wenn man vom oberen Orinoko an den Rio Negro kommt und ſich der Grenze Braſiliens nähert. Hier ſcheinen alle Köpfe vom Dämon europäiſcher Politik beſeſſen. Das Nach - barland jenſeits des Amazonenſtromes heißt in der Sprache der ſpaniſchen Miſſionen weder Braſilien noch Capitania general von Gran-Para, ſondern Portugal; die kupfer - farbigen Indianer, die halbſchwarzen Mulatten, die ich von Barcelos zur ſpaniſchen Schanze San Carlos heraufkommen ſah, ſind Portugieſen. Dieſe Namen ſind im Munde des Volkes bis an die Küſte von Cumana, und mit Behagen er - zählt man den Reiſenden, welche Verwirrung ſie im Kopfe eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebürtigen Kom - mandanten von Vieja Guyana angerichtet hatten. Der alte Kriegsmann beſchwerte ſich, daß er zur See habe an den Orinoko kommen müſſen. Iſt es wahr, ſprach er, wie ich hier höre, daß ſpaniſch Guyana, dieſe große Provinz, ſich bis nach Portugal erſtreckt (zu los Portugueses), ſo möchte ich wiſſen, warum der Hof mich in Cadiz ſich hat einſchiffen laſſen? Ich hätte gerne ein paar Meilen weiter zu Lande gemacht. Dieſe Aeußerung von naiver Unwiſſenheit erinnert an eine verwunderliche Meinung des Kardinals Lorenzana. Dieſer Prälat, der übrigens in der Geſchichte ganz zu Hauſe iſt, ſagt in einem in neuerer Zeit in Mexiko gedruckten Buche, die Beſitzungen des Königs von Spanien in Neukalifornien und Neumexiko (ihr nördliches Ende liegt unter 37° 48′ der Breite) hängen über Land mit Sibirien zuſammen .

Wenn zwei Völker, die in Europa nebeneinander wohnen, Spanier und Portugieſen, auch auf dem neuen Kontinent Nachbarn geworden ſind, ſo verdanken ſie dieſes Verhältnis, um nicht zu ſagen dieſen Uebelſtand, dem Unternehmungs -251 geiſt, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriege - riſchen Ruhmes und ihrer politiſchen Größe entwickelt. Die kaſtilianiſche Sprache wird gegenwärtig in Süd - und Nord - amerika auf einer 8850 km langen Strecke geſprochen; be - trachtet man aber Südamerika für ſich, ſo zeigt ſich, daß das Portugieſiſche über einen größeren Flächenraum verbreitet iſt, aber von nicht ſo vielen Menſchen geſprochen wird als das Kaſtilianiſche. Das innige Band, das die ſchönen Sprachen eines Camoens und Lope de Vega verknüpft, hat, ſollte man meinen, Völker, die widerwillig Nachbarn geworden, nur noch weiter auseinander gebracht. Der Nationalhaß richtet ſich keineswegs nur nach der Verſchiedenheit in Abſtammung, Sitten und Kulturſtufe; überall, wo er ſehr ſtark ausge - ſprochen iſt, erſcheint er als die Folge geographiſcher Ver - hältniſſe und der damit gegebenen widerſtreitenden Intereſſen. Man verabſcheut ſich etwas weniger, wenn man weit aus - einander iſt und bei weſentlich verſchiedenen Sprachen gar nicht in Verſuchung kommt, miteinander zu verkehren. Dieſe Abſtufungen in der gegenſeitigen Stimmung nebeneinander lebender Völker fallen jedem auf, der Neukalifornien, die inneren Provinzen von Mexiko und die Nordgrenzen Bra - ſiliens bereiſt.

Als ich mich am ſpaniſchen Rio Negro befand, war, in - folge der auseinandergehenden Politik der beiden Höfe von Liſſabon und Madrid, das ſyſtematiſche Mißtrauen, dem die Kommandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den ruhigſten Zeiten gerne Nahrung geben, noch ſtärker als ge - wöhnlich. Die Kanoen kamen von Barcellos bis zu den ſpa - niſchen Miſſionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der Befehlshaber einer Truppenabteilung von 16 bis 18 Mann plagte die Garniſon mit Sicherheitsmaßregeln, welche der Ernſt der Lage erforderlich machte, und im Falle eines An - griffes hoffte er den Feind zu umzingeln . Sprachen wir davon, daß die portugieſiſche Regierung in Europa die vier kleinen Dörfer, welche die Franziskaner am oberen Rio Negro angelegt, ohne Zweifel ſehr wenig beachte, ſo fühlten ſich die Leute durch die Gründe, mit denen wir ſie beruhigen wollten, nur verletzt. Völkern, die durch alle Wechſel im Laufe von Jahrhunderten ihren Nationalhaß ungeſchwächt erhalten haben, iſt jede Gelegenheit erwünſcht, die demſelben neue Nahrung gibt. Dem Menſchen iſt bei allem wohl, was ſein Gemüt aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewußtſein252 bringt, ſei es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener eiferſüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurteilen entſpringt. Die ganze Perſönlichkeit der Völker iſt aus dem Mutterlande in die entlegenſten Kolonieen übergegangen, und der gegenſeitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir wiſſen aus Kruſenſterns anziehendem Reiſebericht, daß der Haß zweier flüchtigen Matroſen, eines Franzoſen und eines Engländers, zu einem langen Krieg zwiſchen den Bewohnern der Marqueſasinſeln Anlaß gab. Am Amazonenſtrom und Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portu - gieſiſchen und ſpaniſchen Dörfern einander nicht ausſtehen. Dieſe armen Menſchen ſprechen nur amerikaniſche Sprachen, ſie wiſſen gar nicht, was am anderen Ufer des Ozeans, drüben über der großen Salzlache vorgeht; aber die Kutten ihrer Miſſionäre ſind von verſchiedener Farbe, und dies miß - fällt ihnen im höchſten Grade.

Ich habe bei der Schilderung der Folgen des National - haſſes verweilt, den kluge Beamte zu mildern ſuchten, ohne ihn ganz beſchwichtigen zu können. Dieſe Eiferſucht iſt nicht ohne Einfluß auf den Umſtand geweſen, daß unſere geogra - phiſche Kunde von den Nebenflüſſen des Amazonenſtroms bis jetzt ſo mangelhaft iſt. Wenn der Verkehr unter den Ein - geborenen gehemmt iſt, und die eine Nation an der Mündung, die andere im oberen Flußgebiet ſitzt, ſo fällt es den Karten - zeichnern ſehr ſchwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die periodiſchen Ueberſchwemmungen, beſonders aber die Trage - plätze, über die man die Kanoen von einem Nebenfluß zum anderen ſchafft, deſſen Quellen in der Nähe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüſſe, die in Wahrheit nicht beſtehen. Die Indianer in den portu - gieſiſchen Miſſionen zum Beiſpiel ſchleichen ſich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerſeits auf dem Rio Guaicia und Rio Temo in den ſpaniſchen Rio Negro, andererſeits über die Trageplätze zwiſchen dem Cababuri, dem Paſimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den oberen Orinoko, um hinter Esmeralda den aromatiſchen Samen des Puchery - lorbeers zu ſammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, ſind vortreffliche Geographen; ſie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie ſie auf den Karten gezogen ſind, trotz der Schanzen und Eſtacamientos, und wenn die Miſſionäre ſie von ſo weit her, und zwar in ſo verſchiedenen Jahreszeiten253 kommen ſehen, ſo machen ſie ſich daran, Hypotheſen über ver - meintliche Flußverbindungen zu ſchmieden. Jeder Teil hat ein Intereſſe dabei, nicht zu ſagen, was er ganz gut weiß, und der Hang zu allem Geheimnisvollen, der bei rohen Men - ſchen ſo gemein und ſo lebendig iſt, thut das Seinige dazu, um die Sache im Dunkeln zu laſſen. Noch mehr, die ver - ſchiedenen Indianerſtämme, welche dieſes Waſſerlabyrinth be - fahren, geben den Flüſſen ganz verſchiedene Namen, und dieſe Namen werden durch Endungen, welche Waſſer, großes Waſſer, Strömung bedeuten, unkenntlich gemacht und ver - längert. Wie oft bin ich beim notwendigen Geſchäft, die Synonymie der Flüſſe ins reine zu bringen, in größter Ver - legenheit geweſen, wenn ich die geſcheiteſten Indianer vor mir hatte und ſie mittels eines Dolmetſchers über die Zahl der Nebenflüſſe, die Quellen und die Trageplätze befragte! Da in derſelben Miſſion drei, vier Sprachen geſprochen werden, ſo hält es ſehr ſchwer, die Ausſagen in Uebereinſtimmung zu bringen. Unſere Karten wimmeln von willkürlich abgekürzten oder entſtellten Namen. Um herauszubringen, was darauf richtig iſt, muß man ſich von der geographiſchen Lage der Nebenflüſſe, faſt möchte ich ſagen von einem gewiſſen etymo - logiſchen Takt leiten laſſen. Der Rio Uaupe oder Uapes der portugieſiſchen Karten iſt der Guapue der ſpaniſchen und der Ucayari der Eingeborenen. Der Anava der älteren Geo - graphen iſt Arrowſmiths Anauahu, und der Unanauhau oder Guanauhu der Indianer. Man ließ nicht gerne einen leeren Raum auf den Karten, damit ſie recht genau ausſehen möchten, und ſo erſchuf man Flüſſe und legte ihnen Namen bei, ohne zu wiſſen, daß dieſelben nur Synonyme waren. Erſt in der neueſten Zeit haben die Reiſenden in Amerika, in Perſien und Indien eingeſehen, wie viel darauf ankommt, daß man in der Namengebung korrekt iſt. Lieſt man die Reiſe des berühmten Ralegh, ſo iſt es eben nicht leicht, im See Mrecabo den See Maracaybo und im Marquis Paraco den Namen Pizarros, des Zerſtörers des Reichs der Inka, zu erkennen.

Die großen Nebenflüſſe des Amazonenſtromes heißen, ſelbſt bei den Miſſionären von europäiſcher Abſtammung, in ihrem oberen Laufe anders als im unteren. Der Iça heißt weiter oben Putumayo; der Jupura führt ſeinen Quellen zu den Namen Caqueta. Wenn man in den Miſſionen der An - daquies ſich nach dem wahren Urſprung des Rio Negro um - ſah, ſo konnte dies um ſo weniger zu etwas führen, da man254 den indianiſchen Namen des Fluſſes nicht kannte. In Javita, Maroa und San Carlos hörte ich ihn Guainia nennen. Southey, der gelehrte Geſchichtſchreiber Braſiliens, den ich überall ſehr genau fand, wo ich ſeine geographiſchen Angaben mit dem, was ich ſelbſt auf meinen Reiſen geſammelt, ver - gleichen konnte, ſagt ausdrücklich, der Rio Negro heiße auf ſeinem unteren Laufe bei den Eingeborenen Guiari oder Cu - rana, auf ſeinem oberen Laufe Ueneya. Das iſt ſoviel wie Gueneya ſtatt Guainia; denn die Indianer in dieſen Land - ſtrichen ſprechen ohne Unterſchied Guanaracua und Uanaracua, Guarapo und Uarapo. Aus dem letzteren haben Hondius1Auf ſeiner Karte zu Raleghs Reiſe. und alle alten Geographen durch ein komiſches Mißver - ſtändnis ihren Europa fluvius gemacht.

Es iſt hier der Ort, von den Quellen des Rio Negro zu ſprechen, über welche die Geographen ſchon ſo lange im Streit liegen. Dieſe Frage erſcheint nicht allein darum wichtig, weil es ſich vom Urſprung eines mächtigen Stromes handelt, was ja immer von Intereſſe iſt; ſie hängt mit einer Menge anderer Fragen zuſammen, mit den angeblichen Gabelungen des Caqueta, mit den Verbindungen zwiſchen dem Rio Negro und dem Orinoko, und mit dem örtlichen Mythus vom Dorado, früher Enim oder das Reich des Großen Paytiti geheißen. Studiert man die alten Karten dieſer Länder und die Geſchichte der geographiſchen Irrtümer genau, ſo ſieht man, wie der Mythus vom Dorado mit den Quellen des Orinoko allmählich nach Weſten rückt. Er entſtand auf dem Oſtabhang der Anden und ſetzte ſich zuerſt, wie ich ſpäter nachweiſen werde, im Südweſten vom Rio Negro feſt. Der tapfere Philipp de Urre ging, um die große Stadt Manoa zu entdecken, über den Guaviare. Noch jetzt erzählen die In - dianer in San Joſe de Maravitanos, fahre man 14 Tage lang auf dem Guape oder Uaupe nach Nordoſt, ſo komme man zu einer berühmten Laguna de Oro, die von Bergen umgeben und ſo groß ſei, daß man das Ufer gegenüber nicht ſehen könne. Ein wildes Volk, die Guanes, leide nicht, daß man im Sandboden um den See Gold ſammle. Pater Acuña ſetzt den See Manoa oder Yenefiti zwiſchen den Ja - pura und den Rio Negro. Manaosindianer (dies iſt das Wort Manoa mit Verſchiebung der Vokale, was bei ſo vielen255 amerikaniſchen Völkern vorkommt) brachten dem Pater Fritz im Jahre 1687 viele Blätter geſchlagenen Goldes. Dieſe Nation, deren Namen noch heute am Urarira zwiſchen Lama - longa und Moreira bekannt iſt, ſaß am Jurubeſh (Yurubech, Yurubets). La Condamine ſagt mit Recht, dieſes Meſopo - tamien zwiſchen dem Caqueta, dem Rio Negro, dem Juru - beſh und dem Iquiare ſei der erſte Schauplatz des Dorado. Wo ſoll man aber die Namen Jurubeſh und Iquiare der Patres Acuña und Fritz ſuchen? Ich glaube ſie in den Flüſſen Urubaxi und Iguari der handſchriftlichen portugieſi - ſchen Karten wieder zu finden, die ich beſitze und die im hydro - graphiſchen Depot zu Rio Janeiro gezeichnet wurden. Seit vielen Jahren habe ich nach den älteſten Karten und einem anſehnlichen, von mir geſammelten, nicht veröffentlichten Ma - terial mit anhaltendem Eifer Unterſuchungen über die Geo - graphie Südamerikas nördlich vom Amazonenſtrom angeſtellt. Da ich meinem Werke den Charakter eines wiſſenſchaftlichen Werkes bewahren möchte, darf ich mich nicht ſcheuen, von Gegenſtänden zu handeln, über die ich hoffen kann einiges Licht zu verbreiten, nämlich von den Quellen des Rio Negro und des Orinoko, von der Verbindung dieſer Flüſſe mit dem Amazonenſtrom, und vom Problem vom Goldlande, das den Bewohnern der Neuen Welt ſo viel Blut und ſo viel Thränen gekoſtet hat. Ich werde dieſe Fragen nacheinander behandeln, wie ich in meinem Reiſetagebuche an die Orte komme, wo ſie von den Einwohnern ſelbſt am lebhafteſten beſprochen werden. Da ich aber ſehr ins Einzelne gehen müßte, wenn ich alle Beweiſe für meine Aufſtellungen beibringen wollte, ſo be - ſchränke ich mich hier darauf, die hauptſächlichſten Ergebniſſe mitzuteilen, und verſchiebe die weitere Ausführung auf die Analyse des Cartes und den Essai sur la géographie astronomique du Nouveau-Continent , welche den geogra - phiſchen Atlas eröffnen ſollen.

Dieſe meine Unterſuchungen führen zum allgemeinen Schluß, daß die Natur bei der Verteilung fließender Gewäſſer auf der Erdoberfläche, wie beim Bau der organiſchen Körper, lange nicht nach einem ſo verwickelten Plane verfahren iſt, als man unter dem Einfluß unbeſtimmter Anſchauungen und des Hangs zum Wunderbaren geglaubt hat. Es geht auch daraus hervor, daß alle jene Anomalieen, alle jene Ausnahmen von den Geſetzen der Hydrographie, die im Inneren Amerikas vorkommen, nur ſcheinbar ſind; daß in der Alten Welt beim256 Laufe fließender Gewäſſer gleich außerordentliche Erſcheinungen vorkommen, daß aber dieſe Erſcheinungen vermöge ihres un - bedeutenden Umfanges den Reiſenden weniger aufgefallen ſind. Wenn ungeheure Ströme betrachtet werden können als aus mehreren, untereinander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen beſtehend, wenn dieſe Ströme nicht in Thäler eingeſchloſſen ſind, und wenn das Innere eines großen Feſtlandes ſo eben iſt als bei uns das Meeresufer, ſo müſſen die Verzweigungen, die Gabelungen, die netzförmigen Verſchlingungen ſich ins Un - endliche häufen. Nach allem, was wir vom Gleichgewicht der Meere wiſſen, kann ich nicht glauben, daß die Neue Welt ſpäter als die Alte dem Schoße des Waſſers entſtiegen, daß das organiſche Leben in ihr jünger, friſcher ſein ſollte; wenn man aber auch keine Gegenſätze zwiſchen den zwei Halbkugeln desſelben Planeten gelten läßt, ſo begreift ſich doch, daß auf derjenigen, welche die größte Waſſerfülle hat, die verſchiedenen Flußſyſteme längere Zeit gebraucht haben, ſich voneinander zu ſcheiden, ſich gegenſeitig völlig unabhängig zu machen. Die Anſchwemmungen, die ſich überall bilden, wo fließendes Waſſer an Geſchwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die großen Strombetten zu erhöhen und die Ueberſchwemmungen ſtärker zu machen; aber auf die Länge werden die Flußarme und ſchmalen Kanäle, welche benachbarte Flüſſe miteinander verbinden, durch dieſe Anſchwemmungen ganz verſtopft. Was das Regenwaſſer zuſammenſpült, bildet, indem es ſich auf - häuft, Schwellen, isthmes d’attérissement, Waſſerſcheiden, die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon iſt, daß die natürlichen, urſprünglichen Verbindungskanäle nach und nach in zwei Waſſerläufe zerfallen, und durch die Aufhöhung des Bodens in der Quere zwei Gefälle nach entgegengeſetzten Richtungen erhalten. Ein Teil ihres Waſſers fällt in den Hauptwaſſerbehälter zurück, und zwiſchen zwei parallelen Becken erhebt ſich eine Böſchung, ſo daß die ehemalige Verbindung ſpurlos verſchwindet. Sofort beſtehen zwiſchen verſchiedenen Flußſyſtemen keine Gabelungen mehr, und wo ſie zur Zeit der großen Ueberſchwemmungen noch immer vorhanden ſind, tritt das Waſſer vom Hauptbehälter nur weg, um nach größeren oder kleineren Umwegen wieder dahin zurückzukehren. Die Gebiete, deren Grenzen anfangs ſchwankend durcheinander liefen, ſchließen ſich nach und nach ab, und im Laufe der Jahrhunderte wirkt alles, was an der Erdoberfläche beweglich iſt, Waſſer, Schwemmung und Sand zuſammen, um die257 Flußbetten zu trennen, wie die großen Seen in mehrere zer - fallen und die Binnenmeere ihre alten Verbindungen ver - lieren. 1Die geologiſche Bodenbeſchaffenheit ſcheint, trotz der gegen - wärtigen Verſchiedenheit in der Höhe des Waſſerſpiegels, darauf hinzudeuten, daß in vorgeſchichtlicher Zeit das Schwarze Meer, das Kaſpiſche Meer und der Aralſee miteinander in Verbindung ge - ſtanden haben. Der Ausfluß des Arals in das Kaſpiſche Meer ſcheint zum Teil ſogar jünger und unabhängig von der Gabel - teilung des Gihon (Oxus), über die einer der gelehrteſten Geo - graphen unſerer Zeit, Ritter, neues Licht verbreitet hat.

Da die Geographen ſchon im 16. Jahrhundert die Ueber - zeugung gewonnen hatten, daß in Südamerika zwiſchen ver - ſchiedenen Flußſyſtemen Gabelteilungen beſtehen, die ſie gegen - ſeitig voneinander abhängig machen, ſo nahmen ſie an, daß die fünf großen Nebenflüſſe des Orinoko und des Amazonen - ſtromes, Guaviare, Inirida, Rio Negro, Caqueta oder Hya - pura, und Putumayo oder Iça untereinander zuſammenhängen. Dieſe Hypotheſen, welche auf unſeren Karten in verſchiedenen Geſtalten dargeſtellt ſind, entſtanden zum Teil in den Miſ - ſionen in den Ebenen, zum Teil auf dem Rücken der Kor - dilleren der Anden. Reiſt man von Santa Fé de Bogota über Fuſagaſuga nach Popayan und Paſto, ſo hört man die Gebirgsbewohner behaupten, am Oſtabhange der Paramos de la Suma Paz (des ewigen Friedens), des Iscancè und Aponte entſpringen alle Flüſſe, die zwiſchen dem Meta und dem Putumayo durch die Wälder von Guyana ziehen. Da man die Nebenflüſſe für den Hauptſtrom hält und man alle Flüſſe rückwärts bis zur Bergkette reichen läßt, ſo wirft man dort die Quellen des Orinoko, des Rio Negro und des Gua - viare zuſammen. Am ſteilen Oſtabhange der Anden iſt ſehr ſchwer herunterzukommen, eine engherzige Politik hat dem Handel mit den Llanos am Meta, am San Juan und Caguan Feſſeln angelegt, man hat wenig Intereſſe, die Flüſſe zu ver - folgen, um ihre Verzweigungen kennen zu lernen; durch all dieſe Umſtände iſt die geographiſche Verwirrung noch größer geworden. Als ich in Santa Fé de Bogota war, kannte man kaum den Weg, der über die Dörfer Usme, Ubaque und Ca - queza nach Apiay und zum Landungsplatze am Rio Meta führt. Erſt in neueſter Zeit konnte ich die Karte dieſes Fluſſes nach den Reiſetagebüchern des Kanonikus Cortez MadariagaA. v. Humboldt, Reiſe. III. 17258und nach den Ermittelungen während des Unabhängigkeits - krieges in Venezuela berichtigen.

Ueber die Lage der Quellen am Fuße der Kordilleren zwiſchen 20″ und 10′ nördlicher Breite wiſſen wir zuverläſſig, was folgt. Hinter dem Paramo de la Suma Paz, den ich von Pandi an aufnehmen konnte, entſpringt der Rio de Aguas Blancas, der mit dem Pachaquiaro oder Rio Negro von Apiay den Meta bildet; weiter nach Süden kommt der Rio Ariari, ein Nebenfluß des Guaviare, deſſen Mündung ich bei San Fernando de Atabapo geſehen. Geht man auf dem Rücken der Kordillere weiter gegen Ceja und den Paramo von Aponte zu, ſo kommt man an den Rio Guayavero, der am Dorfe Aramo vorbeiläuft und ſich mit dem Ariari verbindet; unterhalb ihrer Vereinigung bekommen die Flüſſe den Namen Guaviare. Südweſtlich vom Paramo de Aponte entſpringen am Fuße der Berge bei Santa Roſa der Rio Caqueta, und auf der Kordillere ſelbſt der Rio de Mocoa, der in der Geſchichte der Eroberung eine große Rolle ſpielt. Dieſe beiden Flüſſe, die ſich etwas oberhalb der Miſſion San Auguſtin de Nieto vereinigen, bilden den Japura oder Caqueta. Der Cerro del Portachuelo, ein Berg, der ſich auf der Hochebene der Kordilleren ſelbſt erhebt, liegt zwiſchen den Quellen des Mocoa und dem See Sebondoy, aus dem der Rio Putumayo oder Iça entſpringt. Der Meta, der Guaviare, der Caqueta und der Putumayo ſind alſo die ein - zigen großen Flüſſe, die unmittelbar am Oſtabhange der Anden von Santa Fé, Popayan und Paſto entſpringen. Der Vichada, der Zama, der Inirida, der Rio Negro, der Uaupe und der Apoporis, die unſere Karten gleichfalls weſtwärts bis zum Gebirge fortführen, entſpringen weit weg von demſelben ent - weder in den Savannen zwiſchen Meta und Guaviare oder im bergigen Lande, das, nach den Ausſagen der Eingeborenen, fünf, ſechs Tagereiſen weſtwärts von den Miſſionen am Javita und Maroa anfängt und ſich als Sierra Tunuhy jenſeits des Xiè dem Iſſana zu erſtreckt.

Es erſcheint ziemlich auffallend, daß dieſer Kamm der Kordillere, dem ſo viele majeſtätiſche Flüſſe entſpringen (Meta, Guaviare, Caqueta, Putumayo), ſo wenig mit Schnee bedeckt iſt als die abeſſiniſchen Gebirge, aus denen der blaue Nil kommt; dagegen trifft man, wenn man die Gewäſſer, die über die Ebenen ziehen, hinaufgeht, bevor man an die Kor - dillere der Anden kommt, einen noch thätigen Vulkan. Der -259 ſelbe wurde erſt in neueſter Zeit von den Franziskanern entdeckt, die von Ceja über den Rio Fragua an den Caqueta herunterkommen. Nordöſtlich von der Miſſion Santa Roſa, weſtlich vom Puerto del Pescado, liegt ein einzeln ſtehender Hügel, der Tag und Nacht Rauch ausſtößt. Es rührt dies von einem Seitenausbruche der Vulkane von Popayan und Paſto her, wie der Guacamayo und der Sangay, die gleich - falls am Fuße des Oſtabhanges der Anden liegen, von Seiten - ausbrüchen des Vulkanſyſtemes von Quito herrühren. Iſt man mit den Ufern des Orinoko und des Rio Negro bekannt, wo überall das Granitgeſtein zu Tage kommt, bedenkt man, daß in Braſilien, in Guyana, auf dem Küſtenlande von Vene - zuela, vielleicht auf dem ganzen Kontinent oſtwärts von den Anden, ſich gar kein Feuerſchlund findet, ſo erſcheinen die drei thätigen Vulkane an den Quellen des Caqueta, des Napo und des Rio Macas oder Morona ſehr intereſſant.

Die impoſante Größe des Rio Negro fiel ſchon Orellana auf, der ihn im Jahre 1539 bei ſeinem Einfluß in den Ama - zonenſtrom ſah, undas nigras spargens; aber erſt ein Jahr - hundert ſpäter ſuchten die Geographen ſeine Quellen am Abhange der Kordilleren auf. Acuñas Reiſe gab Anlaß zu Hypotheſen, die ſich bis auf unſere Zeit erhalten haben und von La Condamine und d’Anville maßlos gehäuft wurden. Acuña hatte im Jahre 1638 an der Einmündung des Rio Negro gehört, einer ſeiner Zweige ſtehe mit einem anderen großen Strome in Verbindung, an dem die Holländer ſich niedergelaſſen. Southey bemerkt ſcharfſinnig, daß man ſo etwas in ſo ungeheurer Entfernung von der Küſte gewußt, beweiſe, wie ſtark und vielfach damals der Verkehr unter den barbariſchen Völkern dieſer Länder (beſonders unter denen von karibiſchem Stamme) geweſen. Es bleibt unentſchieden, ob die Indianer, die Acuña Rede ſtanden, den Caſſiquiare meinten, den natürlichen Kanal zwiſchen Orinoko und Rio Negro, den ich von San Carlos nach Esmeralda hinaufgefahren bin, oder ob ſie ihm nur unbeſtimmt die Trageplätze zwiſchen den Quellen des Rio Branco1Dies iſt der Rio Parime, Rio Blanco, Rio de Aguas Blancas unſerer Karten, der unterhalb Barcellos in den Rio Negro fällt. und des Rio Eſſequibo andeuten wollten. Acuña ſelbſt dachte nicht daran, daß der große Strom, deſſen Mündung die Holländer beſaßen, der Orinoko ſei; er nahm260 vielmehr eine Verbindung mit dem Rio San Felipe an, der weſtlich vom Kap Nord ins Meer fällt, und auf dem nach ſeiner Anſicht der Tyrann Lopez de Aguirre ſeine lange Fluß - fahrt beſchloſſen hatte. Letztere Annahme ſcheint mir ſehr gewagt, wenn auch der Tyrann in ſeinem närriſchen Briefe an Philipp II. ſelbſt geſteht, er wiſſe nicht, wie er und die Seinigen aus der großen Waſſermaſſe herausgekommen .

Bis zu Acuñas Reiſe und den ſchwankenden Angaben, die er über Verbindungen mit einem anderen großen Fluſſe nordwärts vom Amazonenſtrome erhielt, ſahen die unterrich - tetſten Miſſionäre den Orinoko für eine Fortſetzung des Ca - queta (Kaqueta, Caketa) an. Dieſer Strom, ſagte Fray Pedro Simon im Jahre 1625, entſpringt am Weſtabhange des Paramo d’Iscancè. Er nimmt den Papamene auf, der von den Anden von Neiva herkommt, und heißt nacheinander Rio Iscancè, Tama (wegen des angrenzenden Gebietes der Tamasindianer), Guayare, Baraguan und Orinoko. Nach der Lage des Paramo d’Iscancè, eines hohen Kegelberges, den ich auf der Hochebene von Mamendoy und an den ſchönen Ufern des Mayo geſehen, muß in dieſer Beſchreibung der Caqueta gemeint ſein. Der Rio Papamene iſt der Rio de la Fragua, der mit dem Rio Mocoa ein Hauptzweig des Caqueta iſt; wir kennen denſelben von den ritterlichen Zügen Georgs von Speier und Philipps von Hutten her. 1Den berühmten Namen Hutten erkennt man in den ſpani - ſchen Geſchichtſchreibern kaum wieder. Sie nennen Philipp von Hutten, mit Wegwerfung des aſpirierten H, Felipe de Uten, de Urre, oder de Utre.Die beiden Kriegs - männer kamen an den Papamene erſt, nachdem ſie über den Ariari und den Guayavero gegangen. Die Tamasindianer ſind noch jetzt am nördlichen Ufer des Caqueta eine der ſtärkſten Nationen; es iſt alſo nicht zu verwundern, daß, wie Fray Pedro Simon ſagt, dieſer Fluß Rio Tama genannt wurde. Da die Quellen der Nebenflüſſe des Caqueta und die Neben - flüſſe des Guaviare nahe beiſammen liegen, und da dieſer einer der großen Flüſſe iſt, die in den Orinoko fallen, ſo bildete ſich mit dem Anfange des 17. Jahrhunderts die irrige Anſicht, Caqueta (Rio de Iscancè und Papamene), Guaviare (Guayare) und Orinoko ſeien ein und derſelbe Fluß. Niemand war den Caqueta dem Amazonenſtrome zu hinabgefahren, ſonſt hätte man geſehen, daß der Fluß, der weiter unten Jupupa261 heißt, eben der Caqueta iſt. Eine Sage, die ſich bis jetzt unter der Bevölkerung dieſes Landſtriches erhalten hat, der zufolge ein Arm des Caqueta oberhalb des Einfluſſes des Caguan und des Payoya zum Irinida und Rio Negro geht, muß auch zu der Meinung beigetragen haben, daß der Orinoko am Abhange der Gebirge von Paſto entſpringe.

Wie wir geſehen, ſetzte man in Neugranada voraus, die Waſſer des Caqueta laufen, wie die des Ariari, Meta und Apure, dem großen Orinokobecken zu. Hätte man genauer auf die Richtung dieſer Nebenflüſſe geachtet, ſo wäre man gewahr geworden, daß allerdings das ganze Land im großen nach Oſten abfällt, daß aber die Bodenpolyeder, aus denen die Niederungen beſtehen, ſchiefe Flächen zweiter Ordnung bilden, die nach Nordoſt und Südoſt geneigt ſind. Eine faſt unmerkliche Waſſerſcheide läuft unter dem 2. Breitengrade von den Anden von Timana zu der Landenge zwiſchen Javita und dem Caño Pimichin, über die unſere Piroge geſchafft worden. Nördlich vom Parallel von Timana laufen die Ge - wäſſer1Inirida, Guaviare, Vichada, Zama, Meta, Caſamare, Apure. nach Nordoſt und Oſt: es ſind die Nebenflüſſe des Orinoko oder die Nebenflüſſe ſeiner Nebenflüſſe. Aber ſüdlich vom Parallel von Timana, auf den Ebenen, welche denen von San Juan vollkommen zu gleichen ſcheinen, laufen der Caqueta oder Jupura, der Putumayo oder Iça, der Napo, der Paſtaça und der Morona nach Südoſt und Süd-Südoſt und ergießen ſich ins Becken des Amazonenſtromes. Dabei iſt ſehr merkwürdig, daß dieſe Waſſerſcheide ſelbſt nur als eine Fortſetzung derjenigen erſcheint, die ich in den Kordilleren auf dem Wege von Popayan nach Paſto gefunden. Zieht man den Landhöhen nach eine Linie über Ceja (etwas ſüdlich von Timana) und den Paramo de las Papas zum Alto del Roble, zwiſchen 45′ und 20′ der Breite, in 1890 m Meeres - höhe, ſo findet man die divortia aquarum zwiſchen dem Meere der Antillen und dem Stillen Ozean.

Vor Acuñas Reiſe herrſchte bei den Miſſionären die An - ſicht, Caqueta, Guaviare und Orinoko ſeien nur verſchiedene Benennungen desſelben Fluſſes; aber der Geograph Sanſon ließ auf den Karten, die er nach Acuñas Beobachtungen ent - warf, den Caqueta ſich in zwei Arme teilen, deren einer der Orinoko, der andere der Rio Negro oder Curiguacuru ſein262 ſollte. Dieſe Gabelteilung unter rechtem Winkel erſcheint auf allen Karten von Sanſon, Coronelli, du Val und de l’Isle von 1656 bis 1730. Man glaubte auf dieſe Weiſe die Ver - bindungen zwiſchen den großen Strömen zu erklären, von denen Acuña die erſte Kunde von der Mündung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Jupura die Fortſetzung des Caqueta ſei. Zuweilen ließ man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der ſich gabelt, Rio Paria oder Yuyapari, wie der Orinoko ehemals hieß. De l’Isle ließ in ſeiner letzten Zeit den Caqueta ſich nicht mehr gabeln, zum großen Verdruß La Condamines; er machte den Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu völlig unab - hängigen Flüſſen, und als wollte er alle Ausſicht auf eine Verbindung zwiſchen Orinoko und Rio Negro abſchneiden, zeichnete er zwiſchen beiden Strömen eine hohe Bergkette. Bereits Pater Fritz hatte dasſelbe Syſtem und zur Zeit des Hondius galt es für das wahrſcheinlichſte.

La Condamines Reiſe, die über verſchiedene Striche Amerikas ſo viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegen - heit vom Laufe des Caqueta, Orinoko und Rio Negro nur noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelehrte ſah allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß iſt, der am Amazonenſtrome Jupura heißt; dennoch nahm er nicht allein Sanſons Hypotheſe an, er brachte die Zahl der Gabel - teilungen des Caqueta ſogar auf drei. Durch die erſte gibt der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab; eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua; in einer dritten teilt ſich der Rio Paragua wiederum in zwei Flüſſe, den Orinoko und den Rio Negro. Dieſes rein er - ſonnene Syſtem ſieht man in der erſten Ausgabe von d’An - villes ſchöner Karte von Amerika dargeſtellt. Es ergibt ſich daraus, daß der Rio Negro vom Orinoko unterhalb der großen Katarakte abgeht, und daß man, um an die Mündung des Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus der der Rio Jupura entſpringt, hinauf muß. Als La Con - damine erfuhr, daß der Orinoko keineswegs am Fuße der Anden von Paſto, ſondern auf der Rückſeite der Berge von Cayenne entſpringe, änderte er ſeine Vorſtellungen auf ſehr ſinnreiche Weiſe ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoko ab; Guaviare, Atabapo, Caſſiquiare und die Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erſchienen auf d’Anvilles zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Geſtalt,263 aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entſtehen der Inirida und der Rio Negro. Dieſes Syſtem wurde von Pater Caulin gut geheißen, auf der Karte von La Cruz dar - geſtellt und auf allen Karten bis zum Anfang des 19. Jahr - hunderts kopiert. Dieſe Namen: Caqueta, Orinoko, Inirida, haben allerdings nicht ſo viel Anziehendes, wie die Flüſſe im Inneren Nigritiens; es knüpfen ſich eben keine geſchichtlichen Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Kombinationen der Geographen der Neuen Welt erinnern an die krauſen Zeichnungen vom Laufe des Nigir, des Weißen Nil, des Gambaro, des Dſcholiba und des Zaïre. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypotheſen an Umfang ab; die Pro - bleme ſind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographie, das man ſpekulative, um nicht zu ſagen divinatoriſche Geo - graphie nennen könnte, zieht ſich in immer engere Grenzen zuſammen.

Alſo nicht am Caqueta, ſondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des letzteren Fluſſes erhalten. Die Indianer in den Miſſionen Maroa, Tomo und San Carlos wiſſen nichts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe ſeine Breite bei der Schanze San Agoſtino gemeſſen; es ergaben ſich 569 m;1Dies iſt dreimal die Breite der Seine beim Jardin des plantes. die mittlere Breite war 380 bis 485 m. La Condamine ſchätzt dieſelbe in der Nähe der Ausmündung in den Amazonenſtrom an der ſchmälſten Stelle auf 2340 m; der Fluß wäre alſo auf einem Laufe von 10 Grad in gerader Linie um 1950 m breiter geworden. Obgleich die Waſſer - maſſe, wie wir ſie zwiſchen Maroa und San Carlos geſehen, ſchon ziemlich bedeutend iſt, verſichern die Indianer dennoch, der Guainia entſpringe fünf Tagereiſen zu Waſſer nordweſt - wärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigen Landſtriche, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Caſſiquiare von San Carlos bis zum Punkte der Gabel - teilung am Orinoko in 10 bis 11 Tagen hinauffährt, ſo kann man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht ſo ſtarke Strömung zu etwas über 20′ in gerader Richtung anneh - men, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längen - beobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71° 35′ weſtlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich264 die Ausſagen der Eingeborenen vollkommen übereinſtimmten, liegen die Quellen wohl noch weiter nach Weſten, da die Kanoen nur ſo weit hinaufkommen, als das Flußbett es ge - ſtattet. Nach der Analogie der europäiſchen Flüſſe läßt ſich das Verhältnis zwiſchen der Breite und Länge des oberen Flußſtückes1Bei Seine und Marne z. B. ſind es von Paris bis zu den Quellen in gerader Richtung mehr als . nicht beſtimmt beurteilen. In Amerika nimmt häufig die Waſſermaſſe in den Flüſſen auf kurzen Strecken ſehr auffallend zu.

Der Guainia iſt in ſeinem oberen Laufe vorzüglich dadurch ausgezeichnet, daß er keine Krümmungen hat; er erſcheint wie ein breiter Kanal, der durch einen dichten Wald gezogen iſt. So oft der Fluß die Richtung verändert, liegt eine gleich lange Waſſerſtrecke vor dem Auge. Die Ufer ſind hoch, aber eben und ſelten felſig. Der Granit, den ungeheure Quarz - gänge durchſetzen, kommt meiſt nur mitten im Bett zu Tage. Fährt man den Guainia nach Nordweſt hinauf, ſo wird die Strömung mit jeder Tagereiſe reißender. Die Flußufer ſind unbewohnt; erſt in der Nähe der Quellen (las cavezeras), im bergigen Lande, hauſen die Maniva - oder Poignave-India - ner. Die Quellen des Inirida (Iniricha) liegen, nach der Ausſage der Indianer, nur 9 bis 13 km von denen des Guainia und es ließe ſich dort ein Trageplatz anlegen. Pater Caulin hörte in Cabruta aus dem Munde eines indianiſchen Häuptlings Namens Tapo, der Inirida ſei ſehr nahe beim Patavida (Paddavida auf der Karte von La Cruz), der ein Nebenfluß des Rio Negro iſt. Die Eingeborenen am oberen Guainia kennen dieſen Namen nicht, ſo wenig als den eines Sees (laguna del Rio Negro), der auf alten portugieſiſchen Karten vorkommt. Dieſer angebliche Rio Patavita iſt wahr - ſcheinlich nichts als der Guainia der Indianer in Maroa; denn ſolange die Geographen an die Gabelteilung des Caqueta glaubten, ließen ſie den Rio Negro aus dieſem Arme und einem Fluſſe entſtehen, den ſie Patavita nannten. Nach dem Berichte der Eingeborenen ſind die Berge bei den Quellen des Inirida und Guainia nicht höher als der Baraguan, der nach meiner Meſſung 240 m hoch iſt.

Portugieſiſche handſchriftliche Karten, die in neueſter Zeit im hydrographiſchen Depot zu Rio Janeiro entworfen worden ſind, beſtätigen, was ich an Ort und Stelle in Erfahrung265 gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida, dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; ſie ſtellen jeden dieſer Nebenflüſſe als einen unabhängigen Strom dar; ſie laſſen den Rio Patavita weg und ſetzen die Quellen des Guainia nur 15′ weſtwärts vom Meridian von Javita. Der Rio Uaupes, ein Nebenfluß des Guainia, ſcheint viel weiter aus Weſten herzukommen als der Guainia ſelbſt; und ſeine Richtung iſt ſo, daß kein Arm des Caqueta in den oberen Guainia kommen könnte, ohne ihn zu ſchneiden. Ich bringe zum Schluß dieſer Erörterung einen Beweis bei, der direkt gegen die Annahme ſpricht, nach welcher der Guainia, wie der Guaviare und der Caqueta, am Oſtabhange der Kordilleren der Anden entſpringen ſoll.

Während meines Aufenthaltes in Popayan machte mir der Guardian des Franziskanerkloſters, Fray Francisco Pugnet, ein liebenswürdiger, verſtändiger Mann, zuverläſſige Mittei - lungen über die Miſſionen der Adaquies, in denen er lange gelebt hat. Der Pater hatte eine beſchwerliche Reiſe vom Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von Hutten (Urre) und den erſten Zeiten der Eroberung war kein Europäer durch dieſes unbekannte Land gekommen. Pater Pugnet kam von der Miſſion Caguan am Fluſſe dieſes Namens, der in den Caqueta fällt, über eine unermeßliche, völlig baum - loſe Savanne, in deren öſtlichem Striche die Tamas - und Co - reguajesindianer hauſen. Nach ſechstägigem Marſche nord - wärts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am Guayavero, etwa 67 km weſtlich vom Punkte, wo der Guaya - vero und der Ariari den großen Guaviareſtrom bilden. Aramo iſt das am weiteſten nach Weſt gelegene Dorf der Miſſionen von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hörte dort von den großen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel denſelben, die der Präſident der Miſſionen am Orinoko auf ſeiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare hinauf geſehen); aber er kam zwiſchen Caguan und Aramo über keinen Fluß. Es iſt alſo erwieſen, daß unter dem 75. Grad der Länge, auf 180 km vom Abhange der Kordil - leren, mitten in den Lanos weder Rio Negro (Patavita, Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden ſind und daß dieſe drei Flüſſe oſtwärts von dieſem Meridian ent - ſpringen. Dieſe Angaben ſind von großem Wert; denn im inneren Afrika iſt die Geographie kaum ſo verworren als hier266 zwiſchen dem Atabapo und den Quellen des Meta, Guaviare und Caqueta. Man glaubt es kaum, ſagt Caldas in einer wiſſenſchaftlichen Zeitſchrift, die in Santa Fé de Bogota er - ſcheint, daß wir noch keine Karte von den Ebenen beſitzen, die am Oſtabhange der Gebirge beginnen, die wir täglich vor Augen haben und auf denen die Kapellen Guadeloupe und Monſerrate ſtehen. Kein Menſch weiß, wie breit die Kor - dilleren ſind, noch wie die Flüſſe laufen, die in den Orinoko und in den Amazonenſtrom fallen, und doch werden einſt in beſſeren Zeiten eben auf dieſen Nebenflüſſen, dem Meta, dem Guaviare, dem Rio Negro, dem Caqueta, die Einwohner von Cundinamarca mit Braſilien und Paraguay verkehren.

Ich weiß wohl, daß in den Miſſionen der Andaquies ziemlich allgemein der Glaube herrſcht, der Caqueta gebe zwiſchen dem Einfluſſe des Rio Fragua und des Caguan einen Arm an den Putumayo, und weiter unten, unterhalb der Einmündung des Rio Payoya, einen anderen an den Orinoko ab; aber dieſe Meinung ſtützt ſich nur auf eine unbeſtimmte Sage der Indianer, welche häufig Trageplätze und Gabel - teilungen verwechſeln. Wegen der Katarakte an der Mündung des Payoya und der wilden Huaquesindianer, auch Murcie - lagos (Fledermäuſe) genannt, weil ſie den Gefangenen das Blut ausſaugen, können die ſpaniſchen Miſſionäre nicht den Caqueta hinabfahren. Nie hat ein weißer Menſch den Weg von San Miguel de Mocoa zum Einfluſſe des Caqueta in den Amazonenſtrom gemacht. Bei der letzten Grenzkommiſſion fuhren die portugieſiſchen Aſtronomen zuerſt den Caqueta bis zu 36′ ſüdlicher Breite, dann den Rio de los Engaños (den trügeriſchen Fluß) und den Rio Cunare, die in den Caqueta fallen, bis zu 28′ nördlicher Breite hinauf. Auf dieſer Fahrt ſahen ſie nordwärts keinen Arm vom Caqueta abgehen. Der Amu und der Yabilla, deren Quellen ſie genau unterſucht, ſind Flüßchen, die in den Rio de los Engaños und mit dieſem in den Caqueta fallen. Findet alſo wirklich eine Gabelteilung ſtatt, ſo wäre ſie nur auf der ganz kurzen Strecke zwiſchen dem Einfluſſe des Payoya und dem zweiten Katarakt oberhalb des Einfluſſes des Rio de los Engaños zu ſuchen; aber, ich wiederhole es, wegen dieſes Fluſſes, wegen des Cunare, des Apoporis und des Uaupes könnte dieſer an - gebliche Arm des Caqueta gar nicht zum oberen Guainia ge - langen. Alles ſcheint vielmehr darauf hinzuweiſen, daß zwiſchen den Zuflüſſen des Caqueta und denen des Uaupes und Rio267 Negro eine Waſſerſcheide iſt. Noch mehr: Durch barometriſche Beobachtung haben wir für das Ufer des Pimichin 253 m Meereshöhe gefunden. Vorausgeſetzt, das bergige Land an den Quellen des Guainia liege 97 m über Javita, ſo folgt daraus, daß das Bett des Fluſſes in ſeinem oberen Laufe wenigſtens 390 m über dem Meere liegt, alſo nur ſo hoch, als wir mit dem Barometer das Ufer des Amazonenſtroms bei Tomependa in der Provinz Jaen de Bracamoros gefunden. Bedenkt man nun, wie ſtark dieſer ungeheure Strom von Tomependa bis zum Meridian von 75° fällt und wie weit es von den Miſſionen am Rio Caguan bis zur Kordillere iſt, ſo bleibt kein Zweifel, daß das Bett des Caqueta unterhalb der Mündungen des Caguan und des Payoya viel tiefer liegt als das Bett des oberen Guainia, an den er einen Teil ſeines Waſſers abgeben ſoll. Ueberdies iſt das Waſſer des Caqueta durchaus weiß, das des Guainia dagegen ſchwarz oder kaffee - braun; man hat aber kein Beiſpiel, daß ein weißer Fluß auf ſeinem Laufe ſchwarz würde. Der obere Guainia kann alſo kein Arm des Caqueta ſein. Ich zweifle ſogar, daß man Grund hat anzunehmen, dem Guainia, als vornehmſten und unabhängigen Waſſerbehälter, komme ſüdwärts durch einen Seitenzweig einiges Waſſer zu.

Die kleine Berggruppe an den Quellen des Guainia, die wir haben kennen lernen, iſt um ſo intereſſanter, da ſie einzeln in der Ebene liegt, die ſich ſüdweſtlich vom Orinoko ausdehnt. Nach der Länge, unter der ſie liegt, könnte man vermuten, von ihr gehe ein Kamm ab, der zuerſt die Stromenge (Ango - ſtura) des Guaviare und dann die großen Katarakte des Uaupes und des Jupura bildet. Kommt vielleicht dort, wo die Gebirgsart wahrſcheinlich, wie im Oſten, Granit iſt, Gold in kleinen Teilen im Boden vor? Gibt es vielleicht weiter nach Süden, dem Uaupes zu, am Iquiare (Iguiari, Iguari) und am Yurubeſh (Yurubach, Urubaxi) Goldwäſchen? Dort ſuchte Philipp von Hutten zuerſt den Dorado und lieferte mit einer Handvoll Leute den Omagua das im ſechzehnten Jahrhundert vielberufene Gefecht. Entkleidet man die Be - richte der Konquiſtadoren des Fabelhaften, ſo erkennt man an den erhaltenen Ortsnamen immerhin, daß geſchichtliche Wahrheit zu Grunde liegt. Man folgt dem Zuge Huttens über den Guaviare und den Caqueta, man erkennt in den Guaypes unter dem Kaziken von Macatoa die Anwohner des Uaupes, der auch Guape oder Guapue heißt; man er -268 innert ſich, daß Pater Acuña den Iquiari (Quiguiare) einen Goldfluß nennt, und daß fünfzig Jahre ſpäter Pater Fritz, ein ſehr glaubwürdiger Miſſionär, in ſeiner Miſſion Yuri - maguas von den Manaos (Manoas) beſucht wurde, die mit Goldblechen geputzt waren und aus dem Landſtriche zwiſchen dem Uaupe und dem Caqueta oder Jupura kamen. Die Flüſſe, die am Oſtabhange der Anden entſpringen (z. B. der Napo), führen viel Gold, auch wenn ihre Quellen im Trachyt - geſtein liegen: warum ſollte es oſtwärts von den Kordilleren nicht ſo gut goldhaltiges aufgeſchwemmtes Land geben, wie weſtwärts bei Sonora, Chocos und Barbacoas? Ich bin weit[entfernt], den Reichtum dieſes Landſtriches übertreiben zu wollen; aber ich halte mich nicht für berechtigt, das Vorkom - men edler Metalle im Urgebirge von Guyana nur deshalb in Abrede zu ziehen, weil wir auf unſerer Reiſe durch das Land keinen Erzgang gefunden haben. Es iſt auffallend, daß die Eingeborenen am Orinoko in ihren Sprachen ein Wort für Gold haben (karibiſch Carucuru, tamanakiſch Caricuri, maypuriſch Cavitta), während das Wort, das ſie für Silber gebrauchen, Prata, offenbar dem Spaniſchen entlehnt iſt. Die Nachrichten über Goldwäſchen ſüdlich und nördlich vom Rio Uaupes, die Acuña, Pater Fritz und La Condamine geſammelt, ſtimmen mit dem überein, was ich über die Goldlager in dieſem Landſtriche in Erfahrung gebracht. So ſtark man ſich auch den Verkehr unter den Völkern am Orinoko vor der Ankunft der Europäer denken mag, ſo haben ſie doch ihr Gold gewiß nicht vom Oſtabhang der Kordilleren geholt. Dieſer Abhang iſt arm an Erzgruben, zumal an ſolchen, die ſchon von alters her in Betrieb waren; er beſteht in den Provinzen Popayan, Paſto und Quito faſt ganz aus vulkaniſchem Ge - ſtein. Wahrſcheinlich kam das Gold nach Guyana aus dem Lande oſtwärts von den Anden. Noch zu unſerer Zeit wurde in einer Schlucht bei der Miſſion Encaramada ein Gold - geſchiebe gefunden, und man darf ſich nicht wundern, daß man, ſobald ſich Europäer in dieſen Einöden niederlaſſen, weniger von Goldblech, Goldſtaub und Amuletten aus Nephrit ſprechen hört, die man ſich früher von den Kariben und anderen umherziehenden Völkern im Tauſchhandel verſchaffen konnte. Die edlen Metalle waren am Orinoko, Rio Negro und Amazonenſtrom nie ſehr häufig, und ſie verſchwinden faſt ganz, ſobald die Zucht in den Miſſionen dem Verkehr der Eingeborenen über weite Strecken ein Ende macht.

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Am oberen Guainia iſt das Klima nicht ſo heiß, vielleicht auch etwas weniger feucht als am Tuamini. Ich fand das Waſſer des Rio Negro im Mai 23,9° warm, während der Thermometer in der Luft bei Tage auf 22,7° bei Nacht 21,8° ſtand. Dieſe Kühle des Waſſers, die faſt ebenſo beim Kongo - fluſſe beobachtet wird, iſt ſo nahe beim Aequator ( 53′ bis 15′ nördliche Breite) ſehr auffallend. Der Orinoko iſt zwi - ſchen dem 4. und 8. Grad der Breite meiſt 27,5° bis 29,5° warm. Die Quellen, die bei Maypures aus dem Granit kommen, haben 27,8°. Dieſe Abnahme der Wärme dem Aequa - tor zu ſtimmt merkwürdig mit den Hypotheſen einiger Phyſiker des Altertums;1Geminus, Isagoge in Aratum cap. 13. Strabo lib. II. es iſt indeſſen nur eine örtliche Erſcheinung und nicht ſowohl eine Folge der Meereshöhe des Landſtriches, als vielmehr des beſtändig bedeckten, regneriſchen Himmels, der Feuchtigkeit des Bodens, der dichten Wälder, der ſtarken Ausdünſtung der Gewächſe und des Umſtandes, daß kein ſan - diges Ufer den Wärmeſtoff anzieht und durch Strahlung wie - der von ſich gibt. Der Einfluß eines bezogenen Himmels zeigt ſich recht deutlich am Küſtenſtriche in Peru, wo niemals Regen fällt und die Sonne einen großen Teil des Jahres, zur Zeit der Garua (Nebel), dem bloßen Auge wie die Mondſcheibe erſcheint. Dort zwiſchen dem 10. und 12. Grad ſüdlicher Breite iſt die mittlere Temperatur kaum höher als in Algier und Kairo. Am Rio Negro regnet es faſt das ganze Jahr, Dezember und Januar ausgenommen, und ſelbſt in der trockenen Jahreszeit ſieht man das Blau des Himmels ſelten zwei, drei Tage hintereinander. Bei heiterer Luft erſcheint die Hitze deſto größer, da ſonſt das Jahr über die Einwohner ſich bei Nacht über Froſt beklagen, obgleich die Temperatur immer noch 21° beträgt. Ich ſtellte in San Carlos, wie früher in Javita, Beobachtungen über die Regen - menge an, die in einer gegebenen Zeit fällt. Dieſe Unter - ſuchungen ſind von Belang, wenn es ſich davon handelt, die ungeheure Anſchwellung der Flüſſe in der Nähe des Aequa - tors zu erklären, von denen man lange glaubte, ſie werden von den Kordilleren mit Schneewaſſer geſpeiſt. Ich ſah zu verſchiedenen Zeiten in 2 Stunden 16 mm, in 3 Stunden 40 mm, in 9 Stunden 106,8 mm Regen fallen. Da es un - aufhörlich fort regnet (der Regen iſt fein, aber ſehr dicht), ſo können, glaube ich, in dieſen Wäldern jährlich nicht wohl270 unter 2,43 bis 2,71 m Waſſer fallen. So außerordentlich viel dies auch ſcheinen mag, ſo wird dieſe Schätzung doch durch die ſorgfältigen Beobachtungen des Ingenieuroberſten Conſtanzo in Neuſpanien beſtätigt. In Veracruz fielen allein in den Monaten Juli, Auguſt und September 948 mm im ganzen Jahre 1,677 m Regenwaſſer; aber zwiſchen dem Klima der dürren, kahlen mexikaniſchen Küſten und dem Klima in den Wäldern iſt ein großer Unterſchied. Auf jenen Küſten fällt in den Monaten Dezember und Januar kein Tropfen Regen und im Februar, April und Mai meiſt nur 5 bis 6,1 cm; in San Carlos dagegen iſt es neun, zehn Monate hintereinan - der, als ob die Luft ſich in Waſſer auflöſte. In dieſem naſſen Himmelsſtriche würde ohne die Verdunſtung und den Abzug der Waſſer der Boden im Verlauf eines Jahres mit einer 2,6 m hohen Waſſerſchichte bedeckt. Dieſe Aequatorialregen, welche die majeſtätiſchen Ströme Amerikas ſpeiſen, ſind von elektriſchen Entladungen begleitet, und während man am Ende desſelben Kontinents, auf der Weſtküſte von Grönland,1Der Ritter Giſeke, der ſieben Jahre unter dem 70. Breiten - grad gelebt hat, ſah in der langen Verbannung, der er ſich aus Liebe zur Wiſſenſchaft unterzogen, nur ein einzigesmal blitzen. Auf der Küſte von Grönland verwechſelt man häufig das Getöſe der Lawinen oder ſtürzenden Eismaſſen mit dem Donner. in fünf und ſechs Jahren nicht einmal donnern hört, toben in der Nähe des Aequators die Gewitter faſt Tag für Tag. Die Gleichzeitigkeit der elektriſchen Entladungen und der Regengüſſe unterſtützt übrigens keineswegs die alte Hypotheſe, nach der ſich in der Luft durch Verbindung von Sauerſtoff und Waſſer - ſtoff Waſſer bildet. Man hat bis zu 7016 m Höhe vergeb - lich Waſſerſtoff geſucht. Die Menge des in der geſättigten Luft enthaltenen Waſſers nimmt von 20 bis 25° weit raſcher zu als von 10 bis 15°. Unter der heißen Zone bildet ſich daher, wenn ſich die Luft um einen einzigen Grad abkühlt, weit mehr ſichtbarer Waſſerdunſt als in der gemäßigten. Eine durch die Strömungen fortwährend erneuerte Luft kann ſomit alles Waſſer liefern, das bei den Aequatorialregen fällt und dem Phyſiker ſo erſtaunlich groß dünkt.

Das Waſſer des Rio Negro iſt (bei reflektiertem Lichte) dunkler von Farbe als das des Atabapo und des Tuamini. Ja die Maſſe weißen Waſſers, die der Caſſiquiare hereinbringt,271 ändert unterhalb der Schanze San Carlos ſo wenig an der Farbe, daß es mir auffiel. Der Verfaſſer der Chorographie moderne du Brésil ſagt ganz richtig, der Fluß habe überall, wo er nicht tief ſei, eine Bernſteinfarbe, wo das Waſſer aber ſehr tief ſei, erſcheine es ſchwarzbraun, wie Kaffeeſatz. Auch bedeutet Curana, wie die Eingeborenen den unteren Guainia nennen, ſchwarzes Waſſer. Die Vereinigung des Guainia oder Rio Negro mit dem Amazonenſtrom gilt in der Statt - halterſchaft Gran-Para für ein ſo wichtiges Moment, daß der Rio das Amazonas weſtlich vom Rio Negro ſeinen Namen ablegt und fortan Rio dos Solimoẽs heißt (eigentlich Sori - moẽs, mit Anſpielung auf das Gift der Nation der Sorimans). Weſtlich von Ucayale nimmt der Amazonenſtrom den Namen Rio Maranhaõ oder Marañon an. Die Ufer des oberen Guainia ſind im ganzen ungleich weniger von Waſſervögeln bevölkert als die des Caſſiquiare, Meta und Arauca, wo die Ornithologen die reichſte Ausbeute für die europäiſchen Samm - lungen finden. Daß dieſe Tiere ſo ſelten ſind, rührt ohne Zweifel daher, daß der Strom keine Untiefen und keine offenen Geſtade hat, ſowie von der Beſchaffenheit des ſchwarzen Waſſers, in dem (gerade wegen ſeiner Reinheit) Waſſerinſekten und Fiſche weniger Nahrung finden. Trotzdem nähren ſich die Indianer in dieſem Landſtriche zweimal im Jahre von Zug - vögeln, die auf ihrer langen Wanderung am Ufer des Rio Negro ausruhen. Wenn der Orinoko zu ſteigen anfängt, alſo nach der Frühlings-Tag - und Nachtgleiche, ziehen die Enten (Patos careteros) in ungeheuern Schwärmen vom 8. bis 3. Grad nördlicher zum 1. bis 4. Grad ſüdlicher Breite gegen Süd-Südoſt. Dieſe Tiere verlaſſen um dieſe Zeit das Thal des Orinoko, ohne Zweifel weil ſie, wenn das Waſſer ſteigt und die Geſtade überflutet, keine Fiſche, Waſſerinſekten und Würmer mehr fangen können. Man erlegt ſie zu Tauſenden, wenn ſie über den Rio Negro ziehen. Auf der Wanderung zum Aequator ſind ſie ſehr fett und wohlſchmeckend, aber im September, wenn der Orinoko fällt und in ſein Bett zurück - tritt, ziehen die Enten, ob ſie nun der Ruf der erfahrenſten Zugvögel dazu antreibt, oder jenes innere Gefühl, das man Inſtinkt nennt, weil es nicht zu erklären iſt, vom Amazonen - ſtrome und Rio Branco wieder nach Norden. Sie ſind zu mager, als daß die Indianer am Rio Negro lüſtern danach wären, und ſie entgehen ihren Nachſtellungen um ſo eher, da eine Reiherart (Gavanes) mit ihnen wandert, die ein vortreff -272 liches Nahrungsmittel abgibt. So eſſen denn die Eingeborenen im März Enten, im September Reiher. Sie konnten uns nicht ſagen, was aus den Gavanes wird, wenn der Orinoko ausgetreten iſt, und warum ſie die Patos carateros auf ihrer Wanderung vom Orinoko an den Rio Branco nicht be - gleiten. Dieſes regelmäßige Ziehen der Vögel aus einem Striche der Tropen in den anderen, in einer Zone, die das ganze Jahr über dieſelbe Temperatur hat, iſt eine ziemlich auffallende Erſcheinung. So kommen auch jedes Jahr, wenn in Terra Firma die großen Flüſſe austreten, viele Schwärme von Waſſervögeln vom Orinoko und ſeinen Nebenflüſſen an die Südküſten der Antillen. Man muß annehmen, daß unter den Tropen der Wechſel von Trockenheit und Näſſe auf die Sitten der Tiere denſelben Einfluß hat, wie in unſerem Himmelsſtriche bedeutende Temperaturwechſel. Die Sonnen - wärme und die Inſektenjagd locken in den nördlichen Ländern der Vereinigten Staaten und in Kanada die Kolibri bis zur Breite von Paris und Berlin herauf; gleicherweiſe zieht der leich - tere Fiſchfang die Schwimmvögel und die Stelzenläufer von Nord nach Süd, vom Orinoko zum Amazonenſtrom. Nichts iſt wunderbarer, und in geographiſcher Beziehung noch ſo dunkel als die Wanderungen der Vögel nach ihrer Richtung, ihrer Ausdehnung und ihrem Endziel.

Sobald wir aus dem Pimichin in den Rio Negro ge - langt und durch den kleinen Katarakt am Zuſammenfluß ge - gangen waren, lag auf etwa 1 km die Miſſion Maroa vor uns. Dieſes Dorf mit 150 Indianern ſieht ſo ſauber und wohlhabend aus, daß es angenehm auffällt. Wir kauften daſelbſt ſchöne lebende Exemplare einiger Tucanarten (Pia - poco), mutiger Vögel, bei denen ſich die Intelligenz wie bei unſeren zahmen Raben entwickelt. Oberhalb Maroa kamen wir zuerſt rechts am Einfluſſe des Aquio, dann an dem des Tomo vorbei; an letzterem Fluſſe wohnen die Cheruvichahenas - indianer, von denen ich in San Francisco Solano ein paar Familien geſehen habe. Derſelbe iſt ferner dadurch intereſſant, daß er den heimlichen Verkehr mit den portugieſiſchen Be - ſitzungen vermitteln hilft. Der Tomo kommt auf ſeinem Laufe dem Rio Guaicia (Xie) ſehr nahe, und auf dieſem Wege gelangen zuweilen flüchtige Indianer vom unteren Rio Negro in die Miſſion Tomo. Wir betraten die Miſſion nicht, Pater Zea erzählte uns aber lächelnd, die Indianer in Tomo und in Maroa ſeien einmal in vollem Aufruhr geweſen, weil man273 ſie zwingen wollte, den vielberufenen Teufelstanz zu tanzen. Der Miſſionär hatte den Einfall gehabt, die Ceremonien, womit die Piaches, die Prieſter, Aerzte und Zauberer zu - gleich ſind, den böſen Geiſt Jolokiamo beſchwören, in bur - leskem Stil darſtellen zu laſſen. Er hielt den Teufelstanz für ein treffliches Mittel, ſeinen Neubekehrten darzuthun, daß Jolokiamo keine Gewalt mehr über ſie habe. Einige junge Indianer ließen ſich durch die Verſprechungen des Miſſionärs bewegen, die Teufel vorzuſtellen, und ſie hatten ſich bereits mit ſchwarzen und gelben Federn geputzt und die Jaguarfelle mit lang nachſchleppenden Schwänzen umgenommen. Die Soldaten, die in den Miſſionen liegen, um die Ermahnungen der Ordensleute eindringlicher zu machen, ſtellte man um den Platz vor der Kirche auf und führte die Indianer zur Feſt - lichkeit herbei, die aber hinſichtlich der Folgen des Tanzes und der Ohnmacht des böſen Geiſtes nicht ſo ganz beruhigt waren. Die Partei der Alten und Furchtſamen gewann die Oberhand; eine abergläubiſche Angſt kam über ſie, alle wollten al monte laufen, und der Miſſionär legte ſeinen Plan, den Teufel der Eingeborenen lächerlich zu machen, zurück. Was für wunderliche Einfälle doch einem müßigen Mönche kommen, der ſein Leben in den Wäldern zubringt, fern von allem, was ihn an menſchliche Kultur mahnen könnte! Daß man in Tomo den geheimnisvollen Teufelstanz mit aller Gewalt öffentlich wollte aufführen laſſen, iſt um ſo auffallender, da in allen von Miſſionären geſchriebenen Büchern davon die Rede iſt, wie ſie ſich bemüht, daß keine Tänze aufgeführt werden, keine Totentänze , keine Tänze der heiligen Trompete , auch nicht der alte Schlangentanz , der Queti, bei dem vorgeſtellt wird, wie dieſe liſtigen Tiere aus dem Wald kommen und mit den Menſchen trinken, um ſie zu hintergehen und ihnen die Weiber zu entführen.

Nach zweiſtündiger Fahrt kamen wir von der Mündung des Tomo zu der kleinen Miſſion San Miguel da Davipe, die im Jahr 1775 nicht von Mönchen, ſondern von einem Milizlieutenant, Don Francisco Bobadilla, gegründet worden. Der Miſſionär Pater Morillo, bei dem wir ein paar Stun - den verweilten, nahm uns ſehr gaſtfreundlich auf und ſetzte uns ſogar Maderawein vor. Als Tafelluxus wäre uns Weizen - brot lieber geweſen. Auf die Länge fällt es einem weit ſchwerer, das Brot zu entbehren als geiſtige Getränke. Durch die Portu - gieſen am Amazonenſtrom kommt hie und da etwas Madera -A. v. Humboldt, Reiſe. III. 18274wein an den Rio Negro, und da Madera auf ſpaniſch Holz bedeutet, ſo hatten ſchon arme, in der Geographie nicht ſehr bewanderte Miſſionäre Bedenken, ob ſie mit Maderawein das Meßopfer verrichten dürften; ſie hielten denſelben für ein irgend einem Baume abgezapftes gegorenes Getränk, wie Palmwein, und forderten den Guardian der Miſſionen auf, ſich darüber auszuſprechen, ob der vino de Madera Wein aus Trauben (de uvas) ſei oder aber der Saft eines Baumes (vino de algun palo). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Prieſtern ge - ſtattet ſei, mit einem gegorenen, dem Traubenwein ähnlichen Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszuſehen, wurde die Frage verneint.

Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrat, namentlich Hühner und ein Schwein. Dieſer Einkauf war unſeren In - dianern ſehr wichtig, da ſie ſchon lange kein Fleiſch mehr ge - geſſen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Inſel Dapa kämen, wo das Schwein geſchlachtet und in der Nacht gebraten werden ſollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloſter (convento) große Haufen Maniharz zu betrach - ten, ſowie Seilwerk aus der Chiquichiquipalme, das in Europa beſſer bekannt zu ſein verdiente. Dasſelbe iſt ausnehmend leicht, ſchwimmt auf dem Waſſer und iſt auf der Flußfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es, wenn es halten ſoll, öfter anfeuchten und es nicht oft der tropiſchen Sonne ausſetzen. Don Antonio Santos, der im Lande wegen ſeiner Reiſe zur Auffindung des Parimeſees viel genannt wird, lehrte die Indianer am ſpaniſchen Rio Negro die Blattſtiele des Chiquichiqui benützen, einer Palme mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüten noch Früchte zu Geſicht bekommen haben. Dieſer Offizier iſt der einzige weiße Menſch, der, um von Angoſtura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte ſich in den portugieſiſchen Kolonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui - taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenſtrom zurückkam, den Gewerbszweig in den Miſſionen in Guyana ein. Es wäre zu wünſchen, daß am Rio Negro und Caſſi - quiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um dieſe Taue in den europäiſchen Handel zu bringen. Etwas weniges wird bereits von Angoſtura auf die Antillen ausgeführt. Sie koſten dort 50 bis 60 Prozent weniger als Hanf -275 taue. 1Ein Chiquichiquitau, 55 m lang und 14 cm im Durchmeſſer, koſtet den Miſſionär 12 harte Piaſter, und es wird in Angoſtura für 25 Piaſter verkauſt. Ein Stück von 25 mm Durchmeſſer, 58,5 m lang, wird in den Miſſionen für 3 Piaſter, an der Küſte für 5 verkauſt.Da man nur junge Palmen benützt, müßten ſie an - gepflanzt und kultiviert werden.

Etwas oberhalb der Miſſion Davipe nimmt der Rio Negro einen Arm des Caſſiquiare auf, der in der Geſchichte der Flußverzweigungen eine merkwürdige Erſcheinung iſt. Dieſer Arm geht nördlich von Vaſiva unter dem Namen Iti - nivini vom Caſſiquiare ab, läuft 102 km lang durch ein ebenes, faſt ganz unbewohntes Land und fällt unter dem Namen Conorichite in den Rio Negro. Er ſchien mir an der Mün - dung über 234 m breit und bringt eine bedeutende Maſſe weißen Waſſers in das ſchwarze Gewäſſer. Obgleich die Strömung im Conorichite ſehr ſtark iſt, kürzt dieſer natürliche Kanal dennoch die Fahrt von Davipe nach Esmeralda um drei Tage ab. Eine doppelte Verbindung zwiſchen Caſſiquiare und Rio Negro kann nicht auffallen, wenn man weiß, wie viele Flüſſe in Amerika beim Zuſammenfluß mit anderen Deltas bilden. So ergießen ſich der Rio Branco und der Jupura mit zahlreichen Armen in den Rio Negro und in den Ama - zonenſtrom. Beim Einfluß des Jupura kommt noch etwas weit Auffallenderes vor. Ehe dieſer Fluß ſich mit dem Ama - zonenſtrom vereinigt, ſchickt dieſer, der Hauptwaſſerbehälter, drei Arme, genannt Uaranapu, Manhama und Avateperana, zum Jupura, alſo zum Nebenfluß. Der portugieſiſche Aſtronom Ribeiro hat dieſen Umſtand außer Zweifel geſetzt. Der Ama - zonenſtrom gibt Waſſer an den Jupura ab, ehe er dieſen ſeinen Nebenfluß ſelbſt aufnimmt.

Der Rio Conorichite oder Itinivini ſpielte früher im Sklavenhandel, den die Portugieſen auf ſpaniſchem Gebiet trieben, eine bedeutende Rolle. Die Sklavenhändler fuhren auf dem Caſſiquiare und dem Caño Mee in den Conorichite hinauf, ſchleppten von da ihre Pirogen über einen Trage - platz zu den Rochelas von Manuteſo und kamen ſo in den Atabapo. Ich habe dieſen Weg auf meiner Reiſekarte des Orinoko angegeben. Dieſer ſchändliche Handel dauerte bis um das Jahr 1756. Solanos Expedition und die Errichtung276 der Miſſionen am Rio Negro machten demſelben ein Ende. Alte Geſetze von Karl V. und Philipp III. verboten unter Androhung der ſchwerſten Strafen (wie Verluſt bürgerlicher Aemter und 2000 Piaſter Geldbuße), Eingeborene durch ge - waltſame Mittel zu bekehren und Bewaffnete gegen ſie zu ſchicken ; aber dieſen weiſen, menſchenfreundlichen Geſetzen zum Trotz hatte der Rio Negro noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wie ſich La Condamine ausdrückt, für die europäiſche Politik nur inſofern Intereſſe, als er die Entra - das oder feindlichen Einfälle erleichterte und dem Sklaven - handel Vorſchub that. Die Kariben, ein kriegeriſches Handels - volk, erhielten von den Portugieſen und den Holländern Meſſer, Fiſchangeln, kleine Spiegel und Glaswaren aller Art. Dafür hetzten ſie die indianiſchen Häuptlinge gegeneinander auf, ſo daß es zum Kriege kam; ſie kauften ihnen die Ge - fangenen ab und ſchleppten ſelbſt mit Liſt oder Gewalt alles fort, was ihnen in den Weg kam. Dieſe Streifzüge der Kariben erſtreckten ſich über ein ungeheures Gebiet. Dieſelben gingen vom Eſſequibo und Carony aus auf dem Rupunuri und dem Paraguamuzi einerſeits gerade nach Süd dem Rio Branco zu, andererſeits nach Südweſt über die Trageplätze zwiſchen dem Rio Paragua, dem Caura und dem Ventuario. Waren ſie einmal bei den zahlreichen Völkerſchaften am oberen Orinoko, ſo teilten ſie ſich in mehrere Banden und kamen über den Caſſiquiare, Cababury, Itinivini und Atabapo an vielen Punkten zugleich an den Guainia oder Rio Negro und trieben mit den Portugieſen Sklavenhandel. So empfanden die unglücklichen Eingeborenen die Nachbarſchaft der Europäer ſchwer, lange ehe ſie mit dieſen ſelbſt in Berührung kamen. Dieſelben Urſachen haben überall dieſelben Folgen. Der bar - bariſche Handel, den die civiliſierten Völker an der afrikani - ſchen Küſte trieben und zum Teil noch treiben, wirkt ver - derbenbringend bis in die Länder zurück, wo man vom Daſein weißer Menſchen gar nichts weiß.

Nachdem wir von der Mündung des Conorichite und der Miſſion Davipe aufgebrochen, langten wir bei Sonnenunter - gang bei der Inſel Dapa an, die ungemein maleriſch mitten im Strome liegt. Wir fanden daſelbſt zu unſerer nicht ge - ringen Verwunderung einige angebaute Grundſtücke und auf einem kleinen Hügel eine indianiſche Hütte. Vier Eingeborene ſaßen um ein Feuer von Buſchwerk und aßen eine Art weißen, ſchwarzgefleckten Teigs, der unſere Neugierde nicht wenig277 reizte. Es waren Vachacos, große Ameiſen, deren Hinter - teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geſchwärzt. Wir ſahen mehrere Säcke voll über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier - zehn Menſchen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als aber Pater Zea erſchien, wurde er mit großen Freudenbezei - gungen empfangen. Am Rio Negro ſtehen wegen der Grenz - wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol - daten und Mönche ſich die Herrſchaft über die Indianer ſtreitig machen, haben dieſe mehr Zuneigung zu den Mönchen. Zwei junge Weiber ſtiegen aus den Hängematten, um uns Caſavekuchen zu bereiten. Man fragte ſie durch einen Dol - metſcher, ob der Boden der Inſel fruchtbar ſei; ſie erwiderten, der Maniok gerate ſchlecht, dagegen ſei es ein gutes Amei - ſenland, man habe gut zu leben. Dieſe Vachacos dienen den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man ißt die Ameiſen nicht aus Leckerei, ſondern weil, wie die Miſſionäre ſagen, das Ameiſenfett (der weiße Teil des Unterleibs) ſehr nahrhaft iſt. Als die Caſavekuchen fertig waren, ließ ſich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßluſt viel mehr zu reizen als zu ſchwächen ſchien, einen kleinen Sack voll geräucherter Vachacos geben. Er miſchte die zerdrückten Inſekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon koſteten. Es ſchmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot - krumen geknetet. Der Maniok ſchmeckte nicht ſauer, es klebte uns aber noch ſo viel europäiſches Vorurteil an, daß wir mit dem guten Miſſionär, wenn er das Ding eine vor - treffliche Ameiſenpaſtete nannte, nicht einverſtanden ſein konnten.

Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer ſchliefen nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit ſchwatzten ſie in ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana, ſchürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die Lufttemperatur 21° war. Dieſe Sitte, vier, fünf Stunden vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu ſein, herrſcht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den Entradas die Eingeborenen überraſchen will, wählt man dazu die Zeit, wo ſie im erſten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht.

Wir verließen die Inſel Dapa lange vor der Morgen -278 dämmerung und kamen trotz der ſtarken Strömung und des Fleißes unſerer Ruderer erſt nach zwölfſtündiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links ließen wir die Einmündung des Caſſiquiare, rechts die kleine Inſel Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am Felſen Culimacari liegt ſie unter 54′ 11″. Jede Nation hat die Neigung. den Flächenraum ihrer Beſitzungen auf den Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurücken. Da man es verſäumt, die Reiſeentfernungen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduzieren, ſo ſind immer die Grenzen am meiſten verunſtaltet. Die Portugieſen ſetzen, vom Ama - zonenſtrom ausgehend, San Carlos und San Joſe de Mara - vitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Küſte von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Süd ſchieben. Dies gilt von allen Karten der Kolonieen. Weiß man, wo ſie gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, ſo weiß man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrtümer in Länge und Breite laufen.

In San Carlos fanden wir Quartier beim Komman - danten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauſes hatte man eine ſehr hübſche Ausſicht auf drei ſehr lange, dicht bewachſene Inſeln. Der Strom läuft gerade - aus von Nord nach Süd, als wäre ſein Bett von Menſchen - hand gegraben. Der beſtändig bedeckte Himmel gibt den Landſchaften hier einen ernſten, finſtern Charakter. Wir fan - den im Dorfe ein paar Juviaſtämme; es iſt dies das maje - ſtätiſche Gewächs, von dem die dreieckigen Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenſtrom nennt. Wir haben dasſelbe unter dem Namen Bertholletia ex - celsa bekannt gemacht. Die Bäume werden in acht Jahren 10 m hoch.

Die bewaffnete Macht an der Grenze hier beſtand aus ſiebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Miſſionäre in der Nachbarſchaft detachiert waren. Die Luft iſt ſo feucht, daß nicht vier Gewehre ſchußfertig ſind. Die Portugieſen haben fünfundzwanzig bis dreißig beſſer gekleidete und be - waffnete Leute in der Schanze San Joſe de Maravitanos. In der Miſſion San Carlos fanden wir nur eine Garita, ein viereckiges Gebäude aus ungebrannten Backſteinen, in dem ſechs Feldſtücke ſtanden. Die Schanze, oder, wie man hier279 gern ſagt, das Caſtillo de San Felipe, liegt San Carlos gegenüber am weſtlichen Ufer des Rio Negro. Der Kommandant trug Bedenken, Bonpland und mich die Forta - leza ſehen zu laſſen; in unſeren Päſſen ſtand wohl, daß ich ſollte Berge meſſen und überall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometriſche Operationen vornehmen dürfen, aber vom Be - ſehen feſter Plätze ſtand nichts darin. Unſer Reiſebegleiter, Don Nicolas Soto, war als ſpaniſcher Offizier glücklicher als wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines Erdwerkes, das, wenn es vollendet wäre, zur Verteidigung 500 Mann erforderte. Es iſt eine viereckige Verſchanzung mit kaum ſichtbarem Graben. Die Bruſtwehr iſt 1,6 m hoch und mit großen Steinen verſtärkt. Dem Fluſſe zu liegen zwei Baſtionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufſtellen könnte. Im ganzen Werk ſind 14 bis 15 Geſchütze, meiſt ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her ſtehen drei oder vier indianiſche Hütten. Dies heißt das Dorf San Felipe, und damit das Miniſterium in Madrid wunder meine, wie ſehr dieſe chriſtlichen Niederlaſſungen ge - deihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchen - buch. Abends nach dem Angelus wurde dem Kommandanten Rapport erſtattet und ſehr ernſthaft gemeldet, daß es überall um die Feſtung ruhig ſcheine; dies erinnerte mich an die Schanzen an der Küſte von Guinea, von denen man in Reiſe - beſchreibungen lieſt, die zum Schutz der europäiſchen Faktoreien dienen ſollen und in denen vier bis fünf Mann Garniſon liegen. Die Soldaten in San Carlos ſind nicht beſſer daran als die in den afrikaniſchen Faktoreien, denn überall an ſo entlegenen Punkten herrſchen dieſelben Mißbräuche in der Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der ſchon ſehr lange geduldet wird, bezahlen die Kommandanten die Truppen nicht in Geld, ſondern liefern ihnen zu hohen Preiſen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angoſtura fürchtet man ſich ſo ſehr davor, in die Miſſionen am Carony, Caura und Rio Negro detachiert oder vielmehr verbannt zu werden, daß die Truppen ſehr ſchwer zu rekrutieren ſind. Die Lebens - mittel ſind am Rio Negro ſehr teuer, weil man nur wenig Maniok und Bananen baut und der Strom (wie alle ſchwarzen, klaren Gewäſſer) wenig Fiſche hat. Die beſte Zufuhr kommt von den portugieſiſchen Niederlaſſungen am Rio Negro, wo die Indianer regſamer und wohlhabender ſind. Indeſſen280 werden bei dieſem Handel mit den Portugieſen jährlich kaum für 3000 Piaſter Waren eingeführt.

Die Ufer des oberen Rio Negro werden mehr ertragen, wenn einmal mit Ausrodung der Wälder die übermäßige Feuchtigkeit der Luft und des Bodens abnimmt und die In - ſekten, welche Wurzeln und Blätter der krautartigen Gewächſe verzehren, ſich vermindern. Beim gegenwärtigen Zuſtand des Ackerbaues kommt der Mais faſt gar nicht fort; der Tabak, der auf den Küſten von Caracas von ausgezeichneter Güte und ſehr geſucht iſt, kann eigentlich nur auf alten Bau - ſtätten, bei zerfallenen Hütten, bei pueblo viejo, gebaut werden. Infolge der nomadiſchen Lebensweiſe der Eingeborenen fehlt es nun nicht an ſolchen Bauſtätten, wo der Boden um - gebrochen worden und der Luft ausgeſetzt geweſen, ohne daß etwas darauf wuchs. Der Tabak, der in friſch ausgerodeten Wäldern gepflanzt wird, iſt wäſſerig und ohne Arom. Bei den Dörfern Maroa, Davipe und Tomo iſt der Indigo ver - wildert. Unter einer anderen Verwaltung, als wir ſie im Lande getroffen, wird der Rio Negro eines Tages Indigo, Kaffee, Kakao, Mais und Reis im Ueberfluß erzeugen.

Da man von der Mündung des Rio Negro nach Gran - Para in 20 bis 25 Tagen fährt, ſo hätten wir den Amazonen - ſtrom hinab bis zur Küſte von Braſilien nicht viel mehr Zeit gebraucht, als um über den Caſſiquiare und den Orinoko an die Nordküſte von Caracas zurückzukehren. Wir hörten in San Carlos, der politiſchen Verhältniſſe wegen ſei im Augen - blick aus den ſpaniſchen Beſitzungen ſchwer in die portugie - ſiſchen zu kommen; aber erſt nach unſerer Rückkehr nach Europa ſahen wir in vollem Umfang, welcher Gefahr wir uns ausgeſetzt hätten, wenn wir bis Barcellos hinabgegangen wären. Man hatte in Braſilien, vielleicht aus den Zeitungen, deren wohlwollender, unüberlegter Eifer ſchon manchem Reiſen - den Unheil gebracht hat, erfahren, ich werde in die Miſſionen am Rio Negro kommen und den natürlichen Kanal unter - ſuchen, der zwei große Stromſyſteme verbindet. In dieſen öden Wäldern hatte man Inſtrumente nie anders als in den Händen der Grenzkommiſſion geſehen, und die Unterbeamten der portugieſiſchen Regierung hatten bis dahin ſo wenig als der gute Miſſionär, von dem in einem früheren Kapitel die Rede war, einen Begriff davon, wie ein vernünftiger Menſch eine lange, beſchwerliche Reiſe unternehmen kann, um Land zu vermeſſen, das nicht ſein gehört . Es war der Befehl281 ergangen, ſich meiner Perſon und meiner Inſtrumente zu ver - ſichern, ganz beſonders aber der Verzeichniſſe aſtronomiſcher Beobachtungen, welche die Sicherheit der Staaten ſo ſehr ge - fährden könnten. Man hätte uns auf dem Amazonenfluß nach Gran-Para geführt und uns von dort nach Liſſabon ge - ſchickt. Dieſe Abſichten, die, wären ſie in Erfüllung gegangen, eine auf fünf Jahre berechnete Reiſe ſtark gefährdet hätten, erwähne ich hier nur, um zu zeigen, wie in den Kolonial - regierungen meiſt ein ganz anderer Geiſt herrſcht als an der Spitze der Verwaltung im Mutterland. Sobald das Mini - ſterium in Liſſabon vom Dienſteifer ſeiner Untergebenen Kunde erhielt, erließ es den Befehl, mich in meinen Arbeiten nicht zu ſtören, im Gegenteil ſollte man mir hilfreich an die Hand gehen, wenn ich durch einen Teil der portugieſiſchen Beſitzungen käme. Von dieſem aufgeklärten Miniſterium ſelbſt wurde mir kundgethan, welch freundliche Rückſicht man mir zugedacht, um die ich mich in ſo großer Entfernung nicht hatte bewerben können.

Unter den Portugieſen, die wir in San Carlos trafen, befanden ſich mehrere Offiziere, welche die Reiſe von Barcellos nach Gran-Para gemacht hatten. Ich ſtelle hier alles zuſam - men, was ich über den Lauf des Rio Negro in Erfahrung bringen konnte. Selten kommt man aus dem Amazonenſtrom über den Einfluß des Cababuri herauf, der wegen der Sarſa - parilleernte weitberufen iſt, und ſo iſt alles, was in neuerer Zeit über die Geographie dieſer Länder veröffentlicht worden, ſelbſt was von Rio Janeiro ausgeht, in hohem Grade ver - worren.

Weiter den Rio Negro hinab läßt man rechts den Caño Maliapo, links die Caños Dariba und Eny. 22,5 km weiter, alſo etwa unter 38′ nördlicher Breite, liegt die Inſel San Joſef, die proviſoriſch (denn in dieſem endloſen Grenzprozeß iſt alles proviſoriſch) als ſüdlicher Endpunkt der ſpaniſchen Beſitzungen gilt. Etwas unterhalb dieſer Inſel, an einem Ort, wo es viele verwilderte Orangebäume gibt, zeigt man einen kleinen, 65 m hohen Felſen mit einer Höhle, welche bei den Miſſionären Cocuys Glorieta heißt. Dieſer Luſt - ort, denn ſolches bedeutet das Wort Glorieta im Spaniſchen, weckt nicht die angenehmſten Erinnerungen. Hier hatte Cocuy, der Häuptling der Manitivitanos, von dem oben die Rede war, ſein Harem, und hier verſpeiſte er um alles zu ſagen aus beſonderer Vorliebe die ſchönſten und fetteſten282 ſeiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein wenig ein Menſchenfreſſer war; es iſt dies, ſagt Pater Gili mit der Naivität eines amerikaniſchen Miſſionärs, eine üble Gewohnheit dieſer Völker in Guyana, die ſonſt ſo ſanft und gutmütig ſind ; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abſcheulichen Ausſchweifungen Cocuys am unteren Orinoko weit verbreiteter iſt als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menſchheit entehrende Handlung begangen; geſchieht ſolches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Chriſt geworden und der mir ein verſtän - diger, civiliſierter Menſch ſchien, gegenwärtig Hauptmann der Indianer in San Carlos iſt?

Unterhalb der Glorieta kommen auf portugieſiſchem Ge - biet das Port San Joſef de Maravitanos, die Dörfer Joam Baptiſta de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaiſia oder Uexie, von dem oben die Rede war), Noſſa Senhora da Guya, Boaviſta am Rio Içanna, San Felipe, San Joaquin de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, Cal - deron, San Miguel de Jparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Feſtung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle die Ortsnamen abſichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlaſſungen die portugieſiſche Regierung ſogar in dieſem abgelegenen Winkel von Braſilien gegründet hat. Auf einer Strecke von 100 km liegen elf Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch neunzehn weitere, außer den ſechs Dörfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guyana - indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Fluſſe desſelben Namens, der in den Fabeln vom Dorado eine ſo große Rolle ſpielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieſes Nebenfluſſes des Amazonenſtroms allein ſind daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des oberen und des unteren Orinoko, des Caſſiquiare, des Atabapo und des ſpani - ſchen Rio Negro zuſammen. Dieſer Gegenſatz beruht keines - wegs bloß auf dem Unterſchied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend von Nordweſt nach Südoſt läuft, leichter zu befahren iſt; er iſt vielmehr Folge der politiſchen Einrichtungen. Nach der Kolonialverfaſſung der Portugieſen ſtehen die Indianer unter Civil - und Militärbehörden und unter den Mönchen vom Berge Karmel zumal. Es iſt eine gemiſchte Regierung, wo -283 bei die weltliche Gewalt ſich unabhängig erhält. Die Ob - ſervanten dagegen, unter denen die Miſſionen am Orinoko ſtehen, vereinigen alle Gewalten in einer Hand. Die eine wie die andere dieſer Regierungsweiſen iſt drückend in mehr als einer Beziehung; aber in den portugieſiſchen Kolonieen wird für den Verluſt der Freiheit wenigſtens durch etwas mehr Wohlſtand und Kultur Erſatz geleiſtet.

Unter den Zuflüſſen, die der Rio Negro von Norden her erhält, nehmen drei beſonders unſere Aufmerkſamkeit in Anſpruch, weil ſie wegen ihrer Verzweigungen, ihrer Trage - plätze und der Lage ihrer Quellen bei der ſo oft vorhandenen Frage nach dem Urſprung des Orinoko ſtark in Betracht kommen. Die am weiteſten ſüdwärts gelegenen dieſer Neben - flüſſe ſind der Rio Branco, von dem man lange glaubte, er entſpringe mit dem Orinoko aus dem Parimeſee, und der Rio Padaviri, der mittels eines Trageplatzes mit dem Ma - vaca und ſomit dem oberen Orinoko oſtwärts von der Miſſion Esmeralda in Verbindung ſteht. Wir werden Gelegenheit haben, vom Rio Branco und dem Padaviri zu ſprechen, wenn wir in der letztgenannten Miſſion angelangt ſind; hier brau - chen wir nur beim dritten Nebenfluß des Rio Negro, dem Cababuri, zu verweilen, deſſen Verzweigungen mit dem Caſſi - quiare in hydrographiſcher Beziehung und für den Sarſaparille - handel gleich wichtig ſind. Von den hohen Gebirgen der Pa - rime, die am Nordufer des Orinoko in ſeinem oberen Lauf oberhalb Esmeralda hinſtreichen, geht ein Zug nach Süden ab, in dem der Cerro de Unturan einer der Hauptgipfel iſt. Dieſer gebirgige Landſtrich iſt nicht ſehr groß, aber reich an vegetabiliſchen Produkten, beſonders an Mavacure-Lianen, die zur Bereitung des Curaregiftes dienen, an Mandelbäumen (Juvia oder Bertholletia excelsa), aromatiſchem Puchery und wildem Kakao, und bildet eine Waſſerſcheide zwiſchen den Gewäſſern, die in den Orinoko, in den Caſſiquiare und in den Rio Negro gehen. Gegen Norden oder dem Orinoko zu fließen der Mavaca und der Daracapo, nach Weſten oder zum Caſſiquiare der Idapa und der Pacimoni, nach Süden oder zum Rio Negro der Padaviri und der Cababuri. Der letztere teilt ſich in der Nähe ſeiner Quelle in zwei Arme, von denen der weſtlichſte unter dem Namen Baria bekannt iſt. In der Miſſion San Francisco Solano gaben uns die Indianer die umſtändlichſten Nachrichten über ſeinen Lauf. Er verzweigt ſich, was ſehr ſelten vorkommt, ſo, daß zu einem284 unteren Zufluß das Waſſer eines oberen nicht herunterkommt, ſondern daß im Gegenteil jener dieſem einen Teil ſeines Waſſers in einer der Richtung des Hauptwaſſerbehälters ent - gegengeſetzten Richtung zuſendet. Ich habe mehrere Beiſpiele dieſer Verzweigungen mit Gegenſtrömungen, dieſes ſcheinbaren Waſſerlaufs bergan, dieſer Flußgabelungen, derer Kenntnis für die Hydrographen von Intereſſe iſt, auf einer Tafel meines Atlas zuſammengeſtellt. Dieſelbe mag ihnen zeigen, daß man nicht geradezu alles für Fabel erklären darf, was von dem Typus abweicht, den wir uns nach Beobachtungen gebildet, die einen zu unbedeutenden Teil der Erdoberfläche umfaſſen.

Der Cababuri fällt bei der Miſſion Noſſa Senhora das Caldas in den Rio Negro; aber die Flüſſe Ya und Dimity, die weiter oben hereinkommen, ſtehen auch mit dem Cababuri in Verbindung, ſo daß von der Schanze San Gabriel de Cachoeiras an bis San Antonio de Caſtanheira die Indianer aus den portugieſiſchen Beſitzungen auf dem Baria und dem Pacimoni auf das Gebiet der ſpaniſchen Miſſionen ſich ein - ſchleichen können. Wenn ich ſage Gebiet, ſo brauche ich den gewöhnlichen Ausdruck der Obſervanten. Es iſt ſchwer zu ſagen, auf was ſich das Eigentumsrecht in unbewohnten Län - dern gründet, deren natürliche Grenzen man nicht kennt und die man nicht zu kultivieren verſucht hat. In den portu - gieſiſchen Miſſionen behaupten die Leute, ihr Gebiet erſtrecke ſich überall ſo weit, als ſie im Kanoe auf einem Fluß, deſſen Mündung in portugieſiſchem Beſitz iſt, gelangen können. Aber Beſitzergreifung iſt eine Handlung, die durchaus nicht immer ein Eigentumsrecht begründet, und nach den obigen Bemer - kungen über die vielfachen Verzweigungen der Flüſſe dürfte es für die Höfe von Madrid und Liſſabon gleich gefährlich ſein, dieſen ſeltſamen Satz der Miſſionsjurisprudenz gelten zu laſſen.

Der Hauptzweck bei den Einfällen auf dem Rio Caba - buri iſt, Sarſaparille und die aromatiſchen Samen des Pu - cherylorbeers (Laurus Pichurim) zu ſammeln. Man geht dieſer koſtbaren Produkte wegen bis auf zwei Tagereiſen von Esmeralda an einen See nördlich von Cerro Unturan hinauf, und zwar über die Trageplätze zwiſchen dem Pacimoni und Idapa, und dem Idapa und dem Mavaca, nicht weit vom See desſelben Namens. Die Sarſaparille von dieſem Land - ſtrich ſteht in Gran-Para, in Angoſtura, Cumana, Nueva285 Barcelona und anderen Orten von Terra Firma unter dem Namen Zarza del Rio Negro in hohem Ruf. Es iſt die wirkſamſte von allen, die man kennt; man zieht ſie der Zarza aus der Provinz Caracas und von den Bergen von Merida weit vor. Sie wird ſehr ſorgfältig getrocknet und abſichtlich dem Rauch ausgeſetzt, damit ſie ſchwärzer wird. Dieſe Schling - pflanze wächſt in Menge an den feuchten Abhängen der Berge Unturan und Achivaquery. De Candolle vermutet mit Recht, daß verſchiedene Arten von Smilax unter dem Namen Sarſa - parille geſammelt werden. Wir fanden zwölf neue Arten, von denen Smilax syphilitica vom Caſſiquiare und Smilax officinalis vom Magdalenenſtrom wegen ihrer harntreibenden Eigenſchaften die geſuchteſten ſind. Da ſyphilitiſche Uebel hierzulande unter Weißen und Farbigen ſo gemein als gut - artig ſind, ſo wird in den ſpaniſchen Kolonieen eine ſehr bedeutende Menge Sarſaparille als Hausmittel verbraucht. Wir erſehen aus den Werken des Cluſius, daß Europa in den erſten Zeiten der Eroberung dieſe heilſame Arznei von der mexikaniſchen Küſte bei Honduras und aus dem Hafen von Guayaquil bezog. Gegenwärtig iſt der Handel mit Zarza lebhafter in den Häfen, die mit dem Orinoko, Rio Negro und dem Amazonenſtrom Verbindungen haben.

Verſuche, die in mehreren botaniſchen Gärten in Europa angeſtellt worden, thun dar, daß Smilax glauca aus Virgi - nien, die man für Linnés Smilax Sarsaparilla erklärt, überall im Freien gebaut werden kann, wo die mittlere Temperatur des Winters mehr als 6 bis des hundertteiligen Thermo - meters beträgt;1Wintertemperatur in London und Paris 4,2° und 3,7°, in Montpellier 7,7°, in Rom 7,7°, in dem Teile von Mexiko und Terra Firma, wo wir die wirkſamſten Sarſaparillearten (die - jenigen, welche aus den ſpaniſchen und portugieſiſchen Kolonieen in den Handel kommen) haben wachſen ſehen, 20 bis 26°. aber die wirkſamſten Arten gehören aus - ſchließlich der heißen Zone an und verlangen einen weit höheren Wärmegrad. Wenn man des Cluſius Werke lieſt, begreift man nicht, warum in unſeren Handbüchern der ma - teria medica ein Gewächs der Vereinigten Staaten für den älteſten Typus der offizinellen Smilaxarten gilt.

Wir fanden bei den Indianern am Rio Negro einige der grünen Steine, die unter dem Namen Amazonenſteine bekannt ſind, weil die Indianer nach einer alten Sage286 behaupten, ſie kommen aus dem Lande der Weiber ohne Männer (Cougnantainsecouima oder Aikeambenano Weiber, die allein leben). In San Carlos und den benach - barten Dörfern nannte man uns die Quellen des Orinoko öſtlich von Esmeralda, in den Miſſionen am Carony und in Angoſtura die Quellen des Rio Branco als die natürlichen Lagerſtätten der grünen Steine. Dieſe Angaben beſtätigen den Bericht eines alten Soldaten von der Garniſon von Cayenne, von dem La Condamine ſpricht und demzufolge dieſe Mine - ralien aus dem Lande der Weiber weſtwärts von den Stromſchnellen des Oyapoc kommen. Die Indianer im Fort Topayos am Amazonenſtrom, oſtwärts vom Einfluß des Rio Negro, beſaßen früher ziemlich viele Steine der Art. Hatten ſie dieſelben von Norden her bekommen, das heißt aus dem Lande, das die Indianer am Rio Negro angeben und das ſich von den Bergen von Cayenne an bis an die Quellen des Eſſequibo, des Carony, des Orinoko, des Parime und des Rio Trombetas erſtreckt, oder ſind dieſe Steine aus dem Süden gekommen, über den Rio Topayos, der von der großen Hochebene der Campos Parecis herabkommt? Der Aberglaube legt dieſen Steinen große Wichtigkeit bei; man trägt ſie als Amulette am Hals, denn ſie ſchützen nach dem Volksglauben vor Nervenleiden, Fiebern und dem Biß giftiger Schlangen. Sie waren daher auch ſeit Jahrhunderten bei den Eingeborenen nördlich und ſüdlich vom Orinoko ein Handels - artikel. Durch die Kariben, die für die Bocharen der Neuen Welt gelten können, lernte man ſie an der Küſte von Guyana kennen, und da dieſelben Steine, gleich dem umlaufenden Geld, in entgegengeſetzten Richtungen von Nation zu Nation gewandert ſind, ſo kann es wohl ſein, daß ſie ſich nicht vermehren und daß man ihre Lagerſtätte nicht verheimlicht, ſondern gar nicht kennt. Vor wenigen Jahren wurden mitten im hochgebildeten Europa, aus Anlaß eines lebhaften Streites über die ein - heimiſche China, allen Ernſtes die grünen Steine vom Orinoko als ein kräftiges Fiebermittel in Vorſchlag gebracht; wenn man der Leichtgläubigkeit der Europäer ſo viel zutraut, kann es nicht wunder nehmen, wenn die ſpaniſchen Koloniſten auf dieſe Amulette ſo viel halten als die Indianer und ſie zu ſehr bedeutenden Preiſen verkauft werden. 1Ein 8 cm langer Cylinder koſtet 12 bis 15 Piaſter.Gewöhnlich gibt287 man ihnen die Form der der Länge nach durchbohrten und mit Inſchriften und Bildwerk bedeckten perſepolitaniſchen Cy - linder. Aber nicht die heutigen Indianer, nicht dieſe ſo tief verſunkenen Eingeborenen am Orinoko und Amazonenſtrom haben ſo harte Körper burchbohrt und Figuren von Tieren und Früchten daraus geſchnitten. Dergleichen Arbeiten, wie auch die durchbohrten und geſchnittenen Smaragde, die in den Kordilleren von Neugranada und Quito vorkommen, weiſen auf eine frühere Kultur zurück. Die gegenwärtigen Bewohner dieſer Länder, beſonders der heißen Zone, haben ſo wenig einen Begriff davon, wie man harte Steine (Smaragd, Nephrit, dichten Feldſpat und Bergkriſtall) ſchneiden kann, daß ſie ſich vorſtellen, der grüne Stein komme urſprünglich weich aus dem Boden und werde erſt hart, nachdem er bearbeitet worden.

Aus dem hier Angeführten erhellt, daß der Amazonen - ſtein nicht im Thale des Amazonenſtromes ſelbſt vorkommt und daß er keineswegs von dieſem Fluſſe den Namen hat, ſondern, wie dieſer ſelbſt, von einem Volke kriegeriſcher Weiber, welche Pater Acuña und Oviedo in ſeinem Brief an den Kardinal Bembo mit den Amazonen der Alten Welt vergleichen. Was man in unſeren Sammlungen unter dem falſchen Namen Amazonenſtein ſieht, iſt weder Nephrit noch dichter Feld - ſpat, ſondern gemeiner apfelgrüner Feldſpat, der vom Ural am Onegaſee in Rußland kommt und den ich im Granitgebirge von Guyana niemals geſehen habe. Zuweilen verwechſelt man auch mit dem ſo ſeltenen und ſo harten Amazonenſtein Werners Beilſtein,1Punamuſtein, Jade axinien. Die Steinäxte, die man in Amerika, z. B. in Mexiko, findet, ſind kein Beilſtein, ſondern dichter Feldſpat. der lange nicht ſo zäh iſt. Das Mineral, das ich aus der Hand der Indianer habe, iſt zum Sauſſurit2Jade de Saussure nach Brongniarts Syſtem, Jade tenace und Feldspat compacte tenace nach Haüy, einige Varietäten des Varioliths nach Werner. zu ſtellen, zum eigentlichen Nephrit, der ſich oryktognoſtiſch dem dichten Feldſpat nähert und ein Beſtand - teil des Verde de Corſica oder des Gabbro iſt. Er nimmt eine ſchöne Politur an und geht vom Apfelgrünen ins Smaragdgrüne über; er iſt an den Rändern durchſcheinend,288 ungemein zäh und klingend, ſo daß von den Eingeborenen in alter Zeit geſchliffene, ſehr dünne, in der Mitte durch - bohrte Platten, wenn man ſie an einem Faden aufhängt und mit einem anderen harten Körper1Brongniart, dem ich nach meiner Rückkehr nach Europa ſolche Platten zeigte, verglich dieſe Nephrite aus der Parime ganz richtig mit den klingenden Steinen, welche die Chineſen zu ihren muſika - liſchen Inſtrumenten, den ſogenannten King, verwenden. anſchlägt, faſt einen me - talliſchen Ton geben.

Bei den Völkern beider Welten finden wir auf der erſten Stufe der erwachenden Kultur eine beſondere Vorliebe für gewiſſe Steine, nicht allein für ſolche, die dem Menſchen wegen ihrer Härte als ſchneidende Werkzeuge dienen können, ſondern auch für Mineralien, die der Menſch wegen ihrer Farbe oder wegen ihrer natürlichen Form mit organiſchen Verrichtungen, ja mit pſychiſchen Vorgängen verknüpft glaubt. Dieſer uralte Steinkultus, dieſer Glaube an die heilſamen Wirkungen des Nephrits und des Blutſteins kommen den Wilden Amerikas zu, wie den Bewohnern der Wälder Thrakiens, die wir wegen der ehrwürdigen Inſtitutionen des Orpheus und des Urſprungs der Myſterien nicht wohl als Wilde anſprechen können. Der Menſch, ſolange er ſeiner Wiege noch näher ſteht, empfindet ſich als Autochthone; er fühlt ſich wie gefeſſelt an die Erde und die Stoffe, die ſie in ihrem Schoße birgt. Die Natur - kräfte, und mehr noch die zerſtörenden als die erhaltenden, ſind die früheſten Gegenſtände ſeiner Verehrung. Und dieſe Kräfte offenbaren ſich nicht allein im Gewitter, im Getöſe, das dem Erdbeben vorangeht, im Feuer der Vulkane; der leb - loſe Fels, die glänzenden, harten Steine, die gewaltigen, frei aufſteigenden Berge wirken auf die jugendlichen Gemüter mit einer Gewalt, von der wir bei vorgeſchrittener Kultur keinen Begriff mehr haben. Beſteht dieſer Steinkultus einmal, ſo erhält er ſich auch fort neben ſpäteren Kultusformen, und aus einem Gegenſtand religiöſer Verehrung wird ein Gegenſtand abergläubiſchen Vertrauens. Aus Götterſteinen werden Amu - lette, die vor allen Leiden Körpers und der Seele bewahren. Obgleich zwiſchen dem Amazonenſtrom und dem Orinoko und der mexikaniſchen Hochebene 2250 km liegen, obgleich die Ge - ſchichte von keinem Zuſammenhang zwiſchen den wilden Völkern von Guyana und den civiliſierten von Anahuac weiß, fand289 doch in der erſten Zeit der Eroberung der Mönch Bernhard von Sahagun in Cholula grüne Steine, die einſt Quetzal - cohuatl angehört und die als Reliquien aufbewahrt wurden. Dieſe geheimnisvolle Perſon iſt der Buddha der Mexikaner; er trat auf im Zeitalter der Tolteken, ſtiftete die erſten religiöſen Vereine und führte eine Regierungsweiſe ein, die mit der in Meroe und Japan Aehnlichkeit hat.

Die Geſchichte des Nephrits oder grünen Steins in Guyana ſteht in inniger Verbindung mit der Geſchichte der kriegeriſchen Weiber, welche die Reiſenden des 16. Jahrhun - derts die Amazonen der Neuen Welt nennen. La Condamine bringt viele Zeugniſſe zur Unterſtützung dieſer Sage bei. Seit meiner Rückkehr vom Orinoko und Amazonenſtrom bin ich in Paris oft gefragt worden, ob ich die Anſicht dieſes Gelehrten teile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenoſſen desſelben glaube, er habe den Cougnantainsecouima, den unabhängigen Weibern, die nur im Monat April Männer unter ſich auf - nahmen, nur deshalb das Wort geredet, um in einer öffent - lichen Sitzung der Akademie einer Verſammlung, die gar nicht ungern etwas Neues hört, ſich angenehm zu machen. Es iſt hier der Ort, mich offen über eine Sage auszuſprechen, die einen ſo romantiſchen Anblick hat, um ſo mehr, als La Con - damine behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame ſeien über den Marañon gegangen und haben ſich am Rio Negro nieder - gelaſſen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen, die Beſchreibung der Neuen Welt hie und da mit einem Zuge aus dem klaſſiſchen Altertum aufzuputzen, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, daß Orellanas erſte Berichte ſo wichtig ge - nommen wurden. Lieſt man die Schriften des Vespucci, Ferdinand Kolumbus, Geraldini, Oviedo, Peter Martyr von Anghiera, ſo begegnet man überall der Neigung der Schrift - ſteller des 16. Jahrhunderts, bei neu entdeckten Völkern alles wiederzufinden, was uns die Griechen vom erſten Zeitalter der Welt und von den Sitten der barbariſchen Skythen und Afrikaner erzählen. An der Hand dieſer Reiſenden, die uns in eine andere Halbkugel verſetzen, glauben wir durch Zeiten zu wandern, die längſt dahin ſind; denn die amerikaniſchen Horden in ihrer primitiven Einfalt ſind ja für Europa eine Art Altertum, dem wir faſt als Zeitgenoſſen gegenüberſtehen . Was damals nur Stilblume und Geiſtesergötzlichkeit war, iſt heutzutage zum Gegenſtand ernſter Erörterungen geworden. In einer in Louiſiana erſchienenen Abhandlung wird die ganzeA. v. Humboldt, Reiſe. III. 19290griechiſche Mythologie, die Amazonen eingeſchloſſen, aus den Oertlichkeiten am Nicaraguaſee und einigen anderen Gegenden in Amerika entwickelt.

Wenn Oviedo in ſeinen Briefen an Kardinal Bembo dem Geſchmack eines mit dem Studium des Altertums ſo vertrauten Mannes ſchmeicheln zu müſſen glaubte, ſo hatte der Seefahrer Sir Walter Ralegh einen minder poetiſchen Zweck. Ihm war es darum zu thun, die Aufmerkſamkeit der Königin Eliſabeth auf das große Reich Guyana zu lenken, das nach ſeinem Plan England erobern ſollte. Er beſchrieb die Morgentoilette des vergoldeten Königs (el dorado1Dorado iſt nicht der Name eines Landes; es bedeutet nur den Vergoldeten, el rey dorado. ), wie ihn jeden Tag ſeine Kammerherren mit wohlriechenden Oelen ſalben und ihm dann aus langen Blaſerohren den Goldſtaub auf den Leib blaſen; nichts mußte aber die Ein - bildungskraft Eliſabeths mehr anſprechen als die kriegeriſche Republik der Weiber ohne Männer, die ſich gegen die kaſti - lianiſchen Helden wehrten. Ich deute hiermit die Gründe an, welche die Schriftſteller, die die amerikaniſchen Amazonen vorzugsweiſe in Ruf gebracht, zur Ueberzeugung verführt haben; aber dieſe Gründe berechtigen uns nach meiner Anſicht nicht, eine Sage, die bei verſchiedenen, in gar keinem Verkehr miteinander ſtehenden Völkern verbreitet iſt, gänzlich zu ver - werfen.

Die Zeugniſſe, die La Condamine geſammelt, ſind ſehr merkwürdig; er hat dieſelben ſehr umſtändlich bekannt gemacht, und mit Vergnügen bemerke ich noch, daß dieſer Reiſende, wenn er in Frankreich und England für einen Mann von der unermüdlichſten Neugier galt, in Quito, im Lande, das er beſchrieben, im Ruf des redlichſten, wahrheitsliebendſten Mannes ſteht. Dreißig Jahre nach La Condamine hat ein portugieſiſcher Aſtronom, der den Amazonenſtrom und ſeine nördlichen Nebenflüſſe befahren, Ribeiro, alles, was der ge - lehrte Franzoſe vorgebracht, an Ort und Stelle beſtätigt ge - funden. Er fand bei den Indianern dieſelben Sagen und ſammelte ſie deſto unparteiiſcher, da er ſelbſt nicht an Amazonen glaubt, die eine beſondere Völkerſchaft gebildet hätten. Da ich keine der Sprachen verſtehe, die am Orinoko und Rio Negro geſprochen werden, ſo konnte ich hinſichtlich der Volks -291 ſagen von den Weibern ohne Männer und der Herkunft der grünen Steine, die damit in genauer Verbindung ſtehen ſollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich führe aber ein neueres Zeugnis an, das nicht ohne Gewicht iſt, das des Pater Gili. Dieſer gebildete Miſſionär ſagt: Ich fragte einen Quaquaindianer, welche Völker am Rio Cuchivero lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam - benanos. Da ich gut tamanakiſch verſtand, war mir gleich der Sinn des letzteren Wortes klar: es iſt ein zuſammengeſetztes Wort und bedeutet: Weiber, die allein leben. Der In - dianer beſtätigte dies auch und erzählte, die Aikeam-benanos ſeien eine Geſellſchaft von Weibern, die lange Blaſerohre und anderes Kriegsgerät verfertigten. Sie nehmen nur ein - mal im Jahre Männer vom anwohnenden Stamme der Vo - kearos bei ſich auf und machen ihnen zum Abſchied Blaſerohre zum Geſchenk. Alle männlichen Kinder, welche in dieſer Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht. Dieſe Geſchichte erſcheint wie eine Kopie der Sagen, welche bei den Indianern am Maran̅on und bei den Kariben in Um - lauf ſind. Der Quaquaindianer, von dem Pater Gili ſpricht, verſtand aber nicht ſpaniſch; er hatte niemals mit Weißen verkehrt und wußte ſicher nicht, daß es ſüdlich vom Orinoko einen anderen Fluß gibt, der der Fluß der Aikeam-benanos oder der Amazonen heißt.

Was folgt aus dieſem Bericht des alten Miſſionärs von Encaramada? Keineswegs, daß es am Cuchivero Amazonen gibt, wohl aber, daß in verſchiedenen Landſtrichen Amerikas Weiber, müde der Sklavendienſte, zu denen die Männer ſie verurteilen, ſich wie die flüchtigen Neger in ein Palenque zuſammengethan; daß der Trieb, ſich die Unabhängigkeit zu erhalten, ſie kriegeriſch gemacht; daß ſie von einer befreundeten Horde in der Nähe Beſuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz ſo methodiſch als in der Sage. Ein ſolcher Weiberverein durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewiſſen Feſtigkeit gediehen ſein, ſo wurden ſehr einfache Vorfälle, wie ſie an verſchiedenen Orten vorkommen mochten, nach einem Muſter gemodelt und übertrieben. Dies iſt ja der eigentliche Charakter der Sage, und hätte der große Sklavenaufſtand, von dem oben die Rede war, nicht auf der Küſte von Venezuela, ſondern mitten im Kontinent ſtattgefunden, ſo hätte das leichtgläubige Volk in jedem Palenque von Marronnegern den Hof des Königs Miguel, ſeinen Staats -292 rat und den ſchwarzen Biſchof von Buria geſehen. Die Kariben in Terra Firma ſtanden mit denen auf den Inſeln im Verkehr, und höchſt wahrſcheinlich haben ſich auf dieſem Wege die Sagen vom Marañon und Orinoko gegen Norden verbreitet. Schon vor Orellanas Flußfahrt glaubte Chriſtoph Kolumbus auf den Antillen Amazonen gefunden zu haben. Man erzählte dem großen Manne, die kleine Inſel Mada - nino (Montſerrate) ſei von kriegeriſchen Weibern bewohnt, die den größten Teil des Jahres keinen Verkehr mit Män - nern hätten. Andere Male ſahen die Konquiſtadoren einen Amazonenfreiſtaat, wo ſie nur Weiber vor ſich hatten, die in Abweſenheit der Männer ihre Hütten verteidigten, oder auch und dieſes Mißverſtändnis iſt ſchwerer zu entſchul - digen jene religiöſen Vereine, jene Klöſter mexikaniſcher Jungfrauen, die zu keiner Zeit im Jahre Männer bei ſich aufnahmen, ſondern nach der ſtrengen Regel Quetzalcohuatls lebten. Die allgemeine Stimmung brachte es mit ſich, daß von den vielen Reiſenden, die nacheinander in der Neuen Welt Entdeckungen machten und von den Wundern derſelben berichteten, jeder auch geſehen haben wollte, was ſeine Vor - gänger gemeldet hatten.

Wir brachten in San Carlos del Rio Negro drei Nächte zu. Ich zähle die Nächte, weil ich ſie in der Hoffnung, den Durchgang eines Sterns durch den Meridian beobachten zu können, faſt ganz durchwachte. Um mir keinen Vorwurf machen zu dürfen, waren die Inſtrumente immer zur Beobach - tung hergerichtet; ich konnte aber nicht einmal doppelte Höhen bekommen, um nach der Methode von Douwes die Breite zu berechnen. Welch ein Kontraſt zwiſchen zwei Strichen der - ſelben Zone! Dort der Himmel Cumanas, ewig heiter wie in Perſien und Arabien, und hier der Himmel am Rio Negro, dick umzogen wie auf den Faröerinſeln, ohne Sonne, Mond und Sterne! Ich verließ die Schanze San Carlos mit deſto größerem Verdruß, da ich keine Ausſicht hatte, in der Nähe des Orts eine gute Breitenbeobachtung machen zu können. Die Inklination der Magnetadel fand ich in San Carlos gleich 20° 60′; 216 Schwingungen in zehn Zeitminuten gaben das Maß der magnetiſchen Kraft. Da die magnetiſchen Pa - rallelen gegen Weſt aufwärts gehen und ich auf dem Rücken der Kordilleren zwiſchen Santa Fé de Bogota und Popayan dieſelben Inklinationswinkel beobachtet habe wie am oberen Orinoko und am Rio Negro, ſo ſind dieſe Beobachtungen für293 die Theorie der Linien von gleicher Intenſität oder iſodynamiſchen Linien von großer Bedeutung geworden. Die Zahl der Schwingungen iſt in Javita und Quito dieſelbe, und doch iſt die magnetiſche Inklination am erſteren Ort 26° 40′, am zweiten 14° 85′. Nimmt man die Kraft unter dem magnetiſchen Aequator (in Peru) gleich 1 an, ſo ergibt ſich für Cumana 1,1779, für Carichana 1,1575, für Javita 1,0675, für San Carlos 1,0480. In dieſem Verhältniſſe nimmt die Kraft von Nord nach Süd auf acht Breiten - graden zwiſchen 66½ und 69° weſtlicher Länge von Paris ab. Ich gebe abſichtlich die Meridianunterſchiede an; denn ein Mathematiker, der auf dem Gebiete des Erdmagnetis - mus große Erfahrung beſitzt, Hanſteen, hat meine iſodyna - miſchen Beobachtungen einer neuen Prüfung unter - worfen und gefunden, daß die Intenſität der Kraft auf demſelben magnetiſchen Parallel nach ſehr konſtanten Geſetzen wechſelt und daß die ſcheinbaren Anomalieen der Erſcheinung größtenteils verſchwinden, wenn man dieſe Geſetze kennt. Im allgemeinen ſteht feſt, was für mich aus der ganzen Reihe meiner Beobachtungen hervorgeht, daß die Intenſität der Kraft vom magnetiſchen Aequator gegen den Pol zunimmt; aber dieſe Zunahme ſcheint unter verſchiedenen Meridianen mit ungleicher Geſchwindigkeit zu erfolgen. Wenn zwei Orte dieſelbe Inklination haben, ſo iſt die Intenſität weſtwärts vom Meridian, der mitten durch Südamerika läuft, am ſtärk - ſten, und ſie nimmt unter demſelben Parallel oſtwärts, Europa zu, ab. In der ſüdlichen Halbkugel ſcheint ſie ihr Minimum an der Oſtküſte von Afrika zu erreichen; ſie nimmt dann unter demſelben magnetiſchen Parallel gegen Neuholland hin wieder zu. Ich fand die Intenſität der Kraft in Mexiko beinahe ſo groß wie in Paris, aber der Unterſchied in der Inklination beträgt mehr als 31°. Meine Nadel, die unter dem magne - tiſchen Aequator (in Peru) 211mal ſchwang, hätte unter demſelben Aequator auf dem Meridian der Philippinen nur 202 oder 203mal geſchwungen. Dieſer auffallende Unter - ſchied ergibt ſich aus der Zuſammenſtellung meiner Beobach - tungen der Intenſität in Santa Cruz auf Tenerifa mit denen, die Roſſel daſelbſt ſieben Jahre früher gemacht.

Die magnetiſchen Beobachtungen am Rio Negro ſind unter allen, die aus einem großen Feſtlande bekannt geworden, die nächſten am magnetiſchen Aequator. Sie dienten ſomit dazu, die Lage dieſes Aequators zu beſtimmen, über den ich294 weiter weſtwärts auf dem Kamm der Anden zwiſchen Micui - pampa und Caxamarca unter dem 7. Grad ſüdlicher Breite gegangen bin. Der magnetiſche Parallel von San Carlos (der von 22° 60′) läuft durch Popayan und in die Südſee an einem Punkt (unter 12′ nördlicher Breite und 89° 36′ weſtlicher Länge), wo ich ſo glücklich war, bei ganz ſtiller Luft beobachten zu können.

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TextReise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents
Author Alexander von Humboldt
Extent305 images; 104556 tokens; 15200 types; 712798 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationReise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents Dritter Band Alexander von Humboldt. Hermann Hauff (ed.) . 294 S. CottaKrönerStuttgart1860.

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BBAW BBAW, Hu 44336

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Geographie; Wissenschaft; Geographie; core; ready; china

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