PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Muͤnchhauſen.
Eine Geſchichte in Arabesken
Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem Cogitat, ut speciosa dehine miracula promat, Antiphatem, Seyllamque et cum Cyclope Charybdim. (Horatius. )
Zweiter Theil.
Duͤſſeldorf,Verlag von J. E. Schaub.1839.
[II][III]

Inhalt des erſten und zweiten Theils.

Erſter Theil.

Erſtes Buch.

Muͤnchhauſen’s Debuͤt.

Eilftes Capitel.

  • Seite
  • Worin der Freiherr ſeinen Abſcheu vor dem Laſter des Lügens nicht allein ausſpricht, ſondern auch bethätigt3
  • Zwölftes Capitel. Der Freiherr bringt zwar die angefangene Ge - ſchichte nicht zu Ende, handelt aber von andern außerordentlichen Dingen16
  • Dreizehntes Capitel. Der Freiherr beginnt eine hiſtoriſche Novelle von ſechs verbundenen Kurheſſiſchen Zöpfen zu er - zählen, wird aber von dem Ausbruche der Ver - zweiflung bei dem Schulmeiſter Ageſilaus unter - brochen und verſpricht geordnetere Mittheilungen26
  • Vierzehntes Capitel. Die angefangene hiſtoriſche Novelle kommt glück - lich, wenn auch auf unerwartete Weiſe zu Ende41
  • IV
  • Seite
  • Fünfzehntes Capitel. Zwei Zuhörer ſind in ihren Erwartungen ſo ge - täuſcht, wie die Leſer, der dritte Zuhörer fühlt ſich dagegen höchſt befriedigt. Der Freiherr theilt einige dürftige Familiennachrichten mit67
  • Eine Correſpondenz des Herausgebers mit ſeinem Buchbinder86
  • Erſtes Capitel. Von dem Schloſſe Schnick-Schnack-Schnurr und ſeinen Bewohnern98
  • Zweites Capitel.
    [figure]
    118
  • Drittes Capitel. Weitere Nachrichten von dem alten Baron und ſeinen Angehörigen124
  • Viertes Capitel. Die blonde Lisbeth129
  • Fünftes Capitel. Der alte Baron wird Mitglied eines Journal - Leſecirkels137
  • Sechstes Capitel. Wie der Dorfſchulmeiſter Ageſel durch eine deut - ſche Sprachlehre um ſeinen Verſtand gebracht wurde und ſich ſeitdem Ageſilaus nannte145
  • V
  • Seite
  • Siebentes Capitel. Der Freiherr von Münchhauſen wird auf den Boden dieſer Geſchichten geſchleudert161
  • Achtes Capitel. Handelt von dem Bedienten Karl Buttervogel, und von der freundlichen und ehrenvollen Auf - nahme, welche der Freiherr von Münchhauſen im Schloſſe Schnick-Schnack-Schnurr fand182
  • Neuntes Capitel. Verſtändniſſe und Mißverſtändniſſe, Sehnſucht, Orden, Geſinnungen und Ehrenſtellen; Görres und Strauß; die Pücelle d’Orleans, Zeichen, Wunder und neue Geheimniſſe190
  • Zehntes Capitel. Das kürzeſte Capitel dieſes Buches nebſt einer Anmerkung des Herausgebers221
  • Sechszehntes Capitel. Warum der Freiherr von Münchhauſen grün an - lief, wenn er ſich ſchämte oder in Zorn gerieth216
  • Siebenzehntes Capitel. Die drei Schloßbewohner ertheilen dem Freiherrn von Münchhauſen vernünftigen Rath; er aber bleibt auch für den Bedienten Karl Buttervogel theilweiſe ein Räthſel239
VI

Zweites Buch.

Der wilde Jaͤger.

Erſtes Capitel.

  • Seite
  • Der Hofſchulze253
  • Zweites Capitel. Rath und Antheil267
  • Drittes Capitel. Der Oberhof289
  • Viertes Capitel. Worin der Jäger einem Menſchen, Namens Schrimbs oder Peppel ſeinen Begleiter nachſen - ſendet und ſelbſt auf den Oberhof kommt299
  • Fünftes Capitel. Der Jäger verdingt ſich zum Wildſchützen, und des Abends erzählen Knechte und Mägde die Ergeb - niſſe ihres Nachdenkens über die moraliſchen Sprüche311
  • Sechstes Capitel. Der Jäger ſchreibt an ſeinen Freund Ernſt im Schwarzwalde323
  • VII
  • Seite
  • Siebentes Capitel. Worin der Jäger dem Hofſchulzen eine alte Ge - ſchichte von ſeinen Eltern erzählt348
  • Achtes Capitel. Worin der Hofſchulze eine dreifache Moral aus der Geſchichte des Jägers zieht366
  • Neuntes Capitel. Der Jäger erneuert eine alte Bekanntſchaft375
  • Zehntes Capitel. Von dem Volke und von den höheren Ständen395
  • Eilftes Capitel. Die fremde Blume und das ſchöne Mädchen. Die gelehrte Geſellſchaft409
  • Zwölftes Capitel. Brief und Antwort432
  • Dreizehntes Capitel. Der Jäger ſchießt und trifft441
VIII

Zweiter Theil.

Drittes Buch.

Acta Schnickschnackschnurriana.

  • Seite
  • Erſtes Capitel. Gegenſeitige Offenheiten3
  • Zweites Capitel. Der Autor giebt einige nothwendige Erklärungen13
  • Drittes Capitel. Blätter aus Emerentia’s Tagebuche19
  • Viertes Capitel. Blätter aus dem Tagebuche eines Bedienten37
  • Fünftes Capitel. Der Autor fährt fort einige nothwendige Erklä - rungen zu geben45
  • Sechstes Capitel. Die Ereigniſſe eines Abends und einer Nacht59
  • Siebentes Capitel. Warum der Schulmeiſter ſägte und warum der alte Baron rumorte82
  • Achtes Capitel. Rechtsfälle und Auseinanderſetzungen91
  • IX
  • Seite
  • Neuntes Capitel. Der Freiherr von Münchhauſen beginnt einen Heroismus im Erzählen zu entfalten104
  • Ich. Fragment einer Bildungsgeſchichte111
  • Zehntes Capitel. Die Geſellſchaft des Schloſſes beginnt ſich in ihre Elemente aufzulöſen218

Viertes Buch.

Poltergeiſter in und um Weinsberg.

  • I. Das Juliusſpital und die beiden alten Weiber235
  • II. Erſte Ankündigungen einer höheren Welt241
  • III. Der magiſche Schneider249
  • IV. Der Gergeſener. Die innere Sprache. Das Examen rigoroſum254
  • V. Himmel und Hölle zögern anfangs zu Weins - berg in Conflict zu gerathen265
  • VI. Die engbrüſtige Nätherin273
  • VII. Grobſchmidt oder Magiſter? Eine Frage an Euch, Ihr himmliſchen Mächte279
  • VIII. Der Geiſt eines Grobſchmidts mit den Er - innerungen eines Magiſters295
  • IX. Thatſache: Die Erlöſung eines Dämons hängt von tauſend Zufälligkeiten ab303
  • XX
  • Seite
  • X. Thatſache: In Gegenwart der Polizei er - ſcheint weder Engel noch Dämon316
  • XI. Bekenntniſſe einer Sterbenden324
  • XII. Das Teſtament des Magiſters Schnotterbaum330

Anmerkung 1. Die mir bis jetzt bekannt ge - wordenen Leſer dieſes Werkes theilen ſich in ſolche, welche den Münchhauſen, und in ſolche, welche den Hofſchulzen mögen. Für die Anhänger des Letzteren, welche im zweiten Theile leer ausgehen, die tröſtliche Nachricht, daß wir im dritten wieder auf den Oberhof gelangen und faſt immer darauf bleiben.

Anmerkung 2. Wo im Buche von Görres die Rede iſt, muß geleſen werden: Herr v. Görres.

XI

Druckfehler des erſten Theils.

  • Seite 15 Zeile 4 lies: langem ſtatt: langen.
  • 24 10 fällt das - hinter: plattirten weg.
  • 36 8 lies: Mama ſtatt: Manna.
  • 83 15 dann ſt. denn.
  • 141 letzte Zeile fällt das Wort: Boan Upas weg.
  • 158 Zeile 7 lies: Eurotas ſt. Eurotos.
  • 174 9 mehreren ſt. mehrere.
  • 179 4 καϑαίρω ſt. καϑείρω.
  • 198 13 dem ſt. den.
  • 206 23 Steudel ſt. Stäudel
  • 247 1 vorgaukelt ſt. vergaukelt.
  • 324 1 an der ſt. an die.
  • 340 5 Norden ſt. Norden.
  • 344 4 im ſt. des.
  • 381 5 ſetze nach ließ: ein,
  • 383 2 lies: runder ſt. runde.
  • 392 13 ſetze nach: davon ein?
  • 395 8 lies: der ſt. edr.
  • 402 19 eine ſt. einer.

Druckfehler des zweiten Theils.

  • Seite 14 Zeile 15 lies: niederen ſtatt niedere.
  • 31 21 bequemen ſchriftlichen ſt. bequeme ſchriftliche.
  • 37 17 gemalte ſt. bemalte.
  • 88 23 müßiger ſt. müßige.
  • 110 4 ſetze nach: gewiſſen ein,
  • 183 9 lies: dieſen ſt. dieſem.
  • 209 24 lieben ſt. liebe.
  • 262 13 unſerer ſt. unſere.
  • 321 10 in ſt. in.
[XII][1]

Drittes Buch. Acta Schnickschnackschnurriana.

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 1[2][3]

Erſtes Capitel. Gegenſeitige Offenheiten.

Dieſe Ziegen am Helikon

Oeta wollt Ihr ſagen

Nein, Helikon will ich ſagen, ich habe mich früher verſprochen. Dieſe Ziegen am Helikon, unter welche ich als Knäblein gerieth, hatten ehe - dem einen Bund zur Verfeinerung ihrer Wolle ge - ſtiftet; äußerte Münchhauſen.

Es freut mich, rief der alte Baron, daß wir jetzt unter das Vieh kommen! Auf dieſen Punct in Euren Hiſtorien war ich immer noch einiger - maßen geſpannt, denn das Andere, was Ihr ſeither vortrugt, wollte mir nicht mehr recht unterhaltend ſcheinen nehmt mir’s nicht übel, Mann, aber Offenheit muß unter Freunden ſeyn.

Verſteht ſich am Rande, ſprach Münchhauſen feierlich. Die Ziegen alſo

Guter Meiſter, kannſt Du mir zuſichern, daß in der Geſchichte nichts vorkommt, was mein Zart -1*4gefühl beleidiget? fiel das Fräulein ein. Sie nannte Münchhauſen ſeit einer erhebenden Scene, die ſich zwiſchen ihnen vor einigen Tagen zuge - tragen hatte, Du.

Nicht das Geringſte, Diotima-Emerentia, ant - wortete der Freiherr. Zu jener Viehart gehören zwar der Ordnung der Natur gemäß Böcke, auch kommen dieſe in meiner Geſchichte vor, ich werde aber delicat ſeyn und ſie die Gatten der Ziegen nennen. Ferner tritt ein Miſtkäfer auf, der ſoll das Roß des Trygäos heißen; eine Schmeißfliege flicht ſich ein du wirſt mich faſſen, wenn ich von der blauen Schwärmerin ſpreche.

Ich werde dich ganz faſſen, mein Meiſter, antwortete das Fräulein mit einem ihrer unbe - ſchreiblichen Blicke. Ja, ſagte Münchhauſen, darin biſt du, du, und deinen Schweſtern gleich. Wenn nur der Bock der Gatte der Ziegen heißt, ſo können ſie Alles anhören.

Hört, Kinder, rief der alte Baron halb ſcher - zend, halb ärgerlich, dieſes du und du, und du du klingt ein wenig, als wenn der Kuhhirt dutet. Ich dächte, Ihr bliebet bei’m Sie, es iſt ein feinerer, ſpitzerer Laut. Ich liebe dich, Renzel, und ich5 ſchätze Euch, Münchhauſen, deßhalb will ich für Euch Beide klug ſeyn. Eine Mariage wäre nichts mehr in Euren Jahren.

Mariage! rief das Fräulein und erröthete. O wie verſtehen Sie, mein Vater, mich einmal wieder recht gründlich miß! Sie ging aus dem Zimmer.

Mariage! rief der Freiherr und ergrünte. Nein, mein würdiger Altvater, befürchten Sie keine Ma - riage. Ich könnte Ihre unſchätzbare Tochter tauſend Jahre lang du nennen und dächte nicht an Ma - riage. Zur Mariage gehört Amour; ich ſpüre keinerlei Amour für meine Diotima-Emerentia. Es iſt der Ort und iſt die Stunde, Ihnen eine wichtige Entdeckung zu machen. Ich fühle eine Achtung für jenes reine weibliche Weſen, die in das Unermeßliche geht, ſie läßt ſich nur mit der Begeiſterung Kühne’s für Theodor Mundt verglei - chen. Wenn Emerentia nieſet, ſo iſt das für mich ein Gedicht; aber meine Empfindungen ſtehen zu derſelben Zeit abgeſondert, gleichſam geronnen, für ſich, ſie haben keinen Verkehr mit der Achtung, ſie führen ihren eigenen Haushalt; kurz, denn Offen - heit muß ja, wie Sie ſelbſt herzlich und bieder6 ausſprachen, unter Freunden ſeyn Ihre göttliche Tochter iſt mir trotz aller Werthſchätzung, die ich für ſie empfinde, durchaus zuwider.

Eigentlich ſollte ich das übel nehmen, ich als Vater, ſagte der alte Baron. Aber mir liegt hauptſächlich nur daran, daß zwiſchen Euch keine Mariage zu Stande kommt, und deßhalb iſt es mir lieb, daß Ihr Renzel’n nicht leiden könnt. Nennt ſie denn alſo in Gottes Namen du. Unter uns, heißt das, nicht vor dem Schulmeiſter. Anfangs wärt Ihr mir als Schwiegerſohn wie eine er - wünſchte Stütze meines Alters vorgekommen, aber ſeit Ihr ſo manches Naturſpiel an Euch entfaltet, hat ſich die Sache geändert. Zwar erſchrecke ich vor nichts mehr an Euch. Wenn Ihr nach Euren geheimen Experimenten oft verteufelt mineraliſch riecht, wie Nenndorf, Pouhon und Aachen durch - einander, pflege ich zu ſprechen: Thut nichts, große Männer haben ihre Eigenheiten, und nehme eine ſtärkere Priſe Doppelmops. Ich halte Euch wirklich für einen großen Mann, aber zum drittenmale ſei es geſagt: Unter Freunden muß Offenheit ſeyn obſchon ich Eure Qualitäten wahrhaft anerkenne Ihr ſeid nach gerade für7 mich ein Kerl geworden, vor dem ich eine ſtille Averſion verſpüre.

Münchhauſen’s Wangen nahmen die Farbe des Smaragds an, die doppelfarbigen Augen zwinker - ten zum Theil, zum Theil leuchteten ſie von Thrä - nen. Er griff in hoher Bewegung nach der Hand ſeines Wirthes, führte ſie an ſein Herz und rief: Wie danke ich Ihnen für dieſes rückhaltsloſe Ge - ſtändniß! Iſt das nicht eine andere und männ - lichere Geſinnung, frei heraus zu ſagen, was Einer auf dem Herzen hat, als jene altbackene Empfind - ſamkeit und höfliche Scheu, die Schlangen im Buſen nährt und auf die Lippen Nachtigallen ſchickt?

Kann denn nicht der deutſche Mann zum deut - ſchen Manne ſagen: Du biſt ein Schafskopf und dennoch mit ihm in Ruhe und Frieden leben? rief der alte Baron eifrig.

Kann ich Sie denn nicht für einen alten Ein - faltspinſel halten, und nichtsdeſtoweniger Sie herz - lich lieben? ſchrie Münchhauſen.

Bruder! ſchluchzte der alte Baron und fiel ſeinem Gaſte um den Hals, Gott ſoll mich ver - dammen, wenn deine Geſellſchaft mir nicht von Herzen abſchmeckend zu werden anfängt. Ich meinte,8 du würdeſt mir die Journale erſetzen, aber du kommſt mir nach und nach alberner vor als irgend ein Journal.

Glaubſt du denn, Bruder, verſetzte der Frei - herr und gab ſeinem Wirthe einen Kuß, daß ich eine Stunde länger bei dir und bei deiner ſchrumpf - lichten Tochter vergähnen würde, wenn ich nur irgendwo anders Obdach und etwas zu beißen und zu brechen hätte?

Die bewegten beiden Männer lagen einander lange ſprachlos in den Armen. Zuerſt erhielt der Wirth nothdürftig ſeine Faſſung wieder und ſtam - melte: Mein Bruder alſo?

Dein Bruder! flüſterte der Gaſt

Und in des Worts verwegenſter Bedeutung!

Der Schulmeiſter trat ein. Die neuen Freunde wiſchten ihre Augen, der Schulmeiſter aber ſagte: Das gnädige Fräulein läßt anfragen, ob, wenn ſie wiederkomme, keine Anſpielungen, die ihr unan - genehm wären, weiter vorfallen würden? Ihr Vater ſandte den Boten mit der beruhigendſten Erklärung hinaus, welcher die Nachricht hinzuge - fügt wurde, daß nichts als die größte gegenſeitige Offenheit im Zimmer herrſche.

9

Als das Fräulein, noch eine leichte Röthe auf den Wangen, erſchien, ging ihr Münchhauſen entgegen, küßte, wie er pflegte, ihr die Hand und ſagte ernſt: Keine Mariage, meine Diotima-Emerentia!

Keine Mariage, mein Meiſter, erwiederte das Fräulein in würdiger Haltung.

So ſtanden die beiden jungen Leute ohne Liebes - und Heirathsgedanken einander gegenüber; ihre Hände blieben verbunden. Der Vater trat zwi - ſchen ſie, legte ſeine Rechte, wie ſegnend auf die verbundenen Hände, blickte gen Himmel und rief: Nie in dieſem Leben eine Mariage!

Die Rührung des Abends war groß. Der Ziegen am Helikon wurde nicht weiter gedacht. Keine der drei Perſonen, welche auf dem Wege der Offenheit einander ſo nahe gerückt waren, mochte einen Biſſen in den Mund nehmen. Der Schulmeiſter, welcher nichts von dem ganzen Her - gange begriff, Alles auf.

Von den tiefſinnigen Bemerkungen, welche Münch - hauſen an dieſem Abende mittheilte, hat die Ge - ſchichte folgende bewahrt.

Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahr - heit, nichts als die Wahrheit. Es muß noch dahin10 kommen, daß Keiner dem Andern eine Ohrfeige übel nehmen darf, wofern Letztere nur aus einer theuren Ueberzeugung entſprang. Kein Briefge - heimniß, kein Hausgeheimniß! Alle dieſe obſoleten Begriffe müſſen fallen! Alles muß öffentlich ſeyn! Die Spalten der Zeitungen dürfen ſich ſelbſt den Beobachtungen über die Vorgänge des Orts, wohin Niemand ſchicken zu können Kaiſer Karl der Fünfte bedauerte, nicht verſchließen.

Was für ein Ort iſt dieſer, mein Meiſter? fragte das Fräulein.

Er heißet auf Ebräiſch Gehenna, verſetzte der Freiherr.

Ah ſo, ſagte das Fräulein und that, als ob ſie Münchhauſen verſtehe.

Dieſer fuhr fort: Alles muß öffentlich ſeyn für das neue prieſterliche Geſchlecht der Wahrheit! Gott der Herr hat zwar Herz und Hirn unter Hüllen von Knochen, Häuten und Fleiſch geſetzt, und deßhalb meinte die Menſchheit lange Zeit, ſie dürfe Manches, was Herz und Hirn ihr beſchäf - tige, unter Hüllen verwahren, aber ſie hat im Irrthum geſtanden, es iſt ein Verſehen bei der Schöpfung vorgefallen. Bruſt und Kopf ſollten11 eigentlich mit Glasſchiebern erſchaffen werden, was nur damals im Drange der Geſchäfte überſehen worden iſt. Ich weiß dieſes von Noſtradamus, den ich kürzlich ſprach, und der es von Gott un - mittelbar hat.

Wer iſt Noſtradamus? fragte der alte Baron.

Ein emeritirter Profeſſor der Naturgeſchichte zu Leyden, antwortete der Freiherr, nahm ein Licht und empfahl ſich.

Nach Münchhauſen’s Abgange ſagte das Fräulein zu ihrem Vater: Damit nie wieder eine Anſpielung der Art, wodurch ich heute aus dem Zimmer ge - ſcheucht ward, verlaute, bin ich im Begriff, Ihnen, mein Vater, ſobald der Herr Schulmeiſter ſich ent - fernt haben wird, eine große Eröffnung zu thun. Der Schulmeiſter ging und murmelte: Ich werde heute meinen Entſchluß faſſen. Der alte Baron, welcher eigenen Gedanken nachhing, hörte auf ſeine Tochter nicht hin, ſondern verließ mit den Worten: Es iſt eine Scheidewand gefallen und ich werde mir nun Licht ſchaffen; das Zimmer.

Emerentia hatte ſich wie ſie ſagte, aus weib - licher Schamhaftigkeit, und um den Blick des Vaters zu meiden mit dem Antlitze der Wand zugekehrt,12 als ſie ſich anſchickte, die große Eröffnung zu thun. Sie bemerkte daher den Abgang ihres Vaters nicht und ſprach eine geraume Zeit die tiefſten Herzens - angelegenheiten der tauben Wand gegenüber aus, bis ſie, hingeriſſen von ihrem Feuer, ſich plötzlich umwendete und ſah, daß es ihr an einem Hörer fehle und, wie ſie nun vermuthen mußte, immer gefehlt habe. Da blieb ihr das Wort zwiſchen den Lippen haften und der Reſt ihrer Eröffnung im Herzen ſtocken; ſtumm und verdrießlich ſuchte ſie ihr Lager auf.

13

Zweites Capitel. Der Autor giebt einige nothwendige Erklärungen.

Die Geheimniſſe des Schloſſes, welches ich auch wohl fernerhin Schnickſchnackſchnurr nennen muß, weil ich ihm, wie Vielem, was in dieſer Geſchichte vorkommt, leider nicht den rechten Namen geben darf die Geheimniſſe des beſagten Schloſſes, ſage ich, nicht über die Gebühr undurchdringlich zu machen, muß hier theilweiſe berichtet werden, was die drei handelnden Perſonen mit ihren Reden ge - meint hatten.

Münchhauſen war nicht ſobald auf der Stamm - burg derer von Schnuck-Puckelig Erbſenſcheucher in der Boccage zum Warzentroſt warm geworden, als ſeine Anweſenheit in dem Gemüthe des Barons, ſeiner Tochter und des Schulmeiſters große und verſchiedenartige Bewegungen hervorbrachte, wie denn14 ein bedeutender Menſch niemals in einen Kreis tritt, ohne daß von ihm in den Verhältniſſen des Kreiſes Umwandelungen ausgehen. Der Kreis unſeres Schloſſes hatte ſich bis zu Münchhauſen’s Ankunft von ſeinen leidenſchaftsloſen Einbildungen ſtill ernährt, es fehlte aber viel, daß dieſer idylli - ſche Zuſtand ſeitdem noch fortdauerte, vielmehr wurden die drei Akademiker von Schnickſchnackſchnurr in entzücktem Herzklopfen, brennender Neugier und ernſter Selbſtbetrachtung umgetrieben.

Emerentien war das entzückte Herzklopfen zu - gefallen.

Sie hatte Rucciopuccio’n, den Birmanen aus Siena, der eigentlich der Prätendent von Hechel - kram war, durch alle niedere Hüllen hindurch, welche Laune oder tiefberechnete Abſicht ihn anzu - legen getrieben, erkannt. Das Herz der Frauen iſt in ſolchen Dingen ein ſicherer Wegweiſer; Da - majanti ſah dem Wagenlenker des Königs Ritu - parna ſofort an, daß in ihm ihr Gatte Nala die Peitſche ſchwinge, Theodolinde von Baiern merkte gar bald, als ſie dem angeblichen Freiwerber den Becher kredenzte, daß er ihr beſtimmter Bräutigam Autharit, König von Lombardien ſei, und es währte15 nicht lange, ſo wußte Emerentia, woran ſie mit dem Bedienten Karl Buttervogel war.

Erſchreckt nicht, meine Theuren! Die Sache hatte ſich ganz natürlich zugetragen, nämlich folgendermaßen. Anfangs war die Geſtalt des ſo ſehnlich zurückerwar - teten Geliebten wie ein Traumbild vor ihr auf und nieder gewallt, nach und nach hatte das Traumbild beſtimmte Züge angenommen, endlich wich jeder Zwei - fel und machte der gewiſſeſten Gewißheit Raum.

Denkt an Emerentien’s Bewegung, als die bei - den Fremdlinge die Burg ihrer Väter betraten, als aus dem Munde des Dieners die verhängnißvollen Worte: Blumenhut und Lauferſchurz, erklangen, als der Diener ſelbſt mit dem improviſirten Blumen - hute und Lauferſchurze vor ihr ſtand! War ihrem Geiſte nicht ſeit ſo vielen Jahren der Laufer als Vorläufer des Fürſten von Hechelkram erſchienen? Da ſtand nun ein Laufer vor ihr, das bunte Ta - ſchentuch als Schurz um die Hüfte gewunden, den Strauß von Feldblumen am Hute, kein gewöhn - licher gemachter Laufer, nein, ein unwillkührlich zuſammengefügter, ein Schickſalslaufer!

Es durchzuckte ihr Herz. Wenn ſie in dieſem Augenblicke den Wink der himmliſchen Mächte nicht16 begriffen hätte, ſo würde ſie ſich ſelbſt haben ver - achten müſſen. Aber vorſichtig, Emerentia, flüſterte ſie dem pochenden Herzen zu, vorſichtig, daß die letzte Täuſchung nicht die ſchlimmſte werde!

Sie richtete jene tiefſinnig prüfenden Fragen an Münchhauſen, welche er ſo wenig verſtand, als die unglücklichen Leſer des erſten Theils dieſer Ge - ſchichten ſie werden verſtanden haben. Münchhauſen aber gab ihr darauf die befriedigendſten Antworten. Jetzt war ſie verſichert, daß ihr durch Blumenhut und Schurz die Erſcheinung des Fürſten von Hechel - kram angekündiget worden ſei. Aber wo, wo weileſt du? fragte ihre ſehnſüchtige Seele.

Münchhauſen begann zu erzählen, ein Tag nach dem andern verſtrich, Rucciopuccio blieb unſichtbar. Ihr Gemüth litt unter der unruhigen Erwartung. Endlich faßte ſie ſich ein Herz (was wagt nicht ein liebendes Weib?) und ſchüchtern ſagte ſie zu dem Diener Karl Buttervogel eines Tages, gerade als ſie ihn den Rock Münchhauſen’s ausklopfend fand: Karl, ſein Sie wahr gegen mich! Wo weilt der Größere, in deſſen Dienſte Sie eigentlich ſtehen?

Karl Buttervogel ließ den Klopfſtock ſinken, riß die Augen auf, ſpuckte, wie gemeine Leute bei17 Verlegenheiten zu thun pflegen, aus, und ſagte: Mich ſoll der Teufel holen, wenn mein Herr größer iſt, als ich, und ich kenne keinen Größeren, und mit meinem Dienen hat es zum längſten gewährt.

Wie? fragte das Fräulein in höchſter Spannung.

Denn dieſe Condition gefällt mir nicht, und ich werde mich bald auf meine eigene Hand ſetzen, fuhr Karl Buttervogel fort.

Was? rief das Fräulein, von einem überwäl - tigenden Gedanken erſchreckt. Sie wankte und war einer Ohnmacht nahe. Münchhauſen, dem der Die - ner mit dem Rocke zu lange machte, kam in Hemd - ärmeln die Treppe heruntergeſtolpert und fing die Freundin auf. Schlingel, was trödelſt du wieder? Lauf jetzt und hole Eſſig für das gnädige Fräulein! rief er Karl’n zu. Dieſer verſetzte trotzig: Ich bin kein Schlingel, denn Sie geben mir keinen Lohn, aber Eſſig thue ich holen aus Barmherzig - keit. Münchhauſen, flüſterte Emerentia in den Armen des Freiherrn, Sie ſehen mich in meinem Schmerz und zeigen mir ein menſchlich Herz. Schmerz nenne ich dieſe Stimmung, denn auch das Ueber - maaß der Freude kann wehe thun. Ich bin in einer unausſprechlichen Verfaſſung und beſchwöreImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 218Sie, mir zu ſagen: Sind Sie und Ihr Karl die Vorläufer Jemandes, oder ſind Sie Münchhau - ſen fuhr ſeltſam zuſammen, zitterte mit den Naſen - flügeln, ſah ſich ſcheu um, ließ Emerentien nicht ausreden, ſondern ſtotterte haſtig: Was Vorläufer? Laſſen Sie ſich doch nichts in den Kopf ſetzen, meine Diotima. Gott verdamme mich, wenn uns Jemand nachgelaufen kommt. Wir ſind da, ich und mein Taugenichts von Bedienten, und man muß uns nehmen, wie wir ſind, und nicht wähnen, daß noch ein Anderer uns folge und hier auf dem Schloſſe ankommen könne.

Alſo iſt es klar und entſchieden, mein Glück! rief das Fräulein. Der Bediente Karl Buttervogel kam mit Eſſig. Emerentia ſpreche ſich und ihr Glück jetzt ſelbſt aus.

19

Drittes Capitel. Blätter aus Emerentia’s Tagebuche.

Was Vorläufer! Es kommt uns Niemand nachgelaufen und: Ich kenne keinen Größeren, dieſe Condition gefällt mir nicht, ich ſetze mich auf meine eigene Hand. So hat denn alſo des Schick - ſals Zeichen Recht. Blumenhut und Lauferſchurz deuten nicht in die ungewiſſe Ferne, nein, in der nächſten Nähe hält ſich, den meine Seele ewig lie - ben wird, mein Fürſt, mein Freund, der Birmane von Nizza! Nach langen Prüfungsjahren ſchlägt die Stunde der Wiedervereinigung, die Augen meines Freundes ſuchen mich unter den Töchtern von Zion, und Sulamith ſchläft nicht, die Taube. Niemanden ſendet er voraus, gleich kommt er ſelbſt, er iſt im Schloſſe, denn es läuft ihm ja Niemand nach er iſt da, denn er kennt ja keinen Größeren. Glückliche Emerentia!

2*20

Aber welcher von Beiden iſt’s? Iſt’s der Freiherr, oder biſt du es, Karl? Hier prüfe, hier ſei bedachtſam, hier zeige deinen ganzen Scharfſinn, Herz!

Ach, das Herz iſt ſtumm. Münchhauſen und Karl ſind mir beide gleichgültig. Das iſt nun herrlich für die ferneren Beſchlüſſe des Geſchicks, da ich dem Fürſten nur Freundin im reinſten Sinne des Worts ſeyn will, aber übel für den Augenblick.

Denn ich erkenne den Plan des Prätendenten von Hechelkram. Unter der Verkleidung will er ſeine Emerentia erforſchen, und wie herrlich würde ſie ihre Aufgabe löſen, wenn ſie plötzlich vor den Wahren träte und ſpräche: Fürſt, ſie ſind erkannt; Liebe ſieht mit Adlersblicken, Treue hält, was ſie gefaßt, theuren Hauptes leiſeſtes Nicken kündet den erſehnten Gaſt!

Daß mir Beide ſo gleichgültig ſind! Eigen - artige Qual, ſeltſame Verwirrung, feſtgeſchürzter Knoten!

21

Ich glaube, der Freiherr iſt’s. Wir ſtanden heute am Entenpfuhl, friedlich fiſchte das Gefieder nach dem grünen Flott zu unſern Füßen, ein er - quickender Landregen fiel ſanft vom grauen Him - mel, der Freiherr erzählte mir eine ſeiner ſinnigen Geſchichten, wie er vorlängſt durch ein Senfpflaſter, auf das Haupt gelegt, und deſſen Ziehkraft ſich ein ausgefallenes Bein wieder eingerenkt habe mein Buſen wurde ſo weit, mir wurde ſo wohl und ſo weh, ſo ſo

Dumme Störung! Da werde ich gerufen, um Speck auszugeben. Wo die Lisbeth nur bleibt, die Landſtreicherin, das unnütze Geſchöpf? Kommt ſie wieder, ſoll ſie es entgelten.

Nein! Nein! Nein! Das Geheimniß ward offenbar, Karl iſt Rucciopuccio! Da ſitze ich in der tiefen Stille der Mitternacht auf meiner ein - ſamen Kammer und vertraue Euch ſtummen Blättern die wunderſame Poſt. Ja, wunderſam muß ich wohl dieſe Fügung nennen, welche zum zweitenmale den Nußknacker entſcheidend in mein Leben blicken läßt.

22

Ich ſtand heute in der Frühe ſchon mit einer Fülle von Ahnungen von meinem Lager auf. Die Strümpfe ſahen mich ſo bedeutend an, in den Pantoffeln war ein ſtilles Weſen und Weben, die lange Schnuppe des Nachtlichts, welches herabge - brannt war, wies tiefſinnige Figuren. Iſt es mir doch einmal beſtimmt, daß nichts gewöhnlich um mich ſeyn kann, bin ich doch in allen meinen Tagen das Spielwerk dunkler, hoher Mächte geweſen!

Mein Haupt war wirr und wüſt! Ich ſtieß das Fenſter auf, die glühende Wange im Morgen - winde zu kühlen. Von Nizza hatte ich in der Nacht geträumt, vom Meer, von den Alpen. Die beiden Juden hatte ich auf dem höchſten Gipfel geſehen, die mich nach der ſchrecklichen Kataſtrophe den El - tern brachten. Sie ſtanden in einer Glorie von Sonnenſtrahlen, hatten Schmerz in den Zügen, und ich hörte den Einen zum Andern ſagen: Daß man uns gemacht hat zu guten Staatsbürgern, das iſt die Trauer von unſren Leuten in der Gegen - wart, woraus ſie malen Bilder und ſchreiben Verſe. Die alte Zeit, die alte Zeit war beſſer, Jakob, wo wir ’rum liefen, wie unſre Väter in der Wüſte Sin, die da lieget zwiſchen Elim und Sinai.

23

Ein bedeutender Traum, ein prophetiſcher Traum! Was weiß ich von der Wüſte Sin, die da lieget zwiſchen Elim und Sinai? Im Traume lernte ich dieſe ebräiſchen Namen; die höhere Hand wollte mir einen Wink geben: Siehe, ich bin da und werde wirken ein Wunder in deiner Nähe.

Ich ſah zum Fenſter hinaus.

Karl trat unten in den Hof. Himmeltauſend Sacrament! rief er, kriege ich heute wieder nichts zu freſſen? Entſetzliche Ausdrücke für das Ta - gebuch eines zarten Mädchens! aber ich muß ja Alles treu mit den kleinſten Zügen berichten.

Der Laut jener Worte brachte mir alte Erin - nerungen zugetragen. Wie aus weiter Ferne drang es, gleich der Stimme, die mir einſt lieb war, in das Ohr! Dieſe ſonderbare Aehnlichkeit der Töne, das Fluchen der Fürſt pflegte auch bisweilen zu fluchen, doch bediente er ſich mehr der ſoge - nannten ſchweren Angſt mein Traum von Nizza, die trauernden Juden, die Wüſte Sin, die Zeichen am Nachtlicht, das Pantoffelweſen, die bedeutenden Strümpfe

Karl ſetzte ſich auf einen Stein im Hofe, ſagte: Ich muß ’mal in den Taſchen ſuchen ſuchte in der24 linken Jackentaſche, rief: Na, wenigſtens noch ein Paar alter, überjähriger Nüſſe gegen das Verhun - gern griff in die andere Taſche, zog daraus hervor

Ich hielt mein Herz mit bebender Hand, ging in die Speiſekammer und ſchnitt für Karl’n ein Butterbrod

Ich kann nicht weiter ſchreiben die Erinne - rung überwältigt mich meine Pulſe fliegen

Ich bin ruhiger. Geſtern ſchwamm der Segen, der mir geworden, ein buntverwirrender Farben - ſchimmer vor meinen Augen, heute hat er ſich zum entzückenden Landſchaftsbilde auseinandergeſetzt, in welchem jeder Baum ſpricht: Mein Schatten gehört dir, und die gemalte Quelle flüſtert: Schweſter, ruhe an meinem Borde!

Ich trat mit dem Butterbrode leiſe hinter Karl Buttervogel. Zum letztenmale ſtehe der Name in den Blättern! Er hatte mich nicht kommen hören und knackte ruhig mit dem Inſtrumente, welches er aus der rechten Jackentaſche gezogen hatte, ſeine Nüſſe auf.

25

Ich ſah ihm über die Schulter. Aber ach! da wankten meine Kniee, ich ließ das Butterbrod fal - len, Karl ließ den Nußknacker fallen, ich hob den Nußknacker auf und Karl hob das Butterbrod auf! Ich drückte den Nußknacker an meine Lippen. Er war es, er war es! Der alte, treue Knacker, die erſte, auf Rucciopuccio hindeutende Liebe! O ihn, ihn hatte ich gleich erkannt. Und hätte ich ihn denn auch verkennen können? des Menſchen Antlitz und Geſtalt wandelt ſich leider mit den Jah - ren, ein Nußknacker bleibt, was er war.

Ach, bitter-ſchmerzlich war dennoch dieſes Wie - derſehen! Das theure Heiligthum meiner Jugend ſah mich an, wie eine Ruine. Von dem Roth der Uniform war der brennende Glanz gewichen, die Farbe der Unterkleider ließ ſich kaum noch erkennen, erloſchen waren die ſchönen, grellblauen Augen, der Mund hatte durch das beſtändige Knacken ſeine beſte Kraft verloren, einen Hut trug er kaum noch, nur den Schnurrbart hatte die Mißgunſt der Zeiten verſchont; er hing ſchwarz und voll wie in jenen goldenen Tagen über den alt und müde gewordenen Lippen.

Ein Strom von Thränen befreite die Bruſt. Dann faßte ich mich und dachte an mich und mein26 Geſchick. Karl hatte das Butterbrod verzehrt und ſah mich groß an. Gelt, rief er (ich muß ja ſeine eigenen Worte brauchen) das iſt ein närriſcher Kerl? Ich habe den Schurken einmal vor vielen Jahren in einem italiäniſchen Badeneſt auf’m Keh - richt hinter’m Hauſe gefunden. Ich ſteckte ihn zu mir und brauche ihn ſeitdem fortwährend, und der Racker (ich erliege faſt der Qual ſolche Worte zu ſchreiben) iſt immer noch ganz. Dazumal diente ich bei vierzehn Berliner Edelleuten, die das Bad brauchten und ſich zuſammen einen Bedienten hielten.

Fürſt, ſagte ich ernſt und gehalten, ver - ſtellen Sie ſich nicht länger. Weder Ihre Bedien - tenjacke noch die ſcheußlichen Ausdrücke, zu denen Sie Ihre edeln Lippen zwingen, um unerkannt zu bleiben, täuſchen mich ferner. Was Vorläufer! Es kommt uns Niemand nachgelaufen, und: Ich kenne keinen Größeren, die bedeutenden Strümpfe, das Pantoffelweſen, die Zeichen an der Schnuppe des Nachtlichts, mein Traum von Nizza, die trau - ernden Juden, die Wüſte Sin, die da lieget zwi - ſchen Elim und Sinai, das waren ſchon Symbole, welche nicht trügen konnten. Nun die Melodie Ihrer Stimme, Ihr Fluch, jetzt gar der geliebte27 Nußknacker in Ihrer Hand, und endlich, daß Sie von dem Kehricht wiſſen und von der finſtern That meiner verklärten Mutter, welche Nußknacker’n in jenes Elend verſtieß alles Das mein Gott, läugnen Sie doch nicht weiter, häufen Sie nicht unnütze Qual auf ein armes Mädchen, die immer Ihrer werth geblieben iſt! Sein Sie gut und liebevoll, laſſen Sie die Maske fallen und ſprechen Sie: Emerentia, ja, ich bin es.

Was ſoll ich denn ſeyn? rief er. Ich bin kein es. Ich bin, was ich bin Donnerwetter!

Seine rauhe Feſtigkeit machte mich doch einen Augenblick wieder zweifelhaft. Wenn Sie es nicht ſind, ſagte ich entſchloſſen, ſo iſt es Ihr Herr, denn Einer von Ihnen Beiden muß es ſeyn.

Ich wollte gehn. Karl hielt mich aber am Kleide zurück. Mein Mittel hatte gewirkt. Ich ſehe wohl, ſagte er, daß es Ihnen ein Ernſt iſt, wenn ich es bin. Alſo wollte ich Sie nur fragen, was daraus wird, wenn ich es bin?

Wenn Sie es ſind, verſetzte ich, ſo bin ich Ihre Freundin im reinſten Sinne des Worts. Mein ganzes bisheriges Leben war eine Vorbereitung auf dieſen großen Moment. Gnädigſter Herr! In den28 Blüthentagen der Jugend opferten wir der Leiden - ſchaft auf dem Altare unſerer Herzen! Für dieſes Opfer iſt uns der Weihrauch ausgegangen. Aber der Altar blieb ſtehen; laſſen Sie uns auf dem - ſelben der Freundſchaft ein Opfer entzünden, für wel - ches ich ewig, Ihnen gegenüber Vorrath beſitzen werde.

Karl kratzte ſich im Kopfe (der Ungeheure! ſo that er) und ſagte: Ich denke nur immer noch, Sie haben mich bloß zum Beſten. Indeſſen aber will ich’s verſuchen, und wer mich anführt, den ſoll der Teufel holen. Das heißt alſo, Sie ſind meine Freundin, heißt nämlich, wenn Sie meine Freundin ſind, ſo müſſen Sie auch dafür ſorgen, daß ich mehr zu eſſen und zu trinken kriege. Wenn Sie auf dieſe Manier meine Freundin ſind, ſo will ich’s ſeyn. Dann ſehen Sie nur gleich heute zu, daß ich einmal ein rechtſchaffen Stück Fleiſch kriege.

Er ſpielte fürchterlich mit mir. Daß er ſeinen wilden Humor ſelbſt in dieſem großen Momente nicht ablegte! O Männer, Männer, wie geht Ihr mit uns um! Eine Luſtigkeit der Verzweiflung ergriff mich, und in den Bahnen ſeiner ausſchwei - fenden Laune ihm folgend, rief ich: Sie ſollen heute zwei Pfund Rindfleiſch haben!

29

Das erſchütterte ihn. Er ſah mein Leiden, welches durch den Scherz ſchauerte. Thränen traten in ſein Auge, er ſagte: Sie ſind doch ſehr gut, und ich bin’s denn alſo. Er ging, übermannt von edler, menſchlicher Rührung.

In ſeinen Thränen fand ihn mein Gefühl, wie mein Verſtand ihn ſchon früher erkannt hatte. Sei - ner Rolle blieb er ſonſt treu. Mittags meldete er ſich um die zwei Pfund Rindfleiſch. Ich gab ſie ihm und bereitete für uns einen Pfannkuchen, den Vater täuſchend mit der Nachricht, die Katze habe das Fleiſch gefreſſen. Er hat es rein auf - gegeſſen; ſeine Verſtellung muß ihm doch ſchwer gefallen ſeyn.

Wo die alberne Lisbeth nur bleiben mag, der Aſchenbrödel? Mit dieſer Welt im Buſen muß ich nun jetzt am Feuerheerde ſtehen! Auch war der Pfannkuchen verſalzen und ungenießbar.

Heute iſt es zu einer vollſtändigen Erklärung zwiſchen uns gekommen. Ich erinnerte ihn an unſere Spaziergänge bei Nizza, an die Wechſelver - fertigung, an die ſechſte Elephantencompagnie und an die Cabale des Kaiſers aller Birmanen. Ich30 erinnerte ihn an Hechelkram und an ſeine Rechte darauf. Ich nannte ihm den ſüßen Namen jener Zeit: Rucciopuccio. Ich fragte ihn, ob er wohl an alles Das noch denke? Er ſagte zu Allem ja.

Auch in dieſer vertrauten hingebungsvollen Stunde blieb er Bedienter in Wort, Gebärde, Hal - tung. Ich bat ihn herzlich, er möge doch mir ge - genüber dieſe häßliche Hülle aufgeben und der Fürſt ſeyn. Er verſetzte, es gehe nicht an, ich möchte ihn um Gotteswillen zufrieden laſſen. Ich will nicht weiter in ihn dringen, er fürchtet ver - muthlich, daß, wenn er ſich vor mir demasquirt, er ſich auch ſonſt vergeſſen könne, denn welche un - endliche Mühe muß den Hohen dieſes angelegte niedere Weſen koſten!

Sein Incognito hat vermuthlich einen Doppel - zweck. Mich wollte er unerkannt prüfen, und dann will er auch im Verborgenen abwarten, welchen Erfolg ſeine Verwendungen an einige Mächtige des Hofes um Hechelkram haben werden. Ich ſagte ihm dieſe meine Vermuthungen in das Antlitz, und er antwortete: Es ſei Alles ſo, wie ich meine.

Wie es ihm nur möglich geweſen iſt, mich zu finden, da ich in Nizza Marcebille von Schnurren -31 burg-Mixpickel hieß? Darüber werde ich ihn doch nächſtens befragen.

Die Entwickelung unſerer Angelegenheit muß in Geduld abgewartet werden. Erfolgt ſeine An - erkennung als Fürſt, ſo wird ſich auch für mich das Stift finden. Ich erfülle mein Schickſal und bin ruhig.

Eins geht mir aber im Kopfe umher. Er hat keine Gemahlin. Das wird meiner Stellung eine ihrer Blüthen abſtreifen. Ich wollte ja der ſeg - nende Schutzgeiſt ſeines Hauſes ſeyn, die Gatten mit einander verſöhnen. Das fällt nun weg. So hält uns das Leben doch nie ganz Wort.

Daß er ſo gar nicht Rucciopuccio’n ähnlich ſieht! Vergebens mühe ich mich ab, einen Zug der Vorzeit in ſeinem Geſichte zu erſpähen. Aber freilich iſt es denn auch einige Jahre her, daß wir auseinander kamen

Die dumme Lisbeth hat mir vor ihrem Abzuge mein Schreibzeug verkramt, ich muß mich mit Federn behelfen, die alle bequeme ſchriftliche Ergießun - gen unmöglich machen. Sie iſt ein abſcheuliches Geſchöpf

32

und dann hat er viel auszuſtehen gehabt. Er bekam ſelbſt hin und wieder von ſeinen Herrn Schläge. Natürlich! Die indiſchen Fürſten ſind Barbaren.

Auch Münchhauſen iſt mir nun entziffert. Die - ſer hohe Geiſt, dieſer neue Prophet der Natur und Geſchichte wird der Kammerherr des Fürſten ſeyn, oder ſein Adjutant, oder ſein Hofſtaatsſecretair, oder eine andre dieſer reinen, idealen Geſtalten.

Auch ihm wird ſeine Rolle ſchwer, ich ſehe es wohl. Sein ſchmerzliches Zucken, wenn er den Gebieter zum Scheine anfahren muß! Neulich that er ſo, als ob er den Stock gegen ihn brauche, und der Fürſt that, als ſchreie er.

Münchhauſen’s Geſchichten werden mir jetzt klar. Der Vater nimmt ſie wörtlich und glaubt daran zum Theil. Ich ahnete gleich eine geheime Bedeu - tung und habe mich nicht getäuſcht. Die ſma - ragdgrüne Bergebene Apapurin u. ſ. w. iſt unſere Jugend, goldgelbe Kälber der Empfindung graſen auf ihr, die Gedanken der Jungfrau ſind phirſichroth und alle Aeußerungen ihres Weſens33 herb und keuſch, wie Schlippermilch. Nachher ſpaltet ſich die Welt ihres Inneren, dieſe Spal - tungen und Unterſpaltungen werden durch die ſechs Gebrüder Piepmeyer angedeutet, einander zum Ver - wechſeln ähnlich, wie unſere Spaltungen, dann kommt die Proſa des Lebens unter dem Bilde des Wachtfriſeurs Hirſewenzel und flicht den großen Knoten widerſtrebender Verhältniſſe, den Ratten - könig gemiſchter Empfindungen.

Manches Einzelne bleibt mir freilich in jener Symbolik noch dunkel. Welcher Moment des weib - lichen Lebens wird z. B. durch die Folgen der einzigen Lüge Münchhauſen’s dargeſtellt?

Ein köſtlicher Genuß iſt es, zu ſehen, wie das Hohe, das Göttliche unter der Knechtsgeſtalt, in welcher es hin und wieder erſcheinen muß, ſiegreich für den Kundigen hervorblitzt. Wiewohl mein er - lauchter Freund den Bedienten zum Erſchrecken natürlich ſpielt, ſo läßt ſich Fürſtenblut dennoch nicht verläugnen, und davon wurde mir heute die Erfahrung.

Der Prätendent von Hechelkram putzte die Stie - feln ſeines ſogenannten Herrn. Ich habe nun wohlImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 334ſonſt bemerkt, wenn ich die Diener dieſes Geſchäft verrichten ſah, daß ſie es in unedler gebückter Stel - lung, mit widerlich kurzen, ſchnellen, heftigen Be - wegungen ausführten ein unerfreulicher Anblick!

Ganz anders, was ich heute ſah.

Karl ſaß. Er hielt ſich vornehm nachläſſig zu - rückgebeugt, er ſah kaum den Stiefel an, langſam fuhr ſeine Hand mit der Bürſte über dieſen, der ſo tief unter ſeiner Würde war, hin und her und berührte das gemeine Leder obenhin, nur zum Schein.

Freilich wurde der Stiefel nicht ganz blank, und Münchhauſen ſchalt Karl’n, ſich verſtellend, Faulpelz. Das iſt eine der ſchwerſten Prüfun - gen, welche mir dieſes Verhältniß auflegt, daß ich, um es in ſeiner ganzen Wahrheit zu zeichnen, ſo viele gemeine Fluch - und Schimpfwörter, Euch, o Ihr meine reinen Blätter, aufdrängen muß!

Der Fürſt hat einen unglaublichen Appetit. Heute verzehrte er wieder eine ganze Bratwurſt, und ſie gehörte zu den größeren im Kreiſe ihrer Schweſtern! Das indiſche Klima wird ſo an ihm gezehrt haben. Wenn ſie ihm nur bekommt!

35

Vor meinen Ohren ſummt ein altes Lied:

Einſt liebteſt du den Nußknacker,
Nach dem Nußknacker liebteſt du mich

So weit kann ich’s, aber die folgenden Verſe wollen mir nicht beifallen, wie oft ich’s auch für mich hin ſinge. Dabei uns zu erkennen war in der fürchterlichen Stunde, wo uns die Juden ſchie - den, das heilige Gelöbniß. Ich habe den Fürſten daran erinnert, aber auch er kann die folgenden Verſe nicht finden.

Mir iſt es unmöglich geworden, dem wilden Humor, der in dem Namen: Karl Buttervogel flattert, mich ferner zu fügen. Bin ich denn nicht ein Weib, d. h. ein Weſen ohne allen Sinn für Ironie; tiefem, ſchlichtem Ernſte einzig hin - gegeben? Um mich nicht aus dem Bilderkreiſe, den der Fürſt gewählt, zu entfernen, nenne ich ihn vor den Andern Karlos den Schmetterling. Der Vater lachte, als er dieſe Bezeichnung zum erſten male von mir hörte. Er verſteht mich nie. Münch - hauſen begriff mich wieder ganz, begriff mich, ohne daß ein Wort der Erklärung zwiſchen uns gewech - ſelt wurde.

3*36

Er ſagte: Wenn der Eſel (o Gott, wie leide ich!) nur dadurch nicht ſtolz wird! Ja freilich wird, wenn ſo nach und nach über ihm das Licht verklärender Beziehungen und Bezeichnungen auf - geht, der angeſtammte Stolz ſich herrlich zeigen.

O Münchhauſen, Münchhauſen, großer Herzens - kündiger!

37

Viertes Capitel. Blätter aus dem Tagebuche eines Bedienten.

Auch Karl Buttervogel führte ein Tagebuch. Da er ſich viel in der Welt umhergetrieben und bei hundert Herrſchaften gedient hatte, ſo war es ihm zur Gewohnheit geworden, kleine kurze Notizen in ſeine Brieftaſche einzutragen, die ſich denn dort vermiſcht mit Anzeichnungen ſeiner Auslagen fan - den. Die Brieftaſche hatte Decken von ehemals rothem Schafsleder. Denn ihre Farbe war durch die rauhe Fauſt der Zeit allgemach ausgetilgt wor - den; ſie ſahen jetzt faſt aſchgräulich aus. Vier Blätter gelben, oftbenutzten Pergamentes, auf wel - chem der Bleiſtift kaum noch eine Spur nach ſich laſſen wollte, waren eingeheftet; die Seitentaſche enthielt eine bemalte Blume, mit einem Reime38 darunter, einen kleinen immerwährenden Kalender und einen Kamm.

Dieſes ehrwürdige Alterthum ſchloß folgende Her - zensergießungen Karlos des Schmetterlings in ſich:

Erſtes Blatt.

  • Den ſechszehnten Juni: Ausgeriſſen von Stuttgart.
  • Hab mein Putzzeug im Wirthshaus ſtehen laſſen.
  • Von der Rieke keinen Abſchied nicht genommen.
  • Ging zu raſch.
  • Den zwei und zwanzigſten Juni: Angekommen auf’m Schloß durch Pferdſturz.
  • Sehr viel Hunger und Durſt gelitten. Flöh, Wanzen und ſonſtiges Ungemach.
  • Gefallt mir hier gar nicht.
  • Vor Wachs3 Stüber
  • Vor blauen Zwirn1 Stüber
  • Vor Sachen aus der Apotheke18 Stüber
  • Vor einen Brief12 Stüber
  • Vor waſchen zu laſſen8 Stüber
  • Vor meinen Herrn vor eine ge - meinnützliche Collecte3 Heller

was mir Alles mein Herr noch zahlen muß.

39

Seit Lichtmeß keinen Lohn nicht gekriegt. Thut drei Gulden ſechs Kreuzer per Monat, zuſammen zwölf Gulden vier und zwanzig Kreuzer.

Den ſechs und zwanzigſten Juni: Seit drei Tagen nichts zu freſſen gehabt. An mein Rieken continuirlich immerwährend gedacht. Iſt kaum noch auszuſtehen. Sichtlich mager geworden.

O Rieke, dein Getreuer
Aus Schwaben oder Baiern,
Dem iſt es nicht gegonnen,
Wenn Abends ſinkt die Sonnen,
Daß er an deiner Bruſt
Dich kußt nach Herzensluſt.

Vorſtehenden Spruch gemacht geſtern Nacht als den acht und zwanzigſten Juni, da ich nicht ſchla - fen konnt von wegen Hunger und Flöh.

Zweites Blatt.

Den fünften Juli: Lange nichts eingeſchrieben in die Brieftafel. War zu beſchäftigt die Zeit her. Außerordentlich mich verbeſſert in meiner ganzen Lag und Condition. Fräulein verliebt in mich.

40

Durchaus nicht gewißt und erfahren, wie ſich’s zugetragen. Gefragt und getribelirt und endlich auf den Kopf mir zugeſchworen, ich ſei’s.

Nicht ausweichen gekonnt und endlich zugeſichert, ich wollt’s ſeyn, wenn und wofern ich meine ge - hörige Verköſtigung erlange.

Meinen alten Nußkracher mir fortgenommen und dazu geweint. Glaub, ſie iſt verrückt.

Sogleich am nämlichen Tag zwei Pfund Rind - fleiſch gegeſſen. Sehr ſchönes Gefühl danach gehabt. Zum erſtenmal wieder in Ruh an mei Rieken gedacht.

Den ſiebenten Juli: Ueber Alles und Jedes befragt, als zum Exempel von Fürſt und Hechel - kram und ſeligen Spaziergängen in Nitze und von Rutſcheputſche. Kein Wort verſtanden, indeſſen aber mir Alles gefallen gelaſſen und immerdar Ja geſagt.

Den achten Juli: Große Gewiſſensbiſſe gehabt um mei Rieken. Bratwurſt geſſen, wornach ſich die Beängſtigung gemindert.

Nicht dafür gekonnt, daß ich in dies Malheur verfallen.

41

Drittes Blatt.

Den neunten Juli: Schönes Gefühl empfun - den durch die neue Lieb. Sehr geſchmeichelt gefühlt von der Lieb vornehmer Perſon. Gar nicht mehr den Bedienten gefühlt in der neuen Lieb. Stiefeln in dieſem Gefühl geputzt. Angeſchnauzt von mei - nem Herrn und abgeſchwartet*)Soll wohl heißen: Geſchlagen. in der Still, weil Stiefeln nicht blank geweſt. Alles verſchmerzt im Gefühl der Lieb.

Abends zwölf harte Eier geſſen. Aeußerſt ſelig zu Bette gangen.

Vor Flecke aus dem Tuch zu bringen nimmt man Toback, kocht ihn ab und ſchmiert’s Tuch mit ein. Dann gebürſtet und am Sonnenſchein ge - trocknet, iſt Alles ’raus.

Viertes Blatt.

Den zwölften Juli: Heut meinen Entſchluß gefaßt nach langem Kampf. Mich riſalfirt, Rieken ewig zu lieben und das Fräulein zu heirathen, wofern mir mei fernere gute Verköſtigung zugeſagt wird.

42

Alle Andenken verbrannt von Rieken, um nicht wieder Kampf zu leiden.

Dennoch äußerſt viel Furcht gehabt vor dem alten Baron, von wegen zum Hausnausſchmeißen’s, wenn’s ’raus kommt.

Vier Stüber vom Fräulein geſchenkt gekriegt, um mir ein Erholung zu machen.

Angeſpielt heute von ferne auf fernerweite gute Verköſtigung, wofern geheirathet werden ſoll. Miß - verſtanden geworden. Mich entſchloſſen, nächſtes - mal mich deutlicher zu machen.

Den vierzehnten Juli: Künftigem Schwieger - vater’n heute vor Plaiſir die Stiefeln ausgezogen. Ihn dabei bedeutſam angeblickt, um die Entdeckung vorzuſpielen. Auch nicht verſtanden geworden. Nach gerade bänglicht.

Gar keine Luſt mehr zum Dienen bei Münch - hauſen. Gar zu viel gewißt von ſeinen Geheim - niſſen und ſeit jeher keinen rechten Reſpect nicht vor einem chemiſch-präparirten Menſchen gehabt. Durch die neue Lieb vollends ganz ſtolz geworden. Mich erniedrigt gefühlt durch die einförmigen Rock -43 ausklopfereien und ſonſtigen Amtsverrichtungen. Will Fürſt von Hechelkram werden, wann’s nicht anders iſt und das Fräulein darauf beſteht. Soll mir ſagen, wo’s Fürſtenthum liegt, damit ich drum einkommen kann.

Am ſelbigen Tag, Nachts: Mein Herr von Münchhauſen heute abermals ſeine Schmierereien vorgenommen und mir dadurch ganz widerwärtig geworden. Mir vorgenommen, bei erſter Gelegen - heit grob zu werden, um auf eine feine Manier aus dieſer Sclaverei zu kommen.

Gefallt mir jetzt recht wohl hier. Uebrigens doch eigne Lag, und weiß der Schinder, was draus werden ſoll.

In ein ſo wunderbares Verhältniß war Fräulein Emerentia mit ihren Gedanken, Träumen und Empfindungen gerathen. Man kann ſich daher vorſtellen, wie es ihr Bewußtſeyn verletzen mußte, als der Vater die Beſorgniß vor einer Mariage zwiſchen ihr und Münchhauſen äußerte.

44

Uebrigens wußte ſie kaum noch, ob ſie auf der Erde wandelte. Sie dachte und ſah nur den Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freund - ſchaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine Haushalt litt freilich ſehr unter dieſer glücklichen Entwirrung ſchwieriger Verhältniſſe. Auf die Suppe mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da ſie niemals zu genießen ſtand, oder der Schulmeiſter hatte mit ſeiner ſchwarzen auszuhelfen. Alles Fleiſch aber ſtahl regelmäßig die Katze, weil der masquirte Fürſt unerſättlich war. Der alte Baron wünſchte ſich hundertmal des Tages über verdrieß - lich ſeine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die vermeintliche Räuberin der Speiſen ſah, ſchlug er nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der Schmetterling die Schlange war, die er am Buſen nährte. Nannte nun gar ſeine Tochter dieſen Na - men (und ſie nannte ſeit der großen Entdeckung Buttervogel’n nie anders) ſo wollte er, nachdem er einigemale über den blühenden Tropus gelacht hatte, ſchier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß ſein armes Kind ſich mit ſtarken Schritten einer unglückſeligen Verwandlung nahe.

45

Fuͤnftes Capitel. Der Autor fährt fort nothwendige Erklärungen zu geben.

Aber der alte Mann hatte noch andern Ver - druß. Es iſt eine bewährte Erfahrung, daß der Menſch Leckerbiſſen, wie Caviar und Gansleber - paſteten ſchleunig müde wird und nur die einfachſte Speiſe, das Brod, immer eſſen mag. So geht es auch mit den Nerven des geiſtigen Gaumens. Sie ſtumpfen ſich raſch gegen den wollüſtigſten Kitzel ab; Erſchütterung und Staunen werden ihnen bald trivial. Wer Mährchen hörte, ſehnt ſich doch wieder bei Gelegenheit nach der trockenſten Zeitung; woraus abzunehmen, daß Alle, welche mit Wundern auf die Menſchen wirken wollen, mit Wundern ſparſam ſeyn müſſen.

Wie groß war dem alten Schloßherrn ſein Gaſt im Anfang vorgekommen, wie hatte ſeine Seele46 ſich in deſſen Erzählungen ſo ganz befriedigt gefühlt, und wie bald erloſch dieſer Genuß! Es liefen nicht vierzehn Tage in’s Land, ſo fühlte ſich der Baron von Schnuck-Puckelig-Erbſenſcheucher in der Boccage zum Warzentroſt unmuſtern, wie damals, als er ſeiner Erwartungen müde zu den Journalen griff, und damals, als er der Journale müde, ſich nach einem gleichgeſtimmten Freunde ſehnte, und damals, als er des gleichgeſtimmten Freundes, nämlich des Schulmeiſters müde, heftig nach, er wußte ſelbſt nicht wem? verlangte. Zuerſt glaubte er, es liege ihm im Unterleibe und nahm ein Brechmittel ein. Das Mittel wirkte, ſein Zuſtand blieb aber derſelbe. Allgemach erkannte er die wahre Urſache Münchhauſen war ihm langweilig geworden, wie ſeine Erwartungen, die Journale, der Schulmeiſter.

Seine Geſchichten klangen ihm jetzt lange nicht ſeltſam genug, die ausſchweifendſten Abentheuer kamen ihm ſchaal vor. Er pflegte nunmehr, wenn Münchhauſen einen Bericht vollendet hatte, zu ver - ſetzen: Iſt noch gar nichts, Liebſter, Beſter, mir iſt einmal ganz etwas Anderes widerfahren. Wor - auf er ſeinerſeits ſich bemühte, Ueberbietendes vor -47 zutragen, freilich ſelten über den erſten Anlauf hinausgelangte.

Der Freiherr hatte nach der Novelle von ſeinen ſechs Geliebten viel und mancherlei hören laſſen, was leider durch das Sieb der Geſchichte gefallen iſt. Einiges iſt indeſſen aufbehalten geblieben.

Münchhauſen erzählte von dem Fürſtenthume Sprenkel, worin er einſtmals, da man nach Stän - den verlangend geweſen, Stände aus Blätterteig verfertiget habe. Dieſe Repräſentanten von Blät - terteig hätten allen verfaſſungsmäßigen Nutzen ge - bracht, bis der Nachfolger gekommen wäre und ſie aufgegeſſen hätte, weil er Willens ſei, neue von Spritzkuchenteig backen zu laſſen.

Der alte Baron verſetzte: Das ſei gar nichts, Blätterteig könne ein Jeder eſſen. Er habe ein - mal geſehen

Münchhauſen erzählte von dem Kaiſerthume Kleinchina, rechts von Großchina im ſtillen Welt - meere über Formoſa hinaus belegen, worin der Patriotismus im Frieden ſo ſtark geworden ſei, daß alle Jahre am Geburtstage des großen Gold - fiſches (ſo heiße nach orientaliſcher Sprechſitte der Kaiſer von Kleinchina) die Mandarinen der erſten48 drei Rangelaſſen in den Thronfarben anliefen, näm - lich braun und blau.

Der alte Baron verſetzte: Das ſei gar nichts; die Färbung der Haut möge wohl von einem Aus - ſchlage, von einer Art Neſſelſucht herrühren; der - gleichen pflege ſich raſch wieder zu verlieren. Er habe einmal geſehen

Münchhauſen erzählte vom tiefſinnigen polniſchen Staroſten, der ein tiefſinniges Buch über die Kunſt der Gegenwart geſchrieben, und ſelber aus Kunſt - enthuſiasmus in Tiefſinn verfallen ſei, worin er ſich für einen Pinſel gehalten habe und zwar für den Pinſel ſeines Lieblingsmalers. Die Geſchichte war wirklich anmuthig und lieblich anzuhören, denn ſie lehrte weiter, daß der tiefſinnige Pole oder polniſche Tiefſinn als Pinſel gerade ſo ſich be - nommen und ausgedrückt habe, wie früherhin, ſo daß zwiſchen dem ehemaligen Staroſten und nach - maligen Pinſel durchaus kein Unterſchied bemerk - bar geweſen ſei. Er folge, ſagte Münchhauſen, in dieſen Angaben nur dem Kammerdiener des Po - lacken, dem grimmen Hagen aus Nibelungenland, welcher für eine Zulage von ſechs polniſchen Gul - den zum Jahresliedlohn das tiefſinnige Buch49 ſeines Brodherrn den Deutſchen zugänglich gemacht habe.

Der alte Baron verſetzte: Es ſei gar nichts, daß ein Menſch ſich für einen Pinſel halte, da ſo viele Pinſel überzeugt ſeien, Menſchen zu bedeuten. Er habe einmal geſehen

Münchhauſen ſagte, wenn ihm dieſe Geſchichte keine Verwunderung abzwinge, ſo werde ihn doch ein Beweis ſeines eigenen Genies in Erſtaunen ſetzen. Er habe nämlich bei dem jetzigen Auf - ſchwunge künſtleriſcher Begabung auch in ſich das plaſtiſche Element gefühlt und ſei deßhalb Discipel einer berühmten Academie geworden. Die Methode und Influenz habe ſich zum Erſtaunen an ihm be - währt, denn er ſei in der erſten Woche ſchon Le - nardo da Vinci, in der zweiten Michel Angelo, in der dritten Rafael geweſen öffentlichen gedruckten Nachrichten zu Folge. In der vierten ſei aus ihm eine Complication von Vinci Angelo Rafael ge - worden. Späterhin habe er ſich auf das Nieder - ländiſche geworfen und nach vier und zwanzig Stunden der kleine Rembrandt geheißen.

Mich ennuyirte aber die Malerei, fuhr Münch - hauſen fort, beſchloß Bildhauer zu werden undImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 450zwar für’s Erſte Phidias. Natürlich auch durch höhere Richtung, Vorſatz und Erleuchtung von Oben. Ich ſchlief eines Abends mit dieſem Gedanken in einem Butterkeller ein. Wie ich hinein gekommen, gehört nicht zur Sache; genug, ich ſchlief im But - terkeller. In der Nacht hatte ich Träume von Gotter - und Heldengeſchichten, merkte wohl, daß ich mit den Fäuſten umherhandthierte, wußte aber doch nicht, was ich eigentlich machte, weil ich immer halb im Schlaf blieb. Am andern Morgen kam der Butterhändler in den Keller, mit der Lampe, leuchtete umher und ſchrie: Herr Jemine, was iſt aus der Butter geworden! Ich wachte nun auf, ſah mich um und erſtaunt ein wenig, denn ſiehe da, ich hatte im Schlaf, bloß mit der Hand die Gruppe der Centauren und Lapithen gebildet aus Butter, im erſten, ſtrengen, erhabenen Styl. Die Topfe waren alle leer, ſo hatte ich in der Butter gewirthſchaftet. Mein Butterhändler wollt anfangs keifen, nachher beruhigte er ſich, weil er merkte, daß mit dem Werke ein gut Stück Geld zu ver - dienen ſei. Wir trugen die Buttergruppe vorſichtig die Treppe hinauf und ſetzten ſie in die Sonne, um ihr die rechte Beleuchtung zu geben. Das war51 aber nicht wohl bedacht, denn in der Sonne ſchmol - zen die Figuren, erſt die Lapithen und dann die Centauren. War das nicht wunderſam?

Was? Daß Sie Centauren und Lapithen aus Butter machten, oder daß dieſes Gebilde, als Sie ihm die rechte Beleuchtung gaben, ſchmolz? fragte der alte Baron. Letzteres, erwiederte Münchhauſen. Um ein ſolches Kunſtwerk hätte der Himmel ſchon einmal den Gang der Naturgeſetze unterbrechen können. Daß die Butter in der Sonne zerging, daß kein Wunder geſchah, finde ich wunderſam.

Der alte Baron verſetzte: Das iſt vollends nichts, denn es lautet zu ſubtil.

So wollte keine Erzählung vor dem Sinne des Schloßherrn mehr Stich halten. Münchhauſen’s Genie hatte ſich in der Meinung ſeines Wirthes raſcher abgebraucht, als ein Miniſterium des Juli - throns verwittert. Kann er mir denn nicht ächte Merkwürdigkeiten erzählen? rief der alte Mann oft bitterböſe, wenn ihn ſein Gaſt verlaſſen hatte, ſo etwas ſo etwas was ſich gar nicht erzählen läßt?

Nur zwei Abentheuer waren es, auf welche die Wißbegierde des alten Barons ſich noch einiger -4*52maßen geſpannt hielt: Münchhauſen’s Fata unter dem Vieh, insbeſondere unter einer Ziegenheerde am Helikon, und dann, wie er unlängſt in Schwa - ben Poltergeiſter und Dämonen kennen gelernt. Auf beide hatte der Freiherr zu öfterem im Vor - aus hingewieſen, immer aber war die Erzählung durch zufällige Ereigniſſe verſchoben worden, wie denn noch jüngſt das erſte Capitel dieſes Buches nicht halten konnte, was ſeine erſten Worte ver - ſprachen.

In ſeiner gelangweilten Stimmung warf der alte Baron ein Auge forſchender Verdrießlichkeit, oder verdrießlichen Forſchens auf die Perſon des Freiherrn, und da wurde ihm nun ſo Manches Gegenſtand der Verwunderung. Die ergrünenden Wangen und die doppelfarbigen Augen mußten frei - lich durch die Erläuterungen Münchhauſen’s für vorläufig bei Seite geſtellt gelten, dagegen hatten ſich an dem außerordentlichen Manne neue geheim - nißvolle Phänomene in Menge aufgethan. Schon daß der Freiherr ſtäts traurig und dunkel ſprach, wenn er im Allgemeinen der Umſtände bei ſeiner Erzeugung gedachte, war ein ſeltſames Ding, hiezu kam aber noch das ungewöhnliche Verhältniß53 zwiſchen Herrn und Diener, welches ſich bald im Schloſſe bemerklich machte.

Es iſt eine weitverbreitete Klage der Zeit, daß ihre Fortſchritte auch den Uebermuth der Dienſtboten geſteigert haben. Unter den vielen ſchlechten Bedienten aber, welche die Gegenwart gebiert, war Karl Buttervogel (denn für uns behält er dieſen Namen) ſicherlich einer der ſchlechteſten. Wenn ihm ſein Herr etwas befahl, ſo that er es auf das erſte Geheiß gar nicht, auf das zweite auch noch nicht, und auf das dritte that er es zwar, aber ſo, als thue er es um Gotteswillen. Den Rock klopfte er dem Gebieter aus, wenn er Luſt hatte, und alles Uebrige, was zu ſeinem Dienſte gehörte, verrichtete er, inſofern er dazu Belieben trug. Fuhr ihn aber ſein Herr an, oder drohte er, ihn zu ſchlagen, ſo warf der Burſche mit ſo ſpitzigen, frechen und ſonderbaren Reden um ſich, daß auch der Argloſeſte darüber erſtaunen mußte.

Einſtmals ſagte der alte Baron, als er Zeuge eines derartigen Auftritts geworden war, bei wel - chem Karl Buttervogel ausgerufen hatte, Münch - hauſen ſolle ſich hüten, er wiſſe ja wohl, daß 54 zum Freiherrn: An Eurer Stelle, Freund, jagte ich den Unverſchämten fort. Ich darf nicht, verſetzte Münchhauſen, ſchmerzlich gen Himmel blickend, weil

Daß? Weil? Was für ein Daß? Was für ein Weil? murmelte der alte Baron.

An einem andern Tage hatte Münchhauſen im Zorn wirklich den Rücken des Widerſpänſtigen be - ſtrichen. Karl Buttervogel lief fort, ſchimpfte wie ein Rohrſperling und wiederholte unaufhörlich: Mich prügeln? So ein Munkel?

Munkel? fragte der alte Baron. Was iſt ein Munkel? Es lag am Tage, dieſer Bediente wußte etwas von ſeinem Herrn, was nicht für Jedermanns Ohr taugte.

Die Geheimniſſe Münchhauſen’s fanden ihren Gipfel in ſeinen heimlichen Experimenten. Er ſchickte nämlich wöchentlich Karl’n in die Apotheke der nächſten Stadt, darauf nahm er ihm die Spe - cies ab, verſchloß ſich in ſeiner Stube, verhing die Fenſter, und dort hinter Schloß und Riegel und neſſeltuchnen Vorhängen that er Dinge, welche nur das Auge Gottes ſah. Es verbreitete ſich, wenn er ſo experimentirte, durch das Schlüſſelloch ein feiner55 mineraliſcher Dunſt im Hauſe; daß Münchhauſen ſelbſt hernach wie eine ſtarke Schwefelquelle duf - tete, haben wir ſchon aus dem Munde des alten Barons gehört. Einſt hatten die Bewohner des Schloſſes während eines ſolchen geheimen Experi - ments einen großen Schrecken. Es geſchah nämlich in der Stube ein ſtarker Knall, Münchhauſen ſtieß heftig die Thüre auf, Dampf quoll heraus, Dampf erfüllte die Stube, im Dampfe aber ſtand Münch - hauſen bleich und entſetzt. Allerhand Flaſchen - und ſonſtiges Geräthe, mit ſeltſam ſchillernden Feuchtigkeiten erfüllt, ſtand auf dem Tiſche umher. Münchhauſen räumte es eilig und verſtört hinweg, als er nach einigen Augenblicken ſich wieder zu ſammeln wußte.

Dieſer Auftritt vollendete die Spannung des alten Barons. Alles Intereſſe, welches er früher an den Erzählungen ſeines Gaſtes gehabt hatte, übertrug ſich nun auf deſſen Perſon. Und ſo ge - wann der Held durch die Grobheit ſeines Bedien - ten, durch mineraliſchen Geruch, durch Dampf und Knall den Antheil, welchen er auf dem einen Felde eingebüßt hatte, auf dem andern ſich zurück. Ein langweiliger Erzähler, aber eine merkwürdige hiſto -56 riſche Perſon, vielleicht das einzige Exemplar ſeiner Gattung! ſagte der alte Schloßherr.

Leider blieb ſeine brennende Neugier ohne Be - friedigung, denn Niemand konnte ihm ein Licht über den Mann anzünden, der unter den Menſchen kaum ſeines Gleichen zu haben ſchien. Münch - hauſen wich mit ſiegreicher Gewandtheit allen Ver - ſuchen, ihn bis über einen gewiſſen Punct hin zu erforſchen, aus. Den Bedienten aber über den Herrn zu verhören dieſen Gedanken hatte er, als er flüchtig in ihm einſtmals emporgeſtiegen war, weit von ſich hinweggewieſen. Trotz aller ſeiner Narrheiten war der Baron von Schnuck ein Mann von altdeutſcher Sitte und Höflichkeit. Noch nie - mals hatte er vergeſſen, was er ſeinem Gaſte ſchuldig war. So, zwiſchen Verlangen und Un - möglichkeit, den Schleier zu heben, umgetrieben, wurde ſein Herz bis zum Rande voll von Unruhe und Verdrießlichkeit.

Der Schulmeiſter endlich war in den Zuſtand ernſter Selbſtbetrachtung hineingerathen. Er be - gann ſich noch mehr, als früher, von den Zuſam - menkünften der Schloßbewohner fern zu halten, und ſaß Tagelang einſam auf dem Gebirge Taygetus,57 wie ein indiſcher Büßer ſeine Naſenſpitze betrach - tend.

Kam er dann doch wieder einmal zu den Uebri - gen, ſo zog er ſich immer bald wieder zurück, denn Niemand achtete ſeiner, Münchhauſen nicht, weil er den Abkömmling des Königs Ageſilaus nicht be - durfte, das Fräulein nicht, weil ſie, wie wir wiſſen, allem Irdiſchen überhaupt bereits entrückt war, der alte Baron nicht, weil er über den Munkel nachſann.

Was Münchhauſen betrifft, ſo erhielt ſich dieſer wunderbare Charakter zwar äußerlich die Faſſung, in welcher er ſo ſtark war; durch ſeinen Buſen aber ſtürmten auch manche Sorgen. Daß er den alten Schloßherrn mit ſeinen Erzählungen langweile, hatte er ſchon ſeit geraumer Zeit bemerkt, daß ſich ein gefährliches Grübeln an ſeine Perſon zu heften beginne, mußte er nun gewahr werden. Dieſes war ihm unangenehm. Ihm lag daran, noch eine Zeitlang als ruhiger, wenn auch höchſt geiſtreicher und vielerfahrener Privatmann das Ob - dach und die Speiſe des Schloſſes zu genießen. Er nahm ſich daher vor, einen wahren Heroismus im Erzählen zu entfalten und den Baron dadurch58 wo möglich abzulenken, ſolchergeſtalt aber dem Schick - ſal die freie und männliche Stirn zu weiſen, welche von keinem Schlage bisher zu zerſchmettern gewe - ſen war.

Während auf dieſe Weiſe die Bewohner des Schloſſes ſich entſcheidenden Begebenheiten näherten und ihre Charaktere zu reifen begannen, war Karl Buttervogel der einzige Glückliche. Er Rind - fleiſch, Bratwurſt und Eier, ſo viel ihm das Fräu - lein von dieſen Nahrungsmitteln zuſtecken konnte, bediente ſeinen Herrn mit der Ueberzeugung, daß es nur von ihm abhange, denſelben zu ſtürzen, und empfand alle Zauber einer geheimen, hohen Liebe.

59

Sechſtes Capitel. Die Ereigniſſe eines Abends und einer Nacht.

An jenem Abende, an welchem Münchhauſen und der Schloßherr gegenſeitig offen geworden wa - ren, ließ ſich Karl Buttervogel fünfmal rufen, bevor er zu ſeinem Herrn kam, der ſich entkleiden wollte. Als er endlich erſchien, holte der Herr mit den Worten: Du Gauch! Du Beſtie! nach ihm aus, der Diener aber ergriff einen Stuhl, hielt ihn zu ſeiner Vertheidigung vor ſich hin und ſchrie, als ob er am Spieß ſtäke. Auf dieſes Geſchrei eilte der alte Baron im Nachtkleide die Treppe hinauf, Emerentia aber, tief in ihre Welt verſunken, hörte davon nichts, ſondern fuhr in ihren Eröffnungen gegen die Wand fort, in welchen ſie noch begriffen war. Der alte Baron, das Nachtlicht in der Hand, fragte: Was giebt es denn hier ſchon wieder? 60Münchhauſen verſetzte: Mit dieſem Racker iſt nichts mehr anzufangen, jeden Tag wird er fauler, ich weiß nicht, was dem Ungeheuer im Kopfe ſteckt! Liebe ſteckt dem Ungeheuer im Kopfe! ſchrie der Menſch erboſt; Liebe von einer ganz vorneh - men Perſon, und es giebt Schwiegerväter, die noch von nichts wiſſen und ſich ſehr verwundern werden, wofern fernerweite gute Verköſtigung aus - gemacht wird.

Iſt der Kerl verrückt? ſagte der alte Baron.

Und am Dienſt habe ich keinen Geſchmack mehr, und am allerwenigſten mag ich ſo einem Munkel noch ferner dienen, der mich noch überdem prügeln will! rief Karl Buttervogel. Und ich begehr meinen Lohn, zwölf Gulden, vier und zwanzig Kreu - zer ſeit vier Monaten, und was ich ausgelegt habe, thut auch zwei und vierzig Stüber, drei Hel - ler, und das begehre ich und fordre ich, und dann gehe ich gleich fort, denn ich kriege doch außerdem mein gutes Eſſen und Trinken durch meine Con - nexionen, und wenn mir noch ein Wort zu nahe geſagt wird, ſo gebe ich Alles an bei meinem Schwiegervater von der unnatürlichen Erzeugung und den chemiſchen Schmierereien

61

Münchhauſen ſetzte ſich erſchöpft auf ſein Bett. Er zitterte, wie gewöhnlich, mit den Naſenflügeln, ſeine Miene war äußerſt leidend. Schreckliches Verhängniß, welches mich in die Hand eines Buben giebt! ſtöhnte er. O warum ſchwieg ich nicht auch gegen dich, Unmenſch, wie ich gegen Jeden ſonſt geſchwiegen habe? Ich öffnete dir mein Herz, ich bedurfte einer Seele, die ich in die Apotheke ſchicken konnte, und du wirſt hingehen und mich verrathen.

Alterire dich nicht, Bruder, ſagte der Schloß - herr. Dieſes Individuum bleibt ewig ein Bedien - ter; über ſolches Pack müſſen ſich Männer unſerer Extraction nicht ärgern. Freilich, was die un - natürliche Erzeugung und das Chemiſche angeht, da wäre ich äußerſt verlangend

Münchhauſen’s Gebärde wurde groß. Verlange nicht danach, ſagte er erhaben. Ich kenne dich, du biſt ſchwach, Baron Schnuck, du kannſt Offenheit ertragen, du kannſt ertragen, daß der deutſche Mann zum deutſchen Manne ſagt: Schafskopf! aber das würdeſt du nicht ertragen. Du hängſt an Ideen, die du mit der Ammenmilch eingeſogen haſt, du willſt den Menſchen menſchlich gezeugt. 62Die Entdeckung, welcher dein unſeliger Fürwitz zuſteuert, würde dich deinen Freund koſten! Er warf mit leidenſchaftlicher Heftigkeit ſeine Klei - dungsſtücke ab und ſah im Hemde zum Fenſter hinaus, den Anweſenden den Rücken kehrend.

Karl Buttervogel rief, ohne ſich ſtören zu laſſen, in dieſes Concert: Und es iſt ſchändlich von ſo einem Herrn, wenn ſo ein Herr immer lügen thut. Das Lügen iſt für uns geringe Leute, wir können oft nicht darüber hin, und der liebe Gott vergiebt es uns, weil wir ſonſt unſer Brod nicht haben, und wenn ich erſt meinen gnädigen Schwiegervater beſitze und auf meine fernerweite gehörige Beköſti - gung rechnen darf, ſo will ich’s auch laſſen, und von ſo einem Herrn, wie von meinem Herrn von Münchhauſen iſt es ſehr unrecht, und allen Leuten lügt er etwas vor, und aller Orten hat er gelogen, und ſie ſind ſo dumm und glauben ihm auch immer, obgleich kein wahres Wort aus ſeinem Munde geht.

Es iſt gut, Karl, bringe das Andere draußen an, ſagte Münchhauſen, ſich umwendend. Der Ton ſeiner Stimme war ſanft aber feſt geworden. Er band einen roth und gelbſeidnen Tuch mützenartig um den Kopf, ſo, daß die Zipfel an ſeinen Ohren63 herunterfielen. Gute Nacht, Bruder Schnuck, du haſt Recht, man muß ſich über dergleichen Leute nicht ärgern. Ich werde mich ohne Diener zu be - helfen wiſſen. Du kannſt gehen, Karl, ich brauche dich nicht weiter, deine zwölf Gulden vier und zwanzig Kreuzer ſollſt du morgen ausgezahlt erhal - ten. Geh, Karl, folge deinen höheren Sternen, du kannſt nun gut und gern deinen Antheil an der Luftverdichtungsactiencompagnie, den ich dir zuge - dacht hatte, entbehren.

Karl Buttervogel machte ein langes Geſicht, ließ den Stuhl, den er bis jetzt noch immer vor ſich hin gehalten hatte, ſinken, und ſagte, ſo klein - laut, als er vorher trotzig geſprochen hatte: Wie, mein Herr von Münchhauſen?

Luftverdichtungsactiencompagnie? fragte der alte Baron.

Ja, antwortete Münchhauſen und ſtreifte den Strumpf vom linken Beine, in Paris haben ſie ein Mittel gefunden, die neueren Chemiker, Luft kör - perlich zu machen, ſie in feſter Geſtalt darzuſtellen.

Körperlich? In feſter Geſtalt?

In einer Maſſe zwiſchen Schnee und Eis, ungefähr wie ſteifer Brei. Als ich von der Sache64 hörte, ließ ich mich näher in ſie ein und über - zeugte mich ſehr bald, daß die alſo körperlich und feſt gemachte Luft, vermöge Präcipitirens, Calci - nirens, Oxydirens und gewiſſer anderer Mittel, die vor der Hand mein Geheimniß bleiben, in eine ſolche Dichtigkeit, Härte und Schwere zu treiben ſei, daß ſie ſich vom Steine nicht unterſcheide.

Vom Steine nicht unterſcheide?

Nein. Warum erſtaunſt du, Schnuck? Was Brei iſt, kann doch auch Stein werden. Willſt du die Probe? Karl, erzeige mir die Freundſchaft, denn befehlen darf ich dir nichts mehr, und bringe aus der Reiſetaſche mir die grüne Capſel Nummer vierzehn.

Karl Buttervogel, deſſen ganzes Benehmen ſich, ſeitdem von der Luftverdichtungsactiencompagnie die Rede war, in die fügſamſte Demuth verwan - delt hatte, lief befliſſentlich nach der Reiſetaſche und holte die grüne Capſel Nummer vierzehn, aus welcher Münchhauſen einen fauſtgroßen Stein nahm. Er zeigte dem alten Baron den Stein und fragte ihn, was er wohl glaube zu ſehen?

Der alte Baron verſetzte, indem er den Stein gegen das Nachtlicht hielt und ihn blinzelnd be - ſchaute: Meines Erachtens iſt das ein Feldquarz.

65

Feſtgemachte, präcipitirte, calcinirte, oxydirte und durch gewiſſe andere geheime Mittel verſteinerte Luft iſt es, ſagte Münchhauſen gähnend und that den Stein wieder an ſeinen Ort. Er ſtreifte den Strumpf auch vom rechten Beine und fuhr fort: Du ſiehſt nun mit deinen Augen; haue mit Stahl dagegen, ſo giebt der Luftſtein Feuer, ſolche Fe - ſtigkeit hat derſelbe.

Das iſt ja eine ganz ungeheure, unermeßliche, unberechenbare Erfindung! rief der alte Baron.

Ziemlich wichtig iſt ſie allerdings, ſagte Münch - hauſen kalt. Gebaut wird allenthalben jetzo zu Friedenszeiten, Häuſer, Brücken, Straßen, Pal - läſte, Narrenhäuſer, Monumente. Das Material iſt nur in manchen Gegenden zu theuer. Das will ich denn für ſolche ſteinarme Landſtriche liefern, nämlich verſteinerte Luft. Luft iſt überall zu haben. Die Bereitungskoſten ſind ſo gar groß eben nicht, es kommt hauptſächlich bei dem ganzen Proceſſe auf die Beſchaffenheit der Luft ſelbſt an, und der rechten Steinluft glaube ich hier auf der Spur zu ſeyn. Deßhalb rieche ich und ſchnüffle ich ſo viel im Winde umher. Hier wollte ich die Fabrik anlegen; die Mutterfabrik, von der dann gelegenenImmermann’s Münchhauſen 2. Th. 566Orts die Tochterfabriken ausgehen ſollen, quantum satis. Das Unternehmen wird auf Actien ge - gründet, die Beſtätigung des Statuts habe ich in der Taſche. Es muß, wenn das Geſchäft einiger - maßen ſchwunghaft getrieben wird, ſchon nach einem Jahre, ſchlecht gerechnet, eine Dividende von Ein - hundert ſechs und dreißig drei Achtel Procent ge - ben. Dieſes iſt denn die Luftverdichtungsactien - compagnie, nach welcher du fragteſt. Zwei Direc - toren werden angeſtellt mit offenem Credit, zwölf beſoldete Verwaltungsräthe; die Zahl der Secretaire und der übrigen Unterbeamten iſt vorläufig auf einige und vierzig beſtimmt. Karl’n da, meinen ehemaligen Diener, wollte ich zum techniſchen Mit - director machen nun, das geht denn nun jetzt nicht mehr an, und ich muß mich nach einem An - dern umſehen.

Hier ſtieß Karl Buttervogel einen ſolchen Seuf - zer aus, daß die Stube widerhallte. Der alte Baron aber blies die Backen auf, warf ſeine Nachtmütze gegen die Decke und that einen Schritt, den man einen Satz nennen konnte, ſo daß ſeine Kerze wild aufflackerte. Haſt du noch Actien? fragte er Münchhauſen, der ſich gleichgültig zu Bette legte.

67

Alle untergebracht, verſetzte dieſer, die Decke über ſich ziehend, ſtehen ſchon höher als Pari. Ich will dir aber doch deine Gaſtfreundſchaft ver - gelten, Schnuck. Dein Schloß iſt etwas baufällig; ſobald meine Fabrik und die Actiencompagnie in’s Leben getreten iſt, baue ich dir ein neues aus meinem Material.

Der alte Schloßherr ſetzte heftig ſein Licht weg, ſchoß auf Den im Bette zu, nahm ihn mit beiden Händen bei’m Kopfe und rief: So werde ich ja künftighin gleichſam in einem Luftſchloſſe wohnen, du Mordkerl!

Meinetwegen kannſt du es ſo nennen, alter Junge, antwortete Münchhauſen. Reiße mir nur die Ohren nicht ab. Siehſt du, das iſt ja eben das Große in der Gegenwart, daß ſo Vieles, was lange nur als uraltes Mährchen, Bild oder Gleich - niß galt, aufgebracht durch die Kinderphantaſie der Anfangszeiten, nunmehr durch die[Forſchungen] der Wiſſenſchaft ſich als hiſtoriſche Realität ausweiſet. Und ſo kommt denn auch das verjährte Sprich - wort von Luftſchlöſſern durch meine Actiencompagnie zur Würde wahrer Exiſtenz. Luftbauten werden nicht mehr phraſeologiſch gemeint ſeyn, ſondern die5*68Menſchen werden wirklich ihr Geld hineinſtecken. Aber geh zu Bette, Schatz, ich bin müde und will ſchlafen.

Münchhauſen wendete ſich um und ſchlief ein. Der alte Baron murmelte: Das gewinnt denn freilich jetzt eine andere Geſtalt, wir kommen in’s Practiſche. Er muß Er muß der Alte ging in ſo tiefen Gedanken fort, daß er ſelbſt ſein Nachtlicht mitzunehmen vergaß.

Von dem Scheine dieſer Kerze düſter beleuchtet, blieb Karl Buttervogel neben dem Bette ſtehen. Sein Geſicht war von Beſtürzung ganz aufgelau - fen, bisweilen ſchlich eine dicke Thräne die Naſe entlang, regungslos ſtand er da, wie eine Bild - ſäule, und ließ die Thränen, ohne ſie abzuwiſchen, ſtill fließen. Der Urheber der Betrübniß ſchnarchte dazu. Nachdem der traurige Diener über eine Stunde alſo geſtanden, gab er ſich daran, die Klei - dungsſtücke des Freiherrn, welche am Boden und auf den Stühlen zerſtreut umherlagen, ſacht zu er - heben. Er legte ſie ſorgfältig geordnet an die ihnen beſtimmte Stelle, nahte ſich auf den Zehen dem Bette, zupfte den Freiherrn am Hemde und flüſterte: Gnädiger Herr!

69

Münchhauſen fuhr auf, rieb ſich die Augen und ſagte: Warum weckſt du mich, Impertinenter?

Ich wollte Sie nicht wecken, erwiederte Karl Buttervogel ſchüchtern, ſondern nur fragen, wann Sie morgen früh befehlen, geweckt zu werden?

So! rief Münchhauſen. Willſt wieder bei mir im Dienſt bleiben, du Vieh? Nein, mein Sohn, halte feſt an deinem Entſchluſſe, geh, geh von dem Lügner, ſei nicht ſo dumm, ihm zu glauben, ihm, dem kein wahres Wort aus dem Munde kommt, mit einem Worte; pack dich, du Schuft!

Karl Buttervogel ſank am Bette auf ſeine Kniee, ergriff die Hand des Freiherrn, küßte ſie, heulte und ſchluchzte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, ſelbſt einen aus Luft, und rief: Gnädiger Herr, ich weiß ja, daß ich ein Schuft geweſen bin. Aber ich will es in meinem ganzen Leben nicht mehr thun. Ach, vergeben Sie mir doch nur dieſes eine Mal, damit ich techniſcher Mitdirector bleibe, ich habe ſchon ſo ſehr auf dieſen Poſten und auf dieſes gute Brod gerechnet, und wäre ein geſchlagener Mann, wenn mir’s entginge, denn mit dem Herrn Schwiegervater kann es noch im weiten Felde ſtehen, und wer weiß auch, ob70 mir die fernerweite gute Verköſtigung ausgemacht wird, wofür ich’s allein thue, und ich will nimmer wieder von der unnatürlichen Erzeugung plappern und vom Munkel und von den chemiſchen Schmie - rereien, weil ich ſehe, daß es Sie kränkt, und von Lohn, und was ich ausgelegt, ſoll gar keine Rede mehr ſeyn, nein, Alles gratis, Aus - und Anziehen und Waſſerholen und ſonſt, und ich wollte doch ſo gern Ihr Bedienter bleiben.

Dein ſcheußlicher Eigennutz läßt dich ſo eifrig dieſe Bitte ausſprechen, ſagte Münchhauſen ernſt. Die techniſche Mitdirectorſchaft iſt es allein, welche dir im Sinne liegt. Aber tröſte dich, mein Freund, du wirſt nichts verſcherzen, wenn du von mir gehſt. Wie ſollte ein Lügner jemals Wahrheit ſagen? Auch die Luftverdichtungsactiencompagnie habe ich nur vorgeſpiegelt.

O nein, nein, nein! rief Karl Buttervogel laut und begeiſtert. Ich laſſ mich nicht irre machen. Nein, wenn der gnädige Herr auch ſonſt jezuwei - len aus Liebhaberei ’n biſſel flunkern, damit hat es ſeine volle Richtigkeit. Ach, ich ſehe wohl, der gnädige Herr prüfen mich nur noch und ſpaßen ſchon; und ich bleibe bei Ihnen.

71

Nun denn, ſagte Münchhauſen, für dieſesmal will ich dir verzeihen; es iſt aber das letztemal. Ob du indeſſen techniſcher Mitdirector wirſt, hängt lediglich von deiner ferneren Aufführung ab. Und nun hole mir den Stock da her, du Spitzbube, denn der neue Contract, welchen wir Beide abſchließen, will ſeine Bekräftigung und Draufgabe haben.

Karl Buttervogel brachte den Stock, welcher in der Nähe des Bettes ſtand, getragen, ſein Herr zog ihm damit einige ſogenannte Jagdhiebe über den Buckel; der Diener ächzte zwar unter der Laſt dieſer Streiche, ſchüttelte ſich aber nachher und ſagte getröſtet: Es wird Einem doch gleich wieder ſo wohl, wenn man wieder ſeine feſte Anſtel - lung hat.

Nach ſeinem Abgange blieb der Freiherr im Bette emporgerichtet ſitzen und ſprach: Erſtaunlich, was für eine Gewalt ich über meine Umgebungen ausübe! Er warf ſich auf ſein Kiſſen nieder, wandte ſich um und ſchlief abermals ein. In - deſſen ſollte ihm noch keine dauernde Nachtruhe gegönnt ſeyn. Denn nachdem er etwa eine halbe Stunde geſchlummert haben mochte, erwachte er wieder von einem Geräuſche am Fenſter. Im erſten72 Augenblicke meinte er, daß Diebe ſich zum Ein - ſteigen rüſteten; halb ſchlaftrunken fuhr er aus den Federn und an das Fenſter, ſah aber, nun durch den kühlen Nachtwind völlig geweckt, unten im Hofe eine dunkle Geſtalt, mit einer überlangen Stange in der Hand. Wer iſt da? Und was ſoll das? rief Münchhauſen die Geſtalt an.

Dieſer erwiederte: Ich bin es, der Schul - meiſter, auch Ageſilaus geheißen, und dieſe aus mehreren Bohnenſtiefeln zuſammengefügte große Stange klopfte an Ihr Fenſter, um Ihre Auf - merkſamkeit mir zuzuwenden, Herr von Münchhau - ſen, da mein leiſes und beſcheidenes Rufen Ihres werthen Namens nicht verfangen wollte. Noch Licht in Ihrem Zimmer ſehend, hielt ich es nicht für unhöflich, eine Zwieſprach mit Ihnen zu begehren, welche ich denn hiemit begehrt haben will. Mich verlangt ſehnlichſt nach einer Unterredung über einen mir hochwichtigen Gegenſtand. Wollen Sie mir wohl leiſe, auf daß die Hausbewohner nicht er - wachen, die Thüre öffnen und den Zutritt in Ihr Gemach verſtatten?

Zum Teufel, Herr, das werde ich bleiben laſ - ſen! rief Münchhauſen ärgerlich. Wer erlaubt Ihnen,73 die Leute aus dem Schlafe zu ſtören? Was Sie mir zu ſagen haben, können Sie mir von da unten ſagen.

Auch dieſes, verſetzte ruhig Der unten mit der Stange. Die Unterredung aber muß vor ſich ge - hen, damit ich heute noch meinen Entſchluß faſſen kann. Kürze, die körnige Kürze der Sparter ſei mein Muſter, denn es zieht hier etwas ſtark an der Ecke. Herr von Münchhauſen, der Menſch, welcher überhaupt dieſen Namen verdient, hat Ge - danken. Dieſe Gedanken haben einen Inhalt und dieſer Inhalt kann wahr oder falſch ſeyn. Falſch iſt er, wenn er der Wirklichkeit wider-wahr, wenn er ihr entſpricht. Was nun die Wirklichkeit ſei, iſt zwar ſchwer zu ſagen, indeſſen, bis dieſes große Geheimniß entdeckt wird, müſſen wir mit dem, was andere Menſchen über unſere Gedanken denken, uns behelfen. Deßhalb iſt es ſo überaus wichtig, Letzteres zu erfahren, weil wir dadurch zwar noch nicht die Wirklichkeit ſelbſt, aber doch gleichſam eine Anweiſung auf ſie in die Hände bekommen. Eine ſolche Anweiſung wünſchte ich gegenwärtig von Ihnen zu empfangen, Herr von Münch - hauſen.

74

Herr, kommen Sie zur Sache! Nennen Sie dieſe Umſchweife Kürze? rief Münchhauſen zornig, denn es fror ihn am Fenſter.

Zur Sache denn! Ich begehre Ihre Gedanken über meine Gedanken. Ich denke mir noch immer, daß ich meine Abkunft von den Lacedämoniern und inſonderheit von jenem ihrem großen Könige her - leiten darf. Was aber denken Sie über dieſe meine Gedanken?

Münchhauſen riß die Geduld. Ich denke, daß Sie ein Narr ſind! rief er und wollte das Fenſter zuſchlagen.

Einen Augenblick erbitte ich mir noch Gehör. Ihre Aeußerung macht mir klar, daß Sie meine mir bis jetzt theuerſte Ueberzeugung für unrichtig halten. Wären Sie wohl ſo gefällig, mir den Beweis der Unrichtigkeit zu führen, mir auseinan - derzuſetzen, warum die Ageſels nicht von jenem griechiſchen Volke abſtammen können?

Nein. Sein Sie, was Sie wollen, Athener oder Sparter, mir gilt es gleich! Münchhauſen ſchlug das Fenſter zu, murrte: Das iſt ja heute eine verhenkerte Nacht! ſprang wieder in ſein Bette, wandte ſich zum drittenmale um und ſchlief zum drittenmale ein.

75

Jetzt aber ließ ihn der Geiſt, welcher heute ſpuken ging, kaum eine Viertelſtunde raſten. Er war kaum wieder eingeſchlummert, als er ſich derb am Arme gerüttelt fühlte. Auffahrend mit den Worten: Sackerlot, was giebt es nun ſchon wie - der? ſah er zu ſeinem großen Erſtaunen bei dem Schimmer der Nachtkerze den alten Baron aber - mals vor dem Bette ſtehen, noch gekleidet, wie früher, nämlich an den Füßen gelbe Pantoffeln und den Leib in einen rothen kattunenen Schlafrock mit grünen Weinblättern eingehüllt. Bruder Münch - hauſen, ſagte der Schloßherr und ſetzte ſich auf den Stuhl vor dem Bette, nimm es nicht übel, daß ich dich ſtöre, aber ich kann kein Auge ſchließen. Du haſt mir mit deiner Luftentrepriſe eine Unruhe in das Blut geworfen, daß ich in meiner Kammer nicht zu bleiben vermag. Sieh mir einmal recht ſteif in’s Geſicht, und ſage mir dann, Cavalier gegen Cavalier: Haſt du mir nichts vorgelogen?

Schnuck

Ich bitte dich, habe mir nichts vorgelogen! Ich glaube dir gern; es wäre ſchrecklich, wenn du gelogen hätteſt, denn meine ganze Seele iſt ſchon bei dem Unternehmen, die Freude meines Alters76 wäre dahin, wenn nichts aus der Sache würde. Und an und für ſich iſt ſie auch nicht unglaublich, da ſo viele andere ſtaunenswerthe Erfindungen neuerdings gemacht worden ſind, als zum Beiſpiel: Licht aus Unrath zu ziehen, und Eſſig aus Holz, Citronenſäure aus Kartoffeln und Zucker aus Urin. Warum ſollen ſie alſo nicht Steine aus Luft machen können? Fällt ſie uns doch oft ſchwer genug auf die Bruſt! Dein Wort wird mir daher genügen, dein Manneswort: Haſt du mir nichts vorgelogen?

Der im Hemde mit dem Zipfeltuche um das Haupt ſah ſeinen Wirth ſtarr an und ſagte feier - lich: So wahr du geborener Geheimerrath im höchſten Gericht wirſt, ſo wahr tritt die Luftverdichtungs - actiencompagnie in’s Leben.

Wohl, verſetzte Der im rothen kattunenen Schlafrock mit den grünen Weinblättern, nun bin ich beruhigt.

Der Freiherr bat ſeinen Wirth um Gottes - willen, ihn denn auch ruhen zu laſſen, der Alte aber war außer aller Faſſung und blieb unter er - hitzten Reden auf dem Stuhle ſitzen. Du mußt mir einen Gefallen thun, Münchhauſen, rief er. Abweiſen laſſe ich mich nicht von deiner Compagnie,77 denn die Zeiten ſind ſchmal und Einhundert ſechs und dreißig drei Achtel Procent nach dem erſten Jahre ſtehen nicht zu verachten. Wenn mir Lis - beth die Zinſen bringt, kriege ich eine runde Summe, eine Actie zu bezahlen ich will und will und will eine haben.

Verfluchter Actienſchwindel! rief der Freiherr. Ich habe dir ja geſagt, daß keine mehr zu kaufen iſt. Geh doch um aller Heiligen willen zu Bette!

Und zu Bette gehe ich nicht! kreiſchte der auf - geregte Alte. Verſagſt du mir die Luftactie, ſo laß ich dich morgen zum Hauſe ’naus werfen!

Das iſt ja eine ſchöne Erfahrung, die ich an dir mache! ſagte Münchhauſen und lehnte ſich matt zurück. Seit wir einander Du nennen, kommen nichts als Grobheiten zwiſchen uns zum Vorſchein. Es bleibt alſo doch wahr, daß manche Freund - ſchaften durchaus nur auf: Sie eingerichtet ſind und dieſen Terminus ohne Gefährde nicht verlaſſen dürfen.

Der alte Baron, der von ſeiner Aufregung zurückgekommen war, bat ſeinen Gaſt um Ver - zeihung, und es ſei nicht ſo übel gemeint geweſen, ſagte er. Dann erſuchte er ihn, ihm wenigſtens78 eine beſoldete Anſtellung bei der Compagnie zu geben, damit er doch einigen Vortheil von der Unternehmung ziehe. Ja, was ſoll ich aus dir machen? fragte Münchhauſen. Das Directorium iſt beſetzt, der Verwaltungsrath vollzählig, Secre - tariats - und Botengeſchäfte paſſen nicht für dich; das einzige Syndicat, das Richteramt für die Strei - tigkeiten unter den Luftactionairen, iſt noch offen willſt du das haben?

Ei! rief der alte Baron, dieſes würde mich ganz trefflich kleiden. Es wäre eine Zwiſchenbe - ſchäftigung, eine gute Vorübung auf die Zeit, da die alten Verhältniſſe wieder hergeſtellt werden, und ich meinen geborenen Geheimerrathspoſten im höchſten Gericht antrete. Ja, das nehme ich mit Freuden an.

Topp! rief Münchhauſen. Du ſollſt Richter unter den Luftverdichtern werden und einen Gehalt von ſechsmalhunderttauſend Pfund Luftſteinen jährlich beziehen. Denn wir haben, wie man in China mit Reis, als dem gangbarſten Producte der Lan - descultur bezahlt, die Verfügung getroffen, nur in unſerem Producte, nämlich in verſteinerter Luft alle Beſoldungen zu entrichten.

79

Sehr vernünftig, verſetzte der alte Baron. So ſpart Ihr baar Geld. Ich bin damit zufrieden. Nur bitte ich mir probemäßige Luftſteine aus und verwahre mich gegen allen Müll und Abfall.

Münchhauſen mußte hierauf dem neuen Syn - dicus noch ein Langes und Breites von der Be - reitung der Luft erzählen, wobei er ſich freilich die eigentlichen Fabrikgeheimniſſe vorbehielt.

Damit aber war ſein Zuhörer noch nicht zu - frieden, ſondern er forſchte auch gründlich nach der Verfaſſung der Compagnie, nach den ſtimmfähigen und ſtimmloſen Mitgliedern, nach dem Geſellſchafts - capital, nach der Geſchäftsführung, nach den Uni - verſal -, General -, Particular - und Specialver - ſammlungen, damit er, wie er ſagte, bei Zeiten Alles erfahre, was zu ſeinem Amte ihm zu wiſſen Noth thue.

Münchhauſen gab ihm über jeden dieſer Puncte, obgleich er lieber geſchlafen hätte, nothgedrungen die bündigſte Auskunft, ſo daß er ſich ganz heiſer ſprechen mußte. Endlich ging der Alte.

Die Nacht war über dieſen Vorfällen und Ge - ſprächen verſtrichen. Phöbus mit dem goldenen Haar ſah in das Fenſter. Erſchöpft legte ſich80 Münchhauſen abermals zurück, um wenigſtens noch eine Stunde Morgenruhe zu genießen. Es iſt doch übel, wenn man bei den Leuten allzuviel Ideen anregt, ſagte er vor dem Einſchlafen.

Aber bald erhob ſich unter ſeinem Fenſter das Getöſe einer eifrig arbeitenden Säge; der Ton, welcher vom erſchrecklichſten Schrillen in einem unausgebildeten Sopran zum ſchauderhafteſten Schnurren in einem verdorbenen Alt regelmäßig ſich ſenkend, bekanntlich auch den Taubſten erwecken kann. Münchhauſen ſagte anfangs zu ſich ſelbſt: Es iſt nur Täuſchung, und ſtopfte ſich tief in die Kiſſen hinein: dann ſagte er: Es iſt zwar keine Täuſchung, aber ich will dieſen ſinnlichen Eindruck durch Abſtraction überwinden. Er begann daher von dem Schrillen und Schnurren ſeine Gedanken mit Macht ſeitwärts zu führen, und würde viel - leicht bei der großen geiſtigen Kraft, die ihm bei - wohnte, des Sinneneindrucks Meiſter geworden ſeyn, wenn ſich nicht plötzlich mit dem Sägege - räuſche ein heftiges Rumoren über ſeinem Haupte verbündet hätte. Es ließ ſich nämlich ein Gepol - ter über ſeiner Stube vernehmen, als ob der ganze Söller umgekehrt würde. Zwiſchen Sägegeräuſch81 und Söllergepolter eingeklemmt, konnte er es nicht länger aushalten. Er rief: So iſt es und bleibt es demnach unmöglich, heute zu einem leidlichen Schlafe zu gelangen! und ſprang mit beiden Füßen aus dem ruheloſen Bette. Er ſchellte und ließ ſich von ſeinem techniſchen Mitdirector, der zugleich Prätendent von Hechelkram und Karlos der Schmet - terling war, ankleiden.

Von der durchwachten Nacht ſah er ſehr gelb - grünlich aus, und die Augen ſtanden ihm wüſt im Kopfe. Das Sägen aber rührte vom Schulmeiſter und das Rumoren vom alten Baron her.

Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 682

Siebentes Capitel. Warum der Schulmeiſter ſägte und warum der alte Baron rumorte.

Der Schulmeiſter war, nachdem der Freiherr das Fenſter zugeworfen hatte, mit einem Seufzer und dem Ausrufe: Nicht einmal eine Widerlegung! in ſeine Wohnung auf dem Taygetus gegangen. Dort blieb er, kopfſchüttelnd und ſinnend, die kleine Blendlaterne vor ſich auf den Tiſch geſtellt, einige Stunden lang ſitzen. Er blickte unverwandt in das Licht der Laterne und hatte ſeine beiden Arme auf die Kniee geſtemmt. Nachdem er ſo längere Zeit geſeſſen, erhob er ſich, ſtrich mit der Hand langſam über ſein Kinn und ſagte: Ja, es iſt ſo, ich bin darüber nun im Klaren und habe meinen Entſchluß gefaßt. Er ging in die Ecke, worin ſein Lager aufgeſchüttet war, und ſprach, es mit unter -83 geſchlagenen Armen betrachtend: Dieſes iſt Stroh, und zwar krummes, keinesweges aber Schilf. Er nahm die Laterne, begab ſich mit ihr hinaus, leuch - tete auf dem Platze vor dem Gartenhäuschen umher und ſprach: Ein gewöhnlicher Schneckenberg, und was da unten murmelt, iſt ein Wäſſerlein ohne Namen. Er holte den Becher oder Kothon, das heißt, den alten irdenen Topf aus dem Garten - häuschen und zerſchmetterte ihn mit den Worten: Du ſollſt mich nicht mehr verführen! durch einen heftigen Wurf. Dann ſank er auf ſein Strohlager zu einem feſten und erquicklichen Schlummer nieder. Nach wenigen Stunden, als das Frühlicht ange - glommen war, (denn er brauchte wenig Schlaf) erhob er ſich wieder, rückte ein altes Schreibzeug zurecht, fand glücklicherweiſe einen Bogen Papier und ſchrieb an den Schulrath Thomaſius.

Mit dieſem Briefe in der Hand trat er hinaus in das Morgenroth. Er freute ſich der aufſteigen - den Sonne und rief: Es iſt denn doch ein anderes Ding, die liebe Gottesſonne, als der längſt begra - bene Heidengötze Helios. Guten Morgen, Ageſel! rief eine Stimme von unten ihm zu. O glückliche Vorbedeutung! ſagte der Schulmeiſter, ich werde6*84wieder bei meinem Taufnamen genannt, ja, den Ageſilaus hätten wir wohl hinter uns. Hinab - blickend ſah er den Kreisboten, welcher, ſeinen braunen Stecken in der Hand und die ſchwarz - lederne Scripturentaſche über den Rücken gehängt, längſt des Gartens durch die Dornen ſeinen Dienſt - weg ſchritt. Halt! rief der Schulmeiſter und warf den Brief hinunter, nehmt das an den Herrn Schul - rath mit, Ritterſporn, aus Gefälligkeit.

Er ging nach dem Schloſſe, wo er das Fräu - lein, welche auch wenig geſchlafen hatte, ſchon munter fand. Könnte ich nicht eine nützliche Be - ſchäftigung erhalten? fragte er ſie. O ja, war die Antwort, es iſt Holz zu ſägen und klein zu machen. Fröhlich ging der Schulmeiſter nach dem Holzſtall, ſtellte den Sägebock unter dem Fenſter des Freiherrn auf und begann nun jene geräuſchvolle Arbeit, von welcher im vorigen Capitel die Rede geweſen iſt, emſig und unverdroſſen, ſich ſchon freuend auf das Hacken, wenn das Sägen vorbei ſeyn möchte.

Letzteres wäre ſonach erklärt, mit dem Rumoren aber hatte es folgende Bewandniß. In den alten Baron war durch die induſtriellen Entwürfe der Nacht ein unausloſchliches Feuer gedrungen. Vor85 ſeinen Augen erhoben ſich Brücken, Kunſtſtraßen, Palläſte, ja ganze Städte aus verſteinerter Luft. Er hatte ſich zwar, nachdem er Münchhauſen ver - laſſen, abermals niedergelegt, konnte jedoch jetzt eben ſo wenig ſchlafen, als vorher, ſondern wälzte ſich, die Luftbauten vor den brennenden Augen, ſchlaflos von einer Seite zur andern. Nicht lange währte es, ſo wurde er bei ſeiner Lebhaftigkeit des unangenehmen Bettes müde, ſprang auf und ging, einen närriſchen aber feſten Plan im Buſen, auf den Söller.

Es war ihm nämlich eingefallen, daß die Strei - tigkeiten unter den Luftactionairen häklicht und ſpitzig ausfallen könnten, und daß es daher, um das Syndicat mit Auszeichnung zu verwalten, räthlich ſeyn dürfte, im Voraus den Scharfſinn auf gerechte Urtheilsfällungen einzuüben. Er be - ſchloß daher, ſich eine vorläufige Gerichtsſtube ein - zurichten, und zwar fern von ſtörendem Geräuſche, oben auf dem Söller in der ſogenannten Polter - kammer, in welcher Lisbeth die Notizen über die Zins - rückſtände gefunden hatte. Münchhauſen ſollte, das war ſein Entwurf, ihm erdichtete Rechtsfälle, wie ſie die jungen Studenten im Practico nach den Pandec -86 ten ausklauben, vorlegen, und er wollte ſie dann nach der ratio nunquam ſcripta des Luftrechtes entſcheiden.

Er ſchloß die Polterkammer im erſten Dämmer auf. An der ſchrägen Dachwandung, wo gebrochene Lichter ſich zwiſchen den Ritzen der Ziegeln und Schindeln hindurch ſtahlen, ſtand ein ehemaliger L’hombretiſch mit eingelegten Holzfiguren auf drei Beinen, den ernannte er zur Gerichtstafel. Er mußte, um zu ihm zu gelangen, einige Reihen leerer Champagnerflaſchen, drei alte zerbrochene japaniſche Vaſen, ein meſſingnes Papageienbauer und ein ver - bogenes Jagdhorn wegräumen; Zeugen und Denk - mäler einſtiger glücklicher Tage. Hierauf ließ ſich der Tiſch bequem in die Mitte der Polterkammer bringen und mit Hülfe eines Gueridons von ver - gilbtem Alabaſter, der ſich dort auch irgendwo fand, auf einen ſicheren vierten Fuß ſtellen. In einer andern Ecke ſtand ein orangeplüſchener Großvater - ſtuhl, den ſchob er als Richterſtuhl hinter die Ge - richtstafel. Nun fehlten nur noch die Acten, die Bücher und das Richtercoſtüm, um dem Ganzen das gehörige ehrwürdige Anſehen zu geben. Acten und Bücher fanden ſich leicht, denn es lagen da ganze Bündel alter Papiere und Haufen ſchweins -87 lederner Bände auf dem Boden umher. Er nahm verſchiedene Convolute unbeantwortet gebliebener Mahnbriefe auf und bedeckte damit die Gerichts - tafel. An deren Rändern rings herum ſtellte er den Abbé de la Plüche, Schelmufsky’s Reiſen, das curieuſe Welttheater und die aſiatiſche Baniſe ſammt dem Leben der weltberüchtigten Frau Neuberin als richterliche Hand - und Hülfsbibliothek auf. Das Coſtume ließ ſich ſchwerer entdecken, doch war er auch in dieſer Beziehung zuletzt glücklich. Denn als er von der der Dachwand entgegengeſetzten einen Bettſchirm mit Schäfern aus Geßners Idyl - len hinweggethan hatte, ſah er eine Reihe alter Kleidungsſtücke an den Nägeln hangen. Unter dieſen erblickte er einen ſchwarzen Domino, von dem er ſich erinnerte, ihn auf der Vermählungs - redoute des letzten Fürſten von Hechelkram getragen zu haben, eine Sammettoque, in der ſeine Gemahlin einſt einen engliſchen Herzog bezaubert hatte, und eine abgelegte Spitzenfraiſe, deren Geſchichte ihm entfallen war. Er nahm dieſe drei Stücke, welche ihm Richtermantel, Barett und Kragen bedeuten mußten, und hing ſie an einem Pflocke der Gerichts - tafel gegenüber auf.

88

Nachdem der Schloßherr, alſo rumorend, die Gerichtsſtube eingerichtet hatte, ſetzte er ſich in den orangeplüſchenen Großvaterſtuhl, legte die Hände auf die Gerichtstafel und freute ſich über ſein zu Stande gebrachtes Werk.

Das hat mir gefehlt! rief er. Eine feſte practiſche Beſchäftigung mangelte mir! Darum fühlte ich ungeachtet aller Studien bisher eine ſo peinigende Leere. Denn wie gefüllte Blumen zwar die ſchöneren zu ſeyn ſcheinen, eigentlich aber krän - keln und früher abſterben, als die einfachen, ſo iſt ein unbeſchäftigter Menſch, wenn er ſeinen Geiſt auch noch ſo herrlich ſchmückt, im beſten Falle doch nur einer gefüllten Blume gleich. Die Kräfte ſeiner Seele vergeuden ſich in eitler Blätterfülle und abgeſehen davon, daß nach ihm keine Frucht bleibt, ſo erſtickt er auch ſelbſt bald an dem Ueber - maaße mißgewandter Säfte. Dagegen leitet ein thätiger Beruf die Geiſter, welche das Leben näh - ren, in die rechten Röhren und Canäle, von denen ſie dann in geſunden und gottgefälligen Bildungen als ſchlanke Stengel, friſche Blätter, duftige Blüthen ausgehen. Alle müßige Menſchen, und ſeien ſie die beſtgearteten, haben oder bekommen eine Neigung,89 Andern wehe zu thun, nur um doch mit etwas ihre Tage auszufüllen, während der Fleiß, der durch Geſchick oder durch Vorſatz auferlegte, auch geringere Seelen zu veredeln pflegt. Nicht mit Unrecht kann man ſagen, daß er wie ein Magnet durch fortgeſetztes Tragen unglaublicher Laſten mächtig wird, während die Trägheit ein Stahl in der Scheide iſt, den zuletzt doch der Roſt zernagt. Auch iſt ferner zu ſagen, daß die emſigen Bienen, obzwar ihnen die Natur einen ſcharfen Giftſtachel gegeben hat, nur gereizt ſtechen, und den Nicht - beleidiger unbeleidigt durch ihren Schwarm hin - durchgehen laſſen, wogegen die nicht ſammelnden Wespen Jeden, auch den Ruhigſten muthwillig an - zufallen pflegen. Weßhalb der Fleiß ein Freund ſeiner ſelbſt und Anderer genannt werden darf, die Faulheit aber als Feindin an ſich und Jedermann handelt. Und darum iſt es mir ſo lieb, daß meine letzten Tage nunmehr aus dem müßigen Schwär - men, welches mich ganz aushöhlte und vernichtigte, in eine rühmliche Thätigkeit ſich retten, bei welcher ich mit gutem Gewiſſen und ſtarkem Bewußtſeyn geduldig die Rückkehr der alten Verhältniſſe und meinen Eintritt in das höchſte Gericht erwarten90 kann. Auch daß der Wohlſtand ſich wieder hebt, iſt keinesweges gering zu ſchätzen. Sechsmalhun - derrtauſend Luftſteine ſind ein ſchönes Einkommen, denn wenn ich das Tauſend Steine auch nur auf zehn Thaler anſchlage, ſo giebt das eine jährliche Revenue von ſechstauſend Thalern. Von dieſen will ich viertauſend verzehren, und den Reſt zurück - legen, halb für meine Tochter und halb für mein Pflegekind Lisbeth zu einer Ausſteuer.

91

Achtes Capitel. Rechtsfälle und Auseinanderſetzungen.

Als der Syndicus und Luftverdichter dieſe Rede vollendet hatte, hörte er Jemand auf den Söller kommen, rief ihn an und ſah, daß es Karl But - tervogel war, der, wie er ſeinen Namen rufen hörte, ein Stück Wurſt, welches ihm zum Früh - ſtück dienen ſollte, ſchnell in die Jackentaſche ſteckte. Der begünſtigte Diener pflegte nämlich auf dem Söller ſeine heimlichen Mahlzeiten zu halten, weil ihm das Fräulein dieſes ausdrücklich vorgeſchrieben hatte, ſo lange ſein verlarvter Zuſtand dauern würde.

Sieh, ſieh, mein Freund! rief der alte Baron, der für Eßwaaren ein ſcharfes Auge bekommen hatte, ſeitdem er ſich ſo überaus mager behelfen mußte, was hat Er da? Schmecken Ihm ſo früh ſchon die fetten Biſſen? Ja, verſetzte Buttervogel,92 ich hab die Wurſt der Katz abgejagt, die damit aus der Küche ſprang. Nun, dann ſei Ihm dieſelbe gegönnt, antwortete der alte Baron, es iſt mir lieb, daß das Ungeheuer auch einmal merkt, wie es thut, wenn Einem der Brocken vor dem Munde weggeſchnappt wird.

Karl’n war es gar nicht recht, daß der Söller ſeine Einſamkeit verlieren ſollte. Er ſtand, kratzte ſich im Kopfe, ſeufzte und ſagte endlich: Werden der gnädige Herr von nun an hier öfters ſitzen? Auf die bejahende Antwort des Alten ſeufzte der bisher wohlverköſtigte Prätendent noch lauter, ſo daß der Schloßherr neugierig wurde die Urſache dieſes Grams zu erfahren, jedoch aus dem Bedien - ten nur eine Rede von ſtiller Beſchäftigung, gegen - ſeitiger Störung, gutem Brode, vornehmer Liebe und Heirathserbieten, wenn fernerweite Verköſti - gung zugeſagt werde, bringen konnte ein Ge - mengſel, in welchem er ſich nicht zurechtzufinden wußte. Was will Er eigentlich und warum ſieht Er mich immer ſo ſonderbar an? fragte er Karl’n, der keinen Blick von ihm verwandte.

Gnädiger Herr, ſagte der Schmetterling mit der Wurſt in der Taſche, es geht nun und nimmer93 mit zwei Verrichtungen an einem Orte! Wo ein Webſtuhl ſteht, kann keine Hobelbank ſtehen. Wo - fern Sie hier ſitzen bleiben, iſt’s aus mit all meiner Freude auf Schnick-Schnack-Schnurr, und Schwiegerväter haben ſonſt auf Schwiegerſöhne einige Rückſicht genommen und ihnen nicht ihr Brod verdorben, beſonders wenn Schwiegerſöhne mit dem gehörigen Reſpect ſich betragen, und ich kann ſagen, daß noch kein unrechter Gedanke gegen Sie in dieſes mein Herz gekommen iſt, und neulich ver - ſtanden Sie mich nicht, als ich Ihnen die Stiefeln auszog und Sie bedeutſam anblickte, und heute wird’s auch wohl noch dunkel bleiben zwiſchen uns, das thut aber nichts, wenn das Herz nur was taugt, und Gott ſieht nicht den Rock an, ſondern den Mann, und ich wollte Sie ſo gern ſchon ein - mal vorläufig kindlich verehren, und deßhalb bitte ich, reichen Sie mir Ihre Hand zum Kuſſe und dann thun Sie mir den Gefallen, vom Söller zu gehen!

Von allem Seinem Gewäſche verſtehe ich bloß, daß Er mich gern von hier fort haben will, von welchem Verlangen ich nun aber wieder den Grund nicht einſehe, ſagte der Baron. Hier hat Er94 indeſſen meine Hand. Er ſcheint mir dennoch ein guter Kerl zu ſeyn, und ſpricht vermuthlich ſo dummes Zeug, weil Er auch nicht geſchlafen hat, denn die Nacht war unruhig. Der Alte reichte dem Bedienten die Hand zum Kuß, dieſer ergriff ſie ſeufzend und drückte mit den halblauten Wor - ten: Was hilft mir die Hand, wenn ich den Söller nicht behalte? einen Kuß darauf, worüber der Schloßherr gerührt wurde und einige Thränen vergoß. Er befahl hierauf ſeinem Verehrer, den Herrn zu ihm zu rufen, da er nothwendig mit dieſem ſprechen müſſe, und er ſolle auch wieder mitkommen. Karl Buttervogel ging die Söller - treppe hinab und murrte: Das weiß ich ſchon, auf all mein Glück legt der Teufel ſeinen Schwanz; wo ſoll ich nun in Zukunft meine ſtillen Mahlzeiten halten?

Er ſuchte ſeinen Herrn in der Stube, im Hofe; endlich fand er ihn im Garten in der Taxuslaube hinter dem Genius des Schweigens. Dort hatte Münchhauſen, um dem unermüdlichen Sägen des Schulmeiſters zu entrinnen, ſeinen Kaffee getrunken, und war dann auf der Moosbank etwas eingenickt. Abermals erweckt, machte er ein erbarmenswürdiges95 Geſicht und hatte nicht einmal mehr die Kraft, den Diener auszuſchelten. Denn er konnte keine Nacht - wachen vertragen; der Schlaf war ſein einziges Bedürfniß, außer dieſem hatte er faſt keins. Als er die Beſtellung gehört, rief er: Iſt denn der Alte ganz des Teufels? und machte ſich mit dem verdrießlichen Bedienten verdrießlich auf den Weg zu ſeinem Wirthe. Unterweges gingen ſie an dem Sägebocke des Schulmeiſters vorbei, an welchem dieſer im Schweiße ſeines Antlitzes handthierte. Er warf dem Freiherrn einen gerührten Blick zu, hielt einen Augenblick mit ſeiner Arbeit inne und ſagte: Obgleich Sie mich nicht lieben, Herr von Münchhauſen, ſo haben Sie mir doch die größte Wohlthat heut zu Nacht erwieſen. Ich verdanke Ihnen mein Leben! Daß ich nicht wüßte, ant - wortete Münchhauſen betroffen. Im Hausflur ſchnitt das Fräulein Bohnen. Sie ließ das Meſſer ruhn und ſagte zu Münchhauſen: Verſtehſt du mich in dieſem Augenblicke, Meiſter? Nein! fuhr Münchhauſen unwillkührlich heraus. Wie!? rief Emerentia überlaut und ließ vor Schreck die Boh - nenſchüſſel auf den Boden fallen, daß das Geſchirr zerbrach.

96

Auf dem Abſatze der Söllertreppe lehnte ſich der Freiherr erſchöpft an ſeinen Bedienten und ſagte: Karl, ich fürchte eine Kataſtrophe. Der Eine verdankt mir ſein Leben, dem ich über Nacht geſagt habe, er ſei ein Narr; die Andere hat es nun weg, daß ich ſie nicht immer verſtehe, und in den Dritten iſt der Teufel der Induſtrie gefahren. Die Fäden beginnen mir aus der Hand zu ſchlüpfen.

Sie ſind etwas herunter, mein Herr von Münchhauſen, erwiederte Karl Buttervogel, Sie haben ſich lange nicht chemiſch geſchmiert, ich muß bald in die Apotheke gehen. Uebrigens iſt mir Alles gleich, wenn ich nur techniſcher Mitdirector werde.

Niedergeſetzt, Münchhauſen, mir gegenüber, und gleich einige Rechtsfälle aus der Luftmaterie mir vorgelegt, und Er, Buttervogel, kann als Actuarius das Protocoll führen! rief der alte Baron den Eintretenden entgegen. Der Freiherr ſah mit Verwunderung die Anſtalten in der Polterkammer und nunmehrigen Gerichtsſtube. Er wollte ſich ein Anſehen geben und ſagte ernſthaft zu ſeinem Wir - the, derartiges Stürmen liebe er nicht, Fabrikan - lagen ſeien mit der größten Beſonnenheit zu gründen,97 Haſt und Leidenſchaft ſtürze dabei in dasjenige Verderben, welches Deficit heiße. Karl Butter - vogel aber, der endlich gern ſeines Stückes Wurſt froh geworden wäre, wandte beſcheidentlich ein, er verſtehe nicht ſo flüſſig zu ſchreiben, um dem von ihm erforderten Dienſte gewachſen zu ſeyn.

Der alte Baron ließ ſich aber nicht abweiſen. Was! rief er in ſeinem Fieber; erlahmſt du Grün - ſpecht eher als ich Graukopf? Schäme dich! Allons! Munter geblieben, die Augen aufgehalten! Und was Ihn betrifft, Buttervogel, ſo thue Er bloß ſo, als ſchreibe Er, wenn Er mit der Feder nicht raſch fertig werden kann. Er ſitzt nur der Voll - ſtändigkeit wegen mit da.

Münchhauſen mußte ſich fügen und an der an - dern Seite der Gerichtstafel dem alten Baron gegenüber auf einem hölzernen Schemel Platz neh - men. Der Bediente ſetzte ſich mit einer Feder in der Hand zur ſchmalen Seite der Tafel. Münch - hauſen ſchüttelte den Reſt ſeiner Geiſteskräfte zuſammen und legte dem alten Baron folgende Rechtsfälle vor:

Die Luftverdichtungsactiencompagnie kommt wegen widriger Umſtände nicht zu Stande. Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 798Frage: Was geſchieht mit den gezahlten Ein - ſchüſſen?

Urtheil des alten Barons.

In Betracht; daß widrige Umſtände widrige Umſtände ſind, wofür Niemand kann:

In Betracht; daß vor allen Dingen gehabte Mühe und Anſtrengung zu belohnen iſt, damit Nie - mand den Muth verliere, abermalen gemeinnützige Plane zu entwerfen: behalten Directoren, Verwaltungsräthe und Syndicus die Einſchüſſe und theilen ſich darin ratirlich. Syndicus mit doppelter Portion. V. R. W.

Vortrefflich! rief Münchhauſen, du dringſt zum Erſtaunen ſchnell in die Geheimniſſe der Praxis ein. Es bleibt eine ewige Wahrheit, Amt giebt Verſtand.

Mit dieſem Beſcheide bin ich als techniſcher Mitdi - rector ebenfalls zufrieden, ſagte Karl Buttervogel.

Nun ein zweiter etwas verwickelterer Fall, ſprach Münchhauſen.

Her damit! rief der alte Baron. Mir wird keine Nuß zu hart ſeyn.

99

Trebaz ſoll Mäven ein Haus bauen. Auf Steine lautet der Pact. Trebaz baut ein re - gelrechtes Haus aus Steinen, im Bruche ge - hauen. Mäv weigert Bezahlung, weil er Luft - ſteine gemeint. Frage: Wer hat Recht?

Urtheil des alten Barons.

Mäv. Der Ausdruck: Steine iſt zweifelhaft. In dubiis res ad minimum redigenda est. Mini - mum iſt Luft. Darum ſoll in Zukunft bei Baucon - tracten allezeit die Vermuthung pro interpretatione aeriori, für die luftigere Auslegung ſtreiten, und wer das bisher bräuchlich geweſene ſogenannte ſolide Material genommen, den Schaden haben. Trebaz unterliegt, bekommt kein Geld und zahlt Koſten. V. R. W.

Deine Weisheit ſetzt mich in Erſtaunen, Bru - der Schnuck, ſagte Münchhauſen. Jetzt aber nimm dich zuſammen, denn der dritte Fall ſpielt einiger - maßen in das Geſellſchafts - und Strafrecht.

Zwei Luftactionaire bekommen mit einan - der Streit und der Eine ſchilt den Andern: Windbeutel. Frage: Iſt darin eine Injurie enthalten?

7*100

Urtheil des alten Barons.

Da Wind Luft iſt, nur Luft in Bewegung;

Da Luft, mithin auch Wind, recht eigentlich den Stoff darſtellt, welcher zum Metier der Ac - tiencompagnie gehört;

Da Niemand durch etwas, was zu ſeinem Metier gehört, beſchimpft werden kann, der Ausdruck: Beutel aber ganz unverfänglich iſt; ergehet Sentenz, daß die Actionaire einander Windbeutel nennen dürfen, ohne dafür Ge - nugthuung begehren zu können. V. R. W.

Das finde ich ungerecht, ſagte Karl Butter - vogel, und wer mich als techniſchen Mitdirector ſo nennt, dem gebe ich eine Ohrfeige.

Der Actuarius macht ſich zu laut, ſagte der alte Baron. Gehe Er hinaus, Buttervogel, ich habe überdieß an ſeinen Herrn eine Frage zu rich - ten, bei welcher ich Seine Anweſenheit nicht wün - ſche. Karl entfernte ſich eiligſt.

Der Schloßherr holte aus einem Winkel drei alte beſtäubte Familienbildniſſe hervor, nämlich einen Mann im Harniſch mit Treſſenhut und Com - mandoſtab, einen im ſchwarzen Mantel und weißen Halskragen und einen im lichtblauen Hofkleide;101 ſtellte ſie vor Münchhauſen auf und ſagte: Dieſe ſind meine Ahnen: Athelſtan, Floreſtan und Nere - ſtan von Schnuck-Puckelig. Athelſtan war Gene - ralfeldmarſchall, Floreſtan Kanzler, Nereſtan Ober - ceremonienmeiſter. Kann ich es nun vor ihnen verantworten, daß ich, als Edelmann von alter Familie mich thätig bei einer Unternehmung be - zeige, welche denn doch am Lichte beſehen, keinen andern Zweck hat als Handel und Wandel und Geldprofit, und an welcher allerhand Leute geringer Herkunft Theil nehmen werden, ja, der ſogar ein Bedienter als techniſcher Mitdirector vorſtehen ſoll? Leiden die Standesbegriffe nicht dabei, welche ſonſt erheiſchten, daß der Adel keine Handelſchaft und kein Gewerbe treibe? Sieh, der Zweifel iſt mir in währender Verhandlung aufgeſtoßen.

Münchhauſen verſetzte, daß in gedachter Bezie - hung der Adel mit der Zeit fortgeſchritten ſei, es marchandire heut zu Tage Jedermann, Graf, Frei - herr und Fürſt, wie die geringſte Krämerſeele, unbeſchadet der Standesbegriffe. Der Stand ſei wie der geweihte Charakter der Prieſterſchaft ein unauslöſchlicher, ein Graf dürfe an der Börſe wu - chern und den Juden das Brod vor dem Munde102 wegnehmen und bleibe nichts deſto weniger ein ſo unverſehrter chriſtlicher Graf, wie Einer, und wenn etwa noch ein Kreuzzug nach Jeruſalem zu Stande kommen ſollte, werde ihn keiner der Seinigen von der Entrepriſe zurückweiſen. Indeſſen, ſetzte er hinzu, wenn du darin zu delicat biſt, ſo folge die - ſem ſchönen Gefühle, denn wir haben freilich bei unſerem Luftverdichtungsgeſchäfte mit unterſchied - lichem Pack zu thun, und zarter iſt immer zarter.

Nein, rief der alte Baron, was Andere ſich erlauben, das iſt mir unverboten! Ich habe in ſolchen Dingen gar kein Privat - ſondern nur ein Standesgewiſſen. So wäre denn Alles in Ord - nung; nun wollen wir aber auch auf nichts denken und ſinnen, als wie wir dem Geſchäfte den ſchwung - hafteſten Betrieb geben. Er nahm die drei Familienbildniſſe und trug ſie wieder in ihren Win - kel. Dieſen Augenblick, als der alte Actienſchwär - mer den Rücken wendete, benutzte Münchhauſen und entwiſchte. Er eilte die Treppe hinunter in ſein Zimmer, ſtülpte haſtig den Strohhelm auf das überwachte, glühende Haupt, lief über den Flur zur Thüre, über den Hof zwiſchen den beiden Wappenlöwen, dem ſtehenden und dem liegenden103 hindurch in das Freie, und ſuchte irgend eine ein - ſame Bauerhütte, oder auch nur einen abgelegenen Platz in Wald oder Feld, um endlich Ruhe zu finden fern von dem Schloſſe, in welchem er un - vorſichtigerweiſe die induſtrielle Begeiſterung ent - zündet hatte.

104

Neuntes Capitel. Der Freiherr von Münchhauſen beginnt einen Heroismus im Erzählen zu entfalten.

Einige Zeit wartete der Schloßherr auf die Rückkunft ſeines Freundes, da dieſe aber nicht erfolgte, ſo begab er ſich in ſein Zimmer, legte die Nachtkleidung ab und ſeine gewöhnlichen Ta - geskleider an, welche in einem kurzen polniſchen Schnürrocke von grünem Sommerzeuge, in ſtroh - farbenen kurzen Hoſen und ſchwarzen Kamaſchen beſtanden. Er ſetzte dazu ſeine gelb und ſchwarz gefleckte Seehundsmütze auf, und ging, ein ſpani - ſches Rohr mit porzellanenem Knopf in der Hand, da ihn die Unruhe daheim nicht leiden wollte, in das Freie, um allerhand Fabrikanlagen vorläufig an Ort und Stelle zu überdenken.

105

Draußen roch ihm die Luft natürlich ganz an - ders, als früherhin, wo er über ihre ſteinernen Beſtandtheile noch nicht aufgeklärt geweſen war. Ihr Geruch, den er durch vielfaches Riechen und Schnüffeln ausprüfte, kam ihm ſo kalkicht und gyp - ſern vor; er wußte nicht, wo er früher ſeine Naſe gehabt hatte, ſolches nicht zu merken. Ein Bauer, der am Schloßhofe vorüberging und den alten Baron bei dem einen Wappenlöwen ſtehen ſah, die Naſe ſpürend gegen die Wolken erhoben, grüßte ihn höflich und ſagte: Es ſtinkt verflucht. Merkt Ihr auch etwas? fragte der alte Baron freudig. Wer ſollte das nicht merken? rief der Bauer; ſie brennen drüben Kalk in der Grube, der Stank zieht im Winde weit umher.

Der Syndicus der Luftverdichtungsactiencom - pagnie verachtete herzlich die dürftige Auslegung dieſes armſeligen Bauern und ging quer durch die Dornen über Gras und Anger nach einem freien Platze, der ihm zur Anlegung der Fabrik beſonders tauglich zu ſeyn ſchien, weil dort weit und breit umher die friſcheſte Luft wehte. Er maß den Platz in der Länge und in der Quere durch Schrei - ten ab, notirte die Raummaaße in ſeiner Brieftaſche,106 erwog, wo das Laboratorium ſtehen ſollte, wo das Magazin für die Luftſteine und wo das Comptoir. Hierauf brachte er eine flüchtige Handzeichnung mit Bleiſtift zu Papiere, die ihm ſehr wohl aus - zuſehen däuchte, und worin das Magazin die Form einer Null hatte. Er war recht zufrieden mit dieſen Vorarbeiten und ärgerte ſich nur darüber, daß ihn Münchhauſen bei denſelben im Stiche ließ. Indem er zufällig nach der Abdachung des Platzes, welche von einigen wilden Kaſtanien und Zwerg - eichen beſtanden war, hinunterſah, bemerkte er, daß ein Menſch von ſeiner Raſtſtätte unter einem der Bäume aufſprang und dann fortlief. Dieſer Flücht - ling kam ihm, obgleich er ihn nur von hinten ſah, wie Münchhauſen vor. Er rief ihm nach; der Läufer hörte aber nicht, ſondern rannte querfeldein.

Wirklich war es Münchhauſen, dem auch dort das erzürnte Geſchick noch keinen Frieden gönnen wollte. Ich verſpreche aber den Leſern, ihn nun ruhig irgendwo anders ausſchlafen und ihn vor Abend nicht wieder erſcheinen zu laſſen.

Der alte Baron hatte noch viel an jenem Tage zu thun und lief im Freien hin und her. Am meiſten machte ihm die Ermittelung eines Weges107 zu ſchaffen, auf dem die Luftſteine zur nächſten großen Handelsſtraße geſchafft werden könnten, denn das Land war ringsumher überaus uneben und höckricht. Nachdem er die Pfade, die der großen Straße zuliefen, gründlich an mehreren Stellen unterſucht hatte, entſchied er ſich kurzweg für Anlegung einer Eiſenbahn mit etwa zwölf Tun - nels und fünfzehn gewölbten Brücken. Denn, ſagte er, wer gewinnen will, muß ſich vor den erſten Auslagen nicht ſcheuen. Er überſchlug, daß der Perſonentransport die Koſten mit einbringen helfen werde, denn natürlich kommen, ſagte er, Jahraus Jahrein viele tauſend Reiſende, um dieſe ſo ſehr merkwürdige Fabrik zu beſuchen, die Sehens - würdigkeiten meines Schloſſes gar nicht einmal in Anſchlag gebracht.

Nichts war ihm verdrießlicher, als daß die Fabrik nicht bereits ſtand. Erſt gegen Abend kam er in die Burg ſeiner Väter zurück, ermüdet, ſchweiß - triefend, aber im Herzen fröhlich. Den ganzen Tag über hatte er an Speiſe und Trank nicht gedacht, und nun mußte er mit einem ziemlich oberflächlich behandelten Rührei nebſt einem ver - ſottenen halben Grashechte fürlieb nehmen. Wer108 mich zwiſchen dieſen kahlen Wänden, an dem ſchlech - ten kiefernen Tiſche, dem ausgekochten Fiſchlein und der brenzlichten Eierſpeiſe gegenüber ſitzen ſähe, müßte mich für einen verlorenen Mann und Hun - gerleider halten, ſchmunzelte er. Wo iſt da, menſchlichem Gedenken nach die Hoffnung irgend einiges Glückes erſichtlich? Und doch ſteht das Glück nahe, ganz nahe, denn ſechsmalhunderttau - ſend Luftſteine hat noch nie ein Schnuck zu beziehen gehabt. Wahrlich, es iſt ein eigenes Ding um das Geſchick des Menſchen. Der Menſch kann durch Unmuth zur Verzweiflung gebracht, in ſeinem Zimmer die Piſtole laden, ſich zu erſchießen, wäh - rend unten an der Thüre ſchon der Poſtbote klopft, ihm den Brief mit der Nachricht von der reichen Erbſchaft des unbekannten Vetters aus Surinam zu bringen. In gegenwärtiger Zeit iſt nun der erfin - dende Geiſt des Menſchen, der in einem Augenblicke Leid in Freude, Klage in Jauchzen verwandeln kann, der reiche Vetter aus Surinam; unterdeſſen freilich ſchmeckt dieſer Grashecht ſehr zähe und faſt wie Leder.

Etwas ſpäter kehrte Münchhauſen heim, aus - geſchlafen, neugeſtärkt, mit hellen, grellen Augen. Er fühlte in ſich Kraft und Muth, dem Alten die109 Spitze zu bieten, und war entſchloſſen, ihn heute Abend nicht zu Worte kommen zu laſſen, ſondern ihn, ſo zu ſagen, danieder zu erzählen. Es freute ihn, als er hörte, das Fräulein ſei unpaß und werde deßhalb nicht von der Geſellſchaft ſeyn; ſo durfte er ſich auch vor ihren Fragen und Bemer - kungen ſicher halten. Weil aber ein Vorleſer den Faden ununterbrochener in ſeiner Hand zu behalten vermag, als ein Erzähler, ſtopfte er auf ſeinem Zimmer ſich einige geſchriebene Hefte voll der un - gereimteſten Erzählungen in die Bruſttaſche ſeines Rocks, und trat ſo gerüſtet zu ſeinem Wirthe ein, der eben von Karl Buttervogel den halben Gras - hecht abräumen ließ, von dem er nur ein Weniges hatte genießen können.

Aha, rief der Alte Münchhauſen entgegen, kommt der Ausreißer endlich? Ich habe mit Ihm noch ein Hühnchen zu pflücken. Läßt da Seinen Vertrauten und Compagnon in der Sonnenhitze allein die Arbeit thun! Wenn Ruhe zn dergleichen Unternehmungen gehört, ſo können ſie doch auch ohne Betriebſamkeit nimmer gerathen. Vergönne mir, dich daran zu erinnern. Und nun ſetze dich her, ſieh hier den Grundriß, den ich entworfen, und110 laß uns darüber in eine umſtändliche Berathung treten, damit der Bau begonnen werden kann.

Längſt hatte Münchhauſen ein Heft aus ſei - nem Buſen geriſſen es entfaltet, und auf ſeinen Augenblick gewartet. Jetzt, als der alte Baron eine Pauſe machte, um Athem zu ſchöpfen, ſetzte er rund und raſch ein und las mit unhemmbarer Schnelligkeit, wie folgt.

111

Ich. Fragment einer Bildungsgeſchichte.

Mein ſogenannter Vater, welcher den häusli - lichen Unfrieden, von dem ich die unſchuldige Ur - ſache war, nicht länger ertragen konnte, ſagte zu meiner angeblichen Mutter: Desdemona, es muß geſchieden ſeyn. Ich habe es geduldet, daß du mir täglich einige und dreißigmal ſagteſt, du ſeieſt meine Gattin nicht aus Liebe zu mir, ſondern aus Achtung für meinen ſeligen Vater, den Lügner, geworden; geduldet ſechszehn Jahre und neun Monate lang, aber daß du dieſen armen Wurm, den ich mir habe ſauer genug werden laſſen, beſtändig knuffſt, wo du ihn ſiehſt, verletzt mein Gefühl allzuſehr. Lebe wohl, Desdemona, wir wollen einander nicht fluchen, wir wollen an einander ſchreiben, aber mit einander leben können wir nicht länger.

112

Er lockte mich mit einem Zuckerplatz zu ſich, ſteckte mich, da ich noch nicht gehen und ſtehen konnte, obgleich ich übrigens bereits klüger war als mancher Dreißiger, in ſeine linke Rocktaſche und ſtürzte ab, während die verlaſſene Gattin ſich im Gefühle weiblicher Würde an das Fortepiano ſetzte und: Nach ſo viel Leiden u. ſ. w. ſang.

Mein Vater ſtürzte die Dorfſtraße hindurch, er ſtürzte auf die Straße nach Braunſchweig. Ich bat ihn langſamer zu gehen, die heftige Bewegung mache mir Schmerzen, und wirklich zerſchlug ich mir beinahe die Naſe an ſeinem Beine, gegen wel - ches die linke Rocktaſche flog. Er aber hörte nicht auf mich, ſondern ſtürzte immer heftiger fort, unter Thränen rufend: Du ſollteſt ein Opfer jenes böſen Weibes werden, du ſauer zubereiteter Wurm? Dem ſei nicht alſo. Du biſt das Product meiner tiefſten Studien, mein liebſtes Kleinod, mein theuerſter Schatz! Ich litt unausſprechlich bei den Ausbrüchen dieſer heftigen Zärtlichkeit und bei den durch ſie hervorge - brachten ſtürmiſchen Bewegungen der Rocktaſche. Da - mals ſchöpfte ich die erſte Erfahrung von dem Satze, daß die Menſchen, wenn ihre Liebe recht heiß iſt, dem Gegenſtande derſelben hundsübel machen können.

113

Zum Glück kam ein Poſtillion halben Weges mit einer leeren Extrachaiſe von Braunſchweig retour gefahren; den beſtach mein ſogenannter Va - ter, der Schwager verrieth für einen Species ſeine heiligſten Pflichten, nahm uns auf, kehrte um und ſetzte uns vor Braunſchweig ab. Dort miethete mein Vater einen Hauderer, der uns über Scheppenſtedt, Magdeburg, die Wallachei hindurch nach Theſſalonich fuhr. In Scheppenſtedt ſollte gerade damals eine allgemeine deutſche Academie errichtet werden, in Magdeburg war Landestrauer, weil die Klöße in dem Jahre nicht gerathen wollten, in der Wallachei werden lauter Wallachen gezogen, bei Theſſalonich kommt man ſchon in das Türkiſche.

Wenn ich nur nicht immer in der Rocktaſche hätte ſitzen müſſen! Ich hatte den brennendſten Drang nach Selbſtſtändigkeit, nach unumſchränkter Beobachtung, und mußte da immer zwiſchen Schin - ken und Semmel und Sauerbraten verächtlich zu - bringen, denn mein Vater pflegte auch ſein Frühſtück in die linke Rocktaſche zu ſenken, und ich durfte nur ſo eben aus der Schlitze gucken. Ich ſagte zu meinem Vater in jedem Nachtquartiere: Papa, die Taſche ſteht mir nicht mehr an, laſſen Sie michImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 8114neben Ihnen ſitzen. Er aber gab mir dann jeder - zeit einen väterlichen Kuß und ſchlug mir meine Bitte ab, weil ich ihm, wie er ſagte, außer der Taſche verloren gehen könne. Mein jugendlicher Frohſinn ſchwand in der Taſche, ich fühlte, daß ich mich ſelbſt mündig ſprechen müſſe, und wartete auf die erſte günſtige Gelegenheit, dieſen Entſchluß auszuführen.

In Theſſalonich machten wir Halt und bezahl - ten unſern Hauderer. Der Hauderer erhielt gute Rückfracht, nämlich einen gefühlvollen, liberalen Ruſſen mit ſeinen vier friſch angekauften circaſſiſchen Sclavinnen. Bei Theſſalonich geht wie geſagt, ſchon das Türkiſche an. Mein Vater wollte dort ein Mittel gegen die Emancipation der Frauen ausfindig machen, und ich ſollte Cadett bei den Janitſcharen werden, ſobald ich gehen und ſtehen könne. Wir hatten Empfehlungsbriefe nach der Türkei von Hannover mitgenommen. Indeſſen wendete das Schickſal Alles gar anders.

Mein Vater (ich mag nicht immer das Beiwort: Sogenannt, hinzufügen, verſteht ſich alſo in Zukunft von ſelbſt) ging viel ſpazieren, hauptſächlich um meinetwillen, um, ſo ſagte er, mir früh Empfindung115 für die ſchöne Natur beizubringen, überlegte nur nicht, daß ich in der linken Rocktaſche von der ſchönen Natur wenig zu ſehen bekam und ihm daher in meiner Finſterniß auf das Wort glauben mußte, wenn er ſtillſtehend, oder zwiſchen ſeinen Beinen durchguckend, in welcher Poſitur die Land - ſchaft immer am reizendſten ausſieht, von der gött - lichen Ausſicht, von der blauen duftigen Ferne und dem goldenen Morgen - oder Abendrothe laut ſchwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigſtens in einen ſeiner Stiefeln ſtecken, wie die Samojeden ihre Kinder bei ſich führen er trug weite Schlapp - ſtiefeln mit ſeidenen Troddeln vorn jedoch ver - gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner - träglich und ich weinte oft die linke Rocktaſche ganz naß.

Eines Tages ſaß mein Vater mit dem Rücken gegen einen Oelbaum gelehnt, ſah die Sonne untergehen und war außer ſich über ihren purpurnen Widerſchein im Meerbuſen von Theſſalonich. Sonſt pflegte er bei allem Enthuſiasmus die Hände in der Taſche zu halten, ſo daß kein Entrinnen ge -8*116denkbar war. Dieſesmal übermannte ihn aber ſeine Begeiſterung, er ſchlug unter Interjectionen die Hände über dem Kopfe zuſammen, und ich benutzte den Augenblick, um aus der Taſche zu ſchlüpfen. Da ſah ich um mich, da athmete ich, da ward mir wohl nach langer Kerkerhaft. Ich kroch, ging, ſtolperte, lief ein wenig, wie es eben glücken wollte, während mein Vater ſeine Rede an Sonne und Meer fortſetzte. Ich war eben in der Furcht vor Schlägen auf dem Rückwege nach der Taſche denn mein Vater züchtigte mich ungeachtet aller Liebe ſehr oft in der empfindlichſten Art als das Verhängniß mit mir die wunderlichen Spiele begann, welche ſich ſo lange fortſetzen und mir die eigen - thümlichſten Erfahrungen geben ſollten.

Plötzlich fühle ich mich nämlich von einem gro - ßen, dunkeln Etwas überſchattet, höre einen Lärmen, wie wenn ein Baum knattert und fällt, fühle ein rauhes Gefieder und zwei ſcharfe Krallen an meinem Leibe, ſehe mich pfeilſchnell erfaßt, in die Lüfte geführt, wolkenhoch emporgetragen. Mit Entſetzen erkenne ich mein Loos, und rufe mir zu: Du biſt in den Fängen eines Lämmergeiers, du armer, deinem Vater ſo ſauer gewordener Wurm! Warum,117 Unglücklicher, verließeſt du die Taſche? Die Lage des Kindes war ſchaudervoll! Ueber mir der goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders, welches dem Geier ſeine Beute mißgönnt, tief, ſchwindlicht tief unten Land und Meer wechſelnd als dunkele und blanke Streifen! Der Geier fliegt und fliegt; er iſt ein Geier, der auf Reiſen geht und ſich ſeinen Mundproviant hat mitnehmen wollen. Das Ungeheuer ſchreit beſtändig: Pfy! Pfy! Da rufe ich mit dem Witze der Ver - zweiflung: O, wenn du Pfy! ſchreien kannſt, ſo rufe doch zuerſt über dich Pfy! aus, abſcheulicher Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr als unredliche Handlungsweiſe! Nach der Natur - geſchichte fällſt du zuweilen ausnahmsweiſe Hirten - knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Haſt du nicht ſelbſt Kinder, Barbar? Jammert dich der Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen den Oelbaum gelehnt ſitzt, vermuthlich noch immer die Sonne ſinken ſieht, und an den Sohn in der Taſche glaubt?

118

Ich war, man ſieht es hieraus, über meine Jahre gereift. Der Geier kehrte ſich aber an meine Reden nicht, ſondern flog und flog.

Ein Blitz, ein Knall, ein Fall! Aus unermeß - licher Höhe ſtürze ich hinab; mir vergeht Hören und Sehen. Als ich von meiner Betäubung er - wache, liege ich weich gebettet, und ohne daß mich eines meiner Glieder ſchmerzt. Ich ſehe mich auf dieſer Lagerſtätte um; ſie iſt ein Carbonaro-Mantel von blauem Tuch, ausgeſpannt zwiſchen zwei Ta - marisken. Ein langer, bleicher Mann ſteht neben den Bäumen, die abgeſchoſſene Percuſſionsflinte in der Hand, der fürchterliche Geier liegt einige Schritte davon blutig am Boden, ſchlägt mit den Flügeln und zuckt und ſchnappt in letzten Zügen. Etwas weiterhin graſet, abgezäumt, ein Reitpferd.

I killed the vulture, ſagte der großmüthige Britte nachdenklich, hob mich vom Carbonaroman - tel herunter, hielt mir ſeine Hand zum Kuſſe hin und fuhr gleichgültig fort: Yon shall stand in - debted for it all your life, Sir. Adieu.

Er zäumte ſein Pferd auf, ſchlug den Carbo - naro maleriſch um die Schultern, beſtieg den Klep - per und ritt fort. Um Gotteswillen, Mylord,119 habt Ihr mich darum gerettet, um mich in dieſer Einöde dem Hunger, dem Durſt, den wilden Thie - ren Preis zu geben? rief ich. Bei der Gnade des Himmels! nehmt mich auf der Kruppe Eures Pferdes mit. You would deprive me of my comfort, verſetzte der großmüthige Engländer kalt und ritt wirklich fort, ſo daß ich ihn bald aus dem Geſichte verloren hatte. Elender, ſagte ich dumpf, iſt dieſes die Großmuth Albion’s? Du dachteſt an dein Jagd - vergnügen und nicht an das gebildete Kind gebil - deter Eltern, an den ſauer zubereiteten Wurm ſeines Vaters, als du ſchoſſeſt. Geh, falſcher, heuchleriſcher Britte, wir ſind quitt! Bewaffne dich mit dem ganzen Stolze deines Englands, ich, ein deutſcher Knabe, verwerfe dich!

Durch dieſen Monolog fühlte ſich meine Seele erhoben und gekräftigt. Ich empfand zugleich, was ich meiner Ehre gegen den verruchten Geier ſchul - dig war, der noch immer ſchnappte und jappte, trat daher zu ihm und ſagte: Ein anderesmal ſehen Sie beſſer zu, wen Sie vor ſich haben, Federvieh! Die Naturgeſchichte erlaubt Ihnen, ausnahmsweiſe auf Hirtenknaben zu ſtoßen, nicht aber auf gebildete Kinder gebildeter Eltern. 120 Der Geier drehte ſeinen borſtigen Schnabel matt nach mir um und verſchied ſodann, wie es mir vorkam, mit einiger Reue in den Augen.

Ich betrachtete mir die Gegend. Nichts als Felſen und Klippen, eine über der andern, und in der Ferne noch höhere Kuppen! Flechten, Mooſe und Haiden bedeckten den Stein, Alpenröslein zeigten die rothen Kronen, wilder Lorbeer, Tama - risken, Johannisbrodſtauden ſtanden in leichten, dünnen, maleriſchen Gruppen umher. Ich war auf einer bedeutenden Höhe, denn die Luft zog ſcharf und kühl, allem Vermuthen nach auf einem der berühmten griechiſchen Berge, denn der Geier war mit mir ſüdweſtlich geflogen, aber auf welchem? Ich befand mich in der peinigendſten Ungewißheit über dieſen Punct, weil ich einſah, daß es vor allen Dingen nöthig ſei, mich örtlich zurecht zu finden, um den richtigen Weg nach Theſſalonich und der linken Rocktaſche einzuſchlagen, die mir bei den ſchweren Erfahrungen, welche ich in ſo kurzer Zeit über Geier und Engländer gemacht hatte, ſchon jetzt wie ein verlorenes Paradies vorkam.

Aber wie dieſe Kenntniß erlangen? Die Ge - gend ſchien ſo einſam, daß kein Thier, geſchweige121 denn ein Menſch ſich erblicken ließ. Ich wollte anfangs das Geſchick befragen und an meinen Ja - ckenknöpfen abzählen, ob ich auf dem Oeta, Par - naß, Olymp, Pindus oder Helikon ſtehe? veewarf aber dieſes Auskunftsmittel als zu kindiſch und meiner nicht würdig.

Das Dunkel nahte ſich, die Kuppen der Berge wurden violett, Hunger und Durſt begannen mich zu peinigen, und ich ſtand noch immer allein da droben, ich und der todte Geier die einzigen leben - den Weſen in jener Einöde! Mich fror in meiner leichten türkiſchen Janitſcharencadettenuniform, die mir mein Vater ſchon hatte machen laſſen! Sie beſtand in weißen Pumphöschen, in einem auf europäiſche Art zugeſchnittenen rothen Collet mit gelben Litzen und in dem Turban, der damals noch nicht abgeſchafft war. Ein kleiner blecherner Säbel klirrte an meiner Seite und einen Schnurr - bart trug ich auch, vorläufig einen mit Kohle ge - zeichneten.

Um wenigſtens meinen Durſt zu löſchen denn gegen den Hunger gab es da freilich nichts, als Stengel, Blätter und Alpenroſen kroch ich zu einer Quelle, welche zwiſchen grünlichen Klippen122 hervorſprudelte und an dieſem ihrem Urſprunge von einigen der ſchönſten Lorbeern überſtanden war. Ich ahnete, daß es mit dieſem Waſſer eine eigene Bewandniß haben müſſe, denn Gewalt und Klar - heit wohnten in ihm ſo nahe bei einander, daß es kein gewöhnlicher Spring ſeyn konnte. Ziſchend und ſchäumend drang der Strahl unter dem moo - ſigen bekräuterten Steine an das Licht, als koche er, und einen Schritt weiter floß ſchon das klarſte beryllgrünſte Naß ohne Unruhe, Schaumblaſen, Wirbel in ſeinem Rinnſaale.

Ich bückte mich zur Quelle und netzte meine Lippen, aber wie wurde mir da! In meinen Ein - geweiden that es ein Grimmen, in meinem Blute ein Wallen, in meinen Gliedern ein Glühen, in meinem Herzen ein Klopfen, in meinem Haupte ein Schwärmen! Die wunderſamſten Phantaſtereien begannen mir vor den Sinnen umherzugehen. Meine rothe Janitſcharencadettenuniform kam mir vor wie das rothe Meer, meine weißen Pumphöschen leuchteten mir wie der Schnee der Alpen und mein kleiner blecherner Säbel gemahnte mich wie das Schwert des Alexander. Ich öffnete die Lippen, und ſie ſprachen unwillkührlich:

123
Geſperret lange Zeit in eine Taſche,
Selbſtſtändigwerdenwollend ausgekrochen,
Nahm in die Krallen dich der Gei’r, der raſche,
Dem Albion’s Großmuth drauf den Hals gebrochen,
Und als dir nun geſunken die Courage,
Fühlſt du in Grimmen, Glühen, Wallen, Pochen
Dein Herz gelöſet fluthen gleich der Thräne
Des Stocks im Lenz, am Born der Hippokrene!

Ja, ich hatte unverſehens aus der Hippokrene getrunken und war ſonach am Helikon! Mein Lippen öffneten ſich abermals und ſcandirten un - willkührlich:

Sauerbereiteter Wurm des gütigſten Vaters,
Für die Cadettenanſtalt des größeſten Sultans
Mit dem Säbel aus Blech bewaffneter Knabe,
Streife das rothe Collet und die weißen battiſtnen
Höschen vom Leibe dir ab und glänze in reiner
Claſſiſcher Nacktheit!

Wirklich warf ich Säbel, Collet, Turban, Pumphöschen, kurz Alles und Jedes ab, wälzte und kugelte mich wie toll umher, unwillkührlich, von dem Muſenwaſſer getrieben. Schon hatten ſich wieder neue Bilder in meine Seele und Weiſen auf meine Lippen gedrängt; ich ſang:

Feinsliebchen, wenn du ſucheſt mich,
Trala!
124
Du findeſt mich ganz ſicherlich
Saſa!
Wie bei der Lamp ich ſitz und mach
Ein Liedchen für den Almanach!
Feinsliebchen, weißt du, was das iſt?
Trala!
Ein Büchlein voll von Jeſuchriſt
Saſa!
Und Blümelein und O! und Ach!
Das iſt der Muſenalmanach!

Ich hatte raſch den Entſchluß gefaßt, einen Muſenalmanach zu ſchreiben, ganz allein ich ſelbſt; um mir mein Brod zu verdienen, denn rief ich

Warum denn Andre brauchen und deren Inſtrumente?
Ein rechter Virtuoſe ſpielt jedes Inſtrumente.
Er bläſ’t mit ſeinem Munde, dem Finger fünfe dienen,
Das Lippenhauchgenährte, das Flöteninſtrumente,
Und ſtreichet mit dem Bogen, geknüpft am Ellenbogen,
Das Saitenſtegbewehrte, das Geigeninſtrumente,
Derweil an ſeinen Schenkeln ſich hellen Schalles ſtößet
Das Kindern klingklangwerthe, das Beckeninſtrumente,
Und Klöpfel an den Knieen mit muth’ger Rührung
rühren
Das Keſſelbauchbeſchwerte, das Paukeninſtrumente,
Von ſeinem Haupte aber die Glöcklein ſchwingend
bimmelt
Das Roßſchweif nie entbehrte, das Halbmondinſtru -
mente.
So mit Gebläſ und Streichen, mit Stoßen, Rühren,
Bimmeln
125
Sah ich, als ſein der Meiſter fünf da der Inſtrumente,
’Nen Einz’gen jüngſt noch ſpielen am Markt das
mannichfalte
Flöt-Geige-Becken-Pauken - und Halbmondinſtru -
mente.

Damit war meine Begeiſterung noch nicht er - ſchöpft. Formen und Verſe, Weiſen und Reime, Laiche, Stollen, Stanzen, Aſſonanzen, Diſſonanzen, Decimen, Canzonen, Terzinen, Handwerksburſchen - lieder, Sprichwörtlich, Africaniſches, Madecaſſiſches, an Perſonen, Gelegenheit, Denk - und Sendeblätter, Runenſtäbe, Gepanzertes und Geharniſchtes, Blät - ter und Blüthen, Schutt alles Dieſes und noch unendlich viel mehr entquoll meinen unermüdlich vom Waſſer bewegten Lippen, ſo daß ich glaube; ich armes nacktes Kind habe da droben auf dem Helikon an jenem Abende in wenigſtens ſechs Dut - zenden der verſchiedenſten Arten und Weiſen meine Kindlichkeit lyriſch ausgeſprochen. Ich weiß nicht, ob ich mich nicht todt geſchrieen haben würde und ein lyriſches Opfer geworden wäre, hätte nicht das Schickſal, welches mich ſchon aus den Fängen des Geiers rettete, nunmehr mich auch von den Folgen jenes hippokreniſchen Sauerbrunnens befreit.

126

Auf einmal nämlich, als ich eben anſetzte, meine Empfindungen im Geiſte eines enthaupteten Hottentotten auszuſtrömen, fühlte ich mich von allen Seiten angerannt, übergerannt, beſchnoppert, be - leckt, befühlt, beſtoßen, betrampelt. Zu Boden ge - worfen, ſah ich nichts über mir und um mich als gelbe Augen, dürre Beine, rauche bärtige Geſichter. Eine Heerde wilder Ziegen war mit ihren Zicklein znm Orte gekommen und übte an mir dieſe etwas ſtürmiſche Bewillkommung aus. Mein anfängli - cher Schreck dauerte indeſſen nur wenige Augen - blicke; ich erkannte ſehr bald, daß ich gutmüthigen Weſen in die Pfoten gefallen war, die nur durch ihre Individualität beſtimmt wurden, ſo unbequem ihre Freude über den Fund des kleinen Lyrikers zu äußern. Das waren keine blutdürſtige Läm - mergeier, es waren ſanfte, milde Ziegen mit den beſten Herzen. Sie riefen alle im Chore: Ach, der arme Kleine! der Verlaſſene! Da liegen ſeine Häute, er muß eine fürchterliche Krankheit gehabt haben, wovon ſie ſich abgeſchält haben, nun ſieht er wie geſchunden aus. Laßt uns ſeine Wunden lecken! der Jammervolle! Ich mußte im Stillen über dieſe unerfahrenen Ziegen lächeln, welche meine127 Janitſcharencadettenuniform für einen abgeſtreiften Balg und meine heile, weiße Haut für geſchunden anſahen, beſchloß indeſſen Achtung vor dieſer Volks - meinung zu haben und nicht übereilt mir durch Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen zu ſchaden. Indeſſen war ich doch bald genöthigt, Einſpruch zu thun, denn alle Ziegen leckten in ihrer wohlthätigen Abſicht ſo eifrig an mir umher, daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte. Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen Ziege, welche mir die älteſte und verſtändigſte zu ſeyn ſchien, mit meinen kindlichen Händen, drückte es an mein Herz und ſagte: Ehrwürdige Mutter, ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Ver - trauen Sie der Natur, und überlaſſen Sie ihr die Nachheilung meiner Ihrer Anſicht zu Folge wunden und geſchundenen Haut! Wirklich ließen die gut - müthigen Ziegen, ſobald ſie meinen Wunſch ver - nommen hatten, von ihrer Leckkur ab.

Die Zicklein, welche bisher dieſe Scene der Barmherzigkeit mit poſſirlichen Mienen und Ge - bärden umſtanden hatten, drängten ſich jetzt, entſetzt ſeitwärts blickend, den Müttern ſo innig an, wie die jüngſte der Niobiden dem Schooße, der ſie doch128 nicht vor den ſchrecklichen Pfeilen zu bergen im Stande war. Sie ſchrieen meckernd: Der Geier! der böſe Geier! und zitterten und bebten, als ob jener todte Böſewicht ſie noch freſſen könnte. An - fangs ſchauerten auch die Mütter bei ſeinem An - blicke zuſammen, indeſſen faßten ſie ſich bald und beruhigten die Zicklein mit verſtändigem Meckern. O, rief eine der Ziegen, wie vielen Dank ſind wir dieſem armen kleinen Findlinge ſchuldig! Ohne ihn würden wir wahrſcheinlich den Verluſt eines von Euch, Ihr theuren Kinder, zu beweinen haben! Der Lämmergeier ſah aber ihn und nahm ihn an Eurer Statt in die Lüfte! Hier erwachte mein ganzer Stolz, und auf die Gefahr hin, es mit dieſem Ziegenvolke auf der Schwelle unſerer neuen Bekanntſchaft zu verderben, ſprach ich: Meine Damen, Sie ſind im Irrthum. Daß jener Räuber mich für einen Hirtenknaben hielt, den er nach der Naturgeſchichte ausnahmsweiſe zuweilen anfallen darf, war ſchon unverzeihlich von ihm, daß er mich aber gar für ein Ziegenlamm hätte halten ſollen, dazu traue ich ihm denn doch zu viel Verſtand zu. Das Wundfieber phantaſirt aus ihm, riefen alle Ziegen, er weiß nicht, was er ſpricht. Meine129 Schweſtern, hob die älteſte der Ziegen an; uns dieſes kleinen verlaſſenen Weſens anzunehmen er - fordert unſere Ziegenpflicht; um ſo mehr, da es ein Opfer für eines unſerer Kinder geworden iſt. Bringen wir denn es vor Allem unter Obdach, und ſpäterhin wollen wir überlegen, was von uns für ihn geſchehen kann!

Die Heerde ſetzte ſich in Bewegung, die Müt - ter voran, die Zicklein folgend. Die Mütter ſtießen mich mit ihren Köpfen vorwärts; ich weinte und ſchrie, daß ich erſt meine Janitſcharencadettenuni - form wieder anziehen wolle, denn die claſſiſche Nacktheit beginne mir froſtig zu werden, davon aber wollten die Ziegen nichts wiſſen, ſondern hielten es für eine neue Fieberphantaſie, daß ich in jene kranken Hüllen kriechen wolle. Ich mußte mich daher fügen, klammerte mich zwiſchen zweien der Geſetzteſten mit den Händen an deren Zottelpelzen an, und konnte ſo nothdürftig mit der Heerde mich fortbewegen.

An Abgründen vorbei, auf rauhen Pfaden, über welche meine thieriſche Geſellſchaft ſicher ging, ge - langten wir zu einer großen Felſenhöhle, dem von der Natur gebildeten Stalle dieſer wilden Ziegen. Räumlich und wohnlich war die Höhle, ein warmerImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 9130Hauch ſchlug aus der tiefen Wölbung meinem frierenden Körper wohlthuend entgegen, der Boden und die Seitenwände waren mit weichem Mooſe ausgepolſtert, das ertaſtete ich, als wir hineingin - gen. Der ſüße, aromatiſche Duft des Thymians, welcher auf jenem Gebirge überall blüht, drang in die Höhle, kurz, dieſer Aufenthaltsort konnte nicht tröſtlicher gedacht werden, wenn man einmal von der linken Rocktaſche ſeines Vaters verbannt ſeyn ſollte.

Die Ziegen ſtreckten ſich auf dem weichen Mooſe nieder und begannen ihr Wiederkäuungsgeſchäft, die Zicklein legten ſich ihnen an die Euter, und ſogen, aber was wurde aus mir, dem Fremdlinge ohne Familienverbindungen in dieſem Kreiſe? Traurig ſaß ich in einer Ecke auf meinem Moosklumpen, hungerte und durſtete. Endlich erſuchte ich be - ſcheiden auch um einige Milchnahrung, wenn die Kinder des Hauſes geſättigt ſeyn möchten. Glaubſt du denn, rief die älteſte der Ziegen, welche die Andern Siſi nannten, daß wir dich nicht längſt auch zu unſern Nahrungsquellen herbeigelaſſen ha - ben würden, wenn wir nicht wüßten, daß dein Wundfieber jede Ueberladung des Magens tödtlich machen kann? Ich bat ſie bei den Häuptern ihrer131 hoffnungsvollen Lämmer, es darauf zu wagen, ich verſchmachte ſonſt, worauf ſich unter der Heerde eine ziemlich lebhafte Verhandlung über die Zuläſ - ſigkeit oder Nichtzuläſſigkeit des Säugens in meinem Zuſtande ergab, welche in den Beſchluß auslief, daß mir ein Weniges an Milch wohl verſtattet werden möge. Froh über dieſe Entſcheidung kroch ich zur barmherzigen Siſi und ſog die erſehnte, heilſame Nahrung in mich. Als ich aber im beſten Saugen war, wurde ich ſchon wieder abgeſtoßen, weil ein Mehreres, wie die um mich beſorgten Zie - gen ängſtlich ausrieſen, mir ſicherlich ſchaden würde. Ich war daher nur halbſatt geworden, indeſſen doch vor dem Hungertode nunmehr geſchützt.

Ueber meine Nachtruhe entſtand darauf eine zweite Verhandlung, welche ein Streit zu werden drohte, denn die Ziegen waren gegen mich ſo liebevoll geſinnt, daß Jede mich in ihren Pfoten erwärmen und Keine mich der Andern gönnen wollte. Ich mußte vorausſehen bei dieſem Liebesfeuer die ganze Nacht über ungewärmt zu bleiben, rief daher: Wohlthätige und rechtſchaffene Ziegen, theilt Euch in Euren kleinen Lyriker, laßt ihn bei Jeder von Euch eine halbe Stunde liegen! Dieſer Vorſchlag9*132fand Beifall, zuerſt nahm mich die alte Siſi in ihre Pfoten, dann die Riri, dann die Quiqui, dann die Nini, dann die Mimi, dann die Lili, dann die Pipi, dann die Fifi, dann die Bibi, dann die Didi, dann die Wiwi, dann die Kiki, endlich und zuletzt Morgens gegen vier Uhr die Zizi, die jüngſte dieſer meckernden Grazien. Denn dieſe Namen, alle in i endigend, führten die zwölf Ziegen, aus denen die Heerde beſtand. Ich hatte ſie durch ihre Geſpräche zufällig erkundet. Was meine Nacht be - traf, ſo war ſie freilich unruhig, denn ich hatte faſt nichts zu thun, als mich niederzulegen und wieder aufzuſtehen, indeſſen erfror ich doch nicht.

Wundert Ihr Euch, daß ich das Gemecker der Ziegen ſo bald verſtehen lernte? Ihr hättet Euch eher darüber verwundern ſollen, daß ich den Engländer verſtehen konnte.

Betrachtungen über mein ſonderbares Schickſal raubten mir den wenigen Schlaf, den mir der Wechſel meiner zwölf Wohlthäterinnen allenfalls noch hätte verſtatten mögen. So biſt du denn, dachte ich, indem du deine Selbſtſtändigkeit er - ringen wollteſt, in die Klauen eines Uſurpators und darauf nach kurzem lyriſchem Taumel unter133 das Vieh gerathen, von welchem du nicht einmal für voll angeſehen wirſt.

Erlaube mir, rief hier der alte Baron, da Münchhauſen einen Augenblick inne hielt, dieſe hirnloſen Geſchichten zu unterbrechen und mit dir von unſerer Fabrik

Sogleich, verſetzte Münchhauſen, meine Erzäh - lung geht zu Ende.

In den nächſten Tagen beſuchte ich mit den helikoniſchen Ziegen und ihren Zicklein die Weide. Ich muß ihnen das Zeugniß ertheilen, daß ſich die Ziegenmütter gegen mich immer gütig und liebevoll betrugen, und daß auch ihre Kinder nicht allzuarg mit mir umgingen, obſchon dieſe freilich, muthwillig, wie die Jugend einmal iſt, allerhand neckende Poſſen trieben, welche auf mich Bezug hatten, z. B. ſich gegen mich bäumten, mir über den Kopf wegſprangen, nach mir ſtießen, und was dergleichen Schalksthorheiten mehr waren, die ich als gebildetes Kind gebildeter Eltern nur verachten konnte. Du biſt unter Ziegen, ſagte ich zu mir ſelbſt, wenn der Grimm in mir überwallen wollte,134 vergiß das nie, kleiner Münchhauſen, du ſauer zu - bereiteter Wurm deines Vaters. Ich fühlte, daß ich mich dem Zuſtande, in den mich nun einmal die Fänge des Geiers und die Kugel des groß - müthigen Engländers geworfen hatten, anbequemen müſſe, verſuchte alſo zuvörderſt auf allen Vieren zu laufen, da ich ohnehin auf meinen beiden kleinen menſchlichen Füßen noch nicht recht fortkommen konnte, und beſtrebte mich außerdem, auf jene bäumenden, ſpringenden, ſtoßenden Scherze einzu - gehen, freilich nicht ahnend, wohin dieſes Anbe - quemungsſyſtem führen ſollte.

Wenn die gütigen und liebevollen Ziegenmütter ſich nur nicht von vorgefaßten Ideen ſo ſehr hätten leiten laſſen! Aber es war meinen Bitten unmög - lich, ſie zu bewegen, daß ſie mir meine Janitſcha - rencadettenuniform zukommen ließen; ſie blieben ſteif und feſt dabei, daß dieſes Collet, dieſe Hoſen, dieſer Turban Ueberbleibſel krankhafter Häutungen ſeien. Nackt war ich alſo, und nackt blieb ich, ſo daß mich in den erſten Tagen meines ziegenhaften Lebens entſetzlich fror, bis die Haut eine Gegen - wirkung zu entwickeln begann, welche den erkälten - den Einfluß der Luft allgemach aufhob. Auch von135 der Milch bekam ich immer nur halbe Portionen aus Sorge um mein angebliches Wundfieber. Oft knurrten meine Eingeweide vor Hunger. Bei allem dem war ich der Liebling der ganzen Heerde und ſämmtliche zwölf Ziegen auf i nannten mich nur ihren herzigen Jungen. Ich hatte meine Verwun - derung darüber, ſo viel Menſchliches unter dem Volke zu finden, welches doch, wie ich aus allen Reden und Aeußerungen, die ich hörte, abnahm, in einer völligen Einſamkeit und Abſonderung von der übrigen Welt auf dieſen helikoniſchen Höhen erwachſen war, und gegen die Menſchen, von denen es nur durch Hörenſagen wußte, eine ſo tiefe Verachtung hegte, wie die tugendhaften Houyhnhnms des Dechanten Jonathan Swift gegen die ſünd - lichen Yahoos.

Das Leben einer Ziege, inſonderheit einer wil - den, hat ſonſt viel Schönes. Der erſte Frühſtrahl drang golden, wie ihn die Ebene nicht kennt, in unſere Höhle und beleuchtete ihre mooſigen Klüfte, vor denen nach dem Tage zu leichte Geflechte wil - den Weines und bunter Winden hingen. Rothe Lichter und farbige Schatten umſpielten die Heerde, die umher an den Steinen und Mooswülſten noch136 lag und ſchlummerte, bald aber ſich erhob und die Glieder dehnend in den Morgenwind hinausſchritt, der die Waldreben und Winden ſäuſelnd bewegte. Wie herrlich glänzte dann der hohe Gebirgsrücken mit ſeinen tauſend Zacken und Klippen vor uns, wie nagte geſchäftig der ſcharfe Zahn an den wür - zigen Kräutern, die ihn bedeckten, wie leckmäulerig wurde, wenn dieſe Koſt genoſſen war, emporſtrebend die aromatiſche Rinde der Stauden und Bäume abgeſchält, wie labte nach ſolcher Speiſe die ſüße Kühle der göttlichen Quelle! Die Lüfte wehten erquicklich und labend über dieſe Gipfel hin. Sie waren mit keinem Dunſte der Ebene befrachtet und erzählten die Sagen der alten ſchönen Götterwelt. Tief drunten in weiter Ferne lagen die Städte der Menſchen mit dem gemeinen Wuſte ihres Weſens; zu dieſen ſeligen Höhen drang der Schrei des Be - dürfniſſes nicht und nicht der Seufzer der Sorge. Bisweilen erklang aus dem Geſtein, umſproßt von wilden Roſen und Feigen, der melodiſche Schall der Steindroſſel oder tönte aus den Haiden und Thymusbüſchen der goldene Laut der Cicade. Alles klang hier voller, reiner, unſchuldiger in der Nähe des Bornes, den der Huf des heiligen Roſſes aufriß,137 denn Alles hatte aus ihm getrunken; ſelbſt die Gräſer, Blumen, Büſche, Bäume, welche das ſchäumende und doch ſo ruhige Naß benetzte, oder auch nur mit ſeinem feinem Dufte erreichte, ſtan - den ſtolzer und vornehmer da, als die Gewächſe der Fläche. Wenn der Alpenhauch ihre Spitzen und Kronen rührte, beſchrieben die Stengel und Zweige ſchöne, dem Auge wohlthuende Linien in den Lüften. So war Jegliches da droben verfeinert, abgeklärt und ſelbſt im Kräftigen zart; Scheltworte, zu denen etwa einmal Eines gegen das Andere ſich vergaß, adelten die Winde des Helikon in zierliche Epi - gramme um; dieſes war, was die Nähe bot, die Ferne aber zeigte auch nur Erhabenes: Die göttli - chen Häupter des Pindus, Parnaſſus und Kithäron.

Mittags raſteten wir gewöhnlich auf einer ſon - nigen Halde. Dann kamen die Gatten der Ziegen zu einem kurzen, aber traulichen Beſuche. Sie be - wohnten eine andere Felſengrotte an der entgegen - geſetzten Seite des Berges und führten eine abge - ſonderte Wirthſchaft, denn zwiſchen beiden Geſchlech - tern beſtanden hier die edelſten und keuſcheſten Verhältniſſe. Dann begannen die gymniſchen Spiele der Jugend, welchen nur in dem niedern138 Zuſtande gemeiner zahmer Ziegen die herabwürdigende Bezeichnung von Bocksſprüngen zukommen kann. Hier war in dieſen Spielen feurige Kraft und die Blume der komiſchen Grazie zu ſchauen. Rings im Kreiſe gelagert freuten ſich die ſanften Mütter und die ernſten, ehrwürdigen, bebarteten Väter der herrlichen überquellenden Luſt und dachten ihrer einſtigen Zeit. Meldete ſich nun wieder der Gläu - biger unter dem Zwerchfell, der nie die Schuld ein - zufordern vergißt, d. h. wollten die Ziegen und ihre Gatten noch etwas freſſen, ſo ſchied man mit herzlichem Gruße und dem frohen, getroſten Worte: Auf Wiederſehen! Beide Geſchlechter gingen zu ihren Weideplätzen, und nun wurde noch ein leich - tes Vesperfutter abgerupft. Wenn aber die däm - mernde Eos mit Roſenfingern herabſank, und der Abendthau den claſſiſchen Boden zu netzen be - gann, ſchritten wir lieblich meckernd heimwärts, erreichten vor der völligen Finſterniß die bergende Höhle und ſtreckten uns ſaugend oder wiederkäuend in ihrer behaglichen Wärme auf dem ſammetnen Mooſe aus. Bald goß ein leichter, träumeloſer Schlummer ſeinen Balſam auf uns nieder, machte unſerem Saugen und Wiederkäuen ein Ende.

139

Ich ſage: Wir, ich ſage: Uns, ich ſage: Unſerem. Mit mir war nämlich eine wunderbare Veränderung vorgegangen. Ich lernte von Tage zu Tage flinker auf allen Vieren laufen, ich nahm an den gymni - ſchen Spielen der Jugend, bei welchen ich mich anfangs höchſt ungeſchickt betragen hatte, allgemach immer dreiſter Theil und rannte eines Tages er - hobenen Leibes, Kopf gegen Kopf mit einem Böcklein, welches mich zu dieſem Stoßkampfe herausgefordert hatte, ſo tapfer zuſammen, daß das Böcklein ſtürzte, ich aber ſtehen blieb, worüber alle Ziegen und ihre Gatten ein herzlich meckerndes Gelächter aufſchlu - gen. Ich hatte, da mir die Milchnahrung nicht genügte, mich an das Nagen von Gräſern und Knabbern von Baumrinde gegeben, zuerſt den hef - tigſten Widerwillen gegen dieſe Speiſe verſpürt, allmählig aber ihn ſchwinden ſehen und gefunden, oder zu finden gewähnt, daß Gras wie grüner Kohl und Rinde wie Krautſallat ſchmecke alles Das war in mir vorgegangen, aber ich hatte deſſen nicht geachtet, weil ich nicht über mich nachdachte. Ein unvorhergeſehener Vorfall entzündete endlich in mir die Fackel der Selbſterkenntniß und lehrte mich meinen umgeſtalteten Zuſtand verſtehen.

140

Eines Abends liege ich in der Höhle neben der Ziege Quiqui. Die Zicklein ſind von den Eutern abgegangen und ſchlafen ſchon, die Mütter käuen wieder und unterhalten ſich von Freiheit und Noth - wendigkeit. Ich ſchlafe noch nicht. Es geht mir etwas im Kopfe umher, was ich nicht zu nennen weiß, es iſt ein formloſes Etwas, was ſich nach und nach durch die Kehle in die unteren Regionen hinabſenkt und dort ein losgebundenes Leben für ſich anfängt. Meine Kinnbacken beginnen ſich kreuz und quer übereinander zu ſchieben, und ein ſonder - bares Nach-Schroten ohne Gegenſtand auszuführen; bald ergreift die angrenzenden und dann die unteren Theile die Mitleidenſchaft, mir wird ſehr übel, Dinge, die ich für immer abgethan glaubte, ſteigen in mir auf, ich weiß nicht, was das bedeuten ſoll, ich befürchte, einen gefährlichen Magenkrampf zu haben, ich ächze, ich ſtöhne. Theilnehmend rutſcht die Quiqui herzu und fragt, was mir fehle? So gut ich unter dem unaufhaltſamen Schieben und Schro - ten der Kinnbacken es vermag, ſchildere ich ihr den Zuſtand; und wer beſchreibt meinen Schreck, als die ſanfte Quiqui, Thränen vergießend und mich zärtlich an ſich drückend, ausruft: Heil dir und141 Segen, herziger Junge! Du biſt nun ganz der Unſere, du käuſt wieder! Ihr Götter! rufe ich (denn auf dem Helikon ſpricht man nur mytholo - giſch) was iſt aus mir geworden? Ich habe aber nicht Zeit, dieſe Ausrufungen fortzuſetzen, denn alle eilf andern Ziegen, welche den Freudenſchrei der Quiqui vernommen haben, drängen ſich um mich, und ſind wie außer ſich, die Lili leckt mich, die Pipi neckt mich, die Riri ſchmiegt ſich an, die Fifi riecht mich an, die Titi will mich küſſen, die Wiwi hätte vor Liebe mich faſt gebiſſen, Bibi, Didi, Kiki ſcherzen, Mimi, Nini herzen; von dem Jubel erwachen die Zicklein und Böcklein, hören halb ſchlaftrunken, was vorfiel, und nun erbrauſet erſt der rechte ba - chiſche Taumel. Das ſpringt, bockt, bäumt, ſtößt, rennt um mich her, das ſchüttelt ſich, rüttelt ſich, tänzelt, ſchwänzelt, hänſelt, daß keine Phantaſie, und wäre ſie die kühnſte und leichtfertigſte, dieſe tolle Scene, be - leuchtet von einem zweifelhaften Mondſchein, ſich vor - zuſtellen vermöchte. Nur die ehrwürdige Siſi behielt einigermaßen ihre Faſſung, legte, als ſie durch das Gewirre zu mir dringen konnte, ihre mütterliche Pfote ſegnend auf mein Haupt und ſprach: Mögen dich Pan und alle Faunen beſchützen, du junger Geretteter!

142

Endlich legt ſich der Sturm und Alles lagert ſich wieder zum Schlummer. Ich aber liege, halb todt von allen den Pfoten, Schnauzen, Köpfen, Bäuchen, die mir Liebe hatten erzeigen wollen. Der Schreck war freilich das Meiſte geweſen, denn keines der gutmüthigen Thiere hatte mir wehe gethan, ſie hatten ſich vor jeglicher Rohheit zu hüten gewußt. Nur das Schieben und Schroten der Kinnbacken wollte nicht wieder geläufig in Gang kommen, dieſer ganze Hergang war durch die Heftigkeit der Neigungen, die ich erdulden müſſen, gehemmt wor - den, ich empfand einige Störungen im Verdauungs - geſchäfte.

Aber wie wenig bedeuteten dieſe Unbequemlich - keiten gegen den Seelenſchmerz und die geiſtige Unruhe, die ich in jener Nacht durchzudulden hatte! Iſt es möglich, daß du unter Ziegen auf - gehört haben ſollteſt, ein Menſch zu ſeyn? ſprach ich zu mir ſelber. Warum haſt du dich gehen laſſen, warum deine angeborene Würde nicht im Auge behalten, nicht treu und feſt im Auge behal - ten die ſchreckliche Gefahr herabziehenden Umgangs und erſchlaffender Gewohnheit? Noch zitterte in mir ein ſchwacher Strahl der Hoffnung, daß Alles143 nur Täuſchung ſeyn möge. Ungeduldig wachte ich dem Tage entgegen, der mir Gewißheit bringen mußte, wenn auch vielleicht eine ſchreckliche. Bei dem erſten Schimmer der Morgenröthe ſchlüpfte ich, während die Heerde noch ruhte, aus der Höhle, rief: Bedenke, daß du Menſch biſt! und wollte auf - recht einherſchreiten, aber, o Ihr Himmliſchen, es ging damit nicht; ich war genöthigt, auf allen Vieren zu laufen, auf allen Vieren zur Quelle Hippokrene, welche mir die Wahrheit zeigen ſollte.

Ueber ihren klaren und göttlichen Spiegel ge - beugt, ſah ich nunmehr, daß alle ſchwarzen Ahnun - gen Recht hatten, daß das Entſetzliche geſchehen war. Ich ſah aus ihrer Fluth einen mit zottigem Vließ bedeckten Leib mir abſchreckend entgegenſtarren, dünn und knöchern gewordene Gliedmaaßen, die, als ob ſie Schaam empfänden, ſich in Fell hüllten, ich ſah ſpitz und ſteifgewordene Ohren und ach! jene von meinem Umgange mit der Heerde mir ſo bekannte Phyſiognomie, in welcher der Mund ſich zum breiten Maule verzogen, die Naſe die lächerliche Streckung nach vorn angenommen hatte, die Augen aber, erſchreckt von dieſen Verwandlungen, nach den Seitenbeinen des Schädels auseinander gewichen144 waren; mit einem Worte, denn wozu ſo viele? Im Spiegel der Poeſie ſah ich mich als jungen, wenigſtens werdenden Bock.

Dahin alſo iſt es gekommen! rief ich, und ſuchte zu verzweifeln. Biſt du darum deinem Vater ſo ſauer geworden, darum aus ſeiner Taſche gekrochen, um als Gehörnter und Beſchweifter zu enden? Denn die Muſenquelle hatte mir außer Allem, was ich beſchrieben, auch an Stirn und Rückgrat Keime gewieſen, welche mit den Jahren, wenn das Wetter günſtig war, zu Horn und Schweif erblühen konnten.

Ich war ſehr angegriffen und bedurfte der Stär - kung, oder that es die Nüchternheit des Morgens? genug, ich mußte freſſen, und ſchälte einen der Lorbeerbäume über der Hippokrene ab. Die bitter - lich-herbe Rinde bekam mir wohl. Ich ſuchte jetzt abermals zu verzweifeln, oder, da dieſes nicht ge - lingen wollte, mindeſtens mein Loos zu bejammern. Auch das glückte nur zum Theil. Wie verſtehe ich das? fragte ich mich. Du haſt deine Menſchheit zum größeren Theile eingebüßt und kannſt keine Verzweiflung, ja nicht einmal einen recht tüchtigen Jammer zu Wege bringen?

145

Da machte ich eine Entdeckung in meinem In - neren, die noch ſchlimmer war, als die äußeren Wahrnehmungen, welche mir die Quelle gegeben hatte. Ich merkte nämlich, als ich mich ſcharf prüfte, daß ich den Verluſt meiner Humanität eigentlich nur der Form wegen und Ehrenhalber betrauere, im Grunde aber mit dem Fell an Leib und Gliedern, mit dem breiten Maule, der nach vorn geſtreckten Naſe, den ſeitwärts abgewichenen Augen, mit den Keimen an Stirn und Rück - grat wohl zufrieden ſei. Meine Seele war, das empfand ich, auch bereits in der Verbockung be - griffen. O Menſchen! Menſchen! Menſchen! nehmt an dieſer Thatſache ein warnendes Beiſpiel. Wahr - lich, das Thier kommt raſch genug in Euch zum Vorſchein, wenn Ihr nicht unabläſſig auf Euch achtet.

Ich graſte und hing Betrachtungen dieſer tief - ſinnigen Art nach, als die Ankunft der Heerde mich in denſelben ſtörte. Die guten Ziegen waren ſchon beſorgt um mich geweſen und zeigten, als ſie mich bei der Hippokrene denkend und graſend fanden, die unverſtellteſte Freude, ſo daß nicht viel an einer Wiederholung der nächtlichen Auf -Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 10146tritte gefehlt haben würde, wenn ich nicht Rüh - rung und Erſchütterung über mein neues Glück vorgeſchützt und ſie erſucht hätte, meine durch das Wiederkäuen etwas angegriffene Geſundheit zu ſchonen. Ja, er bedarf der Ruhe, riefen die edeln Ziegen und entfernten ihre Pfoten und Mäuler von mir. Der Platz an der Hippokrene wurde für heute zur Weideſtelle erſehen, und ich hörte ſie lange, während ſie fraßen, in erhöhter Stimmung und in einem ſogenannten ſchönen Style mein Glück preiſen, daß ich endlich vernünftig und einer der Ihrigen geworden ſei.

So geht denn alſo durch das ganze Reich der Weſen derjenige Zug, von welchem ich glaubte, daß er nur meinen ehemaligen Cameraden, den Menſchen, angehöre! dachte ich bei dieſen Geſprä - chen. Erſt wenn ſie Jemand zu ſich herunterge - zogen und ihn in ſeiner beſten Eigenart vernichtet haben, glauben ſie, daß er vernünftig geworden ſei, und einer der Ihrigen zu heißen verdiene. So zerklopft der Wegewärter an der Chauſſee die großen Steine und pflaſtert dann mit den kleinen Bröckelchen die gemeine Heerſtraße des täglichen147 Verkehrs zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen, mit - unter auch zu Eſel.

Erlaube mir, rief der alte Baron hier aber - mals dazwiſchen, dieſe hirnloſen Geſchichten nun - mehr zu unterbrechen, und laß uns von unſerer Fabrik

Sogleich, verſetzte Münchhauſen. Meine Er - zählung dauert kaum noch eine Viertelſtunde.

Ich war nun gleichſam Hahn im Korbe bei den guten und edlen Ziegen am Helikon. Sie liebten mich faſt mehr, als ihre eigenen Kinder; natür - lich, ich war ja das Kind ihrer Wahl und hatte für ſie außerdem das beſondere Intereſſe, daß noch einige Reſte der Menſchheit in mir ſtaken, welche ihre fernere Erziehung ebenfalls auszutilgen berufen ſchien und hoffen durfte. Sie bildeten nnd beſſer - ten unaufhörlich an mir, d. h. ſie leckten und putz - ten mich beſtändig, um den vollkommenen Bock aus mir herauszulecken und zu putzen, und jedes Fünk - chen widerſtrebender Menſchheit mir abzulecken. Ich mußte mir das gefallen laſſen, obgleich ich es gern geſehen hätte, ein Stückchen Menſch zu blei -10*148ben, der möglichen Fälle halber, in welchen ein zweites Metier von großem Nutzen ſeyn kann. Auch meine Sprache war ihnen noch nicht academiſch genug; ſie meinten, es ſei nicht das reine tosca - niſche Meckern. Ich muß hier einſchalten, daß ich mich deßhalb ſo raſch mit meinen Wohlthäterinnen hatte verſtändigen können, weil meine erſte Kind - heit mir theilweiſe unter deutſchen Kanzelrednern hingegangen war, und ich daher nur bekannte Töne hörte, als ich zu den Ziegen kam, nur bekannte Töne im Geſpräch mit ihnen zu wiederholen brauchte. Indeſſen, wie geſagt, mein Meckern ſollte doch noch nicht ganz rein ſeyn, es mochte wohl noch in etwa den Kanzelredner verrathen. Die gelehrte Ziege Pipi gab ſich daher an das Werk und unterwies mich im Meckern nach den Regeln der Grammatik. Ich lernte raſch und fand, daß das Ziegen-Idiom einen großen Reichthum an eigenthümlichen Wen - dungen für unklare Vorſtellungen habe, weßhalb es manchen Zeiten zu empfehlen ſeyn dürfte, um darin die Geſchäfte des öffentlichen Lebens abzuhandeln.

Tage kamen und Tage gingen, daraus wurden Wochen und aus den Wochen ſtellten ſich Monate zuſammen, ohne daß unſer idylliſches Leben auf149 dem Helikon irgend eine bedeutende Störung er - litten hätte, außer daß wir Zicklein mitunter von den Müttern zu ſehr allein gelaſſen wurden und in einer dieſer Verlaſſenheiten zwei junge Böcke einbüßten, welche, den Erſten ein Steinadler, den Andern ein Goldadler auffraß. Unſer Gefühl wurde von dieſen Verluſten ſchmerzlich berührt, obſchon die Ziegen Fifi und Riri durch glückliche Entbindungen für den Erſatz ſorgten. Jenes nicht ſelten vorkommende Alleinſeyn und die Einbuße der beiden Bocklein machte die Reſte der Menſch - heit in mir nachdenken. Ich fragte, wenn wir ſo uns ſelbſt überlaſſen umherirrten, kein gutes Futter finden konnten, oder uns durch unüberlegte Sprünge die Füße verſtauchten, oder auch wohl vom richti - gen Pfade gänzlich abgekommen waren, wo denn die Mütter ſeien? und erhielt zur Antwort, daß ſie ihre Sitzungen hielten. Fragte ich nun weiter, aus was Grund und zu was Ende dieſe Sitzungen ſtattfänden? ſo erwiederten mir meine Altersgenoſſen, es ſeien die Sitzungen des Wohlthätigkeitsvereins. Freilich blieb ich durch ſolche Antworten ſo klug als vorher; ich ſchärfte indeſſen das Auge der Be - obachtung und kam auch binnen Kurzem der Sache150 auf den Grund. Leider entdeckten da meine For - ſchungen gewiſſe Schattenſeiten an dem ſonſt ſo liebenswürdigen und vollkommenen Zuſtande der helikoniſchen Ziegenheerde.

Die wohlthätigen und rechtſchaffenen Mütter hatten nämlich einen Verein zur Linderung des Elendes leidender Naturweſen geſtiftet. Dieſer Verein war aus den Trümmern eines früheren, untergegangenen entſtanden, welcher auf die Ver - feinerung ihrer Pelze abgezielt hatte. Ein reiſen - der Waldeſel war nämlich einſtmals über den He - likon gekommen, hatte aus der Hippokrene geſoffen und darauf von dem wundervollen Geſpinnſte der Tübetziege phantaſirt, aus welchem in Kaſchmir die herrlichen und koſtbaren Shals gewebt werden. Der phantaſirende Eſel hatte weder Tübetziegen noch Kaſchmirſhals ſelbſt geſehen, ſondern im Walde einen armeniſchen Kaufmann davon reden hören, der zwar mit den Shals bekannt war, die Ziegen aber auch nie in Augenſchein genommen hatte, ſondern nur von ſeinem verſtorbenen Bruder gehört haben wollte, es gebe dergleichen. Die Phantaſie des Eſels entzündete aber die Phantaſie der Müt - ter und befruchtete ihren Geiſt mit dem Ideale151 einer Tübetiſchen Hochgebirgsziege. Dieſes ferne hohe Bild brachte in ihnen den Trieb der Nach - eiferung hervor, ihre Pelze dünkten ihnen ſeit dem Tage roh und gemein, ſie verbanden ſich, durch ein Leben im höheren Sinne des Worts ihre Wolle zu verfeinern und es wo möglich bis zu Kaſchmir - wolle zu bringen, denn der Pelz iſt einer Ziege das, was ſchönen Seelen ihr Gemüth iſt.

Das Leben im höheren Sinne des Worts konnte aber nur dadurch in das Werk gerichtet werden, daß ſie alle Gemeinſchaft mit ihren Gatten abbrachen und die Milch bei ſich behielten. Dieſe Schritte bedrohten nun die ganze Heerde mit dem Untergange, und als die Seufzer der Gatten und das Wimmern der Zicklein ihnen die Gefahr ein - leuchtend gemacht hatten, ſo mußten ſich die hoch - herzigen Ziegen entſchließen, dem ſchönen Unter - nehmen zu entſagen; ſchmerzlich ergriffen, denn wie es ihnen vorkam, war während der wenigen Tage, wa Gatten und Kinder darbten, ihr Pelz ſchon merklich feiner geworden.

Aus dieſem Wolleverbeſſerungsvereine war der Verein zur Linderung des Elendes leidender Na - turweſen hervorgegangen, weil das höhere Selbſt152 der helikoniſchen Ziegen Befriedigung wollte und für die Einbuße Erſatz heiſchte. Der neue Verein bekümmerte ſich um jedes Unglück und half allen Inſecten, Vögeln und kleinen Säugethieren, die in Noth ſtaken. Er hielt wöchentlich ſeine regel - mäßigen Sitzungen; ich habe mehreren derſelben beigewohnt, da man mich als Böcklein von guten Anlagen für würdig hielt, ſo edle und gemein - nützige Thathandlungen kennen zu lernen. Die Ziegen pflegten an einer beſchatteten Stelle des Berges im Kreiſe umherzuliegen und wiederzu - käuen; die verſtändige tugendhafte Siſi aber, welche auf einem erhöhten Steine in der Mitte des Krei - ſes ruhte, führte in dieſen Conferenzen das Prä - ſidium. Während des Wiederkäuens wurden denn nun Nothfälle der verſchiedenſten Art in barmher - zige Erwägung gezogen, als z. B. wie einer Hum - mel zu helfen ſei, welche die Ziege Riri hatte in das Waſſer fallen ſehen? ob man nicht einer er - lahmten und erſtummten Grille eine Art Hackbrett - lein aus Blättchen und Dörnchen zurichten laſſen könne, um ihr die Ausübung ihrer Kunſt für die Zukunft wenigſtens einigermaßen möglich zu machen? oder in welcher Art einer in ihrem Loche darbenden153 Maus Futter für ſich und ihre Jungen geſchafft werden möge, von der die Ziegen wußten, daß ſie ohne Verſchulden in ſolche Nahrungsloſigkeit gerathen war, und was dergleichen wohlthätige Maaßnahmen mehr waren, welche den helikoniſchen Ziegen und ihrem Vereine einen faſt göttlichen Namen bei allem nothleidenden Geſchmeiße zu Wege gebracht hatten. Ich ſage: Bei dem Geſchmeiße, denn was die edleren Geſchöpfe betrifft, ſo wollten dieſe von dem Ver - eine und ſeinen Thaten nichts wiſſen. Die Stein - droſſel hörte auf zu ſingen, wenn die Ziegen in der Nähe ihres Buſches rathzuſchlagen begannen, eine weiße Hinde, welche zuweilen Beſucheshalber auf den Berg kam, wies, als die Ziegen ihr den Antrag machten, in den Wohlthätigkeitsverein zu treten, ſtatt aller Antwort nur den ſtolzen Rücken, und die Lorbeerbäume, unter welchen die Sitzungen vor ſich gingen, habe ich oft die Kronen hochmüthig ſchütteln ſehen, wenn die Reden der Ziegen im tönendſten Schwunge und ergiebigſten Fluſſe waren. Ja, einer jener geweihten Bäume mußte die Nähe der barmherzigen Ziegen ſelbſt körperlich nicht ver - tragen können. Er bekam ein krankes Anſehen und ging endlich ganz aus.

154

Auch erreichten die Mütter nicht in allen Fäl - len ihre tugendhaften Zwecke. Es war ſtreng ver - boten, daß von irgend einer Ziege privatim, ohne Aufſehen, aus dem Stegreife, wie ſie ſie fand, Noth gelindert werden durfte; nein, alle Wohl - thätigkeit ſollte ſeit der Stiftung des Vereins im Geſchäftswege verwaltet werden, und die Einzel - ziege war ſtreng angewieſen, dem leidenden Weſen, welches ſie traf, vorüberzugehen und über den Fund nur dem Vereine zu berichten. Auf dieſe Weiſe wollten die helikoniſchen Mütter die gemeine, inſtinctartige Milde ausrotten und an deren Statt die höhere, ſelbſtbewußte, die adminiſtrirende Milde pflanzen. Da es nun aber immer mit einiger Weit - läuftigkeit verknüpft war, eine Sitzung zu Stande zu bringen, die Sitzungen ſelbſt jedoch das Weit - läuftigſte bei der ganzen Sache wurden, indem die Ziegen meckernd und wieder-meckernd gleichſam außer ihrem Futter auch die Barmherzigkeit wie - derkäuten, ſo kam oft alle Hülfe zu ſpät. Die Hummel, welcher ein auf der Stelle zugeworfenes Blatt das Leben gerettet hätte, war während der Reden über die Pflicht, ſie zu retten, untergegan - gen, und die Maus, der die vorübergehende Einzel -155 ziege ein Paar Körner hätte zuſcharren können, bis es zum Geſammtwirken für ſie kam, Hungers geſtorben.

Mitunter war etwas unternommen worden, was gegen die Natur anging. So konnte faſt keine der lahmen Grillen mit den Kunſthackbrettchen fer - tig werden. Am ſchlimmſten waren, wie ich ſchon angedeutet habe, die langen und weitläuftigen Sit - zungen des helikoniſchen Ziegenvereins für uns Zicklein und Böcklein. Wenn wir während derſel - ben ohne Weg und Steg und oft ohne Futter umherliefen, wenn Gefahren und Raubthiere uns außer Acht Gelaſſenen drohten, da konnten wir armen Schluckerchen nicht ſelten unſere bitteren Thränen darüber vergießen, daß die Mütter an ertrinkende Hummeln, lahme Grillen und hungernde Mäuſe dachten und uns vergaßen. Indeſſen waren ſolche Thränen und jene Mißglückungen im Ganzen unwichtig. Die Helikonierinnen lernten ſich durch den Verein in ihrer Vortrefflichkeit immer mehr fühlen und an ihrer eigenen Tugend begeiſtern, und darauf kam es doch hauptſächlich vor Allem an.

Ich habe lange nicht gewußt, auf was Art dieſe Stimmung, welche die eigene Familie um156 Geſchmeiß hin und wieder vernachläſſigen lehrte, und eine ſchlichte und unſcheinbare Barmherzigkeit zu einem glänzenden Geſchäfte aufzublaſen antrieb, bei den Helikonierinnen entſtanden war. Endlich konnte ich mir das Räthſel erklären. Die heliko - niſche Heerde ſoff nämlich, wie wir wiſſen, aus der Hippokrene. Dieſe Quelle wirkt nun bei Allen, welche ſie trinken, die gewaltigſten Dinge, jedoch nur bei den durch das Schickſal dazu Vor - beſtimmten jenen reizenden Wahnſinn, den wir kennen, bei Vielen dagegen verſetzt ſich das Waſſer und ſchafft entweder die abſcheulichſten Würfel - reime, wie bei mir der Fall war, ſo oft ich trank, oder einen ſo zu ſagen erhitzten und geſchwollenen Zuſtand im Handeln und Empfinden, den man die blühende Proſa des Lebens nennen könnte.

Die helikoniſchen Ziegen gehörten nicht in die Reihe der zum reizenden Wahnſinn Vorbeſtimmten. Bei ihnen wirkte die Quelle den Drang zu unnö - thigen Tugenden und überflüſſigen Wohlthätigkeiten. Ihr Zuſtand war blühende Proſa. Dieſer Zuſtand rührte von verſetzter Hippokrene her.

Wie oft mußte ich, als ich nachmals mehr unter Menſchen kam, und ihre geſchmackloſen Herr -157 lichkeiten, ihre Aufſpannungen für und um das Erbärmliche kennen lernte, ſtill für mich ausrufen: Verſetzte Hippokrene! Wo dieſe mit der blühen - den Proſa in ihrem Gefolge auftritt, da ſtirbt das melodiſche Getön der Steindroſſel, da weiſet die ſtolze weiße Hinde vornehm den Rücken, da ſchüttelt der Lorbeer zornig die Krone, oder geht aus.

Auch die Gatten der Ziegen ſoffen für ge - wöhnlich aus der Hippokrene und wollten hinter den Gattinnen nicht zurückbleiben. Sie gehörten ebenfalls nicht in die Reihe der zum reizenden Wahnſinn Vorbeſtimmten, was mir gewiß Jeder, der einmal einen ſolchen Gatten geſehen hat, auf mein Wort glaubt. Da nun die Gattinnen ihnen ſchon das Elend des Geſchmeißes weggenommen hatten, ſo waren ſie auf deſſen Laſter beſchränkt und ſtifteten unter ſich einen Verein zur Rettung ſittlich verwahrloſeter Naturweſen. Der Zweck deſſelben war, durch moraliſche Einwirkung, durch tugendhafte Anrede und herzliche Aufmunterung zum Guten alle die Thierlein, welche ihrer Natur nach ſtechen, beißen, kratzen, ſtehlen, oder ſich von158 ſchmutzigen Dingen nähren, zu einem unſchädlicheren und reineren Leben anzuführen. Nach der Abſicht der Stifter ſollte, wenn der Verein wirklich durch - griffe, die Mücke ihrem Stachel und der Floh ſeinem Blutdurſt entſagen lernen, die Elſter auf den Diebſtahl verzichten, Würmer und Maden aber von Unrath und Aas ſich entwöhnen.

Da ich mich allein bei den Ziegen aufhielt, ſo kann ich nicht ſagen, wie weit der Beſſerungsverein mit ſeiner Thätigkeit gediehen war, als ich auf den Helikon kam. Ich weiß nur, daß allerhand Geziefer auch auf dieſem heiligen Berge ſtach, biß, kratzte, ſtahl und Unausſprechbares fraß, weiß aber nicht, ob es gebeſſertes oder ungebeſſertes war. Einer einzigen Verſittlichungsgeſchichte Augen - und Ohrenzeuge bin ich geworden, von ihr will ich be - richten, muß ich ſogar berichten, da ſich eine Ka - taſtrophe mit ihr verband, welche zu weiteren Schickſalen Münchhauſen’s des Kindes, damals Böckchens, führte.

Die vereinigten Böcke oder vielmehr die ſittlichen Gatten der wohlthätigen Ziegen waren an dem Tage, der meiner Auffindung folgte, an den Ort gekommen, wo der großmüthige Engländer ſein159 Pferd hatte graſen laſſen und der todte Lämmer - geier lag. Wo das Pferd geſtanden, fanden ſie einen Käfer mit ſchwarz-glänzenden Flügeldecken, einen der Art, welche bei Ariſtophanes die Knechte des Trygäos dem Herrn für den Ritt zu Zeus auffüttern, und die Deutſchen Miſtkäfer nennen. An dem Halſe des Geiers aber bemerkten ſie die ſtahlblaue Fliege, Schmeißfliege geheißen. Ich will, Bruder Schnuck, ungeachtet deine göttliche Tochter nicht zugegen iſt, dennoch den Käfer aus Rückſicht auf deine Delicateſſe nur das Roß des Trygäos und die Fliege die blaue Schwärmerin nennen, ſagte Münchhauſen, vom Manuſcripte auf - ſehend.

Erlaube rief der alte Baron faſt wüthend.

Erlaube mir, ſagte Münchhauſen, dir die Ge - ſchichte von dem Käfer und der Fliege vorzutragen.

Dreht ſich Einem nicht das reine Herz im Leibe um, rief einer der Gatten, zwei Mitweſen in ſolcher Niedertracht zu ſehen? O Brüder, laßt uns hier helfend einſchreiten, laßt uns dieſen Ge - fallenen die rettende Klaue reichen, entwöhnen wir den Käfer von ſeinen üblen Neigungen, die Fliege von der Leidenſchaft, ſelbſt die ungeborene Zukunft160 ihres Stammes einem verdorbenen Elemente ein - zupflanzen, machen wir Käfer und Fliege zu an - ſtändigen Leuten, die in der guten Geſellſchaft fortkommen können!

Allgemeiner Beifall folgte dieſer Rede. Ein - ſtimmig beſchloß man, das Roß des Trygäos und die blaue Schwärmerin ſollten ſittlich und anſtän - dig werden, ſie möchten wollen oder nicht. Vor - ſichtig ſcharrte der Redner, der Ziegengatte Solon (ſie hatten ſich lauter Namen von weiſen und erhabenen Männern des Alterthums beigelegt;) den Käfer von ſeinem Mahle mit der Klaue hin - weg und trieb ihn in eine Felsritze, die ſofort durch einen vorgewälzten Kieſel zum Beſſerungs - gemache erſchaffen wurde. Dieſe Unternehmung hatte wenig Schwierigkeiten gehabt, denn ehe ein Käfer zum Fliegen gelangt, dauert es einige Zeit mit Bauchdehnen und Halsrecken. Schlauer mußte man mit der Fliege zu Werke gehen, der wohl - beſchwingten Schwärmerin. Indeſſen gelang es dem jungen Plato, einem Ziegengatten von der unerreichbarſten Hoheit der Gedanken, die zu Beſ - ſernde zu beſchleichen, ſie mit ſeinen Lippen zu er - ſchnappen und zwiſchen denſelben nach dem Aſtloche161 eines Feigenbaumes zu tragen, worin ſie durch einen vorgeſtopften Pflock verſpündet wurde. Man theilte das freudige Ereigniß bei der nächſten Zu - ſammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver - fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben - digſten Antheil zu nehmen. Auf dieſe Weiſe erhielt ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck - lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des großmüthigen Engländers geſtanden, rein ſcharren, die erwachſene Heerde ſtürzte aber den Leichnam des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um von den beiden eingeſperrten Zöglingen der Sitt - lichkeit alle Anreizungen zum Laſter zu entfernen.

In den folgenden Tagen begannen nun Solon und Plato, unterſtützt jezuweilen von den übrigen Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah - nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär - merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt ſeine Schnauze an ein federſpulenkleines Löchlein, welches der Kieſel unbedeckt ließ; Plato ſtellte ſich an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt ſich mit den Vorderfüßen am Stamme feſt und legte das Honigmaul gegen das Aſtloch, um ſich ver - ſtändlich zu machen. In dieſer Stellung oder LageImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 11162hielten die beiden Bocke ihre Beſſerungsreden, wenn ſie nicht fraßen, der Eine die Feigen des Baumes, der Andere das junge Laubgeſproß, welches an der Felsritze gerade in der wucherndſten und ſaftigſten Fülle wuchs.

Iſt es denn nicht beſſer, ſich an reiner und reinlicher Nahrung zu ſättigen? ſprach Solon zum Käfer, wenn er von dem Genuſſe des Laubes aus - ruhte. Fühlſt du denn nicht, du armer Geſunkener, daß uns Alle, Ziegen, Käfer und Fliegen, Zeus der Vater in die Furchen der brütenden Mutter ausſäte, die Speiſe aus der Hand der Götter, nicht aber ſie aus der Pforte, die da ſtäts nur ausläßt und nimmer ein, zu empfangen? Schreck - liche, unbegreifliche Verirrung, das, was Trift und Gefilde heilſam in das Reich der blonden De - meter emporſchickt, zu verachten, und erſt dann danach zu ſtreben, wenn es, in den Hades geſtoßen, dem geſtaltenloſen Schattengebiete der traurigen Perſephoneia angehört! Liebſt du des Hafers gol - denes Korn, warum friſſeſt du nicht Hafer? Ge - lüſtet dich nach dem Sproß des Graſes, weßhalb beißeſt du nicht in Gras? Was reizt, was verführt dich, das Alles erſt umgeſtimmt, entmiſcht, abgenützt163 zu mögen? Höre dieſes freudige Knirſchen und Rauſchen vor deinem Kerker, vernimm, wie ich in dem ſaftigen, fetten Portulak, in der wilden bittern Kreſſe, in dem erfriſchenden Sauerklee ſchmauſe. Könnteſt du denn nicht, wenn du frei wäreſt, neben mir brüderlich ſitzen und dieſer von der Oreas uns verliehenen Blätter dich erfreuen, als einige Schritte weiter zurück, ein Helot und Barbar, zu harren, ob dir ein von der Harpye beſudeltes Mahl werde? Oder ſagſt du: Ich bin Käfer, du biſt ein Ziegengatte? Nun ſo blicke auf deines Gleichen, ſieh, wie der kleine rothe zirpende Schelm das ſüßduftende Blatt der Lilie nagt, wie der Runde mit kupferbraunen Flügeln und grünem Schilde im Schooße der Roſe ſchwelgt! Denen folge, denen ſchließe dich an, bei ihnen iſt deine Stelle! Friß Lilien, wenn du nicht Hafer, friß Roſen, wenn du nicht Portulak, Kreſſe und Sauer - klee freſſen willſt!

Nach dieſen Reden fühlte ſich der edle Solon immer mit neuem Appetite verſehen und war zu erhöhter Thätigkeit an den Bergkräutern aufgelegt. Plato, wenn er vom Feigenfraß raſtete, hielt Er - mahnungen ungefähr des nämlichen Inhalts an11*164ſeine Schülerin. Auch er rieth der Fliege auf das Eindringlichſte, verdorbenes Fleiſch zu laſſen, in Zukunft Feigen zu freſſen und auf Feigen ihre Eier zu legen. Er ſuchte beſonders auf das Mut - tergefühl zu wirken und in glänzenden Bildern ihr vorzuſtellen, welch ein begabteres Geſchlecht ihre Brut werden würde, wenn ſie ſtatt in Duſt und Dunſt, da droben auf ſonnebeſchienenem, lüftege - gewiegtem Zweige auskäme. Auch er verzehrte nach ſeinen Reden immer wieder Feigen, ſo lange dergleichen noch am Baume hingen, dann nagte er die Zweige ab, ſo daß der Baum ein ziemlich ver - wüſtetes Anſehen zu bekommen anfing.

Das Roß des Trygäos und die blaue Schwär - merin lebten bei dieſen Ermahnungen in ihren Beſſerungslöchern ein trauriges Leben. Sie waren Beide ſchlichte, rohe Naturweſen ohne alle Theorie, practiſchen Trieben ergeben. Anfangs raſ’ten ſie wie wahnwitzig brummend und ſchnurrend in den Kerkern umher, da ihnen dieſes aber nichts half, ſo wurden ſie ſtill und hörten den Reden ihrer Verbeſſerer zu. Von denen verſtanden ſie nun aber nicht das Mindeſte, als, daß der Käfer Lilien und Roſen freſſen, die Fliege ſich zu Feigen wenden165 ſolle Zumuthungen, die Roß und Schwärmerin außer ſich ſetzten, weil ſie ihnen das Beleidigendſte dünkten, was ihnen nur geſagt werden konnte. Seelenverkäufer! Seelenverkäufer! brummte der - fer. Warum ſoll denn Unſereins nicht freſſen, was Unſereinem ſchmeckt? Ich ſuch, ſuch, ſuch Ge - ruch! ſummte die Fliege. Am meiſten ärgerte es die beiden Candidaten der Sittlichkeit, daß ſie ihre Beſſerer draußen behaglich in Laub und Feigen knarpen hörten, und daß denen die tugendhaften ermahnenden Reden gleichſam nur dienten, ſich der Verdauung halber nach dem Eſſen eine Bewegung zu machen. Indeſſen nahmen die Dinge für Beide eine ſehr ernſte Geſtalt an, denn ſie bekamen na - türlich nicht das Allergeringſte zu eſſen und fielen daher während ihrer Bearbeitung zu einem reine - ren Leben jämmerlich ab. Das Trygäosroß wurde ſo matt, daß es kaum noch auf den Füßen ſtehen konnte; die blaue Schwärmerin ließ kraftlos die Flügel hängen.

In dieſer traurigen Verfaſſung überkam ſie der den Thieren eingepflanzte ſchlaue Trieb der Selbſt - erhaltung. Sie ſetzten ſich vor zu heucheln, und gaben klägliche und melancholiſche Tone von ſich. 166Höre! rief Solon dem Plato zu (denn Felsritze und Feigenbaum waren einander nahe;) das Laſter ſchlägt in ſich, die erſten Kennzeichen der Reue ſind zu ſpüren. Meine arme Gefallene ächzt auch ſchon über ihr Unheil, verſetzte Plato. Nach eini - ger Zeit prüften die beiden ehrwürdigen Ziegen - gatten den Sinn der Bekehrten, indem Plato ein Stückchen Feige, welches noch am Baume gehangen hatte, vorſichtig in das Aſtloch ſchob, Solon aber ein Lilien - und Roſenblättchen unter den Kieſel in die Felsritze zu bringen wußte.

Roß und Schwärmerin erbebten vor Grimm bei dieſer Darlegung abſcheulicher Anträge, wie ſie ihnen vorkommen mußten. Die Schwärmerin wich entſetzt vor dem Feigenſtücklein in die letzte Ecke des Aſtloches zurück, das Roß ſtieß die Blätter, deren Geruch ihm den Athem raubte und die Luft ſeines Wohnortes ihm zu verpeſten ſchien, mit den kurzen, kräftigen Beinen von ſich ab. Nieder - trächtiger Geſtank! brummte es. Sollte man’s glauben, daß es Narren giebt, die an dem gräulichen Zeuge Behagen finden? Ich erſticke! O meine Am - broſia! Feigen! Feigen! Feigen! Kinderpapp! Kinderpapp! toſete die Schwärmerinn.

167

Aber ihre Lage war zum Aeußerſten gediehen. Die Beſſerer draußen, das begriffen die Opfer der Sittlichkeit drinnen, konnten es bei guter Nahrung mit anſehen, wenn ſich das Geſchäft auch noch ſo ſehr in die Länge zog. Hunger thut weh, Ver - ſtellung that Noth, die draußen zu täuſchen. Der Käfer überwand ſich und fraß unter Verwünſchun - gen und Zuckungen etwas Lilien und Roſen, wel - ches er aber alſobald wieder von ſich gab, ſo übel bekam ihm der höhere und reinere Lebensgenuß! Die Fliege bezwang ihr ſchauderndes Gemüth und verrichtete über der Feige einigermaßen und gleich - ſam zur Probe das, was von ihr im Namen der Tugend gefordert wurde. Plato und Solon hat - ten gelauſcht und an dem Geräuſche, welches drinnen entſtanden, abgenommen, daß etwas Ent - ſcheidendes vorgefallen ſeyn müſſe. Oeffnend jetzt die beiden Verließe, ſahen ſie Lilien und Roſen angenagt, das Feigenſtücklein beſchmeißt, Roß und Schwärmerin aber halbohnmächtig auf dem Rücken liegen. Solon und Plato umarmten einander mit den Vorderbeinen und riefen: Triumph! die Tugend hat geſiegt! Das Laſter iſt aus dem Buſen dieſer ſittlich Verwahrloſeten gewichen, ſie werden nie168 wieder in ihre ſchimpflichen Angewöhnungen zurück - fallen!

Der Jubel drang zu den übrigen Ziegengatten, welche ungeachtet ihrer Ehrwürdigkeit den frohen Fall mit einem herrlichen Reigentanze in den kühn - ſten Sprüngen feierten. Auch die Mütter und uns Zicklein und Böcklein zog das Getöſe herbei. Die Mütter wurden mit wenigen freudigmeckernden Worten von dem Gelingen der Verſittlichung in Kenntniß geſetzt, ſahen Roß und Schwärmerin die Füße von ſich ſtrecken und vergoſſen Thränen der Rührung. Wie die Frauen denn immer mit blitz - ſchneller Ahnung das Höchſte, Richtigſte treffen, ſo ging auch in den helikoniſchen Ziegen damals die Blüthe des verſittlichenden Wirkens auf. Laßt uns aus dieſen beiden der Tugend gewonnenen Weſen ein Paar machen! riefen die Ziegen be - geiſtert. Verheirathen wir ſie mit einander, und als Ausſteuer geben wir ihnen ſo viele Lilien, Roſen und Feigen, als ſie am Helikon finden können!

Ein unglaublicher Sturm des Entzückens folgte dieſem Vorſchlage. Zwar wollte der ehrwürdige Moſchus den Zweifel erheben, ob ſelbiges Ehebünd - niß wohl fruchtbar ausfallen möchte, und der kritiſche169 Bion erſt die Neigungen von Braut und Bräuti - gam prüfen; aber die erwähnten Bedenken fanden keinen Anklang, vielmehr rief der Chorus der Uebrigen einhällig: Wo die Tugend zuſammenführt, kommt es auf Neigung und Fruchtbarkeit nicht an!

Man wollte ſogleich zu dieſen Hymenäen im Namen der Sittlichkeit ſchreiten. Plato und Solon nahmen das Trygäosroß und die blaue Schwär - merin auf ihren Rücken. Sie ſchritten voran, die ehrwürdigen Gatten folgten ihnen Paarweiſe, denen folgten die rechtſchaffenen und wohlthätigen Mütter, hinter den Müttern ſprangen wir Zicklein und Böcklein, und ſo ſetzte ſich der Zug nach dem Platze an der Hippokrene in Bewegung, wo die Hochzeit gefeiert werden ſollte.

Dort angekommen, nahm die alte verſtändige Siſi das Roß zwiſchen ihre Lippen, die gute Quiqui aber that desgleichen mit der Schwärme - rin. Sie trugen demnächſt das Brautpaar zu einem hohen Steine, ſtellten die beiden jungen Leute, welche von der freien Luft erfriſcht, wieder ſtehen konnten und überhaupt mit jedem Augen - blicke munterer zu werden ſchienen, auf den Stein neben einander, und darauf ſchloſſen wir Alle, Jung170 und Alt einen weiten Kreis um das Paar. Das in der Eile entworfene Programm der Feſtlich - keiten ordnete dieſe Reihenfolge derſelben an: Strophe; Reden von Solon und Plato; Gegen - ſtrophe; Ceremonie, Schlußgeſang, gymniſches Spiel, Reigentanz, Feſtmahl.

Eine der kleinen lahmen Grillen, die einzige, welche mit dem Kunſthackebrettlein aus Blättchen und Dörnchen hatte fertig werden können, war zur Feſtſängerin ernannt worden. Als daher der Kreis ſich gebildet hatte, ſchritt oder hüpfelte vielmehr dieſe Dichterin des Wohlthätigkeitsvereins zur hei - ligen Quelle, netzte darin ihre Freßzangen ein We - niges, verdrehte darauf die goldgelben Aeugelein im Kopfe, erreichte mit einem lahmen Sprunge das Gezweig einer Tamariske, nach vergeblichen Bemü - hungen, auf einen der Lorbeerbäume, den niedrig - ſten unter Allen, zu gelangen, ſtimmte das Hacke - brettlein, putzte die Freßzangen an demſelben ab, und ſang nun, das Kunſtinſtrumentlein ſchlagend, begeiſtert folgende:

Strophe.
Der Käfer iſt ein Schweinichen,
Brumm! Brumm!
171
Die Fliege hat ſechs Beinichen,
Summ! Summ!
Die Fliege hat den Käfer lieb,
Der Käfer iſt ein Herzensdieb;
Summ! Summ! Brumm! Brumm! Brumm!
Brumm!

Herrliche Poeſie! Nahrung für Gemüth und Gefühl! meckerten die Ziegen. Reines Gefühl, mit keinem Gedanken belaſtet! Echt lyriſch! mur - melten die Böcke. Solon und Plato traten in den Kreis vor das Brautpaar und redeten nach einander. Sie hielten ihm in eindringlichen Wor - ten die Schändlichkeit ſeines früheren Lebenswan - dels vor, dann führten ſie aus, daß die Göttin der Tugend eine gute alte Mama ſei, immer zum Verzeihen bereit, dann kamen ſie auf Lilien und Roſen, Feigen, Felsritzen und Aſtlöcher. Im erſten Theile machten ſie das Brautpaar herunter, im zweiten erhoben ſie es, in der Nutzanwendung wußten ſie ſelbſt nicht mehr, was ſie wollten ihre Sermone hätten gleich als Muſter von Ca - ſualreden abgedruckt werden können.

Ich glaubte zu bemerken, daß das Brautpaar auf die Reden nicht achte, ſondern nur Leib und Flügel einzuüben ſcheine, theilte dieſe Beobachtung172 meinen Nachbarn mit, die jedoch, ganz in die Würde des Feſtes verſenkt, meiner Worte nicht achteten. Nach den Reden ſang die Grille folgende

Gegenſtrophe:
Und iſt er denn ein Schweinichen,
Brumm! Brumm!
Und hat ſie denn ſechs Beinichen,
Summ! Summ!
So reicht einander jetzt die Füß
Und ſei der Eheſtand Euch ſüß;
Brumm! Brumm! Summ! Summ! Summ!
Summ!

Indem es aber nun zur Ceremonie kommen ſollte, und die Ziegen Siſi und Quiqui das Paar erſuchten einander die Füße zu geben, nahm die Feierlichkeit eine plötzliche unerwartete und unglück - liche Wendung. Denn zur Rechten wurde in der Entfernung der Hufſchlag eines Pferdes hörbar, und zur Linken kroch unten durch einen Bergſpalt ein Fuchs, oder ein Wolf oder ein anderes Raub - thier. Ich weiß nicht, was dem Pferde begegnen mochte, das aber ſah ich, weil ich auf der äußer - ſten Linie des Kreiſes ſtand, daß das Raubthier ein Stück Fleiſch im Rachen trug. Alſobald drang in die beiden jungen Leute auf dem Steine eine convulſiviſche Bewegung, ihren ſcharfen Sinnen173 brachten die Lüfte von weitem verführeriſche Bot - ſchaft zu, Roß und Schwärmerin ſammelten ihre letz - ten von der Sittlichkeit verſchont gebliebenen Kräfte, ſpreiteten die Flügel aus, und mit dem Gebrumm: Miſt! Miſt! Miſt! und mit dem Geſumm: Luder! Luder! Luder! flog der Bräutigam rechts, die Braut links davon, ungerührt von Beſſerungsverſu - chen, Reden, Rührumgen, Strophen und Gegen - ſtrophen das alte Laſterleben von vorn zu beginnen.

Die entſetzte Ueberraſchung der Freier, als Odyſſeus plötzlich aus Bettlerlumpen mit ſieghafter Hoheit hervorleuchtete und die tödtenden Pfeile vor ſich hingoß, kann nicht größer geweſen ſeyn, als der Schreck der Mütter und ihrer Gatten bei dieſem Anblicke, welcher ebenfalls ſo zu ſagen die Hoheit der Natur aus Lumpen hervorſcheinen machte. Anfangs ſtanden ſie da, ſtumm, ſtarr, regungslos, gleichſam ein großes Viehſtück aus Stein, dann aber ergriff ſie der haltungsloſeſte Taumel, und ſie rannten nach allen Richtungen ebenfalls auseinander, entweder, weil ſie die ſitt - lich Verwahrloſeten wieder einfangen wollten, oder auch nur überſchattet von dem Dämon, welcher ſich174 ungeheurer Augenblicke zu bemächtigen pflegt. Die Zicklein und Böcklein folgten, ſo daß die den Gipfel hinan und hinunter rennenden, ſpringenden, ſtolpernden, ſtürzenden Thiere demſelben ein Anſehen gaben, wodurch er mehr der Kuppe eines theſſaliſchen Zauberberges, als der heiteren muſiſchen Höhe glich.

Was mich betrifft, ſo war ich an der Quelle zurückgeblieben. Warum ſollte ich hinter Käfer und Fliege herlaufen? Mein eigenes Schickſal machte mir bange. Ich fürchtete die Rückkehr der Heerde.

Die Mütter hatten mir nämlich ſchon vor eini - gen Tagen angekündigt, daß, um auch die letzten Reſte der verhaßten Menſchlichkeit in mir auszu - tilgen, ich nächſtens aus der weiblichen Erziehung entlaſſen und den Händen der Gatten übergeben werden ſolle. Dagegen ſträubten ſich nun aber jene Reſte mit aller Macht und vielleicht eben ſo heftig, wie die Neigungen des Trygäosroſſes gegen Lilien und Roſen. Denn mir blieb ein phyſiſcher Abſcheu gegen die Gatten beiwohnen, ſo ſehr ich ihre ehrwürdigen Eigenſchaften achtete. Aber letz - tere hatten gewiſſe natürliche Begabungen an ihnen nicht zu tilgen vermocht, und ich empfand das innigſte Grauen vor dem Augenblicke, der mich175 ihrer Atmosphäre ſo nahe bringen ſollte. Indeſſen ſtanden ganz andere Dinge in den Sternen geſchrieben.

Der Hufſchlag des Pferdes näherte ſich, und es kam ein ältlicher, dicker Mann, dem ein Dün - ner folgte, nach der Stelle zu geritten, wo ich ſtand. Der Mann trug einen gelben Hut, einen gelben Rock, eine gelbe Hoſe und eine gelbe Weſte, ſah ſehr blaß und aufgedunſen und äußerſt verdrießlich aus. Schon ſein Anſehen und der völlig gleich - gültige Blick, mit dem er die Gegend überſchaute, würde mich gelehrt haben, von welchem Volke die - ſer Fremdling ſei, wenn ich ihn auch nicht ſo - bald hätte reden hören. Der Diener half ſei - nem Herrn vom Pferde, führte ihn zu dem Steine, auf welchem das Brautpaar geſtanden hatte, ließ ihn niederſitzen, gab ihm ein ſpaniſches Rohr in die Hand, ſchob deſſen Knopf unter ſein Kinn, und richtete auf diefe Weiſe gleichſam die Statue eines gefühlloſen Naturbeſchauers zu. Der Herr ließ nämlich Alles phlegmatiſch mit ſich vor - nehmen und antwortete nur ſpärlich auf die Reden des Dieners, welcher ziemlich geſprächig war.

Aus ihrer Unterhaltung erfuhr ich, daß der gelbe Dicke ein reicher, vom Geſchäfte zurückgezo -176 gener Rentenierer war, welcher unweit Amſterdam und eine Stunde von Harlem auf ſeinem Land - hauſe gelebt hatte. Da ſich die Anfälle des Podagra’s bei ihm mehrten und gewiſſe Vorboten der Waſſerſucht erſchienen, ſo war ihm von ſeinem Arzte eine Reiſe in die ſüdlichen Länder verordnet worden. Dazu wollte ſich denn auch Myn Heer van Streef verſtehen und erklärte ſeine Bereit - willigkeit, bis in den Reichswald bei Cleve zu reiſen. Der Arzt erklärte aber dagegen, er ſei mißverſtanden worden und nannte ihm die unge - heure Meilenzahl, welche er wenigſtens abzureiſen habe. Der Holländer war hierüber anfangs, ſo weit ſein Naturell dies zuließ, in einige Verzweif - lung gerathen, jedoch endlich, weil der Arzt eben - falls ein ruhiger hartnäckiger Altniederländer war, und ſeinem Patienten mit größter Faſſung Todes - tag, ja Todesſtunde vorausgeſagt hatte, wenn er nicht Folge leiſte, genöthigt geweſen, ſich zu fügen, und an die Reiſe zu denken, die er in ſüdöſtlicher Richtung vornehmen mußte, da er ſüdlich auf der Karte die verordnete Meilenzahl nicht vor ſich ſah.

Um dies zu verſtehen, muß geſagt werden, was ich aus den Geſprächen heraushörte, daß nämlich177 Myn Heer van Streef durchaus nur ſeine Mei - len in gerader Richtung, ohne durch Umwege und Abſprünge ihre Zahl zu erfüllen, verreiſen wollte. Denn da ihm die Reiſe äußerſt zuwider war, ſo haßte er Alles, was ihr den Schein einer Wande - rung zum Vergnügen hätte geben können. Er zog deßhalb auf ſeiner Karte von Europa nach dem Lineal mit Bleiſtift einen Strich von Amſterdam nach Südoſten, maß daran die Meilen, fand, daß ihre Zahl ſich genau auf dem Gipfel des Helikon vollende, und war ſo, immer ſtreng dem Striche nachreiſend, und weder rechts noch links abwei - chend, allgemach auf den geheiligten Berg gekommen.

Hier tröſtete ihn nun der Diener, nachdem er ihm Vorſtehendes in einzelnen Bemerkungen erin - nerlich gemacht hatte, um ihn durch den Gedanken an die Nothwendigkeit der Reiſe und ihre ſtrenge Conſequenz aufzurichten, mit dem Ausrufe: Myn Heer, wir ſind am Ziel, und morgen geht es nach unſerem ſchönen Welgelegen zurück.

Gottlob, ſagte der Holländer, der ſich bei dem Gedanken an ſein Landhaus ein wenig erheitert fühlte, und ich will, wenn wir nach Hauſe gekom - men ſind, ein Luſthaus anbauen und das ſoll hei -Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 12178ßen: Vreugde en Ruſt. Und aus der Ruhe will ich nicht wieder gehen, möchte auch meine Waſſer - ſucht ſo überhand nehmen, daß alle Deiche von Seeland bedroht wären. Ich kenne gar nichts Wahnſchaffneres, als dieſe griechiſchen Gegenden, in denen ein beſchwerlicher Berg nach dem andern kommt, wo man keine Ausſicht auf Canäle und Wieſen hat, und der Himmel die unnatürliche blaue Farbe nicht los wird.

Es kann nicht überall Altniederland ſeyn, ver - ſetzte der Diener und ſtopfte ſich eine kleine thö - nerne Pfeife; es muß auch ſolche nichtsnutzige Striche Landes geben.

Wenn ich da mein Landhaus Welgelegen be - trachte, fuhr Myn Heer van Streef fort, der jetzt etwas geſprächiger wurde, obgleich ſein Geſicht ſo verdrießlich blieb, wie früher, was für eine andere Gegend iſt das! Neben an liegt Myn Heer de Jonghe’s Schoone Zicht und auf der andern Seite Myn Heer van Toll’s Vrouw Elizabeth, und mit - ten inne liegt Welgelegen. Ich will nun gar nicht reden von meinen innerlichen Schönheiten und bequemen Dingen, von der Menagerie, von mei - nem mit bunten Steinen gepflaſterten Hofe, vom179 Muſchelhäuschen, von der Voliere, von den Gold - faſanen und den Miſtbeeten voll Hyacinthen, die hier elend wild wachſen aber Sebulon, denke nur an die ſchöne Ausſicht auf den Canal, über den alle Tage die ſechs braun angeſtrichenen Treckſchuiten von den Jägerchen gezogen werden und auf die unabſeh - liche Wieſe dahinter, in der dann doch auch nicht eine einzige Erhabenheit, ſo groß wie ein Maulwurfshü - gel iſt, und den Hintergrund von zwölf Windmühlen im Gange! Und dann ſieht man das nicht alle Tage, nein, einen um den andern Tag nebelt oder regnet es, ſo daß die Entbehrung das Glück, um ſich blicken zu können, erhöht, und der Himmel bleibt immer, auch wenn es helles Wetter iſt, beſcheiden, mäßig und grau. Wie wird dir denn Sebulon, wenn du an alles das denkſt?

Abſcheulich wird mir zu Muthe, rief Sebulon und warf zornig ſeine Pfeife an den Boden, daß ſie zerbrach. Hole der böſe Feind dieſe verdamm - ten griechiſchen Wüſten!

Ereifre dich nicht, Sebulon, ſagte der Herr ſchläfrig, mit verdroſſenem Mundhängen. Ein Hol - länder ereifert ſich nicht, oder er prügelt wenig - ſtens Jemanden dabei, auf daß der Eifer einen12*180Nutzen habe. Mache mir jetzt Thee, das Waſſer dort ſcheint noch ſo ziemlich klar zu ſeyn, wie es in dieſem vermaledeiten Lande ſeyn kann, denn freilich, Waſſer von Utrecht iſt es nicht. Ich will unterdeſſen in der Elektra unſeres großen Vondel leſen. Er nahm ein Buch aus der Taſche, ſchlug es auf, und las halblaut mit ſonderbarem Pathos die Anfangsverſe der Vondelſchen Elektra:

O zoon van Atreus zoon, die’t opperste gezagh,
In’t Grieksche Leeger had, toen hy voor Troje lagh,
Nu zietge zelf het gée, daer staegh uw hart nacr
haeckte.
Dit’s Argos, d’oude Stad, daer uw gemoed om blaeckte.
Dit’s’t woud van zelf, dat dolgeprickelt dier.
Het wolfsveld van Apol, den wolvenschrick, is hier,
En dees vermaerde Kerck, die Argos Juno wydde,
Rijst ginder hemelhoogh, aen uwe rechte zijde

Ja, ja, unterbrach ſich Myn Heer van Streef, das iſt denn freilich etwas Griechiſcher, als dieſe helikoniſche Knüppeldammwirthſchaft. Er ſummte ſacht in ſeinem Vondel weiter.

Sebulon hatte unterdeſſen die Reiſetheema - ſchine, welche ſein Herr überall mit hinnahm, aus dem Mantelſacke hervorgeholt, Feuer angezündet, Waſſer aus der Hippokrene geſchöpft, es gekocht und grünen Thee aufgeſchüttet. Als das unent -181 behrliche Getränk bereitet war, reichte er ſeinem Herrn eine Taſſe.

Myn Heer van Streef führte ſie ſo langſam und mürriſch zum Munde, wie er in allen ſeinen Bewegungen bisher geweſen war. Er koſtete und koſtete, die ſchlaffen Lippen zogen ſich ein wenig zuſammen, dann ſchluckte er bedächtig den Inhalt der Taſſe hinunter, und ſagte: Sebulon noch eine. Sebulon ſah ſeinen Herrn bedenklich an und ſchüttelte den Kopf. Die zweite Taſſe trank Myn Heer van Streef, ohne zu koſten, aus. Seine Augen bekamen während des Trinkens eine Art von Glanz und er ſagte: Sebulon noch eine. Sebulon reichte ihm zitternd und eine große Un - ruhe in ſeinen Zügen die dritte Taſſe. Dieſe ſtürzte Myn Heer van Streef beinahe haſtig hin - unter und darauf ſah er faſt gen Himmel.

Ach, Myn Heer! rief der Diener beſorgt, was iſt Euch wiederfahren? Sonſt braucht Ihr ja auf drei Taſſen Thee drei Viertelſtunden, und hier geht es wie mit Extrapoſt in den Magen.

Der alte Holländer ſah ſehr nachdenklich aus und ſagte endlich nach langem Schweigen: Sebulon, dieſer Thee hier ſchmeckt mir beſſer als der auf meinem Landhauſe Welgelegen eine Stunde von Amſterdam.

182

Da raufte der treue Diener ſein Haar, weinte und ſchrie: O wehe mir, wehe! Myn Heer van Streef iſt auf dieſem nichtswürdigen Berge toll geworden; ſein Thee ſchmeckt ihm dahau - ßen beſſer als daheim; er lobt die Fremde auf Koſten von Altniederland, er iſt abgefallen von Oranjeboven und Altniederland.

Sebulon erhitze dich nicht, ſagte der Herr gleichmüthig und freundlich. Ich habe meinen Ver - ſtand nicht verloren. Weißt du, was Schwärmerei bedeutet? Es iſt der Zuſtand, worin ſich der Hanswurſt von Franzoſen, und der Bull von Eng - länder oft befindet, und der deutſche Muff faſt immer, Altniederland aber niemals. Die Sache ſollte aber zur Probe auch einmal an uns kom - men, denn bei Gott iſt kein Ding unmöglich. Ich liefere die Probe. Ich ſchwärme, Sebulon, das iſt das Ganze. In dem Thee muß etwas ſeyn; ich bin von dem Thee ein Schwärmer geworden, denn ich muß es noch einmal ſagen; er ſchmeckt wahrhaftig beſſer, als der auf meinem Landgute Welgelegen. Es wird aber ſchon wieder vergehen.

Nur mit Mühe gelang es dem ſchwärmeriſchen Holländer, ſeinen Diener zu beruhigen. Am mei -183 ſten wirkte dazu die Verſicherung, daß aller Wahr - ſcheinlichkeit nach dieſer exaltirte Zuſtand eine ret - tende Criſe ſeines Uebels ſei, daß die Waſſerſucht durch die Schwärmerei eine Stopfung erhalten habe. Der alte Schwärmer ſtand auf und ſchickte ſich zum Rückwege an, Sebulon packte das Thee - geräth zuſammen. Myn Heer van Streef ſah ſich um und ſagte: Ich möchte wohl ein Angedenken an dieſem ziemlich erträglichen Platz und an die ſchöne Stunde, in welcher mir der Thee ſo wohl ſchmeckte, mitnehmen, ein Erinnerungszeichen an die hieſige Schwärmerei. Was ſollen wir mitneh - men? verſetzte Sebulon noch immer ziemlich klein - laut, wir können doch nicht die Boompges (er meinte die Lorbeeren) oder die großen Klinker (er meinte die Klippen) einpacken. In dieſem Au - genblicke ſah er mich, der ich hinter einem Felſen den ſchwärmeriſchen Auftritt belauſcht hatte, zog mich hervor und rief: Was für eine Creatur iſt das? Der ſchwärmeriſche Holländer beſah mich, und ſagte dann langſam: Wirf dem Vieh einen Strick um den Hals, Sebulon. Das will ich mitnehmen als Angedenken an dieſe ſchöne Stunde. Es ſcheint zu einer unbekannten Thierart zu ge -184 hören; Myn Heer de Jonghe, der in Batavia ge - weſen iſt, ſoll mir ſagen, ob ſie auch auf Java vorkommt.

Was ſollte ich machen? Ein Entrinnen war nicht möglich, auch muß ich bekennen, daß die Reſte der Menſchheit in mir einige Freude darüber empfanden, wieder unter ihres Gleichen zu kom - men; obgleich eine geheime düſtere Ahnung mir zuflüſterte, daß die Schwärmerei des Holländers mir drückend werden könne. Ich ließ mir das Fang - ſeil geduldig um den Hals ſchlingen und verließ mit meinem neuen Herrn, der ſacht voranritt, und Sebulon, der mich am Stricke hinter ſich her führte, den Berg, auf welchem mir ſo Vieles be - gegnet war. Vor unſerem Abmarſche hatte Sebu - lon die Kantinen, die zu beiden Seiten des Pfer - des hingen, mit Waſſer der Hippokrene füllen müſ - ſen zu einem nochmaligen Thee auf dem Landhauſe Welgelegen.

Am Fuße des Berges war Myn Heer van Streef ſchon wieder eben ſo verdrießlich, wie vor - her, und dieſe Stimmung blieb ihm auch während der ganzen Reiſe. Wir ſetzten dieſelbe, nachdem wir in ebnere Gegenden gekommen waren, zu Wa -185 gen fort, d. h. Herr und Diener ſaßen im Wagen, und ich lief neben her Ihr mögt mir es glauben oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber wahr muß wahr bleiben ich habe die Paar hundert Meilen zu Fuß zurückgelegt, ausgenommen eine kurze Strecke des adriatiſchen Meers, die wir auf einer ſcla - voniſchen Schebecke durchſchnitten. Ja, neben hollän - diſchen Schwärmern läßt ſich ſchon zu Fuß fortkommen!

Bald genug aber ſehnte ich mich auf den He - likon zurück. Denn die Herrſchaft von Altnie - derland iſt die härteſte, die es giebt. Ich wurde behandelt wie eine Colonie, für mein Futter mußte ich ſelbſt ſorgen, auf der ſclavoniſchen Schebecke bekam ich, Gott verdamme mich, nichts zu genießen als den Duft von Hyacinthenzwie - beln, die Myn Heer van Streef gekauft hatte, und welche neben meinem Verſchlage lagen. Dazu die Einſeitigkeit einer Reiſe nach dem Bleiſtift - ſtrich! Denn nach dieſem machte mein Herr auch ſeine Rückfahrt. Die meiſten Merkwürdig - keiten der Oerter lernt man oft nur zur Hälfte kennen. So z. B. habe ich in Frankfurt das Incompetenzgebäude nicht zu ſehen bekommen, weil unſer Strich durch die Judengaſſe ging.

186

Nun, dieſe Unannehmlichkeiten hatten zuletzt auch ein Ende. Wir trafen in Amſterdam und eine Stunde ſpäter auf dem Landhauſe Welge - legen ein. Bei dem Anblicke des Canals, der ebenen Wieſe, der zwölf Windmühlen, endlich bei dem Anblicke ſeines ſtillen Hauſes mit den herab - gelaſſenen Fenſtervorhängen, mit dem buntgepfla - ſterten Hofe, mit der Voliere aus vergoldetem Drath und mit dem grünen, eingezäunten Flecke, auf welchem Gold - und Silberfaſanen nebſt an - derem Gethier ſpazieren gingen, vergoß Myn Heer van Streef zwei runde Thränen und ſagte zu Sebulon: O Welgelegen! weiter aber nichts. Sebulon ſchluchzte, beugte ſich vor dem Thore zur Erde, gleichſam um ſie zu küſſen und ver - ſetzte: Welgelegen iſt Welgelegen, Myn Heer van Streef. In der Pforte ſtanden ſechs nordhollän - diſche Mägde mit goldenen Blechen in den Haa - ren, alle weiß und rund und ſauber gekleidet, daß ſie glänzten. Sie machten einen Knicks, küßten ihrem Herrn die Hand und ſagten: Viel Glück und Heil zur Rückkunft, Myn Heer. Ihren Kreis trennte ein kleiner Mann, rothen Antlitzes, aber ganz weiß und ehrwürdig eingepudert, ſchüttelte187 dem Heimkehrenden die Hand und ſprach: Ich habe davon erfahren, daß Ihr heute kommen wür - det, da wollte ich gleich zuſehen, ob die Kur an - geſchlagen habe. Doctor, ich ſchwärmte auf dem Helikon, danach wurde mir beſſer, und ich bin völlig hergeſtellt, verſetzte der Patient. Der Doctor hatte ihn inzwiſchen prüfend beſchaut und erwiederte kaltblütig: Nein, Myn Heer van Streef, ihr ſeid noch eben ſo krank, als da Ihr abreiſ’tet, Ihr müßt deßhalb von Neuem auf Reiſen gehen, ſonſt ſterbt Ihr dann und dann. Er nannte den Todestag.

Hier aber ſah und hörte ich, wenn ich früher holländiſche Schwärmerei kennen gelernt hatte, was holländiſche Wuth heißen wolle. Denn das Geſicht von Myn Heer van Streef wurde grau - braun, die Stirnadern ſchwollen an, daß ſie Baum - wurzeln glichen, und er goß über den Doctor eine ſolche Fluth von Scheltreden aus, daß ich über den Reichthum der Landesſprache in derartigen Wendungen erſtaunen mußte. Der Doctor ſeiner - ſeits fühlte auch in ſich eine niederländiſche Begei - ſterung erwachen und ſchimpfte den Patienten aus, Sebulon ſchimpfte auf den Doctor, die erſte Nord -188 holländerin ſchimpfte auf Sebulon, daß er ſich in den Streit der Herren miſche, die Zweite auf die Erſte, daß ſie auf Sebulon ſchimpfe, die Dritte auf die Zweite, daß ſie auf die Erſte ſchimpfe, die Vierte auf die Dritte, daß ſie auf die Zweite ſchimpfe, die Fünfte auf Sebulon, die Erſte, Zweite Dritte und Vierte insgeſammt, die Sechste ſchimpfte auf Niemand insbeſondere, ſondern im Allgemeinen. Es erinnerte mich dieſes verwickelte Schimpfge - mälde durchaus an den gegenwärtigen Zuſtand der deutſchen Tagesliteratur.

Auf ſo laute und ſtürmiſche Weiſe ging der Empfang des ſchwärmeriſchen Holländers in der Hofespforte ſeines ſtillen Landhauſes vor ſich. Die Goldfaſanen, die Silberfaſanen und einige india - niſche Raben der Voliere ſchrieen in das allgemeine Geſchrei auch hinein, und Gott weiß, ob nicht noch Thätlichkeiten das Feſt gekrönt haben würden, wenn nicht plötzlich in der Entfernung das reitende - gerchen, und hinter ihm am Seile vom Pferde ge - zogen, das braune Nationalfahrzeug ſichtbar gewor - den wäre. Bei dieſem Anblicke ebneten ſich die zornigen Wellen, Aller Antlitz begann friedlich und freundlich zu leuchten, und wie aus einem Munde189 riefen Doctor, Patient, Sebulon und ſechs Nord - holländerinnen: Die fünfte Schuite! Kommt aber heute zwei Minuten zu ſpät, ſetzte Myn Heer van Streef hinzu, indem er auf ſeine Uhr ſah. Er ging freundlich in ſein Landhaus; der Doctor beſtieg beſänftiget die Schuite nach Amſterdam.

So ſchlichtete der Anblick der fünften Schuite von Harlem dieſe niederländiſchen Wirren. Ich war, als gehöre ich zur Familie, meinem Herrn bis auf den Hausflur gefolgt, aber eine Magd trieb mich ziemlich unſanft von den Stiegen und fing ſogleich an, heftig nachzuſcheuern, wo ich ge - ſtanden hatte, obgleich ich mir ſelbſt das Zeugniß geben muß, daß ich mich ſehr anſtändig auf dem Flure von Welgelegen benommen habe. Sebu - lon ſperrte mich auf einem der grünen Plätze zu den Gold - und Silberfaſanen ein, d. h. ich kam nicht zu dieſem Gefieder unmittelbar, ſondern er - hielt einen eigenen kleinen Abſchlag, wie denn auch jeder Goldfaſan und jeder Silberfaſan ſeinen be - ſonders abgeſteckten und eingefriedigten Platz hatte, vermuthlich, weil Myn Heer van Streef ſelbſt bei den Thieren holländiſche Neigungen vorausſetzte. Ich fand ziemlich gute Weide, wenn auch nicht ſo190 aromatiſche Kräuter, wie am Helikon, fraß mich endlich einmal in Muße wieder ſatt und verſchlief den meiſten Theil der folgenden Tage aus über - großer Ermüdung von dem langen Reiſewege. Erſt etwa eine Woche ſpäter bekam ich ſonach die Fähigkeit wieder, aufzumerken, über meine Umge - bung und mich nachzudenken.

Als dieſer Zeitpunkt eingetreten war, habe ich die Lebensweiſe eines holländiſchen Rentenierers, der ſich vom Geſchäft zurückgezogen hat, gründlich kennen lernen. Denn mein Weide - und Wohnplatz lag hart unter den Fenſtern des Luſthäuschens, welches durch den Hof von dem Haupthauſe ge - trennt, dem Herrn des Landhauſes zu ſeinem täg - lichen Vergnügungsorte diente, es mochte Son - nenſchein oder Nebel, Sturm oder Regen ſeyn. Sebulon hatte mir einen Felſen von Klinkern etwa vier Fuß hoch aufgebaut, welcher Klein-He - likon genannt wurde. Auf dieſen kletterte ich häu - fig und konnte von ihm aus Alles ſehen, was in dem Luſthäuschen vorging, das Meiſte auch hören, was darin geſprochen wurde, da die Fenſter, wenn das Wetter nicht gar zu ſchlecht war, nach der Menagerieſeite zu, offen zu ſtehen pflegten. Nach191 der Canalſeite aber waren ſie ſtäts geſchloſſen und auch verhängt bis auf eine kleine, zur Beobachtung der Treckſchuiten nothwendige Oeffnung.

Des Morgens um acht Uhr kam Myn Heer van Streef regelmäßig in ſein Luſthaus gegangen. Er trug dann ſeinen Frühanzug von zeiſiggrünem Camelot und eine rothe Mappe unter dem Arme. Mit der Pfeife und dem Theegeräthe folgte ihm die erſte Magd, denn zu Hauſe ließ er ſich nur von den Frauenzimmern bedienen, Sebulon war nur auf der Reiſe zum Diener erhöht worden, in dem Landhauſe Welgelegen hatte er ſeine Stel - lung als Haus - oder Gartenknecht wieder ein - genommen. Myn Heer van Streef trank nun ſeinen Thee, nicht raſch, wie auf dem Helikon, ſondern wirklich, wie Sebulon geſagt hatte, die Taſſe in einer Viertelſtunde, wozu er langſam den Rauch aus der angezündeten Pfeife blies und in geregelten Zeitabſchnitten wechſelsweiſe mit ſtar - rem Blicke nach dem Canal und nach uns, ſeiner Menagerie, ausſah. Sonſt nahm er während die - ſer Zeit nichts vor, denn er war der Meinung, daß jedes Geſchäft für ſich betrieben werden müſſe. Nach dem Frühſtücksgeſchäfte ſchickte er ſich zu192 dem Zweiten an, nämlich den Text ſeiner Kans - billets, die er in der rothen Mappe verwahrte, Stück vor Stück, obgleich derartige Schriftwerke bekanntlich gleich lauten, nachzuleſen. An den Zins - tagen geſellte ſich dazu die Arbeit, die Coupons abzuſchneiden. Dieſe Mühen pflegten die zwölfte Tagesſtunde heranzubringen. Dann erſchien ein Diener aus dem Landhauſe Schoone Zicht und Einer aus der Vrouw Elizabeth, brachte einen höflichen Gruß von Myn Heer de Jonghe und Myn Heer van Toll und die Anfrage ihrer Herrn: Wie Myn Heer van Streef geſchlafen habe und ſich befinde? Myn Heer van Streef antwortete nach langer Ueberlegung jeden Tag daſſelbe; daß die Nacht ziemlich ruhig geweſen ſei, und das Befinden, Gott ſei Dank, ſich leidlich verhalte. Wenn dieſe Boten abgefertigt waren, wurde Sebulon geklingelt und nach der Schoonen Zicht und der Vrouw Elizabeth entſendet mit höflichem Gruße von Myn Heer van Streef an Myn Heer de Jonghe und Myn Heer van Toll und ſeinerſeitiger Anfrage, wie dieſe beiden Herren geſchlafen hätten und ſich befänden?

Nach vorgedachten Anſtrengungen wurde zur Herſtellung der erſchöpften Lebenskraft wieder Thee193 getrunken, geraucht und die Meldung des zurück - kehrenden Sebulon entgegen genommen. Darauf ging Myn Heer van Streef in das Haupthaus, kam angekleidet zurück in den Hof, ſtellte ſich vor die Voliere und demnächſt vor jeden Abſchlag der Menagerie, ſah die Einwohnerſchaft der Voliere und dann Jedes von uns eine geraume Zeit lang be - dächtig an, ſchüttelte auf jeder dieſer Stationen das Haupt und ſagte, ſo oft er ſchüttelte: Un - vernünftige Thiere! Dieſes that er jeden Tag, auch wenn es regnete, Sebulon hielt ihm dann nur während dieſer geringſchätzigen Betrachtungen den Regenſchirm über.

Waren die Allocutionen an die Voliere und Menagerie geendiget, ſo ging er wieder in das Haupthaus und ſpeiſte, es mochte dann etwa vier Uhr Nachmittags ſeyn, zu Mittag; hielt darauf ſeine Mittagsruhe und kehrte, abermals eine Mappe unter dem Arme, jetzt aber eine grüne, ſechs Uhr Abends in das Luſthaus zurück. Er trank nun - mehr ſeinen dritten Thee, rauchte, wie ſich von ſelbſt verſteht, abermals dazu und las dann Am - ſterdamer Stadtobligationen, die er in der grünen Mappe verwahrte. Darüber pflegte es dunkel zuImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 13194werden; Myn Heer van Streef klappte gähnend die Mappe zu, ſah noch einmal nach dem Canal, verließ hierauf das Luſthaus und zog ſich in das Haupthaus zurück. Sobald es völlig dunkel war, ſchloß Sebulon die Pforte; die Lichter, welche in den Fenſtern des Hauſes eine kurze Zeit lang leuchteten, erloſchen allgemach ein Zeichen, daß Herr und Dienerſchaft in ihren Betten von den Anſtrengungen des Tages ausruhten. Das tiefſte Schweigen und die lautloſeſte Stille ſenkten ſich auf Welgelegen herab.

Ich habe unter den Beſchäftigungen des Tages anzumerken vergeſſen, daß Myn Heer van Streef auch den Ankunftsaugenblick jeder der ſechs Schuiten, welche täglich von Harlem nach Amſterdam vor - überfuhren, auf einer ſchwarzen Tafel, welche im Luſthäuschen hing, zu notiren pflegte, und aus den Unterſchieden wöchentlich eine mittlere Zeit heraus - rechnete. Ich hörte ihn zuweilen ſagen, es ſei ſein großter Kummer, daß dieſe Mittelzeiten nie ſtim - men wollten, auch wenn er ſie auf Monate, ja ſelbſt Jahre ſchlüge, und daß daher die rechte mittlere Ankunftszeit einer Treckſchuite noch immer ein unlosbares Räthſel wäre.

195

So ging ein Tag wie der Andere hin.

O Herr! ſeufzte ich bei dieſem niederländiſchen Leben in Freude und Raſt oft (denn ich bediente mich bei meinen Ausrufungen nun nicht mehr der Mythologie) was für eine Langeweile! Steht denn mein Herr nur eine Stufe über dem Faulthier und nicht tief unter dem Elephanten, dem ſtolz - empfindlichen Roſſe, dem rührigen Hunde, obſchon er Kans Billets und Amſterdamer Stadtobligatio - nen lieſt? Und doch dünkt er ſich was Rechtes, glaubt eine unſterbliche Seele zu beſitzen, und doch behandelt der ſchwärmeriſche Barbar uns Thiere mit Verachtung! Es war natürlich, daß ſich auf ſolchem Wege kein Verhältniß der Zuneigung zwi - ſchen mir und ihm entfalten konnte; dieſer Hollän - der war nicht geeignet, Liebe zu erwecken. Ich drehte ihm daher auch immer den Rücken zu, wenn er vor meinen Verſchlag trat. Um der Laſt der ſchrecklichen Langeweile von Welgelegen mich zu entziehen, ſuchte ich mit meinen Nachbarn in der Menagerie Umgang anzuknüpfen. Ich hatte recht leidliche Leute zu Nachbarn, links einen Goldfaſan und rechts einen Silberfaſan, hinter mir ein Paar Schildkröten in einem großen Sandkaſten und einen13*196jungen Biber, deſſen Schwanz in Waſſer hing. Es wäre mir intereſſant geweſen, mit Vögeln, Amphi - bien und amphibienartigen Geſchöpfen auch einmal meine Ideen auszutauſchen, aber dazu wollte ſich hier keine Gelegenheit finden. Dieſe Particuliers waren von dem geiſtigen Drucke, der über Welge - legen laſtete, ſo gebeugt, daß alle meine Verſuche, ihnen näher zu treten, mein herzliches Meckern und ſo mancher treugemeinte Bocksſprung keinen Anklang fanden. Die Faſanen lagen meiſtens, den Kopf unter die Flügel geſteckt, dumpf hinbrütend da, die Schildkröten zogen ſich, ſobald ſie ſich an ihrem Kohle ſatt geknabbert hatten, unter ihr Schild zu - rück, der Biber hatte für nichts Sinn als für das kalte Waſſer um ſeinen Schweif.

Meine Pein zu ſchärfen diente die berufene holländiſche Reinlichkeit. Es wurde nämlich auf uns Thiere eine beſondere Kehrmagd gehalten, welche bei ihrem Mitgeſinde Dreck-Griete hieß, weil ihr anbefohlen war, die äußerſte Sauberkeit unſerer Wohnſtätten in Obacht zu nehmen. Sie brachte den Tag über in einer Art von Portier - häuschen am Eingange des Haupthauſes zu und lugte beſtändig auf die Menagerie hinaus. Ließ197 nun ein Faſan eine Feder fallen, oder fiel ſonſt etwas vor, was nicht zu vermeiden ſtand lieber Gott, man bleibt denn doch Thier! alſobald ſchoß dieſe ihrem Berufe fanatiſch ergebene Reini - gungsperſon, bewaffnet mit einem langen Borſtbeſen hervor, riß den betreffenden Verſchlag auf und ſäuberte vermöge des Beſens die Stelle. Meine Collegen waren zu ſehr Vieh, um ſich hieraus etwas zu machen, aber in mir hatte der Menſch Theil an dergleichen Vorkommenheiten, in mir ſchämte ſich der Menſch vor einer ſolchen Ueberwachung ſeiner eigenſten und innerſten Angelegenheiten. Ich war oft in der größten Verlegenheit zwiſchen Müſſen und nicht Mögen, zwiſchen natürlichen Wünſchen und der Furcht vor der auflauernden und ſchon zum conventionellen Borſtbeſen greifenden Dreck - Griete!

Die Langeweile die Iſolirung die ewig drohende Kehrmagd meine Lage wurde von Tage zu Tage fürchterlicher! Münchhauſen war damals unglücklich, ganz unglücklich! Das Schickſal hatte mich zu hart angefaßt, ich war ein Opfer kalter Schwärmerei geworden; das iſt das Schrecklichſte, was es zwiſchen Himmel und Erde giebt.

198

Eine tragiſche Verzweiflung bemächtigte ſich meiner. Ich ſann auf Selbſtmord. Ich wollte die Natur zwingen; wie Andere ſich der Speiſe ent - halten, wollte ich dem Borſtbeſen der Reinigungs - perſon ſein Opfer unterſchlagen lange für immer! Denn ich fühlte, daß, mit Heldenmuth den Entſchluß durchgeführt, der Organismus untergehen müſſe. Dieſe Weiſe, zu enden, dünkte mich die erhabenſte, reinſte, ſie kam mir neu und unnach - ahmlich vor.

Ich hielt mich ſtill für mich. Zwei Tage lang raſtete das Thürſchloß meines Verſchlages. Die Reinigungsperſon umſchlich mich unheimlich ſpähend. Ich dachte: Schleich du; ich ſterbe!

Am dritten Tage ließ Myn Heer van Streef die Späherin rufen und fragte ſie, was mir fehle? ich ſtehe ja ſo verdroſſen und ohrhängerig da? Griete berichtete dem Herrn, was ſie wußte. So muß man abwarten, ob es ſich bis morgen mit ihm beſſert, ſprach mein fühlloſer Gebieter, und wenn das nicht geſchieht, ſo gebt ihm Er verordnete das ſchnelle und unwiderſtehliche Mittel, gegen welches in ſolchen Fällen ſelbſt der Heldenmuth eines Cato ſich fruchtlos ſtemmen würde.

199

Nein, es iſt zu viel! meckerte ich ingrimmig und traurig zugleich; indem ich am Felſen Klein - Helikon niederſank und meine heiße Stirn wider dieſe Klinker ſtieß. Nicht leben können, und nicht ſterben dürfen! Ich ſah ſchon im Geiſte den Augenblick, der meinen Entſchluß gewaltſam brechen würde, und das furchtbare Inſtrument in Grieten’s Hand, ich ſah mich ſchon wieder ſchamroth, ent - würdigt, in die alten Conflicte zurückgeworfen, denen meine freie Seele ſich entronnen wähnte.

Ach, der nämliche Tag ſollte mich noch etwas ganz Anderes ſehen laſſen! Wie ſchwach ſteht es um die ſogenannten großen Vorſätze! Bittere und demüthigende Erfahrung, die ich an mir ſelber machte!

Myn Heer van Streef empfing an dieſem Tage einen Beſuch von ſeinen Nachbarn de Jonghe und van Toll. Die Beſitzer der drei Landhäuſer Wel - gelegen, Schoone Zicht und Vrouw Elizaheth pfleg - ten einander nur einmal im Jahre gegenſeitig zu beſuchen. Die Tage waren ein für allemal feſtge - ſtellt, und ſonſt ſahen einander die drei Holländer nicht, obgleich die Landhäuſer kaum fünfhundert Schritte von einander entfernt waren. Wenn ſie200 zuſammenkamen, ſo zeigte der Wirth ſeinen Gäſten den Zuwachs vom letzten Jahre in dem, woran ſeine Seele hing. Myn Heer van Toll hielt auf ein reiches Porcellancabinet, Myn Heer de Jonghe auf eine Sammlung von Naturalien und Myn Heer van Streef auf ſeine Menagerie am meiſten.

Nachdem die drei Freunde im Luſthäuschen Thee getrunken hatten, führte mein Gebieter ſeinen Beſuch zu unſern Verſchlägen und fragte de Jonghe’n, der, wie wir wiſſen, in Oſtindien geweſen war, ob er eine Thierſorte, wie die meinige, auf Java kennen gelernt habe. Schon bei dem erſten flüch - tigen Ueberblicke, den mir der Naturalienſammler widmete, fingen ſeine Augen an zu glänzen, und ſeine farbloſen Wangen wurden von einer leichten Röthe überflogen. Ich mußte mich erheben, Myn Heer de Jonghe betrachtete mich von allen Seiten, hob meine Pfoten, die noch nicht ganz vergeſſen hatten, Men - ſchenarme zu bedeuten, auf, unterſuchte mein Vließ, guckte mir in den Rachen, befühlte meinen Schädel.

Myn Heer van Streef ſah dieſer Analyſe mit dem ruhigen Stolze eines glücklichen Beſitzers zu. Nach vielfältigem Anſchauen und Taſten war Myn Heer de Jonghe zu dem Bekenntniſſe gedrungen:201 Nein, dieſe Thierſorte kommt nicht auf Java vor. Ich glaubte Anfangs, es ſei der kleine gefleckte Hirſch, Moose-deer, welchen man auf Ceylon fin - det, aber der Bau des Schädels widerſpricht dieſer Annahme. Der Schädel hat etwas vom Affen, der ganze übrige Leib gehört in das Ziegengeſchlecht. Es hilft keine Menſchenmacht dawider, wir müſſen eine neue Species ernennen. Dieſes Geſchöpf, woran Ihr, Myn Heer van Streef, eine gar große Seltenheit beſitzt, muß der Bockaffe, capra simiae proxima, heißen.

Ich fand ihn, verſetzte Myn Heer van Streef, auf einem griechiſchen Platze, in einer unvergeß - lichen Stunde. Sebulon, ſage zur Gertruid, daß wir heute von dem Waſſer, welches du in den Kantinen mitbrachteſt, den dritten Thee trinken wollen, wofern es ſich friſch gehalten hat. Ich möchte ſehen, wie es auf Myn Heer van Toll und Myn Heer de Jonghe wirkt.

Er ging mit dem Erſteren zu ſeinen Hyacinthen, welche die zweite Stelle in ſeinem Herzen einnah - men. Myn Heer de Jonghe bat um die Erlaub - niß, bei dem Bockaffen zurückbleiben zu dürfen. Als er ſich mir gegenüber allein ſah, ſagte er: Daß202 Myn Heer van Streef dich, du einziges Exemplar, mir abläßt, iſt nicht zu denken, die Dienerſchaft wird nicht zu beſtechen ſeyn, folglich muß ich dich ſtehlen laſſen.

Nach dieſen unzweideutigen Worten kehrte mein Gebieter mit ſeinem zweiten Freunde von den Hyacinthen zurück. Wie ich Euch ſagte, Myn Heer van Streef, ſprach Myn Heer van Toll, es hält ſich auf Vrouw Elizabeth ſeit einigen Tagen ein fremder Maler und Chemicus auf, der eine beſondere Miſchung der Farben entdeckt hat, wo - durch auch auf dem Porcellan das vollkommene Helldunkel von Rembrandt ſich erzielen läßt. Ich wollte durch ihn eine große Vaſe in dieſer Manier malen laſſen, und alle Anſtalten des Glühens und Einbrennens ſind auch ſchon gemacht, nur war ich über den Gegenſtand noch verlegen, weil ich einen ganz neuen für die neue Manier zu haben wünſchte. Gar gerne möchte ich nun den ſogenannten Bock - affen in Helldunkel auf meiner Vaſe ſehen, weil den gewiß noch Niemand hat, und ich bitte Euch daher, daß Ihr mir die nachbarliche Gefälligkeit erzeigen wollet, meinem Chemicus dieſe Nacht den Zugang zur Menagerie zu verſtatten. Er ſoll an203 dem Thiere bei Laternenlicht ſeine Studien machen und in dieſer Beleuchtung eine Farbenſkizze von ihm entwerfen.

Nein, Myn Heer van Toll, das geht nicht an, verſetzte der Hausherr. Die nächtliche Ruhe von Welgelegen darf unter keiner Bedingung geſtört werden. Ihr könnet bei Tage dieſes fremde Thier durch Euren Chemicus in Helldunkel abzeichnen laſſen. Gertruid ging mit dem Theegeräthe nach dem Luſthäuschen. Kommt hinein, fuhr Myn Heer van Streef fort, ich will Euch, meine Freunde und Nachbarn eine neue Sorte Thee zu koſten geben.

Wieder alſo ſollſt du geſtohlen werden! dachte ich für mich. Biſt du denn ſo koſtbar? In - zwiſchen war es im Luſthäuschen ſehr luſtig gewor - den, freilich nur auf niederländiſche Weiſe. Offenbar hatte das Waſſer der Hippokrene durch die Reiſe ſeine Kraft nicht verloren. Die drei Freunde waren nach der erſten Taſſe vom Theetiſche auf - geſtanden und gingen, phantaſtiſch erregt, ohne ſich um einander zu bekümmern, im Stübchen auf und nieder. De Jonghe verſuchte, während er ging, einen Pas aus der Menuet a la Reine zu bewerk -204 ſtelligen, van Toll ſang in einem ſonderbaren Falſett das Nationallied, van Streef zog den Vorhang des Canalfenſters auf, öffnete Letzteres ſelbſt und vergaß, die eben vorbeifahrende ſechſte Schuite am ſchwarzen Brette zu notiren.

Statt eines drei holländiſche Schwärmer! Wunderbares Waſſer! Selbſt eine Stunde von Amſterdam wirkteſt du Zeichen, obſchon zu Thee verkocht! Bald ſollte die Schwärmerei wieder mich in ihre Kreiſe reißen, mich, den ſchickſalbe - zeichneten Helden der abentheuerlichſten Bildungs - geſchichte, welche jemals die Erde ſah. Van Toll trat an das Menageriefenſter des Luſthäuschens und flüſterte hinunter: Nach Mitternacht ſchicke ich den Chemicus mit einem Nachſchlüſſel her, dich abzureißen. Du ſollſt, und du ſollſt mir auf die Vaſe in Rembrandtſchem Helldunkel. Er trat zurück, de Jonghe näherte ſich hierauf dem Fenſter und rief, mit einem ſehnſüchtigen Blicke auf mich, halblaut hinaus: Stehlen laß ich dich noch vor Mitternacht und dann auf der Stelle ausſtopfen!

Ausſtopfen!? Nein, nein, das geht in das Ungeheure! Du sublime au ridicule Meine Sinne ſchwanden.

205

Als ich wieder zu mir ſelbſt kam, ſtand Myn Heer van Streef allein vor meinem Verſchlage und Sebulon neben ihm. Sebulon, ſagte mein Gebieter, der Beſuch iſt nun fort, und da kann alſo etwas geſchehen, was ſich vor Fremden nicht ziemt. Ich bin durch das Theetrinken wieder in die helikoniſche Stimmung gekommen. Ich möchte der ganzen Welt helfen und raſch! Sage der Griete, ſie könne auf der Stelle mit dem fremden Thiere hier verrichten, was nach meinem früheren Befehle erſt morgen vorgenommen werden ſollte.

Wird wohl nicht mehr nöthig thun, verſetzte Sebulon trocken. Es ſcheint wieder munter zu ſeyn, ſeht nur, Myn Heer, welche luſtige Sprünge es macht.

Ach nein, es war nicht mehr nöthig! Die gräßliche Perſpective, ausgeſtopft zu werden, hatte mit einem Schlage alle ſelbſtmörderiſchen Gedanken in mir vernichtet, mich dem Leben in jeder Be - ziehung wiedergegeben und die gewaltigſte Lebens - luſt in mir angefacht. Ich ſprang wie unſinnig im Verſchlage umher, das nannte jener holländiſche Hausknecht Luſtigkeit, ich ſtieß entſetzliche Töne aus, mich verſtändlich zu machen, meinem Gebieter206 den Verluſt ſeines Theuerſten anzukündigen, darüber lachten die Blinden!

Sie gingen, es wurde dunkel, Sebulon ſchloß die Pforte. Unglücklicher, lege auf die Mauer, über welche Myn Heer de Jonghe ſeine Mordknechte ſteigen laſſen wird, Selbſtſchüſſe und Fußangeln! Durch die Pforte kommt höchſtens der unſchuldige Chemicus, Euren armen kleinen Bockaffen im Hell - dunkel ſeiner harmloſen Laterne abzureißen! ſchluchzte ich. Wie wird er ſich betrüben, der Getäuſchte, wenn er ſtatt ſeines Studienobjectes nur die leere Stätte findet! Jammer über dich Welgelegen, wenn du morgen erwacheſt, und dein Kleinod dir geſtoh - len ſiehſt! Traure, traure, Vrouw Elizabeth, deine Vaſe bleibt unbemalt!

Warum kann der Chemicus nicht vor Mitter - nacht kommen, und die Bande de Jonghe’s nach Mitternacht? So würde der Chemicus noch bei Laternenlicht zeichnen, wenn die Bande anlangte, ſie verſcheuchen, und dieſe Nacht wäre wenigſtens gewonnen. Zufall, Zufall, du betrunkener Würfel - ſpieler! Tolles Räthſel des Daſeyns, grimmiger Wuſt chaotiſcher Verwirrung! O mein Vater, mein Vater, wo weileſt du? Eile herbei, deinen dir ſo207 ſauer gewordenen Wurm vor dem Letzten, Schreck - lichſten zu erretten! Du biſt wißbegierig und reiſeſt viel, mein guter Vater, vielleicht beſuchſt du einmal auch das Cabinet von Myn Heer de Jonghe, und welch ein Augenblick wird es dann ſeyn, wenn du deinen unglücklichen Sohn vielleicht zwiſchen einer Fiſchotter und einem ſibiriſchen Eichhorn ſiehſt! Zwar ich vergeſſe, wer ich bin, ich rede irre du wirſt mich nicht erkennen!

Ausgeſtopft zu werden! Gedanke, der das Hirn ſieden macht, und alle Sehnen krachen! Nichts als Balg zu ſeyn und Werg! Aus gläſernen Augen dumm und ſtarr zu ſchauen, und ewig den Drath in Rücken und Beinen zu fühlen, als einzigen hal - tenden Grundſatz! Neben ſich nur Bälge zu haben, und dieſe ganze trockene Unſterblichkeit lediglich auf Kampher und Spiekoel gegründet!

In ſolchen jämmerlichen Betrachtungen ging mir ein Theil jener merkwürdigſten Nacht meines Lebens hin. Ich fühlte zugleich, daß die äußerſte Beängſtigung in meinem Körper Folgen hervor - brachte, denn ich konnte, da ich im Verlauf meines Kummers als Menſch mir vor die Stirn ſchlagen wollte, wunderbar genug, dieß mit meinen Vorder -208 beinen bewerkſtelligen, ich konnte an mein Fell faſſen, und die Haare fielen ab, ſo wie ich ſie nur berührte, endlich ſchien in meinem Antlitze ein förmliches Umziehen und Quartierverändern von Maul, Naſe und Augen vor ſich zu gehen, ſo rück - ten und knackten dort die Knochen. Aber auf alles Dieſes hatte ich weiter nicht Acht, ganz ver - loren in die Furcht vor dem Ausſtopfen.

Gegen Mitternacht Geräuſch draußen vor der Mauer, Klimmen, Herabwerfen einer Strickleiter! Ein Kerl ſteigt an ihr nieder, tappt zwiſchen Biber und Schildkröte vorſichtig hindurch Ich ſitze (denn ich vermochte auch ſchon wieder zu ſitzen;) ſtumm da, und raufe mir vollends alles Fell ab; ſeine rauhe Tatze ergreift mich hui und davon mit mir über die Mauer! Ich hange ſchlotternd und an allen Gliedern gebrochen in ſeinen Armen. Was, zum Teufel, habe ich denn da gefaßt? Das iſt ja kein murrt er, während er einige Schritte längſt des Canals nach dem Landhauſe Schoone Zicht zu macht. Ehe er zu Ende geſprochen, ſtürzt ihm ein Mann entgegen, ruft mit einer von der Tugend ſelbſt gebildeten Stimme heftig: Steh du Dieb, ich ſah dich über die Mauer ſteigen! und209 haut auf ihn mit einem Degen ein. Der Dieb Sünde giebt keinen Muth läßt mich fallen und läuft davon. Ich falle in den Canal, jener unbe - zahlbare Retter ſpringt, immer den Degen in der Fauſt, mir nach, holt mich heraus, ruft: Wie, ein nacktes Kind? und trägt mich, dem von dieſen jähen Abwechſelungen das Haupt ſchwindelt, zu einer Laterne hin, die etwa hundert Schritte von der Stelle am Canale brannte. Bei dem Schim - mer dieſer Blendlaterne ſehe ich meinem Retter in das Antlitz, und wer faßt’s, wer glaubt’s, wer ſagt’s, was ich empfinde? Es iſt mein Vater, mein ſogenannter Vater!

Was die Furcht und der Jammer nicht ge - konnt, die Freude vollbringt es. Ich finde die Sprache wieder, und, zwar noch immer etwas meckernd, aber doch verſtändlich, iſt: Vater! Vater! Dein Kind! mein erſtes Wort. Mit heißen Thrä - nen ſtürze ich an ſeine Bruſt, er erkennt mich, wie ich ihn erkannt, und doch ſchweige, Lippe! falle, Vorhang über dieſe unbeſchreibliche Scene!

Stumm vor Rührung ſteckt er mich ohne Wei - teres wieder in ſeine linke Rocktaſche. Darin finde ich ihn ganz. Alle liebe Erinnerungen gehen mirImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 14210in jener Taſche auf; es iſt noch ein Reſt Frühſtück darin; ich verſuche, es zu eſſen. Es gelingt; ich kann wieder Brod und Wurſt eſſen! Ich bin ein Menſch wieder, das gebildete Kind gebildeter El - tern! Aber wie ging das zu? Mein Vater trägt mich in das Luſthaus Vrouw Elizabeth. Er iſt’s ja, er iſt der gute Chemicus, der ſich dort auf - gehalten, der mit dem Nachſchlüſſel zu mir kommen, mich nach Mitternacht bei Laternenlicht abreißen wollte, aber von einer unerklärlichen Unruhe ge - trieben, (ſein Vaterherz war’s, das ſo ſtürmiſch ge - klopft hatte!) vor Mitternacht ſich aufmachte, einen Degen zu ſich ſteckte, weil das Abentheuer immer einige Gefahr hatte, und ſo am Canal Zeuge des Diebſtahls wurde.

Wie ich dieſe erſten Erklärungen der wunder - baren Geſchichte empfangen, ich weiß es nicht mehr zu ſagen. Mein Vater ſtammelte nach der Taſche hinunter, worin ich ſaß, ich ſtammelte hinauf, wir begriffen uns durch Naturlaute. Aber warum machteſt du nicht Lärmen, mein Vater, als du den Dieb über die Mauer ſteigen ſahſt? fragte ich in einem ruhigen Augenblicke. O Sohn, verſetzte er, um einen Menſchen zu retten, haben ſich wohl211 ſchon größere Unwahrſcheinlichkeiten begeben müſſen, als daß man einen Dieb erſt einſteigen und dann wieder herauskommen läßt. Du konnteſt nur ge - rettet werden, wenn dieſe Unwahrſcheinlichkeit vor - fiel, denn machte ich früher Lärmen, ſo erwachte das Landhaus Welgelegen, die Pforte wurde beſetzt, du bliebſt mir unſichtbar und in den Händen von Myn Heer van Streef. Dieſe Antwort ſtellte mich vollkommen zufrieden.

Wir waren unter ſolchen und ähnlichen Geſprächen vor Brouw Elizabeth angekommen; mein Vater zog die Klingel und weckte dadurch den Portier, der ihm ſein Zimmer aufthat. In der Hellig - keit, welche durch Wachskerzen und Alabaſterlampen hervorgebracht wurde, umarmten wir uns nun erſt bei voller Muße. Vater, wie ſehe ich aus? war meine erſte Frage.

Abſcheulich, mein Sohn, verſetzte er. Deine Züge ſind in einer wunderbaren Unordnung, es iſt, als wären Naſe, Mund und Augen bei dir berauſcht geweſen und erwachten nun in Winkeln, wohin ſie nicht gehören. Die Ohren müſſen wir vor allen Dingen ſtutzen, ſie haben ſich etwas zu üppig gen Himmel erhoben, an den Extremitäten ſind dir14*212überflüſſige Haarbüſchel gewachſen, auch deine Spra - che ſchmettert ſonderbar; warſt du etwa bei einem Trompeter in der Lehre? Du kommſt mir vor wie eine durcheinander geworfene Bibliothek oder Gar - derobe, die einzelnen Beſtandtheile deiner Totalität ſind richtig vorhanden, aber es fehlt die Harmonie.

Alles nichts, mein Vater, ſagte ich, nachdem ich vor den Spiegel getreten war, und mich wieder ſo ziemlich menſchlich geſehen hatte. Er brannte, meine Geſchichte zu vernehmen. Ich gab ſie ihm in großen Umriſſen. Er glaubte, ich habe geträumt. Sieh mich an, verſetzte ich, und ſage dann noch einmal, daß dies Träume geweſen ſeien. Das letzte Wun - der, ſo ſchloß ich meinen Bericht, war das größte. Hat man auch nur noch ein Fünkchen Humanität in ſich, und ſoll man ausgeſtopft werden, ſo nimmt ſich bei dieſem Gedanken jenes Fünkchen zuſammen und man reſtaurirt ſich von innen heraus. In den Tiefen von Angſt, Grauen, Verzweiflung habe ich mich ſo zu ſagen als Menſchen zum zweitenmale geboren und die Thierhülle durch Seelenkämpfe abgeſtreift.

Streife jetzt nur auch eine anſtändige Hülle über! rief mein Vater, ging zu einer Commode213 und holte daraus die weißen Pumphöschen, das rothe Collet, den kleinen blechernen Säbel und den Turban hervor. Großer Gott! die Janitſcha - rencadettenuniform war auch da! Wo fandeſt du ſie? fragte ich ihn. Im griechiſchen Gebirge, wel - ches ich nach dir verzweiflungsvoll, wie Ceres Proſerpinen ſuchte, durchrannte, antwortete er. Ich fand die Stücke auf einem Felſenabhange und glaubte, daß dich ein Raubthier gefreſſen habe. Aber mein Vater, ſagte ich, indem ich die Hoſen anzog, an den Kleidungsſtücken war ja kein Blut, woher alſo dieſer Glaube? Konnte dich das Raubthier nicht rein herausgefreſſen haben? erwie - derte er, etwas verſtimmt über meine kritiſchen Zweifel. Er mußte mir nun auch ſeine Geſchichte erzählen. Sie war einfach. Aus Schmerz über meinen Verluſt hatte er, nachdem er jede Hoffnung aufgegeben, mich wiederzufinden, ſich noch eifriger den chemiſchen und phyſikaliſchen Studien ergeben, wie früherhin, und unter anderem auch jenes Far - benbereitungsgeheimniß entdeckt, welches ihn dem Holländer van Toll ſo werth machte. In der Heimath litt ihn der Kummer nicht, er reiſte durch die Lande Europa’s als düſterer, zerriſſener Por -214 cellanmaler. Unterweges traf er mehrere Collegen. Durch die allerſeltſamſte Fügung brachte uns das Schickſal wieder zuſammen. Er ging bei Nacht aus, einen Bock zu zeichnen und traf ſeinen Sohn.

Wir machten uns noch vor Tagesanbruch von Vrouw Elizabeth fort, denn mein Vater fühlte wohl, daß, da er dem Eigenthümer das fremde Thier nicht auf die Vaſe liefern könne, ſeine Rolle im Landhauſe ausgeſpielt ſei. Wir benutzten die erſte Schuite nach Amſterdam, und dort die erſte Gelegenheit nach Bodenwerder. Als wir im Wagen ſaßen, ich wie in den erſten Zeiten in der Taſche, fiel mir der Gedanke an Frau von Münchhauſen, die Gemahlin meines Vaters, ſchwer auf das Herz. Ich theilte ihm die Beſorgniß mit und ſetzte hinzu: Wird es uns nicht gehen, wie Myn Heer van Streef, der in der Pforte ſeines Landhauſes zum zweitenmale auf Reiſen geſchickt werden ſollte?

Nein, mein Sohn, erwiederte er, die vortreffliche Frau iſt bereits vor ſechs Monden geſtorben, von mir begraben und hinlänglich beweint worden. Ich zollte ihrem Andenken ebenfalls einige nachträgliche Zähren.

Auf Bodenwerder widmete ſich mein Vater nun ganz dem Werke meiner Ausbildung. Denn ob -215 gleich ich, wie aus dem Verlaufe dieſer Ge - ſchichte erhellt, ſchon als kleines Kind wie ein Buch ſprach, ſo fehlte es doch meinem Wiſſen an Zuſammenhang, der jetzt erzielt werden mußte. Einen Augenblick dachten wir daran denn ich gab zu meinem Bildungswerke auch jederzeit meine Stimme mich nach Lorinſer’s Ideen ohne Grie - chiſch und Lateiniſch bloß durch Haus - und Wirth - ſchaftskenntniſſe zum Manne zu machen, allein es entſtand die Beſorgniß, daß ich bei dieſer Methode leicht wieder in meinen früheren Zuſtand verſinken könnte, und es dann vielleicht nicht einmal bis zum Bock, ſondern nur bis zum Schöps brächte. Wir ließen alſo Lorinſer Lorinſer ſeyn und mein Unter - richt wurde in der Art geregelt, welche ich in einer meiner früheren Erzählungen zu ſchildern ver - ſucht habe.

Noch oft unterredeten wir uns über die Ein - zelheiten meiner außerordentlichen Geſchichte. Sage mir nur, mein Sohn, ſprach mein Vater eines Tages, welche hiſtoriſche Lehre ziehſt du aus allen dieſen unglaublichen Vorfällen? Vater, verſetzte Münchhauſen das Kind, die Geſchichte iſt erhaben über alle Lehren. Willſt du aber aus der meinigen216 durchaus einen Satz ziehen, ſo iſt es die einfache Wahrheit, welche jeder Student fühlt daß die Söhne auf die Taſchen ihrer Väter angewieſen ſind.

Hier machte der alte Baron noch einen letzten Verſuch, den Strom Münchhauſen’s zu hemmen, denn ſeine Kräfte waren ſchon halb gebrochen. Der Freiherr hatte aber auch jetzt Rath und Stärke, ihm zu begegnen, denn ehe der Schloßherr ſeinen Spruch vorbringen konnte, war bereits das zweite Manuſcript entfaltet und die Geſchichte von den Poltergeiſtern in und um Weinsberg angefangen.

Als der Freiherr auch dieſe zu Ende geleſen hatte, ſchlief der alte Baron, erſchöpft von den Anſtrengungen der letzten vier und zwanzig Stunden und den ausgezeichnet albernen Erzählungen ſeines Gaſtes einen feſten und geſunden Schlummer. Der Freiherr ſtellte ſich triumphirend neben den Seſſel des Schlafenden und rief mit gedämpfter Stimme: Habe ich dich endlich unter mir, du alter Nacht - ſchwärmer und Ruheſtorer?

217

Uebrigens iſt meine Lage auf dieſem Schloſſe bedenklich geworden, fuhr er ernſthaft fort. Theo - retiſch darf man den Leuten ſo viele Dinge, welche der Pöbel Lügen nennt, vorſagen, als man will, aber wehe dem, der ihnen etwas in den Kopf ſetzt, woran ſich ihr Eigennutz heften kann! Sie glauben’s, ſie glauben’s, und die Schüler treiben den Meiſter in die Enge. Ich fürchte, daß ich einen Fehler begangen habe, als ich die Luftverdichtungsactien - compagnie hier zur Sprache brachte, und der würde ſchlimmer ſeyn, als ein Verbrechen.

218

Zehntes Capitel. Die Geſellſchaft des Schloſſes beginnt ſich in ihre Elemente aufzulöſen.

Während des ganzen Tages, an welchem der alte Baron ruhelos umhergetrieben, und das Fräu - lein unpaß geworden war, hatte der Schulmeiſter Holz geſägt und darauf geſpalten. Am folgenden Morgen empfing er durch den Kreisboten, welcher ihn in aller Frühe auf ſeinem Strohlager weckte, eine Antwort von dem Schulrathe Thomaſius, die ihn ſehr froh machte. Er warf ſogleich ſeinen braunen Mantelkragen um, ſäuberte das Gemach des Gartenhäuschens von allen Spuren der Be - wohnung, ſtellte den ſchlechten Tiſch und den höl - zernen Schemel, welche Stücke die einzigen Meubles dieſes Gelaſſes waren, in Ordnung, den Tiſch näm - lich an die Wand und den Schemel mit dem Sitze219 unter den Tiſch, und ſchrieb darauf mit Bleiſtift nicht ohne Mühe und Nachdenken folgende Zeilen an die Wand:

Allhier habe ich, Chriſtoph Ageſel, weiland Schulmeiſter auf und zu Hackelpfiffelsberg neun Monate lang in ſchwerer Krankheit zugebracht, welche mir durch eine unverſtändliche Sprachlehre angethan worden war. Nachdem der grundgütige Gott mir meine Geſundheit wieder verliehen, ſcheide ich von dieſem Orte, an welchem ich manche ſchöne Stunde verlebte, mit Dank für die Ver - gangenheit und mit Hoffnungen für die Zukunft.

Wie reizend iſt doch die Empfindung
Ganz wieder bei Verſtand zu ſeyn,
Er bleibt die herrlichſte Erfindung,
Schützt uns vor leeren Träumerein;
Man wird damit auf Erden faſt
Bereits zu einem Himmelsgaſt.

Nach dieſer Schäferſtunde ſeiner Muſe ſchritt der Schulmeiſter hinaus in den Garten, wo über allen Verwilderungen und Trümmern der wolken - loſe blaue Himmel leuchtete, warf einen dankenden und abſchiednehmenden Blick den ausgewachſenen Taxusfiguren, dem Genius des Schweigens, dem Flötenbläſer ohne Flöte und dem Delphin ohne220 Waſſerſtrahl zu, und ging dann in das Schloß, um dem Herrn deſſelben ſeine veränderten Entſchlüſſe kund zu thun.

Dem alten Baron ſchmerzte noch von den phan - taſtiſchen Erzählungen Münchhauſen’s das Haupt. Um von dieſen weſenloſen Dingen ſeine Vorſtellun - gen zu befreien, war er, ohne vorher den gewohnten Frühgang durch den Garten zu machen, ſogleich nach dem Verlaſſen des Bettes zur Gerichtsſtube hinauf - geſtiegen. Dort ſich an die Tafel ſetzend, gelang es ihm auch, ſeine Gedanken zu ſammeln.

Er ſtützte den Arm auf die Tafel, legte das Haupt in die Hand und ſagte: Ich merke recht wohl, wo dieſes hinaus will. Es reut ihn, ſein Luftverdichtungsgeheimniß in einem unvorſichtigen Augenblicke dahingegeben zu haben, darum ſucht er mir durch die unſinnigſten Faxen zu entſchlüpfen. Nein, mein kluger Freund, das ſoll dir nicht ge - lingen. Zum Glück kennen wir deine ſchwache Seite, und gegen dieſe habe ich bereits meinen Operationsplan entworfen. Unter Freunden ſoll Offenheit herrſchen, nach dieſem Grundſatze werde ich verfahren und hinter deine Heimlichkeiten zu kommen ſuchen, du unaufhaltſamer Schnurrenerzähler! 221Unbegreiflich, woher der Menſch alles das Zeug nimmt! Er muß ein ſonderbares Leben geführt haben; mitunter iſt es mir, als habe ich ihn ſchon irgendwo geſehen, ich weiß nur nicht, wo?

Der Schulmeiſter betrat den Söller, bot ſeinem bisherigen Beſchützer einen ehrerbietigen guten Mor - gen und erſuchte ihn dann ohne weitere Vorrede um einen ſeiner alten, abgelegten Röcke. Auf die ver - wunderte Frage des alten Barons, wie er gerade jetzt auf dieſes Verlangen falle, da er ſich ſo lange mit dem braunen Mantelkragen beholfen habe, erwiederte der Andere, daß letztere Bekleidung ihm als Menſchen in ſeiner Zurückgezogenheit wohl er - laubt geweſen ſei, ſich aber nicht mehr ziemen wolle, wenn er, wie jetzt der Fall, in das öffent - liche Leben wieder einzutreten gedenke. In dieſem werde nur der Rock anerkannt. Ich habe, fuhr er fort, indem er einen Brief hervorzog, geſtern an meinen verehrten Vorgeſetzten, den Herrn Schul - rath Thomaſius unter unumwundener Darlegung meiner früheren und jetzigen Gemüthsverfaſſung geſchrieben und ihn erſucht, mir einen Lehrpoſten von Neuem anzuvertrauen, da ich mich vollkommen fähig fühle, denſelben zu bekleiden, nur nicht auf222 einem Dorfe, wo jene furchtbare Sprachlehre ein - geführt ſei, ſondern etwa weit hinten im Ge - birge, wohin dieſe Geißel Gottes noch nicht Zugang gefunden habe. Darauf antwortet mir nun der würdige Mann mit dem rückgehenden Boten, daß ich, wenn er bei einer perſönlichen Zuſammenkunft ſich von der Wahrheit meiner Behauptungen über - zeuge, ſogleich nach Hackelpfiffelsberg heimkehren könne, indem mein Nachfahr im Amte mit vorbe - rührter Sprachlehre auszukommen gleichfalls unver - mögend, vor Kurzem habe abgeſetzt werden müſſen, weil er aus Kummer und Unruhe, zwar nicht wie ich in Einbildungen, jedoch in Trunk und unduld - bare Ausſchweifungen verſunken ſei. Unvonnöthen ſei es aber, mich vor der Sprachlehre ſelbſt noch zu fürchten, da ſie neuerdings bei einer abermaligen Umgeſtaltung des Schulplanes auch ſchon wieder abgeſchafft worden ſei. So bin ich denn alſo hier, mein gütiger Gönner und Schirmherr, Ihnen für alle mir erwieſene Großmuth den empfundenſten Dank zu ſagen, Sie um die von mir erwähnte letzte Gabe anzuſprechen, und mich Ihnen hierauf, jedoch hoffentlich nicht für ewig, gehorſamſt zu empfehlen.

223

Der alte Baron war vom Kopf bis zu den Füßen Erſtaunen und ſagte: Seid Ihr denn, Herr Ageſilaus

Völlig bei mir, allerdings, fiel der geheilte Schulmeiſter ein. Ich bitte Sie aber inſtändigſt, mich fortan Ageſel zu nennen, denn ein Ageſel war ich, ein Ageſel bin ich, und ein Ageſel werde ich ſeyn, und geweſen ſeyn, dahier und in jener Ewigkeit.

Nein, das iſt aber nicht auszuhalten! rief der alte Baron und ſchlug zornig auf die Gerichtstafel. Geſtern lügt mir Münchhauſen vor, er ſei ein Bock geweſen und aus Verzweiflung wieder Menſch ge - worden, und heute wird in Wahrheit und vor meinen ſichtlichen Augen ein Verrückter vernünftig. So darf man denn auf Niemand ſich verlaſſen und könnte über ſolche Streiche ſelbſt närriſch werden, hätte man nicht ſo viele Geſchäfte im Kopf.

Es ſchmerzt mich, daß ich meinem Gönner Kummer bereite, ſagte der Schulmeiſter ſanft. Das in Ihren Augen unangenehme Ereigniß iſt auf ganz natürlichem Wege herbeigeführt worden, und alle hoch - ſchätzbaren Bewohner dieſes Schloſſes haben daran ihren Theil.

224

Wie? Natürlich? Es iſt unrecht von Euch, Schulmeiſter, wiederhole ich. Konntet Ihr nicht bleiben, was Ihr wart? Warum wollt Ihr nun fortlaufen? Wir lebten hier ſo einträchtiglich zu - ſammen, man hatte ſich an einander gewöhnt, Eines lehnte ſich an das Andere; nun kommt ein Riß in den ſchönen Kreis.

Wenn etwas meine Freude über mich und mein hergeſtelltes Selbſt zu trüben vermag, ſo iſt es das Gefühl, Sie verlaſſen zu müſſen, antwortete der Schulmeiſter. Gnädiger Herr, ich kann nicht dafür, daß ich meinen Verſtand wieder bekommen habe. Mangel an Anerkennung iſt daran Schuld. Ich bin nie unter Ihnen anerkannt worden. Gleich zu Anfang, als ich die Ehre hatte, bei Ihnen zu ſeyn, fand ich für meine Idee von ſpartaniſcher Abſtammung und Lebensweiſe weder bei Ihnen noch bei dem gnädigen Fräulein Anklang oder Widerſpruch, ſondern man ließ mich und meinen Wurm gehen, als völlig unſchädlich und keiner Beachtung würdig. Dieſe Kälte ſteigerte ſich aber zur verletzendſten Gleichgültigkeit, als der Freiherr von Münchhauſen, welchen Gott Ihnen geſegnen möge, Gaſt des Schloſſes Schnick-Schnack-Schnurr wurde. Während225 er der Empfindſamkeit des Fräuleins ſchmeichelte, Ihren Geheimenrathsbegriff abwechſelnd hochſtellte oder reizte, und während Sie Beide fortfuhren, von Ihren ungewöhnlichen Gedanken gegenſeitig aufmerkende Kunde zu nehmen, bekümmerten weder Sie noch der Freiherr ſich um die Vorſtellungen eines armen Dorfſchulmeiſters

Ihr werdet ausfallend, Schulmeiſter! rief der alte Baron. Nach Eurer Folgerung wäre ich alſo ſelbſt

Mein Gönner verſtehe mich, unterbrach ihn der Andere. Die Sprache führt in ihrem Eigenſinne derartige verfängliche Wendungen herbei, welche der Sprechende keinesweges beabſichtigte. Ich fol - gere nicht; meine einzige Abſicht iſt, mich Ihnen aufzuſchließen. Weder durch eingehendes Lob gehoben, noch durch Widerſpruch gekräftigt, ent - behrte ſonach die Pflanze meines Wahnwitzes (um bildlich zu reden) des befruchtenden Regens ſowohl, als des Sturmes, der ihre Wurzeln im Boden befeſtiget hätte. Sie mußte alſo nach und nach in ſolcher Dürre vertrocknen, welken und abſterben. Dieß ſchlich lange in mir umher; Sie würden, wenn Sie mich näher zu beobachten nicht unterImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 15226Ihrer Würde gehalten hätten, geſehen haben, daß ich ſchon ſeit geraumer Zeit ſtill und nachdenklich einherging. Ich fühlte die ſpartaniſche Idee in mir von Tage zu Tage bleicher und farbloſer werden. Durch eine unumwundene Erklärung des Freiherrn von Münchhauſen in vorgeſtriger Nacht wurde ihr völliges Verſcheiden hervorgebracht, und ſeitdem bin ich der Dorfſchulmeiſter Ageſel von niederer deutſcher Herkunft.

Anerkennung, mein Gönner, braucht Jedermann. Der größte Held und der höchſte Dichter bleiben ohne ſie und zeigte ſie ſich auch nur durch wüthende Feindſeligkeit gewiß nicht Held und Dichter. Es iſt thöricht, wenn kalte Menſchen einen in dieſer Beziehung Darbenden auf ſein eigenes Bewußtſeyn verweiſen, weil gerade die beſten und tüchtigſten Seelen immerdar an ſich zweifeln, und von Andern eine ſo große Meinung haben, daß ſie in deren Schätzung ihr Gericht finden. Alle Eigenſchaften können durch todte Gleichgültigkeit der Umgebungen zu Grunde gerichtet werden.

Anerkennung, Herr Baron, braucht auch der Narr, wenn er Narr bleiben ſoll. Er will entweder gebunden und in die Zwangsjacke geſteckt, oder in227 ſeiner eigenthümlichen närriſchen Vorſtellungsart angeſprochen ſeyn. Läßt man ihn aber laufen, ſo wird er bald vernünftig, er mag wollen oder nicht.

Schulmeiſter, rief der alte Baron, Ihr ſprecht da große Dinge aus. Demnach wäre alle Unver - nunft

ſehr bald zu heilen, ja vielleicht ſchon ganz in der Welt ausgegangen, wenn nicht darauf ge - achtet würde, ſagte der Schulmeiſter. Ein Satz, der nicht nur im Privatleben ernſtlich erwogen, ſondern auch Fürſten und Gewalthabern zum Nach - denken anempfohlen zu werden verdient. Der Lärmen und das Geſchrei um widerſinnige Vorſtel - lungen und Handlungen rührt auch meiſtentheils nicht aus einem Widerwillen gegen ſie, ſondern daher, daß jeder Menſch in ſich den Narren fühlt, und ihn liebt und zu erhalten wünſcht. Er macht daher über den Narren ſeines Nächſten ſo großes Aufheben, oder richtiger zu reden; Er widmet ihm Anerkennung, weil er bei ſich denkt: Was du willſt, daß dir die Leute thun ſollen, das thue ihnen zuerſt.

Der alte Baron verwunderte ſich jetzt wie ſchon früher einmal über die Weisheit des Schulmeiſters, die ihm geblieben war, obgleich er wieder den Sinn15*228eines gewöhnlichen Menſchen angelegt hatte. Als er etwas der Art ausſprach, meinte der Schul - meiſter, dieſer Tiefſinn, der ihm allerdings nicht recht eigne, möge ihm wohl noch als Nachübel ſeines Zuſtandes anhaften, indeſſen hoffe er auch davon bald befreit und gewöhnlicher Menſch in der vollſten Bedeutung des Wortes zu werden.

Da der Schloßherr ſah, daß es ſeinem Gaſte voller Ernſt war, zu ſcheiden, ſo erlaubte er ihm, von mehreren abgelegten Röcken, welche an den Pflöcken in der Gerichtsſtube umherhingen, ſich einen auszuwählen. Der Schulmeiſter war lange unſchlüſſig, ob er einen leberfarbenen Frack oder eine veilchenblaue Pekeſche mit Sammetvorſtößen nehmen ſollte, entſchied ſich aber endlich doch für die Pekeſche, weil ſie den Regen beſſer abhielt, als der Frack.

Als er ſie eben vom Pflocke nahm, trat Karl Buttervogel mit einer ängſtlichen Miene in die Gerichtsſtube. Gnädiger Herr, ſagte er, wie ich jetzt unten durch die Stube linker Hand, worin Sie Ihre Familenurkunden aufbewahren, ging, ſah ich, daß die Wand gegenüber der Giebelwand einen großen Spalt und Riß bekommen hat, woraus ich229 abnehme, daß die Giebelwand noch weiter ausge - wichen iſt, als früher, und wahrſcheinlich anfängt, das Dach mitzunehmen.

Ganz wohl, verſetzte der alte Baron. Ich wollte nur, ein Theil des Hauſes ſtürzte ein, ohne daß eine merkliche Gefahr für uns Andere daraus ent - ſtände, denn dann wäre dein Herr gezwungen, Ernſt zu machen, und vorläufig für die hieſigen nothwendigſten Reparaturen zu ſorgen.

Ja, aber bis daß die Sache zu Stande kommt, möchte ich wohl ausziehen, ſprach der Bediente. Und ich wollte den gnädigen Herrn gebeten haben, mir das Logis auf dem Schneckenberge zu geben, da der Herr Schulmeiſter es nun geleert hat, und es wäre doch Schade, wenn die angenehme Som - merwohnung nicht benutzt würde, und mein bisheri - ges Loch liegt dicht neben der Wand mit dem Sprunge, und außerdem liebe ich die freie Luft und eine Ausſicht in’s Grüne, und mag gerne mitunter vor mich ſeyn, und auch das gnädige Fräulein kann mich dort ungeſtörter ſprechen, und wenn man ſeine Wurſt nicht mehr in Ruhe eſſen darf, ſo iſt alles häusliche Vergnügen zum Henker, und hier oben haben nun der gnädige Herr Ihr Gerichtsregiment und

230

Schweige, ſchweige! rief der alte Baron. Bei dir wachſen wirklich; wie ich in einer engliſchen Comödie las, die Gründe gemein wie die Brom - beeren; die Hälfte von dem, was du ſagteſt, genügt. Du biſt ein Poltron, und denkſt nur, wie Ihr geringen Leute Alle zu thun pflegt, an dein theures Leben. Schlafe ich nicht auch in der Nähe jener geborſtenen Wand? Aber ziehe nur auf den Schnecken - berg, es iſt mir ſelbſt lieb, wenn Jemand dort wohnen bleibt, der doch wenigſtens halb und halb zu uns gehört. Du ſollſt mir ein Troſt für den Schulmeiſter ſeyn.

Dieſer bereitete ſich zum Abgehen. Der alte Schloßherr reichte ihm nicht ohne Rührung die Hand, welche der Schulmeiſter mit dankbaren Thränen küßte. Gott lohne Ihnen alles Gute, was Sie mir erzeigt haben! rief er. Er ſegne Ihre Tage und ſchenke Gedeihen Allem, was Sie vornehmen!

Schulmeiſter, ſagte der Alte und legte ihm feierlich die Hand auf die Schulter; wenn ich mir es reiflich überlege, ſo geht Ihr im rechten Augen - blicke. Große Umgeſtaltungen der Lebensverhält - niſſe ſind immer zerſtöreriſch für den bisherigen Umgang. Das Schloß wird der Schauplatz wichtiger231 Unternehmungen werden, in denen Ihr keine Stelle fändet und Angeſichts derer Ihr Euch unbehaglich fühlen würdet.

Unter uns behaltet es aber bei Euch: An dem Geheimerathspoſten liegt mir ſo viel nicht mehr. Wißt Ihr, was Luft iſt? Wenn Euer Schulhaus baufällig werden ſollte, ſo eröffnet mir die Sache vertrauensvoll, es ſoll Rath geſchafft werden für Material zum ſelbſtkoſtenden Preiſe. Unglaublich iſt, was wir hier vorhaben, und den - noch iſt es wahr, denn ein Cavalier hat es dem Andern zugeſichert, und aus Unrath machen ſie jetzt Licht und aus dem, was man ſonſt weggoß, Zucker. Noch Eins; Euer Weg führt Euch nahe am Oberhofe vorbei, erkundigt Euch doch dort, ob ſie etwas von der Lisbeth wiſſen, ſie wollte bei dem Hofſchulzen vorſprechen. Mich verlangt von Herzen nach dem Kinde, beſonders jetzt, wo ich ihr die Freude machen kann, ihr eine geſicherte Zukunft zu verſprechen.

[232][233]

Viertes Buch. Poltergeiſter in und um Weinsberg.

[234]235

I. Das Juliusſpital und die beiden alten Weiber.

In Würzburg angekommen, war mein erſter Gang nach dem Juliusſpitale. Das prächtige Ge - bäude, die Reinlichkeit und Stille der großen Höfe, Gänge und Säle, das zufriedene Ausſehen der Alten und Reconvalescenten, welche im freundlichen Garten ihren Sonnenſchein genoſſen alles das machte einen wohlthuenden Eindruck auf mich. Ich ließ mich in die Kellerei führen, pries die werkthätige Menſchen - liebe Julius Echter’s von Meſſelbaum und leerte auf ſein Andenken eine Flaſche Leiſten, eigenes Wachsthum des Spitals. Ich wurde geſprächig, der Kellermeiſter, welcher mir trinken helfen mußte, wurde es auch, ein Wort gab das Andere, und im Laufe dieſer Geſpräche ſagte ich zu ihm: Es iſt hier bei Ihnen ſo anmuthig, daß man wünſchen könnte, zu Ihren Alten und Siechen zu gehören.

236

Ja, es läßt ſich ſchon im Juliusſpital leben, verſetzte der Kellermeiſter behaglich und ſtrich ſeinen Bauch. Wir haben die ſchönſten Lagen und davon erhält Jeder, der zu ſeiner Geſundheit ſchweren, feurigen Weines bedarf ohnentgeltlich, die Flaſche mag fünf oder ſechs Gulden koſten. Auch für ge - wöhnlich bekommt Mann und Weib ſein Maaß Land - wein täglich und Brod, Fleiſch und Zugemüſe, ſo viel bewältiget werden mag. Die Leute werden daher auch, ſobald ſie die Pfründnerſchaft hier er - langt haben, geſund, ſtill und fröhlich, wenn ſie vorher noch ſo kränklich und verdroſſen geweſen ſind. Zank und Hader fällt kaum unter uns vor, und daß gar Einer aus dem Juliusſpital ſich wieder in die Welt geſehnt hätte, iſt unerhört geblieben, bis auf einen Fall, von dem aber auch noch immer geſprochen wird, obgleich ſeitdem manches Jahr verſtrichen iſt.

Ich erkundigte mich näher nach dieſem unerhör - ten Falle und erfuhr a simple story, daß vor längerer Zeit ein Paar alter Weiber, die immer zuſammengehockt und ein Ziſcheln und Plaudern mit einander gehabt hätten, aus dem Spitale fort - gelaufen und nicht wieder entdeckt worden wären. Man habe weder im Main noch weiterhin in der237 Tauber oder im Kocher damals Leichname aufge - funden, die alten Weiber ſeien auch nicht in ihrer Heimath geſehen und alle Nachforſchungen vergeblich geweſen, ſo daß es ihnen Allen gedäucht, die Erde müſſe ſie verſchluckt haben. Ich fragte, ob an dieſen beiden alten Weibern irgend etwas merkwürdig geweſen ſei? worauf mir der Kellermeiſter ver - neinend antwortete und hinzufügte, es ſeien eben nur zwei gewöhnliche alte Weiber geweſen.

Nichtsdeſtoweniger war das Ereigniß in dieſem Kreiſe von ſolcher Schwere und Bedeutung, daß ſich ein Gehülfe und ein Aufſeher, welche während unſerer Unterredung die Kellerei betraten, ſobald ſie den Gegenſtand, worüber wir ſprachen, vernah - men, auch in ihrer Weiſe darüber äußerten. Ich hörte alſo noch zweimal die Geſchichte von den zwei weggelaufenen alten Weibern mit verſchiedenen Nebenumſtänden, die der Gehülfe und der Aufſeher wußten. So erzählte der Aufſeher, das Ziſcheln und Plaudern der Mutter Urſel und Mutter Beth habe ſich um lauter Rockenſtubengeſchichten gedreht, in denen ſie unerſchöpflich geweſen ſeien.

In der Zerſtreuung ſchlug ich ein Buch auf, welches auf dem Tiſche lag und fand die berühmte238 Seherin von Prevorſt. Mein Erſtaunen war nicht gering. Denn daſſelbe Werk hatte ich ſchon in zwei andern Gelaſſen des Spitals liegen ſehen. Ei, ſagte ich zum Gehülfen, beſchäftigen Sie ſich hier auch mit dieſen Dingen? Das wäre mir lieb; da könnten wir heute Abend, wenn Ihre Geſchäfte vorbei ſind, und Sie mir die Ehre erzeigen woll - ten, im Wirthshauſe mein Gaſt zu ſeyn, ein Stündchen in Handwerksgeſprächen verplaudern. Ich bin halber Doctor; da es aber (weiß der Himmel, wie es zuging?) mit meinen Recepten nicht recht klecken wollte, verfiel ich auf die ge - heimen, heiligen und myſtiſchen Behandlungen, um es wo möglich bis zur Production einer in die unſere hereinragenden höheren Welt zu bringen. Ein Paar Lichtſchimmer, hie und da ein Stückchen ſphäriſcher Muſik, oder ein unmotivirter Knall ge - lang mir auch glücklich unterweilen, der kleinen Lappalien von Briefleſen mit dem Nabel und Gucken durch dicke Bretter natürlich zu geſchweigen. Aber die recht großen Sachen, die eigentlich zuſammen - hangenden Darſtellungen aus dem Mittelreiche habe ich noch nicht zu Stande bringen können, und deß - halb wollte ich denn jetzt vor die rechte Schmiede239 gehen, nämlich nach Weinsberg, um die Sache aus dem Grunde zu erlernen. Wie würde es mich freuen, wenn ich ſchon unterweges in Würzburg einen Mann gefunden hätte, von dem ich Licht und Belehrung in dieſer ſchwierigen Materie mir erhoffen dürfte!

Sie irren ſich in mir, mein Herr, verſetzte der Gehülfe. Ich beſchäftige mich nicht mit Geiſter - und Seherſachen. Wenn man den ganzen Tag acute und chroniſche Uebel unter Händen hat; greifliche Leiden, wie Gicht, Hektik und Kachektik, ſo will ſich keine Zeit für die höhere Welt und das Mittelreich finden, auch muß ich geſtehen, daß Erſtere noch nie in unſere Krankenſtationen herein - geragt hat, und daß wir mit Chinin, Isländiſchem Moos, Merkur, und was dieſer Potenzenreihe anhängig iſt, ausreichen. Die mehreren Exemplare des Prevorſtiſchen Werkes, über welche Sie viel - leicht bei Ihrem Gange durch unſere Anſtalt ſich verwundert haben, rühren von einer auffallenden Zuſendung her. Es wurde nämlich unbegehrt auf einmal wohl ein Dutzend ohne Begleitungsſchreiben in das Juliusſpital geſchickt, und wir haben durch - aus nicht ermitteln können, wer uns dieſes ſonderbare240 Geſchenk (denn niemals hat Jemand dafür Be - zahlung verlangt) gemacht hat. Ein Unbekannter hatte das Packet dem Thürwärter in die Hand geſchoben und war dann verſchwunden.

Ohne mir etwas dabei zu denken, fuhr mir die alberne Frage zwiſchen die Lippen: Waren die beiden Ihnen ſo theuren alten Weiber damals noch im Spital, als dieſes Werk Ihnen von anonymer Hand zuging?

Der Kellermeiſter, der Gehülfe und der Auf - ſeher ſannen nach und verſetzten dann einhällig: Nein, es war weit ſpäter; die alten Weiber waren ſchon mehrere Jahre zuvor entſprungen.

241

II. Erſte Ankündigungen einer höheren Welt.

Am andern Tage fuhr ich über Mergentheim, Künzelsau, Oehringen nach Heilbronn. Es war bereits etwas dunkel, als ich ankam. Wie weit iſt Weinsberg von hier? fragte ich einen Fuhrmann, der auf der Straße ſeine Karre trieb. Zwei Stun - den, war die Antwort. Oho, dachte ich, da wäre es wunderſam, wenn mir nicht hier ſchon etwas begegnen ſollte. Die letzten ſchwächſten Wir - kungen des Weinsberger Pandämoniums müſſen mindeſtens bis hieher ſich erſtrecken. Alſo paß auf, Münchhauſen. Münchhauſen war damals kein gebildetes Kind gebildeter Eltern mehr, er war Jüngling, ſchwärmeriſcher Jüngling voll Ahnung und Sehnſucht nach dem Jenſeits.

Ich paßte auf und erlebte etwas. Neben der Kilianskirche fließt in einer Vertiefung der Brunnen, von welchem Heilbronn den Namen er -Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 16242halten hat, weil durch ſein Waſſer einſt ein alter Schwabenherzog geheilt worden ſeyn ſoll. Ich ſtieg zwiſchen der ſteinernen Umfaſſung die Stufen hin - unter, und ſetzte mich den Röhren, aus welchen die Quelle ſprudelt, gegenüber auf einen Stein. Bald fühlte ich in den unteren Theilen meines Körpers eine Kälte und auch oben wehte es mich kühl an. Nun, da haben wir es! ſagte ich zu mir. Seid Ihr ſchon da, Ihr anhauchenden Geiſter? Ich blieb noch eine Weile ſitzen und merkte, daß Kälte und Wehen immer ſtärker wurde. Sie machten zuletzt einen förmlichen Wind. Als ich den Stein be - fühlte, auf dem ich geſeſſen, fand ich ihn feucht, woraus zu entnehmen iſt, daß die abgeſchiedenen Seelen ſich auch durch Näſſe ankündigen. Ich ging in’s Wirthshaus, wo ſchon die Lichter angezündet waren. Unterweges hatte das Wehen und Blaſen und das Naſſe noch ſtäts zugenommen, und ein in der Thüre ſeines Ladens ſtehender, in den Schran - ken des Cerebralſyſtems befangener heilbronner Speditionshändler ſagte: ’S iſt a wüſt Wetter.

Du armer Blinder

Im Wirthshauſe ich Feldhuhn und Kraut - ſallat. Die Feldhühner tragen ſie dort allerliebſt243 auf mit dem unberupften Kopfe und um den Hals ein papiernes Krägelchen. Den Oberkellner, der mir ein ſinniger Menſch zu ſeyn ſchien, forſchte ich nach Weinsberg aus, und erfuhr zu meiner Freude, daß es jetzt recht lebhaft dort ſei, und das Zwi - ſchenreich ſich im vollen Gange befinde.

Haben Sie nicht hier im Gaſthofe ein Zimmer, worin etwas erſcheint? fragte ich ihn im Vertrauen. Der Oberkellner verſetzte, er habe ſeinem Herrn ſchon längſt gerathen, ſich für die immer ſtärker werdende Nachfrage von Liebhabern unter den Reiſenden ein Geiſterzimmer einzurichten, allein der wolle ſich nicht darauf einlaſſen, weil er die Sache für eine vorübergehende Mode halte und ſage, ſein Haus könne durch eine Stube mit Zwiſchen - reich in Verruf kommen.

Ich halte mir aber für meine eigene Rechnung ein Gemach, worin es bei Nacht wenigſtens etwas poltert oder ſchnurrt, und wenn Sie einen Gulden auf die Rechnung zulegen, ſteht es Ihnen zu Dienſt; flüſterte er mir zu. Mit Freuden ſchlug ich ein, mußte ihm aber das Geheimniß über die Sache verſprechen, denn, ſagte er, wenn ſie auskommt, ſo bin ich um meinen Poſten, oder muß von der Geiſterſtube Abgaben16*244entrichten, welche ſie nicht einbringt. Sonſt trieb ich einen kleinen Handel mit Seifenkugeln, Zahn - bürſten, wohlriechenden Waſſern und Patentraſir - meſſern, wie das in Wirthshäuſern ſo gebräuchlich iſt, aber die Steuern waren zu ſchwer, und deßhalb ließ ich das Geſchäft eingehen und etablirte als ſtillen Nebenverdienſt die Stube mit Geiſtergepolter.

Wir gingen vorſichtig zum Hinterhauſe hinaus und durch einen finſtern Gang, worin allerhand Geräthſchaften und Weintonnen ſtanden, nach einem kleinen Seitengebäude, welches vermuthlich das Waſchgelaß in ſich faßte, denn es roch nach Seife aus deſſen offenſtehenden Fenſtern. Darin ſchloß mir der Oberkellner eine Kammer auf, in der eine herrlich verdorbene Luft brütete. Er wollte dieſe Atmosphäre entſchuldigen, ich aber unterbrach ihn und fragte, ob er ſich nicht beſſer auf das Metier verſtehe? Gerade ein ſolcher müffiger Dunſt und Schwaden ſei der rechte Geiſterbrodem.

Es war ganz darin, wie es da ſein muß, wo das Kernbeißer-Eſchenmichel’ſche Wunderweſen ſein Quartier aufſchlagen ſoll; die Wände ſahen wie verwitterte Dämonen aus, und von der Decke hat - ten die Poltergeiſter den Kalk abgetrampelt. Ich245 ließ den Oberkellner gehen, hing meine Kleidungs - ſtücke an den Nagel, merkte, daß nach der guten Abendmahlzeit, die ich eingenommen hatte, die heilige Thätigkeit meiner Unterleibsnerven beginne, war ſonach reif zum höheren Schauen, blies deß - halb die Kerze aus und rannte im Dunkel auch gleich gegen einen recht groben Geiſt an, der ſich wie eine Tiſchecke anfühlte. Darnach legte ich mich zu Bette, und es blieb eine Zeitlang ſtill. Nur war mir’s ſonderbar, daß mein Kopf immer tiefer ſank und meine Füße immer höher zu liegen kamen. Aha, dachte ich, Ihr zieht die Federn weg, wohin ſie gehören, und ſtopft ſie dorten hin, wo ſie nicht am Platze ſind, Ihr unruhiges, ſündhaftes Geſindel! Ich konnte über dieſe Thätigkeit der Dämonen nicht lange nachdenken, denn mit einemmale verbreitete ſich durch eine Ritze in der Thüre ein Lichtſchimmer im Gemache, es war, als ob Jemand draußen gehe, die Stiege neben meiner Kammer emporwandle, und ſich über mir zur Ruhe begebe. Ich rief mit lauter Stimme: Wenn das da draußen kein weins - berger Geiſt, ſondern ein Hausknecht iſt, ſo ant - worte es! Es antwortete aber Niemand, und bald darauf hörte ich den Geiſt fürchterlich ſchnarchen. 246Nun trat wieder ein Schweigen von wohl einer Stunde ein, während welcher Zeit ich die Augen und Ohren offen hielt, wie ein Haſe. Da auf einmal hörte ich ein bröckelndes Geräuſch an der Wand, wo ich meine Kleider aufgehängt hatte, und ein Fallen. Zugleich ſpürte ich das Aufſteigen von Staub. Jetzt ſeid ſtill, Dämonen! rief ich, ich habe nun genug neue Erfahrungen eingeſammelt. Ihr könnt Euch wie Regentropfen ankündigen, Ihr zieht Einem die Federn unter’m Kopfe weg, Ihr trampt wie ein Hausknecht und rührt Staub auf ich bitte mir nun Ruhe aus, Kerls, denn ich will ſchlafen.

Wirklich ſchlief ich, nachdem die Geiſter auf dieſe Anrede muckmauſeſtill geworden waren, ein. Allein noch vor Tagwerden erwachte ich wieder von unendlichen Beklemmungen, welche der dämo - niſche Brodem in der Kammer und dann auch meine unnatürliche Lage mit dem Kopfe unten, mit den Füßen oben, mir verurſachte. Das Blut war mir ſo zu Kopfe geſtiegen, daß ich zu erſticken meinte, ich hielt mich aber ganz ſtill und dachte: Stickſt du, ſo ſtickſt du als Opfer für die Ausbreitung höherer Erkenntniß. Endlich wurde es denn247 doch Tag, ohne daß ich erſtickt wäre, und da ſah ich ein noch viel größeres Wunder, als dasjenige geweſen wäre, wenn die Geiſter mir die Federn unter’m Kopfe weggezogen hätten. Ganz umge - kehrt hatten ſie mich; vermuthlich während des Schlafes. Ich lag mit dem Kopfe drunten am Fußende, und die Beine ruhten droben auf dem Kopfkiſſen; ein in den Schranken des Cerebral - ſyſtems Befangener würde geſagt haben, daß ich am Abend zuvor mich verkehrt niedergelegt habe. Ich ſtand auf und ſah, daß das fallende Geräuſch von meinen Kleidungsſtücken entſtanden war, welche die Geiſter mit dem Nagel von der Wand herabgeworfen hatten. Deſſen Ausziehen konnte ihnen freilich keine große Mühe verurſacht haben von wegen der bröcklichten Umſtände, worin ſich, wie ſchon angeführt worden iſt, die Wand befand.

Ich trank meinen Caffee, dann zum zweiten Frühſtück eine Flaſche Affenthaler, fühlte meine Glaubenskraft hierauf in der gehörigen Verfaſſung, gab dem Oberkellner ſeinen Gulden, erklärte mich mit ſeiner Bedienung vollkommen zufrieden, verſprach248 die Kammer neben dem Waſchgelaſſe allen Höhe - rerwelthereinragungsmännern meiner Bekanntſchaft beſtens zuempfehlen, und rollte dann den blauen Bergen zu, zwiſchen denen Weinsberg liegt.

249

III. Der magiſche Schneider.

Nicht weit vom Orte in einem engen Thalwege, von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen ſah, bemerkte ich, daß ein ſpindeldürrer Menſch vor meinem Wagen auf der Landſtraße hin und her wankte, der nach gemeinen Begriffen für be - trunken gelten konnte, denn er taumelte in der That außerordentlich und fiel nach einigen Ver - ſuchen, Grund und Boden dennoch feſt unter den Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine Lage da unten zwiſchen Wegerich, Neſſeln und Vo - gelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menſchen, denn ganz ſymmetriſch war er gefallen, mit dem Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Stra - ßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und links auf die Ränder des Grabens geſtreckt, ſo daß der Meridian gerade durch ſein Centrum ging. Dieſes außerordentliche Schauſpiel regte meine be -250 beſondere Theilnahme an, ich ſtieg vom Wagen, hob mit Hülfe meines Fuhrmannes den Sinnloſen hinauf, und dachte, in Weinsberg werde ſich wohl ein Ort finden, wo er ausſchlafen könne.

Endlich waren wir angelangt, und Doctor Kernbeißer, dem ich ſchon empfohlen worden war, empfing mich recht freundlich. ’S iſt gut, ſagte er, daß Sie kommen. Für zwei Mann wird der Sache zu viel, wir brauchen junge Kräfte, um die Geiſterwelt gehörig beſtreiten zu können. ’S iſt heute einmal wieder ein tolles Getreibe hier und das Zwiſchenreich ganz des Henkers. Das iſt ein Gerutſche, Gebrumme, Gepoltre, Geduſele, Gedu - dele, Geſchreite, Gewinſele und ein Gerumore durch einander, daß man nicht weiß, wo man zuerſt anfaſſen ſoll. Ich helf herzlich gern meinen Ne - benmenſchen in der unſichtbaren Welt, aber es kann Einem auch zu viel werden. Der Eine will erlöſt ſeyn, der Andere hat ’n Schatz vergraben, der ein Geheimbuch über die Seite gebracht, dazwiſchen fallen die Sonnenkreiſe ab, wie reife Maulbeeren, dem ſoll man was vorbeten, dem auf’m Clavier was vorſpielen, wir wiſſen Beide nicht, ich und mein Freund Eſchenmichel, wo uns der Kopf ſteht.

251

Ich bat ihn, ſich zu beruhigen, was an mir ſei, werde geſchehen, ihnen Aushülfe zu geben. Wir gingen in das Haus, welches mit ſeinem freundlichen Garten an die Stadtmauer ſtieß. Drinnen rief uns Eſchenmichel, der eben eine Som - nambüle beſtrich und vor Eifer mich gar nicht be - grüßte, an: Kommt der Dürr? Nein, verſetzte Kernbeißer, vor der Hand bring ich nur den Münch - hauſen. Wer iſt der Dürr? fragte ich. Der magiſche Schneider, verſetzte Kernbeißer, den wir uns zum Succurs verſchrieben haben. Ein Satan von Kerl! (O Gott, verzeihe mir meine Sünde und dieſes Fluchwort!) Er hat mehr Gewalt über die Dämonen, als wir Beide zuſammengenommen, er ſchnauzt ſie an, daß es nur ſo eine Art hat und bringt ſie zur Raiſon. Er ſollte uns beiſtehen und hatte auch ſagen laſſen, daß er heute kommen wolle. Gott hat ihm den Sinn wunderbarlich aufgeſchloſſen und mit herrlichen Kräften gerüſtet; er ſteht im Centro der Dinge und ſieht von da die Radien ausſtrahlen in die Peripherie, wo ſie die Schaale und die Kruſte und die Figur der ſogenannten äußeren Welt bilden, über welcher dann die himmliſchen Wolken wie ſuchende und liebende252 Mütter ſchweben. Dieſe ſtreben mildregnend bis zum Centro einzudringen, daß Himmel und Creatur eins werde in ewiger Löſung und Bindung, und

Schwätz nit ſo viel, Kernbeißer! rief hier Eſchenmichel dazwiſchen; ich kann vor deinem Getöſ die Strunz hier nicht vernehmen, welche ſo eben beginnt mit der inneren Sprach mir das Geheim - niß des jüngſten Tages auseinanderzuſetzen.

Ich muß doch dem Münchhauſen den Dürr be - ſchreiben! rief Kernbeißer zugleich zornig und er - mattet. Immer ſtörſt du mich im Aufſchwung. Nun iſt meine Anſchauung zerbrochen, meine Kraft dahin, und ich bin für den Reſt des Tages nur noch ein Lump. Haben Sie den Dürr nicht unterweges erſchaut?

Ich wollte eben verneinend antworten, als der Fuhrmann eintrat und fragte, was denn mit dem todten Menſchen auf dem Wagen werden ſolle. Ich bat Kernbeißer’n um einen Aufbewahrungsort für meinen Schützling. Er ſagte ihn gern zu, ging mit hinaus, um den Menſchen vom Wagen heben zu laſſen, ſchlug aber wie außer ſich die Hände über dem Kopfe zuſammen, als er ihn, der wirk - lich wie todt auf dem Grunde des Fahrzeuges lag,253 anſichtig wurde, und rief: Das iſt ja der Dürr! das iſt ja der Dürr! das iſt ja der magiſche Schnei - der! O Himmel, muß ich dich wieder in dieſem Zuſtande ſehen, Dürr? Schauen Sie, ſagte er zu mir, dieſes iſt die einzige Schwäche des außer - ordentlichen Menſchen; er beſäuft ſich einen um den andern Tag, woran aber freilich ſein reizbares Nervenſyſtem Schuld iſt. In dieſer Verfaſſung kann er nun von allen ſeinen ſchönen magiſchen Gaben keinen Gebrauch machen, und ſo geht die Hälfte ſeines Lebens für die höhere Welt verloren. O Dürr! Dürr! Dürr! Aber, was kann’s helfen? Nehmt ihn ſäuberlich herunter und legt ihn auf Stroh, daß er ausſchlafe.

Der magiſche Schneider, den ich ſo unwiſſend aus dem Straßengraben in das Hauptquartier des Geiſterreiches befördert hatte, wurde in einen Stall gethan, ich aber zog nunmehr bei den Thaumatur - gen ein. Bald nachher ſetzten wir uns ohne vor - gängiges Wunder zu Tiſch.

254

IV. Der Gergeſener die innere Sprache das Examen rigoroſum.

An dieſer erſten Mittagstafel nahm außer den Hausgenoſſen ein Menſch mit wilden Blicken Theil, von dem ich ſchon gehört hatte, daß er ſeines Zei - chens ein Beſeſſener ſei und hin und wieder grunze. Dieſes war natürlich, denn es ſaß in ihm der Teufel Einer, welche einſtmals in die Gergeſener Säue gefahren waren. Auf dem kurzen Wege, welchen er in einer ſolchen Behauſung bis zum Teiche machte, wohinein ſich die Heerde damals ſtürzte, hatte er das ſchweiniſche Leben ſo lieb ge - wonnen, daß er noch immer von Zeit zu Zeit jene Töne hören ließ. Ueberdieß verlangte er mitunter nach Schweinefutter, insbeſondere nach Gerſtenſchrot. Wir geben’s ihm aber nicht, er muß Hausmanns - koſt eſſen, wobei er oft jämmerlich brüllt und zuckt, ſagte Kernbeißer. Ich habe von ihm die wunder -255 barſten Aufſchlüſſe erhalten, ſprach Eſchenmichel im Seherton. Die Zeit iſt aber für ſolche Mitthei - lungen noch nicht reif.

Wie ſteht’s heut, Pochhammer? fragte er den Beſeſſenen. Bis jetzt noch ſo ziemlich, Herr Doctor, verſetzte dieſer ſehr höflich und in der Sprache eines gewöhnlichen Menſchen, aber es wird leider nicht lange dauern, er kullert ſchon etwas unter’m Zwerchfell, es iſt ihm wieder eine Ratz durch den Kopf gelaufen, o weh da ſteigt er auf da ſitzt er in der Kehle ſchon da da oih! oih! oih! So fing er an zu grunzen, und dazwiſchen ſchrie er unaufhörlich mit rauher Stimme: Kleien! Schrot! Kleien! Schrot! Eſchen - michel betete, Kernbeißer ſagte tolle Knittelreime auf den Gergeſener her, und die übrigen Tiſchge - noſſen aßen ruhig fort, denn dergleichen gehörte hier zu den alltäglichen Dingen, aus welchen Nie - mand mehr ein Aufhebens machte.

Während dem trat der Knecht, den ich im Hofe geſehen hatte, ein, und ſagte: Der Dürr iſt erwacht und begehrt zu trinken. Ei, was hat der Schliffel ein Gefäll, rief Kernbeißer. Er ſoll ſich hereinſcheeren und hier erſt ſeine Arbeit verrichten,256 und dann wollen wir weiter ſehen. Ja, ſchicke den Magiſchen zu uns, ſage ihm, der Gergeſener grunze heute ausnehmend; fügte Eſchenmichel hinzu. O Ihr himmliſchen Kräfte, welche Finſterniß muß doch da drunten in der Hölle ſeyn! Gott bewahre uns Alle vor dem Abgrunde, darin Aſta - roth heult, und Beelzebul einen feurigen Reif ſchlägt!

Der magiſche Schneider trat ein, noch unſicheren Ganges, mit rothen Augen, die Zunge zwiſchen den trockenen Lippen hin und her bewegend. Kernbeißer und Eſchenmichel gaben ihm zum Willkomm die Hand und forderten ihn auf, den Gergeſener zu beſchworen. Den wollen wir bald zahm kriegen, ſagte der Schneider, und trank ein großes Glas Neuen aus. Er krämpelte die Rockärmel auf, reckte ſeine ſpindeldürren Glieder, vor den Beſeſſenen tretend, aus, hielt ihm die geballte Fauſt vor den grunzenden Mund und rief: Biſt gleich ruhig! Ich, der Dürr, befehl’s dir, kraft meiner magiſchen Gewalt. Was für Sitten ſind das, du Schwein - teufel? Kannſt du nicht ſprechen, wie die Andern, oder haſt auf dem Weg nach dem Waſſer deinen teufliſchen Dialect vergeſſen? Ich an deiner Stelle257 würde mich doch ſchämen, den Schweinen nachzuah - men. Biſt gleich ruhig, ich befehl’s dir! Haſt du keine Dankbarkeit nicht, daß dir einſtmals vergönnt ward, dein Logis nach deinem Gefallen zu wählen? Kreuch ’nunter auf der Stell, oder ich haue den Pochhammer ſo lang, bis daß du’s fühlen ſollſt.

Auf dieſe Anrede und beſonders auf die letzte Drohung wurde der Gergeſener Teufel ſtiller, das Grunzen ging in ein Gequiek, wie das eines Fer - kels über, und verlor ſich hierauf nebſt dem Geſchrei um Kleien und Schrot allmählig ganz. Pochham - mer wiſchte ſich den Schweiß von der Stirne, gab dem magiſchen Schneider die Hand und ſagte: Ich danke Ihnen gehorſamſt, Herr Dürr, er ſitzt nun ganz verzagt unten und ſchluchzt, wie ein Kind. So ſind ſie All, ſprach der Magiſche, hoch - müthig und obenaus, aber wenn man ſie brav kuranzt, fallen ſie zuſammen, wie eine aufgeſtochene Fiſchblas. Gebt mir zu trinken.

Pochhammer verlangte nachträglich vom Braten, der während der dämoniſchen Scene ihm vorüber - gegangen war, und wacker. Bekommt nun davon der Gergeſener etwas ab? fragte ich. Behüte, verſetzte Eſchenmichel, die Teufel nehmenImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 17258keine irdiſche Speiſe zu ſich, ich zweifle ſelbſt, daß dieſes Geſchrei um Kleien und Schrot anders als ſymboliſch gemeint iſt, wenigſtens würde, wenn Pochhammer dergleichen hinunterwürgte, nur der Geiſt, ſo zu ſagen, des Schweinfutters an den Dämon in ihm gelangen.

Inzwiſchen hatte Kernbeißer dem magiſchen Schneider zärtliche Vorwürfe gemacht. O Dürr, ſagte er, was für ein wüſter Kerl biſt du außer - ordentlicher Menſch! In welche Tiefe warſt du wieder heute verfallen! Ich weiß nicht, ob es ein Graben, oder eine Lehmgrube war, worein ich verfallen geweſen, rief der Magiſche. Ein Gra - ben, verehrteſter Meiſter, ſagte ich. Ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntſchaft zu machen, und daß ich ſo glücklich geweſen bin, Ihnen gleich eine kleine Gefälligkeit haben erweiſen zu dürfen.

Ihr Narren denkt immer, Unſer Einer könne halt ſtäts nüchtern und leer ſeyn, und dabei doch die großen Ding verrichten, ſprach der magiſche Schneider. Das geht ſo nicht. Die Teufelsban - nungen und Beſchwörereien ziehen Einem gräulich den Nervengeiſt ab, und wenn man nicht nachgießt, würde man bald fertig ſeyn. Ich hatt im Dorf259 über’m Wald heut eine Dienſtmagd zu beſprechen, in der ein mordbrenneriſcher Schwed aus dem dreißigjährigen Krieg ſitzt; der Gauch wollt durch - aus wiſſen, ob in dem von ihm angezündeten Hauſe, was er mir ſelbſt nicht nennen konnte, ſeine lederne Feldflaſch mit verbrannt ſei, die er ſeitdem ver - miſſe; eher könne er nicht zur Ruhe kommen. Das Geſchäft hatte mich ſtark angegriffen, denn der Schwed ließ ſich erſt gar nicht bedeuten. Hernach mußte ich mich ſtärken, und von der Stärk gerieth ich darauf in einige Schwachheit.

Nach Tiſche beſah ich mit Kernbeißer das ganze Etabliſſement. In den Stuben umher ſaßen und ſchliefen ſechs bis ſieben Hellſeherinnen, ich wurde mit ihnen in Rapport geſetzt und erhielt die wich - tigſten Aufklärungen über die geheimſten Dinge, als zum Beiſpiel, wann ich die erſte Uhr geſchenkt bekommen habe, welchen Namen mein großer Hund führe, den ich zu Hauſe gelaſſen, wie viel ich dem Wirth in Ulm ſchuldig verblieben ſei? Bei einigen rutſchte, klöpfelte, täppelte, klatſchte, polterte es in den Stuben, dazu war ein Regen an den Fenſtervorhängen und hin und wieder ein bischen Lichtſchimmer, auch das Geräuſch, wie wenn man17*260Papier oder Kalk an die Erde wirft. Im Ganzen waren damals drei Geiſter und zwei Geiſtinnen auf den Beinen, doch ich irre mich; ein Kind ge - hörte auch noch dazu, welches einmal im Leben ſein Butterbrod hatte fallen laſſen, und ſich dar - über in jener Ewigkeit nicht zufrieden geben konnte. Der eine Geiſt trug einen ſchwarzen Rock, der Andere eine Art von Schanzlooper, der Dritte hatte Stiefeln an; von dem kam das Poltern. Wie die Geiſtinnen gingen, iſt mir entfallen, das Kind aber hatte das Zeichen im Geſicht, ungeachtet wel - ches Werther vor Zeiten Lottens jüngſten Pflege - befohlenen küßte. So natürlich geht es im Zwi - ſchenreiche zu. Wer hienieden Stiefeln trug, zieht jenſeits keine Schuhe an, und ſo weiter. Thaten uns übrigens Alle nichts, die Geiſter, nur die Hellſeherinnen litten von ihnen, denn die ſollten ihnen helfen. Das ging bis zu dem Kinde hinab, welches ſein hienieden fallen gelaſſenes Butterbrod jämmerlich ſchreiend verlangte.

Als wir in den Hof kamen, hörte ich den Knecht zur Magd ſagen: Schnuckli buckli koramſi quitſch, dendroſto perialta bump, firdeiſinu mimfei - ſtragon und hauk lauk ſchnapropap? Die Magd261 verſetzte: Freſſaunidum ſchlinglauſibeeſt, pimple, timple, ſimple, feriauke, meriaukemau.

Ich hatte Ziegen und Engländer verſtanden, aber dieſe Mundart war mir dunkel. Auf Befragen erfuhr ich, daß es die innere Sprache der Seherin von Prevorſt ſei, die Urſprache der Menſchheit, die ſie in ihren Verzückungen gefunden. Wir bedienen uns ihrer ſeitdem, wenn wir innig werden über Angelegenheiten, die uns beſonders zu Herzen ge - hen. Und was ſagte der Knecht zur Magd? Er fragte ſie: haſt mir Knödel aufgehoben? und ſie verſetzte: Ja.

Ich ſollte mein Gutachten über dieſe Sprache abgeben, und erklärte, ſie komme mir in manchen Wurzeln verwandt mit derjenigen vor, worin Asmus ſeine Audienz bei dem Kaiſer von Ja - pan gehabt habe. Uebrigens ſcheine ſie mir ein wenig weitſchweifig zu ſeyn. Ja, ſie könnt halt kürzer ſeyn, erwiederte Kernbeißer. Dafür iſt aber die innere Schrift, oder die Urſchrift der Menſchheit, welche die Seherin auch gefunden hat, deſto präciſer. Kennen ſie dieſelbe? Ich kenne ſie, ſie iſt ja mit abgedruckt, verſetzte ich. Ich ſchreibe gegenwärtig an einem Aufſatze, worin ich262 ſie gegen den Einwurf der Spötter, daß ſie aus - ſehe, als hätten die Hühner auf dem Papiere gekratzt, vertheidige, und die feinen, jedoch kennt - lichen Unterſchiede zwiſchen dem Sanskrit von Prevorſt und den Hühnercharakteren an den Tag bringe.

Kernbeißer umarmte mich und ſagte: An Ihnen haben wir einen wahren Freund und Bruder ge - wonnen. Eſchenmichel aber, der uns nachgeſchlichen war, zog ihn bei Seite, und ich hörte ihn die halb - lauten Worte zu Jenem ſprechen: Du biſt immer zu raſch, wir wollen ihn erſt prüfen, bevor wir ihn in unſere Gemeinſchaft aufnehmen. Kern - beißer ſchüttelte den Kopf über Eſchenmichel’s Zwei - felſucht, doch mußte er ſich fügen, und die beiden Doctoren nahmen mich nun nach dem Garten mit. Dort ſetzten wir uns in die Laube, und das Examen rigoroſum nahm ſeinen Anfang.

Vor dieſer Prüfung hatte ich einige Scheu ge - tragen, denn ich traute mir die rechten Kenntniſſe in der Geiſterlehre noch nicht zu. Indeſſen lief ſie glimpflich genug ab. Zwar auf Eſchenmichel’s Fragen, wie hoch der Himmel und wie tief die Hölle ſei, wie viele Himmel und wie viele Quar -263 tiere in der Hölle es gebe, welches die verſchiede - nen Klaſſen der Dämonen ſeien, und wie eine jede ausſehe, konnte ich nur nothdürftige Antworten geben, weil ich alle die Dinge erſt hier lernen wollte. Deſto beſſer beſtand ich bei Kernbeißer. Denn dieſer fragte mich, woher jegliches Böſe, die ſchlechten Leidenſchaften, der Hochmuth, die falſchen Begriffe und die oberflächlichen Kenntniſſe unter den Menſchen rührten? Darauf antwortete ich herzhaft: Aus dem Kopfe. Weitere Frage: Wodurch dringen wir in das Seyn und Weſen der Dinge ein, erfahren, was im Himmel und auf Erden vorgeht, und heiligen uns zu Gefäßen Got - tes? Antwort: Durch den Unterleib.

Die Examinatoren erklärten hierauf, es ſeien zwar in meinen Kenntniſſen noch Lücken bemerklich geworden, aber den Glauben habe ich, und der ſei die Hauptſache. Ich wurde ſonach auf das Ganglienſyſtem in Eid und Pflicht genommen und dann zum Mitgliede des weinsberger Geiſterbundes ernannt. Eſchenmichel ſagte, man habe eine wich - tige Unternehmung vor, wovon ich den nächſten Tag mehr hören ſolle. In der Freude meines Herzens erzählte ich, da das Geiſterweſen etwas264 ſtill geworden zu ſeyn ſchien, von allerhand profanen Dingen, die mir während der Reiſe begegnet waren, kam dann auch auf Würzburg, das Juliusſpital und die beiden entlaufenen alten Weiber. Davon aber wollten meine Meiſter nichts wiſſen, ſie unter - brachen mich heftig und riefen, über Würzburg ſolle ich nun und immerdar ſchweigen, der Ort ſei ihnen unangenehm und rege ihnen widrige Er - innerungen auf.

265

V. Himmel und Hölle zögern anfangs zu Weinsberg in Conflict zu gerathen.

In den nächſten Tagen lernte ich nun die Sin - nesart der beiden Doctoren genauer kennen. Kern - beißer war ein gemüthlicher alter Knabe, der ſich hin und wieder ſelbſt über die Dämonen luſtig machte, Einem fleißig vom Alten und Neuen ein - ſchenkte und dabei komiſche Schnurren erzählte, wie ſich das Geiſterpack mitunter ſo hundstoll betrage. Darüber konnte er lachen, daß ihm der Athem verging. Er gefiel mir ſehr wohl in der höheren Welt muß Alles vorräthig ſeyn, auch ein Schwänk - lein und Späßlein.

Eſchenmichel dagegen hielt ſich mehr zurück und hatte etwas Lauerndes in ſeinem Weſen, er ſah nicht gerade aus, ſondern ſeitwärts, oder ſchielte von unten empor. Er war immer in Ekſtaſe, ich habe ihn den Biſſen nicht in das Salz tauchen266 ſehen, ohne daß ihm die Augen verzückt im Kopfe umherrollten. Wäre er kein Prophet geweſen, man hätte ihn leicht für einen Schelm halten kön - nen, da er aber ein Prophet war, ſo konnte er, wie ſich von ſelbſt verſteht, kein Schelm ſeyn.

Bald theilte er mir den Plan mit, auf welchen er früher hingewieſen hatte, und dieſer beſtand in nichts Geringerem, als darin, einen Poltergeiſt zu bekehren. Das iſt noch größer, rief ich, als ein Trygäosroß und eine blaue Schwärmerin verſittlichen zu wollen!

Es hat jede Kenntniß und Beſchäftigung ihre Stufen, verſetzte er. Für den Anfang war das bloße Geiſterſehen, und daß man erfuhr, wie es im Zwiſchenreiche zugeht, hinreichend. Nach dieſem trat der Magiſche mit ſeinen gewaltigen Kräften in unſer Werk ein, der hat nun ſchon Macht über den Spuk, beſchwört ihn und bringt ihn zur Ruhe, aber dabei darf die Sache auch nicht ſtehen bleiben. Wir müſſen, wie geſagt, eine der Creaturen, die um uns her ſchwärmen, wie die Mücken um’s Licht, fromm machen; auf dieſe Weiſe ſetzen wir Fuß in Bügel, und können darauf in dieſem dritten Stadio der Thaumaturgie weiter kommen.

267

Nämlich, rief ich, hingeriſſen von dem Gedanken aus, wenn wir die Poltergeiſter in den Himmel gebracht haben, ſo machen wir uns ſacht an die läßlichſten Verdammten, zu denen vom Zwiſchen - reiche aus doch wohl auch eine Hinterthüre ſich entdecken laſſen wird, beginnen bei denen unſere Miſſionsgeſchäfte, und ſo immer weiter und weiter hinunter, hinunter!

Wir werden es nicht erleben, ſprach Eſchen - michel mit verdrehten Augen, aber unſeren Nach - kommen iſt es vorbehalten, ſelbſt den Teufel zum Chriſten zu machen.

Kernbeißer lachte, daß er ſich nicht zufrieden geben konnte und rief: ’S iſt Schad, daß du dann nicht mehr auf Erden weileſt, Bruder Eſchenmichel, denn wenn der Teufel erſt von Gottes Gnaden ſeyn wird, ſo würdeſt du gewiß Leibarzt von des Teufes Gnade werden. Er hatte überhaupt Mancherlei gegen dieſen Fortſchritt der Thauma - turgie einzuwenden, meinte, es möchte nicht gut ſeyn, ſo tief die Hände in das Geiſterreich zu ſtecken, man wiſſe nicht, was man aufwühle, Pol - tergeiſter ſeien Poltergeiſter bis ihn Eſchen - michel anfuhr und gewaltig bedräute.

268

So biſt du immer, erwiederte Kernbeißer ſchmol - lend, wenn es nach dir ginge, würde Jedermann, der ſich einen Einwurf gegen dich erlaubte, gehängt oder gerädert! Du irrſt dich gänzlich in mir, ſprach Eſchenmichel, ich bin die Sanftmuth ſelbſt. Ja, im Geiſt der Inquiſition, flüſterte Kern - beißer.

Indeſſen fügte er ſich, wie immer, wenn ſein College den Kopf aufſetzte. Er war überhaupt ſo ſanft, gutmüthig und inconſequent, als der Andere den Eifer, die Härte und Folgerichtigkeit beſaß, welche zum Seher - und Feuergeiſte gehören.

Es wurde alſo nun von uns Dreien der Plan des Bekehrungsgeſchäftes feſtgeſtellt. Die erſte Sorge mußte ſeyn, das Object herbeizuſchaffen, nämlich den zu bekehrenden Geiſt. Leider war unter dem Vorrathe des Etabliſſements nichts Taugliches. Mit dem Gergeſener, als einem eigentlichen dick - häutigen Teufel zu beginnen, erſchien mißlich, die Sache konnte durch den erſten Verſuch, wenn er nicht gelang, zu ſehr bloß geſtellt werden. Die An - deren aber, die drei Geiſter, zwei Geiſtinnen und das Kind ließen ſich auch ſchwerlich verwenden, denn erſtens ſtanden ſie nur auf einem höflichen269 Beſuchsfuße mit den Hellſeherinnen, hatten ſich bei ihnen nicht eigentlich einquartirt, und zweitens war nichts ſchlimm-Dämonenhaftes in ihnen; ſie hatten nur Dinge von dem Belang der ſchwediſchen Feldflaſche oder der Butterbemme im Kopfe.

Wir dachten hin und her, wie wir Rath ſchaf - fen und eines handfeſten, vom Höllenfeuer min - deſtens aus einiger Entfernung angeſengten Ben - gels habhaft werden ſollten.

Unendlich bedauerten Eſchenmichel und ich, daß wir des magiſchen Schneiders und ſeiner Hülfe in ſolcher Noth entbehren mußten. Aber dieſer große Menſch lag faſt immer im Stalle auf Stroh wegen des einzigen Fehlers, womit die Natur ihn belaſtet hatte. Was Kernbeißer angeht, ſo hatte er ſein Vergnügen an ihm, tröſtete uns auch, wenn wir klagten und ſagte: Laßt’s gut ſeyn. Der Dürr gehört, wie der Tell, nicht in den Rath, er iſt der Mann der That. Haben wir den Heiden von Dämon erſt, ſo wird Keiner kräftig ſeyn im Werke, gleich der nimmerſatten Gurgel.

Ich dachte im Stillen: Dieſe ſchwäbiſchen Kinds - köpfe ſind gut zum Erfinden, aber dann die Sache gehörig einzurichten, ihr eine Regel, Ordnung und270 Form zu geben, dazu bedarf es eines norddeutſchen Verſtandes. Iſt’s genug, daß in und um Weins - berg die Geiſter wild wachſen wie Wegerich? Hätte man ſie nicht in Cultur legen können? Das Ter - rain in Schläge vertheilen? Nach den Regeln von der Spargelzucht ſie in Beeten ziehen, daß wenn man Einen braucht, man ihn ſtäche? Gott ſegne mir doch meine heimathlichen Gefilde an der Elbe, Oder und Weſer! Dieſe Süddeutſchen werden nie klug werden.

Du mußt hier die Ehre Norddeutſchlands ret - ten und das Ding zum Ende führen, dachte ich. Klebte und pappte mir alſo aus den prevorſtiſchen Blättern, der Seherin von Großglattbach und an - deren Sachen dieſes Schlages eine Art von Geiſter - falle zuſammen, in Form einer gewöhnlichen Mauſe - falle und ging damit an alle entlegene Orte der Gegend, auf Kirchhöfe, hinter alte Mauern, in verfallene Keller, ja ſelbſt in heimliche Gemächer, ſtellte meine Falle auf und murmelte dazu fol - genden Spruch in der inneren oder Urſprache: Rummel debummel defimmel depippel dehuſſel debuſſel de - kimmeldelümmelde ſchwips! was ſich auf deutſch nicht genau wiedergeben läßt, aber in der Umſchrei -271 bung ungefähr ſo viel bedeutet, wie: Iſt’s gefällig? Ich ſaß Stundenlang bei der Falle, es wollte ſich aber nichts fangen.

Weil alle Beſtrebungen der Vorſteher auf die - ſen einen Punct gerichtet waren, ſo begann das Etabliſſement zu verfallen. Das Grunzen des Gergeſeners wurde ſeltener, mehrere der Hell - ſeherinnen ſchlichen ſich im Stillen weg, da ſie keine regelmäßige Behandlung mehr fanden, mit ihnen verloren ſich die drei Geiſter, die zwei Geiſtinnen und die Hälfte vom Kinde, denn im Zwiſchenreiche kann auch ein halber Geiſt für ſich beſtehen. Das Geräuſch, Poltern und Schlurfen verklang, und nur die dem Hauſe treugebliebene andere Hälfte des Kindsgeiſtes wimmerte noch ein wenig; es ließ ſich aber der Tag vorherſehen, wo auch dieſer Laut erſterben und das weinsberger Etabliſſement ohne allen Geiſt ſeyn würde.

Während dieſer Verlegenheit hörte ich eines Tages aus Kernbeißer’s Munde ſonderbare Worte. Ich ſaß, verſteckt von einem Hollunderbaume hinter einem Vorſprunge der Stadtmauer lauernd bei meiner Geiſterfalle. Kernbeißer kam in den Gar - ten, ſah mich nicht, ging heftig auf und nieder272 und rief endlich: Ich ſag’s und hab es ſtäts ge - ſagt, ſie ſtürzt uns in’s Verderben. Sie ſtellt die Ding allzuſehr auf die Spitz. Hier wurde er meiner anſichtig, erſchrak heftig und fragte mich, ob ich ſeine Worte verſtanden habe. Als ich ver - neinte, ſchöpfte er Athem und erklärte ſie für die Reminiscenz aus einem Schwanke.

273

VI. Die engbrüſtige Nätherin.

Wenn ich, die Geiſterfalle in der Taſche, durch die Straße nach dem Thore zu wanderte, war mir vor einem kleinen Häuschen hinter Rebſtöcken eine Frauensperſon aufgefallen, welche regelmäßig, ſofern das Wetter nur einigermaßen hell war, draußen neben der Thüre ſaß und im Freien nähte. Sie ſah ſehr blaß aus, und hielt ſich zuſammengekrümmt, auch wenn ſie von ihrer Arbeit emporblickte. Ihre Augen ſtrahlten von einer eigenen Bläue, und in ihrem ganzen Weſen bleichte etwas, was an die Blumen erinnerte, welche eigentlich für Sonnenſchein beſtimmt, zufällig im Schatten aufbrechen mußten. Ich hatte mich mit ihr in das Geſpräch gelaſſen und von ihr erfahren, daß ſie eine arme Nätherin ſei, von Jugend auf an Krämpfen gelitten habe, und ſchon ſeit längerer Zeit von fortwährender Engbrüſtigkeit geplagt werde, weßhalb ſie dennImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 18274auch, ſo oft es nur angehe, ihr Tagwerk im Freien verrichte, weil die Stubenluft ſie bedrücke.

In den Antworten dieſer Perſon zitterte hin und wieder eine Aengſtlichkeit, zu welcher kein äußerer Grund vorhanden war. Als ich einſt in ſie drang, mir zu ſagen, warum ſie ſo häufig ohne Veranlaſſung ſeufze und in gewöhnliche Worte einen ſchmerzlichen Ton lege, wollte ſie anfangs mit der Sprache nicht heraus, entdeckte mir aber endlich, daß ſie, ſeitdem in dem Kernbeißer’ſchen Hauſe das Weſen ſo mächtig geworden ſei, gar keine Ruhe mehr habe. Durch alle die Dinge, welche ſie von Freunden und Gevattern über die dortigen Ereigniſſe vernommen, ſei ſie in die größte Furcht geſetzt worden, daß ſie, wie ſie ſich aus - druckte, auch einmal ſo werden könne, was ſie nach ihrer Sinnesart für das ſchrecklichſte Unglück halten müſſe. Der Gedanke daran laſſe ihr Tag und Nacht keinen Frieden, und ſie bete unabläſſig, daß der Herr ſie damit verſchonen wolle. Haben Sie denn irgend ſchon Anwandlungen in ſich geſpürt? fragte ich ſie. Ach nein, verſetzte ſie, es iſt bei mir bis auf meine kränklichen Umſtände Alles wohl in Ord - nung, ich weiß, wohin der Hohlſaum gehört und275 wohin die Doppelnath. Aber es wird ſo viel von den Sachen geſprochen, und ſie ſollen hier überall in der Luft umherſchweben, und wie leicht iſt es da möglich, daß ſich auch einmal Etwas auf eine arme Nätherin ſetzt, beſonders wenn ſie viel ſich draußen aufhalten muß. Es kann Einen anfliegen, man weiß ſelbſt nicht wie, beſonders wenn man einen Vater gehabt hat, der nicht viel auf Gottes Wort hielt. Ich thue daher auch, wenn ich irgend Muße habe, in der Bibel leſen, um mich zu be - wahren. Hätte ich nur Geld und an einem andern Orte Arbeit zu gewärtigen, da reiſt ich nach Reut - lingen zu meiner Baaſ und zöge ganz weg aus der hieſigen Gegend.

Um die Zeit, da die Engbrüſtige mir dieſes Vertrauen ſchenkte, kam ich eines Tages zum ma - giſchen Schneider in ſeinen Stall. Er war gerade nüchtern und ſaß auf dem Stroh emporgerichtet. Meiſter, ſagte ich zu ihm, wäre es Euch wirklich ſo gar unmöglich, einmal mehrere Tage hindurch in der leeren Verfaſſung zu bleiben? Das heißt ohne Strich? fragte er. Ihr trefft meine Mei - nung, verſetzte ich. Wenn es um das Himmel - reich ginge, wollte ich verſuchen, mich zu zwingen,18*276vorausgeſetzt, daß ich dann geraume Zeit lang gänzlich zufrieden gelaſſen würde, ſagte er.

Ich ſtellte ihm die Noth vor, worin wir uns befänden, und daß er allein uns helfen könne.

Sein Ehrgeiz war erregt. Er ſtand auf, konnte ſich ſo ziemlich auf den Füßen halten, reckte mit heftiger Gebärde die Fauſt aus und rief: Das müßt ja mit dem Henker zugehen, wenn ich nicht ſo einen Cujon auftriebe! Ich will’s Zechen ver - ſchwören, bis wir Einen haben und wiſſen, wo die Bekehrung anzugreifen ſteht. Für das Him - melreich kann ich Alles, nur beding ich mir aus, ſo viel unterweilen zu kriegen, als nöthig thut, die Kräft zuſammenzuhalten und in die Säft keine Stockung zu bringen. Gebt mir ein Nößel Alten, Herr von Münchhauſen.

Ich lief in das Haus, ſagte Kernbeißer’n und Eſchenmichel’n, daß uns ein Stern der Hoffnung zu leuchten beginne, man ſolle mich nun aber ganz allein mit dem Magiſchen ſchaffen laſſen. Dann brachte ich Letzterem das begehrte Nößel, welches er auf einen Zug leerte.

Nach dieſem war er ſeiner Kräfte mächtig worden. Folge mir nun Keiner! rief er; vor der277 Hand werde ich Weinſperg abſuchen, und ſehen, ob ſich hier noch ein unbekannter Dämon verkrochen hat. Kernbeißer und Eſchenmichel traten in den Stall. Gebt mir Zechgeld mit, rief der ma - giſche Schneider. Kernbeißer gab ihm einen Gulden und ſprach: O Dürr, du außerordentlicher Menſch, beſauf dich aber nicht, und verabſaume darüber das große Werk, da es denn einmal nach meines Freundes Willen zu Stand kommen ſoll! Was denkt Ihr von mir? ſchrie der Magiſche ergrimmt. Ich ſchwör, um das Himmelreich an mich zu hal - ten. Ihr ſeht mich entweder gar nicht, oder mit einem Dämon wiederkommen. Er wollte gehen. Eſchenmichel ſchickte ſich an, ihm einen Segen voll Salbung zu ertheilen. Laßt’s Geſchwätz weg! rief der magiſche Schneider. Hier braucht’s Fäuſt, und keiner Redensarten.

Nach ſeiner Entfernung blieben wir Drei im Stalle zu innigem Gebete vereiniget für den glück - lichen Erfolg dieſer Sendung. Ich betete in der Urſprache, Eſchenmichel miſchte in ſein Gebet einige Verwünſchungen der Gegner, Kernbeißer ſagte zum Schluß des ſeinigen: ’S iſt ’ne verwünſchte G’ſchicht, daß die ganze Hoffnung der höheren Welt gegen -178 wärtig auf einem Schneider beruht! Dein Humor, dein unheiliger Humor wird uns zu Grund richten, fuhr ihn Eſchenmichel an. Was uns zu Grund richten wird, lehrt die Folge, verſetzte Kernbeißer. Ich ſag’s und bleib dabei, man muß nichts übertreiben. Das Zwiſchenreich war in ge - höriger Ordnung und Verwaltung, nun ſoll es über die Gebühr angeſtrengt werden; wir wollen ſehen, was dabei herauskommt und wer zuletzt das Bad bezahlt.

Schweig! rief Eſchenmichel. Ich ſchweig ſchon, verſetzte Kernbeißer.

179

VII. Grobſchmidt oder Magiſter? Eine Frage an Euch, Ihr himmliſchen Mächte.

Drei Tage vergingen, ohne daß wir vom Ma - giſchen etwas Anderes hörten, als was uns Leute zubrachten, die hin und wieder von Ungefähr in das Etabliſſement kamen. Sie erzählten uns, daß er in alle Löcher und Spelunken krieche, nach kur - zem Verweilen aber daraus wieder hervorkomme und zuweilen murre: Es ſitzt nichts d’rin.

Am vierten Tage war er aus Weinsberg ver - ſchwunden und zu Folge der Ausſage eines Ehinger Spitzenkrämers, der durch die Stadt hauſiren ging, nach dem Gebirg wandernd geſehen worden. Wir mußten nun dem Himmel das Weitere anheimſtel - len, und ich ſchlenderte häufig durch die Gaſſen des Städtleins, da ich bei erloſchenem Geiſter - weſen ſonſt dort nichts zu beginnen wußte.

280

Auf einem dieſer Gänge fiel es mir auf, daß die engbrüſtige Nätherin nicht mehr vor ihrem Hauſe ſaß. Iſt die Jungfer Schnotterbaum krank? fragte ich einen Nachbar. O nein, verſetzte der Mann, aber ſie muß Betrübniß haben, denn wir hören ſie den ganzen Tag über in ihrer Stube ſeufzen und mit ſich ſelbſt reden. Ei, ſagte ich, da will ich zu ihr gehen und ſie tröſten. ’S geht nicht, erwiederte der Nachbar, ſie hält ſich einge - ſchloſſen und hat ſogar das Schlüſſelloch verſtopft.

In dieſem Augenblicke fuhr die Nätherin von innen an ihr Fenſter, ſah nach uns mit unheim - lichen Augen und ſchoß dann wieder in die hin - terſte Ecke ihres Zimmers. Der Perſon fehlt etwas, ſagte ich, man muß doch ſuchen, ihr zu helfen. Ich ging in’s Haus. Jungfer Schnotter - baum, thun Sie auf, ſagte ich, nachdem ich vergebens an der Thüre geklinkt hatte. Nein! rief ſie, er kommt ſonſt mit und ſetzt ſich auf mich. Wer denn? fragte ich. Mein Vater, der Magiſter, verſetzte ſie. Jetzt kann er nicht hereindringen, denn Fenſter und Thüren ſind verſchloſſen, und im Schlüſſelloche ſtickt ein Pfropfen. Aber ſobald ich nur ein Weniges öffne, kreucht er ein. Haben281 Sie ihn denn geſehen? fragte ich. Nein, rief ſie, aber der Dürr hat ihn geſehen. Der garſtige Balg that, ſo oft er dieſer Tage hier vorbeikam, nach mir ein gräulich Blicken, daß es mir durch die Seele fuhr, und geſtern brüllt er mich an: Dir ſteht’s nah! Wahr dich! Das, und meine Angſt zuvor es iſt gewiß, er geht um und wird ſich auf mich ſetzen, und dann können die Geheimniſſe an den Tag kommen, die mich Zeit - lebens unglücklich machen werden! O du arme Anna Katharina Schnotterbaum, womit haſt du das verſchuldet?

Da alle meine Verſuche, Einlaß zu bekommen, umſonſt waren, wandte ich mich zu dem Nachbarn zurück, und bat ihn um Aufklärung über dieſe dunklen Reden. Er verſetzte, er wiſſe nicht, was der Schnei - der mit der Nätherin vorgenommen habe, übrigens könne der magiſche Kerl, wie er ihn nannte, den Menſchen anſchauen, daß ihm Hören und Sehen vergehe. Es iſt ein Unglück, fuhr dieſer Mann fort, daß der Polterkram ſich hier etablirt hat. Man iſt gar nicht mehr ſicher, daß man nicht auch einen Geiſt in der Familie beſitzt, der bei Gele - genheit Sachen ausſchwätzt, die nicht vor’s Publicum282 gehören. Iſt man einmal begraben, ſo muß die Sach für hienieden vorbei ſeyn, wenn aber darnach alte Geſchichten herfürgeplappert werden, ſo giebt’s nichts als Prozeß und Unruh und Verfeindungen. Als zum Beiſpiel, ich bin Specereihändler, habe in meinem Geſchäft den erlaubten kaufmänniſchen Vortheil genommen. Nun fahren mir aber da drüben Scrupel in den Sinn, weil man jenſeits nichts zu thun hat, fange an, zu rumoren im Gewölb und im Laden, werfe die Käſten durch einander, ſtoße die Läden am Magazin auf, daß das Salz vom Ein - regnen feucht wird, errege meinen Erben Beſchwer und Gewiſſenszweifel was kommt dabei heraus? Ich wünſchte wahrhaftig, daß die Regierung ein Einſehen thäte, und daß durch Höchſte Entſchließung das geſammte Zwiſchenreich Landes verwieſen würde.

Mir waren dieſe aus der einſeitigen Thätigkeit des Cerebralſyſtems entſpringenden Plaudereien ſehr langweilig, ich drang daher in den Nachbar, mehr von der Schnotterbaum, ihrem Vater und ihren Geheimniſſen mir zu ſagen, auf welche ſie auch ſchon bei früheren Geſprächen mit mir ange - ſpielt hatte. Ihr Vater, ſagte er, war ein Magi - ſter, der noch ſeine fuchsrothe Perücke trug, ſie283 iſt, daß ich es Ihnen nur entdecke, ein Jungfern - kind; der Alte hatte ſich mit der Aufwärterin ein - gelaſſen, da er Präceptor im Stift war. Ein verwetterter, leichtfertiger Camerad, der ſeine Schraubereien über Alles hatte und ſelbſt Gottes - wort nicht verſchonte, weßhalb ihn die Leute für einen Atheiſten hielten und ihn mieden. Er wurde auch ſeiner Präceptorſchaft entſetzt wegen des Aerger - niſſes mit der Aufwärterin und wegen der gottloſen Reden. Nach dem ſtrich er viel umher, hatte die Nas hier und anderer Orten in jedem Kohl und ſuchte ſich von ſeinen Schreibereien kümmerlich zu ernähren. An der Anna Katharina hat er aber doch rechtſchaffen gehandelt, er nahm ſie auf ſeine alten Tage zu ſich, daß ſie ihm waſche und koche. Da ſie aber von Jugend auf ſehr fromm geweſen, ſo mögen ihr die läſterlichen Reden, die der Alt auch noch in ſeinen letzten Jahren nicht laſſen konnte, eine große Trübſal erſchaffen haben, und dazu kommt, daß er einige Zeit vor ſeinem Ende in eine große Unruhe verfallen iſt, wie dieſe ſich immer bei den böſen Chriſten zu begeben pflegt, wenn der Tod anfängt, die Senſ zu ſchleifen. Er iſt ohne Nacht - mahl verſtorben. Das Alles hat ſich die Anna284 Katharina, ſeine Tochter, zu Gemüth geführt, und meinte ſie gleich nach ſeinem Abſcheiden, er könne nicht ſelig geworden ſeyn. Ueberdieß hat er ſie mit einem Geheimniß belaſtet, und das iſt’s, wor - auf die Schnotterbaum zielt. Was es iſt, weiß Niemand aus ihr herauszuholen, ſie ſagt nur, es ſei der Art, daß kein Menſch ſich deſſen verſehe, und ganz Schwabenland erſtaunen werde, wenn es an den Tag komme. Ihr Vater habe den einen Theil ſeiner Entdeckung auf einer ſeiner Streife - reien, den andern aber hier zu Weinſperg im Kernbeißer’ſchen Etabliſſement gemacht. Das Ge - heimniß ſei auch von ihm niedergeſchrieben worden in einer verſiegelten Schrift, die er ſein Teſtament genannt, und die hinterlegt worden, wo? will ſie oder kann ſie nicht ſagen. Gegen uns war ſie überhaupt in der letzteren Zeit ſchweigſam gewor - den, vermuthlich weil ſie die vielen Fragen äng - ſtigten.

Hier wurden unſere Unterredungen von einem dritten Manne unterbrochen, der vom Thore herkam und uns eifrig zurief: Wißt’s was Neues? Wißt’s was Neues? Ja, wann die Ehinger nicht wären, Ihr erführt Euer Lebtage hier nichts Neues. Der285 Dürr iſt droben in der Teufelsſchmied und häm - mert, als ſollten heut noch zwölf Paar Hufeiſen fertig werden. Und dazwiſchen fährt er grimmig auf den Geiſt ein, den er auf dem Amboſſe hat. Was iſt das, und was bedeutet die Teufels - ſchmiede? fragte ich. Eine alte verfallene Schmie - dewerkſtatt, verſetzte der Nachbar, die ſchon ſeit hun - dert Jahren wüſt lag, weil Niemand drin arbeiten mochte. Sie ſagen, dieſe Werkſtatt habe einem Grobſchmidt zugehört, der in Unthaten hingefahren ſei. Der Letzte, welcher ſich an die Geſpräche nicht kehren wollte und das Gemäuer bezog, ſoll einen ſolchen Schrecken darin bekommen haben, daß er ſelbſt ſein Schmiedewerkzeug in Stich und darin ließ.

Nun, dem Himmel ſei Dank, rief ich, jetzt wird der Magiſche wohl Rath geſchafft haben! Wollt Ihr mich, meine Freunde, hinauf in die Teufels - ſchmiede begleiten? Der Ehinger ſchützte Ver - hinderung in Spitzengeſchäften vor, der Nachbar aber erklärte ſich zum Mitgehen bereit. So machten wir uns auf die Wanderung. Unterweges ſchloſſen ſich, als ſie hörten, wovon die Rede war, noch ſechs bis ſieben Straßenjungen uns an.

286

Wir ſtiegen bergauf, kamen, nachdem die Reb - hügel in unſerem Rücken lagen, in eine wilde, einſame Gegend, wo ſich nach einem beſchwerlichen Klimmen über Fels und Steingeröll ein Trupp ärmlicher Hütten zeigte, der ein Dorf hieß. Etwas abſeitig wies mir mein Begleiter einen Kamp von Schwarztannen und ſagte, darunter liege die Teu - felsſchmiede. Unter den Bäumen war es ſehr finſter, ein dunkler Tümpel ſtehenden Waſſers, der in der Mitte des Platzes zwiſchen hochaufgewehten Haufen gelber Tannennadeln ſtockte, ſpiegelte Nichts zurück, hinter demſelben ſah ich die vier Brand - mauern eines Gebäudes ragen, aus welchen der Hals des Schlotes wie ein Zeigefinger emporwies; denn das Dach war eingeſtürzt. In dieſen Trüm - mern hörten wir heftige Schläge auf den Amboß. Wir traten hinein und ſahen den Magiſchen in voller Arbeit. Er hatte den Rock abgeworfen, die Hemdärmel zurückgeſtreift und ſchlug mit einem roſtigen Hammer unaufhörlich auf den Amboß. Sein Geſicht war von Ruß, der ſich hier herum noch Stellenweiſe an den Wänden erhalten hatte, geſchwärzt, aus dieſer Finſterniß brannten ſeine rothen Augen, die weit aufgeriſſen, ihm wild im287 Kopfe rollten, die dürren Glieder flogen während des Hämmerns wie die Theile des Kinderſpiel - zeuges, welches Hampelmann genannt wird. Unſere Begleiter, die Jungen, lachten, als ſie ihn ſahen, der Nachbar nannte den Anblick ſcheußlich, ich fand ihn erhaben.

Zwiſchen dem Hämmern rief er jezuweilen: Biſt endlich mürb, du Mordgeiſt? Anfangs ſah er uns, in ſeine Arbeit vertieft, gar nicht, als er uns aber erblickte, ließ er den Hammer ſinken und ſagte: Nun haſt’u genug, nun biſt’u zahm! Wie ſehr im Irrthum waret Ihr, Herr von Münch - hauſen, mir von meiner gewohnten Lebensweiſe abzurathen! In jener elendigen Nüchternheit konn - ten meine abgeſchwächten Kräfte durchaus keinen Geiſt entdecken, ſobald ich mich aber, wie geſtern Abend geſchah, einmal wieder tapfer anfüllte, war auch meine Begabung in ihrem vollen Flor wieder beiſammen. Ich weiß nicht, wie ich in dieſe wüſte Gegend, und zwiſchen dieſe Trümmer gerathen bin, außer, daß es mir wahrſcheinlich iſt, durch über - natürliche Führung hinein befördert zu ſeyn. Heute in der Frühe nun, ſobald ich die Augen aufſchlug, ſtand er vor mir dort an der Eſſe, ruſſig, das288 Schurzfell vorgebunden, wollte grob ſeyn, fragte, was ich in ſeiner Schmiede thät, ich ſollte mich ’naus ſcheeren

Wer? fragten wir Alle.

Wer? Wer ſonſt, als der Grobſchmidt, der hier umgehen thut? Aber ich nahm ihn wacker zu - ſammen, ſagt, ob er nicht wiß, daß ich der Dürr ſei? ſchmiß ihn auf ſeinen eigenen Amboß, und arbeitet ihm mit dem Hammer ſo lange auf die luftigen Knochen los, bis er klein beigab, zu win - ſeln begann, mir ſeine verborgene Miſſethat be - kannte und auch ſchon einige Luſt, erlöſet zu werden, ſpüren läßt. Nur ſei hier der rechte Ort nicht, den Heilsweg zu betreten, es ſei hier oben zu einſam, er müſſe mehr unter Menſchen, ſagte er.

Wo iſt er? fragten die Straßenjungen. Ich will ihn Euch zeigen, rief der Magiſche, packte den größten Jungen bei den Haaren, ſtieß ihn mit der Naſe auf den Amboß und rief: Siehſt ihn nun?

Ja, ja, ſchrie der Knabe, dem das Blut aus der Naſe drang, ich ſehe ihn. Die andern Jungen verſicherten zitternd, ſie ſähen ihn ebenfalls, ich hatte ihn von Anfang an geſehen, ſobald der Magiſche ihn nur genannt hatte, ob der Nachbar ihn geſehen,289 weiß ich nicht. Mit der Naſ muß man dieſe ahitophelſchen, antichriſtiſchen Zeiten auf die Geiſter ſtoßen, ſonſt ſind ſie blind bei ſehenden Augen! rief der Magiſche.

Er horchte nach dem Amboſſe hin, rief dann: Willſt wandern und dir Quartier ſuchen? Wohl, voran! Sa ſa, nur voran! Immer voran! Darin muß man Euch freie Hand laſſen. Er ſchritt, die Glieder ekſtatiſch reckend und ſchüttelnd, zur Trümmerſchmiede hinaus, mit ſtarren Blicken dem Grobſchmidt folgend, der durch die Lüfte voranflog. Es war ſo dunkel geworden, daß man keine Hand vor Augen ſehen konnte, dennoch erblickte ich ihn ganz deutlich, als ich mit der Stirn gegen einen Baum fuhr, denn da ſprühten die hellen Schmiede - funken mir vor dem Geſicht umher.

Es ging immer bergunter nach Weinsberg zu, die Jungen waren vorangeſprungen, die Erſten der Glaubigen. Wegen der Finſterniß waren zum Glück nicht viele Leute mehr auf den Straßen, ſonſt hätte es gewiß einen Auflauf gegeben. Unweit des Hauſes der Nätherin rief der magiſche Schneider überlaut: Aha! Schlupfſt da hinein? ſprang in das Haus, ſprengte mit einem heftigen FußtritteImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 19290die Thüre und war ſchon in Zeichen und Wundern mitten inne, als ich etwas ſpäter die Stube be - trat. Der Nachbar hatte ſich voll Furcht und Zittern entfernt.

Die Schnotterbaum lag an der Erde, verdrehte ihren Körper, ächzte und ſtöhnte. Der Magiſche kniete über ihr, hielt ihr die Fauſt geballt vor den Mund und polterte: Hab ich’s Euch nicht ange - ſagt? Iſt er nicht eben in Euch hineingefahren? Ach wohl, winſelte die Nätherin, es mußte ja ſo kommen! Als Ihr die Thüre ſprengtet, fuhr er mir wie ein kuhler Wind in den offenen Mund. Thut mir die Gnade, und befreiet mich von ihm, er ſtößt mir faſt das Herz ab.

Das werde ich wohl bleiben laſſen, verſetzte der Magiſche, es iſt mir ſauer genug geworden, den Hund für die beiden Herren zu erwiſchen, nun ſoll er ſich erſt in Euch zum Glauben bekehren.

Das thue ich mein Tage nicht, rief der Dämon aus der Schnotterbaum, ich bin ein gottloſer Ma - giſter, und ein ſolcher will ich leben und ſterben!

Dieſe Antwort ſetzte mich in das größte Er - ſtaunen. Meiſter, ſagte ich zum Schneider, iſt uns denn etwa der Grobſchmidt unterweges abhänden291 gekommen? Dieſe Jungfer Schnotterbaum ſcheint anſtatt ſeiner ihren verſtorbenen Herrn Vater zur Einquartierung empfangen zu haben.

Nichts als Winkelzüg! rief der Magiſche. Sol - che Höllenbrut wechſelt in einem Augenblicke ſechs - zigmal die Farb, um nur ein Schnippchen zu ſchlagen. Ein Grobſchmidt und kein Magiſter ſitzet und wohnet in der Schnotterbaum, und zwar’n der Grobſchmidt oben aus der Teufelsſchmiede, der ſeinen Knecht mit dem Hammer erſchlagen und dann in den grundloſen Tümpel geſtürzt hat, allwo ſeine Knochen noch tief unter Schlamm und Moder liegen.

Weinend und ſchluchzend ſagte die Nätherin: O Gott, muß ich einen ſo furchtbarlichen Geiſt in mir beherbergen? Ich glaubte zum wenigſten, mit meinem ſeligen Herrn Vater davon zu kommen. Ja, Jungfer, ſprach der Schneider und half ihr vom Boden auf, dawider hilft nun nichts. Wem ein Dämon beſchieden iſt, der bekommt ihn. Uebri - gens werdet Ihr wohl einſehen, daß fortan Eure Stelle nur in dem Etabliſſement der Herren Doctoren Kernbeißer und Eſchenmichel ſeyn kann.

Traurig und erſchöpft antwortete die Schnot - terbaum: Dem iſt ſo. Die Schickungen müſſen19*292nun ihren Gang gehen. Sie packte ein Bündel - chen Wäſche zuſammen und gab ihrem Hänfling Futter auf acht Tage. Dann legte ſie ihre Näh - ſachen in ſaubergefaltete Packete, reichte dieſe einem Jungen und hieß ihm, ſie den Leuten zurückzubrin - gen, mit der Beſtellung, ſie könne nicht mehr ar - beiten, denn ſie habe einen Dämon im Leibe.

Während dieſer kleinen Beſchäftigungen kamen Kernbeißer und Eſchenmichel, denen ſchon etwas angeſagt worden war. Dürr, welcher, als die bei - den Doctoren eintraten, mitten in der Stube ſtand, ſagte groß und ruhig, wie Falſtaff, als er den Percy bringt: Da habt Ihr den Dämon!

Wir führten die Schnotterbaum im Triumph nach dem Etabliſſement und gaben ihr ein kleines Familienfeſt aus dem Stegereif. Dürr ging oder taumelte vielmehr bald nach ſeinem Stalle, worin er ein für allemal ſeine Wohnung aufgeſchlagen hatte, der außerordentliche Menſch. Kernbeißer ließ zur Ehre der Magie den Stall mit bunten Lampen erleuchten.

Sehr glücklich ſanken wir Alle auf unſer Lager. Wir glaubten über alle Berge zu ſeyn. Eſchen - michel ſtand nur in Zweifel, ob er den Dämon293 katholiſch oder evangeliſch machen ſolle. Die Schnotterbaum lag die Nacht durch in wüthenden Krämpfen, was uns weiter nichts anging, denn wir hatten es nicht mit ihr, ſondern mit ihrem Miethsmanne.

Die folgenden Tage und Wochen waren freilich ſtürmiſch, und wir ſahen, daß wir noch nicht ein - mal die Vorhügel des Berges, geſchweige den Berg erſtiegen hatten. Der magiſche Schneider blieb dabei, daß der Grobſchmidt aus der Teufels - ſchmiede in die Schnotterbaum gefahren ſei, und kämpfte wie ein Held für dieſe Wahrheit, die er, ſo oft er nüchtern war, dem Dämon unter fürch - terlichen Bedräuungen in das Antlitz ſagte, oder vielmehr in den Mund der Beſeſſenen hinein. Da - gegen verſicherte der Dämon, er ſei kein Grob - ſchmidt, ſondern ein Magiſter, habe keinen Knecht mit dem Hammer erſchlagen, ſondern nur über dies und das frei gedacht.

Es war wohl das erſtemal, daß das Zwi - ſchenreich ſo mit ſich ſelbſt in Conflict gerieth. Denn Einer von Beiden konnte doch nur Recht haben, der Seher Dürr, oder der Dämon. Die Schnotterbaum verhielt ſich dabei leidend. Sie294 pflegte zu ſagen: Ich bin dermaßen herunter, daß mir’s gleich iſt, wen ich in mir trage, den Grob - ſchmidt oder den Magiſter, meinen Vater. Iſt’s der Letztere, dann haben ſich die Herren eine Ruthe gebunden, als ſie mich in’s Haus nahmen, denn der Magiſter wird eine Bosheit auslaufen laſſen, von welcher ihnen nichts träumet.

295

VIII. Der Geiſt eines Grobſchmidts mit den Er - innerungen eines Magiſters.

Endlich nach unabläſſiger Bedräuung, vielem und oftmaligem Anſchreien, Beſchwören in dem Idiome der inneren oder Urſprache, ſchrecklichem Gebärden und Einwirken durch Augenrollen brachte es der magiſche Schneider dahin, daß der Dämon in ſich ſchlug und anfing der Wahrheit, wenn auch noch nicht Gotte die Ehre zu geben.

Eſchenmichel hatte dazu durch fleißige Vorhal - tungen in ſeiner logiſch-ſcharfen Manier wacker mit - geholfen. So zum Beiſpiel ſagte er eines Tages zum Dämon: Wenn wir ſehen, daß du ein Grob - ſchmidt biſt, ſo kannſt du doch kein Magiſter ſeyn, begreifſt du das nicht, Verworfener? Dämon wurde dazumal ganz ſtill und ſchämte ſich vermuth - lich ſeiner Dummheit.

296

Am vierzehnten September Abends ſieben Uhr erfolgte die erſte offene Beichte. Das Leibliche der Jungfer Schnotterbaum lag damals, von den unaufhörlichen Krämpfen und Anſpannungen be - ſtürmt, faſt im Zuſtande der Auflöſung. Der Dämon aber ſprach aus ihr, zwar mit ſchwacher jedoch mit vernehmlicher Stimme, ja, er wolle es nur geſtehen, er ſei der Grobſchmidt Bumpfinger aus der Teufelsſchmiede und nicht der Magiſter Schnotterbaum, von Hall bürtig. Geſtand hier - auf auch Alles ein, was wir bereits von ihm wußten.

Die folgenden Tage wurden nun verwendet, den Dämon in ſeiner wahren Geſtalt recht feſt werden zu laſſen. Denn, ſagte Dürr, ſchlägt er wieder in den Magiſter zurück, ſo geht die Arbeit von vorn an. Er mußte deßhalb wohl zwanzigmal ſeine Grobſchmidtsgeſchichte vom ermordeten Knecht wie - derholen, dergeſtalt, daß die Schnotterbaum von dieſen Anſtrengungen ungeduldig wurde und einſt - mals ausrief: Liebe Herren, laßt es nun gut ſeyn, er hat es ja ſchon ſo oft dargelegt, und im Uebrigen wird er doch nicht mehr ſagen, als ihm mein Vater eingiebt.

297

Dieſe Rede klang dunkel, wir ſollten aber bald die Aufklärung empfangen. Denn nächſter Tages wurde auf Eſchenmichels Antreiben ein ſcharfes Verhör mit dem Dämon erhoben, deſſen Zweck dahin ging, allerhand nähere Auskünfte über hölli - ſche Dinge und über Eigenthümlichkeiten des Zwi - ſchenreichs zu erlangen. Ich will die Hauptfragen und die darauf gegebenen Antworten hieher ver - zeichnen.

Eſchenmichel.

Wie biſt du in das Zwiſchenreich gelangt?

Dämon.

Wie man vom Fleck kommt. Guckt erſt ein wenig in die Höll, konnten mich aber da nicht brauchen, weil ich nicht an ſie glaubt, die Höll überhaupt dummes Zeug iſt.

Eſchenmichel.

Dummes Zeug?

Dämon.

Ja, dummes Zeug.

Magiſcher Schneider.

Wie ſieht die Höll aus?

Dämon.

Sie ſieht gar nicht aus.

298
Magiſcher Schneider.

Gar nicht aus?

Dämon.

Nein, gar nicht aus.

Hier machte das Verhör eine Pauſe. Wir ſahen einander voll Erſtaunen an. Kernbeißer rief: All mein Lebtage macht Ihr dieſen Dämon nicht zu einem regelmäßigen und aufrichtigen Grob - ſchmidt! Kein Grobſchmidt wird ſagen, die Hölle ſei dummes Zeug und ſehe gar nicht aus. Für ſolche Zweifel handthiert er ſelbſt zu viel im Feuer. Nur ſtill, ſagte Eſchenmichel, man muß nicht verzagen. Das Verhör nahm folgendermaßen ſeinen Fortgang.

Magiſcher Schneider.

Haſt’u was vom Teufel erfahren?

Dämon.

O ja, die ganze Wahrheit.

Eſchenmichel.

Wie ſieht der Teufel aus?

Dämon.

Er hat auch kein Ausſehen nit.

Kernbeißer

Wie denn ſo?

299
Dämon.

Er iſt auch nix. Er iſt auch dummes Zeug.

Magiſcher Schneider
(mit fürchterlicher Gebärde.)

Biſt’u denn kein Grobſchmidt nit?

Dämon
(zitternd.)

Ach wohl bin ich der, aber von Höll und Teufel denk ich juſt wie der Magiſter Schnotter - baum.

’S iſt klar! ’S iſt klar! rief Kernbeißer, der Grobſchmidt kann ſich von den Erinnerungen, Ge - danken und Zweifeln des Magiſters noch nicht los - reißen! Dürr fluchte und wetterte, daß man die Nücken des Zwiſchenreiches nie auslerne. Das iſt ja eben das Erhabene und Göttliche, ſprach Eſchenmichel mit Salbung, daß in dieſem Gebiete ſich immer tiefere Tiefen austiefen, und unter dem Abgrunde der Abgrund gründet. Aller Wahrſcheinlichkeit nach ſind zu gleicher Zeit zwei Geiſter in die Schnotterbaum gefahren, der Grob - ſchmidt und der Magiſter; dieſe haben ſich nun in ihr unauflöslich mit einander verwickelt und ver - ſchlungen und verknotiget, ſo daß man nicht mehr weiß, wo der Schmidt anfängt und der Magiſter300 aufhört. Demnach tritt denn der großen und merk - würdigen Erfahrung, die wir an dem halben Kinds - geiſte haben, diejenige nicht kleinere und un - merkwürdigere Thatſache ſymmetriſch entgegen, welche wir hier erleben, nämlich, daß im Zwiſchen - reiche auch eine völlige Confuſion der Geiſter mög - lich iſt.

Nach dieſer tiefſinnigen Bemerkung bat ich um die Erlaubniß, allein mit der Schnotterbaum reden zu dürfen, welche mir auch gegeben wurde, da Niemand Luſt bezeigte, das Verhör jetzt fortzu - ſetzen, und der Dämon daher, ſeines Zwanges ent - ledigt, aus dem Halſe wieder in die Magengegend hinabſank, wie unſere Kranke ſagte. Als die An - dern das Zimmer verlaſſen hatten, befragte ich ſie, ob ſie mir nicht den wunderbaren Vorgang erklären könne. Ach, verſetzte ſie weinend, ich lebe in großer Qual. Ich werde von Tag zu Tag ſchwä - cher, und ſehne mich inbrünſtig nach meiner Näh - ſtub, und nach meinem ſonnigen Platz unter den Rebſtöcken, da meine ich, würde mir gleich wieder wohl werden bei Hohlſaum und Doppelnath. Nun weiß ich freilich wohl, denn die Herren und der Dürr ſagen es mir ja täglich, daß dieſes ſchwache301 und ſündliche Gedanken ſind. Wer einmal ein Gefäß der Wunder iſt, muß aushalten, und ſo will ich denn auch, ich armer, elendiger Menſch.

Ich denk den ganzen Tag über an die Gott - loſigkeiten (der Himmel verzeihe mir, daß ich ſo ſprechen muß!) meines ſeligen Herren Vaters, und da ich ein ſehr gutes Gedächtniß von jeher gehabt, und daher nichts vergeſſen habe, was mir von demſelben zu Ohren gekommen iſt an läſterlich - leichtfertigen Sachen über Bibel und Chriſtenthum, ſo drängt ſich das Alles nun jetzt zu Hauf in mir empor, und die Sachen werden laut in mir, die ich ſo ſehr verabſcheue. Und da der Grobſchmidt, den ich bei mir führen ſoll, von nichts weiter in mir hört, als von dieſen Magiſterſünden, ſo mag es wohl daher kommen, daß in den ſchrecklichen Abendſtunden, wo der Dürr und die beiden Herren ihr ſchweres Werk mit mir beginnen, wo ich zwi - ſchen Beten, Singen, Ausfragen, Fauſtdrohen, An - ſchnarchen und Anbrällen nicht weiß, wo mir der Kopf ſteht, wo es mir grün und gelb vor den Augen wird, meine Sinne ſich verwirren und ich wie im hitzigen Fieber rede

Wie? Jungfer Schnotterbaum?

302

Ach, ich bitte Sie, mir das unbedachte Wort nicht übel zu nehmen und es ja nicht den andern Herren zu verrathen. Nein, ich wollte vielmehr ſagen, wo, während ich im hitzigen Fieber liege, das Ding in mir zu reden anfängt, daß dann, ſage ich, der Grobſchmidt auch nur Magiſterſachen zu ſagen weiß, und der Affe des Magiſters iſt. Eine andere Erklärung kann ich Ihnen nicht geben.

Was war damit erklärt? Die Auslegung er - ſchien doch gar zu dürftig. Und ſo blieb dieſes große Räthſel der Geiſterwelt ungeloſt.

Wurde ſogar mit jedem Tage dunkler. Be - fragten wir nämlich den Grobſchmidtsdämon, ob er ſich der Vorfälle aus ſeinem Erdenleben wohl noch erinnere, ſo antwortete er: O ja, er wiſſe die Stunde noch ganz genau, da er im Stift zum erſtenmale lateiniſche Stunde gegeben. Erkundigte man ſich, was ihm in gegenwärtiger Zurückgezogen - heit am leideſten thue? verſetzte er, daß er ſeinen Juvenal nicht bei ſich habe.

303

IX. Thatſache: Die Erlöſung eines Dämons hängt von tauſend Zufälligkeiten ab.

Obiger Satz iſt aus Eſchenmichel’s Diario ab - geſchrieben, der gleich mir ſeit dem erſten Tage dieſer magiſchen Behandlung genau Buch führte. Wir hatten uns in die Schriftverfaſſung getheilt. Ich brachte die hiſtoriſchen Thatumſtände zu Papier, und er zog aus denſelben die übernatürlichen Fol - gerungen. Nun merket das neue Wunder! Ohne daß wir vor dem Schreiben uns beſprachen, paßte jederzeit ſeine Folgerung auf mein Factiſches wie ein Handſchuh auf den Andern. Daraus iſt zu ſchließen, daß Diejenigen, welche von der höheren Welt berichten, unter dem Flügelſchlage der Inſpi - ration ſchreiben, erhaben über alle Kritik.

Eſchenmichel ſagte am dreißigſten October: Laßt uns, da mit dieſem halbſchlächtigen Geiſte ſonſt nichts zu beginnen iſt, jetzunder an ſeine304 Bekehrung gehen. Kernbeißer entgegnete: Wollteſt du, Bruder, mich nicht lieber die Schnotterbaum curiren laſſen? die Perſon verfällt ſichtlich. Nein, rief Eſchenmichel, auf den Dämon kommt es an, nicht auf die Schnotterbaum!

Am folgenden Tage, den erſten November ſpuckte der magiſche Schneider in ſeine Hände, wie er zu thun pflegte, wenn er Schwieriges vorhatte, und nachdem er durch kräftige Formeln den Dämon von der Magengegend in den Hals hinaufgebracht, redete er ihm in’s Gewiſſen, ſagte ihm, er ſolle ſich ſchämen, ob ihm nicht das lauſige, lumpichte Zwiſchenreich zum Verdruß ſei? ſchilderte ihm die himmliſchen Freuden, malte dieſe mit Paſtoral - klugheit etwas doppelfarbig, ſo daß ſie den Grob - ſchmidt wie den Magiſter anziehen konnten, ſagte unter Anderem, da droben bleibe das Eiſen immer warm, was geſchmiedet werden ſolle, und für jede lateiniſche Stunde gebe es drei Kreuzer mehr, als auf Erden, ſprach endlich geradezu davon, daß hier nicht gefackelt werden dürfe, ſondern der Dämon ſich erlöſen laſſen müſſe.

Auf dieſe Bußpredigt war Dämon anfangs ſehr grob. Sagte, wir ſollten uns Alle packen, wir305 beſäßen nicht ſo viel Verſtand im ganzen Leibe, wie er im kleinen Finger. Was uns ſein Heil angehe? Er ſei mit dem Quartier in der Schnot - terbaum zufrieden. Glaubt Ihr auch in den Him - mel zu kommen? fragte er. Ja, riefen wir einhällig. Nun, dann iſt das ſchon ein hin - reichender Grund für mich, haußen zu bleiben, verſetzte er. Denn ſolche Tröpfe, wie Ihr ſeid, würden mir die ewige Seeligkeit verleiden. Be - kümmert Euch um Eure Siebenſachen, laßt mich ungeſchoren, ich will platterdings nicht erlöſt ſeyn.

Er fügte noch allerhand Spöttereien hinzu, die ich nicht nachſchreiben mag. Aber ſie waren wirklich, cerebraliter genommen, das Geſcheidteſte, was hier ſeit Monaten ſich laut gemacht hatte. Eſchen - michel, Kernbeißer und ich konnten dagegen nichts aufbringen, hüllten uns folglich ſchweigend in unſer höheres Bewußtſeyn. Aber der Schneider war der Mann nicht, ſich von einem tückiſchen Geiſte ein - ſchüchtern zu laſſen. Zeigte ſich der Dämon grob, ſo wurde der Schneider gröber, auf ein Schimpf - wort hatte dieſer zehn ſtärkere, und mit Gründen, die der Dämon hinterliſtigerweiſe brauchen wollte, ließ er ſich gar nicht ein; er ſagte nur, wenn ſolcheImmermann’s Münchhauſen. 2. Th. 20306Sophismen ſich in die Unterredung einſchleichen wollten mit donnerndem Ton: Halt’s Maul!

Nachdem Schneider und Dämon einander wohl eine Stunde lang wie die Rohrſperlinge ausge - ſchimpft hatten, wurde der Dämon wirklich klein - laut und brummte: Der Vernünftigſte giebt nach. Mit ſolchem verwetterten Bügeleiſen iſt ja gar nicht auszukommen. Gut, ich will mich erlöſen laſſen, aber wie ſoll ich’s anfangen? Ich hab ja keine Händ und Füß, etwas Gutes zu ſchaffen. Du dummer Dämon! rief der Magiſche, was braucht’s da Händ und Füß? Du wirſt erlöſt, damit gut. Nur nicht immer ſo ungeſchliffen! erwiederte der Dämon. Ihr könnt doch mit Geiſtern manier - lich umgehen, beſonders wenn man in einer Frauens - perſon ſitzt.

Siehſt’u deinen guten Engel neben dir ſtehen? fuhr ihn der Schneider an, da ein Lichtſtrahl durch das dunkle Zimmer ſchoß. Nachher hörten wir, der Knecht ſei zur nämlichen Zeit unten mit der Stalllaterne über den Hof gegangen. Wie wun - derbar, daß der himmliſche Bote gerade dieſen na - türlichen Vorfall wählte, ſeine Erſcheinung ein - dringlicher zu machen! Ich ſeh Alles, was307 Ihr ſeht; Ihr habt mich ſchon faſt eben ſo ver - ſtutzt und verdutzt gemacht, wie die Schnotter - baum, antwortete der Dämon auf die Frage des Schneiders.

Letzterer fragte den Dämon, wie der Engel ausſehe? und erhielt zum Beſcheide: So, wie ein Engel ſich trägt; ein Habit, weiß, von Neſſel, blaue Flügel mit Gold verbrämt. Dämon gab dieſe und mehrere dergleichen Nachrichten mit mur - render, unwilliger Stimme; offenbar beläſtigte ihn der himmliſche Geſchäftsträger. Im Verlaufe der deßfalls gepflogenen Unterredungen ſagte er ein - mal: ’S iſt doch grauſam, daß ich nun noch gar einen Engel auf den Pelz krieg, da ich nimmer an Engel geglaubt habe! Hier aber brachte ihm Kernbeißer, der ſich ſonſt in der ganzen Sache als handelnde Perſon zweiten Ranges darſtellte, einen Kernſchuß bei. Er warf ihm nämlich raſch ein, daß Dämon ſeiner Denkungsart zu Folge ja auch nicht an ein Leben nach dem Tode geglaubt haben könne, und nun ſtecke er doch ſelbſt mit Haut und Haar mitten drin. Dieſer Grund traf den Dämon, machte ihn zahm, und von jetzt an ließ er den Engel über ſich ergehen.

20*308

Letzterer wurde nun beauftragt, ſich gehörigen Orts zu erkundigen, wann die Erlöſung des Grob - ſchmidt-Magiſters zu gewärtigen ſtehe? Er ver - ſprach, gleich dieſerhalb abzureiſen, und, da die Wege noch ſo ziemlich ſeien, nach dreien Tagen Abends ſieben Uhr wieder einzutreffen mit hoffent - lich günſtiger Reſolution.

Die drei Tage gingen in ſtiller Erwartung hin. Der Engel bildete, das begriff Jeder, eine neue Kataſtrophe in dieſem Wunderdrama. Eſchenmichel ſchlug Alles nach, was er in der Kabbala, bei den Gnoſtikern und bei Emanuel von Swedenborg über Engel finden konnte, Kernbeißer ſah mit thrä - nenden Blicken in die Wolken und dichtete ſchöne Lieder, in deren Einem er den ſeelenvollen Aus - druck eines Kalbsauges pries. Die Schnotterbaum, welche kaum noch vom Lager aufzuſtehen vermochte, zupfte ſtill an der Bettdecke, ſchaute ſeltſam vor ſich hin, und ich hörte ſie zuweilen wie unwillkühr - lich ſagen: Was der Dämon verſchwieg, der Engel bringt’s an Tag.

Wer aber am dritten Tage Abends ſieben Uhr ausblieb, war der Engel. Dämon kam, wie ge - wöhnlich, folgſam aus der Magengegend herauf -309 geſtiegen, wußte auf Befragen nicht das Mindeſte über den Ausgebliebenen zu vermelden, hielt ſich etwas kurz und faſt ſpöttiſch in ſeinen Antworten und äußerte, da ſehe man, daß auf ſolche Leute kein Verlaß ſei. Der Magiſche ergoß hierauf einen Regen von Fluch -, Beſchwörungs - und Schimpfworten über den Nichterſcheinenden, in der Meinung, ihn dadurch herbeizuzwingen. Es war aber Alles vergebens. Bis nach Mitternacht wurde jegliche thaumaturgiſche Kunſt fruchtlos angewendet; der nichtsnutzige Dämon lachte und ſchrie unauf - hörlich: Ich bleib unerlöſt! Ich bleib unerlöſt! Juchheiraſſaſa! Juchheiraſſaſa! Endlich wurde die Schnotterbaum von dieſen Dingen ſchwach und drohte, für todt liegen zu bleiben. Da fing Kern - beißer des Magiſchen aufgehobenen Arm, welcher ſchon wieder eine Himmelszwangsgebärde ausführen wollte und rief: Du biſt zu heftig, du außer - ordentlicher Menſch; deine Gaben und Kräfte ſind für die verworfenen Geiſter eingerichtet, aber dieſe ſüßen, ſeligen, roſigen Flügelknaben wollen mit Zartheit behandelt ſeyn. Deßhalb iſt mein Vor - ſchlag: Du behältſt den Dämon, und überläßeſt mir und meinem Bruder Eſchenmichel, der mich310 mit ſeinen Kenntniſſen unterſtützen wird, den Engel.

Dieſe Geſchäftseintheilung fand den Beifall des Magiſchen und wurde auch ſogleich ausgeführt. Kernbeißer ſetzte ſich vor die Beſeſſene hin und ſang mit ſanfter Stimme:

Du lichtes, leichtes Weſen,
Wo ſäuſeln deine Schwingen?
Wir dürſten, zu geneſen
An deines Fluges Ringen.
Biſt du denn nicht ein Träumen
Aus unſern erſten Tagen?
Wie lange willſt du ſäumen,
Von ihnen uns zu ſagen?
Von unſern Kinderreden,
Und kindlichem Gelüſte?
Du führteſt uns durch Eden,
Führ uns auch durch die Wüſte!
Darin nur eine Quelle
Den Schmachtenden erquicket:
Die fromme, heil’ge Welle,
Die unter Wimpern blicket!

Die Kranke ſchluchzte, und der Engel war ſo - gleich da. Er entſchuldigte ſein ſpätes Erſcheinen und ſagte, ſein allzugroßer Eifer trage die Schuld. 311Er ſei nämlich, wie eine in unaufhaltſamem Fluge begriffene Kugel über das Ziel, den himmliſchen Raum, hinausgeſchoſſen immer weiter und weiter in das ſogenannte große Nichts, habe freilich, ſobald er des Irrthums inne geworden ſei, Kehrt gemacht, indeſſen doch durch ſeinen übermäßigen Schuß Zeit und Weg verloren. Was die Erlöſung betreffe, ſo werde dieſe am dreizehnten December Schlag acht Uhr erfolgen. Engel empfahl ſich darauf. Dämon lachte und ſagte: Wenn ich am dreizehnten December erlöſet werde, ſo will ich Hans heißen. Ich habe noch etwas auf dem Herzen und ehe das nicht herunter iſt, kein Gedanke an Erlöſung.

Was haſt du auf dem Herzen? fragte Kern - beißer. Herr, fraget nicht danach, antwortete der Dämon, es iſt ein verfängliches Ding, Keinem nütz, Zweien zu großem Schaden! Eſchenmichel wurde verlegen und bat Kernbeißer’n, von weite - rem Eindringen abzuſtehen, man müſſe auch gegen Dämonen discret ſeyn. Nein, ſagte Kernbeißer, wenn er etwas auf dem Herzen hat, da wird nicht eher Ruhe, als bis es herunter iſt.

Ach, der Dämon hatte wohl Recht gehabt! Am dreizehnten December Abends acht Uhr keine312 Erlöſung! Er kam bis auf die Lippen, da fiel ihm auf einmal wieder ein blasphemiſcher Gedanke ein, und alſobald rutſchte er auch wieder hinunter, ſo daß ein Jeder von uns das Geräuſch hörte. Es war, wie wenn ein Sack auf den Fußboden fiel. Der magiſche Schneider rief: Sein guter Engel muß es doch aber wiſſen, muß auch den blasphe - miſchen Gedanken vorherſehen, wie darf er denn die Leut ſo anführen? Der Engel, durch Kern - beißer’s ſanften Geſang berufen, kam, bat um Ver - gebung, er müſſe ſich im Datum geirrt haben, es ſei droben gar zu viel zu thun, und ſetzte nun den Termin der Erlöſung auf den fünften Januar, dann, als auch dieſer fruchtlos verſtrich, auf den dritten Februar, und ſo, bei immer wiederkehren - den Fehlſchlagungen der Erlöſung nach einander auf ſechs verſchiedene Tage in den Monaten März, April, Mai.

Der Dämon blieb feſt in der Schnotterbaum ſitzen, die nun ſchon Anfälle von Bewußtloſigkeiten hatte. Ja, was iſt das? ſagte Eſchenmichel, wir müſſen denn doch den Engel darüber ernſthaft zur Rede ſtellen. Wie kannſt’u uns ſo oft täuſchen? fragte Kernbeißer ſanft und freundlich den Engel. 313 Dieſer erwiederte mit holder, ſüßer Stimme aus der Schnotterbaum auf Engliſch, d. h. in der Engelsſprache nichts weiter als: Pöpöbelö.

Es war das erſtemal, daß er ſich dieſes Idioms bediente; vorher hatte er immer deutſch mit uns geſprochen. Kernbeißer und Eſchenmichel mühten ſich vergebens um den Sinn jenes Wortes ab. Da überkam mich plötzlich die Inſpiration und ich verdeutſchte ihnen Pöpöbelö folgendermaßen: Meine Herren, ich kann fürwahr nicht dafür, daß ſo viel Irrthum in dieſer Geſchichte vorgeht. Die Erlöſung eines Dämons hängt von tauſend Zu - fälligkeiten ab, die ſich nicht berechnen laſſen. Seit Sie das Zwiſchenreich ſo ſehr in Erregung gebracht haben, und aller Orten und Enden die höhere Welt in die niedere hereinragt, kann man ſich auf nichts mehr verlaſſen, und alle Naturgeſetze ſind durchlöchert. Die ganze Atmosphäre iſt voll von Wirkungen in die Ferne und Blicken in die Weite, Luft und Licht wiſſen nicht mehr, wo aus oder ein? die Schwere hat ſich auf den Fuß der Leich - tigkeit geſetzt und die Materie iſt unter die Huſa - ren gegangen. Centripetal - und Centrifugalkraft ſpielen mit einander Kämmerchen vermiethen, die314 Farben klingen und die Töne leuchten, der Ner - vengeiſt aber fließt wie eine große Brühe überall umher. In einer ſo durcheinander geworfenen Na - tur hält kein Element mehr Stich. Der Dämon beſitzt alſo gar kein ſicheres Transportmittel mehr zu ſeiner Beförderung, dazu rappelt es, rutſcht es, quietſcht es ihm beſtändig vor ſeinen Augen von andern Poltergeiſtern, ſo geräth er denn in Aerger, wird in ſeinem Aerger wieder gottlos, und die Vorſehung ſelbſt kann an ihm ihr Exempel nicht löſen.

Nach dieſer meiner Rede in gutem Deutſch blieben die beiden Thaumaturgen lange ſtumm, ernſten Betrachtungen hingegeben. Engel hatte ſich gleich nach dem Pöpöbelö entfernt. Endlich ſagte Eſchenmichel: So könnte es alſo dahin kom - men, daß die Magie ſich ſelbſt aufhöbe. Thun wir nicht beſſer, innezuhalten und die Sache bei dem Bisherigen bewenden zu laſſen?

Nein vorwärts! rief der Schneider. Vorwärts! wiederholte Kernbeißer, der mit Eſchenmichel die Rolle getauſcht zu haben ſchien und ſeit dem Ein - greifen des Engels eben ſo kühn und leidenſchaftlich ſich bezeigte, als er früher bedenklich geweſen war.

315

Vorwärts! ſprach zu unſerer Aller Erſtaunen auch der Dämon aus der Schnotterbaum mit dum - pfer Stimme. Ich werd der Sach ein End machen und mich ſelbſt erlöſen. Nächſtkünftigen Mittwoch ſoll’s geſchehen.

316

X. Thatſache: In Gegenwart der Polizei er - ſcheint weder Dämon noch Engel.

Ein Zwiſchenfall, der ſich an einem der fol - genden Tage ereignete, wandte auf einen Augenblick unſre geſpannten Erwartungen von dem nächſtkünf - tigen Mittwoch ab. Mit dem wachſenden Flor der Schnotterbaum’ſchen Wunder hatte ſich nämlich das Etabliſſement nach und nach wieder zu bevöl - kern angefangen. Zuerſt war der Gergeſener auf’s Neue grunzend geworden, dann kehrten mit den Hellſeherinnen die drei Geiſter und zwei Geiſtinnen zurück, nur die zweite Hälfte des Kindsgeiſtes mußte ſich verirrt haben, denn ſie blieb aus. Unſer Lager war demnach wieder vollſtändig aſſortirt und wir thaten uns nicht wenig auf unſern Reichthum zu Gute.

Aber nicht bloß bei uns herrſchten die beſten dämoniſchen Umſtände, auch über das ganze Städt -317 chen hatte ſich der Segen ergoſſen. Es gab in ganz Weinsberg faſt kein Haus mehr, worin es nicht ſpükte; ein Poltergeiſt begann, ſo zu ſagen, zur Einrichtung einer ordentlichen Wirthſchaft zu gehören. Darüber kamen nun freilich manche Ge - ſchäfte in Stockung, denn zur Dämmerungsſtunde wollte Niemand mehr gern allein wohin gehen, weil trotz des Gewöhnlichen, welches die Sache erhielt, die Furcht noch immer den Sinn der Menſchen befing. Außerordentliche Dinge erzählte man ſich; ſo ſollte zum Beiſpiel in der Teufels - ſchmiede den glaubwürdigſten Nachrichten zu Folge der Hammer, womit der Schneider den Dämon zuerſt auf dem Amboſſe bearbeitet hatte, noch im - mer im Hämmern begriffen ſeyn ohne Arm, der ihn regierte, recht wie der Hegel’ſche Gott in der Geſchichte.

Wie nun das Heilige ſtäts, bevor es ſelbſt zu weltlicher Macht gelangt, dem Arme der weltlichen Obrigkeit verfällt, ſo geſchah es auch hier. Die Behörden nannten in ihrer rohen Weiſe das Her - einragen der höheren Welt in die Gaſſen von Weinsberg einen läſterlichen Unfug, und ihre Hand begann drückend über dem Wirken und Weben der318 zarten Sphäre zu laſten. Bei zehn Gulden Strafe wurde verboten, einen Geiſt zu ſehen, geringere Leute, die ſich deſſen unterfingen, ſollten mit bür - gerlichem Arreſt gebüßt werden. Hart lag der Druck über Ginniſtan; der Hammer hämmerte nur noch bei Nacht, wo Niemand ihn hörte.

Auch dem Etabliſſement war ein Beſuch der Polizei angekündigt worden und nicht lange dauerte es, ſo erſchien der Beamte. Der Schneider hatte uns Allen aber Muth eingeſprochen, wir erwarteten daher gefaßt jenen Boten der Gewalt. Auch war deſſen Perſönlichkeit ganz geeignet unſere Zuverſicht zu ſteigern. Wir ſahen in ihm einen noch nicht bejahrten Mann von gefälligem Aeußeren erſcheinen, der ſein Kommen ſo zu ſagen entſchuldigte und um Verzeihung bat, daß er den Befehl der Oberen ausführen müſſe. Glauben Sie mir, meine Her - ren, daß ich den Kreis Ihrer verehrungswürdigen Beſtrebungen aus eigenem Antriebe nie ſtören würde, ſagte der höfliche Beamte. Die Polizei darf keine Feindin der Wunder ſeyn, ſie muß ſelbſt jezuweilen Wunder thun, muß Dinge ſehen, die Niemand ſonſt ſieht, zum Beiſpiel Verſchwörungen gegen Thron und Altar und was dergleichen mehr319 iſt. Alſo nur ein weniges Uebernatürliches, meine Herren, während ich anweſend bin, und ich will zufrieden ſeyn und weit mehr glauben.

Die Schnotterbaum lag entkräftet auf dem Bette, warf dem Beamten aus ihren matten Augen einen ſonderbar lächelnden Blick zu und ſagte: Ich kenne Sie recht wohl. Und ich Sie auch, Jung - fer Schnotterbaum, verſetzte der Beamte. Ich habe mich hin und wieder mit Ihrem ſeligen Herrn Vater ſehr angenehm unterhalten, obgleich ſeine Grundſätze nicht in allewege die meinigen ſein durften. Wenn ich nicht irre, ſo beruht auch noch in unſerem Archive

Hier unterbrach ihn der Magiſche, welcher die Zeit kaum erwarten konnte, eine Probe ſeiner Ga - ben abzulegen, rief: Jetzt wollen wir einmal dem Herrn den Glauben in die Hand geben! That das, was ich von ihm ſchon mehreremale berichtet habe, ſich mit Kraft zu ſalben, und begann das thaumaturgiſche Werk. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen, ſagte mit ihrer natürlichen, nicht mit der dämoniſchen Stimme hin und wieder: Was für Seitenſtiche, die ich verſpür, ſie ſind mein Letz - tes; weiter aber nichts. Der Dämon kam nicht. 320Der Schneider, auf dem der Beamte ſein Auge ſtill und höflich ruhen ließ, griff ſich noch ſtärker an, warf die gräßlichſten Blicke, deren er mächtig werden konnte, umher, und gebärdete ſich wie ein ſchaumbedeckter Schamane. Aber die Schnotter - baum blieb ruhig liegen und kein Dämon erſchien. Plötzlich ſchnappte der Magiſche in einer ungeheu - ren Formel, die er unvollendet ließ, kurz ab, rief, den Beamten zornig anblickend: Wenn ich immer beguckt werde, dann weichen die beiden Geiſter der Stärk, welche mir helfen! und rannte aus der Stube.

Der Beamte ſprach jetzt noch höflicher als zu - vor: O meine Herren, ich ſehe wohl, daß Sie mich für meine Zudringlichkeit beſtrafen wollen. Dürfte ich nichtsdeſtoweniger Sie Herr Doctor Eſchenmichel wohl erſuchen, mir gefälligſt den - mon vorzuſtellen, der hier ſo oft ſeine Aufwartung gemacht hat? Eſchenmichel zog die Achſeln in die Höhe, ging gleichwohl zur Schnotterbaum und ſprach mit dem Dämon auf Kabbaliſtiſch und Swedenborgiſch. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen und der Dämon kam nicht. Eſchen - michel folgte darauf dem Schneider, indem er ſagte,321 daß Geſchäfte ihn abriefen. Ich bin untröſtlich, ſagte der Beamte, daß ich dieſe Störungen in Ihren Geſchäftsbetrieb bringe. Wäre es nicht zu vermeſſen, ſo würde ich mich gleichwohl ermüſſiget ſehen, auch Sie Herr Doctor Kernbeißer zu bitten

Doch nicht, daß ich den Dämon herbeiſchaffe? rief Kernbeißer, der durch alle Verlegenheit hin - durch ein Lächeln hatte blicken laſſen. Sein Humor verließ ihn auch in dieſer drangvollen Lage nicht. Er fuhr fort: Der muß nunmehr in contumaciam zum Tode verurtheilt werden. Aber, ſprach er weinend (denn die Uebergänge von Lachen zu Thrä - nen waren bei ihm unglaublich raſch;) das liebe Englein wird kommen, der zarte Bub, er thut mir ſchon den Gefallen, er läßt ſeinen alten Kern - beißer nicht im Stich.

Er ſetzte ſich zum Bette, nahm die Hand der Kranken in die ſeinige und ſang mit ſanfter Stimme:

Ich weiß, daß du vorhanden
Im ew’gen Lichte webeſt,
Weiß auch, daß du zu Banden
Des Ird’ſchen niederſchwebeſt!
Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 21322
Ich müßte ganz zerbrechen,
Zerbräche mir mein Schauen!
So hart könnt Ihr nicht rächen
Ein gläubiges Vertrauen.

Es blieb aber Alles ſtill in der Schnotterbaum. Nach einer Pauſe ſagte ſie, nämlich die irdiſche Perſon Schnotterbaum: Gebt Euch keine Mühe, lieber Herr, auch er kommt heute nicht.

Kernbeißer ſtand auf und ſah ſehr verwirrt aus. Vielleicht ein anderesmal, Herr Doctor, wird es beſſer gelingen, ſagte der Beamte in der mil - deſten, tröſtendſten Art. Laſſen Sie ſich darüber keine grauen Haare wachſen. Aber Ihr Herr College wird nach Ihnen verlangen. Kernbeißer ging.

Sollten Sie vielleicht ein Mittel beſitzen, Herr von Münchhauſen? fragte mich jener humane Offi - ciant. Nein, mein Herr, erwiederte ich, ich bin hier nur Lehrling und Handlanger. Nun dann Es war deutlich, er wollte mit der Schnotter - baum allein ſeyn. Ich fügte mich ſeinem Winke.

Der Beamte blieb über eine Stunde bei der Kranken. Ich kam, weil ich nicht annehmen konnte, daß er noch bei ihr ſei, und weil ich mich nach ihrem323 Befinden erkundigen wollte, unverſehens zu der Unterredung, von welcher ich noch die letzten Worte hörte. Die Schnotterbaum fragte den Be - amten: Iſt es auch keine Sünde? und er erwie - derte: Nein, gewiß nicht; Sie thun vielmehr ein gutes Werk damit.

Herr von Münchhauſen (mit dieſen Worten wandte er ſich an mich) Sie ſind hier Zeuge einer merkwürdigen Thatſache auf dem Gebiete der höhe - ren Welt geworden. Ja wohl, verſetzte ich, es iſt die Thatſache:

In Gegenwart der Polizei erſcheint weder Dämon noch Engel.

Ich werde nicht ermangeln, dem Herrn Doctor Eſchenmichel ſie bemerkbar zu machen.

Wirklich ſchrieb Eſchenmichel, als ich davon zu ihm redete, ſie in ſeinem Diario nieder. Er hatte ſchon wieder Muth gefaßt.

21*324

XI. Bekenntniſſe einer Sterbenden.

Kernbeißer war zerbrochen und vernichtet. Dürr ſchlief. Ich war ſtark im Glauben und hoffte auf den nächſtkünftigen Mittwoch.

Aber die Entſcheidung ſollte noch raſcher her - anrücken. Gegen zehn Uhr Abends ließ uns die Schnotterbaum rufen. Wir fanden ſie völlig ent - kräftet und kaum noch fähig zu reden. Die Magd wurde herbeigeholt, unterſtützte ſie mit ihren Ar - men, und ſo halb emporgerichtet, gab ſie uns, oft unterbrochen von ihrer Schwäche, Folgendes zu vernehmen:

Ihr Herren, es geht mit mir zu Ende. Die Geiſterſachen haben mich zu ſehr mitgenommen. Vielleicht hätt einige irdiſche Arznei meinen ſchwachen und gebrechlichen Leib länger hingehalten; indeſſen ſei es fern von mir, an den Pforten der Ewigkeit Jemand anzuklagen.

325

Ich werd den nächſtkünftigen Mittwoch ſchwer - lich erleben. Ob der Grobſchmidt oder der Ma - giſter, mein ſeliger Herr Vater in mir geſeſſen, ich weiß es nit, nehm auch keinen Antheil mehr daran. Ich muß ohne ſie oder einen von Beiden vor Gott. Der Magiſter hat mir etwas anver - traut, worüber er auf einer ſeiner Wanderungen Licht erhalten, und welches der Art iſt, daß kein Menſch ſich dergleichen denken kann. Es hat mich überaus ſehr gequält, iſt aber nicht über meine Lippen gekommen. Ich hielt’s auch meiſtentheils für eine Schnurr, darin der Magiſter von jeher ſtark war. Weiß auch noch nit, ob etwas Wahres daran iſt.

Nun aber höret und vernehmet, Ihr Herrn. Der Magiſter hat mir auch erzählt, daß er dieſe verborgene Sache zu Papier gebracht, und das verſchloſſene Papier ſein Teſtament benamſet habe. Bisher wußte ich nun deſſen Aufbewahrungsort nicht. Vor Kurzem jedoch iſt mir offenbart wor - den, daß es im hieſigen Polizeiarchive und zwar in dem Gefach S unter verſchiedenen nicht mehr brauch - baren und ſtaubigen Papieren hinterlegt worden ſei, und dorten allerdings noch beruhe.

326

Nun aber Ihr Herren thut mit meiner Ent - deckung und in Betreff des bisher unbekannt ge - bliebenen Teſtamentes, was Euch gut dünkt. Mich laßt mit mir allein und ſchickt mir, wenn ich bitten darf, geiſtlichen Beiſtand.

Die Magd mußte ſie zurücklegen, und ihre Bruſt begann zu röcheln. Wir verließen das Zim - mer und ſandten nach dem Geiſtlichen. Keiner von uns legte ſich nieder. Gegen Mitternacht kam die Magd und ſagte, daß ſie verſchieden ſei. Kurz vor ihrem Ende habe ſie geäußert: Es ſteht kein Engel bei mir, aber ich bin dennoch getroſt. Das Unheil iſt ohne meinen Willen über mich gekom - men; es wird mir vergeben werden.

Alſo wieder Eine, die in die Stricke des Cere - bralſyſtems zurückfiel! rief Eſchenmichel. Dieſer Umſtand, meine Herren, bleibt vor der Hand unter uns.

Alle unſere Gedanken wendeten ſich mit Macht gegen das Teſtament des Magiſters Schnotter - baum. Nach kurzer Verfinſterung durch den dunkeln Körper der Polizei ſchien die Sonne der höheren Welt nur um ſo ſieghafter leuchten zu ſollen. Denn Eſchenmichel ſchrieb auf der Stelle an den Beamten,327 theilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um die Erlaubniß für die Etabliſſementsgenoſſen, an dem bezeichneten Orte nach dem Teſtamente ſuchen zu dürfen. An dem Rande des Grabes, ſo ſchloß der Brief, in dem Augenblicke, wo der ſcheinbare Tag weicht und die heiligen Finſterniſſe ihre Lichter anzünden, trat die Welt der Geiſter wieder in ihre unzerſtörlichen, urewigen Rechte ein. Aus ihr erſcholl die Stimme, welche einen Moment lang zum Schweigen gebracht worden war, um den Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat ſie Wahr - heit geſprochen, ſo müſſen alle Staubwirbel, welche die Geſchäftigkeit des modernen Unglaubens auf - wühlt, ſich zerſtreuen und verſchwinden.

Eigentlich iſt’s nicht ganz richtig, ſagte Kern - beißer, als er den Brief überleſen hatte. Denn der Magiſter hatte ihr bei Lebzeiten vom Teſtament geſagt, ſo weit ich die gute Schnotterbaum ver - ſtanden habe. Schweig! rief Eſchenmichel, und ſiegelte den Brief.

Zwiſchen der Leiche im Hauſe und dem ver - hängnißſchwangern Polizeiarchiv eingeklemmt ver - brachten wir den Reſt der Nacht in einer wild - unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten328 Dieſes ſagen, und unſere Lippen ſprachen Jenes. Wir wollten jubelnde und triumphirende Reden über den Sieg der Thaumaturgie halten, und ehe wir uns deſſen verſahen, ſchlugen ſie in Klagelieder um. Wir wollten lachen und mußten heiße, ſchmerzhafte Thränen von den Wangen wiſchen. Ein Geiſt, vielleicht mächtiger, als alle bisherigen Poltergeiſter in und um Weinsberg ging durch das Etabliſſement.

Frühmorgens ſandte Eſchenmichel ſeinen Brief an den Beamten. Sehr bald kam eine Antwort von dieſem, worin er auf die allerverbindlichſte Weiſe ſeine Freude über die hergeſtellte Thätigkeit der Wunder ausdruckte und meldete, daß er, um allen Unterſchleif zu vermeiden, ſofort das Polizei - archiv habe unter Siegel legen laſſen. Er be - ſtimmte die Stunde der Nachſuchung und ſchloß damit, daß er, um dem ganzen Einhergange die größtmögliche Offenkundigkeit und feierlichſte Würde zu geben, mehrere Honoratioren des Städtchens und einige Fremde von Auszeichnung dazu einladen laſſen werde.

Eſchenmichel mühte ſeinen Geiſt in Vermuthun - gen ab, was das myſtiſche Teſtament enthalten329 werde. Vielleicht die Entdeckung, wo er die Klei - der des erſchlagenen Knechts gelaſſen, ſagte er unter Anderem. Du vergiſſeſt, erwiederte Kern - beißer, daß es ja nicht der Grobſchmidt, ſondern der Magiſter geſchrieben hat. Mir iſt hoch zu Muth! rief Eſchenmichel. Mir angſt, ſagte Kernbeißer.

Dürr ſchlief noch immer. Ich packte im Stillen meinen Koffer. Warum? weiß ich nicht. Mir war, als müſſe ich packen. Gewiß auch noch ein dämoniſcher Einfluß zu guter Letzt.

330

XII. Das Teſtament des Magiſters Schnotter - baum.

Als die Stunde gekommen war, gingen wir nach dem Rathhauſe. Vor demſelben hatte ſich eine große Menge Volks verſammelt, welches ſich ehrerbietigſt verneigte und uns Platz machte, als wir uns näherten. Auf dem Vorſaale erwartete uns der Beamte, welcher zur Feier des Tages ſich in ſeine Staatsuniform geworfen hatte, mit meh - reren Honoratioren, unter denen ich den Specerei - händler bemerkte. Von ausgezeichneten Fremden ſah ich freilich Niemand als den Ehinger Spitzen - krämer. Es mochten wohl an fünfzig Menſchen aller Art oben verſammelt ſeyn, in deren Geſichtern Neugier, Befremden, Spannung ſich auf die man - nichfaltigſte Weiſe kund gaben. So weit wie heute hatte ſich die Thaumaturgie noch nicht in die Kreiſe des profanen Lebens gewagt; ſchon das mußte alle331 Erwartungen entfeſſeln, dazu aber kam noch der Tod der Jungfer Schnotterbaum. Dieſer ſetzte ſelbſt die Leidenſchaften in Bewegung.

Der Beamte empfing die beiden Geſchäftsträger der höheren Welt mit einer Artigkeit, die faſt an Demuth grenzte, und ſagte zu einem ſeiner Die - nenden leiſe: Achten Sie auf Dürr. Irgend eine Auszeichnung, wahrſcheinlich das Ehrenbürgerrecht der Stadt, wird wohl die Folge der Sache ſeyn, dachte ich. Vielleicht bekommſt du auch etwas ab.

Ueber dem Schlüſſelloche der Archivſtube lagen Papierſtreifen mit Siegeln, dieſe wurden für un - verletzt erkannt und ſodann hinweggenommen. Der Beamte ließ die Stube öffnen; wir nahmen den ſtaubigen Schränken und Repoſitorien gegenüber Platz. Für Kernbeißer und Eſchenmichel waren auf einer Erhöhung in der Mitte des Gemachs zwei eilig herbeigeſchaffte Ehrenſeſſel hingeſtellt worden. So ſaßen ſie denn, allen Blicken ſichtbar, über uns Andere erhöht, da.

Indem ich mich zufällig während dieſer vorbe - reitenden Handlungen umwandte, ſah ich Jemand in unſerem Rücken durch die offene Thüre herein und hinter eine ſpaniſche Wand ſchlüpfen, welche332 zunächſt der Thüre ſtand. Da ich etwas neugierig bin, benutzte ich einen Augenblick, in welchem ich mich für unbeachtet halten durfte, um mich auch hinter der ſpaniſchen Wand umzuſehen. Zu meinem allergrößten Erſtaunen aber fand ich hinter der - ſelben einen Bekannten, den ich auf der Stelle mir erinnerlich zu machen wußte, nämlich den Ge - hülfen aus dem Würzburger Juliusſpital, mit dem ich mich über die Seherin von Prevorſt und die beiden entlaufenen alten Weiber unterhalten hatte. Ich wollte meiner Verwunderung durch einen Aus - ruf Luft machen, der Gehülfe hielt mir aber den Mund zu und ſagte: Erregen Sie kein Aufſehen, die vorſeiende heilige Handlung darf nicht geſtört werden, ein Zufall führt mich auf dieſer meiner Reiſe durch Weinſperg, und es war wohl natür - lich, daß ich ein Zeuge des merkwürdigen Ereig - niſſes zu werden wünſchte, von welchem ich, ſobald ich im Wirthshauſe abgetreten war, zu hören be - kam. Was den Umſtand betrifft, daß ich hier hinter der ſpaniſchen Wand zuzuſehen, oder vielmehr zuzuhören wünſche, ſo iſt dieſes Letztere eine Lieb - haberei von mir, die ſonder Zweifel zu den völlig unſchuldigen gehört.

333

Ich weiß nicht, welcher abermalige geheime Einfluß mich trieb, nach dieſer Entdeckung thür - wärts zu ſchleichen, um in das Freie zu entgleiten. Der Menſch iſt dunkeln, unerklärlichen Anſtößen ſo häufig unterworfen. Aber zwei Thürſteher wieſen mich zurück und ſagten: Niemand darf das Gemach verlaſſen, bis die Handlung vorbei iſt. Ei! Ei! dachte ich, werden die Geiſterſachen nun mit ſolcher polizeilichen Strenge behandelt?

Der Beamte hatte inzwiſchen der Verſammlung ihren Anlaß in einer bündigen Rede auseinander - geſetzt, und forderte eben, als ich zu dem erhöhten Sitze der beiden Doctoren der Geiſterwelt zurück - kehrte, dieſe auf, das Fach zu bezeichnen, worin das Teſtament des ſeligen Magiſters Schnotter - baum nach deſſen Angabe liegen ſolle. Eſchenmichel gab mit herzhafter Stimme das Fach an. Nun merket wohl auf, meine Mitbürger, ſprach der Beamte. Liegt das Teſtament des verſtorbenen Magiſters, ſo wie behauptet wird, in dem Fache S unter verſchiedenen nicht mehr brauchbaren und ſtaubigen Papieren, ſo habt Ihr ein Wunder, mit Händen zu greifen. Denn ſelbſt ſeine Tochter, die tugendſame, durch die beiden Herren ſo zweck -334 mäßig behandelte und nun in der Ewigkeit ver - ſirende Jungfer Anna Katharina Schnotterbaum wußte von dem Aufbewahrungsorte nichts, weil ihr ſeliger Vater ihr denſelben keinesweges entdeckt hatte. Er war vielmehr nur zweien Menſchen auf Erden bekannt, dem Teſtator und mir, dem der alte Schäker einſtmals in einer Weinlaune das verſiegelte Papier eingehändiget hatte, ohne gleich - wohl deſſen Inhalt mir zu offenbaren. Es ſind alſo nur zwei Fälle möglich. Entweder muß ich mit den beiden Herren unter der Decke geſpielt, und ihnen den Ort verrathen haben, oder er iſt durch den Geiſt des Magiſters aus jener Welt heraus kund gethan. Der dritte Fall läßt ſich nicht gedenken

Wenn ich reden dürfte ſagte ich, von Neuem durch geheimen Anſtoß hingeriſſen.

Nein, Herr von Münchhauſen, ſprach der Beamte mit Anſehen, Sie dürfen hier nicht reden. Sie ſind ein Ausländer und haben bei uns keine Stimme. Er warf einen ſo bezeichnenden Blick auf ſein Dienſtperſonal, daß der innere Impuls, weiter zu ſprechen, plötzlich in mir verſchwand. Wiſſen Sie einen dritten Fall, meine Herrn? fragte335 er Kernbeißer und Eſchenmtchel. Ich bin über - zeugt, daß es Ihnen nur um Wahrheit zu thun iſt.

Nein, verſetzte Eſchenmichel muthig. Nein, erwiederte Kernbeißer ſchüchtern.

Wißt Ihr einen dritten Fall, verſammelte Schwaben? rief der Beamte in das Publicum hinein. Nein! war die einſtimmige Antwort der Menge. Glaubt Ihr, daß ich den beiden Herrn Doctoren die Sache geſteckt habe, daß die Polizei ein falſches Wunder hier verfertigen hilft? Abermaliges ſtürmiſches Nein.

So wäre alſo der Thatbeſtand mit völliger Gewißheit hergeſtellt, und nur der Geiſt des Ma - giſters kann den beiden erleuchteten Männern die Notiz haben zufließen laſſen, ſagte der Beamte. Wir werden aber unter ſolchen Umſtänden, und da noch im Jenſeits, in dem Lande, wo alle Täuſchung ſchwindet, von dem Teſtamente Rede geweſen iſt, ſeinem Inhalte die allerernſteſte Beachtung zu wid - men haben. Gewiß erlebt die Thaumaturgie heute einen hohen Triumph. Wie beklage ich, daß ich für ihre würdigſten Prieſter die Ehrenſeſſel bei dieſer erhabenen Feier nur auf dasjenige Gerüſt ſtellen laſſen konnte, von welchem herab wir leider336 mitunter auf dem Markte andere Perſonen dem Volke zeigen müſſen. Der Herr Doctor Eſchen - michel brachte uns aber die Dämonophanie zu raſch über das Haupt, und ſo mußten wir in der Haſt zu jener allerdings ſtandeswidrigen Vorrichtung greifen, weil keine andere im Augenblick zu er - mitteln war.

Er gab einem Schreiber den Befehl, im Fache S nachzuſuchen. Aller Herzen pochten vor Unruhe. Der Schreiber ging, ſuchte, warf erſt einige ge - bräunte Hefte aus dem Fache, daß eine Wolke Staubes aufſtieg, zog dann ein vergilbtes Couvert hervor, und las mit vernehmlicher Stimme deſſen Aufſchrift ab, welche alſo lautete: Hierin iſt enthalten der letzte Wille Jodoci Zebedäi Schnotterbaum’s, lebzeitig Magiſters der freien Künſte, aus Hall in Schwaben bürtig.

Dem ernannten Executor, dem Zufall, wird die Publication übertragen.

Ein allgemeines: Ah! der befriedigten Erwar - tung wurde hörbar. Eſchenmichel ſaß wie ein Triumphator auf ſeiner Bühne, Kernbeißer wurde337 immer bleicher, je deutlicher ſich der Sieg auf die Seite des Wunders neigte.

Ein großer ſchwarzer Rabe kam in dieſem Augenblicke in das Archiv gehüpft und auf den Tiſch, an welchem der Beamte ſaß. Er ſetzte ſich zutraulich vor ihn hin und blickte wie ein Einge - weihter nach den Thaumaturgen. Sieh! Sieh! mein alter Claus, du Unglücksvogel, was willſt du hier? ſagte der Beamte und ſtreichelte den Rücken des zahmen Thieres, welches ſeinem Herrn über - allhin folgte.

Die Siegel des Teſtaments wurden gleichfalls als unverletzt anerkannt, der Schreiber brach ſie auf Befehl und hob, deutlich, daß Niemandem ein Laut entging, folgendermaßen zu leſen an:

Zwiſchenbetrachtung des Erzählers.

O Menſchenſchickſal! Menſchenſchickſal! An welchen jähen Abgründen taumelſt du wie ein Nachtwandler hin! Durch das goldene Thor von Byzanz träumſt du, zu ſchreiten, dem Pfauenthrone des Moguls in Delhi wähnſt du, dich zu nähern, da tönt der weckende Ruf, und du liegſt zerſchmet - tert unten, herabgeſtürzt von der Firſte des Dachs,Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 22338über welche du bewußtlos kletterteſt! Wie hatte Kernbeißer’s Bläſſe Recht, wie hatte der ſchwarze Rabe Recht, wie hatte ich Recht, als ich von der Möglichkeit eines dritten Falls reden wollte!

Das Teſtament des Magiſters Schnotterbaum enthielt folgende Beſtimmungen und Aufſchlüſſe.

Da der Tod eine gewiſſe, Zeit und Stunde deſſelben aber eine ungewiſſe Sache iſt, ſo habe ich mich entſchloſſen, bei allbereits merklicher Abnahme meiner Kräfte, jedoch völlig geſundem Verſtande meinen letzten Willen aufzurichten. Ich habe im - mer zu den Leuten gehört, welche auf Erden ihren Willen nicht haben ſollten, aber meinen letzten will ich haben und durchſetzen.

Blutarm bin ich in die Welt gekommen, blut - arm bin ich auf derſelben gewallt und blutarm werde ich ſie aller Wahrſcheinlichkeit nach verlaſſen. Aber ein Teſtament darf auch der Aermſte machen, und daran kann ihn kein Tyrann verhindern. Ich hoffe nicht mißverſtanden zu werden, wenn ich daran erinnere, daß des Menſchen Sohn, welcher nicht hatte, da er ſein Haupt hinlegen ſollte, ein Teſtament errichtete, aus welchem die Geſchlechter zweier Jahrtauſende Erbgenahmen worden ſind. 339Dieſen Menſchenſohn, genannt Jeſus der Chriſt, habe ich Zeitlebens lieb gehabt, aber ganz in der Stille; nicht wie Regan und Goneril ihren Vater liebten, ſondern gleichſam à la Cordelia, oder da ich generis masculini bin, à la Cordelius. Ich wurde deßhalb für einen böſen Chriſten und Atheiſten gehalten, welches ich mir wohl gefallen laſſen konnte, da ich die Liebe der Regan’s, Goneril’s, der Edmunde und Cornwall’s an ihren Früchten erkannte.

Ich beſitze an zeitlichen Gütern drei Stücke, nämlich meinen ſterblichen Leichnam, eine natürliche Tochter und einen alten von mir durchaus zerleſenen Juvenal, Göttinger Ausgabe von Vandenhoeck vom Jahre 1742. Ueber meinen Leichnam eröffne ich die Succeſſion der Aſcendenten, vermache ihn näm - lich der Mutter Erde, und mag er zuſehen, wie er darin zu ſeiner Auferſtehung kommen will; vor der Hand wünſche ich, zu ſchlummern. Meine natürliche Tochter vermache ich ihrer Nätherei, wel - che ich ſie habe mit allen Feinheiten dieſer Kunſt erlernen laſſen. Um meinen Juvenal ſollen die Hauptſtädte der Welt würfeln, und welche die niedrigſten Augen wirft, ihn haben und behalten als immerwährendes Fideicommiß.

22*340

An ewigen und unzeitlichen Gütern beſitze ich eine große Wahrheit und deren Beſtätigung durch ein eminentes Exempel, welches wieder mit einem unglaublichen Geheimniſſe zuſammenhängt. Dieſen Zuſammenhang von Wahrheit, Exempel und Ge - heimniß verlaſſe und vermache ich allen Leuten von geſunder Vernunft. Da die genaue Bezeich - nung des Erben zu den Hauptſtücken eines gültigen Teſtaments gehört, ſo merke ich hier an, daß unter den titulo honorifico Bedachten nicht gemeint ſind:

  • 1. die ſogenannten großen Köpfe
  • 2. die edeln Charaktere
  • 3. die bedeutenden Menſchen
  • 4. die gefühlvollen Seelen
  • 5. diejenigen, welche man
    • a. die Hochverdienten, oder
    • b. die Allverehrten und Allgeliebten nennt;

ſondern meine Erben ſollen ſeyn die Leute von geſunder Vernunft, eine leider neuerdings nur zu ſehr herabgekommene und unſcheinbar gewordene Secte.

Denn die Vernunft, welche ich meine, bietet ihren Anhängern nur Armuth und Nichtachtung, ſie ſelber geht auch nicht in Sammet und Seide,341 ſondern in einem ſchlichten weißen Gewande. Puf - fen, Bänder und Schmelz fehlen ihrem Anzuge ganz, auf den Wangen brennt ihr nicht die bei den Meiſten beliebte hektiſche Röthe, ſondern die reine Farbe der Geſundheit ſteht auf denſelben, die für den verwöhnten Geſchmack zu derb und friſch iſt; kurz, ſie hat nichts, was reizen und verführen kann.

Die große Wahrheit, welche ich beſitze, iſt; daß es keine Tollheit, keinen noch ſo verrückten Spar - ren und keine Einfaltspinſelei giebt, welche jemals wirklich ſtürbe unter den Menſchen. Vielmehr iſt das Abthun der allergräulichſten Irrthümer immer nur eine Scheintödtung und ſie leben zu gehöriger Zeit ſtäts wieder auf, nicht etwa mit gewechſelter Garderobe, o nein! in ſolche Unkoſten ſetzt ſich ihr König und Oberfeldherr nicht, ſondern, wie ſie waren, erſtehen ſie wieder und in der alten, elen - digen, bettelhaften Geſtalt. Wenn ein Reich durch die Dummen und Memmen geſtürzt und durch die Klugen und Tapfern gerettet worden, ſo beginnt einige Tage nach der Rettungsſtunde ganz ſicherlich die Herrſchaft der Dummen und Memmen wieder. Wenn es Millionenmale vorkam, daß die Sclaven ihre Herren beraubten und ermordeten und nur die342 Treue des Freien fromm-ſchützend die Hand über Gut und Haupt des Gebieters hielt, ſo ſtellt ſich die alte Liebhaberei für Sclaven jederzeit wieder ein, und wenn der menſchliche Geiſt endlich auf den Punct gediehen zu ſeyn ſchien, die Geiſterwelt im Geiſt zu erfaſſen, ſo ragt unverſehens das ver - jährte, jämmerliche, krüpplichte Zeichen -, Wunder - und Geſpenſterweſen, der müffigſte myſtiſche Trödel in die nur ſcheinbar befreit geweſene Welt herein.

Empfanget in der Erläuterung dieſer letzten Worte, meine theuren Erben, die Beſtätigung durch das eminente Exempel. Wir haben die Reforma - tion gehabt und demnächſt eine große Philoſophie und Literatur. Wir glaubten, endlich dahin ge - kommen zu ſeyn, Fetiſche, Amulete, Poltergeiſter und andern Polterkram für abgeſchafft erachten zu dürfen. Endlich meinten wir, dahin wenigſtens gekommen zu ſeyn, das Empyräum ſowohl als den Hades nur in der adäquaten Sphäre des aufgeſchloſſenen menſchlichen Bewußtſeyns wirkend zu erblicken und in deſſen äußerem Leibe, in der Geſchichte. Aber mit nichten. Im neunzehnten Jahrhundert rühret ſich plötzlich wieder das erſtunkene, erlogene, ſichtbar-unſichtbare Gelichter; die geſpenſtiſchen343 Weinſchrötter, Kelleraſſeln und Grabwürmer krie - chen aus ihren Löchern, der heilige Name Gottes und des Menſchenſohns wird in dieſen ekelhaften Stank und Dampf hineingerufen, die Myſten und Epopten, den Narren oder den Schalk im Buſen, verdrehen die Augen und entblöden ſich nicht, Worte des ewigen Lebens ihren Faſeleien an die zerrüttete Stirn zu ſetzen. Der Bauch der Vetteln ſoll plötzlich mehr wiſſen, als das Haupt und das Herz der Weiſen, und alles dieſes Zeug, dieſer Waſch und Klatſch, wofür man ebenſowohl Prätorii Wünſchelruthe, Erasmi Francisci hölliſchen Proteus und den vielförmigen Hinzelmann als Gewährs - leute anführen könnte, wird von einem nicht un - zahlreichen Pöbel aller Stände geglaubt und ſanft - ſelig weiter verbreitet.

Ei, werdet Ihr, meine Erben, ſagen, was für ein ſchlechtes Legat hinterläſſeſt du uns? So ſtehen ja die Hexenproceſſe vor der Thüre. Geduld, Ihr Theuren! Es iſt allerdings ſehr möglich, daß unſere Enkel abermals Hexenproceſſe erleben, indeſſen ganz nahe ſtehen ſie doch noch nicht bevor, und zwar von wegen des unglaublichen Geheimniſſes, welches mit dem eminenten Exempel verbunden iſt. Ihr344 wißt, liebe Erbgenahmen, daß die Herren Doctoren Eſchenmichel und Kernbeißer, welche hauptſächlich den Geiſtertrödel in ſchwunghaften Betrieb gebracht haben, von der Welt für gelehrte und würdige Männer gehalten werden, und für Männer hal - tet auch Ihr ſie wahrſcheinlich. Wenn es nun aber an den Tag kommt, was mir bekannt iſt, daß dem nicht ſo ſei, ſo kann es kaum fehlen, daß die dämoniſchen Geſchäfte in einigen Verruf gerathen, die Sache, bildlich zu reden, eine Poſſe wird, und unſere Nachkommen vielleicht doch in den nächſten dreißig Jahren noch vor der Rückkehr der Hexenproceſſe bewahrt bleiben.

Meine theuren Erben, die Herren Doctoren Kernbeißer und Eſchenmichel ſind nicht männlichen Geſchlechts.

Auf einer meiner Streifereien, die ich unter - nahm, um mir mein Bettelbrod zu verſchaffen, kam ich durch eine Stadt, worin ſich ein weltberühmtes Spital für Alte und Sieche befindet. Es iſt eine geraume Reihe von Jahren her. Ich ließ mir die Anſtalt zeigen und durchwanderte die langen Rei - hen der alten Männer und Frauen, welche ihre letzten Tage da zubrachten. Wie es nun wohl345 zufällig kommen kann, daß ſich unſerem Geiſte die Geſtalt eines Baumes, Felſens, Hauſes untilgbar einprägt, ſo wollte es der Zufall, (denn es ſei ferne von mir, dieſe Geſchichte irgend romantiſch aufzuſchmücken;) daß mir zwei alte Frauen, welche von den Andern ſich geſondert hielten und ſehr eifrig mit einander verkehrten, beſonders auffielen. Es war weiter gar nichts Merkwürdiges an den beiden Alten. Gewöhnliche alte Weiber, wie es deren Tauſende giebt, aber ihre Statur und Phy - ſiognomie machte dennoch einen unauslöſchlichen Eindruck auf mich, ſo daß mir gleich damals klar wurde, ich würde ſie wiedererkennen, wo und wann ich ſie jemals ſähe.

Nach einigen Jahren und mehreren Schickſalen gelangte ich in dieſes unſer Städtlein, entſchloſſen, hier nunmehr für Lebenszeit zu raſten. Ich hörte ſogleich von der Anlage und von dem Fortgange des Kernbeißer’ſchen Etabliſſements und erbat mir na - türlich unverweilt Zutritt zu dieſer größten Se - henswürdigkeit des Ortes. Allein wie wurde mir, geliebte Erben, als mir der Herr der Anlage mit ſeinem Freunde entgegentrat! Ich meinte, der Boden ſchwanke unter meinen Füßen und das346 Haus tanze mir vor den Augen, denn man mag auf Alles gefaßt ſeyn, wenn man zu frommen Wunderthätern geht (ſie haben uns an Vieles ge - wöhnt;) allein darauf iſt man nicht gefaßt, in zwei Männern der höheren Welt zwei alte Weiber wiederzuerkennen.

Ja, meine Erben, es iſt ausgeſprochen, das große Wort des Räthſels. Wenn die Natur nicht das nur von Comödienſchreibern erfundene Spiel der Menächmen nachahmt, wenn ſie, die unerſchöpf - lich erfindende Göttin jedem[Exemplare], welches ſie aus der Form wirft, einen Zug beſonderer Ausſtattung mitgiebt, ſo habe ich mich nicht irren können, lebe vielmehr und will ſterben in der Ueberzeugung: Die Herren Doctoren Kern - beißer und Eſchenmichel ſind zwei alte Weiber, die ich vor längerer Zeit im Juliusſpitale zu Würz - burg geſehen habe.

Wie und wann ſie aus demſelben entkommen, auf welche Weiſe ihnen der Gedanke an das unter ihren Händen erblühte Etabliſſement geworden, das habe ich nicht erfahren können. Nur ſo viel läßt ſich einſehen, daß ſie, wenn ſie ihre Rocken - ſtubengeſchichten für Wahrheiten verkaufen wollten,347 genöthigt waren, Mannskleider anzulegen, ihren Discant zum Baß zu verſtellen, und überhaupt das zu ſcheinen, was ſie nie waren.

Das Geheimniß wäre ſonach gegenwärtig hier deponirt, und damit hätte das ganze Legat ſeine vollſtändige Stiftung erhalten. Die frommen und ſüßen Seelen werden es ein läſterliches nennen; in meinem Sinne jedoch iſt es recht eigentlich eins zu frommen Zwecken.

Den Zufall aber ernenne ich zum Teſtaments - vollſtrecker, und ſoll es von ihm abhangen, ob und wann dieſer letzte Wille eröffnet und die Erbfolge nach demſelben angetreten wird. Ich halte ſehr viel vom Zufall, ſeit ich geſehen, welche erbärm - liche Fratze die Menſchen aus der Vorſehung ma - chen. Es beſtimmt mich auch noch ein anderer Grund. Ich weiß, daß im Rachen des Löwen Erbarmen wohnen kann und aus den Krallen des Tigers Rettung gefunden werden mag, daß aber keine Gnade iſt bei den Propheten. Bei meinem Leben kommt es daher nicht heraus. Aber, wie ich meiner Nachwelt die Wiſſenſchaft nicht unter - ſchlagen darf, ſo will ich doch auch die Kunde nicht beſchleunigen. Der Zufall verwalte Alles und gebe348 das Zeichen, wann es an der Zeit iſt. Denn die Propheten werden auch meinen todten Staub nicht ungerührt laſſen, wenn ſie erfahren, daß ich ihr Geſchlecht entdeckt habe. Von Einem derſelben weiß ich es wenigſtens gewiß.

Die größten Verfolgungen, geliebte Erben, ſind von jeher über Diejenigen ergangen, welche im Lehrſtuhl, auf der Kanzel, im Staatsrath und im Heerbefehl die alten Weiber ausfindig machten!

Ich bete dich an, Vernunft, Tochter Gottes, Schirmherrin der Männer, Athem der Seele! Ich bete dich an im Geiſt und in der Wahrheit. Du erſchütterſt mir Herz und Nieren; führe mich, bleibe bei mir bis an das Ende meiner Tage! Ein ſchlichtes, farbloſes Gebet, ein Gebet in Knechts - geſtalt! Ich will damit auszukommen ſuchen.

Vorſtehendes iſt mein letzter Wille ohne Ort und Datum, denn ich wünſchte, daß er aller Orten und zu jeder Zeit gälte.

Jodocus Zebedäus Schnotterbaum.

A. A. L. L. M.

Requiescat anima mea in pace!

349

Nachſchrift.

(Mehrere Jahre ſpäter.)

Ich erlebte das Ende der Scene nicht. Als bei den bezüglichen Worten des Teſtaments zuerſt ein athemloſes Schweigen des Todes im Archive eintrat, dann aber Jubel, Hohn, Schreck, Unwille, Entſetzen, Spott, Schimpf, kurz jeglicher Affect ſich in Blick, Miene, Schrei Luft machte, und die Doctoren, wie von einem Kernſchuſſe vernichtet, in die Seſſel zurückſanken, benutzte ich dieſen Mo - ment und entwiſchte. Mit drei Sprüngen war ich im Etabliſſement, empfahl dem Knechte mein ge - packtes Köfferchen zur Nachſendung, die er auch redlich bewerkſtelligt hat, und lief ſpornſtreichs zum Thore hinaus, denn die Sache, das fühlte ich wohl, war hier aus, rein aus. Auf der Straße rannte ich an dem Magiſchen vorbei, den eine finſtere Macht fortbewegte. Der gemeine Mann nennt ſie den Schub. Er wußte aber noch von ſeinen Sinnen nichts und hat daher nachmals mit Recht behaupten können, er ſei aufgehoben und von dannen geführt worden in der Entzückung.

350

Später erfuhr ich den weiteren Verlauf der Dinge. Freilich gingen mir darüber zwei ganz verſchiedene Berichte zu. Der Eine lautete fol - gendermaßen: Sobald nämlich der Magiſter Schnot - terbaum von Jenſeits zu Ende geſprochen, ſei der Gehülfe hinter der ſpaniſchen Wand hervorgetreten und dem Teſtamente mit den Worten: Ei Mutter Urſel und Beth, ſieht man Euch ſo unerwartet hier wieder? ein gewichtiger Beſtätiger geworden. Der Beamte habe hierauf mit ſeiner immerfort noch ſteigenden teufliſchen Sanftmuth und Höflich - keit zu den Propheten geſagt, er für ſeine Perſon halte das Schnotterbaum’ſche Teſtament für einen ſarkaſtiſchen Scherz des alten böſen Magiſters und glaube, daß der fremde Herr Doctor, getäuſcht von einer flüchtigen Aehnlichkeit ſich irre, indeſſen gebiete ihm freilich in der Sache allein ſeine Pflicht, da er zu gemeſſene Befehle habe, das Ereigniß in jeder Richtung feſtzuſtellen. Es liege auf der Hand, daß ſelbſt in Betreff der Wunder viel darauf an - komme, ob ſie ein Mann, oder ob ſie ein altes Weib erzähle, und da zufälliger Weiſe gerade ein Sachverſtändiger anweſend ſei, ſo müſſe er zwar mit blutendem Herzen und die beiden Herren351 inniglich verehrend ſie dennoch erſuchen, ſich mit dem fremden Doctor behufs weiterer Veranlaſſung gefälligſt hinter die ſpaniſche Wand zu begeben.

Der Beamte habe alles wüthenden Widerſtan - des ungeachtet ſeinen Willen durchzuſetzen gewußt und nach einer Viertelſtunde ſei von dem Gehülfen aus Würzburg auf deſſen Ehre und Gewiſſen das Gutachten abgeſtattet worden, daß der Magiſter Schnotterbaum mit keiner Lüge belaſtet das Zeit - liche geſegnet habe.

Nach dem zweiten Berichte war Alles mit der Publication des Teſtaments vorbei. Die aufge - regten Affecte gingen in ein ſchallendes Geläch - ter über; der Gehülfe trat lachend hervor und konnte vor Lachen kein beſtimmtes Wort über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Helden dieſes Tages ausſprechen. Das Gelächter war ſo anſteckend, daß der alte drollige Kernbeißer endlich ſelbſt mit einſtimmte und rief: ’S iſt der ausbün - digſte Schwank, der zu erdenken geweſen, beweiſ’t aber nichts gegen das Zwiſchenreich. Dieſe allgemeine Heiterkeit des Ausgangs ſoll um ſo anmuthiger geweſen ſeyn, als, wie verſichert wird, der Beamte auch in dieſen Momenten ſeinen wahren352 oder angelegten unzerſtörlichen Ernſt beibehalten hat. Von Unterſuchung hinter der ſpaniſchen Wand keine Rede.

Indeſſen verfehlte das Teſtament des Magiſters nicht, ſeine Wirkung nachhaltig zu äußern. Denn wohin ich ſeitdem kam, überall hatte ſich die Volks - meinung gebildet, daß der alte Schnotterbaum das Geſchlecht der Coryphäen des Geiſterglaubens wirk - lich entdeckt habe.

Dadurch aber hatte in der That, wie ſich deutlich ſpüren ließ, die höhere Welt, nämlich die Kernbeißer-Eſchenmichel’ſche, einen Stoß erlitten. Die Erben des Magiſters aber traten die Erbſchaft nach ſeinem Teſtamente ohne Vorbehalt an.

About this transcription

TextMünchhausen
Author Karl Immermann
Extent373 images; 56203 tokens; 11758 types; 388978 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationMünchhausen Eine Geschichte in Arabesken Zweiter Theil Karl Immermann. . XI, 352 S. SchaubDüsseldorf1839.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Bibl. Varnhagen 2197http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=589827537

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:53Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Bibl. Varnhagen 2197
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.