Fünftes Buch.
Hochzeit und Liebesgeſchick.
Erſtes Capitel.
Sechstes Buch.
Walpurgisnacht bei Tage.
An einem klaren Auguſtmorgen brannten im Oberhofe ſo viele Kochfeuer, als ob die Bevölke - rung ſämmtlicher Ortſchaften in der Runde zum Mittagsmahle erwartet werde. Ueber der Heerd - flamme, durch große Klötze und Scheiter zu unge - wöhnlicher Größe entzündet, ſchwebte an dem ein - gezahnten eiſernen Haken der mächtigſte Keſſel, welchen die Wirthſchaft bewahrte. Sechs oder ſieben eiſerne Töpfe umſtanden mit ihrem ſiedenden und brodelnden Inhalte dieſe Gluthen. Auf dem Platze vor dem Hauſe nach dem Eichenkampe zu praſſel - ten, wenn die Geſchichte die Wahrheit ſagt, neun Feuer, und ebenſoviele, oder höchſtens eins weniger auf dem Hofe in der Nähe der Linden. Ueber1*4allen dieſen Kochſtätten waren Böcke oder Roſte errichtet, auf welchen Bratpfannen ſtanden, oder an welchen Keſſel von nicht geringer Größe hingen, obſchon keiner derſelben ſich mit dem Umfange deſſen, der über dem Heerde ſeine Pflicht leiſtete, ver - gleichen durfte. Die Gluthen verbreiteten in dem Hauſe und um daſſelbe eine ſtarke Hitze, rothe Funken ſprühten allenthalben empor und flogen auch wohl unter das Strohdach, erloſchen aber unſchäd - lich inmitten des gefährlich Brennbaren, gleichſam, als wollte das Element dem argloſen Zutrauen, welches die Hofesbewohner in ſeine Treue ſetzten, dankbar entſprechen.
Die Mägde des Oberhofes gingen mit Schaum - löffeln oder Gabeln zwiſchen den Kochſtätten ge - ſchäftig hin und her. Es durfte, ſollte die Speiſe den Gäſten munden, nicht gefeiert werden mit Ab - ſchäumen und Umwenden, denn in dem großen Keſſel über dem Heerde gaben acht Hühner die Kraft zur Suppe her, und in den übrigen drei - undzwanzig oder vierundzwanzig Töpfen, Keſſeln oder Pfannen ſotten oder brieten ſechs Schinken, drei Truthähne, fünf Schweinsbraten, nebſt der entſprechenden Anzahl von Hühnern.
5Dieſem Geflügel war nämlich das bevorſtehende Feſt am verhängnißvollſten geworden. Der Hahn, welcher die gelichteten Reihen ſeiner Theuren über die Nährplätze des Hofes führte, ſah ſich unter - weilen wehmüthig um, oder blickte zornig nach den Feuern, die ſein Liebſtes für fremde Freuden zu - richteten, und in einer entfernten Ecke des Hofes bewegte der Morgenwind einen großen Haufen brauner, gelber und weißer Federn, hin und wieder eine derſelben bis in die Nähe der Feuer wirbelnd.
Während die Mägde in den Bratpfannen nach - goſſen, die Schinken anſtachen, unter den Trut - hähnen die Gluth erfriſchten, von den Hühnern und der Suppe den Schaum hinwegnahmen, waren auch die Knechte fleißig an ihrem Werke. Der ſchwarzäugige Verwegene richtete im Baumgarten mit Böcken, Blöcken und Brettern eine gewaltige lange Tafel zwiſchen den Blumenbeeten und unter den Fruchtſtämmen zu, nachdem ihm ein ähnliches Gerüſt bereits im Flure gelungen war. Der dicke Langſame bekleidete die Pforten des Hauſes, die Wände des Flures und die Thüren der beiden Zimmer, in denen wir den Diaconus und ſeinen Küſter einſtmals haben ſpeiſen ſehen, mit grünen6 Birkenſtämmen. Er ſeufzte nachdrücklich über dieſe grüne und luſtige Arbeit, auch fiel ihm, wie es ſchien, die Gluth beſchwerlich. Dennoch war ihm ein nachgiebigeres Geſchäft zugefallen, als ſeinem Mitknechte, dem zornigen Rothhaarigen. Denn er hatte doch nur mit ſchmiegſamen Maien zu thun, Jenem aber lag ob, das Vieh feſtlich zu zieren. Den Kühen nämlich und Rindern, welche an der einen Seite des Flurs hinter ihren Krippen ſtan - den, vergoldete der Rothhaarige mit Schaumgold die Hörner, oder band ihnen bunte Schleifen und Quaſten um dieſelben. In der That war dieſes eine verdrießliche Arbeit beſonders für einen jäh - zornigen Menſchen. Denn manche Kuh und dieſes und jenes Rind wollte ſchlechterdings nichts von dem Feſte wiſſen, ſchüttelte mit dem Kopfe oder ſchwang die Hörner ſeitwärts, ſo oft ihm der Rothhaarige mit dem Leimpinſel und den Schaum - goldblättern nahte. Er bezwang lange ſeine Natur und gab nur zuweilen ein dumpfes Murren von ſich, wenn ihm ein Horn den Pinſel oder die Blätter aus der Hand ſchlug. Laute, welche die allgemeine Stille, womit alle Beſchäftigte ihre Arbeit verrich - teten, kaum unterbrachen.
7Als aber die Zierde des Stalles, eine große Weißgefleckte, mit welcher er ſich wohl ſchon eine Viertelſtunde lang umſonſt abgemüht hatte, endlich ſogar heimtückiſch ward und ihm einen gefährlichen Stoß verſetzen wollte, da riß dem Rothhaarigen die Geduld. Er ſprang zur Seite, ergriff jenen Zaunpfahl, mit dem er einſt den Pitter vom Band - kotten verſchont hatte, und der ſich zufällig in der Nähe befand, und gab dem widerſpänſtigen Thiere mit dem dickſten Ende des Pfahls einen ſo ge - waltigen Schlag in die Weichen, daß die Kuh auf - ſtöhnte. Ihre Seiten begannen zu fliegen und ihre Nüſtern zu ſchnauben.
Der Langſame ließ die Maie, welche er in der Hand hielt, ſinken, die erſte Magd ſah vom Keſſel auf, und Beide riefen wie aus einem Munde: Gott behüt’ uns! Was thuſt du?
Wenn ſo ein Aas keine Raiſon annehmen will, und will ſich nicht mit Manier vergolden laſſen, ſo ſoll ihm das Donnerwetter die Knochen zerſchmei - ßen! rief der Rothhaarige. Er riß der Kuh das Haupt herum und ſchmückte ſie nun ſchöner als alle ihre Gefährtinnen. Denn das Thier, in ſei - nen Schmerzen ſanftmüthiger geworden, ſtand jetzt8 ganz ſtill und ließ mit ſich vornehmen, was der rauhe Künſtler wollte.
Das kann Euch eine theure Hochzeit werden, ſagte die erſte Magd. Denn die Bläſſe iſt melk, und wenn ſie verkalbt, ſo ſeid Ihr vom Hof.
Und wenn Ihr noch ein einzigesmal Euren Rachen aufreißt, ſo kriegt Ihr auch den Zaunpfahl an den Hirnkaſten! rief der Zornige. — Denn der Baas hat mir lange keinen Spruch mitgetheilt und jach ſeyn zum Hader thut auch mitunter gut, und an ſo einem Ehrentage muß man keinen Menſchen cujoniren. — Er gab der geſchmückten Bläſſe einen Schlag auf die Hüften und ſagte: Nun ſtehe ge - rade und halte die Hörner ſteif, damit du nach etwas ausſiehſt, wenn die Herrſchaften hier ſpeiſen.
Während auf dieſe nachdrückliche Weiſe unten die Hochzeitsanſtalten betrieben wurden, legte der Hofſchulze oben in der Kammer, worin er das Schwert Karls des Großen verwahrte, ſeinen Staat an. Das hauptſächlichſte Stück des Feier - putzes, welches die Bauern der dortigen Gegend tragen, iſt die Menge der Jacken, welche ſie unter dem Rocke anziehen. Je reicher der Bauer iſt, um ſo mehrere Jacken zieht er bei außerordentlichen9 Gelegenheiten an. Der Hofſchulze beſaß deren neun, und alle waren von ihm beſtimmt, ſich am heutigen Tage auf ſeinem Leibe zu verſammeln. Er hatte ſie hinter einem Saatlaken, welches wie ein Vorhang den einen Theil der Kammer von dem andern ſchied, der Reihe nach an Pflöcken neben einander aufgehängt, erſt die unteren von wollenem geblümtem Damaſt, ſilbergrauem oder rothem, dann die oberen von braunem, gelbem, grünem Tuche. Dieſe waren mit ſchweren ſilbernen Knöpfen geziert. Hinter dem Saatlaken beſorgte der Hofſchulze ſeinen Anzug.
Er hatte ſein weißes Haar ſauber gekämmt, und das gelbe, friſchgewaſchene Antlitz leuchtete darunter hervor wie ein Rübſenfeld, über welchem im Mai Schnee gefallen iſt. Der Ausdruck natür - licher Würde, welcher dieſen Zügen eigen war, hatte ſich heute noch um ein Großes vermehrt; er war Brautvater und fühlte das. Seine Bewegun - gen waren noch langſamer und gemeſſener als da - mals, wo er mit dem Roßkamm feilſchte. Sorg - fältig prüfend beſchaute er jede Jacke, bevor er ſie von ihrem Pflocke nahm, und legte ſie darauf be - dachtſam eine nach der andern an, ohne ſich bei dem Zuknöpfen irgend zu übereilen.
10Eben war er mit den damaſtenen fertig ge - worden und wollte zu denen von Tuch übergehen, als draußen vor der Thüre der Kammer ein Leier - kaſten erklang, und folgendes Lied aus einer von Trunk und Heiſerkeit verwüſteten Kehle zu tönen begann:
Weiter ließ der Hofſchulze den Schwanengeſang Kosciusko’s nicht kommen, ſondern raſch hinter dem Saatlaken hervortretend, ging er zur Thüre und rief ärgerlich hinaus: Was ſoll das? Was ſoll das Geplärr im ſtillen Hochzeitshaus?
Ich wollt’ mich nur anmelden, erwiederte die heiſere Stimme, indem die Pfeife des Leierkaſtens, welche bei dem letzten Worte des Liedes in Thä - tigkeit geweſen war, auspfiff. Herein trat, oder vielmehr drängte ſich eine mißgewachſene, kahlkopfige Geſtalt, in eine kurze, grobe Jacke und zerriſſene Hoſen gekleidet, mit Holzſchuhen an den Füßen. Es war der einäugige Spielmann, der bei den Bauern in der Gegend der Patriotencaspar hieß, weil er in den Unruhen von 1787 als fünfzehn -11 jähriger Knabe zu den holländiſchen Patrioten ge - laufen war. Er wußte viel von Schonhoven, Gorkum und Nieuuwport zu erzählen; jener Feld - zug war die große Zeit ſeines Lebens geweſen. Uebrigens galt er für einen ſchlechten Menſchen, dem man nicht gern begegnete, ſchützte ſich vor dem Hungertode durch den Pfennigerwerb ſeines Leierkaſtens, und lag oft wochenlang unter freiem Himmel, oder in einſamen Schoppen und Ställen. denn ein eigenes Obdach beſaß er nicht, obgleich er in ſeiner Jugend ein artiges Erb angetreten hatte, welches ihm aber in ſonderbarer Weiſe ver - loren gegangen war. Neben ſeinem Singen ſchöner neuer Lieder, gedruckt in dieſem Jahr, trieb er auch einen kleinen Handel mit Schriften, wie: „ Des Herzogs von Luxemburg Verbündniß mit dem Sa - tan “oder „ Die ſchöne Caroline als Huſarenoberſt “, welche auf dem Leierkaſten zur Anreizung der Wiß - begierigen ausgebreitet lagen, wenn er ſang und ſpielte.
Der Hofſchulze war, verdrießlich über die Un - verſchämtheit des Patriotencaspars, zurückgetreten, ſtemmte die Arme in die Seiten und rief: Wer ruft Euch? Scheert Euch vom Hofe! Hier wird Euch nichts gereicht.
12Nein, verſetzte der einäugige Spielmann, indem er das unverſehrt gebliebene Auge tückiſch unter den dünnen Brauen zuſammenkniff, hier wird mir nichts gereicht, das weiß ich wohl, Hofſchulze. Ihr laßt mich durch den Hund vom Hofe herunter hetzen, wenn ich hier anſtimmen will: Auf! Auf, Ihr Brüder, und ſeid ſtark! oder das Mantellied, oder: Das Canapé iſt mein Vergnügen. Ja, ſo thut Ihr, und wenn es nach Euch ginge, wäre ich längſt vor Hunger zuſammengeſchnurrt, wie eine Back - pflaume. Dieſes verrichtet Ihr an mir, obgleich Ihr wohl wißt, daß Ihr derjenige ſeid, welcher einſtmals mir Haus und Hof abfeimte und mich zu dieſem Leierkaſten darniedergebracht hat.
Der Hofſchulze warf einen Blick auf den eiſen - beſchlagenen Koffer, worin ſein Richtſchwert lag, dann trat er dem einäugigen Spielmann einen Schritt näher, ſah ihn lange groß und gelaſſen an, und fragte ihn darauf: Wer iſt Schuld, daß der Oberhof nach meinem Tode in die fremde Freund - ſchaft übergeht und nicht bei meinem Saamen bleibt?
Ich, antwortete der Spielmann, und drehte am Leierkaſten, daß dieſer einige Mißtöne von ſich gab. 13Ich habe Euch dazumal Euren Jungen und Erben todtgeſchlagen. Ihr wißt aber wohl, was der Junge wider mich erſonnen hatte, und wie ich um mein linkes Auge gekommen bin. Und deßhalb hättet Ihr nicht ſo mit mir verfahren dürfen, wie Ihr verfahren ſeid, denn man darf den Menſchen wohl abthun, aber ihn nicht elend machen.
Seid Ihr anders als gehörig geheiſchen und geladen worden? fragte der Hofſchulze kalt. Habe ich Euch nicht nach richtigem Freiſtuhlsrecht und Königsbann vermaledeiet und Euch gewieſen echt - los, rechtlos, friedelos, ehrlos, ſicherlos, mißthätig? — He?
Nein, verſetzte der Spielmann und lachte höh - niſch. Mein Fleiſch und Blut und Gebein iſt, wie es ſich gebühret, gewieſen und zugetheilt den Krähen und Raben und den Vögeln und andern Thieren in der Luft, meine Seele aber dem lieben Herrgott, wenn ſie derſelbe zu ſich nehmen will.
Amen, ſprach der Hofſchulze. Warum rührt Ihr dieſe Dinge auf?
Es ſind alte Geſchichten, ſie mögen ſchlafen, ſagte der Spielmann, ingrimmig eine ſeiner flie - genden Schriften zerreißend, welche auf dem Deckel14 des Leierkaſtens lag und das hölliſche Verbündniß des Herzogs von Luxemburg enthielt. Ich komme wegen Hungers zu Euch. Mich hungert. Ich hab’ ſeit drei Tagen nichts gefreſſen. Die Leute wollen mir nichts mehr geben, weil ſie der Lieder über - drüſſig ſind. Hochzeitshaus iſt offen Haus. Deß - halb habe ich das Recht und die Befugniß, auf den Oberhof zu kommen. Ich wollte Euch gebeten haben, daß Ihr mich zum Spaßmacher für heute Nachmittag annehmet und mir dafür, wie Recht, Speiſe und Trank reichen laſſet.
Der Hofſchulze beſah den unglücklichen Spaß - macher von oben bis unten und ſagte dann lang - ſam: Ihr habt nicht die Statur und Manier, daß die Leute über Euch lachen können. Auch iſt Steinhauſen bereits genommen worden und mit zwei Spaßmachern giebt es Zank.
Steinhauſen, rief der Spielmann zornig, weiß nicht halb die Späße, wie ich! Ich habe die beſten und neueſten, von denen ſich Steinhauſen nichts träumen läßt.
Dennoch bleibt es bei Steinhauſen, erwiederte der Hofſchulze, ohne die Miene zu verziehen, denn er hatte im Laufe des Geſprächs ſeine gewöhnliche15 Ruhe bald wiedergewonnen. Er fügte aber dem abweiſenden Beſcheide hinzu, daß der Andere ſich fern von den Gäſten in den Eichenkamp ſetzen dürfe und dort der Stillung ſeines Hungers ge - wärtig ſeyn könne.
Aber in dieſem ſonderbaren Volke lebt ſelbſt bei den Geächteten und Ausgeſtoßenen ein gewiſſer Stolz fort. Der Spielmann warf auf das letzte Anerbieten ſeines rauhen Feindes trotzig den Nacken empor und rief: Umſonſt habe ich noch nie Brod gegeſſen, und wenn Ihr mir nicht vergönnen wollt, für Euch zu arbeiten, ſo will ich fortfahren zu hungern.
Er wandte ſich und ging der Thüre zu. Der Hofſchulze wartete ſeine völlige Entfernung nicht ab, um hinter das Saatlaken zurückzutreten. Der Spielmann blieb aber in der Thüre ſtehen, und als er ſah, daß ſein Widerſacher ihn nicht bemerken konnte, ſetzte er leiſe ſeinen Leierkaſten ab, ſchlich auf den Zehen unhörbar wieder in die Kammer, blickte ſich ſpähend um, flüſterte: Hier muß es irgendwo herum ſtecken! Wo ſteckt es?
Der Koffer erregte ſeine Aufmerkſamkeit, er ſchlug ſacht den Deckel zurück und hätte beinahe16 ſeine Freude durch einen Schrei verrathen, als er das roſtige Gewaffen darin liegen ſah. Nun iſt es gut, nun will ich dir ſchon einen Tort anthun, den du zeitlebens nicht verwinden ſollſt, murmelte er. Ohne Geräuſch zu machen, klappte er den Deckel zu, bewegte ſich leiſe nach der Thüre, zog den Schlüſſel von derſelben, warf den Leierkaſten an dem Tragriemen über die Schulter, trat jetzt, als kehre er noch einmal zurück, hart auf und rief mit lauter Stimme: Hofſchulze, noch ein Wort!
Der Hofſchulze, der gerade mit ſeinem Hoch - zeitsputze fertig geworden war, ſchritt in dieſem Augenblicke hinter dem Saatlaken hervor. Sein Anſehen war höchſt ſtattlich. Ein lichtblauer offen hängender Tuchrock mit weiten, geräumigen Aermeln gab der großen, markigen Geſtalt Umfang und Fülle, darunter ſaßen die[neun] Jacken, die er nur ſo weit zugeknöpft hatte, daß alle, eine unter der andern, ſichtbar blieben. Auf das Haupt hatte er ſich den dreieckichten Hut mit breitem Rande, an der Seite in die Höhe gekrempt, gedrückt, an den Füßen trug er leinene Kamaſchen, glänzend von Weiße, und ein großer Stock bewehrte die braune, runzlichte Fauſt. Erſtaunt über die vermeintliche17 Wiederkehr des Spielmanns blieb er einige Augen - blicke ſchweigend ſtehen, der Spielmann ſchwieg ebenfalls, weil er ſich an dem Anblicke ſeines Feindes, dem er einen tödtlichen Verdruß bereiten zu können ſich bewußt war, wie an dem eines auf - geſchmückten Opfers, im Stillen weiden mochte. So ſtanden einander der Reiche und der Bettler des Standes ſchweigend gegenüber; der Reiche voll Verachtung, der Bettler mit dem Gefühle, daß auch ihm eine Macht über den Reichen geworden ſei.
Endlich fragte der Hofſchulze: Was wollt Ihr noch?
Hofſchulze, verſetzte der Spielmann mit er - heuchelter Demuth, Hunger thut doch gar zu weh und Standhaftigkeit hält nicht vor gegen knurrende Eingeweide. Ich wollte Euch nur noch ſagen, daß ich im Eichenkampe heute Nachmittag ſitzen und auf die Brocken warten werde, die von Eurem Tiſche fallen.
Ich dacht’s wohl, ſagte der Glückliche ſtolz. Hochzeit macht Alle ſatt, iſt ein Sprichwort, es ſoll bei Euch auch zutreffen. — Er wollte gehen. Der Spielmann vertrat ihm den Weg. Erlaubt, ſagte er, daß ich Euch noch einen Augenblick be -Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 218trachte. Ihr ſeid trefflich gekleidet. Der Rock koſtet ſeine Mandel Thaler. Aber eine Sitte will mir nicht gefallen, die mit den neun Jacken. Wenn man herumgekommen iſt in der Welt, wenn man dabei war, wie die alte Orange dazumal in Schon - hoven vermoleſtirt wurde,*)Er meint vermuthlich den Vorfall, den die Erbſtatt - halterin in den holländiſchen Unruhen auf ihrer Reiſe nach dem Haag erlebte. und bei der Uebergabe von Gorkum und hernach auch noch allerhand Dieſes und Jenes in der Fremde geſehen hat, ſo lobt man nicht Jegliches, was die Leute daheim thun. Neun Jacken, eine unter der andern — darin könnt Ihr Euch ja gar nicht rühren, und werdet müſſen, beſonders bei’m Eſſen, eine Hitze ausſtehen, nicht zu ertragen.
Für Plaiſir wird dergleichen überhaupt nicht angezogen, antwortete der Hofſchulze feierlich. Sondern, weil ich neun Jacken bezahlen kann, ſo trage ich neun Jacken, und weil es ſo hergebracht iſt ſeit hundert und mehreren Jahren, und die gute Sitte es erfordert, und mein Vater und mein Großvater immer neun Jacken trugen auf allen19 Hochzeiten und Kindelbieren. Wie viele ſollte ich denn nach Eurem Rathe anziehen, Caspar?
Der Patriotencaspar dachte nach und ſagte dann: Etwa ſechs.
Gut. Alſo die ſiebente, achte und neunte lege ich ab, wenn ich Eurer Meinung folge. Nun kommt aber Einer, dem die ſechſte Jacke nicht gefällt, und ein Anderer, dem die fünfte mißbehagt, und wieder Einer, dem die vierte anſtößig iſt. Dieſes geht nun ſo fort. Es werden ſich, wenn ich erſt bis zur dritten Jacke herunterproceſſirt bin, ſtäts Leute finden, die mir dieſe, und Freunde, die mir die zweite widerrathen. Kein vernünftiger Grund iſt aber vorhanden, warum ich dieſen Leuten abſchla - gen ſoll, was ich Euch gewährte. Jetzt trage ich alſo noch eine Jacke und meinen Rock darüber. Weil ich jedoch einmal in das Ausziehen gekommen bin, und weil mir in der Sommerwärme überhaupt alles und jegliches Zeug auf dem Leibe Beſchwer - niß macht, ei, ſo bleibe ich vielmehr in der Uebung, werfe erſt den Rock ab und dann die letzte Jacke, und wofern die Hitze einigermaßen ſtark iſt, auch noch endlich das Hemde, gehe dann alſo ſplitter -2*20faſelnackt umher, wie ein gerupfter Sperling, was eine Schande iſt und nicht gut läßt.
In allen Sachen muß man daran halten, wie ſie eine Ordnung und ihren Beſtand haben und des Herkommens ſind. Wäret Ihr nicht zu den holländiſchen Patrioten und noch ſonſt allerwärts herumgelaufen, ſondern hübſch im Colonate ſitzen geblieben, ſo wären Euch die dummen Dinge und Hoffährtigkeiten aus dem Kopfe geblieben. Weil Ihr aber die alte Orange draußen mit hattet ver - moleſtiren helfen, ſo dachtet Ihr, Ihr dürftet uns hier auch Moleſten machen, die Welt gehöre Euer und außerdem noch Etwas. Ihr erhobet Eure Augen zu meiner Tochter, was Ihr als Colon nicht durftet, und daraus entſprang Sünde und Schande, Vergewaltigung, Mord und Todſchlag. Ich mußte an Euch Recht nehmen, ihr ſeid bis zum Leier - kaſten heruntergekommen, und ich trage noch meine neun Jacken. Wer dazu die Macht und Gewalt hat, der ſoll ſich auch die neunte nicht abdisputiren laſſen, denn er weiß wohl, womit er anfängt, aber nicht, wo er aufhört, und dieſes iſt die Moral von der Sache.
Der Hofſchulze war nach ſeiner Rede langſam aus der Kammer und die Treppe hinuntergegan - gen, gefolgt von dem Spielmann, der auf die Schlußfolgerungen des Alten nichts zu erwidern wußte und ſich unten aus dem Hofe ſchlich. Im Flur überſchaute der Hofſchulze die getroffenen Anſtalten; die Feuer, die Keſſel, die Töpfe, die grünen Maien, die bebänderten und vergoldeten Hörner ſeines Rindviehs. Er ſchien mit Allem zufrieden zu ſeyn, denn er nickte mehreremale wohl - gefällig mit dem Kopfe. Er ſchritt durch den Flur hofwärts und dann nach der Seite des Eichen - kamps, ſah die dortigen Feuer lodern und gab gleiche Zeichen des Beifalls, jedoch immer mit einer gewiſſen Hoheit. Wenn der weiße Sand, womit22 der ganze Flur und der Platz vor dem Hauſe dick beſtreut war, unter ſeinen Füßen ſo recht lebhaft rauſchte und knackte, ſchien ihm dies ein beſonderes Vergnügen zu machen.
Jetzt war er von ſeinem beaufſichtigenden Gange in die Nähe des Heerdes zurückgelangt. Ein Topf, welchen die Mägde zu tief in die Glu - then geſchoben, war im Ueberkochen begriffen und drohte, ſeinen Inhalt zu verſchütten. Schon war ein Theil des letzteren in das Feuer gewallt, wel - ches ſich ziſchend gegen dieſen Feind wehrte. Von den Mägden und Knechten war eben zufällig Nie - mand im Flur, da ſie im Baumgarten ſich mit der Tafel beſchäftigten. Der Hofſchulze hätte nun allerdings dem Fortſchritte des Unheils durch Ab - rücken mit eigener Hand Einhalt thun können, aber er war weit entfernt, ſo die Haltung des Braut - vaters, welche ihm verbot, irgend etwas an dieſem Tage ſelbſt anzufaſſen, zu verlieren. Vielmehr ſtand er ruhig neben dem überkochenden Topfe, ruhig wie jener ſpaniſche König, welcher die glühende Kohle lieber ſeinen Fuß verſengen ließ, als daß er ſie etiquettewidrig ſelbſt weggenommen hätte. Er begnügte ſich damit: Gitta! zu rufen, auch23 nicht haſtig und leidenſchaftlich, ſondern langſam und ruhig. Es dauerte daher einige Zeit, bevor die Magd Gitta herbeikam, und als ſie endlich gekom - men war, erſchien die Hülfe zu ſpät, denn der Topf hatte nichts mehr zu verſchütten.
Der Hofſchulze ließ ſich dieſen Verluſt nicht kümmern, die Magd mußte ihm einen Stuhl vor das Haus ſetzen, er nahm dort, dem Eichenkampe gegenüber, Platz, und erwartete, die Schenkel ge - rade vor ſich hingeſtreckt, Hut und Stock in der Hand, von der goldenen Sonne prächtig beleuchtet, ſtill und wacker den weiteren Fortgang der Dinge.
Inzwiſchen ſchmückten zwei Brautjungfern die Braut auf ihrer Kammer. Rings um ſie her ſtan - den bunt mit Blumen bemalte Laden und Packen in Leinwand, welche die Ausſtattung an Gebild, Betten, Garn, Waſche und Flachs enthielten. Selbſt in der Thüre und bis weit auf den Gang hinaus war Alles beſetzt. Inmitten dieſer Reich - thümer ſaß die Braut vor einem kleinen Spiegel, hochroth und ernſthaft. Die erſte Brautjungfer legte ihr die blauen Strümpfe mit rothen Zwickeln an, die zweite warf ihr den Rock von ſchwarzem, feinem Tuche über, und ließ dieſem Stücke die24 Jacke gleichen Stoffes und gleicher Farbe folgen. Darauf beſchäftigten ſich beide mit dem Haare, welches zurückgeſtrichen und hinten in einer Art von Rad zuſammengeflochten wurde.
Während dieſer Zurüſtungen ſagte die Braut kein Wort. Deſto geſprächiger waren ihre Freun - dinnen. Sie lobten den Putz, prieſen die aufge - ſtapelten Schätze, und hin und wieder ließ ein verſtohlener Seufzer ahnen, daß ſie lieber Ge - ſchmückte als Schmückende geweſen wären. Un - erſchöpflich waren ſie in Hochzeitsgeſchichten, welche jedoch ſämmtlich darauf hinausliefen, daß die und die daſſelbe angezogen habe, was nun auch die Tochter vom Oberhofe der Landesſitte gemäß zu tragen hatte. Als dieſe Erzählungen endlich doch verſiegten, kam das Ausbleiben der dritten Braut - jungfer an die Reihe. Sie hatte ſich unpaß mel - den, jedoch zugleich ſagen laſſen, ſie werde wohl noch im Stande ſeyn, zu kommen, wenn auch ſpäter als die Andern. Nun war es aber ſchon zehn Uhr Vormittags, in einer halben Stunde mußte die Glocke anfangen zur Trauung zu läuten, es war die höchſte Zeit, daß die dritte erſchien, ohne welche die Braut für nicht gehörig begleitet gelten konnte. 25Sie kommt gewiß, ſagte die zweite Brautjungfer, an ſo einem Tage macht ſich ja kein Menſch etwas daraus, wenn ihm auch etwas ſchlimm iſt. — Und was wollt Ihr mit mir wetten, rief die Erſte, daß ſie nicht kommt? Ich weiß, was ich weiß, weiß, mit den Schmerzen iſt es ſo weit nicht her, aber der Verdruß iſt zu groß, und ſie kann ſich nicht zwingen; das hat ihr von je her gefehlt.
Ei Gott, ſagte die Braut, welche hier zum erſtenmale ihre Sprache fand, ängſtlich, das wäre ja ein erſchreckliches Unglück, und wenn ſie aus - bliebe, ſo würde aus der ganzen Hochzeit nichts. — Sie würde lieber den Bräutigam gemißt, als die dritte Brautjungfer entbehrt haben.
Wenn du mir folgen willſt, Kordelchen, ſo laß uns auf den Nothfall denken, ſprach die zweite Brautjungfer, ein flinkes, anſtelliges Mädchen. Ich pack’ deinen zweiten Feiertagsanzug aus, wir war - ten noch ein Stückchen, und wenn die Sibyll’ dann nicht da iſt, ſo kleid’ ich die Stellvertreterin für ſie ein.
Ohne die Antwort der Braut abzuwarten, hatte das Mädchen eine der Laden aufgethan und aus derſelben den ſaubern neuen Staat mit allem26 Zubehör an Bändern und Krauſen genommen. Ihre Gefährtin ſtieß während deſſen durch das Radge - flecht der Haare einen ſilbernen Pfeil, und dann brachten beide Mädchen mit feierlichen Mienen der Braut die Krone zugetragen. Denn die Mädchen der dortigen Gegend tragen an ihrem Ehrentage keinen Kranz, ſondern eine Krone von goldenen und ſilbernen Flittern. Der Kaufmann, welcher ihren Putz liefert, leiht die Krone nur dar und nimmt ſie nach dem Hochzeitstage zurück. So wandert ſie von einem bräutlichen Haupte zum andern. Es liegt etwas Schönes und Wahres in dieſem Gebrauche und ich müßte mich ſehr irren, wenn er nicht aus dem göttlichen Inſtincte des Volkes entſprungen wäre, der freilich darin, wie in Allem, worin er ſchöpferiſch hervortritt, nur unbewußt gewaltet hat. Das Höchſte, Einzige, was nur einmal das Leben zieren kann, ſoll nie als Eigenthum in Beſitz genommen werden, ſoll ſtäts nur leihweiſe die Stirn des Glücklichen be - rühren. So darf der Lorbeerkranz um die Scheitel des Helden und Dichters, ſo darf das Blatt, wel - ches ſich, wann Vater und Mutter weinend ſegnen, durch die Locke der Jungfrau ſchlingt, nur Gunſt27 und Zeichen eines Augenblicks ſeyn. O es wäre zu wünſchen, daß mancher unſerer ſtädtiſchen Da - men verſagt wäre, mit anſpruchsvollem Stolze die welke Myrthe zu betrachten, die ſie im geſchmückten Käſtchen unter dem großen Spiegel verwahren, daß ſie ſich vielmehr hätten gewöhnen müſſen, gleich den weſtphäliſchen Bäuerinnen die Krone morgen auf einem andern Haupte zu erblicken, welche ſie heute trugen, und welche geſtern ebenfalls eine An - dere getragen hat!
Die Braut ſenkte ihr Haupt ein wenig, als die Freundinnen ihr die Krone aufſetzten, und ihr Antlitz wurde, als ſie die leichte Laſt auf ihrem Haare fühlte, wo möglich noch röther als früher. Es iſt ſchön im Menſchenleben, daß Jeder einen Augenblick erlebt, worin alle königliche Macht und Majeſtät vor ihm zu nichte wird. Dieſen Augen - blick erlebt nicht nur der Feldherr, der durch einen Sieg die Hauptſtadt rettet, oder der Kanzler, der mit einem Federzuge die Grenzen des Reichs um das Doppelte zu mehren weiß; es erlebt ihn Jeder einmal, er müſſe ſich auch ſonſt Tag für Tag durch ein gedrücktes Daſeyn hindurch beugen und winden. Der Tagelöhner hat ihn, der ſein neugeborenes erſtes Kind auf den Arm nimmt und ſelbſt der29 todtkranke Bettler empfindet ihn, wenn ihm ein pflichtgetreuer und gewiſſenhafter Prieſter die heilige Communion reicht.
Auch unſere Braut, von der ſonſt nicht viel zu ſagen iſt, fühlte dieſen Augenblick, als ſie die Krone auf ihrem Haupte empfing. In dem dunkelſchwar - zen Haare, welches ſie ausnahmsweiſe mitten unter dem blonden Volke beſaß, funkelten die goldenen und ſilbernen Flitter gar luſtig. Sie richtete ſich, angefaßt von ihren Freundinnen auf, und die beiden breiten golddurchwirkten Streifen, welche zur Krone gehören, fielen ihr lang auf den Rücken hinunter. Die Knechte ſtanden ſchon vor der Thüre, um die Ausſtattung in den Flur hinabzuſchaffen, die Braut - jungfern nahmen ihre Freundin bei der Hand, eine erhob das Spinnrad, welches bei den nach - folgenden Ceremonien ebenfalls ſeine Beſtimmung hatte, und ſo gingen die Drei langſam die Treppe hinunter zum Brautvater, während die Knechte die Laden und Packen ergriffen und ſie in den Flur zu tragen begannen.
Inzwiſchen hatte der Hofſchulze unten vor der Thüre Gelegenheit gehabt, ſeine Faſſung zu be - weiſen. Denn kaum war er draußen einige Minuten30 lang geweſen, als ein junger Burſche, der Hochzeit - bitter, langſam durch den Eichenkamp gegen das Haus zu geſchritten kam, deſſen verlegene Miene mit ſeinem Putze und mit dem luſtigen Buſche von gewiß fünfzig farbigen Bändern am Hute wenig übereinſtimmte.
Nun, was iſt das? fragte ihn der Hofſchulze. Was ſoll das traurige Geſicht? Paſſirte ein Unglück?
Ach, verſetzte der junge Hochzeitbitter, werdet mir nicht böſe, Hofſchulze. Hölſcher will nicht kommen.
Der Alte ließ vor Schreck ſeinen Hut fallen und ſeine Züge verwandelten ſich. — Wie? rief er nach einigem Schweigen. Hölſcher will nicht kom - men? Mein nächſter Nachbar? Ei, das wäre ja dem ganzen Plaiſir und Feſte ein großer Schimpf. Und warum will er nicht kommen? Du biſt gewiß in deiner Rede ſtecken geblieben.
Nein, das nicht, verſetzte der Hochzeitbitter. Ihr wißt, an Maulwerk fehlt mir’s nimmer, und ich bringe auch Alles immer heraus, gehörig ge - ſchrieen, wie es ſeyn muß. Ich kann die Rede auf’s Schnürchen, wie ich ſie aller Orten herſagte, und ſo auch bei Hölſcher:
31Der junge Burſche würde noch lange in dieſen Verſen, die er laut ſchreiend mit eintönigem Fall der Stimme vortrug, fortgefahren haben, wenn ihn nicht der Hofſchulze ungeduldig unterbrochen und zu ihm geſagt hätte: Ich brauche deinen Spruch nicht. Warum bleibt Hölſcher aus?
Weil ich ihn ſtatt geſtern, erſt heute früh ein - geladen habe, erwiederte kleinlaut der Hochzeitbitter. Sie hatten mir geſtern überall ſo viel eingeſchenkt, daß ich gegen Abend duſelig geworden war und32 einſchlief und Hölſcher ganz verſchlief, wo ich denn nun heute früh nachholen wollte, aber …
Hölſcher ließ das nicht gelten und ſagte, es ſchicke ſich nicht, erſt am Hochzeitmorgen gebeten zu werden, es gehöre ſich ſpäteſtens den Tag zuvor, nicht wahr? fiel der Hofſchulze ein.
Ja wohl, antwortete der Burſche, und er ſagte auch, es heiße in dem Spruch:
Kommt morgen auf den Hof, nicht heute — wenn er aber morgen komme, ſo habe er das leere Nachſehen.
Der Hofſchulze bohrte ſeinen Stock tief in die Erde. Das Blut war ihm dermaßen in das Antlitz getreten, daß ſeine Stirnadern geſchwollen ſtarrten. Er ſah den Hochzeitbitter mit einem furchtbaren Blicke an, vor dem dieſer den Hut abnahm und drei Schritte zurücktrat. Dann ſagte er: Wenn ich mich nicht menagiren müßte, abſonderlich heute, ſo kriegteſt du dieſen Stock hinter die Ohren, daß du das Aufſtehen vergeſſen ſollteſt. Hölſcher kommt nicht, das weiß ich, ich kenne ihn darin, er iſt Einer, der ſich nicht vernegligiren läßt. Und wenn ich ſelbſt zu ihm ginge, was ſich aber auch durch - aus nicht ſchickt, er würde es abſchlagen. Jedermann33 wird nun nach Hölſcher fragen, das wird ein Cujoniren geben, ei! ei! ei! — Was für einen Schaden haſt du mir an der Hochzeit geſtiftet! Könnt Ihr denn das verruchte Zechen nicht laſſen? Denkt Ihr immer, ohne das gediehet Ihr nicht? Sieh mich an, ich werde zu Martini Neun und Sechszig und faſſe Alles noch ſtramm mit an, und doch ſoll der noch auftreten, der mir nachſagen kann, er habe mich anders wie gewöhnlich geſehen.
Ihr ſeid auch was Apartes, mit Euch kann ſich Niemand in Vergleichung ſtellen, ſagte der junge Burſche ſchüchtern.
Ei was! fuhr der Hofſchulze auf. So wie ich bin, hat der liebe Herrgott alle Menſchen haben wollen, und es iſt nur Eure Schlemmerei und Liederlichkeit, die Euch nicht ſo werden läßt.
Während dieſes rauhen Auftrittes hatten die Knechte mit den Packen und Laden auf der Treppe und im Flur ein großes Geräuſch gemacht, und es war ſonach die frühere Stille des Oberhofes ſehr unterbrochen worden. Jetzt trat die Braut, geführt von den beiden Brautjungfern, in die Thüre, das Haupt feſt und ſteif unter der zitternden Goldkrone haltend, als ob ſie fürchte, den Ehrenſchmuck zuImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 334verlieren. Sie reichte dem Vater die Hand und bot ihm, ohne aufzuſehen, den guten Morgen, wor - auf der Alte ohne alle Rührung Schön Dank ver - ſetzte und ſeine frühere Poſitur wieder annahm. Die Braut ſetzte ſich an die andere Seite der Thüre, nahm ihr Spinnrad vor ſich und begann eifrig zu ſpinnen, in welcher Arbeit ſie obſervanz - mäßig bis zu dem Augenblicke, wo der Bräutigam ſie zum Brautwagen führte, fortfahren mußte.
Der nachläſſige Hochzeitbitter hatte ſich unter - deſſen verſtohlen entfernt. Die zweite Brautjung - fer unterrichtete den Hofſchulzen von dem Ausbleiben der Sibylle, woran, wie ſie hinzufügte, keine Un - päßlichkeit, ſondern das boshafte Weſen Schuld ſei, weil ſie nämlich ſelbſt ein Auge auf den Wil - helm, den Bräutigam, gehabt habe. Die Glocke begann eben zum erſtenmale zu läuten und es war nun durchaus keine Zeit zu verlieren. Der Hof - ſchulze, der ſeit einer Viertelſtunde aus einer Ver - drießlichkeit in die andere geſtürzt wurde, murmelte tiefſinnig vor ſich hin: Wenn nur Alles klug geht bei dieſer Hochzeit! — Alle die Scheerereien — hm! hm! ei! ei! — Indeſſen muß der Menſch ſeine Contenance behalten. — Er gab, wiewohl ſehr35 ungern die Erlaubniß, anſtatt der boshaften Eifer - ſüchtigen Lisbeth als dritte Brautjungfer einzuklei - den, mit welchem Beſcheide ſich die Zweite entfernte, um den Putz zu Lisbeth zu tragen. Auch die Erſte ging, im Baumgarten den Strauß für den Bräu - tigam zu pflücken.
In der Ferne ließen ſich ſchon einzelne Töne der Muſik hören, welche das Herannahen des Braut - wagens verkündigten. Aber auch dieſes Zeichen, daß der entſcheidende Augenblick bevorſtehe, der ein Kind vom Hauſe der Eltern löſet und den Vater bei dem Kinde in den Hintergrund der Anhäng - lichkeit ſchiebt, brachte keine Regungen in den Per - ſonen hervor, welche wie Muſterbilder alter Bräuche an den beiden Seiten der Hofthüre ſaßen. Die Tochter ſpann, hochroth aber gleichgültig ausſehend, unverdroſſen fort, der Vater ſah gerade vor ſich hin, und beide, Braut und Brautvater, wechſelten mit einander kein Wort.
Die Brautjungfer ſuchte unterdeſſen im Baum - garten den Strauß für den Bräutigam zuſammen. Sie wählte ſpät-blühende Roſen, Feuerlilien, oran - gegelbe Sternblumen, Blumen, welche ſie dort Jelängerjelieber, an andern Orten Jeſublümlein3*36nennen, und Salbei. Groß, daß man drei Hoch - zeiter höherer Stände damit hätte ausſtatten kön - nen, gerieth dieſer Strauß, denn bei den Bauern muß Alles in das Gewicht fallen. Auch nicht ganz lieblich duftete er, denn die Salbei verbreitete einen ſtarken, die Sternblume ſogar einen übeln Geruch; indeſſen durfte Beides, insbeſondere die Salbei, nicht fehlen, ſollte der Strauß herkömmliche Vollſtändigkeit beſitzen. Als ſie ihn fertig hatte, hielt ihn das Mädchen mit ſtolzer Freude vor ſich hin, und verknüpfte ihn dann mit einer breiten dunkelrothen Schleife. Darauf ging ſie ihren Poſten bei der Braut einzunehmen.
Während das Ceremoniell ſo durch den ganzen Oberhof waltete, waren auf dem Zimmer, welches der wilde Jäger früher bewohnt hatte, zwei junge Leute ohne alles Ceremoniell beiſammen. Vier warme Wangen hielten keine beſtimmte Farbe, ſondern ſpielten bald in Purpur, bald in Roſen - röthe, bald in einem fliegenden Bleich; vier blaue Augen ſuchten einander, und wenn ſie ſich gefunden, zogen ſie, wie erſchrocken über ihr Wagniß, den Vorhang der Wimpern vor ſich nieder; zwei Lip - penpaare hätten gern gemeinſame Beſchäftigung vorgenommen; da dieſe ihnen aber noch verſagt war, ſo zuckten ſie für ſich in wunderſamer, unru - higer Thätigkeit, die des eigentlichen Ziels entbehrte.
Das junge Mädchen ſaß am Fenſtertiſchchen und ſäumte ein ſchönes Tüchlein, welches der Jüng -38 ling für ſie in der Stadt gekauft und ihr zum Feſtputz verehrt hatte. Sie ſtach ſich heute noch öfter in die Finger, als an dem Abende, da ſie der Braut am Linnen nähen half, denn wenn die Augen die Nadel nicht überwachen, ſo geht dieſe ihre eigenen boshaften Wege.
Der Jüngling ſtand vor ihr und hatte eine Arbeit für ſie unter Händen. Er ſchnitt ihr näm - lich eine Feder. Denn endlich, hatte das Mädchen geſagt, müſſe ſie doch Nachricht geben, wo ſie ge - blieben ſei und um Erlaubniß bitten, noch einige Tage im Oberhofe verweilen zu dürfen. Er ſtand an der andern Seite des Tiſchchens, und zwiſchen ihm und dem Mädchen duftete eine weiße Lilie und eine Roſe, friſch abgeſchnitten, im Glaſe. Mit der Arbeit übereilte er ſich nicht, er fragte, bevor er das Meſſer anlegte, das Mädchen viel - fältig, ob ſie lieber mit weicher oder mit harter Spitze ſchreibe, fein oder ſtumpf, ob er die Fahne ſtutzen oder lang laſſen ſolle? und richtete noch mehrere dergleichen Fragen an ſie, ſo gründlich, als ſolle ein Schreibmeiſter mit der Feder ein kalligraphiſches Kunſtwerk liefern. Auf dieſe um - ſtändlichen Fragen gab das Mädchen mit halber39 Stimme viele und unbeſtimmte Antworten, bald ſollte die Feder ſo und bald ſollte ſie ſo geſchnit - ten werden, und dann ſah ſie ihn zuweilen an und ſeufzte jedesmal, wenn ſie das that. Der Jüngling ſeufzte noch öfter, ich weiß nicht ob über die un - beſtimmten Antworten, oder über ſonſt etwas. Einmal gab er ihr die Feder in die Hand, damit ſie an der zeigen ſollte, wie lang ſie die Spalte wünſche. Sie that es, und als ſie ihm die Feder zurückreichte, empfing er noch etwas mehr, nämlich ihre Hand. Dieſe wurde von der ſeinigen ſo ergriffen, daß die Feder darüber zu Boden fiel und eine Zeitlang ihnen aus dem Gedächtniſſe kam, weil alles Bewußtſeyn in die beiden Hände gefahren war, die einander ſanft ſtreichelten oder drückten — darüber lauten meine Quellen verſchieden.
Ich will Euch ein großes Geheimniß verrathen. Der Jüngling und das Mädchen waren der Jäger und die ſchöne blonde Lisbeth. Und wenn Ihr einmal recht freundlich gegen mich ſeyn, mich nicht immer ſo bezweifeln und bemäkeln wollt, wodurch Ihr manches Gute in mir, und Euch manche Freude zerſtört habt, ſo thue ich Euch jetzt den Gefallen, und erzähle Euch, wie es den beiden jungen Leuten40 im Oberhofe ergangen war, nachdem der Jäger die Lisbeth ſtatt des Rehes geſchoſſen hatte.
Die Verwundete war in jener Nacht auf ihr Zimmer getragen worden und der Hofſchulze, der ganz verſtört, was ihm ſelten begegnete, aus ſeiner Kammer hervorkam, hatte ſogleich nach dem nächſten Chirurgus geſchickt. Dieſer Mann wohnte aber anderthalb Stunden vom Oberhofe, er ſchlief feſt und ging ungern bei Nacht aus. Der Morgen war daher ſchon angebrochen, als er endlich mit ſeinen nothdürftigen Inſtrumenten anlangte. Er nahm das Tuch von den Schultern, betrachtete die Wunde und machte ein äußerſt ſchwieriges Geſicht. Indeſſen müſſen ſelbſt die Bedenklichkeiten eines Dorfchirurgen vor der offenbaren Geringfügigkeit eines Falls weichen. Der Schuß des jungen Schwaben hatte Lisbeth glücklicherweiſe bloß ge - ſtreift, nur zwei Schrotkörner waren in das reine, jungfräuliche Fleiſch gedrungen, aber auch nicht tief. Der Chirurgus zog ſie heraus, legte einen Verband auf, empfahl Ruhe und kaltes Waſſer und ging mit dem ſtolzen Gefühle nach Haus, daß, wenn er nicht ſo ſchleunig herbeigerufen worden wäre und nicht ſo unverdroſſen bei Nacht ſeine41 Pflicht gethan hätte, unfehlbar der kalte Brand zu der Wunde hätte treten müſſen.
Lisbeth war während des Harrens auf die Hülfe gefaßt geweſen, und hatte kaum geklagt, obgleich ihr todtenblaſſes Geſicht verrieth, daß ſie Schmerzen litt. Auch die Operation, welche durch die ſchwere Hand des Chirurgen peinigender wurde, als nöthig, hatte ſie muthig ausgehalten. Sie ließ ſich die Schrotkörner geben und ſchenkte ſie dem Jäger mit einem Scherze. Es ſeien Treff - körner, ſagte ſie zu ihm, er ſolle ſie aufheben, er werde damit glücklich ſeyn.
Der Jäger nahm die Treffkörner, wickelte ſie in Papier und ließ das Haupt ſeines ſchönen Wil - des, weil es ſchlummern wollte, aus den ſanft um - fangenden Armen. In denen hatte Lisbeth ſeit dem Eintritte in die Stube des Oberhofes mit ihren Schmerzen geruht, wie droben am Freiſtuhl. Unverwandt hatte er mit kummervollem Auge in ihr Antlitz geſchaut und war zuweilen einem freund - lichen Blicke begegnet, welchen ſie, wie um ihn zu beruhigen, zu ihm emporſchickte.
Er ging in das Freie. Unmöglich konnte er jetzt den Oberhof verlaſſen, er mußte, ſo ſagte er,42 doch die Heilung der armen Verletzten abwarten, das erforderte die Menſchlichkeit, fügte er hinzu. Im Baumgarten fand er den Hofſchulzen, der, da er erfahren, daß keine Gefahr vorhanden ſei, ſeinen Geſchäften nachging, als habe ſich nichts ereignet. Er bat den Alten, ihm noch länger Quartier zu geben. Der Hofſchulze ſann nach und wußte kein Gelaß für den Jäger. Und wenn es auch nur ein Verſchlag auf dem Speicher wäre! rief der Jäger, der auf die Entſchließung ſeines alten Wirthes mit einer Aengſtlichkeit harrte, als hange davon ſein Schickſal ab.
Nach langem Beſinnen fiel dieſem endlich ein ſolcher Verſchlag auf dem Speicher ein, worin er Frucht bewahrte, wenn die Ernte für die gewöhn - lichen Räume zu ergiebig ausgefallen war. Jetzt war er leer und dieſen wies nun der Alte ſeinem jungen Gaſte an, ſetzte aber hinzu, daß es ihm da droben wohl nicht gefallen werde. Der Jäger ging hinauf, und obgleich der kahle und verdrieß - liche Raum nur von einer Dachluke ſein geringes Licht empfing, und zum Sitzen ſich da nichts vor - fand, als ein Brett und ein Kaſten, ſo gefiel es dem Jäger doch dort oben wohl. Denn, ſagte er,43 Alles iſt mir einerlei, wenn ich hier nur bleiben darf, bis ich darüber ſicher bin, daß ich mit mei - nem verwünſchten Schießen keinen Schaden ange - richtet habe. Es iſt ſchönes Wetter, und ich werde nicht viel oben zu ſeyn brauchen.
Er war auch wirklich nicht viel oben in ſeinem Verſchlage, ſondern mehr unten bei Lisbeth. Er bat ſie ſo oft wegen des Schuſſes um Verzeihung, daß ſie ungeduldig wurde und ihm mit einem Stirnfältchen des Verdruſſes, welches ihr allerliebſt ſtand, ſagte, er ſolle das nun ſeyn laſſen. Nach fünf Tagen war ſie vollkommen geheilt, der Ver - band konnte abgelegt werden und nur leichte röth - liche Pünctchen an der weißen Schulter deuteten noch die Stellen der Verwundung an.
Sie blieb im Oberhofe, denn ſie war vom Hofſchulzen, wie wir wiſſen, ſchon früher zur Hoch - zeit gebeten worden. Dieſe verſpätete ſich um Einiges, weil die Ausſtattung zum beſtimmten Tage nicht fertig werden wollte. Der junge Jäger blieb auch, obgleich ihn der Hofſchulze nicht einlud. Er lud ſich aber ſelbſt zur Hochzeit, indem er eines Tages dem Alten ſagte, die Landesgebräuche ſeien ihm ſo merkwürdig, daß er ſie auch auf einer44 Hochzeit kennen zu lernen wünſche. Er ſagte dieß, nachdem er ſchon vielfältig unten bei Lisbeth geweſen war. Und als er es vorbrachte, flammte ſein Geſicht und er konnte das Verlangen nach Erwei - terung der Kenntniſſe nicht ſo recht ohne zu ſtocken kund thun.
Bald hatte der Jäger zwei Tageszeiten, eine unglückliche und eine glückliche. Die unglückliche war, wenn Lisbeth, und ſie that es alle Tage, am Brautlinnen half. Der Jäger wußte dann gar nicht, was er mit ſeiner Zeit beginnen ſollte. Nun ſahen ihn die Bäume des Gartens und die Eichen des Kamps erſt recht wie ſein Waldmährchen an. Zuweilen blickte er gen Himmel, aber noch öfter zur grünen, ſchwellenden Erde nieder, die er hin und wieder hätte küſſen mögen, ſo lieb war ihm der Boden geworden, auf dem er gar Manches erlebt hatte. Wenn ſeine Gedanken Worte wur - den, ſo lauteten ſie: Das ſchöne Mädchen an der ſchönen Blume — und dann ihr liebes Blut droben am Freiſtuhl — und nun — und nun — —
Aber das Alles füllte ihm die Seele nicht aus. Er bedurfte einer Geſellſchaft, freilich war ihm nicht jede recht, denn dem Hofſchulzen wich er eher45 aus, wenn er ihm begegnete. Aber nach der Lin - nenkammer war er oft unterweges, worin er die Mädchen plaudern hörte, und worin Lisbeth ſtill half. Hatte er aber die Klinke in der Hand um aufzudrücken, dann überzog ſein Antlitz dunkle Gluth, er wandte ſich ſtolz und ging trotzig, wie ein Löwe, die Treppe hinunter, zum Hofe hinaus, weit, weit in das Feld, ohne ſich umzuſehen.
Die glückſelige Zeit begann, wenn Lisbeth von ihrer Arbeit ruhte und friſche Luft ſchöpfte. Dann war es gewiß, daß Beide zuſammentrafen, der Jä - ger und ſie. Und wäre er noch ſo weit hinten im Gebüſch geweſen, es kam ihm dann vor, als ſagte ihm Jemand: Jetzt iſt Lisbeth im Freien. Dann flog er hin, wo er ſie vermuthete, und ſiehe, ſeine Ahnung hatte ihn nicht getäuſcht, denn ſchon von weitem erblickte er die ſchlanke Geſtalt und das liebliche Antlitz. Sie pflegte ſich dann wohl ſeit - wärts nach einer Blume zu bücken, als achte ſie ſeiner nicht. Vorher hatte ſie freilich nach der Gegend geſehen, woher er kam.
Nun gingen ſie zuſammen durch Feld und Aue, denn er bat ſie darum ſo herzlich, daß es ihr wie eine Sünde vorkam, ihm die kleine Bitte abzuſchlagen. 46Und je weiter ſie ſich vom Hofe in die wallenden Felder, in die grünen Wieſen verloren, deſto freier und fröhlicher wurde ihnen zu Muthe. Und wenn die rothe ſinkende Sonne Alles rings umher und ihre jugendlichen Geſtalten mit verklärte, dann meinten ſie, es könne ihnen keine Angſt und Pein mehr im Leben kommen.
Der Jäger that der Lisbeth auf dieſen Gängen Alles zu gefallen, was er ihr nur an den Augen abſehen konnte. Wenn ſie zufällig nach einem Buſche wilder Feldblumen ſah, die entfernt vom Wege auf einer hohen Hecke blühten, ſo hatte er ſich auf die Hecke geſchwungen, ehe noch der Wunſch nach den Blumen in ihre Seele gekommen war. Und wo der Weg ſich etwas abſchüſſig ſenkte, oder ein Stein im Wege lag, oder wo es ein geringes Wäſſer - lein zu überſchreiten gab, da ſtreckte ſich ſein Arm ihr ſtützend und führend entgegen und ſie lachte über die unnöthige Dienſtfertigkeit, und — nahm den Arm dennoch, und ließ ihn noch eine Zeitlang in dem ſeinigen, auch wo der Weg wieder eben geworden war.
Auf dieſen ſtillen und anmuthigen Gängen hatten die jungen Seelen einander viel mitzutheilen. Er47 erzählte ihr von den ſchwäbiſchen Bergen, von dem grünen Neckar, von der Alb, vom Murgthale und von dem Berge Hohenſtaufen, auf dem das große Kaiſergeſchlecht entſproſſen ſei, deſſen Thaten er ihr auch erzählte. Dann ſprach er von der gro - ßen Stadt, worin er ſtudirt habe, und von den vielen klugen Leuten, die ihm dort bekannt gewor - den ſeien. Und endlich erzählte er ihr von ſeiner Mutter, wie er dieſe ſo zärtlich lieb gehabt habe, und wie es daher wohl kommen möge, daß ihm nachher jede Frau theuer und werth erſchienen ſei, weil er bei jeder an ſeine ſelige Mutter gedacht habe.
Die Lisbeth mußte dagegen von ihrem einfachen Leben erzählen. Darin kamen keine großen Städte und keine klugen Leute vor und — auch keine Mutter! — Und dennoch meinte er, nie etwas Schö - neres gehört zu haben. Denn jede niedere Pflicht, die ſie geleiſtet, hatte ſie durch Liebe geadelt, und von dem Fräulein und dem alten Herrn Baron wußte ſie tauſend rührende Züge anzugeben, auf allen Plätzen im Schloßgarten und hinter demſel - ben waren ihr Geſchichten begegnet, und aus den Büchern, die ſie ſich verſtohlen vom Söller geholt,48 hatte ſie erſtaunliche Dinge über fremde Völker und Länder herausgeleſen, und ſonderbare Vorgänge zu Waſſer und zu Lande, und Alles hatte ſie be - halten.
Wohl hatte der Diaconus Recht gehabt, als er die Lisbeth mit der Blume verglich, die in Duſt und Moder erblüht war. Die Natur hatte an die - ſem blonden Mädchen ihre Allmacht bewähren wol - len. Sie hatte ſich in einem Maienrauſche vorge - ſetzt, durch die That zu ſprechen: Sehet da mein Werk! Eure Erziehung iſt Stückerei und Flickerei. — In der Seele dieſes Mädchens war Alles neu, ganz, friſch, jungfräulich. Dieſes Mädchen war verſtändig, wie ein Rechenmeiſter, und hatte mit den Bauern um den letzten Zinsgroſchen ſich ge - ſtritten, den ſie ihrem Pflegevater verſchaffen wollte, und dieſes Mädchen war doch auch ganz lyriſch, ganz hingeriſſen, ganz quellendes und wiedergebä - rendes Empfangen. Ueber ihr Antlitz zogen die Geiſter der Dinge, die ſie ſah und hörte, ein ſicht - barer Reigen. Wenn der Jäger ihr von den klu - gen Geſprächen der Weiſen erzählte, ſo lag ein feines Verſtehen um die Lippen, wenn er ihr ſagte, daß Karl von Anjou mit finſterem unbeweglichem49 Geſichte zugeſehen, als er den jungen unſchuldigen Konradin hinrichten laſſen, ſo faltete ſich die reine Stirn und Thränen floſſen unter dieſen lieben zornigen Falten; aber eine ſüße Trunkenheit, ein ſeliger Sonnenſchein durchleuchtete das Antlitz, wenn er ihr das grüne, wilde Murgthal ſchilderte und dazu mit ſeiner tiefen, wohlklingenden Stimme das Lied ſang:
Alles, was er in dieſe unberührte Bruſt ſäte, das keimte, ſproßte, wurzelte darin, blühte und trug Frucht. Der Jäger ward nicht müde, ihr aus ſeinem Vorrathe zu geben, denn er empfing wieder das hundertſte Korn; ſeine Welt kam ihm verklärt, gelichtet, vergöttlicht zurück aus dem Lächeln Lisbeths und von ihren friſchen Lippen. So wogte es zwiſchen ihnen hin und wieder, ein Seliges, Unausgeſprochenes, Unausſprechliches und war der Wonne kein Ende. Jegliches gefiel ihm an ihr. Wenn er ihr an einer ſchlimmen Stelle des Weges die Hand reichte und wohl fühlte, daß der leiſe Druck leiſer erwiedert wurde, ſo durchſchauerte ihnImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 450die Freude, und wenn er ihr dann gleich wieder die Hand drückte, und die ihrige nun regungslos in der ſeinigen blieb, gleich als wollte ſie ſagen: Verſchwenden wir das Beſte nicht! ſo gefiel ihm das auch. Eben ſo war es mit den Blicken. Ihr Auge ruhte einmal oder zweimal des Tages hin - gegeben an ihm und dann nicht wieder, er mochte es mit dem ſeinigen auffordern, wie dringend er wollte. Daß ſie in Allem Maaß hielt, gefiel ihm ſo ſehr. Ja, es gefiel ihm ſogar, daß ihre Ober - lippe ein klein wenig zu kurz war, und die weiße - ſten Zähne zum Vorſchein kamen, wenn ſie lachte oder lebhaft ſprach. Denn dieſer Mangel gab in ſeinen Augen ihrem Geſichte etwas reizend Kind - liches, lieblich Unfertiges, was wie Alles in ihr auf die letzte, ſüßeſte Vollendung durch den Hauch der Zärtlichkeit harrte.
So gingen ihnen die Tage hin, einer nach dem andern im Oberhofe. Der Hofſchulze ſah freilich mit andern Augen drein, mußte zwar geſchehen laſſen, was er nicht hindern konnte, aber er ſchüt - telte häufig den Kopf, wenn er ſeine jungen Gäſte ſo viel mit einander gehen und verkehren ſab. Dann pflegte er für ſich zu ſagen: Es it Unrecht51 von ſo einem Junker. — Seine rauhen Gedanken flogen wie ein widriger Sturm um dieſe reine Knospe, die zur Blüthe aufbrechen wollte. Er nahm ſich vor Lisbeth bei erſter günſtiger Gele - genheit zu warnen.
Wovor? — Zwiſchen ihr und ihrem Freunde war Alles Unſchuld, Demuth, der keuſcheſte Traum eines guten Geiſtes. Noch war das Wort Liebe nicht über ihre Lippen gekommen und geküßt hat - ten ſie einander auch noch nicht. Wenn er zu Nacht in dem elenden Verſchlage auf ſein Stroh - lager ſank, ſo hatte er vorher die Luke aufgeſtoßen und die Sterne ſchienen ihm wie Lisbeths Augen tief in das Herz hinein, bis er entſchlummerte. Wenn ſie ihr Bettchen unten im Stüblein ſuchte, ſo kniete ſie am Stuhle vor dem Bettchen nieder, und faltete die Hände und meinte, ein ſchönes Gebet zu ſprechen, obgleich ihre Lippen kein Wort ſagten. Er rief oben leiſe für ſich hin, wenn ſeine Wimpern ſich ſchloſſen: Der ganzen Welt möchte ich vertrauen, wie ſie mir ſo wohl gefällt. — Sie flüſterte, indem ſie ſanft ihre Wange an das Kiſſen drückte: Er iſt der beſte Menſch, den ich noch geſehen habe — und dann ſchliefen ſie Beide ein und4*52die harmloſen Gedanken beſuchten einander in den webenden Schatten der Nacht.
Das waren die Tage, von welchen geſchrieben ſteht: Sie blühen einmal und nicht wieder!
Endlich hatte der Jäger die Feder geſchnitten. Er ſchob Lisbeth ein Blatt Papier hin und bat ſie, zu verſuchen, ob ſie ſchreibe. Sie that es, konnte aber damit nicht zurecht kommen, ſie habe Zähne, ſagte ſie. Er ſah, was ſie geſchrieben, es war ihr eigener Name in den klarſten, ebenſten Zügen. Die feinen Buchſtaben entzückten ihn. Ich glaube, an der Feder liegt es nicht, ſtammelte er, ich wollte wohl, ohne ſie zu kappen, ein ganzes Gedicht damit niederſchreiben. — Thun Sie es, verſetzte Lisbeth und ſchlug die Augen nieder, Sie ſagten mir ja überdieß, daß Sie mir das Tuch mit einem Scherze haben ſchenken wollen.
Oh — der Scherz wird wohl ausbleiben — rief der Jäger, nahm Feder und Papier, ſetzte zu54 dem Worte: Lisbeth das Wörtlein: An, und ſchrieb einige Reimzeilen nieder.
Lacht nicht über ſie! — Der Jäger konnte ſei - nen guten, runden ſchwäbiſchen Vers machen, und hätte beſſere zu Stande gebracht, wäre er freieren Herzens geweſen.
Er hatte dieſe Verſe mit fliegender Feder ge - ſchrieben, denn die Glocke läutete ſchon, und Lis - beth, die im Hochzeitszuge nicht fehlen durfte, ſchien unruhig zu werden. Jetzt reichte er das Blatt mit abgewandtem Geſichte ihr bin und trat55 von ihr hinweg an das andere Fenſter. Nach eini - gen Secunden hörte er hinter ſich tief athmen und dann leiſe ſchluchzen. Raſch wandte er ſich und hatte den rührendſten Anblick. Lisbeth ſtand, etwas gebeugt, als drücke ſie die Verehrung, welche ſie empfangen, und hielt das Blatt in der reizendſten Unbehülflichkeit mit beiden Händen vor ſich hin, wie ein Kind, das die glänzende Weihnachtbeſchee - rung ſich noch gar nicht anzueignen wagt. Die hellen Thränen floſſen ihr unter den Wimpern, dabei lächelte ſie, und ſah den Jäger mit dem gläu - bigſten Vertrauen an, als wollte ſie ſagen: Wenn du einen armen Findling ſo hübſch beſingen kannſt, ſo mußt du es wohl recht herzlich mit ihm meinen. — Endlich fand ihre Empfindung ein lautes Wort und ſie lispelte: Sie machen zu viel aus mir und ich werde noch ganz eitel durch Sie werden.
Er trat, feſt ſeinen flammenden und doch ſo ſanften Blick auf ſie heftend, ihr entgegen und wollte ihre Hand küſſen. Sie war küſſenswerth, dieſe Hand. Es iſt, als ob Manchem nichts ſcha - den könne. Trotz aller Arbeit war die Hand weich und zart geblieben. Lisbeth entzog ſie ſeinem Munde und bot ihm, die Augen ſchließend, die56 Lippen dar. Jauchzend wollte er mit den ſeinigen ſie rühren, da öffnete ſich die Thüre und die[Braut - jungfer] trat mit dem Putze und ihrem Anliegen ein. Die Geſtörten traten erſchreckt aus einander, Lisbeth zu ihrem Tüchlein, der Jäger, ohne ſie an - zuſehen, an das Fenſter, von wo er dann mit nie - dergeſchlagenem Blicke aus dem Zimmer ſchlich. Denn das Gefühl iſt auch darin nur ſich ſelbſt gleich, daß es mit dem Bewußtſein der reinſten Tugend die Furcht des lichtſcheuſten Verbrechens paart. — Du denkſt an das geliebte Mädchen zu - gleich mit deinen Gedanken an Gott, du ſagſt, wie der Jäger in deinen einſamen Entzückungen: Könnte ich dieſe Liebe, wie meine beſte That, von den Dächern rufen! und dann verläugneſt du ſie wie Petrus den Herrn der erſten Baſenfrage, und rufſt, ob man von dir glaube, daß du ſo thöricht ſeiſt? —
Draußen war unter dem Glockengeläute die Muſik immer näher gekommen, und jetzt wurde der Brautwagen, gezogen von zwei ſtarken Pferden am andern Ende des Weges, der durch den Eichenkamp leitete, ſichtbar. Die erſte Brautjungfer ſtand mit ihrem dicken, zum Theil übelriechenden Strauße ehrbar neben der Braut, die Knechte ſtanden bei57 den Packen und Laden im Flur, zum letzten An - faſſen bereit; der Hofſchulze ſchaute unruhig nach der zweiten und nach der improviſirten dritten Braut - jungfer ſich um; denn wenn dieſe nicht vor der Er - ſcheinung des Bräutigams den Platz, den ihnen der Tag anwies, nahmen, ſo war es nach ſeinem Ge - fühle um die ganze Feierlichkeit geſchehen. Doch da kamen die beiden Erwarteten eben noch zur rech - ten Zeit die Treppe herunter und ſtellten ſich zu der Erſten, als der Wagen gerade auf den freien Platz vor dem Hauſe hinauslenkte.
Gleichmüthig im Geſicht, wie alle Hauptperſo - nen dieſes Feſtes, ſtieg der Bräutigam vom Wa - gen. Junge Leute, ſeine nächſten Freunde, folgten ihm bebändert und beſtraußt. Er ſchritt langſam auf die Braut zu, die auch jetzt noch nicht empor - ſah, ſondern immerfort nur ſpann und ſpann. Nun befeſtigte ihm die erſte Brautjungfer den gro - ßen Strauß, worin Sternblume und Salbei duf - teten, vorn auf der Bruſt an dem hochzeitlichen Kleide. Der Bräutigam empfing dieſen Schmuck, ohne zu danken, denn der Dank gehörte nicht zum Herkommen. Er reichte ſeinem Schwiegervater ſtill - ſchweigend die Hand, dann ſie eben ſo ſtillſchweigend58 der Braut, die ſich darauf erhob und zu den Braut - jungfern ſtellte, zwiſchen die Erſte und Zweite und vor die Dritte.
Während deſſen hatten die Knechte die Aus - ſtattung auf den Wagen geſchafft. Die Scene be - kam etwas Wildes, denn indem die Menſchen mit dem Gepäck zwiſchen den Kochfeuern hindurchliefen, wurde mancher brennende Klotz von ſeinem Orte hinweggeſtoßen, kniſterte und ſprühte in dem Wege, den das Brautpaar zu gehen hatte. Nach dem Linnen, dem Flachs, den Betten, den Kleidungs - ſtücken nahm die Braut mir ihren drei Jungfern und dem Spinnrade, welches ſie ſelbſt trug, auf dem Wagen Platz. Der Bräutigam ſetzte ſich ab - geſondert von ihr in den hinterſten Theil des Fahrzeuges, und die jungen Burſche mußten dieſem zu Fuße folgen, da die Ausſtattung zu viel Raum einnahm, um ihnen noch Sitze zu geſtatten. Hier - über machte der Eine hergebrachte Späße gegen den Hofſchulzen, auf welche dieſer ſchmunzelnd antwortete. Er ging hinter den jungen Burſchen her, und zu ihm geſellte ſich der Jäger. So gin - gen Zwei zuſammen, welche an dieſem Tage die entgegengeſetzteſten Empfindungen hegten. Denn der59 Hofſchulze dachte an Nichts, als an die Hochzeit, und der Jäger an nichts weniger, als an ſie, ob - gleich ſeine Gedanken um den Brautwagen flogen.
Fahre dieſer nun langſam nach dem Hofe des Bräutigams, wo ſchon die ganze Hochzeitsgeſell - ſchaft; Männer, Frauen, Mädchen, junge Burſche aus allen umliegenden Wehren, und überdieß die Freunde aus der Stadt, der Hauptmann und der Sammler ſeiner warten. Dort wird abgeladen; wir gehen inzwiſchen voran zur Kirche, die in der Mitte der ganzen Bauerſchaft auf einem grünen Hügel, beſchattet von Wallnußbäumen und wilden Kaſtanien liegt. — In der Sakriſtei beſchäftigte ſich der Diaconus ſtill mit ſeinem Texte. Er gehörte zu den glücklichen Geiſtlichen, deren innerſte Glau - benskraft vom Zweifel, welchen die neuere Wiſſen - ſchaft erſt recht gründlich ausgeſchaffen hat, nicht berührt wird. Die verflüchtigenden Vorſtellungen, welche in das Chriſtenthum eingedrungen ſind, waren ihm nicht fremd geblieben, und ſein Geiſt mußte zu ſich ſagen, daß darin mehr Wahrheit ſei, als in dem Buchſtaben des Orthodoxen. Aber es ging ihm mit der heiligen Geſchichte, wie es uns mit unſern Eltern geht. Wir erkennen ihre Schwä -60 chen und ſind doch, wo es auf etwas ankommt, immer ihre Kinder. Denn er wurde gleich ein Anderer, wenn er das Heiligthum betrat; zwiſchen deſſen Wänden verſchwand ihm die Kälte, er empfand das Evangelium in allen ſeinen Ausſtrahlungen, Wundern und Widerſprüchen als eine ewige That - ſache, und als eine wirkliche, nicht als eine ge - machte. So war er denn nie in der Kirche Lip - pengläubiger, ſondern erbaut, um Andere zu er - bauen.
Auch heute war er in den Gegenſtand ſeiner Predigt fromm vertieft. Indeſſen ſtörte ihn eini - germaßen der Küſter, welcher, ohne noch dort ein Geſchäft zu haben, auch in der Sakriſtei verweilte, ſeinen Oberen mit verlegenen Blicken anſchaute und dazu unabläſſig ſeufzte. Der Diaconus ſah ſich endlich genöthigt, ihn zu fragen, was dies zu bedeuten habe?
Beklemmung, Beängſtigung, ein ungemeines Blutwallen und Zudringen der Säfte nach dem Kopfe hat es zu bedeuten, Herr Diaconus, ver - ſetzte der ſeufzende Küſter.
Es iſt nicht zu verwundern, daß Ihr beklom - men ſeid, antwortete lächelnd der Diaconus. Dieſes61[Kopfkiſſen], welches Ihr Jahraus, Jahrein, ſobald wir die Stadt verlaſſen, eingeknöpft auf dem Un - terleibe tragt, die Witterung mag ſo ſchön ſeyn, wie ſie will, muß Euch das Blut wallen machen und die Säfte zu Kopfe treiben.
Es iſt nicht dieſes, mein Herr Diaconus, er - wiederte der Küſter, indem er ſeinen ausgeſtopften Unterleib ſtreichelte, welcher ſich in ſonderbaren Wellenlinien, Wülſten und Knoten darwies, weil der Inhaber die Federn des Kiſſens nicht ganz gleich vertheilt und verſtrichen hatte. Es iſt nicht dieſes. Beſſer bewahrt, wie beklagt, ich weiß ja, was eine hartnäckige Verkältung auf ſich hat. Das Kiſſen iſt gleichſam ein Theil von mir geworden und ruht mir ohne die mindeſte Beſchwer auf dem Herzen. Aber weshalb ich beklommen bin, das iſt die Furcht vor einer Herabſetzung meines Anſe - hens und vor einer Schändung ſo zu ſagen des ganzen Küſterſtandes, welche mir auf dieſer unglück - ſeligen Hochzeit bevorſteht.
Wie denn ſo?
Der Herr Diaconus wiſſen, daß der Schul - meiſter loci vor nunmehr beinahe acht Tagen ver - ſtorben iſt, und ſeine Stelle noch keine Beſetzung62 gefunden hat. So fehlet alſo dieſer Hochzeit der zweite obſervanzmäßige Aufwärter*)Bei den Hochzeitmahlzeiten der Bauern in dortiger Ge - gend warten der Bräutigam und der Schulmeiſter auf; ſonſt Niemand., und da hat nun der Hofſchulze, dieſer alte eigenſinnige Mann ſich nicht entblödet, mir geſtern an - und zumuthen zu laſſen, ich ſolle ſtatt des fehlenden Schulmei - ſters aufwarten, weil Küſter und Schulmeiſter mit einander die meiſte Aehnlichkeit und Verwandtſchaft hätten, worüber ich denn die ganze Nacht hindurch kein Auge zugethan habe. Annoch kann ich vor Herzklopfen mich nicht zufrieden geben.
Freilich würde bei der Aufwartung die eigene Leibesnahrung nicht ſo wohl gedeihen, ſagte der Diaconus.
Dieſes nebenbei, ſprach der Küſter ſehr ernſt. Nöthigenfalls würde durch Bündelſchnüren und Ser - viettenverpackung dafür geſorgt werden, daß Küſterei in ihren Gerechtſamen keinen Schaden erlitte. Aber daß die Würde eine Beeinträchtigung dulden müßte und die Freiheit der Stelle von allen und jeden Auf - wartedienſten eine Verletzung erführe; dieſes iſt die Hauptſache. Und ehe ich ein ſolches Präjudiz63 aufkommen laſſe, wodurch mittelſt fernerer Nach - läſſigkeit der Amtsnachfolger Küſterei einer immer - währenden Laſt unterzogen werden könnte, ſterbe ich lieber, obſchon ich einſehe, daß meine Weigerniß einen furchtbarlichen Lärmen hervorbringen kann, denn der Hofſchulze iſt in Allem feſt, was er ſich vorſetzte. Daher entſprießet denn wohl nicht ohne Grund einiger Kummer.
Der Diaconus, der durch das Geſchwätz des närriſchen Küſters ſich in ſeinen Gedanken unan - genehm geirrt fühlte, beſchwichtigte ihn mit der Verſicherung, daß er ſeinen Einfluß verwenden werde, um den Hofſchulzen von dem rechtswidri - gen Verlangen abzubringen. Der Küſter ging, etwas erleichtert, da es Zeit war, und die Men - ſchen ſich ſchon in der Kirche verſammelt hatten, hinaus und begann auf der Orgel die hergebrachte Schlacht von Prag zu ſpielen. Er kannte nämlich nur ein Präludium, und dieſes war jene verſchol - lene Schlachtmuſik, an welche ſich vielleicht noch einige ältere Leute erinnern, wenn ich ihnen in das Gedächtniß zurückrufe, daß das Tongemälde mit dem Aufmarſche der Ziethenſchen Huſaren an - fängt. Von dieſem Aufmarſche wußte der Küſter64 dann immer mit freilich nicht ſelten kühnen Gän - gen ſich in die gangbaren Kirchenmelodien hinüber - zuſchwingen.
Während des Liedes betrat der Diaconus die Kanzel, und als er die Augen zufällig auf die Ver - ſammlung warf, hatte er einen unerwarteten An - blick. Ein vornehmer Herr vom Hofe ſtand näm - lich mitten unter den Bauern, deren Aufmerkſam - keit er zerſtreute, weil ſie von ihrem Geſangbuche immer empor - und nach ſeinem Sterne ſchielten. Der vornehme Herr wollte mit irgend einem Bauern in das Geſangbuch ſehen, um in das Lied einzuſtimmen, da aber Jeder, ſo wie der Herr vom Hofe ſich ihm näherte, ehrerbietig auswich, ſo ge - langte er nicht zum Zwecke und erregte nur eine faſt allgemeine Unruhe. Denn wenn er in eine Kirchenbank ſich ſetzte, ſo rutſchten auf der Stelle ſämmtliche darin ſeßhafte Bauern bis in die äußerſte entgegengeſetzte Ecke, und entflohen der Bank gänz - lich, wenn der Vornehme ihnen nachrutſchte. Dieſes Rutſchen und Entrutſchen wiederholte ſich in drei bis vier Bänken, ſo daß der Herr vom Hofe, der in der beſten Abſicht dieſen Dorfgottesdienſt beſuchte, es end - lich aufgeben mußte, zu einer thätigen Theilnahme an65 demſelben zu gelangen. Er hatte Geſchäfte in der Gegend und wollte die Gelegenheit nicht verab - ſäumen, durch Herablaſſung die Herzen dieſer Land - leute für den Thron zu gewinnen, dem er ſich ſo nahe wußte. Deshalb war in ihm, ſobald er von der Bauern - hochzeit hörte, in ihm der Vorſatz entſtanden, ihr leutſelig von Anfang bis zu Ende beizuwohnen.
Den Diaconus berührte der Anblick des Vor - nehmen, den er aus den glänzenden Cirkeln der Hauptſtadt kannte, nicht wohlthuend. Er wußte, welche ſonderbare Sitte der Predigt folgen werde, und fürchtete den Spott des Vornehmen. Seine Gedanken verloren daher von ihrer gewöhnlichen Klarheit, ſeine Gefühle waren etwas bedeckt und er kam, je weiter er redete, um deſto weiter aus der Sache. Seine Zerſtreuung wuchs, da er be - merkte, daß der Vornehme ihm verſtehende Blicke zuwarf und bei einigen Stellen beifällig mit dem Haupte nickte; meiſtentheils da, wo der Redner mit ſich am unzufriedenſten geweſen war. Er beſchnitt daher die einzelnen Theile der Traurede, und eilte ſich, zur Ceremonie zu gelangen.
Das Brautpaar kniete nieder und die verhäng - nißvollen Fragen ergingen an daſſelbe. Da trugImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 566ſich etwas zu, was den vornehmen Fremden in den äußerſten Schreck verſetzte. Denn er ſah links und rechts, vor ſich und hinter ſich, Männer und Frauen, Mädchen und junge Burſche dicke Knittel, aus Sack - tüchern gewunden, hervorziehen. Alles war aufge - ſtanden, ziſchelte unter einander und ſah ſich, wie es ihm vorkam, mit wilden und heimtückiſchen Blicken um. Da es ihm nun unmöglich war, den richtigen Sinn dieſer Vorbereitungen zu errathen, ſo verließ ihn alle Faſſung, und weil die Knittel doch unwiderſprechlich auf Jemand deuteten, der Schläge empfangen ſollte, ſo kam ihm der Gedanke, daß er der Gegenſtand einer allgemeinen Miß - handlung ſeyn werde. Er erinnerte ſich, wie ſcheu man ihm ausgewichen war, und er bedachte, wie roh der Charakter des Landvolkes iſt, und wie die Bauern vielleicht, weil ihnen ſeine herablaſſende Geſinnung nicht bekannt ſei, ſich vorgenommen hät - ten, den ihnen unbequemen Eindringling zu ent - fernen. Alles dieſes ging blitzſchnell durch ſeine Seele und er wußte nicht, wie er Würde und Perſon vor dem entſetzlichen Angriffe wahren ſollte.
Als er noch rathlos nach Entſchlüſſen rang, chloß der Diaconus die Feierlichkeit, und es ent -67 ſtand augenblicklich der wildeſte Tumult. Sämmt - liche Knittelträger und Knittelträgerinnen ſtürzten ſchreiend und tobend und ihre Waffen ſchwingend nach vorwärts, der Herr vom Hofe aber war über mehrere Bänke mit drei Sätzen ſeitwärts nach der Kanzel zu geſprungen, erſtieg dieſelbe im Nu und rief von dieſem erhöhten Standpuncte mit lauter Stimme in die tobende Menge hinunter: Ich rathe Euch, mich nicht anzutaſten! Ich hege die beſten und herablaſſendſten Geſinnungen gegen Euch, aber jede mir zugefügte Beleidigung wird der Monarch ahnden, wie eine ihm ſelbſt wider - fahrene.
Die Bauern aber hörten nach dieſer Rede nicht hin, von ihrem Vorhaben begeiſtert. Sie rannten dem Altare zu, und unterweges bekam ſchon Dieſer und Jener unabſichtliche Prügel, bevor das eigent - liche Ziel derſelben erreicht war. Dieſes war der Bräutigam. Die Hände über den Kopf ſchlagend, bahnte er ſich mit aller Anſtrengung eine Gaſſe durch die Menge, welche ihre Knittel auf ſeinem Rücken, ſeinen Schultern und überhaupt aller Orten, wo Platz war, tanzen ließ. Er lief, ſich gewalt - ſam Raum ſchaffend, nach der Kirchthüre zu, hatte5*68aber, bevor er dieſelbe erreichte, gewiß über hun - dert Schläge[empfangen], und kam ſo, wacker zer - bläut an ſeinem Ehrentage aus dem Heiligthume. Alles lief ihm nach; der Brautvater, die Braut folgten, der Küſter ſchloß unmittelbar hinter dem Letzten die Thüre ab und verfügte ſich in die Sa - kriſtei, welche einen beſonderen Ausgang in das Freie hatte. In wenigen Secunden war die Kirche leer geworden.
Noch ſtand indeſſen der vornehme Herr auf der Kanzel. Der Diaconus aber ſtand vor dem Altare, ſich gegen den Vornehmen mit freundli - chem Lächeln verbeugend. Dieſer hatte, als er auf ſeinem Felſen Ararat ſah, daß die Prügel nicht ihm zugedacht waren, beruhigt die Arme ſinken laſſen, und fragte, als jetzt Stille eingetreten war, den Diaconus: Sagen Sie mir um des Himmels willen, Herr Prediger, was bedeutete dieſer wü - thende Auftritt und was hatte der arme Menſch ſeinen Angreifern gethan?
Nichts, Ew. Excellenz, verſetzte der Diaconus, der ungeachtet der Würde des Orts Mühe hatte, ein Lachen über den Höfling auf der Kanzel zu verbeißen. Dieſes Abklopfen des Bräutigams nach69 der Trauung iſt ein uralter Gebrauch, den ſich die Leute nicht nehmen laſſen. Sie ſagen, er ſolle bedeuten, daß der Bräutigam fühle, wie weh Schläge thun, damit er ſein künftiges hausherrli - ches Recht wider die Frau nicht mißbrauche.
Ja, das ſind denn doch aber wunderbare Sit - ten … murmelte die Excellenz und ſtieg von der Kanzel. Unten empfing ſie der Diaconus ſehr höflich und wurde von ihr mit drei Küſſen auf der flachen Wange beehrt. Dann führte der Geiſtliche ſeinen vornehmen Bekannten in die Sakriſtei, um ihn von dort in das Freie zu entlaſſen. Der noch immer Erſchrockene ſagte, er müſſe erſt überlegen, ob er an dem ferneren Verlaufe der Feſtlichkeit Theil nehmen könne. Der Geiſtliche bedauerte dagegen auf dem Wege nach der Sakriſtei unend - lich, daß er nicht früher von dem Vorhaben Seiner Excellenz Kunde erhalten habe, weil er dann im Stande geweſen ſei, Nachricht von der Prügelſitte zu ertheilen und ſo Furcht und Schreck abzuwenden.
Nachdem Beide ſich entfernt hatten, war Stille und Schweigen in der Kirche. Es war ein arti - ges Kirchlein, reinlich und nicht zu bunt; ein reicher Wohlthäter hatte Manches dafür gethan. 70Die Decke war blau gemalt mit goldenen Ster - nen, an der Kanzel zeigte ſich künſtliches Schnitz - werk und unter den Leichentafeln der alten Pfar - rer, welche den Fußboden bedeckten, befanden ſich ſogar zwei oder drei von Meſſing. Reinlich und ſauber wurden die Bänke gehalten, auch darauf hatte der Hofſchulze mit ſeinem großen Einfluſſe hingewirkt. Eine ſchöne Decke zierte den Altar, über dem ſich ein geſchlungenes marmorirt ange - ſtrichenes Säulenwerk erhob.
Hell fiel das Licht zu dem Kirchlein ein, die Bäume ſäuſelten draußen und zuweilen bewegte ein gelindes Lüftchen, das durch eine zerbrochene Scheibe drang, die weiße Schärpe, womit der Engel über dem Taufbecken bekleidet war, oder die Flit - ter der Kronen, welche, von den Särgen der Jungfrauen genommen, die Pfeiler umher ſchmückten.
Braut und Bräutigam waren fort, der Braut - zug war fort, und doch war es nicht ganz einſam in dem ſtillen Kirchlein. Zwei junge Leute waren darin zurückgeblieben und wußten nicht von ein - ander und das war ſo zugegangen. Der Jäger hatte ſich, als die Hochzeitleute die Kirche betra - ten, von ihnen abgeſondert und war ſtill eine71 Treppe zu einer oberen Prieche hinaufgegangen. Dort ſetzte er ſich auf einen Schemel ungeſehen von den Andern, abgewendet von ihnen und von dem Altare, ganz für ſich und allein. Er ſchlug ſein Geſicht in ſeine Hand, aber das konnte er nicht lange ertragen, die Wange und Stirn glühte ihm zu ſtark. Das Kirchenlied drunten fiel mit ſeinen ernſtgezogenen Tönen wie ein kühlender Thau in ſeine Gluth, er dankte Gott, daß end - lich, endlich ihm das größte Glück beſchieden ſei, und in die frommen Worte da unten ſang er un - aufhörlich ſeine weltlichen Verſe hinein:
Ein kleines Kind, welches ſich neugierig herauf - geſchlichen hatte, nahm er ſanft bei der Hand und ſtreichelte dieſe. Dann wollte er ihm Geld geben, aber er ließ es ſeyn, drückte es an ſich und küßte ihm die Stirn. Und als das Kind, ängſtlich von den heißen Liebkoſungen, die Treppe hinuntergehen wollte, führte er es ſacht hinab, daß es nicht falle. Dann kehrte er zu ſeinem Sitze zurück und hörte nichts von der Rede und nichts von dem Lärmen, der ihr folgte, in tiefe, ſelige Träume verſunken,72 die ihm ſeine ſchöne Mutter zeigten und ſein wei - ßes Schloß auf grünem Berge und ihn und noch Jemand in dem Schloſſe.
Lisbeth war in ihrem fremdartigen Anzuge ver - legen und ſcheu hinter der Braut hergegangen. Ach, dachte ſie, in dem Augenblicke, wo der gute Menſch von mir ſagt, ich wäre immer natürlich, muß ich geborgte Kleider tragen. Sie ſehnte ſich in die ihrigen zurück. Die Bauern, die Leute aus der Stadt hörte ſie hinter ſich ziſchelnd ihren Namen nennen, der vornehme Herr, welcher vor der Kirche dem Zuge entgegentrat, beſah ſie lange prüfend durch ſeine Lorgnette. Das Alles mußte ſie erleiden, als ſie eben ſo ſchön beſungen worden war, als ihr Herz von Freude und Entzücken überfluthete. Sie trat halbbetäubt in die Kirche ein und nahm ſich vor, bei dem Rückwege von dem Zuge zu bleiben, damit ſie auf keine Weiſe wieder der Gegenſtand des Geſprächs oder gar der Scherze werde, über welche ſie ſich ſeit einer Vier - telſtunde weit hinaus fühlte. Auch ſie hörte von der Rede wenig, ſo ſehr ſie ſich zwang, dem Vor - trage ihres verehrten geiſtlichen Freundes zu fol - gen. Und als die Ringe gewechſelt wurden, da73 erregten ihr die gleichgültigen Geſichter des Braut - paares eine ſonderbare Empfindung, gemiſcht aus Wehmuth, Neid und dem ſtillen Unwillen, daß ein ſo himmliſcher Augenblick an ſtumpfen Seelen vor - übergehe.
Nun entſtand der Tumult und da entfloh ſie unwillkührlich hinter den Altar. Als es wieder ſtill geworden war, holte ſie tief Athem, zupfte an ihrer Schürze, ſtrich ſich eine Locke, die ihr auf die Stirn gefallen war, ſacht zurück und faßte ſich ein Herz. Sie wollte ſehen, wie ſie unbemerkt auf Nebenwegen zum Oberhofe zurückgelangen und der leidigen Kleider quitt werden möchte. Mit kleinen Schritten und niedergeſchlagenen Augen ging ſie durch einen Seitengang nach der Thüre zu.
Aus ſeinen Träumen endlich erwacht, kam der Jäger die Treppe hinunter. Auch er wollte die Kirche verlaſſen, wußte aber freilich nicht, wohin dann? Sein Herz bebte, als er Lisbeth ſah; ſie ſchlug die Augen auf und blieb ſchüchtern und fromm ſtehen. Dann gingen ſie, ohne einander anzuſchauen, ſtumm der Thüre zu, auf deren Drücker er ſeine Hand legte, ſie zu öffnen. Sie iſt ver - ſchloſſen! rief er mit einem Laut des Entzückens,74 als ſei ihm das höchſte Glück wiederfahren. Wir ſind in der Kirche eingeſchloſſen!
Eingeſchloſſen? fragte ſie voll ſüßem Schreck. — Warum macht Sie das beſtürzt? Wo kann man beſſer aufgehoben ſeyn als in einer Kirche? ſagte er ſeelenvoll. Er ſchlug ſanft ſeine Arme um ihren Leib, mit der andern Hand faßte er ihre Hand, ſo führte er ſie nach einer Bank, nöthigte ſie darauf nieder und ſetzte ſich neben ſie. Sie ſah in ihren Schooß und ließ die Bänder an dem buntfarbigen Jäckchen, welches ſie trug, durch die Finger gleiten. Er hatte ſeinen Kopf auf dem Betbrette aufge - ſtützt, ſah ſie von der Seite an und berührte das Häubchen, welches ſie trug, wie um den Stoff zu prüfen. Er hörte ihr Herz klopfen und ſah ihren Hals geröthet. — Nicht wahr, es iſt ein abſcheu - licher Anzug? fragte ſie nach langem Schweigen kaum hörbar. — Oh! rief er und knöpfte ſeine Weſte auf, ich ſah nicht nach dem Anzuge! — Er faßte ihre beiden Hände, drückte ſie ſtürmiſch gegen ſeine Bruſt und zog ſie dann von der Bank.
Ich ertrag’s nicht ſo ſtill zu ſitzen! Laſſen Sie uns die Kirche beſehen! rief er. — Hier iſt wohl nicht viel Sehenswürdiges, verſetzte ſie zitternd.
75Er ging mit ihr zu dem Taufſteine, auf deſſen Grunde noch etwas von dem heiligen Naß ſtand, denn es war vor der Hochzeit ſchon eine Taufe in der Kirche geweſen. Sie mußte mit ihm auf den Grund und in das Waſſer hinabſehen. Dann tauchte er den Finger hinein und netzte erſt ihre und dann ſeine Stirn.
Um Gotteswillen, was machen Sie? rief ſie ängſtlich und wiſchte raſch die ihr frevelhaft dün - kende Befeuchtung ab. — Wiedertäuferei treibe ich, ſagte er wunderbar lächelnd. — Dieſes Waſſer weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das Leben ſo fort — lange, lange, heißt Leben und iſt keins — und dann bricht das wahre Leben auf, und man ſollte dann von neuem taufen. — Sie wurde ängſtlich in ſeiner Nähe und ſtammelte: Kom - men Sie, ein Ausgang wird durch die Sakriſtei zu finden ſeyn. — Nein, rief er, erſt die Todten - kronen wollen wir beſehen; zwiſchen Geburt und Grab erlebt unſer Leben ſein Leuchtendes, ſein Schönes! — Er führte ſie zu der ſtattlichſten Tod - tenkrone am gegenüberſtehenden Pfeiler und mur - melte auf dem Wege mit trunken-irren Blicken die Stelle von Gray, welche mit ſeinen übri -76 gen Gedanken nicht zuſammenhing, und auf welche ihn nur der Ort bringen konnte: „ Viel Trop - fen reinſten Glanzes bergen des Meeres dun - kele unermeſſene Tiefen, viel Blumen brachen auf, um ungeſehen zu blühen und ihre Süße an die öde Luft zu verſchwenden! “
Dachte er an das Mädchen, von deſſen Sarge die ſtrahlende Todtenkrone war? — Ich weiß es nicht. — Flittern und glänzende Ringe hingen an dünnem Zindel herunter. Er riß zwei Ringe ab und flüſterte: Ihr ſeid nur ſchlechte Reifen, aber zu köſtlichem Gold will ich Euch weihen und hei - ligen! — Er ſteckte, ehe die Lisbeth es verwehren konnte, ihr den einen und den andern darauf ſich an. Dabei ſah er zornig aus, ſeine Lippen ſchürzte ein erhabener Unmuth, er legte ſeine geballte Fauſt dem Mädchen auf den Nacken, als wollte er ſie züchtigen, daß ſie ſeine Seele ihm entwendet habe. In dieſem ſtarken jungen Gemüthe riß die Liebe, wie ein Waldſtrom im Gebirge, tiefe Schluchten und Spalten.
Oswald! rief ſie und trat vor ihm zurück. Es war das erſtemal, daß ſie ſeinen Vornamen nannte. — Wir können das eben ſo gut thun, wie die dum -77 men Bauern, ſagte er, und ſind keine anderen Ringe zur Hand, ſo nehmen wir ſie vom Sargſchmuck, denn das Leben iſt ſtärker als der Tod. — Nun gehe ich, ſeufzte ſie athmend und wankte. Ihr Buſen flog, daß das Mieder wild bewegt wurde.
Aber ſchon hatten ſeine ſtarken Arme ſie um - ſtrickt und aufgehoben und vor den Altar getra - gen. Dort ließ er ſie nieder, die halbohnmächtig an ſeiner Bruſt lag, und ſtammelte ſchluchzend vor Liebesweh und Liebeszorn: Lisbeth! Liebe! Einzige! Entſetzliche! Feindin! Räuberin! Vergieb mir! Willſt du mein Du ſeyn? Mein ewiges, ſüßes Du?
Sie antwortete nicht. Ihr Herz ſchlug an ſeinem, ſie ſchmiegte ſich ihm an, als wollte ſie mit ihm verwachſen. Ihre Thränen floſſen auf ſeine Bruſt. Nun hob er ihr Haupt empor, und die Lippen fan - den ſich. In dieſem Kuſſe ſtanden ſie lange, lange.
Dann zog er ſie ſanft neben ſich auf die Kniee nieder, und Beide erhoben vor dem Altare betend die Hände. Sie konnten aber nichts vorbringen als: Vater! lieber Vater im Himmel! Und das wurden ſie nicht müde, mit wonnezitternder Stimme zu rufen. Sie riefen es ſo zutraulich, als ob der Vater, den ſie meinten, thnen die Hand reiche.
78Endlich verſtummte dieſes Rufen und ſie legten das Geſicht ſchweigend an das Altartuch. Mit dem Arme aber umſchlang Eines des Andern Nacken, die Wangen glühten, eine an der andern, und die Finger ſpielten ſanft in den Locken. Es war keine Unruhe mehr in den Herzen; ſie ſchlu - gen ſtill und gleichmäßig.
So knieten die Beiden eine Zeit lang vereinigt lautlos im Heiligthume. Plötzlich fühlten ſie ihre Häupter leiſe angerührt und ſahen empor. Der Diaconus ſtand zwiſchen ihnen mit leuchtendem Antlitz und hielt ſeine Hände ſegnend auf ihren Scheiteln. Er war zufällig aus der Sakriſtei noch einmal in die Kirche getreten und hatte mit gerühr - tem Erſtaunen die Verlobung geſehen, die hier abſeitig der Hochzeit und im Angeſichte Gottes zu Stande gekommen war. Auch er redete nicht, aber ſeine Augen ſprachen. Er zog den Jüngling und das Mädchen an ſeine Bruſt und drückte ſeine Lieblinge herzlich an ſich.
Dann ging er mit dem Paare, es führend, in die Sakriſtei, um es von dort zu entlaſſen. So gingen die Drei aus der kleinen, ſtillen, hellen Dorfkirche.
Unterdeſſen hatte ſich das Hochzeitgefolge mit den Muſicanten und dem Brautpaare wieder im Oberhofe eingefunden, und Alles ſtand und ſaß im Flur, Hof und Garten umher. Noch immer loder - ten die Feuer und waren die Mägde geſchäftig. Die farbigen Jacken der Mädchen, die ſonderbar geformten Schneppenhauben der Frauen und die lichtblauen Röcke der Männer gaben der Scene ein buntes und fremdartiges Anſehen. Der Oberhof hatte ſich ganz mit Menſchen erfüllt, denn es waren wohl an die hundert Perſonen verſammelt, welche der Brautvater hatte einladen laſſen. Steinhauſen, der Spaßmacher, war auch ſchon unter ihnen, ver - hielt ſich aber noch ſtill, denn ſeine Stunde ſollte erſt Nachmittags kommen. Um das Brautpaar80 bekümmerte ſich Niemand ſonderlich. Der Bräu - tigam half den Tiſch im Flure decken. Die Braut ſaß mit den beiden ihr treugebliebenen Brautjung - fern für ſich und in einiger Entfernung von den übrigen Frauen unter den Linden im Hofe. Zu - weilen und inſoweit ſie ſich von ihrem Getränke abmüſſigen konnten, ſpielten die Muſicanten, denen ein beſonderer Tiſch im Baumgarten angewieſen wor - den war, kurze Stücklein, ohne jedoch eine eigent - liche Aufmerkſamkeit zu erregen, denn die Meiſten hielten ihren Sinn nur auf die weißgedeckten Tafeln geheftet, auf welchen nun die Mägde allge - mach anzurichten begannen.
Der Brautvater hatte unterdeſſen von Neuem Gelegenheit gehabt, ſeine Faſſung zu erweiſen. Zwar, daß ihm der Diaconus, als er in den Hof kam, verkündigte, die fremde Excellenz, welche er ſo eben im Kruge becomplimentirt, ſei von ihm ungeachtet des Schrecks in der Kirche dennoch veranlaßt worden, die Hochzeit zu beſuchen, konnte ſeinem Stolze nur behaglich ſeyn. Aber ſonſt ging ſo Manches bei dem Plaiſir, wie er für ſich hin - murmelte, nicht in der gehörigen Manier. Schon daß ſeine Vorausſagung eintraf und daß ihn bei81 der Rückkehr in den Oberhof ein Jeder befragte, warum Hölſcher nicht komme? war ihm ſehr ver - drießlich geweſen. Dann verdroß es ihn, daß die dritte Brautjungfer Lisbeth zurückgeblieben war und nicht, wie ſich gebührte, bei ſeiner Tochter ſaß. Der Hauptmann, der heute ſeinen preußiſchen Tag hatte und das eiſerne Kreuz trug, ſteigerte den Aerger. Nach uralter Sitte war nämlich für die vornehmen und ſtädtiſchen Gäſte im Flure gedeckt worden, und für die geringeren Leute im Baum - garten. Denn der Bauer, welcher nicht zum Ver - gnügen, ſondern in Laſt und Plage viel draußen ſeyn muß, hält das Obdach des Hauſes für den beſten Segen und glaubt den zu ehren, dem er dieſes anbietet. Der Hauptmann aber, der raſch einſah, daß der Aufenthalt in der heißen und dum - pfen Enge unangenehm ſeyn werde, ordnete an und commandirte, daß er mit der Braut, dem Paſtor, dem Brautvater und dem Sammler im Baumgarten ſpeiſen wolle, ließ auch ſofort die Gabeln, welche die vornehmen Gäſte ausnahmsweiſe bekamen, nach der Tafel im Freien tragen. Es war dies ſchon geſchehen, als der Hofſchulze hinzukam und mit großem Unmuthe die abermalige Abweichung vomImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 682Hergebrachten gewahrte. Er ſtieß einen tiefen Seufzer aus, welches bei ihm ein Zeichen verhal - tenen Zornes war, bezwang ſich indeſſen und äußerte gegen den Hauptmann, der ihn militairiſch kurz fragte, ob er des Henkers geweſen ſei, daß er ſeine Freunde aus der Stadt habe am Heerde röſten wollen? mit gehaltener Höflichkeit: Wie die Herrſchaften es ſich am liebſten einrichteten, ſo ſei es ihm auch recht und angenehm.
Aber dem Diaconus, der ihn darauf bei Seite nahm, um eine Angelegenheit von Wichtigkeit mit ihm zu ordnen, hielt er deſto hartnäckiger Stich. Der Diaconus wollte nämlich ſeinen unglücklichen Küſter von dem Aufwartedienſte frei haben, weil er wirklich befürchtete, daß das Ehr - und Rechts - gefühl dieſes Mannes es auf den äußerſten Wider - ſtand ankommen laſſen und vielleicht die völlige Störung des ganzen Hochzeitfeſtes herbeiführen werde. Bei dieſem Puncte fühlte ſich jedoch der Hofſchulze zu feſt in ſeinen begründeten Anſprü - chen und verblieb unweigerlich dabei, daß der Küſter die Gäſte bedienen müſſe, da der alte Schulmeiſter geſtorben und ein neuer noch nicht angekommen ſei. Aus ſeinen Reden ging hervor, daß er einen Küſter83 nur für die Spielart eines Schulmeiſters hielt, wie denn in der That auch an vielen Orten beide Poſten in einer Perſon vereinigt zu ſeyn pflegen. Der Geiſtliche ſuchte mit aller Gelaſſenheit ihn durch verſchiedene Gründe auf andere Gedanken zu bringen, und ſchlug endlich vor, den Spaßmacher Steinhauſen zum zweiten Aufwärter zu ernennen. Dieſer Vorſchlag verletzte aber recht eigentlich den Hofſchulzen, er erklärte dem Diaconus, daß er nur deshalb, weil der Herr noch nicht lange in der Gegend ſei und darum die Manieren nicht inne haben könne, ihm die Rede hingehen laſſe. Denn erſt - lich ſei nicht die mindeſte Aehnlichkeit zwiſchen einem Schulmeiſter und dem Spaßmacher, und zweitens werde es ja für ſeinen Eidam im höchſten Grade deſpectirlich ſeyn, einen ſolchen Compagnon zu haben.
Die Debatte dauerte zwiſchen beiden Männern unentſchieden fort. Sie wurde mit Anſtand und Ruhe geführt, aber ein Ende und Ziel ließ ſich nicht vorausſehen. Dieß war um ſo beklagens - werther, als bereits die meiſten Suppenkübel und Schüſſeln auf den Tafeln dampften, und Alles nach der Mahlzeit verlangte, die doch ohne die gehörige Aufwartung nicht zu Stande kommen konnte.
6*84Der Küſter hatte ſich, da er ſeine Sache in guten Händen ſah, aus Politik, um nicht perſön - lich überrumpelt zu werden, auf einige Zeit vom Oberhofe entfernt. Er ging zwiſchen den Wall - hecken ſpazieren, und mit ihm ging einer der frem - den Hochzeitgäſte, ein alter Schirrmeiſter, der im nächſten Poſtorte gerade ſeine zehn Ruheſtunden genoß, und die Gelegenheit nicht hatte vorbeigehen laſſen wollen, vom Hochzeitbraten zu koſten — ein weitläuftiger Anverwandter des Hofſchulzen. Er gehörte zu den ausgedienten Kriegsknechten, die nach vielen Mühen und Strapazen einen ſogenann - ten Ruhepoſten bekommen. Der Ruhepoſten unſe - res Schirrmeiſters geſtattete ihm viermal im Monat ſein Bette aufzuſuchen, ſonſt lag er bei Nacht und bei Tage auf der Landſtraße. Er hatte ſo viel Kupfer auf der Naſe, als ein rechtſchaffener Schirrmeiſter haben muß, war ein Fünfziger, d. h. hoch in den Fünfzigen, rüſtig und wacker, und litt nur von ſeinen Feldzügen her an der Gicht, die ihn zuweilen ganz contract machte.
Der Küſter und der Schirrmeiſter unterhielten ſich in dieſer Zwiſchenzeit vor Tiſche vom menſch - lichen Leben und vom höchſten Gute. — Wenn man85 ſo wie ich auf vielen Hochzeiten geweſen iſt, ſagte der Küſter, wenn man ſieht, wie die jungen Leute einander heirathen, nach neun Monaten ein Kind kriegen, und dann immer ſo fort, jedes Jahr ein friſches Kind — nun ſtirbt dieſes und jenes Kind, und die, welche leben bleiben, heirathen nach meh - reren Jahren auch, und zuletzt ſtirbt Alles mit einander, und man hat das, wenn man ſeine ſechzig Jahre auf den Schultern trägt, wie geſagt, eini - gemale mit durchmachen müſſen, ſo kommt Einem das menſchliche Leben ganz einerlei vor und wie eine Kugel, die ſich immer umdreht.
Das menſchliche Leben kommt mir mehr gleich - ſam als wie eine Reiſe vor, ſagte der Schirr - meiſter.
Der Küſter ſah ſeinen Gefährten lange erſtaunt an und ſprach darauf: Dieſer Gedanke iſt ganz neu, denn ich fand ihn noch nirgends in den vie - len Büchern, die ich doch geleſen habe.
Der Schirrmeiſter fühlte ſich geſchmeichelt und verſetzte: Unterweges fällt Unſer Einem allerhand ein. Es ſoll mir ganz recht ſeyn, wenn dieſer Gedanke noch nirgendwo geſchrieben ſteht, denn Bücher zu leſen habe ich freilich keine Zeit.
86Der Küſter fuhr in ſeinen Betrachtungen fol - gendermaßen fort: In dieſer vernünftigen Faſſung über das menſchliche Leben ſänftigen ſich auch die menſchlichen Wünſche. Ich war zu meiner Zeit in der Jugend ſehr oben aus und wollte platter - dings Theologie ſtudiren. Frühprediger mußte ich wenigſtens werden; das ſtand feſt. Es war aber dazumal mit dem Unterrichte eine verkehrte Sache, und die Lehrer hatten nicht die Manier, daß man etwas begreifen konnte. Ich begriff nichts und wurde ſo nach und nach Küſter, wozu man freilich auch nicht ohne Gaben ſeyn darf. Gegenwärtig habe ich eigentlich nur noch drei Wünſche auf dieſer Welt.
Und die ſind? fragte der Schirrmeiſter.
Erſtlich wünſchte ich, daß Jemand einmal ein ordentliches und ausführliches Buch von Küſter - ſachen ſchriebe und darin auseinanderſetzte, worin das Amt und die Würde eines Küſters beſteht, was man ihm mit Fug zumuthen darf und was nicht. Denn Alles will uns jetzt zu Leibe, und es giebt keinen angefochteneren Stand, weshalb es denn ein wahres Bedürfniß der Zeit wäre, daß in den Vorſtellungen über Küſter und Küſte -87 reien einmal wieder beſſere Ordnung geſtiftet würde.
Was ich mir wünſche, iſt geringer, ſagte der kupfernaſige Schirrmeiſter. Ich bin mit meinem Poſten ganz zufrieden, man lernt auf jeder Sta - tion andere Menſchen kennen, es giebt immer etwas Neues, und die fremden Gegenden auf dem Curs verſchaffen Einem auch beſtändig Abwechſelung. Hat man einmal Langeweile, nun, ſo lieſt man zur Unterhaltung ſeinen Perſonenzettel, kurz, ich möchte dieſen Beruf mit keinem anderen vertauſchen und wäre ganz glücklich, wenn ich nur ein einzigesmal tüchtig ſchwitzen könnte.
Thut Ihnen das ſo Noth und kommen Sie nie dazu? fragte der Küſter.
Noth ſehr, denn das Reißen in den Gliedern von meinen Strapazen her nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das iſt auch ganz regulair, denn der - gleichen Uebel mehren ſich immer, wenn man bei jedem Wind und Wetter hinaus muß. Könnte ich aber einmal ſo recht von Grund der Seele ſchwitzen, ich hätte wohl auf einige Zeit Ruhe. Dazu gelange ich indeſſen nie, weil ich nur vier - mal im Monate zu Hauſe ſchlafe.
88Dann könnten Sie ja doch ſchwitzen, ſagte der Küſter.
Keine Möglichkeit. Habe es verſucht, aber die Gedanken laſſen den Schweiß nicht vorbrechen, ver - ſetzte der Schirrmeiſter. Nämlich, wenn ich eben ein Paar Stunden im Bette gelegen habe und der Fliederthee nun ſeine Wirkung thun will, ſo fange ich an zu denken: Jetzt füttern die Pferde, die du vorgelegt kriegſt, jetzt wird ſchon der Wagen geſchmiert, nun ſtehen der Herr Secretair auf, nun ſehe ich Sie in Ihrem Warſchauer Schlafpelz ſitzen und die Charten und Papiere fertig machen, alleweile iſt der Briefzettel geſchrieben, und alle - weile die Perſonenkarte — da ſchlägt es ſechs, und ich muß aufſtehen, trocken, wie ich mich hin - legte, denn wenn man ſeine völlige Ruhe nicht hat und an andere Dinge denken muß, ſo löſt ſich die Natur nicht, und wenn man den Fliederthee Eimer - weis tränke. Dieſes fehlt alſo an meiner völligen Zufriedenheit, und ſo iſt das menſchliche Glück nie vollkommen.
Ja, ſagte der Küſter, es mangelt immerdar etwas, welches auch heilſam ſeyn mag, denn ſonſt verlangten wir nicht nach dem Himmel. — Mein89 zweiter Wunſch wäre, daß doch endlich ein Einſe - hen gethan würde und alle Hunde abkämen, oder wenigſtens mit Knüppeln vor den Beinen umher - laufen müßten, wegen der möglichen Tollheit. Hier an dieſer Stelle, Schirrmeiſter, war es, wo ich durch eine ſolche Canaille, die von jener Wallhecke herabſprang, am letzten Zinstage einen Todesſchreck hatte. Man ſollte überhaupt ſeinen Nebenmenſchen vor Alterationen mehr behüten und bewahren. Tolle Menſchen läßt man auch viel zu frei umher - gehen. So habe ich zu meinem Erſtaunen gehört, daß der übergeſchnappte Schulmeiſter von Hackel - pfiffelsberg, welcher eine Zeitlang bei dem alten Herrn Baron eingeſperrt war, ſeit geſtern frank in der Gegend geſehen worden iſt. Wenn Einem nun unverſehens dieſer Wüthige begegnete —
Aber der Küſter konnte ſeinen Satz nicht enden, denn es ereignete ſich etwas, was ſelten vorzukom - men pflegt, nämlich: Der Wolf in der Fabel er - ſchien. Um die Ecke herum trat nämlich plötzlich mit einer Flinte bewaffnet der Schulmeiſter Ageſilaus oder vielmehr Ageſel in der veilchenblauen Pekeſche mit Sammetvorſtößen. Er ging munteren und beherzten Schrittes auf die beiden Männer zu,90 denn er war auf dem Wege nach dem Oberhofe. Aber ihn ſehen, einen Laut des Schreckens ausſto - ßen, ſich blitzſchnell umkehren und mit gewaltiger Schnelligkeit entfliehen, war bei dem Küſter Eins.
Er lief, die Hände vorgeſtreckt, ſpornſtreichs nach dem Hochzeithauſe und ſtürzte mit dem Ge - ſchrei: Rettet Euch! unter die Gäſte, die alſobald aufgeſtört, theils den Schulmeiſter in bewegten Gruppen umwogten, theils zum Flüchten Anſtalt machten. Der Hofſchulze, welcher von der allge - meinen Unruhe nicht angeſteckt wurde, trat fragend zum Küſter und erhielt von ihm den Beſcheid, daß einer oder mehrere Tolle, ja vermuthlich das ganze Irrenhaus in der Nähe ausgebrochen ſei, und die verrückte Geſellſchaft, furchtbar mit Flinten und Keulen bewaffnet, ſich nahe.
Die Weiber erhoben ein Geſchrei, der Hof - ſchulze, welcher von ſich auf Andere ſchloß und nicht annehmen konnte, daß die Furcht in dem Maaße übertreibe, wie hier der Fall war, machte zum Erſtenmale in ſeinem Leben ein verlegenes Geſicht, und Alles war in Beſtürzung — als der Schirrmeiſter mit dem vermeintlichen Tollen in den Hof trat.
91Ageſel! riefen Alle, die ihn kannten, und deren waren nicht wenige. Iſt dieſes das ganze ent - ſprungene Irrenhaus? fragte der Hauptmann. Ihr ſeid und bleibt ein Poltron, Küſter! — Man kann noch nicht wiſſen — ſtammelte der zitternde Küſter, der ſeinen Verſteck hinter der Excellenz vom Hofe, die indeſſen auch unter den Gäſten ein - getroffen war, genommen hatte, vermuthlich weil er im Schutz des Vornehmſten am ſicherſten zu ſeyn glaubte. Die Excellenz ſah verwundert umher und wußte abermals nicht, woran ſie war.
Ageſel warf einen wehmüthigen Blick auf die Verſammlung, einen ſchmerzlichen gen Himmel und ſagte dann ſeufzend: Ich ahne recht wohl, was dieſer Vorgang zu bedeuten hat. Ja, wer einmal einem gewiſſen Unglücke unterworfen geweſen iſt, vor deſſen Schritten fleucht immerdar die Furcht her und ruft: Geht aus dem Wege! — Meine Herren aus der Stadt! Ich kann Sie verſichern, daß ich gewöhnlicher Menſch in der vollſten Bedeu - tung des Wortes bin. Euch Bauern, die Ihr dieß vielleicht nicht verſtehen würdet, ſage ich, daß es bei mir keinesweges rappelt, ſondern daß ich auf den Oberhof komme, um mich nach der Pflege -92 tochter vom Schloſſe zu erkundigen. Wer mir das glauben will, der thut wohl daran, und wer es nicht glauben will, der kann es bleiben laſſen. Die Flinte, welche den Küſter vielleicht erſchreckt hat, habe ich droben am Freiſtuhl, bei dem ich vorbeikam, im Walde gefunden. Schaft und Rohr lagen geſondert und zum Theil beſchä - digt an verſchiedenen Stellen, mich jammerte das gute Eiſen und Holz, ich band es nothdürftig mit Baſt und Bindfaden zuſammen, und ſtellte ſo den Anſchein einer Flinte dar, welcher aber, wie der Augenſchein lehrt, durchaus unſchädlich iſt.
Er zeigte das zuſammengeflickte Schießgewehr vor, welches, wie man leicht erräth, das des Jägers war. Wer es zu ſehen bekam, überzeugte ſich mit einem Blicke, daß es keine Gefahr bringen könne. Die geſetzten Reden des Schulmeiſters brachten ein allgemeines Zutrauen in ſeinen hergeſtellten Verſtand zu Wege. Dem Diaconus kam plötzlich ein Gedanke, durch den ſo unvermuthet in die Hochzeit eintretenden Ageſel den ganzen Streit über das Aufwarten beizulegen. Er ſagte dem Hofſchulzen ſeine Meinung, dieſer billigte ſie, und Beide richteten an den Schulmeiſter das Erſuchen,93 als zweiter Aufwärter bei der Mahlzeit zu dienen. Nichts konnte dem Manne erwünſchter ſeyn. Er verſetzte, daß ſein ganzes Beſtreben jetzt dahin gehe, nützlich zu wirken, daß er daher mit Freu - den die Gelegenheit, die ihm heute dazu durch das Bedienen der Gäſte gewährt werde, ergreife, und in dieſem anſcheinend zufälligen Ereigniſſe eine wahre Fügung des Himmels erkenne, indem er nicht verſchweigen könne, daß der Herr Schulrath Thomaſius ihm gewiſſe Ausſicht auf die Schul - meiſterſtelle der Bauerſchaft gegeben habe, daher das vorläufige Aufwarten gleichſam ſchon der An - fang des ihm zugeſagten Dienſtes darſtelle. Nach dieſer Rede band er ſich hurtig eine weiße Schürze vor, holte mit Geſchicklichkeit einen gekochten Schinken vom Feuer und ſetzte ihn anſtandsvoll auf die Tafel im Baumgarten.
Sonach waren alle Hinderniſſe beſeitiget, und die ganze Hochzeitgeſellſchaft nahm auf eine ge - reimte Einladung des Burſchen, der Hölſcher zu bitten vergeſſen hatte, Platz. Die Braut, die Brautjungfern, der Diaconus, der Brautvater, die ſtädtiſchen Freunde, die Excellenz, der Schirrmei - ſter und die größten Hofesbeſitzer mit ihren Frauen94 ſtellten ſich um die Tafel unter den Bäumen im Garten, die geringeren Leute und die jungen Bur - ſche und Mädchen unter Anführung des Küſters um die im Flur. Der Diaconus ſprach an ſeinem[Tiſche] ein Gebet, der Küſter eins an dem ſeinigen. Hierauf wurde an beiden Tiſchen ein geiſtliches Lied angeſtimmt.
Für Lisbeth war zwiſchen den Brautjungfern ein Platz offen gelaſſen worden. Der Hofſchulze ſah ſich unruhig nach ihr um. Sie kam nicht. Dagegen kam während des Geſanges der Jäger, überblickte die Tafel, fand für ſich keinen Platz offen, weil die zwei unerwarteten Gäſte, die Excel - lenz und der Schirrmeiſter, ſchon allen Raum hin - weggenommen hatten, Lisbeths Platz aber unbe - ſetzt. Freudeglänzend wurde ſein Antlitz, er ſchlich ſich ſacht ſeitwärts nach dem Hauſe, um ſein Mädchen aufzuſuchen. Sie trat ihm bei den Lin - den entgegen, umgekleidet, in ihrem gewöhnlichen Anzuge, den Strohhut auf dem Haupte. — Nun iſt mir wohl, nun bin ich wieder, wie ich ſeyn muß! rief ſie freundlich. — Ich weiß, ſagte er, du magſt dich nicht verſtellen, du wollteſt neulich nicht ein - mal leiden, daß ich dir an deinem Haare zeigen95 durfte, was für Zöpfe die ſchwäbiſchen Mädchen tragen.
Nein, ſagte ſie, niemals was vorſtellen, was man nicht iſt.
Sie wollte nach dem Tiſche im Baumgarten gehen, der Jäger hielt ſie aber zurück und rief: Wie? In dem leichten ſtädtiſchen Kleidchen willſt du dich als Brautjungfer an den Tiſch ſetzen! Da erwarte nur, daß dich der Hofſchulze, der ſtreng auf Ordnung und Coſtüm hält, fortweiſet! — Ja, was ſoll ich beginnen? fragte ſie verlegen; das häßliche ſteife Zeug lege ich nimmermehr wieder an.
O meine Geliebte, ſagte der Jäger zärtlich, wollen wir denn unſer Glück unter die Bauern tragen? Daſitzen und rohe Späße anhören und langweilige Bräuche mit anſchauen? Iſt’s denn nicht der Tag unſerer Tage? Gehört er nicht ganz uns unter Gottes liebem Himmel und auf Gottes grüner Erde? Müſſen wir Zwei nicht allein bei einander bleiben, fern, fern von den anderen Menſchen? Ich wollte dich bitten, mit mir zu gehen, den Hügeln zu, den Platz ſuchen, wo ich dich zum erſtenmale fand bei der ſchonen Blume!
96Wie darf ich das? Was würden ſie von mir im Oberhofe ſagen, verſetzte ſie ſcheu. Sie ent - fernte ſich von ihm.
Wohl! Wohl! rief er halbzornig. So ſetze dich denn nieder bei deinen Cameradinnen; für mich iſt aber nicht gedeckt, ich gehe zu Wald! — Er ging trotzig einer Seitenpforte zu, die in das Freie führte. Ein ſtechender Schmerz ſaß ihm im Herzen. Um nichts, wenn Ihr wollt. Das iſt die Liebe. — Aber er hatte noch nicht die Pforte erreicht, als er ſeine Schulter leiſe angerührt fühlte. Er wandte ſich um; Lisbeth war ihm nachgefolgt. — Wenn ſie dir nichts zu eſſen geben wollen, da mag ich auch nichts und wo du bleibſt, bleibe ich auch; ſagte ſie herzlich und zog ihn, bevor er etwas erwiedern konnte, nun ſelbſt durch die Pforte in das Freie. Er umfaßte ſie und Beide ſprangen durch Wieſe und Feld.
Die Braut ſaß quer vor dem Tiſche und rührte keinen Biſſen an. Der Brautvater, welcher dem Auf - tritte zwiſchen dem Jäger und Lisbeth aus der Entfernung zugeſchaut hatte und in Folge deſſel - ben den Platz der dritten Jungfer leer bleiben ſehen mußte, flüſterte gekränkt und ingrimmig: Dieſer Untugend werde ich noch vor Abend mit der Manier ein Ende machen. — Auch er aß wenig. Deſto angelegener ließen die Bauern ſich dieſes ſeyn, hatten ihre Meſſern, ein Jeder das ſeinige aus der Taſche hervorgezogen, womit ſie ohne Gabeln fertig zu werden wußten, und ſpra - chen den Hühnern tapfer zu, ohne darüber ihreImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 798muthigen Vorſätze auf Schinken, Moſtertſtücke und Braten daran zu geben. Eine unendliche Laſt von Eßbarem dampfte auf den Tafeln, faſt ſchien es, ſelbſt dieſen Appetiten gegenüber, unmöglich, Alles zu bewältigen, wenn nicht dennoch die Schnelligkeit, womit die erſten Gänge vom Angeſichte der Welt verſchwanden, dazu die Ausſicht gegeben hätte. Alles ſchrotete, käute, ſchluckte, und es iſt nicht erlogen, — denn ich bin ja nicht Münchhauſen, oder wenigſtens nur zur Hälfte Er — wenn ich ſage, daß mancher Bauer binnen wenigen Minuten ein ganzes Huhn überwunden hatte, und daß ein Schinken für ſechs Mann nur ſo eben zureichte. Auch die Städter ließen ſich die reinliche, derbe Koſt trefflich munden, der Schirrmeiſter aber aß für zwei Bauern und trank für drei. Was das Getränk betrifft, ſo muß ich leider, wie undichte - riſch dieß klingen mag, von Bier berichten. Jeder hatte ſeinen irdenen Deckelkrug gefüllt vor ſich ſtehen, und wenn derſelbe geleert war, ſo klappte der Inhaber auf eine eigene landesübliche Weiſe mit dem zinnernen Deckel, worauf friſche Füllung erfolgte. Selbige beſorgte der erſte Aufwärter, der Bräutigam, aus einer mächtigen Schleifkanne99 eingießend, mit welcher er, eine weiße Serviette vorgeſteckt, die Tafeln umkreiſte. Dieſer König des Feſtes hatte von ſeinem Ehrentage nichts als Prügel vorhin und Mühe anjetzt, denn die Deckel klappten unaufhörlich, bald hier, bald da. — Nur der Diaconus und die ſtädtiſchen Gäſte erhielten Wein vorgeſetzt. Der Schulmeiſter lag der Auf - wartung in Betreff des Feſten ob, flink und ge - wandt, recht heiter in dieſem Geſchäfte.
Es gab unter den Gäſten nur Zwei, welche die allgemeine Befriedigung nicht ganz theilten, der Eine aus Verlegenheit, der Andere aus Furcht. In Furcht befand ſich nämlich der Küſter und in Verlegenheit der vornehme Herr vom Hofe. Dem Küſter hätte der größte Irrenarzt von Europa ein ſchriftliches Zeugniß einhändigen können, daß der Schulmeiſter bei Sinnen ſei, es würde ihm doch nicht wohl geworden ſeyn in der Nähe dieſes Men - ſchen, der mit ſo gefährlichen Werkzeugen, wie Schüſſeln, Tellern, Meſſern, unbewacht um ihn her handthierte. Er dachte im Stillen an alle die Fälle, worin ein Verrückter, lange Zeit ſcheinbar hergeſtellt, plötzlich wieder wüthend geworden iſt, und nun mit dem, was er gerade in der Hand7*100hat, dem Nächſten, Beſten die Hirnſchaale zer - ſchmettert. Dieſem Schickſale wenigſtens einiger - maßen vorzubeugen, ſetzte er unter dem Vorwande, daß es in dem von Hitze glühenden Flure kühl ziehe, ſeinen Hut auf, obgleich dieß allgemein auf - fiel. Wirklich war der arme Küſter in einer trau - rigen Lage. Seine Eßluſt überſtieg wo möglich noch die des Schirrmeiſters, der heutige Tag war ein ſolcher, an dem er hatte zeigen wollen, was Kinnbacken zu leiſten vermögen, und nun ging ihm dieſer ſchöne Traum ſo häßlich aus. Denn nichts hindert den Menſchen mehr am Schlucken als Furcht und Angſt. Der Küſter fühlte ſich un - glaublich gehemmt. Hatte er eben auch in einem ſelbſtvergeſſenen Augenblicke einen ſtarken Biſſen zum Munde geführt, etwa eine Hühnerkeule oder einen Streifen Rindfleiſch von der Mächtigkeit einer halben Hand, ſiehe! ſo flog hinter ihm der auf - wartende Schulmeiſter, vielleicht eine Kelle in der Fauſt, vorbei, und Hühnerkeule oder Rindfleiſch - ſtreifen ſaßen ihm auf der Stelle feſt, verzaubert, wie Schiffe auf dem Lebermeere, zwiſchen den Zähnen. — Umſonſt ſuchte er durch häufiges Trin - ken die hinabführenden Wege geſchmeidiger zu ma -101 chen; der Schreck erhielt ſeine Kehle in Trockniß trotz alles Gießens. So, zwiſchen Entſetzen und Appetit, glich er, wenn dieſes Gleichniß nicht zu niedrig klingt, dem Hunde, der vor einer erwiſch - ten Bratwurſt ſitzt, vor Wolluſt zittert, ſie zu ver - ſchlingen, und dabei ſcheu nach dem Herrn ſieht, der aus der Entfernung bereits mit der Peitſche herbeieilt.
Der vornehme Herr vom Hofe machte unter - deſſen vergebliche Verſuche, ſich herabzulaſſen, und gerieth darüber in Verlegenheit. Er ſaß zwiſchen dem Hofſchulzen und dem Diaconus, und hatte gegenüber zwei Bauerfrauen, die bei ihren Män - nern ſaßen. Als das gewaltige Eſſen begann, fühlte er wohl, daß er in dieſe Thätigkeit nicht einzugreifen vermöge, auch erregten ihm die Spei - ſen keinen Hunger und er begnügte ſich, nur zum Schein etwas auf den Teller zu nehmen. Dort aber blieb es unberührt liegen, ungeachtet der Hof - ſchulze, der ſeine Koſt nicht gern verſchmäht ſah, ihn mit einiger Empfindlichkeit nöthigte, auch zu eſſen. Das konnte er nicht, jedoch beſtrebte er ſich, leutſelig zu ſeyn, denn zu dieſem Ende und um das Volk, ſo viel an ihm war, durch hinrei -102 ßende Manieren für den Thron gewinnen zu helfen, war er ja nur wieder unter die Bauern gekommen.
Um in dieſe Manieren einen gewiſſen Fort - ſchritt vom Geringeren zum Größeren zu bringen, ſah er die gegenüber ſitzenden Bauern mit einer ſußen Freundlichkeit an und winkte dazu gnädig mit dem Haupte, als wollte er ſagen: Nun, ſchmeckt’s, Ihr ehrlichen Landleute? — Darüber lach - ten aber die Bauern, und Einer ſtieß ſeinen Nach - bar an mit den Worten: Iſt der Kerl verrückt? — Der vornehme Herr vom Hofe glaubte, als er des Lachens inne ward, ſeine Huld nicht deutlich genug von ſich gegeben zu haben, er beſchloß daher, zu - vörderſt das andere Geſchlecht zu gewinnen, ließ ſich zwei Teller geben, ſtellte ſie vor ſich hin, ſchnitt zwei gute Stücke von dem vor ihm ſtehen - den Truthahne ab, legte ſie auf die Teller und reichte dieſe Leckerbißlein den beiden Bauerweibern, die noch ziemlich rund und hübſch waren. Die Weiber, zugleich mit einer artigen Redensart, welche ihnen unverſtäudlich blieb, angeſprochen, guckten verlegen, roth und ſtumm auf die Teller, ohne die Gaben der Courtoiſie anzurühren. Ihre Männer aber ſahen mit ſonderbaren Blicken nach103 dem Geber hinüber; der Eine nahm ſeiner Frau den Teller mit den Worten: Du brauchſt nicht von anderer Leute Tellern zu eſſen, du haſt deinen eigenen; weg und reichte ihn dem ſo eben geſchäf - tig vorbeifliegenden Schulmeiſter. Der Andere warf ihn ſogar ärgerlich mit der Befrachtung unter den Tiſch, indem er halblaut rief: Was zu grob iſt, iſt zu grob! — Der vornehme Herr vom Hofe begriff durchaus dieſe Einhergänge nicht, er ſuchte ſich rechts und links, gerade und ſchräge hinüber ſo liebenswürdig als möglich zu machen, aber Alles war vergebens, weil er immer mit holder Unge - zwungenheit, die zwiſchen die feſtgeſtellte Ordnung der Tafel trat, darthun wollte, daß es ihn gar nicht beenge, unter ſo geringen Leuten zu ſitzen. Aber das erſchien den bäuerlichen Tiſchgenoſſen eben wie die größte[Unart], und bis zum Schweinsbra - ten hatte ſich flüſternd ſo ziemlich die Meinung feſtgeſtellt, daß man vornehme Leute für höflicher gehalten habe. Der umſonſt ſich Herablaſſende, welcher äußerlich die Faſſung des Hofes behielt, obgleich ihm innerlich immer übler zu Muthe ward, ſagte[e]ndlich zum Hofſchulzen: Ihr habt hier recht eigenthumliche Sitten, Alterchen.
104Auf dieſe huldreiche Anrede maaß der Hof - ſchulze ſeinen vornehmen Gaſt mit den Augen und verſetzte dann ſtolz und bedächtig: Ich weiß nicht, Herr, ob die Sitten hier anders ſind, als anderer Orten, denn ich bin nie über Börde und Haar - ſtrang hinausgekommen, habe auch niemalen Luſt dazu gehabt. Richtig iſt es, daß hier Alles mit der Manier zugeht, Alles und Jedes ſeine Ord - nung, Zeit und den gewieſenen Platz hat, Jeder - mann die ihm gebührende Reverenz genießt, ſo daß ich den Halbhüfner, den Kötter und wer es ſonſt ſeyn mag, Jeden bei ſeiner Gebühr nennen muß, freilich aber auch prätendire, daß mich Niemand anders als Hofſchulze nennt, das heißt, verſteht ſich, von meines Gleichen, denn, Herr, hinter den Bergen mögen wohl andere Sitten und Gebräuche herrſchen.
Es war gut, daß in dieſem Augenblicke das letzte Gericht der Mahlzeit, der Rollkuchen verzehrt war, und von weiterer Herablaſſung Seitens des vornehmen Herren nicht mehr die Rede ſeyn konnte, denn man kann nicht wiſſen, bis zu welchen unan - genehmen Auftritten dieſelbe noch geführt haben würde. Der Diaconus ſprach das Gratias, aber -105 mals ertönte ein geiſtliches Lied, und darauf ging Alles von den Tiſchen, die gleich einem Schlacht - felde nur noch Knochen, Gerippe und Schwarten zeigten. Die Weiber tranken Caffee, die Männer ſetzten ihr Biertrinken fort, die Muſicanten ſtimm - ten allgemach ihre Inſtrumente. Steinhauſen, der Spaßmacher, begann ſein Amt, indem er von einer Gruppe zur Andern ging, hier das Räthſel auf - gab: Wann der Haſe über die meiſten Löcher laufe? dort einen Rothkopf warnte, er ſolle nicht ſo nahe an die Scheune gehen, um nicht Feuer anzulegen, einem dritten Haufen die Geſchichte vom Prinzen Pralle erzählte, der gefallen ſei vom Stalle, hätte weinen wollen, aber keine Augen ge - habt, und was dergleichen mehr war an Räthſeln, Schwänklein und Pößlein, die er auf jeder Hoch - zeit anbrachte und die nie ihre Wirkung verfehl - ten. Die Bauern lachten, daß die Hofesmauern hätten Riſſe bekommen mögen; wen er recht ent - zückte, der gab ihm einen Puff, nicht eben allzu ſanft, worauf Steinhauſen einen Klaps zurückgab, oder mit den Füßen ausſchlug, wie ein Pferd, ohne daß dieſe Thätlichkeiten irgend eine Störung des guten Vernehmens und des allervollkommenſten106 Verſtändniſſes hervorbrachten, welches zwiſchen dem Spaßmacher und ſeinen Zuhörern herrſchte.
Während man ſo dort einander durchaus be - griff, dauerten in einer andern Ecke des Hofes die Mißverſtändniſſe fort. Der vornehme Herr hatte ſich nämlich mit dem alten Hauptmann in ein Geſpräch eingelaſſen, welches eine patriotiſche Färbung erhielt. Der Alte war ſehr geſprächig über die Affairen, denen er auf der vaterländiſchen Seite beigewohnt, und erging ſich mit Behagen in dieſen Kriegesgeſchichten. Jener Cavalier war vor Zeiten dem Hauptquartiere attachirt geweſen, und konnte alſo ſo ziemlich folgen. Im Verlaufe dieſer Unterredungen rief er plötzlich mit einem feucht verklärten Blicke: Dieſe große Zeit, die der Herr ſegnete! Was für herrliche Früchte hat ſie aber auch gebracht! — Er faltete die Hände dabei.
Das Geſicht des alten Hauptmanns wurde ſo trocken, wie ein Sandfeld, welches ſeit ſechs Wo - chen keinen Regen geſehen, und er verſetzte: Früchte? Ei!
Ein Vaterland! rief der Hofmann mit Pathos.
Der alte Hauptmann hatte etwas zu viel Wein getrunken. Er ſchüttelte ſich, als ob er,107 mit Erlaubniß zu reden, an Ungeziefer litte und polterte dann rückſichtslos: Vaterland! — Schwere Angſt! Und Alles vergeſſen oben, was geſchehen, mit Schlauchſpritzen die Feuer ausgeſpritzt, und wenn wir künftiges Jahr das Jubiläum feiern, vermuthlich damit wegkriechen müſſen bei Seite, nur damit ſo geduldet werden, keine Anerkennung, keine Unterſtützung von — — Donnerwetter! Verzeihen Excellenz, daß ich Sie ſtehen laſſe, aber ich kann die Pfeife nicht entbehren und will ſie mir dort bei den Bauern anſtecken.
Er ging und ließ den Cavalier ſtehen, deſſen Beziehungen im Oberhofe anfingen mythiſch zu werden. Im Grunde war es ihm lieb, daß der alte Offizier ſich ſo brüsk von ihm entfernte, denn er erwog, daß der angeregte Gegenſtand zu zarter Natur ſei, um ihm, in ſeiner Stellung ſo nahe dem Throne, ein ferneres Geſpräch zu verſtatten.
Ein Unwille hatte ſich ſeiner Seele bemei - ſtert, er nahm ſich vor, geeigneten Ortes ein Wort über den in dieſen Gegenden herrſchenden ſchlech - ten Geiſt fallen zu laſſen, vor der Hand aber ſeine Rolle rein auszuſpielen. — Wenn dieſe Beſtien die feineren Andeutungen von Güte und Huld108 nicht verſtehen, ſo will ich mich gleichſam encanail - liren, ſagte er für ſich. Er trat zu einer Gruppe von Bauern, welche Steinhauſen eben verlaſſen hatte, faßte Zwei bei der Hand (denn er konnte ſich dazu verſtehen, weil er Handſchuhe trug) und rief im biederſten Hoftone, deſſen er mächtig wer - den konnte: Wie freut man ſich, wenn man immer in Zwangsverhältniſſen leben muß, darf man ein - mal unter Euch gemüthliche, von jeder Feſſel der Convenienz entbundene Naturmenſchen treten!
Dieſes Lob klang den Bauern wie Chaldäiſch, und ſie begannen ſich nun vor ihrem Gönner zu fürchten, denn ſie meinten, er habe ihnen eine neue Steuer ankündigen wollen. Sie wichen daher, wie in der Kirche, ſcheu vor ihm zurück, und die bei - den an der Hand Ergriffenen ſteckten die Hände in die Rocktaſchen. — Der Diaconus, welcher die ganze Zeit über den Mühwaltungen ſeiner vorneh - men Bekanntſchaft mit Behagen gefolgt war, trat zu dem unglücklichen Herablaſſenden und ſagte: Excellenz, die Leute ſind zu dumm, um Sie zu faſſen. Uebrigens bin ich der unterthänigen Mei - nung, daß Sie, wofern Sie länger unter ihnen verweil - ten, bald von Ihrem Glauben zurückkommen würden.
109Wie ſo?
Gemüthlich ſind die Bauern gar nicht. Excel - lenz, die Leute haben keine Zeit zum Gemüth. Gemüth kann man nur haben, wenn man wenig zu thun hat, der Bauer aber muß ſich zu viel placken und ſchinden, um ſich auf das Gemüth legen zu können. Er iſt durch und durch gerader Verſtand, Ernſt, Eigenſinn und erlaubter Eigen - nutz. Weil dieſe Miſchung nun aber wie für die Ewigkeit bei ihm zu ſeyn ſcheint, ſo hat ſie etwas Ehrwürdiges, etwas ſo Ehrwürdiges, wie der Gra - nit, der auch, hart und ſchwer, die Erde hält. Der Bauernſtand iſt der Granit der bürgerlichen Ge - meinſchaft.
Sie müſſen ſie beſſer kennen. — Wenigſtens aber hatte ich darin Recht, daß ich ſie von den Feſſeln der Convenienz gelöſte Naturmenſchen nannte.
Im Gegentheil — Excellenz verzeihen — der Bauer iſt zwar viel im Freien, aber nichts weni - ger als ein Naturmenſch. Er hängt ſo ſehr von Convenienz, Herkommen, Standesbegriffen und Standesvorurtheilen ab, wie nur die höchſte Claſſe der Geſellſchaft. Im Mittelſtande allein gilt die110 Freiheit des Individuums, in dieſem Stande fließt einzig der Strom der Selbſtbeſtimmung nach Charak - ter, Talent, Laune und Willkühr. Der Bauer denkt, handelt, empfindet ſtandesmäßig und hergebrachter Weiſe. Die Abſtufungen werden in den Dorfern wenigſtens eben ſo feſt gehalten als in den Schlöſ - ſern und Palläſten. Ich unterſtehe mich, Ihnen zu verſichern, daß dieſer Hofſchulze auf den Colonen mit demſelben Stolze hinunterſieht, wie nur der reichſte Majoratsherr auf den Briefadel von ge - ſtern blicken kann. Ich wollte es keinem Burſchen aus einem kleinen Hofe rathen, um die Tochter aus einem Oberhofe zu freien. Dieſelben Ver - wickelungen würden entſtehen, als in dem Falle, wenn ein Kaufmannsdiener zu einer Erbgräfin emporblickt. Gerade hier — vom Oberhofe — geht eine alte halbverklungene Sage umher, die den ſchauderhaften Ausgang einer ſolchen mißge - gewandten Neigung meldet. Durch meinen nahen Verkehr mit dieſen Leuten hat ſich die Anſicht bei mir feſtgeſtellt, duß der Bauernſtand nur einen zweiten ihm ähnlichen hat, den ſogenannten alten oder hohen Adel, wo ein ſolcher nämlich noch wahrhaft beſteht. Der Mittelſtand iſt eine von Bei -111 den ganz verſchiedene Schicht. Bauer aber und hoher Ariſtocrat ſtimmen darin überein, daß Erſterer ſo - wohl als Letzterer weniger ſich, als ihrer Gattung angehören, zuvörderſt Bauer ſind und Ariſtocrat und erſt nachher Menſch.
Der mythiſche Cavalier, welcher dieſe uner - wartete Parallele zu hören bekam, ſchwieg einige Zeit tiefſinnig. Dann verſetzte er: Sie haben, Herr Prediger, dieſes mehr aus Büchern. Ich ver - ſichere Sie, daß wir mit der Zeit fortgeſchritten ſind. Wir heirathen ſogar Jüdinnen.
Excellenz, fuhr der Diaconus mit aller Ver - geſſenheit eines deutſchen Gelehrten heraus, der Adel, den Sie meinen, iſt ein reines Garnichts und kommt mir höchſtens vor wie der Schwamm im Hauſe.
Hierauf wollte die[Excellenz] ein Geſicht machen, welches erhaben ausſehen ſollte; es ließ ſich jedoch nur vornehm an. In dieſem Augenblicke kam ſein Privatſecretair und meldete, daß der Wagen, zur Weiterreiſe fertig, vor dem Hofe halte. Er ging hierauf, ſehr höflich von dem Hofſchulzen und dem Diaconus geleitet, zur Pforte, wo er Beide ent - ließ. Gedanken hatte er nicht über das Vorge -112 fallene, ſondern nur die Abſicht, auch den Diaco - nus als unruhigen Kopf bei Gelegenheit zu denunciiren.
Dieſer ging mit dem Hofſchulzen ſtill lächelnd zurück, ſagte aber nichts. Im Baumgarten ſpiel - ten die Muſicanten auf und der Tanz begann. Der Bräutigam, welcher nun endlich auch zu einem Ver - gnügen gelangte, führte zuerſt die Braut auf, dann brachte er ſie den nächſten Anverwandten, einem nach dem Andern zu, um auch ein Gängelchen mit ihr zu machen. Erſt tanzten ſie Menuett, einen munteren darauf, und dann den ſogenannten Schu - ſtertanz mit ſeinen poſſierlichen Sprüngen. Das Gras im Baumgarten war bald niedergetanzt und der Boden ſo glatt geworden wie eine Tenne. Die Köpfe hatten ſich erhitzt, die Männer jauchzten, die Mädchen kreiſchten und es war viel Lärmens, Springens und Jubilirens im Oberhofe.
Indeſſen liefen der Jäger und ſein Wild durch den Eichenkamp nach den Kornfeldern, Triften und Hügeln. Das Wild floh nicht vor dem Schützen, es ließ ſich küſſen und ſtreicheln; es war ein ſehr zahmes Wild geworden. Der Jäger trieb tauſend Poſſen mit dem Wilde, er ringelte die gelben Locken ſich um die Finger, und dann küßte er ſie, er drückte, wenn die weißen Zähne ſeines Mädchens zwiſchen den Lippen zu ſehr hervorſchie - nen, die Lippen ſanft zuſammen und ſagte, das Geſichtchen ſei nicht fertig geworden und er müſſe es vollenden. Er faßte das feine Ohrläppchen, und kniff es etwas, doch nicht allzuſehr. Dann zupfte er ſie auch wohl am Kleide und wendete ſich um und that, als habe er es nicht gethan. Solche kindiſche Poſſen trieb der erwachſene Menſch. Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 8114— Lisbeth ging ſtill mit freudeſchwimmendem Ge - ſicht für ſich hin und ihre Hände falteten ſich oft unwillkührlich wie zum Gebet. Zuweilen flüſterte ſie: O du! Aber weiter ſagte ſie nichts. Trieb der Jäger ſeine Poſſen zu arg, ſo drohte ſie ihm mit dem Finger, dann ſah er ſie aus ſeinen dun - kelblauen tiefen Augen ſo ernſt an, als zögen Ge - danken der Ewigkeit durch ſeine Seele. Dann lachte ſie und rief: Ich fürchte mich vor dir, und er ſchmeichelte: So flüchte dich in Sicherheit! und breitete die Arme aus. Das that ſie denn auch. Sie ſtürzte mit heftiger Zärtlichkeit wider ſeine Bruſt, daß die Locken ſchütterten und manche ſich löſete, und dann ruhten ſie lange umſchlingend umſchlungen, er in ihr und ſie in ihm, der einige, ganze, vollkommene Menſch.
Er nannte ſie ſein Herz, ſein Mädchen, ſein Reh. Sie nannte ihn nur Oswald, aber immer mit einem anderen Ausdrucke, und alle Töne auf der Laute der Liebe, vom ſchwärmeriſchen Ent - zücken bis zum ſcherzenden Schmeichelgeflüſter klan - gen und zitterten in dem einen Worte. Sie hatte keine eigentlich ſchöne Stimme, es lag darin etwas Bedecktes, Rauhes, aber ſeit heute quoll etwas115 unendlich Süßes aus dieſer Umhüllung hervor. Es war, als ob auch die Pſyche ihrer Töne erwacht ſei und die Flügel nach Entfaltung rängen.
Jeder dieſer Scherze, alle dieſe Poſſen und die kleinſten Kleinigkeiten hatten einen Engel, der nahm ſie und legte ſie am Throne Gottes nieder. Denn es war die erſte Liebe, die ächte, die ein - zige, die in dieſen beiden jungen, unſchuldigen Herzen brannte und klopfte! In der Fülle ihrer Vorahnungen, von geſunder, treibender Hoffnung ſchwanger, hatten ſie einander gefunden, kein Ent - ſagen, keine Täuſchung hatte ſie noch um einen Tropfen warmen Blutes gebracht, vollendet, wie Aphrodite aus dem Schaume des Meeres, erſtand ihnen das Glück. Das iſt die Liebe, die wie jene Wunderpflanze aus Oſten, vor unſeren ſichtlichen Augen wächſt.
Dieſe Liebe kümmert ſich nicht um die Landes - ſtege und Wege. Der Jäger und ſein Wild hatten nach der ſchönen Blume gehen wollen, vergaßen aber dieſen Vorſatz, ehe ſie noch fünfhundert Schritte vom Hofe waren. Sie gingen, liefen, ſchwankten umher, ſie wußten nicht, wo? War der Himmel nicht überall blau, war die Erde nicht8*116aller Orten grün? — Es gingen Leute vorüber, die ſahen ſie nicht; zuweilen hatten ſie gar keinen Weg unter den Füßen, deß achteten ſie nicht. Zu - fällig kamen ſie ſo Hand in Hand auf die Höhe am Freiſtuhl. Ei! rief der Jäger, das iſt ſchön, wie fromme Pilgrimme ſollen wir alle Stationen beſuchen. — Er führte ſie zu dem Steine, darauf ſie in jener Schmerzensnacht zuſammen geſeſſen hatten.
Das überreife Korn, welches der Hofſchulze noch immer nicht hatte ſchneiden laſſen, knickte faſt unter der Bürde ſeiner Aehren, die Sonne ſchwamm wie ein zerfloſſenes Gold in dieſem Segen, und doch war die Stelle kühl und friſch, denn aus dem Forſte wehte ein gelinder Wind. Die Kronen der Linden über ihnen ſchauerten leiſe. Da ſaßen ſie nun wieder, glücklich vereinigt und ſchauten über die helle freundliche Gegend hin und freuten ſich, daß ſie auf der Welt waren. — Ich will deine Wunden um Verzeihung bitten, ſagte der Jäger, nahm ihr das Tuch ab und küßte die feinen rothen Pünctchen zwiſchen dem Buſen und der glänzenden Schulter. Sie duldete es ohne Sträuben, ſie hatte die kleinen Hände kreuzweis auf ihren Schooß117 gelegt, ſo ſaß ſie da, ein ergebenes Opfer der Liebe, aber ſie ſah ihn ſchamhaft bittend an. Den Blick ertrug er nicht, Thränen ſtürzten ihm aus den Augen, wie damals, als er mit ihrem Häub - chen ſein Spiel trieb, er legte ihr haſtig das Tuch um Buſen und Schulter, fiel ihr zu Füßen, drückte ihre Kniee wider ſein Herz und lief dann eine Strecke von ihr weg auf den Rain, um ſeiner Bewegung Meiſter zu werden.
Als er zurückkam, fand er ſie nicht mehr auf dem Steine. Beſtürzt blickte er umher. Da er - ſcholl ein leiſes Kichern aus einer der alten Linden. Er ſah erſtaunt nach dem Baume und machte eine Entdeckung, die er früher überſehen hatte. Der Baum war hohl und bot in ſeinem Inneren geräu - migen Platz für ein Verſteckens dar. Er zog ſein Mädchen ſcherzend und ſchäkernd heraus.
Nun ſtand ſie vor ihm, und er maaß ihre Größe an der ſeinen. Sie reichte ihm gerade bis zur Bruſt, hatte alſo das rechte Maaß, denn der Kopf des Weibes ſoll nur bis zum Herzen des Mannes reichen, dann giebt es den ächten Bund, den rechten Bund. Er faßte ſie bei beiden Hän - den, ſah ihr liebevoll in die klugen, treuen Augen,118 und fragte ſie: Sag mir an, meine Lisbeth, wie iſt es nur zugegangen, daß du ſo geworden biſt, ſo eigen, tief und ſonderbar?
Wie bin ich denn? fragte ſie unſchuldig. Ich bin, wie ich bin, wie ſoll man anders ſeyn? Ich that, was mir oblag, viel verdanke ich auch dem Fräulein und dem alten Herrn Baron, die beide ſo klug und gebildet ſind. Was in den Büchern ſtand, die ich für mich las, behielt ich, und dann hatte ich jederzeit ſchon als Kind über Alles meine Gedanken, von denen ich gar nicht wußte, woher ſie kamen.
Die werden wohl das Beſte an dir gethan haben, meine Lisbeth. Wollen wir nun zur ſchö - nen Blume gehen? Mich dünkt, ſie blüht nahebei.
Sie nahm ſeinen Arm, bat ihn aber, nun ver - nünftig zu ſeyn. Sie gingen durch den Forſt, kleine grüne Stege hinab. Sein Herz, ihr Herz war ruhiger geworden, ſie genoſſen ſich und ihre Seligkeit geſänftigter; eine Sabbathſtille hatte ſich in ihre Buſen geſenkt. Von gleichgültigen Dingen ſprachen ſie, dazwiſchen von ihrer Zukunft, die wie ein roſenrother Traum vor ihnen ſchwebte. Sie ſagte ihm, er möge nur Alles ſo einrichten, wie119 ihn gut dünke, wenn er wolle, ſei ſie die Seinige; an der Einwilligung ihrer Pfleger zweifle ſie nicht.
Ich auch nicht! rief er mit unwillkührlichem ſtolzem Jauchzen. Sie ſah ihn fragend und erſtaunt an. Er erſchrak und ſuchte ſich mit einer übeler - fundenen Ausrede zu helfen, die nur ein liebendes Mädchen glauben konnte. Von ſeinen Verhältniſſen wußte ſie nichts, ſie hatte auch eigentlich nie ſo recht danach gefragt. War nicht ſein Blick treu, ſeine Rede ehrlich und verſtändig, der Druck ſeiner Hand ſanft und bieder? Hieß er nicht Oswald Waldburg? Was brauchte ſie mehr zu wiſſen? — Er aber hatte ſich einen Streich heute auserſonnen, einen Streich — bei dem Gedanken an das Ge - lingen dieſes Streiches ſchwindelte ihm der Kopf vor Freude. Er wollte die Wonne genießen, ſein Liebſtes mit einer Fülle von Glück zu überraſchen.
An der Senkung des Forſtes, da wo er in die Wieſen auslief, begegnete ihnen eine Frau mit einem Korbe voll früher Aepfel. Er kaufte ihr einige ab, denn, ſagte er, wir müſſen doch an unſere Wirthſchaft denken. Wenn wir noch ein Stückchen Brod dazu hätten, ſo könnten wir eine Herrenmahlzeit halten. — Damit will ich Ihnen120 dienen, ſagte die Frau, ich habe Weißbrod aus der Stadt mitgenommen, um es in den Kotten umher zu verkaufen, wenn Sie mir aber etwas abnehmen, brauche ich es nicht weiter zu tragen. Sie öffnete ein weißes Tuch, welches ſie nebſt dem Korbe trug und er nahm zwei Brödchen heraus.
Nun gingen ſie quer durch die Wieſen und nicht lange, ſo ſahen ſie ihren lieben Platz, den ſie ſeit dem erſten Zuſammentreffen noch nicht wie - der beſucht hatten. Als ſie die Büſche erblickten, die kleinen Felſen und die ſchwarzen Baumtrüm - mer, freuten ſie ſich wie die Kinder. Ihr erſter Gang war nach der Blume. Die war aber in - zwiſchen verwelkt und die rothen Kelche hingen blaß und erſchöpft vom Stengel herunter. Lisbeth ſeufzte, er aber ſagte: Die Blume ſtarb, die Liebe lebte auf, geben wir der Blume ein Grab im Hei - ligthume der Liebe! Er ſtreifte die Kelche vom Stengel, pflückte das Blatt einer wilden Lilie, bereitete daraus ein Röllchen, ſteckte das Ver - welkte hinein und reichte Lisbeth den kleinen grü - nen Sarg. Sie ſah ihn, eine Thräne im Auge, an, dann ſchob ſie ihn unter ihr Tuch und beſtat - tete ihn an ihrem Buſen.
121Es war zwiſchen Nachmittag und Abend und das Waſſer unter den kleinen Felſen ſchickte berau - ſchenden Duft empor. Nun wollen wir ſpeiſen wie die Könige! rief er fröhlich. Biſt du hungrig? — Ei ja, verſetzte ſie lachend, es iſt nicht wahr, daß die Liebe von der Luft lebt. — Höre, mein Herz, ſagte er, da haſt du eine kühne Wahrheit ausgeſprochen, wirſt es aber mit allen Roman - ſchreibern zu thun bekommen. Im Vertraueu: Mich hungert auch! — Es iſt doch ein Unter - ſchied, ſagte ſie lächelnd. Sie nahm jetzt ſeinen Ohrzipfel, wie er früher ihren, legte die Lippen an ſein Ohr und flüſterte: Man hungert wohl, aber der Hunger thut nicht ſo weh.
Sie wollte ſich auf einen Baumtrumm ihm gegenüber ſetzen, er zog ſie auf ſeinen Schooß. Sie aß aus ſeiner Hand und er aß aus ihrer, und ſo vollbrachten ſie ihr kleines Mahl von Brod und Aepfeln. Dann ſetzten ſie ſich unter einen Haſelſtrauch am Bache und ſahen den klaren Well - chen zu und den Fiſchlein, die darin hin und her ſcherzten. Du könnteſt mir jetzt einen Gefallen thun und mir dein Waldmährchen erzählen, wovon du mir ſchon öfter ſpracheſt, ſagte ſie Ach! rief122 er, haben wir nichts Beſſeres zu thun, als erzählen und vorleſen? Er wollte ſie umarmen, ſie entzog ſich ihm aber, legte einen Zweig von der Haſel - ſtaude zwiſchen ihn und ſie und ſagte: Da bleib jenſeits ſitzen und erzähle, zum Küſſen haben wir immer noch Zeit genug.
Er zog die Blätter und Blättchen, auf welche er das Mährchen geſchrieben hatte, und die er zu - fällig bei ſich trug, aus der Taſche, las und er - zählte frei, wechſelsweiſe. Wenn er ein Blatt zu Ende geleſen hatte, ſo warf er es in den Bach, da trugen es die Wellen davon. — Was thuſt du? fragte Lisbeth. — Es hat ſeine Beſtimmung erfüllt, wenn du es gehört haſt, verſetzte er. — Die Wellen ließen es aber nicht verloren gehen, ſie trugen es zu mir; Ihr ſollt es nachher hören.
Anfangs hörte ſie achtſam zu und ließ ſich Manches erklären, was ſie nicht verſtand. Später - hin ſchien ſie zerſtreut zu werden. Sie flocht ein Krönchen von Blumen und Gras, wie um durch dieſe Arbeit ihre Gedanken zuſammenzuhalten. Auch er eilte zum Ende, ſeine Fabel gefiel ihm nicht mehr. Dieſer Wirklichkeit gegenüber ſchien ihm ſein Er - ſonnenes matt und ſchaal.
123Als er auserzählt hatte und ſie nichts ſagte, fragte er ſie, wie es ihr gefallen habe? — Ja ſieh, erwiederte ſie ſchüchtern, es ging mir eigen mit deinen Wundern im Speſſart. Ich glaube, ich hätte ſie in der Stube hören müſſen, da würde ich mir den Wald hinzugedacht haben, aber hier unter den grünen Blättern, bei den wehenden Win - den und dem fließenden Waſſer kam mir Alles ſo unnatürlich vor, und ich konnte nicht recht daran glauben.
Die Antwort machte ihn froh, als habe er das begeiſtertſte Lob vernommen. — Aber deinen Lohn ſollſt du dennoch erhalten, denn Manches hat mir ſehr darin gefallen. Ich hab’ dir ein Krönlein geflochten, damit will ich dich krönen als meinen König und Herrn, ſagte ſie liebreich.
Er ſank vor ihr nieder, drückte ſein Geſicht an ihren Leib und empfing die Blumenkrone von ihr auf ſeinem Haupte. Zu ihr aufſchauend mit ver - klärten Blicken rief er: Weihe meine Lippen, daß ſie immer Reines reden! Lege deine Finger auf ſie! — Ihre Hände hatten die Eigenheit, daß ſie oft plötzlich erkalteten, was freilich auf ein warmes Herz deutete. So war es auch jetzt. Er124 fühlte die reine Kühle an ſeinen heißen Lippen, er ſog ſie ein; ſie ſchauerte ihm wie Tempelſchauer bis in das tiefſte Herz. Lieblich fühlte ſie dage - gen ihre Finger von ſeiner Lippengluth erwärmt.
Das Abendroth glänzte durch die Klippen und Büſche. Trunken gingen ſie längs des Baches auf und nieder. Ein Lied fiel ihm ein, er ſang:
Sie hatte dem Liede faſt ängſtlich zugehört. — Ei, wie biſt du darauf gekommen? fragte ſie. Das paßt nicht auf unſere Liebe, unſere Liebe iſt125 ein Nachen, der auf dem Spiegel eines klaren Weihers ſchaukelt. — Es iſt auch nicht auf unſere Liebe gemacht, verſetzte er, es iſt das Lied eines Freundes, meines beſten Freundes, an deſſen ge - fährliche Liebe ich in meinem Glücke denken mußte. Sein Liebesſchiff fährt dahin durch’s wüſte Meer, und möge ein Gott an ſeinem Steuer ſtehen, wie er geſungen hat!
Ach, das muß wohl eine verwegene frevelhafte Liebe ſeyn, die Liebe deines Freundes, deren Schiff ſo dahin fährt!
O nein, Lisbeth, eine fromme Liebe, eine hei - lige Liebe, und dennoch ſtarren die Widerſprüche rings um ſie her, wie Klippen!
Kann denn auch die fromme Liebe ein ſolches Schickſal haben? fragte ſie. — O Kind! Kind! rief er, von einem ſeltſamen Schauer gefaßt, laß uns nicht weiter davon ſprechen! Gebe der Him - mel, daß unſere Liebe nicht — Ich will dir etwas ſagen. Ich gehe gleich nach dem Schloſſe zu dei - nen Pflegern und bringe unſere Sache in Ordnung. Noch vor völliger Nacht erreiche ich wohl den Ort auf der Hälfte des Weges, da ſchlafe ich, und bin morgen in der Frühe am Ziel und am Abend wieder bei dir.
126Er wollte ſie erſt nach dem Oberhofe zurück - geleiten. Nein, ſagte ſie, laß uns hier auseinan - der gehen, hier wo wir ſo froh waren! — Er gab ihr eine Rolle Gold, die er jetzt immer bei ſich tragen mußte, weil er keinen Verſchluß dafür hatte, und bat ſie, ihm ſie zu verwahren.
Sie ſchieden. Als ſie eine Strecke auseinan - der gegangen waren, ſahen ſie ſich um, eilten noch einmal zurück, umſchlangen ſich inniglich, ohne zu reden und gingen dann ſtumm ihre verſchiedenen Wege, der Jäger über die Klippen der Gegend zu, wo das Schloß lag, Lisbeth durch die Wieſe nach dem Oberhofe.
Nur das Weib weiß, was Liebe iſt, in Wonne und Verzweiflung. Bei dem Manne bleibt ſie zum Theil Phantaſie, Stolz, Habſucht; das Weib wird durch den Kuß ganz Herz vom Scheitel bis zur Fußſohle. Da iſt keine Fiber, kein Nerv, der nicht jubelte, oder — jammervoll zuckte!
Lisbeth kam nach dem Oberhofe, ohne zu wiſſen, wie. Ihr Buſen klopfte, ihre Wangen waren heiß, ſie drückte die Rolle Gold zärtlich an ihr Herz, denn er hatte ſie ihr ja gegeben. Unaufhörlich flüſterte ſie: Er iſt gar zu gut; und wußte wei - ter nichts zu ſagen. Ach, das Wörterbuch eines liebenden Mädchens enthält nur dieſe vier Worte und dann das Wörtlein: du! aber was iſt der Reichthum aller Sprachen gegen die ſelige Armuth dieſes Wörterbuches?
128Im Oberhofe toſete das Tanzgelag. Alles hatte ſich nun nach dem Baumgarten gezogen, wo man Lichter und Laternen angezündet hatte, weil die Dämmerung bereits eingebrochen war. Die Gäſte, welche nicht tanzten, ſaßen und ſtanden umher. Lisbeth wurde durch den Lärmen zuerſt aus ihren Träumen geweckt, ſie ſchlüpfte von der Seitenpforte, durch welche ſie wieder in den Hof eintrat, raſch in das Haus, um nicht bemerkt und dann wohl gar zum Tanze aufgefordert zu werden.
Sie ging nach ihrem Stüblein und zündete arglos das Lämpchen an, obgleich ſie ſich hätte ſagen können, daß der Schein durch das Fenſter ihre Anweſenheit verrathen müſſe. Aber ſie hatte zu dieſem und allem Aehnlichen keine Ueberlegung. Ihre Seele wallte, fluthete, es war ihr zu Muthe, als ſtehe ſie auf einem hohen Berge, rothe Wolken zu ihren Füßen, rothe Wolken, ſo weit ſie blickte, und in der Ferne ragten goldene Kuppeln aus den rothen Wolken hervor. Nun wußte ſie, was Glück iſt, ſie konnte es aber nicht ausſprechen.
Sie ſetzte ſich an das Tiſchchen im Fenſter, ſah die Blumen an, die dort im Glaſe blühten, dann hob ſie ein Blatt der Lilie auf, welches ab -129 gefallen war und vereinigte es wieder ſanft mit dem Kelche, dann warf ſie durch das Fenſter einen Kuß ihrem Wanderer nach und bat die Lüfte, den Kuß ihm zuzubringen.
Sie ſtand auf und ging hin und her, denn ihr Gemüth war zu ſehnſuchtsvoll und unruhig. Sie wollte das grüne Särglein aus ihrem Buſen neh - men, da rührte ſie mit ihrer Hand an die junge Bruſt, und es überflog ſie bei dieſer Berührung ein Schauer der Ehrfurcht vor ihr ſelbſt. Ihr Leib kam ihr geheiligt vor, denn ſie war geliebt.
Aber nicht lange blieb ſie in dieſer erhabenen Stimmung. Scherzender Jubel ergriff ſie. Sie faßte ihre Schürze mit beiden Händen und machte zu dem Schrei der Muſik da draußen für ſich ein Tänzchen rund um das Zimmer. Dann fiel ihr die Goldrolle wieder ein, welche ſie auf das Tiſch - chen gelegt hatte. — Was ſein iſt, iſt mein, ich muß doch ſehen, wie viel er geerbt hat! rief ſie. Er hatte ihr geſagt, er ſei ein Förſter aus Schwa - ben, der nach der hieſigen Gegend gereiſt ſei, um eine Erbſchaft zu heben. Als ſie die Rolle öffnete, ſah das Gold ſie mit blitzenden Augen an. Sie zählte und zählte, das wollte für ſie kein EndeImmermann’s Münchhauſen 3. Th. 9130nehmen. Nimmermehr hätte ſie geglaubt, daß ſo viel Gold auf Erden ſei. — Ach, iſt er ſo reich? rief ſie fröhlich in die Hände klopfend, als ſie die hundert und etlichen Doppelpiſtolen auf den Tiſch gezählt hatte.
Da bauen wir uns ein eigenes Haus mit Milchkämmerchen und einem Brünnlein, klar und kalt! jauchzte ſie. Jetzt aber laß ſehen, wie ſich das Gold in eine Reihe gezählt ausnimmt, ſo auf dem Haufen ſieht man gar nicht, wie viel man hat. Ich will es am Boden in einer langen Reihe aufzählen, und die Lampe ſtelle ich dazu, ſo geht mir nichts verloren.
So badete der arme ſchöne Findling oben in den Wellen der ſeligſten Luſt. Der Hofſchulze aber ſagte zum alten Schmitz, dem Sammler, der auch, wie er, den ganzen Tag über verdrießlich geweſen war und ihm jetzt eröffnete, daß er ihn nothwendig über die Amphora und das Schwert Karls des Großen zu ſprechen habe: Nach dieſem, Herr Schmitz, jetzt habe ich eine nothwendige Verrich - tung. — Er hatte den Schein des Lämpchens in Lisbeths Stube wahrgenommen und ſich ſogleich vorgeſetzt, zu ihr zu gehen, um, wie er für ſich ſagte,131 Ordnung in dem Handel zwiſchen ihr und dem Jäger zu ſtiften. Ich werde dem Kinde ſagen — ſprach er, indem er, ſeinen Hut auf dem Haupte und den Stab in der Hand, langſam und bedäch - tig durch den Flur ſchritt. Bei ſeinem Vieh ſtand er einen Augenblick ſtille, denn die prächtig ge - ſchmückte Bläſſe ſtöhnte ungeachtet ihres Putzes an Stirn und Hörnern erbärmlich und als er hin - leuchtete, ſtand das arme Thier ganz krumm zu - ſammengezogen. Was iſt denn das nun wieder? rief der Hofſchulze. — Was wird es ſeyn? ver - ſetzte der Rothhaarige, der aus einer dunkeln Ecke des Stalles hervorkam, trotzig, das Vieh hat ſeinen Eigenſinn, davon iſt es krank, ich habe ihm aber ſchon was eingegeben. — Der Hofſchulze beſchaute mit zornigem Schmerz die Leiden ſeines beſten Stücks; aber auch dieſer Anblick entlockte ihm kein Fluch - oder Scheltwort, ſondern er ſtieß nur ſein gewöhnliches: Ei! Ei! Ei! aus und ſetzte dann dumpf hinzu: Dieſe Hochzeit, auf welche ich geſpart und gehofft habe, nimmt ein übles Ende.
Er ſtieg die Treppe empor und trat ſo hart auf, daß die Stufen dröhnten. Dann öffnete er die Thüre von Lisbeths Stube feſt und rauh. Sie9*132hatte die Lampe in der Hand, und in dem Schürz - chen die Goldſtücke, mit denen ſie ihr kindliches Spiel treiben wollte. Bei ſeinem plötzlichen Ein - tritte erſchrak ſie, faßte ſich jedoch und blieb ruhig am Tiſchchen ſtehen.
Etwa eine Viertelſtunde mochte er mit ihr in einem Geſpräche geweſen ſeyn, welches ſie anfangs gar nicht verſtand, als Jemand, der unter dem offenen Fenſter vorbeiging, einen Schrei, ein Klin - gen, wie von fallendem Gelde und ein Geräuſch hörte, wie wenn Einer zu Boden ſtürzt und dabei ein Geräth hart berührt. Zugleich erloſch der Schein. Der Mann blieb ſtehen und gleich darauf kam der Hofſchulze aus dem Hauſe. — Was gab es da droben? fragte ihn Jener. — Eben nichts, verſetzte der Alte. Junge Frauenzimmer ſind ſchreckhaft, wenn man ihnen die Sache in aller Manier bei dem rechten Namen nennt. Beſſer Leid tragen, als Schmach tragen. Er ging in den Baum - garten und gab der erſten Brautjungfer den Auf - trag, hinaufzugehen.
Das Mädchen verſtand ihn in dem Getöſe nicht recht und meinte, ſie ſolle Lisbeth zum Tanze her - unterholen. Sie ſprang raſch hinauf und rief, um133 ſich nicht zu lange von ihrem Vergnügen abzumüſſi - gen, in die dunkele Stube hinein: Sind Sie hier? Sie werden gebeten zum Tanze zu kommen! er - ſchrak aber heftig, als ihr aus der Ecke des Zim - mers ein inniges Schluchzen antwortete. Beſtürzt rannte ſie hinab, fand unten ihre Gefährtin, und beide Mädchen kehrten darauf mit einem Lichte zurück.
Nun hatten ſie einen Anblick, der ſelbſt dieſe rohen Geſchöpfe erſchütterte. Denn an der Stelle, wo noch vor einer Viertelſtunde eine Jubelnde und Frohlockende geſtanden, lag nun eine Zerbrochene. Lisbeth war an dem Tiſche niedergeſunken in ihre Kniee, ihre Arme hingen ſchlaff herab, ſchlaff ruhte der Leib in den Hüften, die blonden Locken hatten ſich gelöſt und umfloſſen das gebeugte und wei - nende Geſicht. Das Gold war ihrer Schürze ent - fallen und hatte ſich, eine blanke Saat, um ſie ausgeſtreut, nicht weit von ihr lag die ausge - löſchte Lampe.
Die Mädchen ſtanden eine Weile verlegen und ſtumm. Sie wußten mit dieſem Bilde des tiefſten Schmerzes nichts anzufangen. Eine erhob die Lampe, zündete ſie wieder an, und134 ſtellte ſie auf den Tiſch, die Zweite wiederholte ſchüchtern die Worte: Sie werden gebeten, zum Tanze zu kommen.
Hierauf hob Lisbeth ihr Antlitz gegen ſie empor, und nun zogen ſich die Mädchen voll Grauen aus der Stube zurück. Denn die Wangen waren lei - chenweiß geworden und die Augen in ihren Höhlen zurückgetreten und ſo voll Thränen, daß ſie ſtro - menden Quellen glichen. Die Brautjungfern gin - gen hinunter zum Tanze, tanzten, hatten den Vor - fall bald vergeſſen, und Lisbeth blieb allein. Denn Niemand ſprach unten von ihr, ſonſt wäre der Diaconus wohl zu ihr gegangen, da er ſie ſehr lieb hatte.
Als ſie allein war, begann ſie ein Werk, ſo ernſt und traurig, als ihre Spiele von vorhin fröh - lich und ausgelaſſen geweſen waren. Mit einem Blicke des Ekels und Abſcheus ſah ſie das Gold am Boden an, dann überwand ſie ſich dennoch, raffte mit zitternden Fingern die Stücke auf, die nun nur noch ihre Schande wiederſpiegeln ſollten, und rollte ſie wieder ein, indem ein erhabener Hohn ihren Mund umzuckte. Dann warf ſie die Rolle verächtlich in einen Kaſten, und verächtlich135 warf ſie das grüne Särglein dazu, und deckte dann ein Tuch über das Hingeworfene. Sie fand das Blatt mit den Verſen Oswald’s an ſie; da brachen noch einmal heftige Thränenfluthen aus ihren Augen; es waren die letzten Zähren, welche ſie heute Abend weinte. Dann hielt ſie das Papier an die Flamme der Lampe, und ſah kalt es ver - lodern. Das Tuch, welches der Jäger ihr geſchenkt, zerſchnitt ſie und ließ die Stücke zu Boden fallen, da, wo die Aſche von dem Papiere lag. Nun nahm ſie an ſich entſühnende Handlungen vor. Sie wuſch ihre Finger, die ſie auf ſeinen Mund hatte legen müſſen. Dann wuſch ſie die Lippen, welche ſeine Küſſe geduldet und wiedergegeben hatten.
Alle dieſe Handlungen verrichtete ſie ſchweigend, nicht einmal einen Seufzer ſtieß ſie aus. Ihr Schmerz war ſo groß, daß er auch nicht durch ein Selbſtgeſpräch ſich erleichtern mochte. — In den Kelch der Roſe, den der ſüßeſte Hauch ſo eben aufgeſchmeichelt, war ein ätzendes Gift getropft worden — fühlt Ihr, wie die Roſe in ihren keu - ſcheſten Tiefen zucken mußte? — Fragt Ihr mich, ob ſie dem glauben konnte, was der alte Bauer ihr geſagt, ſo antworte ich, daß ich es nicht weiß. 136Denn Alles weiß der Dichter zwiſchen Himmel und Erden, aber Eines weiß er nicht: Das Innerſte, Feinſte, Heimlichſte eines liebenden Mädchens.
Das kann ich ſagen: Sie mußte ihre Seele ſchänden laſſen, als dieſe nackt dalag vor Gott und Oswald, weil ſie nichts von ihrer Seele für ſich behalten, ſondern Alles an Gott und den Ge - liebten ergeben hatte. Nur in Gott und in ihrem Geliebten wollte ſie ihre Seele noch beſitzen, da hörte ſie, daß dieſer Wille eine Sünde geweſen ſei und eine Thorheit.
Sie weinte nicht mehr, ihre Augen waren heiß und trocken geworden. Ihre Geſtalt hatte ſich ge - ſtreckt, ſie hielt ſich gerader als ſonſt, ihre Bewe - gungen waren langſamer geworden, ſie ſah vornehm aus. Ruhig ordnete ſie ihr Haar unter dem Mütz - chen, welches ſie aufſetzte, dann verhing ſie das Fenſter und entkleidete ſich ſtill und züchtig. Sie löſchte die Lampe und beſtieg ihr Lager, auf dem ſie ſich gerade ausſtreckte, die Hände über der Bruſt gefaltet. In dieſer Lage, worin ſie kein Schlum - mer beſuchte, obgleich ſie die Wimpern geſchloſſen hielt, ließ ſie, ohne daß ein Laut von ihr hörbar137 wurde, wie eine ſchöne Leiche, die Kräfte in ſich wühlen, welche ein neues Leben der Auferſtehung in ihr entzünden wollten.
Während die Geliebte ſo traurige Abend - und Nachtſtunden zubrachte, ſtürmte der Liebende durch das Dunkel fröhlich der Gegend zu, die er am an - dern Morgen erreichen wollte. Er hatte noch immer ſein Blumenkrönchen auf dem Haupte und noch immer ſang er das Schifflied ſeines Freundes, freilich in lyriſcher Unordnung, oft die letzte Stro - phe zuerſt, und die Erſte zuletzt, auch wohl Verſe der einen Strophe in die Andere hinein. Nun wußte er, warum die Frauen ihm ſtäts eine ſo wonnevolle Ahnung erweckt hatten, ſie waren ihm die Traube geweſen aus dem Canaan der Liebe, darin Milch und Honig fließt. An meine Mutter werde ich freilich nun weniger denken! rief er — oder noch öfter als ſonſt — ſetzte er gleich dar - auf hinzu. Sein Daſeyn war ihm voll, ganz, ge - ründet worden.
Er freute ſich ſeines Streichs, ſeines Schwaben - ſtreichs. Es iſt im Grunde ſehr gleichgültig, daß ſie138 Gräfin Waldburg-Bergheim wird, ſagte er, aber eine Luſt wird es doch ſeyn, wenn ich ſie aus dem Wagen hebe in die Fähre über den Neckar, und ſie nun drüben auf der grünen Höhe das Schloß mit den beiden Seitenflügeln ſieht und mich fragt: Ei, Oswald, wem gehört das prächtige Schloß? — Ich werde dann ſprechen: Meine liebe Lisbeth, dem reichſten Cavalier der Gegend, und ich wollte dir eine un - verhoffte Freude machen, ich bin ſein Förſter, wir wohnen auch auf der ſchönen Höhe, dort, ſieh, in der kleinen Dienſtwohnung, die du neben dem Schie - ferthürmchen ſchauſt. Vorläufig bring’ ich dich aber ehrbar zu meiner Frau Baaſe, die bei der Herr - ſchaft Ausgeberin iſt. — Nun ſteigen wir aus und gehen den Weg durch den Park ſacht den Schloß - berg hinan. Die Leute, die uns begegnen, grüßen gar ehrerbietig, da fragt die Lisbeth: Du mußt hier gute Freunde haben, Oswald? — O ja, ver - ſetze ich, die Leute halten etwas von mir, haben aber auch gar Manches durch mich. — Nun ſind wir am Schloß, gehen durch eine Hinterthüre ein, daß kein Aufſehen entſteht. Ich bring’ ſie in’s purpurne Damaſtzimmer, da wird ſie wohl etwas ſtaunen über die Teppiche und die Vergoldungen139 und meinen, ſie dürfe in dem prächtigen Raume nicht bleiben. — Bleibe immerhin und mache dir’s bequem, Lisbeth, ſage ich, der gnädige Herr iſt gut und dir ſchon gewogen, ich habe ihm von wegen deiner geſchrieben, werde mir nur nicht untreu um ſeinetwillen. — Jetzt habe ich eigentlich vor, daß ich aus dem Zimmer gehen und nach einiger Zeit wiederkehren will, aber ich glaube, daß ich mich nicht werde halten können, ſondern ich werde mich unter der Thüre umwenden und ſprechen: Hör’ Lisbeth, noch ein Wort. Nimm mir’s nicht übel, ich hab’ dich doch betrogen. Ich bin leider nicht der Förſter, ſondern nur der Graf ſo und ſo. Willſt du die Frau Förſterin daran geben und ſeine gnädige Frau Gräfin werden? — Da bin ich denn begierig, was für ein Geſicht ſie machen wird. Und meine Hauptfreude iſt, daß ich mir denke; ſie wird nach dem erſten Schreck eben gar kein verlegenes oder abſonders freudiges machen, ſondern ſanft und liebevoll antworten: Du ſollſt mir ſo lieb ſeyn, wie der Förſter. — Es iſt, wie geſagt, an allem dem wenig gelegen, aber es freuet Einen doch, wenn man ſein Lieb in Sammet und Seide kleiden kann, und ihm Perlen um den Hals140 hängen, und Brillianten in das Haar ſtecken und den Fuß der Trauten auf Teppiche von Brüſſel ſetzen darf.
So ſchwärmte und ſcherzte ſich der Jüngling die Bilder der lachendſten Zukunft zuſammen. Es war hoch Mitternacht geworden und ſein Körper denn doch der Ruhe bedürftig. Auf der Höhe des Gebirges fand er einen einſamen Schoppen. Er ging hinein und fühlte, daß der Raum voll Heu war. Abgehärtet durch ſeine Reiſen und in den letzten Wochen nicht verwöhnt, ſtellte ihn dieſes einfache Lager vollkommen zufrieden. Er beſchloß die Nacht in den Schoppen zuzubringen. Als er die Augen ſchloß, ſagte er: Jetzt wird ſie träumen und dich auch im Traume mit lieben Namen nennen!
Das ſagte er vielleicht in dem Augenblicke, als Lisbeth in ihrem Bette von den wüthenden Schmerzen überwältigt, ſich krampfhaft krümmte und endlich doch in ein leiſes und jammervolles Stöhnen ausbrach.
Biſt du wohl ſchon, Lisbeth, an einem klaren Sonnenmorgen durch einen ſchönen Wald gegangen, zu dem der blaue Himmel durch die grünen Kro - nen einblickte, wo dich der Othem der Bäume wie ein Hauch Gottes anwehte und dein Fuß von den Spitzen der Gräſer tauſend blitzende Perlen ſtreifte?
Wohl bin ich das, Oswald, erſt noch neu - lich, als ich durch das Gebirg nach den Zinſen und Gülten ging. Es iſt gar herrlich im grünen, fri - ſchen Wald; ich könnte Tagelang hindurchwandern, ohne einem Menſchen zu begegnen, und fürchtete mich nicht. Der Raſen iſt der Mantel Gottes, man iſt von tauſend Englein beſchirmt, man ſtehe oder ſitze darauf. Jetzt ein Hügel und dann eine Ecke; ich lief und lief, weil ich immer dachte, dahinter ſchwebe der Wundervogel mit blauen und rothen Schwingen142 und dem Goldkrönchen auf dem Haupte. Ich lief mich heiß und roth, und nicht müd; man wird nicht müde im Walde!
Und ſahſt du hinter Hügel und Hecke den Wundervogel nicht ſchweben, ſo ſtandeſt du athmend ſtill und hörteſt weit, weit aus dem Eichenthal herauf den Schall der Axt, die Uhr des Forſtes, die da anſagt, daß auch in ſolcher lieben Einöde dem Menſchen ſeine Stunde rinne.
Oder weiterhin, Oswald, die freie Sicht den Hang hinauf zwiſchen dunkeln, runden Buchen und oben doch wieder der Kamm der Halde von hohen Stämmen beſchloſſen! Da weideten rothe Kühe und ſchwangen die Glöcklein, der Thau im Graſe gab der Senkung im Sonnenlicht einen ſilbergrauen Schein, und die Schatten der Kühe und der Bäume ſpielten darauf Verſteckens mit einander.
An einem ſolchen ſonnenklaren Morgen begeg - neten vor vielen hundert Jahren zwei Jünglinge einander im Walde. Es war in dem großen Wald - gebirge, der Speſſart genannt, welches die Mark - ſcheide zwiſchen den luſtigen rheiniſchen Gauen und dem geſegneten Frankenlande macht. Das iſt dir ein Wald, liebe Lisbeth, der zehn Stunden in der143 Breite und zwanzig in der Länge, Ebenen und Berge, Thäler und Klüfte bedeckt.
Auf der großen Heerſtraße, die querdurch vom Rheinlande nach Würzburg und Bamberg läuft, begegneten einander die Jünglinge. Der Eine kam von Abend, der Andere von Morgen. Ihre Thiere waren ſo verſchieden als ihre Wege. Der vom Morgen ſaß auf einem gelben fröhlich tanzenden Rößlein und ſtolzirte gar ſtattlich im bunten Wap - penrock unter rothem Sammetbarret, von welchem die Reiherfedern herabwallten; der vom Abend trug eine ſchwarze Kappe ohne Abzeichen, einen langen Schülermantel gleicher Farbe, und ritt auf einem beſcheidenen Maulthiere.
Als der junge Ritter dem fahrenden Schüler ſich auf Roſſeslänge genähert hatte, hielt er ſeinen Gelben an, bot dem Andern freundlich die Zeit und ſagte: Guter Geſell, ich wollte ſo eben abſtei - gen und meinen Morgen-Imbiß halten. Da nun aber zur Minne, zum Spiele und zum Mahl Zwei gehören, wenn dieſe drei luſtigen Dinge gehörig von Statten gehen ſollen, ſo wollte ich Euch fra - gen, ob Ihr nicht auch abſteigen und mein Part - ner ſeyn wollt? Eurem Grauen würde ein Maul -144 voll Gras nicht minder ſchmecken, als meinem Gelben. Der Tag wird heiß werden, und den Thieren iſt einige Raſt vonnöthen.
Der fahrende Schüler war mit dem Vorſchlage zufrieden. Beide ſtiegen ab und ſetzten ſich an der Straße auf dem wilden Thymian und Lavendel nieder, von welchem, wie ſie ſich ſetzten, eine ganze Wolke Wohlgeruchs emporſtieg, und hundert Bien - chen, die in ihrer Arbeit geſtört wurden, ſich ſum - mend erhoben. Ein Knapp, der mit einem ſchwer - beladenen Gaule dem jungen Ritter gefolgt war, nahm die beiden Thiere in Empfang, reichte ſeinem Herrn aus dem Schnappſack Flaſche und Becher nebſt Brod und Fleiſch, kandarte die Thiere ab und ließ ſie ſeitwärts vom Heerwege graſen.
Der fahrende Schüler faßte in die Seitentaſche des Mantels, zog die Hand verdrießlich zurück und rief: O über meine ewige Zerſtreuung! Hatte ich mir doch heute Morgen in der Herberge das Frühſtück ſo ſauber zurecht gelegt und eingewickelt, da muß mir etwas Anderes eingefallen ſeyn, und über dieſen Gedanken habe ich meine Koſt vergeſſen.
Wenn es weiter nichts iſt, rief der junge Rit - ter, hier iſt genug für Euch und mich! Er theilte145 Brod und Fleiſch, ſchenkte den Becher voll und reichte Feſtes und Flüſſiges dem Andern hin. Hiebei faßte er ihn ſchärfer in’s Auge, und ſo that der Andere auch, und da entfuhr ihnen Beiden ein Ausruf des Erſtaunens. Seid Ihr nicht … Biſt du nicht … riefen ſie. Freilich bin ich der Konrad von Aufſeß! rief der junge Ritter. Und ich Petrus von Stetten! der Andere. Sie um - armten einander und konnten ſich vor Freude über dieſes unvermuthete Wiederſehen kaum faſſen.
Es waren Spielcameraden, die ſich zufällig im grünen Speſſart trafen. Die Väter hatten auch Freundſchaft mit einander gehabt, die Söhne hat - ten zuſammen Ball geſchlagen, ſich hundertmal des Tages gezankt und eben ſo oft verſöhnt. Der junge Petrus war aber von jeher ſtiller und nach - denklicher geweſen als ſein Gefährte, dem nichts im Kopfe ſitzen blieb, als die Namen der Waffen - ſtücke und des Reitzeugs. Endlich hatte Petrus dem Vater erklärt, er wolle gelahrt werden, und war gen Cöln gezogen, zu den Füßen des berühm - ten Albertus Magnus zu ſitzen, der aller bekannten Wiſſenſchaften Meiſter war, und von dem das Gerücht ſagte, er ſei auch in geheime Künſte tief eingeweiht.
Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 10146Eine geraume Zeit verfloß ſeitdem, in welchem Keiner etwas von dem Anderen hörte. Nachdem der erſte Sturm der Freude ſich jetzt gelegt hatte, und das Frühſtück beſeitigt worden war, fragte der Ritter den Schüler, wie es ihm denn gegangen ſei?
Darauf, mein Freund, kann ich dir eine ſehr kurze und müßte ich dir eine ſehr lange Antwort geben, verſetzte der Schüler. Eine kurze, wenn ich dir bloß die äußere Figur und Schaale meines zeitherigen Lebens vorzeichnen ſoll; eine lange, o eine unendlich lange, begehrſt du, den inneren Kern aus dieſer Schaale zu koſten!
Ei, Närrchen, rief der Ritter, was für ſchwere Reden führſt du da! Gieb mir die Schaale und ein Stückchen vom Kern, wenn die ganze Nuß zu groß für eine Mahlzeit iſt.
So wiſſe, erwiederte der Andere, daß mein ſichtbares Leben zwiſchen engen Ufern rann. Ich wohnte in einem kleinen düſteren Gäßchen bei ſtil - len Leuten, im Hinterhauſe. Mein Fenſter ging auf den Garten hinaus, deſſen Bäume und Stau - den ihren ernſten Hintergrund von den Mauern des Tempelhauſes erhielten. Ich hielt mich ſehr einſam und für mich, knüpfte weder mit den Bür -147 gern, noch mit den Schülern Umgang an. So iſt es gekommen, daß ich von der großen Stadt nichts kennen gelernt habe, als die Straße von meinem Häuschen nach den Dominicanern, wo mein großer Meiſter lehrte.
Wenn ich nun in meine Klauſe zurückgekehrt war und die Mitternacht bei der Studirlampe her - angewacht hatte, ſo blickte ich wohl aus dem Fen - ſter, um die erhitzten Augen an dem dunkeln Ster - nenhimmel abzukühlen. Dann ſah ich nicht ſelten in dem gegenüberliegenden Tempelhauſe Licht; bei dem Scheine rother Fackeln zogen die Ritter in ihren weißen Ordensmänteln wie Geiſter durch die Gallerien, verſchwanden hinter den Pfeilern und kamen dann wieder zum Vorſchein; im äußer - ſten Eck des Flügels wurden vor den Fenſtern Vorhänge niedergelaſſen, durch deren dünne Stel - len aber ein wunderſamer Schein drang, und hin - ter welchen ſich Weiſen vernehmen ließen, welche ſüß und ſchaurig wie verbotenes Gelüſte durch die Nacht drangen.
So gingen meine Tage hin, unſcheinbar von außen, innen aber ein glänzendes Feſt aller Wun - der. Albertus zeichnete mich bald vor den übrigen10*148Schülern aus; nicht lange, ſo merkte ich, daß er gewiſſe Worte, die den Andern unbeachtet vorüber - ſchlüpften, gegen mich mit einer beſonderen Beto - nung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den geheimnißvollen Zuſammenhang alles menſchlichen Wiſſens und auf eine tief unten in dunkler Ver - ſchwiegenheit treibende gemeinſame Wurzel des gro - ßen Baumes hinwieſen, welcher da droben am Lichte ſeine gewaltigen Zweige als Grammatik, Dialectik, Redekunſt, Zahlenlehre, Geometrie, Aſtro - nomie und Muſik auseinanderlegte. — Sein Auge ruhte bei ſolchen Worten durchdringend auf mir, und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine tiefe Sehnſucht nach den letzten und größten Schä - tzen ſeines Geiſtes in mir entzündet hatte.
So kam es denn allgemach, daß ich der Ver - traute ſeiner heimlichen Werkſtatt und der Lehrling wurde, auf den er einen Theil ſeines Pfundes als koſtbares Vermächtniß vererben wollte. — Es giebt nur ein Mark der Dinge, welches hier im Me - tall laſtet und wieget, dort in der ſchwankenden Pflanze, im leichtſinnigen Vogel vom Urkern ſich abzulöſen ringt. Alles wandelt und verwandelt ſich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Na -149 tur wirkt auch für ſich, und wer der rechten Kräfte Meiſter iſt, der kann ihr eigenes und ſelbſtſtändi - ges Leben hervorrufen, daß ihre ſonſt in Gott ge - bundenen Glieder ſich zu ganz neuen Regungen entfalten. — Mein hoher Meiſter führte mich an ſicherer Hand dem Brunnen zu, wo jenes Mark der Dinge quillt. Ich tauchte meinen Finger hinein, da wurden alle meine Sinne voll übermenſchlichen Schauens. In der rußigen Schmelzküche ſaßen wir ſeitdem oft zuſammen und ſchauten in die Gluthen des Ofens; er vorn auf niedrigem Sche - mel, ich hinter ihm kauernd, mich feſt an ihn drückend und ihm die Kohlen oder die Erze dar - reichend, die er mit der Linken in den Tiegel warf, denn mit der Rechten hielt er mich liebreich gefaßt. Da wehrten ſich die Metalle, die Salze und die Säuren praſſelten, wie in einer feſten Burg wollte ſich der hohe König, der alle Welt regiert, inmit - ten ſcharfwinklichter Kryſtalle vertheidigen, zornig entbrannten die rothen, blauen und grünen Vaſal - len und ſtreckten uns die glühenden Speere ab - wehrend entgegen, aber wir brachen die Werke und kämpften die Mannen danieder, und über Schlacken - trümmer hinüber lieferte ſich uns demüthig der150 glänzende Fürſt aus. Das Gold an ſich iſt Nichts für den, der ſein Herz nicht an Irdiſches hängt, aber dieſe theuerſte und köſtlichſte Gabe der Natur in Allem und Jedem, auch in dem Geringfügigſten und Unſcheinbarſten zu erkennen, das gilt dem Weiſen viel. Zu andern Stunden wieſen uns die Sterne ihre Kreiſe, die als Geſchichte ſich ablöſten und zur Erde ſanken, oder die innigen Verwandt - ſchaften der Töne und der Zahlen wurden wach, und zeigten uns die Bündniſſe, welche zu ſchildern kein Wort genügt, die ſich vielmehr nur wieder in Zahl und Ton offenbaren. In allem dieſem gehei - men Weſen und Weben aber ſchwebte, daß es nicht wieder zu kalter klebriger Geſtaltung gerinne, ewig verbindend und ewig löſend, ſich in dem Hader nieverwelkender Jugendkraft in ſich und an den Dingen entzweiend, das Große, Unergründliche; der dialectiſche Gedanke.
O ſelige, genügliche Zeit des erſchloſſenen Ver - ſtehens, des Wandelns durch die inneren Säle des Pallaſtes, an deſſen metallener Pforte die Andern vergeblich anklopfen! Endlich — —
Der fahrende Schüler, deſſen Lippen bei der Erzählung ſich in einem dunkeln Nothe immer glü -151 hender gefärbt hatten, und deſſen Augen von einem ſeltſamen Feuer blitzten, hielt hier, wie aus ſeiner Begeiſterung plötzlich ernüchtert, inne. Der Ritter wartete vergeblich auf die Vollendung der Rede, dann ſagte er zu ſeinem Freunde: Nun? Endlich —
Endlich, verſetzte der Schüler mit einem ge - zwungen - gleichgültigen Tone, mußten wir uns doch trennen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Mein hoher Meiſter ſchickt mich jetzt nach Regensburg, aus der Sakriſtei des Domes gewiſſe Schriften zu erbitten, die er als Biſchof dort zurückgelaſſen hat. Ich bringe ſie ihm und werde dann freilich meine Tage, wenn es angeht, bei ihm verleben.
Der junge Ritter tröpfelte den Reſt des Weins in den Becher, ſah hinein und trank den Wein be - dächtiger als er früher gethan hatte. Du haſt mir da wunderbare Sachen vertraut, hob er nach eini - gem Schweigen an, Sachen, in die ich mich nicht wohl zu finden weiß. Gottes Welt ſcheint mir ſo ſchön geputzt zu ſeyn, daß es mir kein Vergnügen machen würde, dieſe lieblichen Schleier abzuſtreifen, und, wie du ſagſt, in das Innere der Creatur zu ſchauen. Der Himmel blaut, die Sterne leuchten, der Wald rauſcht, die Kräurerlein duften, und iſt152 dieſes Blauen, Leuchten, Rauſchen und Duften nicht das Allerſchönſte, hinter welchem es kein Schöne - res mehr giebt? Verzeihe mir; aber ich bin nicht neidiſch auf deine geheime Wiſſenſchaft. — Du Armer! Roth macht ſie nicht, dieſe Wiſſenſchaft. Deine Wangen ſind ganz bleich und eingefallen.
Einem Jeden werden ſeine Pfade gewieſen, dem Einen dieſer, dem Andern jener, verſetzte der Schüler. Nicht der Sprung des Blutes macht das Leben aus; weiß iſt der Marmor, und Marmor - wände pflegen die Räume einzuſchließen, in welchen Götterbilder aufgerichtet ſtehen. — Doch genug davon, und nun zu dir. Was haſt du denn ge - trieben, ſeit wir uns nicht ſahen?
Ach davon, rief der junge Ritter Konrad mit ſeiner ganzen Luſtigkeit, iſt wenig zu vermelden! Ich ſtieg zu Roß und ſtieg wieder herunter, fuhr an manchen guten Fürſtenhöfen umher, verſtach manchen Speer, gewann manchen Dank, miſſte man - chen Dank, ſchaute in manches minniglichen Wei - bes Auge. Meinen Namen kann ich ſchreiben, meinen Degenknopf drücke ich daneben in Wachs ab, ein Lied kann ich reimen, wenn auch nicht ſo gut, wie Meiſter Gottfried von Straßburg. 153Schwertleite und Waffenwacht brachte ich hinter mich und empfing den Ritterſchlag zu Forchheim, jetzt reite ich gen Maynz, wo der Kaiſer das Tur - nier halten will, mich baß zu tummeln und des Lebens zu freuen.
Der Schüler ſah nach dem Stande der Sonne und ſagte: Es iſt traurig, daß wir nach dieſem herzlichen Treffen uns ſo bald wieder trennen ſollen. Aber doch wird es, wenn wir unſer Ziel heute zu erreichen wünſchen, nothwendig ſeyn.
Komm mit gen Maynz! rief der Andere, indem er aufſprang und den Schüler in einer ſonderbar gerührten Stimmung, die gleichwohl ein Lachen zu - ließ, anſah. Laß das finſtere Regensburg und den Dom und die Sakriſtei; erheitere dein Antlitz un - ter fröhlichen Geſellen am runden Tiſch in der Weinlaube und vor den Blumenfenſtern lieblicher Mädchen, laß deine Ohren durch Flöten - und Schall - meienklang rein baden von den ſchauerlichen Vigilien der Tempelherren, die ja in der ganzen Chriſtenheit für arge Ketzer und Baffometusprieſter gelten. Komm mit gen Maynz, mein Petrus!
Die letzten Worte ſprach er ſchon im Sattel. Er ſtreckte dabei wie flehend ſeine Hand nach dem154 Freunde aus. Dieſer wandte ſich ſeitwärts ab und zog ſeinen Arm verweigernd zurück. Was fällt dir ein? rief er unwillig lächelnd. Ach, mein Konrad, hätte ich nicht vorher geſagt, daß Jedem ſeine Straße gewieſen ſei, ſo würde ich dir zurufen: Kehre du um, du Leichtſinn, du Fahrläſſiger! Die Jugend vergeht, der Scherz verklingt, das Lachen will eines Tages plötzlich nicht mehr gelingen, weil das Antlitz zu ſtarr geworden iſt, oder grinſet wider - wärtig aus welken Runzeln! Wehe dem, weſſen Scheuren dann nicht voll, weſſen Kammern nicht gerüſtet ſind! Ach! es muß etwas Trübes um ſo ein kahles, verarmtes Alter ſeyn, und das Sprichwort hat wohl Recht, welches ſagt: Zu luſtig am Morgen, ſchafft Abends Kummer und Sorgen. Wenn ich dich ſo anſehe, mein Jugendbruder, kann mir recht bange um dich werden, o wer weiß, wie verwandelt ich dich wieder treffe!
Der Ritter ſchüttelte dem ernſten Schüler herz - lich die Hand und rief: Vielleicht biſt du verwan - delt, ſtoßen wir wieder auf einander, prunkſt in Sammer und Seide, und thuſt’s uns Allen zuvor! — Er ſprengte davon, und aus der Ferne hörte der Schüler ihn noch ein Lied ſingen, welches155 damals von Mund zu Munde ging und ungefähr ſo lautete;
Ein Schmetterling flog vor dem Schüler auf. Iſt das Leben der meiſten Menſchen nicht dem Flat - tern dieſes Falters zu vergleichen? ſagte er. Bunt und leicht prunkt er dahin und doch ſind ſeine Freuden ſo kurz und öde. Mit gewaltigen, großen Augen blickt er umher, aber die matten Spiegel empfinden nur eine leere Abwechſelung von Licht und Schatten, nicht die volle Geſtalt, die feſte Farbe. — Der Wald ſah ihn aus ſeinen grünen Tiefen mit unwiderſtehlichem Blick an. Was thut’s, rief er, wenn mein geduldig Thier auf dieſem Raſen eine Weile allein zurückbleibt! Es läuft mir nicht davon, ich ſpüre ſo eine innige Sehnſucht, ein156 Stündchen da hinein zu wandern, wie labend muß es da tief drinnen ſeyn!
Er ſchritt ſeitab von der Landſtraße auf einem engen Pfade, der ſich nach kurzem Gehen zwiſchen den hohen Stämmen zu Thale ſenkte, in den Wald, und war bald in einer völligen Einſamkeit, in der es um ihn her rauſchte, flüſterte, ſchwirrte, und nur einzelne Sonnenlichter, grünlich gebrochen, wie Irr - lichter ihn umſpielten. Zuweilen war es ihm, als ob ſein Name hinter ihm aus der Ferne gerufen werde, er wußte ſelbſt nicht, der Ruf kam ihm widerwärtig und haſſenswürdig vor, dann hielt er den Ton auch wohl wieder für eine Täuſchung, aber er mochte dies oder das denken, fürbaß ſchritt er nur immer tiefer in den dunkeln Forſt. Große knorrige Baumwurzeln lagen wie Schlangen quer über den Weg hin geſpannt, daß der Schüler bei - nahe über ſie geſtolpert wäre, Hirſchkäfer ſtanden wie Edelwild im Mooſe. Aus kleinen Felsgrotten leuchtete der Pſittichglanz des Goldmooſes. Der Schweiß ſtand ihm vor der Stirne, wie er ſo im - mer haſtiger ſich in das Dickicht hineinarbeitete und vor der lichten Sonnenwelt da draußen floh. Aber es war nicht bloß der Gang, der ihm heiß machte,157 auch ſein Gemüth arbeitete unter der Laſt ſchwerer Erinnerungen. — Endlich kam er, nachdem ihm der Pfad längſt unter den Füßen geſchwunden war, auf einen ſchönen, glatten, dunkeln Platz unter mächtigen Eichen. Noch immer hörte er aus der Ferne ſeinen Namen rufen. Hier wird mich der rohe Laut von da draußen nicht mehr erreichen, ſagte er, hier werde ich ſtill geborgen ſeyn. Er ſank an einem großen moosbedeckten Steine nieder, ſeine Bruſt wogte, er kämpfte mit einem gewalti - gen Gelüſte. Vergieb mir, hoher Meiſter, meinen Fürwitz, rief er; aber es giebt ein Wiſſen, dem die That folgen muß, ſonſt erdrückt es den Sterb - lichen! Hier, näher dem Herzen der großen Mut - ter, wo unter dem Sprießen und Wachſen ſchon vernehmlicher ihre Pulſe klopfen, hier muß ich es ausſprechen, das Zauberwort, welches ich von dei - nen ſchlafenden Lippen ablauſchte, als du es im Traume ſpracheſt; das Wort, auf deſſen Ertönen die Creatur den Schleier hinwegwirft, die Kräfte ſichtbar werden, die unter Rinde und Haut und im Kerne des Felſens arbeiten, und die Sprache des Vogels dem Ohre verſtändlich klingt.
158Seine Lippen zuckten, das Wort zu ſprechen, aber noch hielt er inne, denn vor ſein Auge trat der kummervolle Blick, mit dem ihn ſein großer Meiſter Albertus gebeten hatte, nach ſeinem Bei - ſpiele von der zufällig erlangten Kunde keinen Ge - brauch zu machen, da ſchwere Dinge dem Menſchen bevorſtänden, der mit Abſicht das Zauberwort ſpräche.
Plötzlich jedoch rief er es, wie von dem Verbote und von der Furcht nur um ſo gewaltiger vorwärts geſtoßen, laut in den Wald, indem er ſeine Rechte ausreckte.
Alſobald that es in ihm einen Schlag und ei - nen Ruck, daß er meinte, der Blitzſtrahl habe ihn getroffen. Seine Augen erblindeten, und es war ihm, als ob ihn ein reißender Wirbelwind im Kreiſe durch den unermeßlichen Raum ſchleudere. Als er entſetzt und ſchwindlicht mit den Händen umhergriff, fühlte er zwar den mooſigen Stein, an dem er ge - ſtanden, und kam dadurch in ſeinem Innern wieder zur Erde zurück, aber nun geſchah an ihm ein neues unheimliches Zeichen. Denn wie er vorher gleich einem Sandkorn durch das All geſchleudert worden war, ſo kam es ihm nun vor, als ob ſich ſein Leib in das Unendliche ausdehne. Unter furchtbaren159 Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft ſeine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müſſe an den Himmel rühren. Die Wände ſeines Hauptes und ſeiner Bruſt wurden tempelweit, in ſein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei - ßend, himmliſch, und er ſagte zu ſich: Das iſt der Geſang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End - lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol - luſt Raum, in welcher er ſeinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maaße zuſammenſchrumpfen fühlte, während die Rieſengeſtalt wie eine äußere Schaale oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umriſſen um ihn ſtehen blieb. Die Finſterniſſe wichen von ſeinen Augen, indem ſich große, gelbglänzende Licht - flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Aepfeln ablöſten und in die Augenwinkel zogen, wo ſie allmählig verſchwanden.
Während er ſo wieder ſehend wurde, ſang ein feiner, ſüßſtimmiger Chor um ihn her — er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräſer ihren Beitrag? — ganz vernehmlich:
In dem mooſigen Felsblock murrte es leiſe aber hörbar, es war, als ob der Stein ſich regen wollte und könnte es nicht, wie ein Scheintodter. Der Schüler blickte auf die Fläche des Steins, ach! da liefen die grünen und rothen Adern zu einem ural - ten Antlitz zuſammen, welches ihn aus müden Au - gen ſo wehmüthig und hülfeflehend anſchaute, daß er ſich erſchüttert abwandte und bei den Bäumen, Pflanzen und Vögeln Troſt ſuchte.
Unter denen war auch Alles verwandelt. Wenn er auf das kleine braune Moos trat, ſo ächzte es und ſchrie über den unſanften Druck, und er ſah, wie es die behaarten Händchen rang und die gelben oder grünen Häuptlein ſchüttelte. Die Stengel der Pflanzen und die Stämme der Bäume befanden ſich in einer immerwährenden ſchraubenförmigen Be - wegung, und zugleich ließ ihn die Rinde oder die äußere Haut in das Innere blicken, worin feine Geiſterlein zartglänzende Tröpfchen in die Röhren ſchütteten. Dann ſtieg das klare Naß von Röhre161 zu Röhre, indem ſich unaufhörlich Klappen öffneten und zuſchloſſen, bis es oben in den Haarröhrchen der Blätter zu einem grünen Dufte wurde. Leichte Verpuffungen und Feuer entzündeten ſich nun in dem Geäder der Blätter; ein Aetheriſches, Flam - mendes ſpieen unaufhörlich ihre fein-geſchnitte - nen Lippen aus, während eben ſo unaufhörlich der ſchwerere Theil jener feurigen Erſcheinun - gen in weichen Dampfwellen durch die Blätter hin und her ſchlich. In den blauen Glockenblumen, die auf dem feuchten Waldgrunde ſtanden, war ein Klingen und Singen; ſie tröſteten mit einem ſchö - nen Liede das arme alte Antlitz im Stein und ſagten, wenn ſie nur vom Boden los könnten, ſo würden ſie ihm herzlich gern die Erlöſung bringen. Aus den Lüften blickten den Schüler ſonderbare grüne, gelbe und rothe Zeichen an, die immer ſich zum Bilde fügen wollten und dann wieder ausein - anderbrachen, von allen Seiten kroch und ſchritt das Gewürm und Gekäfer an ihn heran und trug ihm verworrene Anliegen vor; der Eine wollte dies ſeyn, der Andere das, der Eine begehrte eine neue Flügeldecke, der Andere hatte ſich den Rüſſel abgebrochen; was in den Lüften zu ſchweben pflegte,Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 11162bettelte um Sonnenſchein, das Kriechende dagegen um die Feuchtigkeit. Dieſes ganze Geſindel nannte ihn ſeinen Herrgott, ſo daß ihm faſt wieder die Sinne zu ſchwanken begannen.
Auch bei den Vögeln war des Zwitſcherns, Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt - ſpecht kletterte an der Borke einer großen Eiche auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür - mern und ward nicht müd’ zu ſchreien: Ich bin der Förſter; ich muß für den Wald ſorgen! — Der Zaunkönig ſagte zum Finken: Es iſt gar keine Freundſchaft mehr unter uns; der Pfau will nicht leiden, daß auch ich ein Rad ſchlage, er meint, er habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt beim höchſten Gericht, und ich kann doch ein ſo ſchönes Rädlein ſchlagen mit meinem braunen Schwänzlein. — Der Fink verſetzte: Laß mich zufrie - den. Ich freß’ mein Korn und kümmere mich ſonſt um Nichts; ich hab’ ganz andere Sorgen, zu mei - nem Waldſchlag lern’ ich die eigentlichen kunſt - mäßigen Weiſen nur hinzu, wenn ſie mich blenden; es iſt aber ſchrecklich, daß aus Einem erſt was Rechtes wird, wenn man ſo hart verſtümmelt wor - den iſt. — Von Diebſtählen plauderten die Andern163 und von Mordthaten, die Niemand geſehen, als die Vögel:
Dann ſetzten ſie ſich auf den Zweigen ſtraff zurecht, kuckten den Schüler ſpöttiſch an und zwei freche Kohlmeiſen riefen: Da ſteht der Zauberer und hört uns zu und weiß nicht, was mit ihm geſchieht; nun, der wird Augen machen! — Der wird Augen machen! ſchrie der ganze Haufen und flog mit einem Gezwitſcher davon, welches wie ein halbes Lachen klang.
Indem bekam der Schüler einen Wurf in das Geſicht, er blickte empor, da ſah er ein ungeſchlif - fenes Eichhorn, das hatte ihm die hohle Nuß auf die Stirne geworfen, lag platt auf ſeinem Aſte auf dem Bauche, ſtierte ihm in’s Geſicht, und rief: Die hohle für dich, die volle für mich! — Ihr ungezogenes Geſindel, laßt den fremden Herrn doch zufrieden! rief eine ſchwarz und weiße Elſter, die wackelnd durch das Gras herzugeſchritten kam. Sie ſetzte ſich dem Schüler auf die Schulter und ſagte ihm in’s Ohr: Ihr müßt nicht uns Alle nach jenen unhöflichen Beſtien beurtheilen, gelahrter Herr,11*164es giebt auch unter uns wohlgezogene Leute. Da ſeht einmal durch die Oeffnung hindurch jenen wei - ſen Mann, das Wildſchwein, wie es ruhig ſteht und ſeine Eicheln verzehrt, und dabei im Stillen ſeine Gedanken hat. Herzlich gern will ich Euch Geſellſchaft leiſten und Euch erzählen, was ich nur weiß, das Reden iſt mein Vergnügen, beſonders mit alten Leuten.
Wenn das iſt, ſo wirſt du bei mir deine Rech - nung nicht finden, ich bin noch jung, verſetzte der Schüler.
Ach Himmel, wie ſich die Menſchen täuſchen können! rief die Elſter und ſah ganz gedankenvoll vor ſich hin.
Indem war es dem Schüler, als höre er aus noch größerer Tiefe des Waldes ein Seufzen, deſſen Ton ihm durch das Herz drang. Er fragte ſeine ſchwarz und weiß geſprenkelte Geſellſchafterin nach der Urſache, die ſagte ihm aber, ſie wolle zwei Eidexen darum ausforſchen, die dort ihr Morgen - brod äßen. Er ging nun mit der Elſter auf der Schulter nach dem Orte, wo dieſe Thierchen ſich befinden ſollten. Da hatte er eine wunderhübſche Schau. Die beiden Eidexchen waren gewiß vor -165 nehme Fräulein, denn ſie ſaßen unter einem gro - ßen Pilze, der wie ein prachtvolles Schirmzelt ſein goldgelbes Dach über ihnen ausſpannte. Dort ſaßen ſie und ſchlürften mit den braunen Züngel - chen den Thau vom Graſe, dann wiſchten ſie ſich die Mäulchen an einem Hälmlein ab und gingen mit einander im anſtoßenden Luſthain von Farren - kräutern ſpazieren, welcher vermuthlich der Einen zugehörte, die ihre Freundin bei ſich zum Beſuch hatte. Schack! Schack! rief die Elſter; der Herr möchte gern wiſſen, wer geſeufzt hat? Die Eidex - chen hoben die Köpfchen empor, wedelten mit den Schwänzchen und riefen:
Hm! Hm! ſagte die Elſter und wackelte mit dem Kopfe, daß man ſo vergeßlich ſeyn kann! Ja frei - lich, in der nahen Hainbuchenlaube ſchläft die ſchöne Prinzeſſin Doralice, die der böſe König Kanker eingeſponnen hat. O möchtet Ihr ſie erretten, ge - lahrter Herr! — Den Schüler trieb das Herz, er fragte die Elſter, wo die Laube ſei? Der Vogel flog voran von Zweig zu Zweig, den Weg zu zei - gen, ſo kamen ſie an eine ſtille Wieſe, rings ein -166 geſchloſſen, durch welche ein Bächlein, aus einer Felſenſpalte ſpringend, floß, wo gar artige Läublein von Hainbuchen ſtanden. Die Bäumchen hatten ihre Zweige zur Erde geſchlagen, ſo daß ſie den Boden wie ein Dach überwölbten, durch dieſe Dä - cher aber ſtachen die Fächerblätter des Farrenkrauts und ſchufen den Laubhäuslein die Lucken und Gie - bel. Die Elſter ſprang auf eins der Laubhäuslein, ſchaute durch eine Lucke und flüſterte geheimnißvoll: Hier ſchläft die Prinzeſſin. — Mit klopfendem Herzen trat der Schüler hinzu, kniete vor der Oeffnung der Laube nieder und blickte hinein — ach! da wurde ihm ein Anblick, der ihm Sinn und Seele in noch gewaltigeren Aufruhr jagte, als da er das Zauberwort ausſprach. Auf dem Mooſe, welches wie ein Pfühl die ſchöne Laſt umquoll, ruhte die reizendſte Jungfrau und ſchlummerte. Ihr Haupt lag etwas erhöht, den einen Arm hatte ſie unter den Nacken geſchoben, die weißen Finger leuchteten aus dem Goldbraun der Locken, welche in langen weichen Fluthen ſich zärtlich um Hals und Buſen ſchmiegten. Mit unſäglicher Wonne und Wehmuth ſchaute der Schüler in das herrliche Antlitz, auf den Purpur der Lippen, auf die Blüthe der Glieder,167 von denen ein verklärender Wiederſchein auf das dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie von einem geheimen Drucke belaſtet, in ſüßer Angſt zu athmen ſchien, machte ſie in ſeinen Augen nur noch verlockender, er fühlte, daß ſein Herz auf im - merdar gefangen genommen ſei, und nur an dieſem Munde ſein Lechzen ſtillen könne. Iſt es nicht Schade, ſagte die Elſter, die durch die Lucke in die Laube gehüpft war, und ſich der Schläferin auf den Arm ſetzte, daß eine ſo ſchöne Prinzeſſin ſich hat müſſen einſpinnen laſſen? — Wie? Einſpinnen? fragte der Schüler; ſie ruht ja, in ihren weißen Schleier gehüllt. O Thorheit! rief die Elſter, ich ſage, es ſind Spinnweben und der König Kanker hat ſie eingeſponnen. — Wer iſt der König Kanker?
Im menſchlichen Zuſtande war er ein reicher Garnſpinnerherr, verſetzte die Elſter, indem ſie wohl - gefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte ſei - ne Garnſpinnerei nicht weit von hier, außer dem Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter ſpannen unter ihm. Das Garn wuſchen ſie im Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der war ihnen ſchon lange bitterböſe, weil ſie mit der ekelhaften Wäſche ſeine klaren Fluthen trübten,168 und weil alle ſeine Kinder, die Schmerlen und die Forellen, von der Beize abſtanden. Er wirrte das Garn untereinander, die Wellen mußten es über den Rand des Ufers ſchleudern, er trieb es abwärts in die Strudel, um den Spinnerherrn zu warnen, aber Alles war vergeblich. Endlich, am Johannis - tage, an welchem die Flußgeiſter Macht haben, zu ſchrecken und zu ſchaden, ſpritzte er der ganzen Garnwäſcherzunft und ihrem Haupte, da ſie eben wieder ihre Wäſcherei recht frech und gewiſſenlos trieben, Feienwaſſer in das Antlitz, und, wie wilde und blutdürſtige Menſchen Währ-Wölfe und Währ - Kater werden können, ſo ſind die Garner und ihr Haupt Währ-Kanker geworden. Sie liefen Alle vom Flüßchen zum Walde und hangen mit ihren Geweben überall an Bäumen und Sträuchen umher. Die Spinner ſind gewöhnliche kleine Kanker gewor - den, fangen Fliegen und Mücken; ihr Herr aber hat faſt ſeine frühere Größe behalten und heißt der Kanker-König. Er ſtellt den ſchönen Mädchen nach, umſpinnt ſie, betäubt ſie mit ſeinem giftigen Dunſte und ſaugt ihnen dann das Blut vom Herzen. Zuletzt hat er dieſe Prinzeſſin überwältigt, welche von ihrem Gefolge im Walde abgekommen war. 169Sieh dort — dort — dort regt er ſich zwiſchen den Büſchen.
Wirklich war es dem Schüler, als ſehe er durch die Zweige gegenüber einen rieſigen Spinnenleib ſchimmern, zwei haarige Füße, dick wie Menſchen - arme arbeiteten ſich durch das Laub; eine entſetz - liche Angſt um die ſchöne Schläferin ergriff ihn, er wollte dem Ungeheuer entgegenſtürzen. Umſonſt! rief die Elſter und ſchlug mit den Flügeln; alle verzauberte Menſchen haben furchtbare Kräfte, das Ungethüm würde dich in der Umknotung erſticken, aber ſtreue deiner Schönen Farrenſaamen auf die Bruſt, der macht ſie unſichtbar vor dem Kanker - König, und ſo lange nur ein Stäubchen davon liegt, dauert der Segen aus. Eiligſt ſtreifte der Schüler den braunen Staub von der unteren Fläche eines Farrenblattes ab und that, wie ihm der Vogel geſagt hatte. Indem er ſich hiebei über die Schläferin beugte, rührte ihr Othem ſeine Wange. Verzückt rief er: Giebt es kein Mittel, dieſes ge - liebte Bild zu befreien? Oh! ſchrie der Vogel und ſchoß wie toll in Zickzackflügen um den Schü - ler, wenn Ihr mich um ſo ein Mittel befragt, das giebt es wohl. Unſer weiſer Alter in der170 Kluft hat den Eibenbaum in Verwahr, wenn Ihr davon einen Zweig bekommt und mit demſelben die Stirne der Schönen dreimal berührt, ſo weicht alle Feſſelung von ihr,
ſie wird in Eure Arme ſinken und Euch, als ihrem Retter, angehören. In dieſem Augenblicke war es, als ob die Schlafende die Reden des Vogels ver - nähme. Ihr ſchönes Geſicht wurde von einer zar - ten Röthe überzogen, ihre Züge nahmen den Aus - druck einer unendlichen Sehnſucht an. Führe mich zum weiſen Alten! rief der Schüler halb von Sinnen.
Der Vogel ſprang in die Büſche, der Schüler eilte ihm nach. Die Elſter flatterte einen engen Felſenweg empor, der bald nur noch über Mo - raſt und wildumhergeworfene Steinblöcke gefährlich hinanleitete. Von Block zu Block mußte der Schü - ler klimmen, wollte er nicht im Sumpfe verſinken. Seine Kniee zitterten, ſeine Bruſt keuchte, ſeine Schläfe bedeckte kalter Schweiß. Er rupfte in der Eile Blumen und Blätter ab und ſtreute ſie auf die Steine, damit er den Weg wiederfinden möchte. Endlich ſtand er auf bedeutender Höhe vor einem ge -171 räumigen Felſenportal, aus deſſen dunkelem Schlunde ihm eine Eisluft entgegenſtrich. Die Natur ſchien hier noch in der uralten Gährung zu ſeyn, ſo fürch - terlich und zerriſſen ſtarrte das Geſtein über, neben, vor der Höhle.
Hier wohnt unſer Weiſer! rief die Elſter, in - dem ſich ihre Federn vom Kopf bis zum Schweife ſträubten und krauſ’ten, ſo daß ſie ein unheimliches und widerwärtiges Anſehen bekam. Ich will dich bei ihm anmelden und fragen, wie er über deinen Wunſch geſonnen iſt? mit dieſen Worten ſchlüpfte ſie in die Kluft. Sie kam aber gleich wieder her - ausgeſprungen und rief: Der Alte iſt mürriſch und eigenſinnig, er will nicht anders dir den Eiben - zweig geben, als wenn du ihm alle Ritzen der Höhle verſtopfeſt, denn er ſagt, die Zugluft ſei ihm empfindlich. Aber ehe du damit fertig wirſt, kann manches Jahr vergehen. — Der Schüler raffte des Mooſes und Krautes zuſammen, ſo viel er faſſen konnte, und ging nicht ohne Schauder in die Höhle. Drinnen ſahen ihn von den Wänden Tropfſteinfratzen an, er wußte nicht, wohin er ſein Auge vor den abſcheulichen Geſtalten retten ſollte. Er wollte tiefer in den Felsgang dringen, da172 ſchnarchte es ihm aus der hinterſten Ecke entgegen: Zurück! Störe mich nicht in meinen Forſchungen, treibe da vorne dein Weſen! Er wollte entdecken, wer da ſpreche, ſah aber nichts als ein Paar glüh - rother Augen, die aus dem Dunkel leuchteten. Nun gab er ſich an ſeine Arbeit, ſtopfte überall Moos und Kraut ein, wo er eine Spalte ſah, durch welche ein Schimmer des Tageslichtes drang, aber das war ein ſchwieriges und, wie es ſchien, un - endliches Werk. Denn, glaubte er mit einer Spalte fertig zu ſeyn und ſich zu einer Anderen wenden zu können, ſo fiel das Eingeſtopfte wieder heraus und er mußte von vorn beginnen. Dazu ſchnarrte das Schnarchende im Hintergrunde der Höhle Töne und Laute ohne Sinn ab und ließ nur bisweilen ver - ſtändliche Worte ausgehen, die ſo klangen, als ob es ſich ſeiner tiefen Forſchungen berühme.
Die Zeit ſchien dem Schüler im reißenden Fluge unter ſeiner verzweiflungsvollen Arbeit vorüber zu eilen. Tage, Wochen, Monate, Jahre kamen, ſo dünkte ihm, und ſchwanden, und dennoch ſpürte er weder Hunger noch Durſt. Er glaubte ſich dem Wahnwitze nahe und wiederholte ſich ſtill mit einer Art von raſender Leidenſchaft die Jahreszahl und173 daß er am Tage Peter und Paul zu Walde gegan - gen ſei, um nicht gar aus aller Zeit zu treten. Wie aus weiter Ferne ſah ihn das Bild ſeiner geliebten Schlummernden an, er weinte vor Sehn - ſucht nnd Trauer und doch fühlte er keine Thräne über die Wangen rinnen. Auf einmal war es ihm, als ſehe er eine bekannte Geſtalt ſich der Schläfe - rin nähern, entzückt ſie betrachten und ſich dann wie zum Kuſſe über ſie beugen. In dieſem Augen - blicke übermannten ihn Schmerz und Eiferſucht, Alles um ſich her vergeſſend ſtürzte er gegen den dunkeln Hintergrund der Höhle. Den Eibenzweig! rief er heftig. Da wächſt er! antwortete das Glühende, Schnarchende, und zugleich fühlte er die Zweige eines Baumes in der Hand, der aus einer finſteren Spalte der Grotte emporſtand. Er brach an einem Zweige, da that es ein Winſeln um ihn her, das Glühende ſchnarchte ſtärker als jemals, die Höhle ſchwankte, ſchütterte, ſtürzte zuſammen, Nacht wurde es vor den Augen des Schülers, und unwillkührlich rief es aus ihm hervor:
Als ſeine Augen wieder helle wurden, ſah er ſich174 um. Ein dürrer, ſonderbar mißfarbiger Stecken lag in ſeiner Hand. Er ſtand zwiſchen Geſtein, welches ſich zu einer Kluft wölbte, die aber nicht eben mächtig war. In der Tiefe klangen ſchrillende, pfeifende Töne, wie ſie die großen Eulen von ſich zu geben pflegen. Die Gegend umher war wie verwandelt. Es war eine mäßige Anhöhe, kahl und ärmlich, mit unbedeutenden Steinen überſäet, zwiſchen denen auf der einen Seite nach der Tiefe zu durch feuchtes Erdreich der Weg hinableitete, den er heraufgekommen war. Von den großen Felsblöcken war keiner mehr zu erſchauen. Ihn fror, obgleich die Sonne hoch am Himmel ſchien. Es bedünkte ihn, als habe ſie denſelben Stand, wie damals, als er ausgegangen war, den Zweig zu holen, der nun zum dürren Stecken in ſeiner Hand geworden war. Er ging den Pfad über die Steine hinab, das Wandern fiel ihm beſchwerlich, er mußte ſich auf den Stecken ſtützen, das Haupt hing auf die Bruſt hinab, er hörte ſeinen Othem, der mühſam aus ihr hervordrang. An einer ſchlüpf - richten Stelle des Pfades glitt er aus und mußte ſich am Gebüſch halten. Dabei kam ihm ſeine Hand dicht vor das Auge, die ſah grau und runz -175 licht aus. Herr Gott! rief er, von einem Schau - der gepackt, bin ich denn ſo lange — —? Er wagte ſeinen eigenen Gedanken nicht auszuſprechen. Nein, ſagte er, ſich gewaltſam beruhigend, es thut die kühle Waldluft, daß mich ſo friert, matt bin ich von der Anſtrengung geworden, und das gebrochene fahlgrüne Licht, welches durch die Büſche fällt, giebt den Händen die ſeltſame Farbe. Er ſchritt weiter und ſah auf den Steinen die wilden Blumen und Blätter liegen, welche er bei dem Hinaufklimmen dahin geſtreut hatte, den Weg zu merken. Sie waren friſch, als ſeien ſie eben hingelegt worden. Damit war ihm ein neues Räthſel geſetzt. Ein Köhler hockte ſeitwärts vom Wege im Gehölz und ſchnitt Aeſte ab, den fragte er nach dem Tage. Ei Vater, verſetzte der Köhler, ſeid Ihr ein ſo böſer Chriſt, daß Ihr Apoſtelntag nicht kennt? Wir haben Peter und Paul, wo der Hirſch aus dem Wald ins Korn tritt. Ich will meinem Jun - gen da aus dem Maſeraſt ein Spielwerk ſchneiden, ſonſt arbeit’ ich nicht an dem Tag, aber das iſt zur Luſt und Ergötzlichkeit, und die iſt erlaubt, ſagt der Caplan.
Ich bitte dich, Geſell, rief der Schüler, den das Grauen immer ſtärker durchrieſelte, ſag’ mir176 an, welche Jahrzahl ſchreibt Ihr in der Chriſten - heit? Der Köhler, von dem auch die Feiertags - wäſche den Ruß nicht hatte bringen mögen, hob ſich mit ſeinen mächtigen Gliedern ſchwarz zwiſchen den grünen Büſchen empor, und ſprach nach einigem Beſinnen die Jahreszahl aus. — O du mein Hei - land! ſchrie der Schüler und ſtürzte, von ſeinem Stecken nicht gehalten, auf den Steinen zuſammen. Dann ſchleuderte er den Stecken hinweg und kroch zitternd den Steinpfad hinab.
Verwundert trat der ſchwarze Köhler, den Ma - ſeraſt in der Hand, aus den Sträuchen auf die Steine, ſah den Stecken liegen, bekreuzte ſich und ſprach: Der iſt von der Eibe, die da droben wächſt im Eulenſtein, wo der Schuhu horſtet. Sie ſagen, ſie ſchaffe den Zauber, und löſe geſchaffenen Zauber. Gott behüte uns! der Alte hatte böſe Dinge aus - laufen laſſen. — Dann ging er in die Büſche zu - rück, ſeiner Hütte zu, um das Spielwerk für ſeinen Knaben zu ſchnitzen.
Unten auf der luſtigen Waldwieſe neben der Hainbuchenlaube, am klaren Wäſſerlein, welches dort ſeine Räder zu einem breiten Becken ausein -177 ander geſpült hatte, ſaßen der junge Ritter Kon - rad und die Schöne, welche er ohne magiſche Künſte aus dem Schlummer geweckt hatte. Lieblich dräng - ten ſich rothe, blaue und gelbe Kelche aus den Grä - ſern um ſie her, und das Paar blühte in Jugend und Schönheit, der Ritter in ſeinem bunten Schmuck, die Jungfrau in ihren ſilberglänzenden Schleiern, als die herrlichſte Blume aus dieſem Schmelz empor. Er hatte ſeinen Arm ſanft um ihren Leib gelegt und ſagte, ihr treu und zärtlich in das Auge ſehend: Bei der Aſche meiner lieben Mutter, und bei dem heiligen Zeichen auf dem Griffe dieſes Schwerts, ich bin, der ich mich dir genannt habe, Herr mei - ner Schlöſſer und meiner Tage, und beſchwöre dich nun, du holdſeliges Wunder dieſes Forſtes, daß deine Lippen das Wort ſprechen, welches mich auf ewig dir in den Beſitz geben wird, den der Prie - ſter vor dem Altare weihen und ſegnen ſoll. —
Was für ein Wort begehrſt du noch? ſagte die Schöne leiſe, indem ſie züchtig die Wimpern ſenkte. Hat nicht mein Auge, meine Wange, mein klopfender Buſen Alles geſprochen? Minne iſt eine gewaltige Königin; ſie fährt daher unverſehens und ergreift, den ſie mag, ohne Widerſtand zu dulden. Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 12178Bringe mich, bevor der Tag ſinkt, nach dem Klo - ſter am Odenwald zur frommen Aebtiſſin, ſie wird mich unter Schirm nehmen, dort will ich zwiſchen ſtillen Mauern harren, ob du kommen und mich heimführen willſt. Sie wollte aufſtehen, der junge Ritter hielt ſie aber ſanft zurück und ſagte: Laß uns an dieſem Platze, wo meine Seligkeit wie ein goldenes Mährchen emporſproßte, noch einige Augen - blicke verweilen. Fürchte ich doch noch immer, daß du mir, gleich einer reizenden Waldnymphe ver - ſchwindeſt! Hilf mir, daß ich an dich glaube und an deine holde Sterblichkeit. Wie biſt du herge - kommen? Was war mit dir?
Ich war, verſetzte die Schöne, heute Morgen zu Walde geflohen vor meinem Vormunde, dem Grafen Archimbald, deſſen Abſichten plötzlich, ich weiß nicht ob auf mich, oder auf meine Güter, bös und erſchreckend hervorgetreten waren. Was hilft der Jugend und dem Weibe reiches Erbe? Es iſt immerdar ſchutzlos und verlaſſen. Ich wollte mich zur Aebtiſſin flüchten, ich wollte den Kaiſer in Maynz antreten, kaum wußte ich ſelbſt, was ich wollte. So kam ich in dieſe grünen Baum - hallen. Mein Herz war nicht auf den Helfer179 gerichtet, meine Gedanken haderten mit dem Himmel.
Auf einmal, wie ich dieſe Wieſe ſchon vor mir liegen ſah, war mir, als würde da drüben in den Büſchen etwas geſprochen, worauf ich mich und Alles um mich her verwandelt fühlte. Ich kann dir das Wort, oder den Laut nicht beſchreiben, mein Geliebter! Der Geſang der Nachtigall klingt heiſer gegen ſeine Süßigkeit und das Rollen des Donners iſt, mit ihm verglichen, nur ein ſchwaches Flüſtern. Es war gewiß das Geheimſte und Zwin - gendſte, was es zwiſchen Himmel und Erde geben kann. Auch auf mich übte es eine unwiderſtehliche Gewalt, da es in meinen faſſungsloſen Geiſt, in das Getümmel meiner Sinne fiel und kein Ge - danke des Heils ihm in mir entgegentrat. Meine Augen ſchloſſen ſich und doch ſah ich den Weg vor meinen Füßen, den die Füße, wie von unſichtba - ren, weichen Händen gelenkt, wandeln mußten. Ich ſchlief und ſchlief doch nicht, es war ein un - beſchreiblicher Zuſtand, in dem ich endlich unter jener Laube auf weichem Mooſe niederſank. Es ſprach und ſang Alles um mich her, in mir fühlte ich den Wogenſchlag der jubelndſten Wonne, jeder12*180Tropfen Blutes leuchtete und tanzte durch die Adern und doch ſaß mir im tiefſten Herzen das aller - äußerſte Grauen vor dieſer Verfaſſung und die heißeſte Bitte um Erweckung aus meinem Schlafe. Aber ich ſpürte, daß von dem Grauen nichts in mein Antlitz trat, wunderbarer Weiſe konnte ich mich ſelbſt ſchauen und ſah, daß meine Wangen von der Wonne lächelten, als würden mir himm - liſche Freudenlieder zugeſungen. Immer weiter griff die Wonne in mein Herz, immer weiter drängte ſie das Grauen zurück, eine furchtbare Angſt befiel mich, daß dieſes Pünctchen ganz aus mir getilgt und ich eitel Wonne werden würde.
In dieſer Noth, und dem Verſchwinden alles Bewußtſeyns nahe, gelobte ich mich dem, der mich erwecken und befreien werde, zu eigen. Ich ſah nun durch meine geſchloſſenen Augenlieder eine dunkele Geſtalt ſich über mich beugen. Das Antlitz war edel und groß, und doch fühlte ich einen tiefen Widerwillen gegen Dieſen und es flog wie ein Schatten durch meine Empfindung, daß er es ge - weſen ſeyn möchte, der das verdammliche Wort geſprochen habe. Aber immer rief ich ſtumm in mir und doch laut für mich: Wenn er dich weckt181 und befreit, ſo mußt du ihm für dieſe überſchwäng - liche Wohlthat angehören, denn du haſt es gelobt. — Er hat mich nicht geweckt!
Ich, ich habe dich geweckt, mein theures Lieb, und nicht mit Zauberſpruch und Segen, nein, mit heißem Kuß auf deine rothen Lippen! rief der junge Ritter entzückt und hielt die ſchöne Emma feſt umſchlungen. — Das ſind wohl rechte Wunder im Speſſart geweſen, die uns zuſammengeführt haben. Ich hatte mich draußen am Heerweg von meinem geliebten Freunde Petrus getrennt nach ſeltſamen verfänglichen Geſprächen. Als ich einige hundert Schritte geritten war, überfiel mich noch einmal eine große Sorge um ihn, ich ſaß ab und wollte wiederholt ihm ans Herz legen, ſeine dunkelen Wege zu laſſen und mit mir gen Maynz zu ziehen. Als ich mich wandte, ſah ich ihn in den Wald ſchlüp - fen. Ich rief ſeinen Namen, er aber hörte mich nicht. Die Sporen verhinderten mich am raſchen Gehen; ich konnte ihm nur von Weitem folgen, doch ließ ich nicht ab, hinter ihm her zu rufen, was aber vergeblich blieb. Endlich verſchwand mir ſein ſchwarzer Mantel zwiſchen den Bäumen. Auch ich ſah die ſchöne grüne Wieſe ſchimmern und182 wollte mir den lichten Blumenſchein beſehen. So kam ich her, nachdem ich noch die Kreuz und Quer nach meinem Freunde geſucht hatte. Auch mich umgab es hier im Walde aus den Lüften wie ein Wühlen und Schwingen, das Gewürm war in einer Bewegung, die Vögel verführten ein ſo eigenes Flattern und Zirpen. — Weil ich aber an die helle gute Straße dachte, auf die ich den Petrus gern bringen wollte, ſo hat mir vermuthlich das Weſen nichts anhaben können. Als ich dich ſchlummernd fand, drang mir mit der Gewalt der ſüßeſten Liebe ein ungeheures Mitleid um dich in das Herz, ich frohlockte und weinte doch Thränen, die heißeſten, die je aus meinen munteren Augen gekommen. Ich glaube, daß mir vergönnt war, in den Winkel zu ſchauen, wo dir das Grauen wohnte. Schluch - zend und lachend rief ich:
und da boten meine Lippen in Gottes Namen den Deinen ihren Gruß…
183Und die Feſſeln fielen ab von mir, ich erwachte, und mein erſter Blick traf in dein treues weinen - des Auge, rief die ſchöne Emma. Ich dankte Gott, auf deſſen Namen ich mich jetzt wieder be - ſann, daß ich erlöſet ſei, und dann dankte ich ihm, daß du es geweſen, der mich befreiet habe, und nicht jener Dunkle.
Der junge Ritter war nachdenklich geworden. Ich fürchte, ſagte er, alle dieſe geheimnißvollen Wald - wunder ſtehen mit Petrus in Zuſammenhang. Ich fürchte, daß ich an dem Tage, wo ich meine Liebe gewann, meinen Freund verloren habe. Wo mag er nur geblieben ſeyn?
Das Paar fuhr erſchreckt auseinander, denn ſie ſahen in dem Waſſer zu ihren Füßen zwiſchen ihren blühenden Häuptern ein eisgraues, greiſes abgeſpiegelt. Hier iſt er, ſagte ein zitternder, ge - beugter, ſchneeweißer Alter, der hinter ihnen ſtand. Er trug den neuen, ſchwarzen Mantel des Schülers.
Ja, ſagte der Alte mit ſchwacher, erloſchener Stimme; ich bin dein Freund Petrus von Stetten. Ich ſtand ſchon lange hinter Euch und hörte Eure Reden, und die Geſchicke ſind klar geworden. Es iſt noch der Peter - und Paulstag, an dem wir184 uns trafen und trennten draußen auf dem Heer - wege, der kaum tauſend Schritte weit von hier läuft und ſeit wir von einander gegangen ſind, mag eine Stunde verſtrichen ſeyn, denn der Schatten, den der Strauch da auf den Raſen wirft, iſt nur um ein Geringes gewachſen. Wir waren vier und zwanzig Jahre alt vor dieſer Stunde, du biſt darin um ſechszig Minuten, ich aber bin derweile um ſechszig Jahre älter geworden. Ich habe vierund - achtzig. — So ſehen wir uns wieder; ich habe es freilich nicht gedacht.
Konrad und Emma waren aufgeſtanden. Sie ſchmiegte ſich ſcheu an den Geliebten und ſagte leiſe: Es iſt ein armer Irrſinniger. — Nein, du ſchöne Emma, ſagte der Alte, ich bin nicht irre. Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich, und ich hätte dich haben können, wäre es mir vergönnt geweſen, in Gottes Namen dir den rothen Mund zu küſſen, was der einzige Segen iſt, womit ſchöne Minne erweckt wird. Statt deſſen mußte ich nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu ſeine Klauſe vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun, wie es gekommen iſt, ſo mußte es kommen. Er hat die Braut, und ich habe den Tod davon getragen.
185Konrad hatte immerfort ſtarr in das Geſicht des Alten geſehen, um durch die Runzeln und Fal - ten hindurch ein früheres Lineament des Jugend - freundes zu entdecken. Endlich ſtammelte er: Ich beſchwöre dich, Menſch, uns zu verkünden, wie dieſe Verwandlung hat zugehen können, damit uns nicht ein Schwindel faßt und zu ſchrecklichen Dingen treibt!
Wer Gott verſucht und die Natur, über den ſtürzen Geſichte, an denen er raſch verwittert, ant - wortete der Alte. Dabei bleibt der Menſch, wenn er auch die Pflanzen wachſen ſieht und die Reden der Vögel verſtehen lernt, ſo einfältig wie zuvor, läßt ſich von einer albernen Elſter Fabeln von der Prinzeſſin und vom Kankerkönige aufbinden, und ſieht Frauenſchleier für[Spinnweben] an. Die Natur iſt Hülle, kein Zauberwort ſtreift ſie von ihr ab, dich macht es nur zur grauen Fabel.
Er ſchlich langſam in die Waldgründe. Konrad wagte nicht, ihm zu folgen. Er leitete ſeine Emma aus dem Schatten der Bäume nach der heiteren Straße, wo das Licht in allen Farben um die Kronen der Stämme ſpielte.
Noch einige Zeit lang hörten die Wanderer im Speſſart hinter Felſen und dichten Baumgruppen186 zuweilen mit einer hohlen und geiſterhaften Stimme Reime ſprechen, die dem Einen wie Unſinn, dem Anderen wie tiefe Weisheit klangen. Gingen ſie dem Schalle nach, ſo fanden ſie den Alten, der noch ſo wenige Jahre zählte, wie er, erloſchenen Auges, die Hände auf die Kniee geſtützt, ſtarr in die Weite blickte und die Sprüche vor ſich hin - ſagte, deren Keiner aufbehalten geblieben iſt. Nicht lange aber, ſo wurden ſie nicht mehr gehört, und auch den Leichnam des Alten fand man nicht.
Konrad freite ſeine Emma; ſie gebar ihm ſchöne Kinder und er lebte bis zu ſpäten Jahren mit ihr in großer Freude und Luſt.
Als der Jäger am Morgen nach ſeinem ſchön - ſten Tage im Heu erwachte, ſchmerzte ihn heftig ſein Kopf. Denn man ſei ſo verliebt, als man will, der Duft von friſchem Heu nimmt den Kopf ein, und er hätte den Tod von der unvorſichtig gewähl - ten Lagerſtatt haben können. Anfangs zwar hatten die lieblichſten Träume von Lisbeth ſein Hirn um - gaukelt. Ihm träumte, ein Bauer trete mit einem verſchloſſenen Korbe zu ihm und ſage, darin ſei ein Geſchenk, der Herr wiſſe wohl, von wem? Nun öffnete er den Korb, und ein weißes Täubchen war darin mit purpurrothen Füßchen und purpur - rothem Schnabel. Er erſtaunte über die Weiße und Schönheit des Thierchens und hatte ſeine große Freude daran. Wie wurde ihm aber, als das Thierchen ſein rothes Schnäblein öffnete und190 zu ihm ſprach: Lisbeth ſchickt mich zu dir und läßt dir ſagen — die Taube redete aber nicht aus; ſie wurde ängſtlich, flatterte ſcheu fort, und er be - kümmerte ſich im Traume darüber, daß er nicht zu erfahren bekam, was ſein Mädchen ihm durch den zarten Boten hatte ſagen laſſen wollen.
Nach dieſem hatte er verworrene Geſichter und gegen Morgen eins, was ihm kaum noch wie ein Traum vorkam, es ſchien ihm Wirklichkeit zu ſeyn, die in ſeine vom Heuduft umwölkten Sinne fiel. Es war ihm, als ob — oder vielmehr, es war in der That ſo. In einer anderen Ecke des Schop - pens begann es, ſich zu rühren, und der Jäger ſah, wie eine dunkele Geſtalt ſich reckte, er hörte, wie ſie gähnte und darauf ſprach: Mein Treu, ich glaub’, ’s iſt halber ſieb’n. Die Stimme war eine ihm ganz bekannte. Die Geſtalt erhob ſich, taſtete umher und kam an den Ort, wo der Jäger lag, befangen von dem Dunſte des Schoppens und un - fähig ein Glied zu bewegen, ängſtlich ſtarr unter der Laſt des Alps, der ihn drückte. — Ei, was a wüſter G’ſell! rief die Geſtalt. Haſt nit heime finden können? Biſt in’s Heu gekrochen? Nun - ſchlaf aus, ich verſtör’ dich nit weiter.
191Mit dieſen Worten entfernte ſich die Geſtalt. Der Jäger wollte: Jochem! rufen, konnte aber keinen Laut aus der zuſammengeſchnürten Kehle bringen. So lag er noch eine Zeit lang. Endlich ſetzte ſich das ſtockende Blut doch wieder gewalt - ſam in Bewegung, er konnte ſeine Arme und Füße regen. Haſtig ſprang er von dem gefährlichen La - ger auf und eilte in das Freie, um Gottes reine Luft einzuathmen.
Draußen pfiff ihm ein rauher Nordoſtwind ent - gegen. Ein brenzlichter Geruch ſchwebte in der Luft, und ein Bauer, der vorbeiging, ſagte: Es giebt heut Haarrauch. Er fragte den Mann nach dem nächſten Wirthshauſe, welches ihm in einiger Entfernung auf einer Höhe gezeigt wurde. Sein Weg lief über ein hohes, braunes Haideland, in geringer Entfernung in der Tiefe ſah er aber grüne Wieſen, durch welche ſich der Fluß, der ſie ſpeiſte, in zwanzig Windungen ſchlängelte. Schaaren von Landleuten waren mit dem zweiten Hiebe auf den Wieſen beſchäftigt. Auf manchen Wieſen wurde die Grummet auch ſchon gewendet.
Im Wirthshauſe heilte ſich der Jäger von ſei - nen Kopfſchmerzen durch das kalte Waſſer, in wel -192 ches er ſein brennendes Antlitz eintauchte. Aber er blieb nichts deſtoweniger unwohl. In der Bruſt fühlte er ein eigenes Drücken und Wühlen, was ihn zwar nicht ängſtlich machte, aber ihn doch an den Blutſturz erinnerte, den er als Achtzehnjähri - ger gehabt hatte und dem ähnliche Empfindungen vorhergegangen waren. Sein Arzt auf der Uni - verſität hatte ihn damals nach der Herſtellung gewarnt und ihm geſagt, er müſſe ſich vor unor - dentlichem Leben und Gemüthsbewegungen in Acht nehmen, denn ſo vollſaftigen Conſtitutionen, wie der ſeinigen, droheten beſtändig Rückfälle des Uebels, wenn es einmal ſich Bahn gebrochen habe. Nun war ſeine Lebensweiſe in den letzten Wochen frei - lich nicht die ordentlichſte, ſeine Stimmung aber nur eine Gemüthsbewegung geweſen.
Er nahm Speiſe und Trank um dadurch die erregten Lebensgeiſter zu beruhigen. Wirklich fühlte er ſich auch danach beſſer. Er fragte nach dem Schloſſe, wo es liege? Da hörte er nun ſeltſame Dinge. — Sie müſſen bald fertig ſeyn da droben, der alte Herr Baron und das gnädige Fräulein und der fremde Herr, ſagte der Wirth. Denn man ſieht ſie kaum noch außer dem Hauſe. Das ſieht193 auch ganz gefährlich aus, und der Landbaumeiſter, der geſtern hier vorſprach, ſagte, wenn nicht bald reparirt werde, ſo müſſe die Obrigkeit Einſehen haben und auf Abtragung des Dinges dringen, welches jeden Tag einſtürzen könne.
Der Jäger verwunderte ſich über dieſe Reden, die mit Lisbeths Beſchreibungen in ſo großem Wi - derſpruch ſtanden. Die Anweſenheit eines Frem - den in dem ſogenannten Schloſſe kam ihm ſtörend vor; er fragte den Wirth: Was für ein Fremder das ſei?
O, verſetzte der Mann, dieſen Menſchen kann keine Menſchenſeele beſchreiben; ich glaube aber, daß er Gold macht.
Der Jäger ſchüttelte den Kopf über die när - riſchen Nachrichten, die er hier empfing und machte ſich raſch auf den Weg, denn ihn drängte es, das Geſchäft, was ſeiner Liebe beigeſellt war, zu Ende zu bringen. An dieſe dachte er mit aller Freude des Herzens und dennoch — ſchlich ein tragiſcher Hauch über die reinen Wellen, welche in ſeinem Buſen wallten. Denn ſo iſt es mit der Liebe. Am Tage nach der ſüßeſten Erklärung wirſt du, all dein Glück inniglich durchfühlend, verlegenImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 13194ſeyn, außer Faſſung, in Zwieſpalt mit dir und der Welt. Du wirſt es nicht ſagen, weder laut noch leiſe, aber einen Gedanken wirſt du haben und zürnen, daß du ihn nicht unterdrücken kannſt — den Gedanken: Wäre es noch vorgeſtern! — Das iſt keine Reue, das iſt kein Wankelmuth, aber du fühlſt, vorbei ſei das alte Leben, ein neues beginne. Und was dieſes dir bringen werde, wiſſen nur die Spinnerinnen, deren Geſang du hörſt, deren Werk aber erſt in deiner Todesſtunde offenbar wird.
In ſo unruhiger Bewegung machte der Jäger ſeinen Weg. Er glaubte einen Nachtraum ſeines Traumes zu erleben, als er auf einmal nicht weit von der Straße drei junge Leute unter einem Baume ſitzen ſah, in welchen er, wenn nicht alle Aehnlichkeiten trogen, die drei Unbefriedigten wie - dererkannte, von welchen in dem Briefe an ſeinen Freund Ernſt im Schwarzwalde die Rede geweſen iſt. Sie trugen noch, wie damals in Stuttgart, grüne Sammetröcke, grüne Sammethoſen und große grüne Sammetſchirmkappen, und ihre Geſichter waren im Gegenſatz zu dieſer hoffnungsfarbigen Tracht auch noch ſo bleich und leidend wie da -195 mals. Der Jäger ſtand einen Augenblick ſtill und hörte den Einen zu den Andern ſagen: Muth, Brüder, wir ſind am Ziele, oder alle Zeichen, die wir eingeſammelt haben und die auf unſeres Mei - ſters Nähe deuten, trogen. — Der Jäger wollte ſich ihnen nahen, denn er hatte hin und wieder mit dieſen Unbefriedigten ſich in Stuttgart unterhal - ten. Er wollte ſie fragen, was ſie ſo unvermuthet in dieſe Gegend führe? Aber da ſtanden ſie alle Drei auf und ſchlugen einen anderen Weg ein. Ihnen nachzugehen hatte er aber keine Luſt. Viel - mehr verfolgte er ſeine Straße.
Er war jedoch nicht lange gegangen, ſo ſah er einen neuen Bekannten, oder wenigſtens einen Lands - mann, wie das erſte Grußwort ihm den Wanderer als ſolchen zu erkennen gab. Ein unterſetzter Mann, der einen Packen auf dem Rücken trug, kam ihm der - ben Schrittes entgegen. Da er ſich Schwäbiſch angeſprochen hörte, ſo blieb der Jäger bei dem Landsmanne ſtehen und fragte ihn nach Herkunft und Gewerbe. Ei, verſetzte der Packenträger, ich bin ja der Ehinger Spitzenmann. Ja, die Ehin - ger wandern überall umher, mußt’ einmal auch dieſe Gegend beſuchen. Zudem hab’ ich noch ein13*196apartes Geſchäft hier, wann ich meine Spitzen bei einigen Bauern herum ausgeboten hab’. Ich ſuch’ was oder wen in dem Schloß nahzu, darf nicht davon reden, denn die Sach’ betrifft eine Ehinger Heimlichkeit, aber wie ich mein’, iſt die Spur nach dem Schloß richtig.
Der Ehinger Spitzenkrämer trennte ſich darauf von dem Jäger. Letzterer hatte abentheuerliche Gedanken über den Fremden im Schloſſe, der ein Goldmacher ſeyn ſollte und den ſein Landsmann ſuchte, konnte jedoch denſelben nicht lange nach - hangen, denn bald feſſelte ein Anblick der uner - wartetſten Art ſeine Aufmerkſamkeit. Der Weg kreuzte die große Heerſtraße, welche den Oſten Deutſchlands mit dem Weſten verbindet, und auf dieſer ſah er ein wunderſames Fahrzeug ſich lang - ſam heranbewegen. Gezogen wurde es von zwei Ochſen mit Bügeln, woran Schellen klingelten, den Wagen ſelbſt aber hätte man von weitem für einen ſogenannten überdeckten Wurſtwagen halten können. Er war dieſes aber nicht, ſondern ebenfalls ein öſtliches oder wenigſtens oſtartiges Gefähr. Auf Stützen ruhte ein Dach von rothem Tuch mit gel - ben Troddeln über einem weitläuftigen Kaſten, den197 ſchmale Borde umſchloſſen. In dieſem Kaſten lagen orientaliſche Polſter, und auf den Polſtern ſaß mit gekreuzten Beinen ein Türke und hielt den Bern - ſteinknopf ſeiner Pfeife am Munde. Nicht allein war dieſer Türke in dem Kaſten, ſondern verſchie - denes anderes Gethier theilte denſelben mit ihm; ein Paar Affen in Käfichen und drei oder vier Papageien. Neben den Ochſen ging ein junger Neger in weißen Hoſen und rother Jacke, lenkte ſie, wo es nöthig war, trieb ſie jedoch nicht ſon - derlich an, ſo daß das Fuhrwerk ſich nur langſam fortſchob.
Der Jäger begriff nicht, wie der Orient plötz - lich hieher komme, ſein Erſtaunen wuchs aber, als der Türke, deſſen blaſſes und geiſtreiches Ge - ſicht etwas ungemein Gelangweiltes offenbarte, ihn in reinem Deutſch nach der Entfernung des Schloſ - ſes fragte, dem der junge Liebende ebenfalls zuſtrebte. Als er den Fremden bei der Antwort näher anſah, ſchoß ihm plötzlich eine Erinnerung durch den Kopf. Ein ſehr ähnlicher Kupferſtich, den er kurz vor ſeiner Abreiſe aus Schwaben ge - ſehen hatte, fiel ihm ein, und es wurde ihm klar, daß er ſo glücklich ſei, zwiſchen den Affen und198 Papageien den berühmteſten Reiſenden der Gegen - wart zu erblicken, den Liebling aller modernen Damen und Herren.
Als der Jäger beſcheiden ſeine Vermuthung ausſprach, wurde ihm die Beſtätigung aus dem Munde des deutſchen Türken und Semilaſſo gab ſich ſogleich mit dem jungen Grafen in ein geiſt - reiches Geſpräch. Er erzählte ihm, daß er aus dem Morgenlande zurückkehre, um den Abend jetzt mit ſeinen gewonnenen Erfahrungen aufzuklären. — Die Journale haben verbreitet, ſagte er, daß ich noch eine Zeit lang in Smyrna verweilen werde, ich pronirte auch dieſes Gerücht und reiſte in der Stille ab, theils um den Occident zu überraſchen, theils um einen Streit unter den Gelehrten an - zufachen über die Frage, wo ich nun eigentlich ſei, ob in Oſt oder in Weſt? Die Einen werden ſich auf Augenzeugen berufen, die mich in Smyrna geſehen, die Anderen werden meine Karte abdrucken laſſen, die ich ihnen ſandte. Es kann, ſagte Se - milaſſo mit feierlicher Leichtigkeit und anmuthigem Gähnen, eine intereſſante Debatte werden, welche das Publicum ein Paar Monate lang beſchäftigt, denn das will immer angeregt und gekitzelt ſeyn. —
199Der Jäger befragte ihn über ſeine Reiſeroute, worauf Semilaſſo verſetzte: Ich beſtieg in Smyrna ein öſterreichiſches Schiff, fuhr quer durch das Mittelländiſche Meer an den Säulen des Hercules vorbei, um Portugal herum durch die Biscayiſche See, lenkte in den Canal ein und debarquirte in Havre. Die gerade Linie iſt ſo langweilig; es lebe die krumme! Mein Dromedar und der Hengſt von Dongola folgen mir um einen Tage - marſch. Mein Kammerdiener geht, armeniſch ge - kleidet, als Fourier voraus, und ſo haben die Leute an jedem Orte, den die Reiſe berührt, drei Tage lang von mir zu reden, einen, wo der Fou - rier ankommt, einen, wo ich ankomme, und einen wo der Dromedar und der Hengſt ankommen.
Der Jäger ſah verwundert das Ochſengefähr an. Semilaſſo errieth ſeine Gedanken, lachte und ſagte: Meine Ochſen ſind Ihnen auffallend. Ich kaufte ſie in der Normandie; im Orient fährt man faſt nur mit dieſen Thieren, ſie paßten in meine jetzige Liebhaberei und in mein Syſtem. Denn ſeit alle Welt ſich blitzſchnell fortbewegt, iſt es bei mir Princip geworden, nur Schritt zu fahren, habe daher, um mich nicht von der plebejiſchen Eile200 verführen zu laſſen, dieſe Ochſen vorgeſpannt und mache ſo täglich höchſtens vier Meilen. Von Ha - vre bin ich drei Wochen unterwegs. Theodor Mundt wird — if possible — an dieſes Schritt - fahren tiefſinnige Unterſuchungen über Weltfragen und wichtige Probleme der Civiliſation knüpfen. In dieſem Theodor erlebe ich überhaupt mein eigent - liches Reflexions - und ſpeculatives Leben. Ich kann ſagen, daß ich Manches aus Laune und in unbewußten Anſtößen gethan habe. Aber Theodor rückt Alles welthiſtoriſch und bedeutend zurecht — im Kleinen auf ſeinem Studierſtübchen. Theodor und ich ſtellen eine umgekehrte telegraphiſche An - ſtalt dar. Ich mache da droben im Freien wun - derbar arbeitende Bewegungen, welche die Hand Theodor’s, des Telegraphiſten, regieren, ſo daß ſie unten im Thurmgemache ein niedlich Figürchen meiner Winkel und Charaktere nachzeichnet. Er hat mich ſogar zu einem Stylmuſter gemacht. Darüber habe ich doch lachen müſſen. Denn an meinen Styl glaube ich nicht. Ich will eher glau - ben, daß Theodor eine Comödie machen könne, als daß ich glaube, ich ſchreibe einen Styl. Wie käme ich zu Styl? Gehöre ich denn zur Roture? 201Meine Wappenvögel fliegen über allen Styl hin - aus. — Aber, passons là dessus, Theodor ſagt, ich habe Styl, es mag alſo drum ſeyn. — Wenn er mich nur nicht copirte! Ich habe ihm aus - drücklich geſagt, als ich ihn bei der erſten Bekannt - ſchaft zum Handkuß zuließ, daß er ſich nicht unter - ſtehen ſolle, nun auch offiziell reiſen zu wollen. Dennoch hat er ſein Wort gebrochen und iſt auch ein Spaziergänger und Weltfahrer geworden. Nichts laſſen dieſe Leute Einem über. Was will ſo ein Ding erſpaziergängern und erweltfahrern? C’est un singe, qui a fait des études.
Der Halbtürke Semilaſſo hatte ſich in einen ſolchen Aerger über ſeinen getreueſten Anhänger hineingeredet, daß ihm die Pfeife ausgegangen war. Er faßte ſich jedoch bald wieder und ſprach von dem Zwecke ſeiner heutigen Reiſe. Abermals ver - nahm der Jäger mit Erſtaunen von Einem, der mit ihm daſſelbe Ziel hatte. Auch Semilaſſo wollte auf dem Schloſſe ſeinen Beſuch abſtatten.
Als der junge Jäger fragte, wen Semi - laſſo dort kenne oder zu finden hoffe? glitt der berühmte Reiſende darüber hin und ſprang, wie es ſchien, von einer plötzlichen Erinnerung202 überwältigt, zu Betrachtungen allgemeiner Art ab, die mit ſeinen vorigen Aeußerungen keinen erkennba - ren Zuſammenhang hatten. — Ich habe immer, rief er angenehm lebhaft, im Stillen lachen müſſen, wenn man ſich, wie es jetzt Mode iſt, den Kopf darüber zerbricht, durch welche ſtyptiſche Mittel der allge - meinen Erſchlaffung des Menſchengeſchlechtes ent - gegenzutreten ſei. Das Abnüchtern und Verſanden der Jetztlebenden iſt ein ziemlich conſtatirtes Fac - tum. Das will man nun mit Religion, Patrio - tismus, Philoſophie, Naturbetrachtung, mit, was weiß ich noch? hemmen. Es hilft nichts, da liegt der Troſt nicht, er ſteckt ganz wo anders, iſt mit Händen zu greifen, und Niemand hat ihn gefaßt, es geht damit, wie mit dem Ei des Columbus.
Wie entſtehen die Menſchen? Wie entſtehen ſie denn, mein Beſter? Der Schwächling heirathet die kräftige Jungfrau, der kräftige Mann die Bleich - ſüchtige, häufig kommen auch Hektik und Hektik zuſammen. Was für Kinder muß das geben? Auf das Phyſiſche wird gar nicht mehr geſehen, es iſt, als ob wir nichts als Geiſt, Rückſicht, Ver - hältniß, Geld wären. Daher rührt denn das matte, aſchgraue, todtlebendige Geſchlecht.
203Sehen wir uns dagegen unter den Thieren um! Gehen wir in die Stammſchäfereien, in die Geſtüte, ja, beſuchen wir nur einen tüchtigen Oeco - nomen, der auf ſein reines frieſiſches Vieh hält. Wie macht man es denn da? Man hält auf Voll - blut. Und eine edle Raſſe folgt der andern. Da ſitzt es. There’s the rub. Will man wieder ein munteres, geiſtreiches, poetiſches, lebensfriſches Menſchengeſchlecht haben, ſo muß man vor allen Dingen für Vollblut ſorgen, man muß Raſſe ſtiften. Reine Kreuzungen, reine Kreuzungen, junger Freund, darauf kommt es an! Daß aber dieſe nicht mög - lich ſind, wenn wir gewiſſe veraltete Meinungen und Formalitäten feſthalten, leuchtet ein.
Lange mit dieſen Ideen beſchäftigt, fand ich in Egypten das Genie, welches ſie befruchtete. Ich ſage nichts, qui a compagnon, a maitre, aber unter uns: Haben mich hier meine Vermu - thungen nicht getrogen, ſo werden Sie binnen Jah - resfriſt von einem Inſtitute unter den Caſſuben auf meiner Herrſchaft hören, gegründet nach dem Muſter von Trakehnen. Suffit! Ich kann ſagen, ich ſchwärme dafür, mein Dromedar iſt mir nicht ſo lieb wie dieſer Gedanke, von deſſen204 Ausführung ich mir ungeheure Reſultate ver - ſpreche.
Semilaſſo, der dieſe Gedanken mit großem Feuer vortrug, ließ unerörtert, ob er auch bei ſeinen Standesgenoſſen Vollblut zu ſchaffen für möglich halte, Vollblut, nicht im ariſtocratiſchen, ſondern im phyſiſchen Sinne. Aber mit graziöſem Lächeln ſetzte er hinzu: Ich bedaure nur Eins, daß ich nicht mehr in den Jahren bin, um ſelbſt prac - tiſch die Sache angreifen zu können, ich werde mich leider auf die Verwaltung beſchränken müſſen, auf die trockene Verwaltung.
Den jungen Jäger widerten dieſe Auseinander - ſetzungen an. Sobald es die Höflichkeit erlaubte, machte er Semilaſſo’n eine Verbeugung und eilte, dem langſamen türkiſchen Fahrzeuge voranzukommen, was auch ſeinen raſchen Füßen gelang. Der Deutſch - türke blieb im Schritte, ſo daß der Jäger ihn bald weit zurückgelaſſen hatte. Dieſer ſah nach einer Stunde das ſogenannte Schloß auf ſeinem kahlen Hügel liegen. Schon die Straße mit den ausgeriſſenen Steinen und den grundlos gewordenen Geleiſen hatte ihn ſonderbar überraſcht, noch mehr aber ſetzte ihn das Anſehen des Gebäudes in Er - ſtaunen. Er zweifelte einen Augenblick, ob er auch an der rechten Stelle ſei. Als er aber die beiden Wappenlöwen ſah, den ſtehenden und den liegenden, ſo mußte er ſich davon überzeugen. 206Nun ſchritt er über den Schloßhof auf das Haus zu. Es war ganz ſtill in demſelben und um daſſelbe her; nur die Bachſtelzchen liefen an der Pfütze im Hofe auf und nieder. Er klinkte an der Thüre; ſie war zwar nicht verſchloſſen, aber von innen verrammelt, und Lärmen wollte er doch nicht gleich zur Eröffnung der Bekanntſchaft machen. Er ließ alſo von weiteren Verſuchen gegen dieſen Eingang ab. Das Loch neben der Thüre war ebenfalls mit Tonnen und Kiſten verſtellt; auch hier hätte er nur polternd und ungeſtüm eindrin - gen können; er glaubte das gleichfalls unterlaſſen zu müſſen. Selbſt die Fenſter des Hauſes, näm - lich die practicabeln, nicht die mit Brettern oder Läden geblendeten Fenſterhölen waren ſämmtlich verſchloſſen, nur eins ſtand offen, und er hörte in dem Zimmer, zu dem es gehörte, heftig ſchnar - chen, ein Beweis, daß ein Lebendiger in dem Zim - mer war. Eine Leiter ſtand in der Nähe, ſo daß die Möglichkeit vorhanden war, ſich mit dieſem Lebendigen in Verbindung zu ſetzen. Indeſſen konnte ihm auch dieß nicht recht anſtändig vor - kommen. Er beſchloß daher, geduldig in einem Hofe der Nachbarſchaft zu warten, bis das ver -207 wünſchte einſame Caſtell zugänglich werden würde. Vorläufig aber ſetzte er ſich auf einem Stein, der im Hofe lag, zur kurzen Raſt nieder, denn der Weg ſeit früh Morgens — und jetzt ging es ſchon auf Mittag — hatte ihn ermüdet. Von dieſem Steine überblickte er den Schauplatz. Er ſah den verwilderten unordentlichen Platz voll Neſſeln, Di - ſteln und Wegerich, die zerſtörte Pforte, das elende, klüftige, verfallene Haus mit dem durch - löcherten Dache. Alles das ſah in dem nun ſchon heranwehenden grauen Haarrauche noch unheimlicher und jammervoller aus, als gewöhnlich.
Und dennoch ergriff unſeren jungen Jäger bei dem Anblicke dieſes bettelhaften Elendes eine fromme Rührung, welche die zwieſpältigen Empfin - dungen in ſeiner Bruſt verwiſchte, die von den ſonderbaren Begegniſſen des Morgens hervorgerufen worden waren. Denn er erinnerte ſich an die an - muthigen Beſchreibungen, die ihm Lisbeth von dieſer Zerſtörung gemacht hatte, die er nun vor Augen ſah. So giebt es denn Gemüther, für welche das Häßliche nicht da iſt, weil ſie in Allem nur das Schöne erblicken! rief er freudig aus. So blüht eine Unſchuld des Geiſtes, welche ro -208 ſengleich auch den ödeſten Schutt überwächſt und zudeckt. — Ich las einmal in einem Aufſatze von Ranke, der alte ehrwürdige Pius ſei ein Charakter geweſen, der in Allem nur das Tröſt - liche geſehen habe. Ich las das damals, wie man Manches lieſt, ohne ſich mir dabei eben viel zu denken. Nun aber habe ich etwas Aehnliches erlebt und nicht an einem alten Manne, ſondern an einem jungen Mädchen, und was das Süßeſte bei der Sache iſt, an meinem Mädchen.
Kaum hatte der Jäger einige Minuten den Hof verlaſſen, als derſelbe von neuen Wanderern be - treten ward. Die drei Jünglinge in grünem Sam - met kamen nämlich aus den Dornen neben dem Garten und krochen durch eine Oeffnung der Hof - mauer, weil ſie ihre Brillen nicht aufgeſetzt hatten und wegen Kurzſichtigkeit die offene Pforte nicht ſahen. Das Haus erblickten ſie indeſſen nothdürf - tig, ſie näherten ſich demſelben, verſuchten zu öff - nen, aber auch ihnen wollte das nicht gelingen. Sie ſeufzten und klagten, daß vielleicht nur wenige Schritte ſie von ihrem erſehnten Meiſter trennten, und eine verrammelte Thüre ihrem Drange ein Ziel ſetze. Traurig gingen ſie vor dem Schloſſe auf und nieder.
Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 14210Die Geſchichte dieſer drei unbefriedigten Jüng - linge in grünem Sammet war einfach aber lehr - reich. Sie waren Brüder, Söhne eines reichen Banquiers in Hamburg und hießen Karl Emanuel, Karl Nathanael und Karl Gabriel. Ihr Vater hatte ihnen die ſorgfältigſte Erziehung geben laſſen, weil er wünſchte, drei ausgezeichnete Männer er - zeugt zu haben. Sie wuchſen in geiſtreicher Geſell - ſchaft heran, denn in dem Hauſe des alten Ban - quiers verſammelte ſich Alles, was auf den Na - men eines klugen Mannes Anſpruch machen konnte.
Die Fähigkeiten der drei Knaben entwickelten ſich auch früh in der entſchiedenſten Weiſe. Karl Gabriel lief jeden Abend in die Comödie, hatte in ſeinem vierzehnten Jahre einen kleinen Roman mit der Tänzerin Roſamira, ſtand in den Zwi - ſchenacten am Büffet, aß Eis oder trank Punſch und gab danach Kritik von ſich. — Karl Nathanael ging dagegen auf das Kaffeehaus, las Zeitungen und ſpeculirte, als er den Cornelius Nepos exponirte, in den Fonds, Karl Emanuel war ein ſtiller Junge, der am liebſten zu Hauſe ſaß, gern Bratäpfel aß und bei allen Dingen nach dem: Warum? fragte. — Der alte Banquier211 beobachtete dieſe Erſcheinungen, ließ eines Tages, als er ſeine Taſſe Morgenchocolade trank, die Söhne vor ſich treten und ſagte zu Karl Emanuel: In dir ſteckt ein Philoſoph; zu Karl Nathanael: Aus dir wird ein Staatsmann; zu Karl Gabriel: Du biſt zum Dichter geboren. Dieſer Beruf war ihm nicht ganz erwünſcht. Er hätte lieber einen gro - ßen Maler in der Familie gehabt, weil die Maler jetzt beſſer bezahlt werden als die Dichter. In - deſſen ließ er ſich, da es nun einmal nicht anders ſeyn ſollte, auch den Dichter gefallen. Die drei Brü - der aber hielten ſich nach jenem Tage für das, wozu ſie der Vater beſtimmt hatte, und wurden in ihrer Meinung von einigen Schauſpielern, Docto - ren der Philoſophie und von einem dimittirten Legationsſecretair unterſtützt, welche Perſonen bei ihrem Vater offenes Couvert hatten.
Karl Gabriel ſtudirte in Berlin, um durch keinen Natureindruck von der Poeſie abgezogen zu werden, Karl Nathanael in München, der tiefen politiſchen Weisheit wegen, welche er da immer vor Augen haben konnte, Karl Emanuel in Göttingen, weil er glaubte, daß Mettwurſt die Speculation ſtärke. — Als ſie in die Jahre gekommen waren,14*212worin der Menſch ſeine Thaten zu vollbringen an - fängt, ſchrieb ihr Vater an ſie drei gleichlautende Billette des Inhalts, er erwarte jetzt von ihnen Großes. Karl Emanuel ſetzte ſich darauf hin, um ein neues Syſtem zu erfinden, Karl Nathanael griff zur Feder, um eine nie erhörte politiſche Wahrheit zu offenbaren, Karl Gabriel ging im Thiergarten ſpazieren, um ein Trauerſpiel zu er - ſinnen, welches die Reformation der Bühne bewir - ken ſollte. Sie gaben ſich die größte Mühe Jeder in ſeinem Fache, aber ſie war umſonſt. Nicht einmal den Titel zu einem Trauerſpiele fand Karl Gabriel trotz ſeiner vielen Spaziergänge im Thier - garten, er begriff nicht, wie einen geborenen Dich - ter die Muſen ſo im Stich laſſen konnten. Karl Nathanael brachte nach langem Sinnen den Satz heraus: Die Staaten theilen ſich in Monarchien, Ariſtocratien und Democratien. Aber ein kundi - ger Freund, dem er davon ſprach, rieth ihm, mit dieſer politiſchen Wahrheit nicht hervorzutreten, weil ſie kaum ganz neu zu nennen ſei. Karl Emanuel machte es, wie Karl Gabriel, nämlich, er machte Nichts.
Als ſie die Vergeblichkeit ihrer Beſtrebungen einſahen, zerfielen ſie mit dem Leben. Gabriel213 nannte die Quelle der Dichtung überhaupt verſiegt und knüpfte in dieſem Unmuthe ein kurzes ver - drießliches Verhältniß mit Gervinus an, bis ſie ſich auch wieder trennten, weil ein Malcontenter dem Anderen bald unausſtehlich wird; Emanuel hatte einen Augenblick Luſt, fromm zu werden, konnte aber dazu nicht recht gelangen, weil ſein Gedächtniß ſchwach war, und die Frommen viele Redensarten auswendig behalten müſſen. Am glücklichſten war noch verhältnißmäßig Nathanael, er reſignirte und legte ſich in ſeinem zweiundzwan - zigſten Jahre auf den reinen Papierwucher. Frei - lich klagte auch er, wie ſeine Brüder, daß der Himmel dumm und die Erde abgeſchmackt ſei, in - deſſen machte er doch guten Profit.
Die drei Brüder hatten ſich, als ihre Hoff - nungen ſcheiterten, zuſammengethan. Sie klagten einander vor, wenn ihr Gähnen es zuließ. Auch darin waren ſie unglücklich, daß Niemand ſonſt ihr Weh mitempfand. Emanuel pflegte zu ſagen: Nichtiges Daſeyn; Nathanael: Nüchterne Zuſtände; Gabriel: Kahles, vernutztes Leben. — Viele Leute hielten ſie für Narren. Ich aber ſage: Es iſt ein großes Mißgeſchick, wenn ein Jüngling kein refor -214 matoriſches Trauerſpiel machen, kein neues philo - ſophiſches Syſtem erfinden, keinen Umſchwung in den politiſchen Ideen des Zeitalters hervorbringen kann.
Als ſie am tiefſten herunter waren, ſtand ihnen jedoch die Hülfe am nächſten. Sie lernten nämlich einen Mann kennen, einen wunderbaren Mann, einen Mann, der mehr zu ſeyn ſchien als ein Menſch. Nach wenigen Unterredungen, die in geheimniß - vollen Worten geführt wurden, hörten ſie, daß dieſer übermenſchliche Mann das Mittel beſitze, ein claſſiſches Trauerſpiel zu verfertigen, dem Philoſo - phen aber und dem Politiker auch zu helfen.
Die Exiſtenz dieſes Mannes war ein Geheim - niß und ein Wunder. Sie erfuhren in einer Stunde der Weihe von ihm, was ſie vor Erſtaunen bei - nahe ſtarr machte. — Der Umgang mit dem Mei - ſter übte auf die drei Unbefriedigten den wohl - thätigſten Einfluß. Damals war es, wo ſie grü - nen Sammet anlegten, das Kleid der Zukunft und der Erwartung. Karl Gabriel fand ſogar den Titel und die Begeiſterung zu einem Trauerſpiele, welches „ das Trauerſpiel “heißen und das Tragi - ſche an und für ſich ohne Rückſicht auf ein beſtimm - tes Ereigniß behandeln ſollte.
215Aber die Hülfe blieb nicht nahe, ſondern ver - ſchwand in die Ferne. Seit dieſem Trauertage liefen die drei Unbefriedigten umher wie Frauen mit fal - ſchen Wehen. Die falſchen Wehen leiteten indeſſen nach einiger Zeit auf die wahre Spur, die wahre Spur jedoch leider nur bis zu einer verrammelten Thüre vor der Hand. Ueber dieſes ſymboliſche Ereigniß ergingen ſich die drei grünen Sammet - röcke in Betrachtungen. Karl Gabriel ſagte, er wolle den Helden ſeines Trauerſpiels: Das Trauer - ſpiel, auf eine erſchütternde Weiſe an einer ver - rammelten Thüre niederſtechen laſſen, in welche er hineingewollt, aber nicht hineingekonnt; Karl Ema - nuel behauptete, alle Philoſophie beſtehe eigentlich darin, zugemachte Thüren nicht aufzumachen, wo - gegen Karl Nathanael verſicherte, die höchſte Ma - xime der Staatsweisheit ſei, alte Tonnen und Ka - ſten von Innen vorzuſchieben, wenn Schloß und Riegel nicht mehr halten wollten.
Als ſie, ich weiß nicht zum wievielſten Male vor dem Schloſſe und vor der Fronte ſeiner Bau - fälligkeit auf und nieder gegangen waren, ſtieß der Dichter mit ſeiner Naſe an die gegengelehnte Lei - ter und entdeckte dadurch dieſes Motiv. Der Phi -216 loſoph ſetzte die Brille auf und ſah das oben offenſtehende Fenſter, der Staatsmann aber, der von dieſer doppelten Entdeckung hörte, ſchlug vor, auf der Leiter emporzuklimmen und zum Fenſter einzublicken. Denn auch ſie hörten oben ſchnarchen und zogen daraus den Schluß, daß dort Jemand ſeyn müſſe, der ſchnarche. Vielleicht ließ er ſich erwecken und möglich, daß man dann mit ihm über die Eröffnung des Schloſſes unterhandeln konnte.
Dieſe Idee war wohl eine glückliche zu nen - nen und ſie wurde ſogleich ausgeführt. Karl Ga - briel ſtieg zuerſt die Leiter hinauf, die andern Brüder folgten und alle Drei reckten ſich oben ſo hoch empor, daß ſie in das Zimmer ſehen konn - ten. Als dieſer Moment gekommen war, ließ ſich ein dreifaches: Ach! des Entzückens von ihnen hören. Mit ſanfter Stimme riefen ſie nun einen großen Namen vergebens, darnach riefen ſie lau - ter, jedoch umſonſt; endlich ſchrieen ſie, es war indeſſen fruchtlos. Dieſer Schlaf ſchien ein Tod - tenſchlaf zu ſeyn.
Karl Gabriel, der kühne Dichter, ſchlug darauf vor, den Schlummernden mit einigem Kalk zu be - werfen, wogegen ſich aber Karl Emanuel und217 Karl Nathanael erklärten, indem ſie ſagten, daß man einen ſolchen Mann nicht mit Kalk werfen dürfe. — Bisweilen kommt es mir vor, ſagte Ga - briel, als blinzle er. Optiſche Täuſchung, mein Bruder, verſetzte Nathanael, warum ſollte er ſich gegen uns, ſeine treueſten Anhänger, verſtellen?
Als Nathanael das geſagt hatte, knackte es unter ihnen. Die alte Leiter, welche über die Jahre hinaus war, das Gewicht von drei Unbe - friedigten tragen zu können, bekam einen gefährlichen Sprung und eiligſt ſtiegen ſie und erſchrocken hinab, nicht gewillt von der Höhe ihres Standpunctes zu ſtürzen. Sie gingen in den verwilderten fran - zöſiſchen Garten, um dort das Weitere zu erharren.
Während dieſer Begebenheiten ſaß der alte Baron, unwiſſend noch über die Verrammelung des Schloſſes, etwa eine Viertelſtunde von dieſem in einem krauſen und durcheinandergewirrten Buſche von Hagdornen, Eſchen und Birken, der auf einem kleinen Hügel wuchs. Er hatte den Ort in ſeinen wohlhabenden Tagen zum Vogelheerde benutzt; es ſtand aber von der früheren Vorrichtung nichts mehr als der Pfahl für den Lockvogel nebſt den vier Pfoſten, zwiſchen welchen die Hütte erbaut geweſen war. Das Dach und Bretterwerk war längſt verfault oder von armen Leuten geſtohlen. An dieſem ſtillen und wüſten Platze ſaß der Schloß - herr und lauerte auf einen gleichſam Vogel, aber nicht auf einen Finken, Hänfling oder Kreuzſchna -219 bel, ſondern auf den Bedienten Karl Butter - vogel.
Die Straße nach der Stadt zog ſich nämlich unter dem Hügel durch. Karl’n hatte er vor Kur - zem auf ihr fortwandern ſehen, und ſogleich war von ihm beſchloſſen worden, dem Bedienten bei der Heimkehr, die Mittags zu erwarten ſtand, den Weg zu verlegen, ihn auf den Vogelheerd zu rufen, mit ihm dort, begünſtigt von der Einſam - keit des Ortes, ein ſcharfes Verhör anzuſtellen und dadurch wo möglich hinter die Geheimniſſe Münchhauſen’s zu kommen.
Der alte Herr hatte lange über dieſen Ent - ſchluß mit ſeinem Zartſinne gefochten, endlich aber war er doch zu dem Reſultate gediehen, daß er ihn unbeſchadet ſeines Gewiſſens ausführen dürfe, weil ein ſo dankvergeſſener Gaſt, wie der Frei - herr von Münchhauſen, durchaus keine Rückſicht verdiene.
Die Verhältniſſe im Inneren des Schloſſes hatten ſich nämlich folgendermaßen geſtellt:
Durch den Abzug des Schulmeiſters waren die Akademiker von Schnick-Schnack-Schnurr desjenigen Individuum’s quitt geworden, welches einer jeden220 menſchlichen Gemeinſchaft Noth thut, nämlich des Sündenbockes. Irgend Einer muß in jedem Hauſe vorhanden ſeyn, an welchem die übeln Launen, die Zornmüthigkeiten und die verdrießlichen Stim - mungen ausgelaſſen werden dürfen. Ohne einen ſolchen Abzugscanal läßt ſich ein dauerhafter häus - licher Friede gar nicht denken. Ich habe ein Haus - weſen gekannt, in welchem ſo lange zwiſchen der Herrſchaft und den übrigen Hauptperſonen eine vortreffliche Einigkeit beſtand, als ein dummes und ungeſchicktes Mädchen, eine entfernte Ver - wandte, tagtäglich auszuſchmälen war. Herr und Frau begingen aber den Thorenſtreich, dieſes Mäd - chen fortzuſchicken aus dem Grunde, weil der Aerger und Lärmen mit ihr im Hauſe zu groß ſei. Und von Stund an hörte alle Verträglich - keit auf; es war als ob in der Dummen und Ungeſchickten der Schutzgeiſt des Heerdes verſcheucht worden ſei, der Mann zankte mit der Frau, die Frau ſchmollte mit dem Manne, der erwachſene Sohn und die mannbare Tochter hatten ein be - ſtändiges Schrauben und unangenehmes Reiben mit einander; ſelbſt die Hausfreunde bekamen Augen für die Schwächen ihrer Wirthe und erkalteten,221 kein Geſinde wollte mehr bleiben, weil es die er - ſchwerte Laſt der übeln Behandlung nicht zu tra - gen vermochte — kurz, es war eben mit allem Comfort zwiſchen jenen vier Pfählen vorbei, als man rechten Comfort darin ſtiften wollte. So können ſich die Menſchen über ihre nächſten Ver - hältniſſe und Umgebungen täuſchen. Und in der großen Welthiſtorie geht es mitunter nicht anders zu. Einem Volke thut ein tüchtiger Feind Noth, nur ſo lange es ihn beſitzt, iſt es in Flor. So lange Rom ſich mit Carthago herumbiß, ſetzte es alles böſe Weſen draußen ab, als aber die Nebenbuhlerin in Trümmern rauchte, ging die innerliche böſe Wirthſchaft an; von Napoleon hat nicht Einer bloß geſagt, er ſei für uns viel zu früh gefallen.
Doch um von Rom und Carthago und Napo - leon und uns zum Schloſſe Schnick-Schnack-Schnurr zurückzugelangen — ſo lange der Schulmeiſter auf dem Gebirge Taygetus ſaß, wußten der alte Ba - ron und ſeine Tochter, wohin mit ihren verdrieß - lichen Stimmungen, und als er abzog, wurde es buchſtäblich wahr, was der Schloßherr geſagt hatte: Es kam eine Lücke in den ſchönen Kreis. 222Das Glück war bekanntlich nicht die Göttin des dortigen Heerdes, es gab alſo viel Anlaß zu Ver - ſtimmungen, an wem ſollten ſie nun ausgelaſſen werden? Hätte das Fräulein Lisbeth gehabt, ſo wäre wenigſtens ihr geholfen geweſen, ſo aber wie die Sachen ſtanden, gab es durchaus keinen Rath. Vater und Tochter waren zu ſehr an ein - ander gewöhnt um mit einander hadern zu können. Der Bediente Karl Buttervogel war für Emeren - tien Karlos, der geliebte und verehrte Schmetter - ling, für den alten Baron ein zu geringfügiges Individuum. In dieſer Noth und Verlegenheit ſank der Freiherr von Münchhauſen von einem langweiligen Erzähler, der er für den alten Ba - ron bereits geworden war, zum Sündenbock herab.
Ja, es iſt richtig, wenn auch betrübt; dieſer große und wunderbare Charakter war bald dahin gediehen, wo der verachtete Schulmeiſter Ageſel geſtanden hatte; er wurde wechſelsweiſe von dem alten Baron und ſeiner Tochter über die Achſel angeſchaut. Das war nämlich ſo zugegangen.
Der Baron Schnuck-Muckelig in der Boccage zum Warzentroſt verbrachte einige unmuthige Tage nach dem Abzuge des Schulmeiſters und ſuchte223 ſich durch wiederholtes Beſichtigen des freien Pla - tzes, wo die Luftverdichtungsfabrik zu ſtehen kom - men ſollte, leidlich hinzuhalten. Er dachte, Münch - hauſen werde rückſichtsvoll genug ſeyn, auch ohne Erinnerung ihm das Geheimniß der Bereitung kund zu thun. Münchhauſen ſchwieg. Hiernächſt ſpielte er von ferne auf Pflichten der Gaſtfreund - ſchaft an, welche nicht verabſäumt werden dürften. Münchhauſen ſchwieg. Darauf gab er die Sache näher und ſagte, es ſei nicht gleichviel, Jeman - dem etwas in den Kopf zu ſetzen, man müſſe auch Wort halten können. Münchhauſen ſchwieg. End - lich wurde er klar und rief: Wenn du mir nicht die Luftfabrik machſt, ſo biſt du kein ehrlicher Mann! Münchhauſen ſeufzte und ſchwieg.
Emerentien war die Zeit eben ſo lang gewor - den, wie ihrem Vater. Der Prätendent von He - chelkram aß Wurſt, Eier und Rindfleiſch, ſo viel ihm von dieſen Dingen die Hand der Liebe reichte, blieb aber nach wie vor Bedienter, die Gemein - heit ſeiner Maske täuſchend in Worten und Wer - ken feſthaltend. Unglaublich war es, bis zu wel - chem Grade ſich dieſer masquirte Fürſt verſtellen konnte, beſonders ſeitdem er fern von den vorneh -224 meren Perſonen dieſer Geſchichte in dem Garten - hauſe auf dem Taygetus wohnte und bis auf die zu leiſtenden Dienſte ſein eigener Herr geworden war. Emerentia begann zu zittern, wenn ſie, die Wurſt unter der Schürze, das Stiftskreuz im Herzen, nach dem verfallenen Schneckenberge ging - und war eines Tages bei einem unbeſchreiblichen Anblicke genöthigt geweſen, zu Karl’n zu ſagen: Fürſt, ſpielen Sie nicht zu natürlich. — Bei die - ſer Gelegenheit hatte Karl Buttervogel erwiedert: Immer und ewig ſich geniren müſſen, thut keinem Menſchen gut. Wofür bin ich hieher in des Schul - meiſters ſeine alte Kabache gezogen, wenn ich meine Freiheit nicht haben ſoll? Ich verlange und be - ſtehe darauf, daß wofern ich es platterdings ſeyn ſoll, mir meine fernerweite Verköſtigung draußen hingeſetzt wird, ſtillſchweigend, ohne Anſprache und Bekümmerniß um mich.
Emerentia wurde hochroth vor Zorn, denn dieſe Antwort war zu grob, um ſie ſelbſt einem Fürſten hingehen zu laſſen. Sie rief: Und ich beſtehe darauf, daß Ew. Durchlaucht nunmehr bald aus Ihrem Incognito hervortreten, denn meine Lage wird Ihnen gegenüber von Tage zu225 Tage zärter und peinlicher. — Gnädiger Herr, erwacht denn nicht Ihr Mitleid mit einem armen Mädchen, deſſen Lebenshoffnung Sie ſind? ſetzte ſie weicher werdend hinzu, und einige Thränen liefen über ihre Wangen. Karl aß ſchon die Wurſt, die ihm Emerentia gebracht hatte, und da ſein Herz der Rührung immer am offenſten war, wenn er Wurſt aß, ſo that ihm die Weinende leid, er trat daher, das letzte Stück in der Hand, zu ihr und ſagte: Ich bin ja, weiß Gott, kein ſchlechter Kerl und Frauensperſonen muß man Alles zu Gefallen thun, was nur menſchenmöglich iſt. Wenn ich alſo nur wüßt’, wie ich’s anfangen ſollte, ſo geſchäh’s ja alſobald. Wofern aber mit meinem Herrn Rückſprach’ genommen würde, ſo könnt’ es ſeyn, daß ich’s würde, denn er weiß für Alles Rath und hat mehr Grütz’ im kleinen Finger als wir Beide im ganzen Leib, ſonſt wär’ er nicht vermöglich, ſo ſchreckbar zu lügen, wie er lügen thut. — Ich verſtehe Ihren Wink, verſetzte das Fräu - lein, wiſchte ſich die Thränen ab und ging getrö - ſtet vom Taygetus.
Dieſer Vorfall ereignete ſich an dem Tage, an welchem der alte Baron gegen den Freiherrn klarImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 15226geworden war. Emerentia hatte ſich ſeit der Stunde, wo ſie Münchhauſen zum erſtenmale nicht verſtanden, in einer ſtillen Entfernung von ihm gehalten, welche jedoch die Fortdauer achtungs - voller Empfindungen noch nicht ganz ausſchloß. Jetzt war es ihr ſogar lieb, eine Gelegenheit zu finden, mit ihm wieder anknüpfen zu dürfen. Sie ſetzte ſich daher nieder und ſchrieb folgenden Brief an ihn:
Münchhauſen!
Ich nenne Sie nicht mehr Du, denn ſchmerz - lich habe ich einſchen lernen, daß wir einander doch nicht ganz ſo nahe ſtanden, als ſchöne Träume mir ſagen wollten. Denken Sie an den Augenblick, da ich die Bohnenſchüſſel fallen ließ, weil Sie mich nicht begriffen. Indeſſen iſt mir ein hohes Gefühl von Ihnen geblieben, und das Schickſal lehrt uns wohl uns begnü - gen, wo uns die volle Befriedigung verſagt wird.
Münchhauſen, Karl hofft auf Sie. Sie haben, wenn Sie wollen, Alles in der Hand; einem Manne, gleich Ihnen, iſt nichts unmög -227 lich. Erinnern Sie ſich Ihrer Verpflichtungen gegen ihn, helfen Sie ihm zu dem Seinigen. Ich ſage nichts weiter.
Emerentia.
Münchhauſen rieb ſich die Augen, als er die - ſen Brief überleſen hatte. Er las ihn zweimal, bevor er einen Sinn finden konnte, endlich glaubte er doch einen ſolchen gefunden zu haben und rief: Die Beſtie hat mich alſo endlich auch noch bei meiner Anbeterin wegen des rückſtändigen Lohnes verklagt. Schlimm, ſchlimm, ſchlimm! Aber man muß ſchon in den ſauren Apfel beißen, denn es giebt nichts Gefährlicheres für die weibliche Ver - ehrung, als wenn der Verehrte ſeinem Bedienten etwas ſchuldig bleibt.
Er hatte eben eine kleine dünne Einnahme von fernher empfangen. Traurig riß er das Cou - vert mit den fünf Siegeln auf, zählte, was er nothdürftig entbehren konnte, wehmüthig ab, rief den Schmetterling und gab ihm das Geld mit einer Fluth harter Reden. Karl hörte nicht auf die Beſchimpfungen hin. Wenn er Geld bekam, ſo war er gegen alles Andere gleichgültig, er dankte15*228dem Himmel, der ihm abermals ſo unerwartet half. Freudetrunken lief er in den verwilderten franzöſiſchen Garten und zählte ſein Geld auf dem Poſtamente des Schäfers ohne Flöte über.
Münchhauſen ſchrieb an Emerentien:
Diotima!
Denn das bleibſt du mir. Nenne dich Eme - rentia, mir bleibſt du Diotima. Karl iſt be - zahlt. Ich war ihm allerdings ſeit Lichtmeß Lohn ſchuldig. Vielfache Gedanken, und unter dieſen hauptſächlich die tiefe Seelenbewegung, in welche mich dein Umgang und Geiſt verſetzt hatten, bewirkten, daß mir die Kleinigkeit aus dem Sinne gekommen war.
Dank für deine Erinnerung. Wie ich nie, oder nur ein einzigesmal in meinem Leben log, ſo bezahlte ich auch ſtáts meine Schulden; denn Ausnahmen von dieſer Regel befeſtigten ſie eben.
Deine Wünſche ſind Befehle Deinem Münchhauſen.
Emerentia wurde ſtarr, als ſie dieſen Brief empfing. Sie hatte darauf gerechnet, daß der229 Freiherr durch ſeine großen diplomatiſchen Verbin - dungen die Reſtauration des Fürſtenthums Hechel - kram bewirken ſolle, und — er gab dem Präten - denten Lohn! — Zerſtört ging ſie in den Garten. Karl ſprang ihr vom Schäfer entgegen, ſchüttelte in einem ledernen Beutelchen den klingenden In - halt und rief jauchzend: Ich hab’ mei’ Geld, ich hab mei’ Geld! O was für ein glückſeliger Tau - ſendſaſſa bin ich! Ich möcht’ den ganzen Markt von Canſtatt auskaufen. — Emerentia verſetzte nichts; ſie ſtand bleich und entſetzt da. — So iſt es denn alſo wahr, ſagte ſie, nachdem Karl fort und auf ſeinen Schneckenberg geſprungen war, daß ein fortwährendes Rolleſpielen mit der Rolle iden - tificirt. Dieſer Fürſt wird mir noch innerlich zum Bedienten, wenn ich nicht bald die Entſcheidung herbeiführe. Für’s Erſte aber ſoll das gekränkte Weib zu jenem Verderblichen reden, über den ich mich ſo hart enttäuſcht ſehe.
Sie ging nach ihrem Zimmer und ſchrieb an Münchhauſen:
Mein Herr!
Ich bin fortan für Sie weder Diotima, noch Emerentia, ſondern das Fräulein von Schnuck. 230Die Linie, der ich angehöre, iſt die Linie Mu - ckelig. Verſtehen Sie mich? Nein, Sie ver - ſtehen mich nicht. Ich aber durchſchaue Sie. Sie wollen mich erniedrigen. Sie wollen, daß mir der Bediente Bedienter bleibt. Armer Spöt - ter! In dem vollen Gefühle meiner Würde, erhaben über Ihre Poſſen
Emerentia, Freiin von Schnuck-Muckelig in der Boccage zum Warzentroſt.
Münchhauſen verwünſchte ſein Loos, als er dieſen Zettel erhielt. Das Geld an den Schlin - gel weggeworfen und nun das noch! rief er. Was will denn dieſes verrückte Fräulein, die mir wahrhaftig ſo unleidlich zu werden anfängt, als — Pſt! Still, Münchhauſen — Der Alte läßt mir keine Ruhe, ich weiß mir nicht Rath gegen ſeine verdammten Luftgedanken, und nun büße ich auch dieſen letzten Stützpunct ein. — O Münchhauſen, Münchhauſen, könnteſt du doch nur — —
Er wollte ſagen: Von deinen Renten leben — vollendete aber nicht, ſondern ſchrieb gleich ein zweites Billet, welches nichts als das Wort enthielt: Diotima?! 231Aber er fand es nach einiger Zeit uneröffnet vor ſeiner Thüre wieder.
Der alte Baron und Emerentia begegneten einander draußen in der Gegend zwiſchen dem Schloſſe und dem Platze, wo die Luftſteinfabrik ſtehen ſollte. Der Vater ſah verdrießlich und zer - ſtört, die Tochter kalt und ſtolz aus. — Ich fürchte Renzel, ſagte der Alte, wir haben einen Phantaſten im Quartier. Noch hängt meine Hoff - nung an einem dünnen Faden, Gott gebe, daß der nicht reißt! — Meine Hoffnung iſt bei den Todten, verſetzte das Fräulein erhaben. Edle Seelen werden leicht betrogen, ich ſchäme mich nicht, daß mich ein dürftiger Witzling täuſchen konnte. Die Schuppen fallen mir von den Augen, nur Gemeines ſehe ich noch, wo ich ſonſt gut - müthig bewunderte. — Ich verachte ihn auch be - reits recht herzlich, ſagte der alte Baron, es iſt nur der Punct hier in Erwägung zu ziehen, daß auch ſolche Haſelanten im Beſitze wichtiger Fabrik - geheimniſſe ſeyn können, und wenn denn das doch der Fall wäre und man hätte ihn, ohne die Sache zu erfahren, aus dem Hauſe getrieben, ſo wäre es außerordentlich ſchlimm.
232Wir wollen ihm daher unſere Geſinnungen fühl - bar machen, Renzel, aber ſo, daß ihm noch eine Hin - terthüre offen bleibt, damit wo möglich ſeine Ambi - tion erweckt wird, und mir das Syndicat nicht ent - geht. Nur wenn alle Ausſicht verſchwindet, wollen wir ihm ſagen, daß er ſich packen könne.
Nach dieſem Tage gaben der alte Baron und das Fräulein dem Freiherrn ihre Geſinnungen zu erkennen, d. h. ſie behandelten ihn ſchlecht. Münch - hauſen, welcher fühlte, wie ſehr er durch ſeine politiſchen Fehler ſich die Stellung im Schloſſe Schnick-Schnack-Schnurr verdorben habe, machte ver - zweifelte Anſtrengungen ſie herzuſtellen und ließ das glänzendſte Brilliantfeuer ſeines Witzes in tau - ſend Einfällen, wunderbaren Capriccio’s und Mäh - ren ſpielen. Das Fräulein aber zeigte ſich um ſo gelangweilter, je brillanter Münchhauſen wurde. Sie wandte ihm bei den Colloquiis im Garten den Rücken, fiel ihm häufig mit einer Bemerkung über ſchlechtes Wetter in die Rede, oder ſagte, wenn ſie ihn hatte ausſprechen laſſen, weiter nichts, als: Späße für den Volkskalender. — Ihr Ver - halten drückte unbedingte Geringſchätzung aus. Der Schloßherr knüpfte dagegen die ſeinige noch233 an Bedingungen. Die Summe ſeiner Reden ging dahin, daß er an den Erzählungen des Gaſtes, ehe und bevor die Fabrikangelegenheit in Ordnung gebracht ſei, wenig Geſchmack zu finden vermöge. Zuweilen hörten beide Schloßbewohner gar nicht zu, ſondern ſprachen mit einander von Wirthſchafts - angelegenheiten, während der Freiherr die bunte - ſten Wunder vortrug.
So gingen mehrere Tage hin. Die Situation war für den Helden immer peinlicher geworden. Doch die Kräfte ſeines Geiſtes waren unerſchöpf - lich und gerade in Verlegenheiten entfaltete ſich erſt deren ganzer Reichthum. Eines Abends, wo das Fräulein auf ihrem Zimmer an ihrem Tage - buche ſchrieb, der alte Baron und er aber ſtumm lange Zeit neben einander im Verſammlungsge - mache auf und nieder gegangen waren; brauchte er die Rührung als großes, heroiſches Mittel. Er fing nämlich plötzlich an heftig zu ſchluchzen, und da der alte Baron ſich erſtaunt umwandte, ſo ſtellte er ſich mit den ſtrömenden doppelfarbigen Augen vor ſeinen Wirth, nahm deſſen beide Hände, ſah ihm bewegt in das Antlitz und rief mit einer von Weinen gehemmten Stimme: Könnt Ihr es234 über das Herz bringen, du und deine göttliche Tochter, Euren Freund ſo zu mißhandeln, wie Ihr thut? Nennen wir uns nicht du? Bin ich nicht dein Bruder in des Worts verwegenſter Bedeutung?
Eben darum, weil wir uns du nennen, muß Offenheit herrſchen, verſetzte trocken und ungerührt der alte Schloßherr. Ich merke ſchon, was dieſe Cro - codilsthränen bezwecken ſollen. Du biſt ein Crocodil — ein Kamäleon will ich ſagen. Ich laſſe mich nicht länger foppen, nicht länger laſſe ich mich an der Naſe herumführen. Von deinen Ziegen und deinen Holländern und deinen Poltergeiſtern habe ich den Pfifferling gehabt. Darum ein Wort für tauſend: Kannſt du Luft verſteinern?
Bruder, ſei nicht ſo hart — —
Hart bin ich, hart will ich ſeyn, ſteinhart wie Luftſtein. Wiſch dir die Thränen von der Naſe, ſie erweichen mich nicht. Du haſt mir den Gehei - men Rath verleidet und die tröſtlichen Gedanken an das höchſte Gericht durch dein Luftproject, du Luftſpringer! Die Ruhe meines Alters haſt du vergiftet. Nun ſind zwei Fälle möglich. Entwe - der kannſt du Luft verſteinern oder du haſt mir’s vorgelogen. Im erſten Falle ſoll dir Alles ver -235 geben ſeyn, ich werde Syndicus, kriege für ſechstauſend Thaler Fabricat jährlich und damit Baſta. Haſt du mir’s aber vorgelogen, ſo wollte ich dich erſuchen, dich an deine vielfachen ander - weitigen Verbindungen in der Welt zu erinnern, die ſich gewiß ſchon lange nach dir ſehnen und dir es übel nehmen würden, wenn du länger dein Pfund in dieſem abgelegenen Schloſſe vergraben wollteſt. — Hierüber ſehe ich morgen deiner be - ſtimmten Erklärung ohne alle Einkleidungen, Ge - ſchichten und Carmina entgegen.
Mit dieſen unzweideutigen Worten trennte ſich der Wirth von ſeinem Gaſte. Letzterer blieb im Zimmer ſtehen, legte die Hand an ſeine Stirn und ſagte nach tiefem Beſinnen: Behaupten muß ich mich noch eine Zeit lang hier, es geht nicht ohne dieſes. Ich muß ihn erwarten hier, ihn, mein Freund, meinen Curator. Kann ich mich nicht durch Worte und Thränen halten, ſo muß ich es durch den Zuſtand des Epimenides verſuchen. — Er ging auf ſein Zimmer und legte ſich augen - blicklich nieder.
Am folgenden Vormittage um Eilf Uhr fragte der alte Baron Karl Buttervogel’n, der von des236 Freiherrn Gemache herabkam: Iſt ſein Herr noch nicht aufgeſtanden? Nein, verſetzte Karl, er ſchnarcht, daß es nur ſo eine Art hat, wenn das ſo fortgeht, kann es lange dauern. — Der Schloßherr ſtellte ſich vor das Zimmer ſeines Gaſtes und hörte wirk - lich ein ungemein kräftiges Schnarrwerk dadrinnen.
Um Ein Uhr bei Tiſche, wo ſich nur Vater und Tochter zuſammenfanden, warf Emerentia nachläſſig die Worte hin: Dieſer Menſch ſcheint uns heute zu verſchmähen. — Karl wurde berufen, hinaufgeſandt und brachte den Beſcheid, der gnädige Herr habe ſich eben ſo weit ermuntert, um allen - falls etwas Suppe und Gemüſe zu ſich nehmen zu können, wenn man die Güte haben wollte, ihm davon zu ſenden. — Emerentia gab dem Bedien - ten das Verlangte, der alte Baron ließ hinaufbe - ſtellen, er bitte, daß der Freiherr aufſtehe. Nach einiger Zeit kam Karl mit den leeren Tellern zu - rück und ſagte: Mit dem letzten Biſſen im Munde wieder auf die linke Seite gefallen und weiter ge - ſchnarcht. — Zum Henker, was bedeutet das? rief der Schloßherr. — Um vier Uhr Nachmittags ging er, da kein Münchhauſen ſichtbar wurde, ſelbſt hinauf. Münchhauſen ſchlief. Der alte Baron rief237 ihn an, rüttelte ihn, ſchüttelte ihn, Münchhauſen richtete ſich etwas auf, ſah ihn ſchlaftrunken an, lallte mit ſchwerer Zunge: Warum weckſt du mich? und fiel auf den Rücken. Um ſechs Uhr, um acht Uhr Abends hatten gleiche Weckverſuche die gleichen Erfolge, oder vielmehr Nichterfolge. Münch - hauſen ſchlief.
Der erſte Tag war ſonach verſchlafen. Am andern nahm der alte Baron allerhand lärmende Geſchäfte vor, er brachte z. B. ſchweres Geräth und Möbelwerk von der Gerichtsſtube herab und hatte deſſen kein ſonderlich Arg, wenn ein Stück donnernd gegen Münchhauſen’s Stubenthüre flog. Denn, brummte er ingrimmig, ich will dieſen ver - ruchten Kerl denn doch wohl wach kriegen! Alles vergebens. Münchhauſen ſchlief auch den zweiten Tag hindurch mit Ausnahme kurzer Eßpauſen. Karl Buttervogel berichtete, ſein Herr ſei zwar auf - geſtanden und habe ſich angekleidet, aber immer mit halbgeſchloſſenen Augen und mit Gähnen. Sobald er das letzte Stück angezogen gehabt, ſei er wieder in einen Stuhl geſunken und ſitzend eingeſchlafen.
Am dritten Tage ſchnarchte Münchhauſen ſtär - ker, als je zuvor. Der alte Baron, der die ganze238 Nacht ſchlummerlos zugebracht hatte, ſaß beküm - mert auf der Gerichtsſtube. Emerentia ſang unten im Hauſe auf Befehl ihres Vaters. Denn dieſer meinte, was ſein Rütteln und Rumoren nicht zu Wege gebracht, werde der helle und durchdringende Geſang der Tochter bewirken. Als ſie ihre beſten Gänge und Cadenzen von ſich gegeben hatte und eine Pauſe entſtand, ſtellte ſich der Schloßherr an die Söllertreppe und rief hinunter: Karl! — Karl Buttervogel trat aus des Freiherrn Dormitorium. Iſt er wach? fragte der alte Baron. — Ich hab’ mir die Ohren zugehalten, denn ich bin kitzlich gegen Muſik, verſetzte der Bediente, mein gnädiger Herr aber legten ſich auf die andere Seite und lächelten im Schlaf, wie ein Engel. Jetzt aber verlangen Sie mit zugemachten Augen Waſchwaſſer, werden alſo wohl aufſtehen wollen, um ſich dann zum Schlummer niederzuſetzen. Glauben mir der Herr Baron, Sie treiben es mit meinem Herrn nicht durch, was der ſich vornimmt, das führt er aus, wachend oder ſchlafend.
Zornig lief der alte Baron in die Gerichtsſtube zurück, rannte mit großen Schritten auf ihr hin und her, ſtieß an den Tiſch, daß ein Theil der239 aufgeſtellten juriſtiſchen Handbibliothek herabfiel und polterte: Da habe ich mir einen ſchönen Stören - fried und eine wackere Ruthe Gottes in das Haus geladen! Das iſt nun der Gipfel des Unglücks! Ich ſehe es kommen! Ich ſehe es kommen! Die - ſer Menſch ſchläft uns allen Schlaf weg in und um Schnick-Schnack-Schnurr! Wie ein ſtarker Freſſer eine ganze Wirthſchaft auszehren kann, ſo wird uns der Schnarcher an Schlummer bankerott machen. Schon thue ich die Nacht kein Auge zu. — Der Henker hole die Stunde, in welcher der Sünder in unſere Mitte geſchleudert wurde!
Er ſtieg die Treppe hinab und fand unten auf dem Vorſaale Emerentien, welche wieder be - ginnen wollte zu ſingen. — Laß nur das Geplärr! fuhr ſie der Vater an, Sanct Urſel mit den eilf - tauſend Jungfrauen ſänge den nicht auf. — Ver - achten wir ihn, mein Vater, erwiederte Emerentia und laſſen wir ihn ſich der Vergeſſenheit entgegen - ſchlummern! — Ich kann doch den Schlummerbalg nicht immer im Hauſe behalten und ihn unnütz füttern! fuhr der alte Baron auf.
Wenn er nur wenigſtens die Eßſtunden auch ver - ſchlummerte! Aber zum Frühſtück, Mittags - und240 Nachtmahl iſt er regelmäßig wach! Folglich darf ich ihn nicht verachten. Verachten kann man nur den, der Einen nicht incommodirt. Und Münch - hauſen iſt mir jetzt zur größten Beſchwer und ich würde den für meinen beſten Freund halten, der mir dieſen Gaſt vom Halſe ſchaffte.
Er ging in das Zimmer des Freiherrn. Dieſer ſaß auf ſeinem Stuhle und das Haupt hing ihm auf die Bruſt hinab. Er ſchlief feſt und tief. Der alte Baron nahm eine Feder, ſetzte ſich vor ihn, kitzelte ihn mit der Feder um den Mund und rief: Münchhauſen, wach auf!
Einer kitzelnden Feder mußte ſelbſt der beharr - liche Schlummer des Freiherrn weichen. Er kratzte ſich an der gekitzelten Stelle, riß die Augen weit auf, ſah ſeinen Wirth wüſt an und fragte dann matt und verdroſſen: Was willſt du, Schnuck? Warum läſſeſt du mich nicht in Ruhe?
Ich wünſchte von dir zu erfahren, wie lange du hier noch zu ſchlafen gedenkſt? ſagte der alte Baron ſehr ernſt.
Ich wünſchte, daß du mich lieber fragteſt, wo - her dieſer chroniſche Schlummer rührt? verſetzte in gedehntem Tone der Freiherr.
241Ich wünſchte allerdings, daß du auch darüber mir eine Aufklärung geben möchteſt, ſprach der alte Baron.
Ich wünſchte, daß du dich an meine Jugend - bildungsgeſchichte erinnerteſt, die ich dir einſt vor - trug, verſetzte der Freiherr, ſchon wieder lallend und nur noch das braune Auge offenhaltend; denn das blaue war ihm bereits von Neuem zugefallen. — Habe ich dir nicht erzählt, daß mein ſoge - nannter Vater mich in ſo vielen Sprachen und Wiſſenſchaften unterrichtete, daß an gewöhnlichen, ausreichenden Schlummer damals nicht zu denken war? Es blieb alſo in meiner Jugend aller Schlaf, welchen andere Menſchen zu der Zeit abmachen und entwickeln, in mir unabgemacht und unentwickelt ſtecken. Dieſer verſetzte und zurückgehaltene Schlaf bricht nun jetzt in meinen Mannesjahren aus, er entfaltet ſich unaufhaltſam und wird nicht eher zu Ende ſeyn, als bis ich nachgeholt habe, was ich in der Jugend verſäumte. Dieſes iſt die natür - liche Erklärung meines gegenwärtigen Zuſtandes, über den mich ein Traum inſpirirte.
Wohl. Wer mit dir verkehrt, muß ſich immer auf Wunderdinge gefaßt halten. Kalt will ichImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 16242alſo bei dieſer inſpirirten Ankündigung bleiben, ganz kalt, und dich nur in aller Seelenruhe fra - gen: Wie lange dauerte jener anſtrengende Jugend - unterricht, und wie viel weniger als andere Men - ſchen ſchliefeſt du während deſſelben?
Drei Jahre. Mäßig angeſchlagen, büßte ich Nacht für Nacht ſechs Stunden Schlummer ein, erwiederte der Freiherr kaum hörbar und träu - meriſch das Haupt hin und her wiegend.
Der alte Baron ſchob ſeinen Stuhl an den Tiſch, nahm ein Stück Kreide, welches dort lag und rechnete auf dem Tiſche. Nachdem er den Strich unter den Zahlen gezogen hatte, ſagte er: Vorausgeſetzt, daß unter jenen drei Jahren kein Schaltjahr war, ſo haſt du während derſelben ſechstauſend fünfhundert und ſiebenzig Stunden Schlafdeficit gehabt, und würdeſt folglich neun Monate, drei Tage und achtzehn Stunden jetzt bei mir nachſchlummern müſſen. Wie?
Er wendete ſich um, da er keine Antwort be - kam und ſah, daß der chroniſche Zuſtand ſeines Gaſtes ſchon wieder eingetreten war. — Stolz erhob er ſich und rief: Keine Rückſicht der Gaſt - freundſchaft und Höflichkeit kann mich verpflichten,243 einen Menſchen neun Monate, drei Tage und acht - zehn Stunden bei mir ſchlafen zu laſſen. Ich habe an dir gehandelt, wie ein Cavalier ſich gegen den Anderen benehmen ſoll, die Geduld iſt aber nun erſchöpft, und — höre es, oder höre es nicht — ich kündige dir hiemit Krieg und Fehde an. Dar - unter verſtehe ich, daß ich dich aus dem Schloſſe zu bringen wiſſen werde, in dem du nichts als Unheil und Verwirrung geſtiftet haſt.
Nach dem Abgange des Schloßherrn öffnete Münchhauſen die Augen und ſagte zu Karl Butter - vogel, der ein ſtummer Zeuge dieſer Scene geweſen war: Karl, willſt du mir treu bleiben? — O mein gnädiger Herr, rief Karl Buttervogel, wie könnte ich es wohl über das Herz bringen, Ihnen untreu zu werden, da Sie mir ſo eben noch vor Kurzem meinen vollen Lohn gegeben haben, zwölf Gulden vierundzwanzig Kreuzer. Nein, wenn der Menſch Geld kriegt, ſo muß er treu ſeyn, wie ein Hund, und Häuſer muß man auf ihn bauen können, und ſo lange wie der letzte Kreuzer vorhält, muß er an ſei - nem Herrn halten, denn dafür iſt er Bedienter, und ein Bedienter, der ſeinen Herrn verräth, der ihn ordentlich bezahlt, iſt kein Bedienter nicht, ſondern ein Schuft.
16*244Schweige! rief Münchhauſen. Rede nicht, ſon - dern handle, Buttervogel. Es liegt mir jetzt Alles daran, allein im Schloſſe zu ſeyn, aus dem mich der Alte forttreiben will. Locke daher das Fräu - lein in’s Freie —
Das wird nicht nöthig ſeyn, fiel Karl Butter - vogel ein, denn ſie hat ſich ſelber ſchon, ganz blüme - rant aufgetakelt, in’s Freie gelockt, ich habe ſie eben mit einem großen Dinge unter der Schürze nach meinem Schneckenberge gehen ſehen.
Gut, das halbe Werk iſt ſonach gethan. Locke denn alſo noch den Alten in’s Freie.
Ich will ſo thun, als ginge ich nach der Stadt in die Apotheke für Sie, um wieder Species zu holen für’s chemiſche Schmieren, und wenn ich an ihm im Hauſe vorbeigehe, ſo will ich munkeln: Ja, wenn ich ſprechen dürfte — ſo wird er mir nachgegangen kommen, um mich auszufragen.
Thue das, Karl, mache mir das Schloß rein von allem läſtigen Perſonal, ich will daraus eine Feſtung für mich ſchaffen, ſprach der Freiherr von Münchhauſen mit ſeiner ganzen ihm ſo eigenthüm - lichen Würde.
245Auf dem Vogelheerde ſaß alſo, verlockt von dem ſcheinbaren Stadtgange des Bedienten, der alte Baron, während Emerentia dieſes nämlichen Bedienten, der für ſie kein Bedienter war, mit einem leckeren Gerichte am Schneckenberge harrte. Der Schloßherr hatte ſeinen Plan entworfen. So geradezu Jemand aus dem Schloſſe zu bringen, der ſich darauf verſteift zu haben ſchien, bei ihm neun Monate, drei Tage und achtzehn Stunden mit den Wachpauſen für Eſſen und Trinken abzu - ſchlafen, konnte mißlich erſcheinen. Der alte Baron wünſchte daher nichts mehr, als irgend einen Um - ſtand zu erkunden, welcher ihn allenfalls berechtigte, die öffentliche Macht gegen den Propheten anzu - rufen, der ihm nun wie ein Tagedieb vorkam. Einen ſolchen Umſtand hoffte er von dem Bedienten Karl Buttervogel herauszubringen, denn das Wort „ Mun - kel “und die beſtändige Erwähnung von ungeheuren Geheimniſſen, welche um die Perſönlichkeit des Freiherrn nebelten, deutete nach ſeiner Meinung offenbar auf Verſchuldungen oder wenigſtens auf Verwickelungen hin, die ihm den Arm der Polizei, ſo hoffte er, wider den chroniſchen Schläfer will - fährig machen ſollten.
246Er hatte ſich mit dieſen Gedanken unter eine Vogelbeerſtaude geſetzt und überlegte die Mittel, mit denen er Karl Buttervogel’n plaudern machen wollte. Der Menſch hatte ihn immer ſo freund - lich und gerührt, wir wiſſen weßhalb? ſeither an - geſehen, daß er hoffte, auf ſein Gefühl wirken und ſeinen Mund durch Liebe und Dankbarkeit auf - ſchließen zu können. Er nahm ſich daher vor ihn auf bewegliche Weiſe zu bewegen.
Karl ſaß indeſſen, um ſeinen Stadtgang glaub - lich zu machen, eine halbe Stunde vom Vogel - heerde in einem Kruge und vertrank einen Theil des Lohnes, den ihm die diplomatiſchen Mißver - ſtändniſſe zwiſchen dem Fräulein und ſeinem Herrn geſpendet hatten. Dem alten Baron wurde darüber die Zeit lang und da er an ſeiner Kriegsliſt nichts mehr zu denken fand, ſo nahmen ſeine Vorſtellun - gen eine andere Richtung, welche folgendes Selbſt - geſpräch offenbarte.
Ich habe mich reſignirt, ſagte er. Der heutige Tag zeigt mir meine Lage im wahren Lichte. Münch - hauſen erſcheint mir als das, was er iſt, als ein großer Frevler. Vielleicht iſt er der Vater von Kaspar Hauſer. Möglich auch, daß er ein berüch -247 tigter Giftmiſcher iſt wegen der beſtändigen chemi - ſchen Experimente. Auf jeden Fall ein Mann, dem zu vertrauen bedenklich ſeyn muß. Ein unnatürlicher Charakter, abnorm in jeder Bezie - hung. Welcher Menſch außer ihm, ſammelt Schlaf von ſeiner Jugendzeit auf für neun Monate, drei Tage, achtzehn Stunden. Es iſt zwar eine Klage manches Schulmanns, wie ich geleſen habe, daß auch die jetzt gar zu ſehr angeſtrengte Jugend nach - her ſchläfrig werde, aber dann ſchlafen ſie mit offenen Augen, die Jungens werden rein dumm vom vielen Lernen, natürlichen Nachſchlaf kriegen ſie aber deßhalb nicht. Dieſer Nachſchlaf iſt folg - lich wieder ganz eine Veranſtaltung à la Münch - hauſen.
Ich traue ihm nicht mehr. Seit heute verlaſſe ich mich auf meine geſunden Sinne und nicht auf Flirren und Flauſen. Luft iſt Luft und wird mein Tage nicht Stein. Das ganze Project iſt Windbeutelei und die Luftverdichtungsactiencom - pagnie nicht ſo viel werth.
Der alte Baron blies bei den letzten Worten über ſeine flache Hand hin, ſenkte dann tiefſinnig das Haupt und ſprach nach einer Pauſe: Wunder -248 bar! — Wie demjenigen, der eine große Wahrheit entdeckt, zugleich viele andere Wahrheiten mit einem Schlage aufzugehen pflegen, ſo zerſtört die Zer - ſtörung eines großen Irrthums auch ſeine Nach - barn. Seit ich nicht mehr an verſteinerte Luft glaube, bin ich auch mißtrauiſch geworden über die Rückkehr der alten Verhältniſſe und meinen Ein - tritt in das höchſte Gericht als geborener Gehei - merrath. Es iſt zu viel Gras darüber hingewachſen, meine Tage ſind gezählt; ich erlebe es nicht mehr, das fühle ich wohl.
Und ſo wäre ich denn ein armer, alter, zer - brochener, abgebrauchter Mann? — Nein! Mit nichten. Schon regen ſich neue Gedanken in mir, die jugendliche Kräfte aufwecken. Das iſt eben der wunderbare Segen der Gegenwart, daß Nie - mand untergehen kann, der ſich mit rüſtigem Arm und beherzter Bruſt in ihre Fluthen wirft. Erliſcht hier ein Licht, ſo flammt es da wieder auf, die unendliche Mannichfaltigkeit der Mittel, Gedanken und Anregungen macht jede welkende Hoffnung zu einem Phönix, der ſich zwar be - ſtattet, aber aus dem Feuergrabe immer wieder auflebt.
249Ich habe ſchon wieder Ausſicht, Muth, eine Zukunft. Ich glaube nicht mehr an den geborenen Geheimenrath, ich glaube nicht mehr an die Luft - verdichtungscompagnie; ade Syndicat! Ade Ihr ſechsmalhunderttauſend Luftſteine, mit denen ich ſalariirt werden ſollte — Fahret wohl, Ihr nich - tigen Träume und Schäume und macht einem ſoliden Geſchäfte Platz. — Das religiöſe Bedürfniß iſt mächtig erwacht in der Zeit und ſchmachtet nach der Herſtellung der Hierarchie. Dieſem Bedürf - niſſe zu genügen muß ein großartiges Inſtitut in das Leben gerufen werden. Ich werde Jeſuiten auf Actien kommen laſſen. Schon morgen reiſe ich, um die nöthige Protection und Förderung mir zu verſchaffen, wenn ich inzwiſchen Münchhauſen los werden kann, nach —
Der alte Baron gab nicht an, wohin er reiſen wollte, denn es unterbrach ihn ein Geräuſch unten auf der Straße. Er ſah den Bedienten kommen und rief ihn an. Karl Buttervogel murmelte für ſich, indem er dem Rufe auf den Vogelheerd folgte: Treu bin ich meinem Herrn bis fünf Thaler, wenn er aber mehr geben will, da kann der Menſch nicht widerſtehen.
250So kamen Beide auf dem Vogelheerde zuſam - men; der Bediente mit der Abſicht, ſich um mehr als fünf Thaler beſtechen zu laſſen, der Schloßherr in der Meinung, ihn durch Güte zu rühren, denn außer Güte hatte er nichts bei ſich.
Er hat wohl auch von dem Wege viel Mühe ge - habt bei der Wärme, mein Freund? Setze Er ſich mir da gegenüber unter die Rüſter — ſagte der Schloß - herr im gütigſten Tone. — Ich kann ſchon ſtehen, verſetzte der Bediente, ich würde unter der Rüſter ſitzen wie auf Kohlen und mir, mit Reſpect zu melden, das Geſäß verbrennen, wenn ich in Ge - genwart von einem ſo gnädigen Herren ſitzen thun ſollte. Jeder an ſeinem Platz und an ſeinem Ort, das iſt ſo das Beſte, der Herr Baron ſitzend und ich hier ſtehend in alle Ewigkeit.
Es kommt mir ſo vor, als halte Er etwas auf mich, ſagte der alte Baron nach einer Pauſe, wäh - rend welcher er vergeblich nach einem ſchicklichen Anknüpfungspuncte ſuchte.
O gnädiger Herr, rief Karl Buttervogel erregt, beugte ſich zu dem Schloßherrn nieder und küßte deſſen Rock, wie ich Sie liebe, das kann keine Menſchenzunge ausſprechen. Denn warum ſollte251 ich Sie denn auch nicht lieben, da Wurſt und Eier bis jetzt nicht gemangelt haben, und da ich gewiß fernerweite gute Verköſtigung kriege, und der gnä - dige Herr ſo ein ehrwürdiges Anſehen haben, und die ganze Poſitur ſo etwas Martialiſches und da die nähere Verbindung bevorſteht, und Schwieger - ſöhne Schwiegerväter ſchon aus Pflicht lieben müſſen, und da —
Nun wohl, Buttervogel, rief der alte Baron, laß’ Er die vielen Gründe, die mir auch zum Theil dunkel ſind, denn ich weiß nicht, was Er mit der Wurſt und mit den Eiern und den Verbindungen und den Schwiegervätern und Schwiegerſöhnen ſagen will. Wenn Er wirklich auf mich etwas hält, ſo kann Er mir einen Gefallen thun, und ich er - ſuche Ihn darum.
Tauſend Gefallen für Einen, gnädiger Herr! rief Karl Buttervogel. Soll ich Ihnen den grü - nen Rock ausbürſten, oder an dem Schlafrock mit den Weinranken das Loch im Aermel zunähen, oder —
Nichts von allem dem. Sondern mich intereſ - ſirt Sein Herr bis in die kleinſten Umſtände ſeines Lebens und über Manches möchte ich Aufſchluß252 haben. Erinnere Er ſich nun, wie gut ich an Euch gehandelt habe, ſei Er dankbar für ſo viele Gaſt - freundſchaft, erwäge Er, was Er mir für meine Güte ſchuldig iſt, und wenn dadurch in Ihm ein richtiges Gefühl entſtand, ſo ſage Er mir, warum Sein Herr Seine Grobheiten vermiſcht mit gehei - men Anſpielungen duldet? denn dahinter muß noth - wendig etwas ſtecken.
Dahinter ſteckt auch etwas, ſagte Karl Butter - vogel ernſthaft. Und ich wollte mich wohl ver - führen laſſen aus Liebe und Erkenntlichkeit zu dem gnädigen Herrn Baron und zum Delinquenten an meinem Herrn von Münchhauſen werden, wenn nur … Er ſah ſtarr nach der Hoſentaſche des alten Barons.
Was, Karl? Spreche Er ſich deutlich aus, mein Sohn.
Karl Buttervogel machte eine krumme Hand und ſah den Schloßherrn dabei gerührt an. Sie haben als Vater an uns gehandelt, und wer ſo iſt, wie Sie, der macht mich weichherzig und da kenne ich gar keine Pflichten und laß’ meinen eige - nen Bruder im Stich. Aber inſofern …
Aber inſofern? — Stocke Er doch nicht ſo oft. Heraus mit der Sprache! Was verſteht Er unter253 dem Munkel, wie Er Seinen Herrn nennt, und unter den Geheimniſſen der Erzeugung?
Karl Buttervogel ſpuckte vor ſich nieder, ſah dann wieder nach der Hoſentaſche des alten Ba - rons, machte den Geſtus des Geldzählens und fuhr darauf plötzlich, als der Schloßherr dieſen Gebärden ſtumm und verwundert und ohne auf den Sinn ihrer Forderung einzugehen, zuſah, mit der Frage heraus: Haben Sie wohl über fünf Thaler bei ſich?
Nein, verſetzte der alte Baron etwas verlegen. Ich trage kein Geld bei mir.
So bleibt auch das Geheimniß bei mir, ſagte Karl Buttervogel.
Der alte Baron rief entrüſtet: Alſo aus Liebe zu mir will Er mir nichts ſagen, aber für Geld würde Er Seinen Herrn verrathen!
Ja, rief der Bediente, für Geld kann man Alles kriegen, denn die Zeiten ſind theuer und ohne Nebenverdienſt geht es einmal nicht in der Welt, und weil es in der Freundſchaft bliebe, ſo wäre es auch kein Verrath, und die Liebe zu Ihnen iſt zu groß, und Sie könnten es mir gewiſſermaßen befehlen von wegen der kindlichen Ehrfurcht, die254 ich gegen Sie haben thun muß, und warum fängt mein Herr ſolche Sachen an und ich würde es auch nicht für ein Paar Groſchen thun, denn das wäre ſchimpflich, aber fünf Thaler machen einen Unterſchied, und das Hemde iſt mir näher als der Rock, und Beſtechung iſt nur ein Vorurtheil, aber ohne Geld und Gaben bin ich meinem Herrn ſo treu wie Gold, und keine Menſchenmacht ſoll mich von meiner Schuldigkeit abwendig machen, und das können Sie mir auch gar nicht verdenken, denn Sie würden ſich auch ſo einen ehrlichen Kerl zum Bedienten wünſchen, der Alles mit ſich in die Sterbegrube nähme, wenn Sie ſich chemiſch ſchmie - ren müßten, weil nämlich —
Schweige Er! rief der alte Baron, welcher befürchtete, daß Karl Buttervogel ſich in ein neues Meer von Gründen ſtürzen würde. Verdrießlich riß er Blätter von den Stauden, zwiſchen denen er ſaß, und zerpflückte ſie. Karl Buttervogel ent - fernte ſich gleichfalls verſtimmt über die unverletzte Treue, die er ſeinen Grundſätzen gemäß dem Herrn bewahrt hatte, von dem Vogelheerde.
Das türkiſche Fahrzeug war langſam bis an den Fuß des Schloßberges oder Hügels gediehen, konnte jedoch dort nicht weiter auf der holprichten Straße vordringen. Semilaſſo ſah ſich daher ge - nöthigt, abzuſteigen und zu Fuß bergan zu gehen. Der Ehinger Spitzenkrämer holte ihn ein und gab ſich mit ihm in ein vertrauliches Geſpräch, weil er ihn wegen der fremdartigen Kleidung, worin der berühmte Reiſende ſich zeigte, für ſeines Glei - chen oder vielmehr für etwas noch Geringeres, als er ſelbſt war, hielt, nämlich für einen Kunſtreiter256 oder für den Inhaber einer Thierbude. Denn zwiſchen dieſen beiden Vermuthungen ſchwankte der Ehinger in ſeinen Gedanken.
Semilaſſo hielt es bei ſeinem freien Weltblicke nicht unter ſich, mit den verſchiedenartigſten Leuten ohne Zwang zu verkehren. Er gab daher der Anſprache des Ehingers leichte und natürliche Er - wiederung, redete mit ihm über die Spitzenklöppe - leien in dem Diſtricte, woher der Ehinger gebürtig war und die er auf ſeinen Reiſen beſucht hatte. Den Standesunterſchied bewahrte er nur inſofern, daß er nicht auf der Seite des Weges gehen mochte, den die Füße des Spitzenkrämers traten. Vielmehr wollte er gern die ganze Breite der Straße zwiſchen ſich und dem Ehinger ſehen. Kam daher dieſer zu ihm hinüber, ſo kreuzte Semilaſſo die Straße nach der anderen Seite zu. Da aber der Ehinger die geheime Abſicht dieſer ausweichen - den Bewegungen nicht kannte und am liebſten dicht neben ſeinen Reiſebegleitern gehen mochte, ſo folgte er dem vornehmen Türken überallhin und Beide waren daher die Schloßſtraße hinauf in einer be - ſtändigen Zickzack - und Schlängelwanderung be - griffen.
257Oben ſtand Semilaſſo ſtill und wiſchte ſich mit einem Taſchentuche von feinem Battiſt den Schweiß von der Stirn. Der Ehinger zog eine Brannt - weinflaſche aus dem Ränzel, nahm einen derben Schluck und bot ſeinem Genoſſen, deſſen Eigen - ſchaften ihm ſo unbekannt waren, die Flaſche gleichfalls dar. Semilaſſo wies aber mit einem Zuge des innigſten Widerwillens in dem feinen blaſſen Geſichte den Schnaps zurück und ſchien überhaupt nach gerade den Ehinger läſtig zu finden. Seine Neigung zu dem Manne ſtieg nicht, als dieſer mit der Frage ſich an ihn wandte: Sagt mir, Landsmann, wo Ihr Eure Bude ſtehen habt? und als er durch verwunderungsvolle Erkundigung von ihm herausbrachte, wofür er angeſehen wurde. Voilà ce qui est bien drôle! ſagte er mit einer ſüßſäuerlichen Miſchung im Tone der Stimme und ſuchte dem Ehinger zu entkommen, der ihn aber mit wiederholentlichen Fragen nach der Bude bis vor die Thüre des Schloſſes verfolgte. Denn er hatte viel Geld gelöſt und wollte ſich nun[auch] in der Thier - oder Bereiterbude ein Vergnügen machen.
An der Schloßthüre nahm jedoch die Verram - melung derſelben die Aufmerkſamkeit beider Wan -Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 17258derer ſtatt alles Anderen in Anſpruch. Sie riefen, ſie pochten, ſie rüttelten, aber im Innern des vereinſamten Schloſſes antwortete Niemand, Nie - mand kam von innen an die Thüre, ſondern es ſchnarchte da drinnen nur taub und gefühllos wei - ter. Zuletzt mußten ſie ſich wie die übrigen an der Thüre Geweſenen auch von der Nothwendigkeit des Wartens überzeugen. Zufällig hatten ſie ein - ander von dem Zwecke ihrer Wanderung nichts mitgetheilt, ſie gingen auch jetzt ohne nähere Er - klärung nach verſchiedenen Seiten ab. Semilaſſo ſchlug, da der Ehinger mit ihm wieder die Schloß - ſtraße hinunterwandern wollte, einen Nebenweg in das Gebüſch ein, um nur von dieſem Plebejer ſich loszumachen. Er brauchte dabei einen wahr - ſcheinlichen Vorwand; die Geſchichte hat ihn aber vergeſſen oder Scheu getragen, ihn aufzuzeichnen. Der Ehinger ſtellte ſich dagegen unten am Fuße des Hügels zu dem türkiſchen Fahrzeuge und ſuchte ſich die Zeit, ſo gut es gehen wollte, mit den Affen und Papageien zu vertreiben. Auch mit dem jungen Neger ſprach er. Dieſer redete ge - brochen deutſch und antwortete auf die Frage, wo ſein Herr die Bude ſtehen habe? nachdem er ihren259 Sinn gefaßt hatte: Kein Herr mein Bud’ halten — wollt’ ſagen — Mein Herr kein Bud’ halten — Furſt ſeyn — heißen — nicht ausſprechen kann den Namen ſchwierig.
Ueber dieſe Auskunft wollte ſich der Ehinger des Todes verwundern, lachte aus vollem Halſe und rief: O, was für ein Anſehen ſich ſo ein Volk geben kann! Der Junge lügt wahrhaftig ſchon wie gedruckt und wenn ich den Herrn nach ſeinem Stand’ frag’, iſt er ein König wenigſtens.
In dieſem Augenblicke ging der alte Baron raſch an dem Gefähr vorüber. Er war ſo ver - drießlich, daß ihm ſelbſt der fremdartige Anblick des Fahrzeuges keinen Blick abnöthigte, er ſtieg vielmehr, ohne ſich umzuſehen, die Schloßſtraße empor. — Landsmann, rief der Ehinger, der alle Völker der Erde für ſeine Compatrioten hielt, dem Alten nach, Euer Laufen hilft Euch nit, Ihr kommt oben nit ein, die Zugäng’ ſind ver - bollwerkt. — Der Baron wandte ſich um, fragte, was das bedeuten ſollte? und erfuhr zu ſeinem größ - ten Aerger, was wir ſchon wiſſen.
Nein! rief der alte Baron knirſchend vor Zorn, was zu arg iſt, iſt zu arg! Ich füttere den Ha -17*260ſenfuß, er verrückt uns Allen die Köpfe und zum Beſchluß und zur Krönung der Schandthaten treibt er die rechtmäßigen Eigenthümer aus dem Hauſe und ſetzt ſich darin feſt. Das iſt offenbare Gewalt, Friedensbruch und Beſchädigung mit gemeiner Ge - fahr, und auf der Stelle laufe ich zum Bürger - meiſter, denn jetzt, jetzt thut Polizeihülfe Noth. — Mit einer Schnelligkeit, die man ſeinem Alter nicht hätte zutrauen ſollen, lief der Schloßherr zurück und bog in den Weg, der nach dem Dorfe führte, worin der Bürgermeiſter wohnte.
Als er aber raſch um eine Hecke ſchwenkte und nichts im Sinn und Auge hatte, als den ihm nun ſo verhaßt gewordenen Dutzbruder, rannte er heftig mit einem Andern zuſammen. Dieſer Andere war ein Mann, der in entgegengeſetzter Richtung dahergeſchritten kam und wegen ſeiner Kurzſichtig - keit oder aus Zerſtreuung auf den alten Baron nicht geachtet hatte. Da er auch ſehr raſch ging, ſo war das Zuſammenprallen, wie geſagt, ein heftiges, der Schloßherr verlor ſeine Seehunds - kappe vom Haupte, der Mann im braunen Ober - rock (denn einen ſolchen trug der Zweite) den Strohhut. Nachdem Beide ihre Kopfbedeckungen261 aufgerafft hatten, machten ſie einander gegenſeitige Entſchuldigungen, denen der im braunen Oberrock die ironiſche Bemerkung hinzufügte, daß dieſe Art Bekanntſchaften zu knüpfen die glücklichſte ſei, weil ſie mit dem Gefühle beginne, daß Einer dem An - deren etwas nachzuſehen habe, der erſte Moment derſelben daher ſich von aller Ueberſpannung in den Erwartungen fern halte.
Mit wem habe ich die Ehre? … fragte der alte Baron.
Ach, verſetzte der im braunen Oberrock, laſſen wir meinen Namen unausgeſprochen! — Durch eine ſeltſame Laune des Schickſals, deren es mehrere an mir übte, iſt mir auch ein Name zu Theil geworden, der mehr verſprach, als meine geringe Perſönlichkeit zu halten im Stande geweſen iſt. Aber vergönnen Sie mir dagegen eine Frage: Wiſſen Sie nicht, ob ſich ein gewiſſer Freiherr von Münch - hauſen hier herum in der Nähe aufhält?
Der alte Baron ſah den Fremden groß an. Haben Sie auch durch ihn gelitten? Können Sie mir irgend einen haltbaren Verdacht wider ihn lie - fern, mittelſt welches ich ihn vor die Gerichte bringe? fragte er darauf mit Eifer.
262Mein Herr, verſetzte der Andere, was denken Sie von mir? ich habe mit dieſem Freiherrn von Münchhauſen ganz eigene und zarte Beziehungen, die mir die Lippen über ihn verſiegeln würden, ſelbſt wenn ich etwas Schlechtes von ihm wüßte. — Sonach kann ich nur meine Frage wiederholen: Hält ſich dieſer Mann hier in der Nähe auf?
In meinem Schloſſe ſitzt der Spitzbube und hat ſich verbarricadirt! rief der alte Baron. Dort geht die Straße hinauf und ich bin in dieſem Augenblicke auf dem Wege, die Polizei wider ihn zu Hülfe zu rufen. — Er lief eilig ſeine Straße nach dem Dorfe weiter.
Halten Sie an! rief der Fremde mit ſtarker Stimme dem Davoneilenden nach. Der Freiherr iſt zwar ein großer Schalk, gehört aber doch nicht in die Kategorie der Spitzbuben und iſt über die Angriffe der Polizei erhaben. — Der alte Baron hörte aber nicht auf ihn, ſondern rannte ſporn - ſtreichs ſeinen Weg. — O der Unſelige, in welche Verwickelungen hat er ſich gebracht! ſagte der Fremde. — Ich muß ſehen, wie ich ihn rette, ſetzte er murmelnd hinzu und lief die Schloßſtraße hinauf.
263Denn auch er lief mehr als er ging, was einen ziemlichen Contraſt mit ſeiner Figur abgab, die man ſchon zu den corpulenten zählen konnte. Es war ein breitſchulteriger unterſetzter Mann, dieſer Fremde im braunen Oberrock, der ſeinen Wander - ſtock bei jedem Schritte mit Energie auf die Erde ſtieß. Er beſaß eine große Naſe, eine marquirte Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakter als Talent anzeigten und einen feingeſpaltenen Mund, um den ſich ironiſche Falten wie junge ſpielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch nicht zu den giftigen gehörten. Seine Augen wur - den in den Reiſepäſſen gewöhnlich als graue be - zeichnet. Sie lagen auch wirklich wie hellgraue Perlhühner in ihren Höhlen unter Brauen einge - wühlt, die trockenem gelbbräunlichem Reiſig glichen. Mehrere Damen ſeiner Bekanntſchaft aber, die ihm wohlwollten, behaupteten, dieſe Augen hätten einen angenehmen blauen Ausdruck, und ſeit der Zeit glaubte er ſelbſt an ihre Bläue. Nicht allein in dem Antlitze dieſes Mannes, der nach ſeinem Habitus ein Vierziger zu ſeyn ſchien, ſondern überhaupt in ſeinem geſammten Weſen war eine eigene Mi - ſchung von Stärke, ſelbſt Schroffheit, mit Weich -264 heit, die hin und wieder in das Weichliche über - ging, ſichtbar.
Es wäre ja traurig, wenn dieſer merkwürdige Charakter in einem elenden Abentheuer umkäme, man muß ſehen, man muß ſehen … flüſterte der braune corpulente Laufende, als er die beiden Wappenlöwen erreicht hatte.
Da die Abſicht der gegenwärtigen Geſchichten nicht ſeyn kann, den Leſer bei Zeiten über jenen Fremden zu unterrichten …
Hiebei, lieber Herr Buchbinder, Manuſcript des Münchhauſen, ſo weit ich geſchrieben habe. Nicht wahr, hier wäre wieder ſo ein Ort, über den Braunen eine ungemeine Spannung zu ſtiften? Geheimnißvoll … dunkel … Andeutungen u. ſ. w. Sie verſtehen mich. Ich wollte doch aber nicht ohne Ihren Rath verfahren. Der ich mit aller Achtung u. ſ. w.
Beileibe jetzt keine Spannung mehr. Spannung genug durch Semilaſſo, den Jäger, die drei Unbe - friedigten, den Ehinger Spitzenmann und den alten Herrn Baron, der zum Bürgermeiſter läuft. Zu - viel Spannung überſpannt; die Leſer möchten Ihnen am Ende gar abgeſpannt werden. Nein, jetzt durch eine tüchtige Entdeckung Effect gemacht, je unerwarteter, deſto beſſer. Mit beſonderer Hoch - achtung u. ſ. w.
Da die Abſicht der gegenwärtigen Geſchichten nur ſeyn kann, den Leſer bei Zeiten über jenen Fremden zu unterrichten, indem die Folter längſt abgeſchafft iſt und nur noch in engliſchen Romanen durch dreibändelange Spannung mißbräuchlicherweiſe angewendet wird, ſo iſt hier zu ſagen, daß der corpulente Mann im braunen Oberrock Niemand an - ders als der bekannte Schriftſteller Immermann war.
266Er befand ſich auf einer ſeiner jährlichen Ferien - reiſen, während welcher die eine Hälfte ſeiner Düſſeldorfer Freunde ihn da, die Andere dort ver - ſorgt. Er kommt aber immer wieder nach Düſſel - dorf zurück, weil — — — —
So kommt er denn immer wieder von dieſen Kreuz - und Querzügen durch Deutſchland zurück, nachdem er durch Berge, Thäler, Höhlen und Klüf - te, Hütten, Palläſte, Kirchen und Gräber ge - ſchweift iſt, ein weltdurſtiger und weltfroher Odyſ - ſeus, den keine Calypſo zurückzuhalten für gut fand.
Gegenwärtig befand er ſich auf einer Wande - rung nach den Exterſteinen, die er noch nicht ge - ſehen hatte. In der Nähe der Stadt, worin der Diaconus wohnt, bog er jedoch von der geraden Straße ab, um den Helden dieſer Geſchichten auf - zuſuchen, mit welchem er wirklich Beziehungen der eigenſten Art hatte, und dem er wichtige Mitthei - lungen machen wollte, entſcheidende Mittheilungen für ſeines Schützlinges Geſchick. Denn in dieſem Verhältniſſe ſtand Münchhauſen zu Immermann. Immermann übte eine Art von Curatel über den Freiherrn aus.
Der Schriftſteller lief, als er den Schloßhof erreicht hatte, gerade auf das Haus zu, indem er fortwährend für ſich murmelte: Hätte ich ihn nur erſt aus dieſer Klemme! Sich ſo zu verfah - ren und zu verſteigen, gerade in dem Augenblicke, wo ich ihm ein anſtändiges und ſicheres Brot ver - ſchaffen kann! Wenn ſie mein Wort nur gelten laſſen! — Er drückte an der Klinke der Thüre. Da ſie ſich aber ſo nicht öffnen laſſen wollte, ſo ſtemmte er ſich mit der ganzen Gewalt ſeiner Schultern gegen ſie, und da ihn die Natur mit268 einer ziemlichen Leibeskraft ausgeſtattet hatte, ge - lang ihm, was Semilaſſo’n und den drei Unbe - friedigten ſo wenig, als dem Jäger möglich gewe - ſen war. Die morſche Thüre wich nämlich aus den Angeln, einige innen vorgeſetzte Tonnen und Kiſten fielen um, die Thüre fiel auf ſie und in das Innere des Flurs, der Schriftſteller fiel auf die Thüre, wenigſtens halb, und ſolchergeſtalt, faſt mit der Thüre in das Haus fallend, eröffnete er gewaltſam den Zugang zu dem Schloſſe Schnick - Schnack-Schnurr, deſſen Inneres ohne ſeine Da - zwiſchenkunft vielleicht lange unzugänglich geblieben wäre. Einen Augenblick ſich erholend und im Flure ſtehenbleibend hörte auch er oben das hef - tige Schnarchen. — Der Schäker! Was hat er nun da vor! rief der Schriftſteller lachend und eilte die Treppe hinauf. In Münchhauſen’s Zimmer ſtanden mehrere Fläſchchen und Gläſerchen mit den ſeltſam-ſchillernden Feuchtigkeiten, deren ſchon ein - mal Erwähnung geſchehen iſt, gefüllt, auf dem Tiſche. Der Inhalt war hin und wieder verſchüt - tet und ein ſcharfer mineraliſcher Dunſt würzte die Luft. Nahe bei dem Tiſche ſchlief aber der Freiherr auf einem Stuhle, das Haupt zur Seite269 hängend, den feſteſten und geſundeſten Schlaf, ob - gleich der Apparat auf dem Tiſche anzudeuten ſchien, daß er noch wenige Minuten zuvor gewacht haben müſſe. Ganz überaus ſchnarchte er und lächelte wirklich, wie Karl Buttervogel geſagt hatte, gleich einem Engel in ſeinem Schlummer. Der Schriftſteller überblickte einige Augenblicke ſchwei - gend und ironiſch ſchmunzelnd den Schläfer und die chemiſchen Zurüſtungen, dann ſetzte er ſeine Brille auf, wie er immer vor wichtigen Momenten zu thun pflegt, ſchlich ſich auf den Zehen zu dem Freiherrn, ſchlug ihm auf die Schulter und flüſterte ihm in das Ohr: Keine Verſtellung gegen mich, alter Freund!
Das hangende Haupt des Freiherrn fuhr raſch empor, ſo daß er gegen die Naſe des Schrift - ſtellers anſtieß und die Brille aus ihrer richtigen Stellung brachte, die Augen Münchhauſen’s öffne - ten ſich weit, ſtarrten mit dem Ausdrucke eines unglaublich freudigen Erſtaunens den Beſuch an und ſchienen zu ſagen: Nun, das muß wahr ſeyn, wenn die Noth am höchſten, iſt die Hülfe am nächſten. Er blieb aber ſprachlos.
Der Schriftſteller nahm die Brille ab, wiſchte die Gläſer mit ſeinem Taſchentuche rein und rief270 dann mit der Brille in der Hand[lebhaft] geſticu - lirend, dem Freiherrn zu: Nun ſagt mir, Erzkauz und Herzog der Phantaſterei, Marquis von Traum - land und König aller modernen Zigeuner und Bet - telſtudenten —
… gefürſteter Abt in qualitate qua, Herr zu Irrlicht, Nebelthau und Wildfeuer, Baron des unheiligen Reichs der Motten, Ziegenmelker und Karpfenſchwänze*)Vermuthlich ſind hier die raſtlos ſchwirrenden grauen Nacht - falter mit dem fiſchſchweifartigen Hinterleibe genannt., Grand aller böhmiſchen Dörfer, Erbbelehnter in ſämmtlichen künftigen neuen Entde - ckungen, Großpenſionair von Lirum Larum ꝛc. ꝛc. ꝛc. fiel der Freiherr ſeinem Curator in die Rede. Ihr ſeid im Zuge mit Euren gewöhnlichen unaufhalt - ſamen Bezeichnungen, und ich will Euch darin helfen, ſetzte er hinzu.
Nein, Herr von Münchhauſen, erwiederte der Schriftſteller, der plötzlich ernſt geworden war, kalt. Vergeuden wir die edle Zeit nicht mit müßigen Spielen des Witzes! Ich bin mit Ihnen ſehr unzufrieden. Immer noch ſah ich Sie auf der Höhe der Wogen, jetzt aber ſcheinen Sie gänz - lich unter der Fluth zu ſeyn. Was ſoll dieſes271 Schlafen? Was ſoll das Verrammeln in einem Hauſe, welches nicht Ihnen gehört? Fühlen Sie denn nicht, daß Sie durch ſolche Eulenſpiegeleien ſich fallen laſſen?
Herr Immermann, Sie irren, verſetzte Münch - hauſen. Ich ſchlief ein, als ich mir gegen den alten Narren, meinen Wirth, durchaus nicht anders mehr zu helfen mußte. Darin ahmte ich nur das Stratagem erfinderiſcher Köpfe nach. Ich verſichere Sie, man wird vielleicht bald von dem chroniſchen Schlummer mehrerer Projectenmacher hören, wenn ihr Latein erſchöpft iſt.
Und das Thürverrammeln?
Konnte ich denn wiſſen, daß Ihre gewichtige Kraft mir ſo nahe ſei? Ich wollte Zeit gewinnen, eine halbe Stunde entſcheidet oft Alles, in einer halben Stunde kann der Himmel einfallen und dann ſind wir durch jegliche Erdennoth hindurch. Und wirklich habe ich Recht gehabt. Sie ſind da, der alte Baron nicht, der ſonſt vielleicht ſchon hier wäre und alle ruhige Beſprechung unmöglich machte.
Mein Herr, laſſen Sie dieſe poſſenhafte Be - trachtung einer intricaten Lage! fuhr der Schrift - ſteller ſeinen Clienten barſch an. Der alte Baron272 läuft nach dem Bürgermeiſter, um Polizeihülfe herbeizuſchaffen? Begreifen Sie nun Ihre Poſi - tion? Sorge ich darum väterlich für Sie, ſchicke ich deshalb gewiſſenhaft die Fläſchchen der von Ihnen bereiteten Tinctur an den Oberkammerherrn, ſchreibe ich mir, um Ihnen endlich ein ſicheres Brod bei dem geiſtreichen Erbprinzen von Dünkel - blaſenheim zu verſchaffen, beinahe die Finger lahm, damit Sie nun ſchmachvoll in dem Protocolle irgend eines obſcuren Polizeibeamten endigen? Nein, Münchhauſen, ich kann Sie faſt nicht mehr achten, Sie ſind doch ein gar zu verlogener Schelm.
Der Freiherr hatte während dieſer harten An - rede ſacht unter ſeinen Kleidungsſtücken gewühlt. Jetzt zog er daraus einen ſchwarzen Frack hervor und einen kleinen zuſammengelegten Klapphut. Was ſehen Sie? fragte er ſeinen rauhen Beſchützer in einem ruhigen, man möchte ſagen, überlegenen Tone.
Einen Frack und einen Klack! rief der Schrift - ſteller noch immer zornig, obgleich dieſe harmloſen Gegenſtände keine Entrüſtung verdienten.
Münchhauſen zog an dem kleinen Klapphute, da wurde er größer, er griff dehnend in die Oeff - nung, da wurde er dreieckicht, er nahm aus den273 Seitenwänden einen weißen Federbuſch und ſteckte ihn auf, da war es ein Offizierhut, wie er nur ſeyn mußte. Dann krämpelte er den Frack um, häckelte das ſeidene Unterfutter los, da kam überall rothes Tuch zum Vorſchein und am Kragen und an den Aufſchlägen weißes mit Goldſtickerei. Er warf ſeinen Rock ab, zog dieſe phantaſievolle Uni - form an, ſetzte den Hut auf und ein Offizier in fremden Dienſten ſtand vor dem Schriftſteller.
Dieſer betrachtete die neue Geſtalt, welche ſich wie durch Zauberei vor ihm gebildet hatte, mit Erſtaunen. So ſind Sie denn alſo wirklich — was ich noch immer nicht glauben wollte — Sie ſind …
St! mein Lieber — rief der Freiherr plötzlich ängſtlich werdend. Sprechen Sie ein gewiſſes Wort nicht aus; es iſt das Einzige, was mir Schrecken erregt! Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß meine Mittel nicht erſchöpft ſind. Aus jenen Weſten, Jacken und Tüchern, die Sie da liegen ſehen, kann ich auf Verlangen Neugriechen, Matroſen, Jockey’s herſtellen mittelſt Knöpfens, Wendens, Steckens — ein ziemlich gewandter Proteus. Und ſo möge der alte Baron und ein Bürgermeiſter,Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 18274der Teufel und ſeine Großmutter gegen dieſes Schloß heranrücken, mir ſoll das Herz nicht ab - wärts ſinken. — Sie haben mich in Ihrer rauhen Manier angefahren, Sie haben einen hohen Ton gegen mich angeſtimmt, als ſeien Sie wunder wie weit über mir und ich nur eine mediocre Figur. Ich bin gegen ſolche Beleidigungen empfindlich. Deßhalb frage ich Sie jetzt, womit habe ich ſie verdient? Wiſſen Sie einen einzigen ſchlechten Streich von mir, mein Herr?
Der Schriftſteller verſetzte nach einigem Beſin - nen: Nein. Wahrheit muß Wahrheit bleiben. Einen eigentlich ſchlechten Streich weiß ich allerdings nicht von Ihnen. Wie hätte ich mich auch mit einem Escroc ſo weit einlaſſen mögen?
Nun denn! rief Münchhauſen, und ſeine Ge - ſtalt, von der rothen Uniform gehoben, nahm eine Art komiſcher Erhabenheit an. Ich habe phanta - ſirt, ja! Ich habe tolle Streiche ausgehen laſſen, ja! Ich habe es mit der Wahrheit ziemlich oder vielmehr unziemlich leicht genommen, ja! Ich war überall und nirgends, mein Name war mir ſtäts ſo gleichgültig, wie der Rock, den ich gerade zu - fällig trug — aber mein Ehrenwort hatte ich mir275 darauf gegeben, alles dieſes Schwärmen, Phanta - ſiren, Fabuliren, Vagabondiren uneigennützig zu treiben, und obgleich ich der Freiherr von Münch - hauſen heiße, dieſes Ehrenwort habe ich gehalten. Die Caſſe manches Narren ſtand mir zu Gebote und blieb unberührt von mir; höchſtens erlog ich mir hin und wieder Obdach und freie Beköſtigung, wenn ich ſonſt nicht wußte, wohin mein Haupt legen und was beißen oder brechen?
Waren Sie ſtäts ſo uneigennützig? fragte der Schriftſteller mit ſcharfem Accent.
Nein, rief Münchhauſen plötzlich wieder klein - laut, ich will mich gegen Sie nicht beſſer machen, als ich bin. Einmal habe ich einer einfältigen Gans Liebe vorgelogen, um zu ihres Vaters Geld und Gut zu gelangen und da mußte ich zuletzt er - fahren, daß kein Geld und Gut vorhanden ſei. Dieſe eigennützige Lüge ohne Erfolg brachte nun eine ganz gräuliche und ekelhafte Nachwirkung in mir hervor. Denn es giebt kein abſcheulicheres Gefühl für einen Charakter, wie ich bin, als Witz und Phantaſie umſonſt ausgeſpendet zu haben. Und da gab ich mir eben das Ehrenwort, fortan in der reinen unſelbſtiſchen Erfindung zu ſchwelgen.
18*276Doch im Grunde eine traurige Schwelgerei! ſagte der Schriftſteller.
Die lieblichſte und üppigſte! rief der Freiherr begeiſtert. Seine Züge nahmen ein Gepräge an, wie es noch niemals in ihnen geſehen worden war. Seine Augen leuchteten wunderlich und ſchrecklich, durch die Irrgänge ſeiner Lineamente ſchlichen Schel - merei, Spott, trunkenes Behagen, wie ſchöne Mäd - chen, die in einem vernachläſſigten Park ſpazieren gehen. Mit den Fingern griff er in die Lüfte, als wollte er da tauſend luſtige Erinnerungen ſich greifen, er ſah wie der Geiſt Capriccio aus. — Was iſt das ſüße Feuer, welches die Traube in unſere Adern gießt, was ſind die verathmenden Ohnmachten des höchſten Liebesrauſches gegen das ſelige Behagen, mit allen ſtolzen Thorheiten der Zeit zu tändeln, zu ſcherzen, zu ſpielen und des Witzes urkräftige Blitze in alle Spelunken hinab - leuchten zu laſſen! Man fühlt ſich wahrhaft als Schöpfer; eine neue Welt erſteht, durch welche man als König und Wohlthäter hinzieht, denn hinter den Rädern des Siegeswagens blühen in den Geleiſen phantaſtiſche Blumen auf, welche dem Gefolge lieblicher duften als Roſen und Jasminen. 277Ich habe viele Narren glücklich gemacht und da die Welt aus Narren beſteht, ſo habe ich die Welt beglückt, ſo weit mein ſtreifender Fuß ſie betrat.
Was ſoll ein geſcheidter Kerl jetzt anders thun als lügen, die Prahlhänſe zum Beſten haben, um - herlaufen, ſich wandeln und verwandeln? In Kriegs - dienſte gehen? — Napoleon hat das Heldenthum ausgebeutet, wie er ſelbſt ungefähr mit den näm - lichen Worten auf Sanct Helena ſagte, für fünf - zig und mehrere Jahre, es iſt heutzutage als ſähe man bleierne Soldaten aufgeſtellt, darunter iſt auch immer noch Einer als General und Mehrere ſind als Hauptleute lackirt, aber bleierne Solda - ten ſind ſie Alle. In der Staatskunſt ſich ver - ſuchen? Auch da verlangt man nach einem Chef, der’s iſt, der nicht bloß ſo heißt. Zeigt mir einen Richelieu, oder nur einen ſchlauen, geſchminkten Mazarin und ich werde Legationsrath. In Papier ſpeculiren? Pfui! Ich bin ja kein Jude. Den Tiefdenker machen, das Original, den Sonderling, den Unglücklichen? Abgebraucht. Was bleibt übrig? Lügen, Flirren, Flauſen produciren. Ein Lügner war ich, ein Lügner bin ich, ein Lügner will ich ſeyn! Ich habe auf Tollheiten ſpeculirt, das iſt278 das höchſte und nobelſte Hazardſpiel, was es giebt. Lucian iſt mein Evangelium und Ebu Seid von Serug mein Herr und Meiſter!
Und da ich ein Solcher bin, wie können Sie, mein Herr, ſich herausnehmen, mir ſo unhöflich zu begegnen?
Was! rief der Schriftſteller Immermann, du empörſt dich, Geſchöpf, wider deinen Schöpfer?
Alter Freund, verſetzte der Freiherr mit ruhi - ger Hoheit, Ihr ſeid nicht der Mann, einen Mann wie mich zu ſchaffen. Ihr habt einige meiner Aben - theuer aufgeſchrieben und demnach ein Stück mei - ner Biographie geliefert, das iſt das Ganze, und wer weiß noch, ob mir und meinem Rufe damit ſehr gedient geweſen iſt, denn Ihr habt wenig Credit in der Literatur. Ihr beſorgt mir die Fla - ſchen mit der Hühneraugeneſſenz an den Oberkam - merherrn, und wollt mir durch dieſes und andere Mittel mein ſicheres Brod bei dem Erbprinzen von Dünkelblaſenheim verſchaffen. Ob ich Euch dafür zu danken habe, weiß ich erſtlich noch gar nicht, denn vielleicht ſagt mir die gebundene Lage nicht zu. Wäre das aber auch, ſo ſind jene Dienſte kleine Gefälligkeiten, die ich Euch dadurch reichlich279 vergütet habe, daß ich Euch erlaubte, aus mir ein Buch zu machen.
Sie behaupten alſo im vollen Ernſte, ein ſelbſtſtändiger Charakter zu ſeyn? fragte der Schrift - ſteller befremdet.
Freilich. Ich weiß gar nicht, wie Sie mir vorkommen. Nehmen Sie ſich nur in Acht, daß Sie nicht ganz gegen mich verſchwinden, daß Sie nicht für eine Erfindung von mir gelten. Was hätten Sie mir geben oder leihen können? — Sie ſind kein Genie —
Nein, verſetzte der Andere ohne alle Ironie oder Empfindlichkeit.
Sie ſind höchſtens ein Talent, doch ſind Sie auch das nicht, ſondern nur ein Nachahmer. Sie ahmten immer nach, erſt Shakspeare, dann Schiller, zuletzt Goethe. In Ihren Arbeiten iſt mehr Witz, Phantaſie, Reichthum als in denen der Andern, die Ideen ſtrömen Ihnen aus ergiebigeren Quellen zu als den Andern, aber Sie ſind ein mittel - mäßiger Kopf und ein ſeichter Geiſt. Adel und Hoheit der Weltanſchauung kann man Ihnen nicht abſprechen, wenn Sie nur nicht ſo trivial wären. Sie haben einige Figuren in vollendeter Wahrheit280 geſchaffen, könnten Sie ſich an eine Erſcheinung hingeben, ſo wäre Ihnen vielleicht geholfen. Sie waren ſtäts ein Dichter von Geſinnung, leider aber ohne alles Gefühl und ohne Liebe.
Der Schriftſteller ſchüttelte dem Freiherrn die Hand, lachte und ſagte: Ich hatte ſchon gemeint, daß Ihr ernſthaft mit mir anbinden wolltet, nun ſehe ich aber, daß Ihr Spaß macht, alter Spötter. Ihr habt den Ton meiner öffentlichen Beurtheiler ziemlich luſtig copirt. Jetzt beſtehen allerhand Leute hauptſächlich darauf, daß ich mehr Liebe haben ſolle. Sie fordern es aber ſo entſetzlich grob, daß die Liebe, welche ein ſcheues, feines Kind iſt, ſich weinend verſteckt, oder ſchleicht, ſie ahnen nicht, wohin?
In dieſem Augenblicke ſah er durch das Fen - ſter und erſchrak. Denn er erblickte den alten Baron in der Ferne, der mit dem Bürgermeiſter herbeikam. Wir ſchwatzen hier Allotria! rief er haſtig, und da naht ſchon das Corps Ihrer Angreifer! Raſch einen Plan der Vertheidigung und des Rück - zuges aus dieſem Caſtelle erſonnen. Wie wäre es —
Wenn wir improviſirten! fiel Münchhauſen ein und warf die rothe Uniform ab benebſt dem Hute. — So gelingt Alles am beſten. Das ganze Leben281 iſt ein Impromptü. Er verwandelte das militai - riſche Kleid in den Frack und den dreieckichten Hut in den Klack zurück, forderte auch, daß ſein Biograph ſich entferne, denn er wolle, ſagte er, allein ſeinen Mann ſtehen. Dieſer aber ſchwor, daß er ſeinen Helden nicht verlaſſen werde und ſo mußte er ſich die Waffenbrüderſchaft gefallen laſſen, wohl die ungewöhnlichſte, die ſeit langer Zeit vorgekommen iſt. Freilich aber hatte der Schriftſteller noch außer ſeinem zärtlichen auch ein großes egoiſtiſches Intereſſe dabei, daß der Freiherr von Münchhauſen in dieſem Kampfe nicht umkam. Denn um von tauſend Gründen nur einen anzuführen: Er hatte Herrn Schaub in Düſſeldorf die Fortſetzung der münchhauſenſchen Abentheuer verſprochen, und wo blieben die Abentheuer, wenn Münchhauſen unterging?
Schriftſteller und Held verabredeten in der Eile doch einige allgemeine Maaßregeln. Wir aber überlaſſen vor der Hand die Ereigniſſe im Schloſſe ihrer Entwickelung und verfügen uns nach dem Schneckenberge. Auf dieſem Gebirge Tayge - tus ſaß das Fräulein mit feierlicher Miene und im ungewöhnlichſten Putze, der aus einem ehemals282 roſenfarbenen Seidenkleide, einem weißen Flortuche, einer Schärpe, worauf der Tempel der Liebe ge - ſtickt war, und grünen Atlasſchuhen beſtand. In der Hand hielt ſie einen elfenbeinernen Fächer mit der Geſchichte Amor’s und Pſychen’s, und ihr Haar zierte ein Paradiesvogel, dem nur vor Alter die Schwungfedern ausgefallen waren. Einen Ridicule von ſogenannten Freundſchaftsläppchen zuſammen - gefügt, trug ſie an einem Arme und eine Tändel - ſchürze von ſchwarzem Taffent mit Phantaſieblumen eingefaßt, hatte ſie vorgebunden.
In dieſem Aufzuge ſtellte ſie die verſchollene Freiin von Schnurrenburg-Mixpickel aus den Bä - dern zu Nizza dar. So coſtumirt war ſie dort mit Rucciopuccio geluſtwandelt und den Juden in die Arme gefallen, als die verhängnißvolle Stunde der Trennung ſchlug. In frommer Erin - nerung an die ſüßeſte und ſchwerſte Zeit ihres Lebens hatte ſie den ganzen Staat aufbewahrt und er war durch alle Stürme der Zeiten, durch das ganze Elend der Verarmung hindurch gerettet wor - den. Heute hatte ſie ihn mit erhabenem Lächeln aus dem Koffer hervorgeholt, und ihn, nachdem ſie ihr Werk in der Küche beſorgt, angelegt, denn283 ihre Seele brütete einen großen Entſchluß und ſie wollte mit ſtarken Mitteln auf den masquirten Fürſten wirken. Sie ſaß vor einem kleinen Tiſch - chen, welches der Schulmeiſter aus einem alten Brette und mehreren abgeſtumpften Zaunſtacken da droben zuſammengefügt hatte, um, wenn das Wet - ter ſchön war, ſeine ſchwarze Suppe im Freien genießen zu können. Auf dieſes Tiſchchen hatte ſie einen Korb geſtellt, der mit einer weißen Serviette zugedeckt war. Gänzlich in die Welt ihrer Träume verloren, achtete ſie der drei unbefriedigten Jüng - linge nicht, welche nach ihr in den Garten gekom - men waren. Dieſe achteten ihrerſeits wieder nicht auf Emerentien, und ſo nahm Keiner von dem Anderen Notiz, was bei idealiſtiſchen Naturen öfter vorzukommen pflegt, auch wenn ſie im engſten Raume zuſammen ſind. Die Unbefriedigten ſaßen alle Drei um das trockene Waſſerbecken und ſahen den kup - fernen Delphin ohne Strahl tiefſinnig an. Emeren - tia dagegen wiegte ſinnend ihr Haupt, daß der nicht recht feſt eingeſteckte Paradiesvogel zuweilen nach der Wange zu eine trunkene Bewegung machte, und faltete ſpielend den elfenbeinernen Fächer auf und zu.
284In dieſem Sinnen, Wiegen und Spielen hatte ihre Seele die reizendſten und glänzendſten Bilder der Vergangenheit hervorgezaubert, als ſie plötzlich durch den Ruf: Alle Donnerwetter! aus ihren Phantaſien erweckt wurde. Karl Buttervogel ſtand vor ihr. Er war auf ſeinem Rückwege vom Vogel - heerde durch ein Loch in der Hecke unter dem Schne - ckenberge gekrochen, denn er ging, wie alle Bedien - ten nicht gern auf dem geraden Wege nach Hauſe, ſondern pflegte ſich, wo es nur möglich war, einen heimlichen Katzenſteig zu bahnen.
Nichts in der Welt hätte ihn mehr überraſchen kön - nen, als was er jetzt vor ſeiner Wohnung zu ſehen be - kam. Er ſtand, eine ſtarre Bildſäule vor Emerentien, muſterte mit rollenden Augen ihre Geſtalt und ihren bunten Putz, der Mund lief ihm voll Waſſer und: Alle Donnerwetter! waren die einzigen Worte, die er von Zeit zu Zeit hervorbringen konnte.
Emerentia ſah, wie ſie auf den Prätendenten von Hechelkram wirkte. Ihre Bruſt ſchwoll von dem ſüßen Triumphe, den ſie erlebte. Nach einer Pauſe, während welcher ſie ſich an ſeinem Entzücken geweidet hatte, lispelte ſie, ihr Antlitz hinter dem Fächer verbergend: Nun? O Nizza!
285Nitze! Nitze! ſchrie Karl Buttervogel berauſcht. O meine vierzehn Berliner Herrn! Was würden meine vierzehn Berliner Herrn ſagen, wenn ſie mich jetzt ſähen, mich glückſeligen Eſel und Kerl!
Karl Buttervogel war nicht gefühllos. Rieke in Stuttgart hatte wirklich ſein ganzes Herz be - ſeſſen, und wenn er ihr auch um die beſſere Ver - köſtigung im Schloſſe untreu geworden war, ſo wiſſen wir aus ſeinem Tagebuche, welche Kämpfe ihn dieſer Wandel gekoſtet hatte. Emerentien’s Neigung war nun, die Wahrheit zu ſagen, bisher mehr ſeiner Eitelkeit und ſeines Appetites Schmeich - lerin geweſen, erwiedert hatte er ſie bis heute nicht. Aber als er das Fräulein ſo wunderbar geſchmückt ſah, ging in ſeinem Buſen eine Um - wälzung vor. Ganz richtig hatte ſie ihn geſchätzt; es bedurfte ſtarker Reize, um dieſen Schmetterling zu vermögen, ſeine Flügel zum Fluge der Liebe zu entfalten. Das rothe Kleid, die grünen Schuhe, die gelbe Schärpe, der Paradiesvogel, der ganze bunte Putz — — alles das machte ihn wirblicht und er ſchwor bei der Aſche ſeiner Väter, daß er noch nie eine ſo prachtvolle Perſon, wie ſein ſtum - mes Wort über ſie lautete, geſehen habe. Nach286 langem Staunen, Muſtern und Seufzen ſchleuderte er ſeinen lackirren Hut weit hinter ſich, wiſchte ſich das Maul und that einen Schritt gegen Emeren - tien, unfehlbar in der Abſicht, ihr den Handſchuh zu küſſen, denn bis zu ihren Lippen verſtiegen ſich ſeine kühnſten Gedanken nicht.
Emerentia ſtreckte den Fächer ſtreng und zu - rückweiſend ihm entgegen. Er blieb beſtürzt ſtehen, ſah ſie verlegen an und wußte nicht, was dieſe Sprödigkeit bedeuten ſollte. Auch ſie ſchwieg, denn ſie hatte beſchloſſen, die Größe dieſes Momentes nicht durch rohe Worte herabzuziehen, ſie wollte nur durch Zeichen mit ihrem Verehrer reden. — Gnädiges Fräulein, rief Karl Buttervogel endlich mit klagender Stimme, dieſes iſt ſehr unrecht, und heißt einen armen Schuft auf den Geruch von einem Braten einladen. — Doch wie iſt mir denn? Alle Donnerwetter! Wenn man den Teufel an die Wand malt, ſo kommt der Cujon! Auch ein Braten muß hier in der Nähe ſeyn, denn meine Naſe trügt mich nicht und es ſteigt ein Düftlein auf und in dem Korbe — hol’ mich Dieſer und Jener —
Emerentia gab mit dem Fächer ein Zeichen, welches Karl’n berechtigte, die Serviette von dem287 Korbe zu erheben. Er that es und nun ereignete ſich etwas, was erfunden in einem Gedichte zu den größten Fehlern gezählt werden würde; zwei Motive wurden nämlich für die Handlung gleich - zeitig in Bewegung geſetzt. — Sauerbraten! rief Karl Buttervogel und ließ die Serviette fallen. — Sauerbraten! wiederholte er jubelnd. In der That lag ein lecker zubereiteter Sauerbraten, Karl’s Lieblingseſſen, auf der Schüſſel in dem Korbe. Seine Augen gingen wie trunkene Wanderer zwi - ſchen dem Fräulein und dem Sauerbraten hin und her, ſeine Seele ſpaltete ſich in zwei Hälften und in jeder ſchlug ſein Herz, endlich überwog die eine Hälfte, er riß ein Meſſer aus der Taſche und wollte damit dem Sauerbraten eins verſetzen. Da ſchlug ihm aber Emerentia mit dem Fächer auf die Hand und zwar nicht ſanft, ſondern empfind - lich, ihm zugleich mit dem Zeigefinger der anderen Hand drohend.
Der zurückgeſchreckte Prätendent gerieth in eine Art von Wuth. Alle Hagel! ſchrie er, erboſt mit dem Meſſer nach dem Braten ſtechend, was ſoll das bedeuten? Denn ſich ſo aufzudonnern, daß es Einem roth und grün und gelb vor den288 Augen wird, und man gar nicht weiß, wo man vor Angſt und Herzeleid bleiben ſoll, und Einem Sauerbraten dazu aufzuſetzen und noch dazu mit Zwiebeln, und dann das Zurückweiſen und Fächer - geſchlage iſt nicht auszuhalten. Denn entweder, oder. Alle Geſchichten und Siebenſachen in der Welt haben ihren Grund, oder ſie haben ihren Grund nicht. Und alſo entweder ſoll ich den Sauer - braten freſſen oder ich ſoll ihn nicht freſſen. Und entweder wollen das gnädige Fräulein nunmehr recht liebreich gegen mich ſeyn, oder Sie wollen es bleiben laſſen. Und für die Langeweile ſtehe ich hier nicht mit meinem Herzeleid und mit dem erbärmlichen Hunger im Leibe, ſondern wiſſen muß der Menſch, woran er iſt, und was er thun ſoll, und das will ich auch thun, wie ein rechtſchaffener Kerl, wenn ich nur erſt weiß, was.
Emerentia warf auf die Maske dieſer Gemein - heit einen ihrer leidendſten und zugleich verächt - lichſten Blicke. Dann beſchrieb ſie mit dem Fächer eine ſtolze ſchwungvolle Linie in der Luft, hierauf deutete ſie mit demſelben nach dem Schloſſe und endlich gab ſie das Zeichen, womit eine Dame an - deutet, daß Jemand ſich entfernen könne.
289Karl Buttervogel folgte mit geſpannter Auf - merkſamkeit allen dieſen Zeichen. Seine Seelen - kräfte waren durch die Extaſe des Augenblicks ge - ſchärft; er verſtand den Sinn ſeiner Herrin. — Ich hab’s! Ich hab’s! rief er und drehte ſich auf den Abſätzen um. Denn daß ich mich immer ſo gemein gemacht habe und ſo niederträchtig, das gefällt gnädigem Fräulein nicht, und ich ſoll’s jetzo ſeyn, Fürſt und Hechelkram und ſo weiter, wofern fernerweite gute Verköſtigung ausgemacht wird, und nach dem Schloſſe ſoll ich gehen und es dem gnädigen Herrn Baron anſagen, denn der muß es doch vor allen Dingen wiſſen und die Heimlichkeit und das Gepuſchele unter der Hand gefällt gnädigem Fräulein nicht mehr, und wenn ich das gethan habe, dann machen wir uns frei öffentlich über den Sauerbraten her, und gnädiges Fräulein läßt mich die Hand küſſen und die ganze Sache wird, wie gnädiges Fräulein wollen und befehlen, mit mir nichtsnutzigem Tauſendſappermen - ter in Ordnung gebracht.
Karlos! rief Emerentia, vor Freuden, ſich ſo ohne Worte verſtanden zu ſehen, ihr Gelübde bre - chend, endlich laſſen Sie alſo die Maske fallen! Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 19290Alſo fühlen Sie doch nun ſelbſt, daß dieſes ge - heime Verhältniß, welches zwiſchen uns beſtand, für ein zartes Mädchen länger nicht tragbar war, daß wenigſtens der Vater Sie kennen und in der Sache klar ſehen muß! Ja, Sie haben begriffen, was ich meinte. Gehen Sie, Fürſt, zu meinem Vater, entdecken Sie ſich ihm; ich will Ihrer hier mit der Speiſe warten, welche Sie ſo lieben und die ich Ihnen lieber als uns gönnen mochte.
Den Augenblick gehe ich zu ihm, und wenn er mit Güte nicht will, ſo werde ich ſackgrob ſeyn, denn ich bin in einer ausnehmenden Rage, denn wenn man ſich ſo rausſtaffirt, wie gnädiges Fräu - lein, und den fremden Kuckuck da in’s Haar ſteckt, ſo muß das einen Menſchen ganz toll machen und die Natur in Unordnung bringen und der Braten thut freilich auch das Seinige dazu! rief Karl Buttervogel. — Bleiben gnädiges Fräulein nur hier oben bei dem Braten, damit ihn die Katze nicht holt und ich will mich unten am Schmerlenbach ein wenig renoviren, damit Alles mit der Sau - berkeit geſchieht, und der gnädige Herr Baron gleich ſehen, wenn ich auftrete, daß mit mir nicht zu ſpaßen iſt. Das Geſicht waſch’ ich mir unten291 am Schmerlenbach, und mit meinem Kamm, den ich bei mir hab’, kämm’ ich mir das Haar glatt, und den Rock ſtäub’ ich aus, und — —
Genug, Fürſt! rief Emerentia. Ich brauche Ihre Toilette nicht näher kennen zu lernen. Gehen Sie, Ruhe meinen Tagen und Schlummer meinen Nächten zurückzubringen!
Der Prätendent und Schmetterling raffte ſei - nen lackirten Hut auf, ſprang den Schneckenberg hinunter und kroch wieder unten durch die Hecke in das Freie. Emerentia lächelte wohlgefällig und flüſterte: Erſte Liebe, einzige Liebe! Dann deckte ſie den Korb mit der Serviette zu, denn die Fliegen waren, weil man Auguſt ſchrieb, etwas zahlreich und zudringlich. Hierauf wiegte ſie wie - der ſinnend das Haupt und ſpielte abermals mit dem Fächer, ihn auf - und zufaltend. Sie beglei - tete dieſe Gebärden mit der Abſchiedsode von Nizza, nämlich mit den erſten beiden Zeilen der - ſelben, denn die folgenden hatte ſie vergeſſen. Anfangs ſummte ſie dieſelben leiſe, nach und nach fing ſie an, lauter zu ſingen.
So wollen wir alſo die Sache angreifen! mit dieſen Worten ſchloß die eilige Unterredung zwi - ſchen dem Freiherrn von Münchhauſen und dem Schriftſteller Immermann.
Und Sie haben mein Patent in der Taſche? fragte Münchhauſen.
Den eigenhändigen Brief des Erbprinzen, ver - ſetzte der Schriftſteller. Thun Sie mir jetzt den Gefallen und ſchlafen Sie wieder ein, derweile ich für Sie wirke. — Münchhauſen wollte Einwen - dungen machen. — Lieber, keine Worte weiter! rief ſein Bundesgenoß. Die Garde wird aufge - ſpart für die Höhe und den Gipfel des Gefechtes, zu früh die Kerntruppen verbrauchen, heißt die Niederlage muthwillig herbeiführen. Mich alſo293 laſſen Sie ja die erſten Schwärmfeuer, Chocs und Chargen für Sie machen, es kommt vielleicht der Augenblick auch, wo Sie in’s Feuer müſſen. — Er ging eilig die Treppe hinunter und Münchhauſen warf ſich halb unwillig in ſeinen Kleidern auf das Bette.
Raſch, um Terrain zu gewinnen, machte der Schriftſteller unten eine Bewegung über den Hof und trat dem alten Baron und dem Bürgermeiſter ſchon in der Nähe der Wappenlöwen entgegen. Dem Bürgermeiſter folgte ein Polizeiſoldat von ziemlich grimmigem Anſehen. Der Schloßherr er - ſtaunte über den fremden Mann in ſeinem Hofe, noch mehr aber über die Breſche, welche in den Umſchließungen der Burg entſtanden war. Er wollte auf den Schriftſteller zürnen, als dieſer ſich zu der gewaltſamen Eröffnung bekannte, wurde aber durch deſſen Auseinanderſetzung beſänftiget, daß manche Hinderniſſe nicht zart zu behandeln ſeien und man hin und wieder, um nur vorwärts zu kommen, die Thüre einrennen müſſe.
Indeſſen winkte er dem Bürgermeiſter, ihm in das Schloß zu folgen. Der Bürgermeiſter winkte ſeinerſeits dem Polizeiſoldaten, der bloß ein Ban -294 delier aber keinen Säbel trug, denn dieſen hatte er während der letzten Prügelei unter den Bauern, wobei er einhauen müſſen, verloren. Der Poli - zeiſoldat griff ingrimmig nach der Stelle, wo der Säbel ſitzen ſollte, zog aber nichts hervor und empor als ſeine eigene leere jedoch zuſammenge - ballte Fauſt, die er dräuend nach vorwärts in die Luft ſchlenkerte. Hierauf rückte die feindliche Co - lonne gegen das Schloß vor und der Beſchützer Münchhauſen’s wich, Schritt vor Schritt ihr Raum gebend, gegen die Breſche zurück.
Während dieſes Rückzuges ſuchte er alle Mittel hervor, die entſchloſſenen Gegner von ihrem Vor - haben abzubringen. — Was wollen Sie eigentlich? rief er den alten Baron an. — Den ſchlummer - köpfigen Haſelanten, den Hanswurſt von Thüren - verrammler einſtecken laſſen! verſetzte der Schloß - herr. — Einſtecken laſſen, wiederholte der Bür - germeiſter. — Laſſen, ſagte der Polizeiſoldat und ſchob ſeine Dienſtmütze verwegen auf das linke Ohr. Der Bürgermeiſter wendete ſich mit Anſehen zu ſeinem Untergebenen um und ſagte: Es iſt wohl gut, Marzeters, daß Ihr die Worte Eures Vorgeſetzten aufhebt, aber immer hübſch mit Um -295 ſicht verfahren! Ihr laßt ihn nicht einſtecken, ſon - dern Ihr ſteckt ihn ein. — Ein. Ganz wohl, Herr Bürgermeiſter, ſagte Marzeters.
Schloßherr und Behörden drangen weiter vor. Münchhauſen ſchnarchte oben, daß die Luft unten zitterte. — Schnarch du nur! rief der alte Baron hinauf zum Fenſter. Lebendig oder todt, wachend oder ſchlafend mußt du fort. Könnt Ihr wohl einen ſchlafenden Menſchen tragen, Marzeters? — Marzeters ſagte: Wenn er nicht gar zu feſt ſchläft, denn dann wird die Creatur ſo ſchwer wie ein Bleiklumpen, ſo trage ich ihn hinweg und wäre er drei Mann hoch da. — Der Schriftſteller be - fand ſich in der höchſten Verlegenheit. Gerade in dieſem Augenblicke, wo ſeinem Curanden ein glänzendes Glück bevorſtand, mußte ihm Alles daran liegen, daß deſſen Name von keinem öffent - lichen Scandal unangenehm berührt werde. Er hatte in der Taſche, was die Feinde, wenn ſie es erblickten, augenblicklich zurückſchrecken mußte, und dennoch wagte er nicht, davon Gebrauch zu machen, weil ja die neue Stellung Münchhauſen’s keinen oſtenſibeln Charakter haben ſollte. Wahr - lich diplomatiſche Verwickelungen der eigenſten296 Art! — Er war unter denſelben bis an die ein - gebrochene Thüre zurückgewichen. — Können Sie es denn vor Ihrem Gefühle verantworten, ſo redete er in dieſer letzten Noth den Schloßherrn an, einen Mann, der, wie ich vernommen, von Ihnen ſo hochgeſchätzt worden iſt, in dieſer harten Manier zu behandeln? — Eben darum, weil ich ihn ganz überaus verehrt habe, ſoll er nun ſitzen, erwiederte der alte Baron. Der Schriftſteller fand dieſe Entſchließung natürlich, nur nicht troſtreich. — Kennen Sie mich, Herr Bürgermeiſter? fragte er den Beamten. O ja, Herr — verſetzte dieſer und gab ihm ſeinen vollen Titel und Namen. Wir waren ja noch kürzlich in — dings — da — zu - ſammen. — Nun denn, ich verbürge mich für den Freiherrn von Münchhauſen und verſpreche, Ihnen denſelben in jeder anſtändigen Art zu geſtellen; laſſen Sie nur jetzt von ihm ab!
Ihre Bürgſchaft in Ehren für jeden ſicheren Mann, von dem man weiß, woher? und wohin? erwiederte der Bürgermeiſter, aber der Münchhau - ſen da hat, wie ich höre, weder Paß noch ſonſti - ges Legitimationspapier, deßhalb kann ich Sie nicht für ihn gut ſprechen laſſen, denn er iſt Vagabonde297 im rechtlichen Sinne des Worts. — Worts, ſagte der Polizeiſoldat Marzeters.
Nun denn! rief der Schriftſteller, der bereits in die Thüröffnung ſelbſt zurückgedrängt war und in dieſem Extreme ſeine ganze Entſchloſſenheit wie - derfand — alle menſchlichen Mittel ſind erſchöpft — treibt mich nicht zum Aeußerſten! Ehe ich den Freiherrn verhaften und beſchimpfen laſſe, mit dem ich es mir habe ſo ſauer werden laſſen, ehe breche das Verderben über uns Alle herein! Ihr ſeht, unbarmherzige Verfolger meines Schützlings, ich habe ziemlich ſtarke Arme, zwar bin ich kein Simſon, aber dieſes Schloß iſt auch nicht das philiſtervolle Haus zu Gaſa; ſondern geborſten, zerſpalten und kaum noch in ſeinen Wänden ſtehend. Ich faſſe dieſe Pfoſten an und neige mich vor - wärts, wenn Ihr beharret, und die Sprünge und Wandriſſe hier herum müßten mich ſehr täuſchen, oder es gelingt mir, einen Theil des Mauerwerks auf mich und Euch zu ſtürzen, und möge Münch - hauſen dann mit herabfallen, immerhin! Denn es iſt beſſer, daß er ehrlich von Freundes Hand ſterbe, als daß er ſchmählich in die Feſſeln der Polizei gerathe!
298Er faßte die Thürpfeiler an. Der Bürger - meiſter rief ängſtlich: Um Gotteswillen, Herr Baron, zurück! Er macht Ernſt; man kennt ihn darin. Er pflegt zu ſeinen Bekannten zu ſagen, daß er bis auf einen gewiſſen Punct Geduld habe wie ein Lamm, aber über den Punct hinaus ſei es mit dem Lamme für ewige Zeiten vorbei.
Was wollen Sie denn? fragte der alte Baron zitternd vor ohnmächtigem Grimme. Marzeters war über die muthmaßliche Fallweite des Schloſſes zurückgeſprungen, und wiederholte zum erſtenmale in ſeinem Leben Entſetzens halber nicht das letzte Wort des Vorgeſetzten. Der Schriftſteller begehrte kalt einen Waffenſtillſtand von einer Stunde, wäh - rend welcher ihm, wie er ſagte, hoffentlich etwas einfallen werde, wodurch ſich alle Theile zufrieden ſtellen laſſen möchten. Widrigenfalls ſollten die Feindſeligkeiten dann auf’s Neue beginnen. Dieſer Vorſchlag wurde angenommen. Dem Schloßherrn geſtattete der Vertheidiger, zu der Burg ſeiner Väter einzugehen, doch mußte er ſich auf Ehren - wort verpflichten, innerhalb ſeiner vier Wände nichts Feindliches wider den Freiherrn vorzunehmen und mit Ablauf des Waffenſtillſtandes ſich wieder hin -299 auszubegeben. Dem Bürgermeiſter und dem Poli - zeiſoldaten wurde ihr Standquartier auf dem Hofe angewieſen.
Der Schriftſteller ging ſtirnreibend in das Schloß. Das war ein großer Fehler. Er büßte damit den beſten ſtrategiſchen Vortheil ein. Vor dem Schloſſe beherrſchte er den Kampf, nun aber wurden Ereigniſſe möglich, welche dem ganzen Gange der Operationen eine von ſeinem Willen unabhängige Wendung gaben.
Immer heftiger war der Wind geworden. Er hatte den unheimlichen Nebel herangeweht, Haar - rauch geheißen Man konnte nicht vierzig Schritte weit ſehen. Unter dem Schutze dieſes Dunſtes rückten, als kaum der tapfere Commandant von Schnick-Schnack-Schnurr das Zimmer ſeines Curan - den betreten hatte, von allen Seiten, geführt durch den blinden Zufall, Maſſen gegen das Schloß vor, welche den Waffenſtillſtand nicht mit abgeſchloſſen hatten und folglich den Burgfrieden keinesweges zu achten brauchten.
Es war ein Uhr Mittags. Der alte Baron hatte heute noch nicht einen Biſſen genoſſen. Ihn hungerte trotz alles Aergers. Er ſuchte Emeren - tien, ſie war aber freilich weder im Wohnzimmer noch in ihrem Schlafgemache zu finden. In der Küche ſah er ein verglimmendes Feuer. Mich dünkt, wir ſollten heute Sauerbraten bekommen, ſagte er, vielleicht iſt er gahr und ich kann mir immer ſchon ein Stückchen abſchneiden für den erſten Angriff. — Es roch recht lieblich und nahrhaft da zwiſchen. den Brandmauern, aber ach, die Töpfe und Schüſſeln auf dem Heerde waren leer. Auf dem Schemel lag die Hauskatze, eine von den ſchwarz und gelb - geſtreiften, ruhig und harmlos, mit zugekniffenen Augen ſpinnend. Der alte Baron ſah grimmig von den leeren Schüſſeln nach der Katze, von die -301 ſer nach jenen. Er hielt ſich nicht länger und mit dem Rufe: Ich will dir Beſtie denn doch endlich das Freſſen wohl verleiden! gab er der armen Unſchuldigen einen ſo heftigen Schlag, daß das treue Hausthier ſchreiend aufſprang und winſelnd forthinkte, denn eine Pfote war ihm von dem Stockſchlage gelähmt worden.
Der Blick des zornigen Hausherrn fiel auf ein Buch, welches neben dem Heerde lag. Er er - kannte Emerentia’s Handſchrift, wurde neugierig und begann darin zu leſen, nur die letzten Blät - ter, ſo daß er nicht den ganzen Zuſammenhang von ſeiner Tochter Gedanken und Gefühlen daraus entnehmen konnte, aber leider erfuhr er ſchon durch das, was er las, ein neues, nur zu großes Unheil.
Es war Emerentia’s Tagebuch. Sie pflegte, was ſie am Abend geſchrieben, am Morgen darauf in der Küche zu ihrer Erholung ſich vorzuleſen. Nun hatte ſie in den letzten Wochen, da ſich der Schatz ihrer anderweitigen Vorſtellungen und Er - innerungen ausgeleert haben mochte, nur einge - zeichnet, was ſie an Lebensmitteln dem masquirten Fürſten zugeſteckt hatte, den ſie aus einer zärt -302 lichen Grille gerade auf dieſen Blättern nur Kar - los nannte, alſo mit dem Namen, der ihrem Vater entzifferbar war. Zu ſeinem Entſetzen las er dem - nach, daß der Bediente Karl Buttervogel die Katze geweſen war, welche das Schloß in Hungersnoth verſetzt, daß ſein eigenes Fleiſch und Blut dieſes häusliche Elend geſtiftet hatte.
Obne ein Wort zu ſagen, ließ er das Tage - buch fallen. Heimlich murmelnd ging er die Treppe nach dem Söller hinauf in ſeine Gerichtsſtube, als müſſe ihm da irgend ein Gedanke kommen, der ihm Luft in der Bruſt ſchaffen könne. Münch - hauſen hatte er faſt vergeſſen. Karlos den Schmet - terling oder die Katze, wie man ihn nun nennen will, abzuſtrafen, nicht mit Worten, ſondern mit Werken, dahin zielten alle ſeine Gedanken. Oben muſterte er irren Blickes die abgelegte Garderobe ſeiner Gemahlin, die an den Pflöcken umherhing. Man hätte ſehen können, daß ſeine Vorſtellungen nicht bei dieſen Roben, Spencern und Taffent - mänteln waren, die Augen ſuchten nur mechaniſch Gegenſtände, um ſich anzuheften. Er riß, ohne zu wiſſen, was er that, ein altes Kleid vom Pflocke, dahinter wurde ihm ein Paar Piſtolen an303 Nägeln aufgehängt, ſichtbar, und neben den Piſto - len hing ein Pulverhorn. Die Piſtolen von den Nägeln nehmend, verſuchte er ihre Schlöſſer. Sie waren gut eingeölt geweſen, die Hähne knackten und die Steine gaben luſtig Feuer. Er ſchüttelte das Pulverhorn, es war nicht leer. Er lud die eine Piſtole, und würde zum Verhängniß vielleicht auch noch eine Kugel gefunden haben, wenn er nicht in ſeinem gefährlichen Werke von Jemand unterbrochen worden wäre, und zwar von dem, den er in ſeinem erbitterten Sinne trug.
Karl Buttervogel betrat nämlich, gerade als der alte Baron die Piſtole mit Pulver geladen hatte, ohne vorher anzupochen, die Gerichtsſtube, um die Gebote ſeiner Dame auszuführen. Er betrat die Stube mit den Empfindungen eines Fürſten, eines Liebenden und eines Eßluſtigen. Hechelkram ſchwebte zwar ſeiner Seele immer nur noch in unbeſtimmten Umriſſen vor, deſto feſter zeichneten ſich die Ge - fühle des Liebenden und Eßluſtigen in ihm. Stolz und keck trug er ſich, hatte Stiefeln und Rock rein abgebürſtet, den lackirten Hut in der Hand, und das roth und weißgeblümte Halstuch von Zitz vorn in einer übermäßig großen Schleife zu -304 ſammengebunden. Zum Zierrath war von ihm in dem Knopfloche ein Tannenreis und eine gelbe Malve befeſtigt worden.
So trat er höchſt muthvoll und ſicher, denn ihn ſtärkte die Erinnerung an Emerentia’s rothes Kleid, zu dem Manne ein, deſſen Schwiegerſohn zu heißen jetzt ſein heißeſtes Verlangen war.
Die Züge des alten Baron’s nahmen bei Karl’s Erſcheinen den Ausdruck einer giftigen Süßigkeit an. Er ſetzte ſich in ſeinen Lehnſtuhl, legte die Piſtolen vor ſich auf den Tiſch, holte tief Athem und ſagte dann: Er kommt mir gerade recht, mein Sohn.
Allerdings Sohn, nichts als Sohn, und ſo weiter Sohn, verſetzte Karl ſich räuſpernd.
Trete Er doch etwas näher hieher zu mir, ſagte der alte Baron, indem die Finger ſeiner rechten Hand unruhig auf dem Tiſche ſpielten.
Niemals vor jetzt, erwiederte Karl Buttervo - gel und ſetzte ſeinen lackirten Hut auf, denn er glaubte als Fürſt und glücklich Liebender ſich dieſe Rückſicht ſchuldig zu ſeyn. — Sondern hier ſtehen bleiben und der Tiſch zwiſchen uns, während die Anhaltung geſchieht und Maske fallen gelaſſen wird. 305Denn Alles muß ſeine Ordnung haben, und wenn keine Ordnung mehr in der Welt iſt in Fürſten - und Heirathsſachen, ſo wäre der Menſch ein Dum - merjahn und ein rechter Flegel. Alſo hier ſtehen bleiben aus der Entfernung, in dieſer Diſtanz und Augenmaß von zehn Fuß wird Rede gehalten und nachher noch Zeit genug zum Hingehen und Nie - derfallen und Handküſſen, wenn Rührung ausbricht, geſchluchzt wird, und Schwiegervater Schwiegerſohn umarmt, inſofern nämlich nichts weiter als dieſes außer allem dem Sonſtigen platterdings unmöglich wenn gleich ſchwierig und wirklich effectiv.
Der alte Baron ſah den Bedienten, der in dieſen fremden Zungen redete, ſprachlos an.
Da man nämlich Fürſt iſt —
Der Schloßherr faßte ſeinen Kopf mit beiden Händen. Karl fuhr, ohne ſich ſtören zu laſſen, die Hände in die Hoſentaſchen ſteckend, (denn er hielt dieß für vornehm) und ſich auf den Füßen hin und her wiegend, (das kam ihm nämlich erha - ben vor) fort: Da man nämlich Fürſt iſt, ſo wird Hechelkram ſich finden, wenn auch verborgen vor jetzt und in Zukunft. Maske wäre hiemit fallen gelaſſen, hier oben wie unten im Garten. Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 20306Nach dieſem Schwiegerſohnsangelegenheit ſehr nöthig und faſt ſchon zu ſpät. Nichtsdeſtoweniger, weil nämlich überhaupt und dennoch gnädiges Fräulein ſehr von mir angegriffen geweſen, und durchaus gewollt, ich ſoll’s ſeyn, zugeſagt darauf, immer Wurſt und Eier und Rindfleiſch gegeben, und jetzt ſich meiſterhaft angezogen, Sauerbraten gekocht, ſo wird Widerſtand unmöglich und wofern fernerweite gute Verköſtigung ausgemacht wird, muß ſich Rieke in Stuttgart das Maul wiſchen und obgleich keine Beſtechung erfolgt iſt, was ſchmerzlich war und unrecht, einen Bedienten für nichts und wieder nichts verführen zu wollen, ſo wird hiemit um die Hand gebeten und gänzlich entſchloſſen iſt man, Fräulein unten im Garten zu heirathen.
Er will ſich mit meiner Tochter verbinden? ſtammelte der alte Baron.
Dieſes wäre die Abſicht und das Contentement, wofern Heirath zur Verbindung gehört, ſagte Karl.
Komme Er jetzt wenigſtens, mein Söhnchen, ſchmeichelte der Schloßherr in einem keuchenden Tone. Komme Er jetzt wenigſtens zu mir.
Ganz wohl, verſetzte Karl Buttervogel. — Man ſieht, daß Rührung im Gang iſt und Thrä -307 nen nicht ohne ſeyn werden. — Er ging zu ſeinem Schwiegervater, der die Zeit kaum erwarten zu können ſchien, um ſich an dem Schwiegerſohne zu letzen. Den Hut auf dem Kopfe behaltend, kniete er vor dem alten Baron nieder und ſagte: Folg - lich bäte man hiedurch um Ihren Segen!
Da haſt du den Segen, du Racker, du Spitz - bube! ſchrie der Alte und reichte dem Liebenden eine der ſchwerſten, klatſchendſten und ſchmerzhaf - teſten Ohrfeigen, welche wohl jemals in Deutſch - land geſchlagen worden ſind. Der Hut fiel dem Geohrfeigten vom Kopfe, er ſprang heulend auf, hielt die blutige feuernde Wange mit beiden Hän - den und ſtürzte nach der Thüre. Der grimmig - gereizte alte Mann aber ſtürzte ihm, die eine Pi - ſtole ergreifend nach zur Treppe, überlaut rufend: Todt ſchieß’ ich den Hallunken! den Hund! die Katze, die ganz Schnick-Schnack-Schnurr kahl ge - freſſen hat!
Der Bediente voran auf der Treppe, der alte Baron hinterher — —
Hier verrichtet unſere Erzählung das Mirakel, welches einſt jenem Wunderthäter, deſſen Name mir entfallen iſt, gelang. Er war in ein Sterbehaus20*308berufen, um einen Todten aufzuerwecken, unter - weges ſah er einen Schneider aus dem Fenſter ſtürzen, den hieß er, weil er keine Zeit für ihn übrig hatte, ſo lange in der Luft ſchweben, bis er vom Todten zurück wäre, that hierauf im Sterbe - hauſe was ſeines Amtes war, kehrte darnach zu dem ſchwebenden Schneider zurück und ließ ihn ſänftlich zur Erde nieder kommen.
Unſere Erzählung hat dringende Geſchäfte in Münchhauſens Zimmer, ſie fixirt daher den Be - dienten Karl Buttervogel und den alten Baron Schnuck im Herabſtürzen von der Treppe und läuft zum Freiherrn, wo ſie in dem engen Stüb - chen vor den vielen Menſchen, die es inzwiſchen erfüllt haben, kaum noch ein Unterkommen finden kann. Denn unter dem Mantel des Haarrauches waren die drei Unbefriedigten, der Ehinger Spi - tzenkrämer und Semilaſſo in das Schloß eingedrun - gen. Froh über die Oeffnung, die nach ihrem Abzuge entſtanden war, hatten ſie nicht auf einander geachtet, waren, vom Inſtinct geleitet, die Treppe hinauf und in das Zimmer gegangen, worin ſich nun große und merkwürdige Entdeckungen zutragen ſollten.
Ja, er iſt es! riefen die drei Unbefriedigten.
309C’est lui, ſagte Semilaſſo.
’S iſt der Nämliche, ſprach der Ehinger Spi - tzenkrämer.
Dieſe Perſonen umſtanden in verſchiedener Stellung das Bette des Freiherrn. Der Ehinger klopfte nämlich mit ſeinem Stocke den Schläfer ſanft unter den Fußſohlen, um ihn zu erwecken, Semilaſſo ſah ihn mehr von weitem durch ſeine Gläſer an, die drei Unbefriedigten hatten die Hände des Schlafenden inbrünſtig gefaßt und Karl Gabriel der Dichter war neben dem Bette auf die Kniee geſunken. Münchhauſen ließ ſich von dem klopfenden Stocke des Ehingers nicht er - wecken, ſondern behielt ſein Engelslächeln bei. Der Schriftſteller, welcher ſich ſo hatte überrum - peln laſſen, ſaß mit einem verlegenen Geſichte hinter dem Tiſche und zeichnete mit der Feder allerhand ſeltſame und incorrecte Arabesken auf einen Bogen Papier, welcher vor ihm lag. Die Fremden aber ergingen ſich in freudigen Ausrufun - gen über das Glück, ihre Vermuthungen beſtätigt zu finden, Karl Gabriel ſprach von der poetiſchen Divination, die ihm Schnick-Schnack-Schnurr als das leuchtende Grab gezeigt habe, worin dieſer310 Merlin des neunzehnten Jahrhunderts ruhe und Orakel ſpende, Karl Emanuel ſagte, er habe ſich, als der Meiſter ihnen in Schwaben jammervoll abhanden gekommen ſei, a priori conſtruirt, daß er in Weſtphalen ſeyn müſſe, Karl Nathanael ſprach von einem glücklichen politiſchen aperçu, welches ihm den Weg gewieſen, der Ehinger ſchwatzte von ſeinem Vetter Beſtelmeier, der hauſirend hier durchgekommen und ihm in Aſchaffenburg auf der Schloßterraſſe erzählt habe, ſo ein grüngelber Teu - felskerl, wie damals Einer bei ihnen zu Ehingen geweſen, ſei ihm allhier zu Pferd ſichtbar gewor - den, der vornehme Deutſchtürke wollte durch Cor - reſpondenten in Bonn die Nachricht erhalten haben, welche ihn gleichzeitig mit den Anderen nach dieſem Schloſſe gezogen hatte.
Nach ſo freudigen Reden ſchien aber die Scene ernſter werden zu wollen. Denn der Ehinger, welcher die drei Unbefriedigten wie die Kletten an dem Freiherrn hangen ſah, und ihn mit ſeinem Stocke nicht erwecken konnte, meinte vermuthlich, dieß durch ein herzhaftes Schütteln bei den Händen ſicherer bewerkſtelligen zu können, rief ihnen daher zu: Marſch, Ihr Grünröck’! Was thut Ihr ſo311 nahe bei meinem Captain, laßt mich hinzu, denn das Hemd iſt ihm näher als der Rock! und wollte Karl Gabriel wegziehen. Karl Gabriel ſtieß aber mit der anderen verwandten Hand den Ehinger zurück, der Ehinger wollte Gewalt brauchen, Karl Nathanael und Karl Emanuel ſchützten den Bruder, der Ehinger tobte und ſchimpfte, die drei Brüder riefen: Was will der Menſch bei unſerem Meiſter? und Alles ſchien ſich zu einer Zänkerei oder gar Schlägerei anzulaſſen. Semilaſſo litt während die - ſen lauten Vorgänge ſehr. Auch er hatte die ſchmerzlichſte Sehnſucht nach dem Freiherrn und wußte ja, daß er nur ihm angehöre. Dennoch verbot ihm ungeachtet ſeiner Genialität das ange - ſtammte Wappengefühl ſich zwiſchen ſo niedere Per - ſönlichkeiten zu drängen, von denen er leicht einen Stoß oder Schlag erhalten konnte. Er ſah ſich daher ängſtlich nach dem Schriftſteller um und ſagte zu dieſem, während die Anderen um den Frei - herrn, wie um den Leichnam des Patroklus ſich ſtritten: Mein Herr, Sie ſcheinen hier der einzige Unpartheiiſche zu ſeyn, ich erſuche Sie, das Rich - teramt zu übernehmen und jene Franken und Ungläubigen dort von meinem Doctor durch312 die Kraft vernünftiger Zuredungen zu entfernen, denn mein iſt er und mir gehört er an!
Meine Herren! rief hier der Schriftſteller, froh, wieder zu der Leitung der Angelegenheiten berufen zu werden, mit ſeiner Stentorſtimme. Die Strei - tenden ließen ab und horchten auf. Meine Herren, dieſer wunderſame Mann, der trotz des Lärmens, welchen Sie zu erregen ſo gefällig ſind, ſeinen Schlummer fortſetzt, ſcheint eine alte Bekanntſchaft von Ihnen zu ſeyn. — Nun freilich! verſetzten Alle.
Gleichwohl will es mir vorkommen, als wal - teten noch etliche und zwar nicht geringe Mißver - ſtändniſſe in Betreff der Perſönlichkeit ob, fuhr der Schriftſteller fort.
Kein Mißverſtändniß nit, nit das mindeſte Mißverſtändniß, kein Gedank’ von einem Mißver - ſtändniß, eiferte der Ehinger Spitzenmann. Er iſt kein Mißverſtändniß nit, ſondern der Captain Gooſeberry, wie er ſich ſelbſt genannt hat, in Dienſten der Königin der Coralleninſeln im ſtillen Weltmeer, welcher letzthin bei uns auf der Schwä - biſchen Alb war, und uns das große, profitliche Auswanderungsproject vorlegte, mir und meinen fünfzig Freunden zu Ehingen.
313Je proteste hautement contre toute atteinte, qu’on voudroit porter à mes droits, lispelte Semilaſſo. Der Mann täuſcht ſich auf eine ecla - tante Weiſe. Ich verſichere bei meiner Ehre, daß ich das Vergnügen habe, in dieſem Schläfer den Doctor Reifenſchläger wiederzuerkennen, den großen productiven Kopf, deſſen Bekanntſchaft ich vor kaum einem Jahre in Egypten machte. Er war es, der meine Ideen von Raſſeveredelung unter den Men - ſchen durch reine Kreuzungen geſunder Exemplare ohne weitere Formalitäten, ausbildete und in vier und zwanzig Stunden den Plan zu einem Voll - blutsinſtitute — vorläufig unter den Caſſuben — entwarf. Ich verlor ihn zufällig bei der Pyramide des Cheops aus den Augen und nachmals hörte ich, er habe ſich in Alexandrien eingeſchifft, von wo mir denn aber ſpäterhin eine Zeit lang alle Spuren ausgingen.
Grenzenloſe Irrthümer! riefen die drei Unbe - friedigten. — Laßt mich reden, Brüder, ſagte Karl Emanuel, denn als Philoſoph werde ich die Faſſung behalten, welche hier Noth thut. — Schlummern - der vergieb, daß ich vor ſolchen Ohren es entweihe! Nein, Packenmann Ihr und Morgenländer Ihr,314 der Mann da, der mehr als Menſch iſt, dieſer heilig Ruhende iſt weder ein elender Captain Goo - ſeberry von den Corallenriffen, noch der Vollbluts - doctor Reifenſchläger bei der Pyramide des Cheops, ſondern kein Anderer, als — — Er hielt ath - mend inne.
Wer? fragten Alle voll der höchſten Spannung.
… der größte Mann der Zeit, kein Mann eigentlich mehr, ſondern der Begriff des Mannes, oder der männliche Begriff, vielleicht noch zu con - cret iſt dieſes gefaßt, abſtracter gegriffen muß es von ihm heißen, der Begriff. …
Münchhauſen nieſete im Schlummer. — Zur Geſundheit! riefen die Anweſenden.
… griff, riff, iff, ff, fuhr Karl Emanuel fort. O, könnte ich ihn doch nur abſtract genug nennen! Der reine Begriff, riff, iff, ff; ſchein - bar nur geſtorben am vierzehnten November 1831 an den Folgen der Cholera, ſcheinbar begraben auf dem Kirchhofe draußen vor dem Thore, wo in dem Sarge ſtatt ſeiner das Nichts liegt, wel - ches wieder das Etwas iſt, in der That fortlebend, Taback ſchnupfend und Whiſt ſpielend, alſo nicht bloß mit dem ſubjectiven Fühlen, Meinen und315 Wähnen gefaßt, ſondern wirklich und folglich ver - nünftig — mit einem Worte: Der große, unſterb - liche, ewige Hegel, welcher iſt der Paraclet, das heißt der Geiſt, zur Vollendung der Zeiten ver - ſprochen, mit dem anhebt das tauſendjährige Reich, in welchem herrſchen ſollen die Hegelianer.
Erlauben Sie, ſagte der Schriftſteller, dieſes wird mir ſelbſt etwas zu tranſcendental. Wie verſtehen Sie das eigentlich, mein Allerwertheſter?
Rede du in Bildern, Gabriel, zu der Menge, ſprach Karl Emanuel. Die Ausdrücke des Syſtems klingen unbeſchnittenen Ohren dunkel.
Karl Gabriel, der Dichter, ſagte: Der große Mann fühlte nämlich, daß ſein Werk vollendet ſei auf Erden für den großen Haufen. Er fühlte, daß es Zeit ſei, ſich in die heilige Unſichtbarkeit zurückzuziehen und in dieſer für wenige Einge - weihte durch die letzten und höchſten Wunder des Geiſtes zu wirken. Er that daher mit Hülfe einer grandioſen Intrigue, welche die Redner am Grabe ſpielten, ſo, als ſterbe er und werde begraben, wurde aber aufgehoben von ſeinen Jüngern, nahm bei Nacht Extrapoſt nach Zehlendorf und weiter, und geht nun umher in der Verborgenheit, ſich316 einzelnen Erwählten offenbarend und dieſen die innerſten Arcana der Weisheit enthüllend.
Uns drei Brüdern manifeſtirte er ſich auf einem Spaziergange bei Stuttgart, ſtillte alle unſere Schmerzen, befriedigte unſer Sehnen und ſpielte mit uns Whiſt. Dann verſchwand er uns, und endlich nach Jammer und Leid ſehen wir ihn hier wieder, zwar ſchlafend, aber auch im Schlafe als Gott.
Die Eröffnungen Karl Emanuel’s und Karl Gabriel’s würden bei nur einigermaßen ruhigen Men - ſchen die größte Senſation hervorgebracht haben. Aber in dem erregten Kreiſe, welcher ſich um das Bette des ſchlafenden Freiherrn gebildet hatte, verhallten ſie faſt wirkungslos. Alle drängten auf den Schriftſteller ein und verlangten, ein Jeder an ſeinem Theile, er ſolle die Anderen aus dem Zimmer entfernen, wobei jedoch, wie ſich von ſelbſt verſteht, die drei Unbefriedigten nur für einen Mann ſtanden. Keiner kannte den erwählten Schiedsrichter; das that aber nichts; denn es kam ihnen nur auf einen Richterſpruch an. So geſchah hier, was allenthalben unter ähnlichen Umſtänden geſchieht. Wenn ein Paar Menſchen ſich tüchtig318 zanken, ſo rufen ſie einen zufällig Vorübergehenden zur Entſcheidung auf, weil Jeder meint, daß dieſe unmöglich wider ihn ausfallen könne.
Der Schriftſteller ſah auf ſeine Uhr und er - ſchrak, weil nur noch fünfzehn Minuten vom Waffen - ſtillſtande übrig waren. Er ſagte den Intereſſenten an Münchhauſen in fliegender Haſt, der Gegen - ſtand ihrer Liebe und Verehrung liege gewiſſer - maßen da wie Polen vor der erſten Theilung oder heut zu Tage Luxemburg und Limburg*)Iſt nun auch ſchon veraltet. — Doch wer weiß?. Er wolle daher über die allſeitigen Behauptungen, Anſprüche und Befugniſſe Protocoll eröffnen, bitte aber, ſie deutlich und vor allen Dingen kurz zu faſſen.
Damit waren Alle einverſtanden. Semilaſſo bat nur mit einem feinen Lächeln, einige Arrière - penſeés haben zu dürfen. — Immermann faltete den Bogen, auf den er die Arabesken gekritzelt hatte, ſchrieb an den Kopf des Bogens: Actum dann und dann, und verzeichnete zwiſchen den Schnörkeln, Ranken, Vogelköpfen und Fratzen,319 womit das Papier bedeckt war, folgende Erklärun - gen der Anweſenden*)Unbegreifliches Verfahren! Warum ſetzte er die Inte - reſſenten nicht von der ihrem Meiſter und Freunde dro - henden Gefahr in Kenntniß? Sie würden ſich mit ihm gegen die Feinde verbündet haben und nachher hätten ſich die allſeitigen Anſprüche ordnen laſſen. Statt deſſen ver - liert er die Zeit mit unnützem Protocolliren! Es iſt offen - bar, daß ſein erſter Fehlſchritt ihm das klare Bewußtſeyn von der Lage der Sache getrübt hatte..
Semilaſſo giebt hiſtoriſch zu erkennen, daß Schlummernder, welcher kein Anderer ſei, als der Doctor Reifenſchläger von der Pyramide des Cheops, ihm verſprochen habe, das Vollbluts - und Men - ſchenveredelungsinſtitut auf ſeinen Gütern in der Lauſitz einzurichten. Verlangt daher, daß Schlum - merer, ſobald er erwache, mit ihm in Schritt ab - und nach der Lauſitz fahre, wo die Fonds für das Inſtitut ſchon bereit geſtellt ſeien.
Ehinger Spitzenkrämer: Captain Goo - ſeberry, der da ſchläft, hat ihm und ſeinen fünf - zig Ehinger Freunden im Auftrage der Königin der Coralleninſeln Land auf dem ſtillen Weltmeere zugeſagt. Wer dreißig Morgen nimmt, bekommt vierzig Gulden Belohnung. Geld braucht Keiner320 mitzubringen, denn es iſt Alles an Ort und Stelle umſonſt zu haben. Man lebt dort meiſtens von Paſteten, die der große Paſtetenbaum trägt, die Landespflanze. Er kommt wild fort, trägt dann aber warme Paſteten, die geringere Frucht. Wird einige Cultur an den Baum gewandt, ſo trägt er die wohlſchmeckenderen kalten Paſteten, und, jenach - dem der Dünger iſt, mit Rebhühner - oder Haſen - gefüllſel. Die Königin der Coralleninſeln wird die Coloniſten Reihe herum heirathen; nach der Hoch - zeitnacht erhält der jedesmalige Gatte ein Paar baumwollener Strümpfe, eine ſchwarz ſeidene Nacht - mütze, einen Rock von Zwillich, und heißt Prinz von Geblüt. Die Coloniſtinnen kriegen Miniſter und heißen dann bürgerliche Madamen. Verlangt, daß Captain Gooſeberry ſich baldigſt nach Bremen be - gebe, ihm und ſeinen fünfzig Ehinger Freunden das Schiff anzeige, mit welchem ſie abſegeln können, ihnen zugleich Reiſegeld und Landſcheine überſchicke.
Die drei Unbefriedigten durch den Mund Karl Gabriel’s: Bitten wörtlich ihre Erklärungen zu Protocoll zu nehmen. „ Wir waren bodenlos unglücklich, das Leben ſah uns dürr an wie die Wüſte Saharah und trieb uns Staubwir -321 bel in die Augen. Wir lechzten wie trockene Eimer in der Sonnengluth, denn ich Karl Gabriel konnte kein Trauerſpiel machen, Karl Nathanael keine nie erhörte politiſche Wahrheit, Karl Emanuel kein neues Syſtem. Da erſchien uns jener ſchlum - mernde Gottmenſch, vernahm unſere Nöthe, ent - deckte ſich uns und die Geſchichte ſeiner wunder - baren Entrückung in die Unſichtbarkeit, erlöſte uns von der Pein der Nichtbefriedigung. Er offen - barte uns nämlich, daß ſeine Philoſophie da drau - ßen in der Welt nur die Hülle einiger geheim - abgezogener Formeln ſei, mit Hülfe welcher man Alles zu Stande bringen könne, ſelbſt Butter und Käſe. Mir, dem Dichter, gelobte er die Formel für das reine und abſtracte Trauerſpiel, welches ich das Trauerſpiel nennen ſolle, dem Staatsmann verhieß er die Formel für die nie erhörte politiſche Wahrheit, dem Philoſophen machte er kund, daß zwar über ſein eigenes Syſtem hinaus, wie für ſich klar ſei, nichts liege, daß er ihm aber die For - mel geben wolle, wonach es verſtändlich werde. Wir beiden Anderen ſpürten einen ſtillen Neid auf Karl Emanuel, denn offenbar war dieſem das größte Geſchenk verheißen worden.
Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 21322Inmitten der vorbereitenden Weihen verſchwand er, entſchwand er, ſchwand. — Wir verlangen, daß man uns allein laſſe bei ihm, zu küſſen ſeine leuchtenden Füße, zu faſſen den Zipfel ſeines Man - tels, zu harren, bis er aufwacht und uns die drei abſtracten Formeln mittheilt.
Es waren nur noch zehn Minuten vom Waffen - ſtillſtande übrig. Der Schriftſteller befand ſich in der ſichtlichſten Verlegenheit, denn ſämmtliche In - tereſſenten an Münchhauſen riefen ihn jetzt zur Entſcheidung auf, die, das ſah er vorher, ſie mochte ausfallen, wie ſie wollte, ihm die Intereſ - ſenten nicht vom Halſe ſchaffen, ſondern ſie ihm erſt recht[auf] den Hals bringen würde. Immer dichter zog ſich der Knäuel der Anweſenden um ihn zuſammen, da rief er in einem Anſtoße von Verzweiflung: Ich ſetze hiemit ein Proviſorium feſt, denn nur die Zeit kann die Schlichtung ſo verſchiedenartiger Forderungen bringen. Jener große Mann und angebliche Reifenſchläger-Gooſe - berry-Hegel bleibt auf gemeinſchaftliche Koſten lie - gen, ſämmtliche Herren, welche ihn für ſich reclami - ren, ziehen ſich vor das Schloß zurück und auch ich halte mir Protocoll offen für die Anſprüche des Ho -323 fes, in deſſen geheimen Dienſten ich zu ſtehen die Ehre habe. Dieſer wunderbare Schläfer iſt näm - lich weder der Doctor Reifenſchläger, noch der Cap - tain Gooſeberry, noch der in die Unſichtbarkeit auf - gehobene unſterbliche Hegel, ſondern — —
Ein Munkel, ein Munkel! ſchrie Karl Butter - vogel, entſetzt hereinſtürzend und den Kopf mit beiden Händen haltend. Ein Schuß fiel dicht vor der Thüre, alle Anweſende erſchraken und zogen ſich in eine Fenſterecke zurück, der alte Baron aber trat wüthend mit der abgeſchoſſenen Piſtole in der Hand zur Thüre herein.
Karl Buttervogel war auf den Schuß gegen den Tiſch geſtürzt, hatte dieſen umgerannt, die Gläſer zerbrochen, die chemiſchen Flüſſigkeiten rauchten am Boden umher, oder ätzten Löcher in das Arabeskenprotocoll — bei dem Eintritte ſei - nes Verfolgers aber taumelte er aufheulend hinter das Bette des Freiherrn, kauerte ſich dort nieder und ergoß ſich in einer unhemmbaren Fluth von Gründen, Bitten und Geſtändniſſen, denn die To -325 desfurcht hatte ſeine Zunge zu wunderſamer Ge - läufigkeit entbunden, und er ſchwatzte unaufhalt - ſam vermuthlich deßhalb, weil er glaubte, ſo lange als er rede, noch nicht todtgeſchoſſen zu ſeyn.
Der Schriftſteller, der in dieſem Dunſt, Dampf, Knall, Getümmel kaum ſich ſelbſt vor dem Umge - ranntwerden zu bewahren vermocht hatte, trat über den umgeſtürzten Tiſch, das theilweiſe durch - löcherte Conferenzprotocoll und die rauchenden Flüſſigkeiten hinweg heftig auf den alten Baron zu und rief, die Uhr ihm vor die Augen haltend: Dieſen gröblichen Bruch der Verträge möge Ihnen das Völkerrecht verzeihen, Herr Baron, ich kann es nicht. Sie haben die Feindſeligkeiten dreißig Secunden vor Ablauf des Waffenſtillſtandes be - gonnen.
Mein Herr, polterte der alte Baron, der Sie ſich hier einmiſchen, ohne daß ich begreife, mit welchem Rechte, ich habe es nicht mit Ihrem albernen Waffenſtillſtande, noch mit jenem verruch - ten Nachſchläfer von neun Monaten, drei Tagen und achtzehn Stunden zu thun, ſondern ich ver - folge mein Recht wider den Kerl von Bedienten, der mich noch gröblicher beleidigt hat, als der326 Herr, der Thürenverrammler! Erſt mich abge - freſſen, und kahlgefreſſen; die Katze, das unſchul - dige Thier, in ſchändlichen Verdacht und Prügel gebracht, und dann zu guter Letzt mich und meine Tochter noch durch freche Reden beſchimpft — der Gaudieb — —
… in Rührung geweſen, ganz aufgelöſt faſt vor Thränen, nichts als Schwiegerſohn vom Kopf zum Fuß, hingekrochen wie ein Hund zum gnädi - gen Herrn, um den Segen gebeten, und dann ſtatt des Segens Ohrfeigen gekriegt, oh, oh, oh, das ſchmerzt, das thut weh … wimmerte Karl Buttervogel dazwiſchen.
Alſo hinweg, mein Herr, und hindern Sie mich nicht in meinem Hausrechte! rief der alte Baron. Dieſe Piſtole war nur blind geladen und ich ſchoß ab, weil Donner und Knall das Herz des Mannes erfriſcht, aber den Schuft da will ich hinter dem Bette ſeines Schelms von Gebieter hervorholen und ihm mit dem Kolben der Piſtole ſo lange den Rücken dreſchen, bis er genug hat, und das ſoll kein leerer Lärmen ſeyn.
Nun dann in Gottes Namen! rief der Schrift - ſteller. Ich ſehe, die Gegenwart iſt zu einer plan -327 mäßigen Behandlung großer Angelegenheiten nicht geeignet. Vergebens, daß man über eine Frage der Zeit den Bogen zum Protocolle bricht und Alles in den ſchönſten Gang bringt — in der Nachbarſchaft fangen ein Paar Narren mit einan - der Spectakel an, blind wird geknallt, der eine Narr flüchtet ſich auf neutrales Gebiet, der An - dere hinterdrein und umgeſchmiſſen iſt Protocoll, Conferenz, Tiſch, und die Sache ſteht auf dem Kopfe, die eben noch auf den Füßen ſtand. So walte denn du weiter, Macht der Umſtände! Ich ergebe mich in deine Fügungen. — Er trat zur Seite, einen wehmüthigen Blick auf den Schlum - mernden werfend.
Der alte Baron näherte ſich mit ſtarken Schrit - ten dem Bette und rief Karl Buttervogel’n mit donnernder Stimme zu: Will Er wohl gleich da - hinter hervorkommen?
Nein, niemals dahinter hervor! rief Karl, der inzwiſchen unaufhörlich fortgeſprochen hatte, ohne daß auf ihn gehört worden war, zitternd. — Niemals dahinter hervor, denn ſo ein Piſtolen - kolben ſieht nicht, wohin er ſchlägt, aber alles Andere dem gnädigen Herrn zu Gefallen thun, wie328 gerne! Denn durch ſo eine Ohrfeige wird das Menſchenkind ſchon klug gemacht und alle ſchlechten Gedanken gehen ihm aus dem Kopfe von Fürſt und Hechelkram und vornehmer Lieb’ und es ſeyn Wollen, wenn fernerweite gute Verköſtigung zuge - ſagt wird, und Riek’ in Stuttgart iſt vor mich gut genug und keine Andere, und auf dieſen Herrn da, der ſchläft, ganz und gar keine Rückſicht zu nehmen nöthig, denn wer ſo ſeinen Bedienten in der Noth verläßt und einſchlummert, wenn man blind geladen todtgeſchoſſen worden iſt, der iſt gar kein Herr nicht, ſondern nur ein ſchlechter Munkel.
Was? Der Doctor Reifenſchläger? Der Cap - tain Gooſeberry? Der unſterbliche Hegel? riefen die Intereſſenten an Münchhauſen dazwiſchen.
Munkel! Munkel! Munkel! Nichts als Mun - kel, ſo hat er ſich ſelbſt genannt, wenn er mir von ſeiner Erzeugung die verfluchten und ganz un - menſchlichen Geſchichten erzählte! ſchrie Karl But - tervogel lauter.
Der Menſch will vermuthlich Homunculus ſagen, ſprach der Schriftſteller.
Und ich weiß doch, was der gnädige Herr Baron da mit der Piſtole bedeuten wollen und329 wornach Ihr Sinn ſteht, und Noth bricht Eiſen und für nichts und wieder nichts verrathe ich mei - nen Herrn nicht, aber für fünf Thaler hätte ich’s ſchon heut Morgen gethan und ſein Leben muß der Menſch retten und wenn Einem das Waſſer bis an den Kragen geht, ſo ſchreit die Creatur, und niederträchtig iſt es dabei hergegangen, wie mein Herr entſtanden iſt, und wenn der Menſch nicht mehr von Vater und Mutter abſtammt, ſo hört aller Verlaß auf; denn bloß ſo zuſammenge - kocht zu werden, wie mein Herr, das iſt Nichts und kann ein Jeder. Und weil meines gnädigen Herrn ſein gnädiger Herr Vater mit ſeiner gnädi - gen Frau Gemahlin keine Kinder zu Wege brin - gen konnte, weil die gnädige Frau den gnädigen Herrn nur aus Achtung für den alten Lügenmünch - hauſen, den gnädigen Herrn Großvater von mei - nem gnädigen Herrn geheirathet hatte, was eine trockene Ehe giebt, und der gnädige Herr Vater doch ſo gern einen Herrn Sohn gehabt hätten ganz vor ſich und apart und ohne ſchönen Dank an die gnädige Frau und ſo viel verſtanden haben von Apothekerwiſſenſchaften und unnatürlichen Schnur - ralien, ſo haben ſie da meinen Herrn einſtmals330 aus verſchiedenem Jux und Siebenſachen, Gaſſen, Kochſalz, Salpeter und was weiß ich ſonſt noch Alles von Teufelskram zuſammengebraten, geſchmort, gekocht, geſchmolzen, geröſtet, abfiltrirt, worüber ſie eine überaus ausnehmende Freude gehabt, aber in ſchrecklichen Verdruß mit der gnädigen Frau gekommen, die den ſogenannten Herrn Sohn aus dem Schmelztiegel und der Bratpfanne gar nicht vor Augen haben leiden mögen, denn das können die Weibsleute nicht vertragen, ſo etwas, und Alles muß ſeinen regulairen Gang gehen bei ihnen, und deßhalb auch immer nachmals mein gnädiger Herr ſich chemiſch geſchmiert, mit den Sachen, die ich aus der Apotheke geholt, um ſich wieder aufzufüllen und herzuſtellen, und mir alles Dieſes vor Jahren ſchon entdeckt aus Bedürfniß nach einem liebenden Freunde, weil ſie auch ſehr betrübt geweſen ſind über dieſe Geheimniſſe und nur mit Schmerzen an ihren Herrn Vater gedacht, und da fließt ſie ja noch heute am Boden umher die chemiſche Schmie - rung und alſo iſt es nun heraus und am Tage, was mein gnädiger Herr eigentlich ſind, und weil ich doch nun meinem ehemaligen Herrn Schwieger - vater ganz umſonſt einen ſo ſchönen Gefallen ge -331 than habe, ſo bitte ich gehorſamſt, daß Sie die Abſicht aufgeben mit dem Piſtolenkolben, denn ich bin unglücklich genug, und von Wurſt und Eiern und Rindfleiſch wird wohl nichts weiter gebrummt werden, weßhalb mir noch der techniſche Mitdirec - tor bleibt und das iſt gewiß und wahrhaftig, daß er kein natürlich entſtandener Menſchenchriſt iſt, wie wir Alle, ſondern ein von ſeinem chemiſchen Säurenvater, wie er ihn auch unterweilen nannte, zuſammenpräparirter Munkel, dieſer Herr von Münchhauſen.
Münchhauſen? riefen die Intereſſenten erſtaunt.
Münchhauſen heißt der Mann, der Ihnen das Menſchenraſſeveredelungsinſtitut organiſiren, Ihnen Land auf den Coralleninſeln verſchaffen, Ihnen die drei magiſchen abſtracten Formeln mittheilen wollte, ſagte der Schriftſteller. — Es dürften noch mehrere Plane und Projecte von ihm an das Ta - geslicht kommen, die er unter verſchiedenen Ge - ſtalten zum Wohle der Menſchheit erſonnen, wenn einmal ſein Leben vollſtändig beſchrieben werden wird.
Aber wer iſt er denn eigentlich? fragten Alle.
Sein eigener Vater und Großvater, der nie geſtorbene nimmer verwelkte ehemalige Jagd - und332 Pferdegeſchichtenerzähler Freiherr von Münchhauſen auf und zu Bodenwerder, ſagte der Freiherr, der ſich hier zum Erſtaunen der Verſammlung ſtarr und ſteif von ſeinem Bette emporrichtete, mit hoh - lem Ton und weitgeöffneten gläſernen Augen. — Im Beſitz eines Lebens - und Verjüngungselixiers; da - durch erhalten, reſtaurirt und nach Maaßgabe der Zeiten metamorphoſirt ſchon ſeit nunmehro zwei Menſchenaltern, was jener Tropf von Bedienten mißverſtändlich aufgefaßt hat, wie denn überhaupt der Freiherr von Münchhauſen oft ſo unglücklich geweſen iſt, mißverſtanden zu werden.
Nach dieſer neuen Erklärung ſchloß Reifen - ſchläger-Gooſeberry-Hegel-Homunculus-Münchhau - ſen die Augen und fiel abermals zu dem Schlum - mer des Gerechten nieder. Unter den Anweſenden aber zeigten ſich Symptome, daß ihr Verſtand ſolchen Vorfällen nicht gewachſen ſei.
Der alte Baron ſtand abſeitig und ſtieß mit der Fußſpitze an die Scherben der Gläſer, als wollte er deren Inhalt unterſuchen. Er hatte, ſobald Karl Buttervogel ſeiner wunderſamen Ent - deckungen quitt geworden war, die Piſtole ſinken laſſen und ſeine Augen nahmen allgemach einen333 ſeltſam-irren Ausdruck an. Zuweilen warf er dem Schläfer einen ſcheuen Blick von der Seite zu und murmelte dabei: Nicht einmal ein Menſch, nur ein Munkel, o pfui, und ihn du genannt — pfui — pfui! — Die Intereſſenten rieben mit ſonderbaren Gebärden die Stirnen, Semilaſſo recitirte franzö - ſiſche Verſe, der Ehinger hieb mit dem Stocke auf den Boden, die drei Unbefriedigten kehrten ihre Sammetkappen um, ſo daß die Schirme hin - ten zu ſitzen kamen. Draußen pfiff der Wind, das alte Schloß bewegte ſich in ſeinen Grundveſten und die Sonne ſah durch den weißen Dunſt, in ihrem Strahlenlichte geſchwächt und entſtellt, wie ein rieſiger gelber Eidotter zum Fenſter herein. Alle fühlten, daß ihre Vernunft im Schwanken war, und nur Karl Buttervogel war mit ſeinem Looſe zufrieden. Er ſaß hinter dem Bette und dankte Gott, daß er durch einen Verrath zur rechten Zeit dem drohenden Piſtolenkolben entgan - gen war.
In dieſer allgemeinen Noth und Bedrängniß erſchien der Schriftſteller wieder als der einzige noch übrige Halt; und Alle wiederholten ihre Frage an ihn: Wer iſt er denn eigentlich?
334Meine Herren, verſetzte der Schriftſteller, ich weiß es nicht.
Wie?
Mir iſt vielleicht mehr von ſeinen Lebensum - ſtänden bekannt, als Ihnen, ſagte Immermann, wer er aber eigentlich iſt, daß weiß ich ſo wenig, als Sie.
Wenn er nur erſt ſitzt, ſo wollen wir es bald herauskriegen — mit dieſen Worten betrat der Bürgermeiſter, den kein Waffenſtillſtand mehr hemmte, gefolgt von ſeinem Untergebenen, die Stube. — Denn ſolche Angaben, wie ich zum Theil unten vor dem Fenſter gehört habe, ſtreiten gegen alle Wahrſcheinlichkeit und dadurch laſſe ich mich nicht irre machen, ſetzte der entſchloſſene Mann hinzu und gab dem Polizeiſoldaten Marze - ters den Befehl, Münchhauſen, wenn er nicht er - wachen wollte, aufzuheben und fortzutragen. Mar - zeters näherte ſich dem Bette. In dieſem Augen - blicke aber erwachte der ganze Enthuſiasmus der Anhänger. Ohne an ihre Spaltungen zu denken, die unheimlichen Entdeckungen über des Freiherrn336 Perſönlichkeit vergeſſend, ſchaarten ſich die Unbe - friedigten und der Ehinger um das Lager, ent - ſchloſſen zum äußerſten Widerſtande gegen die öffentliche Macht, welche ihnen den Helden ihrer Hoffnungen und Ausſichten rauben wollte. Selbſt Semilaſſo vergaß ſeinen Stand und ſtellte ſich als Camerad dicht neben den Ehinger, denn er dachte nur an ſein Inſtitut nach dem Muſter von Tra - kehnen und an weiter nichts ſonſt. Vergebens war es, daß der Bürgermeiſter Gehorſam dem Ge - ſetze forderte, die Intereſſenten riefen, dieſer Mann ſei über dem Geſetze. Der Bürgermeiſter aber, der in ſeinem Amte nicht mit ſich ſcherzen ließ, ſagte zu Marzeters: Der Kerls ſind zu viele und wir ſtehen gegen die Uebermacht, alſo lauft und holt Bauernhülfe, Landſturm aus der nächſten Nachbarſchaft! Haben müſſen wir ihn! — Ihn, wie - derholte Marzeters und lief fort. Auch die Dro - hung ſchreckte indeſſen die Anhänger nicht, ihre Mienen wurden nur noch entſchloſſener. Die Un - befriedigten krämpelten ihre Rockärmel auf, der Ehinger ſchwang ſeinen ſchweren Prügel, Semi - laſſo zog ſogar einen türkiſchen Dolch, von dem er behauptete, er ſei an der Spitze vergiftet. Alles337 redete durcheinander und die Scene ſchien ſich zu einem Blutvergießen anzulaſſen, wenn die aufge - botene Hülfe wirklich herbeikam. In dieſem Ge - wirre hatte ſich der Schriftſteller dem Kopfende des Bettes genähert und der Freiherr flüſterte ihm aus ſeinem Schlummer unhörbar für die Anderen zu: Es hilft nicht, das letzte Mittel muß gebraucht werden, brauchen Sie es! — Als nun das Getöſe am heftigſten tobte und der Bürgermeiſter ſchon rief: Da kommen ja die Bauern! zog der Schrift - ſteller raſch einen Brief mit großem Siegel aus der Taſche und ſprach mit lauter Stimme: Im Namen des Hofes, in deſſen geheimen Dienſten ich zu ſtehen die Ehre habe, bitte ich um Ruhe und Gehör.
Der Lärmen verſtummte, das Siegel wurde beſehen, von Semilaſſo und von dem Bürgermei - ſter in ſeiner bedeutenden Eigenſchaft anerkannt, von den Anderen nicht bezweifelt. Der Bürger - meiſter rief den Bauern, die inzwiſchen vor dem Schloſſe angekommen waren, zu, ſie ſollten unten warten, der Schriftſteller aber eröffnete der gan - zen Verſammlung, daß dieſer Mann, an den ſich ſo viele Forderungen und Erwartungen knüpften,Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 22338fernerhin nicht mehr dem Privatleben angehören könne, am allerwenigſten ein Gegenſtand polizei - licher Verfolgung ſei, ſondern zu hohen Dingen, zu einer öffentlichen Stellung berufen, nunmehr in eine ganz andere Sphäre übergehe. Der geiſt - reiche Erbprinz von Dünkelblaſenheim wähle ihn nämlich zu ſeinem Geſellſchafter und Vertrauten.
Obgleich nun das Gebiet, auf dem ſich unſere Geſchichte ereignete, nicht zu Dünkelblaſenheim gehörte, und obgleich die Anweſenden, außer Se - milaſſo, kaum früher von dem Lande Dünkelblaſen - heim gehört hatten, ſo wirkte doch die bloße Er - wähnung eines Hofes mit magiſcher Kraft auf die Loyalität ſämmtlicher Verſammelten. Kein Wort wurde laut, in den Mienen ſprach ſich Hingebung und Unterwürfigkeit unter die Beſchlüſſe irgend - welches Erbprinzen aus; der Bürgermeiſter nahm ſeine Mütze ab.
Der Schriftſteller erbrach den Brief und las folgendes Berufungsſchreiben vor:
„ Ich erwarte Sie mit Ungeduld. Nie habe ich mich auf Jemand ſo gefreut, wie auf Sie. Seitdem ich Sie im Bade zu * ſah, nahmen Sie mir Kopf und Herz, wie eine Geliebte ein. Sie ken -339 nen die ſchwierigen Verhältniſſe, unter denen Sie hier vor der Hand auftreten müſſen, der Ober - kammerherr wird aber Ihre Schritte leiten, er beherrſcht das Terrain und Sie dürfen ihm ver - trauen. Ich mag nicht gern verſprechen, hoffe aber, daß Sie mit mir zufrieden ſeyn ſollen, wenn die Todten ihre Todten begraben haben werden und das Leben an das Tageslicht kommt.
Münchhauſen, hören Sie das Wort eines Man - nes, deſſen Hände leider noch gebunden ſind: Ih - nen wird er die Zukunft des Landes anbefehlen. — Inzwiſchen wollen wir über den alten Sauer - teig lachen, ſchöne Plane bilden, einander von Tage zu Tage mehr werden. Sehen Sie in mir nicht den Herrn; ich bin ſtolz darauf, den geiſt - reichſten und liebenswürdigſten Mann unſerer Zeit meinen Freund nennen zu dürfen. Unſer Unter - händler hat ſich die Bürgerkrone damit verdient, daß er Sie hieher zu bringen wußte. “
Empfindungen verſchiedener Art erregte dieſes Schreiben. Erſtaunen, Verehrung und Schmerz machten ſich durch halbe Reden, Ausrufungen, Seufzer Luft. Am kürzeſten faßte ſich der Bür - germeiſter, denn nachdem er noch einmal das Sie -22*340gel angeſehen hatte, machte er vor dem Schlä - fer eine tiefe Verbeugung, bat den Schriftſteller, er möge, wenn der Freund des ihm unbekannten Erbprinzen aufwache, ein gutes Wort für ihn ein - legen und ihm ſagen, wie zart er ſich benommen habe, denn Gunſt am Hofe, liege dieſer, wo er wolle, könne nicht und niemals ſchaden. Dann ging er hin - unter, ſagte zu den Bauern und zu Marzeters, ſie möchten nach Hauſe gehen, es ſei ein Irrthum vorgefallen, der Fremde ſei kein Vagabonde, ſon - dern ein angeſehener Mann und eine große Crea - tur, und begab ſich dann ſelbſt nach Hauſe.
Aber die drei Unbefriedigten und der Ehinger Spitzenkrämer wehklagten, daß ihre Freude ſo kurz gedauert habe. Sie fragten auch mit niederge - ſchlagenen Blicken, ob denn alle Hoffnung ver - ſchwunden ſei, daß der Wiedergefundene nicht den - noch der Captain Gooſeberry von den Corallen - inſeln, oder der unſterbliche Hegel ſeyn könne, und der Name Münchhauſen nur eine Larve ſei? worauf der Schriftſteller ihnen erwiederte, daß ihm zwar jene Charaktere problematiſch zu ſeyn ſchienen, daß aber dadurch der wunderbare Gehalt des außerordentlichen Mannes durchaus nicht ge -341 ſchmälert werde, daß man vielmehr feſt glauben müſſe, er werde halten, was er verſprochen. Der Schriftſteller fügte tröſtend hinzu, ſie möchten dem - nach nur mit Vertrauen der Anweiſungen auf Land in den Coralleninſeln, wo die warmen und kalten Pa - ſtetenbäume wüchſen, ſo wie der abſtracten drei For - meln harren, er werde bei ſeinem großen Freunde die Sache in Anregung bringen, ſobald dieſer die erſten Wochen am Hofe überwunden habe. Münchhauſen werde nach wie vor der Heiland der nach dem Unerhörten verlangenden Menſchheit bleiben.
Damit mußten ſich die abgewieſenen Intereſ - ſenten nun freilich zufrieden geben, aber das Schei - den that ihnen doch weh. Die drei Unbefriedigten waren noch bleicher geworden, als ſie gewöhnlich ausſahen; ſie küßten dem ſchlummernden Meiſter die Hände. Karl Gabriel hauchte einen leiſen Kuß auf ſeine Lippen und flüſterte: O ſei den - noch Hegel und gieb uns die drei Formeln! und dann gingen ſie aus der Stube und hätten gern geweint, wenn ſie vor Trockenheit dazu ver - mögend geweſen wären. Der Ehinger ſchlug mit ſeinem Stocke abermals ſanft gegen die Fuß - ſohlen des Freiherrn und ſagte: Adieu! — Ei,342 was werden die fünfzig Ehinger Freunde ſagen! und ging dann auch.
Semilaſſo war zurückgeblieben. — Reifenſchlä - ger oder Nichtreifenſchläger, ſagte er; das Inſtitut richtet er mir ein, das weiß ich, denn mag er den anderen Leuten etwas vorgeflunkert haben, mit mir meinte er es wahr, die Idee von der Verede - lung der Menſchenraſſe hatte ihn wahrhaft ergriffen.
He took a french leave d. h. er wollte ab - ziehen, wie Katz vom Taubenſchlag, doch unter der Thüre wandte er ſich um. Er näherte ſich dem Schriftſteller und ſagte: Apropos, die Anſtellung an dem Hofe, in deſſen geheimen Dienſten Sie zu ſtehen die Ehre haben, hat noch ein dessous des cartes, bekennen Sie das nur. Mir ſind die Verhältniſſe jenes Hofes ſo ziemlich klar, ich weiß, wie abhängig der Erbprinz iſt, niemals hätte er gewagt ſich ſelbſtſtändig einen Geſellſchafter an - zuſchaffen, alſo muß der alte Herr ſeinen Conſens gegeben haben; wie aber paßt unſer Held für den?
Nun freilich, verſetzte der Schriftſteller, die Sache hat allerdings noch ihren Haken. Mit Ew. Gnaden kann man ſchon frei reden, Sie verſtehen ſich auf ſolche Feinheiten. Vor den geringen343 Leuten mochte ich nicht davon ſprechen. Münch - hauſen wird nur anonymer Geſellſchafter des Erb - prinzen, eigentlich geheimer Hühneraugeneſſenzbe - reiter bei dem alten regierenden Herrn ohne offi - ciellen Charakter wegen der Rückſichten, die auf den Oberſanitätsrath zu nehmen ſind.
Geheimer Hühneraugeneſſenzbereiter? fragte Se - milaſſo mit einem feinen Lächeln.
Geheimer Hühneraugeneſſenzbereiter, ſagte der Schriftſteller. Wenn Sie die Verhältniſſe des Hofes, in deſſen geheimen Dienſten ich zu ſtehen die Ehre habe, kennen, ſo werden Sie wiſſen, daß der alte Herzog in dem Spleen ſeiner vor - gerückten Jahre nur noch ein Intereſſe an ſeinen Hühneraugen nimmt, die ihn in der That auch arg plagen. Ohne dieſe Pein aber würde dennoch die ganze Exiſtenz des alten Herrn zuſammenbrechen, denn der Verdruß gehört ihm zum Leben nothwen - dig hinzu; er iſt einer von den Charakteren, die aus Liebhaberei verdrießlich ſind. Dieſe mauſſade Laune erleichtert übrigens die Staatsverwaltung außerordentlich. Die Regierungsgeſchäfte werden in345 Dünkelblaſenheim auf eine höchſt einfache Art ge - trieben; nämlich wenn den alten Herrn die Hüh - neraugen zu heftig ſchmerzen, ſo ſchlägt er etwas ab, und wenn es leidlich damit ſteht, ſo geneh - migt er, auf ſolche Weiſe motiviren ſich die uner - wartetſten Entſchließungen ganz natürlich. Das Schneiden der Hühneraugen war daher auch von jeher eines der wichtigſten Geſchäfte am Hofe; der Oberſanitätsrath war damit begnadiget, nun iſt der Mann auch alt geworden, hat blöde Augen bekommen und in den letzten Jahren den Herzog mehrmals in das Fleiſch geſchnitten, woraus denn ſtrenge Regierungsmaaßregeln entſprangen. Der alte Herr verlangte daher ſchon ſeit einiger Zeit nach einer Abhülfe dieſes Uebelſtandes.
Semilaſſo lächelte noch feiner, und der Erzäh - ler fuhr fort:
Dem Vater gegenüber ſteht nun der Erbe, ein von Jenem durchaus verſchiedener Charakter, witzig, phantaſievoll, ein geiſtreicher Herr, gleichſam ein Genie, oder — kurz — ja — hm …
Semilaſſo lächelte immer feiner, und der Er - zähler fuhr fort:
Er langweilt ſich auch, denn er möchte gern346 regieren. Seine gewöhnliche Geſellſchaft war ihm etwas abſchmeckend geworden und es mochte dieß ungefähr zu derſelben Zeit ſich ereignet haben, als der Oberſanitätsrath den Vater am häufigſten in das Fleiſch geſchnitten hatte. Er begann daher ſich nach einem anregenden Umgange zu ſehnen, nach einem Univerſalkopfe, der ihn beſtändig be - ſchäftige, gerade als der Vater nach einer ſanf - teren Behandlung ſeiner Hühneraugen verlangte.
Semilaſſo lächelte nun ſo fein, daß keine Feder die Feinheit dieſes Lächelns mehr be - ſchreiben kann. Der Erzähler kam dadurch beinahe aus der Faſſung, die jedem Erzähler Noth thut, fuhr indeſſen doch fort:
Der Oberkammerherr hatte die Wünſche des regierenden und zukünftigen Herrn, welche ihm Befehle ſeyn mußten, zu vernehmen. Der Ober - kammerherr hat eine ſehr zarte Stellung zwiſchen Gegenwart und Zukunft. Der Oberkammerherr hatte mit den größten Schwierigkeiten nach allen Seiten hin zu kämpfen. Die offenbarſte war, dem Erben zu genügen. Niemals, wie Sie ſehr richtig ahneten, würde der regierende Herr zugelaſſen haben, daß der Erbe ſich ein Genie zum Ideenaustauſche halte,347 denn von Ideen und Genie mag er überhaupt nichts wiſſen.
In dieſer Verlegenheit konnte ich dem Ober - kammerherrn helfen. Daß Münchhauſen der Mann für den Erbprinzen ſei, darüber waren wir bald einig, es wäre aber hiemit noch nichts gewonnen geweſen, wenn dieſer ſeltene Charakter, der nichts unter ſeiner Würde hält, nicht zufällig einer neuen Hühneraugeneſſenz auf der Spur geweſen wäre und ſie wirklich endlich entdeckt hätte, ein proba - tes Mittel, welches das Uebel zwar nicht zu heben vermag, da es überhaupt unheilbar iſt, aber es doch bedeutend lindert, ſo daß der alte Herr, der ſchon mehrere Flaſchen derſelben verbraucht hat, ſich ſeitdem nur in dem Zuſtande einer fortwäh - renden Semi-Verdrießlichkeit befindet. Durch die - ſen glücklichen Zufall war der Ausweg gebahnt. Münchhauſen geht nämlich an den Hof von Dün - kelblaſenheim und der alte Herr weiß nicht anders, als daß er bloß ſeiner Hühneraugen wegen komme. Nur unter der Hand wird er das Geſellſchafts - Genie des jungen Herrn, der an ihm, wie an einer verbotenen Frucht naſchen will. Man fühlt aber wohl, daß eben wegen dieſer Heimlichkeit348 ſein Einfluß unberechenbar werden muß, und daß er recht eigentlich dazu beſtimmt iſt, künftig eine große Rolle im Herzogthume zu ſpielen. Ich habe mir daher auch ſchon ein Heft weißen Pa - pieres einbinden laſſen und den Titel darauf ge - ſetzt: Münchhauſen am Hofe; denn meine Feder ſoll ſeinen Schritten auch in dieſer hohen Sphäre mit der Zeit folgen.
Sie ſagten aber, wenn ich nicht irre, daß auch ſeine Anſtellung bei dem regierenden Herrn keinen offiziellen Charakter haben werde?
Ja, das iſt eben das Schönſte. Der Umſtand, den ich nun zu berichten habe, bot die zweite in - tereſſante Schwierigkeit dar. Der alte Herr hängt nämlich an dem Oberſanitätsrath, nicht aus Liebe, ſondern aus Gewohnheit, wie an einem alten Stück Meuble, weil der Mann denn doch ſeine vier und zwanzig Jahre hindurch das Amt verſehen hat. Er befahl daher ausdrücklich, daß der Oberſani - tätsrath von dem Subſtituten und deſſen Mittel nichts erfahren dürfe. Dieſes Geheiß war nun in der That ſchwer auszuführen. Endlich fanden wir dennoch Rath, der Oberkammerherr und ich. Der Oberſanitätsrath bekommt nämlich alle Sonnabende,349 welche von jeher die gewöhnlichen Schneidetage waren, ein ſtumpfes Meſſer in die Hand geſcho - ben, womit er dem Herzoge weder helfen noch ſchaden kann und damit bildet er ſich denn ein ſein Amt zu verrichten. Wir hatten für dieſe Liſt Antecedentien, denn es giebt ihrer Mehrere in Dünkelblaſenheim, welche ſich die Illuſion machen, mit ſtumpfen Meſſern ihre Pflicht zu thun.
Der alte Herr iſt aber ganz glücklich darüber, daß er zum erſtenmale in ſeinem Leben ein Ge - heimniß vor Hof und Staat hat, da bisher Hof und Staat nur Geheimniſſe vor ihm hatten. So iſt dieſe Intrigue in mehreren Gängen und Stock - werken, einem über dem Anderen, gleich den Stol - len in dem Salzbergwerke von Wieliczka oder den Todtenkammern in den Katakomben ausgehölt und ausgetieft, und man wird immer recht den Kopf zuſammennehmen müſſen, um die Beziehun - gen, in welchen Münchhauſen nur geheimer Hüh - neraugeneſſenzbereiter und in welchen er geheimſter Geſellſchafter des Erbprinzen iſt, klar auseinander zu halten.
Aber irgend einen öffentlichen und anerkannten Charakter muß er doch haben, um Figur in Dün -350 kelblaſenheim machen zu können, ſagte Semilaſſo. Car sans titre vous n’y êtes rien du tout.
Der Herzog hat ihm den Schatz übertragen, verſetzte der Schriftſteller. — So hat er Ehre, und kann doch keinen Schaden thun, denn im Schatze von Dünkelblaſenheim iſt nie etwas.
Ew. Gnaden ſehen nun zugleich, fuhr der Schriftſteller fort, indem er einen bedeutenden Blick auf die Glasſcherben und auf die Flecke, welche die inzwiſchen verdampften chemiſchen Flüſ - ſigkeiten in das Arabeskenprotocoll eingefreſſen hat - ten, warf wie für uns Eingeweihte das Homuncu - luswunder, welches dieſer ſeltene Schwärmer ſeinen nächſten Umgebungen vorgeredet hatte, oder ſeine Umgebungen ſich hatte einbilden laſſen, natürlich ausgeht. — Hühneraugeneſſenzbereitungsverſuche! Nichts als Hühneraugeneſſenzbereitungsverſuche!
Schade! rief Semilaſſo und ſeufzte. Ich hatte mir ſchon gedacht … Er vollendete nicht, ſondern ging nach einem zweiten Seufzer und einem Blicke auf Münchhauſen, in dem ſich eine gemiſchte Em - pfindung ſpiegelte, von dannen. — In ſeiner Seele war durch den Wunderbericht Karl Butter - vogel’s eine große Bewegung entſtanden; er war351 der Einzige in dem Kreiſe der Intereſſenten ge - weſen, der ihm eine gewiſſe Sympathie, wenig - ſtens eine Hinneigung zur Sympathie gewidmet und ſchon im Stillen erwogen hatte, ob nicht ſtatt des Menſchenraſſeveredelungsinſtitutes eine chemiſche Menſchenfabrik zu gründen ſeyn möchte. Denn Semilaſſo hielt ſo wenig als irgend ein Cavalier auf die Wunder des Evangeliums, um deſto mehr aber auf die modernen Wunder. Nun an der Quelle unterrichtet, daß Münchhauſen kein ſich mit Gas und Säuren auffüllender Homunculus, ſon - dern nur ein wirklicher geheimer Hühneraugen - eſſenzbereiter war, fühlte er ſich etwas enttäuſcht, ging in dieſer Stimmung die Schloßſtraße hinunter, ſetzte ſich verſtimmt zu ſeinen Affen und Papagaien in die türkiſche Ochſenkarre, fuhr im Schritt durch Sturm und Nebel davon, fror und hätte heute gern im Dampfwagen auf der Eiſenbahn oder auch nur in der Schnellpoſt geſeſſen, denn er begriff, daß es Lagen des Lebens giebt, in welchen man am liebſten warm ſitzt und wie andere gewöhnliche Menſchen raſch vom Flecke kommt.
Die letzten Verhandlungen zwiſchen dem Schrift - ſteller und Semilaſſo’n waren ohne einen anderen Zeugen als den ſchlafenden Helden, um deſſen Ruheſtatt die Ereigniſſe ſich in ſo ſtürmiſchem Wirbel drehten, vor ſich gegangen. Der alte Baron war nämlich noch vor dem Scheiden der Intereſſenten ſtillſchwärmend aus der Stube ge - wankt, mit den Fingern vor ſich hin geſticulirend, die Söllertreppe hinauf. Sein altes Gehirn ſtand dem vereinten Angriffe ſo vieler Abentheuer nicht länger, es wich und gab der Zerſtörung nach. Oben auf der Gerichtsſtube begann er ein gefähr - liches Werk, unbemerkt, denn in dem Schloſſe achtete jetzt Keiner auf den Anderen.
353Karl Buttervogel hatte ſich dagegen, als die Intereſſenten an Münchhauſen und der Bürgermei - ſter ſich zum Kampfe rüſteten, in dieſer Aufregung und Verwirrung leiſe hinter dem Bette empor und in das Fenſter geſchwungen, wo die Leiter von den drei Unbefriedigten her noch angelehnt ſtand. Katzengeſchwinde ſetzte er ſeine Füße auf dieſes erwünſchte Fluchtmittel und klomm darauf mit ungemeiner Schnelligkeit draußen hinunter, fe - ſten Willens, das Schloß, in welchem er ſo trübe Erfahrungen gemacht hatte, nie wieder zu betreten. Auch in ihm war während der vorangegangenen drangvollen Momente eine große Veränderung ge - ſchehen. Die Ohrfeige, welche er zum Segen empfangen, und dann der angedrohte Piſtolenkolben hatten ihn gänzlich hergeſtellt und in die ihm ge - wieſenen Schranken zurückgeführt. Karl Butter - vogel war ein durchaus practiſcher Charakter; die Täuſchungen des Gefühls und der Einbildungskraft konnten ihn auch wohl eine Zeit lang mitnehmen, aber die Wirklichkeit blieb ſeine Lehrerin und Freundin.
Sein Streben ging jetzt nach dem Gartenhauſe auf dem Schneckenberge, aber die größte FurchtImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 23354hatte er, dem Fräulein zu begegnen. Denn alle Gedanken an eine Verbindung mit ihr, an ſeine Fürſtenwürde und an Hechelkram waren aus ihm herausgeohrfeigt worden und ſelbſt auf fernerweite gute Verköſtigung wollte er lieber verzichten, als immer einem Manne gegenüber ſtehen, der auf eine ſo ſchmerzliche Art ſich weigerte, ihm Vater zu werden.
Der Himmel hilft dem, der mit Ernſt ſich vorſetzt ein neues Leben zu beginnen. — Als er von der Seite in den Garten lugte, ſah er den Schne - ckenberg von ſeiner Geliebten unbeſetzt. Sie war in ihrer ungeduldigen Erwartung auf die Entſchei - dungen aus dem Schloſſe aufgeſtanden, hatte den Berg verlaſſen und ging unten im Garten zwiſchen den ausgewachſenen Taxuswänden mit großen Schrit - ten hin und her, immerdar die erſten beiden Verſe ihres Schickſalsliedes ſingend.
Karl Buttervogel ſchlich, um ganz ſicher zu verfahren, entlängſt der Hecke außen durch die Dornen, kroch abermals durch das Loch in der Hecke, rutſchte, um nicht geſehen zu werden, auf dem Bauche den Schneckenberg hinan, fand zu ſeiner größten Freude oben den Sauerbraten un -355 verſehrt, nahm ihn eiligſt und ſchlüpfte damit ſchleunigſt in ſein Gartenhäuslein. Dort geborgen dankte er zuvörderſt Gott, daß ihm in dem Schiff - bruche ſeiner Hoffnungen wenigſtens dieſer Tröſter geblieben ſei. Dann aber faßte er den Entſchluß, der ihm wie durch eine Erleuchtung von Oben kam. Er beſchloß nämlich, die Verbindung mit dem Freiherrn, die zu ſeinem Naturell und We - ſen ihm immer unpaſſender zu werden ſchien, zu löſen, mit anderen Worten, unverweilt und auf der Stelle ganz und gar fortzulaufen. Es giebt Orte, an welchen die Leute, wie in der Höhle des Trophonius, erhabenen Wahnſinn zu ſprechen anfangen, wenn ſie dieſelben betreten; dieſes Gar - tenhaus ſchien dagegen beſtimmt zu ſeyn, die In - ſaſſen zur geſunden Vernunft zurückzubringen. Der Schulmeiſter Ageſel hatte darin einſt ſich und ſei - nen Verſtand gefunden, Karl war der Zweite, dem zwiſchen dieſen Wänden ein Licht über ſeine eigentliche Lage aufging.
Er entſagte der Ausſicht auf die techniſche Mitdirectorſchaft und fühlte bloß, daß er ein Be - dienter ſei, dem ſein Herr vor wenigen Tagen den Lohn vollaus bezahlt habe, und der ein Paar23*356Stiefeln von Jenem in Verwahrung führe, die ihm für das ſeitdem Verfallene Bezahlung ſeien. Raſch ſeine Siebenſachen zuſammenpackend, den Torniſter auf den Rücken hängend, die Stiefeln Münchhau - ſen’s darüber geſchnallt, den Sauerbraten nicht vergeſſend, ſondern ihn in die Serviette ſtürzend, erſpähte er den Augenblick, wo Emerentia zwiſchen den Taxuswänden dem Gebirge Taygetus den Rü - cken wendete. Jetzt ſprang er mit Torniſter, Stie - feln und Sauerbraten zum Gartenhauſe hinaus, das Gebirge hinunter, kroch wiederum, nun aber zum letztenmale durch das Heckenloch, fühlte ſich im Freien und frei, hielt ſich aber nicht auf, ſon - dern lief was er laufen konnte durch Dornen, Di - ſteln und Geſträuch, bis er athmend eine freie Anhöhe erreichte, auf der er ſtillſtehend ſich um - blickte. Er ſah Niemand in der Nähe und beſchloß daher die Wanderung nun gemüthlicher fortzuſetzen, vorher aber ſich durch eine Mahlzeit zu ſtärken.
Es war die Anhöhe, auf welcher die weiland Luftfabrik zu ſtehen kommen ſollte. Jetzt ſetzte ſich Karl Buttervogel darauf nieder und aß dort ſeinen Sauerbraten, der keine Luftgeſtalt war. So hatte dieſer practiſche Menſch einen wahren357 und reellen Vortheil aus dem Schloſſe Schnick - Schnack - Schnurr davon getragen, an dem Tage, an welchem den Uebrigen, die mit großen Erwar - tungen in daſſelbe einzogen, dort nur Verfehlung, Enttäuſchung, Schmerz über den großen Mann, der vor ihren Augen zwar nicht zum Himmel aber doch zu Hofe emporgehoben wurde, aufging. — Nachdem er den Sauerbraten verzehrt hatte, dankte er aber - mals Gott und ging dann, ſich der erſten Herr - ſchaft, die er auf ſeinem Wege finden möchte, als einen treuen und geſchickten Menſchen, der auch mit Pferden umzugehen wiſſe, anzubieten. Unterweges trug er ſich nach ſeiner Manier wohl an die hun - dert Gründe vor, warum er weglaufe; genügend erſchien ſchon der einzige, daß er ſich vor ferneren Prügeln im Schloſſe fürchtete.
Triumph! rief der Schriftſteller, als Münch - hauſen’s Zimmer rein geworden war.
Triumph! rief der Freiherr und ſprang vom Lager auf. Das war eine Schlacht, wie die an der Moskwa, und ſchlafend habe ich ſie gewonnen, bloß durch meinen General habe ich geſiegt.
Laſſen wir die ſiniſtern Erinnerungen ruhen! verſetzte der Schriftſteller. Sie wollten Euch zer - reißen, wie die Bachantinnen den Orpheus und Jeder wollte ſich ſeinen Theil zueignen, aber ich habe Euch ganz, unzertheilt, unzerſtückelt erhalten, Reifenſchläger, Gooſeberry u. ſ. w. u. ſ. w.
… Profeſſor Pips, Lord Drum, Mr. Raquette, Legationsrath von Sachtleben, Duca di … di …
… u. ſ. w. u. ſ. w. Vertieft Euch nicht in359 die Vergangenheit. Fort aus dem verwünſchten Schloſſe! Wenn noch Jemand käme —
Münchhauſen ſchrak etwas zuſammen, dann aber faßte er ſich und ſagte: Dieſer Jemand wird nicht kommen. Es wäre ja die albernſte Laune, eine Laune, die ich ſelbſt dem Schickſale nicht zutraue, wenn ein junger, plumper, unerfahrener Menſch mich ausfindig machte; zudem iſt das Schloß in dieſem verruchten Nebel auf zwanzig Schritte Entfernung nicht zu ſehen.
Ein Hacken wie mit einem Beile ließ ſich über ihren Köpfen vernehmen, zugleich ſang Emeren - tia unten lauter, ohne daß die Worte verſtändlich waren. Der Wind ſchnob, pfiff, die Wände ſchüt - terten. Der Schriftſteller machte ein ängſtliches Geſicht. Er verlangte, daß Münchhauſen augen - blicklich mit ihm das Schloß verlaſſen ſolle. — Nein! rief der Freiherr, dort im Schlafe iſt mir ein allerliebſtes ſpirituelles Billet an den Erb - prinzen eingefallen, worin ich ihm den Plan unſerer künftigen geheimen genialen Lebensweiſe vorzeichnen will, und zugleich ein ſubmiſſes Dankſagungsſchrei - ben an den regierenden Herrn für meine ſemioffi - zielle Anſtellung in den angemeſſenſten Ausdrücken;360 ſolche Ideen, Penſee’n, Attrappen und Calembourgs müſſen aber improviſirt und nicht deſtillirt werden, nur aus dem Stegreif gerathen ſie.
Toller Menſch! rief der Schriftſteller und be - zeichnete ihm den Ort, wo er ſeiner mit den Wechſeln zur Reiſe nach Dünkelblaſenheim warten wollte. Es war ein Dorf ganz in der Nähe, wo ſich eine für Alterthumsfreunde merkwürdige Kirche mit einer ſonderbar geformten Krypte befand. — Be - ſtellt ein gutes Abendeſſen, ſprengt einen Burſchen für doppeltes Trinkgeld nach der Stadt, um uns Champagner zu verſchaffen; wir wollen einen luſtigen Abend haben und uns des Lebens freuen, das wie Champagner zu brauſen beginnt! rief der Freiherr ſeinem Curator nach.
Er ging trällernd ein Paarmal in der Stube auf und nieder, richtete den umgeſtürzten Tiſch auf, legte ſich zwei Bogen Poſtpapier zurecht, und ſchrieb nun, während das Schloß ſchütterte, der Wind heulte und das Lied Emerentia’s unten wie das Lied der Parzen immer ſchrillender klang, gleichzeitig die beiden Briefe, den ſpirituellen und den ſubmiſſen, erſt eine Zeile Geiſt an den Erbprinzen und dann eine Zeile Angemeſſenes an den regierenden Herrn.
361Dazwiſchen ſchnitt er luſtige Grimaſſen, pfiff die Anfänge von Opernarien, oder declamirte große Rauſcheworte aus Tragödien. Sein buntes, abentheuerliches, wildes Leben war ihm während des Schlafes in der Schlacht vor der Seele vor - übergegangen, er fühlte ſich von ſich begeiſtert, er war in einer komiſchen Extaſe. Das Leben bei Hofe, ſeine wunderbare Doppelſtellung zwiſchen den Hüh - neraugen des alten und dem geiſtigen Bedürfniſſe des jungen Herrn ſah ihn ariſtophaniſch ſchillernd an, er blickte in eine ganze Welt von Schnurren und diplomatiſchen Faxen hinein.
In dieſem Rauſche vernahm er nicht, daß Je - mand mit entſchiedenem Schritte die Treppe her - aufkam, die Thüre öffnete und ſich hinter ihn ſtellte. Er ſaß, das Haupt tief auf die Brief - bogen gebückt, ſo daß ihm der Fremde nicht in das Geſicht ſehen konnte. Nachdem dieſer einige Augenblicke ſo ſtillſchweigend geſtanden hatte, wäh - rend Münchhauſen immer emſig fortſchrieb, ſagte der Fremde: Verzeihen Sie meine Dreiſtigkeit, ich ſuche den Herrn Baron —
Münchhauſen fuhr empor, unwillkührlich fiel ſein Blick in den gegenüberhangenden Spiegel; er362 ſah das Antlitz des Fremden darin, die Feder entſank ſeiner Hand, ſein gelbes Geſicht wurde nicht grünlich, ſondern weißgrau, ſeine Züge, die eben ſich ſarkaſtiſch geformt hatten, blieben wie gefroren in dieſem Ausdrucke ſtehen, ſein Mund öffnete ſich; er glich einer komiſchen Maske aus Stein. Der Fremde ſeinerſeits ſtand gleichfalls vor Ueberraſchung regungs - und ſprachlos. So bildeten die Beiden, welche ſich hier ſo wunderbar fanden, einige Secunden lang die ſeltſamſte Gruppe.
Was!? rief endlich Münchhauſen, als er die Sprache wiederfand.
Was!? rief der Fremde.
Habe ich ſo unerwartet die Ehre, den Herrn Grafen von Waldburg — ſtammelte Münchhauſen.
Zu dienen, Herr Schrimbs oder Peppel, ver - ſetzte der Jäger.
Ei, das iſt ja heute ein an plötzlichen Ren - contres überaus geſegneter Tag, ſagte der Freiherr, deſſen Züge jetzt wieder flüſſig wurden, um in ein unverhehlbares Beben überzugehen. — Der Teufel hole den Teufel! fügte er ingrimmig murmelnd hinzu. Er hat mich mit den Poſſenſpielen des Morgens und mit dem Lockgeſange des Erbprinzen363 eingelullt, um mich nun unter die Fäuſte dieſes Schwaben zu werfen.
In der That, ich erwartete Sie nicht hier, ſagte der Jäger. Da es ſich indeſſen wider alles Vermuthen ſo fügt —
So will ich den Herrn vom Hauſe rufen, nach dem Sie, wenn ich nicht irre, verlangten, rief Münchhauſen, ſprang auf und wollte zur Thüre hinausrennen. — Der Jäger vertrat ihm aber den Weg, ſah auf die Piſtole, die am Boden lag und ſagte kalt: Ich danke Ihnen, Herr Schrimbs oder Peppel. Den Herrn Baron will ich mir ſchon ſelbſt aufſuchen zu ſeiner Zeit, erſt aber mit Ihnen ein altes Geſchäft in Ordnung bringen.
Wenn ich Sie nur verſtände! verſetzte Münchhauſen.
Der Jäger erhob die Piſtole vom Boden und ſagte: Ich werde mich gleich ganz deutlich machen, Herr Schrimbs oder Peppel.
Freiherr von Münchhauſen, wenn ich bitten darf, rief der Held, ſich ſelbſt vergeſſend.
Deſto beſſer. So ſind Sie alſo von Adel und ich kann Sie bei dieſer Qualität für mein Vor - haben um ſo feſter halten.
Münchhauſen machte Schritte nach dem Fenſter zu. Der Jäger aber, welcher allen ſeinen Bewe - gungen mit dem Scharfblicke eines Falken folgte, ſprang ihm vor und warf die von außen angelehnte Leiter in den Hof. — Sie ſcheinen mich ver - hindern zu wollen, friſche Luft zu ſchöpfen, ſagte Münchhauſen, gezwungen lächelnd.
Mein Herr, fuhr der Jäger mit ſeiner tiefen Stimme, die in dieſem Raume wie ein Donner klang, auf, ich will im Gegentheile mit Ihnen einen Gang in die freie Luft machen. Zu dieſer Piſtole wird ſich eine Zweite hier irgend wo herum finden, denn ein Paar gehört immer zuſammen,365 und ſonach erſuche ich Sie, mir anzuzeigen, wo dieſe Zweite liegt und etwas Pulver und Blei, denn ſo wahr ich Der bin, deſſen Namen Sie ge - nannt haben, heute werden Sie mir nicht ver - ſchwinden, ſondern mir für das anmuthige Mähr - lein vom Gänſerich und Gänschen Rede ſtehen. Obgleich ich Sie beinahe vergeſſen hatte, in ganz andere Empfindungen verloren, ſo lebt doch bei Ihrem Anblicke in mir das Gedächtniß an Das auf, was ich mir und hauptſächlich meiner An - verwandten ſchuldig bin.
Wenn ich mich über den Sinn Ihrer Reden nicht täuſche, ſo wollen Sie ſich mit mir ſchießen? ſagte der Freiherr, mit den Naſenflügeln zitternd. — Sein Gegner machte eine unruhige Bewegung. — Nur noch eine Frage: War das Mährchen von Gänſerich und Gänschen witzig? — Der Jäger ſchlug die Augen nieder. — Nun denn — Ihr Schweigen iſt auch eine Antwort — was beweiſet dann Ihr Piſtolenſchuß gegen den Witz? Sie ſchießen das ſterbliche Individuum Münchhauſen nieder, der Witz bleibt von Ihrer Kugel ungetroffen und lebt unſterblich fort.
Es iſt noch ſehr die Frage, ob ich Sie treffe;366 Sie können eben ſo wohl mich erſchießen! rief der Jäger.
Nein, ſagte Münchhauſen auf einmal ganz ruhig, indem er den Jäger von oben bis unten mit ſeinen Blicken muſterte, Sie werden mich todt ſchießen, wenn ich mich Ihrem Piſtolenlaufe gegen - über ſtelle. Ich weiß das ſicherlich. Der ver - rückte Zufall, der die Verſpätung meiner Perſon an dieſem Orte zuließ, der Sie nicht einige Mi - nuten ſpäter kommen machte, wo Sie in das leere Neſt getreten wären, beweiſet mir, daß das Schick - ſal gegenwärtig betrunken iſt und hin und her torkelt. Mich ergreift, mich ergreift die heiße, dicke, blinde Fauſt! Gerade ſo ein junger Herr und Graf, der ein junger Herr und Graf iſt, wird berufen, einem Manne, wie ich bin, das Lebenslicht auszublaſen. Ich weiß, daß Sie noch nie etwas getroffen haben, mich würden Sie treffen, wenn ich ſo toll wäre, Ihnen zur Scheibe zu die - nen. Um alſo Ihnen ein großes Verbrechen an den Erwartungen der Welt und der Welt einen großen Verluſt zu erſparen —
Refüſiren Sie das Duell? fragte der Jäger zornfunkelnd.
367Ja, verſetzte der Freiherr ruhig. — Das Duell iſt für Narren und junge Landjunker, die weiter nichts als Blut in ſich haben. Wiſſen Sie, was in mir ſteckt? Geiſt! Geiſt! Geiſt! Wenn ich ſterbe, ſtirbt ein ganzes Göttergeſchlecht von Ein - fällen, Phantaſien, unvergleichlichen Sprüngen der Laune und Erfindung. Können Sie meinen über das ganze Erdenrund verbreiteten Anhängern Erſatz ſchaffen? Nein. Sind Sie im Stande, den Erb - prinzen über mich zu tröſten? Nein. Und alſo ſage ich Ihnen, wie Mirabeau ſeinen Herausfor - derern, die ihn mit dem Munde nicht widerlegen konnten, ſagte: Wartet, bis die Conſtitution fertig ſeyn wird — warten Sie, bis ich alle meine Erzählungen, die dieſes Rund wie ungeborene Embryonen bevölkern, vorgetragen haben werde. — Er ſchlug bei den letzten Worten an ſeinen Kopf.
Des Jägers Züge begannen, die äußerſte Ver - achtung auszudrücken. Seine Geſtalt erhob ſich ſtolz, er ſtand wie ein Löwe da, der, ſeine Beute zu verſchlingen eben im Begriff, plötzlich von ihrem Zittern zu einer geringſchätzigen Großmuth hinge - riſſen, die aufgehobene Tatze ſinken läßt.
368Münchhauſen’s Glieder flogen, er faßte irr mit der Hand in ſein Haar, welches ſich geſträubt hatte. Es war ein erbarmenswürdiger Anblick. — Ja, rief er dumpf und keuchend, indem er die Worte mühſam hervorſtieß, ich fürchte mich vor dem Tode! Der gedankenloſeſte Narr, der ſich nicht vor ihm fürchtet! Da wird mein Leib liegen, und da herum verſpritzt mein Gehirn, die Werk - ſtatt prächtiger Gebilde. Um den Mund noch ein Spott, der nicht ſterben kann, und den die bleichen Lippen doch verſchweigen müſſen. Und dann die erſtickende Erde über Einem — eingepackt wie ein Hering, nur leider nicht eingeſalzen — dieſes all - gemeine Burken der Menſchengeſchlechter — und endlich gar die Würmer — o pfui! pfui! Aus — aus mit dem letzten Athemzuge!
Woher kommen wir, als aus dem Nichts? — Wohin werden wir gehen anders als in’s Nichts? Wir entſtehen, alſo werden wir auch vergehen. Läugnet die Conſequenz, wenn Ihr’s wagt! Ich ſagte es mir oft, wenn ich um Mitternacht bei meiner Kerze eingeſchlafen war, dann auffuhr in Gedanken der Vernichtung und mein entſetztes Geſicht gegenüber im Spiegel ſah …
369Aber das Leben auch nur ein Fieber, ein Fieber des Nichts, mithin ein krankes Nichts! — ſchüttelt’s ab, ihr meine Nerven, laßt Euch nicht unterkriegen, Ihr meine tapferen Muskeln und Sehnen — die Kno - chen bleiben ja doch eine Zeit lang nachher übrig — nichts in der Welt geht über ein ſchönes, reinliches Ske - lett — ſo — ſo — ſo — ah! ah! Luft! Wärme! Im - mer beſſer! beſſer! Dieu merci, es iſt überſtanden —
Der Jäger hatte während dieſer verworrenen Reden dem Freiherrn den Rücken gewendet und das Piſtol an einen Nagel gehängt. Jetzt wollte er, ohne dem von ihm verachteten Feinde einen Blick zu gönnen, aus der Thüre gehen. Münchhauſen aber rief ihm mit feſter Stimme zu: Herr Graf, ich erſuche Sie, zu bleiben! — Der Jäger drehte ſich um und ſah erſtaunt einen verwandelten Menſchen. Münchhauſen’s Glieder hatten Ruhe gewonnen, er ſtand, wie ein Mann ſtehen muß, ſein Geſicht ſah gleichmüthig und zuverſichtlich aus.
Im geſetzteſten Tone ſprach er: Wenn Sie ſich zu dem alten Herrn Baron hinauf bemühen wollen, der ſich da oben mit Holzhacken ein Vergnügen zu machen ſcheint, ſo werden Sie vermuthlich von ihm eine zweite Piſtole nebſt Pulver und KugelnImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 24370erhalten können. Ich nehme dieſe da an der Wand und bin bereit, mit Ihnen draußen die begehrte Schießübung anzuſtellen.
Die Reihe, in Verwirrung zu gerathen, war jetzt an dem Jäger, der ſich in dieſe plötzliche Umwandelung einer Memme nicht zu finden wußte. — Gehen Sie, mein Herr, ſagte Münchhauſen, warum ſtaunen Sie? Der Muth iſt ein Paroxys - mus, die Feigheit iſt auch ein Paroxysmus. Ich habe dieſen Paroxysmus, an dem manche Menſchen Zeitlebens leiden, in einem acuten Anfalle über - ſtanden. Fortan werde ich ſeyn, was freilich bis jetzt zu dem vollen Blüthenkranze meiner Eigen - ſchaften noch mangelte, ein todverachtender Held.
Der junge Jäger, der ſich dieſem urplötzlich entſtandenen Heroismus gegenüber mit Worten nicht zu helfen wußte, fuhr in ſeiner Unbehülf - lichkeit heraus: Ich fürchte, Sie ſind auch darin nur wieder ein Lügner.
Lügner! rief Münchhauſen ſtolz. — Jetzt haben Sie mich beleidigt, ſtärker, als ich Sie beleidigt hatte. Ich könnte jetzt den erſten Schuß verlan - gen; der Lügner verzichtet aber auf dieſes Recht. — Lügner! wiederholte er mit Hoheit. Es kann371 ſeyn, daß mir der Mund über dieſes Capitel bald verſiegelt werden wird. Deßhalb fühle ich mich veranlaßt, Ihnen in aller Kürze ein Collegium von Lüge und Wahrheit zu leſen.
Herr Graf, alle Menſchen ſind Lügner, nur mehr oder weniger entwickelte. Die ſogenannten tugendhaften und edeln Charaktere haben nur nicht den Verſtand zur echten und vollkommenen Lüge; ihre Lüge bleibt ihnen im Blute, zwiſchen dem maſſigen Fleiſche oder den dicken Stirnhäuten ſtecken, ſie bringen es höchſtens zur Halblüge, zu der egoiſtiſchen Lüge. Lügen Sie nicht, Herr Graf, wenn Sie ſich ſo zornig, ſo nach meinem Blute lüſtern darſtellen, oder thun, als liege Ihnen die Ehre Ihrer Muhme Clelia am Herzen? Das Duell mit mir iſt Ihnen im Grunde ganz gleichgültig, aber Sie haben Ihren ſchwäbiſchen Vettern geſagt: Wo ich den Schelm treffe, da geht es ihm übel, und nun halten Sie Ihr Wort, wie wenn Sie geſagt hätten: Heute Nachmittag wollen wir zu - ſammen ſpazieren gehen. — Hinz lügt, wenn er zu Kunzen ſagt: Ich freue mich, Sie wohl zu ſehen, denn er weiß gar nicht, ob Kunzen wohl iſt und von Freude iſt ſein Herz weit entfernt; Kunz24*372lügt, wenn er an Hinzen ſchreibt: Der Ihrige, denn er gehörte niemals Hinzen. Der Familien - vater lügt, wenn er von Pflichten gegen Frau und Kinder redet; nein, ſein Haus iſt ſeine Bequem - lichkeit, und die muß er ſich natürlich ſeiner - ſeits auch zu erhalten wiſſen; der Offizier, der ſeine Leute mit einer Rede vom Vaterlande in das Feuer führt, lügt; denn an das Vaterland denkt er nicht, ſondern an’s Avancement, wenn die Burſche ihm muthig folgen; der Prediger auf der Kanzel lügt, der Richter im Richterſtuhle lügt, der Fürſt auf dem Throne lügt — ſie lügen Alle, Alle, nur haben ſie nicht die Virtuoſität darin, ſie bringen ungeſchickte, phantaſieloſe, entkräftete Lügen hervor, nnd ihr ſchweres Blut, ihr maſſiges Fleiſch, ihre dicken Stirnhäute nennen die Halb - lügner Tugend.
Wie anders bei uns begünſtigten Sonntags - kindern, deren es freilich immer nur wenige giebt, ich aber bin ihr Chef! Gleich ſchönen, nackten, ſchlafenden Mädchen liegen die Dinge um uns her, der Empfängniß gewärtig; wir heirathen ſie nicht in plumper Ehe, wir zeugen nicht mit ihnen ſchläfrig-legitime Kinder, nein, Don Juans der373 Erfindung, gehen wir zwiſchen dieſen wollüſtig geöffneten Lippen, zwiſchen dieſen Buſen und Hüften auf und nieder und ſcherzen hier und küſſen dort, und erwacht fühlen ſie ſich Mütter, worüber die alten Vettern und Baſen ſich des Todes ver - wundern wollen; den geſegneten Schooßen aber entſpringen kleine muthige Kobolde, tolle Kinder der Liebe, an denen freilich kein gutes Haar und kein wahres Wort iſt. — Sie ſind ein durchaus rechtſchaffener Mann, Herr Graf, und unfähig ſolches Leichtſinnes, danken Sie Gott für Ihre Tugend, aber richten Sie nicht über Unſer Einen. Ich bin der Cäſar der Lügen; ich kann von mir ſagen, wie „ der krummnaſige Kerl von Rom “: Ich kam, ſah und — log!
Jetzt hole ich das Piſtol! rief der Jäger.
Das wäre nun eine Antwort! — Aber halt noch einen Augenblick! ſagte Münchhauſen, zog aus ſeinem Buſen eine goldene Kapſel von ziem - licher Größe, drückte am Charnier, daß ſie auf - ſprang und ließ den Jäger hineinſehen. Es lag ein Päckchen Staatspapiere, feſt zuſammengefaltet, darin, und am inneren Rande waren Namen ein - gravirt, die der Jäger auf das Geheiß ſeines374 wunderlichen Feindes leſen mußte. — Was ſoll das? fragte er.
Ein Vermächtniß an Ihre Ehre, wenn ich blei - ben ſollte, ſagte Münchhauſen. In Fällen, wie der unſrige, wo man ſich ohne Secundanten ſchießt, iſt der Ueberlebende zu ſolchen Ritterdienſten ver - pflichtet. Ich habe eine Tochter —
Sie?
Ich; hab’ ſie, weil ſie mein iſt, könnte ich mit Polonius ſagen, wollte ich ſcherzen, ich will aber über dieſe Tochter nicht ſcherzen. — Mein Herr, ich werde Ihnen jetzt nichts vorſeufzen, mein Herr, ich werde Ihnen nichts vorweinen, überhaupt, mein Herr, nicht den Sentimentalen vor Ihnen ſpielen; ich werde Ihnen nur ſagen, daß, auch wenn man viel gelogen und manches Abentheuer gehabt hat, es immer ein eigenes Gefühl bleibt, eine Tochter zu beſitzen, von der man nicht weiß, wo ſie iſt. Ich zeugte ſie vor nunmehr zwanzig Jahren fern von hier mit einer einfältigen aber ziemlich hüb - ſchen Gans. Sie laſen die Namen der Mutter, des Orts, auch wie ich damals hieß. Wenige Wochen nach ihrer Geburt ſah ich ſie zufällig bei einem alten Weibe, der ſie übergeben worden war,375 und — da nahm ich mir einen Augenblick vor, zu werden, was man einen ordentlichen, geſetzten Mann nennt. Ich gab der Alten meine Baarſchaft für das Kind, weil es aber nicht viel war, ſo ſuchte ich ihren Eigennutz durch Hoffnungen zu ködern, imaginirte eine höchſt ſeltſame Vorrichtung von Inſtrument, welches, wenn es richtig gebraucht wurde, die Herkunft des Kindes offenbarte, und bildete der Vettel ein, dadurch werde einmal ein hoher Stand ihres Pfleglings an das Tageslicht kommen. — So glaubte ich vorläufig für mein Fleiſch und Blut geſorgt zu haben. Aber ich täuſchte mich, denn als ich nach einiger Zeit in beſſeren Umſtänden mich wieder nach dem Kinde erkundigte, war das alte Weib durchgegangen, hatte vermuthlich mein Geld ſich zu Nutze gemacht und den Säugling vor eine fremde Pforte gelegt.
Wenn man Ihnen nur glauben dürfte —
Hier aber gerieth der Freiherr in einen erha - benen Zorn, daß er ſelbſt ſeinem jungen Feinde imponirte. Er ballte die Fäuſte, knirſchte mit den Zähnen, rollte die Augen, ſtampfte mit den Füßen und rannte wie raſend einigemale auf und nieder. — Bei Himmel und Hölle! rief er, wenn376 man ein Genie iſt, muß man darum ein Gaudieb ſeyn? — Bin ich ein zuſammengeronnener Ho - munculus, wie der Spitzbube Karl mir nachplau - derte, oder bin ich nicht ein Fabricat, in derſelben Retorte ausgebacken, worin Ihr Anderen Alle aus - gebacken wurdet? — Sackerlot! Wenn ich von dem Kinde rede, ſo meine ich’s ernſthaft, obgleich durchaus nicht empfindelnd — ich bitte mir Glau - ben für dieſe Verſicherung aus. — Aber ich denke ſie mir ſo reizend, ſo ſchön, ſo gut — ſo — ſo … ich kann’s nicht ausſprechen, wie ich ſie mir denke. An etwas muß der Menſch ſeine Gedanken hängen, wenn er auch kein Herz hat.
Er ſchlug wüthend an ſeine Bruſt und ſchrie faſt: Nein! Nein! Hier iſt kein Herz drinnen, ich weiß es! Alles leer, nüchtern, dumpf — oh! hu! ’s iſt, als wenn man an einen hohlen Topf ſchlägt. — Was kann ich dafür? Warum hat er mir keins hineingeſchaffen? Anderen giebt er keinen Ver - ſtand, die werden von Jedermann entſchuldigt; mir gab er kein Herz, und die Entſchuldigung ſoll nicht gelten? — Aber Gedanken habe ich und die hangen an der Tochter. Immer ſuchte ich ſie, nimmer fand ich ſie. Indeſſen habe ich einen Freund377 bei Ihnen in Stuttgart, der hat mir vor Kurzem Hoffnung gemacht, es ſei vielleicht möglich, dem Daſeyn des Kindes noch auf die Spur zu kommen. Ich ſchreibe ſeine Adreſſe auf, derweil Sie hin - aufgehen. Schießen Sie mich todt, ſo beſorgen Sie die Kapſel an die Adreſſe. Der Inhalt ge - hört dem Kinde, wenn es entdeckt wird, es iſt von Geſchenken erſpart, die ich hin und wieder bekam, und ich habe lieber gehungert, als berührt, was ich einmal in der Kapſel zurückgelegt hatte.
Jetzt gehen Sie, und holen Sie die zweite Piſtole!
Der junge Jäger, welchem in dieſem tollen Schloſſe ſo unerwartete Dinge begegnen ſollten, ging wie träumend die Söllertreppe hinauf, dem Schalle der Beilſchläge nach, welche mit kurzen Zwiſchenpauſen immer von Neuem zu tönen be - gannen. Er öffnete die Thüre der Bodenkammer, welche die Gerichtsſtube des Schloßherrn bedeuten mußte, aber da hatte er einen Anblick, der ihm Grauen und Schreck erregte. Der alte Baron wirthſchaftete nämlich in dem verwirrteſten Auf - zuge dort umher. Er hatte ſich eine Pferdedecke wie einen Mantel um die Schultern geworfen, auf den Kopf einen alten Damenhut mit verbliche - nen Blumen geſetzt, einen Strick wie eine Kette ſich um den Hals geknüpft. Die weißen Haare379 ſahen ſtruppicht unter dem Hute in einzelnen Flocken hervor, die Augen ſtarrten wild und glä - ſern — ſo trieb er, ein komiſcher Lear, die Werke des Wahnſinns, welchen Nachtwachen, Erwartungen, Grübeln, Zorn und zuletzt die aberwitzigſten Phan - taſtereien in ihm ausgebrütet hatten. Er fuhr mit großen Schritten auf der Bodenkammer hin und her, ein Beil in der Hand; der Tiſch war zur Seite geſchleudert, der alte Lehnſtuhl lag in Trümmern, um dieſe Trümmer hatte er Kleidungs - ſtücke, Flaſchen, Gerüll und Gerümpel aller Art, welches die Bodenkammer verwahrte, aufgehäuft. Jetzt lief er mit dem Beile an das Giebelfenſter, bog ſich hinaus, hackte an der Stütze, welche gegen die Giebelwand gelehnt war, dann kehrte er zu dem Gerümpel zurück, nahm was er faſſen konnte und warf Kleider, Flaſchen, zerbrochenes Geräth zum Fenſter hinaus. So wechſelte er in ſeinen verrückten Beſchäftigungen von Secunde zu Se - cunde ab und trieb dieſelben mit ſolcher Anſtren - gung, daß ihm der Schweiß vom Haupte floß. Dazwiſchen rief er mit voller und tönender Stimme unverſtändliche Worte wie: Fort mit Euch! Fort mit Euch Eindringlingen, erkennt Euren Herrn,380 der in Frankfurt gekrönt wurde, dem Ihr Treue auf die Wahlcapitulation geſprochen habt!
Der Jäger hatte ſich bei ſeinem Eintreten in eine Ecke gedrückt und ſah dem unheimlichen Schau - ſpiele einige Minuten lang entſetzt zu. Dann faßte er ſich ein Herz, ſchritt muthig vor, ging zu dem Wahnwitzigen, der eben wieder am Hacken war und ſagte feſten Tones: Herr Baron, was treiben Sie?
Der Alte fuhr haſtig herum, ſah den Jäger mit ſeinen ſtarren Augen groß an, ſchwang das Beil und rief: Sie müſſen ſehr unwiſſend ſeyn, daß Sie mich ſo fragen. Kennen Sie den letzten deutſchen Kaiſer nicht? Mein Bruder iſt gebore - ner Geheimerrath im höchſten Gericht. Ich ward in Frankfurt geſalbt und gekrönt. — Nun legte er die Hand an ſeine Stirn, wie wenn er nach - ſänne und ſprach dann leiſer, wie ein Menſch, der im Schlaf redet: Ich war lange abweſend — lange — lange — gefangen genommen vom Reichsfeinde, von Münchhauſen — o pfui! nannte mich Du mit einem Munkel — Luftverſteinerung — Actien auf Jeſuiten — und dann — dann —
Aber — hier richtete er ſich majeſtätiſch auf und ſeine Stimme donnerte — das heilige Römi -381 ſche Reich iſt ewig, die alten Verhältniſſe kehren immer wieder und der Kaiſer ſtirbt nicht. — Ich komme zurück, jedoch da iſt Alles in Unordnung, da hat ſich Geniſt aller Orten eingehängt, da muß ich Ordnung ſtiften und reine Bahn machen.
Er warf die Trümmer des Lehnſtuhls hinaus und ein Paar leerer Flaſchen. — Das ſind die Fürſten! rief er. Wie haben ſie ſich mauſig ge - macht! Aber ich leide keine Hoheit neben meiner, denn ich bin der Kaiſer. — Er hackte draußen vor dem Giebelfenſter. — Den Bundestag habe ich bald durchgehackt, dieſe Stütze iſt ohnehin ſehr morſch! rief er erhaben lachend.
Bei dieſen grauenvoll lächerlichen Dingen faßte ſich der Jäger in den geſunden Tiefen ſeines ſchwä - biſchen Herzens und ſprach zu ſich: Der unglück - liche Alte hat den Verſtand verloren und du kannſt ihn in dieſem Zuſtande nicht um die Lisbeth bitten. Sie iſt dein, das Mädchen, du wirſt ihr den trau - rigen Zuſtand mit Schonung beibringen und ihr dann für den armen Pflegevater ſorgen helfen. Jetzt haſt du weiter nichts hier zu thun, als dich mit dem verruchten Schrimbs oder Peppel oder Freiherrn von Münchhauſen zu ſchießen. — Er382 konnte nicht wiſſen, in welche Gefahr der Alte ſich und ihn durch das Hacken ſetzte, ſonſt würde er ihm mit Gewalt das Beil entwunden haben.
Walpurgisnacht bei Tage! ſetzte er, ſich den - noch ſchüttelnd vor Grauen, ſeinen Worten hinzu. Er ſah die zweite Piſtole auf dem Tiſche liegen, die nahm er und das Pulverhorn dazu; beides ſteckte er zu ſich. Sein ſcharfes Auge ſpähte nach Kugeln; es entdeckte ſich ihm ein lederner Beutel, der von einem Brette herabhing, welches der Alte durch das Hinwegräumen des Gerülls von ſeiner Verhüllung entblößt hatte. Er ging nach dem Brette, ſeine Vermuthung täuſchte ihn nicht, es war ein Kugelbeutel, der da herabhing.
Er nahm ihn, da rollte Etwas nach, was auch auf dem Brette vergeſſen gelegen hatte, es fiel auf den Boden. Mechaniſch hob er es auf; es war ein Cylinder mit dickem Staube überzo - gen, viele Jahre mochte der dort gelegen haben. Ein Papier war um den Cylinder gewunden.
Der alte Baron ſchoß wie ein Pfeil herbei und faßte beide Arme des jungen Mannes. Halt Räuber! rief er, du darfſt die Mitgift der kaiſerlichen Prinzeſſin nicht entwenden. — Ja! 383Ja! — ſagte er, den Cylinder tiefſinnig betrachtend und das Papier von demſelben loswickelnd; das iſt die Mitgift der kaiſerlichen Prinzeſſin, meiner lieben Tochter. — Der Jäger mochte mit dieſem neuen Ausbruche des Unſinns nichts weiter zu ſchaffen haben, er ließ daher dem Alten, was die - ſem ſo wichtig zu ſeyn ſchien, und wollte gehen. Der Alte hatte das Papier, auf welchem, wie dem Jäger ein flüchtiger Blick gezeigt hatte, in den Ecken allerhand Buchſtaben und Charaktere ſtanden, glatt und grade geſtrichen, die Gläſer des Cylin - ders abgewiſcht und hindurch geſehen. — Ach Lis - beth! Lisbeth! ſeufzte er.
Dieſes Zauberwort feſſelte den Jäger an die Stätte. Zu ſeiner Verwunderung ſah er, daß der Alte ſich platt auf den Boden ſetzte und bit - terlich zu weinen anfing wie ein Kind. Ach, ſagte er und ſah wieder durch den Cylinder in die leere Luft, indem er dabei das Blatt Papier ſteif in der anderen Hand hielt, ich ſehe mein Kind Lisbeth noch immer nicht dadurch. O wie gern legte ich mei - nen Kopf auf ihren Schooß und ließe ihn ſtreicheln von ihren ſanften Händen, denn die Regierungsſorgen machen müde und ein Kaiſer bleibt auch ein Menſch!
384Vergebens bemühte ſich der Jäger, Aufſchlüſſe von dem Alten zu erlangen. Dieſer faſelte nur durcheinander von Lisbeth und von der kaiſerlichen Prinzeſſin, welche einſt die Mitgift in das Haus gebracht habe, aber durch die Gläſer nicht zu ent - decken ſei.
Hm! rief der Jäger, der vor Ungeduld brannte, irgend etwas zu entdecken, was die unſichtbaren Keime der Dinge, die um ihn her zu ſproſſen ſchienen, an das Tageslicht bringen möchte; das Ding da muß doch eine Beziehung auf die Lisbeth haben. Was iſt es denn eigentlich? — Er nahm es dem Alten aus der Hand, der nun ganz weich und nachgiebig geworden war, ſeine Thränen abge - trocknet hatte und ſelig lächelte, weil dem zerſtörten Geiſte die Geſtalt der lieblichen Pflegetochter vor - ſchwebte. Es bedurfte keiner langen Unterſuchung um ihn in’s Klare zu ſetzen. Der Cylinder war eine jener optiſchen Spielereien mit einem Ocular - glaſe und einem concentrirenden Objectivglaſe, wel - ches verſchiedene Figuren oder einzelne Buchſtaben, die auf einer Fläche umher zerſtreut ſind, zum Bilde oder zum lesbaren Satze verſammelt. Man fertigt zu dieſen Gläſern Blätter, die in der Mitte385 wenn der Scherz vollkommen ſeyn ſoll, ein kleines Bild oder ein Wort tragen, in den Ecken und Winkeln umher aber nur ein ſinnloſes Gemiſch zeigen. Sieht man nun auf ein ſolches Blatt durch das Glas, ſo verſchwindet, was in der Mitte ſteht und es fügt ſich aus den Ecken und Winkeln eine andere Geſtaltung zuſammen.
Der Jäger nahm auch das Blatt dem Alten aus der Hand. In der Mitte ſtand das Wort: Nizza und kein Comma oder Punctum dahinter. Er ſtellte ſich an den Tiſch, legte das Blatt zurecht und richtete das Glas darauf, um zu ſehen, was ihm daſſelbe aus den Ecken und Winkeln zu - ſammenführen würde.
Das Auge des Dichters gleicht einem ſolchen Glaſe. Es verſammelt zum Bilde, was weit um - her zerſtreut iſt und keine Geſtalt annehmen zu können ſcheint, und oft verſchwindet ihm das, was ihm zunächſt vorſchwebt.
Münchhauſen ſchrieb unten haſtig ſeinen Kreuz - und Querbrief an den Erbprinzen und deſſen Va - ter zu Ende, ſiegelte beide, ſetzte die Adreſſe anImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 25386den Freund in Stuttgart auf, that ſie in die gol - dene Kapſel und ſagte: Es iſt nicht wahr, daß ich mich nicht vor dem Tode fürchte, aber ich habe Ehre zwiſchen mich und meine Feigheit geſchoben, getrieben, gekeilt; Ehre ſteckt wie ein Pflock vor der Feigheit und läßt ſie nicht zum Herzen drin - gen, Ehre iſt etwas Großes und mehr werth als Tugend, denn zur Ehre gehört kein Herz, ohne welches Tugend ſich nicht zu behelfen weiß.
Brav will ich ſterben, wie ein Bräutigam! rief er. — Als Offizier ſieht man ſelbſt noch im Tode beſſer aus, darum raſch meine Uniform angelegt, meine rothe Phantaſieuniform und hinweg ihr un - angenehmen Erinnerungen, die Ihr Euch an den Rock hängt! Sie iſt todt! todt! todt! die Gans, oder eingeſperrt, oder verheirathet. O du meines Lebens einzige Lüge, deren ich mich ſchäme und die mir ſelbſt dieſe Abſchiedsſtunde vergiften will, hinweg!
Er legte die rothe Uniform an, ſetzte den Of - fizierhut auf, der aus dem kleinen Klack entſtan - den war, ſah ſich mit einer Art von ſchmerzlichem Wohlgefallen im Spiegel und philoſophirte, ver - muthlich um den Pflock vor ſeinem Herzen feſtzu -387 halten, ſo weiter: Ein Edelmann zu ſeyn, uner - meßlicher Vortheil, unſchätzbares Glück, ſelbſt wenn man, wie ich, nicht die Ehre hat der Freiherr von Münchhauſen zu ſeyn, ſondern nur der — doch ſtill! Selbſt die Lüfte ſollen nicht erfahren, wer ich bin. — Karl! — Als Schrimbs, Peppel, Reifenſchläger liefe ich jetzt fort, wahrhaftig, ſo thäte ich, als Freiherr von Münchhauſen halte ich Stich. Karl! — Wo bleibt der Schlingel? Ich will ihn noch abſtrafen vor meinem Ende, das ſoll meine letzte gute Handlung auf Erden ſeyn. — Thut der Name ſchon ſo viel, wie viel mehr erſt die Sache. Ja, der Adel iſt eine Magie, Bourgeoiſie und Philoſophie mögen ſagen, was ſie wollen. Adel iſt eine Schrift mit ſympathetiſcher Dinte; tauſendmal verſchwunden kommt ſie immer wieder zum Vorſchein. Selbſt, wenn man ſich in eigener Perſon zum Ritter ſchlägt, kriegt man Ehre, und Ehre iſt wieder eine Magie, ein Bann, eine Zauberformel. Hätten die Haſen Ehre, ſie ſtänden wie die Löwen. Wohl hatte Heine Recht, wenn er ſagte, Mirabeau würde den Thron zu erſchüttern nicht den Muth gehabt haben, wäre er nicht Graf geweſen, und ich ſage, der Artillerie -25*388lieutenant Bonaparte wäre nicht Kaiſer der Fran - zoſen geworden, hätten ſeine Vorfahren nicht im goldenen Buche von Bologna geſtanden. Hundert bürgerliche Stimmen in mir rufen: Reiß aus, denn du kannſt es, reiß aus vor dieſem mörderi - ſchen Schwaben! Aber Münchhauſen ſteht, Münch - hauſen ſteht wie ein Held, Münchhauſen wird als Held zu fallen wiſſen. Karl! Karl! Ich muß den Eſel mir ſelbſt herbeiholen.
Münchhauſen ſchoß in ſeiner rothen Uniform gleich einer Feuerflamme des Herrn durch den Vorſaal, die Treppe hinunter, aus dem Hauſe nach dem Garten, um den Schneckenberg zu er - klimmen, in deſſen Häuslein er den Diener ver - muthete.
In dieſem Augenblicke kam der junge Jäger vom Söller. Seine Schritte waren ſchwankend, er hielt ſich, was er wohl noch nie gethan hatte, am Treppengeländer feſt, wie ein Siecher. Es mußte ihm etwas ganz Unerhörtes begegnet ſeyn, denn man würde umſonſt verſuchen, den Ausdruck ſeines Antlitzes zu ſchildern. Ein halbes Lächeln389 wurde von Zügen des äußerſten Schmerzes und einer zornigen Verachtung durchſchnitten, Ueber - raſchung, Spott, herber Unwille, dieſer vielleicht nicht auf einen einzelnen Menſchen, ſondern auf ein unbarmherzig neckendes Geſchick, kämpften auf dieſen reinen Wangen, auf dieſer edeln Stirn, wie Sonnenblitze, Regenſchauer, fahle Lichter und tückiſche Wolkenſchatten an manchem Tage kämpfen, den die Natur auserſehen zu haben ſcheint, ge - heime Prozeſſe unter den Lamien, Empuſen und Lemuren zur Entſcheidung zu führen.
Seine Piſtole brachte er nicht mit. An dem Zimmer Münchhauſen’s ſchlich er vorbei, ſcheu wie ein Verbrecher. Er hielt die Hand den Augen vor, als fürchte er Jemand zu begegnen. Es war ein Knarren und Knacken in dem alten wurmfräßigen Schloſſe, als wolle der Baugeiſt, der es zuſam - mengefügt, ausziehen.
In dem Nebel draußen ſtanden die Gegenſtände unheimlich zu Schemen verſchattet. Er wollte eben den Weg nach der Schloßſtraße einſchlagen, als ein wilder Lärmen im Garten ſeine Schritte einen Au - genblick lang hemmte. Auf den Geſang des Fräu - leins, welchen er ſchon früher von weitem gehört390 hatte, war ſeine Aufmerkſamkeit nicht gerichtet ge - weſen; plötzlich aber ward Münchhauſen’s Stimme vernehmbar, welcher überlaut rief: Was! Hölle, Teufel und alle Furien und Parzen —
„ Jetzt holet das Schickſal, der Racker “—
Das Fräulein kreiſchte:
„ Erſt den Nußknacker, dann holt es mich! “
Gütiger Himmel, dieſe Kaiſerlich Birmaniſche Uniform —
Dieſer Anzug, — das rothe Kleid, der Pa - radiesvogel — o Tod und Elend! —
Das Gartenthor raſſelte. Eine Geſtalt kam herbeigeſprungen. Es war Münchhauſen. Er hatte den Hut verloren. Sein Haar flatterte im Winde. Als er den Jäger erblickte, rief er keu - chend: Bei meiner Ehre, ich wollte nicht ausrei - ßen, aber —
Ich — kann mich nicht mit Ihnen ſchießen! rief der Jäger und lachte zerſtört.
… Der böſe Feind iſt hinter mir … Saſſa! Adieu! — Er ſprang fort und über die Mauer.
Das Fräulein kam gelaufen, auch flatternden Haares. Rucciopuccio! Wo hatte ich meine Au -391 gen? — rief ſie und verſchwand nach wenigen Schritten im Nebel.
Walpurgisnacht bei Tage! murmelte der Jäger abermals. — Als er den Thalgrund erreicht hatte, hörte er hinter ſich oben ein Krachen und dann ein donnerartiges Getöſe, wie wenn ein Gebäude zuſammenſtürzt.
Der Schriftſteller, welcher ſeinen Namen zu dieſer Arabeskengeſchichte hergegeben hat, weil eben kein Anderer zu finden war, ſah ſich achtſam in der Krypte um. Dergleichen Krypten oder Klüfte finden ſich unter vielen katholiſchen Kirchen.
Die Kirche, von welcher hier die Rede iſt, gehörte ſonſt zu einer alten, reichen, nachmals aufgehobenen und endlich bis auf die Fundamente abgebrochenen Abtei. Sie iſt daher alt, reichver - ziert, nur etwas in Verfall gerathen. Neben dem Hochaltare und zu beiden Seiten deſſelben führen die unter einem Ueberbau befindlichen Stufen in die unterirdiſche Kirche. Durch Geräumigkeit und überall hin vertheilte Zierrathen entſpricht ſie dem oberen Tempel. Eine vierfache Reihe von kurzen, dicken Säulen trägt das Gewölbe, an den Capi -393 tälern der Säulen ſind bizarre Vogel -, Schlangen - und Menſchenköpfe angebracht; hinter dem Altare, der ſich in der Austiefung nach Morgen befindet, erhebt ſich das Kreuz und der Gekreuzigte hängt daran, Maria und Johannes ſtehen unten am Stamme des Kreuzes und dieſe ganze Gruppe iſt von derber Fauſt mit grellen Zügen der Trauer und des Schmerzes in Sandſtein ausgehauen, den man, in der Abſicht zu verſchönern, mit glänzend weißer Oelfarbe überſtrichen hat. Ringsumher ſind Seitenniſchen, in welchen die Paſſionsgeſchichte in kleineren Darſtellungen aus Holz oder Stein er - ſcheint, untermiſcht mit Grabmonumenten der Aebte, deren Einige dieſen unterirdiſchen Ort zu ihrer Beſtattung wählten. Die Steine, welche von einem Theile weggebrochenen Mauerwerks herrühren, lie - gen in einigen unordentlichen Haufen in dem dü - ſterſten Theile der Krypte umher, dazwiſchen liegen auch Pfeiler, welche ſchadhaft geworden waren und deßhalb hölzernen Stützbäumen haben Platz machen müſſen, und einer iſt ſchief gegen die Wand gelehnt.
Auch hier verbreitete die ewige Lampe ein dämmerndes Licht, welches mit dem durch die klei - nen Fenſteröffnungen von außen einfallenden Ta -394 gesſcheine verbunden, die wunderbarſten Schatten - ſpiele um die Gruppe am Kreuz, um die Kriegs - knechte, die den Heiland begleiten, um Simon von Cyrene, an den Gräbern, an den Pfeilern und ihren Capitälern umher ſchuf, und ſelbſt zwi - ſchen den Schutthaufen und den umgewandten Pfeilern dunkle geiſterhafte Winkel errichtete. Die Züge des Schmerzes ſahen in dieſem Lichte noch ſchärfer und entſetzlicher aus, ein fürchterlicher Hohn ſchien von den Fratzen an den Capitälern in ſie hineinzuſchreien; Schutt und Trümmer er - ſchienen größer als ſie waren.
Solche Krypten wurden als Grabeskirchen um die Gebeine der Märtyrer ausgetieft, über welchen ſich die Kirchen der alten Zeit erhoben. Denn wie das Heidenthum die Erfindungen des Lebens verewigte und die Stätten feſtlich bezeichnete, wo das Roß entſprang und der erſte Oelbaum gepflanzt wurde, ſo hat das Chriſtenthum mit ſeiner Erfin - dung Beſitz von der Erde genommen, mit dem Grabe. Erſt das Chriſtenthum hat das Grab er - funden und ſeine ſüßen Zauber. Die morſchen Kno - chen der Enthaupteten, Gepfählten und Geſteinig - ten machten, wo ſie lagen, das Land in der Runde395 umher zinsbar und über dem Erdreiche, welches das Blut der Zeugen gedüngt hatte, blühten die Rieſenblumen, die Dome, auf, in welchen Andacht, Askeſe, Pracht des Cultus und die Magie der Künſte wie ein berauſchender Duft wallte und wehte. —
Geadelt wurden die Grabeskirchen durch den Ge - danken an die Katakomben und Höhlen, in welchen die erſten Geſchlechter der Bekenner den Auferſtan - denen feierten, durch den Gedanken an das Grab der Gräber, welches den Auferſtandenen zu feſſeln unvermögend geweſen war.
Der Wanderer erlebte an dieſem einſamen Orte, wo alles Geſpenſtiſche, Schattenartige, Sonnen - abgewandte der Religion ſich zu einer Leichenorgie zuſammengefunden hatte, eine jener Stunden, die er ſeine myſtiſchen nennt, von denen er aber nach - mals nur ſtammelnd Rechenſchaft zu geben weiß. In dieſen Stunden malt ihm ſeine Phantaſie keine glänzenden Bilder vor, noch erlegt ihm der Ver - ſtand, der ſcharfe Schütz, einen haltbaren Satz, noch treibt ihm das Gefühl Thränen in das Auge, ſondern er iſt in den Dingen und ſie ſind in ihm. Ihr weſenhaftes Leben iſt der Pulsſchlag ſeines396 Blutes. — Indem er auf einem der umgeſtürzten Pfeiler ſaß, den Kopf auf den Arm geſtützt, um - ſpielt von den Schatten und Lichtern dieſer Gra - beskluft, war er in den frühen, buntgemiſchten Urſprungszeiten des Chriſtenthums und ſah die Götter im Streite mit dem Lamme. Lamm und Olymp kämpfen um die Seelen der gottverworre - nen Menſchen, die mit der einen Hand ſich an dem geheiligten Zeichen der äußerſten Schmach, mit der andern an den Hörnern des Altars anklammern. Sie eſſen das Fleiſch und trinken das Blut des Gottes, um den neuen Bund in ſich zu ſtärken; bis in die Grüfte der Todten wird der verwan - delte Wein geſpendet, um die Abgeſchiedenen von Hades und Tartarus fern zu halten und im Him - melreiche zu conſigniren, aber das hilft Alles nichts, die Götter ſind ſchlau und ſchleichen ſich unter mancherlei Verkleidungen in das feindliche Lager, dort neckenden Mißverſtand, Irren und Wirren anzurichten. Der Vogel der Juno ſpreizt ſein Rad an den Wänden der Katakomben aus und ſchreit von Unſterblichkeit, Bachus der Gott ſchickt ſeine Tiger, ſchleudert den Wurfſpieß in den Wein - berg des Herrn, Apoll erinnert ſich, wie er bei397 Admeten die Schafe gehütet und masquirt ſich als guter Hirte, frech zeigt ſich ſogar der Phallus in der Welt, welche Entſagung buchſtabirend einlernt, das allerſchwerſte Wort, das Wort, immer wieder von der armen Menſchenlippe vergeſſen.
Eigenthümliches Kampfgewimmel, ſchwärmen - des Larvenſpiel der Vorſtellungen! Wunder auf Wunder müſſen geſchehen, um die Macht des drän - genden Paganismus abzuwehren; dieſe Zeiten, die man zu den einfachſten, geiſtigſten des Chri - ſtenthums hat umprägen wollen, ſind die ſinnlich - ſten, materiellſten; man will es mit Händen grei - fen, das Heilige, der Glaube hat ſich in ſeinen eigenen Tiefen anſtatt der Wolken, die Zeus ver - ſammelt, und der Furche, in welche Demeter das Korn ſät, einen neuen Stoff erzeugt. Dieſer Stoff iſt die Thräne, das Leiden, das Geheimniß, die Ent - zückung. Er ſchwelgt an dem Stoffe, er genießt ihn.
Und nun? — Wer mag die Strömung nennen, in welcher das Schiff unſerer Tage fährt. Wer das Wort des Räthſels ausſprechen, an dem die Geſchlechter der Erde nagen? So viel iſt richtig; der Tod und der Himmel ſind zurückgewichen in den Hintergrund der Gedanken, und auf der Erde398 will der Menſch wieder menſchlich heimiſch werden. Heißt das: Er will das Fleiſch bei Champagner und Auſtern emancipiren? Nein. Heißt’s: Die Erde ſoll ihm nur das Miſtbeet ſeyn, in dem er ſich ſein Gemüſe zieht? Nein. — Sondern mit den Blitzen ſeines Geiſtes will er die Erde durch - dringen, daß ſie geiſtſchwanger werde, er will ſich an ihr eine Freundin ſeiner beſten Stunden, eine ernſte und doch heitere Gefährtin ſeiner reifſten und männlichſten Jahre gewinnen.
Und da wird wieder die Religion in das Mit - tel treten müſſen. Denn die Weltgeſchichte iſt immer nur das Gewand der Gottesgeſchichte. Aber wie? Der Athem der Zeit ſauſet, und wen er berührt, der weiß nicht, wie er geſtern dachte, noch wie er morgen denken wird. Abgethan liegt das Mittelalter hinter uns mit ſeinen zwei Ent - deckungen, der Hierarchie und der chriſtlichen Kunſt. Die Kunſt büßt, wo ſie ſich jetzt gegen den Him - mel wenden will, ihre Naivetät ein und mit der Naivetät hat eine Kunſt ihre Jungfrauſchaft ver - loren und mit ihrer Jungfrauſchaft Alles. Denn die Kunſt wird nie ehrbare Hausfrau und Mutter; ſie iſt entweder Jungfrau oder Metze. — Rom399 kann noch donnern und blitzen, es kann von man - cher ſäuerlichen Stimmung ausgebeutet werden, es kann ſogar noch großen Nutzen ſtiften durch Verbindung mit tüchtigen Welfen allzutölpelhaften Ghibellinen gegenüber, aber ſein Regiment iſt vor - bei, ſeitdem ſelbſt mancher Bauer weiß, daß man der Sonne nicht gebieten dürfe, um die Erde zu laufen.
Alſo eine neue Entdeckung thut der Religion Noth, wenn das dritte Weltalter anbrechen ſoll. Wie, wenn es abermals etwas von einem heiteren Paganismus annähme? — Wenn das Formeln - und Dogmenweſen aufhörte, und die Satzungen des tridentiniſchen Concils und die Sätze der ſymbo - liſchen Bücher ſich völlig und ehrlich antiquirten, anſtatt die gegenwärtige fictive Herrſchaft noch ſo fortzuſchleppen? Wenn die Sprüche des Evan - geliums nicht mehr gebraucht würden, die Men - ſchen und die Verhältniſſe zu verwirren? Wenn Jeder ſich rechtſchaffen überzeugte, das Chriſten - thum ſei eine von Ewigkeit beſchloſſene und in Ewigkeit fortzeugende Thatſache, erhaben über die kleinliche Diplomatie, die ſich in der Folgerung offenbart: Das darf nicht zugegeben werden; denn ſonſt fällt auch das und das über den Haufen?
400Der Geiſt der Geſchichte muß allgemeiner die Geiſter durchdringen, als bisher geſchehen iſt. Die Kirchengeſchichte muß die Menſchen mehr belehren als der Katechismus und das Credo und das Symbolum. Sich inniglich und haltbedürftig als eines der letzten Glieder der großen Kette zu em - pfinden, die aus unzähligen Ringen beſteht, unter denen auch die Secten, die Ketzereien, der Krieg gegen die Waldenſer und die Weihnacht zu Ca - noſſa ſo wenig fehlen dürfen, als die Concilien, die Gedanken der Kirchenväter und die Glaubens - thaten der Reformatoren — das wird das neue Chriſtenthum ſeyn, welches mit der Krippe zu Bethlehem im Buſen des Gläubigen beginnt und in deſſen letzten andächtigen Minute die jüngſte Offenbarung feiert. Die Erleber dieſer neuen Con - feſſion (denn Lippen werden nicht oft ſie zu beken - nen vermögend ſeyn, weil dieſes Dogma über das Wort hinausgeht) werden zugleich Katholiken ſeyn und Proteſtanten und Quäker und Ketzer. Anfangs wird die Gemeine klein ſeyn und verach - tet oder des abſcheulichſten Indifferentismus be - züchtiget, nach und nach wird ſie ſich ausbreiten und zuletzt die allgemeine Kirche werden.
401Die Stiftung dieſer Kirche wird nicht von dem Willen der Einzelnen abhangen. Unbewußt, durch ſchwere, vielleicht furchtbare Ereigniſſe wird der Geiſt Gottes ſein unwiderſtehliches Nöthigungs - recht ausüben. — Aber ſo ausgeweitet, in dieſem erſchloſſenen Bewußtſeyn, wird der Menſch erſt würdig ſeyn, von der Erde auf neue Weiſe Beſitz zu nehmen. Dann wird ſie ihm Kränze bieten, deren Duft und Glanz noch Niemand ahnet. In dem Sinne werden der Enkel Enkel wieder Hei - den werden, daß ſie es für Gewinn achten, wenn ſie einen Gott mehr bekommen.
Während der Schriftſteller ſich in der Krypte ſeinen zur Zeit noch verbotenen Gedanken ergab, trug ſich in der nahen Schenke eine derbe Scene des Lebens zu. In der Stube nämlich fuhr durch einen Kreis gaffender Bauern eine Geſtalt, deren auffallender Anzug durch die Eile, womit ſie ihr Ziel verfolgt hatte, in Unordnung gerathen war. Sie hatte eine Erkundigung angeſtellt, welche ihr von den Bauern nicht hatte gegeben werden kön - nen, und war darauf raſch zur Thüre hinaus wie - der dem Ziele ihrer Verfolgung nachgeeilt. Ob - gleich dieſe Geſtalt die wunderlichſte und lächer - lichſte Figur bildete, ſo lachten die Bauern dennoch nicht, ſondern ſtanden in ſtummen, nachdenklichen und zum Theil verlegenen Gruppen umher. Ei - nige ſtrichen ſich das Haar glatt, Andere ſagten: Hm! und Zwei legten den Finger an die Naſe. In der Mitte aber ſtand ein Mann, deſſen Anzug eine etwas höhere Beſchäftigung anzeigte, denn er403 trug einen abgeſchabten grauen Frack und eine gelbe Nankingmütze mit einer Troddel. Dieſer hatte eine beſonders nachdenkliche Miene angelegt, er öffnete endlich ſeinen Mund und ſprach: Hab’ ich’s Euch nicht hundertmal geſagt, Leute, die Natur ſteckt voller Wunder, hab’ ich’s nicht? Choc, Gegenchoc, das iſt ein großes Geheimniß.
Die Bauern gaben ihm theils mit Worten, theils durch Gebärden Recht, denn er erfreute ſich unter ihnen einer großen Autorität. Er war der Chirurgus, welcher Lisbeth verbunden hatte und erklärte alle Uebel, welche den Menſchen treffen können, aus dem Choc und Gegenchoc, wie er ſich in ſeiner Terminologie ausdrückte.
Zum Beiſpiel, fuhr der Chirurgus fort, indem er ein Glas Wachholderbranntwein gegen den böſen Nebel trank; die Natur draußen wird im Herbſt, oder ſo gegen das Frühjahr rheumatiſch, das thut ein Geſchnaube von Winden hin und her, in die - ſem Augenblicke warm, im nächſtfolgenden kalt, Regnen und Graupeln vom Himmel, Feuchtigkeit — mit einem Worte: Katarrh draußen — Choc — Gleich die Natur inwendig auch zu ſchnauben an - gefangen — Hitze, Kälte, Augen thränend und26*404fließend — Katarrh inwendig — Gegenchoc! Ver - ſtanden, Leute?
Die Bauern bejahten und gaben dem Chirur - gus vollkommen Recht, denn ſie hatten ſeine Theo - rie an Feier - und Werkeltagen oftmals vortragen hören, und ſie mit ihrem Spruche: Wie du mir, ſo ich dir, vollkommen übereinſtimmend gefunden. Aber wie die Anwendung derſelben auf die Perſon zu machen ſei, welche ſo eben das Zimmer ver - laſſen hatte, darüber waren ſie weniger im Klaren. Sie erwogen in ihren Geſprächen, wie das Fräu - lein, worüber ſie immer, wo ſie ſich gezeigt, we - gen ihren „ gecken “Reden gelacht, nun auf einmal ſo gefaßt und ganz bei ſich unter ſie getreten ſei, ſie gefragt habe, ob ſie keinen Mann in rother Uniform vorbeikommen geſehen, wie das Fräu - lein ſie beſchworen habe, ihr die Wahrheit zu ſagen und zu glanben, daß ſie wohl wiſſe, was ſie thue, denn ſie habe zwar früher viel an einen Fürſten gedacht und an ein Stiftskreuz, aber es könne ſeyn, daß dergleichen nur Lüge von einem Anderen, oder eine Einbildung von ihr geweſen ſei, den Mann jedoch habe ſie plötzlich an ſeiner rothen Uniform und an einem Liede wirklich und405 wahrhaftig wiedererkannt, und dieſen Mann müſſe ſie ausforſchen, denn er habe ihr einſt großes Un - recht zugefügt, und dafür müſſe er ihr Genug - thuung leiſten, ſollte ſie ihn auch bis an das Ende der Welt verfolgen. — Sie brachte das Alles ſo erbärmlich und anzüglich und ſo recht adrett her - aus, daß man ihr glauben mußte, und daß wir ihr gern den Rothen entdeckt hätten, wäre er uns nur bekannt geweſen, ſagte der alte Bauer, der ſich am geſprächigſten in jenen Erläuterungen gezeigt hatte. — Aber wo liegt hier der Choc? ſetzte er fragend hinzu.
Ja, und abſonderlich der Gegenchoc? fragte ein jüngerer Bauer.
Der Chirurgus ließ ſich noch ein Glas Wach - holderbranntwein geben, um ſeine Darſtellungs - kräfte zu ſchärfen, ſo thaten auch die Bauern um ihre Faſſungsgaben zu ſtärken. Nachdem die Glä - ſer geleert und dem Wirthe zurückgegeben worden waren, erhob der Chirurgus wieder ſeine Stimme und ſprach: Das wißt Ihr doch Alle, Leute, daß es ſich bei den Frauensperſonen lediglich und ganz allein um den Punct dreht, ob ſie einen Mann kriegen oder ob ſie keinen Mann kriegen?
406Verſteht ſich! riefen die Bauern ohne den min - deſten Zweifel.
Nun alſo. Ein Frauenzimmer, wie à propos das Fräulein, hat keinen Mann, aber vor Alters einen Liebhaber gehabt. Der Liebhaber iſt weg — Einſamkeit — lauter Einbildungen, Geckereien — pure Verrücktheit — Fürſt — Stiftskreuz. — Plötzlich von draußen der alte Liebhaber wieder da — Choc —
Freudig riefen die Bauern: Aha! Inwendig im Frauenzimmer auch nichts als der ſimple Liebha - ber — ſchlechtweg — Frauenzimmer wieder klug — Gegenchoc!
Der Chirurgus ſah mit großer Genugthuung umher und empfand ein außerordentliches Behagen, daß ſeine Lehren in dieſem Kreiſe ſchon ſo tiefe Wurzeln geſchlagen hatten und daß die Bauern mit einer leichten Nachhülfe von ſeiner Seite fertig zu argumentiren wußten. Das Geſpräch zwiſchen ihm und den Bauern ſetzte ſich nun über denſelben Gegenſtand, nämlich über die Verwandlung des Fräuleins, fort, und mancher Wunſch wurde laut, daß es ihr gelingen möge, ihren rothen Liebhaber einzuholen, obgleich es, wie Einige bemerkten,407 verwunderlich ſei, daß eine ſo alte Perſon hinter einem Manne her durch die Welt laufe. — Sie ſah aber auch heute im Geſicht ganz anders und jünger aus, bemerkte Einer. Das kam von der kalten Luft, verſetzte ein Anderer. Nein, vom Gegenchoc, ſprach der Chirurgus mit Anſehen und ſchloß durch dieſes Wort die Debatte.
Während der Geſpräche, deren Inhalt ſo eben nothdürftig angeführt worden iſt, fütterten vier Pferde vor dem Eingange zur Schenke aus Krip - pen, die ihnen untergeſtellt worden waren und in welche der Poſtillion Brot einſchnitt, in der Wirths - ſtube aber ſaß ein ernſter Mann hinter dem Tiſche in der Ecke. Die Pferde gehörten zu einer glän - zenden Reiſeequipage, welche an den Schlägen ein adeliches Wappen zeigte, unten und oben Maga - zine und hinten einen Sitz hatte, in welchem eine ſchlafende Kammerjungfer ſaß, während der Kam - merdiener, der mit ihr ſonſt den Sitz theilte, neben dem Schlage ſtand und in dieſer vom Dienſt freien Pauſe eine Cigarre rauchte. Denn die Herrſchaft war ungeachtet des dichten Nebels nach einer nahen romantiſch gelegenen Klippe gehüpft, um ſo viel zu ſehen, als eben zu ſehen war. Gehüpft —408 muß es heißen, denn ſie gingen nicht, ſondern ſie hüpften, wann ſie aus dem Wagen ſtiegen. Es waren junge vornehme Gatten, die unmittel - bar nach der Vermählung ihr friſches Glück durch die Welt ſpazieren führten.
Der Mann in der Stube ſaß dagegen ſehr ernſthaft hinter einem Buche und las. Er war ein alter Bekannter, ſogar ein Stück von einem ehe - maligen Nebenvormunde der jungen Dame. Zufällig hatte ſie ihn einen Tag nach ihrer Vermählung mit dem Cavalier aus den öſterreichiſchen Erblan - den getroffen, von ihm erfahren, daß auch er eine Rheinreiſe anzuſtellen im Begriff ſtehe und ihm ſogleich einen Platz in ihrem Wagen angeboten. Der junge Ehemann machte zwar über dieſen Zeu - gen ſeiner Flitterwochen ein etwas verdrießliches Geſicht, die junge Dame ſpürte einen Augenblick ſpäter aus gleichem Grunde eine leichte Reue, aber Verdrießlichkeit und Reue kamen zu ſpät, denn der ernſte Mann hatte das liebenswürdige Erbie - ten ſchon angenommen. Man mußte ſich alſo zu - ſammen auf den Weg begeben und in einander zu ſchicken ſuchen, wie es gehen wollte. Nicht wenig lachte die junge Dame, als ſie erfuhr, welches409 der eigentliche Reiſezweck ihres Begleiters ſei. Sie meinte, es ſei wunderſeltſam, daß die Vernunft hinter der Thorheit her jage, das Einholen ſei zweifelhaft, denn die Vernunft habe Elephanten - füße und die Thorheit federnde Sohlen. Und als er über dieſe leichten Reden ein verſtimmtes Ge - ſicht machen wollte, ſo hatte ſie muthwillig geru - fen: Was gilt die Wette, daß Sie der Einzige von uns Allen ſind, welcher auf dieſer Reiſe Schwa - benſtreiche begeht?
Nie war eine verſchiedenartigere Geſellſchaft zuſammen auf Reiſen geweſen. Die jungen Gat - ten wollten immer weiter, immer weiter, in Maynz ſprachen ſie von Rotterdam, in Coblenz von Am - ſterdam, in Cöln ſprach der junge Cavalier von England, was beſucht werden ſolle, ſeine Dame rief: Nein, Schottland muß ich wenigſtens ſehen! — Der ernſte Begleiter ſehnte ſich dagegen ſchon nach den erſten zwanzig Meilen in ſeine Amtsſtube zurück. Den jungen Gatten war kein Thurm zu hoch und kein Felſen zu ſteil, ſie mußten ihn er - klimmen; er blieb dagegen meiſtentheils unten, und ſuchte ſich ſo leidlich als möglich im Thale auf ſeine eigene Hand zu unterhalten. Wenn die410 Dame nun davon hörte, ſo kannte ihre Munter - keit keine Schranken. Doch waren ihr und dem Gemahle die beſonderen Neigungen, denen ihr Ge - fährte unterweges nachging, nicht gerade unlieb, denn er ſtörte ſie deßhalb weniger, als ſie anfangs befürchtet hatten.
Dieſer Mann beſaß ein ſehr ehrliches, wohl - gebildetes, aber etwas aſchgräuliches Geſicht, und zwiſchen Naſe, Wangen und Kinn die Runzel, welche man die Actenrunzel nennen kann. Er mochte in der Mitte der Dreißig ſtehen, ſah jedoch viel älter aus. Er gehörte zu einer Claſſe von Reiſenden, die Yorik nicht in der Vorrede im Deſobligeant aufzählt, und die immer mehr ausſtirbt; er war der Geſchäftsmann auf Reiſen.
Der Oberamtmann Ernſt vom Schwarzwalde — denn ſo wird er wohl heißen — hatte unter - weges nur Gedanken an ſein Amt, an ſeinen alten Actuarius und an die gelb angeſtrichenen Schränke ſeines Archives. Ihn verließ der Aerger darüber nicht, daß er es bei ſeiner Oberbehörde nicht hatte durchſetzen können, die Formulare zu den gewöhn - lichen Expeditionen lithographiren laſſen zu dürfen, wodurch nach ſeiner innigſten und pflichtmäßigſten411 Ueberzeugung nicht allein Zeit, ſondern ſelbſt Auf - wand an Koſten erſpart werde; ein Punct, der ihm beinahe das Herz abſtieß, denn, pflegte er für ſich zu ſagen, wenn der Unverſtand zu breit regiert, ſo wird er dem ruhigſten Staatsbürger unerträglich. — Gern wäre er ſchon bei Frank - furt wieder umgekehrt, und nur die Vorſtellung, daß dieſe Reiſe ein Geſchäft ſei, hielt ihn bei ihr feſt. Ihr Ende wünſchte er jedoch mit Sehnſucht heran.
Indeſſen ſollte ſein Beharren doch auch einen Lohn empfangen, der ihn einigermaßen ſchadlos hielt für die Felſen, Burgen, Kirchen, Samm - lungen, die er, wie er vielleicht nicht ganz unrich - tig bemerkte, daheim ſchon eben ſo gut geſehen hatte. In der Nähe des Rheins und den Strom entlängſt begannen nämlich die Reſte der franzöſi - ſchen Verwaltung und die öffentliche Gerichtspflege, welche ihm neu war, ſeine Aufmerkſamkeit zu feſſeln und nahmen bald ſein ganzes Intereſſe in Anſpruch. Nun gab es kein Regierungs - und kein Juſtizhaus, was er nicht beſuchte, ja ſeine Wiß - begierde erſtreckte ſich bis zu den Friedensrichtern und Polizeibüreaus hinunter. Er ſtellte ſich überall ſelbſt als den Oberamtmann Ernſt vom Schwarz -412 walde vor und in dieſem dienſtlichen Charakter ge - lang es ihm, mit Geſchäftsleuten mannichfaltige Verbindungen anzuknüpfen, die ihm bisweilen auf Spaziergängen am Strome unter Klippen und Trümmern, oder byzantiniſchen Portalen und Wein - hügeln vorbei zu ſchönen Aufſchlüſſen über Stempel - ſachen verhalfen, oder ihn mit dem Mechanismus der Sicherheitspolizei bekannt machten. Dann und wann hatte er ſelbſt den Troſt, ſeinen Gram über die nicht zu erlangen geweſene Lithographirung der Formu - lare in den vertrauten Buſen eines Friedensrich - ters auszuſchütten, der ähnliche Gebreſten über die Kurzſichtigkeit ſeiner Vorgeſetzten ihm verſtoh - len entdeckt und ihm dadurch eine Zuverſicht auf - geregt hatte. So konnte er denn eher die Be - ſchwerden dieſer Reiſe ertragen. Er ließ das junge Ehepaar, wie er ſich ausdruckte, umherraſen nach Belieben, und fing an, ſich in der Fremde mehr zu Hauſe zu fühlen. War er auf ſein eigenes Selbſt angewieſen, ſo las er in dem Buche, wel - ches er mitgenommen hatte, nämlich im würtem - bergiſchen Geſetzbuche. Er war, nachdem er ſich ſo eingerichtet hatte, jetzt zuweilen recht munter. Nur darüber empfand er Kummer, daß in keiner413 der Rheinſtädte, welche die Reiſe berührte, gerade Aſſiſen gehalten wurden. Denn einer ſolchen Ver - handlung beizuwohnen wäre ſeine höchſte Freude geweſen, weil er nicht zu begreifen vermochte, wie man einen armen Sünder bloß ſo mündlich und ohne wenigſtens hundert Protocolle zum Schaffot befördern könne. Von Cöln war er, wie er dem Jäger früher angekündigt hatte, rechts abgegan - gen nach Weſtphalen. Gern wäre er allein gerei - ſet, aber die junge Dame Clelia bekam plötzlich die Laune, ihren Vetter, den ſie ſehr lieb hatte, auch ſehen zu wollen, und ſo mußte er ſich mit einem ſauerſüßen Geſichte unendlich glücklich ſchä - tzen, noch länger die Ehre des Zuſammenſeyns mit ihr zu haben.
Nach der Klippe, die in der Nähe dieſer Schenke über einem rauſchenden Waldbache hing, mitzuge - hen, hatte er natürlich auf das Entſchiedenſte und Höflichſte abgelehnt, ſich vielmehr während des Aufenthalts zu ſeiner Lectüre niedergeſetzt. Dieſe brachte in ihm ſtäts eine Art von Rauſch hervor. Er fühlte ſich immer, ſo lange er in dem würtem - bergiſchen Geſetzbuche las, oder unmittelbar nach der Leſung der Gegenwart und Umgebung entrückt. 414Dadurch hätte er heute faſt eine unangenehme Scene haben können.
Die Erſcheinung des Fräuleins zog ihn näm - lich eine Zeit lang von dem Buche ab. Er be - trachtete ihren Anzug, er hörte ihre Reden und ſeine Meinung hatte ſich bald feſtgeſtellt. Nachher vernahm er von den Geſprächen der Bauern und des Chirurgen wenig oder nichts, denn er wünſchte die Materie zu Ende zu leſen, bei deren Erwägung ihn jener ſonderbare Auftritt geſtört hatte. Als dieſes geſchehen war, ſtand er auf, ging zu dem Haufen und fragte mit Würde, indem ſein Auge den Chirurgen als einen Nichtlandmann herausge - funden hatte: Iſt hier Niemand unter Euch, der eine Art von Amt bekleidet?
Die Bauern, die bisher nicht auf ihn geachtet hatten, betrachteten ihn jetzt aufmerkſam und neu - gierig. Schon ſeine Bekleidung mußte ihre Ver - wunderung erregen, denn eine dergleichen war in dieſer Gegend noch nicht geſehen worden. Er trug nämlich gegen Regen und Staub einen ſogenann - ten Mackintoſh, welcher offenſtehend, dem Manne das Anſehen einer Vogelſcheuche, zugeknöpft aber die Geſtalt einer Wurſt giebt. Der Oberamtmann415 hatte ihn zugeknöpft und ſah daher aus wie eine Wurſt. Dieſer Rock und die plötzliche Frage machte die Bauern ſtutzen; ſie ſtießen einander an, flüſterten, aber Niemand gab eine Antwort.
Iſt hier Niemand unter Euch, der eine Art von Amt bekleidet? wiederholte der Oberamtmann, ſchärfer betonend.
Der Chirurgus trat vor, denn ſeine Ehre er - laubte ihm nicht, auf eine ſo beſtimmte Frage anonym zu bleiben. Er war ſich zwar bewußt, keiner - lei Staatsexamen gemacht zu haben und mitunter in Nothfällen auch zu raſiren; das ſchadete aber dem Gefühle ſeiner Würde nicht und trotzig, das Che - miſet aus der Weſte zerrend, ſagte er: Aller - dings habe ich ein Amt in dieſer Gemeine, nicht eine Art von Amt, ſondern ein Amt.
So geht, Freund, jener Perſon nach und bringt ſie zum Vorſteher, damit ſie nach ihren Pa - pieren befragt werde, denn ihr Anzug und ihr gan - zes Betragen war höchſt auffallend, und das Paß - reglement ſchreibt vor, auf ſolche Verdacht erregende Individuen überall Augenmerk zu haben.
Freundſchaft, verſetzte der Chirurgus mit dem landüblichen Ausdrucke, ich verſtehe Euch nicht.
416Der Oberamtmann, welcher ſich weit aus Weſt - phalen entrückt wähnte, rief zornig: Ich ſage Euch, Ihr ſollt mit jener Perſon zum Gemeinevorſteher gehen.
Freundſchaft, erwiederte der Chirurgus, wenn Ihr etwas bei’m Vorſteher zu ſuchen habt, ſo geht ſelbſt zu ihm. — Die Bauern murrten und dräng - ten ſich halb lachend und halb ergrimmt näher.
Der Oberamtmann, der vom Schwarzwalde her die Mittel kannte, widerſpänſtige Eingeſeſſene zum Gehorſam zu bringen, warf rollende Blicke im Kreiſe umher und rief mit ſtarker Stimme: Wißt Ihr, wer ich bin?
Ihr ſeid nicht recht klug, Freundſchaft, fuhr der Chirurgus heraus, der in ſo ſtarker Geſell - ſchaft einen ausnehmenden Muth beſaß. — Sich vergeſſend, trat der Oberamtmann auf ihn zu, die Hand erhoben, die Bauern aber drängten ſich tumultuariſch zwiſchen Beide, der Chirurgus ſah in ſolcher Verſchanzung ſehr giftig und tollkühn aus, ein Bauer fing die aufgehobene Hand des Oberamtmannes, zwei Andere zerrten hinten an dem Mackintoſh, ſo daß die Figur des Oberamt - manns dem Schmetterlinge zu gleichen begann,417 welcher der Trauermantel heißt, die Anderen ließen bedrohliche Gebärden ſehen, und die wildeſte Unbill ſtand bevor, wenn nicht in dieſem verhängnißvollen Augenblicke das junge Paar die Stube betreten hätte.
Clelia hatte auf einen Augenblick ihre Laune eingebüßt und ſich ſchüchtern hinter den Gemahl geſtellt. Dieſer rief den Bauern einige freundlich begütigende Worte zu, und da ſie ſchon wußten, daß er ein Vornehmer war, ſo ließen ſich die Leute auch ſogleich beſchwichtigen. Die Hand des Ober - amtmannes wurde ihrer Haft entlaſſen. Der Ma - ckintoſh bekam ebenfalls ſeine Freiheit wieder, die Bauern ſetzten ſich ſtill in eine Ecke. Nur der Chirurgus drohte noch einigemale von fern mit der Fauſt.
Clelia ſaß bei dem Buche und ſah lächelnd nach dem Oberamtmanne, der verlegen und ver - drießlich im Zimmer auf und nieder ging. Um des Himmels willen, was hatten Sie denn hier vor? fragte ihn der junge Cavalier leiſe.
Dieſe Schelme verſagten mir den Gehorſam, als ich Einen zu dem Gemeinevorſteher ſchicken wollte, polterte der Oberamtmann.
Immermann’s Münchhauſen. 3. Th. 27418Aber, mein Gott, Freund, wir ſind ja nicht im Schwarzwalde, ſagte ſein Reiſegefährte lächelnd.
Hier ſchien der eifrige Beamte erſt wieder ganz zu ſich ſelbſt zu kommen. Er warf einen beſtürz - ten Blick auf ſein Buch, wurde etwas roth und ſtotterte: Man kann ſich wohl einmal vergeſſen, wenn man ſich in eine Materie vertieft hat. — Er wollte das Buch nehmen, der Cavalier kam ihm aber zuvor, las den Titel und rief verwundert: Wie? Sie ſtudiren gar auf der Reiſe in Ihrem Geſetzbuche? — Ich habe es allerdings mitgenom - men, verſetzte der Oberamtmann, um in müſſigen Stunden, deren es auf Reiſen manche giebt, einige ſchwierige Puncte darin reiflicher zu überdenken, als dieſes bei der Geſchäftslaſt zu Hauſe möglich iſt.
Clelia ſummte halb ſingend zwiſchen den Lippen:
Ihr Gemahl biß ſich auf die Lippen und Alles ſah dem Ausbruche eines Gelächters über den ar - men Oberamtmann ähnlich, als dieſer ſich mit gro -419 ßem Ernſte zu der jungen muthwilligen Dame wandte und ſagte: Gnädigſte Frau, wenn Sie mich für eine Art von Acten-Don Quixote halten, dem das würtembergiſche Landrecht überall ſeinen Oberamtsbezirk phantasmagoriſch zeigt, ſo erlaube ich mir Ihnen zu erwiedern, daß der Ritter von La Mancha in ſeinem Wahne von einer Zeit der Großmuth, Tapferkeit und Courtoiſie in einer nüchternen Gegenwart durchaus nicht gering zu ſchä - tzen war, und daß daher, wer jetzt in dieſer zer - fahrenen, reiſenden, umherrennenden Zeit nur in einem Dinge, und ſei es auch nur das würtem - bergiſche Landrecht und ein Oberamtsbezirk, zu Hauſe ſeyn mag, keinesweges zu den ſchlechteſten Staatsbürgern gehören dürfte.
Auf dieſe komiſch-feierliche Anrede ſtreifte die junge Dame den Handſchuh von ihrer weißen Hand, hielt dieſe zum Kuſſe dem Geſchäftsmanne hin und ſagte: Ich vergebe Ihnen, denn eigentlich blutet Ihnen doch das Herz, Ernſt, wenn Sie ſich ſo rauh gegen mich anſtellen, was Sie freilich meines Gemahles wegen thun müſſen, um ihn nicht eifer - ſüchtig zu machen, da man ja weiß, daß ich immer Ihre ſtille Liebe war.
27*420Solchen plötzlichen Wendungen war er nicht gewachſen und wußte ihnen um ſo weniger zu ſtehen, als es ihm immer beſonders wohl that, wenn man ihn für eine zärtliche Natur hielt. Er beugte ſich daher auf Clelia’s Hand, küßte ſie nicht ohne Ausdruck, ſah ihr gedankenvoll in das ſchöne, blühende Antlitz, ſeufzte und lachte dann plötzlich, wie in tiefer Zerſtreuung, auf. In dieſes Lachen waren nunmehr die jungen Gatten einzu - ſtimmen berechtigt und ſo endete der ganze Ein - hergang luſtig.
Der Kammerdiener meldete, daß der Oberhof nur wenige Stunden entfernt ſei. Clelia aber, die noch bis vor Kurzem ihr Vergnügen geäußert hatte, den Vetter mitten aus den Bauern her - auszuholen, änderte jetzt plötzlich, was ihr täglich zu öfterem begegnete, ihre Meinung, hielt es für ſchicklich, nach der Stadt zu fahren und Oswald dahin beſtellen zu laſſen. Wie hätte der junge Gemahl, der nichts als Gluth und Zärtlichkeit war, wie hätte der geheime zärtliche alte Anbeter widerſtehen können? So ſchwebte denn die kleine volle Geſtalt, die ein braunſeidener Ueberrock knapp umſchloß, am Arme des Gemahls graziös zur421 Thüre hinaus und zeigte, als die Männer ihr die Hand zum Einſteigen boten, das zierlichſte Bein über dem feinen Fuße. Der Oberamtmann er - klärte, als er einſteigen ſollte, daß er nach der Stadt gehen wolle, weil er um dieſe Stunde da - heim ſich ſeine Motion zu machen pflege. Der junge Cavalier konnte kaum einen Ausruf des Entzückens bei dieſer Nachricht, die ihm den Wa - gen ungetheilt mit ſeiner Dame verſprach, unter - drücken. Sie ſah erröthend mit halbgeöffneten Lippen vor ſich hin, er ſtieg zu ihr ein, legte ihr aufmerkſam die Boa, welche herunter gefallen war, um Schulter und Leib, und die beiden Glücklichen, deren ganzes Weſen in ſüßer, ſüddeutſcher Sinn - lichkeit ſchwamm, rollten davon.
Auch der Oberamtmann kehrte in erhöhter Stimmung nach der Schenkſtube zurück, um ſein Buch zu holen. Er pfiff ſogar für ſich ein Stück - chen aus der Zauberflöte, worüber er jedoch er - ſchrak, als er es hörte. Inzwiſchen war der Mann im braunen Oberrock aus der Krypte wieder nach der Schenke gekommen und erkundigte ſich in der Stube ungeduldig bei dem Wirthe, ob noch kein Freiherr von Münchhauſen da geweſen ſei und422 nach ihm gefragt habe. Auf die verneinende Ant - wort des Wirthes, der ſehr einfältig zu ſeyn ſchien, gab ihm der Schriftſteller, der nicht gern in der Schenke warten, ſondern ſich durch einen aberma - ligen Gang die Zeit vertreiben wollte, ſeine Karte, damit kein Mißverſtändniß und keine Namenver - wechſelung vorfallen möge. Der einfältige Wirth, der nicht leſen gelernt hatte und vermuthlich glaubte, daß ein dritter unpartheiiſcher Zeuge in dieſer dunkelen Angelegenheit das beſte Licht verbreiten könne, reichte die Karte dem Oberamtmanne mit der Bitte ſie ihm zu entziffern. Dieſer las was darauf gedruckt ſtand, und muſterte dann den Fremden, zu dem ihn ſchon bei dem erſten Sehen eine gewiſſe Sympathie hingezogen, mit glänzenden Blicken. Der Blitz von Galanterie, der bei dem Kuſſe auf Clelia’s Hand ſich in ſei - nem Herzen entbunden hatte, fachte die geſchäft - liche Begeiſterung nur noch mehr bei ihm an. Er fragte den Anderen raſch und leidenſchaftlich: Wiſſen Sie vielleicht, ob in einem der Orte weiter abwärts von Cöln gegenwärtig Aſſiſen gehalten werden?
Der Gefragte ſtutzte, beſann ſich und verſetzte: Aſſiſen? Gegenwärtig? Weiter abwärts? Ich weiß423 nicht — doch ja — wenn mir recht iſt — ich er - innere mich — in Elberfeld können ſie bald im Gang ſeyn.
Elberfeld? Wie weit von hier?
Acht bis neun Meilen.
Der Oberamtmann ſchnippte wie ein Knabe der unvermuthet erfährt, daß keine Schule heute ſei, mit den Fingern und rief fröhlich: So kann ich ja wahrhaftig doch noch ſo glückſelig ſeyn, einer Aſſiſe beizuwohnen!
Der im braunen Oberrock ſetzte jetzt abermals ſeine Brille auf, legte die Hände auf den Rücken, trat dem Oberamtmanne dicht unter die Augen, zog ſeine Brauen zuſammen, ſah ihn ſcharf an und ſagte darauf: Glückſelig, mein Herr? — Sonder - barer Schwärmer! — Er ging.
Der Oberamtmann blickte ihm nach. — Wäre doch kein Mann für mich, ſagte er nach einer Pauſe. Auch er ging, ſein Buch in der Taſche, die Galanterie für Clelia und die Elberfelder Aſſiſe im Herzen.
Auch die Bauern erhoben ſich und wollten ge - hen, desgleichen der Chirurgus. Da kam aber der Ehinger Spitzenkrämer in das Zimmer geſtürzt424 und rief überlaut: Wißt’s was Neues? Wißt’s was Neues? Ja, wann die Ehinger nit wären, Ihr erführt Euer Lebtag’ nichts Neues?
Was iſt denn vorgefallen? fragten die Bauern.
Vorgefallen? Nichts vorgefallen, eingefallen iſt was. Das alte Schloß da droben eine halbe Stund’ von hier iſt eingefallen in Eurem wüſten Wind und Wetter hier zu Land. Ein Mann, der am Dorf vorbeilief, ſagt’ es mir ſo eben! O wenn mein Captain Gooſeberry nur nicht noch darin verweilt hat!
Zum Henker! riefen die Bauern, das iſt ja ein vertrackter Streich. Wenn nur der alte Herr Baron nicht darunter zu Schaden gekommen iſt! Kommt Alle hin! — Sie brachen ſtürmiſch auf, die Einen um zu helfen, die Anderen aus Neugier.
Der Chirurgus war tiefſinnig in der Mitte der Stube ſtehen geblieben, den Finger an die Naſe gelegt. — Wollt Ihr nicht mit? fragte der Ehinger, der noch einmal zurückkam. Ihr könnt vielleicht Hülf’ ſchaffen.
Allerdings, verſetzte der Chirurgus, und brachte den noch von früherer Zeit heraushangenden Buſen - ſtreifen in Ordnung. Trepaniren oder zum wenig -425 ſten ſeciren. — Aber, Freundſchaft, laßt uns langſam nachgehen, denn der Schutt muß doch erſt hinweggeräumt werden, bevor die Lebendigen oder zum wenigſten die Todten herauskommen. — Uebri - gens kann dieſes anſcheinliche große Unglück eine ſehr nützliche allgemeine Hauptveränderung bei dem alten Herrn Baron hervorbringen.
Wie das? fragte der Ehinger.
Freundſchaft, paßt auf. Sturz — Fall auf einen harten Körper — Choc! Pia Mater — Revolution im Cerebellululo — Lebensgeiſter in Aufruhr — Befreiung — Gegenchoc! — Ich ſage nichts weiter.
Womit ſoll ich dich vergleichen, alte närriſche Erde? Biſt du ein Käſe, auf dem Milben umher krabbeln? Biſt du ein Schachbrett, auf welches eine unſichtbare Hand die Figuren nach einer ge - wiſſen Ordnung und Regel ſtellt, und wo dann der große Spieler ſie planvoll Zug und Gegenzug machen läßt, weil er mit ſich ſelber die geheim - nißvolle Parthie ſpielt? Oder biſt du ein Mit - telding von Beiden, ein ſchönes, getäfeltes, blank -426 gebohntes Parquet, auf dem bei dem Schalle der Flöten und Geigen reizende Mädchen und hübſche Jünglinge den Cotillon tanzen, den reichen, tou - renunerſchöpflichen Tanz, und alte Herren umher - ſtehen, und zärtliche verwelkte Mütter umherſitzen? Niemand weiß, ob ihn nicht eine Schöne in einer artigen Caprice, wie das launenvolle Glück, holt, auf daß er mit dem holdathmenden Glücke noch eine unerwartete Runde durch den Saal mache; und Andere, welche meinen, ihnen könne es nicht entgehen, bleiben ungeholt. — Plötzlich zerſtört ein ungeſchickter und überſehener Stuhl die künſt - lichſten Reigen und manche zärtliche Mutter wird unverſehens auf den Fuß getreten, und die alten Herren wiſſen nicht, wohin ſie ſich vor einer im - proviſirten wilden Promenade der Jugend retten ſollen. Mänadiſch raſet der Schwarm bis in die fernſten Seitenzimmer, und die Whiſttiſche werden umkreiſet; einen Augenblick ſehen runzlichte Ge - ſichter aus Gallakleidern von der gemalten Coeur - dame auf nach den luſtklopfenden Buſen der tan - zenden Mädchen und zwei Tiefdenker, die Punſch trinken und philoſophiren über ſchwerbewegliche Dinge, ſind geſtört und verſenken ſich in die Be -427 trachtung leichtgeſchwungener Glieder — einen Au - genblick nur — die Jugend promenirt nach dem Saale zurück und Robber und Philoſopheme neh - men wieder ihren Fortgang.
Ja, alte närriſche Erde, du biſt kein Milben - tragender Käſe, du biſt auch kein quadrirtes Brett für ſtreng berechnete Züge. Du biſt das Parquet, auf dem wir im Cotillon geholt werden, oder ſtehen bleiben nach Damenlaune, auf dem die alten Herren in’s Gedränge kommen und die zärtlichen Mütter vor Schmerz über ihre gemißhandelten Füße zuweilen aufſchreien möchten, auf dem hölzerne Stühle den ſchönſten Reigen zerbrechen können, auf dem der Uebermuth der Jugend zwiſchen die Karten und Argumente der Galla und Philoſophie fährt, auf dem plötzlich Alles auseinander läuft und ſich eben ſo plötzlich Alles wieder zuſammen - findet! —
Iſt es möglich? bin ich verzaubert heute? oder biſt du es wirklich? rief der junge Graf Oswald, der jetzt den Kamm des Gebirges wieder erreicht hatte einen Menſchen in blauem Kittel und Holz -428 ſchuhen an, der ihm entgegenkam, ein großes Bund Heu auf dem Rücken.
Der alte Menſch ſah auf, ließ zwar das Bund Heu ſinken, gab aber ſonſt kein Zeichen lebhafter Verwunderung von ſich, ſondern ſagte bloß: Ei, da ſind Sie ja! Ich dacht’ wohl, daß Sie mich nicht ſitzen laſſen würden. — Darauf küßte er ſeinem jungen Gebieter freundlich die Hand.
Jochem, biſt du’s, oder biſt du’s nicht?
Ja freilich bin ich’s, mein Herr Graf.
Aber um des Himmels willen, wie kommſt du denn hieher, und was treibſt du hier? Und warum ſuchteſt du mich denn nicht auf? — Er legte ſeine Hand auf den Kittel des Alten, gleichſam um ſich durch das körperliche Gefühl zu überzeugen, daß ein wirklicher Menſch vor ihm ſtehe.
Der Alte ließ ſich ruhig befühlen, ehe er ant - wortete. Denn er gehörte zu den Leuten, die nur ſehr ſelten aus der Faſſung kommen. Er ſchob ſeinem jungen Gebieter das Bund Heu hin, dieſer mußte ſich darauf ſetzen, Jochem ſtellte ſich vor ihn und erzählte nun folgendermaßen.
Will Ihnen Alles vermelden, mein Herr Graf, ſagte er, aber Eins nach dem Anderen. Wie ich429 hieher komm’? Zurück von der großen Reiſ’, die ich auf Ihren Befehl machte. Hab’ mich immer rechts gehalten, wie meine Commiſſion lautete, kam erſt nach Caſſel, wüſte Kerl’ dort, ſonſt nichts zu ſehen, dann nach Magdeburg, auch wüſte Kerl’ dort, ſonſt auch nichts zu ſehen, dann nach Berlin, ebenfalls wüſte Kerl’ dort, ebenfalls ſonſt nichts zu ſehen; und ſo retour wieder hieher über Magdeburg und Caſſel, da ’s Geld gerad’ zur Hälft’ ausge - ben war zu Berlin, und ich überdieß meine Com - miſſion ſchön ausgerichtet hatte alldort. — Was ich hier treib’? — Sitz’ ſchon ſeit acht Tagen bei’m Bauer im Heu, helf’ ihm Heu machen, um mir mein Tagbrod zu verdienen, denn der letzte Kreuzer war ausgeben, als ich dieſe wüſte Ge - gend wieder erreicht hatt’. — Warum ich Sie nicht aufgeſucht? — Hatten damals bei’m Abſchied keine recht deutliche Sprach’ mit einander geführt, wo ich meinen Herrn Grafen wieder finden ſollt’. Dacht’ alſo, das Sicherſte wär’, wenn ich ſitzen blieb’, wo ich eben war, denn das wußt’ ich, daß mein Herr Graf mich ausſpüren würden und ab - holen, und ſäß’ ich im Mittelpunct der Erd’. Blieb deßhalb auch ganz ruhig und macht’ in Zu -430 friedenheit mein Heu, obgleich es eine Lebensart iſt, die ſich nicht ganz für meinen ſonſtigen Stand ſchickt. Dacht’ aber immer: Heut kommt der Herr Graf und holt dich ab, und kommt er heut’ nicht, ſo kommt er morgen, und ſo hat ſich’s nun auch zugetragen.
Unſerem Oswald that es nach den fratzenhaften Ereigniſſen des Tages wehmüthig wohl, mit ſei - nem Alten zuſammenzutreffen. Eine Thräne trat in ſein Auge. Er drückte dem Alten die Hand und ſagte: Du hatteſt ganz Recht, Jochem, als du glaubteſt, ich werde nach dir forſchen, und ſäßeſt du im Mittelpuncte der Erde. — Jochem blieb hiebei trocken, wie immer und verſetzte: Sie haben auch ſchwäbiſch Blut im Leib, mein Herr Graf, und das verläßt einander nicht. — Oswald ſah ſich um und erblickte verwundert einen Heu - ſchoppen in der Nähe, der ihm ſo vorkam, wie der, in welchem er die Nacht zugebracht hatte. Wo haſt du in voriger Nacht geſchlafen? fragte er.
Dort im Schoppen, verſetzte der Alte, wie alle Nacht mein Amt iſt, um dem Bauer ſein Heu zu bewachen.
Sein Gebieter erzählte ihm nun, daß ſie die - ſem Umſtande zu Folge ſchon in der Nacht unwiſ -431 ſend zuſammen geweſen ſeien, worüber Jochem anfangs erſtaunte und äußerte, unter dem wüſten Volk wiſſe man gar nicht, was Einem Alles be - gegnen könne, es ſei erſtaunlich, daß zwei Lands - leut’ zuſammen im Heu lägen und einander nicht erkennten. Ich wollt’ anfangs den Menſchen, der ſich da in’s Heu eingedrungen, bei Nacht hin - austreiben, fügte er hinzu, ließ es aber doch ſeyn, weil ich dacht’, er möchte ſich draußen er - kälten. So iſt Menſchenfreundlichkeit doch immer etwas Gutes und zu vielen Dingen nutz.
Jochem, ſagte der Graf, hätteſt du mich hin - ausgetrieben, ſo würdeſt du mich früher erkannt haben.
Dieſer Einwurf machte den Alten verwirrt. Er ſah ſtutzig vor ſich nieder, dann ballte er die Fauſt und murmelte ingrimmig: Nun ſag’ ich’s doch! In der Fremd’, unter dem wüſten Volk ſteht Alles windſchief. Man weiß bei den Sachſen und Pollacken nicht, ob man menſchenfreundlich oder menſchenfeindlich ſeyn ſoll.
Er beſann ſich und fuhr fort: Von meiner Commiſſion habe ich noch gar nicht geredt. Den Schrimbs oder Peppel —
432Laß ihn, unterbrach ihn ſein Gebieter beſtürzt.
Nein, ſeine Commiſſion muß man gehörig aus - richten! rief Jochem eifrig. Den Schrimbs oder Peppel hab’ ich richtig gefunden. Ich hab’ ihn auf der Schloßbrucken zu Berlin ſtehen ſehen, er kuckt’ in’s Waſſer und ich ſah ihn von hinten und da ging er fort und ich konnt’ ihn nicht einholen, aber ich hab’ mich nicht getäuſcht und wenn wir nun uns Beide dahin auf den Weg machen, ſo werden wir ihn gar nicht verfehlen.
Wie nach Homer der Menſch, er mag noch ſo unglücklich ſeyn, immer Hunger behält, ſo giebt es auch Dinge, die den Betrübteſten zu lachen machen können. Der junge Graf Oswald war ſehr betrübt, aber die Entdeckung Jochem’s, daß Schrimbs oder Peppel auf der Schloßbrücke zu Berlin ge - ſtanden habe, bewirkte, daß er lachen mußte. Jo - chem, der ſeine Sachen ſehr gut gemacht zu haben glaubte, fühlte ſich dadurch etwas beleidigt. Nach einer Pauſe fragte er: Was hätten mir denn nun der Herr Graf zu befehlen?
Oswald war von ſeiner kurzen Luſtigkeit ſchon wieder zurückgekommen. Er ſtand auf, ging heftig hin und her, ballte ſeine Hand, drückte ſie wider433 die Stirn, ſein ſchönes Antlitz zuckte vor Schmerz, er riß an ſeinen braunen Locken, er nagte an ſei - ner Lippe. Der Alte, der ſich in ſeinen jungen Herrn nicht zu finden wußte, ſtellte ſich, die Kniee nach vorn gebogen, die Hände nnd Arme auf ſeine Schenkel geſtemmt, hin und ſah ihm traurig zu. Mit Ihnen iſt etwas vorgegangen, mein Herr Graf, ſagte er ehrlich und ſanft.
Da trat Oswald raſch zu ihm. Er drückte den Kopf des Alten heftig gegen ſeine Bruſt und rief im herzzerreißendſten Tone: Ja! Ja! mit mir iſt etwas vorgegangen! Leiſe weinend ſagte er ihm in’s Ohr: Ich habe eine Braut, Jochem! —
Aber hier brachen die Gefühle des alten trocke - nen Menſchen mit einem Ungeſtüm aus, der nicht zu beſchreiben iſt. Jubelnd und ſchreiend ſtieß er ſeinen jungen Herrn wie einen niederen Knaben von ſich zurück, ſprang in dem Nebel auf dem braunen Haideplatze ſchwerfällig und ungeſchickt wie ein alter treuer Hund, der den Herrn wie - derſieht, umher, klatſchte in die Hände und rief: Juchhe! Juchhe! Ach, das Glück, das ausbün - dige Glück! Ach, ſo ſollen meine alten Augen denn noch den Tag erleben, wo ich meinem HerrnImmermann’s Münchhauſen. 3. Th. 28434Grafen und ſeiner ſchönen, lieben gnädigen Braut zur Hochzeit aufwarten darf! O über den klugen Einfall von meinem Herrn Grafen! Ach wo iſt ſie, wo iſt das liebe gute gnädige Fräulein, daß ich ihr die Füße küſſe und den Saum des Rocks? — Seine abgenutzten Kräfte reichten aber nicht weiter. Er mußte ſtill ſtehen, hielt ſich die Sei - ten, keuchte und war außer Athem.
Der junge Graf Oswald hatte ſich auf die Erde geworfen, das Geſicht in das Heu gedrückt. Seine Arme waren ausgeſtreckt darüber hingebrei - tet; er ſchluchzte bitterlich. — Alles, Alles kann die Liebe ertragen! jammerte er. — Noth erträgt ſie und Elend verkittet ſie und ſelbſt die Untreue weiß ſie zu überdauern und in die Bahn der Treue hold zurückzuführen! Aber Eines erträgt Liebe nicht: Das Lächerliche! Das ſcheußlich-Lächerliche! Mußt du lachen, wenn du dein Lieb im Arme hältſt und denkſt, woher ſie rührt, ſo iſt es aus mit der Liebe, aus! Liebe ſtirbt vom grellen Lachen! O mein ſüßer, einziger Tag — o du Tag meiner Tage! ſo raſch gingſt du unter, herrliche Sonne? Ach, meine Bruſt, wie thut ſie weh! Die Fratzen haben ſie zerſchnitten mit dem grellen Lachen und ſie wird bluten, ſehr bluten!
435Er richtete ſich empor und ſchüttelte ſich wie vor Fieberfroſt in dem häßlichen kalten Dunſt da droben auf der Bergeshalde. Seine dunkelen Lo - cken hingen ihm tief wie Wolken in das Geſicht. Dumpf ſagte er: Nimm dieſes Geld, Jochem, bezahle damit, was du etwa ſchuldig biſt und deine Zehrung. Erwarte mich in der Stadt bei dem Diaconus. Morgen, oder vielleicht noch heute Abend komme ich hin. Jetzt gehe ich nach dem Oberhofe, um dem Mädchen Adieu zu ſagen.
Adieu? fragte der Alte, der aus dem Himmel ſeiner Freude geſtürzt war.
Ich werde das Mädchen, mit welchem ich mich verlobte, nicht heirathen, ſagte Oswald, bemüht, ſeiner Stimme Feſtigkeit zu geben. Sie ging aber bei den letzten Worten in ein gebrochenes Zittern über. Er ſchritt ſchnell über den Abhang des Ber - ges nach der Börde hinunter.
Der alte Jochem ſah ihm nach. Er beſchaute das Geld, welches ihm der Graf gegeben hatte, dann ſah er die Stelle an, wo die Klagen ſeines Herrn erſchollen waren, dann nahm er ſeinen Hut in die Hand und drehte ihn, Kopf und Krämpe achtſam betrachtend, hin und her. Er ſetzte den28*436Hut wieder auf und ſprach ſodann: Wenn dieſer mein Herr Graf ſich mit dem Mädchen verlobt hat, ſo wird er ihr nicht Adieu ſagen, ſondern ſie heirathen.
Hierauf ging er nach dem Gehöfte ſeines Bauern, um mit dieſem Alles in Richtigkeit zu ſtellen, ſeinen eigentlichen Rock wieder anzuziehen und ſodann zu thun, was ihm der Graf befohlen hatte.
Der Schriftſteller ging zum zweitenmale nach der Krypte. — Sollte er mich mißverſtanden haben? Sollte er mich dort erwarten? Geſprochen habe ich freilich davon … ſagte er für ſich. Münch - hauſen’s Ausbleiben machte ihn unruhig. Er ging nicht ohne einen leichten Schauder durch die Kirche nach den Stufen, die in die Kluft hinunter führ - ten. Seine ſonderbaren Gedanken hatten ihm den düſteren Ort myſtiſch bevölkert.
Die Ahnung hatte ihn nicht getäuſcht. Indem er zu den Schatten und trüben Lichtern der Kluft eintrat, hörte er ein Geräuſch in der Nähe des Altars. Er faßte ſich ein Herz, ging zu der Stelle437 und fand wirklich den, auf den er ſo lange gewar - tet hatte. Hinter der Gruppe am Kreuz ſaß Münchhauſen auf einem alten Opferſtocke, den man, weil er unbrauchbar geworden ſeyn mochte, dort hingeſtellt hatte. Als der Schriftſteller ſeinen Curanden näher betrachtete, ſo weit dieſes die Dunkelheit des Ortes zuließ, erſchrak er, denn der Abentheurer ſah ganz anders aus, wie am Mor - gen. Sein Geſicht ſchien völlig eingefallen zu ſeyn, die Backenknochen ſchienen weit hervorzuſtehen. Auch der Anzug war in Unordnung. Keinen Hut hatte er auf dem Kopfe, die Uniform klaffte vorn weit auseinander, die Weſte war aufgeriſſen, die nackte Bruſt zeigte ſich. Er ſprach kein Wort. Der Schriftſteller faßte ſeine Hand an, ſie war grabeskalt.
Dieſer nahm ſich zuſammen und ſagte feſt: Was ſoll das? Warum ſitzt Ihr hier? Folgt mir nach der Schenke!
Kommt ſie? flüſterte Münchhauſen leiſe mit hohler Stimme.
Wer?
Sie! Der böſe Feind. Hu! — An den Rö - cken kennt man ſich wieder, wenn die Geſichter unkenntlich geworden ſind. Warum zog ich mei -438 nen rothen Rock an, warum ging das Roſakleid nicht verloren und der grüne Schuh und der Pa - radiesvogel? — Abſcheuliche Erinnerung!
Welche Erinnerung?
Die! — Erinnert Euch an heute Morgen! Einen Punct giebt es im Leben jedes Menſchen, an den darf man nicht rühren, ſonſt wird der Menſch toll. Eine Geſtalt giebt es, wenn die kommt und ſich an den Pfeiler Lara’n gegenüber ſtellt, und nichts weiter ſagt als: Er iſt’s! ſo kann Lara ſich nicht mehr zufrieden geben. Eine Gans zu belügen und zu verführen, um Geld zu kriegen und dann hören zu müſſen, die Gans ſei kahl, gerupft! Puh! Einzige Sünde meines Le - bens! Abbüßen wollte ich ſie durch tauſend buß - fertige uneigennützige Lügen! — Umſonſt! Die Gans erſcheint wieder. Armer Münchhauſen! Wie herrlich ſtandeſt du da noch vor drei Stunden! Münchhauſen war groß, Münchhauſen war ein Held, denn Münchhauſen hatte ſelbſt die Feigheit überwunden und wollte ſich ſchießen. Und ſo zer - trümmern zu müſſen! —
Man wird Euch ja wohl vor Angriffen und Zudringlichkeiten ſchützen können, ſagte der Schrift -439 ſteller, der nun allgemach den Zuſammenhang begriff.
Wer? Schützen? Nein! antwortete der Frei - herr todesmatt. Du kannſt dich vor dem Lichte verbergen, du kannſt eine Höhle finden vor dem Orkan, wenn er daher ſauſet, und bückſt du dich bei Zeiten, ſo fährt die Kanonenkugel über dich hin, aber du kannſt dich nicht verſtecken vor einem tollen Weibe, das dir nachläuft. Sie hat mich ausgewittert, ſie wird mich finden aller Orten. Es giebt Vorurtheile in der Welt. Man ſoll hei - rathen, wen man … Sie heirathen! Schrecklicher Gedanke!
Der Schriftſteller dachte: Ich hoffe, der Ehr - geiz ſoll auf ihn wirken. Er ſagte daher: Münch - hauſen, der Erbprinz erwartet Euch. — Aber mit einer vielſagenden Gebärde nahm der Freiherr aus der Taſche ſeiner Uniform den Brief jener hohen Perſon und zerriß ihn. Der Schriftſteller, den dieſe ſymboliſche Handlung äußerſt betroffen machte, fragte ihn, was er denn nun eigentlich vorhabe, was er beginnen wolle?
Verdampfen! Verduften! Verſchwinden! ſagte der Freiherr. — Ihr ſeht mich nie wieder, ihr hört440 nichts mehr von mir. Lebt wohl! Mein Tagwerk iſt gethan. Laßt uns wie Männer ſcheiden! Keine Thräne bei dieſem Abſchiede! — Sie werden mir nachzupfuſchen ſuchen, aber Ihr werdet, das weiß ich, ewig Euren Freund vermiſſen.
Sein Curator ſuchte alle Gründe hervor, wo - mit ein Mann, der ſich in heiler Haut weiß, den Leidenden überzeugen zu können glaubt, daß es die Pflicht des Leidenden ſei, nicht zu leiden. Er erinnerte ihn an die Aufgabe, die das Leben Je - dem zu löſen gebe, nämlich ſich zuſammenzuneh - men und unter allen Umſtänden gefaßt zu bleiben. Er ſprach von Cato, Socrates und von anderen großen Männern des Alterthums, er ſagte ihm zuletzt, eine feuchte und kalte Krypte ſei wenig - ſtens auf keinen Fall der Ort, um lange darin ohne Schnupfen und Huſten zu verweilen.
Nun denn! rief Münchhauſen, deſſen Lebens - geiſter noch einmal wild aufzuſpringen ſchienen, ſo will ich eine neue Religion ſtiften und Ihr ſollt Ali ſeyn, der Erſte der Gläubigen. Bringt Wein her, feurigen Wein, ſchäumenden Wein, wir wol - len den Manen des Todten da am Kreuz Eins zutrinken!
441Der Schriftſteller trat drei Schritte zurück. — Nein, das wollen wir hübſch bleiben laſſen! rief er ſo tönend, daß es durch das Gewölbe hallte. Alles muß ſeine Grenzen haben.
Wofern Ihr das nicht wollt, ſo verſchafft mir wenigſtens einen Mantel und einen Hut, damit ich mich anſtändig ſehen laſſen kann, ſagte der Freiherr.
Der Andere wandte ſich, ſtieg aus der Krypte empor, um das Begehrte herbeizuſchaffen. Er war jedoch kaum oben angelangt, als er ein heftiges Getöſe unten vernahm. Es war, als ob Steine von ihrem Orte gebrochen würden und dann ſchol - lernd niederfielen. Sogleich eilte er, ſchlimmer Ahnung voll, in die Kluft zurück. Münchhauſen war von ſeinem Sitze verſchwunden. Der Andere ſah ſich um; nirgends war er zu erblicken. Er rief; es erfolgte aber keine Antwort. Er ſuchte hinter den Pfeilern, in den Seitenniſchen hinter den Grab - mälern, bei den Steinhaufen; vergebens! Der Freiherr hatte ſich nirgends verſteckt.
Nach der Schenke zurückgekehrt, bewog er einige Bauern, ihm mit Laternen und Windlichtern zu folgen. Bei deren Scheine wurde nun eine zweite442 ſorgfältige Nachſuchung vorgenommen. Umſonſt! Man forſchte nach einem geheimen Gange aus der Krypte, aber dieſe zeigte ſich, wohin man leuchtete, umſchloſſen, auch wollten die Bauern von einem ſolchen nie etwas gehört haben. Man prüfte endlich mit Stöcken und Hacken das Pfla - ſter und Gemäuer, ob es nicht irgendwo losgebro - chen und nur nothdürftig wieder zugeſetzt ſei. Pflaſter und Gemäuer waren überall feſt. Dieſe vergebliche Arbeit dauerte über eine Stunde. End - lich mußte man von ihr abſtehen. Münchhauſen war und blieb auf unbegreifliche Weiſe verſchwunden.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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