PRIMS Full-text transcription (HTML)
Alexander von Humboldts Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.
Vierter Band.
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Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger.

Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.

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Reiſe in die Aequinoktial-Gegenden.

A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 1[2][3]

Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Der Caſſiquiare Gabelteilung des Orinoko.

Am 10. Mai. In der Nacht war unſere Piroge ge - laden worden, und wir ſchifften uns etwas vor Sonnenauf - gang ein, um wieder den Rio Negro bis zur Mündung des Caſſiquiare hinaufzufahren und den wahren Lauf dieſes Fluſſes, der Orinoko und Amazonenſtrom verbindet, zu unterſuchen. Der Morgen war ſchön; aber mit der ſteigenden Wärme fing auch der Himmel an ſich zu bewölken. Die Luft iſt in dieſen Wäldern ſo mit Waſſer geſättigt, daß, ſobald die Verdunſtung an der Oberfläche des Bodens auch noch ſo wenig zunimmt, die Dunſtbläschen ſichtbar werden. Da der Oſtwind faſt niemals zu ſpüren iſt, ſo werden die feuchten Schichten nicht durch trockenere Luft erſetzt. Dieſer bedeckte Himmel machte uns mit jedem Tage verdrießlicher. Bonpland verdarben bei der übermäßigen Feuchtigkeit ſeine geſammelten Pflanzen und ich beſorgte auch im Thal des Caſſiquiare das trübe Wetter des Rio Negro anzutreffen. Seit einem halben Jahrhundert zwei - felte kein Menſch in dieſen Miſſionen mehr daran, daß hier wirklich zwei große Stromſyſteme miteinander in Verbindung ſtehen; der Hauptzweck unſerer Flußfahrt beſchränkte ſich alſo darauf, mittels aſtronomiſcher Beobachtungen den Lauf des Caſſiquiare aufzunehmen, beſonders den Punkt, wo er in den Rio Negro tritt, und den anderen, wo der Orinoko ſich gabelt. Waren weder Sonne noch Sterne ſichtbar, ſo war dieſer Zweck nicht zu erreichen und wir hatten uns vergeblich langen, ſchweren Mühſeligkeiten unterzogen. Unſere Reiſegefährten wären gern auf dem kürzeſten Wege über den Pimichin und die kleinen Flüſſe heimgekehrt; aber Bonpland beharrte mit mir auf dem Reiſeplane, den wir auf der Fahrt durch die großen Katarakte entworfen. Bereits hatten wir von San Fernando de Apure nach San Carlos (über den Apure,4 Orinoko, Atabapo, Temi, Tuamini und Rio Negro) 810 km zurückgelegt. Gingen wir auf dem Caſſiquiare in den Orinoko zurück, ſo hatten wir von San Carlos bis Angoſtura wieder 1440 km zu machen. Auf dieſem Wege hatten wir zehn Tage lang mit der Strömung zu kämpfen, im übrigen ging es immer den Orinoko hinab. Es wäre eine Schande für uns geweſen, hätte uns der Aerger wegen des trüben Himmels oder die Furcht vor den Moskiten auf dem Caſſiquiare den Mut benommen. Unſer indianiſcher Steuermann, der erſt kürzlich in Mandavaca geweſen war, ſtellte uns die Sonne und die großen Sterne, welche die Wolken eſſen , in Ausſicht, ſobald wir die ſchwarzen Waſſer des Rio Negro hinter uns haben würden. So brachten wir denn unſer erſtes Vorhaben, über den Caſſiquiare nach San Fer - nando am Atabapo zurückzugehen, in Ausführung, und zum Glück für unſere Arbeiten ging die Prophezeiung des In - dianers in Erfüllung. Die weißen Waſſer brachten uns nach und nach wieder heiteren Himmel, Sterne, Moskiten und Krokodile.

Wir fuhren zwiſchen den dichtbewachſenen Inſeln Zaruma und Mini oder Mibita durch, und liefen, nachdem wir die Stromſchnellen an der Piedra de Uinumane hinaufgegangen, 15 km weit von der Schanze San Carlos in den Rio Caſſiquiare ein. Jene Piedra, das Granitgeſtein, das den kleinen Katarakt bildet, zog durch die vielen Quarzgänge darin unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Gänge waren mehrere Zoll breit, und ihren Maſſen nach waren ſie augenſcheinlich nach Alter und Formation untereinander ſehr verſchieden. Ich ſah deutlich, daß überall an den Kreuzungsſtellen die Gänge, welche Glimmer und ſchwarzen Schörl führten, die anderen, welche nur weißen Quarz und Feldſpat enthielten, durchſetzten und verwarfen. Nach Werners Theorie waren alſo die ſchwarzen Gänge von neuerer Formation als die weißen. Als Zögling der Freiberger Bergſchule mußte ich mit einer ge - wiſſen Befriedigung beim Fels Uinumane verweilen und in der Nähe des Aequators Erſcheinungen beobachten, die ich in den heimiſchen Bergen ſo oft vor Augen gehabt. Ich geſtehe, die Theorie, nach welcher die Gänge Spalten ſind, die mit verſchiedenen Subſtanzen von oben her ausgefüllt worden, behagt mir jetzt nicht mehr ſo ganz wie damals; aber dieſes ſich Durchkreuzen und Verwerfen von Geſtein - und Metall - adern verdient darum doch, als eines der allgemeinſten und5 gleichförmigſten geologiſchen Phänomene, die volle Aufmerkſam - keit des Reiſenden. Oſtwärts von Javita, längs des ganzen Caſſiquiare, beſonders aber in den Bergen von Duida ver - mehren ſich die Gänge im Granit. Dieſelben ſind voll von Druſen, und ihr häufiges Vorkommen ſcheint auf ein nicht ſehr hohes Alter des Granites in dieſem Landſtriche hinzu - deuten.

Wir fanden einige Flechten auf dem Felſen Uinumane, der Inſel Chamanare gegenüber, am Rande der Stromſchnellen; und da der Caſſiquiare bei ſeiner Mündung eine raſche Wen - dung von Oſt nach Südweſt macht, ſo lag jetzt zum erſtenmal dieſer majeſtätiſche Arm des Orinoko in ſeiner ganzen Breite vor uns da. Er gleicht, was den allgemeinen Charakter der Landſchaft betrifft, ſo ziemlich dem Rio Negro. Wie im Becken dieſes Fluſſes laufen die Waldbäume bis ans Ufer vor und bilden ein Dickicht: aber der Caſſiquiare hat weißes Waſſer und ändert ſeine Richtung öfter. Bei den Strom - ſchnellen am Uinamare iſt er faſt breiter als der Rio Negro und bis über Vaſiva hinauf fand ich ihn überall 490 bis 545 m breit. Ehe wir an der Inſel Garigave vorbei kamen, ſahen wir gegen Nordoſten beinahe am Horizont einen Hügel mit halbkugeligem Gipfel. Dieſe Form iſt in allen Himmels - ſtrichen den Granitbergen eigentümlich. Da man fortwährend von weiten Ebenen umgeben iſt, ſo hängt ſich die Aufmerk - ſamkeit des Reiſenden an jeden freiſtehenden Fels und Hügel. Zuſammenhängende Berge kommen erſt weiter nach Oſt, den Quellen des Pacimoni, Siapa und Mavaca zu. Südlich vom Raudal von Caravine bemerkten wir, daß der Caſſiquiare auf. ſeinem gekrümmten Laufe San Carlos wieder nahe kommt. Von der Schanze in die Miſſion San Francisco, wo wir übernachteten, ſind es zu Lande nur 11 bis 12 km, während man auf dem Fluſſe 30 bis 36 km rechnet. Ich verweilte einen Teil der Nacht im Freien in der vergeblichen Hoffnung, die Sterne zum Vorſchein kommen zu ſehen. Die Luft war nebelig trotz der weißen Waſſer, die uns einem allezeit ſternenhellen Himmel entgegenführen ſollten.

Die Miſſion San Francisco Solano auf dem linken Ufer des Caſſiquiare heißt ſo zu Ehren eines der Befehlshaber bei der Grenzexpedition , Don Joſeph Solano, von dem wir in dieſem Werke ſchon öfter zu ſprechen Gelegenheit gehabt. Dieſer gebildete Offizier iſt nie über das Dorf San Fernando am Atabapo hinausgekommen; er hat weder die Gewäſſer6 des Rio Negro und des Caſſiquiare, noch den Orinoko oſt - wärts vom Einfluſſe des Guaviare geſehen. Infolge eines Mißverſtändniſſes, das aus der Unkenntnis der ſpaniſchen Sprache entſprang, meinten manche Geographen auf La Cruz Olmedillas berühmter Karte einen 1800 km langen Weg an - gegeben zu finden, auf dem Don Joſeph Solano zu den Quellen des Orinoko, an den See Parime oder das Weiße Meer, an die Ufer des Cababury und Uteta gekommen ſein ſollte. Die Miſſion San Francisco wurde, wie die meiſten chriſtlichen Niederlaſſungen ſüdlich von den großen Katarakten des Orinoko, nicht von Mönchen, ſondern von Militärbehör - den gegründet. Bei der Grenzexpedition legte man Dörfer an, wo ein Subteniente oder Korporal mit ſeiner Mann - ſchaft Poſto gefaßt hatte. Die Eingeborenen, die ihre Un - abhängigkeit behaupten wollten, zogen ſich ohne Gefecht zurück, andere, deren einflußreichſte Häuptlinge man gewonnen, ſchloſſen ſich den Miſſionen an. Wo man keine Kirche hatte, richtete man nur ein großes Kreuz aus rotem Holze auf und baute daneben eine Casa fuerte, das heißt ein Haus, deſſen Wände aus ſtarken, wagerecht übereinander gelegten Balken beſtanden. Dasſelbe hatte zwei Stockwerke; im oberen ſtanden zwei Stein - böller oder Kanonen von kleinem Kaliber; zu ebener Erde hauſten zwei Soldaten, die von einer indianiſchen Familie bedient wurden. Die Eingeborenen, mit denen man im Frieden lebte, legten ihre Pflanzungen um die Casa fuerte an. Hatte man einen feindlichen Angriff zu fürchten, ſo wurden ſie von den Soldaten mit dem Horn oder einem Botuto aus ge - brannter Erde zuſammengerufen. So waren die neunzehn angeblichen chriſtlichen Niederlaſſungen beſchaffen, die Don Antonio Santos auf dem Wege von Esmeralda bis zum Everato gegründet. Militärpoſten, die mit der Civiliſation der Eingeborenen gar nichts zu thun hatten, waren auf den Karten und in den Schriften der Miſſionäre als Dörfer (pueblos) und redicciones apostolicas angegeben. Die Mili - tärbehörde behielt am Orinoko die Oberhand bis zum Jahre 1785, mit dem das Regiment der Franziskaner ſeinen Anfang nimmt. Die wenigen Miſſionen, die ſeitdem gegründet oder vielmehr wiederhergeſtellt worden, ſind das Werk der Obſer - vanten, und die Soldaten, die in den Miſſionen liegen, ſtehen jetzt unter den Miſſionären, oder die geiſtliche Hierarchie maßt ſich doch dieſes Verhältnis an.

Die Indianer, die wir in San Francisco Solano trafen,7 gehörten zwei Nationen an, den Pacimonales und den Cheru - vichahenas. Da letztere Glieder eines anſehnlichen Stammes ſind, der am Rio Tomo in der Nachbarſchaft der Manivas am oberen Rio Negro hauſt, ſo ſuchte ich von ihnen über den oberen Lauf und die Quellen dieſes Fluſſes Erkundigung einzuziehen; aber mein Dolmetſcher konnte ihnen den Sinn meiner Fragen nicht deutlich machen. Sie wiederholten nur zum Ueberdruß, die Quellen des Rio Negro und des Inirida ſeien ſo nahe beiſammen, wie die Finger der Hand . In einer Hütte der Pacimonales kauften wir zwei ſchöne, große Vögel, einen Tukan (Piapoco), der dem Ramphastos erythro - rynchos nahe ſteht, und den Ana, eine Art Ara, 45 cm lang, mit durchaus purpurrotem Gefieder, gleich dem Psittacus Macao. Wir hatten in unſerer Piroge bereits ſieben Papa - geien, zwei Felshühner, einen Motmot, zwei Guane oder Pavas de Monte, zwei Manaviri (Cercoleptes oder Viverra caudivolvula) und acht Affen, nämlich zwei Atelen (die Marimonda von den großen Katarakten, Briſſots Simia Belzebuth), zwei Titi (Simia sciurea, Buffons Saïmiri), eine Viudita (Simia lugens), zwei Douroucouli oder Nacht - affen (Cuſicuſi oder Simia trivirgata), und den Cacajao mit kurzem Schwanz (Simia melanocephala). 1Die drei letztgenannten Arten ſind neu.Pater Zea war auch im ſtillen ſehr ſchlecht damit zufrieden, daß ſich unſere wandernde Menagerie mit jedem Tage vermehrte. Der Tukan gleicht nach Lebensweiſe und geiſtiger Anlage dem Raben; es iſt ein mutiges, leicht zu zähmendes Tier. Sein langer Schnabel dient ihm als Verteidigungswaffe. Er macht ſich zum Herrn im Hauſe, ſtiehlt, was er erreichen kann, badet ſich oft und fiſcht gern am Ufer des Stromes. Der Tukan, den wir gekauft, war ſehr jung, dennoch neckte er auf der ganzen Fahrt mit ſichtbarer Luſt die Cuſicuſi, die trübſeligen, zornmütigen Nachtaffen. Ich habe nicht bemerkt, daß, wie in manchen naturgeſchichtlichen Werken ſteht, der Tukan in - folge des Baues ſeines Schnabels ſein Futter in die Luft werfen und ſo verſchlingen müßte. Allerdings nimmt er das - ſelbe etwas ſchwer vom Boden auf; hat er es aber einmal mit der Spitze ſeines ungeheuren Schnabels gefaßt, ſo darf er nur den Kopf zurückwerfen und den Schnabel, ſolange er ſchlingt, aufrecht halten. Wenn er trinken will, macht der8 Vogel ganz ſeltſame Gebärden. Die Mönche ſagen, er mache das Zeichen des Kreuzes über dem Waſſer, und wegen dieſes Volksglaubens haben die Kreolen dem Tukan den ſonderbaren Namen Diostedè (Gott vergelt’s dir) geſchöpft.

Unſere Tiere waren meiſt in kleinen Holzkäfigen, manche liefen aber frei überall auf der Piroge herum. Wenn Regen drohte, erhoben die Ara ein furchtbares Geſchrei, und der Tukan wollte ans Ufer, um Fiſche zu fangen, die kleinen Titiaffen liefen Pater Zea zu und krochen in die ziemlich weiten Aermel ſeiner Franziskanerkutte. Dergleichen Auftritte kamen oft vor und wir vergaßen darüber der Plage der Mos - kiten. Nachts im Biwak ſtellte man in die Mitte einen ledernen Kaſten (petaca) mit dem Mundvorrat, daneben unſere Inſtrumente und die Käfige mit den Tieren, ringsum wurden unſere Hängematten befeſtigt und weiterhin die der Indianer. Die äußerſte Grenze bildeten die Feuer, die man anzündet, um die Jaguare im Walde ferne zu halten. So war unſer Nachtlager am Ufer des Caſſiquiare angeordnet. Die Indianer ſprachen oft von einem kleinen Nachttier mit langer Naſe, das die jungen Papageien im Neſte überfalle und mit den Händen freſſe wie die Affen und die Manaviri oder Kin - kaju. Sie nannten es Guachi; es iſt wahrſcheinlich ein Coati, vielleicht Viverra nasua, die ich in Mexiko im freien Zuſtande geſehen, nicht aber in den Strichen von Südamerika, die ich bereiſt. Die Miſſionäre verbieten den Eingeborenen alles Ernſtes, das Fleiſch des Guachi zu eſſen, da ſie einen weit verbreiteten Glauben teilen und dieſem Fleiſche ſtimulie - rende Eigenſchaften zuſchreiben, wie die Orientalen dem Fleiſche der Skinko (Lacerta scincus) und die Amerikaner dem der Kaimane.

Am 11. Mai. Wir brachen ziemlich ſpät von der Miſſion San Francisco Solano auf, da wir nur eine kleine Tagereiſe machen wollten. Die untere Dunſtſchicht fing an, ſich in Wolken mit feſten Umriſſen zu teilen, und in den oberen Luftregionen ging etwas Oſtwind. Dieſe Zeichen deuteten auf einen bevorſtehenden Witterungswechſel, und wir wollten uns nicht weit von der Mündung des Caſſiquiare entfernen, da wir hoffen durften, in der folgenden Nacht den Durchgang eines Sternes durch den Meridian beobachten zu können. Wir ſahen ſüdwärts den Caño Daquiapo, nordwärts den Guacha - paru und einige Seemeilen weiterhin die Stromſchnellen von Cananivacari. Die Strömung betrug 2,05 m in der Sekunde,9 und ſo hatten wir im Raudal mit Wellen zu kämpfen, die ein ziemlich ſtarkes Scholken verurſachten. Wir ſtiegen aus und Bonpland entdeckte wenige Schritte vom Ufer einen Al - mandron (Juvia), einen prachtvollen Stamm der Berthol - letia excelsa. Die Indianer verſicherten uns, in San Fran - cisco Solano, Vaſiva und Esmeralda wiſſe man nichts davon, daß dieſer koſtbare Baum am Caſſiquiare wachſe. Sie glaub - ten übrigens nicht, daß der Baum, der über 20 m hoch war, aus Samen aufgewachſen, die zufällig ein Reiſender verſtreut. Nach Verſuchen, die man in San Carlos gemacht, weiß man, daß die Bertholletia wegen der holzigen Fruchthülle und des leicht ranzig werdenden Oeles der Mandel ſehr ſelten zum Keimen zu bringen iſt. Vielleicht war dieſer Stamm ein An - zeichen, daß tiefer im Lande gegen Oſt und Nordoſt eine Waldung von Bertholletia beſteht. Wir wiſſen wenigſtens beſtimmt, daß dieſer ſchöne Baum unter dem 3. Grade der Breite in den Cerros von Guyana wild vorkommt. Die geſellig lebenden Gewächſe haben ſelten ſcharf abgeſchnittene Grenzen, und häufig ſtößt man, bevor man zu einem Palmar oder einem Pinal1Zwei ſpaniſche Worte, die, entſprechend einer lateiniſchen Form, Palmwälder (palmetum) und Fichtenwälder (pinetum) be - deuten. gelangt, auf einzelne Palmen oder Fichten. Dieſelben gleichen Koloniſten, die in ein mit anderen Gewächſen bevölkertes Land ſich hinausgewagt haben.

Sieben bis acht Kilometer von den Stromſchnellen von Cananivacari ſtehen mitten in der Ebene ſeltſam geſtaltete Felſen. Zuerſt kommt eine ſchmale, 26 m hohe ſenkrechte Mauer, und dann, am ſüdlichen Ende derſelben, erſcheinen zwei Türmchen mit faſt horizontalen Granitſchichten. Dieſe Felſen von Gua - nari ſind ſo ſymmetriſch gruppiert, daß ſie wie die Trümmer eines alten Gebäudes erſcheinen. Sind es Ueberbleibſel von Eilanden in einem Binnenmeere, das einſt das völlig ebene Land zwiſchen der Sierra Parime und der Sierra dos Parecis bedeckte,2Ich nenne hier die zwei von Oſten nach Weſten ſtreichen - den Bergketten, welche zwiſchen 30′ nördlicher und 14° ſüd - licher Breite die Thäler oder Becken des Caſſiquiare, Rio Negro und Amazonenſtromes begrenzen. oder wurden dieſe Felswände, dieſe Granittürme von den elaſtiſchen Kräften, die noch immer im Inneren unſeres Planeten thätig ſind, emporgehoben? Von ſelbſt10 grübelt der Gedanke über die Entſtehung der Berge, wenn man in Mexiko Vulkane und Trachytgipfel auf einer langen Spalte ſtehen, in den Anden von Südamerika Urgebirgs - und vulkaniſche Bildungen in einer Bergkette lang hingeſtreckt ſah, wenn man der ungemein hohen Inſel von 5,6 km Umfang gedenkt, die in jüngſter Zeit bei Unalaſchka vom Boden des Weltmeeres aufgeſtiegen.

Eine Zierde der Ufer des Caſſiquiare iſt die Chiriva - palme mit gefiederten, an der unteren Fläche ſilberweißen Blättern. Sonſt beſteht der Wald nur aus Bäumen mit großen, lederartigen, glänzenden, nicht gezahnten Blättern. Dieſen eigentümlichen Charakter erhält die Vegetation am Rio Negro, Tuamini und Caſſiquiare dadurch, daß in der Nähe des Aequators die Familien der Guttiferen, der Sapotillen und der Lorbeeren vorherrſchen. Da der heitere Himmel uns eine ſchöne Nacht verhieß, ſchlugen wir ſchon um fünf Uhr abends unſer Nachtlager bei der Piedra de Culimacari auf, einem freiſtehenden Granitfelſen, gleich allen zwiſchen Atabapo und Caſſiquiare, deren ich Erwähnung gethan. Da wir die Flußkrümmungen aufnahmen, zeigte es ſich, daß dieſer Fels ungefähr unter dem Parallel der Miſſion San Francisco Solano liegt. In dieſen wüſten Ländern, wo der Menſch bis jetzt nur flüchtige Spuren ſeines Daſeins hinterlaſſen hat, ſuchte ich meine Beobachtungen immer an einer Flußmündung oder am Fuße eines an ſeiner Geſtalt leicht kenntlichen Felſens anzuſtellen. Nur ſolche von Natur unverrückbare Punkte können bei Entwerfung geographiſcher Karten als Grundlagen dienen. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai konnte ich an α des ſüdlichen Kreuzes die Breite gut beobachten; die Länge wurde, indeſſen nicht ſo genau, nach den zwei ſchönen Sternen an den Füßen des Kentauren chronometriſch beſtimmt. Durch dieſe Beobachtung wurde, und zwar für geographiſche Zwecke hinlänglich genau, die Lage der Mündung des Rio Pacimoni, der Schanze San Carlos und des Einfluſſes des Caſſiquiare in den Rio Negro zumal ermittelt. Der Fels Culimacari liegt ganz genau, unter 0′ 42″ der Breite und wahrſchein - lich unter 69° 33′ 50″ der Länge. In zwei ſpaniſch ge - ſchriebenen Abhandlungen, die ich dem Generalkapitän von Caracas und dem Miniſter Staatsſekretär d’Urquijo überreicht, habe ich den Wert dieſer aſtronomiſchen Beſtimmungen für die Berichtigung der Grenzen der portugieſiſchen Kolonieen auseinandergeſetzt. Zur Zeit von Solanos Expedition ſetzte11 man den Einfluß des Caſſiquiare in den Rio Negro einen halben Grad nördlich vom Aequator, und obgleich die Grenz - kommiſſion niemals zu einem Endreſultate gelangte, galt in den Kommiſſionen immer der Aequator als vorläufig anerkannte Grenze. Aus meinen Beobachtungen ergibt ſich nun aber, daß San Carlos am Rio Negro, oder, wie man ſich hier vornehm ausdrückt, die Grenzfeſtung keineswegs unter 20′, wie Pater Caulin behauptet, noch unter 53′, wie La Cruz und Surville (die offiziellen Geographen der Real Expedicion de limites) annehmen, ſondern unter 53′ 42″ der Breite liegt. Der Aequator läuft alſo nicht nördlich vom portugie - ſiſchen Fort San Joſe de Marabitanos, wie bis jetzt alle Karten mit Ausnahme der neuen Ausgabe der Arrowſmitſchen Karte angeben, ſondern 112 km weiter gegen Süd zwiſchen San Felipe und der Mündung des Rio Guape. Aus der handſchriftlichen Karte Requenas, die ich beſitze, geht hervor, daß dieſe Thatſache den portugieſiſchen Aſtronomen ſchon im Jahre 1783 bekannt war, alſo 35 Jahre bevor man in Europa anfing, dieſelbe in die Karten aufzunehmen.

Da man in der Capitania general von Caracas von jeher der Meinung war, der geſchickte Ingenieur Don Gabriel Clavero habe die Schanze San Carlos del Rio Negro gerade auf die Aequinoktiallinie gebaut, und da in der Nähe der - ſelben die beobachteten Breiten, nach La Condamine, gegen Süd zu groß angenommen waren, ſo war ich darauf gefaßt, den Aequator nördlich von San Carlos, demnach an den Ufern des Temi und Tuamini zu finden. Schon die Beobach - tungen in der Miſſion San Baltaſar (Durchgang dreier Sterne durch den Meridian) ließen mich vermuten, daß dieſe Annahme unrichtig ſei; aber erſt durch die Breite der Piedra Culimacari lernte ich die wirkliche Lage der Grenze kennen. Die Inſel San Joſe im Rio Negro, die bisher als Grenze zwiſchen den ſpaniſchen und portugieſiſchen Beſitzungen galt, liegt wenigſtens unter 38′ nördlicher Breite, und hätte Ituriagas und Solanos Kommiſſion ihre langen Verhand - lungen zum Abſchluß gebracht, wäre der Aequator vom Hofe zu Liſſabon definitiv als Grenze beider Staaten anerkannt worden, ſo gehörten jetzt ſechs portugieſiſche Dörfer und das Fort San Joſe ſelbſt, die nördlich vom Rio Guape liegen, der ſpaniſchen Krone. Was man damals mit ein paar ge - nauen aſtronomiſchen Beobachtungen erworben hätte, iſt von größerem Belang, als was man jetzt beſitzt; es iſt aber zu12 hoffen, daß zwei Völker, welche auf einer ungeheuren Land - ſtrecke Südamerikas oſtwärts von den Anden die erſten Keime der Kultur gelegt haben, den Grenzſtreit um einen 148 km breiten Landſtrich und um den Beſitz eines Fluſſes, auf dem die Schiffahrt frei ſein muß, wie auf dem Orinoko und dem Amazonenſtrom, nicht wieder aufnehmen werden.

Am 12. Mai. Befriedigt vom Erfolge unſerer Beobach - tungen, brachen wir um halb zwei Uhr in der Nacht von der Piedra Culimacari auf. Die Plage der Moskiten, der wir jetzt wieder unterlagen, wurde ärger, je weiter wir vom Rio Negro wegkamen. Im Thale des Caſſiquiare gibt es keine Zancudos (Culex), aber die Inſekten aus der Gattung Si - mulium und alle anderen aus der Familie der Tibulä ſind um ſo häufiger und giftiger. Da wir, ehe wir in die Miſſion Esmeralda kamen, in dieſem naſſen, ungeſunden Klima noch acht Nächte unter freiem Himmel zuzubringen hatten, ſo war es der Steuermann wohl zufrieden, die Fahrt ſo einzurichten, daß wir die Gaſtfreundſchaft des Miſſionärs von Mandavaca in Anſpruch nehmen und im Dorfe Vaſiva Obdach finden konnten. Nur mit Anſtrengung kamen wir gegen die Strö - mung vorwärts, die 2,9 m, an manchen Stellen, wo ich ſie genau gemeſſen, 3,78 m in der Sekunde, alſo gegen 15 km in der Stunde betrug. Unſer Nachtlager war in gerader Linie ſchwerlich 3 qkm von der Miſſion Mandavaca ent - fernt, unſere Ruderer waren nichts weniger als unfleißig, und doch brauchten wir 14 Stunden zu der kurzen Strecke.

Gegen Sonnenuntergang kamen wir an der Mündung des Rio Pacimoni vorüber. Es iſt dies der Fluß, von dem oben bei Gelegenheit des Handels mit Sarſaparille die Rede war und der in ſo auffallender Weiſe (durch den Baria) mit dem Cababuri verzweigt iſt. Der Pacimoni entſpringt in einem bergigen Landſtriche und aus der Vereinigung dreier kleiner Gewäſſer, die auf den Karten der Miſſionäre nicht verzeichnet ſind. Sein Waſſer iſt ſchwarz, doch nicht ſo ſtark als das des Sees bei Vaſiva, der auch in den Caſſiquiare mündet. Zwiſchen dieſen beiden Zuflüſſen von Oſt her liegt die Mündung des Rio Idapa, der weißes Waſſer hat. Ich komme nicht darauf zurück, wie ſchwer es zu erklären iſt, daß dicht nebeneinander verſchieden gefärbte Flüſſe vorkommen; ich erwähne nur, daß uns an der Mündung des Pacimoni und am Ufer des Sees Vaſiva die Reinheit und ungemeine Durch - ſichtigkeit dieſer braunen Waſſer von neuem auffiel. Bereits13 alte arabiſche Reiſende haben die Bemerkung gemacht, daß der aus dem Hochgebirge kommende Nilarm, der ſich bei Halfaja mit dem Bahr el Abiad vereinigt, grünes Waſſer hat, das ſo durchſichtig iſt, daß man die Fiſche auf dem Grunde des Fluſſes ſieht. 1Es iſt auffallend, daß der Blaue Nil (Bahr el azrek) bei manchen arabiſchen Geographen der Grüne Nil heißt, und daß die perſiſchen Dichter zuweilen den Himmel grün (akhzar), ſowie den Beryll blau (zark) nennen. Man kann doch nicht annehmen, daß die Völker vom ſemitiſchen Namen in ihren Sinneseindrücken grün und blau verwechſeln, wie nicht ſelten ihr Ohr die Vokale o und u, e und i verwechſelt. Das Wort azrek wird von jedem ſehr klaren, nicht milchigen Waſſer gebraucht, und abirank (waſſer - farbig) bedeutet blau. Abd-Allatif, wo er vom klaren grünen Arm des Nil ſpricht, der aus einem See im Gebirge ſüdöſtlich von Sennaar entſpringt, ſchreibt bereits die grüne Farbe dieſes Alpenſees vegetabiliſchen Subſtanzen zu, die ſich in den ſtehen - den Waſſern in Menge finden . Weiter oben habe ich die ge - färbten, unrichtig aguas negras genannten Waſſer ebenſo erklärt. Ueberall ſind die klarſten, durchſichtigſten Waſſer gerade ſolche, die nicht weiß ſind.

Ehe wir in die Miſſion Mandavaca kamen, liefen wir durch ziemlich ungeſtüme Stromſchnellen. Das Dorf, das auch Quirabuena heißt, zählt nur 60 Eingeborene. Dieſe chriſtlichen Niederlaſſungen befinden ſich meiſt in ſo kläglichem Zuſtande, daß längs des ganzen Caſſiquiare auf einer Strecke von 225 km keine 200 Menſchen leben. Ja die Ufer des Fluſſes waren bevölkerter, ehe die Miſſionäre ins Land kamen. Die Indianer zogen ſich in die Wälder gegen Oſt, denn die Ebenen gegen Weſt ſind faſt menſchenleer. Die Eingeborenen leben einen Teil des Jahres von den großen Ameiſen, von denen oben die Rede war. Dieſe Inſekten ſind hierzulande ſo ſtark geſucht wie in der ſüdlichen Halbkugel die Spinnen der Sippe Epeira, die für die Wilden auf Neuholland ein Leckerbiſſen ſind. In Mandavaca fanden wir den guten alten Miſſionär, der bereits ſeine zwanzig Moskitojahre in den Bosques del Caſſiquiare zugebracht hatte und deſſen Beine von den Stichen der Inſekten ſo gefleckt waren, daß man kaum ſah, daß er eine weiße Haut hatte. Er ſprach uns von ſeiner Verlaſſenheit, und wie er ſich in der traurigen Notwendigkeit ſehe, in den beiden Miſſionen Mandavaca und Vaſiva häufig die abſcheulichſten Verbrechen ſtraflos zu laſſen. 14Vor wenigen Jahren hatte im letzteren Ort ein indianiſcher Alkade eines ſeiner Weiber verzehrt, die er in ſeinen Conuco1Eine Hütte auf einem angebauten Grundſtücke, eine Art Landhaus, wo ſich die Eingeborenen lieber aufhalten als in den Miſſionen. hinausgenommen und gut genährt hatte, um ſie fett zu machen. Wenn die Völker in Guyana Menſchenfleiſch eſſen, ſo werden ſie nie durch Mangel oder durch gottesdienſtlichen Aberglauben dazu getrieben, wie die Menſchen auf den Süd - ſeeinſeln; es beruht meiſt auf Rachſucht des Siegers und wie die Miſſionäre ſagen auf Verirrung des Appetites . Der Sieg über eine feindliche Horde wird durch ein Mahl gefeiert, wobei der Leichnam eines Gefangenen zum Teil ver - zehrt wird. Ein andermal überfällt man bei Nacht eine wehrloſe Familie oder tötet einen Feind, auf den man zufällig im Walde ſtößt, mit einem vergifteten Pfeil. Der Leichnam wird zerſtückt und als Trophäe nach Hauſe getragen. Erſt die Kultur hat dem Menſchen die Einheit des Menſchen - geſchlechtes zum Bewußtſein gebracht und ihm offenbart, daß ihn auch mit Weſen, deren Sprache und Sitten ihm fremd ſind, ein Band der Blutsverwandtſchaft verbindet. Die Wil - den kennen nur ihre Familie, und ein Stamm erſcheint ihnen nur als ein größerer Verwandtſchaftskreis. Kommen Indianer, die ſie nicht kennen, aus dem Walde in die Miſſion, ſo brauchen ſie einen Ausdruck, deſſen naive Einfalt mir oft aufgefallen iſt: Gewiß ſind dies Verwandte von mir, denn ich verſtehe ſie, wenn ſie mit mir ſprechen. Die Wilden verabſcheuen alles, was nicht zu ihrer Familie oder ihrem Stamme gehört, und Indianer einer benachbarten Völkerſchaft, mit der ſie im Kriege leben, jagen ſie, wie wir das Wild. Die Pflichten gegen Familie und Verwandtſchaft ſind ihnen wohl bekannt, keineswegs aber die Pflichten der Menſchlichkeit, die auf dem Bewußtſein beruhen, daß alle Weſen, die ge - ſchaffen ſind wie wir, ein Band umſchlingt. Keine Regung von Mitleid hält ſie ab, Weiber oder Kinder eines feindlichen Stammes ums Leben zu bringen. Letztere werden bei den Mahlzeiten nach einem Gefecht oder einem Ueberfall vorzugs - weiſe verzehrt.

Der Haß der Wilden faſt gegen alle Menſchen, die eine andere Sprache reden und ihnen als Barbaren von nied - rigerer Raſſe als ſie ſelbſt erſcheinen, bricht in den Miſſionen15 nicht ſelten wieder zu Tage, nachdem er lange geſchlummert. Wenige Monate vor unſerer Ankunft in Esmeralda war ein im Walde1En el monte. Man unterſcheidet zwiſchen Indianern, die in den Miſſionen, und ſolchen, die in den Wäldern geboren ſind. Das Wort monte wird in den Kolonieen häufiger für Wald (bosque) gebraucht als für Berg, und dieſer Umſtand hat auf unſeren Karten große Irrtümer veranlaßt, indem man Bergketten (sierras) einzeichnete, wo nichts als dicker Wald, monte espeso, iſt. hinter dem Duida geborener Indianer allein unter - wegs mit einem anderen, der von den Spaniern am Ventuario gefangen worden war und ruhig im Dorfe, oder, wie man hier ſagt, unter der Glocke , debaxo de la campaña , lebte. Letzterer konnte nur langſam gehen, weil er an einem Fieber litt, wie ſie die Eingeborenen häufig befallen, wenn ſie in die Miſſionen kommen und raſch die Lebensweiſe ändern. Sein Reiſegefährte ärgerlich über den Aufenthalt, ſchlug ihn tot und verſteckte den Leichnam in dichtem Gebüſch in der Nähe von Esmeralda. Dieſes Verbrechen, wie ſo manches dergleichen, was unter den Indianern vorfällt, wäre unent - deckt geblieben, hätte nicht der Mörder Anſtalt gemacht, tags darauf eine Mahlzeit zu halten. Er wollte ſeine Kinder, die in der Miſſion geboren und Chriſten geworden waren, be - reden, mit ihm einige Stücke des Leichnams zu holen. Mit Mühe brachten ihn die Kinder davon ab, und durch den Zank, zu dem die Sache in der Familie führte, erfuhr der Sol - dat, der in Esmeralda lag, was die Indianer ihm ſo gerne verborgen hätten.

Anthropophagie und Menſchenopfer, die ſo oft damit verknüpft ſind, kommen bekanntlich überall auf dem Erdballe und bei Völkern der verſchiedenſten Raſſen vor;2Einige Fälle, wo von Negern auf Cuba Kinder geraubt wurden, gaben in den ſpaniſchen Kolonieen Anlaß zum Glauben, als gäbe es unter den afrikaniſchen Völkerſchaften Anthropophagen. Einige Reiſende behaupten ſolches, es wird aber durch Barrows Beobachtungen im inneren Afrika widerlegt. Abergläubiſche Ge - bräuche mögen Anlaß zu Beſchuldigungen gegeben haben, die wohl ſo ungerecht ſind als die, unter denen in den Zeiten der Intoleranz und der Verfolgungsſucht die Juden zu leiden hatten. [Die Exiſtenz von Kannibalenvölkern in Afrika iſt durch die neueren Forſchungen jeglichem Zweifel entrückt. D. Herausg.] aber beſon - ders auffallend erſcheint in der Geſchichte der Zug, daß die Menſchenopfer ſich auch bei bedeutendem Kulturfortſchritt er -16 halten, und daß die Völker, die eine Ehre darin ſuchen, ihre Gefangenen zu verzehren, keineswegs immer die verſunkenſten und wildeſten ſind. Dieſe Bemerkung hat etwas peinlich Er - greifendes, Niederſchlagendes; ſie entging auch nicht den Miſ - ſionären, die gebildet genug ſind, um über die Sitten der Völkerſchaften, unter denen ſie leben, nachzudenken. Die Cabres, die Guipunavis und die Kariben waren von jeher mächtiger und civiliſierter als die anderen Horden am Orinoko, und doch ſind die beiden erſteren Menſchenfreſſer, während es die letzteren niemals waren. Man muß zwiſchen den ver - ſchiedenen Zweigen, in welche die große Familie der karibiſchen Völker zerfällt, genau unterſcheiden. Dieſe Zweige ſind ſo zahlreich, wie die Stämme der Mongolen und weſtlichen Ta - taren oder Turkomannen. Die Kariben auf dem Feſtlande, auf den Ebenen zwiſchen dem unteren Orinoko, dem Rio Branco, dem Eſſequibo und den Quellen des Oyapoc verab - ſcheuen die Sitte, die Gefangenen zu verzehren. Dieſe bar - bariſche Sitte1Kardinal Bembo ſagt: Insularem partem homines in - colebant feri trucesque, qui puerorum et virorum carnibus, quos aliis in insulis bello aut latrociniis coepissent, vescebantur; a feminis abstinebant, Canibales appellati. Iſt das Wort Kannibale, das hier von den Kariben auf den Antillen ge - braucht wird, aus einer der Sprachen dieſes Archipels (der haytiſchen), oder hat man es in einer Mundart zu ſuchen, die in Florida zu Hauſe iſt, das nach einigen Sagen die urſprüngliche Heimat der Kariben ſein ſoll? Hat das Wort überhaupt einen Sinn, ſo ſcheint es vielmehr ſtarke, tapfere Fremde als Menſchenfreſſer zu bedeuten. Garcia in ſeinen etymologiſchen Phantaſieen erklärt es geradezu für phöniziſch. Annibal und Cannibal können nach ihm nur von derſelben ſemitiſchen Wurzel herkommen. beſtand bei der Entdeckung von Amerika nur bei den Kariben auf den antilliſchen Inſeln. Durch ſie ſind die Worte Kannibalen, Kariben und Menſchenfreſſer gleich - bedeutend geworden, und die von ihnen verübten Grauſam - keiten veranlaßten das im Jahre 1504 erlaſſene Geſetz, das den Spaniern geſtattet, jeden Amerikaner, der erweislich kari - biſchen Stammes iſt, zum Sklaven zu machen. Ich glaube übrigens, daß die Menſchenfreſſerei der Bewohner der An - tillen in den Berichten der erſten Seefahrer ſtark übertrieben iſt. Ein ernſter, ſcharfſinniger Geſchichtſchreiber, Herrera, hat ſich nicht geſcheut, dieſe Geſchichten in die Decades historicas17 aufzunehmen; er glaubte ſogar an den merkwürdigen Fall, der die Kariben veranlaßt haben ſoll, ihrer barbariſchen Sitte zu entſagen. Die Eingeborenen einer kleinen Inſel hatten einen Dominikanermönch verzehrt, den ſie von der Küſte von Portorico fortgeſchleppt. Sie wurden alle krank, und mochten fortan weder Mönch noch Laien verzehren.

Wenn die Kariben am Orinoko ſchon zu Anfang des 16. Jahrhunderts andere Sitten hatten als die auf den An - tillen, wenn ſie immer mit Unrecht der Anthropophagie be - ſchuldigt worden ſind, ſo iſt dieſer Unterſchied nicht wohl daher zu erklären, daß ſie geſellſchaftlich höher ſtanden. Man begegnet den ſeltſamſten Kontraſten in dieſem Völkergewirre, wo die einen nur von Fiſchen, Affen und Ameiſen leben, an - dere mehr oder weniger Ackerbauer ſind, mehr oder weniger das Verfertigen und Bemalen von Geſchirren, die Weberei von Hängematten und Baumwollenzeug als Gewerbe treiben. Manche der letzteren halten an unmenſchlichen Gebräuchen feſt, von denen die erſteren gar nichts wiſſen. Im Charakter und in den Sitten eines Volkes wie in ſeiner Sprache ſpiegeln ſich ſowohl ſeine vergangenen Zuſtände als die gegenwärtigen: man müßte die ganze Geſchichte der Geſittung oder der Ver - wilderung einer Horde kennen, man müßte den menſchlichen Vereinen in ihrer ganzen Entwickelung und auf ihren ver - ſchiedenen Lebensſtufen nachgehen können, wollte man Pro - bleme löſen, die ewig Rätſel bleiben werden, wenn man nur die gegenwärtigen Verhältniſſe ins Auge faſſen kann.

Sie machen ſich keine Vorſtellung davon, ſagte der alte Miſſionär in Mandavaca, wie verdorben dieſe familia de Indios iſt. Man nimmt Leute von einem neuen Stamme im Dorfe auf; ſie ſcheinen ſanftmütig, redlich, gute Arbeiter; man erlaubt ihnen einen Streifzug (entrada) mitzumachen, um Eingeborene einzubringen, und hat genug zu thun, zu verhindern, daß ſie nicht alles, was ihnen in die Hände kommt, umbringen und Stücke der Leichname verſtecken. Denkt man über die Sitten dieſer Indianer nach, ſo erſchrickt man ordent - lich über dieſe Verſchmelzung von Gefühlen, die ſich auszu - ſchließen ſcheinen, über die Unfähigkeit dieſer Völker, ſich an - ders als nur teilweiſe zu humaniſieren, über dieſe Uebermacht der Bräuche, Vorurteile und Ueberlieferungen über die natür - lichen Regungen des Gemütes. Wir hatten in unſerer Piroge einen Indianer, der vom Rio Guaiſia entlaufen war und ſich in wenigen Wochen ſo weit civiliſiert hatte, daß er unsA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 218beim Aufſtellen der Inſtrumente zu den nächtlichen Beobach - tungen gute Dienſte leiſten konnte. Er ſchien ſo gutmütig als geſcheit und wir hatten nicht übel Luſt, ihn in unſeren Dienſt zu nehmen. Wie groß war unſer Verdruß, als wir im Geſpräch mittels eines Dolmetſchers von ihm hören mußten, das Fleiſch der Manimodasaffen ſei allerdings ſchwärzer, er meine aber doch, es ſchmecke wie Menſchen - fleiſch . Er verſicherte, ſeine Verwandten (das heißt ſeine Stammverwandten) eſſen vom Menſchen wie vom Bären die Handflächen am liebſten . Und bei dieſem Ausſpruch äußerte er durch Gebärden ſeine rohe Luſt. Wir ließen den ſonſt ſehr ruhigen und bei den kleinen Dienſten, die er uns leiſtete, ſehr gefälligen jungen Mann fragen, ob er hie und da noch Luſt ſpüre, Cheruvichahenafleiſch zu eſſen ; er erwiderte ganz un - befangen, in der Miſſion werde er nur eſſen, was er los padres eſſen ſehe. Den Eingeborenen wegen des abſcheulichen Brauchs, von dem hier die Rede iſt, Vorwürfe zu machen, hilft rein zu nichts; es iſt gerade, als ob ein Brahmane vom Ganges, der in Europa reiſte, uns darüber anließe, daß wir das Fleiſch der Tiere eſſen. In den Augen des Indianers vom Rio Guaiſia war der Cheruvichahena ein von ihm ſelbſt völlig verſchiedenes Weſen; ihn umzubringen war ihm kein größeres Unrecht, als die Jaguare im Walde umzubringen. Es war nur Gefühl für Anſtand, wenn er, ſolange er in der Miſſion war, nur eſſen wollte, was los padres genoſſen. Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (al monte), oder treibt ſie der Hunger, ſo werden ſie alsbald wieder Menſchen - freſſer wie zuvor. Und wie ſollten wir uns über dieſen Un - beſtand der Völker am Orinoko wundern, da uns aufs glaub - würdigſte bezeugt iſt, was ſich in Hungersnot bei civiliſierten Völkern ſchon Gräßliches ereignet hat? In Aegypten griff im 13. Jahrhundert die Sucht, Menſchenfleiſch zu eſſen, unter allen Ständen um ſich; beſonders aber ſtellte man den Aerzten nach. Hatte einer Hunger, ſo gab er ſich für krank aus und ließ einen Arzt rufen, aber nicht, um ſich bei ihm Rats zu erholen, ſondern um ihn zu verzehren. Ein ſehr glaub - würdiger Schriftſteller, Abd-Allatif, erzählt uns, wie eine Sitte, die anfangs Abſcheu und Entſetzen einflößte, bald gar nicht mehr auffiel . 1Abd-Allatif, Médecin, de Bagdad, Relation de l’Égypte, traduite par Silvestre de Sacy. Als die Armen anfingen

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So leicht die Indianer am Caſſiquiare in ihre barbari - ſchen Gewohnheiten zurückfallen, ſo zeigen ſie doch in den Miſſionen Verſtand und einige Luſt zur Arbeit, beſonders aber große Fertigkeit, ſich ſpaniſch auszudrücken. Da in den Dörfern meiſt drei, vier Nationen beiſammen leben, die ein - ander nicht verſtehen, ſo hat eine fremde Sprache, die zugleich die Sprache der bürgerlichen Behörde, des Miſſionärs iſt, den Vorteil, daß ſie als allgemeines Verkehrsmittel dient. Ich ſah einen Poignaveindianer ſich ſpaniſch mit einem Guahibo - indianer unterhalten, und doch hatten beide erſt ſeit drei Mo - naten ihre Wälder verlaſſen. Alle Viertelſtunden brachten ſie einen mühſelig zuſammengeſtoppelten Satz zu Tage, und dabei war das Zeitwort, ohne Zweifel nach der Syntax ihrer eigenen Sprachen, immer im Gerundium geſetzt. (Quando io mirando Padre, Padre, me diciendo, ſtatt: als ich den Pater ſah, ſagte er mir.) Ich habe oben erwähnt, wie verſtändig mir die Idee der Jeſuiten ſchien, eine der kultivierten amerikani - ſchen Sprachen, etwa das Peruaniſche, die Lingua del Inca, zur allgemeinen Sprache zu machen und die Indianer in einer Mundart zu unterrichten, die wohl in den Wurzeln aber nicht1Menſchenfleiſch zu eſſen, war der Abſcheu und das Entſetzen über ſo gräßliche Gerichte ſo groß, daß von nichts als von dieſen Greueln geſprochen wurde; man gewöhnte ſich aber in der Folge dergeſtalt daran und man fand ſo großen Geſchmack an der entſetzlichen Speiſe, daß man reiche und ganz ehrbare Leute ſie für gewöhnlich genießen, zum Feſteſſen machen, ja Vorräte davon anlegen ſah. Es kamen verſchiedene Zubereitungsarten des Fleiſches auf, und da der Brauch einmal beſtand, verbreitete er ſich auch über die Provinzen, ſo daß allerorten in Aegypten Fälle vorkamen. Und da verwunderte man ſich gar nicht mehr darüber; das Entſetzen, das man zu Anfang darob empfunden, ſchwand ganz und gar, und man ſprach davon und hörte davon ſprechen als von etwas ganz Gleich - gültigem und Alltäglichem. Die Sucht, einander aufzueſſen, griff unter den Armen dergeſtalt um ſich, daß die meiſten auf dieſe Weiſe umkamen. Die Elenden brauchten alle möglichen Liſten, um Menſchen zu überfallen oder ſie unter falſchem Vorgeben zu ſich ins Haus zu locken. Von den Aerzten, die zu mir kamen, ver - fielen drei dieſem Loſe, und ein Buchhändler, der Bücher an mich verkaufte, ein alter, ſehr fetter Mann, fiel in ihre Netze und kam nur mit knapper Not davon. Alle Vorfälle, von denen wir als Augenzeugen berichten, ſind uns zufällig vor Augen gekommen, denn meiſt gingen wir einem Anblicke aus dem Wege, der uns mit ſolchem Entſetzen erfüllte. 20im Bau und in den grammatiſchen Formen von den ihrigen abweicht. Man that damit nur, was die Inka oder die prieſterlichen Könige von Peru ſeit Jahrhunderten zur Aus - führung gebracht, um die barbariſchen Völkerſchaften am oberen Amazonenſtrom unter ihrer Gewalt zu behalten und zu humaniſieren, und ſolch ein Syſtem iſt doch nicht ganz ſo ſeltſam als der Vorſchlag, der auf einem Provinzialkonzil in Mexiko alles Ernſtes gemacht worden, man ſolle die Einge - borenen Amerikas lateiniſch ſprechen lehren.

Wie man uns ſagte, zieht man am unteren Orinoko, beſonders in Angoſtura, die Indianer vom Caſſiquiare und Rio Negro wegen ihres Verſtandes und ihrer Rührigkeit den Bewohnern der anderen Miſſionen vor. Die in Mandavaca ſind bei den Völkern ihrer Raſſe berühmt, weil ſie ein Curare - gift bereiten, das in der Stärke dem von Esmeralda nicht nachſteht. Leider geben ſich die Eingeborenen damit weit mehr ab als mit dem Ackerbau, und doch iſt an den Ufern des Caſſiquiare der Boden ausgezeichnet. Es findet ſich da - ſelbſt ein ſchwarzbrauner Granitſand, der in den Wäldern mit dicken Humusſchichten, am Ufer mit einem Thon bedeckt iſt, der faſt kein Waſſer durchläßt. Am Caſſiquiare ſcheint der Boden fruchtbarer als im Thale des Rio Negro, wo der Mais ziemlich ſchlecht gerät. Reis, Bohnen, Baumwolle, Zucker und Indigo geben reichen Ertrag, wo man ſie nur anzubauen verſucht hat. Bei den Miſſionen San Miguel de Davipe, San Carlos und Mandavaca ſahen wir Indigo wild wachſen. Es läßt ſich nicht in Abrede ziehen, daß mehrere amerikaniſche Völker, namentlich die Mexikaner, ſich lange vor der Eroberung zu ihren hieroglyphiſchen Malereien eines wirk - lichen Indigos bedienten, und daß dieſer Farbſtoff in kleinen Broten auf dem großen Markte von Tenochtitlan verkauft wurde. Aber ein chemiſch identiſcher Farbſtoff kann aus Pflanzen gezogen werden, die einander nahe ſtehenden Gat - tungen angehören, und ſo möchte ich jetzt nicht entſcheiden, ob die in Amerika einheimiſchen Indigofera ſich nicht generiſch von Indigofera anil und Indigofera argentea der Alten Welt unterſcheiden. Bei den Kaffeebäumen der beiden Welten iſt ein ſolcher Unterſchied wirklich beobachtet.

Die feuchte Luft und, als natürliche Folge davon, die Maſſe von Inſekten laſſen hier wie am Rio Negro neue Kulturen faſt gar nicht aufkommen. Selbſt bei hellem, blauem Himmel ſahen wir das Delucſche Hygrometer niemals unter21 52° ſtehen. Ueberall trifft man jene großen Ameiſen, die in gedrängten Haufen einherziehen und ſich deſto eifriger über die Kulturpflanzen hermachen, da dieſelben krautartig und ſaftreich ſind, während in den Wäldern nur Gewächſe mit holzigen Stengeln ſtehen. Will ein Miſſionär verſuchen, Salat oder irgend ein europäiſches Küchenkraut zu ziehen, ſo muß er ſeinen Garten gleichſam in die Luft hängen. Er füllt ein altes Kanoe mit gutem Boden und hängt es 1,3 m über dem Boden an Chiquichiquiſtricken auf; meiſt aber ſtellt er es auf ein leichtes Gerüſte. Die jungen Pflanzen ſind dabei vor Unkraut, vor Erdwürmern und vor den Ameiſen geſchützt, die immer geradeaus ziehen, und da ſie nicht wiſſen, was über ihnen wächſt, nicht leicht von ihrem Wege ablenken, um an Pfählen ohne Rinde hinaufzukriechen. Ich erwähne dieſes Umſtandes zum Beweiſe, wie ſchwer es unter den Tro - pen, an den Ufern der großen Ströme dem Menſchen an - fangs wird, wenn er es verſucht, in dieſem unermeßlichen Naturgebiete, wo die Tiere herrſchen und der wilde Pflanzen - wuchs den Boden überwuchert, einen kleinen Erdwinkel ſich zu eigen zu machen.

Am 13. Mai. Ich hatte in der Nacht einige gute Stern - beobachtungen machen können, leider die letzten am Caſſiquiare, Mandavaca liegt unter 47′ der Breite und, nach dem Chronometer, 69° 27′ der Länge. Die Inklination der Mag - netnadel fand ich gleich 25° 25′. Dieſelbe hatte alſo ſeit der Schanze San Cartos bedeutend zugenommen. Das an - ſtehende Geſtein war indeſſen derſelbe, etwas hornblendehal - tige Granit, den wir in Javita getroffen, und der ſyenitartig ausſieht. Wir brachen von Mandavaca um Uhr in der Nacht auf. Wir hatten noch acht ganze Tage mit der Strö - mung des Caſſiquiare zu kämpfen, und das Land, durch das wir zu fahren hatten, bis wir wieder nach San Fernando de Atabapo kamen, iſt ſo menſchenleer, daß wir erſt nach 13 Tagen hoffen durften, wieder zu einem Obſervanten, zum Miſſionär von Santa Barbara zu gelangen. Nach ſechsſtün - diger Fahrt liefen wir am Einfluſſe des Rio Idapa oder Siapa vorbei, der oſtwärts auf dem Berge Unturan entſpringt und zwiſchen deſſen Quellen und dem Rio Mavaca, der in den Orinoko läuft, ein Trageplatz iſt. Dieſer Fluß hat weißes Waſſer; er iſt nur halb ſo breit als der Pacimoni, deſſen Waſſer ſchwarz iſt Sein oberer Lauf iſt auf den Karten von La Cruz und Surville, die allen ſpäteren als Vorbild22 gedient haben, ſeltſam entſtellt. Ich werde, wenn von den Quellen des Orinoko die Rede iſt, Gelegenheit finden, von den Vorausſetzungen zu ſprechen, die zu dieſen Irrtümern Anlaß gegeben haben. Hätte Pater Caulin die Karte ſehen können, die man ſeinem Werke beigegeben, ſo hätte er ſich nicht wenig gewundert, daß man darin die Fiktionen wieder aufgenommen, die er mit zuverläſſigen, an Ort und Stelle eingezogenen Nachrichten widerlegt hat. Dieſer Miſſionär ſagt lediglich, der Idapa entſpringe in einem bergigen Lande, bei dem die Amuiſanasindianer hauſen. Aus dieſen In - dianern wurden Amoizanas oder Amazonas gemacht, und den Rio Idapa ließ man aus einer Quelle entſpringen, die am Flecke ſelbſt, wo ſie aus der Erde ſprudelt, ſich in zwei Zweige teilt, die nach gerade entgegengeſetzten Seiten laufen. Eine ſolche Gabelung einer Quelle iſt ein reines Phantaſiebild.

Wir übernachteten unter freiem Himmel beim Raudal des Cunuri. Das Getöſe des kleinen Kataraktes wurde in der Nacht auffallend ſtärker. Unſere Indianer behaupteten, dies ſei ein ſicheres Vorzeichen des Regens. Ich erinnerte mich, daß auch die Bewohner der Alpen auf dieſes Wetterzeichen1 Es gibt Regen, weil man die Gießbäche näher rauſchen hört, heißt es in den Alpen wie in den Anden. Deluc hat die Erſcheinung dadurch zu erklären verſucht, daß infolge eines Wechſels im barometriſchen Druck mehr Luftblaſen an der Waſſerfläche platzen. Dieſe Erklärung iſt ſo gezwungen als unbefriedigend. Ich will ihr keine andere Hypotheſe entgegenſtellen, ich mache nur darauf auf - merkſam, daß die Erſcheinung auf einer Modifikation der Luft be - ruht, welche auf die Schallwellen und auf die Lichtwellen zumal Einfluß äußert. Wenn die Verſtärkung des Schalles als Wetterzeichen gilt, ſo hängt dies ganz genau damit zuſammen, daß man der geringeren Schwächung des Lichtes dieſelbe Bedeutung bei - legt. Die Aelpler behaupten mit Zuverſicht, das Wetter ändere ſich, wenn bei ruhiger Luft die mit ewigem Schnee bedeckten Alpen dem Beobachter auf einmal nahe gerückt ſcheinen und ſich ihre Umriſſe ungewöhnlich ſcharf vom Himmelsblau abheben. Was iſt die Ur - ſache, daß in den vertikalen Luftſchichten der Mangel an Homogeneität ſo raſch aufgehoben wird? ſehr viel halten. Wirklich regnete es lange vor Sonnenauf - gang. Uebrigens hatte uns das lange anhaltende Geheul der Araguaten, lange bevor der Waſſerfall lauter wurde, ver - kündet, daß ein Regenguß im Anzug ſei.

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Am 14. Mai. Die Moskiten und mehr noch die Ameiſen jagten uns vor 2 Uhr in der Nacht vom Ufer. Wir hatten bisher geglaubt, die letzteren kriechen nicht an den Stricken der Hängematten hinauf; ob dies nun aber unbegründet iſt, oder ob die Ameiſen aus den Baumgipfeln auf uns herab - fielen, wir hatten vollauf zu thun, uns dieſer läſtigen In - ſekten zu entledigen. Je weiter wir fuhren, deſto ſchmäler wurde der Fluß und die Ufer waren ſo ſumpfig, daß Bon - pland ſich nur mit großer Mühe an den Fuß einer mit großen purpurroten Blüten bedeckten Carolinea princeps durcharbeiten konnte. Dieſer Baum iſt die herrlichſte Zierde der Wälder hier und am Rio Negro. Wir unterſuchten mehrmals am Tage die Temperatur des Caſſiquiare. Das Waſſer zeigte an der Oberfläche nur 24° (in der Luft ſtand der Thermo - meter auf 25,6°), alſo ungefähr ſo viel als der Rio Negro, aber 4 bis weniger als der Orinoko. Nachdem wir weſtwärts die Mündung des Caño Caterico, der ſchwarzes, ungemein durchſichtiges Waſſer hat, hinter uns gelaſſen, verließen wir das Flußbett und landeten an einer Inſel, auf der die Miſſion Vaſiva liegt. Der See, der die Miſſion umgibt, iſt 4,5 km breit und hängt durch drei Kanäle mit dem Caſſiquiare zu - ſammen. Das Land umher iſt ſehr ſumpfig und fiebererzeu - gend. Der See, deſſen Waſſer bei durchgehendem Lichte gelb iſt, trocknet in der heißen Jahreszeit aus und dann können es ſelbſt die Indianer in den Miasmen, welche ſich aus dem Schlamme entwickeln, nicht aushalten. Daß gar kein Wind weht, trägt viel dazu bei, daß dieſe Landſtriche ſo ungemein ungeſund ſind. Ich habe die Zeichnung des Grundriſſes von Vaſiva, den ich am Tage unſerer Ankunft aufgenommen, ſtechen laſſen. Das Dorf wurde zum Teil an einen trockeneren Platz gegen Nord verlegt, und daraus entſpann ſich ein langer Streit zwiſchen dem Statthalter von Guyana und den Mön - chen. Der Statthalter behauptete, letzteren ſtehe nicht das Recht zu, ohne Genehmigung der bürgerlichen Behörde ihre Dörfer zu verlegen; da er aber gar nicht wußte, wo der Caſſi - quiare liegt, richtete er ſeine Beſchwerde an den Miſſionär von Carichana, der 675 km von Vaſiva hauſt und nicht be - griff, von was es ſich handelte. Dergleichen geographiſche Mißverſtändniſſe kommen ſehr häufig vor, wo die Leute faſt nie im Beſitz einer Karte der Länder ſind, die ſie zu regieren haben. Im Jahre 1785 übertrug man die Miſſion Padamo dem Pater Valor mit der Weiſung, ſich unver -24 züglich zu den Indianern zu verfügen, die ohne Seelen - hirten ſeien. Und ſeit länger als fünfzehn Jahren gab es kein Dorf Padamo mehr und die Indianer waren al monte gelaufen.

Vom 14. bis 21. Mai brachten wir die Nacht immer unter freiem Himmel zu, ich kann aber die Orte, wo wir unſer Nachtlager aufſchlugen, nicht angeben. Dieſer Landſtrich iſt ſo wild und ſo wenig von Menſchen betreten, daß die Indianer, ein paar Flüſſe ausgenommen, keinen der Punkte, die ich mit dem Kompaß aufnahm, mit Namen zu nennen wußten. Einen ganzen Grad weit konnte ich durch keine Sternbeobachtung die Breite beſtimmen. Oberhalb des Punktes, wo der Itinivini vom Caſſiquiare abgeht und weſtwärts den Granithügeln von Daripabo zuläuft, ſahen wir die ſumpfigen Ufer des Stromes mit Bamburohr bewachſen. Dieſe baum - artigen Gräſer werden 6,5 m hoch; ihr Halm iſt gegen die Spitze immer umgebogen. Es iſt eine neue Art Bambuſa mit ſehr breiten Blättern. Bonpland war ſo glücklich, ein blühendes Exemplar zu finden. Ich erwähne dieſes Um - ſtandes, weil die Gattungen Naſtus und Bambuſa bis jetzt ſehr ſchlecht auseinander gehalten waren, und man in der Neuen Welt dieſe gewaltigen Gräſer ungemein ſelten blühend antrifft. Mutis botaniſierte zwanzig Jahre in einem Lande, wo die Bambusa Guadua mehrere Meilen breite ſumpfige Wälder bildet, und war nie im ſtande, einer Blüte habhaft zu werden. Wir ſchickten dieſem Gelehrten die erſten Bam - buſaähren aus den gemäßigten Thälern von Popayan. Wie kommt es, daß ſich die Befruchtungsorgane ſo ſelten bei einer Pflanze entwickeln, die im Lande zu Hauſe iſt und vom Meeresſpiegel bis in 1750 m Höhe äußerſt kräftig wächſt, alſo in eine ſubalpiniſche Region hinaufreicht, wo unter den Tropen das Klima dem des mittägigen Spaniens gleicht? Die Bambusa latifolia ſcheint den Becken des oberen Orinoko, des Caſſiquiare und des Amazonenſtromes eigentümlich zu ſein; es iſt ein geſelliges Gewächs, wie alle Gräſer aus der Familie der Naſtoiden; aber in dem Striche von Spaniſch - Guyana, durch den wir gekommen, tritt ſie nicht in den ge - waltigen Maſſen auf, welche die Hiſpanoamerikaner Gua - duales oder Bambuwälder nennen.

Unſer erſtes Nachtlager oberhalb Vaſiva war bald auf - geſchlagen. Wir trafen einen kleinen trockenen, von Büſchen freien Fleck ſüdlich vom Caño Curamuni, an einem Orte, wo25 wir Kapuzineraffen,1Simia chiropotes, eine neue Art. kenntlich am ſchwarzen Barte und der trübſeligen ſcheuen Miene, langſam auf den horizontalen Aeſten einer Genipa hin und her gehen ſahen. Die fünf folgenden Nächte wurden immer beſchwerlicher, je näher wir der Gabel - teilung des Orinoko kamen. Die Ueppigkeit des Pflanzen - wuchſes ſteigerte ſich in einem Grade, von dem man ſich keinen Begriff macht, ſelbſt wenn man mit dem Anblick der tropi - ſchen Wälder vertraut iſt. Ein Gelände iſt gar nicht mehr vorhanden; ein Pfahlwerk aus dichtbelaubten Bäumen bildet das Flußufer. Man hat einen 390 m breiten Kanal vor ſich, den zwei ungeheure, mit Laub und Lianen bedeckte Wände einfaſſen. Wir verſuchten öfters zu landen, konnten aber nicht aus dem Kanoe kommen. Gegen Sonnenuntergang fuhren wir zuweilen eine Stunde lang am Ufer hin, um, nicht eine Lichtung (dergleichen gibt es gar nicht), ſondern nur einen weniger dicht bewachſenen Fleck zu entdecken, wo unſere In - dianer mit der Axt ſo weit aufräumen konnten, um für 12 bis 13 Perſonen ein Lager aufzuſchlagen. In der Piroge konnten wir die Nacht nicht zubringen. Die Moskiten, die uns den Tag über plagten, ſetzten ſich haufenweiſe unter den Toldo, d. h. unter das Dach aus Palmblättern, das uns vor dem Regen ſchützte. Nie waren uns Hände und Geſicht ſo ſtark geſchwollen geweſen. Pater Zea, der ſich bis dahin immer gerühmt, er habe in ſeinen Miſſionen an den Katarakten die größten und wildeſten (las mas feroces) Mos - kiten, gab nach und nach zu, nie haben ihn die Inſektenſtiche ärger geſchmerzt als hier am Caſſiquiare. Mitten im dicken Walde konnten wir uns nur mit ſchwerer Mühe Brennholz verſchaffen; denn in dieſen Ländern am Aequator, wo es be - ſtändig regnet, ſind die Baumzweige ſo ſaftreich, daß ſie faſt gar nicht brennen. Wo es keine trockenen Ufer gibt, findet man auch ſo gut wie kein altes Holz, das, wie die Indianer ſagen, an der Sonne gekocht iſt. Feuer bedurften wir übrigens nur als Schutzwehr gegen die Tiere des Waldes; unſer Vorrat an Lebensmitteln war ſo gering, daß wir zur Zubereitung der Speiſen des Feuers ziemlich hätten entbehren können.

Am 18. Mai gegen Abend kamen wir an einen Ort, wo wilde Kakaobäume das Ufer ſäumen. Die Bohne derſelben iſt klein und bitter; die Indianer in den Wäldern ſaugen26 das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und dieſe wer - den von den Indianern in den Miſſionen aufgeleſen und an ſolche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade nicht genau nehmen. Hier iſt der Puerto del Cacao, ſagte der[Steuermann], hier übernachten los padres, wenn ſie nach Esmeralda fahren, um Blaſeröhren und Juvia (die wohlſchmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen. Indeſſen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Caſſi - quiare, und ſeit Maypures, alſo ſeit einem Monate, war uns auf den Flüſſen, die wir hinauffuhren, keine Seele begegnet, außer in der nächſten Nähe der Miſſionen. Süd - wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die Pothos, die Arum und die Schlinggewächſe bildeten eine natürliche, ſo dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am Ufer lagen, hatten Helikonien und Muſaceen ineinander ver - ſchlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach gebildet. Unſere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die Palmſtämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächſe und die weißlichten Rauchſäulen, die gerade gen Himmel ſtiegen; ein prachtvoller Anblick, aber um desſelben mit Ruhe zu ge - nießen, hätte man eine Luft atmen müſſen, die nicht von In - ſekten wimmelte.

Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am niederſchlagendſten, die in ihrer Dauer immer dieſelben ſind, und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus - dünſtungen in den Wäldern am Caſſiquiare haben wahrſchein - lich bei Bonpland den Keim zu der ſchweren Krankheit gelegt, der er bei unſerer Ankunft in Angoſtura beinahe erlegen wäre. Zu unſerem Glück ahnte er ſo wenig als ich die Gefahr, die ihm drohte. Der Anblick des Fluſſes und das Summen der Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber unſer natürlicher Frohſinn war nicht ganz gebrochen und half uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung, daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben, wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen. Die Ameiſen und die Moskiten machten uns mehr zu ſchaffen als die Näſſe und der Mangel an Nahrung. So großen Entbehrungen wir auch auf unſeren Zügen in den Kordilleren ausgeſetzt geweſen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es - meralda erſchien uns immer als das beſchwerdereichſte Stück27 unſeres Aufenthaltes in Amerika. Ich rate den Reiſen - den, den Weg über den Caſſiquiare dem über den Atabapo nicht vorzuziehen, ſie müßten denn ſehr großes Verlangen haben, die große Gabelteilung des Orinoko mit eigenen Augen zu ſehen.

Oberhalb des Caño Duractumuni läuft der Caſſiquiare geradeaus von Nordoſt nach Südweſt. Hier hat man am rechten Ufer mit dem Bau des Dorfes Vaſiva begonnen. Die Miſſionen Pacimona, Capivari, Buenaguardia, ſowie die angebliche Schanze am See bei Vaſiva auf unſeren Karten ſind lauter Fiktionen. Es fiel uns auf, wie ſtark durch die raſchen Anſchwellungen des Caſſiquiare die beiderſeitigen Ufer - abhänge unterhöhlt waren. Entwurzelte Bäume bilden natür - liche Flöße; ſie ſtecken halb im Schlamme und können den Pirogen ſehr gefährlich werden. Hätte man das Unglück, in dieſen unbewohnten Strichen zu ſcheitern, ſo verſchwände man ohne Zweifel, ohne daß eine Spur des Schiffbruches verriete, wo und wie man untergegangen. Man erführe nur an der Küſte, und das ſehr ſpät, ein Kanoe, das von Vaſiva abgegangen, ſei 450 km weiterhin, in den Miſſionen Santa Barbara und San Fernando de Atabapo nicht geſehen worden.

Die Nacht des 20. Mai, die letzte unſerer Fahrt auf dem Caſſiquiare, brachten wir an der Stelle zu, wo der Ori - noko ſich gabelt. Wir hatten einige Ausſicht, eine aſtrono - miſche Beobachtung machen zu können; denn ungewöhnlich große Sternſchnuppen ſchimmerten durch die Dunſthülle, die den Himmel umzog. Wir ſchloſſen daraus, die Dunſtſchicht müſſe ſehr dünn ſein, da man ſolche Meteore faſt niemals unter dem Gewölk ſieht. Die uns zu Geſicht kamen, liefen nach Nord und folgten aufeinander faſt in gleichen Pauſen. Die Indianer, welche die Zerrbilder ihrer Phantaſie nicht leicht durch den Ausdruck veredeln, nennen die Sternſchnuppen den Urin, und den Tau den Speichel der Sterne. Aber das Gewölk wurde wieder dicker und wir ſahen weder die Meteore mehr noch die wahren Sterne, deren wir ſeit mehreren Tagen mit ſo großer Ungeduld harrten.

Man hatte uns geſagt, in Esmeralda werden wir die Inſekten noch grauſamer und gieriger finden als auf dem Arm des Orinoko, den wir jetzt hinauffuhren; trotz dieſer Ausſicht erheiterte uns die Hoffnung, endlich einmal wieder an einem bewohnten Orte ſchlafen und uns beim Botaniſieren28 einige Bewegung machen zu können. Beim letzten Nachtlager am Caſſiquiare wurde unſere Freude getrübt. Ich nehme keinen Anſtand, hier einen Vorfall zu erzählen, der für den Leſer von keinem großen Belang iſt, der aber in einem Tagebuche, das die Begebniſſe auf der Fahrt durch ein ſo wildes Land ſchil - dert, immerhin eine Stelle finden mag. Wir lagerten am Waldſaume. Mitten in der Nacht meldeten uns die Indianer, man höre den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und zwar von den naheſtehenden Bäumen herab. Die Wälder ſind hier ſo dicht, daß faſt keine anderen Tiere darin vorkommen, als ſolche, die auf die Bäume klettern, Vierhänder, Cercolepten, Viverren und verſchiedene Katzenarten. Da unſere Feuer hell brannten, und da man durch lange Gewöhnung Gefahren, die durchaus nicht eingebildet ſind, ich möchte ſagen ſyſtema - tiſch nicht achten lernt, ſo machten wir uns aus dem Brüllen des Jaguars nicht viel. Der Geruch und die Stimme unſeres Hundes hatten ſie hergelockt. Der Hund (eine große Dogge) bellte anfangs; als aber der Tiger näher kam, fing er an zu heulen und kroch unter unſere Hängematten, als wollte er beim Menſchen Schutz ſuchen. Seit unſeren Nachtlagern am Rio Apure waren wir daran gewöhnt, bei dem Tiere, das jung, ſanftmütig und einſchmeichelnd war, in dieſer Weiſe Mut und Schüchternheit wechſeln zu ſehen. Wie groß war unſer Verdruß, als uns am Morgen, da wir eben das Fahr - zeug beſteigen wollten, die Indianer meldeten, der Hund ſei verſchwunden! Es war kein Zweifel, die Jaguare hatten ihn fortgeſchleppt. Vielleicht war er, da er ſie nicht mehr brüllen hörte, von den Feuern weg dem Ufer zu gegangen; vielleicht aber auch hatten wir den Hund nicht winſeln hören, da wir im tiefſten Schlafe lagen. Am Orinoko und am Magdalenenſtrome verſicherte man uns oft, die älteſten Jaguare (alſo ſolche, die viele Jahre bei Nacht gejagt haben) ſeien ſo verſchlagen, daß ſie mitten aus einem Nachtlager Tiere herausholen, indem ſie ihnen den Hals zudrücken, damit ſie nicht ſchreien können. Wir warteten am Morgen lange, in der Hoffnung, der Hund möchte ſich nur verlaufen haben. Drei Tage ſpäter kamen wir an denſelben Platz zurück. Auch jetzt hörten wir die Jaguare wieder brüllen, denn dieſe Tiere haben eine Vorliebe für gewiſſe Orte, aber all unſer Suchen war vergeblich. Die Dogge, die ſeit Caracas unſer Begleiter geweſen und ſo oft ſchwimmend den Krokodilen entgangen war, war im Walde zerriſſen worden. Ich erwähne dieſes29 Vorfalles nur, weil er einiges Licht auf die Kunſtgriffe dieſer großen Katzen mit geflecktem Fell wirft.

Am 21. Mai liefen wir 13,5 km unterhalb der Miſſion Esmeralda wieder in das Bett des Orinoko ein. Vor einem Monate hatten wir dieſen Fluß bei der Einmündung des Guaviare verlaſſen. Wir hatten nun noch 1390 km nach Angoſtura, aber es ging den Strom abwärts, und dieſer Ge - danke war geeignet, uns unſere Leiden erträglicher zu machen. Fährt man die großen Ströme hinab, ſo bleibt man im Thal - wege, wo es nur wenige Moskiten gibt; ſtromaufwärts dagegen muß man ſich, um die Wirbel und Gegenſtrömungen zu be - nutzen, nahe am Ufer halten, wo es wegen der Nähe der Wälder und des organiſchen Detritus, der aufs Ufer geworfen wird, von Mücken wimmelt. 1Orellana hat auf dem Amazonenſtrome dieſelbe Beobachtung gemacht.Der Punkt, wo die vielberufene Gabelteilung des Orinoko ſtattfindet, gewährt einen ungemein großartigen Anblick. Am nördlichen Ufer erheben ſich hohe Granitberge; in der Ferne erkennt man unter denſelben den Maraguaca und den Duida. Auf dem linken Ufer des Ori - noko, weſtlich und ſüdlich von der Gabelung, ſind keine Berge bis dem Einfluſſe des Tamatama gegenüber. Hier liegt der Fels Guaraco, der in der Regenzeit zuweilen Feuer ſpeien ſoll. Da wo der Orinoko gegen Süd nicht mehr von Bergen umgeben iſt und er die Oeffnung eines Thales oder vielmehr einer Senkung erreicht, welche ſich nach dem Rio Negro hin - unterzieht, teilt er ſich in zwei Aeſte. Der Hauptaſt (der Rio Paragua der Indianer) ſetzt ſeinen Lauf weſt-nord-weſt - wärts um die Berggruppe der Parime herum fort; der Arm, der die Verbindung mit dem Amazonenſtrome herſtellt, läuft über Ebenen, die im ganzen ihr Gefäll gegen Süd haben, wobei aber die einzelnen Gehänge im Caſſiquiare gegen Süd - weſt, im Becken des Rio Negro gegen Südoſt fallen. Eine ſcheinbar ſo auffallende Erſcheinung, die ich an Ort und Stelle unterſucht habe, verdient ganz beſondere Aufmerkſamkeit, um ſo mehr, als ſie über ähnliche Fälle, die man im inneren Afrika beobachtet zu haben glaubt, einigen Aufſchluß geben kann. Ich beſchließe dieſes Kapitel mit allgemeinen Betrach - tungen über das hydrauliſche Syſtem von Spaniſch-Gu - yana, und verſuche es, durch Anführung von Fällen auf dem alten Kontinent darzuthun, daß dieſe Gabelteilung, die für30 die Geographen, welche Karten von Amerika entwarfen, ſo lange ein Schreckbild war, immerhin etwas Seltenes iſt, aber in beiden Halbkugeln vorkommt.

Wir ſind gewöhnt, die europäiſchen Flüſſe nur in dem Teile ihres Laufes zu betrachten, wo ſie zwiſchen zwei Waſſer - ſcheiden liegen, ſomit in Thäler eingeſchloſſen ſind; wir be - achten nicht, daß die Bodenhinderniſſe, welche Nebenflüſſe und Hauptwaſſerbehälter ablenken, gar nicht ſo oft Bergketten ſind, als vielmehr ſanfte Böſchungen von Gegenhängen; und ſo fällt es uns ſchwer, uns eine Vorſtellung davon zu machen, wie in der Neuen Welt die Ströme ſich ſo ſtark krümmen, ſich gabelig teilen und ineinander münden ſollen. An dieſem ungeheuren Kontinent fällt die weite Erſtreckung und Ein - förmigkeit ſeiner Ebenen noch mehr auf als die rieſenhafte Höhe ſeiner Kordilleren. Erſcheinungen, wie wir ſie in unſerer Halbkugel an den Meeresküſten oder in den Steppen von Bactriana um Binnenmeere, um den Aral und das Kaſpiſche Meer beobachten, kommen in Amerika 1300 bis 1800 km von den Strommündungen vor. Die kleinen Bäche, die ſich durch unſere Wieſengründe (die vollkommenſten Ebenen bei uns) ſchlängeln, geben im kleinen ein Bild jener Verzweigungen und Gabelteilungen; man hält es aber nicht der Mühe wert, bei ſolchen Kleinigkeiten zu verweilen, und ſo fällt einem bei den hydrauliſchen Syſtemen der beiden Welten mehr der Kontraſt auf als die Analogie. Die Vorſtellung, der Rhein könnte an die Donau, die Weichſel an die Oder, die Seine an die Loire einen Arm abgeben, erſcheint uns auf den erſten Blick ſo ausſchweifend, daß wir, wenn wir auch nicht daran zweifeln, daß Orinoko und Amazonenſtrom in Verbindung ſtehen, den Beweis verlangen, daß was wirklich iſt, auch möglich iſt.

Fährt man über das Delta des Orinoko nach Angoſtura und zum Einfluſſe des Rio Apure hinauf, ſo hat man die hohe Gebirgskette der Parime fortwährend zur Linken. Dieſe Kette bildet nun keineswegs, wie mehrere berühmte Geographen angenommen haben, eine Waſſerſcheide zwiſchen dem Becken des Orinoko und dem des Amazonenſtroms, vielmehr ent - ſpringen am Südabhange derſelben die Quellen des erſteren Stromes. Der Orinoko beſchreibt (ganz wie der Arno in der bekannten Voltata zwiſchen Bibieno und Ponta Sieve) drei Vierteile eines Ovals, deſſen große Achſe in der Richtung eines Parallels liegt. Er läuft um einen Bergſtock herum,31 von deſſen beiden entgegengeſetzten Abhängen die Gewäſſer ihm zulaufen. Von den Alpenthälern des Maraguaca an läuft der Fluß zuerſt gegen Weſt oder Weſt-Nord-Weſt, als ſollte er ſich in die Südſee ergießen; darauf, beim Einfluſſe des Guaviare, fängt er an, nach Nord umzubiegen und läuft in der Richtung eines Meridians bis zur Mündung des Apure, wo ein zweiter Wiederkehrungspunkt liegt. Auf dieſem Stücke ſeines Laufes füllt der Orinoko eine Art Rinne, die durch das ſanfte Gefälle, das ſich von der ſehr fernen Andenkette von Neugranada herunterzieht und durch den ganz kurzen Gegenhang, der oſtwärts zur ſteilen Gebirgs - wand der Parime hinaufläuft, gebildet wird. Infolge dieſer Bodenbildung kommen die bedeutendſten Zuflüſſe dem Orinoko von Weſten her zu. Da der Hauptbehälter ganz nahe an den Gebirgen der Parime liegt, um die er ſich von Süd nach Nord herumbiegt (als ſollte er Portocabello an der Nordküſte von Venezuela zu laufen), ſo iſt ſein Bett von Felsmaſſen verſtopft. Dies iſt der Strich der großen Katarakte; der Strom bricht ſich brüllend Bahn durch die Ausläufer, die gegen Weſt fortſtreichen, ſo daß auf der großen Land-Meer - enge 1Es iſt dies eine 360 km breite Oeffnung, die einzige, durch welche die vereinigten Becken des oberen Orinoko und des Amazonenſtromes mit dem Becken des unteren Orinoko oder den Llanos von Venezuela in Verbindung ſtehen. Wir betrachten dieſe Oeffnung geologiſch als ein détroit terrestre, als eine Land-Meerenge, weil ſie macht, daß aus einem dieſer Becken in das andere Gewäſſer ſtrömen, und weil ohne ſie die Bergkette der Parime, die, gleich den Ketten des Küſtenlandes von Caracas und denen von Mato-Groſſo oder Chiquitos, von Oſten nach Weſten ſtreicht, unmittelbar mit den Anden von Neu - granada zuſammenhinge. (détroit terrestre) zwiſchen den Kordilleren von Neu - granada und der Sierra Parime die Felſen am weſtlichen Ufer des Stromes nach dieſer Sierra angehören. Beim Ein - fluſſe des Rio Apure ſieht man nun den Orinoko zum zweiten - mal, und faſt plötzlich, aus ſeiner Richtung von Süd nach Nord in die von Weſt nach Oſt umbiegen, wie weiter oben der Einfluß des Guaviare den Punkt bezeichnet, wo der weſt - liche Lauf raſch zum nördlichen wird. Bei dieſen beiden Bie - gungen wird die Richtung des Hauptbehälters nicht allein durch den Stoß der Gewäſſer des Nebenfluſſes beſtimmt, ſon -32 dern auch durch die eigentümliche Lage der Hänge und Gegen - hänge, die ſowohl auf die Richtung der Nebenflüſſe als auf die des Orinoko ſelbſt ihren Einfluß äußern. Umſonſt ſieht man ſich bei den geographiſch ſo wichtigen Wiederkehrungs - punkten nach Bergen oder Hügeln um, die den Strom ſeinen bisherigen Lauf nicht fortſetzen ließen. Beim Einfluſſe des Guaviare ſind keine vorhanden, und bei der Mündung des Apure konnte der niedrige Hügel von Cabruta auf die Rich - tung des Orinoko ſicher keinen Einfluß äußern. Dieſe Ver - änderungen der Richtung ſind Folgen allgemeinerer Urſachen; ſie rühren her von der Lage der großen geneigten Ebenen, aus denen die polyedriſche Fläche der Niederungen beſteht. Die Bergketten ſteigen nicht wie Mauern auf wagerechten Grundflächen empor; ihre mehr oder weniger prismatiſchen Stöcke ſtehen immer auf Plateaus, und dieſe Plateaus ſtreichen mit ſtärkerer oder geringerer Abdachung dem Thalwege des Stromes zu. Der Umſtand, daß die Ebenen gegen die Berge anſteigen, iſt ſomit die Urſache, daß ſich die Flüſſe ſo ſelten an den Bergen ſelbſt brechen und den Einfluß dieſer Waſſer - ſcheiden, ſozuſagen, in bedeutender Entfernung fühlen. Geo - graphen, welche Topographie nach der Natur ſtudiert und ſelbſt Bodenvermeſſungen vorgenommen haben, können ſich nicht wundern, daß auf Karten, auf denen wegen ihres Maß - ſtabes ein Gefälle von 3 bis ſich nicht angeben läßt, die Urſachen der großen Flußkrümmungen materiell gar nicht er - ſichtlich ſind. Der Orinoko läuft von der Mündung des Apure bis zu ſeinem Ausfluſſe an der Oſtküſte von Amerika parallel mit ſeiner anfänglichen Richtung, aber derſelben entgegen; ſein Thalweg wird dort gegen Norden durch eine faſt unmerkliche Abdachung, die ſich gegen die Küſtenkette von Venezuela hin - aufzieht, gegen Süden durch den kurzen ſteilen Gegenhang an der Sierra Parime gebildet. Infolge dieſer eigentümlichen Terrainbildung umgibt der Orinoko denſelben granitiſchen Ge - birgsſtock in Süd, Weſt und Nord, und befindet ſich nach einem Laufe von 2500 km 556 km von ſeinem Urſprunge. Es iſt ein Fluß, deſſen Mündung bis auf im Meridian ſeiner Quellen liegt.

Der Lauf des Orinoko, wie wir ihn hier flüchtig geſchil - dert, zeigt drei ſehr bemerkenswerte Eigentümlichkeiten: 1) daß er dem Bergſtock, um den er in Süd, Weſt und Nord her - läuft, immer ſo nahe bleibt; 2) daß ſeine Quellen in einem Landſtriche liegen, der, wie man glauben ſollte, dem Becken33 des Rio Negro und des Amazonenſtromes angehört; 3) daß er ſich gabelt und einem anderen Flußſyſteme einen Arm zu - ſendet. Nach bloß theoretiſchen Vorſtellungen ſollte man an - nehmen, die Flüſſe, wenn ſie einmal aus den Alpenthälern heraus ſind, in deren oberen Enden ſie entſprungen, müßten raſch von den Bergen weg auf einer mehr oder weniger ge - neigten Ebene fortziehen, deren ſtärkſter Fall ſenkrecht iſt auf die große Achſe der Kette oder die Hauptwaſſerſcheide. Eine ſolche Vorausſetzung widerſpräche aber dem Verhalten der großartigſten Ströme Indiens und Chinas. Es iſt eine Eigen - tümlichkeit dieſer Flüſſe, daß ſie nach ihrem Austritte aus dem Gebirge mit der Kette parallel laufen. Die Ebenen, deren Gehänge gegen die Gebirge anſteigen, ſind am Fuße derſelben unregelmäßig geſtaltet. Nicht ſelten mag die Erſcheinung, von der hier die Rede iſt, von der Beſchaffenheit des geſchich - teten Geſteines und daher rühren, daß die Schichten den großen Ketten parallel ſtreichen; da aber der Granit der Sierra Parime faſt durchaus maſſig, nicht geſchichtet iſt, ſo deutet der Umſtand, daß der Orinoko ſich ſo nahe um dieſen Gebirgsſtock herumſchlingt, auf eine Terrainſenkung hin, die mit einer allgemeineren geologiſchen Erſcheinung zuſammen - hängt, auf eine Urſache, die vielleicht bei der Bildung der Kordilleren ſelbſt im Spiele war. In den Meeren und den Binnenſeen finden ſich die tiefſten Stellen da, wo die Ufer am höchſten und ſteilſten ſind. Fährt man von Esmeralda nach Angoſtura den Orinoko hinab, ſo ſieht man (ob die Rich - tung Weſt, Nord oder Oſt iſt) 1125 km weit am rechten Ufer beſtändig ſehr hohe Berge, am linken dagegen Ebenen, ſo weit das Auge reicht. Die Linie der größten Tiefen, die Maxima der Senkung, liegen alſo am Fuße der Kordillere ſelbſt, am Umriſſe der Sierra Parime.

Eine andere Eigentümlichkeit, die uns auf den erſten Anblick am Laufe des Orinoko auffällig erſcheint, iſt, daß das Becken dieſes Stromes urſprünglich mit dem Becken eines anderen, des Amazonenſtromes, zuſammenzufallen ſcheint. Wirft man einen Blick auf die Karte, ſo ſieht man, daß der obere Orinoko von Oſt nach Weſt über dieſelbe Ebene läuft, durch die der Amazonenſtrom parallel mit ihm, aber in ent - gegengeſetzter Richtung, von Weſt nach Oſt zieht. Aber das Becken iſt nur ſcheinbar ein gemeinſchaftliches; man darf nicht vergeſſen, daß die großen Bodenflächen, die wir Ebenen nen - nen, ihre Thäler haben, ſo gut wie die Berge. Jede EbeneA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 334beſteht aus verſchiedenen Syſtemen alternativer Hänge,1Hänge, die in entgegengeſetzter Richtung gegen den Horizont geneigt ſind. und dieſe Syſteme ſind voneinander durch ſekundäre Waſſer - ſcheiden von ſo geringer Höhe getrennt, daß das Auge ſie faſt nicht bemerkt. Eine ununterbrochene, waldbedeckte Ebene füllt den ungeheuren Raum zwiſchen 3½° nördlicher und dem 14. Grad ſüdlicher Breite, zwiſchen der Kordillere der Parime und der Kordillere von Chiquitos und der braſilia - niſchen. Bis zum Parallel der Quellen des Rio Temi ( 45′ nördlicher Breite), auf einer Oberfläche von 4131000 qkm,2Eine Oberfläche zehnmal größer als Frankreich. laufen alle Gewäſſer dem Amazonenſtrom als Hauptbehälter zu; aber weiter gegen Norden hat infolge eigentümlicher Ter - rainbildung auf einer Fläche von nicht 30000 qkm ein anderer großer Strom, der Orinoko, ſein eigenes hydrauliſches Syſtem. Die Centralebene von Südamerika umfaßt alſo zwei Strom - becken; denn ein Becken iſt die Geſamtheit aller umliegenden Bodenflächen, deren ſtärkſte Falllinien dem Thalwege, das heißt der Längenvertiefung, welche das Bett des Hauptbehälters bildet, zulaufen. Auf dem kurzen Striche zwiſchen dem 68. und 70. Grad der Länge nimmt der Orinoko die Gewäſſer auf, die vom Südabhange der Kordillere der Parime herab - kommen; aber die Nebenflüſſe, die am ſelben Abhange öſtlich vom Meridian von 68° zwiſchen dem Berge Maraguaca und den Bergen des portugieſiſchen Guyana entſpringen, gehen in den Amazonenſtrom. Alſo nur auf einer 225 km langen Strecke haben in dieſem ungeheuren Thale unter dem Aequator die Bodenflächen zunächſt am Fuße der Kordillere der Parime ihren ſtärkſten Fall in einer Richtung, die aus dem Thale hinaus zuerſt nordwärts, dann oſtwärts weiſt. In Ungarn ſehen wir einen ähnlichen, ſehr merkwürdigen Fall, wo Flüſſe, die ſüdwärts von einer Bergkette entſpringen, dem hydrau - liſchen Syſteme des Nordhanges angehören. Die Waſſerſcheide zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meere liegt ſüdlich der Tatra, einem Ausläufer der Karpathen, zwiſchen Teplicz und Ganocz, auf einem nur 580 m hohen Plateau. Waag und Hernad laufen ſüdwärts der Donau zu, während der Poprad um das Tatragebirge gegen Weſt herumläuft und mit dem Dunajetz nordwärts der Weichſel zufließt. Der Poprad, der ſeiner Lage nach zu den Gewäſſern zu gehören35 ſcheint, die dem Schwarzen Meere zufließen, trennt ſich ſchein - dar vom Becken derſelben los und wendet ſich dem Baltiſchen Meere zu.

In Südamerika enthält eine ungeheure Ebene das Becken des Amazonenſtromes und einen Teil des Beckens des Orinoko; aber in Deutſchland, zwiſchen Melle und Osnabrück, haben wir den ſeltenen Fall, daß ein ſehr enges Thal die Becken zweier kleiner, voneinander unabhängiger Flüſſe verbindet. Die Elſe und die Haaſe laufen anfangs nahe bei einander und parallel von Süd nach Nord; wo ſie aber in die Ebene treten, weichen ſie von Oſt nach Weſt auseinander und ſchließen ſich zwei ganz geſonderten Flußſyſtemen, dem der Werra und dem der Ems, an.

Ich komme zur dritten Eigentümlichkeit im Laufe des Orinoko, zu jener Gabelteilung, die man im Moment, da ich nach Amerika abreiſte, wieder in Zweifel gezogen hatte. Dieſe Gabelteilung (divergium amnis) liegt nach meinen aſtronomiſchen Beobachtungen in der Miſſion Esmeralda unter 10′ nördlicher Breite und 68° 37′ weſtlicher Länge vom Meridian von Paris. Im Inneren von Südamerika erfolgt dasſelbe, was wir unter allen Landſtrichen an den Küſten vorkommen ſehen. Nach den einfachſten geometriſchen Grundſätzen haben wir anzunehmen, daß die Bodenbildung und der Stoß der Zuflüſſe die Richtung der ſtrömenden Ge - wäſſer nach feſten, gleichförmigen Geſetzen beſtimmen. Die Delta entſtehen dadurch, daß auf der Ebene eines Küſten - landes eine Gabelteilung erfolgt, und bei näherer Betrachtung zeigen ſich zuweilen in der Nähe dieſer ozeaniſchen Gabelung Verzweigungen mit anderen Flüſſen, von denen Arme nicht weit abliegen. Kommen nun aber Bodenflächen, ſo eben wie das Küſtenland im Inneren der Feſtländer gleichfalls vor, ſo müſſen ſich dort auch dieſelben Erſcheinungen wiederholen. Aus denſelben Urſachen, welche an der Mündung eines großen Stromes Gabelteilungen herbeiführen, können dergleichen auch an ſeinen Quellen und in ſeinem oberen Laufe entſtehen. Drei Umſtände tragen vorzugsweiſe dazu bei: die höchſt un - bedeutenden wellenförmigen Steigungen und Senkungen einer Ebene, die zwei Strombecken zugleich umfaßt, die Breite des einen der Hauptbehälter, und die Lage des Thalweges am Rande ſelbſt, der beide Becken ſcheidet.

Wenn die Linie des ſtärkſten Falles durch einen gegebenen Punkt läuft, und wenn ſie, noch ſo weit verlängert, nicht auf36 den Fluß trifft, ſo kann dieſer Punkt, er mag noch ſo nahe am Thalwege liegen, nicht wohl demſelben Becken angehören. In anſtoßenden Becken ſehen wir häufig die Zuflüſſe des einen Behälters ganz nahe bei dem anderen zwiſchen zwei Zuflüſſen des letzteren entſpringen. Infolge dieſer eigentüm - lichen Koordinationsverhältniſſe zwiſchen den alternativen Ge - hängen werden die Grenzen der Becken mehr oder weniger gekrümmt. Die Längenfurche oder der Thalweg iſt keines - wegs notwendig in der Mitte des Beckens; er befindet ſich nicht einmal immer an den tiefſten Stellen, denn dieſe können von Kämmen umgeben ſein, ſo daß die Linien des ſtärkſten Falles nicht hinlaufen. Nach der ungleichen Länge der Zu - flüſſe an beiden Ufern eines Fluſſes ſchätzen wir ziemlich ſicher, welche Lage der Thalweg den Grenzen des Beckens gegenüber hat. Am leichteſten erfolgt nun eine Gabelteilung, wenn der Hauptbehälter einer dieſer Grenzen nahe gerückt iſt, wenn er längs dem Kamme hinläuft, der die Waſſerſcheide zwiſchen beiden Becken bildet. Die geringſte Erniedrigung dieſes Kammes kann dann die Erſcheinung herbeiführen, von der hier die Rede iſt, wenn nicht der Fluß, vermöge der einmal angenommenen Geſchwindigkeit, ganz in ſeinem Bette zurückbleibt. Erfolgt aber die Gabelteilung, ſo läuft die Grenze zwiſchen beiden Becken der Länge nach durch das Bett des Hauptbehälters, und ein Teil des Thalweges von a ent - hält Punkte, von denen die Linien des ſtärkſten Falles zum Thalwege von b weiſen. Der Arm, der ſich abſondert, kann nicht mehr zu a zurückkommen, denn ein Waſſerfaden, der einmal in ein Becken gelangt iſt, kann dieſem nicht mehr ent - weichen, ohne durch das Bett des Fluſſes, der alle Gewäſſer desſelben vereinigt, hindurchzugehen.

Es iſt nun noch zu betrachten, inwiefern die Breite eines Fluſſes unter ſonſt gleichen Umſtänden die Bildung ſolcher Gabelteilungen begünſtigt, welche, gleich den Kanälen mit Teilungspunkten, infolge der natürlichen Bodenbildung eine ſchiffbare Linie zwiſchen zwei benachbarten Strombecken herſtellen. Sondiert man einen Fluß nach dem Querdurch - ſchnitt, ſo zeigt ſich, daß ein Bett gewöhnlich aus mehreren Rinnen von ungleicher Tiefe beſteht. Je breiter der Strom iſt, deſto mehr ſind dieſer Rinnen, ſie laufen ſogar große Strecken weit mehr oder weniger einander parallel. Es folgt hieraus, daß die meiſten Flüſſe betrachtet werden können als aus dicht aneinander gerückten Kanälen beſtehend, und daß eine37 Gabelung ſich bildet, wenn ein kleiner Bodenabſchnitt am Ufer niedriger liegt als der Grund einer Seitenrinne.

Den hier auseinander geſetzten Verhältniſſen zufolge bilden ſich Flußgabelungen entweder im ſelben Becken oder auf der Waſſerſcheide zwiſchen zweien. Im erſteren Falle ſind es ent - weder Arme, die in den Thalwegen, von dem ſie ſich abgezweigt, früher oder ſpäter wieder einmünden, oder aber Arme, die ſich mit weiter abwärts gelegenen Nebenflüſſen vereinigen. Zuweilen ſind es auch Delta,1Es gibt 1) ozeaniſche Delta, wie an den Mündungen des Orinoko, des Rio Magdalena, des Ganges; 2) Delta an den Ufern von Binnenmeeren, wie die des Oxus und Sihon; 3) Delta von Nebenflüſſen, wie an den Mün - dungen des Apure, des Arauca und des Rio Branco. Fließen mehrere untergeordnete Gewäſſer in der Nähe des Deltas von Nebenflüſſen, ſo wiederholt ſich im Binnenlande ganz, was im Küſtenlande an den ozeaniſchen Delta vorgeht. Die einander zu - nächſt gelegenen Zweige teilen ſich ihre Gewäſſer mit und bilden ein Flußnetz, das zur Zeit der großen Ueberſchwemmungen faſt un - kenntlich wird. die ſich entweder nahe der Mündung der Flüſſe ins Meer oder beim Zuſammenfluſſe mit einem anderen Strome bilden. Erfolgt die Gabelung an der Grenze zweier Becken und läuft dieſe Grenze durch das Bett des Hauptbehälters ſelbſt, ſo ſtellt der ſich abzweigende Arm eine hydrauliſche Verbindung zwiſchen zwei Flußſyſtemen her und verdient deſto mehr unſere Aufmerkſamkeit, je breiter und ſchiffbarer er iſt. Nun iſt aber der Caſſiquiare zwei - bis dreimal breiter als die Seine beim Jardin des plantes in Paris, und zum Beweiſe, wie merkwürdig dieſer Fluß iſt, bemerke ich, daß eine ſorgfältige Forſchung nach Fällen von Gabelteilungen im Inneren der Länder, ſelbſt zwiſchen weit weniger bedeutenden Flüſſen, ihrer bis jetzt nur drei bis vier unzweifelhaft zu Tage gefördert hat. Ich ſpreche nicht von den Verzweigungen der großen indiſch-chineſiſchen Flüſſe, von den natürlichen Kanälen, durch welche die Flüſſe in Ava und Pegu, wie in Siam und Kambodſcha zuſammenzuhängen ſchei - nen; die Art dieſer Verbindungen iſt noch nicht gehörig auf - geklärt. Ich beſchränke mich darauf, einer hydrauliſchen Er - ſcheinung zu erwähnen, welche durch Baron Hermelins ſchöne Karten von Norwegen nach allen Teilen bekannt geworden iſt. In Lappland ſendet der Torneofluß einen Arm (den Tärendoelf)38 zum Calixelf, der ein kleines hydrauliſches Syſtem für ſich bildet. Dieſer Caſſiquiare der nördlichen Zone iſt nur 45 bis 54 km lang, er macht aber alles Land am bottniſchen Buſen zu einer wahren Flußinſel. Durch Leopold von Buch wiſſen wir, daß die Exiſtenz dieſes natürlichen Kanales lange ſo hartnäckig geleugnet wurde, wie die eines Armes des Ori - noko, der in das Becken des Amazonenſtromes läuft. Eine andere Gabelteilung, die wegen des alten Verkehres zwiſchen den Völkern Latiums und Etruriens noch mehr Intereſſe hat, ſcheint ehemals am Traſimeniſchen See ſtattgefunden zu haben. Auf ſeiner vielberufenen Voltata von Süd nach Weſt und Nord zwiſchen Bibieno und Ponta Sieve teilte ſich der Arno bei Arezzo in zwei Arme, deren einer, wie jetzt, über Florenz und Piſa dem Meere zulief, während der andere durch das Thal von Chiana floß und ſich mit dem Tiber vereinigte, entweder unmittelbar oder durch die Paglia als Zwiſchenglied. Foſſombroni hat dargethan, wie ſich im Mittelalter durch An - ſchwemmungen im Thale von Chiana eine Waſſerſcheide bildete, und wie jetzt das nördliche Stück des Arno Teverino von Süd nach Nord (auf dem Gegenhange) aus dem kleinen See von Montepulciano in den Arno fließt. So hatte denn der klaſſiſche Boden Italiens neben ſo vielen Wundern der Natur und der Kunſt auch eine Gabelteilung aufzuweiſen, wie ſie in den Wäldern der Neuen Welt in ungleich größerem Maß - ſtabe auftritt.

Ich bin nach meiner Rückkehr vom Orinoko oft gefragt worden, ob ich glaube, daß der Kanal des Caſſiquiare allmählich durch Anſchwemmungen verſtopft werden möchte, ob ich nicht der Anſicht ſei, daß die zwei größten Flußſyſteme Amerikas unter den Tropen im Laufe der Jahrhunderte ſich ganz von - einander trennen werden. Da ich es mir zum Geſetz gemacht habe, nur Thatſächliches zu beſchreiben und die Verhältniſſe, die in verſchiedenen Ländern zwiſchen der Bodenbildung und dem Laufe der Gewäſſer beſtehen, zu vergleichen, ſo habe ich alles bloß Hypothetiſche zu vermeiden. Zunächſt bemerke ich, daß der Caſſiquiare in ſeinem gegenwärtigen Zuſtande keines - wegs placidus et mitissimus amnis iſt, wie es bei den Poeten Latiums heißt; er gleicht durchaus nicht dem errans languido flumine Cocytus, da er im größten Teile ſeines Laufes die ungemeine Geſchwindigkeit von 1,95 bis 2,6 m in der Sekunde hat. Es iſt alſo wohl nicht zu fürchten, daß er ein mehrere hundert Kilometer breites Bett ganz verſtopft. Dieſer Arm39 des oberen Orinoko iſt eine zu großartige Erſcheinung, als daß die kleinen Umwandlungen, die wir an der Erdoberfläche vorgehen ſehen, demſelben ein Ende machen oder auch nur viel daran verändern könnten. Wir beſtreiten nicht, vollends wenn es ſich von minder breiten und ſehr langſam ſtrömen - den Gewäſſern handelt, daß alle Flüſſe eine Neigung haben, ihre Verzweigungen zu vermindern und ihre Becken zu iſolieren. Die majeſtätiſchten Ströme erſcheinen, wenn man die ſteilen Hänge der alten weitab liegenden Ufer betrachtet, nur als Waſſerfäden, die ſich durch Thäler winden, die ſie ſelbſt ſich nicht haben graben können. Der heutige Zuſtand ihres Bettes weiſt deutlich darauf hin, daß die ſtrömenden Gewäſſer all - mählich abgenommen haben. Ueberall treffen wir die Spuren alter ausgetrockneter Arme und Gabelungen, für die kaum ein hiſtoriſches Zeugnis vorliegt. Die verſchiedenen, mehr oder weniger parallelen Rinnen, aus denen die Betten der amerikaniſchen Flüſſe beſtehen, und die ſie weit waſſerreicher erſcheinen laſſen, als ſie wirklich ſind, verändern allgemach ihre Richtung; ſie werden breiter und verſchmelzen dadurch, daß die Längsgräten zwiſchen denſelben abbröckeln. Was an - fangs nur ein Arm war, wird bald der einzige Waſſerbe - hälter, und bei Strömen, die langſam ziehen, verſchwinden die Gabelteilungen oder Verzweigungen zwiſchen zwei hydrau - liſchen Syſtemen auf dreierlei Wegen: entweder der Ver - bindungskanal zieht den ganzen gegabelten Strom in ſein Becken hinüber, oder der Kanal verſtopft ſich durch Anſchwem - mungen an der Stelle, wo er vom Strome abgeht, oder endlich in der Mitte ſeines Laufes bildet ſich ein Querkamm, eine Waſſerſcheide, wodurch das obere Stück einen Gegenhang erhält und das Waſſer in umgekehrter Richtung zurückfließt. Sehr niedrige und großen periodiſchen Ueberſchwemmungen ausgeſetzte Länder, wie Guyana in Amerika und Dar-Saley oder Bagirmi in Afrika,1Südöſtlich von Bornu und dem See No, in dem Teile von Sudan, wo, nach den letzten Ermittelungen meines unglücklichen Freundes Ritchie, der Nigir den Schari aufnimmt und ſich in den Weißen Nil ergießt. geben uns ein Bild davon, wie viel häufiger dergleichen Verbindungen durch natürliche Kanäle früher geweſen ſein mögen als jetzt.

Nachdem ich die Gabelteilung des Orinoko aus dem Ge - ſichtspunkte der vergleichen den Hydrographie betrachtet,40 habe ich noch kurz die Geſchichte der Entdeckung dieſes merk - würdigen Phänomens zu beſprechen. Es ging mit der Ver - bindung zwiſchen zwei großen Flußſyſtemen wie mit dem Laufe des Nigirs gegen Oſt. Man mußte mehrere Male entdecken, was auf den erſten Anblick der Analogie und angenommenen Hypotheſen widerſprach. Als bereits durch Reiſende ausge - macht war, auf welche Weiſe Orinoko und Amazonenſtrom zuſammenhängen, wurde noch, und zwar zu wiederholten Malen bezweifelt, ob die Sache überhaupt möglich ſei. Eine Berg - kette, die der Geograph Hondius zu Ende des 16. Jahr - hunderts als Grenzſcheide beider Flüſſe gefabelt hatte, wurde bald angenommen, bald geleugnet. Man dachte nicht daran, daß ſelbſt wenn dieſe Berge vorhanden wären, deshalb die beiden hydrauliſchen Syſteme nicht notwendig getrennt ſein müßten, da ja die Gewäſſer durch die Kordillere der Anden und die Himalayakette,1Der Sudledge, der Gogra, der Gunduk, der Arun, der Theesla und der Brahmaputra laufen durch Querthäler, d. h. ſenk - recht auf die große Achſe der Himalayakette. Alle dieſe Flüſſe durchbrechen alſo die Kette, wie der Amazonenſtrom, der Paute und der Paſtaza die Kordillere der Anden. die höchſte bekannte der Welt, ſich Bahn gebrochen haben. Man behauptete, und nicht ohne Grund, Fahrten, die mit demſelben Kanoe ſollten gemacht worden ſein, ſchließen die Möglichkeit nicht aus, daß die Waſſerſtraße durch Trageplätze unterbrochen geweſen. Ich habe dieſe ſo lange beſtrittene Gabelteilung nach ihrem ganzen Verhalten ſelbſt beobachtet, bin aber deshalb weit entfernt, Gelehrte zu tadeln, die, gerade weil es ihnen nur um die Wahrheit zu thun war, Bedenken trugen, als wirklich gelten zu laſſen, was ihnen noch nicht genau genug unterſucht zu ſein ſchien.

Ta der Amazonenſtrom von den Portugieſen und den Spaniern ſchon lange befahren wurde, ehe die beiden Neben - buhler den oberen Orinoko kennen lernten, ſo kam die erſte unſichere Kunde von der Verzweigung zweier Ströme von der Mündung des Rio Negro nach Europa. Die Konquiſtadoren und mehrere Geſchichtſchreiber, wie Herrera, Fray Pedro Simon und der Pater Garcia verwechſelten unter dem Namen Rio grande und Mar dulce den Orinoko und den Marañon. Der Name des erſteren Fluſſes kommt noch nicht einmal auf Diego Riberos vielberufener Karte von Amerika aus dem41 Jahre 1529 vor. Durch die Expeditionen des Orellana (1540) und des Lope de Aguirre (1560) erfuhr man nichts über die Gabelteilung des Orinoko; da aber Aguirre ſo auffallend ſchnell die Inſel Margarita erreicht hatte, glaubte man lange, derſelbe ſei nicht durch eine der großen Mündungen des Amazonen - ſtromes, ſondern durch eine Flußverbindung im Inneren auf die See gelangt. Der Jeſuit Acuña hat ſolches als Be - hauptung aufgeſtellt; aber das Ergebnis meiner Nachforſchungen in den Schriften der früheſten Geſchichtſchreiber der Eroberung ſpricht nicht dafür. Wie kann man glauben, ſagt dieſer Miſſionär, daß Gott es zugelaſſen, daß ein Tyrann es hinausführe und die ſchöne Entdeckung der Mündung des Marañon mache! Acuña ſetzt voraus, Aguirre ſei durch den Rio Felipe an die See gelangt, und dieſer Fluß ſei nur wenige Meilen von Cabo del Norte entfernt.

Ralegh brachte auf verſchiedenen Fahrten, die er ſelbſt gemacht oder die auf ſeine Koſten unternommen worden, nichts über eine hydrauliſche Verbindung zwiſchen Orinoko und Ama - zonenſtrom in Erfahrung; aber ſein Unterbefehlshaber Keymis, der aus Schmeichelei (beſonders aber wegen des Vorganges, daß der Marañon nach Orellana benannt worden) dem Ori - noko den Namen Raleana beigelegt, bekam zuerſt eine un - beſtimmte Vorſtellung von den Trageplätzen zwiſchen dem Eſſequibo, dem Carony und dem Rio Branco oder Parime. Aus dieſen Trageplätzen machte er einen großen Salzſee, und in dieſer Geſtalt erſchienen ſie auf der Karte, die 1599 nach Raleghs Berichten entworfen wurde. Zwiſchen Orinoko und Amazonenſtrom zeichnet man eine Kordillere ein, und ſtatt der wirklichen Gabelung gibt Hondius eine andere, völlig ein - gebildete an: er läßt den Amazonenſtrom (mittels des Rio Tocantins) mit dem Parana und dem San Francisco in Verbindung treten. Dieſe Verbindung blieb über ein Jahr - hundert auf den Karten ſtehen, wie auch eine angebliche Gabel - teilung des Magdalenenſtromes, von dem ein Arm zum Golf von Maracaybo laufen ſollte.

Im Jahre 1639 machten die Jeſuiten Chriſtoval de Acuña und Andres de Artedia, im Gefolge des Kapitäns Texeira, die Fahrt von Quito nach Gran-Para. Am Einfluſſe des Rio Negro in den Amazonenſtrom erfuhren ſie, erſterer Fluß, von den Eingeborenen wegen der braunen Farbe ſeines Waſſers Curiguacura oder Uruna genannt, gebe einen Arm an den Rio Grande ab, der ſich in die nördliche See ergießt,42 und an deſſen Mündung ſich holländiſche Niederlaſſungen be - finden. Acuña gibt den Rat, nicht am Einfluſſe des Rio Negro in den Amazonenſtrom, ſondern am Punkte, wo der Verbindungsaſt abgeht , eine Feſtung zu bauen. Er beſpricht die Frage, was wohl dieſer Rio Grande ſein möge, und kommt zum Schluſſe, der Orinoko ſei es ſicher nicht, vielleicht aber der Rio Dulce oder der Rio de Felipe, derſelbe, durch den Aguirre zur See gekommen. Letztere dieſer An - nahmen ſcheint ihm die wahrſcheinlichſte. Man muß bei der - gleichen Angaben unterſcheiden zwiſchen dem, was die Reiſen - den an der Mündung des Rio Negro von den Indianern erfahren, und dem, was jene nach den Vorſtellungen, die ihnen der Zuſtand der Geographie zu ihrer Zeit an die Hand gab, ſelbſt hinzuſetzten. Ein Flußarm, der vom Rio Negro ab - geht, ſoll ſich in einen ſehr großen Fluß ergießen, der in das nördliche Meer läuft an einer Küſte, auf der Menſchen mit roten Haaren wohnen; ſo bezeichneten die Indianer die Holländer, da ſie gewöhnt waren, nur Weiße mit ſchwarzen oder braunen Haaren, Spanier oder Portu - gieſen, zu ſehen. Wir kennen nun aber jetzt, vom Einfluſſe des Rio Negro in den Amazonenſtrom bis zum Caño Pimichin, auf dem ich in den erſteren Fluß gekommen, alle Nebenflüſſe von Nord und Oſt her. Nur ein einziger darunter, der Caſſiquiare, ſteht mit einem anderen Fluſſe in Verbindung. Die Quellen des Rio Branco ſind auf den neuen Karten des braſilianiſchen hydrographiſchen Depots ſehr genau aufgenom - men, und wir wiſſen, daß dieſer Fluß keineswegs durch einen See mit dem Carony, dem Eſſequibo oder irgend einem an - deren Gewäſſer der Küſte von Surinam und Cayenne in Ver - bindung ſteht. Eine hohe Bergkette, die von Pacaraymo, liegt zwiſchen den Quellen des Paraguamuſi (eines Neben - fluſſes des Carony) und denen des Rio Branco, wie es von Don Antonio Santos auf ſeiner Reiſe von Angoſtura nach Gran-Para im Jahre 1775 ausgemacht worden. Südwärts von der Bergkette Pacaraymo und Quimiropaca befindet ſich ein Trageplatz von drei Tagereiſen zwiſchen dem Sarauri (einem Arme des Rio Branco) und dem Rupunuri (einem Arme des Eſſequibo). Ueber dieſen Trageplatz kam im Jahre 1759 der Chirurg Nikolas Hortsmann, ein Hildesheimer, deſſen Tagebuch ich in Händen gehabt; es iſt dies derſelbe Weg, auf dem Don Francisco Joſe Rodriguez Barata, Oberſt - lieutenant des erſten Linienregimentes in Para, im Jahre 179343 im Auftrage ſeiner Regierung zweimal vom Amazonenſtrome nach Surinam ging. In noch neuerer Zeit, im Februar 1811, kamen engliſche und holländiſche Koloniſten zum Trageplatz am Rupunuri und ließen den Befehlshaber am Rio Negro um die Erlaubnis bitten, zum Rio Branco ſich begeben zu dürfen; der Kommandant willfahrte dem Geſuch und ſo kamen die Koloniſten in ihren Kanoen zum Fort San Joaquin am Rio Branco. Wir werden in der Folge noch einmal auf dieſe Landenge zurückkommen, einen teils bergigen, teils fumpfigen Landſtrich, auf den Keymis (der Verfaſſer des Berichtes von Raleghs zweiter Reiſe) den Dorado und die große Stadt Manoa verlegt, der aber, wie wir jetzt beſtimmt wiſſen, die Quellen des Carony, des Rupunuri und des Rio Branco trennt, die drei verſchiedenen Flußſyſtemen an - gehören, dem Orinoko, dem Eſſequibo und dem Rio Negro oder Amazonenſtrom.

Aus dem Bisherigen geht hervor, daß die Eingeborenen, die Texeira und Acuña von der Verbindung zweier großer Ströme ſprachen, vielleicht ſelbſt über die Richtung des Caſſi - quiare im Irrtum waren, oder daß Acuña ihre Aeußerungen mißverſtanden hat. Letzteres iſt um ſo wahrſcheinlicher, da ich, wenn ich mich, gleich dem ſpaniſchen Reiſenden, eines Dolmetſchers bediente, oft ſelbſt die Erfahrung gemacht habe, wie leicht man etwas falſch auffaßt, wenn davon die Rede iſt, ob ein Fluß Arme abgibt oder aufnimmt, ob ein Neben - fluß mit der Sonne geht oder gegen die Sonne läuft. Ich bezweifle, daß die Indianer mit dem, was ſie gegen Acuña geäußert, die Verbindung mit den holländiſchen Beſitzungen über die Trageplätze zwiſchen dem Rio Branco und dem Rio Eſſequibo gemeint haben. Die Kariben kamen an den Rio Negro auf beiden Wegen, über die Landenge beim Rupunuri und auf dem Caſſiquiare; aber eine ununterbrochene Waſſer - ſtraße mußte den Indianern als etwas erſcheinen, das für die Fremden ungleich mehr Belang habe, und der Orinoko mündet allerdings nicht in den holländiſchen Beſitzungen aus, liegt aber doch denſelben ſehr nahe. Acuñas Aufenthalt an der Mündung des Rio Negro verdankt Europa nicht nur die erſte Kunde von der Verbindung zwiſchen Amazonenſtrom und Ori - noko, derſelbe hatte auch aus dem Geſichtspunkte der Huma - nität gute Folgen. Texeiras Mannſchaft wollte den Befehls - haber zwingen, in den Rio Negro einzulaufen, um Sklaven zu holen. Die beiden Geiſtlichen, Acuña und Artedia, legten44 ſchriftliche Verwahrung gegen ein ſolch ungerechtes und politiſch unkluges Unternehmen ein. Sie behaupteten dabei (und der Satz iſt ſonderbar genug), das Gewiſſen geſtatte den Chriſten nicht, Eingeborene zu Sklaven zu machen, ſolche ausgenommen, die als Dolmetſcher zu dienen hätten . Was man auch von dieſem Satze halten mag, auf die hochherzige, mutvolle Ver - wahrung der beiden Geiſtlichen unterblieb der beabſichtigte Raubzug.

Im Jahre 1680 entwarf der Geograph Sanſon nach Acuñas Reiſebericht eine Karte vom Orinoko und dem Ama - zonenſtrome. Sie iſt für den Amazonenſtrom, was Gumillas Karte ſo lange für den unteren Orinoko geweſen. Im ganzen Striche nördlich vom Aequator iſt ſie rein hypothetiſch, und der Caqueta, wie ſchon oben bemerkt, gabelt ſich darauf unter einem rechten Winkel. Der eine Arm des Caqueta iſt der Orinoko, der andere der Rio Negro. In dieſer Weiſe glaubte Sanſon auf der erwähnten Karte, und auf einer anderen von ganz Südamerika aus dem Jahre 1656, die unbeſtimm - ten Nachrichten, welche Acuña im Jahre 1639 über die Verzweigungen des Caqueta und über die Verbindungen zwiſchen Amazonenſtrom und Orinoko erhalten, vereinigen zu können. Die irrige Vorſtellung, der Rio Negro ent - ſpringe aus dem Orinoko oder aus dem Caqueta, von dem der Orinoko nur ein Zweig wäre, hat ſich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts erhalten, wo der Caſſiquiare entdeckt wurde.

Pater Fritz war mit einem anderen deutſchen Jeſuiten, dem Pater Richler, nach Quito gekommen; er entwarf im Jahre 1690 eine Karte des Amazonenſtromes, die beſte, die man vor La Condamines Reiſe beſaß. Nach dieſer Karte richtete ſich der franzöſiſche Akademiker auf ſeiner Flußfahrt, wie ich auf dem Orinoko nach den Karten von La Cruz und Caulin. Es iſt auffallend, daß Pater Fritz bei ſeinem langen Aufenthalt am Amazonenſtrom (der Kommandant eines por - tugieſiſchen Forts hielt ihn zwei Jahre gefangen) keine Kunde vom Caſſiquiare erhalten haben ſoll. Die geſchichtlichen Notizen, die er auf dem Rande ſeiner handſchriftlichen Karte beigeſetzt und die ich in neueſter Zeit ſorgfältig unterſucht habe, ſind ſehr mangelhaft; auch ſind ihrer nicht viele. Er läßt eine Bergkette zwiſchen den beiden Flußſyſtemen ſtreichen und rückt nur einen der Zweige, die den Rio Negro bilden, nahe an einen Nebenfluß des Orinoko, der, der Lage nach, der Rio45 Caura zu ſein ſcheint. In den 100 Jahren zwiſchen Acuñas Reiſe und der Entdeckung des Caſſiquiare durch Pater Roman blieb alles im Ungewiſſen.

Die Verzweigung des Orinoko und des Amazonenſtromes durch den Rio Negro und eine Gabelteilung des Caqueta, die Sanſon aufgebracht und die Pater Fritz und Blaeuw ver - warfen, erſchienen auf de l’Isles erſten Karten wieder; aber gegen das Ende ſeines Lebens gab der berühmte Geograph ſie wieder auf. Da man ſich hinſichtlich der Art und Weiſe der Verbindung geirrt, war man ſchnell bei der Hand und zog die Verbindung ſelbſt in Abrede. Es iſt wirklich ſehr merkwürdig, daß zur Zeit, wo die Portugieſen am häufigſten den Amazonenſtrom, den Rio Negro und den Caſſiquiare hinauffuhren, und wo Pater Gumillas Briefe (durch die natürliche Flußverzweigung) vom unteren Orinoko nach Gran - Para gelangten, dieſer ſelbe Miſſionär ſich alle Mühe gab, in Europa die Meinung zu verbreiten, daß die Becken des Orinoko und des Amazonenſtromes völlig voneinander geſchieden ſeien. Er verſichert, er ſei öfters erſteren Fluß bis zum Raudal von Tabaje, unter 4′ der Breite, hinauf - gefahren und habe niemals einen Fluß, den man für den Rio Negro hätte halten können, abgehen oder hereinkommen ſehen . Zudem, fährt er fort, läuft eine große Kordillere1Pater Caulin, der im Jahre 1759 ſchrieb, obgleich ſein wahrheitgetreues, ſehr wertvolles Buch (Historia corografica de la Nueva Andalusia y vertientes del Rio Orinoco) erſt 1779 erſchien, beſtreitet mit vielem Scharfſinn die Vorſtellung, daß eine Bergkette jede Verbindung zwiſchen den Becken des Orinoko und des Amazonenſtromes ausſchließe. Pater Gumillas Irrtum, ſagt er, beſteht darin, daß er ſich vorſtellt, von den Grenzen von Neugranada bis Cayenne müſſe ſich eine Kordillere ununter - brochen, wie eine ungeheure Mauer fortziehen. Er beachtet nicht, daß Bergketten häufig von tiefen (Quer -) Thälern durchſchnitten ſind, während ſie, aus der Ferne geſehen, ſich als contiguas ò indivisas darſtellen. von Oſt und Weſt und läßt die Gewäſſer nicht ineinander münden, wie ſie auch alle Erörterung über die angebliche Verbindung beider Ströme ganz überflüſſig macht. Pater Gumillas Irrtümer entſpringen daher, daß er der feſten Ueber - zeugung war, auf dem Orinoko bis zum Parallel von 4′ gekommen zu ſein. Er irrte ſich um mehr als fünf Grad zehn Minuten in der Breite; denn in der Miſſion Atures,46 58,5 km ſüdwärts von den Stromſchnellen von Tabaje, fand ich die Breite 37′ 34″. Da Pater Gumilla nicht weit über den Einfluß des Meta hinaufgekommen, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß er die Gabelteilung des Orinako nicht gekannt hat, die, den Krümmungen des Fluſſes nach, 540 km vom Raudal von Tabaje liegt. Dieſer Miſſionär, der drei Jahre am unteren Orinoko gelebt hat (nicht dreißig, wie durch ſeine Ueberſetzer in Umlauf gekommen), hätte ſich darauf be - ſchränken ſollen, zu berichten, was er bei ſeinen Fahrten auf dem Apure, dem Meta und Orinoko von Guyana Vieja bis in die Nähe des erſten großen Kataraktes mit eigenen Augen geſehen. Sein Werk (das erſte über dieſe Länder vor Cau - lins und Gilis Schriften) wurde anfangs gewaltig erhoben, und ſpäter in den ſpaniſchen Kolonieen um ſo weiter und zu weit herabgeſetzt. Allerdings begegnet man im Orinoco ilustrado nicht der genauen Kenntnis der Oertlichkeiten, der naiven Einfalt, wodurch die Berichte der Miſſionäre einen gewiſſen Reiz erhalten; der Stil iſt gekünſtelt und die Sucht zu übertreiben gibt ſich überall kund; trotz dieſer Fehler fin - den ſich in Pater Gumillas Buch ſehr richtige Anſichten über die Sitten und die natürlichen Anlagen der verſchiedenen Völker - ſchaften am unteren Orinoko und in den Llanos am Caſanare.

Auf ſeiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenſtrom im Jahre 1743 hatte La Condamine zahlreiche Belege für die vom ſpaniſchen Jeſuiten geleugnete Verbindung zwiſchen bei - den Strömen geſammelt. Als den bündigſten derſelben ſah er damals die nicht verdächtige Ausſage einer Cauriacani - indianerin an, mit der er geſprochen und die vom Orinoko (von der Miſſion Pararuma) im Kanoe nach Gran-Para gelangt war. Ehe La Condamine in das Vaterland zurück - kam, ſetzten die Fahrt des Pater Manuel Roman und der Umſtand, daß Miſſionäre vom Orinoko und vom Ama - zonenſtrom ſich zufällig begegneten, die Thatſache, die zuerſt Acuña kund geworden, außer allen Zweifel.

Auf den Streifzügen zur Sklavenjagd, welche ſeit der Mitte des 17. Jahrhunderts unternommen wurden, waren die Portugieſen nach und nach aus dem Rio Negro über den Caſſiquiare in das Bett eines großen Stromes gekommen, von dem ſie nicht wußten, daß es der Orinoko ſei. Ein flie - gendes Lager der Tropa de rescate1Von rescatar, loskaufen. leiſtete dieſem un -47 menſchlichen Handel Vorſchub. Man hetzte die Eingeborenen, ſich zu bekriegen, und kaufte dann die Gefangenen los; und um dem Sklavenhandel einen Anſtrich von Rechtmäßigkeit zu geben, gingen Geiſtliche mit der Tropa de rescate, die unter - ſuchten, ob diejenigen, welche Sklaven verkauften, auch dazu berechtigt ſeien, weil ſie dieſelben in offenem Kampfe zu Ge - fangenen gemacht . Vom Jahre 1737 an wiederholten ſich dieſe Züge der Portugieſen an den oberen Orinoko ſehr oft. Die Gier, Sklaven (poitos) gegen Beile, Fiſchangeln und Glaswaren zu vertauſchen, trieb die indianiſchen Völkerſchaften zum blutigen Streite gegeneinander. Die Quipunave, unter ihrem tapferen und grauſamen Häuptling Macapu, waren vom Inirida zum Zuſammenfluſſe des Atabapo und des Orinoko herabgekommen. Sie verkauften, ſagt der Miſſionär Gili, die Gefangenen, die ſie nicht verzehrten. Ueber dieſem Treiben wurden die Jeſuiten am unteren Orinoko unruhig, und der Superior der ſpaniſchen Miſſionen, Pater Roman, ein vertrauter Freund Gumillas, faßte mutig den Entſchluß, ohne Begleitung von ſpaniſchen Soldaten über die großen Katarakte hinaufzugehen und die Quipunave heimzuſuchen. Er ging am 4. Februar 1744 von Carichana ab; angelangt am Zuſammenfluſſe des Guaviare, des Atabapo und des Ori - noko, an der Stelle, wo letzterer Fluß aus ſeiner Richtung von Oſt nach Weſt in die von Süd nach Nord übergeht, ſah er von weitem eine Piroge, ſo groß wie die ſeinige, voll von europäiſch gekleideten Leuten. Er ließ, gemäß der Sitte der Miſſionäre, wenn ſie in unbekanntem Lande auf dem Waſſer ſind, als Friedenszeichen das Kruzifix am Vorderteile ſeines Fahrzeuges aufpflanzen. Die Weißen (es waren por - tugieſiſche Sklavenhändler vom Rio Negro) erkannten mit Jubel das Ordenskleid des heiligen Ignatius. Sie verwun - derten ſich, als ſie hörten, der Fluß, auf dem dieſe Begeg - nung ſtattgefunden, ſei der Orinoko, und ſie nahmen Pater Roman über den Caſſiquiare in die Niederlaſſungen am Rio Negro mit ſich. Der Superior der ſpaniſchen Miſſionen ſah ſich genötigt, beim fliegenden Lager der Tropa de rescate zu verweilen, bis der portugieſiſche Jeſuit Avogadri, der in Geſchäften nach Gran-Para gegangen, zurück war. Auf dem - ſelben Wege, über den Caſſiquiare und den oberen Orinoko, fuhr Pater Roman mit ſeinen Salivasindianern nach Para - ruma, etwas nördlich von Carichana, zurück, nachdem er ſieben Monate ausgeweſen. Er iſt der erſte Weiße, der vom Rio48 Negro, und ſomit aus dem Becken des Amazonenſtromes (ohne ſeine Kanoen über einen Trageplatz ſchaffen zu laſſen) in das Becken des Orinoko gelangt iſt.

Die Kunde dieſer merkwürdigen Fahrt verbreitete ſich ſo raſch, daß La Condamine in einer öffentlichen Sitzung der Akademie ſieben Monate nach Pater Romans Rückkehr nach Pararuma Mitteilung davon machen konnte. Er ſagt: Die nunmehr beglaubigte Verbindung des Orinoko und des Ama - zonenſtromes kann um ſo mehr für eine geographiſche Ent - deckung gelten, als zwar dieſe Verbindung auf den alten Karten (nach Acuñas Berichten) angegeben iſt, aber von den heutigen Geographen auf den neuen Karten, wie auf Verab - redung, weggelaſſen wird. Es iſt dies nicht das erſte Mal, daß etwas für fabelhaft gegolten hat, was doch vollkommen richtig war, daß man die Kritik zu weit trieb, und daß dieſe Verbindung von Leuten für ſchimäriſch erklärt wurde, die am beſten davon hätten wiſſen ſollen. Seit Pater Romans Fahrt im Jahre 1744 hat in Spaniſch-Guyana und an den Küſten von Cumana und Caracas kein Menſch mehr die Exi - ſtenz des Caſſiquiare und die Gabelteilung des Orinoko in Zweifel gezogen. Sogar Pater Gumilla, den Bouguer in Cartagena de Indias getroffen hatte, geſtand, daß er ſich geirrt, und kurz vor ſeinem Tode las er Pater Gili ein für eine neue Ausgabe ſeiner Geſchichte des Orinoko beſtimmtes Supplement vor, in dem er munter1Lepidamente, al suo solito, ſagt der Miſſionär Gili. erzählte, in welcher Weiſe er enttäuſcht worden. Durch Ituriagas und Solanos Grenzexpedition wurden die geographiſchen Verhältniſſe des oberen Orinoko und die Verzweigung dieſes Fluſſes mit dem Rio Negro vollends genau bekannt. Solano ließ ſich im Jahre 1756 an der Mündung des Atabapo nieder, und von nun an fuhren ſpaniſche und portugieſiſche Kommiſſäre mit ihren Pirogen oft über den Caſſiquiare vom unteren Orinoko an den Rio Negro, um ſich in ihren Hauptquartieren Cabruta2General Ituriaga, der zuerſt in Muitaco oder Real Corona, ſpäter in Cabruta krank lag, wurde im Jahre 1760 vom portu - gieſiſchen Oberſten Don Gabriel de Souſa y Figueira beſucht, der von Gran-Para aus gegen 4050 km im Kanoe zurückgelegt hatte. Der ſchwediſche Botaniker Löfling, der dazu auserſehen war, die Grenzexpedition auf Koſten der ſpaniſchen Regierung zu begleiten, häufte in ſeiner lebhaften Phantaſie die Verzweigungen der großen49 und Mariva zu beſuchen. Seit 1767 kamen regelmäßig jedes Jahr zwei bis drei Pirogen von der Schanze San Carlos über die Gabelteilung des Orinoko nach Angoſtura, um Salz und den Sold für die Truppen zu holen. Dieſe Fahrten von einem Flußbecken in das andere durch den natürlichen Kanal des Caſſiquiare machen jetzt bei den Koloniſten ſo wenig Aufſehen mehr, als wenn Schiffe die Loire herab auf dem Kanal von Orleans in die Seine kommen.

Seit Pater Romans Fahrt im Jahre 1744 war man in den ſpaniſchen Beſitzungen in Amerika von der Richtung des oberen Orinoko von Oſt nach Weſt und von der Art ſeiner Verbindung mit dem Rio Negro genau unterrichtet, aber in Europa wurde letztere erſt weit ſpäter bekannt. Noch im Jahre 1750 nahmen La Condamine und d’Anville an, der Orinoko ſei ein Arm des Caqueta, der von Südoſt herkomme, und der Rio Negro entſpringe unmittelbar daraus. Erſt in einer zweiten Ausgabe ſeines Südamerika läßt d’Anville, ohne gleichwohl eine Verzweigung des Caqueta vermittelſt des Iniricha (Inirida) mit dem Orinoko und dem Rio Negro aufzugeben, den Orinoko im Oſten in der Nähe der Quellen des Rio Branco entſpringen und gibt er den Rio Caſſiquiare an, der vom oberen Orinoko zum Rio Negro läuft. Wahr - ſcheinlich hatte ſich der unermüdliche Forſcher durch ſeinen ſtarken Verkehr mit den Miſſionären, die damals, wie noch jetzt, für das eigentliche Herz der Feſtländer die einzigen geo - graphiſchen Autoritäten waren, Nachweiſungen über die Art der Gabelteilung verſchafft. Hinſichtlich des Zuſammenfluſſes des Caſſiquiare mit dem Rio Negro irrte er ſich um Breiten - grade, aber die Lage des Atabapo und der bewaldeten Land - enge, über die ich von Javita an den Rio Negro gekommen, gibt er ſchon ziemlich richtig an. Durch die in den Jahren 1775 und 1778 veröffentlichten Karten von La Cruz Olme - dilla1Die Karte von La Cruz liegt allen neuen Karten von Amerika zu Grunde. (Mapa geografica de America meridional por D. Juan de la Cruz Cano y Olmedilla 1775.) Die Original - ausgabe, die ich beſitze, iſt deſto ſeltener, als, wie man allgemein glaubt, die Kupferplatten auf Befehl eines Kolonialminiſters zer - und Surville ſind, neben Pater Caulins Werke, die2Ströme Südamerikas dergeſtalt, daß er überzeugt war, er könnte aus dem Rio Negro und dem Amazonenſtrome in den Rio de la Plata fahren.A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 450Arbeiten der Grenzexpedition am beſten bekannt geworden; denn die zahlreichen Widerſprüche darauf beziehen ſich auf die Quellen des Orinoko und des Rio Branco, nicht auf den Lauf des Caſſiquiare und des Rio Negro, die ſo richtig an - gegeben ſind, als man es beim gänzlichen Mangel an aſtro - nomiſchen Beobachtungen verlangen kann.

So ſtand es mit den hydrographiſchen Entdeckungen im Inneren von Guyana, als kurze Zeit vor meinem Abgang von Europa ein Gelehrter, deſſen Arbeiten die Geographie ſo bedeutend gefördert haben, Acuñas Bericht, die Karte des Paters Samuel Fritz und La Cruz Olmedillas Südamerika noch einmal näher prüfen zu müſſen glaubte. Die politiſchen Verhältniſſe in Frankreich machten vielleicht, daß ſich Buache nicht verſchaffen oder nicht benutzen konnte, was Caulin und Gili geſchrieben, die zwei Miſſionäre, die am Orinoko lebten, als die Grenzexpedition zwiſchen der ſpaniſchen Schanze am Rio Negro und der Stadt Angoſtura, über den Caſſiquiare und den oberen Orinoko, den Verkehr eröffnete, der über ein halbes Jahrhundert regelmäßig im Gange war. Auf der im Jahre 1798 erſchienenen Carte générale de la Guyane iſt der Caſſiquiare und das Stück des oberen Orinoko oſtwärts von Esmeralda als ein Nebenfluß des Rio Negro, der mit dem Orinoko gar nicht zuſammenhängt, dargeſtellt. Eine Bergkette ſtreicht über die Ebene, welche die Landenge zwiſchen dem Tuamini und dem Pimichin bildet. Dieſe Kette läßt die Karte gegen Nordoſt fortlaufen und zwiſchen den Gewäſſern des Orinoko und denen des Rio Negro und Caſſiquiare, 90 km weſtlich von Esmeralda, eine Waſſerſcheide bilden. In einer An - merkung auf der Karte heißt es: Die ſchon lange her an - genommene Verbindung zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrom ſei eine geographiſche Ungeheuerlichkeit, die Olmedillas Karte ohne allen Grund in der Welt verbreitet, und um die Vorſtellungen über dieſen Punkt zu berichtigen, habe man die Richtung der großen Bergkette, welche die Waſſerſcheide bilde, zu ermitteln.

Ich war ſo glücklich, dieſe Bergkette an Ort und Stelle zu ermitteln. Ich übernachtete am 24. Mai mit meiner Piroge am Stücke des Orinoko, wo nach Buaches Annahme1brochen worden ſind, weil derſelbe beſorgte, die Karte möchte allzu genau ſein. Ich kann verſichern, daß ſie dieſen Vorwurf nur hin - ſichtlich weniger Punkte verdient.51 eine Kordillere über das Flußbett laufen ſollte. Befände ſich an dieſem Punkt eine Waſſerſcheide, ſo hätte ich die erſten 90 km weſtwärts von Esmeralda einen Fluß hinauf, ſtatt, wie ich gethan, mit raſcher Strömung hinab fahren müſſen. Derſelbe Fluß, der oſtwärts von dieſer Miſſion entſpringt und einen Arm (den Caſſiquiare) an den Rio Negro abgibt, läuft ohne Unterbrechung Santa Barbara und San Fernando de Atabapo zu. Es iſt dies das Stück des Orinoko, das von Südoſt nach Nordweſt gerichtet iſt und bei den Indianern Rio Paragua heißt. Nachdem er ſeine Gewäſſer mit denen des Guaviare und des Atabapo vermiſcht, wendet ſich der - ſelbe Fluß gegen Norden und geht durch die großen Kata - rakten. Alle dieſe Punkte ſind auf der großen Karte von La Cruz im ganzen gut angegeben; ohne Zweifel hat aber Buache vorausgeſetzt, bei den verſchiedenen Fahrten, die zwiſchen Amazonenſtrom und Orinoko ausgeführt worden ſein ſollten, ſeien die Kanoen von einem Nebenfluß zum anderen über irgend einen Trageplatz (arastradero) geſchleppt worden. Dem geachteten Geographen lag die Annahme, die Flüſſe laufen in Wirklichkeit nicht ſo, wie die neueren ſpaniſchen Karten angeben, deſto näher, als auf denſelben Karten um den See Parime herum (das angebliche, 12 150 qkm große Weiße Meer) die ſeltſamſten, unwahrſcheinlichſten Flußver - zweigungen vorkommen. Man könnte auf den Orinoko an - wenden, was Pater Acuña vom Amazonenſtrom ſagt, deſſen Wunder er beſchreibt: Nacieron hermanadas en las cosas grandes la novedad y el descredito. 1In großen Dingen (bei außerordentlichen Naturerſcheinungen) gehen Neuheit und Unglauben Hand in Hand.

Hätten die Völker in den Niederungen von Südamerika teilgehabt an der Kultur, welche in der kalten Alpenregion verbreitet war, ſo hätte dieſes ungeheure Meſopotamien zwiſchen Orinoko und Amazonenſtrom die Entwickelung ihres Gewerbe - fleißes gefördert, ihren Handel belebt, den geſellſchaftlichen Fortſchritt beſchleunigt. In der Alten Welt ſehen wir überall einen ſolchen Einfluß der Oertlichkeit auf die keimende Kultur der Völker. Die Inſel Meroe zwiſchen dem Aſtaboras und dem Nil, das Pendſchab des Indus, das Duab des Ganges, das Meſopotamien des Euphrat ſind glänzende Belege dafür in den Annalen des Menſchengeſchlechts. Aber die ſchwachen52 Völkerſtämme, die auf den Grasfluren und in den Wäldern von Südamerika herumziehen, haben aus den Vorzügen ihres Bodens und den Verzweigungen ihrer Flüſſe gar wenig Nutzen gezogen. Die Einfälle der Kariben, die weither den Orinoko, den Caſſiquiare und Rio Negro heraufkamen, um Sklaven zu rauben, rüttelten ein paar verſunkene Völker - ſchaften aus ihrer Trägheit auf und zwangen ſie, Vereine zur gemeinſamen Verteidigung zu bilden; aber das wenige Gute, das dieſe Kriege mit den Kariben (den Beduinen der Ströme Guyanas) mit ſich gebracht, war ein ſchlechter Erſatz für die Uebel, die ſie zur Folge hatten, Verwilderung der Sitten und Verminderung der Bevölkerung. Unzweifelhaft hat die Terrainbildung Griechenlands, die mannigfaltige Geſtaltung des Landes, ſeine Zerteilung durch kleine Bergketten und Buſen des Mittelmeeres, in den Anfängen der Kultur die geiſtige Entwickelung der Hellenen bedeutend gefördert. Aber dieſer Einfluß des Klimas und der Bodenbildung äußert ſich nur da in ſeiner ganzen Stärke, wo Menſchenſtämme mit glücklicher Begabung nach Geiſt und Gemüt einen An - ſtoß von außen erhalten. Gewinnt man einen Ueberblick über die Geſchichte unſeres Geſchlechtes, ſo ſieht man dieſe Mittelpunkte antiker Kultur da und dort gleich Lichtpunkten über den Erdball verſtreut, und gewahrt mit Ueberraſchung, wie ungleich die Geſittung unter den Völkern iſt, die faſt unter demſelben Himmelsſtriche wohnen und über deren Wohnſitze ſcheinbar die Natur dieſelben Segnungen ver - breitet hat.

Seit ich den Orinoko und den Amazonenſtrom verlaſſen habe, bereitet ſich für die geſellſchaftlichen Verhältniſſe der Völker des Occidents eine neue Aera vor. Auf den Jammer der bürgerlichen Zwiſte werden die Segnungen des Friedens und eine freiere Entwickelung aller Gewerbthätigkeit folgen. Da wird denn die europäiſche Handelswelt jene Gabelteilung des Orinoko, jene Landenge am Tuamini, durch die ſo leicht ein künſtlicher Kanal zu ziehen iſt, ins Auge faſſen. Da wird der Caſſiquiare, ein Strom, ſo breit wie der Rhein und 330 km lang, nicht mehr umſonſt eine ſchiffbare Linie zwiſchen zwei Strombecken bilden, die 3 850 000 qkm Ober - fläche haben. Das Getreide aus Neugranada wird an die Ufer des Rio Negro kommen, von den Quellen des Napo und des Ucayale, von den Anden von Quito und Oberperu wird man zur Mündung des Orinoko hinabfahren, und dies53 iſt ſo weit wie von Timbuktu nach Marſeille. Ein Land, neun - bis zehnmal größer als Spanien und reich an den mannigfaltigſten Produkten, kann mittels des Naturkanals des Caſſiquiare und der Gabelteilung der Flüſſe nach allen Richtungen hin befahren werden. Eine Erſcheinung, die eines Tages von bedeutendem Einfluß auf die politiſchen Verhält - niſſe der Völker ſein muß, verdiente es gewiß, daß man ſie genau ins Auge faßte.

[54]

fünfundzwanzigſtes Kapitel.

Der obere Orinoko von Esmeralda bis zum Einfluß des Gua - viare. Zweite Fahrt durch die Katarakte von Atures und May - pures. Der untere Orinoko zwiſchen der Mündung des Apure und Angoſtura, der Hauptſtadt von Spaniſch-Guyana.

Noch habe ich von der einſamſten, abgelegenſten chriſt - lichen Niederlaſſung am oberen Orinoko zu ſprechen. Gegen - über dem Punkte, wo die Gabelteilung erfolgt, auf dem rechten Ufer des Fluſſes erhebt ſich amphitheatraliſch der Granitbergſtock des Duida. Dieſer Berg, den die Miſſionäre einen Vulkan nennen, iſt gegen 2600 m hoch. Er nimmt ſich, da er nach Süd und Weſt ſteil abfällt, äußerſt großartig aus. Sein Gipfel iſt kahl und ſteinig; aber überall, wo auf den weniger ſteilen Abhängen Dammerde haftet, hängen an den Seiten des Duida gewaltige Wälder wie in der Luft. An ſeinem Fuße liegt die Miſſion Esmeralda, ein Dörfchen mit 80 Einwohnern, auf einer herrlichen, von Bächen mit ſchwarzem, aber klarem Waſſer durchzogenen Ebene, einem wahren Wieſengrund, auf dem in Gruppen die Mauritia - palme, der amerikaniſche Sagobaum, ſteht. Dem Berge zu, der nach meiner Meſſung 14,2 km vom Miſſionskreuz liegt, wird die ſumpfige Wieſe zur Savanne, die um die untere Region der Kordillere herläuft. Hier trifft man ungemein große Ananas von köſtlichem Geruch. Dieſe Bromeliaart wächſt immer einzeln zwiſchen den Gräſern, wie bei uns Colchicum autumnale, während der Karatas, eine andere Art derſelben Gattung, ein geſelliges Gewächs iſt gleich un - ſeren Heiden und Heidelbeeren. Die Ananas von Esmeralda ſind in ganz Guyana berühmt. In Amerika wie in Europa gibt es für die verſchiedenen Früchte gewiſſe Landſtriche, wo ſie zur größten Vollkommenheit gedeihen. Man muß auf der Inſel Margarita oder in Cumana Sapotillen (Achras), in55 Loxa in Peru Chilimoyas (ſehr verſchieden vom Coroſſol oder der Anona der Antillen), in Caracas Granadillas oder Parchas, in Esmeralda und auf Cuba Ananas gegeſſen haben, um die Lobſprüche, womit die älteſten Reiſenden die Köſt - lichkeit der Produkte der heißen Zone preiſen, nicht übertrieben zu finden. Die Ananas ſind die Zierde der Felder bei der Havana, wo ſie in Reihen nebeneinander gezogen werden; an den Abhängen des Duida ſchmücken ſie den Raſen der Savannen, wenn ihre gelben, mit einem Büſchel ſilberglän - zender Blätter gekrönten Früchte über den Setarien, den Paspalum und ein paar Cyperaceen hervorragen. Dieſes Gewächs, das die Indianer Ana-curua nennen, verbreitete ſich ſchon im 16. Jahrhundert im inneren China, und noch in neueſter Zeit fanden es engliſche Reiſende mit anderen, unzweifelhaft amerikaniſchen Gewächſen (Mais, Maniok, Me - lonenbaum, Tabak, Piment) an den Ufern des Rio Kongo in Afrika.

In Esmeralda iſt kein Miſſionär. Der Geiſtliche, der hier Meſſe leſen ſoll, ſitzt in Santa Barbara, über 225 km weit. Er braucht den Fluß herauf vier Tage, er kommt daher auch nur fünf - oder ſechsmal im Jahre. Wir wurden von einem alten Soldaten ſehr freundlich aufgenommen; der Mann hielt uns für kataloniſche Krämer, die in den Miſſionen ihren Kleinhandel treiben wollten. Als er unſere Papier - ballen zum Pflanzentrocknen ſah, lächelte er über unſere naive Unwiſſenheit. Ihr kommt in ein Land, ſagte er, wo derartige Ware keinen Abſatz findet. Geſchrieben wird hier nicht viel, und trockene Mais -, Platano - (Bananen -) und Vijaho - (Helikonia -) Blätter brauchen wir hier, wie in Europa das Papier, um Nadeln, Fiſchangeln und andere kleine Sachen, die man ſorgfältig aufbewahren will, einzuwickeln. Der alte Soldat vereinigte in ſeiner Perſon die bürgerliche und die geiſtliche Behörde. Er lehrte die Kinder, ich ſage nicht den Katechismus, aber doch den Roſenkranz beten, er läutete die Glocken zum Zeitvertreib, und im geiſtlichen Amts - eifer bediente er ſich zuweilen ſeines Küſterſtocks in einer Weiſe, die den Eingeborenen ſchlecht behagte.

So klein die Miſſion iſt, werden in Esmeralda doch drei indianiſche Sprachen geſprochen: Idapaminariſch, Ca - tarapeñiſch und Maquiritaniſch. Letztere Sprache iſt am oberen Orinoko vom Einfluß des Ventuari bis zu dem des Padamo die herrſchende, wie am unteren Orinoko das56 Karibiſche, am Einfluß des Apure das Otomakiſche, bei den großen Katarakten das Tamanakiſche und Maypuriſche und am Rio Negro das Maravitaniſche. Es ſind dies die fünf oder ſechs verbreitetſten Sprachen. Wir wunderten uns, in Esmeralda viele Zambos, Mulatten und andere Farbige an - zutreffen, die ſich aus Eitelkeit Spanier nennen und ſich für weiß halten, weil ſie nicht rot ſind wie die Indianer. Dieſe Menſchen führen ein jämmerliches Leben. Sie ſind meiſt als Verwieſene (desterrados) hier. Um im inneren Lande, das man gegen die Portugieſen abſperren wollte, in Eile Kolonieen zu gründen, hatte Solano in den Llanos und bis zur Inſel Margarita hin Landſtreicher und Uebelthäter, denen die Juſtiz bis dahin vergeblich nachgeſpürt, zuſammen - gerafft und ſie den Orinoko hinaufgeführt, wo ſie mit den unglücklichen, aus den Wäldern weggeſchleppten Indianern zuſammengethan wurden. Durch ein mineralogiſches Miß - verſtändnis wurde Esmeralda berühmt. Der Granit des Duida und des Maraguaca enthält in offenen Gängen ſchöne Bergkriſtalle, die zum Teil ſehr durchſichtig, zum Teil mit Chlorit (Talkglimmer) gefärbt und mit Aktinot (Strahlſtein) gemengt ſind; man hatte ſie für Diamanten und Smaragden (Esmeralda) gehalten. So nahe den Quellen des Orinoko träumte man in dieſen Bergen von nichts als vom Dorado, der nicht weit ſein konnte, vom See Parime und von den Trümmern der großen Stadt Manoa. Ein Mann, der wegen ſeiner Leichtgläubigkeit und wegen ſeiner Sucht zur Ueber - treibung noch jetzt im Lande wohlbekannt iſt, Don Apolli - nario Diez de la Fuente, nahm den vollklingenden Titel eines Capitan poblador und Cabo militar des Forts am Caſſiquiare an. Dieſes Fort beſtand in ein paar mit Bret - tern verbundenen Baumſtämmen, und um die Täuſchung voll - ſtändig zu machen, ſprach man in Madrid für die Miſſion Esmeralda, ein Dörfchen von zwölf bis fünfzehn Hütten, die Gerechtſame einer Villa an. Es iſt zu beſorgen, daß Don Apollinario, der in der Folge Statthalter der Provinz Los Quixos im Königreich Quito wurde, bei Entwerfung der Karten von La Cruz und Surville die Hand im Spiele ge - habt hat. Da er die Windſtriche des Kompaſſes kannte, nahm er keinen Anſtand, in den zahlreichen Denkſchriften, die er dem Hof übermachte, ſich Kosmograph der Grenzexpedition zu nennen.

Während die Befehlshaber dieſer Expedition von der57 Exiſtenz der Nueva Villa de Esmeralda überzeugt waren, ſo - wie vom Reichtum des Cerro Duida an koſtbaren Mineralien, da doch nichts darin zu finden iſt als Glimmer, Bergkriſtall, Aktinot und Rutil, ging eine aus den ungleichſten Elementen beſtehende Kolonie allgemach wieder zu Grunde. Die Land - ſtreicher aus den Llanos hatten ſo wenig Luſt zur Arbeit als die Indianer, die gezwungen unter der Glocke lebten. Erſteren diente ihr Hochmut zu weiterer Rechtfertigung ihrer Faulheit. In den Miſſionen nennt ſich jeder Farbige, der nicht geradezu ſchwarz iſt wie ein Afrikaner oder kupferfarbig wie ein Indianer, einen Spanier; er gehört zur Gente de razon, zur vernunftbegabten Raſſe, und dieſe, wie nicht zu leugnen, hie und da übermütige und arbeitsſcheue Ver - nunft redet den Weißen und denen, die es zu ſein glauben, ein, der Landbau ſei ein Geſchäft für Sklaven, für Poitos, und für neubekehrte Indianer. Die Kolonie Esmeralda war nach dem Muſter der neuholländiſchen gegründet, wurde aber keineswegs ebenſo weiſe regiert. Da die amerikaniſchen Kolo - niſten von ihrem Heimatland nicht durch Meere, ſondern durch Wälder und Savannen geſchieden waren, ſo verliefen ſie ſich, die einen nach Nord, dem Caura und Carony zu, die anderen nach Süd in die portugieſiſchen Beſitzungen. So hatte es mit der Herrlichkeit der Villa und den Smaragd - gruben am Duida ein jähes Ende, und Esmeralda galt wegen der furchtbaren Inſektenmaſſe, welche das ganze Jahr die Luft verfinſtert, bei den Ordensleuten für einen fluchwürdigen Verbannungsort.

Ich erwähnte oben, daß der Vorſteher der Miſſionen den Laienbrüdern, um ſie in der Zucht zu halten, zuweilen droht, ſie nach Esmeralda zu ſchicken; man wird damit, wie die Mönche ſagen zu den Moskiten verurteilt, verurteilt, von den ſummenden Mücken (Zancudos gritones) gefreſſen zu werden, die Gott den Menſchen zur Strafe erſchaffen hat . Einer ſo ſeltſamen Strafe unterlagen aber nicht immer nur Laienbrüder. Um Jahr 1788 brach in der Ordenswelt eine der Revolutionen aus, die einem in Europa nach den Vor - ſtellungen, die man von den friedlichen Zuſtänden der chriſt - lichen Niederlaſſungen in der Neuen Welt hat, faſt unbegreif - lich ſind. Schon längſt hätten die Franziskaner, die in Guyana ſaßen, gerne eine Republik für ſich gebildet und ſich vom Kollegium von Piritu in Nueva Barcelona unab - hängig gemacht. Mißvergnügt, daß zum wichtigen Amte eines58 Präſidenten der Miſſionen Fray Gutierez de Aquilera von einem Generalkapitel gewählt und vom König beſtätigt worden, traten fünf oder ſechs Mönche vom oberen Orinoko, Caſſi - quiare und Rio Negro in San Fernando de Atabapo zu - ſammen, wählten in aller Eile und aus ihrer eigenen Mitte einen neuen Superior und ließen den alten, der zu ſeinem Unglück zur Viſitation ins Land kam, feſtnehmen. Man legte ihm Fußſchellen an, warf ihn in ein Kanoe und führte ihn nach Esmeralda als Verbannungsort. Da es von der Küſte zum Schauplatz dieſer Empörung ſo weit war, ſo hofften die Mönche, ihre Frevelthat werde jenſeits der großen Katarakte lange nicht bekannt werden. Man wollte Zeit gewinnen, um zu intrigieren, zu negoziieren, um Anklageakten aufzuſetzen und all die kleinen Ränke ſpielen zu laſſen, durch die man überall in der Welt die Ungültigkeit einer erſten Wahl dar - thut. Der alte Superior ſeufzte in ſeinem Kerker zu Es - meralda; ja er wurde von der furchtbaren Hitze und dem beſtändigen Hautreiz durch die Moskiten ernſtlich krank. Zum Glück für die geſtürzte Autorität blieben die meuteriſchen Mönche nicht einig. Einem Miſſionär vom Caſſiquiare wurde bange, wie dieſer Handel enden ſollte; er fürchtete verhaftet und nach Cadiz geſchickt zu werden, oder, wie man in den Kolonieen ſagt, baxo partido de registro; aus Angſt wurde er ſeiner Partei untreu und machte ſich unverſehens davon. Man ſtellte an der Mündung des Atabapo, bei den großen Katarakten, überall wo der Flüchtling auf dem Weg zum unteren Orinoko vorbeikommen mußte, Indianer als Wachen auf. Trotz dieſer Maßregeln kam er nach Angoſtura und von da in das Miſſionskollegium von Piritu; er gab ſeine Kollegen an und erhielt zum Lohn für ſeine Ausſage den Auftrag, die zu verhaften, mit denen er ſich gegen den Prä - ſidenten der Miſſionen verſchworen hatte. In Esmeralda, wo man von den politiſchen Stürmen, die ſeit 30 Jahren das alte Europa erſchüttern, noch gar nicht hat ſprechen hören, iſt der ſogenannte Alboroto de los frailes (die Meu - terei der Mönche) noch immer eine wichtige Begebenheit. Hier - zulande, wie im Orient, weiß man nur von Revolutionen, die von den Gewalthabern ſelbſt ausgehen, und wir haben geſehen, daß ſie in ihren Folgen eben nicht ſehr bedenk - lich ſind.

Wenn die Villa Esmeralda mit ihrer Bevölkerung von 12 bis 15 Familien gegenwärtig für einen ſchrecklichen Auf -59 enthaltsort gilt, ſo kommt dies nur vom Mangel an Anbau, von der Entlegenheit von allen bewohnten Landſtrichen und von der furchtbaren Menge der Moskiten. Die Lage der Miſſion iſt ungemein maleriſch, das Land umher äußerſt freundlich und ſehr fruchtbar. Nie habe ich ſo gewaltig große Bananenbüſchel geſehen; Indigo, Zucker, Kakao kämen vor - trefflich fort, aber man mag ſich nicht die Mühe geben, ſie zu bauen. Um den Cerro Duida herum gibt es ſchöne Wei - den, und wenn die Obſervanten aus dem Kollegium von Piritu nur etwas von der Betriebſamkeit der kataloniſchen Kapuziner von Carony hätten, ſo liefen zwiſchen dem Cunu - cunumo und Padamo zahlreiche Herden. Wie die Sachen jetzt ſtehen, iſt keine Kuh, kein Pferd vorhanden und die Ein - wohner haben oft, zur Buße ihrer Faulheit, nichts zu eſſen als Schinken von Brüllaffen und das Mehl von Fiſchknochen, von dem in der Folge die Rede ſein wird. Man baut nur etwas Maniok und Bananen; und wenn der Fiſchfang nicht reichlich ausfällt, ſo iſt die Bevölkerung eines von der Natur ſo hoch begünſtigten Landes dem grauſamſten Mangel preisgegeben.

Da die wenigſten Kanoen, die vom Rio Negro über den Caſſiquiare nach Anguſtora gehen, nicht gerne nach Esmeralda hinauffahren, ſo läge die Miſſion weit beſſer an der Stelle, wo der Orinoko ſich gabelt. Sicher wird dieſes große Land nicht immer ſo verwahrloſt bleiben wie bisher, da die Un - vernunft des Mönchsregiments und der Geiſt des Monopols, der nun einmal allen Körperſchaften eigen iſt, es niederhielten; ja es läßt ſich vorausſagen, an welchen Punkten des Ori - noko Gewerbfleiß und Handel ſich am kräftigſten entwickeln werden. Unter allen Himmelsſtrichen drängt ſich die Bevöl - kerung vorzüglich an den Mündungen der Nebenflüſſe zuſammen. Durch den Rio Apure, auf dem die Erzeugniſſe der Provinzen Varidas und Merida ausgeführt werden, muß die kleine Stadt Cabruta eine große Bedeutung erhalten; ſie wird mit San Fernando de Apure konkurrieren, wo bis jetzt der ganze Handel konzentriert war. Weiter oben wird ſich eine neue Niederlaſſung am Einfluß des Meta bilden, der über die Llanos am Caſanare mit Neugranada in Verbindung ſteht. Die zwei Miſſionen bei den Katarakten werden ſich vergrößern, weil dieſe Punkte durch den Transport der Pirogen ſehr lebhaft werden müſſen; denn das ungeſunde, naſſe Klima und die furchtbare Menge der Moskiten werden dem Fortſchritt der Kultur am Orinoko ſo wenig Einhalt thun als am Mag -60 dalenenſtrome, ſobald einmal ernſtliches kaufmänniſches Intereſſe neue Anſiedler herzieht. Gewohnte Uebel werden leichter er - tragen, und wer in Amerika geboren iſt, hat keine ſo großen Schmerzen zu leiden wie der friſch angekommene Europäer. Auch wird wohl die allmähliche Ausrodung der Wälder in der Nähe der bewohnten Orte die ſchreckliche Plage der Mücken etwas vermindern. In San Fernando de Atabapo, Javita, San Carlos, Esmeralda werden wohl (wegen ihrer Lage an der Mündung des Guaviare, am Trageplatz zwiſchen Tuamini und Rio Negro, am Ausfluß des Caſſiquiare und am Gabe - lungspunkt des oberen Orinoko) Bevölkerung und Wohlſtand bedeutend zunehmen. Mit dieſen fruchtbaren, aber brach lie - genden Ländern, durch welche der Huallaga, der Amazonen - ſtrom und der Orinoko ziehen, wird es gehen wie mit der Landenge von Panama, dem Nikaraguaſee und dem Rio Huaſacualco, durch welche zwei Meere miteinander in Ver - bindung ſtehen. Mangelhafte Staatsformen konnten ſeit Jahrhunderten Orte, in denen der Welthandel ſeine Mittel - punkte haben ſollte, in Wüſten verwandeln; aber die Zeit iſt nicht mehr fern, wo die Feſſeln fallen werden; eine wider - ſinnige Verwaltung kann ſich nicht ewig dem Geſamtintereſſe der Menſchheit entgegenſtemmen, und unwiderſtehlich muß die Kultur in Ländern einziehen, welche die Natur ſelbſt durch die phyſiſche Geſtaltung des Bodens, durch die erſtaunliche Verzweigung der Flüſſe und durch die Nähe zweier Meere, welche die Küſten Europas und Indiens beſpülen, zu großen Geſchicken auserſehen hat.

Esmeralda iſt berühmt als der Ort, wo am beſten am Orinoko das ſtarke Gift bereitet wird, das im Krieg, zur Jagd, und, was ſeltſam klingt, als Mittel gegen gaſtriſche Beſchwerden dient. Das Gift der Ticuna am Amazonenſtrome, das Upas-Tieute auf Java und das Curare in Guyana ſind die tödlichſten Subſtanzen, die man kennt. Bereits am Ende des 16. Jahrhunderts hatte Ralegh das Wort Urari gehört, wie man einen Pflanzenſtoff nannte, mit dem man die Pfeile vergiftete. Indeſſen war nichts Zuverläſſiges über dieſes Gift in Europa bekannt geworden. Die Miſſio - näre Gumilla und Gili hatten nicht bis in die Länder kom - men können, wo das Curare bereitet wird. Gumilla behaup - tete, dieſe Bereitung werde ſehr geheim gehalten; der Haupt - beſtandteil komme von einem unterirdiſchen Gewächs, von einer knolligen Wurzel, die niemals Blätter treibe und raiz61 de si misma (die Wurzel an ſich) ſei; durch die giftigen Dünſte aus den Keſſeln gehen die alten Weiber (die un - nützeſten), die man zur Arbeit verwende, zu Grunde; end - lich, die Pflanzenſäfte erſcheinen erſt dann konzentriert genug, wenn ein paar Tropfen des Saftes auf eine gewiſſe Ent - fernung eine Repulſivkraft auf das Blut ausüben. Ein Indianer ritzt ſich die Haut; man taucht einen Pfeil in das flüſſige Curare und bringt ihn der Stichwunde nahe. Das Gift gilt für gehörig konzentriert, wenn es das Blut in die Gefäße zurücktreibt, ohne damit in Berührung gekommen zu ſein. Ich halte mich nicht dabei auf, dieſe von Pater Gumilla zuſammengebrachten Märchen zu widerlegen. Warum hätte der Miſſionär nicht glauben ſollen, daß das Curare aus der Ferne wirke, da er unbedenklich an die Eigenſchaften einer Pflanze glaubte, deren Blätter erbrechen machen oder purgieren, je nachdem man ſie von oben herab oder von unten herauf vom Stiele reißt?

Als wir nach Esmeralda kamen, kehrten die meiſten In - dianer von einem Ausflug oſtwärts über den Rio Padamo zurück, wobei ſie Juvias oder die Früchte der Bertholletia und eine Schlingpflanze, welche das Curare gibt, geſammelt hatten. Dieſe Heimkehr wurde durch eine Feſtlichkeit be - gangen, die in der Miſſion la fiesta de las Juvias heißt und unſeren Ernte - oder Weinleſefeſten entſpricht. Die Weiber hatten viel gegorenes Getränke bereitet, und zwei Tage lang ſah man nur betrunkene Indianer. Bei Völkern, für welche die Früchte der Palmen und einiger anderen Bäume, welche Nahrungsſtoff geben, von großer Wichtigkeit ſind, wird die Ernte der Früchte durch öffentliche Luſtbarkeiten gefeiert, und man teilt das Jahr nach dieſen Feſten ein, die immer auf dieſelben Zeitpunkte fallen.

Das Glück wollte, daß wir einen alten Indianer trafen, der weniger betrunken als die anderen und eben beſchäftigt war, das Curaregift aus den friſchen Pflanzen zu bereiten. Der Mann war der Chemiker des Ortes. Wir fanden bei ihm große thönerne Pfannen zum Kochen der Pflanzenſäfte, flachere Gefäße, die durch ihre große Oberfläche die Verdun - ſtung befördern, tütenförmig aufgerollte Bananenblätter zum Durchſeihen der mehr oder weniger faſerige Subſtanzen ent - haltenden Flüſſigkeiten. Die größte Ordnung und Reinlich - keit herrſchten in dieſer zum chemiſchen Laboratorium ein - gerichteten Hütte. Der Indianer, der uns Auskunft erteilen62 ſollte, heißt in der Miſſion der Giftmeiſter (amo del Curare); er hatte das ſteife Weſen und den pedantiſchen Ton, den man früher in Europa den Apothekern zum Vor - wurf machte. Ich weiß, ſagte er, die Weißen ver - ſtehen die Kunſt, Seife zu machen und das ſchwarze Pulver, bei dem das Ueble iſt, daß es Lärm macht und die Tiere verſcheucht, wenn man ſie fehlt. Das Curare, deſſen Berei - tung bei uns vom Vater auf den Sohn übergeht, iſt beſſer als alles, was ihr dort drüben (über dem Meere) zu machen wißt. Es iſt der Saft einer Pflanze, der ganz leiſe tötet (ohne daß man weiß, woher der Schuß kommt).

Dieſe chemiſche Operation, auf die der Meiſter des Curare ſo großes Gewicht legte, ſchien uns ſehr einfach. Das Schlinggewächs (Bejuco), aus dem man in Esmeralda das Gift bereitet, heißt hier wie in den Wäldern bei Javita. Es iſt der Bejuco de Mavacure, und er kommt öſtlich von der Miſſion am linken Ufer des Orinoko, jenſeits des Rio Amaguaca im granitiſchen Bergland von Guanaya und Yu - mariquin in Menge vor. Obgleich die Bejucobündel, die wir im Hauſe des Indianers fanden, gar keine Blätter mehr hatten, blieb uns doch kein Zweifel, daß es dasſelbe Gewächs aus der Familie der Strychneen (Aublets Rouhamon ſehr nahe ſtehend), das wir im Wald beim Pimichin unterſucht. Der Mavacure wird ohne Unterſchied friſch oder ſeit meh - reren Wochen getrocknet verarbeitet. Der friſche Saft der Liane gilt nicht für giftig; vielleicht zeigt er ſich nur wirkſam, wenn er ſtark konzentriert iſt. Das furchtbare Gift iſt in der Rinde und einem Teil des Splintes enthalten. Man ſchabt mit einem Meſſer 8 bis 11 mm dicke Mavacurezweige ab und zerſtößt die abgeſchabte Rinde auf einem Stein, wie er zum Reiben des Maniokmehls dient, in ganz dünne Faſern. Da der giftige Saft gelb iſt, ſo nimmt die ganze faſerige Maſſe die nämliche Farbe an. Man bringt dieſelbe in einen 24 cm hohen, 10 cm weiten Trichter. Dieſen Trichter ſtrich der Giftmeiſter unter allen Gerätſchaften des indianiſchen La - boratoriums am meiſten heraus. Er fragte uns mehreremal, ob wir por alla (dort drüben, das heißt in Europa) jemals etwas geſehen hätten, das ſeinem Embudo gleiche? Es war ein tütenförmig aufgerolltes Bananenblatt, das in einer an - deren ſtärkeren Tüte aus Palmblättern ſteckte; die ganze Vor - richtung ruhte auf einem leichten Geſtell von Blattſtielen und Fruchtſpindeln einer Palme. Man macht zuerſt einen kalten63 Aufguß, indem man Waſſer an den faſerigen Stoff, die ge - ſtoßene Rinde des Mavacure, gießt. Mehrere Stunden lang tropft ein gelbliches Waſſer vom Embudo, dem Blatttrichter, ab. Dieſes durchſickernde Waſſer iſt die giftige Flüſſigkeit; ſie erhält aber die gehörige Kraft erſt dadurch, daß man ſie wie die Melaſſe in einem großen thönernen Gefäß abdampft. Der Indianer forderte uns von Zeit zu Zeit auf, die Flüſſig - keit zu koſten; nach dem mehr oder minder bitteren Geſchmack beurteilt man, ob der Saft eingedickt genug iſt. Dabei iſt keine Gefahr, da das Curare nur dann tödlich wirkt, wenn es unmittelbar mit dem Blute in Berührung kommt. Des - halb ſind auch, was auch die Miſſionare am Orinoko in dieſer Beziehung geſagt haben mögen, die Dämpfe vom Keſſel nicht ſchädlich. Fontana hat durch ſeine ſchönen Verſuche mit dem Ticunagift am Amazonenſtrome längſt dargethan, daß die Dämpfe, die das Gift entwickelt, wenn man es auf glühende Kohle wirft, ohne Schaden eingeatmet werden, und daß es unrichtig iſt, wenn La Condamine behauptet, zum Tode ver - urteilte indianiſche Weiber ſeien durch die Dämpfe des Ti - cunagifts getötet worden.

Der noch ſo ſtark eingedickte Saft des Mavacure iſt nicht dick genug, um an den Pfeilen zu haften. Alſo bloß um dem Gift Körper zu geben, ſetzt man dem eingedickten Aufguß einen ſehr klebrigen Pflanzenſaft bei, der von einem Baum mit großen Blättern, genannt Ciracaguero, kommt. Da dieſer Baum ſehr weit von Esmeralda wächſt, und er damals ſo wenig als der Bejuco de Mavacure Blüten und Früchte hatte, ſo können wir ihn botaniſch nicht beſtimmen. Ich habe ſchon mehrmals davon geſprochen, wie oft ein eigenes Mißgeſchick die intereſſanteſten Gewächſe der Unterſuchung der Reiſenden entzieht, während tauſend andere, bei denen man nichts von chemiſchen Eigenſchaften weiß, voll Blüten und Früchten hängen. Reiſt man ſchnell, ſo bekommt man ſelbſt unter den Tropen, wo die Blütezeit der holzigen Gewächſe ſo lange dauert, kaum an einem Achtteil der Gewächſe die Fruktifikationsorgane zu ſehen. Die Wahrſcheinlichkeit, daß man, ich ſage nicht die Familie, aber Gattung und Art be - ſtimmen kann, iſt demnach gleich 1 zu 8, und dieſes nach - teilige Verhältnis empfindet man begreiflich noch ſchwerer, wenn man dadurch um die nähere Kenntnis von Gegenſtän - den kommt, die noch in anderer Hinſicht als nur für die be - ſchreibende Botanik von Bedeutung ſind.

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Sobald der klebrige Saft des Ciracaguerobaums dem eingedickten, kochenden Gift zugegoſſen wird, ſchwärzt ſich dieſer und gerinnt zu einer Maſſe von der Konſiſtenz des Teers oder eines dicken Sirups. Dieſe Maſſe iſt nun das Curare, wie es in den Handel kommt. Hört man die Indianer ſagen, zur Bereitung des Giftes ſei der Ciracaguero ſo not - wendig als der Bejuco de Mavacure, ſo kann man auf die falſche Vermutung kommen, auch erſterer enthalte einen ſchäd - lichen Stoff, während er nur dazu dient, dem eingedickten Curareſaft mehr Körper zu geben (was auch der Algarobbo und jede gummiartige Subſtanz thäten). Der Farbenwechſel der Miſchung rührt von der Zerſetzung einer Verbindung von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff her. Der Waſſerſtoff verbrennt und der Kohlenſtoff wird frei. Das Curare wird in den Früchten der Crescentia verkauft; da aber die Bereitung des - ſelben in den Händen weniger Familien iſt und an jedem Pfeile nur unendlich wenig Gift haftet, ſo iſt das Curare beſter Qualität, das von Esmeralda und Mandavaca, ſehr teuer. Ich ſah für zwei Unzen 5 bis 6 Frank bezahlen. Ge - trocknet gleicht der Stoff dem Opium; er zieht aber die Feuch - tigkeit ſtark an, wenn er der Luft ausgeſetzt wird. Er ſchmeckt ſehr angenehm bitter, und Bonpland und ich haben oft kleine Mengen verſchluckt. Gefahr iſt keine dabei, wenn man nur ſicher iſt, daß man an den Lippen oder am Zahnfleiſch nicht blutet. Bei Mangilis neuen Verſuchen mit dem Viperngift verſchluckte einer der Anweſenden alles Gift, das von vier großen italieniſchen Vipern geſammelt werden konnte, ohne etwas darauf zu ſpüren. Bei den Indianern gilt das Curare innerlich genommen als ein treffliches Magenmittel. Die Piraoa - und Saliva-Indianer bereiten dasſelbe Gift; es hat auch ziemlichen Ruf, iſt aber doch nicht ſo geſucht wie das von Esmeralda. Die Bereitungsart ſcheint überall un - gefähr dieſelbe; es liegt aber kein Beweis vor, daß die ver - ſchiedenen Gifte, welche unter demſelben Namen am Orinoko und am Amazonenſtrom verkauft werden, identiſch ſind und von derſelben Pflanze herrühren. Orfila hat daher ſehr wohl gethan, wenn er in ſeiner Toxicologie générale das Woorara aus Holländiſch-Guyana, das Curare vom Orinoko, das Ticuna vom Amazonenſtrom und all die Subſtanzen, welche man unter dem unbeſtimmten Namen amerikaniſche Gifte zu - ſammenwirft, für ſich betrachtet. Vielleicht findet man ein - mal in Giftpflanzen aus verſchiedenen Gattungen eine gemein -65 ſchaftliche alkaliſche Baſis, ähnlich dem Morphium im Opium und der Vauqueline in den Strychnosarten.

Man unterſcheidet am Orinoko zwiſchen Curare de raiz (aus Wurzeln) und Curare de bejuco (aus Lianen oder der Rinde der Zweige). Wir haben nur letzteres bereiten ſehen; erſteres iſt ſchwächer und weit weniger geſucht. Am Amazonenſtrom lernten wir die Gifte verſchiedener Indianer - ſtämme kennen, der Ticuna, Yagua, Peva und Jivaro, die von derſelben Pflanze kommen und vielleicht mehr oder weniger ſorgfältig zubereitet ſind. Das Toxique des Ticunas, das durch La Condamine in Europa ſo berühmt geworden iſt und das man jetzt, etwas uneigentlich, Ticuna zu nennen anfängt, kommt von einer Liane, die auf der Inſel Mormo - rote im oberen Marañon wächſt. Dieſes Gift wird zum Teil von den Ticunaindianern bezogen, die auf ſpaniſchem Gebiet bei den Quellen des Yacarique unabhängig geblieben ſind, zum Teil von den Indianern desſelben Stammes, die in der portugieſiſchen Miſſion Loreto leben. Da Gifte in dieſem Klima für Jägervölker ein unentbehrliches Bedürf - nis ſind, ſo widerſetzen ſich die Miſſionäre am Orinoko und Amazonenſtrom der Bereitung derſelben nicht leicht. Die hier genannten Gifte ſind völlig verſchieden vom Gift von La Peca1Dorf in der Provinz Jaen de Bracamoros. und vom Gift von Lamas und Moyobamba. Ich führe dieſe Einzelheiten an, weil die Pflanzenreſte, die wir unterſuchen konnten, uns (gegen die allgemeine Annahme) den Beweis geliefert haben, daß die drei Gifte, das der Ti - cuna, das von La Peca und das von Moyobamba, nicht von derſelben Art kommen, wahrſcheinlich nicht einmal von ver - wandten Gewächſen. So einfach das Curare iſt, ſo lang - wierig und verwickelt iſt die Bereitungsweiſe des Giftes von Moyobamba. Mit dem Saft des Bejucode Ambihuasca, dem Hauptingrediens, miſcht man Piment (Capsicum), Tabak, Barbasco (Jacquinia armillaris), Sanango (Tabernae montana) und die Milch einiger anderen Apocyneen. Der friſche Saft der Ambihuasca wirkt tödlich, wenn er mit dem Blut in Berührung kommt; der Saft des Mavacure wird erſt durch Einkochen ein tödliches Gift, und der Saft der Wurzel der Jatropha Manihot verliert durch Kochen ganz ſeine ſchädliche Eigenſchaft. Als ich bei ſehr großer Hitze die Liane, von der das ſchreckliche Gift von La Peca kommt,A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 566lange zwiſchen den Fingern rieb, wurden mir die Hände pel - zig; eine Perſon, die mit mir arbeitete, ſpürte gleich mir dieſe Folgen einer raſchen Aufſaugung durch die unverletzten Haut - decken.

Ich laſſe mich hier auf keine Erörterung der phyſiologi - ſchen Wirkungen dieſer Gifte der Neuen Welt ein, die ſo raſch töten, wie die Strychnosarten Aſiens (die Brechnuß, das Upas - tieute und die Ignatiusbohne), aber ohne, wenn ſie in den Magen kommen, Erbrechen zu erregen und ohne die gewaltige Reizung des Rückenmarkes, welche den bevorſtehenden Tod verkündet. Wir haben während unſeres Aufenthaltes in Amerika Curare vom Orinoko und Bamburohrſtücke mit Gift der Ticuna und von Moyobamba den Chemikern Fourcroy und Vauquelin übermacht; wir haben ferner nach unſerer Rückkehr Magendie und Delille, die mit den Giften der Neuen Welt ſo ſchöne Verſuche angeſtellt, Curare mitge - teilt, das auf dem Transport durch feuchte Länder ſchwächer geworden war. Am Orinoko wird ſelten ein Huhn geſpeiſt, das nicht durch einen Stich mit einem vergifteten Pfeil ge - tötet worden wäre; ja die Miſſionäre behaupten, das Fleiſch der Tiere ſei nur dann gut, wenn man dieſes Mittel an - wende. Unſer Reiſebegleiter, der am dreitägigen Fieber lei - dende Pater Zea, ließ ſich jeden Morgen einen Pfeil und das Huhn, das wir ſpeiſen ſollten, lebend in ſeine Hänge - matte bringen. Er hätte eine Operation, auf die er trotz ſeines Schwächezuſtandes ein ſehr großes Gewicht legte, keinem anderen überlaſſen mögen. Große Vögel, z. B. ein Guan (Pava de monte) oder ein Hocco (Alector) ſterben, wenn man ſie in den Schenkel ſticht, in 2 bis 3 Minuten; bei einem Schwein oder Pecari dauert es oft 10 bis 12. Bonpland fand, daß dasſelbe Gift in verſchiedenen Dörfern, wo man es kaufte, ſehr verſchieden war. Wir bekamen am Amazonenſtrom echtes Gift der Ticunaindianer, das ſchwächer war als alle Sorten des Curare vom Orinoko. Es wäre unnütz, den Reiſenden die Angſt ausreden zu wollen, die ſie häufig äußern, wenn ſie bei der Ankunft in den Miſſionen hören, daß die Hühner, die Affen, die Leguane, die großen Flußfiſche, die ſie eſſen, mit giftigen Pfeilen getötet ſind. Gewöhnung und Nach - denken machen dieſer Angſt bald ein Ende. Magendie hat ſogar durch ſinnreiche Verſuche mit der Transfuſion dargethan, daß das Blut von Tieren, die mit den oſtindiſchen bitteren Strychnosarten getötet worden ſind, auf andere Tiere keine67 ſchädliche Wirkung äußert. Einem Hund wurde eine bedeu - tende Menge vergifteten Bluts in die Venen geſpritzt; es zeigte ſich aber keine Spur von Reizung des Rückenmarkes.

Ich brachte das ſtärkſte Curare mit den Schenkelnerven eines Froſches in Berührung, ohne, wenn ich den Grad der Irritabilität der Organe mittels eines aus heterogenen Me - tallen beſtehenden Bogens maß, eine merkliche Veränderung wahrzunehmen. Aber bei Vögeln, wenige Minuten nachdem ich ſie mit einem vergifteten Pfeile getötet, wollten die gal - vaniſchen Verſuche ſo gut wie nicht gelingen. Dieſe Beob - achtungen ſind von Intereſſe, da ermittelt iſt, daß auch eine Auflöſung von Upastieute, wenn man ſie auf den Hüftnerven gießt oder in das Nervengewebe ſelbſt bringt, wenn ſie alſo mit der Markſubſtanz ſelbſt in Berührung kommt, gleichfalls auf die Irritabilität der Organe keinen merkbaren Einfluß äußert. Das Curare, wie die meiſten anderen Strychneen (denn wir glauben immer noch, daß der Mavacure einer nahe verwandten Familie angehört) werden nur dann gefährlich, wenn das Gift auf das Gefäßſyſtem wirkt. In Maypures rüſtete ein Farbiger (ein Zambo, ein Miſchling von Indianer und Neger) für Bonpland giftige Pfeile, wie man ſie in die Blaſerohre ſteckt, wenn man kleine Affen und Vögel jagt. Es war ein Zimmermann von ungemeiner Muskelkraft. Er hatte die Unvorſichtigkeit, das Curare zwiſchen den Fingern zu reiben, nachdem er ſich unbedeutend verletzt, und ſtürzte zu Boden, von einem Schwindel ergriffen, der eine halbe Stunde anhielt. Zum Glück war es nur ſchwaches (destem - plado) Curare, deſſen man ſich bedient, um ſehr kleine Tiere zu ſchießen, das heißt ſolche, welche man wieder zum Leben bringen will, indem man ſalzſaures Natron in die Wunde reibt. Auf unſerer Rückfahrt von Esmeralda nach Atures entging ich ſelbſt einer ziemlich nahen Gefahr. Das Curare hatte Feuchtigkeit angezogen, war flüſſig geworden und aus dem ſchlecht verſchloſſenen Gefäß über unſere Wäſche gelaufen. Beim Waſchen vergaß man einen Strumpf innen zu unter - ſuchen, der voll Curare war, und erſt als ich den klebrigen Stoff mit der Hand berührte, merkte ich, daß ich einen ver - gifteten Strumpf angezogen hätte. Die Gefahr war deſto größer, da ich gerade an den Zehen blutete, weil mir Sand - flöhe (pulex penetrans) ſchlecht ausgegraben worden waren. Aus dieſem Fall mögen Reiſende abnehmen, wie vorſichtig man ſein muß, wenn man Gift mit ſich führt.

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In Europa wird die Unterſuchung der Eigenſchaften der Gifte der Neuen Welt eine ſchöne Aufgabe für Chemie und Phyſiologie ſein, wenn man ſich einmal bei ſtärkerem Verkehr aus den Ländern, wo ſie bereitet werden, und ſo, daß ſie nicht zu verwechſeln ſind, all die Gifte verſchaffen kann, das Curare de bejuco, das Curare de raiz, und die verſchie - denen Sorten vom Amazonenſtrom, vom Huallaga und aus Braſilien. Da die Chemie die reine Blauſäure und ſo viele neue ſehr giftige Stoffe entdeckt hat, wird man in Europa hinſichtlich der Einführung dieſer von wilden Völkern be - reiteten Gifte nicht mehr ſo ängſtlich ſein; indeſſen kann man doch allen, die in ſehr volkreichen Städten (den Mittelpunkten der Kultur, des Elendes und der Sittenverderbnis) ſo heftig wirkende Stoffe in Händen haben, nicht genug Vorſicht em - pfehlen. Was unſere botaniſche Kenntnis der Gewächſe betrifft, aus denen Gift bereitet wird, ſo werden ſie ſich nur äußerſt langſam berichtigen. Die meiſten Indianer, die ſich mit der Verfertigung vergifteter Pfeile abgeben, ſind mit dem Weſen der giftigen Subſtanzen, die ſie aus den Händen anderer Völker erhalten, völlig unbekannt. Ueber der Geſchichte der Gifte und Gegengifte liegt überall der Schleier des Ge - heimniſſes. Ihre Bereitung iſt bei den Wilden Monopol der Piaches, die zugleich Prieſter, Gaukler und Aerzte ſind, und nur von den in die Miſſionen verſetzten Eingeborenen kann man über die rätſelhaften Stoffe etwas Sicheres er - fahren. Jahrhunderte vergingen, ehe Mutis Beobachtungs - geiſt die Europäer mit dem Bejuco del Guaco (Mikania Guako) bekannt machte, welches das kräftige Gegengift gegen den Schlangenbiß iſt und das wir zuerſt botaniſch beſchreiben konnten.

In den Miſſionen herrſcht allgemein die Meinung, Ret - tung ſei unmöglich, wenn das Curare friſch und ſtark ein - gedickt und ſo lange in der Wunde geblieben iſt, daß viel davon in den Blutlauf übergegangen. Unter allen Gegen - mitteln, die man am Orinoko und (nach Leschenault) im In - diſchen Archipel braucht, iſt das ſalzſaure Natron das ver - breitetſte. 1Schon Oviedo rühmt das Seewaſſer als Gegengift gegen vegetabiliſche Gifte. In den Miſſionen verfehlt man nicht, den europäiſchen Reiſenden alles Ernſtes zu verſichern, mit Salz im Munde habe man in Curare getauchte Pfeile ſo wenig zu fürchten,Man reibt die Wunde mit dem Salz und nimmt69 es innerlich. Ich ſelbſt kenne keinen gehörig beglaubigten Fall, der die Wirkſamkeit des Mittels bewieſe, und Magendies und De - lilles Verſuche ſprechen vielmehr dagegen. Am Amazonenſtrom gilt der Zucker für das beſte Gegengift, und da das ſalzſaure Natron den Indianern in den Wäldern faſt ganz unbekannt iſt, ſo iſt wahrſcheinlich der Bienenhonig und der mehlige Zucker, den die an der Sonne getrockneten Bananen aus - ſchwitzen, früher in ganz Guyana zu dieſem Zweck gebraucht worden. Ammoniak und Lucienwaſſer ſind ohne Erfolg gegen das Curare verſucht worden; man weiß jetzt, wie unzuverläſſig dieſe angeblichen ſpezifiſchen Mittel auch gegen Schlangenbiß ſind. Sir Everard Home hat dargethan, daß man die Hei - lung meiſt einem Mittel zuſchreibt, während ſie nur erfolgt iſt, weil die Verwundung unbedeutend und die Wirkung des Giftes eine ſehr beſchränkte war. Man kann Tiere ohne Schaden mit vergifteten Pfeilen verwunden, wenn die Wunde offen bleibt und man die vergiftete Spitze nach der Verwun - dung ſogleich zurückzieht. Wendet man in ſolchen Fällen Salz oder Zucker an, ſo wird man verführt, ſie für vortreff - liche ſpezifiſche Mittel zu halten. Nach der Schilderung von Indianern, die im Krieg mit Waffen, die in Curare getaucht geweſen, verwundet worden, ſind die Symptome ganz ähnlich wie beim Schlangenbiß. Der Verwundete fühlt Kongeſtionen gegen den Kopf und der Schwindel nötigt ihn, ſich niederzu - ſetzen; ſodann Uebelſein, wiederholtes Erbrechen, brennender Durſt und das Gefühl von Pelzigſein am verwundeten Körperteil.

Dem alten Indianer, dem Giftmeiſter, ſchien es zu ſchmeicheln, daß wir ihm bei ſeinem Laborieren mit ſo großem Intereſſe zuſahen. Er fand uns ſo geſcheit, daß er nicht zweifelte, wir könnten Seife machen; dieſe Kunſt erſchien ihm, nach der Bereitung des Curare, als eine der ſchönſten Erfin - dungen des menſchlichen Geiſtes. Als das flüſſige Gift in die zu ſeiner Aufnahme beſtimmten Gefäße gegoſſen war, begleiteten wir den Indianer zum Juviasfeſte. Man feierte durch Tänze die Ernte der Juvias, der Früchte der Bertholletia excelsa, und überließ ſich der roheſten Völlerei. In der Hütte, wo die Indianer ſeit mehreren Tagen zu - ſammenkamen, ſah es ganz ſeltſam aus. Es waren weder1als die Schläge des Gymnotus, wenn man Tabak kaue. Ralegh empfiehlt Knoblauchſaft als Gegengift gegen des Ourari (Curare).70 Tiſche noch Bänke darin, aber große gebratene, vom Rauch geſchwärzte Affen ſah man ſymmetriſch an die Wand gelehnt. Es waren Marimondas (Ateles Belzebuth) und die bär - tigen ſogenannten Kapuzineraffen, die man nicht mit dem Machi oder Saï (Buffons Simia Capucina) verwechſeln darf. Die Art, wie dieſe menſchenähnlichen Tiere gebraten werden, trägt viel dazu bei, wenn ihr Anblick dem civiliſierten Menſchen ſo widerwärtig iſt. Ein kleiner roſt oder Gitter aus ſehr hartem Holz wird einen Fuß über dem Boden befeſtigt. Der abge - zogene Affe wird zuſammengebogen, als ſäße er; meiſt legt man ihn ſo, daß er ſich auf ſeine langen, mageren Arme ſtützt, zuweilen kreuzt man ihm die Hände auf dem Rücken. Iſt er auf dem Gitter befeſtigt, ſo zündet man ein helles Feuer darunter an. Flammen und Rauch umſpielen den Affen und er wir zugleich gebraten und berußt. 1Kurz nach unſerer Rückkehr nach Europa kam in Deutſch - land nach einer geiſtvollen Zeichnung Schicks in Rom ein Kupfer - ſtich heraus, eines unſerer Nachtlager am Orinoko vorſtellend. Im Vordergrunde ſind Indianer beſchäftigt, einen Affen zu braten.Sieht man nun die Eingeborenen Arm oder Bein eines gebratenen Affen verzehren, ſo kann man ſich kaum des Gedankens erwehren, die Gewohn - heit, Tiere zu eſſen, die im Körperbau dem Menſchen ſo nahe ſtehen, möge in gewiſſem Grade dazu beitragen, daß die Wil - den ſo wenig Abſcheu vor dem Eſſen von Menſchenfleiſch haben. Die gebratenen Affen, beſonders die mit ſehr rundem Kopf, gleichen auf ſchauerliche Weiſe Kindern, daher auch Europäer. wenn ſie ſich von Vierhändern nähren müſſen, lieber Kopf und Hände abſchneiden und nur den Rumpf auftragen laſſen. Das Affenfleiſch iſt ſo mager und trocken, daß Bonpland in ſeinen Sammlungen in Paris einen Arm und eine Hand aufbewahrt hat, die in Esmeralda am Feuer geröſtet worden; nach vielen Jahren rochen die Teile nicht im geringſten.

Wir ſahen die Indianer tanzen. Der Tanz iſt um ſo einförmiger, da die Weiber nicht daran teilnehmen dürfen. Die Männer, alt und jung, faſſen ſich bei den Händen, bil - den einen Kreis und drehen ſich ſo, bald rechts, bald links, ſtundenlang, in ſchweigſamem Ernſt. Meiſt machen die Tänzer ſelbſt die Muſik dazu. Schwache Töne auf einer Reihe von Rohrſtücken von verſchiedener Länge geblaſen, bilden eine lang - ſame, melancholiſche Begleitung. Um den Takt anzugeben, beugt der Vortänzer im Rhythmus beide Kniee. Zuweilen71 bleiben alle ſtehen und machen kleine ſchwingende Bewegungen, indem ſie den Körper ſeitlich hin und her werfen. Jene in eine Reihe geordneten und zuſammengebundenen Rohrſtücke gleichen der Pansflöte, wie wir ſie bei bacchiſchen Aufzügen auf großgriechiſchen Vaſen abgebildet ſehen. Es iſt ein höchſt einfacher Gedanke, der allen Völkern kommen mußte, Rohre von verſchiedener Länge zu vereinigen und ſie nacheinander, während man ſie an den Lippen vorbeiführt, anzublaſen. Nicht ohne Verwunderung ſahen wir, wie raſch junge In - dianer, wenn ſie am Fluſſe Rohr (carices) fanden, dergleichen Pfeifen ſchnitten und ſtimmten. In allen Himmelsſtrichen leiſten dieſe Gräſer mit hohem Halme den Menſchen im Na - turzuſtande mancherlei Dienſte. Die Griechen ſagten mit Recht, das Rohr ſei ein Mittel geweſen zur Unterjochung der Völker, weil es Pfeile liefere, zur Milderung der Sitten durch den Reiz der Muſik, zur Geiſtesentwickelung, weil es das erſte Werkzeug geboten, mit dem man Buchſtaben geſchrieben. Dieſe verſchiedenen Verwendungsarten des Rohres bezeichnen gleich - ſam drei Abſchnitte im Leben der Völker. Die Horden am Orinoko ſtehen unleugbar auf der unterſten Stufe einer be - ginnenden Kulturentwickelung. Das Rohr dient ihnen nur zu Krieg und Jagd und Pans Flöte ſind auf jenen fernen Ufern noch keine Töne entlockt worden, die ſanfte, menſchliche Empfindungen wecken können.

In der Feſthütte fanden wir verſchiedene vegetabiliſche Produkte, welche die Indianer aus den Bergen von Guanaya mitgebracht und die unſere ganze Aufmerkſamkeit in Anſpruch nahmen. Ich verweile hier nur bei der Frucht des Juvia, bei den Rohren von ganz ungewöhnlicher Länge und bei den Hemden aus der Rinde des Marimabaumes. Der Almen - dron oder Juvia, einer der großartigſten Bäume in den Wäldern der Neuen Welt, war vor unſerer Reiſe an den Rio Negro ſo gut wie unbekannt. Vier Tagereiſen öſtlich von Esmeralda, zwiſchen dem Padamo und dem Ocamo am Fuße des Cerro Mapaya, am rechten Ufer des Orinoko, tritt er nach und nach auf; noch häufiger iſt er auf dem linken Ufer beim Cerro Guanaya zwiſchen dem Rio Amaguaca und dem Gehete. Die Einwohner von Esmeralda verſicherten uns, oberhalb des Gehete und des Chiguire werde der Juvia und der Kakaobaum ſo gemein, daß die wilden Indianer (die Guaicas und Guaharibos blancos) die Indianer aus den Miſſionen ungeſtört die Früchte ſammeln laſſen. Sie miß -72 gönnen ihnen nicht, was ihnen die Natur auf ihrem eigenen Grund und Boden ſo reichlich ſchenkt. Kaum noch hat man es am oberen Orinoko verſucht, den Almendron fortzupflanzen. Die Trägheit der Einwohner läßt es noch weniger dazu kommen als der Umſtand, daß das Oel in den mandelförmigen Samen ſo ſchnell ranzig wird. Wir fanden in der Miſſion San Carlos nur drei Bäume und in Esmeralda zwei. Die maje - ſtätiſchen Stämme waren acht bis zehn Jahre alt und hatten noch nicht geblüht. Wie oben erwähnt, fand Bonpland Almen - drone unter den Bäumen am Ufer des Caſſiquiare in der Nähe der Stromſchnellen von Cananivacari.

Schon im 16. Jahrhundert ſah man in Europa nicht die große Steinfrucht in der Form einer Kokosnuß, welche die Mandeln enthält, wohl aber die Samen mit holziger drei - eckiger Hülle. Ich erkenne dieſe auf einer ziemlich mangel - haften Zeichnung des Cluſius. Dieſer Botaniker nennt ſie Almendras del Peru, vielleicht weil ſie als eine ſehr ſeltene Frucht an den oberen Amazonenſtrom und von dort über die Kordilleren nach Quito und Peru gekommen waren. Jean de Laets Novus Orbis, in dem ich die erſte Nachricht vom Kuhbaum fand, enthält auch eine Beſchreibung und ganz richtige Abbildung des Samens der Bertholletia. Laet nennt den Baum Totocke und erwähnt der Steinfrucht von der Größe eines Menſchenkopfes, welche die Samen enthält. Dieſe Früchte, erzählt er, ſeien ſo ungemein ſchwer, daß die Wilden es nicht leicht wagen, die Wälder zu betreten, ohne Kopf und Schultern mit einem Schild aus ſehr hartem Holz zu bedecken. Von ſolchen Schilden wiſſen die Eingeborenen in Esmeralda nichts, wohl aber ſprachen ſie uns auch davon, daß es gefähr - lich ſei, wenn die Früchte reifen und 16 bis 20 m herabfallen. In Portugal und England verkauft man die dreieckigen Samen der Juvia unter dem unbeſtimmten Namen Kaſtanien (Ca - stañas) oder Nüſſe aus Braſilien und vom Amazonenſtrom, und man meinte lange, ſie wachſen, wie die Frucht der Pekea, einzeln auf Fruchtſtielen. Die Einwohner von Granpara treiben ſeit einem Jahrhundert einen ziemlich ſtarken Handel damit. Sie ſchicken ſie entweder direkt nach Europa oder nach Cayenne, wo ſie Touka heißen. Der bekannte Bota - niker Correa de Serra ſagte uns, der Baum ſei in den Wäl - dern bei Macapa an der Mündung des Amazonenſtromes ſehr häufig und die Einwohner ſammeln die Mandeln, wie die der Lecythis, um Oel daraus zu ſchlagen. Eine Ladung73 Juviamandeln, die im Jahr 1807 in Havre einlief und von einem Kaper aufgebracht war, wurde gleichfalls ſo benutzt.

Der Baum, von dem die braſilianiſchen Kaſtanien kommen, iſt meiſt nur 60 bis 90 cm dick, wird aber 30 bis 40 m hoch. Er hat nicht den Habitus der Mammea, des Sternapfelbaumes und verſchiedener anderer tropiſcher Bäume, bei denen die Zweige (wie bei den Lorbeeren der gemäßigten Zone) faſt gerade gen Himmel ſtehen. Bei der Bertholletia ſtehen die Aeſte weit auseinander, ſind ſehr lang, dem Stamm zu faſt blätterlos und an der Spitze mit dichten Laubbüſcheln beſetzt. Durch dieſe Stellung der halb lederartigen, unterhalb leicht ſilberfarbigen, über 65 cm langen Blätter beugen ſich die Aeſte abwärts, wie die Wedel der Palmen. Wir haben den majeſtätiſchen Baum nicht blühen ſehen. Er ſetzt vor dem fünfzehnten Jahre keine Blüten an, und dieſelben brechen vor Ende März oder Anfang April auf. Die Früchte reiſen gegen Ende Mai, und an manchen Stämmen bleiben ſie bis in den Auguſt hängen. Da dieſelben ſo groß ſind wie ein Kindskopf und oft 32 bis 35 cm Durchmeſſer haben, ſo fallen ſie mit gewaltigem Geräuſch vom Baumgipfel. Ich weiß nichts, woran einem die wunderbare Kraft des organiſchen Lebens im heißen Erdſtrich augenfälliger entgegenträte, als der Anblick der mächtigen holzigen Fruchthüllen, z. B. des Kokosbaums (Lodoicea) unter den Monokotyledonen, und der Bertholletia und der Lecythis unter den Dikotyledonen. In unſeren Klimaten bringen allein die Kürbisarten innerhalb weniger Monate Früchte von auffallender Größe hervor, aber dieſe Früchte ſind fleiſchig und ſaftreich. Unter den Tropen bildet die Bertholletia innerhalb 50 bis 60 Tagen eine Frucht - hülle, deren holziger Teil 13 mm dick und mit den ſchärfſten Werkzeugen kaum zu durchſägen iſt. Ein bedeutender Natur - forſcher (Richard) hat bereits die Bemerkung gemacht, daß das Holz der Früchte meiſt ſo hart wird, wie das Holz der Baumſtämme nur ſelten. Die Fruchthülle der Bertholletia zeigt die Rudimente von vier Fächern; zuweilen habe ich ihrer auch fünf gefunden. Die Samen haben zwei ſcharf geſon - derte Hüllen, und damit iſt der Bau der Frucht komplizierter als bei den Lecythis -, Pekea - und Saouvariarten. Die erſte Hülle iſt beinartig oder holzig, dreieckig, außen höckerig und zimtfarbig. Vier bis fünf, zuweilen acht ſolcher dreieckigen Nüſſe ſind an einer Scheidewand befeſtigt. Da ſie ſich mit der Zeit ablöſen, liegen ſie frei in der großen kugeligen Frucht -74 hülle. Die Kapuzineraffen (Simia chiropotes) lieben ungemein die braſilianiſchen Kaſtanien , und ſchon das Raſſeln der Samen, wenn man die Frucht, wie ſie vom Baum fällt, ſchüttelt, macht die Eßluſt dieſer Tiere in hohem Grade rege. Meiſt habe ich nur 15 bis 22 Nüſſe in einer Frucht gefunden. Der zweite Ueberzug der Mandeln iſt häutig und braungelb. Der Geſchmack derſelben iſt ſehr angenehm, ſolange ſie friſch ſind; aber das ſehr reichliche Oel, durch das ſie ökonomiſch ſo nützlich werden, wird leicht ranzig. Wir haben am oberen Orinoko häufig, weil ſonſt nichts zu haben war, dieſe Mandel in bedeutender Menge gegeſſen und nie einen Nachteil davon empfunden. Die kugelige Fruchthülle der Bertholletia iſt oben durchbohrt, ſpringt aber nicht auf; das obere bauchige Ende des Säulchens bildet allerdings (nach Kunth) eine Art inneren Deckel, wie bei der Frucht der Lecythis, aber er öffnet ſich nicht wohl von ſelbſt. Viele Samen verlieren durch die Zer - ſetzung des Oels in den Samenlappen die Keimkraft, bevor in der Regenzeit die Holzkapſel der Fruchthülle infolge der Fäulnis aufgeht. Nach einem am unteren Orinoko weit ver - breiteten Märchen ſetzen ſich die Kapuziner - und Cacajaoaffen (Simia chiropotes und Simia melanocephala) im Kreis um - her, klopfen mit einem Stein auf die Frucht und zerſchlagen ſie wirklich, ſo daß ſie zu den dreieckigen Mandeln kommen können. Dies wäre wegen der ausnehmenden Härte und Dicke der Fruchthülle geradezu unmöglich. Man mag geſehen haben, wie Affen die Früchte der Bertholletia am Boden rollten, und dieſelben haben zwar ein kleines Loch, an welches das obere Ende des Säulchens befeſtigt iſt, aber die Natur hat es den Affen nicht ſo leicht gemacht, die holzige Fruchthülle der Ju - via zu öffnen, wie bei der Lecythis, wo ſie den Deckel ab - nehmen, der in den Miſſionen la tapa (Deckel) del coca de monos heißt. Nach der Ausſage mehrerer ſehr glaubwürdiger Indianer gelingt es nur den kleinen Nagern, namentlich den Aguti (Cavia Aguti, Cavia Paca), vermöge des Baues ihrer Zähne und der unglaublichen Ausdauer, mit der ſie ihrem Zerſtörungswerk obliegen, die Frucht der Bertholletia zu durchbohren. Sobald die dreieckigen Nüſſe auf den Boden ausgeſtreut ſind, kommen alle Tiere des Waldes herbeigeeilt; Affen, Manaviri, Eichhörner, Aguti, Papageien und Ara ſtreiten ſich um die Beute. Sie ſind alle ſtark genug, um den holzigen Ueberzug des Samens zu zerbrechen; ſie nehmen die Mandel heraus und klettern damit auf die Bäume. So haben ſie75 auch ihr Feſt, ſagten die Indianer, die von der Ernte kamen, und hört man ſie ſich über die Tiere beſchweren, ſo merkt man wohl, daß ſie ſich für die alleinigen rechtmäßigen Herren des Waldes halten.

Das häufige Vorkommen des Juvia oftwärts von Es - meralda ſcheint darauf hinzudeuten, daß die Flora des Ama - zonenſtromes an dem Stück des oberen Orinoko beginnt, das im Süden der Gebirge hinläuft. Es iſt dies gewiſſermaßen ein weiterer Beweis dafür, daß hier zwei Flußbecken vereinigt ſind. Bonpland hat ſehr gut auseinandergeſetzt, wie man zu verfahren hätte, um die Bertholletia excelsa am Ufer des Orinoko, des Apure, des Meta, überhaupt in der Provinz Venezuela anzupflanzen. Man müßte da, wo der Baum wild wächſt, die bereits keimenden Samen zu Tauſenden ſammeln und ſie in Kaſten mit derſelben Erde legen, in der ſie zu vegetieren angefangen. Die jungen Pflanzen, durch Blätter von Mu - ſaceen oder Palmblätter gegen die Sonnenſtrahlen geſchützt, würden auf Pirogen oder Flöße gebracht. Man weiß, wie ſchwer in Europa (trotz der Anwendung von Chlor, wovon ich anderswo geſprochen) Samen mit hornartiger Fruchthülle, Palmen, Kaffeearten, Chinaarten und große holzige Nüſſe mit leicht ranzig werdendem Oel, zum Keimen zu bringen ſind. Alle dieſe Schwierigkeiten wären beſeitigt, wenn man nur Samen ſammelte, die unter dem Baume ſelbſt gekeimt haben. Auf dieſe Weiſe iſt es uns gelungen, zahlreiche Exem - plare ſehr ſeltener Pflanzen, z. B. die Coumarouna odora oder Tongabohne, von den Katarakten des Orinoko nach An - goſtura zu bringen und in den benachbarten Pflanzungen zu verbreiten.

Eine der vier Pirogen, mit denen die Indianer auf der Juviasernte, geweſen waren, war großenteils mit der Rohrart (Carice) gefüllt, aus der Blaſerohre gemacht werden. Die Rohre waren 5 bis 6 m lang, und doch war keine Spur von Knoten zum Anſatz von Blättern oder Zweigen zu be - merken. Sie waren vollkommen gerade, außen glatt und völlig cylindriſch. Dieſe Carices kommen vom Fuße der Berge von Yumariquin und Guanaya. Sie ſind ſelbſt jen - ſeits des Orinoko unter dem Namen Rohr von Esmeralda ſehr geſucht. Ein Jäger führt ſein ganzes Leben dasſelbe Blaſerohr; er rühmt die Leichtigkeit, Genauigkeit und Politur desſelben, wie wir an unſeren Feuergewehren dieſelben Eigen - ſchaften rühmen. Was mag dies für ein monokotyledoniſches76 Gewächs1Schon die glatte Oberfläche der Blaſerohre beweiſt, daß ſie von keinem Gewächs aus der Familie der Schirmpflanzen kommen können. ſein, von dem dieſe herrlichen Rohre kommen? Haben wir wirklich die Internodia einer Grasart aus der Sippe der Noſtoiden vor uns gehabt? oder ſollte dieſer Carice eine Cyperacea2Der Caricillo del Manati, der an den Ufern des Orinoko in Menge wächſt, wird 2,6 bis 5 m lang. ohne Knoten ſein? Ich vermag dieſe Fragen nicht zu beantworten, ſo wenig ich weiß, welcher Gattung ein an - deres Gewächs angehört, von dem die Marimahemden kommen. Wir ſahen am Abhang des Cerro Duida über 16 m hohe Stämme des Hemdbaumes. Die Indianer ſchneiden cylindriſche Stücke von 2,6 m Durchmeſſer davon ab und nehmen die rote, faſerige Rinde weg, wobei ſie ſich in acht nehmen, keinen Längsſchnitt zu machen. Dieſe Rinde gibt ihnen eine Art Kleidungsſtück, das Säcken ohne Naht von ſehr grobem Stoffe gleicht. Durch die obere Oeffnung ſteckt man den Kopf, und um die Arme durchzuſtecken, ſchneidet man zur Seite zwei Löcher ein. Der Eingeborene trägt dieſe Marimahemden bei ſehr ſtarkem Regen; ſie haben die Form der baumwollenen Ponchos und Ruanas, die in Neu - granada, Quito und Peru allgemein getragen werden. Da die überſchwengliche Freigebigkeit der Natur in dieſen Him - melsſtrichen für die Haupturſache gilt, warum die Menſchen ſo träge ſind, ſo vergeſſen die Miſſionäre, wenn ſie Marima - hemden vorweiſen, nie die Bemerkung zu machen, in den Wäldern am Orinoko wachſen die Kleider fertig auf den Bäumen . Zu dieſer Geſchichte von den Hemden gehören auch die ſpitzen Mützen, welche die Blumenſcheiden gewiſſer Palmen liefern und die einem weitmaſchigen Gewebe gleichen.

Beim Feſte, dem wir beiwohnten, waren die Weiber vom Tanz und jeder öffentlichen Luſtbarkeit ausgeſchloſſen; ihr trauriges Geſchäft beſtand darin, den Männern Affenbraten, gegorenes Getränk und Palmkohl aufzutragen. Des letzteren Produktes, das wie unſer Blumenkohl ſchmeckt, erwähne ich nur, weil wir in keinem Lande ſo ausnehmend große Stücke geſehen haben. Die noch nicht entwickelten Blätter ſind mit dem jungen Stengel verſchmolzen, und wir haben Cylinder gemeſſen, die 2 m lang und 11 m m dick waren. Eine andere, weit nahrhaftere Subſtanz kommt aus dem Tierreich, das77 Fiſchmehl (manioc de peseado). Ueberall am oberen Orinoko braten die Indianer die Fiſche, dörren ſie an der Sonne und ſtoßen ſie zu Pulver, ohne die Gräten davon zu trennen. Ich ſah Quantitäten von 25 bis 30 kg dieſes Mehles, das ausſieht wie Maniokmehl. Zum Eſſen rührt man es mit Waſſer zu einem Teige an. Unter allen Klimaten, wo es viele Fiſche gibt, iſt man auf dieſelben Mittel zur Aufbewahrung derſelben gekommen. So beſchreiben Plinius und Diodor von Sizilien das Fiſchbrot der Ichthyophagen1Dieſe Völker, die noch roher waren als die Eingeborenen am Orinoko, dörrten geradezu die friſchen Fiſche an der Sonne. Bei ihnen hatte der Fiſchteig die Form von Backſteinen, und man ſetzte zuweilen den aromatiſchen Samen des Paliurus (Rhamnus) zu, gerade wie man in Deutſchland und anderen nördlichen Ländern Kümmel und Fenchel in das Brot thut. am Perſiſchen Meerbuſen und am Roten Meer.

In Esmeralda, wie überall in den Miſſionen, leben die Indianer, die ſich nicht taufen laſſen wollten und ſich nur frei der Gemeinde angeſchloſſen haben, in Polygamie. Die Zahl der Weiber iſt bei den verſchiedenen Stämmen ſehr ver - ſchieden, am größten bei den Kariben und bei all den Völker - ſchaften, bei denen ſich die Sitte, junge Mädchen von benach - barten Stämmen zu entführen, lange erhalten hat. Wie kann bei einer ſo ungleichen Verbindung von häuslichem Glück die Rede ſein! Die Weiber leben in einer Art Sklaverei, wie bei den meiſten ſehr verſunkenen Völkern. Da die Männer im Beſitz der unumſchränkten Gewalt ſind, ſo wird in ihrer Gegenwart keine Klage laut. Im Hauſe herrſcht ſcheinbar Ruhe, und die Weiber beeifern ſich alle, den Wünſchen eines anſpruchsvollen, übellaunigen Gebieters zuvorzukommen. Sie pflegen ohne Unterſchied ihre eigenen Kinder und die der anderen Weiber. Die Miſſionäre verſichern (und was ſie ſagen, iſt ſehr glaublich), dieſer innere Frieden, die Frucht gemein - ſamer Furcht, werde gewaltig geſtört, ſobald der Mann länger von Hauſe abweſend ſei. Dann behandelt diejenige, mit der ſich der Mann zuerſt verbunden, die anderen als Beiſchläferinnen und Mägde. Der Zank nimmt kein Ende, bis der Gebieter wieder kommt, der durch einen Laut, durch eine bloße Gebärde, und wenn er es zweckdienlich erachtet, durch etwas ſchärfere Mittel die Leidenſchaften niederzuſchlagen weiß. Bei den Tamanaken iſt eine gewiſſe Ungleichheit unter den Weibern78 hinſichtlich ihrer Rechte durch den Sprachgebrauch bezeichnet. Der Mann nennt die zweite und dritte Frau Gefährtinnen der erſten; die erſte behandelt die Gefährtinnen als Neben - buhlerinnen und Feinde (ipucjatoje), was allerdings nicht ſo höflich iſt, aber wahrer und ausdrucksvoller. Da alle Laſt der Arbeit auf den unglücklichen Weibern liegt, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß bei manchen Nationen ihre Anzahl auf - fallend gering iſt. In ſolchem Falle bildet ſich eine Art Vielmännerei, wie wir ſie, nur entwickelter, in Tibet und im Gebirge am Ende der oſtindiſchen Halbinſel finden. Bei den Avanos und Maypures haben oft mehrere Brüder nur eine Frau. Wird ein Indianer, der mehrere Weiber hat, Chriſt, ſo zwingen ihn die Miſſionäre, eine zu wählen, die er behalten will, um die anderen zu verſtoßen. Der Moment der Tren - nung iſt nun der kritiſche; der Neubekehrte findet, daß ſeine Weiber doch höchſt ſchätzbare Eigenſchaften haben: die eine verſteht ſich gut auf die Gärtnerei, die andere weiß Chiza zu bereiten, das berauſchende Getränk aus der Maniokwurzel; eine erſcheint ihm ſo unentbehrlich wie die andere. Zuweilen ſiegt beim Indianer das Verlangen, ſeine Weiber zu behalten, über die Neigung zum Chriſtentum; meiſt aber läßt der Mann den Miſſionär wählen, und nimmt dies hin wie einen Spruch des Schickſals.

Die Indianer, die vom Mai bis Auguſt Fahrten oſt - wärts von Esmeralda unternehmen, um in den Bergen von Yumariquin Pflanzenprodukte zu ſammeln, konnten uns ge - naue Auskunft über den Lauf des Orinoko im Oſten der Miſſion geben. Dieſer Teil meiner Reiſekarte weicht von den früheren völlig ab. Ich beginne die Beſchreibung dieſer Länder mit dem Granitſtock des Duida, an deſſen Fuße wir weilten. Derſelbe wird im Weſten vom Rio Tamatama, im Oſten vom Rio Guapo begrenzt. Zwiſchen dieſen beiden Nebenflüſſen des Orinoko, durch die Morichales oder die Gebüſche von Mauritiapalmen, die Esmeralda umgeben, kommt der Rio Sodomoni herab, vielberufen wegen der vortrefflichen Ananas, die an ſeinen Ufern wachſen. Am 22. Mai maß ich auf einer Grasflur am Fuß des Duida eine Standlinie von 475 m; der Winkel, unter dem die Spitze des Berges in 13 827 m Entfernung erſcheint, beträgt noch . Nach meiner genauen trigonometriſchen Meſſung iſt der Duida (das heißt der höchſte Gipfel ſüdweſtlich vom Cerro Mara - guaca) 2179 m über der Ebene von Esmeralda hoch, alſo79 wahrſcheinlich gegen 2530 über dem Meeresſpiegel; ich ſage wahrſcheinlich, denn leider war mein Barometer zerbrochen, ehe wir nach Esmeralda kamen. Der Regen war ſo ſtark, daß wir in den Nachtlagern das Inſtrument nicht vor Feuch - tigkeit ſchützen konnten, und bei der ungleichen Ausdehnung des Holzes zerbrach die Röhre. Der Unfall war mir deſto verdrießlicher, weil wohl nie ein Barometer größere Reiſen mitgemacht hat. Ich hatte dasſelbe ſchon ſeit drei Jahren in den Gebirgen von Steiermark, Frankreich und Spanien, in Amerika auf dem Wege von Cumana an den oberen Orinoko geführt. Das Land zwiſchen Javita, Vaſiva und Esmeralda iſt eine weite Ebene, und da ich an den beiden erſteren Orten den Barometer beobachtet habe, ſo kann ich mich hinſichtlich der abſoluten Höhe der Savannen am Sodomoni höchſtens um 30 bis 38 m irren. Der Cerro Duida ſteht an Höhe dem St. Gott - hard und der Silla bei Caracas am Küſtenland von Venezuela nur wenig (kaum 155 bis 195 m) nach. Er gilt auch hier - zulande für einen koloſſalen Berg, woraus wir ziemlich ſicher auf die mittlere Höhe der Sierra Parime und aller Berge im öſtlichen Amerika ſchließen können. Oeſtlich von der Sierra Nevada de Merida, ſowie ſüdöſtlich vom Paramo de las Roſas erreicht keine der Bergketten, die in der Rich - tung eines Parallels ſtreichen, die Höhe des Centralkamms der Pyrenäen.

Der Granitgipfel des Duida fällt ſo ſteil ab, daß die Indianer vergeblich verſucht haben hinauf zu kommen. Be - kanntlich ſind gar nicht hohe Berge oft am unzugänglichſten. Zu Anfang und zu Ende der Regenzeit ſieht man auf der Spitze des Duida kleine Flammen, und zwar, wie es ſcheint, nicht immer am ſelben Orte. Wegen dieſer Erſcheinung, die bei den übereinſtimmenden Ausſagen nicht wohl in Zweifel zu ziehen iſt, hat man den Berg mit Unrecht einen Vulkan genannt. Da er ziemlich iſoliert liegt, könnte man denken, der Blitz zünde zuweilen das Strauchwerk an; dies erſcheint aber unwahrſcheinlich, wenn man bedenkt, wie ſchwer in dieſem naſſen Klima die Gewächſe brennen. Noch mehr: man verſichert, es zeigen ſich oft kleine Flammen an Stellen, wo das Geſtein kaum mit Raſen bedeckt ſcheint; auch beobachte man ganz ähnliche Feuererſcheinungen, und zwar an Tagen ohne alles Gewitter, am Gipfel des Guaraco oder Murcie - lago, eines Hügels gegenüber der Mündung des Rio Tama - tama auf dem ſüdlichen Ufer des Orinoko. Dieſer Hügel80 erhebt ſich kaum 100 m über die umliegende Ebene. Sind die Ausſagen der Eingeborenen begründet, ſo rühren beim Duida und Guaraco die Flammen wahrſcheinlich von einer unterirdiſchen Urſache her; denn man ſieht dergleichen niemals auf den hohen Bergen am Rio Jao und am Berg Mara - guaca, um den ſo oft die Gewitter toben. Der Granit des Cerro Duida iſt von teils offenen, teils mit Quarzkriſtallen und Kieſen gefüllten Gängen durchzogen. Durch dieſelben mögen gasförmige, brennbare Emanationen (Waſſerſtoff oder Naphtha) aufſteigen. In den Gebirgen von Karamanien, im Hindukuſch und im Himalaya ſind dergleichen Erſcheinungen häufig. In vielen Landſtrichen des öſtlichen Amerika, die den Erdbeben ausgeſetzt ſind, ſieht man ſogar (wie am Cuchi - vano bei Cumanacoa) aus ſekundären Gebirgsbildungen Flammen aus dem Boden brechen. Dieſelben zeigen ſich, wenn der erſte Regen auf den von der Sonne ſtark erhitzten Boden fällt, oder wenn dieſer nach ſtarken Niederſchlägen wieder zu trocknen anfängt. Die Grundurſache dieſer Feuer - erſcheinungen iſt in ungeheurer Tiefe, weit unter den ſekun - dären Formationen, in den Urgebirgsarten zu ſuchen; der Regen und die Zerſetzung des atmoſphäriſchen Waſſers ſpielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die heißeſten Quellen in der Welt kommen unmittelbar aus dem Granit; das Steinöl quillt aus dem Glimmerſchiefer; in Encaramada zwiſchen den Flüſſen Arauca und Cuchivero, mitten auf dem Granitboden der Sierra Parime am Orinoko, hört man furcht - bares Getöſe. Hier, wie überall auf dem Erdball, liegt der Herd der Vulkane in den älteſten Bildungen, und zwiſchen den großen Phänomenen, wobei die Rinde unſeres Planeten emporgehoben und geſchmolzen wird, und den Feuermeteoren, die ſich zuweilen an der Oberfläche zeigen und die man, ihrer Unbedeutendheit wegen, nur atmoſphäriſchen Einflüſſen zuſchreiben möchte, ſcheint ein Kauſalzuſammenhang zu be - ſtehen.

Der Duida hat zwar nicht die Höhe, welche der Volks - glaube ihm zuſchreibt, er iſt aber im ganzen Bergſtock zwi - ſchen Orinoko und Amazonenſtrom der beherrſchende Punkt. Dieſe Berge fallen gegen Nordweſt, gegen den Puruname, noch raſcher ab als gegen Oſt, gegen den Padamo und den Rio Ocamo. In der erſteren Richtung ſind die höchſten Gipfel nach dem Duida der Cuneva, an den Quellen des Rio Paru (eines Nebenfluſſes des Ventuari), der Sipapo,81 der Calitamini, der mit dem Cunavami und dem Pik Uniana zu einer Gruppe gehört. Oſtwärts vom Duida zeichnen ſich durch ihre Höhe aus: am rechten Ufer des Ori - noko der Maravaca oder die Sierra Maraguaca zwiſchen dem Rio Caurimoni und dem Padamo, auf dem linken Ufer die Berge von Guanaya und Yumariquin zwiſchen den Flüſſen Amaguaca und Gehete. Ich brauche kaum noch ein - mal zu bemerken, daß die Linie, welche über dieſe hohen Gipfel läuft (wie in den Pyrenäen, den Karpathen und ſo vielen Bergketten der Alten Welt), keineswegs mit der Waſſerſcheide zuſammenfällt. Die Waſſerſcheide zwiſchen den Zuflüſſen des unteren und des oberen Orinoko ſchneidet den Meridian von 64° unter dem vierten Grad der Breite. Sie läuft zuerſt zwiſchen den Quellen des Rio Branco und des Carony durch und dann nach Nordweſt, ſo daß die Gewäſſer des Pado, Jao und Ventuari nach Süd, die Gewäſſer des Arui, Caura und Cuchivero nach Nord fließen.

Man kann von Esmeralda den Orinoko gefahrlos hinauf - fahren bis zu den Katarakten, an denen die Guaicaindianer ſitzen, welche die Spanier nicht weiter hinauf kommen laſſen; es iſt dies eine Fahrt von ſechs und einem halben Tag. In den zwei erſten kommt man an den Einfluß des Rio Padamo, nachdem man gegen Nord die kleinen Flüſſe Tamatama, So - domoni, Guapo, Caurimoni und Simirimoni, gegen Süd den Einfluß des Cuca zwiſchen dem Hügel Guaraco, der Flammen auswerfen ſoll, und dem Cerro Canelilla, hinter ſich gelaſſen. Auf dieſem Strich bleibt der Orinoko 580 bis 780 m breit. Auf dem rechten Ufer kommen mehr Flüſſe herein, weil ſich an dieſer Seite die hohen Berge Duida und Maraguaca hinziehen, auf welchen ſich die Wolken lagern, während das linke Ufer niedrig und an die Ebene ſtößt, die im großen gegen Südweſt abfällt. Prachtvolle Wälder mit Bauholz be - decken die nördlichen Kordilleren. In dieſem heißen, beſtändig feuchten Landſtrich iſt das Wachstum ſo ſtark, daß es Stämme von Bombax Ceiba von 5 m Durchmeſſer gibt. Der Rio Padamo oder Patamo, über den früher die Miſſionäre am oberen Orinoko mit denen am Rio Caura verkehrten, iſt für die Geographen zu einer Quelle von Irrtümern geworden. Pater Caulin nennt ihn Macoma und ſetzt einen andern Rio Padamo zwiſchen den Punkt der Gabelteilung des Orinoko und einen Berg Ruida, womit ohne Zweifel der Cerro DuidaA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 682gemeint iſt. Surville läßt den Padamo ſich mit dem Rio Ocamo (Ucamu) verbinden, der ganz unabhängig von ihm iſt; auf der großen Karte von La Cruz endlich iſt ein kleiner Nebenfluß des Orinoko, weſtlich von der Gabelteilung, als Rio Padamo bezeichnet und der eigentliche Fluß dieſes Na - mens heißt Rio Maquiritari. Von der Mündung dieſes Fluſſes, der ziemlich breit iſt, kommen die Indianer in einem und einem halben Tag an den Rio Mavaca, der in den hohen Gebirgen von Unturan entſpringt, von denen oben die Rede war. Der Trageplatz zwiſchen den Quellen dieſes Nebenfluſſes und denen des Idapa oder Siapa hat zu der Fabel vom Zuſammenhang des Idapa mit dem oberen Ori - noko Anlaß gegeben. Der Rio Mavaca ſteht mit einem See in Verbindung, an deſſen Ufer die Portugieſen, ohne Vor - wiſſen der Spanier in Esmeralda, vom Rio Negro herkom - men, um die aromatiſchen Samen des Laurus Pucheri zu ſammeln, die im Handel als Pichurimbohne und Toda Specie bekannt ſind. Zwiſchen den Mündungen des Pa - damo und des Mavaca nimmt der Orinoko von Nord her den Ocamo auf, in den ſich der Rio Matacona ergießt. An den Quellen des letzteren Fluſſes wohnen die Guainares, die lange nicht ſo ſtark kupferfarbig oder braun ſind als die übrigen Bewohner dieſer Länder. Dieſer Stamm gehört zu denen, welche bei den Miſſionären Indios blancos heißen, und über die ich bald mehr ſagen werde. An der Mündung des Ocamo zeigt man den Reiſenden einen Fels, der im Lande für ein Wunder gilt. Es iſt ein Granit, der in Gneis übergeht, ausgezeichnet durch die eigentümliche Verteilung des ſchwarzen Glimmers, der kleine verzweigte Adern bildet. Die Spanier nennen den Fels Piedra mapaya (Landkartenſtein).

Ueber dem Einfluß des Mavaca nimmt der Orinoko an Breite und Tiefe auf einmal ab. Sein Lauf wird ſehr ge - krümmt, wie bei einem Alpſtrom. An beiden Ufern ſtehen Gebirge; von Süden her kommen jetzt bedeutend mehr Ge - wäſſer herein, indeſſen bleibt die Kordillere im Norden am höchſten. Von der Mündung des Mavaca bis zum Rio Gehete ſind es zwei Tagereiſen, weil die Fahrt ſehr be - ſchwerlich iſt und man oft, wegen zu ſeichten Waſſers, die Piroge am Ufer ſchleppen muß. Auf dieſer Strecke kommen von Süd der Daracapo und der Amaguaca herein; ſie laufen nach Weſt und Oſt um die Berge von Guanaya und Yu - mariquin herum, wo man die Früchte der Bertholletia ſammelt. 83Von den Bergen gegen Nord, deren Höhe vom Cerro Mara - guaca an allmählich abnimmt, kommt der Rio Manaviche herab. Je weiter man auf dem Orinoko hinaufkommt, deſto häufiger werden die Krümmungen und die kleinen Strom - ſchnellen (chorros y remolinos). Man läßt links den Caño chiguirie, an dem die Guaica, gleichfalls ein Stamm weißer Indianer, wohnen, und 9 km weiter kommt man zur Mün - dung des Gehete, wo ſich ein großer Katarakt befindet. Ein Damm von Granitfelſen läuft über den Orinoko; dies ſind die Säulen des Herkules, über die noch kein Weißer hinaus - gekommen iſt. Dieſer Punkt, der ſogenannte Raudal de Guaharibos, ſcheint ¾° oſtwärts von Esmeralda, alſo unter 67° 38′ der Länge zu liegen. Durch eine militäriſche Ex - pedition, die der Kommandant von San Carlos, Don Fran - cisco Bovadilla, unternommen, um die Quellen des Orinoko aufzuſuchen, hat man die genaueſten Nachrichten über die Katarakte der Guaharibos. Er hatte erfahren, daß Neger, welche in Holländiſch-Guyana entſprungen, nach Weſt (über die Landenge zwiſchen den Quellen des Rio Carony und des Rio Branco hinaus) gelaufen ſeien und ſich zu unabhängigen Indianern geſellt haben. Er unternahm eine Entrada (Ein - fall) ohne Erlaubnis des Statthalters; der Wunſch, afrika - niſche Sklaven zu bekommen, die zur Arbeit beſſer taugen als die kupferfarbigen Menſchen, war dabei ungleich ſtärker im Spiel, als der Eifer für die Förderung der Erdkunde. Ich hatte in Esmeralda und am Rio Negro Gelegenheit, mehrere ſehr verſtändige Militärs zu fragen, die den Zug mitgemacht. Bovadilla kam ohne Schwierigkeit bis zum kleinen Raudal dem Gehete gegenüber; aber am Fuße des Felsdammes, welcher den großen Katarakt bildet, wurde er unverſehens, während des Frühſtücks, von den Guaharibos und den Guaica über - fallen, zwei kriegeriſchen und wegen der Stärke des Curare, mit dem ſie ihre Pfeile vergiften, vielberufenen Stämmen. Die Indianer beſetzten die Felſen mitten im Fluß. Sie ſahen keine Bogen in den Händen der Spanier, von Feuer - gewehr wußten ſie nichts, und ſo gingen ſie Leuten zu Leibe, die ſie für wehrlos hielten. Mehrere Weiße wurden ge - fährlich verwundet, und Bovadilla mußte die Waffen brauchen. Es erfolgte ein furchtbares Gemetzel unter den Eingeborenen, aber von den holländiſchen Negern, die ſich hierher geflüchtet haben ſollten, wurde keiner gefunden. Trotz des Sieges, der ihnen nicht ſchwer geworden, wagten es die Spanier nicht,84 in gebirgigem Land auf einem tief eingeſchnittenen Fluſſe weiter gegen Oſt hinaufzugehen.

Die Guaharibos blancos haben über den Katarakt aus Lianen eine Brücke geſchlagen, die an den Felſen befeſtigt iſt, welche ſich, wie meiſtens in den Pongos im oberen Marañon, mitten aus dem Flußbett erheben. Dieſe Brücke, die ſämt - liche Einwohner in Esmeralda wohl kennen, ſcheint zu be - weiſen, daß der Orinoko an dieſer Stelle bereits ziemlich ſchmal iſt. Die Indianer geben ſeine Breite meiſt nur zu 65 bis 100 m an; ſie behaupten, oberhalb des Raudals der Guaharibos ſei der Orinoko kein Fluß mehr, ſondern ein Riachuelo (ein Bergwaſſer), wogegen ein ſehr unterrichteter Geiſtlicher, Fray Juan Gonzales, der das Land beſucht hat, mich verſicherte, da, wo man den weiteren Lauf des Orinoko nicht mehr kenne, ſei er immer noch zu zwei Dritteilen ſo breit als der Rio Negro bei San Carlos. Letztere Angabe ſcheint mir unwahrſcheinlicher; ich gebe aber nur wieder, was ich in Erfahrung bringen konnte, und ſpreche über nichts ab. Nach den vielen Meſſungen, die ich vorgenommen, weiß ich gut, wie leicht man ſich hinſichtlich der Größe der Flußbetten irren kann. Ueberall erſcheinen die Flüſſe breiter oder ſchmaler, je nachdem ſie von Bergen oder von Ebenen umgeben, frei oder voll Riffen, von Regengüſſen geſchwellt oder nach langer Trockenheit waſſerarm ſind. Es verhält ſich übrigens mit dem Orinoko wie mit dem Ganges, deſſen Lauf nordwärts von Gangotra nicht bekannt iſt; auch hier glaubt man wegen der geringen Breite des Fluſſes, der Punkt könne nicht weit von der Quelle liegen.

Im Felsdamm, der über den Orinoko läuft und den Raudal der Guaharibos bildet, wollen ſpaniſche Soldaten die ſchöne Art Sauſſurit (den Amazonenſtein), von dem oben die Rede war, gefunden haben. Es iſt dies eine ſehr zweifel - hafte Geſchichte, und die Indianer, die ich darüber befragt, verſicherten mich, die grünen Steine, die man in Esmeralda Piedras de Macagua nennt, ſeien von den Guaica und Guaharibos gekauft, die mit viel weiter oſtwärts lebenden Horden Handel treiben. Es geht mit dieſen Steinen wie mit ſo vielen anderen koſtbaren Produkten beider Indien. An den Küſten, einige hundert Meilen weit weg, nennt man das Land, wo ſie vorkommen, mit voller Beſtimmtheit; kommt man aber mit Mühe und Not in dieſes Land, ſo zeigt es ſich, daß die Eingeborenen das Ding, das man ſucht, nicht85 einmal dem Namen nach kennen. Man könnte glauben, die Amulette aus Sauſſurit, die man bei den Indianern am Rio Negro gefunden, kommen vom unteren Amazonenſtrom, und die, welche man über die Miſſionen am oberen Orinoko und Rio Carony bezieht, aus einem Landſtrich zwiſchen den Quellen des Eſſequibo und des Rio Branco. Indeſſen haben weder der Chirurg Hortsmann, ein geborener Hildesheimer, noch Don Antonio Santos, deſſen Reiſetagebuch mir zu Gebote ſtand, den Amazonenſtein auf der Lagerſtätte geſehen, und es iſt eine ganz grundloſe, obgleich in Angoſtura ſtark verbreitete Meinung, dieſer Stein komme in weichem, teigigem Zuſtand aus dem kleinen See Amucu, aus dem man die Laguna del Dorado gemacht hat. So iſt denn in dieſem öſtlichen Strich von Amerika noch eine ſchöne geognoſtiſche Entdeckung zu machen, nämlich im Urgebirge ein Euphotidgeſtein (Gabbro) aufzufinden, das die Piedra de Mecagua enthält.

Ich gebe hier einigen Aufſchluß über die Indianerſtämme von weißlicher Hautfarbe und ſehr kleinem Wuchs, die alte Sagen ſeit Jahrhunderten an die Quellen des Orinoko ſetzen. Ich hatte Gelegenheit, in Esmeralda einige zu ſehen, und kann verſichern, daß man die Kleinheit der Guaica und die Weiße der Guaharibos, die Pater Caulin Guaribos blancos nennt, in gleichem Maße übertrieben hat. Die Guaica, die ich gemeſſen, meſſen im Durchſchnitt 1486 bis 1513 mm. Man behauptet, der ganze Stamm ſei ſo ausnehmend klein; man darf aber nicht vergeſſen, daß das, was man hier einen Stamm nennt, im Grunde nur eine einzige Familie iſt. Wo alle Vermiſchung mit Fremden aus - geſchloſſen iſt, pflanzen ſich Spielarten und Abweichungen vom gemeinſamen Typus leichter fort. Nach den Guaica ſind die Guainares und die Poignaves die kleinſten unter den Indianern. Es iſt ſehr auffallend, daß alle dieſe Völker - ſchaften neben den Kariben wohnen, die von ungemein hohem Wuchſe ſind. Beide leben im ſelben Klima und haben die - ſelben Nahrungsmittel. Es ſind Raſſenſpielarten, deren Bil - dung ohne Zweifel weit über die Zeit hinaufreicht, wo dieſe Stämme (große und kleine, weißliche und dunkelbraune) ſich nebeneinander niedergelaſſen. Die vier weißeſten Nationen am oberen Orinoko ſcheinen mir die Guaharibos am Rio Gehete, die Guainares am Ocamo, die Guaica am Caño Chiguire und die Maquiritares an den Quellen des Padamo, des Jao und des Ventuari. Da Eingeborene mit weißlicher86 Haut unter einem glühenden Himmel und mitten unter ſehr dunkelfarbigen Völkern eine auffallende Erſcheinung ſind, ſo haben die Spanier zur Erklärung derſelben zwei ſehr gewagte Hypotheſen aufgebracht. Die einen meinen, Holländer aus Surinam und vom Rio Eſſequibo mögen ſich mit Guaharibos und Guainares vermiſcht haben; andere behaupten aus Haß gegen die Kapuziner am Carony und die Obſervanten am Orinoko, dieſe weißlichen Indianer ſeien, was man in Dal - matien Muso di frate nennt, Kinder, deren eheliche Geburt einigem Zweifel unterliegt. In beiden Fällen wären die Indios blancos Meſtizen, Abkömmlinge einer Indianerin und eines Weißen. Ich habe aber Tauſende von Meſtizen ge - ſehen und kann behaupten, daß die Vergleichung durchaus unrichtig iſt. Die Individuen der weißlichen Stämme, die wir zu unterſuchen Gelegenheit hatten, haben die Geſichts - bildung, den Wuchs, die ſchlichten, glatten ſchwarzen Haare, wie ſie allen anderen Indianern zukommen. Unmöglich könnte man ſie für Miſchlinge halten, ähnlich den Abkömmlingen von Eingeborenen und Europäern. Manche ſind dabei ſehr klein, andere haben den gewöhnlichen Wuchs der kupferroten Indianer. Sie ſind weder ſchwächlich, noch kränklich, noch Albinos; ſie unterſcheiden ſich von den kupferfarbigen Stämmen allein durch weit weniger dunkle Hautfarbe. Nach dieſen Bemerkungen braucht man den weiten Weg vom oberen Orinoko zum Küſtenland, auf dem die Holländer ſich nieder - gelaſſen, gar nicht in Anſchlag zu bringen. Ich leugne nicht, daß man Abkömmlinge entlaufener Neger (negros alzados del palenque) unter den Kariben an den Quellen des Eſſe - quibo gefunden haben mag; aber niemals iſt ein Weißer von den Oſtküſten ſo tief in Guyana hinein, an den Rio Gehete und an den Ocamo gekommen. Noch mehr: ſo auffallend es erſcheinen mag, daß Völkerſchaften mit weißlicher Haut öſtlich von Esmeralda nebeneinander wohnen, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß man auch in anderen Ländern Amerikas Stämme gefunden hat, die ſich von ihren Nachbarn durch weit weniger dunkle Hautfarbe unterſcheiden. Dahin gehören die Ari - virianos und Maquiritares am Rio Ventuario und am Pa - damo, die Paudacoten und Paravenas am Erevato, die Viras und Arigua am Caura, die Mologagos in Braſilien und die Guayana am Uruguay .1Die dunkelfarbigſten (man könnte faſt ſagen die ſchwärzeſten).

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Alle dieſe Erſcheinungen verdienen deſto mehr Aufmerk - ſamkeit, als ſie den großen Zweig der amerikaniſchen Völker betreffen, den man gemeiniglich dem am Pole lebenden Zweig, den Eskimo-Tſchugaſen, entgegenſtellt, deren Kinder weiß ſind und die mongoliſch gelbe Farbe erſt durch den Einfluß der Luft und der Feuchtigkeit annehmen. In Guyana ſind die Horden, welche mitten in den dichteſten Wäldern leben, meiſt nicht ſo dunkel als ſolche, welche an den Ufern des Ori - noko Fiſchfang treiben. Aber dieſer unbedeutende Unter - ſchied, der ja auch in Europa zwiſchen den ſtädtiſchen Hand - werkern und den Landbauern oder Küſtenfiſchern vorkommt, erklärt keineswegs das Phänomen der Indios blancos, die Exiſtenz von Indianerſtämmen mit einer Haut wie die der Meſtizen. Dieſelben ſind von anderen Waldindianern (Indios del monte) umgeben, die, obgleich ganz den nämlichen phyſiſchen Einflüſſen ausgeſetzt, braunrot ſind. Die Ur - ſachen dieſer Erſcheinungen liegen in der Zeit ſehr weit rückwärts, und wir ſagen wieder mit Tacitus: Est durans originis vis.

Dieſe Stämme mit weißlicher Haut, welche wir in der Miſſion Esmeralda zu ſehen Gelegenheit gehabt, bewohnen einen Strich des Berglandes zwiſchen den Quellen von ſechs Nebenflüſſen des Orinoko, des Padamo, Jao, Ventuari, Erevato, Aruy und Paragua. Bei den ſpaniſchen und portu -1Spielarten der amerikaniſchen Raſſe ſind die Otomaken und die Guamos, und ſie haben vielleicht zu den verworrenen Vorſtellungen von amerikaniſchen Negern, die in der erſten Zeit der Er - oberung in Europa verbreitet waren, Anlaß gegeben. Was waren die Negros de Quareca, die Gomara auf denſelben Iſthmus von Panama verſetzt, woher uns zuerſt die albernen Geſchichten von einem Volke von Albinos in Amerika zugekommen? Lieſt man die Geſchichtſchreiber aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit Auf - merkſamkeit, ſo ſieht man, daß durch die Entdeckung von Amerika, wodurch auch eine neue Menſchenraſſe entdeckt worden war, die Reiſenden großes Intereſſe für die Abarten unſeres Geſchlechtes gewonnen hatten. Hätte nun unter den kupferfarbigen Menſchen eine ſchwarze Raſſe gelebt, wie auf den Inſeln der Südſee, ſo hätten die Konquiſtadoren ſich ſicher beſtimmt darüber ausgeſprochen. Zudem kommen in den religiöſen Ueberlieferungen der Amerikaner in ihren heroiſchen Zeiten wohl weiße bärtige Männer als Prieſter und Geſetzgeber vor, aber in keiner dieſer Sagen iſt von einem ſchwarzen Volksſtamme die Rede.88 gieſiſchen Miſſionären heißt dieſes Land gemeiniglich die Parime. Hier, wie in verſchiedenen anderen Ländern von Spaniſch-Amerika, haben die Wilden wieder erobert, was die Civiliſation oder vielmehr die Miſſionäre, die nur die Vor - läufer der Civiliſation ſind, ihnen abgerungen. Solanos Grenzexpedition und der abenteuerliche Eifer, mit dem ein Statthalter von Guyana1Don Manuel Centurion, Governador y Comendante general de la Guayana von 1766 bis 1777. den Dorado ſuchte, hatte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Unternehmungs - geiſt wieder wachgerufen, der die Kaſtilianer bei der Ent - deckung von Amerika beſeelte. Man hatte am Rio Padamo hinauf durch Wälder und Savannen einen Weg von zehn Tagereiſen von Esmeralda zu den Quellen des Ventuari ent - deckt; in zwei weiteren Tagen war man von dieſen Quellen auf dem Erevato in die Miſſionen am Rio Caura gelangt. Zwei verſtändige, beherzte Männer, Don Antonio Santos und der Kapitän Bareto, hatten mit Hilfe der Maquiritares auf dieſer Linie von Esmeralda an den Rio Erevato eine militäriſche Poſtenkette angelegt; dieſelbe beſtand aus zwei - ſtockigen, mit Steinböllern beſetzten Häuſern (casas fuertes), wie ich ſie oben beſchrieben und die auf den Karten, die zu Madrid herauskamen, als 19 Dörfer figurierten. Die ſich ſelbſt überlaſſenen Soldaten bedrückten in jeder Weiſe die Indianer, die ihre Pflanzungen bei den Casas fuertes hatten, und da dieſe Plackereien nicht ſo methodiſch waren, das heißt nicht ſo gut ineinander griffen wie die in den Miſſionen, an die ſich die Indianer nach und nach gewöhnen, ſo verbündeten ſich im Jahre 1776 mehrere Stämme gegen die Spanier. In einer Nacht wurden alle Militärpoſten auf der ganzen 225 km langen Linie angegriffen, die Häuſer niedergebrannt, viele Soldaten niedergemacht; nur wenige verdankten ihr Leben dem Erbarmen der indianiſchen Weiber. Noch jetzt ſpricht man mit Entſetzen von dieſem nächtlichen Ueberfall. Derſelbe wurde in der tiefſten Heimlichkeit ver - abredet und mit der Uebereinſtimmung ausgeführt, die bei den Eingeborenen von Süd - wie von Nordamerika, welche feindſelige Gefühle ſo meiſterhaft in ſich zu verſchließen wiſſen, niemals fehlt, wo es ſich um gemeinſamen Vorteil handelt. Seit 1776 hat nun kein Menſch mehr daran gedacht, den Landweg vom oberen an den unteren Orinoko wiederher -89 zuſtellen, und konnte kein Weißer von Esmeralda an den Erevato gehen. Und doch iſt kein Zweifel darüber, daß es in dieſem Gebirgslande zwiſchen den Quellen des Padamo und des Ventuari (bei den Orten, welche bei den Indianern Aurichapa, Ichuana und Irique heißen) mehrere Gegenden mit gemäßigtem Klima und mit Weiden gibt, die Vieh in Menge nähren könnten. Die Militärpoſten leiſteten ihrer Zeit ſehr gute Dienſte gegen die Einfälle der Kariben, die von Zeit zu Zeit zwiſchen dem Erevato und dem Pa - damo Sklaven fortſchleppten, wenn auch nur wenige. Sie hätten wohl auch den Angriffen der Eingeborenen wider - ſtanden, wenn man ſie, ſtatt ſie ganz vereinzelt und nur in den Händen der Soldaten zu laſſen, in Dörfer ver - wandelt und wie die Gemeinden der neubekehrten Indianer verwaltet hätte.

Wir verließen die Miſſion Esmeralda am 17. Mai. Wir waren eben nicht krank, aber wir fühlten uns alle matt und ſchwach infolge der Inſektenplage, der ſchlechten Nahrung und der langen Fahrt in engen, naſſen Kanoen. Wir gingen den Orinoko nicht über den Einfluß des Rio Guapo hinauf; wir hätten es gethan, wenn wir hätten verſuchen können, zu den Quellen des Fluſſes zu gelangen. Unter den gegen - wärtigen Verhältniſſen müſſen ſich bloße Privatleute, welche Erlaubnis haben, die Miſſionen zu betreten, bei ihren Wan - derungen auf die friedlichen Striche des Landes beſchränken. Vom Guapo bis zum Raudal der Guaharibos ſind noch 67 km. Bei dieſem Katarakt, über den man auf einer Brücke aus Lianen geht, ſtehen Indianer mit Bogen und Pfeilen, die keinen Weißen und keinen, der aus dem Gebiet der Weißen kommt, weiter nach Oſten laſſen. Wie konnten wir hoffen, über einen Punkt hinauszukommen, wo der Befehls - haber am Rio Negro, Don Francisco Bovadilla, hatte Halt machen laſſen, als er mit bewaffneter Macht jenſeits des Gehete vordringen wollte? Durch das Blutbad, das man unter ihnen angerichtet, ſind die Eingeborenen gegen die Be - wohner der Miſſionen noch grimmiger und mißtrauiſcher ge - worden. Man erinnere ſich, daß beim Orinoko bis jetzt den Geographen zwei beſondere, aber gleich wichtige Probleme vorlagen: die Lage ſeiner Quellen und die Art ſeiner Ver - bindung mit dem Amazonenſtrom. Der letztere war der Zweck der Reiſe, die ich im bisherigen beſchrieben; was die endliche Auffindung der Quellen betrifft, ſo iſt dies Sache90 der ſpaniſchen und der portugieſiſchen Regierung. Eine kleine Abteilung Soldaten, die von Angoſtura oder vom Rio Negro aufbräche, könnte den Guaharibos, Guaica und Kariben, deren Kraft und Anzahl man in gleichem Maße übertreibt, die Spitze bieten. Dieſe Expedition könnte entweder von Esmeralda oſtwärts oder auf dem Rio Carony und dem Pa - ragua ſüdweſtwärts, oder endlich auf dem Rio Padaviri oder dem Rio Branco und dem Urariquera nach Nordweſt gehen. Da der Orinoko in der Nähe ſeines Urſprungs wahrſchein - lich weder unter dieſem Namen noch unter dem Namen Pa - ragua1Dies iſt der indiſche Name des oberen Orinoko. bekannt iſt, ſo wäre es ſicherer auf ihm über den Gehete hinaufzugehen, nachdem man das Land zwiſchen Esmeralda und dem Raudal der Guaharibos, das ich oben genau beſchrieben, hinter ſich gelaſſen. Auf dieſe Weiſe ver - wechſelte man nicht den Hauptſtamm des Fluſſes mit einem oberen Nebenfluß, und wo das Bett mit Felſen verſtopft wäre, ginge man bald am einen, bald am anderen Ufer am Orinoko hinauf. Wollte man aber, ſtatt ſich nach Oſt zu wenden, die Quellen weſtwärts auf dem Rio Carony, dem Eſſequibo oder dem Rio Branco ſuchen, ſo müßte man den Zweck der Expedition erſt dann als erreicht anſehen, wenn man auf dem Fluß, den man für den Orinoko angeſehen, bis zum Einfluß des Gehete und zur Miſſion Esmeralda herabgekommen wäre. Das portugieſiſche Fort San Joaquim, am linken Ufer des Rio Branco beim Einfluß des Tacutu, wäre ein weiterer günſtig gelegener Ausgangspunkt; ich em - pfehle ihn, weil ich nicht weiß, ob die Miſſion Santa Roſa, die vom Statthalter Don Manuel Centurion, als die Ciudad Guirior angelegt wurde, weiter nach Weſt am Ufer des Urariapara gegründet worden, nicht bereits wieder einge - gangen iſt. Verfolgte man den Lauf des Paragua weſtwärts vom Deſtacamento oder Militärpoſten Guirior, der in den Miſſionen der kataloniſchen Kapuziner liegt, oder ginge man vom portugieſiſchen Fort San Joaquim im Thale des Rio Uruariquera gegen Weſt, ſo käme man am ſicherſten zu den Quellen des Orinoko. Die Längenbeobachtungen, die ich in Esmeralda angeſtellt, können das Suchen erleichtern, wie ich in einer an das ſpaniſche Miniſterium unter König Karl IV. gerichteten Denkſchrift auseinandergeſetzt habe.

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Wenn das große, nützliche Werk der amerikaniſchen Miſ - ſionen allmählich die Verbeſſerungen erhielte, auf die mehrere Biſchöfe angetragen haben, wenn man, ſtatt die Miſſionäre faſt aufs Geratewohl aus den ſpaniſchen Klöſtern zu ergänzen, junge Geiſtliche in Amerika ſelbſt in Seminarien oder Miſ - ſionskollegien erzöge, ſo würden militäriſche Expeditionen, wie ich ſie eben vorgeſchlagen, überflüſſig. Das Ordenskleid des heiligen Franziskus, ob es nun braun iſt wie bei den Kapu - zinern am Carony, oder blau wie bei den Obſervanten am Orinoko, übt immer noch einen gewiſſen Zauber über die Indianer dieſer Länder. Sie knüpfen daran gewiſſe Vor - ſtellungen von Wohlſtand und Behagen, die Ausſicht, in den Beſitz von Aexten, Meſſern und Fiſchereigeräten zu gelangen. Selbſt ſolche, die an Unabhängigkeit und Vereinzelung zähe feſthalten und es verſchmähen, ſich vom Glockenklang regieren zu laſſen , ſind erfreut, wenn ein benachbarter Miſſionär ſie beſucht. Ohne die Bedrückungen der Soldaten und die feind - lichen Einfälle der Mönche, ohne die Entradas und Conquistas apostolicas, hätten ſich die Eingeborenen nicht von den Ufern des Stromes weggezogen. Gäbe man das unvernünftige Syſtem auf, die Kloſterzucht in den Wäldern und Savannen Amerikas einführen zu wollen, ließe man die Indianer der Früchte ihrer Arbeit froh werden, regierte man ſie nicht ſo viel, das heißt, legte man nicht ihrer natürlichen Freiheit bei jedem Schritte Feſſeln an, ſo würden die Miſſionäre raſch den Kreis ihrer Thätigkeit ſich erweitern ſehen, deren Ziel ja kein anderes iſt, als menſchliche Geſittung.

Die Niederlaſſungen der Mönche haben in den Aequinok - tialländern der Neuen Welt wie im nördlichen Europa die erſten Keime des geſellſchaftlichen Lebens ausgeſtreut. Noch jetzt bilden ſie einen weiten Gürtel um die europäiſchen Be - ſitzungen, und wie viele und große Mißbräuche ſich auch in ein Regiment eingeſchlichen haben mögen, wobei alle Gewalten in einer einzigen verſchmolzen ſind, ſo würde es doch ſchwer halten, dasſelbe durch ein anderes zu erſetzen, das nicht noch weit größere Uebelſtände mit ſich führte, und dabei ebenſo wohl - feil und dem ſchweigſamen Phlegma der Eingeborenen ebenſo angemeſſen wäre. Ich komme ſpäter auf dieſe chriſtlichen An - ſtalten zurück, deren politiſche Wichtigkeit in Europa nicht genug gewürdigt wird. Hier ſei nur bemerkt, daß die von der Küſte entlegenſten gegenwärtig am meiſten verwahrloſt ſind. Die Ordensleute leben dort im tiefſten Elende. Allein92 von der Sorge für den täglichen Unterhalt befangen, beſtändig darauf bedacht, auf eine Miſſion verſetzt zu werden, die näher bei der civiliſierten Welt liegt, das heißt bei weißen und ver - nünftigen Leuten, kommen ſie nicht leicht in Verſuchung, weiter ins Land zu dringen. Es wird raſch vorwärts gehen, ſobald man (nach dem Vorgange der Jeſuiten) den entlegen - ſten Miſſionen außerordentliche Unterſtützungen zu teil werden läßt, und auf die äußerſten Poſten, Guirior, San Luis del Erevato und Esmeralda,1Dieſe drei Punkte liegen auf den Grenzen der Miſſionen am Rio Carony, am Rio Caura und am oberen Orinoko. die mutigſten, verſtändigſten und in den Indianerſprachen bewandertſten Miſſionäre ſtellt. Das kleine Stück, das vom Orinoko noch zu berichtigen iſt (wahr - ſcheinlich eine Strecke von 112 bis 136 km), wird bald ent - deckt ſein; in Süd - wie in Nordamerika ſind die Miſſionäre überall zuerſt auf dem Platze, weil ihnen Vorteile zu ſtatten kommen, die anderen Reiſenden abgehen. Ihr thut groß damit, wie weit ihr über den Oberſee hinaufgekommen, ſagte ein Indianer aus Kanada zu Pelzhändlern aus den Vereinig - ten Staaten; ihr denkt alſo nicht daran, daß die Schwarz - röcke‘ vorher dageweſen, und daß dieſe euch den Weg nach Weſten gewieſen haben!

Unſere Piroge war erſt gegen drei Uhr abends bereit uns aufzunehmen. Während der Fahrt auf dem Caſſiquiare hatten ſich unzählige Ameiſen darin eingeniſtet und nur mit Mühe ſäuberte man davon den Toldo, das Dach aus Palm - blättern, unter dem wir nun wieder zweiundzwanzig Tage lang ausgeſtreckt liegen ſollten. Einen Teil des Vormittags verwendeten wir dazu, um die Bewohner von Esmeralda noch - mals über einen See auszufragen, der gegen Oſt liegen ſollte. Wir zeigten den alten Soldaten, die in der Miſſion ſeit ihrer Gründung lagen, die Karten von Surville und La Cruz. Sie lachten über die angebliche Verbindung zwiſchen dem Orinoko und dem Rio Idapa und über das Weiße Meer, durch das erſterer Fluß laufen ſoll. Was wir höflich Fiktionen der Geographen nennen, hießen ſie Lügen von dort drüben (mentiras de por allá). Die guten Leute konnten nicht be - greifen, wie man von Ländern, in denen man nie geweſen, Karten machen kann und aufs genaueſte Dinge wiſſen will, wovon man an Ort und Stelle gar nichts weiß. Der See93 der Parime, die Sierra Mey, die Quellen, die vom Punkte an, wo ſie aus dem Boden kommen, auseinanderlaufen von all dem weiß man in Esmeralda nichts. Immer hieß es, kein Menſch ſei je oſtwärts über den Raudal der Gua - haribos hinaufgekommen; oberhalb dieſes Punktes komme, wie manche Indianer glauben, der Orinoko als ein kleiner Berg - ſtrom von einem Gebirgsſtocke herab, an dem die Corotos - indianer wohnen. Dieſe Umſtände verdienen wohl Beachtung; denn wäre bei der königlichen Grenzexpedition oder nach dieſer denkwürdigen Zeit ein weißer Menſch wirklich zu den Quellen des Orinoko und zu dem angeblichen See der Parime ge - kommen, ſo müßte ſich die Erinnerung daran in der nächſt - gelegenen Miſſion, über die man kommen mußte, um eine ſo wichtige Entdeckung zu machen, erhalten haben. Nun machen aber die drei Perſonen, die mit den Ergebniſſen der Grenz - expedition bekannt wurden, Pater Caulin, La Cruz und Sur - ville, Angaben, die ſich geradezu widerſprechen. Wären ſolche Widerſprüche denkbar, wenn dieſe Gelehrten, ſtatt ihre Karten nach Annahmen und Hypotheſen zu entwerfen, die in Madrid ausgeheckt worden, einen wirklichen Reiſebericht vor Augen gehabt hätten? Pater Gili, der achtzehn Jahre (von 1749 bis 1767) am Orinoko gelebt hat, ſagt ausdrücklich, Don Apolinario Diez ſei abgeſandt worden, um die Quellen des Orinoko zu ſuchen; er habe oſtwärts von Esmeralda den Strom voll Klippen gefunden; er habe aus Mangel an Lebensmitteln umgekehrt und von der Exiſtenz eines Sees nichts, gar nichts vernommen . Dieſe Angabe ſtimmt voll - kommen mit dem, was ich fünfunddreißig Jahre ſpäter in Esmeralda gehört, wo Don Apolinarios Name noch im Munde aller Einwohner iſt und von wo man fortwährend über den Einfluß des Gehete hinauffährt.

Die Wahrſcheinlichkeit einer Thatſache vermindert ſich bedeutend, wenn ſich nachweiſen läßt, daß man an dem Orte, wo man am beſten damit bekannt ſein müßte, nichts davon weiß, und wenn diejenigen, die ſie mitteilen, ſich widerſprechen, nicht etwa in minder weſentlichen Umſtänden, ſondern gerade in allen wichtigen. Ich verfolge dieſe rein geographiſche Er - örterung hier nicht weiter; ich werde in der Folge zeigen, wie die Verſtöße auf den neuen Karten von der Sitte her - rühren, ſie den alten nachzuzeichnen, wie Trageplätze für Fluß - verzweigungen gehalten wurden, wie man Flüſſe, die bei den Indianern große Waſſer heißen, in Seen verwandelte,94 wie man zwei dieſer Seen (den Caſſipa und den Parime) ſeit dem 16. Jahrhundert verwechſelte und hin und her ſchob, wie man endlich in den Namen der Nebenflüſſe des Rio Branco den Schlüſſel zu den meiſten dieſer uralten Fiktionen findet.

Als wir im Begriffe waren, uns einzuſchiffen, drängten ſich die Einwohner um uns, die weiß und von ſpaniſcher Ab - kunft ſein wollen. Die armen Leute beſchworen uns, beim Statthalter von Angoſtura ein gutes Wort für ſie einzulegen, daß ſie in die Steppen (Llanos) zurückkehren dürften, oder, wenn man ihnen dieſe Gnade verſage, daß man ſie in die Miſſionen am Rio Negro verſetze, wo es doch kühler ſei und nicht ſo viele Inſekten gebe. Wie ſehr wir uns auch ver - fehlt haben mögen, ſagten ſie, wir haben es abgebüßt durch zwanzig Jahre der Qual in dieſem Moskitoſchwarm. Ich nahm mich in einem Berichte an die Regierung über die in - duſtriellen und kommerziellen Verhältniſſe dieſer Länder der Verwieſenen an, aber die Schritte, die ich that, blieben er - folglos. Die Regierung war zur Zeit meiner Reiſe mild und zu gelinden Maßregeln geneigt; wer aber das verwickelte Räderwerk der alten ſpaniſchen Monarchie kennt, weiß auch, daß der Geiſt eines Miniſteriums auf das Wohl der Bevölke - rung am Orinoko, in Neukalifornien und auf den Philippinen von ſehr geringem Einfluſſe war.

Halten ſich die Reiſenden nur an ihr eigenes Gefühl, ſo ſtreiten ſie ſich über die Menge der Moskiten, wie über die allmähliche Zunahme und Abnahme der Temperatur. Die Stimmung unſerer Organe, die Bewegung der Luft, das Maß der Feuchtigkeit oder Trockenheit, die elektriſche Spannung tauſenderlei Umſtände wirken zuſammen, daß wir von der Hitze und den Inſekten bald mehr, bald weniger leiden. Meine Reiſegefährten waren einſtimmig der Meinung, in Esmeralda peinigen die Moskiten ärger als am Caſſiquiare und ſelbſt in den beiden Miſſionen an den großen Katarakten; mir meiner - ſeits, der ich für die hohe Lufttemperatur weniger empfindlich war als ſie, ſchien der Hautreiz, den die Inſekten verurſachen, in Esmeralda nicht ſo ſtark als an der Grenze des oberen Orinoko. Wir brauchten kühlende Waſchwaſſer; Zitronenſaft und noch mehr der Saft der Ananas lindern das Jucken der alten Stiche bedeutend; die Geſchwulſt vergeht nicht davon, wird aber weniger ſchmerzhaft. Hört man von dieſen leidigen Inſekten der heißen Länder ſprechen, ſo findet man es kaum95 glaublich, daß man unruhig werden kann, wenn ſie nicht da ſind, oder vielmehr wenn ſie unerwartet verſchwinden. In Esmeralda erzählte man uns, im Jahre 1795 ſei eine Stunde vor Sonnenuntergang, wo ſonſt die Moskiten eine ſehr dichte Wolke bilden, die Luft auf einmal 20 Minuten lang ganz frei geweſen. Kein einziges Inſekt ließ ſich blicken, und doch war der Himmel wolkenlos und kein Wind deutete auf Regen. Man muß in dieſen Ländern ſelbſt gelebt haben, um zu be - greifen, in welchem Maße dieſes plötzliche Verſchwinden der Inſekten überraſchen mußte. Man wünſchte einander Glück, man fragte ſich, ob dieſe Felicidad, dieſes Alivio (Erleichte - rung) wohl von Dauer ſein könne. Nicht lange aber, und ſtatt des Augenblickes zu genießen, fürchtete man ſich vor ſelbſtgemachten Schreckbildern; man bildete ſich ein, die Ord - nung der Natur habe ſich verkehrt. Alte Indianer, die Lokal - gelehrten, behaupteten, das Verſchwinden der Moskiten könne nichts anderes bedeuten als ein großes Erdbeben. Man ſtritt hitzig hin und her, man lauſchte auf das leiſeſte Geräuſch im Baumlaub, und als ſich die Luft wieder mit Moskiten füllte, freute man ſich ordentlich, daß ſie wieder da waren. Welcher Vorgang in der Atmoſphäre mag nun dieſe Erſcheinung ver - urſacht haben, die man nicht damit verwechſeln darf, daß zu beſtimmten Tageszeiten die eine Inſektenart die andere ablöſt? Wir konnten dieſe Frage nicht beantworten, aber die lebendige Schilderung der Einwohner war uns intereſſant. Mißtrauiſch, ängſtlich, was ihm bevorſtehen möge, ſeine alten Schmerzen zurückwünſchen, das iſt ſo echt menſchlich.

Bei unſerem Abgange von Esmeralda war das Wetter ſehr ſtürmiſch. Der Gipfel des Duida war in Wolken ge - hüllt, aber dieſe ſchwarzen, ſtark verdichteten Dunſtmaſſen ſtanden noch 1750 m über der Niederung. Schätzt man die mittlere Höhe der Wolken, d. h. ihre untere Schicht, in ver - ſchiedenen Zonen, ſo darf man nicht die zerſtreuten einzelnen Gruppen mit den Wolkendecken verwechſeln, die gleichförmig über den Niederungen gelagert ſind und an eine Bergkette ſtoßen. Nur die letzteren können ſichere Reſultate geben; einzelne Wolkengruppen verfangen ſich in Thälern, oft nur durch die niedergehenden Luftſtröme. Wir ſahen welche bei der Stadt Caracas in 975 m Meereshöhe; es iſt aber ſchwer zu glauben, daß die Wolken, die man über den Küſten von Cumana und der Inſel Margarita ſieht, nicht höher ſtehen ſollten. Das Gewitter, das ſich am Gipfel des Duida entlud,96 zog nicht in das Thal des Orinoko herunter; überhaupt haben wir in dieſem Thale nicht die ſtarken elektriſchen Entladungen beobachtet, wie ſie in der Regenzeit den Reiſenden, wenn er von Cartagena nach Honda den Magdalenenſtrom hinauf - fährt, faſt jede Nacht ängſtigen. Es ſcheint, daß in einem flachen Lande die Gewitter regelmäßiger dem Bette eines großen Fluſſes nachziehen als in einem ungleichförmig mit Bergen beſetzten Lande, wo viele Seitenthäler durcheinander - laufen. Wir beobachteten zu wiederholten Malen die Tempe - ratur des Orinoko an der Waſſerfläche bei 30° Lufttemperatur; wir fanden nur 26°, alſo weniger als in den großen Katarakten und mehr als im Rio Negro. In der ge - mäßigten Zone in Europa ſteigt die Temperatur der Donau und der Elbe mitten im Sommer nicht über 17 bis 19°. Am Orinoko konnte ich niemals einen Unterſchied zwiſchen der Wärme des Waſſers bei Tag und bei Nacht bemerken, wenn ich nicht den Thermometer da in den Fluß brachte, wo das Waſſer wenig Tiefe hat und ſehr langſam über ein breites, ſandiges Geſtade fließt, wie bei Uruana und bei den Mün - dungen des Apure. Obgleich in den Wäldern von Guyana unter einem meiſtens bedeckten Himmel die Strahlung des Bodens bedeutend verlangſamt iſt, ſo ſinkt doch die Lufttem - peratur bei Nacht nicht unbedeutend. Die obere Waſſerſchicht iſt dann wärmer als der umgebende Erdboden, und wenn die Miſchung zweier mit Feuchtigkeit faſt geſättigter Luft - maſſen über dem Wald und über dem Fluſſe keinen ſicht - baren Nebel erzeugt, ſo kann man dies nicht dem Umſtande zuſchreiben, daß die Nacht nicht kühl genug ſei. Während meines Aufenthaltes am Orinoko und Rio Negro war das Flußwaſſer oft um 2 bis bei Nacht wärmer als die wind - ſtille Luft.

Nach vierſtündiger Fahrt flußabwärts kamen wir an die Stelle der Gabelteilung. Wir ſchlugen unſer Nachtlager am Ufer des Caſſiquiare am ſelben Flecke auf, wo wenige Tage zuvor die Jaguare höchſt wahrſcheinlich uns unſere große Dogge geraubt hatten. Alles Suchen der Indianer nach einer Spur des Tieres war vergebens. Der Himmel blieb umzogen und ich wartete vergeblich auf die Sterne; ich beobachtete aber hier wieder, wie ſchon in Esmeralda, die Inklination der Magnetnadel. Am Fuße des Cerro Duida hatte ich 28° 25′ gefunden, faſt mehr als in Mandavaca. An der Mündung des Caſſiquiare erhielt ich 28° 75′; der Duida97 ſchien alſo keinen merklichen Einfluß geäußert zu haben. Die Jaguare ließen ſich die ganze Nacht hören. 1Daß die großen Jaguare in einem Lande, wo es kein Vieh gibt, ſo häufig ſind, iſt ziemlich auffallend. Die Tiger am oberen Orinoko führen ein elendes Leben gegenüber denen in den Pampas von Buenos Ayres, in den Lanos von Caracas und auf anderen mit Herden von Hornvieh bedeckten Ebenen. In den ſpaniſchen Kolonieen werden jährlich über 4000 Jaguare erlegt, von denen manche die mittlere Größe des aſiatiſchen Königstigers erreichen. Buenos Ayres führte früher 2000 Jaguarhäute jährlich aus, die bei den Pelzhändlern in Europa große Pantherfelle heißen.Sie ſind in dieſer Gegend zwiſchen dem Cerro Maraguaca, dem Unturan und den Ufern des Pamoni ungemein häufig. Hier kommt auch der ſchwarze Tiger2Gmelin zählt dieſes Tier unter dem Namen Felis discolor auf. Es iſt nicht zu verwechſeln mit dem großen amerikaniſchen Löwen, Felis concolor, der vom kleinen Löwen (Puma) der Anden von Quito ſehr verſchieden iſt. vor, von dem ich in Esmeralda ſchöne Felle geſehen. Dieſes Tier iſt wegen ſeiner Stärke und Wildheit vielberufen und es ſcheint noch größer zu ſein als der gemeine Jaguar. Die ſchwarzen Flecken ſind auf dem ſchwarzbraunen Grunde ſeines Felles kaum ſichtbar. Nach der Angabe der Indianer ſind die ſchwarzen Tiger ſehr ſelten, vermiſchen ſich nie mit den gemeinen Jaguaren und ſind eine andere Raſſe . Ich glaube, Prinz Maximilian von Neuwied, der die Zoologie von Amerika mit ſo vielen wichtigen Beob - achtungen bereichert hat, iſt weiter nach Süd, im heißen Landſtriche von Braſilien ebenſo berichtet worden. In Para - guay ſind Albinos von Jaguaren vorgekommen; denn dieſe Tiere, die man den ſchönen amerikaniſchen Panther nennen könnte, haben zuweilen ſo blaſſe Flecken, daß man ſie auf dem ganz weißen Grunde kaum bemerkt. Beim ſchwarzen Jaguar werden im Gegenteile die Flecken unſichtbar, weil der Grund dunkel iſt. Man müßte lange in dieſer Gegend leben und die Indianer in Esmeralda auf der gefährlichen Tigerjagd begleiten, um ſich beſtimmt darüber ausſprechen zu können, was bei ihnen Art und was nur Spielart iſt. Bei allen Säugetieren, beſonders aber bei der großen Familie der Affen, hat man, glaube ich, weniger auf die Farbenüber - gänge bei einzelnen Exemplaren ſein Augenmerk zu richten, als auf den Trieb der Tiere, ſich abzuſondern und Rudel für ſich zu bilden.

A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 798

Am 24. Mai. Wir brachen von unſerem Nachtlager vor Sonnenaufgang auf. In einer Felsbucht, wo die Duri - mundi-Indianer gehauſt hatten, war der aromatiſche Duft der Gewächſe ſo ſtark, daß es uns läſtig fiel, obgleich wir unter freiem Himmel lagen und bei unſerer Gewöhnung an ein Leben voll Beſchwerden unſer Nervenſyſten eben nicht ſehr reizbar war. Wir konnten nicht ermitteln, was für Blüten es waren, die dieſen Geruch verbreiteten; der Wald war undurchdringlich. Bonpland glaubte, in den benachbarten Sümpfen werden große Büſche von Pancratium und einigen anderen Liliengewächſen ſtecken. Wir kamen ſofort den Ori - noko abwärts zuerſt am Einfluß des Cunucunumo, dann am Guanami und Puruname vorüber. Beide Ufer des Haupt - ſtroms ſind völlig unbewohnt; gegen Norden erheben ſich hohe Gebirge, gegen Süden dehnt ſich, ſo weit das Auge reicht, eine Ebene bis über die Quellen des Atacavi hinaus, der weiter unten Atabapo heißt. Der Anblick eines Fluſſes, auf dem man nicht einmal einem Fiſcherboot begegnet, hat etwas Trauriges, Niederſchlagendes. Unabhängige Völkerſchaften, die Abirianos und Maquiritares, leben hier im Gebirgsland, aber auf den Grasfluren zwiſchen Caſſiquiare, Atabapo, Ori - noko und Rio Negro findet man gegenwärtig faſt keine Spur einer menſchlichen Wohnung. Ich ſage gegenwärtig; denn hier, wie anderswo in Guyana, findet man auf den härteſten Granitfelſen rohe Bilder eingegraben, welche Sonne, Mond und verſchiedene Tiere vorſtellen und darauf hinweiſen, daß hier früher ein ganz anderes Volk lebte, als das wir an den Ufern des Orinoko kennen gelernt. Nach den Ausſagen der Indianer und der verſtändigſten Miſſionare kommen dieſe ſymboliſchen Bilder ganz mit denen überein, die wir 450 km weiter nördlich von Caycara, der Einmündung des Apure gegenüber, geſehen haben.

Die Ueberreſte einer alten Kultur fallen um ſo mehr auf, je größer der Flächenraum iſt, auf dem ſie vorkommen, und je ſchärfer ſie von der Verwilderung abſtechen, in die wir ſeit der Eroberung alle Horden in den heißen öſtlichen Landſtrichen Amerikas verſunken ſehen. 630 km oſtwärts von den Ebenen am Caſſiquiare und Conorichite, zwiſchen den Quellen des Rio Branco und des Rio Eſſequibo, findet man gleichfalls Felſen mit ſymboliſchen Bildern. Ich ent - nehme dieſen Umſtand, der mir ſehr merkwürdig ſcheint, dem Tagebuch des Reiſenden Hortsmann, das mir in einer Ab -99 ſchrift von der Hand des berühmten d’Anville vorliegt. Dieſer Reiſende, deſſen ich in dieſem Buche ſchon mehreremal ge - dacht, fuhr den Rupunuvini, einen Nebenfluß des Eſſequibo, herauf. Da wo der Fluß eine Menge kleiner Fälle bildet und ſich zwiſchen den Bergen von Maracana durchſchlängelt, fand er,1Am 18. April 1749. Nikolaus Hortsmann ſchrieb Tag für Tag an Ort und Stelle auf, was ihm Bemerkenswertes vorgekommen. Er verdient um ſo mehr Zutrauen, da er, höchſt mißvergnügt, daß er nicht gefunden, was er geſucht (den See Dorado und Gold - und Diamantengruben), auf alles, was ihm unterwegs vorkommt, mit Geringſchätzung zu blicken ſcheint. bevor er an den See Amucu kam, Felſen, bedeckt mit Figuren oder (wie er ſich portugieſiſch ausdrückt) varias letras . Dieſes Wort Buchſtaben haben wir nicht in ſeinem eigentlichen Sinn zu nehmen. Man hat auch uns am Felſen Culimacari am Ufer des Caſſiquiare und im Hafen von Caycara am unteren Orinoko Striche gezeigt, die man für aneinander gereihte Buchſtaben hält. Es waren aber nur unförmliche Figuren, welche die Himmelskörper, Tiger, Kroko - dile, Boa und Werkzeuge zur Bereitung des Maniokmehls vorſtellen ſollen. An den gemalten Felſen (ſo nennen die Indianer dieſe mit Figuren bedeckten Steine) iſt durchaus keine ſymmetriſche Anordnung, keine regelmäßige Abteilung in Schriftzeichen zu bemerken. Die Striche, die der Miſſionär Fray Ramon Bueno in den Bergen von Uruana entdeckt hat, nähern ſich allerdings einer Buchſtabenſchrift mehr, indeſſen iſt man über dieſe Züge, von denen ich anderswo gehandelt, noch ſehr im unklaren.

Was auch dieſe Figuren bedeuten ſollen und zu welchem Zweck ſie in den Granit gegraben werden, immer verdienen ſie von ſeiten des Geſchichtsphiloſophen die größte Beachtung. Reiſt man von der Küſte von Caracas dem Aequator zu, ſo kommt man zuerſt zur Anſicht, dieſe Denkmale ſeien der Bergkette der Encamarada eigentümlich; man findet ſie beim Hafen von Sedeño bei Caycara, bei San Rafael del Capu - chino, Cabruta gegenüber, faſt überall, wo in der Savanne zwiſchen dem Cerro Curiquima und dem Ufer des Caura das Granitgeſtein zu Tage kommt. Die Völker von tamanaki - ſchem Stamme, die alten Bewohner dieſes Landes, haben eine lokale Mythologie, Sagen, die ſich auf dieſe Felſen mit Bildern beziehen. Amalivaca, der Vater der Tamanaken, das100 heißt der Schöpfer des Menſchengeſchlechtes (jedes Volk hält ſich für den Urſtamm der anderen Völker), kam in einer Barke an, als ſich bei der großen Ueberſchwemmung, welche die Waſſerzeit 1Es iſt dies das Atonatiuh der Mexikaner, das vierte Zeitalter, die vierte Erneuerung der Welt. heißt, die Wellen des Ozeans mitten im Lande an den Bergen der Encaramada brachen. Alle Menſchen, oder vielmehr alle Tamanaken, ertranken, mit Ausnahme eines Mannes und einer Frau, die ſich auf einen Berg am Ufer des Aſiveru, von den Spaniern Cuchivero genannt, flüchteten. Dieſer Berg iſt der Ararat der aramäiſchen oder ſemitiſchen Völker, der Tlaloc oder Colhuacan der Mexikaner. Amali - vaca fuhr in ſeiner Barke herum und grub die Bilder von Sonne und Mond auf den gemalten Fels (Tepumereme) an der Encamarada. Granitblöcke, die ſich gegeneinander lehnen und eine Art Höhle bilden, heißen noch heute das Haus des großen Stammvaters der Tamanaken. Bei dieſer Höhle auf den Ebenen von Maita zeigt man auch einen großen Stein, der, wie die Indianer ſagen, ein muſikaliſches Inſtrument Amalivacas, ſeine Trommel war. Wir erwähnen bei dieſer Gelegenheit, das dieſer Heros einen Bruder, Vochi, hatte, der ihm zur Hand ging, als er der Erdoberfläche ihre jetzige Geſtalt gab. Die beiden Brüder, ſo erzählen die Ta - manaken, wollten bei ihren eigenen Vorſtellungen von Per - fektibilität den Orinoko zuerſt ſo legen, daß man hinab und hinauf immer mit der Strömung fahren konnte. Sie ge - dachten damit den Menſchen die Mühe des Ruderns zu er - ſparen, wenn ſie den Quellen der Flüſſe zuführen; aber ſo mächtig dieſe Erneuerer der Welt waren, es wollte ihnen nie gelingen, dem Orinoko einen doppelten Fall zu geben, und ſie mußten es aufgeben, eines ſo wunderlichen hydrauliſchen Problemes Meiſter zu werden. Amalivaca beſaß Töchter, die große Neigung zum Umherziehen hatten; die Sage erzählt, ohne Zweifel im bildlichen Sinne, er habe ihnen die Beine zerſchlagen, damit ſie an Ort und Stelle bleiben und die Erde mit Tamanaken bevölkern müßten. Nachdem er in Ame - rika, diesſeits des großen Waſſers, alles in Ordnung ge - bracht, ſchiffte ſich Amalivaca wieder ein und fuhr ans an - dere Ufer zurück an den Ort, von dem er gekommen. Seit die Eingeborenen Miſſionäre zu ſich kommen ſehen, denken101 ſie, dieſes andere Ufer ſei Europa, und einer fragte Pater Gili naiv, ob er dort drüben den großen Amalivaca ge - ſehen habe, den Vater der Tamanaken, der auf die Felſen ſymboliſche Figuren gezeichnet.

Dieſe Vorſtellungen von einer großen Flut; das Paar, das ſich auf einen Berggipfel flüchtet und Früchte der Mauritiapalme hinter ſich wirft, um die Welt wieder zu bevölkern; dieſer Nationalgott Amalivaca, der zu Waſſer aus fernem Lande kommt, der Natur Geſetze vorſchreibt und die Völker zwingt, ihr Wanderleben aufzugeben alle dieſe Züge eines uralten Glaubens verdienen alle Beachtung. Was die Tamanaken und die Stämme, die mit dem Tamanakiſchen verwandte Spra - chen haben, uns jetzt erzählen, iſt ihnen ohne Zweifel von anderen Völkern überliefert, die vor ihnen dasſelbe Land be - wohnt haben. Der Name Amalivaca iſt über einen Land - ſtrich von mehr als 100 000 qkm verbreitet; er kommt mit der Bedeutung Vater der Menſchen (unſer Urvater) ſelbſt bei den karibiſchen Völkern vor, deren Sprache mit dem Tamanakiſchen nur verwandt iſt wie das Deutſche mit dem Griechiſchen, dem Perſiſchen und dem Sanskrit. Amalivaca iſt urſprünglich nicht der große Geiſt, der Alte im Himmel, das unſichtbare Weſen, deſſen Verehrung aus der Verehrung der Naturkräfte entſpringt, wenn in den Völkern allmählich das Bewußtſein der Einheit dieſer Kräfte erwacht; er iſt vielmehr eine Perſon aus dem heroiſchen Zeitalter, ein Mann, der aus weiter Ferne gekommen, im Lande der Tamanaken und Kariben gelebt, ſymboliſche Zeichen in die Felſen gegraben hat und wieder verſchwunden iſt, weil er ſich zum Lande über dem Weltmeere, wo er früher gewohnt, wieder zurückwendet. Der Anthropomorphismus bei der Geſtaltung der Gottheit hat zwei gerade entgegengeſetzte Quellen,1Creuzer, Symbolik III, 89. und dieſer Gegenſatz ſcheint nicht ſowohl auf dem verſchiedenen Grade der Geiſtesbildung zu beruhen, als darauf, daß manche Völker von Natur mehr zur Myſtik neigen, wäh - rend andere unter der Herrſchaft der Sinne, der äußeren Eindrücke ſtehen. Bald läßt der Menſch die Gottheiten zur Erde niederſteigen und es über ſich nehmen, die Völker zu regieren und ihnen Geſetze zu geben, wie in den Mythen des Orients; bald, wie bei den Griechen und anderen Völkern102 des Occidents, werden die erſten Herrſcher, die Prieſterkönige, deſſen, was menſchlich an ihnen iſt, entkleidet und zu National - gottheiten erhoben. Amalivaca war ein Fremdling, wie Manco - Capac, Bochica und Quetzalcohuatl, dieſe außerordentlichen Menſchen, die im alpiniſchen oder civiliſierten Striche Ame - rikas, auf den Hochebenen von Peru, Neugranada und Ana - huac, die bürgerliche Geſellſchaft geordnet, den Opferdienſt eingerichtet und religiöſe Brüderſchaften geſtiftet haben. Der mexikaniſche Quetzalcohuatl, deſſen Nachkommen Montezuma in den Begleitern des Cortez zu erkennen glaubte, hat noch einen weiteren Zug mit Amalivaca, der mythiſchen Perſon des barbariſchen Amerikas, der Ebenen der heißen Zone, ge - mein. In hohem Alter verließ der Hoheprieſter von Tula das Land Anahuac, das er mit ſeinen Wundern erfüllt, und ging zurück in ein unbekanntes Land, genannt Tlalpallan. Als der Mönch Bernhard von Sahagun nach Mexiko kam, richtete man genau dieſelben Fragen an ihn, wie zweihundert Jahre ſpäter in den Wäldern am Orinoko an den Miſſionär Gili: man wollte wiſſen, ob er vom anderen Ufer komme, aus dem Lande, wohin Quetzalcohuatl gegangen.

Wir haben oben geſehen, daß die Region der Felſen mit Bildwerk oder der gemalten Steine weit über den unteren Orinoko, über den Landſtrich ( 5′ bis 40′ der Breite, 68° 50′ bis 69° 45′ der Länge) hinausreicht, dem die Sage angehört, die man als den Lokalmythus der Tamanaken bezeichnen kann. Man findet dergleichen Felſen mit Bildern zwiſchen dem Caſſiquiare und Atabapo ( 5′ bis 20′ der Breite, 69° bis 70° der Länge), zwiſchen den Quellen des Eſſequibo und des Rio Branco ( 50′ der Breite, 62° 32′ der Länge). Ich behaupte nicht, daß dieſe Bilder beweiſen, daß ihre Verfertiger den Gebrauch des Eiſens gekannt, auch nicht, daß ſie auf eine bedeutende Kulturſtufe hinweiſen; ſetzte man aber auch voraus, ſie haben keine ſymboliſche Be - deutung, ſondern ſeien rein Erzeugniſſe müßiger Jägervölker, ſo müßte man doch immer annehmen, daß vor den Völkern, die jetzt am Orinoko und Rupunuri leben, eine ganz andere Menſchenart hier gelebt. Je weniger in einem Lande Er - innerungen an vergangene Geſchlechter leben, deſto wichtiger iſt es, wo man ein Denkmal vor ſich zu haben glaubt, auch die unbedeutendſten Spuren zu verfolgen. Auf den Ebenen im Oſten Nordamerikas findet man nur jene merkwürdigen Ringwälle, die an die feſten Lager (die angeblichen Städte103 von ungeheurem Umfang) der alten und der heutigen noma - diſchen Völker in Aſien erinnern. Auf den öſtlichen Ebenen Südamerikas iſt durch die Uebermacht des Pflanzenwuchſes, des heißen Klimas und die allzu große Freigebigkeit der Natur der Fortſchritt der menſchlichen Kultur in noch engeren Schran - ken gehalten worden. Zwiſchen Orinoko und Amazonenſtrom habe ich von keinem Erdwall, von keinem Ueberbleibſel eines Dammes, von keinem Grabhügel ſprechen hören; nur auf den Felſen, und zwar auf einer weiten Landſtrecke, ſieht man, in unbekannter Zeit von Menſchenhand eingegraben, rohe Um - riſſe, die ſich an religiöſe Ueberlieferungen knüpfen. Wenn einmal die Bewohner des doppelten Amerikas mit weniger Geringſchätzung auf den Boden ſehen, der ſie ernährt, ſo wer - den ſich die Spuren früherer Jahrhunderte unter unſeren Augen von Tag zu Tag mehren. Ein ſchwacher Schimmer wird ſich dann über die Geſchichte dieſer barbariſchen Völker ver - breiten, über die Felswände, die uns verkünden, daß dieſe jetzt ſo öden Länder einſt von thätigeren, geiſteskräftigeren Geſchlechtern bewohnt waren.

Ich glaubte, bevor ich vom wildeſten Striche des oberen Orinoko ſcheide, Erſcheinungen beſprechen zu müſſen, die nur dann von Bedeutung werden, wenn man ſie aus einem Ge - ſichtspunkte betrachtet. Was ich von unſerer Fahrt von Es - meralda bis zum Einfluſſe des Atabapo berichten könnte, wäre nur trockene Aufzählung von Flüſſen und unbewohnten Orten. Vom 24. bis 27. Mai ſchliefen wir nur zweimal am Lande, und zwar das erſtemal am Einfluß des Rio Jao und dann oberhalb der Miſſion Santa Barbara auf der Inſel Miniſi. Da der Orinoko hier frei von Klippen iſt, führte uns der indianiſche Steuermann die Nacht durch fort, indem er die Piroge der Strömung überließ. Dieſes Stück meiner Karte zwiſchen dem Jao und dem Ventuari iſt daher auch hinſicht - lich der Krümmungen des Fluſſes nicht ſehr genau. Rechnet man den Aufenthalt am Ufer, um den Reis und die Ba - nanen zuzubereiten, ab, ſo brauchten wir von Esmeralda nach Santa Barbara nur 35 Stunden. Dieſe Miſſion liegt nach dem Chronometer unter 70° 3′ der Länge; wir hatten alſo gegen 7,5 km in der Stunde zurückgelegt, eine Geſchwindig - keit (2,05 m in der Sekunde), die zugleich auf Rechnung der Strömung und der Bewegung der Ruder kommt. Die Indianer behaupten, die Krokodile gehen im Orinoko nicht über den Einfluß des Rio Jao hinauf, und die Seekühe104 kommen ſogar oberhalb des Kataraktes von Maypures nicht mehr vor. Hinſichtlich der erſteren kann man ſich leicht täuſchen. Wenn der Reiſende an ihren Anblick noch ſo ſehr gewöhnt iſt, kann er einen 4 bis 5 m langen Baumſtamm für ein ſchwimmendes Krokodil halten, von dem man nur Kopf und Schwanz zum Teil über dem Waſſer ſieht.

Die Miſſion Santa Barbara liegt etwas weſtlich vom Ein - fluſſe des Rio Ventuari oder Venituari, den Pater Francisco Valor im Jahre 1800 unterſucht hat. Wir fanden im kleinen Dorfe von 120 Einwohnern einige Spuren von Induſtrie. Der Ertrag derſelben kommt aber ſehr wenig den Indianern zu gute, ſondern nur den Mönchen, oder, wie man hierzulande ſagt, der Kirche und dem Kloſter. Man verſicherte uns, eine große Lampe, maſſiv von Silber, die auf Koſten der Bekehrten an - geſchafft worden, werde aus Madrid erwartet. Wenn ſie da iſt, wird man hoffentlich auch daran denken, die Indianer zu kleiden, ihnen einiges Ackergeräte anzuſchaffen und für ihre Kinder eine Schule einzurichten. In den Savannen bei der Miſſion läuft wohl einiges Vieh, man braucht es aber ſelten, um die Mühle zum Auspreſſen des Zuckerrohres (trapiche) zu treiben; das iſt ein Geſchäft der Indianer, die dabei ohne Lohn arbeiten, wie überall, wo die Arbeit auf Rechnung der Kirche geht. Am Fuße der Berge um Santa Barbara herum ſind die Weiden nicht ſo fett wie bei Esmeralda, aber doch beſſer als bei San Fernando de Atabapo. Der Raſen iſt kurz und dicht, und doch iſt die oberſte Bodenſchicht nur trockener, dürrer Granitſand. Dieſe nicht ſehr üppigen Gras - fluren am Guaviare, Meta und oberen Orinoko ſind ſowohl ohne Dammerde, die in den benachbarten Wäldern ſo maſſen - haft daliegt, als ohne die dicke Thonſchicht, die in den Llanos von Venezuela den Sandſtein bedeckt. Kleine krautartige Mimoſen helfen in dieſer Zone das Vieh fett machen, ſie werden aber zwiſchen dem Rio Jao und der Mündung des Guaviare ſehr ſelten.

In den wenigen Stunden, die wir uns in der Miſſion Santa Barbara aufhielten, erhielten wir ziemlich genaue An - gaben über den Rio Ventuari, der mir nach dem Guaviare der bedeutendſte unter allen Nebenflüſſen des oberen Orinoko ſchien. Seine Ufer, an denen früher die Maypures geſeſſen, ſind noch jetzt von einer Menge unabhängiger Völkerſchaften bewohnt. Fährt man durch die Mündung des Ventuari, die ein mit Palmen bewachſenes Delta bildet, hinauf, ſo kommen105 nach drei Tagereiſen von Oft der Cumaruita und der Paru herein, welche zwei Nebenflüſſe am Fuße der hohen Berge von Cuneva entſpringen. Weiter oben, von Weſt her, kommen der Mariata und der Manipiare, an denen die Macos - und Curacicana-Indianer wohnen. Letztere Nation zeichnet ſich durch ihren Eifer für den Baumwollenbau aus. Bei einem Streifzuge (entrada) fand man ein großes Haus, in dem 30 bis 40 ſehr fein gewobene Hängematten, geſponnene Baum - wolle, Seilwerk und Fiſchereigeräte waren. Die Eingeborenen waren davongelaufen und Pater Valor erzählte uns, die Indianer aus ſeiner Miſſion, die er bei ſich hatte, haben das Haus in Brand geſteckt, ehe er dieſe Produkte des Gewerb - fleißes der Curacicana retten konnte. Die neuen Chriſten in Santa Barbara, die ſich über dieſen ſogenannten Wilden weit erhaben dünken, ſchienen mir lange nicht ſo gewerbthätig. Der Rio Manipiare, einer der Hauptäſte des Ventuari, liegt, ſeiner Quelle zu, in der Nähe der hohen Berge, an deren Nordabhang der Cuchivero entſpringt. Sie ſind ein Aus - läufer der Kette des Baraguan, und hierher ſetzt Pater Gili die Hochebene des Siamacu , deren gemäßigtes Klima er preiſt. Der obere Lauf des Ventuari, oberhalb des Einfluſſes des Aſiſi und der großen Raudales iſt ſo gut wie unbe - kannt. Ich hörte nur, der obere Ventuari ziehe ſich ſo ſtark gegen Oft, daß die alte Straße von Esmeralda an den Rio Caura über das Flußbett laufe. Dadurch, daß die Neben - flüſſe des Carony, des Caura und des Ventuari einander ſo nahe liegen, kamen die Kariben ſeit Jahrhunderten an den oberen Orinoko. Banden dieſes kriegeriſchen Handelsvolkes zogen vom Rio Carony über den Paragua an die Quellen des Paruspa. Ueber einen Trageplatz gelangten ſie an den Chavarro, einen öſtlichen Nebenfluß des Caura: ſie fuhren auf ihren Pirogen zuerſt dieſen Nebenfluß und dann den Caura ſelbſt hinunter bis zur Mündung des Erevato. Nach - dem ſie dieſen gegen Südweſt hinaufgefahren, kamen ſie drei Tagereiſen weit über große Grasfluren und endlich über den Manipiare in den großen Rio Ventuari. Ich beſchreibe dieſen Weg ſo genau, nicht nur weil auf dieſer Straße der Handel mit eingeborenen Sklaven betrieben wurde, ſondern auch um die Männer, welche einſt nach wiederhergeſtellter Ruhe Guyana regieren werden, auf die Wichtigkeit dieſes Flußlabyrinthes aufmerkſam zu machen.

Auf vier Nebenflüſſen des Orinoko, den größten unter106 denen, die von rechts her in dieſen majeſtätiſchen Strom ſich ergießen, auf dem Carony und dem Caura, dem Padamo und dem Ventuari, wird die europäiſche Kultur in das 215 000 qkm große Wald - und Gebirgsland dringen, das der Orinoko gegen Nord, Weſt und Süd umſchlingt. Bereits haben Kapuziner aus Katalonien und Obſervanten aus Andaluſien und Va - lencia Niederlaſſungen in den Thälern des Carony und des Caura gegründet; es war natürlich, daß an die Nebenflüſſe des unteren Orinoko, als die der Küſte und dem angebauten Striche von Venezuela zunächſt liegenden, Miſſionare und mit ihnen einige Keime des geſellſchaftlichen Lebens zuerſt kamen. Bereits im Jahre 1797 zählten die Niederlaſſungen der Ka - puziner am Carony 16 600 Indianer, die friedlich in Dörfern lebten. Am Rio Caura waren es zu jener Zeit unter der Obhut der Obſervanten, nach gleichfalls offiziellen Zählungen, nur 640. Dieſer Unterſchied rührt daher, daß die ſehr aus - gedehnten Weiden am Carony, Upatu und Cuyuni von vor - züglicher Güte ſind, und daß die Miſſionen der Kapuziner näher bei der Mündung des Orinoko und der Hauptſtadt von Guyana liegen, aber auch vom inneren Getriebe der Ver - waltung, von der induſtriellen Rührigkeit und dem Handels - geiſte der kataloniſchen Mönche. Dem Carony und Caura, die gegen Nord fließen, entſprechen zwei große Nebenflüſſe des oberen Orinoko, die gegen Süd herunterkommen, der Padamo und der Ventuari. Bis jetzt ſteht an ihren Ufern kein Dorf, und doch bieten ſie für Ackerbau und Viehzucht günſtige Verhältniſſe, wie man ſie im Thale des großen Stromes, in den ſie ſich ergießen, vergeblich ſuchen würde.

Wir brachen am 26. Mai morgens vom kleinen Dorfe Santa Barbara auf, wo wir mehrere Indianer aus Esmeralda getroffen hatten, die der Miſſionär zu ihrem großen Verdruß hatte kommen laſſen, weil er ſich ein zweiſtockiges Haus bauen wollte. Den ganzen Tag genoſſen wir der Ausſicht auf die ſchönen Gebirge von Sipapo, die in 81 km Ent - fernung gegen Nord-Nord-Weſt ſich hinbreiten. Die Vege - tation an den Ufern des Orinoko iſt hier ausnehmend mannig - faltig; Baumfarne kommen von den Bergen herunter und miſchen ſich unter die Palmen in der Niederung. Wir über - nachteten auf der Inſel Miniſi und langten, nachdem wir an den Mündungen der kleinen Flüſſe Quejanuma, Ubua und Maſao vorübergekommen, am 27. Mai in San Fernando de Atabapo an. Vor einem Monat, auf dem Wege zum Rio107 Negro, hatten wir im ſelben Hauſe des Präſidenten der Miſſionen gewohnt. Wir waren damals gegen Süd., den Atabapo und Temi hinaufgefahren; jetzt kamen wir von Weſt her nach einem weiten Umwege über den Caſſiquiare und den oberen Orinoko zurück. Während unſerer langen Abweſenheit waren dem Präſidenten der Miſſionen über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, über mein Verhältnis zu den Mitgliedern des hohen Klerus in Spanien, über die Kenntnis des Zuſtandes der Miſſionen, die ich mir verſchafft, bedeu - tende Bedenken aufgeſtiegen. Bei unſerem Aufbruche nach Angoſtura, der Hauptſtadt von Guyana, drang er in mich, ihm ein Schreiben zu[hinterlaſſen], in dem ich bezeugte, daß ich die chriſtlichen Niederlaſſungen am Orinoko in guter Ord - nung angetroffen, und daß die Eingeborenen im allgemeinen milde behandelt würden. Dieſem Anſinnen des Superiors lag gewiß ein ſehr löblicher Eifer für das Beſte ſeines Or - dens zu Grunde, nichtsdeſtoweniger ſetzte es mich in Ver - legenheit. Ich erwiderte, das Zeugnis eines im Schoße der reformierten Kirche geborenen Reiſenden könne in dem end - loſen Streite, in dem faſt überall in der Neuen Welt welt - liche und geiſtliche Macht miteinander liegen, doch wohl von keinem großen Gewichte ſein. Ich gab ihm zu verſtehen, da ich 900 km von der Küſte, mitten in den Miſſionen und, wie die Cumaner boshaft ſagen, en el poder de los frayles (in der Gewalt der Mönche) ſei, möchte das Schreiben, das wir am Ufer des Atabapo miteinander abfaßten, wohl ſchwerlich als ein ganz freier Willensakt von meiner Seite angeſehen werden. Der Gedanke, daß er einen Calviniſten gaſtfreundlich aufgenommen, erſchreckte den Präſidenten nicht. Ich glaube allerdings, daß man vor meiner Ankunft ſchwer - lich je einen in den Miſſionen des heiligen Franziskus ge - ſehen hat; aber Unduldſamkeit kann man den Miſſionären in Amerika nicht zur Laſt legen. Die Ketzereien des alten Eu - ropa machen ihnen nicht zu ſchaffen, es müßte denn an den Grenzen von Holländiſch-Guyana ſein, wo ſich die Prädikanten auch mit dem Miſſionsweſen abgeben. Der Präſident beſtand nicht weiter auf der Schrift, die ich hätte unterzeichnen ſollen, und wir benutzten die wenigen Augenblicke, die wir noch bei - ſammen waren, um den Zuſtand des Landes, und ob Aus - ſicht ſei, die Indianer an den Segnungen der Kultur teil - nehmen zu laſſen, freimütig zu beſprechen. Ich ſprach mich ſtark darüber aus, wie viel Schaden die Entradas, die feind -108 lichen Einfälle angerichtet, wie unbillig es ſei, daß man die Eingeborenen der Früchte ihrer Arbeit ſo wenig genießen laſſe, wie ungerechtfertigt, daß man ſie zwinge, in Angelegen - heiten, die ſie nichts angehen, weite Reiſen zu machen, endlich wie notwendig es erſcheine, den jungen Geiſtlichen, die be - rufen ſeien, großen Gemeinden vorzuſtehen, in einem beſon - deren Kollegium einige Bildung zu geben. Der Präſident ſchien mich freundlich anzuhören; indeſſen glaube ich doch, er wünſchte im Herzen (ohne Zweifel im Intereſſe der Natur - wiſſenſchaft), Leute, welche Pflanzen aufleſen und das Geſtein unterſuchen, möchten ſich nicht ſo vorlaut mit dem Wohle der kupferfarbigen Raſſe und mit den Angelegenheiten der menſch - lichen Geſellſchaft befaſſen. Dieſer Wunſch iſt in beiden Welten gar weit verbreitet; man begegnet ihm überall, wo der Gewalt bange iſt, weil ſie meint, ſie ſtehe nicht auf feſten Füßen.

Wir blieben nur einen Tag in San Fernando de Ata - bapo, obgleich dieſes Dorf mit ſeinen ſchönen Pihiguao - palmen mit Pfirſichfrüchten uns ein köſtlicher Aufenthalt ſchien. Zahme Pauxis1Es iſt dies nicht Cuviers Ourax (Crax Pauxi, Lin.), ſon - dern der Crax alector. liefen um die Hütten der Indianer her. In einer derſelben ſahen wir einen ſehr ſeltenen Affen, der am Guaviare lebt. Es iſt dies der Caparro, den ich in meinen Observations de zoologie et d’anatomie comparée bekannt gemacht, und der nach Geoffroy eine neue Gattung (Lagothrix) bildet, die zwiſchen den Atelen und den Aluaten in der Mitte ſteht. Der Pelz dieſes Affen iſt marder - grau und fühlt ſich ungemein zart an. Der Caparro zeich - net ſich ferner durch einen runden Kopf und einen ſanften, angenehmen Geſichtsausdruck aus. Der Miſſionär Gili iſt, glaube ich, der einzige Schrifſteller, der vor mir von dieſem intereſſanten Tiere geſprochen hat, um das die Zoologen andere, und zwar braſilianiſche Affen zu gruppieren an - fangen.

Am 27. Mai kamen wir von San Fernando mit der raſchen Strömung des Orinoko in nicht ganz ſieben Stunden zum Einfluſſe des Rio Mataveni. Wir brachten die Nacht unter freiem Himmel unterhalb des Granitfelſens El Caſtillito zu, der mitten aus dem Fluſſe aufſteigt und deſſen Geſtalt109 an den Mäuſeturm im Rhein, Bingen gegenüber, erinnert. Hier wie an den Ufern des Atabapo fiel uns eine kleine Art Droſera auf, die ganz den Habitus der europäiſchen Droſera hat. Der Orinoko war in der Nacht beträchtlich geſtiegen, und die bedeutend beſchleunigte Strömung trug uns in zehn Stunden von der Mündung des Mataveni zum oberen großen Katarakt, dem von Maypures oder Quituna; der zurückge - legte Weg betrug 58,5 km. Mit Intereſſe erinnerten wir uns der Orte, wo wir ſtromaufwärts übernachtet; wir trafen Indianer wieder, die uns beim Botaniſieren begleitet, und wir beſuchten nochmals die ſchöne Quelle, die hinter dem Hauſe des Miſſionärs aus einem geſchichteten Granitfelſen kommt; ihre Temperatur hatte ſich nicht um 0,3° verändert. Von der Mündung des Atabapo bis zu der des Apure war uns, als reiſten wir in einem Lande, in dem wir lange ge - wohnt. Wir lebten ebenſo ſchmal, wir wurden von denſelben Mücken geſtochen, aber die gewiſſe Ausſicht, daß in wenigen Wochen unſere phyſiſchen Leiden ein Ende hätten, hielt uns aufrecht.

Der Transport der Piroge über den großen Katarakt hielt uns in Maypures zwei Tage auf. Pater Bernardo Zea, der Miſſionär bei den Raudales, der uns an den Rio Negro begleitet hatte, wollte, obgleich leidend, uns mit ſeinen Indianern vollends nach Atures führen. Einer derſelben, Zerepe, der Dolmetſcher, den man auf dem Strande von Pararuma ſo unbarmherzig geprügelt, fiel uns durch ſeine tiefe Niedergeſchlagenheit auf. Wir hörten, er habe die In - dianerin verloren, mit der er verlobt geweſen, und zwar infolge einer falſchen Nachricht, die über die Richtung unſerer Reiſe in Umlauf gekommen. Zerepe war in Maypures geboren, aber bei ſeinen Eltern vom Stamme der Macos im Walde erzogen. Er hatte in die Miſſion ein zwölfjähriges Mädchen mitgebracht, das er nach unſerer Rückkehr zu den Katarakten zum Weibe nehmen wollte. Das Leben in den Miſſionen behagte der jungen Indianerin ſchlecht, denn man hatte ihr geſagt, die Weißen gehen ins Land der Portugieſen (nach Braſilien) und nehmen Zerepe mit. Da es ihr nicht ging, wie ſie gehofft, bemächtigte ſie ſich eines Kanoe, fuhr mit einem anderen Mädchen vom ſelben Alter durch den Raudal und lief al monte zu den Ihrigen. Dieſer kecke Streich war die Tagesneuigkeit; Zerepes Niedergeſchlagenheit hielt übrigens nicht lange an. Er war unter Chriſten geboren,110 er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver - ſtand Spaniſch und die Sprache der Macos, und dünkte ſich weit erhaben über die Leute ſeines Stammes; wie hätte er da nicht ein Mädchen vergeſſen ſollen, das im Walde auf - gewachſen?

Am 31. Mai fuhren wir über die Stromſchnellen der Guahibos und bei Garcita. Die Inſeln mitten im Strome glänzten im herrlichſten Grün. Der winterliche Regen hatte die Blumenſcheiden der Vadgiaipalmen entwickelt, deren Blätter gerade himmelan ſtehen. Man wird nicht müde, Punkte zu betrachten, wo Baum und Fels der Landſchaft den großartigen, ernſten Charakter geben, den man auf dem Hintergrunde von Tizians und Pouſſins Bildern bewundert. Kurz vor Sonnenuntergang ſtiegen wir am öſtlichen Ufer des Orinoko, beim Puerto de la Expedicion, ans Land, und zwar um die Höhle von Ataruipe zu beſuchen, von der oben die Rede war, und wo ein ganzer ausgeſtorbener Volksſtamm ſeine Grabſtätte zu haben ſcheint. Ich verſuche dieſe bei den Eingeborenen vielberufene Höhle zu beſchreiben.

Man erſteigt mühſam und nicht ganz gefahrlos einen ſteilen, völlig kahlen Granitfelsberg. Man könnte auf der glatten, ſtark geneigten Fläche faſt unmöglich Fuß faſſen, wenn nicht große Feldſpatkriſtalle, welche nicht ſo leicht verwittern, hervorſtünden und Anhaltspunkte böten. Auf dem Gipfel des Berges angelangt, erſtaunten wir über den außer - ordentlichen Anblick des Landes in der Runde. Ein Archipel mit Palmen bewachſener Inſeln füllt das ſchäumende Strom - bett. Weſtwärts, am linken Ufer des Orinoko, breiten ſich die Savannen am Meta und Caſanare hin, wie eine grüne See, deren dunſtiger Horizont von der untergehenden Sonne beleuchtet war. Das Geſtirn, das wie ein Feuerball über der Ebene hing, der einzeln ſtehende Spitzberg Uniana, der um ſo höher erſchien, da ſeine Umriſſe im Dunſt verſchwam - men; alles wirkte zuſammen, die großartige Szenerie noch erhabener zu machen. Wir ſahen zunächſt in ein tiefes, ringsum geſchloſſenes Thal hinunter. Raubvögel und Ziegenmelker ſchwirrten einzeln durch den unzugänglichen Zirkus. Mit Vergnügen verfolgten wir ihre flüchtigen Schatten, wie ſie langſam an den Felswänden hinglitten.

Ueber einen ſchmalen Grat gelangten wir auf einen be - nachbarten Berg, auf deſſen abgerundetem Gipfel ungeheure Granitblöcke lagen. Dieſe Maſſen haben 13 bis 16 m Durch -111 meſſer und ſind ſo vollkommen kugelförmig, daß man, da ſie nur mit wenigen Punkten den Boden zu berühren ſchienen, meint, beim geringſten Stoße eines Erdbebens müßten ſie in die Tiefe rollen. Ich erinnere mich nicht, unter den Verwitte - rungserſcheinungen des Granites irgendwo etwas Aehnliches geſehen zu haben. Lägen die Kugeln auf einer anderen Ge - birgsart, wie die Blöcke im Jura, ſo könnte man meinen, ſie ſeien im Waſſer gerollt oder durch den Stoß eines elaſtiſchen Fluidums hergeſchleudert; da ſie aber auf einem Gipfel liegen, der gleichfalls aus Granit beſteht, ſo iſt wahrſchein - licher, daß ſie von allmählicher Verwitterung des Geſteines herrühren.

Zu hinterſt iſt das Thal mit dichtem Wald bedeckt. An dieſem ſchattigen, einſamen Orte, am ſteilen Abhange eines Berges, iſt der Eingang der Höhle vom Ataruipe. Es iſt übrigens nicht ſowohl eine Höhle, als ein vorſpringender Fels, in dem die Gewäſſer, als ſie bei den alten Umwäl - zungen unſeres Planeten ſo weit heraufreichten, ein weites Loch ausgewaſchen haben. In dieſer Grabſtätte einer ganzen ausgeſtorbenen Völkerſchaft zählten wir in kurzer Zeit gegen 600 wohlerhaltene und ſo regelmäßig verteilte Skelette, daß man ſich hinſichtlich ihrer Zahl nicht leicht hätte irren können. Jedes Skelett liegt in einer Art Korb aus Palmblattſtielen. Dieſe Körbe, von den Eingeborenen Mapires genannt, bilden eine Art viereckiger Säcke. Ihre Größe entſpricht dem Alter der Leichen; es gibt ſogar welche für Kinder, die während der Geburt geſtorben; Sie wechſeln in der Länge von 26 cm bis 1,07 m. Die Skelette ſind alle zuſammen - gebogen und ſo vollſtändig, daß keine Rippe, kein Fingerglied fehlt. Die Knochen ſind auf dreierlei Weiſen zubereitet, ent - weder an Luft und Sonne gebleicht, oder mit Onoto, dem Farbſtoff der Bixa Orellana, rot gefärbt, oder mumienartig zwiſchen wohlriechenden Harzen in Helikonia - und Bananen - blätter eingeknetet. Die Indianer erzählten uns, man lege die friſche Leiche in die feuchte Erde, damit ſich das Fleiſch allmählich verzehre. Nach einigen Monaten nehme man ſie wieder heraus und ſchabe mit ſcharfen Steinen den Reſt des Fleiſches von den Knochen. Mehrere Horden in Guyana haben noch jetzt dieſen Brauch. Neben den Mapires oder Körben ſieht man Gefäße von halbgebranntem Thon, welche die Gebeine einer ganzen Familie zu enthalten ſchienen. Die größten dieſer Graburnen ſind 1 m hoch und 1,38 cm lang. 112Sie ſind graugrün, oval, von ganz gefälligem Anſehen, mit Henkeln in Geſtalt von Krokodilen und Schlangen, am Rande mit Mäandern, Labyrinthen und mannigfach kombinierten ge - raden Linien geſchmückt. Dergleichen Malereien kommen unter allen Himmelsſtrichen vor, bei allen Völkern, mögen ſie geo - graphiſch und dem Grade der Kultur nach noch ſo weit aus - einander liegen. Die Bewohner der kleinen Miſſion May - pures bringen ſie noch jetzt auf ihrem gemeinſten Geſchirr an; ſie zieren die Schilder der Tahitier, das Fiſchergeräte des Eskimos, die Wände des mexikaniſchen Palaſtes in Mitla und die Gefäße Großgriechenlands. Ueberall ſchmeichelt eine rhyth - miſche Wiederholung derſelben Formen dem Auge, wie eine taktmäßige Wiederkehr von Tönen dem Ohre. Aehnlichkeiten, welche im innerſten Weſen unſerer Empfindungen, in unſerer natürlichen Geiſtesanlage ihren Grund haben, ſind wenig geeignet, über die Verwandtſchaft und die alten Verbindungen der Völker Licht zu verbreiten.

Hinſichtlich der Zeit, aus der ſich die Mapires und die bemalten Gefäße in der Knochenhöhle von Ataruipe her - ſchreiben, konnten wir uns keine beſtimmte Vorſtellung bilden. Die meiſten ſchienen nicht über hundert Jahre alt, da ſie aber vor jeder Feuchtigkeit geſchützt und in ſehr gleichförmiger Temperatur ſind, ſo wären ſie wohl gleich gut erhalten, wenn ſie auch aus weit früherer Zeit herrührten. Nach einer Sage der Guahibosindianer flüchteten ſich die kriegeriſchen Atures, von den Kariben verfolgt, auf die Felſen mitten in den großen Katarakten, und hier erloſch nach und nach dieſe einſt ſo zahlreiche Nation und mit ihr ihre Sprache. Noch im Jahre 1767, zur Zeit des Miſſionärs Gili, lebten die letzten derſelben; auf unſerer Reiſe zeigte man in Maypures (ein ſonderbares Faktum) einen alten Papagei, von dem die Ein - wohner behaupten, man verſtehe ihn nicht, weil er aturiſch ſpreche .

Wir öffneten, zum großen Aergernis unſerer Führer, mehrere Mapires, um die Schädelbildung genau zu unter - ſuchen. Alle zeigten den Typus der amerikaniſchen Raſſe; nur zwei oder drei näherten ſich dem kaukaſiſchen. Wir haben oben erwähnt, daß man mitten in den Katarakten, an den unzugänglichſten Orten, eiſenbeſchlagene Kiſten mit europäiſchen Werkzeugen, mit Reſten von Kleidungsſtücken und Glaswaren findet. Dieſe Sachen, die zu den abge - ſchmackteſten Gerüchten, als hätten die Jeſuiten dort ihre113 Schätze verſteckt, Anlaß gegeben, gehörten wahrſcheinlich por - tugieſiſchen Handelsleuten, die ſich in dieſe wilden Länder herausgewagt. Läßt ſich nun wohl auch annehmen, daß die Schädel von europäiſcher Bildung, die wir unter den Skeletten der Eingeborenen und ebenſo ſorgfältig aufbewahrt gefunden, portugieſiſchen Reiſenden angehörten, die hier einer Krankheit unterlagen oder im Kampfe erſchlagen worden? Der Wider - willen der Eingeborenen gegen alles, was nicht ihres Stammes iſt, macht dies nicht wahrſcheinlich; vielleicht hatten ſich Me - ſtizen, die aus den Miſſionen am Meta und Apure entlaufen, an den Katarakten niedergelaſſen und Weiber aus dem Stamme der Atures genommen. Dergleichen Verbindungen kommen in dieſer Zone zuweilen vor, freilich nicht ſo häufig wie in Kanada und in Nordamerika überhaupt, wo Jäger euro - päiſcher Abkunft unter die Wilden gehen, ihre Sitten an - nehmen und es oft zu großen Ehren unter ihnen bringen.

Wir nahmen aus der Höhle von Ataruipe mehrere Schädel, das Skelett eines Kindes von ſechs bis ſieben Jahren und die Skelette zweier Erwachſenen von der Nation der Atures mit. Alle dieſe zum Teil rot bemalten, zum Teil mit Harz überzogenen Gebeine lagen in den oben beſchriebenen Körben (Mapires oder Canastos). Sie machten faſt eine ganze Maultierladung aus, und da uns der abergläubiſche Widerwillen der Indianer gegen einmal beigeſetzte Leichen wohl - bekannt war, hatten wir die Canaſtos in friſch geflochtene Matten einwickeln laſſen. Bei dem Spürſinn der Indianer und ihrem feinen Geruch half aber dieſe Vorſicht leider zu nichts. Ueberall, wo wir in den Miſſionen der Kariben, auf den Llanos zwiſchen Angoſtura und Nueva Barcelona Halt machten, liefen die Eingeborenen um unſere Maultiere zu - ſammen, um die Affen zu bewundern, die wir am Orinoko gekauft. Kaum aber hatten die guten Leute unſer Gepäck angerührt, ſo prophezeiten ſie, daß das Laſttier, das den Toten trage , zu Grunde gehen werde. Umſonſt verſicherten wir, ſie irren ſich, in den Körben ſeien Krokodil - und See - kuhknochen; ſie blieben dabei, ſie riechen das Harz, womit die Skelette überzogen ſeien, und das ſeien ihre alten Ver - wandten . Wir mußten die Autorität der Mönche in An - ſpruch nehmen, um des Widerwillens der Eingeborenen Herr zu werden und friſche Maultiere zu bekommen. Einer der Schädel, den wir aus der Höhle von Ataruipe mitgenommen, iſt in meines alten Lehrers Blumenbach ſchönem Werke überA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 8114die Varietäten des Menſchengeſchlechts gezeichnet; aber die Skelette der Indianer gingen mit einem bedeutenden Teil unſerer Sammlungen an der Küſte von Afrika bei einem Schiffbruch verloren, der unſerem Freunde und Reiſegefährten, Fray Juan Gonzales, einem jungen Franziskaner, das Leben koſtete.

Schweigend gingen wir von der Höhle von Ataruipe nach Hauſe. Es war eine der ſtillen, heiteren Nächte, welche im heißen Erdſtrich ſo gewöhnlich ſind. Die Sterne glänzten in mildem, planetariſchem Licht. Ein Funkeln war kaum am Horizont bemerkbar, den die großen Nebelflecken der ſüdlichen Halbkugel zu beleuchten ſchienen. Ungeheure Inſektenſchwärme verbreiteten ein rötliches Licht in der Luft. Der dichtbewach - ſene Boden glühte von lebendigem Feuer, als hätte ſich die geſtirnte Himmelsdecke auf die Grasflur niedergeſenkt. Vor der Höhle blieben wir noch öfters ſtehen und bewunderten den Reiz des merkwürdigen Ortes. Duftende Vanille und Bignonien ſchmückten den Eingang, und darüber, auf der Spitze des Hügels, wiegten ſich ſäuſelnd die Schafte der Palmen.

Wir gingen an den Fluß hinab und ſchlugen den Weg zur Miſſion ein, wo wir ziemlich ſpät in der Nacht eintrafen. Was wir geſehen, hatte ſtarken Eindruck auf unſere Einbil - dungskraft gemacht. In einem Lande, wo einem die menſch - liche Geſellſchaft als eine Schöpfung der neueſten Zeit er - ſcheint, hat alles, was an eine Vergangenheit erinnert, doppelten Reiz. Sehr alt waren nun hier die Erinnerungen nicht; aber in allem, was Denkmal heißt, iſt das Alter nur ein relativer Begriff, und leicht verwechſeln wir alt und rätſelhaft. Den Aegyptern erſchienen die geſchichtlichen Er - innerungen der Griechen gar jung; hätten die Chineſen, oder wie ſie ſich ſelbſt lieber nennen, die Bewohner des himm - liſchen Reiches , mit den Prieſtern von Heliopolis verkehren können, ſo hätten ſie wohl zu den Anſprüchen der alten Aegypter gelacht. Ebenſo auffallende Gegenſätze finden ſich im nördlichen Europa und Aſien, in der Neuen Welt, überall, wo die Menſchheit ſich auf ihr eigenes Leben nicht weit zu - rückbeſinnt. Auf der Hochebene von Anahuac reicht die älteſte geſchichtliche Begebenheit, die Wanderung der Tolteken, nicht über das 6. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung hinauf. Die unentbehrlichen Grundlagen einer genauen Zeitrechnung, ein gutes Schaltſyſtem, überhaupt die Kalenderreform ſtammen aus dem Jahr 1091. Dieſe Zeitpunkte, die uns ſo nahe115 ſcheinen, fallen in fabelhafte Zeiten, wenn wir auf die Ge - ſchichte unſeres Geſchlechtes zwiſchen Orinoko und Amazonen - fluß blicken. Wir finden dort auf Felſen ſymboliſche Bilder, aber keine Sage gibt über ihren Urſprung Aufſchluß. Im heißen Striche von Guyana kommen wir nicht weiter zurück als zu der Zeit, wo kaſtilianiſche und portugieſiſche Eroberer, und ſpäter friedliche Mönche unter den barbariſchen Völker - ſchaften auftraten.

Nordwärts von den Katarakten, am Engpaß beim Ba - raguan, ſcheint es ähnliche mit Knochen gefüllte Höhlen zu geben wie die oben beſchriebenen. Ich hörte dies erſt nach meiner Rückkehr, und die indianiſchen Steuerleute ſagten uns nichts davon, als wir im Engpaß anlegten. Dieſe Gräber haben ohne Zweifel Anlaß zu einer Sage der Otomaken ge - geben, nach der die einzeln ſtehenden Granitfelſen am Ba - raguan, die ſehr ſeltſame Geſtalten zeigen, die Großväter, die alten Häuptlinge des Stammes ſind. Der Brauch, das Fleiſch ſorgfältig von den Knochen zu trennen, der im Altertum bei den Maſſageten herrſchte, hat ſich bei mehreren Horden am Orinoko erhalten. Man behauptet ſogar, und es iſt ganz wahrſcheinlich, die Guaranos legen die Leichen in Netzen ins Waſſer, wo dann die kleinen Karibenfiſche, die Serra-Solmes , die wir überall in ungeheurer Menge an - trafen, in wenigen Tagen das Muskelfleiſch verzehren und das Skelett präparieren . Begreiflich iſt ſolches nur an Orten thunlich, wo es nicht viele Krokodile gibt. Manche Stämme, z. B. die Tamanaken, haben den Brauch, die Felder des Verſtorbenen zu verwüſten und die Bäume, die er ge - pflanzt, umzuhauen. Sie ſagen, Dinge ſehen zu müſſen, die Eigentum ihrer Angehörigen geweſen, mache traurig . Sie vernichten das Andenken lieber, als daß ſie es erhalten. Dieſe indianiſche Empfindſamkeit wirkt ſehr nachteilig auf den Landbau, und die Mönche widerſetzen ſich mit Macht den abergläubiſchen Gebräuchen, welche die zum Chriſtentum be - kehrten Eingeborenen in den Miſſionen beibehalten.

Die indianiſchen Gräber am Orinoko ſind bis jetzt nicht gehörig unterſucht worden, weil ſie keine Koſtbarkeiten ent - halten wie die in Peru, und weil man jetzt an Ort und Stelle an die früheren Mären vom Reichtum der alten Ein - wohner des Dorado nicht mehr glaubt. Der Golddurſt geht allerorten dem Trieb zur Belehrung und dem Sinn für Erforſchung des Altertums voraus. Im gebirgigen Teil von116 Südamerika, von Merida und Santa Marta bis zu den Hochebenen von Quito und Oberperu hat man bergmänniſch nach Gräbern, oder wie es die Kreolen mit einem verdor - benen Worte der Inkaſprache nennen, nach Huacas geſucht. Ich war an der Küſte von Peru, in Manciche, in der Huaca von Toledo, aus der man Goldmaſſen erhoben hat, die im 16. Jahrhundert fünf Millionen Livres Turnois wert waren. 1Dieſe Berechnung gründet ſich auf den Quint, der in den Jahren 1576 und 1592 an das Schatzamt (Caxas reales) von Truxillo bezahlt wurde. Die Regiſter ſind noch vorhanden. In Perſien, in Hochaſien, in Aegypten, wo man auch Gräber aus ſehr verſchiedenen Zeitaltern öffnet, hat man, ſoviel ich weiß, niemals Schätze von Belang entdeckt.Aber in den Höhlen, die ſeit den älteſten Zeiten den Einge - borenen in Guyana als Grabſtätten dienen, hat man nie eine Spur von koſtbaren Metallen entdeckt. Aus dieſem Um - ſtande geht hervor, daß auch zur Zeit, wo die Kariben und andere Wandervölker gegen Südweſt Streifzüge unternahmen, das Gold nur in ganz unbedeutender Menge von den Ge - birgen von Peru den Niederungen im Oſten zufloß.

Ueberall, wo ſich im Granit nicht die großen Höhlungen finden, wie ſie ſich durch die Verwitterung des Geſteins oder durch die Aufeinandertürmung der Blöcke bilden, beſtatten die Indianer den Leichnam in die Erde. Die Hängematte (Chinchorro), eine Art Netz, worin der Verſtorbene im Leben geſchlafen, dient ihm als Sarg. Man ſchnürt dieſes Netz feſt um den Körper zuſammen, gräbt ein Loch in der Hütte ſelbſt und legt den Toten darin nieder. Dies iſt nach dem Bericht des Miſſionärs Gili und nach dem, was ich aus Pater Zeas Munde weiß, das gewöhnliche Verfahren. Ich glaube nicht, daß es in ganz Guyana einen Grabhügel gibt, nicht einmal in den Ebenen des Caſſiquiare und Eſſequibo. In den Savannen von Varinas dagegen, wie in Kanada weſtlich von den Alleghanies,2Eine Art Mumien und Skelette in Körben wurden vor kurzem in den Vereinigten Staaten in einer Höhle entdeckt. Sie ſollen einer Menſchenart angehören, die mit der auf den Sandwich - inſeln Aehnlichkeit hat. Die Beſchreibung dieſer Gräber erinnert einigermaßen an das, was ich in den Gräbern von Ataruipe beob - achtet. Die Miſſionäre in den Vereinigten Staaten beklagen ſich über den Geſtank, den die Nantikokes verbreiten, wenn ſie mit den Gebeinen ihrer Ahnen umherziehen. trifft man welche an. Es er -117 ſcheint übrigens ziemlich auffallend, daß die Eingeborenen am Orinoko, trotz des Ueberfluſſes an Holz im Lande, ſo wenig als die alten Skythen ihre Toten verbrennen. Scheiterhaufen errichten ſie nur nach einem Gefechte, wenn der Gebliebenen ſehr viele ſind. So verbrannten die Parecas im Jahre 1748 nicht allein die Leichen ihrer Feinde, der Tamanaken, ſondern auch die der Ihrigen, die auf dem Schlachtfelde geblieben. Wie alle Völker im Naturzuſtande haben auch die Indianer in Südamerika die größte Anhänglichkeit an die Orte, wo die Gebeine ihrer Väter ruhen. Dieſes Gefühl, das ein großer Schriftſteller in einer Epiſode der Atala ſo rührend ſchildert, hat ſich in ſeiner vollen urſprünglichen Stärke bei den Chineſen erhalten. Dieſe Menſchen, bei denen alles Kunſtprodukt, um nicht zu ſagen Ausfluß einer uralten Kultur iſt, wechſeln nie den Wohnort, ohne die Gebeine ihrer Ahnen mit ſich zu führen. An den Ufern der großen Flüſſe ſieht man Särge ſtehen, die mit dem Hausrat der Familie zu Schiff in eine ferne Provinz wandern ſollen. Dieſes Mit - ſichführen der Gebeine, das früher unter den nordamerikani - ſchen Wilden noch häufiger war, kommt bei den Stämmen in Guyana nicht vor. Dieſe ſind aber auch keine Nomaden, wie Völker, die ausſchließlich von der Jagd leben.

In der Miſſion Atures verweilten wir nur, bis unſere Piroge durch den großen Katarakt geſchafft war. Der Boden unſeres kleinen Fahrzeuges war ſo dünn geworden, daß große Vorſicht nötig war, damit er nicht ſprang. Wir nahmen Abſchied vom Miſſionär Bernardo Zea, der in Atures blieb, nachdem er zwei Monate lang unſer Begleiter geweſen und alle unſere Beſchwerden geteilt hatte. Der arme Mann hatte immer noch ſeine alten Anfälle von Tertianfieber, aber ſie waren für ihn ein gewohntes Uebel geworden und er achtete wenig mehr darauf. Bei unſerem zweiten Aufenthalt in Atures herrſchten daſelbſt andere gefährlichere Fieber. Die Mehrzahl der Indianer war an die Hängematte gefeſſelt, und um etwas Kaſſavebrot (das unentbehrliche Nahrungsmittel hierzulande) mußten wir zum unabhängigen, aber nahebei wohnenden Stamme der Piraoa ſchicken. Bis jetzt blieben wir von dieſen bösartigen Fiebern verſchont, die ich nicht immer für anſteckend halte.

Wir wagten es, in unſerer Piroge durch die letzte Hälfte des Raudals von Atures zu fahren. Wir ſtiegen mehrere Male aus und kletterten auf die Felſen, die wie ſchmale118 Dämme die Inſeln untereinander verbinden. Bald ſtürzen die Waſſer über die Dämme weg, bald fallen ſie mit dumpfem Getöſe in das Innere derſelben. Wir fanden ein beträcht - liches Stück des Orinoko trocken gelegt, weil ſich der Strom durch unterirdiſche Kanäle einen Weg gebrochen hat. An dieſen einſamen Orten niſtet das Felshuhn mit goldigem Ge - fieder (Pipra rupicola), einer der ſchönſten tropiſchen Vögel. Wir hielten uns im Raudalito von Canucari auf, der durch ungeheure, aufeinander getürmte Granitblöcke gebildet wird. Dieſe Blöcke, worunter Sphäroide von 1,6 bis 2 m Durch - meſſer, ſind ſo übereinander geſchoben, daß ſie geräumige Höhlen bilden. Wir gingen in eine derſelben, um Konferven zu pflücken, womit die Spalten und die naſſen Felswände bekleidet waren. Dieſer Ort bot eines der merkwürdigſten Naturſchauſpiele, die wir am Orinoko geſehen. Ueber unſeren Köpfen rauſchte der Strom weg, und es brauſte, wie wenn das Meer ſich an Klippen bricht; aber am Eingange der Höhle konnte man trocken hinter einer breiten Waſſermaſſe ſtehen, die ſich im Bogen über den Steindamm ſtürzte. In anderen tieferen, aber nicht ſo großen Höhlen war das Ge - ſtein durch langdauernde Einſickerung durchbohrt. Wir ſahen 21 bis 22 cm dicke Waſſerſäulen von der Decke des Gewölbes herabkommen und durch Spalten entweichen, die auf weite Strecken zuſammenzuhängen ſchienen.

Die Waſſerfälle in Europa, die aus einem einzigen Sturz oder aus mehreren dicht hintereinander beſtehen, können keine ſo mannigfaltigen Landſchaftsbilder erzeugen. Dieſe Mannig - faltigkeit kommt nur Stromſchnellen zu, wo auf mehrere Kilometer weit viel kleine Fälle in einer Reihe hintereinander liegen, Flüſſen, die ſich über Felsdämme und durch aufge - türmte Blöcke Bahn brechen. Wir genoſſen des Anblicks dieſes außerordentlichen Naturbildes länger, als uns lieb war. Unſer Kanoe ſollte am öſtlichen Ufer einer ſchmalen Inſel hinfahren und uns nach einem weiten Umweg wieder auf - nehmen. Wir warteten anderthalb Stunden vergeblich. Die Nacht kam heran und mit ihr ein furchtbares Gewitter; der Regen goß in Strömen herab. Wir fürchteten nachgerade, unſer ſchwaches Fahrzeug möchte an den Felſen zerſchellt ſein, und die Indianer mit ihrer gewöhnlichen Gleichgültigkeit beim Ungemach anderer ſich auf den Weg zur Miſſion gemacht haben. Wir waren nur unſer drei; ſtark durchnäßt und voll Sorge um unſere Piroge bangten wir vor der Ausſicht, eine119 lange Aequinoktialnacht ſchlaflos im Lärm der Raudals zu - zubringen. Bonpland faßte den Entſchluß, mich mit Don Nicolas Soto auf der Inſel zu laſſen und über die Fluß - arme zwiſchen den Granitdämmen zu ſchwimmen. Er hoffte den Wald erreichen und in der Miſſion bei Pater Zea Bei - ſtand holen zu können. Nur mit Mühe hielten wir ihn von dieſem gewagten Beginnen ab. Er war unbekannt mit dem Labyrinth von Waſſerrinnen, in die der Orinoko zerſchlagen iſt und in denen meiſt ſtarke Wirbel ſind. Und was jetzt, da wir eben über unſere Lage beratſchlagten, unter unſeren Augen vorging, bewies hinreichend, daß die Indianer fälſch - lich behauptet hatten, in den Katarakten gäbe es keine Kroko - dile. Die kleinen Affen, die wir ſeit mehreren Monaten mit uns führten, hatten wir auf die Spitze unſerer Inſel geſtellt; vom Gewitterregen durchnäßt und für die geringſte Wärme - abnahme empfindlich, wie ſie ſind, erhoben die zärtlichen Tiere ein klägliches Geſchrei und lockten damit zwei nach ihrer Größe und ihrer bleigrauen Farbe ſehr alte Krokodile herbei. Bei dieſer unerwarteten Erſcheinung war uns der Gedanke, daß wir bei unſerem erſten Aufenthalt in Atures mitten im Rau - dal gebadet, eben nicht behaglich. Nach langem Warten kamen die Indianer endlich, als ſchon der Tag ſich neigte. Die Staffel, über die ſie hatten herab wollen, um die Inſel zu umfahren, war wegen zu ſeichten Waſſers nicht fahrbar, und der Steuermann hatte im Gewirre von Felſen und kleinen Inſeln lange nach einer beſſeren Durchfahrt ſuchen müſſen. Zum Glück war unſere Piroge nicht beſchädigt und in we - niger als einer halben Stunde waren unſere Inſtrumente, unſere Mundvorräte und unſere Tiere eingeſchifft.

Wir fuhren einen Teil der Nacht durch, um unſer Nacht - lager wieder auf der Inſel Panumana aufzuſchlagen. Mit Vergnügen erkannten wir die Plätze wieder, wo wir bei der Fahrt den Orinoko hinauf botaniſiert hatten. Wir unter - ſuchten noch einmal am Ufer die kleine Sandſteinformation, die unmittelbar dem Granit aufgelagert iſt. Das Vorkommen iſt dasſelbe wie beim Sandſtein, den mein unglücklicher Lands - mann Burckhardt an der Grenze von Nubien dem Granit von Syene aufgelagert geſehen hat. Wir fuhren, ohne ſie zu betreten, an der neuen Miſſion San Borja vorüber und hörten einige Tage darauf mit Bedauern, die kleine Kolonie von Guahibosindianern ſei al monte gelaufen, da ſie ſich eingebildet, wir wollen ſie fortſchleppen und als Poitos, das120 heißt als Sklaven verkaufen. Nachdem wir durch die Strom - ſchnellen Tabaje und den Raudal Cariven am Einfluß des großen Rio Meta gegangen, langten wir wohlbehalten in Carichana an. Der Miſſionär, Fray Joſe Antonio de Torre, nahm uns mit der herzlichen Gaſtfreundſchaft auf, die er uns ſchon bei unſerem erſten Aufenthalt hatte zu teil werden laſſen. Zu aſtronomiſchen Beobachtungen war der Himmel nicht günſtig; in den großen Katarakten hatten wir wieder welche gemacht, aber von dort bis zum Einfluß des Apure mußte man darauf verzichten. In Carichana konnte Bonpland zu ſeiner Befriedigung eine 3 m lange Seekuh ſezieren. Es war ein Weibchen und ihr Fleiſch glich dem Rindfleiſch. Ich habe oben vom Fang dieſes grasfreſſenden Waſſerſäugetieres geſprochen. Die Piraoa, von denen einige Familien in der Miſſion Carichana leben, verabſcheuen dieſes Tier ſo ſehr, daß ſie ſich verſteckten, um es nicht anrühren zu müſſen, als es in unſere Hütte geſchafft wurde. Sie behaupten, die Leute ihres Stammes ſterben unfehlbar, wenn ſie davon eſſen . Dieſes Vorurteil iſt deſto auffallender, da die Nach - barn der Piraoa, die Guamos und Otomaken, nach dem Seekuhfleiſch ſehr lüſtern ſind. Wir werden bald ſehen, daß in dieſem Gewirre von Völkerſchaften das Fleiſch des Kroko - dils bald verabſcheut, bald ſtark geſucht iſt.

Ich erwähne hier eines wenig bekannten Umſtandes als Beitrag zur Geſchichte der Seekuh. Südlich vom Meerbuſen von Xagua auf Cuba, mehrere Kilometer von der Küſte, ſind Quellen ſüßen Waſſers mitten im Meer. Man erklärt ſich die - ſelben aus einem hydroſtatiſchen Druck von den hohen Ge - birgen von Trinidad herab durch unterirdiſche Kanäle. Kleine Fahrzeuge nehmen in dieſem Strich zuweilen Waſſer ein, und was ſehr merkwürdig iſt, große Seekühe halten ſich beſtändig dort auf. Ich habe die Forſcher bereits darauf aufmerkſam gemacht, daß die Krokodile aus den Flußmündungen weit in die See hinausgehen. Bei den alten Umwälzungen unſeres Planeten mögen ähnliche Umſtände das ſonderbare Gemenge von Knochen und Verſteinerungen, die der See, und ſolchen, die dem ſüßen Waſſer angehören, wie es in manchen neuen Formationen vorkommt, verurſacht haben.

Der Aufenthalt in Carichana kam uns ſehr zu ſtatten, um uns von unſeren Strapazen zu erholen. Bonpland trug den Keim einer ſchweren Krankheit in ſich; er hätte dringend der Ruhe bedurft, da aber das Nebenflußdelta zwiſchen121 dem Horeda und dem Paruaſi mit dem üppigſten Pflan - zenwuchſe bedeckt iſt, konnte er der Luſt nicht widerſtehen, große botaniſche Exkurſionen zu machen, und wurde den Tag über mehrere Male durchnäßt. Im Hauſe des Miſſionärs wurde für alle unſere Bedürfniſſe zuvorkommend geſorgt; man verſchaffte uns Maismehl, ſogar Milch. Die Kühe geben in den Niederungen der heißen Zone reichlich Milch, und es fehlt nirgends daran, wo es gute Weiden gibt. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil infolge örtlicher Verhältniſſe im Indi - ſchen Archipelagus das Vorurteil verbreitet iſt, als ob ein heißes Klima auf die Milchabſonderung ungünſtig wirkte. Es begreift ſich, daß die Eingeborenen des neuen Kontinents ſich aus der Milch nicht viel machen, da das Land urſprünglich keine Tiere hatte, welche Milch geben; aber billig wundert man ſich, daß die ungeheure chineſiſche Bevölkerung, die doch großen - teils außerhalb der Tropen unter denſelben Breiten wie die nomadiſchen Stämme in Centralaſien lebt, ebenſo gleichgültig iſt. Wenn die Chineſen einmal ein Hirtenvolk waren, wie geht es zu, daß ſie Sitten und einem Geſchmack, die ihrem früheren Zuſtande ſo ganz angemeſſen ſind, ungetreu gewor - den? Dieſe Fragen ſcheinen mir von großer Bedeutung ſo - wohl für die Geſchichte der Völker von Oſtaſien als hinſicht - lich der alten Verbindungen, die, wie man glaubt, zwiſchen dieſem Weltteil und dem nördlichen Mexiko ſtattgefunden haben können.

Wir fuhren in zwei Tagen den Orinoko von Carichana zur Miſſion Uruana hinab, nachdem wir wieder durch den vielberufenen Engpaß beim Baraguan gegangen. Wir hielten öfters an, um die Geſchwindigkeit des Stromes und ſeine Temperatur an der Oberfläche zu meſſen. Letztere betrug 27° 4′, die Geſchwindigkeit 65 cm in der Sekunde (102,8 m in 3 Minuten 6 Sekunden), an Stellen, wo das Bett des Orinoko über 3900 m breit und 19,5 bis 23 m tief war. Der Fall des Fluſſes iſt allerdings von den Katarakten bis Angoſtura höchſt unbedeutend,1Der Nil hat von Kairo bis Roſette auf einer Strecke von 265 km nur 2,2 m Fall auf den Kilometer. und ohne barometriſche Meſ - ſung ließe ſich der Höhenunterſchied ungefähr ſchätzen, wenn man von Zeit zu Zeit die Geſchwindigkeit und Breite und Tiefe des Stromſtückes mäße. In Uruana konnten wir einige Sternbeobachtungen machen. Ich fand die Breite der Miſſion122 gleich 8′, da aber die verſchiedenen Sterne abweichende Re - ſultate gaben, blieb ſie um mehr als eine Minute unſicher. Die Moskitoſchicht am Boden war ſo dicht, daß ich mit dem Richten des künſtlichen Horizontes nicht fertig werden konnte, und ich bedauerte, nicht mit einem Queckſilberhorizont verſehen zu ſein. Am 7. Juni erhielt ich durch gute abſolute Sonnen - höhen eine Länge von 69° 40′. Seit Esmeralda waren wir um 17′ gegen Weſt vorgerückt, und dieſe chrono - metriſche Beſtimmung verdient volles Zutrauen, weil wir auf dem Hin - und dem Herweg, in den großen Kata - rakten und an den Mündungen des Atabapo und des Apure beobachtet hatten.

Die Miſſion Uruana iſt ungemein maleriſch gelegen; das kleine indianiſche Dorf lehnt ſich an einen hohen Granit - berg. Ueberall ſteigen Felſen wie Pfeiler über dem Walde auf und ragen über die höchſten Baumwipfel empor. Nir - gends nimmt ſich der Orinoko majeſtätiſcher aus als bei der Hütte des Miſſionärs Fray Ramon Bueno. Er iſt hier über 5067 m breit und läuft gerade gegen Oſt, ohne Krümmung, wie ein ungeheurer Kanal. Durch zwei lange, ſchmale Inſeln (Isla de Uruana und Isla vieja de la Manteca) wird das Flußbett noch ausgedehnter; indeſſen laufen die Ufer parallel und man kann nicht ſagen, der Orinoko teile ſich in mehrere Arme.

Die Miſſion iſt von Otomaken bewohnt, einem verſun - kenen Stamme, an dem man eine der merkwürdigſten phyſio - logiſchen Erſcheinungen beobachtet. Die Otomaken eſſen Erde, das heißt, ſie verſchlingen ſie mehrere Monate lang täglich in ziemlich bedeutender Menge, um den Hunger zu beſchwichtigen, ohne daß ihre Geſundheit dabei leidet. Dieſe unzweifelhafte Thatſache hat ſeit meiner Rückkehr nach Europa lebhaften Widerſpruch gefunden, weil man zwei ganz verſchiedene Sätze: Erde eſſen, und ſich von Erde nähren, zuſammenwarf. Wir konnten uns zwar nur einen einzigen Tag in Uruana aufhalten, aber dies reichte hin, um die Bereitung der Poya (der Erdkugeln) kennen zu lernen, die Vorräte, welche die Eingeborenen davon angelegt, zu unterſuchen und die Quan - tität Erde, die ſie in 24 Stunden verſchlingen, zu beſtimmen. Uebrigens ſind die Otomaken nicht das einzige Volk am Ori - noko, bei dem Thon als Nahrungsmittel gilt. Auch bei den Guamos findet man Spuren von dieſer Verirrung des Nah - rungstriebes, und zwiſchen den Einflüſſen des Meta und des123 Apure ſpricht jedermann von der Geophagie als von etwas Altbekanntem. Ich teile hier nur mit, was wir mit eigenen Augen geſehen oder aus dem Munde des Miſſionärs vernom - men, den ein ſchlimmes Geſchick dazu verurteilt hat, zwölf Jahre unter dem wilden, unruhigen Volke der Otomaken zu leben.

Die Einwohner von Uruana gehören zu den Savannen - völkern (Indios andantes), die ſchwerer zu civiliſieren ſind als die Waldvölker (Indios del monte), ſtarke Abneigung gegen den Landbau haben und faſt ausſchließlich von Jagd und Fiſchfang leben. Es ſind Menſchen von ſehr ſtarkem Körperbau, aber häßlich, wild, rachſüchtig, den gegorenen Ge - tränken leidenſchaftlich ergeben. Sie ſind im höchſten Grad omnivore Tiere ; die anderen Indianer, die ſie als Bar - baren anſehen, ſagen daher auch, nichts ſei ſo ekelhaft, das ein Otomake nicht eſſe . Solange das Waſſer im Orinoko und ſeinen Nebenflüſſen tief ſteht, leben die Otomaken von Fiſchen und Schildkröten. Sie ſchießen jene mit überraſchender Fertigkeit mit Pfeilen, wenn ſie ſich an der Waſſerfläche blicken laſſen. Sobald die Anſchwellungen der Flüſſe erfolgen, die man in Südamerika wie in Aegypten und Nubien irr - tümlich dem Schmelzen des Schnees zuſchreibt, und die in der ganzen heißen Zone periodiſch eintreten, iſt es mit dem Fiſch - fang faſt ganz vorbei. Es iſt dann ſo ſchwer, in den tiefen Flüſſen Fiſche zu bekommen, als auf offener See. Die armen Miſſionäre am Orinoko haben oft gar keine, weder an Faſt - tagen, noch an Nichtfaſttagen, obgleich alle jungen Indianer im Dorfe verpflichtet ſind, für das Kloſter zu fiſchen . Zur Zeit der Ueberſchwemmungen nun, die zwei bis drei Monate dauern, verſchlingen die Otomaken Erde in unglaublicher Maſſe. Wir fanden in ihren Hütten pyramidaliſch aufgeſetzte, 1 bis 1,3 m Kugelhaufen; die Kugeln hatten 8 bis 10 cm im Durchmeſſer. Die Erde, welche die Otomaken eſſen, iſt ein ſehr feiner, ſehr fetter Letten; er iſt gelbgrau, und da er ein wenig am Feuer gebrannt wird, ſo ſticht die harte Kruſte etwas ins Rote, was vom darin enthaltenen Eiſenoxyd her - rührt. Wir haben von dieſer Erde, die wir vom Wintervor - rat der Indianer genommen, mitgebracht. Daß ſie ſpeckſtein - artig ſei und Magneſia enthalte, iſt durchaus unrichtig. Vau - quelin fand keine Spur davon darin, dagegen mehr Kieſelerde als Alaunerde und 3 bis 4 Prozent Kalk.

Die Otomaken eſſen nicht jede Art Thon ohne Unterſchied;124 ſie ſuchen die Alluvialſchichten auf, welche die fetteſte, am feinſten anzufühlende Erde enthalten. Ich fragte den Miſ - ſionär, ob man den befeuchteten Thon wirklich, wie Pater Gumilla behauptet, die Art von Zerſetzung durchmachen laſſe, wobei ſich Kohlenſäure und Schwefelwaſſerſtoff entwickeln, und die in allen Sprachen faulen heißt; er verſicherte uns aber, die Eingeborenen laſſen den Thon niemals faulen, und ver - miſchen ihn auch weder mit Maismehl, noch mit Schildkrötenöl oder Krokodilfett. Wir ſelbſt haben ſchon am Orinoko und nach unſerer Heimkehr in Paris die mitgebrachten Kugeln unterſucht und keine Spur einer organiſchen, ſei es mehligen oder öligen Subſtanz darin gefunden. Dem Wilden gilt alles für nahrhaft, was den Hunger beſchwichtigt; fragt man daher den Otomaken, von was er in den zwei Monaten, wo der Fluß am vollſten iſt, lebe, ſo deutet er auf ſeine Letten - kugeln. Er nennt ſie ſeine Hauptnahrung, denn in dieſer Zeit bekommt er nur ſelten eine Eidechſe, eine Farnwurzel, einen toten Fiſch, der auf dem Waſſer ſchwimmt. Ißt nun der Indianer zwei Monate lang Erde aus Not (und zwar 375 bis 625 g in 24 Stunden), ſo läßt er ſie ſich doch auch das übrige Jahr ſchmecken. In der trockenen Jahreszeit, beim ergiebigſten Fiſchfang, reibt er ſeine Poyaklöße und mengt etwas Thon unter ſeine Speiſen. Das Auffallendſte iſt, daß die Otomaken nicht vom Fleiſche fallen, ſolange ſie Erde in ſo bedeutender Menge verzehren. Sie ſind im Gegenteil ſehr kräftig und haben keineswegs einen geſpannten, aufgetriebenen Bauch. Der Miſſionär Fray Ramon Bueno verſichert, er habe nie bemerkt, daß die Geſundheit der Eingeborenen während der Ueberſchwemmung des Orinoko eine Störung erlitten hätte.

Das Thatſächliche, das wir ermitteln konnten, iſt ganz einfach folgendes. Die Otomaken eſſen mehrere Monate lang täglich 375 g am Feuer etwas gehärteten Letten, ohne daß ihre Geſundheit dadurch merklich leidet. Sie netzen die Erde wieder an, ehe ſie ſie verſchlucken. Es ließ ſich bis jetzt nicht genau ermitteln, wie viel nährende vegetabiliſche oder tieriſche Subſtanz ſie während dieſer Zeit in der Woche zu ſich neh - men; ſo viel iſt aber ſicher, ſie ſelbſt ſchreiben ihr Gefühl der Sättigung dem Letten zu und nicht den kümmerlichen Nah - rungsmitteln, die ſie von Zeit zu Zeit daneben genießen. Keine phyſiologiſche Erſcheinung ſteht für ſich allein da, und ſo wird es nicht ohne Intereſſe ſein, wenn ich mehrere ähn - liche Erſcheinungen, die ich zuſammengebracht, hier beſpreche.

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In der heißen Zone habe ich allerorten bei vielen In - dividuen, bei Kindern, Weibern, zuweilen aber auch bei er - wachſenen Männern einen abnormen, faſt unwiderſtehlichen Trieb bemerkt, Erde zu eſſen, keineswegs alkaliſche oder kalk - haltige Erde, um (wie man gemeiniglich glaubt) ſaure Säfte zu neutraliſieren, ſondern einen fetten, ſchlüpfrigen, ſtark rie - chenden Thon. Oft muß man den Kindern die Hände bin - den oder ſie einſperren, um ſie vom Erdeeſſen abzuhalten, wenn der Regen aufhört. Im Dorfe Banco am Magdalenenſtrom ſah ich indianiſche Weiber, die Töpfergeſchirr verfertigen, fort - während große Stücke Thon verzehren. Dieſelben waren nicht ſchwanger und verſicherten, die Erde ſei eine Speiſe, die ihnen nicht ſchade . Bei anderen amerikaniſchen Völker - ſchaften werden die Menſchen bald krank und zehren aus, wenn ſie ſich von der Sucht, Thon zu verſchlucken, zu ſehr hinreißen laſſen. In der Miſſion San Borja ſahen wir ein Kind von der Nation der Guahibos, das mager war wie ein Skelett. Die Mutter ließ uns durch den Dolmetſcher ſagen, die Abmagerung komme von unordentlicher Eßluſt her. Seit vier Monaten wollte das kleine Mädchen faſt nichts anderes zu ſich nehmen als Letten. Und doch ſind es nur 112 km von San Borja nach Uruana, wo der Stamm der Otomaken wohnt, die, ohne Zweifel infolge allmählicher Angewöhnung, die Poya ohne Nachteil verſchlucken. Pater Gumilla be - hauptet, trete bei den Otomaken Verſtopfung ein, ſo führen ſie mit Krokodilöl, oder vielmehr mit geſchmolzenem Krokodil - fett ab; aber der Miſſionär, den wir bei ihnen antrafen, wollte hiervon nichts wiſſen. Man fragte ſich, warum in kalten und gemäßigten Himmelsſtrichen die Sucht, Erde zu eſſen, weit ſeltener iſt als in der heißen Zone, warum ſie in Europa nur bei ſchwangeren Weibern und ſchwächlichen Kindern vor - kommt? Dieſer Unterſchied zwiſchen der heißen und der ge - mäßigten Zone rührt vielleicht nur von der Trägheit der Funktion des Magens infolge der ſtarken Hautausdünſtung her. Man meinte die Beobachtung zu machen, daß bei den afrikaniſchen Sklaven der abnorme Trieb, Erde zu eſſen, zu - nimmt und ſchädlicher wird, wenn ſie auf reine Pflanzenkoſt geſetzt werden und man ihnen die geiſtigen Getränke entzieht. Wird durch letztere das Letteneſſen weniger ſchädlich, ſo hätte man den Otomaken beinahe Glück dazu zu wünſchen, daß ſie ſo große Trunkenbolde ſind.

Auf der Küſte von Guinea eſſen die Neger als Lecker -126 biſſen eine gelbliche Erde, die ſie Caouac nennen. Die nach Amerika gebrachten Sklaven ſuchen ſich denſelben Genuß zu verſchaffen, aber immer auf Koſten ihrer Geſundheit. Sie ſagen, die Erde auf den Antillen ſei nicht ſo verdaulich, wie die in ihrem Lande . Thibaut de Chanvalon äußert in ſeiner Reiſe nach Martinique über dieſe pathologiſche Erſcheinung ſehr richtig: Eine andere Urſache des Magenwehs iſt, daß manche Neger, die von der Küſte von Guinea herüberkommen, Erde eſſen. Es iſt dies bei ihnen nicht verdorbener Geſchmack oder Folge einer Krankheit, ſondern Gewöhnung von Afrika her, wo ſie, wie ſie ſagen, eine gewiſſe Erde eſſen, die ihnen wohlſchmeckt, und zwar ohne davon beläſtigt zu werden. Auf unſeren Inſeln ſehen ſie ſich nun nach der Erde um, die jener am nächſten kommt, und greifen zu einem rotgelben (vulkaniſchen) Tuff. Man verkauft denſelben heimlich auf den Märkten, ein Mißbrauch, dem die Polizei ſteuern ſollte. Die Neger, welche dieſe Unſitte haben, ſind ſo lüſtern nach Caouac, daß keine Strafe ſie vom Genuß desſelben abzuhalten vermag.

Im Indiſchen Archipel, auf Java, ſah Labillardière zwi - ſchen Surabaya und Samarang kleine viereckige, rötliche Kuchen verkaufen. Dieſe Kuchen, Tanaampo genannt, waren Waffeln aus leicht geröſtetem Thon, den die Ein - geborenen mit Appetit verzehren. Da ſeit meiner Rückkehr vom Orinoko die Phyſiologen auf dieſe Erſcheinungen von Geophagie aufmerkſam geworden waren, ſo machte Leſchenault (einer der Naturforſcher bei der Entdeckungsreiſe nach Au - ſtralien unter Kapitän Baudin) intereſſante Angaben über den Tanaampo oder Ampo der Javaner. Man legt, ſagt er, den rötlichen, etwas eiſenſchüſſigen Thon, den die Einwohner von Java zuweilen als Leckerei genießen, in kleinen Rollen, in der Form wie die Zimtrinde, auf eine Blechplatte und röſtet ihn; in dieſer Form heißt er Ampo und iſt auf dem Markte feil. Die Subſtanz hat einen eigentümlichen Geſchmack, der vom Röſten herrührt; ſie iſt ſtark abſorbierend, klebt an der Zunge und macht ſie trocken. Der Ampo wird faſt nur von den javaniſchen Weibern gegeſſen, entweder in der Schwangerſchaft, oder weil ſie mager werden wollen, denn Mangel an Körperfülle gilt dortzulande für ſchön. Der Erdegenuß iſt der Geſundheit nachteilig; die Weiber verlieren allmählich die Eßluſt und nehmen nur mit Widerwillen ſehr wenig Speiſe zu ſich. Aber der Wunſch, mager und ſchlank zu bleiben, läßt ſie aller Gefahr trotzen und erhält den Ampo127 bei Kredit. Auch die barbariſchen Bewohner von Neu - kaledonien eſſen zur Zeit der Not, um den Hunger zu beſchwichtigen, mächtige Stücke eines weißen, zerreiblichen Topfſteins. Vauquelin fand darin bei der Analyſe, neben Magneſia und Kieſelerde zu gleichen Teilen, eine kleine Menge Kupferoxyd. Eine Erde, welche Golberry die Neger in Afrika auf den Inſeln Bunck und Los Idolos eſſen ſah und von der er ohne Beſchwerde ſelbſt gegeſſen, iſt gleichfalls ein weißer, zerreiblicher Speckſtein. Alle dieſe Fälle gehören der heißen Zone an; überblickt man ſie, ſo muß es auffallen, daß ein Trieb, von dem man glauben ſollte, die Natur werde ihn nur den Bewohnern der unfruchtbarſten Landſtriche eingepflanzt haben, bei verwilderten, trägen Völkern vorkommt, die gerade die herrlichſten, fruchtbarſten Länder bewohnen. In Popayan und mehreren Gebirgsſtrichen von Peru ſahen wir auf offenem Markte an die Eingeborenen unter anderen Waren auch ſehr fein gepulverten Kalk verkaufen. Man mengt dieſes Pulver mit Coca, das heißt mit den Blättern des Erythroxylon peruvianum. Bekanntlich nehmen die indianiſchen Boten - läufer mehrere Tage lang keine andere Nahrung zu ſich als Kalk und Coca; beide befördern die Abſonderung des Speichels und des Magenſaftes; ſie benehmen die Eßluſt, ohne dem Körper Nahrungsſtoff zuzuführen. Anderswo in Südamerika, am Rio de la Hacha, verſchlucken die Guajiro nur den Kalk ohne Zuſatz von Pflanzenſtoff. Sie führen beſtändig eine kleine Büchſe mit Kalk bei ſich, wie wir die Tabaksdoſe und die Aſiaten die Betelbüchſe. Dieſe amerikaniſche Sitte war ſchon den erſten ſpaniſchen Seefahrern auffallend erſchienen. Der Kalk ſchwärzt die Zähne, und im Oſtindiſchen Archipel, wie bei manchen amerikaniſchen Horden, gelten ſchwarze Zähne für ſchön. Im kalten Landſtrich des Königreichs Quito eſſen in Tiaua die Eingeborenen täglich aus Leckerei und ohne Be - ſchwerde einen ſehr feinen, mit Quarzſand gemengten Thon. Dieſer Thon macht das Waſſer, in dem er ſuſpendiert iſt, milchig. Man ſieht in ihren Hütten große Gefäße mit dieſem Waſſer, das als Getränk dient und bei den Indianern Agua oder Leche de Llanka (Thonmilch) heißt.

Ueberblickt man alle dieſe Fälle, ſo zeigt ſich, daß dieſer abnorme Trieb zum Genuß von Thonerde, Talkerde und Kalk am häufigſten bei Bewohnern der heißen Zone vorkommt, daß er nicht immer Krankheit zur Folge hat, und daß manche Stämme Erde aus Leckerei eſſen, während andere (die Oto -128 maken in Amerika und die Neukaledonier in der Südſee) ſie aus Not verzehren, um den Hunger zu beſchwichtigen. Aus ſehr vielen phyſiologiſchen Erſcheinungen geht hervor, daß der Hunger augenblicklich geſtillt werden kann, ohne daß die Sub - ſtanzen, die man der Wirkung der Verdauungsorgane unter - wirft, eigentlich nahrhaft ſind. Der Letten der Otomaken, der aus Thonerde und Kieſelerde beſteht, enthält wahrſchein - lich nichts oder ſo gut wie nichts, was zur Bildung der Or - gane des Menſchen beiträgt. Kalkerde und Talkerde ſind enthalten in den Knochen, in der Lymphe des Bruſtganges, im Farbſtoff des Blutes und in den weißen Haaren; Kieſel - erde in ſehr kleiner Menge in den ſchwarzen Haaren und, nach Vauquelin, Thonerde nur in ein paar Atomen in den Knochen, obgleich ſie in vielen Pflanzenſtoffen, die uns als[Nahrung] dienen, in Menge vorkommt. Es iſt beim Menſchen nicht wie bei belebten Weſen auf niedrigerer Organiſations - ſtufe. Bei jenem werden nur die Stoffe aſſimiliert, aus denen die Knochen, die Muskeln, das Nervenmark und das Gehirn weſentlich znſammengeſetzt ſind; die Gewächſe dagegen ſaugen aus dem Boden die Salze auf, die ſich zufällig darin vorfinden, und die Beſchaffenheit ihres Faſergewebes richtet ſich nach dem Weſen der Erdarten, die an ihrem Standorte die vorherrſchenden ſind. Es iſt ein Punkt, der zur eifrigſten Forſchung auffordert, und der auch mich ſchon lange beſchäftigt hat, daß ſo wenige einfache Stoffe (Erden und Metalle) in den Geweben der belebten Weſen enthalten ſind, und daß nur ſie geeignet ſcheinen, den chemiſchen Lebensprozeß, wenn man ſo ſagen darf, zu unterhalten.

Das Gefühl des Hungers und das unbeſtimmte Schwäche - gefühl infolge von Nahrungsmangel und anderen pathologi - ſchen Urſachen ſind nicht zu verwechſeln. Das Gefühl des Hungers hört auf, lange bevor die Verdauung vorüber oder der Chymus in Chylus verwandelt iſt. Es hört auf entweder weil die Nahrungsſtoffe auf die Magenwände toniſch wirken, oder weil der Verdauungsapparat mit Stoffen gefüllt iſt, welche die Schleimhäute zu reichlicher Abſonderung des Magen - ſaftes reizen. Dieſem toniſchen Eindruck auf die Magennerven kann man die raſche heilſame Wirkung der ſogenannten näh - renden Arzneimittel zuſchreiben, der Schokolade und aller Stoffe, die gelinde reizen und zugleich nähren. Für ſich allein gebraucht iſt ein Nahrungsſtoff (Stärkemehl, Gummi oder Zucker) zur Aſſimilation und zum Erſatz der Verluſte, welche129 der menſchliche Körper erlitten, weniger geeignet, weil es dabei an einem Nervenreiz fehlt. Das Opium, das nicht nährt, wird in Aſien mit Erfolg bei großer Hungersnot gebraucht: es wirkt als toniſches Mittel. Iſt aber der Stoff, der den Magen füllt, weder als ein Nahrungsmittel, das heißt, als aſſimilierbar, noch als ein toniſcher Nervenreiz zu betrachten, ſo rührt die Beſchwichtigung wahrſcheinlich von der reichlichen Abſonderung des Magenſaftes her. Wir berühren hier ein Gebiet der Phyſiologie, auf dem noch manches dunkel iſt. Der Hunger wird beſchwichtigt, das unangenehme Gefühl der Leere hört auf, ſobald der Magen angefüllt iſt. Man ſagt, der Magen müſſe Ballaſt haben; in allen Sprachen gibt es figürliche Ausdrücke für die Vorſtellung, daß eine mechaniſche Ausdehnung des Magens ein angenehmes Gefühl verurſacht. Zum Teil noch in ganz neuen phyſiologiſchen Werken iſt von der ſchmerzhaften Zuſammenziehung des Magens im Hunger, von der Reibung der Magenwände aneinander, von der Wir - kung des ſauren Magenſaftes auf das Gewebe der Ver - dauungsorgane die Rede. Bichats Beobachtungen, beſonders aber Magendies intereſſante Verſuche widerſprechen dieſen veralteten Vorſtellungen. Nach 24 -, 48 -, ſogar 60ſtündiger Entziehung aller Nahrungsmittel beobachtet man noch keine Zuſammenziehung des Magens; erſt am vierten und fünften Tage ſcheinen die Dimenſionen des Organes etwas abzunehmen. Je länger die Nahrungsentziehung dauert, deſto mehr ver - mindert ſich der Magenſaft. Derſelbe häuft ſich keineswegs an, er wird vielmehr wahrſcheinlich wie ein Nahrungsmittel verdaut. Läßt man Katzen oder Hunde einen unverdaulichen Körper, z. B. einen Kieſel ſchlucken, ſo wird in die Magen - höhle in Menge eine ſchleimige, ſaure Flüſſigkeit ausgeſondert, die nach ihrer Zuſammenſetzung dem menſchlichen Magenſafte nahe ſteht. Nach dieſen Thatſachen ſcheint es mir wahrſchein - lich, daß, wenn der Mangel an Nahrungsſtoff die Otomaken und die Neukaledonier antreibt, einen Teil des Jahres hin - durch Thon und Speckſtein zu verſchlingen, dieſe Erden im Verdauungsapparat dieſer Menſchen eine vermehrte Abſonde - rung der eigentümlichen Säfte des Magens und der Bauch - ſpeicheldrüſe zur Folge haben. Meine Beobachtungen am Orinoko wurden in neueſter Zeit durch direkte Verſuche zweier ausgezeichneter junger Phyſiologen, Hippolyt Cloquet und Breſchet, beſtätigt. Sie ließen ſich hungrig werden und aßen dann fünf Unzen eines grünlich ſilberfarbigen, blätterigen,A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 9130ſehr biegſamen Talkes, und eine Nahrung, an welche ihre Organe ſo gar nicht gewöhnt waren, verurſachte ihnen keine Beſchwerde. Bekanntlich werden im Orient Bolus und Siegel - erde von Lemnos, die Thon mit Eiſenoxyd ſind, noch jetzt ſtark gebraucht. In Deutſchland ſtreichen die Arbeiter in den Sandſteinbrüchen am Kyffhäuſer ſtatt der Butter einen ſehr feinen Thon, den ſie Steinbutter1Dieſe Steinbutter iſt nicht zu verwechſeln mit der Bergbutter, einer ſalzigen Subſtanz, die aus der Zerſetzung des Alaunſchiefers entſteht. nennen, auf ihr Brot. Derſelbe gilt bei ihnen für ſehr ſättigend und leicht verdaulich.

Wenn einmal infolge der Aenderungen, welche der Ver - faſſung der ſpaniſchen Kolonieen bevorſtehen, die Miſſionen am Orinoko häufiger von unterrichteten Reiſenden beſucht werden, ſo wird man genau ermitteln, wie viele Tage die Otomaken leben können, ohne neben der Erde wirklichen tie - riſchen oder vegetabiliſchen Nahrungsſtoff zu ſich zu nehmen. Es iſt eine bedeutende Menge Magenſaft und Saft der Bauch - ſpeicheldrüſe erforderlich, um eine ſolche Maſſe Thon zu ver - dauen oder vielmehr einzuhüllen und mit dem Kot auszu - treiben. Daß die Abſonderung dieſer Säfte, welche beſtimmt ſind, ſich mit dem Chymus zu verbinden, durch den Thon im Magen und im Darm geſteigert wird, iſt leicht zu begreifen; wie kommt es aber, daß eine ſo reichliche Sekretion, die dem Körper keineswegs neue Beſtandteile zuführt, ſondern nur Beſtandteile, die auf anderen Wegen bereits da ſind, anders - wohin ſchafft, auf die Länge kein Gefühl der Erſchöpfung zur Folge hat? Die vollkommene Geſundheit, deren die Otomaken genießen, ſolange ſie ſich wenig Bewegung machen und ſich auf ſo ungewöhnliche Weiſe nähren, iſt eine ſchwer zu erklä - rende Erſcheinung. Man kann ſie nur einer durch lange Ge - ſchlechtsfolge erworbenen Gewöhnung zuſchreiben. Der Ver - dauungsapparat iſt ſehr verſchieden gebaut, je nachdem die Tiere ausſchließlich von Fleiſch oder Pflanzenſtoff leben; wahr - ſcheinlich iſt auch der Magenſaft verſchieden, je nachdem er tieriſche oder vegetabiliſche Subſtanzen zu verdauen hat, und doch bringt man es allmählich dahin, daß Pflanzenfreſſer und Fleiſchfreſſer ihre Koſt vertauſchen, daß jene Fleiſch, dieſe Körner freſſen. Der Menſch kann ſich daran gewöhnen, un - gemein wenig Nahrung zu ſich zu nehmen, und zwar ohne Schmerzgefühl, wenn er toniſche oder reizende Mittel an -131 wendet (verſchiedene Arzneimittel, kleine Mengen Opium, Betel, Tabak, Cocablätter), oder wenn er von zeit zu Zeit den Magen mit erdigen, geſchmackloſen, für ſich nicht nähren - den Stoffen anfüllt. Gleich dem wilden Menſchen verſchlucken auch manche Tiere im Winter aus Hunger Thon oder zerreib - lichen Speckſtein, namentlich die Wölfe im nordöſtlichen Europa, die Renntiere, und, nach Patrins Beobachtung, die Rehe in Sibirien. Am Jeniſei und Amur brauchen die ruſſiſchen Jäger einen Thon, den ſie Felsbutter nennen, als Köder. Die Tiere wittern den Thon von weitem; ſie riechen ihn gern, wie die Weiber in Spanien und Portugal den Bucarosthon,1Bucaro, vas fictile odoriferum. Man trinkt gern aus dieſen Gefäßen wegen des Geruches des Thones. Die Weiber in der Provinz Alemtejo gewöhnen ſich an, die Bucaroerde zu kauen, und ſie empfinden es als eine große Entbehrung, wenn ſie dieſes abnorme Gelüſte nicht befriedigen können. die ſogenannten wohlriechenden Erden (Tierras olorosas). Brown erzählt in ſeiner Geſchichte von Jamaika, die Krokodile in Süd - amerika verſchlingen kleine Steine oder Stücke ſehr harten Holzes, wenn die Seen, in denen ſie leben, ausgetrocknet ſind, oder ſie ſonſt keine Nahrung finden. Im Magen eines 3,6 m langen Krokodils, das Bonpland und ich in Batallez am Magdalenen - ſtrome zergliederten, fanden wir halbverdaute Fiſche und runde, 8 bis 10 cm ſtarke Granitſtücke. Es iſt nicht anzunehmen, daß die Krokodile dieſe Steine zufällig verſchlucken, denn, wenn ſie die Fiſche unten im Strome packen, ruht ihre untere Kinnlade nicht auf dem Boden. Die Indianer haben die abgeſchmackte Idee ausgeheckt, dieſe trägen Tiere machen ſich ſo gern ſchwerer, um leichter zu tauchen. Ich glaube vielmehr, ſie nehmen große Kieſel in den Magen auf, um dadurch eine reichliche Abſonderung des Magenſaftes herbeizuführen. Ma - gendies Verſuche ſprechen für dieſe Auffaſſung. Was die Ge - wohnheit der körnerfreſſenden Vögel, namentlich der hühner - artigen und der Strauße betrifft, Sand und kleine Steine zu verſchlucken, ſo hat man ſie bisher dem inſtinktmäßigen Triebe der Tiere zugeſchrieben, die Zerreibung der Nahrung in ihrem dicken Muskelmagen zu beſchleunigen.

Wir haben oben geſehen, daß Negerſtämme am Gambia Thon unter ihren Reis miſchen; vielleicht hatten früher manche Familien der Otomaken den Brauch, Mais und andere meh - lige Samen in ihrer Poya faulen zu laſſen, um Erde132 und ſtärkemehlhaltigen Stoff zugleich zu genießen; vielleicht iſt es eine unklare Beſchreibung einer ſolchen Zubereitung, wenn Pater Gumilla im erſten Bande ſeines Werkes behaup - tet, die Guamos und Otomacos nähren ſich nur deshalb von Erde, weil dieſelbe mit Substancia del maiz und Kai - manfett getränkt ſei. Ich habe ſchon oben erwähnt, daß weder der gegenwärtige Miſſionär in Uriana, noch Fray Juan Gonzales, der lange in dieſen Ländern gelebt, von dieſer Ver - mengung tieriſchen und vegetabiliſchen Stoffes mit der Poya etwas wiſſen. Vielleicht hat Pater Gumilla die Zubereitung der Erde, welche die Eingeborenen eſſen, mit einem anderen Brauche derſelben verwechſelt (von dem ſich Bonpland an Ort und Stelle überzeugte), nämlich die Bohnen einer Mimoſen - art in den Boden zu graben, dieſelben ſich zerſetzen zu laſſen, und ein weißes, ſchmackhaftes, aber ſchwer verdauliches Brot daraus zu bereiten. Die Poyakugeln, die wir dem Winter - vorrate der Indianer entnommen, enthielten, ich wiederhole es, keine Spur von tieriſchem Fette oder von Stärkemehl. Gumilla iſt einer der leichtgläubigſten Reiſenden, die wir kennen, und ſo ſieht man ſich faſt verſucht, an Umſtände zu glauben, die er meint leugnen zu müſſen. Zum Glücke nimmt der Jeſuit im zweiten Bande ſeines Werkes großenteils wieder zurück, was er im erſten behauptet: er zweifelt jetzt nicht daran, daß das Brot der Otomacos und Guamos wenigſtens (a lo menos) zur Hälfte Thon enthält; er verſichert, Kinder und Erwachſene eſſen, ohne Schaden für die Geſundheit, nicht nur dieſes Brot, ſondern auch große Maſſen reinen Thon (muchos terrones de pura greda) . Er ſagt weiter, wer davon den Magen beſchwert fühle, führe ein paar Tage mit Krokodilfett ab, und dieſes Fett bringe ihnen die Eßluſt wieder, ſo daß ſie von neuem bloße Erde eſſen können. Ich bezweifle, daß die Manteca de Caiman ein Abführmittel iſt, da ſie aber ſehr flüſſig iſt, ſo mag ſie die Erde, die nicht mit dem Kote weggeſchafft worden iſt, einhüllen helfen. So viel iſt gewiß, daß die Guamos wenn nicht das Fett, ſo doch das Fleiſch des Krokodils, das uns weiß und ohne Biſam - geruch ſchien, ſehr gern eſſen. In Sennaar iſt dasſelbe, nach Burckhardt, gleichfalls geſucht und wird auf dem Markte verkauft.

Ich kann hier Fragen nicht unberührt laſſen, die in mehreren Abhandlungen, zu denen meine Reiſe auf dem Ori - noko Anlaß gegeben, beſprochen worden ſind. Leſchenault wirft133 die Frage auf, ob nicht der Gebrauch des Ampo (des java - niſchen Thones) dadurch gute Dienſte leiſten könnte, daß er augenblicklich den Hunger beſchwichtigt, wenn man keine Nah - rungsmittel hat oder zu ungeſunden, ſchädlichen, wenn auch organiſchen Subſtanzen greifen müßte. Ich glaube, bei Ver - ſuchen über die Folgen langer Entziehung der Nahrung würde ſich zeigen, daß ein Tier, das man (nach der Art der Oto - maken) Thon verſchlucken ließe, weniger zu leiden hätte als ein anderes, in deſſen Magen man gar keine Nahrung brächte. Ein italieniſcher Phyſiologe hebt hervor, wie wenig phosphor - ſaure Kalk - und Bittererde, Kieſelerde, Schwefel, Natron, Fluor, Eiſen und Mangan, und dagegen wie viel Kohlen - ſäure, Sauerſtoff, Stickſtoff und Waſſerſtoff in den feſten und flüſſigen Teilen des menſchlichen Körpers enthalten ſei, und fragt, ob die Atmung nicht als ein fortwährender Er - nährungsakt zu betrachten ſei, während der Verdauungs - apparat mit Lehm gefüllt iſt? Die chemiſche Analyſe der eingeatmeten und der ausgeatmeten Luft ſpricht nicht für dieſe Annahme. Der Verluſt einer ſehr kleinen Menge Stickſtoff iſt ſchwer zu ermitteln, und es iſt anzunehmen, daß ſich die Funktion des Atmens im allgemeinen darauf beſchränkt, Kohlen - ſtoff und Waſſerſtoff dem Körper zu entziehen.

Ein befeuchtetes Gemiſch von phosphorſaurem und kohlen - ſaurem Kalk kann nicht nährend ſein, wie gleichfalls ſtickſtoff - loſe, aber dem organiſchen Reiche angehörende Subſtanzen (Zucker, Gummi, Stärkemehl). Unſere Verdauungsapparate ſind gleichſam galvaniſche Säulen, die nicht alle Subſtanzen zerlegen. Die Aſſimilation hört auf, nicht allein weil die Stoffe, die in den Magen gelangen, keine Elemente enthalten, die mit denen, aus welchen der menſchliche Körper beſteht, übereinkommen, ſondern auch, weil die Verdauung (die chemiſche Zerſetzung) nicht alle Verbindungen ohne Unterſchied in ihren Bereich zieht. Beſchäftigt man ſich übrigens mit ſolchen all - gemeinen phyſiologiſchen Problemen, ſo fragt man ſich unwill - kürlich, wie es mit der Geſellſchaft, oder vielmehr mit dem Menſchengeſchlechte ſtünde, wenn der Menſch keine Produkte der Organiſation und der Lebenskraft als Nahrungsmittel nötig hätte. Keine Gewöhnung kann die Art und Weiſe der Ernährung weſentlich abändern. Wir werden niemals Erde verdauen und aſſimilieren lernen; ſeit aber Gay-Luſſacs und Thenards wichtige Forſchungen uns belehrt haben, daß das härteſte Holz und das Stärkemehl ſich nur dadurch unter -134 ſcheiden, daß die Verhältniſſe zwiſchen Sauerſtoff, Waſſerſtoff und Kohlenſtoff dort und hier ein klein wenig anders ſind, wie ſollte man da beſtreiten, daß es der Chemie noch gelingen könnte, jene ungeheuren vegetabiliſchen Maſſen, jene Gewebe verhärteter Faſern, aus denen die Stämme unſerer Wald - bäume beſtehen, in Nahrungsſtoff zu verwandeln? Von Be - lang könnte eine ſolche Entdeckung nur werden, wenn das Verfahren einfach und nicht koſtſpielig wäre; unter dieſer, allerdings keineswegs wahrſcheinlichen Vorausſetzung müßten aber dadurch in der ganzen Verfaſſung des Geſellſchaftskör - pers, im Tagelohn, in der Verteilung der Bevölkerung über die Erdoberfläche die größten Veränderungen eintreten. Einer - ſeits würde der Menſch damit unabhängiger, andererſeits wäre die notwendige Folge, daß die Bande der Geſellſchaft ſich löſten und die Grundlagen des Gewerbfleißes und der Kultur untergraben würden.

Das kleine Dorf Uruana iſt ſchwerer zu regieren als die meiſten anderen Miſſionen. Die Otomaken ſind ein unruhiges, lärmendes, in ſeinen Leidenſchaften ungezügeltes Volk. Nicht nur ſind ſie dem Genuſſe der gegorenen Getränke aus Maniok und Mais und des Palmweines im Uebermaße ergeben, ſie verſetzen ſich auch noch in einen eigentümlichen Zuſtand von Rauſch, man könnte faſt ſagen von Wahnſinn, durch den Gebrauch des Niopopulvers. 1Maypuriſch Nupa; die Miſſionäre ſagen Nopo.Sie ſammeln die langen Schoten einer Mimoſenart, die wir unter dem Namen Acacia Niopo bekannt gemacht haben; ſie reißen ſie in Stücke, feuch - ten ſie an und laſſen ſie gären. Wenn die durchweichten Pflanzen anfangen ſchwarz zu werden, kneten ſie dieſelben wie einen Teig, mengen Maniokmehl und Kalk, der aus der Muſchel einer Ampullaria gebrannt wird, darunter und ſetzen die Maſſe auf einem Roſte von hartem Holze einem ſtarken Feuer aus. Der erhärtete Teig bildet kleine Kuchen. Will man ſich derſelben bedienen, ſo werden ſie zu feinem Pulver zerrieben und dieſes auf einen 13 bis 16 cm breiten Teller geſtreut. Der Otomake hält den Teller, der einen Stiel hat, in der rechten Hand und zieht das Niopo durch einen gabel - förmigen Vogelknochen, deſſen zwei Enden in die Naſenlöcher geſteckt ſind, in die Naſe. Der Knochen, ohne den der Oto - make dieſe Art Schnupftabak nicht nehmen zu können meinte, iſt 18 cm lang und es ſchien mir der Fußwurzelknochen135 eines großen Stelzenläufers zu ſein. Ich habe das Niopo ſamt dem ganzen ſeltſamen Apparate Fourcroy in Paris über - macht. Das Niopo iſt ſo reizend, daß ganz wenig davon heftiges Nieſen verurſacht, wenn man nicht daran gewöhnt iſt. Pater Gumilla ſagt, dieſes Teufelspulver der Otomaken, das von einem baumartigen Tabake komme, berauſche ſie durch die Naſenlöcher (emboracha por las narices), raube ihnen auf einige Stunden die Vernunft und mache ſie im Gefechte raſend . Die Samen, Säfte und Wurzeln der Familie der Schotengewächſe haben auffallend verſchiedene chemiſche und arzneiliche Eigenſchaften; wenn aber auch der Saft der Frucht der Mimosa nilotica ſtark adſtringierend iſt, ſo iſt doch nicht wohl zu glauben, daß die Schote der Acacia Niopo dem Tabake der Otomaken zunächſt ſeine reizende Eigenſchaft ver - leiht. Dieſelbe rührt vielmehr vom friſchgebrannten Kalke her. Wir haben oben geſehen, daß die Bergbewohner in den Anden von Popayan und die Guajiro, die zwiſchen dem See Mara - caybo und dem Rio la Hacha umherziehen, auch Kalk ver - ſchlucken, und zwar als Reizmittel, um die Abſonderung des Speichels und des Magenſaftes zu befördern.

Dadurch, daß die umſtändliche Vorrichtung, deren ſich die Otomaken zum Aufziehen des Niopopulvers bedienen, durch mich nach Europa kam, wurden die Gelehrten auf einen ähnlichen Brauch aufmerkſam gemacht, den La Condamine am oberen Marañon beobachtet hat. Die Omagua, deren Name durch ihre Züge zur Entdeckung des Dorado vielberufen iſt, haben denſelben Teller, dieſelben hohlen Vogelknochen, durch die ſie ihr Curupapulver in die Naſe ziehen. Der Samen, von dem dieſes Pulver kommt, iſt ohne Zweifel auch eine Mimoſe; denn die Otomaken nennen, dem Pater Gili zufolge, noch jetzt, 1170 km vom Amazonenſtrome, die Acacia Niopo Curupa. Seit meinen neuerlichen geographiſchen Unter - ſuchungen über den Schauplatz der Thaten Philipps von Hutten und über die wahre Lage der Provinz Papamene oder der Omagua hat die Vermutung einer früheren Verbindung zwiſchen den Otomaken am Orinoko und den Omagua am Amazonenſtrome an Bedeutung und Wahrſcheinlichkeit ge - wonnen. Erſtere kamen vom Rio Meta, vielleicht aus dem Lande zwiſchen dieſem Fluſſe und dem Guaviare; letztere wollen ſelbſt in großer Anzahl über den Rio Japura, vom öſtlichen Abhange der Anden von Neugranada her, an den Marañon gekommen ſein. Nun ſcheint aber das Land der136 Omagua, das die Abenteurer von Coro und Tocuyo vergeb - lich zu erobern ſuchten, gerade zwiſchen dem Guayavero, der in den Guaviare fällt, und dem Caqueta zu liegen, der weiter unten Japura heißt. Allerdings beſteht ein auffallender Gegenſatz zwiſchen der jetzigen Verſunkenheit der Otomaken und der früheren Civiliſation der Omagua; vielleicht waren aber nicht alle Unterabteilungen dieſer Nation in der Kultur gleich vorgeſchritten, und an Beiſpielen, daß Stämme völlig verſinken können, iſt die Geſchichte unſeres Geſchlechtes leider nur zu reich. Zwiſchen Otomaken und Omagua läßt ſich noch eine weitere Uebereinſtimmung bemerklich machen. Beide ſind unter den Völkerſchaften am Orinoko und am Amazonen - ſtrome deshalb berufen, weil ſie vom Kautſchuk oder der ver - dickten Milch der Euphorbiaceen und Urticeen ſo ausgedehnten Gebrauch machen.

Der eigentliche krautartige Tabak,1Das Wort Tabak (tabacco) gehört, wie die Worte Savanne, Mais, Kazike, Maguey (Agave) und Manati (Seekuh), der alten Sprache von Hayti oder San Domingo an. Es bedeutete eigentlich nicht das Kraut, ſondern die Röhre, das Werkzeug, mittels deſſen man den Rauch einzog. Es muß auffallen, daß ein ſo allgemein verbreitetes vegetabiliſches Produkt bei benachbarten Völkern ver - ſchiedene Namen hatte. denn die Miſſionäre nennen das Niopo oder Curupa Baumtabak , wird ſeit unvordenklicher Zeit von allen eingeborenen Völkern am Ori - noko gebaut; man fand auch bei der Eroberung die Sitte des Rauchens in beiden Amerika gleich verbreitet. Die Tamanaken und Maypuren in Guyana umwickeln die Ci - garren mit Mais, wie bereits die Mexikaner vor Cortez An - kunft gethan. Nach dieſem Vorgange nehmen die Spanier ſtatt Maisblättern Papier. Die armen Indianer in den Wäldern am Orinoko wiſſen ſo gut als die großen Herren am Hofe Montezumas, daß der Tabakrauch ein vortreffliches Narkotikum iſt; ſie bedienen ſich desſelben nicht nur, um ihre Sieſta zu halten, ſondern auch, um ſich in den Zuſtand von Quietismus zu verſetzen, den ſie ein Träumen mit offenen Augen , Träumen bei Tage nennen. In allen amerikaniſchen Miſſionen wird jetzt, wie mir ſchien, ungemein wenig Tabak verbraucht, und in Neuſpanien rauchen die Ein - geborenen, die faſt ſämtlich von der unterſten Klaſſe des azte - kiſchen Volkes abſtammen, zum großen Leidweſen des Fiskus,137 gar nicht. Pater Gili verſichert, den Indianern am unteren Orinoko ſei die Sitte des Tabakkauens unbekannt. Ich möchte die Richtigkeit dieſer Behauptung bezweifeln; denn die Sercucuma am Erevato und Caura, Nachbarn der weiß - lichen Paparitos, verſchlucken, wie man mir ſagte, zerhackten und mit anderen ſtark reizenden Säften getränkten Tabak, wenn ſie ſich zum Gefechte anſchicken. Von den vier Nikotiana - arten, die in Europa gebaut werden (N. tabacum, N. rustica, N. paniculata und N. glutinosa) ſahen wir nur die beiden letzteren wild; aber Nicotiana lolaxensis und N. Andicola, die ich in 3605 m Meereshöhe auf dem Rücken der Anden gefunden, ſtehen Nicotiana tabacum und rustica ſehr nahe. Die ganze Gattung iſt übrigens faſt ausſchließlich amerika - niſch und die meiſten Arten ſchienen mir dem gebirgigen und gemäßigten Landſtriche unter den Tropen anzugehören.

Weder aus Virginien, noch aus Südamerika, wie irrtüm - lich in mehreren agronomiſchen und botaniſchen Schriften ſteht, ſondern aus der mexikaniſchen Provinz Yucatan iſt um das Jahr 1559 der erſte Tabakſamen nach Europa gekommen. 1Die Spanier lernten den Tabak am Ende des 16. Jahr - hunderts auf den Antillen kennen. Ich habe oben bemerkt, daß der Anbau dieſes narkotiſchen Gewächſes um 120 bis 140 Jahre älter iſt als die ſegensreiche Anpflanzung der Kartoffel. Als Ralegh im Jahre 1586 den Tabak aus Virginien nach England brachte, gab es in Portugal bereits ganze Felder voll davon.Der Mann, der die Fruchtbarkeit der Ufer des Orinoko am lauteſten geprieſen, der berühmte Ralegh, hat auch die Sitte des Rauchens unter den nordiſchen Völkern am meiſten be - fördert. Bereits am Schluſſe des 16. Jahrhunderts be - ſchwerte man ſich in England bitter über dieſe Nachahmung der Gebräuche eines barbariſchen Volkes . Man fürchtete bei dem überhandnehmenden Tabakrauchen, ne Anglorum cor - pora in barbarorum naturam degenerent . 2Die merkwürdige Stelle lautet bei Camden, Annal. Elizab. p. 143 (1585) wie folgt: Ex illo sane tempore (tabacum) usu cepit esse creberrimo in Anglia et magno pretio, dum quam - plurimi graveolentem illius fumum per tubulum testaceum hauriunt et mox e naribus afflant, adeo ut Anglorum corpora in barbarorum naturam degenerasse videantur, quum iidem ac barbari delectentur. Man ſieht aus dieſer Stelle, daß man durch die Naſe rauchte, während man am Hofe Montezumas in der einen Hand die Pfeife hatte und mit der anderen die Naſe zuhielt, um den Rauch leichter ſchlucken zu können.

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Wenn ſich die Otomaken in Uruana durch den Genuß des Niopo (ihres Baumtabaks) und gegorener Getränke in einen Zuſtand von Trunkenheit verſetzt haben, der mehrere Tage dauert, ſo bringen ſie einander um, ohne ſich mit Waffen zu ſchlagen. Die bösartigſten vergiften ſich den Daumennagel mit Curare, und nach der Ausſage der Miſſionäre kann der geringſte Ritz mit dieſem vergifteten Nagel tödlich werden, wenn das Curare ſehr ſtark iſt und unmittelbar in die Blut - maſſe gelangt. Begehen die Indianer bei Nacht infolge eines Zankes einen Totſchlag, ſo werfen ſie den Leichnam in den Fluß, weil ſie fürchten, es möchten Spuren der erlittenen Gewalt an ihm zu bemerken ſein. So oft ich, äußerte Pater Bueno gegen uns, die Weiber an einer anderen Stelle des Ufers als gewöhnlich Waſſer ſchöpfen ſehe, vermute ich, daß ein Mord in meiner Miſſion begangen worden.

Wir fanden in Uruana in den Hütten der Indianer den - ſelben vegetabiliſchen Stoff (Yesca de hormigas, Ameiſen - zunder), den wir bei den großen Katarakten hatten kennen lernen und den man zum Blutſtillen braucht. Dieſer Zunder, der weniger uneigentlich Ameiſenneſter hieße, iſt in einem Lande, deſſen Bewohner nichts weniger als friedfertig ſind, ſehr geſucht. Eine neue ſchön ſmaragdgrüne Art Ameiſen (Formica spinicollis) ſammelt auf den Blättern einer Mela - ſtomenart zu ihrem Neſte einen baumwollenartigen, gelbbraunen, ſehr zart anzufühlenden Flaum. Ich glaube, daß der Yesca oder Ameiſenzunder vom oberen Orinoko (das Tier kommt, wie verſichert wird, nur ſüdlich von Apures vor) einmal ein Handelsartikel werden kann. Der Stoff iſt weit vor - züglicher als die Ameiſenneſter von Cayenne, die man in Europa in den Hoſpitälern verwendet, die aber ſchwer zu be - kommen ſind.

Ungern ſchieden wir (am 7. Juni) vom Pater Ramon Bueno. Unter den zehn Miſſionären, die wir auf dem un - geheuren Gebiete von Guyana kennen gelernt, ſchien mir nur er auf alle Verhältniſſe der eingeborenen Völkerſchaften zu achten. Er hoffte in kurzem nach Madrid zurückkehren und das Ergebnis ſeiner Unterſuchungen über die Bilder und Züge auf den Felſen bei Uruana bekannt machen zu können.

In den Ländern, wie wir eben bereiſt, zwiſchen dem Meta, Arauca und Apure, fand man bei den erſten Ent - deckungszügen an den Orinoko, z. B. bei dem des Alonzo de Herrera im Jahre 1535, ſtumme Hunde, von den Ein -139 geborenen Maios und Auries genannt. Dieſer Umſtand iſt in mehr als einer Beziehung intereſſant. Was auch Pater Gili ſagen mag, es unterliegt keinem Zweifel, daß der Hund in Südamerika einheimiſch iſt. Die verſchiedenen indianiſchen Sprachen haben Namen für das Tier, die nicht wohl von europäiſchen Sprachen herkommen können. Das Wort Auri, das Alonzo de Herrera vor dreihundert Jahren nannte, kommt noch jetzt im Maypuriſchen vor. Die Hunde, welche wir am Orinoko geſehen, mögen von denen abſtammen, welche die Spanier an die Küſten von Caracas gebracht; aber nichts - deſtoweniger ſteht feſt, daß es vor der Eroberung in Peru, Neugranada und Guyana eine unſeren Schäferhunden ähn - liche Hunderaſſe gab. Der Allco der Eingeborenen in Peru, und faſt alle Hunde, die wir in den wildeſten Strichen von Südamerika angetroffen, bellen häufig; die älteſten Geſchicht - ſchreiber ſprechen aber alle von ſtummen Hunden (Perros mudos). Es gibt noch dergleichen in Kanada, und, was mir ſehr zu beachten ſcheint, die ſtumme Spielart wurde in Mexiko und am Orinoko vorzugsweiſe gegeſſen. Ein ſehr unterrichteter Reiſender, Gieſecke, der ſechs Jahre in Grönland gelebt hat, ver - ſicherte mich, die Hunde der Eskimo, die beſtändig in freier Luft ſind und ſich winters in den Schnee graben, bellen auch nicht, ſondern heulen wie die Wölfe. 1Sie hocken im Kreiſe umher; zuerſt heult einer allein und dann fallen die anderen im ſelben Tone ein. Gerade ſo heulen die Rudel von Aluaten, unter denen die Indianer den Vorſänger herauskennen. In Mexiko wurde der ſtumme Hund (Techichi) ver - ſchnitten, damit er fett werde, und dies mußte zur Veränderung des Stimmorganes des Hundes beitragen.

Gegenwärtig iſt der Gebrauch, Hundefleiſch zu eſſen, am Orinoko unbekannt; da aber dieſe Sitte im öftlichen Aſien ganz allgemein iſt, ſcheint mir der Beweis, daß dieſelbe früher in den heißen Strichen von Guyana und auf der Hochebene von Mexiko zu Hauſe war, von großem Belang für die Völkergeſchichte. Ich bemerke auch, daß auf den Grenzen der Provinz Durango, am nördlichen Ende von Neuſpanien, die Komantſchenindianer noch jetzt große Hunde, die ſie auf ihren Zügen begleiten, mit ihren Zelten aus Büffelfellen beladen. Bekanntlich dient auch am Sklavenſee und in Sibirien der Hund gewöhnlich als Laſt - und Zugtier. Ich hebe ſolche Züge von Uebereinſtimmung in den Sitten der Völker ab -140 ſichtlich hervor; ſie erhalten einiges Gewicht, wenn ſie nicht für ſich allein daſtehen, und Aehnlichkeiten im Sprachbau, in der[Zeitrechnung], im Glauben und den gottesdienſtlichen Ge - bräuchen dazu kommen.

Wir übernachteten auf der Inſel Cucuruparu, auch Playa de la Tortuga genannt, weil die Indianer von Uruana dort Schildkröteneier holen. Es iſt dies einer der Punkte am Orinoko, deren Breite am genaueſten beſtimmt iſt. Das Glück wollte, daß ich drei Durchgänge von Sternen durch den Meridian beobachten konnte. Oſtwärts von der Inſel iſt die Mündung des Caño de la Tortuga, der von den Bergen der Cerbatana herunterkommt, an denen beſtändig Gewitter - wolken hängen. Am ſüdlichen Ufer dieſes Caño liegt die faſt ganz eingegangene Miſſion San Miguel de la Tortuga. Die Indianer verſicherten uns, in der Nähe dieſer kleinen Miſſion gebe es eine Menge Fiſchottern mit ſehr feinem Pelze, welche bei den Spaniern Perritos de agua, Waſſer - hunde heißen, und, was merkwürdiger iſt, Eidechſen (Lagartos) mit zwei Füßen. Dieſer ganze Landſtrich zwiſchen dem Rio Cuchivero und der Stromenge am Baraguan ſollte ein - mal von einem guten Zoologen beſucht werden. Der Lagarto ohne Hinterbeine iſt vielleicht eine Art Siren, abweichend vom Siren lacertina in Carolina. Wäre es ein Saurier, ein eigentlicher Bimane (Chirotes, Cuvier), ſo hätten die Ein - geborenen das Tier nicht mit einer Eidechſe verglichen. Außer den Arrau-Schildkröten, von denen ich oben ausführlich ge - ſprochen, leben am Orinoko zwiſchen Uruana nnd Encara - mada auch Landſchildkröten, die ſogenannten Morocoi in zahlloſer Menge. In der großen Sonnenhitze und Trocken - heit ſtecken dieſe Tiere, ohne zu freſſen, unter Steinen oder in Löchern, die ſie gegraben. Erſt wenn ſie nach den erſten Regen ſpüren, daß die Erde feucht wird, kommen ſie aus ihrem Verſteck hervor und fangen wieder an zu freſſen. Die Terekay oder Tajelus, Süßwaſſerſchildkröten, haben dieſelbe Lebensweiſe. Ich habe ſchon oben vom Sommer - ſchlaf mancher Tiere unter den Tropen geſprochen. Die Eingeborenen kennen die Löcher, in denen die Schildkröten im ausgetrockneten Boden ſchlafen, und graben ſie 40 bis 48 cm tief in Menge auf einmal aus. Nach Pater Gili, der ſolches mit angeſehen, iſt dies nicht gefahrlos, weil ſich im Sommer häufig Schlangen mit den Terekay eingraben.

Von der Inſel Cucuruparu hatten wir bis zur Haupt -141 ſtadt von Guyana, gemeiniglich Angoſtura genannt, noch 9 Tage zu fahren; es ſind nicht ganz 430 km. Wir brachten die Nacht ſelten am Lande zu; aber die Plage der Moskiten nahm merklich ab, je weiter wir hinabkamen. Am 8. Juni gingen wir bei einem Hofe (Hato de San Rafael del Capuchino), dem Einfluſſe des Rio Apure gegenüber, ans Land. Ich konnte gute Breiten - und Längenbeobachtungen machen. Ich hatte vor zwei Monaten auf dem anderen Ufer Stundenwinkel aufgenommen, und dieſe Beſtimmungen waren jetzt von Wert, um den Gang meines Chronometers zu kon - trollieren und die Beobachtungsorte am Orinoko mit denen an der Küſte von Venezuela in Verbindung zu bringen. Die Lage dieſes Hofes am Punkte, wo der Orinoko aus der Rich - tung von Süd nach Nord in die von Weſt nach Oſt umbiegt, iſt ſehr maleriſch. Granitfelſen erheben ſich wie Eilande auf den weiten Prärieen. Von ihrer Spitze ſahen wir nordwärts die Lanos oder Steppen von Calabozo ſich bis zum Horizont ausbreiten. Da wir ſeit lange an den Anblick der Wälder gewöhnt waren, machte dieſe Ausſicht einen großen Eindruck auf uns. Nach Sonnenuntergang bekam die Steppe ein grau - grünes Kolorirt, und da die Sehlinie nur durch die Krüm - mung der Erde abgebrochen wird, ſo gingen die Sterne wie aus dem Schoße des Meeres auf und der erfahrenſte See - mann hätte glauben müſſen, er ſtehe auf einer Felſenküſte, auf einem hinausſpringenden Vorgebirge. Unſer Wirt war ein Franzoſe (François Doizan), der unter ſeinen zahlreichen Herden lebte. Er hatte ſeine Mutterſprache verlernt, ſchien aber doch mit Vergnügen zu hören, daß wir aus ſeiner Hei - mat kamen. Er hatte dieſelbe vor 40 Jahren verlaſſen, und er hätte uns gern ein paar Tage in ſeinem Hofe behalten. Von den politiſchen Umwälzungen in Europa war ihm ſo gut wie nichts zu Ohren gekommen. Er ſah darin nur eine Empörung gegen den Klerus und die Mönche. Dieſe Em - pörung, ſagte er, wird fortdauern, ſolange die Mönche Widerſtand leiſten. Bei einem Manne, der ſein ganzes Leben an der Grenze der Miſſionen zugebracht, wo von nichts die Rede iſt, als vom Streit zwiſchen der geiſtlichen und der weltlichen Gewalt, war eine ſolche Anſicht ziemlich natürlich. Die kleinen Städte Caycara und Cabruta ſind nur ein paar Kilometer vom Hofe, aber unſer Wirt war einen Teil des Jahres hindurch völlig abgeſchnitten. Durch die Ueberſchwem - mungen des Apure und des Orinoko wird der Capuchino142 zur Inſel und man kann mit den benachbarten Höfen nur zu Schiffe verkehren. Das Hornvieh zieht ſich dann auf den höher gelegenen Landſtrich, der ſüdwärts der Bergkette der Encaramada zuläuft.

Am 9. Juni morgens begegneten uns eine Menge Fahr - zeuge mit Waren, die mit Segeln den Orinoko und dann den Apure hinauffuhren. Es iſt dies eine ſtark befahrene Handelsſtraße zwiſchen Angoſtura und dem Hafen von Toru - nos in der Provinz Varinas. Unſer Reiſebegleiter, Don Nicolas Soto, der Schwager des Statthalters von Varinas, ſchlug denſelben Weg ein, um zu ſeiner Familie zurückzu - kehren. Bei Hochwaſſer braucht man mehrere Monate gegen die Strömung des Orinoko, des Apure und des Rio Santo Domingo. Die Schiffsleute müſſen ihre Fahrzeuge an Baum - ſtämme binden und ſie am Tau den Fluß hinaufziehen. In den ſtarken Krümmungen des Fluſſes kommen ſie oft in ganzen Tagen nicht über 380 bis 580 m vorwärts. Seit meiner Rückkehr nach Europa iſt der Verkehr zwiſchen der Mündung des Orinoko und den Provinzen am öſtlichen Ab - hange der Gebirge von Merida, Pamplona und Santa Fé de Bogota ungleich lebhafter geworden, und es iſt zu er - warten, daß die lange Fahrt auf dem Orinoko, dem Apure, der Portugueſa, dem Rio Santo Domingo, dem Orivante, Meta und Guaviare durch Dampfſchiffe abgekürzt wird. Man könnte, wie an den großen Strömen in den Vereinigten Staaten, an den Ufern gefälltes Holz unter Schuppen nieder - legen. Solche Veranſtaltung wäre um ſo nötiger, da man ſich in den Ländern, die wir bereiſt, nicht leicht trockenes Holz verſchafft, wie man es zum ſtarken Feuer unter dem Keſſel einer Dampfmaſchine braucht.

Unterhalb San Rafael del Capuchino gingen wir rechts bei Villa Caycara, an einer Bucht, Puerto Sedeño genannt, ans Land. Es ſtehen hier ein paar Häuſer beiſammen und dieſe führen den vornehmen Titel Villa. Alta Gracia, Ciudad de la Piedra, Real Corona, Borbon, lauter Villas zwiſchen dem Einfluß des Apure und Angoſtura, ſind ebenſo elend. Ich habe oben erwähnt, daß es bei den Präſidenten der Miſſionen und den Statthaltern der Provinzen Brauch war, wenn eben der Grund zu einer Kirche gelegt wurde, in Madrid für den Ort das Privilegium als Villa oder Ciudad nachzuſuchen. Man wollte damit das Miniſterium glauben machen, daß Bevölkerung und Wohlſtand in den Kolonieen143 in raſcher Zunahme begriffen ſeien. Bei Caycara, am Cerro del Tirano , ſieht man Bilder von Sonne und Mond, wovon oben die Rede war, eingehauen. Das iſt ein Werk der Alten (das heißt unſerer Väter), ſagen die Eingeborenen. Man verſichert, auf einem Fels weiter vom Ufer ab, Tecoma genannt, ſtehen die ſymboliſchen Figuren 30 m hoch. Die Indianer kannten früher einen Landweg von Caycara nach Demerary und Eſſequibo. Sind etwa die Völker, welche die vom Reiſenden Hortsmann beſchriebenen Bilder eingehauen, auf dieſem Wege an den See Amucu gekommen?

Caycara gegenüber, am nördlichen Ufer des Orinoko, liegt die Miſſion Cabruta, die als vorgeſchobener Poſten gegen die Kariben im Jahre 1740 vom Jeſuiten Rotella an - gelegt wurde. Schon ſeit mehreren Jahrhunderten hatten die Indianer an dieſem Fleck ein Dorf Namens Cabritu. Als der kleine Ort eine chriſtliche Niederlaſſung wurde, glaubt man, derſelbe liege unter dem 5. Grad der Breite, alſo um 40′ weiter nach Süd, als ich durch direkte Beobachtungen in San Rafael und an der Mündung des Rio Apure ge - funden. Man hatte damals keinen Begriff davon, welche Richtung ein Landweg nach Nueva Valencia und Caracas haben müßte, von welchen Orten man ſich unendlich weit entfernt dachte. Ein Weib iſt zuallererſt von der Villa de San Juan Baptiſta del Pao über die Llanos nach Cabruta gegangen. Pater Gili erzählt, Donna Maria Bargas habe mit ſolcher Leidenſchaft an den Jeſuiten gehangen, daß ſie es unternahm, auf eigene Hand einen Weg in die Miſſionen zu ſuchen. Man wunderte ſich nicht wenig, als man ſie in Cabruta von Norden her ankommen ſah. Sie ließ ſich bei den Jüngern des heiligen Ignatius nieder und ſtarb in ihren Miſſionen am Orinoko. Von dieſer Zeit an bevölkerte ſich der ſüdliche Strich der Llanos ziemlich ſtark, und der Weg aus den Thälern von Aragua über Calabozo nach San Fer - nando de Apure und nach Cabruta iſt jetzt ſtark begangen. Am letzteren Ort hatte auch im Jahre 1754 der Befehlshaber der vielberufenen Grenzexpedition Werften angelegt und die Fahrzeuge zum Transport der Truppen an den oberen Ori - noko bauen laſſen. Der kleine Berg nordöſtlich von Cabruta iſt ſehr weit in den Steppen ſichtbar und dient den Reiſenden als Landmarke.

Wir ſchifften uns morgens in Caycara ein und fuhren mit der Strömung des Orinoko zuerſt am Einfluſſe des Rio144 Cuchivero, wohin eine alte Sage die Aikeam-benanos oder Weiber ohne Männer verſetzt, dann am kleinen Dorf Alta Gracia, nach einer ſpaniſchen Stadt ſo genannt, vorüber. Hier in der Nähe hatte Don Joſe de Iturriaga den Pueblo de Ciudad Real angelegt, der noch auf den neueſten Karten vorkommt, obgleich der Ort wegen der un - geſunden Lage ſeit 50 Jahren gar nicht mehr beſteht. Unterhalb der Stelle, wo ſich der Orinoko gegen Oſt wendet, hat man fortwährend zur rechten Hand Wälder, zur linken die Llanos oder Steppen von Venezuela. Die Wälder, die ſich am Strom hinziehen, ſind indeſſen nicht mehr ſo dicht, wie am oberen Orinoko. Die Bevölkerung nimmt merkbar zu, je näher man der Hauptſtadt kommt; man trifft wenige Indianer mehr, dagegen Weiße, Neger und Miſchlinge. Der Neger ſind nicht viele, und leider iſt hier, wie überall, die Armut ihrer Herren daran Schuld, daß ſie nicht beſſer be - handelt werden und ihr Leben nicht mehr geſchont wird. Ein Einwohner von Caycara, V a, war vor kurzem zu vier - jährigem Gefängnis und 100 Piaſtern Geldbuße verurteilt worden, weil er in der Zornwut eine Negerin mit den Bei - nen an den Schweif ſeines Pferdes gebunden und ſie im vollen Galopp über die Savanne geſchleift hatte, bis ſie vor Schmerz den Geiſt aufgab. Mit Vergnügen bemerke ich, daß die Audiencia allgemein getadelt wurde, weil ſie eine ſo ſchändliche Behandlung nicht härter beſtraft habe. Nur einige wenige Perſonen (und zwar gerade die, welche ſich für die aufgeklärteſten und klügſten hielten) meinten, einen Weißen zu beſtrafen, während die Schwarzen auf San Domingo in offenem Aufſtand begriffen ſeien, erſcheine nicht als ſtaats - klug. Wenn Inſtitutionen, die ſich verhaßt gemacht haben, bedroht ſind, fehlt es nie an Leuten, die zu Aufrechterhaltung derſelben den Rat geben, daran feſtzuhalten, wenn ſie auch der Gerechtigkeit und der Vernunft noch ſo offen wider - ſprächen. Seit ich von dieſen Ländern Abſchied genommen, hat der Bürgerkrieg den Sklaven die Waffen in die Hände gegeben, und nach einer ſchrecklichen Erfahrung haben es die Einwohner von Venezuela zu bereuen, daß ſie nicht auf die Stimme Don Domingo Tovars und anderer hochherziger Bürger gehört, die ſchon im Jahre 1795 im Cabildo von Caracas ſich laut gegen die weitere Einführung von Negern ausgeſprochen und Mittel, ihre Lage zu verbeſſern, in Vor - ſchlag gebracht haben.

145

Nachdem wir am 10. Juni auf einer Inſel mitten im Strom (ich glaube auf der, welche bei Pater Caulin Acaru heißt) die Nacht zugebracht, fuhren wir an der Mündung des Rio Caura vorüber, der neben dem Aruy und Carony der größte Nebenfluß des unteren Orinoko von rechts her iſt. Da ich während meines Aufenthalts in den Miſſionen der Franziskaner viel geographiſches Material über den Caura ſammeln konnte, habe ich eine Spezialkarte desſelben ent - worfen. Alle chriſtlichen Niederlaſſungen befinden ſich gegen - wärtig nahe an der Mündung des Fluſſes, und die Dörfer San Pedro, Aripao, Urbani und Guaraguaraico liegen nur wenige Meilen hinter einander. Das erſte iſt das volkreichſte und hat doch nur 250 Seelen; San Luis de Guaraguaraico iſt eine Kolonie freigelaſſener oder flüchtiger Neger vom Eſſe - quibo und verdient Aufmunterung von ſeiten der Regierung. Die Verſuche, die Sklaven an den Boden zu feſſeln und ſie als Pächter der Früchte ihrer Arbeit als Landbauer genießen zu laſſen, ſind höchſt empfehlenswert. Der zum großen Teil noch unberührte Boden am Rio Caura iſt ungemein frucht - bar; man findet dort Weiden für mehr als 15 000 Stück Vieh; aber den armen Anſiedlern fehlt es gänzlich an Pfer - den und an Hornvieh. Mehr als ſechs Siebenteile der Ufer - ſtriche am Caura liegen wüſte oder ſind in den Händen wilder, unabhängiger Stämme. Das Flußbett wird zweimal durch Felſen eingeengt, und an dieſen Stellen ſind die Raudales Mura und Para oder Paru; letzterer hat einen Trageplatz, weil die Pirogen nicht darüber gehen können. Bei der Grenzexpedition war am nördlichen Katarakt, dem von Mura, eine kleine Schanze angelegt worden. Der Statthalter Don Manuel Centurion hatte alsbald ein paar Häuſern, welche ſpaniſche (das heißt nicht indianiſche) Familien, Weiße und Mulatten, bei der Schanze gebaut, den Titel Ciudad de San Carlos gegeben. Südlich vom Katarakt Para, ge - rade am Einfluſſe des Erevato in den Caura, lag damals die Miſſion San Luis und von da führte ein Landweg nach der Hauptſtadt Angoſtura. Alle dieſe Civiliſationsverſuche führten zu nichts. Oberhalb des Raudals von Mura ſteht kein Dorf mehr, und die Eingeborenen haben ſozuſagen das Land wieder zurückerobert. Indeſſen kann das Thal des Caura wegen ſeines reichen Ertrags, und wegen der leichten Ver - bindung mit dem Rio Ventuari, dem Carony und Cuyuni, eines Tages von großer Bedeutung werden. Ich habe obenA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 10146auseinandergeſetzt, wie wichtig die vier Flüſſe ſind, die von den Gebirgen der Parime in den Orinoko gehen. In der Nähe der Mündung des Caura, zwiſchen den Dörfern San Pedro de Alcantara und San Francisco de Aripao, bildete ſich im Jahre 1792 durch einen Erdfall und infolge eines Erdbebens ein kleiner See von 580 m Durchmeſſer. Ein Stück Wald bei Aripao ſenkte ſich 26 bis 32 m unter das Niveau des anſtoßenden Bodens. Die Bäume blieben mehrere Monate grün; man glaubte ſogar, manche haben unter Waſſer Blätter getrieben. Dieſe Erſcheinung verdient um ſo mehr Beachtung, da der Boden dort wahrſcheinlich Granit iſt. Ich bezweifle, daß die ſekundären Formationen der Llanos ſich ſüdwärts bis zum Thale des Caura erſtrecken.

Am 11. Juni landeten wir, um Sonnenhöhen aufzu - nehmen, am rechten Orinokoufer beim Puerto de los Frailes, 13,5 km oberhalb Ciudad de la Piedra. Der Punkt liegt unter 67° 26′ 20″ der Länge oder 41′ oſt - wärts vom Einfluß des Apure. Weiterhin zwiſchen den Villas de la Piedra und Muitaco oder Real Corona kommt der Torno und der Höllenſchlund, zwei Punkte, die früher von den Schiffern gefürchtet wurden. Der Orinoko ändert auf einmal ſeine Richtung; er fließt anfangs nach Oſt, dann nach Nord-Nord-Weſt und endlich wieder nach Oſt. Etwas oberhalb des Caño Marapiche, der am nördlichen Ufer her - einkommt, teilt eine ſehr lange Inſel den Fluß in zwei Arme. Wir fuhren ohne Schwierigkeit ſüdwärts an derſelben vorbei; gegen Norden bildet eine Reihe kleiner, bei hohem Waſſer halb bedeckter Felſen Wirbel und Stromſchnellen. Dies heißt nun Boca del Infierno und der Raudal von Camiſeta. Durch Diego de Ordaz (1531) und Alonzo de Herreras (1535) erſte Expeditionen wurde dieſe Stromſperre vielberufen. Die großen Katarakte von Atures und Maypures kannte man nicht und mit den plumpen Fahrzeugen (Vergantines), mit denen man eigenſinnig den Strom hinauf wollte, war ſehr ſchwer über die Stromſchnellen zu kommen. Gegenwärtig fährt man den Orinoko zu jeder Jahreszeit von der Mün - dung bis zum Einfluſſe des Apure und des Meta ohne Be - ſorgnis auf und ab. Die einzigen Fälle auf dieſer Strecke ſind die beim Torno oder Camiſeta, bei Marimara und bei Cariven oder Carichana Vieja. Keines dieſer drei Hinder - niſſe iſt zu fürchten, wenn man erfahrene indianiſche Steuer - leute hat. Ich gehe auf dieſe hydrographiſchen Angaben darum147 ein, weil die Verbindung zwiſchen Angoſtura und den Ufern des Meta und des Apure, welche zum Oſtabhang der Kor - dilleren von Neugranada führen, jetzt in politiſcher und kommerzieller Beziehung von großem Belang iſt. Die Fahrt auf dem unteren Orinoko von der Mündung bis zur Provinz Varinas iſt allein wegen der ſtarken Strömung beſchwerlich. Im Flußbett ſelbſt ſind nirgends ſtärkere Hinderniſſe zu über - winden, als auf der Donau zwiſchen Wien und Linz. Große Felsſchwellen, eigentliche Waſſerfälle kommen erſt oberhalb des Meta. Daher bildet auch der obere Orinoko mit dem Caſſiquiare und dem Rio Negro ein beſonderes Flußſyſtem, das dem induſtriellen Leben in Angoſtura und auf dem Küſtenland von Caracas noch lange fremd bleiben wird.

Ich konnte auf einer Inſel mitten in der Boca del In - fierno, wo wir unſere Inſtrumente aufgeſtellt hatten, Stun - denwinkel der Sonne aufnehmen. Der Punkt liegt nach dem Chronometer unter 67° 10′ 31″ der Länge. Ich wollte die Inklination der Magnetnadel und die Intenſität der Kraft beobachten, aber ein Gewitterregen vereitelte den Verſuch. Da der Himmel nachmittags wieder heiter wurde, ſchlugen wir unſer Lager auf einem breiten Geſtade am ſüdlichen Ufer des Orinoko, beinahe im Meridian der kleinen Stadt Muitaco oder Real Corona, auf. Mittels dreier Sterne fand ich die Breite 0′ 26″, die Länge 67° 5′ 19″. Als die Obſervanten im Jahre 1752 ihre erſten Entradas auf das Gebiet der Ka - riben machten, bauten ſie an dieſem Punkt ein kleines Fort oder eine Casa fuerte. Durch den Umſtand, daß die hohen Gebirge von Araguacais ſo nahe liegen, iſt Muitaco einer der geſundeſten Orte am unteren Orinoko. Hier ſchlug Itur - riaga im Jahre 1756 ſeinen Wohnſitz auf, um ſich von den Strapazen der Grenzexpedition zu erholen, und da er ſeine Geneſung dem mehr heißen als feuchten Klima zuſchrieb, er - hielt die Stadt oder vielmehr das Dorf Real Corona den Namen Pueblo del puerto sano. Weiterhin gegen Oſt ließen wir nordwärts den Einfluß des Rio Pao, ſüdwärts den des Rio Arui. Letzterer Fluß iſt ziemlich bedeutend; er kommt in Raleghs Berichten häufig vor. Lange ließen die Geo - graphen den Aroy oder Arvi (Arui), den Caroli (Carony) und den Coari (Caura) aus dem vielberufenen See Caſſipa entſpringen, der ſpäter der Laguna del Dorado Platz machte. Je weiter wir abwärts kamen, deſto langſamer wurde die Strömung des Orinoko. Ich maß mehrmals am Ufer eine148 Linie ab, um zu beſtimmen, wie viel Zeit ſchwimmende Körper brauchten, um eine bekannte Strecke zurückzulegen. Oberhalb Alta Gracia, beim Einfluß des Rio Ujape, hatte ich 74 cm in der Sekunde gefunden; zwiſchen Muitaco und Borbon war die Geſchwindigkeit nur noch 54 cm. Aus den barometriſchen Meſſungen in den benachbarten Steppen geht hervor, um wie wenig der Boden vom 69. Grade der Länge bis zur Oſtküſte von Guyana fällt. Muitaco war der letzte Ort, wo wir am Ufer des Orinoko die Nacht unter freiem Himmel zubrachten; wir fuhren noch zwei Nächte durch, ehe wir unſer Reiſeziel, Angoſtura, erreichten. Eine ſolche Fahrt auf dem Thalweg eines großen Stroms iſt ungemein bequem: man hat nichts zu fürchten außer den natürlichen Flößen aus Bäumen, die der Fluß, wenn er austritt, von den Ufern abreißt. In dun - keln Nächten ſcheitern die Pirogen an dieſen ſchwimmenden Eilanden wie an Sandbänken.

Nur ſchwer vermöchte ich das angenehme Gefühl zu ſchildern, mit dem wir in Angoſtura, der Hauptſtadt von Spa - niſch-Guyana, das Land betraten. Die Beſchwerden, denen man in kleinen Fahrzeugen zur See unterworfen iſt, ſind nichts gegen das, was man auszuſtehen hat, wenn man unter einem glühenden Himmel, in einem Schwarm von Moskiten, monatelang in einer Piroge liegen muß, in der man ſich wegen ihrer Unſtätigkeit gar keine Bewegung machen kann. Wir hatten in 75 Tagen auf den fünf großen Flüſſen Apure, Orinoko, Atabapo, Rio Negro und Caſſiquiare 2250 km zu - rückgelegt, und auf dieſer ungeheuren Strecke nur ſehr wenige Orte angetroffen. Obgleich nach unſerem Leben in den Wäl - dern unſer Anzug nichts weniger als gewählt war, ſäumten wir doch nicht, uns Don Felipe de Ynciarte, dem Statthalter der Provinz Guyana, vorzuſtellen. Er nahm uns auf das zuvorkommendſte auf und wies uns beim Sekretär der In - tendanz unſere Wohnung an. Da wir aus faſt menſchen - leeren Ländern kamen, fiel uns das Treiben in einer Stadt, die keine 6000 Einwohner hat, ungemein auf. Wir ſtaunten an, was Gewerbfleiß und Handel dem civiliſierten Menſchen an Bequemlichkeit bieten; beſcheidene Wohnräume kamen uns prachtvoll vor, wer uns anredete, erſchien uns geiſtreich. Nach langer Entbehrung gewähren Kleinigkeiten hohen Genuß, und mit unbeſchreiblicher Freude ſahen wir zum erſtenmal wieder Weizenbrot auf der Tafel des Statthalters. Vielleicht brauchte ich nicht bei Empfindungen zu verweilen, die jedem, der weite149 Reiſen gemacht hat, wohl bekannt ſind. Sich wieder im Schoße der Kultur zu wiſſen, iſt ein großer Genuß, aber er hält nicht lange an, wenn man für die Wunder der Natur im heißen Erdſtrich ein lebendiges Gefühl hat. Die überſtan - denen Beſchwerden ſind bald vergeſſen, und kaum iſt man auf der Küſte, auf dem von den ſpaniſchen Koloniſten bewohnten Boden, ſo entwirft man den Plan, wieder ins Binnenland zu gehen.

Ein ſchlimmer Umſtand nötigte uns, einen ganzen Monat in Angoſtura zu verweilen. In den erſten Tagen nach un - ſerer Ankunft fühlten wir uns matt und ſchwach, aber voll - kommen geſund. Bonpland fing an, die wenigen Pflanzen zu unterſuchen, welche er vor den Wirkungen des feuchten Klimas hatte ſchützen können; ich war beſchäftigt, Länge und Breite der Hauptſtadt1Die Hauptkirche von Santo Tome de la Nueva Guyana, gemeiniglich Angoſtura oder der Engpaß genannt, liegt nach meinen Beobachtungen unter 8′ 11″ der Breite und 66° 15′ 21″ der Länge. zu beſtimmen und die Inklination der Magnetnadel zu beobachten. Aber nicht lange, ſo wurden wir in der Arbeit unterbrochen; faſt am ſelben Tage befiel uns eine Krankheit, die bei meinem Reiſegefährten den Charakter eines ataktiſchen Fiebers annahm. Die Luft war zur Zeit in Angoſtura vollkommen geſund, und da ſich bei dem ein - zigen Diener, den wir von Cumana mitgebracht, die Vor - boten desſelben Uebels einſtellten, ſo zweifelte unſere Um - gebung, von der wir aufs ſorgfältigſte gepflegt wurden, nicht daran, daß wir den Keim des Typhus aus den feuchten Wäl - dern am Caſſiquiare mitgebracht. Es kommt häufig vor, daß ſich bei Reiſenden die Folgen der Miasmen erſt dann äußern, wenn ſie wieder in reinerer Luft ſind und ſich zu erholen anfangen. Eine gewiſſe geiſtige Anſpannung kann eine Zeit - lang die Wirkung krankmachender Urſachen hinausſchieben. Da unſer Diener dem heftigen Regen weit mehr als wir ausgeſetzt geweſen war, entwickelte ſich die Krankheit bei ihm furchtbar raſch. Seine Kräfte lagen ſo danieder, daß man uns am neunten Tage ſeinen Tod meldete. Es war aber nur eine mehrſtündige Ohnmacht, auf die eine heilſame Kriſe ein - trat. Zur ſelben Zeit wurde auch ich von einem ſehr hef - tigen Fieber befallen; man gab mir mitten im Anfall ein Gemiſch von Honig und Extrakt der China vom Rio Carony150 (Extractum corticis Angosturae). Es iſt dies ein Mittel, das die Kapuziner in den Miſſionen höchlich preiſen. Das Fieber wurde darauf ſtärker, hörte aber gleich am anderen Tage auf. Bonplands Zuſtand war ſehr bedenklich, und wir ſchwebten mehrere Wochen in der höchſten Beſorgnis. Zum Glück behielt der Kranke Kraft genug, um ſich ſelbſt behan - deln zu können. Er nahm gelindere, ſeiner Konſtitution an - gemeſſenere Mittel als die China vom Rio Carony. Das Fieber war anhaltend und wurde, wie faſt immer unter den Tropen, durch eine Komplikation mit Ruhr noch geſteigert. Während der ganzen ſchmerzhaften Krankheit behielt Bonpland die Charakterſtärke und die Sanftmut, die ihn auch in der ſchlimmſten Lage niemals verlaſſen haben. Mich ängſtigten trübe Ahnungen. Der Botaniker Löffling, ein Schüler Linnés, war nicht weit von Angoſtura, am Ufer des Carony, ein Opfer ſeines Eifers für die Naturwiſſenſchaft geworden. Wir hatten noch kein volles Jahr im heißen Erdſtrich zuge - bracht, und mein nur zu treues Gedächtnis vergegenwärtigte mir alles, was ich in Europa über die Gefährlichkeit der Luft in den Wäldern geleſen hatte. Statt den Orinoko hinaufzu - fahren, hätten wir ein paar Monate im gemäßigten, geſunden Klima der Sierra Nevada von Merida zubringen können. Den Weg über die Flüſſe hatte ich ſelbſt gewählt, und in der Gefahr, in der mein Reiſegefährte ſchwebte, erblickte ich die unſelige Folge dieſer unvorſichtigen Wahl.

Nachdem das Fieber in wenigen Tagen einen ungemeinen Grad von Heftigkeit erreicht hatte, nahm es einen weniger beunruhigenden Charakter an. Die Entzündung des Darm - kanals wich auf die Anwendung erweichender Mittel, wozu Malvenarten dienten. Die Sida - und Melochia-Arten ſind im heißen Erdſtrich ungemein wirkſam. Indeſſen ging es mit der Wiedergeneſung des Kranken ſehr langſam, wie immer bei noch nicht ganz akklimatiſierten Europäern. Die Regenzeit dauerte noch immer an, und an die Küſte von Cumana zurück mußten wir wieder über die Llanos, wo man auf halbüber - ſchwemmtem Boden ſelten ein Obdach und etwas anderes als an der Sonne gedörrtes Fleiſch zu eſſen findet. Um nicht Bonpland einem gefährlichen Rückfall auszuſetzen, beſchloſſen wir bis zum 10. Juli in Angoſtura zu bleiben. Wir brachten dieſe Zeit zum Teil auf einer Pflanzung1Trapiche, Eigentum von Don Felix Ferreras. in der Nachbar -151 ſchaft zu, wo Mangobäume und Brotfruchtbäume1Artocarpus incisa. gezogen werden. Letztere waren im ſechſten Jahr bereits über 13 m hoch. Manche Artokarpusblätter, die wir maßen, waren 92 cm lang und 48 cm breit, bei einem Gewächs aus der Familie der Dikotyledonen eine ſehr auffallende Größe.

Ich beſchließe dieſes Kapitel mit einer kurzen Beſchrei - bung des ſpaniſchen Guyana (Provincia de la Guyana), welche einen Teil der alten Capitania general von Caracas ausmacht. Nachdem ich ausführlich berichtet, was die Flüſſe Apure, Orinoko, Atabapo, Rio Negro und Caſſiquiare an Momenten zur Geſchichte unſeres Geſchlechts und an Natur - erzeugniſſen Bemerkenswertes bieten, erſcheint es von Wert, dieſe zerſtreuten Züge zuſammenzufaſſen und ein allgemeines Bild eines Landes zu entwerfen, das einer großen Zukunft entgegengeht und ſchon jetzt die Augen Europas auf ſich zieht. Ich beſchreibe zuerſt die Lage von Angoſtura, der jetzigen Hauptſtadt der Provinz, und verfolge dann den Orinoko bis zum Delta, das er an ſeiner Mündung bildet. Ich entwickle darauf den wahren Lauf des Rio Carony, an deſſen frucht - baren Ufern die Mehrzahl der indianiſchen Bevölkerung der Provinz lebt, und beweiſe aus der Geſchichte der Geographie, wie die fabelhaften Seen entſtanden ſind, die ſo lange unſere Karten verunziert haben.

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts haben hinter - einander drei Städte den Namen Santo Tome de la Guyana geführt. Die erſte lag der Inſel Faxardo gegen - über beim Einfluſſe des Carony in den Orinoko; ſie wurde von den Holländern unter dem Befehl des Kapitäns Adrian Janſon im Jahre 1579 zerſtört. Die zweite, gegründet im Jahre 1591 von Antonio de Berrio, etwa 54 km oſtwärts vom Einfluſſe des Carony, wehrte ſich mutig gegen Sir Walter Ralegh, den die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber der Eroberung nur unter dem Namen des Korſaren Reali kennen. Die dritte Stadt, der jetzige Hauptort der Provinz, liegt 234 km weſtwärts vom Einfluſſe des Carony. Sie wurde im Jahre 1764 unter dem Statthalter Don Juaquin Moreno de Men - doza angelegt, und man unterſcheidet ſie in den offiziellen Schriftſtücken von der zweiten Stadt, die gewöhnlich die Feſtung (el castillo oder las fortalezas) oder Altguyana (Vieja Guyana) heißt, als Santo Tome de la Nueva Guyana. 152Da dieſer Name ſehr lang iſt, ſo ſagt man dafür im gemeinen Leben Angoſtura (Engpaß). 1Daß es eine Stadt Angoſtura gebe, erfuhr man in Europa durch den handel der Katalonier mit der China vom Rio Carony, welche die heilkräftige Rinde der Bonplandia trifoliata iſt. Da dieſe Rinde von Nueva Guyana kam, ſo nannte man ſie Corteza oder Cascarilla del Angostura, Cortex An - gosturae. Die Botaniker wußten ſo wenig, woher dieſe geo - graphiſche Benennung rührte, daß ſie anfangs Anguſtura und dann Auguſta ſchrieben.Die Bevölkerung dieſer Län - der weiß kaum, daß die Namen Santiago de Leon und Santo Tome auf unſeren Karten die beiden Hauptſtädte von Vene - zuela und Guyana bedeuten.

Angoſtura, deſſen Länge und Breite ſich nach aſtronomi - ſchen Beobachtungen ſchon oben angegeben, lehnt ſich an einen kahlen Hügel von Hornblendeſchiefer. Die Straßen ſind ge - rade und laufen meiſt dem Strome parallel. Viele Häuſer ſtehen auf dem nackten Fels, und hier, wie in Carichana und in manchen Miſſionen, glaubt man, daß durch die ſchwarzen ſtark von der Sonne erhitzten Flächen die Luft ungeſund werde. Für gefährlicher halte ich die Lachen ſtehenden Waſſers (Lagunas y anegadizos), die hinter der Stadt gegen Südoſt ſich hinziehen. Die Häuſer in Angoſtura ſind hoch, angenehm und meiſtens aus Stein. Dieſe Bauart beweiſt, daß man ſich hierzulande vor den Erdbeben nicht ſehr fürchtet; leider gründet ſich aber dieſe Sicherheit keineswegs auf einen Schluß aus zuverläſſigen Beobachtungen. Im Küſtenland von Neu - andaluſien ſpürt man allerdings zuweilen ſehr ſtarke Stöße, die ſich nicht über die Llanos hinüber fortpflanzen. Von der furchtbaren Kataſtrophe in Cumana am 4. Februar 1797 fühlte man in Angoſtura nichts, aber beim großen Erdbeben vom Jahre 1766, das jene Stadt gleichfalls zerſtörte, wurde der Granitboden beider Orinokoufer bis zu den Katarakten von Atures und Maypures erſchüttert. Südlich von denſelben ſpürt man zuweilen Stöße, die ſich auf das Becken des oberen Orinoko und des Rio Negro beſchränken. Dieſelben ſcheinen von einem vulkaniſchen Herd auszugehen, der von dem auf den Kleinen Antillen weit abliegt. Nach den Angaben der Miſſionäre in Javita und San Fernando de Atabapo waren im Jahr 1798 zwiſchen dem Guaviare und dem Rio Negro ſehr ſtarke Erdbeben, die nordwärts, Maypures zu, nicht153 mehr geſpürt wurden. Man kann nicht aufmerkſam genug alles beachten, was die Gleichzeitigkeit der Bodenſchwingungen und die Unabhängigkeit derſelben auf zuſammenhängenden Landſtrichen betrifft. Alles weiſt darauf hin, daß die Be - wegung ſich nicht an der Oberfläche fortpflanzt, ſondern durch ſehr tiefe Spalten, die in verſchiedene Herde auslaufen.

Die Umgebung der Stadt Angoſtura bietet wenig Ab - wechſelung; indeſſen iſt die Ausſicht auf den Strom, der einen ungeheuren von Südweſt nach Nordoſt laufenden Kanal dar - ſtellt, höchſt großartig. Nach einem langen Streit über die Verteidigung des Platzes und die Kanonenſchußweite wollte die Regierung genau wiſſen, wie breit der Strom bei dem Punkte ſei, welcher der Engpaß heißt, und wo ein Fels liegt (el Peñon), der bei Hochwaſſer ganz bedeckt wird. Ob - gleich bei der Provinzialregierung ein Ingenieur angeſtellt iſt, hatte man wenige Monate vor meiner Ankunft in Angoſtura aus Caracas Don Matias Yturbur hergeſchickt, um den Ori - noko zwiſchen der geſchleiften Schanze San Gabriel und der Redoute San Rafael meſſen zu laſſen. Ich hörte in nicht zuverläſſiger Weiſe, bei dieſer Meſſung haben ſich etwas über 800 varas castellanas (669 m) ergeben. Der Stadtplan, welcher der großen Karte von Südamerika von La Cruz Ol - medilla beigegeben iſt, gibt 940 (785 m) an. Ich ſelbſt habe den Strom zweimal ſehr genau trigonometriſch gemeſſen, ein - mal beim Engpaß ſelbſt zwiſchen den beiden Schanzen San Gabriel und San Rafael, und dann oſtwärts von Angoſtura auf dem großen Spaziergang (Alameda) beim Embarcadero del ganado. Ich fand für den erſteren Punkt (als Minimum der Breite) 1130 m, für letzteren 955 m. Der Strom iſt alſo hier noch immer vier - bis fünfmal breiter als die Seine beim Pflanzengarten, und doch heißt dieſe Strecke am Ori - noko eine Einſchnürung, ein Engpaß. Nichts gibt einen beſſeren Begriff von der Waſſermaſſe der großen Ströme Amerikas als die Dimenſionen dieſer ſogenannten Engpäſſe. Der Amazonenſtrom iſt nach meiner Meſſung beim Pongo de Rentema 423 m, beim Pongo de Manſeriche, nach La Condamine, 48 und beim Engpaß Pauxis 1750 m breit. Letzterer Engpaß iſt alſo beinahe ſo breit als der Orinoko im Engpaß beim Baraguan. 1Ich fand denſelben 1732 m breit.

Bei Hochwaſſer überſchwemmt der Strom die Quais, und154 es kommt vor, daß Unvorſichtige in der Stadt ſelbſt den Kro - kodilen zur Beute werden. Ich ſetze aus meinem Tagebuche einen Fall her, der während Bonplands Krankheit vorge - kommen. Ein Guaykari-Indianer von der Inſel Margarita wollte ſeine Piroge in einer Bucht anbinden, die nicht drei Fuß tief war. Ein ſehr wildes Krokodil, das immer in der Gegend herumſtrich, packte ihn beim Bein und ſchwamm vom Ufer weg, wobei es an der Oberfläche blieb. Das Geſchrei des Indianers zog eine Menge Zuſchauer herbei. Man ſah, wie der Unglückliche mit unerhörter Entſchloſſenheit zuerſt ein Meſſer in der Taſche ſeines Beinkleides ſuchte. Da er es nicht fand, packte er den Kopf des Krokodils und ſtieß ihm die Finger in die Augen. In den heißen Landſtrichen Ame - rikas iſt es jedermann bekannt, daß dieſes mit einem harten, trockenen Schuppenpanzer bedeckte fleiſchfreſſende Reptil an den wenigen weichen, nicht geſchützten Körperteilen, wie an den Augen, den Achſelhöhlen, den Naſenlöchern und unterhalb des Unterkiefers, wo zwei Biſamdrüſen ſitzen, ſehr empfindlich iſt. Der Guaykari ergriff das Mittel, durch das Mungo - Parks Neger und das Mädchen in Uritucu, von denen oben die Rede war, ſich gerettet; aber er war nicht ſo glücklich wie ſie, und das Krokodil machte den Rachen nicht auf, um ſeine Beute fahren zu laſſen. Im Schmerz tauchte aber das Tier unter, ertränkte den Indianer, erſchien wieder auf der Waſſerfläche und ſchleppte den Leichnam auf eine Inſel dem Hafen gegenüber. Ich kam im Moment an Ort und Stelle, wo viele Einwohner von Angoſtura das ſchreckliche Ereignis mit angeſehen hatten.

Da das Krokodil vermöge des Baues ſeines Kehlkopfes, ſeines Zungenbeins und der Faltung ſeiner Zunge ſeine Beute unter Waſſer wohl packen, aber nicht verſchlingen kann, ſo verſchwindet ſelten ein Menſch, ohne daß man ganz nahe an der Stelle, wo das Unglück geſchehen, nach ein paar Stun - den das Tier zum Vorſchein kommen und am nächſten Ufer ſeine Beute verſchlingen ſieht. Weit mehr Menſchen, als man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Un - vorſichtigkeit und der Gier der Reptilien. Es kommt beſon - ders in den Dörfern vor, deren Umgegend häufig überſchwemmt wird. Dieſelben Krokodile halten ſich lange am nämlichen Orte auf. Sie werden von Jahr zu Jahr kecker, zumal, wie die Indianer behaupten, wenn ſie einmal Menſchenfleiſch ge - koſtet haben. Die Tiere ſind ſo ſchlau, daß ſie ſehr ſchwer zu155 erlegen ſind. Eine Kugel dringt nicht durch ihre Haut, und der Schuß iſt nur dann tödlich, wenn er in den Rachen oder in die Achſelhöhle trifft. Die Indianer, welche ſich ſelten der Feuerwaffen bedienen, greifen das Krokodil mit Lanzen an, ſobald es an ſtarken, ſpitzen eiſernen Haken, auf die Fleiſch ge - ſteckt iſt und die mit einer Kette an einem Baumſtamm befeſtigt ſind, angebiſſen hat. Man geht dem Tier erſt dann zu Leibe, wenn es ſich lange abgemüht hat, um vom Eiſen, das ihm in der oberen Kinnlade ſteckt, loszukommen. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu ſäubern, da aus einem Labyrinth zahlloſer Flüſſe Tag für Tag neue Schwärme vom Oſtabhang der Anden über den Meta und den Apure an die Küſten von Spaniſch - Guyana herabkommen. Mit dem Fortſchritt der Kultur wird man es nur dahin bringen, daß die Tiere ſcheuer werden und leichter zu verſcheuchen ſind.

Man erzählt rührende Fälle, wo afrikaniſche Sklaven ihr Leben aufs Spiel ſetzten, um ihren Herren das Leben zu retten, die in den Rachen eines Krokodils geraten waren. Vor wenigen Jahren ergriff zwiſchen Uritucu und der Miſſion de abaxo in den Llanos von Calabozo ein Neger auf das Geſchrei ſeines Herrn ein langes Meſſer (machete) und ſprang in den Fluß. Er ſtach dem Tiere die Augen aus und zwang es ſo, ſeine Beute fahren zu laſſen und ſich unter dem Waſſer zu verbergen. Der Sklave trug ſeinen ſterbenden Herrn ans Ufer, aber alle Verſuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, blieben fruchtlos; er war ertrunken, denn ſeine Wunden waren nicht tief. Das Krokodil ſcheint, wie der Hund, beim Schwimmen die Kinnladen nicht feſt zu ſchließen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Kinder des Verſtorbenen, obgleich ſie ſehr arm waren, dem Sklaven die Freiheit ſchenkten.

Für die Anwohner des Orinoko und ſeiner Nebenflüſſe ſind die Gefahren, denen ſie ausgeſetzt ſind, ein Gegenſtand der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Kroko - dils beobachtet, wie der Torero die Sitten des Stieres. Sie wiſſen die Bewegungen des Tieres, ſeine Angriffsmittel, den Grad ſeiner Keckheit gleichſam voraus zu berechnen. Sehen ſie ſich angegriffen, ſo greifen ſie mit der Geiſtesgegenwart und Entſchloſſenheit, die den Indianern, den Zambos, über - haupt den Farbigen eigen ſind, zu all den Mitteln, die man ſie von Kindheit auf kennen gelehrt. In Ländern, wo die156 Natur ſo gewaltig und furchtbar erſcheint, iſt der Menſch be - ſtändig gegen die Gefahr gerüſtet. Wir haben oben erwähnt, was das junge indianiſche Mädchen ſagte, das ſich ſelbſt aus dem Rachen des Krokodils losgemacht: Ich wußte, daß es mich fahren ließ, wenn ich ihm die Finger in die Augen drückte. Dieſes Mädchen gehörte der dürftigen Volksklaſſe an, wo die Gewöhnung an phyſiſche Not die moraliſche Kraft ſteigert; es iſt aber wahrhaft überraſchend, wenn man in von ſchrecklichen Erdbeben zerrütteten Ländern, auf der Hochebene von Quito, Frauen aus den höchſten Geſellſchaftsklaſſen im Augenblick der Gefahr dieſelbe Kaltblütigkeit, dieſelbe über - legte Entſchloſſenheit entwickeln ſieht.

Ich gebe zum Beleg dafür nur ein Beiſpiel. Als am 4. Februar 1797 36000 Indianer in wenigen Minuten ihren Tod fanden, rettete eine junge Mutter ſich und ihre Kinder dadurch, daß ſie im Augenblick, wo der geborſtene Boden ſie verſchlingen wollte, ihnen zurief, die Arme auszuſtrecken. Als man gegen das mutige Weib Verwunderung über eine ſo außerordentliche Geiſtesgegenwart äußerte, erwiderte ſie ganz einfach: Ich habe von Jugend auf gehört: überraſcht dich das Erdbeben im Hauſe, ſo ſtelle dich unter die Verbindungs - thür zwiſchen zwei Zimmern; biſt du im Freien und fühlſt du, daß der Boden unter dir ſich aufthut, ſo ſtrecke beide Arme aus und ſuche dich an den Rändern der Spalte zu halten. So iſt der Menſch in dieſen wilden oder häufigen Zerrüttungen unterworfenen Ländern gerüſtet, den Tieren des Waldes entgegenzutreten, ſich aus dem Rachen der Krokodile zu befreien, ſich aus dem Kampfe der Elemente zu retten.

So oft in ſehr heißen und naſſen Jahren bösartige Fieber in Angoſtura herrſchen, ſtreitet man darüber, ob die Regierung wohl gethan, die Stadt von Vieja Guyana an den Engpaß zwiſchen der Inſel Maruanta und dem Einfluß des Rio Orocopiche zu verlegen. Man behauptet, der alten Stadt ſeien, da ſie näher an der See gelegen, die kühlen Seewinde mehr zu gute gekommen, und die große Sterblichkeit, die dort geherrſcht, ſei nicht ſowohl örtlichen Ur - ſachen als der Lebensweiſe der Einwohner zuzuſchreiben ge - weſen. An den fruchtbaren, feuchten Ufern des Orinoko unter - halb des Einfluſſes des Carony wachſen in überſchwenglicher Menge Waſſermelonen (Patillas), Bananen und Papayas. 1Die Frucht der Carica Papaya. 157Dieſe Früchte wurden roh gegeſſen, ſogar unreif, und da das Volk dem Genuß geiſtiger Getränke übermäßig ergeben war, ſo nahm infolge dieſer unordentlichen Lebensweiſe die Volks - zahl Jahr um Jahr ab. In den Archiven von Caracas liegen eine Menge Schriften, die davon handeln, daß die jeweilige Hauptſtadt von Guyana notwendig verlegt werden müſſe. Nach den mir mitgeteilten Aktenſtücken ſchlug man bald vor, wieder in die Fortaleza, das heißt nach Vieja Guyana zu ziehen, bald die Hauptſtadt ganz nahe an der großen Mün - dung des Orinoko (45 km weſtwärts vom Kap Barima, am Einfluß des Rio Acquire) anzulegen, bald ſie 112 km unter - halb Angoſtura auf die Savanne zu ſtellen, auf der das Dorf San Miguel liegt. Es war allerdings eine engherzige Politik, wenn die Regierung glaubte, zur beſſeren Verteidigung der Provinz den Hauptort in der ungeheuren Entfernung von 382 km von der See anlegen zu müſſen und auf dieſer Strecke keine Stadt erbauen zu dürfen, die den Einfällen des Feindes bloßgeſtellt wäre . Zu dem Umſtand, daß europäiſche Fahrzeuge den Orinoko ſehr ſchwer bis Angoſtura hinauf - kommen (weit ſchwerer als auf dem Potomac bis Waſhington), kommt noch der andere für die Agrikulturinduſtrie ſehr nach - teilige, daß der Mittelpunkt des Handels oberhalb der Stelle liegt, wo die Ufer des Stromes den Fleiß des Koloniſten am meiſten lohnen. Es iſt nicht einmal richtig, daß die Stadt Angoſtura oder Santo Tome de la Nueva Guyana da an - gelegt worden, wo im Jahr 1764 das bebaute Land anfing; damals wie jetzt war die Hauptmaſſe der Bevölkerung von Guyana in den Miſſionen der kataloniſchen Kapuziner zwiſchen den Flüſſen Carony und Cuyuni. Nun iſt aber dieſes Ge - biet, das wichtigſte in der ganzen Provinz, wo ſich der Feind Hilfsmittel aller Art verſchaffen kann, eben durch Vieja Guyana geſchützt oder man nimmt dies doch an in keiner Weiſe aber durch die Werke der neuen Stadt Angoſtura.

Die in Vorſchlag gebrachte Stelle bei San Miguel liegt ein Stück oſtwärts vom Einfluß des Carony, alſo zwiſchen der See und dem bevölkertſten Landſtriche. Legt man den Haupt - ort der Provinz noch weiter unten, ganz nahe am Ausfluß des Orinoko an, wie de Pons will, ſo hat man weniger von der Nähe der Kariben zu beſorgen, die man ſich leicht vom Leibe hielte, als vom Umſtand, daß der Feind über die kleinen weſtlichen Mündungen des Orinoko, die Caños Macareo und Manamo, den Platz umgehen und in das Innere der Provinz158 vordringen könnte. Bei einem Fluſſe, deſſen Delta ſchon 205 km von der See den Anfang nimmt, kommen, wenn es ſich von der Anlage einer großen Stadt handelt, zwei Inter - eſſen ins Spiel, die militäriſche Verteidigung und die Rück - ſicht auf Handel und Ackerbau. Der Handel verlangt, daß die Stadt ſo nahe als möglich bei der großen Mündung, der Boca de Navios liege; aus dem Geſichtspunkt der militäriſchen Sicherung ſtände ſie beſſer oberhalb des Beginns des Deltas, weſtlich vom Punkt, wo der Caño Manamo vom Hauptſtrome abgeht und durch mannigfache Verzweigungen mit den acht kleinen Mündungen (Bocas chicas) zwiſchen der Inſel Cang - rejos und der Mündung des Rio Guarapiche in Verbindung ſteht. Die Lage von Vieja wie von Nueva Guyana entſpricht der letzteren Bedingung. Die der alten Stadt hat noch den weiteren Vorteil, daß ſie in gewiſſem Grade die ſchönen Nie - derlaſſungen der kataloniſchen Kapuziner am Carony deckt. Man könnte dieſelben angreifen, wenn man vom rechten Ufer des Brazo Imataca ans Land ginge; aber die Mündung des Carony, in der die Pirogen die Unruhe des Waſſers von den nahen Katarakten her (Salto de Carony) ſpüren, iſt durch die Werke von Altguyana verteidigt.

Ich bin bei dieſer Erörterung ins einzelne gegangen, weil dieſe dünn bevölkerten Länder durch die politiſchen Er - eigniſſe in neueſter Zeit große Wichtigkeit erhalten haben. Ich habe die verſchiedenen Pläne beſprochen, ſoweit ich bei meiner Lage und meinem Verhältnis zur ſpaniſchen Regierung die Oertlichkeiten am unteren Orinoko habe kennen lernen. Es iſt Zeit, daß man der in den ſpaniſchen und portugieſi - ſchen Kolonieen herrſchenden Sucht, Städte zu verſetzen wie Nomadenlager, entgegentritt. Nicht als ob die Gebäude in Angoſtura zu bedeutend und zu feſt wären, als daß man an eine Zerſtörung der Stadt denken könnte; bei ihrer Lage am Fuße eines Felſens ſcheint ſie ſich ſchwer weiter ausdehnen zu können; aber trotz dieſer Uebelſtände läßt man doch lieber ſtehen, was ſeit fünfzig Jahren gediehen iſt. Unmerklich ver - knüpft ſich mit der Exiſtenz einer Hauptſtadt, ſo klein ſie auch ſein mag, das Bewußtſein geſicherter öffentlicher Zuſtände, und wenn das Handelsintereſſe eine teilweiſe Abänderung durchaus verlangt, ſo könnte man ja ſpäter, während Ango - ſtura der Sitz der Verwaltung und der Mittelpunkt der Ge - ſchäfte bliebe, näher an der großen Mündung des Orinoko einen anderen Hafen anlegen. So iſt ja Guayra der Stapel -159 platz von Caracas, und ſo mag eines Tages Veracruz der Hafen von Xalapa werden. Die Fahrzeuge aus Europa und aus den Vereinigten Staaten, die mehrere Monate in dieſen Strichen verweilen, könnten, wenn ſie wollten, bis Angoſtura hinauf gehen, die anderen nähmen ihre Ladung im Hafen zunächſt der Punta Barima ein, wo ſich in Friedenszeit die Magazine, die Seilerbahnen und die Werfte befänden. Zur Deckung des Landes zwiſchen der Hauptſtadt und dem Stapel - platz oder dem Puerto de la Boca grande gegen einen feind - lichen Einfall befeſtigte man die Ufer des Orinoko nach einem dem Terrain angepaßten Verteidigungsſyſtem, etwa bei Ima - taca oder Zacupana, bei Barrancas oder San Rafael (an der Stelle, wo der Caño Manama vom Hauptſtrom abgeht), bei Vieja Guyana, bei der Inſel Faxardo (dem Einfluß des Carony gegenüber) und beim Einfluß des Mamo. In dieſe Werke, die ohne große Koſten zu beſchaffen wären, flüchteten ſich auch die Kanonierſchaluppen, die an den Punkten ſtatio - niert ſind, welche die feindlichen Fahrzeuge, wenn ſie gegen die Strömung heraufſegeln, in Sicht haben müſſen, um neue Schläge zu machen. Dieſe Verteidigungsmittel ſcheinen mir um ſo dringender geboten, da ſie nur zu lange vernachläſſigt worden ſind. 1Man ſollte es kaum glauben, daß während meines Auf - enthaltes in Angoſtura die Geſamtverteidigungsmittel der Provinz aus 7 Lanchas canoneras und 600 Mann aller Farben und Waffen - gattungen beſtanden, eingerechnet die ſogenannten Garniſonen der vier Grenzforts, der Destacamentos von Nueva Guyana, San Carlos del Rio Negro, Guirior und Cuyuni.

Die Nordküſten von Südamerika ſind größtenteils durch eine Bergkette gedeckt, die von Weſt nach Oſt ſtreichend zwi - ſchen dem Uferſtrich und den Llanos von Neuandaluſien, Bar - celona, Venezuela und Varinas liegt. Dieſe Küſten haben die Aufmerkſamkeit des Mutterlandes wohl zu ausſchließlich in Anſpruch genommen: dort liegen ſechs feſte Plätze mit ſchönem, zahlreichem Geſchütz, nämlich Cartagena, San Carlos de Maracaybo, Porto Cabello, La Guayra, der Moro de Nueva Barcelona und Cumana. Die Oſtküſten von Spaniſch-Amerika, die von Guyana und Buenos Ayres ſind niedrig und ohne Schutz; einem unternehmenden Feinde fällt es nicht ſchwer, ins Innere des Landes bis zum Oſtabhange der Kordilleren von Neugranada und Chile vorzudringen. Die Richtung des160 Rio de la Plata,1Von Süden nach Norden auf 22 Breitengrade. der durch den Uruguay, Parana und Pa - raguay gebildet wird, nötigt das angreifende Heer, wenn es oſtwärts vordringen will, über die Steppen (Pampas) bis Cordova oder Mendoza zu ziehen; aber nördlich vom Aequa - tor, in Spaniſch-Guyana bietet der Lauf des Orinoko2Von Weſten nach Oſten auf 13 Längengrade. und ſeiner beiden großen Nebenflüſſe Apure und Meta in der Richtung eines Parallelkreiſes eine Waſſerſtraße, auf der ſich Munition und Lebensmittel leicht fortbringen laſſen. Wer Herr von Angoſtura iſt, dringt nach Gefallen nordwärts in die Steppen von Cumana, Barcelona und Caracas, nordweſt - wärts in die Provinz Varinas, weſtwärts in die Provinzen am Caſanare bis an den Fuß der Gebirge von Pamplona, Tunja und Santa Fé de Bogota vor. Zwiſchen der Provinz Spaniſch-Guyana und dem reichen, ſtark bevölkerten, gut an - gebauten Uferſtriche liegen nur die Niederungen am Orinoko, Apure und Meta. Die feſten Plätze (Cumana, La Guayra und Porto Cabello) ſchützen dieſe Länder kaum vor einer Landung an der Nordküſte. An dieſen Angaben über die Bodenbildung und die gegenwärtige Verteilung der feſten Punkte mag es genügen. Man erſieht daraus wohl hinläng - lich, daß zur politiſchen Sicherung der vereinigten Provinzen Caracas und Neugranada eine Deckung der Orinokomündungen unumgänglich iſt, und daß Spaniſch-Guyana, obgleich kaum urbar gemacht und ſo dünn bevölkert, im Kampfe zwiſchen den Kolonieen und dem Mutterlande eine große Bedeutung erlangt. Dieſe militäriſche Bedeutung des Landes erkannte der berühmte Ralegh ſchon vor 200 Jahren. Im Berichte über ſeine erſte Expedition kommt er öfters darauf zurück, wie leicht es der Königin Eliſabeth wäre, auf dem Orinoko und den zahlloſen Flüſſen, die ſich in denſelben ergießen , einen großen Teil der ſpaniſchen Kolonieen zu erobern. Wir haben oben angeführt, daß Girolamo Benzoni im Jahre 1545 die Revolutionen auf San Domingo, das in kurzem Eigentum der Schwarzen werden müſſe , vorherſagte. Hier finden wir in einem Werke, das 1596 erſchien, einen Feldzugsplan, der ſich durch Ereigniſſe der jüngſten Zeit als ganz richtig er - wieſen hat.

In den erſten Jahren nach der Gründung ſtand die Stadt Angoſtura in keinem unmittelbaren Verkehr mit dem161 Mutterlande. Die Einwohner beſchränkten ſich darauf, dürres Fleiſch und Tabak auf die Antillen und über den Rio Cayuni in die holländiſche Provinz am Eſſequibo zu ſchmuggeln. Man erhielt unmittelbar aus Spanien weder Wein, noch Oel, noch Mehl, die drei geſuchteſten Einfuhrartikel. Im Jahre 1771 ſchickten einige Handelsleute die erſte Goelette nach Cadiz, und ſeitdem wurde der direkte Tauſchhandel mit den anda - luſiſchen und kataloniſchen Häfen ſehr lebhaft. Seit 1785 nahm die Bevölkerung von Angoſtura,1Im Jahre 1768 hatte Angoſtura nur 500 Einwohner. Eine im Jahre 1780 vorgenommene Zählung ergab 1513 (nämlich 455 Weiße, 449 Neger, 363 Mulatten und Zambos, 246 Indianer). Im Jahre 1789 war die Bevölkerung auf 4590, und 1800 auf 6600 Seelen geſtiegen. Der Hauptort der engliſchen Kolonie Deme - rary, die Stadt Stabrock, liegt nur 225 km ſüdoſtwärts von der Mündung des Orinoko. Sie hat, nach Bolingbroke, gegen 10000 Einwohner. nachdem ſie lange ſehr zurückgeblieben war, ſtark zu, indeſſen war ſie bei meinem Aufenthalte in Guyana noch weit hinter der Bevölkerung der nächſten engliſchen Stadt Stabrock zurück. Die Mündungen des Orinoko haben etwas vor allen Häfen von Terra Firma voraus: man verkehrt aus denſelben am raſcheſten mit der ſpaniſchen Halbinſel. Man fährt zuweilen von Cadiz zur Punta Barima in 18 bis 20, und nach Europa zurück in 30 bis 35 Tagen. Da dieſe Mündungen unter dem Winde aller Inſeln liegen, ſo können die Schiffe von Angoſtura einen vorteilhafteren Verkehr mit den Kolonieen auf den Antillen unterhalten als Guayra und Porto Cabello. Die Handelsleute in Caracas ſehen daher auch immer mit eiferſüchtigen Blicken auf die Fortſchritte der Induſtrie in Spaniſch-Guyana, und da Caracas bisher der höchſte Regierungsſitz war, ſo wurde der Hafen von Angoſtura noch weniger begünſtigt als die Häfen von Cumana und Nueva Barcelona. Der innere Ver - kehr iſt am lebhafteſten mit der Provinz Varinas. Aus der - ſelben kommen nach Angoſtura Maultiere, Kakao, Indigo, Baumwolle und Zucker, und ſie erhält dafür Generos , das heißt europäiſche Manufakturprodukte. Ich ſah lange Fahr - zeuge (Lanchas) abgehen, deren Ladung auf 8000 bis 10000 Piaſter geſchätzt wurde. Dieſe Fahrzeuge fahren zuerſt den Orinoko bis Cabruta, dann den Apure bis San Vicente, endlich den Rio Santo Domingo bis Torunos hinauf, welchesA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 11162der Stapelplatz von Varinas Nuevas iſt. Die kleine Stadt San Fernando de Apure, die ich oben beſchrieben, dient als Niederlage bei dieſem Flußhandel, der durch die Einführung der Dampfſchiffahrt noch weit bedeutender werden kann.

Das linke Ufer des Orinoko und alle Mündungen des Stromes, mit Ausnahme der Boca de Navios, gehören zu der Provinz Cumana. Dieſer Umſtand hat ſchon lange Anlaß zum Projekt gegeben, Angoſtura gegenüber (da wo gegenwärtig die Batterie San Rafael ſteht) eine neue Stadt zu gründen, um vom Gebiete der Provinz Cumana ſelbſt, und ohne über den Orinoko ſetzen zu müſſen, die Maultiere und das dürre Fleiſch der Llanos ausführen zu können. Kleinliche Eifer - ſüchteleien, wie ſie immer zwiſchen zwei benachbarten Regie - rungen im Schwange ſind, werden dieſem Plane Vorſchub leiſten; aber beim gegenwärtigen Zuſtande des Ackerbaues im Lande iſt zu wünſchen, daß er noch lange vertagt bleibt. Warum ſollte man an den Ufern des Orinoko zwei kon - kurrierende Städte bauen, die kaum 780 m auseinander lägen?

Ich habe im bisherigen das Land beſchrieben, das wir auf einer 2250 km langen Flußfahrt durchzogen; es bleibt jetzt nur noch das kleine 3,52 Längengrade betragende Stück zwiſchen der gegenwärtigen Hauptſtadt und der Mündung des Orinoko übrig. Eine genaue Kenntnis des Deltas und des Laufes des Rio Carony iſt für die Hydrographie und den europäiſchen Handel von gleichem Belange. Um den Flächen - raum und die Bildung eines von Flußarmen durchſchnittenen und periodiſchen Ueberſchwemmungen unterworfenen Landes beurteilen zu können, hatte ich die aſtronomiſche Lage der Punkte, wo die Spitze und die äußerſten Arme des Deltas liegen, zu ermitteln. Churruca, der mit Don Juaquin Fidalgo den Auftrag hatte, die Nordküſten von Terra Firma und die Antillen aufzunehmen, hat Länge und Breite der Boca de Manamo, der Punta Baxa und von Vieja Guyana beſtimmt. Aus Eſpinoſas Denkſchriften kennen wir die wahre Lage der Punta Barima, und ich glaube daher, wenn ich nach den Punkten Puerto Eſpaña auf der Inſel Trinidad und dem Schloſſe San Antonio bei Cumana (Punkten, welche durch meine eigenen Beobachtungen und durch Oltmanns ſcharf - ſinnige Unterſuchungen gegeben ſind) eine Reduktion vornehme und dadurch die abſoluten Längen näher beſtimme, hinlänglich genaue Angaben machen zu können. Es iſt wünſchenswert, daß einmal auf einer ununterbrochenen Fahrt auf chrono -163 metriſchem Wege die Meridianunterſchiede zwiſchen Puerto Eſpaña und den kleinen Mündungen des Orinoko, zwiſchen San Rafael (der Spitze des Deltas) und Santo Tome de Angoſtura beſtimmt werden.

Die ganze Oſtküſte von Südamerika vom Kap San Roque, und beſonders vom Hafen von Maranham bis zum Gebirgsſtock von Paria iſt ſo niedrig, daß, nach meiner An - ſicht, das Delta des Orinoko und ſeine Bodenbildung nicht wohl den Anſchwemmungen eines Stromes zugeſchrieben werden kann. Ich will nach der Ausſage der Alten nicht in Abrede ziehen, daß das Nildelta einſt ein Buſen des Mittel - meers war, der allmählich durch Anſchwemmung ausgefüllt wurde. Es begreift ſich leicht, daß ſich an der Mündung aller großen Ströme da, wo die Geſchwindigkeit der Strö - mung raſch abnimmt, eine Bank, ein Eiland bildet, daß ſich Material abſetzt, das nicht weiter geſchwemmt werden kann. Es iſt ebenſo begreiflich, daß der Fluß, da er um dieſe Bank herum muß, ſich in zwei Arme ſpaltet, und daß die An - ſchwemmungen, da ſie an der Spitze des Deltas einen Stütz - punkt finden, ſich immer weiter ausbreiten, während die Fluß - arme auseinander weichen. Der Vorgang bei der erſten Gabelung wiederholt ſich bei jedem einzelnen Stromſtücke, ſo daß die Natur durch denſelben Prozeß ein Labyrinth kleiner ge - gabelter Kanäle hervorbringen kann, die ſich im Laufe der Jahrhunderte, je nach der Stärke und der Richtung der Hoch - gewäſſer, ausfüllen oder vertiefen. Auf dieſe Weiſe hat ſich unzweifelhaft der Hauptſtamm des Orinoko 112 km weſtwärts von der Boca de Navios in zwei Arme, den von Zacupana und den von Imataca, geteilt. Das Netz kleinerer Zweige dagegen, die gegen Nord vom Fluſſe abgehen und deren Mün - dungen Bocas chicas (die kleinen Mündungen) heißen, ſcheint mir eine Erſcheinung, die ganz mit der Bildung der Delta von Nebenflüſſen übereinkommt. Wenn mehrere hundert Kilometer von der Küſte ein Fluß (z. B. der Apure oder Jupura) ſich mittels einer Menge von Zweigen mit einem anderen Fluſſe verbindet, ſo ſind dieſe mannigfachen Gabelungen nur Rinnen in einem völlig ebenen Boden. Ebenſo verhält es ſich mit den ozeaniſchen Delta überall, wo bei allgemeinen Ueberflutungen in Zeiten, bevor Orinoko und Amazonenſtrom beſtanden, die Küſten mit erdigen Niederſchlägen bedeckt wur - den. Ich bezweifle, daß alle ozeaniſchen Delta einſt Meer - buſen, oder, wie einige neuere Geographen ſich ausdrücken,164 negative Delta waren. Wenn einmal die Mündungen des Ganges, des Indus, des Senegal, der Donau, des Ama - zonenſtromes, des Orinoko und des Miſſiſſippi geologiſch ge - nauer unterſucht ſind, wird ſich zeigen, daß nicht alle denſelben Urſprung haben, man wird dann zwiſchen Küſten unterſchei - den, die infolge der ſich häufenden Anſchwemmungen raſch in die See hinaus vorrücken, und Küſten, die ſich innerhalb des allgemeinen Umriſſes der Kontinente halten; man wird unter - ſcheiden zwiſchen einem, von einem gegabelten Strome ge - bildeten Landſtriche, und den von ein paar Seitenarmen durch - zogenen Niederungen, die zu einem aufgeſchwemmten Lande gehören, das mehrere tauſend Quadratmeilen Flächenraum hat.

Das Delta des Orinoko zwiſchen der Inſel Cangrejos und der Boca de Manamo (der Landſtrich, wo die Guaraunen wohnen) läßt ſich mit der Inſel Marajo oder Joanes an der Mündung des Amazonenſtromes vergleichen. Dort liegt das aufgeſchwemmte Land nördlich, hier ſüdlich vom Hauptſtamme des Stromes. Aber die Inſel Joanes ſchließt ſich nach ihrer Form der allgemeinen Bodenbildung in der Provinz Maranhãõ gerade ſo an, wie die Küſte bei den Bocas chicas des Orinoko den Küſten am Rio Eſſequibo und am Meerbuſen von Paria. Nichts weiſt darauf hin, daß einmal letzterer Meerbuſen ſüd - wärts von der Boca de Manamo bis Vieja Guyana ins Land hinein gereicht oder daß der Amazonenſtrom die ganze Bucht zwiſchen Villa Viſtoſa und Gran Para mit ſeinen Ge - wäſſern gefüllt hat. Nicht alles, was an den Flüſſen liegt, iſt ihr Werk. Meiſt haben ſie ſich in aufgeſchwemmtem Lande ein Bett gegraben, aber dieſe Anſchwemmungen ſind von höherem geologiſchem Alter, hängen mit den großen Umwäl - zungen zuſammen, die unſer Planet erlitten. Es iſt zu er - mitteln, ob zwiſchen den gegabelten Zweigen eines Fluſſes der Schlick nicht auf einer Schicht von Geſchieben liegt, wie man ſie ſehr weit vom fließenden Waſſer findet. Die Arme des Orinoko weichen auf 87 km auseinander; es iſt dies die Breite des ozeaniſchen Deltas zwiſchen Punta Barima und der am weiteſten nach Weſt gelegenen Boca chica. Dieſer Landſtrich iſt bis jetzt nicht genau aufgenommen, und ſo kennt man auch nicht die Zahl der Mündungen. Nach der ge - meinen Annahme hat der Orinoko ihrer ſieben, und dies er - innert an die im Altertume ſo berufenen septem ostia Nili. Aber das ägyptiſche Delta war nicht immer auf dieſe Zahl beſchränkt, und an den überſchwemmten Küſten von Guyana165 kann man wenigſtens elf ganz anſehnliche Mündungen zählen. Nach der Boca de Navios, welche die Schiffer nach der Punta Barima erkennen, ſind vom größten Werte für die Schiffahrt die Bocas Mariuſas, Macareo, Pedernales und Manamo grande. Der Strich des Deltas weſtwärts von der Boca Macareo wird von den Gewäſſern des Meerbuſens von Paria oder Golfo triste beſpült. Dieſes Becken wird durch die Oſt - küſte der Provinz Cumana und die Weſtküſte der Inſel Trinidad gebildet; es ſteht mit dem Meere der Antillen durch die vielberufenen Bocas de Dragos (Mündungen des Drachen) in Verbindung, welche die Küſtenpiloten ſeit Chriſtoph Ko - lumbus Zeit ziemlich uneigentlich als die Mündungen des Orinoko betrachten.

Will ein Schiff von der hohen See her in die Haupt - mündung des Orinoko, die Bocas de Navios einlaufen, ſo muß es die Punta Barima in Sicht bekommen. Das rechte, ſüdliche Ufer iſt das höhere; es kommt auch nicht weit davon landeinwärts, zwiſchen dem Caño Barima, dem Aquire und dem Cuyuni, das Granitgeſtein auf dem moraſtigen Boden zu Tage. Das linke oder nördliche Stromufer, welches über das Delta bis zur Boca de Mariuſas und der Punta Baxa läuft, iſt ganz niedrig; man erkennt es von weitem nur an den Gruppen von Mauritiapalmen, welche die Landſchaft zieren. Der Baum iſt der Sagobaum dieſes Landſtriches;1Das nahrhafte Satzmehl oder Farine médullaire der Sago - bäume findet ſich vorzugsweiſe bei einer Gruppe von Palmen, die Kunth Calameen nennt; es kommt indeſſen auch in den Stämmen von Cycas revoluta, Phoenix farinifera, Corypha umbraculifera und Caryota urens vor und wird im Indiſchen Archipel von dieſen Bäumen geſammelt und in den Handel gebracht. Der echte aſiatiſche Sagobaum (Sagus Rumphii oder Metroxylon Sagu, Roxburgh) gibt mehr Nahrungsſtoff als alle anderen nutzbaren Gewächſe. Von einem einzigen Stamme gewinnt man im fünften Jahre zuweilen 300 kg Sago oder Mehl (denn das Wort Sagu bedeutet im am - boiniſchen Dialekt Mehl). Crawfurd, der ſich ſo lange auf dem Indiſchen Archipel aufgehalten hat, berechnet, daß auf 4029 Quadrat - metern 435 Sagobäume wachſen können, die über 4000 kg Mehl jährlich geben. Dieſer Ertrag iſt dreimal ſo hoch als beim Getreide, und doppelt ſo hoch als bei der Kartoffel in Frankreich. Die Ba - nanen geben auf derſelben Bodenfläche noch mehr Nahrungsſtoff als der Sagobaum. man gewinnt daraus das Mehl zum Yurumabrote, und166 die Mauritia iſt keineswegs eine Küſtenpalme , wie Chamae - rops humilis, wie der gemeine Kokosbaum und Commerſons Lodoicea, ſondern geht, als Sumpfpalme , bis zu den Quellen des Orinoko hinauf. Während der Ueberſchwem - mungen nehmen ſich dieſe Mauritiabüſche wie ein Wald aus, der aus dem Waſſer taucht. Der Schiffer, wenn er bei Nacht durch die Kanale des Orinokodeltas fährt, ſieht mit Ueber - raſchung die Wipfel der Palmen von großen Feuern beleuchtet. Dies ſind die an den Baumäſten aufgehängten Wohnungen der Guaraunen (Raleghs Tivitiva und Uaraueti). Dieſe Völkerſchaften ſpannen Matten in der Luft aus, füllen ſie mit Erde und machen auf einer befeuchteten Thonſchicht ihr Haushaltungsfeuer an. Seit Jahrhunderten verdanken ſie ihre Freiheit und politiſche Unabhängigkeit dem unfeſten, ſchlammigen Boden, auf dem ſie in der trockenen Jahreszeit umherziehen und auf dem nur ſie ſicher gehen können, ihrer Abgeſchiedenheit auf dem Delta des Orinoko, ihrem Leben auf den Bäumen, wohin religiöſe Schwärmerei ſchwerlich je amerikaniſche Styliten1Simeon Siſanites, ein Syrier, war der Stifter dieſer Sekte. Er brachte in myſtiſcher Beſchaulichkeit 37 Jahre auf 5 Säulen zu, von denen die letzte 36 m hoch war. Die Säulenheiligen, sancti columnares, wollten auch in Deutſchland, im Trierſchen, ihre luftigen Klöſter einführen, aber die Biſchöfe widerſetzten ſich einem ſo tollen, halsbrechenden Unternehmen. treibt.

Ich habe ſchon anderswo bemerkt, daß die Mauritiapalme, der Lebensbaum der Miſſionäre, den Guaraunen nicht nur beim Hochwaſſer des Orinoko eine ſichere Behauſung bietet, ſondern ihnen in ſeinen ſchuppigen Früchten, in ſeinem mehligen Staube, in ſeinem zuckerreichen Safte, endlich in den Faſern ſeiner Blatt - ſtiele Nahrungsmittel, Wein und Schnüre zu Stricken und Hänge - matten gibt. Gleiche Gebräuche wie bei den Indianern auf dem Delta des Orinoko herrſchten früher im Meerbuſen von Darien (Uraba) und auf den meiſten zeitweiſe unter Waſſer ſtehenden Landſtrichen zwiſchen dem Guarapiche und der Mün - dung des Amazonenſtromes. Es iſt ſehr merkwürdig, auf der niedrigſten Stufe menſchlicher Kultur das Leben einer ganzen Völkerſchaft an eine einzige Palmenart gekettet zu ſehen, In - ſekten gleich, die ſich nur von einer Blüte, vom ſelben Teile eines Gewächſes nähren.

Es iſt nicht zu verwundern, daß die Breite der Haupt -167 mündung des Orinoko (Boca de Navios) ſo verſchieden ge - ſchätzt wird. Die große Inſel Cangrejos iſt nur durch einen ſchmalen Kanal von dem unter Waſſer ſtehenden Boden ge - trennt, der zwiſchen den Bocas Nuina und Mariuſas liegt, ſo daß 37 oder 25 km herauskommen, je nachdem man (in einer der Strömung entgegengeſetzten Richtung) von der Punta Barima zum nächſten gegenüberliegenden Ufer, oder von der - ſelben Punta zum öſtlichen Teile der Inſel Cangrejos mißt. Ueber die Waſſerſtraße läuft eine Sandbank, eine Barre, in 5,5 m Tiefe; man gibt derſelben eine Breite von 4870 bis 5450 m. Wie beim Amazonenſtrome, beim Nil und allen Flüſſen, die ſich in mehrere Arme teilen, iſt auch beim Ori - noko die Mündung nicht ſo groß, als man nach der Länge ſeines Laufes und nach der Breite, die er noch mehrere hun - dert Kilometer weit im Lande hat, vermuten ſollte. Man weiß nach Malaſpinas Aufnahme, daß der Rio de la Plata von Punta del Eſte bei Maldonado bis zum Cabo San An - tonio über 187 km breit iſt; fährt man aber nach Buenos Ayres hinauf, ſo nimmt die Breite ſo raſch ab, daß ſie Colonia del Sacramento gegenüber nur noch 39 km beträgt. Was man gemeiniglich die Mündung des Rio de la Plata heißt, iſt eben ein Meerbuſen, in den ſich der Uruguay und der Parana ergießen, zwei Flüſſe, die nicht ſo breit ſind wie der Orinoko. Um die Größe der Mündung des Amazonen - ſtromes zu übertreiben, rechnet man die Inſeln Marajo und Caviana dazu, ſo daß von Punta Tigioca bis zu Cabo del Norte die ungeheure Breite von 3 ½° oder 315 km heraus - kommt; betrachtet man aber näher das hydrauliſche Syſtem des Kanals Tagypuru, des Rio Tocantins, des Amazonen - ſtromes und des Araguari, die ihre ungeheuren Waſſermaſſen vereinigen, ſo ſieht man, daß dieſe Schätzung rein aus der Luft gegriffen iſt. Zwiſchen Macapa und dem weſtlichen Ufer der Inſel Marajo (Ilha de Joanes) iſt der eigentliche Amazonenſtrom in zwei Arme geteilt, die zuſammen nur 49,5 km breit ſind. Weiter unten läuft das Nordufer der Inſel Marajo in der Richtung eines Parallels fort, während die Küſte von portugieſiſch Guyana zwiſchen Macapa und Cabo del Norte von Süd nach Nord ſtreicht. So kommt es, daß der Amazonenſtrom bei den Inſeln Maxiana und Caviana, da wo die Gewäſſer des Stromes und die des Atlantiſchen Ozeans zuerſt aufeinander ſtoßen, einen gegen 74 km breiten Meerbuſen bildet. Der Orinoko ſteht noch168 mehr hinſichtlich der Länge des Laufes als der Breite im Binnenlande dem Amazonenſtrome nach, er iſt ein Fluß zweiter Ordnung; man darf aber nicht vergeſſen, daß alle dieſe Einteilungen nach der Länge des Laufes oder der Breite der Mündungen ſehr willkürlich ſind. Die Flüſſe der britan - niſchen Inſeln laufen in Meerbuſen oder Süßwaſſerſeen aus, in denen durch die Ebbe und Flut des Meeres die Waſſer periodiſch hin und her getrieben werden; ſie weiſen uns deut - lich darauf hin, daß man die Bedeutung eines hydrauliſchen Syſtemes nicht einzig nach der Breite der Mündungen ſchätzen darf. Jede Vorſtellung von relativer Größe iſt ſchwan - kend, ſolange man nicht durch Meſſung der Geſchwindigkeit und des Flächenraumes von Querſchnitten die Waſſermaſſen vergleichen kann. Leider ſind Aufnahmen derart an Be - dingungen geknüpft, die der einzelne Reiſende nicht erfüllen kann. So muß man das ganze Flußbett ſondieren können, und zwar in verſchiedenen Jahreszeiten. Da ſcheinbar ſehr breite Flüſſe meiſt nicht ſehr tiefe, von mehreren parallelen Rinnen durchzogene Becken ſind, ſo führen ſie auch weit weniger Waſſer, als man auf den erſten Blick glaubt. Zwi - ſchen dem Maximum und dem Minimum des Waſſerſtandes während der großen Ueberſchwemmungen und in der trockenen Jahreszeit kann die Waſſermaſſe um das Fünfzehn - bis Zwanzig - fache größer oder kleiner ſein.

Sobald man Punta Barima umſegelt hat und in das Bett des Orinoko ſelbſt eingelaufen iſt, findet man dieſes nur 5850 m breit. Höhere Angaben beruhen auf dem Ver - ſehen, daß die Steuerleute den Fluß auf einer Linie meſſen, die nicht ſenkrecht auf die Richtung der Strömung gezogen iſt. Die Inſel Cangrejos zu befeſtigen, bei der das Waſſer 7,8 bis 9,75 m tief iſt, wäre unnütz; die Fahrzeuge wären hier außerhalb Kanonenſchußweite. Das Labyrinth von Ka - nälen, die zu den kleinen Mündungen führen, wechſelt Tag für Tag nach Geſtalt und Tiefe. Viele Steuerleute ſind der feſten Anſicht, die Caños Cocuina, Pedernales und Macareo, durch welche der Küſtenhandel mit der Inſel Trinidad ge - trieben wird, ſeien in den letzten Jahren tiefer geworden und der Strom ziehe ſich immer mehr von der Boca de Navios weg und wende ſich mehr nach Nordweſt. Vor dem Jahre 1760 wagten ſich Fahrzeuge mit mehr als 3 bis 4 m Tief - gang ſelten in die kleinen Kanäle des Deltas. Gegenwärtig ſcheut man die kleinen Mündungen des Orinoko faſt gar169 nicht mehr, und feindliche Schiffe, welche nie dieſe Striche befahren haben, finden an den Guaraunen willige, geübte Wegweiſer. Die Civiliſierung dieſer Völkerſchaft, deren Wohn - ſitze ſich zum Orinoko verhalten wie die der Nhengahyba oder Igaruana zum Amazonenſtrome, iſt für jede Regierung, die am Orinoko Herr bleiben will, von großem Belange.

Ebbe und Flut ſind im April, beim tiefſten Waſſerſtande, bis über Angoſtura hinauf zu ſpüren, alſo mehr als 382 km land - einwärts. Beim Einfluſſe des Carony, 270 km von der Küſte, ſteigt das Waſſer durch Stauung um 40 cm. Dieſe Schwin - gungen der Waſſerfläche, dieſe Unterbrechung des Laufes ſind nicht mit der aufſteigenden Flut zu verwechſeln. Bei der großen Mündung des Orinoko am Kap Barima beträgt die Fluthöhe 60 bis 92 cm, dagegen weiter gegen Nordweſt, im Golfo triste, zwiſchen der Boca Pedernales, dem Rio Guara - piche und der Weſtküſte von Trinidad, 2,2 bis 2,8, ſogar 9,75 m. So viel macht auf einer Strecke von 135 bis 180 km der Einfluß des Umriſſes der Küſten aus, ſowie der Umſtand, daß die Gewäſſer durch die Bocas de Dragos langſamer ab - fließen. Wenn man in ganz neuen Werken angegeben findet, der Orinoko verurſache 2 bis in die hohe See hinaus be - ſondere Strömungen, die Farbe des Seewaſſers verändere ſich dadurch und im Golfo triste ſei ſüßes Waſſer (Gumillas Mar dulce), ſo ſind das lauter Fabeln. Die Strömung geht an dieſer ganzen Küſte vom Kap Orange an nach Nordweſt, und der Einfluß der ſüßen Gewäſſer des Orinoko auf die Stärke dieſer allgemeinen Strömung, auf die Durchſichtigkeit und die Farbe des Meerwaſſers bei reflektiertem Lichte iſt ſelten weiter als 13 bis 18 km nordoſtwärts von der Inſel Cangrejos zu ſpüren. Das Waſſer im Golfo triste iſt geſalzen, nur weniger als im übrigen Meere der Antillen wegen der kleinen Mündungen des Orinokodeltas und der Waſſer - maſſe, welche der Rio Guarapiche hereinbringt. Aus den - ſelben Gründen gibt es keine Salzwerke an dieſen Küſten, und ich habe in Angoſtura Schiffe aus Cadiz ankommen ſehen, die Salz, ja, was für die Induſtrie in den Kolonieen be - zeichnend iſt, Backſteine zum Bau der Hauptkirche geladen hatten.

Den Umſtand, daß die unbedeutende Flut an der Küſte im Bette des Orinoko und des Amazonenſtromes ſo ungemein weit aufwärts zu ſpüren iſt, hat man bis jetzt als einen ſicheren Beweis angeſehen, daß beide Ströme auf einer Strecke170 von 382 und 900 km nur um wenige Fuß fallen können. Dieſer Beweis erſcheint aber durchaus nicht als ſtichhaltig, wenn man bedenkt, daß die Stärke der ſich fortpflanzenden Schwankungen im Niveau von vielen örtlichen Umſtänden abhängig iſt, von der Form, den Krümmungen und der Zahl der ineinander mündenden Kanäle, vom Widerſtande des Grundes, auf dem die Flutwelle heraufkommt, vom Abprallen des Waſſers an den gegenüberliegenden Ufern und von der Einſchnürung des Stromes in einen Engpaß. Ein gewandter Ingenieur, Bremontier, hat in neueſter Zeit dargethan, daß im Bette der Garonne die Flutwellen wie auf einer geneigten Ebene weit über das Niveau der See an der Mündung des Fluſſes hinaufgehen. Im Orinoko kommen die ungleich hohen Fluten von Punta Barima und vom Golfo triste in un - gleichen Intervallen durch die große Waſſerſtraße der Boca de Navios und durch die engen, gewundenen, zahlreichen Bocas chicas herauf. Da dieſe kleinen Kanäle am ſelben Punkte, bei San Rafael, vom Hauptſtamme abgehen, ſo wäre es von Intereſſe, die Verzögerung des Eintrittes der Flut und die Fortpflanzung der Flutwellen im Bette des Orinoko oberhalb und unterhalb San Rafael, auf der See bei Kap Barima und im Golfo triste bei der Boca Manamo zu beob - achten. Die Waſſerbaukunſt und die Theorie der Bewegung von Flüſſigkeiten in engen Kanälen müßten beide Nutzen aus einer Arbeit ziehen, für welche der Orinoko und der Amazonen - ſtrom beſonders günſtige Gelegenheit böten.

Bei der Fahrt auf dem Fluſſe, ob nun die Schiffe durch die Boca de Navios einlaufen oder ſich durch das Labyrinth der Bocas chicas wagen, ſind beſondere Vorſichtsmaßregeln erforderlich, je nachdem das Bett voll oder der Waſſerſtand ſehr tief iſt. Die Regelmäßigkeit, mit der der Orinoko zu beſtimmten Zeiten anſchwillt, war von jeher für die Reiſen - den ein Gegenſtand der Verwunderung, wie ja auch das Aus - treten des Nils für die Philoſophen des Altertums ein ſchwer zu löſendes Problem war. Der Orinoko und der Nil laufen, der Richtung des Ganges, Indus, Rio de la Plata und Euphrat entgegen, von Süd nach Nord; aber die Quellen des Orinoko liegen um 5 bis näher am Aequator als die des Nil. Da uns die zufälligen Wechſel im Luft - kreiſe täglich ſo ſtark auffallen, wird uns die Anſchauung ſchwer, daß in großen Zeiträumen die Wirkungen dieſes Wechſels ſich gegenſeitig ausgleichen ſollen, daß in einer171 langen Reihe von Jahren die Unterſchiede im durchſchnittlichen Betrage der Temperatur, der Feuchtigkeit und des Luftdruckes von Monat zu Monat ganz unbedeutend ſind, und daß die Natur, trotz der häufigen partiellen Störungen, in der Reihen - folge der meteorologiſchen Erſcheinungen einen feſten Typus befolgt. Die großen Ströme ſammeln die Waſſer, die auf einer mehrere tauſend Quadratmeilen großen Erdfläche nieder - fallen, in einen Behälter. So ungleich auch die Regenmenge ſein mag, die im Laufe der Jahre in dieſem oder jenem Thale fällt, auf den Waſſerſtand der Ströme von langem Lauf haben dergleichen lokale Wechſel ſo gut wie keinen Einfluß. Die Anſchwellungen ſind der Ausdruck des mittleren Feuch - tigkeitsſtandes im ganzen Becken; ſie treten Jahr für Jahr in denſelben Verhältniſſen auf, weil ihr Anfang und ihre Dauer eben auch vom Durchſchnitt der ſcheinbar ſehr ver - änderlichen Epochen des Eintrittes und des Endes der Regen - zeit unter den Breiten, durch welche der Hauptſtrom und ſeine Nebenflüſſe laufen, abhängig ſind. Es folgt daraus, daß die periodiſchen Schwankungen im Waſſerſtande der Ströme, gerade wie die unveränderliche Temperatur der Höhlen und der Quellen, ſichtbar darauf hinweiſen, daß Feuchtigkeit und Wärme auf einem Striche von beträchtlichem Flächenraum von einem Jahre zum anderen regelmäßig verteilt ſind. Die - ſelben machen ſtarken Eindruck auf die Einbildungskraft des Volkes, wie ja Ordnung in allen Dingen überraſcht, wo die erſten Urſachen ſchwer zu erfaſſen ſind, wie ja die Durch - ſchnittstemperaturen aus einer langen Reihe von Monaten und Jahren den in Verwunderung ſetzen, der zum erſtenmal eine Abhandlung über klimatiſche Verhältniſſe zu Geſicht be - kommt. Ströme, die ganz in der heißen Zone liegen, zeigen in ihren periodiſchen Bewegungen die wundervolle Regel - mäßigkeit, die einem Erdſtriche eigen iſt, wo derſelbe Wind faſt immer Luftſchichten von derſelben Temperatur herführt, und wo die Deklinationsbewegung der Sonne jedes Jahr zur ſelben Zeit mit der elektriſchen Spannung, mit dem Auf - hören der Seewinde und dem Eintritte der Regenzeit eine Störung des Gleichgewichtes verurſacht. Der Orinoko, der Rio Magdalena und der Kongo oder Zaire ſind die einzigen großen Ströme im Aequinoktialſtriche des Erdballes, die in der Nähe des Aequators entſpringen und deren Mündung in weit höherer Breite, aber noch innerhalb der Tropen liegt. Der Nil und der Rio de la Plata laufen in zwei ent -172 gegengeſetzten Halbkugeln aus der heißen in die gemäßigte Zone. 1In Aſien laufen der Ganges, der Brahmaputra und die majeſtätiſchen indiſch-chineſiſchen Flüſſe dem Aequator zu. Die erſteren kommen aus der gemäßigten Zone in die heiße. Der Um - ſtand, daß die Flüſſe entgegengeſetzte Richtungen haben (dem Aequator oder den gemäßigten Erdſtrichen zu), äußert Einfluß auf den Ein - tritt und die Größe der Ueberſchwemmungen, auf die Art und die Mannigfaltigkeit der Produkte längs der Ufer, auf die größere oder geringere Lebhaftigkeit des Handels, und, darf ich nach dem, was wir über die Völker Aegyptens, Meroes und Indiens wiſſen, wohl ſagen, auf den Gang der Kultur die Stromthäler entlang.

Solange man den Rio Paragua bei Esmeralda mit dem Rio Guaviare verwechſelte und die Quellen des Orinoko ſüdweſtwärts am Oſtabhange der Anden ſuchte, ſchrieb man das Steigen des Stromes dem periodiſchen Schmelzen des Schnees zu. Dieſer Schluß war ſo unrichtig, als wenn man früher den Nil durch das Schneewaſſer aus Abeſſinien aus - treten ließ. Die Kordilleren von Neugranada, in deren Nähe die weſtlichen Nebenflüſſe des Orinoko, der Gua - viare, der Meta und der Apure entſpringen, reichen, mit einziger Ausnahme der Paramos von Chita und Mucuchies, ſo wenig zu der Grenze des ewigens Schnees hinauf als die abeſſiniſchen Alpen. Schneeberge ſind im heißen Erdſtriche weit ſeltener, als man gewöhnlich glaubt; und die Schnee - ſchmelze, die in keiner Jahreszeit bedeutend iſt, wird zur Zeit der Hochwaſſer des Orinoko keineswegs ſtärker. Die Quellen dieſes Stromes liegen (oſtwärts von Esmeralda) in den Ge - birgen der Parime, deren höchſte Gipfel nicht über 2340 bis 2530 m hoch ſind, und von Grita bis Neiva (von 7 ½ bis der Breite) hat der öſtliche Zweig der Kordillere viele Paramos von 3500 bis 3700 m Höhe, aber nur eine Gruppe von Nevados, das heißt Bergen, höher als 4680 m und zwar die fünf Pichacos de Chita. In den ſchnee - loſen Paramos von Cundinamarca entſpringen die drei großen Nebenflüſſe des Orinoko von Weſten her. Nur kleinere Neben - flüſſe, die in den Meta und Apure fallen, nehmen einige Aguas de nieve auf, wie der Rio Caſanare, der vom Ne - vado de Chita, und der Rio de Santo Domingo, der von der Sierra Nevada de Merida herunterkommt und durch die Provinz Varinas läuft.

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Die Urſache des periodiſchen Austretens des Orinoko wirkt in gleichem Maße auf alle Flüſſe, die im heißen Erd - ſtrich entſpringen. Nach der Frühlings-Tag - und Nachtgleiche verkündet das Aufhören der Seewinde den Eintritt der Regen - zeit. Das Steigen der Flüſſe, die man als natürliche Re - genmeſſer betrachten kann, iſt der Regenmenge, die in den verſchiedenen Landſtrichen fällt, proportional. Mitten in den Wäldern am oberen Orinoko und Rio Negro ſchienen mir über 2,43 bis 2,7 m Regen im Jahre zu fallen. Die Ein - geborenen unter dem trüben Himmel von Esmeralda und am Atabapo wiſſen daher auch ohne die geringſte Kenntnis von der Phyſik, ſo gut wie einſt Eudoxus und Eratoſthenes,1Strabo Lib. XVII. Diodorus Siculus Lib. I, c. 5. daß das Austreten großer Ströme allein vom tropiſchen Regen herrührt. Der ordnungsmäßige Verlauf im Steigen und Fallen des Orinoko iſt folgender. Gleich nach der Frühlings - Tag - und Nachtgleiche (das Volk nimmt den 25. März an) bemerkt man, daß der Fluß zu ſteigen anfängt, anfangs nur um 2,5 cm in 24 Stunden; im April fällt der Fluß zu - weilen wieder; das Maximum des Hochwaſſers erreicht er im Juli, bleibt voll (im ſelben Niveau) vom Ende Juli bis zum 25. Auguſt, und fällt dann allmählich, aber langſamer, als er geſtiegen. Im Januar und Februar iſt er auf dem Mi - nimum. In beiden Welten haben die Ströme der nördlichen heißen Zone ihre Hochwaſſer ungefähr zur ſelben Zeit. Ganges, Nigir und Gambia erreichen wie der Orinoko ihr Maximum im Auguſt. 2Etwa 40 bis 50 Tage nach dem Sommerſolſtitium.Der Nil bleibt um zwei Monate zurück, ſei es infolge gewiſſer lokaler klimatiſcher Verhältniſſe in Abeſſinien, ſei es wegen der Länge ſeines Laufes vom Lande Berber oder vom 17. Breitengrade bis zur Teilung am Delta. Die ara - biſchen Geographen behaupten, in Sennaar und Abeſſinien ſteige der Nil ſchon im April (ungefähr wie der Orinoko); in Kairo wird aber das Steigen erſt gegen das Sommer - ſolſtitium merklich und der höchſte Waſſerſtand tritt Ende September ein. 3Etwa 80 bis 90 Tage nach dem Sommerſolſtitium.Auf dieſem erhält ſich der Fluß bis Mitte Oktober; das Minimum fällt im April und Mai, alſo in eine Zeit, wo in Guyana die Flüſſe ſchon wieder zu ſteigen anfangen. Aus dieſer raſchen Ueberſicht ergibt ſich, daß wenn auch die Form der natürlichen Kanäle und lokale klimatiſche174 Verhältniſſe eine Verzögerung herbeiführen, die große Er - ſcheinung des Steigens und Fallens der Flüſſe in der heißen Zone ſich überall gleich bleibt. Auf den beiden Tierkreiſen, die man gewöhnlich den tatariſchen und chaldäiſchen oder ägyptiſchen nennt (auf dem Tierkreiſe, der das Bild der Ratte, und auf dem, der die Bilder der Fiſche und des Waſſermanns hat) beziehen ſich beſondere Konſtellationen auf die periodiſchen Ueberſchwemmungen der Flüſſe. Wahre Cyklen, Zeiteinteilungen, wurden allmählich zu Teilungen des Raumes; da aber die phyſikaliſche Erſcheinung der Ueber - ſchwemmungen eine ſo allgemeine iſt, ſo konnte der Tierkreis, der durch die Griechen auf uns gekommen und der durch das Vorrücken der Tag - und Nachtgleichen ein geſchichtliches Denk - mal von hohem Alter wird, weit von Theben und dem hei - ligen Nilthale entſtanden ſein. Auf den Tierkreiſen der Neuen Welt, z. B. auf dem mexikaniſchen, kommen auch Zeichen für Regen und Ueberſchwemmung vor, die dem Chu (der Ratte) des chineſiſchen und tibetaniſchen Cyklus der Tſe und den Fiſchen und dem Waſſermann des zwölfteiligen Tierkreiſes entſprechen. Dieſe zwei mexikaniſchen Zeichen ſind das Waſſer (atl) und der Cipactli, das Seeungeheuer mit einem Horne. Dieſes Tier iſt zugleich die Fiſchgazelle der Hindu, der Steinbock unſeres Tierkreiſes, der Deu - kalion der Griechen und der Noah (Coxcox) der Azteken. So finden wir denn die allgemeinen Ergebniſſe der verglei - chenden Hydrographie ſchon auf den aſtrologiſchen Denk - mälern, in den Zeiteinteilungen und den religiöſen Ueber - lieferungen von Völkern, die geographiſch und dem Grade ihrer Geiſtesbildung nach am weiteſten auseinander liegen.

Da die Aequatorialregen auf den Niederungen eintreten, wenn die Sonne durch das Zenith den Ortes geht, das heißt, wenn ihre Deklination der Zone zwiſchen dem Aequator und einem der Wendekreiſe gleichnamig wird, ſo fällt das Waſſer im Amazonenſtrom, während es im Orinoko merklich ſteigt. In einer ſehr ſcharfſinnigen Erörterung über den Urſprung des Rio Kongo hat man die Phyſiker bereits auf die Modi - fikationen aufmerkſam gemacht, welche das periodiſche Steigen im Laufe eines Fluſſes erleiden muß, bei dem Quellen und Mündung nicht auf derſelben Seite der Aequinoktiallinie liegen. Bei den hydrauliſchen Syſtemen des Orinoko und des Amazonenſtromes verwickeln ſich die Umſtände in noch auffallenderer Weiſe. Sie ſind durch den Rio Negro und den175 Caſſiquiare, einen Arm des Orinoko, verbunden, und dieſe Verbindung bildet zwiſchen zwei großen Flußbecken eine ſchiff - bare Linie, über welche der Aequator läuft. Der Amazonen - ſtrom hält nach Angaben, die mir an den Ufern desſelben gemacht worden, die Epochen des Steigens und Fallens lange nicht ſo regelmäßig ein als der Orinoko; indeſſen fängt er meiſt im Dezember an zu ſteigen und erreicht ſein Maximum im März. Mit dem Mai fällt er wieder und im Juli und Auguſt, alſo zur Zeit, wo der untere Orinoko das Land weit und breit überſchwemmt, iſt ſein Waſſerſtand im Minimum. Da infolge der allgemeinen Bodenbildung kein ſüdamerikani - ſcher Fluß von Süd nach Nord über den Aequator laufen kann, ſo äußern die Ueberſchwemmungen des Orinoko Einfluß auf den Amazonenſtrom, durch die des letzteren dagegen er - leiden die Oszillationen des Orinoko keine Störung in ihrem Gange. Aus dieſen Verhältniſſen ergibt ſich, daß beim Ama - zonenſtrom und dem Orinoko die konkaven und die kon - vexen Spitzen der Kurve, welche der ſteigende und fal - lende Waſſerſtand beſchreibt, einander ſehr regelmäßig ent - ſprechen, da ſie den ſechsmonatlichen Unterſchied bezeichnen, der durch die Lage der Ströme in entgegengeſetzten Hemi - ſphären bedingt wird. Nur dauert es beim Orinoko nicht ſo lange, bis er zu ſteigen anfängt; er ſteigt merklich, ſobald die Sonne über den Aequator gegangen iſt; der Amazonen - ſtrom dagegen wächſt erſt zwei Monate nach dem Aequinok - tium. Bekanntlich tritt in den Wäldern nördlich von der Linie der Regen früher ein, als in den nicht ſo ſtark be - waldeten Niederungen der ſüdlichen heißen Zone. Zu dieſer örtlichen Urſache kommt eine andere, die vielleicht auch im Spiele iſt, wenn der Nil ſo ſpät ſteigt. Der Amazonenſtrom erhält einen großen Teil ſeiner Gewäſſer von der Kordillere der Anden, wo, wie überall in den Gebirgen, die Jahres - zeiten einen eigentümlichen, dem der Niederungen meiſt ent - gegengeſetzten Typus haben.

Das Geſetz des Steigens und Fallens des Orinoko iſt in Bezug auf das räumliche Moment oder die Größe der Schwankungen ſchwerer zu ermitteln als hinſichtlich des zeit - lichen, des Eintretens der Maxima und Minima. Da meine eigenen Meſſungen des Waſſerſtandes ſehr unvollſtändig ſind, teile ich Schätzungen, die ſehr ſtark voneinander abweichen, nur unter allem Vorbehalt mit. Die fremden Schiffen neh - men an, daß der untere Orinoko gewöhnlich um 29,2 m176 ſteige; Pons, der bei ſeinem Aufenthalte in Caracas im all - gemeinen ſehr genaue Notizen geſammelt hat, bleibt bei 25,3 m ſtehen. Der Waſſerſtand wechſelt natürlich nach der Breite des Bettes und der Zahl der Nebenflüſſe, die in den Haupt - ſtamm des Stromes hereinkommen. Der Nil ſteigt in Ober - ägypten um 9,7 bis 11,3 m, bei Kairo um 8,1, an der Nord - ſeite des Deltas um 1,3 m. Bei Angoſtura ſcheint der Strom im Durchſchnitt nicht über 7,8 bis 8 m zu ſteigen. Es liegt hier mitten im Fluſſe eine Inſel, wo man den Waſſerſtand ſo bequem beobachten könnte wie am Nilmeſſer (Megyas) an der Spitze der Inſel Rudah. Ein ausgezeichneter Ge - lehrter, der ſich in neueſter Zeit am Orinoko aufgehalten hat, Zea, wird meine Beobachtungen über einen ſo wichtigen Punkt ergänzen. Das Volk glaubt, alle 25 Jahre ſteige der Orinoko um 1 m höher als ſonſt; auf dieſen Cyklus iſt man aber keineswegs durch genaue Meſſungen gekommen. Aus den Zeugniſſen des Altertums geht hervor, daß die Niveau - ſchwankungen des Nil nach Höhe und Dauer ſeit Jahr - tauſenden ſich gleich geblieben ſind. Es iſt dies ein ſehr beachtenswerter Beweis, daß der mittlere Feuchtigkeits - und Wärmezuſtand im weiten Nilbecken ſich verändert. Wird dieſe Stetigkeit der phyſikaliſchen Erſcheinungen, dieſes Gleichgewicht der Elemente ſich auch in der Neuen Welt erhalten, wenn einmal die Kultur ein paar hundert Jahre alt iſt? Ich denke, man kann die Frage bejahen, denn alles, was die Geſamt - kraft des Menſchen vermag, kann auf die allgemeinen Urſachen, von denen das Klima Guyanas abhängt, keinen Einfluß äußern.

Nach der Barometerhöhe von San Fernando de Apure finde ich, daß der Fall des Apure und unteren Orinoko von dieſer Stadt bis zur Boca de Navios 49 mm auf den Kilo - meter beträgt. 1Der Apure für ſich hat einen Fall von 18,8 cm auf den Kilometer.Man könnte ſich wundern, daß bei einem ſolchen kaum merklichen Falle die Strömung ſo ſtark iſt; ich erinnere aber bei dieſer Gelegenheit daran, daß nach Meſſun - gen, die von Haſtings angeordnet worden, der Ganges auf einer Strecke von 111 km (die Krümmungen eingerechnet) auch nur 2,2 cm auf den Kilometer fällt und daß die mitt - lere Geſchwindigkeit dieſes Stromes in der trockenen Jahres -177 zeit 5,5, in der Regenzeit 11 bis 15 km in der Stunde be - trägt. Die Stärke der Strömung hängt alſo, beim Ganges wie beim Orinoko, nicht ſowohl vom Gefälle des Bettes ab, als von der ſtarken Anhäufung des Waſſers im oberen Strom - lauf infolge der ſtarken Regenniederſchläge und der vielen Zuflüſſe. Schon ſeit 250 Jahren ſitzen europäiſche Anſiedler an den Mündungen des Orinoko, und in dieſer langen Zeit haben ſich, nach einer von Geſchlecht zu Geſchlecht fortge - pflanzten Ueberlieferung, die periodiſchen Oszillationen des Stromes (der Zeitpunkt, wo er zu ſteigen anfängt und der höchſte Waſſerſtand) nie um mehr als 12 bis 15 Tage verzögert.

Wenn Fahrzeuge mit großem Tiefgange im Januar und Februar mit dem Seewinde und der Flut nach Angoſtura hinaufgehen, ſo laufen ſie Gefahr, auf dem Schlamme aufzu - fahren. Die Waſſerſtraße ändert ſich häufig nach Breite und Richtung; bis jetzt aber bezeichnet noch nirgends eine Bake die Anſchwemmungen, die ſich überall im Fluſſe bilden, wo das Waſſer ſeine urſprüngliche Geſchwindigkeit verloren hat. Südlich vom Kap Barima beſteht ſowohl über den Fluß dieſes Namens als über den Rio Moroca und mehrere Eſteres (aestuaria) eine Verbindung mit der engliſchen Kolonie am Eſſequibo. Man kann mit kleinen Fahrzeugen bis zum Rio Poumaron, an dem die alten Niederlaſſungen Zeland und Middelburg liegen, ins Land hineinkommen. Dieſe Verbin - dung hatte früher für die Regierung in Caracas nur darum einige Wichtigkeit, weil dadurch dem Schleichhandel Vorſchub geleiſtet wurde; ſeit aber Berbice, Demerary und Eſſequibo einem mächtigen Nachbar in die Hände gefallen ſind, be - trachten die Hiſpano-Amerikaner dieſelbe aus dem Geſichts - punkte der Sicherheit der Grenze. Flüſſe, die der Küſte parallel laufen und nur 9 bis 11 km davon entfernt bleiben, ſind dem Uferſtriche zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrom eigentümlich.

45 km vom Kap Barima teilt ſich das große Bett des Orinoko zum erſtenmal in zwei 3900 m breite Arme; dieſelben ſind unter den indianiſchen Namen Zacupana und Imataca bekannt. Der erſtere, nördlichere, ſteht weſtwärts von den Inſeln Cangrejos und Burro mit den Bocas chicas Lauran, Nuina und Mariuſas in Verbindung. Die Inſel Burro verſchwindet beim Hochwaſſer, iſt alſo leider nicht zu befeſtigen. Das ſüdliche Ufer des brazo Imataca iſt vonA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 12178einem Labyrinth kleiner Waſſerrinnen zerſchnitten, in welche ſich der Rio Imataca und der Rio Aquire ergießen. Auf den fruchtbaren Savannen zwiſchen dem Imataca und dem Cuyuni erhebt ſich eine lange Reihe Granithügel, Ausläufer der Kordillere der Parime, die ſüdlich von Angoſtura den Horizont begrenzt, die vielberufenen Katarakte des Rio Ca - rony bildet und dem Orinoko beim Fort Vieja Guyana wie ein vorgeſchobenes Kap nahe rückt. Die volkreichen Miſſionen der Kariben und Guayanos unter der Obhut der kataloniſchen Kapuziner liegen den Quellen des Imataca und des Aquire zu. Am weiteſten gegen Oſt liegen die Miſſionen Miamu, Cumamu und Palmar auf einem bergigen Landſtriche, der ſich gegen Tupuquen, Santa Maria und Villa de Upata hinzieht. Geht man den Rio Aquire hinauf und über die Weiden gegen Süd, ſo kommt man zur Miſſion Belem de Tumeremo und von da an den Zuſammenfluß des Curumu mit dem Rio Cuyuni, wo früher der ſpaniſche Poſten oder Destacamento de Cuyuni lag. Ich mache dieſe einzelnen topographiſchen Angaben, weil der Rio Cuyuni oder Cuduvini auf eine Strecke von 2 ½ bis 3 Längegraden dem Orinoko parallel von Oſt nach Weſt läuft, und eine vortreffliche natürliche Grenze zwiſchen dem Gebiete von Caracas und Engliſch-Guyana abgibt.

Die beiden Arme des Orinoko, der Zacupana und Ima - taca bleiben 63 km weit getrennt; weiter oben findet man die Gewäſſer des Stromes in einem ſehr breiten Bette bei - ſammen. Dieſes Stromſtück iſt gegen 36 km lang; an ſeinem weſtlichen Ende erſcheint eine zweite Gabelung, und da die Spitze des Deltas im nördlichen Arme des gegabelten Fluſſes liegt, ſo iſt dieſer Teil des Orinoko für die militäriſche Ver - teidigung des Landes von großer Bedeutung. Alle Kanäle, die den Bocas chicas zulaufen, entſpringen am ſelben Punkte aus dem Stamme des Orinoko. Der Arm (Caño Manamo), der beim Dorfe San Rafael abgeht, verzweigt ſich erſt nach einem Laufe von 13 bis 18 km, und ein Werk, das man oberhalb der Inſel Chaguanes anlegte, würde Angoſtura gegen einen Feind decken, der durch eine der Bocas chicas eindringen wollte. Zu meiner Zeit lagen die Kanonierſchaluppen öſtlich von San Rafael, am nördlichen Ufer des Orinoko. Dieſen Punkt müſſen die Fahrzeuge in Sicht bekommen, die durch die nördliche Waſſerſtraße bei San Rafael, welche die breiteſte, aber ſeichteſte iſt, nach Angoſtura hinaufſegeln.

27 km oberhalb des Punktes, wo der Orinoko einen179 Zweig an die Bocas chicas abgibt, liegt das alte Fort (Los ca - stillos de la Vieja oder Antigua Guyana), das im 16. Jahr - hundert zuerſt angelegt wurde. An dieſem Punkte liegen viele felſige Eilande im Strome, der hier gegen 1266 m breit ſein ſoll. Die Stadt iſt faſt ganz zerſtört, aber die Werke ſtehen noch und verdienen alle Aufmerkſamkeit von ſeiten der Re - gierung von Terra Firma. In der Batterie auf einem Hügel nordweſtwärts von der alten Stadt hat man eine prachtvolle Ausſicht. Bei Hochwaſſer iſt die alte Stadt ganz von Waſſer umgeben. Lachen, die in den Orinoko münden, bilden natür - liche Baſſins für Schiffe, welche auszubeſſern ſind. Hoffent - lich, wenn der Friede dieſen ſchönen Ländern wieder geſchenkt iſt und keine engherzige Staatskunſt mehr den Fortſchritt der Induſtrie hemmt, werden ſich Werften an dieſen Lachen bei Vieja Guyana erheben. Kein Strom nach dem Amazonen - ſtrom kann aus den Wäldern, durch die er läuft, ſo präch - tiges Schiffsbauholz liefern. Dieſe Hölzer aus den großen Familien der Laurineen, der Guttiferen, der Rutaceen und der baumartigen Schotengewächſe bieten nach Dichtigkeit, ſpezifiſcher Schwere und mehr oder weniger harziger Be - ſchaffenheit alle nur wünſchenswerten Abſtufungen. Was im Lande allein fehlt, das iſt ein leichtes, elaſtiſches Maſt - holz mit parallelen Faſern, wie die Nadelhölzer der ge - mäßigten Landſtriche und der hohen Gebirge unter den Tropen es liefern.

Iſt man an den Werken von Vieja Guyana vorbei, ſo wird der Orinoko wieder breiter. Hinſichtlich des Anbaues des Landes zeigen beide Ufer einen auffallenden Kontraſt. Gegen Nord ſieht man nur den öden Strich der Provinz Cumana, die unbewohnten Steppen (Llanos), die ſich bis jen - ſeits der Quellen des Rio Mamo, dem Plateau oder der Meſa von Guanipa zu, erſtrecken. Südwärts ſieht man drei volkreiche Dörfer, die zu den Miſſionen am Carony gehören, San Miguel de Uriala, San Felix und San Joaquin. Letz - teres Dorf, am Carony unmittelbar unterhalb des großen Kataraktes gelegen, gilt für den Stapelplatz der kataloniſchen Miſſionen. Fährt man weiter gegen Weſt, ſo hat der Steuer - mann zwiſchen der Mündung des Carony und Angoſtura die Klippen Guarampo, die Untiefe des Mamo und die Piedra del Rosario zu vermeiden. Ich habe nach dem umfangreichen Material, das ich mitgebracht, und nach den aſtronomiſchen Unterſuchungen, deren Hauptergebniſſe ich oben mitgeteilt,180 eine Karte des Landes zwiſchen dem Delta des Orinoko, dem Carony und dem Cuyuni entworfen. Es iſt dies der Teil von Guyana, der wegen der Nähe der Küſte eines Tages für europäiſche Anſiedler die meiſte Anziehungskraft haben wird.

In ihrem gegenwärtigen Zuſtande ſteht die ganze Be - völkerung dieſer großen Provinz, mit Ausnahme einiger ſpa - niſcher Kirchſpiele (Pueblos y villas de Españoles), unter der Regierung zweier Mönchsorden. Schätzt man die Zahl der Einwohner von Guyana, die nicht in wilder Unabhängig - keit leben, auf 35000, ſo leben etwa 24000 in den Miſ - ſionen und ſind dem unmittelbaren Einfluſſe des weltlichen Armes ſo gut wie entzogen. Zur Zeit meiner Reiſe hatte das Gebiet der Franziskaner von der Kongregation der Obſer - vanten 7300 Einwohner, das der Capuchinos catalanes 17000; ein auffallendes Mißverhältnis, wenn man bedenkt, wie klein letzteres Gebiet iſt gegenüber den ungeheuren Ufer - ſtrecken am oberen Orinoko, Atabapo, Caſſiquiare und Rio Negro. Aus dieſen Angaben geht hervor, daß gegen zwei Dritteile der Bevölkerung einer Provinz von 16800 Meilen Flächeninhalt zwiſchen dem Rio Imataca und der Stadt Santo Tome de Angoſtura auf einem 250 km langen und 135 km breiten Striche zuſammengedrängt ſind. Dieſe beiden mönchiſchen Regierungen ſind den Weißen gleich unzugäng - lich und bilden einen status in statu. Ich habe bisher nach meinen eigenen Beobachtungen die der Obſervanten be - ſchrieben, und es bleibt mir jetzt noch übrig mitzuteilen, was ich über das andere Regiment, das der kataloniſchen Kapu - ziner, in Erfahrung gebracht. Verderbliche bürgerliche Zwiſte und epidemiſche Fieber haben in den letzten Jahren den Wohl - ſtand der Miſſionen am Carony, nachdem er lange im Zu - nehmen geweſen, heruntergebracht; aber trotz dieſer Verluſte iſt der Landſtrich, den wir beſuchen wollen, noch immer national - ökonomiſch ſehr intereſſant.

Die Miſſionen der kataloniſchen Kapuziner hatten im Jahre 1804 zum wenigſten 60000 Stücke Vieh auf den Sa - vannen, die ſich vom öſtlichen Ufer des Carony und Para - gua bis zu den Ufern des Imataca, Curumu und Cuyuni erſtrecken; ſie grenzen gegen Südoſt an das engliſche Guyana oder die Kolonie Eſſequibo, gegen Süd, an den öden Ufern des Paragua und Paraguamuſi hinauf und über die Kordillere von Pacaraimo, laufen ſie bis zu den portugieſiſchen Nieder -181 laſſungen am Rio Branco. Dieſer ganze Landſtrich iſt offen, voll ſchöner Savannen, ganz anders als das Land, über das wir am oberen Orinoko gekommen ſind. Undurchdringlich werden die Wälder erſt dem Süden zu, gegen Nord ſind Wieſengründe, von bewaldeten Hügeln durchſchnitten. Die ma - leriſchten Landſchaften ſind bei den Fällen des Carony und in der 487 m hohen Bergkette zwiſchen den Nebenflüſſen des Orinoko und denen des Cuyuni. Hier liegen Villa de Upata, der Hauptort der Miſſionen, Santa Maria und Cupapui. Auf kleinen Hochebenen herrſcht ein geſundes, gemäßigtes Klima; Kakao, Reis, Baumwolle, Indigo und Zucker wachſen überall in Fülle, wo der unberührte, mit dicker Grasnarbe bedeckte Boden beackert wird. Die erſten chriſtlichen Nieder - laſſungen reichen, glaube ich, nicht über das Jahr 1721 hinauf. Die Elemente der gegenwärtigen Bevölkerung ſind drei in - dianiſche Völkerſchaften, die Guayanos, die Kariben und die Guaica. Letztere ſind ein Gebirgsvolk und lange nicht von ſo kleinem Wuchſe wie die Guaica, die wir in Esmeralda getroffen. Sie ſind ſchwer an die Scholle zu feſſeln und die drei jüngſten Miſſionen, in denen ſie beiſammen lebten, Cura, Curucuy und Arechica, ſind bereits wieder eingegangen. Von den Guyanos erhielt im 16. Jahrhundert die ganze weite Provinz ihren Namen; ſie ſind nicht ſo intelligent, aber ſanft - mütiger, und leichter, wenn nicht zu civiliſieren, doch zu bän - digen, als die Kariben. Ihre Sprache ſcheint zum großen Stamme der karibiſchen und tamanakiſchen Sprachen zu ge - hören. Sie iſt mit denſelben in den Wurzeln und gram - matiſchen Formen verwandt, wie unter ſich Sanskrit, Perſiſch, Griechiſch und Deutſch. Bei etwas, das ſeinem Weſen nach unbeſtimmt iſt, laſſen ſich nicht leicht feſte Formen aufſtellen, und man verſtändigt ſich ſehr ſchwer über die Unterſchiede zwiſchen Dialekt, abgeleiteter Sprache und Stammſprache. Durch die Jeſuiten in Paraguay kennen wir in der ſüdlichen Halbkugel eine andere Horde Guayanos, die in den dichten Wäldern am Parana leben. Obgleich ſich nicht in Abrede ziehen läßt, daß die Völker, die nördlich und ſüdlich vom Amazonenſtrom hauſen, durch weite Wanderzüge in gegen - ſeitige Verbindung getreten ſind, ſo möchte ich doch nicht ent - ſcheiden, ob jene Guayanos am Parana und Uruguay mit denen am Carony mehr gemein haben als einen gleichlauten - den Namen, was auf einem Zufall beruhen kann.

Die bedeutendſten chriſtlichen Niederlaſſungen liegen jetzt182 zwiſchen den Bergen bei Santa Maria, der Miſſion San Miguel und dem öſtlichen Ufer des Carony, von San Buena - ventura bis Guri und dem Stapelplatz San Joaquin, auf einem Landſtrich von nur 9300 qkm beiſammen. Gegen Oſt und Süd ſind die Savannen faſt gar nicht bewohnt; dort liegen nur weit zerſtreut die Miſſionen Belem, Tumu - remo, Tupuquen, Puedpa und Santa Clara. Es wäre zu wünſchen, daß der Boden vorzugsweiſe abwärts von den Flüſſen bebaut würde, wo das Terrain höher und die Luft geſünder iſt. Der Rio Carony, ein herrlich klares, an Fiſchen armes Waſſer, iſt von Villa de Barceloneta an, die etwas über dem Einfluſſe des Paragua liegt, bis zum Dorfe Guri frei von Klippen. Weiter nordwärts ſchlängelt er ſich zwi - ſchen zahlloſen Eilanden und Felſen durch, und nur die kleinen Kanoen der Kariben wagen ſich in dieſe Raudales oder Strom - ſchnellen des Carony hinein. Zum Glück teilt ſich der Fluß häufig in mehrere Arme, ſo daß man denjenigen wählen kann. der nach Waſſerſtand am wenigſten Wirbel und Klippen über dem Waſſer hat. Der große Salto, vielberufen wegen der maleriſchen Reize der Landſchaft, liegt etwas oberhalb des Dorfes Aguacagua oder Carony, das zu meiner Zeit eine Bevölkerung von 700 Indianern hatte. Der Waſſerfall ſoll 5 bis 6 m hoch ſein, aber die Schwelle läuft nicht über das ganze mehr als 100 m breite Flußbett. Wenn ſich einmal die Bevölkerung mehr gegen Oſt ausbreitet, ſo kann ſie die kleinen Flüſſe Imataca und Aquire benutzen, die ziemlich ge - fahrlos zu befahren ſind. Die Mönche, die gern einſam hauſen, um ſich der Aufſicht der weltlichen Macht zu ent - ziehen, wollten ſich bis jetzt nicht am Orinoko anſiedeln. In - deſſen können die Miſſionen am Carony nur auf dieſem Fluſſe oder auf dem Cuyuni und dem Eſſequibo ihre Produkte aus - führen. Der letztere Weg iſt noch nicht verſucht worden, ob - gleich an einem der bedeutendſten Nebenflüſſe des Cuyuni, am Rio Juruario, bereits mehrere chriſtliche Niederlaſſungen liegen. Dieſer Nebenfluß zeigt bei Hochgewäſſer die merkwürdige Er - ſcheinung einer Gabelung; er ſteht dann über den Jurari - cuima und den Aurapa mit dem Rio Carony in Verbindung, ſo daß der Landſtrich zwiſchen dem Orinoko, der See, dem Cuyuni und dem Carony zu einer wirklichen Inſel wird. Furchtbare Stromſchnellen erſchweren die Schiffahrt auf dem oberen Cuyuni; man hat daher in der neueſten Zeit verſucht, einen Weg in die Kolonie Eſſequibo viel weiter gegen Südoſt183 zu bahnen, wobei man an den Cuyuni weit unterhalb der Mündung des Cucumu käme.

In dieſem ganzen ſüdlichen Landſtriche ziehen Horden un - abhängiger Kariben umher, die ſchwachen Reſte des kriegeri - ſchen Volksſtammes, der ſich bis zu den Jahren 1733 und 1735 den Miſſionären ſo furchtbar machte, um welche Zeit der ehrwürdige Biſchof Gervais de Labrid,1Von Benedikt XIII. zum Biſchof für die vier Weltteile (obispo para las quatro partes del mundo) geweiht. Kanonikus des Metropolitankapitels zu Lyon, der Pater Lopez und mehrere andere Geiſtliche von den Kariben erſchlagen wurden. Dergleichen Unfälle, die früher ziemlich häufig vorkamen, ſind jetzt nicht mehr zu befahren, weder in den Miſſionen am Carony noch in denen am Orinoko; aber die unabhängigen Kariben ſind wegen ihres Verkehrs mit den holländiſchen Koloniſten am Eſſequibo für die Regierung von Guyana noch immer ein Gegenſtand des Mißtrauens und des Haſſes. Dieſe Stämme leiſten dem Schleichhandel an den Küſten und durch die Ka - näle oder Eſteres zwiſchen dem Rio Barima und dem Rio Moroca Vorſchub; ſie treiben den Miſſionären das Vieh weg und verleiten die neubekehrten Indianer (die unter der Glocke leben), wieder in den Wald zu laufen. Die freien Horden haben überall den natürlichen Trieb, ſich den Fort - ſchritten der Kultur und dem Vordringen der Weißen zu widerſetzen. Die Kariben und Aruaken verſchaffen ſich in Eſſequibo und Demerary Feuergewehre, und als der Handel mit amerikaniſchen Sklaven (Poitos) in Blüte ſtand, beteiligten ſich Abenteurer von holländiſchem Blut an den Einfällen an den Paragua, Erevato und Ventuario. Die Menſchenjagd wurde an dieſen Flüſſen betrieben, wie wahrſcheinlich noch jetzt am Senegal und Gambia. In beiden Welten haben die Europäer dieſelben Kunſtgriffe gebraucht, dieſelben Unthaten begangen, um einen Handel zu treiben, der die Menſchheit ſchändet. Die Miſſionäre am Carony und Orinoko ſchreiben alles Ungemach, das ſie von den freien Kariben zu erdulden haben, dem Haſſe ihrer Nachbarn, der calviniſtiſchen Prädi - kanten am Eſſequibo, zu. Ihre Schriften ſind daher auch voll Klagen über die Secta diabolica de Calvins y de Lutero und gegen die Ketzer in Holländiſch-Guyana, die ſich zu - weilen herausnehmen, das Miſſionsweſen zu treiben und Keime der Geſittung unter den Wilden ausſtreuen zu wollen.

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Unter allen vegetabiliſchen Erzeugniſſen dieſes Landes iſt durch die Betriebſamkeit der kataloniſchen Kapuziner der Baum, von dem die Cortex Angosturae kommt, fälſch - lich China von Carony genannt, am berühmteſten geworden. Wir haben ihn zuerſt als eine neue, von der Cinchona ganz verſchiedene Gattung der Familie der Meliaceen bekannt ge - macht. Früher meinte man, dieſes wirkſame Arzneimittel aus Südamerika komme von der Brucea ferruginea, die in Abeſſinien wächſt, von der Magnolia glauca und Magnolia Plumieri. Während der ſchweren Krankheit meines Reiſe - gefährten ſchickte Ravago einen vertrauten Mann in die Miſ - ſionen am Carony und ließ uns durch die Kapuziner in Upata blühende Zweige des Baumes verſchaffen, den wir wünſchten beſchreiben zu können. Wir bekamen ſehr ſchöne Exemplare, deren 40 cm lange Blätter einen ſehr angenehmen aroma - tiſchen Geruch verbreiteten. Wir ſahen bald, daß der Cu - ſpare (dies iſt der indianiſche Name der Cascarilla oder der Corteza del Angostura) eine neue Gattung bildet; und bei Ueberſendung von Orinokopflanzen an Wildenow erſuchte ich dieſen, die Gattung nach Bonpland zu benennen. Der jetzt unter dem Namen Bonplandia trifoliata bekannte Baum wächſt 21 bis 27 km vom öſtlichen Ufer des Carony am Fuße der Hügel, welche die Miſſionen Copapui, Upata und Alta Gracia einſchließen. Die Kariben gebrauchen einen Aufguß der Rinde des Cuſpare als ein ſtärkendes Mittel. Bonpland hat denſelben Baum weſtwärts von Cumana im Meerbuſen Santa Fé entdeckt, und dort kann er für Neu - andaluſien ein Ausfuhrartikel werden.

Die kataloniſchen Mönche bereiten einen Extrakt aus der Cortex Angosturae, das ſie in die Klöſter ihrer Provinz verſenden und das im nördlichen Europa bekannter zu ſein verdiente. Hoffentlich wird die gegen Fieber und Ruhr ſo wirkſame Rinde der Bonplandia auch ferner angewendet, ob - gleich man unter dem Namen Falſche Angoſtura eine andere Rinde eingeführt hat, die mit jener häufig verwechſelt wird. Dieſe Falſche Angoſtura oder Angostura pseudoferrugi - nosa kommt, wie man behauptet, von der Brucea anti - dyssenterica; ſie wirkt ſehr ſtark auf die Nerven, bringt heftige Anfälle von Starrkrampf hervor und enthält nach Pelletiers und Caventous Verſuchen ein eigentümliches Alkali, das mit dem Morphium und dem Strychnin Aehnlichkeit hat. Der Baum, von dem die echte Cortex Angosturae kommt,185 iſt nicht ſehr häufig, und es erſcheint daher als wünſchens - wert, daß man ihn anpflanzt. Die kataloniſchen Ordensleute ſind ganz dazu geeignet, dieſen Kulturzweig in Aufnahme zu bringen. Sie ſind haushälteriſcher, betriebſamer und rüh - riger als die anderen Miſſionäre. Bereits haben ſie in einigen Dörfern Gerbereien und Baumwollſpinnereien angelegt, und wenn ſie fortan die Indianer die Früchte ihrer Arbeit genießen laſſen, ſo finden ſie ſicher an der eingeborenen Bevölkerung kräftige Unterſtützung. Da hier die Mönche auf kleinem Ge - biet beiſammen leben, fühlen ſie ihre politiſche Bedeutung, und ſie haben zu wiederholten Malen der weltlichen Gewalt wie der des Biſchofs Widerſtand geleiſtet. Die Statthalter in Angoſtura haben mit ſehr ungleichem Erfolg mit ihnen gekämpft, je nachdem das Miniſterium in Madrid ſich der kirchlichen Hierarchie gefällig erzeigen wollte oder ihre Macht zu beſchränken ſuchte. Im Jahre 1768 ließ Don Manuel Centurion den Miſſionären über 20000 Stücke Vieh weg - nehmen und ſie unter die dürftigſten Einwohner verteilen. Dieſe auf ziemlich ungeſetzliche Weiſe geübte Freigebigkeit hatte wichtige Folgen. Der Statthalter wurde auf die Klage der kataloniſchen Mönche abgeſetzt, obgleich er das Gebiet der Miſſionen gegen Süd bedeutend erweitert und über dem Zuſammenfluſſe des Carony mit dem Paragua die Villa Barceloneta und bei der Vereinigung des Paragua mit dem Paraguamuſi die Ciudad Guirior gegründet hatte. Seit jener Zeit bis auf die politiſchen Stürme, welche gegenwärtig in den ſpaniſchen Kolonieen toben, vermied die bürgerliche Be - hörde ſorgfältig jede Einmiſchung in die Angelegenheiten der Kapuziner. Man gefällt ſich darin, ihren Wohlſtand zu über - treiben, wie man früher bei den Jeſuiten in Paraguay gethan.

Die Miſſionen am Carony vereinigen infolge der Boden - bildung1Kleine Hochebenen zwiſchen den Bergen bei Upata, Cumamu und Tupuquen ſcheinen über 290 m Meereshöhe zu haben. und des Wechſels von Savannen und Ackerland die Vorzüge der Llanos von Calabozo und der Thäler von Ara - gua. Der wahre Reichtum des Landes beruht auf der Vieh - zucht und dem Bau von Kolonialprodukten. Es iſt zu wün - ſchen, daß hier, wie in der ſchönen furchtbaren Provinz Vene - zuela, die Bevölkerung dem Landbau treu bleibt und nicht ſo bald darauf ausgeht, Erzgruben zu ſuchen. Deutſchlands und Mexikos Beiſpiel beweiſt allerdings, daß Bergbau und186 eine blühende Landwirtſchaft keineswegs unverträglich ſind; aber nach Volksſagen kommt man über die Ufer des Carony zum See Dorado und zum Palaſt des vergoldeten Man - nes,1El Dorado, d. h. el rey ó hombre dorado. und da dieſer See und dieſer Palaſt ein Lokalmy - thus ſind, ſo wäre es gefährlich, Erinnerungen zu wecken, die ſich allmählich zu verwiſchen beginnen. Man hat mich ver - ſichert, noch bis zum Jahre 1760 ſeien die freien Kariben zum Cerro de Pajarcima, einem Berge ſüdlich von Vieja Guyana gekommen, um das verwitterte Geſtein auszuwaſchen. Der dabei gewonnene Goldſtaub wurde in Kalebaſſen der Crescentia Cujete aufbewahrt und in Eſſequibo an die Hollän - der verkauft. Noch ſpäter mißbrauchten mexikaniſche Berg - leute die Leichtgläubigkeit des Intendanten von Caracas, Don Joſe Avalo, und legten mitten in den Miſſionen am Carony, bei der Villa Upata in den Cerros del Potrero und Chirica große Hüttenwerke an. Sie erklärten, die ganze Gebirgsart ſei goldhaltig, und man baute Werkſtätten und Schmelzöfen. Nachdem man beträchtliche Summen verſchleudert, zeigte es ſich, daß die Kieſe keine Spur von Gold enthielten. Dieſe Verſuche, ſo fruchtlos ſie waren, riefen den alten Aberglauben wach, daß in Guyana jedes glänzende Geſtein una madre del oro ſei . Man begnügte ſich damit, Glimmerſchiefer zu ſchmelzen; bei Angoſtura zeigte man mir Schichten von Horn - blendeſchiefer ohne fremdartige Beimengung, die man unter dem wunderlichen Namen: ſchwarzes Golderz, oro negro, ausbeutete.

Zur Vervollſtändigung der Beſchreibung des Orinoko teile ich an dieſer Stelle die Hauptergebniſſe meiner Unter - ſuchungen über den Dorado, über das Weiße Meer oder Laguna Parime und die Quellen des Orinoko mit, wie ſie auf den neueſten Karten gezeichnet ſind. Die Vorſtellung von einem überſchwenglich reichen Goldlande war ſeit dem Ende des 16. Jahrhunderts mit der anderen verbunden, daß ein großer Binnenſee den Orinoko, den Rio Branco und den Rio Eſſequibo zugleich mit Waſſer ſpeiſe. Ich glaube durch genauere Kenntnis der Oertlichkeiten, durch langes mühſames Studium der ſpaniſchen Schriftſteller, die vom Dorado han - deln, beſonders aber durch Vergleichung ſehr vieler alten, chronologiſch geordneten Karten den Quellen dieſes Irrtums auf die Spur gekommen zu ſein. Allen Märchen liegt etwas187 Wirkliches zu Grunde; das vom Dorado gleicht den Mythen des Altertums, die bei ihrer Wanderung von Land zu Lande immer den verſchiedenen Oertlichkeiten angepaßt wurden. Um Wahrheit und Irrtum zu unterſcheiden, braucht man in den Wiſſenſchaften meiſtens nur die Geſchichte der Vorſtellungen und ihre allmähliche Entwickelung zu verfolgen. Die Unter - ſuchung, mit der ich dieſes Kapitel beſchließe, iſt nicht allein deshalb von Belang, weil ſie Licht verbreitet über die Vor - gänge bei der Eroberung und über die lange Reihe unglück - licher Expeditionen, die unternommen worden, um den Dorado zu ſuchen, und deren letzte (man ſchämt ſich, es ſagen zu müſſen) in das Jahr 1775 fällt; neben dieſem rein hiſtori - ſchen Intereſſe haben ſie noch ein anderes unmittelbareres und allgemeineres: ſie können dazu dienen, die Geographie von Südamerika zu berichtigen, und auf den Karten, die ge - genwärtig erſcheinen, die großen Seen und das ſeltſame Fluß - netz auszumerzen, die wie aufs Geratewohl zwiſchen dem 60. und 69. Längengrad eingezeichnet werden. In Europa glaubt kein Menſch mehr an die Schätze in Guyana und an das Reich des großen Patiti. Die Stadt Manoa und ihre mit maſſiven Goldplatten bedeckten Paläſte ſind längſt verſchwun - den; aber der geographiſche Apparat, mit dem die Sage vom Dorado aufgeputzt war, der See Parime, in dem ſich, wie im See bei Mexiko, ſo viele herrliche Gebäude ſpiegelten, wurde von den Geographen gewiſſenhaft beibehalten. Im Laufe von drei Jahrhunderten erlitten dieſelben Sagen ver - ſchiedene Umwandlungen; aus Unkenntnis der amerikaniſchen Sprachen hielt man Flüſſe für Seen und Trageplätze für Flußverzweigungen; man rückte einen See (den Caſſipa) um 5 Breitengrade zu weit nach Süd, während man einen anderen (den Parime oder Dorado) 450 km weit weg vom weſt - lichen Ufer des Rio Branco auf das öſtliche verſetzte. Durch ſolch mancherlei Umwandlungen iſt das Problem, das uns hier vorliegt, weit verwickelter geworden, als man gewöhnlich glaubt. Der Geographen, welche bei Entwerfung einer Karte die drei Fundamentalpunkte, die Maße, die Vergleichung der beſchreibenden Schriften und die etymologiſche Unterſuchung der Namen immer im Auge haben, ſind ſehr wenige. Faſt alle ſeit 1775 erſchienenen Karten von Südamerika ſind, was das Binnenland zwiſchen den Steppen von Venezuela und dem Amazonenſtrom, zwiſchen dem Oſtabhang der Anden und den Küſten von Cayenne betrifft, reine Kopieen der großen188 ſpaniſchen Karte des La Cruz Olmedilla. Eine Linie darauf, welche den Landſtrich bezeichnet, den Don Joſe Solano ent - deckt und durch ſeine Truppen und Emiſſäre zur Ruhe ge - bracht haben wollte, hielt man für den Weg, den der Kom - miſſär zurückgelegt, während er nie über San Fernando de Atabapo, das 720 km vom angeblichen See Parime liegt, hinausgekommen iſt. Man verſäumte es, das Werk des Pater Caulin zu Rate zu ziehen, des Geſchichtſchreibers von Solanos Expedition, der nach den Angaben der Indianer ſehr klar auseinanderſetzt, wie der Name des Fluſſes Parime das Märchen vom Dorado und einem Binnenmeere veranlaßt hat . Ganz unbenutzt ließ man ferner eine Karte vom Orinoko, die drei Jahre jünger iſt als die von La Cruz, und die von Surville nach dem ganzen zuverläſſigen wie hypothetiſchen Material in den Archiven des Despacho universal de Indias gezeichnet wurde. Die Fortſchritte der Geographie, ſoweit ſie ſich auf den Karten zu erkennen geben, ſind weit lang - ſamer, als man nach der Menge brauchbarer Reſultate, die in den Litteraturen der verſchiedenen Völker zerſtreut ſind, glauben ſollte. Aſtronomiſche Beobachtungen, topographiſche Nachweiſungen häufen ſich viele Jahre lang an, ohne daß ſie benutzt werden, und aus ſonſt ſehr lobenswertem Konſerva - tismus wollen die Kartenzeichner oft lieber nichts Neues bringen, als einen See, eine Bergkette oder ein Flußnetz opfern, die man nun einmal ſeit Jahrhunderten eingezeichnet hat.

Da die fabelhaften Sagen vom Dorado und vom See Parime nach dem Charakter der Länder, denen man ſie an - paſſen wollte, verſchiedentlich gewendet worden ſind, ſo iſt herauszufinden, was daran richtig ſein mag und was rein chimäriſch iſt. Um nicht zu ſehr ins einzelne zu gehen, was beſſer der Analyſe des geographiſchen Atlas vorbehalten bleibt, mache ich den Leſer vor allem auf die Oertlichkeiten aufmerkſam, welche zu verſchiedenen Zeiten der Schauplatz der Expeditionen zur Entdeckung des Dorado geweſen. Hat man ſich mit der Phyſiognomie des Landes und mit den örtlichen Umſtänden, wie wir ſie jetzt zu beſchreiben imſtande ſind, bekannt gemacht, ſo wird einem klar, wie die verſchie - denen Vorausſetzungen auf unſeren Karten nach und nach entſtehen und einander modifizieren konnten. Um einen Irr - tum zu berichtigen, hat man nur die wechſelnden Geſtalten zu betrachten, unter denen er zu verſchiedenen Zeiten aufge - treten iſt.

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Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war das unge - heure Gebiet zwiſchen den Bergen von Franzöſiſch-Guyana und den Wäldern am oberen Orinoko, zwiſchen den Quellen des Rio Carony und dem Amazonenſtrom (von 0 bis nördlicher Breite und vom 57. bis 68. Grade der Länge) ſo wenig bekannt, daß die Geographen nach Gefallen Seen, Flußver - bindungen, mehr oder weniger hohe Berge einzeichnen konnten. Sie haben ſich dieſer Freiheit in vollem Maße bedient, und die Lage der Seen, wie der Lauf und die Verzweigungen der Flüſſe wurden ſo verſchiedenartig dargeſtellt, daß es nicht zu wundern wäre, wenn ſich unter den zahlloſen Karten ein paar fänden, die das Richtige getroffen hätten. Heutzutage iſt das Feld der Hypotheſen ſehr bedeutend kleiner geworden. Die Länge von Esmeralda am oberen Orinoko iſt von mir beſtimmt; weiter nach Oſt, mitten in den Niederungen der Parime (ein unbekanntes Land, wie Wangara und Dar-Saley in Afrika) iſt ein 90 km breiter Strich von Nord nach Süd an den Ufern des Rio Carony und des Rio Branco hin, unter dem 63. Grade der Länge, bereits begangen. Es iſt dies der gefährliche Weg, den Don Antonio Santos von Santo Tome de Angoſtura an den Rio Negro und den Amazonen - ſtrom eingeſchlagen, derſelbe, auf dem in neueſter Zeit An - ſiedler aus Surinam mit den Bewohnern von Gran Para verkehrt haben. Dieſer Weg ſchneidet die Terra incognita der Parime in zwei ungleiche Stücke; zugleich ſetzt er den Quellen des Orinoko Grenzen, ſo daß man dieſelben nicht mehr nach Belieben gegen Oſt ſchieben kann, weil ſonſt das Bett des oberen Orinoko, der von Oſt nach Weſt läuft, über das Bett des Rio Branco liefe, der von Nord nach Süd fließt. Verfolgt man den Rio Branco oder den Streifen Bauland, der zur Capitania general von Gran Para gehört, ſo ſieht man Seen, die von den Geographen zum Teil aus der Luft gegriffen, zum Teil vergrößert ſind, zwei geſonderte Gruppen bilden. Die erſte derſelben begreift die Seen, die man zwiſchen Esmeralda und den Rio Branco verlegt, zur zweiten gehören die, welche man auf dem Landſtrich zwiſchen dem Rio Branco und den Bergen von Franzöſiſch - und Hollän - diſch-Guyana einander gegenüber liegen läßt. Aus dieſer Ueberſicht ergibt ſich, daß die Frage, ob es oſtwärts vom Rio Branco einen See Parime gibt, mit der Frage nach den Quellen des Orinoko gar nichts zu thun hat.

Außer dem eben bezeichneten Landſtriche (dem Dorado de190 la Parime, durch den der Rio Branco läuft) gibt es 1170 km gegen Weſt am Oſtabhange der Kordilleren der Anden ein anderes Land, das in den Expeditionen zur Aufſuchung des Dorado ebenſo berufen iſt. Es iſt dies das Meſopotamien zwiſchen dem Caqueta, dem Rio Negro, dem Uaupes und dem Jurubeſh, von dem ich oben ausführlich geſprochen, der Do - rado der Omagua, wo der See Manoa des Pater Acuña, die Laguna de oro der Guanesindianer und das Goldland liegen, aus dem Pater Fritz gegen das Ende des 17. Jahrhunderts in ſeiner Miſſion am Amazonenſtrom Gold - bleche erhalten hat.

Die erſten und zumal berühmteſten Unternehmungen zur Auffindung des Dorado waren gegen den Oſtabhang der Anden von Neugranada gerichtet. Voll Verwunderung über den Bericht eines Indianers aus Tacunga von den Schätzen des Königs oder Zague von Cundirumarca , ſchickte Seba - ſtian de Belalcazar im Jahre 1535 die Hauptleute Añasco und Ampudia aus, das Valle del Dorado zu ſuchen, das zwölf Tagereiſen von Huallabamba, alſo in den Gebirgen zwiſchen Paſto und Popayan liegen ſollte. Die Nachrichten, welche Pedro de Añasco von den Eingeborenen eingezogen, in Verbindung mit den ſpäteren Mitteilungen des Diaz de Pineda (1536), der die Provinzen Quixos und Canela zwi - ſchen dem Rio Napo und dem Rio Paſtaça entdeckt hatte, brachten auf die Vorſtellung, daß öſtlich von den Nevados von Tunguragua, Cayambe und Popayan weite Ebenen liegen, reich an edlen Metallen, wo die Eingeborenen Rüſtun - gen aus maſſiven Golde trügen . Als man nun dieſe Schätze aufſuchte, entdeckte Gonzalo Pizarro (1539) zufällig den amerikaniſchen Zimtbaum (Laurus cinnamomoides) und gelangte Francisco de Orellana über den Napo hinunter in den Amazonenſtrom. Von da an wurden zu gleicher Zeit von Venezuela, Neugranada, Quito und Peru, ja von Bra - ſilien und vom Rio de la Plata aus Expeditionen zur Er - oberung des Dorado unternommen. Am längſten haben ſich die Züge in das Land ſüdlich vom Guaviare, Rio Fragua und Caqueta im Gedächtnis erhalten, und durch ſie vor allen hat das Märchen von den Schätzen der Manaos, der Oma - gua und Guaypes, wie von der Exiſtenz der Lagunas de oro und der Stadt des vergoldeten Königs (der große Patiti, der große Moxo, der große Paru oder Enim) Verbreitung gefunden. Da Orellana zwiſchen den Neben -191 flüſſen des Jupura und des Rio Negro Götzenbilder von maſſivem Golde gefunden hatte, ſo glaubte man an ein Gold - land zwiſchen dem Papamene und dem Guaviare. Seine Erzählung und die Reiſeberichte Jorges de Eſpira (Georg von Speier), Hernans Perez de Guezada und Felipes de Urre (Philipp von Hutten) verraten, neben vielen Uebertrei - bungen, genaue Lokalkenntniſſe. Betrachtet man ſie rein aus geographiſchem Geſichtspunkte, ſo ſieht man, daß das Beſtre - ben der erſten Konquiſtadoren fortwährend dahin ging, zum Landſtriche zwiſchen den Quellen des Rio Negro, des Uaupes (Guape) und des Jupura oder Caqueta zu gelangen. Dieſen Landſtrich haben wir oben, zum Unterſchied vom Dorado der Parime, den Dorado der Omagua genannt. Aller - dings hieß alles Land zwiſchen dem Amazonenſtrom und dem Orinoko im allgemeinen Provincias del Dorado ; aber auf dieſem ungeheuren, mit Wäldern, Savannen und Gebirgen bedeckten Raume ſtrebte man, wenn man den großen See mit goldreichen Ufern und den vergoldeten König ſuchte, doch immer nur zwei Punkten zu, nordöſtlich und ſüdweſtlich vom Rio Negro, nämlich der Parime (dem Iſthmus zwiſchen dem Carony, Eſſequibo und Rio Branco) und den alten Wohn - plätzen der Manaos an den Ufern des Jurubeſh. Die Lage der letzteren Landſtriches, der in der Geſchichte der Eroberung vom Jahre 1535 bis zum Jahre 1560 vielberufen war, habe ich oben angegeben; ich habe nun noch von der Bodenbildung zwiſchen den ſpaniſchen Miſſionen am Carony und den por - tugieſiſchen am Rio Branco zu ſprechen. Es iſt dies das Land in der Nähe des oberen Orinoko, Esmeraldas und von Holländiſch - und Franzöſiſch-Guyana, das am Ende des 16. Jahrhunderts Raleghs Unternehmungen und übertriebene Berichte in ſo hellem Glanze ſtrahlen ließen.

Infolge des Laufes des Orinoko, indem er nacheinander erſt gegen Weſt, dann gegen Nord und endlich gegen Oſt fließt, liegt ſeine Mündung faſt im ſelben Meridian wie ſeine Quellen; geht man daher von Altguyana gegen Süd, ſo kommt man über das ganze Land, in das die Geographen nacheinander ein Binnenmeer (Mar blanco) und die verſchie - denen Seen verſetzen, die mit der Sage vom Dorado der Parime verknüpft ſind. Zuerſt kommt man an den Rio Carony, zu dem zwei faſt gleich ſtarke Zweige zuſammentreten, der eigentliche Carony und der Rio Paragua. Die Miſſionäre von Piritu nennen letzteren Fluß einen See (laguna). Er192 iſt voll Klippen und kleiner Waſſerfälle; da er aber über ein völlig ebenes Land läuft, tritt er zugleich häufig ſehr ſtark aus und man kann ſein eigentliches Bett (su verdadera caxa) kaum erkennen . Die Eingeborenen nennen ihn Pa - ragua oder Parava, was auf karibiſch Meer oder großer See bedeutet. Dieſe örtlichen Verhältniſſe und dieſe Be - nennung ſind ohne Zweifel die Veranlaſſung geworden, daß man aus dem Rio Paragua, einem Nebenfluſſe des Carony, einen See gemacht und denſelben Caſſipa genannt hat, nach den Caſſipagoten, die in der Gegend wohnten. Ralegh gab dieſem Waſſerbecken 58,5 km Breite, und da alle Seen der Parime Goldſand haben müſſen, ſo ermangelt er nicht zu verſichern, wenn ſommers das Waſſer falle, finde man da - ſelbſt Goldgeſchiebe von bedeutendem Gewichte.

Da die Quellen der Nebenflüſſe des Carony, Arui und Caura (Caroli, Arvi und Caora der alten Geographen) ganz nahe bei einander liegen, ſo kam man auf den Gedanken, alle dieſe Flüſſe aus dem angeblichen See Caſſipa entſpringen zu laſſen. Sanſon vergrößert den See auf 189 km Länge und 67,5 km Breite. Die alten Geographen kümmern ſich wenig darum, ob ſie die Zuflüſſe an beiden Ufern immer in derſelben Weiſe einander gegenüberſetzen, und ſo geben ſie die Mündung des Carony und den See Caſſipa, der durch den Carony mit dem Orinoko zuſammenhängt, zuweilen oberhalb des Ein - fluſſes des Meta an. So ſchiebt Hondius den See bis zum 2. und 3. Breitengrad hinunter und gibt ihm die Geſtalt eines Rechteckes, deſſen größte Seiten von Nord nach Süd gerichtet ſind. Dieſer Umſtand iſt bemerkenswert, weil man, indem man nach und nach dem See Caſſipa eine ſüdlichere Breite gab, denſelben vom Carony und Arui loslöſte und ihn Parime nannte. Will man dieſe Metamorphoſe in ihrer all - mählichen Entwickelung verfolgen, ſo muß man die Karten, die ſeit Raleghs Reiſe bis heute erſchienen ſind, vergleichen. La Cruz, dem alle neueren Geographen nachgezeichnet haben, läßt ſeinem See Parime die längliche Geſtalt des Sees Caſſipa, obgleich dieſe Geſtalt von der des alten Sees Parime oder Rupunuwini, deſſen große Achſe von Oſt nach Weſt gerichtet war, völlig abweicht. Ferner war dieſer alte See (der des Hondius, Sanſon und Coronelli) von Bergen umgeben und es entſprang kein Fluß daraus, während der See Parime des La Cruz und der neueren Geographen mit dem oberen Orinoko zuſammenhängt, wie der Caſſipa mit dem unteren Orinoko.

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Ich habe hiermit den Urſprung der Fabel vom See Caſſipa erklärt, ſowie den Einfluß, den ſie auf die Vorſtellung gehabt, als ob der Orinoko aus dem See Parime entſpränge. Sehen wir jetzt, wie es ſich mit dem letzteren Waſſerbecken verhält, mit dem angeblichen Binnenmeere, das bei den Geographen des 16. Jahrhunderts Rupunuwini heißt. Unter 4 oder 4,5° der Breite (leider fehlt es in dieſer Rich - tung, ſüdlich von Santo Tome de Angoſtura, auf weit ganz an aſtronomiſchen Beobachtungen) verbindet eine lange, ſchmale Kordillere, Pacaraimo, Quimiropaca und Ucucuamo genannt, die von Oſt nach Südweſt ſtreicht, den Bergſtock der Parime mit den Bergen von Holländiſch - und Franzöſiſch - Guyana. Sie bildet die Waſſerſcheide zwiſchen dem Carony, Rupunury oder Rupunuwini und dem Rio Branco, und ſomit zwiſchen den Thälern des unteren Orinoko, des Eſſequibo und des Rio Negro. Nordweſtlich von dieſer Kordillere von Paca - raimo, über die nur wenige Europäer gekommen ſind (im Jahre 1739 der deutſche Chirurg Nikolaus Hortsmann, im Jahre 1775 ein ſpaniſcher Offizier, Don Antonio Santos, im Jahre 1791 der portugieſiſche Oberſt Barata, und im Jahre 1811 mehrere engliſche Koloniſten) kommen der Nocapra, der Paraguamuſi und der Paragua herab, die in den Carony fallen; gegen Nordoſt kommt der Rupunuwini herunter, ein Nebenfluß des Eſſequibo; gegen Süd vereinigen ſich der Tacutu und der Uraricuera zum vielberufenen Rio Parime oder Rio Branco.

Dieſer Iſthmus zwiſchen den Zweigen des Rio Eſſequibo und des Rio Branco (das heißt zwiſchen dem Rupunuwini einerſeits, und dem Pirara, Mahu und Uraricuera oder Rio Parime andererſeits) iſt als der eigentliche klaſſiſche Boden des Dorado der Parime zu betrachten. Am Fuße der Berge von Pacaraimo treten die Flüſſe häufig aus, und ober - halb Santa Roſa heißt das rechte Ufer des Urariapara, der ſich in den Uraricuera ergießt, el valle de la inundacion . Ferner findet man zwiſchen dem Rio Parime und dem Xurumu große Lachen; auf den in neueſter Zeit in Braſilien gezeich - neten Karten, die über dieſen Landſtrich ſehr genau ſind, finden ſich dieſe Waſſerſtücke angegeben. Weiter nach Weſt kommt der Caño Pirara, der in den Mahu läuft, aus einem Binſenſee. Das iſt der von Nikolaus Hortsmann beſchriebene See Amucu, derſelbe, über den mir Portugieſen aus Barcelos, die am Rio Branco (Rio Parime oder Rio Paravigiana) A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 13194geweſen waren, während meines Aufenthaltes in San Carlos del Rio Negro genaue Notizen gegeben haben. Der See Amucu iſt mehrere Meilen breit und hat zwei kleine Inſeln, die ich Santas Islas Ipomucena nennen hörte. Der Rupu - nuwini, an deſſen Ufer Hortsmann Felſen mit hieroglyphiſchen Bildern entdeckt hat, kommt dieſem See ganz nahe, ſteht aber in keiner Verbindung mit demſelben. Der Trageplatz zwiſchen dem Rupunuwini und dem Mahu liegt weiter gegen Nord, wo der Berg Ucucuamo ſich erhebt, der bei den Eingeborenen noch jetzt der Goldberg heißt. Sie gaben Hortsmann den Rat, um den Rio Mahu herum eine Silbergrube (ohne Zweifel großblätteriger Glimmer), Diamanten und Smaragde zu ſuchen: der Reiſende fand aber nichts als Bergkriſtall. Aus ſeinem Berichte ſcheint hervorzugehen, daß der ganze nach Oſt ſtreichende Zug der Gebirge am oberen Orinoko (Sierra Parime) aus Graniten beſteht, in denen, wie am Pik Duida, häufig Druſen und offene Gänge vorkommen. In dieſer Gegend, die noch immer für ſehr goldreich gilt, leben an der Weſt - grenze von Holländiſch-Guyana die Macuſi, Aturajos und Acuvajos; ſpäter fand Santos dieſe Völkerſchaften zwiſchen dem Rupunuwini, dem Mahu und der Bergkette Pacaraimo angeſiedelt. Das glimmerreiche Geſtein am Berge Ucucuamo, der Name des Rio Parime, das Aus - treten der Flüſſe Urariapara, Parime und Xurumu, beſonders aber der See Amucu (der nahe beim Rio Rupunuwini liegt und für die Hauptquelle des Rio Parime gilt) haben die Fabel vom Weißen Meere und dem Dorado der Parime veranlaßt. Alle dieſe Momente (und eben dadurch wirkten ſie zu einer Vorſtellung zuſammen) finden ſich auf einer von Nord nach Süd 36 bis 40 km breiten, von Oſt nach Weſt 180 km langen Strecke nebeneinander. Dieſe Lage gab man auch bis zum Anfange des 16. Jahrhunderts dem Weißen Meere, nur daß man es in der Richtung eines Parallels verlängerte. Dieſes Weiße Meer iſt nun aber nichts anderes als der Rio Parime, der auch Weißer Fluß, Rio Branco oder de aguas blancas heißt und dieſen ganzen Landſtrich, über den er läuft, unter Waſſer ſetzt. Auf den älteſten Karten heißt das Weiße Meer Rupunuwini, und daraus geht hervor, daß die Sage eben hier zu Hauſe iſt, da unter allen Nebenflüſſen des Eſſequibo der Rio Rupunuwini dem See Amucu am nächſten kommt. Bei ſeiner erſten Reiſe (1595)195 machte ſich Ralegh noch keine beſtimmte Vorſtellung von der Lage des Dorado und des Sees Parime, den er für geſalzen hielt und den er ein zweites Kaſpiſches Meer nennt. Erſt bei der zweiten, gleichfalls auf Raleghs Koſten unternommenen Reiſe (1596) gab Lawrence Keymis die Oertlichkeiten des Dorado ſo beſtimmt an, daß, wie mir dünkt, an der Identität der Parime de Manoa mit dem See Amucu und dem Iſthmus zwiſchen dem Rupunuwini (der in den Eſſequibo läuft) und dem Rio Parime oder Rio Branco gar nicht zu zweifeln iſt. Die Indianer, ſagt Keymis, fahren den Eſſequibo ſüdwärts in 20 Tagen hinauf. Um die Stärke des Fluſſes anzudeuten, nennen ſie ihn den Bruder des Ori - noko. Nach 20tägiger Fahrt ſchaffen ſie ihre Kanoen über einen Trageplatz in einem einzigen Tage aus dem Fluſſe Deſſekebe auf einen See, den die Jaos Roponowini, die Kariben Parime nennen. Dieſer See iſt groß wie ein Meer; es fahren unzählige Kanoen darauf, und ich vermute (die Indianer hatten ihm alſo nichts davon geſagt), daß es der - ſelbe See iſt, an dem die Stadt Manoa liegt. Hondius gibt eine merkwürdige Abbildung von jenem Trageplatz, und da nach der damaligen Vorſtellung die Mündung des Carony unter dem 4. Breitengrad (ſtatt unter 8′) lag, ſo ſetzte man den Trageplatz ganz nahe an den Aequator. Zur ſelben Zeit ließ man den Viapoco (Oyapoc) und den Rio Cayane (Maroni?) aus jenem See Parime kommen. Der Umſtand, daß die Kariben den weſtlichen Zweig des Rio Branco ebenſo nennen, hat vielleicht ſoviel dazu beigetragen, den See Amucu in der Einbildung zu vergrößern, als die Ueberſchwemmungen der verſchiedenen Nebenflüſſe des Uraricuera von der Mündung des Tacutu bis zum Valle de la inundacion.

Wir haben oben geſehen, daß die Spanier den Rio Paragua oder Parava, der in den Carony fällt, für einen See hielten, weil das Wort Parava Meer, See, Fluß bedeutet. Ebenſo ſcheint Parime großes Waſſer im all - gemeinen zu bedeuten, denn die Wurzel par kommt in kari - biſchen Benennungen von Flüſſen, Lachen, Seen und Meeren vor. Im Arabiſchen und im Perſiſchen dienen ebenſo bahr und deria gleichmäßig zur Bezeichnung des Meeres, der Seen und der Flüſſe, und dieſer Brauch, der ſich bei vielen Völkern in beiden Welten findet, hat auf den alten Karten Seen in Flüſſe und Flüſſe in Seen umgewandelt. Zur Bekräftigung des eben Geſagten führe ich einen ſehr achtbaren Zeugen auf,196 Pater Caulin. Als ich, ſagt dieſer Miſſionär, der ſich länger als ich am unteren Orinoko aufgehalten hat, die Indianer fragte, was denn die Parime ſei, ſo erwiderten ſie, es ſei nichts als ein Fluß, der aus einer Bergkette komme, an deren anderem Abhange der Eſſequibo entſpringe. Caulin weiß nichts vom See Amucu, und erklärt den Glauben an ein Binnenmeer nur aus den Ueberſchwemmungen der Ebenen, a las inundaciones dilatadas por los bajos del pays. 1Dies iſt auch Walkenaers und Malte Bruns Anſicht.Ihm zufolge rühren alle Mißgriffe der Geographen von dem leidigen Umſtande her, daß alle Flüſſe in Guyana an ihren Mün - dungen andere Namen haben als an ihren Quellen. Ich zweifle nicht, ſagt er weiter, daß einer der oberen Zweige des Rio Branco derſelbe Rio Parime iſt, den die Spanier für einen See gehalten haben (a quien suponian laguna). Dieſe Notizen hatte der Geſchichtſchreiber der Grenzexpedition an Ort und Stelle geſammelt, und er hätte wohl nicht ge - glaubt, daß La Cruz und Surville richtige Begriffe und alte Vorſtellungen vermengen und auf ihren Karten das Mar Dorado oder Mar Blanco wieder zum Vorſchein bringen würden. So kommt es, daß, obgleich ich ſeit meiner Rückkehr aus Amerika vielfach den Beweis geführt, daß ein Binnen - meer, aus dem der Orinoko entſpränge, gar nicht exiſtiert, in neueſter Zeit unter meinem Namen eine Karte2Carte de l’Amérique, dressée sur les observations de Mr. de Humboldt, par Fried. Wien 1818. erſchienen iſt, auf der die Laguna de Parime wiederum auftritt.

Aus allem Bisherigen geht hervor: 1) daß die Laguna Rupunuwini oder Parime aus Raleghs Reiſe und auf den Karten des Hondius ein chimäriſcher See iſt, zu dem der See Amucu und die häufigen Ueberſchwemmungen der Neben - flüſſe des Uraricuera Veranlaſſung gegeben; 2) daß die Laguna Parime auf Survilles Karte der See Amucu iſt, aus dem der Rio Pirara und (zugleich mit dem Mahu, dem Tacutu, dem Uraricuera oder dem eigentlich ſogenannten Rio Parime) der Rio Branco entſpringt; 3) daß die Laguna Parime des La Cruz eine eingebildete Erweiterung des Rio Parime (der mit dem Orinoko verwechſelt wird) unterhalb der Ver - einigung des Mahu mit dem Xurumu iſt. Von der Mün - dung des Mahu bis zu der des Tacutu beträgt die Ent - fernung kaum 40′; La Cruz macht 7 Breitengrade daraus. 197Er nennt das obere Stück des Rio Branco (in das der Mahu fällt) Orinoko oder Puruma. Dies iſt ohne allen Zweifel der Xurumu, ein Nebenfluß des Tacutu, der den Einwoh - nern des benachbarten Forts San Joaquim wohlbekannt iſt. Alle Namen, die in der Sage vom Dorado vorkommen, finden ſich unter den Nebenflüſſen des Rio Branco. Geringfügige örtliche Verhältniſſe und die Erinnerung an den Salzſee in Mexiko, zumal aber an den See Manoa im Dorado der Omagua wirkten zuſammen zur Ausmalung eines Bildes, das der Einbildungskraft Raleghs und ſeiner beiden Unter - befehlshaber, Keymis und Maſham, den Urſprung verdankt. Nach meiner Anſicht laſſen ſich die Ueberſchwemmungen des Rio Branco höchſtens mit denen des Red River in Louiſiana zwiſchen Natchitotches und Cados vergleichen, keineswegs aber mit der Laguna de los Xarayes, die eine periodiſche Aus - breitung des Rio Paraguay iſt. 1Dieſe periodiſchen Ueberſchwemmungen des Rio Paraguay haben in der ſüdlichen Halbkugel lange dieſelbe Rolle geſpielt, wie der See Parime in der nördlichen. Hondius und Sanſon ließen aus der Laguna de los Xarayes den Rio de la Plata, den Rio Tapajos (einen Nebenfluß des Amazonenſtroms), den Rio Tocantins und den Rio de San Francisco entſpringen.

Wir haben im Bisherigen ein Weißes Meer be - ſprochen, durch das man den Hauptſtamm des Rio Branco laufen läßt, und ein zweites,2Survilles See, der für den See Amucu ſteht. das man oſtwärts von dieſem Fluſſe ſetzt, und das mit demſelben mittels des Caño Pirara zuſammenhängt. Noch gibt es einen dritten See,3Der See, den Surville Laguna tenida hasta ahora por la Laguna Parime nennt. den man weſtwärts vom Rio Branco verlegt, und über den ich erſt kürzlich intereſſante Angaben im handſchriftlichen Tagebuch des Chirurgen Hortsmann gefunden habe. Zwei Tagereiſen unterhalb des Einfluſſes des Mahu (Tacutu) in den Rio Parime (Uraricuera) liegt auf einem Berggipfel ein See, in dem dieſelben Fiſche vorkommen wie im Parime; aber die Waſſer des erſteren ſind ſchwarz, die des letzteren weiß. Hat nun nicht vielleicht Surville nach einer dunkeln Kunde von dieſem Waſſerbecken auf der Karte, die er zu Pater Caulins Werk entworfen, ſich einen 45 km langen Alpenſee ausgedacht, bei dem (gegen Oſt) der Orinoko und der Idapa, ein Neben - fluß des Rio Negro, zumal entſpringen? So unbeſtimmt die198 Angabe des Chirurgen aus Hildesheim lautet, ſo läßt ſich doch unmöglich annehmen, daß der Berg, auf deſſen Gipfel ſich ein See befindet, nördlich vom Parallel von ½′ liege, und dieſe Breite kommt ungefähr mit der des Cerro Unturan überein. Es ergibt ſich daraus, daß Hortsmanns Alpſee, der d’Anvilles Aufmerkſamkeit entgangen iſt, und der vielleicht mitten in einer Berggruppe liegt, nordöſtlich vom Trageplatz zwiſchen dem Idapa und Mavaca und ſüdöſtlich vom Orinoko, oberhalb Esmeralda, zu ſuchen iſt.

Die meiſten Geſchichtſchreiber, welche die erſten Jahr - hunderte nach der Eroberung beſchrieben haben, ſchienen der feſten Anſicht, daß die Namen Provincias und Pais del Dorado urſprünglich jeden goldreichen Landſtrich bedeuteten. Sie vergeſſen den etymologiſchen Sinn des Wortes Dorado (der Vergoldete) und bemerken nicht, daß die Sage ein Lokalmythus iſt, wie ja auch faſt alle Mythen der Griechen, Hindu und Perſer. Die Geſchichte vom vergoldeten Mann iſt urſprünglich in den Anden von Neugranada zu Hauſe, beſonders auf den Niederungen am Oſtabhange der - ſelben; nur allmählich, wie ich oben gezeigt, ſieht man ſie 1350 km gegen Oſt-Nord-Oſt von den Quellen des Caqueta an die des Rio Branco und des Eſſequibo herüberrücken. Man hat in verſchiedenen Gegenden von Südamerika bis zum Jahr 1536 Gold geſucht, ohne daß das Wort Dorado aus - geſprochen worden wäre, und ohne daß man an die Exiſtenzen eines anderen Mittelpunktes der Kultur und der Schätze als das Reich der Inka von Cuzco geglaubt hätte. Länder, aus denen gegenwärtig auch nicht die kleinſte Menge edlen Metalls in den Handel kommt, die Küſte von Paria, Terra Firma (Castilla del Oro), die Berge von Santa Marta und die Landenge Darien waren damals ſo vielberufen, wie in neuerer Zeit der goldhaltige Boden in Sonora, Choco und Braſilien.

Diego de Ordaz (1531) und Alonzo de Herrera (1535) zogen auf ihren Entdeckungsreiſen an den Ufern des unteren Orinoko hin. Erſterer iſt der berüchtigte Konquiſtador von Mexiko, der ſich rühmte, Schwefel aus dem Krater des Piks Popokatepetl geholt zu haben, und dem Karl V. die Erlaubnis erteilte, einen brennenden Vulkan im Wappen zu führen. Ordaz war zum Adelantado allen Landes ernannt worden, das er zwiſchen Braſilien und Venezuela erobern könnte, und das damals das Land der deutſchen Kompanie der Welſer (Velzares) hieß, und ging auf ſeinem Zuge von der Mündung199 des Amazonenſtromes aus. Er ſah dort in den Händen der Eingeborenen fauſtgroße Smaragde . Es waren ohne Zweifel Stücke Sauſſurit, von dem dichten Feldſpat, den wir vom Orinoko zurückgebracht, und den La Condamine an der Mün - dung des Rio Tapajos in Menge angetroffen. Die Indianer ſagten Diego de Ordaz, wenn er ſo und ſo viele Sonnen gegen Weſten hinauffahre, komme er an einen großen Fels (peña) von grünem Geſtein ; bevor er aber dieſen vermeint - lichen Smaragdberg (Euphotitgeſtein?) erreichte, machte ein Schiffbruch allen weiteren Entdeckungen ein Ende. Mit ge - nauer Not retteten ſich die Spanier in zwei kleinen Fahrzeugen. Sie eilten, aus der Mündung des Amazonenſtromes hinaus - zukommen, und die Strömungen, die in dieſen Strichen ſtark nach Nordweſt gehen, führten Ordaz an die Küſte von Paria oder auf das Gebiet der Kaziken von Yuripari (Uriapari, Viapari). Sedeño hatte die Casa fuerte de Paria gebaut, und da dieſer Poſten ganz nahe an der Mündung des Orinoko lag, beſchloß der mexikaniſche Konquiſtador, eine Expedition auf dieſem großen Strome zu verſuchen. Er hielt ſich zuerſt in Carao (Caroa, Carora) auf, einem großen indianiſchen Dorfe, das mir etwas oſtwärts vom Einfluß des Carony ge - legen zu haben ſcheint; er fuhr ſofort nach Cabruta (Cabuta, Cabritu) hinauf und an den Einfluß des Meta (Metacuyu), wo er mit großen Fährlichkeiten ſeine Fahrzeuge über den Raudal von Cariven ſchaffte. Wir haben oben geſehen, daß das Bett des Orinoko bei der Einmündung des Meta voll Klippen iſt. Die Aruakenindianer, die Ordaz als Wegweiſer dienten, rieten ihm, den Meta hinaufzufahren; ſie verſicherten ihn, weiter gegen Weſt finde er bekleidete Menſchen und Gold in Menge. Ordaz wollte lieber auf dem Orinoko weiterfahren, aber die Katarakte bei Tabaje (vielleicht ſogar die bei Atures) nötigten ihn, ſeine Entdeckungen aufzugeben.

Auf dieſem Zuge, der lange vor den des Orellana fällt und alſo der bedeutendſte war, den die Spanier bis dahin auf einem Strome der Neuen Welt unternommen, hörte man zum erſtenmal den Namen Orinoko ausſprechen. Ordaz, der Anführer der Expedition, verſichert, von der Mündung bis zum Einfluß des Meta heiße der Strom Uriaparia, oberhalb dieſes Einfluſſes aber Orinucu. Dieſes Wort (ähnlich gebildet wie die Worte Tamanacu, Otomacu, Sinarucu) ge - hört wirklich der tamanakiſchen Sprache an, und da die Ta - manaken ſüdöſtlich von Encaramada wohnen, ſo iſt es natür -200 lich, daß die Konquiſtadoren den jetzigen Namen des Stromes erſt in der Nähe des Rio Meta zu hören bekamen. Auf dieſem Nebenfluß erhielt Diego de Ordaz von den Eingeborenen die erſte Kunde von civiliſierten Völkern, welche auf den Hoch - ebenen der Anden von Neugranada wohnen, von einem ge - waltigen, einäugigen Fürſten und von Tieren, kleiner als Hirſche, auf denen man aber reiten könne, wie die Spanier auf den Pferden . Ordaz zweifelte nicht, daß dieſe Tiere Lama oder Ovejas del Peru ſeien. Soll man annehmen, daß die Lama, die man in den Anden vor dem Pflug und als Laſttiere, aber nicht zum Reiten brauchte, früher nördlich und öſtlich von Quito verbreitet geweſen? Ich finde wirklich, daß Orellana welche am Amazonenſtrom geſehen hat, oberhalb des Einfluſſes des Rio Negro, alſo in einem Klima, das von dem der Hochebene der Anden bedeutend abweicht. Das Mär - chen von einem auf Lama berittenen Heere von Omagua mußte dazu dienen, den Bericht der Begleiter Felipes de Urre über ihren ritterlichen Zug an den oberen Orinoko auszu - ſchmücken. Dergleichen Sagen ſind äußerſt beachtenswert, weil ſie darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß die Haustiere Quitos und Perus bereits angefangen hatten von den Kordilleren herabzukommen und ſich allmählich in den öſtlichen Landſtrichen von Südamerika zu verbreiten.

Im Jahre 1533 wurde Herrera, der Schatzmeiſter bei Diegos de Ordaz Expedition, vom Statthalter Geronimo de Ortal mit der weiteren Erforſchung des Orinoko und des Meta beauftragt. Er brachte zwiſchen Punta Barima und dem Einfluſſe des Carony faſt 13 Monate mit dem Bau platter Fahrzeuge und den notwendigen Zurüſtungen zu einer langen Reiſe hin. Man lieſt nicht ohne Verwunderung die Erzählung dieſer kühnen Unternehmungen, wobei man drei -, vierhundert Pferde einſchiffte, um ſie ans Land zu ſetzen, ſo oft die Reiterei am einen oder dem anderen Ufer etwas aus - richten konnte. Wir finden bei Herreras Expedition dieſelben Stationen wieder, die wir bereits kennen gelernt: die Feſte Paria, das indianiſche Dorf Uriaparia (wahrſcheinlich unter - halb Imataca an einem Punkte, wo ſich die Spanier wegen der Ueberſchwemmung des Deltas kein Brennholz verſchaffen konnten), Caroa in der Provinz Carora, die Flüſſe Caranaca (Caura?) und Caxavana (Cuchivero?), das Dorf Cabritu (Cabruta) und den Raudal am Einfluß des Meta. Da der Rio Meta ſehr berühmt war, weil ſeine Quellen und ſeine201 Nebenflüſſe den goldhaltigen Kordilleren von Neugranada (Cundinamarca) nahe liegen, ſo verſuchte er ihn hinaufzufahren. Er fand daſelbſt civiliſiertere Völker als am Orinoko, die aber das Fleiſch ſtummer Hunde aßen. In einem Gefecht wurde Herrera durch einen mit Curareſaft (Yierva) vergifteten Pfeil getötet; ſterbend ernannte er Alvaro de Ordaz zu ſei - nem Stellvertreter. Dieſer führte (1535) die Trümmer der Expediton nach der Feſte Paria zurück, nachdem er vollends die wenigen Pferde eingebüßt, die einen achtzehnmonatlichen Feldzug ausgehalten.

Dunkle Gerüchte über die Schätze der Völker am Meta und anderen Nebenflüſſen am Oſtabhang der Kordilleren von Neugranada veranlaßten nacheinander, in den Jahren 1535 und 1536, Geronimo de Ortal, Nikolaus Federmann und Jorge de Eſpira (Georg von Speier) zu Expeditionen auf Landwegen gegen Süd und Südweſt. Vom Vorgebirge Paria bis zum Cabo de la Vela hatte man ſchon ſeit den Jahren 1498 und 1500 in den Händen der Eingeborenen kleine ge - goſſene Goldbilder geſehen. Die Hauptmärkte für dieſe Amu - lette, die den Weibern als Schmuck dienten, waren die Dörfer Curiana (Coro) und Cauchieto (beim Rio la Hacha). Die Gießer in Cauchieto erhielten das Metall aus einem Berg - land weit gegen Süden. Die Expeditionen des Ordaz und des Herrera hatten das Verlangen, dieſe goldreichen Land - ſtriche zu erreichen, natürlich geſteigert. Georg von Speier brach (1535) von Coro auf und zog über die Gebirge von Merida an den Apure und Meta. Er ging über dieſe bei - den Flüſſe nahe bei ihren Quellen, wo ſie noch nicht breit ſind. Die Indianer erzählten ihm, weiter vorwärts ziehen weiße Menſchen auf den Ebenen umher. Speier, der ſich nahe am Amazonenſtrome glaubte, zweifelte nicht, daß dieſe umherziehenden Spanier, Schiffbrüchige von der Expedi - tion des Ordaz ſeien. Er zog über die Savannen von San Juan de los Llanos, die reich an Gold ſein ſollten, und blieb lange in einem indianiſchen Dorfe, Pueblo de Nueſtra Señora, ſpäter Fragua genannt, ſüdöſtlich vom Paramo de la Suma Paz. Ich war am Weſtabhange dieſes Bergſtocks, in Fuſagaſuga, und hörte, die Ebenen gegen Oſt am Fuße der Berge ſeien noch jetzt bei den Eingeborenen wegen ihres Reich - tums berufen. Im volkreichen Dorfe Fragua fand Speier eine Casa del Sol (Sonnentempel) und ein Jungfrauenkloſter, ähnlich denen in Peru und Neugranada. Hatte ſich hier der202 Kultus gegen Oſt ausgebreitet, oder ſind etwa die Ebenen bei San Juan die Wiege desſelben? Nach der Sage war allerdings Bochica, der Geſetzgeber von Neugranada und Ober - prieſter von Iraca, von den Ebenen gegen Oſt auf das Pla - teau von Bogota heraufgekommen. Da aber Bochica in einer Perſon Sohn und Sinnbild der Sonne iſt, ſo kann ſeine Geſchichte rein aſtrologiſche Allegorien enthalten. Auf ſeinem weiteren Zuge nach Süd ging Speier über die zwei Zweige des Guaviare, den Ariare und Guayavero, und gelangte ans Ufer des großen Rio Papamene oder Caqueta. Der Wider - ſtand, den er ein ganzes Jahr lang in der Provinz Los Cho - ques fand, machte dieſer denkwürdigen Expedition ein Ende (1537). Nikolaus Federmann und Geronimo de Ortal ver - folgten von Macarapana und der Mündung des Rio Neveri aus Jorges de Eſpira Spuren. Erſterer ſuchte Gold im großen Magdalenenſtrome, letzterer wollte einen Sonnen - tempel am Ufer des Meta entdecken. Da man die Landes - ſprache nicht verſtand, ſah man am Fuße der Kordilleren überall einen Abglanz der großartigen Tempel von Iraca (Sogamozo), dem damaligen Mittelpunkt der Kultur in Cun - dinamarca.

Ich habe bis jetzt aus geographiſchem Geſichtspunkt die Reiſen beſprochen, welche auf dem Orinoko und gegen Weſt und Süd an den Oſtabhang der Anden unternommen wurden, bevor ſich die Sage vom Dorado unter den Konquiſtadoren verbreitet hatte. Dieſe Sage ſtammt, wie wir oben angeführt, aus dem Königreich Quito, wo Luis Daça im Jahre 1535 einen Indianer aus Neugranada traf, der von ſeinem Fürſten (ohne Zweifel vom Zippa von Bogota oder vom Zaque von Tunja) abgeſandt war, um von Atahualpa, dem Inka von Peru, Kriegshilfe zu erbitten. Dieſer Abgeſandte pries wie gewöhnlich die Schätze ſeiner Heimat; was aber den Spaniern, die mit Daça in der Stadt Tacunga (Llactaconga) waren, ganz beſonders auffiel, das war die Geſchichte von einem vornehmen Mann, der, den Körper mit Goldſtaub be - deckt, in einen See mitten im Gebirge ging . Dieſer See könnte die Laguna die Tota, etwas oſtwärts vom Sogamozo (Iraca) und Tunja (Hunca) ſein, wo das geiſtliche und das weltliche Haupt des Reiches Cundinamarca oder Condirumarca ihren Sitz hatten; da ſich aber keinerlei geſchichtliche Erinne - rung an dieſen See knüpft, ſo glaube ich vielmehr, daß mit dem, in welchen man den vergoldeten großen Herrn203 gehen ließ, der heilige See Guatavita, oſtwärts von den Steinſalzgruben vor Zipaquira, gemeint iſt. Ich ſah am Rande dieſes Waſſerbeckens die Reſte einer in den Fels ge - hauenen Treppe, die bei den gottesdienſtlichen Waſchungen gebraucht wurde. Die Indianer erzählen, man habe Goldſtaub und Goldgeſchirr hineingeworfen, als Opfer für die Götzen des Adoratorio de Guatavita. Man ſieht noch die Spuren eines Einſchnittes, den die Spanier gemacht, um den See trocken zu legen. Da der Sonenntempel von Sogamozo den Nord - küſten von Terra Firma ziemlich nahe liegt, ſo wurden die Vorſtellungen vom vergoldeten Mann bald auf einen Ober - prieſter von der Sekte des Bochica oder Idacanzas überge - tragen, der ſich gleichfalls jeden Morgen, um das Opfer zu verrichten, auf Geſicht und Hände, nachdem er dieſelben mit Fett eingerieben, Goldſtaub kleben ließ. Nach anderen Nach - richten, die in einem Schreiben Oviedos an den berühmten Kardinal Bembo aufbehalten ſind, ſuchte Gonzalo Pizarro, als er den Landſtrich entdeckte, wo die Zimtbäume wachſen, zu - gleich einen großen Fürſten, von dem hierzulande viel die Rede geht, der immer mit Goldſtaub überzogen iſt, ſo daß er vom Kopf zu Fuß ausſieht wie una figura d’oro lavo - rata di mano d’un buonissimo orifice. Der Goldſtaub wird mittels eines wohlriechenden Harzes am Leibe befeſtigt; da aber dieſe Art Anzug ihm beim Schlafen unbequem wäre, ſo wäſcht ſich der Fürſt jeden Abend und läßt ſich morgens wieder vergolden, welches beweiſt, daß das Reich des Dorado ungemein viele Goldgruben haben muß. Es iſt ganz wohl anzunehmen, daß unter den von Bochica ein - geführten gottesdienſtlichen Zeremonien eine war, die zu einer ſo allgemein verbreiteten Sage Anlaß gab. Fand man doch in der Neuen Welt die allerwunderlichſten Gebräuche. In Mexiko bemalten ſich Opferprieſter den Körper; ja ſie trugen eine Art Meßgewand mit hängenden Aermeln aus gegerbter Menſchenhaut. Ich habe Zeichnungen derſelben bekannt ge - macht, die von den alten Einwohnern von Anahuac herrühren und in ihren gottesdienſtlichen Büchern aufbehalten ſind.

Am Rio Caura und in anderen wilden Landſtrichen von Guyana, wo der Körper bemalt ſtatt tättowiert wird, reiben ſich die Eingeborenen mit Schildkrötenfett ein und kleben ſich metalliſch glänzende, ſilberweiße und kupferrote Glimmer - plättchen auf die Haut. Von weitem ſieht dies aus, als trügen ſie mit Borten beſetzte Kleider. Der Sage vom ver -204 goldeten Mann liegt vielleicht ein ähnlicher Brauch zu Grunde, und da es in Neugranada zwei ſouveräne Fürſten gab,1Gerade wie im alten Reiche Meroe, in Tibet, und wie der Dairi und der Kubo in Japan. den Lama in Iraca und das weltliche Oberhaupt oder den Zaque in Tunja, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß das - ſelbe Zeremoniell bald dem König, bald dem Oberprieſter zu - geſchrieben wird. Auffallender erſcheint es, daß man vom Jahre 1535 an das Land des Dorado oſtwärts von den Anden geſucht hat. Robertſon nimmt in ſeiner Geſchichte des neuen Kontinents an, die Sage ſei zuerſt Orellana (1540) am Amazonenſtrom zu Ohren gekommen; aber das Buch des Fray Pedro Simon, dem Queſadas, des Eroberers von Cundi - rumarca, Aufzeichnungen zu Grunde liegen, beweiſt das Gegen - teil, und bereits im Jahre 1536 ſuchte Gonzalo Diaz de Pineda den vergoldeten Mann jenſeits der Niederungen der Provinz Quixos. Der Geſandte aus Bogota, den Daça im Königreich Quito getroffen, hatte von einem oſtwärts gelegenen Lande geſprochen; that er etwa ſo, weil die Hochebene von Neugranada nicht nordwärts, ſondern nordoſtwärts von Quito liegt? Man ſollte meinen, die Sage von einem nackten, mit Goldſtaub überzogenen Mann müßte urſprünglich in einem heißen Lande zu Hauſe ſein, und nicht auf den kalten Hoch - ebenen von Cundirumarca, wo ich den Thermometer oft unter 4 oder fallen ſah; indeſſen iſt das Klima infolge der un - gewöhnlichen Bodenbildung auch in Guatavita, Tunja, Iraca und am Ufer des Sogamozo ſehr verſchieden. Nicht ſelten behält man gottesdienſtliche Gebräuche bei, die aus einem anderen Erdſtrich herrühren, und nach alten Sagen ließen die Muysca ihren erſten Geſetzgeber und Stifter ihres Gottes - dienſtes, Bochica, aus den Ebenen oſtwärts von den Kordilleren herkommen. Ich laſſe unentſchieden, ob dieſe Sagen auf einer geſchichtlichen Thatſache beruhten oder ob damit, wie ſchon oben bemerkt, nur angedeutet ſein ſollte, daß der erſte Lama, der Sohn und Sinnbild der Sonne iſt, notwendig aus Län - dern gegen Aufgang gekommen ſein müſſe. Wie dem ſei, ſo viel iſt gewiß, der Ruf, den der Orinoko, der Meta und die Provinz Papamene zwiſchen den Quellen des Guaviare und Caqueta durch die Expeditionen des Ordaz, Herrera und Georgs von Speier bereits erlangt, trug dazu bei, die Sage205 vom Dorado in der Nähe des Oſtabhanges der Kordilleren zu fixieren.

Daß auf der Hochebene von Neugranada drei Heerhaufen zuſammentrafen, machte, daß ſich in ganz Amerika, ſoweit es von den Spaniern beſetzt war, die Kunde von einem noch zu erobernden reichen, ſtark bevölkerten Lande verbreitete. Sebaſtian de Belalcazar zog von Quito über Popayan nach Bogota (1536); Nikolaus Federmann kam von Venezuela, von Oſt her über die Ebenen am Meta. Dieſe beiden An - führer trafen auf der Hochebene von Condirumarca bereits den vielberufenen Adelantado Gonzalo Ximenes de Que - ſada, von dem ich einen Nachkommen bei Zipaquira barfuß das Vieh habe hüten ſehen. Das zufällige Zuſammentreffen der drei Konquiſtadoren, eines der merkwürdigſten und dra - matiſchten Ereigniſſe in der Geſchichte der Eroberung, fand im Jahre 1538 ſtatt. Belalcazar erhitzte durch ſeine Berichte die Phantaſie abenteuerluſtiger Krieger; man verglich, was der Indianer aus Tacunga Luis Daça erzählt, mit den ver - worrenen Vorſtellungen von den Schätzen eines großen ein - äugigen Königs und von einem bekleideten, auf Lama reiten - den Volke, die Ordaz vom Meta mitgebracht. Pedro de Limpias, ein alter Soldat, der mit Federmann auf der Hoch - ebene von Bogota geweſen war, brachte die erſte Kunde vom Dorado nach Coro, wo das Andenken an die Expedition Georgs von Speier (1535 bis 1537) an den Rio Papamene noch ganz friſch war. Von dieſer ſelben Stadt Coro aus unternahm auch Felipe de Hutten (Urre, Utre) ſeine vielbe - rufene Reiſe in das Gebiet der Omagua, während Pizarro, Orellana und Hernan Perez de Queſada, der Bruder des Adelantado, das Goldland am Rio Napo, längs des Ama - zonenſtromes und in der öſtlichen Kette der Anden von Neu - granada ſuchten. Die Eingeborenen, um ihrer unbequemen Gäſte los zu werden, verſicherten allerorten, zum Dorado ſei leicht zu kommen, und zwar ganz in der Nähe. Es war wie ein Phantom, das vor den Spaniern entwich und ihnen beſtändig zurief. Es liegt in der Natur des flüchtigen Erden - bewohners, daß er das Glück in der unbekannten Weite ſucht. Der Dorado, gleich dem Atlas und den Heſperiſchen Inſeln, rückte allgemach vom Gebiete der Geographie auf das der Mythendichtung hinüber.

Die vielfachen Unternehmungen zur Aufſuchung dieſes eingebildeten Landes zu erzählen, liegt nicht in meiner Abſicht. 206Ohne Zweifel verdankt man denſelben großenteils die Kennt - nis vom Inneren Amerikas; ſie leiſteten der Geographie Dienſte, wie ja der Irrtum oder gewagte Theorieen nicht ſelten zur Wahrheit führen; aber in der vorliegenden Erörterung kann ich mich nur bei den Umſtänden aufhalten, die auf die Ent - werfung der alten und neuen Karten unmittelbar Einfluß gehabt haben. Hernan Perez de Queſada ſuchte nach der Abreiſe ſeines Bruders, des Adelantado, nach Europa von neuem (1539), diesmal aber im Berglande nordöſtlich von Bogota, den Sonnentempel (Casa del Sol), von dem Gero - nimo de Ortal (1536) am Meta hatte ſprechen hören. Der von Bochica eingeführte Sonnendienſt und der hohe Ruf des Heiligtums zu Iraca oder Sogamozo gaben Anlaß zu jenen verworrenen Gerüchten von Tempeln und Götzenbildern aus maſſivem Golde; aber auf den Bergen wie in den Niede - rungen glaubte man immer weit davon zu ſein, weil die Wirklichkeit den chimäriſchen Träumen der Einbildungskraft ſo wenig entſprach. Francisco de Orellana fuhr, nachdem er mit Pizarro den Dorado in der Provincia de los canelos und an den goldhaltigen Ufern des Napo vergebens geſucht, den großen Amazonenſtrom hinunter (1540). Er fand dort zwiſchen den Mündungen des Javari und des Rio de la Trinidad (Yupura?) einen goldreichen Landſtrich, genannt Machiparo (Muchifaro), in der Nähe des Aomaguas oder Omaguas. Dieſe Kunde trug dazu bei, daß der Dorado ſüdoſtwärts verlegt wurde, denn Omaguas (Om-Aguas, Aguas), Dit-Aguas und Papamene waren Benennungen für dasſelbe Land, für das, welches Georg von Speier auf ſeinem Zuge an den Caqueta entdeckt hatte. Mitten auf den Niederungen nordwärts vom Amazonenſtrom wohnten die Omagua, die Manaos oder Manoas und die Guaypes (Uaupes oder Guayupes), drei mächtige Völker, deren letzteres, deſſen Wohnſitze weſtwärts am Guaupe oder Uaupe liegen, ſchon in den Reiſeberichten Queſadas und Huttens erwähnt wird. Dieſe beiden in der Geſchichte Amerikas gleich berühmten Konquiſtadoren kamen auf verſchiedenen Wegen in die Llanos von San Juan, die damals Valle de Nueſtra Señora hießen. Hernan Perez de Queſada ging (1541) über die Kor - dilleren von Cundirumarca, wahrſcheinlich zwiſchen den Para - mos Chingaſa und Suma Paz, während Felipe de Hutten, in Begleitung Pedros de Limpias (desſelben, der von den Hochebenen von Bogota die erſte Kunde vom Dorado nach207 Venezuela gebracht hatte) von Nord nach Süd den Weg ein - ſchlug, auf dem Georg von Speier am Oſtabhang der Ge - birge hingezogen war. Hutten brach von Coro, dem Haupt - ſitz der deutſchen Faktorei oder Geſellſchaft der Welſer auf, als Heinrich Remboldt an der Spitze derſelben ſtand. Nachdem er über die Ebenen am Caſanare, Meta und Caguan gezogen (1541), kam er an den oberen Guaviare (Guayare), den man lange für den Urſprung des Orinoko gehalten hat und deſſen Mündung ich auf dem Wege von San Fernando de Atabapo an den Rio Negro geſehen habe. Nicht weit vom rechten Ufer des Guaviare kam Hutten in die Stadt der Guaypes, Macatoa. Das Volk daſelbſt trug Kleider, die Felder ſchienen gut angebaut, alles deutete auf eine Kul - tur, die ſonſt dieſem heißen Landſtrich im Oſten der Kor - dilleren fremd war. Wahrſcheinlich war Georg von Speier bei ſeinem Zuge an den Rio Caqueta und in die Provinz Papamene weit oberhalb Macatoa über den Guaviare gegan - gen, bevor die beiden Zweige dieſes Fluſſes, der Ariari und der Guayavero, ſich vereinigen. Hutten erfuhr, auf dem Wege weiter nach Südoſt komme er auf das Gebiet der großen Nation des Omagua, deren Prieſter-König Quareca heiße und große Herden von Lama beſitze. Dieſe Spuren von Kul - tur, dieſe alten Verbindungen mit der Hochebene von Quito ſcheinen mir ſehr bemerkenswert. Wir haben ſchon oben er - wähnt, daß Orellana bei einem indianiſchen Häuptling am Amazonenſtrom Lama geſehen, und daß Ordaz auf den Ebenen am Meta davon hatte ſprechen hören.

Ich halte mich nur an das, was in den Bereich der Geographie fällt, und beſchreibe weder nach Hutten jene un - ermeßlich große Stadt, die er von weitem geſehen, noch das Gefecht mit den Omagua, wobei 39 Spanier (ihrer 14 ſind in den Nachrichten aus jener Zeit namentlich aufgeführt) mit 15000 Indianern zu thun hatten. Dieſe lügenhaften Gerüchte haben zur Ausſchmückung der Sage vom Dorado ſehr viel beigetragen. Der Name der Stadt der Omagua kommt in Huttens Bericht nicht vor, aber die Manoas, von denen Pater Fritz noch im 17. Jahrhundert in ſeiner Miſſion Yurimaguas Goldbleche erhielt, ſind Nachbarn der Omagua. Später wurde der Name Manoa aus dem Lande der Ama - zonen auf eine eingebildete Stadt im Dorado der Parime übergetragen. Der bedeutende Ruf, in dem die Länder zwiſchen dem Caqueta (Papamene) und Guaupe (einem208 Nebenfluſſe des Rio Negro) ſtanden, veranlaßte (1560) Pedro de Urſua zu der unheilvollen Expedition, welche mit der Em - pörung des Tyrannen Aguirre endigte. Als er den Caqueta hinabfuhr, um ſofort in den Amazonenſtrom zu gelangen, hörte Urſua von der Provinz Caricuri ſprechen. Dieſe Benennung weiſt deutlich auf das Goldland hin, denn, wie ich ſehe, heißt Gold auf tamanakiſch Caricuri, auf karibiſch Carucuru. Sollte der Ausdruck für Gold bei den Völkern am Orinoko ein Fremdwort ſein, wie Zucker und Coton in den europäiſchen Sprachen? Dies wieſe wohl darauf hin, daß dieſe Völker die edlen Metalle mit den fremden Erzeug - niſſen haben kennen lernen, die ihnen von den Kordilleren1Im Peruaniſchen oder dem Qquichua (Lengua del Inga) heißt Gold Cori, woher Chichicori, Goldſtaub, und Corikoya, Golderz. oder von den Ebenen am Oſtabhang der Anden zugekommen.

Wir kommen jetzt zum Zeitpunkt, wo der Mythus vom Dorado ſich im öſtlichen Strich von Guyana, zuerſt beim angeblichen See Caſſipa (an den Ufern des Paragua, eines Nebenfluſſes des Carony) und dann zwiſchen den Quellen des Rio Eſſequibo und des Rio Branco, feſtſetzte. Dieſer Umſtand iſt vom bedeutendſten Einfluſſe auf die Geographie dieſer Länder geweſen. Antonio de Berrio, der Schwieger - ſohn und einzige Erbe des großen Adelantado Ximenez de Queſada, ging weſtwärts von Tunja über die Kordilleren, ſchiffte ſich auf dem Rio Caſanare ein und fuhr auf dieſem Fluß, auf dem Meta und Orinoko hinab nach der Inſel Trinidad. Wir wiſſen von dieſer Reiſe faſt nur, was Ralegh davon berichtet; ſie ſcheint wenige Jahre vor die erſte Grün - dung von Vieja Guyana im Jahr 1591 zu fallen. Einige Jahre darauf (1595) ließ Berrio durch ſeinen Maese de Campo, Domingo de Vera, eine Expedition von 2000 Mann ausrüſten, welche den Orinoko hinaufgehen und den Dorado erobern ſollte, den man jetzt das Land Manoa, ſogar Laguna de la Gran Manoa zu nennen anfing. Reiche Grundeigentümer verkauften ihre Höfe, um den Kreuzzug mit - zumachen, dem ſich zwölf Obſervanten und zehn Weltgeiſtliche anſchloſſen. Die Mären eines gewiſſen Martinez (Juan Martin de Albujar?), der bei der Expedition des Diego de Ordaz wollte zurückgelaſſen und von Stadt zu Stadt in die209 Hauptſtadt des Dorado geſchleppt worden ſein, hatten Berrios Phantaſie erhitzt. Was dieſer Konquiſtador auf der Fahrt den Orinoko herab ſelbſt beobachtet, iſt ſchwer von dem zu unterſcheiden, was er, wie er angibt, aus einem in Por - torico aufbewahrten Tagebuche des Martinez geſchöpft hat. Man ſieht, man hatte damals vom neuen Kontinent im all - gemeinen dieſelben Vorſtellungen, wie wir ſo lange von Afrika. Man meinte tiefer im Lande mehr Kultur anzu - treffen als an den Küſten. Bereits Juan Gonzalez, den Diego de Ordaz abgeſandt hatte, die Ufer des Orinoko zu unterſuchen (1531), behauptete, je weiter man auf dem Orinoko hinaufkomme, deſto ſtärker werde die Bevölkerung . Berrio erwähnt zwiſchen den Mündungen des Meta und des Cuchivero der häufig unter Waſſer ſtehenden Provinz Ama - paja, wo er viele kleine gegoſſene goldene Götzenbilder ge - funden, ähnlich denen, welche in Cauchieto öſtlich von Coro verfertigt wurden. Er meinte, dieſes Gold komme aus dem Granitboden des bergigen Landes zwiſchen Carichana, Uruana und dem Cuchivero. Und allerdings haben in neuerer Zeit die Eingeborenen in der Quebrada del tigre bei der Miſ - ſion Encamerada ein Goldgeſchiebe gefunden. Oſtwärts von der Provinz Amapaja erwähnt Berrio des Rio Carony (Ca - roly), den man aus einem großen See entſpringen ließ, weil man einen der Nebenflüſſe des Carony, den Rio Paragua (Fluß des großen Waſſers), aus Unbekanntſchaft mit den indianiſchen Sprachen für ein Binnenmeer gehalten hatte. Mehrere ſpaniſche Geſchichtſchreiber glaubten, dieſer See, die Quelle des Carony, ſei Berrios Gran Manoa; aber aus den Nachrichten, die Berrio Ralegh mitgeteilt, iſt erſichtlich, daß man annahm, die Laguna de Manoa (del Dorado oder de Parime) liege ſüdlich vom Rio Paragua, aus dem man die Laguna Caſſipa gemacht hatte. Dieſe beiden Waſſerbecken hatten goldhaltigen Sand; aber am Ufer des Caſſipa lag Macureguaria (Margureguaira), die Hauptſtadt des Kaziken Aromaja und die vornehme Stadt des eingebil - deten Reiches Guyana.

Da dieſe häufig überſchwemmten Landſtriche von jeher von Völkern karibiſchen Stammes bewohnt waren, die tief ins Land hinein mit den entlegenſten Gegenden einen ungemein lebhaften Handel trieben, ſo iſt nicht zu verwundern, daß man hier bei den Indianern mehr Gold fand als irgendwo. Die Eingeborenen im Küſtenland brauchten dieſes Metall nichtA. v. Humboldt, Reiſe. IV. 14210allein zum Schmuck und zu Amuletten, ſondern auch in ge - wiſſen Fällen als Tauſchmittel. Es erſcheint daher ganz natürlich, daß das Gold an den Küſten von Paria und bei den Völkern am Orinoko verſchwunden iſt, ſeit der Verkehr mit dem Inneren durch die Europäer abgeſchnitten wurde. Die unabhängig gebliebenen Eingeborenen ſind gegenwärtig unzweifelhaft elender, träger und verſunkener als vor der Eroberung. Der König von Morequito, derſelbe, deſſen Sohn Ralegh nach England mitgenommen hatte, war im Jahre 1594 nach Cumana gekommen, um gegen eine große Menge maſſiver Goldbilder eiſerne Geräte und europäiſche Waren einzutauſchen. Dieſes unerwartete Auftreten eines indiani - ſchen Häuptlings ſteigerte noch den Ruf der Schätze des Orinoko. Man ſtellte ſich vor, der Dorado müſſe nicht weit vom Lande ſein, aus dem der König von Morequito gekom - men; und da das Land dort häufig unter Waſſer ſtand und die Flüſſe die allgemeinen Namen großes Meer , großes Waſſerſtück führten, ſo mußte ſich der Dorado am Ufer eines Sees befinden. Man dachte nicht daran, daß das Gold, das die Kariben und andere Handelsvölker mitbrachten, ſo wenig ein Erzeugnis ihres Bodens war, als die braſilianiſchen und oſtindiſchen Diamanten Erzeugniſſe der europäiſchen Län - der ſind, wo ſie ſich am meiſten zuſammenhäufen. Berrios Expedition, die, während die Schiffe in Cumana, bei Mar - garita und Trinidad anlegten, ſehr ſtark an Mannſchaft ge - worden war, ging über Morequito (bei Vieja Guyana) dem Rio Paragua, einem Nebenfluß des Carony, zu; aber Krank - heiten, der wilde Mut der Eingeborenen und der Mangel an Lebensmitteln ſetzten dem Zug der Spanier unüberſteigliche Hinderniſſe entgegen. Alle gingen zu Grunde bis auf dreißig, welche im kläglichſten Zuſtand zum Poſten Santo Tome zurückkamen.

Dieſe Unfälle kühlten den Eifer, mit dem bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts der Dorado aufgeſucht wurde, keines - wegs ab. Der Statthalter von Trinidad, Antonio de Berrio, wurde von Sir Walter Ralegh gefangen genommen, als dieſer im Jahr 1595 den vielberufenen Einfall auf die Küſte von Venezuela und an die Mündungen des Orinoko machte. Von Berrio und anderen Gefangenen, die Kapitän Preſton bei der Einnahme von Caracas gemacht, konnte Ralegh alles in Erfahrung bringen, was man damals von den Ländern ſüdwärts von Vieja Guyana wußte. Er glaubte an die211 Märchen, welche Juan Martin de Albujar ausgeheckt, und zweifelte weder an der Exiſtenz der beiden Seen Caſſipa und Rupunuwini, noch am Beſtehen des großen Reiches des Inka, das flüchtige Fürſten (nach Atahualpas Tode) an den Quellen des Rio Eſſequibo gegründet haben ſollten. Die Karte, welche Ralegh entworfen und deren Geheimhaltung er Lord Charles Howard empfahl, beſitzen wir nicht mehr; aber der Geograph Hondius hat dieſe Lücke ausgefüllt; ja er gibt ſeiner Karte ein Verzeichnis von Längen - und Breitenangaben bei, wobei die Laguna del Dorado und die kaiſerliche Stadt Manoas vorkommen. Während Ralegh an der Punta del Gallo (auf der Inſel Trinidad) ſich aufhielt, ließ er durch ſeine Unterbefehlshaber die Mündungen des Orinoko, nament - lich die von Capuri, Gran Amana (Manamo grande) und Macureo (Macareo) unterſuchen. Da ſeine Schiffe einen bedeutenden Tiefgang hatten, hielt es ſehr ſchwer, in die Bocas chicas einzulaufen, und er mußte ſich flache Fahrzeuge bauen laſſen. Er bemerkte die Feuer der Trivitivas (Tibitibies) vom Stamme der Guaraunen auf den Mauritiapalmen, deren Frucht, fructum squamorum, similem Palmae Pini, er zuerſt nach Europa gebracht hat. Es wundert mich, daß von der Nieder - laſſung, die Berrio unter dem Namen Santo Tome (la Vieja Guyana) gegründet, ſo gut wie gar nicht die Rede iſt; und doch reicht dieſelbe bis zum Jahre 1591 hinauf, und obgleich nach Fray Pedro Simon Religion und Politik jeden Handels - verkehr zwiſchen Chriſten (Spaniern) und Ketzern (Holländern und Engländern) verbieten , wurde damals, am Ende des 16. Jahrhunderts, wie gegenwärtig ein lebhafter Schleich - handel über die Mündungen des Orinoko getrieben. Ralegh ging über den Fluß Europa (Guarapo) und die Ebenen der Saymas (Chaymas), die im ſelben Niveau bis Cumana und Caracas fortſtreichen ; in Morequito (vielleicht etwas nordwärts von Villa de Upata in den Miſſionen am Carony) machte er Halt, und hier beſtätigte ihm ein alter Kazike alle phantaſtiſchen Vorſtellungen Berrios von einem Einfall frem - der Völker (Orejones und Epuremei) in Guyana. Die Katarakten des Caroli (Carony), welcher Fluß damals für den kürzeſten Weg zu den beiden am See Caſſipa und am See Rupunuwini oder Dorado gelegenen Städten Macureguarai und Manoa galt, ſteckten der Expedition ein Ziel.

Ralegh hat den Orinoko nur auf einer Strecke von kaum212 270 km befahren; er nennt aber nach den ſchwankenden An - gaben, die er zuſammengebracht, die oberen Zuflüſſe, den Cari, den Pao, den Apure (Capuri?), den Guarico (Voari?), den Meta, ſogar in der Provinz Baraguan den großen Waſſerfall Athule (Atures), der aller weiteren Flußfahrt ein Ende macht . Trotz ſeiner Uebertreibungen, die ſich für einen Staatsmann wenig ziemen, bieten Raleghs Berichte wichtiges Material zur Geſchichte der Geographie. Der Orinoko ober - halb des Einfluſſes des Apure war damals den Europäern ſo wenig bekannt, als heutzutage der Lauf des Nigir unter - halb Segu. Man hatte die Namen verſchiedener, weit ent - fernter Nebenflüſſe vernommen, aber man wußte nicht, wo ſie lagen; man zählte ihrer mehr auf, als wirklich ſind, wenn derſelbe Name, verſchieden ausgeſprochen oder vom Ohr un - richtig aufgefaßt, verſchieden klang. Andere Irrtümer haben vielleicht ihre Quellen darin, daß dem ſpaniſchen Statthalter Antonio de Berrio wenig daran gelegen ſein konnte, Ralegh richtige, genaue Notizen zu geben; letzterer beklagt ſich auch über ſeinen Gefangenen als einen Menſchen ohne Bildung, der Oſt und Weſt nicht zu unterſcheiden wiſſe . Ob Ralegh an alles, was er vorbringt, an die Binnenmeere, ſo groß wie das Kaſpiſche Meer, an die kaiſerliche Stadt Manoa (imperial and golden city), an die prächtigen Paläſte, welche der Kaiſer Inga von Guayana nach dem Vorbild ſeiner perua - niſchen Ahnen erbaut, ob er an all das wirklich geglaubt oder ſich nur ſo angeſtellt, das will ich hier nicht unterſuchen. Der gelehrte Geſchichtſchreiber von Braſilien, Southey, und der Biograph Raleghs, Cayley, haben in neueſter Zeit viel Licht über dieſen Punkt verbreitet. Daß der Führer der Ex - pedition und die unter ihm Befehlenden ungemein leichtgläubig waren, iſt ſchwerlich zu bezweifeln. Man ſieht, Ralegh paßte alles von vornherein angenommenen Vorausſetzungen an. Sicher war er ſelbſt getäuſcht, wenn es aber galt, die Phan - taſie der Königin Eliſabeth zu erhitzen und die Plane ſeiner ehrgeizigen Politik durchzuführen, ſo ließ er keinen Kunſtgriff der Schmeichelei unverſucht. Er ſchildert der Königin das Entzücken der barbariſchen Völker beim Anblick ihres Bild - niſſes; der Name der erhabenen Jungfrau, welche ſich Reiche zu unterwerfen weiß, ſoll bis zum Lande der kriegeriſchen Weiber am Orinoko und Amazonenſtrom dringen; er ver - ſichert, als die Spanier den Thron von Cuzco umgeſtoßen, habe man eine alte Prophezeiung gefunden, der zufolge die213 Dynaſtie der Inka dereinſt Großbritannien ihre Wiederher - ſtellung zu danken haben werde; er gibt den Rat. unter dem Vorwand, das Gebiet gegen äußere Feinde ſchützen zu wollen, Beſatzungen von drei -, viertauſend Mann in die Städte des Inka zu legen und dieſen ſo zu einem jährlichen Tribut von 300000 Pfund Sterling an Königin Eliſabeth zu nötigen; endlich äußert er mit einem Blick in die Zukunft, alle dieſe gewaltigen Länder Südamerikas werden eines Tages Eigentum der engliſchen Nation ſein .

Raleghs vier Fahrten auf dem unteren Orinoko fallen zwiſchen die Jahre 1595 und 1617. Nach all dieſen vergeb - lichen Unternehmungen ließ der Eifer, mit dem man den Dorado aufſuchte, allmählich nach. Fortan kam keine Ex - pedition mehr zuſtande, an der ſich zahlreiche Koloniſten be - teiligten, wohl aber Unternehmungen einzelner, zu denen nicht ſelten die Statthalter der Provinzen aufmunterten. Die Kunde vom Goldland der Manoasindianer am Jurubeſh und von der Laguna de oro, die durch die Reiſen der Patres Acuña (1688) und Fritz (1637) in Umlauf kam, trugen das Ihrige dazu bei, daß die Vorſtellungen vom Dorado in den portugieſiſchen und ſpaniſchen Kolonieen im Norden und Süden des Aequators wieder rege wurden. In Cuença im König - reich Quito traf ich Leute, die im Auftrag des Biſchofs Marfil öſtlich von den Kordilleren auf den Ebenen von Macas die Trümmer der Stadt Logroño, die in einem goldreichen Lande liegen ſollte, aufgeſucht hatten. Aus dem ſchon mehrmals erwähnten Tagebuche Hortsmanns erſehen wir, daß man im Jahre 1740 von Holländiſch-Guyana her zum Dorado zu gelangen glaubte, wenn man den Eſſequibo hinauffuhr. In Santo Tome de Angoſtura entwickelte der Statthalter Don Manuel Centurion ungemeinen Eifer, um zum eingebildeten See Manoa zu dringen. Arimuicaipi, ein Indianer von der Nation der Ipurucoten, fuhr den Rio Carony hinab und entzündete durch lügenhafte Berichte die Phantaſie der ſpani - ſchen Koloniſten. Er zeigte ihnen am Südhimmel die Ma - gelhaensſchen Wolken, deren weißliches Licht er für den Wider - ſchein der ſilberhaltigen Felſen mitten in der Laguna Parime erklärte. Es war dies eine ſehr poetiſche Schilderung des Glanzes des Glimmer - und Talkſchiefers ſeines Landes. Ein anderer indianiſcher Häuptling, bei den Kariben am Eſſequibo als Kapitän Jurado bekannt, gab ſich vergebliche Mühe, den Statthalter Centurion zu enttäuſchen. Man machte frucht -214 loſe Verſuche auf dem Caura und dem Rio Paragua. Mehrere hundert Menſchen kamen bei dieſen tollen Unternehmungen elend ums Leben. Die Geographie zog indeſſen einigen Nutzen daraus. Nicolas Rodriguez und Antonio Santos wurden vom ſpaniſchen Statthalter auf dieſe Weiſe gebraucht (1775 bis 1780). Letzterer gelangte auf dem Carony, dem Paragua, dem Paraguamuſi, dem Anocapra und über die Berge Pacaraimo und Quimiropaca an den Uraricuera und den Rio Branco. Die Reiſetagebücher dieſer abenteuerlichen Unternehmungen haben mir treffliche Notizen geliefert.

Die Seekarten, welche der Florentiner Reiſende Amerigo Veſpucci1Geſtorben im Jahre 1512, wie Muñoz aus Urkunden in den Archiven von Simancas erwieſen hat. in den erſten Jahren des 16. Jahrhunderts als Piloto mayor der Casa de Contratacion zu Sevilla ent - worfen und auf die er, vielleicht in ſchlauer Abſicht, den Namen Terra de Amerigo geſetzt, ſind nicht auf uns ge - kommen. Die älteſte geographiſche Urkunde des neuen Kon - tinents iſt die einer römiſchen Ausgabe des Ptolemäus vom Jahr 1508 beigegebene Weltkarte des Johann Ruyſch. 2Auf den Karten, die dem Ptolemäus von 1506 beige - geben ſind, ſieht man noch keine Spur von den Entdeckungen des Columbus.Man erkennt darauf Yucatan und Honduras (den ſüdlichſten Teil von Mexiko), die als eine Inſel unter dem Namen Culicar dargeſtellt ſind. Eine Landenge von Panama iſt nicht vor - handen, ſondern eine Meerenge, durch die man geradeaus von Europa nach Indien fahren kann. Auf der großen ſüd - lichen Inſel (Südamerika) ſteht der Name Terra de Careas, die von zwei Flüſſen, dem Rio Lareno und dem Rio For - moſo, begrenzt iſt. Dieſe Careas ſind ohne Zweifel die Einwohner von Caria, welchen Namen Chriſtoph Columbus bereits im Jahre 1498 vernommen hatte und mit dem lange Zeit ein großer Teil von Amerika bezeichnet wurde. Der Biſchof Geraldini ſagt in einem Briefe an Papſt Leo X. aus dem Jahr 1516 deutlich: Insula illa, quae Europa et Asia est major, quam indocti continentem Asiae appellant, et alii Americam vel Pariam nuncupant. Auf der Welt - karte von 1508 finde ich noch keine Spur vom Orinoko. Dieſer Strom erſcheint zum erſtenmal unter dem Namen Rio dulce auf der berühmten Karte, die Diego Ribero, Kosmo -215 graph Kaiſer Karls V., im Jahr 1529 entworfen und die Sprengel im Jahre 1795 mit einem gelehrten Kommentar herausgegeben hat. Weder Columbus (1498) noch Alonſo de Guda, bei dem Amerigo Veſpucci war (1499), hatten die eigentliche Mündung des Orinoko geſehen. Sie hatten die - ſelbe mit der nördlichen Oeffnung des Meerbuſens von Paria verwechſelt, dem man, wie denn Uebertreibungen derart bei den Seefahrern jener Zeit ſo häufig vorkommen, eine unge - heure Maſſe ſüßen Waſſers zuſchrieb. Vicente Pañez Pinçon, nachdem er die Mündung des Rio Marañon entdeckt, war auch der erſte, der die Mündung des Orinoko ſah (1500). Er nannte dieſen Strom Rio dulce, welcher Name ſich ſeit Ribero lange auf den Karten erhalten hat und zu - weilen irrtümlich dem Maroni und dem Eſſequibo beigelegt wurde.

Der große See Parime erſcheint auf den Karten erſt nach Raleghs erſter Reiſe. Jodocus Hondius war der Mann, der mit dem Jahre 1599 den Vorſtellungen der Geographen eine beſtimmte Richtung gab und das Innere von Spaniſch - Guyana als ein völlig bekanntes Land darſtellte. Der Iſth - mus zwiſchen dem Rio Branco und dem Rio Rupunuwini (einem Nebenfluß des Eſſequibo) wird von ihm in den 900 km langen, 180 km breiten See Rupuniwini, Carime oder Dorado, zwiſchen dem 45′ ſüdlicher und dem nörd - licher Breite verwandelt. Dieſes Binnenmeer, größer als das Kaſpiſche Meer, wird bald mitten in ein gebirgiges Land, ohne Verbindung mit irgend einem anderen Fluß, hineinge - zeichnet, bald läßt man den Rio Oyapok (Waiapago, Joapoc, Viapoco) und den Rio de Cayana daraus entſpringen. Der erſtere Fluß wurde im achten Artikel des Utrechter Vertrages mit dem Rio de Vincente Pinçon (Rio Calſoene oder Maya - cari?) verwechſelt und blieb bis zum letzten Wiener Kongreß der Gegenſtand endloſer Streitigkeiten zwiſchen den franzö - ſiſchen und den portugieſiſchen Diplomaten. Der letztere iſt eine chimäriſche Verlängerung des Tonnegrande oder aber des Oyac (Wia?). Das Binnenmeer (Laguna Parime) wurde anfangs ſo geſtellt, daß ſein weſtliches Ende in den Meridian des Zuſammenfluſſes des Apure und des Orinoko fiel; allmäh - lich aber ſchob man es nach Oſt vor, ſo daß das weſtliche Ende ſüdlich von den Mündungen des Orinoko zu liegen kam. Dieſer Wechſel zog auch Abänderungen in der reſpektiven Lage des Sees Parime und des Sees Caſſipa, ſowie in der Richtung216 des Laufs des Orinoko nach ſich. Dieſen großen Strom läßt man von ſeiner Mündung bis über den Meta hinauf, gleich dem Magdalenenſtrom, von Süd nach Nord laufen. Die Nebenflüſſe, die man aus dem See Caſſipa kommen ließ, der Carony, der Arui und der Caura, laufen damit in der Rich - tung eines Parallels, während ſie in der Wirklichkeit in der Richtung eines Meridians liegen. Außer dem Parime und dem Caſſipa gab man auf den Karten einen dritten See an, aus dem man den Aprouague (Apurwaca) kommen ließ. Es war damals bei den Geographen allgemeiner Brauch, alle Flüſſe mit großen Seen in Verbindung zu bringen. Auf dieſe Weiſe verband Ortelius den Nil mit dem Zaire oder Rio Kongo, die Weichſel mit der Wolga und dem Dnjepr. Im nörd - lichen Mexiko, in den angeblichen Königreichen Guivira und Cibola, die durch die Lügen des Mönchs Marcos de Niza berühmt geworden, hatte man ein großes Binnenmeer ein - gezeichnet, aus dem man den kaliforniſchen Rio Colorado ent - ſpringen ließ. 1Es iſt dies der mexikaniſche Dorado, wo man auf den Küſten Schiffe voll Waren aus Catayo (China) gefunden haben wollte und wo Fray Marcos (wie Hutten im Lande der Omagua) die vergoldeten Dächer einer großen Stadt, einer der Siete Ciudades, von weitem ſah. Die Einwohner haben große Hunde, en los quales quando se mudan cargan su menage. Spätere Ent - deckungen laſſen übrigens keinen Zweifel, daß dieſer Landſtrich früher ein Mittelpunkt der Kultur war.Vom Rio Magdalena lief ein Arm in den See Maracaybo, und der See Xarayes, in deſſen Nähe man einen ſüdlichen Dorado ſetzte, ſtand mit dem Amazonen - ſtrom, mit dem Miari (Meary) und dem Rio San Francisco in Verbindung. Die meiſten dieſer hydrographiſchen Träume ſind verſchwunden; nur die Seen Caſſipa und Dorado haben ſich lange nebeneinander auf unſeren Karten erhalten.

Verfolgt man die Geſchichte der Geographie, ſo ſieht man den Caſſipa, der als ein rechtwinkeliges Viereck darge - ſtellt wird, ſich allmählich auf Koſten des Dorado vergrößern. Letzterer wurde zuweilen ganz weggelaſſen, aber nie wagte man es, ſich am erſteren zu vergreifen, der nichts iſt als der durch periodiſche Ueberſchwemmungen geſchwellte Rio Para - gua (ein Nebenfluß des Carony). Als d’Anville durch Solanos Expedition in Erfahrung brachte, daß der Orinoko ſeine Quellen keineswegs weſtwärts am Abhang der Anden von Paſto habe,217 ſondern von Oſten her von den Gebirgen der Parime herab - komme, nahm er in der zweiten Ausgabe ſeiner ſchönen Karte von Amerika (1760) die Laguna Parime wieder auf und ließ ſie ganz willkürlich durch den Mazuruni und den Cuyuni mit drei Flüſſen (dem Orinoko, dem Rio Branco und dem Eſſequibo) in Verbindung ſtehen. Er verlegte ſie unter den 3. bis 4. Grad nördlicher Breite, wohin man bisher den See Caſſipa geſetzt hatte.

Der ſpaniſche Geograph La Cruz Olmedilla (1775) folgte d’Anvilles Vorgang. Der alte, unter dem Aequator gelegene See Parime war vom Orinoko ganz unabhängig; der neue, der an der Stelle des Caſſipa und wieder in der Geſtalt eines Vierecks auftrat, deſſen längſte Seiten von Süd nach Nord laufen,1Die große Achſe des eigentlichen Sees Parime war von Oſt nach Weſt gerichtet. zeigt die ſeltſamſten hydrauliſchen Verbindungen. Bei La Cruz entſpringt der Orinoko unter dem Namen Pa - rime und Puruma (Xuruma?) im gebirgigen Lande zwiſchen den Quellen des Ventuari und des Caura (unter dem 5. Grad der Breite im Meridian der Miſſion Esmeralda) aus einem kleinen See, der Ipava heißt. Dieſer See läge auf meiner Reiſekarte nordöſtlich von den Granitbergen von Cunevo, woraus zur Genüge hervorgeht, daß wohl ein Nebenfluß des Rio Branco oder des Orinoko daraus entſpringen könnte, nicht aber der Orinoko ſelbſt. Dieſer Rio Parime oder Pu - ruma nimmt nach einem Lauf von 180 km gegen Oſt-Nord - Oſt und von 270 km gegen Südoſt den Rio Mahu auf, den wir bereits als einen der Hauptzweige des Rio Branco kennen; darauf läuft er in den See Parime, den man 135 km lang und 90 km breit macht. Aus dieſem See entſpringen un - mittelbar drei Flüſſe, der Rio Ucamu (Ocamo), der Rio Idapa (Siapa) und der Rio Branco. Der Orinoko oder Puruma iſt als unterirdiſche Durchſickerung am Weſtabhang der Sierra Mei, welche den See oder das Weiße Meer gegen Weſten begrenzt, gezeichnet. Dieſe zweite Quelle des Orinoko liegt unter dem 2. Grad nördlicher Breite und 3½° oſtwärts vom Meridian von Esmeralda. Nachdem der neue Fluß 225 km gegen Weſt-Nord-Weſt gelaufen, nimmt er zu - erſt den Ucamu auf, der aus dem Parime kommt, ſodann den Rio Maquiritari (Padamo), der zwiſchen dem See Ipava218 und einem anderen Alpſee, von La Cruz Laguna Cavija genannt, entſpringt. Da See maypuriſch Cavia heißt, ſo bedeutet das Wort Laguna Cavia, wie Laguna Parime, nichts als Waſſerbecken, laguna de agua. Dieſe ſeltſame Flußzeichnung iſt nun das Vorbild für faſt alle neueren Karten von Guyana geworden. Ein Mißverſtändnis, das aus der Unkenntnis des Spaniſchen entſprang, hat der Karte des La Cruz, auf der richtige Angaben mit ſyſtematiſchen, den alten Karten entnommenen Vorſtellungen vermengt ſind, vollends großes Anſehen verſchafft. Eine punktierte Linie umgibt den Landſtrich, über den Solano einige Erkundigung hatte ein - ziehen können; dieſe Linie hielt man für den von Solano zurückgelegten Weg, ſo daß dieſer das ſüdweſtliche Ende des Weißen Meeres geſehen haben müßte. Auf der Karte des La Cruz ſteht geſchrieben: Dieſer Weg bezeichnet, was vom Statthalter von Caracas, Don Joſe Solano, entdeckt und zur Ruhe gebracht worden iſt. Nun weiß man aber in den Miſſionen, daß Solano nie über San Fernando de Atabapo hinausgekommen iſt, daß er den Orinoko oſtwärts vom Einfluſſe des Guaviare gar nicht geſehen und daß er ſeine Nachrichten über dieſe Länder nur von gemeinen Sol - daten haben konnte, die der Sprachen der Eingeborenen un - kundig waren. Das Werk des Pater Caulin, der ja der Geſchichtſchreiber der Expedition war, das Zeugnis Don Apo - linarios Diaz de la Fuente und Santos Reiſe thun zur Ge - nüge dar, daß nie ein Menſch das Weiße Meer des La Cruz geſehen hat, das, wie aus den Namen der ſich darein er - gießenden Flüſſe hervorgeht, nichts iſt als eine eingebildete Ausbreitung des weſtlichen Zweigs des Rio Branco oberhalb des Einfluſſes des Tacutu und des Uraricuera oder Rio Pa - rime. Ließe man aber auch Angaben gelten, deren Unrichtig - keit jetzt zur Genüge dargethan iſt, ſo ſähe man nach all - gemein anerkannten hydrographiſchen Grundſätzen nicht ein, mit welchem Recht der See Ipava die Quelle des Orinoko heißen könnte. Wenn ein Fluß in einen See fällt und von dieſem ſelben Waſſerbecken drei andere abgehen, ſo weiß man nicht, welchem von dieſen man den Namen des erſteren bei - legen ſoll. Noch viel weniger iſt es zu rechtfertigen, wenn der Geograph denſelben Namen einem Fluſſe läßt, deſſen Quelle durch eine hohe Bergkette vom See getrennt iſt und der durch Durchſickerung unterirdiſch entſtan den ſein ſoll.

Vier Jahre nach der großen Karte von La Cruz Olmedilla219 erſchien das Werk des Pater Caulin, der die Grenzexpedition mitgemacht hatte. Das Buch wurde 1759 am Ufer des Ori - noko ſelbſt geſchrieben, und nur einige Anmerkungen wurden ſpäter in Europa beigefügt. Der Verfaſſer, ein Franziskaner von der Kongregation der Obſervanten, zeichnet ſich durch ſeine Aufrichtigkeit aus, und an kritiſchem Geiſte iſt er allen ſeinen Vorgängern überlegen. Er ſelbſt iſt nicht über den großen Katarakt hinausgekommen, aber alles, was Solano und Ituriaga Wahres und Schwankendes zuſammengebracht, ſtand zu ſeiner Verfügung. Zwei Karten, die Pater Caulin im Jahre 1756 entworfen, wurden von Surville, einem Archiv - beamten beim Staatsſekretariat, in eine zuſammengezogen und nach angeblichen Entdeckungen vervollſtändigt (1778). Schon oben, als von unſerem Aufenthalte in Esmeralda (dem den unbekannten Quellen zunächſt gelegenen Punkte) die Rede war, habe ich bemerkt, wie willkürlich man bei dieſen Abänderungen zu Werke ging. Sie gründeten ſich auf die lügenhaften Be - richte, mit denen man die Leichtgläubigkeit des Statthalters Centurion und Don Apolinarios Diaz de la Fuente, eines Kosmographen, der weder Inſtrumente, noch Kenntniſſe, noch Bücher hatte, Tag für Tag bediente.

Das Tagebuch Pater Caulins ſteht mit der Karte, die demſelben beigegeben iſt, in fortwährendem Widerſpruche. Der Verfaſſer ſetzt die Umſtände auseinander, welche zu der Fabel vom See Parime Anlaß gegeben haben; aber die Karte bringt dieſen See auch wieder, nur ſchiebt ſie ihn weit weg von den Quellen des Orinoko, oſtwärts vom Rio Branco. Nach Pater Caulin heißt der Orinoko Rio Maraguaca unter dem Meridian des Granitberges dieſes Namens, der auf meiner Reiſekarte gezeichnet iſt. Es iſt viel mehr ein Bergſtrom als ein Fluß; er kommt zugleich mit dem Rio Omaguaca und dem Macoma, unter 2½° der Breite, aus dem kleinen See Cabiya. Dies iſt der See, aus dem La Cruz den Maquiritari (Padamo) entſpringen läßt und den er unter 5½° der Breite, nördlich vom See Ipava, ſetzt. Die Exiſtenz von Caulins Rio Ma - coma ſcheint ſich auf ein verworrenes Bild der Flüſſe Padamo, Ocamo und Matacona zu gründen, von denen man vor meiner Reiſe glaubte, ſie ſtehen miteinander in Verbindung. Vielleicht gab auch der See, aus dem der Macapa kommt (etwas weſt - lich vom Amaguaca), Anlaß zu dieſen Irrtümern hinſichtlich des Urſprunges des Orinoko und der Quellen des Idapa in der Nähe.

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Surville ſetzt unter 10′ der Breite an die Stelle des Sees Parime des La Cruz einen anderen See ohne Namen, der nach ihm die Quelle des Ucamu (Ocamo) iſt. In der Nähe dieſes Alpenſees entſpringen aus derſelben Quelle der Orinoko und der Idapa, ein Nebenfluß des Caſſiquiare. Der See Amucu, die Quelle des Mahu, wird zum Mar Dorado oder zur Laguna Parime erweitert. Der Rio Branco hängt nur noch durch zwei ſeiner ſchwächſten Neben - flüſſe mit dem Waſſerbecken zuſammen, aus dem der Ucamu kommt. Aus dieſer rein hypothetiſchen Anordnung ergibt ſich, daß der Orinoko aus keinem See entſpringt und daß die Quellen desſelben vom See Parime und dem Rio Branco durchaus unabhängig ſind. Trotz der ſich gabelnden Quelle iſt das hydrographiſche Syſtem der Survilleſchen Karte nicht ſo abgeſchmackt als das auf der Karte des La Cruz. Wenn die neueren Geographen ſich ſo lange beharrlich an die ſpa - niſchen Karten gehalten haben, ohne dieſelben miteinander zu vergleichen, ſo erſcheint es doch auffallend, daß ſie nicht wenig - ſtens der neueſten Karte den Vorzug gegeben haben, der Survilleſchen, die auf königliche Koſten und auf Befehl des Miniſters für Indien, Don Joſe de Galvez erſchienen iſt.

Ich habe hiermit, wie ich oben angekündigt, die wechſeln - den Geſtalten entwickelt, welche die geographiſchen Irrtümer zu verſchiedenen Zeiten angenommen. Ich habe auseinander - geſetzt, wie die Bodenbildung, der Lauf der Ströme, die Namen der Nebenflüſſe und die zahlreichen Trageplätze zur Annahme eines Binnenmeeres im Herzen von Guyana führen konnten. So trocken Erörterungen der Art ſein mögen, für unnütz und unfruchtbar darf man ſie nicht halten. Man erſieht daraus, was alles die Reiſenden noch zu entdecken haben; ſie ſtellen uns vor Augen, welcher Grad von Zu - verläſſigkeit lange Zeit wiederholten Behauptungen zukommt. Es verhält ſich mit den Karten wie mit den Tafeln aſtro - nomiſcher Poſitionen in unſeren für die Seefahrer beſtimmten Ephemeriden. Von lange her iſt zu ihrer Entwerfung das verſchiedenartigſte Material zuſammengetragen worden, und zöge man nicht die Geſchichte der Geographie zu Rate, ſo wäre ſpäter ſo gut wie gar nicht auszumitteln, auf welcher Autorität jede einzelne Angabe beruht.

Ehe ich den Faden meiner Erzählung wieder aufnehme, habe ich noch einige allgemeine Bemerkungen über die gold - haltigen Gebirgsarten zwiſchen dem Amazonenſtrome und dem221 Orinoko beizubringen. Wir haben dargethan, daß der Mythus vom Dorado, gleich den berühmteſten Mythen der Völker der Alten Welt, nacheinander auf verſchiedene Oertlichkeiten bezogen worden iſt. Wir haben denſelben von Südweſt nach Nordoſt, vom Oſtabhange der Anden gegen die Ebenen am Rio Branco und Eſſequibo vorrücken ſehen, ganz in der Rich - tung, in der die Kariben ſeit Jahrhunderten ihre Kriegs - und Handelszüge machten. Man ſieht leicht, wie das Gold von den Kordilleren von Hand zu Hand durch eine Menge Völkerſchaften bis an das Küſtenland von Guyana gelangen konnte; waren doch, lange bevor der Pelzhandel engliſche, ruſſiſche und amerikaniſche Schiffe an die Nordweſtküſten von Amerika zog, eiſerne Werkzeuge von Neumexiko und Kanada bis über die Rocky Mountains gewandert. Infolge eines Irrtums in der Länge, deſſen Spuren man auf ſämtlichen Karten des 16. Jahrhunderts begegnet, nahm man die gold - führenden Gebirge von Peru und Neugranada weit näher bei den Mündungen des Orinoko und des Amazonenſtromes an, als ſie in Wirklichkeit ſind. Es iſt einmal Sitte bei den Geographen, neu entdeckte Länder übermäßig zu vergrößern und ins Breite zu ziehen. Auf der Karte von Peru, welche Paulo di Forlani in Verona herausgab, liegt die Stadt Quito 1800 km von der Küſte der Südſee unter dem Meridian von Cumana; die Kordillere der Anden füllt faſt die ganze Oberfläche des ſpaniſchen, franzöſiſchen und holländiſchen Guyana aus. Dieſe falſche Anſicht von der Breite der Anden iſt ohne Zweifel im Spiel, wenn man den granitiſchen Ebenen am Oſtabhange derſelben ſo große Wichtigkeit zugeſchrieben hat. Da man die Nebenflüſſe des Amazonenſtromes und des Orinoko oder (wie Raleghs Unterbefehlshaber aus Schmeichelei für ihren Oberen ſagten) des Rio Raleana beſtändig ver - wechſelte, ſo bezog man auf dieſen alle Sagen, die einem über den Dorado von Quixos, über die Omagua und Manoas zu Ohren gekommen. Nach des Geographen Hondius An - nahme lagen die durch ihre Chinawälder berühmten Anden von Loxa nur 90 km vom See Parime und dem Ufer des Rio Branco. Bei dieſer Nähe erſchien die Kunde, daß ſich der Inka in die Wälder von Guyana geflüchtet und daß die Schätze aus Cuzco in die öſtlichſten Striche von Guyana geſchafft worden, glaubwürdig. Fuhr man den Meta oder den Amazonenſtrom hinauf, ſo ſah man allerdings zwiſchen dem Purus, dem Jupura und dem Iquiari die Eingeborenen222 civiliſierter werden. Man fand dort Amulette und kleine Götzenbilder aus gegoſſenem Golde, künſtlich geſchnitzte Stühle und dergleichen; aber von ſolchen Spuren einer aufkeimenden Kultur zu den Städten und ſteinernen Häuſern, wie Ralegh und ſeine Nachfolger ſie beſchreiben, iſt ein großer Sprung. Wir haben oſtwärts von den Kordilleren, in der Provinz Jaen de Bracamoros, auf dem Wege von Loxa an den Ama - zonenſtrom herab, die Trümmer großer Gebäude gezeichnet; bis hierher waren die Inka mit ihren Waffen, mit ihrer Religion und mit ihren Künſten vorgedrungen. Die ſich ſelbſt überlaſſenen Eingeborenen am Orinoko waren vor der Er - oberung etwas civiliſierter als jetzt die unabhängigen Horden. Sie hatten dem Fluſſe entlang volkreiche Dörfer und ſtanden mit ſüdlicher wohnenden Völkern in regelmäßigem Handels - verkehr; aber nichts weiſt darauf hin, daß ſie je ein ſteinernes Gebäude errichtet hätten. Wir haben auf unſerer ganzen Flußfahrt nie die Spur eines ſolchen geſehen.

Obgleich nun aber Spaniſch-Gayana ſeinen Ruf, ein reiches Land zu ſein, großenteils ſeiner geographiſchen Lage und den Irrtümern der alten Karten zu danken hat, ſo iſt man deshalb doch nicht zu der Behauptung berechtigt, daß auf dieſem Flächenraume von 1660500 qkm zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrome, oſtwärts von den Anden von Quito und Neugranada, gar keine goldhaltige Gebirgs - art vorkomme. Soweit ich dieſes Land zwiſchen dem 2. und 8. Grad der Breite und dem 66. und 71. Grad der Länge kennen gelernt habe, beſteht es durchgängig aus Granit und aus einem Gneis, der in Glimmerſchiefer und Talkſchiefer übergeht. Dieſe Gebirgsarten kommen in den hohen Ge - birgen der Parime, wie in den Niederungen am Atabapo und Caſſiquiare zu Tage. Der Granit überwiegt über die anderen Gebirgsarten, und wenn auch der Granit von alter Formation überall faſt durchgängig keine Golderze enthält, ſo iſt daraus