PRIMS Full-text transcription (HTML)
Muͤnchhauſen.
Eine Geſchichte in Arabesken
Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem Cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat, Antiphatem, Scyllamque et cum Cyclope Charybdim. (Horatius. )
Vierter Theil.
Duͤſſeldorf,Verlag von J. E. Schaub.1839.

Inhalt des vierten Theils.

  • Seite
  • An Ludwig TieckI
  • Siebentes Buch.
  • Das Schwert Karl’s des Großen.
  • Erſtes Capitel.
  • Seite
  • Der Lendemain in einem Oberhofe1
  • Zweites Capitel. Wie der Sammler und der Hofſchulze ſich aber - mals entzweiten31
  • Drittes Capitel. Die Geſchichte eines Geächteten41
  • Seite
  • Viertes Capitel. Der Hofſchulze kommt wieder zu ſich und Lisbeth ſchreibt an den Diaconus67
  • Fünftes Capitel. Lisbeth und Oswald79
  • Sechstes Capitel. Suchen und nicht Finden87
  • Siebentes Capitel. Ein Trauerſpiel im Oberhofe92
  • Achtes Capitel. Wie der einäugige Spielmann ſeine Abſicht bei einem leidenſchaftlichen Juriſten erreicht101
  • Neuntes Capitel. Das Freigericht und was dieſem folgte110
  • Zehntes Capitel. Wie der Hofſchulze und der Graf Oswald an ein - ander und aus einander geriethen127
  • Eilftes Capitel. Eine Art von Feldzug141
  • Seite
  • Zwölftes Capitel. Aus dem Tode Leben163
  • Achtes Buch.
  • Weltdame und Jungfrau.
  • Erſtes Capitel. Worin der Diaconus vom Zufall und von der wahren Liebe ſpricht175
  • Zweites Capitel. Worin ein humoriſtiſcher Arzt nützliche Wahrheiten über die Behandlung kranker Perſonen vorträgt185
  • Drittes Capitel. Speiſeſaal und Krankenzimmer195
  • Viertes Capitel. Die Leiden einer jungen Strohwittwe213
  • Fünftes Capitel. Worin der Hofſchulze ſeine letzte Rede über aller - hand wichtige Gegenſtände hält229
  • Seite
  • Sechstes Capitel. Ernſte und feierliche Erklärungen zwiſchen der Baroneſſe und dem Oberamtmann248
  • Siebentes Capitel. Was Lisbeth auf die Ermahnungen zu einer un - eigennützigen und entſagenden Liebe antwortete259
  • Letztes Capitel. Fröhliche Siege281
  • Anhang. Zwei Briefe296

Druckfehler des vierten Theils.

  • Seite 93 Zeile 8 lies: verſpart ſtatt: erſpart.
  • 114 16 oben ſt. eben.
  • 175 15 welche ſt. welches.
  • 16 hinausgingen ſt. hinausging.
  • 301 6 Vernünftigen ſt. Vernünftige
[I]

An Ludwig Tieck.

[II][III]

Sie ſchrieben mir vor einigen Monaten und ſprachen mir Ihre Freude uͤber den erſten Theil des Muͤnchhauſen aus, den Sie damals geleſen hatten. Dieſer Brief kam ganz frei aus Ihrer Seele, denn ich hatte es unterlaſſen, Ihnen ein Exemplar meines Buches zu ſenden. Er war mir unverhofft und eine freudige Ueberra - ſchung. Doppelt aber erfreute er mich. Denn einmal mußte es mir wohl ſehr lieb ſeyn, daß Sie ſich ſo an den Anfaͤngen meines Wer - kes ergoͤtzt hatten, dann aber zeugte die liebens - wuͤrdige Lebhaftigkeit Ihrer Worte von der fort - bluͤhenden Jugend, welche wie ein Kranz ſchoͤner Roſen Ihre ehrwuͤrdigen Schlaͤfen umſchmuͤckt.

Ich nahm mir gleich vor, Ihnen zu ant - worten und zu danken. Nachher aber uͤberlegte ich, daß der beſte Dank die That iſt und ſchwieg daher bis zur Vollendung des ganzen Werkes. Nun iſt es fertig und ich widme Ihnen ſeinen Abentheurer und ſeine guten Menſchen, ſeineIV Poſſen und ſeinen Ernſt mit dieſem letzten Theile. Daruͤber reden kann ich nicht; es wirke auf Sie, wie es eben die Kraft und Faͤhigkeit in ſich beſitzt. Aber einen offenen Brief ſchreibe ich Ihnen dazu vor dem Ange - ſichte auch anderer Leſer, denn Manches wollte ich Ihnen ſagen, was ſich in einem ſolchen doch noch beſſer ausnimmt, als unter einem Siegel, welches nur Ihre Hand erbraͤche.

Immer habe ich mich am gluͤcklichſten gefuͤhlt, wenn mein freies Gemuͤth ſich zum Schuldner fuͤr empfangene Wohlthat bekennen durfte. Die - ſes reine Gluͤck empfinde ich auch jetzt, indem ich an Sie ſchreibe. Man hat mich oft einen Nachahmer genannt, und der Tadel, der in dieſer Bezeichnung liegt, mag meine fruͤheſten Verſuche nicht ohne Grund getroffen haben, obgleich mich nie ein aͤffiſcher Trieb kitzelte, ſon - dern ſtaͤts ein innerer Drang bewegte. Spaͤter, als mich Leben und Bildung gereift hatten, meine ich jederzeit ein Eigenes gebracht zu haben, wenn ich mich fremden Muſtern anlehnte. Ich vermied keine Reminiſcenzen, weil ich wußte, daß dieſe doch immer ein nur mir gehoͤrigesV Leben in mir aufgeweckt hatten. So moͤchte ich denn eher den Namen eines Schuͤlers fuͤr mich in Anſpruch nehmen. Und in einer Zeit, worin ſo viele Meiſter, wie ſie behaupten, vom Him - mel fallen, duͤrfte ein guter Schuͤler der Ab - wechſelung halber kein ganz veraͤchtlicher Gaſt am Parnaß ſeyn.

Auch zu Ihrem Schuͤler bekenne ich mich gern, freudig und oͤffentlich. Sie haben unter uns Deutſchen einen ganz neuen Scherz erfun - den, Sie haben der Natur fuͤr manchen ihrer geheimſten magiſchen Toͤne die Zunge geloͤſet, viele Beobachtungen und Erfahrungen haben Sie mitgetheilt, die vor Ihnen Niemand ge - macht hatte. Alles nun, was in mich von Ironie, Spott, Laune gelegt worden war, ein tiefes Beduͤrfniß, welches mich von meiner Kindheit her oft froh machte, oft auch aͤngſtigte, die Signatur der ſtummen Dinge zu erkennen, endlich mein Verlangen, mich uͤber das eigenſte Weſen der Dichter und der Buͤhne aufzuklaͤren alles Das fand, wie haͤufig! bei Ihnen Lehre, Beiſpiel, Fuͤhrung. Ich verehre Sie als einen meiner Meiſter und in meinen guten Stun -VI den wage ich mir zu ſagen, daß Ihnen der Schuͤler gerade keine Schande mache.

Aber eine elegiſche Empfindung kann ich nicht bewaͤltigen, wenn ich an Sie denke. Sie ſtehen gefeiert, wuͤrdig, nachwirkend da, das iſt wahr. Um eine Entfaltung jedoch hat das Mißgeſchick der Umſtaͤnde Sie und uns gebracht. Sie haͤtten der Vater des deutſchen Luſtſpiels werden koͤnnen, wenn die Buͤhne Ihrer fri - ſcheſten Zeit entgegengekommen waͤre, und dieſes Luſtſpiel wuͤrde das groͤßte der modernen Zeiten geworden ſeyn. Denn nicht auf das Einzelge - ſchick eines Liebespaares, oder auf die Schilde - rung einer naͤrriſchen Sitte, oder eines in der Verborgenheit ſein Weſen treibenden Thoren kam es Ihnen an, ſondern Ihre komiſche Muſe laͤchelte uͤber die ganze Breite der Welt und der Zeit, ſie ſchmuͤckte mit bunten Blumen, die ſich dann wieder zauberiſch in Schellen verwandelten, die oͤffentlichen Charaktere, ſie fuͤhrte mit reizender Schalkheit, die wie Ehrfurcht ausſah, komiſche Koͤnige und Helden im Triumphe auf. Wenn ich an die Kraft und Gewalt Ihrer Figuren mich erinnere, an den tiefſinnigen, freien, gro -VII ßen, unerſchrockenen Humor in Octavian, Zer - bino, Kater, Daͤumchen, Blaubart, Fortunat und in der verkehrten Welt, ſo weiß ich nur ein Gegenbild zu dieſem Luſtſpiele in der ganzen Geſchichte der Poeſie zu finden; es iſt das des Ariſtophanes. Ich habe oft Ihre Gedichte vorgetragen, und wenn es mir gelang, dem Dichter nachzukommen, ſo kann ich wohl ſagen, daß empfaͤngliche Zuhoͤrer in einen bacchiſchen Taumel der Luſt geriethen.

Aber keine attiſche Buͤhne empfing Sie und brachte auf den Brettern Ihre Production zu der Fuͤlle und Vollreife, die nun einmal der Dramatiker nur gewinnen kann, wenn er ſeine Geſchoͤpfe da droben auf dem Geruͤſte in Fleiſch und Blut umherwandeln ſieht. Man ſagte, dieſe Sachen ſeien ſehr ſchoͤn, ſehr witzig und ließen ſich uͤberaus wohl anhoͤren, aber aufzufuͤhren ſeien ſie nicht. Das war aber eine Unwahr - heit. Denn ich habe hier den Blaubart zwei - mal darſtellen laſſen. Ich hatte weniger Muͤhe von ihm, als zum Beiſpiel vom Gloͤckner von Notredame, die Schauſpieler fanden ſich bald hinein und ſpielten mit Luſt und Liebe darin,VIII was aber den Erfolg betrifft, ſo war dieſer bei der erſten Darſtellung ein entſchiedener und bei der zweiten der allerglaͤnzendſte. Wenig hatte das Stuͤck gekoſtet und viel brachte es ein. Ich wollte nicht dabei ſtehen bleiben, ſondern ich dachte ſchon an Fortunat, ſelbſt an Daͤumchen und an das ſchnurrende Thier in Stiefeln. Aber die Duͤſſeldorfer Buͤhne ging we - gen Mangels an Gunſt, Schutz und Geld unter, und ſo blieben denn jene Gedanken Traͤume.

Warum ich dieſe Saite hier beruͤhrt habe? Weil mir Ihr ganzes Bild vorſchwebte und zu einem vollen Menſchenleben die Entwickelungen und die Vereitelungen gehoͤren. Wenn ich mit Ihnen Mund gegen Mund reden durfte, ſo hatten unſere Geſpraͤche immer einen Gehalt; eine gewoͤhnliche Dedications-Epiſtel konnte ich Ihnen daher nicht ſchreiben. Nehmen Sie meine Worte auf, wie ich ſie gemeint habe, und vor allen Dingen leben Sie noch lange, leben Sie munter und kraͤftig fort, ſich und uns zum Segen!

Duͤſſeldorf den 20. April 1839,

(an dem Tage, wo die letzten Seiten des Münch - hauſen zu Ende geſchrieben wurden.)

Immermann.

[9]

Siebentes Buch. Das Schwert Karl’s des Großen.

[10][11]

Erſtes Capitel. Der Lendemain in einem Oberhofe.

Während des Hochzeitſchmauſes und des Tages, der darauf folgte, hatte der einäugige Spielmann im Eichenkampe nicht weit vom Oberhofe geſeſſen. Man brachte ihm Speiſe und Trank dorthin, er rührte aber nur wenig an und genoß auch dieſes Wenige mit Widerſtreben, etwa ſo viel, als hin - reichte, ſeinen wüthenden Hunger zu ſtillen. Die Stelle, wo ſich dieſer Menſch aufhielt, lag kaum fünf Schritte von der Straße ab, die durch den Kamp führte, ſie war von den dickſten und höch - ſten Stämmen überſtanden, deren Einer mit ſeinen gewaltigen Wurzelknorren eine natürliche Bruſtwehr vor dem Erdreich bildete, welches hinter ihm in eine Vertiefung ablief, auf deren Rande man be - quem ſitzen konnte.

12

Dort ſaß denn auch der Spielmann und ſah beharrlich lauernd nach dem Hauſe hinüber. Zu - weilen erhob er ſich mit halbem Leibe, um aufzu - ſtehen, und dieß geſchah, wenn ſich eben Niemand in der Thüre und im Flure des Oberhofes blicken ließ, aber bei dem Ab - und Zulaufen der Men - ſchen dauerte das immer nur einen Augenblick. Sobald wieder Menſchen ſichtbar wurden, ſetzte er ſich immer wieder unwillig hin. Auch drehte er zuweilen heftig an ſeinem Leierkaſten, worauf dieſer widerwärtige Töne von ſich gab, die pfeifend und heulend ausklangen. Darüber machten die Leute, die eben vorbeigingen, (und es gingen Viele an jenem Tage durch den Eichenkamp) ihre groben Späße, und Einer oder der Andere ſagte, der Patriotencaspar pfeife aus dem letzten Loche. Doch äußerte ſich ſo meiſtens nur das junge Volk, deſſen Erinnerung den Spielmann bloß als eine lächer - liche Geſtalt kannte; die Alten bekümmerten ſich hier ſo wenig um ihn als anderer Orten, wenn ſie ihm zufällig begegneten. Die Späße der jun - gen Leute ließ der Patriotencaspar ruhig und ohne Erwiederung an ſich vorübergleiten, oder höchſtens zwinkerte er dazu mit ſeinem unverſehrt gebliebenen13 Auge. Ging aber ein Alter vorbei, der gar nicht that, als ob er, der Patriotencaspar, der die alte Orange in Schonhoven mit hatte vermoleſtiren helfen, da ſitze, ſo ballte er grimmig in deſſen Rücken die Fauſt und murmelte: Ihr Schubjacken! aber ich werde Euren Oberſten ſchon

Was ihm am Tage mißlungen war, näm - lich in das Haus einzudringen, das meinte er, werde ihm in der Dunkelheit des Abends glücken. Aber er hatte ſich getäuſcht. Denn als es finſter wurde, begannen ein Paar Mägde vor dem Hauſe ein Topfwaſchen und Keſſelſcheuern, welches bis ſpät dauerte und ihn verhinderte, unbemerkt hineinzuſchlüpfen. Als dieſe mit dem letzten Keſſel fertig waren, hatten inzwiſchen zwei Betrunkene ſich in die Thüre geſtellt, wovon der Eine dem Anderen ſeinen Prozeß klar machen wollte, den er ſeit mehreren Jahren über eine Durchgangsgerech - tigkeit führte. Der Andere ſagte nach jedem Satze ſeines Nachbarn: Verſtanden, und fragte darauf: Wie war es aber eigentlich? Der Prozeßführende wiederholte dann ſeinen Satz, der Andere noch einigemale ſein verſtehendes und fragendes Wort; ſo rückte die Geſchichte äußerſt langſam vor und14 es war kein Ende derſelben abzuſehen. Dabei hatten die Beiden noch gerade ſo viel Beſinnung, um Jeden, der zwiſchen ihnen durch in die Thüre gehen wollte, mit heftigen Gebärden zurückzuweiſen, weil ſie, in die Prozeßgeſchichte vertieft, behaupte - ten, hier ſei keine Durchgangsgerechtigkeit. Weß - halb denn auch Mehrere, die ſich mit jener Abſicht ihnen näherten, um Streit zu vermeiden, zurück und neben dem Hauſe vorbei nach der Hofthüre gingen, der Spielmann aber die Ausführung des Vorſatzes, der ihn an ſeine Stelle feſſelte, aufge - ben mußte, ſo lange die Betrunkenen da ſtanden. Endlich, es war ſchon Mitternacht, kam ein Dritter vom Flure nach der Thüre gegangen, faßte, ohne ein Wort zu ſagen, die Beiden von hinten am Kragen, zog ſie zurück und in den Flur, ſchlug aber darauf ſogleich die Thüre zu und verriegelte ſie von inwendig. Sie wurde nachmals nicht wie - der aufgethan.

Die Hochzeitgeſellſchaft verlor ſich gegen Ein Uhr Nachts und der Oberhof lag nun in dunkelen Schatten ſtill und lautlos da. Jetzt erhob ſich der Spielmann von ſeinem Sitze und umſchlich das ganze Gehöfte tückiſchſpähend wie eine Katze,15 um irgendwo eine offenſtehende Lucke oder ſonſt eine vergeſſene Oeffnung zu finden, durch welche er eindringen könnte. Aber es wollte ſich nichts dergleichen finden, und als er an der niedrigſten Stelle der Hofesmauer ſich bereitete, überzuſteigen, erhoben die Hunde im Hofe ein ſolches Gebell, daß er befürchten mußte, es möge Jemand im Ge - höfte wach werden. Er wich daher auf den Zehen und die Zähne zuſammenbeißend zurück und ging wieder, ſeine Flüche verſchlingend, nach der Sitz - ſtelle im Eichenkampe, wo er nun eben ſo hart - näckig in der Nacht ausharrte, wie bei Tage.

So ſaß dieſer Menſch einen ganzen Nachmittag, einen Abend und mehrere Stunden der Nacht hin - durch, erpicht auf ſein Vorhaben. Und gleichwohl war dieſes nicht auf ein großes Verbrechen oder auf einen reichlichen Vortheil gerichtet; er wollte dem Hofſchulzen weder ſeine Geldſäcke rauben, noch ihm das Haus über dem Kopfe anzünden, ſondern nur ihm einen Schabernack anzuthun übte der Feind des Reichen eine ſolche zähe Beharr - lichkeit.

Gegen vier Uhr Morgens endlich, als die Ge - gend noch im halben Dämmer lag, wurde die Thüre16 aufgeſtoßen, ein Knecht kam herausgegangen um Waſſer zu holen und dieſen Augenblick benutzte der Lauerer, um in das Haus zu ſchlüpfen. Er lief über den Flur und die Treppe hinauf, ſich vorläufig zu verbergen und während des Tages, wann, wie er vorher wußte, der Oberhof von allen Bewohnern verlaſſen werden würde, mit ſeiner Beute zu entkommen.

Nachdem es heller Morgen geworden war, ging der Hofſchulze, zwei große Geldſäcke tragend von dem oberen Theile des Hauſes nach der Stube unten neben dem Flure und hinter ihm drein ging der Schwiegerſohn. Dort ſetzten ſich Beide ſchweigend, wie geſtern bei allen weſentlichen Stü - cken der Hochzeit, an einen großen Tiſch. Jeder von ihnen öffnete einen Sack und zählte aus dem - ſelben dreitauſend Thaler in harten runden Thalern auf. Es ſtörte den Hofſchulzen nicht, daß mehrere Hausgenoſſen und auch einige Nachbarn, welche ſich ſchon im Hofe eingefunden hatten, vom Flure aus, oder in der Thüre der Stube ſtehend, dieſem Aufzählen zuſahen. Vielmehr ſchien es ihm lieb zu ſeyn, Zeugen bei dieſer Handlung zu haben, die ſeinen Reichthum darthat, wie ein hin und17 wieder zur Seite geworfener ſtolzer und ſchmun - zelnder Blick andeutete. Das ganze Geſchäft nahm wie es begonnen worden, ſeinen Fortgang und er - reichte auch ſo ſeine Endſchaft; nämlich beide Haupt - perſonen redeten kein Wort mit einander während des Geldzählens. Als ſechstauſend blanke Thaler auf dem Tiſche lagen und von dem Schwiegerſohne ſorgfältig nachgeſehen worden waren, ſchrieb dieſer ſtumm die Quittung über die empfangene Mitgift und reichte ſeinem Schwiegervater den Schein, ohne Dank zu ſagen, hin, ſtrich ſodann das Geld wieder in die beiden Säcke ein und ſetzte ſie zur vorläufigen Verwahrung in einen Wandſchrank, der ſich in der Stube befand und von welchem er die Schlüſſel zu ſich ſteckte.

Der alte Schmitz hatte das Geſchäft unter - brechen wollen und war mit der Aeußerung, daß er nach der Stadt zurück wolle, vorher aber ſeine Sache mit dem Hofſchulzen in Ordnung bringen müſſe, zu dieſem in die Stube getreten. Der Hofſchulze verweigerte jedoch heute wie geſtern, ohne von ſeinen Thalern aufzuſehen, jede Ein - laſſung, bis das ganze Plaiſir, wie er ſich aus - druckte, zu Ende ſeyn werde, worauf er gernImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 218über Alles und Jedes zu Dienſt ſtehen wolle. Denn zwei Sachen zu gleicher Zeit zu treiben, war nicht ſein Ehrgeiz, er brachte immer erſt eine vollſtändig zu ihrer Richtigkeit, ehe und bevor er eine Andere angriff, und mit dieſem Grundſatze war er zu den guten Umſtänden gelangt, in denen wir ihn kennen gelernt haben. Der alte Samm - ler entfernte ſich verdrießlich und ging nach einem Stalle, worin er Etwas hatte niederſetzen laſſen, deſſen Beſitz jetzt ſeine Seele drückte. Er ſah es unter wehmüthigen Gedanken an und wünſchte ſehnlich das Ende des Plaiſirs herbei, welches für ihn kein Plaiſir war, weil es die Qual der Unentſchiedenheit für ihn verlängerte.

Von der Regel, nur ein Geſchäft zu derſelben Zeit zu treiben, machte indeſſen der Hofſchulze in Betreff der kranken Bläſſe eine Ausnahme. Er begab ſich ungeachtet der noch bevorſtehenden Hoch - zeitvergnügungen zu dem Thiere, ſah nach, ob ihm auch die Hausmittel gereicht würden, die er verordnet hatte, ſchaute es mitleidig an, ſchüttelte den Kopf, ſtreichelte ihm ſanft die Weichen und behandelte es überhaupt viel zärtlicher, als ſeine Tochter oder ſeinen Schwiegerſohn. Leider ſchien19 dieſe Sorgfalt wenig zu verſchlagen, da der Zaun - pfahl die Kuh zu hart berührt hatte. Sie ſtöhnte noch erbärmlicher als geſtern. Ueber den rothhaa - rigen Knecht fühlte er den heftigſten Verdruß, denn er hatte deſſen Gewaltſamkeit noch ſpät in der Nacht vor dem Schlafengehen erfahren. So - gleich hatte er dem Menſchen den Dienſt aufgeſagt. Als er ihn daher jetzt anſichtig wurde, rief er heftig: Was treibſt du dich hier noch umher?

Ich wollte Euch nur fragen, Baas, ob es Euch ein Ernſt geweſen iſt mit dem Aufſagen? verſetzte der Rothhaarige.

Wenn ich aufſage, ſo heißt das Aufſagen und wenn ich nicht lache, ſo iſt das kein Spaß, erwie - derte der Hofſchulze.

Es iſt aber Unrecht, daß wenn man den beſten Willen hat zur Luſtbarkeit und dafür ſorgen will, daß Alles recht ſchön wird, man aufgeſagt kriegt, antwortete der Rothhaarige.

Wenn ich einer Creatur, die in ihrer Unver - nunft keinen Begriff davon hat, daß Hochzeit iſt, die Rippen im Leibe caput ſchlage, ſo hilft das nicht abſonderlich zur Luſtbarkeit, verſetzte der Hof - ſchulze kaltblütig. Genug, du biſt aus dem Dienſte2*20und kannſt froh ſeyn, daß ich dir nicht den Scha - den vom Lohne abziehe, wie Rechtens wäre.

Der Rothhaarige bat hierauf ſeinen geweſenen Herrn nur um die Vergünſtigung, wenigſtens noch ein Paar Tage im Hofe bleiben zu dürfen, da es ihm gar zu deſpectirlich ſei, gerade auf einer Hoch - zeit fortgejagt worden zu ſeyn. Dieſe Erlaubniß gab ihm der Hofſchulze, jedoch unter der Bedin - gung, daß er ſich nicht in den heutigen Zug miſche, denn er wolle ihn, ſagte er, bei dem Plaiſir nicht vor Augen haben. Der Rothhaarige ſetzte ſich mit einem giftigen Blicke auf einen Schemel im Flur, nicht weit von der kranken Bläſſe, deren Qualen ihm durchaus keine Gewiſſensbiſſe aufzuregen ſchie - nen. Er greinte und ſagte halblaut für ſich: Könnte ich dem alten Hunde noch zu guter Letzt einen rechten Poſſen ſpielen, ſo würde mir das eine wahre Herzerquickung ſeyn. Der Hof - ſchulze ging mit den Worten: Es muß Alles mit Manier behandelt werden, ſelbſt ein Vieh zu ſei - nen Gäſten, die ſich ſchon wieder in bedeutender Anzahl zu verſammeln angefangen hatten, und den Platz vor dem Hauſe nach dem Eichenkampe zu trinkend und rauchend erfüllten.

21

Denn heute war der Tag, an welchem die Neu - verheirathete mit uralt hergebrachter Feierlichkeit in ihr künftiges Wohnhaus eingeführt werden mußte. Zu dieſer Feierlichkeit gehörte eine Fahne, viel Schießgewehr, abermals ein Schmaus, jedoch dieſesmal im Gehöfte des jungen Ehemannes und wieder das Spinnrad, welches bei der Hochzeit ſeine Dienſte geleiſtet hatte.

Der Hochzeitbitter befeſtigte an einer Stange, von welcher bunte Bänder herabflatterten, ein großes weißes Leintuch und richtete ſo die Fahne zu. Gegen dreißig junge Burſchen hatten Flinten bei ſich, dieſe luden ſie mit grobem Schrot oder auch mit Kugeln, ſich in lauter und geräuſchiger Art vermeſſend, daß ſie der Fahne tüchtig eins verſetzen wollten. Die eine Brautjungfer brachte das Spinnrad getragen und endlich erſchien die Braut in ihrem geſtrigen Putze, gar ſehr verſchämt, nichts deſtoweniger aber immer noch mit der Braut - krone geſchmückt, obgleich ſie von den Anweſenden unter derben Scherzreden als Jungefrau begrüßt wurde. Nun ordnete ſich der Zug und ſetzte ſich nach dem Gehöfte des Schwiegerſohnes in Bewe - gung. Der Burſche mit der Fahne marſchirte an22 der Spitze, ſodann folgte das Ehepaar, dieſem ſchloſſen ſich Die mit den Flinten an, und darauf ſchritt der Brautvater einher, den übrigen Hoch - zeitgäſten zuvor.

Von den ſtädtiſchen Gäſten erſchien nur der alte Schmitz im Zuge. Denn die Uebrigen, der Diaconus, der Hauptmann und der Küſter waren nach der Stadt zurückgekehrt. Der Küſter war kein Freund vom Schießen, am wenigſten machte ihm eine ſolche Ergötzlichkeit Freude, wenn ſcharf geladen war. Er pflegte daher an dem zweiten Tage der bäuerlichen Hochzeiten jederzeit eilige und unaufſchiebbare Geſchäfte vorzuſchützen, um ſich mit Anſtand entfernen zu dürfen. Am dritten Tage kehrte er dann mit ſeiner Magd in das Hoch - zeithaus zur Abholung des ihm gebührenden Bün - dels zurück. Heute hatte er noch einen beſonderen Grund gehabt, ſich ſchleunigſt fortzubegeben. Denn von Ageſel, der ſich auch heiter und rüſtig An - fangs unter den Feſtgenoſſen auf dem Platze be - funden hatte, war ihm mit einem der unheimlich - ſten Blicke, wie ihn wenigſtens bedünkte, das ver - hängnißvolle Wort zugeraunt worden: Ich muß Sie durchaus im Vertrauen ſprechen, Herr Amts -23 bruder! Grund genug, ſeine Schritte ſtadt - wärts zu beflügeln.

Was den Diaconus betrifft, ſo hatte er vor ſeiner Abreiſe das junge Paar, welches er ſo un - erwartet vor dem Altare gefunden, ſprechen wollen, um mit ihnen über ihre Zukunft zu berathen, die ihm freilich, nachdem er von der Ueberraſchung jenes Augenblicks zum Bedenken zurückgekommen war, ſehr zweifelhaft ausſah. Er erſtaunte, als er hörte, daß der Jäger abweſend und Lisbeth unpaß ſei. Indeſſen hatte er wirkliche Geſchäfte in der Stadt, wie der Küſter erdichtete, und deß - halb konnte er nicht länger außerhalb verweilen. Er verließ ſich darauf, daß die jungen Leute zu ihm kommen würden, und daß dann das Nöthige überlegt werden könnte. Manche Sorge machte ihm das liebliche Verhältniß; er ſah, da er den Stand des Jägers kannte, nicht ein, wie aus jener Liebe ſich ein Bund für das Leben geſtalten ſollte.

Ageſel trennte ſich, ſobald der Zug den Platz vor dem Hauſe verließ, von den Anderen, denn auch ihn riefen nähere Intereſſen ab. Er ging nach dem Schulhauſe, welches zu beziehen er ge - gründete Ausſicht hatte, beſichtigte das Gebäude24 oder vielmehr das Baufällige, welches ein Haus vorſtellen wollte, maaß den Weidefleck ab und verglich deſſen Flächeninhalt mit dem Hackelpfiffelsberger. Dieſe Unterſuchung lieferte ein günſtiges Ergebniß. Er hatte hier drei Quadratruthen mehr als dort, worauf ſich immer noch eine Gans mit ſatt freſſen konnte. Während des Abmeſſens hing er ſeinem Plane nach, den er in den Worten zu dem Küſter angedeutet hatte.

Als der Zug über die nächſten Umgebungen des Oberhofes hinaus war, wurde es in dieſem ganz ſtill, ſo daß man die Fliege an der Wand gehen hören konnte, denn auch die Knechte und Mägde waren nach der Snaat*)Die Umgrenzung des zu einem Hofe gehörigen Feld -, Wie - ſen - und Baumgrundes. des Schwieger - ſohnes gelaufen. Nur der rothhaarige Knecht ſaß grollend unten im Flur bei den Kühen. Er war ein wilder tückiſcher Kerl und ſeine Gedanken gin - gen in dieſer Einſamkeit von einem Frevel zum anderen. Er blickte das Feuer auf dem Kochheerde an und ſagte: Wenn ein Brand davon in das Stroh des Stalles geſchleudert würde, ſo flöge der rothe Hahn dem Alten auf das Dach, und es25 würde dennoch immerhin heißen, ein Funken ſei zufällig, da kein Menſch auf das Feuer Acht ge - habt, in das Stroh geſprungen. Nach dem Wandſchranke, worin die Mitgift ſtand, ſah er und murmelte: Ein tüchtiger Beilſchlag und der Deckel ſpränge auf und Unſereins hätte ſechstauſend Tha - ler, womit ſich weit außer Landes kommen läßt. Da fragt kein Kuckuck nach Einem. Ihn überlief es heiß, er ſtreckte zuweilen ſeine Hand nach dem Feuer aus und zuweilen erhob er ſich dann wieder vom Schemel, als wollte er nach der Stube gehen, worin ſich der Wandſchrank befand.

In dieſen gefährlichen Gedanken horchte er plötz - lich auf, denn oben an der Treppe hörte er Ge - räuſch, als ob Jemand ſacht über den Gang ſchleiche nach der Treppe zu. Er ſtand auf und ſchlich ebenfalls ſacht nach dem Treppenfuße, um zu ſehen, wer denn da oben ſo verſtohlen zu gehen genöthiget ſei. Man konnte nämlich von unten den Raum des Ganges zunächſt der Treppe überblicken. Nicht lange währte es, ſo blickten zwei überraſchte Ge - ſichter einander an, von denen Eins blitzſchnell den Ausdruck des größten Schrecks und Entſetzens an - nahm. Der Knecht ſah nämlich zu dem Spielmann26 auf, der einen langen mit einem Tuche umwickel - ten Gegenſtand unter dem Arme vorſichtig nach der Treppe geſchlichen kam und ſchon den einen Fuß auf deren erſte Stufe geſetzt hatte, als er den Blick hinunterwerfend, Den unten anſichtig ward, den er freilich weit vom Hofe bei dem Schießen um die Snaat vermuthend geweſen war. Einige Augenblicke ſtanden die Beiden, die einan - der unwillkommene Zeugen wurden, der Eine des ausgeführten, der Andere des vorgeſetzten Frevels, glotzend einander gegenüber, der Eine oben, der Andere unten. Dann aber ſprang der Spielmann zurück, und der Knecht hörte ihn die Treppe nach dem Söller hinauflaufen. Der Kerl hat ſtehlen wollen! rief der Knecht und ſtürzte die Treppe hinauf.

In jenem vielverſprechenden Fragmente des Fauſt, welches Leſſing hinterlaſſen hat, erklärt der Magus den Geiſt der Hölle für den ſchnellſten unter Allen, welcher von ſich rühmt, daß er ſo ſchnell ſei, als der Uebergang vom Guten zum Böſen. Aber auch einen Engel giebt es, der die - ſem Teufel die Spitze bietet, er wirkt die Ueber - gänge vom Böſen zum Guten, oder wenigſtens27 zum minder Schlimmen, und dieſe ſind in der Menſchenbruſt, ſelbſt in der rohſten, oft nicht lang - ſamer als die Werke jenes Teufels.

Der rothhaarige tückiſche Knecht, welcher noch ſo eben ſelbſt an Mordbrennerei und Raub gedacht und ſich in dem Augenblicke, wo er den Spielmann erblickte, nur geärgert hatte, daß ſein Vorhaben durch einen Lauſcher vereitelt werde, hegte ſchon in der zweiten Hälfte des nämlichen Augenblicks keinen anderen Gedanken, als daß der Spitzbube von Spielmann ſeinen Herrn beſtehlen wolle, und daß er, der Knecht, das nicht leiden dürfe, ſon - dern den Dieb feſtnehmen und dem Hofſchulzen überliefern müſſe. Er ſtürzte alſo die Treppe hinauf, fiel vor übergroßer Eile über einen Kaſten, der oben auf dem Gange ſtand, ſo, daß er ſich vor Schmerz nur langſam aufrichten konnte, ließ aber dennoch von ſeinem Vorſatze nicht ab, ſondern ſetzte die Verfolgung fort, wenn auch langſamer, als er ſie angefangen hatte.

Oben auf dem Söller kam ihm der Spielmann aus der Ecke, worin ſich der Verſchlag des Jägers befand, entgegen. Der Knecht, deſſen Arme von dem Falle nicht gelitten hatten, packte ihn bei der28 Schulter, dergeſtalt, daß der Spielmann wie eine Jacke ohne körperlichen Inhalt hin und her flog, und rief: Hallunke, was haſt du geſtohlen?

Nichts, verſetzte der Spielmann, der ungeachtet aller Angſt vor dem baumſtarken Knechte den Trotz beibehielt, der ſolchen Leuten in ſolchen Lagen eigen zu ſeyn pflegt; ſeht Ihr etwas bei mir? Wirklich trug der Spielmann nichts mehr unter dem Arme. Der Knecht unterſuchte ſeine Klei - dungsſtücke, aber auch in denen war nichts zu entdecken. Außer der alten grauen Jacke, den zerriſſenen und geflickten Hoſen und ſeinem eigenen armſeligen Leibe führte er nichts an und bei ſich. Der Knecht ließ die Hände ſinken und ſah aus wie Einer, der nicht weiß, was er thun oder denken ſoll.

Der Spielmann, deſſen Zuverſicht wuchs, je unſchlüſſiger er den Knecht werden ſah, ſagte keck: Nun, habe ich geſtohlen? Ich weiß nicht, ver - ſetzte der Rothhaarige, wohin du es abgeworfen haſt, aber ich will dich prügeln, daß dir die Seele aus dem Leibe geht, damit du mir die Stelle anzeigſt.

Gut, rief der Spielmann, der ſich nicht ein - ſchüchtern ließ, prügelt mich nur ab, prügelt einen29 unſchuldigen Menſchen nur ab, Eurem Herrn zu Gefallen, der Euch aus dem Dienſte jagte! Er hatte von ſeinem Verſteck das Geſpräch zwi - ſchen dem Hofſchulzen und dem Rothhaarigen gehört.

Dieſe Erinnerung warf den Knecht auf die andere Seite hinüber. Nein! rief er mit einem Fluche, ſtehlen ſoll zwar Keiner bei ihm, ſo lange ich noch im Hofe bin, denn dafür bin ich ſein Knecht, aber zu Gefallen thue ich ihm auch nichts, denn dazu hat er mich zu ſchlecht behan - delt. Nun denn, ſo laßt mich laufen, ſagte der Spielmann.

Sprich, was du begangen haſt, Kerl, und du ſollſt laufen, verſetzte der Knecht.

Der Spielmann ſah ſich um, als fürchte er ſelbſt hier einen Lauſcher, dann murmelte er dem Knechte in’s Ohr: Einen Schabernack habe ich dem Hofſchulzen anthun wollen, und, wie ich hoffe, auch angethan. Sonſt habe ich nichts wi - der ihn vorgenommen, noch vornehmen wollen.

Der Knecht dachte nach. Vor Schabernack brauche ich den Alten nicht zu bewahren, ſondern nur vor Stehlen, Brennen und Viehſchaden; das iſt meine Obliegenheit. Dann gab er dem Spiel -30 mann einen Streich mit der Hand und rief: Lauf, du Hund! Der Spielmann folgte dieſer Wei - ſung und ſprang behende die Söllertreppe hinunter. Der Rothhaarige hinkte ihm langſam nach. Unten im Flure ſagte er: Wenn der Baas ein Stück Schabernack hat, ſo kann es mir ganz recht ſeyn, wofern er nur nicht an Geld oder Gut be - ſchädiget wird. Denn hilf dir zuvor ſelber, ehe du Andere arzeneieſt . Dieſen Spruch hat er mir letzte Martini mitgetheilt und danach halte ich mich nun. Ich helfe mir zu allererſt ſelber und meiner Bosheit auf ihn durch den Schabernack, den ihm der blinde Hallunke angethan hat. Hier - auf ſetzte er ſich wieder, wo er geſeſſen hatte, als ob nichts vorgefallen wäre; entſchloſſen, um keinen Preis etwas von dem geheimen Beſuche des Pa - triotencaspar’s im Oberhofe zu verlautbaren.

31

Zweites Capitel. Wie der Sammler und der Hofſchulze ſich abermals entzweiten.

Der Hochzeitzug umging indeſſen die Snaat des Schwiegerſohnes. Die Menſchen ſchrien und jauchzten, von häufig genoſſenen geiſtigen Geträn - ken erregt, dazwiſchen knallten die Gewehre, wo - mit die jungen Burſchen nach dem Tuche der Fahne zielten, und ſo oft ein Schuß traf, erhob ſich ein noch lauterer Jubel, denn es iſt ein Ehrenpunct bei dieſem Brauche, daß die Fahne ganz zerſchoſſen in das Haus der jungen Eheleute gelangt, weil der Umſtand für ein günſtiges Vorzeichen gilt. Alles war heute wilder und ſtürmiſcher als geſtern, denn die Bauern lieben es, die letzten Augenblicke einer Feſtesfreude beſonders gierig auszukoſten.

Das Firmament ſpielte bei dieſer heftigen und lärmenden Scene mit. Der Zug um das32 weitläuftige Gelände dauerte, da er nur im lang - ſamen Schritt vorrückte, mehrere Stunden, und ſchon hatte ſich der Haarrauch herbeigemacht, der bald Alles in ſeine Nebel hüllte. Die Bauern waren über den alten Bekannten durchaus nicht ver - drießlich, vielmehr ſteigerte der Schwaden, Qualm und Geruch ihre Luſt. Wie nun ſo die Geſtalten grau durch den Nebel zogen, das Jauchzen aus dem Schwaden hervorbrach und die Blitze von den Schüſſen gelbröthlich in dem Qualme zuckten, be - kam das Ganze etwas Schattenhaftes, und es war, als ob Götze Krodo mit ſeinem Koboldsge - folge emporgeſtiegen ſei und unter Knall und Ge - praſſel von ſeiner alten Domaine Beſitz nehme.

Auf dieſe Weiſe wurde der jungen Frau ihr Eigenthum gezeigt. Die Fahne kam, kaum noch aus Fetzen beſtehend, in das Haus des Schwie - gerſohnes und Alles hatte ſonach einen guten An - ſchein. Es war über dem Zuge zwei Uhr Nach - mittags geworden und die ganze Hochzeitgenoſſen - ſchaft ſetzte ſich nun im Hauſe der neuen Gatten abermals zu einem derben Schmauſe nieder, man kann denken, mit welcher Eßluſt. Dießmal wurde das Eſſen durch keine vornehmen und ſonſtigen fremd -33 artigen Einwirkungen geſtört; die Bauern waren rein unter ſich und thaten nichts als eſſen und trinken.

Nach dem Schluſſe des Mahles erfolgte die letzte Handlung in dieſem Feſtdrama. Die junge Frau hatte nämlich jetzt noch die Gaben einzuneh - men. Sie erhob ſich mit feierlicher Miene von der Speiſetafel, ſetzte ſich an einen Tiſch zur Seite, ließ Spinnrad und Haspel neben ſich ſtellen, ſchlug zwei ihrer Röcke, deren ſie mehrere trug, über den Schooß zurück, und erwartete ſo, die Augen niedergeſchlagen, die Spenden der Gäſte. Dieſe ſtanden Einer nach dem Anderen eben ſo feierlich auf, gingen zu ihr, und legten ein Jeder ſchwei - gend einige Groſchen ihr unter die zurückgeſchlage - nen Röcke. Einige legten auch Naturalien auf den Tiſch vor ihr; ein Huhn, einen Kuchen, ein Mandel Eier, oder ſonſt dergleichen. Nachdem Jeder ſeine Gabe dargebracht hatte, ging die Be - ſchenkte Reihe herum bei den Gäſten und dankte einem Jeden derſelben mit den nämlichen Worten. Nun war ſie erſt wirkliche Hausfrau im Jürgens - erbe (ſo hieß der Hof des Schwiegerſohnes) gewor - den. Sie legte ihre Brautkrone ab und tanzteImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 334als Frau in dem Reigen mit, der nun zum Schluſſe der Hochzeit im Baumgarten begann.

Während des Tanzes ſprach der Hofſchulze leiſe und eifrig mit einigen Bauern. Es waren die Beſitzer der reichſten Nachbarhöfe. Sie nickten und ſagten: Es bleibt dabei, wir kommen Alle. Hierauf nahm er den Schwiegerſohn bei Seite und flüſterte ihm zu: Vergiß nicht zu morgen die Looſung Ich werde es wahrhaftig nicht vergeſſen, denn ich trage das größte Begehren danach; der Haar - rauch kommt wie gerufen, ſo bleibt Alles in der Heimlichkeit, verſetzte der Schwiegerſohn.

Der alte Schmitz hatte ungeduldig in der Nähe gewartet. Sobald der Hofſchulze von ſeinem Ei - dam zurücktrat, ging der Sammler auf ihn zu und ſagte ihm mit einer zugleich mürriſchen und ver - legenen Miene, daß es nun wohl endlich an der Zeit ſei, ihr Geſchäft abzumachen.

Allerdings kann nun das Geſchäft vor ſich gehen, denn der Tanz iſt nur noch ein Plaiſir für die jungen Leute, erwiederte der Hofſchulze. Was iſt es denn, Herr Schmitz?

Nicht hier, verſetzte der Sammler. Zwar möchte ich gern von hier abgehen, denn ich muß doch35 wieder durch, wenn ich nach der Stadt will und deßhalb hätte ich gewünſcht, heute Morgen auf dem Oberhofe die Sache richtig zu machen. Dort aber muß ſie vorgenommen werden, weil ich das Meinige gleich mit mir nehmen will. Er ſagte die letzten Worte mit ſichtlicher Ueberwindung.

Auch dieſes, antwortete der Hofſchulze. Die beiden alten Leute gingen nebeneinander nach dem Oberhofe. Der Sammler ſprach faſt gar nicht und der Hofſchulze nur Weniges. Dazu gehörte, daß er ſagte, er ſei von Herzen froh, daß das Plaiſir ſeine Endſchaft erreicht habe, denn nach den erſten Confuſionen und Tumulten, die ſich zugetragen, habe ihm immer ein Druck am Her - zen geſeſſen, als müſſe ein großes Malheur bevor - ſtehen.

Es iſt bekannt, daß Ihr an Ahnungen glaubt, Hofſchulze, ſagte der alte Schmitz.

Von Ahnungen weiß ich nichts Sonderliches, erwiederte der Hofſchulze kalt. Aber Vorge - ſchichten giebt es, fuhr er ſehr ernſthaft fort. So habe ich damals Anno Zwölf die ganze ruſſiſche Armee über den Hellweg ziehen ſehen, als ich auswärts geweſen war und nach Hauſe ging.

3*36

Es war wohl um die Mitternachtsſtunde, Hof - ſchulze?

Nein, Nachmittags um vier Uhr bei trübem Wetter im September, mich dünkt, gerade um die Zeit, als der Franzoſe in Moskau einzog; Herr Schmitz.

Dergleichen iſt nun purer Aberglaube! rief der alte Schmitz, welchem ein Streit mit dem Hof - ſchulzen vielleicht angenehm geweſen wäre, um ſich für das, was bevorſtand, in Feuer zu jagen.

Der Hofſchulze blieb aber ganz freundlich und erwiederte gelaſſen: Nein, eine Gabe Gottes, Herr Schmitz.

Unter dieſen Reden waren ſie nach dem Ober - hofe gekommen. Der Alte ſtutzte einigermaßen, als ſein Gaſt ihn bat, mit ihm zu den Ställen zu gehen, und noch mehr befremdete es ihn, da er wahrnahm, daß dieſer kaum ein Zittern verbergen konnte. Wie wuchs aber ſein Erſtaunen, als der Sammler die Thüre des Hühnerſtalls aufriß, heftig mit der Hand hinein deutete und erſtickten Tones rief: Da ſteht Eure Amphora und ich bitte mir da - gegen meinen Schein aus! Wirklich ſah der Hof - ſchulze im Stalle den Weinkrug ſtehen, der ſchon37 einmal der Gegenſtand eines ſo heftigen Streites geweſen war, und den der Sammler in der Dun - kelheit des vorigen Abends hatte dahin bringen laſſen. Er trat drei Schritte zurück und fragte, indem er den alten Schmitz groß anſah: Was ſoll das, und was bedeutet dieſes?

Der alte Sammler, dem die Sache das Herz durchſchnitt, ſprudelte wie eine Flaſche, von wel - cher der Pfropfen abgeflogen iſt: Es bedeutet, daß Ihr Eure Amphora wiederbekommt, um welche ich mein Gewiſſen, welches in einer ſchwachen Stunde eingeſchlafen war, nicht belaſten will, und welche mir zwar, das weiß Gott, noch das aller - größte Vergnügen macht, jedoch ein unrechtes und verbotenes! Durch ſolche Schandthaten, und indem immer ein Schelm dem Anderen ſeinen Plunder als ächtes Alterthum atteſtirte, ſind die Samm - lungen mit Narrenpoſſen und Quisquilien ange - füllt worden. Ich aber will dazu nicht die Hand bieten, daß Euer Lerchenſpieß noch einmal künftig von einem großen Herrn, der in ſolchen Sachen die liebe Einfalt und Dummheit iſt, für ſchweres Geld angekauft wird, ſondern ich begehre meinen Schein zurück, worauf das ſogenannte Karls-des -38 Großen-Schwert wieder wird, was es war und iſt und bleiben ſoll, nämlich ein Bratenſpieß frü - heſtens aus der Soeſter Fehde, den ein Reiſiger des Erzbiſchofs hier mag in den Büſchen haben ſtehen laſſen.

Demnach wollen Sie alſo die alten Zweifel an dem Schwerte von Carolus Magnus wieder regen und rühren? fragte der Hofſchulze, der ſich zwar gegen den Anderen ſcheinbar ruhig ausnahm, jedoch auch mit einiger Mühe nach Athem rang.

Es ſind keine Zweifel, es iſt die klarſte Ge - wißheit; meinen Schein, meinen Schein her! ſtam - melte der Sammler, der die ſchleunigſte Beendi - gung des Geſchäfts wünſchte, weil er fühlte, wie der Muth der Wahrheit im Angeſichte der Amphora bei ihm ſank.

Sie behalten den alten Topf, und ich behalte den Schein, Herr Schmitz, ſagte der Hofſchulze und bohrte ſeinen Stock wieder wie geſtern bei dem Vorfalle mit dem Hochzeitbitter, tief in die Erde. Der Sammler fragte ihn heftig, ob das ſein letztes Wort ſei? welche Frage der Hofſchulze bejahte, mit dem Hinzufügen: Handel iſt Handel.

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Dann kommt die ganze Sache in den Anzei - ger! rief der alte Schmitz zornig und machte ſich, ohne von ſeinem Wirthe Abſchied zu nehmen, auf den Weg. Der Hofſchulze ſtand noch einige Au - genblicke voll nachdenklichen Verdruſſes vor dem Stalle. Er war ſo böſe auf die Amphora, daß er ſie hätte zerſchlagen können, wäre ſie nicht eines Anderen Eigenthum geweſen. Die Erwäh - nung des rheiniſch-weſtphäliſchen Anzeigers war ihm ſchwer auf das Herz gefallen. Denn er wußte, daß dieſes Blatt, welches durch alle Ortſchaften, Weiler und Gehöfte des Landes ſeine Wanderung macht, dem Credit des Schwertes ſehr ſchaden könne, wenn darin ſtehen werde, Letzteres ſei ein Bratenſpieß früheſtens aus der Soeſter Fehde.

Ei! Ei! Ei! ſagte er mißmuthig, muß mir das doch noch heute begegnen, nachdem ich glaubte, allen Aerger überſtanden zu haben! Es iſt alſo doch wahr, daß man von dem, was Einem das Liebſte iſt, zu keinem Menſchen reden ſoll; ſie fechten es Einem nur an. Hätte ich dem Herrn Schmitz nicht einſtmalen in der Vertraulichkeit die Sache mit dem Schwerte entdeckt, nimmer wäre mir darüber die Streiterei und Zweifelſucht und40 Mäkelung entſtanden, die mich ſeitdem Jahraus Jahrein verfolgt hat. Er ging in das Haus, fragte den rothhaarigen Knecht, ob Jemand da geweſen ſei? welches dieſer grinſend verneinte, und ſtieg dann zu der Kammer empor, in welcher er die Waffe verwahrte, um an ihrem Anblicke ſeinen Muth zu erfriſchen. Auch wollte er ſie für die morgende heimliche Weihe, bei welcher ſie eine Hauptrolle ſpielen ſollte, vom Staube ſäubern. Denn das Schwert war lange nicht gebraucht worden.

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Drittes Capitel. Die Geſchichte eines Geächteten.

Der Patriotencaspar hatte ſich, nachdem er vom Rothhaarigen verabſchiedet worden war, noch immer in der Nähe des Oberhofes umhergetrieben, um mit dem alten Schmitz zu ſprechen. Denn zu dieſem hatte der gemiedene und geringgeſchätzte Menſch eine Art von Verhältniß. Der Sammler hatte ihm manchen Groſchen geſchenkt und ſah ihn nicht ungern. Weil der Patriotencaspar überall umherſtrich und kroch, ſo war es ihm möglich ge - weſen, dem alten Raritätenfreunde hin und wieder eine nützliche Nachweiſung zu ertheilen, oder ihm auch wohl ſelbſt irgend ein ſeltſam geformtes Schnitzwerk zuzubringen. Der alte Sammler war daher auch der Einzige, bei deſſen Anblick in die arme und elende Bruſt dieſes jämmerlichen Bett - lers ein Gefühl drang, daß er doch nicht ganz und42 gar auf dieſer Gotteswelt ein Ausgeſtoßener ſei. Für den alten Schmitz wäre er durch’s Feuer gegangen, er, der ſonſt am vergnügteſten lachte, wenn Anderen etwas recht Uebles begegnet war.

Jetzt lauſchte er hinter einer Wallhecke an einem Felde des Oberhofes, ob er ſeinen alten Gönner nicht allein anſichtig werden möchte. Als er ihn vorher in der Geſellſchaft des Hofſchulzen vorbeiwandern geſehen, hatte er nicht gewagt, ihn anzureden. Entdecken wollte er ihm etwas vorlängſt Geſchehenes, und ihn um eine ſonderbare Hülfe erſuchen. Nach langem Harren war ihm endlich die rechte Stunde dazu gekommen. Nun ich meine Luſt gebüßt habe an dem alten Blut - hunde und er den Tort hoffentlich nicht verwindet, den ich ihm angethan denn es liegt wohl ver - ſteckt, tief verſteckt, und das Dach wird er dar - nach nicht abdecken laſſen nun will ich auch mein Recht erleiden, wie Recht iſt, ſagte er hinter ſeiner Wallhecke.

Der alte Schmitz kam vom Oberhofe zurück und ging vorüber. Der Patriotencaspar begrüßte ihn und ſagte: Herr Schmitz, ich habe hier auf Sie gewartet, weil ich Ihnen etwas offenbaren wollte.

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So verdrießlich der Sammler war; dieſe An - rede, in welcher er nur die Ankündigung eines Fundes für ſein Cabinet zu hören glaubte, machte ihn aufmerkſam. Er ſtand ſtill und fragte: Was iſt es denn, Caspar? Nein, verſetzte der Spiel - mann, indem er ſeinen Leierkaſten über den Rücken warf, hier kann es nicht geſchehen, ſondern an Ort und Stelle muß es veroffenbart werden.

Er ging dem Sammler auf dem Wege, der nach dem Hofe des Schwiegerſohnes führte, voran, bog jedoch einige hundert Schritte von dieſem Hofe in einen Seitenpfad ein, der zwiſchen Erd - wänden vertieft unter hohen Rüſtern dunkel fort - lief. Nicht weit hinein kreuzte den erſten Pfad ein zweiter. Er war noch dunkler, weil ihn noch höhere Bäume überſchatteten.

An dieſem Kreuzwege, der einſam und ſchauer - lich zwiſchen den Erdwällen, Rüſtern, zwiſchen Brombeergebüſch, Nachtſchatten und Schierling lag, ſetzte der Spielmann ſeinen Leierkaſten ab, bog einen Brombeerbuſch zurück, ſo daß ein großer Stein entblößt wurde, kniete vor dem Steine nieder und ſagte dann, halbrückwärts nach dem Sammler gewendet: Hier war’s.

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Der Sammler, welcher glaubte, der Patrio - tencaspar werde dort etwas für ihn aus der Erde ſcharren, trat dicht zu ihm hin, ſenkte ſeinen Kopf, ſo daß er faſt die Schulter des Knienden berührte und fragte eifrig: Was? Was?

Der Patriotencaspar ſah ihm, mit dem Auge unſtät zwinkernd in das Geſicht und ſagte heiſer und gedämpft: Hier habe ich einſtmals des Hof - ſchulzen ſeinen Sohn, den Fritze, todtgeſchlagen.

Ein Knabe, der von einem Strauche eben eine leckere Beere pflücken will und dem unver - ſehens unter dem Strauche eine Natter mit fun - kelnden Augen entgegenziſcht, kann nicht erſchreck - ter zurückfahren, als der alte Schmitz bei dieſer Eröffnung vor dem Patriotencaspar zurückfuhr. Den Blick ſtarr auf ihn heftend und rückwärts vor ihm weichend, als fürchte er, einem geſtändi - gen Mörder ſeinen Rücken Preis zu geben, ent - fernte er ſich bis in die entgegengeſetzte Ecke des Kreuzweges. Dort blieb er ſtehen, den Patrioten - caspar immer in das Auge gefaßt, unſchlüſſig, ob er nun ſich wenden, ſo fortgehen und dadurch den gefährlichen Menſchen aus ſeinem beobachtenden Blicke verlieren ſollte.

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Der Patriotencaspar ſeinerſeits richtete ſich an dem Steine empor. Als er bemerkte, welchen Ein - druck ſeine Worte auf den einzigen Gönner mach - ten, den er beſaß, nahm ſein Auge einen weh - müthigen Glanz an, und in der verwüſteten Stimme zitterte etwas wie Trauer, als er ſo ſprach: Ach, mein lieber Herr Schmitz, warum fürchten Sie ſich doch vor mir? Ich bin ja ein armer, zer - lumpter, von Hunger entkräfteter Menſch. Sehen Sie, da kehre ich meine Taſchen um, und es iſt nichts darin, weder Meſſer, noch Hammer noch ſonſt etwas, womit ich Sie erſtechen oder erſchla - gen könnte. Wenn Sie ſich aber vor meinen Fäuſten fürchten, ſo will ich da mit meinem Hals - tuche ſie binden, ſo daß Sie ganz ſicher ſeyn kön - nen, daß Ihnen kein Leid von mir widerfährt. Ich wollte Ihnen bloß die alte Geſchichte erzählen und Sie um eine Güte und Gefälligkeit bitten.

Der Sammler, der ſich noch immer nicht zu faſſen wußte, ſagte: Ich glaube, Ihr ſeid betrun - ken, Caspar.

Nein, Herr Schmitz, wüßte nicht, woher das kommen ſollte, indem ich wenig genoſſen habe, verſetzte der Patriotencaspar. Ich wiederhole Ihnen46 in der Nüchternheit: Hier habe ich des Hofſchulzen ſeinen Fritze todtgeſchlagen. Es iſt aber lange her und Gras iſt darüber gewachſen. Indeſſen will ich mein Recht über dieſe That haben, denn nunmehr iſt die Stunde dazu gekommen, nachdem ich mei - nem Feinde und Ueberwältiger den Tort gethan habe, den er verdiente, und dazu ſuche ich Ihren Rath und Beiſtand, weil Sie ein Schriftgelehrter ſind und mir mitunter eine Gütigkeit erwieſen haben.

Der klagende und ſanfte Ton, womit der Pa - triotencaspar dieſes vorbrachte, flößte dem alten Schmitz Muth ein. Neugierig, wie er von Natur war, empfand er ein Verlangen nach den Dingen, die einen Menſchen bewegen konnten, über einen verſchollenen Frevel zum Ankläger wider ſich zu werden. Der Patriotencaspar ſchwieg aber, ſenkte ſeinen Blick und ſchien eine Aufmunterung erwar - ten zu wollen. Endlich ſagte der Sammler: Ich habe wohl vor Jahren davon gehört, daß ein Sohn des Hofſchulzen plötzlich zu Tode gekommen ſei; es hieß aber damals, er ſei mit der Stirn auf einen Stein aufgeſchlagen.

Ja, ſo hieß es damals, verſetzte der Patrio - tencaspar. Mit der Stirn ſchlug er allerdings47 auf einen Stein, und zwar auf dieſen da, neben welchem ich ſtehe, allein nicht von ſelbſt, ſondern von einem Anderen mit der Fauſt gegen den Stein geſtoßen, und wer ihn ſo lange mit der Fauſt gegen den Stein ſtieß, bis die Hirnſchaale zer - barſt, das war ich.

Alſo hatte doch jenes zweite alte Gerücht, was auch im Stillen hie und da umherlief, Recht! ſagte der Sammler. Aber wie kam es, daß die Geſchichte nicht angezeigt und den Gerichten überwieſen wurde?

Das hängt mit dieſem meinem ausgeſchlagenen Auge, mit des Hofſchulzen ſeinem Hochmuth und mit dem Freiſtuhl da droben an jenem Berge zu - ſammen, ſagte der Spielmann.

Der Sammler verſetzte: Bringt Eure Geſchichte ordentlich und im Zuſammenhange vor, Caspar. Denn aus dieſen zerſtückelten Reden kann ſich Nie - mand vernehmen.

Der Patriotencaspar erzählte hierauf an dem Mordſteine ſtehend, dem alten Schmitz, welcher ihm gegenüber an der anderen Seite des Kreuz - weges ſtehen blieb, Folgendes:

Herr Schmitz, in den Geſchichten, die ich da auf meinem Leierkaſten feil habe, kommen mitunter48 auch Sachen vor von Leuten, die Ihresgleichen ächteten und von ſich ausſtießen. Als zum Bei - ſpiel; Einen trieben ſie vor dieſem aus, weil er gar zu gerecht war, und ein General wurde zu alten Zeiten verbannt, weil ſie ihm nachſagten, er mache den armen Leuten das Brod theuer, und dann gab es auch wieder einmal einen Herzog, der geächtet wurde, weil er ſeinen Freund nicht hatte verlaſſen wollen. Dieſe armen elendigen Verbannten führten ein jämmerliches Leben. Mei - ſtentheils iſt zwar dergleichen nur bei großen Herren und vornehmen Standesperſonen vorgekommen, aber auch unter dem Bauerſtande kann ſich die Sache zutragen, und mit mir hat ſie ſich begeben.

Herr Schmitz, ich war zu meiner Zeit ein flinker, anſtelliger Kerl und hatte mehr Witz als aller der Bauerpöbel hier herum zuſammengenom - men. Sah auch recht gut aus

Ei, fiel der Sammler ein, Ihr habt ja ſtäts eine hohe Schulter gehabt, Caspar.

Das thut nichts, erwiederte der Patriotencaspar, demohnerachtet kann man doch ſchön ausſehen. Sah alſo recht gut aus, ehe ich das eine Auge verlor und in die Hungersnoth verſank, hatte was49 erlebt draußen als junger Menſch. Denn, wie Sie wiſſen, war ich dabei, als die alte Orange in Schonhoven vermoleſtirt wurde und kam auch nach Gorkum und Nieuuwport mit den Patrioten dazumal. Ich ſchor mich den Teufel um den Krimskrams hier unter den Bauerkerls, ſagt ihnen oft die Wahrheit über ihre Einfalt und es ſetzte ſchon gleich zu Anfang viel Streit und Wortwech - ſelung mit ihnen. Es gab nie keinen Vertrag mit ihnen recht, denn ſie konnten es mir nicht verzeihen, daß ich klüger war als ſie und gewitz - ter. Alſo gut; wie ich meine vollen Jahre erreicht hatte, trat ich das Colonat an, denn Sie müſſen wiſſen, daß der Windkotten uns gehörte, mir und meiner Familie; ein recht hübſches Erb mit Feld, Baumgarten und Wieſenwachs, was nachgehends freilich parcellirt worden iſt, und das Haus hat der Jude abbrechen laſſen, der das Ganze zuletzt kaufte, ſo daß ich ſelbſt kaum noch weiß, wo die Stätte gelegen hat.

Wie ich nun ſo Colon und Hofesbeſitzer war, da ging der rechte Verdruß erſt an, Herr Schmitz. Denn ich konnte es gar nicht vertragen, daß die Großen beſſer ſeyn wollten, als wir Kleinen undImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 450daß ſo ein Hofſchulte es wie eine Gnade anſah, wenn er mit einem Kötter trank. Denn ich dachte: Ich baue ſo gut mein Feld, wie Ihr, was habt Ihr denn alſo voraus? Ich ſetzte mich alſo dreiſt zu ihnen, wenn ich im Kruge mit ihnen zuſammen - traf, ich ſprach bei ihnen ungefordert ein. Wenn ich an einem der Großen vorüberging, that ich ſo als müſſe er mich zuerſt grüßen, und meinte, es wohl mit ihnen durchſetzen zu können. Aber, Herr Schmitz, man ſetzt dergleichen mit den Men - ſchen nicht durch, denn man iſt immer nur Einer und ſie ſind Viele, und das hält zuſammen wie Pech und Schwefel. Grob behandelten ſie mich, wenn ich ſie beſuchte, im Kruge rückten ſie von mir weg, und wollte ich von ihnen auf Landſtraße und Nachbarweg zuerſt gegrüßt ſeyn, ſo lachten ſie mir unter die Naſe und Keiner lupfte den Hut. Von Allen aber war der Hofſchulze im Oberhofe der Gröbſte und Stolzeſte und Schlimmſte; denn er iſt immer unmenſchlich reich geweſen und hat großes Anſehen von jeher gehabt.

Alſo, Herr Schmitz, den Hofſchulzen nahm ich mir apart auf’s Korn und dachte: Du ſollſt mir daran glauben. Er hatte aber eine Tochter aus51 erſter Ehe, denn drei Frauen hat der alte Kerl begraben laſſen und zum letztenmal, woraus nun die iſt, die geſtern Hochzeit machte, freite er, wie er ſchon ziemlich in den Jahren war. Die Tochter ſah recht gut aus, und ich war ihr auch recht gut, aber die Hauptſache, daß ich mich an ſie machte, war doch der Stolz, und weil ich mir einbil - dete, ich könne Alles durchſetzen, was ich wolle, und werde das Mädchen ſchon ’rumkriegen, wenn ich es nur recht anzufangen wiſſe. Ich hatte ſchon gemerkt, daß ſie auf Tänzen und Kindelbieren nach mir hinhörte, wenn ich ſo erzählte von mei - nen Fahrten, und darauf baute ich meinen Rath - ſchlag und ſah ſie unaufhörlich ſtarr an, wenn ich ihr nahe kam, ſo daß ſie nicht wußte, wo ſie die Augen laſſen ſollte. Fing auch an, mich über mein Vermögen ſchön zu kleiden, das beſte licht - blaue Tuch mußte ich zum Rocke haben und ließ mir an die Jacken ſilberne Knöpfe ſetzen, die kein Anderer von den Colonen hatte, wodurch ich in Schulden gerieth. Eines Sonntages geht die Magdalis an mir vorüber, wie ich beſonders herausgeputzt war und ſagt: Ihr zieht Euch doch an, wie Keiner ſonſt, Caspar. Das geſchieht4*52ganz allein um Euch, Magdalis, antwortete ich, und wenn ich all mein Hab und Gut zuſetzte, ſo wollte ich mich noch ſchöner kleiden, wofern es Euch nur gefiele. Sie wurde roth und damit hatte ich ſie weg. Denn wenn man den Mädchen ſagt, daß man um ihretwillen einen neuen Rock angezogen hat, ſo ſind ſie caput.

Alſo die Sache kam in Gang und ich will Sie damit nicht aufhalten, Herr Schmitz. Genug, die Magdalis gab zu, daß ich an ihr careſſiren durft, und war Alles bald zwiſchen uns in Richtigkeit, wie es die Ordnung iſt unter Liebesleuten. Auch die Magdalis dacht in ihrer Dummheit, daß der Vater, weil es einmal ſo weit gekommen, werd ein Auge zudrücken müſſen. Deßhalb nahmen wir beiden Gimpel die Abſprache zuſammen, daß ich um ſie anhalten ſolle. Aber da kam ich ſchön an, Herr Schmitz, wie ich die Sache vortrug bei dem Alten. Denn ſelbſt mußte ich ſie vortragen; ein Freiwerber wollte ſich dazu nicht verſtehen. In meinem Leben iſt mir kein grimmigerer Menſch vorgekommen, als der Hofſchulze, wie er ſich benahm, da ich meinen Spruch herausgeſagt hatte. Ich wurde mit einem ſolchen Zorn und Hohn ange -53 laſſen, daß mir die Knochen bebten vor Aergerniß. Es fehlte nur, daß er mich fortpeitſchen ließ, und noch heut am Tage weiß ich nicht, wie ich vom Hofe gekommen bin.

Gut, dachte ich, willſt du ſie mir nicht zur Frau geben, ſo ſoll ſie Der Alte hielt ſie eingeſperrt und ſein Sohn, der Fritze, auch aus der erſten Ehe, paßte mir auf. Aber man kann die Leute ſchon belauern, wenn man nur will. Was nicht bei Tage geht, das geht bei Nacht, und darf man nicht zur Thür ’rein, ſo ſteigt man über die Mauer. Ich war denn alſo alle Nächte, die Gott werden ließ, bei der Magdalis, zu der ich durch das Fenſter gelangte. Doch ſie kamen dahinter, Herr Schmitz, der Alte und ſein Sohn. Und nun machten ſie zuſammen einen Plan auf mich, mir aufzulauern und mir das Leben zu nehmen.

Das iſt nicht wahr, unterbrach hier eifrig der alte Schmitz die Erzählung. Der Hofſchulze iſt ein eigenſinniger Mann, aber Schlechtigkeiten hat er nie getrieben.

Nun dann hat es der Junge, der Fritze, auf ſeine eigene Hand gethan, ſagte der Patrioten -54 caspar. Genug, ich weiß, was ich weggekriegt habe bei der Gelegenheit. Alſo, Herr Schmitz, eines Abends, wo es ganz dunkel war und ein ſchweres Unwetter heraufzog, komme ich auch von meinem Erb da herüber meinen gewöhnlichen Weg geſchritten. So höre ich da, wo Sie jetzt ſtehen, Herr Schmitz, etwas raſcheln in der Dunkelheit, und ehe ich noch meine Gedanken zuſammennehmen kann, ſpringt Das ohne einen Laut von ſich zu geben, auf mich zu, und ich habe einen Schlag mit einem Knüppel über den Kopf und einen Stoß in das linke Auge weg, daß mir beinahe Hören und Sehen vergeht. Im Auge iſt’s mir, als ob ein Dutzend Meſſer darin umgedreht würden, Naſſes läuft mir über die Backe ich aber denke, hier geht’s noch um Haut und Haar, iſt’s Auge ſchon weg und kriege meinen Cujon zu packen, und reiße ihm den Knüppel weg, denn, Herr Schmitz, ein Menſch, dem ſie das Auge ausſchlagen, hat fürchterliche Kräfte und gebe ihm die Erwiederung auf ſeinen Schädel, daß er aufgrölzt und ich an der Stimme den Fritze erkenne. Er bettelt um Gnade, aber ich ſchreie: Meine Gnade ſollſt du gleich ſpüren! reiße ihn in die Höhe; du verfluch -55 tiger Augenmörder! rufe ich, und ſtoße ſo lange den Bengel mit dem Kopf gegen den Stein hier, bis er ſtumm wird. Einen Ohrring hatte ich ihm bei der Balgerei abgeriſſen (denn er trug welche) den hielt ich in der Hand, wußte nicht, was da - mit anfangen, konnte ihn freilich nur wegwerfen, aber der Menſch iſt bei ſolcher Gelegenheit wie von ſich; unter dem Stein habe ich den Ring ver - ſcharrt, ſoll mich wundern, ob er noch da liegt?

Der Patriotencaspar, welcher den letzten Theil der Erzählung mit ſo lebendigen Gebärden vorge - bracht hatte, daß ſeinem alten Zuhörer ein Schau - der über die Haut rieſelte, wälzte trotz ſeiner anſcheinenden Kraftloſigkeit den Stein hinweg, kratzte etwas in der Erde darunter und zog mit einem gellenden Freudengeſchrei, als habe er den köſtlich - ſten Schatz entdeckt, einen Ohrring hervor, der nicht verroſtet war, weil er ſtark vergoldet gewe - ſen ſeyn mochte. Ei, wie ſo ein Ding übrig bleibt, wenn der Menſch längſt verrottet iſt! rief er, und gab den Ring dem alten Schmitz, der ihn nur zagend annahm.

Als ich nun dem Fritze das Seinige gereicht hatte, ließ ich ihn liegen und ging nach Hauſe,56 Herr Schmitz, fuhr der Patriotencaspar fort. Es war nun ſtarkes Unwetter geworden und bei dem Donnern und Blitzen unterweges wurde mir grau - lich zu Muthe. Ich dachte: Die Magdalis erwartet dich in ihrer Kammer, und ihr Bruder liegt da todt am Kreuzweg, und der Hofſchulze ſchläft und läßt ſich nichts träumen, und du gehſt über das Stoppelfeld. Zu Hauſe nahm freilich der gräuliche Schmerz im Auge alle meine Beſinnung weg, und nur unterweilen konnte ich mir vorſtellen, daß ſie mir nun vielleicht den Kopf abſchlagen würden. Es kam aber Alles ganz anders, Herr Schmitz.

Den anderen Tag ließ ich den Feldſcherer holen, und der ſagte mir, daß das Auge heidi ſei, denn mit uns Bauersleuten machen die Doctors nicht viele Umſtände. Na, das Auge lief auch wirklich aus, Herr Schmitz, und ſchrumpfte weg und ich erwar - tete alle Tage die Gerichte im Erb, die mich ab - holen würden, denn fliehen mochte ich nicht. Aber keine Gerichte kamen.

Dagegen kam ein Kerl, der der Frohnbot hieß, von wegen des Dings droben unter den drei Linden, und ſagte, ich ſei geheiſchen und geladen zum Stuhl,57 ſie wollten’s unter ſich abmachen, und ich ſollt Rede und Antwort ſtehen. Ich rief: Er ſollte ſich zum Teufel ſcheren, ſie könnten mir dieß und das thun, dem Amtmann ſei ich Rede und Antwort ſchuldig.

Wie ich nun zum erſtenmale den Kopf wieder aus dem Loch hervorſtrecke, höre ich curioſe Ge - ſchichten. Der Alte hat ſeinen Sohn gleich nach - dem die Leiche gefunden worden, begraben laſſen und überall geſagt, der Junge ſei ſpät nach Hauſe gegangen und habe einen böſen Fall gethan. Keine Anzeige hat er gemacht und Alles bleibt ſtill von der Sache, und kein Amtmann und kein Criminal bekümmert ſich um mich. Ja, was ſoll das bedeu - ten? denke ich.

Ich konnte es aber bald ſpüren, Herr Schmitz. Es war mir ſchon auffällig geweſen, daß während meiner Wehtage nicht eine Menſchenſeele nach mir fragte, denn wenn ich auch nicht viele Freunde hatte, ſo beſuchte mich doch jezuweilen ſonſt Einer oder der Andere. Aber da ſaß ich ganz allein und verlaſſen, und zuweilen that mich nicht nur meine wunde Augenhöhle ſchmerzen, ſondern ich heulte auch mit dem geſunden Auge meine bitteren Thränen. Als ich nun wieder ’naus ging, ſo wollte58 ich, weil ich nicht verfolgt wurde, bei einem Nach - bar vorſprechen, aber der ſchob zur Hinterthüre hinaus, als ich in die Vorderthüre trat. Im Kruge rückten ſie ziſchelnd zuſammen, als ich kam und riefen den Wirth bei Seite und ſprachen ſacht mit ihm und der kam dann zu mir und ſagte: Caspar, Ihr könnt nicht verlangen, daß ich um Euretwillen meine Nahrung einbüße. Sie wollen nicht mehr bei mir ſitzen, wenn ich Euch zapfe. Nicht mehr bei Euch ſitzen? fragte ich wild. Still! rief er. Ich will’s Euch heute Abend offenbaren, Ihr habt mir manchen Thaler zu ver - dienen gegeben, und darum kann ich Euch den Gefallen wohl thun. Kommt heute Abend, wenn Alles zur Ruhe iſt, her, da ſag ich’s Euch.

So ging ich denn den Abend, wie Polizei - ſtunde geboten war, und Niemand mehr in der Stube ſaß, zu ihm. Und da erzählte er mir, daß der Hofſchulze über den Tod ſeines Jungen mit den Anderen zuſammen geweſen ſei droben am Freiſtuhl, und habe geſagt, er wolle keine Anzeige wider mich machen, und Keiner ſolle es thun, aber er habe mich mit ſeinem Schwert von Carolus Magnus verfeimt und geächtet, und die59 Sache ſei ſchon durch die Bauerſchaft und weil die Großen drin einig ſeien, ſo ſeien die Kleinen auch nicht dawider und ſei ich alſo nun aus dem Frieden und aus der Freundſchaft geſetzt bei Allen.

Ich lachte und rief: Was ſcheer ich mich um Euren Frieden und um Eure Freundſchaft! Aber ich hatte übel gelacht, Herr Schmitz. Keine Anzeige kam wider mich bei den Gerichten ein, was damals leicht möglich war, denn der große Krieg war eben im Gange, und Alles lief bunt über Eck, und als es wieder ruhig worden, war die Sache ſchon alt; jedoch ein Verfeimter war ich und ein Verfeimter blieb ich, und das war böſer als Verhör und Urtheil. Herr Schmitz, das Menſchenkind kann Alles ausſtehen, Noth und Krankheit und Feuersbrunſt und Gewaltzwang, aber von ſeines Gleichen verſtoßen ſeyn, das kann das Menſchenkind nicht ausſtehen. Denn der Vo - gel fliegt mit ſeines Gleichen, und der Hirſch geht in Rudeln und der Fiſch im Waſſer ſchwimmt ſelbzwanzig dahin und dorthin, ſelbſt der Wolken wandern immer mehrere zuſammen, wie ſollte das Menſchenkind es allein beſtehen können? Sie hiel - ten’s, was ſie oben am Freiſtuhl ausgemacht. 60Und die Kleinen mußten’s ihnen nachthun. Wenn ich mir Stroh und Korn borgen wollte, wie der Fall ſeyn kann in jeder Wirthſchaft, kriegte ich nichts; einmal brannte meine Scheure, die ließen ſie brennen und kamen mit der Spritze, als nur noch die Trümmer rauchten, und wenn ſie an meinem Erb vorbeigingen, ſo greinten ſie höhniſch und ſpuckten aus, und wenn ich ſelbſt zu ihnen trat, ſo wieſen ſie mir den Rücken. Das fraß mir in’s Herz hinein und ich ſagte: Ich will’s Euch Allen zuvorthun, daß Ihr Seelenverkäufer die Kränke vor Aerger kriegt und will mir Geſell - ſchaft und Cameraden aus der Stadt halten. Zechte alſo brav auf meine eigene Fauſt, ließ mich mit Menſchen in der Stadt ein, Schreibersgehülfen und Ladenburſchen und ſo dergleichen, gab denen große Tractamente auf dem Erb. Aber es wollte mir dergeſtalt nicht ſchmecken, Herr Schmitz, und wenn ich noch ſo viele luſtige Schreibergehülfen und Ladenburſchen bei mir hatte, ſo würgte es mir in der Kehle, weil ich immer dachte: Sie ſind doch nicht deines Gleichen. Natürlich gerieth ich auch durch die Lebensart tief in die Schulden hin - ein; auf einmal kam mir nun der Jude, der mir61 vorgeſchoſſen hatte, über den Hals und ließ mir das Erb anſchlagen. Ich wurde heruntergepfändet und hatte dann die Erde zum Lager und den Him - mel zum Dach. Und ſo bin ich denn nach und nach, Herr Schmitz, zu dem Leierkaſten, in dieſe Lumpen, in den Hunger und in die Kälte gera - then, und ſo ein räudiger Bettelhund geworden, wie Sie mich da ſehen.

Der arme und jämmerliche Menſch ſah nach dieſer Erzählung mit dem Blicke eines ſo kalten und bodenloſen Elendes vor ſich hin, daß es den alten Schmitz, der von Natur weichherzig war, erbarmte. Er begriff nun wohl, daß er von dem unglücklichen Mörder nichts zu befürchten habe, trat ihm daher näher und ſagte: Ich faſſe noch nicht recht den Grund, weßhalb der Hofſchulze Euch den Gerichten entzog, denn, wenn ich auch ſonſt wohl einſehen kann, warum er mit ſeinem Freigerichte handthiert, ſo hätte ihm in dieſem Falle Eure öffentliche Verurtheilung doch eine größere Genugthuung gegeben.

O, rief der Patriotencaspar, das iſt eben die ausbündige Bosheit des alten Blutſauger’s! Er raufte ſeine buſchichten Augenbraunen. Denn62 wie ich nachgehends gehört habe, ſo ſind Zeugen geweſen, zu denen der Bengel, der Fritze, ſich berühmend geſagt hatte, er wolle mir an dem Abende auflauern. Nun war der dicke Knüppel neben dem Todten gefunden worden und mein Auge war doch auch weg, alſo folglich konnte ich mich auf Nothwehr berufen, und den Kopf hätten ſie mir nicht ’runter gehauen, ſondern ich wäre ver - muthlich mit etwas Gefängniß davon gekommen. Das ſah der alte Satan voraus und deßhalb wollte er mich auf ſeine eigene Hand für Zeit - lebens unglücklich machen. Ich habe aber auch eine Wuth auf ihn gehabt die Jahre her bei meinem Leierkaſten, Herr Schmitz, ich kann Ihnen nicht ſagen, was für eine Wuth. Und lange konnte ich ihm nicht beikommen, aber nun

Pfui, ſagte der alte Schmitz. Schämt Euch, Caspar, wer wollte ſo rachgierig ſeyn!

Der Patriotencaspar ſtürzte ſeinem Gönner zu Füßen, umſchlang die Kniee des alten Mannes mit ſeinen hageren und haarichten Fäuſten, als wollte er ihn um Verzeihung für ſeine Sinnesart bitten und rief mit hohlem zerreißendem Tone: O Herr Schmitz! Rachgierig muß der Menſch ſeyn, wenn63 ſie ihm Alles genommen haben, ſonſt verkömmt er gar. Ich wäre längſt verhungert, aber ich fraß meine Rache, und ſo blieb ich leben. Es ſteht wohl geſchrieben: Segnet, die Euch fluchen, aber es giebt Keinen, Keinen auf Erden, für den es geſchrieben ſteht, zum wenigſten keinen Unglück - lichen.

Nun, und was ſoll ich mit dieſer ganzen ſon - derbaren Geſchichte anfangen? Was treibt Euch, ſie gerade mir und jetzt zu erzählen? fragte der Sammler.

Der Patriotencaspar erhob ſich und ſagte: Herr Schmitz, ich will nun mein Recht haben. Ich habe mein Herze befriedigt und nun will ich mein Recht deßgleichen haben. Ich will nicht län - ger unter dem Banne von meines Gleichen leben, ſondern mein Urtel haben von den Gerichten des Königs. Ihnen habe ich die Sache erzählt, weil Sie ſich doch auch auf Amtsſachen verſtehen, damit Sie ein hübſches und richtiges Protocoll aufneh - men, worin Alles gehörig ſteht von Nothwehr und von den Zeugen, denen der Fritze geſagt hat, er wolle mir auflauern, (denn es leben ihrer noch Einige;) damit mir nicht der Kopf abgehauen wird. 64Dazu habe ich keine Luſt, aber ſitzen will ich ein Paar Jahre recht gerne. Im Gefängniß betrage ich mich ordentlich, mache mir Ueberverdienſt, komme mit einem guten Atteſtat vom Director zurück, lege von meiner Sparſumme einen Win - kel*)Kramladen. an, und dann ſoll das Donnerwetter dem in die Eingeweide fahren, der mich noch ferner hohnnecken oder verachten will!

Alſo, Herr Schmitz, thun Sie mir die Ge - fälligkeit, das Protocoll zu ſchreiben, ich will dann drei Kreuze darunter ſetzen und es ſelbſt in die Gerichte tragen.

Der Sammler ließ ſich das Jahr, worin die Mordthat vorgefallen war, nennen. Er dachte nach und ſagte dann: Caspar, das Protocoll würde keinen Erfolg haben. Die Sache iſt verjährt.

Was heißt das: Verjährt?

Das heißt: Ihr mögt über die Sache angege - ben werden, oder Euch ſelbſt angeben, ja, ihr mögt, wie Ihr thut, die Strafe begehren, ſo wird dem keine Statt gegeben, denn nach dem Ab - laufe von dreißig Jahren iſt eine Unthat ab und65 todt vor dem Richter. Ihr müßt alſo Euer Ge - ſchick ſchon ſo nehmen, wie es einmal liegt und es bis an Euer Lebensende tragen.

Er ging an dem Todtſchläger vorüber, gab ihm den ſilbernen Ring, da dieſer bei näherer Betrach - tung ihm nichts Merkwürdiges gezeigt hatte, zu - rück und entfernte ſich. Der Geächtete ſtand be - troffen, ſann über die Verjährung und konnte darin durchaus keinen Sinn finden. Alſo, ſagte er endlich, meine Gedanken an die Miſſethat muß ich behalten und bis in jene Ewigkeit mit hin - überſchleppen; aber wenn ich mit meinem Fell die Sache büßen will, ſo geht das nicht mehr an, weil dreißig Jahre vorüber ſind!

Ein Lärmen, der ganz in der Nähe entſtand, unterbrach ſein Nachſinnen und machte ihn aufmerk - ſam. Kaum zwanzig Schritte vom Kreuzwege kamen auf dem Wege vom Oberhofe Menſchen ge - laufen und Andere begegneten ihnen, die vom Hofe des Eidams gegangen kamen. Wißt Ihr’s ſchon? fragten die vom Oberhofe überlaut. Was denn? verſetzten die Anderen. Ihren Weg eiligſt nach dem Jürgenserbe fortſetzend, riefen DieImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 566vom Oberhofe: Der Hofſchulze hat eine Ueber - fahrung! *)Anfall von Schlagfluß.

Das wäre der Henker! riefen die Erſten und liefen nach dem Oberhofe zu.

Der Patriotencaspar fletſchte die Zähne, ſprang wie unſinnig auf dem Mordplatze umher und ſchrie: Heiſa! Heiſa! So iſt’s recht. Die Tochter machte ich Dir zur Hur, den Jungen zu Brei, und dich macht ich nun zunicht! Ihr ſollt erfahren, was es heißt, geringere Leute verachten! Könnt ich jetzt mein Protocoll aufgenommen kriegen, wäre ich ganz zufrieden!

67

Viertes Capitel. Der Hofſchulze kommt wieder zu ſich und Lisbeth ſchreibt an den Diaconus.

Auf der Kammer, worin er das Schwert Karl’s des Großen verwahrte, ſaß oder lag der Hoſſchulze blaß und halbbetäubt neben der eiſenbeſchlagenen Kiſte. In dieſem Zuſtande war er von einer Magd, die vor der Kammer vorbeiging, gefunden worden, kurz nachdem er ſich die Treppe hinauf begeben hatte. Sie war erſchreckt hinuntergeſprungen und hatte von dem Vorfalle Lärmen gemacht, den einige Vorübergehende weiter trugen.

Die Magd kehrte mit Eſſig zurück und beſtrich ihres Brodherrn Schläfe. Das einfache Mittel brachte ihn auch bald wieder zu ſich ſelbſt, denn der Schlagfluß war eine Vergrößerung des Unfalls, der den alten Bauer betroffen hatte. Er war nur von einem Schwindel und von jener Betäubung5*68befallen worden, wie ſie die Folgen eines plötz - lichen großen Schrecks zu ſeyn pflegen, beſonders bei alten Leuten. Als er von dem ſcharfen Ge - ruche des Eſſigs wieder erwachte, hob er ſich, ohne daß ihn das Mädchen zu unterſtützen brauchte, ſogleich ſtrack auf ſeine Füße, fuhr mit der Hand über die Stirn und warf ſeinen erſten Blick in die Kiſte, deren Deckel aufgeklappt war. Mit einer Miſchung von Entſetzen und Kummer kehrte aber der Blick des alten Mannes in ſich zurück; er klappte haſtig den Deckel zu, als wollte er den Verluſt ſeines Theuerſten jedem Auge verbergen und trieb die Magd an, ihn zu verlaſſen. Dieſe fragte zwar, was dem Baas zugeſtoßen ſei, erhielt jedoch keine andere Antwort von ihm, als, daß ihn eine plötzliche Schwäche, vielleicht von dem vielen Plaiſir, welches geſtern und heute geweſen, angewandelt habe.

Als er auf der Kammer allein war, ſtand der Hofſchulze erſt eine geraume Zeit mit übereinander geſchlagenen Händen ohne ſich zu regen, da. Dann ſetzte er ſich auf die Kiſte und nahm ſeinen Kopf in beide Hände, um alle Winkel des Gedächt - niſſes zu durchforſchen. Darauf erhob er ſich,69 öffnete abermals die Kiſte, wie wenn er es nicht für möglich halte, daß das Schwert daraus habe verſchwinden können, ließ aber augenblicklich den Deckel zufallen, da er wohl ſah, daß er nur in die Leere blicke, und ſtöhnte wie ein verwundeter Stier.

Nach dieſem begann der Alte ein ſtummes eifriges Suchen in der Kammer. Er kehrte jedes Geräth um, er durchſpürte jeden Winkel, er leerte alle Kiſten und Kaſten aus, welche dort vor und hinter dem Saatlaken umherſtanden. Kein Platz blieb undurchforſcht, aber alle dieſe Mühe war vergebens, denn das Schwert zeigte ſich nirgends. Indem hörte er unten die Stimme ſeines Eidams und ſeiner Tochter, ſo wie der Freunde und Nach - barn, welche von der Tanzgeſellſchaft herbeigekom - men waren, um nach ihm zu ſehen. Raſch ver - ließ er die Kammer, um nicht in ſeinen Anſtren - gungen betroffen zu werden und ging hinunter, ſcheinbar gefaßt. Dort ſtellte ſich Alles mit Fra - gen nach ſeinem Befinden um ihn, worauf er die - ſelbe Antwort gab, welche ſchon die Magd empfan - gen hatte und hinzufügte, daß ihm wieder ganz wohl ſei. Er bat die Leute, ſich in ihrer Luſt -70 barkeit nicht ſtören zu laſſen und wieder zum Tanze zurückzukehren; eine Aufforderung, welcher Mehrere folgten, Andere aber auch nicht. Dieſe blieben vielmehr im Hofe, weil ſie an dem Tanze kein Vergnügen hatten, es kamen noch fortwährend Leute vom Jürgenserbe und ſo war ein beſtändiges Ab - und Zugehen von Menſchen.

Als nun der Hofſchulze ſah, daß er der Zeu - gen nicht quitt werde, beſchloß er alles Fernere auf die Nacht zu verſparen. Er ſetzte ſich ſtill in ſeine Stube und ſagte dem Eidam, er möge die Mitgift nach Hauſe tragen, was dieſer auch mit einem Gehülfen that. Mehrere Nachbarn ſtellten ſich zu ihm und mit dieſen ſprach er nun ſo ordent - lich und vernünftig, wie immer ſeine Sitte war. Niemand merkte ihm etwas an, und nur wer ge - wußt hätte, was vorgefallen war, würde aus ſei - nen geſchwollenen Stirnadern, aus den Augen, die zuweilen hervorquollen, und aus den Griffen, die der Alte hin und wieder nach ſeiner Bruſt that, auf das, was in ihm vorging, haben ſchlie - ßen können.

Während ein ungeheurer Verdruß und Schreck unten ſich ſo heimlich hielt, hatte auch oben im71 Hauſe ein leidendes Kind ſeine Entſchlüſſe reif ge - dacht. Lisbeth war in ſchweren Körperſchmerzen den ganzen Vormittag über auf ihrem Lager ge - blieben und hatte ſich erſt um die Zeit, als ihr alter Gaſtfreund ſeine troſtloſe Entdeckung machte, erhoben und angekleidet. Sie war ſo ernſt, bleich und ſtill, wie am Abend zuvor, da ihre Thränen verſiegten. Aber dieſe hatten den Augen des Mädchens nicht geſchadet; ſie leuchteten von einem faſt überirdiſchen Glanze. Der hohe Berg, auf deſſen Gipfel ſie im Jubel ihrer Wonne zu ſtehen gemeint hatte, war unter ihr eingeſunken, und die rothen Wolken hatten ſich verzogen, aber den - noch kam es ihr vor, als ſchritte ſie eben ſo hoch und noch höher einher, und es war ihr, als trü - gen Lüfte ohne Wolken, aetherreine und aetherklare ihre Füße.

Sie ſetzte ſich an ihren Tiſch und ſagte mit einer himmliſchen Zuverſicht im Ton: Ein Find - ling iſt Gottes Kind. Und wen Vater und Mutter in der Irre ſtehen gelaſſen haben, den wird Gott bei der Hand nehmen und nach Hauſe führen. Die Schmerzen hatten eine wunderbare Verwan - delung in ihr gewirkt. Zu ihren ſogenannten Pfle -72 gern wollte ſie nimmer zurückkehren. Denn als ſie, von Leiden, wie von zuckenden Blitzen durch - wühlt, während der Nacht auch einen Blick auf ihre Vergangenheit warf, ſo ſah ſie ſchaudernd und wie von einem ſtrengen Seher erbarmungslos un - terrichtet, in welchen jämmerlichen und lachens - dürren Umgebungen ſie gelebt hatte. Sie blickte in die traurigen und unreinlichen Trümmer hinein, zwiſchen denen ſie ſo muthfroh und rein geblieben war, und ſie hätte weinen mögen, wenn ihr noch eine Thräne übrig geweſen wäre, als ſie nun er - kannte, daß ein faſelnder alter Mann und eine halbverwirrte Thörin denn doch die Einzigen ge - weſen waren, die ſich ihrer angenommen hatten. In einen Augenblick des äußerſten Entſetzens drängte ſich eine Ewigkeit von quälenden und widerwärtigen Vorſtellungen zuſammen zerriſſen und gepeinigt wandte ſie den Blick von dieſen unheimlichen Geſich - ten ab und in die Zukunft, worin freilich die Augen Oswald’s erloſchen waren und nur noch das Auge Gottes durch die Finſterniſſe ſtrahlte. So hatte das Unglück die ſüße Bewußtloſigkeit, worin das Kind Jungfrau geworden war, zerſtört, und das Wa - chen der Wahrheit in der wunden Bruſt geſchaffen.

73

Sie ſchrieb einen Brief an den Diaconus. Zu dieſem hatte ſie großes Vertrauen, und den wollte ſie zu ihrem Führer wählen. Nach dem Eingange, in dem ſie ſagte, daß eine ſchmerzliche Aufregung ſie über ihr Geſchick erleuchtet habe, lautete der Brief folgendermaßen:

Sie hätten wohl nicht gedacht, lieber Herr Prediger, als Sie geſtern die Hand auf mein Haupt legten, daß Sie von mir heute ſo traurige Worte hören würden. Wenn ich es Ihnen nur recht deutlich machen kann, wie mir eigentlich zu Muthe iſt! Denn wenn Sie das nicht einſehen, ſo können Sie mir auch nicht helfen. Es iſt aber gewiß recht ſchwer, ſich deutlich zu machen mit verwirrtem Kopfe und klopfendem Herzen und be - bender Hand. Sie ſind jedoch ein ſo guter und kluger Mann, daß Sie ſich auch vielleicht aus dem Stammeln eines armen Mädchens vernehmen können.

Ach, lieber Herr Diaconus, es iſt mir außer - ordentlich übel gegangen ſeit geſtern. Es hatte wohl geſtern den Anſchein, als könne ich eine Braut ſeyn, und das will bei einem ſo armen und verlaſſenen Mädchen, wie ich bin, noch mehr ſagen, als bei Anderen, die wiſſen, woher ſie ſtammen. 74Heute aber bin ich keine Braut mehr, nein gewiß nicht. Warum ich Keine mehr bin, das kann ich Ihnen nicht ſagen; ich ſchäme mich zu ſehr. Ihrer lieben Frau werde ich es anvertrauen, wenn ich erſt ruhiger geworden bin, ganz in der Stille.

Ein Mädchen, welches kein Kind mehr iſt, denkt wohl zuweilen an das Heirathen und ſo habe ich denn auch hin und wieder daran gedacht, ob - gleich ich wenig Ausſicht dazu hatte. Wenn mir aber die Vorſtellungen davon kamen und von der Liebe, ſo war immer das erſte Gefühl, daß die Liebe die ganze Wahrheit und nichts als Wahr - heit ſei und zwar die Wahrheit in der Bruſt, und eine ſolche Offenheit, daß man dem Anderen auch nicht das Kleinſte verſchweigt. Hätte ich eine Sünde begangen, wovor mich freilich Gott geſchützt hat, ſo würde ich meinem Freunde die Sünde haben beichten müſſen, ehe ich ihm noch meine Liebe geſtand. Denn wenn zwei Menſchen, wie es ja lautet, ein Leib und eine Seele werden ſollen, ſo darf doch auch nicht ein Stäubchen zwi - ſchen ihnen ſeyn von Verſchweigen, Hinterhalt, Verſtellung und Künſtelei. Ja, noch offener ſoll man gegen den Liebſten ſeyn, als gegen Gott, denn75 dieſer ſieht ſelbſt ſcharf genug, aber der arme Liebſte hat ja nicht ſo durchdringende Augen und ſoll uns doch eben ſo genau kennen, wie Gott, weil er ſich nicht auf Dieſes und Jenes in uns, ſondern auf Alles in Allem Zeit ſeines Lebens verlaſſen muß. Wer mir alſo, wenn er ſagt, daß er mich liebe, dennoch einen Schein vorweben kann, von dem muß ich glauben, was ſie mir wider ihn vor - bringen, und möchte es auch das Allerſchlimmſte ſeyn. Wer mir ſagt, Herr Diaconus, er ſei ein armer Förſter und iſt ein großer Graf, der kann auch noch anderen Lug und Trug wider mich vor - haben. Ach Gott! Ach Gott! Zuweilen denke ich: Es iſt gar nicht möglich, daß ein Menſch, der ſo gut ausſieht, ſo ſchlimm ſeyn kann!

Ich bin eigentlich ganz elend worden, und wäre in den Schmerzen dieſer Nacht wohl geſtor - ben, hätte mir nicht mein Stolz geholfen. Weil ich aber tief gedemüthigt werden ſollte, ſo hat mich das ſehr ſtolz gemacht, ganz überaus ſtolz. Nun iſt dieſer Stolz freilich wohl nur Hülfe in der äußerſten erſten Noth, und deßhalb flüchte ich mich zu Ihnen. Ich bitte Sie, gönnen Sie mir eine Freiſtatt in Ihrem Hauſe, Koſten mache ich76 Ihnen ja nicht viel und Ihrer lieben Frau kann ich doch immer etwas helfen. Sie ſind immer ſehr gut und freundlich gegen mich geweſen und werden mich gewiß nicht verlaſſen. Nach dem Schloſſe gehe ich auf keinen Fall zurück, mich ſchaudert davor. Das war wohl bisher gut ſo weit, aber nun geht es nicht mehr; nein, nein. Ich bin alſo wie eine Staude, die vom Boden abgeſchnitten iſt und weiß noch kein Erdreich, worin ich wieder wachſen kann.

Daß Sie ſich aber über mich nicht irren, ſo muß ich Ihnen ſagen, daß ich gar kein Verlangen nach der Kirche habe, oder nach der Religion, wenigſtens nicht mehr als ſonſt. Ich habe mir ſchon Vorwürfe darüber machen wollen, denn man ſagt ja immer, daß der Menſch im Unglück haupt - ſächlich viel beten müſſe, aber das muß denn wohl ein anderes Unglück ſeyn, als meines. Ich fühle mich als ein ſo ordentliches, unſchuldiges Mädchen, daß ich nicht begreife, warum ich Gott gerade jetzt beſonders bitten ſollte, mir beizuſtehen. Son - dern es iſt über mich verhängt worden, und nun trage ich es, und er läßt mich gehen in meiner Weiſe. Auch kann der Gott, von dem gepredigt77 wird, einem Herzen nicht helfen, welches ſich weggegeben hatte und ſich nun wieder zurückneh - men muß. Dem hilft ſicherlich auch ein Gott, aber er ſteht in keinem Liede, ſondern ganz tief im Herzen ſelbſt iſt er verborgen, ſtumm, und ich glaube, der große Stolz, den ich empfinde, iſt ſein Kleid.

Haben Sie nur rechte Geduld mit mir, mein lieber, lieber Herr Diaconus, Sie und Ihre Frau; Sie ſollen ſehen, die Lisbeth hilft ſich ſchon heraus, denn von einem Tage zum anderen kann man doch nicht verloren ſeyn, wenn es gleich den Anſchein davon hat. Es iſt aber erſtaunlich, was für Schmerzen der Menſch aushalten kann. Wäre ich nur katholiſch, ſo ginge ich zu den barmherzi - gen Schweſtern; es muß eine recht angenehme Beſchäftigung ſeyn, Zeitlebens die armen Kranken zu pflegen. Und nehmen Sie mir das ſchlechte Schreiben nicht übel; es wollte aber nicht beſſer gehen. Durch den Ueberbringer bitte ich um Antwort.

Die Entſchuldigung wegen der Handſchrift wäre nicht nöthig geweſen; denn die Züge waren ſo eben und klar, wie ſonſt. Keine Thräne war78 auf das Blatt gefallen. Sie ſah ſogar gleich - müthig aus und alle ihre Züge leuchteten wirklich von einem wunderbaren Stolze. Sie rief einen Knaben herbei und ſchickte ihn mit dem Briefe nach der Stadt.

79

Fuͤnftes Capitel. Lisbeth und Oswald.

Aber ihre ganze Faſſung war hin, als ſie ge - dankenvoll durch das Fenſter nach den Hügeln blickend, durch die Nebel einen Mann herankom - men ſah, eine bekannte Geſtalt. Heftig bedeckte ſie ihr Geſicht mit den Händen und noch einmal brach ein Strom der bitterſten Thränen aus den ſchon erſchöpft geweſenen Augen. Ihre Wangen wurden eiskalt und ihre Hände ſtarben ab Ach! Ach! Ach! war Alles, was die Bruſt, die ſich ſo grimmig beraubt wähnte, zu ächzen vermochte. Was ſollte ſie thun? Ihre Seele wurde von der Verzweiflung in zwei Hälften geſpalten. Ach, das war er ja immer noch, der da ſo langſam herbei - geſchritten kam, gewiß, dachte ſie blitzſchnell, gebt er ſo langſam, weil ihn die Schuld drückt; wie würde er ſonſt fliegen! Das iſt ſeine Kleidung,80 das iſt ſein Gang, das iſt ſein Antlitz, und nur er iſt es nicht, nur er nicht!

Sie ſtrich über ihre Schläfe, die ein kal - ter Schweiß bedeckte. Dann ſah ſie ſich im Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in dieſer gramvollen Noth ſchämte ſie ſich, daß er etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg - fältig verbarg ſie ihre Nachtkleider unter der Decke des Bettes und ſah nach, ob auch dieſes recht in Ordnung und überall von der Decke überhüllt wäre, denn gemacht hatte ſie es freilich gleich, nachdem ſie aufgeſtanden war. Sie rückte den Tiſch am Fenſter gerade und ſtellte die Stühle an ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten Gedichte kehrte ſie ſauber bei Seite, und die Stücke des zerſchnittenen Tuches, welche auch noch am Boden lagen, erhob ſie und legte ſie auf den Tiſch. Sie that das Alles ſo emſig, wie wenn das glück - lichſte Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch ſtockte ihr der Tod im Herzen.

Ach, er kam immer näher! Was was ſollte ſie thun? Wie gern wäre ſie in ſeine Arme geſtürzt und hätte ſich in dieſen ſüß-giftigen Schlin -81 gen mit ihren Schmerzen erſticken laſſen! Und doch mußte ſie vor ihm fliehen, unerreichbar weg, denn trat er in das Zimmer und heftete er ſeinen Blick auf ſie, ſo war es um ſie geſchehen, das fühlte ſie wohl. Kaum den Boden unter ihren Füßen ſehend, ſchwankte ſie aus dem Zimmer und wählte den Verſteck, der ſich ihren irren Sinnen zunächſt darbot. Kein Gedanke, keine Ueberlegung, daß er ja nicht zu ihren Pflegern gegangen ſeyn würde, wenn er es übel mit ihr meinte, kam in die geſtörte Seele.

Denn die Liebe iſt, ungerüttelt, göttlicher Scharfſinn. Die Blitze ihrer Ahnung ſehen das Verborgenſte, ſie gleicht dem Wunder - roſſe, welches Mahomet zwiſchen dem Umſtürzen und Auslaufen eines Waſſerkruges durch alle ſieben Himmel trug und ihm die Herrlichkeiten eines Jeden zeigte verſtört, in falſche Bahnen gelenkt, iſt ſie Wahnſinn, der bei Domen vorübergeht, ohne ſie wahrzunehmen, und Maulwurfshügel für Alpengipfel anſieht.

Oswald betrat unten das Haus. Er hätte nie gedacht, daß er über eine Schwelle ſo ſcheu wie ein Sünder würde ſchreiten müſſen. Ein grimmiger Verdruß über die ekelhaften Schlangen -Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 682knäuel des Lebens, über den plumpen Spaß des Daſeyns, welcher oft Spülicht und die Blume des Weines zuſammenmiſcht, ſaß ihm am Herzen. Immer kränker fühlte ſich dieſes Herz. Noch hin - gen die Locken des Jünglings verwirrt vor ſeinem Antlitz, um welches zuweilen eine fliegende Röthe ergoſſen war, und ſeine Augen ſprangen unſtät zwiſchen den Gegenſtänden hin und her, ohne einen derſelben mit ihren Blicken zu treffen. Er ſchritt an den Leuten vorüber, die im Flur waren und an dem Hofſchulzen, ohne Jemand zu grüßen.

Sein Herz war voll von Gram aber auch voll von Entſchluß. Zu Lisbeth ging er, zu der Lisbeth, welche ihn geſtern mit dem Wieſenkrönchen als ihren König und Herrn gekrönt hatte, und die er nun der ſüßen Dienſtbarkeit entlaſſen wollte. Denn ihr Bild war ihm beſudelt worden; freilich ohne Schuld der Unſchuldigſten. Aber iſt das Liebes - gefühl, ſtark wie der Tod, nicht auch verletzlich, gleich den Hörnern der Schnecke? Es muß mir das nicht bei ihr einfallen, hatte Oswald unauf - hörlich auf dem Wege zu ſich geſagt. Sie wird zwar unglücklich, aber werde ich’s nicht auch? Nicht tief, tief unglücklich? Ach, wie wollte83 ich an ihrer Seite daheime werden in meinem Herzen, daheim und ſelig zu Hauſe ſeyn bei mir, und jedes Winkelchen kennen lernen, darin lieblich Geräthe ſteht und Krüge würzig duften voll ſanf - ten Weines und Oeles, und muß nun doch wieder mich ſelber draußen ſuchen gehen! Aber die Braut des Grafen Waldburg darf nicht

Er that die Thüre des Zimmers mit dem ge - waltigſten Herzpochen auf. Sie wollte er ſie nennen und zu ihr ſagen, daß er komme, um von ihr Abſchied zu nehmen, ſie ſolle ihn aber nicht fragen, was ſich ſo plötzlich zwiſchen ſie Beide ge - drängt habe. Mit dieſen Gedanken trat er in das Stübchen, vernichtet faſt von dem bevorſtehen - den Augenblicke und als er ſie nicht fand, da rief er: Sie iſt nicht hier! mit eben dem Ent - zücken, mit welchem er geſtern die verſchloſſene Thüre der Dorfkirche begrüßt hatte. Denn nun hatte er ſie ja noch, vielleicht zwei, vielleicht gar drei Minuten, bis ſie wieder in das Zimmer trat.

Er ſetzte ſich am Bette nieder und ſtreichelte die Decke, als ſtreichle er ihre Hand. Dann ſchob er die Hand unter die Decke am Fußende, wo er ihre Nachtkleider vermuthete, und da gerieth6*84ihm ihr Mützchen zwiſchen die Finger. Er drückte das Mützchen mit ſeinen Fingern, denn er wollte Abſchied nehmen von Allem, was ſie berührt hatte.

Dann legte er die Hände in den Schooß und ſah vor ſich hin und um ſich her, lange. Ach, Alles war reinlich und ſauber umher und der Hauch ihrer Nähe webte noch in dem kleinen Zim - mer. Es kam ihm vor, als ſei es darin golden helle, als ſcheine die Sonne draußen und doch dunſtete der graue, häßliche Nebel auch um dieſes Haus. Nach einem langen Schweigen ſagte er beklommen: Ich hätte nicht hieher kommen, ich hätte ihr ſchreiben ſollen; ſo ſchwere Dinge ſoll man ſchriftlich abmachen.

Sie blieb immer aus. Er begann, ſich nach ihrer Erſcheinung zu ſehnen, ſtand auf und ging unruhig hin und her. Was? rief er, indem er ſich plötzlich über dieſer Sehnſucht ertappte, du ver - langſt danach, von ihr Abſchied zu nehmen? Sein Blick fiel in den kleinen Spiegel an der Wand, er ſah ſeine Locken in gräulicher Verwir - rung, ſchämte ſich dieſes Anblickes, ſtrich ſie in Ordnung, und ein Geſicht ſah dahinter hervor, welches zwar bleich war, aber ſich doch nicht ſo85 übel ausnahm, wie er noch vor wenigen Augen - blicken gemeint hatte, daß es ſich ausnehmen müſſe.

Denn eine ſanfte Wärme hatte ſein ganzes Inneres durchdrungen, welches ſeit einigen Stun - den wie erfroren geweſen war. Es hob ſich eine Laſt von ſeinem Herzen, es trat wie ein ſchwerer Fluch von ſeiner Seele zurück. Mit jedem Au - genblicke wurde ihm freier und freier; ihm ward zu Muthe, wie dem begnadigten Sünder, wie dem verlorenen Sohne, da der Vater ihm ein köſt - liches Mahl anrichten ließ. Ganz und voll durch - drang ihn eine unausſprechliche Empfindung, die aus hülfreichem Mitleid und ſchöpferiſcher Zärt - lichkeit gemiſcht war; ein herzliches Wollen, ein tiefes Entſchließen und eine göttliche Geburtswehe des Gemüthes. Alles das wallte wie ein Meer in ihm empor und in die Fluthen dieſes Meeres ſanken die Fratzen des ſogenannten Schloſſes hinab und wurden nicht mehr geſehen.

Ja, er hatte ſie wieder, die zufällig Gefundene, raſch Geliebte, für die Ewigkeit Erkannte! Er hatte ſein Reh wieder, ſein Mädchen, ſein Herz, und was geſtern noch Glück war, das war heute eine ſchwere, ſüße Eroberung durch die Tapferkeit86 ſeiner wärmſten Blutstropfen geworden. Er rieb ſich vor Vergnügen die Hände; jauchzend rief er: Bin ich nicht frei, bin ich nicht zu meinem aller - größten Glücke ganz frei? Und dann ſetzte er ſich auf den Stuhl am Fenſter, auf dem ſie zu ſitzen pflegte, nahm die Feder, mit der ſie eben den traurigen Brief an den Geiſtlichen geſchrieben hatte und focht damit in der Luft hin und her, fröhlich wie ein Junker, der ſeinen erſten Degen erhalten hat. Er ſchrieb nicht mit der Feder auf dem Papiere, nein in den Lüften zog er einen ſchonen Schnörkel aus L. und O. geſchlungen und freute ſich über die gefällige Form dieſer Buch - ſtaben und um dieſelben zog er ein lateiniſches W. Ihm dünkte das ein trefflicher Namenszug zu ſeyn. Muthig rief er: Und wäre ſie von Räubern und Mördern entſproſſen und wäre ſie unter dem Hoch - gerichte geboren, ſie bliebe doch die Lisbeth und doch würde ſie mein!

Wer von der Geliebten Abſchied nehmen will, gehe nicht in ihr Zimmer, ſondern ſchreibe an ſie, obgleich auch dann wohl manches Billet zerriſſen werden und ſtatt des Billets der Liebende ſich auf den Weg machen möchte.

87

Sechstes Capitel. Suchen und nicht Finden.

Er ſagte: Aber erfahren darf ſie es nie, nie darf ſie nach ihrem Urſprunge forſchen. Auf mich allein und in meine Bruſt muß ſie gepflanzt ſeyn. Da war nun das Erdreich, in welchem die arme abgeſchnittene Staude wieder wachſen ſollte, und ſie wußte es nicht. Sie war ſo nahe, daß ſie faſt ſeine Stimme hören konnte und doch wußte ſie es nicht. Nichtige Nöthe! Ihr gehört zur Liebe, wie Schwindel zum Rauſche.

Sie kam aber immer nicht. Er wurde unruhig, ging hinunter und fragte nach ihr. Die eine Magd wollte ſie den ganzen Tag über nicht geſehen haben, die Andere meinte, ſie ſei aus dem Hofe gegan - gen. Er durchſtrich die nächſten Umgebungen des Oberhofes, aber da war nichts von Lisbeth zu erblicken. Es fing ſchon an, düſter zu werden.

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Sein Herz wurde ihm nach kurzer Freude noch ſchwerer als früher. Ihr Verſchwinden war ihm unerklärbar. Er ging wieder auf ihr Zimmer, worin er wegen der Dunkelheit die Gegenſtände nicht mehr unterſcheiden konnte. Nach kurzem Ver - weilen trieb es ihn abermals hinunter, er traf nun den Hofſchulzen an und erkundigte ſich bei dem, wo ſie ſei? Die wird nach Ihnen nicht viel mehr fragen, junger Herr, verſetzte der Alte. Sie iſt gewitziget. Was! rief Oswald in äußerſter Beſtürzung und wollte von dem Hofſchulzen nähere Auskunft haben. Dieſe verſagte aber der Alte, denn er hatte zwar ſeine Pflicht, wie er meinte, gegen das Mädchen üben müſſen, aber mit dem jungen verliebten Hitzkopfe mochte er nichts zu thun haben. Liebesſachen gehörten überhaupt nicht zu den Gegenſtänden, die für ihn von Wichtigkeit waren, und worin er Treue und Glauben als Pflichten anerkannte. Um ſich des Jünglings durch irgend einen Vorwand, wahr oder falſch, zu entledigen, ſetzte er hinzu: Junge Frauenzimmer ſind wetterwendiſch; es mag ihr wohl ſo ernſt nicht geweſen ſeyn, nun ſchämt ſie ſich und will ſich nicht vor Ihnen ſehen laſſen.

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Ein Weiteres war von dem Alten nicht her - auszubringen. Außer ſich ſtürzte Oswald zum drittenmale nach Lisbeths Zimmer, als müſſe ſie dort ſeyn, wenn er ſie ſuche. Er hatte ein Licht mitgenommen. Lisbeth fand er nicht, wohl aber bei dem Scheine des Lichtes und mit dem Scharf - ſinn, den der Kummer giebt, die traurigen Zeichen der zerſtörten Liebeshuld. Er nahm, was auf dem Kaſten lag, hinweg, da ſah er drinnen ſeine Goldrolle und das grüne Särglein liegen, von Lis - beths Buſen verſtoßen, hinweggeworfen! Die Stücke des zerſchnittenen Tüchleins ſah er; der Schnitt ihrer Scheere hatte eigentlich dem Bande zwiſchen ihnen gegolten! Auch ein halbverbrann - tes Stückchen Papier erhob er vom Boden, denn Alles war ihm wichtig, was ſein Elend ihm er - leuchten konnte. Noch ſtand darauf: In deinem Ernſt, in deinem Lachen Gehörſt du dir Weiter war nichts zu leſen. Ja, rief er, du ge - hörſt nur dir und keinem Anderen, aber das Lachen wird dir wohl eigener ſeyn, als der Ernſt! Er war böſe auf ſie, er zürnte ihr ingrimmig, denn auch er glaubte, was der Hofſchulze ihm geſagt90 hatte, und meinte, das Mädchen habe nur in einem Anſtoß, der raſch verflogen ſei, ſich in ſeinen Arm gelegt. Es war das Unglaublichſte, was es nur geben konnte, aber er hätte nicht geliebt, wenn er gezweifelt hätte. Liebe iſt ſo feige, daß ſie vor ihrem eigenen Schatten erſchrickt; Liebe iſt blind in der Wahl, noch blinder in der Qual.

Er ſtellte ſich an die Thüre des Zimmers und rief mit ſanfter Stimme über den Gang: Lisbeth! Sie hörte ihn wohl, aber ſie antwortete ihm nicht, denn ſie war entſchloſſen, lieber zu verhun - gern und zu verdurſten, als ſich zu zeigen, ſo lange er im Oberhofe ſei. Feſt hielt ſie ihre Hand auf die Lippen gedrückt und wimmerte leiſe wie ein blutendes Kind, daß ſie nicht hinaus und an ſeine Bruſt fliegen dürfe. Er ſuchte in mehreren Gemächern nach ihr, aber das überſah er, worin ſie ſich befand. Nun ging er nach dem Zimmer und ſah die Goldrolle und das grüne Särglein abermals an, und wollte das Särglein zu ſich ſtecken, denn was ging ihn das Gold an? aber er nahm die Rolle und ließ das Särglein liegen, ſo verwirrt waren ſeine Gedanken. Die Blumen riß er aus dem Glaſe und warf ſie heftig zu Boden,91 aber dann that ihm dieſer Zorn doch leid, und er hob ſie wieder auf, wenigſtens die Lilie, weil er wußte, daß dieſe der Lisbeth beſonders gefallen hatte.

Faſt wahnſinnig vor Leid machte er einen neuen Gang in die Dunkelheit und als auch der verge - bens war, blieb er erſchöpft vor dem Hofe ſtehen und jeder Windſtoß, jeder ferne Ruf mußte ihm Lisbeths Gang oder Stimme bedeuten. Aber ſie kam nicht. Zornig trat er in das Haus zurück und fragte Jeden wild, ob er noch nicht Lisbeth geſehen habe? und dann vertauſchte er wieder das Haus mit dem Platze vor dem Hofe, dort immer von Neuem horchend.

So trieb es Liebesmühe umſonſt bis ſpät Abends. Mit der verzweiflungsvollen Unruhe des Jünglings bildete die unzerſtörliche äußere Faſſung des Hofſchulzen einen merkwürdigen Gegenſatz. Während der junge Graf wie ein verwundeter Löwe umhertoſete, ſaß der alte Bauer gleich einem Bilde aus Stein an ſeinem Tiſche, die entſetzlichſte Aufregung zurückhaltend im verſchwiegenen Herzen.

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Siebentes Capitel. Ein Trauerſpiel im Oberhofe.

Melpomene hat zwei Dolche. Der Eine iſt blank, haarſcharf geſchliffen, ſchneidet ſchnell und gräbt glatte, rein ausblutende Wunden. Der Andere roſtig, voll Scharten, reißt in das Fleiſch unſelige Zerſtörung. Mit dem Einen tritt ſie Könige und Helden an, mit dem Anderen pflegt ſie ſich öfter bei Bauern und Bürgern einzuſchleichen. Der Eine trifft um große, unläugbare Güter, um Krone, Reich, Leben, der Andere quält um Nich - tigkeiten, um einen Schall, um des Schalles Wi - derhall. Denn die Menſchen werden nicht von den Dingen, ſondern von den Meinungen über die Dinge gepeiniget.

Der Pallaſt iſt nicht der einzige Schauplatz der Tragödie. Wer jetzt bei den Schatten der Nacht unter das Dach des Oberhofes hätte blicken kön -93 nen, würde haben zugeſtehen müſſen, daß dort die leidenſchaftlichſte Tragödie im Gange ſei.

Es war ſo ſpät geworden, daß die Nachbarn ſich zurückgezogen, die Knechte und Mägde ſich ſchlafen gelegt hatten und das Feuer auf dem Heerde erloſchen war. Der Hofſchulze verſchloß darnach alle Thüren des Hauſes und bereitete ſich zu ſeinem Werke, welches er für die Nacht erſpart hatte. Für ganz einſam hielt er ſich, aber er war belauſcht. Als die Thüren abgeſchloſſen wurden, ſchlich ſich eine dunkele Geſtalt zu der Späheſtelle im Eichenkamp und ſetzte ſich dort nieder, das Geſicht nach dem Oberhofe gewendet. Es war der einäugige Spielmann, welcher inzwiſchen ge - hört hatte, daß ſein Feind nicht am Schlage ge - ſtorben ſei und nun ſehen wollte, ob ihm nicht wenigſtens die Qual aufliege, welche der Rachſüch - tige ihm in heißem Grimme anwünſchte. Nicht lange durfte er auf die Freude dieſes Anblicks warten. Denn bald leuchtete in dem dunkelgewor - denen Oberhofe ein Licht auf. Aha, ſagte der Spielmann, jetzt giebt er ſich an’s Suchen. Das Licht begann eine Wanderung, jetzt erſchien es hier, dann zeigte es ſich da. Nun ſucht er94 in den Stuben, ſagte der Spielmann. Zuweilen verſchwand es. Hinten hinaus liegt auch nichts! frohlockte der Spielmann. Plötzlich kam es wieder raſch zum Vorſchein. Da biſt du ja ſchon ge - weſen! murmelte der Feind voll ingrimmiger Luſt. So begleitete er jeden Schritt des verrätheriſchen Lichtes mit ſeinem Hohne. Wie das Licht nicht müde ward zu wandern und der Reiche in ſeiner verzweiflungsvollen Anſtrengung mit ihm, ſo ward der Bettler draußen im Dunkel nicht müde, das Licht und den Reichen zu verſpotten. Endlich als es auf Mitternacht ging, und der Schein noch immer da und dort flammte, konnte er ſich nicht mäßigen, ſondern er feierte ſeinen nächtlichen Triumph durch ein Lied, welches er auf dem Leierkaſten tönen ließ. Es war eins der ſanften, ſtillen Lie - der, welche das Volk auf den Gaſſen zu hören bekommt, er aber riß an dem Griff, daß die Walze, heftig umgeſchwungen, die langſame Weiſe in das wildeſte Allegro trieb.

Damals um dieſe Mitternachtſtunde ſaß auf dem Flure im Oberhofe der alte Bauer und ruhte eine kurze Zeit lang von ſeinem Suchen aus. Das Licht ſtand neben ihm und in deſſen mattem Scheine95 glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen Gräben, die ſich durch ein graues Feld ziehen, denn ſeine Geſichtsfarbe war von Schmerz und Gram um den ihm unbegreiflichen Verluſt aſchfahl. Die Augen waren faſt aus ihren Höhlen getreten und er ſah ſtarr mit ihnen auf den Boden. Alles hatte er unten durchſucht, ſelbſt das Stroh in dem Stalle umgewendet und nichts gefunden.

Jetzt erhob er ſich, um in dem erſten Stock des Hauſes nachzuſehen. Das Licht vor ſich hin - haltend, ging er zitternd und gebeugt langſam die Treppe hinauf und hielt ſich am Geländer. Oben ſtand er ſtill und überſchlug, wo er ſeine For - ſchungen anſtellen müſſe. Denn auch in dieſer verzweiflungsvollen Seelenſtimmung verließ ihn ſeine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte ſich, daß er in der Kammer, worin die Kiſte ſtand, ſchon gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts undurchſtöbert gelaſſen hatte; dort alſo wäre jede erneute Mühe umſonſt geweſen. Aber alle anderen Gemächer, Gelaſſe, Ecken und Winkel durchſpähte er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen ſtanden, und blickte hinter jede Kiſte. Er öffnete die Schränke und Kiſten, bückte ſich über ſie und96 leuchtete hinein. Jedes Geräth, welches einen Ge - genſtand verbergen konnte, nahm er auch hier von ſeinem Platze und ſah nach, ob das Schwert nicht da - hinter liege. Ueber dieſem ſtillen und vergeblichen Suchen gingen wieder mehrere Stunden hin. Der Morgen begann ſchon zu dämmern.

Wie der alte Mann ſo, unaufhörlich gehend, ſich bückend, ſpähend, nie übereilt in ſeinen Be - wegungen, aber auch nimmer raſtend, umherwan - derte, gewährte dieſe unabläſſige, ſtumme, ſtäte, gleichmäſſige Mühe einen peinlichen und faſt ſchauer - lichen Anblick. Wäre er raſcher in ſeinen Bewe - gungen geweſen, ſo würde man ihn haben einem Raubthiere vergleichen können, welches nach ſeinen Jungen ſucht; ſo aber, wie er ſich verhielt, glich er einer ewigen, todten, ſtillwühlenden Naturkraft.

Das letzte Gemach, welches er durchforſchte, war Lisbeth’s Zimmer. Er dachte nicht daran, daß er ein entkleidetes und ſchlafendes Mädchen dort hätte finden können. Er verwunderte ſich auch nicht, daß er Lisbeth nicht darin fand, daß ein Anderer es und in ſolcher Art, wie er ſah, inne hatte, denn er hätte ſich über nichts ver - wundert, ſeine Seele war gleichgültig gegen Alles,97 außer gegen den einen Gegenſtand, der ſie erfüllte. Nun hatte ſich die Sache gewendet. Der Alte war in Bewegung und der junge Mann ruhte, oder regte ſich wenigſtens nicht, erſchöpft von An - ſtrengung und Leiden. Er hatte ſich, nachdem er der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute wiederzuſehen, über ihr Bette geworfen, um etwas zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So lag er, die Arme über das Kiſſen gebreitet, und dieſes an ſeine Wangen drückend. Leiſe ſtöhnte er und rief zuweilen ſchluchzend den ſchwäbiſchen Schmerzenswunſch: Ich wollt, ich wär bei mei - ner Mutter! Die Mutter, nach der er hinver - langte, lag aber im Grabe, und die Geliebte, um die er bekümmert war, ſaß wenige Thüren von ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erſtarrtes Vög - lein, welches Tages zuvor ſo lieblich geſungen hatte.

Der Hofſchulze bekümmerte ſich nicht um Os - wald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hof - ſchulze in das Zimmer getreten war. Auch hier that und vollbrachte nun der Alte ſein mühevoll vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von der Stirne. Er ſeufzte tief und machte ſich jetzt auf den Weg nach dem Söller, dem letzten nochImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 798undurchforſchten Raume des Hauſes. Als er in die Nähe der Söllertreppe kam, ſtand er jedoch plötzlich ſtill und ein Schauder ſchüttelte ſeine Glie - der. Nachdem dieſer Schauder vorüber war, hatten ſeine Züge ein verändertes Anſehen gewonnen. Die Muskeln des Antlitzes ſpannten ſich ſtraff an, die Augenhöhlen wurden weiter, in ſeine Augen trat ein ſeheriſcher Glanz, ſie blickten unbeweglich mit geiſterhaftem Blicke vor ſich hin, als ſchaue er etwas, ein Ding oder einen Ort, und plötzlich griff er mit der Hand nach der Luftgeſtalt, die ihm der auf der Höhe ſeiner Anſtrengungen gewor - dene ekſtatiſche Zuſtand vorſpiegelte. Jene Hand - bewegung brachte ihn zu ſich ſelbſt zurück. Er blickte nun mit ſeiner gewöhnlichen Art um ſich her, ſtrich ſich über die Stirne, die Anſpannung der Muskeln ließ nach, die Brauen ſanken herunter, die Augenhöhlen nahmen ihre gewöhnliche Größe an, er ſah aus, wie zuvor. Der ganze Paroxys - mus hatte nur wenige Secunden gedauert. Aber ohne Zweifel war während deſſelben etwas Außer - ordentliches in ihm vorgegangen. Alſo da liegt es! murmelte er froh und beruhigt, und ſtieg raſchen Schrittes die Söllertreppe hinauf.

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Oben achtete er deſſen nicht, daß er mit dem brennenden Lichte neben Stroh und Heu vorbei - ging; eine Unvorſichtigkeit, wofür jeder Knecht ohnfehlbar den Dienſt bei ihm verwirkt haben würde. Geraden Schrittes ging er auf den Ver - ſchlag zu, worin Oswald ſo unbequeme und doch ſo glückſelige Nachtſtunden zugebracht hatte. Mit der Sicherheit Eines, der weiß, daß ihn ſeine Vermuthung nicht täuſcht, machte er die Thüre auf und ſah ſich im Verſchlage um.

Aber als er nun das Lagerſtroh umgekehrt und die wenigen Sachen, welche der enge, kahle Raum enthielt, hinweggethan hatte, brach er gewaltſam zuſammen. Denn zwiſchen dieſen vier leeren Bret - terwänden war das Schwert Karl’s des Großen auch nicht zu finden. Das brennende Licht ent - ſank ſeiner Hand, er ſetzte ſich oder fiel vielmehr auf einen dort ſtehenden Kaſten und ſtieß einen furchtbaren Schrei aus, einen von den Lauten, die ſich nicht beſchreiben laſſen, weil die Natur in ihnen ihre eigenſten, nur ſich ſelbſt vorbehalte - nen Rechte übt.

Das Licht ſchwelte mit ſeiner Flamme auf dem Fußboden in der Nähe des umherzerſtreuten7*100Strohes. Der Hofſchulze aber hatte kein Auge für dieſe Feuersgefahr. Er blieb auf dem Kaſten ſitzen. Die Kniee hatte er zum Haupte emporge - zogen, die Arme auf die Kniee geſtemmt und mit ſeinem Munde nagte er an den Händen. So blieb er, ohne daß er ſein Lager aufgeſucht hätte, oben, bis es heller Tag geworden war.

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Achtes Capitel. Wie der einäugige Spielmann ſeine Ab - ſicht bei einem leidenſchaftlichen Juriſten erreicht.

Am folgenden Morgen zwiſchen zehn und eilf Uhr hielt ungefähr eine halbe Stunde vom Ober - hofe ein kleiner leichter Wagen vor einem einzeln ſtehenden Hauſe. Den Schlag des Wagens öffnete der alte Jochem, welcher auch das Pferd denn der Wagen war ein Einſpänner gelenkt hatte, und half dem darin ſitzenden Manne heraus. Dieſer war der Mann im graubraunen Mackintoſy, der Oberamtmann Ernſt.

Ihr bleibt nun hier, Jochem, ſagte der Ober - amtmann, ich aber will das Geſchäft in der Bauer - kathe, in dem ſogenannten Oberhofe beſorgen.

Warum fahren Sie nicht vor, Herr Oberamt - mann, fragte der alte Jochem.

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Weil ich alles Aufſehen vermeiden will, ver - ſetzte der Geſchäftsmann. Wie Ihr mir Euren Herrn beſchreibt, Jochem, iſt er in einer etwas erhöhten Stimmung. Unterhandlungen aber mit Leuten in ſolcher Stimmung wollen ganz beſonders vorſichtig angefaßt ſeyn, ſonſt mißlingen ſie leicht. Ich würde mit dem Wagen die Leute im Hofe aufmerkſam machen, der Graf könnte vielleicht durch die Anweſenheit von Zeugen gereizt werden, und was dergleichen mehr ſeyn dürfte. Deßhalb ziehe ich es vor, allein, gleichſam ſchleichend, nach der Kathe zu gehen, ihn ſo zu überraſchen und ſacht mit fortzunehmen. Eine Liebſchaft, Jochem, ſagt Ihr?

So ſagt ich, Herr Oberamtmann, verſetzte der alte Jochem. Aber er wollt nichts mehr damit zu thun haben und weinte dabei erbärmlich.

Kenne das, Jochem, ſagte der Oberamtmann. Rixae amantium u. ſ. w. Er ſchlug die Hände über dem Kopfe zuſammen, daß der Mackintoſh wie das Segel eines Hamburger Evers flog und rauſchte und rief: Großer Gott, ſo behielte ja der Mer - cur Recht mit der Reiſe nach dem aufgeleſenen Schätzchen!

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Herr Oberamtmann, ſagte der alte Jochem, wenn ich Ihnen rathen ſoll, ſo ſchicken Sie mich nach dem Hofe, denn ich weiß doch allein meinen Herrn zu behandeln. Der Oberamtmann maaß den Alten mit einem geringſchätzigen Blicke und ſchüttelte das Haupt. Der Alte, den dieſer Blick etwas verdroß, und der die Eigenheit hatte, daß er zuweilen laut dachte, murmelte, daß Jeder es verſtehen konnte: Wenn der ihn mit ſeiner Unter - handlung aus dem Oberhofe fortbringt, ſo will ich nicht Jochem heißen.

Nicht weit von dem Platze, auf welchem dieſes Geſpräch vorfiel, torkelte unter den Tannen ein Menſch umher, deſſen Gebärden einen Betrunkenen verriethen. Was dieſen Betrunkenen vor Anderen ſeines Zuſtandes auszeichnete, war, daß er nicht fiel, obgleich ein Leierkaſten, den er auf dem - cken trug, hin und her rutſchend das Gewicht auf der Seite vermehrte, auf welche er ſich gerade neigte. So aber mit dem bald links bald rechts fliegenden Leierkaſten gewährte der Patriotencaspar denn dieſer war der Betrunkene das Schau - ſpiel eines auf hohen Wellen treibenden Schiffes, welches gleichwohl nicht untergeht. Er hatte104 ſich von dem Erlöſe des Silberringes, den er an einen Hauſirer verkauft, auf das Rachegefühl der Nacht in dem kalten Morgennebel gütlich gethan, und war ſo in dieſe Verfaſſung gerathen, welche ihn jedoch nicht hinderte, zwar heftige aber doch völlig zuſammenhangende Reden zu führen, die er unaufhörlich hervorſprudelte.

Der Weg nach dem Oberhofe lief durch die Tannen. Das Pferd bleibt wohl ruhig hier ſtehen, ſagte der Oberamtmann. Geht doch etwas voran, Jochem, und haltet mir den Menſchen da ſeitab; Ihr wißt, daß ich mit Betrunkenen nicht gern zu ſchaffen habe.

Jochem ging voran und der Oberamtmann folgte in gemeſſener Entfernung. Er ſah, daß der Alte mit dem Betrunkenen ſich in ein Geſpräch gab, und rief, was da vor ſei? Jochem kam zurück und meinte, das ſei der curioſeſte Fuſelichte, der ihm jemals vorgekommen. Bloß die Beine ſind benebelt, ſagte er; im Uebrigen iſt der wüſte Kerl vernünftig und ſpricht verſtändlich wie ein nüchter - ner Menſch von Protocoll und Mord und Todtſchlag.

Als der Oberamtmann dieſe Worte hörte, horchte er hoch auf. Was giebt es denn damit?105 fragte er ſehr geſpannt. Sein Widerwille gegen den Betrunkenen war viel kleiner als ſeine Neu - gier nach dem Protocolle und nach dem Mord und Todtſchlag. Er ging daher zu dem Patriotencas - par, der wirklich einen eigenen Rauſch hatte, von dem ſo zu ſagen nur die Extremitäten angegangen waren, das Gehirn aber unverſehrt geblieben war. Ein nicht ſeltener Fall bei erſchöpften Körpern. Der betrunkene Spielmann rief dem Oberamtmanne gleich entgegen: Könnt Ihr mir ein Protocoll machen, he?

Mein Freund, das könnte ich allerdings wohl, verſetzte der Oberamtmann mit einem juriſtiſchen Lächeln.

Nun denn, ſo kommt Ihr mir ja wie ein wah - rer Retter in der Noth entgegen, rief der Spiel - mann und wollte den Oberamtmann umarmen. Dieſer wich zurück, darüber verlor Caspar das Gleichgewicht und fiel mit der Naſe auf die Erde. Er raffte ſich aber gleich wieder empor, ließ den Fall ſich nicht anfechten und fuhr fort: Macht mir ein Protocoll, und ich will Euch Zeitlebens dankbar ſeyn.

Aber was ſoll denn in dem Protocolle ſtehen? fragte der Oberamtmann. Herr, ſagte der alte106 Jochem, wollen Sie nicht weiter nach dem Ober - hofe? Ich bitte Euch, Jochem, laßt mich doch; man muß jeden Menſchen anhören, verſetzte unge - duldig der Oberamtmann, deſſen Theilnahme an dieſem nach einem Protocolle durſtigen Trunkenen ſichtlich wuchs.

Mord und Todtſchlag ſoll darin ſtehen! rief der Patriotencaspar. Ich habe einen Menſchen todtgeſchlagen und Keiner will mir ein Protocoll darüber machen, auf daß ich mein Recht und meine Strafe empfange, wie ſich gebührt.

Die Geſtalt des Oberamtmanns verwandelte ſich bei dieſer unerwarteten Nachricht zu der höl - zernen Säule, an welcher er ſeine Inculpaten züchtigen ließ. Ein ſolcher Fall war ihm nie vor - gekommen. Auch der alte Diener zeigte ſich er - ſtaunt und rief: Ich ſag’s ja immer, wenn man aus Schwabenland heraus iſt unter die Franken und Sachſen und Polacken gekommen, hört Recht und Gerechtigkeit auf. ’S iſt a wüſt Volk haußen.

Ihr habt Einen todtgeſchlagen und ſie wollen kein Protocoll darüber aufnehmen? fragte der Ober - amtmann einigermaßen entſetzt.

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Richtig Einen todtgeſchlagen und keine Mög - lichkeit, mein Protocoll darüber gemacht zu kriegen! erwiederte der Spielmann.

Der Oberamtmann bedachte ſich, ſenkte das Haupt, ſpannte in dieſer denkenden Stellung den Mackintoſh wie einen Wandſchirm aus, und ſagte dann: Dieſer Menſch iſt entweder verrückt, denn der Trunk hat ihn, wie augenſcheinlich, nicht um ſeinen Verſtand gebracht, oder es herrſcht eine Nachläſſigkeit der Behörden hier, die ohne Beiſpiel ſeyn dürfte. Er hielt dem Patriotencaspar die fünf Finger ſeiner rechten Hand vor die Augen und fragte: Was ſeht Ihr da?

Fünf Finger, verſetzte der Spielmann.

Guckt einmal da oben hinauf. Was ſeht Ihr über Euch?

Den Himmel. Es iſt aber noch Haarrauch, deßhalb ſieht man nicht viel vom Himmel.

Sagt mir die Wochentage her. Der Spiel - mann nannte alle Tage vom Sonntag bis zum Samſtag in ihrer gehörigen Reihenfolge.

Welches ſind die zehn Gebote? Der Spiel - mann hob von dem nicht andere Götter haben neben mir an und ließ keins aus.

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Nach dieſer Geiſteserforſchung ſprach der Ober - amtmann: Dieſer Menſch iſt ſo wenig irr als ich oder Ihr, Jochem. Folglich ein geſtändiger Todt - ſchläger, der von Reue und Gewiſſensbiſſen zer - fleiſcht, ſich angiebt, dennoch nicht eingezogen, ja nicht einmal zur Anzeige gelaſſen wird. Schöne Wirthſchaft! Was für ein Staat! Kommt mit hinein in jenes Haus, ſagte er zum Patrio - tencaspar, es wird ja wohl ein Bogen Papier nebſt Feder und Dinte darin zu haben ſeyn. Ich will etwas kurzes Schriftliches von Euch aufneh - men und mir während deſſen überlegen, was wei - ter in der Sache zu thun iſt.

Aber Herr Oberamtmann, der Oberhof ſagte der alte Jochem.

Der Oberhof läuft uns ja nicht fort, verſetzte der Juriſt, und Euren Herrn werde ich eine Stunde ſpäter auch noch finden. Dieſe Sache geht vor, man ſoll von mir nicht ſagen, daß ich von einem Capitalverbrechen gehört habe und meiner Wege dabei vorübergegangen ſei. Bleibt Ihr bei dem Pferde, Jochem, und Ihr, Menſch, folgt mir.

Man ſieht, daß der Oberamtmann kurz vor der Fahrt im würtembergiſchen Landrechte geleſen109 hatte. Er ging voran in das einſam liegende Haus; der Patriotencaspar torkelte nach, ſehr vergnügt, ein Protocoll gemacht zu bekommen, und der alte Jochem blieb kopfſchüttelnd bei dem Pferde ſtehen, welches eine Art von Krippenbeißer war, denn es ſtieß beſtändig mit dem Kopfe nach vorn hinunter.

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Neuntes Capitel. Das Freigericht und was dieſem folgte.

Oswald trat in einer ſeltſamen Stimmung aus der Thüre des Oberhofes. Ihm wäre wohler geweſen, ſo bedünkte es ihn, wenn er Lisbeth im Sarge vor ſich geſehen hätte, dann wäre er jam - mernd über den Sarg geſtürzt, hätte auf den er - ſtarrten Lippen mit ſeinen Küſſen einen kurzen Schein der Lebenswärme hervorgerufen, hätte ſich das Herz in Thränen todt geweint. Aber ein Al - bernes, eine Grille, etwas unbegreiflich Dummes ſchied ihn von ihr, oder etwas noch Schlimmeres, eine plötzliche Reue über den raſch geſchloſſenen Bund; ſo mußte er auch glauben. Der Zorn, der Schmerz über dieſen unſichtbaren Feind, über einen dumpfen und ſtumpfen Zauber, den er nicht löſen, ja nicht einmal anfaſſen konnte, fraß ihm tief in die Bruſt hinein. Ein leichtes, veränderliches111 Mädchen, die heute ſich hingiebt und morgen ſich ſpröde verſagt! murrte er ingrimmig und empfand es wie ein ſcharfes Meſſer in ſeinen Eingeweiden, daß er ſolche Worte ſprach. Es fiel ihm nicht ein, daß er ein großer Graf und Lisbeth ein ar - mer Findling ſei, daß dieſes verlaſſene Mädchen auch ihr reichſtes äußerliches Glück in der Ehe mit ihm finden müſſe; in ſeinen ſchwärmeriſchen und wüthenden Gedanken ſah er ſie hoch über ſich. Er war der niedere Schäfer, ſie die Prinzeſſin, die ihn nach Willkühr an ſich gezogen hatte, nach Willkühr ihn nun verſtieß. In ſo furchtbarer Gemüthsverfaſſung, in ſo bitterer Pein fand er das große Geſetz der Liebe, welches dem Lieben - den ewig ſeine Stelle zu den Füßen der Gelieb - ten anweiſet, und wäre dieſe eine aus dem Staube hervorgegangene Bäuerin. Habe du die Schätze des Moguls, grüne der Lorbeerkranz des Ruhmes um deine Schläfe, führe du Salomo’s geiſterbe - herrſchenden Ring, kröne dich der Reif der Hoheit, die Geliebte wird, und nicht im abgeſchmackten Gleichniß, ſondern in der Wahrheit und Wirklich - keit deine Königin ſeyn, demüthig wirſt du den zaubergewaltigen Ring in ihren Schooß legen, der112 Kranz wird dich drücken in ihrer Nähe, ein Bettler wirſt du immerdar bleiben vor ihr, und auch als König ein Sclav.

In ſolchen ausgeweinten, ausgeleerten, ausge - nüchterten Stunden ergreift den Menſchen eine wilde Gleichgültigkeit und zugleich ſchärft ſich in ihm eine Art von gedankenloſem Merken auf die unbedeutendſten Dinge. An der Stelle, wo du verzweifelteſt, ſahſt du, ob ein Grashalm ſo oder ſo gebogen war, du wußteſt, daß an dem Buſche, der da ſtand, zwanzig Knospen aufgebrochen waren, genau ſo viele, nicht mehr und nicht minder, du könnteſt den Hirten, der gerade ſeine Heerde dem Platze vorbeitrieb, lange nachher aus der Erinne - rung malen, ſo genau beobachteteſt du ſeinen Rock, den meſſingenen Kamm im Haar und ſeine nichts - bedeutenden Geſichtszüge. Du verwünſcheſt dein Geſchick, und erkennſt während deiner ſchäumend - ſten Flüche, daß der Vogel, der dort in weiter Entfernung auf einem dürren Aſte ſitzt, eine Krähe iſt und nicht eine Dohle.

Oswald war gleichgültig über Alles geworden und wäre mit ſeinem juriſtiſchen Freunde abgereiſet, hätte ſich dieſer jetzt am Oberhofe eingefunden. 113Aber er ſah auch mit den verwachten und geröthe - ten Augen Alles, er hörte Alles, was um ihn vorging. Vor dem Hauſe ſtand der Hofſchulze mit einem anderen Bauern im Geſpräch. Sie ſtanden mit dem Rücken gegen die Thüre, ſo daß ſie den jungen Grafen nicht bemerkten. Hof - ſchulze, ſagte der Bauer, es kann doch nun ein - mal nichts helfen, kommt alſo nur immerhin zum Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch ohne dieſes. Der Hofſchulze antwortete auf das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann ſagte er ſo hohl, als ſteige die Stimme aus dem Grabe empor: Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob es ohne das Schwert gelingen wird. Der Bauer ging ſeitwärts ab, der Hofſchulze wandte ſich um und Oswald ſah, daß das Antlitz ſeines alten Wirthes ganz verfallen war. So blickte auch der Hofſchulze in das zerſtörte Antlitz ſeines jungen Gaſtes; ſie warfen einander finſtere und doch nichtsſagende Blicke zu, und dann ging Jeder ſeiner Wege; der junge Graf durch die Felder, der alte Bauer in das Haus. Auf ſeinem Wege ſagte Oswald zerſtört lachend: Sie werden heute ihren Hokuspokus am Freiſtuhl machen; ich willImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 8114mich verſtecken und zuſehen, was kann der Menſch Beſſeres thun, als etwas Neues beobachten?

Nicht lange nach dieſem Auftritte wanderten zehn bis zwölf Bauern von verſchiedenen Seiten die Pfade den Hügel hinauf nach dem Freiſtuhle. Es waren die reichſten Hofesbeſitzer der Umgegend. Die Geſichter dieſer Leute waren ernſthaft und feierlich. Ihre Schritte übereilten ſie nicht, und wo auch zwei zuſammengingen, wurde dennoch kein Wort gewechſelt. Dieſe alten Freibankbauern tru - gen auch heute noch ihren Feierputz und die großen breitkrempigen Hüte gaben ihnen ein ſchweres und würdiges Anſehen. Der Nebel, der noch immer fortdauerte, umhüllte die heimlichen und ſchweigen - den Wanderer.

Als ſie eben am Freiſtuhle angekommen waren, Einer nach dem Anderen, ſetzten ſie ſich ſchweigend und einander nicht begrüßend auf die Steine um - her, die in der Einſenkung zwiſchen den Brom - beergebüſchen lagen, der größte aber unter den drei alten Linden blieb leer und für den Frei - grafen aufbehalten. Sie ſaßen wohl eine Vier -115 telſtunde lang, ohne einander anzuſehen, geſchweige daß ſie zuſammen geredet hätten. Jeder blickte ſtarr und feſt vor ſich hin. Zuletzt kam der alte Bauer, welcher mit dem Hofſchulzen geſprochen hatte, der Frohnbote; nächſt dem Beſitzer des Oberhofes der Kundigſte in den Sitten und Ge - bräuchen der Väter. Dieſer ſtellte ſich außerhalb des Kreiſes der Steine hin, auf ſeinen Knotenſtock geſtützt und nach der Gegend des Oberhofes hin - unterſehend.

Von dieſer Gegend kam nach einer Viertel - ſtunde der Hofſchulze heraufgegangen, der Frei - graf. Neben ihm ging ſein Eidam. Feiermäſſig war auch ſein Anzug, aber gebückt und kummervoll ſein Gang. Den Eidam ließ er an einer über hundert Schritte vom Freiſtuhl entfernten Stelle zurückbleiben, das Geſicht von dieſem abgekehrt. Der Frohnbote ging dem Hofſchulzen entgegen, führte ihn bis an den Kreis und ſagte:

Herr Graf, mit Urlaub und mit Behagen
Thue ich Euch fragen;
Soll ich, Euer Knecht,
Euch den Königsſtuhl ſetzen, wie Recht?

Der Hofſchulze erwiederte:

8*116
Alldieweil die Sonne mit Rechte
Beſcheinet Herren und Knechte
Und alle unſere Werke,
Spreche ich, das Recht zu ſtärken,
Den Stuhl zu ſetzen eben,
Und rechte Maaß zu geben.

Der Frohnbote ging hierauf durch den Kreis zu dem großen Steine unter den drei alten Linden, legte die Hand an denſelben, als ſetzte er ihn wie einen Stuhl zurecht, ſtellte ein kleines Korn - maaß, welches er unter dem Rocke hervorzog, vor den Stein, blieb ſelbſt daneben ſtehen und rief dem Hofſchulzen, der ſich noch immer außerhalb des Kreiſes befand, folgenden Spruch zu:

Herr Grafe, lieber Herre;
Ich vermahne Euch bei Eurer Ehre,
Ich bin Euer Knecht,
Darum ſagt mir für Recht,
Ob dieſe Maaß iſt gleich
Für Arm und Reich,
Zu meſſen Land und Sand
Bei Eurer Seelen Pfand?

Der Hofſchulze antwortete:

Ich erlaube Recht und verbiete Unrecht
Bei Peen der alten erkannten Recht.

Er ging nun auch in den Kreis, ſchritt, ohne von ſeinen Genoſſen begrüßt zu werden, oder117 ſie zu begrüßen, auf den Stein unter den Linden, den Königsſtuhl, zu, ſetzte ſich, ſtellte ſeine Füße auf das Kornmaaß und entbloßte das Haupt, wel - chem Beiſpiele die Bauern folgten. Dann zog er eine Flechte von Weidenzweigen aus dem Rock - ärmel und gab ſie dem Frohnboten, der ſie auf einen tiſchartigen Stein vor dem Stuhle legte.

Die Bauern murmelten und Einer fragte: Die Wyd ſehen wir; wo iſt das Schwert?

Der alte Freigraf zuckte zuſammen und der Frohnbote antwortete ſtatt ſeiner: Es hat nicht gleich auf der Stelle gefunden werden können.

Nachbarn, ſagte der Hofſchulze zitternden Lau - tes, es iſt ein Malheur mit dem Schwerte von Carolus Magnus geſchehen, und wenn Ihr ſo wollt, ſtehen wir auf und gehen heim.

Nein! riefen die Bauern; aber daß das Schwert mangelt, iſt ſchlimm, denn es bedeutet das Kreuz, woran der Herr Chriſtus gelitten hat.

Sie blieben in nachdenklichen Stellungen. Auch ihr alter Vorſtand hatte Mühe, ſeine Faſſung zu behalten. Er erhob indeſſen die Stimme und ſprach zum Frohnboten:

118
Ich biete, zu ſagen mir:
Sind Nothſchöffen allhier?
Oder Mann, die nicht wiſſen?
Das ſage mir befliſſen.

Der Frohnbote ſah ſich im Kreiſe um und ver - ſetzte dann mit lautem Tone:

Alle Mann ſind wiſſend und gerecht,
Weder Nothſchöffen, weder Juden, weder Knecht.

Jetzt redete der Hofſchulze die Verſammlung mit folgenden Worten an: Iſt es die rechte Stätte und die rechte Stunde, Ding und Gericht zu hal - ten nach Freiſtuhlsrecht unter echtem Römiſchen Königsbann? Die Bauern antworteten ein - ſtimmig: Ja, ſie iſt es; und der Hofſchulze fuhr fort: So warne ich Euch vor Unluſt, Keif, Schelt - wort. Niemand ſoll ſprechen, denn mit Fürſprach, Niemand ſcheiden vom Gericht, denn mit Urlaub. Dieweil ſetzte er hinzu

Dieweil an dieſem Tage
Mit Eurer Aller Behagen
Unter dem hellen Himmel klar,
Ein frei Feldgericht offenbar
Wo Nothſchöffen keine
Gehegt beim lichten Sonnenſcheine,
Nicht in Schlüften
Nicht in Klüften
119
Zwiſchen ſieben Uhr frühe
Und Ein Uhr Mittags; ſiehe!
Alle Mann auch nüchtern kommen ſind,
Königsſtuhl und Maaß man recht befindt,
So ſprecht das Recht ohne Witz und Wonne,
Weil ſcheint die Sonne.

Die Bauern ſprachen: Wir wollen’s.

Der Hofſchulze fragte abermals: Was giebt dem Freiſchöffen Fug und Recht?

Die Bauern murmelten dumpf: Hebende Hand, blickender Schein, gichtiger Mund.

Darauf ſagte der Frohnbote: Herr Grafe, es ſteht draußen ein Mann, der Begehr am Ding und Gericht hat.

Der Hofſchulze wandte ſich wieder an die Ver - ſammlung und ſprach: Iſt es Euch genehm und zum Behagen, daß mein Eidam vom Jürgenserb, frei, Keinem eigenbehörig, ohne Schimpf noch Schande, unverleumd’t im Lande, wiſſend gemacht werde auf rother offener Erde, fahe Looſung und Heimlichkeit, wie Kaiſer Carolus geſetzt zu ſeiner Zeit?

Die Freiſchöffen erwiederten: Es geſchehe. Der Hofſchulze gab nun dem Frohnboten einen Wink, dieſer ging zu dem Eidam und führte ihn120 herbei. Der junge Bauer ſah ſehr ſtolz und freu - dig aus, als er in den Kreis trat, in welchem er die höchſte Ehre von ſeines Gleichen empfan - gen ſollte.

Der Frohnbote gab ihm Anweiſung, darauf entblößte der junge Bauer ſein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor ſeinem Schwieger - vater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Frohnbote vorhielt, und empfing in dieſer Stellung vom Hofſchulzen die Vermahnung vor Eidbruch, die ihm unter ſchweren Verwün - ſchungen ertheilt wurde. Bei der Weide ſolle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der Linde, die er ſehe, an den Baum, der den Verräther trage. Vermaledeit ſei deſſen Fleiſch und Blut, der Wind ſolle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Thiere in der Luft ſollen ihn verführen und verzehren.

Noch ſchrecklichere Drohungen enthielt dieſes Verwarnen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Frohnbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachſprach. Er ſchwor, die Fehme zu hüten:

121
Vor Mann, vor Weib,
Vor Dorf, vor Traid,
Vor Stock, vor Stein,
Vor Groß, vor Klein,
Auch vor Quick
Und vor allerhand Gottesgeſchick,
Ohne vor dem Mann,
Der die heilige Vehme hegen und hüten kann,
Und nicht zu laſſen davon
Um Lieb noch um Leid,
Um Pfand oder Kleid,
Noch um Silber, noch um Gold,
Noch um keinerlei Schuld.

Als der Eidam den Eid geleiſtet hatte, wollte er aufſtehen, der Frohnbote hielt ihn aber in ſeiner knieenden Stellung feſt und ſagte, ſich vergeſſend, und aus der feierlichen Redeweiſe in ſeine Bauer - ſprache fallend: Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe ſeyn? Ihr kriegt ja erſt die Looſung.

Auch gut! rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben ſchien. Her mit der Looſung!

Der Hofſchulze ſetzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun ſagte Jener: Die Looſung und das Nothzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain.

122

Gut, verſetzte der Eingeweihte. Stock, Stein, Gras, Grain, das iſt wohl zu behalten. Aber was bedeutet: Stock, Stein, Gras, Grain?

Neige dein Ohr zu meinem Munde, verſetzte der Freigraf, du ſollſt den heimlichen Sinn er - fahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen.

Indem der Eidam ſich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüberbeugte, rief aber der alte Frohnbote überlaut: Halt! Das Ding iſt geſchän - det, wir haben einen Lauſcher in der Nähe, ich hörte ein Geräuſch ganz deutlich.

Nun ja, ſagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, gezwungen lachend, ich habe Euch belauſcht. Ich ſtand in dem hohlen Baume da. Das Horchen, welches ich noch nie gethau, wollte mir aber ſo ſchlecht behagen, daß ich mich rührte, um fortzugehen, wo möglich da in den Forſt, Euch unbemerkt. Nehmt mir’s nicht übel, ich werde nichts von Euren Sachen verrathen, es iſt, als ob ich ſie nicht gehört hätte. Er trat in den Forſt zurück und verlor ſich unter den Bäumen.

Wie wenn bei einem fröhlichen Mahle plötzlich ein fremder Eindringling durch eine ungeheure Be -123 leidigung der ganzen Geſellſchaft den Fehdehand - ſchuh hinwirft anfangs iſt Alles lautlos und gleichſam verſteinert, mit einemmale aber ſpringt Jeder auf und läßt das verletzte Gefühl in Blick, Gebärde, Drohung, Zornes - und Racheworten ausſchäumen, ſo wirkte hier die unerwartete Er - ſcheinung des fremden Zeugen anfangs nur ein athemloſes Staunen und die Bauern ſahen ihm, ohne ein Wort zu ſagen, nach, bis er im Forſte verſchwunden war. Dann aber ſprangen ſie wüthend auf, ballten die Fäuſte und ergoſſen ſich in einem Strome von wilden Reden, Drohungen, Verwün - ſchungen. Einige riefen: Soll das geſchehen dürfen wider uns? Andere antworteten: Nimmermehr; Todt ſollte man ihn ſchlagen! Todt! riefen Alle und bekräftigten dieſes finſtere Wort durch ein lautes Murren, welches ſchauerlich von der nebel - umgebenen Höhe klang. An eine Fortſetzung des Freigerichts wurde nicht gedacht.

Der Hofſchulze war während des Getöſes ſtumm geblieben, ſein Antlitz ſah aber kreideweiß aus. Als jetzt nach jenem Murren eine augenblickliche Stille ein - trat, erhob er ſich und ſagte: Nachbarn, wollt Ihr mir überlaſſen, die Sache in aller Manier zu ſchlichten?

124

Die Bauern verſetzten: Thut das, Hofſchulze. Nur daß nichts auskommt von der Heimlichkeit.

Ich hoffe, es ſoll nichts auskommen, verſetzte der Hofſchulze mit einem ſeltſamen Lächeln.

Wie wollt Ihr es anfangen? fragten ſeine Nachbarn.

Ich will Euch nur veroffenbaren, ſagte der Hofſchulze und ſein Lächeln wurde immer ſonder - barer, daß ich eine Sache von meinem Vater ſeliger ererbt habe, die, wenn man ſie gehörig braucht, Jemandem den Mund ſchließt über jegliches Ding, worüber man will.

Ja, ſagte Einer, ſo etwas müßt Ihr wohl inne haben, denn vom Oberhofe iſt niemals was herunter geſchwatzt worden. Sie ſchüttelten ihm die Hand und liefen nach allen Richtungen hügelabwärts auseinander, unterweges ihr Murren, Schelten und Verwünſchen fortſetzend.

Als die beiden Alten oben auf der Höhe allein waren, wechſelten ſie mit einander die allerverwunderlichſten Blicke. Der Frohnbote hatte ſeit dem Abgange des jungen Grafen wie ein Falke nach jedem Geſichtszuge ſeines Freigrafen geſpäht.

125

Er verſtand ihn und der Freigraf verſtand den Frohnboten; es bedurfte aber dazu keines Woctes unter ihnen.

Nach langem Schweigen erhob zuerſt der Frohn - bote ſeine Stimme und ſagte: Wollt Ihr mir eine Nachbargefälligkeit thun, Hofſchulte?

Ja, wenn ich kann, verſetzte der Hofſchulze.

Ihr könnt ſchon, ſagte der alte Frohnbote. Es fehlt mir im Nußholz an Fällern und auf der Pfaffenwieſe an Grummetwenderinnen. Darf ich Eure Knechte und Mägde dazu vom Oberhofe mitnehmen, die Knechte nach dem Nußholze ſchicken und die Mägde nach der Pfaffenwieſe? Ihr kriegt ſie aber vor ſpät Abend nicht zurück, denn es iſt viel zu thun.

Nehmt ſie nur Alle mit, Knechte und Mägde, und behaltet ſie bis zum ſpäten Abend draußen; antwortete der Hofſchulze.

Ich thue Euch auch einen Gefallen dagegen, ſagte der Frohnbote. Ihr ſpracht neulich, daß Ihr den alten Brunnen hinter der Scheure wieder aufnehmen wolltet; er iſt aber ganz verſperrt; das Geſtröhde vor dem Zugange will ich Euch daher immer ſchon etwas wegräumen, wenn ich hinunter komme.

126

Es ſoll mir recht lieb ſeyn, erwiederte der Hofſchulze.

Wohin geht Ihr von hieraus? fragte der Frohnbote.

In die Hollenberge, um nach den Mandeln zu ſehen, antwortete der Hofſchulze, und ſchlug, ohne ſich weiter zu verweilen, einen Pfad zwiſchen den Kornfeldern ein. Der Frohnbote ſah ihm nach und ſagte dann: Wenn man nun einſtmals unver - muthet um Sachen befragt werden ſollte, ſo kann man ſchwören, daß er weder in den Oberhof noch in den Forſt da gegangen iſt, dem Menſchen nach. Hierauf ſchritt er den Weg zum Oberhofe hinunter.

Der Hofſchulze kehrte, als er einige hundert Schritte gegangen war, um und ging in den Forſt, bebend, bleich, außer ſich.

127

Zehntes Capitel. Wie der Hofſchulze und der Graf Oswald an einander und aus einander geriethen.

Unten im Oberhofe befahl der Frohnbote den Knechten zum Holzfällen nach dem Nußholze, den Mägden zum Grummetwenden nach der Pfaffen - wieſe zu gehen, der Baas habe ſie ihm für den Tag verſtattet. Sie ſollten ſich Brod mitnehmen und am Abend werde er ihnen das eingebüßte Mittagseſſen wohl erſetzen; fügte er hinzu.

Die Knechte und Mägde gehorchten ihm, denn der alte Frohnbote war des Hofſchulzen genaueſter Freund und galt wie der Herr ſelbſt im Hofe, wenn Jener entfernt war.

Nachdem ſich alle Menſchen, wie er glaubte, aus dem Hofe entfernt hatten, blieb er noch einige Minuten in dem ſtillen Hauſe ſtehen und ſagte dann wohlgefällig: Jetzt kann hier geſchehen, was128 Recht iſt. Darauf ging er über den Hof nach den Ställen. Zwiſchen der Scheure und dem Pferde - ſtalle war ein ſchmaler Gang, der noch dazu durch Raſen und Reiſig etwas verſperrt war. Dieſe Hin - derniſſe räumte der Frohnbote hinweg, legte ſie jedoch ſo, daß ſie mit leichter Mühe wieder an ihren Platz gethan werden konnten. Von dem Gange gelangte er auf ein kleines dunkeles Plätz - chen hinter der Scheure, welches kaum acht Fuß im Gevierte hielt. Nur ihm und dem Hofſchulzen war das Daſeyn dieſes Plätzchens kund, auf wel - chem der alte Brunnen des Oberhofes ſtand, der, welcher gebraucht worden war, ehe durch den Bau der neuen Scheure vor dreißig Jahren das Plätz - chen verbaut wurde, welches durch einen Winkel der hinter der Scheure durchziehenden Hofesmauer entſtand.

Ein großer Hollunderbaum, welcher an dieſer Mauer grünte, überſchattete das Plätzchen und machte es feucht. Neſſeln und Unkrautspflanzen wucherten dort in wilder Fülle. Der Frohnbote ſchlug einige der höchſten Neſſeln zurück, und ſeine rauhen Fäuſte empfanden nichts von ihrem Bren - nen. Er ſtieß mit dem Fuße die Kröten fort,129 die auf den feuchten Steinen in Menge ſaßen, nahm ein Paar morſcher Bretter, womit der Brun - nen überdeckt war, hinweg, beugte ſich über die niedrige Brunnenmauer, ließ einen Stein hinunter - fallen und freute ſich, als das Plätſchern unten anzeigte, daß noch Waſſer in dem Brunnen war. Er legte einige große Steine neben den Brunnen und einen Strick, den er aus der Taſche zog, legte er dazu. Dann ſchwang er ſich ungeachtet ſeines Alters rüſtig an dem Hollunderbaume über die Mauer, nachdem er noch ein Blatt von dem Baume abgebrochen hatte. Auf dem Blatte pfiff er eine Melodie, während er draußen durch Wieſen und Felder nach ſeinen Beſitzungen ging. Zuerſt wollte er das Nußholz und dann die Pfaffenwieſe beſuchen.

Als das Haus des Oberhofes ganz ſtill gewor - den war, that es oben an der Thüre der Kammer, worin das Schwert Karl’s des Großen gelegen hatte, ein leiſes Klinken, ſo leiſe, als fürchte der Klinkende, daß auch nur das geringſte Geräuſch von ihm vernommen werden möchte. Darauf ſchlich es eben ſo leiſe über den Gang nach dem Zimmer Lisbeth’s, und dann wurde es wieder eine Zeit - lang ganz ſtill, als werde an der Thüre gehorcht,Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 9130ob Jemand in dem Zimmer ſei. Darauf klinkte die Thüre des Zimmers ſchon etwas lauter und als nun letztere geöffnet worden war, ging es oben und that ein Kramen wie von Jemand, der nicht mehr darauf achtete, ungehört zu bleiben.

Aber plötzlich ertönte unter dem Kramen ein Schrei, es kam aus dem Zimmer geſprungen, die Thüre deſſelben wurde raſch zugeworfen, es rannte über den Gang, huſchte in die Kammer und auch deren Thüre flog mit Geräuſch zu.

Kurz nach dieſem Vorgange betrat der Hof - ſchulze mit dem jungen Grafen Oswald das Haus. Das war ungefähr um die Zeit, als der Frohnbote ſein Geſchäft am Brunnen gethan hatte. Welche Verſicherung begehrt Ihr von mir, daß ich Eure Heimlichkeit nicht ausbringe? fragte Oswald ſeinen alten Gaſtfreund. Ich bin willfährig mit Euch gegangen, als Ihr mich oben im Forſte darum erſuchtet, aber nun beeilt Euch und ſagt mir an, was Ihr wollt. Mit einem ſchweren Seufzer ſetzte er hinzu: Es gefällt mir nicht mehr bei Euch und ich muß fort.

Ich werde Ihnen da droben meine Meinung veroffenbaren, da droben in der Kammer am Gange,131 ſagte der Hofſchulze ſo mühſam und ſtockend, daß jedes Wort ſich wie von Klammern in ſeiner Bruſt loszuringen ſchien. Er ließ den Gaſt vorangehen und folgte ihm mit ſchweren und dröhnenden Schritten.

Als ſie oben in die Kammer eingetreten waren, ſchob der Hofſchulze den Riegel vor das Schloß und warf ſeinen lichtblauen Feiertagsrock ab. Dann reckte er ſeine Glieder und die ganze Geſtalt wuchs wieder wie damals, als er im Mondſchein den Jäger warnte, an die Geheimniſſe des Schwertes zu rühren. Er wiegte die Arme und Fäuſte, gleichſam um ihre Kraft zu prüfen, hin und her.

Oswald, durch deſſen Seele eine finſtere Ahnung flog, ſagte nicht ohne Schauder: Was ſoll das?

Der Alte zog die buſchichten Brauen in die Höhe und verſetzte kalt: Einer von uns Beiden verläßt dieſe Kammer nicht lebend.

Was! rief Oswald entſetzt. Ihr wollt mich ermorden? Zum Meuchelmörder wollt Ihr an Eurem Gaſte werden?

Keinesweges, ſagte der Hofſchulze ruhig wie in guten Tagen. Sondern es ſoll Alles mit der9*132Manier zugehen. Jetzt höret mich an, junger Herr Graf oder Fürſt, oder wer Ihr ſonſt ſeyn möget, denn es kann ſich treffen, daß ich auf dieſer Kam - mer liegen bleibe, und drum iſt mir ſehr vonnöthen, daß Ihr eine gute Meinung von mir heget und behaltet. Das Gemüthe des Menſchen kann ein Vieles ertragen, aber vom Uebermaaß wird es in die Deſperation gethan. Ich bin deſperat, Herre, und kann dafür nichts. Meine Seele iſt voll Nöthe und Pein und ſchreit wie ein Hirſch nach der Waſſerquelle. Es iſt zu viel Kreuz und Herzeleid über mich gekommen in dieſen Paar Tagen und das Letzte war das Schlimmſte. Mein Schwert iſt mir geſtohlen, mein Schwert! mein Schwert! Das Schwert von Carolus Magnus! Ich bin wie Aſche und Scherben, wenn ich daran gedenke. Nun behorchen Sie auch noch die Heim - lichkeit, meine Heimlichkeit! Ei, Herre, war das Recht? Nachdem ich Ihnen Logement gegeben manchen Tag und mich ganz in der Ordnung mit Ihnen betragen? Sie werden es ausbringen und haben uns eine Schande angethan, eine Schande, daß mir zu Muthe iſt, als wäre meiner Tochter durch Sie Gewalt geſchehen

133

Oswald rief: Ich ſchwöre, nichts

Zu verrathen, das wollen Sie ſchwö - ren, fiel der Hofſchulze ein. Sie ſchwören es heute und brechen es morgen, ich verſtehe mich auf ſolche Schwüre. Wer dergleichen ab - ſonderliche Heimlichkeit erfuhr, der verräth ſie auch an ſeinen Freund, oder an ſeine Liebſte, oder an ein Blatt Papier, oder an die Lüfte und die Sache kommt unter das Schwaben - volk draußen im Reich. Nein, nur der Tod ſtopft den Mund über dieſe Dinge, auch ſagen die alten Rechte ganz genau, wer Freigerichtes Heimlichkeit ſieht, ohne wiſſend zu ſeyn, der iſt des Lebens los. Ich habe einen Haß auf Sie, wie auf keinen Menſchen ſonſt in der Welt, denn ſagen muß ich Ihnen auch nur: In der Nacht zeigte mir das Geſicht mein Schwert in Ihrem Verſchlage, darunter ſtecken Sie alſo auch mit, und nun thun Sie das das das

Er hielt, von innerer Wuth zuſammengeſchnürt, einige Augenblicke inne. Dann fuhr er pathetiſch fort: So dachte ich da droben auf der Höhe am Stuhl: Herr, Herr, wie ſoll das werden? Die Heimlichkeit darf nicht von der rothen Erde, wie134 aber magſt du es gleichwohl ſchlichten? Du kannſt nicht drei hinter ihm hergehen laſſen, die ihn faſſen am Kreuzweg und aufhenken und ihm laſſen Geld und Gold und ihr Meſſer neben ihn ſtecken in die Borke des Baumes nach Königsrecht! Und darfſt du ihn locken in dein Gehöfte und abmeu - cheln und ſollſt noch ſo etwas Schandhaftiges auf dich laden in deinen urälteſten Tagen, o pfui, o pfui! Auf einmal aber that es in mir einen Blitzſchlag und eine innerliche Erleuchtung und ich wußte, wie ich mich zu faſſen und zu verhalten habe. Denn ich bin zwar noch ſtark bei Kräften, aber Sie ſind jung und auch nicht ſchwach, und ſo ſind wir einander gleich. Deßhalb wollen wir nun kämpfen um unſer Leben, Mann gegen Mann, Auge in Auge blickend. Schlage ich Sie darnieder, ſo iſt Ihr Grab im alten Brunnen bereitet und die Heimlichkeit bleibt auf der rothen Erde, thun Sie es mir an, ſo hat es Gott alſo gewollt; auf jegliche Weiſe aber iſt dieſes ein wahres und auf - richtiges Gottesgericht. Alſo friſch an’s Werk, denn ich weiß mir ſonſt nicht zu helfen!

Er erhob eine Axt, die neben ihm ſtand und ſah, indem er ſie leicht wie eine Feder empor -135 ſchwang, furchtbar aus, gleich Einem von den Strei - tern Wittekinds in den Schlachten bei Detmold und an der Haſe.

Seid Ihr bei Sinnen, Hofſchulze? rief Os - wald. Ich fürchte mich vor keinem Feinde, aber womit ſoll ich mich vertheidigen gegen Euch alten, raſenden Mann?

Dort ſteht eine zweite Axt, ſagte der Hof - ſchulze. Nehmt ſie, Herre; jegliches Geräth kann zu einer Waffe werden in des Mannes Fauſt, und wie geſchrieben ſteht, ſo ſind ſie vor alten Zeiten auch ſolcherweiſe mit Streitäxten auf ein - ander losgegangen.

Ich nehme die Axt nicht und haue mich nicht mit Euch herum wie ein Schlächter und Stier - fäller, verſetzte ſtolz und feſt der junge Graf. Ihr ſeid, ſcheint es, in der Berſerkerwuth, dem uralten Wahnſinne Eures Stammes. Ihr werdet aber zu Euch ſelbſt kommen und Euch dann ſchä - men mit mir ſo verfahren zu ſeyn um Poſſen

Poſſen! ſchrie der alte Bauer mit einer ent - ſetzlichen Stimme. Poſſen! wiederholte er eben ſo laut und ſtieß den Stiel der Axt ſo heftig auf den Boden, daß ein Theil des Kalks von der136 Decke fiel. Herr! Herr! In den Poſſen bin ich alt und grau geworden, und mit den Poſſen habe ich mir Recht genommen an einem Schalk und Sohnesmörder, und mit den Poſſen folgen mir meine Landsleute, wohin ich ſie haben will, wie eine Lämmerheerde, und um die Poſſen verſtehen ſie mich, ohne daß wir ein Wort mit einander zu reden brauchen, alſo mögen es wohl für Euch da draußen in Schwabenland Poſſen ſeyn, aber für mich und meines Gleichen ſind es keine Poſſen nicht. Und Herr, ich will jetzo mein Recht haben und meine Rache an Euch und die Sicher - heit von wegen der Heimlichkeit. So wahr der Herr lebt, ich ſuche das Alles nicht wie ein ſchlech - ter und boshafter Menſch, ſondern in grauſamer Herzensangſt und Unruhe wißt Ihr ein ander Mittel, ſagt es an aber werden muß mir es; mein Recht und die Sicherheit, und werden ſoll mir es, ſo wahr uns hier Niemand hört als Gott und die vier weißen Wände, denn der Frohnbote hat die Menſchen hinweggeſchafft vom Hofe und nur das blöde Vieh brüllt da drunten in ſeinem Stalle.

Das Saatlaken bewegte ſich und eine bleiche, jungfräuliche Geſtalt trat dahinter hervor. Ihr137 irrt Euch, Hofſchulze, ſagte Lisbeth zitternd am ganzen Körper, aber mit feſter Stimme. Aus meinem Verſtecke treibt es mich hervor, Euch vor Thorheit zu retten. Nicht Gott allein hörte Euch und die ſtumme Wand, ſondern auch ich hörte Euch und er ſetzte mich zu einer Zeugin Eurer wilden Gedanken. So hat Euch alſo Gott mit Eurem Vermeſſen in mir zu Schanden werden laſſen, deßhalb ſteht von den Werken blinden Grimmes ab.

Die Gewalt dieſer plötzlichen Erſcheinung war zu groß, als daß der Hofſchulze nicht vor ihr mit ſeiner doch nur fieberhaften Aufregung hätte zu - ſammenbrechen müſſen. Er ließ die Axt fallen, ſeine Geſtalt ſchrumpfte gleichſam vor dem zittern - den Mädchen, welches doch ſo feſt ſprechen konnte, ein, ſtumm und gebeugt verließ er die Kammer.

Oswald war überraſcht, freudig und kummer - voll vor Lisbeth in die Kniee geſunken. Ach, ſie war wieder da, aber wie ſah ſie aus und wie ſtreng und kalt hatte ſie ihn einen Augenblick an - geſehen, um dann beharrlich von ihm wegzublicken! Kommſt du endlich wieder zum Vorſchein, Lisbeth? ſtammelte er. O was hatteſt du vor? Du138 haſt mir mein Leben gerettet, denn ich glaube, die Kraft würde mir ausgegangen ſeyn dem wüthen - den Alten gegenüber.

Sie haben mir dafür nicht zu danken, Herr Graf oder Fürſt, um zu ſprechen wie der Hofſchulze ſprach, verſetzte Lisbeth. Was ich hier that, würde ich jedem Fremden erwieſen haben. Sie wollte das in einem kalten Tone ſagen, aber die Stimme bebte ſo heftig, daß es wie Zorn klang.

Die Liebe hört in ſolchen Fällen nur auf die Worte und deren Klang. Zornig und beſtürzt ſprang er auf, trat weit von ihr zurück und ſagte ſchneidend: Alſo iſt es wahr? Alſo doch verab - ſchiedet nach vierundzwanzig Stunden?

Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu reden, erwiederte Lisbeth kaum hörbar. Ich bitte Sie, mich ruhig meiner Wege gehen zu laſſen. Ich wollte nach der Stadt zu dem Herrn Diaconus, von dem ich vorhin einige Zeilen auf meinem Zimmer gefunden habe, daß er mich aufnehmen will.

Nach der Stadt wollte ich auch, ſagte er kalt lächelnd. Wie aber die Sachen zwiſchen uns ſtehen, ſo werden Sie wohl meine Begleitung ablehnen.

139

Ich fürchte mich nicht und bin gewohnt, allein zu wandern, antwortete Lisbeth. Uebrigens darf ich Ihnen ja die offene Straße nicht verbieten, die Ihnen wie mir gehört. Sie verließ die Kammer und wäre er ihr nachgefolgt, ſo hätte er ein Schluchzen wahrnehmen können, welches das ganze Weſen des armen Kindes aufzulöſen drohte.

Er hätte ſie nur fragen dürfen: Was haſt du gegen mich Lisbeth? Sage mir’s! Selbſt wenn du meinſt, daß ich geraubt und gemordet habe, ſo mußt du mir mein Verbrechen doch nennen. Dann hätte ſie geſprochen und er hätte geſprochen und aus dem Sprechen wäre wahrſcheinlich ein Lachen über die unnützen Kümmerniſſe geworden. Aber er dachte nicht daran ſie zu fragen. Denn Liebe iſt Alles; auch ungerecht und hochmüthig iſt Liebe, ſie ſieht in manchen Fällen die Geliebte lieber treulos oder veränderlich, als unter der Wucht eines Mißverſtändniſſes erliegend.

Ingrimmig knirrte er mit den Zähnen, als er allein war. Es iſt unglaublich! rief er, freilich aber doch wahr. Er ſtieß ſeine Stirn wider die Wand, um nur einen recht heftigen körperlichen Schmerz zu empfinden. Dann rief er in ſeine140 Bruſt hinein, in welcher es eben wieder unheim - lich zu wühlen begann: Herauf Ihr kleinen rothen Schlangen! Herauf an’s Tageslicht! Die Art nahm er, die der alte wilde Bauer ihm hatte auf - nöthigen wollen und warf ſie mit ſolcher Gewalt nach einem Kaſten, daß die Schärfe des Beils tief in das Holz fuhr und darin ſtecken blieb.

Ein Geräuſch draußen verrieth ihm, daß Lis - beth fortgehe. Obgleich ſie ihm nicht mehr gehörte, ſo war ihm doch, als ſei noch Leben im Oberhofe, ſo lange Lisbeth darin verweilte. Nun aber kam es ihm vor, als öffne ſich das Grab. Fort aus dem Grabe! rief er und ſprang Lisbeth nach. Sie ſtand, ihr Bündelchen unter dem Arme, unten einen Augenblick ſtill und zuckte zuſammen, als ſie Oswald kommen ſah. Er wollte ihr das Bün - del abnehmen, ſie verſagte es mit ſtummer Gebärde. Sie ging und er ſchlug, mehrere Schritte zwiſchen ſich und ihr Raum laſſend, denſelben Weg ein. So geſchieden und ſich ſcheidend verließen ſie den Ober - hof, in welchem ihnen viel begegnet war, Beides, Freude und Schmerz.

141

Eilftes Capitel. Eine Art von Feldzug.

In keinem Trauerhauſe fehlt es an Jemand, der auf eine ſo lächerliche Weiſe zu weinen weiß, daß er die Wehklage der Anderen faſt in Unord - nung bringt und nahe dem Umſchlagen in eine geheime Heiterkeit. Der würdigſte Vater mag ſich bei der wohlgemeinteſten und wohlgeſprochenſten Ermahnung an ſeine mannbare Tochter ja davor in Acht nehmen, daß irgend ein ſonderbar mit - handelnder Zipfel ihm ein durchaus komiſches An - ſehen leihe. Ernſte Männer vom größten Ver - dienſt haben nicht ſelten das Unglück gehabt, daß ihre feierlichſten Handlungen durch den ungeſchick - ten Eifer eines Anhängers faſt wie Schnurren ausliefen. Mir iſt, um auf das Trauerhaus noch einmal zurückzukommen, der Fall bekannt, daß eine ganze Familie am Begräbnißtage einer theuren142 Verwandten in das tiefſte Leid eingetaucht um einen Tiſch her verſammelt ſaß, plötzlich aber zu einem ärgerlichen und unwiderſtehlichen Lachen fortgeriſſen wurde, weil Einer, und gerade der Schluchzendſte, ſacht eine baumwollene Nachtmütze hervorholte, dieſe ſich auf den Kopf ſetzte und unter derſelben fortfuhr zu ſchluchzen. An und für ſich war dieſe Handlung höchſt vernünftig, weil er das Heran - nahen eines Rheumatismus im Kopfe fühlte und demſelben mit der wärmenden Hülle begegnen wollte. Gleichwohl wirkte ſie in ſo anſtößig er - heiternder Weiſe! Denn eine baumwollene Nacht - mütze gehört nun einmal zu den Dingen, die un - widerſtehlich jeden feierlichen Ernſt zerſtören.

Der neckende Geiſt, welcher bei allen trüben oder erhabenen Angelegenheiten des Lebens ſein Spiel zu treiben ſcheint, hatte auch den Küſter wieder in die Nähe des Oberhofes geführt. Dieſer Mann war nämlich gekommen, ſein Deputat an Lebensmitteln von der Hochzeit einzufordern. Raſch hatte ſich das Geſchäft gemacht, weil ſchon Alles für ihn bereit ſtand. Jetzt wandelte er mit ſeiner korbtragenden Magd den Weg voran, den auch unſer leidendes Liebespaar zu gehen hatte. Der143 Nebel war endlich verweht, die Sonne ſah wieder golden vom Himmel, es war ein angenehmer, klarer Tag, wenn auch etwas kühl. In der Heiterkeit der Lüfte war dem Küſter der Gedanke zugeweht, nach ſo manchen Aengſten ein frohes und genüg - liches Mahl im Freien zu halten, da er ſich auf der Hochzeit ſelbſt, wie wir wiſſen, nicht zum vierten Theile ſatt gegeſſen hatte. Er bezweckte dabei zugleich, wie wir nachmals hören werden, die Erfüllung ſeines dritten Lebenswunſches, des Wunſches, der in dem Geſpräche mit dem kupfer - naſigen Schirrmeiſter unausgeſprochen blieb, weil das Geſpräch damals leider nicht zum ruhigen Ab - ſchluſſe gedieh.

In ſolchen Gedanken ſchritt er denn alſo mit ſeiner Magd fürbaß. Die Magd konnte wegen des ſchweren Korbes nicht raſch gehen, er beſtellte ſie daher nach dem ſogenannten alten Spritzen - häuschen, welches auf der Hälfte des Weges lag, und ging eilig voran, weil er unterweges in einem einzelnen Hauſe noch eine Verrichtung hatte.

Zu der langſam nachwandelnden Magd geſellte ſich aber, als ihr Herr ihrem Geſichte entſchwun - den war, ein zweiter Wanderer, der Schulmeiſter144 Ageſel. Die Magd hatte wohl von den Einbil - dungen des Schulmeiſters vernommen, da ſie aber zu den muthvollen Perſonen ihres Geſchlechtes ge - hörte, ſo fürchtete ſie ſich nicht vor ihrem Beglei - ter, vielmehr war es ihr lieb, Geſellſchaft zu finden. Der Schulmeiſter ſeinerſeits war erfreut, die Magd zu finden, denn er wollte an ihren Herrn, nicht ihm ein Leid zuzufügen, ſondern den Läugner von ſeinen geſunden Verſtandeskräften zu überzeugen. Nachdem er im Allgemeinen über dieſen Punct mit der Magd geſprochen hatte, ſagte er zu ihr: Es iſt ja mein offenbarer Schaden und eine Sache, die mir mein ganzes Brod und den Credit in der Bauerſchaft verderben kann, wenn der Küſter, der noch dazu ein halber Amtsbruder von mir iſt, überall umherläuft und mich bei den Leuten anſchwärzt. Deßhalb muß ich ihn nothwendig davon überzeugen, daß ich meine fünf Sinne beiſammen habe.

Natürlich, verſetzte die Magd. Wenn mich Einer eine Diebin ſchilt, ſo muß er auch hören können, warum ich keine Diebin bin.

Nun alſo! fuhr der Schulmeiſter eifrig fort. und heute muß es geſchehen, denn die Gelegenheit kommt mir nie ſo günſtig wieder.

145

Wie das? fragte die Magd.

Wenn ich ihn in der Stadt aufſuche oder im Freien anſprenge, ſo reißt er aus, wie er mich nur erblickt. Hält er aber, wie Ihr mir ſagt, im alten Spritzenhäuschen ſeine Mahlzeit ab, und ich trete mit meiner Rede unverſehens in den Ein - gang, ſo muß er wohl Stich halten und alle meine Gründe anhören, denn es iſt wider die Natur der Furcht, daß er gegen mich ſtürzen, mich überren - nen und ſo das Freie gewinnen ſollte.

Die Magd dachte einen Augenblick nach und ſagte dann: Da iſt nur Eines zu befürchten.

Was? fragte der Schulmeiſter.

Daß er ein Fach an der anderen Seite aus - ſchlägt und ſo durchbricht. Denn das Spritzen - häuschen iſt ſehr alt und verfallen und die Lehm - wände haben überall große Löcher, zu denen der Tag einſcheint, und wenn mein Herr in der Angſt und Furcht gegen ſo ein Loch ſtürzt, ſo ſtehe ich nicht dafür, daß er die ganze Wand einrennt, denn, kriegt er die Manſchetten, da iſt mit ihm nicht zu ſpaßen.

Deßhalb müßt Ihr mir einen Gefallen thun, Mädchen, ſagte der Schulmeiſter.

Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 10146

Und welchen? fragte die Küſtermagd.

Tretet vor das größte Loch auf der anderen Seite, und lehnt Euch gegen die Wand, damit wenigſtens die Hauptgefahr des Entrinnens abge - wehrt wird, denn daß er auch Euch umrennen ſollte, iſt nicht wahrſcheinlich, weil Ihr eine robuſte Perſon ſeid.

Ich will das recht gerne thun, verſetzte die Magd, denn ſeinem Nebenmenſchen muß man helfen, wo man kann.

Nachdem dieſes ſinnreiche Geſpräch zwiſchen dem Schulmeiſter und der Magd ſo weit gediehen war, wurde auch noch verabredet, zu welcher Zeit der Anſchlag gegen den Küſter ausgeführt werden ſollte. Der Schulmeiſter ſagte der Magd, daß er ſie in der Nähe des Spritzenhäuschens vorangehen laſſen und ſich verſtecken wolle, bis ſie ihm ein Zeichen gebe, daß es für ihn Zeit ſei, hervorzu - brechen und mit ſeinem Amtsbruder ein Wort der Verſtändigung zu reden.

Nach dieſen Verabredungen gingen die beiden Perſonen ihres Weges weiter. Einige Zeit lang blieb nun die Straße ganz ſtill und einſam. Dann aber erhob ſich ein auffallender Lärmen die Fel -147 der hindurch, welche ſie zu beiden Seiten begrenz - ten. Die jungen Burſche, welche das Hochzeit - gefolge gemacht hatten, waren nämlich noch in irgend einem Kruge verſammelt geweſen, um einen Nachtrunk zu halten, denn der Bauer kann eine Luſtbarkeit, wenn ſie auch mit allen Anhängen vorüber iſt, immer noch nicht ſchließen. Im Kruge war nun unter ſie eine Kunde gedrungen, daß der junge Fremde etwas Unrechtes habe aus - gehen laſſen. Was es geweſen ſei, darüber lau - teten die Nachrichten verworren oder ſchwiegen auch wohl ganz. Nach einigen Berichterſtattern ſollte er das Schwert weggenommen haben, nach Anderen ausfallend gegen den Hofſchulzen geweſen ſeyn, ein Dritter kam der Wahrheit näher, indem er erzählte, der Fremde habe die Heimlichkeit dro - ben am Freiſtuhle in Unordnung gebracht. Es genügte ihnen aber überhaupt nur zu hören, daß ein Fremder irgend ein Unrecht begangen habe, um ihre ſchon erhitzten Köpfe noch mehr zu ent - flammen. Die Meiſten hatten ihre Gewehre noch bei ſich, in mehreren der Läufe ſtaken ſogar noch Schüſſe. An Pulver fehlte es auch nicht und in ſeiner Aufregung begann nun der Haufen, nach -10*148dem er viel getrunken hatte, durch die Gegend zu ſchwärmen, ohne eine eigentlich feindſelige Abſicht, aber doch gefährlich in ſeiner planloſen Leidenſchaft, wenn dieſelbe durch den geringſten Anreiz zum Ausbruche gebracht wurde.

Sie ſchoſſen ihre Gewehre ab, luden wieder, lärmten und ſchrien. Zwiſchen dieſen Trupps von drei, vier, fünf Menſchen, die näher oder ferner die Straße umſchweiften, kam nun unſer verdü - ſtertes Paar einhergegangen. Lisbeth ging auf der linken Seite der Straße, Oswald auf der rechten und zwiſchen ihnen war die ganze Breite des Weges. Um nichts auch verminderten ſie die - ſelbe, wenn ein lärmender Trupp mit drohender Gebärde links oder rechts an ihnen vorüberſtreifte, oder ein Schuß fiel, der, wie man am Pfeifen der Kugel merkte, durch einen ſchlimmen Zufall leicht das Verderben hätte bringen können. Schweigend, bleich, ohne ſich irren zu laſſen, ging das einander entfernte Paar ſeinen Weg durch dieſe Bedrohungen und Schreckniſſe hindurch und nur, wenn an Lis - beths Seite ſich ein lärmender Trupp zeigte, oder ein Schuß fiel, ſah ſich Oswald beſorgt nach ihr um, warf aber, wenn er bemerkte, wie ſie ohne149 ſeines Beiſtandes in dieſen Gefahren ſich bedürftig zu zeigen, fürder ſchritt, einen Blick des ſchmerz - lichſten Zornes dann nach der anderen Seite der Felder.

Ungefähr eine halbe Stunde mochten ſie in dieſem Lärmen und Schießen gegangen ſeyn und wirklich mußte der Himmel über ihren Häuptern wachen, denn ſonſt hätte gewiß die Hand irgend eines der berauſchten Schützen den Lauf des Ge - wehres in verhängnißvoller Richtung angeſchlagen. Da ſah Oswald in einiger Entfernung auf einem freien Platze unter Bäumen vor ſich einen Haufen von wohl zwanzig Bauern, die ſämmtlich mit Ge - wehren bewaffnet waren. Augenſcheinlich lauerten die wilden Menſchen, deren Reden und Schwadro - niren ſchon von weitem ſich hören ließ, ihm auf. Er erſchrak. An ſich dachte er nicht, nur an Lisbeth, wie er ſie ungefährdet dem rohen Haufen vorüberbringen möchte. Es kam ihm in dieſer Noth ein Gedanke und da ihm nichts Beſſeres ein - fallen wollte, ſo beſchloß er ſein Heil mit dem zu verſuchen, was ihm eben eingefallen war.

Raſch ging er voran und muthig auf den Haufen zu. Zuvorderſt ſtand ein langer junger Kerl in150 blauem Kittel, der ſein Gewehr drohend durch die Luft ſchwang und ihm wie der Anführer der Uebrigen vorkam. An dieſen beſchloß er ſich mit ſeiner Kriegsliſt zu wenden, die auf dem uralten Grundſatze des Herrſchens durch Theilung beruhte.

Er begrüßte daher den Menſchen ſo freundlich, als ſeine Stimmung es ihm geſtatten wollte und bat ihn, mit ihm zur Seite zu treten, da er ihm nothwendig etwas im Geheimen zu ſagen habe. Der Menſch ſah ſeine Cameraden fragend an, folgte aber doch dem Erſuchen. Ihr ſcheint mich hier nicht durchlaſſen zu wollen, ſagte Oswald zu ihm, ſo daß es die Uebrigen nicht hören konnten. Wirklich verſperrten ſie die ganze Straße. Nein, ſagte der Menſch, denn Sie haben was begangen. Ja, das habe ich auch, erwiederte Oswald, und es thut mir herzlich leid, aber es läßt ſich doch noch ein Wort darüber reden, und zu Euch muß ich das ſprechen, denn Ihr ſeid der einzige Nüchterne und Verſtändige von der ganzen Com - pagnie da. Ja, der bin ich, erwiederte der lange Bauer und taumelte. Alſo nur her das Wort, denn ein Wort muß der Menſch mit ſich reden laſſen, abſonderlich, wenn er vernünftig angeſprochen wird.

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Ihr ſeht doch da das Frauenzimmer? ſagte Oswald. Die ſehe ich, verſetzte der Bauer. Nun, dieſem jungen Frauenzimmer habe ich ver - ſprochen, ſie eine Strecke zu geleiten, und dagegen könnt Ihr nichts haben. Nein, dagegen kann man nichts haben, ſagte der Bauer. So laßt mich ſie alſo begleiten, bis wohin ich es ihr ver - ſprochen habe und dann kehre ich hieher zu Euch zurück, und bringe mit Euch meine Sache an dieſem Platze in Ordnung, fuhr Oswald fort. Das müßt Ihr nun den Anderen verdeutſchen, denn Ihr ſeid der einzige Nüchterne und Verſtän - dige von der ganzen Compagnie da.

Der lange Bauer, der gerade noch ſo viel Ver - ſtand beſaß, um gegen den Reiz der Eitelkeit empfindlich zu ſeyn, wandte ſich ſtolz zu ſeinen Genoſſen um und rief in einem hochfahrenden Tone: Macht Platz da dem Herrn! Was! verſetzte der Haufen; biſt du geck? Macht Platz da, Ihr betrunkene Bagage, rief der einzige Nüch - terne und Verſtändige noch lauter. Selbſt Ba - gage! ſchrien die Anderen und Einer rief: Ich glaube, der hat Tollbeeren gefreſſen! Ich will dir die Tollbeeren an den Hirnkaſten geben! er -152 wiederte der Lange und ſchoß ſein Gewehr ab, zwar nur in die Luft, indeſſen gab dieſer Knall das Zeichen zu einer allgemeinen Schlägerei. Denn Einige ſtürzten auf den Schießenden zu und rann - ten dabei Andere über, die, hiedurch beleidiget, ſich zu rächen entbrannten, in der Verwirrung ihrer Sinne aber nicht die Ueberrennenden angriffen, ſondern dritte Unſchuldige, welche ſich am fernſten von dem Streit gehalten hatten. So war bald Jeder, ohne daß er wußte wie? mit einem Gegner verſehen; Alles balgte ſich herum, Ohrfeigen, Püffe, Stöße regnete es, wenn auch nicht vom Himmel; dazwiſchen platzten die Gewehre ab, die aber zum Glück hier alle nur mit Pulver geladen waren, und es gab eine wilde Kampf - und Blutſcene (denn ſchon manche Wange und Naſe war aufge - ſchlagen) welche ſich von der Straße nach dem an - grenzenden Kornfelde wälzte, weil die Schwächeren zufällig an dieſer Seite geſtanden hatten und ſich dorthin zurückzogen, um wenigſtens auf Garben und Mandeln zu einer weicheren Niederlage zu gelangen.

Als Oswald ſeine Liſt ſelbſt über die Erwar - tung hinaus gelungen und den Platz frei ſah,153 winkte er Lisbeth, die in einiger Entfernung ängſt - lich ſtill geſtanden hatte. Scheu ging ſie über den Platz, ohne ſich nach der Schlägerei umzuſehen, und als ſie einige hundert Schritte von dort außer dem Bereiche dieſer Rohheiten war, erwartete ſie ihren Beſchützer. Ich habe Ihnen Dank zu ſagen für Ihren Beiſtand, ſprach ſie, als Oswald ſich ihr genähert hatte. Nicht den geringſten, ver - ſetzte er. Ich würde mich jedes Frauenzimmers angenommen haben, mit welchem ich deſſelben Weges gegangen wäre. Sie wandte ſich von ihm ab und er von ihr und Beide gingen in der früheren Weiſe weiter.

Eine halbe Stunde von dort lag das alte Spritzenhäuschen. Dieſes kleine Gebäude war unter den Streitigkeiten zweier Bauerſchaften dar - über, welche daſſelbe zu erhalten habe? verfallen und darauf hatten ſich die beiden Bauerſchaften neue Spritzenhäuſer erbauen müſſen. Die Wolken des Himmels ſchauten durch die Oeffnungen im Dache und die Lüfte des Feldes fuhren zur Thür - öffnung hinein und zu den Löchern in dem lehmer - nen Fachwerke wieder hinaus. In dieſem luf - tigen Luſthäuschen hatte der Küſter ſein Mittags -154 quartier aufgeſchlagen, um eine recht vergnügliche Mahlzeit zu halten, nach welcher ſein Sinn mit einem beſonderen Verlangen ſtand. Er ſaß auf altem Holzwerk, welches ſich dort noch hatte vor - finden laſſen; vor ihm war eine Serviette ausge - breitet, auf welche die Magd nun Brod und Fleiſch legte, auch eine Flaſche Wein ſtellte, die man ihm auf beſonderes Wünſchen vom Oberhofe hatte mitgeben müſſen, weil er ſeiner Verſicherung nach am Hochzeittage der Furcht vor dem Schulmeiſter wegen zu keinem ordentlichen Schlucke gekommen war. Die ganze Zurüſtung dieſes ländlichen Mahles ließ der Küſter mit einem feierlichen Schmunzeln geſchehen. Er weidete ſich wie es ſchien an den großen Augen der Magd, welche nicht begriff, warum ihr Herr, der, wenn er ſonſt im Freien etwas verzehrte, ein Stück Brod ohne viele Um - ſtände aus der Taſche , zu dieſer Mahlzeit ſo ſchwerfällige Vorbereitungen machen ließ.

Nachdem alles Eßbare aufgeſetzt worden war, und die Magd ein Glas Wein eingeſchenkt hatte (denn auch ein Glas war vom Oberhofe leihweiſe mitgegeben worden) theilte der Küſter ſeiner Die - nerin ein Stück Brod und Fleiſch zu und fragte155 ſie dann, bevor er ſelbſt anbiß, was ſie wohl davon denke, daß er ſich hier ſo häuslich nieder - laſſe und ſein Mittagseſſen im Freien halte?

Ja, was ſoll ich davon denken? erwiederte die Magd. Ich denke, es giebt hin und wieder curioſe Einfälle, die dem Menſchen anwehen, wie der Wind.

Du denkſt das vermuthlich nur, Gudel, weil wir uns hier im Winde befinden, der allerdings einigermaßen ſtark durch das Spritzenhäuschen hin - durch zieht. Nicht ein bloßer curioſer Einfall iſt es von mir, im Freien hier mir gehörig decken zu laſſen, ſondern lange hatte ich mir vorgenommen und nur immer nicht der Gelegenheit dazu hab - haft werden können, einmal Hochzeitfreude ohne den läſtigen Zwang, den mir mein Stand aufer - legt, zu genießen. Es war dieſes mein dritter und größter Lebenswunſch. Denn wohl mag Man - cher, der draußen umherſchleicht, den Küſter benei - den, daß er ſich an der Hochzeittafel ſo vollſtopfen kann, wie Jener denkt, weil er nahe der Schüſſel ſitzt, und ihm unter den Erſten ſtäts präſentirt wird. Aber die Bürde des Amtes beachtet der oberflächliche Urtheiler nicht! Keinen beſchäftigteren156 Mann giebt es wohl auf einer Hochzeit als den Küſter. Denn erſt muß er ſingen und dann muß er beten und über Tiſche die Augen aller Orten haben, ſeinen zierlichen Spaß anbringen zur rechten Zeit und in rechten Einſchnitten, und abtrumpfen, wer ſich zu mauſig macht und ermuntern, wer wie ein Tuckmäuſer daſitzt. Während dieſer Amtshand - lungen ißt und trinkt nun zwar ein Küſter, was er kann, aber auch nur gleichſam pflichtmäßig ſchlingt er Alles hinunter, ohne rechtes Gefühl von Speiſe und Trank. Weßhalb ich ſagen darf, daß mir von den mehreren hundert Hochzeiten, denen ich beigewohnt habe, wenig Erinnerung ver - blieben iſt. Nun aber muß es nach meiner Ueber - zeugung eine der ſchönſten Empfindungen ſeyn, in voller Seelenruhe und in dankbarer Erhebung zu Gott, dem Geber alles Guten, zugleich der Feſtesſpeiſe und Tränkung froh zu werden, zu genießen und dabei der feierlichen Gelegenheit zu denken, bei welcher man genießt, des Tages, an welchem ein von Gott ſelbſt geſtifteter Stand ſich begründet. Dieſe aus Erbauung und Wohlgeſchmack zuſammengeſetzte Empfindung hätte ich gern ſchon lange einmal gehabt, konnte aber wie geſagt auf157 den Hochzeitſchmäuſen ſelbſt nie dazu gelangen. Als ich nun im Oberhofe vorgeſtern durch gerechte Furcht vor einem Raſenden um alle Hungers - ſtillung gebracht wurde, erkannte ich plötzlich den Finger Gottes und entſchloß mich ſogleich zu dieſem meinem heutigen Hochzeitnachſchmauſe, den ich denn auch bei noch friſcher Erinnerung an Predigt, Lied, Orgelſpiel, abgelegt die Laſt meines Amtes, abgeſtreift die Feſſel des Ranges, hier unter Gottes freiem Himmel (denn das Dach des Spri - tzenhäuschens will wenig ſagen) in der ſchönen ge - miſchten Empfindung zu halten denke, welche, wie ich deutlich verſpüre, währenden Redens bereits in mir aufgeſtiegen iſt. Wollteſt du mich aber fragen, Gudel, warum ich nicht zu Hauſe nach - ſpeiſe, ſo wäre dieſes eine unnütze Frage. Denn abgeſehen von der Currende, welche heute zu mir gelaufen kommt, um die Büchſe zu überreichen, und welche mir alle Gedanken vertreiben würde, ſo fehlt mir überhaupt zwiſchen meinen vier Pfählen bei dem Reden meiner Ehefrau jegliche Einbil - dungskraft, und ſie würde nur gemeines Eſſen ſeyn, dieſe Hochzeitſpeiſe, welche ich dort zu mir nähme.

158

Die Magd hatte von der langen Rede ihres Brodherrn wenig oder nichts verſtanden. Sie dachte nur an den Schulmeiſter, von dem ihm eine Ueberraſchung bevorſtand und fragte den Küſter: Mögt Ihr Jemand lieber vor Tiſche ſprechen, oder nach Tiſche, Herr?

Ich weiß nicht, wie du auf dieſe Frage kommſt, Gudel, verſetzte der argloſe Küſter. Indeſſen, da du einmal fragſt, ſo antworte ich; nach Tiſche ſpreche ich Niemand gern, wie du weißt, ſondern liebe zu ſchlummern.

Wohl, ſo will ich draußen auch mein Stück Brod und Fleiſch verzehren, erwiederte die Magd ohne allen logiſchen Zuſammenhang. Sie ging aus dem Spritzenhäuschen, ſtellte ſich an die durch - löcherte Wand und winkte dem Schulmeiſter, der ſich in der Nähe ſchon verſteckt aufgeſtellt hatte.

Leiſe ſchleichend näherte ſich der Schulmeiſter dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede vorbereitet, faſt ſo lang als die des Küſters ge - weſen war. Sie begann ſo: Herr Amtsbruder, es iſt endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu ent - ſagen. Der Mann ſoll den Mann erkennen, wie er iſt, das iſt Mannespflicht. Schämen ſoll der159 Mann ſich nicht, erkannten Irrthümern zu entſagen. Blicken Sie in das Herz eines Mannes, welcher Ihrer Freundſchaft nicht unwürdig iſt, ſtoßen Sie einen Mann nicht von Ihrer Bruſt zurück, welcher an derſelben zu ruhen recht herzlich ſich ſehnt! Nach dieſem Erregung des Gefühls bezweckenden Eingange wollte er durch eine klare Auseinander - ſetzung auf den Verſtand des Verſtandesläugners wirken.

Jenen Eingang ſtill für ſich wiederholend ſchlich er zum Spritzenhäuschen, worin der Andere eben, auch durch ſeine Rede zu einer Art von erbau - lichem Seelentaumel geſteigert, das erſte Stück Rindfleiſch in die Hand genommen hatte. In dieſem Augenblicke hörte der Küſter hinter der Wand neben der Thüröffnung mit ſanfter Stimme ſagen: (denn der Schulmeiſter wollte ſeine Er - ſcheinung ſtufenweiſe vorbereiten) Herr Amtsbru - der, es iſt endlich Zeit, verjährten Irrthümern zu entſagen .... Er kannte die Stimme ge - ronnen faſt zu Gallert durch die Furcht ſaß er da, das Stück Rindfleiſch ſtarr erhoben haltend vor dem geöffneten und doch nicht zufaſſenden Munde, ein mitleidswürdiges Bild! Aber eine160 ſchwache Hoffnung im letzten Winkel ſeines Her - zens flüſterte ihm zu: Nein, es iſt nicht möglich, es muß eine Täuſchung ſeyn, ſo hart kann dich der Herr nicht ſtrafen. Doch da erſchien in der Thüröffnung das Entſetzliche, die Harpye, die nun abermals auch dieſe Nachmahlzeit beſudeln wollte, das Haupt der Gorgone wurde ſichtbar, wirklich ſtand der tolle Kerl, der Ageſilaus, in der Thüre, dießmal ſogar mit einem Knotenſtocke bewaffnet! Aufſprang der Küſter, ſchleuderte dem Feinde, was er in der Hand hatte, in das Ant - litz, nämlich das Rindfleiſch, und ſtürzte ſchreiend nach dem hinteren Theile des Häuschens, ſich gegen die lehmerne Wand drückend und mit Augen, die faſt aus ihren Kreiſen ſchoſſen, nach ſeinem Gegner ſtarrend. Der Schulmeiſter, von dieſer Unver - nunft erzürnt und von dem Wurfe mit dem Rind - fleiſche auf das Empfindlichſte beleidigt, verlor nun alle Geduld. Mit den Worten: Wenn du verfluchter Kerl nicht hören willſt, ſo ſollſt du fühlen! ſprang er, den dicken Knotenſtock ſchwin - gend, in das Häuschen auf den Küſter zu. Un - fehlbar würde er dieſen jetzt für ſeine Meinung, er ſei raſend, wie ein Raſender abgeſtraft haben, wenn161 nicht die Verzweiflung den Küſter gerettet hätte. Hatte derſelbe vorher geſchrieen, ſo brüllte er nunmehr. Brüllend griff er mit der Fauſt durch ein Loch der Lehmwand hinter ſich und faßte die Magd, welche außen wacker gegengeſtemmt ſtand, in den Schopf. Die Magd, welche ſich ſo ſchmerz - lich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe, die Wand zu halten; ſie zerrte ſich vielmehr mit aller Kraft ihres ſtarken Leibes von der Wand ab, um der Fauſt aus dem Schopfe quitt zu wer - den. Dadurch wurde der Küſter, der ſich an dieſem letzten Strohhalme in ſeiner äußerſten Noth, an einem menſchlichen, mitfühlenden Weſen, krampf - haft feſthielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt. Die Lehmwand leiſtete unter ſolchem Drucke keinen längeren Widerſtand, ſondern brach zuſammen und der Lehm überſchüttete den Küſter ſcheußlich gelb von oben bis unten, ſo daß er ausſah, wie ein König der gelben Erbſen; indeſſen wurde er von der Magd, an deren Schopfe er gleichſam wie ein Geſchleifter hing, in das Freie geriſſen und er - hielt nur einen Schlag über die Naſe vom Schul - meiſter. Der genothängſteten Magd glückte es endlich, den Brodherrn mit Zurücklaſſung einesImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 11162Haarbüſchels in ſeiner Hand abzuſchütteln und der Küſter ſtürzte draußen immer brüllend zu Boden. Die Magd ſprang von dannen, der belehmte und naſenblutende Küſter raffte ſich nun auf und ſprang ihr nach, und der Schulmeiſter, dem ſein wohl - gemeinter Verſtändigungsverſuch ſo übel gerathen war, raſete in ſeiner blinden Wuth, wie Ajax in die Heerde, in das ſchuldloſe Mahl des Entſprun - genen. Er zerriß die Serviette, trat die Fetzen mit den Füßen, ſchleuderte die Weinflaſche gegen einen Stein und warf Brod, Fleiſch, Hühner, Eier, Salz, Kuchen nach allen vier Winden, kurz, er benahm ſich ganz ſo, als ſei er der, wofür er irrthümlich gehalten wurde.

Eine ſo traurige Wendung erbaulicher Eßge - danken bereitete dem Küſter ſeine ausnehmende Feigheit.

163

Zwoͤlftes Capitel. Aus dem Tode Leben.

Aber dieſer abgeſchmackte Vorfall brachte an einer anderen Stelle eine tragiſche Wirkung hervor.

Lisbeth war auf ihrem Wege gerade dem Spri - tzenhäuschen gegenüber angekommen, als das Ge - brüll des Küſters in demſelben erſcholl. Was nun die erhitzten Bauern mit ihrem gefährlichen Schie - ßen nicht über ſie vermocht hatten, das bewirkte das Geſchrei der Feigheit; ſie entſetzte ſich, floh vor dem Orte, wo jener furchtbare Ton dröhnte, und ſtürzte, wie von einem dunkelen Triebe ge - leitet, bewußtlos in die Arme Oswald’s, die ſich ihr entgegenbreiteten. Er fühlte die Geliebte abermals an ſich ruhen, wenn auch nur aus Angſt, aber dieſer neue plötzliche Uebergang von Einem zum Anderen entfeſſelte die Dämonen in ihm, die11*164ſchon ſeit zwei Tagen an ihrem Gefängniſſe ge - rüttelt hatten. Das alte Uebel, welches Schmerz, Angſt, Zorn, körperliche Anſtrengungen, ſelbſt das Uebermaaß der Freude an ſeinem Lie - bestage, in ihm emporgewühlt, brach kläglich aus.

Mit einem Schrei faßte er an ſeine Bruſt. Mit einem zweiten Schrei ſtieß er Lisbeth faſt zurück. Ich hab’s gedacht, mein Blut, da iſt es! ächzte er und ein dunkler Purpurſtrom quoll aus ſeinem Munde. Er taumelte und ſank auf eine Raſenerhöhung. O mir! Ich erſticke waren ſeine letzten Worte, denn es folgte ein zweiter Anfall des grimmigen Uebels. Sein Geſicht war wie eines Todten Antlitz.

Im erſten Augenblicke war Lisbeth über das Zurückſtoßen erſchrocken geweſen. Aber was wollte dieſer Schreck gegen das Entſetzen bedeuten, als ſie das Blut ihres Lieblings ſah? Ja, ihres Lieblings! Sein Aechzen, ſein Blut, ſein Todten - antlitz gab ihr augenblicklich den Liebling zurück. Vergeſſen war der Lügner, nur der ſterbende Ge - liebte lag vor ihr. Mit einem Rufe, in dem ſich Zärtlichkeit, Jammer und die alleräußerſte Beſorg - niß zum herzzerreißendſten Tone miſchten, ſtürzte165 ſie zu ihm nieder und ſah ihm mit dem Blicke der innigſten Verzweiflung in die müden und er - loſchenen Augen. Weinend und wimmernd legte ſie ihre unſchuldigen Finger auf ſeine Lippen, als könne ſie damit den furchtbaren Blutſtrom hemmen. Noch immer ſandte die in ihren Tiefen verſehrte Bruſt einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt des Uebels bereits gebrochen zu ſeyn ſchien. Kei - ner Befleckung an Händen und Kleid achtete ſie, ſie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und mit lauter Stimme: Gott! Gott! Gott! als müſſe Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte ſich das unglückliche Mädchen keinen Rath. Unwillkührlich war ſie in die Kniee geſunken. So entſtand dem Kranken eine Ruheſtätte für ſein Haupt auf ihrem Schooße, denn ſie hatte ſich mit dem Leibe rück - wärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu machen. Er lag auf dem Rücken, ſeine Augen waren geſchloſſen, ſeine Wangen völlig farblos. Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hin - unter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten, gleichſam ein Blumenſpott über den Jammer der Menſchen. Sie aber hatte ihm um Haupt und Bruſt ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichſten166 und ſanfteſten Weiſe. Traurig ſchaute ſie in ſein Geſicht, ſo viel ſie vermochte. So ruhte er ganz von ihr umfangen und an ſie gelehnt im Heilig - thume jungfräulicher Liebe und Bekümmerniß! Sie wußte nicht, was ſie thun ſollte, ihm ſeinen Schmerz zu erleichtern, ſie hätte zur Quelle wer - den mögen, zum umſpülenden Bade, wenn das ihm Linderung zu verſchaffen vermocht hätte. Schluch - zend fragte ſie ihn, ob er auch ſo bequem ruhe? und bat ihn dann inſtändigſt nicht zu antworten, weil ihm das Sprechen ſchaden könne.

In der Tiefe dieſer Noth empfand ſie den heißeſten Drang, ſich mit ihm zu verſtändigen. Ach, ſchluchzte ſie, mein Oswald, vergieb mir doch nur und fühle, daß du nicht ſterben darfſt! O mein Gott, du mußt ja nicht ſterben, mußt’s nicht, denn was ſollte dann aus mir werden, wenn du ſtürbeſt?

Nicht wahr, Oswald, du ſtirbſt nicht, du thuſt mir das nicht zu Leide? Ach, kannſt du es mir denn ſo übel nehmen, daß ich ein ordentliches Mädchen bleiben will? Siehſt du, mein Oswald, deine Frau mußte ich werden, deine ehrliche Frau und ſonſt nichts weiter! Denn wäre ich auf deine167 Schlechtigkeit eingegangen, Oswald, da hätte ich mich auch an dir verſündigt und hätte dich mit zum Böſewicht werden laſſen, und das darf die Geliebte nicht; nicht einen Flecken darf ſie auf ihren Freund kommen laſſen. Denn das iſt eine ſchlechte Liebe, die nur den Anderen herzen und küſſen will, wie es auch ſei, nein, daß das Leben des Liebſten rein bleibe und unbefleckt und unver - worren, das iſt die wahre Liebe, und die habe und hege ich im Herzen zu dir, mein Oswald, wie ſie nur ein Mädchen haben und hegen kann, ja gewiß, ſo iſt es. Und habe ſie gehabt und gehegt immerdar, wie ich nun wohl fühle, obgleich ich mich vor dir verſteckte. Stürbeſt du hier auf der Stelle, Oswald, und ich könnte dich retten durch Unrecht, doch thäte ich es nicht, das ſage ich dir frei heraus. Denn meine Schande könnte ich noch allenfalls überſtehen, Oswald, aber nicht deine; nein, wahrhaftig nicht. Deine Ehre ſitzt mir tiefer im Herzen, als meine. Und ſo mußt du mir auch von Herzen vergeben, Oswald, daß ich nicht dein Liebchen, wie du wollteſt, werden mochte, und ich weiß auch gar nicht, wie der böſe Gedanke in dein gutes Herz gekommen iſt. Ich168 hätt es auch nimmer geglaubt, aber du hatteſt ge - logen, Oswald, und die Lüge iſt aller Laſter Siegel. Wer unter der Heimlichkeit einhergeht, der hat, was er verbergen muß, und wer ſeinem Mädchen etwas vorlügen kann, der will ſie auch nicht in Wahrheit zu ſeiner Frau nehmen. Deß - halb glaubte ich dem alten Bauer, was er mir von dir ſagte, und wäre beinahe geſtorben an dem Glauben. Es ſoll dir nun Alles vergeben ſeyn, Alles, von meiner Seite ganz von Herzensgrunde, und wir wollen einander recht, recht freundlich Adieu ſagen, wenn du wieder geſund biſt, und wenn du ſtirbſt, ſo will ich dir einen Buſch Gold - lack auf das Grab ſetzen und mich todtweinen darauf. Ach, wie haſt du mich ſo betrüben kön - nen? wenn ich dich anſehe, iſt es mir noch immer unbegreiflich. Aber ich zürne dir nicht, zürne du mir nun aber auch nicht! Wie gerne wäre ich deine Gräfin geworden, und dann hätteſt du mich ja am dritten Tage nach der Hochzeit verſtoßen können, ſo hätte ich doch an deinem Herzen geruht, und hätte in Ehren dran geruhet, Oswald!

Die innerſte Seele des Mädchens ſchwatzte in dieſem Geplauder, welches zuweilen von ſchweren169 Seufzern und heftigem Schluchzen und Erkundi - gungen nach ſeinem Befinden unterbrochen wurde.

Aber wie ſtand es um Oswald? Glücklich. Er horchte auf, er ahnete, er ſchloß den Zuſam - menhang; durch alle Schmerzen ſeiner wunden Bruſt ging ein himmliſches Erkennen. Er wußte nun, daß er nur verläumdet worden war, daß die keuſcheſte und ehrenzarteſte Liebe nicht einen Augenblick aufgehört hatte, ihm anzugehören. Um ſeine Wangen begann ein ſeliges Lächeln zu ſpielen, die Augen öffneten ſich und helle Zähren der Wonne blinkten darin. Lisbeth’s liebliches Antlitz ſchwamm vor dieſen ſchwimmenden Blicken, ſie kam ihm leuchtend, wie eine Heilige kam ſie ihm vor. Er konnte nicht ſprechen, aber ein Zeichen mußte er ihr geben. Er hob ſeinen rechten Arm auf, zeigte Lisbeth mit einer freundlich-ſchmerzlichen Miene den Ring, den er noch an einem Finger der rech - ten Hand trug von der Dorfkirche her, legte ſie auf ſein Herz, führte dann den Ring zum Munde, und ſtreckte die Hand gen Himmel, dann ließ er ſie wieder auf ſeine Bruſt ſinken und zog dann ihre Hand herbei, ſie in die ſeinige zu legen, und ſie mit ihr vereinigt auf ſeiner Bruſt ruhen zu170 laſſen. Dazu ſah er ſie mit einem Blicke an, daß, wenn zwölf Zeugen von ihm vor dem Richter aus - geſagt hätten: Dieſen haben wir morden ſehen, und er mit einem ſolchen Blicke ſeine Unſchuld verſichert hätte, der Richter ihm und nicht den zwölf Zeugen geglaubt haben würde.

Ein zärtliches Mädchen iſt ein gläubiger Rich - ter in ſolchen Dingen. Lisbeth folgte ſeinen Ge - bärden mit der Aufmerkſamkeit bräutlicher Liebe und als ſie den Sinn gefaßt hatte, da ſagte ſie weiter nichts als: Ah! Aber in dieſem Laute war alle Wonne, die ſeit dem Anfang der Zeiten in menſchlichen Herzen gewallt hatte. Es war ihr, als ſei ſie auf dem Hochgerichte, wo man ſie unſchuldig hinrichten wollen, begnadiget worden; bei lebendigem Leibe war ſie in den Himmel er - hoben worden, in den Himmel ſeiner unbefleckt - gebliebenen Liebe. O mein Gott! ſagte ſie und konnte ſonſt nichts vorbringen. Ein Zittern der Entzückung durchflog ihren Körper, ſie meinte zu ſinken und den geliebten Freund aus ihren Armen zu verlieren. Da nahm ſie ſich zuſammen, um nicht durch ihre Unruhe ihm zu ſchaden. Nun wußte ſie, daß ſie ſeine Frau Gräfin werde, wenn171 er nicht ſterbe, und Oswald hatte Recht gehabt, ſie machte ſich nicht ſonderlich viel aus der Frau Gräfin, ſie wollte es eben ſo gern ſeyn, wie ſie Frau Förſterin geworden wäre.

So fanden Lisbeth und Oswald einander wieder. Stumm ruhte ihr Auge an ſeinem und ſeines an ihrem und die herzlichſten Thränen floſſen von den Wimpern. Die Hände blieben auf ſeiner Bruſt vereinigt, ſanft ſtreichelte ſie ſeine Finger, zumal den, an welchem er den Ring trug, den Dollmetſch des hergeſtellten ſüßeſten Einverſtändniſſes. Ein Jüngling lag, vom heftigſten Blutſturze erſchöpft, dem Tode nahe und ſein Mädchen war bei ihm und wußte das, und Jüngling und Mädchen waren dennoch Beide glückſelig.

[172][173]

Achtes Buch. Weltdame und Jungfrau.

[174]175

Erſtes Capitel. Worin der Diaconus vom Zufall und von der wahren Liebe ſpricht.

Mehrere Wochen nach jenem glücklichen Unglück ging die junge Dame Clelia mit dem Diaconus in ſeinem Garten auf und nieder. Der Ober - amtmann Ernſt, der die dunkleren Stellen des würtembergiſchen Geſetzbuches doch endlich ergrün - det hatte und daran vor der Hand nichts weiter zu ſtudiren fand, ſaß gelangweilt in einer Jelän - gerjelieber-Laube, und ihr Gemahl ſchoß mit einer Windbüchſe, die er irgendwo aufgetrieben, hinter dem Garten unter Bäumen nach Sperlingen. Es war ganz ſtill in dem Predigerhauſe. Die Fenſter eines Zimmers, welches nach dem Hofe hinausging, waren grün verhangen und unter dieſen Fenſtern ſaß Lisbeth mit einer weiblichen Arbeit beſchäftigt.

176

Die junge Dame Clelia, welche ein leichtes Gähnen nicht verbergen konnte, ſprach zum Diaco - nus: Lieber Herr Prediger, ſagen Sie mir, was dünkt Ihnen vom menſchlichen Leben? Denn ich habe Luſt mit Ihnen etwas zu philoſophiren.

Das thut mir ſehr leid, gnädige Frau, ver - ſetzte der Diaconus. Es beweiſet, wie ermüdend Ihnen der Aufenthalt in meinem Hauſe ſeyn muß. Wenn ſo ſchöne Lippen ſich zur Philoſophie be - quemen, ſo müſſen wirklich alle Reſſourcen der Unterhaltung verſiegt ſeyn.

Clelia lachte und ſagte: Zu galant für einen Kanzelredner und für einen Lehrer der Moral viel zu bösartig. In ihrer raſchen Weiſe faßte ſie die Hand des Geiſtlichen und rief: Wie wir Ihnen Alle dankbar ſeyn müſſen für das Uebermaaß von Gaſtfreundſchaft, womit Sie uns aus der abſcheu - lichen Kneipe erlöſten und bei ſich in Ihrem be - ſchränkten Häuslein aufnahmen, mich ſammt Jung - fer und Gemahl; (ſie bediente ſich dieſer Reihen - folge ganz naiv) und jenem meinem Geſchäftsan - beter dort in der Laube, das fühlen Sie wohl ohne Verſicherung von meiner Seite, und Sie müſſen mir, wenn wir ſcheiden, unter Ihrem177 Amtseide verſichern, uns künftiges Jahr in Wien Revanche zu geben. Daß man aber, wenn man gern mit ſeinem jungen Manne in’s Weite möchte, ungern zu lange bei einem kranken Vetter bleibt, der ſein Tage nicht vernünftig werden wird

Er leidet noch ſehr, ſagte der Diaconus ernſt.

Bin ich denn gefühllos für ſein Leiden? warf Clelia kurz ein. Hätte ich noch Vergnügen in Holland und England, wenn ich ſein krankes Bild mit mir nähme? Bin ich ihm nicht herzlich gut? Sehne ich mich nicht, ihm zwanzig Küſſe auf die dummen Lippen zu geben, zwiſchen denen ſein Blut hervorſtürzte? Aber iſt deßhalb ein ſolcher Wacht - poſten bei einem Siechenbette, zu dem Einen der Arzt nicht einmal hinzuläßt, etwas Angenehmes? Und ſein Sie nur ganz aufrichtig, lieber Herr Paſtor, Ihre kleine Frau ſähe auch nicht ungern einen gewiſſen Reiſewagen anſpannen.

Wie können Sie nur ſo etwas denken, meine Gnädige! rief der Diaconus etwas verlegen, denn er erinnerte ſich an den Text einiger Gardinen - predigten.

Schelmiſch fuhr Clelia fort: Ich müßte mich auf hochrothe Wangen und auf einen gewiſſen GlanzImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 12178in den Augen der Hausfrauen nicht verſtehen! Es iſt auch gar keine Kleinigkeit, fünf Menſchen mehr im Hauſe zu haben, die man eigentlich nicht kennt, und die Einem allen Platz wegnehmen. Der Herr Gemahl laden in liebenswürdiger männlicher Un - bekümmertheit ein und die arme Frau hat nachher die Sorge. Aber laſſen Sie das nur gut ſeyn. Trotz der rothen Wangen und der glänzenden Augen bleibt ſie eine liebe, charmante Frau und ſoll in Wien willkommen ſeyn. Dort iſt Raum im Hauſe und der Haushofmeiſter ſorgt für Alles.

Der Diaconus, der ſein Zartgefühl durch dieſes Geſpräch unangenehm berührt fand, ſagte, um es zu unterbrechen: Sie wollten mit mir über das menſchliche Leben philoſophiren, gnädige Frau.

Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob das menſchliche Leben nicht ein Ding ohne Sinn und Verſtand ſei? ſagte Clelia. Ein junger Mann läuft aus Schwaben weg, um mich an einem Men - ſchen zu rächen, der ſeine Perſifflage über mich ge - trieben; er rächt mich aber nicht, ſondern ſchießt ein junges Mädchen und verliebt ſich in ſie. Dann quälen die beiden Leutchen (wie wir nun nach und nach herausgebracht haben, Ihre Frau und ich)179 einander bis auf den Tod um Nichts, und das Ende dieſer höchſt lächerlichen Geſchichte iſt ein furchtbarer Blutſturz, der leicht einen Todten in die Comödie hätte liefern können. Wo iſt da vernünftiger Zuſammenhang?

Sie laſſen etwas aus in der Geſchichte, ſagte der Diaconus.

Nun ja. Ich ſchrieb, als ich überall hören mußte, ich ſei beſcholten, an meinen Bräutigam nach Wien und erklärte ihm höchſt edel, eine Be - ſcholtene dürfe nicht ſeine Gemahlin werden; er ſei frei und des gegebenen Wortes ledig. Dieſer affectvolle Brief wirkte denn dermaßen auf ihn, daß er ſich in kürzeſter Friſt zum Herrn aller Schwierigkeiten machte, die unſerer Verbindung entgegengeſtanden hatten und, ſo raſch die Pferde Tag und Nacht laufen wollten, nach Stuttgart eilte.

Und aus ſolchen offenbaren Zeichen erkennen Sie den Gott nicht, der in Ihrem und Ihres Vetters Schickſale waltete, fragte der Diaconus mit komiſchem Ernſt.

Welcher Gott?

Der Zufall! rief der Diaconus feierlich.

12*180

Das iſt ein ſchöner Gott, verſetzte Clelia und lachte.

Gnädige Frau, ſagte der Diaconus, glauben Sie mir ſicherlich, die Welt wird erſt wieder an - fangen zu leben, wenn die Menſchen ſich erſt wieder vom Zufall hin und her ſtoßen laſſen, wenn man z. B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und ſich nicht darüber verwundert, findet man ſtatt der Rache eine Braut, wenn man (Sie verzeihen meine Frei - müthigkeit) in einer zufälligen allerliebſten Auf - wallung entſagende Briefe nach Wien ſchreibt, und eben ſo zufällig von der Entſagung zum Häub - chen abfällt. Unſere Zeit iſt ſo mit Planen, Tendenzen, Bewußtheiten überdeckt, daß das Leben gleichſam wie in einem zugeſetzten Meiler nur ver - kohlt, und nie an der freien Luft zur luſtigen Flamme aufſchlagen kann. Die Lebensweisheit der wenigen Vernünftigen heut zu Tage beſteht folglich darin, ſich von der Stunde und von dem Ungefähr führen zu laſſen, nach Launen und An - ſtößen des Augenblicks zu handeln.

Bravo! rief Clelia. Sie ſind ein wahrer Prie - ſter für uns Weltkinder. Und das ſagt er Alles ſo ernſthaft, als ſei es ihm damit bitterer Ernſt.

181

Ich predige ja nur über ein chriſtliches Gebot, ſprach der Diaconus lächelnd.

Wie lautet dieſes ſogenannte chriſtliche Gebot?

Sorge nicht um den anderen Tag, verſetzte der Diaconus.

Die junge Dame begehrte jetzt auch ſeine Exe - geſe über die leeren Nöthe des Liebespaares. Er bedachte ſich etwas und ſagte dann: Ich muß hier ſchwerfälliger werden als bei dem anderen Thema. Zuvörderſt ſei Ihnen geſagt, daß dieſe Liebe mich rührt, die Liebe meines Freundes und des guten Mädchens, welches er auf ſo ungewöhn - liche Weiſe kennen gelernt hat. Ich meine, in ihnen ein vom Schickſal bezeichnetes Paar zu ſehen und ein völliges Aufgehen zweier Seelen in ein - ander. Die Liebe iſt nun Leid, wie alle Dichter ſingen, ſie iſt der Herzen ſelige Noth und ein rührender Gram. Wer von der Liebe Thränen ſcheidet, der ſcheidet ſie von ihrem Lebensquell; eine lachende Liebe iſt keine.

Wahrlich, die ächte Liebe iſt ein Ungeheu - res! fuhr er mit Wärme fort. Nicht in tauber Redeblume, ſondern weſentlich, wirklich und182 wahrhaftig giebt der Liebende ſeine Seele weg! Dieſe alſo weggegebene und der Hut berechnenden Ver - ſtandes entlaſſene Seele iſt aus den Fugen, unbe - ſchützt liegt ſie da und ohne Vertheidigung durch irgend eine Selbſtſucht, welche unſere nüchternen Tage ſchirmt. In dieſer ihrer göttlichen Schwäche iſt ſie nun eine Beute für jedes Raubthier von grimmigem Zweifel, fürchterlichem Argwohn, zer - fleiſchendem Verdacht. Aber im Kampf mit dieſen Raubthieren erſtarkt ſie. Aus ihren tiefſten und noch nie bis dahin entdeckten Abgründen holt ſie neue Waffen und eine ungebrauchte Rüſtung hervor; ſie lernt ſich in ihren verborgenen Reichthümern be - greifen, ſie vollzieht eine Art von herrlicher Wie - dergeburt und feiert nun auf dieſer Stufe die wahre, die himmliſche Hochzeit, von welcher die Andere nur das vergröberte irdiſche Abbild iſt. Unverwelklich iſt der Kranz, der auf jenem Sie - gesfeſte der liebenden Seele getragen wird, und er verſchwindet nicht in den Schatten der Braut - nacht.

Darum zwingt eine ewige Nothwendigkeit die wahre Liebe, ſich Noth zu ſchaffen, wenn ſie keine Noth hat. Denn nicht träge genießen will ſie,183 ſondern kämpfen und ſiegen. Trübſal iſt ihr Orden und Jammer ihr geheimes Zeichen. Traun, ein Kind kann über die Leiden Oswald’s und Lisbeth’s lachen, die nicht kindiſcher erfunden werden moch - ten! Aber ohne dieſe kindiſchen Leiden wären zwei Seelen von ſolcher Tiefe, Schwere, Süße und Feurigkeit wohl wieder von einander gekommen, ſtatt daß ſie in den Qualen der Einbildung ſich das rechte Wort und den wahren Gruß gegeben haben, an dem ſie einander über alle Zeit hinaus erkennen werden.

Die junge Dame Clelia war durch dieſe Rede des Diaconus in ein Gebiet geführt worden, in welchem ihr nicht heimiſch zu Muthe ſeyn konnte. Anfangs meinte ſie für ſich, ſie müſſe ſich etwas ſchämen, denn mit ihrem Cavalier aus den öſter - reichiſchen Erblanden hatte ſie freilich während des Brautſtandes mehr gelacht als geweint. Nachher meinte ſie, die Gelehrten ſprächen zuweilen nur, um etwas zu ſagen; und endlich verſtand ſie den Geiſtlichen gar nicht mehr. Als er mit ſeiner Auseinanderſetzung zu Ende war, rief ſie: Schade, daß die beiden lieben Leute einander nicht heirathen können!

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Wie? rief der Diaconus voll äußerſten Er - ſtaunens. Denn auf dieſe Wendung war er bei der jungen, gutmüthigen Frau nicht im Traume gefaßt geweſen, zumal nach ſolchem Geſpräche.

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Zweites Capitel. Worin ein humoriſtiſcher Arzt nützliche Wahrheiten über die Behandlung kranker Perſonen vorträgt.

Das Nahen des Arztes, welcher von dem Krankenzimmer herunter in den Garten kam, ſchnitt weitere Erörterungen vorläufig ab. Der Doctor war ein überaus dicker Mann, der voll guter Einfälle ſteckte und dieſe mit der größten Trockenheit her - auszubringen wußte. Clelia, die mit ſolchen Leu - ten eine natürliche Wahlverwandtſchaft hatte, pflegte in ſeiner Gegenwart zu ſprechen, als ſei er nicht zugegen. Und ſo ſagte ſie auch jetzt, als der Arzt langſam über den Hof gewatſchelt kam, ganz laut: Da kommt der Doctor und wird uns nun ſagen, daß es mit Oswald anfange, beſſer zu gehen. Das heißt, vierzehn Tage lang mag er allenfalls Einen oder den Anderen von uns eine186 Viertelſtunde annehmen, vierzehn Tage darauf können die Beſuche länger werden, und nach ſechs Wochen werden wir hoffentlich ſo weit ſeyn, daß der Reconvalescent in der Mittagsſonne eine halbe Stunde ſpazieren gehen darf. Dieß nennen die Aerzte Herſtellung.

Wirklich hatte der Arzt noch bis geſtern den Zuſtand des Kranken als bedenklich und der höchſten Schonung bedürftig dargeſtellt. Streng war jeder Verkehr zwiſchen ihm und der Außenwelt unter - ſagt geweſen; Niemand, weder die Frauen, noch ſelbſt der Diaconus und ſein neuer Vetter aus Oeſterreich hatten ihn beſuchen dürfen. Nur dem alten Jochem war er zur Obhut und Pflege von dem unnachſichtigen Arzte anvertraut worden, die jener denn auch in aller Treue ausgeübt hatte.

Aengſtliche Sorge und Spannung, die in dem kleinen mit Gäſten plötzlich ſo angefüllten Hauſe Alle, beſonders in den erſten Tagen der Krankheit, bewegte, konnte ſich daher nur durch eifriges Fra - gen und Nachfragen und durch jede Liebesgefällig - keit, die von draußen nach dem Krankenzimmer hinein zu leiſten war, geltend machen. Am un - ruhigſten war Clelia geweſen, welche ihren Vetter187 wahrhaft lieb hatte. Auch der Oberamtmann, der in ſeinem Wagen den Leidenden nach der Stadt befördert hatte, zeigte eine große Anhänglichkeit. Tief betroffen waren der Diaconus und ſeine Frau geweſen. Lisbeth hatte anfangs viel geweint. Dann fiel es den Anderen auf, daß ſie plötzlich die Gefaßteſte, und wie es ſchien, Gleichgültigſte von Allen wurde. Dieſe Verwandelung geſchah nach einer Unterredung, die ſie mit dem Arzte gehabt hatte. Sie wurde der Frau des Diaconus bei deren vermehrten Hausſorgen ſehr nützlich, und ein Geſchäft hatte ſie ſeit ihrem Eintritte in das Haus ausſchließlich für ſich in Anſpruch genommen, die Bereitung alles deſſen, was Oswald bedurfte. Ein zarter und ſtiller Verkehr waltete zwiſchen Beiden, ungeachtet daß Lisbeth, wie ſich von ſelbſt verſteht, unter dem ſtrengſten Banne des ärztlichen Verbotes befangen war. Sie ſandte ihm mit dem leichten und kühlenden Tranke, welchen er genießen durfte, jederzeit die ſchönſten Blumen, die ſie im Gar - ten fand. Er hielt dieſe ſanften Boten in ſeiner Hand des Tages, und bei Nacht ruhten ſie an ſeinem Herzen und von dieſer Ruheſtätte empfing Lisbeth ſie am anderen Morgen wieder. Wenn die Haus -188 frau ſie nicht beſchäftigte, pflegte ſie im Hofe unter den Fenſtern des Krankenzimmers zu ſitzen. Dort verweilte ſie, bis es völlig dunkel geworden war, ihre ſtille Mädchenarbeit verrichtend. Sie war gegen Jedermann ſanft und freundlich, ließ ſich aber mit Niemand ein, ſondern blieb ſehr für ſich. Ein Vorfall hatte ſich während jener Tage ereignet, der die Gäſte etwas wider ſie einnahm, den Oberamtmann ſogar in Zorn verſetzte.

Auf heute hatte der Arzt den Eintritt einer entſcheidenden Kriſis vorherverkündiget. Der Dia - conus, Clelia und der Oberamtmann gingen ihm daher geſpannt entgegen, während Lisbeth ruhig unter dem Fenſter ſitzen blieb. Der Arzt hatte die Worte Clelia’s gehört, wandte ſich daher an dieſe, und ſagte: Gnädige Frau, ich darf Ihnen etwas kürzere Friſten verſprechen. Unſer Patient iſt hergeſtellt, und wenn allerſeits verehrte Anwe - ſende heute und etwa morgen und etwanneſt über - morgen noch einige Rückſicht auf ſeinen Zuſtand nehmen, ſo wird er wohl überübermorgen ausgehen dürfen, als ein zwar noch etwas blaſſer aber doch durchaus geheilter Mann.

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Wie? riefen Alle wie aus einem Munde. Und Sie erklärten ihn noch geſtern für nicht außer Gefahr?

Der Arzt zog ſein breites und fettes Geſicht in ſolche Falten, daß er wie ein Silen ausſah und ſagte: Eine Nothlüge, gnädige Frau und liebe Herren, eine Nothlüge, ohne welche der recht - ſchaffenſte Mann, abſonderlich aber der Arzt, nicht durch dieſes Jammerthal kommt. Denn wollte der Arzt immer die Wahrheit ſagen, ſo würfen ſie ihn zum Hauſe hinaus.

O Sie Schelm! Gewiß haben Sie wieder einen Ihrer Streiche auslaufen laſſen! ſagte der Diaconus lächelnd. Clelia drang in den Arzt, um den Zuſammenhang zu erfahren, und er fuhr folgendermaßen fort. Wenn man, ſagte er, wie ich, eine Reihe von Jahren doctert, wenn man ſeine von vielen Recepten nicht mehr abhangende Praxis hat, ſo beginnt man ohne Scheu einzu - geſtehen, daß die Natur doch zuletzt der Geheime Medicinalrath oder Obermedicinalrath iſt. Wir Aerzte ſind nur ſchärfere Zeugen der Natur, hören feiner, was ſie flüſtert und wispert, als andere Menſchen, ſonſt aber ſind wir keine Hexenmeiſter. 190Der Natur, wenn ſie leiſe ſagt: Bitte! bitte! die Bitte zu gewähren, Alles fern zu halten, was ſie in ihrem Gange ſtört, das iſt unſere ganze Kunſt. Die Krankheiten werden meiſtentheils nur gefährlich durch Gelegenheitsurſachen, welche das Walten der Natur ſtören. Auch dieſer Blutſturz wäre bei der vortrefflichen Conſtitution des Herrn Grafen wahrſcheinlich ganz von ſelbſt geheilt, das Blutgefäß, welches ſich ergoſſen hatte, hätte ſich mit Ruhe und höchſtens etwas zuſammenziehend Säuerlichem von Natur geſchloſſen. Meine Weis - heit hat nur darin beſtanden, daß ich die der Na - tur feindliche Gelegenheitsurſache entfernt zu halten wußte.

Ich ſehe einmal wieder nicht, wohin dieſes Kauffartheiſchiff ſteuert, ſagte Clelia. Welche Ge - legenheitsurſache meinen Sie?

Ihre und der übrigen verehrten Anweſenden Liebe, Freundlichkeit, Beſorgniß und Theilnahme an meinem Patienten, verſetzte der Arzt trocken. O meine geſchätzten Freunde, Sie glauben nicht, wie viele Kranke dem Arzte durch Liebe und Theil - nahme der Angehörigen zu Grunde gerichtet wer - den! Zwar in den erſten Tagen läßt man den191 Leidenden wohl ruhig liegen und behandelt ihn vernünftig, aber ſpäterhin, wenn es nun heißt, er beſſere ſich, oder er ſei Reconvalescent, da beginnt ein wahrer Cultus des Krankenzimmers, in den Augen des gewiſſenhaften Arztes der ſchlimmſte Teufelsdienſt. Vergebens rufen die müden und zitternden Nerven: Laßt uns in Frieden! Umſonſt ſehnt ſich das in Unordnung gebrachte Blut nach Stille, fruchtlos iſt es, daß die letzten Kohlen der Entzündung in ſich verglimmen möchten es hilft Alles nichts, beſucht wird, gefragt wird nach dem Befinden, unterhalten wird, vorgeleſen wird, ſo - genannte kleine Freuden werden bereitet und voll Verzweiflung ſieht man das Schlachtopfer der Liebe, was man geſtern voll guter Hoffnung verließ, heute elend wieder. Deßhalb ſterben auch in Pri - vathäuſern verhältnißmäßig mehr Menſchen als in wohlbeaufſichtigten Lazarethen. Und darum pflege ich auf Kranke mit Umgebungen voll Liebe und Theilnahme, die ich nicht abhalten kann, von vorne herein doppelt ſo viel Zeit zu rechnen, als auf Kranke ohne liebevolle Umgebungen. Hier nun

Es iſt doch abſcheulich, über die edelſten Em - pfindungen ſo zu ſpotten! rief Clelia heftig.

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ſah ich einen ganzen Heerd von Liebe und Theilnahme, als ich zum Grafen berufen wurde, fuhr der Arzt, ohne ſich erregen zu laſſen, fort. Edle Empfindungen, über die mir nicht ein - fällt zu ſpotten, welche mir aber als Arzt nur als eben ſo viele widrige Gelegenheitsurſachen und In - dicationen erſcheinen mußten, daß der Patient, befragt, beſprochen, unterhalten, durch Vorleſungen aufgeregt und durch kleine Freuden im entzünd - lichen Stadio verzögert, leicht ſeine Paar Monate abliegen könne. Deßhalb griff ich zu der Noth - lüge, daß er in großer Gefahr ſei, dann folgte die einfache Gefahr, dann der bedenkliche Zuſtand, dann die langſame Hebung der Kräfte, und auf heute endlich wurde die Wirkung einer entſcheidenden Kriſe verſprochen. Er war aber nie, verehrte Anweſende, in großer Gefahr und kehrte nach den erſten zehn Tagen ſchon mächtig zu. Einem Kranken thut Niemand Noth, als Einer, der ihm zu den beſtimmten Stunden die Arzenei reicht und allenfalls ein verſchobenes Kiſſen zurecht legt; und dann Langeweile, o du nicht genug zu preiſende Göttin des Siechenbettes! Man ſollte Hygieen gähnend darſtellen, denn es iſt nicht auszuſagen,193 welche Rieſenſchritte die Beſſerung macht, wenn der Leidende weiter gar nichts zu thun hat als zu gähnen. Darum ſetzte ich unſeren Grafen auf die wenig aufregende Geſellſchaft ſeines alten Dieners und dann auf Langeweile und habe ihn durch dieſe beiden Potenzen in kurzer Zeit wieder auf die Füße gebracht und wenn ich ihn noch ferner beſuche, ſo be - ſuche ich ihn jetzt mehr als Freund denn als Arzt.

Schade, rief Clelia nach dieſer Erörterung ſpitz, daß Sie ſich nicht ſelbſt als niederſchlagendes Pulver verſchreiben können. So dürfen wir ihn denn alſo heute ſehen?

Der Arzt ſchaute rund im Kreiſe um und warf dabei auch ſeinen Blick in den Hof, wo Lis - beth noch immer ſaß. Ich unterſcheide, ſagte er nach einer Pauſe bedächtig. Sie, gnädige Frau und der Herr Oberamtmann und der Paſtor dürfen ihn ohne Schaden ſchon heute beſuchen, mein Kind Lisbeth dort muß aber bis morgen warten.

Er empfahl ſich. Clelia’s muntere Seele war durch die letzte Rede des alten Silen doch etwas empfindlich gemacht; ſie ſtand einige Augenblicke ſchweigend, nagte an ihrer ſchönen Lippe und rief dann: Fancy!

Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 13194

Fancy, die Kammerjungfer ließ ſich hören und wurde gleich darauf ſichtbar. Fancy, bringe mir meine Crespine und ſetz deinen Hut auf, wir wollen noch etwas ſpazieren gehen, ſagte ihre junge Gebieterin.

Dürfen wir Sie nicht zu unſerem Freunde beglei - ten? fragten der Diaconus und der Oberamtmann.

Nein, verſetzte die ſchöne Empfindliche mit kurzem Ton, zu den ganz unſchädlichen Beſuchern mag ich mich denn doch nicht gern zählen laſſen.

Sie verſchwand mit Fancy. Die Männer gingen nach dem Krankenzimmer. Als der Dia - conus bei Lisbeth vorbeiging, ſagte er erſtaunt und halb leiſe zu ihr: Sie ſcheinen ſich über des Doc - tors Nachricht wenig gefreut zu haben.

Ich wußte ſchon lange die Wahrheit, verſetzte Lisbeth mit niedergeſchlagenen Augen. Der Arzt hatte meine Angſt geſehen und mir entdeckt, wie die Sache ſtand.

Und Sie konnten ſich überwinden, Oswald nicht zu beſuchen?

Warum nicht? Wenn er nur geſund wird! Kam ich und meine Sehnſucht da in Betracht?

195

Drittes Capitel. Speiſeſaal und Krankenzimmer.

Das Wiederſehen war ſehr freundlich und herz - lich geweſen. Als die beiden Männer das Kran - kenzimmer verlaſſen hatten, gingen ſie nach dem allgemeinen Verſammlungsſälchen und dort ſagte der Oberamtmann: Ich habe eigentlich nie ein ſchöneres Gefühl für einen Freund, als wenn ich ihm wider ſeinen Willen einen Dienſt für das Leben leiſten kann. Denn bei Gefälligkeiten, die man den Wünſchen des Anderen erweiſet, iſt man nie ſicher, daß ſich nicht Eitelkeit, weichliches und ſelbſtliebiges Weſen mit einmiſcht. Wenn man aber gegen die Schooßneigungen des Freundes an ihm ſeine Schuldigkeit thut, dann hat man die reine Empfindung treuerfüllter Pflicht; wohl die ſchönſte im Leben.

13*196

Soll das denn auf unſeren Freund eine An - wendung finden? fragte der Diaconus etwas be - fangen.

Allerdings, erwiederte der Oberamtmann, und Ihren Beiſtand erbitte ich mir auch, Herr Diaco - nus, zu dem, was ich vorhabe. Nachdem der Graf nun wieder hergeſtellt iſt, oder wenigſtens in ganz kurzer Zeit ſeyn wird, kann ich an mein Geſchäft mit ihm oder vielmehr für ihn denken. Meine erſte Obſorge muß nämlich jetzt ſeyn, dieſe unan - gemeſſene und faſt verrückte Liebſchaft zu zerſtören.

Der Diaconus brauſ’te hier, ſeine geiſtliche Faſſung etwas vergeſſend, auf und rief in den beſtimmteſten Ausdrücken, daß er zur Zerſtörung einer ſolchen Liebe, welche keine Liebſchaft ſei, nicht die Hand biete, vielmehr ſie, ſo lange ſie das Gaſtrecht ſeiner Schwelle genieße, zu ſchützen wiſſen werde. Man wurde hierauf, obgleich man ſich in gewiſſen Grenzen zu halten wußte, gegen - ſeitig ſehr warm und erſchöpfte Alles, was an heftigen und ſtarken Verſicherungen und Gegenver - ſicherungen geſagt werden konnte. Endlich fiel dem Diaconus die Frage ein, welche bei dergleichen Gelegenheiten die erſte ſeyn müßte, meiſtentheils197 aber die letzte zu ſeyn pflegt. Er erkundigte ſich nämlich nach den Gründen einer ſo ſtarken Abnei - gung gegen dieſe Verbindung.

Ihre Frage kann mir auffallend erſcheinen, Herr Diaconus, indeſſen will ich ſie beantworten, erwiederte der Oberamtmann. Mein Freund iſt, wie Sie wiſſen, aus der erſten Familie des - nigreiches, ſeine Herrſchaft gleicht an Umfang manchem Fürſtenthume; geborener Reichsſtand iſt er und das Blut unſerer Könige hat ſich mit ſei - nem Geſchlechte mehreremale vermiſcht. Wenn er nun den aufgeleſenen Findling heirathet, ſo fallen ſeine Kinder, wie Baſtarde, von der Bank und ſind ſucceſſionsunfähig, darüber verliert er die Freude an ſeiner Herrſchaft, weil er nämlich weiß, daß er ſie für die fremde Linie aufhebt. Mit den Anverwandten verhetzt er ſich, in ſeinen Verhält - niſſen zerrüttet er ſich, bei Hofe kehren ſie ihm den Rücken, der Gemahlin muß er ſich ſchämen, in der Kammer wird er aus übler Laune ein hohler widerſprecheriſcher Schreier, kurz, er wird auf alle Weiſe ein elender und verkümmerter Mann. Weil er aber dazu gar keine Anlage hat, ſondern vielmehr ungeachtet mancher Thorheit beſtimmt iſt,198 ſich zu einem ganz herrlichen und prächtigen Cha - rakter herauszuarbeiten, zu einer Freude und Zier des Landes, deßhalb Herr Diaconus, und deßhalb, weil ich ſeiner ſterbenden Mutter mein Wort auf ihn gegeben habe, iſt es meine Pflicht, dieſes Ver - hältniß, welches für mich eine Liebſchaft bleibt, zu zerſtören.

Die Streitenden gingen mit großen Schritten auf und nieder.

Der Diaconus pries die Unſchuld und den Schwung der Neigung, welche ſo entgegengeſetzte Gefühle aufregte. Allein der hartnäckige Geſchäfts - mann ließ ſich dadurch nicht rühren, ſondern ſagte: Ich will ihn auch gar nicht daran hindern, das Mädchen geliebt zu haben. Er feire ſie in ſeiner Erinnerung, er mache Gedichte der Wehmuth an ſie, Sonette und Terzinen ſo viel er will, er trage ihre Locke oder ihren Schattenriß, was er nun von ihr beſitzt, auf dem Herzen, immerhin! Liebe iſt Liebe, aber Ehe iſt Ehe. Die Ehe iſt ein Geſchäft, ein höchſt wichtiges Geſchäft. Nicht umſonſt handelt ein Abſchnitt in allen Landrechten von der Ehe und vom Eingebrachten und von der Gütergemeinſchaft. Die Ehe ſoll dem Menſchen199 einen Boden unter die Füße geben, nicht den Bo - den unter den Füßen wegziehen. Ein Geſchäft muß ein Object haben, Liebe iſt aber kein Object. Liebe gehört zur Ehe, wie der fröhliche Trunk zum Abſchluß eines guten Kaufes; aber über das Glas Wein ſchließt man den Handel nicht. Er braucht noch gar nicht zu heirathen, denn er iſt noch ſehr jung, will er es aber thun, ſo giebt es unter unſeren Gräfinnen und Fürſtinnen und unter denen nebenan in Baden und Bayern auch ſchöne, blü - hende, gute Mädchen; darunter ſoll er ſich aus - leſen, die Bettlerin aber ſoll er laſſen.

Ich weiß wohl, daß jedes mißgefügte Liebes - paar von ſeiner Thorheit einen neuen Himmel und eine neue Erde datirt und die erſte probehaltige Ausnahme. Wenn man aber nach wenigen Jahren die ſogenannten Ausnahmen wieder ſieht mit han - genden Flügeln, den Schmetterlingsſtaub jämmer - lich von den Schwingen gerieben, vernützt, abge - blaßt, ſo wendet ſich Einem das Herz im Leibe bei dem Anblicke von ſo trübſeligen Beſtätigungen der allgemeinen Regel um.

Der Diaconus, deſſen Verſtand unwillig Man - ches zugeben mußte, was der Andere vorbrachte,200 bediente ſich jetzt der Wendung, welche bei einem Streite ſo ziemlich klar die Niederlage anzeigt. Er ſagte nämlich, daß dieſe Drohungen wohl nicht ganz der Ernſt des Oberamtmanns ſeyn möchten, daß er gewiß Bedenken tragen werde, ſie in ihrem vollen Umfange auszuführen.

Darauf verſetzte der Amtmann ſehr kalt und feſt: Sie würden im Irrthume ſeyn, wenn Sie dieſe Meinung wirklich hegten. Ich bemerke wohl, daß die Scherze, welche die junge Baroneſſe in ihrer liebenswürdigen Laune zuweilen über mich macht, Sie zum Lachen über mich anreizen, und es mag auch wahr ſeyn, daß ich eine ziemlich ſon - derbare und graue Actenfigur bin. Ich habe neulich den ſogenannten Patriotencaspar verhört, darüber den Grafen vergeſſen, kam zu ſpät auf den Oberhof und fand meinen Freund, der viel - leicht geſund mit mir gefahren wäre, erſt wieder, als er blutend am Wege lag. Das war ein Schwa - benſtreich. Indeſſen kann man ſolche begehen und doch bei manchem Puncte unbeſieglich ſeyn. Glauben Sie mir, daß, wo ich mich in meinem Amte und Rechte fühle, Alles von mir abgleitet, wie von einem Felſen und daß ich dann feſt zu201 ſtehen weiß, wie ein Fels. Meinen liebſten Freund aber vor einem unſäglichen Elende zu bewahren, wie ich es nun einmal anſehe, das iſt recht eigent - lich meine Amtspflicht und mein Recht. Ich werde demnach, was ich angekündiget habe, durchzuführen wiſſen.

Aber was wollen Sie denn mit ihm beginnen? Er iſt doch mündig! rief der Diaconus ereifert.

Leider! verſetzte der Oberamtmann. Es giebt Leute, die wenigſtens bis zum dreißigſten Jahre unter Curatel ſtehen ſollten. Indeſſen iſt auch ein Mündiger anzufaſſen. Was ich beginnen will? Ihm jeden nur möglichen Grund vortragen, die Verbindung ihm unleidlich machen; Urlaub mir verlängern laſſen, mit ihm auf ſein Schloß reiſen, Oheime, Vettern und Baſen in Bewegung ſetzen, die Sache vor den König bringen, ſeine Standes - genoſſen aufregen, es darauf ankommen laſſen, daß er mir die Thüre weiſet, dann doch nicht gehen, immerfort einſprechen, den Einſpruch noch zwiſchen die Verlobung werfen, ja ſelbſt am Altare, wenn es nothwendig iſt, einen Scandal bereiten. O ein Mann und Freund kann viel, wenn er nur beharrlich will. So wahr ich der Oberamtmann202 Ernſt vom Schwarzwalde bin, mit meiner Zu - ſtimmung wird ſie nicht Gräfin Waldburg-Bergheim.

Und mit meiner auch nicht, ſprach hier eine dritte Stimme. Die ſchöne Clelia war, von ihrem Spaziergange zurückgekehrt, in den Saal getreten, und hatte unbemerkt von den Männern, gehört, wovon die Rede war. Nein, Herr Dia - conus, ſagte ſie, Sie ſehen die Sache doch etwas zu ſehr von Ihrem Standpuncte an. Ich bin ge - wiß gut und freundlich gegen Jeden und wünſche Allen ein ſolches Lebensglück, wie ich es erlangt habe, aber auch meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß Mißbündniſſe nie zum Heile führen, und da es ſich hier um das Loos meines theuerſten An - verwandten handelt, ſo ſtelle ich mich ganz auf die Seite des Oberamtmannes.

Die ſchöne junge Frau ſagte dieß ſo feierlich, als hätte ſie in ihrem zwanzigjährigen Leben ſchon wenigſtens hundert üble Erfahrungen von Miß - bündniſſen vor Augen gehabt. Der Oberamtmann küßte ihr dankbar und gerührt die Hand und der Diaconus ſchwieg.

Es war inzwiſchen im Nebenzimmer gedeckt worden und man ſetzte ſich zu Tiſche. Auch der203 junge Gemahl hatte ſich nach ſeiner Sperlingsjagd, die nicht ſehr ergiebig geweſen war, zur Geſell - ſchaft gefunden und nur Lisbeth fehlte. Der Dia - conus ſuchte, ſo gut es ihm gelingen wollte, der vorhergegangenen Scenen ungeachtet den beredten Wirth zu machen. Es glückte ihm aber nicht ganz, denn ſeine Seele war abweſend und in Bekümmer - niß bei dem Paare, über deſſen Häuptern ſich nach manchem Leiden noch zuletzt ſo ſchwere Wol - ken anhäuften.

Die ganze Geſellſchaft war eigentlich verſtimmt und redete wenig. Der Oberamtmann fühlte die Schwierigkeit ſeiner Aufgabe, zwei Herzen zu trennen, die einen geiſtlichen Beiſtand hatten, und dachte über die Mittel nach, dieſem Einfluſſe ent - gegenzuarbeiten. Zwiſchen dem jungen Ehepaare aber hatte ſich der erſte Streit erhoben und zwar auch über das Liebespaar. Der Gemahl war näm - lich nach ſeiner Rückkehr von dem Windbüchſen - vergnügen unterrichtet worden, daß der Vetter hergeſtellt ſei und hatte, als er ſeine Gemahlin von dem Spaziergange heimkommend geſprochen, ihr in aller Freundlichkeit aber mit beſtimmtem Tone den Entſchluß eröffnet, nunmehr abreiſen zu204 wollen, da ſie unmöglich jetzt noch eine Sorge um Oswald mit auf die Reiſe nehmen könne. Schon daß er ſo beſtimmt ſprach, regte ihren Widerſpruch auf und ſie fühlte wohl, daß wenn ſie den An - fängen ſolcher Emancipation nicht entgegentrete, es leicht um die ganze Zukunft ihres Regiments geſchehen ſeyn dürfte. Sie erklärte daher eben ſo beſtimmt, daß ſie noch bleiben und ſo lange bleiben werde, bis ſie ihren geliebteſten Anverwandten von einem ſchlimmeren Uebel befreit ſehe, als dem Blutſturze, nämlich von ſeinem verkehrten Heirathsvorſatze. Der Oberamtmann faſſe Alles zu rauh an, ſie als Frau wiſſe allein in ſolcher Verwickelung das Richtige zu treffen und den Knäuel mit Feinheit zu entwirren. Du kennſt meine Feſtigkeit, Edmund, ſagte ſie zuletzt; ich bin ganz feſt in dieſer Sache, zu deren Behand - lung mich der Himmel ſelbſt offenbar hieher hat kommen laſſen, alſo ſtehe ab von dem Vorſatze, mich nach deinen Wünſchen bewegen zu wollen. Er erwiederte ihr darauf höflich, daß er an ihrer Feſtigkeit nie gezweifelt habe, daß ſie ihm aber unter ſolchen Umſtänden verzeihen möge, wenn er, ſo lange ihr Geſchäft hier daure, einen Beſuch bei205 ſeinem Oheim im Osnabrück’ſchen abſtatte, denn an dieſem elenden Orte könne er es nicht länger aushalten.

So endete demnach der ſüße Friede der Flit - terwochen und es war noch keine Verſöhnung er - folgt, als man ſich zu Tiſche ſetzte. Gemahl und Gemahlin ſprachen daher auch nicht, ſondern ſahen ſtumm auf ihre Teller. Was endlich die Haus - frau betrifft, ſo hatte dieſe wirklich das hochrothe Antlitz und die glänzenden Augen, von welchen Clelia geſprochen hatte, und welche unwiderleglich anzeigen, daß eine Wirthin ſich ſehnt, wieder un - geſtört in ihrer ſtillen Häuslichkeit zu leben. Sie war die gaſtfreiſte Frau von der Welt, aber die Einladungen des Diaconus, die von ihm ohne Rückſicht auf Raum und Grenzen des kleinen Hausweſens ausgegangen waren, hatten ihr eine Laſt aufgebürdet, unter welcher ſich ſelbſt der Sinn einer Baucis geheimen Mißgefühls nicht würde haben enthalten können.

Man ſtand auf und wünſchte einander gute Nacht. Vor dem Fortgehen ſagte aber der Ober - amtmann zum Diaconus: Unbegreiflich iſt es mir, wie Sie, Herr Paſtor, die Parthei eines Mäd -206 chens nehmen können, welches nach allen Anzeigen zu ſchließen, eine ſehr gefühlloſe Seele hat.

Gefühlloſe Seele?

Iſt ſie, als ſie von dem Unfalle ihres alten Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem dankbaren Kinde eignete? Hat ſie ſich nicht be - gnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben ſei? und als ſie erfuhr, daß gute Leute ſich ſeiner ange - nommen hätten, that ſie da etwas Anderes, als ihm das Geld ſchicken, welches ſie für ihn ver - wahrte?

Herr Oberamtmann, verſetzte der Diaconus, die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen und ausgetragen: Du ſollſt Vater und Mutter verlaſſen und dem Manne anhangen. Es thut wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu ſtoßen, wenn man ſo viele Puppen geſehen hat. Ich habe da die Unterſcheidungen und Bezeichnungen auf - geſtellt, welche, wie wir vernehmen, unſer großer Dichter von weiblichen Weſen zu gebrauchen pflegte. Mir will es ſo vorkommen als ob Goethe, wenn er noch lebte und die Lisbeth ſähe, ſie eine Natur nennen würde.

207

An dieſem Abende ereignete ſich, was hin und wieder in Liebesſchickſalen vorkommt. Die Umher - ſtehenden ſtreiten gewaltig mit einander und regen eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei Menſchen verbunden bleiben ſollen oder nicht! und die Liebe ruht während des Kampfes ſeitwärts unter Roſenbüſchen in holder Eintracht. Lisbeth und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um ihr Geſchick ausgefochten wurden oder ſich vorbereite - ten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude ſich zugedacht. Sie pflückte die ſchönſten Aſtern im Garten und wand ſie zum Kranze. Mit dem Kranze ſchlich ſie, als es dunkelte, leiſe an die Thüre des Krankenzimmers, horchte dort klopfen - den Herzens und pochte, als ſie im Zimmer nicht reden hörte, ſo ſacht an, daß nur ein feines Ge - hör, wie es der alte Jochem beſaß, den faſt un - hörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam in ſeinen Socken an die Thüre geſchlichen und öffnete ſie ohne Geräuſch.

Wacht der Graf? flüſterte Lisbeth.

Nein, verſetzte eben ſo leiſe der Alte. Er ſchlummert im Lehnſeſſel, das Geſpräch mit den208 beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kom - men’s nur herein!

Kaum den Boden mit ihren Fußſohlen berüh - rend ſchritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im Lehnſtuhle ſaß Oswald und ſchlief. Sein Antlitz war ſo weiß wie Marmor, er ſah vornehmer und prächtiger aus als je. Die ſchöne Stirn zeigte noch klarer als ſonſt die lichten, innigen Gedanken, welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht ge - röthet waren die vollen, gutmüthigen Lippen, und um ſie und um die reinen Wangen ſchwebte das friedlichſte Lächeln. Er träumte vielleicht, und mochte wohl von ſeiner Liebe träumen. So ſaß er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine Miſchung von ſiegfreudigem Apoll und ſchwärmen - dem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie ſo klar in dieſer ſeiner Grundform ausgeprägt, als heute, wo die geſchloſſenen Wimpern allen Zügen etwas Feſtes und Ewiges gaben.

Lisbeth näherte ſich dem Schlafenden und beugte ſich über ſein Haupt. Aber ſie rührte ihn nicht an und ließ kaum ihren Athem um ſeine Wangen ſpielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte ſie leicht und leiſe wie eine beſchenkende Himmels -209 geſtalt ihren ſchönen Kranz von rothen, gelben und blauen Aſtern in ſeinen Schooß. Und dann ſetzte ſie ſich ihm gegenüber in einen Seſſel und ſah ihn, die Hände über der Bruſt gekreuzt, lange an.

Nachdem ſie ſo lange ſtumm geſeſſen, wendete ſie ihr Antlitz. Der Alte ſtand ihr zur Seite und empfing ihren erſten Blick. Von dieſem Blicke er - ſchüttert, ſank er leiſe auf das Knie und küßte ihre Hand.

Die Gnoſtiker erzählen, daß die Engel einſt eine unausſprechlich ſchöne Geſtalt flüchtig an ſich vorüber ſchweben ſahen, die ſie nachmals nie wieder erblickten, obgleich ſie Aeonen lang mit heißer Sehn - ſucht einer zweiten Erſcheinung harrten. Sie ſchufen dann endlich, ſagen die Gnoſtiker, in Nacherinne - rung an die Geſchaute, ein ſchwaches Abbild jenes himmliſchen Urbildes. Dieſes Abbild war der Menſch. Es kann ſeyn, daß in Lisbeth’s Zügen etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einſt erſchienenen Schönheit ſchimmerte. Der Alte ſtam - melte flüſternd: O liebe, liebe, junge gnädige Gräfin.

Lisbeth erröthete. Warum nennſt du mich immer ſchon ſo? fragte ſie leiſe.

Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 14210

Weil ich mir Sie gar nicht als Liebſte oder Braut denken kann, ſondern Frau ſind Sie, liebe Frau von meinem jungen Herrn, gar kein Sehn - ſucht nicht und kein Verlangen, ſondern ſchon ganz Eins mit ihm und herzenseinig.

Nun ſage mir, wie geht es ihm und wovon hat er heute geſprochen? fragte Lisbeth.

Ach, ſagte der Alte, Kranke haben ſo ihre wehmüthigen und zaghaften Stunden. Mein Herr ſagte heut, das Glück, was er mit Ihnen haben würd, käm ihm gar zu ſchön und herrlich vor, er könnt nicht ausſprechen, wie unſäglich lieb er Sie haben thät und deßhalb fürchtete er, die wüſte Welt würd ſich drein legen zwiſchen ihn und ſein Glück, und der Damon würde drauf treten

Dämon ſagte er wohl, ſprach Lisbeth.

Dämon oder Damon, ’s kommt Alles auf Eins heraus, er meinte aber gewiß den Teufel; fuhr Jochem fort. Er ſagte dieſe trübſeligen Sachen viel ſchöner und beſſer, als ich ſie hervorbringen kann, indeſſen hatt ich rechte Müh ihm Troſt ein - zuſprechen.

211

Lisbeth nahm die Hand des Alten und lis - pelte: Wenn er erwacht, ſo ſage ihm, ich ſei hier geweſen und habe mich an ihm gefreut. Sage ihm dann auch, er ſolle mir nicht übel nehmen, beſuche ich ihn morgen und auch vielleicht noch übermorgen nicht, denn ganz geſund müſſe er erſt ſeyn, wenn er mich ſehen ſolle, und ich ſei ohne dieß doch immer und ewig bei ihm. Tief ath - mend, aber ſo leiſe, daß der Alte ſein Ohr ihren Lippen nähern mußte, ſetzte ſie hinzu: Und wei - ter ſollſt du ihm ſagen, er müſſe ſich nicht vor der Welt und dem Dämon fürchten, denn er ſei mein Oswald und ich ſei ſeine Lisbeth, und die Welt und der Dämon hätten keine Macht über zwei Menſchen, die einander von Grund des Herzens gut ſeien. Er ſolle nur ganz getroſt an mich denken, denn ich ſei Er, und er ſei Ich, und wir ſeien Eins und zwiſchen uns könne nichts kommen.

Werd Alles genau ausrichten und beſtellen, antwortete der Alte. Und ’s iſt gut, daß mein Herr es nicht von Ihnen hört, denn mit Ihrer Stimm und dem ganzen Ton vorgetragen, möcht’s ihn doch unruhig machen und der Bruſt noch ſcha -14*212den. Aber wenn ich’s ihm in meiner groben Ma - nier erſt zuricht und hinterbring, ſo überwindet er’s ſchon eher.

Lisbeth erhob ſich und ging. Bald nachher erwachte Oswald und hörte vom Alten, welche liebliche Zuverſicht ſeinem Schlummer nahe ge - weſen ſei.

213

Viertes Capitel. Die Leiden einer jungen Strohwittwe.

Indeſſen ſchien wirklich die idylliſche Liebe bei ihrem Zuſammentreffen mit der Außenwelt böſen Geſchicken entgegenzugehen. Denn der Oberamt - mann wiederholte am folgenden Tage in einem zweiten ruhigeren Geſpräche dem Diaconus ſeine unerſchütterlichen Vorſätze. Die ſchöne Clelia, welche bei der höchſten Gutmüthigkeit doch alle Meinungen einer vornehm erzogenen Dame hegte, ſprach während einer Morgenunterhaltung ihm eben - falls wieder ihre Ueberzeugung gegen ein Ehe - bündniß aus.

Seine Seele war bekümmert und erſchüttert. Auf der Seite der Gegner ſtand die Vernunft mit hundert Gründen in Reihe und Glied, und er war ſelbſt ein zu ruhiger und beſonnener Mann, als daß er nicht insgeheim mancher Stimme im feind -214 lichen Lager beigefallen wäre. Das zerſchnitt ihm aber das Herz, welches den beiden Liebenden mit Innigkeit zugethan war und ſich ſchon an der Aus - ſicht geweidet hatte, durch ſie die Anſchauung eines ſeltenen Glückes zu gewinnen. Indeſſen hatte er nur noch wenig Hoffnung darauf, denn er meinte auch wie jeder dritte Zeuge eines Verhältniſſes, daß keine Leidenſchaft den Angriffen des Verſtan - des auf die Länge gewachſen ſei. So befürchtete er denn von der Herſtellung Oswald’s nichts als Einbuße, tiefes Leid und Zerſtörung.

Die ſchöne Clelia hatte übrigens bei’m Er - wachen eine unerwartete Nachricht empfangen. Als ſie nämlich in das Morgengewand geſchlüpft war und ſich nach ihrem Gemahle erkundigte, brachte ihr Fancy ein Billet von ihm, aus dem ſie ſah, daß er wirklich in der Nacht Extrapoſt genommen hatte und zum Beſuche bei dem Oheim im Osna - brück’ſchen abgereiſet war. Das Billet ſagte ihr das zärtlichſte Lebewohl, ſagte ihr, daß er ihren Morgenſchlummer nicht habe ſtören wollen und ſprach den empfundenſten Wunſch aus, daß eine baldige Schlichtung der Verwirrung, wie ſie ſich dieſelbe vorgenommen, die Dauer dieſer erſten ihm215 ſo ſchmerzlichen Trennung abkürzen möge. Selbſt eine Locke von ſeinem Haare hatte er beigelegt, Nachſchrift über Nachſchrift hinzugefügt und eine Stelle im Briefe bezeichnet, welcher von ihm ein Kuß aufgedrückt worden ſei, wie er ſagte.

Nachdem die ſchöne Verlaſſene dieſen Brief geleſen hatte, ſchwieg ſie eine Zeit lang und ſah das feine roſenrothe Papier ſo an, als ob es die Abſage einer Soirée bei dem Fürſten, wie er nun heißen mochte, enthalte, auf welche ſich die ganze feine Welt Wiens ſchon ſeit vierzehn Tagen ge - freut hatte. Fancy mußte ſie erinnern, daß die Chocolade kalt werde; ſie verſetzte, daß ſie keinen Appetit habe und befahl dem Mädchen, die Taſſe wegzutragen. Fancy gehorchte.

Sie ſaß hierauf etwa eine Viertelſtunde im Sopha und ſtützte das Haupt gedankenvoll auf den ſchönen Arm. Dann ging ſie eine halbe Stunde im Zimmer auf und nieder und dann klingelte ſie. Fancy kam. Ihre Gebieterin ſtand mitten im Zimmer und ſagte zu der Jungfer, die zugleich Schatzmeiſterin und Vertraute war: Fancy, es freut mich, daß mein Mann ſo feſt iſt. Ich bin feſt, er iſt feſt, dieſes gegenſeitige Feſtſeyn ver -216 bürgt mir eine geordnete Zukunft. Nichts Unan - genehmeres als zwei Gatten, die einander mit weichen Nachgiebigkeiten quälen. Jeder muß ſeinen Willen haben und den durchzuführen wiſſen, dann findet man ſich gegenſeitig zurecht und es entſteht ein heiterer geregelter Lebensgang. Es freut mich, daß mein Mann abgereiſt iſt.

Warum ſollten Sie ſich auch darüber nicht freuen, gnädige Frau? erwiederte Fancy, die der Gebieterin nie widerſprach.

Ich werde ungeſtörter, in größerer Ruhe meine Aufgabe hier löſen, die ich mir geſtellt habe, ſo allein und für mich, ſagte Clelia.

Fancy erwiederte hierauf nichts, ſondern nickte nur zuverſichtlich beiſtimmend mit dem Kopfe. Aber dennoch bleibt es auffallend, fing die Baro - neſſe nach einer Pauſe an, daß mein Mann ab - reiſen konnte.

Auffallend bleibt es allerdings, ſagte Fancy. Unterhalte mich, ſprach Clelia. Fancy unter - hielt hierauf die Gebieterin ſo gut ſie konnte und erzählte ihr von allen Bekanntſchaften, die ſie raſch nach Art der Kammerjungfern im Städtchen ge - macht hatte; von der Frau des Steuereinnehmers,217 von der Tochter eines Aſſiſtenten und auch vom Küſter, der ihr mit ſeiner barocken Weiſe aufge - fallen war, und über den ſie bei der und der Gelegenheit herzlich hatte lachen müſſen, ſo komiſch war ſein Betragen geweſen.

Der Stoff dieſer Mittheilungen hatte ſich noch lange nicht erſchöpft, als die Dame ſie unterbrach und ſie um Gotteswillen bat aufzuhören mit dem albernen Zeuge von Steuereinnehmerfrauen und Aſſiſtententöchtern und Küſtern, denn ſie habe ent - ſetzliches Kopfweh. Fancy verſtummte auf der Stelle, holte kölniſches Waſſer und rieb ihrer lei - denden Herrin die Schläfe damit ein. Du biſt ein gutes Mädchen, Fancy, ſagte Clelia ſanft während dieſer Mühwaltung zu der Dienerin, aber ſehr langweilig kannſt du mitunter ſeyn.

Gnädige Frau, antwortete Fancy ſchüchtern und doch mit einem gewiſſen Pathos, all mein Verdienſt iſt, Ihnen treu zu ſeyn und Ihnen zu gehorchen wie eine Sclavin. Unterhaltung kann freilich ein ſo beſchränktes Mädchen, wie ich bin, nicht haben.

Clelia ließ ſich darauf bei ihrem Vetter an - melden. Die Begrüßung beider Verwandten war218 ſehr liebevoll, denn ſie waren einander gut wie Bruder und Schweſter. Dennoch empfand Clelia nach den erſten Reden einen gewiſſen Zwang, denn ſie war ſich ja geheimer Abſichten gegen ſeine Wünſche bewußt. Sie kürzte daher den Beſuch unter dem Vorwande, daß viel Sprechen ihm noch ſchädlich ſeyn möchte, ab. Dann hatte ſie die Unterredung mit dem Diaconus. Darauf wollte ſie die Hausfrau ſprechen, aber dieſe hatte in ihrer Wirthſchaft die Hände voll zu thun. Sie verlangte daher nach dem Oberamtmanne. Der war jedoch auf dem Gerichte und ſprach mit einem Beamten über Dienſtſachen. Nun begehrte ſie wie - der den Diaconus zu ſprechen, welcher ſich indeſſen zu einer Synode hinbegeben hatte.

Die Toilettenſtunde war hierüber herangekom - men und dieſe gab nun einige Zerſtreuung. Wäh - rend Fancy das Haar ihrer Dame ordnete, erfuhr ſie das Project, welches dieſe beſchäftigte. Sie faßte ihre eigenen verſchwiegenen Gedanken. Dieſe halten wir uns nicht für berechtigt zu offenbaren, denn auch gegen Kammerjungfern ſoll man discret ſeyn. Nur ſo viel: Wie alle ihre Schweſtern war Fancy eine geſchworene Freundin von Meſalliancen. 219Zwar hätte ſie auf Lisbeth neidiſch ſeyn dürfen, dagegen aber ſtritt ihr Gemüth. Bei aller Schlau - heit hatte das Mädchen ein dankbares Herz. Der junge Graf Oswald hatte einſt ihrem alten inva - liden Vater eine Verſorgung als Caſtellan ausge - macht, ihn dadurch vom Hungertode gerettet. Man muß hübſch erkenntlich ſeyn, dachte Fancy und entwarf ihren Soubrettenplan.

Sie legte etwas boshaft das ſchöne, noch nie getragene blaue Mouſſeline de Laine Kleid heraus und kleidete überhaupt ihre Herrin heute mit be - ſonderer Sorgfalt. Als Clelia ſich im Spiegel ſo ſchön geſchmückt ſah, ſeufzte ſie und ſagte: Schade, daß man das für die Tauben und Sperlinge im Hofe angezogen hat.

Recht Schade! verſetzte Fancy. Der Herr hatten ſich ſo ſehr darauf gefreut die gnädige Frau in dem neuen Kleide zu ſehen.

Nun, es wird ja hier keine Ewigkeit währen, warf die ſchöne Frau leicht hin.

Die Ewigkeit iſt lang, verſetzte die gefällige und nachgiebige Fancy. Nein, eine Ewigkeit wird es wohl nicht währen.

220

Nach Tiſche (ſie ſpeiſte nur mit der Hausfrau, denn die Männer hatten abſagen laſſen, und das Mahl war deßhalb etwas einſylbig, wie alle Diners zweier Damen und von ſehr kurzer Dauer) ließ die junge Baroneſſe ihre Uhr repetiren und ſagte: Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag wer - den. Sie las etwas, aber das Buch zog ſie nicht an, dann ſang ſie etwas zur Guitarre, aber ſie hörte bald auf, denn ſie behauptete, heiſer zu ſeyn. Fancy, meine Creſpine! rief ſie. Fancy brachte die ſchwarzſeidene Creſpine. Clelia ging etwas in den Garten, aber die Mücken ſchwärmten ihr dort zu wild, und deßhalb kehrte ſie bald wieder in ihr Zimmer zurück.

Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile ich mich um ſein wahres Heil ausgeſetzt habe, ſo müßte er der undankbarſte Menſch ſeyn, ſagte er mir nicht Zeitlebens Dank, ſprach ſie zu Fancy, die ihr die Creſpine abgenommen hatte und in den verknitter - ten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung ſtiftete.

Er müßte der undankbarſte Menſch ſeyn, er - wiederte Fancy.

Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas an zu ſticken. Inzwiſchen war der Oberamtmann221 zurückgekommen und ließ anfragen, ob er aufwarten dürfe. In der Dürre dieſes Tages erſchien ihr der Geſchäftsmann wie ein Retter aus der Noth; gern wurde er angenommen. Als er ſeine verehrte Schöne in dem neuen, reizenden Anzuge ſah, be - gannen ſeine Augen wacker zu werden, er ſah ganz verklärt aus. Das Sticken aus freier Hand ſchien ihr einige Beſchwerde zu verurſachen. Er fragte ſie lebhaft, ob er ihr den Stramin halten dürfe? Sie bejahte im ſchmeichelndſten Tone. Mit leuchtenden Blicken ſetzte ſich nun der Ober - amtmann zum Dienſte der Galanterie auf ein Fuß - bänkchen zu den Füßen der jungen Dame nieder, nahm den Stramin feſt in ſeine beiden Hände und ſah ſo ernſthaft auf die Roſen, die unter Cle - lia’s Nadel entſtanden, als habe er ein Todesur - theil vor Augen. Auch Clelia ſtickte eifrig, als arbeite ſie um das tägliche Brod, und Fancy ſaß im Fenſter, mit einer Beeiferung ohne Gleichen nähend.

Die Spannung der nächſten Augenblicke war nicht gering. Endlich fragte Clelia ihren grauen Verehrer, wie er die Sache mit dem Vetter an - zugreifen gedenke? worauf er ihr ungefähr die näm -222 liche Auskunft gab, wie dem Diaconus. Clelia fuhr aber heftig auf und erklärte, daß ſie ein ſol - ches Verfahren durchaus nicht zugeben werde, daß das ein rauhes und unmenſchliches Verfahren ſei, welches ohnehin nicht einmal einen günſtigen Er - folg zuſichere, weil die Liebe durch ſo unmittel - baren Widerſpruch nur wachſe, und was dergleichen mehr war, geeignet, den ganzen Plan des Ober - amtmanns umzuwerfen. Sie hatte den Stramin aus ihren Händen entlaſſen und der Oberamtmann hielt ihn ſonach beſtürzt und gedankenlos allein in den ſeinigen.

Aber mein Gott, ſagte er traurig, was wollen Sie denn, daß geſchehen ſoll?

Darüber habe ich meinen Entſchluß gefaßt, erwiederte Clelia ernſt. Er iſt auf die Kennt - niß des weiblichen Herzens gegründet. Kurz, wenn ich irgend etwas auf Sie vermag, wenn Sie wirk - lich mir in dem Maaße vertrauen, wie es den Anſchein hat, ſo überlaſſen Sie mir die Leitung der Sache, denn von ſolchen Dingen begreift Ihr Männer überhaupt nichts.

Der Geſchäftsmann wollte Widerſpruch erheben, aber ſie ſah ihn ſo beſtimmt an, er fürchtete ſo223 ſehr von ihr verabſchiedet zu werden, ſie kam ihm heute in dem blauen Mouſſeline de Laine-Kleide reizender als je vor, er hatte ſich ſo glücklich ge - fühlt, als er ihr den Stramin gehalten genug, er gab wehmüthig und kleinlaut nach. Unter der Thüre aber wendete er ſich nochmals um, ging zu ihr, faßte ihre beiden Hände, drückte ſie gegen ſeine Bruſt, ſeufzte und ſagte: Das ganze Geſchick unſeres Freundes ſteht auf dem Spiele. Nur Kälte und Conſequenz kann ihn retten. Wird Ihnen Ihre weibliche Gutmüthigkeit nicht einen Streich ſpielen? Wenn ſich nun Stöhnen und Wehklagen erhebt, werden Sie dann Stand halten?

Darüber ſein Sie ganz ruhig, verſetzte Clelia. Fancy, du kennſt meine Feſtigkeit.

Ich kenne die Feſtigkeit der gnädigen Frau, ſagte Fancy.

Nach der Entfernung des Oberamtmanns fragte die Baroneſſe ihre Zofe: Ob ſie wohl ihren Plan errathe? Die Zofe verſetzte, daß ſie ein zu dum - mes Mädchen ſei, um ſo kluge Plane errathen zu können. Ich werde, ſagte darauf die Baroneſſe, indem ſie ſich von Fancy die ſeidenen Schuhe, welche ſie etwas drückten, ausziehen ließ und ihre224 kleinen Füße in rothe goldgeſtickte Pantöffelchen ſteckte, ich werde auf weibliche Art die Sache ordnen, Fancy.

Sie nahm eine gefällige Lage auf dem Sopha an, Fancy ſetzte ſich auf das Bänkchen des Ober - amtmanns zu ihren Füßen, ſah ihr demüthig in das Geſicht und erwiederte: Gnädige Frau, Sie können gar nichts anderes ſeyn, als das edelſte weibliche Weſen.

Meinſt du? verſetzte die Gebieterin lächelnd und ſtreichelte ihrer ergebenen Jungfer die Wange. Nun höre meinen Plan. Nach Allem, was ich von der Lisbeth höre, iſt ſie ein gutes und braves Mädchen. Solche Gemüther leben nur im Glücke ihres Freundes und entſagen dem eigenen, wenn man ihnen klar macht, daß ſie das Unglück des Zweiten werden können. Ich will auf das Gemüth des Mädchens mit allen Gründen wirken und bringe es ohne Zweifel dahin, daß ſie in meine Hände ihre Liebe und meines Vetters Wort zu - rückgiebt. Entſagen ſoll ſie, entſagen wird ſie, dann werde ich ſie weitweg zu entfernen wiſſen. Todt muß ſie für Oswald ſeyn, ich aber ſorge, wie ſich von ſelbſt verſteht, Zeitlebens als Mutter225 für ſie. Nur die ſchlechte, unwahre Liebe will um jeden Preis den Beſitz des Geliebten; die reine, wahre weiß ſich ſelbſt freudig zu opfern, ſetzte Clelia begeiſtert hinzu, indem ſie ſich von Fancy einen Handſpiegel vorhalten ließ, weil ſie fühlte, daß eine Locke heruntergefallen war, die wieder aufgeſteckt werden mußte.

Fancy ergoß ſich in Verſicherungen, daß die - jenige ein elendes Mädchen ſeyn müſſe, welche nicht willig auf den Geliebten verzichte, ſobald ſeine Lebensruhe davon abhange, und Clelia fuhr fort: Sehen aber darf ich ſie nicht vor der entſchei - denden Unterredung, denn meine ganze Feſtigkeit muß ich allerdings für dieſen Hauptſchlag zuſammen - halten und keinem unzeitigen Mitleid mich ausſetzen.

Nein! rief Fancy eifrig, nein, ſehen dürfen Sie ſie durchaus nicht. Denn dann könnten Sie weich werden, Ihre Gründe würden ſich vielleicht, ſo zu ſagen, zerbröckeln, und das Mädchen möchte Sie gewinnen und Alles wäre verloren. Wenn Sie aber plötzlich mit aller Ihrer Klugheit be - waffnet, ſie kommen laſſen, gnädige Frau, dann wollte ich doch wohl einmal Diejenige ſehen, die Ihnen widerſtehen könnte. So wie Sie ſich dieImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 15226Sache ausgedacht haben, muß ſie gelingen und mich dauert nur die arme Lisbeth, die um den ſchönen Grafen kommt, denn ich, gnädige Frau, bin freilich nicht ſo feſt wie Sie, ſondern nur ein einfältiges, weichherziges Mädchen.

Nach dieſen Vorfällen verging der Abend der jungen Dame in einer gewiſſen ſtillen Erhebung. Die Nacht war jedoch unruhig und die Bewohner des Hauſes wurden durch mehrmaliges Schellen in dem Zimmer der Baroneſſe aus ihrem beſten Schlummer geweckt. Clelia ſchellte nach ihrer Jungfer deßhalb ſo oft, weil ſie durchaus nicht ſchlafen konnte. Sie gab ihrem Lager die Schuld, welches Fancy ganz abſcheulich gemacht habe, ließ von ihr die Kiſſen anders legen, da das nicht helfen wollte, die Decken beſſer ordnen, und als auch die beſſer geordneten Decken keinen Schlaf bringen wollten, die Matratze wenden.

So wurde Fancy geſchellt, entlaſſen, wieder geſchellt, wieder entlaſſen. Fancy, der ihr Ge - wiſſen in Betreff des Lagers nicht das Mindeſte vorwarf, ertrug gleichwohl ſchweigend die Verweiſe der Herrin, oder ſchalt ſich auch wohl ſelbſt einmal wegen ihrer Nachläſſigkeit, und legte, ordnete, wen -227 dete mit der Geduld einer Heiligen die Beſtand - theile des ſo ungerecht verklagten Lagers. Aber es half Alles nichts und gegen Morgen bekam Clelia einen Anfall von Krämpfen. Fancy pflegte die arme Kranke mit Eſſigäther und Orangenblü - thenthee, den ſie ſogleich raſch und ſtill zu bereiten wußte, treulichſt. Das Uebel löſete ſich auch, und unter Thränen, welche die beklommene Bruſt er - leichterten, machte Clelia am Buſen ihrer Ver - trauten dem verhaltenen Schmerze Luft. Sie weinte ſehr und klagte über ihren Gemahl, der ſie ſo herzlos habe verlaſſen können, ſie fürchte, ſagte ſie, daß er ſie doch nicht ſo liebe, wie ſie gedacht, ſie nannte ſich endlich ſchluchzend eine arme, auf - gegebene ſchutzloſe Frau. Fancy nöthigte ihr ſo viel Orangenblüthenthee ein, wie nur möglich, und ſchalt dabei auf das ganze männliche Geſchlecht, von dem ſie behauptete, daß es im Allgemeinen nichts tauge und nur zum Verderben der Frauen erſchaffen ſei. Der gnädige Herr mache denn leider auch keine Ausnahme, ſagte ſie und das Uebelſte ſei, daß ſich, wenn er feſt dabei verbleibe, ſeinen Oheim im Osnabrück’ſchen ſo lange zu be - ſuchen, als die gnädige Frau hier Geſchäfte habe,15*228gar kein Ende des verzweiflungsvollen Zuſtandes abſehen laſſe.

Am anderen Tage war Clelia ſehr leidend und medicinirte. Ihr Befinden beſſerte ſich nicht, als ſie vernahm, daß Lisbeth in der Frühe auf eine halbe Woche zu ihrem alten Pfleger verreiſet ſei, den ſie nun, da ſie über Oswald ganz ruhig geworden war, wiederzuſehen verlangte. Sie hatte ſich außerdem zu dieſer Reiſe deßhalb beſtimmt, weil ſie jede Verſuchung meiden wollte, den Ge - liebten durch ihre Gegenwart jetzt, wo er ſanft und allmählig in das Leben zurückkehren ſollte, auf - zuregen.

229

Fuͤnftes Capitel. Worin der Hofſchulze ſeine letzte Rede über allerhand wichtige Gegenſtände hält.

An einem der nächſten Tage ging der Diaconus auf das Gerichtshaus, wo er als Zeuge vernom - men werden ſollte. Mehrere Menſchen, die gleich ihm hinbeſchieden worden waren, ſtanden unten vor der Thüre, und Andere ſprachen mit ihnen über den Gegenſtand, der vor einigen Wochen die größte Verwunderung im Städtchen erregt hatte, dann den Leuten aus dem Sinne gekommen war, und nun, als das Gericht die Sache wieder aufnahm, von Neuem zu reden gab.

Die Zeugen ſollten über den Patriotencaspar und den Oberhof verhört werden. Der Oberamt - mann war nämlich an jenem Tage, wo er den Einäugigen traf, über den Fall in’s Klare und mit einer protocollariſchen Darſtellung deſſelben zu230 Stande gekommen. Auch er überzeugte ſich zwar, daß die Sache verjährt ſei, gleichwohl meinte er, ſie habe eine ſolche Geſtalt, daß wenigſtens das Thatſächliche in aller Form Rechtens feſtgeſtellt werden müſſe. Der Amtseifer des Geſchäftsman - nes wurde ſelbſt durch den traurigen Zwiſchen - fall mit ſeinem jungen Freunde nicht von dieſer Bahn abgeleitet. Er trug daher, was er geſchrie - ben, zu dem Vorſtande des Gerichts, gab die nöthigen Erläuterungen dazu und das Gericht ging ebenfalls in die Anſicht ein, daß ein geſtändiger Mörder wenn auch von noch ſo alter Zeit her, wenigſtens vor der Hand nicht auf freien Füßen ſtehen und unverhört bleiben dürfe.

Man ſchritt daher gegen den Patriotencaspar zur Verhaftung. Dieſer hielt von dem Leiterwagen herunter, auf dem man ihn einbrachte, Reden an das Volk, verfluchte die Gerichte von ſeines Glei - chen und pries die Gerichte des Königs, vor denen er nunmehr ſeine alte Schuld abbüßen wolle. Zu - gleich berühmte er ſich des Torts, den er ſeinem Todfeinde angethan. Das Gericht wollte ſich in - deſſen auch nicht ſo ohne Weiteres mit einer viel - leicht nachher getadelten Arbeit belaſten, fragte231 daher höheren Ortes an, von da geſchah eine Rückfrage noch weiter hinauf und die Beſcheidung erfolgte erſt nach mehreren Wochen. Sie ging dahin, daß allerdings, um die Sache aufzuklären, die nöthigen Vernehmungen geſchehen ſollten.

Gerade kurz vor den Tagen, von welchen hier die Rede iſt, war jene Beſcheidung eingetroffen.

Beſichtigungen wurden daher vorgenommen, Zeugen abgehört und dieſe Dinge brachten die An - gelegenheit wieder in das Gedächtniß der Menſchen zurück. Die ſonderbare Art von Macht, welche der Hofſchulze ausgeübt, kam zur Sprache, der einäugige Frevler hatte kein Hehl, daß er ſeinem Feinde das Schwert an einen verborgenen Ort weg - gethan habe und obgleich dieſer Thatumſtand kaum ein Verbrechen, ſondern mehr nur einen Muth - willen darſtellte, ſo war er es doch gerade, und was mit ihm zuſammenhing, wodurch die Leute am meiſten beſchäftigt wurden. Man verwunderte ſich, daß ein Uraltes, längſt Verſchollenes ſich wie eine unabhängige Macht im Staate hatte hinſtellen können.

Auch der Name des Diaconus gerieth auf die Zeugenliſte. Die Unterſuchung ruhte in den Hän -232 den eines Richters, der ſich viel mit hiſtoriſchen Studien beſchäftigte, und dieſe fanden hier reich - liche Nahrung. Er machte daher die Sache wohl weitläuftiger, als ſie ſtreng genommen zu werden brauchte, und hörte Jeden ab, der einigen Auf - ſchluß über das Weſen des Oberhofes und das Treiben ſeines Beſitzers zu geben vermochte. Deß - halb hatte er denn den Diaconus gleichfalls vor - laden laſſen, weil dieſer, wie bekannt war, viel mit dem Hofſchulzen verkehrte, obgleich er von dem eigentlichen Gegenſtande der Nachforſchungen nicht das Mindeſte wußte.

Man ließ den Diaconus ſeines Standes wegen nicht im Zeugenzimmer warten, ſondern berief ihn ſofort in die Verhörſtube. Dort wohnte er einem ſonderbaren Auftritte bei. An den Schranken ſtand der einäugige Mörder und in einer Ecke ſaß der Hofſchulze, über deſſen verfallenes Ausſehen der Diaconus erſchrak. Der Mörder ſtand ganz ſtrack da und ſein reicher Feind ſaß in zuſammen - gekrümmter Haltung. Noch einmal fordere ich Euch auf, ſagte der Richter zum Patriotencaspar, mir zu entdecken, wohin Ihr das Schwert gethan habt; bedenkt, daß Ihr durch hartnäckiges Ver -233 läugnen Euer Schickſal erſchwert. Hofſchulze, ſagt ihm in’s Geſicht, daß Ihr Euer ganzes Haus danach vergeblich durchſucht habt, daß es alſo nicht im Oberhofe liegen könne.

Wenn der Menſch keine Hexenmeiſterkünſte ausgeübt und es in einen Balken inwendig hinein - gehext hat, ſo liegt es draußen irgendwo und der Böſewicht muß wiſſen, wo es liegt, ſagte der Hof - ſchulze, indem er einen Blick des grimmigſten Zor - nes auf den Entwender warf.

Der Einäugige, der mehr ſeinen Feind im Auge behielt, als den Richter, verſetzte: Und den - noch liegt es im Oberhofe, Hofſchulze, aber finden werdet Ihr es ſchwerlich, wenn Ihr nicht das ganze Haus von Grund aus umreißt. Und das iſt eben meine Freude, daß Ihr das wiſſen ſollt, und daran vergehen, daß es Euch ſo nahe iſt und dennoch verborgen bleibt. Mein Schickſal weiß ich. Daumenſchrauben und Leiter gelten nicht mehr; Ihr könnt mich alſo höchſtens länger ſitzen laſſen, Herr Richter, und das mögt Ihr thun, denn ich ſchweige und werde ſchweigen, müßte ich auch hun - dert Jahre abſitzen. Wo das Schwert liegt, dieſe Sache geht mit mir in die Grube.

234

Der Richter, welcher gar zu gern das alte Schwert geſehen hätte, fuhr den hartnäckigen Ver - läugner heftig an, der Hofſchulze aber richtete ſich auf, unterbrach ihn und ſagte mit plötzlicher Ho - heit: Laſſet es gut ſeyn, Herr Richter, wenn meine Bitte etwas gilt, denn ich habe mich beſonnen und dieſer Böſewicht wird nichts verrathen. Ich werde mich ohne das Schwert zu behelfen wiſſen.

Der Richter ließ den Patriotencaspar abführen. Seid nun ſo gut, ſagte der Hofſchulze, die Sachen von mir aufzunehmen, die mit den anderen Dingen ſtimmen, welche bereits von mir geſchrieben ſtehen.

Der Richter ſchien etwas in Verlegenheit zu gerathen und erwiederte: Das gehört ja nicht zur Sache und ich muß überhaupt erſt den Herrn Dia - conus vernehmen. Deſſen Verhör war kurz, es drehte ſich eigentlich um Nichts. Der Hofſchulze wartete ruhig die Beendigung ab; dann wiederholte er ſeine frühere Bitte. So weit ich Euch im Allgemeinen verſtanden habe, ſagte der Richter, wollt ihr Sachen aufgeſchrieben wiſſen, die ſich nicht ziemen.

Nicht ziemen! rief der Hofſchulze mit erhöh - ter Stimme. Ich habe Euch auf alle Fragen nach der Heimlichkeit und wie ich ſie verwaltet,235 Rede geſtanden, und nun verlange ich auch mit der Manier, daß meine Auskünfte und Zuſätze gehörig dazugethan werden, und ſoweit mir die Rechte bekannt ſind, dürft Ihr mir die Zunge nicht ſtumm machen.

Nun denn, rief der Richter halb ängſtlich halb ärgerlich ſeinem Schreiber zu, zeichnen Sie auf, was der Alte ſagt.

Ja, alt bin ich, und alt ward ich in Ehren, verſetzte der Hofſchulze gelaſſen. Der Diaconus wollte gehen. Nein, bleiben Sie, Herr Diaco - nus, ſagte der Hofſchulze, es iſt mir gar ſehr lieb, daß Sie zufällig hier ſind, denn ich äſtimire Sie als einen frommen und gelehrten Mann von Herzen, und es kann mir nicht ſchaden, wenn auch Sie meiner Art und Manier Zeugenſchaft geben. Herr Scribent, ſagte er zu dem Schreiber ſo ge - bietend, als habe er an Gerichtsſtelle zu befehlen, ſchreibet genau auf, was ich zu wiſſen thue.

Herr Richter, ich mag mit meinem Schwerte und mit der Heimlichkeit am Stuhl wohl wie ein Narr da in den Schriften ſtehen, und Poſſen, wenn mir recht iſt, nannte der junge vornehme Herr, an dem ich mich in meiner Angſt vergreifen wollte, die Sachen, woran mein Herz gehangen hat. Ich236 will aber jetzt expliciren, was vor eine Bewand - niß es mit dieſen Poſſen gehabt hat. Allerhand habe ich erlebt in der Bauerſchaft, Friedenszeiten und Kriegesläufte und Hagelſchlag, Ueberſchwem - mung, gute Ernte und Mißwachs und Viehſterben. Nun ſah ich denn, ſeitdem ich in die Jahre getre - ten war, wo das Menſchenkind anfängt nachzuden - ken, daß hin und her die Herren kamen, die ſich auf die Schreiberei verſtehen und auf das Beſſer - wiſſen als die Leute, welche die Sache angeht, und die kuckten nach, wenn Alles geſchehen war, das Korn niedergetreten und das Vieh in den letzten Zügen lag und die Wäſſer wieder im Ablaufen ſich befanden. Hatte aber gar der Feind geplün - dert und ravagirt, da kamen ſie vollends erſt lange darnach und notirten ſich’s auf, denn während der Gefahr war meiſtens keiner der Herren zu finden.

Die Herren thaten dann ordiniren, wie Alles wieder in Richtigkeit zu bringen ſei, mehreſtentheils aber ſagten ſie Sachen des Sinnes und Verſtandes, daß wenn der Hagel nicht gefallen wäre, ſo hätte ſich das Korn nicht umgelegt und ohne die Lungen - fäule müßten die Kühe noch am Leben ſeyn. Unter - weilen wurde auch wohl einiges Geld geſchickt, es237 kam aber ſelten an den Rechten, und im Ganzen rappelten Diejenigen ſich am beſten wieder heraus, welche nicht auf die Hülfe der Herren da draußen warteten, ſondern ſich ſelber halfen, wohingegen ich manche Menſchen habe ganz herunterkommen ſehen, die immerdar bei jedem Unfall meinten, es müſſe nun von da draußen ihnen das Malheur gutge - macht werden.

Erſtaunend abſonderlich aber war eine Sache. Mitunter machte ein Herr von der Schreiberei unter uns Bauern Dinge, worüber wir lachen muß - ten und dann traf es ſich wohl, daß ein ſolcher Herr ein Paar Jahre darauf von weither mit vier Pferden durch die Bauerſchaft gefahren kam und hatte eine Miene, als habe er bei Erſchaffung der Welt mitgeholfen und allerhand bunte Bänder vor - ne am Rocke.

Dieſes Alles nun in meinen einfältigen Ge - danken betrachtend, vermeinte ich letztlich, daß die Herren von der Schreiberei da draußen uns Bauern eigentlich wenig hülfen, und das auch eigentlich nicht wollten, ſondern nur ſchreiben und ſich nach und nach in die Wägen mit vier Pferden hinein - ſchreiben. Und Gott verzeihe mir die ſchwere Sünde,238 einſtmalen, als ich bei einem Rübſenfelde vorbei - ging, worinnen die Pfeifer waren, ſo fielen mir die Herren ein und wußte nicht, wie das geſchah. Nun auf der anderen Seite hatte ich meine Refle - xion, wie das Weſen in der Welt ſo eigentlich be - ſtellt ſei. Da dachte ich (denn ich habe immer in meinem Leben Nachgedanken gehabt) daß ein or - dentlicher Menſche ſchon durchkommt, der auf Wind und Wetter achtet, und auf ſeine Füße ſchaut und in ſeine Hände und ſich mit ſeinen Nachbarn ge - treulich zuſammenhält.

Sehet, Ihr Herren, darauf kommt es mehre - ſtentheils nur an. Und nach dieſem gewöhnte ich mir ſelbſt zuerſt die Gedanken nach Hülfe von drau - ßen ab, zahlte meine Steuern und trug meine Laſten, im Uebrigen aber hielt ich mich vor mich und ließ es mir lieber, wenn ein Malheur paſſirte, etwas ſaurer werden, als daß ich die Herren da draußen um Beiſtand angeſprochen hätte. Hernacher ge - wöhnte ich es auch den Leuten um mich herum ab. Sie nahmen an mir ein Exempel, und ſo thaten wir Nachbarn uns allmählig zuſammen, ſprangen einander bei, ordinirten unſer Weſen für uns, und kam von vielen Sachen, um die ſie anderer Orten239 ein großes Halloh erheben, nichts über die Gemar - kung hinaus. Und als der Mordhund da, der mir nun mein Schwert geſtohlen hat, an meinem Sobne zum Miſſethäter geworden war und zufälligerweiſe auch ungefähr um die nämliche Zeit Einer am Stuhle droben nach unſerer alten Regel und wie der her - gebrachte Orden iſt, wiſſend gemacht werden ſollte, kam es mir ein, dieſe alte heimliche Sache zu brau - chen wider den Todtſchläger und es glückte und ich ſetzte ihn aus dem Frieden, feimte ihn ins Elend hinein und machte ihn zum Zeichen vor Großen und Kleinen, daß Keiner Unrecht thun dürfe. Als aber die Sache erſt einmal im Gang war, gelang ſie immer beſſer; wenige Proceſſe wurden in das Amt getragen, und die meiſten Frevel gar nicht angezeigt, ſondern machten die Scherereien unter uns ab. Denn über Mein und Dein und wem die Mauer gehört und jener Wieſenſtreifen, kann man ſchon ſelbſt mit ſeinem Bauerverſtande fer - tig werden. Wenn aber wo eingebrochen iſt, ſo kennt faſt immerdar das Dorf den Dieb, was freilich oft nicht ſtrenge zu beweiſen ſteht, wornach denn ein ſolcher angezeigter Spitzbube frech und zum Scandal ganz ſchandhaft umhergeht und ſich240 ſeiner Beute wohl noch gar erfreut, die der Be - ſtohlene nicht wiederkriegt. Handhabten alſo ſelber Recht und Gerechtigkeit in allem Frieden und konnte uns Niemand darum anfaſſen, denn wir thaten Kei - nem was zu Leide, ſondern gingen nur nicht mit dem Ungerechten und Frevelhaften um, wenn wir ihn in die Feime geſetzt hatten; es entſtand aber weit größere Furcht dieſerhalb unter den Leuten als vor Urtel und Gefängniß.

Die Rede des alten Bauern rauſchte in ihren rohen und ſtrudelnden Ausdrücken wie ein Wald - bach daher, der über Wurzeln, Knoten und Kieſel ſtrömt. Er ſprach ohne zu ſtocken. Der Richter wollte ihn unterbrechen, der Hofſchulze aber ſagte: Ich bitte und erſuche Euch, Herr Richter, mich gänzlich ausſprechen zu laſſen, denn noch Manches habe ich zu veroffenbaren. Herr Richter und Herr Diaconus, wenn wir ſo unſer Weſen für uns allein in Geſchick brachten, ſo waren wir darum keine Unruheſtifter und Tumultuanten. Denn hat - ten wir auch die Herren von der Schreiberei nicht ganz ſonderlich in der Aeſtimation, ſo ſchlug uns doch jederzeit das Herz, wenn wir an den König dachten. Ja, ja, gegenwärtig ſchlägt mir mein241 Herze in meinem Leibe, da ich ſeinen Namen aus - ſpreche. Denn der König, der König muß ſeyn, und nicht ein Buchſtabe darf abgenommen werden von ſeiner Macht und von ſeinem Anſehen und von ſeiner Majeſtät. Weil er nämlich iſt der oberſte General und der allerhöchſte Richter und der ge - meine Vormund. Denn es arriviren freilich mit - unter Sachen, darin man ſich nicht ſelbſt helfen kann und nicht zu rathen weiß mit ſeinen Nachbarn. Da iſt es dann Zeit, daß man den König anruft in der Noth. Aber, wie ein ordentlicher Menſche dem lieben Gott nicht um jede Bagatelle Moleſten macht, als zum Beiſpiel, wenn Einem der kleine Finger wehe thut an der linken Hand: Sondern wo die Creatur nicht mehr aus noch ein weiß, da ſchreit ſie zu ihm, alſo ſoll der König nicht ange - ſchrieen werden um jeden Groſchen, der mangelt, ſondern in der rechten ächten Noth allein, und zu allen übrigen Tagen ſoll man nur ſein Herze er - freuen und erquicken an dem Könige; denn er iſt das Abbild Gottes auf Erden. Zum Plaiſir iſt uns hauptſächlich der König geſetzet und nicht zum Hans in allen Ecken. Aber wo nun der Geängſtete und Bedrängte ſeinem Leibe keinen Rath mehr weiß,Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 16242da thut er ſich aufmachen und ſteckt Brod und ſon - ſtigen Mundproviant zu ſich und thut viele Tage gehen. Und endlich ſtellt er ſich an Ort und Stelle vor das Schloß und hebt ſein Papier in die Höhe und dieſes ſieht der König und ſchickt einen La - quaien oder Heiducken, oder was für Kramerei und Package er ſonſt um ſich hat zu ſeiner Auf - wartung, herunter, und läßt ſich das Papier bringen und lieſet es, und hilft, wenn er kann. Wenn er aber nicht hilft, ſo ſteht nicht zu helfen, und das weiß dann der arme Menſche, geht ſtille nach Hauſe und leidet ſeine Noth wie Schwindſucht und Ab - nehmungskrankheit.

Sie ſagen, er mache ſich nichts aus den Leuten; dieſes iſt aber eine grobe Lüge, denn er hat die Unterthanen ſehr gerne und behält es nur bei ſich, und ein recht gutes Herz hat er, wie es ein deut - ſcher Potentate haben muß, und ein ſehr prächtiges. Es iſt erſtaunlich und eine Verwunderung kommt Einen an, wenn man die Männer, die davon wiſſen, hat erzählen hören, wie er ſich in der grauſamen Noth, als der Franzoſe im Lande hauſete, ſo zu ſagen das Brod vor dem Munde abgebrochen hat, und hat ſeinen Prinzen und Prinzeſſinnen zu Ge -243 burtstägen und Weihnachten nur ganz erbärmliche Präſente gemacht, bloß, damit er den armen Un - terthanen, die ganz ausgeſogen waren, nicht viel koſte. Dieſes ſegnet ihm nun der liebe Gott an ſeinen alten Tagen in Fülle, und er iſt wieder recht in guten Umſtänden und ganz wohlauf, und Gott erhalte ihn lange dabei! Und noch neulich hat er einem armen Menſchen in unſerer Nachbar - ſchaft, den Einer wegen Zinſen und Laſten mitten im Winter hatte vom Hofe herunter ſubhaſtiren laſſen wollen, das Geld aus ſeiner Taſche gegeben, und wenn er kann, ſoll ihm der es wiedergeben, und wenn er nicht kann, ſo thut es auch nichts, hat der König geſagt.

Deßhalb haben wir immer, mochten wir auch von vielen Geſchichten um uns herum nichts wiſſen, wenn wir anſtießen, gerufen: Der König ſoll leben!

Jetzt komme ich auf meine letzte Sprache, Herr Diaconus und Herr Richter. Wenn der Menſche bei ſich fertig iſt, ſo gehen ſeine Gedanken wandern mit den Wolken, die da ziehen, und mit den Laſt - wagen, die vorbeifahren über den Hellweg. Und ſo gingen die meinigen auch mitunter über Börde und Haarſtrang hinaus und ich dachte, wenn nun16*244da draußen ſich auch Jedermann ſo lernte auf ſich verlaſſen, und ſtellte ſich zuſammen mit ſeines Glei - chen, der Bürger mit dem Bürger, der Kaufmann mit dem Kaufmann, der Gelahrte mit dem Gelahr - ten und auch der Edelmann mit dem Edelmanne, und machten ihre Sachen mehrentheils untereinan - der ab ohne die Herren von der Schreiberei drau - ßen, ſo wären die Pfeifer aus der Rübſaat gethan und es müßte eine ganz herrliche und koſtbare Wirthſchaft geben. Denn die Menſchen wären dann nicht wie die dummen Kinder, die immer ſchreien: Vater! Mutter! wenn ſie einen Augenblick alleine ſind, ſondern gleichſam ein Fürſt wäre Jeder bei ſich zu Hauſe und mit ſeines Gleichen. Dann wäre auch erſt der König ein recht großer Potentate und ein Herre ſonder Gleichen, denn er wäre der - nig über vielmalhunderttauſend Fürſten.

Dieſes iſt nun die Moral von der Heimlichkeit am Stuhle und von dem Schwerte von Carolus Magnus und von den ſogenannten Poſſen, die ich getrieben. Schreibet Alles recht genau auf, Herr Scribent, was ich geſagt habe, denn ich will nicht wie ein einfältiger Mann in Euren Schriften ſtehen, und es ſoll mir ganz lieb ſeyn, wenn meine245 Meinung noch Andere zu leſen bekommen und es reflectirt mich nicht, wenn ſie ſelbſt bis zu dem Könige getragen wird. Von dieſem habe ich nie etwas zu bitten bedurft, und ich gebrauche ihn nicht zu meines Leibes Nothdurft. Aber voll Freuden bin ich immer geweſen, ſein Unterthan zu ſeyn wie ein geborener Fürſt und mein Herz habe ich an ihm erfriſchet all mein Lebtage.

Leuchtend waren die hellblauen Augen des Hof - ſchulzen während des letzten Theils dieſer Rede geworden, ſeine weißen Haare hatten ſich wie Flammen emporgerichtet, die Geſtalt ſtand wieder groß und gerade da. Der Richter ſah vor ſich nieder, der Diaconus dem Alten in das Antlitz; er gemahnte ihn wie ein Prophet des alten Bun - des. Mit höflicher Verbeugung und ſtillem Gruß entfernte ſich der alte Bauer.

Der Diaconus folgte ihm tiefbewegt. Draußen holte er ihn ein, legte ihm die Hand auf die Schulter, ſchüttelte ſeine Rechte und ſagte ergriffen und gerührt: Ihr habt mich erbaut, Hofſchulze. Jetzt aber will ich als Euer Seelſorger und Prieſter Euch erbauen.

Der Alte war im Vorſaale ſchon wieder der ſchlichte Bauer geworden, der krank und angegriffen246 ausſah. Thuen Sie das, ſagte er, Herr Diaconus, denn Zuſprache iſt mir noth. Ich habe gar zu viel Verdruß gehabt letzthin. Ich kann es nicht über - kriegen, daß die Schaam geblößt iſt von den heim - lichen und ſcheuen Dingen, und ſie nun umherge - tragen werden in den Schriften und von dem jungen Herrn in’s Reich geſchleppt. Nach dem Schwerte will ich nicht weiter trachten, denn es hilft mir doch nichts, aber der Kummer darum wird mein Herz zernagen. Der Stuhl wird nun wohl ein - gehen.

Laßt den Freiſtuhl verfallen, das Schwert aus dem Auge des Tages geſchwunden ſeyn, laßt ſie die Heimlichkeit von den Dächern ſchreien! rief der Diaconus mit gerötheter Wange. Habt Ihr nicht in Euch und mit Euren Freunden das Wort der Selbſtſtändigkeit gefunden? Das iſt die heimliche Looſung, an der Ihr Euch erkennt und die Euch nicht genommen werden kann. Gepflanzt habt Ihr den Sinn, daß der Menſch von ſeinen Nächſten abhange, ſchlicht, gerade, einfach; nicht von Frem - den, die nur das Werk ihrer Künſtlichkeit mit ihm herauskünſteln, zuſammengeſetzt, erſchroben, verſchro - ben; und dieſer Sinn braucht nicht der Steine247 unter den alten Linden, um gutes Recht zu ſchöpfen. Eure Freiheit, Eure Männlichkeit, Eure eiſenfeſte Natur, Ihr alter, großer, gewaltiger Menſch, das iſt das wahre Schwert Karl’s des Großen, für des Diebes Hand unantaſtbar!

Herr Diaconus, Sie machen mir viel zu viele Complimente, erwiederte der Hofſchulze beſcheiden. Indeſſen werde ich Ihre Worte im Herzen bewegen und ſehen, was ich damit anfangen kann.

Sie gingen bis auf die Straße zuſammen. Dann trennten ſie ſich. Der Diaconus war in einer Erſchütterung, wie er ſie lange nicht empfunden hatte.

248

Sechstes Capitel. Ernſte und feierliche Erklärungen zwiſchen der Baroneſſe und dem Oberamtmann.

Die[junge] Dame Clelia hatte inzwiſchen die ermüdendſten Tage verlebt. Das Mediciniren unter - hielt ſie wohl anfangs, indeſſen war doch der Reiz der großen Arzeneiflaſche, welche der alte Silen gefällig verſchrieben hatte, bald abgebraucht. Sie fand, daß die Mixtur nach gar nichts ſchmecke und ließ ſie, nachdem ſie einige Eßlöffel voll zum Theil eingenommen hatte, ärgerlich zum Fenſter hinaus - werfen. Sie ſagte, ſie wolle die Naturkräfte wal - ten laſſen, die ganze ärztliche Kunſt ſei Charla - tanerie.

Es fiel ihr ein, daß ſie einige Briefſchulden abzutragen habe; Fancy mußte daher das mit ge - preßtem braunem engliſchem Leder überzogene und mit Goldſtäben gezierte Reiſeſchreibzeug auf den249 Tiſch ſetzen, öffnen, die feinen rothen, gelben und blauen Briefblättchen, die Stahlfedern mit ſilbernem Griff, die Oblaten von Mundlack mit Deviſen und den bronzenen Briefbeſchwerer herausnehmen. Als dieſer geſchmackvolle Apparat bereit geſtellt war, erklärte Clelia, daß ſie nicht wiſſe, was ſie aus dem elenden Orte ſchreiben ſolle. Fancy packte ſtill den bronzenen Briefbeſchwerer, die farbigen Blättchen, die Oblaten und die Stahlfedern ein, ſchloß das Schreibzeug zu und ſtellte es wieder weg.

Gern wäre Clelia mit ihrem Vetter öfter zu - ſammengekommen, aber es blieb bei kurzen, formel - len Beſuchen, denn ihre Gutmüthigkeit konnte im Bewußtſeyn deſſen, was geſchehen ſollte, eine be - fangene Stimmung nicht überwinden. Auch Oswald war einſylbig; er ſehnte ſich nach Lisbeth und ent - behrte ſie ſchmerzlich. Dieſe blieb mehrere Tage lang aus, und die Qual des Harrens gab der jun - gen Baroneſſe die übelſte Laune, die ſich plötzlich gegen das arme Kind wendete.

Fancy, ſagte ſie am dritten Tage, wenn das Mädchen morgen nicht kommt, wenn ich noch län - ger hier herumgeführt werde, ſo fürchte ich bei der Unterredung von meiner Heftigkeit.

250

Es wäre nicht zu verwundern, wenn die gnä - dige Frau heftig würden, denn ſo lange auf ſich warten zu laſſen, iſt unerlaubt, erwiederte Fancy.

Die junge Dame bedachte ſich und ſagte: Aber wenn mir recht iſt, ſo habe ich ihr ja gar nicht ankündigen laſſen, daß ich mit ihr reden wollte.

Nein, ſie weiß nichts davon, ſagte Fancy.

Nun, ſo darf ich ihr ja auch deßhalb nicht zür - nen! rief Clelia zornig.

Wenn Sie ſonſt nicht wollen, gnädige Frau, nein.

Der Stramin, dieſer Zeitvertreiber, wurde aber - mals zur Hand genommen. Clelia nähte eine halbe Dreifaltigkeitsblume, ſeufzte aber plötzlich, ließ den Stramin in den Schooß ſinken und ſagte gepreßt und ſchwer: Edmund kann es nie verantworten, was er an mir gethan hat.

Fancy ſeufzte auch und ſprach: Ich hätte das nimmermehr von dem Herrn gedacht.

Jungfer, ſagte ihre Gebieterin mit einem ſtren - gen Tone, ich verbitte mir alle Bemerkungen über meinen Gemahl.

O mein Gott! rief Fancy und weinte, nun ſehen die gnädige Frau, was es zur Folge hat, wenn Herrſchaften ihre Untergebenen durch zu große251 Güte verziehen. Ich erlaube mir ſchon Bemerkun - gen über den gnädigen Herrn.

Sie ſchluchzte und konnte ſich über ihren Fehler gar nicht zufrieden geben.

Laß es doch nur gut ſeyn, das Schluchzen! rief Clelia ärgerlich. Ich habe mich jetzt ganz kurz entſchloſſen. Meine Geſundheit kann ich hier nicht zuſetzen. Ich werde die Sache doch dem Oberamt - mann überlaſſen.

Fancy war die Beredſamkeit ſelbſt, dieſen Ent - ſchluß zu loben. Ja, ſagte ſie nach einer preiſenden Rede über die doch ſtäts ſo richtigen Gedanken der Herrin, ja, der Herr Oberamtmann mag nur die Leutchen, die nicht zuſammengehören, auseinander bringen. Für die gnädige Frau paßt das auch nicht, Sie haben zu ſo etwas Feinem und Ver - wickeltem keine Anlage, nicht ein Kind könnten Sie, wenn es eine dumme Unart auslaſſen will, davon abhalten, aber der Herr Oberamtmann iſt darauf gewitzigt, o der hört das Gras wachſen und macht Einen mit der feinen Liſt nach ſeiner Pfeife tanzen, wie er will. Ich wette darauf; womit Sie ſich in Gedanken ſchon drei Tage lang äng - ſtigen, das hat er morgen in einem Viertelſtändchen252 fertig; die Mamſell reiſt ſacht ab, weint ein Paar Thränen, trocknet ſie auf der nächſten Station, den jungen Herrn Grafen wird er auch bald herum haben, denn er beſitzt einen ganz außerordentlichen Verſtand in dergleichen Sachen, und ſo klug Sie ſind, gnädige Frau, darin ſtehen Sie ihm nach. Nein, Ihre Geſundheit dürfen Sie nicht zuſetzen und noch dazu umſonſt, denn es würde Ihnen ſchwerlich glücken, aber der Herr Oberamtmann iſt der Mann dazu. Gleich hole ich ihn her, damit Sie ihm Ihre veränderte Meinung ſagen können.

Die Baroneſſe hätte gern den unaufhaltſamen Fluß dieſer Reden gehemmt, es war ihr aber nicht möglich, Fancy’s Zunge zum Schweigen zu bringen. Jetzt endlich konnte ſie zum Worte kommen. Hoch - roth, und mit den kleinen Füßen ſtampfend, rief ſie: Nein! Nein! Nein! du ſollſt den Oberamt - mann nicht holen, ich bin eben ſo klug als er, Fancy bleib hier, Fancy! Fancy! Aber Fancy hörte nicht, ſondern ſprang fort. Gott! rief Clelia faſt weinend vor Verdruß, es iſt doch zu arg mit einer ſolchen Gans von Mädchen, die im - mer das Echo von Einem macht, da bringt ſie wahrhaftig den Actenmenſchen ſchon herauf; der253 Himmel ſei ihm gnädig, wenn er ſich über mich moquirt! Aber was ſage ich ihm? denn nicht um die Welt laſſe ich ihn ſich einmiſchen.

Der Oberamtmann betrat mit Fancy das Zim - mer. Fancy hatte ihm wirklich geſagt, die gnädige Frau wiſſe ſich durchaus keinen Rath, die Meſalli - ance zu hindern, und der erfahrene Geſchäftsmann konnte ſeinen Triumph darüber nicht verbergen. Es wäre möglich geweſen, daß Clelia ihm dennoch die ganze Angelegenheit in ſeine Hände zurückge - geben hätte, aber dann mußte er ſich reſpectvoll, ernſt und zurückhaltend nehmen. Er kam jedoch ſchmunzelnd, mit einer gewiſſen Ueberlegenheit in Blick und Haltung, er nahm ſich vor, einen Scherz aus der Sache zu machen, ſie nicht zu wichtig zu nehmen. Es war der erſte Scherz, den der arme Oberamtmann auf der Reiſe ausgehen ließ und Ort und Stunde konnten dazu nicht unglücklicher gewählt ſeyn.

Sobald Clelia das Schmunzeln ihres Geſchäfts - freundes und ehemaligen Nebenvormundes ſah, ſo - bald ſie bemerkte, daß er ihr leichthin imponiren wolle, und gar, als ſie mit weiblicher Ahnungs - gabe ſeine Abſicht, ſcherzen zu wollen, ſpürte,254 kehrte ſie in den Beſitz ihrer ganzen Feſtigkeit zurück, die wir an ihr zu bewundern ſchon mehr - mals Gelegenheit gehabt haben.

Er trat ihr nahe und ſagte lächelnd: Nun, liebes Kind, muß der Ritter von der traurigen Geſtalt dennoch vorrücken? Er wollte ihre Hand ergreifen. Clelia zog ſie zurück und entfernte ſich von ihm. Seine früheren Beziehungen zu ihr hatten ihm das Recht vertraulicher Anreden gegeben, und wie oft war von ihm dieſes Recht geübt worden! Aber heute wollte Clelia nicht ſein liebes Kind ſeyn, heute verlangte ſie die volle Courtoiſie und Titulatur von ihm.

Er folgte ihr nach. Clelchen, ſagte er noch ſchmunzelnder, es iſt mir lieb, daß Sie ein - ſehen, für dergleichen nicht zu paſſen. Nun, ſchämen Sie ſich nur nicht; Don Quixote tritt vor den Riß. Abermals trachtete er nach ihrer Hand, die er zärtlich küſſen wollte, denn Geſchäftsmänner ſind nie galanter, als wenn ſie den Gegenſtand ihrer Aufmerkſamkeit in Verlegen - heit ſehen. Clelia riß jedoch beinahe ihre Hand zurück und rief mit ſcharfem Accent: Herr Ober -255 amtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei mir und von mir wollen!

Der Oberamtmann machte ein Geſicht, ähnlich dem, was er zu machen pflegte, wenn einer ſeiner Inculpaten, von dem er behaglich das unumwun - denſte Geſtändniß erwartete, plötzlich ſich auf ein entſchiedenes Läugnen verlegte. Er ſah Clelia ſtarr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder. Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als ob dieſer ihm einen Faden in dem Labyrinthe dar - leihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug und blickte tiefſinnig das farbige Poſtpapier an, endlich ſtellte er ſeine Uhr, obgleich ſie richtig ging. Nach dieſen vorbereitenden Handlungen trat er vor Clelia und ſagte mit dem tiefſten Ernſte: Gnädige Frau, ich bin kein Narr.

Clelia verſetzte nicht minder ernſthaft: Und ich bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen, Herr Oberamtmann.

Die Feierlichkeit dieſer gegenſeitigen Aeußerun - gen war ſo groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und ſagte: Ich muß Sie erſuchen, bis morgen Abend256 die Einwilligung der ſogenannten Braut, welche wie ich höre, heute Abend zurückkommen wird, herbeizuſchaffen. Wofern Umſtände dieß verhindern ſollten, ſo werden Sie entſchuldigen, wenn ich das Verſprechen Ihrer Mühwaltung in der Sache, als von Ihnen widerrufen betrachte und mich der - ſelben unterziehe. Nach dieſen Worten, die er gemeſſen und kalt vorgebracht hatte, empfahl er ſich mit einer ſteifen Verbeugung.

Clelia kam an dieſem Abende nicht zu Tiſche. Fancy ſuchte ſie durch eine Vorleſung zu zerſtreuen. Sie las ihr nämlich ein vierzehn Tage altes rhei - niſches Zeitungsblatt vor, welches auf dem Zim - mer lag. Sie las es von Anfang bis zu Ende, erſt las ſie von den Verwickelungen im Orient, dann von den Kreuz - und Querzügen der Chriſtinos und Carliſten, dann, wie liebenswürdig ſich Der und Der da und da benommen, dann von der ſo und ſo vielſten großen miniſteriellen Kriſis in Frank - reich, endlich von einigen deutſchen Händeln. Hierauf ging ſie zu den Anzeigen über, an deren Spitze die Verkündigung von Aſſiſen in Elberfeld ſtand. Es folgten zu vermiethende Wohnungen, brave Mädchen ſagten, daß ſie gut nähen und bügeln257 könnten und ein Anſtreicher ſuchte einen geſitteten Jüngling für ſein Geſchäft. Später ſehnte ſich Jemand nach einem entflogenen Canarienvogel, einem Anderen war dagegen ein brauner Dachs - hund zugelaufen. Dazwiſchen fuhren die Dampf - ſchiffe regelmäßig alle Morgen, auch waren rein gehaltene Bleicharte zu haben, wobei aber ein zweifelſüchtiger Leſer ein großes Fragezeichen mit Rothſtift geſetzt hatte. Zuletzt wurde Harmo - niemuſik an verſchiedenen Orten gemacht, und dazu der Saiſon angemeſſene Speiſe dargeboten.

Clelia widmete dieſer ganzen Vorleſung wenig Aufmerkſamkeit. Nur als ſie von den Aſſiſen hörte, mochten ihre Gedanken, welche ſich noch immer ärgerlich bei dem Oberamtmann aufhielten, angeregt werden, weil ſie ihn ſo oft ſehnſüchtig davon hatte reden hören. Sie rief: Nun dahin könnte man ihn ja gleich ſchicken, wenn er ſich hier läſtig machen will!

Spät hörte man einen Wagen vorfahren. Lis - beth kehrte zurück.

Clelia befahl ihrer Jungfer, das Mädchen gegen die Mittagsſtunde des folgenden Tages zu ihr zu rufen, denn, ſagte ſie, wenn man JemandImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 17258wider ſeinen Willen zu etwas beſtimmen will, ſo darf man ihn nicht im Negligé empfangen. Sie ging mit vieler Würde zu Bett und dachte in dieſer Nacht, wenn ſie erwachte, nicht einmal an ihren pflichtvergeſſenen Gemahl, ſondern nur an die Aufgabe des folgenden Tages.

259

Siebentes Capitel. Was Lisbeth auf die Ermahnungen zu einer uneigennützigen und entſagenden Liebe antwortete.

Fancy nahm im erſten Morgenſtrahl von dem Blumenbrette vor ihrem Fenſter, wo der Diaconus einige ſeiner ſchönſten Exemplare aufbewahrte, ein prächtiges Myrthenbäumchen herein, muſterte die längſten und friſcheſten Zweige, an denen ſich zu - gleich Knöſpchen und runde friſche Blüthen befan - den, wehte mit einem leichten bunten Federwedel etwas Staub, der ſich auf die Blätter geſetzt hatte, ab, ſummte dazu, aber ſo leiſe, daß ihre Gebieterin nebenan es nicht hören konnte, die alte veilchen - blaue Seide aus dem Freiſchützen, lächelte, ſeufzte dann, legte die Hand auf die Bruſt und ließ das Myrthenbäumchen im Zimmer ſtehen, um es gleich zu haben, wie ſie für ſich ſagte. Hierauf ging ſie17*260zu Lisbeth, und richtete ihre Beſtellung aus. Lisbeth war ernſt und wehmüthig, denn ſie hatte bei dem alten Pfleger eine trübe Probe zu beſtehen gehabt. Fancy wollte ihr etwas ſagen, aber dieſem ernſten Antlitze gegenüber erſtarb ihr ſchlaues Wort auf der Lippe.

Die junge Dame, der im wahren Intereſſe ihres nächſten Verwandten ein ſo ſchwieriges Ge - ſchäft oblag, erhob ſich und ſagte nach dem Früh - ſtück: Fancy, was ziehe ich denn wohl heute an? Gnädige Frau, erwiederte Fancy, Sie müſſen ganze Toilette machen. Nun, nur nicht zu übertrieben, ſagte die Baroneſſe. Nein, nicht zu übertrieben, verſetzte Fancy.

Sie kramte hierauf in den Koffern und Car - tons und nahm den gewählteſten Putz heraus. Zum Anzuge beſtimmte ſie das noch nicht getragene prächtige Cachemirkleid von violetter Farbe mit einer Schnippentaille, und fügte dem Kleide einen weißen Mouſſeline de Soye Shawl hinzu. Unter den Strümpfen ſuchte ſie die feinſten à jour ge - webten aus und unter den Schuhen ein Paar von ſchwarzem Atlas. Kurze weiße Handſchuhe mit Spitzen garnirt nahm ſie aus einem Carton. Als261 es nun an die Muſterung des Schmuckes ging, ſo ſchien ihr eine ſchwere Chatelaine mit goldenen und ſilbernen Gliedern, gothiſchem Schloß und Medaillon ſchicklich zu ſeyn. Drei Armbänder dünkten ihr nicht zu viel, eins mit Steinen, deren Anfangsbuchſtaben den Namen: Clelia zuſammen - ſetzten, ein prächtiges Geſchenk des abweſenden Herrn und zwei einfachere, das Eine ein ſchlichter Goldreifen, das Andere mit Türquoiſen beſetzt. Für die Haarflechten legte ſie eine goldene Kette zurecht; ein blitzendes Diadem wollte ſie nachfolgen laſſen, bedachte ſich aber noch zur rechten Zeit, daß man im Guten zu viel thun könne und ſtellte es wieder bei Seite. Es verſteht ſich, daß ein geſticktes Taſchentuch vom feinſten Battiſt nicht vergeſſen wurde.

Während dieſer ernſten und gründlichen Vor - bereitung rüſtete ſich Clelia ebenfalls und zwar in höherer Weiſe zu der Unterredung mit Lisbeth. Sie las einen Roman und erwog dabei, was ſie dem Mädchen ſagen wollte. In der That war Oswald’s Abentheuer ſo ſehr gegen alle Voraus - ſetzungen ſeiner Verhältniſſe, daß ihr die ſtärkſten Gründe, hergenommen aus dem Weſen uneigen -262 nütziger Liebe, ächten Schicklichkeitsgefühls und frommer Ergebung in reicher Fülle zuſtrömen muß - ten; Gründe, die nach ihrer Meinung eine ſchla - gende Wirkung auf ein edles weibliches Gemüth nicht verfehlen konnten. Sie erging ſich mit Wohl - gefallen in den Reden, welche dieſe Gründe näher entwickeln ſollten, und las dazwiſchen immer einige Seiten des Romans. Da er zu denen gehörte, welche bei uns zweite Auflagen erleben, ſo leitete er ihre Gedanken von dem Gegenſtande, der ihre Seele beſchäftigte, nicht ab. Sie war ſo ſehr in ihr Vorhaben vertieft, daß ſie auf Fancy’s Thun und Treiben nicht achtete und des Fluges der Stunden ebenfalls nicht inne ward, die unter ſolchen Uebungen innerer Beredſamkeit raſch zu verfließen pflegen.

Fancy mußte ſie erinnern, daß die Zeit ge - kommen ſei, ſich kleiden zu laſſen. Noch immer in ihre Gedanken und Gründe verloren widmete ſie dem Anzuge keine Aufmerkſamkeit. Sie ließ die einfachen Strümpfe von den zierlichen weißen Füßen ſtreifen und dieſe mit den ſpinnwebenfeinen durchbrochenen bekleiden, es fiel ihr nicht auf, als Fancy, nachdem ſie die Flechten gemacht, dieſelben263 mit der goldenen Kette umwand, ſie ſchlüpfte in das prächtige Cachemirkleid, empfing die ſchwere Chatelaine um die ſchöne Taille, und ließ ſich den Shawl von Mouſſeline de Soye um Hals und Schultern legen, ohne bei einem dieſer Stücke eine Erinnerung zu machen. Nur als ihr Fancy die weißen garnirten Handſchuhe mit blaßrothen Band - ſchleifen brachte, ſtutzte ſie und ſagte: Fancy, das ſind ja Ballhandſchuhe.

Gnädige Frau, verſetzte Fancy ernſt, ſie ge - hören zur vollen Parüre.

Clelia muſterte ſich, trat vor den Spiegel und rief: Mein Gott, der Anzug iſt ja viel zu recher - chirt! Du haſt mich geputzt, als führen wir zu Liechtenſtein’s in die Soirée. Den Augenblick ein anderes Kleid her, die Chatelaine fort, die Gold - kette aus den Flechten!

O Himmel, was habe ich wieder gemacht! jammerte Fancy. Ich dummes Mädchen! Es klopfte. Ach! Ach! Da iſt die Lisbeth ſchon!

Hinaus, ſag ihr

daß die gnädige Frau zu recherchirte Toi - lette gemacht hätten, ſich einfacher anziehen müßten Fancy wollte fort.

264

Bleib! rief Clelia außer ſich. Du wäreſt albern genug, auch ſo etwas zu ſagen. Ich glaube, du haſt in dem Neſte deinen Verſtand verloren. Es klopft ſchon wieder Sie hat uns reden hören, es fällt mir kein Vorwand ein. Ach, du Im - becille, in welche Verlegenheit ſetzeſt du mich! Handſchuhe!

Hier, ſagte Fancy.

Weg damit! Soll ich wie eine Opernprinzeſſin daſitzen, welche ſehen laſſen will, wie freigebig ihre Liebhaber ſind? Willſt du mir nicht auch noch gar einen Fächer in die Hand geben? Schwarze, beſcheidene!

Schwarze, beſcheidene! rief Fancy und brachte die Verlangten.

Armband!

Fancy knüpfte mit unerhörter Schnelligkeit die drei Armbänder um, während Clelia nach der Thüre ſah.

Fertig?

Ja.

Herein! Himmel, du haſt mir ja drei Armb aber ſie vollendete das Wort nicht und der Ueberfluß des Armſchmuckes war nicht mehr265 zu beſeitigen. Denn ſchon trat Lisbeth herein. Es war ein großer Gegenſatz, dieſe ſchlanke, vor - nehme junge Geſtalt im einfachen Gewande der etwas zu kleinen und vollen Baroneſſe im höchſten Putz gegenüber. Sie trat beſcheiden aber ſicher auf, Clelia wollte ſich anfangs Airs geben, dieſes Beſtreben zerbrach indeſſen ſogleich an ihrem grund - guten Weſen. Sie reichte verlegen-freundlich Lis - beth die Hand, ſetzte ſich in’s Sopha, ließ einen Seſſel ſtellen und flüſterte Fancy zu, ſie ſolle ſich in ihrem Zimmer nebenan aufhalten. Als ob es zufällig geſchähe, breitete ſie ihr Taſchen - tuch aus und entzog dadurch wenigſtens die Pracht der Chatelaine und der Armbänder (denn ſie wußte auch die linke Hand mit dem Tuche zu bedecken) den Blicken Lisbeth’s. Wie viel würde ſie darum gegeben haben, wenn ſie ſtatt des Cachemirkleides das von Mouſſeline de Laine angehabt hätte! Der volle Putz raubte ihr die Hälfte ihrer Feſtig - keit. Sie ſuchte eine Zeit lang vergebens nach einem ſchicklichen Anknüpfungspuncte des Geſprächs und ſo ſaßen Beide, als Fancy ſie allein gelaſſen hatte, eine Zeit lang ſchweigend einander gegenüber. Lisbeth ſah vor ſich hin und hatte keine Ahnung266 von dem, was folgen ſollte, denn Clelia war ihr immer gütig begegnet.

Endlich ſammelte ſich dieſe ſo weit, um die Unterredung beginnen zu können. Sie ſagte ihrem Beſuche, daß bis jetzt der Gedanke an Oswald’s Krankheit alle anderen Vorſtellungen in den Hinter - grund gedrängt habe, daß aber nun mit ſeiner Herſtellung die Verhältniſſe des Lebens in ihr Recht wieder einzutreten begännen, und daß ſie daher wünſche über die Geſtaltung der Zukunft mit ihr ein eben ſo ernſtes als vertrauliches Wort zu reden. Da ſie dieſen Eingang zwar mit aller ihr zu Gebote ſtehenden Würde aber doch höchſt liebreich vorgebracht hatte, ſo konnte Lisbeth den - ſelben nur für eine Vorrede zu freundlichen Er - klärungen anſehen. Schüchtern verſetzte ſie, daß die Baroneſſe ihr mit ſolchen Worten eine große Freude mache, und faßte nach Clelia’s Hand, um ſie zu küſſen. Indem ſie aber ihre Lippen der Hand näherte, fiel ihr ein, wer ſie durch Os - wald’s Liebe ſei, ſie richtete ſich daher ſanft auf und ließ die Hand Clelia’s fallen, welche ein Erſtaunen über dieſen Hergang nicht verbergen konnte.

267

Nun alſo, mein Kind, wie ſoll denn das nun werden? ſagte Clelia, etwas verlegen mit dem Shawl ſpielend.

Lisbeth erröthete, ſenkte ihr Haupt wieder und verſetzte: Von der Zeit unſerer Verbindung iſt zwiſchen uns noch nicht die Rede geweſen, zwiſchen dem Grafen und mir.

Verbindung! rief Clelia lebhaft. Ei! Ei! mein liebes Kind, Sie ſprechen ja von der Ver - bindung mit meinem Vetter, als ſei dieſe eine ausgemachte und ſich von ſelbſt verſtehende Sache.

Lisbeth hob langſam ihr Antlitz empor, ſah Clelien mit großen Augen an und fragte: Wovon wollten Sie denn mit mir reden, gnädige Frau?

Die Wirkung einer einfachen aber zur rechten Zeit angebrachten Frage iſt oft groß. Clelia hatte ſich auf eine begeiſterte Verſicherung, auf flammende Reden gefaßt gemacht und würde dieſen Gluthen mit gleichem Feuer begegnet ſeyn. Nun aber ſollte ſie ſchlichtweg ſagen, was ſie wolle? und dieſe Zumuthung ſetzt in vielen Lagen des Lebens in eine nicht geringe Verlegenheit. An ihr war jetzt die Reihe, die Augen niederzuſchlagen; ſie ſprach, daß man es hätte ein Stottern nennen268 können: Sie ſcheinen gar nicht erwogen zu haben, Lisbeth denken Sie nur nicht, mein liebes Mädchen, daß ich Sie kränken will Nein ge - wiß nicht und wären Sie nur ſo wäre ich ja voll Freude indeſſen giebt es doch Dinge in der Welt unwiderleglich vorhandene Dinge Dinge, Lisbeth mein Gott, Sie müſſen mich ja wohl verſtehen

Ja, gnädige Frau, ich verſtehe Sie nun, ſagte Lisbeth mit einem Tone als unterdrücke ſie ein ſtilles Weinen.

Auf denn alſo, Lisbeth, Muth! rief Clelia, Athem ſchöpfend. Nur zeigen darf man einem ſo reinen Gemüthe das Richtige, und es ergreift es. Die wahre Liebe liebt das Glück des Ge - liebten. Und das Glück? Iſt es ein trunkener Augenblick, iſt es die Aufwallung der Flitter - wochen? Ach nein. Das wahre Glück beſteht doch zuletzt nur in der Harmonie mit allen Ver - hältniſſen des Lebens; in dem Gefühle von dieſer Harmonie. Sie dem Gegenſtande der Neigung unverſtimmt zu laſſen, das iſt Liebe, das iſt tugend - hafte Liebe. Sie fühlen ja nun ſelbſt, theure Lisbeth, was ich gern unausgeſprochen laſſe. 269 Es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht. Mein Gott, wären Sie doch nur aber Sie empfin - den es, wenn Sie meinen Vetter aufrichtig lieben, ſo dürfen Sie ihn nicht heirathen. Und nun kommen Sie, mein armes Kind, kommen Sie an meine Bruſt, und weinen Sie ſich aus, denn wahrhaftig, ich weiß mit Ihnen zu empfinden.

Sie breitete ihre Arme gegen Lisbeth aus. Dieſe lehnte aber mit einer demüthigen Bewegung das Liebeszeichen ab und ſagte: Gnädige Frau, entſchuldigen Sie, wenn ich an dieſer Stätte noch nicht zu ruhen wage. O mein Gott, wie weit ſind wir aus einander, wie hätte ich das mir denken können, und wie ſoll ich es nun anfangen, Alles, was mir im Herzen wogt, Ihnen auszu - ſprechen und dennoch die Beſcheidenheit gegen Sie nicht zu verletzen? Sie wüßten mit mir zu empfinden? Gnädige Frau, ich wenigſtens weiß mit Ihnen nicht zu empfinden.

Wie? Sie fühlen keine Verpflichtung, ihm zu entſagen? fuhr Clelia auf.

O nein! nein! nein! rief Lisbeth muthig. Dieſe Verpflichtung fühle ich durchaus nicht, Frau Ba - roneſſe. Entſagen ſoll ich ihm, das iſt Ihre Mei -270 nung. Und warum? Daß der Findling nicht in das Haus der Grafen Waldburg eindringe, daß der Graf Oswald eine Gräfin heirathen könne oder eine Fürſtin, daß er in Harmonie bleibe, wie Sie es nennen, mit den Verhältniſſen des Lebens. Ja, ich weiß, ſo ſteht es geſchrieben oft in den Liebesgeſchichten, die ich geleſen. Das Mädchen hält eine ſchöne Rede von Entſagung und von Pflicht und dann verhüllt ſie ſich und geht weg und der Liebſte ſieht ſie nie wieder. Gnädige Frau, wenn die Leute, die ſolche Ge - ſchichten aufſchreiben, das nicht aus ihrem Kopfe erfinden, ſo ſind ſolche Mädchen ungereimte Mäd - chen, abſcheuliche Mädchen, Verrätherinnen an ihren Liebſten! Glück? Ich kenne nur ein Glück und nur ein Elend! Und mein Glück iſt, wenn ich mit Oswald zuſammenbleibe und ſein ehrlich Weib werde und das Elend des Gegentheils kann ich gar nicht ausdenken, denn es iſt unſäglich. So alſo ſteht es mit mir. Und von ihm ſollte ich geringer denken, als von mir? Von ihm, der mich ſein Leben, ſeine Zuverſicht genannt hat? Worte ſollten das geweſen ſeyn, Worte Eines, der nicht weiß, was er ſpricht? Nein, ein treuer271 Menſch ſagte ſie, ein wahrer, ein aufrichtiger Menſch. Die Entſagung, welche Sie von mir verlangen, wäre ja alſo das ſchwerſte Verbrechen, das ich nur an Oswald begehen könnte. Ich würde ſündig an ſeiner unſterblichen Seele, zugäbe ich, daß ihm ein Name, ein Wappen werther ſei, als das Heiligthum ſeiner Empfindungen! Zur Schel - min würde ich an dem Herzblute meines Bräuti - gams, welches ſeine Lippen verſchütteten, weil er einen Tag lang ſich nicht in Lisbeth zu finden wußte. Zu Tode wollte er ſich bluten, weil ich in meiner dummen Thorheit die Breite eines Land - weges zwiſchen uns geſetzt hatte! Und er ſollte leben bleiben, wenn ich die Welt und das Schwei - gen und die Finſterniß zwiſchen uns würfe! Nein! Ich entſage ihm nicht, nicht entſage ich ihn in das Elend und in die Leere hinein!

Gott wird Sie aufklären! eiferte Clelia. Gott wird dieſe Trugſchlüſſe der Leidenſchaft zu nichte machen! Das iſt eben deren Entſetzliches, daß nichts für ſie vorhanden iſt als ſie, nicht Erde nicht Himmel, und daß ſie ſich ſo in die gräuliche Oede hineinſtürmt, daraus nachher kein Entrinnen! Aber Gott wird Ihnen beiſtehen, wird Sie272 ſchirmen vor dem geiſtigen Tode. Sie ſind fromm, ich ſehe Sie in die Kirche gehen, Sie im Geſang - buche leſen. Gott wird ein Licht in Ihrer Seele anzünden.

Gott iſt bei mir in dieſer Stunde, er legt mir die Worte auf meine einfältigen Lippen, er - wiederte Lisbeth. Ich weiß nicht ob ich fromm bin, kümmerlich bin ich herangewachſen, aber zur Kirche habe ich mich freilich immer gehalten und an den Allmächtigen glaube ich. Jedoch, ſeit ich Oswald liebe, habe ich nur ein Gebet und das lautet: Vater ſei mit ihm und mir! Ich bete nicht für ihn allein und nicht für mich allein, ſon - dern für uns Beide bete ich, und das, meine ich, iſt das Licht, welches Gott mir in der Seele ent - zündet hat. Die Erde ſehe ich unter mir, den Himmel über mir, und wo wehet der Sturm, der mich fortſtürmt?

Leidenſchaftlich rief Clelia: Bedenken Sie doch nur ſeine Verhältniſſe, bedenken Sie ſeine Ver - wandten, von denen die Meiſten ſo ſtolz ſind, be - denken Sie unſeren König, bedenken Sie endlich Oswald’s eigenes Herz, das von äußeren Um - ſtänden, vom Widerſpruch mit den Forderungen273 der Welt ſo leicht in Verlegenheit geſetzte Herz eines Mannes, ſehen Sie doch um des Himmels willen die Dinge, wie ſie ſind!

Ja, gnädige Frau, ich ſehe die Dinge, wie ſie ſind, nicht wie ſie ſcheinen. Hätte er noch Eltern, ſo wäre es etwas Anderes. Der Eltern Macht iſt von Gott, das weiß ich, obgleich ich Arme keine hatte. Entſagen würde ich ihm zwar immer nicht, wenn er auch noch Vater und Mutter be - ſäße, aber geduldig harren und zu ihm ſprechen: Oswald, harre auch du in Geduld, bis Gott deiner Eltern Sinn wendet. Jedoch ſo! Verhältniſſe und immer Verhältniſſe! Ei, iſt es nicht auch ein Verhältniß, wenn ich ſeine Frau bin? Alſo Verhältniß gegen Verhältniß, und wir wollen er - warten, welches das mächtigere und beſſere ſei! Nehmen ſeine ſtolzen Oheime und Tanten ihn in ihre Arme, daß er darin ruhe und lächle und wachſe und gedeihe? Nein. Aber ich werde es thun. Baut ihm Ihr König ſein Haus auf? Nein. Aber ich werde es thun mit des Himmels Hülfe. Und wenn er einmal ſo ſchwach ſeyn ſollte, verlegen auszuſehen über mich, denn es iſt möglich, daß Sie darin Recht behalten nun, der SchwächeImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 18274wird eben die Stärke beigeſellt! Ich werde ſeine Stärke ſeyn, ich werde ihn fragen: Oswald ſchämſt du dich meiner? Und wahrlich, gnädige Frau, auf die Frage wird er ja ſagen, aber er wird ſich ermannen und für alle Zeiten den unwürdigen Kleinmuth ablegen.

Clelia wurde immer erbitterter. Ich würde mich tief gedemüthigt fühlen durch einen Gatten ſo hoch über meinem Stande, ſagte ſie herb und ſchneidend.

Das kann wohl ſeyn, verſetzte Lisbeth. Darin hat Jeder ſeinen eigenen Sinn. Ich fühle mich gar nicht gedemüthiget dadurch, daß er ein großer Graf iſt und ich ein geringes Mädchen ohne Her - kommen bin. Er könnte noch zehnmal größer ſeyn und ich würde dennoch keine Demüthigung empfinden. Ja, ich weiß, es hat auch Mädchen gegeben in meiner Lage, die winſelnd ſprachen: O wärſt du ein armer Hirt, mein hoher Liebſter! Ich aber, ich wünſche mir ihn gar nicht zum Hirten herunter; nicht ſoll er ſeine Größe ablegen um meine Klein - heit! Sondern das iſt eine neue Seligkeit für mich, daß er ſo vornehm iſt, und mich emporhebt aus meiner Niedrigkeit und mich zur Gräfin macht275 und auf ſein hohes Schloß führt. Ach, ich will ja nichts mehr von mir oder durch mich, ſondern Alles nur von ihm, Alles, Alles, neben ſeinem Gefühle auch Ruhm, Anſehen, Reichthum! Je mehr er mir giebt, deſto beglückter fühle ich mich. Denn ſeine Liebe iſt überſtrömendes Geben und meine durſtiges, lechzendes Empfangen. Ich bin ſein Geſchöpf, er iſt mein irdiſcher Schöpfer; Gott ſchafft mich durch ihn zum zweitenmale. Unter den Flügeln der Liebe will ich ſchlummern und träumen, auf der Höhe, wohin mich dieſe Schwingen tragen, erwachen, und ſie mit frohem Lerchengeſange als die Wohnſtätte begrüßen, die mir mein Schickſal anwies.

Noch ſchneidender ſagte Clelia, vielleicht um eine entgegengeſetzte Regung, die ſich anmelden mochte, zu verbergen: Es iſt allerdings höchſt wohlfeil und bequem, auf ſolche Art eine ſchran - kenloſe Zärtlichkeit zu beweiſen.

Aber Lisbeth blieb ganz ruhig und antwortete im mildeſten Tone: Gnädige Frau, das kam nicht aus Ihrem Herzen. Sie ſagten es nur, weil Sie ſich ſo in den Eifer gegen mich hineingeſprochen haben. Wir ſind hier zwei Frauen allein, kein18*276Mann hört uns und deßhalb darf ich wohl dreiſter reden, als ſich ſonſt für mich ziemte. Ich weiß nicht, wie mir wird, mein Auge ſchwimmt, und meine Lippe fühl ich zittern; zum Aeußerſten haben Sie mich gebracht, hören Sie denn das Aeußerſte, was ein Mädchen ſprechen kann. Bin ich’s noch ſelbſt? Wie kommen mir ſolche Ge - danken? Aber Sie ſollen ſie hören. Sie ſind Frau, und Sie waren Mädchen. Bebten und er - rötheten Sie nicht, wenn Sie nur dachten, daß eine andere Hand als die Ihrige Ihre Schulter berühre? Und nun haben Sie Ihrem Gemahle Seele und Leib ergeben, Ihre Perſon haben Sie ihm hingegeben und Ihre jungfräuliche Ehre! Sind wir darin nicht gleich? Hat die Braut eines Kaiſers etwas Höheres als die Majeſtät ihrer jungfräulichen Ehre? Ich bin eine Jungfrau, meine gnädige Ba - roneſſe. In der Ehre der Jungfrau fühle ich mich geadelt und der Braut des Kaiſers gleich. Demü - thig nehme ich Alles an von Oswald, aber nicht gedemüthiget, mit freudigem Stolze kann auch ich Mitgift nennen und Eingebrachtes, denn was Ihr Vetter mir geben mag, ich gebe ihm ſtäts doch mehr, als er zu geben jemals im Stande ſeyn wird.

277

Sie ſchwieg. Die Gluth der ſüßeſten Schaam flammte ihr auf Wangen, Hals und Nacken. Ihr Blick ruhte durchdringend auf Clelien. Dieſe fühlte ihre Mittel erſchöpft. Sie winkte, daß Lisbeth ſich entfernen möge. Lisbeth ging nach der Thüre.

Sobald aber Clelia die unwiderſtehlichen Augen des Mädchens nicht mehr ſah, kam ihr noch einmal der den Weltkindern eigenthümliche Uebermuth zu - rück. Sie rief der Abgehenden leichthin nach: Ihr ſeid Beide thörichte und unſinnige Kinder! Für jetzt weiß ich nichts mit dir anzufangen, aber ich wette, in wenigen Tagen ſprichſt du ganz anders und giebſt mir Recht, denn das verfliegt, wie es angeflogen iſt.

Die Jungfrau wandte ſich um und näherte ſich mit dem Anſehen einer Prieſterin der Welt - dame. Erhaben leuchteten ihre Augen, mit voller, tönender und gehaltener Stimme ſprach ſie: Wie täuſchen Sie ſich! Laſſen Sie ab von der Täuſchung, welche Sie um eine heilige Erſcheinung bringt! Ich bitte Sie, laſſen Sie ab von dem Wahne, hier mit einer Grille, mit einer Laune des Augenblicks zu thun zu haben. Sie würden in dieſem Wahne uns noch bittere Schmerzen und ſich fruchtloſe Mühe machen.

278

Kennen Sie das Wort: Ewig, Frau Baroneſſe? Ich hatte es, glaube ich, früher nie geſprochen, denn ich pflegte überhaupt nichts zu ſagen, wobei ich mir nichts zu denken wußte. Aber als er mich in der Kirche aufhob und mich vor den Altar nie - derwarf, ein Weihegeſchenk der Liebe für Gott den Allmächtigen, da durchtönte plötzlich das Wort wie mit tauſend Zungen mein Innerſtes und ſeit der Stunde ſingt es durch alle meine Gedanken und Empfindungen immer und immer wie ein himmliſches Hallelujah: Ewig! Denn wer die wahre Liebe empfängt, der empfängt die Ewigkeit in ſeinem Herzen. An der Ewigkeit aber iſt kein Vergang und ſo rühren Sie denn auch nicht weiter das ewige Wort meines Herzens an, gnädige Ba - roneſſe! Die Frau unſeres Wirthes hier, die ſich hin und wieder mit mir beſchäftiget hat und der Meinung iſt, ein Mädchen brauche aus Büchern nicht viel zu lernen, aber durch den Anblick ſchöner Menſchen lerne ein Mädchen etwas, gab mir in den letzten Wochen Briefe von einer Freundin zu leſen. Die Freundin hat mit ihrem Manne in einer kurzen, himmliſchen Ehe geſtanden, und der Mann hatte immer geſagt, das Glück ſei zu ſchön,279 als daß es lange dauern könne. So war denn auch ſein Tod wirklich bald erfolgt. Von den letz - ten Tagen ſchrieb nun die Freundin unter Anderem auch. Er hatte eine fürchterliche Krankheit, die den Hals zuſammenſchnürt, ſo daß der Menſch er - ſticken muß. Den letzten Tag nun hatte der Kranke kaum noch ſprechen können, aber immerdar hatte er auf ſeinen Trauring geſehen und auf denſelben gewieſen und dazu mit der größten Anſtrengung hervorgeſtoßen das Wort: Ewig! Er wand ſich in ſeiner Todesqual, aber das Wort keuchte er, ſo lange ein Laut aus ſeinem armen Munde kommen konnte. Und ſo ſtarb er in der Ewigkeit der Liebe.

Alſo wird es nun auch mit mir ſeyn und Os - wald. Es iſt möglich, daß wir nicht lange bei einander ſind, denn auch uns ſteht ja ein großes und unbeſchreibliches Glück bevor. Aber wer nun zuerſt ſterben möchte, der wird dem Andern, ſo lange die Lippe lallen kann, zuſtammeln: Ewig! als ein Wort des Troſtes, daß die Erde des Gra - bes die Liebe nicht überſchütte! Was aber das Grab nicht vermögen wird, davon werden Sie, gnä - dige Frau, gewiß abſtehen, denn in Ihnen iſt ein liebliches und freundliches Leben. Vergeben Sie280 mir, daß ich ſo ohne Rückhalt ſprach, ich würde Alles Ihrem Vetter überlaſſen haben, denn er iſt mein Herr, wäre er ſchon ganz hergeſtellt. Da er aber noch nachleidet, ſo mußte ich reden, weil ich zu reden aufgefordert wurde, und mußte ihn und mich vertheidigen gegen die Welt und den Dämon, wovon er vor einigen Tagen vorahnend geſprochen hat!

281

Letztes Capitel. Fröhliche Siege.

Clelia lag erſchüttert und aufgelöſt im Sopha. Durch alle Thorheiten der lieblichen Thörin hatte ſich die Natur gewaltig Bahn gebrochen. Sie ach - tete nicht mehr darauf, die Chatelaine zu verbergen, ihr Taſchentuch hatte ſie erhoben und vor das Ge - ſicht gedrückt.

Fancy trat in die Thüre des Seitencabinets. Kommen Sie einen Augenblick herein, laſſen Sie ihr Zeit, flüſterte ſie. Lisbeth ging etwas beſtürzt in das Cabinet. Fancy nöthigte ſie auf einen Seſſel und maaß mit einem ſeidenen Faden den Umkreis ihres Haargeflechtes und dann legte ſie das Maaß an einige Zweige des Myrthenbäum - chens. Sie ſchnitt die Zweige ab und verband ſie zum Kranze.

282

Auch das Mädchen hatte eine Thräne im Auge. Sie ſagte während ihrer Arbeit: Wenn ich ſie ſo weinen ſehe, ſchäme ich mich meiner Liſten, und doch waren ſie nothwendig. Denn hätte ich ſie nicht durch meine Unterwürfigkeit confus gemacht und ſie nicht in die Verlegenheit hineingeputzt, ſo hätten Sie, junge gnädige Gräfin, mit ihr einen härteren Stand bekommen, oder der Herr Oberamtmann packte die Sache wieder an und dann würden Sie es nicht durchgeſetzt haben. Die Fancy iſt aber dankbar. Seien Sie ſo gütig, dem Herrn Gemahl zu ſagen, die Caſtellanstochter habe ſich für den alten Vater revanchirt.

Lisbeth verſtand nicht, was das Mädchen wollte. Sie hatte auch nicht Zeit, danach zu fragen, denn in Clelia’s Zimmer hörte ſie laut ſchluchzen und dann eben ſo laut lachen und darauf wieder ſchluch - zen und ſo wechſelte es immer ab zwiſchen Lachen und Schluchzen. Endlich rief es leiſe und innig ihren Namen. Als ſie in das Zimmer trat, kam ihr Clelia entgegen, ſchloß ſie in ihre Arme, nannte ſie Couſine und ſagte: Du ſollſt ihn haben.

Die junge liebliche Thörin gehörte zu den glück - lichen Naturen, die, wenn ſie närriſche Streiche283 gemacht zu haben einſehen, ohne viele Weiterungen durch Wort und That bekennen: Wir haben när - riſche Streiche gemacht. Kein Schmollen, kein Hinzögern, kein falſcher Widerſtand hauchte über den Spiegel dieſer komiſch-anmuthigen Seele. Lis - beth hatte ſie überwunden, und ſie ſchämte ſich nun der Niederlage nicht. Sie drückte ſie an ſich, ſie ſtreichelte ihre Wangen, ſie gab ihr die zärtlichſten Namen, nannte ſie ihr kaiſerlich Kind und eine geborene Prinzeſſin der Ehre. Lisbeth war von dem plötzlichen Wechſel wie betäubt und ruhte freude - trunken an der Bruſt der ihr noch vor wenigen Minuten ſo feindlich geweſenen neuen Freundin. Clelia ſchlug ihren Arm um den Nacken des bräut - lichen Kindes und ging mit ihr halbtanzend auf und nieder; dann ſtellte ſie ſich mit ihr vor den Spiegel, ſtemmte die Hände in die Seite und ſagte, drollige Vergleichungen anſtellend: Cendrillon und daneben alle drei Fräulein Schweſtern in einer Perſon. Sie drohte ihrem Spiegelbilde, ſchnitt ihm neckiſche Geſichter und rief: Wie kann man ſich ſo aufdonnern?

Sie war in einem Taumel der Luſt und trieb darin Rührendes und Poſſenhaftes durcheinander. 284Plötzlich kam aber Fancy geſprungen und rief: Gnädige Frau, der Oberamtmann!

O mein Himmel! rief Clelia. Der muß weg, gleich weg, unter jeder Bedingung weg! Wie kriegen wir ihn weg? Fancy, gieb einen guten Rath! Sie lief hin und her, ihr Taſchentuch windend.

Wenn wir nur einen Proceß oder ein Acten - ſtück ihm in der Ferne zeigen könnten! rief Fancy, die nun faſt eben ſo ängſtlich ſich zeigte, als ihre Gebieterin. Mit Speck fängt man Mäuſe Hm! Wie? Ja Was Richtig ich hab’s Victoria!

Was?

Wo iſt die Aſſiſe?

Die Aſſiſe?

Fancy lief auf das geſtern Abend geleſene Zeitungsblatt zu. Hier! ſagte ſie und zeigte mit dem Finger auf eine der Anzeigen.

Clelia lachte. Nun, albernes Mädchen?

Hinein, gnädige Frau mit der jungen Dame in mein Cabinet! rief ſie, Sie möchten ſich nicht genug verſtellen können. Ich ſchaff den Oberamt - mann fort.

285

Clelia eilte mit Lisbeth in das Cabinet. Der Oberamtmann trat in das Zimmer. Ich hörte hier laut ſprechen, ſagte er. Die Stimme der Baroneſſe unterſchied ich und die des Mädchens. Wo iſt Ihre gnädige Frau? Wie ſteht es?

Ganz vortrefflich, verſetzte Fancy mit Emphaſe. Die ſogenannte Braut iſt beſeitigt, abgemacht, hinüber. Noch heute Abend reiſ’t ſie nach Ham - burg und wird dort Erzieherin in einer Penſion, mit ſechs und fünfzig Thalern Gehalt. Aber, wie haben auch die gnädige Frau geſprochen! Göttlich, ſage ich Ihnen, Herr Oberamtmann, von Tugend, Entſagung und uneigennütziger Liebe; Sie würden Ihr blaues Wunder gehört haben, ich wurde recht erbaut und faßte gute Vorſätze für mein ganzes Leben, wenn ich auch einmal ſollte das Unglück haben, daß mich ein junger vornehmer Herr heira - then wollte. Die Lisbeth bat die Baroneſſe zuletzt kniefällig um Verzeihung, daß ſie nur im Ernſt an den Grafen gedacht habe. Jetzt iſt ſie mit dem Kinde ſpazieren gegangen, um in der freien Natur ſie zu tröſten und ſie noch recht in der Vernunft zu befeſtigen. Wenn ſie aber nach Ham - burg abgereiſt iſt, dann will ſie auch den Herrn286 Vetter auf eine gute Art zu behandeln an - fangen.

Kein treuer Staatsdiener, dem von ſeiner vorgeſetzten Behörde ein glänzendes Lob zugeht, kann frohere Augen machen, als der Oberamtmann machte. Er ſchlug in die Hände, daß es ſchallte, zog einen ganzen Schoppen Luft in ſich und rief: Nun, Gott ſei Dank! So wäre denn alſo dieſes ſchwierige Geſchäft glücklich beendigt. Ach, Sie glauben nicht, Fancy, was für eine Angſt ich ausgeſtanden habe. Aber meinen Kopf hätte ich daran geſetzt, es durchzutreiben.

Sie können lachen, ſagte Fancy. Wir haben die Noth gehabt, und Sie hatten das Zuſehen. Und was halte ich hier in der Hand, Herr Oberamtmann? Sie hob das Zeitungsblatt empor.

Was denn, liebe Fancy? Er las. Zei - tung vom vom ei, die habe ich nicht zu ſehen bekommen! Hm! Was ſteht denn da? Aſſiſen in Elberfeld! rief der Geſchäfts - mann mit einem Freudenſchrei.

Das hat die gnädige Frau heute gefunden, und feurige Kohlen ſammelt ſie auf Ihrem Haupte,287 vergiebt Ihnen die Scene von geſtern Abend und trug mir auf, Ihnen das Blatt da zu zeigen, damit Sie Ihren Wunſch erfüllen können. Der Ort ſoll nicht gar zu weit von hier ſeyn. Wenn Sie gleich Poſt nähmen, ſo kämen Sie noch ſpät Abends dort an. Und unterdeſſen, daß Sie fort ſind, machen wir hier Alles mit dem jungen Herrn fertig.

Alſo wirklich ſoll ich doch noch das öffentliche Verfahren kennen lernen! ſprach der Oberamtmann gerührt. Großer Gott, wenn ſie nur nicht ſchon vorüber ſind! Sie gingen nach der Anzeige da vor vierzehn Tagen an. Ich hoffe indeſſen noch zwei oder drei Tage zu erhaſchen, denn wie ich am Rheine vernahm, ſo pflegen ſie in die dritte Woche ihrer Dauer überzugreifen. Er wiſchte ſich die Augen. Deine Baroneſſe iſt doch eine herrliche Frau, ſagte er. Empfiehl mich ihr auf das Angelegentlichſte und ſage ihr, in drei Tagen ſei ich wieder da, wenn nicht etwa gar zu intereſ - ſante Sachen vorkämen, denn dann bliebe ich wohl noch etwas länger aus. Adieu, liebe Fancy.

Sie fahren?

Sogleich. Ich gehe auf der Stelle ſelbſt zum Poſthalter.

288

Er eilte fort.

Fancy ſprang ausgelaſſen im Zimmer umher. Clelia trat mit Lisbeth aus dem Cabinette. Lis - beth trug den Myrthenkranz, den ihr Clelia drin - nen aufgeſetzt hatte. Lauf, Fancy, lauf! rief ſie. Schaff mir den Diaconus, lebendig oder todt, ſetzte ſie in ihrer ſprudelnden Laune hinzu. Fancy lief hinunter.

Was haben Sie denn mit mir vor, gnädige

Clelia ſollſt du mich nennen, werde ich nicht deine Couſine? verſetzte die Baroneſſe und gab ihr einen leichten Schlag mit dem Zeigefinger über die Wange. Was ich mit dir vorhabe? Trauen will ich Euch laſſen, im Augenblick!

Mein Gott, welche Uebereilung! rief Lisbeth froh und beſtürzt.

Keine Widerrede, ſagte Clelia. Soll es ge - ſchehen, ſo kann es nur in der Uebereilung geſche - hen. Drei Tage bleibt der Oger weg, das Ac - tenungeheuer; nicht drei Viertelſtunden will ich verlieren. Euer Bund iſt außer aller Ordnung und Regel, in der Ordnung und Regel kriegen wir’s nimmer fertig. Hurli burli muß es gehen. Himmliſch kannſt du ſprechen, Herzkind, und einer289 jungen Strohwittwe, die noch dazu das Unglück hat, ſelbſt in ihren Landläufer von Gemahl ver - liebt zu ſeyn, den Kopf ſchon verdrehen; aber kennſt du die Welt, das taube, hartmäulige Thier? Brautleute ſind zu trennen, eine Verlobung iſt rückgängig zu machen, da muß man alſo einen Riegel vorſchieben, einen von denen, die nicht weichen und wanken. O die Ehe, der gute, feſte, unweichſame Riegel! Immer gleich ſieht er aus, man mag ihn von der oder der Seite beſchauen. Seid Ihr getraut, ſo mögen ſie ſchimpfen, ſcan - daliren, chicaniren, Ihr ſitzt geborgen hinter’m Riegel. Da hat ſelbſt der Kaiſer ſeine Macht verloren. Ihr ſeid Mann und Frau und ſie müſſen ſehen, wie ſie ſich drein finden. Jetzt aber komm her, mein Bräutlein, daß ich dich ſchmücke.

Sie ſtellte ihren Juwelenkaſten neben ſich, ſetzte ſich in einen Lehnſtuhl und Lisbeth mußte vor ihr auf dem Fußſchemel knien. Ein anderes Kleid können wir dir nicht anziehen, denn meine ſind dir zu weit, du ſchlankes Reh, aber die beſten Brillanten ſchenke ich dir; ſagte ſie. Ein reiches Collier, die Broche und die dazu gehörigen Ohr - gehänge nahm ſie aus dem Kaſten. Sie legte derImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 19290Knieenden die prächtigen Steine an und um und wie gern ließ ſich die glückliche, halbbetäubte Lis - beth zieren! Sieht ſie in ihrem weißen Cam - brickleidchen und mit den Diamanten vom reinſten Waſſer nicht aus wie ein Märchen, einfach, ſtrah - lend, ärmlich, feenreich? rief ſie, als ſie ihr Werk vollendet hatte. Sie erhob die Geſchmückte und drehte ſie nach allen Seiten, um die Wirkung der Brillanten zu prüfen.

Der Diaconus kam. Fancy hatte ihn von der Straße hereingeholt. Er kehrte eben aus dem Gerichtshauſe zurück, den Auftritt mit dem Hof - ſchulzen noch in Haupt und Herzen. Seine Frau, die auch ſchon etwas von der Revolution in ihrem Hauſe gehört hatte, folgte. Fancy ſchloß den Zug. Die Wirthe ſahen mit Erſtaunen auf Lis - beth, die wirklich daſtand, ein armes, reiches, weißes, buntes Wunder. Kleine Frau, rief Clelia ihre Wirthin an, Sie bekommen heute freies Haus. Sobald wir hier unſere Pflicht gethan haben, reiſe ich ab, denn den Oberamtmann über - laſſe ich Euch, Ihr Guten, und der wird denn auch bald zornſchnaubend ſeiner Wege gehen.

291

Herr Paſtor, ſagte ſie gravitätiſch zum Dia - conus, Sie werden erſucht, Ihren Mantel anzu - legen, die Bäffchen vorzuſtecken und ſofort Ihr heiliges Amt zu verrichten.

Wie? verſetzte der Diaconus äußerſt befremdet. Ohne Aufgebot, ohne Formalitäten

Einſpruch erfolgt nicht, auf Cavalierparole, ſagte Clelia noch feierlicher. Und was die For - malitäten betrifft, ſo ſteht hier eine bekränzte Braut, drüben im Zimmer ſitzt ein harrender Bräutigam, ich habe mich als eheſtiftende Juno aus dem Stegreife in Staat geworfen, zwei ehr - liche Leute als Zeugen werden zu haben ſeyn, weitere Formalitäten ſind wohl überall zu einer Hochzeit nicht erforderlich.

Er verſagte auf das Beſtimmteſte die Bitte. Clelia wurde aber dringender und fand an der Frau des Geiſtlichen eine Bundesgenoſſin. Ich dächte, liebes Kind, du gäbeſt nach, ſprach ſie mit einem verlegenen vielſagenden Blicke.

Mit der ganzen Offenheit, welche ſeine Aeuße - rung über den modernen Adel gegen die Excellenz auf dem Oberhofe geziert hatte, rief der Diaco - nus, ſich vergeſſend: Nein, mein Schatz, weil du19*292etwas länger Laſt in der Küche behältſt, deßhalb kann ſich dein Mann nicht ſcharfen Verweiſen oder gar Strafen ausſetzen!

Darüber will ich Sie beruhigen! rief Clelia. Ich kenne Ihren * er iſt in Carlsbad ganz über - aus freundlich gegen mich geweſen, denn er erwartet von mir eine Gefälligkeit bei uns daheim. Eine Hand wäſcht die Andere, ich verbürge mich dafür, daß Sie mit einer leichten Zurechtweiſung, die Ihnen nur des Scheins halber ertheilt werden wird, ent - ſchlüpfen ſollen, zumal da in der Sache ſelbſt nichts Unrechtes geſchieht. Fancy ſchlich fort; ſie wußte, wo der Ornat hing.

Gnädige Frau, verſetzte der Diaconus ernſt, die Formen ſind einmal in der Welt und die For - men ſind heilſam. Entſchuldigen Sie, wenn ich mich innerhalb der mir gewieſenen Schranken halte.

Aber auch Clelia konnte ernſthaft werden. So feſt und gehalten, daß es alle Anweſende über - raſchte, ſagte ſie: Meine Eitelkeit erlebt wenig - ſtens einen kleinen Triumph darüber, daß Sie mir ſo bald und ſo vollſtändig Genugthuung geben. Sie grollten mit mir gar ſehr in Ihrem Herzen, daß ich die Bettlerin, das Findelkind denn ich293 darf ſie ſo nennen, ſie weiß, wie lieb ich ſie ge - wonnen habe nicht in der älteſten Familie des Reichs haben wollte, und nun weigern Sie ſich, ja Sie, zwei Lieblinge Ihres Herzens allen Nöthen zu entheben. Und weßhalb weigern Sie ſich? Einer Form, einer armſeligen Form wegen, deren Verletzung Ihnen möglicherweiſe eine kleine Unan - nehmlichkeit im Amte machen könnte. O Ihr Anderen, wann werdet Ihr doch ablaſſen, Euch über uns aufzuhalten? Ich bin doch beſſer als Sie. Denn ich ward wenigſtens von dem königlichen Gemüthe dieſes Kindes, welches ich nun mit Freuden für meine Verwandte, Gräfin Waldburg, erkenne, raſch bekehrt. Sie aber ſcheinen der Bitte einer Frau unnahbar zu ſeyn, die nur begehrt, was der Augen - blick gebietet, den Sie mir ja auch als Lehrer der Menſchen angeprieſen haben. Wohl, ich dringe nicht weiter in Sie. Aber die Zukunft der Beiden ſchiebe ich Ihnen in Ihr Gewiſſen. Für alle Quälereien, Hemmungen, Verdrießlichkeiten oder gar Mißgeſchicke, welche Oswald und Lisbeth noch haben können, bin ich für meine Perſon nicht ferner verantwortlich.

Der Diaconus ſtand betreten. Von Anfang an hatte ja eine Stimme in ſeinem Inneren für294 die Bitte der Baroneſſe geſprochen. Dieſe Stimme redete um ſo lauter, als er kurz zuvor ſo tief be - wegt worden war. Das Große, Aechte, Menſch - liche war ihm in der Gerichtshalle ſo nahe getre - ten; er fühlte, daß es Dinge und Verwickelungen gebe, in denen der Menſch ſich vergeſſen und nur an das Weſen, und an das Loos Anderer denken ſoll.

Nach einigem Schweigen erwiederte er Clelien: Sie haben mich auf eine Probe geſtellt. Selten wird es vorgekommen ſeyn, daß ein Geiſtlicher ſich ſcharf tadeln laſſen muß vor einer heiligen Hand - lung, die man von ihm begehrt. Folgte ich einer kleinlichen Empfindlichkeit, ſo würde ich bei meinem Verſagen beharren. Ich bin aber nicht empfindlich, ſondern erkläre Ihnen ganz einfach: Sie haben Recht. Ich bin bereit, dem Bunde, welcher uns Alle, wie es ſcheint, durch ſeine liebliche Kraft über das Gewöhnliche erhebt, Weihe und Unlös - barkeit zu geben.

Fancy hatte ſich ſchon während der letzten Worte mit dem Ornate in der Thüre gezeigt. Der Diaconus ging hinaus und kam nach einigen Augenblicken im prieſterlichen Kleide zurück. Wollen wir ihn nicht vorbereiten laſſen? fragte295 Clelia. Wozu? verſetzte der Diaconus. Das Göttliche regt nicht auf; es beruhigt. Still treten wir bei ihm ein und ich ſage ihm dann in kurzen Worten ſanft, was wir wollen; das iſt wohl die beſte Vorbereitung.

Er nahm Lisbeth bei der Hand, die Frauen folgten. Schweigend und gefaßt gingen dieſe guten Menſchen nach dem Zimmer, in welchem ſich auf den Glücklichen, der noch nichts ahnete, ſogleich ein Segen herniederlaſſen ſollte, rein, groß, himmliſch.

Ende.

296

Anhang. Zwei Briefe.

I.

Sie wollen mir, lieber Herr Buchbinder, wie ein Londoner Publicum, das Nachſpiel zu der Tragödie, die einen heiteren Ausgang gewann, nicht erlaſſen. Sie fragen mich nach unterſchiedlichen Dingen und Perſonen, und da Sie mir während der Arbeit rechtſchaffen beigeſtanden haben, theils durch Heften des Manuſcripts, theils durch guten Rath, ſo will ich Ihnen auch darin gern, in wie weit ich kann, gefällig ſeyn.

Vor allen Dingen wünſchen Sie zu wiſſen, was der Arzt zu der Vermählung geſagt habe. Herr Buchbinder, Sie ſind ein ſchlauer Vogel. Der Doctor kam ungefähr eine Stunde nach der Trauung in das Haus und fand noch Alles in297 Entzücken und Thränen. Er war aber gar nicht entzückt und vergoß auch keine Thräne. Sondern bitterböſe war er und rief: Verdammt, daß der Humor immer wörtlich genommen wird! Aller - dings war der Graf in großer Gefahr, und noch jetzt iſt ein Rückfall zu beſorgen, wenn man ihn nicht vor Gemüthsbewegungen in Acht nimmt. Er hatte hierauf mit der Baroneſſe ein Geſpräch unter vier Augen. In Folge deſſelben wußte die junge Dame die neue Gräfin zu beſtimmen, daß ſie noch an ihrem Hochzeittage mit ihr abreiſte, und ſo trennte ſich das Paar wenige Stunden nach ſeiner ewigen Vereinigung unter heißen Thrä - nen, aber mit freiem und würdigem Entſchluſſe. Nachdem Clelia ihren entronnenen Gemahl aus dem Osnabrück’ſchen ſich wiedergeholt hatte, reiſten ſie zuſammen durch Holland, Belgien, Frankreich, England bis nach Schottland. Die junge Frau oder Braut ſah Vieles, merkte auf Alles und wechſelte mit ihrem Gemahle oder Bräutigam die ſchönſten Briefe. Man ſah ihr nirgend an, daß ſie nur ein Findling war, ſondern ſie betrug ſich wie eine geborene Gräfin. In England wurde ſie der Königin vorgeſtellt, dieſe küßte ſie auf die298 Wange und die Frau von Lehtzen nannte ſie my dear Eliza.

Endlich nach ſechs oder ſieben Monaten ſchlug die Stunde der Heimkehr. Der Graf, nun ganz wieder hergeſtellt, kam den Reiſenden bis Rotter - dam entgegen und führte ſein bräutliches Weib in großer Wonne auf das hohe Schloß am Neckar.

Der alte Baron, über welchen ſich bei dem Einſturze des Schloſſes ſchützend ein Stück Dach geſpreitet hatte, wurde dadurch vor dem Zerquet - ſchen bewahrt. Er ſchlug nur mit der Stirn auf einen harten Körper, einen Stein oder Balken, auf und trug eine große Brauſche davon. Einige Tage lag er betäubt, als er aber wieder zukehrte, war er von allen und jeglichen Einbildungen ge - heilt. Entweder muß daher an ihm das Dogma des Dorfchirurgen vom Choc und Gegenchoc ſich bewährt haben, oder die fixen Ideen ſind ihm frü - her von einem Knoten im Hirne entſtanden, den ihm die Erſchütterung des Falles geſprengt hat. Genug, er war auf den Kopf gefallen und dadurch zu Verſtande gekommen.

Einen großen Schmerz hatte der alte Mann über die Gefühlloſigkeit ſeiner Pflegetochter, wie299 er ihr Benehmen nannte. Er wollte ſie auch deß - halb gar nicht ſehen, als ſie ihn endlich beſuchte, und ſie mußte, nachdem ſie drei Tage inſtändig bittend verweilt hatte, unverrichteter Sache abrei - ſen. Jede Einladung nach dem Schloſſe am Neckar hat er beharrlich abgelehnt. Die jungen Gatten ſorgen aber dennoch für ihn durch einen ſeiner alten Freunde, der von ihnen in’s Vertrauen gezo - gen worden iſt. Dieſer zahlt ihm nämlich reich - liche Summen aus unter dem Vorwande, es ſeien Rückſtände von Zinſen, die ſein ehemaliger Rent - meiſter nachläſſigerweiſe uneingefordert gelaſſen habe. Der alte Baron wohnt bei dieſem Freunde zur Miethe, hat ſich wieder Jagdgewehr angeſchafft, ſchießt Rehe, ſo viele er treffen kann, trinkt Rheinwein nach Bedürfniß und lebt ganz der Ge - genwart.

Der Schulmeiſter Ageſel ließ in den rheiniſch - weſtphäliſchen Anzeiger einrücken, er erkläre Jeden, der ihn nicht für einen gewöhnlichen Menſchen im vollen Sinne des Worts halte, für einen Schur - ken, worauf der Küſter aus Furcht, inſultirt zu werden, ſeine andere Furcht nach und nach bemei - ſtern gelernt hat.

300

In Dünkelblaſenheim ſteht Alles bei’m Alten. Nationallied iſt noch immer der Geſang der Fiſche aus Wieland’s Märchen:

Hätten’s gern beſſer
Statt immer ſchlimmer;
Und rathen immer,
Und treffen’s nie.

Münchhauſen wird in den höchſten Kreiſen der Ge - ſellſchaft ganz außerordentlich vermißt.

Von dem Verſchwinden dieſes wunderbaren Mannes iſt der Schleier nie gelüftet worden. Na - türlich muß die Krypte einen geheimen Ausgang gehabt haben, wer nur wüßte, wo? Eine ganz ſonderbare Nachricht verbreitete ſich unlängſt. Ein Reiſender wollte nämlich in einem kleinen Gebirgs - ſtädtchen im Hohenzollern-Hechingen’ſchen einen Mann, genau ausſehend wie unſer Held, mit einer ältlichen Dame luſtwandeln geſehen haben. Auf Befragen hatte man dem Reiſenden geſagt, jener Mann heiße Münch, genannt Hauſen, lebe vom Ackerbau, ſei ein nützlicher Staatsbürger, guter Gatte und würde ohne Zweifel ein eben ſo guter Vater werden, wenn ſeine Frau noch Kinder be - kommen könnte.

301

Wäre dieſer unſchädliche Acker - und Staats - bürger wirklich der Freiherr von Münchhauſen, ſo hätte ſich in unſerer lehrreichen Geſchichte gerade das Gegentheil von dem ereignet, was in anderen Geſchichten vorzukommen pflegt. Denn in denen werden meiſtens alle Vernünftige toll, in der unſrigen aber wären durch tüchtige Eingriffe des Lebens, ſei es mittelſt Nichtachtens auf die Schrolle, ſei es mittelſt Fallens auf den Kopf, oder mittelſt Wiedererſcheinens einer alten Geliebten, alle Tollen oder Halbtollen vernünftig geworden. Gewiß ein tröſtlicher Ausgang!

Mit Wehmuth wende ich mich zu Ihrer Frage nach Karl Buttervogel. Dieſer practiſche Charak - ter iſt leider an ſeiner einzigen Schwäche unter - gegangen, er ſtarb nämlich am Uebermaaß von Gründen. Das ging ſo zu. Bald nach dem Ver - laſſen des münchhauſen’ſchen Dienſtes fand er eine neue Herrſchaft, bei welcher er auch mit Pferden umgehen mußte, d. h. er wurde zugleich Kutſcher. Einſtmals fuhr er nun in einem holprichten Wege ſo ſchlecht, daß ihn ſein Herr heftig anließ und ihn fragte, warum er nicht im Geleiſe bleibe? Karl hätte hierauf einfach antworten ſollen, daß302 er gen Himmel, ſtatt auf die Straße geſehen habe. Er wandte aber den Kopf rückwärts und trug dem Herrn unaufhaltſam eine Fülle von Grün - den vor. Da ſchlug der Wagen in ein tiefes Loch, Karl ſtürzte vom Bock, fiel vor das Rad, dieſes ging über ihn weg und jämmerlich kam er um. An ſeinem Grabe weint Rieke aus Stuttgart, die er geheirathet hatte, mit zwei unmündigen Kindern. Ich weiß, daß auch Sie ſeinem Andenken eine Thräne zollen werden.

Was das optiſche Glas zu leſen gegeben, kann ich Ihnen nicht ſagen. Es liegt unter den Trüm - mern des Schloſſes, die nicht hinweggeräumt wor - den ſind.

Habe ich Sie nun zufrieden geſtellt, lieber Herr Buchbinder? Der ich mit aller Achtung u. ſ. w.

N. S.

Beinahe hätte ich den Oberamtmann vergeſſen. Eine Geſchichte mit ſo vielen Perſonen iſt wie ein Wirthshaus voll Gäſte. Bei der pünctlichſten Aufmerkſamkeit wird doch immer Der und Jener ſitzen gelaſſen. Er kam aus dem gewerbfleißigen303 Wupperthale zurück, ſchon ſehr verſtimmt, denn von der Aſſiſe hatte er nichts zu ſehen bekommen. Den erſten Tag ſeines Dortſeyns konnte er nämlich wegen Ueberfüllung des Saales mit Menſchen nicht hinein, am zweiten Tage wurde eine Sache bei verſchloſſenen Thüren verhandelt und am dritten eine ausgeſetzt, weil der Hauptzeuge fehlte; womit die damalige Quartalſitzung ſchloß.

Als er nun gar ſeinen Freund, den er braut - los erwartete, vermählt wiederfinden mußte, kannte ſein Zorn keine Grenzen. Aber die Ehe ſaß wirk - lich wie ein guter Riegel feſt und ſpottete jeglicher Bemühung, ſie hinwegzuſchieben. Er reiſte auf der Stelle ab, hat ſich in den Schwarzwald vergraben und nichts mehr von ſich hören laſſen. Sein Glaube an die Menſchheit ſoll ſehr geſunken ſeyn und Clelien nennt er, wie man ſagt, nur Armiden, die liſtige Verführerin. Oswald hofft indeſſen doch noch ihn auszuſöhnen.

304

II.

Du fragſt mich nicht nach den komiſchen Leuten, obgleich du, luſtig wie ein Knabe, an ihnen dein Ergötzen hatteſt und dich ſelbſt nicht ſcheuteſt, über den gemeinſten aller gemeinen Bedienten wie du ihn nannteſt, zu lachen. Du fragſt mich nach Os - wald und Lisbeth. Ihre Geſchichte ſei ja noch nicht aus, ſagſt du.

Nein, ihre Geſchichte iſt auch nicht aus, ſie hat erſt begonnen. Ich hätte nicht ſolchen Antheil Beiden gewidmet, wenn ſie zu denen gehörten, deren Blüthe das Läuten der Hochzeitglocken zu Grabe läutet. Die Geſchichte ihres Herzens und innerſten Geiſtes nahm von dem Segen des Prie - ſters den Ausgang.

Ein zu frühes Beieinanderſeyn der Liebenden hat etwas Ungeſchicktes. Das Leben iſt nun einmal roh, es trennt mehr, als daß es ver - binde. Der Tag wirft viel Schaum und trübe Fluth zwiſchen zwei Herzen, die noch nicht gelernt305 hatten und auch unter ſolchen Umſtänden nicht ler - nen können, mit einander vertraut zu ſeyn denn auch das ächte Vertrauen will gelernt werden. Daher kommt es denn, daß die Meiſten einander zu fremd und doch zu nahe in den Eheſtand treten. Und ſo entſteht die trübe und unreine Geſtalt vieler Ehen. In manchem Zufälligen hatten die Verbundenen das Weſenhafte zu finden gewähnt, das nimmt Abſchied, und nun klagen ſie über bittere Enttäuſchungen, wo ſie im Gegentheil ſich vielleicht der Entfaltung eines Weſenhafteſten zu erfreuen hätten.

Unſer Paar wurde durch anſcheinendes Mißge - ſchick über dieſe gefährliche Sandbank des Lebens hinübergeſpült. Draußen, in Wald und Feld, außer dem Pferch der Civiliſation hatten ſie ein - ander gefunden, hatten einander vor aller Bekannt - ſchaft geliebt, der Blitz der Ahnung hatte dem Einen des Andern ewiges Seyn und Werden er - leuchtet. Aber nun galt es, den koſtbaren Gewinn für die Erde zu feſtigen. An dem Tage ihres Bundes wurden ſie getrennt! Trauriges Loos, glückſeliges Loos! In Sehnſucht und Wehmuth, in zartem Harren und Darben lernte nun EinesImmermann’s Münchhauſen. 4. Th. 20306des Andern Tiefſtes aus; das Feinſte und Wahrſte der Seelen, der Blüthenſtaub des inneren Menſchen wehte hinüber und herüber. Die Leidenſchaft konnte nicht aufkommen, denn die Hoffnung, feſt geankert auf dem Grunde des Sacraments, hielt ſie mit ſanfter Hand nieder, die Ferne zeigte Jedem die zweite theure Geſtalt in verklärten Umriſſen.

Daher kannten ſie einander, als er ihr bei Rotterdam aus dem Boote half, aber ſie kannten einander in der edelſten und köſtlichſten Weiſe. Den ewigen Menſchen hatte Eines in dem Andern erſchauen gelernt, nicht den zufälligen. Die Be - geiſterung des erſten Liebesrauſches hatte die ſüßeſte und zugleich die ernſteſte hohe Schule durchgemacht. In allen Tiefen des Bewußtſeyns hatte ſich das Aufjauchzen des Gefühls als hohe Vernunft wie - dergefunden.

Und nun haben ſie einen Glauben, den nichts erſchüttern kann. Wenn der Tag ſeinen Schaum heranſpült und das Bild des Liebſten verun - reinigt; wenn die Laune kommt und das Sonder - bare, Dumpfe, ſo ſprechen ſie: Das iſt nicht Os - wald, das iſt nicht Lisbeth, das iſt der Zufall. 307Eines iſt für das Andere nur da in der ſchö - nen Figur jener academiſchen Zeit ihrer Liebe.

Nach allen Seiten hin erbaut ſie die Ehe, die den Namen einer heiligen verdient. Denn ſie haben einander einen Doppelſchwur geleiſtet ohne Worte. Eins wollen ſie ſeyn und bleiben, aber Eins im Leben und in der Welt, nicht ſich verſteckend vor Leben und Welt. Mit Liebe wollen ſie den ſtumpfen Widerſtand der Materie überwinden. Der iſt groß. Denn ihr Schritt hat freilich in alle Verhältniſſe den tiefſten Riß gemacht. Man läßt Lisbeth’s Liebenswürdigkeit zwar gelten, aber das Findelkind bleibt ihnen doch ein Findelkind. Die Bekannten haben geſtutzt, die Freunde getrauert, die Familie iſt außer ſich geweſen, habſüchtige Vettern ſchielten froh nach der Zukunft. Zwiſchen dieſen dürren Klippen, in ſolcher Wildniß iſt ihnen die Aufgabe geſetzt, den Garten eines ſchönen, fruchttragenden Lebens auszuſäen. Daher hat denn ihre Geſchichte nur erſt begonnen. Ueberallhin müſſen ſie ſich auf - ſtellen, jeden Schatz aus ſich zu Tage fördern, ſie müſſen ſich vollenden für die Welt und für die Zwecke der Welt, um das Recht des Herzens darzulegen.

20*308

Eine Liebesgeſchichte und nichts weiter! werden Manche ſagen. Wenn es nichts weiter wurde, ſo iſt daran meine geringe Fähigkeit, nicht mein Sinn ſchuld. Mein Sinn ſtand darauf, eine Geſchichte der Liebe nachzuerzählen, der Liebe zu folgen bis zu dem Puncte, wo ſie den Menſchen für Haus und Land, für Zeit und Mitwelt reif, mündig, wirkſam zu machen beginnt.

Deine Seele hat manchen Gedanken von mir in ſich empfangen, du haſt ihn gepflegt und mir ſchöner zurückgegeben. Von dir vernahm ich zu - weilen erſt, was ich eigentlich gedacht hatte. Höre denn auch jetzt, was meine rauhe und ungeſtüme Lippe dir zuſtammelt; pflege es in einem feinen, guten Gemüthe.

Unſere Zeit iſt groß, der Wunder voll, frucht - bar und guter Hoffnung. Aber irr und wirr tau - melt ſie noch oft hin und her, weiß die Stege nicht und plaudert wie im Traume. Das rührt daher, weil das Herz der Menſchheit noch nicht wieder recht aufgewacht iſt. Denn nicht abhanden kam der Menſchheit das Herz, es ward nur müde und ſchlief etwas ein. Im Herzen müſſen ſich die Menſchen erſt wieder fühlen lernen, um den neuen309 Weg zu erkennen, den die Geſchlechter der Erde wandeln ſollen, denn vom Herzen iſt alles Größte auf Erden ausgeſchritten. Moſes ſah an das Elend ſeines Volkes und führete es hinweg; Chri - ſtus wollte ſein göttliches Licht nicht für ſich be - halten, ſondern in überſtrömender Liebe gab er es ſeinen Brüdern; nach dem heiligen Grabe lechzete die durſtige Bruſt der Kreuzfahrer, Luther that mit ſeinem Herzen die tiefe Frage nach der ewi - gen Seligkeit, vor welche ſich ſchmauchende Kirchen - kerzen geſtellt hatten, die von Meßgewändern und Weihrauchwolken verhüllt war.

Wenn ich aber das viel gemißbrauchte und deßhalb übel berufene Wort brauche, ſo weißt du, daß ich damit nicht den ſchlaffen, von der Empfin - delei getauften Muskel meine, der in einer Fluth matter Thränen ſchwimmt. Das volle, ſtarke Herz meine ich, vom Athem Gottes und göttlicher Nothwendigkeiten durchweht und begei - ſtet. Ich meine das Herz, welches das ſchöne Weib des Kopfes iſt. Von ihm wird es befruch - tet und giebt die Kraft ſeines Mannes und Herrn wieder als göttliches Kind mit tiefen welterlöſen - den Augen. Dieſes Herz erſcheint den Schwachen310 nicht ſelten kalt und roh, und doch iſt es das Wärmſte, was es giebt, denn es entzündet mit ſeinem Brande die Völker. Und das Zärteſte iſt es auch, denn nicht irdiſche Stümper rühren es, ſondern die Himmliſchen ſpielen darauf, wie auf einer Aeolsharfe, und es tönet ſeine ewigen Ac - corde unter den Fingern der Elohim.

Unſere Zeit iſt ein Columbus. Sie ſieht wie der Genueſer mit den Blicken des Geiſtes das ferne Land hinter der Wüſte des Oceans. Deſſelben gleichen erlebt ſie die Geſchicke des Columbus. Auch ihr laufen die Kinder nach, halten ſie für wahnwitzig und zeigen an den Kopf. Auch ſie ſteht vor manchem Rathe von Salamanca und ſoll ſich aus Kirchenvätern widerlegen laſſen. Auch heuer giebt es dieſen und jenen heuchleriſchen Johann von Portugal, der ihr das Geheimniß abgekauft zu haben wähnt und die Caravele ausſendet von den Inſeln des grünen Vorgebirges, aber nach vierzehn Tagen den ſchlechten Bootsmann entmuthigt wiederkehren ſieht. Sie hat die Anker gelichtet und ſteuert und ſteuert.

Aber der Genueſer hatte die Bouſſole am Bord und nach der richtete er ſein Schiff und ließ311 ſich nicht irre machen, als die Nadel unter entle - genen Graden abzuweichen begann. Die Nadel zeigte ihm den Pfad.

In das Schiff der Zeit muß die Bouſſole gethan werden, das Herz. Und keine Abwei - chung muß den Seefahrer irren, wenn die Reiſe immer weiter und weiter vordringt. Dann wird nach verzweiflungsvollem Hoffen und Har - ren plötzlich in einer Nacht vom Schiffe: Land! gerufen werden, und die Inſel San Salvador wird nächſten Morgens entdeckt daliegen, wild, üppig, mit großen und ſchönen Wäldern, mit unbekannten Blumen und Früchten, von reinen, lieblichen Lüf - ten überhaucht und umſpült von einem kryſtall - klaren Meere. Und es kann ſeyn, daß auch die Zeit nach Ophir und nach des Tartarchanes Ge - biete entſteuert zu ſeyn wähnet, und in dieſem Wahne, ein erhaben phantaſirender Columbus, ab - ſtirbt, und daß erſt ſpätere Jahre erfahren, Ame - rica ſei an jenem Morgen entdeckt worden.

About this transcription

TextMünchhausen
Author Karl Immermann
Extent327 images; 50235 tokens; 9386 types; 333408 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationMünchhausen Eine Geschichte in Arabesken Vierter Theil Karl Immermann. . [3] Bl., 311 S. SchaubDüsseldorf1839.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Bibl. Varnhagen 2198http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=589828088

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Fraktur

LanguageGerman
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